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Full text of "Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin"

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JJan/clitn 


KASCltOAY 


Zeitschrift  der  Gesellschaft 
für  Erdkunde  zu  Berlin 


Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin 


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WHITNEY  LIBRARY 


IIARVARD  UNIVERSITY. 


\ 1 THE  GIFT  OF 

I 

V J.  D.  WHITNEY, 

Sturyis  Hoope  r Profruor 

I 

I!«  TIIF. 

MUSEUM  OF  OOMPABATIVE  ZOÖLOGY. 

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ZEITSCHRIFT 

DER 

GESELLSCHAFT  FÜR  ERDKUNDE 

ZU 

BERLIN. 


HERAUSGEGEBEN  IM  AUFTRAG  DES  VORSTANDES 

VON 

DEM  GENERALSEKRETÄR  DER  GESELLSCHAFT 

GEORG  KOLLM, 

HAUPTMANN  A.  D. 


BAND  XXIX.  — Jahrgang  1894. 


MIT  18  Tafeln  um!  b Abbildungen  im  Text. 


BERLIN,  W.  8. 

W H.  KÜHL. 

C.  >*94- 


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Inhalt  <lcs  neu nundzwanzigs ten  Bandes. 


Aufsätze. 

(Für  den  Inhalt  ihrer  Aufsatic  lind  die  Verfasser  allein  verantwortlich.) 

Seite 

Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  Von  Dr.  Alfred 

Philippson.  (Hierzu  Tafel  i und  z.) i 

Über  die  Methoden  der  Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  zur 

See.  Von  Dr.  Wilhelm  Mei na rdus  . . . 90 

Studien  über  das  Klima  Spaniens  während  der  jüngeren  Tertiärperiode  und 
der  Diluvialpetiode.  Von  Albrecht  Penck.  (Mit  2 Abbildungen 

im  Text.) • 109 

Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschcbel  Bcreket.  Reisen, 
ausgeführt  mit  Unterstützung  der  Karl- Ritter-Stiftung  der  Gesellschaft 
für  Erdkunde  und  dargestellt  von  Martin  Hartmann.  (Hierzu  Tafel  3.)  14z 

Die  Fjordbildungen.  Ein  Beitrag  zur  Morphologie  der  Küsten.  Von  P. 

Dinse.  (Hierzu  Tafel  4 — 6.) 189 

Dr.  A.  Philippsons  Höhenmessungen  in  Nord-  und  Mittel-Griechenland  und 

Türkisch-Epirus  im  Jahr  1893.  Berechnet  von  A.  Galle 160 

Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrs.  Von 

A.  Hettncr.  (Hierzu  Tafel  7.) 171 

Forschungen  über  die  physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir  im 
Frühjahr  1894*  Von  Dr.  Sven  Hedin  (Reisebericht  Nr.  2,  am  18. 

Juni  1894  aus  Kaschgar  abgeschickt.)  Mit  4 Abbildungen  im  Text. 

(Hierzu  Tafel  8 — x 1. ) Z89 

Zur  Statistik  der  Vereinigten  Staaten  von  Mexiko.  Von  Dr.  H.  Polakowsky.  347 
Reiseberichte  aus  Celebes  von  Paul  und  Fritz  Sa  rasin.  Erster  Bericht. 

(Hierzu  Tafel  13.) 351 

Die  Anian-Strafse  und  Marco  Polo.  Von  Chr.  Sandler 401 

Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris  am  8./ 20.  und  1 5-/27.  April  1894.  Von 

Dr.  Theodor  G.  Skuphos.  (Hierzu  Tafel  14—18-) 409 

Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschcbel  Bcreket.  Reisen, 
ausgeführt  mit  Unterstützung  der  Karl-Ritter-Stiftung  der  Gesellschaft 
für  Erdkunde  und  dargestellt  von  Martin  Hartmann.  (Schlufs.)  475 


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Tafel  i. 


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Karten  und  Bilder. 

(Die  Bilder  sind  von  den  Karten  durch  ein  0 unterschieden..1 
Der  Kopais-See  und  seine  Umgebung.  Von  Dr.  Alfred  Philippson. 
Malsstab  i : 1 50  000. 

Geologische  Kartenskizze  des  Kopais-See-Gebiets.  Profile. 

Karte  des  Liwa  Haleb  und  eines  Teiles  des  Liwa  Dschebel  Bereket  nach 
den  Reisewegen  Marlin  Hartmann’s  in  den  Jahren  1881  1883  und 
1884-  Mafsstab  1 : 220000. 

und  5.  Tiefenkarten  und  Langsdurchsclmitte  zur  Darstellung  der  Gestaltung 
der  Fjordbecken.  Nach  englischen  Seekarten  entworfen  und  gezeichnet 
von  Dr.  P.  Dins e.  1894-  Längenmafsstab  i : 150000,  Höhenmafsstab 
1 : 10000. 

Querschnitte  zur  Darstellung  der  Formen  der  Fjordbecken.  Nach  eng- 
lischen Seekarten  entworfen  und  gezeichnet  von  Dr.  P.  Dinse.  i894- 
Mafsstäbc  verschieden. 

Die  wichtigsten  Transportmittel  des  Landverkehrs,  entworfen  von  Dr. 
A.  Hcttner. 

Übersichtskarte  des  Pamir,  die  Hauplrichtungen  der  Gebirge  darstellend. 
Mus-tag  ata  von  Westen;  Austritt  des  Przewalsky-Gletsclrers. 

Zunge  des  Przewalsky-Gletsclrers  gegen  SW. 

Unterlauf  des  Przewalsky -Gletschers" nach  SW. 

Reiseweg  von  Dr.  Sven  Hedin  im  Pamir-Gebiet,  von  Rnng-kul  nach 
dem  Mus-tag-ata.  April  1894.  Mafsstab  1 : 200000. 

Vorläufiger  Karten- Entwurf  zu  P.  u.  F.  Sa  rasin  *s  Reisen  zwischen 
der  Minahassa  und  Gorontalo  (Nord-Celebes).  November  1803  bis 
Januar  i894-  Malsstab  1:750000. 

Ansicht  der  zum  Teil  ins  Meer  gesunkenen  Gegend  von  llalmyra 
Die  grolse  Spalte  durch  die  Kreideformation  oberhalb  von  llalmyra. 

Die  grolse  Spalte  am  nordöstlichen  Abhang  des  Chlomos-Gebirges. 

Die  grofse  Spalte  oberhalb  der  Stadt  Alalanti  bei  der  Quelle  Pasari. 
Geologische  Übersichtskarte  des  Erdbeben-Gebietes  von  Lokris  nachBillner 
und  Feiler  von  Theodor  Skuphos.  Malsstab  1 : 400000. 


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Veröffentlichungen  der  Gesellschaft  im  Jahr  1894. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin,  Jahr- 
gang 1894  — Band  XXIX  (6  Hefte), 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin, 
Jahrgang  1894  — Band  XXI  (10  Hefte). 

Preis  im  Buchhandel  für  beide:  15  M.,  Zeitschrift  allein:  12  M.,  Ver- 
handlungen allein:  6 M. 

Beiträge  zur  7-eltf.chri/t  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  werden  mit 
50  Mark  für  den  Druckbogen  bezahlt,  Original-Karten  gleich  einem  Druckbogen 
berechnet. 

Die  Gesellschaft  liefert  keine  Sonderabzüge;  jedoch  steht  cs  den  Verfassern 
frei,  solche  nach  Übereinkunft  mit  der  Redaktion  auf  eigene  Kosten  anfertigen 
zu  lassen. 


Alle  für  die  Gesellschaft  und  die  Redaktion  der  Zeitschrift  und 
Verhandlungen  bestimmten  Sendungen  — ausgenommen  Geldsendungen 
— sind  unter  Weglassung  jeglicher  persönlichen  Ad  resse  an  die : 

„Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  SW.  12,  Zimmerstr.  90“, 

Geldsendungen  an  den  Schatzmeister  der  Gesellschaft,  Herrn 
Geh.  Rechnungsrat  Btttow,  Berlin  W.  Leipziger  Platz  13,  zu  richten. 

Die  Geschäftsräume  der  Gesellschaft  — Zimmerstrafse  90.  II  — sind, 
mit  Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage,  täglich  von  9 — li  Uhr  Vorm,  und  von 
4 — g Uhr  Nachm,  geöffnet. 


Geographische  Verlagshandlung  Dietrich  Reimer  in  Berlin, 

Inhaber:  Hoefer  & Vohsen. 

Soeben  ist  erschienen: 

Dr.  Oscar  Batunann, 

Durch  Massai-Land  zur  Nilquelle. 

Reisen  und  Forschungen  der  Massai-Expedition 

des  deutschen  Antisklaverei-Komitee  in  den  Jahren  1891 — 1893. 
Mit  27  Vollbildern,  140  Text-Illustrationen  und  1 Karte  x : 1,500,000. 
1894.  Preis  geheftet  14  Mark,  gebunden  16  Mark. 

* 

Von  demselben  Verfasser  erschien  früher: 

Usambara  und  seine  N achbargebiete. 

Darstellung  des  nordöstlichen  Deutsch -Ost -Afrika  und  seiner  Bewohner. 
Von  Dr.  Oscar  Baumann. 

Mit  14  ethnograph.  Abbildungen,  i Textplänen,  g Karten  und  4 Notenseiten. 
Ig9l.  Preis  kart.  iz  Mark. 

Durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen!  — 

★ Ausführlicher  Prospekt  gratis  und  franko!  ★ 


Der  KopaTs-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 

Von  Dr.  Alfred  Philippson. 

(Hierzu  Tafel  i und  2.) 

Einleitung 

Der  KopaTs-See  in  Böotien  ist  einer  der  gröfsten  und  inter- 
essantesten Vertreter  der  Gruppe  der  sogenannten  Katavothren- 
Seen1),  jener  periodischen  Seen  oder  Sumpfsecn,  welche  des  ober- 
irdischen Abflusses  entbehren  und  ausschliefslich  durch  unterirdische 
Schlünde  (im  Neugriechischen  „Katavothren”  genannt)  entwässert  werden, 
die  sich  im  Kalkgebirge  ihrer  Umrandung  bilden.  Fast  allen  diesen 
Seen  ist  eine  starke  Veränderlichkeit  ihrer  Wassermenge  und  damit 
auch  ihrer  Spiegelhöhe  und  Ausdehnung  eigen,  die  bei  den  meisten, 
und  so  auch  bei  dem  Kopais  - See,  bis  zu  zeitweiliger  gänzlicher 
Austrocknung  oder  wenigstens  bis  zur  Verwandelung  in  einen  Sumpf 
führt. 

Die  Ursachen  dieser  Veränderlichkeit  der  Katavothren  - Seen 
sind  mehrfache.  Zunächst  bewirkt  der  Mangel  eines  oberirdischen 
Abflusses,  dessen  Schwellenhöhe  bei  anderen  Seen  die  Höhe  des 
Wasserspiegels  annähernd  beständig  erhält,  bei  dieser  Gattung  von 
Seebecken,  dafs  jede  Veränderung  der  Wasserzufuhr  sich  unmittelbar 
in  einem  entsprechenden  Schwanken  des  Seespiegels  äufsert.  Die 
Regenmengen  sind  aber  von  Jahr  zu  Jahr  verschieden,  und  daher 
ist  es  auch  die  Höhe  des  Seespiegels.  Zu  dieser  jährlichen  Schwankung 
kommt  aber,  besonders  in  dem  subtropischen  Meditcrran-Klima,  noch 
eine  lebhafte  jahreszeitliche  Periode.  Denn  hier  hört  in  der 
sommerlichen  Trockenzeit  die  Wasserzufuhr  fast  gänzlich  auf,  und  in- 
folge dessen  erlebt  der  See  gegen  Ende  der  Trockenzeit  jedesmal 
ein  Minimum  seines  Wasserstandes. 

Eine  andere  wichtige  Ursache  aber  ist  die  Veränderlichkeit  des 
Fassungs-Vermögens  der  Katavothren,  also  ein  Schwanken  in 
der  Menge  des  Abflusses  Hierbei  wirken  erstens  eine  grofse  Zahl 

*)  Vgl.  meinen  „Peleponnes",  Berlin  189z,  S.  440. 

Ztiuchr.  d.  0«l|jch.  f.  Erdk.  Bd  XXIX.  1 


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Alfred  Philippson: 


von  Zufälligkeiten  mit,  welche  die  unterirdischen  Wassergänge  bald 
erweitern,  bald  verstopfen.  Arbeitet  im  allgemeinen  das  durchströmcnde 
Wasser  vermittels  seiner  mechanischen  Erosion  wie  seines  chemisch 
lösenden  Einflusses  auf  den  kohlensauren  Kalk  beständig  an  der  Er- 
weiterung der  Gänge,  so  sind  diese  doch  ebenso  der  Gefahr  der 
Verstopfung  ausgesetzt,  sowohl  durch  Einstürze  der  Decke,  welche 
namentlich  durch  die  in  jenen  Gegenden  häufigen  Erdbeben  befördert 
werden,  als  auch  durch  Hineinschwemmen  von  Steinen,  Geröll, 
Schlamm,  Vegetations-Resten  u.  s.  w.  Solche  eingeschwemmten  Massen 
kommen  in  den  Katavothren-Gängen  sehr  leicht  zur  Ablagerung,  da 
diese  sehr  unregelmäfsig  gestaltet  sind,  sowohl  im  Verlauf,  wie  in  der 
Weite,  wie  im  Gefälle.  Bald  erweitern  sie  sich  zu  breiten  Grotten, 
bald  verengen  sie  sich  zu  schmalen  Spalten,  durch  die  sich  das  Wasser 
durchzwängen  mufs.  Ja,  es  kommen  wohl  auch  heberartige  Strecken 
vor,  in  welchen  der  Gang  abwärts  und  aufwärts  steigt,  wobei  das 
Wasser  nur  durch  den  hydrostatischen  Druck  des  höheren  Schenkels 
die  Steigung  überwindet.  Solche  Strecken  kann  natürlich  überhaupt 
kein  mitgeschwemmter  Schutt  passieren.  Fast  alles  in  die  Kata- 
vothren  hineingeführte  Sediment  bleibt  daher  in  den 
Gängen  zurück,  was  sich  schon  darin  zeigt,  dafs  das  cinfliefscndc 
Wasser  oft  stark  getrübt  ist,  beim  Wiedererscheinen  in  grofsen  Quellen 
dagegen  stets  krystallklar  erscheint. 

Aufser  dieser  wechselnden  Erweiterung  und  Verstopfung  der 
Wassergänge  spielt  sich  aber  zweitens  bei  allen  diesen  Seen  ein  stetiger 
Vorgang  ab,  welcher  das  Fassungsvermögen  der  Abflufs-Schliinde  ver- 
ändert. Es  ist  das  die  langsame,  aber  beständige  Erhöhung  des 
Seebodens  durch  die  von  den  Bächen  in  den  See  geführten  festen 
Stoffe.  So  wird  jede  Katavothre  mit  der  Zeit  durch  den  anwachsen- 
den Seeboden  überstiegen;  dann  stürzt  sich  das  Wasser  noch  eine  Zeit 
lang  mit  Gewalt  in  die  schon  unter  dem  Niveau  des  Seebodens  be- 
findlichen Schlünde  hinein,  grofse  Teile  des  lockeren  Erdreiches  des- 
selben mit  sich  reifsend.  Bald  sind  dann  die  Öffnungen  der  Kata- 
vothren  ganz  begraben  und  damit  für  immer  aufser  Dienst  gestellt. 
Sind  die  bedeutenderen  Katavothren  eines  Sees  auf  diese  Weise  ver- 
schlossen, so  mufs  der  See  steigen,  bis  sich  in  einem  höheren  Niveau 
neue  Katavothren  durch  die  auflösende  Kraft  des  Wassers,  das  den 
Gestcinsspalten  folgt,  gebildet  haben.  So  finden  wir  neben  der  jahres- 
zeitlichen Periode  des  Wasserstandes  und  neben  den  Schwankungen 
von  Jahr  zu  Jahr  auch  noch  starke  Veränderungen  in  längeren,  un- 
regelmäfsigen  Zeiträumen,  bestehend  in  einem  stärkeren  Anstieg  des 
Wassers,  dem  ein  geringeres  Fallen  und  dann  eine  lange  Zeit  verhält- 
nismäfsiger  Ständigkeit  folgt.  Aufserdem  kommen  aber  auch  kurz- 


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Der  Kopais-Sec  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


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dauernde  gewaltsame  Entleerungen  und  WicderfüUungcn  vor,  wie  sie 
durch  plötzliche  Durchbrüche  und  Verstopfungen  einzelner  Gänge 
hervorgebracht  werden.  Im  ganzen  gelü  aber  die  Entwickelung,  in- 
folge des  Ansteigens  des  Seebodens,  im  Sinn  einer  beständigen  Er- 
höhung des  Seespiegels  vor  sich,  die  naturgemäfs  mit  einer  Erweiterung 
des  Umfangs  und  einem  Seichterwerden  des  Sees  verbunden  ist. 
Das  Endziel  wird  erreicht,  wenn  die  Seefläche  so  grofs  wird,  dafs  die 
Wasserzufuhr  nicht  mehr  zur  Überschwemmung  der  ganzen  Fläche 
und  zum  Ersatz  der  Verdunstung  hinreicht.  Dann  löst  sich  der  See 
in  eine  Anzahl  von  Sümpfen  auf,  zwischen  denen  trockene,  fruchtbare 
Ebenen  sich  ausdehnen,  ein  Stadium,  in  welchem  sich  z.  B.  die  Ost- 
arkadische Hochebene  befindet. 

Das  sind  die  Ursachen  der  Schwankungen  in  dem  Wasserstand 
der  Katavothren  - Seen  und  der  naturgemäfse  Entwickelungsgang  der 
letzteren.  Wir  sehen,  dafs  nur  ein  Teil  der  Faktoren  des  Wasserstandes 
klimatisch  ist,  dafs  wir  also  nicht  erwarten  können,  dafs  die  be- 
deutenderen Schwankungen  dieser  Seen  mit  den  klimatischen  Perioden, 
wie  sie  Brückner  aufgestellt  hat,  zusammenfallen. 

Der  Kopais-See  befand  sich  mitten  in  diesem  Entwickelungsgang, 
als  er  in  den  letzten  Jahren  durch  das  Eingreifen  des  Menschen  voll- 
ständig trocken  gelegt  wurde. 

Dieser  See  erweckt  dadurch  besonderes  Interesse,  dafs  er  in  einem 
Lande  alter  Kultur  liegt,  in  einer  fruchtbaren,  früh  besiedelten  Um- 
gebung, auf  deren  Geschicke  sein  Zustand  von  bedeutendem  Flinflufs 
war.  Er  ist  wiederholt,  und  zwar  schon  im  grauesten  Altertum,  Gegen- 
stand von  Versuchen  gewesen,  die  seine  dauernde  Austrocknung  be- 
zweckten, und  diese  geben  uns  wieder  wertvolle  Aufschlüsse  über  den 
Kulturgrad  und  das  technische  Vermögen  der  Vorzeit. 

Da  nun  neuerdings  durch  die  künstliche  Ableitung  des  Sees 
sein  Besuch  und  die  Besichtigung  der  für  seine  Natur  und  Ge- 
schichte wichtigen  Punkte  anfserordentlich  erleichtert  ist,  beschlofs 
ich,  insbesondere  angeregt  durch  Herrn  Geheimrat  Curtius,  dieses 
hochinteressante  Gebiet  bei  Gelegenheit  einer  im  F'rühjahr  1893  im 
Auftrag  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  ausgeführten  Reise  nach  Nord- 
Griechenland  aus  eigener  Anschauung  kennen  zu  lernen.  Bei  einer 
früheren  Reise  im  Jahr  1890  hatte  ich  nur  die  Gegend  von 
Theben,  den  Helikon  und  die  Umgebung  von  I.ivadia,  ferner  die 
Küstenlinie  von  Atalanti  bis  Chalkis  flüchtig  bereist,  ohne  das  See- 
gebiet selbst  zu  berühren.  Leider  stand  mir  auch  diesmal  nur  eine 
sehr  kurze  Zeit  — drei  Tage  — für  das  Gebiet  des  Kopais-Sees  zur 
Verfügung,  da  mich  meine  eigentlichen  Aufgaben  nach  dem  Norden 
riefen.  Jedoch  genügten  diese  wenigen  Tage  hei  der  trefflichen 

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Alfred  Philippson: 


Führung,  deren  ich  mich  zu  erfreuen  hatte,  um  wenigstens  einen  Über- 
blick über  den  Hau  des  Landes,  Uber  die  eigentümlichen  hydro- 
graphischen Verhältnisse,  sowie  über  die  alten  und  neuen  F.ntwässerungs- 
versuche  zu  gewinnen.  Ich  hatte  von  der  Athener  Vertretung  der  in 
England  residierenden  Direktion  der  „Gesellschaft  zur  Austrocknung 
und  Ausnutzung  des  Kopai's-Sees"  warme  Empfehlungen  an  ihre  In- 
genieure erhalten.  Diese,  zwei  Franzosen,  Herr  Forgeard  in  Theben 
und  Herr  Lallier  in  Karditsa,  bewirteten  und  führten  mich  als  Gast 
der  Gesellschaft  in  der  liebenswürdigsten  Weise,  und  versahen  mich 
mit  den  eingehendsten  Auskünften.  Für  meine  Beförderung  zu 
Wagen  und  zu  Pferd  wurde  in  trefflichster  Weise  gesorgt.  Die  Ge- 
sellschaft hat  nämlich  von  Theben  nach  den  Arbeitsplätzen  einige 
freilich  recht  urwüchsige  Fahrwege  angelegt.  Nur  so  war  es  mir  mög- 
lich, in  der  kurzen  Zeit  verhältnismäfsig  so  viel  zu  sehen;  denn  die 
Entfernungen  der  einzelnen  interessanten  Punkte  unter  sich  und  von 
dem  Hauptquartier  in  Theben  sind  sehr  beträchtlich  und  mufsten  zum 
gröfsten  Teil  im  vierspännigen  Wagen  in  eiligster  Fahrt  zurückgelegt 
werden.  Machten  wir  doch  am  ersten  Tag  46  km  zu  Wagen,  am 
zw'eiten  60  km  zu  Wagen  und  30  km  zu  Pferd,  am  dritten  Tage  60  km 
zu  Wagen  I 

Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht,  an  dieser  Stelle  der  KopaTs- 
Gesellschaft,  insbesondere  aber  den  Herren  Forgeard  und  Lallier  für 
die  wahrhaft  herzliche  Gastlichkeit,  die  sie  mir  erwiesen  haben,  den 
aufrichtigsten  Dank  zu  sagen!  — 

Es  fehlt  nicht  an  Nachrichten  und  eingehenden  Abhandlungen 
über  den  Kopais-See,  wie  man  aus  dem  am  Schlufs  angefUgten,  chrono- 
logisch geordneten  Literatur -Verzeichnis  ersehen  wird.  Insbesondere 
mögen  die  Arbeiten  von  Forchhammer,  K.  O.  Müller,  Ulrichs 
und  Sau  vage  hervorgehoben  werden.  Der  geologische  Bau  des  Landes 
ist  durch  die  Aufnahmen  von  Bittner  in  grofsen  Umrissen  festgestellt. 
Ich  selbst  habe  geologische  Aufnahmen  in  diesem  Gebiet  nicht  ge- 
macht; die  nachfolgende  Darstellung  fufst  daher  in  geologischer  Hin- 
sicht wesentlich  auf  Bittner’s  Untersuchungen.  Trotz  der  zahlreichen 
Vorarbeiten,  und  obgleich  mein  eigener  Besuch  zu  kurz  war,  um 
irgendwie  gründlichere  Studien  an  Ort  und  Stelle  zu  gestatten,  will 
ich  es  doch  unternehmen,  ein  zusammenfassendes  Bild  des  Kopäis- 
Sees  und  seines  Gebietes  auf  Grund  der  vorliegenden  Berichte  und 
eigener  Anschauung  zu  entwerfen,  um  die  Schlüsse  daraus  zu  ziehen, 
die  sich  für  die  Entstehung  und  Geschichte  des  eigenartigen  Landes 
und  seines  grofsen  Sumpfsees  ergeben.  Diese  Arbeit  wird  vielleicht 
zur  klareren  Auffassung  der  Natur  der  Katavothrcn-Seen  einiges  bei- 
tragen. 


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1 ii  111  I It  I 


Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


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I.  Orograpiache  und  geologische  Übersicht. 

Das  östliche  Mittel-Griechenland  ist  ein  schmaler,  von  WNW 
nach  OSO  gestreckter  Landstreifen,  an  dessen  beiden  Längsktlsten 
je  eine  Gebirgskette  mit  derselben  Richtung  entlang  zieht.  Die 
antiken  Namen,  mit  denen  die  Wissenschaft  auch  heute  noch 
die  einzelnen  Glieder  dieser  beiden  parallelen  Ketten  bezeichnet, 
sind  Oeta,  Knemis  und  Ptoon  in  dem  nördlichen,  Parnafs, 
Helikon,  Kithaeron  und  Parnes  im  südlichen  Zuge.  An  die  letzten 
beiden  schliefst  sich  die  Halbinsel  Attika  an,  die  fiir  uns  nicht  in 
Betracht  kommt.  Zwischen  den  beiden  grofsen  Gebirgszügen  hegt 
eine  zusammenhängende  Reihe  von  Niederungen,  die  nur  am  Ostende 
die  Meeresküste  berührt,  sonst  aber  durch  die  genannten  Gebirge 
vollständig  nach  aufsen  abgeschlossen  wird. 

Der  westlichste,  oberste  Abschnitt  der  Niederungszone,  das  zwei- 
geteilte Becken  des  oberen  Kephissos  in  Doris  und  Phokis,  hegt 
aufserhalb  unseres  Gegenstandes.  Es  findet  seinen  östlichen  Abschlufs 
durch  einen  Engpafs  zwischen  den  Kalkbergen  Parori  und  Vetrisa, 
beim  alten  Parapotamia,  in  der  Nähe  des  heutigen  Dorfes  Belesi, 
durch  welchen  der  im  Winter  ansehnliche  Flufs  Kephissos  aus  seinem 
oberen  Becken  in  die  Böotische  Niederung  eintritt,  die  sich  von 
hier  mit  wechselnder  Breite  bis  zum  Kanal  von  Euboea  zwischen  den 
alten  Hafenorten  Aulis  und  Oropos  erstreckt. 

Die  Böotische  Niederung  gliedert  sich  wieder  in  mehrere  natürlich 
gesonderte  Teile.  Der  westlichste  ist  die  Thalebene  des  Kephissos 
von  dem  erwähnten  Engpafs  abwärts  bis  zum  alten  Orchomenös,  wo 
der  Flufs  in  den  Kopäis-See  mündet.  Dieses  Becken  von  Chaeronea, 
nach  jener  Stadt  genannt,  die  sich  im  Altertum  an  seinem  Südrand  erhob, 
ist  eine  2l  bis  3!  km  breite  fruchtbare  Flbene  von  F'lufsalluvium  mit 
geringem  östlichem  Gefälle,  die  keine  besonderen  Erscheinungen  auf- 
weist, im  Norden  von  den  Kalkbergen  Vetrisa  (543  m)  und  Durduvana 
— letzterer  ein  langer,  abschreckend  kahler  Rücken  — im  Süden  von 
den  niedrigen  Höhen  von  Kaprena  (dem  alten  Chaeronea),  aus 
Kreideschiefer  und  darüber  liegendem  Rudistenkalk  bestehend, 
begrenzt.  Am  Ende  der  Durduvana  bei  Orchomenos  öffnet  sich  die 
Ebene  zu  dem  breiten  Becken  des  Kopals- Sees,  einer  rings  um- 
schlossenen Niederung  ohne  oberirdischen  Abflufs.  Sie  bildet  ungefähr 
ein  Rechteck,  dessen  Länge  von  WNW  nach  OSO  24  km,  dessen 
Breite  etwa  13  km  beträgt.  Aufserdem  sendet  sie  noch  einige  un- 
regelmäfsige  Buchten  in  die  Gebirge  hinein,  sodafs  man  die  gesamte 
Ausdehnung  der  Kopafs-Niederung  (nicht  des  Sees)  nach  roher  Schätz- 
ung zu  etwa  350  qkm  annehmen  kann. 


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Alfred  Philippson: 


6 


Die  Buchten  der  Kopa'is-Niederung  sind  folgende: 

a)  Am  Westrand  von  N nachS:  t.  die  Bucht  von  Tzamali;  2.  die 
Mündung  der  Ebene  von  Chaeronea;  zwischen  beiden  springt  die 
Durduvana  wie  ein  Sporn  — daher  im  Altertum  Akontion,  die  Lanze, 
genannt  — vor,  auf  dessen  Ende  Skripu  (Orchomenös)  liegt;  3.  die 
Bucht  von  Livadia,  eine  Schwemmland-Ebene  von  dem  Flufs  von 
Livadia  (der  alten  Herkyna  oder  Probatia)  durchflossen. 

b)  Am  Südrand:  4.  die  kleine  Bucht  von  Koronea. 

c)  Am  Ostrand:  5.  die  Bai  von  Kaneski;  6.  die  Bai  von 

Karditsa. 

d)  Von  der  Nordostecke  endlich  zieht  sich:  7.  die  merkwürdigste 
Bucht,  die  von  Topolias  (dem  alten  Kopae),  stark  gegliedert  zuerst 
nach  NO,  dann  nach  O in  das  Gebirge  hinein,  etwa  12  km  lang  und 
2 — 3 km  breit.  Sie  endet  in  nur  5!  km  Entfernung  von  der  Meeres- 
bucht von  Larymna  und  nur  6 km  von  der  Meeresbucht  von  Skro- 
poneri. 

Der  Boden  der  Niederung  senkt  sich  zunächst  vom  südwest- 
lichen und  südlichen  Gebirgsrand  nach  der  Mitte  der  Ebene  zu  sanft 
ein,  da  die  hier  mündenden  gro&en  Bäche,  vor  allem  der  Kephissos 
und  die  Herkyna,  flache  Schuttkegel  in  das  Becken  vorbauen.  Sie 
bilden  einen  zusammenhängenden  Saum  wohl  angebauten,  von  zahl- 
reichen Dörfern  besetzten  Kulturlandes  am  West-  und  Südufer  de.-, 
Sees.  An  den  anderen  Rändern  aber  mündet  kein  einziges  gröfsercs 
Thal.  Hier  fehlt  daher  der  flachgeneigte  Saum  vollständig,  und  das 
Gebirge  fällt  unmittelbar  zu  der  fast  horizontalen  Fläche  ab, 
die  etwa  zwei  Drittteile  der  Niederung  einnimmt  und  den  Boden 
des  Kopais-Sees  bildet.  Ihre  Höhe  über  dem  Meeresspiegel 
schwankt,  mit  Ausnahme  geringfügiger  Stellen,  nur  zwischen  94  und  97  m. 
Es  ist  die  verbreiterte  Fortsetzung  der  Kephissos-Ebene,  unterscheidet 
sich  aber  von  dieser  durch  das  ungemein  geringe  Gefäll,  welches 
sie  in  westöstlicher  Richtung  besitzt. 

Der  periodische  Kopa'is-See,  welcher  diese  ebene  Fläche  den 
gröfsten  Teil  des  Jahres  bedeckte,  bevor  er  durch  die  menschliche 
Kunst  abgeleitet  wurde,  bespülte  also  den  steilen  Gebirgsrand  unmittel- 
bar im  Norden  und  Osten,  von  Skripu  über  Topolias  bis  zur  Südost- 
ecke der  Niederung ; fast  überall  wird  hier  der  See  von  einem  steilen  Ab- 
sturz von  20  bis  30  m Höhe  eingefafst,  den  seine  Wellen  aus  dem 
felsigen  Ufer  ausgenagt  haben.  Im  Süden  und  Westen  ist  er  dagegen 
vom  Gebirge  durch  jenen  Saum  höheren  Schwemmlandes  geschieden. 
Während  also  die  ganze  Niederung  auf  allen  Seiten  Buchten  besitzt, 
hat  der  See  solche  nur  im  NW,  N und  O,  wo  hingegen  der  südliche  und 
südwestliche  Umrifs  ziemlich  einfach  verläuft.  Nur  im  SW  sendet  er 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  7 

einen  schlauchartigen  Fortsatz,  den  Sumpf  von  H.  Dimitrios,  in  die 
Ebene  hinein.  In  der  Nähe  des  Steilufers  erheben  sich  vier  hohe  Fels- 
inseln aus  dem  Seeboden,  wovon  die  bedeutendste  die  Insel  Gla  am 
Eingang  der  Bucht  von  Topolias  ist.  Dazu  kommt  die  felsige  Halb- 
insel, auf  der  Topolias  selbst  liegt,  und  die  nur  durch  eine  niedrige 
Landzunge  mit  dem  Festland  zusammenhängt. 

Der  See  bestand  als  solcher  nur  während  der  nassen  Jahreszeit, 
im  Winter  und  im  Frtlhjahr.  Sein  Spiegel  lag  dann  durchschnittlich 
97  m über  dem  Meer  und  bedeckte  somit  den  Boden  im  Maxi- 
mum nur  3 m hoch.  Sein  Flächeninhalt  bei  diesem  Stand  wird  auf 
230  bis  250  qkm  angegeben').  Im  Spätsommer  schrumpfte  der  See 
mehr  oder  weniger  zusammen ; bald  blieben  dann  noch  einige  Wasserflächen 
und  Sümpfe  erhalten,  bald  trocknete  er  ganz  aus.  Die  Ausdehnung  und 
Dauer  des  Sees  waren  daher  stets  nach  den  Jahrgängen  sehr  ver- 
schieden; besonders  schwankte  sein  Umfang  auf  der  flachen  Süd- 
seite, wo  eine  feste  Grenze  des  Seebodens  gar  nicht  gezogen  wer- 
den kann. 

Wir  haben  also  in  der  Kopals-Niederung  zu  unterscheiden:  1)  den 
höheren,  stets  wasserfreien,  daher  dauernd  angebauten  Saum  im  Westen 
und  Südwesten,  2)  den  horizontalen  Seeboden,  und  zwar  a)  die  nur  zeit- 
weise überschwemmten  Teile,  b)  die  dauernd  sumpfigen,  nur  in  beson- 
ders dürren  Jahren  austrocknenden  Strecken.  — 

Die  Umgrenzung  der  Kopals-Niederung  wird  im  Süden 
durch  das  Helikon  - Gebirge  gebildet.  Ein  auffälliger  Einschnitt 
(Babilutzi-Pafs  956  m,  Thal  von  Kukura  und  des  Phalaros,  Bucht  von 
Koronea)  zerlegt  dieses  Gebirge  in  einen  westlichen  und  östlichen  Ab- 
schnitt. Im  Westen  finden  wir  drei  parallele  Hauptketten,  bestehend 
aus  Kreidekalk  mit  schmalen  Schieferzonen  dazwischen:  Iriveza  (1312  m) 
und  Xerovuni  im  Norden,  Megali  Lutza  (1248m)  in  der  Mitte,  Pa- 
laeovuno  (1749  m)  im  Süden.  Im  östlichen  Teil  dagegen  erhebt  sich 
die  breite  einheitliche  Kalkmasse  der  Zagara,  des  Musenberges  der 
Alten  (1527  m),  in  welcher  unter  dem  Kalk  hier  und  da  Schiefer  zum  Vor- 
schein kommt.  Der  Hauptkamm  der  Zagara  ist  eine  imposante,  scharf  ge- 
schnittene Berggestalt,  besonders  im  Profil  gesehen,  wie  er  von  der 
Thebanischen  Ebene  aus  erscheint,  deren  Landschaftsbild  nur  durch 
ihn  einen  Zug  von  Grofsartigkeit  erhält.  Von  der  Kopais-Niederung  aus 
zeigt  er  sich  dagegen  als  ziemlich  einförmiger,  langgezogener  Grat  von 
lichtgrauer  Kalkfarbe,  dessen  Waldbestand  arg  zusammengeschmolzen 
ist.  — Den  eigentlichen  Rand  der  Kopals-Niederung  bildet  aber  eine 

t)  Strelbitzky  (Superficie  de  l'Europc,  St.  Petersbourg  1 882,  S.  204)  rechnet, 
»ohl  zu  wenig,  213,7  qkm. 


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8 


Alfred  Philippson: 


ziemlich  breite  Zone  von  Vorhügeln  des  Helikon.  Dem  Gebirge  liegt 
hier  eine  sanft  geformte  Stufe  aus  Kreideschiefer  vor.  Zwischen  Li- 
vadia  und  Koronen,  in  dem  Gebirge  Laphystion  der  Alten,  tritt  dar- 
unter am  Rand  der  Ebene  ein  unterer  Kalk  hervor,  während  west- 
lich von  Livadia  im  Keratovuno  und  östlich  von  Koronen  im  Libethrion- 
Zug  Kalkschollen  dem  Schiefer  aufliegen.  Diese  Kalke  sind  es,  welche 
den  eigentlichen  Rand  der  Ebene  zusammensetzen;  sie  ragen  vermöge 
ihrer  Härte  als  ausdrucksvolle  Vorkette  über  der  Schieferzone  auf,  be- 
sonders der  zackige  Klippenzug  des  Libethrion,  dessen  Kalk  durch 
Erosion  stark  zerschnitten  ist. 

Alle  Ketten  des  Helikon  streichen  nach  OSO.  Der  Südrand  der 
Kopais -Niederung  liegt  also  genau  im  Streichen  des  Gebirges.  Naclr 
Osten  brechen  alle  Helikon-Ketten  gegen  die  Thebanische  Niederung 
querab;  nur  eine  südliche  niedrige  Vorkette  setzt  sich  im  Kithaeron 
weiter  fort. 

Eine  weit  verwickeltere , wenn  auch  niedrigere  Gebirgswelt  bildet 
die  nördliche  und  östliche  Umrahmung  des  Kopais-Beckens. 

Im  Norden  scheidet  das  Chlomos-Gebirge  die  Kopals  von  der 
Küste.  Eine  von  Neogen  (jüngerem  Tertiär)  erfüllte  Lücke  bei  Kala- 
podi,  durch  welche  man  über  eine  Wasserscheide  von  nur  391  m 
Meereshöhe ')  von  Atalanti  in  das  obere  Kephissos  - Becken  gelangen 
kann,  trennt  dieses  Gebirge  gänzlich  von  dem  westlicheren  Teil  des  grofsen 
nördlichen  Höhenzuges  Mittel-Griechenlands,  speziell  von  der  Kette  der 
Tzuka  (843  m)  ab.  ln  dem  Chlomos  - Gebirge  selbst  haben  wir  eine 
nördliche  und  eine  s ü d 1 i c h e Z o n e zu  unterscheiden,  welche  im  ganzen 
ebenfalls  OSO  streichen.  Die  nördliche  besteht  aus  einer  mächtigen 
Kalkmasse,  wesentlich  einem  weifsen,  feinkörnigen  dolomitischen  Ge- 
stein, unter  welchem,  namentlich  auf  der  Nordseite,  Serpentin  und 
porphyritische  Eruptivgesteine  auftreten.  Zunächst  bildet  dieser 
Kalk  den  breiten  Stock  des  eigentlichen  Chlomos  (1081  m),  der  fast  den 
ganzen  Raum  zwischen  der  Bucht  von  Tzamali  des  Kopals  - Sees  und 
der  Küstenebene  von  Atalanti  einnimmt  und  in  einer  spitzen  auffälligen 
Gipfelpyramide  kulminiert.  Nach  Osten  teilt  sich  die  Zone  in  zwei 
Kalkketten,  welche  die  Neogenhecken  von  Kolaka  und  Martino  um- 
fassen ; die  nördliche  erreicht  606  m und  endigt  an  der  aus  Neogen 
bestehenden  Halbinsel  Aetolimas;  die  südliche,  bis  658m  hoch,  zieht 
gegen  die  Meeresbucht  von  Larymna  und  breitet  sich  südlich  der- 
selben zu  einem  plateauartigen  Gebirge  aus,  in  welchem  der 
Kalkstein  ausschliefslich  herrscht  Der  H.  Ilias  (638  m),  die  Berge  von 

*)  Heger,  Barometrische  Höhenmessungen  in  Nord- Griechenland.  Denkschr.  der 
Wiener  Akademie,  Math.-naturw.  Klasse.  40.  Bd.  1880.  S.  80. 


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- • u — — . 


Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  9 

Stroponeri,  der  lange  Rücken  Strutzina  sind  Teile  dieser  einförmigen, 
der  beherrschenden  Gipfelformen  ganz  entbehrenden  Kalkmasse.  Die 
Bucht  von  Topolias  der  Kopais,  die  Meeresbucht  von  Skroponeri  und 
mehrere  kleinere  Kesselthäler  sind  darin  eingesenkt.  Ein  nur  148  m 
ti.  d.  M. '),  also  5 1 m über  dem  See  gelegenes  Joch  von  anstehendem  Kalk- 
stein führt  von  der  Topolias  - Bucht  hinüber  zu  einer  kleinen  kessel- 
förmigen  Ebene  (45  m ti.  d.  M.  nach  Durand-Clay,  33  m nach  Heger*), 
in  welcher  eine  grofse  Quelle,  das  Kephalari  von  Larymna,  entspringt, 
und  von  dort  zieht  sich  ein  Thälchen  nach  Larymna  hinab.  Wir  nennen 
diesen  wichtigen,  nur  51km  breiten  Übergang  den  Isthmos  von  La- 
rymna. Die  Bucht  von  Skroponeri  ist  dagegen  durch  hohes  Kalkge- 
birge vom  Kopais-See  getrennt.  — 

Die  südliche  Zone  des  Chlomos  - Gebirges  zeigt  einen  anderen 
Charakter.  Hier  haben  wir  einen  wiederholten  Wechsel  von  Kalk- 
und  Schieferzügen,  indem  diese  Gesteine  vielfach  mit  einander 
wechsellagern.  Die  harten  Kalke  ragen  jedesmal  in  Rücken  hervor 
über  die  weicheren  Schiefer,  sodafs  es  hier  nicht  an  mannigfaltigen 
Formen  der  Landschaft  fehlt.  An  Stelle  der  Schiefer  treten  häufig 
Hornsteine  und  Serpentine  in  den  einzelnen  Schieferzügen  auf, 
jedoch  ist  der  Serpentin  nicht  in  so  bedeutenden  Massen  vorhanden,  wie 
unter  dem  Chlomos-Kalk.  — Diese  Zone  bildet  zunächst  das  Gebirge 
nördlich  der  Ebene  von  Chaeronea  bis  zur  Bucht  von  Tzamali.  Hier  sind 
drei  Kalkrücken  zu  vermerken:  1)  der  von  Abae,  2)  die  Vetrisa 
und  der  Mavrovuno  und  3)  die  Durduvana;  dazwischen  niedrige  Streifen 
von  Schiefer.  Nach  Westen  liegt  die  Fortsetzung  dieser  Zone  zumeist  unter 
dem  oberen  Kephissos-Becken  versunken.  Nach  Osten  bildet  sie  am 
Nordrand  des  Kopais  - Sees  die  breite  Halbinsel  zwischen  den  Buchten 
von  Tzamali  und  Topolias,  ebenfalls  mit  wechselnden  Kalk-  und 
Schieferzügen  (Mavrovuno,  Verori).  Das  kleine  Kesselthal  von  Pavlo 
ist  darin  eingesenkt. 

Jenseits  der  Unterbrechung  durch  die  Bucht  von  Topolias  breitet 
sich  diese  südliche  Zone  des  Chlomos-Gebirges  zu  einem  vielgestaltigen 
'deinen  Bergland  aus,  das  wir  nach  dem  antiken  Namen  des  Haupt- 
gipfels, Ptoon,  das  Ptoische  Gebirge  nennen  wollen.  Darunter  ver- 
stehen wir  das  ganze  Gebiet  zwischen  dem  Ostrand  der  Kopais  und 
dem  Euripos.  Es  zerfallt  wieder  in  drei  Gruppen.  1)  Der  eigentliche  Zug 
des  Ptoon  (726m),  mit  häufigem  Wechsel  von  Kalk-  und  Schieferzügen, 
erstreckt  sich  vom  Eingang  der  Bucht  von  Topolias  nach  OSO  zum 
testende  des  Sees  Paralimni;  hier  scheint  sich  das  Streichen  nach 


■)  Durand-Clay  S.  4. 

*)  Kraus  S.  384  Anm.  1. 


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10 


Alfred  IMiilippson: 


ONO  zu  wenden,  sodals  die  Fortsetzung  des  l’toon  ehemals  die  Stelle 
eingenommen  zu  haben  scheint,  an  welcher  jetzt  dieses  langgestreckte 
Seebecken  eingesenkt  ist.  — 2)  Südlich  des  eigentlichen  l’toon  breitet 
sich  ein  ziemlich  niederes  Kalkplateau  aus,  in  welchem  Schiefer  und 
Serpentin  nur  an  wenigen  Stellen  hervortreten.  Es  gipfelt  im  Südwesten 
im  Berge  Phaga  (567  m),  dem  Sphinx- Berge  der  Alten.  Dieses  Kalk- 
plateau bildet  den  Ostrand  der  Kopals  von  der  Bucht  von  Karditsa 
nach  Süden  und  fällt  steil  zur  unteren  Thebanischen  Ebene  ab.  Der 
gleich  näher  zu  besprechende  Likeri-See  ist  in  das  Kalkplateau  einge- 
senkt. Nach  Osten  erstreckt  es  sich  in  dem  Berg  Molocba  bis  zur 
kleinen  Ebene  von  Mu  riki  (80 — 90  m),  welche  die  Verbindung  zwischen 
der  unteren  Thebanischen  Ebene  und  dem  See  von  Paralimni  herstellt, 
gegen  beide  durch  je  einen  niedrigen  Hügelrücken  von  Serpentin  ab- 
gegrenzt. — 3)  Östlich  dieser  Ebene  von  Muriki  erhebt  sich  die  dritte 
Gruppe  des  Ptoischen  Berglandes,  die  in  der  steilen  Pyramide  der 
Ktypa  (1025  m),  der  stolzen  Landmarke  des  Euripos,  gipfelt.  Es  ist 
eine  weitverzweigte  Bergmasse  aus  Kalkstein  und  darunter  liegendem 
Serpentin,  welch’  letzterer  namentlich  in  einer  Längsfurche  auftritt,  die 
von  Muriki  gen  Lukisia  nach  ONO  zieht  Ein  schmaler  Kalkrücken 
trennt  diesen  Serpentin  von  dem  Paralimni-See,  während  sich  nach  SO 
Kalkgebirge  bis  zur  Niederung  von  Tanagra  erstreckt.  Das  Hypaton 
(749  m),  welches  gegen  die  thebanische  Ebene  vorspringt,  I.ykovuni, 
Klephtovuni  und  Ktypa  sind  einzelne  Teile  dieser  von  Thälern  stark 
zerschnittenen  Masse,  die  für  unsere  Aufgabe  nicht  weiter  in  Betracht 
kommt. 

In  diese  Ptoische  Bergmasse  sind  zwei  Seebecken  eingesenkt, 
welche  in  ihrer  Gestalt  und  Wasserführung  vom  Kopäis-See  sehr  ver- 
schieden sind.  Beide  sind  ebenfalls  oberirdisch  abflufslos  und  stehen 
durch  unterirdische  Schlünde  unter  sich,  mit  der  Kopals  und  mit  dem 
Meer  in  Verbindung.  Auch  ihre  Wasserstände  heben  und  senken  sich 
wie  die  Kopals;  aber  da  die  Becken  steilwandig  und  tief  sind,  ver- 
mögen diese  Schwankungen  keine  wesentlichen  Veränderungen  ihres 
Umfanges  herbeizuführen,  und  sie  bleiben  stets  als  Seen  bestehen.  Das 
eine  dieser  Becken  ist  der  Likeri-See  (Hylike  der  Alten)  in  dem 
Kalkplateau  der  Phaga.  Es  ist  ein  sehr  unregelmäfsiger  steiler  Ein- 
bruch, aus  zwei  breiten  und  tiefen,  stark  zerschlitzten  Teilen  bestehend, 
die  durch  eine  schmale  und,  wie  es  scheint,  seichte ')  Enge  verbunden 
sind.  Vor  der  neuerdings  erfolgten  Zuleitung  des  Kopals-Wassers  in  den 
Likeri-See  war  dieser  8,2  km  lang  und  im  Maximum  3,8  km  breit;  sein 
Flächeninhalt  betrug  (nach  Strelbitzky)  12,9  qkm;  sein  Spiegel  lag  gewöhn- 

*|  Wenigstens  labt  der  Umstand,  dafs  dieser  Kanal  im  Altertum  iiberbrückt 
war  (Ulrichs),  auf  geringe  Tiefe  schließen. 


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Der  KopaVs-Sce  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  1 1 

lieh  45  m1)  über  dem  Meer  (also  52  m tiefer  als  die  Kopals)  und  stieg  in 
der  nassen  Zeit  um  4 bis  7 m.2)  Im  Nord  westen  schliefst  sich  an  den 
See  die  kleine  Ebene  von  Sengina  an.  Diese  wird  von  der  Bucht 
von  Karditsa  des  Kopais-Sees  nur  durch  ein  schmales  Joch  anstehenden 
Felsens  von  118  m Meereshöhe  (nach  Durand-Clay),  also  nur  21  m über 
dem  Kopals-See,  geschieden,  den  Isthmos  von  Karditsa.  Eine 
tiefe  Einsattelung,  welche  bei  den  Entwässerungsarbeiten,  wie  wir  sehen 
werden,  eine  grofse  Rolle  spielt,  trennt  hier  also  das  Ptoon-Gebirge 
von  der  Phaga-Gruppe  und  verbindet  das  Kopals-  mit  dem  Likeri-Becken. 
Noch  mehrere  andere  Lücken  weist  die  Gebirgsumrandung  des  Likeri- 
Sees  auf.  Die  untere  Thebanische  Ebene  wird  durch  eine  Bresche  im 
Südrand  des  Sees  zu  diesem  hin  entwässert,  indem  sich  hier  der 
Kanavari-Bach  in  den  Likeri-See  ergiefst,  und  zwar  mit  einem  Wasser- 
fall, da  das  Niveau  der  Ebene  um  45  m höher  ist  als  der  See.  Es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  dafs  diese  Bresche  erst  durch  Menschenhand 
soweit  vertieft  worden  ist,  dafs  sie  als  Abflufs  der  Thebanischen  Ebene 
dienen  kann.  (Vgl.  S.  14.)  Wenigstens  ist  dies  die  Ansicht  von 
Herrn  Forgeard,  der  den  Ort  besucht  hat.  Nach  Nordost  führt  bei 
Ungra  ein  Sattel  von  120  m Mecreshöhe  zu  der  Paralimni  hinüber.  Im 
NO  des  Likeri-Sees  senkt  sich  die  Ebene  von  Muriki  zu  ihm  hinab, 
nrn  das  Nordende  des  Berges  Molocha  herum.  Ein  nur  83  m ü.  d.  M. 
hohes  Joch  trennt  dann  die  Ebene  von  Muriki,  und  damit  auch  den 
Likeri-See,  von  dem  Becken  der  Paralimni.  (Isthmos  von  Muriki.) 

Der  See  Paralimni  (d.  h.  Nebensee),  von  dem  uns  kein  sicherer 
Name  aus  dem  Altertum  bekannt  ist,  nimmt  den  Grund  einer  lang  von 
WSW  nach  ONO  gestreckten  Thalsenke  ein.  Er  ist  8 km  lang  und 
bis  1,6  km  breit  und  umfafst  (nach  Strelbitzky)  9,1  qkm.  Sein  Spiegel 
lag  vor  der  Kopals-Entwässerung  35  m ü.  d.  M.  (also  10  m unter  dem 
I.ikeri)  und  war  (nach  Durand-Clay)  Schwellungen  bis  zu  um  Uber 
den  normalen  Stand  ausgesetzt.  Er  trennt  die  Berge  von  Skroponeri 
im  Norden  von  der  Phaga-  und  Ktypa-Gruppe  im  Süden,  während  sich 
am  Westende  das  Ptoon  erhebt.  Die  Längseiten  des  Sees  sind  steil, 
dagegen  liegen  an  den  beiden  Enden  kleine  Ebenen.  Der  untere  Ab- 
schlufs  gegen  das  Meer  wird  durch  einen  breiten  flachen  Rücken  ge- 
bildet (Jochhöhe  95  m nach  Mitteilung  des  Herrn  Forgeard,  87  m nach 
Durand-Clay),  der  sich  flach  zur  nahen  Küste  bei  den  Ruinen  der  alten 
Stadt  Anthedon  hinabsenkt.  (Isthmos  von  Anthedon.) 

Die  drei  Seen  Kopals,  Likeri  und  Paralimni  sind  also  in  ihrer 
Höhenlage  treppenförmig  angeordnet  und  sind  von  einander  und 


1 ) Karte  der  Kopais-Gesellschaft. 

-)  Durand-Clay  S.  5. 


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12 


Alfred  Fhilippson: 


vom  Meer  durch  schmale  und  niedrige,  aber  von  anstehendem  Fels 
gebildete  Isthmen  getrennt.  — 

In  dem  Kopals-Becken  haben  wir  das  zweite  Glied  der  böotisclien 
Niederungen  kennen  gelernt:  das  dritte  ist  das  Becken  von  Theben, 
welches  sich  im  SO  daran  anschliefst.  Es  wird  im  N vom  Ptoischen 
Bergland,  im  W von  dem  Querabbruch  des  Helikon,  im  S vom  Wall 
des  Kithaeron  begrenzt;  im  O springt  ein  Hügelland  aus  Kalkstein, 
welches  im  Soros-Berg  gipfelt,  vom  Parnes  weit  nach  N vor  und  läfst 
nur  einen  schmalen  Niederungsstreifen  zwischen  sich  und  der  Ktypa- 
Gruppe  übrig.  Dieser  erbreitert  sich  nach  SO  zu  dem  von  ncogenen 
Hügeln  erfüllten  Becken  von  Tanagra,  dem  vierten  Glied  der 
böotisclien  Niederungen,  das  sich  zum  Meer  öffnet.  Es  kommt  hier 
nicht  weiter  in  Betracht.  — Das  Thebanische  Becken  besitzt  einen 
südlicheren  höheren  Teil  (etwa  300  m ü.  d.  M.),  ein  flach- 
welliges Gebiet  neogener  Schichten  mit  breiten  Thalauen,  fruchtbar, 
aber  heutzutage  nur  sehr  dünn  bevölkert.  Der  Asopos  durchfliefst  es 
in  trägem  Lauf,  um  sich  dann  ostwärts  in  enger  Schlucht  durch  das 
Bergland  des  Soros  zum  Becken  von  Tanagra  durchzuarbeiten.  In  einer 
langen,  Ost-West  streichenden  Bodenstufe  von  etwa  200  m Höhe  stürzt 
dieses  Oberland  nach  Norden  ab  zu  der  unteren  Thebanischen 
Ebene  (90 — 100  m U.  d.  M.),  die  im  Gegensatz  zu  ersterem  als  völlig 
horizontale  Schwemmland-Ebene  erscheint,  wohl  angebaut,  aber  gänzlich 
frei  von  Dörfern.  Die  auffällige  Bodenstufe  entspricht  einer  nordwärts 
gerichteten  Verwerfung:  man  sieht  hier  die  Neogenschichten  des  Über- 
landes sich  nach  N umbiegen  und  hinabtauchen,  um  in  der  unteren 
Ebene  nirgends  mehr  zum  Vorschein  zu  kommen.  An  dem  Abhang 
liegt  hoch  oben  die  Burghöhe  der  altehrwürdigen  Kadmeia,  von  der 
aus  das  alte  Theben  sich  hinab  bis  zur  Ebene  erstreckte,  während  das 
heutige  Thiva  oder  Phiva  sich  auf  die  Burghöhe  zurückgezogen  hat. 
Theben  war  und  ist  durch  seine  Lage  der  natürliche  Mittelpunkt  des 
ganzen  Beckens. 

Die  untere  Thebanische  Ebene,  etwa  19  km  von  W nach  O lang, 
ist  im  östlichen  Teil,  der  Aonischen  Ebene,  5 km  breit,  verengt  sich 
aber  im  Westen,  in  der  Tenerischen  Ebene,  auf  ii — 3!  km.  Nur  der 
mittlere  Abschnitt  wird  durch  die  oben  erwähnte  Bresche  in  den  Likeri- 
See  entwässert,  während  die  Enden  abflufslos  und  daher  versumpft  sind. 
Besonders  gilt  dies  vom  Westende,  wo  sich,  8 m unter  dem  Niveau  der 
Kopa'is,  der  Variko-Sumpf  befindet.  Hier  berührt  sich  die  untere  The- 
banische Ebene  mit  der  Südostecke  der  Kopais-Niederung.  Ein  niedriger 
schmaler  Bergriegel  anstehenden  Gesteines  trennt  beide,  an  den 
niedrigsten  Stellen  aber  nur  etwa  20  m über  der  Kopa'is!  Dieser 
Isthmos,  den  wir  nach  der  alten  Stadt  Onchestos  nennen  wollen, 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  ]3 

ist  neben  den  Isthmen  von  Larymna  und  Karditsa  der  dritte  niedrige 
Ausgang  des  Kopals-Bcckens  nach  Osten,  um  so  wichtiger,  als  er  in  die 
ähnliche  und  fast  ebenso  hohe  Ebene  von  Theben  führt. 

Dies  sind  die  Hauptziige  der  orographischen  und  geologischen  Ge- 
staltung des  Kopuls-Gebietes.  Es  mögen  hier  nun  zunächst  die  Be- 
obachtungen angeführt  werden,  die  ich  dort  persönlich  machen  konnte. 

II.  Beobachtungen. 

i.  Thebe n - M u riki  - Par ali  mni  - An  th  ed  on.  (19.  März  1893). 
Wir  fuhren  zunächst  auf  der  nach  Chalkis  führenden  Chaussee  den 
Höhenrand  von  Theben  hinab  zur  unteren  thebanischen  Ebene,  dann 
auf  schlechtem  Fahrweg  über  den  Damm  der  unvollendeten  Piraeus- 
Larissa-Eisenbalm  hinweg  und  durch  die  Ebene  nach  Norden.  Letztere  ist 
eine  völlig  horizontale  Fläche  eines  bräunlichen,  leichten,  etwas  steinigen, 
aber  sehr  fruchtbaren  Lehmbodens.  Zur  rechten  erhebt  sich  der  Berg 
Misovuni  inselgleich  aus  dem  Schwemmland.  Der  tiefere  Untergrund 
der  Ebene  besteht  jedenfalls  aus  den  Ablagerungen  eines  Binnensees; 
denn  wäre  das  Becken  durch  Bäche  aufgeftillt,  so  würde  die  Ebene 
nicht  so  horizontal  sein,  sondern  man  müfste  die  einzelnen  Schuttkegel 
noch  einigermafsen  unterscheiden  können.  An  der  Oberfläche  ist  aber 
nichts  von  den  See-Ablagerungen  zu  sehen;  sie  sind  von  dem  durch 
Verwitterung  und  äolische  Zufuhr  gebildeten  Lehm  bedeckt.  — Nur 
am  Fufs  der  Bodenstufe  von  Theben  finden  sich  durch  die  reichen 
Quellen,  die  bei  der  Stadt  entspringen,  bewässert,  Gärten,  Wein- 
l'flanzungen,  Obst-  und  Ölbäume.  Der  ganze  Rest  der  Ebene  ist  mit 
Getreide,  besonders  Gerste,  angebaut. 

Im  Nordosten  erhebt  sich  hinter  dem  Dorf  Syrtzi  der  Berg  Hypaton, 
der  auf  einer  Basis  von  Serpentin  eine  Kalkkappe  mit,  wie  es  von 
weitem  scheint,  südlichem  Einfallen1)  trägt.  Am  Fufs  des  Berges  liegt 
bei  Syrtzi  noch  eine  abgesunkene  Kalkscholle.  Der  Serpentin  breitet  sich 
von  hier  weit  nach  Norden  aus,  durch  seine  sanften  Gehänge  und  rötliche 
Vrwitterungsfarbe  scharf  von  den  grauen  Kalkschrofien  abstechend. 

Zwischen  Syrtzi  und  dem  Kalkberg  Molocha  (östlich  des  I.ikeri- 
Sees)  dehnen  sich  niedrige  kahle  Hügel  von  grauer  Farbe  aus,  die  aber 
nicht,  wie  man  nach  der  Farbe  glauben  könnte  und  wie  die  Bittner'sche 
Karte  zeichnet,  Neogen,  sondern  Serpentin  sind,  der  stark  zersetzt 
und  ausgebleicht  ist.  Man  sieht  ihn  am  Strafseneinschnitt  netzartig 
verwittert,  indem  ein  Maschenwerk  von  weifslichen  Adern  gelbe  Kugeln 
versetzten  Serpentins  umzieht.  Wir  sahen  in  einiger  Entfernung  in 

')  Bittner  S.  3 giebt  ein  Einfällen  nach  NO  und  N wenig  W an.  Vgl.  auch 
Oe  Abbildung  daselbst  Tafel  1. 


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Alfred  Philippson: 


dem  Serpentin  mehrere  Gruben  angelegt,  in  denen,  wie  Herr  Forgeard 
sagte,  ein  schneeweifser  harter  „Kaolin“  gewonnen  wird,  den  man  nach 
England  zur  Fayence-Fabrikation  ausführt.  Es  ist  wohl  Magnesit, 
der  in  Griechenland  häufig  im  Serpentin  vorkommt.  — Der  Serpentin 
dieser  Hügel  steht  in  Zusammenhang  mit  der  grofsen  Serpentinmasse 
zwischen  Syrtzi,  Muriki  und  Lukisia,  liegt  also  unter  dem  Hypaton- 
Kalk  und  unterteuft  ebenso  den  Kalk  der  Molocha,  der  mit  ersterem 
identisch  zu  sein  scheint.  Ich  glaubte  in  der  Molocha  ein  flaches, 
W streichendes  Faltengewölbe  zu  erblicken. 

Um  diesen  Hügelzug  zwischen  den  Ebenen  von  Theben  und  Muriki 
zu  durchkreuzen,  hat  man  gamicht  anzusteigen,  da  die  niedrigste  Stelle 
sich  kaum  über  die  erstere  Ebene  erhebt  und  durch  einen  kleinen  Fan- 
schnitt eingekerbt  ist.  Wohl  aber  geht  es  nach  N etwas  hinunter  zu 
der  kleinen  runden  Ebene  von  Muriki,  die  sich  zum  Eikeri-Sec  ent- 
wässert. Dieser  steigt  jetzt  durch  die  Zuleitung  des  Kopals-Wassers 
allmählich  an  und  ist  schon  um  das  Nordende  der  Molocha  herum  vor- 
gedrungen. Die  Annahme  von  I.eake  (Tr.  North.  Gr.  II  S.  318  f.),  dafs 
besagter  kleiner  Einschnitt  einst,  in  vorhistorischer  Zeit,  behufs  besserer 
Entwässerung  der  Thebanischen  Ebene  künstlich  angelegt  sei,  erscheint 
mir  nicht  unwahrscheinlich.  (Vgl.  S.  11  die  Bresche  zum  I.ikeri- 
See.)  — Das  Dorf  Muriki  bleibt  rechts  am  Bergabhang  liegen.  Dort 
sieht  man  über  dem  Serpentin,  der  sich  nach  ONO  in  das  Gebirge 
hineinzieht,  eine  Kalkscholle  liegen,  die  nach  N zur  Paralimni  einfällt 
(Kalk  von  Muriki).  Sie  bildet  augenscheinlich  den  Gegcnflügel  zum 
Hypaton-Kalk,  mit  dem  zusammen  sie  ein  grofses  Gewölbe  darstellt, 
welches  den  Serpentin  überspannt  und  sich  in  der  Molocha  nach  Westen 
fortsetzt. 

Eine  sehr  niedrige  Schwelle  schliefst  die  F.bene  von  Muriki  (etwa 
70 — 90  m)  nach  N ab  (Sattelhöhe  nur  83  m ü.  d.  M.);  jenseits  geht  es  steil 
hinunter  zu  der  48  m tiefer  liegenden  Paralimni.  Die  Schwelle  ist  von 
der  Kopa'is-Gescllschaft  durch  einen  offenen,  bis  jetzt  noch  nicht  vom 
Wasser  erreichten  Graben  von  5 m Maximaltiefe  eingekerbt  worden. 
In  ihm  steht  im  mittleren  Teil  Serpentin  an  bis  zur  Jochhöhe,  nach 
beiden  Enden  zu  lehnt  sich  aber  daran  ein  horizontal  geschichtetes 
Konglomerat,  augenscheinlich  eine  Binnensee- Ablagerung.  Den 
Abfall  zur  Paralimni  bildet  ein  Ausläufer  des  Muriki-Kalkes.  Derselbe 
zieht  sich  auch  weiter  westlich  gegen  Ungra.  (Doch  soll  an  dem  dortigen 
Joch  zwischen  Likeri  und  Paralimni  Schiefer  anstehen).  Dieser  Kalk 
ist  dunkelgrau  bis  schwarz  und  massig  geschichtet,  streicht  NO  und 
fällt  NW  gegen  den  See.  Er  bildet  die  ganze  Südseite  des  Paralimni- 
Beckens. 

Auf  holperigem,  engem  Wege  geht  es  nun  immer  zwischen  See  und 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  ]5 

Gebirge  entlang.  Die  einsame  Wasserfläche  zwischen  den  düsteren, 
einförmigen,  nur  von  dürftigem  Kermeseichen-  und  Pistazien-Gebfisch 
bewachsenen  Bergen  eingebettet,  macht  unter  dem  trüben  Himmel 
einen  recht  melancholischen  Eindruck.  Keine  menschliche  Wohnung 
ist  zu  sehen,  aufser  einem  Fischerhaus,  das  ehemals  am  Ufer  des  sehr 
fischreichen  Sees  stand,  jetzt  aber  nur  noch  mit  dem  Dach  hervorragt. 
Denn  der  See  ist  in  der  letzten  Zeit  sehr  gestiegen,  nachdem  der  Likcri- 
See  durch  Zuleitung  des  Kopals- Wassers  angeschwollen  ist,  ein  Beweis 
mehr,  dafs  beide  in  unterirdischem  Zusammenhang  stehen.  Stellenweise 
ist  der  Fahrweg  schon  überspiilt.  Der  See  warf  unter  dem  lebhaften 
Nordost  recht  ansehnliche  Wellen;  einen  kleinen  Strandwall  von  grobem 
Sand  hatte  er  schon  an  seiner  neuen  Uferlinie  aufgeschüttet. 

An  mehreren  Stellen  sieht  man  im  Felsboden  ein  antikes  Wagcn- 
geleise,  die  Strafse,  die  einst  Theben  mit  dem  heute  ganz  unbewohnten 
Anthedon  verband.  An  einem  Punkt,  wohl  einer  Ausweiche,  liegen 
zwei  Geleise  in  ziemlichem  Abstand  neben  einander. 

Gegenüber,  am  Nordufer  des  Sees,  erhebt  sich  das  lange  Kalk- 
gebirge Strutzina,  dessen  Schichten  nach  S,  gegen  den  See  einfallen. 
Am  Westende  des  Sees  erblickt  man  das  Ptoon-Gebirge.  Dort  sieht 
man  den  Kalk  der  Strutzina  nach  S unter  einen  Schieferzug  einfallen, 
der  seinerseits  den  Kalk  des  Ptoon-Gipfels  unterlagert.  Die  Fort- 
setzung des  Schieferzuges  miifste  am  Paralimni  liegen,  fehlt  hier  aber 
vollständig.  Jedenfalls  liegt  der  See  auf  einer  ONO  gerichteten  Störungs- 
linie, zu  der  sowohl  der  (ältere)  Strutzina-Kalk  als  der  (jüngere)  Muriki- 
Kaik  beiderseitig  einfallen. 

In  der  Nähe  des  Ostendes  des  Sees  zieht  sich  der  Kalk  von  Muriki 
nach  rechts  vom  Ufer  fort  und  das  Gehänge  hinauf.  Darunter  erscheint 
Serpentin,  der  in  einem  Streifen  gegen  I.ukisia  zieht,  wo  er  sich  mit 
dem  grofsen  Serpentinzug  zu  vereinigen  scheint.  Bald  darauf  kommt 
man  wieder  auf  Kalk,  der  aber  unter  diesem  Serpentin  liegt,  über  den 
Isthmos  von  Anthedon  hinüberzieht  und  sich  mit  dem  Kalk  der  Strutzina 
vereinigt;  er  bildet  also  mit  diesem  zusammen  ein  tieferes  Niveau  als 
der  Kalk  von  Muriki  und  der  Ktypa.  Nach  Durchkreuzung  der  kleinen 
angebauten  Ebene  am  Ostende  des  Sees  stehen  wir  vor  dem  Rücken 
des  Isthmos  von  Anthedon,  der  vön  der  Kopals-Gescllschaft  vermittels 
eines  Tunnels,  an  dem  sich  an  beiden  Enden  offene  Einschnitte  an- 
schliefsen,  in  52  m Meereshöhe  durchbohrt  ist.  Da  diese  Werke  noch 
nicht  vom  Wasser  erreicht  sind,  können  wir  sie  begehen  und  im  Tunnel 
mit  Hülfe  einer  Laterne  die  durchschnittenen  Gesteine  beobachten. 
Der  Durchstich  ist  SSW — NNO  gerichtet.  Wir  erhalten  folgendes  Profil 
vom  Südcnde  aus  (Vgl.  Tafel  2,  Abb.  1.).  Im  offenen  Einschnitt,  etwa 
250  m weit,  Serpentin  (d.  i.  der  Serpentin  unter  dem  Muriki-Kalk), 


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IG 


Alfred  Philippson: 


stellenweise  flaserig  und  eisenschüssig,  zumTeil  inblättrigen,  serpentinigen 
Schiefer  und  eisenschüssigen  Hornstein  übergehend,  die  steil  nach  S 
einfallen.  Dann  kommt  unter  dem  Serpentin  eine  kleine  Kalk-Klippe 
zum  Vorschein,  ebenfalls  S fallend,  welche  die  natürliche  Oberfläche  nicht 
erreicht,  sondern  nach  N scharf  an  einer  Verwerfung  abbricht.  Dann 
folgt  wieder  flaseriger  Serpentin,  wieder  S fallend,  unter  welchem  sich  kurz 
vor  dem  Eingang  des  Tunnels,  etwa  300  m vom  Anfang  des  Einschnittes, 
abermals  derselbe  Kalk  hervorhebt.  Es  ist  ein  schwarzer,  undeutlich 
geschichteter,  fast  massiger  Kalk,  der  nun  weiter  im  Tunnel  anhält, 
jener  Kalk-Ausläufer  der  Strutzina,  der  den  eigentlichen  Rücken  des 
Isthmos  bildet.  Das  Streichen  ist  im  Tunnel  durchweg  WNW,  (fallend  S); 
aufserdem  sieht  man  viele  Klüfte  in  den  verschiedensten  Richtungen. 

Ungefähr  in  der  Mitte  des  860  m langen  Tunnels,  bei  390  m vom 
SUdeingang,  schneidet  der  Kalk  nach  N an  einer  grofsen  Kluft  ab  gegen 
lockere  jugendliche  Konglomerate,  welche  die  nördliche  Hälfte  des 
Tunnels  zusammensetzen.  Dieser  Teil  mufste  daher  ausgemauert  werden. 
An  der  Grenzkluft  tritt  etwas  Wasser  in  den  Tunnel  ein.  Am  nörd- 
lichen Eingang  kann  man  das  Konglomerat  beobachten,  welches  die 
Wände  des  offenen  Einschnittes  bildet,  der  sich  hier  an  den  Tunnel 
anschliefst.  Gerade  am  Tunnel-Eingang  sieht  man  eine  einzelne  Schicht 
gegen  S geneigt,  sonst  ist  das  Konglomerat  ungeschichtet;  es  besteht 
aus  grofsen  halbgerundeten  Kalkstücken.  Aus  dem  Einschnitt  heraus- 
tretend, sieht  man,  dafs  das  Konglomerat  einem  rezenten  Schuttkegel 
angehört,  der  sich  von  dem  nordwestlichen  Kalkberg  herabzieht,  sich 
auf  dieser  Seite  des  Isthmos  fächerförmig  ausbreitet  und  sich  von 
diesem  aus  flach  gegen  das  Meer  hinabsenkt.  Er  legt  sich  also  an  den 
Kalk  an,  welcher  den  eigentlichen  Rücken  des  Isthmos  bildet  — Der 
Kalk  der  Strutzina  und  des  Isthmos  fällt  nach  S unter  den  Serpentin 
von  Lukisia  ein '). 

Östlich  von  dem  grofsen  Schuttkegcl  zieht  sich  am  Gebirgsfufs, 
der  Küste  entlang,  eine  Terrasse  von  horizontalem  neogenem  Kon- 
glomerat hin,  welches  sich  von  dem  Schuttkegel  deutlich  durch  seine 
Lagerung  unterscheidet. 

Am  Ufer,  unweit  der  Ruinen  des  alten  Anthedon,  hat  die  Kopais- 
Gesellschaft  ein  grofses  Haus  errichtet,  das  jetzt  leer  steht.  Gegenüber 
erblickt  man  die  Küste  von  Euböa,  wo  die  wilde  Felswand  des  Kandili 
das  Bild  beherrscht. 

■)  Meine  Angabe  in  dem  „Bericht  u.  s.  w.“,  Zeitschr.  Ges.  f.  Erdk.  1890,  S.  390, 
dafs  der  Isthmos  von  Antlicdon  aus  Neogen  bestehe,  beruhte  auf  dem  Anschein  von 
weitem  und  auf  der  Bittner’schcn  Karte.  Wie  sich  aus  obigem  ergiebt,  ist  sie  irr- 
tümlich. 


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Der  Kopais-Scc  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


17 


Auf  dem  Rückweg  über  den  Rücken  des  Isthmos  betrachteten 
wir  einen  antiken,  ansehnlich  tiefen  Graben,  der  unvollendet  ge- 
blieben ist. 

2.  Theben  - Karditsa  - Bai  von  Topolias  und  Grofse  Kata- 
vothre.  (20.  März  1893).  Wir  benutzen  die  Strafse  nach  I.ivadia  bis 
kurz  vor  dem  Isthmos  von  Onchestos.  Zur  Rechten  haben  wir  beständig 
den  Damm  der  Piraeus-Larissa-Bahn.  Die  Ebene  ist  auch  hier  sehr 
fruchtbar.  Der  Kanavari-Bach  hat  sich  einige  Meter  tief  in  die  Ebene 
eingeschnitten,  sodafs  dieser  Teil  derselben  völlig  entsumpft  ist.  Zur 
linken  begleitet  uns  der  Höhenrand  der  oberen  Thcbanischen  Ebene, 
der  nach  W allmählich  ansteigt  und  sich  in  einer  Terrasse  am  Ab- 
hang des  Helikon  bis  oberhalb  Haliartos  fortsetzt.  Die  gro&en  und 
reichen  Dörfer  Vagia  und  Mavromati  liegen  auf  der  Höhe  der  Stufe. 
Gegenüber  erheben  sich  die  kahlen  Wände  des  Phaga-Gebirges,  und 
wir  sehen  deutlich  die  Bresche,  die  zum  Likeri-See  führt.  Das  Ende 
der  Ebene  nimmt  der  Sumpfsee  Variko  ein,  jetzt  eine  runde  Wasser- 
fläche, von  Rohr  umgeben  und  von  Wasservögeln  belebt. 

Die  Schwelle,  welche  die  Scheide  der  Thebanischen  Ebene  gegen 
die  Kopa'is  bildet,  steigt  in  der  Mitte  als  ansehnlicher  Kalkberg  auf, 
rechts  und  links  desselben  jedoch,  am  Fufs  der  Phaga  sowohl  wie  der 
Vorhöhen  des  Helikon,  führt  je  ein  ganz  niedriger  Sattel  hinüber.  Den 
südlichen  benutzt  die  Chaussee  nach  I.ivadia,  den  nördlichen  die  un- 
vollendete Eisenbahn  und  unser  Fahrweg  nach  Karditsa.  Ich  will  hier 
gleich  anführen,  was  ich  am  folgenden  Tag  auf  dem  südlichen  Sattel 
beobachtete.  Dieses  sehr  niedrige  Joch  wird  durch  den  Einschnitt 
der  Strafse  noch  bedeutend  eingekerbt.  Der  moderne  Einschnitt  ist 
augenscheinlich  nur  die  Erweiterung  eines  alten,  denn  man  sieht  seine 
linke  (südliche)  Seitenwand  an  einer  Stelle  mit  einem  antiken  Mauer- 
werk von  ansehnlichen  Quadern  belegt.  Den  Engpafs  beherrschte  im 
Altertum  die  Stadt  Onchestos.  Das  Gestein  ist  hier  ein  grüner  und 
roter,  flaseriger,  stark  zersetzter  mergeliger  Schiefer,  übergehend  in  ein 
Konglomerat  gerundeter  Serpentingerölle,  wie  es  auch  bei  Livadia  in 
den  Kreideschiefern  vorkommt;  auch  grofse  eckige  Blöcke  eines 
kieseligen  Gesteins  liegen  darin.  Die  Schichten  sind  stark  geneigt, 
quer  über  den  Weg  streichend,  und  scheinen  dem  Kalk,  der  zu  beiden 
Seiten  des  Engpasses  in  geringer  Entfernung  auftaucht,  aufzuliegen. 
Das  Ganze  sieht  viel  mehr  nach  Kreideschiefern  aus,  als  nach  Neogen; 
doch  kann  man  hierüber  im  Zweifel  sein.  Die  Bittner’sche  Karte  giebt 
hier  Neogen  an.  Letzteres  steht  übrigens  in  geringer  Entfernung  südlich 
über  dem  Kalk  an.  Die  Frage  ist  also  von  keiner  grofsen  Wichtigkeit. 

Das  nördlichere  Joch  des  Isthmos  liegt  zwischen  Höhen  schwarzen, 
massigen  Kalkes;  am  Sattel  selbst  steht  aber  nur  lockere  Terra  rossa 
Zciuchr.  d.  GcKlbch.  f Erdk.  Bd.  XXIX.  2 


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18 


Alfred  Philippson: 


an,  jene  bekannte  rote  Verwitterungserde,  die  sich  aus  der  Zersetzung 
des  Kalkes  bildet;  sie  ist  untermischt  mit  vielen  eckigen  Kalkbröckchen. 
Auch  der  Eisenbahn-Einschnitt  entblöfst  nichts  anderes.  Ob  darunter 
doch  Kalk  verborgen  liegt,  oder  ob  wir  hier  eine  nur  mit  lockerem 
Schutt,  natürlich  oder  künstlich,  verstopfte  Lücke  zwischen  der  Kopa'is 
und  der  Thebanischen  Ebene  vor  uns  haben?  Nur  sehr  wenig  erhebt 
sich  das  Joch  über  den  Boden  der  Kopa'is!  Es  wäre  wohl  der  näheren 
Untersuchung  wert,  ob  wir  es  hier  vielleicht  mit  einer  künstlichen  Ab- 
dämmung des  Kopais-Sees  von  der  Thebanischen  Ebene  zu  thun  haben. 

Der  Weg  führt  nun  am  Rand  des  ehemaligen  Kopäis-Sees  entlang. 
Unabsehbar  dehnt  sich  zur  Linken  die  einförmige  braune  Ebene  aus, 
rings  von  ausdruckslosen  kahlen  Hügeln  eingefafst:  ein  trostloser,  aber 
in  seiner  Einfachheit  doch  erhabener  Anblick.  Dahinter  steigt  in 
grofsartiger  Majestät  der  schneebedeckte  Parnafs  auf.  — Zur  rechten 
Seite  haben  wir  beständig  die  niedrige,  aber  jähe  Klippenwand,  die 
den  Seeboden  unmittelbar  begrenzt.  Erst  über  dieser  Wand  von  etwa 
20  bis  30  m Höhe  beginnen  die  sanften  Böschungen,  die  sonst  diesem 
Gebirge  eigen  sind.  In  der  Klippenwand  öffnen  sich  schier  zahllose 
Katavothrcn,  die  weiter  unten  näher  geschildert  werden  sollen.  Unregel- 
mäfsig  springt  die  rötlich  verwitternde,  rauh-zackige  Steilwand  bald  in 
Kaps  vor,  denen  zuweilen  noch  kleine  Felsinseln  vorliegen,  bald  zieht 
sie  sich  in  Buchten  zurück.  Der  Boden  der  letzteren  ist  jetzt  angebaut, 
während  die  See -Ebene  selbst  noch  öde  daliegt.  — Mehrfach  kann 
man  die  Reste  der  uralten  Kanäle  und  Deiche  der  Minyer  beobachten. 

Wir  umziehen  zunächst  die  Bucht  von  Kaneski,  in  deren  Hinter- 
grund Schiefer  unter  dem  Kalk  der  Phaga  hervortritt.  Auf  der  Nord- 
seitc  der  Bucht  ist  das  Streichen  des  schwarzen  Kalkes  NO  (wechselnd 
zwischen  N40  bis  N'ös^O),  das  Einfallen  nach  SO  gerichtet.  Von  der 
Insel  H.  Marina  an  zieht  das  Ufer  eine  Strecke  weit  nach  N;  das 
Schichtstreichen  ist  hier  O bis  OSO.  Dann  folgt  eine  scharfe  Ecke 
bei  der  Katavothre  Sopi,  wo  das  Ufer  nach  O in  die  Bucht  von  Kar- 
ditsa  einbiegt  (Streichen  der  Schichten  S55cO,  fallend  SW).  Hier 
nähert  sich  der  neue  Gürtelkanal  dem  Ufer;  in  dem  3 bis  4 m tiefen 
Einschnitt  (bis  zum  Wasserspiegel)  sicht  man  zu  unterst  gelblichen 
Sand,  darüber  eine  W'eifse  mergelige  Erde,  welche  überall  den  Boden 
der  Kopals  bildet.  Ganz  oben  ist  sie  durch  Humus  schw’arz  gefärbt, 
sodafs  die  Oberfläche  selbst  nicht  weife,  sondern  dunkel  erscheint. 

Der  Boden  des  Sees  liegt  bis  hierher  am  Ufer  95  m U.  d.  M.,  sodafe 
das  Wasser  bei  höchstem  Stand  an  der  Klippenwand  2 m hoch  hinauf- 
reichte. Es  hat  vielfach  am  Fufs  derselben  eine  Strandbildung  zurück- 
gelassen, nämlich  flache  Bänke  horizontaler  Schichten  aus  kleinen 
Kalkgeröllen. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


19 


Es  folgt  eine  kleine  nach  OSO  gerichtete  Uferstrecke,  dann  wieder 
eine  Strecke  nach  NNO.  Die  Schichten  streichen  genau  O und  stehen 
saiger.  Dann  wendet  sich  der  Klippenrand  endgültig  nach  O bis  zum 
Hintergrund  der  Bai  von  Karditsa.  Dort,  bei  dem  einsamen  Haus  der 
Kopals-Gesellschaft  — das  Dorf  Karditsa  liegt  eine  starke  halbe  Stunde 
entfernt  im  nördlichen  Gebirge  — erblickt  man  zwei  ansehnlich  hohe, 
aber  sehr  flache  Wälle  quer  über  die  Bucht  hinüberlaufen,  einer  in 
geringer  Entfernung  hinter  dem  anderen.  Man  könnte  sie  auf  den 
ersten  Blick  leicht  für  künstliche  Aufschüttungen  halten.  Aber  abgesehen 
von  der  Zwecklosigkeit  einer  solchen  Anlage  hier  im  Hintergrund 
der  Bucht,  spricht  auch  die  grolse  Breite  und  die  Flachheit  der 
Böschungen  dagegen.  Wo  der  grolse  neue  Ableitungskanal  in  sie  ein- 
geschnitten ist,  sieht  man,  daß,  sie  aus  Schotter  gerundeter  Kalkgerölle 
mit  diskordanter  Parallelstruktur  und  flach-sattelförmiger  Lagerung  be- 
stehen. Beiderseits  tauchen  die  Schotter  der  Dämme  unter  die  Terra 
rossa  hinab,  welche  diesen  innersten  Teil  der  Bucht  bildet.  Anderer- 
seits Allst  aber  der  hintere  Wall  wieder  auf  dem  weifsen  Mergel  des 
Kopäls-Bodens,  d.  h.  also  auf  altem  Seegrund,  und  auf  roter  Erde,  wie 
das  Profil  vor  dem  Westeingang  des  Tunnels  von  Karditsa  zeigt 
(Taf,  2,  Abb.  2).  In  demselben  Profil  sieht  man  vor  dem  Tunnel-Eingang 
ein  grofees  künstliches  Loch,  das  mit  roter  Erde  und  Steinen  wieder 
«geschüttet  ist.  Es  ist  eine  alte  Ausschachtung,  die  wahrscheinlich  mit 
dem  Versuch  einer  Durchbohrung  des  Isthmos  von  Karditsa  zusammen- 
hängt. — Es  ergiebt  sich  also,  dafs  die  beiden  Dämme  nur  als  natürliche 
Strand  wälle  aufgefafet  werden  können,  wie  sie  von  Seen  vor  tief  ein- 
greifenden Buchten  häufig  aufgeschüttet  werden,  Nehrungen  bildend.  Sie 
entstammen  einer  Zeit  höheren  Wasserstandes,  und  zwar  der  hintere  Damm 
einem  höheren  und  älteren  Stand,  als  der  vordere.  Beide  sind  aber  recht 
alt,  wie  die  mächtige  Terra  rossa  beweist,  die  ihnen  seitwärts  anlagert. 

Die  beiden  Wälle  scheiden  eine  kleine  runde  Ebene  von  dem 
übrigen  Seeboden  ab.  Dahinter  liegt  der  Isthmos  von  Karditsa, 
welcher  die  Kopa'is  von  der  Ebene  von  Sengina  und  dem  Likeri-See 
trennt.  Der  Scheiderücken  besteht  im  SUdosten  der  Bucht,  zunächst 
dem  Ende  der  Kalkmasse  der  Phaga,  nach  den  sanften  Formen  und 
der  weilsen  Farbe  zu  urteilen,  wohl  aus  Neogen.  Niedriger  aber  ist 
der  Rücken  auf  der  Ostseite  der  Bucht,  zunächst  den  Vorhöhen  des 
Ptoon,  wo  er  aus  anstehenden  Kreidegesteinen  gebildet  wird.  Hier 
liegt  die  tiefste  und  schmälste  Stelle  des  Scheiderückens,  die  von  der 
Kopais- Gesellschaft  mit  einem  672  m1)  langen  geradlinigen  Tunnel  in 

’)  Diese  Zahl  giebt  Durand -Clay  (S.  17),  nicht  815  m,  wie  Supan  (S.  73)  schreibt. 
Mir  selbst  wurde  860m  angegeben,  welche  Zahl  mit  der  Länge  des  Tunnels  von 
Amhedon  iibereinstimml;  sie  beruht  wohl  auf  einer  Verwechselung  mit  dieser. 

'2* 


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20 


Alfred  Philippson: 


OSO-Richtung  durchbohrt  ist.  Da  derselbe  von  dem  Wasser  der 
Kopals  durchströmt  wird,  kann  er  nicht  mehr  begangen  werden.  Kr 
ist  übrigens  ausgemauert,  und  zwar  der  westliche  Teil  im  Kalk,  der 
östliche  im  Serpentin. 

Wir  überschreiten  den  Rücken  an  der  tiefsten  Stelle.  Die  westliche 
Seite  bis  zur  Jochhöhe  besteht  aus  Kalk;  jenseits  derselben  führt 
ein  kleiner  natürlicher  Thalrifc  zur  Sengina-Ebene  hinab;  in  ihm  steht 
Serpentin  unter  dem  Kalk  an.  Ein  antiker  künstlicher  Einschnitt  von 
beträchtlicher  Breite  und  Tiefe  — nach  Kambanis  bis  30  m tief  — ist 
mit  ONO-Richtung  in  den  harten  Kalkfels  der  Westseite  und  der  Joch- 
höhe ausgearbeitet.  Vor  seinem  westlichen  Eingang  befinden  sich 
noch  einige  tiefe  Schächte;  einen  anderen  Schacht  hat  man  bei  dem 
Bau  des  Tunnels  angefahren.  Nach  Osten  zielt  der  Graben  auf  den 
natürlichen  Thalrifs.  Er  ist  aber  gegen  diesen,  gerade  an  der  Grenze 
von  Kalk  und  Serpentin,  durch  einen  grofsen  Kalkfelsen  abgesperrt. 
Es  blieb  mir  zweifelhaft,  ob  derselbe  von  der  unfertigen  Arbeit  stehen 
gelassen,  oder  ob  er  von  der  hohen  Südseite  herabgestürzt  ist. 

Diese  projektierte,  aber  nicht  vollendete  alte  Durchbohrung  des 
Isthmos  von  Karditsa1)  suchte,  da  sie  ein  offener  Einschnitt  war,  die 
tiefste  Einsattelung  zu  benutzen  und  den  natürlichen  Thalrifs  der  Ost- 
seite auf  dem  kürzesten  Weg  zu  erreichen,  daher  die  ONO-Richtung.  Der 
ganze  Abflufs  zusammen  würde  die  Gestalt  einer  nach  S offenen  Kurve 
gehabt  haben.  Für  den  modernen  Tunnelbau  ist  die  Höhe  des  Felsens 
über  dem  Tunnel  gleichgültig,  ihm  liegt  nur  an  der  Abkürzung  der 
Länge.  Der  Tunnel  schneidet  daher  als  gradlinige  Sehne  die  Kurve 
ab  und  mündet  etwas  unterhalb  in  denselben  Thalrifs.  Mit  mächtigen 
Katarakten  stürzt  sich  das  aus  dem  Tunnel  hervorströmende  Wasser 
hinab  zum  Likeri-See.  Am  Eingang  des  Tunnels  steht  fiaseriger  Serpentin- 
schiefer  an,  übergehend  in  Hornstein  und  bunte  Thonschiefer,  auch  in 
ein  gelbes,  mulmig -okriges  Gestein.  Darunter  hebt  sich  ein  unterer 
Kalk  hervor  (während  auch  der  Kalk  über  dem  Serpentin  auf  den 
Thalseiten  fortsetzt).  Der  untere  Kalk  ist  gefaltet  und  von  einer 
breiten  Kluft  durchsetzt,  die  mit  hineingefallenen  Serpentin -Brocken 
erfüllt  ist. 

Nach  der  Bucht  von  Karditsa  zurückgekehrt,  begaben  wir  uns  zu 
Pferd  zunächst  nach  dem  gleichnamigen  Dorf.  Die  Bucht  wird  im  N 
durch  eine  steil  ansteigende  Bergwand  von  Kalkstein  begrenzt,  in 
welcher  am  Ostende  der  Bucht  zwei  Serpentinzüge  erscheinen.  Oben 
liegen  die  Ruinen  des  alten  Akraephion.  Weiter  westlich  führt  ein 
Thal  zu  einer  kleinen  Weitung  hinauf,  in  welcher  das  Dorf  liegt. 

! 1 Vgl.  die  Beschreibung  von  Leakc  II  S.  315fr.,  Ulrichs  I S.  245. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


21 


Das  Thal  durchschneidet  die  erwähnte  Bergwand  quer,  und  man 
sieht  hier,  dafs  der  Kalk  derselben  eine  nicht  sehr  mächtige  Platte 
bildet,  die  nach  S zur  Bucht  einfällt.  Darunter  kommt  bergwärts 
Sandstein  und  Thonschiefer  hervor,  stark  in  mäandrischen  Knickungen 
zusammengefaltet;  diese  Gesteine  setzen  die  Thal  Weitung  zusammen 
und  werden  auf  den  Höhen  ringsum  von  dem  Kalk  Überlagert.  Das 
Schichtstreichen  ist  östlich.  — Wir  gehen  über  einen  Pafseinschnitt 
nach  NW,  wohin  sich  auch  zwischen  den  beiderseitigen  Kalkhöhen 
die  Schiefer  ziehen.  Jenseits  steigen  wir  in  einem  Thälchen  hinab  zum 
Ufer  der  Kopals.  Am  Ausgang  des  Thälchens  erscheint  schwarzer  Kalk 
unter  dem  Schiefer,  welcher  letztere  sich  nach  Osten  am  Nordabhang 
des  langgestreckten  Berges  von  Kokkino  hinzieht.  Er  bildet  dort  eine 
Terrasse  unter  dem  oberen  Kalk  des  Bergrückens;  auf  ihr  liegt  das 
Dorf  Kokkino.  (Taf.  2,  Abb.  3.)1) 

Wir  kommen  nun  an  die  kleine  Bucht  des  Kopals-Sees,  vor  welcher 
sich  die  hohe  Felsinsel  Gla,  von  kyklopischen  und  mittelalterlichen 
Ruinen  gekrönt,  aus  dem  Seeboden  erhebt.  Ringsum  steht  nur  der 
schwarze  massige  Kalkstein  an,  der  den  Schiefer  von  Kokkino  unter- 
teuft; er  liegt  im  Hintergrund  der  Bucht  horizontal,  am  Nordufer  fällt 
er  nach  N ein.  Es  folgt  nun  eine  kurze  nordwärts  gerichtete  KUsten- 
strecke;  dann  wendet  sich  das  Ufer  rechtwinkelig  nach  O in  die  Bucht 
von  Topolias  hinein.  An  der  Ecke  liegen  die  Reste  eines  fränkischen 
Turmes,  Pyrgos  H.  Marina,  schräg  gegenüber  von  Topolias.  Hier 
drängt  sich  der  Flufs  Melas  oder  Mavropotamos,  der  einzige  beständige 
Wasserlauf  der  Kopaüs,  unmittelbar  an  das  steile  Felskap  an.  Sein  Bett 
ist  steilwandig  mehrere  Meter  tief  unter  das  Niveau  der  Ebene  einge- 
schnitten; es  zeigen  sich  in  ihm  nur  die  weifsen  Mergel  des  Seebodens 
entblöfst.  Eine  schmale  fränkische  Brücke,  dem  Weg  von  Theben  nach 
Topolias  dienend,  führt  in  sieben  Bogen  Uber  den  ansehnlich  breiten 
und  tiefen,  ruhig  strömenden  Flufs. 

Nahe  südlich  des  Felskaps  fallen  die  Schichten  des  schwarzen 
Kalkes,  sich  nach  N umbiegend,  saiger  in  die  Tiefe;  am  Kap  selbst 
steht,  ebenfalls  saiger,  ursprünglich  wohl  den  schwarzen  Kalk  über- 
lagernd, ein  plattiger  heller  Kalk  an. 

Auf  der  linken  Seite  des  Melas  zieht  sich  durch  die  Eibene  ein 
deutlich  erhaltener  alter  Kanal,  von  breiten  Deichen  eingefafst,  die 
auf  der  Innenseite  mit  kyklopischem  Mauerwerk  versehen  sind.  Durch 
die  Einschwemmungen  der  Jahrtausende  ist  der  Boden  des  Kanals 
fast  bis  zur  Höhe  der  Ebene  angefüllt;  die  Deiche  sind  abgeflacht.  Der 
heutige  Melas  hat  sein  Bett  aus  dem  Kanal  hinaus  verlegt  und  letzteren 


l)  Vgl.  auch  die  Abbildungen  bei  Bittner,  Tafel  I. 


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22 


Alfred  Philippson: 


an  einigen  Stellen  durch  seine  Windungen  angeschnitten  und  strecken- 
weise ganz  zerstört.  t 

Wir  durchwandern  nun  die  Bai  von  Topolias  in  östlicher  Richtung 
bis  zu  ihrem  Ende.  Sie  ist  rings  von  Kalkbergen  umgeben,  weiche 
deutlich  geschichtet  sind  und  in  rötlicher  Farbe  verwittern.  Auf  der 
Nordseite  nahe  dem  Ostende  ist  das  Streichen  der  Schichten  nach  N 
gerichtet1),  abweichend  von  dem  sonst  im  ganzen  Gebiet  herrschenden 
OSO-Streichen.  Hier  liegen  mehrere  Katavothren  im  Hintergrund 
kleiner  Buchten  zwischen  Felsvorsprilngen  (s.  S.  47).  Von  der 
NO-F.cke  der  Bai  zieht  sich  der  niedrige  Sattel  nach  Larymna  hinüber. 
Wir  betrachteten  mehrere  der  antiken  Schächte,  die  auf  der  ganzen 
Linie  des  Sattels  abgeteuft  sind.  Ani  Ostrand  der  Bucht  von  Topolias, 
bei  der  Grofsen  Katavothre,  streichen  die  Schichten  des  Kalkes  O und 
fallen  S.  — Von  hier  ging  es  nach  dem  Haus  bei  Karditsa  zurück 
und  von  dort  zu  Wagen  nach  Theben,  wo  wir  spät  abends  eintrafen. 

3.  Theben-Livad  ia-Skripu  (21.  März)  und  weiter  nach  Dadi 
(22.  März  1893).  Der  Weg  bis  zum  Isthmos  von  Onchestos  ist  schon  oben 
beschrieben  worden.  Jenseits  desselben  geht  es  kaum  merklich  hinab 
auf  den  Saum  höheren  Schwemmlandes,  der  den  Seeboden  im  Süden 
begrenzt;  links  steigen  die  Vorhöhen  des  Helikon  an.  Der  erste  Teil 
jenes  Saumes  ist  der  Schuttkegel  des  Baches  I.ophis  oder  Permessos, 
auf  welchem  das  Dorf  Mulki  liegt.  Die  Strafse  führt  links  vom  Dorf 
an  einem  Felsvorsprung  mit  altem  Wachtturm  vorbei,  wo  gelber  dick- 
bankiger  dichter  Kalk  ansteht.  Wir  machen  an  einem  Haus  der 
Kopals-Gesellschaft  Halt,  das,  wiederholt  durch  Erdbeben  zerstört, 
gerade  wieder  aufgebaut  wurde. 

Die  Höhen  bei  dem  Hause  bestehen  aus  demselben  dichten  Kalk, 
streichend  SW,  fallend  NO.  Auch  der  breite,  flache  Hügel  westlich 
des  Hauses,  auf  dem  ehemals  das  alte  Haliartos  stand,  besteht  aus 
gelbem,  dichtem  Kalk,  wechselnd  mit  rotem  Hornstein  und  mit  Massen 
einer  bunten  Kalkbreccie,  welche  Bohnen  von  Eisenerz  enthält.  Die 
Breccie  ist  keine  Oberflächenbildung,  sondern  dem  Kalk  eingelagert. 
Von  dem  Hügel  von  Haliartos,  der  halbinselartig  in  die  Niederung 
vorspringt,  hat  man  einen  weiten  Blick  über  diese  selbst  und  auf  den 
schneebedeckten  Parnafs  im  Westen.  — Über  dem  Kalk  von  Mulki 
scheint  an  den  Abhängen  des  Helikon  bei  Mazi  Schiefer  zu  liegen. 
Gleich  westlich  Haliartos  kommt  Serpentin-Schiefer  und  Serpentin- 
Konglomerat  zum  Vorschein. 

Der  Weg  führt  nun  an  der  zackigen  Kette  des  I.ibethrion  vorbei : 
oben  liegen  Kalke,  darunter  Schiefer,  sehr  stark  gefaltet,  W streichend. 

*)  So  auch  bei  dem  Kephalari  von  Larymna,  vgl.  meinen  „Bericht“  u.  s.  w. 
S.  389. 


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Der  Kopais-See  io  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


•23 


In  dem  Bergvorsprung  I’etra  stellt  unter  diesem  Schiefer  wieder  der 
gelbe  Kalk  an,  dem  die  Quelle  Tilphusa  entspringt.  Hier  tritt  das 
Gebirge  unmittelbar  an  das  See-Ufer,  und  die  Strafsc,  die  Eisenbahn 
sowie  der  grofse  Gttrtelkanal  mit  seinen  Deichen  ziehen  dicht  am 
Felsen  vorbei.  Nun  öffnet  sich  links  die  Bucht  von  Koronea;  dann 
kommen  wir  bei  den  heifsen  Quellen  und  den  Mühlen  von  Kalamaki 
wieder  an  den  Fufs  des  Gebirges,  der  aus  Schiefer  besteht,  unter  dem 
bergwärts  Kalk  hervortaucht.  Zur  Rechten  entfernt  sich  das  Ufer  des 
ehemaligen  Kopals-Sees  immer  mehr  von  uns,  und  vor  ihm  breitet  sich 
eine  fruchtbare,  schön  angebaute  Ebene  aus.  Bald  um  eine  Bergecke 
biegend,  sehen  wir  plötzlich  das  malerische  Livadia  vor  uns1);  doch 
ohne  in  die  Stadt  einzufahren,  biegen  wir  rechts  ab  durch  die  Ebene 
nach  Skripü.  Auf  einer  neuen  Brücke  überschreiten  wir  den  grofsen 
Gurtelkanal,  der  den  Kephissos  in  sich  aufgenommen  hat,  und  dann  auf 
einer  alten  Brücke  den  ehemaligen,  jetzt  trocken  liegenden  Unterlauf 
jenes  Flusses.  Das  Dorf  Skripu  liegt  auf  dem  Delta-Kegel,  den  der 
Kephissos  in  den  Kopals-See  vorgebaut  hat,  an  dem  Ende  des  langen 
Felsrückens  Durduvana  (Akontion),  der  die  Akropolis  von  Orcho- 
menos  trägt,  von  der  noch  ansehnliche  Mauern  erhalten  sind.  Die 
alte  Stadt  zog  sich  wohl  auch  in  die  Ebene  hinab  und  über  die  Stelle 
des  heutigen  Dorfes  hin.  Der  Felskamm  der  Akropolis  fällt  ziemlich  sanft 
nach  S,  dagegen  sehr  jäh  nach  N zur  Bucht  von  Tzamali  ab.  Die 
Schichten  des  hellen  Kalkes  der  Durduvana  fallen  bei  Skripu  nach  S; 
weiter  westlich  aber  bilden  sie  ein  W streichendes  Gewölbe,  welches 
nach  N unter  die  Schieferzone  von  Tzamali  eintaucht. *)  An 
der  Nordseite  der  Bucht  sieht  man  nur  stark  gefalteten,  rötlich  ver- 
witternden Kalk. 

An  dem  letzten  Ausläufer  des  Akontion  bei  Skripu  liegt  auf  der 
Südseite  des  Kalkrückens  eine  bedeutende  Masse  von  Erde  an,  die 
augenscheinlich  von  Menschenhand  aufgeschüttet  ist.  In  diese  Erde 
ist  das  prächtige  Kuppelgrab,  das  sog.  „Schatzhaus  des  Minyas“,  hin- 
eingebaut. Die  Decke  der  Grabkammer  besteht  aus  grofsen  skulpierten 
Platten  eines  grünlichen  krystallinischen  Schiefergesteins.  AVoher  mögen 
diese  Stücke  herbeigebracht  sein? 

Am  Nordfufs  der  Akropolis  entspringt,  genau  im  Niveau  von 
ioo  m U.  d.  M.,  eine  der  Quellen  des  Melas,  einst  die  Quelle  der  Chariten. 
Der  ganze  benachbarte  Teil  der  Bucht  ist  stark  versumpft  und  wird 
es  auch  trotz  der  Entwässerung  des  Sees  bleiben. 

1 ) Vgl.  meinen  „Bericht“  u.  s.  w.  S.  356. 

*)  So  erschien  es  mir  deutlich  von  den  Quellen  des  Melas  aus.  Bittner  (S.  6 
und  9)  giebt  allerdings  an,  dafc  der  Kalk  den  Schiefer  überlagere. 


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•24 


Alfred  Philippson: 


Der  Weitermarsch  von  Skripu  nach  Dadf  am  oberen  Kephissos 
führt  uns  am  Stidfttfs  der  Durduvana  entlang.  Zur  Linken  haben  wir 
die  ungemein  fruchtbare  Kephissos-Ebene,  durchaus  angebaul,  und  zwar 
zumeist  mit  Baumwolle,  dann  auch  mit  Mais.  Der  Flufs  selbst  ist  von 
Weidenbäumen  eingefafst.  Oberhalb  von  Skripu  ist  der  Flufs  durch  eine 
Schleuse  von  seinem  natürlichen  Mündungslauf  abgesperrt  und  in  den 
hier  beginnenden  grofsen  Gürtelkanal  geleitet.  Aufwärts  bis  Veli  ist 
das  rechte  Ufer  des  Flusses  eingedeicht,  da  er  hier  bei  Hoch- 
fluten oft  nach  rechts  ausbricht.  Bei  Bisbardi  enthält  der  Durduvana- 
Kalk  zahlreiche  Rudisten  und  andere  Fossilreste.  Am  Westende  der 
Durduvana  sieht  man  den  Kalk  wiederum  nach  N unter  Schiefer  ein- 
fallen, aus  dem  sich  weiter  nach  N der  Kalk  des  Mavrovuno  hervorhebt; 
der  Schieferzug  bildet  also  eine  Faltenmulde.  In  dem  Kalk  des  Mavro- 
vuno und  der  Vetrisa  ist  der  Engpafs  des  Kephissos  bei  dem  alten 
Parapotamia  eingeschnitten;  auch  hier  führt  der  Kalk  Rudisten.  Der 
Engpafs  besitzt  immerhin  einen  Thalboden  von  einigen  hundert  Metern 
Breite.  Alle  Berge  sind  abschreckend  kahl,  denn  die  immergrünen 
Makien  fehlen  hier  wegen  des  binnenländischen  Klimas  gänzlich,  mit 
Ausnahme  der  dürftigen  Kermeseiche. 

Die  weiteren  Beobachtungen  fallen  aufserhalb  der  Grenzen  unseres 
Gebietes. ') 

III.  Der  geologische  Bau  des  Faltengebirges  und 
die  Entstehung  der  Becken. 

Unsere  Kenntnis  des  geologischen  Baues  des  Kopals-Gebietes 
beruht  fast  ausschliefslich  auf  den  Aufnahmen  von  Bittner,  welche 
den  Umständen  entsprechend  nur  den  Charakter  vorläufiger  Übersichts- 
aufnahmen tragen  konnten.  Wie  dieser  F'orscher  selbst  hervorhebt, 
genügen  sie  nicht,  um  bei  dem  Mangel  bestimmbarer  Fossilien  und  bei 
den  verwickelten  tektonischen  Verhältnissen  eine  sichere  Reihenfolge 
der  Schichten  im  östlichen  Mittel-Griechenland  aufzustellen.  Die  Unter- 
scheidung zweier  Kalketagen  mit  einer  Schieferzone  dazwischen,  wie 
sie  Bittner  durchzuführen  suchte,  steht  daher  auf  schwachen  F'üfsen. 
Als  gewifs  können  wir  nur  sagen,  dafs  die  ganzen  Faltengebirge  dieses 
Gebietes  von  Attika  abgesehen  — aus  einem  mehrfachen 
Wechsel  von  Kalksteinen  und  Schiefern  (nebst  Sandsteinen)  be- 
stehen; zu  den  Schiefern  gesellen  sich,  diese  stellenweise  ersetzend  und 
verdrängend,  Serpentine,  und  mit  diesen  eng  verbunden  und  wohl 
als  Kontaktbildungen  derselben  aufzufassen,  Horn  steine  (Jaspis).  Die 

1 ) Andere  geologische  Beobachtungen  im  Kopais-Gebiet  s.  bei  Fiedler,  Russ- 
egger,  Sauvage,  besonders  aber  Bittner  a.  a.  O.  S.  r — 8-  Auch  Philippson  „Bericht“ 
u.s.w.  S.  353,  357,  389 f- 


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Der  Kopäis-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


25 


verschiedenen  Kalk-  und  Schieferhorizonte  ähneln  einander  petro- 
graphisch  sehr,  auch  wechselt  der  petrographische  Habitus  in  ein  und  der- 
selben Gesteinszone  öfters,  Umstände,  welche  die  Entwirrung  noch  mehr 
erschweren.  In  mehreren  Kalkhorizonten  finden  sich  Rudisten,  die 
aber  nur  an  einer  Stelle,  dem  Keratovuno  oder  Hörnerberg  (zwischen 
Liradia  und  Chaeronea)  in  ihren  Arten  bestimmbar  sind ').  Diese  ge- 
hören dem  Provencien  (Turon),  also  der  oberen  Kreideformation 
an.  Da  auch  an  zahlreichen  anderen  Orten  Rudisten,  wenn  auch  nicht 
näher  bestimmbar,  auftreten,  andererseits  in  dem  ganzen  Gebiet  noch 
kein  Fossil  gefunden  ist,  das  einer  anderen  Formation,  als  der  Kreide, 
angehört,  so  müssen  wir  die  ganze  mächtige  Schichtfolge  der  Kreide- 
formation zuzählen. 

Diese  Schichten  sind  in  dem  ganzen  Kopals-Gebiet  mehr  oder 
weniger  stark  gefaltet,  und  zwar  mit  der  Streichrichtung  WNW — OSO, 
die  sich  in  dem  Ptoischen  Bergland  in  O und  ONO  umdreht.  Da- 
neben finden  sich  zahreiche  örtliche  Abweichungen  der  Streichrichtung. 

In  dem  nördlichen  Gebirgszug,  dem  Chlomos-  und  Ptoischen  Ge- 
birge, herrscht  im  allgemeinen  ein  Einfallen  der  ganzen  Schicht- 
komplexe nach  Südsüdwest,  indem  ihre  Schichtköpfe  nach  Nord 
ausbeifsen.  Anschaulich  beschreibt  Bittner  (S.  7)  dies  Verhalten,  wie 
es  sich  z.  B.  beim  Überblick  vom  Chlomos-Gipfel  aus  zeigt.  — Wir 
können  hier  also  eine  Anzahl  paralleler  Gesteinszonen  unterscheiden, 
von  denen  die  südlichere  immer  die  jüngere  ist.  Im  einzelnen  sind 
aber  auch  diese  Gesteinszonen  in  sich  stark  gefaltet,  sogar  bis  zu 
saigerer  Schichtstellung.  Erst  auf  der  Linie  Karditsa  Ungra-Paralimni 
hört  das  südliche  F’allen  auf,  und  es  folgt  ein  grofses  Faltengewölbe 
in  der  Phaga-  und  Ktypa-Gruppe*).  Diesem  Gewölbe  scheint  westlich 
des  Sees  die  Antiklinale  der  Durduvana  zu  entsprechen. 

Wesentlich  anders  ist  der  Bau  des  Helikon.  Zwar  herrscht  auch 
hier  das  Streichen  nach  OSO,  allmählich  nach  O umbiegend,  aber  das 
Gebirge  besteht  aus  mehreren  parallelen,  dicht  aneinander  gedrängten 
Falten*),  an  welche  sich  im  N die  Phaga-Falte  anschliefst.  Die  Grenze 
zwischen  dem  Gebiet  mit  südlichem  Einfallen  und  den  Falten  des  Helikon 
läuft  also  etwa  von  Tzamali  durch  die  Kopals,  über  den  Isthmos  von 
Karditsa  und  den  Paralimni-See.  Die  Falten  des  Helikon  finden  ihre  Fort- 
setzung nach  W im  Parnafs,  nach  O im  Soros-Gebirge,  während  sich 
nach  SO  im  Kithaeron  und  Parnes  neue  Falten  angliedern,  die  im 
Westen  unter  dem  Korinthischen  Golf  begraben  liegen. 


1 ) Vgl.  Bittner  a.  a.  O.  S.  40.  — Steinmann,  Einige  Fossilreste  aus  Griechenland. 
Ztschr.  d.  Deutsch.  Geolog.  Gesellsch.  1890.  S.  769!. 

*)  Vgl.  Bittner  S.  9.  3)  Bittner  S.  49. 


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Alfred  Fhilipps'on: 


Die  einfacheren  Lagerungsverhältnisse  des  nördlichen  Gebirgszuges 
geben  uns  die  Möglichkeit,  wesentlich  auf  Grund  der  Bittner’schen 
Beobachtungen  eine  Schichtfolge  aufzustellen,  die  für  diesen  Gebirgs- 
teil  einen  ziemlichen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  hat.  Es  ist  die 
folgende: 

1)  Zu  unterst  liegen  der  Serpentin  und  die  übrigen  Eruptiv- 
gesteine von  Atalanti. 

2)  Darüber  der  Kalk  des  Chlomos,  ein  weifser,  feinkörniger 
dolomitischer  Kalkstein,  der  den  Zug  des  Chlomos  von  Kalapodi  bis 
Martino  zusammensetzt.  Er  geht  nach  oben  unmerklich  über  in  den 

3)  Kalk  von  Skroponeri,  einen  dickbankigen,  meist  dunklen, 
schwarzgrauen  — stellenweise  aber  auch  (wohl  im  höheren  Teil)  gelb- 
lichen plattigen  — Kalk,  welcher  das  Gebirge  um  die  Buchten  von 
Topolias  und  Skroponeri  bildet.  Aus  dieser  Gegend  sind  keine  Ru- 
disten  bekannt,  doch  ist  der  Skroponeri-Kalk,  wie  wir  sehen  werden, 
wahrscheinlich  mit  dem  dunklen  Kalk  der  Herkyna-  Schlucht  bei 
Livadia  identisch,  welcher  solche  führt1). 

4)  Wechselnde  Schiefer-  und  Kalk-Züge  des  Ptoon,  die  wir  als 
Ptoische  Stufe  bezeichnen  wollen;  mit  den  Schiefern  zusammen  tritt 
abermals  Serpentin  auf.  Die  Kalke  sind  meist  sehr  dicht,  hell  gefärbt 
und  führen  Rudisten.  Diese  Stufe  bildet  die  Kalke  und  Schiefer  bei 
Abae  im  NW  des  Kopals-Sees,  die  Gegend  von  Pavlo  und  Topolias 
und  dann  die  Gruppe  des  Ptoon.  Auch  der  Serpentin  von  Lukisia 
und  Muriki  gehört  wohl  hierher. 

5)  Darüber  folgt  eine  mächtige  Kalkmasse,  die  wir  als  Phaga- 
Kalk  bezeichnen  wollen.  Dieser  ist  bald  grauschwarz,  bald  hellgelb- 
lich und  führt  Rudisten.  Ihm  gehören  die  Gruppen  der  Phaga  und 
Ktypa  an,  im  Westen  des  Sees  die  Kalke  des  Mavrovuno,  der  Durdu- 
vana  und  des  Hömerbergs,  am  Fufs  des  Helikon  wahrscheinlich  die 
Kalke  von  Mulki  und  Petra.  Durch  die  Fossilien  des  Hörnerbergs 
würde  dieser  Kalk  in  das  Turon  gerückt. 

6)  Über  diesem  Kalk  liegt  die  Schieferzone  von  Tzamali, 
ohne  Serpentin. 

Wenn  wir  mit  dieser  Schichtfolge  zunächst  die  Gesteine  des 
Helikon  vergleichen,  so  können  wir  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit 
die  Schiefer  von  Livadia,  die  unter  den  Kalken  des  Hörnerberges  (= 
Phaga-Kalk  No.  5)  liegen,  der  Ptoischen  Stufe  (No.  4)  zurechnen,  die 
darunter  liegenden  Kalke  des  westlichen  Gebirgsabschnittes  (s.  S.  7) 
dem  Skroponeri-  und  Chlomoskalk  (Nr.  3 und  2);  dagegen  wären 
im  östlichen  Gebirgsabschnitt  die  gelben  Kalke  der  Küstenkette  süd- 


1 ) Bitlner  S.  39.  Steinmann  a.  a.  O. 


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Der  Kopais-Sce  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


•27 


lieh  von  Dombrena  ebenso  wie  die  am  Nordfufs  hervortretenden  Kalke 
von  Mulki  und  Petra  dem  Phaga-Kalk  (No.  5),  die  Schiefer  von  Zagara 
den  Tzamali-Schiefern  (No.  6)  gleichzustellen;  die  darüber  lagernden 

7)  Kalke  des  Helikon  von  Zagara  würden  die  ganze  Schicht- 
folge nach  oben  abscbliefsen.  Es  sind,  nach  Bittner.  helle,  dichte, 
plattige , fossilleere  Kalke,  also  wohl  an  die  italienische  Scaglia 
erinnernd. 

Ist  die  Unterscheidung  dieser  Horizonte  innerhalb  der  Umrahmung 
des  Kopals-Beckens  nur  als  eine  wahrscheinliche,  nicht  als  eine 
sichere  zu  bezeichnen,  so  begeben  wir  uns  ganz  in  das  Gebiet  hypo- 
thetischer Spekulation,  wenn  wir  diese  Stufen  schon  jetzt,  wo  genauere 
Aufnahmen  noch  fehlen,  über  andere  Teile  des  östlichen  Griechenland 
verfolgen.  Zudem  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dafs  die  Schiefer-  und 
die  Kalkfacies  sich  vielfach  gegenseitig  ersetzen  und  verdrängen,  dafs 
also  die  Stufen  nicht  auf  gröfsere  Strecken  beständig  sind.  Dennoch 
will  ich  es  mir  nicht  versagen,  hier  kurz  anzuführen,  wie  sich  nach 
meiner  Meinung  eine  solche  Parallelisierung  am  wahrscheinlichsten  ge- 
stalten würde;  denn  vielleicht  bietet  dieser  Versuch  doch  eine  Hand- 
habe für  die  spätere  Entwirrung  der  griechischen  Kreideformation. 

Verfolgen  wir  den  nördlichen  Gebirgszug  nach  Westen,  so  scheint 
derChlomos-Kalk  an  einerQuerverschiebung  bei  Kalapodi  abzuschneiden. 
Jenseits  derselben  besteht  die  Gruppe  der  Tzuka  aus  Kalk,  der  teils 
den  Serpentin  der  Fondana  überlagert,  (mit  Rudisten),  teils  denselben 
unterlagert.  Der  Serpentin  der  Fondana  ist  wohl  gleich  dem  von 
Muriki,  also  Ptoisch  (No.  4),  der  Kalk  der  Tzuka  teils  Skroponeri-, 
teils  Phaga  - Kalk.  Der  Kalk  des  Gipfelzuges  der  Saromata  scheint 
Chlomos-  und  Skroponeri-Kalk  (2  und  3)  zu  sein1).  _ Unter  ihm 
liegt  auf  der  Nordseite  ein  System  von  Kalken,  bunten  Schiefern 
und  Serpentinen  und  darunter  die  mächtige  Kalkmasse  der  Ther- 
mopylen.  Falls  hier  nicht  eine  Überschiebung,  also  eine  Wieder- 
holung der  Ptoon-  und  Chlomos-Stufe  vorliegt,  hätten  wir  hier  noch 
einen  älteren  Kalk  unter  der  Chlomos  - Stufe.  Noch  wahrschein- 
licher ist  dies  in  dem  Spartia  - Gebirge  der  Fall,,  welches  sich  an 
der  Küste  von  Kaenurion  bis  Livonataes  zieht.  Die  Serpentine  und 
Jaspisse  desselben  entsprechen  dem  Serpentin  von  Atalanti;  der 
darunter  liegende  Spartia-Kalk  wäre  dann  das  tiefste  Glied 
der  Schichtfolge  des  östlichen  Mittel-Griechenland. 

In  der  südlichen  Gebirgskette  würde  die  obere  Kalkmasse  des 
Parnafs  dem  Phaga-  und  Hörnerberg-Kalk  (No.  5)  gleich  sein ; der 
untere  Kalk,  zu  dem  auch  wohl  die  von  Bittner  entdeckte  Gault-Fauna 


')  Vgl.  Bittner  S.  16. 


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28 


Alfred  Philippson: 


gehört,  dem  Chlomos-  und  Skroponeri-Kalk  ( 2 und  3).  Der  Phaga- 
Stufe  (5)  scheint  auch  der  Hauptkalk  des  Kithaeron  und  Farnes  mit 
seinen  Rudisten  zu  entsprechen,  während  die  darunter  liegenden 
Schiefer-  und  Kalkzüge,  z.  B.  bei  Phyle  im  Parnes,  der  Ptoon-Stufe 
(4)  gleich  zu  stellen  wären.  Über  dem  Parnes-Hauptkalk  liegen  in  der 
Gipfelregion  dieses  Gebirges  Schiefer  (=  Tzamali,  6)  und  Plattenkalke 
(=  Zagara,  7). 

In  der  Argolis  würde  der  Kalk  von  Cheli  vielleicht  dem  Spartia- 
Kalk,  die  Schiefer  und  Serpentine  von  Lygurio  und  der  Geraneia  dem 
Serpentin  von  Atalanti,  die  Kalke  von  Phanari  und  der  Geraneia  dem 
Chlomos-  und  Skroponeri-Kalk,  die  Schiefer  des  Aderes  mit  ihren 
Kalkziigen  den  Ptoon-Schichten,  die  Kalke  von  Hydra  dem  Phaga-Kalk 
entsprechen.  — Ist  dies  richtig,  dann  ist  der  Kalk  von  Salamis  und 
des  Aegaleos  bei  Athen,  als  Fortsetzung  der  Geraneia,  ebenfalls  gleich 
dem  Chlomos-  und  Skroponeri-Kalk,  die  Athener  Schiefer  gleich  dem 
Serpentin  von  Atalanti,  die  darunter  liegenden  Kalke  am  Fufs  des 
Hymettos1)  gleich  dem  Spartia-Kalk  und  also  auch  gleich  dem  Cheli- 
Kalk.  Diese  Schiefer  und  unteren  Kalke  weisen  auch  im  Streichen  an- 
nähernd auf  den  Chcli-Kalk  und  die  Lygurio-Schiefer  der  Argolis  hin. 
Darunter  folgen  in  Attika  die  krystallinischen  Schiefer  und  Marmore. 
Wie  sich  nun  aber  der  Aegaleos-Kalk  zum  Parnes-Kalk  verhält,  den  wir 
eben  einer  jüngeren  Stufe  zugeschrieben  haben,  bleibt  zweifelhaft.  — 

Kehren  wir  nach  dieser  Abschweifung  zu  unserem  Kopals-Gc- 
biet  zurück. 

Die  Faltung  des  Gebirges  war,  entweder  nach  Schlufs  der  Kreide 
oder  spätestens  in  der  mittleren  Tertiärzeit,  längst  vollendet,  als  die 
grofsen  Becken  in  ihm  sich  zu  bilden  begannen.  Die  ältesten  Teile 
dieser  Becken  sind  mit  jungtertiären  Ablagerungen  erfüllt,  und  diese 
sind  wiederum  gebrochen,  aber  nicht  gefaltet.  Die  vollständige  Unab- 
hängigkeit dieser  jüngeren  Beckenbildung  von  dem  Bau  des  älteren 
Faltengebirges  zeigt  sich  auf  Schritt  und  Tritt.  Die  Becken  greifen 
ganz  unregelmäfsig  durch  die  verschiedenen  Zonen  des  Faltengebirges 
hindurch.  So  liegen  die  beiden  oberen,  dorisch-phokischen  Becken 
des  Kephissos  nördlich  von  der  Kalkzone  des  Mavrovuno  und  Parori, 
die  sich  im  Parnafs  fortsetzt,  während  das  Becken  von  Chaeronea  süd- 
lich desselben  Kalkzuges  liegt.  Das  Kopa'is-Becken  selbst  durchsetzt 
verschiedene  Zonen  des  Faltengebirges,  welche  von  Westen  her  an  das 
Becken  herantreten  und  auf  dessen  Ostseite  ihre  Fortsetzung  finden. 
So  ist  der  südliche  Teil  des  Kopals-Beckens  in  die  nördlichste  Falte 
des  Helikon-Systems,  die  Falte  der  Durduvana  und  Phaga,  eingebrochen; 

1 J Lepsius,  Geologie  von  Attika.  Berlin  1 893. 


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Der  Kopäis-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


29 


der  nördliche  Teil  dagegen  durchsetzt  die  Ptoische  Zone  und  greift  noch 
in  die  Chlomos-Zone  ein.  Ebenso  unterbricht  das  thebanische  Becken 
den  Zusammenhang  der  Helikon-Falten  mit  dem  Soros-Gebirge.  Jung- 
tertiäre, ungefaltete  Schichten  finden  sich  in  verschiedenen  Teilen 
dieser  Becken. 

Die  beckenförmigen  Einbrüche  der  Phokisch-böotischen 
Niederungsreihe  sind  also  späterer  Entstehung  als  das 
Faltengebirge  und  in  ihrer  Anordnung  und  Umgrenzung 
von  diesem  unabhängig. 

Dafs  die  Reihe  dieser  Niederungen  der  Streichrichtung  des  Falten- 
gebirges zu  folgen  scheint,  kann  diesen  Schlufs  nicht  erschüttern.  Denn 
bei  genauerer  Betrachtung  sehen  wir,  dafs  dies  nur  für  einzelne 
Glieder  der  Reihe,  nicht  für  diese  selbst  gilt,  indem  die  einzelnen 
Becken,  wie  wir  sahen,  in  verschiedenen  Zonen  des  Faltengebirges 
liegen,  und  zwar  in  rautenförmiger  Anordnung:  je  weiter  nach  Osten, 
desto  mehr  nach  Süden  verschoben.  Das  oberste  Becken  endlich 
liegt  gar  nicht  mehr  im  Streichen  des  Faltengebirges,  da  dieses  sich 
hier  nach  NNW  gedreht  hat.  Ebensowenig  ist  dies  bei  den  benach- 
barten und  ähnlichen  Bruchzonen  des  Korinthischen  Golfes  und  des 
Kanals  von  Euboea  der  F'all.  Die  scheinbare  Übereinstimmung  der 
Beckenreihe  mit  dem  Streichen  des  Faltengebirges  ist  also  nur  als  eine 
zufällige  zu  bezeichnen,  wenn  es  auch  natürlich  im  einzelnen  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dafs  die  Leitlinien  des  F'altengcbirges  hier  und  da 
auf  den  Verlauf  der  späteren  Brüche  eingewirkt  haben,  bezüglich  dafs 
diese  schon  im  Faltengebirge  stellenweise  vorgebildet  waren.  Die 
beiden  jetzt  durch  die  Einbrüche  getrennten  Bergketten 
bildeten  also  ursprünglich  eine  einheitliche  Gebirgsmasse. 

Da  die  einzelnen  Becken  von  einander  meist  durch  Bergriegel 
anstehenden  Kreidegesteins  getrennt  sind,  welche  mit  den  Seitenwänden 
in  unmittelbarem  geologischen  Zusammenhang  stehen,  also  nicht  etwa 
eingesunkene  Teile  darstellen,  besteht  die  Niederungsreihe  aus  einer 
Anzahl  selbständiger  Einbrüche,  die  auf  einer  gemeinsamen  Axe 
angeordnet  und  im  ganzen  wohl  gleichaltriger  Entstehung  sind. 

Schon  die  regelmäfsige  Anordnung  giebt  zu  erkennen,  dafs  wir  es 
bei  diesen  Becken  nicht  etwa  mit  Einstürzen  über  Höhlungen  zu  thun 
haben,  die  vom  Wasser  im  Kalkstein  ausgelaugt  wären,  also  mit  einem 
Karstphänomen  — wie  das  zuweilen  vom  Kopals-Becken  behauptet 
wird  — sondern  dafs  sie  tektonischen  Ursprungs  sind.  Das  wird  zur 
Gewifsheit  durch  den  Umstand,  dafs  ja  die  grofcen  Becken  durchaus 
nicht  nur  in  Kalkstein,  sondern  auch  in  mächtige  Schiefer  und  Serpen- 
tine cingesenkt  sind  und  die  verschiedensten  Gesteinszonen  ohne  Rück- 
sicht auf  ihre  petrographische  Beschaffenheit  durchsetzen.  Besonders 


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30 


Alfred  Philippson: 


klar  ist  dies  an  den  Buchten  der  Kopals-Niederung.  Aufserdem  sehen 
wir  in  der  grofsen  Verwerfung  von  Theben  eine  tektonische  Erscheinung, 
die  mit  der  Entstehung  des  thebanischen  Beckens  ursächlich  verbunden 
ist.  Auch  die  Becken  von  Kolaka  und  Martino  sind  wohl  tektonischen 
Ursprungs.  Anders  steht  es  aber  mit  den  kleinen  Seebecken  des 
Likeri  und  Paralimni,  welche  als  schmale  und  tiefe  Senken  in  Kalk- 
stein eingebrochen  sind.  Diese  können  sehr  wohl  als  Einsturz- 
becken über  Höhlungen  aufgefafst  werden,  welche  der  mächtige 
unterirdische  Wasserstrom,  der  hier  von  der  Kopais  nach  Osten  zum 
Meer  zieht,  ausgelaugt  hat. 

Über  das  Alter  und  die  Entstehungsgeschichte  der  Becken  geben 
uns  die  jungtertiären  (neogenen)  Schichten  einigen  Aufschlufs.  Wir 
finden  Binne  nsee- Ablagerungen  dieser  Zeit  an  der  Küste  des 
Kanals  von  Euboea  und  im  Innern  der  Becken  in  weiter  Verbreitung 
und  grofser  Mächtigkeit.  Sie  bestehen  aus  Mergeln,  Sanden  und 
Konglomeraten;  letztere  sind  im  thebanischen  Becken  sehr  reich  an 
Serpentingeröllcn  und  führen  aus  deren  Zersetzung  entstandenen  Meer- 
schaum. Fossilien  sind  aus  diesen  Schichten  im  ganzen  festländischen 
östlichen  Mittel-Griechenland  (aufser  Attika)  nur  von  einem  Fundpunkt 
bei  Livonataes  (nördlich  von  Atalanti  in  der  Nähe  der  Küste)  bekannt. 
Es  ist  eine  brackische  Fauna  der  levantinischen  Stufe  des  Pliocän. 
Das  mächtige  Neogen,  das  von  hier  westlich  bis  zu  den  Thermopylen 
die  Küste  begleitet  und,  in  Schollen  verworfen,  das  Gebirge  bis  700  m 
Höhe  einhüllt,  entstammt  also  einem  Binnensee,  der  mit  dem  Meer 
in  beschränkter  Verbindung  gestanden  hat.  Nicht  nachgewiesen,  auch 
nicht  wahrscheinlich  ist  ein  solcher  Zusammenhang  mit  dem  Meer  bei 
den  übrigen  neogenen  Binnenseen  unseres  Gebietes.  Hier  finden  sich 
die  Neogenschichten  an  der  Küste  nur  in  einzelnen  kleinen,  unzu- 
sammenhängenden Flecken  und  in  fast  vollkommen  horizontaler  Lagerung ; 
so  in  der  Halbinsel  Aetolimas,  dann  östlich  von  Anthedon,  ferner  bei 
Chalia;  ausgedehnter  im  Becken  von  Tanagra.  Gegenüber  auf  Euboea 
liegen  ähnliche  Partien  neogener  Binnensee-Gebilde.  Es  ist  klar,  dals 
in  der  jüngeren  Tertiärzeit  an  der  Stelle  des  Kanals  von  Euboea 
sich  eine  Kette  von  Binnenseen  befand,  an  deren  Statt  erst  später 
der  Meeresarm  trat,  wie  dies  ja  auch  mit  der  sonstigen  Geschichte 
des  Ägäischen  Meeres  übereinstimmt. 

Im  Innern  des  Landes  finden  sich  neogene  Süfswasser-Schichten 
in  abgeschlossenen  Becken  bei  Kolaka  und  Martino  sowie  am  oberen 
Kephissos.  Eine  grofse  einheitliche  Ablagerung  bedeckt  ferner  im  Zu- 
sammenhang das  Becken  von  Tanagra  und  die  obere  Thebanische  Ebene 
und  zieht  von  hier  aus  als  schmale  Terrasse  am  Stidrand  des  Kopals- 
Beckens  hin,  in  einzelnen  Flecken  bis  in  die  Gegend  von  Livadia  reichend. 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechensand  und  seine  Umgebung. 


31 


Wie  schon  erwähnt,  bricht  diese  See-Ablagerung,  welche  bis  etwa  400  m 
Meereshöhe  hinaufreicht,  nach  N in  die  Tiefe,  um  weder  in  der  unteren 
Thebanischen  Ebene  noch  in  dem  ganzen  nördlichen  Teil  der  Kopals- 
Niederung  wieder  zum  Vorschein  zu  kommen.  Die  kleinen  Vorkomm- 
nisse von  See-Ablagerungen  südlich  von  Karditsa  und  an  dem  Isthmos 
von  Muriki  können  kleinen  lokalen  Becken  entstammen;  zudem  ist  ihr 
tertiäres  Alter  nicht  zu  beweisen. 

In  der  Neogenzeit  breitete  sich  also  schon  ein  einheit- 
liches, tektonisch  eingebrochenes  Seebecken  über  den  süd- 
lichen Teil  der  Thebanischen  und  Kopats-Niederung  aus. 
Erst  später  sanken  dann  die  nördlichen  Teile  dieser  Niederungen  ein, 
und  zwar  bedeutend  tiefer  als  die  südlichen,  sodafs  der  alte  Seeboden 
in  einer  Meereshöhe  von  300  bis  400  m zurückblieb,  bezüglich  zu  ihr 
gehoben  wurde.  Dafs  an  den  Verwerfungen,  welche  die  Einbrüche 
bedingten,  auch  Hebungen  stattgefunden,  das  Neogen  also  auch  ge- 
hoben sei,  macht  die  Analogie  mit  der  korinthischen  Bruchzone  wahr- 
scheinlich, wo  ich  dies  des  Näheren  nachgewiesen  habe1).  Mit  der 
Ausbildung  der  Brüche  gingen  lebhafte  Verschiebungen  auch  des 
Faltengebirges  — aber  ohne  erneute  Faltung  — vor  sich,  doch  haben 
diese  das  Kopals-Gebiet  weniger  betroffen,  als  das  Gebirge  nördlich 
der  oberen  Kephissos-Becken,  wo  das  Neogen  stark  gestört  bis  zu 
700  m hinaufreicht,  während  es  hier  500  m (bei  Kolaka)  nicht  über- 
steigt. — Von  den  Becken-Brüchen  gingen  jedenfalls  auch  Querspalten 
aus,  welche  die  Rand-Gebirge  durchsetzten  und  verschoben.  Als  ein 
solcher  Querbruch  ist  z.  B.  die  Linie  von  Kalapodi,  ferner  die  phokische 
Erdbebenlinie  aufzufassen.  Die  äufserst  heftigen  Erdstöfse,  die  unser 
ganzes  Gebiet  heimzusuchen  pflegen  — so  hat  im  Sommer  1893,  nach 
meiner  Anwesenheit  in  Theben,  ein  Beben  diese  Stadt  stark  mitge- 
nommen — bezeugen,  dafs  die  Bewegungen  noch  nicht  zur  Ruhe  ge- 
kommen sind. 

Die  Übereinstimmung  zwischen  den  drei  parallelen  Bruchzonen  des 
Korinthischen  Golfes,  der  Phokisch-böotischen  Niederung  und  des 
Kanals  von  Euboea  ist  eine  sehr  grofse.  Alle  drei  sind  zuerst  im 
Neogen  entstanden  und  haben  sich  seitdem  nach  Nord,  bzw.  NO  ver- 
schoben, indem  auf  der  Südseite  das  Neogen  der  ältesten  Versenkung 
an  den  Gebirgen  emporstieg,  auf  der  Nordseite  sich  tiefere  Einbrüche 
ausbildeten,  sodafs  an  den  nördlichen  Bruchrändern  kein  oder  wenig 
Neogen  zu  finden  ist.  Dafs  die  beiden  Meeresarme  jetzt  als  eine  ein- 
heitliche Grabenversenkung  erscheinen,  während  die  Phokisch-böotische 
Niederung  noch  aus  einzelnen  Kesselbrüchen  besteht,  ist  nur  ein 


')  Vgl.  meinen  „Peloponnes",  Berlin  1891  S.  431  f. 


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32 


Alfred  Philippson: 


gradueller  Unterschied ; denn  auch  die  ersteren  bestanden  augenschein- 
lich zuerst  aus  einzelnen  Becken,  die  sich  erst  später  durch  fort- 
schreitenden Abbruch  vereinigten. 

So  ordnen  sich  die  Becken  der  Phokisch-böotischen  Niederung  den 
zahlreichen  jugendlichen  tektonischen  Einbrüchen  ein,  welche  in  ganz 
Griechenland  das  Faltengebirge  geradezu  durchlöchern  und  für  die 
heutige  Gestaltung  des  Landes  fast  mafsgebender  sind,  als  der  Bau 
des  Faltengebirges  selbst.  Ich  möchte  an  dieser  Stelle  nochmals  be- 
tonen, wie  bei  Untersuchungen  über  den  Gebirgsbau  Griechenlands 
stets  beachtet  werden  mufs,  dafs  die  Einbrüche  jünger  als  das  Falten- 
gebirge und  von  diesem  unabhängig  sind,  wie  dies  schon  Neumayr 
hervorgehoben  hat.  Der  Verlauf  und  der  Umrifs  der  Gebirge  sind 
wesentlich  durch  diese  jüngeren  Brüche  bedingt,  und  auch  ihre  Schicht- 
stellung ist  oft  von  den  an  diesen  vor  sich  gegangenen  Bewegungen 
verändert.  Diese  späteren  Einflüsse  haben  wir  zu  eliminieren,  wenn 
wir  den  Bau  der  Faltengebirge  studieren  wollen.  Es  wird  dies  zuweilen 
vernachlässigt,  und  dann  kommt  man  zu  den  verwickeltsten  Durch- 
kreuzungen verschiedener  „Faltungsrichtungen".  — 

Nach  erfolgtem  Einbruch  mufsten  sich  die  Becken  naturgemäfs  mit 
Seen  füllen.  Ob  der  n eogene  See,  der  das  heutige  Becken  von  Tanagra 
ganz  und  die  von  Theben  und  der  Kopals  teilweise  bedeckte,  einen  ober- 
flächlichen Ausflufs  zum  Meer  hatte,  wissen  wir  nicht.  Später  sanken  die 
nördlichen  Teile  der  beiden  letzteren  Becken  ein,  und  zwar  noch  weit 
tiefer,  als  sie  es  heute  sind,  denn  sie  sind  ja  jetzt  von  Alluvium  auf- 
gefüllt. Die  Seen  zogen  Sich  nun  naturgemäfs  in  diese  nördlicheren, 
tieferen  Teile  zurück.  Ihr  Boden  war  zunächst  uneben,  bergig,  wie  es 
die  Oberfläche  des  versenkten  Gebirgsteiles  sein  mufste,  die  lange  der 
Erosion  ausgesetzt  gewesen  war.  Noch  heute  erheben  sich  ja  isolierte 
Berginseln  aus  den  Ebenen  hervor.  Die  vollkommene  Horizontalität 
der  unteren  Thebanischen  Ebene  verrät,  dafs  hier  ebenso,  wie  in  der 
Kopals,  einst  ein  See  bestanden  hat  (vergl.  S.  13). 

Da  die  beiden  tiefen  Becken  der  Kopals  und  von  Theben  rings 
geschlossen  waren,  mufsten  die  Seen  zunächst  ohne  oberflächlichen  Ab- 
flufs  sein.  Das  Wasser  mufste  so  lange  in  ihnen  steigen,  bis  entweder 
1)  die  Verdunstung  dem  Zuflufs  das  Gleichgewicht  hielt,  oder  2)  das 
Becken  am  niedrigsten  Punkt  seiner  Umwallung  überflofs,  oder  3)  sich 
unterirdische  Ausgänge  öffneten.  Ob  beim  Kopals-See  einer  der  ersten 
beiden  Fälle  jemals  eingetreten  ist,  mufs  dahingestellt  bleiben.  Der 
erste  Fall  ist  wohl  möglich,  da  auch  in  der  Jetztzeit,  selbst  bei  mangel- 
haft funktionierenden  Katavothren,  der  See  durch  die  sommerliche  Ver- 
dunstung zuweilen  ganz  austrocknete.  Dagegen  treffen  wir  nirgends 
Spuren  eines  alten  oberflächlichen  Ablaufes. 


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Der  Kopjis-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung 


33 


Wie  dem  auch  sei,  es  bildeten  sich  früher  oder  später,  indem  das 
Wasser  den  Gesteinsspalten  folgend  eindrang,  durch  die  auflösende 
Kraft  des  kohlensäurehaltigen  Wassers  auf  den  kohlensauren  Kalk 
Katavothren,  unterirdische  Abzugsschliinde , in'  dem  Geliirgs- 
randc  beider  Seen  aus.  Die  Katavothren  sind  erst  die  Folge 
der  d urch  t ek ton is ch en  Ei n bru ch  entstandenen  Seen,  haben 
also  mit  deren  Ursprung  selbst  nichts  zu  thun.  Zugleich  bedeckte  sich 
der  Seeboden  mit  ebenem  Schwemmland,  das  allmählich  nach  auf- 
wärts wuchs  und  die  Seen  immer  seichter  machte;  endlich  erreichte 
der  Boden  die  tiefsten  Katavothren.  Damit  waren  die  Seen  in 
periodische  Kata vothren-Seen  umgewandelt,  und  es  begann  jenes 
wechselnde  Spiel  der  Wasserstände,  das  wir  eingangs  als  charakteristisch 
für  diese  Art  von  Seen  geschildert  haben.  Im  ganzen  war  damit  der 
Zustand  hergcstellt,  wie  er  im  Kopats-See  in  der  historischen  Zeit  be- 
obachtet worden  ist.  Der  Thebani  sehe  See  dagegen  hatte  bereits  in 
vorhistorischer  Zeit  seinen  Boden  bis  zur  Höhe  der  tiefsten  Punkte  seiner 
Umrandung,  nämlich  der  Bresche  zum  I.ikeri-See  und  dem  Eingang 
zur  Ebene  von  Muriki,  erhöht,  und  flofs  dann  ab,  vielleicht  durch 
künstliche  Vertiefung  der  Ausgänge  unterstützt.  Soweit  menschliche 
Erinnerung  reicht,  ist  daher  die  untere  Thebanische  Ebene  bis  auf 
einige  Sümpfe  trocken  gewesen  und  konnte  der  Kultur  dienen.  Der 
Boden  des  Kopals-Sees  hat  sich  aber  noch  nicht  bis  zur  tiefsten  Stelle 
seiner  Umrandung  erhoben;  die  Kopats  blieb  daher  T>is  zu  unseren 
Tagen  ein  periodischer  See. 

Theoretisch  müssen  wir  voraussetzen,  dafs  der  Kopats-See  seinen 
Boden  und  damit  auch  zugleich  seinen  Spiegel  immer  mehr  erhöht 
hat.  Nun  finden  wir  aber  an  seinen  Ufern  Spuren  früherer  höherer 
Wasserstände.  Ich  meine  hier  nicht  jene  Wasserstandsmarken  von 
einigen  Metern  Höhe  über  dem  Seeboden,  welche  sich  in  Gestalt  von 
irhwärzlichen  Streifen,  bei  den  periodischen  Überschwemmungen 
ilurch  irgend  welchen  Niederschlag  in  der  Höhe  des  jeweiligen  See- 
spiegels gebildet,  an  dem  Klippenrand  hinziehen  (z.  B.  an  dem  I’yrgos 
H.  Marina),  sondern  weit  höhere  Spuren.  Es  sind  dies  aufserden  Strand- 
villen von  Karditsa  alte  Katavothren-I.öcher,  welche  sich  an  dem 
Klippenrand  hoch  über  dem  Seeboden  öffnen.  Leider  erlaubte  es  die 
Kurze  der  Zeit  nicht,  die  Höhe  derselben  zu  messen.  Dieser  höhere 
Wasserstand  stammt  wahrscheinlich  aus  vorhistorischer  Zeit;  denn  wir 
»erden  sehen,  dafe  die  Verhältnisse  des  Sees  sich  seit  dem  Beginn 
der  geschichtlichen  Überlieferung  nicht  wesentlich  verändert  haben. 

Im  Zusammenhang  hiermit  steht  die  Frage,  ob  der  Kopats-See  sich 
jemals  auch  Uber  die  Thebanische  Ebene  erstreckt  hat.  Wir  sahen, 
dafs  die  tiefste  Stelle  des  beide  Ebenen  trennenden  lsthmos  schmal 

Zeitschr.  d.  GeselUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  3 


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34 


Alfred  Philippson: 


und  niedrig  ist  und,  soweit  an  der  Oberfläche  sichtbar,  aus  lockerer 
Krde  mit  Steinbrocken  vermischt  besteht.  Ks  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dafs  wir  es  hier  mit  einer  künstlichen  Aufschüttung  zu  thun  haben, 
und  es  wäre  wohl  möglich,  dafs  erst  Menschenhand  in  vorhistorischer 
Zeit  — vor  den  später  zu  erwähnenden  Minyem  — die  untere  The- 
banische  Ebene  durch  Abdämmung  des  Kopais  - Sees  an  jener  Stelle 
und  durch  Erweiterung  der  Ausflüsse  der  Thebanischen  Ebene  selbst 
trocken  gelegt  hat.  Von  grofser  Wichtigkeit  für  die  Entscheidung 
dieser  Frage  wäre  eine  genaue  Messung  der  höchsten  Wasserstands- 
spuren der  Kopais,  ob  diese  höher  oder  annähernd  so  hoch  liegen, 
als  die  tiefste  Stelle  des  Isthmos  von  Onchestos.  Gegen  die  Annahme 
eines  ehemaligen  Zusammenhanges  zwischen  dem  See  von  Theben  und 
der  Kopais  spricht  freilich  ein  wichtiger  Umstand.  Die  Ufer  der 
Kopais  zeigen  ringsum  einen  steilen  Klippenrand,  der  von  den  Wellen 
des  Sees  ausgearbeitet  ist.  Hätte  der  Kopals-See  auch  die  Thebanische 
Ebene  bedeckt,  so  müfste  diese  in  gleicher  Höhe  ebenfalls  einen 
Klippenrand  aufweisen.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall,  obwohl  der  Boden 
der  Ebene  tiefer  liegt,  als  die  Kopais.  Wenn  also  der  einstige  Sec 
der  Thebanischen  Ebene  einen  Klippenrand  gebildet  hat,  liegt  er  jetzt 
unter  dem  Alluvium  verborgen,  also  in  bedeutend  tieferem  Niveau,  als 
die  Kopais.  — Die  Frage  ist  jedenfalls  eingehender  Untersuchung  wert. 

» 

IV.  Die  klimatischen  Verhältnisse  und  das  natürliche 
Znflnfs-  nnd  Abflufs-System. 

Über  das  Klima  des  Kopais  - Gebietes  stehen  uns  keine  sicheren 
Zahlen  zu  Gebote.  Die  Kopäls-Gesellschaft  läfst  zwar  Kegenmessungen 
vornehmen,  doch  werden  deren  Ergebnisse  nicht  veröffentlicht.  Im 
ganzen  schliefst  sich  das  Klima  des  Gebietes  naturgemäfs  an  das  des 
übrigen  Ost-Griechenland,  besonders  von  Athen,  von  wo  sorgfältige 
Beobachtungen  vorliegen,  an.  Doch  unterscheidet  cs  sich  von  diesem 
nicht  unwesentlich,  und  zwar  besonders  in  der  Temperatur.  Das 
Klima  der  binnenländischen  Ebenen  Böotiens  ist  noch  kontinentaler  als 
das  von  Athen,  da  sie  von  dem  Einflufs  des  Meeres  durch  die  Gebirge 
abgeschnitten  sind.  Die  Winter  sind,  wie  schon  die  Alten  bemerkt 
haben1),  kälter  und  schneereicher  als  in  Attika.  Die  Gebirgskette  des 
Kithaeron  und  l’ames  dient  im  Winter  als  Wetterscheide  zwischen 
dem  sonnigeren  Attika  und  dem  trüberen  Himmel,  den  starken  Frost- 
graden Böotiens.  Während  Schneefällc  in  Athen  zu  den  Selten- 
heiten gehören,  und  nur  einige  Mal  vorübergehend  in  jedem  Winter 
auftreten,  sind  die  böotischen  Ebenen  häufig  viele  Tage  lang  unter 

')  Vgl.  Neomann-Partsch,  S 5 3 f . 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  3f) 

einer  Schneedecke  begraben,  und  der  Frost  wird  zuweilen  so  stark,  dafs 
die  Ölbäume  schweren  Schaden  leiden  oder  ganz  zu  Grunde  gehen. 
So  war  es  z.  B.  im  Winter  1887/88  der  Fall,  wo  in  Böotien  der  I.and- 
verkehr  einige  Zeit  lang  durch  den  Schnee  vollständig  aufgehoben 
wurde.  Auch  im  März  1893,  zur  Zeit  meiner  Anwesenheit  im  Kopals- 
Gebiet,  herrschte  dort  bei  beständigem  durchdringendem  Nordwind 
eine  für  das  Mittelmeer-Gebiet,  die  geringe  Meereshöhe  und  die  vorge- 
schrittene Jahreszeit  ganz  aufserordentliche  Kälte.  Zwar  war  dieses 
Frühjahr  überhaupt  in  ganz  Griechenland  ein  sehr  rauhes,  aber  das 
Thermometer  hielt  sich  doch  in  Athen  auf  bedeutend  höherem  Stande. 
Der  19.  März  war  von  8 Uhr  morgens  an  bewölkt  und  zunächst  noch 
ziemlich  warm  (-1-  9 bis  10“);  nachmittags  aber  setzte  der  Nordwind 
ein,  und  gegen  4 Uhr  nachm,  herrschte  in  Theben  wohl  eine  Stunde  lang 
heftiger  Schneefall;  der  Schnee  blieb  freilich  nicht  liegen.  Das  Thermo- 
meter sank  auf  -1-  20.  Der  20.  war  klar;  in  Theben  betrug  die 
Temperatur  morgens  6 Uhr  + 1“,  in  der  Ebene  aber  waren  die 
Gewässer  mit  einer  Kishaut  überzogen  und  die  Berge  bis  tief  hinab 
beschneit.  Der  21.  brachte  morgens  in  Theben  o°,  im  Freien  starken 
Frost.  Bis  Mittag  war  der  Himmel  klar,  dann  überzog  er  sich 
und  die  Temperatur  stieg  auf  -4-  5J0  um  3 Uhr  nachm.  Am  22.  war 
morgens  bei  klarem  Himmel  im  Freien  wieder  Frost  (in  Skripu  + i°), 
abends  in  Dadi  starkes  Schneegestöber  und  am  23.  morgens  — 1 °. 

Zu  der  gröfseren  Winterkälte  Böotiens  trägt  wesentlich  die  hohe 
Gebirgsschranke  im  S bei,  w'elche  die  warmen  Südwinde  abhält  und 
die  Nordwinde  zum  Niederschlag  von  Schnee  auf  der  böotischen  Seite 
nötigt,  wogegen  der  nördliche  Gebirgszug,  da  er  weit  niedriger  ist,  die 
Nordwinde  nicht  abzuhalten  vermag.  Der  Kopals-See  selbst  verursachte 
häufige  feuchtkalte  Nebel  in  seinem  Gebiet,  wirkte  aber  im  Allgemeinen 
in  seiner  unmittelbaren  Umgebung  etwas  erwärmend.  So  bemerkt 
Theophrast  (De  causis  plantarum  V,  12,  3),  dafs  die  Kälte  weniger 
stark  sei,  wenn  der  See  besonders  hoch  angeschwollen.  Ob  durch 
die  Austrocknung  des  Sees  die  Winter  im  Kopäis  - Becken  kälter  ge- 
worden sind,  konnte  ich  nicht  erfahren. 

Die  Sommer  - Temperaturen  sind  wohl  nicht  gerade  höher  als  in 
Athen,  doch  fehlt  die  Abkühlung  durch  die  Seebrise.  Die  Hitze  soll 
feuchter  und  drückender  sein,  wozu  die  Ausdünstungen  der  Seen  und 
Sümpfe  beitragen,  welche  auch  die  Atmosphäre  häufig  dunstig  und  un- 
durchsichtig erhalten1),  ln  der  heifsen  Zeit  und  den  darauf  folgenden 
Herbstmonaten  herrschen  die  heftigsten  Malariafieber  in  ganz 
Böotien,  besonders  aber  im  Kopais-Becken.  Von  der  dichteren  und 

*)  Vgl.  Burnouf,  S.  155 ff. 

3* 


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36 


Alfred  Philippson: 


schwereren  Luft  leiteten  die  Alten  manche  Schattenseiten  im  Charakter 
der  Böotier  ab1). 

Was  die  Niederschläge  angeht,  so  ist  in  Böotien  die  sommer- 
liche Trockenzeit,  in  der  nur  seltene  und  kurze  Regen  fallen,  nicht 
minder  ausgeprägt,  als  in  Attika.  Sie  dauert  etwa  von  Mitte  Mai  bis 
Mitte  September.  Selbst  die  Schneevorräte  des  Parnafs  genügen  dann 
nicht,  um  den  Kephissos  auf  seinem  Unterlauf  vor  der  äufsersten  Ver- 
ringerung seiner  Wasserführung,  ja  gelegentlicher  vollständiger  Aus- 
trocknung, zu  bewahren.  Alle  anderen  Bäche  des  Gebietes  sind  natür- 
lich erst  recht  im  Sommer  reduziert,  die  meisten  ganz  trocken.  Doch 
verursachen  zuweilen  die  heftigen  Gewitter,  die  am  Parnafs  nieder- 
gehen, plötzliche  gefährliche  Hochfluten  des  Kephissos  auch  mitten 
im  Sommer.  — Die  Hauptregenzeit  fällt  auch  hier  wohl  in  den  November 
und  December,  während  sich  im  Frühjahr  eine  allmähliche  Verringerung 
des  Regens  bemerkbar  macht.  Die  Regenmenge  scheint  im  Ganzen 
beträchtlicher  zu  sein  als  in  Attika,  besonders  in  dem  von  hohen  Ge- 
birgen umgebenen  westlichen  Teil  des  Gebietes.  Tagelange  Regen- 
güsse sind  auch  in  Theben  keine  Seltenheit.  Der  Ingenieur  Moule 
schätzt2)  die  jährliche  Regenmenge  „in  der  Ebene  von  Chaeronea 
und  im  Becken  des  Kephissos"  auf  90  cm,  eine  für  Ost-Griechenland 
sehr  hohe  Zahl,  in  Theben  nur  auf  50cm.  Die  Zahl  der  Regentage 
beträgt  nach  ihm  95  bis  100.  Andrerseits  ist  die  Verdunstung  na- 
mentlich im  Sommer  aufserordentlich  hoch;  ihre  Höhe  beläuft  sich  nach 
Durand-Clay  auf  ii  bis  2 m das  Jahr. 

Aufser  dem  Regen,  der  auf  die  Ebene  niedergeht,  besitzt  die 
u n tere  T h ebanisch e Eb ene  nur  geringfügige  Zuflüsse,  die  im  Som- 
mer wohl  sämtlich  austrocknen.  Der  bedeutendste  ist  der  Kanavari- 
Bach,  vom  Helikon  herkommend  und  durch  die  oft  erwähnte  Bresche 
in  den  Likeri-See  mündend.  Mit  ihm  vereinigt  sich  der  Abflufs  der 
Quellen,  welche  an  der  Bodenstufe  von  Theben  im  Gebiet  dieser 
Stadt  östlich  und  westlich  von  der  Kadmeia  entspringen3)  und  das 
ganze  Jahr  reichlich  Wasser  spenden,  das  aber  zumeist  zur  künstlichen 
Berieselung  in  der  unmittelbaren  Nähe  der  Stadt  verwendet  wird.  Da 
der  Kanavari  - Bach  sich  ziemlich  tief  in  die  Ebene  eingeschnitten  hat, 
ist  die  Entwässerung  des  mittleren  Teiles  derselben  eine  vollständige. 
Die  Gewässer  des  östlichen  Teiles  versickern  ohne  bestimmten  End- 
punkt. Im  westlichen  Teil  bildet  sich  dagegen  der  Sumpf  Variko,  der 
durch  eine  Katavothre  an  der  Nordseite  mangelhaft  ahfliefst,  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  zum  I.ikeri-See. 

')  Vgl.  Bur^jan,  I S.  ioi. 

2)  Nach  der  Mitteilung  von  Durand-Clay,  S.  7. 

*)  Vgl.  Bursian  I,  S.  115  f. 


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Der  KopaTü-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  37 ' 

Weit  reicher  sind  die  Zuflüsse  des  Kopais-Sees.  Er  empfängt 
aufser  den  in  ihn  selbst  fallenden  Niederschlägen  und  den  kleineren 
Trockenbächen  der  Nord- und  Ostseite,  die  sich  nur  bei  heftigen  Regen- 
güssen auf  kurze  Zeit  füllen,  von  West  und  Süd  eine  gröfsere  Zahl 
ansehnlicher  Bäche.  Der  bedeutendste  ist  der  Mavropotamos  oder 
Kephissos,  der  sein  Wasser  aus  den  hohen  Gebirgen  Pamafs,  Helikon 
und  Oeta  bezieht  und  wegen  seiner  plötzlichen  Hochfluten  gefürchtet 
ist;  er  mündet  am  Ende  der  Durduvana  mit  einem  grofsen  Deltakegel. 
Die  Hauptmündung  liegt  bei  Skripu;  bei  Hochwasser  sendet  er  aber 
auch  Arme  nach  rechts,  die  in  den  Sumpf  von  H.  Dimitrios  münden. 
— Dann  folgt  der  Flufs  von  Livadia  (die  Herkyna  oder  Pro- 
batia  der  Alten).  Er  entsteht  aus  zwei  Quellflüssen,  von  denen  der 
eine,  längere  vom  westlichen  Helikon  herkommt  und  den  Charakter 
eines  Wildbaches  besitzt,  der  andere  aber  sich  bei  I.ivadia  selbst  aus 
den  mächtigen  dort  entspringenden  Quellen  bildet,  die  das  ganze  Jahr 
hindurch  Wasser  liefern  und  die  Baumsvollspinnereien  dieser  Stadt 
treiben.  Ihr  Wasser  wird  aber  im  Sommer  gröfstenteils  zur  Berieselung 
der  Gärten  und  Felder  verbraucht,  ehe  es  die  Kopais  erreicht.  Die 
Herkyna  mündet  in  den  Sumpf  von  H.  Dimitrios,  zusammen  mit  den 
heifeen  Quellen  von  Kalamaki,  welche  am  Gebirgsrand  östlich 
von  I.ivadia  entspringen.  Weiterhin  münden  am  Siidrand  der  Bach 
Pontgia  (Phalaros  der  Alten),  dann  eine  Anzahl  von  kleinen  Tor- 
renten, von  denen  eine  wohl  der  Triton  des  Altertums  ist,  und  schliefs- 
lich  der  Bach  von  Zagara,  der  von  einigen  für  den  I.ophis,  von 
anderen  für  den  Permessos  oder  Termessos  der  Alten  gehalten 
wird;  er  mündet  in  einem  Deltavorsprung  bei  Mulki,  östlich  von  Hali- 
artos.  Außerdem  entspringen  am  südlichen  Seerand  am  Felsen  Petra  die 
Quelle  Tilphusa,  am  Felsen  Haliartos  die  Quelle  Kissussa  der  Alten. 

Diese  Quellen  sind  übrigens  nicht  sehr  bedeutend.  Die  anderen 
Bäche  liefern  im  Hochsommer  so  gut  wie  gar  kein  Wasser.  Durand- 
Clay1)  giebt  folgende  Zahlen  für  die  Wassermenge  der  Zuflüsse  des 
Kopais-Sees  (Kubikmeter  in  einer  Sekunde): 

...  , . Gewöhnliches  Aufsergewöhnlichcs 

Niedrigster  Stand  TT  , 

Hochwasser 


Kephissos  . . . . 

2>5 

100 

154 

Herkyna 

1.0 

2S 

70 

Phalaros 

0 

16 

2S 

I.ophis  (Zagara)  . . 

o,2S 

25 

40 

Übrige  Torrenten  . . 

0.25 

> 

> 

4 

156 

289 

t)  S.  8,  vgl.  auch  Supan,  Peterm.  Mitt.  1889,  S.  7z. 


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38 


Alfred  Pliilippson: 


In  diesen  Zahlen  sind  die  Quellen  am  Seerand,  besonders  auch 
die  Quellen  des  Melas,  die  wir  gleich  erwähnen  werden,  nicht  einbe- 
griffen. Es  ist  auch  zu  bemerken,  dafs  der  Kephissos  im  Sommer 
trockener  Jahre  zuweilen  ganz  ausbleibt,  und  dafs  dann  auch  der  I.ophis 
und  die  übrigen  Torrenten  trocken  sind.  — Über  die  Gesamtzufuhr 
während  eines  Jahres  ist  nichts  bekannt. 

Alle  diese  Zuflüsse  verteilen  sich  — wir  sprechen  im  folgenden 
stets  vom  natürlichen  Zustand  vor  der  künstlichen  Trockenlegung  des 
Sees  — sobald  sie  den  horizontalen  Seeboden  erreichen;  keiner  von 
ihnen,  selbst  der  mächtige  Kephissos  nicht,  besitzt  auf  dem  Seeboden 
ein  bestimmtes,  geschlossenes  Bett.  Ist  der  See  mit  Wasser  gefüllt,  so 
versteht  sich  dies  von  selbst;  liegt  aber  der  Seeboden  trocken,  so  führen 
auch  die  Bäche  so  wenig  Wasser,  dafs  sie  sich  in  den  Schilfdickichten 
der  horizontalen  Ebene  kein  bestimmtes  Bett  ausarbeiten  können.  Nur 
in  den  Übergangszeiten  kann  man  wohl  das  Wasser  des  Kephissos,  wie 
manche  Reisende  berichten,  noch  eine  Strecke  weit  in  dem  Seewasser 
durch  seine  Farbe  und  Strömung  unterscheiden;  aber  schon  die  Wider- 
sprüche über  die  Richtung  seines  Laufes  im  See,  die  wir  bei  den 
einzelnen  Reisenden  finden,  lassen  erkennen,  dafs  er  durch  kein  festes 
Bett  geregelt  wird.  Die  meisten  Schriftsteller  lassen  ihn  von  Skripu 
nach  NO  fliefsen  und  sich  in  einem  Sumpf  bei  Stroviki  mit  dem  Melas 
vereinigen1),  andere  wieder  führen  ihn  von  Skripu  nach  Südosten.  So  sagt 
Ulrichs  (I  S.  191):  „Im  sehr  trockenen  Sommer  des  Jahres  1837,  als  ich 
in  Skripu  war,  flössen  beide  Flüsse,  der  Kephissos  und  Melas,  gänzlich 
getrennt  von  einander  und  vermischten  sich  an  keiner  Stelle. 
Der  Kephissos  macht  zwischen  Skripu  und  dem  kleinen  Dorfe  l’etro- 
magula  eine  kurze  Biegung  nach  Norden,  fliefst  dann  aber  w'ieder  nach 
Südosten  fort  bis  etwa  um  die  Mitte  des  Sees,  worauf  er  sich  nach 
Nordosten  wendet  und  an  Kopae  vorüber  zu  seinen  Katavothren  fliefst. 
Der  Melas  schweift  weiter  nach  Norden  aus  und  nähert  sich  dem  jen- 
seitigen Ufer  bei  dem  Kloster  der  heiligen  Dreifaltigkeit  und  den  Ruinen 
von  Tegyrae.  Von  dort  am  Ufer  fortfliefsend  verschwindet  er  in  einer 
Katavothre  am  Berge  Kumetes  (bei  Stroviki;  nur  zum  Teil!  Verf.),  ehe 
er  den  Kephissos  bei  Kopae  erreicht.  Bei  höherem  Wasser  fliefst  jedoch 
nicht  nur  der  Kephissos  zwischen  dem  Dorf  Skripu  und  dem  Kloster 
durch  ein  mit  Weiden  bewachsenes,  jetzt  trockenes  Bett  in  den  Melas 
über,  sondern  der  Melas  vermischt  sich  auch  mit  dem  Kephissos  in  den 
tiefen  Sümpfen  zwischen  Tegyrae  und  Kumetes.“  Die  zuverlässigen 
Karten  (Carte  de  la  Grice  und  die  Karte  der  Kopa'is-Gesellschaft) 
geben  dem  Kephissos  gar  keinen  festen  Lauf  auf  dem  Seeboden,  und 
dies  wird  auch  das  richtige  sein.  Da  der  Kephissos  heute  aus  seinem 

i)  Z.  B.  Leake  II,  S.  154. 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


39 


natürlichen  Lauf  abgelenkt  ist,  kann  man  die  Frage  durch  Beobachtung 
kaum  noch  entscheiden.  Alle  diese  Zuflüsse  erreichen  als  solche  die 
gegenüberliegenden  Seiten  des  Beckens  nicht,  sondern  erst  mufs  sich 
dieses  füllen,  ehe  das  Wasser  überhaupt  zur  Ostseite  gelangen  kann, 
wo  sich  die  Katavothren  befinden. 

Ganz  anders  verhält  sich  nun  aber  ein  Gewässer,  das  am  Nord- 
westraud  des  Kopais-Sees  selbst,  in  der  Bucht  von  Tzamali,  entspringt, 
der  schon  erwähnte Melas  der  Alten,  heute  ebenso  wie  der  Kephissos 
Mavropotamos  genannt.  Es  ist  ein  merkwürdiger  Flufs,  dessen  ganzer 
Lauf  auf  dem  Seeboden  der  Kopais  liegt.  An  der  Nordseite  des 
Sporns  der  Durduvana,  welcher  die  Akropolis  von  Orchomenos  trägt, 
strömt  am  Fufs  der  Felsen  eine  ungemein  wasserreiche  Quelle  hervor 
,ioo m ü. d.  AL),  die  Akidalia,  die  Quelle  der  Chariten,  die  hier  ihre 
Verehrungsstätte  hatten.  Sie  bildet  sogleich  in  einem  mit  Rohr  dicht 
bewachsenen  Sumpf  den  ansehnlichen  Flufs,  der  bald  noch  durch  andere 
Quellen  verstärkt  wird  und  wegen  seiner  dunklen  Farbe  den  Namen 
„Der  Schwarze“  trägt.  Diese  schwarze  Farbe  rührt,  wie  bei  vielen 
Quellbächen,  von  dem  Mangel  aller  festen  Bestandteile  her,  welche 
die  Lichtstrahlen  reflektieren  könnten.  Weiter  gegen  Tzamali  zu  ent- 
springt noch  die  Quelle  Petakas,  und  im  NW  der  Bucht  die  mächtige 
Quelle  Polygyra  (97,6  m),  deren  Abflufs  sich  ebenfalls  mit  dem  Melas 
vereinigt.  Die  Quellen  des  Melas  sowohl  wie  der  Polygyra  entspringen 
auf  der  Grenze  des  Schiefers  von  Tzamali  gegen  die  ihn  unterteufenden 
Kalke  im  Norden  und  Süden.  Sie  entstammen  augenscheinlich  einem 
Wasserniveau  im  Innern  des  Kalkes,  welches  diesen  bis  zur  Höhe  der 
Kopais-Ebene  anfüllt.  Da  diese  unterirdische  Wasseransammlung  von 
den  jahreszeitlichen  Schwankungen  des  Regens  ziemlich  unabhängig 
ist,  liefern  die  Quellen  das  ganze  Jahr  hindurch  eine  ziemlich  gleich- 
mäfsige  Wassermenge.  Die  Bucht  von  Tzamali  ist  durch  diese  Quellen 
gänzlich  versumpft,  obwohl  der  Boden  z.  T.  etwas  über  dem  Niveau 
des  Sees  liegt,  und  zwar  bleibt  dieser  Sumpf  auch  in  der  trockenen 
Jahreszeit  und  trotz  der  Trockenlegung  des  übrigen  Sees  durch  die 
Kopals-Gesellschaft  bestehen.  Es  ist  ein  grofses  Schilfdickicht.  Der 
Flufs  ist  von  schwankendem  Moorboden  umgeben,  und  Ulrichs  hörte 
von  den  Bauern,  dafs  das  Land  am  Mavropotamos  schwimme  (S.  192). 
Das  sind  wohl  die  n]ao  1 rrloaöt<;  des  ’l’heophrast,  die  Plinius  mit  insu/ae 
fluitantes,  schwimmende  Inseln,  übersetzt.  Infolge  der  Gleichmäfsigkeit  der 
Quellen  ist  der  Melas  der  einzige  beständige  Flufs  der  Kopais- 
N'iederung.  Nachdem  er  die  Abflüsse  aller  Quellen,  welche  um  die  Bucht 
von  Tzamali  entspringen,  gesammelt  hat,  setzt  er  seinen  Lauf  in  der  Nähe 
des  Nordufers  nach  Osten  fort  und  empfängt  hier,  wenigstens  in  d,en 
Ibergangszeiten  zwischen  Fülle  und  Leere  des  Sees,  in  einem  aus- 


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40 


Alfred  Philippson: 


gedehnten  Sumpf  einen  Teil  des  Kephissos-Wassers.  Bei  der  Insel 
Stroviki  zweigt  sich  ein  Arm  des  Melas  nach  links  ab,  fliefst  zwischen 
Insel  und  Festland  hindurch  und  verschwindet  in  zwei  Katavothren 
(siehe  unten  Nr.  i u.  2).  Der  Hauptstrom  aber  (liefst  aufserhalb  der 
Insel  weiter  und  der  Länge  nach  durch  die  Bucht  von  Topolias,  an  deren 
Ostende  er,  mit  noch  immer,  selbst  im  Sommer,  bedeutender  Wasser- 
masse  in  der  sog.  „Grofsen  Katavothra“  verschwindet.  Der  Melas  be- 
sizt  ein  ganz  bestimmtes  Bett,  welches  er  sich  in  die  Ebene  des 
Seebodens  eingeschnitten  hat,  und  zwar  im  unteren  Teil  seines  Laufes, 
in  der  Bucht  von  Topolias,  bis  5 m tief.  Dieses  kommt  natürlich  nur 
zum  Vorschein,  wenn  der  nördliche  Teil  des  Sees  trocken  ist. 

Durand-Clay  giebt  dem  Melas  bei  gewöhnlichem  Wasserstand  eine 
Masse  von  5 cbm  die  Sekunde.  (Wohl  etwas  knapp  gerechnet!)  Andere 
Quellen  sind  auf  dem  Seeboden  selbst  nicht  gefunden  worden. 

Thatsächlich  ist  also  der  Melas  der  einzige  Flufs,  der  den  Boden 
des  Kopa'is-Sees  als  wirklicher  Flufs  durchströmt,  während  alle  anderen 
sich  in  die  Sümpfe  verteilen.  Das  Gewässer,  welches  die  Bucht  von 
Topolias  in  der  trockenen  Jahreszeit,  wenn  der  Seeboden  dort  entblöfst 
ist,  und  ebenso  unverändert  noch  jetzt,  nachdem  alle  anderen  Flüsse 
abgeleitet  sind,  in  geschlossenem  Bett  durchzieht,  ist  ausschliefslich 
Wasser  des  Melas,  nicht  des  Kephissos,  von  dem  nur  zu  gewissen  Zeiten 
ein  Teil  dem  Melas  zutliefst.  Trotzdem  wird  dieser  Flufslauf  von  fast 
allen  alten  wie  neuen  Schriftstellern  Kephissos  genannt.  Die  Alten  be- 
schreiben genau  die  Quellen  des  Melas,  die  zwischen  Orchomenos  und 
Aspledon  entspringen1),  und  den  Flufs  Melas  selbst,  der  durch  seine 
Sümpfe  den  Zugang  nach  Orchomenos  von  Norden  her  versperrt“).  Sie 
wissen,  dafs  Melas  und  Kephissos  eine  Strecke  weit  gesondert  fliefsen5), 
und  dafs  zwischen  ihnen  ein  Teil  der  Ebene  liegt,  welcher  I’elekania 
genannt  wird  und  gutes  Flötenrohr  hervorbringf*).  Es  ist  also  un- 
zweifelhaft, dafs  der  Melas  der  Alten  wirklich  der  oben  beschriebene 
Flufslauf  ist.  Dennoch  geben  sie  dem  Unterlauf,  der  bei  Kopae  (To- 
polias) vorbeifliefst5)  und  in  der  Grofsen  Katavothre  verschwindet,  den 
Namen  Kephissos.  Diesen  lassen  sie  auch  in  der  Quelle  bei  I.arymna 
wieder  hervorbrechen  und  bei  dieser  Stadt  ins  Meer  münden8).  Einige 
lassen  den  Melas  vorher  in  besonderen  Katavothren  verschwinden7), 

*)  Strabo  XX,  2,41.  Pausanias  IX,  38,  5.  Plutarch,  Sulla  XX 

-')  Plutarch,  Felopidas  XVI. 

3)  Theophrast,  De  causis  plant.  V,  5,  2:  ixthtQOS  ya p |bi  ray  rtvToii  nÖQoy. 

4)  Theophrast,  Hist,  plant.  IV,  n,  8 ■ 

5)  Pausanias  IX,  24,  j. 

8)  Strabo  IX,  2,  18. 

7)  Strabo,  IX,  2,  18 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


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indem  sie  also  nur  den  bei  Stroviki  links  abzweigenden  Arm  als  Melas 
bezeichnen,  andere  lassen  ihn  ganz  oder  zum  Teil  in  den  Kephissos 
aufgehen1).  Am  besten  orientiert  zeigt  sich  Plutarch,  dessen  Wiege  in 
dem  benachbarten  Chaeronea  gestanden  hat.  Er  sagt  (Sulla  XX),  dafs 
der  Melas  bei  Orchomenos  entstände,  als  einziger  von  allen  griechischen 
Flüssen  bis  zu  den  Quellen  schiffbar,  dafs  er  aber  nicht  weit  fliefse, 
sondern  zum  grofsten  Teil  bald  in  Sümpfen  verschwinde,  zum  kleineren 
Teil  aber  sich  mit  dem  Kephissos  vereinige,  an  der  Stelle,  wo  das 
meiste  Flötenrohr  wachse.  Der  Flufs  ähnele  dem  Nil,  indem  er  wie 
dieser  im  Sommer  anschwelle  und  auch  ähnliche  Gewächse  hervorbringe, 
nur  dafs  sie  nutzlos  seien.  — Ob  übrigens  der  Melas  wirklich  im  Sommer 
anschwillt,  habe  ich  nicht  erfahren.  Es  wird  dies  im  heutigen  Griechen- 
land von  sehr  vielen  grofsen  Quellen  behauptet,  beruht  aber  wohl  meist 
auf  einer  Täuschung,  indem  die  beständige  Quelle  im  Sommer  gröfser 
erscheint  im  Vergleich  mit  anderen  in  der  Trockenheit  abnehmenden 
Gewässern.  — Die  gröfste  Verwirrung  herrscht  bei  Strabo.  F.r  läfst  den 
Kephissos  bei  Kopae  in  einer  Katavothre  verschwinden  und  bei  Larymna 
wieder  hervorbrechen;  vom  Melas  aber  sagt  er  (IX  2,  18):  „Auch  bei 
Orchomenos  soll  ein  Schlund  entstanden  sein,  der  den  Flufs  Melas  auf- 
nahm, welcher  durch  das  Gebiet  von  Haliartos  (liefst  und  dort  den 
Sumpf  bildet,  der  das  Flötenrohr  hervorbringt.  Dieser  Flufs  ist  übrigens 
ganz  verschwunden,  sei  es,  dafs  er  durch  den  Schlund  in  verborgene 
Gänge  (liefst,  sei  es,  dafs  die  Sümpfe  und  Seen  ihn  verschlingen.“  Er 
lafst  also  den  Melas  bei  Haliartos  vorbeifliefsen,  einer  Stadt,  die  an 
der  Südostecke  des  Sees  lag;  dort  befindet  sich  in  der  That  eine  der 
tiefsten  Stellen  des  Sees,  die  stets  sumpfig  bleibt  und  *also  als  der 
Flötenrohr-Sumpf  von  Haliartos  anzusprechen  ist.  Danach  müfste  also 
der  Melas  den  Kephissos  gekreuzt  haben!  Ulrichs  erklärt  diesen  Wider- 
spruch zwar  so,  dafs  dort  noch  ein  anderer  Melas  bestanden  habe. 
Da  aber  Strabo  nur  von  einem  Melas  spricht  und  ebenso  alle  anderen 
Autoren,  da  Strabo  ferner  diesen  Melas  bei  Orchomenos  verschwunden 
läfst,  mufs  man  diese  Erklärung  zurückweisen  und  dabei  bleiben,  dafs 
hier  wie  auch  an  manchen  anderen  Stellen,  Strabo  sich  in  der  Lage 
und  dem  Verlauf  der  Flüsse  geirrt  habe! 

Es  ist  ja  auch  leicht  zu  entschuldigen,  wenn  die  Alten  über  das 
Verhalten  des  Kephissos  und  Melas  sich  nicht  klar  geworden  sind,  da 
der  Seeboden  in  historischer  Zeit  nur  sehr  schwer  zugänglich  war,  und 
überhaupt  die  Griechen,  sowohl  der  alten  wie  der  neuen  Zeit,  für 
hydrographische  Verhältnisse  kein  rechtes  Verständnis  besitzen.  Sie 
konstruieren  leicht  die  wunderlichsten  Verbindungen  von  Flufsläufen, 

Plutarch,  Sulla,  X.X. 


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42 


Alfred  Philippson: 


und  bei  den  Neugriechen  insbesondere  treffen  wir  einen  überraschen- 
den Mangel  an  einheitlichen  Flufsnamen,  selbst  für  grofse  und  in  ihrem 
Zusammenhang  ganz  augenscheinliche  Gewässer.  Die  Flüsse  und  Bäche 
heifsen  in  der  Regel  nur  nach  den  Orten,  an  denen  sie  vorbeifliefsen, 
und  wechseln  daher  ihren  Namen  sehr  häufig  von  Ort  zu  Ort.  ln 
unserem  Fall  mag  auch  die  Erinnerung  mitgewirkt  haben,  dafs  einst 
zur  Zeit  der  minyschen  Kanalbauten  der  Kephissos  wirklich  das  Bett 
des  Melas  benutzt  hatte.  Vor  allem  aber  war  der  Melas  die  meiste  Zeit 
ganz  und  gar  vom  Seewasser  bedeckt,  während  man  im  Kephissos  mit 
Leichtigkeit  den  gröfsten  Fltifs  des  östlichen  Mittel-Griechenland  er- 
kannte, infolge  dessen  auch  der  ganze  See  meist  Kephissis,  nicht 
Kopäis,  genannt  wurde.  Sah  man  also  einen  ansehnlichen  Flufs  in 
den  Katavothren  der  Bucht  von  Topolias  (Kopae)  verschwinden,  so  lag 
es  nahe,  ihn  für  den  Kephissos  zu  halten.  Diesem  Irrtum  folgen  denn 
auch  fast  alle  neueren  Schriftsteller.  — — 

Wir  müssen  hier  noch  kurz  bei  dem  Relief  des  Seebodens 
verweilen,  das  mit  den  Zuflüssen  in  engster  Beziehung  steht.  So  ge- 
ringfügig und  flach  auch  die  Höhen-Unterschiede  des  Seebodens  sind, 
so  besitzen  sie  dennoch  für  die  natürlichen  Wasserstände  sowohl  als 
für  die  künstlichen  Entwässerungsversuche  hohe  Bedeutung.  Da  ist 
nun  sehr  bemerkenswert,  dafs  der  See  nach  den  Vermessungen  der 
Kopals-Gesellschaft  (vgl.  Tafel  i)  nicht  in  der  Mitte  am  tiefsten  ist, 
sondern  an  dem  Nord-,  Ost-  und  Südrand.  Der  ganze  mittlere  Teil 
wird  von  einer  Erhöhung  eingenommen,  welche  sich  im  Westen  an  den 
Deltakegel  des  Kephissos  anlehnt  und  dessen  unterseeische  Fortsetzung 
bildet:  die  Isohypsen  laufen  konzentrisch  um  die  Mündung  des  Kephissos 
herum,  indem  sich  der  Boden  von  dort  nach  O,  SO  und  S abdacht, 
von  97  m auf  94,50  m,  bis  in  die  Nähe  der  gegenüberliegenden  Ränder. 
Es  ist  klar,  dafs  dieser  flache  Kegel  dem  Schlamm  des  Kephissos  zu- 
zuschreiben ist.  Gerade  in  der  Mitte  des  Sees  sitzt  nun  dieser  Ab- 
dachung noch  eine  isolierte  flache  Erhöhung  auf,  in  welcher  der  Boden 
bis  zu  95,27  m (gegen  94,75  m näher  zur  Kephissos-Mündung)  ansteigt. 
Die  wahrscheinliche  Entstehung  dieser  Anhöhe  durch  die  minyschen 
Kanalbauten  soll  weiter  unten  besprochen  werden.  — Eine  tiefe 
Rinne  zieht  dagegen  von  der  Herkyna- Mündung  am  Südufer  ent- 
lang, mit  einer  Bodenhöhe  von  94,50  m;  sie  vertieft  sich  im  SO-Winkel 
des  Sees  bei  Haliartos  und  vor  der  Bai  von  Kancski  bis  auf  94,38  m, 
zieht  dann,  beiläufig  mit  dieser  Höhe,  am  Ostrand  entlang  zur  Bucht 
von  Karditsa,  wo  sie  mit  94,05  m eine  tiefste  Stelle  besitzt.  Weiterhin 
endet  die  Rinne  in  einer  kesselförmigen  Vertiefung  südlich  der  Insel 
Gla  (93,88  m).  Von  der  Furche  des  Melas  bleibt  sie  durch  einen 
Rücken  von  94,31  m Höhe  getrennt.  Diese  Furche  des  Melas  zieht 


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Der  Kopa'is-Sec  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


43 


sich,  dem  Flufslauf  entsprechend,  am  Nordufer  des  Sees  entlang;  im 
westlichen  Teil  scheint  sie  kaum  vorhanden  zu  sein,  und  erst  bei 
Stroviki  tieft  sie  sich  unter  die  Umgebung  ein  (94,20  m,  der  Melas 
selbst  93,10  m).  Bei  Topolias  liegt  der  Melas  in  92,80  m,  bei  H.  Marina 
in  91,90  m,  vor  der  grofsen  Katavothre  in  89,40  m,  während  der  Boden 
der  Bucht  von  Topolias  sich  durchgehends  zwischen  94,00  und 
04,45  m hält. 

So  wird  bei  niedrigem  Wasserstand  die  Mitte  des  Sees  am  ersten 
entblöfst,  während  an  den  Rändern  das  Wasser  sich  länger  hält,  am 
längsten  in  den  drei  Buchten  des  Ostrandes,  dann  südlich  der  Insel 
Gla  und  bei  dem  Ort  Topolias.  Au  feer  diesen  tiefsten  Stellen  sind, 
trotz  höherer  I.age,  die  NW-  und  SW- Ecke  des  Sees  dauernd  ver- 
sumpft (Sümpfe  des  Melas  und  von  H.  Dimitrios)1),  da  hier  die  reich- 
lichste Wasserzufuhr  stattfindet;  das  geringe  Gefälle  des  Bodens  reicht 
eben  nicht  aus,  das  hineinfliefsende  Wasser  von  diesen  Stellen  schnell 
genug  zu  entfernen. 

Die  Periodizität  des  Regenfalles  und  infolge  dessen  des  Wasser- 
zuflusses, sowie  die  Gestalt  des  Seebodens  erklären  vollständig  die 
jährliche  Periode  des  Wasserstandes  des  Sees.  Zu  den  oben  mitgetcilten 
Zahlen  über  die  Wasserführung  der  Zuflüsse  des  Kopais-Sees  mufs  man 
noch  hinzufügen,  dafs  von  der  gesamten  jährlichen  Regenmenge,  die 
unmittelbar  auf  den  Seeboden  fällt,  auf  die  Sommermonate  so  gut  wie 
gar  nichts  kommt,  wogegen  in  dieser  Zeit  eine  ungemein  hohe  Ver- 
dunstung stattfindet. 

Nach  der  höchsten  Schätzung  beträgt  die  Zufuhr  durch  Bäche  und 
Quellen  im  Sommer  nur  etwa  8 cbm  die  Sekunde,  die  sich  auf  einen 
Flächenraum  von  250  qkm  zu  verteilen  haben,  während  sich  die  Zufuhr  im 
Winter  im  Mittel  auf  150,  im  Maximum  auf  etwa  270  cbm  die  Sekunde 
stellt.  Die  sommerliche  Zufuhr  würde,  selbst  wenn  gar  kein  Abflufs 
stattfände,  durch  die  Verdunstung  bedeutend  tibertroft'en  werden;  daher 
wird  sie  nicht  nur  ganz  aufgezehrt,  sondern  auch  der  vom  Winter  zurück- 
gebliebene Vorrat  wird  im  Lauf  des  Sommers  fortwährend  verringert a). 

>)  Vgl.  Neumann-Partsch,  S.  144,  Anm.  4. 

2)  Eiuc  einfache  Rechnung  zeigt  folgendes:  8 cbm  in  der  Sekunde  auf  150  qkm 
Seefläche  verteilt  giebt  einen  Zuilufs  von  0,03z  ebem  in  der  Sekunde  auf  1 qm  See- 
fläche. Beträgt  die  Verdunstungshohe  150  cm,  so  kommt  im  Durchschnitt  auf  1 qm 
Seefläche  im  Jahr  tf  Millionen  Kubikcentimeter Verdunstung,  das  giebt  in  der  Sekunde 
0,048  ebem.  Also  auf  1 qm  Seeflächc  im  Sommer  in  der  Sekunde  0,032  ebem  Zuflufs, 
0,048  ebem  Verdunstung.  Dabei  ist  angenommen,  dafs  kein  Abflufs  stattflndet,  — 
während  dies  durch  die  Grofse  Katavothre  wohl  der  Fall  ist  — , ferner  dafs  die 
Verdunstung  im  Sommer  nicht  gröfser  ist  als  im  Jahresdurchschnitt,  während  sie  in 
Wirklichkeit  weit  beträchtlicher  ist.  In  Wahrheit  ist  also  der  Überschuß  der  Ver- 
dunstung über  den  Zuflufs  im  Sommer  noch  sehr  viel  grober! 


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Alfred  Philippson: 


Pie  winterliche  Zufuhr  übersteigt  dagegen  nicht  nur  die  Verdunstung 
sehr  bedeutend,  sondern  auch  die  Abflufsmöglichkeit  durch  die  Kata- 
vothren.  Der  See  steigt  daher,  so  lange  die  Regen  dauern;  erst  nach- 
dem diese  nachlasscn,  beginnt  sich  der  See  allmählich  durch  den 
fortdauernden  Abflufs  durch  die  Katavothren  und  dann  später  auch 
durch  das  Überwiegen  der  Verdunstung  zu  entleeren. 

Das  Steigen  des  Sees  beginnt  im  November,  nach  dem  Eintritt 
der  heftigen  Herbstregen,  und  das  Wasser  erreicht  seinen  höchsten 
Stand  im  Februar  oder  März.  Dann  bedeckte  es,  vor  der  Ableitung 
der  letzten  Jahre,  den  ganzen  Seeboden  als  zusammenhängende  Wasser- 
fläche, die  je  nach  den  Jahrgängen  gröfsere  Ausdehnung  besafs.  Die 
mittlere  Höhe  des  Wasserspiegels  um  diese  Zeit  war  97  m ü.  d.  M. , die 
Ausdehnung  ungefähr  die,  wie  sie  auf  unserer  Karte  erscheint.  Oft 
aber  überflutete  der  See  auch  Teile  der  fruchtbaren  Ebenen  im  S und 
SW.  Die  Katavothren  sind  um  die  Zeit  des  Hochwassers  ganz  vom 
Wasser  bedeckt  und  verraten  ihre  Existenz  nur  durch  einen  strudelnden 
Zug  in  die  Tiefe.  Der  See  war  aber  durchaus  nicht  eine  offene 
Wasserfläche,  sondern  die  meisten  Reisenden  schildern  seinen  Anblick 
von  weitem  gleich  dem  einer  üppig- grünen  Wiese;  erst  beim  Heran- 
nahen erkannte  man  die  Täuschung,  die  durch  die  ungeheuren  Schilf- 
rohrdickichte hervorgebracht  war,  welche  einen  grofsen  Teil  des  Sees 
einnahmen  und  den  Abflufs  der  Gewässer  wesentlich  erschwerten. 
Schilf  wuchs  aber,  wie  es  scheint,  nur  in  den  tiefsten  Stellen,  die  auch 
im  Sommer  sumpfig  blieben,  und  da  diese  nahe  am  Ufer  lagen,  konnte 
man  leicht  den  ganzen  See  für  ein  einziges  Rohrdickicht  halten.  — 
Im  Frühjahr  begann  der  See  zu  sinken.  Zuerst  traten  einzelne  un- 
regelmäfsige  braune  (schilffreie)  Landstreifen  hervor,  die  sich  immer 
mehr  zusammenschlossen.  Im  Hochsommer  waren  grofse  Strecken  des 
Sees,  in  der  Mitte  und  unmittelbar  am  Ufer,  trocken.  Es  wuchsen 
Gräser  und  Kräuter  darauf,  und  Hirten  trieben  ihre  Herden  auf  ihnen 
zur  Weide.  Das  Wasser  hielt  sich  in  manchen  Jahren  in  den  tiefsten 
Stellen  den  ganzen  Sommer  über;  in  anderen  Jahren  wurden  auch 
diese  in  einen  Morast  verwandelt  oder  ganz  ausgetrocknet.  Ende 
August  war  gewöhnlich  bei  weitem  der  gröfste  Teil  des  Sees  trocken; 
das  Minimum  an  Wasser  wurde  aber  erst  im  Oktober  erreicht.  Der 
See  bildete  dann  eine  weite  braune  Fläche,  nur  hier  und  da  unter- 
brochen von  einigen  grünen  Sumpf- Flecken,  von  Schilf  und  anderen 
Wasserpflanzen  bewachsen.  Im  November  begann  dann  der  See  sich 
schnell  wieder  zu  füllen1). 

Dieses  Verhalten  des  Sees  war  wohl  in  der  ganzen  historischen 


')  Vgl.  Sauvage,  S.  134. 


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Der  Kopats-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


45 


Zeit  im  Allgemeinen  dasselbe.  Es  wechselte  nur  in  längeren  Perioden  die 
Dauer  und  Höhe  der  winterlichen  Überschwemmungen,  lind  ebenso 
die  mehr  oder  weniger  vollständige  Austrocknung  im  Sommer,  je  nach 
der  Fassungskraft  der  Katavothren,  wie  wir  eingangs  geschildert  haben. 
Die  Zeiten  hohen  Wasserstandes  bestanden  also  nicht  in  einem  gleich- 
mäfsigen  Hochwasser  während  des  ganzen  Jahres,  sondern  nur  in 
einer  Steigerung  der  winterlichen  Hochflut;  ebenso  die  Zeiten  ver- 
hältnismäfsiger  Einschränkung  des  Sees  in  einer  längeren  Dauer  und 
grölseren  Vollständigkeit  der  Austrocknung  im  Sommer.  Die  gelegent- 
lichen verderblichen  Überschwemmungen  des  Sees,  von  denen  uns  be- 
richtet wird,  waren  besonders  hohe  win te rliche  Anschwellungen1).  — 

Wenden  wir  uns  zu  den  natürlichen  Abflüssen  des  Sees. 

Die  Katavothren*),  wie  im  Neugriechischen  die  unterirdischen 
Abzüge  des  Sees,  besonders  ihre  Öffnungen,  genannt  werden  (bei  den 
Alten  yurruaia  oder  (tdna&nu) , welche  allein  den  Abflufs  des  Kopäis- 
wassers  bisher  besorgten,  öffnen  sich  sämtlich  am  Steilufer  des  Sees 
im  anstehenden  Kalkstein  des  Klippenrandes;  sie  gehören  also  zu  der 
Gruppe  der  sogenannten  „Thor-Katavothren",  während  „Schlürflöcher“ 
am  Boden  des  Sees  nicht  vorhanden  sind*).  Von  allen  Katavothren 
des  Kopais-Sees  kennen  wir  nur  die  Öffnung  des  Schlundes,  während 
der  Verlauf  der  Höhlengänge  selbst  unbekannt  ist.  Über  ihre  Ent- 
stehung kann  kein  Zweifel  obwalten.  Es  sind  weder  künstlich  aus- 
gearbeitete Tunnels,  wie  die  älteren  Reisenden  der  Neuzeit  glaubten4), 
noch  durch  die  Gebirgsaufrichtung •’’)  oder  durch  Erdbeben  aufgerissene 
Spalten,  sondern  durch  das  Wasser  selbst  ausgelaugte  Gänge,  wie  sie 
in  ailen  Kalkgebirgen  Vorkommen.  Die  Erdbeben  können  nur  sekundär 
einen  Einflufs  auf  die  Katavothren  ausüben,  indem  sie  solche  verstopfen 
oder  Verstopfungen  zu  entfernen  vermögen.  Von  den  Entwicklungs- 
gesetzen der  Katavothren  ist  schon  eingangs  dieser  Arbeit  die  Rede 
gewesen. 

Man  findet  auf  den  Karten  am  Kopa'is-See  25  Katavothren  ver- 
zeichnet, von  denen  16  eigene  Namen  führen.  In  Wirklichkeit  giebt 
es  aber  noch  unzählige  andere  kleinere  und  kleinste  Spalten,  welche 
Wasser  aufnehmen  können.  Eine  feste  Grenze  ist  zwischen  den  Kata- 
vothren und  den  kleinsten  Spältchcn  nicht  zu  ziehen,  da  allmähliche 
Übergänge  dazwischen  liegen,  und  in  der  That  die  grofsen  Katavothren 

*)  Vgl.  z.  B.  Pausanias  IX,  24,  2.  38,  6. 

Es  heilst  in  der  Einzahl  die  Katavothrc,  rj  xara/lui9ptr,  nicht  das  Kala- 
tolhron,  wie  viele  fälschlich  schreiben. 

*)  Vgl.  meinen  „Peloponnes“  S.  493. 

V)  Wheler,  Raikes. 

5)  Wie  1.  B.  Forchharamer  glaubte  (1.  c.  S.  162). 


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46 


Alfred  Philippson: 


durch  Erweiterung  kleinster  Spalten  entstehen.  Es  ist  klar,  dafs  das 
Wasser  beim  Eindringen  in  das  Gestein  am  leichtesten  den  vorhandenen 
Spalten  folgt,  und  so  finden  wir  in  der  That  einen  gewissen  Zusam- 
menhang zwischen  den  Katavothren  und  dem  Verlauf  der  Schichtfugen, 
also  den  Lagerungsverhältnissen  der  Schichten  des  Kalksteins.  Da- 
gegen haben  schon  Forchhammer  (S.  162)  und  Sauvage  (S.  132)  be- 
tont, dafs  die  Katavothren  vollständig  unabhängig  von  der  Gestalt  der 
Oberfläche  sind  und  sich  durchaus  nicht  etwa  da  öffnen,  wo  Thäler 
oder  Pafseinschnitte  liegen. 

Die  Katavothren  befinden  sich  fast  sämtlich  im  Osten  des  Sees, 
und  zwar  angefangen  von  dem  Nordrand  des  östlichen  Teils  der 
Bucht  von  Topolias,  genau  südlich  von  Martino,  bis  zur  Südostccke 
des  Sees  bei  Onchestos.  Aufserhalb  dieser  Küstenstrecke  liegen  nur 
drei  Katavothren  am  Nordrand  in  der  Nähe  von  Topolias.  Diese 
Verteilung  ist  geologisch  begründet.  An  der  Süd-  und  Südwestküste 
sind  Katavothren  wegen  des  breiten  Alluvialsaumes  unmöglich.  Die 
Bucht  von  Tzamali  wird  überwiegend  von  Schiefer  begrenzt;  die  beiden 
Kalkzüge  der  Durduvana  und  von  Abae  sind  so  mit  Wasser  gesättigt, 
dafs  sie  noch  mächtige  Quellen  an  den  See  abgeben.  An  der  Nord- 
küste treffen  wir  zunächst  wieder  Schiefer  an.  Von  hier  an  finden  wir 
Katavothren  überall  dort,  wo  die  Schichten  des  Kalkes  quer  gegen 
die  Uferlinie  ausstreichen,  die  Schichtfugen  sich  also  dem  Wasser 
öffnen;  dagegen  keine  Katavothren  dort,  wo  die  Schichten  dem  Ufer 
parallel  streichen.  Wenn  auch  im  Allgemeinen  Katavothren  bei  je- 
der Streich-  und  Fallrichtung  Vorkommen  können1),  so  ist  ihre  Bil- 
dung doch  sehr  erleichtert,  wenn  die  Schichten  rechtwinklig  auf  das 
Ufer  gerichtet  sind.  Dieses  ist  nun,  aufser  an  dem  gröfsten  Teil  der 
Ostküste,  an  der  Nordküste  nur  in  jener  Gegend  der  Fall,  wo  die  drei 
isolierten  Katavothren  auftreten. 

Im  folgenden  seien  die  einzelnen  bemerkenswerten  Katavothren 
der  Reihe  nach,  im  NW  anfangend,  besprochen.  Diejenigen , die  der 
Verfasser  selbst  besucht  hat,  sind  durch  einen  * hervorgehoben. 

I.  Gruppe  des  Nordrandes  bei  Topolias. 

1)  Die  Katavothre  von  Stroviki,  hinter  dieser  Insel  am  Ufer  des 
Festlandes. 

2)  Die  Katavothre  von  Topolias  (Kopae  d.  A.),  etwas  westlich 
von  diesem  Ort. 

3)  Die  Katavothre  etwa  1 km  nördlich  von  Topolias,  nur  auf  der 
französischen  Carte  de  la  Grdce  verzeichnet. 


>)  Vgl.  meinen  „Peloponnes“  S.  494. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  nnd  »eine  Umgebung.  47 

Die  beiden  ersten  nehmen  eine  Abzweigung  des  Mclas  auf ; die 
erste  soll  auch  im  Sommer  in  Thätigkeit  sein.  Auf  diese  bezieht  sich 
wohl  die  schon  oben  erwähnte  Angabe  des  Strabo  (LX,  2,  18),  dafs 
sich  bei  Orchomenos  ein  Schlund  gebildet  habe,  welcher  den  Melas 
aufnahm.  Danach  wäre  diese  Katavothre  erst  in  historischer  Zeit  ent- 
standen. — Man  bringt  mit  diesen  beiden  ersten  Katavothrcn  die 
salzige  Quelle  (Almyro)  in  Zusammenhang,  welche  bei  dem  alten  Opus 
am  Meeresstrand  entspringt1).  Zur  Unterstützung  führt  man  an,  dafs 
in  einem  Brunnen  bei  Pavlo  das  Wasser  nordwärts  fliefse.  Es  erscheint 
mir  aber  wenig  wahrscheinlich,  dafs  ein  solcher  Zusammenhang  besteht, 
da  dann  das  Wasser,  quer  zum  Schichtstreichen,  die  Schieferzüge  von 
Pavlo  zu  passieren  hätte.  Eher  ist  anzunehmen,  dafs  das  Wasser 
dieser  Katavothren  dem  Schichtstreichen  folgend  unter  dem  Seeboden 
her  nach  SO  abfliefst  und  sich  dem  allgemeinen  unterirdischen  Strom 
anschliefst,  der  von  der  Ostseite  des  Sees  gegen  das  Meer  gerichtet 
ist.  Almyro  ist  wohl  eine  Strandquelle,  wie  sie  in  sehr  grofser  Zahl 
an  den  griechischen  Küsten  Vorkommen. 

II.  Gruppe  am  Ostende  der  Bai  von  Topolias*). 

4)  Katavothre  von  Palaeomylos. 

5)  Katavothre  von  Spitia. * 

6)  Katavothre  von  Sykia. 

Diese  drei  liegen  noch  am  Nordrand  der  Bai  und  zwar  die  bei- 
den letzteren  im  Hintergrund  kleiner  Buchten  zwischen  vorspringenden 
Kaps.  Die  Schichten  streichen  hier  ausnahmsweise  annähernd  Nord, 
sodafs  sie  quer  gegen  das  Ufer  gerichtet  sind.  Zu  der  Katavothre 
von  Spitia  (Nr.  5)  führt  ein  grofser,  deutlich  erhaltener  Kanal  der 
Minyer  hin.  Nach  den  anderen  Katavothren  am  Ostende  der  Bai 
von  Topolias  habe  ich  keine  alten  Kanäle  hinführen  gesehen,  doch 
will  ich,  bei  der  Eile  meines  Besuches,  ihr  Vorhandensein  nicht  leugnen, 
da  die  Herren  Kambanis  und  I.allier  angeben,  dafs  Abzweigungen  auch 
nach  den  anderen  Katavothren  dieser  Gruppe  vorhanden  sind3).  Jeden- 
falls aber  war  die  Katavothre  von  Spitia  eine  der  wichtigsten  Ablei- 
tungen des  Kanalsystems  der  Minyer.  Der  alte  Kanal  vor  derselben 
verläuft  in  Windungen,  wie  sie  ein  natürliches  Flufsbett  zu  machen 
pflegt.  Es  geht  daraus  hervor,  dafs  die  Alten  einen  vorhandenen  natlir- 

*)  Forchhammer  S.  163.  Leake  II  S.  185.  Ulrichs  (S.  198)  beschreibt  Nr.  1, 
and  verbindet  sie  gleichfalls  mit  der  Quelle  bei  Opus.  Fiedler  (I,  S.  nof.)  be- 
schreibt 1 u.  i als  seine  7.  und  8-  Katavothre,  ersterc  verbindet  er  mit  Opus, 
letztere  mit  der  Quelle  bei  den  Martino-Mühlen,  d.  i.  der  Quelle  von  Larymna. 

- ) Fiedler  I S.  ro8ff.  beschreibt  diese  K.  als  N.  1 — 5. 

3)  Kambanis  S.  133  und  Karte. 


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Alfred  Philippson: 


liehen  Flufslauf  benutzt  haben.  Die  Katavothre  selbst  ist  ein  grofses 
Thor,  das  vollständig  von  herabgestitrzten  grofsen  Blöcken  versperrt 
ist,.sodafs  man  auch  nicht  entscheiden  kann,  ob  ihr  Boden  tiefer  liegt 
als  die  Ebene.  Es  ist  wohl  möglich,  dafs  wir  hier  eine  künstliche  Ver- 
stopfung vor  uns  haben.  Sollte  es  diejenige  sein,  durch  welche  die 
Thebaner  die  Kopals  - Ebene  ertränkt  und  so  die  Macht  der  Orcho- 
menier  vernichtet  haben  sollen??  — 

7)  Katavothre  von  Bin ia*1),  an  der  NO-Ecke  der  Bai  gelegen,  vor 
dem  Joch  von  Larymna.  Die  Schichten  des  Kalkes  streichen  hier  SO, 
fallen  SW,  sind  also  ebenfalls  gegen  das  hier  schon  N-S  streichende 
Ufer  quer  gerichtet.  Die  Katavothre  besteht  zunächst  aus  einem 
oben  offenen  Eingang  ohne  Decke,  der  sich  dann  in  zwei  bedeckte 
Gänge  spaltet;  der  rechte  Hauptgang  zieht  dem  Schichtstreichen  fol- 
gend nach  SO,  der  linke,  engere  Gang  nach  NO;  der  Boden  beider 
liegt  etwa  5 m unter  dem  Niveau  der  Ebene,  die  sich  vor  dem  Ein- 
gang stark  zu  diesem  hinabsenkt.  Gleich  hinter  der  Katavothre  be- 
ginnt die  Reihe  von  antiken  Schächten,  die  sich  nach  NO  über  das 
Joch  von  Larymna  zieht.  Sollte  der  linke  Gang  vielleicht  der  Anfang 
eines  künstlichen  Tunnels  sein?  Seine  Form  ist  zwar  sehr  unrcgel- 
mäfsig,  könnte  aber  durch  Abwitterung  verändert  sein. 

8)  Die  Grofse  Katavothre*  (>)  MeyuXtj  Kataßm&nn)*),  in  welche 
sich  noch  jetzt  der  Mclas  das  ganze  Jahr  ergiefst.  Sie  öffnet  sich  am 
Ostrande  der  Bai  als  ein  mächtiges  Felsenthor,  von  der  Sohle  bis  zur  Decke 
(nach  I.olling,  im  Baedeker)  über  25  m hoch.  Die  Schichten  streichen  O 
bis  NO  und  fallen  SO;  die  Decke  des  Thorbogens  wird  von  einer  nach 
SO  geneigten  Schichtfläche  gebildet.  (S.  die  Abbildung  im  Text.)  Der 
Boden  des  Thores  liegt  viel  tiefer  als  die  Ebene,  sodafs  das  Wasser  (vor 
der  Trockenlegung  des  Sees)  im  Winter  bis  zur  Decke  des  Thores  reichte. 
(Die  Decke  liegt  also  etwa  97  m ü.  d.  M. ; der  Boden  demnach  etwa 
72  m;  der  Secbodcn  liegt  in  dieser  Gegend  94,5  m ü.  d.  M.)  Der  wasser- 
reiche Melas,  der  schon  vorher  einige  Meter  tief  in  die  Ebene  einge- 
schnitten ist,  stürzt  sich  mit  brausenden  Stromschnellen  in  den  Schlund. 
Dieser  ist,  soweit  man  sehen  kann,  nach  O gerichtet.  Man  kann  in  die 
mächtige  Höhle  einige  Schritte  weit  hineingehen,  dann  versperrt  aber  ein 
herabgestürzter  Teil  der  Decke  den  Weg;  in  das  durch  diesen  Einsturz 
entstandene  Loch  kann  man  von  oben  hinabsteigen.  Man  sieht  dann,  wie 
das  Wasser  zwischen  den  Blöcken  strudelnd  in  die  Tiefe  verschwindet. 
Der  sichtbare  Teil  des  Höhlenganges  hört  hier  auf;  aber  an  der  Ober- 
fläche in  derselben  Richtung  weitergehend,  kommt  man  zu  einer  kleinen 

')  Ulrichs  S.  zu. 

Vgl.  Brandis  S.  12g,  Fiedler  S.  108  und  die  anderen  Schriftsteller. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  nnd  seine  Umgebung. 


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Doline,  ein  Beweis,  dafs  die  Höhle  hier  fortsetzt.  — Über  dem  Eingangs- 
thor der  Katavothre  steht  eine  kleine  Kapelle  und  ein  einzelner  Ölbaum. 

9.  Katavothre  von  Suda,  am  Südrande  der  Bai  von  Topolias. 

Alle  Katavothren  dieser  Gruppe,  mit  Ausnahme  der  Grofsen  Kata- 
vothre, waren  auch  vor  derTrockenlegung  des  Sees  nur  bei  hohem  Wasser- 
stand in  Thätigkeit,  im  Sommer  aber  trocken;  jetzt  sind  sie  ganz  aufser 
Thätigkeit  gesetzt  Die  Grofse  Katavothre  ist  die  einzige  Ka- 
tavothre am  ganzen  See  — vielleicht  mit  Ausnahme  von  Nr.  1. 
(Stroviki)  — welche  früher  und  ebenso  noch  jetzt  das  ganze 
Jahr  hindurch  Wasser  verschlingt,  und  zwar  in  grofser  Masse. 
Wenn  wir  von  ihr  aus  im  Streichen  der  Schichten  nach  O gehen,  so  finden 
wir  in  6 km  Entfernung  die  grofse  Quelle  von  Skroponeri  am  Gestade 
der  gleichnamigen  Meeresbucht.  Auch  diese  Quelle  führt  das  ganze  Jahr 


Grofse  Katavothre  mit  dem  Melas-Flufs. 


Nach  einer  vom  Verfasser  am  20.  Marz  1893  aufgenommenen  Photographie 


Wasser1).  Eine  zweite  Gruppe  von  zwei  grofsen  Quellen  (Kephalaria  im 
Neugriech.)  liegt  jenseits  des  Joches  mit  den  antiken  Schächten  gegen 
barymna  zu.  Die  obere  dieser  Quellen,  die  ich  am  14.  April  1890  be- 

■)  Vgl.  Fiedler  I S.  1*5  Forchhammer  I S.  164  f.,  Heger  in  Kraus  a.  a. 
0.  S.  389,  meinen  „Bericht  u.  s.  w.“  S.  389. 

Zeiuchr  d.  GcelUch.  f.  Erdk.  Ud.  XXIX.  4 


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Alfred  Philippson: 


suchte1),  entspringt  in  einem  kleinen  Thalkessel,  aus  dem  sich  ein 
Thälchen  zur  Bucht  von  Larymna  hinabzieht;  die  Quelle  liegt  nach 
Heger8)  33  m,  nach  Durand-Clay  (a.  a.  O.  S.  6)  45  m ü.  d.  M.  Sie  bildete 
zunächst  einen  kleinen,  wie  es  schien  sehr  tiefen  Teich,  in  dem  das 
Wasser  zum  gröfsten  Teil  von  unten  heraufquoll,  und  flofs  dann  durch 
das  Thälchen  zum  Meer.  In  demselben  Thälchen  entpringt  dann  dieandere 
mächtige  Quelle*).  Die  obere  Quelle  trocknete  stets  im  Sommer  aus; 
Heger  fand  sie  schon  im  Mai  trocken,  während  die  untere  Quelle  sich 
länger  hielt,  aber  auch  im  Sommer  fast  ganz  verschwand.  Jetzt,  nach- 
dem der  Kopals-See  trocken  gelegt  ist,  sollen  beide  Quellen  ver- 
siegt sein.  Ich  fand  im  April  1890  in  der  oberen  Quelle  noch  Wasser, 
da  damals,  nach  Angabe  des  Herrn  Lallier,  sich  in  der  Bai  von  To- 
polias  noch  etwas  Wasser  befand,  das  seitdem  ebenfalls  verschwunden  ist. 

Durch  diesen  Zusammenhang  der  Wasserstände  ist  nachgewiesen 
dafs  die  Quelle  von  Skroponeri  der  Grofsen  Katavothre  entstammt, 
dafs  dagegen  die  Quellen  von  Larymna  den  Abflufs  der  jetzt  aufser 
Thätigkeit  gesetzten  Katüvothren  4 — 7 darstcllten,  sei  es  einer  be- 
stimmten oder  aller  zusammen.  Der  Verlauf  des  Schichtstreichens  weist 
mehr  auf  eine  Verbindung  der  Larymna-Quelle  mit  den  Katavothren 
4 — 6,  als  mit  derjenigen  von  Binia  7,  welche  schon  in  SO  streichendem 
Kalk  liegt.  Die  meisten  Schriftsteller  nehmen  letztere  Verbindung  an, 
verleitet  durch  die  tiefe  Einsattelung  der  Oberfläche  zwischen  Binia  und 
Larymna.  Dafs  aber  die  Oberflächengestalt  auf  den  Verlauf  der  Ka- 
tavothrengänge  keinen  Einflufs  hat,  ist  schon  erwähnt  worden. 

Strabo  berichtet  (IX,  2,  18):  „Als  der  Kopais-See  anwuchs,  so  dafs 
er  Kopae  zu  ertränken  drohte,  entstand  am  See  nahe  bei  Kopae  ein 
Schlund  (j;«V/ra)  und  eröffnete  einen  unterirdischen  Abflufs  von  30  Stadien, 
und  dieser  nahm  den  Flufs  — (den  Kephissos,  d.  h.  den  Melas  s. 
S.  40  ff.)  — auf;  darauf  brach  dieser  bei  dem  lokrischen  oberen  La- 
rymna wieder  an  die  Oberfläche.  Der  Ort  wird  Anchoe  genannt.  Es 
ist  aber  auch  ein  gleichnamiger  Sec;  und  von  dort  mündet  bereits  der 
Kephissos  in  das  Meer.  Da  nun  damals  die  Überschwemmung  auf- 
hörte, so  hörte  auch  die  Gefahr  für  die  Umwohner  auf,  aufser  den 
schon  ertränkten  Städten." 

Diese  neu  eröffnete  Katavothre  des  Strabo  kann  nur  in  unserer 
Gruppe  II,  nicht  in  Gruppe  I gesucht  werden,  da  eine  Verbindung 
zwischen  letzterer  und  den  Quellen  von  Larymna  auch  den  Alten  nicht 
annehmbar  erscheinen  konnte;  auch  steht  dem  die  Entfernungsangabe 

*)  Vgl.  meinen  „Bericht“  S.  389- 

2)  Denkschr.  d.  Wiener  Akad.  d.  Wiss.,  Math,  natunv.  CI.,  40.  Bd  , S.  79. 

*)  Ober  diese  Quellen  vgl.  Lcakc  II  S.  286,  Forchliammcr  I S.  164,  Fiedler  I 
S.  110  („bei  den  Martini-Mühlen“)  u.  a. 


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Der  Kopaüs-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  51 

von  30  Stadien  entgegen.  Die  Worte  „nahe  bei  Kopae“  sind  also  in 
weiterem  Sinn  zu  fassen.  Da  die  Katavothre  Nr.  5 schon  zur  Minyer- 
Zeit  in  Thätigkeit  war,  wie  wir  sahen,  Nr.  7 aber  kaum  mit  der  Quelle 
von  Larymna  in  Beziehung  stehen  dürfte,  wird  es  wohl  Nr.  4 oder 
Nr.  6 gewesen  sein.  Der  „See“  Afichoe  ist  jener  Quellteich  der  oberen 
Quelle')  von  Larymna;  es  ist  daher  die  von  Bittner  geäufserte  Ver- 
mutung, das  Kesselthal  der  Quelle  sei  ein  See  gewesen  und  vielleicht 
erst  durch  Menschenhand  abgeleitet  worden,  überflüssig. 

III.  Gruppe  bei  der  Insel  Gla. 

10.  Katavothre  auf  der  Ostseite  der  Insel  Gla. 

11.  und  12.  Zwei  Katavothren  von  Ptelea. 

13.  Katavothre  von  Vrystika. 

Diese  Katavothren  liegen  zwischen  der  Bai  von  Topolias  und  der 
von  Karditsa,  wo  die  Kalke  und  Schiefer  der  Ptoischen  Zone  gegen 
den  See  ausstreichen.  Sie  bilden  also  das  genaue  Gegenüber  der 
Gruppe  I.  Nr  11 — 13  entwässern  einen  der  tiefsten  Teile  des  See- 
bodens. Das  Wasser  kann  von  hier  aus,  dem  Streichen  der  Kalkzüge 
folgend,  augenscheinlich  nur  zum  Paralimni-See  gelangen. 

IV.  Gruppe  der  Bucht  von  Karditsa. 

Die  Nordseite  der  Bucht  besitzt  keine  Katavothren,  da  sie  genau 
im  Streichen  der  Schichten  verläuft.  Dagegen  finden  wir  auf  der  Süd- 
seite eine  ganze  Reihe.  Die  erste  Strecke  des  Südrandes,  vom  Innern 
der  Bucht  aus,  verläuft  nach  West;  die  Schichten  streichen  in  sehr 
spitzem  Winkel  gegen  das  Ufer  aus.  Hier  befinden  sich  mehrere  Höhlen 
im  Klippenrand,  welche,  im  Schichtstreichen  verlaufend,  sich  schief  gegen 
das  Ufer  öffnen.  Dann  springt  der  Rand  nach  SSW  zurück,  während 
die  saigeren  Schichten  genau  O streichen.  In  dieser  Querstrecke 
liegen  wieder  eine  ganze  Anzahl  von  grofsen  Höhlen  etwas  über  der 
Ebene,  und  zuletzt 

14.  die  Katavothre  von  Palaeomylos*  oder  H.  Ni  ko  laos  (nicht  zu 
verwechseln  mit  Nr.  4).  Sie  ist  sehr  niedrig;  ihre  Decke  liegt  im  Niveau 
der  Ebene,  deren  Boden  zu  ihr  einsinkt.  Sie  ist  durch  Alluviallehm 
fast  ganz  verstopft.  Ihr  Verlauf  liegt  genau  im  Streichen  der  Schichten, 
W — O.  — Nun  folgt  eine  Uferstrecke  nach  WNW,  im  Streichen  der 
Schichten,  daher  ohne  Katavothren.  Wo  die  Küste  nach  SW  umbiegt, 
liegt  an  der  Ecke 

5 ) Diesen  See  erwähnt  auch  Pausanias  IX,  13,  7;  (bei  Larymna)  Itut  rj  di 
(eitr  äyxtßald ijc,  ein  Beiwort,  das  auf  den  Quellteich  sehr  wohl  pafst.  Es  ist  daher, 
besonders  gegenüber  den  klaren  Worten  des  Strabo,  nicht  nötig,  anstatt  li/rvy  zu 
setzen  wie  dies  Schubart  nach  dem  Vorgang  von  Ulrichs  (I  S.  233)  thut. 

4* 


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Alfred  Philippson: 


15.  die  Katavothre  von  Sopi.*  Schichtstreichen  S 55  O,  Fallen  SW  . 
Die  Decke  liegt  im  Niveau  der  Ebene.  Von  dem  nahen  antiken  Haupt- 
kanal führt  eine  Zuleitung  zu  ihr  hin,  auf  einer  (der  östlichen)  Seite 
von  einem  Deich  begleitet,  welcher  das  Wasser  von  der  Bucht  von 
Karditsa  absperrte. 

Nun  folgt  eine  nach  S gerichtete  Küstenstrecke  bis  zum  Kap  H. 
Marina;  die  Schichten  streichen  O bis  OSO,  also  fast  rechtwinklig  auf 
das  Ufer.  Eine  grofse  Zahl  von  grottenarligen  Katavothren  und  kleinen 
Spalten  durchlöchern  hier  siebartig  den  Klippenrand.  Alle  liegen  im 
Streichen  der  Schichten,  ihr  Boden  meist  unter  dem  Niveau  der  Ebene, 
dabei  oft  ihre  Decke  hoch  über  demselben.  Der  Boden  ist  meist  mit 
hineingeschwemmter  Erde  verstopft,  z.  T.  ist  auch  die  Decke  einge- 
stürzt, und  grofse  Blöcke  liegen  dann  vor  und  in  dem  Loch.  Ein 
antiker  Deich  zieht  dicht  am  Ufer  vorbei,  und  Zweigkanäle  fuhren  zu 
vielen  der  Katavothren  hin.  Die  Karte  des  Herrn  I.allier  giebt  auf 
dieser  Strecke  nur  4 Katavothren  an,  die  wir  als  Nr.  16 — 19  bezeichnen 
wollen. 


V.  Gruppe  der  Bucht  von  Kaneski. 

Am  Nordrande  dieser  Bucht  begegnen  wir  zunächst  mehreren  alten 
Katavothren  in  gröfserer  Höhe,  dann 

20.  einer  kleinen  Katavothre,*  deren  Boden  etwa  3 m unter  dem 
Niveau  der  Ebene  liegt  und  die  im  Streichen  der  Schichten  (N  40 0 0 
Fallen  flach  SO)  verläuft.  Am  Eingang  ist  die  Decke  herabgestürzt.  — 
Dann  folgt  eine  Höhle  etwa  4 m über  der  Ebene.  Darauf 

21.  die  Grofse  Katavothre  von  Kaneski.*  Der  Kalk  streicht 
N 65  0 O.  Die  Katavothre  ist  eine  schmale,  unregelmäfsige  Kluft  im 
Streichen  der  Schichten;  die  Sohle  liegt  etwa  3$  m unter  dem  Niveau 
der  Ebene,  und  auch  der  obere  Teil  ragt  nicht  über  dasselbe  hinaus. 
Ein  alter  Kanal  führt  zu  der  Katavothre  hin.  Als  der  See  noch  be- 
stand, funktionierte  diese  Katavothre  kräftig;  man  hat  sie  jetzt  gereinigt, 
damit  sie  das  Regenwasser  der  Bucht,  das  keinen  Abflufs  zu  dem  grofsen 
Gürtelkanal  der  Gesellschaft  hat,  aufnimmt.  Bei  der  Reinigung  stiefs 
man  auf  Spuren  .alter  sorgfältiger  Bearbeitung  des  Schlundes1). 

Auf  der  Südseite  der  Bucht  liegen,  im  Kalk  der  Schwelle,  welche 
die  Kopais  von  der  Thebanischen  Ebene  trennt: 

22.  die  Kleine  Katavothre  von  Kaneski; 

23.  die  Katavothre  von  Mavromati; 

24.  die  Katavothre  von  Mulki, 

welche  die  Sümpfe  von  Haliartos  entwässerten. 

1 ) Kambanis  S.  136  Anm. 


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Der  KopaTs-See  in  Griechenland  ond  seine  Umgebung.  53 

Wir  haben  nun  noch  kurz  zu  erörtern,  wohin  das  Wasser  abflofs, 
welches,  vor  der  Austrocknung  des  Sees,  zur  nassen  Jahreszeit  in  diesen 
Katavothren  der  Gruppen  III  bis  V verschwand.  Es  ist  klar,  dafs  der 
unterirdische  Abfltifs  von  der  Ostseite  des  Sees  im  Streichen  der 
Schichten  des  Kalksteins  nach  O und  ONO  zum  Meer  geschah.  Am 
Rande  der  Phaga-Masse  gegen  die  untere  Thebanische  Ebene  treten 
keine  erheblichen  Quellen  auf.  Der  Kalk  der  Ktypa-Gruppe  ist  durch 
den  Serpentin  von  Muriki  und  Lukisia  getrennt  von  den  Kalken  am 
Kopals-See,  also  für  die  Gewässer  des  letzteren  unerreichbar.  Der 
ganze  Abflufs  der  Kopals  mufs  also,  soweit  er  nicht  in  den  Quellen 
von  Larymna  und  Skroponeri  zu  Tage  tritt,  zwischen  letzterer  und  der 
Gegend  von  Lukisia  das  Meer  erreichen.  An  der  Oberfläche  sichtbare, 
bedeutendere  Quellen  finden  sich  in  dieser  Gegend  nur  drei:  i.  am 
Westende  des  Sees  von  Likeri,  durch  welche  Kopa'is-Wasser  diesem 
See  zuströmt;  sie  trocknete  im  Sommer  aus;  2.  am  Westende  der 
Paralimni,  die  wohl  Wasser  des  Likeri-Sees  führt;  3.  eine  salzige 
Quelle  am  Meerestrande  bei  Anthedon,  ein  Abflufs  der  Paralimni.  — 
Diese  drei  Quellen  sind  sehr  unbedeutend  im  Verhältnis  zu  der  Masse, 
die  zur  Zeit  des  gefüllten  Sees  in  die  Katavothren  abströmte.  Der  gröfste 
Teil  des  Kopals- Wassers  mufste  also  ausschliefslich  unterirdisch  strömend, 
unter  dem  Meeresspiegel  dem  Meer  zufliefsen.  Es  scheint  also,  dafs 
ein  einheitliches  unterirdisches  Wasserniveau  mit  meerwärts  gerichtetem 
Gefälle  sich  von  der  Kopals  zur  Küste  hinab  erstreckt.  Dieser  Grund- 
wasserstrom ist  es  auch  höchst  wahrscheinlich,  welcher  die  Seebecken 
von  Likeri  und  Paralimni  mit  Wasser  erfüllt.  Denn  das  oberirdische 
Zuflufsgebiet  dieser  Becken  ist  zu  gering,  um  die  grofse  Menge  von 
Wasser,  die  sich  in  ihnen  beständig  hält,  zu  erklären.  Dafs  thatsächlich 
ein  unterirdischer  Zusammenhang  zwischen  der  Kopals  und  den  beiden 
Seen  besteht,  ergiebt  sich  auch  daraus,  dafs  diese  in  ihrem  Wasser- 
stand mit  ersterer  stiegen  und  fielen.  Seitdem  der  Likeri-See  durch 
die  jetzige  Zuleitung  des  Kopals-Wassers  ansteigt,  erhöht  sich  auch  der 
Spiegel  der  Paralimni,  wenn  auch  langsamer;  es  besteht  also  auch  eine 
unterirdische  Verbindung  zwischen  Likeri  und  Paralimni.  Vor  den 
jiingsten  Eingriffen  in  die  hydrographischen  Verhältnisse  waren  also 
diese  beiden  Seen  Grundwasser-Seen,  ihre  Spiegel  entsprachen  dem 
Niveau  des  unterirdischen  Wasserstroms,  der  von  der  KopaJs  zum  Meer 
hinabzog;  dadurch  erklärt  sich  zugleich,  dafs  die  Spiegelhöhen  der 
drei  Seen  treppenförmig  zum  Meer  absteigend  angeordnet  sind. 


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Alfred  Philippson: 


V.  Die  Geschichte  des  Sees  und  seines  Gebietes.  Die  Versuche 
zu  seiner  Austrocknung. 

a.  Mythische  Zeit. 

Wir  müssen  annehmen,  dafs  zu  der  Zeit,  als  sich  zum  ersten  Mal 
ein  Kulturvolk  an  den  Ufern  des  Kopais-Sees  niederliefs,  dieser  sich 
schon  in  einem  ähnlichen  Zustand  befunden  habe,  wie  in  der  Neuzeit 
vor  der  jüngsten  Ableitung  durch  die  Kopals-Gesellschaft.  Schon  damals 
war  es  ein  periodischer  See,  durch  Katavothren  entwässert,  die 
freilich  nicht  alle  dieselben  gewesen  sein  müssen,  die  in  der  Neuzeit 
in  Thätigkeit  waren;  es  war  ein  See,  der  in  der  heifsen  Zeit  bis  auf  einige 
Sümpfe  eintrocknete.  Die  Umwohner  sahen  alljährlich  eine  weite, 
überaus  fruchtbare  Ebene  vor  ihren  Augen  erscheinen,  die  sich  aber 
jedesmal  nach  so  kurzer  Zeit  wieder  mit  Wasser  bedeckte,  dafs  ein 
regelmäfsiger  Anbau  derselben  nicht  möglich  war.  Da  mufste  sich, 
namentlich  bei  einem  des  Wasserbaues  kundigen  Volk,  der  Gedanke 
leicht  cinstellen,  ob  es  nicht  möglich  wäre,  durch  Eindämmung  und 
Ableitung  der  Zuflüsse  den  vorübergehenden  Zustand  der  Trockenheit 
in  einen  dauernden  zu  verwandeln.  Bei  einem  beständigen  See,  dessen 
Boden  niemals  sichtbar  wurde,  wäre  ein  solcher  Gedanke  wohl 
schwerlich  gefafst  worden. 

Es  melden  uns  nun  alte  Sagen  aus  grauer  Vorzeit,  dafs  einst  ein 
Volk  dort  gesessen  habe,  welches  dieses  grofse  Werk  mit  Erfolg  durch- 
führte, das  Volk  der  Minyer.  Das  wenige,  was  die  alten  Sagen  von 
diesem  Volk  berichten,  ist  durch  die  Forschungen  geistreicher  Alter- 
tumskenner, durch  Aufhellung  des  Zusammenhangs  alter  Ortsnamen 
und  Götterkulte,  dann  durch  die  Entwickelung  der  Denkmalskunde  in 
helleres  Licht  gerückt  worden1). 

Die  Minyer,  die  bei  den  Griechen  stets  in  ruhmreichem  Andenken 
geblieben  sind,  waren  ein  seefahrendes  Volk,  welches  den  Griechen 
stammverwandt,  aus  Vorder-Asien  herüberkam  und  sich,  mit  asiatischer 
Kultur  erfüllt,  an  den  östlichen  Küsten  Griechenlands  in  zahlreichen 
Kolonien  niederliefs.  Die  Sage  von  dem  kühnen  Argonautenzuge 
knüpft  sich  an  die  Minyer;  ihnen  gehört,  nach  Curtius,  auch  der 
Stamm  der  Gephyraeer  an,  welcher  den  Wasserbau  und  wohl  auch  die 
Schrift  nach  Griechenland  brachte.  Der  Wasserbau  konnte  in  solcher 
Vollendung,  wie  wir  ihn  gerade  in  der  heroischen  Vorzeit  in  Griechen- 
land an  mehreren  Orten  antreffen  — er  wird  von  den  Sagen  meist 

1 1 Vergl.  Curtius,  Die  Deichbauten  der  Minyer,  und  die  dort  angegebene 
Literatur. 


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Oer  Kopa'is-See  io  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


55 


dem  Herakles  zugeschrieben  — dort  nicht  gut  entstanden  sein,  in 
einem  Lande,  wo  die  Gelegenheit  zu  seiner  Ausübung  immerhin  recht 
beschränkt,  seine  Bedeutung  nur  für  wenige,  eng  begrenzte  Gaue  eine 
hervorragende  war.  Er  kann  nur  von  den  grofsen  Flufslandschaften 
Asiens  und  Ägyptens  herübergebracht  sein,  wo  die  Natur  des  ganzen 
Landes  zu  seiner  Bethätigung  zwang,  wo  keine  höhere  Kultur  ohne 
ihn  möglich  war. 

Diese  Minyer  kamen  von  der  nahen  Küste  aus  auch  in  das  Ko- 
paJs-Becken  und  liefsen  sich  dort  zuerst  in  der  Ebene  am  Südrande 
nieder,  gründeten  aber  später,  durch  Überschwemmungen  aus  der 
Ebene  vertrieben1),  an  und  auf  dem  vorspringenden  Sporn  des  Berges 
Akontion  (Dtirduvana),  einem  zur  Beherrschung  der  Seeebene  wie  ge-  • 
schaffenen  Orte,  einen  prächtigen  Königssitz,  die  Stadt  Orchomenös, 
Nach  Strabo  scheint  es,  als  ob  diese  Verlegung  der  Austrocknung  des 
Sees  voranging ; jedenfalls  steht  die  Blüte  dieses  Orchomenos  auf  dem 
Akontion  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  den  Wasserbauten.  Or- 
chomenos wurde  „eine  der  belebtesten  Verkehrstädte  des  Altertums, 
wo  man  von  verschollenen  Menschen,  wie  Orestes,  am  ehesten  Kunde 
zu  erlangen  hoffen  konnte,  die  goldreiche  Königsstadt,  in  der  so  viele 
Einkünfte  zusammenströmen,  wie  in  dem  hundertthorigen  Theben“. 
\Curtius  a. a. O.  S.  1188)*).  Für  die  Bedeutung  des  minyschen  Orchomenos 
zeugt  noch  heute  das  grofse,  prächtig  ausgestattete  Kuppelgrab,  das 
sog.  „Schatzhaus  des  Minyas",  das  durchaus  den  ähnlichen  Bauten  in 
Mykenae  entspricht  und  diesen  wohl  gleichaltrig  ist.  Dieser  Reichtum 
und  dieser  Verkehr  von  Orchomenos  sind  nur  denkbar,  wenn  der  Ko- 
pais-See  ausgetrocknet,  in  fruchtbare  F’luren  umgewandelt  und  von 
Strafeen  durchzogen  war.  Denn  das  anbaufähige  Gebiet  der  Stadt 
aufserhalb  des  Seebodens  ist  von  geringer  Ausdehnung,  und  wenn  der 
Seeboden  unzugänglich  ist,  liegt  sie  abseits  jedes  gröfseren  Verkehrs- 
weges, während  sie  im  Gegenteil,  wenn  der  See  durchkreuzt  werden 
kann,  den  kürzesten  Weg  von  Attika,  Theben,  dem  Euripos  einerseits  nach 
dem  oberen  Kephissos-Becken  und  dem  Gebiet  des  Spercheios  anderer- 
seits beherrscht.  In  der  That  hat  Orchomenos  später,  als  der  See 
wieder  bestand,  nie  wieder  eine  hervorragende  Stellung  eingenommen. 

Ist  also  der  Glanz  der  Minyer  - Stadt  Orchomenos  nur  verständlich 
unter  der  Voraussetzung,  dafs  die  See-Ebene  ausgetrocknet  und  ange- 
baut war,  so  wird  dies  ausdrücklich  bezeugt  durch  Strabo,  der,  alten 
Sagen  folgend,  schreibt  (IX,  2,  40) : „Man  sagt,  dafs  das  Gebiet,  welches 
jetzt  der  Kopa'is-See  einnimmt,  früher  ausgetrocknet  (änmy&ui)  und  von 


')  Strabo  IX,  z,  18.  41. 

VgL  Strabo  IX,  2,  40.  Pausanias  IX,  36,  3. 


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56 


Alfred  Philippton: 


den  benachbarten  Orchomeniern  völlig  angebaut  gewesen  sei.  Auch 
dieses  führt  man  als  Beweis  ihres  Reichtums  an.“  Der  Sage  nach  ge- 
hörte also  der  ganze  Seeboden  den  Orchomeniern,  die  aus  ihm  vor- 
nehmlich ihren  Reichtum  bezogen.  Gleichzeitig  lagen  auch  andere  ur- 
alte Städte  um  den  See  herum,  welche  später  durch  Überschwemmung 
zu  Grunde  gingen,  so  Eleusis  und  Athene  am  Triton  - Flufs  (also  am 
Südrand),  und  die  noch  im  Schiffskatalog  der  Ilias  erwähnten  Arne 
und  Mideia.  (Strabo  IX,  2,  18.  35.  Pausanias,  IX,  24,  2).  Auf  der 
jähen  Felsinsel  Gla,  welche  sich  nahe  der  Ostküste  aus  dem  See  er- 
hebt, finden  sich  heute  noch  kyklopische  Mauerreste  einer  Nieder- 
lassung aus  mythischer  Vorzeit1),  welche  in  ihrer  Bauart  den  Mauern 
von  Mykenae  entsprechen.  Vielleicht  ist  es  die  Burg  von  Arne,  an 
deren  Fufs  diese  Stadt  in  der  See-Ebene  selbst  lag.  Natürlich  mufste 
nach  der  Überschwemmung  der  Unterstadt  auch  die  Burg  verlassen 
werden;  das  benachbarte  Akraephion  machte  später  auf  den  Namen 
Arne  Anspruch  (Strabo  IX,  2,  34).  Alle  diese  Städte  standen  wahrschein- 
lich unter  der  Oberherrschaft  der  Orchomenier,  sodafs  diese  als  die 
Besitzer  des  ganzen  Seebodens  gelten  konnten. 

Uber  das  Ende  der  Orchomenischen  Herrlichkeit  berichten  nun 
die  Sagen  weiter,  dafs  die  Thebaner  — welche  dem  von  den  Minyern 
scharf  unterschiedenen  Stamm  der  Böotier  angehörten  -r  als  sie  sich, 
eifersüchtig  auf  die  Macht  der  Orchomenier,  gegen  diese  erhoben, 
unter  Beihüife  des  Herakles  die  Katavothren  verstopften  und  so  den 
ganzen  Seeboden  wieder  unter  Wasser  setzten.  So  überliefert  es 
Diodor  (4,  18):  „Er  (Herakles)  bewirkte  durch  Verstopfung  des  Ab- 
flusses (1 (tti&Qor ) bei  dem  minyschen  Orchomenos,  dafs  das  Land  in 
einen  See  verwandelt  wurde,  und  dafs  alles  in  ihm  zu  Grunde  ging“; 
ferner  Pausanias  (IX,  38,  5):  „Die  Thebaner  sollen  unter  Herakles 
den  Flufs  Kephissos  in  die  Orchomenische  Ebene  abgeleitet  haben; 
bis  dahin  sei  aber  dieser  unter  dem  Berg  in  das  Meer  entwichen,  be- 
vor Herakles  den  durch  den  Berg  führenden  Schlund  (xdafiu ) verstopft 
habe“.  Übrigens  bezweifelt  Pausanias  gleich  darauf  die  Richtigkeit 
dieser  Sage;  denn  es  sei  kein  Grund  vorhanden,  weshalb  die  Orcho- 
menier  den  Schlund  nicht  wieder  hätten  öffnen  können,  da  sie  auch  noch 
später  reich  gewesen  seien.  Polyaenos  aber  stellt  die  Sache  wesent- 
lich anders  dar;  darnach  hätte  Herakles  nur  während  der  Entschei- 
dungsschlacht gegen  die  Orchomenier  den  Schlund  verstopft,  später 
aber  habe  er  die  Verstopfung  entfernt,  und  der  Kephissos  habe  seinen 
alten  Weg  wieder  genommen1). 

*)  Forchharamer  I S.  180.  Bädeker  S.  19». 

s)  'HQaxlijc  Mtwais  naltuiov  ....  yy  Ji  ü rtoTtc/jibc  Kr^ftaab;  opi(cüF  o{»ij 
Iluovitaobv  xtti ' MJvitoy,  ituvjy  &i  lrtv  Boiutu'ay  fjiorjy,  ngiy  ix/laXXiiy  tlf  Sälaacay, 


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Der  Kopats-See  in  Griechenland  und  (eine  Umgebung.  57 

Die  Sagen  sind  also  allein  wohl  nicht  beweisend,  dafs  der  See 
künstlich  durch  Verstopfung  seitens  der  feindlichen  Thebaner  wieder- 
entsanden  sei. 

Dies  ist  im  Gegenteil  aus  mehreren  Gründen  wenig  wahrscheinlich. 
Zunächst  hätte,  wenn  die  zahlreichen  Katavothren  im  allgemeinen  noch 
gut  funktionierten,  die  Verstopfung  einer  Katavothre  wohl  kaum  ge- 
nügt, den  ganzen  See  wieder  zu  überschwemmen.  Auch  ist  der  Zweifel 
des  Pausanias  wohl  berechtigt.  Entweder  verblieb  die  verstopfte  Kata- 
vothre nach  dem  Kriege  im  Besitz  der  Orchomenier,  dann  hatten  diese 
das  meiste  Interesse,  sie  wieder  zu  öffnen;  oder  aber  das  Seegebiet 
war  mm  den  Thebanern  zugefallen,  dann  ist  es  nicht  ersichtlich,  wa- 
rum diese  nicht  den  Seeboden  auch  fiir  sich  selbst  wieder  nutzbar 
machten;  denn  eine  künstliche  Verstopfung  ist  auch  leicht  wieder  zu 
entfernen.  Ein  Vergleich  mit  der  künstlich  veranlalsten  Überschwem- 
mung des  Dollart  (Curtius  a.  a.  O.  1193)  ist  deshalb  nicht  statthaft,  weil 
ein  einmal  herbeigeführter  derartiger  Einbruch  des  Meeres,  wie  beim 
Dollart,  nicht  wieder  rückgängig  gemacht  werden  kann,  wohl  aber  die  Ver- 
stopfung einer  einzelnen  Katavothre.  Wir  können  also  wohl  annehmen, 
dafs  die  Thebaner,  nachdem  sich  die  Abflufsverhältnisse  des  Sees  durch 
natürliche  Vorgänge  (vgl.  S.  2)  schon  verschlechtert  hatten,  diese 
Verschlechterung  durch  Verstopfung  einzelner  Katavothren  beschleunig- 
ten und  verstärkten,  nicht  aber,  dafs  sie  allein  den  ganzen  Seeboden 
unter  Wasser  setzten.  Auch  sind  Anzeichen  vorhanden,  dafs  diese 
Wiederherstellung  des  Sees  durch  langsames  Anwachsen  desselben 
während  längerer  Zeit  vor  sich  ging.  So  wurden  zuerst  Athen  und 
Eleusis,  viel  später  erst  Ame  und  Mideia  vom  See  verschlungen. 
Pausanias  bezeugt  ausdrücklich  (IX,  24,  2),  dafs  erstere  beiden  Städte 
durch  eine  besonders  hohe  winterliche  Überschwemmung,  also  durch 
einen  natürlichen  Vorgang,  eine  Folge  des  allmählichen  Anwachsen  des 
Sees  zu  Grunde  gegangen  seien.  Auch  sank  der  Reichtum  von  Orcho- 
menos  nicht  plötzlich,  sondern  es  erscheint  noch  bei  Homer  reich  an 
Schätzen,  während  seine  politische  Macht  schon  so  beschränkt  war, 
dafs  im  Schiffskatalog  nur  noch  das  nahe  Aspledon  zu  seinem  Gebiet 
gehörte;  dennoch  stellte  es  30  Schiffe,  während  alle  übrigen  böotischen 
Städte  zusammen  auch  nur  50  Schiffe  ausgerüstet  hatten.  Wir  thtin 
also  wohl  besser,  uns  die  Wiederentstehung  des  Kopa'is-Sees  als  einen 

ipniniütr  utyniüj  yaaunji  aqayijs  yiyvtiat,  jovto  di  To  ynffuft  ‘ Hgaxlrji  nitfro if 
fityakots  ntqirttxiaaf  tinom  uif  H fix  notapiiv  il(  to  mdiov,  fytht  Miyvni  xa&tand- 
£okto,  xai  di]  tov  ntdiov  ituvitociyros  roig  Miyöatt  To  imuxöy  riyguöy  ijy.  ‘ Htiax- 

xpflujffrrf  dnoTuyi^u  to  ynoua  xai  o Krj<fnro6{  ini  lijy  (tQyaiay  inaviQynat 
ödoy.  — Dafs  bei  den  Alten  unter  dem  Kephissos  der  Melas  zu  verstehen  sei,  ist 
S.  40  ff.  auseinandergesetzt  worden. 


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58 


Alfred  Philippson: 


langsamen  natürlichen  Vorgang  zu  denken,  der  vielleicht  unterstützt 
wurde  durch  eine  vorhergehende  Vernachlässigung  seitens  der  Orcbo- 
menier  und  durch  eine  böswillige  Verstopfung  durch  die  Thebaner. 

Jedenfalls  aber  geht  auch  aus  diesen  Berichten  mit  Sicherheit 
hervor,  dafs  i)  der  See  zur  Zeit  der  Blüte  des  minyschen  Orchomenos 
trocken  gewesen  ist,  2)  damals  der  Abflufs  nur  durch  natürliche  Kata- 
vothren  (jdiruant)  besorgt  wurde,  3)  dafs  das  Ende  der  minyschen 
Herrlichkeit  und  das  Emporsteigen  Thebens  zusammenfiel  mit  einer  er- 
neuten allgemeinen  Überschwemmung  des  Seebodens. 

Orchomenos  sank  damals  langsam,  aber  endgültig  von  seiner 
Höhe  herab,  da  ihm  seine  Lebensader  unterbunden  war;  Theben  trat 
an  die  Spitze  Böotiens  und  schwang  sich  allmählich  zu  einer  der  ersten 
Städte  von  Hellas  auf.  Dieser  Wechsel  in  der  Bedeutung  der  Haupt- 
städte spiegelte  nur  das  Schicksal  der  beiden  grofsen  böotischen  Becken- 
landschaften, der  Thebanischen  und  der  Kopais,  wieder.  Diese  letztere 
wurde  nun  zum  grolsen  Teil  durch  einen  widrigen  Sumpfsee  einge- 
nommen, der  weithin  seine  Umgebung  mit  Fiebern  verpestete ; das  an- 
baufähige Land  wurde  auf  einen  schmalen  Saum  beschränkt.  Die  ganze 
Kopais-Ebene  stand  von  da  an  an  historischer  und  kultureller  Bedeu- 
tung weit  hinter  dem  östlichen  Böotien  zurück. 

Dies  der  Inhalt  der  sagenhaften  Berichte  über  eine  uralte  Kultur 
iin  Kopäis-Becken.  Man  hat  zuweilen  gezweifelt,  ob  ihnen  historische 
Wahrheit  zu  Grunde  läge.  Auch  läfst  es  die  erwähnte  Stelle  bei  Strabo 
unentschieden,  ob  die  Austrocknung  des  Sees  eine  natürliche  oder 
künstliche  gewesen  sei.  Neuerdings  aber  sind  alle  Zweifel  durch  eine  hoch 
bedeutsame  Entdeckung  gehoben  worden,  welche  man  bei  Gelegenheit 
der  jetzigen  Austrocknung  des  Sees  gemacht  hat.  Es  fanden  sich  näm- 
lich auf  dem  Boden  des  Sees  Spuren  eines  ausgedehnten  Systems  von 
Kanälen  und  Deichen,  die  den  ganzen  See  umspannten,  die  Zu- 
flüsse desselben  fassen  und  zu  den  Katavothren  am  Ostrande  führen 
sollten.  Einzelne  dieser  Dämme  waren  schon  früher  bekannt;  man  hatte 
sie  aber  bisher  als  alte  Strafsen  angesprochen,  bis  diese  Deutung  nach 
Erkenntnis  des  ganzen  Systems  hinfällig  wurde.  Die  Herren  Michel 
Kambanis  nnd  Lallier,  Beamte  der  Kopa'is-See-Gesellschaft  haben 
diese  Bauten  untersucht  und  darüber  einen  vorläufigen  Bericht  ge- 
geben1), den  Curtius*)  zu  einer  kleinen  geistvollen  Abhandlung  be- 
nutzt hat.  Genauere  Aufnahmen  stehen  noch  aus,  aber  die  Hauptzüge 
des  ganzen  Werkes  sind  festgestellt,  und  es  ist  überzeugend  dargethan, 
dafs  es  in  der  That  der  Entwässerung  des  Sees  dienen  sollte.  Da  von 
einer  späteren  erfolgreichen  Trockenlegung  kein  Bericht  vorliegt,  müssen 

*)  Bulletin  de  Correspondance  Hellenique  1892.  S.  121 — 137. 

s)  Sitzungsber.  Berl.  Akad.  Phil.-hist.  Kl.  1892  S.  1181  — 1193. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung, 


59 


wir  in  diesen  Bauten  die  Werke  der  alten  Minyer  sehen;  zudem 
weist  die  Bauart  des  Mauerwerks,  das  an  einzelnen  Stellen  der  Dämme 
noch  erhalten  ist,  entschieden  auf  die  Zeit  der  Bauten  von  Tiryns  und 
Mykenac  hin.  So  ist  es  denn  bewiesen,  dafs  die  alten  Minyer  durch 
kunstvolle  Wasserbauten  den  Kopals  - See  trocken  gelegt  haben.  Vor 
unseren  Augen  steht  ein  grofsartiges  Kulturwerk  des  grauesten  Altertums, 
von  dem  bisher  nur  dunkle  Sagen  meldeten,  in  heller  Beleuchtung  da, 
ein  Werk,  das  der  späteren  griechischen  Kultur  nicht  wieder  gelungen  ist. 

Die  Einzelheiten  der  minyschen  Wasserbauten  möge  man  in  den 
angeführten  beiden  Abhandlungen  nachlesen.  Ich  habe  nur  einzelne 
Teile  derselben  besichtigen  können  und  mich  dabei  von  der  Zuver- 
lässigkeit der  Angaben  von  Kambanis  und  I.allier  überzeugt,  ohne  bei 
der  Kürze  der  Zeit  denselben  etwas  hinzufügen  zu  können.  Was  man 
heute  noch  von  den  Bauten  sieht,  das  sind  sehr  niedrige  und  äufserst 
flach  geböschte,  dabei  sehr  breite  Erdwälle,  welche  sich  weit  hin  durch 
die  Ebene  ziehen,  hier  deutlich,  dort  streckenweise  verwischt.  Bald 
ist  es  nur  eine  einzige,  bald  sind  es  zw'ei  in  geringem  Abstand  parallel 
hinziehende  Wälle.  Zwischen  beiden,  oder  bei  einem  einzelnen  Damm 
an  dessen  einer  Seite,  sieht  man  an  vielen  Stellen  eine  langgezogene 
flache  Vertiefung,  das  Bett  eines  alten  Kanals.  So  verwischt  Deiche 
und  Kanäle  auch  zum  grofsen  Teil  sind,  so  ist  ihr  wirklicher  Bestand 
dem  Beschauer  unzweifelhaft,  da  bei  ihrer  langen  Erstreckung  und 
ihrem  Auftreten  an  den  Punkten,  wo  man  sie  erwarten  mufs,  ihr  Zu- 
sammcnschliefsen  zu  einem  wohldurchdachten  System  den  Gedanken 
an  eine  etwraige  Täuschung  durch  natürliche  Bodenerhöhungen  nicht 
aufkommen  läfst;  aufserdem  würde  jede  natürliche  Ursache  für  ihre 
Entstehung  fehlen.  Den  untrüglichsten  Beweis  liefert  aber  das  Mauer- 
werk aus  grofsen  polygonalen  Steinblöcken,  welches  an  vielen  Stellen 
die  Wasserseite  der  Deiche,  und  stets  nur  diese,  stützt  und  auskleidet. 
(Vgl.  die  Abbildungen  bei  Kambanis.)  An  einzelnen  Stellen  ist  es 
trefflich  erhalten,  während  an  anderen  nur  eine  Reihe  weifser  Steine, 
die  sich  durch  die  sonst  völlig  steinlose  Ebene  kilometerweit  hinzieht, 
seinen  ehemaligen  Bestand  anzeigt.  Diese  auffälligen  weifsen  Steinreihen 
bilden  das  deutlichste  Merkmal  für  die  Verfolgung  der  alten  Dämme. 

Es  ist  natürlich,  dafs  durch  die  Jahrtausende  lang  alljährlich  sich 
wiederholenden  Überschwemmungen  die  Kanäle  zugeschüttet,  die  Deiche 
abgeflacht  und  durch  das  abgeschwemmte  Material  verbreitert  sind. 
Auch  hat  sich  jedenfalls  der  Seeboden  beträchtlich  erhöht,  so  dafs  nur 
noch  die  Kronen  der  Deiche  aus  dem  Schwemmland  hervorragen.  Am 
besten  sind  die  Bauten  in  der  Bucht  von  Topolias  erhalten,  wo  sie  am 
stärksten  angelegt  werden  mufsten,  weil  hier  die  gesamten  Gewässer 
des  Sees  zusammengeführt  wurden.  Hier  erblickt  man  mit  wunderbarer 


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60 


Alfred  Philippson: 


Deutlichkeit  den  alten  Kanal,  wie  er  sich  durch  die  Ebene  windet,  zu 
beiden  Seiten  von  ansehnlichen  Deichen,  mit  Mauern  auf  der  Innen- 
seite, begleitet. 

Der  Plan  des  minyschen  Entwässerungs-Werkes  ist  in 
kurzen  Zügen  der  folgende. 

Drei  Kanäle  führen  von  W nach  O durch  den  See,  der  eine  am 
linken  (nördlichen)  Ufer,  der  zweite  am  rechten  (südlichen)  Ufer  entlang, 
der  dritte  durch  die  Mitte. 

1.  Der  linke  Uferkanal.  Ein  grofser  Deich  mit  einem  Kanal 
auf  der  linken  Seite,  von  Karya  nach  NO  ziehend,  sperrt  das  Mündungs- 
gebiet des  Kephissos  gegen  den  Hauptsee  ab  und  leitet  den  Flufs  nach 
NO  zur  Vereinigung  mit  dem  Melas  in  der  Gegend  von  Stroviki.  Die 
Bucht  von  Tzamali  scheint  den  Überschwemmungen  des  Kephissos  über- 
lassen worden  zu  sein,  da  dieser  nach  links  nicht  eingedeicht  war.  Nach 
der  Vereinigung  beider  Flüsse  werden  sie  dicht  an  der  Nordküste  entlang 
geleitet,  hinter  der  Insel  Stroviki  und  der  Halbinsel  von  Topolias  her, 
indem  das  linke  Ufer  durch  die  Küste,  das  rechte  durch  einen  grofsen 
Deich  gebildet  wird.  Von  Topolias  (Kopae)  führt  der  Kanal,  auf  jeder 
Seite  von  einem  ausgemauerten  Deich  eingefafst,  quer  über  die  Bucht 
von  Topolias  zur  Felsecke  beim  Pyrgos  H.  Marina,  wo  er  den  rechten 
Ufer-Kanal  aufnimmt,  dann  weiter  zum  Ostende  der  Bucht;  dort  führen 
ein  Arm  nach  der  Katavothre  von  Spitia  und,  dem  Bericht  von 
Kambanis  und  Lallier  zufolge,  andere  Arme  auch  nach  den  übrigen 
Katavothren  der  Gruppe  II.  Der  Melas  läuft  auf  dieser  ganzen  Strecke 
aufserhalb  des  alten  Kanals,  und  zw'ar  weit  tiefer  eingeschnitten  als 
dieser;  doch  war  der  Kanal  ehemals  wohl  ebenso  tief;  er  ist  jetzt  nur 
zugeschwemmt. 

2.  Der  Mittelkanal  nimmt  durch  zwei  fächerförmig  auseinander- 
strebende Deiche  die  Gewässer  des  Herkyna-Baches  auf  und  führt 
sie  nach  Osten  in  den  mittleren,  jetzt  höchsten  Teil  des  Seebodens. 
Man  hat  diesen  Kanal  7 km  weit  verfolgt;  er  ist  von  zwei  Deichen 
eingefafst,  welche  des  Mauerwerks  gänzlich  entbehren  und  allmählich 
immer  schwächer  werden,  bis  sie  endlich  verschwinden  in  der  Nähe 
eines  grofsen  Tumulus  (Grabhügels),  der,  auf  einer  jetzt  fast  unzu- 
gänglichen Stelle  gelegen,  auch  seinerseits  die  einstmalige  Kultur  des 
Seebodens  bezeugt.  Man  hat  bisher  die  Fortsetzung  des  Kanals  nach 
Osten  nicht  finden  können.  Die  Herren  Kambanis  und  Lallier  nehmen 
aber  an,  dafs  diese  Fortsetzung  einstmals  bestanden  und  dais  der  Mittel- 
kanal sich  am  Ostufer  mit  dem  rechten  Uferkanal  vereinigt  habe,  doch 
ist  auch  die  Vereinigungsstelle  noch  nicht  sicher  gefunden  worden1). 


')  VergU  Kambuus  S.  131. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


61 


Die  Fortsetzung  des  Kanals  ist  also  nur  hypothetisch.  Ich  halte 
eine  andere  Annahme  für  wahrscheinlicher.  Es  scheint  mir  nämlich 
durchaus  unnötig  und  unzweckmäfsig  zu  sein,  allein  für  die  Ableitung 
der  Herkyna  einen  Kanal  quer  durch  den  ganzen  Seeboden  zu  bauen, 
und  zwar  durch  den  höchsten  Teil  desselben;  man  konnte  den  Bach 
weit  bequemer  dem  rechten  Gürtelkanal  Zufuhren,  der  sehr  wohl  die 
Herkyna  auch  noch  aufnehmen  konnte,  da  ihm  sonst  nur  ganz  unbe- 
deutende Zuflüsse  zugehen.  Auch  die  heutige  Entwässerungs-Anlage 
führt  nicht  nur  die  Herkyna,  sondern  auch  den  Kephissos  dem  rechten 
Uferkanal  zu.  Der  Abfuhr  des  Regenwassers  konnte  der  antike  Mittel- 
kanal auch  nicht  dienen,  da  er  durch  den  höchsten  Teil  des  See- 
bodens führt,  ungleich  des  für  diesen  Zweck  bestimmten  heutigen 
Mittelkanals.  Als  Ableitungskanal  erscheint  also  der  antike  Mittelkanal 
zwecklos.  Andererseits  mufs  man  bedenken,  dafs  im  griechischen  Klima 
ein  wirklich  reicher  Ertrag  der  Ebene  nur  bei  Berieselung  derselben 
erzielt  werden  konnte.  Die  Natur  der  Kopals-Ebene  mufste  mit  Not- 
wendigkeit dazu  führen,  die  den  Minyern  alsVorbild  dienenden  asiatisch- 
ägyptischen  Wasserbauten,  bei  denen  Ent-  und  Bewässerung  stets  Hand 
in  Hand  gehen,  auch  in  der  Hinsicht  nachzuahmen,  dafs  sie  für  eine 
hinreichende  Berieselung  der  Felder  und  Gärten  sorgten.  Der  Kephissos 
war  durch  seine  wilden  Hochfluten,  der  Melas  durch  seine  excentrische 
Lage  dazu  nicht  geeignet;  die  Leitung  beider  am  Nordufer  entlang 
beweist,  dafs  sie  von  den  Minyern  nicht  für  diesen  Zweck  in  gröfserem 
Mafsstab  benutzt  wurden.  Dagegen  ist  nächst  dem  Melas  die  Herkyna 
der  zahmste  und  durch  die  grofse  Quelle  von  I.ivadia  am  gleich- 
mäfsigsten  ernährte  Zuflufs  der  Kopals  — daher  das  Fehlen  des  Mauer- 
werks an  den  Dämmen  des  Mittelkanals  - ; sie  mündete  aufserdem  an 
geeigneter  Stelle.  Ich  glaube  daher,  dafs  man  die  Herkyna  durch  den 
sog.  Mittclkanal  zur  Berieselung  des  Seebodens  verwendet  hat. 
Man  führte  sie  zu  diesem  Zweck  in  den  mittelsten  und  höchsten  Teil 
des  Seebodens,  von  wo  man  ihr  Wasser  durch  zahlreiche  kleine  und 
kleinste  Kanäle,  die  natürlich  jetzt  verschwunden  sind,  durch  die  Ebene 
verteilen  konnte.  Eine  Fortsetzung  des  Kanals,  wenigstens  in  beträcht- 
licher Stärke,  bis  zum  Ostufer  des  Sees  anzunehmen  ist  daher  nicht 
nötig.  So  würde  sich  auch  die  eigentümliche  flache  Erhöhung  er- 
klären, die  am  Ende  des  Mittelkanals  dem  schon  an  sich  höheren  Teil 
des  Seebodens  aufsitzt : sie  entstand  durch  die  allmähliche  Anschwem- 
mung des  von  der  Herkyna  mitgebrachten  Sediments,  das  sich  zumeist 
hier,  wo  das  Wasser  verteilt  wurde,  niederschlagen  mufste. 

3.  Der  rechte  Uferkanal  war  bestimmt,  die  Zuflüsse  des  Sees, 
von  der  Herkyna  an  nach  Osten,  aufzunehmen.  Er  beginnt  an  der 
Mündung  des  Phalaros  bei  Mamura  und  führt  diesen  Bach  nach  Osten; 

”\ 

A 


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62 


Alfred  Philippson: 


ein  Seitenkanal  leitet  ihn  noch  einen  anderen  Bach  des  Stidufers  zu 
Beide  Kanäle  sind  auffallender  Weise  nur  auf  der  rechten  Seite  einge- 
deicht. Kanal  und  Deich  verlieren  sich  in  jener  natürlichen  Tiefen- 
rinne (vgl.  S.  42),  welche  das  Südufer  des  Sees  begleitet  und  die 
Sümpfe  von  Haliartos  enthält.  Der  Kanal  beginnt  erst  wieder  östlich 
von  Mulki,  und  zwar  dicht  am  Ufer,  wo  der  Seeboden  höher  liegt  als 
dort,  wo  sich  die  Spuren  des  ersten  Kanalstückes  verlieren.  Hier  nahm 
er  wohl  zunächst  den  Bach  von  Mulki  (Tophis  oder  Permessos)  auf. 
Herr  Kambanis  nimmt  an,  dafs  das  fehlende  Kanalstück  zerstört  sei. 
Die  Gestalt  des  Seebodens  läfst  es  aber  als  recht  wohl  möglich  er- 
scheinen, dafs  das  erste  Kanalstück  an  den  Sümpfen  von  Haliartos  I 
geendet  habe,  sei  es,  dafs  man  das  wenige  Wasser  des  Kanals  eben- 
falls durch  kleinere  Kanäle  zur  Berieselung  verwendete,  sei  es,  dafs 
man  es  in  den  Sümpfen  verdunsten  liefs,  die  man  vielleicht  als  unbe- 
deutend bestehen  liefs.  Ich  führe  diese  Möglichkeiten  an,  um  zu  zeigen, 
dafs  man  die  wirklich  beobachteten  Kanalstrecken  nicht  ohne  weiteres 
hypothetisch  verbinden  darf,  wie  dies  die  Herren  Kambanis  und  Lallier, 
und  nach  ihnen  Curtius  gethan  haben.  — Das  Kanalstück,  das  bei 
Mulki  beginnt,  führt  nun  von  hier  am  Ostnfer  entlang  nach  Norden. 
An  den  vorspringenden  Küstenteilen  schmiegt  es  sich  unmittelbar  an, 
hier  finden  wir  naturgcmäfs  nur  einen  Deich,  und  zwar  auf  der  See- 
seite des  Kanals.  Vor  den  Buchten  aber  führt  der  Kanal  frei  hinüber, 
dort  beiderseits  von  einem  Deich  eingefafst.  Fast  zu  jeder  be- 
deutenderen Katavothre  führt  eine  Abzweigung  des  Kanals  hin.  An 
dem  Pyrgos  H.  Marina  vereinigt  sich  der  rechte  mit  dem  linken  Ufer- 
Kanal,  welcher  bei  weitem  das  meiste  Wasser  führte. 

Durch  dieses  Kanalsystem,  das  mit  aufserordentlichem  Scharfsinn 
den  natürlichen  Verhältnissen  angepafst  war,  und  das  durch  seine 
Deiche  auch  die  Hochfluten  zu  fassen  vermochte,  führten  die  alten 
Minyer  die  Zuflüsse  des  Kopals-Sees,  soweit  sie  nicht,  wie  ich  vermute, 
zur  Berieselung  verwendet  wurden,  den  Katavothren  der  Ostseite  zu. 
An  diesen  hat  man  Spuren  von  Erweiterungs-  und  Ausräumungs  - Ar- 
beiten gefunden,  die  aber  von  geringem  Umfang  sind1).  Es  fragt  sich 
übrigens  sehr,  ob  sie  von  den  Minyern  und  nicht  vielmehr  von  Krates 
(s.  unten)  herrühren.  Man  benutzte  also  zur  schliefslichen  Ableitung 
des  Wassers  aus  dem  Becken  ausschliefslich  die  vorhandenen  natür- 
lichen Schlünde,  nicht  künstliche  Durchstiche.  Dies  ist  ein  wesent- 
licher Unterschied  gegen  die  späteren  Entwässerungsversuche.  Die 
Minyer  suchten  das  Heil  nur  im  engen  Anschlufs  an  die  Natur,  nicht 
in  gewaltsamen  Eingriffen  in  dieselbe.  Für  größere  Durchstiche  in 

*j  Kambanis  S.  136. 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


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festem  Fels  batten  die  Minyer  wohl  auch  nicht  die  nötigen  Mittel 
— handelte  es  sich  doch  immer  nur  um  das  Werk  eines  verhältnis- 
mäfsig  kleinen  Kantons  — und  nicht  genügende  Erfahrung,  da  wir  an- 
nehmen müssen,  dafs  ihre  Kenntnisse  aus  den  grofsen  Stromländern 
des  Ostens  herstammten.  Die  Benutzung  der  Katavothren  brachte  aber 
grofsc  Gefahren  für  das  ganze  Werk  mit  sich,  da  die  unterirdischen 
Gänge,  der  menschlichen  Beaufsichtigung  und  Einwirkung  verschlossen, 
zahlreichen  Zufälligkeiten  ausgesetzt  waren.  Die  natürliche  Verschlechte- 
rung des  Abflufsvermögens  der  Katavothren  war  es  wohl,  welche 
schliefslich  den  Untergang  des  ganzen  minyschen  Werkes  verursachte. 

Auf  den  Isthmen  von  Larymna  und  Karditsa  finden  sich,  wie 
erwähnt,  Reste  von  künstlichen  Durchstechungs-Versuchen. 
Aber  diese  gehören  entschieden  nicht  der  minyschen,  sondern  einer 
späteren  Zeit  an.  Von  dem  Isthmus  von  Karditsa  ergiebt  sich  das 
aus  der  Lage  von  selbst,  da  ja  durch  den  Kanal-  und  Deichbau  der 
Minyer  die  Bucht  von  Karditsa  von  dem  Kopäls-See  abgeschnilten  war. 
Eher  könnte  man  die  16  Schächte  auf  dem  Joch  von  Larymna  den 
Minyern  zuschreiben , und  manche  neueren  Schriftsteller  haben  dies 
gethan1).  Aber  auch  dies  erweist  sich  als  unannehmbar.  Es  giebt 
zwei  Erklärungen  für  die  Bestimmung  dieser  Schächte.  Nach  der  einen 
sollen  sie  zur  Aufsuchung  und  Reinigung  eines  natürlichen  Katavothren- 
ganges  gedient  haben8).  Daserscheintundenkbar,  denn  die  Bohrungen 
liegen  alle  genau  auf  der  niedrigsten  Linie  des  Überganges.  Ein 
natürlicher  Katavothrengang  verläuft  aber  unabhängig  von  der 
Oberflächengestalt,  also  sicher  nicht  genau  unter  der  niedrigsten 
Jochlinie3).  Überhaupt  ist  es,  wie  wir  gesehen  haben  (S.  22  und  50),  dem 
Schichtstreichen  nach  zu  schliessen,  unwahrscheinlich,  dafs  ein 
Katavothrengang  in  der  ungefähren  Richtung  des  Jochs  verläuft. 
Kannte  man  also  schon  den  Verlauf  des  unterirdischen  Höhlen- 
ganges, den  man  aufsuchen  wollte,  so  würden  die  Schächte  eine 
andere  Lage  haben ; wollte  man  ihn  aber  erst  durch  die  Schächte 
finden,  so  würde  man  nicht  eine  so  grofse  Zahl  von  Schächten  aufs 
Geratewohl  in  die  Tiefe  getrieben  haben.  Es  bleibt  also  nur  die 
zweite  Erklärung  übrig,  dafs  nämlich  die  Schächte  eine  Vorbereitung 
zur  Herstellung  eines  künstlichen  Tunnels  waren,  welcher  den  See 
entwässern  sollte*).  Kambanis  giebt  sogar  an  (S.  122),  dafs  dieser 
Tunnel  zu  einem  Dritteil  seiner  ganzen  Länge,  welche  2 km  betragen 
sollte,  fertig  gestellt  sei.  Andere  Autoren  melden  nichts  davon,  auch 

>}  Forchhammer  I,  S.  168.  Leake  II,  S.  293  t.  Ulrichs  S.  209. 

s)  Leake  II,  S.  283,  293  f.  Brandis  S.  129. 

3)  Vgl.  Forchhammer  S.  i6S- 

*)  Forchhammer  S.  168. 


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64 


Alfred  Philippson: 


ich  selbst  habe  den  Tunnel  nicht  gesehen1).  Wie  dem  auch  sei,  jeden- 
falls war  ein  Tunnelbau  beabsichtigt.  Ähnliche  Schächte  finden  sich 
auch  sonst  bei  antiken  Tunnelbauten;  sie  dienten  wohl  hauptsächlich 
rur  Luftzufuhr  während  des  Baues  — den  man  heute  durch  Venti- 
latoren besorgt  — , dann  aber  auch  wohl,  um  während  des  Baues  in 
der  Tiefe  die  Richtung  nicht  zu  verlieren  — kannte  man  doch  weder 
Kompafs  noch  Theodolith.  Selbst  der  Ausarbeitung  offener  Einschnitte 
— wie  am  Isthmos  von  Korinth  und  am  Isthmos  von  Karditsa  --  ging 
die  Abteufung  einer  gröfseren  Zahl  von  Schächten  auf  der  Linie  des 
projektierten  Einschnittes  voraus.  Um  nun  an  der  Höhe  der  Schächte 
zu  sparen,  folgten  diese  und  demnach  auch  der  beabsichtigte  Tunnel 
der  niedrigsten  Linie  des  Joches  von  Larymna.  Dafs  hier  also  ein 
Tunnel  gebaut  werden  sollte,  der  aber  nicht  fertig  geworden  ist,  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen.  Dies  kann  aber  nicht  in  der  Absicht  der 
Minyer  gelegen  haben,  denn  diese  benutzten  ja  die  natürlichen  Kata- 
vothren  zur  Abfuhr  des  Wassers.  Da  der  See  damals  lange  Zeit  völlig 
trocken  war,  die  Abflüsse  also  gut  funktionierten,  der  Tunnel  aber  nie 
fertig  geworden  ist,  also  auch  nie  gedient  haben  kann,  können  die 
Arbeiten  auf  dem  Isthmos  von  Larymna  dem  minyschen  Ent- 
wässerungswerk n ich  t angehö  r t haben,  ebensowenig  wie  die 
auf  dem  Isthmos  von  Karditsa*).  Wir  W'erdcn  auf  das  Alter  dieser 
Werke  später  zu  rück  kommen. 

Betrachten  wir  noch  kurz  den  Zustand  des  Sees  zur  Zeit 
des  Beginnes  der  minyschen  Arbeiten,  soweit  er  sich  aus  diesen 
selbst  erschliefeen  läfst.  Jedenfalls  lag  der  See  schon  damals  einen 
Teil  des  Jahres  trocken,  sonst  hätte  man  ja  überhaupt  die  Arbeiten 
nicht  ausführen,  namentlich  die  nötigen  Messungen  nicht  machen 
können.  Klar  zeigt  sich  dies  auch  in  dem  gewundenen  Verlauf  des 
grofsen  Kanals  in  der  Bucht  von  Topolias.  Er  beweist,  dafs  man  ein 
vorhandenes  Elufsbett  benutzt  hat,  dafs  also  schon  damals  der  Flufs 
Melas  in  ganz  ähnlicher  W'eise  bestand  als  jetzt.  Die  meisten  der 
heutigen  Katavothren  bestanden  schon  damals,  wie  die  Zuleitungen 
zu  ihnen  beweisen;  sie  konnten  aber  mehr  Wasser  fassen  als 
heute,  da  sie  selbst  zur  Zeit  der  stärksten  W'asserzufuhr  diese  zu  be- 
wältigen vermochten,  ohne  das  Wasser  aufzustauen.  Heute  wäre  dies 

1 } Vielleicht  ist  der  Seitenzweig  der  Katavothre  von  Binia  der  Eingang  des 
Tunnels? 

*)  Fiedler  (I,  S.  113(1.)  beschreibt  ausführlich  die  Schächte  bei  Larymna  und 
glaubt,  sie  seien  thatsächlich  mit  einem  Tunnel  verbunden,  der  von  deu  Minyern 
erbaut  und  von  Krates  später  gereinigt  sei.  So  lange  aber  nicht  nachgewiesen  ist, 
dafs  ein  fertiger  Tunnel  vorhanden  ist,  so  lange  kann  man  die  Arbeit  nicht  den 
Minyern  zuschreibcn. 


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~r 


Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  (J5 

nicht  mehr  möglich.  Die  Katavothren  befanden  sich  augenscheinlich 
damals  von  Natur  in  einem  besseren  Zustande;  etwaige  Erweiterungs- 
arbeiten mufsten  sich  ja  auf  die  Eingänge  beschränken.  Heute  finden 
wir  die  meisten  Katavothren-Öflfnungen  unter  dem  Niveau  der  Ebene; 
wir  müssen  annehmen,  dafs  sie  damals  in  oder  wenig  unter  dem 
Niveau  des  Seebodens  gelegen  haben  und  dafs  dieser  sich  seitdem  um 
einige  Meter  erhöht  hat.  Dadurch  sind  die  Katavothren  verschlechtert 
worden  und  neue  haben  sich  nicht  in  dem  Mafse  gebildet,  um  dies 
ausgleichen  zu  können.  Der  Kopals  - See  hat  sich  also  von  Natur  in 
einem  günstigeren  Zustande  befunden,  als  die  Minyer  ihr  Werk  be- 
gannen. Die  Katavothren  genügten  zur  Abfuhr  des  Wassers,  und  die 
Baumeister  hatten  nur  dafür  zu  sorgen,  dafs  das  Wasser,  in  schmale 
Betten  gefafst,  den  Schlünden  zugefUhrt  wurde,  ohne  dafs  es  sich  zu- 
vor über  die  Ebene  verbreitete. 

b.  Historische  Zeit  des  Altertums. 

In  der  ganzen  historischen  Zeit  des  Altertums  war  der 
Kopafs-See  ein  periodischer  See,  der  im  Winter  am  höchsten  stand, 
im  Sommer  aber  mehr  oder  weniger  zusammenschrumpfte  und  zuweilen 
ganz  austrocknete,  bis  auf  einige  Sümpfe,  die  auch  im  Sommer  fast 
stets  Wasser  enthielten.  Diese  lagen,  wie  oben  erwähnt,  an  den  vier 
Ecken  und  führten  gesonderte  Namen  (Strabo  IX  2,  27:  See  von 
Ilaliartos,  von  Kopae).  Als  gemeinsamer  Name  des  ganzen  Sees  tritt 
bei  Homer  „Kephissis“  auf,  der  sich  auch  später  neben  dem  von  Ko- 
pae abgeleiteten  Namen  Kopais  erhielt.  Eingehend  beschreibt  Strabo 
die  amphibische  Natur  des  Seegebietes  (IX,  2,  16):  „Von  diesen  Ebenen 
ist  ein  Teil  überschwemmt,  indem  sich  Flüsse  über  sie  ausbreiten, 
welche  erst  dann,  nachdem  sie  (in  Schlünde)  hineingeraten  sind,  ihre 
Mündung  gewinnen;  ein  andrer  Teil  aber  ist  trocken  und  wird  wegen 
seiner  Fruchtbarkeit  mannigfaltig  angebaut.  Da  die  Erde  in  derTiefe  voll 
Höhlen  und  Klüfte  ist,  sind  durch  heftige  Erdbeben  häufig  einige  dieser 
Durchlässe  verstopft,  andere  geöffnet  worden,  teils  bis  zur  Oberfläche,  teils 
durch  unterirdische  Gänge ; dasselbe  geschieht  aber  auch  mit  den  Ge- 
wässern, dafs  die  einen  durch  unterirdische  Kanäle  fliefsen,  die  andern  an 
der  Oberfläche  als  Seen  und  Flüsse.  Es  geschieht  aber,  dafs,  wenn  die 
Abflüsse  in  der  Tiefe  verstopft  sind,  die  Seen  anwachscn  bis  zu  den 
besiedelten  Orten,  so  dafe  sie  Städte  und  Länder  ertränken;  wenn  aber 
dieselben  oder  andere  Abflüsse  sich  öffnen,  werden  jene  wieder  entblöfst, 
so  dafe  man  auf  denselben  Stellen  bald  schiffen,  bald  zu  Fufs  gehen 
kann,  und  dafs  dieselben  Städte  bald  an  dem  See,  bald  entfernt  von 
ihm  liegen.“ 

l’ausanias  berichtet  (IX,  38,  5),  dafs  der  Sec  zwar  immer  einen 

Zeiuchr.  d.  Osellsch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX. 


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grofscn  Teil  des  orchomcnischen  Gebietes  bedecke,  am  meisten  aber 
im  Winter,  wenn  der  Notos  bläst.  Aufser  der  jahreszeitlichen  Schwan- 
kung wechselte  der  Wasserstand  in  den  einzelnen  Jahren.  Man  glaubt«, 
dafs  das  Wasser  alle  neun  Jahre  einmal  höher  steige  und  dann  zwei 
Jahre  hindurch  auf  diesem  höheren  Stand  stehen  bleibe,  wie  dies 
zur  Zeit  der  Schlacht  von  Chaeronea  der  Fall  gewesen  sei').  Wenn 
der  See  hoch  angeschwollen  sei,  sollte  die  Winterkälte  weniger  stark 
sein*).  In  den  beständigen  Sümpfen  wuchs  das  beste  Flötenrohr,  so 
besonders  in  den  Sümpfen  zwischen  Melas  und  Kephissos,  einer  Gegend, 
welche  Pelekania  genannt  wurde,  ferner  an  der  Mündung  des  Kephissos, 
der  sog.  Oxeia  Kampe,  und  an  der  Mündung  des  Baches  Probatia1), 
auch  bei  Haliartos').  In  den  Sümpfen  bei  Orchomenos  sollen  sich 
schwimmende  Inseln,  nXuääei,  gebildet  haben  (Theophrast  a.  a.  O.  und 
Plinius  a.  a.  O.).  Von  den  Erzeugnissen  des  Sees  waren,  aufser  dem 
Flötenrohf,  die  Aale  berühmt  (Pausanias  IX,  24,  2),  wie  noch  heute, 
und  bei  Orchomenos  wuchsen  treffliche  Melonen  (Aristot.  Probl.  XXI, 
32),  wie  jetzt  bei  Mulki.  Von  Zeit  zu  Zeit  ereigneten  sich  grofse  Über- 
schwemmungen, welche  die  bewohnten  Orte  bedrohten  und  häuflg  zur 
Verlegung  der  Städte  zwangen5).  Diese  Überschwemmungen  wurden 
durch  Verstopfung  von  Katavothren,  die  häufig  durch  F.rdbeben  veratdafsi 
wurde,  hervorgerufen,  und  dann  zuweilen  durch  die  (natürliche)  Er- 
öffnung einer  neuen  Katavothre  beendigt,  wie  die  von  Strabo  erwähnte 
Überschwemmung,  welche  Kopae  bedrohte. 

Zahlreiche  Städte  und  Ortschaften  lagen  in  der  historischen  Zeit 
um  den  Kopafs-See  herum,  so  am  Westrande:  Aspledon,  Orchomenos 
(jetzt  Skripu),  etwas  abseits  Lebadeia  (jetzt  Livadia);  am  Südrande 
Koronea,  Tilphusion,  Alalkomenae,  Okaleae,  Haliartos,  Onchestos;  am 
Ostrand  Phoenikis,  Akraephion  (dicht  bei  dem  jetzigen  Karditsa);  am 
Nordrand  Kopae  (jetzt  Topolias),  Holmones,  Hyettos,  Tegyra.  Aber 
keine  dieser  Städte  hat  jemals  wieder  eine  gröfsere  Macht  erlangt,  da 
ihr  anbaufähiges  Gebiet,  obwohl  z.  T.  ungemein  fruchtbar,  beschränkt 
war.  Das  ganze  Land  war  durch  seine  schwere  Fieberluft  be- 
rüchtigt. Kein  übermächtiges  einheimisches  Centrum  zog,  wie  früher 
Orchomenos,  das  ganze  Kopals-Becken  unter  seine  Herrschaft,  sondern 
das  Haupt  Böotiens  blieb  stets  Theben.  Zwar  versuchte  Orcho- 
menos auch  in  historischer  Zeit  zuweilen  noch  mit  Theben  zu  rivali- 

*)  Bursian  I,  S.  19g.  Theophrast,  hist,  plant  IV,  ir,  af.  Plinius,  bist, 
nat.  16,  66. 

*)  Theophrast,  cans.  plant  V,  1 1,  3. 

3)  Theophrast  hist,  plant.  IV.  11,  g.  Plinius  16,  66. 

4)  Strabo  IX,  2,  ig. 

*)  Strabo  IX,  a,  17. 


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De/  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


67 


siercn,  aber  ohne  dauernden  Erfolg1).  Nur  nach  der  Zerstörung 
Thebens  durch  Alexander  hoben  sich  die  böotischen  Städte  vorüber- 
gehend, da  das  thebanische  Gebiet  unter  sic  verteilt  wurde.  Traten 
also  die  Kopa'fs-Städte  an  politischer  Macht  sehr  in  den  Hintergrund, 
so  war  ihnen  doch  durch  ihre  Tage  an  dem  wichtigsten  Durchlafs  von 
Nordwesten  gegen  Theben,  Athen  und  den  Isthmos  eine  hohe  strate- 
gische Bedeutung  gesichert.  Oft  war  das  Becken  der  Kopäts  der 
Schauplatz  wichtiger  Schlachten  und  Belagerungen,  ja  der  schwankende 
Sumpfboden  der  See-Ebene  selbst  hat  in  dem  Kampfe  Sulia’s  gegen 
das  Heer  des  Mithridates  zur  Entscheidung  wesentlich  beigetragen,  in- 
dem er  Rosse  und  Krieger  der  Asiaten  versinken  liefs. 

Strabo  giebt  den  Umfang  des  Sees  zu  seiner  Zeit  auf  380  Stadien 
an  (etwa  70  km),  was  ungefähr  der  heutigen  Ausdehnung  entspricht, 
wenn  man  die  kleineren  Krümmungen  nicht  mitzählt.  War  die  Be- 
deutung des  Kopals-Beckens  schon  in  der  Zeit  der  griechischen  Unab- 
hängigkeit keine  grofse  gewesen,  so  war  es  damals  durch  die  langen  blutigen 
Kämpfe  zuerst  der  Makedonier  gegen  die  Griechen,  dann  der  Make- 
donier und  Griechen  gegen  die  römische  Übermacht,  Kämpfe,  die  ge- 
rade in  Böotien  am  schlimmsten  wüteten,  vollständig  zu  Grunde  ge- 
richtet. Strabo  fand  alle  Städte  Böotiens,  aufser  Tanagra  und  Thes- 
piae,  in  Ruinen.  Ebenso  schildert  Plutarch  das  Gebirge  im  Norden 
und  Osten  des  Kopals-Sees  als  eine  so  vollkommene  Einöde,  wie  sie  es 
kaum  jetzt  ist.  Auch  Pausanias  fand  das  Land  in  keinem  besseren 
Zustande;  es  scheint  sich  also  in  der  römischen  Kaiserzeit  nicht  er- 
holt zu  haben.  Jedoch  meldet  eine  in  Karditsa  gefundene  Inschrift, 
dafs  (um  das  Jahr  40  n.  Chr.)  ein  reicher  Bürger  von  Akraephion  den 
„gröfcten  und  unser  (Akraephion’s)  Land  beschützenden  Deich“  mit  einem 
Aufwande  von  6000  Denaren  auf  eine  Länge  von  12  Stadien  wieder 
hergestellt  habe.  Es  kann  damit  nur  der  noch  heute  deutlich  erhaltene 
Deich  gemeint  sein,  welcher  quer  vor  der  Bucht  von  Karditsa  vorbei- 
zieht; ursprünglich  der  rechtsseitige  Deich  des  rechten  Uferkanals  der 
Minyer,  diente  er  später  wahrscheinlich  als  Wehr  gegen  das  Eindringen 
des  Sees  in  die  Bucht  von  Karditsa.  Wir  sehen  daraus,  dafs  selbst 
damals  noch  die  Werke  der  Minyer  teilweise  fortbestanden.  — 

Die  Austrocknung  des  Sees,  welche  den  Minyern  gelungen  war 
und  in  der  Erinnerung  der  Nachwelt  noch  fortlebte,  mufste  zu  neuen 
Versuchen  anspornen.  Wir  haben  aber  nur  von  einem  einzigen  der- 
artigen Unternehmen  eine  schriftliche  Überlieferung,  und  zwar  wiederum 
durch  Strabo.  Dieser  schreibt  (IX,  2,  18):  „Als  aber  die  Abflüsse  sich 
wieder  verstopften,  reinigte  der  Bergmann  Krates  aus  Chalkis  die  Ver- 


Vgl.  Müller,  a.  a.  O.  S.  396  fl. 


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Alfred  Philippson: 


Stopfungen  wieder  (äruxa&ai'nmi1  zn  r/tqntr//iaz«),  hörte  aber  auf,  als  die 
Böotier  sich  veruneinigten ; obgleich,  wie  er  seihst  in  einem  Brief  an 
Alexander  (den  Grofsen)  sagt,  schon  vieles  Land  trocken  gelegt  war, 
wo  nach  der  einen  Annahme  das  alte  ürchomenos')  gelegen  sein  soll, 
nach  der  andern  aber  Eleusis  und  Athen  am  Triton-Flufs  . . . Hieraus 
ergiebt  sich  nur,  dafs  Krates  zur  Zeit  Alexanders  des  Grofsen  die  Kata- 
vothren  gereinigt  und  dadurch  den  Spiegel  des  Sees  etwas  gesenkt 
hat,  wodurch  am  Südrande  einige  Strecken  trocken  gelegt  wurden. 
Vielleicht  rühren  von  Krates  die  Spuren  von  Bearbeitung  her,  die  sich 
in  einigen  Katavothren  gefunden  haben,  (s.  S.  53)*).  Erst  noch  spätere 
Schriftsteller,  Diogenes  Laertios  (IV,  5,  23)  und  Stcphanos  von  Byzanz 
(A&ijtai)  sprechen  auch  von  Gräben,  die  Krates  gezogen  haben  soll. 
Ersterer  nennt  den  Krates  icupQmQvjpt  VlXtidrSQif  trvroir,  letzterer  schreibt: 

rat  ...  r/  tx  rtjt  ämtfareiaa  utzd  tu  xnoztnor  emxlva&ijrai 

tijs  Ktotzaidoi,  uzt  Kndzr^  avzqv  StizdqiQevair.  Wenn  also  diese 
späten  Berichte  Glauben  verdienen,  so  zog  Krates  auch  Gräben  oder 
Dämme  durch  den  Seeboden  zum  Schutz  des  durch  die  Reinigung 
der  Katavothren  trocken  gelegten  Landes5).  Es  liegt  aber  keine  Ver- 
anlassung vor,  auf  diese  Berichte  hin  dem  Krates  auch  jene  Durch- 
stechungsversuche auf  den  Isthmen  von  I.arymna  und  Karditsa  zuzu- 
schreiben, wie  fast  alle  neueren  Schriftsteller  gethan  haben.  Da  diese 
Durchstiche  unvollendet  blieben,  konnten  sie  auch  keine  Senkung  des 
Seespiegels  hervorgerufen  haben.  Strabo,  der  das  ganze  Kopats-Gebiet 
besonders  eingehend  behandelt,  würde  sicherlich  ein  so  großartiges 
Unternehmen  des  Krates,  wie  die  Durchstechung  der  Isthmen,  nicht 
unerwähnt  gelassen  haben;  statt  dessen  spricht  er  nur  von  einer 
Reinigung  der  Verstopfungen! 

Es  sind  uns  also  keinerlei  Nachrichten  überliefert,  aus 
welcher  Zeit  die  gewaltigen  Arbeiten  stammen,  die  wir  auf 
den  Isthmen,  welche  die  Kopais  vom  Meer  trennen,  be- 
wundern. 

Diese  Arbeiten  bestehen:  1.  aus  einer  Reihe  von  Schächten  auf 
dem  Joch  von  I.arymna;  2.  einem  offenen  Einschnitt  nebst  einigen 
Schächten  auf  dem  Joch  von  Karditsa;  3.  einem  offenen  Einschnitt  auf 
dem  Isthmos  von  Muriki  zwischen  Likeri  und  Paralimni;  4.  einem 
offenen  Einschnitt  auf  dem  Isthmos  von  Anthedon.  Keine  dieser  Ar- 
beiten ist  vollendet  worden. 

Während  das  Werk  Nr.  1 die  unmittelbare  Ableitung  der  Kopais 
zum  Meer  bezweckte,  bilden  Nr.  2 bis  4 Glieder  eines  anderen  Pro- 

*)  D.  h.  das  älteste  Orcbomenos  am  Südrande. 

a)  Ulrichs,  Kambanis. 

5)  Leake  II,  S.  293.  Ulrichs  S.  21  r. 


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Der  Kopais-Sce  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  (JC) 

jektes,  nämlich  den  Kopals-See  zum  I,ikeri-See  abzuleiten,  diesen  bis  zu 
einer  gewissen  Höhe  ansteigen  und  dann  zur  Paralimni  überfliefsen  zu 
lassen,  worauf  diese  dann  in  einer  gewissen  Höhe  zum  Meer  überfliefsen 
sollte.  Während  so  die  Kopais  austrocknen  sollte,  würden  die  beiden 
anderen  Seen  an  Umfang  etwas  gewonnen  haben. 

Es  handelt  sich  also  auf  dem  Joch  von  Larymna  und  auf  der 
Linie  Karditsa — Anthedon  um  zwei  von  einander  unabhängige  Versuche. 
Denn  es  wäre  zwecklos  gewesen,  zu  gleicher  Zeit  beide  so  schwierige 
Projekte  in  Angriff  zu  nehmen,  da  die  Ausführung  nur  eines  von  beiden 
den  Zweck  völlig  erreicht  hätte.  Die  beiden  Versuche  gehören  also 
verschiedenen  Zeiten  an,  wenn  auch  vielleicht  einer  und  derselben  Epoche. 

W’ährend  die  Minyer  sich  zur  Ableitung  des  Wassers  ausschlicfslich 
der  natürlichen  Katavothren  bedienten  und  auch  Krates  diese  allein  zu 
benutzen  gedachte,  hatte  man  nunmehr  die  Unzuverlässigkeit  der  Ka- 
tavothren erkannt  und  schritt  daher  zur  Herstellung  künstlicher  Durch- 
stiche. Von  den  drei  Stellen,  die  dafür  in  Betracht  kamen,  den  Isthmen 
von  Larymna,  Karditsa  und  Onchestos,  war  letzterer  ausgeschlossen, 
da  man  hier  das  Wasser  durch  die  fruchtbaren  Gefilde  Thebens  hätte 
leiten  müssen  und  diese  dadurch  aufs  äufserste  bedroht  haben  würde. 

Bis  jetzt  liegt  kein  positiver  Anhalt  dafür  vor,  in  welcher  Zeit  die 
Durchstichsversuche  gemacht  wurden.  Ein  negatives  Merkmal  ist  das 
vollständige  Schweigen  des  Strabo  Uber  diese  sehr  bedeutenden  Ar- 
beiten. Sollten  sie  vielleicht  erst  später  durch  römische  Kaiser  unter- 
nommen worden  sein?  Haben  doch  mehrere  Cäsaren  ihre  besondere 
Vorliebe  für  Griechenland  durch  grofsartige  Bauten  bezeugt,  wie  Nero 
durch  den  Versuch  einer  Durchstechung  des  Isthmos  von  Korinth, 
Hadrian  durch  die  Eröffnung  des  Skironischen  Engpasses,  durch 
seine  zahlreichen  Bauten  in  Athen,  durch  die  grofsen  Wasser- 
leitungen nach  Athen  und  Korinth  u.  s.  w.  In  der  Hand  der  römischen 
Herrscher  waren  genügende  Machtmittel  für  derartige  grofsartige  Werke 
vereinigt,  während  die  Griechen  durch  ihre  Zerspitterung  und  durch 
ihre  abergläubische  Furcht  vor  einer  künstlichen  Durchbrechung  natür- 
licher Schranken  davon  abgehalten  wurden.  — Eine  eingehendere 
Untersuchung,  besonders  die  Ausräumung  einiger  Schächte,  würde  viel- 
leicht Licht  hierüber  verbreiten  können. 

c.  Das  Mittelalter. 

Wechselvoll  war  die  menschliche  Geschichte  des  Kopals-Beckens,  wie 
die  des  ganzen  Griechenland,  in  der  langen  Zeit  des  Mittelalters.  Völker- 
stürme brausten  über  das  entvölkerte  und  tief  gesunkene  Land  dahin, 
Fremdherrschaften  lösten  sich  ab.  Und  doch  fehlt  es  in  dem  wüsten 
Ringen,  welches  fast  diese  ganze  Periode  erfüllt,  nicht  an  lichteren  Zeiten 


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70 


Alfred  Philippson: 


friedlicher  Kulturarbeit  und,  wenn  auch  bescheidenen,  Aufschwunges. 
Während  alledem  hören  wir  aber  so  gut  wie  nichts  über  den  Zustand 
des  Kopais-Sees  selbst. 

Unter  Makedoniern  und  Römern  hatten  die  griechischen  Städte- 
Republiken  noch  ein  Scheindasein  geführt.  Dem  oströmischen  Reich 
war  es  Vorbehalten,  die  stets  zur  Zersplitterung  und  örtlicher  Scheidung 
neigenden  Griechen  in  das  feste  Gefüge  eines  zentralistischen  Staats 
auch  äufserlich  einzuordnen.  Doch  schon  beginnen  die  Fluten  der 
Völkerwanderung  auch  das  Kopais-Becken  mit  Barbarenhorden  zu  über- 
schwemmen. Von  manchen  Einfällen  ist  es  nicht  sicher,  ob  sie  unser 
Gebiet  berührt  haben,  gewifs  aber  war  dies  der  Fall  bei  dem  Einfall 
der  Westgoten  unter  Alarich  (395  und  396),  der  Böotien  furchtbar  ver- 
wüstete. Später  drangen  die  Slaven  ein,  zuerst  539  oder  540,  dann 
wiederum  577  bis  588  zusammen  mit  den  Avaren.  Vom  7.  Jahrhundert 
an  schoben  sich  langsam  grofse  Massen  von  Slaven  in  Griechenland 
ein  und  liefsen  sich  als  Bauern  in  dem  entvölkerten  Land  nieder. 
Der  mifsglückte  Aufstand  der  Griechen  gegen  die  byzantinische  Zentral- 
gewalt (727),  die  furchtbare  Pest  von  746  und  747,  begünstigten  ihre 
Ausbreitung.  Auch  im  Kopais-Becken  werden  sie  neue  Bestandteile 
der  Bevölkerung  hinzugefügt  haben,  wenn  auch  die  Slavisierung  in 
Mittel-Griechenland  wohl  nicht  so  bedeutend  war,  wie  im  Peloponnes. 
Die  slavischen  Ortsnamen  scheinen  im  Kopais-Gebiet  recht  spärlich  zu 
sein1).  Im  9.  Jahrhundert  wurden  die  Slaven  unterworfen  und  dem 
Christentum  zugeführt;  bald  nahmen  sie  vollständig  Sprache  und  Sitte 
der  Griechen  an,  mit  denen  sie  zu  einer  Volksmasse  verschmolzen. 
Noch  einmal,  996,  erschienen  vorübergehend  Bulgaren  und  Slaven  im 
Kopais-Becken.  Im  allgemeinen  aber  folgte  auf  die  Slavenflut  eine 
Zeit  der  Ruhe,  die  nur  von  gelegentlichen  Plünderungszügen  der  Sara- 
zenen und  Normannen  unterbrochen  wurde,  welche  aber  hauptsächlich 
die  Küsten  betrafen.  Nur  der  Streifzug  Roger’s  II  von  Sizilien  (1147), 
bei  welchem  Theben  geplündert  wurde,  zog  auch  das  böotische  Binnen- 
land in  Mitleidenschaft.  Durch  die  Slaven  waren  die  Lücken  der  Be- 
völkerung Griechenlands  wieder  durch  ein  frisches,  kräftiges  Element 
ergänzt  worden.  Ein  lebhafter  Aufschwung  ganz  Griechenlands  kenn- 
zeichnet die  Jahrhunderte  nach  der  Hellenisierung  der  eingedrungenen 
Slaven,  besonders  das  12.  Jahrhundert.  An  diesem  Aufschwung  nahm 
Theben  in  ganz  hervorragendem  Mafs  Anteil. 

Diese  Stadt  war  zu  Strabo’s  Zeit  nur  noch  ein  unbedeutendes  Dorf, 
und  Pausanias  fand  den  Ort,  wie  heute,  auf  den  Raum  der  Kadmeia 


i)  Vgl.  Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Athen  im  Mittelalter.  I.  Stuttgart, 
1889,  S.  ui. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


71 


beschränkt.  Aber  unter  den  Byzantinern  mufs  Theben  wieder  einige 
Bedeutung  erlangt  haben ; denn  es  war  nach  der,  spätestens  im  8.  Jahr- 
hundert entstandenen  Themen-Einteilung  des  Reiches  der  Sitz  des  Stra- 
tegen des  Thema  Hellas,  also  die  Hauptstadt  von  ganz  Mittel-Griechen- 
land1). Gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  finden  wir  sie  als  volkreiche 
und  lebhafte  Industriestadt,  in  welcher  namentlich  Seidenweberei  und 
Färberei  getrieben  wurde.  Der  vielgewanderte  Benjamin  von  Tudela, 
der  die  Stadt  damals  besuchte,  sagt  von  ihr:  „Theben,  jene  grofse 
Stadt,  wo  2000  Juden  sind,  die  besten  Verfertiger  von  seidenen  und 
purpurnen  Stoßen  in  den  griechischen  Landen“2).  Wenn  allein  die 
jüdische  Gemeinde  2000  Seelen  zählte,  so  mufs  die  ganze  Volkszahl 
eine  sehr  beträchtliche  gewesen  sein3).  Eine  Binnenstadt  wie  Theben, 
in  einem  Lande  und  in  einer  Zeit,  wo  von  einem  erheblichen  Handel 
auf  Landwegen  keine  Rede  war,  konnte  einen  solchen  Aufschwung 
nur  nehmen,  wenn  sie  der  Mittelpunkt  eines  gröfseren  fruchtbaren 
Gebietes  war,  das  ihr  die  Rohprodukte  für  ihre  Industrie,  wenigstens 
zum  gröfsten  Teil,  liefern  konnte.  Unter  diesen  Rohprodukten  standen 
oben  an  die  Seide  und  verschiedene  Farbstoffe,  unter  denen  sich 
wohl  auch  die  sog.  Kermesbeere  der  dort  überall  auf  dürrem  Boden 
wachsenden  Quercus  coccifera  befand.  Es  ist  aber  nicht  ausgeschlossen, 
dafs  auch  damals  schon  wie  heute  Baumwolle  im  Kopais-Becken  ge- 
baut wurde,  die  dann  in  Theben  ebenfalls  zur  Verarbeitung  kam. 
Jedenfalls  gehörte  das  Kopais-Becken  mit  zu  dem  Ernährungs-Gebiet 
von  Theben,  und  es  scheint,  dafs  damals  die  Verhältnisse  des  See- 
bodens günstiger  für  die  Kultur  gewesen  sind,  als  im  Altertum  und  der 
Neuzeit  Aber  neben  Theben  war  in  Böotien  nur  noch  Livadia  von 
einiger  Bedeutung;  alle  anderen  Städte,  die  im  Altertum  das  Kopais- 
Becken  umgeben  hatten,  waren  entweder  völlig  verschwunden,  oder  zu 
kleinen  Dörfern  mit  veränderten  Namen  (Orchomenos-Skripu,  Kopae- 
Topolias,  Akraephion-Karditsa)  herabgesunken. 

In  derselben  Zeit  des  Aufschwungs  in  Griechenland  bereitete  sich 
aber  neues  Verderben  vor,  und  zwar  durch  das  Eindringen  des  Feudal- 
wesens in  das  Byzantinische  Reich  und  in  Griechenland  insbesondere, 
welches  sich  in  einzelne  Lehensfürstentümer  spaltete.  Die  alte  Zer- 
splitterung machte  sich  nun  von  neuem  geltend.  Auf  dem  so  durch  den 
Feudalismus  vorbereiteten  Boden  von  Hellas  erschienen  dann  nach  der 
Errichtung  des  lateinischen  Kaisertums  in  Konstantinopel  die  fränkischen 


1 1 Hertzberg,  Geschichte  Griechenlands  seit  dem  Absterben  des  antiken  Lebens. 
L Gotha,  1*76,  S.  185. 

1 1 Nach  der  Übersetzung  von  Asher. 

Vgl.  Finlay,  History  of  Greece  IV,  S.  56. 


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7-' 


Alfred  Philippson: 


Ritter,  schlugen  in  kurzer  Zeit  die  griechischen  Statthalter  und  Lehen s- 
fürsten  nieder  und  errichteten  ihrerseits  in  zahlreiche  Baronien  und  Herr- 
schaften zerteilte  Feudalstaaten  nach  abendländischem  Muster.  L'as 
Kopals-Gebiet  wurde  mit  dem  übrigen  Böotien  und  Attika  zusammen  1 204 
von  Bonifacius  II  von  Monferrat  erobert  und  als  Lehen  dem  Otto  de  la 
Roche  als  „Megaskyr“  von  Athen  übertragen,  dessen  Familie,  seit  :2öo 
als  „Herzoge  von  Athen",  bis  1308  im  Besitz  des  Landes  blieb.  Die 
Herzoge  von  Athen  schlugen  ihre  Residenz  in  Theben  auf,  das  also 
Hauptstadt  des  ganzen  östlichen  Mittel-Griechenland  blieb.  Eine  glän- 
zende Hofhaltung,  prächtige  Ritterspiele,  Pflege  des  Minnegesangs 
schmückten  die  Stadt  des  Pindar  und  Epaminondas  mit  den  Reizen 
mittelalterlicher  Romantik.  Noch  heute  sind  die  Trümmer  eines  grofsen 
prächtigen  Schlosses  zu  sehen,  welches  die  reichen  Herren  von  St.  Omer 
in  Theben  erbaut  haben.  Überall  im  Lande,  das  in  zahlreiche  grofse 
und  kleine  Lehen  zerfiel,  erhoben  sich  die  mächtigen  Burgen  und 
Schlösser  der  französischen  Barone. 

Die  Gegend  des  Kopats-Sees  weist  besonders  zahlreiche  Burgen 
und  Wachttürme  aus  jener  Epoche  auf,  die  sich  zum  Teil  an  Stellen 
erheben,  die  in  neuerer  Zeit  durch  den  See  fast  unzugänglich  waren, 
so  z.  B.  auf  der  Insel  Gla,  die  schon  zur  Minyer-Zeit  eine  Festung 
trug.  Diese  und  manche  andere  Burgen,  ferner  die  fränkische  Brücke 
über  den  Melas  am  Pyrgos  H.  Marina,  überhaupt  die  starke  Besetzung 
des  ganzen  Gebietes  durch  die  fränkischen  Herren,  sind  nur  ver- 
ständlich, wenn  die  Verhältnisse  der  See-Ebene  damals  weit 
günstiger  waren  als  in  der  Neuzeit1).  Wenn  wir  dazu  die 
hohe  Blüte  von  Theben  bedenken,  so  müssen  wir  es  als  sehr  wahr- 
scheinlich bezeichnen,  dafs  der  Kopais-See  im  12.  und  13.  Jahr- 
hundert durch  natürliche  Vorgänge  stark  zusammenge- 
schrumpft war. 

Im  Jahr  1311  fiel  der  letzte  französische  Herzog  von  Athen,  Walther 
von  Brienne,  mit  fast  der  gesamten  fränkischen  Ritterschaft  Mittel-Griechen- 
lands im  Kampf  gegen  die  katalanische  Söldnerschar  der  „Grofsen  Kom- 
pagnie". Die  Schlacht  fand  statt  auf  dem  Sumpfboden  des  Kopats-Sees, 
und  dieser  verschlang,  wie  einst  die  Krieger  Mithridates’,  nun  die  Panzer- 
reiter  der  Franken,  die,  seiner  Tücken  unkundig,  siegesgewits  auf  die 
Katalanen  lossprengten.  Diese  bemächtigten  sich  des  ganzen  Herzogtums, 
plünderten  Theben  und  machten  das  Kastell  von  Livadia  zu  einer  ihrer 
Hauptburgen.  Bis  1385  dauerte  das  Regiment  dieser  Söldner-Gesell- 
schaft, bis  der  Beherrscher  von  Korinth  und  Vostitza,  Rainerio  Acci- 
ajuoli,  aus  florentinischem  Geschlecht,  das  Herzogtum  Athen  in  Besitz 

■)  Gregoroviuj,  Athen  im  Mittelalter  II,  S.  20.  Ulrichs,  S.  zu  f. 


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Der  Kop.iis-Sec  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


73 


nahm.  Unter  beständigen  Fehden  und  Thronstreitigkeiten,  in  die  sich 
nun  auch  die  Türken,  welche  schon  1362  zum  ersten  Mal  hier  er- 
schienen waren,  mit  furchtbaren  Kriegs-  und  Plünderungszügen  ein- 
mischten, regierten  die  Acciajuoli  bis  1458,  in  welchem  Jahr  das 
Herzogtum  dem  Türkischen  Reich  einverleibt  wurde. 

Die  Frankenherrschaft  war,  besonders  seit  dem  Eindringen  der 
Katalanen,  für  Griechenland  eine  Zeit  vollständigen  Niederganges, 
welche  der  Nachblüte  des  12.  Jahrhunderts  ein  Ende  machte.  Die 
Aussaugung  und  Bedrückung  des  Volkes  durch  die  fremdländischen 
Herren,  die  beständigen  Fehden  dieser  unter  sich  und  mit  den  im 
14.  Jahrhundert  wieder  entstehenden  griechischen  Fürstentümern  im 
Peloponnes  und  Nord-Griechenland,  die  Plünderungszüge  der  Söldner- 
scharen wie  der  Seeräuber,  schliefslich  die  blutigen  Feldzüge  der  Türken 
ruinierten  und  entvölkerten  das  Land  abermals.  Dies  führte  wiederum 
ein  neues  Volk  nach  Griechenland,  die  Albanesen.  Es  war  vor- 
nehmlich Rainer  Acciajuoli,  der  um  die  Wende  des  14.  zum  15.  Jahr- 
hundert aibanesische  Kolonisten  in  grofser  Zahl  in  seine  Besitzungen  rief. 
Auch  im  Kopals-Gebiet  liefsen  sie  sich  als  Hirten  und  Bauern  nieder. 
Noch  heute  ist  der  östliche  Teil  des  Beckens,  ebenso  wie  das  ganze 
östliche  Böotien  überhaupt,  ausschliefslich  von  Albanesen  be- 
wohnt. Die  Sprachgrenze  gegen  die  den  Westen  einnehmende  griechisch 
redende  Bevölkerung  verläuft  westlich  von  Martino  und  Topolias,  dann 
nach  SW  über  den  See  zum  Phalaros,  dessen  Gebiet  noch  zur  alba- 
nesischen  Sprache  gehört.  In  der  Ebene  im  Westen  des  Sees,  um 
Livadia  und  Skripu,  wird  griechisch  gesprochen.  Es  ist  aber  nicht 
ausgeschlossen,  dafs  auch  hier  Albanesen  gesessen  haben,  die  helleni- 
siert  sind. 


d.  Die  neuere  Zeit. 

Nachdem  die  Franken,  Albanesen  und  Griechen  niedergeworfen 
waren,  machten  nur  noch  die  Venetianer  den  Türken  den  Besitz 
Griechenlands  streitig.  Noch  bis  1503  dauerte  der  Kampf  zwischen 
diesen,  der  dann  1522  bis  1573  mit  Unterbrechungen  von  neuem  tobte ; 
Mittel-Griechenland  wurde  aber  von  diesen  Wirren  weniger  berührt. 
Dann  erst  war  die  türkische  Herrschaft  entschieden,  die  auch  in  Böotien 
bis  1821  nicht  wieder  unterbrochen  wurde.  Nur  1692,  als  der  Pelo- 
ponnes von  den  Venetianern  erobert  war,  wurde  Livadia  durch  eine 
Schar  peloponnesischer  Albanesen  vollkommen  ausgeplündert.  Sonst 
herrschte  die  ganze  Zeit  einigermafsen  Ruhe,  die  nur  durch  die  Arma- 
tolen-  und  Klephtenbanden  gestört  wurde.  Doch  hat  die  türkische 
Herrschaft  die  Wunden  nicht  zu  heilen  vermocht.  Das  Aussaugungs- 
und Erpressungssystem  der  Beamten,  ihre  Gleichgültigkeit  gegen  jeden 


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74 


Alfred  Philippson: 


Fortschritt  verhinderten  den  Aufschwung.  Wie  in  allen  Ebenen  Griechen- 
lands, wurde  auch  in  der  Kopals-Niederung  der  Boden  an  mohame- 
danische  Grundherren  verteilt,  welche  ihn  an  die  christlichen  Bauern 
verpachteten.  Diese  selbst  waren  zwar  von  Frohnden  und  Abgaben 
an  die  Beamten  und  Grundherren  bedrückt  und  ihrer  Willkür  unter- 
worfen, sonst  aber  unter  ihren  eigenen  Archonten  ziemlich  sich 
selbst  überlassen.  Immerhin  erholte  sich  im  Lauf  der  Zeit  das 
Land  einigermafsen , und  gegen  Ende  der  Türkenherrschaft  finden 
wir  den  nicht  überschwemmten  Teil  der  FIbene  wieder  recht  gut 
angebaut. 

Der  Schwerpunkt  Böotiens  und  Mittel-Griechenlands  überhaupt  hatte 
sich  wohl  schon  bei  Beginn  der  Türkenherrschaft  von  dem  durch  die 
kriegerischen  Ereignisse  wiederholt  hart  betroffenen  Theben,  das  ihn 
mindestens  sieben  Jahrhunderte  besessen  hatte,  nach  Livadia, 
also  in  das  Kopals-Becken,  verschoben.  Während  Theben  wieder  zu 
einem  Dorf  hinabsank,  blühte  Livadia,  das  im  Altertum  ganz  unbe- 
deutend gewesen  war,  zu  einem  ansehnlichen  Städtchen  auf.  Mit  seinem 
überaus  festen  Kastell  wurde  es  der  Sitz  für  die  Regierung  Mittel- 
Griechenlands. 

Eine  neue  furchtbare  Heimsuchung  brach  über  das  Land  herein 
durch  den  achtjährigen,  von  beiden  Seiten  unter  schrecklichen  Greueln 
geführten  F'reiheitskampf  der  Griechen.  Bei  dem  wechselnden  Kriegs- 
glück  blieb  fast  kein  Teil  Griechenlands  verschont,  und  auch  das 
Kopals-Becken  fiel  der  allgemeinen  Decimierung,  Verarmung  und  Ver- 
wilderung der  Bevölkerung  anheim.  Livadia  und  Theben  wurden  völlig 
zerstört.  Das  Ergebnis  des  Kampfes  war  die  F'reiheit  der  christlichen 
Bevölkerung,  die  völlige  Ausrottung  und  Vertreibung  der  Mohamedaner, 
aber  auch  eine  trostlose  Verwüstung  des  Landes,  die  man  nur  mit 
dem  Zustande  Deutschlands  nach  dem  dreifsigjährigen  Kriege  ver- 
gleichen kann.  In  den  seitdem  verflossenen  65  Jahren  des  Friedens 
sind  diese  Folgen  immer  noch  nicht  ganz  verwunden,  wenn  sich 
auch  ein  langsamer  stetiger  Fortschritt,  im  Kopals-Becken  nament- 
lich durch  den  Anbau  der  Baumwolle  gefördert,  bis  in  die  letzten 
Jahre  bemerkbar  gemacht  hat,  wo  der  finanzielle  Bankerott  Griechen- 
lands wieder  einen  starken  Rückschlag  in  seiner  Entwickelung  ver- 
anlafst  hat. 

Seitdem  neuere  Reisende  das  Kopals-Becken  besucht  haben,  befand 
sich  der  See  in  dem  Zustand,  wie  wir  ihn  weiter  oben  geschildert 
haben.  Der  Abflufs  durch  die  Katavothren  war  beengt,  der  Seeboden 
den  gröfsten  Teil  des  Jahres  mit  Wasser  bedeckt;  in  der  heifsen  Zeit 
wurden  gröfsere  oder  kleinere  Teile  desselben,  je  nach  der  Witterung 
des  Jahres,  trocken,  bis  auf  einige  beständige  Sümpfe.  Von  1824 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung.  75 

bis  1834  hat  sich  das  Wasser  zehn  Jahre  lang  gar  nicht  verlaufen; 
im  Jahr  1837  lag  der  See  dagegen  den  ganzen  Sommer  hindurch 
trocken.  (Ulrichs.)  Eine  grofee  Überschwemmung  ereignete  sich  im 
Winter  1847  auf  1 848 l) ; dabei  wurden  grofse  Teile  der  angebauten 
Ebene  von  Livadia  unter  Wasser  gesetzt.  Das  Gleiche  ereignete  sich 
1852  und  1864;  1856  lag  die  Kopafs  viele  Wochen  lang  ganz  trocken2). 
An  eine  ausgedehntere  Ausnutzung  des  Seebodens  konnte  nicht  gedacht 
werden;  nur  kleine  Teile  an  den  Rändern  wurden  gelegentlich,  wenn 
sich  das  Wasser  zeitig  genug  verlief,  besäet,  und  gaben  dann,  wenn 
das  Glück  günstig  war,  überaus  reiche  Ernten;  oft  aber  verdarb  ein 
unzeitiges  Wachsen  des  Sees  den  ganzen  Ertrag3).  Im  Sommer  konnten 
auch  einige  Rinder-  und  Schafherden  auf  dem  Seeboden  geweidet 
werden;  sie  gehörten  teils  den  Albanesen  von  Martino,  teils  noma- 
dischen Hirten.  Aber  diese  Ausnutzung  war  national  - ökonomisch 
von  gar  keinem  Belang.  Die  Umgebung  des  Sees  wurde  zwar  ange- 
baut, litt  aber  schwer  an  den  Fiebern,  welche  sich  aus  den  Aus- 
dünstungen der  Sümpfe  entwickelten.  — Da  die  in  den  letzten  Jahren 
durchgeführte  Trockenlegung  des  Sees  noch  keine  wesentliche  Ände- 
rung in  dem  ökonomischen  Zustand  des  Gebietes  hervorgerufen  hat, 
wollen  wir,  ehe  wir  dieses  Unternehmen  betrachten,  einen  Blick  auf 
die  Vegetation  und  die  Siedelungs Verhältnisse  des  Kopats- 
Gebietes  in  der  Gegenwart  werfen. 

Das  ganze  Gebirgsland  im  Norden  und  Osten  des  Sees  ist 
überaus  dürr  und  unfruchtbar.  Kein  einziger  Bach  führt  den  gröfseren 
Teil  des  Jahres  hindurch  Wasser.  Fast  überall  steht  der  nackte  Fels 
an,  und  nur  in  dessen  Spalten  sammelt  sich  etwas  Verwitterungserde, 
aus  welcher  die  häfslichen  kugeligen  Büsche  der  Kermeseiche 
(Qucrcus  coccifera  L.)  mit'ihren  kleinen  immergrünen,  harten  und  stäch- 
lichten  Blättern  hervorwachsen.  Die  meist  nur  Kniehohe  erreichenden 
Büsche  liegen  in  weitem  Abstand  über  der  grauen  Felsfläche  verstreut. 
Sie  bilden  fast  die  alleinherrschende  Vegetationsformation  dieser  Kalk- 
gebirge. Nur  gegen  die  Meeresküste  hin  treten  auch  andere  immer- 
grüne Gebüsche  auf,  die  an  einzelnen  Gehängen  dichte  Buschwälder 
(Makien)  bilden.  Wälder  giebt  es,  mit  Ausnahme  von  einigen  Be- 
ständen der  Aleppokiefer  unmittelbar  an  der  Meeresküste,  gar  nicht, 
ja  selbst  einzelnstehende  Bäume  sind  grofse  Seltenheiten!  — Wo  die 
Kenneseiche  fehlt,  oder  wo  sie  in  sehr  weiten  Abständen  steht,  da 
tritt  die  noch  trostlosere  Phrygan  a-Vegetation  auf,  kleine  dürre, 

*)  Bournouf  S.  151  f. 

*)  Supan  S.  71. 

'}  Forchhammer  S.  179. 


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76 


Alfred  Philippson: 


staubfarbige,  stachlichte  Halbsträucher,  die  ebenfalls  überall  den  Boden 
zwischen  sich  frei  lassen.  Ihnen  gesellen  sich  im  Frühjahr  grofsblättrige 
Zwiebelgewächse  hinzu,  besonders  der  seltsame  Asphodelus;  aber 
diese  verschwinden  nach  kurzer  Vegetationszeit  wieder.  Ebenso  ergeht 
es  den  Gräsern  und  Kräutern,  die  in  der  nassen  Zeit  den  mit  Erde 
erfüllten  Gesteinsspalten  entspriefsen.  Diese  Gräser  und  Kräuter  bieten 
in  der  feuchten  Jahreszeit  (Oktober  bis  April)  Sch afh erd en  Nahrung, 
während  die  Ziegen  die  Sprossen  der  Kermeseichen  abnagen.  Aber 
grofse  Flächen  gehören  dazu,  um  einer  Herde  zu  genügen.  Im  Sommer 
müssen  die  Hirten  die  höheren  Gebirge  aufsuchen,  soweit  sie  nicht  die 
feuchten  Stellen  des  Seebodens  abweiden  lassen.  Die  Viehzucht  ist 
die  wichtigste  Nahrungsquelle  der  Bewohner  dieser  Gebirge,  ja  für  ein- 
zelne Dörfer,  z.  B.  Martino,  die  einzige.  Ackerbau  kann  nur  in 
kleinen  Mulden  und  auf  einigen  sanfteren  Gehängen,  wo  sich  etwas 
Verwitterungserde  zwischen  den  Steinen  sammelt,  in  dürftiger  Weise 
getrieben  werden.  Gröfsere  Ackerflächen  bieten  nur  die  wenigen  kleinen 
kesselförmigen  Ebenen,  die  hier  und  da  in  das  Gebirge  eingesenkt 
sind.  Sie  sind  daher  fast  stets  mit  einem  Dorf  besetzt.  — Die  Be- 
völkerung dieses  Gebirgslandes  ist,  wie  aus  dem  Vorstehenden  leicht 
verständlich,  eine  überaus  dünne.  Wenn  wir  das  hier  in  Rede  stehende 
Gebiet  in  folgender  Weise  umgrenzen:  im  Norden  und  Osten  die  Küste 
von  Atalanti  bis  Vathy  (südlich  vom  Euripos)  — ausgeschlossen  bleiben 
dabei  von  unserem  Gebiet  die  Küstenebcne  von  Atalanti  selbst  und 
die  kleine  flache  Halbinsel  von  Chalia,  wo  ganz  andere  Bedingungen 
herrschen;  — im  Westen  die  Linie  Atalanti  — ßogdanos  — Westspitze 
der  Durduvana;  im  Süden  Durduvana,  Nord-  und  Ostufer  des  Sees, 
untere  Thebanische  Ebene  (diese  ausgeschlossen)  — so  liegen  in  diesem 
ganzen  Gebiet  folgende  Ortschaften  (mit  den  Einwohnerzahlen  nach 
der  Zählung  von  1889)*) : 


In  der  Nähe  des  Randes  des  Kopa'is-Sees: 


Tzamali*) 

...  105 

Einwohner 

Topolias 

• • ■ 32S 

II 

Kokkino 

• • • 37° 

II 

Karditsa 

...  388 

II 

(Kloster  Pelagia)  . . . 

...  13 

W 

1201  Einwohner. 


1 ) Die  Dörfer  mit  mehr  als  500  Einw.  sind  gesperrt  gedruckt. 

2)  Rhado  fehlt  in  der  Liste  der  Volkszählung.  Vielleicht  ist  es  mit  iß  der 
Zahl  für  Pavlo  einbegriffen. 


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Der  Kopa’is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


77 


Ohne  Beziehung  zum  Kopals-See: 


Exarchos 

...  398 

Einwohner 

Kolaka 

• • • 232 

II 

Pavlo  

...  596 

II 

Martino 

• • • »434 

II 

I.arymna 

• • • »43 

II 

Mazi 

. . . Il8 

II 

Malesina 

. . . 961 

1» 

Proskyna  

. . . 5»6 

I* 

I.ukisia 

. 286 

II 

Muriki 

. . . 400 

II 

Ungra 

. . . 128 

II 

Sengina  

...  70 

II 

(Kloster  Sagmata)  . . . 

. . . IO 

II 

5292  Einwohner. 


Zusammen  hat  also  das  ganze  Gebiet  16  Dörfer  mit  6493  Ein- 
wohnern, wovon  nur  4 Dörfer  mit  1201  Einwohnern  an  den  Kopals-See 
grenzen.  Den  Flächeninhalt  des  Gebietes  kann  man  auf  rund  850  qkm 
schätzen,  sodafs  auf  einen  Quadratkilometer  nur  7,5  Einwohner  kommen. 
Jedes  Dorf  hat  im  Durchschnitt  54  qkm,  also  eine  deutsche  Quadrat- 
meile, Gebiet.  Nur  4 Dörfer  haben  über  500,  nur  eins,  Martino,  über 
1000  Einwohner.  Das  sind  gewifs  aufserordentlich  dürftige  Bevölkerungs- 
verhältnisse, besonders  wenn  wir  sie  mit  dem  Altertum  vergleichen, 
wo  uns  aus  diesem  Gebiet  die  Namen  von  15  Städten  und  Flecken 
überliefert  sind,  worunter  sieben  am  Rande  der  Kopals! 

Ähnliche  aber  im  ganzen  etwas  günstigere  Vegetations-  und  Be- 
völkerungsverhältnisse besitzt  der  Helikon  im  S des  Seebeckens.  Die 
gröfsere  Höhe  des  Gebirges  und  stärkerer  Schneefall  im  Winter  er- 
nähren eine  reichlichere  Bewässerung.  Die  gröfseren  Thäler  haben  in 
ihren  Auen  und  an  ihren  Gehängen  etwas  reichlichere  Ackerkrume.  Die 
höheren  Teile  des  Gebirges  sind  vielfach  noch  mit,  allerdings  sehr  ge- 
lichtetem, Tannenwald  bestanden.  So  ist  allerdings  auch  hier  die 
Bevölkerung  arm  und  dünn  gesäet  und  vorwiegend  Viehzucht  treibend, 
aber  doch  etwas  zahlreicher,  als  in  dem  nördlichen  und  östlichen 
Gebirgsland.  Da  der  Helikon  nur  geringe  Beziehungen  zum  Kopals- 
Becken  hat,  gehen  wir  hier  nicht  näher  auf  ihn  ein. 

Die  Hauptfrucht  des  Anbaues  in  den  Gebirgen  ist  Weizen  und 
Gerste. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  Kopals-Niederung  selbst.  Aufserhalb 
des  eigentlichen  Seebodens  ist  der  höhere  Schwemmlandsaum  am 


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78 


Alfred  Philippgon: 


West-  und  Südrand,  mit  Ausnahme  einiger  Schuttkegel,  sehr  fruchtbar, 
wohlbewässert  und  durchaus  angebaut.  Die  wilde  Vegetation  ist  sehr  ein- 
geschränkt. Die  Flüsse  sind  von  Weiden  und  Pappeln  eingefafst.  In  der 
Nähe  der  Ortschaften  und  Quellen  finden  sich  einige  Baumpflanzungen, 
hauptsächlich  Maulbeerbäume  und  mitteleuropäische  Obstarten  ent- 
haltend. Die  Südfrüchte  gedeihen  wegen  des  strengen  Winters  im 
ganzen  böotischen  Binnenlande  nicht;  kaum  dafs  einige  kümmerliche 
Ölbäume  bei  Theben  und  Livadia  bestehen  können,  häufig  durch 
Frost  beschädigt.  P'erner  giebt  es  bei  den  Dörfern  Gemüsegärten: 
berühmt  sind  die  Melonen  von  Mulki.  Auch  Wein  und  Getreide 
wird  angebaut,  ferner  Sesam  und  Anis.  Die  wichstigste  P'eldfrucht 
ist  aber,  in  der  Ebene  im  Westen  des  Sees  fast  allein  herrschend, 
die  Baumwolle,  und  zwar  die  einjährige  Baumwollstaude  ( Gos - 
sypium  herbaceum  L.)1).  Ihr  Anbaubezirk  zieht  sich  von  hier  westwärts 
den  Kephissos  aufwärts,  während  sie  in  der  unteren  Thebanischen 
Ebene  fehlt,  da  sie  der  künstlichen  Bewässerung  bedarf,  die  dort  nicht 
möglich  ist.  Die  Baumwolle  bildet  die  Haupteinnahme  der  Bewohner 
der  Kopafe-Ebene.  Sie  wird  zum  gröfsten  Teil  in  I.ivadia,  mit  Hülfe  der 
Wasserkraft  der  mächtigen  Quelle  dieses  Ortes,  versponnen  und  dann 
auf  Karren  nach  dem  Piräus  geführt2). 

Die  Bevölkerung  dieser  Niederung  im  W und  S des  Sees  ist  da- 
her eine  für  griechische  Verhältnisse  ziemlich  dichte,  wenn  sie  sich 
darin  auch  nicht  im  entferntesten  mit  den  Ebenen  des  Peloponnes 
messen  kann.  Wenn  wir  als  Grenze  den  Gebirgsrand  und  den  See, 
gegen  die  Ebene  von  Chaeronea  die  Linie  nehmen,  welche  vom 
Ostende  der  Durduvana  bei  Skripu  nach  SW  zum  Ostende  der  Hügel 
von  Bramaga  (nordöstlich  von  Livadia)  zieht,  so  haben  wir  in  diesem 
Gebiet  von  rund  100  qkm  folgende  Ortschaften: 


Skripu  

. . . 689  Einwohner 

Petromagula  . . . . 

. ...  798 

Arapochorion 

• • ■ 163  „ 

Vranezi  

...  278 

Karya 

• • • 231  .. 

Livadia  

...  4990  „ 

■)  Wann  der  Anbau  der  Baumwolle  im  Kopa'is-Gcbiet  cingefiihrt  worden,  ist 
mir  unbekannt;  vielleicht  ist  er  schon  recht  alt  Jedenfalls  ist  es  nicht  richtig, 
dafs  erst  der  amerikanische  Seccssionskrieg  die  Baumwollcnkultur  hier  ins  Leben 
gerufen  habe  (Ncumann-Partsclr  S.  455),  da  sie  schon  bald  nach  dem  griechischen 
Unabhängigkeitskrieg  als  bedeutend  hervorgehoben  wird.  (Brandis,  Mitteilungen 
I,  S.  117). 

2)  Näheres  über  den  Ackerbau  dieser  Gegend  findet  man  bei  Durand*Clay. 


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Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


79 


H.  Dimitrios  .... 

• ■ • • 383 

Einwohner 

Degle 

. . . . 82 

II 

Rhachi 

• • • ■ 73 

»f 

Mamura 

. . . . 143 

tt 

Vrastamitaes  .... 

. . . . 283 

II 

Mulki 

. . . . 262 

J9 

8375  Einwohner. 


Im  ganzen  also  12  Ortschaften  mit  8375  Einwohnern,  d.  s.  84  Ein- 
wohner auf  1 qkm  — wohl  bemerkt,  den  unbewohnten  Seeboden  von 
der  Berechnung  ausgeschlossen!  Dabei  müssen  wir  aber  beachten,  dafs 
fast  zwei  Dritteile  der  Einwohner  in  Livadia  vereinigt  sind,  also  einer 
Stadt,  die  einem  weit  gröfseren  Bezirk  als  Mittelpunkt  dient  und  da- 
her ihren  Erwerb  nicht  allein  aus  der  Kopais-Niederung  bezieht. 

Livadia  ist  der  einzige  städtische  Ort  des  ganzen  Kopals-Gebietes. 
Die  Baumwollspinnereien,  W'elche  durch  die  Wasserkraft  der  Herkyna- 
Quellen  getrieben  werden,  geben  ihm  einen  industriellen  Charakter,  wie 
er  nur  sehr  wenigen  Orten  Griechenlands  eigen  ist.  Überragt  von  den 
auf  jähem  Felsen  thronenden  Trümmern  des  mittelalterlichen  Kastells 
ziehen  sich  die  Häuser  den  Abhang  hinunter  in  die  enge  Schlucht  der 
Herkyna-Quelle  und  steigen  am  anderen  Abhang  ebenso  wieder  hin- 
auf; unten  am  Grunde  läuft  neben  dem  überbrückten  Bach  die  enge, 
lebhafte  Bazargasse.  Unmittelbar  nördlich  der  Stadt  öffnet  sich  die 
Schlucht  zu  der  Bucht  der  Kopals  - Ebene,  die  hier  von  Westen  den 
anderen  Hauptarm  der  Herkyna  aus  breiterem  Thal  empfängt.  So 
bietet  Livadia  von  Norden  her  wohl  eines  der  malerischsten  Städte- 
bildcr  Griechenlands.  Aufser  Livadia  ist  nur  noch  Skripu,  das 
mit  dem  dicht  benachtbarten  l’ctromagula  eine  einzige  Niederlassung 
von  fast  1500  Einwohnern  bildet,  von  Bedeutung.  Es  ist  aber  nur 
ein  Dorf  mit  niedrigen  Häusern,  w'elche  zwischen  dem  Ende  der 
Durduvana,  welche  die  Reste  von  Orchomenos  trägt,  und  dem  Ufer 
des  Sees  zerstreut  umher  liegen.  — Alle  anderen  Orte  sind  kleine 
Dörfchen. 

Werfen  wir  zum  Vergleich  noch  einen  Blick  auf  das  Becken  von 
Theben.  Die  untere  Ebene  ist  sehr  fruchtbar  und  ganz  angebaut, 
aber  wegen  des  Mangels  an  Bewässerung  nicht  für  die  Baumwolle 
geeignet.  Es  wird  hauptsächlich  Getreide  gebaut.  Die  obere 
Ebene,  mit  ihrem  flachen  Neogen-Hügelland,  ist  lange  nicht  so 
ergiebig,  wenn  sie  auch  fast  durchwegs  angebaut  werden  könnte.  Es 
geschieht  dies  aber  nur  in  sehr  geringem  Mafs.  Während  im  Alter- 
tum hier,  aufser  Theben  selbst,  drei  bedeutende  Städte  lagen  (Thes- 
piae,  Leuktra,  Plataeae)  ist  die  Bevölkerung  jetzt  sehr  dünn,  das  Land 


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80 


Alfred  Philippsnn: 


zum  gröfsten  Teil  als  Schafweidc  benutzt.  Aufser  am  Abhange  von 
Theben  ist  das  ganze  I.and  fast  baumlos. 

Das  Becken  von  Theben  umfafst  etwa  350  qkm  und  zählt  15000 
Einwohner,  also  43  auf  1 qkm.  Davon  entfallen  auf  Theben  seihst 
3228  Einwohner;  mit  den  am  Fufs  des  Abhanges  gelegenen  Vororten 
Pyri  und  II.  Theodori  aber  5203  Einwohner,  so  dafs  es  mit  diesen  zu- 
sammen Livadia  noch  (ibertrifft.  Es  trägt  aber  vielmehr  dörflichen,  acker- 
bauenden Charakter  als  dieses;  Industrie  fehlt  vollständig,  der  Bazar 
ist  unbedeutend  und  der  Verkehr  läfst  sich  mit  dem  Livadias  nicht 
vergleichen. 

In  dem  ganzen  Mittel-Griechenland  östlich  von  T.amia  und  Amphissa, 
aulser  Attika,  giebt  es  neben  Livadia  und  Theben  keinen  einzigen 
städtischen  Ort;  höchstens  könnte  man  das  unbedeutende  Atalanti 
noch  als  solchen  bezeichnen.  Kein  einziger  Ort  erreicht  mehr  4000 
Einwohner.  So  ist  Livadia  der  kommerzielle  Mittelpunkt  dieses  ganzen 
Gebietes.  Nur  der  östliche  Küstensaum  gravitiert  nach  Chalkis  hin- 
über. 

Die  Hauptverkehrsader  des  Landes  ist  die  Chaussee  Athen-Theben- 
Livadia-Dadi-Lamia,  mit  Abzweigung  von  Theben  nach  Chalkis.  Sie  zieht 
von  Theben  am  Südrand  des  Kopals-Beckens  nach  Livadia  und  dann  das 
Kephissos-Thal  aufwärts.  Dieselbe  Route  verfolgt  die  im  Bau  begriffene 
Eisenbahn  Piraeus-Larissa.  Aufserdem  hat  die  Kopals  - Gesellschaft 
einige  primitive  Fahrwege  von  Theben  nach  ihren  Arbeitsplätzen  gebaut 
Sonst  giebt  es  nur  Reitwege.  Der  Verkehr  nach  auswärts  vollzieht 
sich  vornehmlich  auf  der  I.andstrafse  nach  Athen  und  Piräus,  nur  in 
sehr  geringem  Mafs  nach  den  Hafenorten  Atalanti  und  Chalkis,  gar 
nicht  nach  Westen  oder  nach  der  Küste  des  Korinthischen  Golfes, 
die  durch  rauhe  Gebirge  von  dem  Binnenlande  getrennt  ist. 

e.  Die  Trockenlegung  des  Kopa'fs-Sees  in  der  Neuzeit. 

Seit  dem  Altertum  ruhte  das  Problem  der  Trockenlegung  des  Ko- 
pals - Sees  vollständig.  Kaum  aber  war  Griechenland  von  dem  türki- 
schen Joch  erlöst,  als  man  dieses  grofse  Werk  wieder  ins  Auge  fafstc. 
Die  ersten  Projekte  rührten  von  Deutschen  her,  nämlich  von  Fiedler, 
der  1836,  und  Russegger,  der  1839  das  Kopals-Gebiet  besuchte; 
den  Vorschlag  von  Forchhammer,  die  Ableitung  durch  Erweite- 
rung der  Quellen,  in  welchen  das  Kopals  - Wasser  hervortritt,  zu  be- 
wirken, kann  man  nicht  als  ernst  zu  nehmendes  Projekt  ansehen. 
Dann  folgte  der  französische  Ingenieur  Sauvage  (1846).  Der  Aus- 
führung trat  man  aber  erst  näher,  als  der  Ingenieur  Moule  1879  das 
Becken  untersucht  hatte.  Auf  sein  Gutachten  hin  wurde  eine  fran- 
zösische Gesellschaft  gegründet,  welche  im  Jahr  1880  von  der 


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Der  Kopais-Sce  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


81 


griechischen  Regierung  die  Konzession  erhielt.  Für  die  Ausführung 
des  Unternehmens  gewährte  man  ihr  als  Entgelt  fast  den  ganzen 
trocken  zu  legenden  Seeboden,  den  man  durch  die  Isohypse  von  97  m 
umgrenzte,  als  Eigentum,  und  zwar  8000  ha  für  immer,  16000  ha 
auf  99  Jahre,  zusammen  also  eine  Fläche  von  24  000  ha.  Mit  Zugrunde- 
legung der  Moule’schen  Arbeiten  wurde  der  Plan  entworfen  und  unter 
dem  Chef-Ingenieur  Pochet  1883  ins  Werk  gesetzt.  Schon  am  12.  Juni 
1886  wurde  der  Tunnel  eröffnet,  welcher  das  Wasser  des  Kopais-Sees 
zum  Likeri  ableitet,  und  damit  ersterer  abgezapft.  Im  Januar  1889 
ging  das  ganze  Unternehmen  in  die  Hände  einer  englischen  Ge- 
sellschaft über.  Jetzt  ist  die  Trockenlegung  im  wesentlichen  voll- 
endet, und  zwar  mit  einigen  beträchtlichen  Abweichungen  von  dem  ur- 
sprünglichen Plan,  wie  er  von  Durand-Clay  veröffentlicht  und  durch 
Supan  (in  Petermann's  Mitteilungen  1889)  bekannt  gemacht  wurde. 

Alle  modernen  Projekte  unterscheiden  sich  von  der  Entwässerungs- 
anlage der  Minyer  wesentlich  dadurch,  dafs  man  die  Katavothren  teils 
gar  nicht,  teils  nur  in  zweiter  Linie  für  die  Ableitung  benutzt,  diese 
dagegen  hauptsächlich  durch  künstliche  Tunnel  bewirkt,  welche  man 
durch  die  das  Kopals-Becken  vom  Meer  trennenden  Isthmen  treibt.  Man 
folgt  also  dabei  dem  Plan  jener  unbekannten  Baumeister  des  späteren 
Altertums.  Die  Projekte  von  Fiedler,  Russegger  und  Sauvage  empfahlen 
die  Durchbohrung  des  Isthmos  von  I.arymna;  das  zur  Ausführung  ge- 
langte Unternehmen  wählte  jedoch  den  anderen  Weg,  nämlich  die 
Durchbohrung  der  Isthmen  von  Karditsa,  Muriki  und  Anthedon,  die 
Ableitung  des  Wasser  erst  in  den  Likeri,  von  diesem  in  die  Paralimni 
und  dann  in  das  Meer,  unter  beträchtlicher  Aufstauung  dieser  beiden 
Seen.  Die  Gründe,  weshalb  man  diesem  Weg  den  Vorzug  vor  dem 
Joch  von  Larymna  gab,  entziehen  sich  meiner  Kenntnis  und  Beur- 
teilung. Auf  dem  gewählten  Weg  sind  die  Durchstiche  länger  als  beim 
joch  von  Larymna,  aufserdem  verschlingen  die  angeschwollenen  beiden 
kleineren  Seen  einiges  angebaute  Land,  welches  die  Gesellschaft  hat 
ankaufen  müssen;  andererseits  ist  die  Länge  der  Kanäle  auf  dem  See- 
boden der  Kopais  wohl  etwas  kürzer,  und  man  gewinnt  durch  die 
Aufstauung  des  Wassers  in  den  beiden  kleinen  Seen  eine  bedeutende, 
gleichmäfsige  Wasserkraft,  die  man  zu  industriellen  Zwecken  benutzen 
kann. 

Aufser  diesem  System  von  Durchstichen  hat  man  aber  auch  eine 
Kanalisierung  des  Seebodens  selbst  durchgeführt,  um  die  Zuflüsse  des 
Sees  zu  dem  Ableitungs-Tunnel  zu  führen,  ohne  dafs  sie  sich  Uber  den 
Seeboden  ausbreiten.  Die  moderne  Anlage  stellt  also  eine  Kombi- 
nation dar  aus  dem  Entwässcrungs  - System  der  Minyer  und  aus  dem 
einen  der  beiden  späteren  Versuche  des  Altertums  — natürlich  eine 
Zeiuch r.  d.  GcselUch.  f.  Erdlc.  Bd.  XXIX.  (i 


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82 


Alfred  Philippson: 


unbewufste  Nachahmung,  da  ja  die  Minyschen  Kanäle  erst  während  der 
Arbeit  zum  Vorschein  kamen. 

Das  ganze  Entwässerungswerk,  wie  es  jetzt  fertig  vorliegt,  ist  kurz 
folgendes. 

Ein  grofser  Gürtelkanal  umzieht  den  See  im  Westen,  Süden 
und  Südosten.  Er  beginnt  am  Kephissos  bei  den  Orten  Gephyri  und 
Rhomaeiko,  etwa  7 km  oberhalb  seiner  Mündung  in  den  See,  ungefähr 
an  der  Stelle,  wo  der  Flufs  bei  Hochfluten  nach  rechts  abzuschweifen 
liebte.  Der  Kephissos  ist  hier  durch  eine  Schleuse  von  seinem  alten 
Lauf  abgesperrt  und  in  den  Gürtelkanal  geleitet.  Bei  bedrohlichem 
Hochwasser  soll  die  Schleuse  geöffnet  werden;  dann  nimmt  ein  Teil 
des  Kephissos-Wassers  den  alten  Lauf,  wird  an  der  ehemaligen  Miln- 
dung von  einem  Notkanal  aufgenommen  und  dem  Melas  zugeführt. 
In  gewöhnlichen  Zeiten  ist  aber  der  Kephissos  ganz  vom  Melas  abge- 
sperrt. — Vom  Kephissos  zieht  der  Gürtelkanal  am  Westufer,  dann 
am  Süd-  und  Ostufer  des  Sees  entlang  bis  zur  Bucht  von  Karditsa. 
Bis  in  die  Nähe  von  Haliartos  liegt  der  Kanal  aufserhalb  des  Seebodens, 
dann  zieht  er  sich  in  diesen  hinein.  Dieser  Gürtelkanal  nimmt 
alle  Zuflüsse  des  Sees  auf  dieser  ganzen  Strecke  auf,  das 
heifst  alle  beträchtlichen  Zuflüsse  des  Sees  überhaupt,  aus- 
genommen den  Melas.  Die  Zuflüsse  sind  oberhalb  ihrer  Mündung  in 
den  Kanal  sämtlich  reguliert  und  eingedeicht.  — Der  Kanal  besteht 
aus  einem  doppelten  Bett ; das  für  den  kleinen  Wasserstand  ist  in  den 
natürlichen  Boden  eingeschnitten;  es  wird  zu  beiden  Seiten  von  je  einem 
Deich  begleitet,  welche  über  den  Boden  aufragen  und  so  ein  breiteres 
Hochflutbett  bilden.  Aufserhalb  der  Deiche  verlaufen  dann  noch 
kleine  Austrocknungs- Gräben,  welche  das  Regenwasser  der  Umge- 
bung sammeln.  Der  Kanal  ist  33  km  lang;  das  kleine  Bett  hat  9 
bis  22  m Sohlenbreite;  die  Breite  des  Hochflutbettes  (der  Abstand  der 
Deiche)  beträgt  69  bis  52  m;  die  Tiefe  des  kleinen  Bettes  ist  etwa  2 m, 
die  Höhe  der  Deiche  1,60  bis  1,90  m.  Der  Kanal  fällt  von  100,79  rr> 
bis  auf  90,50  m;  seine  Sohle  liegt  in  der  Bucht  von  Karditsa  etwa  4 m 
unter  dem  Niveau  der  Ebene.  Die  gesamte  bewegte  Erdmasse  beläuft 
sich  auf  1660000  Kubikmeter1). 

Der  zweite  Kanal,  der  „innere  Kanal“,  empfängt  keinen  Zu- 
fltifs  von  Aufsen.  Er  beginnt  bei  Karya  am  Westufer  und  folgt  der 
tiefsten  Rinne  des  Seebodens  in  der  Nähe  des  Südufers,  läuft  also 
dem  Gürtelkanal  in  geringer  Entfernung  parallel.  Er  ist  bestimmt,  das 
Regenwasser,  das  auf  den  Seeboden  fällt,  abzuleiten  und  so  die  Bil- 
düng  von  Sümpfen  in  den  tiefsten  Teilen  zu  verhindern.  Er  ver- 

')  Durand-Ciay;  Supan  S.  73. 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


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einigt  sich  nach  einem  Lauf  von  24  km  mit  dem  Gtirtelkanal  in  der 
Bucht  von  Karditsa. 

Ursprünglich  hat  man  noch  einen  nördlichen  Gürtelkanal  ge- 
plant, der  den  Melas  demselben  Vereinigungspunkt  zuführen  sollte. 
Man  hat  aber  diese  Absicht  aufgegeben  und  den  Melas  in  seinem  alten 
Lauf  gelassen,  indem  man  ihn  nur  in  seinem  mittleren  Lauf  einge- 
deicht hat  — in  seinem  Unterlauf  ist  dies  nicht  nötig,  da  er  dort  tief 
eingeschnitten  ist.  Aufserdem  leitet  man  ihm  durch  jenen  oben  er- 
wähnten Notkanal  im  Fall  der  Gefahr  Wasser  des  Kephissos  zu.  Ein 
kleines  StUck  des  beabsichtigten  Nordkanals  ist  in  der  Bucht  von 
Karditsa  fertig  gestellt.  Der  Melas  mündet  also  nach  wie  vor  in 
seiner  grofsen  Katavothre  (Nr.  8)  und  erscheint  in  der  Quelle  von 
Skroponeri  wieder  zu  Tage. 

Die  Überlassung  des  Melas  an  die  grofse  Katavothre  kann  nur  als 
ein  sehr  glücklicher  Gedanke  bezeichnet  werden.  Man  hat  dadurch  grofse 
Kosten  erspart  und  zugleich  den  Ableitungs-Tunnel  erheblich  entlastet; 
andererseits  bietet  die  gleichmäfsige  Wasserführung  des  Melas  die  Ge- 
währ, dafs  sein  Abflufs  durch  die  Katavothre  keiner  Störung  unter- 
liegen wird. 

Alles  andere  Wasser,  aufser  dem  Melas,  vereinigt  sich  also  in  dem 
Kanal  der  Bucht  von  Karditsa.  Von  hier  führt  es  zunächst  ein  offener 
Einschnitt  von  2760  m Länge  durch  die  Ebene,  die  sich  an  die  Bucht 
anschliefst,  dann  der  Tunnel  von  Karditsa  durch  den  Rücken  des 
Isthmos.  Die  Länge  des  Tunnels  wurde  mir  zu  860  m angegeben1) 
(Durand-Clay  672  m);  er  ist  7!  m hoch  und  5 bis  6 m breit.  Jenseits 
folgt  noch  ein  kurzer  Einschnitt,  dann  sttirzt  sich  das  Wasser  in  mäch- 
tigem Katarakt  hinab  in  die  Ebene  von  Sengina  und  den  Likeri-See. 
Dieser  See  lag  vorher  45  m hoch.  Jetzt  steigt  er  infolge  des  Zuflusses, 
der  ihm  seit  der  Eröffnung  des  Tunnels  1886  zugeht,  allmählich  an. 
Ein  fränkischer  Thurm , der  zur  Zeit  der  Aufnahme  der  Carte  de  la 
Gr6ce  (in  den  vierziger  Jahren  dieses  Jahrhunderts)  auf  einer  Halb- 
insel im  See  stand,  bei  Beginn  der  Arbeiten  schon  auf  einer  Insel  sich 
befand,  ragt  jetzt  nur  noch  mit  seinen  Zinnen  hervor.  Bald  wird 
dieser  Zeuge  abendländischer  Ritterherrschaft  für  immer  unter  den 
Fluten  begraben  sein. 

Der  Likeri-See  wird  bis  zum  Niveau  von  80  m ansteigen,  also  bis 
wenige  Meter  unter  der  Tunnelöffnung.  Die  kleine  Ebene  von  Sengina, 
dieses  Dörfchen  selbst,  sowie  ein  Teil  der  Ebene  von  Muriki  wird  dann 
verschwunden  sein.  Sie  sind  von  der  Gesellschaft  angekauft.  Dann 
wird  sich  der  See  über  den  Isthmos  von  Muriki  ergiefsen,  den  man 


l)  Vgl.  das  S.  19  Gesagte. 

(i* 


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Alfred  Philippson: 


durch  einen  offenen  Einschnitt  etwas  eingekerbt  hat.  Die  Sohle 
dieses  Einschnittes  liegt  78  m ü.  d.  M.  und  wird  2 m hoch  mit  Wasser 
bedeckt  sein;  er  ist  25  m breit,  im  Maximum  5 m tief  und  etwa  600  m 
lang.  Eine  Brücke  führt  hinüber.  — Dann  wird  sich  das  Wasser  frei 
hinabstürzen  zu  dem  früher  35  m hohen  Paralimni-See.  Einen  ur- 
sprünglich beabsichtigten  Tunnel  bei  Ungra  zur  Verbindung  des  Likeri 
mit  der  Paralimni  hat  man  aufgegeben.  Schon  jetzt  dringt  durch  unter- 
irdische Spalten  unerwarteter  Weise  Wasser  aus  dem  ansteigenden 
I.ikeri-See  in  die  Paralimni.  Diese  steigt  daher  bereits;  wenn  der 
Uberflufs  über  den  Isthmos  von  Muriki  in  Thätigkeit  getreten  ist,  wird 
sie  noch  schneller  steigen  und  zwar  bis  zur  Höhe  von  55  m ü.  d.  M. 
Dann  wird  das  Wasser  in  den  bereits  fertiggestellten  Abflufs  eintreten, 
der  es  durch  den  Isthmos  von  Anthedon  zum  Meer  hinausfuhrt.  Dieser 
letzte  Durchstich  besteht  aus  zwei  offenen  Einschnitten  von  zusammen 
576  m Länge  und  einem  dazwischenliegenden  Tunnel  von  860  m Länge, 
3!  bis  4 m hoch  und  breit.  Dann  fällt  das  Wasser  in  freiem  Lauf  zu  der  nur 
800  m entfernten  Küste  hinab,  wobei  es  also  an  50  m Gefälle  besitzt. 

Diese  Wasserstürze  von  Muriki  und  Anthedon  werden  eine  sehr 
bedeutende  Kraft  liefern.  Man  berechnet  die  Masse,  welche  aus  dem 
Likeri  ausströmen  wird,  auf  50  Millionen1),  diejenige,  welche  den  Tunnel 
von  Anthedon  passieren  wird,  auf  40  Millionen  Kubikmeter  im  Jahr2). 
Da  die  Seen  als  Reservoire  dienen,  wird  die  Schwankung  der  Wasser- 
menge in  den  Jahreszeiten  gering  sein.  Man  beabsichtigt  daher,  an 
diesen  Wasserfällen  industrielle  Anlagen  zu  errichten.  Wenn  sich  erst 
der  Boden  des  Kopais-Sees  mit  Baumwoll-Feldern  bedeckt  haben  wird, 
dann  wird  man  hier  das  Rohprodukt,  verspinnen  können,  wie  es  in 
kleinerem  Mafs  schon  in  Livadia  mit  Hülfe  der  dortigen  Wasserkraft 
geschieht.  Doch  das  ist  vorläufig  ein  Zukunftstraum  und  wird  wohl 
noch  lange  ein  solcher  bleiben!  Könnte  man  nicht  die  Wassermenge 
und  die  Kraft  dieser  Wasserstürze  dazu  benutzen,  um  das  unter  Wasser- 
mangel schwer  leidende  Athen  mit  Wasser  zu  versorgen? 

Der  Kopäls-See  ist  durch  die  Trockenlegung  jetzt  völlig  ver- 
schwunden, mit  Ausnahme  weniger  Sümpfe,  besonders  desjenigen  an 
den  Melas-Quellen.  Die  Schilfdickichte,  die  ihn  bedeckten,  sind  bis 
auf  kleine  Reste  verschwunden.  Unabsehbar  breitet  sich  die  vollständig 
horizontale,  fast  vegetationslose  braune  Fläche  aus3),  auf  der  man  rein 

*)  S.  die  Karte  der  Kopa'is-Gesellscbaft. 

*)  Durand-Clay  S.  ig. 

3)  Eine  weifse  Farbe  der  Oberfläche  — auf  die  man  den  alten  Namen  Drxiüric 
für  die  Ebene  von  Kopae  bezieht  — habe  ich  in  aen  von  mir  besuchten  Teilen 
nicht  gesehen.  Der  weitse  Mergel  des  Bodens  ist  an  der  Oberfläche  durch  Humus 
dunkel  gefärbt. 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


85 


gar  nichts  sieht,  auf  der  daher  jeder  Mafsstab  für  Gröfse  und  Ent- 
fernung fehlt. 

Die  A us t rock nung  ist  also  technisch  vorläufig  gelungen. 
Fast  25000  Hektar  des  allerfruchtbarsten  Bodens  sind  gewonnen.  Nach 
Durand-Clay  kann  der  Hektar  durchschnittlich  2100 — 7000  kg  Mais 
liefern,  was  einem  Netto-Ertrag  von  200 — 710  Frs.  entspricht,  oder 
1900 — 2000  kg  Baumwolle,  die  einen  Reingewinn  von  250 — 775  Frs. 
abwirft.  Das  gäbe  also  einen  jährlichen  Rein- Ertrag  von  mindestens 
5 MilL  Frs.,  wenn  der  ganze  Seeboden  bebaut  ist.  — Aber  der  Erfolg 
ist,  selbst  nur  in  technischer  Hinsicht,  noch  manchen  Gefahren  aus- 
gesetzt. Zunächst  fragt  es  sich,  ob  das  Ausmafs  der  Kanäle  und  die 
Stärke  der  Deiche  grofs  genug  sind,  um  einer  aufsergewöhnlichen  Hoch- 
flut des  Kephissos,  wie  sie  sich  zuweilen  ereignen.  Stand  zu  halten.  Ferner 
würde  eine  Verstopfung  des  Tunnels  von  Karditsa  das  ganze  Becken 
wieder  unter  Wasser  setzen.  Zwar  ist  bei  einem  künstlichen  Tunnel 
wegen  seiner  regelmäfsigen  Gestalt  die  Gefahr  einer  Verstopfung  weit 
geringer  als  bei  den  tinregelmäfsigen  Katavothren;  dennoch  aber  ist 
sie  nicht  ausgeschlossen,  besonders  da  die  Erdbeben  dort  so  überaus 
häufig  und  heftig  sind').  Eine  Verstopfung  des  Tunnels  wäre  aber 
nicht  zu  beseitigen,  ohne  dafs  man  das  Wasser  von  ihm  abdämmt  und 
so  die  See-Ebene  wieder  zeitweise  überschwemmt.  Man  thäte  wohl 
gut,  einen  kleineren  Teil  der  See-Ebene  durch  Eindeichung  zu  einem 
Not-Bassin  zu  gestalten,  in  welches  man  das  Wasser  aufstauen  könnte, 
bis  etwaige  Reparatur-Arbeiten  vollendet  wären;  so  könnte  man  viel- 
leicht die  Überschwemmung  der  ganzen  Ebene  vermeiden. 

Jedenfalls  benötigt  das  ganze  Werk  beständiger  aufmerksamer 
Beaufsichtigung.  Sollte  diese  einmal  unterlassen  werden  — was  bei 
einem  etwaigen  finanziellen  Mifserfolg  der  Gesellschaft  wohl  denkbar 
w'äre  — , so  würde  ein  Verlust  des  ganzen  Erfolges  zu  befürchten  sein. 

Ist  die  Trockenlegung  gelungen,  so  fragt  es  sich  weiter,  wie  steht 
es  mit  der  Ausnützung  des  Gewonnenen?  — In  die  finanziellen  Er- 
gebnisse und  Absichten  der  Gesellschaft  habe  ich  natürlich  keinen  Ein- 
blick. Das  Folgende  ist  daher  nur  persönliche  Ansicht,  aus  meiner 
Kenntnis  der  griechischen  Verhältnisse  gewonnen.  Da  möchte  ich  nun 
glauben,  dafs  die  Verwertung  des  Seebodens  noch  in  weiter  Ferne  liegt. 

Zunächst  fehlt  bisher  die  Bewässerung  des  Bodens.  Ein  Anbau 
von  Sommerfrüchten,  besonders  der  Baumwolle,  welche  die  loh- 
nendste Frucht  dieser  Gegend  ist,  kann  in  dem  trockenen  Klima  des 
Sommers  nur  bei  Berieselung  getrieben  werden,  und  da  es  keine  Quellen 
im  Seeboden  giebt,  das  Wasser  der  Zuflüsse  aber  in  den  Kanälen  tiefer 


*)  Auf  die  Erdbeben-Gefahr  hat  Supan  (S.  73)  aufmerksam  gemacht. 


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Alfred  Philippson: 


liegt  als  die  Oberfläche,  müssen  künstliche  Vorrichtungen  zur  Be- 
wässerung des  Seebodens  ersonnen  werden.  So  beabsichtigte  denn 
auch  das  ursprüngliche  Projekt,  mit  Hülfe  der  Kraft  des  Wassersturzes 
bei  dem  — jetzt  aufgegebenen  — Tunnel  von  Ungra  Wasser  über  das 
Niveau  der  Kopais-Ebene  zu  heben  und  dann  über  diese  hin  zu  ver- 
teilen. Bisher  ist  noch  keine  derartige  Anlage  gemacht  worden,  und 
ich  weifs  nicht,  ob  eine  solche  noch  in  der  Absicht  der  Gesellschaft  liegt. 

Ein  noch  wichtigeres  Hindernis  ist  aber  der  Mangel  an  Arbeits- 
kräften für  die  Bebauung.  Wie  wir  sahen,  ist  schon  ohne  Hinzu- 
rechnung des  Seebodens  die  Bevölkerung  des  Kopa'ts-Gebietes  eine 
sehr  dünne.  Die  Leute  sind  zudem  wenig  arbeitsam  und  äufserst  ge- 
nügsam. Die  Bevölkerung  reicht  daher  kaum  hin,  das  schon  vorher 
vorhandene  kulturfähige  Land  zu  bebauen.  Sie  wird  es  zudem  meist 
vorziehen,  bei  ihren,  wenn  auch  weniger  fruchtbaren  Ackern  zu  bleiben, 
die  ihnen  als  freies  Eigentum  gehören,  als  den  Seeboden  zu  bebauen, 
den  sie  von  der  Gesellschaft  pachten  oder  kaufen  müssen.  So  kommt 
es,  dafs  jetzt  zwar  ein  Teil  des  Seebodens  an  den  Rändern  regelmäfsig 
und  mit  Sicherheit  des  Ertrages  bebaut  wird,  der  auch  schon  vorher 
von  den  umliegenden  Dörfern,  aber  nur  in  günstigen  Sommern  und 
unter  Gefahr  des  Verlustes  der  Ernte  angebaut  wurde;  dafs  sich  auch 
wohl  der  Anbau  um  einiges  ausgedehnt  hat  — dals  aber  die  grofse 
Masse  des  Bodens  noch  unbenutzt  daliegt. 

Ein  ausgedehnterer  Anbau  des  Seebodens  wird  sich  nur  ermög- 
lichen lassen,  wenn  man  Kolonisten  ansiedelt.  Das  hat  aber  auch 
bedeutende  Schwierigkeiten,  und  ich  weifs  nicht,  ob  daran  überhaupt 
schon  gedacht  ist.  Die  Teile  Griechenlands,  welche  wegen  Über- 
völkerung Ansiedler  abgeben  könnten,  sind  gering;  es  sind  z.  B.  die 
Mani  und  Arkadien;  und  die  Griechen  pflegen  heutzutage,  wenn  sie 
sich  zum  Auswandern  entschliefsen,  es  vorzuziehen,  als  Händler, 
namentlich  ins  Ausland,  zu  gehen,  und  nicht  sich  wieder  als  Acker- 
bauer, und  besonders  nicht  in  Griechenland  niederzulassen.  Eine  Aus- 
nahme bilden  nur  die  Korinthen-Gegenden,  die  aber  neuerdings 
auch  ihre  Anziehungskraft  einzubüfsen  scheinen.  Es  könnte  daher 
eigentlich  nur  an  ausländische  Kolonisten,  etwa  christliche  Albanesen 
und  Makedonier  oder  Süd -Italiener  gedacht  werden.  Der  Nieder- 
lassung der  letzteren  stehen  aber  die  nationale  und  religiöse  Eremd- 
artigkeit  der  einheimischen  Bevölkerung  und  die  traurigen  ökonomischen 
Verhältnisse  Griechenlands  im  Wege.  So  fürchte  ich,  dafs  noch  lange 
der  Seeboden  der  Kopäis  zwar  trocken,  aber  auch  unbebaut  bleiben 
wird.  Überhaupt  halte  ich  es  für  verfehlt  in  Griechenland,  wo  grofse 
Mengen  trefflichen  Landes  wegen  Mangels  an  Ackerbauern  ungenutzt 
daliegen,  noch  grofse  Strecken  Neulandes  gewinnen  zu  wollen. 


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Der  Kopa'is-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 


87 


Burnouf  hat  im  Jahr  1850  die  Befürchtung  ausgesprochen,  dafs 
durch  Trockenlegung  des  Kopals-Sees  das  Klima  des  östlichen  Mittel- 
Griechenlands  trockener  werden  würde.  Es  ist  sicher,  dafs  das  Fehlen 
eines  so  grofsen  Wasserspiegels  in  einem  rings  von  Bergen  umgebenen 
Kessel  auf  das  Klima  dieses  Kessels  selbst  nicht  ganz  ohne  Einflufs  sein 
kann.  Haben  doch  schon  die  Alten  beobachtet,  dafs  bei  hohem  Wasser- 
stand die  Winter  in  Böotien  wärmer  sind  als  bei  geringer  Wassermenge. 
Eine  Veränderung  des  Klimas  wird  sich  aber  im  wesentlichen  auf  die  Zeit 
von  November  bis  Juni  beschränken,  da  im  Spätsommer  und  Herbst  der 
See  in  der  Regel  trocken  war.  Ob  sich  in  der  ersteren  Jahreszeit  ein 
Nachlassen  der  Niederschläge  Böotiens  seit  dem  Austrocknen  des  Sees 
bemerkbar  gemacht  hat,  weifs  ich  nicht.  Jedenfalls  möchte  ich  vermuten, 
dafs  sie  nicht  bedeutend  ist,  da  die  Niederschläge  in  Griechenland  doch 
wesentlich  durch  die  grofsen  Luftströmungen  bedingt  sind.  Aufserdem 
hat,  wenn  die  Regenbeobachtungen,  die  Durand-Clay  angiebt,  richtig 
sind,  Böotien  in  seiner  nassen  Jahreszeit  so  reichliche  Niederschläge, 
dafs  es  einen  kleinen  Abzug  schon  vertragen  kann  — die  sommerliche 
Trockenzeit  bleibt  ja  davon  unberührt.  Wohl  aber  wird  sich  eine 
rauhere  Temperatur  des  Winters  im  Kopals-Becken  bemerklich  machen, 
die  durch  die  grofse  Wasserfläche  jedenfalls  nicht  unwesentlich  ge- 
mildert wurde,  obwohl  auch  so  schon  Böotien  von  jeher  wegen  kalter 
Winter  berüchtigt  war.  Erst  längere  Beobachtungen  werden  darüber 
Entscheidung  bringen.  Jedenfalls  war  der  Winter  1887  88  in  Böotien 
sehr  streng,  und  ebenso  trat  zur  Zeit  meines  Besuches  im  März  1893 
aufsergewöhnliche  Kälte  ein  (s.  o.) 

Einen  klimatischen  Erfolg  hat  die  Austrocknung  des  Kopals- 
Sees  nach  den  Aussagen  der  Umwohner  schon  gehabt,  nämlich  das 
Nachlassen  der  früher  in  der  ganzen  Umgebung  so  aufserordentlich 
heftigen  Malaria-Fieber! 

Viele  Fragen  der  natürlichen  und  der  vom  Menschen  beeinflufsten 
Geschichte  des  Sees  bleiben  noch  zu  lösen  übrig,  und  es  würde  sich 
wohl  lohnen,  sie  an  Ort  und  Stelle  einer  eingehenden  Untersuchung 
zu  unterziehen.  Besonders  wären  folgende  Fragen  aufzuhellen:  1.  Ist 
die  Bresche  am  Südrand  des  Likeri-Sees,  durch  welche  der  Kanavari- 
Bach  mündet,  von  Menschenhand  erweitert?  2.  Ist  das  Joch  am  Isthmos 
von  Onchestos,  welches  die  Eisenbahn  benutzt,  durch  künstliche  Auf- 
schüttung erhöht?  3.  Wie  hoch  liegen  die  höchsten  Wasserstandsmarken 
am  Kopals-See  und  wie  verhalten  sie  sich  zur  Höhe  jenes  Joches  bei 
Onchestos?  4.  Aus  welcher  Zeit  stammen  die  Durchstiche  der  Isthmen 
von  Larymna  und  Karditsa?  Hier  sollte  man  einige  der  Schächte  aus- 
täiunen.  5.  Haben  die  bisher  nicht  gefundenen  Kanalstrecken  der 
Minyer  existiert?  6.  Was  birgt  der  Tumulus  in  der  Mitte  des  Sees? 


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88 


Alfred  Philippson: 


Hoffen  wir,  dafs  bald  eine  kundige  Kraft  die  Lösung  dieser  Fragen 
in  .Angriff  nehme! 

Die  wichtigere  Literatur  über  den  Kopais-See. 

'I’heophrast  (372  — 287  v.  Chr.).  Historia  plantarum  IV,  n.  8. 

„ De  causis  plantarum  V,  5,  2.  12,  3. 

Diodorus  Siculus  (Ende  des  1.  Jahrh.  v.  Chr.),  IV,  18. 

Strabo  (63  vor  bis  24  nach  Chr.),  IX,  2,  13.  16  — 19.  40. 

Plinius  (23 — 79  nach  Chr.),  Historia  naturalis  XVI,  66. 

Plutarch  (46 — 130  nach  Chr),  Moralia  41,  3 
„ Pelopidas  XVI. 

„ Sulla  XX. 

Pausanias  (schrieb  160 — 180  nach  Chr.),  IX,  23,  4.  24.  36,  3.  38,  5.  6. 
Polyaenus  (2.  Jahrh.  nach  Chr.),  I,  3.  5. 

Diogenes  Laertios  (1.  Hälfte  des  3.  Jahrh.  nach  Chr.),  IV,  5. 
Stephanos  von  Byzanz  (6.  Jahrh.  nach  Chr.),  vide  'sHHjnu. 

Wheler  and  Spon,  A Journey  into  Greece.  London  1682,  S.  465—469. 
(Erste  genauere  Beschreibung  der  Katavothren  in  neuerer  Zeit,  auch 
der  antiken  Ableitungs-Arbeiten  auf  den  Isthmen.  Die  Katavothren 
werden  für  Werke  der  Menschenhand  angesehen). 

Pococke,  Beschreibung  des  Morgenlandes,  herausgeg.  von  Beyer.  III. 
Erlangen  1792.  S.  225  f.  (Beschreibung  des  Sees  und  der  Kata- 
vothren, die  60  an  der  Zahl  sein  sollen). 

Wal  pole,  Memoirs  relating  to  European  and  Asiatic  Turkey.  London 
1818.  Darin:  Raikes,  Remarks  011  parts  of  Boeotian  and  Phocis. 
S.  301 — 305.  Walpole,  On  the  Boeotian  Catabothra  and  Copaic 
Lake.  S.  305  ff.  (Katavothren  für  künstlich  gehalten.) 

Dodwell,  A classical  and  topographical  Tour  through  Greece.  II. 
London  1819.  S.  55  ff. 

Müller,  K.  O.,  Orchomenos  und  die  Minyer.  (1.  Aufl.  1820).  2.  Auflage, 
Breslau  1844.  Mit  Karte.  (Erste  Beleuchtung  der  Geschichte  des 
Sees  im  Altertum.) 

Leake,  Travels  in  Northern  Greece.  II.  London  1835.  S.  118— 161. 
276—323. 

Fo rch h ammer,  Hellenika.  Griechenland,  im  Neuen  das  Alte.  I. 
Berlin  1837.  Mit  Karte.  (Eingehende  topographische  und  hydro- 
graphische Beschreibung.  Abenteuerliche  geologische  Ansichten.) 
Ulrichs,  Reisen  und  Forschungen  in  Griechenland.  I.  Bremen  1840. 
(Ausführliche  Darstellung.) 

Fiedler,  Reise  durch  Griechenland.  I.  Leipzig  1840.  S.  100 — 131. 
(Geologie,  Projekt  zur  Entwässerung.) 


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Der  Kopais-Sec  in  Griechenland  und  eeine  Umgebung. 


89 


Bran dis,  Mitteilungen  Uber  Griechenland.  I.  Leipzig  1842.  S.  124 — 130. 
Mure,  A Tour  in  Greece.  I.  London  1842.  S.  226  f. 

Buchon,  La  Gr6ce  continentale  et  la  Mortfe.  Paris  1844.  S.  213 — 226. 

(Mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Mittelalters.) 

Sauvage,  Description  gdologique  d’une  partie  de  la  Grece  continentale 
et  de  l'ile  d'Eub6e.  Annales  des  Mines.  IV*  S<5rie.  T.  X.  Paris  1846. 

S.  101 — 156.  (Besonders  S.  129 — 138.)  Mit  geologischer  Karte. 
(Erste  genauere  Darstellung  der  Geologie  des  Kopals-Gebietes.) 
Russegger,  Reisen  in  Europa,  Asien  und  Afrika.  IV.  Stuttgart  1848. 

S.  92 — 101.  (Geologie,  Projekt  zur  Entwässerung.) 

Ross,  L.,  Griechische  Königsreisen.  I.  Halle  1848.  S.  25.  99 — 103. 
Sauvage,  Projet  de  dessechement  du  Lac  Copa'is.  Memoire  ä l'appui 
redig6  en  1849  par  C.  S.  Äthanes  1868.  (Mir  nicht  zugänglich). 
Burnouf,  Le  Lac  Copats.  Archives  des  Missions  scientifii|ues.  I. 
Paris  1850.  S.  133  — 160.  (Zusammenstellung,  besonders  der  klima- 
tischen und  hydrographischen  Verhältnisse.) 

Bursi an,  Geographie  von  Griechenland.  I.  Leipzig  1862.  S.  195  — 199. 

(Gute  Zusammenfassung  der  Topographie  und  Geschichte  des  Sees.) 
Lindermayer,  Die  Austrocknung  des  Kopais-Sees  in  Griechenland. 
Ausland  1865.  S.  393—397- 

Bittner,  Der  geologische  Bau  von  Attika,  Böotien,  Lokris  und  Parnassis. 
Denkschriften  d.  Wiener  Akademie  d.  Wiss.  Math.-naturw.  Klasse. 

Bd.  40.  1880.  S.  2—8.  Geologische  Karte.  (Grundlegende 

Arbeit  über  die  Geologie  des  Seegebiets) 

Neumann-Partsch,  Physikalische  Geographie  von  Griechenland. 

Breslau  1885.  S.  224 — 247.  (Zusammenfassung.) 

Durand -Clay,  Le  dessechement  du  Lac  Copais.  Extrait  du  Bulletin 
de  la  Direction  de  rHydraulicpie  agricole.  Paris  1888.  Karte.  « 
(Das  jüngste  Projekt  der  Austrocknung.) 

Supan,  Die  Trockenlegung  des  Kopais-Sees.  Petermann's  Mitteilungen, 

35.  Bd.  Gotha  1889.  S.  71  ff.  Karte.  (Auszug  aus  dem  vorigen.) 
Philippson,  Bericht  über  eine  Reise  durch  Nord-  und  Mittel-Griechen- 
land. Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin.  25.  Bd. 
1890.  S.  389  f.  (Die  Meeresküste  des  Seegebiets.) 

Kraus,  Sumpf-  und  Seebildungen  in  Griechenland  mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  Karsterscheinungen  und  insbesondere  der  Kata- 
bothren-Seen.  Mitteilungen  der  k.  k.  Geographischen  Gesellschaft 
in  Wien.  Bd.  35.  1892.  S.  383  — 392.  (Kompilation,  nicht  frei  von 
Irrtümern.  Von  Wichtigkeit  sind  einige  Beiträge  von  Heger.) 
Kambanis,  Le  dessechement  du  lac  Copa'is  par  les  anciens.  Bulletin  de 
Correspondance  Hellclnique.  XVI.  Paris  1892.  S.  121 — 137.  Mit  Karte 
von  Lallier.  (Erforschung  der  Entwässerungsarbeiten  der  Minyer.) 


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90 


Wilh.  Meiuardus. 


Curtius,  Die  Deichbauten  der  Minyer.  Sitzungsbericht  der  Berliner 
Akademie  d.  Wiss.  Philos.-histor.  Klasse.  Bd.  55.  1892.  S.  1181 — 93. 
Mit  Karte  von  Kaupcrt.  (Beruht  auf  der  vorigen  Arbeit.) 
Bädekers  Griechenland.  (Redigiert  von  Lölling.)  3.  Aufl.  Leipzig 
1893.  S.  190 — 198. 

Karten,  soweit  sie  nicht  in  den  angeführten  Schriften 
enthalten: 

Carte  de  la  Gr£ce,  1 : 200000.  R^digöe  et  grav£e  au  Depöt  de  la 
Guerre.  Paris  1852.  (Noch  immer  die  einzig  zuverlässige  topo- 
graphische Grundlage.) 

Plan  du  lac  Copals,  1 : 50000.  Aufgenommen  von  den  Ingenieuren 
der  „Compagnie  frangaise  pour  le  dessichment  et  l'exploitation  du 
lac  Copais."  (Nicht  im  Buchhandel.  Genaue  Aufnahme  des  See- 
bodens, Zeichnung  des  Projektes  zur  Austrocknung,  das  jedoch  bei 
der  Ausführung  verändert  worden  ist.) 


Über  die  Methoden  der  Verarbeitung  von  meteorolo- 
gischen Beobachtungen  zur  See. 

Von  Dr.  Wilh.  Meinardus. 

Als  der  Verfasser  auf  Grund  des  im  Archiv  der  Deutschen  See- 
warte befindlichen  maritim-meteorologischen  Beobachtungsmaterials  die 
klimatischen  Verhältnisse  des  nordöstlichen  Teils  des  Indischen  Ozeans 
bearbeitete,  lag  es  ihm  ob,  die  Methoden  der  Zusammenfassung  der 
Einzelbeobachtungen  zu  prüfen.  Als  Ergebnis  dieser  Prüfung  stellte 
sich  heraus,  dafs  bei  der  Behandlung  der  Beobachtungen  nach  den 
bisher  angewandten  Methoden  sich  Fehlerquellen  bemerkbar  machen, 
deren  Gröfse  vielleicht  unterschätzt  zu  werden  pflegt,  auf  die  aufmerk- 
sam zu  machen  wenigstens  um  so  mehr  geboten  erscheint,  als  die 
Methoden  der  ozeanischen  Klimatologie  und  die  ihnen  anhaftenden 
Mängel,  soweit  dem  Verfasser  bekannt,  noch  keine  systematische  Be- 
handlung erfahren  haben. 

Bei  der  nachfolgenden  Untersuchung  Uber  die  Methoden  der  Ver- 
arbeitung maritim-meteorologischer  Beobachtungen  wird  angenommen, 
dafs  ein  reichhaltiges,  von  Kapitänen  der  Handelsmarine  gesammeltes, 
kritisch  gesichtetes,  tadelloses  Beobachtungsmaterial,  wie  es  besser 
kaum  von  einer  wissenschaftlichen  See-Expedition  hätte  geliefert  werden 
können,  der  klimatologischen  Bearbeitung  zu  Grunde  gelegt  werden 


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Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  aur  See. 


01 


kann.  Es  leuchtet  sogleich  ein,  dafs  dieses  zur  See  gewonnene  Beob- 
achtungsmaterial  nach  anderen  Methoden  behandelt  werden  mufs,  als 
das  zu  Lande  gewonnene,  weil  die  räumliche  und  zeitliche  Ver- 
teilung der  Beobachtungen  hier  und  dort  wesentlich  verschieden  ist. 
Es  scheint  deshalb  zweckmäfsig,  von  diesen  beiden  Gesichtspunkten 
aus  den  Gang  der  Untersuchung  zu  leiten. 

Die  räumliche  Verteilung  der  Beobachtungen. 

Fast  alle  Länder  der  civilisierten  Staaten  sind  mit  einem  festen 
meteorologischen  Beobachtungsnetz  überzogen,  jede  Station  des  Netzes 
liefert  eine  fortlaufende  Beobachtungsreihe.  Anders  auf  der  herren- 
losen See.  Die  Maschen  des  maritimen  Beobachtungsnetzes  verschieben 
sich  in  jedem  Augenblick,  werden  hier  enger,  dort  weiter,  bald  wird 
dieser,  bald  jener  Punkt  durch  eine  Beobachtung  ausgezeichnet.  Bei 
längerer  Betrachtung  dieses  beweglichen  Bildes  bemerkt  man,  dafs  eine 
gewisse  Auswahl  von  Beobachtungsorten  stattfindet,  dafs  diese  Orte 
längs  bestimmter  Linien  auf  Streifen  liegen,  die  den  Ozean  überziehen, 
an  den  Küsten  sich  schaaren  und  in  vielen  Punkten  sich  durchschneiden: 
man  beobachtet  die  grolsen  ozeanischen  VerkehrsstTafsen. 

Welche  Gesetze  bestimmen  die  Lage  der  grofsen  maritimen  Ver- 
kehrsadern ? 

Den  Schiffen  der  Handelsmarine,  welche  den  Güteraustausch 
zwischen  den  durch  Meeresflächen  getrennten  Ländern  zu  vermitteln 
haben,  gilt  als  erster  Wahlspruch : billige  und  schnelleFahrt.  DieErfüllung 
dieser  beiden  Forderungen  wird  gegenwärtig  von  Dampfern  und  Segel- 
schiffen in  verschiedener  Weise  angestrebt.  Der  Dampfer  erreicht 
durch  schnelle,  aber  kostspielige  Fahrt  sein  Ziel,  der  Segler  sucht  die 
Strecken  günstigen  Windes,  welcher  ihn  kostenfrei,  aber  auf  längerer 
Fahrt  zum  Bestimmungshafen  führt.  Die  den  Dampfer  bewegende 
Kraft  steht  unter  dem  Willen  des  Menschen,  sie  kann  dazu  benutzt 
werden,  der  Kraft  widriger  Winde  und  Meeresströmungen  zu  trotzen; 
daher  ist  für  den  Dampfer  im  allgemeinen  die  geometrisch  kürzeste 
Linie  auch  die  Linie  der  schnellsten  Fahrt.  Die  Segel  indessen  bläht 
bald  ein  starker,  bald  ein  schwacher  Wind;  günstige,  beständige  und 
frische  Brisen,  die  den  einen  Meeresteil  vor  dem  andern  auszeichnen, 
die  Gunst  des  Augenblicks,  welche  der  Kapitän  zu  nutzen  versteht, 
bestimmen  dieRoute  und  die  Geschwindigkeit  des  Seglers.  Die  Verkehrs- 
strafsen  der  Dampfer  sind  gröfste  Kreise,  die  der  Segler  vielfach  ge- 
brochene Linien,  welche  an  den  Weg  von  Lichtstrahlen  erinnern,  die 
Medien  von  verschiedener  optischer  Elastizität  zwar  auf  Umwegen,  aber 
doch  mit  dem  geringsten  Zeitaufwand  durcheilen 

Die  Dampferroute  vermag  die  Hand  des  Seefahrers  im  voraus  nach 


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92 


Willi.  Meinardus: 


mathematischer  Formel  oder  als  gerade  Linie  auf  Karten  gnomonischer 
Projektion  festzulegen.  Die  Segelschiffroute  bestimmen  erst  die  in 
langen  Zeiten  gesammelte,  traditionelle  und  eigene  Erfahrung  der  See- 
fahrer und  die  wachsende  Kenntnis  der  Verteilung  der  Winde  und 
ihrer  Gesetze.  Deshalb  haben  diese  Linien  im  Lauf  der  Zeit  ihre 
Lage  verändert,  verbessert  und  nähern  sich,  namentlich  seit  Maury’s 
beispielgebender  Einrichtung  eines  maritimen  Beobachtungsnetzes  und 
systematischer  Auswertung  der  Beobachtungen,  immer  mehr  den  Linien 
der  durchschnittlich  schnellsten  Fahrt1). 

Den  Segelrouten  ist  noch  eine  kurze  Betrachtung  zu  widmen,  zu- 
mal jede  klimatologische  Erforschung  der  Ozeane  die  meteorologischen 
Beobachtungen  auf  Segelschiffen,  welche  die  auf  den  Handelsdampfem 
gemachten  an  Zahl  weit  tibertreffen,  in  erster  Linie  zu  benutzen  hat 
und  deshalb  die  Methoden  der  Bearbeitung  von  Segelschiff-Beobachtungen 
in  den  Vordergrund  der  Besprechung  treten  müssen. 

Die  Lage  der  Segelrouten  ist,  abgesehen  von  der  Verteilung  des 
Festen  und  Flüssigen,  abhängig  von  der  Lage  der  mit  einander  handel- 
treibenden Länder  und  ihrer  Häfen  und  von  der  mittleren  Verteilung 
der  vorherrschenden  Luft-  und  Meeresströmungen,  welch’  letztere 
wieder  eine  Funktion  der  Jahreszeit  zu  sein  pflegt.  (Von  den  Meeres- 
strömungen, als  den  weniger  wirksamen  Triebkräften  der  Schiffe,  nrag 
der  Kürze  halber  abgesehen  werden.)  Wie  indessen  die  mittlere  Verteilung 
der  vorherrschenden  Luftströmungen  nur  als  eine  abstrakte  Gröfse,  ist 
die  mittlere  Schiffsroute,  wie  sie  auf  Karten  dargestellt  und  in  Segel- 
handbüchern empfohlen  wird,  auch  nur  gewissermafsen  als  eine  abstrakte 
Linie  anzusehen.  In  jedem  konkreten  F'all  wird  oder  kann  die  Verteilung 
der  Winde  von  jener  mittleren  abweichen,  und  wegen  dieser  Abweichung 
wir  dauch  die  Schiffsroute  jedes  einzelnen  Seglers  von  der  mittleren  ab- 
weichen. Die  einzuhaltende  Segelroute  wird  zwar  im  grofsen  und 

*)  Wie  sich  seit  Columbus’  Zeiten  bis  zu  Maury’s  epochemachender  Thal  die 
Lage  der  grofsen  ozeanischen  Verkehrslinien  vielfach  geändert,  manchmal  ver- 
schlechtert, doch  im  allgemeinen  teils  unter  tastenden  Versuchen  und  durch  zufällige 
Entdeckungen,  teils  unter  bisweilen  spekulativer  Verwertung  der  um  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  beginnenden  Erkenntnis  der  allgemeinen  Cirkulation  der  Atmosphäre 
und  ihrer  Modifikationen  durch  die  Verteilung  des  Festen  und  Flüssigen,  verbessert 
hat,  darüber  findet  man  eine  lehrreiche  Besprechung  in  den  „Annalen  der  Hydro- 
graphie“ (XXI  1893,  S.  217,  252,  294fr.)  von  Eugen  Gelcich,  Beiträge  zur 
Geschichte  der  ozeanischen  Segelanweisungcn.  Über  die  Gründung  nautischer 
Institute  und  ihre  Thätigkeit  auf  diesem  Gebiet  erhält  man  ein  anschauliches  Bild 
durch  den  „Bericht  über  die  Pflege  der  maritimen  Meteorologie  in  Deutschland, 
erstattet  an  den  Internaüonalen  Meteorologen-Kongrefs  in  Rom  durch  Dr.  Neumayer. 
(Hamburg  1879.)“ 


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Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  zur  See. 


93 


ganzen  für  jeden  Segler  nach  der  in  den  Segelhandbüchern  gegebenen 
Anweisung,  im  einzelnen  aber  durch  die  angetroffenen  Windverhältnisse 
bestimmt  werden. 

Von  der  Lage  der  mittleren  Verkehrslinien  ist  nun,  wie  sich  von 
selbst  versteht,  die  Verteilung  der  Beobachtungsorte  auf  dem  Meer 
abhängig.  Durch  die  Abweichungen  der  konkreten  Schiffsrouten  von 
den  mittleren  vergröfsert  sich  das  Areal,  auf  dem  Beobachtungen  ge- 
macht werden,  ganz  bedeutend;  es  laufen  breite  Beobachtungsstreifen 
längs  der  mittleren  Verkehrslinien  über  die  Ozeane.  Auf  den  mittleren 
Routen  selbst  liegen  die  Beobachtungsorte  am  dichtesten  gedrängt,  ihre 
Zahl  nimmt  senkrecht  zu  jenen  mit  wachsendem  Abstand  rasch  bis  zu 
einem  Minimum  ab.  Ferner  findet  aber  auch  längs  der  Segellinien 
ein  Wechsel  der  Dichte  der  Beobachtungsorte  statt,  weil  dort,  wo 
günstige  Windverhältnisse  die  Fahrt  beschleunigen,  die  Beobachtungs- 
orte weit  auseinandergezogen,  an  Stellen,  wo  ungünstige  Winde  oder 
Stillen  die  Fahrt  hemmen,  sie  dicht  zusammengedrängt  werden.  Be- 
trachtet man  z.  B.  die  Verteilung  der  Beobachtungspunkte  längs  einer 
Segellinie,  welche  das  nördliche  und  südliche  Passat-Gebiet  und  die 
dazwischen  liegende  Doldrum-Zone  meridional  kreuzt,  so  findet  man 
eine  Verdichtung  der  Bcobachtungsorte  in  der  Doldrum-Zone  und  an 
den  windstillen  polaren  Grenzen  der  Passatgebiete,  in  diesem  selbst 
eine  Verdünnung. 

Das  sind  im  allgemeinen  die  Regeln,  nach  denen  sich  die  räum- 
liche Verteilung  der  Beobachtungsorle  auf  den  Ozeanen  bestimmt.  Die 
Beschränkung  ihrer  Lage  auf  gewisse  Streifen,  ihre  verschiedene  Dichte 
im  Längs-  und  Querschnitt  dieser  Streifen  geben  dem  maritimen  Beob- 
achtungsnetz ein  eigentümliches  Gepräge. 

Die  Beobachtungsorte  auf  dem  Meer  unterscheiden  sich  nun  aber 
von  den  Stationen  auf  dem  Lande  dadurch,  dafs  an  diesen  eine 
fortlaufende  Beobachtungsreihe  ununterbrochen  fortgesetzt,  an  jenen 
nur  eine  einzige  Beobachtung  gemacht  wird.  Die  Zahl  der  Beobachtungs- 
urte auf  dem  Meer  ist  also  identisch  mit  der  Zahl  der  Beobachtungen 
selbst.  Was  oben  von  der  Lage  und  der  Dichte  der  Beobachtungsorte 
gesagt  wurde,  gilt  in  gleicher  Weise  von  der  Verteilung  der  Beob- 
achtungen selbst. 

Wegen  dieses  wesentlichen  Unterschieds  im  Charakter  der 
Beobachtungsorte  zu  Lande  und  zur  See,  bedarf  die  klimatologische 
Erforschung  des  Meeres  einer  ganz  andern  Methode,  die  Beobachtungen 
zu  bearbeiten,  als  die  des  Festlandes.  Da  man  nicht  in  der  Lage  ist, 
aus  einer  einmaligen  Beobachtung  an  einem  Ort  die  klimatischen 
Mittelwerte  zu  bestimmen,  so  fafst  man  mehrere  Beobachtungspunkte, 
die  innerhalb  einer  bestimmten  Fläche  liegen,  zusammen  und  spricht 


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94 


Wilh.  Meinardus: 


dieser  ganzen  Fläche  oder  doch  ihrer  Mitte  die  klimatischen  Eigen- 
schaften der  in  ihr  liegenden  Beobachtungspunkte  zu,  von  denen  jeder 
nur  eine  einzige  Beobachtung  zur  Bestimmung  jener  Eigenschaften  bei- 
getragen hat. 

Bei  der  Befolgung  dieser  Methode  werden  zwei  Voraus- 
setzungen gemacht: 

1)  Das  Klima  jedes  Ortes  der  Fläche  stimmt  mit  dem 
Klima  der  Fläche  überein. 

2)  Gerade  die  Beobachtungen,  welche  an  verschiedenen 
Punkten  und  zu  verschiedenen  Zeiten  in  der  Fläche  ge- 
macht wurden,  eignen  sich  zur  Bestimmung  der  klima- 
tischen Mittelwerte  der  Fläche. 

Die  erste  Voraussetzung  wird  um  so  mehr  erfüllt  sein,  je  kleiner 
die  Fläche  ist,  die  zweite  Voraussetzung  verlangt  eine  gewisse  Lage 
und  Ausdehnung  der  Fläche , welche  durch  die  Lage  der  mittleren 
Schiffsrouten  bestimmt  wird.  Das  ergiebt  sich  aus  folgender  Über- 
legung. 

Es  wurde  vorher  schon  bemerkt,  dafs  durch  die  Abweichung  der 
konkreten  Windverhältnisse  von  den  mittleren  auch  eine  Abweichung 
der  entsprechenden  Schifffahrtslinien  herbeigeführt  wird.  Da  nun  eine 
bestimmte  Abweichung  der  Windverhältnisse  von  den  mittleren  eine 
bestimmte  seitliche  Abweichung  der  Segelroute  von  der  mittleren  zur 
notwendigen  Folge  haben  wird,  so  kommen  jene  bestimmten  Wind- 
verhältnisse hauptsächlich  in  einer  seitlichen  Zone,  welche  der  mittleren 
Schiffsroute  parallel  läuft,  zur  Beobachtung.  Infolgedessen  werden 
überhaupt  alle  Windbeobachtungen,  welche  auf  der  einen  Seite  der 
mittleren  Route  gemacht  sind,  in  dem  einen  Sinn  von  den  „normalen“ 
abweichen,  die  auf  der  andern  Seite  gemachten  in  einem  andern  Sinn. 
Ein  Segler,  welcher  einer  mittleren  Route  zu  folgen  gedenkt,  wird  z.  B. 
durch  starke,  von  rechts  wehende  Winde  nach  links,  durch  starke 
von  links  wehende  Winde  nach  rechts  von  der  Route  abgedrängt. 
Die  Beobachtungen  auf  der  linken  Seite  der  mittleren  Bahn  werden 
daher  bei  andern  Winden  gemacht  als  die  auf  der  rechten  Seite.  Die 
Windbeobachtungen  werden  gleichsam  sortiert  oder  polarisiert,  da  die 
seitlich  von  der  Route  gemachten  polare  Gegensätze  zeigen.  Diese 
Sortierung  beschränkt  sich  nicht  auf  die  Windbeobachtungen;  denn  da 
jeder  Windrichtung  ein  bestimmter  Witterungscharakter  entspricht, 
welcher  in  den  Werten  der  klimatischen  Windrosen  seinen  Ausdruck 
findet,  so  wird  mit  der  abnormen  Windrichtung  der  abnorme 
Witterungscharakter  in  den  Beobachtungen  zu  Seiten  der  mittleren 
Schiffsroute  ausgeprägt. 

Diese  Erwägungen  setzen  uns  in  die  Lage  zu  prüfen,  wann  die 


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Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  zur  See.  95 

mite  Voraussetzung,  die  bei  der  Zusammenfassung  maritimer  Beob- 
achtungen gemacht  wird  (s.  oben),  erfüllt  ist.  Die  Lage  und  Gröfse  der 
Fläche,  deren  Klima  aus  den  in  ihr  gemachten  meteorologischen 
Beobachtungen  bestimmt  werden  soll,  ist  so  zu  wählen,  dafs  die  senk- 
recht gegen  die  mittlere  Schiffsroute  sortierten  Beobachtungen  mit 
einander  vereinigt  werden.  Denn  wollte  man  auf  die  Lage  der  mittleren 
Segelrouten  keine  Rücksicht  nehmen  und  z.  B.  die  Beobachtungen  nur 
nach  Eingradfeldern  zusammenfassen,  so  würden  die  daraus  berechneten 
klimatischen  Konstanten  der  links  von  mittleren  Segelrouten  gelegenen 
Flächen  von  denen  der  rechts  gelegenen  mehr  oder  weniger  abweichen, 
ohne  dafs  in  Wirklichkeit  ein  solcher  Unterschied  besteht.  Es  ist 
vielmehr  noch  eine  Zusammenziehung  der  quer  gegen  die  Routen 
liegenden  Flächen  notwendig,  um  die  zweite  Voraussetzung  zu  erfüllen. 
Dadurch  wird  allerdings  das  Areal  der  Fläche,  welche  als  klimatisch 
einheitlich  betrachtet  wird,  vergröfsert  und  die  erste  Voraussetzung, 
dafs  das  Klima  jedes  Ortes  der  Fläche  mit  dem  Klima  der  Fläche 
übereinstimmt,  weniger  erfüllt  werden.  Aber  es  liegt  in  der  Natur  der 
Verteilung  maritimer  Beobachtungen,  dafs  sich  aus  ihnen  nur  annähernd 
ozeanische  Klimate  bestimmen  lassen. 

Will  man  zu  möglichst  einwurfsfreien  Ergebnissen  gelangen,  so  zer- 
lege man  die  den  Segelrouten  folgenden  BeobachtungsstTeifen  durch 
Querstriche  von  gleichem  Abstand  in  Querbänder  oder  Zonen,  deren 
jede,  wenn  jene  Streifen  nicht  zu  breit  sind,  als  klimatisch  einheitliches 
Gebiet  zu  betrachten  ist.  Jede  Zone  umfafst  dann  die  Beobachtungen, 
die  auf  der  Mitte  und  rechts  und  links  der  Bahn  gemacht  wurden. 
Diese  Methode  ist  schon  häufig  in  den  Arbeiten,  welche  sich  auf  das 
im  Archiv  der  Deutschen  Seewarte  befindliche  Beobachtungsmaterial 
stutzen,  mit  der  aus  praktischen  Gründen  gebotenen  Modifikation  be- 
folgt, dafs  die  erwähnten  Zonen  von  Breiten-  oder  Längengraden  ein- 
gefafst  sind,  also  nicht  immer  senkrecht  zur  mittleren  Kursrichtung 
stehen '). 

Die  Methode,  welche  in  manchen  englischen  und  holländischen 
Bearbeitungen  Anwendung  gefunden  hat,  solche  Eingradfelder,  deren 
aus  den  Beobachtungen  bestimmte  klimatische  Elemente  ähnlich  sind, 
mit  einander  zu  „ homogeneous  areas“-)  zu  verbinden,  ist  nach  den 
vorigen  Auseinandersetzungen  nicht  empfehlenswert;  vielmehr  sollten 

’)  Vgl.  z.  B.  die  Untersuchungen  von  Koppen  und  Sprung  über  die  Regen- 
verhältnisse des  Atlantischen  Ozeans  (Ann.  d.  Hydr.  VIII,  1 880,  S.  130  IT.)  sowie 
manche  Abhandlungen  in  den  Veröffentlichungen:  „Aus  dem  Archiv  der  Deutschen 
Seewarte.“ 

*1  Remarks  explanatory  of  the  meteorological  charts  of  thc  ocean  - district 
mfjacent  to  thc  Cape  of  Good  Hope.  London  i88z.  S.  7. 


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96 


Wilh.  Meinardus: 


gerade  die  Eingradfelder,  deren  klimatische  Elemente  durch  die 
Sortierung  der  Beobachtungen  quer  gegen  die  mittlere  Segelroute 
fälschlich  unähnlich  geworden  sind,  mit  einander  verbunden  werden. 

Aufser  der  gewissermafsen  unwillkürlichen  Auswahl  der  Beob- 
achtungsorte, deren  wir  soeben  gedachten,  findet  aber  in  manchen 
Fällen  auch  eine  willkürliche  Auswahl  statt.  Es  kommt  der  Führer 
des  Segelschiffs  an  gewissen  Orten  seiner  Reise  in  die  Lage,  nach  den 
von  ihm  angetroffenen  Windverhältnissen  entscheiden  zu  müssen, 
welche  von  mehreren  möglichen  Segelrouten  er  von  da  ab  einzuschlagen 
hat,  um  in  kürzester  Frist  sein  Ziel  zu  erreichen.  Es  wird  somit  je 
nach  den  atmosphärischen  Verhältnissen,  welche  an  solchen  Scheide- 
wegen gerade  von  ihm  beobachtet  werden,  entweder  der  eine  oder 
andere  Teil  des  Ozeans,  welcher  vor  ihm  liegt,  mit  Beobachtungen 
bedacht  werden.  Dieser  Umstand  dürfte  von  dem  nachteiligsten,  kaum 
zu  kompensierenden  Einflufs  auf  die  Gröfse  des  aus  den  Beobachtungen 
ermittelten  Gesamtergebnisses  sein,  zumal  wenn  in  solchen  Fällen  von 
allen  Schiffern  die  Anweisungen  desselben  Segelhandbuches  zu  Rate 
gezogen  werden. 

In  dem  von  der  Deutschen  Seewarte  herausgegebenen  Segelhand- 
buch für  den  Indischen  Ozean  wird  z.  B.  empfohlen,  dafs  Schiffe,  welche, 
nach  Häfen  der  hinterindischen  Küste  bestimmt,  zur  Zeit  des 
NO-Monsuns  Acheen  Head  (Nordspitze  von  Sumatra)  erreichen,  östlich 
der  Nikobaren  und  Andamanen  aufkreuzen,  wenn  der  NO -Monsun 
schwach,  dagegen  westlich  in  weitem  Bogen  ausholen  sollen,  wenn 
der  NO -Monsun  stark  entwickelt  ist.  Infolge  dessen  werden  östlich 
jener  Inselreihe  Beobachtungen  gemacht,  welche  einem  schwachen, 
westlich  dagegen  solche,  die  einem  starken  NO  - Monsun  entsprechen. 

Ein  anderer  erwähnenswerter  Fall  betrifft  die  Fahrt  der  Schiffe 
auf  der  Heimkehr  von  den  hinterindischen  Häfen  in  den  Monaten  Mai 
und  Juni.  Um  diese  Zeit  segeln  die  Schiffe  bei  veränderlichen,  meist 
westlichen  Winden  mit  nordsüdlichem  Kurs  über  den  Äquator  bis  auf 
eine  südliche  Breite,  wo  sie  den  SO  - Passat  erreichen.  Dann  schlagen 
sie  einen  neuen  Kurs  nach  WSW  ein.  Die  mittlere  nördliche  Grenze 
des  SO -Passats  liegt  im  Mai  in  ctwra  40  s.  Br.  Diese  Grenze  ist  aber 
aufserordentlich  weitreichenden  unperiodischen  Schwankungen  unter- 
worfen. Wenn  nun  ein  Schiff  den  SO-Passat  in  einer  sehr  niederen 
südlichen  Breite  antrifft,  so  wird  es  in  dieser  Breite  bereits  seinen  Kurs 
ändern  und  auf  WSW  setzen.  Trifft  es  den  Passat  erst  in  einer 
höheren  Breite,  so  wird  es  bis  zu  dieser  seinen  meridionalen  Kurs 
beibehalten  haben.  Infolgedessen  werden  im  westlichen  Teil  dieses 
dem  Äquator  südlich  benachbarten  Gebiets  die  Beobachtungen  haupt- 
sächlich bei  SO  - Passatwinden , die  im  östlichen  Teil  bei  veränder- 


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»r  Ti  1 


Verarbeitung  von  raeteo  rologischen  Beobachtungen  zur  See. 


97 


liehen  Winden  gemacht,  ohne  dafs  ein  solcher  Unterschied  in  den 
klimatischen  Verhältnissen  beider  Teile  besteht. 

Es  sei  gestattet,  den  letzt  erwähnten  Fall  durch  eine  Tabelle  zu 
belegen,  welche  sich  auf  Beobachtungen  an  Bord  deutscher  Segelschiffe 
gründet. 

Mittlere  Nordgrenzc  des  SO -Passats  im  östlichen  Indischen  Ozean 
im  Mai : 4 °.4  s.  Br. 


4°  - io“  s.  Br. 


■ 

86° — 88° 

88"— 90 c 

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92° — 94°  ö.  L. 

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5 

15 

8 ' 

9 

Procen- 

O 

8 

5 

16 

*3 

•5 

tische 

SO 

«3 

65 

42 

3» 

5° 

Wind-  • 

S 

3 

3 

3 

6 

4 

häufig- 

SW 

O 

1 

8 

2 

3 

keit 

W 

O 

3 

I 

4 

2 

NW 

O % 

1 

I 

O 

I 

Still 

O 

3 

8 

4 

Windstärke  . . 

4-3 

3-3 

3-3 

*•3 

3-2 

Temperatur  . . 

27.0 

27.7 

27.9 

28.2 

27.8 

Bewölkung  . . 

5-o 

6.0 

6.0 

6.0 

S’9 

Regenhäufigkeit  % 

48 

29 

26 

25 

29 

Zahl  der  Beob- 
achtungen . . 

81 

141 

196 

189 

607 

Man  bemerkt  die  aus  der  Methode  der  Bearbeitung  entspringende, 
jedenfalls  nicht  in  der  Natur  der  Sache  liegende  Verschiedenheit  der 
klimatischen  Elemente  unter  nahe  bei  einander  gelegenen  Meridian- 
streifen. Durch  die  Zusammenfassung  der  Beobachtungen  unter  Ver- 
nachlässigung der  Länge  (letzte  Spalte  der  Tabelle)  darf  man  hoffen, 
dn  einigermafsen  zutreffendes  Bild  des  Witterungscliarakters  dieser 
Breitenzone  (4°— 10°  s.  Br.)  zu  erhalten.  — 

Die  zweite  Voraussetzung,  welche  bei  der  Verbindung  meteorolo- 
gischer Beobachtungen  zwecks  Ermittelung  der  klimatischen  Konstanten 
gemacht  wurde,  lautete:  Gerade  die  Beobachtungen,  welche  an  ver- 
schiedenen Punkten  und  zu  verschiedenen  Zeiten  in  der  Fläche  ge- 
macht wurden,  eignen  sich  zur  Bestimmung  der  klimatischen  Mittel- 
werte der  Fläche.  Durch  die  Einführung  von  Querbändern  oder  Zonen 

ZÄizhr  d GcielUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  7 


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98 


W i 1 h . Meinardus: 


ist  zwar  die  Bedingung  erfüllt,  dnfs  die  an  verschiedenen  Punkten  ge- 
machten Beobachtungen  zusammengehören  und  sich  zur  Bestimmung 
des  Klimas  der  Fläche  eignen;  aber  es  ist  bisher  unberücksichtigt 
geblieben,  dafs  diese  Beobachtungen  zu  verschiedenen  Zeiten  ge- 
macht sind. 

Im  Gebiet  einer  Zone,  worunter  im  folgenden  ein  den  obigen 
Voraussetzungen  entsprechend  gelegenes,  klimatisch  als  einheitlich  zu 
betrachtendes  Gebiet  verstanden  werden  soll,  wird  keine  fortlaufende 
Beobachtungsreihe  durch  Monate,  Jahre  fortgesetzt.  Nur  wenn  ein 
Schiff  die  Zone  kreuzt,  werden  den  früheren  Beobachtungen  einige 
neue  hinzugefügt.  Die  Zahl  der  hinzugefügten  Beobachtungen  richtet 
sich  nach  dem  Aufenthalt  des  Schiffes  in  der  Zone,  der  Aufenthalt  in 
erster  I.inie  nach  der  Gunst  oder  Ungunst  der  Witterung,  also  ist  auch 
die  Zahl  der  neu  hinzukommenden  Beobachtungen  eine  Funktion  der 
gerade  herrschenden  Wittcrungsverhältnisse.  Von  jedem  Schiff  wird 
eine  solche  Beobachtungsserie  geliefert.  Unter  den  zeitlich  getrennten 
„Serien"  sind  diejenigen  die  längsten,  welche  bestimmten,  für  das  Fort- 
kommen der  Schiffe  ungünstigen  Wittcrungsverhältnissen  entsprechen. 
Aus  der  ununterbrochenen  Folge  der  Witterungserscheinungen,  welche 
sich  in  der  Zone  ereignen,  werden  vorzüglich  solche  beobachtet,  welche 
die  Fahrt  der  Schiffe  verzögern.  Bei  der  Bildung  des  arithmetischen 
Mittels  aller  Beobachtungen  fallen  natürlich  die  langen  Beobachtungs- 
serien am  meisten,  die  kurzen,  welche  günstigen  Witterungsverhältnissen 
entsprechen,  am  wenigsten  ins  Gewicht.  Das  Gesamtresultat  wird 
daher  durch  die  von  Seiten  des  beobachtenden  Seefahrers  unbewufste 
Bevorzugung  gewisser  Witterungstypen  und  durch  die  Vernachlässigung 
anderer  beeinflufst,  man  erhält  scheinbare  klimatische  Konstanten, 
welche  von  den  wahren  abweichen. 

Die  Dauer  des  Aufenthalts  in  einer  Zone  hängt  wesentlich  von 
der  Richtung  und  Stärke  des  Windes  ab,  welchen  der  Segler  antrifft:. 
Gegenwinde,  schwache,  wenn  auch  günstige  Winde,  verlangsamen  die 
Fahrt.  Deshalb  werden  in  den  Resultaten  die  procentischen  Häufig- 
keiten der  Gegenwinde  zu  grofs  ausfallen,  die  mittlere  Windstärke 
zu  klein. 

Von  welchem  Einflufs  Windrichtung  und  Windstärke  auf  die  Dauer 
des  Aufenthalts  der  Schiffe  in  einer  Zone  sein  können,  mögen  zwei 
Fälle  zeigen,  welche  bei  zwei  deutschen  Schiffen  nach  Ausweis  ihrer 
meteorologischen  Journale  eintraten.  Beide  Schiffe  fuhren,  auf  der 
Heimreise  begriffen,  um  Mitte  Mai  1887  mit  nordsüdlichem  Kurs  über 
den  2.°  n.  Br.  in  etwa  940  ö.  L.  Die  Windbeobachtungsreihen,  welche 
auf  den  Schiffen  während  ihrer  Fahrt  zwischen  jenem  Parallelkreis  und 
dem  2.0  s.  Br.  geliefert  wurden,  sind  folgende.  Der  Kürze  halber  ist 


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Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  zur  See.  t)J) 

nur  die  mittlere  Windrichtung  undWindstärke  jedes  Tages  angegeben,  als 
Mittelwerte  aus  je  sechs  Einzelbeobachtungen. 

Mai  1887. 

1.  VoIlschifF  „Gustav  und  Oscar",  Kapt.  M.  Seemann.  J.-Nr.  2808. 


Dat. 

Mittagsort 

Windrichtg. 

Stärke 

IO. 

1 0 1 1 ' N.  940  42'  O. 

W 

3- 7 

1 1. 

0°  14'  S.  94c  48'  O. 

WSW 

4.0 

12. 

i°27'S.  95°  >3’  O. 

WzS 

2-3 

18  Beobachtungen. 

2. 

Bark  „Birma",  Kapt.  Fr.  Hullmann.  J.-Nr.  2827. 

Dat. 

Mittagsort 

Windrichtg. 

Stärke 

16. 

il  6 ' N.  94*  45'  O. 

SWzW 

3-° 

i7- 

o°  17'  N.  95°  12'  0. 

SW 

18. 

o°  23'  N.  940  48'  O. 

SWzS 

1.2 

x9« 

o°  31'  N.  940  S4r  O. 

Still 

0 

20. 

0°  40'  N.  94°S5'0. 

NW 

'•5 

21. 

0°  9'  S.  94°  42'  O. 

SW 

«•3 

22. 

0“  24'  S.  940  27'  O. 

4 N.  u.  2 S. 

«■5 

23- 

0“  34'  S.  94c  6'  O. 

Var.  und  Kalmen 

°-5 

24. 

o°  47'  S.  940  6'  O. 

Var.  und  SO 

1.0 

25- 

i°i8'S.  930  381  O. 

SO 

2.1 

26. 

1 0 58’  S.  93°  8-0. 

2 NO  (2.5),  1 SO  (2), 

1 WSW  (2). 

65  Beobachtungen. 

Das  erste  Schiff  traf,  wie  man 

sieht,  beständige  westliche  Winde, 

welche  die 

F'ahrt  durch  die  vier 

Breitengrade  verhältnismäfsig  rasch 

von  Statten 

gehen  liefsen.  Das 

zweite  Schiff  wurde 

zuerst  durch 

widrige  südwestliche  Winde  gehemmt  und  konnte,  weil  in  den  nächsten 
Tagen  keine  beständige  Ilriese  sich  aufthat,  vielmehr  veränderliche, 
sehr  schwache  Winde  und  Stillen  häufig  wurden,  keine  Fahrt  machen. 
Durch  das  erste  Schiff  wurden  die  bereits  vorhandenen  Beobachtungen 
nur  tim  18,  durch  das  zweite  um  65  Beobachtungen  vermehrt.  Die  für 
die  Fahrt  nicht  hinderlichen  westlichen  Winde,  welche  vielleicht  noch 
bis  zum  16.  Mai  in  der  Nähe  des  Äquators  geweht  haben,  kamen  nur 
an  drei  Tagen  zur  Beobachtung,  werden  also  zu  wenig  F.influfs  auf 
das  Gesamtergebnis  haben,  die  schwachen  veränderlichen  Winde, 
welche  nach  dem  16.  eintraten,  sind  dagegen,  wie  wohl  anzunehmen 
ist,  während  des  gröfsten  Teils  ihrer  Dauer  zur  Beobachtung  gekommen, 
die  werden  unverhältnismäfsig  stark  das  Gesamtergebnis  beeinflussen. 

Um  die  unnatürliche  Anhäufung  der  Windhäufigkeits-I’rocente  im 
ungünstigen  Quadranten  zu  verhüten,  ist  von  den  Engländern  bei  der 

7* 


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100 


Willi.  Meinardus: 


Bearbeitung  der  in  der  Nähe  vom  Kap  der  Guten  Hoffnung  gemachten 
Beobachtungen  wie  auch  bei  andern  Gelegenheiten  folgendes  Verfahren 
eingeschlagen1). 

Alle  Beobachtungsserien  der  oben  beschriebenen  Art,  welche  in 
einem  Eingradfeld  geliefert  sind,  werden  auf  eine  Länge  reduziert, 
indem  jede  Serie,  mag  sie  lang  oder  kurz  sein,  als  eine  einzige  Beob- 
achtung in  Rechnung  gezogen  wird,  und  die  Einzelbeobachtungen  jeder 
Serie  als  Bruchteile  der  Einheit  ins  Gewicht  fallen.  Ein  Schiff  habe 
bei  der  Fahrt  durch  ein  solches  Gebiet  zwei  W-  und  zwei  NW-Winde 
beobachtet,  ein  anderes  zwei  günstige  SOAVinde.  Dann  würden  die 
zw'ei  W-  und  die  zwei  NW-Winde  mit  je  0,5  (Summa  1,0),  die  zwei 
SO-Winde  mit  1,0  anzusetzen  sein,  und,  falls  weiter  keine  Beobachtungen 
auf  diesem  Gebiet  vorliegen,  würden  sich  in  Procenten:  25  W-,  25  NW- 
und  50  SO-Winde  ergeben,  statt  nach  der  sonst  üblichen  Berechnungs- 
weise 33,3  W-,  ebensoviel  NW-  und  ebensoviel  SO-Winde. 

Folgende  Bedenken  dürften  gegen  diese  Methode  geltend  zu 
machen  sein.  Die  Länge  der  Beobachtungsserien  wird  bei  Anwendung 
dieses  Verfahrens  nur  als  Funktion  der  Windrichtung,  nicht  auch  der 
Windstärke,  der  Richtung  und  Stärke  der  Meeresströmungen,  der 
Schiffsqualität,  der  im  Eingradfeld  zurückgelegten  Wegstrecke,  d h.  von 
Faktoren  aufgefafst,  welche  neben  der  Windrichtung  alle  mehr  oder 
minder  für  die  Aufenthaltslänge  der  Schiffe  in  einem  Eingradfeld  mafs- 
gebend  sind.  Wenn  ein  Schiff  z.  B.  das  Eingradfeld  in  einer  Ecke 
auf  kurzem  Wege  durchschneidet  und  deshalb  in  ihm  nur  eine 
Beobachtung  irgend  einer  Windrichtung  macht,  so  wird  diese  Beob- 
achtung ebenso  schwer  ins  Gewicht  fallen,  als  jene  einzige  Beobachtung 
eines  anderen  Schiffes,  welches  eine  günstige  Windrichtung  antraf  und 
aus  diesem  Grunde  nur  eine  Beobachtung  im  Eingradfeld  machen 
konnte,  oder  als  eine  einzige  Beobachtung  eines  guten  Seglers,  welcher 
bei  zwar  ungünstiger  Windrichtung,  aber  mit  starkem  Winde,  das  Ein. 
gradfeld  durchkreuzte  u.  s.  w.  Es  sind  eben  ganz  heterogene  Ver- 
hältnisse, welche  die  Gleichheit  der  Länge  verschiedener  Beobachtungs- 
serien herbeifuhren  können.  Die  Windrichtung  spielt  gar  nicht  immer 
die  Hauptrolle,  und  deshalb  werden  ganz  beliebige  Windrichtungen 
bei  der  Berechnung  nach  jener  Methode  zu  stark  oder  zu  schwach  ins 
Gewicht  fallen,  je  nachdem  die  andern  genannten  Faktoren  sich  für 
die  Fahrt  des  Schiffes  günstig  oder  ungünstig  gestalteten. 

Durch  die  englische  „Wägungsmethode“  (,process  of  wtigh/ing k) 
werden  dem  vorigen  zufolge  die  Windhäufigkeits-Procente  den  wahren 
in  sehr  verschiedenem,  von  mannigfachen  Faktoren  abhängigem  Mafs 

lj  Rcmarks  explanatory  u.  s.  w.  S.  5. 


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Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  cur  See. 


101 


angenähert  und  in  manchen  Fällen  selbst  ferner  gerückt  werden.  Es 
mag  deshalb  doch  wohl  geratener  sein,  die  direkt  gewonnenen  Werte 
beizubehalten,  wie  es  in  den  Veröffentlichungen  der  Deutschen  See- 
warte geschieht.  — 

Es  ergiebt  sich  aus  den  angestellten  Betrachtungen,  dafs  auch 
durch  eine  endlose  Vermehrung  der  Beobachtungen  sich  die  aus  ihnen 
berechneten  Werte  der  Windhäufigkeit  einer  „Zone“  den  wahren  Werten 
nicht  nähern,  vielmehr  gegen  gewisse,  von  diesen  abweichende  Werte, 
welche  scheinbare  genannt  werden  mögen,  konvergieren.  Atifserdem 
treten  aber  bei  allen  klimatischen  Elementen,  welche  mit  der  Wind- 
richtung in  Beziehung  stehen,  scheinbare  Werte  auf.  Die  barischen, 
thermischen,  nephischen,  ombrischen  und  andere  Windrosen  geben  an, 
welche  Funktionen  der  Luftdruck,  die  Temperatur,  die  Bewölkung, 
die  Regenverhältnisse  u.  s.  w.  von  den  Windrichtungen  sind.  Zwischen 
je  weiteren  Grenzen  sich  diese  Funktionen  bewegen,  d.  h.  je  gröfser 
die  Amplituden  der  Windrosen  sind,  um  so  empfindlicher  äufsert  sich 
der  Eintlufs  der  scheinbaren  Windverhältnisse  auf  die  mittleren  Werte 
der  erwähnten  Elemente  und  zwar  besonders,  wenn  die  Kursrichtung 
der  Schiffe  nach  den  extremen  Richtungen  der  Windrose  zeigt. 

Gegenwinde  werden  häufiger  beobachtet  als  günstige  Winde.  Die 
Werte  der  Elemente , welche  jenen  Winden  gemäfs  den  klimatischen 
Windrosen  entsprechen-,  haben  daher  bei  Bildung  des  arithmetischen 
Mittels  ein  unnatürliches  Übergewicht,  die  andern  ein  Untergewicht; 
besonders  in  höheren  Breiten,  wo  die  Windrichtung  veränderlich  und 
die  Amplitude  der  Windrosen  grofs  ist,  werden  die  scheinbaren  Werte 
von  den  wahren  bedeutender  abweichen  als  in  den  Tropen. 

Aufser  von  der  Windrichtung  ist  die  Länge  des  Aufenthalts  ejnes 
Schiffes  in  einer  Zone  abhängig  von  der  Windstärke;  je  geringer  die 
Windstärke,  desto  länger  wird  im  allgemeinen  die  Beobachtungsserie,- 
also  werden  auch  die  Wetterlagen , welche  gleichzeitig  mit  geringen 
Windstärken  und  Stillen  aufzutreten  pflegen,  ihren  Charakter  in  den 
aus  den  Beobachtungen  gebildeten  Mittelwerten  zu  sehr  ausprägen. 

Anticyklonen,  in  deren  Bereich  die  Windstärke  gering  und  daher 
die  Fahrt  der  Schiffe  verzögert  zu  sein  pflegt,  beeinflussen  mit  ihren 
charakteristischen  Witterungserscheinungen  (hohem  Luftdruck,  extremer 
Temperatur,  geringer  Bewölkung  und  Niederschlagsneigung  u.  s.  w.) 
das  Gesamtergebnis  und  bedingen  eine  Abweichung  der  scheinbaren 
Werte  von  den  wahren  in  ihrem  Sinn,  welche  allerdings  dann  noch 
durch  die  früher  geschilderten  Einflüsse  (Verhältnis  der  Windrichtung 
zur  Kursrichtung)  verändert  wird.  Cyklonen,  denen  gewöhnlich  eine 
lebhaftere  Luftbewegung  eigen  ist,  vertreiben  die  Schiffe  aus  ihrem 
Gebiet  (mit  Ausnahme  der  verhätnismäfsig  wenigen  Fälle,  wo  die 


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102 


Wilh.  Meinardus: 


Heftigkeit  der  Luftbewegung  ein  Reffen  der  Segel  bedingt),  so  dafs  nur 
wenige  Beobachtungen  in  der  Flächeneinheit  gemacht  werden.  Alle 
den  Cyklonen  eigentümlichen  Erscheinungen  (niedriger  Luftdruck,  ge- 
mäfsigte  Temperatur,  starke  Bewölkung  und  Niederschlagsneigung  u.s.w.) 
sind  in  dem  Gesamtergebnis  zu  wenig  vertreten  und  drängen  die  schein- 
baren Werte  nach  derselben  Seite  von  den  wahren  ab,  nach  welcher 
die  Anticyklonen  sie  zu  ziehen  suchen.  Jedoch  wird  auch  diese  Schlufs- 
folgerung  je  nach  der  Kursrichtung  der  Schiffe  zu  verändern  sein. 

In  der  gemäfsigten  Zone,  wie  überhaupt  in  solchen  Gebieten, 
deren  Witterungsgeschichte  durch  einen  häufigen  Wechsel  von 
Anticyklonen  und  Cyklonen  also  auch  von  Windrichtung  und  Stärke 
charakterisiert  wird,  müssen  die  erwähnten  Verhältnisse,  welche  für  die 
Bestimmung  der  klimatischen  Elemente  nachteilig  sind,  sich  am  be- 
deutendsten geltend  machen. 

Wenn  von  den  ausreisenden  Schiffen  dieselben  P.outen  verfolgt 
würden,  wie  von  den  heimreisenden  und  sich  in  beiden  Richtungen 
gleich  viel  Schiffe  gleichzeitig  bewegten,  wäre  zu  hoffen,  dafs  die  Un- 
gleichheiten, welche  günstige  und  ungünstige  Witterungsverhältnisse 
auf  die  Zahl  der  Beobachtungen  ausüben,  bis  zu  einem  gewissen  Grad 
aufgehoben  würden.  Aber  nur  stellenweise  fallen  die  Routen  der  Aus- 
und  Heimreise  zusammen,  nur  in  der  Nähe  der  besuchtesten  Häfen, 
an  den  Vorsprüngen  der  Länder,  welche  sich  zwischen  Abfahrts-  und 
Bestimmungsort  legen,  scharen  sich  die  Schifffahrtslinien  zusammen. 
Und  auch  an  solchen  Stellen  pflegt  die  Richtung  der  Bewegung  mit 
den  Jahreszeiten  zu  wechseln,  so  dafs  nicht  gleichzeitig  von  einer 
gleich  grofsen  Zahl  von  Schiffen  mit  entgegengesetzter  Kursrichtung 
Beobachtungen  gemacht  werden.  Die  Ungleichheiten  bleiben  also 
bestehen,  welche  zu  einer  Fälschung  der  Beobachtungsresultate  führen. 

Die  mehrfach  erwähnte  zweite  Voraussetzung,  w'elche  der  Klima- 
tologe  bei  der  Bearbeitung  maritimen  Beobachtungsmaterials  macht, 
ist  nach  den  voraufgehenden  Betrachtungen  nur  teilweise  erfüllt.  Durch 
eine  passend  gewählte  Lage  der  Flächen  (nämlich  quer  gegen  die 
mittlere  Schiffsroute)  werden  zwar  die  Beobachtungen,  welche  zusammen- 
gehören, mit  einander  vereinigt,  aber  die  Beobachtungen  selbst  sind 
vorzugsweise  zu  solchen  Zeiten  gemacht,  wo  die  Witterung  einen 
bestimmten,  dem  Fortkommen  der  Schifte  ungünstigen  Charakter  hatte, 
und  prägen  daher  eben  diesen  Witterungscharakter  in  den  aus  ihnen 
abgeleiteten  Mittelwerten  in  unnatürlicher  Weise  aus. 

Die  zeitliche  Verteilung  der  Beobachtungen 

Als  von  den  Gesetzen  die  Rede  war,  welche  die  Lage  der  Verkehrs- 
linien zur  See  bestimmen,  wurde  als  einer  der  Hauptfaktoren  die 


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, it  II  .">  V1 


Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  zur  Sec. 


103 


mittlere  Verteilung  der  vorherrschenden  Luftströmungen  angeführt. 
Dieser  Faktor  ist  mit  der  Jahreszeit  veränderlich  und  hat  eine  jähr- 
liche Periode. 

Durch  die  jahresperiodische,  pendelnde  Bewegung  der  Sonne 
zwischen  den  beiden  Wendekreisen  wird  sowohl  eine  ähnliche,  in 
engere  Grenzen  eingeschlossene,  periodische  Bewegung  der  zur  allge- 
meinen Cirkulation  der  Atmosphäre  gehörigen  Windsysteme  bewirkt, 
als  auch  auf  den  Festländern  und  den  ihnen  benachbarten  Meeres- 
flächen jahreszeitlich  wechselnde,  monsunartige  Luftbewegungen  hervor- 
gerufen. Infolge  jener  Verschiebungen  und  dieser  Veränderungen  der 
Windsysteme  ist  auch  die  Lage  der  mittleren  Schifffahrtslinien  jahres- 
zeitlichen Schwankungen  unterworfen,  welche  einer  gleichmäfsigen  Ver- 
teilung der  Beobachtungen  über  das  Jahr  in  einem  bestimmten  Gebiets- 
teil sehr  wenig  günstig  sind.  Es  bleiben  Meeresflächen,  welche  in  der 
einen  Jahreshälfte  von  zahlreichen  Schiffen  einer  bestimmten  Kurs- 
richtung befahren  werden,  in  der  andern  unberührt,  weil  nun  die  Wind- 
verhältnisse für  das  Fortkommen  der  Schiffe  jener  Kursrichtung 
hinderlich  sind.  F.s  können  dann  aber  Schiffe  mit  anderer  Kurs- 
richtung mit  Vorliebe  diesen  Meeresteil  aufsuchen.  Mit  der  Änderung 
der  vorherrschenden  Kursrichtung  ändert  sich  die  Differenz  zwischen 
den  wahren  und  scheinbaren  Werten  der  klimatischen  Elemente,  auch 
sie  unterliegt  in  solchen  Gebieten  einer  jährlichen  Periode. 

Die  jahreszeitliche  Periode  der  Schiffs-  und  Beobachtungsfrequenz 
in  einem  ozeanischen  Feld  ist  ferner  sehr  wesentlich  bedingt  durch  die 
Abfahrtszeiten  der  Schiffe  aus  ihren  Häfen.  Die  im  Welthandel  be- 
wegten Produkte,  deren  Erzeugung  und  Verschiffung  an  gewisse 
Epochen  des  Jahres  gebunden  ist,  regeln  die  jährliche  Periode  eines 
grofsen  Teils  des  ozeanischen  Verkehrs.  Daher  werden  weite  Meeres- 
räume zu  gewissen  Zeiten  des  Jahres  fast  gänzlich  von  Beobachtungen 
entblöfst,  ihre  Klimate  der  Forschung  entzogen  oder  nur  notdürftig 
aus  sporadischen,  individuellen  Charakter  tragenden  Beobachtungen 
erkannt.  Zu  andern  Zeiten  können  dann  dieselben  Meeresflächen  von 
ganzen  Schiffsgeschwadern  besucht  sein  und  durch  eine  Überfülle  von 
Beobachtungen  ausgezeichnet  werden. 

Man  ist  in  der  That  berechtigt,  bisweilen  von  einer  Überfülle  von 
Beobachtungen  zu  sprechen.  Es  kommt  nicht  selten  vor,  dafs  zwei 
oder  mehrere  Schiffe  gleichzeitig  miteinander  dieselbe  Fläche  befahren. 
Es  werden  dann  an  jedem  Termin  zwei  oder  mehrere  Beobachtungen 
gemacht,  welche  im  allgemeinen  nahe  übereinstimnien.  Durch  Mittel- 
bildung aus  den  gleichzeitigen  Beobachtungswerten  ist  deren  Zahl  auf 
eins  zu  reduzieren  und  der  Mittelwert  in  die  gesamte  Beobachtungsreihe 
einzuführen. 


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104 


W i 1 h . M e i n a r d u s : 


Sowohl  die  Zahl  der  jährlichen  Beobachtungen  als  auch  der  Ver- 
lauf ihrer  jährlichen  Periode  an  einem  Ort  des  Meeres  ist  nicht  kon- 
stant, sondern  von  Jahr  zu  Jahr  Schwankungen  unterworfen;  denn  es 
wechselt  die  jährliche  Zahl  der  beobachtenden  Schifte  aus  mannig- 
fachen Gründen,  und  es  verschieben  sich  die  Phasen  der  jahreszeit- 
lichen Periode  der  Schiffs-  und  Beobachtungsfrequenz  uni  halbe  oder 
ganze  Monate,  weil  der  Witterungscharakter  der  Jahre  verschieden  ist 
und  infolgedessen  auch  in  dem  einen  Jahr  die  Fahrt  der  Schifte  be- 
schleunigt, in  einem  andern  verzögert  wird. 

Der  Wert  der  klimatischen  F.lemente  für  die  zwölf  Monate  und 
das  Jahr  läfst  sich  nur  aus  einer  grofsen , im  allgemeinen  mit  der 
geographischen  Breite  des  Beobachtungsortes  wachsenden  Anzahl  von 
Beobachtungs-Monaten  und  -Jahren  ermitteln , da  der  Witterungs- 
charakter jedes  Jahres  und  Monats  bald  mehr,  bald  weniger,  bald  in 
diesem,  bald  in  jenem  Sinn  von  dem  normalen  abweicht.  Diese  Ab- 
weichung wird  auf  den  Beobachtungsplätzen  des  festen  Bandes  all- 
jährlich aus  einer  konstanten  Zahl  von  Beobachtungen  bestimmt.  Auf 
den  Beobachtungsflächen  des  Ozeans  schwankt  die  Zahl  der  Beob- 
achtungen mit  den  Jahren;  es  werden  deshalb  die  Eigentümlichkeiten 
der  verschiedenen  Jahrgänge  mit  ganz  verschiedenem  Gewicht  auf  das 
Endresultat  einwirken.  Jahre  und  Monate,  welche  durch  ungünstige 
Windverhältnisse  die  Zahl  der  Beobachtungen  in  einer  F'läche  ver- 
mehrten, prägen  ihren  Witterungscharakter  im  Jahres-  oder  Monats- 
mittel besonders  aus.  Es  finden  hier  dieselben  Einflüsse  auf  die  Ab- 
weichung der  scheinbaren  von  den  wahren  klimatischen  Werten  in 
vielleicht  verstärktem  Mafs  statt,  die  oben  bereits  erörtert  sind. 

Durch  die  Verschiebung  der  Phasen,  welche  der  jährlichen  Periode 
der  Beobachtungszahl  angehören,  fällt  in  dem  einen  Jahr  das  Maximum 
der  Beobachtungen  auf  diesen,  in  einem  andern  auf  einen  benachbarten 
Monat.  Wenn  die  Amplitude  der  Periode  groß  ist  und  Maximum  und 
Minimum  vielleicht  nur  um  zwei  Monate  auseinander  liegen,  kann  die 
Verschiebung  der  Phasen  für  gewisse  Monate  zur  Folge  haben,  dafs 
sie  in  dem  einen  Jahr  um  sehr  viele,  in  dem  nächsten  um  sehr  wenige 
Beobachtungen  bereichert  werden.  Durch  den  Ausfall  oder  gering- 
fügigen Anteil  gewisser  Jahre,  die  vielleicht  denselben  Witterungs- 
charakter tragen,  können  die  Monatsmittel  nicht  unbeeinflufst  bleiben 
und  auch  aus  diesem  Grund  in  bestimmter  Richtung  von  den  wahren 
entfernt  werden. 

Die  besprochenen  Variationen  der  Beobachtungsverteilung  nach 
der  Zeit  machen  sich  in  höheren  Breiten  ungünstiger  geltend,  als  in 
niederen,  wo  die  mittleren  Abweichungen  der  Monats-  und  Jahresmittel 
klein  sind. 


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Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  zur  See.  105 

Um  auch  die  zuletzt  besprochenen,  störenden  Einflüsse  durch  ein 
Beispiel  zu  erläutern,  möge  hier  eine  Tabelle  Platz  finden,  welche  die 
zeitliche  Verteilung  der  Beobachtungen,  die  auf  deutschen  Segelschiffen 
in  den  sechs  Jahren  1885 — 1890  auf  dem  Indischen  Ozean  in  der  Zone  vom 
2.'J  bis  4.0  n.  Br.  und  etwa  zwischen  88.°  und  96.0  ö.  L.  gemacht  wurden, 
darstellt. 

Zahl  der  Beobachtungen  an  Bord  deutscher  Segelschiffe  vom  z.°  bis 


4 ° n.  Br.  und  etwa  88.° 

bis  96. 0 

ö.  L. 

(Procente 

der  Gesamtzahl  jedes 

Monats). 

1885 

1886 

1887 

18S8 

1889 

1890. 

Summe 

Januar 

7 

*3 

18 

5° 

8 

4 

764 

Februar 

1 2 

'4 

14 

23 

*3 

M 

343 

März 

IO 

■4 

«9 

>4 

29 

14 

871 

April 

*7 

2 t 

«5 

2t 

17 

9 

574 

Mai 

«3 

‘5 

23 

32 

8 

9 

271 

Juni 

34 

23 

16 

3 

23 

1 

!54 

Juli 

22 

0 

0 

16 

37 

*5 

128 

November 

«3 

3« 

15 

«9 

4 

18 

140 

December 

16 

*5 

28 

16 

11 

14 

378 

In  den 

Häfen  der  hinterindischen 

Westküste 

pflegt  sich  zu 

Beginn 

des  Jahres  ein  ansehnliches  Geschwader  deutscher  Handelsschiffe  zu 
sammeln,  um  für  die  Heimat  Reis  zu  laden.  Nach  dem  Zeitpunkt 
dieser  Reisverschiffung  richtet  sich  in  erster  J.inie  die  jahresperiodische 
Verteilung  der  Beobachtungen  im  nordöstlichenTeil  des  Indischen  Ozeans. 
Wie  aus  der  letzten  Spalte  der  Tabelle  hervorgeht,  fällt  zwischen  2.° 
und  4.°  n.  Br.  das  Maximum  der  Beobachtungszahl  auf  Januar,  wenn 
die  ausreisenden,  und  auf  März,  wenn  die  heimkehrenden  Schiffe  diese 
Breitenzone  kreuzen ; ein  sekundäres  Minimum  im  Februar  trennt  die 
beiden  Maxima,  um  diese  Zeit  laden  die  Schifte  in  den  hinterindischen 
Häfen.  Das  absolute  Minimum  fällt  auf  die  Spätsommer-Monate;  dann 
pflegen  fast  gar  keine  Beobachtungen  in  diesem  Meeresteil  gemacht 
zu  werden.  Eine  auf  deutsche  Beobachtungen  fufsendc  Darstellung 
der  klimatischen  Verhältnisse  jenes  Gebiets  wird  sich  also  schlechter- 
dings etwa  auf  die  Monate  November  bis  Juli  beschränken  müssen. 

Die  obige  Tabelle  läfst  ferner  erkennen,  dafs  der  Anteil  der  ein- 
zelnen Jahre  an  der  Gesamtsumme  der  Beobachtungen  aufserordent- 
lich  verschieden  ist.  Die  Summe  der  Zahlen  jeder  Horizontalreihe  ist 
auf  100  reduziert,  jede  Zahl  giebt  also  an,  wie  viel  Procente  der  in 
der  letzten  Vertikalreihe  angegebenen  Gesamtzahl  der  Beobachtungen 
in  dem  betreffenden  Jahr  geliefert  wurden.  Wären  in  jedem  der  sechs 
Jahre  (1885 — 1890)  gleich  viele  Beobachtungen  zwischen  2°  und  4.0  n.  Br. 


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106 


Wilh.  Mcinardus: 


angestellt,  so  würden  alle  Procentzahlen  1006=16*4  betragen.  That- 
sächlich  finden  aber  ganz  bedeutende  Abweichungen  statt,  welche  auf 
mannigfache  Ursachen  zurückzuführen  sind. 

Wir  heben  einige  charakteristische  Erscheinungen  hervor.  Im 
Jahr  1888  durchfuhr  eine  ungewöhnlich  grofse  Zahl  von  Schiffen 
das  Beobachtungsgebiet;  infolge  dessen  werden  die  Witterungsverhält- 
nisse des  Jahres  1888  sich  im  Gesamtresultat  besonders  bemerkbar 
machen.  Im  Januar  entfallen  sogar  50%  aller  in  den  sechs  Jahren  ge- 
machten Beobachtungen  auf  jenes  Jahr.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung 
liegt  darin,  dafs  in  dem  genannten  Monat  ein  grofses  Schiffsgeschwader 
durch  widrige  Winde  auf  der  Fahrt  nach  Hinterindien  gehemmt  wurde; 
daher  häufte  sich  die  Zahl  der  Beobachtungen,  die  Schiffe  liefen  ver- 
spätet in  die  hinterindischen  Häfen  ein  und  traten  später  als  gewöhn- 
lich ihre  Rückreise  an.  Eine  Folge  davon  war,  dals  nun  auch  in  den 
Monaten  April  und  Mai  1888  verhältnismäfsig  zu  viele  Beobachtungen 
in  der  hier  betrachteten  Breitenzone  gemacht  wurden.  Es  fand  also 
durch  die  Hemmung  der  Schiffe  im  Januar  eine  Phasenverschiebung 
in  der  Jahresperiode  der  Beobachtungen  statt,  welche  der  Ermittelung 
der  wahren  klimatischen  Werte  hinderlich  sein  mufs. 

Eine  ähnliche  Phasenverschiebung  trat  im  Jahr  1889  ein.  Durch 
ungünstige  Windverhältnisse  im  südtropischen  Teil  des  Indischen 
Ozeans  aufgehalten,  kamen  die  Schiffe  noch  später  als  im  vorauf- 
gehenden Jahr,  nämlich  erst  im  Februar  und  März  in  das  Beobachtungs- 
gebiet, und  ihre  Rückreise  fällt  zum  gröfseren  Teil  erst  in  die  Monate 
Juni  und  Juli.  Die  Witterungsverhältnisse  der  genannten  Monate  von 
1889  beeinflussen  demnach  in  überwiegendem  Mafs  das  Gesamtergebnis. 

Zusammenfassung. 

Die  Beantwortung  der  Frage:  In  welcher  Weise  sind  die  maritimen 
meteorologischen  Beobachtungen  zu  verbinden , um  die  Kenntnis 
ozeanischer  Klimate  zu  fördern?  machte  eine  Untersuchung  der  räum- 
lichen und  zeitlichen  Verteilung  derartiger  Beobachtungen  notwendig. 

Durch  die  Identität  der  Zahl  von  Beobachtungspunkten  und  Beob- 
achtungen wird  die  Einführung  einer  besonderen  Methode  bei  der 
Verarbeitung  maritimen  Beobachtungsmaterials  erforderlich.  Nur  die 
Zusammenfassung  von  Flächenelementen,  von  einer  grofsen  Zahl  von 
Beobachtungen  kann  überhaupt  zu  Resultaten  führen.  Die  Gröfse  der 
klimatischen  Flächeneinheiten  und  ihre  Lage  kann  nicht  durch  die 
Einteilung  des  irdischen  Gradnetzes  bestimmt  werden.  Die  Reisen  der 
Segelschiffe  auf  gewissen,  nach  mittleren  Windverhältnissen  festgelegten 
Verkehrsstrafsen  bedingen  längs  dieser  Strafsen  eine  streifenförmige 
Verdichtung  der  Beobachtungen.  Durch  die  von  einem  einzelnen 


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Verarbeitung  von  meteorologischen  Beobachtungen  zur  See. 


107 


Schiff  angetroffenen,  besonderen,  von  den  mittleren  mehr  oder  weniger 
abweichenden  Windverhältnisse  wird  auch  eine  Abweichung  der  Route 
dieses  Schiffes  von  der  mittleren  herbeigeführt:  der  Beobachtungsort 
■wird  somit  eine  Funktion  der  zu  beobachtenden  Erscheinungen.  F,s 
findet  ein  Sortieren  der  Beobachtungen  quer  gegen  die  mittlere  Schiffs- 
route statt.  Wenn  man  die  Beobachtungsstreifen,  welche  den  grofsen 
Yerkehrsstrafsen  folgen,  durch  Querlinien  in  Abschnitte  teilt,  erhält 
man  quer  zur  mittleren  Segelroute  liegende  Beobachtungszonen,  von 
denen  jede  die  gesonderten,  aber  zusammengehörigen  Beobachtungen 
in  sich  enthält.  Diese  werden  dann  bei  der  Berechnung  der  klima- 
tischen Werte  miteinander  vereinigt.  Die  ermittelten  Werte  dürfen 
für  den  Teil  der  Zone  gelten,  welcher  der  mittleren  Segelroute  am 
nächsten  liegt. 

Die  Länge  der  von  einem  Schiff  in  einer  Zone  gelieferten  Beob- 
achtungsserie hängt  von  der  Dauer  seines  Aufenthalts  in  der  Zone  ab. 
Diese  wird  in  erster  Linie  durch  die  gerade  angetroffenen  Wind- 
verhältnisse bestimmt.  Damit  wird  auch  die  Länge  der  Beobachtungs- 
serie eine  Funktion  der  zu  beobachtenden  Erscheinungen.  Gegenwinde, 
geringe  Windstärken  verlängern  die  Serien.  Bei  der  Mittelbildung 
fallen  diese  Windverhältnisse  und  die  ihnen  entsprechenden  Werte  des 
Luftdrucks,  der  Temperatur,  der  Bewölkung,  der  Niederschläge  u.s.w. 
zu  stark  ins  Gewicht,  sie  werden  gleichsam  den  wahren  Werten 
superponiert.  Man  gelangt  zu  scheinbaren  Werten,  die  am  wenigsten 
von  den  wahren  abweichen,  wo  Schiffe  mit  verschiedener  und  ent- 
gegengesetzter Kursrichtung  gleichzeitig  verkehren. 

Wegen  der  jährlichen  Periode  der  Windrichtungen  und  der  Schiffs- 
reisen können  weite  Meeresflächen,  die  in  gewissen  Monaten  von 
Schiffen  stark  besucht  werden,  in  andern  ganz  vereinsamen.  Die  Be- 
stimmung der  klimatischen  Werte  ist  dann  für  einige  Monate  durch 
eine  grofse  Zahl  von  Beobachtungen  gesichert,  für  andere  aber  un- 
möglich. Durch  den  ungleichmäßigen  Anteil  der  Jahre  an  den  Beob- 
achtungen, durch  Schwankungen  in  der  jährlichen  Periode  der  Beob- 
achtungszahl werden  die  Ergebnisse  namentlich  dann  ungünstig  beeinflußt, 
wenn,  wie  es  in  der  Regel  der  Fall  ist,  jene  Schwankungen  durch 
meteorologische  Erscheinungen  herbeigeführt  werden. 

Wir  sind  nicht  in  der  Lage  eine  Methode  anzugeben,  wodurch 
die  zahllosen  Fehlerquellen,  deren  Ursprung  wir  zu  entdecken  suchten, 
vermieden  werden  könnten.  Die  mannigfachen  Komplikationen  der  zu 
einer  Fälschung  der  Gesamt-Ergebnisse  beitragenden  Ursachen  lassen 
auch  kaum  die  Hoffnung  aufkommen,  dafs  jemals  eine  solche  Elimi- 
nationsmethode gefunden  werden  wird.  Doch  ist  man  vielleicht  im 


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108  Willi.  Meinardus:  Verarbeitung  v.  meteorologischen  Beobachtungen  r.ur  See. 

Stande,  bessere  Ergebnisse  zu  erzielen,  wenn  man  dort,  wo  es  die  Fülle 
von  Beobachtungen  gestattet,  die  synoptische  Darstellung  in  den  Dienst 
der  Klimatologie  stellt.  In  der  That  kann  man  für  manche  Orte  in 
viel  besuchten  Meeren,  wie  dem  Nordatlantischen  Ozean,  mit  Hilfe  von 
Interpolationen  aus  synoptischen  Karten  die  Werte  der  dargestellten 
meteorologischen  Elemente  für  jeden  Tag  bestimmen.  Zwar  wird  der 
Grad  der  Genauigkeit  je  nach  der  Zahl  und  Dichte  der  Beobachtungs- 
punkte wechseln,  jedoch  werden  durch  eine  hinreichend  grofse  Zahl 
von  Beobachtungen  die  Interpolationsfehler  eliminiert.  Auf  diese 
Weise  lassen  sich  Mittelwerte  bestimmen  für  jeden  Monat  und  das 
Jahr1). 

Es  würde  sich  verlohnen,  die  so  aus  einer  gröfseren  Zahl  von  Jahr- 
gängen gewonnenen  klimatischen  Konstanten  von  Mceresteilen  mit 
denen  zu  vergleichen , welche  nach  der  üblichen  Methode  berechnet 
sind.  Die  Differenzen  würden  die  Abweichungen  der  wahren  von  der» 
scheinbaren  Werten  liefern.  Auch  würde  vielleicht  ein  Mafs  ftlr  die 
Gröfse  dieser  Abweichungen  gewonnen  werden  können,  wenn  man  die 
aus  Dampferbeobachtungen  berechneten  Werte  mit  den  aus  Segel- 
schiffbeobachtungen berechneten  vergleicht. 

Zwar  werden  die  durch  solche  Vergleiche  ermittelten  Abweichungen 
nicht  grofe  sein,  und  die  von  uns  angcstellten  Betrachtungen  berechtigen 
keineswegs  zu  der  Annahme,  dafs  die  bisher  errungene  Erkenntnis 
ozeanischer  Klimate  in  wesentlichen  Stücken  durch  die  Anwendung 
nicht  einwurfsfreier  Methoden  gefälscht  sein  könne;  aber  bei  der  fort- 
schreitenden Vervollkommnung  der  Methoden  der  Einzelbcobachtungen 
und  bei  den  wachsenden  Ansprüchen  an  eine  genaue,  äquivalente  Dar- 
stellung der  Erscheinungen  durch  Zusammenfassung  der  Einzelbeob- 
achtungen scheint  es  notwendig  zu  werden,  auf  etwaige  Unvollkommen- 
heiten von  bisher  in  Anwendung  befindlichen  Methoden  mit  gröfscrem 
Nachdruck  hinzuweisen  und  vor  einer  Überschätzung  der  Genauigkeit 
von  Ergebnissen  zu  warnen,  selbst  wenn  sie  durch  eine  ungeheure,  stetig 
wachsende  Zahl  von  Einzelbeobachtungen  gesichert  erscheinen. 

1 ) Vgl.  z.  B.  W.  Koppen,  Untersuchungen  über  die  Wittcrungsverhältnisse 
zwischen  dein  Kelsengebirge  und  dem  Ural  in  den  Monaten  Januar  bis  März  1*78. 
„Aus  dem  Archiv  der  Deutschen  Seewartc“  III,  1880.  Nr.  5,  S.  4f.  und  die  von 
der  Deutschen  Seewartc  herausgegebenen  synoptischen  täglichen  Wetterkarten  für 
den  Nordatlantischen  Ozean  und  die  angrenzenden  Länder. 


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Die  Entdeckung  Amerika’s 

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Konrad  Kretschmer. 

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Seine  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben  die  Zueignung  der  Fest- 
schrift seitens  der  Gesellschaft  Allergnädigst  zu  genehmigen  geruht. 

Text  in  Klcinfolio  mit  471  + XXIII  Seiten. 

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» 
S 

.* 

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des  Deutschen  Geographentages 


GEORG  KOLLM, 

Hauptmann  a.  D. 

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4» 

* 

» 

» 

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und  Administration. 

Wien  XV,  Pouthongasse  2. 

Joh.  F.  Fehlinger. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Hauptmann  a.  D.  Kol  Im  in  Charlottenburg. 


Selbstverlag  der  Gesellschaft  für  Erdkunde. 


Druck  von  W.  Poem  etter  In  Berlin. 


MUS.  COMP  2QOL 


ZEITSCHRIFT 


DER 


GESELLSCHAFT  FÜR  ERDKUNDE 

ZU  BERLIN. 

Band  XXIX  — 1894  — No.  2. 


Herausgegeben  im  Auftrag  des  Vorstandes 
von  dem  Generalsekretär  der  Gesellschaft 

Georg  Kollm, 

Hauptmann  a.  D. 


Inhalt. 


Seite 


Stadien  über  das  Klima  Spaniens  während  der  jüngeren  TeTtifirperiode 

und  der  Diluvialperiode.  Von  AlbrechtPenck 109 

Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Lina  Dscbebel  Bercket. 

Von  Martin  Hartmann.  (Hierxu  Tafel  3) 14a 


LONDON  E.  C. 
SAMPSON  LOW  & Co. 
Fleet-Street. 


BERLIN,  w.s. 

W.  H.  KÜHL. 

£ 1894. 


PARIS. 

H.  LE  SOUDIER. 

<74  & 176.  Boul.  St.  Gcrmain. 


Veröffentlichungen  der  Gesellschaft  im  Jahr  1894. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin,  Jahr- 
gang 1894  - Band  XXIX  (6  Hefte), 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin, 
Jahrgang  1894  — Band  XXI  (10  Hefte). 

Preis  im  Buchhandel  für  beide:  15  M.,  Zeitschrift  allein:  12  M.t  Ver- 
handlungen allein:  6 M. 

Beiträge  zur  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  werden  mit 
50  Mark  für  den  Druckbogen  bezahlt,  Original-Karten  gleich  einem  Druckbogen 
berechnet. 

Die  Gesellschalt  liefert  keile  So  nderabxüge;  jedoch  steht  es  den  Verfassern 
frei,  solche  nach  Übereinkunft  mit  der  Redaktion  auf  eigene  Kosten  anfertigen 
zu  lassen. 

Alle  für  die  Gesellschaft  und  die  Redaktion  der  Zeitschrift  und 
Verhandlungen  bestimmten  Sendungen  — ausgenommen  Geldsendungen 
— sind  unter  Weglassung  jeglicher  persön  liehen  Adresse  an  die  : 

„Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  SW.  12,  Zimmerstr.  90“, 

Geldsendungen  an  den  Schatzmeister  der  Gesellschaft,  Herrn 
Geh.  Rechnungsrat  Btttow,  Berlin  W.  Leipziger  Platz  13,  zu  richten. 


Die  Geschäftsräume  der  Gesellschaft  — Zimmerstraise  90.  II  — sind, 
mit  Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage,  täglich  von  9 — 12  Uhr  Vorm,  und  von 
4 — 8 Uhr  Nachm,  geöffnet. 


asaESSBsasasBsasssaHasasaacsaBasasssEsssasBsseBeesBSBsasaaaE 
Geographische  Verlagshandlung  Dietrich  Reimer  in  Berlin, 

Inhaber:  Hoefer  & Vohsen. 

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maris  Aegaei.  No.  XV.  Graecia  seplcntrionalis.  No.  XVII.  Ulyricum 
el  Thracia.  No.  XXVI.  Insulae  Britannicac.  No  XXVII.  Hispania. 


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Studien  über  das  Klima  Spaniens  während  der  jüngeren 
Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode. 

Von  Albrecht  Penck 

Uber  die  Ursachen  der  mannigfaltigen  klimatischen  Veränderungen, 
welche  Mittel-Europa  seit  der  Mitte  der  Tertiärperiode  erfahren  hat, 
wird  man  erst  dann  volle  Klarheit  erhalten,  wenn  man  ihren  Wirkungen 
über  gröfsere  und  zwar  verschieden  gelegene  Teile  der  Erdoberfläche 
nachgespürt  hat.  Die  Pyrenäen-Halbinsel  bietet  in.  dieser  Hinsicht  ein 
noch  wenig  untersuchtes  Arbeitsfeld.  Ihre  Nachbarschaft  zu  Afrika 
läfet  mutmafsen,  dafs,  falls  das  wärmere  Klima,  welches  Mittel-Europa 
während  der  Miocän -Epoche  genofs,  durch  eine  Verschiebung  der 
klimatischen  Zonen  bedingt  war,  auf  ihr  afrikanische  Zustände 
herrschten.  Unter  gleicher  Voraussetzung  mufste  sich  auch  die  Eiszeit 
auf  ihr  durch  ein  Klima  höherer  Breiten  geltend  machen,  welches  auf 
den  zahlreichen  Gebirgen  des  Landes  Vergletscherungen  zur  Folge 
hatte.  Dabei  bietet  die  Thatsache,  dafs  die  Halbinsel  als  solche  be- 
reits seit  der  mittleren  Tertiärperiode  besteht  und  im  Westen  schon 
seit  älterer  Zeit  ununterbrochen  vom  Atlantik  bespült  wird,  einen  festen 
Faden  , um  die  Einzelheiten  in  den  Erscheinungen  zu  einem  Gesamt- 
bild zu  verknüpfen.  Wenn  wirklich  grofse  Verschiebungen  der  Klima- 
gürtel eingetreten  sind,  so  wird  man  in  den  nördlich  und  südlich  be- 
findlichen Gestadeländern  des  Atlantik  gegenwärtige  Analogien  zu 
den  früheren  Zuständen  der  Halbinsel  finden  und  so  feststellen  können, 
um  welche  Beträge  die  Klima-Zonen  längs  der  Ufer  eines  Ozeans 
wanderten. 

Diese  Erwägungen  liefsen  mich  mit  Freuden  die  Gelegenheit  be- 
grüfsen,  welche  mir  der  1892  in  Huelva  abgehaltene  Amerikanisten- 
Kongrefs  zu  einer  Bereisung  Spaniens  bot. 

Es  erschien  mir  als  das  zweckmäfsigste,  mit  meinen  Untersuchungep, 
welche  durch  mancherlei  Gründe  erschwert  und  teilweise  vereitelt 
worden  sind,  an  jene  Arbeiten  anzuknüpfen,  die  ich  1883  in  den  West- 
Pyrenäen  ausführte  und  damals  auf  die  Ost-Pyrenäen  nicht  ausdehnen 
konnte.  Der  erste  Teil  der  nachfolgenden  Arbeit  ist  daher  eine  Fort- 

Zciuchr.  d.  GntlUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  8 


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1 JO  Albrecht  Penck: 

Setzung  meiner  Studie  über  die  „Eiszeit  in  den  Pyrenäen“1).  Die  beiden 
anderen  Teile  beschäftigen  sich  mit  den  tertiären  und  diluvialen  Ab- 
lagerungen Central  - Spaniens,  welche  eingehend  gewürdigt  werden 
müssen,  um  die  stattgehabten  Klimaänderungen  zu  erkennen.  Was 
tüchtige  spanische  Geologen  Uber  das  Tertiär  der  Halbinsel  an  Beob- 
achtungsmaterial veröffentlichen , vermag  ich  im  Folgenden  nicht  zu 
erweitern,  und  ich  mufs  mich  beschränken,  einen  abweichenden  Stand- 
punkt  hinsichtlich  der  Erklärung  jener  Gebilde  zu  entwickeln;  dagegen 
kann  ich  den  Beobachtungsschatz  jener  vortrefflichen  Forscher  über 
das  Quartär  durch  einige  Angaben  vermehren. 

I.  Die  Eiszeit  in  den  Ost-Pyrenäen  nebst  Bemerkungen  über 
den  Thalzug  von  La  Perche. 

Seit  Veröffentlichung  meiner  „Eiszeit  in  den  Pyrenäen"  sind  nur 
wenige  Arbeiten  über  diesen  Gegenstand  erschienen.  Trutat*)  hat 
ganz  kürzlich  in  seiner  Schilderung  der  Pyrenäen  auch  eine  Dar- 
stellung der  alten  Gletscher  des  Gebirges  gegeben,  welche  ersichtlich 
nur  auf  älteren  Beobachtungen  beruht,  ohne  von  den  1883  veröffent- 
lichten Daten  und  Ansichten  Notiz  zu  nehmen,  wogegen  Camena 
d’Almeida  in  seiner  vorzüglichen  Erforschungsgeschichte  der  Pyrenäen 
sich  vornehmlich  auf  jene  stützt3).  Die  damals  offen  gelassene  Lücke 
über  die  Ost-Pyrenäen  besteht  also  noch  heute,  und  um  sie  wenigstens 
in  einigen  Umrissen  auszufüllen,  durcheilte  ich  die  Thäler  der  Ariöge 
und  von  Andorra  sowie  den  langen  Thalzug  von  La  Perche,  wobei 
ich  mich  der  Begleitung  meines  Freundes  E.  Brückner  erfreute.  In 
Perjjignan  glückte  es  mir,  meinen  Freund  J.  Partsch  zu  treffen, 
welcher  dieselbe  Route,  wie  ich,  bereits  zurückgelegt  hatte,  und  mit 
ihm  gemeinsam  machte  ich  genufsreiche  Exkursionen  um  Prades. 

Im  Ari6ge-Thal  befindet  sich,  ebenso  wie  in  den  anderen  Thälern 
der  Nord-Pyrenäen,  eine  Schotterterrasse,  die  nach  Norden  in  den  Thal- 
boden einsinkt,  nach  Süden  aber  mehr  und  mehr  ansteigt,  bis  sie  jäh 
auf  hört,  worauf  Gletscher -Erscheinungen  sich  entwickeln.  Man  sieht 
jene  Terrasse  noch  bei  dem  malerisch  gelegenen  Foix,  weiter  oberhalb 
ist  sie  noch  unverkennbar  bis  zur  Mündung  des  Scios  oberhalb  Mont- 
gaillard; dann  hört  sie  mit  einem  Mal  auf,  und  bereits  beim  Weiler 
Garrabel  zwischen  St.  Paul  und  Mercus  bemerkt  man  Gletscherschliffe 
und  Moränen,  welche  nunmehr  öfters,  namentlich  zwischen  Verdun 

*)  Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkunde  zu  Leipzig.  1883.  S 163  und  in 
Sondcr-Ausgabe.  Leipzig  1 884- 

2)  I-es  Pyrint'cs.  Paris,  Bailliire,  1894-  S.  78. 

*)  Les  Pyrences.  Düveloppement  de  la  connaissancc  güographique  de  la  cliaine. 
Paris,  Armand  Colin.  O.  J.  (1893).  S.  319. 


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Klima  Spaniens  wahrend  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  ] J ] 

und  Ax-les-Thermes  sichtbar  werden.  Hiernach  mnfs  das  Knde  des 
Ariöge-Gletschers  weiter  oberhalb,  als  früher  von  mir  nach  älteren 
Quellen  verzeichnet,  angesetzt  werden.  Es  ist  nicht  bei  Foix,  sondern 
6 km  w'eiter  thalaufwärts,  unfern  St.  Paul,  zu  suchen. 

Recht  ausgedehnt  sind  auch  die  Gletscherspuren  im  oberen 
Ariüge-Thal  entwickelt  Südlich  von  Ax-les-Thermes  erstreckt  sich  eine 
förmliche  Rundhöcker-I.andschaft ; Endmoränen- Wälle  aber  queren  das 
Thal  erst  in  seinen  obersten  Verzweigungen  in  der  Gegend  von  Hospi- 
talet, ein  postglaciales  Ruhestadium  in  der  Vergletscherung  andeutend. 
Ausgedehnte  Moränen  auch  bekleiden  den  Nordabfall  des  Col  de 
Puymorens,  auf  dessen  Höhe  I.eymerie1)  bereits  früher  Granitblöcke 
beobachtete.  Dieselben  scheinen  anzudeuten,  dafs  der  iqoo  m hohe 
Pafs  vom  Eis  überschritten  wurde.  Mutmafslich  war  es  der  Ari6ge- 
Gletscher,  welcher  in  das  Carol-Thal  tiberflofs.  Das  würde  etwa 
600  m für  seine  Mächtigkeit  ergeben. 

Im  Thal  des  Valira,  des  Hauptflusses  der  kleinen  pyrenäischen 
Republik  Andorra,  wurden  nicht  selten  Gletscherspuren  gesehen.  Hei 
Saldeu  (1855  m)  liegen  zahlreiche  erratische  Blöcke  umher,  bei  Canillo 
(1550  m)  wird  es  von  einem  Endmoränen -Wall  gequert,  der  Hauptort  An- 
dorra^, Andorra  Vella,  selbst  liegt  südlich  von  einem  über  und  über 
abgeschliffenen  Rundhöcker,  am  gegenüberliegenden  Thalgehänge  sieht 
man  mindestens  200  m über  I.as  Escäldas  eine  Ufermoräne  sich  entlang 
ziehen,  welche,  wie  man  mir  erzählte,  vor  einem  Thal  unweit  San 
Miguel  einen  kleinen  See  aufstaut.  In  Nebenthälern  aufgestaute 
Schotter  wurden  auch  schon  weiter  oberhalb,  links  von  Encamp  ge- 
sehen. Bis  3 km  unterhalb  des  Dorfes  Andorra  lassen  sich  die  Find- 
linge verfolgen,  nämlich  bis  an  den  breiten  Schuttkegel  von  Sa.  Coloma 
(1000  m);  dann  folgen  abwärts  Überreste  von  Schotterterrassen.  So 
hält  sich  denn  der  Valira -Gletscher  Andorras  genau  in  den  Grenzen, 
die  bereits  1864  E.  Dupont*)  aufgefunden.  Er  entfernt  sich,  in  der 
Luftlinie  gemessen,  nur  wenig  über  20  km  vom  Pyrenäen-Kamm  und 
steigt  bis  1000  m herab,  während  das  Ende  seines  Gegenübers,  des 
Ari£ge  - Gletschers,  30  km  weit  vom  First  des  Gebirges,  in  nur  450  m 
Meereshöhe  lag.  Entschieden  war  der  Gletscher  der  Südseite  weit 
kleiner  als  der  der  Nordabdachung,  und  es  müssen  bereits  während 
der  Eiszeit  die  beiden  Abdachungen  der  Pyrenäen  klimatisch  ver- 
schieden begünstigt  gewesen  sein. 


*)  Kicil  d’une  exploration  giologique  de  la  v.illee  de  la  Segre.  Bull  Soc 
Geolog.  (1)  XXVI.  1869.  S.  604. 

- ) Sur  divers  phdnomdnes  diluviens  observes  dans  lc  ddpartement  de  TAritrge 
et  quelques  vallees  voisines.  Annal.  des  Mines  (4)  V.  1844*  S.  481. 

8* 


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112 


Albrecht  Penck: 


Der  Ostflügel  der  Pyrenäen  wird  von  einer  auffälligen  Tiefenlinie 
schräge  geschnitten,  die  im  Norden  durch  den  Lauf  der  TSt,  im  Süden 
durch  den  des  Segre  hervorgehoben  wird.  Die  Thäler  beider  Flüsse 
sind  vollständig  gegeneinander  geöffnet  und  verwachsen  über  dem 
1622  m hohen  Col  de  la  Perche  zu  einem  einzigen  grofsen  Thalzug, 
welcher  den  WNW  streichenden  Hauptkamm  der  Pyrenäen  von  der 
WSW  gerichteten  Kammflucht  des  Canigou  (2785  m),  des  Puigmal 
(2909  m)  und  der  Sierra  de  Cadf  (2638  m)  scheidet.  Im  Westen,  wo 
den  Jurakalk-Mauern  der  letzterwähnten  Sierra  an  der  einen  Seite  des 
Thalzuges  die  Granitberge  der  anderen  Seite  gegenüberstehen,  macht  der- 
selbe einen  ähnlichen  Eindruck,  wie  irgend  eines  der  grofsen  ostalpinen 
Längsthäler  zwischen  Kalk-  und  Central-Alpen ; in  der  Mitte  und  im 
Osten  dagegen,  wo  beide  Flanken  aus  denselben  Gesteinen  bestehen, 
erinnert  dieselbe  eher  an  die  breiten  Thalzüge  der  rhätischen  Alpen, 
ähnelt  z.  B.  dem  Engadin,  und  speziell  die  Landschaft  um  den  Col  de 
la  Perche  gemahnt  an  die  Szenerie  um  Reschen-Scheideck , nur  dafs 
eine  Ortler-Aussicht  fehlt. 

In  ihrer  Längserstreckung  zerfällt  der  in  Rede  stehende  Thalzug, 
welcher  am  besten  nach  dem  Perche-Sattel  benannt  wird,  in  mehrere 
deutlich  von  einander  gesonderte  Becken.  Gegen  Osten  verschmilzt 
er  mit  dem  Tech-Thal  zu  den  nur  100  m hoch  liegenden  Ebenen  des 
Roussillon;  in  der  Mitte  erweitert  er  sich  zu  der  nahezu  30  km  langen 
und  bis  6 km  breiten,  1050 — 1500  m hoch  gelegenen  Ebene  der  Cerdana, 
im  Westen  endlich  verbreitert  er  sich  um  La  Seo  de  Urgel  (700  m)  zu 
einem  dritten  Becken  an  der  Mündung  des  aus  Andorra  kommenden 
Valira-Thales.  Die  beiden  letzterwähnten  Becken  werden  zwischen  Bellver 
und  La  Seo  durch  einen  25  km  langen,  zum  Teil  schluchtartigen  Durch- 
bruch des  Segre  verbunden.  Derselbe  wird  von  breiten,  vielfach  zer- 
schnittenen Felsterrassen  begleitet,  welche  dem  F'lufsgefäll  entgegen 
nach  Westen  hin  ansteigen,  dermafsen,  dafs  sie  zunächst  nur  100  m, 
später  bei  der  Brücke  von  Bar  300  m,  endlich  bei  Vilanova  sich  fast 
500  m über  den  Segre  erheben. 

Zwischen  der  Cerdana  und  den  Flbenen  des  Roussillon  endlich 
stellt  die  Tßt  eine  Verbindung  her.  Sie  fliefst  zunächst  quer  über  den 
nördlichen  Ausläufer  der  Cerdana,  hart  am  Col  de  la  Perche  vorüber, 
dann  tritt  sie  in  einen  engen , ungemein  malerischen  Durchbruch  ein, 
durch  welchen  sie  unterhalb  l’rades  die  Ebene  des  Roussillon  erreicht. 
Auch  dieser  Durchbruch  ist,  wenigstens  von  Olette  an,  von  Terrassen 
begleitet,  die  sich  400  — 500  m hoch  über  den  F'Iufs  erheben. 

Schräg  zum  Schichtstreichen  verlaufend,  kann  der  Thalzug  von 
La  Perche  nicht  mit  der  Faltung  der  Pyrenäen  in  Zusammenhang  ge- 
bracht werden.  Er  ist  zweifellos  erst  nach  der  eigentlichen  Gebirgs- 


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. 1 ■ I.  • . 


Klima  Spaniens  während  der  Tertiärpetiode  und  der  Diluvialperiode.  113 

bildung,  welche  bis  in  die  ältere  Tertiärperiode  gedauert  hat,  ent- 
standen. Dessenungeachtet  besitzt  er  ein  hohes  Alter,  denn  seine  becken- 
förmigen Erweiterungen  werden  von  jüngerem  Tertiär  eingenommen. 
Längst  schon  kennt  man  die  Braunkohlen,  welche  in  der  Cerdaiia 
nahe  dem  Nord-  und  Südende  der  Ebene  ausgebeutet  werden".  Darüber 
lagern  lebhaft  gefärbte,  rote  oder  braune  Thone  mit  zahlreichen  meist 
eckigen  Gesteinstrümmern.  Man  sieht  dieselben  in  der  Gegend  von 
Saillagou.se  in  der  französischen  Cerdagne,  dann  den  Segre  abwärts  häufig, 
namentlich  in  der  Gegend  von  Bellver.  Diese  roten  Thone  kehren 
im  Becken  von  La  Seo  de  Urgel  wieder,  sie  bilden  hier  den  Hügel, 
welcher  die  schwächliche  Festung  trägt.  Längs  des  Durchbruches 
fehlt  das  Tertiär  am  Segre,  es  scheint  jedoch  auf  den  Höhen  der 
Terrassen  vorzukommen,  wenigstens  hörte  ich  in  Martinet  von  mehreren 
Braunkohlen-Funden  auf  der  Höhe  der  Terrasse. 

Die  Braunkohlen-Formation  der  Cerdaiia  ist  zu  mehreren  Malen, 
am  vollständigsten  1885  von  Ch.  Depdret  und  L.  Rö rolle,  be- 
schrieben worden').  Beide  Autoren  kommen  zu  dem  Schlufs,  dafs  eine 
den  Eppelsheimer  Sanden  und  den  Oeninger  Kalken  äquivalente  Bil- 
dung vorliege,  und  ihr  Ergebnis  ist  durch  die  spätere  Auffindung  von 
Dinotherium  bavaricum  bestätigt  worden2).  Sie  schreiben  den  Ab- 
lagerungen einen  lakustren  Ursprung  zu.  Darnach  müfste  man  das 
Kohlenlager  auf  die  Zusammenschwemmung  von  Holz  aus  benachbarten 
Gebieten  zurückfuhren , wie  sich  solches  in  kleinen  Gebirgsseen  auch 
wirklich  ereignet5).  Allein  mit  dem  Holz  wird  auch  Schlamm  in  die 
Gebirgsseen  hineingespült  und  dieser  schlägt  sich  als  Kruste  auf  den 
herbeigeschleppten  Baumstrünken  nieder,  was  man  fast  allenthalben  in 
den  grofsen  und  kleinen  Alpenseen  wahrnehmen  kann.  Diese  vege- 
tabilischen Substanzen  kommen  in  der  Uferzone,  bei  kleinen  Seen  auch 
in  der  Mitte  zwischen  den  Sedimenten  zur  Ablagerung,  nirgends  aber 
ist  bislang  am  Boden  eines  grofsen  und  breiten  Gebirgssees  eine  solche 
Ansammlung  von  vegetabilischer  Substanz  angetroffen  worden,  dafs 
dieselbe  ein  Kohlenlager  bilden  würde.  Alle  die  neueren  Auslotungen 
der  Alpenseen  wiesen  an  deren  Grund  nur  Schlamm,  nirgends  Holz- 
massen  nach.  Wenn  aber  die  Braunkohlenformation  der  Cerdaiia 
lakustren  Ursprungs  ist,  so  müfste. sie  einem  grofsen  See  entstammen, 


■)  Note  sur  la  Geologie  et  sur  les  Mammifires  fossiles  du  bassin  lacustre  miocine 
supdrieur  de  la  Cerdagne.  Bull.  Soc.  G£ol.  de  France  (3)  XIII.  1884/8$*  S.  488. 

2)  L.  M.  Vidal,  Resena  geolögica  y minera  de  la  provincia  de  Gerona.  Bol. 
Map.  Geol.  Espana.  XIII.  1 886.  S.  1. 

2)  Vgl.  hierzu  die  von  B.  Studer  an  C.  v.  Leonhard  berichteten  Beob- 
achtungen am  Lungern-See.  Neues  Jahrb.  f.  Min.  und  Geol.  1836.  S.  699. 


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114 


Albrecht  Pcnck: 


und  unter  Bedingungen  entstanden  sein,  die  gegenwärtig  sich  nicht 
wiederholen. 

Die  Hauptablagerungsstätten  pflanzlichen  Materials  sind  jetzt  die 
Sümpfe,  nämlich  teils  die  Torfmoore,  teils  die  bewaldeten  Swamps, 
wie  solche  namentlich  in  Nord-Amerika  manche  Flufsläufe  begleiten. 
Für  eine  analoge  Entstehung  der  Kohlenflötze  der  Cerdana  spricht 
das  Vorkommen  zahlreicher  gut  erhaltener  Blätter.  Zarte  Blätter,  wie 
sie  R Grolle  beschreibt,  halten  keinen  weiten  Transport  aus,  ihre  gute 
Flrhaltung  macht  wahrscheinlicher,  dafs  sie  in  kleinen  Lachen,  die 
keinem  Sumpf  fehlen,  abgelagert  wurden,  als  dafs  sie  Kilometer  weit 
in  einen  grofsen  See  hineingeschleppt  wären.  In  gleiche  Richtung 
weisen  die  Knochen  landbewohnender  Tiere  in  den  die  Kohle  be- 
gleitenden Thonen.  Wenn  auch  zweifellos  Kadaver  gelegentlich  in 
Seen  hineingeschwemmt  werden,  so  ist  dies  doch  immerhin  ein  seltener 
Fall,  dagegen  versinken  häufig  grofse  Tiere  leicht  in  sumpfigem  Boden, 
und  die  Torfmoore  sind  es  dementsprechend  auch,  welche  z.  B.  die 
vollständigsten  Funde  eiszeitlicher  Tiere  enthalten.  Nach  alledem 
möchte  ich  mir  die  Cerdana  während  der  Kohlenbildung  weniger  als 
einen  See  vorstellen,  denn  als  ein  versumpftes  Thal  mit  reichlichem 
Pflanzen  wuchs  und  zahlreichen  Altwassern,  so  etwa  wie  das  heutige 
Enns-Thal  oberhalb  des  Gesäuses. 

Mit  Recht  sondern  Depöret  und  Rtlrolle  von  der  eigentlichen 
Braunkohlenformation  der  Cerdana  scharf  den  hangenden  roten  Lehm, 
welcher  noch  keine  Fossilien  geliefert  hat.  Derselbe  erinnerte  sie  an 
die  obermiocänen  (bzw.  unterpliocänen)  Lehme  des  Rhone-Thals  und 
von  Pikermi,  und  sie  möchten  ihm,  gleich  den  letzteren,  einen  halb- 
kontinentalen Ursprungzuschreiben;  zweifellos  zeigt  er  eine  Veränderung 
in  der  Landschaft  an:  die  üppige  Vegetationsdecke  verschwand  vom 
Thalgrund,  von  den  benachbarten  Höhen  schwemmten  die  Bäche 
steinigen  roten  Verwitterungslehm  herab  und  häuften  ihn  im  Thal  in 
Gestalt  grofser  flacher  Schuttkegel  an. 

In  welcher  Richtung  jenes  alte  Thal  entwässert  wurde,  werden 
nähere  Untersuchungen  über  das  Material  seiner  Sande  und  Lehme 
möglicherweise  aufhellen  können.  Jedenfalls  aber  haben  seither 
Störungen  seines  Gefälles  stattgefunden;  denn  die  Braunkohlen-Formation 
der  Cerdana  ist  sichtlich  disloziert  worden,  sie  steigt  sowohl  nach 
Osten  wie  nach  Westen  hin  an , wahrscheinlich  hat  sie  sich  einst 
ununterbrochen  bis  nach  La  Seo  de  Urgel  erstreckt,  denn  wenn  sie 
auch  heute  zwischen  Bellver  und  der  genannten  Stadt  noch  nicht 
nachgewiesen  ist,  so  zeigen  doch  die  über  dem  Flufs  befindlichen  Fels- 
terrassen an,  dafs  einst  ein  breiter,  nunmehr  dislozierter  Thalboden 
sich  hier  erstreckte.  Den  Segre  - Durchbruch  hat  man  darnach  als 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiodc.  115 

einen  Einschnitt  des  Stromes  in  einen  gehobenen  Gebirgskörper  zu 
betrachten;  Flufsgerölle,  welche  sich  an  mehreren  Stellen,  z.  B.  bei 
Martinet,  25—30  m über  den  Segre  verfolgen  lassen,  sprechen  für  dessen 
allmähliche  Arbeit. 

Die  Ablagerungen  des  Beckens  vom  Roussillon  unterscheiden  sich 
merklich  von  denen  der  Cerdana1).  Hier  sind  ganz  enorme  Geröll- 
massen zur  Ablagerung  gelangt,  die  ältesten  im  Meer,  die  jüngeren 
auf  dem  Land.  Die  Fauna  jenes  Meeres  macht  zweifellos,  dafs  die 
Geröllbildung  während  der  wahren,  echten  Pliocänzeit  begann,  und 
zwar  zu  der  Zeit,  als  sich  die  Thone  von  Piacenza  in  Italien  ab- 
lagerten, also  entschieden  später  als  die  Bildung  der  Braunkohlen 
in  der  Cerdana;  Säugetierfunde  in  ihr  machen  zweifellos,  dafs  sie 
noch  fortdauerte,  als  Mastodon  arvenensis  seinen  Einzug  im  Arno-Thal, 
im  Languedoc  und  in  der  Auvergne  gehalten  hatte  (Asti-Stufe).  Die 
Terrasse,  welche  im  Tet-Thal  bei  Olette  einsetzt,  besteht  gleichfalls 
aus  Geröllmassen , die  zu  einer  sehr  losen  Nagelfluh  verkittet  sind 
und  auf  französischen  geologischen  Karten  als  Diluvium  angegeben 
werden.  Dieselben  erfüllen  ein  altes,  einige  hundert  Meter  tiefes  Thal 
neben  der  heutigen  Töt;  nach  ihrer  Ablagerung  haben  noch  Schicht- 
störungen stattgefunden,  sie  fallen  deutlich  südwärts  und  dürften  daher 
dem  Tertiär  zuzuzählen  sein.  In  manchen  Lagen  sind  ihnen  ganz 
riesige  Blöcke,  namentlich  von  Granit  eingebettet. 

Bis  zu  röoom  Höhe  ansteigend,  bietet  der  Thalzug  der  Perche 
ausgezeichnete  Gelegenheit,  Einblick  in  die  Entwicklung  des  eiszeit- 
lichen Glacialphänomens  in  den  Ost-Pyrenäen  zu  nehmen.  Während 
man  nun  aber  in  den  Thälern  der  Nord-Pyrenäen  zwischen  Saison  und  • 
Aridge  die  alten  Gletscherspuren  bis  470m  herab  verfolgen  kann,  ist 
der  lange  Thalzug  zwischen  La  Seo  de  Urgel  und  Prades  an  keiner  Stelle 
von  Gletschern  erfüllt  gewesen.  Nirgends  finden  sich  im  Segre- 
Durchbruch  unterhalb  Bellver  erratische  Blöcke,  nirgends,  wie  bereits 
Leymerie*)  hervorhob,  Moränen  auf  dem  Tertiär  der  Cerdana;  was 
Depdret  und  Rerolle  von  Puigcerda  als  solche  beschrieben,  ist 
lediglich  ein  deutlich  geschichteter,  aus  gut  gerollten  Gesteinen  be- 
stehender Diluvialschotter,  mutmafslich  zwar  eine  fluvioglaciale,  aber 
sicher  keine  glaciale  Bildung.  Moränen  endlich  fehlen  auch  selbst  auf 

I)  Depdret,  Note  sur  la  Geologie  du  bassin  du  Roussillon.  Bull.  Soc.  Geol. 
de  France  (3)  XIII.  1884/85.  p.  462.  — Description  gdologique  du  bassin  tertiaire 
da  Roussillon.  These,  fac.  Sc.  Paris  1885  und  Annales  des  Sciences  Geologiqucs. 
XVII.  1885.  — Sur  l’importance  et  la  durdc  de  la  periode  plioedne.  Compt. 
Read.  CIII.  1886.  S.  1208. 

*)  Rdcit  d’une  exploration  gdologique  de  la  valide  de  la  Sdgre.  Bull.  Soc. 
Gdol.  de  France  (2)  XXVI.  1869.  S.  604  (628). 


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116 


Albrecht  Pcnck: 


dem  Col  de  la  Perche,  und  bis  gegen  Olette  hin  kommt  man  im  Tet- 
Thal  nirgends  dazu,  Glacialbildungen  zu  mutmafsen.  Lediglich  vor 
dem  Ausgang  einiger  von  Nordwesten  kommender  Thäler  sieht  man 
Moränenwälle,  die  bereits  von  Charles  Martins1)  als  solche  erkannt 
worden  sind:  so  z.  B.  vor  dem  Thal  von  Carol,  nördlich  Puigcerda, 
vor  jenem  von  Angoustrine,  namentlich  aber  unfern  Mont -Louis  im 
obersten  Tet-Thal. 

Diese  Thatsache  ist  für  Bestimmung  der  eiszeitlichen  Schneegrenze 
in  den  Pyrenäen  wichtig.  Alle  Gletscher  erstrecken  sich  mit  ihren 
Zungen  bis  unter  die  Grenze  des  ewigen  Schnees,  und  zwar  um  so 
mehr,  je  gröfser  sie  sind;  wenn  also  die  Pyrenäen-Gletscher  den  Perche- 
Thalzug  nicht  zu  erfüllen  vermochten,  so  mufs  dieser  durchweg  unter  der 
eiszeitlichen  Schneegrenze  gelegen  gewesen  sein,  und  letztere  mufs 
sich  in  nicht  unbeträchtlich  gröfserer  Höhe  als  1600  m befunden  haben. 
Zur  näheren  Bestimmung  ihrer  Lage  kann  der  18  km  lange  Töt- 
Gletscher  dienen.  Derselbe  lehnte  sich  an  ein  Gehänge  von  2600  m 
mittlerer  Höhe  und  endete  bei  Mont -Louis  1650  m hoch,  wo  seine 
Endmoränen  bis  1750  m Höhe  ansteigen.  Eine  solche  Entwickelung 
weist  auf  eine  Höhe  der  Schneegrenze  von  nennenswert  über  2000  m, 
während  sie  in  den  mittleren  Pyrenäen  zu  etwa  1700  m Höhe  be- 
stimmt wurde,  in  den  westlichen  aber  entschieden  noch  weit  tiefer  lag. 
Barg  doch  hier  das  Thal  der  Saison  einen  8 km  langen  Gletscher,  der 
bis  580  m Höhe  herabstieg,  und  dabei  steigt  die  Umwallung  der  ver- 
gletscherten Thalstrecke  nur  auf  etwa  1600  m an8).  Hier  mufs  die  eis- 
zeitliche Schneegrenze  also  ebenso  wesentlich  unter  1600  m Höhe  ge- 
• legen  gewesen  sein,  wie  am  Col  de  la  Perche  darüber. 

Kurowski®)  zeigte,  dafs  man  aus  der  Höhenentwicklung  eines 
Gletschers  auf  die  Lage  der  Schneegrenze  schliefeen  kann.  Dieselbe 
befindet  sich  im  Niveau  der  mittleren  Höhe  der  Gletscher-Oberfläche. 
Stellt  man  sich  nun  die  Gletscher  als  dreieckige,  gleichmäfsig  von  ihrer 
Zunge  nach  ihrer  Umwallung  hin  ansteigende  Flächen  vor,  so  kann 
man  nach  einer  einfachen  Formel  ihre  mittlere  Höhe  berechnen4). 
Dieselbe  ergiebt  sich  für  den  Saison-Gletscher  zu  rund  1300  m,  für  den 

1 ) Note  giologique  sur  la  vallec  du  Vernct  et  la  distinclion  des  fausses  et  des 
vraies  moraines  dans  les  Pyr^nees  orientales.  Bull.  Soc.  Geolog,  de  France  (2) 
XI.  1854.  S.  442. 

8)  Vgl.  die  Eiszeit  in  den  Pyrenäen.  S.  47.  Die  auf  S.  44  angegebene  Höhe 
der  Umwallung  des  Saison-Gletschers  bezieht  sich  nur  auf  den  angrenzenden  Pyre- 
näen-Kamm. 

®)  Die  Höhe  der  Schneegrenze  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Finster- 
aarhorn-Gruppe. Geogr.  Abh.  V.  1.  Wien  189t.  S.  115. 

■*)  Penck,  Morphologie  der  Erdoberfläche.  Stuttgart  1894-  Bd.  I.  S.  40. 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  ] 1 7 


Tet-Gletscher  zu  2280  m,  für  den  benachbarten,  wahrscheinlich  aber  über 
den  Col  de  Puymourens  durch  den  Ariege-Gletscher  gespeisten  Carol- 
Gletscher  zu  2180  m.  Hiernach  ist  für  die  Eiszeit  ein  beträchtliches 
Ansteigen  der  Schneegrenze  in  den  Pyrenäen  nicht  blofs  von  Nord 
nach  Sud,  sondern  namentlich  auch  von  West  nach  Ost  anzunehmen. 
Auch  die  letztere  Thatsache  wiederholt  sich  in  der  Gegenwart.  Der 
Pic  d’Anie  (2502  m)  im  Westen  trägt  stets  gröfsere  Schneeflecken, 
gänzlich  verschwinden  dieselben  im  Osten  vom  290g  m hohen  Puigmal. 
Letzterer  liegt  entschieden  unter  der  heutigen  Schneegrenze,  ersterer 
taucht  in  dieselbe  hinein,  sodafs  auch  ihr  ein  Anstieg  von  500 — 600  m 
von  West  nach  Ost  zuzuschreiben  ist. 

Während  der  Mangel  an  Gletscherspuren  auf  dem  Col  de  la  Perche 
bereits  mehrfach  hervorgehoben  worden  ist,  wird  zugleich  des  öfteren 
von  dem  Vorhandensein  solcher  im  unteren  Tet-Thal  gesprochen.  Be- 
reits Max  Braun  *)  beobachtete  hier  Moränen,  Ch arles  Mart i ns  fand 
hier  neben  pseudoglacialen  Bildungen  echt  glaciale,  und  kürzlich  er- 
wähnte Trutat  die  letzteren.  Braun  und  Martins  stimmen  darin  über- 
ein, dafs  die  Moränen  nicht  von  einem  Töt-Gletscher,  sondern  einem 
Canigou-Gletscher  herrührten,  welcher  dementsprechend  auf  der  Karte 
der  eiszeitlichen  Gletscher  in  den  Pyrenäen  verzeichnet  wurde,  obwohl 
dessen  Entwickelung  keineswegs  im  Einklang  mit  der  hohen  I.age  der 
Schneegrenze  in  den  Ost-Pyrenäen  steht.  Es  wurde  daher  die  Unter- 
suchung der  einschlägigen  Spuren  damals  schon  als  wünschenswert 
bezeichnet.  Es  war  mir  vergönnt,  dieselbe  mit  meinem  Freund 
Jos.  Partsch  vorzunehmen,  welcher  die  Gegend  schon  durchwandert 
hatte. 

Charles  Martins  fand  namentlich  im  Thal  von  Vemet  erratische 
Blöcke.  Wenn  man  von  Villefranche  in  jenem  Thal  aufwärts  wandert, 
so  passiert  man  zunächst  eine  enge,  in  Kalk  eingeschnittene  Schlucht, 
und  erreicht  dann  unterhalb  Comedia  eine  Thalerweiterung,  deren 
Gehänge  mit  zum  Teil  riesigen  Blöcken  bestreut  sind,  die  sich  aber 
in  scharfer  Grenze  gegen  den  Kalk  der  Enge  absetzen,  ohne  auf  den- 
selben überzugreifen.  Ganz  etwas  ähnliches  sieht  man  unweit  Joncet  halb- 
wegs Prades  und  Olette  im  Tfit-Thal,  aus  welcher  Gegend  Max  Braun 
Moränen  ausdrücklich,  ebenso  wie  von  Corneilla  erwähnt  (s.  Abbild.  1). 
Der  untere  Teil  des  Gehänges  besteht  hier  aus  paläozoischen  Schiefern, 
der  obere  ist  übersäet  mit  grofsen  Blöcken,  besonders  von  Granit, 
welche  namentlich  auf  der  Terrasse  des  Tdt-Thales  häufig  sind.  Hier 
bann  man  sich  bald  vergewissern,  dafs  die  Blöcke  nicht  etwa  blofs  auf 
der  Oberfläche  älterer  Schichten  liegen,  sondern  vielmehr  aus  derselben 


d Neues  Jahrbuch  f.  Min.  und  Geolog.  rg43.  S.  go. 


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1IH 


Albrcchl  Penck: 


ausgewittert  sind.  Man  sieht  an  den  Gehängen  des  bei  Serdinya 
mündenden  Seitenthälchens  zahlreiche  grofse  Rutschungen;  dieselben 
legen  bis  zur  Thalsohle  herab  eine  südwärts  fallende,  ans  Sand,  Lehm 
und  Geröllbänken  bestehende  Ablagerung  blofe,  die  stellenweise  riesige 
Granitblöcke  birgt  und  als  wahres  Riesenkonglomerat  entgegentritt. 

Abbild,  t. 


Profil  in  einem  Seitenthal  der  Töt  bei  Joncet. 

Lehm  und  Gerolle  auf  altem  Schiefer.  Längen  i : 20  ooo,  Höhen  1 : ro  000. 

An  den  Gehängen  nun  werden  Sand  und  Lehm,  sowie  kleineres 
Geröll  weggespült,  die  grofsen  Blöcke  bleiben  liegen  und  ahmen  in 
ihrem  Auftreten  auf  der  Landoberfläche  die  echten  Gletscherblöcke 
nach.  Eben  dieselbe  Ablagerung  tritt  nun  auch  im  Thal  von  Vernet 
bei  Corneilla  auf;  sic  ist  es,  welche  auch  hier  die  zahlreichen  Blöcke 
liefert,  deren  Verbreitung  genau  mit  der  ihres  Muttergesteins  zusam- 
mcnfällt.  Auch  hier  bildet  das  Riesenkonglomerat  die  Ausfüllung  eines 
dem  heutigen  Tel -Thal  parallelen  Thals,  genau  wie  unfern  Joncet, 
und  hier  wie  da  ist  es  sichtlich  aufgerichtet  worden. 

Nicht  anders  liegen  die  Dinge  in  der  Gegend  von  Prades,  wo 
Charles  Martins  gleichfalls  erratische  Blöcke  sah.  Nördlich  dieses 
Städtchens  schaltet  sich  in  den  Winkel  zwischen  dem  Thal  der  Tet 
und  der  Castillane  ein  niedriger  Rücken  ein,  welcher  um  so  mehr  an 
einen  Moränenwall  erinnert,  als  er  über  und  Uber  mit  grofsen  Blöcken 
besäet  ist.  Eine  Wasserrinne  tind  Rutschungen  unweit  des  Dörfchens 
Catlar  aber  vergewissern,  dafs  auch  hier  das  Riesenkonglomerat  den 
Kern  des  Hügels  bildet.  Sobald  neben  demselben  am  Thalgehänge 
die  Schiefer  in  sanften  Gehängen  emporsteigen,  hört  auch  die  Block- 
bestreuung  auf  — ein  sicheres  Kennzeichen  dafür,  dafs  sie  durch 
Auswitterung  von  Blöcken  aus  dem  Riesenkonglomerat  verursacht  ist 

Alle  die  Blöcke,  welche  man  in  der  Gegend  um  Prades  für 
erratische  halten  könnte  und  gehalten  hat,  sind  entschieden  keine 
solche;  sie  sind  ebenso  aus  ihrem  Liegenden  herausgewittert,  wie  die 
Blöcke,  welche  Charles  Martins  über  seinen  falschen  Moränen 
unweit  Le  Vernet  und  Corneilla  beobachtete,  nirgends  sieht  man  in 
der  Gegend  von  Prades  echte  Moränen.  Die  prächtigen  Erdpyramiden 
von  Joncet  am  linken  Tet-Thalgehänge  sind  ferner  nicht,  wie  die  be- 


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* . , V • • „ i 


Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialpcriode.  1 1 i) 

kannten  schweizer  und  tiroler  Vorkommnisse,  aus  Moränen  heraus- 
gearbeitet, sondern  aus  leicht  verfestigtem  Gellängeschutt  heraus- 
geschnitten; wie  endlich  schon  Charles  Martins  hervorhob,  fehlen 
in  der  ganzen  Gegend  und  zwar  namentlich  in  der  Enge  des  Vernet- 
Thales  oberhalb  Villefranche  alle  Gletscherschliffe.  Man  wird  daher 
nicht  mehr  von  einer  Vergletscherung  des  unteren  Töt-Thales  vom 
Canigou  her  sprechen  dürfen,  und  die  echten  Gletscherspuren  mut- 
mafslich  erst  in  beträchtlicher  Höhe  an  den  Gehängen  jenes  Herges  zu 
suchen  haben.  Dafür  erhebt  sich  aber  eine  andere  Frage,  ob  nämlich 
nicht  vielleicht  das  Riesenkonglomerat  des  Tdt  - Thaies  eine  uralte 
Moräne  darstellt;  ist  doch  z.  B.  Garrigou')  geneigt,  von  miocänen 
Gletscherspuren  in  den  Pyrenäen  zu  sprechen,  und  verlegt  doch  gerade 
im  Roussillon  Trutat*)  eine  Vergletscherung  in  das  Pliocän,  in  die 
Piacenza-Stufe,  indem  er  Ablagerungen  des  Tech-Thales,  welche  der 
Beschreibung  nach  denen  der  Gegend  von  Prades  aufs  Haar  gleichen, 
als  Moränen  bezeichnet. 

In  der  That  teilt  das  Riesenkonglomerat  von  Prades  das  Auf- 
treten von  Kubikmeter  grofsen  Blöcken  mit  mancher  Moränenablagerung, 
und  man  wird  darin  solange  einen  Beweis  für  seine  glaciale  Ent- 
stehung erblicken,  als  man  den  Transport  grofscr  Gesteinsblöcke  aus- 
schliefslich  auf  Eiswirkungen  zurückfiihrt.  Allein  letztere  Annahme  ist 
nicht  richtig.  Auch  die  Flüsse  vermögen  riesige  Gesteinsblöcke  fort- 
zuwälzen, wovon  man  sich  an  blockreichen  Gewässern  in  den  Alpen 
und  selbst  im  Mittelgebirge,  wie  z.  B.  im  Riesengebirge,  leicht  über- 
zeugen kann,  wo  der  Zackenbach  Blöcke  von  fast  t cbm  Inhalt 
bei  Hochwasser  in  das  Warmbrunner  Becken  hinausrollt.  In  zahl- 
reichen Schuttkegeln  kann  man  weitere  Beweise  für  einen  Block- 
transport durch  rinnendes  Wasser  sammeln,  und  zwar  auch  an  Stellen, 
wo  eine  Verfrachtung  durch  Eis  ausgeschlossen  ist.  Auch  eine  weitere 
noch  bezeichnendere  Eigentümlichkeit  teilt  das  Riesenkonglomerat  von 
Prades  mit  echten  Moränen.  Während  die  grofsen  Granitblöcke  eine 
rauhe  Oberfläche  besitzen,  sofern  sie  nicht,  wie  vielfach  der  'Kall, 
mürbe  geworden  oder  gar  im  Verwitterungsprozefs  aufgelöst  sind,  zeigen 
die  hier  und  da  auftretenden  Grauwackengeschiebe  unverkennbare 
Schrammungen  und  erinnern  dadurch  an  die  Scheuersteine  von  Glet- 

1 J Traces  de  diverses  ipoques  glaciaires  dans  la  vallce  de  Tarascon,  Artige. 
Bull.  Soc.  Giol.  de  France  (z)  XXIV.  1867.  S.  577.  Risumi  giologique  accom- 
pagnant  la  carte  giologique  de  l’Ariige  etc.  Bull.  Soc.  Giol.  de  France  (3)  II. 
1871.  S.  418. 

*)  Sur  les  dipöts  glaciaires  de  la  vallie  inlcrieure  du  Tech.  Compt.  Rend. 
LXXX.  1875  !•  S.  1108.  — Les  Pyrinie*.  Paris  1894.  S.  78. 


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Albrecht  Penck: 


schern.  Dies  gilt  namentlich  von  dem  Vorkommnis  von  Cazlar  nördlich 
von  Prades.  Aber  genauere  Betrachtung  vergewissert  alsbald,  dafs  die 
Schrammung  nicht  vom  Typus  der  echten  glacialen  ist,  sondern  derart, 
wie  sie  recht  häufig  auf  Geschieben  älterer  Geröllablagerungen  vor- 
kommt, so  z.  B.  wie  die  Schrammung  auf  den  Geschieben  der  schwei- 
zerischen und  bayerischen  alpinen  Tertiärnagelfluh,  der  Nagelfluh -Bil- 
dungen von  Pitten  in  Nieder-Österreich,  des  Klagenfurter  Beckens  u.  s.  w. 
Während  die  echten  glacialen  Schrammen  sichtlich  in  festes  Gestein  scharf 
eingraviert  sind,  erscheinen  jene  anderen  breit,  wie  in  weichem  Gestein 
ausgefurcht,  und  man  mufs  sich  bei  Prades  ebenso  wie  anderwärts  hüten, 
aus  derartig  gestriemten  Geschieben  auf  glaciale  Wirkungen  zu 
schliefsen;  denn  der  Gesamthabitus  der  Ablagerung  ist  kein  glacialer. 
Dieselbe  ist  deutlich  geschichtet:  bankweise  liegen  die  grofsen  Blöcke 
zusammen,  getrennt  durch  mächtige  Lagen  feinkörnigerer  Zwischen- 
mittel. Mag  eine  Blockbank,  in  welcher  die  Schichtung  naturgemäfs 
verschwommen  ist,  manchmal  moränenähnlich  aussehen,  so  gilt  dies 
gewifs  nicht  von  den  dazwischen  geschalteten  sandigen,  selbst  lehmigen 
Partien.  Das  ganze  erinnert  weit  mehr  an  eine  mächtige  Wildbach- 
ablagerung als  an  eine  Gletscherbildung,  und  wenn  man  sich  ver- 
gegenwärtigt, dafs  das  Becken  des  Roussillon  jedenfalls  durch  einen 
Einbruch  während  der  Pliocän-Epoche  entstand,  dafs  also  damals 
ein  beträchtlicher  Steilabfall  gebildet  wurde , welcher  neben  dem 
Niederschlag  die  Hauptexistenzbedingung  der  Wildbach-Thätigkeit  ist,  so 
wird  man  in  der  aufsergewöhnlichen  Entwickelung  von  Konglomeraten 
im  Roussillon  lediglich  eine  Folge  jener  tektonischen  Ursachen  er- 
blicken, die  das  Becken  schufen. 

Meine  kärglich  zubemessene  Zeit  gestattete  mir  leider  nicht,  auch 
das  von  Trutat  beschriebene  Profil  von  Le  Boulou  im  Tech-Tha! 
zu  besuchen.  Es  sei  nur  erwähnt,  dafs  Dep6ret‘)  die  schräg  ge- 
schichteten Ablagerungen  von  Boulou,  welche  nach  Trutat  eine 
plioeäne  Moräne  sind,  als  plioeäne  Deltabildungen  des  Tech  bezeich- 
net, wobei  er  hervorhebt,  dafs  Schalen  mariner  Mollusken  noch 
den  einzelnen  Gerollen  anhaften.  Dagegen  pflichtet  Deptfret  in 
der  Deutung  der  Ablagerungen  von  Les  Trompettes  bei  Le  Boulou 
als  Moräne  Trutat  bei,  ohne  jedoch  in  derselben  gekritzte  Ge- 
schiebe finden  zu  können.  Als  erratische  deutet  er  ferner  die  Blöcke 
am  linken  Tech-Ufer  zwischen  Treserre  und  Le  Boulou,  und  im  Thal 
der  Velmanya,  120  m Uber  den  jetzigen  Alluvionen.  Wenn  man  be- 

l)  Note  sur  la  gdologie  du  bassin  du  Roussillon.  Bull  Soc.  Giolog.  de 
France  (3)  XIII.  1885.  S.  462.  — Description  geologique  du  bassin  tertiaire  du 
Roussillon.  Annales  des  Sciences  Giologiques  XVII.  1885  S.  61. 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  121 

rücksichtigt,  dafs  man  in  Le  Boulou  nur  68  m über  dem  Meer  ist,  und 
dafs  die  Gehänge  des  Tech-Thales  lediglich  im  Norden  2000  m Höhe 
überschreiten,  im  Süden  aber  unter  1500m  bleiben,  insgesamt  also 
kaum  1600m  Höhe  erreichen,  so  darf  man  wohl  annehmen,  dafs  die 
Ablagerungen  von  Boulou  unter  Verhältnissen  auftrcten,  die  eine  erneute 
Untersuchung  recht  wünschenswert  machen. 

Neben  den  pliozänen  Ablagerungen  des  Tech-Thales  sind  nament- 
lich auch  die  wahrscheinlich  gleichalterigen  Geröllmassen  der  Platte 
von  Lannemezan  als  Glacialbildungen  beschrieben  worden  , und 
Garrigou1 * *)  hat  aus  ihrem  Vorhandensein  gefolgert,  dafs  ununter- 
brochen vom  Pliocän  bis  ins  Pleistocän  Gletscher  die  Pyrenäen  deckten. 
Schon  1883  konnte  ich  mich  in  der  Gegend  von  Patt  und  Lourdes 
vergewissern,  dafs  dort  reine  fluviatile  Ablagerungen  vorlägen,  nämlich 
Lehmlager  und  Bänke  stark  verwitterten  Gerölls.  Diese  Gebilde  setzen 
sich  ununterbrochen  bis  zur  eigentlichen  Platte  von  I.annemezan 
hin  fort  und  sind  dort  in  ihrer  bezeichnenden  Wechsellagerung  in  zahl- 
reichen Eisenbahn-Einschnitten  zu  sehen.  Es  fehlt  jede  Veranlassung, 
diese  Schichten  für  glaciale  zu  halten.  Solange  nicht  zwingendere 
Gründe  vorliegen,  w'ird  man  nicht  von  einer  pliocänen  Vergletscherung 
der  Pyrenäen  sprechen  dürfen.  Doppelt  wünschenswert  erscheint 
darnach,  die  gleichfalls  von  Garrigou  angeführten  Beweisstellen 
für  eine  miocäne  Eiszeit  des  Gebirges  zu  überprüfen. 

II.  Das  mittelspanische  Miocän. 

Der  grofsen  Einförmigkeit  in  der  Gestaltung  der  kastilischen 
Hochebenen  und  des  Ebro-I.andes  entspricht  eine  ebensolche  Monotonie 
ihres  geologischen  Aufbaus.  Sie  bestehen  ausschliefslich  aus  Schichten 
des  jüngeren  Tertiärs  und  des  Diluvium.  In  den  ersteren  haben 
ältere  Autoren,  wie  Ezquerra  del  Bayo*),  de  Verneuil  und 
Collomb5),  Casiano  de  Prado4)  bereits  jene  drei  Stufen  unter- 
schieden, welche  auch  heute  noch  von  den  spanischen  Geologen  ge- 


1 J Glacicrs  et  depöts  quaternaires  des  Pyrdndes.  Compte  Rendu  Vme  scssion 
da  Congris  International  d’Anthropologie  et  d’Archeologie  prebistoriques.  Bo- 
logna 1871. 

*)  Des  formations  tcrtiaires  du  centre  de  l’Espagne.  Bull.  Soc.  gdol.  de 
France  (1)  II.  1845.  S.  63t.  Referat  nach  Anal,  de  Minas.  Esp.  III.  1845-  S.  631. 

s)  Coup  d’oeil  sur  la  Constitution  gdologique  de  quelques  provinccs  de 
l'Espagne.  Bull.  Soc.  Geolog,  de  France  (1)  X.  1853.  S.  61  (71). 

*)  Note  sur  la  gdologie  de  la  province  de  Madrid.  Bull.  Soc.  Geolog,  de 

France  (1)  X.  1853.  S.  168.  Descripciön  fisica  y geoldgica  de  la  provincia  de 
Madrid.  1864.  S.  127. 


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Albrecht  Penck: 


sondert  werden.  Unten  trifft  man  Nagelfluh-  und  Sandsteinbildungen, 
darüber  Thone  mit  Gypsen  nebst  Steinsalz,  zu  oberst  endlich  Kalke  — 
mag  man  sich  nun  mitten  in  Alt-Kastilien  um  Valladolid  oder  im 
östlichen  Neu-Kastilien  bei  Cuenca,  oder  endlich  am  Fufs  der  Pyre- 
näen in  der  Provinz  Huesca  befinden.  In  keiner  dieser  Ablagerungen 
ist  aber  bisher  je  der  Überrest  eines  Meeresbewohners  gefunden 
worden;  man  kennt  aus  den  beiden  oberen  Stufen  ausschliefslich 
Süfswasser-  und  Uandschnecken , sowie  I.andsäugeticre  und  einige 
Reste  von  Krokodilen;  die  untere  Stufe  ist  fossilfrei.  Diese  Säugetier- 
reste gleichen  im  allgemeinen  denjenigen,  welche  die  obere  Süfs- 
wasser-Molasse  des  Alpenvorlandes  geliefert  hat;  hiernach  kann  man  die 
Ablagerung  als  obermiocän  bezeichnen  und  der  Braunkohle  der 
Cerdaiia  gleichstellen.  Spanische  Geologen,  dem  Beispiel  von  Daniel 
de  Cortäzar1)  folgend,  gliederten  den  Komplex  noch  weiter  und 
betrachteten  lediglich  den  obersten  Horizont  als  miocän,  während  sie, 
veranlafst  durch  eine  gewisse  Analogie  in  der  petrographischen  Ent- 
wickelung der  Schichtfolgen  Spaniens  und  des  Pariser  Beckens,  die 
untersten  Schichten  als  eocän,  die  mittleren  als  proicän  (oligocän)  hin- 
stellten. Diese  Auflassung  ist  nicht  haltbar,  denn  sie  steht  nicht  mit 
paläontologischen  Daten  in  Einklang.  Die  unterste  Schichtgruppe  ist, 
wie  schon  erwähnt,  fossilfrei,  kann  daher  nicht  als  eocän  erwiesen 
werden,  aus  der  mittleren  wurden  zwar  Siifswasserschnecken  mit  Arten 
des  Pariser  Beckens  indentifiziert;  aber  sie  enthält  in  den  Provinzen 
Valladolid  und  Zamora  Reste  ausgezeichneter  miocäner  Säuger,  sodafs 
an  ihrem  obermiocänen  Alter  nicht  gezweifelt  werden  kann.  Wurden 
doch  bei  Valladolid  bereits  vor  längerer  Zeit  Mastodon  angustidens 
gefunden2),  dazu  gesellte  sich  später  Dinotherium  giganteum :l).  In  der 
Provinz  Zamora4)  wurde  gleichfalls  Mastodon  angustidens , aufserdem 
Acerotherium  incisivum  in  den  sogenannten  Proicänschichten  gefunden. 
Es  ist  daher  wohl  die  Identifizierung  der  Konchylien  mit  eocänen  Arten 
mit  Zweifel  aufzunehmen.  Ein  weiterer  Beweis  für  das  miocäne  Alter 
wird  endlich,  wie  Choffat6)  zeigte,  in  Portugal  angetroflen,  bis  wohin 
sich  die  spanischen  Binnenbildungen  erstrecken;  sie  treten  nämlich 

1 ) Dcscripciön  fisica,  geolögica  y agrolögica  de  la  provincia  de  Cuenca. 
Mem.  Com.  Mapa  Geolögico  de  Espaiia.  111.  1875;  de  la  provincia  de  Valladolid: 
Ebenda  V 1877. 

de  Cortlzar,  Dcscripciön  de  la  provincia  de  Valladolid.  S.  116. 

3)  Vilanova,  Comple  Rendu  Soc.  Hclvet.  Sc.  Natur.  1887.  S.  »t.  Arch.  des 
Sc.  phys.  et  nat.  Gcnive.  1887. 

4)  Puig  y Larraz,  Dcscripciön  fisica  y geolögica  de  la  provincia  de 
Zamora»  Mem.  Com.  Mapa  Geolögico  de  Espaiia.  XI.  1 883. 

•’ ) Annuairc  Göologique  Universcl.  III.  S.  574. 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  ] 23 

unfern  Lissabon  mit  mioeänen  marinen  Schichten  in  Wechsellagerung, 
welch  letztere  der  marinen  Molassc  des  Alpenvorlandes,  den  helvetischen 
Schichten  entsprechen.  Darnach  läfst  sich  sagen,  dafs  die  spanischen 
Tertiärbildungen  höchstens  bis  ins  Helvetian  zurückreichen  , während 
die  bekannte  reiche  Hipparion-Fauna  von  Concud  in  der  Provinz 
Teruel1 *)  die  jüngsten  Glieder  in  das  älteste  Pliocän  verweist.  Es  ent- 
stammen also  die  spanischen  Tertiärbildungen  dem  Zeitraum,  in  wel- 
chem sämtliche  Tertiärschichten  des  Wiener  Beckens  zur  Ablagerung 
kamen,  und  sie  werden  dementsprechend  auch  auf  der  kürzlich  er- 
schienenen geologischen  Karte  von  Spanien  durchweg  als  mioeän5) 
bezeichnet. 

Alle  die  in  Rede  stehenden  Bildungen  sind  von  vornherein  als 
lakustre  bezeichnet  worden,  und  man  hat  aus  ihrem  Auftreten  auf  drei 
riesige  und  mehrere  kleinere  Süfswasserseen  geschlossen,  welche  bei- 
nahe zwei  Fünftel  von  ganz  Spanien  deckten,  und  weil  bei  dem  herr- 
schenden Verhältnis  zwischen  Niederschlag  und  Verdunstung  sich 
so  grofse  Süfswasserseen  auf  der  Halbinsel  nicht  halten  können,  wenn 
sie  nicht  sehr  bedeutende  Zuflüsse  haben,  so  hat  man  auf  ein  riesiges 
Einzugsgebiet  derselben  geschlossen,  das  man  in  der  Atlantis  sowie 
einem  versunkenen  Land  zwischen  Spanien  und  Irland  suchte3 4). 
Grofsartige  Umwälzungen  der  Erdkruste  sollten  darauf  die  gegen- 
wärtige Umgrenzung  der  Halbinsel  schaffen  und  die  Seen  öffnen. 

Gegen  diese  besonders  auch  noch  von  Daniel  de  Cortäzar1) 
geteilte  Ansicht  drängen  sich  einige  Bedenken  auf.  Den  mittel- 
spanischen Tertiärbildungen  entsprechen  gleichalterige  marine 
Ablagerungen  an  den  Küsten.  Bereits  ist  des  Vorkommens  derselben 
unweit  Lissabon  gedacht,  weiter  mufs  auf  die  marinen  Miocänbildungen 
im  Becken  des  Guadalquivir,  auf  die  von  Katalonien,  besonders  in  den 
Küstengebirgen  von  Tarragona  und  Barcelona  verwiesen  werden.  Diese 
Ablagerungen  ermöglichen  die  Umrisse  der  Halbinsel  während  der 
Miocänepoche  auf  drei  Seiten  zu  ziehen,  im  Osten  und  Westen  hatte 
sie  etwa  ihre  heutigen  Grenzen,  im  Süden  reichte  sie  weniger  weit, 
Mittelmeer  und  Atlantik  hingen  nördlich  der  bätischen  Cordillera  zu- 
sammen. Nur  im  Norden  fehlen  am  Rand  der  Pyrenäen-Halbinsel 
marine  Miocänablagerungen.  Gleichwohl  darf  man  sich  hier  das  Land 
nicht  weit  ausgedehnt  denken;  denn  die  in  der  Gegend  von  Bordeaux 

1 ) Vgl.  de  Cortäzar,  Bosquejo  fisico,  geolögico  y mioero  de  la  provincia 
de  Teruel.  Bol.  Com.  Mapa  Geolög.  Espana.  XII.  1885.  S.ZÖ3. 

*)  Mapa  Geologien  de  Espana  1:400000.  Madrid  1893.  Bl-  <9-  1 0 • 

3)  Verneuil  et  Collomb  a.  a.  O.  S.  77.  — Fcrd.  Körner,  Geologische 
Reisenotizen  aus  Spanien.  Neues  Jahrb.  f.  Min.  und  Geol.  1 804.  S.  769  (77z). 

4)  Descripciön  Valladolid  S.  101. 


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reichlich  entwickelten  marinen  Miocänbildungen  weisen  darauf  hin, 
dafs  der  Gascogner  Golf  damals  schon,  wenn  auch  nicht  genau  in 
seinen  heutigen  Umrissen,  bestand.  Die  mittelspanischen  Ter- 
tiär-Ablagerungen müssen  bei  einer  der  heutigen  sehr  ähn- 
lichen geographischen  Konfiguration  entstanden  sein. 

Aber  auch  gegen  Annahme  ihrer  einheitlichen  Entstehung  in 
Binnenseen  machen  sich  verschiedene  Gründe  geltend.  Nagelfluh- 
Bildungen,  wie  sie  mit  fast  horizontaler  Schichtung  an  der  Basis  des 
mittelspanischen  Miocäns  auftreten,  darf  man  nicht  ohne  weiteres  als 
lakuster  bezeichnen;  denn  die  Ablagerung  von  Gerollen  in  Seen  be- 
schränkt sich  lediglich  auf  deren  Ufer.  Hier  trifft  man  im  Bereich 
der  Brandung  Kiese,  welche  von  den  Wellen  auf  flach  geböschter 
Unterlage  hin  und  her  gerollt  werden,  und  eine  im  allgemeinen  schmale 
Uferzone  bilden.  Schotter  begegnet  man  ferner  an  Flufsmündungen, 
wo  sie  in  die  Seen  hinausgeschüttet  werden,  und  zwar  mit  der 
charakteristischen  schrägen  Delta-Schichtung.  Eine  solche  mufs  in  allen 
mächtigen  lakustren  Schotterbildungen  erwartet  werden,  sie  ist  aber, 
soweit  Beobachtungen  vorliegen,  noch  nirgends  in  der  Nagelfluh  an 
der  Basis  des  mittelspanischen  Miocän  wahrgenommen  worden.  Man 
wird  daher  notwendiger  Weise  für  jene  einen  anderen  als  lakustren 
Ursprung  anzunehmen  haben,  und  mufs  sie,  wie  alle  mächtigen,  nahezu 
horizontal  geschichteten  Kiese  als  Ablagerungen  bewegten  Wassers 
auffassen;  denn  nur  solches  vermag  Gerolle  auf  nahezu  ebener  Fläche 
fortzuschaffen.  Da  sich  nun  die  Thätigkeit  der  Brandung  nur  auf  einen 
schmalen  Ufersaum  und  geringe  Tiefen  beschränkt,  also  nicht  aus- 
gedehnte und  mächtige  Schottermassen  anzuhäufen  vermag,  so  wird 
man  wohl  auch  die  mittelspanische  Tertiär-Nagelfluh  in  ähnlicher  Weise 
als  Flufsanschwemmungen  zu  betrachten  haben,  wie  die  ähnlich  be- 
schaffenen Nagelfluh-Ablagerungen  der  subalpinen  Molasse.  Es  besteht 
überhaupt  zwischen  der  unteren  Abteilung  des  mittelspanischen  Tertiärs 
und  der  gesamten  Siifswasser-Molasse  des  nördlichen  Alpen-Vorlandes 
eine  unverkennbare  Ähnlichkeit.  In  jener  vergesellschaften  sich  weiche, 
mürbe  Sandsteine  mit  Nagelfluh,  in  Spanien  verknüpfen  sich  Nagel- 
fluh-Bildungen (Gonfolitas)  mit  thonigen,  kalkhaltigen  Sandsteinen 
(Macinos),  und  wie  man  sich  mehr  und  mehr  mit  der  Vorstellung  be- 
freundet, dafs  nicht  blofs  die  Nagelfluh,  sondern  auch  die  Sandsteine 
der  Siifswasser-Molasse  als  Flufsablagerungen  zu  betrachten  sind,  so 
wird  man  wohl  auch  in  den  unteren  Schichten  des  mittelspanischen 
Tertiärs  am  ehesten  fluviatile  Bildungen  zu  erkennen  haben. 

Die  mittlere  Abteilung  des  centralspanischen  Miocäns  hat  von 
jeher  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt  und  der  Annahme  einer 
reinen  Süfswasser-Formation  manche  Schwierigkeiten  bereitet;  denn  sic 


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Klima  Spaniens  während  der  Terliärperiode  und  der  Diluvialperiode.  125 

enthält  nicht  blofs  in  allgemeiner  Verbreitung  Gipse,  sondern  auch, 
wie  schon  seit  langem  bekannt,  Steinsalz,  und  zahlreiche  Salzquellen 
steigen  aus  ihr  auf.  Bei  Remolinos  oberhalb  Zaragoza  im  Ebro-Lande 
sind  z.  B.  den  dortigen  Gipsen  zahlreiche  0,1 — 0,5  m mächtige  Stein- 
salzschichten eingeschaltet,  welche  insgesamt  ein  5 — 6 m mächtiges, 
fleifsig  abgebautes  I.ager  bilden1 * *).  Unweit  davon  befindet  sich  im 
gleichen  geologischen  Horizont  das  Steinsalzlager  von  Valtierra,  eben- 
falls am  linken  Ebro -Ufer  und  zwar  in  Navarra  gelegen.  Auch  das 
Steinsalz  von  Villarrubia  in  der  Provinz  Toledo  gehört  in  die  mittlere 
Miocänstufe1),  und  der  Salzgehalt  der  Salzseen  bei  Medina  del  Campo 
in  der  Provinz  Valladolid  wird  von  D.  de  Cortäzar5)  auf  Soolquellen, 
die  dem  Tertiär  entsteigen,  zurückgeführt.  Zwar  gröfstenteils  zur  Trias 
gehörig,  rührt  doch  ein  guter  Teil  des  Salzreichtums  von  Spanien 
aus  dem  centralen  Miocän  her4).  Freilich  fördern  die  aus  letzterem 
kommenden  Soolquellen  selten  reines  Kochsalz,  sondern  meist  auch 
schwefelsaures  Natrium,  wie  denn  überhaupt  auch  die  verschiedensten 
Bitterwässer  der  mittleren  Abteilung  des  mittelspanischen  Miocäns 
entsteigen,  welches  dabei  aber  gleich  der  oberen  Abteilung  Reste 
von  Süfswasser-  und  Landschnecken  führt.  Bereits  1864  bildete  Casiano 
de  Prado5)  Lymneen  aus  dem  Gips  von  Colmenar  de  Oreja,  sowie 
den  Abdruck  einer  Paludina  in  Gips  ab;  Daniel  de  Cortäzar®)  er- 
wähnt aus  den  gipsführenden  Schichten  der  Provinz  Valladolid  Slifs- 
wasserschnecken,  die  er  aus  den  bereits  dargelegten  Gründen  mit 
Lymnea  longiscata  Brong.,  Planorbis  levigatus  Desh.,  mit  Planorbis  rotun- 
Ja/us  Brong.,  Bithynia  pusilla  Brong.,  also  Arten  aus  dem  Eocän 
identifizierte. 

Der  Ursprung  dieser  Gips-  und  Steinsalzlager  in  Bildungen,  die 
nach  den  in  ihnen  auftretenden  Versteinerungen  Süfswassersedimente 
sind,  hat  begreiflicherweise  spanische  Geologen  seit  langem  beschäftigt. 
Wie  man  überhaupt  eine  Analogie  zwischen  der  Schichtfolge  des 
Pariser  Beckens  und  des  mittleren  Spanien  mutmafste,  so  hat  man  die 

1 ) Alph.  Briart,  Etüde  sur  les  depöts  gypseux  et  gypso-saliföriens.  Annal. 
Soc.  Geolog.  de  Belgique.  XIII.  1888.89.  S.  62  (94).  — Weiteres  bei  Donayre, 
ßosquejo  de  una  descripciön  lisica  y geolögica  de  la  provincia  de  Zaragoza. 
Mem.  Com.  del  Mapa  Geolog,  de  Espana.  I.  1875  > welches  Werk  mir  nicht  zu- 
gänglich ist 

*)  Casiano  de  Prado.  Descripciön  de  Madrid.  S.  146. 

s)  Descr.  de  Valladolid,  p.  128. 

*)  Vergl.  auch  S.  Calderon.  La  sal  comun  y su  papel  en  el  organismo  del 
globo.  An.  Soc.  esp.  hist.  nat.  XVII.  S.  367. 

5)  Descr.  de  Madrid.  S.  150. 

®)  Descr.  de  Valladolid.  S.  129. 

Zeitschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  9 


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Albrecht  Penck: 


verschiedenen  Hypothesen,  welche  Uber  die  Bildung  des  Pariser  Gipses 
aufgestellt  worden  sind,  auch  für  die  des  spanischen  anzuwenden  ge- 
sucht, und  Daniel  de  Cortäzar1)  steht  ganz  auf  dem  Boden  von 
Delesse,  wenn  er  die  Gipslager  der  Provinz  Valladolid  als  Quell- 
absätze deutet.  Betreffs  der  Steinsalzlager  aber  meint  Casiano  de 
Prado*),  dafs  sic  in  Salzseen  entstanden,  die  mit  dem  Meere  in  Ver- 
bindung standen,  so  etwa,  wie  das  Salz  in  der  Lagune  von  Torrevieja 
südlich  von  Alicante.  Diese  Ansicht  ist  jüngst  von  Briart  aufgegriffen 
und  erweitert  worden.  Derselbe  erklärt  allen  Gips  und  alles  Steinsalz 
des  Miocäns  im  Ebro-I.and  kurzweg  als  marin,  hält  die  vorkommenden 
Silfswasser -Versteinerungen  für  eingeschwemmt  und  führt  den  Mangel 
an  marinen  Versteinerungen  darauf  zurück,  dafs  der  angereicherte  Salz- 
und  Gipsgehalt  der  Lagunen  das  organische  Leben  in  ihnen  unmöglich 
machte5). 

Diese  Annahme  Briart’s  ist  wohl  kaum  aufrecht  zu  erhalten;  sie 
verlangt  eine  Lagune,  die  sich  mindestens  200  km  weit  ins  Ebro-Land 
erstreckt  haben,  also  weit  gröfser  gewesen  sein  mufs,  als  irgend  eine 
Lagune  der  Gegenwart,  und  eine  so  riesige  Wasserfläche  müfste  doch 
wenigstens  anfänglich  Meerestiere  beherbergt  haben,  so  wie  dies  bei 
dem  Mar  ntenor  unweit  Carthagena  der  Fall  ist').  Wollte  man  nun  aber 
gar  Briart's  Hypothese  auf  die  übrigen  Salz-  und  Gipslagerstätten 
des  mittelspanischen  Tertiärs  ausdehnen,  so  müfste  man  eine  riesige, 
Uber  fast  ganz  Spanien  sich  ausdehnende  Lagune  annehmen,  für  deren 
Existenz  keinerlei  andere  Beweise  beizubringen  sind,  als  eben  die 
Salzlager;  man  würde  zur  Annahme  einer  Meeresbedeckung  während 
des  Miocäns  auch  im  Innern  der  Halbinsel  greifen  müssen,  während 
doch  die  Schichtfolge  durch  ihre  Fossilien  offenbart,'  dafs  der  Kern 
des  Landes  seit  Schlufs  der  mesozoischen  Ara  nie  vom  Meer  bedeckt 
gewesen  ist.  An  letzteres,  seit  langem  feststehende  Ergebnis  hat 
jedenfalls  die  genetische  Betrachtung  der  mittelspanischen  mioeänen 
Gips-  und  Salzlagerstätten  anzuknüpfen,  und  es  ist  von  vornherein  zu 
betonen,  dafs  letztere  nicht  marinen  Ursprungs  sein  können. 

Eine  solche  Annahme  mag  auf  den  ersten  Blick  befremdlich  er- 
scheinen, wo  doch  das  Meer  eine  verdünnte  Gips-  und  Kochsalzlösung 
darstellt  und  nur  zu  verdunsten  braucht , um  Steinsalz-  und  Gipslager 
zu  bilden.  Allein  die  Bildung  von  solchen  knüpft  sich  gegenwärtig 


•)  Ebenda.  S.  110. 

*)  Descr.  de  Madrid.  S.  14 1. 

5)  a.  a.  O.  S.  107. 

J.  Rein,  Geographische  und  naturwissenschaftliche  Abhandlungen  I.  1892 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvial periode.  127 


nur  in  seltenen  Fällen  an  das  Meer,  dort  nämlich,  wo  Meeresteile  ge- 
gliedert oder  abgeschnürt  werden,  was  sich  recht  selten,  und  gegen- 
wärtig nur  mit  kleinen  Flächen  ereignet.  Der  Hauptschauplatz  der 
Gips-  und  Steinsalzbildungen  liegt  jetzt  in  den  kontinentalen  Binnen- 
gebieten im  Bereich  des  salzhaltigen  Bodens1).  Die  Wiistenländer  der 
Erde  auszeichnend,  umgürtet  letzterer  den  Kaspi-See,  ist  häufig  in 
Turkestan  und  im  südlichen  West-Sibirien,  im  Tarim-Becken,  in  Tibet, 
in  Persien  und  Kleinasien,  als  Sebcha  kehrt  er  an  vielen  Stellen  der 
Sahara  wieder.  Er  zeichnet  die  Playa  des  grofsen  Beckens  zwischen 
dem  Felsengebirge  und  der  Sierra  Nevada  aus,  findet  sich  beiderseits 
des  Wendekreises  des  Steinbocks  an  der  Westküste  Süd- Amerikas  und 
etwas  weiter  südlich  an  der  Ostabdachung  der  argentinischen  Cordillera 
wieder,  ist  endlich  in  den  zahllosen  Saltpans  von  Süd-Afrika  vorhanden. 
Wo  solcher  Salzboden  herrscht,  giebt  es  Salzseen  mit  stark  wechseln- 
dem Spiegel,  in  welchen  Gips  und  Salz  zusammengeschwemmt  und 
in  der  Trockenzeit  ausgeschieden  werden,  so  dafs  Gips-  und  Salzlager 
entstehen. 

Der  salzhaltige  Boden  der  heutigen  Kontinentalgebiete  mit  seinen 
lokalen  Steinsalz-  und  Gips-Ansammlungen  bildet  ein  recentes  Seiten- 
stück zur  mittleren  Abteilung  des  centralspanischen  Miocäns,  und  den 
Bildungsprozcfs  des  letzteren  kann  man  sich  am  klarsten  durch  einen 
Vergleich  mit  den  Schichten  veranschaulichen,  deren  Ablagerung  heute, 
sechs  Grad  weiter  südlich,  in  der  etwas  mehr  kontinental  gelegenen 
algerischen  Schott-Region  fortdauert.  Hier  finden  sich  in  den  Sebchen 
Lehmmassen,  imprägniert  mit  Gips  in  Staubform,  und  wechselnd  mit 
ganzen  Schichten  körnigen  Gipses;  in  diesen  Gebilden  finden  sich, 
ganz  ebenso  wie  in  Spanien,  Land-  und  Siifswasserschnecken  s).  Gleich- 
zeitig aber  lagern  die  Flüsse  grobkörnige  Schotter  ab,  und  wie  die 
zahlreichen  von  Rolland5)  mitgeteilten  Bohrregister  erkennen  lassen, 
ist  eine  unten  grobkörnige,  oben  gipsführende  Ablagerung  entstanden. 
Entsprechendes  scheint  sich  auch  in  Spanien  ereignet  zu  haben, 
wenigstens  hebt  Daniel  de  Cortäzar  hervor,  dafs  dort,  wo  die  Ab- 
teilung der  Nagelfluh  und  der  Macinos  besonders  stark  entwickelt  sind, 
die  Gipse  verschwinden 4).  Nach  alledem  mufs  man  die  mittlere 
Abteilung  des  centralspanischen  Miocäns  als  eine  Art  Sebcha-Bildung 


•)  Vgl.  Rohrbach’s  Karte  von  Grund  und  Boden  in  Bergbaus’  Phys.  Atlas, 
Tafel  4. 

*)  Blanckenh orn,  Die  gcognostischen  Verhältnisse  von  Afrika  I.  Erg. 
Heft  90.  Peterm.  Milt.  S.  49. 

5)  Geologie  du  Sahara  Algerien.  Paris  1890.  S 110. 

*)  Descripcion  de  Valladolid.  S.  100. 

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Albrecht  Penck: 


ansehen,  entstanden  in  flachen,  kontinentalen  Binnengebieten,  in  welche 
die  von  der  Umgebung  kommenden  Flüsse  Gerolle,  Sand  und  Lehm 
hineinschütteten,  und  welche  zeitweilig  durch  Überschwemmungen  in 
mehr  oder  weniger  salzige  Wasserlachen  verwandelt  wurden.  Diese 
Erklärung  macht  auch  das  Vorkommen  von  Resten  grolser  Säugetiere 
in  der  Mitte  der  Tertiärbecken,  z.  B.  bei  Valladolid,  begreiflich,  welches, 
wie  bereits  bei  Betrachtung  der  Cerdaiia  gezeigt,  mit  der  Annahme 
grofser  Seen  nicht  im  Einklang  steht.  Da  jene  Becken  nie  in  ihrer 
ganzen  Ausdehnung  unter  Wasser  standen,  so  konnten  sie  zeitweilig 
von  Tieren  durchwandert  werden,  deren  Reste  also  auch  mitten  im 
Becken  zu  erwarten  sind. 

In  der  oberen  Abteilung  des  mittelspanischen  Miocäns  sind  die 
Kalklager  die  eigentlichen  Fundstätten  der  Süfswasser-Fossilien  und 
namentlich  aus  ihnen  ist  auf  den  lakustren  Ursprung  der  gesamten 
Schichtfolge  geschlossen  worden.  Allein  man  darf  aus  ihrem  Auftreten 
keineswegs  auf  grofse  zusammenhängende  Seen  in  Alt-  und  Neu- 
Kastilien  sowie  im  Ebro-Lande  folgern,  da  sie  immer  nur  lokal  und  in 
geringer  Mächtigkeit  entwickelt  sind,  ln  der  Provinz  Valladolid  sind 
sie  durchschnittlich  nur  6 — 7 m,  höchstens  15  m mächtig,  in  der  Pro- 
vinz Madrid  schwellen  sie  auf  6 — 12  m an,  in  Guadalajara  an  einer 
Stelle  auf  35  m;  häufig  fehlen  sie,  wie  z.  B.  um  Madrid,  im  Ebro-Lande 
sind  sie  gegen  die  Mitte  hin  stärker  als  am  Rande  entwickelt1).  Vor 
allem  weist  aber  ihre  Fauna  auf  geringe  Wassertiefe  und  Ufernähe. 
Sie  bergen  nämlich  ausschliefslich  Sumpfschnecken  der  Genera 
Lymnaca,  Paludina,  Plarnorbis , Bithynia,  zu  welchen  sich  nirgends 
fehlende  Helix-Arten  gesellen,  die  auf  die  Nachbarschaft  des  Landes 
weisen;  Reste  von  Zweischalern  fehlen.  Die  ganze  Gesellschaft  ge- 
mahnt eher  an  die  Fauna  eines  quellreichen  Sumpfes,  als  die  eines 
tiefen,  offenen  Sees;  sie  erinnert  lebhaft  an  die  des  süddeutschen  Alm, 
welcher  z.  B.  in  der  Gegend  von  München  ein  viele  Quadratkilometer 
messendes  Lager  bildet,  das  subaeril  entstanden  ist. 

Die  Beweise  für  einen  lakustren  Ursprung  des  innerspanischen 
Miocäns  treffen  also  höchstens  für  die  dasselbe  abschliefsenden 
Kalkdecken  zu,  welche  als  Ausscheidungen  flacher  Lachen  gelten 
können,  während  die  beiden  unteren  Abteilungen  desselben  deut- 
liche Kennzeichen  einer  fluviatilen  Bildungsweise  oder  einer  Entstehung 
in  Salzsümpfen  tragen.  Den  ganzen  Komplex  darf  man  daher  nicht 
als  eine  lakustre  Formation  bezeichnen,  sondern  mufs  ihn  jenen 
Bildungen  zuzählen,  die  auf  dem  festen  Lande,  gröfstenteils  unter  Mit- 


1 ) L.  Mallada,  Descripciön  fisica  y geolbgica  de  la  provincia  de  Huesca. 
Mem.  Com.  Mapa  Geologico  de  Espana.  VI.  1878-  S.  340. 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  1 29 

Wirkung  der  Flüsse,  örtlich  in  Seen  zur  Ablagerung  kamen  und  sich 
dadurch  auszeichnen,  dafs  ihre  Schichtflächen  in  der  Regel  mit  früheren 
Landoberflächen  zusammenfallen.  Solche  Gebilde  wurden  Konti  - 
nental-Formation  genannt1 2).  Diese  Kontinentalbildungen  sind  durch 
das  Vorwalten  mehr  oder  weniger  grober  mechanischer  Sedimente 
ausgezeichnet,  und  wenn  man  die  Landoberfläche  gern  als  eine  Ruine 
hinstellt,  kann  man  sie  als  den  Schutt  bezeichnen,  der  unmittelbar  an 
den  Seiten  der  Ruine  liegen  blieb.  Unter  ihnejt  spielen  die  alten 
Flufsanschwemmungen,  die  Ebenen-Bildungen,  eine  grofse  Rolle.  Die- 
selben werden  durch  häufige  Diskordanzen  charakterisiert;  denn  An- 
häufung und  Zerstörung  durch  Flüsse  finden  auf  der  Landoberfläche 
dicht  nebeneinander  statt,  häufig  reifst  ein  Flufs  in  die  eben  von  ihm 
aufgeschütteten  Ufer  ein  und  lagert  unweit  davon  gleichzeitig  Gerolle 
oder  Sand  ab.  Derartige  Diskordanzen  kommen  auch  im  mittel- 
spanischen Miocän  vor.  Casiano  de  Prado*)  hat  deren  mehrere 
aus  der  Provinz  Madrid  abgebildet.  Endlich  zeichnen  sich  die 
fluviatilen  Kontinental-Formationen  häufig  durch  das  Auftreten  von 
Kohlenschmitzen,  die  nur  gelegentlich  zu  ausgedehnten  Flötzen  an- 
schwellen, aus,  und  deren  Entstehung  darin  begründet  ist,  dafs  ge- 
legentlich reich  bewachsene  Gebiete  überschüttet  werden.  Auch  der- 
artige Lignit-Schmitzen  fehlen  dem  mittelspanischen  Miocän  nicht. 
Casiano  de  Prado3 *)  berichtet  von  solchen  aus  der  Gegend  von 
Valdelaguna  unweit  Aranjuez,  weitere  Vorkommnisse  finden  sich  in  der 
Provinz  Guadalajara  bei  Brihucga1).  Mit  einer  der  bedeutendsten  der 
jüngeren  echten  Kontinental-Formationen  hat  in  der  That  auch  das  mittel- 
spanische Miocän  die  auffälligste  Ähnlichkeit,  nämlich  mit  den  pliocänen 
Gebilden  des  Beckens  vom  Schott  Melrir.  Dort  hat  man  ein  Itrrain  de 
transport  fluviatilen  Ursprungs  mit  eingelagerten,  wenig  mächtigen  laku- 
stren  Bildungen,  welches  sich  Uber  weite  Flächen  in  grofser  Mächtigkeit 
verbreitet  und  allenthalben  Süfswasser-  und  Landschnecken  führt5). 

Die  Entwicklungsgeschichte  Central-Spaniens  während  der  Miocän- 


1 ' So  zunächst  von  italienischen  Geologen.  Vgl.  z.  B.  Taramelli.  Gcologia  - 
delle  Provincie  Vcnetc.  Mem.  R.  Acc.  d.  Lincei.  Roma.  CI.  d.  Sc.  Fis.  mat.  e 
nat.  XIIX.  1881.  (S.  167).  Siehe  ferner  A.  Pavlov,  Types  gindliques  des  for- 

mations  continentales  de  l'dpoque  glaciaire  et  postglaciaire.  Isw.  Geolog.  Comite. 
St  Petersburg.  VII.  1888-  Nr.  7.  Rolland,  a.  a.  O.  S.  161.  A.Penck,  Die  For- 
men der  Landoberfläche.  Verhdlgn.  d.  IX.  Deutschen  Geographentages.  r89i. 
S.  18  (36).  — Morphologie  d.  Erdoberfläche.  1894.  Bd.  II  S.  36. 

2 j Descripciön  de  Madrid.  S.  138.  s)  Ebenda.  S.  139. 

*)  Castel,  Provincia  de  Guadalajara.  Bol.  Map.  Geolög.  VIII,  i88r,  S.  157, 

(136,  159). 

5)  Rolland,  a.  a.  O.  S.  166. 


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Albrccht  Pcnck: 


epoche  ist  nach  dem  Vorangehenden  die  folgende:  Nachdem  das  Land 
seit  der  jüngeren  Kreide-Epoche  vom  Meer  verlassen  worden  war, 
wurde  es  zunächst  während  der  älteren  Tertiärzeit  ununterbrochen  von 
den  Flüssen  abgetragen,  ohne  dafs  es  zu  ausgedehnten  Ablagerungen 
auf  dem  festen  Land  kam,  so  wie  dies  heute  für  den  gröfsten 
Teil  Mittel-Europas  gilt.  In  der  Miocän-Epoche  jedoch  begann  die 
Aufschüttung  von  Geröll-  und  lehmigen  Sandmassen,  so  wie  sie  gegen- 
wärtig namentlich  in.  den  wasserarmen  Gebieten  des  Festlandes  erfolgt. 
Bald  darauf  fanden  die  Flüsse  keinen  Ausweg  mehr  aus  dem  Land, 
sie  versiegten  infolge  überwiegender  Verdunstung,  am  Ende  ihres 
Laufes  blieben  die  in  ihnen  gelöst  gewesenen  Salze  zurück,  es  bildeten 
sich  Gips-  und  Salzkrusten,  deren  Material  örtlich  zusammengeschwemmt 
wurde.  Hierauf  erfüllten  sich  die  in  einzelne  flache  Wannen  zergliederten 
Binnengebiete  mit  süfsem  Wasser,  es  entstanden  in  ihnen  Seen,  in 
welchen  sich  Kalk  absetzte,  schliefslich  flössen  die  Seen  über,  ihre 
Abflüsse  schnitten  tiefe  Thäler  ein,  und  zapften  sie  durch  dieselben  an, 
sodafs  sie  sich  entleerten.  Die  Entwicklungsgeschichte  Mittel-Spaniens 
erscheint  hiernach  durch  das  Auftreten  und  Verschwinden  einer  Trocken- 
periode während  der  Miocänzeit  charakterisiert. 

Die  Ursache  dieser  Trockenperiode  kann  nicht  in  einer  konti- 
nentalen Lage  des  Landes  gesucht  werden,  da  es,  wie  gezeigt, 
während  der  Miocän-Epoche  vom  Meer  in  ähnlicher  Weise  wie  heute 
umspült  war.  Aber  die  Nachbarschaft  des  Meeres  hat  nicht  unbedingt 
Regenreichtum  zur  Folge,  man  erinnere  sich  nur  an  die  Westküsten 
der  Festländer  in  der  Nähe  der  Wendekreise;  die  klimatischen  Zustände, 
welche  die  Flntwickelung  der  I’yrenäen-Halbinsel  während  der  Miocän- 
Epoche  auszeichncten,  treten  auch  gegenwärtig  noch  am  Atlantik, 
im  südlichen  Marokko  in  der  Region  des  Ued  Draa  entgegen. 

Eine  Verschiebung  der  klimatischen  Zustände  um  12 0 nordwärts 
würde  auch  heute  in  Spanien  die  Ablagerung  von  Kontinentalgebilden 
in  Binnengebieten  zur  F'olge  haben,  also  die  Zustände  herbeiführen, 
die  während  der  Miocän-Epoche  geherrscht  haben.  Die  Annahme  einer 
derartigen  Verschiebung  klimatischer  Zonen  hat  für  die  Miocän-Epoche 
nichts  befremdliches,  ist  doch  längst  bekannt,  dafs  ihre  Ablagerungen 
in  Mittel-Europa  die  Flora  südlicher  Breiten  beherbergen  Die  Oeninger 
Flora  weist  nach  O.  Heer  auf  eine  mittlere  Jahrestemperatur  von  i8°C. 
Man  mufs  von  dort  wiederum  12°  weiter  südwärts  gehen,  um  gegen- 
wärtig eine  solche  Temperatur  zu  treffen.  Der  Parallelismus  der  an 
zwei  so  weit  von  einander  entfernten  Orten  für  das  Klima  der  Miocän- 
epoche  gewonnenen  Ergebnisse  ist  völlig;  während  man  aber  aus  der 
Flora  des  mitteleuropäischen  Miocän  lediglich  auf  höhere  Temperatur 
schlofs,  mufs  man  aus  der  Entwickelung  der  gleichalterigen  Ablagerungen 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  131 

in  Spanien  auf  die  in  niedrigeren  Breiten  herrschende  Trockenheit  des 
Klimas  schliefsen.  Nicht  blofs  die  Isothermen  lagen  in  der  Miocän- 
epoche  in  Europa  nördlicher,  sondern  auch  das  gesamte  Windsystem, 
welches  die  Trockenheit  an  den  Westküsten  unter  den  Wendekreisen 
verursachte,  war  um  einen  entsprechenden  Betrag  polwärts  verschoben. 
Die  Passate,  welche  heute  etwa  bei  den  Canarien  ihre  Nordgrenze 
erreichen,  müssen  damals  in  der  Breite  des  Golfes  von  Biscaya  ge- 
wurzelt  haben. 


III.  Das  Diluvium  in  Spanien. 

Neben  den  jungtertiären  Schichten  spielen  die  diluvialen  im 
Aufbau  Central-Spaniens  eine  grofse  Rolle.  Während  sie  sich  im 
Ebro-Lande  nur  auf  Terrassen  längs  der  grofsen  Pyrenäen-Flüsse  be- 
schränken, bilden  sie  in  Alt-  und  Neu -Kastilien  ausgedehnte  Decken, 
welche  sich  vom  Rufe  einzelner  Gebirge  nach  der  Mitte  der  grofsen 
Becken  ziemlich  rasch  senken.  So  sind  sie  südlich  vom  kantabrischen 
Gebirge  entwickelt,  so  begleiten  sie  beide  Abfälle  des  kastilianischen 
Scheidegebirges,  und  zwar  der  Sierren  von  Guadarrama  und  Gredos. 

Die  Zusammensetzung  der  schrägen  Diluvialebene  südlich  der 
Sierra  von  Guadarrama  ist  in  der  Umgebung  von  Madrid  bereits  seit 
langem  untersucht  worden.  Bei  San  Isidro,  am  rechten  Ufer  des 
Manzanares,  also  gegenüber  der  Stadt,  werden  die  obersten  2 — 3 m 
mächtigen  Partien  des  Diluvium  als  gelber,  grusführender  Ziegellehm 
ausgebeutet.  Darunter  folgen  Sand  und  feiner  Granitgrus,  hier  und 
da  mit  Einlagerungen  eines  zähen  grünen  Thones;  zuunterst  endlich 
stellt  sich  gröberes  Gerölle  ein.  Fossilfunde  charakterisieren  die  Folge 
als  quartär.  Man  kennt  solche  von  Bos,  Equus,  Cervus  elaphus,  Rhi- 
noceros  und  Eltphas ; de  Verneuil  und  Lartet  ferner  erkannten 
in  den  gelegentlich  vorkommenden  Feuersteinen  paläolithische  Werk- 
zeuge1), und  Casiano  de  Prado*)  hat  später  eine  Anzahl  von  solchen 
abgebildet. 

Weitere  Aufschlüsse  in  der  erwähnten  schiefen  Diluvialebene  liefert 
die  spanische  Nordbahn  nördlich  von  Madrid.  Zunächst  sieht  man  in 
den  Eisenbahneinschnitten  denselben  gelben  Lehm,  wie  bei  San 
Isidro,  dann  aber  trifft  man  auf  Geröll,  welches  gröber  und  gröber 
wird,  bis  man  unweit  der  Station  Torre  Lodones  eine  wahre  Block- 


>)  De  Verneuil  et  L.  Lartet,  Note  sur  un  silex  taillö  trouv£  dans  le 
diluvium  des  environs  de  Madrid.  Bull.  Soc.  G£ol.  de  France  (a)  XX.  1862. 
S.  698.  — De  Verneuil,  Sur  le  diluvium  des  environs  de  Madrid.  Ebenda  (2) 
XXIV.  S.  499. 

*)  Dcscripcidn  de  la  provincia  de  Madrid.  S.  186 — 194. 


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132 


Albrecht  Pcnck: 


anliäufung  erreicht.  Auf  den  ersten  Blick  sieht  dieselbe  moränenähnlich 
aus,  aber  bei  genauerer  Betrachtung  zeigt  sie  eine  deutliche  Schichtung, 
welche  auch  in  der  von  Casiano  de  Prado1)  gegebenen  Abbildung 
des  Aufschlusses  deutlich  erkennbar  ist.  Unweit  davon  hebt  sich  der 
Granit  hervor,  der  hier  mit  zahllosen  Blöcken  bedeckt  ist,  sich  aber 
zunächst  nicht  wesentlich  über  das  Niveau  des  angrenzenden  Gerölls 
erhebt,  und  vor  dem  Fufs  der  Sierra  noch  einen  Teil  der  schrägen 
Ebene  von  Neu-Kastilien  bildet.  Alles  in  allem  hat  man  es  mit  einem 
riesigen  flachen  Schuttkegel  von  Trümmern  der  Sierra  zu  thun,  welcher 
sich  am  Fufs  derselben  erstreckt,  so  etwa  wie  der  Deckenschotter  über 
das  nördliche  Alpen -Vorland  gebreitet  ist.  Während  aber  der  Deeken- 


Profil  von  Madrid  nach  der  Sierra  de  Guadarrama. 

Länge  i : 250  000,  Höhe  1 : 20  000. 

Schotter  von  tiefen  Thälern  zerschnitten  wird,  liegt  der  Sierra-Schutt 
unzerthalt  da,  und  während  jener  höchstens  grob  mittelkörnig  wird, 
geht  der  Sierra-Schutt  in  eine  Blockanhäufung  über,  der  man,  falls  sie 
nicht  ausgezeichnet  geschichtet  wäre,  einen  glacialen  Ursprung  zu- 
schreiben könnte.  Mit  Moränen  kommt  der  Sierra-Schutt  jedoch 
nirgends  in  Berührung,  während  der  subalpine  Deckenschotter  in  solche 
übergeht  (s.  Abbild.  2). 

Ganz  analog  sind  der  Beschreibung  nach  die  Diluvialgebilde 
nördlich  der  Sierren  von  Guadarrama  und  Gredos,  sowie  südlich  des 
kantabrischen  Gebirges  in  den  Provinzen  I.eon,  Palencia  und  Zamora. 
Überall  hat  man  es  mit  grofsen  flachen  Schuttkegeln  zu  thun;  und  mit 
der  Ursache  von  deren  Anhäufung  haben  sich  spanische  Geologen 
mehrfach  beschäftigt.  Im  allgemeinen  ist  dabei  der  Standpunkt  ver- 
treten worden,  den  bereits  Casiano  de  Prado  innehatte,  nämlich 
dafs  bedeutende  Wassermassen  die  Sierren  gleichsam  abwuschen  und 
den  Schutt  in  die  Vorländer  verfrachteten*).  Die  Annahme  von 

l)  Ebenda  S.  166. 

*)  a.  a,  O.  S.  174.  De  Cortä2ar,  Descripciön  de  Valladolid  S.  143.  Des- 
cripciön  de  Segövia.  S.  197. 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  133 

Gletscherwirkungen  wird  dabei  nicht  als  unbedingt  ausgeschlossen, 
aber  als  schwer  erweisbar  angesehen.  Casiano  de  Prado  sagt 
direkt,  dafs  man  in  der  Sierra  de  Guadarrama  weder  ordentliche 
Moränen  noch  Blocklehm  gefunden  habe1);  von  einigen  Stellen  zählt 
er  jedoch  Blöcke  auf,  die  als  erratisch  gelten  können.  Baysselance*) 
hingegen  bemerkte  längs  der  Eisenbahn  am  Abfall  der  Sierra  zwischen 
den  Stationen  Torre  Lodones  und  Avila  zahlreiche  Rundhöcker  und 
Gletscherschliffc. 

Diese  letztere  Beobachtung  vermag  ich  nicht  zu  bestätigen.  Man 
sieht  am  Nordabfall  der  Sierra  bei  Cercedilla  und  bei  El  Escurial 
zwar  zahlreiche  einzelne  riesige  Granitblöcke  und  auch  manchen  rund- 
lichen Felsbuckel,  allein  allenthalben  handelt  es  sich  hier  nur  um  die 
bekannten,  sackförmigen  Verwitterungsgestalten  des  Granit,  nirgends 
kommen  echte  erratische  Blöcke  oder  zweifellose  Gletscherschliffe  vor. 
Allerdings  finden  sich  auf  den  Granitklippen  gar  nicht  selten  jene 
Steinschüsseln,  welche  gelegentlich  für  Riesentöpfe  angesehen  worden 
sind,  und  auf  Grund  deren  Berendt3)  jüngst  auf  eine  ausgedehnte 
Vergletscherung  des  Riesengebirges  schlofs.  Allein  es  handelt  sich 
hierbei  gewifs  nur,  wie  bereits  Casiano  de  Prado'*)  erkannte,  um 
Verwitterungsgebilde,  welche  den  Tafoni  Corsicas  an  die  Seite  zu 
stellen  sind.  Was  aber  die  Grobkörnigkeit  der  Diluvialschichten  an- 
belangt, so  darf  man  aus  ihr  allein  gewifs  nicht  auf  glacialen  Ursprung 
schliefsen.  Jeder  sichere  Beweis  für  eine  Vereisung  des  Fufses  der 
Sierra  fehlt.  Dagegen  finden  sich  Spuren  alter  Gletscher  in  ihrem 
Innern,  und  zwar,  wie  so  häufig  in  den  Alpen  und  den  deutschen 
Mittelgebirgen,  in  der  Nachbarschaft  der  kleinen  Bergseen,  welche 
auch  die  Sierra  de  Guadarrama  zieren,  und  auf  Grund  deren  bereits 
1884  die  Vergletscherung  derselben  gemutma&t  wurde5). 

Die  Sierra  de  Guadarrama  gipfelt  südöstlich  des  bekannten  Lust- 
schlosses von  San  Ildefonso  oder  La  Granja,  wo  zwischen  dem  nach  Nord- 
osten führenden  Längsthal  von  Valsain  und  dem  bedeutenderen  Parallel- 
hal  des  I.ozoya  der  Carpetanos-Rücken  zu  der  2385  m hohen  Penalara 
anschwillt.  Eine  breite,  sanft  gewölbte  Gipfelfläche  fällt  nach  Süden 
und  Osten  stcilwandig  ab,  und  zieht  sich  nach  Norden  in  einen  leicht 

t)  a.  a,  O.  S.  164. 

*)  Quelques  traccs  glaciaircs  en  Espagne.  Annuairc  Club  Alpin  Fran^ais.  1883. 
S.  410. 

s)  Spuren  einer  Vergletscherung  des  Riesengebirges.  Jahrb.  d.  Kgl.  Preufs. 
Geolog.  Landesanstalt  XII.  1891.  S.  137. 

*)  a.  a.  O.  S.  70. 

5)  Penck,  Geographische  Wirkungen  der  Eiszeit.  Verhdgn.  des  IV.  Deutschen 
Geographentages.  1884-  S.  66  (Kartei. 


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Albrccht  Penck: 


134 

passierbaren  Grat  aus.  Unter  den  Ostwänden  liegen  in  2100  m die  viel- 
besungenen Lagunen  der  Penalara,  welche  die  Quellbäche  des  Lozoya 
speisen.  Es  sind  keine  Kar-Seen,  sondern  kleine  Tümpel,  die  meist  in 
Felsen  eingesenkt,  sich  auf  einer  breiten  Gehängestufe  erstrecken. 
Nach  dem  Lozoya-Thal  hin  werden  sie  von  einem  langen  Moränenwall 
umgürtet,  welcher  in  einzelnen  Bogen  gegen  Osten  vorspringt;  der 
zwischen  ihnen  auftretende  Fels  zeigt  hier  und  da  Gletscherschlifte, 
welche  N8o°0  laufen.  Die  Endmoräne  zieht  sich  als  ein  etwa  40  m 
hoher  steiler  blockbesäeter  Damm  südwärts  und  umrandet  das  Becken 
eines  in  1780  m Höhe  gelegenen  erloschenen  Sees,  biegt  dann  west- 
wärts um , wo  unter  den  Südwänden  der  Penalara  zwei  weitere  er- 
loschene Seen  in  1860  und  1940  m Höhe  liegen. 

Eine  ähnliche  Gehängestufe,  wie  sie  östlich  der  Penalara  auftritt, 
findet  sich  auch  gegen  La  Granja  hin,  dieselbe  lag  außerhalb  meines 
Weges;  ich  mufs  daher  offen  lassen,  ob  auch  der  Westabfall  jenes 
Gipfels  vergletschert  gewesen  ist.  Sicherlich  aber  erstreckten  sich  die 
Gletscher  nicht  in  die  Thäler  herab.  Nirgends,  selbst  nicht  nahe  am 
Hintergehänge  des  Valsain  sah  ich  Moränen,  und  mit  der  geschilderten 
Endmoräne  hören  auch  die  erratischen  Blöcke  mit  einem  Mal  auf. 

Es  müssen  sehr  kleine  Gehängegletscher  von  wenigen  hundert 
Meter  Länge  gewesen  sein  , die  sich  an  den  Ostabfall  der  Penalara 
legten,  eher  steilen  Schneefeldern  mit  einem  Eisfufs,  als  echten  Eis- 
strömen vergleichbar.  Da  nun  kleine  Gletscher  sich  nirgends  weit  aus 
dem  Bereich  des  ewigen  Schnees  herauserstrecken , so  mufs  die  eis- 
zeitliche Schneegrenze  nicht  weit  von  ihrem  Rand  gelegen  gewesen 
sein,  und  dürfte  sich  in  etwa  2000 — 2100  m befunden  haben.  Heute 
liegt  sie  hoch  über  den  Gipfeln  der  Sierra;  dieselbe  birgt  nirgends 
dauernde  Schneeflecken,  wohl  aber  werden  für  die  Bedürfnisse  des 
Hofes  von  San  Ildefonso  auf  der  Nordseite  der  Penalara  Schneereste 
durch  Überstreuen  mit  Sägespänen  bis  in  den  Herbst  hinein  kon- 
serviert. Ich  traf  solche  in  etwa  1800  m Höhe.  Auch  die  der  Sierra 
de  Guadarrama  benachbarte,  auf  2650  m Höhe  ansteigende  Sierra  de 
Gredos  wird  alljährlich  durchaus  schneefrei,  und  es  liegt  daher  kein 
Grund  vor,  die  heutige  Schneegrenze  im  mittleren  Spanien  in  geringerer 
Höhe  zu  suchen,  als  nach  ihrem  Auftreten  am  Südabfall  der  Pyrenäen 
und  auf  der  Serra  Nevada  von  Granada  erwartet  werden  kann, 
nämlich  in  über  3000  m Höhe.  Darnach  liegt  heute  die  Schneegrenze 
im  mittleren  Spanien  um  1000  m höher,  als  zur  Zeit  der  Gletscher  der 
Penalara.  Nun  hat  sich  in  Mittel-Europa  die  Eiszeit  allenthalben  als 
eine  Epoche  erwiesen,  in  welcher  die  Schneegrenze  um  mindestens 
rooo  m tiefer  lag  als  heute;  die  kleinen  Gletscher  der  Penalara  führen 
sich  daher  auf  eine  ebensolche  Depression  der  Schneegrenze  zurück, 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialpcriode.  1 35 

wie  die  Gletscher  der  deutschen  Mittelgebirge,  und  müssen,  trotz  ihrer 
Kleinheit,  gleich  jenen  als  eiszeitliche  Gebilde  gelten. 

Echte  Gletscherspuren  sind  bereits  auf  dem  • westlichsten  Glied 
der  kastilischen  Scheidegebirge  gefunden  worden.  A.  de  Vas- 
concellos  Pereira  Cabral  entdeckte  1883,  dafs  die  Serra  da 
Estrella  in  beträchtlichem  Umfang  vereist  gewesen  ist.  Seine  dies- 
bezüglichen Beobachtungen  wurden  aber  erst  1887  veröffentlicht '), 
nachdem  schon  1884  auf  Grund  der  in  jenem  Gebirge  vorhandenen 
Seen  auf  eine  ehemalige  Vergletscherung  desselben  geschlossen  worden 
war*).  Vasconcellos  fand  zahlreiche  Gletscherschliffe  im  Thal  der 
Lagoa  comprida,  also  auf  der  Westseite  der  Serra  bis  zu  jenem  See 
(1525 — 1550  m)  herab.  Er  verzeichnete  erratische  Blöcke  im  Valle  de 
Conde  in  1500  m Höhe,  und  entdeckte  namentlich  im  oberen  Thal 
des  Zezere  aufser  Gletscher-Schliffen  und  -Blöcken  auch  einen  grofsen 
Endmoränenwall,  den  von  Apertado,  dicht  oberhalb  der  Mündung  des 
Torrente  da  Candieira,  in  nur  1200  m Höhe,  als  Rest  eines  mindestens 
3 km  langen  echten  Thalgletschers.  Auch  weiter  unterhalb  bemerkte 
er  noch  zahlreiche  Morätien-Ablagerungen,  namentlich  in  der  Um- 
gebung des  Dorfes  Manteigas  bis  zu  einer  Örtlichkeit  Vargem  do 
Crasto,  worauf  sie  mit  einem  Mal  aussetzen;  gleichwohl  sieht  Vas- 
concellos auch  noch  die  am  Fufs  des  Gebirges  bei  Valhelhas,  26  km 
unterhalb  der  Quellen  des  Zezere  auftretenden  Ablagerungen  als 
Moränen  an.  Mag  vielleicht  die  letztere  Annahme  als  noch  nicht  recht 
sicher  begründet  erscheinen,  so  mufs  man  doch  schon  aus  den  Moränen 
unterhalb  Manteigas  auf  einen  nahezu  15  km  langen,  bis  unter  700  m 
Höhe  herabsteigenden  Gletscher,  also  auf  eine  sehr  tiefe  Tage  der 
Schneegrenze  schliefsen.  Liegt  doch  die  Umwallung  des  Zezere-Thals 
nicht  höher  als  in  1700m,  sodafs  sich  sein  Gletscher  unter  ganz  ähn- 
lichen orographischen  Bedingungen  wie  der  des  Saison-Thaies  in  den 
Pyrenäen  entwickelte,  was  auf  eine  gleiche  Lage  der  Schneegrenze, 
also  in  etwa  1350 — 1400  m Höhe,  schliefsen  läfst.  Bedeutend  höher 
kann  aber  auch  die  Schneegrenze  nicht  gelegen  haben,  als  der 
Gletscher  den  Moränenwall  von  Apertado  aufbaute,  denn  auch  in 
diesem  Fall  war  seine  Umrahmung  nur  1700  m hoch,  was  angesichts 
des  Endes  in  1200  m Höhe  auf  eine  Lage  der  Schneegrenze  im  Niveau 
von  1500  m deuten  würde.  Unter  allen  Umständen  lag  also  in 
dem  westlichsten  Ausläufer  der  kastilischen  Scheidegebirge  die  Schnee- 
grenze nennenswert,  mindestens  500- 600  m tiefer,  als  über  der  central 
gelegenen  Sierra  de  Guadarrama.  Genau  ebenso  wie  in  den 

<)  Traces  d’aetions  giaciaires  dans  la  Serra  d'Estrella.  Comnrunic.  da  Co  mm  iss. 
dos  Trabalhos  geologicos  de  Portugal.  I.  Lisboa.  1887.  S.  189. 

*)  Penck,  Geographische  Wirkungen  der  Eiszeit  A.  a.  O. 


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136 


Albrecht  Penck: 


Pyrenäen  senkte  sich  in  der  mittleren  Breite  der  Halbinsel 
die  eiszeitliche  Schneegrenze  nach  dem  Ozean  hin,  was  die 
heutige  Norwegens*  gleichfalls  thut. 

Nachdem  die  Mutmafsung  sich  bestätigt  hat,  dafs  die  Bergseen 
der  Sierra  de  Guadarrama  gleich  jenen  der  Serra  da  Estrella  mit  dem 
Giacial-Phänomen  in  Beziehung  stehen,  ist  es  wohl  gestattet,  dasselbe 
von  den  übrigen  ähnlich  gelegenen  Bergseen  der  Pyrenäen-Halbinsel 
anzunehmen.  Man  kennt  solche  auf  der  Sierra  de  Gredos.  Unweit 
des  2650  m hohen  Plaza  de  Almansor  befindet  sich  in  einem  Kare  die 
Laguna  de  Gredos,  2097  m hoch,  von  welcher  Donayre  eine  Abbil- 
dung mitteilt1);  ein  weiterer  Bergsee  ist  die  in  2295  m Höhe  gelegene 
Laguna  Cimera.  Hiernach  dürfte  die  eiszeitliche  Schneegrenze  in  der 
Sierra  de  Gredos  etwa  in  derselben  Höhe  gelegen  gewesen  sein  wie 
in  der  östlich  benachbarten  Sierra  de  Guadarrama.  Einen  Grad  weiter 
nördlich  besitzt  die  der  portugiesischen  Grenze  benachbarte  Sierra 
Segundcra  Bergseen.  Das  Gebirge  erhebt  sich  im  Alto  de  Moncalvo 
auf  2047  m,  in  seinem  Innern  birgt  es  die  Seen  de  la  Yegua  (1726  m) 
und  de  I.acillos  (1720  m),  an  seinen  Fufs  gerückt  ist  der  11,25  qkm 
messende,  im  Mittel  45  m tiefe  Lago  de  Sanabria  (oder  de  Tera,  de 
Benavente,  de  Conde,  de  Castafieda),  in  nur  1028m  Höhe.  Puig  y 
I.arraz,  welcher  diese  Gegend  geologisch  aufnahm,  hat  erratische 
Blöcke  und  Felsschliffe  in  der  Umgebung  der  Seen  beobachtet2).  Alle 
diese  Erscheinungen  weisen  auf  ein  ähnlich  tiefes  Niveau  der  eiszeit- 
lichen Firnlinie,  wie  es  in  der  Serra  da  Estrella  wahrgenommen 
wurde,  nämlich  auf  höchstens  1500  m.  Gleichfalls  unter  41 0 Nord 
liegt  mehr  im  Innern  die  jüngst  von  Palacios3)  untersuchte,  mit 
2259  m gipfelnde  Sierra  de  Urbion  mit  der  Laguna  Negra  (1753  m) 
und  der  Laguna  I.aga  (1871  m).  Das  Gebirge  selbst  besteht  aus 
unterer  Kreide ; es  liegen  daher  keine  Karstseen,  sondern  mutmafslich 
glaciale  Bergseen  vor,  welche  auf  eine  etwas  tiefere  Lage  der  Schnee- 
grenze, als  iq  der  Sierra  de  Guadarrama  beobachtet,  folgern  lassen. 
Man  kann  dieselbe  auf  etwa  1900 — 2000  m Höhe  schätzen.  Die  weiter 
östlich  gelegene,  im  Cerro  de  San  Miguel  mit  2315  m gipfelnde  Sierra 
de  Moncayo  endlich  besitzt  keinen  Bergsee.  Ihr  Gipfel  ist  nach  den 
Schilderungen  des  Grafen  Saint-Saud*)  gewölbt  und  weicht  von 

1)  Descripciön  fisica  y geolögica  de  la  provincia  de  Avila.  Mem.  Com.  Map. 
Geoläg.  de  Kspana.  Madrid  1879. 

2)  Descripciön  fisica  y geolögica  de  la  provincia  de  Zamora.  Mem.  Com.  Map 
Geolög.  de  Espaha.  XI.  1883.  S.  133. 

3)  Descripciön  fisica,  geolögica  y agrolögica  de  la  provincia  de  Soria.  Mem. 
Com.  Map.  Geolög.  de  Kspana.  1890- 

4)  Le  Moncayo.  (Aragon  et  Castille)  Annuaire  Club  Alpin.  Franfais.  XVII. 
1890.  S.  153. 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialperiode.  137 

Hochgebirgsformen  durchaus  ab.  Mutmafslich  ragte  dies  Gebirge  gar 
nicht  oder  nur  sehr  wenig  in  die  glaciale  Schneegrenze  hinein,  deren 
Höhe  sohin  auf  etwa  2200 — 2300  m zu  veranschlagen  ist.  Es  wiederholen 
sich  also  auch  unter  42°  N in  Spanien  Anzeichen  für  ein  Sinken  der 
eiszeitlichen  Schneegrenze  in  der  Richtung  nach  dem  Ozean  hin. 

Namentlich  durch  Willkomm1)  sind  Bergseen  auch  aus  dem 
südlichsten  der  spanischen  Hochgebirge , der  Sierra  Nevada  von 
Granada  bekannt  geworden.  Dieselben  liegen  in  den  zirkusartig  er- 
weiterten Thalwurzeln  der  Thäler  der  Hoch-Sierra  in  2600 — 2900  m, 
also,  wie  überdies  aus  Einzelschilderungen  hervorgeht,  in  echten  Karen. 
Von  Spuren  einer  ehemaligen  Vergletscherung  berichtet  Willkomm 
nichts.  Nach  He  11  mann2)  giebt  es  überhaupt  keine  Glacial  - Abla- 
gerungen in  der  Sierra,  und  auch  R.  v.  Drasch e 3)  begegnete  solchen 
im  allgemeinen  nicht,  er  bildet  jedoch  einen  Felsschliff  vom  Camino 
de  los  neveros  ab,  welcher  recht  wohl  ein  Gletscherschliff  sein  könnte. 
Dagegen  ist  nach  Rey-Lescure  *)  die  Sierra  reich  an  Moränen  und 
Gletscherschliffen,  und  Schimper5)  liefs  sogar  die  Gletscher  bis  aus 
dem  Gebirge  heraus,  bis  Granada  wandern,  wo  sie  die  Alhambra- 
Konglomerate  aufschütten  sollen. 

Prachtvoll  schöne  Tage,  welche  ich  verwenden  wollte,  11m  zui 
Klärung  dieser  Widersprüche  beizutragen,  mufste  ich,  weil  ich  von 
Gibraltar  aus  einen  englischen  Dampfer  benutzt  hatte,  im  Oktober  1892 
vor  Mälaga  der  Cholera  halber  in  Quarantäne  liegen,  und  als  ich 
darauf  nach  Granada  kam,  liefs  die  Witterung  keinen  Abstecher  in  die 
Sierra  mehr  zu.  Ich  konnte  mich  lediglich  vergewissern,  dafs  in  der 
Nähe  der  Hauptstadt  Hoch-Andalusiens  gewifs  keine  Gletscherspuren 
Vorkommen,  und  dafs  das  Alhambra -Konglomerat  zweifellos  eine 
fluviatile  Ablagerung  ist.  Ob  jedoch  dies  Konglomerat,  wie  Dräsche, 
Gonzalo  y Tarin6)  und  Guillenjin-Tarayre7)  annehmen,  diluvial 

*)  Vgl.  Stein  - Wappäus,  Handbuch  der  Geographie  und  Statistik.  7.  Aull. 
Bd.  III.  2.  Leipzig  1862—71.  S.  20.  — Aus  den  Hochgebirge#  von  Granada. 
Wien  1882. 

-)  Der  südlichste  Gletscher  Europas.  Vcrhdlgn.  d.  Gesellsch.  f.  Erdk.  z.  Berlin 
VIII.  188t.  S.  36a  (365). 

*)  Geologische  Skizze  des  Hochgebirgsteiles  der  Sierra  Nevada  in  Spanien. 
Jahrbuch  d.  K.  K.  Geolog.  Reichsanstalt.  XXIX.  1879-  S.  93. 

4 ) Note  sur  la  geologie  generale  de  l’Espagne.  Bull.  Soc.  G60I.  de  France. 
I3)  IX.  1880/81.  S.  346. 

5)  Voyage  g^ologique  et  botanique  au  Sud  d'Espagne.  lTnstitut.  1849. 

®)  Reseha  fisica  y geolögica  de  la  provincia  de  Granada.  Bol.  Com.  Map. 
Geolog,  de  Espaha.  VIII.  1884.  S.  1. 

J)  Sur  la  Constitution  minüralogiquc  de  la  Sierra  Nevada  de  Grenade.  Compt. 
Rend.  Acad.  de  Paris.  C.  1885  S.  1231. 


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138 


Albrecht  Pen  ck: 


ist,  oder  ob  es,  wie  Bertrand  und  Kilian1)  meinen,  obermiocän  ist, 
vermag  ich  nicht  zu  entscheiden.  Bertrand  und  Kilian  stützen  ihre 
Ansicht  durch  den  Hinweis  auf  eine  Wechsellagerung  der  von  ihnen 
mit  dem  Alhambra-Konglomerate  identifizierten  Blockformation  und 
marinen  Mergeln,  welche  sie  zwischen  Quentar  und  Granada  wahr- 
nahmen. Ich  konnte  auch  diese  Stelle  nicht  besuchen.  Der  petro- 
graphische  Habitus  der  Ablagerung  macht  den  Eindruck  einer  recht 
jungen  Bildung. 

Die  Mutmafsung  liegt  nahe,  dafs  die  Sierra  während  der  Eiszeit 
vergletschert  war,  und  dafs  ihre  Lagunen  gleich  den  Kar-Seen  der 
Alpen  glacialen  Ursprungs  sind,  da  sich  am  Aufbau  der  Hoch-Sierra 
keine  Kalke  beteiligen,  an  welche  sich  Dolinen-Seen  knüpfen  könnten. 
Die  Frage  aber  bleibt  offen,  ob  jene  Lagunen  gleich  denen  der  Sierra 
de  Guadarrama  dem  Maximalstand  der  Vergletscherung  entsprechen, 
oder  gleich  jenen  der  Alpen  einem  Rückzugsstadium.  Im  ersteren 
Fall  würde  man  für  die  Höhe  der  glacialen  Schneegrenze  in  der  Sierra 
Nevada  mehr  als  3000  nj  anzusetzen  haben,  also  rund  1000  m höher 
als  in  der  nur  40  weiter  nördlich  gelegenen  Sierra  de  Guadarrama 
suchen  müssen,  was  wohl  kaum  als  wahrscheinlich  gelten  kann.  Es 
wird  daher  eine  Untersuchung  der  glacialgeologischen  Verhältnisse  von 
Granada  noch  wichtige  Aufklärungen  über  die  Lage  der  Schneegrenze 
im  südlichen  Spanien  gewähren,  und  damit  auch  aufhellen,  ob  wie 
Hooker  und  Ball  meinen,  K.  v.  Fritsch  aber  bezweifelt,  der  Hohe 
Atlas  stark  vergletschert  gewesen  ist.  Wenn  unter  41  °N.  die  nicht 
einmal  2000  m hohe  Serra  da  Estrella  grolse  Gletscher  trug,  wird  man 
von  dem  zwar  io°  weiter  südlich,  aber  in  ähnlicher  Meernähe  gelegenen 
und  auf  4500  m ansteigenden  Hohen  Atlas  wohl  annehmen  dürfen, 
dafs  auch  er  Gletscher  trug;  eine  sichere  Stütze  aber  würde  diese 
Mutmalsung  erst  gewinnen,  wenn  die  etwa  halbwegs  zwischen  beiden 
Gebirgen  befindliche  Sierra  Nevada  sich  gleichfalls  als  einstmals  stark 
vereist  erweisen  würde. 

Für  den  nördlichen  Teil  der  Pyrenäischen  Halbinsel  kann  jeden- 
falls eine  relativ  tiefe  Lage  der  glacialen  Schneegrenze  als  sicher  gelten. 
Im  Innern  und  am  Mittelmeer  über  2000  m hoch  gelegen,  senkte 
sich  dieselbe  rasch  zum  Atlantik,  unfern  dessen  Gestaden  sie  in  den 
Pyrenäen  in  etwa  1300  m,  in  der  Nähe  von  Lissabon  in  höchstens 
1500  m zu  suchen  war.  Einer  ähnlich  tiefen  Lage  der  Schneegrenze 
begegnet  man  am  Atlantik  gegenwärtig  etwa  in  der  Breite  von  Hoch- 

1 ) Mission  d'Andalousie.  Etudes  sur  les  terrains  secondaircs  el  tertiaires  dans 
les  provinccs  de  Grenade  el  de  Malaga.  M£m.  pres.  par  divers  savants  ä EAcad. 
des  Sc.  Paris.  1889.  XXX.  S.  491. 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialpcriode.  ] 39 

Schottland  (570  N),  dessen  1343m  hoher  Ben  Nevis  noch  keinen  ewigen 
Schnee  trägt.  Im  Binnenland  aber  trifft  man  die  Höhenlage  der 
Schneegrenze,  welche  der  glacialen  von  Mittel-  und  Ost  - Spanien  ent- 
spricht, erst  nördlich  der  Alpen,  an  deren  Rand  das  Firnmeer  nicht 
unter  2500  m herabsinkt.  Etwa  Uber  den  deutschen  Mittelgebirgen, 
also  unter  50°  N,  sowie  Uber  dem  mittleren  Ural  unter  57  °N  liegt 
heute  die  Schneegrenze  so  hoch,  wie  einst  über  der  Sierra  de  Gua- 
darrama. 

Bekanntlich  sind  es  zwei  Momente,  welche  die  Lage  der  klima- 
tischen Schneegrenze  an  irgend  einem  Ort  bestimmen,  nämlich  deren 
Temperatur-  und  deren  Niederschlags-Verhältnisse.  Sinkt  die  erstere 
oder  steigert  sich  der  Schneefall,  so  sinkt  die  Schneegrenze.  Die  tiefe 
Lage  der  Schneegrenze  in  Spanien  kann  also  theoretisch  die  Folge 
niederer  Temperatur  oder  reichlicher  Niederschläge  sein.  Die  gegen- 
wärtigen Niederschlagsverhältnisse  auf  der  Halbinsel  ermöglichen 
zwischen  beiden  Annahmen  zu  wählen.  Die  Serra  da  Estrella  gehört 
zu  den  regenreichsten  Gebieten  Europas;  eine  an  ihrem  Nordabfall  in 
1441  m Höhe  gelegene  Station  bat  eine  Niederschlagsmenge  von  3,9  m im 
Mittel  von  fünfjahren  geliefert1 * * * *)  und  dabei  verläuft  die  Schneegrenze  über 
den  beinahe  2000  m messenden  Gipfeln  der  Serra.  Eine  solch  aufser- 
gewöhnlich  grofse  Niederschlagsmenge  im  inneren  Spanien  wUrde  daher 
noch  nicht  genügen,  um  die  Lage  der  eiszeitlichen  Schneegrenze  auf 
der  Sierra  de  Guadarrama,  an  deren  Abfall  heute  kaum  1 m Nieder- 
schlag fällt8),  zu  erklären.  Wie  grofs  nun  müfsten  gar  die  Nieder- 
schlagsmengen gewesen  sein,  welche  zur  Erklärung  der  überaus  tiefen 
Lage  der  eiszeitlichen  Schneegrenze  auf  der  Serra  da  Estrella  nötig 
wären,  ohne  dafs  man  zugleich  auch  zur  Annahme  einer  Temperatur- 
erniedrigung greift!  Genügt  gegenwärtig  noch  nicht  ein  Regenfall  von 
3,9  m jährlich,  um  die  Serra  in  ewigen  Schnee  zu  tauchen,  so  müfste 
man,  um  einen  Gletscher  von  der  Ausdehnung  des  alten  Fasstromes 
im  Zezere-Thal  zu  erklären,  eine  Niederschlagsmenge  von  7 — 10  m 
annehmen,  also  Werte,  die  den  höchsten  ausnahmsweise  auf  der 
Erde  beobachteten  nahe  kommen  würden,  und  die  also  keinesfalls  als 
wahrscheinlich  gelten  können. 

Viel  weniger  Ungereimtheiten  bringt  die  Annahme  einer  niederen 
Temperatur  zur  Erklärung  der  Eiszeit  Spaniens  mit  sich.  Man  hätte, 


l)  Vgl.  J.  Hann,  pie  gröfsten  Regenmengen  in  Österreich.  Met.  Zcitschr.  1894- 

S.  189  ond  Hellmann,  Die  Regenverhältnisse  der  Iberischen  Halbinsel.  Zeitschr. 

d.  Gcsellsch.  f.  Erdk.  zu  Berlin,  1888.  S.  307  (319). 

8)  In  San  Bdefonso  (1191  m)  wurden  im  Mittel  900  mm  gemessen.  D.  de 

Cortizar,  Decr.  de  la  prov.  de  Segovia.  Bol.  Com.  Mapa  Geolog.  189t  S.  71. 


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140 


Albrecht  Penck: 


um  dieselbe  zu  erklären,  an  den  Nordküsten  der  Halbinsel,  lediglich 
die  Temperaturverhältnisse  jener  Gestadeländer  des  Atlantik  zu 
supponieren,  in  welchen  die  Schneegrenze  heute  so  tief  wie  vordem  an  den 
Gestaden  der  Halbinsel  lag,  nämlich  die  von  Mittel-Schottland;  hier  ist  die 
Schneegrenze  bei  genau  der  gleichen  Niederschlagmenge1),  welche  die 
Serra  da  Estrella  geniefst,  in  der  Höhe  zu  suchen,  in  der  sie 
während  der  Eiszeit  im  letzteren  Gebirge  lag.  Man  hätte  sohin  eine 
Temperatur-Erniedrigung  von  4,5° — 50  C.  anzunehmen,  zu  welchem 
Wert  bereits  mehrfach  Schätzungen  auf  anderem  Wege  gelangt  sind. 
Diese  Temperatur-Erniedrigung  während  der  Diluvialperiode  ist  geringer 
als  die  Temperatur-Erhöhung,  welche  für  Mittel-Europa  in  der  Miocän- 
Epoche  anzunehmen  ist.  Aber  während  sich  die  Temperatur-Änderung 
während  des  Miocäns  durch  Annahme  einer  Verschiebung  der  Klima- 
gürtel um  12°  polwärts  erklären  läfst,  setzt  die  Eiszeit  eine  solche  um 
14°  äquatorwärts  voraus. 

Wenn  an  den  spanischen  Küsten  während  der  Eiszeit  ein 
britisches,  im  Innern  des  Landes  ein  mitteleuropäisches  Klima 
herrschte,  so  mufste  bei  den  Erhebungsverhältnissen  des  Landes  ein 
grofser  Teil  von  dessen  Oberfläche  über  der  Waldgrenze  gelegen  ge- 
wesen sein,  sodafs  eine  starke  Abspülung  in  den  höheren  und  eine  be- 
trächtliche Anschwemmung  in  tieferen  Gebieten  stattfand.  Man  wird 
daher  wohl  einen  Teil  der  spanischen  Diluvialgebilde  als  fluviatile 
Ablagerungen  aus  der  Eiszeit  zu  betrachten  haben. 

Zu  den  Glacialbildungen  Mittel  - Europas  gesellen  sich  bekannter- 
mafsen  interglaciale,  vor  allem  der  Löss.  Derselbe  fehlt  auf  der 
Pyrenäen-Halbinsel.  Ich  sah  ihn  nirgends  in  den  Ebenen  Neu-  oder 
Alt-Kastilien,  weder  im  Ebro-I.and  noch  in  der  andalusischen  Senke, 
wo  man  nach  der  Art  seines  Auftretens  in  Mittel-Europa  doch  erwarten 
sollte,  ihn  selbst  von  der  Eisenbahn  aus  zu  bemerken;  ich  beobachtete 
ihn  auch  weder  an  den  Flanken  der  Sierra  de  Guadarrama  noch  bei 
Granada,  und  fand  seiner  auch  nicht  in  der  geologischen  Literatur 
über  Spanien  erwähnt.  Dieser  auffällige  Mangel  dürfte  sich  auf  die 
klimatischen  Verhältnisse  der  Interglacial-Zciten  zurückfuhren  lassen. 
Dieselben  waren  jedenfalls  etwas  wärmer  als  die  Gegenwart,  und 
Mittel-Europa  hatte  daher,  entsprechend  seiner  kontinentalen  Lage,  ver- 
hältnismäfsig  trockenes  Klima ; es  war  in  das  Bereich  der  grofsen  kon- 
tinentalen Steppenregion  mit  winterlicher  Trockenheit  einbezogen, 
deren  Ausläufer  sich  ja  gegenwärtig  bis  an  seine  Grenzen  erstrecken. 
Als  Steppenstaub  kam  in  ihm  der  Löss  zur  Ablagerung.  Wenn  nun 

>)  Hann,  Meteorologie  des  Ben  Nevis.  Meteorologische  Zeitschrift.  1891. 
S.  455  (469k 


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Klima  Spaniens  während  der  Tertiärperiode  und  der  Diluvialpcriode.  | 4 1 


auch  die  Pyrenäen- Halbinsel  etwas  wärmer  als  gegenwärtig  war,  ward 
sie  zugleich  doch  nicht  ihrer  maritimen  Lage  verlustig,  ihre  nördlichen 
Partien  genossen  etwa  das  Klima  ihres  Südens  und  dieser  das  des 
nördlichen  Marokko,  welches  bis  zum  Parallel  von  Fes  mindestens 
ebenso  regenreich  wie  Andalusien  ist.  Aber  wenn  auch  der  Eindruck 
Spaniens  der  eines  Steppenlandes  ist,  so  kommt  doch  gegenwärtig  dort 
ebenso  wenig  Steppenstaub  zur  Ablagerung  wie  im  nördlichen  Marokko. 
Die  kräftigen  Winterregen  schwemmen  das  feine  äolische  Sediment 
des  Sommers  fort  und  hindern  dessen  Anhäufung.  Ganz  anders  in 
den  kontinentalen  Steppengebieten,  welche  einen  spärlichen  Regenfall 
im  Früh-  oder  Spätsommer  erhalten  und  im  Winter  trocken  sind.  Der 
vom  Frost  gelockerte  Boden  wird  hier  nicht  verschwemmt,  sondern 
nur  verweht,  und  wenn  der  Frühsommerregen  beginnt,  überzieht  sich 
das  Land  mit  einem  dichten  Pflanzenkleid,  das  es  vor  Abschwemmung 
schützt.  In  der  That  sind  die  gegenwärtigen  Gebiete  subaerischer 
staubiger  Sedimentation  auf  die  winterdürren  Kontinental-Steppen  be- 
schränkt und  fehlen  den  Steppenländern  im  Bereich  subtropischer 
Winterregen.  Welche  Ablagerungen  in  Spanien  für  den  Löss  Auftreten, 
ob  dieselben  in  der  That,  wie  nach  dem  vorangehenden  zu  mutma&en, 
sich  den  gegenwärtig  im  Land  entstehenden  Kontinentalgebilden  eng 
anschliefsen,  werden  spätere  Untersuchungen  zu  zeigen  haben. 


In  der  Entwicklungsgeschichte  der  Pyrenäischen  Halbinsel  spiegeln 
sich  zwei  Zeiten  erheblicher  Verschiebungen  der  Klimaregionen, 
welche  bereits  als  solche  in  Mittel-Europa  längst  bekannt  sind.  Wäh- 
rend der  Miocän-Epoche  herrschten  klimatische  Zustände,  welche  man 
gegenwärtig  zwölf  Grade  weiter  südlich  antriflft,  während  der  Eiszeit 
Temperaturen,  denen  man  heute  vierzehn  Grad  weiter  nördlich  be- 
gegnet. Gleiches  gilt  für  Mittel-Europa,  und  die  Unterschiede,  die  in 
den  klimatischen  Verhältnissen  beider  Länder  herrschten,  entsprechen 
seit  der  Miocän-Epoche  den  heutigen,  welche  durch  die  Verschiedenheit 
in  der  geographischen  Lage  beider  bedingt  sind.  Hiernach  ergiebt 
sich  eine  Amplitude  von  26°,  also  fast  drei  Zehntel  des  Meridian- 
Quadranten,  innerhalb  welcher  sich  die  Klimazonen  verschoben  haben. 
Dieser  Nachweis  aber  beschränkt  sich  auf  einen  Meridianstreifen 
von  15  °,  also  ein  Vierundzwanzigstel  des  Erdumfanges,  und  bevor  eine 
sichere  Erklärung  der  einschlägigen  Erscheinungen  zu  erwarten  ist,  mufs 
bekannt  sein,  wie  sich  dieselben  in  periökischen  Gebieten  abspielten. 


Zeiuchr,  d.  GeselUch.  f.  Erdk.  Ild.  XXIX. 


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142 


Martin  Hart  mann: 


Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa 
Dschebel  Bereket. 

Reisen,  ausgeführt  mit  Unterstützung  der  Karl  Ritter-Stiftung  der  Gesellschaft  für 
Erdkunde  und  dargestellt  von  Martin  Hartmann. 

(Hierzu  Tafel  J.) 

Von  dem  Höhenzug,  welcher  die  syrische  Küste  begleitet,  ist  der 
nördlichste  Teil  am  wenigsten  bekannt.  Stid-Syrien  ist  vorzüglich 
aufgenommen;  von  Mittel-Syrien  sind  bedeutende  Teile  so  erforscht, 
dafs  die  Hauptsachen  der  Bodengestalt  deutlich  hervortreten,  Uber 
Nord-Syrien  liegen  zuverlässige  Nachrichten  nur  in  beschränktem  Mafs 
vor.  So  richtete  ich  die  Reisen,  welche  ich  während  meines  Aufent- 
haltes in  Beirut  als  Kanzler-Dragoman  des  Kaiserlichen  Konsulats 
unternehmen  konnte,  nach  diesem  Teil  des  Landes.  Im  November 
1881  besuchte  ich  das  Nussairier-Gebirge').  Vom  22.  September  1882 
bis  14.  Januar  1883  machte  ich  von  Alexandrette  aus  eine  Reise,  welche 
mich  zunächst  über  den  hohen  Kamm  des  in  dem  gefürchteten- Ras 
el-chanzir  zum  Meer  abfallenden  Dschebel  el-ahmar  oder  Dschebel 
Arsuz  (auf  den  Karten  falsch  Dschebel  Musa  genannt)  an  die  Mündung 
des  Orontes,  auf  den  Gipfel  des  Dschebel  el-akra,  nach  Antiochia, 
Bailan,  Pajas  führte.  Der  Plan,  den  Amanus  Mons  auf  dem  über 
Tschokmerzimen  und  Tschardak  in  das  Thal  des  Karasu  führenden 
Pafs  zu  überschreiten,  scheiterte  an  dem  Widerstand  des  Kaimma- 
kams  von  Pajas;  ich  mufste  nach  Alexandrette  zurück  und  erreichte 
das  unterhalb  des  Tschardak-Passes  am  Ostabhang  des  Gebirges  lie- 
gende Salmanly  (Ekbez)  mit  seiner  gastfreundlichen  Lazaristen-Nieder- 
lassung  auf  dem  gewöhnlichen  Wege  (Kyrykchan  — Chassa).  Bei  dem 
mehrtägigen  Aufenthalt  dort  wurden  Ausflüge  gemacht.  Weiter  ging 
es  über  Bülbül  im  Kurd-daghy  nach  Killiz,  von  dort  über  Aintab, 
Besne,  Tut,  Adiaman,  Samsat  nach  Urfa  und  von  dort  zurück  über 
Biredschik,  Aintab,  Killiz,  Aleppo  nach  Alexandrette.  Die  mir  auf 
Verwendung  des  Herrn  Professor  Heinrich  Kiepert  in  Aussicht  gestellte 
Unterstützung  aus  der  Karl  Ritter-Stiftung  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde zu  Berlin  sollte  erst  fällig  werden,  wenn  die  Herrn  Kiepert  ein- 
gesandten Tagebücher  durch  weitere  Aufzeichnungen  in  bestimmter 

■)  Bericht  darüber  s.  Zeitschrift  des  Deutschen  Paläst. -Vereins  XIV,  151  — 255 
„Das  Liwa  el-Ladkije“. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berckel.  (43 

Richtung  ergänzt  würden.  So  führte  ich  vom  15.  bis  23.  September 
1884  eine  Reise  aus,  auf  welcher  ich  das  Hochgebirge  südlich  des 
Bailan-Passes  auf  dem  zwischen  dem  Dschebel  el-ahmar  und  dem  Dschebel 
Bailan  gelegenen  Pafse  von  Fyrnyz  überschritt  und  durch  die  Ebene 
zwischen  dem  Orontes  und  dem  Antiochia-See  Harim  als  östlichsten 
Punkt  erreichte;  von  diesem  wandte  ich  mich  südlich  über  Derkusch 
nach  Dschisr  esch-schughr  und  kehrte  durch  den  Dschebel  el-kusair, 
über  Antiochia  und  Bailan  nach  Alexandrette  zurück.  Es  wurden  mir 
nun  die  Kosten  der  Reise  1882 — 83  aus  den  Mitteln  der  Stiftung  er- 
stattet, wofür  ich  hiermit  den  ergebensten  Dank  ausspreche.  Besonders 
verpflichtet  bin  ich  Herrn  Kiepert,  welcher  trotz  der  grofsen  Menge 
eigener  Arbeiten  mich  durch  Ratschläge  und  Ausführungen  oft  sehr 
umfassender  Art,  ja  selbst  durch  Mitteilung  von  Kopien  eigener  Karten- 
konstruktionen über  die  zu  bereisenden  Gebiete  unterstützt  hat. 

Bei  den  beiden  Reisen  war  ich  mit  folgenden  Instrumenten  versehen : 
1.  Holosteric-Barometer  No.  438  von  Dörffel  in  Berlin,  2.  Schmnlkalder 
Bussole  von  F.  W.  Breithaupt  & Sohn  in  Kassel.  3.  Taschenkompafs, 
der  benutzt  werden  mufste,  wo  das  äufserst  empfindliche  Instrument  2 
einzustellen  keine  Zeit  war.  Ein  mitgenommenes  Thermometer  zer- 
brach mir  leider  schon  bei  dem  ersten  Ausflug  am  24.  9.  82,  so  dafs 
ich  mich  begnügen  mufste,  den,  allerdings  vielmehr  die  Temperatur 
des  Instrumentes,  als  die  der  Luft  anzeigenden  Stand  des  in  1 an- 
gebrachten Thermometers  zu  verzeichnen  und  bei  den  Berechnungen 
in  Betracht  zu  ziehen. 

Über  meine  Art  zu  arbeiten  kann  ich  nur  das  in  dem  „Liwa  el- 
Ladkije“  (ZDPV  XIV,  S.  158  f.)  Gesagte  hier  wiederholen:  „Ich  habe 
mich  bemüht,  mit  den  Instrumenten  möglichst  viele  Messungen  vor- 
zunehmen und  zu  notieren.  Gewissenhaft  wurden  die  Zeiten  und  alles, 
was  auf  und  an  dem  Wege  Aufmerksamkeit  erregte,  verzeichnet  . . . . 
Die  am  Tage  im  Sattel  mit  Bleistift  gemachten  Notizen  wurden  am 
Abend  mit  Tinte  kopiert,  ferner  das,  was  im  Quartier  in  Erfahrung 
gebracht  und  beobachtet  werden  konnte,  sorgfältig  verzeichnet  und 
endlich  die  Ortslisten  des  Landesteiles,  mit  welchem  bei  den  An- 
wesenden der  Sachlage  nach  eine  besonders  gute  Bekanntschaft  an- 
genommen werden  konnte,  mit  ihnen  durchgegangen.  Hier  galt  es 
nicht  selten,  einen  heftigen  und  systematischen  Widerstand  zu  über- 
winden, Dieser  Fremde,  der  so  viel  schrieb,  so  viel  fragte,  so  viele 
Namen  im  Lande  kannte,  war  den  Leuten  unheimlich,  und  es  hiefs 
immer  gleich  ubeddo  jiktib  b/ddnaal  »er  will  unser  Land  aufsch reiben«, 
damit  nachher  seine  Landsleute  kommen  und  es  mit  Leichtigkeit  weg- 
nehmen können.  Meistens  gelang  es,  die  Leute  zum  Sprechen  zu 
bringen,  indem  ihre  Eitelkeit  angeregt  wurde:  der  Orientale  liebt  es, 

10* 


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144 


Marlin  Hartmann: 


sich  gut  unterrichtet  zu  zeigen,  und  packt  man  ihn  von  der  Seite,  so 
kramt  er  aus,  was  er  weife;  freilich  oft  auch,  was  er  nicht  weife,  er 
flunkert  gern.  Aber  erstens  sind  die  Gebirgsbauem  im  Innern  dazu 
meist  nicht  schlau  genug,  sodann  aber  fanden  sich  unter  der  Zahl  der 
Neugierigen,  die  allemal  herzukamen,  um  den  Fremden  anzusehen,  immer 
genug,  welche  Flunkereien  gleich  aufmutzten.  Gingen  die  Meinungen 
über  Lage  und  Flntfcrnung  einer  Ortschaft  einmal  auseinander,  so  war 
das  besonders  lehrreich;  denn  die  Leute  erwärmten  sich  dann,  und 
aus  Rede  und  Gegenrede  ging  manches  hervor,  was  bei  einfachem 
Abfragen  nicht  zur  Sprache  gekommen  wäre.  Dann  liefe  sich  die  Er- 
örterung gewöhnlich  leicht  in  erwünschter  Weise  lenken." 

Über  die  im  Vorstehenden  erwähnten  „Ortslisten“  sei  gleich  hier 
bemerkt,  dafs  ich,  ähnlich  wie  vor  dem  Antritt  der  Reise  in  das  Nussai- 
rier-Gebirge  1881,  das  in  den  Staatshandbüchern  (Salnames)  für  das 
Wilajet  Aleppo  auf  1285,  1286,  1287  und  1291  vorliegende  reichliche 
Material  so  geordnet  hatte,  dafs  seine  Verwertung,  d.  h.  Verifizierung, 
Berichtigung,  Ergänzung  möglichst  schnell  erfolgen  konnte.  Auf  grofsen 
Bogen  waren  die  Namen  jener  Jahrbücher  in  einer  Spalte  untereinander 
geschrieben,  wobei  der  jeweilig  zuverlässigst  erscheinende  Jahrgang  zu 
Grunde  gelegt,  die  Varianten  der  anderen  anbei  vermerkt  wurden; 
für  Umschrift,  Angaben  über  Entfernung  vom  Verwaltungs-Mittelpunkt, 
Häuserzahl,  Religion  der  Bewohner  waren  Spalten  eingerichtet  Der 
gröfsere  Teil  der  so  vorbereiteten  Bogen  wurde  während  der  Reise 
mehr  oder  minder  vollkommen  bearbeitet  und  mit  Nachrichten  im  An- 
schlufe  an  die  Listen  und  an  den  in  Übersetzung  beigefügten  sta- 
tistischen Teil  der  Jahrbücher  betreffend  den  bezüglichen  Verwaltungs- 
bezirk, nicht  selten  auch  mit  Notizen,  die  sich  aus  freier  Rede  und 
Gegenrede  ergaben,  bedeckt.  Bei  längeren  Aufenthalten,  bei  denen 
die  Dienste  besonders  gut  unterrichteter  Männer  gewonnen  werden 
konnten,  wurden  ausführlichere  Mitteilungen  derselben  in  das  Tage- 
buch aufgenommen.  So  arbeitete  ich  in  Salmanly  (Ekbez)  mit  dem 
Armenier  Tschllö,  in  Antiochia  mit  dem  Araber  Hannä  Karajüsuf,  in 
Killiz  mit  dem  Armenier  Hannüsch.  Alle  drei  Männer  haben  ein  Leben 
hinter  sich,  das  zum  gröfsten  Teil  mit  Streifereien  in  der  Gegend,  in 
der  ich  sie  traf,  zur  Jagd  oder  in  Geschäften  ausgefüllt  war,  und  ihre 
Angaben  erwiesen  sich  als  verhältnismäfeig  zuverlässig.  Namentlich 
Hannä  Karajüsuf  ist  ein  Mann  von  scharfer  Beobachtung  und  gutem 
Gedächtnis. 

Im  Folgenden  lege  ich  die  Bearbeitung  meiner  Tagebücher  fiir 
den  Teil  der  Reise  vor,  welcher  sich  in  dem  I.iwa  Aleppo  bewegt  hat, 
mit  Ausschlufs  der  noch  in  dieses  Verwaltungsgebiet  fallenden  Strecken 
Killiz — Aintab  auf  der  Hin-  und  Biredschik  — Aintab — Killiz  auf  der 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  145 

Rückreise.  Obwohl  der  Mafsstab  der  Karte  (1:220000)  genügend  grofs 
ist,  um  in  den  meisten  Fällen  auch  die  Einzelheiten  des  Reiseweges  er- 
kennen zu  lassen,  schien  eine  vollständige  Wiedergabe  desselben  doch  ge- 
boten, um  eine  Nachprüfung  in  den  zahlreichen  Fällen  zu  ermöglichen, 
wo  die  Karte  Neues  oder  von  früheren  Arbeiten  Abweichendes  bietet. 
Von  Abweichungen  erwähne  ich  besonders  die  Eintragung  von  Chässa 
(F  2);  in  Kiepert’s  Karte  zu  Humann-Puchstein '),  in  welche  auch 
mein  Weg  aufgenommen  wurde,  ist  der  Ort  unter  36°  27'  ö.  L.  Gr.  einge- 
tragen; bei  meiner  völlig  selbständigen  Konstruktion  erhielt  ich  dafür 
bei  fast  gleicher  Breite  36°34'ö.  L. ; trotz  dieser  Differenz  von  7'  er- 
hielt ich  für  Killiz  die  Länge  der  Kiepert’schen  Karte*),  bei  Differenz 
der  Breite  um  3'  (36°  39'  gegen  36°  42'  K.’s).  In  der  That  lassen  sich 
die  Eintragungen  von  Chässa  und  Killiz  bei  K.  deshalb  schwer  ver- 
einigen, weil  bei  der  Lage  des  ersteren  die  Entfernung  zwischen  beiden 
Orten  um  etwa  10  km  (dem  Äquivalent  von  7')  gröfser  ist,  als  nach 
meiner  Aufnahme  anzunehmen  ist.  Ist  die  Länge  von  Killiz  richtig,  so 
ist  für  Chässa  die  von  mir  gewonnene  bei  weitem  wahrscheinlicher. 
Das  Karasu-Thal  hat  für  uns  durch  die  Funde  von  Sendjirli  ein  be- 
sonderes Interesse  erlangt;  es  erscheint  nicht  unwichtig,  dafs  dieser 
Punkt  richtig  angesetzt  wird.  Ist  meine  Konstruktion  richtig,  so  ist 
er  7'  östlicher  zu  legen.  Bei  der  Zeichnung  der  Gebirge  wurden  grund- 
sätzlich nur  die  eigenen  Beobachtungen  und  Erkundungen  zu  Grunde 
gelegt.  Da  Sicheres  immer  nur  für  den  schmalen  Streifen  vorlag, 
auf  den  der  Weg  Ausblick  bot,  so  konnte  der  vermutungsweisen  Er- 
gänzung des  Bildes  nicht  wohl  entraten  werden.  Für  die  der  Küste 
zunächst  gelegenen  Teile  wurde  auch  die  Küstenaufnahme  der  eng- 
lischen Admiralität  (Ml)  herangezogen,  natürlich  mit  der  gehörigen 
Vorsicht,  denn  die  so  fein  gestrichelten  Gebirgsgruppen  derselben  sind 
zum  grofsen  Teil  freie  Phantasie.  Besondere  Sorgfalt  wurde  darauf 
verwandt,  die  Gliederung  des  mächtigen  Küstengebirges  kräftig  her- 
vortreten zu  lassen. 

Im  südlichen  Teil  sind  der  Dschebel  el-akra'  und  der  Dschebel 
el-ahmar  zu  beiden  Seiten  der  Orontes- Mündung  gelagert,  wie  zwei 
mächtige  Wachttürme;  nicht  unmöglich  ist,  dafs  zwischen  ihnen  einst 
ein  langgestreckter  Meerbusen  in  das  Land  hinein  sich  schob  bis  zu 
dem  weiten  Wasserbecken,  das  die  Antiochia-Ebene  ausfüllte3).  Be- 


t)  Reisen  in  Kleinasien  und  Nordsyrien,  Berlin  1890. 

*)  Ich  hatte  daher  keine  Veranlassung,  die  Verlegung  von  Killiz  um  4'  nach 
\V  bei  Bl.  [d.  i hier  und  im  Folgenden : Blanckcnhom,  Grundzüge  der  Gcol.  n.  physik. 
Geogr.  von  Nord-Syrien,  1891]  89  nachzuahmen. 

•1)  Nach  Bl.  10. 


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14(5 


Martin  Harttnann: 


merkenswert  ist,  dafs  der  Dschebel  Mar  Sim'an,  obwohl  nördlich  des 
Orontes  gelegen,  welcher  sich  hier  zwischen  ihm  und  dem  Abfall  des 
Dschebel  es-sabuni  auf  der  südlichen  Seite  in  dem  Boghaz  seinen 
Weg  durch  die  Felsen  bricht,  zum  Massiv  des  Dschebel  el-akra  gehört, 
nicht  die  südlichste  Spitze  des  westlichsten  der  vom  Dschebel  el-ahmar 
zum  Orontes  hin  vorgeschickten  Ausläufer  bildet1).  Dieser  westlichste 
Ausläufer  ist  es,  welcher  den  Namen  Dschebel  Musa  führt,  der  bisher 
immer  falsch  dem  Hauptzug  beigelegt  wurde;  genauer  heifst  so  nur 
der  ostwestlich  streichende  Rücken,  der  südlich  vom  Tazy  daghy  im 
rechten  Winkel  sich  abzweigt,  während  der  Teil  zwischen  ihm  und  dem 
Hauptkamm,  der  in  dem  Tazy  daghy  seine  höchste  Spitze  erreicht, 
den  Sondernamen  Sandyran  daghy  führt.  Die  Piks  des  Hochkammes 
sind  vornehmlich  nach  den  Mitteilungen  des  Herrn  Musa  Filian  in 
Bitjas  eingetragen,  welcher  die  Güte  hatte,  eine  Anzahl  eingesandter 
Fragen  ausführlich  zu  beantworten.  Durch  den  im  September  1884 
gewählten  Weg  über  den  Pafs  von  Fymyz  (s.  S.  143)  konnte  die 
Abgrenzung  des  Dschebel  el-ahmar  und  des  Dschebel  Bailan 2)  näher 
bestimmt  werden.  Von  den  Pässen  nördlich  von  dem  die  Hauptstrafse  in 
das  Innere  bildenden  Bailan-Pafs  wurde  der  Gezbel,  der  über  Sakyt  er- 
reicht wird  und  die  kürzeste  Verbindung  darstellt  zwischen  Alexandrette 
und  dem  wichtigen  Kyrykchan,  wo  sich  die  Strafse  durch  das  Karasu- 
Thal  von  der  Aleppo-Straße  abzwTeigt,  von  Alexandrette  aus  bestiegen, 
der  Tschardak-Paß  zwischen  Tschokmerzimen  (Pajas)  und  F.kbez  (Chassa) 
von  Ekbez  aus  besucht.  Die  wichtigen  Spitzen  Alan-dagh  (D  3),  Mu- 
ghyr  (E  2)  und  Kuschdschu  (F  1)  konnten  nur  vermutungsweise  ein- 
getragen werden.  beider  konnte  auch  nicht  der  Paß  besucht  werden, 
welcher  von  der  Küste  bei  Sakaltutan  (D  3)  im  Thal  des  Flüßchens 
von  Dejirmenderesi  aufsteigend  den  Kamm  auf  dem  Körmenlinin  gedigi 
überschreitet  und  unterhalb  des  imponierenden  Akkaja  (E  3)  zu  Urduköj 
im  Karasu-Thal  hinabsteigt.  Der  Gebirgseinschnitt,  durch  den  er  führt, 
soll  ein  sehr  tiefer  sein,  und  die  Pafshöhe  wird  1000  m nicht  über- 
schreiten, während  Gezbel  und  Tschardak  Hochpässe  von  i486  m und 
1550  m sind.  Wie  im  Mittelsyrischen  Küstengebirge  ist  auch  hier  der 
Abfall  nach  Osten  viel  schroffer  als  der  westliche;  keine  Terrassen, 
keine  Thäler,  die  in  sanften  Windungen  sich  den  Abhang  hinabziehen, 
vielmehr  eine  steile  Wand,  in  welche  hin  und  wieder  von  Winterströmen 
tiefe  F'urchen  gegraben  sind.  Auf  dem  Kamm  fesseln  zuweilen  riesige 

*)  In  dieser  Auffassung  der  Struktur,  die  zuerst  von  Blanckenhorn  (Bl.  9)  aus- 
gesprochen zu  sein  scheint,  wird  man  diesem  Forscher  folgen  müssen. 

-)  Auf  den  Karten  und  in  den  geologischen  Werken  meist  alma  oder  elma- 
dagh  genannt;  ich  habe  den  Namen  für  diesen  Teil  des  Gebirges  nie  gehört. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  147 

Felsen  von  grotesken  Formen  den  Blick  des  in  der  Ebene  Wandernden, 
wie  der  wohl  600  m lange,  nach  N und  O in  gewaltigem  Steilabfall 
endigende,  schon  erwähnte  Akkaja.  Ein  anderer  Steilabfall,  den  der 
von  Kyrykchan  nach  Norden  Reitende  beständig  vor  sich  hat,  ist  das 
südliche  Ende  eines  Ausläufers  des  Hauptkammes  nach  Südosten  (E  2). 

Wie  dem  Libanon  der  Antilibanus  und  dem  nördlichen  Teil  des 
Nussairier-Gebirges  die  Höhenzüge  am  Ostufer  des  Orontes,  so  liegt 
dem  Amanus  mons  jenseits  der  Karasu-Ebene  der  Kürd  daghy  gegen- 
über, welcher  sich  viel  weiter  südlich  zieht,  als  die  bisherigen  Karten 
annelimen  lassen.  Der  Pafs  (991  m),  auf  welchem  ich  ihn  überschritt, 
liegt  zwischen  dem  grofsen  und  kleinen  Damryk,  die  in  diesem  Teil 
des  Gebirges  wohl  die  höchsten  Erhebungen  bilden.  Sehr  merkwürdig 
ist  der  Streifen  vulkanischer  Formation,  welcher  zwischen  den  beiden 
Gebirgszügen  in  der  Gegend  des  Baghlama  (G  1)  gleichsam  eine  Brücke 
bildet.  Südlich  derselben  scheinen  sich  im  Karasu-Thal  nur  verein- 
zelte Rücken  (Ger)  und  Hügel  ( Hiijük )')  zu  finden.  Nördlich  schieben 
sich  die  nordöstlich  streichenden  beiden  Katyranlyks  ein.  Im  Osten 
kann  der  Hauptzuflufs  des  Nähr  ‘Afrin  als  die  Grenze  des  Kürd  daghy 
betrachtet  werden;  jenseits  desselben  erheben  sich  die  Gebirge  um 
Killiz,  welche  nach  Süden  in  die  grofse  nordsyrische  Hochebene  abfallen. 

Bei  Schreibung  der  Namen,  deren  Form  oder  Aussprache  in 
arabischem  und  türkischem  Mund  verschieden  ist,  ist  überall  der  ara- 
bischen Form  der  Vorzug  gegeben  worden;  nur  wo  die  türkische  Form 
in  den  Sattelnotizen  überwiegend  auftritt  und  charakteristisch  ist,  ist 
sie  auch  in  dem  Itinerar  beibehalten  worden.  Bei  der  Umschrift  ist 
im  allgemeinen  das  System  des  Deutschen  Palästina -Vereins  ange- 
wandt. Doch  ist  nicht  pedantisch  verfahren,  und  sind  sowohl  bei  den 
in  gewöhnlicher  Druckschrift  erscheinenden  Eigennamen,  als  auch  bei 
den  beibehaltenen  orientalischen  Gattungswörtern,  wie  in  Ausdrücken 
der  türkischen  Verwaltung,  die  unterscheidenden  Punkte  und  Zeichen 
fortgelasssen  worden.  Der  Kundige  ergänzt  sie  leicht,  dem  Unkundigen 
sagen  sie  doch  nichts.  Mit  Rücksicht  auf  Einheitlichkeit  und  auf  Raum- 
ersparnis sind  im  Text  und  auf  der  Karte  ausschließlich  die  im  Lande 
selbst  üblichen  Namen  der  Orte  angewandt,  auch  wo  sie  von  der  uns 
geläufigen  erheblicher  abweichen : antdkija,  iskenderün,  haleb  ftlr  Antiochia, 
Alexandrette,  Aleppo  u.  dgl.  mehr. 

Im  Jahr  1900  wird  voraussichtlich  das  Schienennetz  von  etwa 
800  km,  dessen  Bau  in  Angriff  genommen  und  in  einzelnen  Teilen  be- 
endigt ist,  und  dessen  Ausführung  in  sicheren,  kapitalkräftigen  Händen 

1 ) Eine  gröbere  Anzahl  derselben  dürfte  künstlich  sein;  hier  ist  von  Nach- 
grabungen reiche  Ausbeute  zu  erwarten. 


V 


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148 


Martin  Hartmann: 


liegt,  fertig  gestellt  sein1).  Die  grofse  Strecke  Damaskus— Aleppo  — 
Biredschik  wird  nur  zu  einem  sehr  kleinen  Teil  das  hier  bearbeitete 
Gebiet  berühren;  es  ist  jedoch  die  Verbindung  Aleppos  mit  der  Küste 
durch  einen  Schienenweg  nur  eine  Frage  der  Zeit.  Mit  dem  Bau  dieser 
Strecke  wird  das  geographische  Material  bedeutend  anwachsen,  und 
werden  zugleich  die  Mittel  zur  besseren  Erforschung  des  Landes  ver- 
mehrt werden.  Von  den  anderen  Teilen  Syriens,  welche  von  den 
neuen  Verkehrswegen  nicht  berührt  werden,  ist  das  Gebiet  zwischen 
einer  Linie  Tripolis  — Horns  und  der  andern  Lattakia  - Dschisr  esch- 
schughr  am  meisten  der  Erforschung  bedürftig.  Wird  auch  dieses  in 
einer  Sonderkarte  festgelegt,  so  wird  endlich  das  geschaffen  werden 
können,  was  bereits  in  den  Verhandlungen  der  Gesellschaft  1891  S.  293 
als  ein  dringendes  Erfordernis  bezeichnet  worden  ist:  eine  brauchbare 
Gesamtkarte  von  Syrien. 


Im  Folgenden  vorkommende  Abkürzungen: 


A — Orthodoxe  Armenier. 

AK  =■  Katholische  Armenier. 

AP  — Protestantische  Armenier. 

H = Haus,  Häuser. 

I — Ismaelier. 

J = Juden. 

M = arabisch  sprechende  Muslims. 


N = Nussair  ier. 

R = Rum  (Griechisch  Orthodoxe). 

RK  = Rüm  Katulik  (Griechisch-Katho- 
lische oder  Unierte) 

T = Türken. 

Tm  = Turkmenen. 


I.  Die  Wege.*) 

1881/83. 

24.  September  1882. 

8h  30 m fort  von  et-asehkar  (türk,  aschkarbehk),  3 km  von  iskenderün, 
begleitet  von  dem  Türken  Mustafa  aus  kaukard,  nach  O.  — 8h  55 m 
nach  NO.  — 9h  2om  der  hohe  salyngatseh  daghy  vor  uns,  fast  östlich; 
an  seinem  Fufs,  im  NO,  das  Dörfchen  sa/yngatseh.  — 98  50™  salyn- 
gatseh,  3 H.  Halt. 

10 h 30 m fort  von  salyngatseh  nach  O;  auf  dem  Wege  Aufenthalt 
von  ca.  8m.  — nhiom  auf  dem  höchsten  Punkt  des  Weges  über 
den  salyngatseh  dilghy ; baghlydscha  ca.  30 lu  entfernt,  ioo°;  iloluk  (d.  i. 
agh  oluk , WeiGsrinne)  ca.  20m  unter  uns,  300°  — nh25™  bergab  bis 
1 1 h 35m-  — nh35n'  nach  SO;  bergauf;  iskendervn  287°.  — 1 2 h iom 


')  s.  darüber  mein  .Das  Bahnnetz  Mittel-Syriens“  in  ZDPV  XVII,  56  ff. 

*)  Alleinstehende  Gradziffer  bezeichnet  den  Winkel,  welchen  ein  Messen  der 
allgemeinen  Wegrichtung  mit  dem  Kompais,  Gradziffer  bei  einem  Ortsnamen  den 
Winkel,  welchen  das  Peilen  des  Ortes  ergab. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  149 

bei  den  ersten  Häusern  des  sehr  zerstreut  liegenden,  aber  nicht  grofsen 
Dorfes  kairak ; wenige  Minuten  später  am  pyfiar  baschy,  Quelle  mit  vor- 
trefflichem und  reichlichem  Wasser.  Halt.  Spitze  des  alaü  dagh  ca. 
70°;  über  diesen  Berg  führt  der  atan  bei,  der  nördlichste  der  drei 
Pässe,  auf  welchen  man  von  iskenderün  in  das  karasu  - Thal  gelangt; 
die  beiden  anderen  sind  der  ges  bei  (s.  25/9  iih45“')  und  der  be/eil 
gedi'k,  der  bekannte  Pafs  von  baildn  ( belcn)\  ist  der  letzte  auch  der 
weitaus  am  meisten  benutzte,  so  werden  doch  auch  die  beiden  anderen 
oft  genug  begangen. 

lh  10m  fort  von  der  Quelle  auf  den  alaii  dägh  zu.  — ih  30"“  letzte 
Häuser  von  kairak',  dichter  Nebel  kommt  von  N und  bedeckt  den 
Berg,  so  dafs  ich  die  Besteigung  aufgebe;  wir  wenden  uns  nach  alma- 
dagh.  — ih40,n  bei  den  ersten  Häusern  von  almadügh ; die  20 — 30  H 
liegen  sehr  zerstreut  auf  der  ausgedehnten  Hochebene;  es  ist  Sommer- 
dorf und  seine  Bewohner  haben  ihren  eigentlichen  Sitz  in  apatschilli, 
ar.  el-'-abadschlljc , d.  i.  in  dem  tiefer  gelegenen  Komplex  von  Ort- 
schaften, welcher  diesen  Namen  führt;  ebenso  ist  es  mit  kairak',  beide 
Orte  sollen  schon  zum  Wilajet  adana  gehören.  — 2*>  Halt. 

2h17m  fort.  — 2 b 25 m an  der  Quelle  des  Baches  von  aschkar- 
bilik. — 2 h 45 m am  göjdschebel , nahe  von  einigen  der  sehr  zerstreut 
liegenden  50—60  H von  silkyl ; hier  nur  Dreschplätze  (harman,  ar. 
baidar),  kein  Dorf.  Die  Notiz  „ göjdschebel  15  H T"  (s.  T.isten)  wird 
sich  dagegen  nicht  halten  lassen.  — Die  Erklärung  des  Namens  als 
dschebel  el-azrak,  die  mir  von  einem  Einheimischen  gegeben  wurde,  ist 
sicher  falsch;  dem  etymologisierenden  Volk  liegt  allerdings  die  Zu- 
sammenstellung mit  ar.  dschebel  nahe;  der  Name  ist  aber  zusammen- 
gesetzt aus  gSjdsche,  bläulich,  schwärzlich,  von  gök,  göj,  und  bei  = Pafs, 
Sattel  (s.  I2h  io™).  — Halt,  iskenderün  308°,  fast  in  gleicher  Richtung 
aschkarbilik  und  kaukard. 

3h  fort.  — ca.  4h  in  kaukard,  50 — 60  H T,  Winterdorf  der  Leute 
von  sakyt.  Halt. 

4 h 50  m fort.  _ jh  25 m zurück  in  aschkarbilik. 

25.  September. 

7h  30 ra  fort  von  aschkarbilik. 

7h  52m  in  kaukard.  Durch  das  Dorf;  auf  einem  Rücken,  der  steil 
aus  dem  tiefen  Thal,  das  links  vom  Weg  ist,  aufsteigt;  jenseits  des 
Thaies  die  steile  Wand  des  salyhgalsch  düghy ; rechts  ein  anderer 
Rücken,  durch  einen  Einschnitt  getrennt.  — ca.  8 11  bei  dem  Haus 
meines  Führers  Mustafa,  einem  der  letzten  und  höchsten  des  Dorfes; 
iskenderün  3 io0.  Halt. 

8h  50m  fort;  immer  noch  auf  demselben  Weg,  auf  dem  wir  am 
Tage  vorher  zurttckgekehrt;  nach  S,  dann  SO,  dann  O.  — gh  scharfe 


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150 


Martin  Hartmann: 


Wendung  nach  rechts,  genau  S;  bald  darauf  über  ein  Wässerchen; 
nach  WSW. 

9h  12m  fast  östlich,  wenig  S;  auf  einer  Hochebene.  — 9h  23” 
bergauf  nach  SO;  bald  darauf  wieder  eben  — 6m  Halt.  — 9h  5o”> 
Halt,  iskenderün  31 50;  links  hatten  wir  immer  den  safyüga/sck  däghy', 
vor  uns  liegt  der  säkyt  daghy , links  von  ihm  almadägh,  rechts  der 
gez  bei. 

9h  53m  fort.  — 9h  55”1  rechts,  jenseits  einer  kleinen  Ebene,  die 
ersten  Häuser  des  sehr  zerstreut  liegenden  Sommerdorfes  sdkyt.  — 
10h  2 m links  immer  noch  Häuser  von  sdtyf.  — ioh  17 ra  über  eine  gut 
bebaute  Ebene.  — ioh  2öm  Halt. 

10h50m  fort.  — 11 h iom  Wald  mit  mächtigen  Bäumen,  besonders 
Rüstern,  Wacholder,  demirdschik  (?).  — 1 1 h 33 ,n  rechts  geht  ein  Weg 
nach  baildn  ab,  auf  dem  dieses  in  ca.  2 Stunden  zu  erreichen  ist.  — 
nh45m  auf  der  Höhe  des  gez  bel\  es  ist  ein  nur  ca.  30m  langer 
Sattel  zwischen  zwei  Bergspitzen,  die  nördlich  und  südlich  davon  auf- 
steigen; dieser  Pafs  bietet  den  kürzesten  Weg  in  das  Karasu-Thal.  — 
8ra  Halt.  — n*>  56 m bei  den  ca.  13  bereits  gänzlich  verlassenen 
Hütten,  in  welchen  die  Leute  von  kurtlu  fenk  und  kurtlu  jir decke, 
welche  Dörfer  ebenso  wie  tichailanly  und  külscküdsche  köj  am  Ostab- 
hang des  Gebirges  liegen,  sommern.  Die  Hütten  liegen  in  einem 
freundlichen  kleinen  Hochthal,  in  dessen  Mitte  ein  spärlich  fliefsendes 
Wässerchen.  Halt. 

12h  62ra  fort  auf  den  Gipfel  der  südlichen  Bergspitze  zu  Fufs.  — 
1 h 55 m auf  dem  Gipfel;  iskenderün  320°,  aschkar  bllik  3240;  der  nörd- 
liche Gipfel  1 5 0 ; akkaja  (s.  20./10.  i2>>  24m)  330;  zwischen  dem  nörd- 
lichen Gipfel  und  dem  scharfgezackten  akkaja  sieht  man  im  Hinter- 
grund den  asardede,  höchsten  Punkt  des  gjaur  dagh  (?),  zu  welchem 
der  akkaja  und  die  anderen  weiter  hinten  sichtbaren  Berge  gehören; 
höchste  Spitze  des  baildn  dcigh  246°. 

2h50m  fort;  sehr  steiler  Abstieg  auf  weichem  Boden.  — 3*1  i8m 
wir  münden  etwas  W vom  Pafssattel  in  den  alten  Weg  ein.  Halt. 

3h  55“  fort;  bald  nach  Abzweigung  des  baildn -Weges  (s.  1 1 h 33“) 
nimmt  Mustafa  den  näheren  Weg,  auf  dem  wir  heraufgekommen;  ich 
auf  der  besseren,  aber  längeren  Strafse.  — 4h  35ro  an  dem  Halte- 
punkt von  ioh  26“,  wo  mich  Mustafa  erwartet.  — 5h  45m  in  kaukard 
beim  Haus  Mustafa’s  (s.  8h).  — 6!l  15“  zurück  in  aschkarblltk. 

26.  September. 

10 h lÖm  fort  von  iskenderün,  begleitet  von  zwei  Mukaris,  dem 
arabischen  Christen  (griechisch)  Hannä  und  dem  Nussairier  Jüsuf,  und 
dem  Tschawusch  (Korporal)  Hasan,  einem  echten  Türken.  Der  Nus- 
sairier ist  unterwürfig,  fleifsig,  immer  heiter;  der  Türke  ernst,  zurück- 


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Dis  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschcbel  Bereket.  ]51 

haltend,  aber  zu  helfen  bereit  und  geschickt,  wo  es  not  thut ; der  Christ 
ist  frech , faul , unfähig.  — Dicht  am  Meer  in  gutem  Schritt.  — 
ioh47ln  links  am  Bergabhang  nergizlik.  — 1 1 h 15™  links  das  grofse, 
sich  sehr  lang  hinziehende  karaaghätsch  (karaghdlsc/i).  — 1 1 h 23  links, 
am  Fufs  des  Gebirges,  das  Dörfchen  kara  hüzüllü.  — uh40m  vor 
uns  links  ‘arab  deresi  an  einem  Hügel,  der  ein  Ausläufer  des  bailän 
iigh  ist.  — i2h  niedrige,  vom  Gebirge  vorgeschossene  Rücken  treten 
an  das  Meer  heran.  — i2h  15™  — 18 m um  eine  sehr  steil  abfallende  • 
Bergnase  herum;  die  Vorberge  treten  zurück.  — i2h  28m  links,  ca.  iom 
entfernt,  büjükdtrf,  ca.  30 m entfernt,  birindschlik  ( birldschli ).  — i2h  40 1,1 
Brunnen  ‘ain  el  harämije ; an  den  wieder  ans  Meer  tretenden  Bergen 
endang  und  um  sie  herum.  — 1 h 25"'  15“  links  /schenk  oder  tschengien. 

— ih  vor  uns  und  links  die  weite,  leicht  gewellte  Ebene  von 
arsüz.  — 2h  ca.  30 m links,  etwas  hinter  uns,  h'lse,  und  weiter  hinten 
svkuluk ; ca.  ih  links  akbar.  — 2h  i5m  über  den  zille  Ischai.  — 2h  25 m 
ab  von  der  Küste  in  die  mit  dichtem  Gebüsch,  besonders  Oleander, 
bewachsene  Ebene.  — 2h  3om  bei  der  schönen  Quelle  giildschihan,  3m 
vom  Meer;  etwas  südlich  von  hier  lief  der  ra/lf,  die  Römerstrafse  von 
der  Küste  nach  antdkija.  Halt. 

3h  fort,  am  Meer.  — 3h  40 m ab  von  der  Küste,  wegen  der  vor- 
springenden Berge;  sanft  bergauf.  — ca.  4h  2ora  wieder  am  Meer, 
das  hier  eine  Bucht  bildet,  an  deren  gegenüberliegender  Spitze  arsüz 
erscheint.  Kurz  vor  dem  Ort  über  ein  Flüfschen.  ca.  5h  5m  in  arsüz 
(auch  el-kaba  genannt),  abgestiegen  im  Haus  des  Dschirdschi  Nä'üs, 
eines  Tripolitaners,  der  seit  mehreren  Jahren  dort  ansässig  ist. 

28.  September. 

5h  45 m fort  von  arsüz  nach  S,  in  der  Richtung  der  Q.  el-fenk  durch 
die  Ebene;  rechts  niedrige  Hügel.  — 6h  20“  zwischen  zwei  gröfseren 
Hügeln  hindurch.  — 6h  25“  Hügelland;  nach  S,  mit  geringer  Ab- 
weichung nach  W.  — 6h  28">  wir  steigen  die  Hügel  (Vorberge)  hinauf. 

_ 6*1  37  m an  dem  Friedhof  des  rechts  gelegenen  Dorfes  chaime- 
sektsi,  das  nur  von  Türken  bewohnt  ist,  etwa  50  H,  und  zu  kesrlk  (keserik) 
gehört,  sofern  unter  diesem  nicht  eine  einzelne  Ortschaft  (s.  Karte  B4), 
sondern  ein  „Toprak“,  Gebiet  mit  mehreren  Ortschaften  zu  verstehen 
ist,  wie  das  der  türkische  offizielle  Gebrauch  zu  sein  scheint.  — 6h  42™ 
Halt  bei  einem  Hause  des  Dorfes;  freundliche  Aufnahme. 

7h  16ra  fort  nach  S.  — 7h  zs"1  wir  steigen  bergan.  7h42m  Halt. 

7h45m  fort.  — 7h  52"»  immer  zwischen  Hügelland;  ziemlich  steil 
bergauf;  bald  sehr  steil;  schlechter  Weg.  — 8h  10 m an  der  Wand 
einer  tiefen  Thalschlucht,  die  rechts  bleibt,  entlang;  rechts  unter  uns 
ein  lauter  Bach,  der  durch  das  steile  Thal  hinabfallt.  8h  I2ra  bei 


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152 


Martin  Hartmann: 


‘am  darb  el-maghära,  einer  Quelle  mit  vortrefflichem  Wasser,  die  den 
Bach  speist.  Halt. 

8h  22m  nach  O,  dann  N,  gleich  darauf  wieder  O.  — 8h  30™  arsüz 
wird  sichtbar  und  bleibt  es  meistens;  nach  SSO.  — 8h  35m  Weg  wird 
schlecht.  — 8h  46 m nicht  geradeaus,  denn  das  ist  ein  darb  kutuk 
chascheb,  Weg,  auf  dem  das  Holz  thalwärts  geschafft  wird,  sondern 
ein  wenig  nach  links  ab.  — 9h  2zra  abgesessen,  weil  der  Weg  zu  steil. 
arsüz  2,5°;  links  davon,  näher,  chaimesekisi ; jenseits  desselben,  noch 
etwas  weiter  links,  die  Mündung  des  viürdschümlü  tschai.  — Halt. 

9>>  45m  fort.  — 9h5im  die  maghdra,  eine  kleine,  wohl  natürliche 
Höhle,  in  welcher  die  Holzhauer  bei  Regen  Schutz  suchen;  im  SO  ein 
tiefes  Thal,  aus  welchem  uns  gegenüber  ein  hoher  Berg  aufsteigt,  an 
dessen  Rand  sich  ein  Weg  hinzieht;  dieser  Weg  soll  ursprünglich 
ein  darb  frendsch,  Strafte  von  Franken  gewesen  sein;  so  schliefet  man 
nach  den  großen  Steinen  und  Spuren  einer  alten  Kirche  dort;  er  war 
aber  verfallen  und  ist  erst  vor  nicht  langer  Zeit  von  Topal  Hisjün 
(=Husain?),  dem  er  gehört,  ausgebessert  worden,  doch  nur  bis  zu 
einer  gewissen  Stelle;  dieser  Weg,  der  von  arsüz  kommt,  vereinigt  sich 
bei  der  jäzije  (s.  ih4om)  mit  unserem  Weg.  Die  Berge  sind  stark  ab- 
geholzt. Halt. 

9h  Ö8m  fort.  — loh  14"*  an  dem  tiknit  el-moi,  d.  i.  Wassertrog, 
nach  W'elchem  der  Weg  auch  darb  et-teknc  genannt  wird;  das  ttkne  ist 
ein  im  Stein  ausgehöhlter  Raum,  in  welchem  sich  ca.  20  cm  hoch 
Wasser  befindet,  das  trinkbar  ist  und  mit  einem  darin  schwimmenden 
Kürbis  geschöpft  werden  kann,  wohl  Regenwasser;  nach  der  Volks- 
meinung ist  dieses  Ukne  alt  und  zwar  von  den  Franken  gemacht.  — Halt. 

10h  20m  fort;  immer  an  einem  Bergrücken  entlang;  links  tiefes 
Thal.  — rih  13m  vorbei  an  zwei  Häusern,  wo  Pech  (zift)  aus  Kiefer- 
harz ( merch , türk,  tschyran)  gebrannt  wird  von  vier  griechisch  und 
türkisch  sprechenden  Christen  aus  Anatolien  und  zwei  Christen  aus 
arsüz,  die  im  Sommer  dort  hinaufziehen.  — iih42m  sehr  schwieriger 
Anstieg;  arsüz  356°.  — nh45ra  Halt. 

Uh  56m  fort;  auf  dem  letzten  Teil  des  Weges  sehr  langsam,  oft 
zu  Fufs,  weil  der  Weg  sehr  steil,  zuweilen  sogar  nicht  reitbar  war; 
auch  weiter  sehr  langsam  bergauf. 

12h  2m  auf  der  Wasserscheide:  Blick  nach  der  anderen  Seite  des 
Gebirges;  von  hier  werden  die  Stämme  nördlich  nach  arsüz  durch 
Menschen  — auch  die  Frauen  müssen  mitarbeiten  — oder  durch 
Ochsen  herabgezogen;  zum  Transport  nach  Süden  werden  sie  oben  in 
Bretter  Ideff)  geschnitten,  die  dann  auf  Tieren  nach  sandyrdn  geschafft 
werden,  von  wo  sie  weiter  gehen,  besonders  nach  anfctkija.  — Auf  der 
Wasserscheide  entlang,  oder  vielmehr  etwas  unter  ihr  auf  der  südlichen 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereitet.  ]53 

Seite  nach  O;  bergab,  doch  sehr  wenig;  Weg  zwar  Reitweg,  doch 
äufcerst  beschwerlich.  — I2h  I7m  faf/um  pynary.  — i2h  22 m weite 
Rundsicht  mit  dem  dschebel  el-akrä  im  Hintergrund.  — i2h  26  m am 
dgi  o/ui,  einer  vortrefflichen  Quelle,  ungefähr  2 m rechts  unterhalb  des 
Weges;  von  hier  aus  dschebel  müsl  (siel  mit  T und  dschebel,  das  hier 
auch  von  den  Türken  nie  durch  dägh  ersetzt  wird)  vor  uns  zwischen 
1800  und  2000;  die  Spitze  des  dschebel  el-aira'  unter  ca.  iSo°  weit  im 
Hintergrund.  Halt. 

lh30m  fort.  — ih-jym  kleine  Hirtenhütte;  immer  noch  auf  der 
Wasserscheide,  oder  ein  wenig  unterhalb  auf  der  Südseite,  nach  O.  — 
ih4o“  beginnt  der  sehr  beschwerliche  Abstieg;  Wald;  diese  Seite  ist 
noch  wenig  abgeholzt;  nach  ca.  8 m Uber  eine  schöne  Ebene,  welche 
die  Araber  el-jdzije  (s.  9h  5 1 m) 1 ) , die  Türken  iyz/ar  iabury,  d.  i.  das 
Grab  der  Mädchen  nennen,  und  welche  besonders  reich  an  Wild- 
schweinen sein  soll;  ih46ra  geht  links  ein  Weg  nach  gömmadscha 
ab,  der  über  diesen  Ort  nach  an/dtija  führt;  immer  eben.  — ih  52ra 
hier  letzter  höchster  Punkt,  von  dem  aus  anfdkija  sichtbar.  — Halt. 

1 b 55 m fort;  Weg  sehr  schlecht,  eigentlich  nur  für  Maultiere,  nicht 
für  Pferde  zu  passieren,  mit  denen  er  auch  nur  selten  gemacht  wird; 
überhaupt  wird  dieser  Weg  wenig  begangen;  4—5  Personen  im  Monat. 
— 2h  30™  rechts  vor  uns  öffnet  sich  ein  tiefes  Thal,  wie  ein  solches 
links  schon  eine  Weile  lief.  — 2h  52 m auf  einer  schattigen  kleinen 
Ebene  mit  Kiefern,  welche  wegen  des  roten  Wassers,  das  sich  im 
Winter  hier  sammelt,  kyzyl  gSl,  d.  i.  roter  See  heifst;  hier  finden  sich 
viele  Hirsche8).  Halt 

2h  57m  fort;  zu  unserer  Rechten  immer  ein  hoher  Bergrücken,  von 
dem  wir  durch  ein  tiefes  Thal  getrennt  sind  und  der  in  rechtem 
Winkel  auf  den  dschebel  müsi  zu  stofsen  scheint.  — 3h  25m  Halt  auf 
einem  schattigen  Platz. 

3h  35m  fort;  sehr  steil  bergab  auf  glattem  Kiefernadelweg;  sehr 
langsam;  es  scheint,  dafs  die  nördliche  Seite  des  überschrittenen 
Hauptkammes  des  Gebirges  dschebel  arsßz,  die  südliche  dschebel  sandyrdn 
heilst.  — 4h  3om  rechts  ein  Wässerchen,  das  in  den  iaralschai  gehen 
soll.  — 5h  iom  über  den  Bach  von  sandyrdn,  der  nach  S (liefst.  — 

5 k 25  m bej  Jen  ersten  Häusern  von  sandyrdn,  und  zwar  von  dem  berl- 

')  d.h.  die  Ebene;  denn  jnuje  ist  nur  eine  Arabisierung  des  echt  türkischen 
Wortes  jdsy  „Ausdehnung,  grofser  Kaum,  Fläche,  Ebene“  (Zenker). 

8)  oder  ihnen  verwandte  Paarzeher;  meine  Begleiter  nennen  das  Tier  ar. 
**‘a  bern,  d.  i.  eigentl.  Wildziege,  türk,  gejik,  das  in  den  Wbb.  durch  „Hirsch“ 
viedergegeben  wird,  und  erzählen  davon:  es  hat  lange  Hörner,  die  ihm,  wenn  es 
it  Jahre  alt  wird,  in  den  After  hineinwachsen,  so  dafs  cs  sterben  mufs. 


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154 


Martin  Hartmann: 


gedsche , d.  h.  das  diesseitige,  genannten  Teil  des  Dorfes;  ca.  5m  zwischen 
diesen,  dann  über  Feld.  — 

5h  45 m nach  ca.  8“1  beschwerlichsten  Abstieges  auf  Steintreppen 
über  ein  Wasser  und  jenseits  bergauf;  ungefähr  3m  zwischen  den  Häu- 
sern des  ötegedsche,  d.  i.  jenseitigen  Teiles ; berigedsche  und  ütegedschc,  die 
etwa  20m  von  einander  entfernt  liegen  und  durch  den  schwer  zu 
passierenden  Flufs  getrennt  sind,  machen  vielmehr  den  Eindruck  von 
zwei  verschiedenen  Dörfern.  — 6>l  beim  letzten  Hause  des  Dorfes,  dem 
des  Schulzen  (Schech  Hadschi  Agha),  bei  dem  wir  die  freundlichste 
Aufnahme  finden. 

29.  September. 

6 h 50m  fort  nach  SSO;  sanft  bergab;  südlich  von  uns  der  dschchel 
müst.  — Steil  bergab  zu  einem  Wässerchen,  das  in  den  karatschai 
geht;  jenseits  bergauf  nach  O.  — 7h  5m  wieder  über  das  Flüfschen; 
an  einem  Thal  mit  stark  rauschendem  Bach  entlang.  — Von  sandyran 
führt  ein  direkter  Weg  zur  kal'a  (s.  unten  tzhö"1),  der  jedoch  sehr 
beschwerlich  ist.  — 7b  iom  links  unter  uns,  sehr  tief  im  Thal,  der 
nähr  karatschai  el-keblr.  — 7 h 1 2 1,1  mündet  von  N in  dieses  Thal  ein 
minder  tiefes,  kurzes  Querthal  mit  wenig  Wasser.  Wir  immer  auf  der 
steil  abfallenden  Südwand  des  karatschai-Thzles,  dicht  am  Rand,  ent- 
lang, ziemlich  eben.  — 711  25”“  näher  an  der  Thalsohle;  der  Flufs  hat  nur 
geringes  Gefäll;  fast  eben.  — 7h  27 m links  geht  bergab  die  Strafse  nach 
antakija  ab;  nach  rechts,  vom  Flufs  ab,  ziemlich  steil  den  Berg  hinan, 
immer  auf  der  Strafse  nach  es-nvidtje ; meine  Begleiter  stellen  fest,  dafe  der 
Weg  über  den  Oghlansiny-Pafs  (s.  Karte  B 5)  weiter,  aber  bequemer 
ist.  — 7h  30»1  ab  nach  S in  ein  Seitenthälchen  des  karatschai ; an  der 
Thalwand  darüber  fort;  dann  steil  bergauf.  — 7 h 3 2 m einige  Häuser, 
die  zu  ekiz  köprü,  d.  i.  Doppelbrücke,  gehören  sollen;  wir  befinden  uns 
bereits  am  Rand  des  dschebel  müsl.  — Bergauf  bis  7h  36'",  dann  berg- 
ab; links  Häuser  von  ekiz  köprü , das  von  Türkmenen  (?  gemeint  ist 
wohl:  Türken;  die  Christen  der  Gegend  nennen  die  Türken  meist 
fälschlich  Türkmenen)  bewohnt  ist;  hier  wird  Seidenzucht  getrieben. 
7 h 50“*  bergauf.  — 7 h 53 m eben;  links  im  Grund  des  auf  beiden 
Seiten  sanft  abfallenden  Thaies  der  karatschai,  auf  dessen  jenseitigem, 
nördlichen  Ufer  sich  die  antakija- Strafse  hinzieht,  nicht  sehr  hoch  über 
dem  Flufs,  den  sie  kurz  vorher  überschritten  hat.  — 7h  56m  bergauf. 
— 8b  wir  verlassen  das  Gebiet  von  ekiz  köprü  und  treten  in  das  von 
tschaghylghün  ein;  immer  eben  an  der  sanft  abfallenden  Thalwand 
entlang.  — 8h  nm  etwas  bergauf,  gleich  darauf  wieder  eben.  — 8h  15“ 
bei  einer  vortrefflichen  starken  Quelle,  deren  Wasser  durch  ein  steiles 
Seitenthal  nach  N zu  in  den  karatschai  geht;  zahlreiche  mächtige  Nufs- 
bäume;  hier  einige  Hütten,  in  denen  Armenier  aus  bitjäs  Seidenzucht 


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Das  Liwa  Halep  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  (55 

treiben,  die  aber,  wenn  ihre  Arbeit  beendigt,  wieder  nach  bifjds  zurück- 
kehren. Halt. 

9h  fort;  im  bergauf,  dann  eben.  — 9h  im  das  ziemlich  bedeutende 
Dorf  el-'ädilhjc  türk,  adilll,  das  an  der  an/akija-Strake  liegt,  und  zwar 
nördlich  von  einem  grofsen,  flachen  Felsenfeld  ca.  i h 1.;  i St.  östlich  davon 
tlldscha,  türk,  sailadscha  oder  saijyladscha,  ebenfalls  an  der  anfdkija- 
Strafse;  in  el-'dd.  A und  N,  in  slldscha  nur  N.  — Nach  S,  bald  darauf 
unter  210:220°,  an  dem  Ostrand  des  dschtbcl  mlisl  herum.  — 9h25m 
rechts  einige  Häuser,  die  schon  zu  bitjds  gehören.  — gh  30 m mitten  im 
Dorf  bei  dem  Haus  Barker’s');  äufserst  unfreundlicher  Empfang  von 
Seiten  der  Armenier,  die  Verwalter  des  Grundstücks  und  Hauses  sind ; 
alles  macht  den  trostlosesten  Eindruck;  was  eine  fleifsige,  intelligente 
Hand  mit  Liebe  geschaffen,  verfällt,  wird  mit  Gleichgiltigkeit  dem 
Ruin  entgegengeführt.  Der  Garten  verwildert,  das  Haus  ist  allenthalben 
schadhaft  B hintcrliefs  drei  Söhne,  von  denen  nur  noch  einer,  Edward, 
lebt.  Das  Grab  seines  Vaters,  das  auf  der  höchsten  Terrasse  des 
an  der  Berglehne  klebenden  Gartens  liegt,  ist  von  ihm  mit  einem  Denk- 
stein geziert.  Oberverwalter  aller  Besitzungen  B.’s  ist  ein  Levantiner  in 
haUb.  Mit  dem  Mund  strömen  die  Armenier  dort  von  Dankbarkeit  für 
den  Verstorbenen  über:  Viele  rettete  er  vor  Vergewaltigung  durch  die 
Mächtigen,  ja  vom  Tode;  mancher  Mutter  den  einzigen  Sohn  vom  Kriegs- 
dienst zur  Zeit  Ibrahim  Paschas  (von  dessen  strenger,  keinen  Glaubens- 
und Klassenunterschied  kennender  Zucht  weder  Muslims  noch  Christen 
etwas  wissen  wollen);  ein  besonderes  Verdienst  hatte  B.  durch  Ein- 
führung und  Veredelung  vom  Bäumen  und  Pflanzen;  es  war  dies  ein 
Sport,  dem  er  sehr  grofse  Opfer  brachte.  Nach  dem  mich  herumfüh- 
renden Armenier,  Sohn  des  Frank  Serkls,  hat  bi/jds  550  Seelen,  274  A, 
276  AP;  die  protestantische  Gemeinde  bestehe  seit  28  Jahren:  aufser 
biljäs  seien  noch  drei  Dörfer  rein  von  Armeniern  bewohnt:  joghun  uluk, 
arab.  tl-ghulluk  mit  450  — 500  H (?),  frädschi  habcbh  und  hebst.  — 10 m 
SO  von  B.’s  Haus  die  schöne  Quelle  kara  puiiar,  die  zwischen  Felsen 
hervorkommt,  und  deren  Wasser  in  den  kara  tschai  geht;  2m  davon 
eine  unbedeutende  Ruine,  lumm  ed-dahab  (nach  dem  Hlg.  Chrysosto- 
mus?)  genannt,  wohl  aus  der  Zeit  des  kleinarmenischen  Königreiches 
der  Rupeniden,  in  welcher  hier  zahlreiche  Klöster  waren2);  auf  einem 
Stein,  der  neuerdings  als  Oberbalken  eines  Thores  verwandt  ist,  ein 
griechisches,  von  einem  Kreis  umschlossenes  Kreuz,  mit  Verzierungen 
in  den  Feldern;  wenig  oberhalb  eine  Höhle,  die  als  Einsiedlerort  ge- 

')  S.  über  ihn  Ritter  XVII  41.  iaoj. 

2)  Ausführlich  behandelt  die  darüber  vorhandenen,  sehr  zerstreuten  und  leider 
nicht  sehr  ausgiebigen  Nachrichten  Alischan,  Siswan  (Venedig  1885). 


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156 


Martin  Hartmann: 


dient  haben  soll.  Es  sollen  sich  an  elf  Stellen  Ruinen  finden,  Uber 
die  ganze  Gegend  zerstreut,  von  denen  jedoch  meist  nichts  als  der 
Grundrifs  zu  sehen;  in  ihrer  Umgebung  viele  Cisternen,  etwa  300,  wohl- 
gemauert;  doch  nirgends  eine  Inschrift;  das  Volk  hält  diese  Ruinen, 
die  sämtlich  nicht  bedeutend  und  bis  auf  wenige  gänzlich  zerstört  sind, 
für  Kirchen  aus  der  Zeit  der  Franken.  Zu  ihnen  ist  wohl  zu  rechnen 
die  ka/'a  (s.  I2h  8m)  und  die  mantrün  (—  ar.  matrdn : Metropolit?)  kalesi, 
letztere  auf  nicht  reitbarem  Weg  in  3 Stunden  zu  erreichen. 

llh  25m  fort.  — 11 h 43  wir  treten  auf  das  Gebiet  von  el  - hababhjc 
(türk,  hädschi  habt-bli)  über.  — nh46m  an  einem  Wässerchen  entlang. 
— nh52m  über  das  Wässerchen;  sehr  beschwerlicher  Aufstieg  über 
mächtige,  glatte  Steinplatten.  — 1 1 h 55 m erste  Häuser  von  el-(tabablije\ 
der  Weg  wieder  gut.  — 12 h 8m  dicht  unter  der  ka/'a,  die  ca.  2m  rechts 
oberhalb  vom  Weg  liegt,  und  zu  der  wir  zu  Fufs  auf  sehr  schlechtem 
Weg  hinaufklimmen;  von  der  Ruine,  die  von  den  Leuten  von  el-hab 
allmählich  abgetragen  wird,  indem  sie  die  Steine  zum  Bau  ihrer  Häuser 
verwenden,  nur  noch  wenig  erhalten.  Der  Weg  über  die  ka/'a  ist  be- 
schwerlicher und  länger  als  die  Hauptstrafse  von  bitjds  nach  es-m.'tJijt. 
Von  dem  kleinen  Hügel,  auf  dem  die  ka/'a  liegt,  guter  Überblick:  unter- 
halb cl-bababhje  schlängelt  sich  der  bSjük  tschai,  d.  i.  der  bisher  nur  als 
karatschai  bezeichnete  grofse  karatschai  ; d-mischräkljt,  das  die  Armenier 
dort  mit  der,  in  der  ganzen  Gegend  um  anfdkija  üblichen  Aussprache 
des  k als  ch  (joch  für  jok,  bachach  für  bakak  = bakalym)  mischrachiji 
nennen)  170°. 

12h  35m  wieder  bei  den  Tieren  auf  dem  Weg  unterhalb  der  ka/'a", 
fort.  — i2h  58 m gerade  auf  die  Spitze  des  dschcbcl  cl-akra  zu,  die  sich 
scharf  abhebt,  wie  dieser  einsam  aufragende,  stolze  Pik  gleichsam  eine 
Landmarke  bildet.  1 *>  g m Abstieg.  — ih  15“  Ruine  einer  Kirche,  ge- 
nannt lummäs  khsasy  oder  kmsit  mär  dümat;  die  Breite  des  Mittelschiffes 
betrug  4’,  m;  die  Armenier  aus  den  umliegenden  Dörfern,  und  selbst 
weiter  her,  kommen  hierher,  um  zu  beten.  Doch  soll  der  Besuch  sich 
nicht  an  einen  bestimmten  Tag  knüpfen.  Halt 

lh  25™  fort,  nach  W,  bald  nach  SW'  und  mehr  südlich.  — ih  44m 
bei  den  ersten  Häusern  von  jöghun  u/uk ; dann  durch  ein  tiefes  Thal 
auf  sehr  glatten  Steintreppen;  jenseits  noch  andere  Häuser  des  grofsen 
und  betriebsamen  Fleckens;  hier  ist,  wie  in  cl-kababhjc,  bedeutende 
Seidenzucht  und  Herstellung  von  Seidenwaaren  (Gürteltücher,  Kopf- 
tücher u.  dgl.).  — 2h  — 2k  3“  beschwerliches  Reiten  auf  sehr  glattem 
Steinplattenweg.  — 2 11  10  “>  bei  den  ersten  Häusern  von  chidrbtk.  — 
2 h 1 5 ,n  an  einem  kräftigen,  ca.  2 m breiten  Bach,  der  wenige  Min. 
nördlich  entspringt.  Halt.  Der  Krämer  Müsä,  Typus  eines  alten  Ar- 
meniers, macht  folgende  Angaben:  das  Dorf  chidrbtk  hat  ca.  250  H, 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liw.i  Dschebel  Bereket.  J57 

mit  joghun  uluk  zusammen  ca.  500  H;  in  der  Nähe  liegt  eine  alte 
Kirche,  in  welcher  regelmäfsig  am  Wartawär-Tage,  dem  Sonntag  nach 
Ostern,  Gottesdienst  gehalten  wird ; sie  ist  erst  vor  ca.  40  Jahren  her- 
gerichtet, nachdem  sie  in  Ruinen  gelegen;  noch  lebt  bei  diesen  Älteren 
die  Erinnerung  an  die  frühere  Zeit,  mit  ihren  Gewaltthätigkeiten  der 
Mächtigen:  so  an  den  bösen  Hadschi  Bekir  Agha  in  anfäkija,  der  hier 
befahl.  Der  Ahorn,  unter  dem  wir  gelagert  sind,  hat  mit  seinem 
mächtigen  hohlen  Stamm  schon  als  Kapelle  gedient,  nachdem  ein 
Knabe  dort  eine  Erscheinung  von  zwei  weifsen  Männern  gehabt  hat. 

3h  40m  fort,  nach  S,  viel  Ölbäume  zu  Seiten  des  Weges,  wie  diese 
ganze  Gegend  reich  daran  ist;  rechts  in  einer  Vertiefung  das  Dorf 
cl-jäzUr  unter  230°  (A  und  N).  — 4h  6m  ca.  5“  rechts  einige  Häuser 
von  et-jdzür,  — 4h  10“  Ruinen  einer  von  Barker  in  grofsem  Mafsstab 
angelegten  Seidenspinnerei.  — 4 h 25  m an  dem  Wasser  von  chidrblk, 
welches  die  ganze  Ebene  von  es-swidlje  bewässert.  — 4 h 2 7 m Mühle 
und  erste  Häuser  von  ez-zltüntje.  — 4 11  30 über  den  Flufs.  — 4*»  50“1 
im  Hause  des  Herrn  ‘Abd  el-hakk  Sulaimän  ‘Abd  el-hakk  in  ez-zltUntje. 

30.  September. 

11  *>  fort  von  ez-zltünlje  auf  den  dschebel  el-akra  zu.  — nh  4m  über 
ein  Wässerchen ; in  gutem  Schritt,  — 1 1 h 9m  wieder  über  ein  Wässerchen ; 
sanft  bergan.  — nh  nra  bei  den  letzten  Häusern  von  ze-zltümje , im 
NW  des  Ortes;  wieder  nach  W,  auf  el-dschedlde  zu.  — nh  15m  Halt. 

llh  18m  fort.  — nh  22m  nach  W,  wenig  S.  — uh  30™  ca.  15m  ent- 
fernt, am  Fufs  des  dschebel  mUsa,  korderesi  ca.  20°;  rechts  und  links 
am  Weg  die  Gärten  von  el-dschedide  ca.  15  m entfernt,  e-fdchüra  150°; 
links  el-eskele.  Halt. 

Uh39m  fort,  immer  zwischen  Gärten  des  Dorfes  el-dschedlde,  das 
reicher  als  alle  übrigen  Ortschaften  von  es-swldlje  an  Wein  und  Granaten 
sein  soll.  — nh45m  im  Hause  des  ‘Ali  Dlb,  eines  nussairischen  Sche- 
riks  des  Herrn  Nikula  Saba  in  ez-zclUnlje.  Halt 

lh  15 ra  fort  nach  SW,  begleitet  von  dem  Nussarier  ‘Ali  Dlb.  — 
1 h 19“  aus  den  Gärten  von  el-dschedlde  heraus,  über  eine  schön  an- 
gebaute, fruchtbare  Ebene  zum  Meer.  — ih4om  ca.  sm  vom  Meeres- 
ufer, bei  dem  Makäm  (Wallfahrtsort)  des  Chiclr  oder  Mär  Dschir- 
dschis,  d.  i.  heiligen  Georg,  welcher  besonders  von  den  Haidarlje  oder 
Schemällje-Nussairiern  aus  an/dhija  viel  besucht  wird.  Auch  jetzt  ist  dort 
viel  Volks,  wohl  1000  Seelen,  die  ein  lustiges,  sehr  weltliches  Treiben 
dort  üben;  der  Chaddäm,  d.  i.  der  Hüter,  erhält  von  jedem  dort  ge- 
schlachteten Tier  das  Fell;  auch  an  Streit  fehlt  es  nicht:  die  Nussai- 
rier  reiben  sich  mit  den  Muslims,  die  ebenfalls  aus  an/dhja  zu  dem 
Fest  gekommen  sind  und  in  drei  Häusern  und  zwei  Zelten  neben 
dem  Makäm  wohnen;  das  viereckige  Gebäude  aus  Stein,  das  nach  oben 

Z«itschr.  d.  Gescllsch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  1 1 


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158 


Martin  Hartmann: 


in  einen  stumpfen  Kegel  ausläuft,  ist  ca.  3 m hoch;  an  einer  sehr 
hohen  Stange,  die  es  überragt,  ist  eine  Laterne  befestigt,  welch  nächt- 
lich brennt;  sie  soll  wohl  als  Leuchtfeuer  an  dieser  gefährlichen  Küste 
dienen.  Halt. 

1 h 50 m fort;  in  geringer  Entfernung  vom  Meer  nach  N.  — zh  2m 
Anfang  eines  stagnierenden  Wassers,  das  aus  einer  Quelle  bei  <1- 
mughdjir  kommt,  und  an  dem  wir  hinreiten.  — 2h  9”  und  weiter, 
mehrfach  über  Bäche  und  Rinnsale,  oder  trockene  Betten  von  solchen; 
im  allgemeinen  erscheint  das  Land  hier  als  eine  Sandwüste;  zuweilen 
rechts  gepflügtes  Land , das  mit  Dara  (Mais)  .bestellt  werden  soll.  — 
2 h 32 m links  wieder  stagnierendes  Wasser  in  Pfützen.  — 2>>37m  wir 
wenden  uns  vom  Meere  ab,  einem  Trümmerhaufen  zu.  — 2h  38 m bei 
einer  Steinmauer,  die  wohl  eine  Wand  des  alten,  künstlichen  Hafens 
von  Seleucia  bildete,  den  ‘Ali  Dlb  mmat  el-katahtniU  nennt,  und  der 
sonst  gewöhnlich  einfach  mlnat  el-'ali^a,  der  alte  Hafen,  genannt  ward. 
— 3I1  3m  bei  den  Wachthäusem,  bezw.  der  Höhle,  die  am  Eingang 
des  boghilz,  d.  h.  des  den  Hafen  mit  dem  Meer  verbindenden  Kanals, 
in  den  Felsen  gehauen  ist;  von  hier  die  Kirche  von  el-kabüslje , das 
ca.  30 m vom  Meer  entfernt  ist,  60  °;  nördlich  von  hier  el-tschauhk,  ein 
Dörfchen  am  Meer,  das  noch  zum  Gebiet  von  d-käbüsijc  gehört.  Die 
Bevölkerung  ist  hier  ganz  armenisch;  auch  oberhalb  der  Höhle  sind 
einige  Häuser,  welche  zu  el-käbüslje  gehören,  und  die  Höhle  selbst  ist 
Eigentum  der  Armenier  dieses  Dorfes;  dieselben  räumen  übrigens  mit 
den  Ruinen  des  alten  Seleucia,  auf  dessen  Boden  wir  uns  hier  be- 
finden, gut  auf;  sie  verkaufen  die  alten  Bausteine  mit  einem  Piaster 
das  Stück,  und  auch  der  Schech  Ibrahim  el-Dschilli  soll  den  Bedarf 
zum  Bau  seines  Konaks  in  d-dschillije  von  hier  bezogen  haben.  Halt. 

3h  löm  fort  von  der  östlichen  Kanalöffnung  durch  den  dehhz,  den 
berühmten  Felsenkanal,  den  merkwürdigsten  Rest  der  Seleucus-Stadt, 
welcher  ausführlich  beschrieben  ist  BädA  390  f. ; meine  Begleiter  nennen 
ihn  d-gärls  (=  persischem  kehrlz  oder  kärlz);  in  einem  Garten  südlich 
des  Trümmerfeldes  eine  stark  beschädigte  Statue  von  mäßiger  Arbeit, 
die  hier  gegen  1842  gefunden  sein  soll.  Nach  längerem  Umherstreifen 
kommen  wir  5h  50“  zu  dem  ca.  40  H zählenden  el-mughdjir.  Über 
den  Rückweg  nach  ez-zdünije  ist  nichts  notiert. 

1.  Oktober  in  ez-zdümje. 

2.  Oktober. 

Visuren  vom  Dach  des  Hauses  des  Herrn  ‘Abdelhakk  in  ez-zltünljc. 
ein  Hügel,  hinter  welchem  el-lauschlje  liegt,  237  °;  Spitze  des  dschcbd 
el-akrä  191  °;  in  derselben  Richtung  die  Bucht  barabdschak  mit  einem 
kleinen  natürlichen  Hafen;  an  ihrer  nördlichen  Seite  el - mijcidün ; 
die  weifee  Kuppel  des  Schech  Hasan  in  el-dschilhje  1940;  wenig  nörd- 


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Das  I-iwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berckel.  J 59 

Sch  davon  die  Häuser  des  Sch.  Ibrahim  el-dschillT;  chidrbtk  am  Ab- 
hang des  Gebirges  334 knlsel  es-satjide  345 tl-dschcrirlje  338°, 
beide  ca.  15 m von  ez-zttünsje\  el-hababllje  3°. 

10h50m  fort  vom  Hause  des  Herrn  ‘Abdelhakk  in  e z-zllünije.  — 
n*>  i8m  wir  treten  aus  den  Gärten  heraus  auf  das  wafa  el - 'dfl,  die 
„Orontes-Ebene“,  ein  Gelände,  welches  aufserordentlich  ertragreich  ist. 
— nh  33 m am  ‘dfl  oder  ‘i lf  (letztere  Aussprache  die  fast  allein  übliche), 
nachdem  wir  die  ganze  Zeit  in  sehr  gutem  Schritt  geritten.  — nh  37"» 
in  el-eskele,  das  nur  aus  sieben  Chans  besteht;  Besuch  des  Herrn  Nikola 
Schukrl  in  seinem  Chan,  wo  sich  auch  der  Onbaschi  einfindet,  der  mit 
zwei  Mann  Vertreter  der  Regierungsgewalt  ist.  Etwa  ein  Jahr  nach  mei- 
nem Besuch  wurde  eine  dem  Kaimmakam  von  antäkija  unterstehende 
Mudirije  es-swldlje  gebildet,  mit  Sitz  des  Mudirs  in  el-eskele.  Halt. 

12 h 13m  fort  von  el-eskele',  auf  einer  an  einem  Tau  gezogenen 
Fähre  über  den  Strom. 

12h  32m  fort  von  dem  südlichen  Ufer;  an  ihm  beginnen  ca.  2m 
östlich  vom  Landungsplatz  die  Gärten  des  Dorfes  el  - dschilllje , in 
welchen,  ca.  6m  vom  Landungsplatz,  die  Zijdra  des  Schech  Hasan 
Schech  el-harf  liegt;  wenig  nördlich  derselben  die  Häuser  des  Sch. 
IbrähTm  el-dschilll;  ca.  3ra  östlich  vom  Dorf  steigt  sanft  der  dschebel 
ti-ldbunije  an.  — 1 2 h 40 m der  Fufs  des  Gebirges  ca.  5™  links.  — 
J2h4im  links  am  Weg,  fast  bis  zum  Gebirge  reichend,  ein  Sumpf.  — 
i2h  43“  mit  Wendung  nach  O um  das  südliche  Ende  des  Sumpfes 
herum  auf  das  Gebirge  zu;  130°.  — i2h  48“"  Halt. 

12h  50m  fort;  150°  — ih  dicht  unter  einem  steil  abfallenden  Felsen 
des  Berges;  rechts  mächtige  Felsblöcke.  — ih3ra  links  unter  dem 
überhangenden  Felsen  ein  fast  trockenes  Bassin,  das  bestimmt  war,  das 
Wasser  einer  Quelle  aufzunehmen,  welche  sich  jetzt  unter  der  Erde 
einen  Weg  bahnt,  und  das  nach  Angabe  eines  vorbeireitenden  Nussairiers 
baft  (ha/d?)  el-häwOz  heifst;  die  südliche  Seite  des  Bassins  wird  von 
dem  unregelmäfsigen  Felsen  gebildet;  die  nördliche  ist  eine  gemauerte 
Wand,  6,94  m lang  und  1,10  m breit;  die  anderen  Wände  sind  5,20  m 
lang;  von  der  Vorderwand  läuft  eine  gemauerte  Rinne  nach  NW  ab, 
welche  wohl  das  Wasser  des  Bassins  in  eine,  offenbar  alte,  Wasser- 
leitung führte,  die  hier  vorbeikam  und  von  der  Spuren  noch  namentlich 
in  der  Richtung  auf  el-mijddün  (s.  i*1  50"1)  zu  erkennen  sind.  Halt. 

lh30ra  fort;  dicht  am  Berge  entlang;  250°.  — ih33ra  und  weiter, 
kommen  fast  beständig  links  zahlreiche  Quellen  unter  dem  Berge  her- 
vor, meist  reichlich  sprudelnd,  welche  in  der  leider  nur  wenig  ange- 
bauten Ebene  verlaufen;  rechts  Spuren  einer  Wasserleitung ; es  ist  wohl 
dieselbe  wie  die  1 h 3m  erwähnte.  Halt. 

lh37m  fort.  — ih38ra  an  dem  äulsersten  Vorsprung  des  Berg- 

11* 


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IGO 


Martin  Hartmann: 


rtickens  herum,  190°;  überall  starke  Quellen  mit  reichlichem  Wasser; 
rechts  am  Weg  bebautes  Land.  — ih45m  das  Gebirge  tritt  zurück; 
180 — ih  5om  rechts  erstes  Haus  von  cl-mijadün.  — ih  53™  auf  dem 
Platze  des  Dorfes;  ich  suche  einen  Führer  nach  bezga,  das  im  Mund 
der  Leute  hier  wie  bezgO  klingt;  von  den  Nussairiern  will  niemand  mit- 
gehen; endlich  findet  sich  ein  Türke  aus  karaktisl,  der  in  Geschäften 
hier  ist  und  uns  führen  will.  — Zu  Fufs  am  Rande  des  Gebirges 
bergauf,  sehr  beschwerlich  wegen  der  glatten  Felsplatten,  die  den  Weg 
bilden;  cs  zeigt  sich,  dafs  der  Berg,  den  wir  nun  hinaufreiten,  von  dem, 
an  dem  wir  früher  entlang  geritten  sind,  durch  ein  Thal  getrennt  ist. 
2*>  6m  wieder  zu  Pferd;  zunächst  nach  O;  der  ziemlich  breite  Weg 
zieht  sich  in  Windungen  den  Berg  hinan.  — 2h  i3ro  links  geht  ein 
Weg  nach  tümama  ( tltma ),  auch  tummdma  genannt,  ab;  steil  bergauf.  — 
2h  18  m vor  uns,  etwa  unter  200°,  an  dem  Abfall  des  gegenüberliegenden 
Berges,  bzw.  Felsens,  eine  Höhle,  e/-(iamm<lm  genannt;  links  Ruinen 
einer  Kirche,  doch  unbedeutend.  Halt. 

2h  25'"  fort;  150°;  rechts  unter  uns  die  lieblichen  Felder  der 
Ebene  und  weiter  ein  westöstlicher  Bergrücken;  links  ebenfalls  ein 
Bergrücken,  doch  durch  ein  Thal  getrennt;  an  dem  Rücken  rechts 
hinauf.  — 2h43m  schon  nahe  der  Höhe  des  Rückens;  vor  uns,  ca. 
30m  entfernt,  karaküsl  950;  2h47m  der  Weg  teilt  sich:  links  nach 
karaknsi,  das  ca.  50  H hat,  und  Uber  welches  auch  ein  Weg  nach 
bezga  führt;  rechts  der  direkte  Weg  nach  bezga  unter  150 °,  den  wir 
nehmen;  rechts,  dicht  neben  uns,  ein  tiefes,  sehr  schmales  Thal,  jen- 
seits dessen  sich  eine  steile  Wand  erhebt ; beide  Thalwände  sind  mit 
dunklem  Laub  dicht  bedeckt;  160/170°;  zwischen  zwei  Bergrücken,  vor 
uns,  ca.  15 m entfernt,  eine  Kuppe;  zwischen  Gebüsch  und  niedrigen 
Bäumen  hindurch.  — 3h  2*  die  beiden  Bergrücken  entfernen  sich  von 
einander;  zwischen  ihnen  steigt  ziemlich  steil  die  Kuppe  auf;  wir  lassen 
dieselbe  links  und  gehen  3h  5m  zwischen  ihr  und  dem  rechten  Berg- 
rücken hindurch;  dann  wieder  zwischen  den  beiden  Rücken,  die  einen 
mäfsigen  Abfall  haben  und  sich  nicht  mehr  hoch  über  den  Weg  er- 
heben ; 150160°.  — 3h  15®  auf  einer  kleinen  Ebene,  die  rings  von 
niedrigen  Höhen  begrenzt  ist;  dann  unter  i5o°(i8o^?)  auf  einen  quer- 
vorliegenden höheren  Bergrücken  los.  — 3h  26 m rechts  ein  Weg  berg- 
auf, der  auch  nach  bezga  führt.  — 3h  30 m 2 H,  die  schon  zu  bezga 
gehören  sollen;  hinab  in  eine  Grotte  zu  einer  Quelle,  die  früher  ein 
jetzt  trocken  liegendes,  nach  dem  Volksglauben  aus  der  Zeit  der  Frenk, 
Franken,  oder  Küffär,  Ungläubigen,  d.  h.  der  Kreuzfahrer,  stammendes 
Kastal1)  speiste.  Halt. 

1 ) Dieses  Wort  wird  im  Folgenden  immer  für  die  so  häufig  unzutreffenden, 
schon  seit  Jahrhunderten  in  denselben  Formen  gehaltenen  Brunnen  angewandt 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Lina  Dschebel  Bereket.  )ß) 

3h  40 m fort.  — 3h  4im  Spitze  des  dschebel  el-akra  230°;  wir  gehen 
gerade  auf  dieselbe  los;  rechts  schieben  sich  die  Berge  kulissenartig 
in  einander,  im  Hintergrund  das  Meer.  3 h 47'"  ca.  2m  rechts  einige 
Häuser;  rings  um  uns  niedrige  Bergrücken,  zwischen  denen  freundliche 
Ebenen.  — 4h4m  rechts  ein  Thal;  meist  eben,  zuweilen  ansteigend, 
selten  absteigend.  — 4h45In  am  ersten  Hause  von  bezga,  nachdem  ich 
kurz  vorher  den  Führer  (s.  oben  rh53m)  abgelohnt  und  entlassen.  — 
4h  48 m bei  der  Dorf-Moschee,  in  deren  Nähe  ich  in  einem  leerstehenden 
Haus  Quartier  nehme;  Empfang  nicht  allzu  freundlich;  nur  der 
Hodscha  (Schulmeister)  des  Ortes  und  ein  Bursche,  den  das  Los  bei 
der  Ziehung  zum  Militär  getroffen,  und  der  in  ein  paar  Tagen  sich  in 
el-urdu  stellen  mu£,  Ahmed  Agha,  machen  sich  um  uns  verdient. 
Letzterer  erbietet  sich,  uns  zur  Besteigung  des  dschebel  el-akra  Führer- 
dienste zu  leisten. 

3.  Oktober. 

fh  53m  fort  von  der  Moschee,  begleitet  von  Jüsuf  und  dem  Tscha- 
wusch  zu  Pferde,  Ahmed  Agha  zu  Fufs;  klare,  mondhelle  Nacht.  — 
2h  5”i  Halt. 

2h  8m  fort.  — 2h  55m  an  dem  Brunnen  lekmedschik1)  kastaly,  der 
nach  Ahmed  Agha  aus  der  Zeit  der  „Ungläubigen“  stammt.  Halt. 

3h  6m  fort;  nach  Ahmed  Agha  haben  wir  von  hier  aus  noch  eine 
halbe  Stunde  bis  zur  Spitze  (auf  dem  Rückwege  brauchten  wir  bei  sehr 
langsamem  Marschtempo  1 St.;  s.  unten  7h5om);  wir  verlieren  jedoch 
den  Weg;  die  Lage  wird  recht  unangenehm;  von  4h  bis  4h  4510  sehr 
steiler  Aufstieg,  unterbrochen  durch  einen  Halt  von  iora;  wir  müssen  uns 
in  dichtem  Gehölz  mit  Mühe  einen  Weg  bahnen,  auf  dem  äufserst  steil 
ansteigenden,  immer  unter  unseren  Ftlfsen  nachgebenden  Boden;  auch 
die  Tiere  kommen  nur  mühsam  vorwärts.  — 4h  45 m auf  einem  kleinen 
freien  Platz,  wenig  oberhalb  von  welchem  die  Kahlheit  beginnt,  von 
der  der  Berg  seinen  Namen  el-akra,  eigentlich  der  „kahlköpfige“,  hat; 
4 b 45®  Halt. 

4b  50  m fort;  der  Weg  ist  nicht  mehr  so  steil  wie  bisher,  und  der 
letzte  Teil  bis  vor  der  Kuppe  reitbar.  — sh  iom  auf  der  Kuppe  des 
Berges  bei  dem  zijäret  (ar.  ez-zijiira),  einer  aus  einfachen  Feldsteinen 
zusammengetragenen  kreisförmigen  Mauer,  die  nur  diesen  Namen, 
„Wallfahrtsort",  ohne  den  sonst  üblichen  Zusatz  eines  Heiligen-  oder 
Prophetennamens  trägt:  dieses  Heiligtum  wird  von  Muslims  und  Nus- 
werden: eine  Steinwand  von  2 X I bis  4 X 2 m,  mit  gewölbter  Nische,  in  deren 
Mitte,  etwa  go  cm  über  dem  Boden,  das  Wasser  aus-  und  in  einen  in  der  Nische 
stehenden  Trog  dielst. 

1 ) vielleicht  ist  teknedschik  gemeint;  vgl.  tekne  in  teknit  el-moi  28.  '9.  lob  14  m . 


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11S2 


Martin  Hartmann: 


sairiern  bewallfahrtet  und  ist  ein  recht  interessantes  Denkmal  des  auch 
heilt  noch  im  Orient  so  sehr  verbreiteten  Höhenkultus,  zu  welchem 
der  Tschawusch  die  ganz  ähnliche  Stätte  vergleicht,  welche  sich  nach 
ihm  auf  dem  daz  dagh  bei  dem  gez  bei  befindet;  auch  Ahmed  Agha 
machte  seine  Ceremonien:  er  ging  zwei  Mal  um  das  zijdret  herum,  und 
zwar  sogleich,  nachdem  wir  angekommen  waren;  nach  jeder  Umkrei- 
sung blieb  er  einen  Augenblick  stehen  und  betete;  es  wurde  ausdrück- 
lich bemerkt,  dafs  diese  Stätte  von  den  Christen  nicht  bewallfahrtet 
werde.  Diese  besuchen  vielmehr  eine  Kirchenruine,  die  nicht  weit 
unterhalb  der  Spitze  liegt  und  von  Ahmed  Agha  gezeigt  werden  sollte, 
uns  aber  nicht  zu  Gesicht  gekommen  ist  — Halt. 

0h  45m  fort  zu  FufS)  auf  dem  richtigen  Weg.  — 6h  57m  beginnt 
Waldung.  — 7 h 1 5 m aufgesessen,  da  man  von  hier  aus  meist  reiten 
kann;  in  langsamem  Marschtempo.  — 5“  Halt.  — 7>>4om—  44m  zu 
Fuß,  da  der  Weg  nicht  reitbar  ist.  — 7!«  5om  wieder  bei  dem  Brunnen 
lekmedschik.  Halt. 

7h  58m  fort_  gh  bei  der  Moschee  in  bezga.  Rast. 

10 h 30 m fort  von  bezga,  zunächst  auf  demselben  Weg,  auf  dem  wir 
gekommen.  - hinab  zu  einer  kleinen  Ebene  mit  Tabakpflan- 

zungen, wie  denn  Tabak  fast  das  Einzige  zu  sein  scheint,  was  die 
armen,  sehr  indolenten  Bewohner  von  bezga  kultivieren.  — ioh38m 
jenseits  hinauf.  — ioh  51 m Wegscheide.  Halt. 

10h  56m  fort;  w'ir  verlassen  den  alten  Weg;  80 °.  — iih5o>°  bei 
den  Dreschtennen  des  links  an  der  Straße  liegenden  Dorfes  heller.  — 
n h tj2ra  Halt  bei  dem  Dorf. 

12h  5m  fort.  — Von  ca.  i2h  2om  an  eben,  an  dem  oberen  Rand 
eines  ziemlich  steil  abfallenden  Bergrückens  entlang.  — ih  vor  uns  ein 
Dorf  unter  720.  — iht3m  links  einige  Häuser,  die  wohl  zu  dem  ca. 
8m  rechts  liegenden  Dorf  gehören,  das  mit  dem,  eben  unter  720  ge- 
sehenen identisch  ist  und  karatschor  heifsen  soll.  — 2 h bei  einem  einzeln- 
stehenden Haus,  an  welchem  gearbeitet  wird;  der  Besitzer  ist  ab- 
wesend, ein  Verwandter  desselben  nimmt  uns  aber  in  dem  frucht- 
reichen Garten  freundlich  auf;  nach  ihm  heifst  dieses  Haus  fellahlik 
(d.  i.  etwa  Meierei)  schahsini  und  gehört  zu  bazdr;  so  nennen  nämlich 
die  Türken  dieser  ganzen  Gegend  fast  ausschliefslich  das  Kada  und 
den  Ort  dschisr  esch-schughr,  welch  letzterer  Name  ihnen  nur  wenig 
geläufig  ist,  nach  dem  weit  und  breit  berühmten  Montagsmarkt,  der 
an  dem  Ort  regelmäßig  gehalten  wird;  dorthin,  nach  dschisr  esch- 
schughr , müssen  sich  die  jungen  Leute  von  schahsini  zum  Militärdienst 
stellen,  dorthin  müssen  die  Abgaben  entrichtet  werden  u.  s w.,  ein 
Zustand,  den  mein  Gewährsmann  lebhaft  beklagt,  da  die  Verwaltungs- 
vororte el-urdu  und  selbst  anfakija  ziemlich  nahe  liegen,  während  der 


Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereitet.  Jß3 

Ort  mit  dem  ca.  t2h  entfernten  dschtsr  tsch-sch.  sonst  gar  keine  Be- 
nehungen hat').  Halt. 

2h  45m  fort  von  schahsinr,  nach  einem  besonders  anfangs  sehr 
steilen  und  beschwerlichen  Abstieg  gelangen  wir  3h42m  an  Jas  stid- 
liche  Ufer  des  nähr  el-'ds  (Orontes),  ca  20m  östlich  von  dem  hübsch 
gelegenen  Dörfchen  ez-zlrije  (Name  nicht  sicher),  ca.  6 H,  auf  dem 
nördlichen  Ufer  des  Flusses  aus  dem  Grün  hervorblickend;  an  dem 
Flufs  fort  in  gutem  Schritt;  das  Thal  ist  hier  ziemlich  schmal  und 
die  Straße  zuweilen  nicht  unbedenklich,  da  auf  der  einen  Seite  der 
Bergabhang  ansteigt,  auf  der  anderen  Seite  das  Ufer  steil  zu  dem 
io — 15  m unter  uns  rauschenden  Flufs  abfällt;  dazu  ist  der  Weg  nicht 
eben;  bald  erhebt  er  sich  ziemlich  beträchtlich  Uber  das  Flufsbett,  bald 
läuft  er  dicht  neben  ihm  hin;  wir  befinden  uns  in  dem  sogenannten 
boghdz  (Engpafs,  Schlucht),  und  der  Abhang,  den  wir  zuletzt  hinabge- 
stiegen sind,  ist  wohl  der  Ostabfall  des  dschebel  es-sdbOnlje,  an  dessen 
Westseite  wir  den  Tag  vorher  (s.  oben  2/10  i2h  50"1  und  weiter)  ent- 
lang geritten  sind;  soll  doch  eben  der  dschebel  es-sdbünlje  im  Süden 
mit  dem  dschebel  mghairün *)  im  Norden  den  boghitz  bilden;  in  diesem 
boghilz  bis  ca.  4h5ra.  — 4h  24™  Uber  ein  trocknes  Flußbett;  rechts 
und  links  Häuser  eines  Dorfes.  — 4*“  34 m durch  das  sich  lang  hin- 
ziehende es-sinnlnijc.  — 4h  5om  gegenüber  der  Mündung  eines,  von  N 
sich  in  den  ‘äs  ergiefsenden  Flufees  (des  büjük  karatschail)',  auch  von 
rechts  kommt  ein  Winterstrom;  wir  überschreiten  ihn  auf  einer  Stein- 
brücke, die  einen  Teil  der  alten  Römerstrafse  bildet,  der  wir  schon  seit 
längerer  Zeit  folgen.  5h  der  Flufs  macht  ein  grofses  Knie  nach  Norden 
und  scheint  sich  um  einen,  ca.  15  m links  liegenden  weifsglänzenden  Ge- 
bäudekomplex ( Zijdra ?)  herumzuziehen;  wir  schneiden  die  Krümmung 
ab.  — 5h  20m  durch  das  sich  lang  hinziehende  Dorf  ed-dwtr  bis  5h  26"'. 
— 5h  32 m auf  dem  anderen  Ufer  ein  bedeutenderes  Dorf.  — Nicht 
viel  später  zu  einer  alten  Wasserleitung  und  bald  darauf  zu  einer 
kleinen  Brücke;  hier  hörten  wir,  el-ismd'l/lje,  das  wir  erreichen  wollten, 
sei  noch  über  eine  Stunde  entfernt;  w’ir  müfsten  uns,  um  dorthin  zu 
gelangen,  rechts  halten;  das  thaten  wir,  gelangten  aber  statt  in  das 
ersehnte  Dorf  aus  den  Baumgärten,  durch  die  wir  bisher  geritten 
waren,  heraus  auf  einen  freien  Platz  und  zu  einem  recht  beschwerlichen 
Anstieg,  auf  dem  der  Weg  kaum  sichtbar  war.  Die  Lage  wurde  immer 

*)  Diese  einzelne  Thatsache  ist  ein  krasses  Beispiel  für  die  oft  gemachte  Bemer- 
kung, dafs  die  administrative  Einteilung  des  Landes  äufsersl  willkürlich  ist  und  auf 
die  Bedürfnisse  und  Beziehungen  der  Bewohner  nicht  die  geringste  Rücksicht 
nimmt. 

*)  Sondername  des  westlichen  Teiles  des  Dschebel  Miir  SimVtn  der  Karte 
(C  6). 


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164 


Martin  Hartmann: 


peinlicher;  die  Tiere  waren  auf  das  Äufserste  erschöpft  und  strauchelten 
in  der  Finsternis  beständig,  wir  selbst  mifsmutig;  so  kehrten  wir  um, 
nachdem  wir  eine  Weile  bergan  geklettert  waren,  und  schlugen  uns 
unten  so  schnell  wie  möglich  in  die  Gärten:  in  dem  ersten  Hause  frei- 
lich, an  dem  wir  anklopften,  dem  des  Abdelghani  Agha,  wurden  wir 
recht  unfreundlich  abgewiesen,  fanden  aber  bald  darauf  ein  um  so 
herzlicheres  Willkommen  in  dem  Hause  des  Schech  'Abderrezzäk,  bei 
dem  wir  ca.  6h  30“  ankamen.  Der  Komplex  von  Häusern  und  Gärten, 
zu  dem  es  gehört  — in  diesem  ganzen  Gebiet,  von  antäkija  bis  btt 
ei-md,  welches  den  offiziellen  Namen  nähijtt  dschatvär  antäkija  hat.  beim 
Volk  nur  ei-ftarbljt  heifst  und  ausschliefslich  von  Nussairiern  bewohnt 
wird,  liegt  Garten  an  Garten;  in  den  meisten  derselben  Häuser  — 
dürfte  diejenige  von  den  19  Ortschaften  der  fiarblji  bilden,  welche  ‘ain 
dschamOs  heifst. 

4.  Oktober. 

Morgens  W'ird  der  im  Garten  des  Muhammed  Eflfendi  ‘Aseldsche 
liegende  Sarkophag  aus  spätrömischer  Zeit  besucht;  zahlreich  sollen 
die  Spuren  sein,  die  aus  der  Glanzzeit  der  alten  Daphne  hier  gefunden 
werden,  jenes  mächtigen  Lusthains  gröfsten  Stils  bei  dem  alten  An- 
tiocheia,  auf  dessen  Boden  wir  uns  befinden. 

llhö1"  fort  von  dem  Hause  des  Schech ‘Abderrezzäk  in  sehr  lang- 
samem Schritt;  die  antäkija- Strafse,  in  welche  wir  schon  nh  10“  ein- 
miinden,  führt  Uber  niedriges  Hügelland.  — 111145m  ca,  15m  rechts 
das  Dorf  cl-ftarbijt,  im  Grünen  liegend,  nach  welchem  die  ganze  Gegend 
cl-harblje  genannt  wird,  — ca.  1 h in  antäkija  bei  dem  Hause  des  Kaiserl. 
Konsularagenten  Herrn  Missäkiän,  wo  ich  gastliche  Aufnahme  finde. 

5. — 11.  Oktober  in  antäkija. 

Durch  Herrn  Missäkiän’s  Vermittlung  gewinne  ich  die  Dienste  des 
Hannä  Karajüsuf,  eines  griechischen  Christen,  der  die  nähere  Umgegend 
von  antäkija,  die  weite  Ebene  zwischen  dem  gjaur  dtlgh,  kürd  diigh  und 
den  Höhen  bei  härim,  und  die  Gebirgslandschaft  von  et-kusair  ausge- 
zeichnet kennt.  Er  spricht  arabisch  und  türkisch  fast  gleich  gut  und 
ziemlich  deutlich;  doch  ist  es  nicht  immer  leicht,  seiner  lebhaften  Dar- 
stellung zu  folgen;  so  sind  Mifsverständnisse  bei  Fixierung  seiner  An- 
gaben nicht  ausgeschlossen;  auch  ist  es  fast  unmöglich,  dafs  nicht  bei 
der  grofsen  Menge  von  Angaben  über  Ortslagen,  Namen,  Flufsläufe 
u.  dergl. , die  er  rein  aus  dem  Gedächtnis  und  nur  aus  der  eigenen 
Anschauung  heraus  macht,  Irrtiimer  unterlaufen.  Dadurch  erklärt  es 
sich,  dafs  sich  hin  und  wieder  Umvahrscheinlichkeiten,  ja  Widersprüche 
finden.  Seine  Angaben  sind  in  die  Karte  und  in  die  Anmerkungen  zu 
den  Ortslisten  hineingearbeitet  worden.  Von  Ausflügen  unternahm  ich 
während  des  Aufenthalts  in  antäkija  nur  zwei,  welche  hier  folgen. 


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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo!  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bcreket.  |(j5 


7.  Oktober. 

7h  40ra  fort  vom  Hause  des  Herrn  Missäkiän,  in  gutem  Schritt, 
begleitet  von  Hannä  Karajüsuf  und  dem  Mukari  Jüsuf.  — 8h  über  den 
nähr  el-küwaislje  (el-iaumtslje),  der  vom  dschebel  arsüz  kommt,  und  seinen 
Namen  von  dem,  unter  360°  in  der  Ebene  gelegenen  Dorf  el-küwaislje 
hat.  — 811  2m  die  Strafse  teilt  sich:  links  der  Winter-,  rechts  der  Sommer- 
weg, wir  nehmen  den  letzteren.  — 8h  7 m dicht  vor  dem  daljän  et- 
tafr/tlni,  welches  auch  ed-da/jän  allein  genannt  wird,  da  es  das  alte  ist,  wäh- 
rend das  obere,  daljän  el-fokäni  oder  jarlyghan  daljany,  ca.  it  St.  von 
anfäkija,  erst  30  Jahre  alt  ist.  -•  8h  15m  am  ‘df,  an  dem  Punkt,  wo 
1S80  bei  niedrigem  Wasserstand  der  jetzt  im  Regierungsgebäude  von 
antäkija  aufbewahrte  Sarkophag  zuerst  sichtbar  wurde.  Halt.  Ich 
schreite  unter  350  eine  Linie  von  1500  m ab,  in  deren  Anfangspunkt 
(a)  und  Endpunkt  (b)  ich  folgende  Visuren  mache:  a)  dschebel  el-akra 
214°;  die  Spitze  eines  kleinen  Bergrückens,  welchen  Hanna  als  dschebel 
karatschai,  genannt  nach  dem  Dorf  karatschai , bezeichnet,  2220;  die 
höchste  östlichste  Spitze  des  hier  vollständig  getrennt  von  dem  dschebel 
el-ahmar  oder  kyzyl  dägh')  erscheinenden  dschebel  mftsi  260°;  el-kuwaistje, 
ca.  1 5 m,  297  el-'aidlje  mit  einer  weifsen,  weithin  sichtbaren  Zijära 
des  Schech  Jüsuf  Petrchän  (Bedrchän?),  ca.  30 m,  303 °;  die  höchste 
Spitze  des  dschebel  el-ahmar  3290;  das  Dörfchen  tlll  el-kizh,  ca.  20"', 
340°;  eine  kleine  Zijära,  ca.  30“,  345 0 ; der  dschebel  baililn,  hier  ziem- 
lich niedrig  erscheinend,  to°;  eine  scharfe  Spitze,  die  Hanna  als  dschebel 
el-kurtlu  bezeichnet  und  die  identisch  ist  mit  der  von  mir  bestiegenen 
Kuppe  im  S des  gez  bei- Passes  15°;  ein  sehr  scharfer  Bergzacken  des 
gjaurdägh  (der  akkaja})  23 °;  eine  Chirbe  (Trümmerhaufen,  Gemäuer), 
genannt  el-chän  oder  chän  el-chirbän,  um  welche  herum  seit  ca.  20 
Jahren  5—6  Hütten  liegen,  41  bitli  ‘ali,  jenseits  des  'äs,  76°,  und  fast 
unter  demselben  Winkel  güzel  burdsch  diesseits  des  ‘äs;  ein  Ölbaum- 
hain, dicht  bei  welchem  das  von  hier  nicht  sichtbare  närindscha,  türk. 
narlidscha,  liegen  soll,  100°;  antäkija  ist  nicht  sichtbar,  doch  der  west- 
lichste Punkt  der  alten  Mauer  auf  dem  Mons  Silpius  182°;  b)  kanny 
kiijiik,  ein  Hügel,  31  °;  die  Zijära  des  Schech  Hasan  39°;  jenseit  des 
moijit  el-bahra,  d.  h.  des  Kanals  zwischen  See  und  auf  dem  nörd- 
lichen Ufer  des  ‘äs,  ca.  ib,  ‘ alaijeddtn , das  von  den  ‘arab  el-dscham- 
mäse  bewohnt  ist,  am  Fufs  eines  Hügels,  70';  ein  kleines  Wäldchen 
von  Karadschän-  (Karatschäm  = Kiefer?)  Bäumen,  ca.  2om,  73 °;  bitli 
‘ali  107°;  güzel  burdsch  1190,  beide  nur  ca.  20m;  närindscha,  ca.  40”1, 

')  So  nennt  man  auf  der  ganzen  südlichen  Seite,  namentlich  in  der  Gegend 
von  antakija,  den  Zug  vom  ras  el-chanür  bis  zum  batlan-ßcrg , den  man  auf 
der  nördlichen  meist  mit  dem  allgemeinen  Namen  dschebel  arsüs  bezeichnet  (vgl. 
auch  17./9.  $4). 


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Martin  Hartmann: 


166 

131°;  el-ma'schüka  auf  dem  südlichen  Ufer  des  ‘fff,  ca.  30™,  152°;  der 
westlichste  Punkt  der  Mauerreste  190° ; Spitze  des  dschebe / el-abrd 
2 13 0 ; die  Zijära  von  e/-‘aidlje  282°;  tltl  el-bizh  312°;  die  Zijära  des 
Ortes  3 1 9 0 ; die  Spitze  des  dschebe/  el-burllu  {kurl/i)  355  der  Bergzacken 
des  gjaurditgh  24 — Bei  300  m war  ein  im  rechten  Winkel  zur  Basis- 
linie liegendes,  42  Schritt  entferntes,  massives  Steingemäuer,  das  wohl 
der  alten  Stadtmauer  angehörte,  besichtigt  worden  (2,50  m lang,  3 m 
breit,  1,50  m hoch);  bei  1160  m hatte  ein  Wintergraben,  der  rechts 
neben  uns  in  den  sich  in  den  ‘fff  ergiefsenden  nähr  el-ezltje  (?  /Ul  el- 
l’izfr:)  mündete,  umgangen  werden  müssen;  ca.  5 m vom  Endpunkt  der 
Basis  ca.  fünfzehn  Zelte  von  ‘arab  ghinnäme,  d.  h.  Schafzucht  trei- 
benden Beduinen  (Gegensatz:  ‘arab  drehimmäse,  d.  h.  Büffelzucht  trei- 
bende Beduinen).  Halt. 

2h  48 m fort  von  den  Araberzelten.  — 2 h 52  m Uber  ein  schmales 
Winterflu&bett.  — 2h  55"1  4 Zelte;  wir  gehen  in  der  Richtung  des 
Schech  Hasan.  — 3 h 5 m ab  nach  rechts  zu  dem  bauscht!,  d.  i.  dem 
Punkt,  wo  das  moijit  el-babra  (d.  i.  der  Kanal  zwischen  Fluls  und  See) 
sich  mit  dem  ‘fff  vereinigt1).  — 12”  bei  einem  alten  Gemäuer, 

11  m lang,  11.50  m breit,  wohl  Rest  eines  alten  Mauerturms;  ca.  60  m 
östlich  von  hier  ist  das  bauscht! ; vom  bauscht!  aus  die  Zijära  Schech 
Hasan  23  °.  Halt. 

3h  28 m fort,  an  dem  moijit  el-babra  entlang  nach  N.  — 3h  ST° 
rechts  im  W'asser  das  sedde,  d.  h.  der  Punkt,  wo  man  im  Winter  grofse 
Netze  von  einem  Ufer  zum  andern  spannt,  um  die  Fische  zu  fangen, 
die  aus  dem  trüben  W’asser  des  'ils  in  das  immer  klare  Wasser  des 
moijit  el-bahra  hinaufziehen;  man  fängt  dann  oft  täglich  1 — 1}  Kantär 
(ä  250  kg)2).  Halt. 

3h  39m  fort;  das  moijit  el-bahra  macht  ein  grolses  Knie  nach  rechts, 
dem  wir  nicht  folgen;  wir  treffen  das  W’asser  erst  wieder  3h43m,  um 
es  gleich  wieder,  wegen  einer  grofsen  Krümmung,  zu  verlassen.  — 
3h  links  kommt  ein  trockenes  Flufsbett  vom  Gebirge  her.  — 
3h  53 m wir  durchsetzen  das  moijit  el-babra.  — 4h  links  das  Dörfchen, 
ca.  20  Hütten  N,  das  nach  dem  Heiligen  der  nahen  Zijära  schlch  basan 
benannt  ist;  wenige  Tage  vorher  waren  Leute  aus  diesem  Dorf  von 
Tscherkessen,  die  zahlreich  in  der  Gegend  angesiedelt  sind,  ermordet 
worden;  alles  klagt  bitter  Uber  die  Gewaltthätigkeit  dieser  Fremdlinge, 

*)  Daher  der  Name  tauscht!,  wohl  gleich  türkischem  kauschut  von  kmeuschmak, 
sich  vereinigen,  nach  bekannter  Nominalbildung  (vgl.  getschid  u.  dg].);  das  Nomen 
scheint  sich  in  den  Wörterbüchern  nicht  zu  finden. 

J)  Es  ist  hier  wohl  an  eine  ähnliche  Art  des  Fischfangs  zu  denken,  wie  sie 
nach  Humann-Puchstein  S.  176  im  merzimon-su  betrieben  wird  und  dort  ausführlich 
beschrieben  ist. 


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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Lhva  Dschebel  Berekct.  107 


gegen  welche  die  Einwohner  bei  der  Regierung  keinen  Schutz  finden. 
— 4h  4m  bei  einer  mächtigen  Eiche;  wenige  Schritte  davon  die  Zijära 
des  Schech  Hasan1);  von  dem  Hügel  neben  derselben:  die  Zijära  des 
Schech  MüsT,  ca.  200  m entfernt,  unter  einer  dichten  Baumgruppe,  360°; 
Zacken  des  gjaurddgh  (s.  8 11  15“)  24  °;  Spitze  des  dschehel  el-kurt/u  130; 
cz-zUfkännlje,  gehörig  zum  Toprak  von  karamurt,  70;  es-sirddllje,  ca.  2h, 
3470;  manfarit  älachttn,  unbewohnte  alte  Ruine,  341 0 ; ein  Tscherkessen- 
dorf  auf  dem  Toprak  von  el-'awdklje,  3350;  ca.  15“  über  demselben, 
weiter  den  Berg  hinauf,  d/dchdn  (4  H),  ca.  i^o1",  316°;  ein  Tscher- 
kessendorf  (30 — 40  H)  auf  dem  Hügel  kabr  cl-gha/a,  jenseits  des  moijit 
el-baftra,  ca.  1 5 m , 312°;  dicht  unter  uns,  an  dem  moijit  cl-bahrti,  das 
daljän  el-dschedtd  oder  daljän  mazlüm  blk  273 °;*)  die  Zijära  des  Schech 
Mansür  bei  tlll  el-kizh  2490;  el-kuuaislje  232°;  Spitze  des  dschebel  el-akra 
216,5;  das  Mädene  des  bdb  el-dschisr  in  anfäkija  212°;  güzel  burdsch 
206°;  thdscha,  ca.  1 h,  1 55 °;  ein  Tscherkessendorf,  ca.  15™,  126°. 

4h  54 m fort  vom  Hügel.  — 5 h 37 m über  den  nähr  e!-urfahje\  ca. 
15“  links  das  I.ager  der  ‘arab  ghinnäme  (s.  8h  15 m).  — Zeit  der  An- 
kunft in  anfäktja  nicht  notiert. 

10.  Oktober. 

ca.  2h  fort;  zunächst  zu  dem  ein  wenig  oberhalb  der  Kaserne 
Ibrahim  Paschas  (s.  Karton)  gelegenen  mldan  el-dscherld,  einem  Platz 
mit  altem  Gemäuer,  unter  welchem  eine  Höhlung  mit  mächtigen 
Säulen;  in  der  Nähe  die  vierbogige  Brücke  und  Wasserleitung,  über 
welche  eine  der  Strafsen  nach  el-kufair  führt.  — 3h  bei  dem  burdsch 
el'idde,  Arsenal,  genannten  Punkt  des  westlichsten  Teils  der  alten,  sich 

>)  im  höchsten  Ansehen  stehend;  wer  „beim  Schach  Hasan“  falsch  schwört, 
mufs  das  sofort  mit  dem  Tod  büfsen;  das  ist  viel  schlimmer  als  „bei  Allah“  falsch 
schwören.  Die  Zijära  des  Schech  Müsi  ist  lange  nicht  so  heilig. 

*)  Dieses  Daljän,  d.  i.  künstlich  angelegter  Behälter  zur  Fischzucht,  wurde 
damals  viel  besprochen;  cs  war  seit  sechs  Monaten  aufser  Betrieb  gesetzt,  nachdem 
es  bis  dahin  immer  auf  zwei  Jahre  für  260  Beutel  ( — ca.  24  050  M.j  von  der 
Regierung  verpachtet  worden  war,  die  Hälfte  dessen,  was  es  einbrachte;  schon  seit 
Jahren  sollten  die  Anwohner  der  Bahra , d.  i.  des  an/akiju-Secs  um  Abschaffung 
der  Daljäns,  und  namentlich  dieses,  petitioniert  haben ; denn  es  hindere  den  Ausflufs 
des  Wassers  aus  dem  See  und  veranlasse  Übertreten  desselben,  und  ihre  Interessen 
würden  dadurch  schwer  geschädigt;  verliere  auch  die  Regierung  bei  Abschaffung 
des  Daljäns  die  Pacht,  so  würde  sie  reichlich  entschädigt  werden  durch  das,  was 
ihr  in  diesem  Fall  durch  die  Neugewinnung  von  Land  zukomme.  Diese  wohl  be- 
gründete Ansicht  von  der  Sache  wurde  auch  von  dem  französischen  Konsul  in 
antakija  vertreten,  und  er  soll  die  Einstellung  des  Daljiin-Betriebes  zum  Besten  des 
Landes  durchgesetzt  haben.  Ein  Nussairier  aus  einem  der  um  den  Daljän  herum- 
liegenden  Dörfer,  der  sich  zu  uns  gesellte,  behauptete  freilich,  das  alles  sei  nur 
eine  Intrigue,  und  das  Daljän  richte  in  Wirklichkeit  gar  keinen  Schaden  an. 


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168 


Martin  Hartmann: 


den  Rerg  südlich  der  Stadt  hinaufziehenden  Festungsmauer.  — 3h  25  m 
an  dem  westlichen  Punkte  des  ersten,  gröfseren  zusammenhängenden 
Stückes  Mauer,  das  erhalten  ist;  die  Dicke  der  Mauer  beträgt  an 
dem  Thor,  einige  Meter  von  dem  westlichsten  Punkt,  2,57  m,  die 
Höhe  vom  Erdboden  bis  zu  dem  Sims,  bis  zu  welchem  sie  nur  er- 
halten, 7,9  m (vgl.  den  Plan  von  Antiochia  Baedeker3  418/19).  Von 
hier:  el-buwaislje  345°;  die  Zijära  von  el-'aidlje  330°;  die  Zijära  von 
Uli  cl-kizh  3530;  kelsedschuk  312°;  der  Punkt,  wo  die  Strafce  nach  es- 
swldtje  den  nähr  berberün  oder  n.  lianna  auf  dem  dschisr  franna  über- 
schreitet, 2 7 5 0 ; berberün  2940;  die  Mündung  des  ziemlich  langen  Flusses 
«.  berberün  ca.  iom  südlich  von  der  Brücke;  zwischen  der  Brücke 
dschisr  banna  und  der  grofsen  ‘dr-Brücke  bei  anfakija  zeigt  sich  noch 
eine  kleine  einbogige  Brücke,  dschisr  e/-buffdrdl  über  das  Flüfschen 
nähr  el-buf}drdl,  das  sich  als  schmaler  Streifen  in  den  ‘äs  ergiefst; 
eine  hohe  Bergspitze,  die  mir  als  dschebel  bailän  bezeichnet  wird,  aber 
wohl  der  dschebel  cl-hurtlije  oder  el-bur/lu  (s.  7./10.  8h  1 5m)  ist,  140;  der 
spitze  Zacken  des  gjaur  dägh  (s.  7. .10.  8h  15™)  210.  — 5*>  15“  bei  der 
bal'a,  den  gröfsten  erhaltenen  Turmruinen;  von  hier  südlich  das 
Dörfchen  cl-kurrljc  auf  dem  nördlichen  Abhang  eines  Bergrückens, 
der  die  Aussicht  auf  den  dschebel  el-buftiir  verdeckt,  zu  dem  er  selbst  wohl 
schon  als  gehörig  zu  betrachten  ist.  — Erst  bei  einbrechender  Dunkelheit 
erreichen  wir  das  oft  beschriebene  bdb  el-hadid  oder  demir  bapusu\  am 
östlichen  Ende  der  Stadt  angelangt,  sehen  wir  in  einiger  Entfernung 
über  uns,  etwa  in  der  Mitte  der  Höhe  des  Berges,  das  jede  Nacht 
brennende,  weithin  leuchtende  I.icht  der  Zijära  des  HabTb  en-nedsch- 
dschär,  jenes  Apostels  ‘Isäs,  welcher  in  der  islamischen  Legende  als 
Blutzeuge  gefeiert  wird');  in  der  Zijära,  die  bei  Muslims  und  Nus- 
sairiern  in  hohem  Ansehen  steht,  auch  von  ärmeren  Christen  besucht 
wird,  ist  beständig  ein  Wächter;  uns  westlich  wendend,  lassen  wir, 
nicht  weit  von  dem  Ostende  der  Stadt,  die  Zijära  der  KaddTse  Katrin, 
heiligen  Katharina,  rechts,  und  kehrten  durch  die  Stadt  zurück. 

12.  Oktober. 

2h  7m  fort  von  der  grofsen  ‘dj-Brücke  in  an/dkija  in  gutem  Schritt, 
nach  N.  — 2h  27 m über  den  nähr  el-buwaislje.  — 2h  35m  rechts  treten 
die  Berge  erheblich  zurück;  wir  immer  am  Flufs  entlang,  der  be- 
ständig Krümmungen  macht.  — 2h38m  am  anderen  Ufer  des  ca.  100 m 
entfernten  Flusses  ein  Daljän,  wohl  das  da/jdn  et-takläni  (s.  7./10.  8h  7“). 
— 2h43m  rechts  das  kleine  Gemäuer,  das  7./10.  gemessen  wurde;  wir 
gehen  auf  der  Sommerstrafse,  d.  h.  der  östlicheren,  ganz  in  der  Ebene 
laufenden,  welche  in  und  kurz  nach  der  Regenzeit  nicht  zu  benutzen 

1 ) S.  über  ihn  meine  Besprechung  von  Bäd.3  in  der  Deutschen  Liter -Zeitung 
13./8.  1892  (No.  33). 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  ond  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berekct.  169 

ist.  — 2 h 45 m wir  entfernen  uns  vom  Flufs.  — 2h5om  über  einen 
Wintergraben;  genau  auf  die  Spitze  des  dschebel  cl-kurthjc  (kurtlu)  zu, 
welche  Richtung  im  allgemeinen  eingehalten  wird.  — 2h  54“  über  ein 
breites  Flu&bett,  in  welchem  nur  an  einer  Stelle  weniges  Wasser.  — 
2h  55m  ca.  5 m rechts  die  Araberhütten,  welche  7./10.  besucht  wnirden. 

— 5b  5m  das  Terrain  links  wird  wellig.  — 3b  16 1,1  über  einen  Winter- 
bach. — 3b  27m  ca.  3“1  rechts  5 Araberzelte  und  2 Rohrhütten,  letztere 
wohl  von  Türkmenen  bewohnt.  — 3h3om  ein  Tumulus  ca.  1 m rechts. 

— 3h  32 ln  über  ein  ca.  2 m breites  Flufsbett  mit  wenig  Wasser. 

3b  38 m ca.  5m  rechts  ein  Nussairierdorf  am  daljän  mazlüm  pascha,  und 
ca.  10 m weiter  rechts,  am  und  auf  dem  Hügel,  der  die  Zijära  trägt, 
das  Dorf  schlch  pasan.  — 3b  4om  iom  links  ein  Tscherkessendorf,  das 
sich  durch  seine  kreisförmige  Anlage  und  die  Kuppelform  seiner 
Hütten  sofort  auffallend  von  den  arabischen  Dörfern  unterscheidet.  — 

3 b 45  m ober  ein  schmales  Winterflüfschen.  — 3h  46 m ca.  6m  rechts  die 
nördlich  von  schlch  pasan  gelegene  Zijära,  fast  ganz  von  Laub  ver- 
deckt. — 4b  über  ein  schmales  Winterflüfschen.  — 4b  12™  links  ist 
die  äufserste  in  die  Ebene  vorspringende  Spitze  des  dschebel  el-apmar 
ca.  30“  entfernt.  — 4h  15m  Uber  das  denn  göz  mit  Wasser,  das  Pfützen 
bildet  und  keinen  rechten  Abflufs  zu  haben  scheint;  die  ganze  Gegend 
scheint  sehr  sumpfig;  auch  mehrfach  werden  Gräben  gefunden,  die  ganz 
niedrige  Ufer  und  wohl  nur  im  Winter  regelmäfsig  Wasser  haben.  — 

4 h 20 m rechts  die  ca.  15  Sommerhütten  der  Bewohner  des  iveiter 
westlich  am  F'ufs  des  Berges  gelegenen  ez-zilfkdnhje  aus  Rohr  und 
daneben  2 Araberzelte.  — 4h  30“  ca.  10  m rechts  ein  vereinzelt  auf 
freiem  Felde  aus  dem  Boden  herausstehender  Säulenstumpf  von 
mäfsiger  Dicke,  genannt  dike/i  dusch,  ar.  padschar  el-pä'ide.  — 4h  37™ 
cz-zilfkdnltje , das  von  den  Türken  zilfkanli,  von  den  Arabern  meist, 
mit  Assimilation,  ez-zilfkannijc  genannt  werden  soll,  2om  links.  — 
4h  40“  links  treten  die  Berge  näher  heran.  — 4h  45m  ca.  30“'  rechts 
ein  Araberdorf,  töhme  oghlu  obasy ? ; jenseits  desselben  ist  der  mächtige 
anfdisja  - See , el-bapra,  sichtbar.  — 4h  5S1"  ca.  30 m links  el-bitrikln  am 
Fufs  der  niedrigen  Vorberge.  Halt. 

4h  58 ™ fort.  — 5h  1 2 m 5ra  rechts  ein  Tumulus.  — 5h  ism  über 
das  wasserlose,  breite  Bett  des  nähr  el-balrakin  (bitrikln)  oder  bidirge 
fuju  nach  Bezeichnung  Hasans.  — 5h  j6“  ein  schmaler  Graben  mit 
reichlichem  Wasser.  Halt. 

5h  18  m fort.  — 5 b 2om  ca.  15 m rechts  ein  Tscherkessendorf;  links 
die  niedrigen  Vorberge  ca.  i5m  entfernt.  — 5h  28m  über  das  trockene, 
auf  beiden  Seiten  mit  Gebüsch  bestandene  Bett  des  fury  fu.  — 5h  37  ra 
ca.  30“  links,  am  Fufs  des  Gebirges,  das  Tscherkessendorf  mar'aschly 
boghazy,  zu  welchem  hier  ein  Weg  abführt.  • — 5h  45ra  wir  nähern  uns 


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170 


Martin  Hartmann: 


sehr  dem  Gebirge,  von  dessen  Fufs  das  aufserordentlich  fischreiche  Wasser 
des  ‘ain  essemek  kommt.  — 5h  50™  am  Fufs  des  Gebirges;  links  mündet 
hier  die  Winterstrafse  ein;  wir  treten  in  das  Gebirge  ein;  ca.  6m  rechts 
das  Wasser  des  ‘ain  es-semek  sichtbar.  — 5h  55™  bergauf.  — 6h  15  "■  bei 
dem  chtln  karamurf.  Die  Steigung  bis  hierher  war  nicht  beträchtlich. 

13.  Oktober. 

Umsicht:  das  nördlichste  Ende  des  Sees  cl-bafira  ist  nur  ca.  30” 
entfernt;  der  sanfte  Abfall  eines  Htigelrtlckens  156°;  die  Spitze  eines 
kleinen,  unabhängig  von  den  nahen  Vorbergen  aus  der  Ebene  aufstei- 
genden Hügels  113°;  ca.  100m  vom  Chan  ein  Kastal;  das  Dörfchen 
karamurf  liegt  am  Abhang  des  niedrigen  Bergrückens,  etwas  westlich 
vom  Chan;  das  Terrain  senkt  sich  bis  zum  See  nur  wenig.  — 

6h4m  fort  vom  Chan.  — 6h  7 m an  dem  ca.  4 m breiten  nähr 
karamurf,  über  das  eine  einbogige  Brücke  führt;  diese  überschreitet 
der  gewöhnlich  eingeschlagene  Weg  nach  bailätf,  wir  nehmen  den  etwas 
beschwerlicheren,  darb  el-ka/'a  genannten;  auf  der  südlichen  Seite  des 
Flüfschens  weiter  nach  W.  — 6h  17™  ein  schmaler  Weg  geht  zu  ca.  20. 
2 m links  liegenden  Häusern  ab,  die  schon  zu  baghrds,  im  Munde  meiner 
Begleiter  durchaus  bughrds  klingend  (vgl.  bughdäd  für  baghddd),  ge- 
hören sollen;  ca.  50  m rechts  immer  der  mit  dichtem  Gebüsch  (Oleander' 
bestandene  nähr  karamurf  — 6h  22™  durch  das  Thor  eines  1,20  m dicken 
alten  Mauerrestes,  der  nach  der  Meinung  der  Leute  von  einer  alten 
Mühle  herrührt.  — 6h  30m  von  links  kommt  ein  kleines,  mit  dichtem 
Baumwuchs  bestandenes  Wässerchen  herunter;  unter  den  Bäumen,  ca. 
3ra  links,  7—8  Häuser;  rechts  und  links  schöne  alte  Ölbäume.  — 
6 h 33111  über  einen  Flufs  ( nähr  karamurf?  endewi  $u  ?),  der  ca.  2 m breit 
ist;  bergauf.  — 6h  35“  durch  das  Dorf  baghrds.  — 6h  36"*  Halt. 

gu  40m  fort,  zu  Fufs,  begleitet  von  einem  Türken  aus  baghrds 
und  dem  Tschawusch , zur  kal'a,  280°.  — 6h  53m  nach  Erklette- 
rung des  steilen  O-Randes  des  Burgfelsens,  der  nach  N,  W,  S fast 
senkrecht,  nach  O nur  steil  abfällt,  und  dem  im  S und  SO  ein  ähn- 
licher Felsen  gegenüberliegt,  bei  der  Mauer  der  kal'a',  Inschriften 
'finden  sich  gar  nicht;  auf  dem  höchsten  Punkt  der  Burg  ein  ziemlich 
gut  erhaltener  Bau,  ca.  21  m lang,  8 m breit,  15  m hoch,  den  die  Leute 
von  baghrds  kllsa,  d.  i.  Kirche,  nennen;  Dicke  der  Mauer  in  den  Fenster- 
nischen 1,20  m;  Decke  gewölbt;  zahlreiche  Nischen  in  den  Wänden; 
von  den  hohen  Bogenfenstern  des  Raumes  aus  weite  Fernsicht;  auf 
der  N-Seite  haben  wir  tief  unter  uns  das  nähr  karamurf,  das  aus  dem 
‘ansehaghyzy  f«1)  kommt,  von  welchem  auch  die  Burg  ihr  Wasser  er- 

1 1 Man  denkt  zunächst  an  ‘ain,  aus  dem  das  'an  verstümmelt  sein  könnte;  doch 
ist  ‘anscha  hier  wohl  die  in  jener  Gegend  übliche  Verstümmelung  von  ‘a'ischa,  und 
ghyiy  — k)‘zy  • Tochter  der  Aischa 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschcbel  Bereitet.  171 


hielt;  auch  auf  der  S -Seite  unter  uns  ein  tiefer  Abgrund;  von  W 
kommend  ist  das  ‘anschaghyzy  $u  sichtbar;  von  einer  W-O  laufenden 
Galerie  aus,  die  ca.  2 m breit  und  2}  m hoch  ist,  sehen  wir  unter  uns 
die  Ruine  kyzlar  kalesi,  und,  ca.  301"  entfernt,  top  kajasy  140°;  hinab 
zum  Dorf,  in  welchem  wir  8h  8m  bei  den  Tieren  sind. 

8h  42  m fort  von  baghräs.  — 8h45m  an  der  Quelle  von  baghräs', 
zwischen  niedrigen  Hügeln  sanft  bergauf;  360°;  2m  Aufenthalt;  vor 
uns  eine  Bergspitze,  die  nach  dem  Tschawusch  apysch  kaja  heifst  und 
zum  dazdägh  gehört.  — 9h  3m  rechts  unter  uns,  am  Bergabhang  klebend, 
schembik  (20  H);  20°;  guter  Weg.  — 9h  7m  sanft  bergab;  rechts  steiler 
Abfall;  am  Bergrücken  entlang  nach  W.  — 9h  12"1  immer  noch  berg- 
ab; rechts,  ca.  iom  entfernt,  jenseits  eines  Thaies,  einige  Häuser,  die 
schon  zu  bailan  gehören  sollen  und  auf  einem  Toprak  liegen,  das 
b&ryny  hara  heifst;  der  Weg  wird  steinig.  — 9h  15“  an  einem  Wässerchen 
baryny  kara  fuju,  das  aus  einer  nahen  Quelle  kommt.  Halt. 

9h22m  fort;  bergauf,  steil;  langsam.  — 9h  30™  links  foghandschy, 
ca.  r h entfernt,  auf  dem  jenseitigen  Bergabhang,  260/270°;  dicht  unter 
den  vorhin  (s.  9h  I2m)  gesehenen  Häusern,  die  zu  bailan  gehören 
sollen:  Aufenthalt  von  4ra.  — 9h  35 ni  steil  bergauf  — 9h  38m  sanft 
bergauf;  360°.  — 9h  44'"  eben;  bald  darauf  wieder  sanft  bergauf.  — 
9h  50“  ein  Kastal  mit  Quelle.  Halt. 

9h  53m  fort.  — ioh  6m  rechts  in  der  Ferne,  am  Rand  der  Ebene, 
I’als  und  Dorf  top  boghasy , zwischen  zwei  Hügeln ; unter  uns  die  fialeb- 
Strafse  sichtbar.  — loh  iom  bergab.  — ioh  24m  rechts,  auf  einem 
kleinen  Hügel  und  ca.  3"“  von  der  Aa/W-Strafse,  von  uns  ca.  20™  ent- 
fernt, der  türkische  Wachtposten  derindere,  in  welchem  beständig  zwei 
bis  drei  Mann  zum  Schutz  der  Strafse  liegen,  auf  der  gerade  hier 
früher  viele  Raubanfälle  vorkamen.  Halt. 

10 1>  29m  fort.  — ioh33m  über  ein  Wässerchen;  ca.  100  m links 
das  Dorf  tschahally  (15  HT).  — ioh  43"*  wir  münden  in  die  fia/eb- 
Strafse  ein;  nach  W.  — io*1  46m  an  dem  Punkt,  wo  sich  für  den  von 
W kommenden  die  ^«/<A-§trafee  in  die  obere  und  die  untere  teilt; 
die  obere,  welche  wir  rechts  hatten,  soll  der  nähere  aber  beschwer- 
lichere Weg  sein.  — nh  i2m  an  einem  Kastal  dicht  vor  bailan.  — 
1 1 h 13m  bei  den  ersten  Häusern  des  Ortes;  durch  ihn  hindurch.  — 
1 1 h 2om  im  Jeni  Chan  (Neuer  Chan). 

14.  Oktober. 

5h  57 01  fort  vom  Chan  in  bailan  auf  der  $fl/rÄ-Strafsc  in  Richtung 
iskenderUn.  — 6h  2m  ab  von  der  Strafse  nach  rechts;  360°;  den  steilen 
Abhang  im  N des  Ortes  hinauf.  — 6h  sra  wieder  NW,  ungefähr  in 
gleicher  Richtung  mit  der  Strafse.  — 61*  9m  360°.  — 6*1  15"'  eine 
kleine  Ebene;  bald  darauf  wieder  bergauf,  sanft,  auf  schmalem  Pfad. 


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172 


Martin  Hartmann: 


- 6h  23m  rechts  ein  Wässerchen  moijit  el  - ‘dlik  oder  d/yh  fuju.  — 
6h  34m  auf  der  Höhe  des  Bergrückens,  den  wir  bisher  vor  uns  sahen; 
von  hier  senkt  sich  das  Land  nach  N und  W,  während  es  sich  im  O 
an  eine  Berglehne  anschliefst;  eben;  8o°.  — 6h  38°*  an  der  östlich 
bleibenden  Berglehne  entlang.  — 6h  47“  links  Abfall;  jenseits  des- 
selben Bergrücken.  — 6h  51"'  ca.  50  m links  das  Dörfchen  el-'ätih  oder 
atyh  kSji ').  — 6b  55 m Uber  das  reichlich  fliefsende  dtyk  $uju  (s.  oben 
6h  23'").  — 6h  57m  an  den  Ruinen  einer  alten  Kirche,  ki/se,  die  nichts 
Besonderes  bieten,  ca.  24m  lang,  12  m breit,  2im  hoch;  um  die 
Ruine  herum  sind  Spuren  alter  Bauten  sichtbar;  es  sollen  hier  oft 
Münzen  und  andere  Antika  gefunden  werden;  ca.  2m  NO  der  Ruine 
entspringt  das  ätyk  fuju\  hier  nähern  sich  die  östliche  und  die  west- 
liche Berglehne  auf  6— 8m  einander.  Halt. 

7><  37m  fort  von  der  Ruine;  eben;  ca.  40°;  rechts  und  links  Berg- 
rücken. — 7h  50™  die  Bergrücken  treten  auf  beiden  Seiten  an  die 
Strafse  heran,  bald  darauf  gehen  sie  wieder  auseinander;  links  Thal. 

— 7 h 55 m bergab.  — 8 h wieder  bergauf;  6o°;  am  rechten  (östlichen! 
Bergrücken  entlang.  8h  33 m bei  den  ersten  Häusern  von  sd£ yf  (vgl. 
25./9.  9h  55m),  steil  bergauf;  dann  eben.  — S 11  37 m Halt. 

8h  40 m fort.  — 8h45m  links  Reste  eines  alten  Gemäuers.  — 
rechts  die  letzten  Häuser  des  sehr  zerstreut  liegenden  sdhyi’,  links  schon 
seit  längerer  Zeit  das  Meer  sichtbar.  - gb  t8ra  steil  bergauf.  — 
9 h 25“  links  geht  das  dschäghiap  deresi  hinunter,  welches  die  Grenze 
zwischen  dem  Toprak  von  snkyt  und  alma  ddgh,  und  somit  von  iskenderün 
und  pajas  bilden  soll8).  — 9 h 40“*  rechts  am  Weg  das  erste  Haus  von 
alma  dagh\  über  die  ausgedehnte  Ebene,  auf  welcher  die  wenigen 
Häuschen  von  alma  ddgh  liegen  (vgl.  24-/9.  1 h 4°m)-  — 9 h 42“  Halt; 
Rast  bei  einem  2™  links  von  der  Strafse  liegenden  Kastal. 

10 h 30m  fort  vom  Kastal.  •-  ioh  38“  an  einigen  Häusern  von  alma 
ddgh  vorbei.  — 10 h 44'"  iskenderün  285°.  Halt. 

10*1  48m  fort.  — ioh5im  iskenderßn  wird  verdeckt  durch  einen 
Rücken  mit  drei  Spitzen,  der  nach  N und  S steil  abfällt;  ca.  360°; 
bergab.  — nb  bei  einem  FlUfechen,  an  welchem  8 H des  grolsen, 
sehr  zerstreut  liegenden  Dorfes  apatschiili  oder  el-'abddschhje  liegen.  Halt. 

auf  der  Karte  aus  Versehen  rechts  anstatt  links  vom  Weg  eingetragen. 

a)  Zusammengehalten  mit  der  Notiz  24.  9.  ib  40  ni,  dafs  almadagh  und  kairak 
schon  zum  Wilajet  adana  gehören  sollen,  läfst  diese  Bemerkung  über  die  Grenze 
der  Kadas  iskenderün  und  pajas , d.  h.  der  Wil.  haleb  und  adana,  annehmen,  dafs 
dieselbe  auf  der  Karte  zu  weit  nördlich  gezeichnet  ist , vielmehr  sich  von  dem 
Küstenpunkt  nach  SO  zieht ; sie  dürfte  sich  am  nähr  karasu  mit  der  SO-Grenze 
von  adana  treifen,  welche  wohl  dem  Lauf  dieses  Flusses  folgt,  entgegen  der  Zeich- 
nung auf  der  Karte, 


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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  ]73 

11 h 17 m fort;  steil  bergab.  — nh  2im  bergauf,  am  Bergrücken 
entlang;  links  das  Meer  von  Vorbergen  verdeckt.  — ii*1  34m  4H  von 
d-abädschlije.  — nh35m  sehr  steil  bergauf.  — rih39nl  Halt. 

Uh  47m  fort.  — ni'54'n  links  unten  auf  einer  freundlichen  Ebene 
einige  Häuser  von  tl- ‘abildschllje.  — nh  58 m bergab;  links  bald  das 
Meer  sichtbar,  bald  durch  Berge  verdeckt.  — i2h8m  rechts  vom  Wege 
ein  einzelnes  Haus;  am  Bergabhang  rechts  in  verschiedenen  Ent- 
fernungen Häusergruppen,  die  sämtlich  zu  el-'abddschhje  gehören.  — 
i2h  30m  der  Weg  ist  sehr  schmal  und  beschwerlich  geworden;  verirrt; 
auf  ein  rechts  liegendes  Dorf  zu;  70 °.  — 2m  Aufenthalt.  — i2h45nl 
bei  dem  Dorf;  die  Frauen  haben  als  Kopfbedeckung  einen  ca.  20  cm 
gerade  aufsteigenden  Cylinder  von  buntfarbigen  Stoffen,  über  welchen 
ein  weifses  Tuch  lose  geworfen  ist;  vom  unteren  Rand  dieser  Kopf- 
bedeckung hängen  zu  Seiten  des  Gesichtes  Schuppenriemen  von  Silber 
herab,  die  oben  bis  3 cm  breit  sind  und  bis  an  das  Kinn,  bei  Wohl- 
habenden auch  weiter  reichen;  aufserdem  hängen  kleinere  und  gröfsere 
Silberstücke  herab ; die  Mädchen  tragen  die  roten  Mützen  (Fez)  mit 
einem  kleinen  Tuch  umwunden;  die  Frauen  — nur  solche  begegnen 
uns  — erklären,  über  die  Berge  führe  kein  Weg  nach  dermen  (d.  i. 
dtjirmen)  dertsi,  über  welches  ich  hatte  pajas  erreichen  wollen;  sie 
zeigen  uns  den  Weg,  um  zur  großen  Strafse  zu  gelangen.  — Aufent- 
halt 5 m.  — Zurück  nach  NW;  300°;  eben.  1 h 9 m der  Weg  führt 
uns  hinab  ans  Meer.  — ih  I7m  iskenderün  257 °.  Halt. 

lh  20ro  fort;  steil  bergab,  auf  schlechtem  Weg.  — 2k  26™  unten 
im  Thal;  bald  darauf  bei  kerkib.  — 2 h 3 1 m Halt. 

2h  40m  fort.  — 2h43m  bei  den  ersten  Häusern  von  aghtschai,  das 
sich  bis  ans  Meer  erstrecken  soll;  über  2 Wässerchen.  — Aufenthalt 
3®.  — 2h  53 m Uber  den  nähr  aghtschai,  der  von  kerkib  kommt,  ca. 
2I  m breit;  nach  NW.  — i^;11  auf  einer  kleinen  Anhöhe;  von  hier: 
sijirit  es-saijide,  eine  weifsglänzende  Kapelle,  die  von ' Christen  besucht 
wird,  1800;  links  dicht  am  Meer  das  Dörfchen  kötü  gSl  (?).  Halt. 

3h  22m  hinab  zum  Meer.  — 3k  25™  wir  münden  in  die  grofse 
Strafse  iskenderün  — pajas.  — 3h  33m  das  fakalfufan  beginnt,  ein  sehr 
schmaler  ii — 2 m breiter  Pfad  am  Meer:  rechts  eine  fast  senkrecht 
aufsteigende  Erdwand,  links  das  Meer;  am  Beginn  dieses  Engpasses 
ca.  30  m rechts,  auf  der  Höhe,  ein  türkischer  Wachtposten  mit  3 bis 
4 Mann;  einige  Schritte  weiter  Brunnen  mit  gutem  Wasser.  — 3h47m 
die  ca.  4 m breite  Mündung  eines  trockenen  Flufsbettes,  das  von  rechts 
zwischen  senkrechten  Erdwänden  heraus  kommt.  — 3 h 55 m vom  Meer 
ab  ins  Land  hinein;  bergauf.  — 4*>  höchster  Punkt  des  niedrigen 
Rückens,  welchen  das  Hochgebirge  zum  Meere  vorschiebt,  und  welcher 
den  Weg  am  Meer  unmöglich  macht;  dieser  Teil  der  Strafse,  auf 

Zeitschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdk.  Bd  XXIX.  12 


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174 


Martin  Hartmann: 


welchem  die  Spuren  einer  alten  Römerstrafse  sichtbar  sind,  heilst 
ef-fai1).  — 4h  gm  ca.  200  m links  die  beiden  Steinmauern,  welche  die 
Jonaspfeiler  genannt  werden.  Halt. 

4h  12m  fort.  — 4h  i8m  unten  am  Ende  des  ef-fai  und  der  Römer- 
strafse; durch  den  zu  Seiten  des  Weges  liegenden  Friedhof  des 
Dörfchens  färy  seki\  etwas  weiter,  rechts  an  der  Strafse,  ein  türkischer 
Wachtposten  mit  3—4  Mann,  genannt  phafar  ef-fai,  der  erste  auf  dem 
Gebiet  des  Wilajets  adana , dessen  Grenze  hier  überschritten  wird.  — 
4h  22m  zu  Fufs  zu  dem  rechts  auf  einer  Anhöhe  liegenden  kafr  el- 
bendt  oder  kyzlar  kalesi.  — 4 h 27"'  oben  bei  demselben;  über  dem 
Thor  Inschrift  über  die  Restaurierung  dieser  Burg  durch  Sultan  Selim 
vom  1.  Muharram  923  (?  Zehner  nicht  deutlich).  Halt. 

4h  52m  fort  vom  Wachtposten.  — 5h  7m  links  am  Meer  Reste 
eines  alten  Landungssteges  {bunt).  — 5h  20"»  an  dem  fdry  seki  fuju  ent- 
lang, das  hier  einen  Sumpf  bildet.  — 5h  25™  über  das  Flüfschen  dicht 
bei  seiner  Mündung,  wo  es  ca.  20. m breit  ist.  — Von  hier  an  keine 
Notizen  mehr  gemacht;  Ankunft  in  pajas  ca.  6h  30™.  Sehr  schlechte 
Unterkunft  in  dem  armseligen,  verödeten,  ungesunden  Flecken.  Da 
ich  von  pajas  aus  einen  neuen  Berittenen  brauche,  der  Kaimmakam 
aber  noch  in  der  Sommerresidenz  in  Szerlü  ist,  so  mufe  zunächst  dieses 
besucht  werden. 

15.  Oktober. 

9h  20™  fort  von  pajas ; das  Meer  ca.  5™  links;  20 °.  — 9h  40™ 
360°;  auf  der  grofsen  Strafse  ‘osmäntje- adana,  an  welcher  auch  Szerlü 
liegt;  das  Meer  entfernt  sich,  da  es  bedeutende  Biegung  nach  W 
macht,  wir  aber  nach  N gehen;  die  Ebene  ist  mit  niedrigem,  bis  1 m 
hohem  Gebüsch  bestanden.  — ioh  40“*  über  den  hier  ca.  20  m breiten 
trockenen  rabat  tschai,  der  im  Winter  oft  2 — 3 Tage  unpassierbar  sein 
soll.  — ioh  41™  wir  treten  in  die  Gärten  von  Szerlü  oder  el-'Szerhje  ein; 
rechts  ein  Wässerchen,  von  N kommend.  — ioh  50“  beim  „Konak“, 
Regierungsgebäude,  des  Kaimmakams  von  pajas,  einem  Bretterhäuschen, 
aus  Latten  dürftig  zusammengeschlagen.  Da  ich  nicht  im  Besitz  eines 
Bujuruldu  (Regierungspasses)  bin,  wie  ihn  nach  Behauptung  des  Beamten 
ein  ihm  mitgeteilter  Erlafs  des  Ministers  des  Innern  für  solche  Personen, 
die  angeblich  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  im  Lande  umherreisen, 
vorschreibt2),  so  weigert  er  sich,  mir  einen  neuen  Berittenen  zu  dem 

1 ) Wohl  das  türkische  Wort  sdj,  sai,  dessen  Bedeutung  „Zahl“  hier  freilich 
keinen  Anhalt  bietet:  ist  ostliirk.  säj  = cours  dteau  sec  en  iti  et  torrentueux  en 
hiver  (Pavet  de  Courteille,  Dict.l  heranzuziehen? 

*)  Von  einer  ähnlichen  Intrige  eines  türkischen  Provinzialbeamten  wurde  Prof. 
Ilirschfeld  (Königsberg)  betroffen,  auf  Grund  des  gleichen  M i 11  istcrial -Erlasses; 
s.  darüber  Vcrhandl.  d.  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin,  Iä8z,  S.  395. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  2 T 5 

Ritt  über  das  Gebirge  nach  ekbez  mitzugeben’).  Er  behauptet,  mich 
entweder  zu  seinem  Wali  nach  adana  oder  zurUck  nach  iskenderün 
schicken  zu  müssen.  Da  es  bedenklich  war,  gegen  den  Willen  der 
Behörde  zu  reisen,  so  beschlofs  ich,  in  iskenderün  zunächst  das  Nötige 
zu  veranlassen.  Obwohl  ein  Armenier  in  Szerlü  mir  Gastfreundschaft 
angeboten  hatte,  ritt  ich  noch  an  demselben  Tage  nach  pajas  zurück; 
denn  in  der  Luft  von  Szerlü  lag  jene  schwere  Feuchtigkeit,  welche  ein 
Heerd  der  gefährlichsten  Fieber  zu  sein  pflegt. 

2h  60">  fort  von  Szerlü.  — 5"*  Aufenthalt.  — 3h  50 1,1  links,  ca.  30m 
entfernt,  kültün.  — 4h  i5m  pajas. 

16.  Oktober. 

Über  den  Ritt  von  pajas  nach  iskenderün  nichts  notiert.  — In 
iskenderün  telegraphierte  ich  sofort  an  den  Kaiserlichen  Konsul  in  fia/e/i, 
Herrn  Zollinger. 

17.  Oktober. 

Am  Nachmittag  trifft  Drahtnachricht  von  Herrn  Zollinger  ein,  dafs 
der  Wali  von  haleb,  Dschemil  Pascha,  den  Kaimmakams  von  bai/dn 
und  ki/liz  drahtlich  befohlen,  mich  mit  Berittenen  zu  versehen,  und 
da&  ich  in  ‘ain/db  das  Bujuruldu  finden  werde. 

18.  Oktober. 

3b  5,n  fort  von  iskenderün.  — 3h38m  der  Weg  teilt  sich:  rechts 
der  weitere  Kamelweg,  links  der  gewöhnliche  Reitweg,  an  dem  Tele- 
graphen entlang.  — 3h  45  nach  einigen  Minuten  Anstiegs  Halt;  isken- 
derün 1 8°. 

3h  52m  fort.  — 4h  3ra  rechts  ein  Wässerchen,  das  von  dem  Dorf 
schekere  (*Isi  spricht  schekerai,  mit  der  beliebten  breiten  Dehnung  von 
betontem  kurzen  End-z)  kommt  und  nach  karaaghdtsch  geht.  — 4h  7 m 
bei  dem  Wachtposten  mit  zwei  Mann,  der  nach  dem  links  im  Wadi 
gelegenen,  doch  vom  Weg  aus  nicht  sichtbaren  Dörfchen  schekere,  schekere 
kuliughu  benannt  ist.  4h  16™  steil  bergauf.  — 4 11  21"'  iskenderün 

io,s°.  Halt. 

4h  25ra  fort,  eben;  wir  sind  auf  der  grofsen  Strafse.  — 4h  47“  bis 
hierher  rechnet  man  von  iskenderün  für  die  Kamele  2 h (zu  4 km) ; baildn 
etwa  1600;  ein  wenig  vorher  hatten  wir  die  Grenze  zwischen  den  Kadas 
iskenderün  und  bai/dn  überschritten.  — 4h  56"  es  beginnt  ein  Stück 
(der  mittlerweile  fertig  gebauten)  Chaussee;  rechts,  nur  durch  ein  Thal 
getrennt,  der  Bergzug,  den  ich  oft  gesehen,  und  der  mir  immer  als 
bai/dn  - Berg  bezeichnet  wurde;  Mustafa  nennt  ihn  naulu  oder  nauly 

*)  Dieser  Ritt  hätte  mich  über  den  Pafs  zwischen  Ischokmerzimen  und  ekbez 
geführt,  dessen  Besuch  mir  wichtig  schien  und  auch  von  Herrn  Kiepert  besonders 
anempfohlen  war.  Meinen  Besuch  desselben  von  ekbez  aus  s.  25.  Oktober. 

12* 


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176 


Martin  Hartmann: 


dägh,  das  aus  nauruz  dägh  entstanden  sei;  der  östliche  Teil  heifse 
noch  besonders  ischam/yk  dägh,  der  westliche  armudluk  dägh  (diese 
Namen  bezeichnen  nur  die  Bewaldung);  dafs  das  Stück  Chaussee,  auf 
dem  wir  reiten,  vor  den  anderen  Teilen  begünstigt  ist,  ist  nicht  wunder- 
bar; denn  es  läuft  auf  einer  Ebene,  genannt  färy  mazy  jäzysy,  die 
übrigens  in  I.änge  und  Breite  nur  eine  geringe  Ausdehnung  hat;  rechts, 
zwischen  uns  und  dem  nauly  dägh  ist  das  dert  baghtsche.  5h  9“  links 
am  Weg  badschi  ' osmän  kasfaly,  mit  wenigem  und  schlechtem  Wasser.— 
5h  i6m  das  trockene  frl/im  deresi  kastaly ; die  Strafse  macht  hier  eine 
scharfe  Biegung.  — 5h  20 ra  bailän  wird  dicht  unter  uns  sichtbar.  — 
5h  25™  im  „Neuen  Chan"  in  bailän,  einem  der  westlichsten  Häuser 
des  Ortes.  — In  demselben  finde  ich  einen  deutschen  Lazaristenbruder 
aus  ekbez,  Joseph  Hochgürtel  von  Köln:  er  sei  den  Tag  vorher  mit 
einem  anderen  Bruder,  der  nach  bairüt  gereist  sei,  auf  dem  sehr 
schönen,  aber  sehr  beschwerlichen  Weg,  der  von  chä$$a  direkt  über 
das  Gebirge  nach  iskenderün  führe,  angekommen,  und  wolle  heute 
zurück. 

19.  Oktober. 

9t>  2m  fort  vom  Neuen  Chan  in  bailän;  Zabtije:  Saijid  Agha;  berg- 
auf auf  der  /ia<W-Strafse.  — 9 h 35™  rechts  mündet  die  ia^Antr-Strafse  ein; 
wenig  bergab;  kurz  vorher  hatte  sich  die  fialeb- Strafse  in  die  obere, 
nördlichere,  und  untere,  südlichere,  geteilt;  wir  halten  die  untere  ge- 
nommen (vergl.  13., '10  ioh  46“).  — 9h  47™  rechts  geht  die  grofse  Strafse 
nach  anUxkija  ab,  die  nach  etwa  4“  an  dem  Wachtposten  derinden 
kutlughu  vorbeifuhrt,  welcher  9h  5om  etwa  5™  genau  rechts  liegt  (s.  13.10. 
ioh  24m).  — ioh  4m  wir  nehmen  einen  Seitenweg,  der  sich  sehr  bald 
wieder  mit  der  grofsen  Strafse  vereinigt.  — ioh  i2ln  rechts  unten  in  der 
Ebene  ist  die  Strafse  von  top  boghäz  sichtbar,  die  durch  das  ‘amk  führt, 
und  von  der  man  weiter  östlich  leicht  auf  die  ^a/zi-Strafse  gelangen 
kann.  — ioh  15"*  rechts,  etwas  vor  uns,  ziemlich  entfernt,  am  Rand  der 
Ebene,  die  beiden  schon  früher  gesehenen  Hügel  (vgl.  13./10.  ioh  6“); 
ioh  i8m  genau  rechts,  unter  uns,  etwa  in  halber  Höhe  zwischen  uns  und 
der  Ebene,  das  untere  Ischafta/ly  (das  obere  s.  »3-/10.  ioh  33m).  — 
ioh  25m  sanft  bergab.  — ioh  30"'  links  ein  Steinhaus  und  eine  Hütte, 
etwa  io"‘  oberhalb  der  Strafse;  sie  bilden  das  kü/schiidschc  köj,  das  zu 
dem  grofsen  Dorfkomplex  von  iurllu  gehört.  — ioh  52  ™ über  eine 
liebliche  Ebene,  die  mit  schönen  alten  Gall-Eichen  (etwa  150  Stämme) 
bestanden  ist.  — 11 h iom  Halt;  Visuren:  Spitze  des  dschebel  el-aica 
209°;  die  Spitze  des  lelim  dägh  oder  dschebel  barakät  1180;  ein  kleinerer, 
mitten  in  der  Ebene  liegender  Hügel  100°. 

llh  23™  fort.  — nh  30“  rechts  unten  in  der  Ebene,  westlich  von 
einem  kleinen,  wohl  künstlichen  Hügel,  nahe  am  Fufs  des  Berges, 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  177 

nur  etwa  30“  entfernt,  das  Dörfchen  fuuk  fu,  noch  zu  baildn  gehörig. 

— jih^jra  links,  von  kur  Hu  herabkommend,  ein  Bach,  der  nach  rechts 
thalwärts  fliefst.  — nh4om  steil  bergab  bis  1 1 h 43 m ; dann  sanfter. 

— 11  h 45m  über  das  Flüfschen  fuuk  fu,  das  hier  eine  Art  See 
bildet.  Halt. 

Uh  50m  fort.  _ uh  ji«  an  dem  verödeten  Chan  fuuk  fu  chdny 
vorbei.  — n11  54™  wieder  sanft  bergauf;  von  dem  Chan,  der  zwischen 
Hügeln  liegt,  erweitert  sich  schnell  die  Ebene  nach  rechts  und  geht 
mit  sehr  geringer  Neigung  hinunter  bis  zum  See;  wellig;  wir;  sind  fast 
die  ganze  Zeit  in  sehr  gutem  Schritt,  zuletzt  leichtem  Trab  geritten, 
unter  450.  — Uns  entgegen  kommt,  von  einem  Hügel  herabflielsend, 
das  delibckirli  fuju,  das  wir  i2h  i7m  überschreiten.  — I2>>2im  bei 
einer  Brandstätte,  einigen  Hütten  aus  Binsen,  und  einem  Neubau  links 
am  Weg;  links  ein  kräftiger  Bach ; etwa  15“  links  zwei  Dörfchen,  nicht 
weit  von  einander.  — i2h  26m  wieder  ein  Wasser.  — i2h  27“  rechts 
ein  Haus ; alle  diese  Häuser  gehören  schon  zu  dem  Dorf  kyrykchan, 
in  welches  wir  i2h  29"1  einreiten.  — i2h  30“  bei  dem  Chan  in  kyryk- 
chdn,  in  welchem  eih  türkischer  Militärposten  von  3 Mann  zur  Be- 
wachung der  Strafse  liegt.  Das  Dorf  hat  7-8  Steinhäuser,  meist  sehr 
lang  und  ganz  niedrig,  wohl  sämtlich  Chans,  und  eine  Anzahl  (etwa  15) 
Hütten  aus  Binsen.  Im  I.auf  des  Nachmittags  auf  den  nordwestlich 
vom  Chan  gelegenen,  dicht  vor  demselben  steil  aufsteigenden  Hügel, 
an  den  sich  ein  anderer,  etwas  höherer  Hügel,  nördlich  anschliefst; 
die  Spitze  des  letzteren  wird  in  8m  erreicht  (4h  32 m);  Visuren:  Spitze 
des  dschebcl  el-akrd , die  ganz  klj\r  ist,  21 2°;  Spitze  des  dschebcl  bcrekdt, 
der  nach  Saijid  Agha  identisch  ist  mit  dem  Mint  ddgh  (vgl.  nh  iom), 
aber  wohl  zu  unterscheiden  von  dem  dschebcl  berckdt  im  Wilajet 
adana,  1240;  zwischen  1240  und  etwa  48°  der  kürd  ddgh,  dem  jedoch 
unter  1 io°  das  kyzyl  jaka *)  mit  5—6  Dörfern  und  unter  740  bis  940 
der  gölbasch- Berg,  an  dessen  Fufs  das  gleichnamige  Dorf  inmitten  des 
Sees  auf  einer  hügelartigen  Insel  unter  78°  liegt,  vorgelagert  sind; 
unter  uns  in  der  Ebene  mufs  der  durch  den  Vorhügel  verdeckte  Chan 
unter  etwa  1230  liegen;  einige  andere  grofse  Chans,  10 — rsm  entfernt, 
noch  zu  ki’rykchdn  gehörig,  98°  und  105°;  ein  kleiner  künstlicher 
Hügel  mitten  in  der  Ebene  90°;  ebenfalls  in  der  Ebene,  nicht  sehr 
weit  von  dem  Fufs  des  Hügels,  dejirmcn  uschaghy  82°;  in  der  Ebene, 
etwa  mitten  zwischen  dejirmcn  uschaghy  und  gölbasch,  furun  {t orun ),  aus 
drei  Dörfchen  bestehend,  790;  ein  kleiner,  selbstständig  aus  der  Ebene 
aufsteigender  Rücken,  weiter  östlich,  59°;  der  gezbel- Pafs  (s.  25-/9. 


*)  = dem  hytyl  kaja  der  Karte  (E  4),  das  wohl  etwas  zu  weit  südlich  ein- 
getragen  ist. 


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178 


Marlin  Martmann: 


nh  45 n>)  295°,  die  von  mir  bestiegene  Bergkuppe  südlich  von  demselben 
(s.  25.(9.  ,zh  521”)  2S7°;  delibckirli,  das  nach  Saijid  Ahga  nur  von  den 
Türken  so  genannt  wird,  arabisch  aber  dijdrbckirli  heifst,  mit  zwei 
Quartieren,  nicht  weit  von  hier,  298°;  über  die  Ebene  sind  zahlreiche 
Ortschaften  zerstreut,  über  die  ich  nicht  genügende  Auskunft  er- 
halten kann. 

20.  Oktober. 

8h  19m  fort  von  kyryfchdn.  — 8h  26m  und  8h  3om  die  beiden,  den 
Tag  vorher  vom  Hügel  anvisierten  Chane,  rechts  am  Weg,  bei  dem 
zweiten  verlassen  wir  die  ^a/ci-Strafse,  uns  nach  links  wendend;  sehr 
gutes  Marschtempo,  teils  leichter  Trab.  — 8'<  30"'  links  am  Weg  die 
letzte  Spitze  des  Rückens,  der  bis  hieher  vom  gjaurdägh  vorgeschossen 
ist,  dann  tritt  das  Hügelterrain  nach  links  auf  2 - 4™  von  der  Strafse 
zurück;  sanft  bergab.  — 8h42“  sanft  bergauf;  welliges  Gelände.  — 
8h  50“  auf  einem  niedrigen  Rücken,  der  etwa  2m  rechts  zur  Ebene  ab- 
fällt; 3m  rechts  in  der  Ebene  das  Dörfchen  dejirmett  uschaghy  ( odschaghy ?), 
etwa  15  H;  nach  N,  weiter  in  die  Hügel  hinein;  gesbel-Tais  285";  etwa 
iom  links  die  steileren  Vorberge  des  gjaurdagh.  — 8h  56 — 57“  über 
ein  sumpfiges  Terrain,  das  ein  Reisfeld  trägt.  — 9t  20°.  — 9b  iom  um 
die  Spitze  eines  steiler  abfallenden  Vorberges  herum.  — 9h  i3">  ein 
Hügel  750;  zwischen  ihm  und  uns,  etwa  20 m entfernt,  kütschülü;  lang- 
sameres Marschtempo.  — 9h  2om  etwa  2m  genau  rechts  dth  uschaghy. 
— 9h  26m  dicht  am  Abfall  des  gjaurddgh  entlang.  9h  3om  Halt. 

911  32"'  fort.  — 9h  36™  links  am  Weg  eine  einzelnstehende  llausruine, 
früher  Mühle,  genannt  gündüslüt  ) rechts,  etwa  15“  entfernt , kütschülü. — 
9h  40m  links,  etwa  iom  entfernt,  karamaghdra  mit  etwa  20  H;  der  gjaur 
dagh  steigt  links  von  uns  ziemlich  steil  gleich  zum  Kamm  empor,  ohne 
erheblichere  Vorberge.  — 9h  43™  karamaghdra  immer  noch  links,  am 
Puls  des  Kammes,  von  dem  wir  uns  allmählich  entfernen.  — 9b  48“ 
etwa  5m  links  ein  einzeln  liegender  Hügel,  etwa  30  m hoch;  etwa  15“ 
rechts,  etwas  vor  uns,  arpaly ; genau  rechts,  weit  in  der  Ebene,  ein 
gröfseres  Dorf.  — 9h  53m  wir  gehen  unter  180.  9h  54"",  im  links  ein 
Hügel.  Halt.  Der  Steilabfall  eines  Südost-Ausläufers  des  gjaurdagh, 
der  sehr  charakteristisch  ist,  und  den  wir  beständig  vor  uns  haben, 
unter  25°. 

10 h fort;  wieder  gutes  Marschtempo.  — ioh3m  etwa  15“  links 
ein  Dorf  mit  etwa  30  H.  — iok  7“  das  Dorf  etwa  iom  genau  links; 
am  Weg  ein  türkischer  Friedhof.  ioh  15 m der  Fufs  des  Hochgebirges 
etwa  2ora  entfernt;  auf  den  Steilabfall  (vgl.  9h  53™)  los;  250.  — ioh  23“ 
etwa  60  m rechts  5 H,  die  wohl  zu  dem,  6 — iom  rechts  gelegenen,  sich 
bis  an  den  Fufs  eines  etwa  20™  entfernten  Tumulus  hinziehenden 
Dorf  gehören.  — ioh  25»  links  ein  grofscr  Friedhof.  — ioh  28m  rechts 


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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo)  und  eiu  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereiset.  179 

am  Weg  wieder  einige  Häuser  (io  — 12);  dieses  ganze  Dorf,  bis  an  den 
Hügel  (s.  ioh  23'“)  soll  tr-rifrali  heifsen;  die  Hütten,  samt  den  Dächern, 
sind  aus  birdi  (Rohr);  die  hier  wohnenden  Türken  sind  nur  im  Sommer 
hier;  im  Winter  ziehen  sie  in  die  Gegend  von  'ain  el-bida1).  — ioh  42  m 
über  ein  Wässerchen.  Halt. 

10 ^ 44 m fort.  — ioh  51 ra  wieder  über  ein  Wässerchen.  — ioh  53“ 
Wendung  nach  rechts;  50°;  auf  einen  in  der  Ebene  vorgelagerten 
Bergrücken  los;  links  dicht  am  Weg  die  Ruinen  eines  Dorfes  (8—10  H). 
ioh  5öm  38°;  auf  eine  Bergspitze  zu;  der  Weg  wird  steinig,  während 
er  bisher  ganz  glatt  war.  — ioh  5&m  25 0 ; rechts  in  der  Ebene  3 Tumuli.  — 
jih  jm  wieder  Häuserruinen  links  am  Weg;  etwa  201"  links,  am  Fufs 
des  Gebirges,  das  wieder  näher  herantritt,  ein  Dörfchen  zwischen 
Bäumen.  — nh  2m  Uber  ein  Wässerchen.  — nh  7m  unter  etwa  50°.  — 
11 h 141”  Halt  bei  einem  Flüfschen. 

Uh  50m  fort5  zu  Fufs  auf  einen  kleinen,  etwas  links  von  der  Strafse 
liegenden  Hügel;  nh56ra  auf  seiner  ebenen,  breitflächigen  Höhe;  von 
hier  der  Steilabfall  (s.  9h  53m)  23°;  der  Fufs  des  steil  abfallenden  Ge- 
birges etwa  20 ni  entfernt;  zwischen  ihm  und  mir  ein  Tumulus.  Halt. 

12h  4 m fort;  zurück  auf  die  Strafse,  wo  i2h6m  mit  den  anderen 
zusammengetroflen ; von  hier  an  leichter  Trab.  — iah  iom  Uber  das 
kräftige  Wasser  tschoschlu  fuju,  etwa  ij  m breit;  wir  sind  hier  auf  dem 
Boden  von  ZscAoscA/y;  wir  reiten  im  Wasser,  bezw.  auf  Sumpfland.  — 
i2h  14m  wieder  über  ein  kräftiges  Wässerchen.  — t2h  24™  etwa  20 m 
links  das  Dorf  tscAorschli ; so,  nicht  iscAoscAli,  höre  ich  den  Namen 
jetzt  deutlich  von  Saijid  Agha  und  ‘Isi ; in  der  Richtung  des  Dorfes 
erhebt  sich  auf  dem  Kamm  ein  mächtiger,  sich  ziemlich  lang  hin- 
ziehender Felsen,  der  nördlich  in  einem  sehr  wilden,  fast  senkrechten 
Absturz  endigt;  besonders  dadurch  fällt  dieser  Fels  sehr  auf,  dafs  er 
kahles,  nacktes,  weifsglänzendes  Gestein  ist,  während  der  Kamm  mit 
Bäumen  und  Gebüsch  bewachsen;  ich  erkenne  in  ihm  den  schon  von  der 
Kuppe  am  gczbcl  (s.  2579.  1 h 55“)  anvisierten  aAAaja\  in  der  That  sagt 
Saijid  Agha  auf  meine  Frage,  das  sei  der  öchfraja  {sic,  OcA,  klang  fast 
in  seinem  Munde  das  a£);  das  Gebirge  sendet  nun  wieder  erheb- 
lichere Querzüge  in  die  Ebene,  welche  von  der  Strafse  überschritten 
werden  müssen,  und  deren  östlichste  Erhebungen  zum  Teil  den  Blick 
in  die  Ebene  versperren.  — 12h  32 m rechts  ein  felsiger  Hügel.  — 
i2h  42 m etwa  iom  rechts  ein  felsiger  Hügel,  als  Abschlufs  eines 
zur  Ebene  abfallenden  Querzuges.  — 1 2 h 45 m Uber  einen  kräftigen 

*)  Mit  dieser  Angabe  ist  nichts  gesagt;  denn  das  rihäh  ist  sicher  identisch 
mit  dem  Namen  des  Turkomanen-Stamraes  Rihanly,  und  dafs  dieser  in  jener  Gegend 
wohnt,  bezw.  wandert,  ist  schon  aus  Burckhardt  (s.  K 1625  IT.)  bekannt;  vgl.  auch 
die  Xahijc  cr-rthnntje  in  den  Ortslisten. 


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180 


Martin  Hartmann: 


Bach,  gleich  darauf  über  das  breitere,  trockene  Bett  eines  Winter- 
flusses. i2*‘49m  der  Steilabfall  jetzt  unter  etwa  150  vor  uns;  ebener, 
stcinloser  Weg.  — ih  links  felsiger  Hügel;  wasserreiches  Land  mit 
Feldern ; sehr  schnelles  Marschtempo.  — 1 h 1 7 n>  Wendung  nach  rechts, 
mehr  östlich;  der  Steilabfall  bleibt  links.  — ih  i9m  in  einem  Thälchen 
mit  Bach  und  reicher  Vegetation.  — 1*1  zi">  der  Steilabfall  genau  links, 
etwa  45 m entfernt;  hinter  ihm  eine  höhere  Bergspitze  sichtbar.  — 
ih23m  rechts  und  links  am  Weg  Ruinen  von  Häusern,  und  so  auch 
weiter  bis  zum  Dorf  urdikBj.  — ih  z6m  über  ein  Wässerchen.  — ih  28°* 
über  einen  bedeutenderen  Bach  mit  steinigem  Bett.  — ih3om  erste 
Häuser  des  Dorfes  urdiköj,  durch  welches  die  Strafse  hindurchführt; 
sämtlich  verlassen  und  im  Verfall:  ein  Bild  der  traurigen  Lage  des 
Landes;  die  Bewohner  wohnen  jetzt  in  einem  gleichnamigen  Dorf  im 
Gebirge;  rechts  ein  Hügel,  der  die  Ebene  verdeckt.  — i1,43m  rechts 
jenseits  eines  Thälchens,  in  welchem  ein  steiniges,  trockenes  Flufsbett, 
ein  Hügel,  hinter  welchem  in  der  Ebene  ein  bedeutenderer  Bergrücken 
aufsteigt;  das  Terrain  sehr  wellig;  zahlreiche  Hügel.  — 1 & 52“  über 
das  etwa  50  m breite,  ganz  mit  Steingeröll  gefüllte,  jetzt  trokene  Bett  des 
(tadschilaryn  tschaijy.  — 2 h in  einer  weiten  Ebene  mit  gutem,  doch  nicht 
bestelltem  Kulturland;  links  ist  der  gjaurdägh  auf  etwa  1 St.  zurück- 
getreten; der  Bergrücken  rechts  nur  etwa  30""  entfernt.  2*>  23“  ein 
Ausläufer  des  Bergrückens  rechts  tritt  bis  auf  etwa  15“  an  die  Strafse 
heran.  — 2h  26m  rechts  und  links  ein  grofser  Friedhof;  dicht  am  Weg 
ein  Grab  mit  zwei  offenbar  alten  Säulenstümpfen,  von  denen  einer  mit 
rohen  Zeichen  versehen  ist,  je  etwa  1 1 m hoch ; neben  dem  einen  ein 
verkümmertes  Eichbäumchen,  an  dessen  Äste  Kleiderfetzen  gebunden 
sind1);  auf  die  Säulenstümpfe  sind  Steinchen  aufgehäuft,  so  viele  ihrer 
Platz  haben.  Halt. 

2h  32ra  fort.  — 2 h 45 1,1  links  wieder  Gräber;  der  gjaurdägh  erscheint 
wieder  näher  (ca.  45 m);  rechts  steigt  der  Boden  sanft  an;  kein  Blick 
in  die  Ebene.  — 3 h rechts  ein  nach  S fliefsendes  Wasser,  ca.  2J  m 
breit,  nach  Saijid  Agha  chäffany/7  fuju  genannt.  — 3h  4m  ca.  4"  rechts 
ein  Tumulus.  — 3*>  8 m ein  Ausläufer  des  gjaurdägh  tritt  bis  auf  etwa 
150  m links  an  die  Strafse  heran;  chäsfa,  bezw.  die  Kaserne  von 
ch.,  liegt  als  weilsglänzender  Punkt  unter  350°  vor  uns,  am  Fufs  des 
Gebirges.  — 3h  12"  die  Strafse  teilt  sich:  links  ab  nach  chäffa,  gerade- 
aus nach?  ( if/ä/iije ?)  — 3h  »5™  ein  Gebirgsausläufer  tritt  links  bis  auf 
50  m an  die  Strafse  heran.  — 3h  22 m wir  reiten  an  einem  Rinnsal  mit 
klarem  Wasser,  das  rechts  ist,  hinauf.  — 3h  28™  über  dieses  Wasser, 

*)  Über  den  Glauben,  dafs  das  Befestigen  von  Kleiderfetzen  eines  Kranken 
an  einem  heiligen  Baum  oder  Heiligengrab  Heilung  bringe,  s ZV  f.  Volksk.  I ioj. 


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IIIIH  I 


I III 


Di»  Liwa  llaleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berckel.  [ g 1 

welches  links,  ca.  i ra  entfernt,  eine  kleine  Mühle  treibt;  die  Ausläufer 
des  gjaurddgh  begleiten  uns  immer  links  in  Entfernung  von  50-  6om. 

— 3h  34“  rechts  und  links  Ruinen  von  Häusern.  — 3h  40“  die  Ebene 
rechts  wird  wieder  sichtbar.  — 3h4im  erste  Hütten  von  cAdffa,  das 
freundlich  unter  Bäumen  liegt.  — 3h  44 m das  Regierungsgebäude  ca. 
100  m links;  Saijid  Agha  verläfst  mich  um  in  cAdffa  zu  bleiben.  Halt. 

3h  48m  welliges  Terrain.  — 3h  53“  rechts  in  der  Ebene  ein 
Tumulus.  — 3h  57m:  2m  rechts  einige  Häuser,  die  wohl  noch  zu  cAdffa 
gehören  [vgl.  22. 110.  2h  50“].  — 3h  58"»  bergauf,  in  die  Berge  hinein. 

— 4h  4m  östlich  ist  ein,  ca.  700  m von  N nach  S ziehender  Rücken 
vorgelagert.  — 4h  7“  Halt. 

4h  9“  fort;  langsameres  Marschtempo ; unter  360°.  — 4 h 23™  über 
einen,  etwa  15  m breiten  Flufs;  Halt. 

4h  26m  fort;  30°;  am  Weg  Tabakfclder  und  Weinberge.  — 4 *»  38"’ 
rechts  am  Weg  ein  mächtiger  Felskegel  mit  Höhle.  — 4 b 5ora  rechts 
unter  uns  ein  Gebirgsflufsbett,  ca.  3 m breit,  trocken.  — 4h  53“1  bei 
einer  Wendung  wird  das  Lazaristenkloster  sichtbar.  — 411  55“  der 
Weg  teilt  sich:  der  Hauptweg  geradeaus,  wir  rechts  ab  zu  dem  unter 
340°  auf  einer  Anhöhe  vor  uns  liegenden  Kloster;  über  das  5—6  m 
breite  Flufsbett.  — 5h  2m  erste  Häuser  von  tkbez.  — 51'  io“  im  Hause 
der  Lazaristen,  wo  ich  die  freundlichste  Aufnahme  fand. 

21. — 27.  Oktober  im  Lazaristenkloster  in  salvianli\  denn  diesen 
Namen  führt  eigentlich  das  Dorf,  in  welchem  es  liegt  und  welches 
wohl  auch,  wie  die  anderen  Ortschaften  der  Nahije  tkbez,  als  Oijmak, 
Quartier,  Viertel,  von  tkbez  bezeichnet  wird,  gemeiniglich  aber,  als  der 
Hauptort,  geradezu  tkbez  genannt  zu  werden  scheint.  Durch  Vermittelung 
der  mich  in  jeder  Weise  unterstützenden  Herren  des  Klosters  gewinne 
ich  die  Dienste  Tschilös,  eines  alten  Armeniers,  der  in  seiner  Jugend 
selbst  das  Räuberhandwerk  in  dem  damals  freilich  noch  fast  ganz 
unabhängigen  Gebirge  getrieben  haben  will,  und  von  seinen  zahllosen 
Streifereien  her  die  Gegend  südlich  bis  zur  Grenze  des  Wilajets  fraleb, 
nördlich  bis  etwa  ifldjtije  und  jarpuz  recht  gut  kennt.  Die  unternom- 
menen Ausflüge  sind  folgende: 

22.  Oktober  (Sonntag). 

Nach  der  letzten  Messe,  an  der  eine  gröfsere  Anzahl  Personen 
der  angeblich  etwa  50  Familien  starken  katholischen  Gemeinde  teilnahm, 
Spaziergang  mit  dem  deutschen  Bruder  Joseph  in  der  näheren  Um- 
gebung des  Klosters;  südlich  an  demselben  in  geringer  Entfernung 
eine  Grotte  mit  drei  Grabstellen,  wo  byzantinische  Münzen  gefunden 
sind;  etwas  weiter  der  christliche  Friedhof,  der  vordem  von  allen 
Christen  gemeinsam  benutzt  wurde;  als  vor  6 Jahren  (1876)  Maroniten 
hierher  kamen  (noch  jetzt  besteht  hier  eine  Kolonie  von  arabisch 


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182 


Martin  Hart  mann: 


redenden  Maroniten,  die  Theer  brennen  und  einen  eigenen  Geistlichen 
haben),  wollten  diese  nicht  mit  den  „Ketzern“  zusammen  beerdigt  sein, 
sondern  legten  sich  einen  besonderen  Friedhof  in  der  Nähe  der  Kapelle 
an,  wo  nun  auch  die  andern  Katholiken  begraben.  Der  alte  Friedhof 
zeigt  nur  einen  Stein,  der  Aufmerksamkeit  erregt:  er  trägt  ein  griechi- 
sches Kreuz,  etwas  verzogen,  und  die  Jahreszahl  1265  mit  arabischen 
Ziffern.  Auf  dem  in  der  Nähe  befindlichen  muslimischen  Friedhof 
fällt  ein  als  Grabstein  benutzter  Säulenstumpf  mit  Zeichen  auf,  welcher 
‘den  beiden  20./10.  2h  26“  gesehenen  ähnlich  ist;  nach  Bruder  Joseph 
trifft  man  solche  Säulenstümpfe  öfter. 

Nachmittags  Besuch  beim  Kaimmakam  von  c/nlffa ; die  spärlichen 
Notizen  des  Hin-  und  Rückweges  sind  folgende: 

lh  45m  fort  vom  Kloster.  —-2h  5om  tra  links  ein  paar  Häuser,  die 
mir  mein  Führer,  der  Postbote  des  Klosters,  als  Ischd/ym  biinysy  be- 
zeichnet. — In  chdffa  traf  ich  den  Kaimmakam  in  der,  übrigens  ganz 
verfallenen  Kaserne  an;  er  war  vor  ca.  10  Tagen  aus  tejek  oder  tijetc, 
45 m von  chit}fa  im  gjaurditgh , wo  er  des  mörderischen  Klimas  von 
rhitffa  wegen  im  Sommer  residiert,  zurückgekehrt;  auch  der  Kadi  von 
fhdfja  war  anwesend;  der  Kaimmakam  erklärte  sich  bereit,  mir  einen 
Zabtije  nach  kil/is  zu  geben;  Nüri  Bey  — dies  war  sein  Name  — , ein 
noch  junger,  geweckter  Mann,  war  nicht  unfreundlich;  er  fragte  mich 
zwei  Mal,  ob  ich  bei  den  Patres  in  ekbes  wohne,  gab  aber  der  feind- 
lichen Gesinnung,  die  die  Lazaristen  ihm  zuschreiben,  keinen  Ausdruck, 
erkannte  vielmehr  an,  dafs  ihre  Schule  eine  Wohlthat  für  die  Gegend 
sei;  freilich,  meinte  er,  die  Leute  dieser  Gegend  wollten  ihre  Kinder 
nichts  lernen  lassen  (nach  Angabe  der  Lazaristen  sehnt  sich  im  Gegenteil 
die  Bevölkerung  nach  Unterricht,  Strafsen,  Förderung  aller  Art),  und 
besonders  die  Ekbezer  seien  eine  böse  Gesellschaft:  die  Notabein  unter 
ihnen  seien  die  Häupter  von  Räuberbanden,  die  sich  mit  Viehstehlen 
u.  dgl.  abgäben.  — 

3h  30™  fort  von  chd;;a ; vom  Fufs  des  Berges  bis  zu  dem  Flufs 
puiiar  baschy  (vgl.  20./10.  4 h 23™)  heilst  der  Weg  ki/hjin  (ki/idschin .-') 
gtdigi\  das  puiiar  baschy  kommt  gleich  sehr  kräftig , ja , nach  Angabe 
des  Führers,  ebenso  kräftig  wie  dort,  wo  wir  es  4h  15“  überschreiten, 
unter  dem  nur  ca.  iom  links  liegenden  Felsabfall  hervor.  — 4*»  i8m 
rechts  ein  Baumwoll-Feld,  links  ein  Weinberg,  wie  überhaupt  die  Gegend 
gut  angebaut  ist;  von  dem  puiiar  iarcAy-Flufs  bis  kurz  vor  ekbez  heifst 
das  Terrain  ilsilr , und  so  heifst  auch  der  rechts  bleibende  Felsberg 
mit  Höhle  (vgl.  20./10.  4h  38™)  iisär  / epesi ; ihm  gegenüber  links  der 
Hügel  Ischalal  /epesi.  — 4h  34m  rechts  das  ky/y/srh  tepe')  und  hinter 

*)  verhört  für  kylydsch  dedei  vgl.  ig./io.  9h  24  m. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dscbebel  Rereket.  183 

demselben  das  sich  lang  hinziehende  tschamly  burun,  das  zwar  dem 
fa(yran/yh  nahe  ist,  aber  nicht  mit  ihm  zusammenhängt.  — 4h45m 
rechts  das  trockene  Bett  des  de/i/schtti,  das  nach  SO  geht;  der  de/i- 
Ischai  soll  von  dem  kuschdschti  ddgh  kommen,  den  wir  links  in  Wolken 
sehen,  soll  sich  nicht  mit  dem  puhar  baschy  vereinigen.  — 4h  48™ 
links  ein  herabgestürzter  Felsblock,  welcher  sdghyr  dasch  heifst,  weil 
das  auf  der  einen  Seite  von  ihm,  selbst  laut,  Gesprochene  auf  der 
anderen  nicht  gehört  wird. 

23.  Oktober. 

2h  35m  fort  vom  Kloster,  begleitet  von  Tschilö;  sehr  langsam; 
zunächst  zwischen  Hecken  unter  330/340°;  in  dieser  Richtung  sind 
hinter  dem  Kloster  keine  Häuser  mehr;  das  Dorf  liegt  im  S und  W 
des  Klosters.  — zh  45™  bergan,  unter  6o°.  — 3h  chtiffa  (Kaserne)  185°. 
Halt. 

3h  lm  fort.  — 3h  5m  auf  der  Höhe  eines  Rückens;  eben.  Die 
beiden  Spitzen  des  östlichen  ha/yran/yk  70°.  — 3h  19"»  bergab  in 
jungem  Eichwald;  eben;  sehr  guter  Weg;  ziemlich  nahe  am  Gebirge 
erhebt  sich  selbstständig  aus  der  Ebene  ein  langer,  kahler,  niedriger 
Rücken,  genannt  maimyn  geri\  ein  anderer  aus  der  Ebene  auf 
steigender  Hügel  ist  der  ballyh,  so  genannt  von  dem  dort  ge 
wonnenen  bal,  Honig  (?).  — 3h  29“*  auf  der  Grenze  zwischen 

elbez  und  schlch/y , das  hier  fast  wie  schachly  gesprochen  wird,  und 
damit  auch  auf  der  Grenze  zwischen  den  Kadas  chdffa  und  ifM/ilje; 
bergab,  ziemlich  steil,  auf  schlüpfrigem  Weg.  — 3h  35m  wir  wenden 
uns  von  dem  direkt  nach  dem  ca.  8 1,1  vor  uns  liegenden  Dörfchen 
s chlchly  führenden  Weg  ab  nach  rechts;  steil  hinab  auf  glattem  Weg. 
— 3h  45 m r chlchly  ca.  3™  links;  unter  ca.  8o°  ein  selbstständig  aus 
der  Ebene  aufsteigender  ger,  d.  i.  langgestreckter  Hügelrücken,  an 
dessen  westlichem  Fufs,  an  der  Strafse  nach  ifMhlje  ein  hulluh  (Wacht- 
posten) liegt.  — 3h  55 m an  der  Quelle  dschinni  puiiary  und  dicht  dabei 
die  zwei  Zelte  der  Trappisten -Missionare , welche  hier  eine  Nieder- 
lassung anlegen.  In  der  Nähe  derselben  mehrere  Grotten,  die  wohl 
Einsiedlern  gedient  haben;  etwa  fünf  solcher  Grotten  sollen  sich 
ca.  45 m entfernt  von  der  Niederlassung  am  F’ufs  des  Berges  finden, 
gegenüber  dem  Wachtposten,  der  auf  einem  ger  an  der  t$/d(nje- Strafse 
liegt  (vgl.  3h45m),  und  nur  ca.  600  m westlich  von  dieser  Strafse;  von 
diesen  Grotten  her  soll  die  Quelle  d/dgöz1)  kommen,  die,  ähnlich  wie 


1)  Der  sonst  gut  unterrichtete  Trappisten-Pater  Philipp  aus  Nancy,  dem  ich 
diese  Nachrichten  verdanke,  erklärte  den  Namen  als  source  de  Dieu;  er  hat  aber 
nichts  mit  alluh,  Gott,  zu  thun,  das  ata  ist  dasselbe  wie  in  äladägh  und  anderen 
mit  älä  zusammengesetzten  Namen,  nämlich  — rot,  rötlich. 


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184 


Martin  Hartmann: 


das  puiiar  baschy,  sofort  sehr  stark  aus  dem  Felsen  hervortritt,  und 
von  den  Trappisten  zu  Fufs  in  ca.  30 m erreicht  wird;  der  Boden  dort 
ist  schon  ganz  vulkanisch;  an  vielen  Stellen  sind  die  Schwefelgase, 
wenn  man  nur  wenig  gräbt,  riechbar;  die  Eingeborenen  nennen  das 
Terrain  dort  letsche  (vgl.  28-/10,  ioh  25m).  — Über  den  Rückweg  zum 
Kloster  notierte  ich  nichts. 

25.  Oktober. 

gh  50 m fort  von  dem  Kloster,  zwischen  Dorfhäusern  hindurch.  — 
ioh  durch  duraklar.  — ioh  5™  vor  uns  nüh  uschaghy,  das  toh  8m  links 
von  uns  ist;  dort  die  schöne  Quelle  gäl  punar  bei  einem  mächtigen 
Ahorn.  — ioh  i5m  nach  N und  NW  ab;  rechts  geht  der  Weg  ab 
nach  der  1 h 30 m entfernten  (t^a/wa-Quelle,  die  wegen  ihres  ausge- 
zeichneten Wassers  berühmt  ist.  — ioh  20m  erste  Häuser  von  jeni 
Japan;  wir  unter  350°,  am  wasserlosen  delitschai  entlang;  Weg  steinig 
und  schlecht.  — ioh  30m  etwa  iom  rechts  chyrchaly,  dessen  Wasser 
in  den  delitschai  geht,  sich  jedoch  in  dessen  Bett  verliert;  wir  machen 
eine  energische  Wendung  nach  W und  gehen  nun  unter  etwa  310°. 
— ioh  36 m links  erstes  Haus  von  pazäl  uschaghy,  durch  das  Dorf  bis 
ioh  42m.  — ioh  45m  Uber  den  delitschai,  der  hier  Wasser  hat,  das  sich 
jedoch  später  verliert;  auf  der  westlichen  Seite  des  Flusses  bergauf 
unter  310°;  ioh  47™  sehr  steil;  dann  sanft,  dann  wieder  steil.  Wir 
gehen  in  der  Schlucht  pazat  uschaghy  boghazy  hinauf,  an  dem  rechten 
Abhang  eines  schönen  reich  bewachsenen  Thaies.  — nhi3m  auf 
dem  Gedik  (Pafs)  ly  dar  pabury  d.  i.  das  Grab  der  Mädchen;  es  ist 
das  eine  20 — 30  m breite,  sanft  geneigte  Ebene,  welche  nach  beiden 
Seiten  in  ziemlich  steilen,  bewaldeten  Abhängen  abfällt,  rechts  hinunter 
zu  dem  pazat  uschaghy  deresi,  auf  dessen  anderer  Seite  ein  Bergrücken 
aufsteigt,  jenseits  dessen  das  paurma  deresi  liegt;  den  Namen  bat  diese 
Ebene  woM  von  den  grofsen  dunklen  Basaltblöcken,  mit  denen  sie  be- 
deckt ist,  und  welche  zuweilen  grabhügelartige  Konglomerationen 
bilden  (vgl.  4h  14 m).  Halt. 

Uh  17 m fort.  — 111»  2t m am  Ende  des  pyzlar  kabury;  es  beginnt 
das  tschardap  jopuschu,  d.  i.  Steilanstieg  zum  tschardap ; wir  folgen  nicht 
der  Strafse,  sondern  machen  einen  kleinen  Abstecher,  ziemlich  eben, 
nach  rechts,  den  steilen,  bewaldeten  Abhang  entlang,  der  rechts 
gähnt,  zu  der  Quelle  begh  olu-u  (Olughu),  die  wir  nh  26  erreichen;  sie 
liegt  unter  vier  mächtigen,  dicht  nebeneinander  stehenden  Ahorn- 
bäumen; hier  beginnt  die  Region  der  Ceder  (pama/ap)  und  des  Wach- 
holderbaums ( ardydsch ).  Reichlicher  und  kräftiger  Baumwuchs;  auch 
eine  Eiche,  welche  der  deutschen  Eiche  ganz  gleich  zu  sein  scheint, 
und  die  ich  sonst  in  Syrien  nicht  gefunden  habe;  die  Türken  nennen 
sie  Ijre  und  unterscheiden  sie  wohl  von  pdlut  {palamut ).  Halt. 


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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschcbcl  Bereiset. 

llh  31m  fort;  sehr  steil  bergauf,  um  wieder  den  Weg  zu  erreichen, 
in  Windungen;  abwechselnd  mittelsteil  und  sehr  steil.  — ii*>5om 
260°;  Vegetation  fast  nur  Cedern,  Eichen  und  Gall-Eichen;  rechts  ein 
sehr  tiefes  Thal,  links  Bergrücken.  — 12 h sanft  bergauf,  gleich  darauf 
fast  eben;  hier  ist  das  tsehardak  jokuschu  zu  Ende,  die  nun  folgende 
Ebene  hat  keinen  besonderen  Namen;  sie  ist  nur  mit  fjre  = Eichen  be- 
standen. — 12 h 8m  wieder  bergauf.  — i2h  i3m  wieder  eben;  am  Weg 
dghlsehilm  - Bäume,  Weifskiefern  (gemeint  sind  wohl  Weilstannen?), 
während  sich  in  der  Ebene  nur  der  karatschdm,  Schwarzkiefer  (gemeine 
Kiefer)  findet.  — i2h  23™  sanft  bergab.  — i2h  25m  Uber  einen  etwa 
30  m langen,  20  m breiten,  freien,  steinigen  Platz.  — i2h  2Öm  steil 
bergab.  — i2h  27 ra  über  das  Wässerchen  dedemli  jailasynyh  fuju.  — 
12  h 29 ■>  links  kommt  ein  Weg  von  dtdemli,  bezw.  von  lejek,  unter  220° 
heraus;  wir  gehen  unter  350°.  Halt. 

12 h 31 m fort,  eben.  — i2h33nl  links  ein  Bergkegel,  an  dessen 
Fufs,  dicht  an  der  Strafse,  die  Ruinen  der  etwa  10  Sommerhütten  der 
Leute  von  lejek  liegen;  wir  kommen  Uber  eine  hübsche  Ebene,  die  von 
etwa  250°  nach  70°  orientiert  ist;  300°;  auf  vortrefllicher  Strafse;  ganz 
steinloser  Boden.  — i2h  40""  auf  dem  eigentlichen  tsehardak ; es  ist 
dies  ein  wasserreicher  Platz,  der  in  der  Mitte  mit  hohem  Gras  be- 
standen ist;  die  Ebene  verengt  sich  nach  W zu,  die  Berge  treten  rechts 
und  links  näher  heran.  — i2h  44"*  am  Ischardak  ptthary  mit  reichlichem 
Graswuchs  auf  sumpfigem  Boden,  hier  sind  Sommerhütten  der  Leute 
von  lejek,  doch  bereits  verlassen;  von  hier  geht  der  Pafsweg  noch  3om 
nach  W,  dann  spaltet  er  sich:  rechts  nach  kapu/u,  etwa  2(  St.;  links,  oder 
weiter  nach  W,  nach  tschokmerzimen,  dem  grofsen  altarmenischen  Dorf 
mit  etwa  500  H;  von  tschokm.  geht  der  Weg  rechts  nach  odschakly 
15™,  von  dort  nach  tschaily  15“;  geradeaus  nach  Szerlü  30 m;  doch 
giebt  es  auch  einen  direkteren  Weg  nach  Szerlü,  der  tschokmerzimen  nicht 
berührt. 

1 h 50 m fort;  no°.  — ih  58“  scharfe  Wendung;  140°.  — 
2 ^ über  ein  trockenes  Winterflufsbett.  — 2h  4“  wir  biegen  von  dem 
alten  Weg,  dem  wir  bisher  gefolgt,  ab,  zum  Weg  nach  lejek,  der 
sanft  bergauf  steigt,  unter  1800.  — 2h  i2m  über  das  Quellwässer- 
chen des  dedemli  jailasynyh  fuju  (s.  i2h  27m);  wir  sind  hier  auf 
dem  dedemli  jailasy.  — 2h  15“  wir  gehen  von  'dem  lejek -Weg  ab, 
nach  links,  den  Berg  hinauf.  — 2h  20”*  auf  der  Spitze  des  Hügels; 
Visuren:  dedemli  137  °,  tief,  in  einer  schmalen  Thalsenkung,  am  südlichen 
Abhang  eines  63 137 0 laufenden  Bergrückens,  am  nördlichen  eines 
anderen,  niedrigeren;  die  beiden  Spitzen  des  büjük  kafyranlyk  64°  und 
67°,  die  des  kt Uschiik  ka/yranlyk  69°  und  87°,  eine  Ebene,  welche  einen 
tiefen  Einschnitt  zwischen  den  beiden  ka/yranlyks  macht,  69°;  etwa  30 m 


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186 


Martin  Hartmann: 


rechts  von  der  äufsersten  südlichen  Spitze  des  kleinen  jcaf.  der  kleine 
Hügel  ballyk ; zwischen  lins  und  den  kafyranlyks,  ungefähr  in  der  Mitte 
der  Ebene,  liegt  der  Ischakal  bükünüh  geri,  8o°,  auf  dessen  Spitze  sich 
ein  Zijaret  Namens  gerin  odschaghy  befindet;  die  höchste  Spitze  des 
zwischen  130°  und  1530  sichtbaren  und  nach  der  Sage  einst  von  dem 
Räuber  Köroghlu  mit  seinen  1700  Reitern  bewohnten  kvroghlunun  geri 
1390;  das  Dorf  ftadschilar  in  dem  tiefen  Thal  des  (tadschilar  tschaijy 
1660;  in  derselben  Richtung,  doch  durch  Vorberge  verdeckt  sdut  oder 
köjlü ; die  höchste  Spitze  des  kiird  dägh , bekannt  unter  dem  Namen 
damryfc  dägh,  an  deren  Fufs  südlich  bülbül  liegt,  ioo°;  auf  der  Höhe 
des  sich  vor  uns  erstreckenden  kürd  dägh  das  Dorf  frafer  (10 — 12  H K), 
mit  dem  Konak  des  verstorbenen  Hadschi  Ömeroghlu,  der  auch  in 
killis  einen  grofsen  Konak  hatte,  ungefähr  in  derselben  Richtung  wie  das 
ballyk  95°;  die  Spitze  des  lllin  dägh')  1 55 0 ; der  dem  kürd  dägh  vor- 
gelagerte, doch  nicht  mit  ihm  zusammenhängende  karabdbä  dägh  zwi- 
schen 1200  und  1290;  an  seinem  südlichen  Ende,  auf  der  östlichen 
Seite,  soll  das  von  hier  nicht  sichtbare  Dorf  karabäbä  liegen;  hinter 
dem  karabäbd  dägh,  am  Fufs  des  kürd  dägh,  kyradsch  obasy ; beide 
Dörfer  gehören  schon  zum  Gebiet  von  bülbül.  Halt. 

3h  10 m fort  von  der  Spitze,  nach  N.  zu  Fufs,  ohne  Weg,  steil 
bergab.  — 3h  i4m  nach  NO  — 3h30m  wieder  auf  dem  alten  Wege; 
eben;  nach  Osten,  auf  einem  breiten  Rücken  entlang;  sanft  bergab. — 
3h  38 m steil  bergab;  etwa  8o°.  — 3h  42""  wieder  eben;  die  Spitze  des 
kuschdschu  links.  — 3h  47m  links  tiefes  Thal,  steil  abfallend;  bald  eben, 
bald  sanft  bergab.  — 3h  54™  die  Spitze  des  felsigen,  bäum-  und  wasser- 
losen,  kegelstumpfförmigen  kuru  dägh  vor  uns  unter  etwa  20°;  So01; 
bergab,  steil,  auf  dem  Uchardak  jokuschu ; links  immer  das  tiefe  Thal. 

— 4h  14m  am  Ende  des  Steilabstiegs,  Beginn  der  sanft  abfallenden 
Ebene  kyzlar  kabury  (vgl.  nh  I31");  der  Stein,  welcher  die  von  dem 
Volk  als  Grabzeichen  genommenen  Haufen  bildet,  ist  dunkel  und  röt- 
lich, und  verschieden  von  dem  Gestein,  das  weiter  oben  und  unten 
gesehen  wurden;  nach  einem  Lazaristenbruder  ist  es  eine  Art  Schiefer, 
die  sich  ausbeuten  lassen  würde;  rechts  öffnet  sich  nun  ein  tiefes  Thal. 

— 4h  28m  Wendung  nach  rechts;  steil  bergab;  80°;  hier  wieder  Kalk- 

*)  Das  ist  natürlich  der  dschebel  latlün,  von  dem  Jak.  IV  374  sagt:  „auch  Am- 
lül  genannt;  ein  Gebirge,  das  sich  über  ha  ich  erhebt,  zwischen  ihm  und  antakija ; 
auf  seinem  Gipfel  befindet  sich  der  Wächter  (Wachtthurm,  daidubnn)  von  bau  lahiv, 
es  giebt  auf  diesem  Gebirge  Dörfer  und  Weiler“  u.  s.  w. ; vgl.  auch  Jak.  I 779. 

— Oben  (19. /io.  Ilb  10™  und  4h  32m)  ist  der  Name  nach  der  Aussprache  meines 
türkischen  Begleiters  lelim  geschrieben;  im  arabischen  Mund  geht  eher  im  am  Ende 
ln  in  über  (ibrähin  u.  dgl.)  als  umgekehrt. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  ] ^ 7 

stein  form. it  ioti  — 4h  47m  Uber  den  delitschai.  — 4h  5om  an  einem  Haus 
von  fcazal  uschaghy. 

5*>  45“  wieder  im  Kloster. 

26.  Oktober. 

2h  30™  fort  nach  SW.  — 2h  42“  über  den  delitschai  auf  einer  ein- 
’bogigen  Brücke;  durch  nah  uschaghy,  dann  durch  haraahmedli,  nach 
S;  von  2h  50“  bergauf.  — 3h  im  auf  dem  Sattel,  der  zum  garga  gedigi 
führt;  etwa  10 m links  der  Pik  Ischalallepe  (vgl.  22/10  4 h 181"),  rechts 
der  bedeutend  höhere  gäl  daghy,  jenseits  eines  Thaies,  welches  selbst 
zum  Teil  durch  einen  kleinen,  gleich  rechts  am  Sattel  liegenden  Pik 
verdeckt  ist;  wir  befinden  uns  auf  der  Strafse  nach  lejck ; das  üdsch 
öjren  tepe  ziemlich  genau  im  S vor  uns.  — 3 11  25 ra  auf  dem  Pafs  garga 
gedigi',  von  hier  soll  bis  tejek  noch  25“  Wegs  sein;  das  Kloster  34 °; 
die  nahe  (in  Luftlinie  etwa  10“)  Spitze  des  kegelartigen  üdsch  öjren 
oder  üdsc he  öjren,  das  nach  beiden  Seiten  steil  abfallt,  113°;  die  Abhänge 
desselben  162°  und  65°;  mein  Führer  bemerkt  ausdrücklich,  dafs  der 
Name  nichts  mit  ülsch  = drei  zu  thun  hat;  der  kürd  jüsuf Berg,  43,5°; 
der  dembel  (ein  bei,  Pafs?)  hinter  dem  kürd  jUsuf-Berg,  34c;  eine  hohe 
Bergspitze,  die  mir  als  puschdschu  bezeichnet  wird  (vgl.  4h  t7m)  290; 
göl  daghy,  dessen  Spitze  nur  etwa  20“  in  Luftlinie  entfernt  scheint, 
zwischen  275 0 und  320°.  Halt. 

3h  49“  fort  von  dem  Pafs  zu  einem  Punkt  am  südlichen  Abfall 
des  üdsch  öjren  unter  Z330;  zuerst  auf  einem  Weg,  dann  weglos,  sehr 
steil  bergauf;  bald  zeigt  sich  die  Unmöglichkeit  weiter  zu  kommen; 
nach  rechts  ab  zu  einem  tiefer  gesehenen  Weg;  auf  diesem  unter  etwa 
166°,  ziemlich  eben,  am  südlichen  Rand  des  Berges  entlang,  immer 
durch  sehr  dichtes  Gebüsch.  — 4h  9“  Lichtung  auf  einem  Bergvor- 
sprung unter  dem  Felskegel,  der  nur  noch  etwa  60  m höher,  aber  er- 
sichtlich sehr  schwer  zu  erklimmen  ist;  auf  dem  Vorsprung  eben  auf 
den  Abfall  desselben  in  die  Ebene  zu.  — 4h  Z2m  sanft  bergauf.  — 
4h  13“  ein  Grab,  genannt  das  Grab  des  Hasgara  (Haskara?),  nach  einem 
Muslim  aus  ckbess,  der  vor  etwa  60  Jahren  hier  einen  Garten  angelegt 
hat  und  vor  etwa  50  Jahren  hier  gestorben  und  begraben  ist.  Dieser 
Bergvorsprung  fällt  auf  beiden  Seiten  ziemlich  steil  ab,  rechts  zum 
garga  gedigi  deresi,  links  zu  einem  Thal,  welches  zwischen  dem  üdsch 
öjren  und  dem  kürd  jüsuf  liegt,  und  in  dessen  Fortsetzung  nach  der 
Ebene  hin  der  punar  baschy  sichtbar  ist;  bei  dem  Grabe  des  Hasgara 
ist  der  Rücken  etwa  25  nt  breit;  um  einen  besseren  Punkt  für  Visuren 
zu  gewinnen,  auf  dem  Rücken  weiter  vor;  4h  Z7m  dicht  an  den  ziem- 
lich steilen  Abfall  in  die  Ebene;  Visuren:  Kaserne  von  cha$$a  258,5°; 
genau  in  derselben  Richtung  die  mittlere,  kleinere  Spitze  des  kör 
figh/unui!  geri;  die  gröfsere  desselben  150,5°;  der  ganze  kör  ogh/unun 


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188  M.  Hartmann:  Das  I-iwa  Halcb  (Aleppo)  u.  ein  Teil  d.  Liwa  Dschebel  Bereket. 

geri,  der  nicht  mit  dem  kürd  dägh  zusammenhängt,  sondern  selbständig 
aus  der  Ebene  aufsteigt,  zwischen  140°  und  170°;  die  mughyr-Spitze 
des  gjaur  dägh')  239 °;  gül  däghy  299°;  Spitze  des  üdsch  öjrcn  351°; 
kuschdschu  23°;  kürd  jüsuf  etwa  30°;  ein  beschneiter  Gipfel  des  Taurus, 
in  weiter  Ferne,  26,5°;  die  beiden  Spitzen  des  grofsen  katyranlyk  520 
und  540,  die  des  kleinen  56°  und  79°;  Spitze  des  ballyk  88°;  das 
Schloft  des  Hadschi  Ömer  oghlu  auf  einem  Pik  des  kürd  dägh  (d.  L 
frafer;  vgl.  2h  2om)  91,5°;  das  nicht  sichtbare  k arabäbä  wohl  unter  136°; 
in  der  Ebene  glänzt  der  Lauf  des  hopurun  (vgl.  28./10.  ioh  nro  hopunun) 
tschaijy,  der  sich  in  den  karafu  ergiefst,  welch  letzterer  westlich  vom 
karabäbä  geri  flieftt;  von  der  Ebene  zwischen  unserem  Punkt  und  dem 
kürd  dägh  ist  etwa  die  westliche  Hälfte  Ackerland,  die  östliche  Wald; 
weiter  nach  N ist  alles  Ackerland;  die  Spitze  des  ischakai  bükunüii  geri 
[vgl.  2h  20 m]  65°;  das  kürd  geri,  auf  dessen  Spitze  ein  Wachtposten 
liegt  [vgl.  23-/10.  3h  45  m]  und  über  welches  die  Stralse  von  if/äjuje 
geht,  46°. 

5h  10 m fort.  — 5*>  14™  bei  dem  Hasgara-Grab;  zu  Fufs.  — 5h  28 m 
auf  dem  garga  gedigi.  Halt. 

5h  32ra  zu  Pferd  bergab;  auf  einem  anderen  Weg,  als  dem  ge- 
wöhnlichen, zurück:  uns  mehr  links  haltend,  lassen  wir  den  3h  im  gleich 
rechts  am  Sattel  gesehenen  Pik,  der  nun  links  bleiben  sollte,  rechts; 
am  Abhang  des  göl  däghy  ein  wenig  bergan;  Dieser  Weg  ist  etwas 
kürzer,  aber  beschwerlicher.  — 6h  wieder  auf  dem  alten  Weg.  — 
6h3m  erstes  Haus  von  kara  akmcdli.  — 6h  iom  über  die  einbogige 
Brücke  des  delitschai,  — 6h  25*"  beim  Kloster;  auf  dem  ganzen  Rück- 
weg ziemlich  schnelles  Marschtempo. 

27.  Oktober. 

Visuren  vom  Kloster  aus:  garga  gedigi  2 13 °;  Spitze  des  üdsch  ojren 
208°;  Spitze  des  Ischatallepe  197 °;  drei  hohe  Spitzen  des  gjaur  dägh 
274°  355.5°  und  25°-  — (Schlufs  folgt.) 

■)  identisch  mit  dem  vom  Pik  am  geibel- Pafs  aus  gesehenen  asardede  (s.  z$./9- 
1 h 55m)? 


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Im  Verlag  von  W.  H.  KUhl,  Berlin  W.  8,  Jägerstr.  73,  erschien. 

DREI  KARTEN 

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EUROPA  - BRITISCHE  INSELN  - WELTKARTE 

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nach  den  Originalen  der  Stadtbibliothek  zu  Breslau. 

Herausgegeben 
von  der 

Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin. 

4t  Tafeln  68 : 47  cm  in  eleganter  Mappe. 

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In  demselben  Verlag  erschien  ferner: 

Die  Entdeckung  Amerika’s 

in  ihrer  Bedeutung 

für  die  Geschichte  des  Weltbildes 

von 

Konrad  Kretschmer. 

Festschrift 

der  Gresellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin. 

zur 

vierhundertjährigen  Feier  der  Entdeckung  Amerika’s. 

Seine  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben  die  Zueignung  der  Fest- 
schrift seitens  der  Gesellschaft  Allergnädigst  zu  genehmigen  geruht. 

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kationen jeder  Art  zu  günstigen  Bedingungen. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich : Hauptmann  a.  D.  Kol lm  in  ChArlottenburg. 


Selbstverlag  der  Gesellschaft  für  Erdkunde. 


Druck  von  W.  Pormetter  in  Berlin. 


***»*'•'*  iJ*  t/UAl 

MUS.  COMP.  ZOOL 


ZEITSCHRIFT 


DER 


GESELLSCHAFT  FÜR  ERDKUNDE 


ZU  BERLIN. 


Band  XXIX  - 1894  — No.  3. 


Herausgegeben  Im  Auftrag  des  Vorstandes 
von  dem  Generalsekretär  der  Gesellschaft 

Georg  Kollm, 

Hauptmann  a.  D. 


Inhalt. 


Seite 


Die  Fjordbildungen.  Ein  Beitrag  zur  Morphographie  der  Küsten.  Von 

P.  Dinse.  (Hierzu  Tafel  4 — 6.) 189 

Dr.  A.  Pkilippson's  Höhenmessungen  in  Nord-  und  Mittel- Griechenland 
und  Türltisch-Epirus  im  Jahr  1893.  Berechnet  von  A.  Galle  . . . . *60 


LONDON  E.  C. 
SAMPSON  LOW  & Co. 
Fleet-Street. 


BERLIN,  w.8. 
W.  H.  KÜHL. 
1894. 


PARIS. 

H.  LE  SOUDIER. 

174  & 176.  Boul.  St.  Germain. 


Veröffentlichungen  der  Gesellschaft  im  Jahr  1894. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin,  Jahr- 
gang 1894  — Band  XXIX  (6  Hefte), 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin, 
Jahrgang  1894  — Band  XXI  (10  Hefte). 

Preis  im  Buchhandel  für  beide:  15  M.,  Zeitschrift  allein:  12  M.,  Ver- 
handlungen allein:  6 M. 

Beiträge  zur  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  werden  mit 
50  Mark  für  den  Druckbogen  bezahlt,  Original-Kaiten  gleich  einem  Druckbogen 
berechnet. 

Die  Gesellschaft  liefert  keine  Sonderabzüge;  jedoch  steht  es  den  Verfassern 
frei,  solche  nach  Übereinkunft  mit  der  Redaktion  auf  eigene  Kosten  anfertigen 
zu  lassen. 


Alle  für  die  Gesellschaft  und  die  Redaktion  der  Zeitschrift  und 
Verhandlungen  bestimmten  Sendungen  — ausgenommen  Geldsendungen 
— sind  unter  Weglassung  jeglicher  persönlichen  Ad  resse  an  die: 

„Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  SW.  12.  Zimmerstr.  90“, 

Geldsendungen  an  den  Schatzmeister  der  Gesellschaft,  Herrn 
Geh.  Rechnungsrat  Btitow,  Berlin  W.  Leipziger  Platz  13,  zu  richten. 

Die  Geschäftsräume  der  Gesellschaft  — Zimmerstrafse  90.  II  — sind, 
mit  Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage,  täglich  von  9 — IX  Uhr  Vorm,  und  von 
4 — g Uhr  Nachm,  geöffnet. 


Geographische  Verlagshandlung  Dietrich  Reimer  in  Berlin, 

Inhaber;  Hoefer  & Vohsen. 

II 

Soeben  ist  eingetroffen  und  der  obigen  Verlagshandlung  zum  Allein-  § 
Debit  für  Deutschland  und  die  Schweiz  übergeben: 

Climbing  and  Exploration 

* in  ihe 


Karakoram-Himalayas 


Band  gr.  g°. 


By 

Williams  Martin  Conway, 

Vice-Pre»ident  of  the  Alpine  Club. 

740  Seiten  mit  300  Illustrationen  und  1 Karte. 

London,  T.  Fisher  Unwin,  1894. 


<21 

IS] 


■ 


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Dieses  hochinteressante  und  auch  wissenschaftlich  wichtige  3 
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Die  Fjordbildungen. 

Ein  Beitrag  zur  Morphographie  der  Küsten. 

Von  P.  Dinse. 

(Hierzu  Tafel  4 — 6.) 

Einl  eitung. 

Das  letzte  grofse  Zeitalter  der  Entdeckungen  wird  in  unseren  Tagen 
zu  Ende  gehen.  Die  Erforschung  der  Länder  und  Meere  in  der  alten 
und  neuen  Welt  ist  nahezu  vollendet,  so  dafs  eine  räumliche  Erweite- 
rung der  Erdkunde  anders  als  in  bescheidenen  Grenzen  bald  nicht 
mehr  möglich  sein  wird. 

Die  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Erdkunde  sind  aus  diesem 
Grund  im  Lauf  der  letzten  Jahrzehnte  andere  geworden.  Das  einst 
von  ihr  verfolgte  Ziel  war  die  Feststellung  des  Thatsächlichen,  die 
Kenntnis  und  Beschreibung  der  auf  der  Erdoberfläche  vorkommenden 
Formen.  Die  Entdeckungsreisen  lieferten  ein  stetig  anwachsendes 
Material.  Bald  erkannte  man  die  ungeheure  Mannigfaltigkeit  der  Form- 
gebilde auf  der  Erdoberfläche  und  gelangte  zum  Bewufstsein  der  Not- 
wendigkeit einer  systematischen  Ordnung  des  aufgespeicherten  reichen 
Schatzes  von  Beobachtungsergebnissen. 

Diese  Sichtung  geschah  zuerst  nach  der  unvollkommenen  Methode 
der  Gruppierung  des  gewonnenen  Materials  nach  räumlichen  Gesichts- 
punkten zum  Zweck  der  encyklopädischen  Beschreibung  bestimmter 
Erdräume').  Als  dann  eine  immer  reicher  werdende  Fülle  vergleich- 
baren Beobachtungsmaterials  zuströmte  und  der  Blick  sich  so  erweiterte, 
schritt  man  von  dieser  synthetischen  Verarbeitungsmethode  zu  einer 
höheren,  analytisch  zu  nennenden  Art  geographischer  Darstellung  fort. 
Man  lernte  die  mehr  oder  minder  willkürlichen  Erdraumsschranken 
übersehen,  man  begann  die  Gesamtheit  des  durch  Beobachtung  und 
Messung  gewonnenen , in  chorographischen  Beschreibungen  nieder- 
gelegten Materials  zu  betrachten,  man  fand  gewisse  allgemeine,  für 
Forschung  und  Darstellung  verwendbare  leitende  Gesichtspunkte  auf. 

Diese  Art  der  Sichtung  ist  die  zur  Zeit  allgemein  anerkannte  Ver- 

')  v.  Richthofen,  Aufgaben  und  Methoden,  1883,  S.  3 1 f. 

Zeiuchr.  d.  Ge« II ich.  t.  ErdV.  Bd.  XXIX.  13 


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190 


P.  Dinse: 


arbeitungsmethode.  Ihr  Ergebnis  ist  die  „allgemeine  Geographie“ 
unserer  Lehrbücher.  Durch  vergleichende  Betrachtung  der  Erscheinun- 
gen auf  der  ganzen  Erdoberfläche  hat  man  gewisse  Kategorien  und 
unter  diesen  wieder  bestimmte  Typen  der  Formgebilde  kennen  gelernt. 
Man  bemüht  sich,  in  diese  die  verwirrende  Fülle  des  Stoffes  einzu- 
ordnen. Seit  mehr  als  zwei  Jahrhunderten  arbeitet  man  hieran,  und 
manche  mustergültige  Versuche  weitgehender  Systematisierung  sind  die 
Erfolge,  welche  diese  Thätigkeit  gezeitigt  hat.  Von  einem  abschliefsen- 
den  Ergebnis  sind  wir  aber  noch  sehr  weit  entfernt.  Noch  immer  ge- 
lingt es,  neue  Typen  aufzufinden;  bei  der  doch  immerhin  noch  ober- 
flächlichen Kenntnis  der  Erdräume  ist  der  von  bestimmten  Gesichts- 
punkten ausgehenden  Spekulation  der  weiteste  Spielraum  gelassen;  vor 
allem  aber  fehlt  es  überall  an  der  genauen  Kenntnis  der  das  eigent- 
liche Wesen  eines  anerkannten  Typus  ausmachenden  Merkmale. 

Trotzdem  hat  man  sich  in  unseren  Tagen  eine  noch  höhere  Auf- 
gabe gestellt.  Indem  nämlich  die  systematisierende,  auf  geographische 
Vergleichung  begründete  Betrachtungsweise  naturgemäfs  zur  Erkenntnis 
von  Wirkungen  führt,  die  unter  gleichen  Bedingungen  regelmäfsig 
wiederkehren,  und  so  zur  Auffindung  allgemein  gültiger  Gesetze  ver- 
hilft,  veranlafst  sie  zur  Annahme  der  Existenz  eines  stets  obwaltenden 
Verhältnisses  zwischen  Ursache  und  Wirkung.  Die  Geographie  hat 
auch  ihrerseits  teilgenommen  an  der  neuen  Richtung  der  Natur- 
geschichte, deren  Grundzug  nicht  mehr  die  reine  Beschreibung,  sondern 
die  Erklärung  von  Erscheinungen  ist.  In  einer  Art  historischer  Auf- 
fassung schildert  sie  nicht  mehr  chorographisch,  wie  die  Dinge  sind, 
sondern  chorologisch,  wie  sie  geworden  sind,  in  welcher  Weise  die 
verschiedenen  Kräfte,  mannigfach  kombiniert,  zur  Entstehung  der 
wechselnden  Formen  und  Erscheinungen  zusammengewirkt  haben. 

Die  erstaunliche  Vervollkommnung  der  technischen  HUlfsmittel 
und  die  grofsen  Fortschritte  der  Naturwissenschaften  in  dem  letzten 
Jahrhundert  haben  die  ergebnisreiche  Verfolgung  dieses  Ziels  ermög- 
licht. Schon  viele  treffliche  Arbeiten  haben  an  ihrem  Teil  ihr  Ziel, 
die  morphologische  Erfassung  der  Erscheinungen  auf  der  Erdoberfläche, 
erreicht,  schon  mancher  der  auf  dem  Weg  der  Analyse  aufgefundenen 
Typen  ist  genetisch  aufgefafst  und  erklärt  worden.  In  den  weitaus 
meisten  Fällen  jedoch  scheitern  die  Versuche,  eine  Kategorie  von 
Formenerscheinungen  unter  Berücksichtigung  des  Kausalverhältnisses 
zu  betrachten,  an  dem  ungenügenden  Stand  des  zu  Grunde  liegenden 
Materials. 

Wenn  wir  heute  die  allgemeine  Geographie  als  den  Kampfplatz  oft 
sehr  weit  auseinander  gehender  Theorien  erkennen,  so  ist  dies  eine  Folge 
unserer  noch  mangelhaften  Kenntnis.  Ein  schon  häufig  citiertes  Wort 


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Die  Fjordbildungcn. 


191 


Leopold  von  Buch 's  weist  darauf  hin,  dafs,  so  lange  es  noch  möglich 
sei,  bei  der  Erklärung  eines  physikalischen  Phänomens  gleichsam  eine 
Wahl  zwischen  mehreren  Erklärungsarten  zu  gestatten,  unsere  Kenntnis 
dieses  Phänomens  noch  nicht  für  vollständig  und  erschöpft  gelten 
könne.  Es  fehlt  in  der  That  auch  nach  jahrhundertelanger  Arbeit 
noch  an  gutem  Material,  an  der  für  die  Lösung  verwickelter  Probleme 
nötigen  Basis  einer  hinreichenden  Menge  von  Beobachtungen  und 
Messungen. 

Diesem  Mangel  mehr  und  mehr  abzuhelfen,  schickt  man  in  unserer 
Zeit  Expeditionen  aus,  nicht  zu  Entdeckungszwecken,  sondern  um"  der 
Wissenschaft  als  solcher  zu  dienen,  weniger  zur  Erweiterung,  als  zur 
Vertiefung  unserer  Kenntnisse.  Der  Thätigkeit  daheim  bleibt  es  dann 
Vorbehalten,  durch  Prüfung  und  Bearbeitung  der  Ergebnisse  dem  Ziel, 
der  morphologischen  Auffassung  der  Erscheinungen,  nachzustreben. 

Die  nachfolgende  Abhandlung  beschäftigt  sich  mit  der  Erörterung 
eines  Themas,  welches  wohl  mit  am  meisten  umstritten  ist,  mit  der 
Frage  der  Fjordbildungen.  Sie  will  keinesfalls  den  Versuch  wagen, 
den  Streit  um  die  Ursachen  derselben  zu  entscheiden;  es  ist  dies  zur 
Zeit  geradezu  eine  Unmöglichkeit,  da  es  eben  noch  völlig  an  der 
genügenden  Menge  guten  Beobachtungs-  und  Messungsmaterials  fehlt. 
Der  Verfasser  hält  es  für  seine  Pflicht,  sich  der  Ableitung  allzu  posi- 
tiver Schlufsfolgerungen  zu  enthalten,  zumal  da  ihm  eine  auf  Autopsie 
gegründete  Kenntnis  der  Fjordbildungen  leider  gänzlich  abgeht.  Da 
aber  die  in  einer  später  zu  veröffentlichenden  Abhandlung  versuchte 
Kritik  der  bisher  aufgestellten  Theorien  ohne  Parteinahme  für  eine  be- 
stimmte Ansicht  ein  farbloses  Bild  geben  würde,  so  möge  schon  hier 
ausgesprochen  sein,  dafs  diese  Parteinahme  zu  Gunsten  einer  gemäfsigten 
Glacialerosionstheorie  erfolgt  ist.  Dem  Verfasser  ist  es  ergangen,  wie 
schon  manchem  anderen,  der  sich  mit  ähnlichen  Problemen  bcfafste. 
Im  Anfang  der  Glacialerosionstheorie  durchaus  abgeneigt,  ist  er  im 
Lauf  der  Zeit  zu  der  Überzeugung  gelangt,  dafs  nur  mit  ihrer  Hülfe 
die  Mehrzahl  der  bei  den  Fjordbildungen  nachweisbaren  Erscheinungen 
befriedigend  erklärt  werden  kann. 

Ihre  Hauptaufgabe  sieht  die  vorliegende  Arbeit  in  einer  durch 
Anwendung  der  vergleichenden  Methode  zu  erreichenden  Feststellung 
des  Fjordtypus.  Ihre  Thätigkeit  verläuft  zum  grofsen  Teil  innerhalb 
des  Rahmens  der  analytischen  Betrachtungsweise  der  allgemeinen  Geo- 
graphie. Jedem,  der  sich  einmal  auch  nur  flüchtig  mit  der  Frage  der 
Fjordbildungen  beschäftigt  hat,  wird  sicherlich  die  aufserordentliche 
Dürftigkeit  des  allen  theoretischen  Ausführungen  zu  Grunde  liegenden 
Materials  aufgefallen  sein.  Überall  dieselben  wenigen  Beispiele!  Überall 
»iederkehrend  dieselben  Vermutungen,  die  gleichen  auf  unerwiesenen 

13» 


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192 


P.  Dinse: 


Voraussetzungen  aufgebauten  Schlüsse.  Der  Verfasser  möchte  im  fol- 
genden dem  bestehenden  Widerstreit  der  Ansichten  durch  eine  Zu- 
sammenstellung und  Verarbeitung  des  aus  Karten  und  der  I.iteratur 
zu  entnehmenden  Materials  eine  zum  Teil  neue,  jedenfalls  sicherere 
Grundlage  geben.  Er  hofft  auf  diese  Weise  zur  Klärung  der  An- 
schauungen beitragen  und  eine  endgültige  Lösung  des  Problems  vor- 
bereiten zu  können. 

t.  Übersicht  Uber  die  wichtigsten  Fjordregionen. 

Der  Begriff  „Fjord“  ist  weder  dem  Inhalt  noch  dem  Umfang  nach 
genau  festgestellt,  obschon  seit  nunmehr  fünfzig  Jahren  die  Fjordküste 
als  ein  besonderer  Küstentypus  Aufnahme  in  jedes  Werk  allgemein 
geographischen  Inhalts,  in  jedes  Handbuch,  sei  es  nun  der  Geologie 
oder  der  Geographie  oder  der  Ozeanographie,  gefunden  hat. 

Die  morphographischen  Eigentümlichkeiten  gewisser  Meeresbuchten 
waren  natürlich  schon  früh  von  aufmerksamen  Reisenden  beachtet 
worden.  Cook1)  wie  Darwin*)  hatten  sie  bei  ihren  Besuchen  des 
Feuerlandes  kennen  gelernt.  Die  Aufstellung  des  Typus  verdankt  man 
jedoch  erst  dem  amerikanischen  Geologen  James  D.  Dana. 

In  den  Jahren  1838—42  begleitete  derselbe  die  grofse  Expedition 
des  Admirals  Charles  Wilkes,  die  von  der  Regierung  zu  Washington 
zur  Erforschung  der  pazifischen  Küste  Amerikas  und  einiger  Insel- 
gruppen des  Grofsen  Ozeans  ausgesandt  wurde,  und  hatte  hierbei  Ge- 
legenheit, sowohl  den  südlichsten  Teil  der  südamerikanischen  Anden- 
Küste,  als  auch  das  Küstengebiet  von  Britisch -Kolumbia  kennen  zu 
lernen.  Heinigekehrt,  veröffentlichte  er  in  dem  offiziellen  Reisebericht 
der  Wilkes'  Exploring  Expedition5),  ebenso  wie  später  in  dem 
American  Journal  of  Science  einige  kleine  Abhandlungen  über 
die  Eigentümlichkeiten  der  Formen,  die  er  an  den  beiden  erwähnten 
Küstenstrecken  beobachtet  hatte  und  die  er  zuerst  mit  den  in  Nor- 
wegen und  Schottland  schon  längst  bekannten  Fjorden  auf  eine  Stufe 
stellte. 

In  allen  diesen  Arbeiten  definierte  er  die  Fjorde4)  als  enge  Kanäle, 
die  wie  künstliche  Wasserstrafsen  in  das  Land  bis  zu  einer  grofsen 
Entfernung  von  der  Küste  einschneiden.  Er  machte  dann  auch  noch 


•)  Peschei,  Neue  Probleme.  2.  Aufl.  1876,  S.  20. 

*)  Darwin,  A naturalist's  voyage.  New  edition  1890,  S.  199. 

*)  Dana,  U.  S.  Exploring  Expedition  under  the  command  of  Charles 
Wilkes,  Vol.  X:  Geology.  Philad.  1849,  ®.  *>75 — 678. 

4)  Dana  a.  a.  O.  S.  675. 


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Die  Fjordbildungen. 


193 


auf  die  grofse  Tiefe  dieser  Einschnitte,  die  Steilheit  der  Wände  Uber 
und  unter  dem  Wasserspiegel  und  endlich  auf  das  durch  das  gesellige 
Auftreten  derselben  geschaffene  unrcgclmäfsige  Netzwerk  von  Wasser- 
verbindungen aufmerksam '). 

Siebzehn  Jahre  später  veröffentlichte,  ohne  Da  na ’s  Arbeiten  zu 
kennen,  O.  Peschei  als  einen  Teil  seiner  „Neuen  Probleme  zur  ver- 
gleichenden Erdkunde“  den  Abschnitt  über  die  Fjordbildungen*),  der 
unter  allen  Abhandlungen  des  geistreichen  und  gewandten  Verfassers 
als  der  beste  gilt.  Er  begann  mit  den  Worten:  „Fjorde  sind  steile 
und  tiefe  Schluchten  an  Festlands-  und  Inselküsten.  Sehr  häufig  dringen 
diese  Einschnitte  senkrecht  oder  unter  sehr  steilen  Winkeln  in  das 
Land  hinein."  Peschei  erhob  natürlich  nicht  den  Anspruch,  mit  diesen 
wenigen  Worten  eine  richtige  Definition  zu  geben;  da  er  aber  leider 
verabsäumt  hat,  am  Ende  seines  Aufsatzes,  nachdem  er  mit  Hülfe  seines 
vergleichenden  Verfahrens  zu  manchem  wichtigen  Ergebnis  gekommen 
war,  eine  alle  wesentlichen  Merkmale  berücksichtigende,  kurz  zusammcn- 
gefafste  Begriffsbestimmung  anzufügen,  so  war  es  nicht  anders  möglich, 
als  dafs  diese  wenigen  der  Abhandlung  vorangestellten  Worte  ver- 
wirrend wirken  mufsten.  Dana  und  Peschei  haben  es  durch  ihre 
Definitionen  verschuldet,  dafs  manche  Darsteller  der  Küstenformen 
bestimmt  wurden,  den  Fjordcharakter,  den  jene  durch  ihre  weiteren 
Deduktionen  nur  für  ganz  bestimmte  Küstenstrecken  annahmen,  den 
verschiedenartigsten  Küstenteilen  beizulegen.  So  hat  F.  G.  Hahn  in 
seinen  „Inselstudien"  überall,  wo  er  ein  Eingreifen  des  Meeres  in  der 
Gestalt  zackiger  Meeresbuchten  und  eine  damit  in  Zusammenhang 
stehende  Abgliederung  von  Inseln  gewahrte,  von  Fjorden  und  fjord- 
ähnlichen  Gebilden  gesprochen,  und  zwar  ohne  einen  Unterschied 
zwischen  beiden  Bezeichnungen  zu  machen.  Ähnlich  finden  wir  es  bei 
S.  Günther5),  und  auch  A.  Supan  rechnet  in  seinen  „Grundzügen 
der  physischen  Erdkunde"*)  manche  Küsteneinschnitte  und  Meeres- 
strafsen,  die  Dana  und  Peschei  nicht  genannt  hatten,  zu  den  Fjord- 
bildungen. 

In  neuester  Zeit  hat  dann  F.  von  Richthofen5)  versucht,  durch 
Einführung  des  Unterschiedes  zwischen  Fjorden  und  Rias  die  Ver- 
wirrung zu  beseitigen.  Diese  Unterscheidung  hat  bisher  noch  nicht 


*)  American  Journal  of  Science  Ser.  II  7,  1849,  S.  377 — 380. 

*)  Peschei  a.  a.  O.  S.  9fr. 

3)  Handbuch  der  Geophysik  und  physikalischen  Geographie  II,  1885,  S.  463 
— 4<>5- 

*)  S.  aoo — 203. 

5)  von  Richthofcn,  Führer  für  Forschungsreisende,  188^,  S.  306 — 310. 


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Aufnahme  in  die  Lehrbücher  finden  können.  Th.  Fischer  hat  sie  in 
seinen  Marburger  Vorlesungen  Uber  „Allgemeine  Geographie“  ange- 
nommen; auch  die  Karte  „Seetiefen,  Küsten,  Häfen  u.  s.  w.“  in  Berg- 
haus’ „Physikalischem  Atlas“')  trennt  die  beiden  KUstentypen.  Von 
anderer  Seite  ist  sie  dagegen  abgelehnt  worden"),  und  die  folgende 
Erörterung  möchte  zeigen,  dafs  eine  scharfe  Trennung  zwischen  Fjord- 
lind  Rias-Typus  zwar  natürlich  geboten,  aber  etwas  anders  zu  begründen 
ist,  als  F.  von  Richthofen  dies  thut. 

Der  beste  Weg,  um  zur  Klarheit  über  die  Verbreitung  der  Fjord- 
küste zu  kommen  und  eine  genaue  Definition  des  Begriffes  „Fjord“ 
zu  geben,  wird  der  sein,  dafs  man  zunächst  die  morphographischen 
Eigentümlichkeiten  derjenigen  Küsteneinschnitte,  die  allgemein  als  dem 
Fjordtypus  zugehörig  anerkannt  sind,  genau  betrachtet  und  darauf  mit 
Benutzung  der  hierdurch  gewonnenen  Ergebnisse  die  Erdgegenden  und 
Küstenstrecken,  für  die  Hahn,  Günther,  Supan  u.  a.  den  gleichen 
Charakter  in  Anspruch  nehmen,  auf  ihre  Zugehörigkeit  hin  prüft.  Wenn 
wir  auf  diese  Weise  manche  obiger  Meeresbuchten  als  fjordartige,  die 
meisten  dagegen  als  zwar  fjordähnliche,  aber  doch  in  wesentlichen 
Punkten  von  den  wahren  Fjorden  verschiedene  Bildungen  erkannt  und 
damit  die  Grenzen  der  Fjordverbreitung  kennen  gelernt  haben,  wird 
sich  die  Erörterung  leicht  zu  dem  Historischen  der  Fjordtheorien  hin- 
überfuhren lassen. 

Allgemein  anerkannt  ist  der  Typus  der  Fjordküste  in  Europa  an 
der  Westküste  Norwegens  und  Schottlands,  an  der  Nordwestküste  Ir- 
lands und  auf  den  Inseln  des  arktischen  Inselringes,  also  auf  Island, 
Spitzbergen,  Franz  Josefs-Land  und  Nowaja  Semlja.  Auf  der  westlichen 
Kontinentalinsel  erkennt  man  den  Fjordtypus  allseitig  an  auf  Grönland 
und  den  Inseln  des  arktischen  Archipels;  ferner  an  der  Ostküste  des 
amerikanischen  Festlandes  vom  Kap  Chidley  bis  zu  den  Küsten  des 
Staates  Maine  bei  Portland  und  an  der  Westküste  von  Alaska  bis  zur 
Grenze  des  englischen  und  amerikanischen  Besitzes.  In  Süd-Amerika 
zerschneiden  Fjorde  die  Anden-Küste  von  Puerto  Montt  und  der  Insel 
Chiloe  bis  zum  Feuerland  hinab.  Australien  scheint  nur  mit  der  Süd- 
inscl  von  Neuseeland  und  den  Auckland-Inscln,  wo  schon  vor  Hoch- 
stetter  und  von  Haast  Dana  Fjorde  aufwics3),  an  der  Erscheinung 
teilzunehmen.  Afrika  hat  keine  Fjordküste;  ebenso  müssen  wir  auch 
Asien  vor  der  Hand  übergehen.  Dagegen  sind  auch  auf  den  Inseln 

')  Abteilung  II:  Hydrographie,  Bl.  IV. 

s)  J.  Rein  in  seiner  Besprechung  von  Harada,  „Die  Japanischen  Inseln“. 
Verh.  d.  Ges.  f.  Erdk.  z.  Berlin,  XVII,  1890,  S.  551. 

31  American  Journal  of  Science  Ser.  II  7,  1849,  S.  380. 


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Die  Fjordbildungen. 


195 


des  antarktischen  Inselringes  wie  auf  denen  des  arktischen  allgemein 
Fjordbildungen  beobachtet  worden,  ja  die  Fjordbuchten  von  Kerguelen 
gelten  mit  als  die  am  typischsten  ausgestalteten. 

Es  liegt  nun  in  der  Natur  der  Sache,  dafs  wir  uns  im  folgenden 
nur  auf  diejenigen  Gebiete  zu  beschränken  haben  werden,  die  nach 
dem  Stand  ihrer  Erforschung  einige  Aussicht  gewähren,  dafs  wir  in 
ihnen  die  Eigentümlichkeiten  der  F’jordformen  deutlich  erkennen 
können.  Es  sind  dies  hauptsächlich  Norwegen,  Schottland,  Irland, 
und  soweit  es  bekannt  ist,  auch  Grönland;  in  Amerika  die  Küste  von 
Neu-Fundland , Maine  und  Britisch -Kolumbia  und  in  Australien  Neu- 
seeland. Nur  für  die  Fjorde  dieser  Gegenden  steht  uns  ein  einiger- 
mafsen  befriedigendes  Kartenmaterial  zu  Gebot.  Die  anderen  Fjord- 
gebiete werden  nur  selten  zum  Vergleich  und  zum  Erweis  ihrer  gleichen 
Gestaltung  herangezogen  werden  können. 

Es  wird  die  späteren  Betrachtungen  erleichtern,  wenn  wir  schon 
hier  am  Anfang  unserer  Darstellung  eine  möglichst  kurz  gefafste  all- 
gemeine Schilderung  der  wichtigsten,  durch  Fjordbildungen  ausgezeich- 
neten Küstengebiete  zu  geben  versuchen.  Die  Rücksicht  auf  die  späteren 
Erörterungen  mag  die  Auswahl  derselben  erklären  und  die  ungleiche 
Behandlung  entschuldigen. 

Norwegen  und  Schottland  mit  den  Gruppen  der  Shetlands, 
Orkneys  und  Hebriden  sowie  einem  Teil  von  Wales  und  Irland  sind 
Stücke  eines  grofsen  Gebirgszuges,  der,  von  E.  Suefs  das  Kaledonische 
Gebirge  genannt1),  in  vordevonischer  Zeit  durch  eine  nordwestlich 
gerichtete  Bewegung  in  Falten  gelegt  und  erhoben  wurde.  Er  besteht 
demgemäfs  fast  ausschliefslich  aus  F’elsarten  des  archaischen  und  paläo- 
zoischen Zeitalters. 

Dieses  Gebirge  wurde  nach  der  Ansicht  von  E.  Suefs  später 
durch  Versenkungen,  von  denen  gewaltige  Brüche  an  der  schottischen 
und  norwegischen  Küste  Zeugnis  geben,  in  drei  Teile  zerlegt.  Das 
Meer,  welches  heute  Norwegen  und  Schottland  und  dieses  von  Irland 
trennt,  liegt  auf  dem  in  die  Tiefe  gesunkenen  Gebirgsteil. 

Der  gebirgige  Teil  der  Skandinavischen  Halbinsel  besteht 
seinem  geologischen  Bau  nach  aus  zwei  deutlich  unterschiedenen  Zonen. 
Die  eine  ist  die  archaische  Zone  des  äufsersten  Nordwestens,  die  über 
die  Halbinseln  und  Inseln,  von  Magerö  über  Kvalö,  Sorö  und  Sjeiland 
bis  zum  Vest-F'jord  zu  verfolgen  ist  und  dann  auf  die  Inselreihe  der 
Lofoten  hinübersetzt.  Eine  Linie  leicht  erkennbarer  Dislokationen 
trennt  dann  nach  Osten  dieses  westliche  Gneisgebiet  von  dem  fest- 

l)  E.  Suefs,  Antlitz  der  Erde  II,  1888,  S.  9z  f.  Ich  folge  für  die  geologi- 
schen Bemerkungen  im  wesentlichen  dessen  Ausführungen. 


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P.  Dinse: 


ländischen  Hauptteil  des  norwegischen  Gebirgslandes.  Dasselbe  besteht 
aus  einem  archaischen  Unterbau  mit  einer  Decke  untersilurischer  Fels- 
arten. Während  es  sich  aber  im  Norden  als  ein  Tafelland  darstellt, 
legen  sich  weiter  im  Süden  schon  von  der  Gegend  des  Ostufers  des 
Vest-Fjordes  ab  die  geschichteten  Gesteine  in  lange  Falten,  aus  deren 
Antiklinalen  die  Gneise  und  Granite  des  Unterhaus  hervortreten.  Dieses 
Faltungsgebiet  nimmt  gegen  Süden  an  Breite  zu,  bis  es  in  der  Gegend 
des  Hardanger-Fjordes  das  ganze  südliche  Norwegen  ausfüllt.  Hier 
streichen  die  Falten  südwestlich  gegen  das  europäische  Nordmeer  aus. 
Die  Ostgrenze  dieses  ganzen  Gebietes  bildet  die  flache  Auflagerung 
der  silurischen  Schichten  auf  die  archaische  Tafel  des  baltischen 
Schildes. 

Die  heutigen  Formen  dieses  Berglandes  entsprechen  nun  in  keiner 
Weise  dem  nach  dem  geologischen  Bau  zu  erwartenden  Aussehen. 
Man  ist  über  den  orographischen  Gesamtcharakter  des  skandinavischen 
Gebirges  lange  im  Unklaren  gewesen1).  Nachdem  die  Ansicht  von 
der  Existenz  eines  einheitlichen  langen  und  wilden  Gebirgszuges,  des 
Kjölen,  aufgegeben  war,  hat  lange  Zeit  hindurch  der  Forsell'sche 
Vergleich  mit  einer  brandenden  Sturmwelle  grofsen  Beifall  gefunden. 
Auch  Suefs  hielt  früher  die  Halbinsel  für  eine  einzige  ungleichförmige 
Falte  von  grofser  Amplitude2).  Die  neueren  Forschungen  haben  zu 
einem  etwas  abweichenden  Ergebnis  geführt.  A.  Heiland  teilte  näm- 
lich3) denjenigen  Teil  der  Halbinsel,  der  die  am  auffälligsten  wechseln- 
den Formen  des  Reliefs  zeigt,  durch  parallele  Linien  in  eine  Anzahl 
gleich  grofser  Quadrate,  ermittelte  die  höchsten  Erhebungen  in  den- 
selben und  verglich  dann  diese  Höhen.  Es  ergab  sich  das  einfache 
Gesetz,  dafs  von  der  Westküste  an  nach  Osten  jedes  Quadrat  eine 
höhere  Erhebung  aufweise  als  das  voran  gegangene,  und  dafs  dieses 
Verhältnis  sich  fortsetze  bis  zu  einer  bestimmten  Linie,  von  der  aus 
dann  nach  Osten  die  Höhe  wieder  abnähme.  Er  erklärte  Norwegen 
für  ein  Plateau,  das  von  einer  bestimmten  Kammlinie  aus  sich  im 
südlicheren  Teil  nach  Osten  und  Westen,  im  nördlicheren  mehr  nach 
Nordwesten  und  Südosten  abdache.  Die  Linie  gröfster  Erhebung  zeigte 
sich  völlig  unabhängig  vom  geologischen  Bau  des  Landes. 

Da  also  hierdurch  klargestellt  war,  dafs  die  durch  eine  energische 
Faltung  bedingten  Formen  bis  auf  eine  gewisse,  flach  ansteigende,  ge- 
rundete Wölbung  beseitigt  worden  sind,  so  wurde  es  hiermit  wahr- 

*)  F.  G.  Hahn,  Schweden  und  Norwegen.  Länderkunde  von  Europa  II  i, 
1890,  S.  3i6f. 

a)  Suefs,  Entstehung  der  Alpen,  1875,  S.  1 5 1 . 

3)  Penck,  Norwegens  Oberfläche.  Ausland  1881,  S.  190. 


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Die  Fjordbildungen. 


197 


scheinlich,  dafs  Norwegen  als  ein  gewaltiges  Abrasionsgebirge  aufzu- 
fassen sei.  Über  die  Zeit  der  Abrasion  läfst  sich  sicheres  noch  nicht 
festsetzen;  doch  scheint  seit  der  Juraperiode  das  Abrasionsplateau  nur 
noch  der  Arbeit  der  atmosphärischen  Agentien  ausgesetzt  gewesen 
zu  sein. - 

Heute  fällt  dieses  grofse  durch  Abrasion  geschaffene  Rumpfgebirge 
in  der  Gestalt  eines  mäfsigcn  Steilrandes  zum  Niveau  des  europäischen 
Nordmeeres  hin  ab.  Dieser  Steilabfall  ist  aber  in  einem  aufserordent- 
lich  hohen  Grad  zerrissen  und  zertrümmert,  so  dafs  man  nur  schwer 
die  einstige  unverletzte  Kitstenlinie  wieder  herzustellen  vermag.  Der 
Festlandsrand  selbst  ist  durch  weiteingreifende  Buchten  in  eine 
Folge  fast  unzähliger  Halbinseln  und  Vorgebirge  zerteilt.  Den 
Inselkranz  nennen  die  Norweger  skjaergaard,  die  Schärenflur;  die 
einschneidenden  Meeresbuchten  führen  meist  den  Namen  fjord , die 
Wasserstrafsen  zwischen  dem  Festland  und  den  Inseln  und  zwischen 
diesen  selbst  den  Namen  sund.  Eine  Konsequenz  der  Benennungen 
ist  allerdings  nicht  zu  bemerken;  denn  häufig  findet  man  auch  für 
offene  Strafsen  den  Namen  fjord , und  auch  andere  Bezeichnungen, 
wie  sjö  und  hotten  sind  vielfach  angewandt. 

Fjordbildung,  Halbinselabschnürung  und  Inselabtrennung  treten 
überall  miteinander  verbunden  auf,  aber  der  Reichtum  und  die  Mannig- 
faltigkeit der  Inselwelt  hängt  nicht  allerorten  von  dem  Mafs  der  Grofs- 
artigkeit  der  Fjordbildung  ab.  Ganz  glatt  verlaufende  Küstenstrecken 
und  völlige  Inselarmut  sind  in  Norwegen  ungemein  selten.  Man  findet 
beide  eigentlich  nur  an  der  durch  den  Wogenprall  des  Ozeans  gefahr- 
vollen und  unwirtlichen  Küste  Jäderen  und  an  deren  südlicher  Fort- 
setzung bis  zum  Eingang  des  Flekke-Fjord  kurz  vor  der  Halbinsel  von 
Farsund,  an  der  nur  die  Insel  Ekerö  am  Eingang  des  Ekersundes  be- 
merkenswert ist.  Aber  auch  der  übrige  Teil  der  norwegischen  Süd- 
küste bis  zur  Einfahrt  in  die  grofse  Bucht  von  Kristiania  scheint  seine 
ursprüngliche  Form  annähernd  bewahrt  zu  haben.  Mit  Ausnahme  der 
kurzen  Strecke  zwischen  Farsund  und  der  Landzunge  des  Kap  Lindes- 
naes,  welche  eine  gewisse  Anhäufung  von  Einschnitten  aufweist,  ist 
hier  die  Fjordbildung  und  Auflockerung  in  Inseln  unbedeutend  und 
ohne  typische  Formen. 

Vom  Eingang  des  bei  Stavanger  sich  öffnenden  Bukken-Fjordes  bis 
zu  der  das  Nordkap  tragenden  Insel  Magerö  erreicht  dagegen  die 
Zertrümmerung  des  Steilabfalls  der  Küste  ihren  höchsten  Grad.  Diese 
ganze  Strecke  zerfällt  in  zwei  grofse  Teile,  die  durch  den  kurzen  Teil 
zwischen  dem  Eingang  des  Trondhjem-Fjordes  und  dem  Folden-Fjord 
und  dem  Vigten-Archipel  von  einander  geschieden  werden.  An  Grofsartig- 
keit  der  Küstenentwickelung  stehen  sich  beide  Teile  gleich.  Doch  während 


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P.  Dinse: 


der  südlichere,  also  der  Kreisbogen  zwischen  Bukken-Fjord  und  Trond- 
hjem-Fjord,  in  den  die  bekanntesten  Fjorde,  der  Hardanger-,  Sogne-, 
Nord-  und  Romsdals-Fjord  einschneiden,  in  seinen  Inseln  sich  ziemlich 
allmählich  herabsenkt,  tritt  in  den  nördlichen,  um  so  auffallender  je 
weiter  man  nach  Norden  kommt,  auf  dem  Festland  wie  auf  den  Inseln, 
die  wilde  Alpenwelt  des  nordwestlichen  Gneisgebiets  in  steilen  Abfällen 
unmittelbar  an  die  Küste  heran.  Vom  Salten-Fjord  und  dem  Beginn 
der  Inselreihe  der  Lofoten  bis  hinauf  zum  Alten-Fjord  ist  der  Formen- 
reichtum am  gröfsten. 

In  dem  kurzen  Zwischenraum,  der  den  nördlichen  und  südlichen 
Teil  scheidet,  ist  die  Zerstückelung  der  Festlandsküste  durch  Fjorde 
gering;  dagegen  ist  hier  die  Schärenflur  das  Gewirr  kleiner  und 
kleinster  Inseln,  Klippen  und  kaum  sichtbarer  Riffe,  am  grofsartigstcn 
entwickelt.  Im  Gegensatz  zu  diesem  Teil  ist  die  Nordküste  Skandi- 
naviens zwar  fjordreich,  aber  inselarm.  Weite  lange  Meeresbuchten 
schneiden  hier  in  das  nur  wenig  gebirgige  Land  ein;  ihre  Ufer  sind 
noch  zackig  und  vielfach  eingebuchtet;  aber  von  Magerö  ab  nach 
Osten  finden  sich  nur  wenige  niedrige  Inseln  von  sehr  geringem 
Umfang. 

Die  Länge  der  skandinavischen  Küste  beträgt  nach  einer  Messung, 
welche  die  Einschnitte  unberücksichtigt  läfst,  nur  4500  km ; mit  Ein- 
rechnung aller  Buchten,  Einschnitte  und  Fjorde  würde  sie  sich  nach 
Strelbitzky  jedoch  auf  nicht  weniger  als  27000  km,  also  um  das 
Fünffache  vermehren1).  Nach  Reclus*),  der  nur  Norwegen  betrachtet, 
lassen  die  Fjorde  die  Küstenlänge  von  1900  km  der  ungenauen  Messung 
auf  13  000  km  anwachsen. 

Der  Grundbau  des  heute  schottischen  Teiles5)  des  alten  Kano- 
nischen Gebirges  läfst  manche  Analogie  mit  dem  des  skandinavischen 
Gebirges  erkennen.  Der  Gneiszone  der  Lofoten  entspricht  in  Schott- 
land das  Gebiet  archaischer  Felsarten,  welches  von  Kap  Wrath  bis 
zum  Loch  Broom  den  Festlandsrand,  weiter  im  Westen  aufser  der 
Inselreihe  der  Hebriden  die  Inseln  Coli  und  Tiree  bildet.  Wie  in 
Norwegen  der  Vest-Fjord,  so  liegt  hier  der  Minch- Kanal  auf  diesem 
Gneisgebiet.  Diese  Zone  wird  nach  Südosten  begrenzt  durch  eine  Linie 
heftiger  Störungen,  die  auf  dem  Festland  vom  Loch  Eriboll  bis  zum 
Loch  Carron  verläuft,  dann  einen  Teil  der  Halbinsel  Sleat  von  der 
vulkanischen  Insel  Skye  abschneidet  und  sich  zwischen  Coli  und  Tiree 
einerseits  und  der  Insel  Mull  andererseits  fortsetzt.  Südöstlich  von 

*1  F.  G.  Hahn  a.  a.  O.  S.  317. 

a)  Reclus,  La  Terre  II,  1869.  S.  167. 

5)  Suefs,  Antlitz  der  Erde  II,  iggg,  S.  94!. 


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Die  Fjordbildungen. 


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dieser  I.inie  liestchen  die  schottischen  Hochlande  bis  zu  der  grofsen 
Brtichlinie,  die  vom  unteren  Clyde  bis  Stonehaven  an  der  Ostktiste 
verläuft,  zum  Teil  aus  metamorphischen  Gebilden,  welche  sich  einer 
genaueren  Altersbestimmung  entziehen,  aber  jedenfalls  nicht  jünger  als 
Silur  sind.  Die  Streichrichtung  der  sehr  gestörten  Schichtmassen, 
welche  teilweise  nach  Nordwesten  Uberschoben  sind,  ist  im  allgemeinen 
Südwest-Nordost.  Aber  auch  hier  sind  die  grofsen  Erhebungen  der 
Zeit  bis  zum  Silur  durch  Abrasion  zum  gröfsten  Teil  beseitigt  worden, 
so  dafs  der  Rundblick  von  irgend  einer  Erhebung  sofort  feststellt, 
dafs  sämtliche  Kämme  und  Gipfel  eine  imaginäre,  leicht  gewölbte 
Fläche  berühren. 

Den  Ostrand  der  Hochlande  bilden  zu  einem  grofsen  Teil  alte 
devonische  rote  Sandsteine,  die  auch  die  Orkneys  und  fast  die  ganzen 
Shetlands-Inseln  zusammensetzen.  Im  Süden  trennt  sie  der  Graben 
der  I.owlands,  in  dem  neben  diesen  Sandsteinen  auch  die  Gebilde  der 
Karbonzeit  durch  eine  Versenkung  erhalten  sind,  von  einem  neuen 
silurischen,  den  Hochlanden  sehr  ähnlichen,  nur  niedrigeren  Horst. 

Die  schottische  Fjordküste  beschränkt  sich  auf  den  westlichen  und 
einen  Teil  des  nördlichen  Abfalles  der  Hochlande.  Südlich  von  der 
Mündung  des  Clyde  hören  Fjordbildungen  vollständig  auf.  Im  all- 
gemeinen ist  der  Charakter  der  schottischen  Westküste  dem  der 
norwegischen  gleich,  doch  ist  hier  die  ehemalige  Küstenlinie  nicht  so 
leicht  wiederherzustellen  als  dort.  Abgesehen  von  der  Zerstückelung 
durch  Fjorde  scheinen  in  Schottland  Verwerfungen,  namentlich  im 
südlichen  Teil  die  beiden  grofsen  Bruchlinien,  deren  Zeugen  im  Inland 
die  I.inie  des  Kaledonischen  Kanals  und  die  südliche  Begrenzungslinie 
der  Grampian  Mountains  sind,  die  Formen  der  Küstenzone  beeinflufst 
zu  haben.  Am  besten  entwickelt  ist  der  Fjordtypus  auf  der  westlichen 
Küstenstrecke  zwischen  der  Insel  Mull  und  Kap  Wrath.  Eine  Schären- 
flur wie  in  Norwegen  findet  sich  nicht;  die  gröfseren  Inseln  tiber- 
wiegen.  Nur  die  Inselkette  der  äufseren  Hebriden  erinnert  durch  ihren 
Inselreichtum  an  das  Klippengewirr  der  Lofoten. 

Auch  das  nordirische  Fjordgebiet1)  fällt  völlig  zusammen 
mit  den  Fortsetzungen  des  schottischen  Berglandes,  die  in  den  Er- 
hebungen von  Donegal  und  den  Rücken  von  Mayo  und  Connemara 
zu  Tag  treten.  Die  ursprünglichen  Formen  sind  auch  hier  geschwunden; 
kein  Centralmassiv,  keine  Bergkette  erinnert  noch  an  das  Faltungsge- 
birge der  Silurzeit  Im  Süden  dieses  südwestlich  gerichteten  Zuges 
breitet  sich  die  gTofse  centrale  Ebene  Irlands,  eine  weite  Tafel  flachge- 
lagerten Kohlenkalkes,  aus.  Wo  diese  Tafel  an  die  Küste  tritt,  also  in 


*)  Suefs  a.  a.  O.  S.  ioo. 


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200 


P.  Dinse: 


der  Galway-Bai  und  am  Fufs  der  Mourne  Mountains,  endet  die  Fjord- 
küste. 

Die  irischen  Küsteneinschnitte  sind  gering  an  Zahl,  von  wenig  an- 
sehnlicher Gröfse  und  ohne  besonders  typische  Formen.  Die  meisten 
Fjordbuchten  sind  bereits  von  den  in  sie  einmündenden  Flüssen  zu- 
geschüttet. Am  zerrissensten  sind  die  Küsten  der  Halbinsel  von  Con- 
naught,  wo  sich  sowohl  Fjordbildung  wie  Inselabtrennung  in  reicherem 
Mafs  vereint  findet. 

In  Schottland  wie  in  Irland  bezeichnet  man  die  in  das  Land  ein- 
dringenden Meeresarme  als  loch  (irisch:  /ough)  = lac,  lacus,  und 
unterscheidet  sie  als  sealochs  von  den  Binnenseen,  den  frcshwaterlochs. 

Von  den  zu  Europa  zu  zählenden  Inseln  des  europäischen 
Nordmeeres  und  des  Eismeeres  mögen  Spitzbergen  und  Nowaja 
Semlja  hier  nur  erwähnt  werden,  da  der  ungenügende  Stand  der  Er- 
forschung derselben  uns  weder  einen  Überblick  über  den  inneren 
Bau  noch  die  äufsere  Gestaltung  möglich  macht.  Auch  Uber  die  Insel- 
gruppe der  Färöer  und  Island  nur  einige  wenige  Worte!  Die 
crsteren  sind  durch  Sundbildungen  völlig  zerstückelt  und  gewähren 
dasselbe  Bild  wie  die  schottischen  Inselgruppen  der  Orkneys  und 
Shetlands.  Im  Gegensatz  aber  zu  diesen  zum  gröfsten  Teil  aus 
devonischen  Felsarten  bestehenden  Inseln  ist  es  hier  ein  aus  miocänen 
Eruptivgesteinen,  meist  Trapp,  gebildetes,  im  Mittel  300  m hohes 
Plateau1),  in  welches  die  Fjorde  eindringen  Island  ist  besonders  im 
Nordwesten,  weniger  im  Norden  und  Osten,  durch  Fjordbildungen 
ausgezeichnet.  Es  ist  dies  das  Gebiet  der  älteren  tertiären  Basalte. 
Die  Südküste  dagegen,  das  Gebiet  jungeruptiver  Bildungen,  ist  flach 
und  ungegliedert. 

Die  gewaltige  Insel  Grönland  ist  von  allen  Fjordgebieten  das- 
jenige, in  dem  die  Morphologie  der  F’jordbildungen  am  besten  studiert 
werden  kann.  Leider  ist  aber  sowohl  der  Bau  des  Landes  als  die 
Umrisse  desselben  bisher  nur  in  den  allgemeinen  Grundzügen  bekannt. 

Die  Zusammensetzung  des  grönländischen  Gebirgslandes  aus  Ge- 
steinen der  ältesten  Erdperioden,  aus  altem  grauen  Gneis,  aus  Glimmer- 
schiefern, Hornblenden,  Graniten  und  Syenit,  läfst  darauf  schliefsen, 
dafs  auch  Grönland  ein  abradiertes  Plateau  ist;  wenigstens  haben  sich 
deutliche  Spuren  einer  Abrasion*)  der  einstigen  nordöstlich  gerichteten 
Falten  fast  überall  im  Westen  bis  zum  Humboldt-Gletscher  hinauf  auf- 
finden lassen.  Auf  dem  abradierten  Grundbau  haben  sich  an  einzelnen 
Stellen,  so  namentlich  an  der  Westküste  von  der  Disko-Insel  und  der 

t)  Baumgartner,  Island  und  die  Färöer,  1889,  S.  58. 

*)  Suefs  a.  a.  O.  II,  S.  89  ff. 


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Die  Fjordbildungen. 


201 


Halbinsel  Nugsuak  ab  nördlich,  Ablagerungen  der  Kreide-  und  Tertiär- 
zeit unter  einer  Basaltdecke  erhalten  und  bilden  dort  einen  dem  Gneis- 
gebirge vorgelagerten  Küstensaum.  Über  den  südlichsten  Teil  der 
Ostküste  hat  die  letzte  Veröffentlichung  Nansen’s1 * *)  einigen  Aufschlufs 
gebracht  und  nachgewiesen,  dafs  über  den  aus  Gneis  bestehenden 
Grundbau  einige  Syenitgruppen  hoch  aufragen.  Die  Küste  Grönlands 
mufs  nach  allen  Berichten  und  nach  den  genauen  dänischen  Seekarten 
ein  der  norwegischen  im  wesentlichen  analoges  Bild  gewähren.  Die 
Ostküste  ist  uns  zur  Zeit  noch  sehr  mangelhaft  bekannt;  doch  wissen 
wir,  dafs  aufser  vielen  kleinen  Einschnitten  grofse  Fjorde,  wie  der 
Sermilik,  der  Scoresby-  und  der  Franz  Josefs-Fjord,  in  das  unbekannte 
Innere  einschneiden.  An  der  besser  bekannten  Westküste  ist  der  süd- 
liche Teil  am  meisten  zerstückelt.  Von  der  Disko-Bucht  ab,  also  in 
dem  erwähnten  nördlichen  Trappgebiet,  nimmt  der  Reichtum  an  Fjord- 
einschnitten ab;  doch  schneiden  auch  hier  noch  einmal  der  Fjord 
von  Umanak  und  die  etwas  nördlicheren  Fjorde  zwischen  den  beiden 
Halbinseln  Nugsuak  und  Svartenhuk  bis  zum  Uvkusigsats-Fjord  tief  in 
den  eisfreien  Gneisrand  ein.  Nach  der  langen  Küstenstrecke  der 
Melville-Bai,  die  nach  den  bisherigen  Berichten  wenn  auch  nicht  völlig 
ungegliedert,  so  doch  buchtenarm  zu  verlaufen  scheint,  weisen  dann 
die  östlichen  Küsten  des  Smith-  und  Kennedy-Sundes  wieder  eine  grofse 
Anzahl  kleinerer  und  mehrere  grofse  Fjordeinschnitte  auf. 

Wie  ähnlich  der  Gesamteindruck  der  südlichen  F'jordregion  dem 
der  norwegischen  Küste  ist,  dafür  diene  die  Schilderung  eines  Nor- 
wegers als  Zeugnis.  Nansen  beschreibt  das  Bild  der  Küstenzone  am 
Ausgang  des  Ameralik-Fjordes  mit  folgenden  Worten:  „In  den  Strahlen 
der  untergehenden  Sonne  sahen  wir  das  Meer,  die  vielen  gröfseren 
und  kleineren  Inseln  vor  uns  liegen.  Die  weichen  gesättigten  Farben- 
töne des  Himmels  spiegelten  sich  im  Meer  wieder,  das  die  dunklen 
Inselchen  und  Schären  umwogte.  Wir  hielten  mit  dem  Rudern  inne,  — 
ein  Gefühl  der  Heimat  Uberkam  uns.  Genau  so  liegen  die  wetter- 
zerklüfteten Inseln  daheim  im  Meer.  Der  aufspritzende  Meeresgischt, 
der  liebkosende  Sonnennebel  umgiebt  sie,  und  dahinter  erhebt  sich 
das  Land,  erstrecken  sich  die  Fjorde.  Kein  Wunder,  dafs  unsere  Vor- 
fahren sich  von  diesem  Land  angezogen  fühlten!“8) 

Das  Fjordgebiet  des  amerikanischen  Ostens  gehört  in 
seinem  nördlichen  Teil,  also  auf  Baffins-Land  und  auf  Labrador,  dem 
selbständigen  hohen  Gneisgebirge  an,  welches  die  silurische  und 


l)  Wissenschaftliche  Ergebnisse  von  Dr.  F.  Nansen’s  Durchquerung  von 

Grönland  1888.  Peterm.  Geogr.  Mittigen,  Erg. -Heft  105.  1891.  S.  53  — 64. 

*)  Nansen,  Auf  Schneeschuhen  durch  Grönland  II,  1891,  S.  196. 


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202 


P.  Dinse: 


devonische  Umrandung  des  kanadischen  Schildes  vom  Meer  trennt. 
Dieses  alte  Gebirge  ist  fast  auf  seiner  ganzen  Erstreckung  von  Fjorden 
zerstückelt.  Die  Entwickelung  ist  am  grofsartigsten  an  den  Küsten  der 
Cumberland- Halbinsel  auf  Baffins-Eand.  Gegen  Süden  werden  die 
Einschnitte  kleiner;  doch  ist  gerade  das  südliche  Labrador  wieder 
besonders  fjord-  und  inselreich.  Leider  genügen  aber  die  Untersuchungen 
dieses  ganzen  Gebietes  durch  Rob.  Bell1)  und  Boas8)  noch  nicht, 
um  über  die  Ursache  des  Wechsels  des  allgemeinen  Küstencharakters 
an  verschiedenen  Stellen  dieser  langen  Zone  klar  zu  sehen.  Der  süd- 
liche Abschnitt  der  ostamerikanischen  Fjordküste,  also  die  Küste  von 
Neu-F'undland,  Neu-Braunschweig,  der  Halbinsel  Neu-Schottland  und  des 
Staates  Maine,  ist  die  ozeanische  Begrenzungszonc  des  nördlichsten 
Teiles  jenes  grofsen  Gebietes  paralleler  nordöstlich  gerichteter  Falten, 
welches  den  Osten  der  Vereinigten  Staaten  einnimmt.  Das  ganze  Berg- 
land östlich  vom  St.  Lorenzstrom  besteht  aus  mehreren  parallel  von  S 
nach  N streichenden,  durch  sibirische  Streifen  getrennten  Zonen  iau- 
rentinischer  Gneise  und  huronischer  krystallinischer  Schiefer.  In  die 
gröfste  derselben,  ein  welliges  Hügelland,  schneiden  die  Fjorde  von 
Maine  ein;  sie  schwenkt  dann  nach  Nordosten  um,  begrenzt  die  Fundy- 
Bai  und  setzt  sich  darauf  jenseits  der  Champlain-Lorenzo-  Kluft  auf 
Neu-Fundland  fort.  Ob  das  Gebiet  der  Fundy-Bai  und  die  Insel  Neu- 
Fundland  zu  den  echten  F’jordregionen  zu  zählen  ist,  kann  zweifelhaft 
erscheinen.  Es  wird  nötig  sein,  an  späterer  Stelle  hierauf  noch  zurück- 
zukommen. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  dem  amerikanischen  Westen,  so  fallt 
es  sofort  in  die  Augen,  dafs  sowohl  das  Fjordgebiet  des  kolumbischen 
Nordens  wie  das  des  patagonischen  Südens  der  Unterbrechung  einet 
niederen  Küstenkette  durch  das  Meer  ihre  besondere  F'orm  und  die 
Anordnung  der  Fjordbuchten  in  zwei  parallelen  KUstenzonen  verdanken. 
Im  Norden  ist  die  westliche  Kette  des  grofsen  westamerikanischen 
Faltungssystems,  die  heute  noch  in  der  grofsen  Vancouver- Insel,  den 
Königin  Charlotte-Inseln  und  dem  Thlinkithen-Archipel  aufragt,  zuerst 
in  der  San  Juan  de  Fuka-Strafse  und  dann  nördlich  noch  mehrfach 
unterbrochen.  Dqm  Meer  wurde  so  die  Überflutung  des  tertiären 
Muldenthaies  zwischen  ihr  und  dem  Kaskadengebirge  ermöglicht.  Die 
Wasserbedeckung  beginnt  hier  mit  dem  Strafsengewirr  des  Fuget  Sound 
und  des  Admiralty  Inlet.  Nördlich  davon  sind  sowohl  die  Westküsten 
der  Inseln  als  auch  die  des  Festlandes  von  Fjorden  und  Sunden  in 
Halbinseln  und  Inseln  aufgelöst.  Die  Fjordentwickelung  ist  am  reicli- 

*)  Report  on  Hudsons  Ray.  Geolog.  Survey  of  Canada.  Report  for  1879/80. 

a)  Boas,  Baffinland.  Petcrm.  Geogr.  Mittigen.,  Erg. -Heft  80.  1885. 


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Die  Fjordbildungen. 


203 


sten  an  dem  Ostufer  der  Strafee  von  Georgia,  wo  die  grofsen  Howe-, 
Jervis-,  Toba-  und  Bute  Inlets  in  das  Kaskadengebirge  eindringen  und 
nördlich  bis  zum  Portland  Channel.  Die  Inselabschnürung  ist  am 
stärksten  im  Thlinkithen-Archipel.  An  der  Küste  von  Alaska  treten 
beide  Erscheinungen  etwas  zurück,  um  dann  aber  an  der  Südküste  der 
Halbinsel  Alaska  wieder  deutlich  vereint  hervorzutreten. 

Im  Süden  ist  es  die  chilenische  Kiistenkordillere,  die  südlich  vom 
Kanal  de  Chacao  in  einzelne  Stücke,  wie  die  Insel  Chiloe,  den  Chonos' 
Archipel  und  die  Halbinsel  Taytao,  zerteilt  ist.  Die  chilenische  Muhle 
zwischen  dieser  Kordillere  und  der  Hauptkette  der  Anden  ist  so  in 
ihrem  südlicheren  Teil  schon  von  der  Region  der  grofsen  Seen  der 
Provinz  I.lanquihue  ab  überflutet.  Die  Buchtenbildung  ist  in  diesem 
Teil  noch  gering.  Von  der  Halbinsel  Taytao  ab  aber  wird  die  bisher 
untergeordnete,  aus  Glimmerschiefern,  Thonschiefern  untermischt  mit 
Granit  und  Grünstein  bestehende  Küstenkette  die  eigentliche  Haupt- 
kette. Von  den  Inseln  tritt  sie  auch  auf  das  Festland  selbst  über  und 
bedingt  durch  ihre  allmähliche  Abschwenkung  nach  Osten  die  Form 
der  Südspitze  des  Kontinents.  Auch  hier  vermag  das  Auge  die  eigent- 
liche Küstenlinie  sofort  zu  erkennen , doch  von  festländischem  Zu- 
sammenhang der  Küstenzone  ist  wenig  zu  bemerken.  Vom  Golf  von 
Penas  ab  besteht  das  ganze  Gebiet  aus  einem  Gewirr  grofser  und 
kleiner  Inseln.  Es  ist  die  Sundbildung,  die  hier  bedeutend  überwiegt 
und  so  grofsartig  auftritt,  dafs  die  Klistenzerstückelung  selbst  die  der 
norwegischen  Küste  übertrifft. 

Das  letzte  Fjordgebiet,  welches  einer  eingehenden  Betrachtung 
wert  ist,  ist  der  südlichste  Teil  der  Westküste  der  neuseeländischen 
Stdinsel.  Der  Fjordcharakter  ist  hier  erst  spät  erkannt  worden. 
Dana  machte  zuerst  darauf  aufmerksam,  die  Karte  Hochstetter's 
brachte  den  sicheren  Erweis,  von  Haast’s  und  Hector’s  Unter- 
suchungen bestätigten  die  früheren  Beobachtungen.  In  neuester  Zeit 
bat  von  Lendenfeld  das  neuseeländische  Fjordgebiet  geschildert.  > 

Der  nördliche  Teil  der  Insel  ist  erfüllt  von  einem  grofsen  Faltungs- 
gebirge. Der  Hauptkamm  liegt  nahe  der  Westküste  und  wird  vort 
mehreren  östlichen  Nebenkämmen  begleitet.  Er  wird  gebildet  durch 
eine  Zone  vereinzelter  langgestreckter  gneisischer  Kerne,  der  sich  im 
Westen  eine  schmale  paläozoische  Scholle  und  einzelne  Reste  pliozäner 
Bildungen  vorlegen.  Dieser  Teil  der  Westküste  verläuft  völlig  glatt 
und  buchtenlos.  Ungefähr  vom  44  ° ab  breitet  sich  das  Gebirge  jedoch 
m einem  weiten,  im  Mittel  1600  m hohen  Plateau  aus '),  dem  keine 
«lieblich  hohen  Gipfel  entragen.  Sein  steiler  Abfall  ist  nach  Westen, 


')  von  Lendcnfeld,  Australische  Reise,  1892,  S.  169.  igr. 


204 


P.  Dinse: 


der  sanftere  nach  Osten  gerichtet.  Es  besteht  aus  alten  Gneisen. 
Suefs1)  hält  dieses  Gneisgebiet  für  den  Kern  eines  einseitigen  Faltungs- 
gebirges,  welches  nordwestlich  streichend  im  Stidteil  der  Insel  mit 
mit  einem  anderen  nordöstlich  verlaufenden,  dem  heutigen  Rückgrat 
der  Insel,  zusammentraf.  Nur  dieses  Gneisgebiet,  welches  seine  flache 
Wölbung  wohl  auch  einer  einstigen  Abrasion  verdankt,  ist  durch  Fjord- 
bildung ausgezeichnet.  An  der  125  km  langen  Küstenstrecke  finden 
wir  13  grofse  Fjorde;  zuerst  sind  es  nur  scharfeingeschnittene  Fjord- 
buchten, zwischen  denen  die  Küstenlinie  glatt  und  ungegliedert  ver- 
läuft. Weiter  im  Süden  folgen  kompliziertere,  mehr  horizontal  als 
vertikal  ausgebildete  Fjorde.  Vom  Breaksea-Sund  beginnt  in  der  Re- 
solution-Insel die  Inselabtrennung;  sie  nimmt  nach  Süden  zu  und  er- 
reicht im  Dusky-Sund  ihr  höchstes  Mafs. 

Die  Südküste  ist  unzerstlickelt;  dagegen  weist  die  Stewart  - Insel, 
ein  Teil  des  südlichen  Faltungsgebirges,  wieder  einige  Einschnitte  auf. 

Es  wäre  möglich,  schon  auf  Grund  dieser  allgemeinen  Übersicht 
über  die  Fjordgebiete  einige  Schlüsse  zu  ziehen.  Es  wird  sich  aber 
empfehlen,  Folgerungen  erst  dann  hervorzuheben,  wenn  eine  genaue 
Definition  des  Fjordbegriffes  die  Feststellung  der  Grenzen  der  F'jord- 
verbreitung  ermöglicht  hat. 

2.  Die  übermeerischen  Formen  der  Fjorde. 

Der  Name  „Fjord“  stammt,  wie  erwähnt,  aus  Norwegen;  in 
schwedischer  Sprache  kommt  dasselbe  Wort  in  der  Form  fjiird,  in 
Island  als  fjörSur,  auf  den  Färöern  als  fjördur  vor.  Gleichbedeutend 
mit  dem  englischen  firth  und  dem  deutschen  Wort  „F'öhrde ",  kommt 
der  Name  ursprünglich  jeder  Meeresbucht  zu.  Seitdem  aber  durch 
Dana  der  Fjordtypus  aufgestellt  wurde,  ist  die  Bezeichnung  zum 
terminus  Uchnicus  geworden  und  darf  seither  nur  ftir  Küsteneinschnitte 
angewandt  werden,  die  den  ganz  bestimmten  und  unverkennbaren 
Charakter  der  norwegischen  Meeresbuchten  zeigen. 

Diesen  eigentümlichen  Charakter  an  den  norwegischen  Fjorden 
und  den  als  /ochs,  inleis  und  sounds  bezeichneten  Fanschnitten  der 
anderen  als  F'jordküsten  hingestellten  Küstenstrecken  hervorzuheben, 
ist  die  nächstliegende  Aufgabe. 

Die  vorangegangene  Übersicht  der  F'jordregionen  wird  zu  einem 
Schlufs  geführt  haben,  der  so  nahe  liegt,  dafs  er  einer  besonderen 
Flervorhebung  eigentlich  nicht  bedürfte.  Das  gesellige  Auftreten  der 
F’jorde  ist  schon  von  Dana  und  I’eschel  erkannt  worden.  Wir  finden 
F'jordbildungen  stets  in  grofser  Anzahl  auf  weite  Küstenstrecken  hin 


*)  E.  Snefs  a.  a.  O.  S.  igzf. 


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Die  Fjordbildungen. 


205 


verteilt;  abgesehen  von  den  kleinen  Inseln  ist  die  125  km  lange  neu- 
seeländische Fjordküste  mit  ihren  13  Fjorden  das  kleinste  Fjordgebiet. 
Wo  Fjordeinschnitte  auftreten,  sind  es  ihrer  gleich  eine  grofse  Anzahl, 
und  überall,  wo  Fjordküsten  sich  an  andere  Küstenstrecken  anschliefsen, 
tritt  der  Wechsel  der  Küstengestaltung  ohne  Überleitung  durch  unaus- 
geprägte Formen  ein. 

Diese  Thatsache  regionaler  Anhäufung  unterscheidet  die  Fjorde 
von  allen  anderen  Küstengliederungen. 

Die  Betrachtung  der  übermeerischen  Teile  der  Fjorde  wird  zur 
Zeit  noch  sehr  erschwert  durch  den  grofsen  Mangel  an  guten  Karten 
der  Fjordgebiete.  Wir  sind  im  Grund  angewiesen  auf  die  freilich 
mustergültige  Topografisk  kari  ovtr  kongeriget  Norgt  und  die  ebenfalls 
trefflichen  Karten  der  Ordnance  Survey  of  Scotland.  Allerdings  ist  jene 
so  wenig  weit  vorgeschritten,  dafs  wir  aufser  der  Umgebung  von  Kristiania 
nur  einige  Blätter  von  den  Fjordregionen  um  Bergen  und  Trondhjem 
und  ein  Blatt  vom  Sognc-Fjord  besitzen.  Auch  für  Schottland  fehlen 
noch  mehrere  Blätter  der  typischsten  Fjordgegend  zwischen  Skye  und 
Mull.  Für  alle  anderen  Gebiete  stehen  aufser  den  Seekarten  nur  Über- 
sichtskarten zu  Gebot. 

Innerhalb  der  einzelnen  Fjordküstenstrecken  lassen  sich  zwei 
Arten  von  Fjord-Individuen  unterscheiden.  Die  erste  Art  sind 
die  beiderseitig  offenen  Fjordstrafsen , die  fast  überall  Sunde  oder 
Strafsen,  seltener  Fjorde  genannt  werden.  Zur  Sundbildung  und  der  damit 
stets  verbundenen  Inselabschnürung  kommt  es  entweder  durch  Kon- 
vergenz zweier  Fjordbuchten  oder  durch  die  Kreuzung  derselben  durch 
Meeresstrafsen,  die  der  KUstenlinie  parallel  ziehen.  Im  ersteren  Fall, 
wenn  also  zwei  Fjorde  unter  spitzen  Winkeln  ins  Land  schneidend 
sich  treffen,  entsteht  innerhalb  dieser  Gabel  eine  dreieckige  Insel  mit 
schmaler  Grundlinie  und  langen  Schenkeln.  In  Neu-Seeland  schneiden 
der  Thompson-Sund  und  der  Doubtful-Sund  die  einem  rechtwinkligen 
Dreieck  sehr  ähnliche,  aufserordentlich  regelmäfsige  Secretary-Insel  ab. 
Da  aber  derartige  gröfsere  Inseln  durch  kleinere  Fjorde  meist  unregel- 
mäfsig  gestaltet,  oft  auch  durch  Fjordstrafsen  ihrerseits  wieder  in  Insel- 
stücke aufgelöst  werden,  so  ist  diese  Erscheinung  selten  so  deutlich  zu 
erkennen.  An  der  Südspitze  Grönlands  kreuzen  sich  die  Fjorde  der 
Ost-  und  Westküste.  Der  Prinds  Christians-Sund  und  der  Torsukatak- 
Ilua-Fjord  treffen  aiff  einander  und  schneiden  die  ganze  südliche  Spitze 
von  dem  Hauptland  ab;  aber  auch  die  das  Kap  Farvel  tragende  Insel 
wird  in  derselben  Weise  wieder  von  der  Christians  IV.-Insel  abgetrennt. 
Würde  der  Itivdlek-Fjord  nur  ein  wenig  weiter  in  das  Land  hinein- 
schneiden, so  würde  er  durch  seine  Vereinigung  mit  dem  Söndre  Ström- 
Fjord  (Kangerdluksuak)  eine  Insel  von  sehr  deutlicher  Dreiecksform 
Zciuchr.  d.  Gcxllich.  f.  Erdk.  Itd.  XXIX.  14 


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•20fi 


P.  Dinsc: 


absondern.  Es  ist  leicht,  andere  Beispiele  hierfür  in  jedem  Fjordgebiet 
aufzufinden. 

Die  Inselabschnürung  durch  Sunde,  die  der  Küste  parallel  laufen, 
ist  bedeutend  häufiger  zu  bemerken.  Es  mag  hier  der  Hinweis  auf  die 
westamerikanische  Küste  genügen,  wo  sowohl  im  Norden  wie  im  Süden 
die  grofsen  und  kleinen  Inseln  ihre  Inselnatur  der  Verbindung  kleinerer 
zur  Küste  senkrechter  und  einer  langen,  ihr  parallelen  Strafse  verdanken. 

Schon  unsere  Eingangsübersicht  hat  gezeigt,  dafs  an  den  verschie- 
denen Fjordküsten  Gebiete  gröfserer  Sund-Entwickelung  mit  solchen,  in 
denen  die  Fjord  buchten  überwiegen,  abwechseln. 

Die  eigentlichen,  nur  einseitig  gegen  das  Meer  geöffneten  Fjorde 
sind  die  andere  Art.  Sie  erstrecken  sich  weit  in  das  Land,  verzweigen 
sich  dort  und  setzen  sich  meist  überseeisch  in  Gebirgsthälem,  die 
häufig  von  Seenreihen  erfüllt  sind,  bis  in  die  höchsten  Gebirgs-  oder 
Plateauhöhen  fort.  Seltener,  meist  in  den  auf  gewöhnlichen  Karten 
verschwindenden  kleinen  Einschnitten,  reicht  die  Wasserbedeckung  bis 
an  den  steilwandigen  Thalabschlufs. 

Einen  wertvollen  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Morphographie  der 
Fjorde  hat  F’r.  Ratzel  in  seinem  Aufsatz:  „Über  P'jordbildungen  an 
Binnenseen“1)  geliefert.  Zum  Schlufs  dieser  Abhandlung  giebt  er  eine 
Zusammenstellung  der  allgemeinsten  Ergebnisse  einer  vergleichenden 
Betrachtung  der  Binnenfjorde  der  amerikanischen  Seen  und  der  Küsten- 
fjorde von  Maine  und  Columbia.  Man  hat  dieselben  mit  einigem  Recht 
als  allgemeine  „Regeln  zur  Beurteilung  des  physiographischen  Verhält- 
nisses einer  Flrdgegend,  die  auf  ihre  Zugehörigkeit  zu  den  Fjord- 
regionen zu  prüfen  ist"8),  aufgefafst.  Diese  Zusammenstellung  kann 
jedoch  keinen  Anspruch  auf  Vollständigkeit  erheben,  ebenso  wenig  wie 
die  Allgemeingültigkeit  der  Regeln  aufser  Zweifel  steht.  Ratzel  be- 
trachtet in  dem  erwähnten  Aufsatz  drei  Fjordregionen,  von  denen  die 
Zugehörigkeit  der  einen  sehr  fraglich  ist,  während  die  beiden  anderen 
als  die  am  wenigsten  typischen  gelten  müssen.  Aus  diesem  Grund 
sind  nur  zwei  dieser  Regeln  als  allgemein  richtig  anzuerkennen. 

Ratzel  schreibt  den  Eindruck  der  Einheitlichkeit,  den  die  Fjord- 
regionen, in  der  Horizontalen  betrachtet,  machen,  einmal  dem  durch- 
greifenden Parallelismus,  der  sich  in  der  Richtung  der  Elemente  einer 
Fjordküste,  also  der  Halbinseln,  Landzungen,  Inseln,  Klippen,  Buchten 
und  Strafsen  zeige,  und  dann  der  geringen  Breite  der  Wasserstrafsen 
zu3).  „Die  Fjordbildungen  sind  unter  sich  gewöhnlich  auf  weite 

’)  Pcterm,  Geogr.  Mitteilgen,  1880,  S.  387  ff. 

*)  Günther,  Lehrbuch  der  Geophysik,  1885,  II,  S.  464  Anm.  3. 

3)  Ratzel  a.  a.  O.  S.  395. 


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Die  Fjordbildungen. 


207 


Strecken  parallel,  doch  werden  sie  durch  Gebirge,  welche  an  die  Küste 
herantreten,  gegen  die  Gebirge  hin  abgelenkt."  Ratzel  bemerkte  an 
der  nordöstlichen  Küste  eine  SW — NO -Richtung,  die  weiter  nach  Süden 
in  eine  SSW — NNO-Richtung  übergehe;  an  der  nordwestlichen  Küste 
sollte  eine  NW — SO -Richtung  vorherrschen. 

An  der  Küste  des  Staates  Maine  ist  ein  derartiger  Parallelismus 
nach  den  uns  zu  Gebot  stehenden  englischen  und  amerikanischen  See- 
karten allerdings  unverkennbar1);  auch  auf  den  Färöern  mag  er  von 
vornherein  zugegeben  werden.  Man  hat  jedoch  beobachten  wollen, 
dafs  es  in  allen  anderen  Fjordgebieten  etwas  anders  stehe.  Penck2) 
machte  gegen  Ratzel  darauf  aufmerksam,  dafs  es  nötig  sei,  Fjord- 
kiisten  verschiedener  Art  zu  trennen,  je  nachdem  die  Küste,  in  welche 
die  Fjorde  einschneirien,  einem  flachwelligen  Hügelland  oder  einem 
hohen  Gebirgsland  angehöre.  In  den  letzteren,  d.  h.  in  fast  allen 
Fjordgebieten,  trete  der  Parallelismus  soweit  zurück,  dafs  er  auf 
Kartenbildern  kleineren  Mafsstabes  vollständig  verschwinde,  ln  Nor- 
wegen und  Schottland,  sowie  an  der  westamerikanischen  Küste,  sei 
die  Unterscheidung  gewisser  Hauptrichtungen,  die  sich  auch  in  den 
kleinen  und  kleinsten  Zügen  bemerkbar  machen,  sehr  schwierig  durch- 
zuführen. Der  Parallelismus  mache  hier  den  unregelmäfsigen  Ver- 
ästelungen normaler  Thäler  Platz. 

In  allen  diesen  typischen  Fjordgebieten  wird  man  die  Regel  be- 
stätigt finden,  die  Peschei  zuerst  aufstellte3),  dafs  nämlich  die  Fjorde 
oder  wenigstens  ihre  Hauptarme  senkrecht  oder  unter  sehr  steilen 
Winkeln  in  das  Land  hineinzudringen  pflegen.  Haben  wir  nun  eine 
Küste,  die  auf  die  ganze  Länge  ihrer  Erstreckung  eine  Richtung  bei- 
behält, so  werden  auch  ihre  Fjordbuchten  unter  sich  nahezu  parallel 
sein.  Dies  ist  der  Fall  in  Grönland  und  Neu-Seeland,  wo  ein  gewisser 
Parallelismus  auch  der  Hauptbuchten  doch  nicht  zu  leugnen  sein  wird, 
wenngleich  dieselben  in  ein  gebirgiges  Land  einschneiden.  Betrachten 
wir  jedoch  ein  inselförmiges  F'jordgebiet,  w'ie  Island,  oder  eine  P'jord- 
küste  wie  Norwegens  Westküste,  die  in  der  allgemeinen  Richtung 
wechselt,  so  finden  wir  F'jorde  in  allen  Richtungen  der  Windrose. 

Aber  trotzdem  ist  Ratzel’s  Beobachtung  richtig.  Auch  diese 

l)  Auf  R atzel 's  Anregung  hin  ist  dieses  Fjordgebiet  von  Remmers  genau 
untersucht  worden.  Der  Nachweis  eines  weitgehenden  Parallelismus  ist  der  kleinen 
Arbeit  völlig  gelungen.  Das  Bestreben  des  Verfassers,  die  Häufigkeit  des  Vor- 
kommens paralleler  Küstenstrecken  in  einem  bestimmt  begrenzten  Gebiet  durch 
Zahlenwerte  darzustellen,  erscheint  aber  als  nutzloses  Bemühen.  O.  Remmers, 
Untersuchungen  der  Fjorde  an  der  Küste  von  Maine.  Dissert.  Halle  1891. 

*)  Penck,  Glaciale  Bodengestaltung.  Ausland  1882»  S.  373. 

8)  Peschei  a.  a.  O.  S.  9. 

14* 


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P.  Dinse: 


Fjordregionen  sind,  wenngleich  ihre  Hauptzüge  differieren,  durch 
Parallelismus  der  kleineren  Elemente  zu  einer  Gesamtheit  aufs  innigste 
verbunden. 

Allerdings  ist  dies  nur  auf  Karten  gröfseren  Malsstabes  deutlich 
zu  sehen.  Es  genügt  z.  B.  ein  Blick  auf  eines  der  prächtigen  Blätter 
der  Topografisk  hart  over  kongeriget  Norge  oder  der  Ordnance  Survey  of 
Scotland,  um  eine  Art  Parallelismus  sofort  zu  erkennen.  Man  betrachte 
z.  B.  die  Blätter  Skjörn  (49  b)  und  Bjömör  (49  d)  des  erstgenannten 
Werkes,  also  einen  Teil  des  Gebietes  nordwestlich  vom  Trondhjem- 
Fjord.  Ein  doppelter  scharf  ausgeprägter  Parallelismus  beherrscht 
diesen  ganzen  Gebirgsteil.  Einer  SW — NO-Richtung  entsprechen  die 
gröfseren  inneren  Fjorde;  in  Landzungen  zerschnitten,  springt  das 
Land  in  die  See  hinein.  Kleinere  Buchten  mit  parallelen  Wänden 
trennen  diese  Zungen;  Inselreihen,  durch  Untiefen  mit  den  Vorgebirgen 
verbunden,  setzen  ihre  Richtung  fort,  bis  der  ganze  südwestlich  ge- 
richtete Zug  weit  draufsen  in  der  See  mit  kleinen  kaum  aufragenden 
Klippen  verschwindet.  Die  Thalfortsetzungen  im  Land,  der  Verlauf 
der  Isohypsen,  die  Seenreihen,  alles  nimmt  an  diesem  Parallelismus 
Teil.  Rechtwinklig  zu  dieser  Richtung  steht  aber  eine  andere  südost- 
nordwestliche, die  sich  in  gleicher  Weise  durch  Parallelismus  der 
Buchten  und  Thäler,  der  Bergzüge  und  Inselreihen  kenntlich  macht 
Ein  derartiger  Doppelparallelismus  ist  auf  allen  bisher  vorhandenen 
genauen  Kartenbildern  von  Fjordgegenden  unverkennbar.  Man  könnte 
z.  B.  auch  noch  auf  den  Teil  'der  schottischen  Westküste  zwischen 
Craignish  Point  und  Knap  Point  hinweisen,  wo  in  den  Lochs  Craignish 
und  Swen  Uferlinien,  Inselumrisse  und  Klippenreihen  in  auffallendem 
Parallelismus  stehen. 

Ratzel's  Behauptung,  dafs  alle  Fjordgebiete  durch  das  Vorherrschen 
paralleler  Richtungen  einheitlich  verbunden  seien,  ist  mithin  völlig  be- 
rechtigt, wenn  sie  auch  der  Einschränkung  bedarf,  dafs  diese  Er- 
scheinung nur  in  flacheren  Gebieten  der  Küstenzone  besonders  deut- 
lich hervortritt.  In  gebirgigen  Fjordgebieten  nehmen  dagegen  meist 
nicht  die  grofsen  Buchten,  sondern  nur  die  kleinen  Elemente  der 
Fjordküste  an  diesem  Parallelismus  Teil. 

Auch  die  andere  Beobachtung  Ratzel's,  dafs  die  durchgehends 
geringe  Breite  aller  Einschnitte  und  Strafsen  ein  besonderes  Kenn- 
zeichen aller  F’jordküsten  sei1),  wird  man  überall  bestätigt  finden. 

An  der  norwegischen  Küste  gilt  der  bekannte  Lyse-Fjord,  der,  vom 
Hüle-Fjord  sich  abzweigend,  erst  senkrecht  zu  diesem  nach  Nordosten, 
dann  nach  Osten  sich  hinzieht,  als  einer  der  regelmäfsigstcn  Einschnitte. 


*)  Ratzel  a.  a.  O.  S.  395. 


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Die  Fjordbildungen. 


209 


Ungefähr  40  km  lang,  mifst  er  im  Durchschnitt  nur  1,9  km  Breite,  wäh- 
rend die  schmälsten  Stellen  kaum  0,6  km  erreichen.  Die  ebenso  auf- 
fallend regelmäfsige  Abzweigung  des  Hardanger-Fjordes,  der  Sör-Fjord 
von  Odde,  wechselt  auf  38,6  km  I.änge  nur  zwischen  1,8  und  0,6  km 
Breite.  Ebenso  schmal  ist  auf  lange  Entfernung  hin  der  Indre  Folden- 
Fjord,  die  Abzweigung  des  Folden-Fjordes.  Nach  Ratzel  und  Remmers 
sind  die  gröfsten  Breiten  der  Fjorde  an  der  Küste  von  Maine  2,8  bis 
1,7  km.  In  der  Fjordregion  des  Puget-Sundes  mifst  die  durchschnitt- 
liche Breite  der  Fjordarme  nicht  mehr  als  1,2  km.  Von  den  kolum- 
bischen  Fjorden  behält  das  Jervis  Inlet  auf  62,5  km,  das  Toba  Inlet  aut 
25  km,  das  Knight  Inlet  endlich  auf  81,5  km  Länge  eine  durchschnitt- 
liche Breite  von  2 — 3 km.  Etwas  ansehnlicher  wird  natürlich  die  Breite 
derjenigen  Fjorde,  die  unter  ansehnlichen  Verästelungen  weit  in  das 
Land  hineinreichen.  Der  Sogne-Fjord  greift  180  km  weit  mit  seinen 
inneren  Armen  in  das  Hochfjeld  von  Jotunheim  ein.  Er  besitzt  auf 
dieser  ganzen  ungeheuren  Erstreckung,  die  der  Entfernung  von  der 
Oder-Mündung  bis  Berlin  gleichkommt,  eine  mittlere  Breite  von  4,8  km; 
nur  dort,  wo  ein  Seitenarm  in  ihn  einmündet,  zeigen  sich  einige  see- 
artige Erweiterungen.  Selbst  an  der  Mündung  des  Hauptfjordes  über- 
schreitet die  Breite  zwischen  den  hier  durch  Inselreihen  dargestellten 
Uferwänden  kaum  die  erwähnte  Zahl. 

Die  Fjorde  an  der  Nordküste  Skandinaviens  und  ähnlich  auch 
diejenigen  an  der  Nordküste  Schottlands  sind , wie  bereits  erwähnt, 
breiter  geöffnet.  Der  Varanger-Fjord  behält  auf  eine  Erstreckung  von 
40  km,  sich  fast  gleichbleibend,  eine  Breite  von  12km;  dann  erweitert 
er  sich  jedoch  in  dem  Mafs,  dafs  er  zwischen  den  beiden  Vorgebirgen 
am  Eingang  mehr  als  45  km  mifst.  Ebenso  steht  es  auch  mit  den 
anderen  nördlichen  Fjorden,  dem  Porsanger-  und  Laxe-F'jord,  in  Schott- 
land mit  dem  Kyle  of  Durness,  dem  Loch  Eriboll,  dem  Kyle  of 
Tongue.  Es  mag  dies  als  ein  auffallender  Unterschied  hervorgehoben 
werden. 

In  der  dem  folgenden  Abschnitt  beigegebenen  Tabelle  sind  Zahlen 
für  die  durchschnittliche  Breite  fast  aller  in  dieser  Arbeit  erwähnten 
Fjorde  angegeben.  Diese  Zahlen  sind  durch  Messungen  ermittelt, 
welche  an  den  Seekarten  direkt  ausgeführt  wurden.  Die  durch  sie 
erhaltenen  Werte  sind  oft  noch  zu  grofs.  Die  genauere  Berechnung 
Fläche  durch  Länge  hätte  kaum  ein  genaueres  Mittel  ergeben,  weil  die 
Länge  des  Fjordes  sich  ohne  Willkür  nicht  finden  läfst. 

Sämtliche  als  Fjorde,  Sunde,  Lochs  oder  Inlets  bezeichneten 
Küsteneinschnitte  sind  von  sehr  geringer  Breite,  und  zwar  bleiben 
diese  Breiten  auf  weite  Firstreckungen  hin  gleich.  Die  Länge  der  Flin- 
buchtungen  und  Strafsen  übertrifft  die  Breite  derselben  stets  um  ein 


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P.  Dinse: 


Vielfaches.  Eine  genauere  Angabe  dieses  Verhältnisses  von  Länge  zu 
Breite  ist  kaum  nötig.  In  der  Regel  sind  die  Fjorde  zehn-  bis 
zwanzigmal  länger  als  die  durchschnittliche  Breite  beträgt.  Bei  den 
gröfsten  Fjorden  steigt  diese  Verhältniszahl  auf  i : 31  (Jervis  Inlet), 
1 : 41  (Knight  Inlet)  und  1 : 3g  (Sogne-Fjord). 

Peschei  hatte  die  Fjorde  schon  in  den  Eingangsworten  als  steile 
Schluchten  definiert;  im  weiteren  Verlauf  seiner  Darlegung  betonte 
er  dann  noch  ausdrücklich  als  ein  Ergebnis  seiner  vergleichenden 
Untersuchung,  dafs  Fjorde  nur  an  felsigen  Steilküsten  Vorkommen1). 
F>  wollte  damit  auch  die  geringe  Anzahl  der  Fjorde  an  der  Küste 
und  auf  den  Inseln  des  amerikanischen  Nordens  und  das  gänzliche 
Fehlen  derselben  an  der  asiatischen  Nordküste  erklären.  Wieder  wies 
auch  hier  Penck*)  darauf  hin,  dafs  felsige  Steilküsten  kein  unbedingtes 
Erfordernis  für  Fjordbildungcn  sein  können.  Die  Ostküste  Nord- 
Amerikas  bilden  nicht  auffallend  steile  Felsränder,  sondern  ein  sehr 
flachwelliges  Hügelland  von  300  bis  600  m Höhe  senkt  sich  allmählich  zu 
dem  nur  wenig  über  den  Meeresspiegel  erhobenen  Küstenstrich.  Nun 
wird  man  Maine  wohl  zweifellos  als  ein  Fjordgebiet  gelten  lassen 
müssen,  aber  ebenso  unzweifelhaft  ist  es  das  am  wenigsten  typisch 
ausgestaltete  auf  der  ganzen  Erde.  Eine  gewisse  Abhängigkeit  der 
Grofsartigkeit  des  Fjordphänomens  von  der  mehr  oder  minder  grofsen 
Erhebung  des  Küstenlandes  ist  doch  unleugbar,  insofern,  als  die 
Fjordbildungen  wie  in  Maine,  so  auch  in  anderen  flachen  Küsten- 
gebieten sowohl  seltener  als  auch  minder  scharf  ausgeprägt  auftreten. 
In  Norwegen  ist  der  einzige  fjordarme  Abschnitt  der  Westküste,  die 
Strecke  zwischen  dem  Eingang  des  Trondhjem-Fjordes  und  dem  Vigten- 
Archipel,  zugleich  der  flachste.  Ein  anderes  Beispiel  aus  Ost-Grönland! 
Die  letzte  Schilderung  des  Teiles  der  ostgrönländischen  Küste  vom 
Kap  Farvel  bis  zum  Sermilik  (66°)  unterscheidet  an  derselben  fünf 
Abschnitte3).  Zwei  derselben,  die  Strecken  von  Auarket  bis  Ikermiut 
und  von  Igdloluarsuk  bis  Inigsalik,  haben  nur  eine  sehr  wenig  ein- 
geschnittene Küstenlinie,  die  drei  anderen,  also  von  der  Südspitze  bis 
Auarket,  von  Ikermiut  bis  Igdloluarsuk  und  von  Inigsalik  bis  zum 
66.  Breitengrad,  sind  stark  zerschnitten  und  zerrissen,  fjord-  und  sund- 
reich. Eben  diese  Abschnitte  aber  sind  auch  hochaufragend.  Uber 
die  aus  Gneis  bestehenden  Umgebungen  erheben  sich  oft  bis  zur  Höhe 
von  1250  m Syenitgruppen  mit  hohen  kühnen  Bergspitzen  und  tiefen 
engen  Thälern  dazwischen,  richtige  gezackte  Gebirge.  Die  beiden 

*)  Peschei  a.  a.  O.  S.  17. 

*)  Penck,  Glaciale  Bodengestaltung.  Ausland  188z,  S.  349. 

3)  Nansen  a.  a.  O.  S.  54—57. 


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Die  Fjordbildungen. 


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anderen  jedoch  mit  wenigen  breiten  Buchten  gehören  einem  niederen 
Land  an,  welches  nur  wenig  aus  der  Eisdecke  hervorragt  und  auch  in 
den  jetzt  mit  Eis  und  Schnee  überdeckten  Teilen  eben  zu  sein  scheint. 
Da  aber  die  unausgebildeten  Kiisteneinschnitte  dieser  niederen  Gebiete 
an  dem  Fjordcharakter  zweifellos  teilnehmen,  so  wird  man  Penck’s  Ein- 
wurf die  Berechtigung  nicht  aberkennen  dürfen.  Nichts  desto  weniger 
steht  aber  fest,  dafs  Fjorde  typischer  Ausgestaltung  an  Steilküsten  ge- 
bunden sind.  Die  Fjorde  von  Norwegen,  Schottland,  Columbia,  Pata- 
gonien und  Neu-Seeland  schneiden  sämtlich  in  ein  höheres  Gebirgsland 
ein,  und  mit  steilen  Wänden  fallen  überall  die  Felsmassen  zum  Spiegel 
der  Fjorde  ein. 

Charakteristische  Schilderungen  dieser  Steilheit  der  Fjordwände 
finden  sich  allenthalben  in  der  Reiseliteratur.  Wie  mit  einem  Beilhieb 
in  die  Hochebene  der  norwegischen  Scholle  hineingehackt,  sollen  die 
norwegischen  Fjorde  sich  in  die  Tiefe  hinabsenken  *).  Man  glaubt  oft 
geradenwegs  über  die  horizontale  Fläche  des  Fjeld  Vordringen  zu 
können  und  hat  dann  auf  einmal  dicht  vor  den  Füfsen  einen  jähen 
Abgrund  von  schwindelnder  Tiefe,  zu  welchem  die  Gewässer  der  Höhe 
in  Wasserfällen  hinabstürzen.  Vibe*)  berichtet  von  vielen  hunderte 
von  Metern  hohen  Wasserfallen,  die,  ohne  auch  nur  einmal  den  Fels 
zu  berühren,  zum  Spiegel  der  Fjorde  hinabspringen,  sodafs  man,  ohne 
benetzt  zu  werden,  zwischen  den  Felsen  und  dem  Wasserfall  hindurch- 
fahren kann.  Auch  den  neuseeländischen  Milford -Sund  zieren  hohe 
Fälle,  wie  der  146  m hohe  Stirling  Waterfail  und  die  165  m hohen 
Bow'enfalls.  In  den  grönländischen  Fjorden  findet  man  oft  bei  stunden- 
langer Fahrt  keine  Gelegenheit  zum  Landen.  Steile,  senkrechte,  viel- 
leicht auch  überhangendc  Felswände  von  700  bis  800  m Höhe  gehören 
in  allen  Fjordgebieten  nicht  zu  den  Seltenheiten.  Es  geschieht  dies 
überall,  wo  das  Gebirge  in  Absätzen  staffelförmig  von  den  Plateau- 
höhen zum  Meeresspiegel  niedergeht.  Man  mufs  sich  aber  doch  vor 
übertriebenen  Angaben  hüten.  Das  Auge  ist  ja  stets  geneigt,  die 
vertikale  Erhebung  im  Verhältnis  zur  horizontalen  Entfernung  zu  über- 
schätzen, und  da  der  Mehrzahl  der  Menschen  die  Fähigkeit,  Höhen- 
winkel auch  nur  annähernd  richtig  zu  beurteilen,  gänzlich  abgeht, 
werden  stets  zu  grofse  Neigungswinkel  angenommen.  Bei  den  Fjorden 
kommt  noch  hinzu,  dafs  der  Kontrast  zwischen  der  toten  Ruhe  des 
Fjordspiegels  und  dem  lebendigen  Aufstreben  der  Felswände  den  Ein- 
druck der  Steilheit  der  letzteren  erhöht.  Die  häufigen  Anführungen 
höherer  Erhebungen  in  der  Nähe  der  Fjordbuchten  sind  vielfach  ge- 

*)  G uthe -Wagner,  Lehrbuch  der  Geographie  II,  1883,  S.  350. 

*)  A.  Vibe,  Küsten  und  Meer  Norwegens.  P.  G.  M.  Erg.-Heft  1,  1860.  S.  5. 


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P.  Dinse: 


eignet,  durch  den  Gegensatz  der  Zahlen  übertriebene  Vorstellungen  zu 
erwecken.  Tritt  eine  hohe  Berggruppe  an  das  Ufer  eines  Fjordes,  so 
ist  der  Aufstieg  zu  ihr  entweder  in  den  ersten  Hektometern  ein  sehr 
steiler,  und  es  folgt  dann  eine  allmählichere  Erhebung,  oder  aber  die 
Uferpartien  sind  flacher,  und  erst  in  gröfserer  Entfernung  vom  Strand 
beginnt  das  steile  Aufstreben.  In  beiden  Fällen  überschätzt  man  den 
Erhcbungswinkel.  Als  besonders  erstaunliches  Beispiel  einer  grofsen 
Neigung  erwähnt  Vibe1)  und  nach  ihm  wiederholt  Reclus*)  den 
Thorsnut,  der  mit  einer  Erhebung  von  1583  m auf  4,2  km  an  den 
Fjord  von  Odde  herantritt.  Hier  ist  das  Aufsteigen  der  Fjordwände 
ein  steiles,  aber  der  mittlere  Neigungswinkel  bis  zu  den  überragenden 
Höhen  beträgt  doch  nur  20°  39'.  In  Grönland  erhebt  sich  der  Berg 
der  Insel  Umanak  1164  m über  den  Meeresspiegel;  der  unersteigbare 
F’els  befindet  sich  aber  in  der  Mitte  der  mit  relativ  sehr  geringer 
Neigung  aus  dem  Fjord  auftauchenden  Insel,  und  der  mittlere  Er- 
hebungswinkel ist  i7°3'.  Wenn  der  Mitre  Peak  in  Neu-Seeland  mit 
1695  m auf  1,4  km  an  den  Milford-Sund  herantritt,  so  kann  er  nicht 
in  „einer  70°  steilen,  1800  m hohen  Felswand  direkt  vom  Meer  auf- 
ragen“®). 

Eine  eingehende  Musterung  der  bisher  vorhandenen  genaueren 
Karten  europäischer  Fjordgebiete  hat  als  gröfsten  auffindbaren  Thal- 
wand-Neigungswinkel einen  solchen  von  53  bis  54 ° ergeben.  Es  ist  dies 
im  Närö-Fjord,  einem  Seitenfjord  des  grofsen  Sogne-Fjordes;  die  vortreff- 
lichen Abbildungen  in  Güfsfcldt’s  Werk  über  die  Nordlandfahrten 
des  deutschen  Kaisers  zeigen  den  schroffen  Charakter  der  dortigen 
Fjordnatur  aufs  deutlichste.  Man  wird  also  gut  daran  thun,  Angaben 
von  mehr  als  800  m hohen  senkrechten  Fjordwänden  oder  von  allge- 
meinen Neigungswinkeln  von  mehr  als  540  für  Übertreibungen  zu  halten. 
In  der  Regel  sind  die  Erhebungswinkel  bis  zu  den  überragenden  Höhen 
hinauf  selbst  in  den  am  grofsartigsten  ausgestalteten  Fjordspalten  nicht 
gröfser  als  30  bis  40°.  Dafs  diese  Zahlen  allerdings  schon  eine  sehr 
erhebliche  Steilheit  der  Fjordwände  darstellen,  beweist  die  Thatsache, 
dafs  Abhänge  von  37 0 selbst  von  geübten  Bergsteigern  kaum  noch 
zu  erklimmen  sind. 

Es  möge  endlich  auch  erwähnt  werden,  dafs  die  mehr  oder  minder 
grofse  Erhebung  des  Landes  nicht  nur  auf  die  Form  und  Zahl  der 
Einschnitte  selbst,  sondern  auch  auf  den  allgemeinen  Charakter  der 


i)  Vibe  a.  a.  O.  S.  5. 

*)  Reclus,  Revue  des  Deux  Mondes  1867,  Bd.  8,  S.  268.  Reclus,  La 
Terre  IT,  1869,  S.  168. 

®)  von  Lendenfeld,  Australische  Reise,  1892,  S.  185. 


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Die  Fjordbildungen. 


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ganzen  Fjordzone  von  Einflufs  ist.  Die  flacheren  Küstengebiete  sind 
in  der  Regel  auch  die  insclreichen.  In  hohen  Plateauländern  ist  die 
Ausbildung  der  Fjorde  mehr  in  der  Vertikale,  in  sanften  Abdachungen 
des  Küstengebirges  dagegen  in  der  Horizontale  vor  sich  gegangen. 

3.  Die  untermeerischen  Formen  der  Fjorde. 

Das  eigentlich  Charakteristische  der  Fjorde  sind  jedoch  nicht  die 
Teile  Uber  dem  Wasser,  sondern  die  vom  Wasser  bedeckten  Formen, 
die  Tiefenverhältnisse.  Hier  ist  es  nun  nicht  der  Mangel,  sondern  die 
Ungenauigkeit  unserer  Karten,  welche  die  bedauerliche  Unklarheit  über 
die  Fjordgestaltung  verschuldet  hat.  Wir  besitzen  von  der  englischen 
Marine  Seekarten  aller  Fjordgebiete  der  Erde;  die  chilenischen  Schiffe 
haben  in  den  patagonischen  Gewässern  gelotet;  für  Ost-Amerika  stehen 
die  Karten  der  U.  S.  Coast  Survey,  für  Norwegen  die  Arbeiten  des 
Geografisk  Opmaaling  zur  Verfügung.  Die  Seekarten  geben  die 
Fjorde  in  der  Isohypse  des  heutigen  Meeresstandes.  So  trefflich  sie 
auch  in  jeder  anderen  Beziehung  sein  mögen , um  so  geringer  ist  ihr 
Wert,  wenn  man  den  Versuch  unternimmt,  sich  nach  ihren  Angaben 
ein  Bild  von  den  Formen  der  Fjorde  unter  dem  Meeresspiegel  zu 
machen. 

Einmal  sind  nur  die  wenigsten  Buchten  bis  in  das  innere  Ende 
hinein  ausgelotet.  Die  Fjorde  sind  vortreffliche  Häfen;  sie  sind  aber 
wertlos,  weil  sie  nur  selten  an  ihren  Ufern  Platz  zu  Ansiedlungen,  und, 
da  sie  fast  alle  in  Hochgebirge  einschneiden,  nie  ein  Hinterland  be- 
sitzen. Infolge  dessen  liegt  für  die  hydrographischen  Ämter  der  see- 
fahrenden Nationen  keine  Veranlassung  vor,  diese  buchtenreichen 
Küsten  und  die  tiefen  Einschnitte,  die  wegen  ihrer  Naturschönheiten 
nur  als  Ziele  für  Vergnügungsreisende  Bedeutung  haben,  genauer  auf- 
zunehmen. Meist  sind  nur  die  wenigen  Fjordstrafsen,  die  dem  Welt- 
verkehr dienen,  und  die  Zugänge  zu  den  wenigen  bedeutenderen 
Orten , die  als  Fischereistädte  oder  als  Hauptstätten  der  Verwaltung 
von  Wichtigkeit  sind,  genau  vermessen.  Für  die  abgeschlossenen 
Fjordbuchten  kommt  ferner  in  Betracht,  dafs  dieselben  durchgängig 
von  bedeutender  Tiefe  sind.  Da  in  ihnen  Gefahren  für  die  Schiff- 
fahrt wenig  zu  befürchten  sind,  so  genügt  es,  einige  wenige  I.otungen 
vorzunehmen.  Meist  befinden  sich  dieselben  in  der  Nähe  der  Ufer. 
Sind  die  Lotungen  häufiger,  so  sind  sie  meist  abgebrochen;  bei  Tiefen 
von  über  50  Faden  oder  94  m schwindet  meist  das  Interesse,  welches 
die  Rücksicht  auf  den  Schiffsverkehr  erweckt  hat.  Diese  beiden  Fehler 
sind  es,  die  bei  der  Betrachtung  der  englischen  Seekarten  Bedauern 
erregen  werden.  Immerhin  sind  aber  gerade  diese  am  besten  für 
unsere  Zwecke  verwendbar;  einzelne  der  Fjordbuchten  sind  von 


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P.  Dinse: 


englischen  Schiffen  so  gut  verlötet  worden,  dafs  es  sogar  möglich  war, 
die  vielen  Anhaltspunkte  zur  Zeichnung  von  Tsobathenlinien  zu  ver- 
werten. In  Norwegen  ist  aus  Interesse  für  die  Fischerei  der  Varanger- 
Fjord  genauer,  d.  h.  in  mehreren  Linien  verlötet  worden;  die  Tiefen- 
linien, welche  die  Fiskekart  over  Varangerfjorden')  angiebt, 
werden  aber  an  Genauigkeit  mit  den  Isobathen  bekannter  Binnensee- 
karten nicht  zu  vergleichen  sein.  Auf  den  meisten  norwegischen  See- 
karten beschränken  sich  die  Tiefenlotungen  in  den  Fjorden  auf  eine 
bestimmte  Linie,  die  ungefähr  das  Mittelfahrwasser  anzeigt.  Von  wie 
geringer  Bedeutung  diese  meist  in  der  Mitte  der  Fjorde  stehenden, 
oft  mehr  als  10  km  von  einander  entfernten  Tiefenzahlen  sind,  liegt 
auf  der  Hand.  Der  Querschnitt  der  Fjorde  giebt,  wie  nachher  noch 
zu  zeigen  sein  wird,  unregelmäfsige  Formen  des  Bettes  der  Fjord- 
gewässer an.  Die  unrichtige  Wahl  von  Lotungsstellen  kann  somit  auf 
Strecken  von  15  bis  20  km  das  Bild  des  Fjordbettes  völlig  entstellen. 
Haben  wir  z.  B.  im  Sogne-Fjord*)  ungefähr  25  km  vom  Ausgang  die 
Tiefenzahl  von  1242  m (661  norw.  Faden),  so  zeigt  die  7I  km  darauf 
folgende  Zahl  nur  eine  Tiefe  von  850  m (450  Faden)  an;  7 km  weiter 
hat  das  Lot  wieder  erst  bei  1084  km  (630  Faden)  den  Boden  erreicht. 
Derartige  plötzliche  Unterschiede,  die  häufiger  zu  finden  sind,  haben 
etwas  sehr  unwahrscheinliches.  Meist  steht  in  solchem  Fall  die  eine 
geringere  Tiefe  angebende  Zahl  an  Biegungen  der  Wasserstrafse,  und 
es  ist  dann  zu  vermuten,  dafs  das  Schiff  die  Lotung  über  einem  unter- 
meerischen  Thalvorsprung  vorgenommen  hat.  In  dem  obigen,  als 
Beispiel  benutzten  Fall  wird  sicher  eine  dem  südlichen  Ufer  näher 
vorzunehmende  Lotung  eine  Tiefenzahl  ergeben,  welche  zwischen  den 
Zahlen  1242  und  ro84  die  Mitte  hält.  Lotungen  in  der  Längsrichtung 
der  Fjorde  haben  nur  Wert,  wenn  sie  mit  solchen  quer  über  denselben 
verbunden  sind.  Da  solche  mehr  von  wissenschaftlichem  Interesse  be- 
stimmten systematischen  Lotungsunternehmen  zur  Zeit  noch  zu  den 
Seltenheiten  gehören , so  kann  all  unser  derzeitiges  Wissen  über  die 
unterseeischen  Formen  der  Fjorde  nur  als  durchaus  ungenügend  an- 
gesehen werden. 

Was  nun  im  allgemeinen  die  Tiefenverhältnisse  der  Fjorde  an- 
belangt, so  bezeichnet  man  gewöhnlich  die  absolute  grofse  Tiefe  der- 
selben als  hervorstechendes  Merkmal.  „Fjorde  sind  tiefe  und  steile 
Schluchten.“  Nun  hat  auch  hier  wieder  Ratzel  die  Ansicht  aus- 

')  Fiskekart  over  Varangerfjorden,  udgivet  af  den  Geografiske  Opmaaling. 
Krist.  1887-  3 Blatt.  1:  100000. 

Specialkart  over  Sognefjorden , udgivet  af  den  Geografiske  Opmaaling. 
Krist.  1869.  3 Blatt.  1 : 1 00  000. 


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Die  Fjordbildunjjen. 


215 


gesprochen1),  dafs  man  den  Tiefenverhältnissen  der  Fjorde  viel  zu 
grofses  Gewicht  beigelegt  habe.  Er  meinte,  weil  es  unbestreitbar  sei, 
dafs  Anschwemmungen  der  Flüsse  und  Strömungen  die  Tiefe  der 
Fjorde  zu  verringern  vermögen,  und  weil  es  thatsächlich  flache  Fjorde 
gebe,  sei  die  Tiefe  dieser  Einschnitte  als  vergängliches  Moment  weniger 
zu  betonen.  Dieser  Einwurf,  der  sich  übrigens  nur  gegen  die  Be- 
hauptung einer  absolut  grofsen  Tiefe  richtet,  verliert  nun  viel  an  Be- 
weiskraft dadurch,  dafs  er  sich  ausschliefslich  auf  die  Ergebnisse  der 
Betrachtung  der  Sunde  des  Puget-Sundes  und  der  Fjorde  von  Maine  stützt. 
Die  Formen  dieser  Wasserstrafsen  und  Buchten  bilden  ja  in  allem  eine 
Ausnahme  und  beweisen  gegenüber  der  Einheitlichkeit  der  Erscheinungen 
in  allen  anderen  Fjordgebieten  sehr  wenig.  Es  giebt  in  der  That 
seichte  Fjorde;  die  Buchten  von  Maine,  die  Fjorde  Nord -Schottlands 
sind  in  der  Regel  nicht  tiefer  als  60  m.  In  den  irischen  Einschnitten 
sind  Tiefen  von  35  m eine  sehr  grofse  Seltenheit;  nur  der  Sligo  Har- 
bour  sinkt  zu  einer  Tiefe  von  143  m herab.  Aber  die  absolute  grofse 
Tiefe  ist  gar  nicht  das,  was  die  Fjorde  vor  anderen  Buchten  auszeichnet, 
sondern  ausschliefslich  die  Verschiedenheit  der  Tiefen  in  ver- 
schiedenen Teilen  eines  Fjordes. 

Der  erste,  der  hierauf  aufmerksam  machte,  war  Cook,  der  beim 
Einscgeln  in  den  Christtag-Sund  des  Feuerlandes  zuerst  bei  37  Faden, 
tiefer  im  Sund  erst  bei  64  Faden  Grund  fand,  während  zuletzt  die 
100  Faden  lange  Lotleine  den  Grund  überhaupt  nicht  mehr  erreichte*). 
Darwin  fand  ebendort  die  gleiche  Erscheinung  allgemein,  und  er  stellte 
es  schon  als  Regel  auf,  dafs  die  Fjorde  an  ihrer  Mündung  von  ge- 
ringerer Tiefe  seien  als  im  Innern3),  Später  war  es  "Lübbert,  der 
wieder  darauf  hinwies4).  Peschei  und  Reclus  nahmen  es  auf, 
und  Leipoldt  sprach  es  als  allgemeines  Gesetz  aus5).  „Bei  allen 
Fjorden  zeigt  sich,  dafs  an  ihrem  Ausgang  der  Boden  viel  seichter 
ist  als  im  Hintergrund." 

Das  Gesetz  ist  in  dieser  Form  nicht  ganz  richtig;  es  giebt  Fjord- 
buchten, und  zwar  auch  geschlossene  schmale  Buchten  von  typischer 
Form,  die  an  ihrem  Ausgang  tiefer  sind  als  im  Inneren.  Richtiger  ist 
die  folgende  Fassung:  „Allen  Fjordgebieten  liegt  ein  seichtes 
Meer  vor,  dessen  geringe  Tiefen  zu  den  bedeutenden  Ein- 

')  Ratzel  a.  a.  O.  S.  393. 

*)  Vgl.  Peschei  a.  a.  O.  S.  10. 

3)  Darwin  vgl.  Ramsay,  The  physical  geology  and  geography  of  Great 
Britain,  187g,  S.  448. 

4)  O.  Lübbert,  Das  Reisen  in  Norwegen.  Ausland  1863,  S.  970  Anm. 

5)  Peschel-Leipoldt,  Physische  Erdkunde,  1879,  S.  480. 


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P.  Dinse: 


Senkungen  im  Inneren  der  fjordzerrissenen  Küstenzone  in 
auffallendem  Gegensatz  stehen." 

Der  norwegischen  Westküste  ist  ein  schmaler  Saum  flacheren 
Meeresbodens  vorgelagert.  Abgesehen  von  einigen  tieferen  Rinnen 
übersteigt  die  Tiefe  dort  nie  200  m.  In  den  Fjorden  sind  Tiefen  bis 
zu  1242  m gelotet  worden. 

Schottland  und  Irland  liegen  auf  einem  Plateau,  welches  aufser  in 
kleineren  örtlichen  Einsenkungen  überall  nur  bis  zu  50—80  m unter 
der  Meeresoberfläche  liegt.  In  den  schottischen  und  irischen  Lochs 
finden  sich  dagegen  Tiefen  bis  zu  140 — 180  m. 

Die  Tiefen  Verhältnisse  an  der  ostgrönländischen  Küste  schildert 
der  Bericht  der  zweiten  deutschen  Nordpolar-Expedition1)  in  der  Weise, 
dafs  er  annimmt,  eine  über  366  m tiefe  Rinne  ziehe  sich  längs  der 
Küste  hin;  weiter  draufsen  im  Meer  zeige  jedoch  das  Lot  oft  Tiefen 
von  weniger  als  183  m an.  Bei  der  Fahrt  von  offener  See  zum  Kap 
Broer  Ruys  und  dann  in  den  Franz  Josefs-Fjord  hinein  fand  die  „Ger- 
mania“ erst  abnehmende  Tiefen,  mehrere  Meilen  vom  Land  156  m, 
ganz  in  der  Nähe  desselben  am  Eingang  des  Fjordes  179  m,  und  im 
Fjord  selbst  konnte  das  Lot  mit  915  m den  Boden  nicht  erreichen. 

An  der  westgrönländischen  Küste  liegen  die  Verhältnisse  ähnlich. 
Die  Küste  wird  von  einem  schmalen  Saum  flacheren  Meeres,  in  dem 
nur  einige  wenige  tiefere  Einsenkungen  und  Rinnen  die  Tiefe  von  jo 
bis  75  m übersteigen,  begleitet.  Das  Innere  der  Fjorde  ist  zu  wenig 
bekannt;  selbst  auf  den  genauesten  dänischen  Seekarten  bemerkt  man 
nur  an  zwei  Stellen  einige  in  Reihen  angeordnete  Tiefenzahlen.  Im 
Nordre  Strom-Fjord  unter  67°  45'  n.  Br.  ergaben  die  Lotungen  im 
Innern  494  m,  weiter  zur  Mündung  406,  295,  372  m und  endlich 
draufsen  im  Meer  nur  38  m Tiefe.  In  der  Disko-Bucht  vor  dem  Ein- 
gang der  Fjordbuchten  von  Christianshaab  findet  man  hintereinander 
von  innen  nach  aufsen  geordnet  240,  299,  233,  179,  250,  192,  131  und 
86  m.  Nach  J.  A.  D.  Jensen’s  Lotungen8)  ist  der  Fiske-Fjord  (63°io') 
im  Innern  bis  zu  323  m,  der  Sermilik  (63°  30^  bis  zu  131  m tief;  das 
vorliegende  Meer  weist  nur  Tiefen  von  90  m auf. 

Das  Meer  an  den  Küsten  des  Staates  Maine  ist  so  seicht,  dafs 
man  erst  in  einer  Entfernung  von  14  km  Tiefen  von  nom  erreicht 
Nach  Nordosten  nimmt  die  Tiefe  des  Vormeeres  etwas  zu.  Die  Fjord- 
tiefen sind  in  diesem  Gebiet  aufserordentlich  gering.  Nach  Ratzel 
und  Remmers  finden  sich  in  den  südlicheren  Buchten  nur  Maximal- 

')  Die  zweite  deutsche  Nordpolarfahrt  in  den  Jahren  1869  und  1870,  H, 
S.  679. 

a)  Mcddtlelser  om  Grönland  I,  S.  33.  31. 


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Die  Fjordbildungen. 


217 


riefen  von  48 — 60  m;  etwas  nördlicher  im  Penobscot- Gebiet  steigt  die 
Tiefe  auf  100 — 150  m.  In  den  meisten  kleineren  Buchten  sind  Tiefen 
von  20 — 30  m die  gröfsten  Einsenkungen. 

Um  so  grofsartiger  sind  dagegen  die  Gegensätze  der  Tiefen  vor 
und  in  dem  Fjordgebiet  von  Britisch -Columbia.  Vor  der  Vancouver 
Insel  zieht  sich  in  durchschnittlicher  Breite  von  37  km  ein  unterseeisches 
Plateau  hin,  welches  nirgends  bis  unter  die  Tiefe  von  183  m hinab- 
sinkt. Nur  in  den  die  Westküste  der  Insel  zerschneidenden  Fjorden 
bemerkt  man  bedeutendere  Einsenkungen.  Der  Quatsino-Sund  zeigt 
als  gröfste  Tiefe  im  Innern  229  m;  auch  der  sich  aufserordentlich 
weit  in  die  Insel  hineindrängende  Alberni- Kanal  des  Barclay -Sundes 
weist  in  der  Mitte  eine  Einsenkung  von  276  m auf.  Der  Notka-Sund 
hat  seine  gröfste  Tiefe  von  198  m im  Innern,  während  vor  seiner 
Mündung  eine  Bank  aufsteigt,  die  bei  18  km  Breite  nirgends  mehr  als 
90  m unter  der  Meeresoberfläche  liegt.  Die  Insel  Vancouver  wird  von 
dem  amerikanischen  Festland  durch  den  Queen  Charlotte -Sund , die 
Johnstone-Strait  und  die  Strafse  von  Georgia  getrennt.  Diese  Sunde 
sind  zum  gröfsten  Teil  tief,  doch  liegt  gerade  dort,  wo  die  grofse  Insel, 
nur  durch  die  Johnstone- Strafse  von  dem  zerrissenen  Festlandsrand 
getrennt,  mit  der  kolumbischen  Küste  verwächst,  ein  seichterer  Meeres- 
teil vor  den  Fjordeingängen.  Und  in  diesen  Fjorden  finden  wir  Tiefen 
von  230  m (Knight  Inlet),  255  m (Call  Creek),  232  m (Loughborough 
Inlet)  und  so  fort. 

Von  der  chilenisch -patagonischen  Fjordküste  ist  wenig  zu  sagen. 
Die  Seitenfjorde  sind  trotz  der  Thätigkeit  der  englischen,  deutschen 
und  chilenischen  Marine  wenig  bekannt,  und  wo  wir  Tiefenzahlen 
haben,  sind  die  Lotungen  bei  55  oder  75  m abgebrochen.  Immerhin 
stehen  auch  hier  dem  flachen  Vormeer  Tiefen  von  über  1045  m,  wie 
man  sie  in  der  Magellan-Strafse  gelotet  hat,  gegenüber.  Vor  der  neu- 
seeländischen Fjordküste  erstreckt  sich  eine  flache  Bank  hin,  die  von 
so  bedeutender  Ausdehnung  ist,  dafs  die  Tiefen  der  Fjorde  erst  in 
einer  Entfernung  von  30  km  von  der  Küste  wieder  angetroffen  werden 
können.  Der  tiefste  Fjord  Neu-Seelands  ist  mit  392  m der  nördlichste 
der  dreizehn  Einschnitte,  der  Milford-Sund.  Eine  solche  Tiefe  wird  erst 
too  km  von  der  Küste  entfernt  gelotet  werden  können. 

In  den  meisten  Fällen  dringt  nun  allerdings  das  flache  Vormeer 
bis  in  die  Eingänge  der  Fjordbuchten  selbst  vor.  Mündet  dagegen 
der  Fjord  in  eine  durch  Konvergenz  mehrerer  Einschnitte  entstandene 
gröfsere  Bucht  oder  in  einen  der  der  Küste  parallel  ziehenden  Sunde, 
so  findet  man  nicht  selten,  dafs  die  eigentlichen  Fjorde  am  Eingang 
keine  Schwellen  haben.  So  steht  es  z.  B.  mit  dem  in  die  Clyde  Sea 
mündenden  Loch  Fyne  und  dem  Loch  Broom,  einem  Seitenarm  des 


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218 


P,  Dinsc: 


North  Minch.  Die  Fjorde  der  Inseln  Mull  und  Skye  haben  keine  Kin- 
gangsschwellen.  Auch  das  kolumbischc  Jervis  Inlet  behält  auf  eine 
Länge  von  22  km  eine  Tiefe  von  über  183  m bei  und  mündet  dann 
in  die  über  275  m tiefe  Malaspina-Strafse  ein.  Während  mithin  im 
ersten  häufigeren  Fall  schon  in  dem  eigentlichen  Fjord  selbst  infolge 
der  Abschliefsung  der  inneren  Tiefen  durch  eine  Anschwellung  am 
Eingang  ein  Becken  gebildet  wird,  geschieht  dies  in  dem  anderen  Fall 
erst  durch  das  entferntere  Vormeer,  und  die  Fjordbucht  bildet  nur 
mit  ihrer  Fortsetzung  in  dem  Sund  ein  gröfseres,  komplizierteres 
Becken. 

Die  so  entstandenen  Becken  sind  nun  selten  in  der  Weise  regel- 
mäfsig  und  einheitlich,  dafs  der  Boden  vom  inneren  Ende  bis  zur 
gröfsten  Tiefe  allmählich  hinabsinkt,  um  dann  bis  zur  Erhebung  des 
Vormeeres  wieder  anzusteigen.  Beispielsweise  senkt  sich  der  Boden 
des  Sogne-Fjordes  derart  bis  zu  der  gröfsten  in  allen  Fjorden  der  Erde 
geloteten  Tiefe,  bis  zu  1242  m hinab.  Der  Aufstieg  ist  dann  bedeutend 
steiler;  eine  Schwelle  von  nur  158  m Tiefe  unter  dem  Meeresspiegel 
trennt  das  tiefere  innere  Becken  von  der  norwegischen  Rinne.  Auch 
der  Hardanger-Fjord  sinkt  in  seinen  beiden  oberen  Armen  mit  ziemlich 
gleichmäfsigem  Gefälle  bis  zu  seiner  gröfsten  Tiefe  von  800  m hinab 
und  erreicht  dann  erst  am  Ausgang  wieder  die  geringe  Tiefe  von 
203  m.  Die  nördlichen  F'jorde  Neu-Seelands  sind  alle  dergestalt  ein- 
heitliche Becken. 

In  der  Regel  aber  sind  die  Fjordbecken  nicht  so  regelmäfsig.  Die 
meisten  Fjorde  sind  vielmehr  durch  den  Wechsel  gröfserer  Tiefen  und 
hoch  aufsteigender  Schwellen  in  eine  Anzahl  Binnenbecken  geteilt. 
Wir  wollen  diese  Teilbecken  als  Becken  II.  Ordnung  von  den  grofsen, 
den  ganzen  Fjord  darstellenden  Becken  I.  Ordnung  unterscheiden. 

Während  der  Gegensatz  der  inneren  Tiefe  und  der  äufseren 
Schwellen  schon  früh  bemerkt  und  oft  besprochen  ist,  ist  die  That- 
sache,  dafs  auch  in  den  Fjorden  selbst  Unregelmäfsigkeiten  des  Boden 
reliefs  zu  beobachten  sind,  fast  unbeachtet  geblieben.  Mi  11  hat  sie  in 
seiner  mustergültigen  Arbeit  über  die  Clyde  Sea  area1)  erwähnt; 
auch  Remmers  hat  in  den  Fjorden  von  Maine  das  Vorhandensein 
von  Binnenschwellen  hervorgehoben.  In  der  übrigen  Literatur  finden 
sich  dagegen  nur  wenige  Andeutungen. 

Da  aufser  dem  nach  Lieutenant  Schie’s  Angaben  gezeichneten 
Lyse-Fjordprofil*)  und  den  Längsprofilen  Mill’s  Fjordprofile  nicht 

*)  H.  R.  Mill,  Clyde  Sei  area.  Proc.  of  Royal  Soc.  Edinbg.  1891,  S.  641  ff. 

*)  Peterra.  Geogr.  Mitteilgen.  Erg. -Heft  1,  1860.  Berghaos*  Phys.  Atlas, 
Abt.  II:  Hydrographie,  Bl.  VIII. 


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Die  Fjordbildungen.  219 

existieren,  so  habe  ich  mich  bemüht,  auf  Grund  des  zu  Gebot  stehen- 
den reichen  Kartenmaterials  einige  Längsschnitte  durch  Fjorde  zu 
zeichnen1).  Dieselben  werden  am  besten  die  Unregelmäfsigkeit  des 
untcrmeerischen  Fjordgeländes,  in  deren  Nachweis  die  vorliegende 
Arbeit  ihr  wichtigstes  Ergebnis  sieht,  zeigen.  Daneben  wird  auch  die 
Zeichnung  einiger  Tiefenkarten  von  Fjordbuchten  zur  Verdeutlichung 
und  Ergänzung  der  bisherigen  Vorstellungen  von  den  untcrmeerischen 
Formen  der  Fjorde  wesentlich  beitragen  können. 

Der  Loch  Hourn  ist  eine  der  drei  Buchten,  die  sich  zum  Sleat- 
Sound  öffnen;  man  kann  ihn  als  den  oberen  Abschnitt  dieser  tiefen 
Meeresstrafse  auffassen.  Der  ganze  ungefähr  20  km  lange  Fjord  hat 
eine  Fläche  von  ungefähr  38  qkm;  er  zerfällt  in  zwei  Teile,  den 
breiten  eigentlichen  Loch  Hourn  und  den  inneren  sehr  schmalen  Loch 
Hourn  beg. 

Die  Skizze  und  der  Längsschnitt  zeigen,  dafs  sich  dieser  schmale 
Fjordarm  in  vier  gesonderte  Becken  teilt.  Vier  Erhebungen  von  nur 
t — 13  m Tiefe  trennen  die  Einsenkungen  von  18,  49,  38  und  49  m 
Tiefe.  Die  Schwellen  sind  mit  Sedimentmassen,  die  das  Fahrwasser 
sehr  verengen,  bedeckt;  auf  der  zweiten  ragt  eine  kleine  Felseninsel 
aus  dem  nur  10  m tiefen  Wasser  auf. 

Der  breitere  Fjordteil  ist  ein  einheitliches  Becken;  sehr  allmählich 
senkt  es  sich  zu  der  gröfsten  Tiefe  von  183  m,  die  gerade  im  Fjord- 
eingang liegt,  hinab.  Darauf  erhebt  der  Boden  sich  wieder  auf  etwas 
weniger  als  100  m Tiefe,  und  die  Fjordrinne  vereinigt  sich  mit  der 
des  Sleat-Sundes. 

Loch  Creran  und  Loch  Etive  sind  Seitenbuchten  des  Firth  of 
Lorn.  Der  erstere,  12,5  km  lang,  im  Mittel  1,15  km  breit,  hat  ungefähr 
14,4  qkm  Wasserfläche.  Eine  9 m unter  dem  Meeresspiegel  liegende 
Schwelle  sondert  ein  inneres  schmales  Becken  von  37  m Tiefe  von 
dem  breiteren  Hauptteil  des  Fjordes  ab.  Dieser  erreicht  in  sehr 
sanftem  Abstieg  die  Maximaltiefe  von  49  m und  steigt  dann  schnell 
zu  einer  Schwelle  auf,  die  zum  Teil,  im  Sgeir  Cailleach,  als  Klippen- 
reihe hervorragt,  zum  anderen  Teil  eine  Tiefe  von  nur  8 m aufweist. 
Durch  die  schon  fast  ganz  landfest  gewordene  Eriska-lnsel  verengt 
sich  nun  der  Fjord.  Die  Tiefe  übersteigt  nur  an  zwei  Stellen  10  m. 
Gerade  vor  der  Landzunge  stellt  eine  Erhebung  von  nur  7 m unter 
dem  Meeresspiegel  die  Eingangsschwelle  dar. 

Im  Loch  Etive  (31  km  lang,  0,97  km  breit,  30,1  qkm  grofs)  ist 
dagegen  der  innere  Teil  regelmäfsiger  gestaltet.  Die  gröfste  Tiefe  von 
über  130  m wird  in  allmählichem  Abstieg  von  13  km  Ifänge  erreicht. 

■)  Siehe  die  der  Arbeit  beigegebenen  Tafeln  4 und  5. 


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220 


P.  Dinse: 


Dann  erhebt  der  Boden  sich  sehr  viel  schneller  und  bildet  in  der 
durch  die  Halbinsel  Duranis  verengten  Stelle  eine  trennende  Schwelle 
von  nur  1 1 m Tiefe.  F.s  folgen  nun  mehrere  kleinere  Einsenkungen, 
die  aber  die  Tiefe  von  68  m nicht  übersteigen,  während  die  Erhebungen 
20  bis  24  m tief  liegen.  Vor  der  Mündung  tritt  die  Ledaig-Felsplatte 
gbgen  den  Fjord  vor  und  erzwingt  eine  bedeutende  Verengung  des 
Fahrwassers.  Hier  im  Connel-Sund  liegt  die  Eingangsschwelle  nur 
6 m unter  dem  Flutniveau.  Im  Eingang  selbst  findet  sich  vor  dem 
Ledaig  Point  eine  lokale  Einsenkung  von  42  m.  Bemerkenswert  ist 
auch,  wie  sich  die  Rinne  tieferen  Wassers  zwischen  Dunstaftnage  Point 
und  der  vorgelagerten  Insel  hindurch  gegen  den  Fjordeingang  hindrängt. 

Der  neuseeländische  George-Sund  (21,6  km  lang,  1,3  km  breit 
und  42,7  qkm  grofs)  ist  in  mehreren  Querreihen  sehr  gut  verlötet 
worden.  Kr  ist  eins  der  seltenen  einheitlichen  Fjordbecken.  Der 
Boden  sinkt  mit  zwei  sehr  geringen  Unterbrechungen  mit  nur  oc  37 ' 
zu  der  ausgedehnten  tiefsten  Fläche  herab;  der  tiefste  Punkt  ist 
nicht  bekannt,  da  die  Lotungen  bei  194  m abgebrochen  wurden. 
Der  Anstieg  ist  um  das  Dreifache  steiler.  Die  Schwelle  von  ungefähr 
70  m Tiefe  liegt  genau  im  Eingang  der  Bucht. 

Die  bedeutende  Tiefe  des  Fjordes  gestattete  eine  Darstellung  des 
Beckens  in  natürlichem  Verhältnis  der  Längen  und  Tiefen.  Die  kleinen 
Unebenheiten  des  Bodens  mufsten  natürlich  bei  dieser  Zeichnung  ver- 
schwinden. 

Die  beiden  Frofile  vom  Caswell-Sund  und  Doubtful- Sund  (Taf.  4, 
Abbild.  3 und  4)  stellen  die  extremsten  Typen  von  Fjordbecken  dar. 
Im  Caswell-Sund,  einem  der  regelmäfsigsten  Becken,  folgt  auf  einen 
sehr  sanften  Abfall  (1 0 12 ')  ein  aufserordentlich  steiler  Anstieg  (7°7')l 
im  Doubtful-Sund  sind  die  beiden  Becken,  in  die  der  Fjord  zerfallt, 
durch  einen  schnellen  Abstieg  und  einen  sehr  langsamen  Anstieg  aus- 
gezeichnet. 

Die  Darstellung  der  Tiefenverhältnisse  eines  Fjordbeckens  durch 
Profilzeichnung  ist  aber  überaus  unvorteilhaft,  weil  bei  der  meist 
grofsen  Länge  der  Fjorde  Längen  und  Tiefen  nicht  in  demselben  Ver- 
hältnis zu  zeichnen  sind.  Eine  fünfzehnfache  Überhöhung,  wie 
sie  in  den  als  Beispiele  dienenden,  im  Mafsstab  von  1 : 150000  ge- 
zeichneten Längsschnitten  durchweg  angewandt  ist,  ist  das  mindeste, 
wenn  man  die  Tiefenverhältnisse  einigermafsen  deutlich  hervortreten 
lassen  will.  Der  zweite  Durchschnitt  vom  George-Sund,  welcher  Längen 
und  Tiefen  im  natürlichen  Verhältnis  giebt,  wird  die  Notwendigkeit 
einer  Überhöhung  beweisen. 

Eine  jede  Überhöhung  erweckt  aber  falsche  Vorstellungen  von 
den  Neigungsverhältnissen  und  beeinträchtigt  die  Vergleichbarkeit  der 


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Die  Fjordbildungen. 


221 


Winkel.  Dieselben  werden  verzerrt,  und  zwar  die  kleineren  Winkel  in 
stärkerem  Mafs  als  die  gröfseren1).  Wo  es  sich  also  darum  handelt, 

l)  In  beifolgender  Abbildung  stelle  BC  die  zur  Länge  A C im  natürlichen  Ver- 
hältnis gezeichnete  Höhe,  CD  die  mfach  überhöhte  Höhe  dar. 

D 


Dann  ist  (p  der  wahre,  <px  der  durch  die  Überhöhung  vergrößerte  Neigungs- 
winkel und  <f  der  durch  die  Überhöhung  bewirkte  Zuschlagswinkel.  Aus  den 
beiden  Gleichungen: 

. . a -v  . . . ...  DC  m li  C 

tg^|  = 4-^)  und  tg(^  4-  d)  = oder  = 

ergiebt  sich  durch  eine  sehr  einfache  Rechnung  die  Gleichung: 

tg  0 -+-  tg  J _ m — i 

m tg  tp  = — — oder  nach  tg  if  aufgelöst:  tg  tf  = tg  <b r— — • 

i — tg^tgd  s s B m tg2^H-i 

Ist  nun  tp  ein  kleiner  Winkel,  tg  tp  also  eine  sehr  kleine  Zahl,  so  kann  m lg‘-  tp 
als  verschwindende  Größe  neben  i vernachlässigt  werden,  und  tg  ü ist  dann  ange- 
nähert = (m — i)tg^,  J also  ein  verhältnismäßig  großer  Winkel.  Wenn  dagegen 
<p  ein  großer  Winkel  ist,  so  daß  die  Vernachlässigung  von  m tg-  tp  gegen  i nicht 

mehr  statthaft  ist,  so  erhalten  wir:  tgd=tg<J&  - ** • Gegen  das  vorige 

« tgJ  tp  4-  i 

ist  der  Nenner  bedeutend  größer,  der  Wert  des  ganzen  Ausdrucks  also  beträchtlich 
kleiner.  Es  folgt,  daß  beu  einigermaßen  kleinem  <p  der  Zuschlagswinkel  J unver- 
hältnismäßig groß  ausfallt  gegenüber  dem  Fall  eines  großen  tp. 

Es  ergiebt  sich  daraus,  daß  bei  Anwendung  einer  Überhöhung  die  verschie- 
denen Winkel  einer  Zeichnung  nicht  vergleichbar  sind.  Durch  überhöhte  Zeichnung 
werden  nur  die  Tangenten  der  in  der  Zeichnung  und  der  in  der  Natur  auftretenden 
Winkel  in  einen  rationalen  Zusammenhang  gebracht;  die  Winkel  selbst  sind  durch 
transcendcnte  Funktionen  mit  einander  verbunden.  Die  richtige  Beurteilung  der- 
artiger Zeichnung  wird  aber  fast  unmöglich  gemacht,  sobald  — was  sich  oft  nicht 
vermeiden  lassen  wird  — zwei  verschiedene  Überhöhungsmafsstäbe  angewandt  sind. 
Die  verschiedenartig  verzerrten  Winkel  können  nur  dann  auf  einander  bezogen  werden, 
wenn  man  sie  beide  auf  die  natürliche  Größe  bringt,  also  gerade  die  Verhältnisse 
wiederherstellt,  die  man  durch  die  überhöhte  Zeichnung  verdeutlichen  wollte. 
Zeiuchr.  d.  GesclUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  15 


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■ 


Winkel  zu  vergleichen,  müssen  die  wahren  Verhältnisse  betrachtet 
werden.  Diese  lassen  sich  auch  bei  sehr  kleinen  Differenzen  durch 
Zahlen  leichter  darstellen  als  durch  die  Zeichnung.  Wir  setzen  also 
an  die  Stelle  der  letzteren  Zahlenwerte. 

In  der  am  Schlufs  des  Aufsatzes  beigegebenen  Tabelle  sind 
die  Gröfsen-  und  Tiefenverhältnisse  fast  aller  Fjorde  der  Erde,  in 
denen  systematische  Tötungen  vorgenommen  sind,  in  solchen  Zahlen- 
werten dargestellt.  Am  meisten  ist  das  schottische  Fjordgebiet  be- 
rücksichtigt worden,  weil  dort  sämtliche  Fjorde  so  trefflich  aus- 
gelotet sind,  dafs  es  möglich  ist,  für  jede  Bucht  die  Tiefenlinien  auf 
das  genaueste  zu  zeichnen.  Dagegen  sind  die  norwegischen  Beispiele 
minderwertig,  weil  die  dort  stets  nur  vorhandene  eine  Längsreihe  von 
Lotungen  keine  Gewifsheit  giebt,  dafs  die  Berechnung  stets  der  Linie 
gröfster  Tiefe  folgt.  Für  Irland  konnten  nur  wenige  Beispiele  ange- 
führt werden,  weil  hier  die  weit  vorgeschrittene  Versandung  der 
Buchten  die  eigentlichen  Fjordformen  verhüllt.  Grönland  mufste  fast 
ganz  vernachlässigt  werden.  Die  für  Labrador,  Neu-Fundland  und  Neu- 
Schottland  gegebenen  Zahlen  sind  wieder  durchaus  sicher.  Das  Fjord- 
gebiet von  Maine  blieb  unberücksichtigt,  weil  die  Verhältnisse  dort  zu 
unbedeutend  sind.  Es  mag  hier  auf  Remmers1  gute  Zusammenstellung 
verwiesen  werden.  Die  Angaben  aus  dem  kolumbischen  Gebiet  sind 
wieder  minderwertig,  weil  ihnen  zum  Teil  abgebrochene  Lotungen  zu 
Grunde  liegen.  Die  Fjordregion  von  Kerguelen  lieferte  vier  leidlich 
gute  Beispiele.  Von  den  dreizehn  neuseeländischen  Fjorden  endlich 
konnten  zwölf  sehr  gute  Werte  geben;  nur  im  Preservation-Sund  ver- 
hinderte die  Thatsache,  dafs  hier  die  Fjordmitte  nicht  verlötet  ist,  die 
Berechnung.  Sämtliche  Zahlen  sind  auf  das  genaueste  berechnet;  die 
Entfernungsangaben  sind  etwas  abgerundet,  doch  wurden  die  Winkel 
auf  Grund  der  unabgerundeten  Werte  ermittelt.  Meist  wird  es  möglich 
sein,  nach  diesen  Zahlenangaben  vollständig  genaue  Profile  zu  zeichnen; 
nur  in  einigen  wenigen  Fällen,  bei  denen  kein  tiefster  Punkt,  sondern 
nur  eine  tiefste  Fläche  festzustellen  war,  wurde  die  Längserstreckung 
derselben  in  der  Tabelle  nicht  berücksichtigt. 

Die  sowohl  für  Längen  wie  für  Tiefen  durchgeführte  Anwendung 
des  metrischen  Systems  erschien  geboten,  da  verschiedene  Werte  für 
Faden  zu  benutzen  waren.  Die  Berechnung  der  Längen  (Spalte  i) 
wurde  dadurch  etwas  erschwert,  dafs  der  Fjordanfang  selten  genau 
festgestellt  werden  kann.  Die  sogenannte  Eingangsschwelle  war  in 
keinem  Fall  maßgebend.  In  der  Regel  ist  der  Fjord  bis  zur  Verbin- 
dungslinie der  festländischen  Vorgebirge  oder  bis  zu  den  äufsersten  Spitzen 
der  die  Fjordwände  darstellenden  gröfseren  Inseln  gerechnet  worden. 

Uber  die  Breitenangaben  (Spalte  2)  ist  bereitsdas  Nötige  gesagt  worden. 


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Die  Fjordbildungen. 


223 


Die  folgenden  acht  Spalten  (3 — 10)  sollen  die  Tiefenverhältnisse 
und  die  Form  der  Fjordbecken  verdeutlichen.  Die  ersten  vier  Spalten 
(3  - 6)  geben  die  Zahlen  für  die  ganzen  gröfseren  Fjordbecken  (Becken 
I.  Ordnung).  Die  erste  und  dritte  Zahlenreihe  in  Spalte  3 geben  die 
Entfernungen  vom  inneren  Fjordabschlufs  bis  zur  Beckentiefe  und  von 
dieser  bis  zur  Ausgangstiefe  an,  die  beiden  anderen  (fett  gedruckten) 
Zahlen  die  gröfste  Tiefe  und  die  Tiefe  der  Eingangsschwelle  bzw.  des 
Vormeeres.  Spalte  4 und  5 enthalten  die  mittleren  Neigungswinkel  des 
Abstiegs  und  Anstiegs  des  F'jordbodens,  Spalte  6 die  Angabe  des  Verhält- 
nisses der  Längen  des  Abstiegs  und  des  Anstiegs.  Zerfällt  ein  Fjord  durch 
höher  aufsteigende  Schwellen  in  Teilbecken  (Becken  11.  Ordnung),  so 
finden  sich  für  diese  die  Angaben  in  den  Spalten  7 bis  ro  in  gleicher 
Anordnung.  Auch  die  Werte  für  kleine  Seitenfjorde  sind  hier  eingestellt. 

Spalte  11  giebt  die  Tiefen  der  Eingangsschwellen  bzw.  die  des 
Vormeeres  an1). 

')  Über  die  Art  der  Berechnung  der  Zahlen  und  Werte  fiir  die  Neigungs- 
winkel und  die  Längen  Verhältnisse  benötigt  es  noch  einiger  Worte. 

Je  nach  der  Anzahl  der  zu  verwendenden  Lotungen  stellt  sich  im  Längsschnitt 
der  Abstieg  und  Anstieg  eines  Fjordbeckens  als  mehr  oder  weniger  gebrochene  Linie 
dar.  Es  wechseln  Strecken  von  sehr  verschiedener  Neigung.  Zum  Zweck  der  Ver- 
gleichung bedarf  man  aber  eines  Mittelwertes.  Nun  erhält  man  einen  solchen  einmal 
dadurch , dafs  man  die  Gröfee  der  verschiedenen  Neigungen  nach  ihrem  Gewicht 
berücksichtigt.  Haben  wir  (Abbild.  2)  auf  die  Länge  <z,  eine  Neigung  von  m auf  1 km, 


Abbild.  2 

auf  die  Länge  u,  eine  solche  von  n auf  1 km,  so  ergäbe  sich  eine  mittlere  Neigung 

a.  m a,  n h.  h.,  . 

von  - — • Da  nun  r«  = , «=  ist,  so  folgt: 

at+  <h  a\  ai 

a,  m + fl.,  n A,  -f-  h, 
a,  +a,  a,  + a, 

oder  die  mittlere  Neigung  ist  gleich  dem  Quotienten  der  Beckentiefe  und  der  Ent- 
fernung des  tiefsten  Punktes  vom  Anfang  des  Beckens.  Im  Prohl  stellt  sich  die 
mittlere  Neigung  durch  die  Verbindungslinie  der  Schwellenhöhc  und  Beckentiefe  dar. 

15* 


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224 


P.  Din  sc: 


Die  tabellarische  Zusammenstellung  aller  dieser  Werte  und  die  zu 
diesem  Zweck  notwendige  genaue  Musterung  aller  Seekarten  der 


Eine  andere  Methode,  derjenigen  analog,  welche  zur  Berechnung  meteorologischer 
Mittelwerte  benutzt  wird,  ist  die  Verwandlung  der  durch  die  gebrochene  Linie  und  die 
beiden  Koordinaten  begrenzten  Figur  in  ein  flächengleiches  rechtwinkliges  Dreieck,  aus 
dem  man  dann  durch  Division  der  Katheten  einen  Wert  für  die  mittlere  Neigung  erhält. 

Welcher  von  diesen  Berechnungsarten  für  unsere  Zwecke  der  Vorzug  zu  geben 
sei,  ist  wohl  kaum  zu  entscheiden.  Die  durch  die  erstere  berechneten  Winkelwerte 
sind  in  der  Regel  gröfser  als  die  Resultate  der  zweiten  Methode;  nur  in  den 
seltenen  Fällen,  wo  auf  eine  gröfsere  Strecke  geringer  Neigung  eine  kleine  Strecke 
steilen  Abfalls  oder  Anstiegs  folgt,  wie  z.  B.  beim  neuseeländischen  Doubtful-Sund 
(Tafel  4 Abb.  4),  sind  die  letzteren  grofser  als  die  ersteren.  In  unserer  Tabelle 
sind  durchweg  die  einfacher  zu  findenden  Werte  der  ersten  Berechnungsart  angegeben. 
Da  die  späteren  theoretischen  Erörterungen  besonders  Gewicht  auf  die  geringe  Größe 
der  berechneten  Neigungswinkel  legen,  so  können  die  Schlüsse  durch  die  Thatsache» 
dafs  meist  die  größeren  Mittelwerte  benutzt  sind,  nur  bekräftigt  werden.  Die  Winkel - 
werte  wurden  berechnet,  weil  nach  dem  subjektiven  Empfinden  des  Verfassers  dieselben 
eine  bessere  Vorstellung  zu  geben  vermögen  als  die  Angabe  der  Neigungszahlen. 

Bei  der  Feststellung  des  Verhältnisses  der  Abstiegs-  und  Aufstiegslängen  er- 
schien es  nicht  angängig,  die  auf  den  Karten  abzumessenden  Entfernungen  direkt 
zu  vergleichen.  Die  Tiefenzahlen,  welche  die  Lage  der  drei  in  Betracht  kommen- 
den Punkte  angeben,  stehen  nicht  unter  gleichen  Verhältnissen.  Die  zu  ihnen  ge- 
hörigen Höhen  sind  nicht  die  gleichen,  während  cs  hier  doch  darauf  ankommt,  das 
Verhältnis  der  Strecken  zu  ermitteln,  die  zu  gleichen  Höhen  führen.  Man  mufste 
also  die  Becken  vervollständigen  und  annehmen,  dafs  dieselben  insofern  regelmäßig 
seien,  als  die  Schwelle  wieder  den  Wasserspiegel  bzw.  die  Höhe  der  voran- 
gegangenen oder  folgenden  Schwelle  erreiche.  Es  ergiebt  sich  aber,  dafs  eine 
derartige  schematische  Vervollständigung,  wie  sie  in  der  Abbild.  3 angegeben  ist,  un- 


Abbild.  3. 

nötig  ist.  Die  zu  bestimmende  Größe  ist  — -- — -.  Es  ist  identisch: 

a,  -F  d 

fl,  : a,  + rf — . - 1 oder  nach  der  Figur  ctg  a,  : ctg  a„. 

n}  A, 

Da  die  Kotangenten  die  reziproken  Werte  der  Tangenten  sind,  so  verhält  sich 
«i  : öj  •+■  d = tg  at : tga,.  Es  bedarf  also  nur  einer  Vergleichung  der  Tangenten 
der  bekannten  Neigungswinkel. 


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Die  Fjordbildungen. 


225 


Fjordgebiete  hat  nun  zu  einigen  Ergebnissen  geführt,  die  wohl  hervor- 
hebenswert sind. 

Länge  und  Breite  der  Fjorde  stehen  in  keinem  Abhängigkeits- 
verhältnis. Viele  der  langen  Fjorde  sind  aufserordentlich  schmal, 
während  dagegen  manche  kleine  Buchten  sich  durch  auffallende  Breite 
auszeichnen.  Auch  über  das  Verhältnis  von  Länge  und  Tiefe  ist  wenig 
zu  sagen.  In  der  Regel  sind  die  längsten  Fjorde  auch  die  tiefsten 
(Sogne-Ardals- Fjord  r87  km  1242  m;  Hardanger-Fjord  156  km  800  m; 
Nord-Fjord  120km  564m;  Knight  Inlet  114km  231m).  Ein  regel- 
mäfsiges  Zunehmen  der  Tiefe  mit  der  Länge  ist  aber  keineswegs  zu 
beobachten.  Im  Gegenteil  sind  sogar  innerhalb  einer  Gruppe  von 
Fjorden  oft  kleinere  Fjorde  tiefer  als  die  gröfseren.  So  ist  z.  B.  der 
der  Gröfee  nach  neunte  Fjord  Neu-Seelands,  der  Milford -Sund,  mit 
392  m einer  der  tiefsten.  Ebenso  ist  ein  Zusammenhang  zwischen  Breite 
und  Tiefe,  was  die  Fjorde  als  Ganzes  anbelangt,  nicht  nachzuweisen. 
Betrachtet  man  jedoch  die  Fjordbucht  in  ihren  einzelnen  Teilen,  so  läfst 
sich  als  Regel  hinstellen,  dafs  die  Verbreiterungen  des  Fjordthals 
seichter  sind  als  die  Verengungen  desselben.  Besonders  deutlich  tritt 
dies  hervor,  wenn  eine  gröfsere  Felseninsel  das  Fjordthal  teilt.  Im 
Howe -Sund  liegt  die  gröfsere  Anvil -Island.  Vor  ihr  verbreitert  sich 
der  bis  dahin  3,5  km  breite  Fjord  auf  7,6  km,  während  in  den  durch 
die  Insel  gebildeten  Engen  die  Breite  nur  1,7  km  beträgt.  In  der  Er- 
weiterung ist  der  Fjord  174  m,  in  den  Verengungen  234  und  212  m 
tief.  Diese  Beobachtung  trifft  aber  nur  dann  zu,  wenn  man  die  Fjorde 
als  Schluchten  von  einer  Thalwand  hinüber  zur  anderen  betrachtet. 
Fafst  man  hingegen  den  Fjord  als  Wasserstrafse  auf  und  betrachtet 
seine  Formen  auf  Karten,  die,  wie  die  unseren,  nicht  den  Verlauf  der 
steilwandigen  Thalabhänge,  sondern  nur  den  Zug  der  mit  Wasser  be- 
deckten Thalbodenteile  geben,  so  kommt  man  zu  einer  genau  entgegen- 
gesetzten Beobachtung.  Die  Verbreiterungen  der  Wasserstrafse  sind 
stets  tief,  die  Verengungen  stets  seicht. 

Mündet  ein  Seitenarm  in  den  Hauptfjord,  so  entsteht  dadurch  in 
der  Regel  eine  seeartige  Erweiterung  der  Wasserstrafse.  Stets  nehmen 
dann  die  Tiefen  des  Haupt-Fjordes  zu.  Die  Vereinigung  des  Lyster- 
und  Aardals-Fjordes  erhöht  das  Mafs  der  Tiefe  des  Sogne-Fjordes  von 
641  m auf  929  m,  also  um  288  m.  Die  Mündung  des  Aurland-Fjordes 
führt  eine  Vertiefung  von  49  m,  die  des  Sogndal-Fjordes  eine  solche 
von  56  m,  die  des  Fjaerland-Fjordes  eine  gleiche  von  131  m herbei. 
Nach  Aufnahme  aller  oberen  Seitenarme  behält  der  Sogne-Fjord  auf 
eine  Erstreckung  von  58  km  die  aufserordentlich  grofse  Tiefe  von  Uber 
1220  m bei. 

Der  Sogndals-Fjord  sinkt  erst  nach  der  Einmündung  des  Baches 


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•226 


P.  Dinse: 


des  eigentlichen  Sogndals  auf  280  m hinab.  Im  Hardanger  Fjord  ist 
gerade  vor  der  Einmündung  des  Fjordes  von  Odde  eine  lokale  Ein- 
senkung von  66  m zu  bemerken. 

Der  Nord-Fjord  erhält  erst  nach  der  Vereinigung  des  Ejds-Fjordes 
mit  dem  bisher  verschieden  benannten  südlichen  Hauptarm  die  Tiefe 
von  564*  ni.  Im  Varanger-Fjord  findet  sich  die  gröfste  Tiefe  auch  an 
der  Stelle,  wo  er  an  der  Südseite  einige  Seitenarme  aussendet. 

Der  Breaksea-Sund  in  Neil-Seeland  erreicht  erst  nach  der  Vereini- 
gung des  Vancouver-  und  Broughton-Armes  die  Tiefe  von  520  m. 

Man  könnte  Beispiele  für  diese  Erscheinung  aufserordentlich  häufen. 
Zum  Beweis  der  Thatsache,  dafs  Verengungen  der  Wasserstrafse  in  der 
Regel  seicht  sind,  möchte  ich  auf  die  beigegebenen  Kartenskizzen  (Tafel 
4 u.  5)  verweisen.  Sowohl  im  Loch  Hourn,  wie  im  Loch  Creran  und 
Loch  Etive  sind  die  schmälsten  Stellen  des  Fjord  fahrwassers  auch 
die  flachsten.  Da  das  Eingehen  auf  die  Theorie  hier  vermieden  bleiben 
soll,  so  mufs  die  Erklärung  dieser  Thatsache  späterer  Erörterung  Vor- 
behalten sein. 

ln  scharfen  Biegungen  des  Fjordthaies  finden  sich  die  tiefsten 
Stellen  meist  am  schwächer  gekrümmten  Ufer. 

Die  tabellarische  Zusammenstellung  zeigt  aufs  deutlichste,  dafs  nur 
eine  geringe  Minderzahl  von  Fjorden  einheitliche  regelmäfsige  Becken- 
form haben.  Bei  sehr  vielen  von  ihnen  würde  eine  bessere  Auslotung 
ebenfalls  noch  kleinere  Teilbecken  unterscheiden  lassen.  Die  meisten 
Fjorde  bestehen  aus  mehreren  sekundären  Becken,  die  durch  Er- 
hebungen von  einander  getrennt  sind.  Bei  einzelnen  Buchten  war  es 
sogar  nicht  einmal  möglich,  ein  Becken  I.  Ordnung  ohne  Willkür 
hervorzuheben;  diese  bestehen  aus  einer  Kette  nahezu  gleich  tiefer 
Einsenkungen. 

Die  Schwellen  eines  Fjordes  zeigen  nichts  Gesetzmäfsiges.  Es 
giebt  Fjorde,  in  denen  die  Schwellentiefe  gegen  den  Ausgang  hin 
zunimmt,  in  anderen  liegen  die  inneren  Schwellen  tiefer  unter  dem 
Meeresspiegel  als  die  Eingangsschwelle  der  Bucht.  Auch  die  Becken- 
tiefen eines  Fjordes  sind  meist  sehr  verschieden;  eine  Abnahme  nach 
aufsen  ist  häufig,  aber  nicht  die  Regel. 

Was  nun  die  Neigungswinkel  anbelangt,  so  leuchtet  ein,  dafs  die- 
selben bei  den  gröfseren  Becken,  soweit  sie  thatsächlich  einheitlich 
sind,  äufserst  gering  sind.  Die  gröfseren  Fjorde  sind  durchweg  sehr 
flache  Einsenkungen.  Es  ist  besonders  hervorzuheben,  dafs  selbst  im 
Sogne-Fjord  trotz  der  grofsen  Tiefe  von  1242  m der  Neigungswinkel 
des  Beckenabstiegs  nur  o°  39',  des  Anstiegs  1°  2'  beträgt.  In  der  Regel 
halten  sich  die  Werte  für  ersteren  in  den  Grenzen  von  o°  30'  bis  i°3o’, 
für  letzteren  in  denen  von  i°  30'  bis  20  30'.  So  starke  Neigungen,  wie 


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Die  Fjordbildunpen. 


227 


wir  sie  beispielsweise  im  Caswell-Sund  (70  7')  und  im  Nancy -Sund 
(63  54r)  finden,  sind  Seltenheiten.  Die  Neigungswinkel  der  kleineren 
Teilbecken  sind  dagegen  häufig  bedeutend  gröfser.  Winkel  von  3 bis  6° 
kommen  mehrfach  vor,  ja  in  einem  irischen  Lough,  dem  Sligo  Harbour, 
wird  sogar  ein  Maximum  von  35 0 24'  für  den  Abstieg  erreicht.  Die 
stärksten  Neigungen  weisen  meist  die  kleinen  im  äufsersten  Hintergrund 
der  Fjorde  liegenden  Becken  auf. 

Die  Vergleichung  der  Winkelwerte  lehrt,  dafs  meist  die  Abstiegs- 
winkel kleiner  sind  als  die  Anstiegswinkel.  Zu  dem  gleichen  Ergebnis 
führt  die  Vergleichung  der  Abstiegs-  und  Anstiegslängen.  Eine  Gesetz- 
mäfsigkeit  der  Form  der  Fjordbecken  ist  allerdings  nicht  festzustellen. 
In  163  von  den  208  Beispielen  unserer  Tabelle  liegt  die  gröfste  Tiefe 
dem  Fjordausgang  oder  der  das  Becken  abschliefsenden  Boden- 
anschwellung näher  als  dem  inneren  Fjord-  bzw.  Beckenanfang.  In 
den  übrigen  45  Fällen  ist  das  Gegenteil  zu  beobachten,  und  es  finden 
sich  sogar  einzelne  Beispiele  sehr  schnellen  Abstiegs  und  langsamen 
Aufstiegs  (Doubtful-Sund,  Call  Creek,  Loch  Torridon,  Sligo  Harbour). 
Die  Zusammenstellung  der  Tiefen  der  Eingangsschwellen  zeigt  eine 
sehr  bedeutende  Verschiedenheit.  Selbst  in  eng  begrenzten  Teilen 
eines  Fjordgebietes  ist  eine  Übereinstimmung  der  Eingangstiefen  be- 
nachbarter Fjorde  nicht  zu  bemerken.  Wenn  hier  die  Bezeichnung 
Eingangsschwelle  übernommen  ist,  so  soll  damit  keineswegs  gesagt 
w'erden,  dafs  die  angeführten  Erhebungen  stets  genau  im  Eingang  der 
F'jordbucht  liegen.  Häufig  liegen  dieselben  vielmehr  im  Inneren  der- 
selben, während  im  Eingang  eine  Vertiefung  zu  finden  ist.  Falls  die 
angegebene  Zahl  nicht  die  Tiefe  des  Vormeeres  anzeigt,  was  in  der 
Regel  zutrifft,  bezeichnet  sie  nur  die  dem  offenen  Meer  nächste  Er- 
hebung des  Fjordbodens.  Aus  den  Angaben  der  Entfernungen  ist  in 
jedem  Fall  die  Lage  derselben  im  Fjord  und  vor  demselben  leicht  zu 
berechnen. 

Auf  die  Frage,  woraus  diese  überall  nachzuweisenden  Erhebungen 
in  den  Fjordbecken,  die  Schwellen  am  Eingang  der  Fjordeinschnitte 
bestehen,  näher  einzugehen,  ist  an  dieser  Stelle  unangebracht.  Es 
wäre  dabei  ein  Eingehen  auf  die  Theorien  unabweisbar.  Erwähnt  aber 
mag  auch  hier  schon  werden,  dafs,  soweit  Beobachtungen  angestellt 
worden  sind , Aufsen-  und  Binnenschwellen  aus  anstehendem  Gestein 
bestehend  gefunden  sind. 

Die  früher  geschilderte  Steilheit  der  Fjordwände  über  dem  W'asser 
setzt  sich  auch  unter  dem  Wasserspiegel  fort.  Vibe  fand  beim  Angeln 
40 — 50  m vom  Ufer  mit  einer  Leine  von  150  m keinen  Grund  mehr1); 

*)  Vibe  a.  a.  O.  S.  9 Am.  1. 


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228 


P.  Dinse: 


es  weist  dies  auf  einen  Böschungswinkel  von  ungefähr  720  hin.  Im 
Franz  Josefs-Fjord  konnte  die  „Germania“  dicht  am  Land  mit  über 
180  m keinen  Ankergrund  finden1).  Vogt  erzählte  von  seiner  Nord- 
landsfahrt, dafs  nach  Einlaufen  in  den  Fjord  von  Bergen  das  Schiff 
so  dicht  an  das  Ufer  heranfahren  konnte,  dafs  die  Reisenden  vom 
Bordrand  an  das  felsige  Gestade  zu  springen  vermochten*),  und  Dana5) 
berichtet  von  Kolumbia,  dafs  ein  in  den  Fjord  einsegelndes  Schiff 
eher  mit  den  Raen  den  Pallisadcnwall  der  F'ichten  als  mit  dem  Kiel 
den  Boden  berühre. 

Genauere  Querschnitte  von  Fjorden  zu  zeichnen,  ist  überall  da 
unmöglich,  wo  wir  nur  eine  Tiefenzah!  in  der  Mitte  des  Fjordes  be- 
sitzen. Profile  würden  in  diesem  Fall  nur  insofern  Wert  haben,  als 
sie  das  Verhältnis  der  überragenden  Höhen  zu  der  Fjordtiefe  versinn- 
bildlichten. Doch  möge  immerhin  bemerkt  werden , dafs  die  mittlere 
Neigung  der  untermeerischen  F'jordwände  im  Lyse-Fjord  bei  428  m 
Tiefe  37!°,  im  Hardanger-Fjord  bei  800  m etwas  über  25“,  im  Sogne- 
Fjord  an  der  tiefsten  Stelle  auf  der  Nordseite  28!  °,  auf  der  Südseite 
fast  340  beträgt. 

Wo  die  Seekarten  jedoch  eine  Reihe  von  Lotungen  quer  über  den 
Fjord  aufweisen,  ist  es  leicht,  auch  gute  Querschnitte  herzustellen.  Auf 
Tafel  6 sind  einige  solcher  nach  guten  Lotungen  gezeichneten  Quer- 
schnitte zusammengestellt.  Alle  diese  Beispiele  vom  George -Sund, 
vom  Loch  Hourn,  vom  Nord-Fjord  und  die  nach  Jensen’s  Lotungen 
gezeichneten  Querprofile  durch  den  Fiske-  und  Sermilik-Fjord*)  ebenso 
wie  unsere  genauen  Tiefenkarten  auf  Tafel  4 und  5 bestätigen  eine 
Trogform  der  Fjorde  im  Querschnitt.  Die  Wände  fallen  steil  zur 
Tiefe  ein,  aber  der  eigentliche  Fjordboden  ist  nur  wenig  geneigt  und 
eben'’).  Die  einfache  Trogform  ist  die  Regel;  nicht  selten  weist  aber 
auch  der  Querschnitt  gewisse  Unregelmäfsigkeiten  auf.  Zuweilen 
scheidet  ein  untermeerischer  Rücken  den  Fjord  in  zwei  parallele 
Rinnen.  Ragt  dieser  Rücken  aus  dem  Wasser  heraus,  so  entstehen 
die  Inselreihen,  die  so  häufig  das  Fjordfahrwasser  teilen. 


*)  Die  zweite  deutsche  Nordpolarfahrt  II,  S.  665. 

2)  C.  Vo  gt , Nordfahrt  S.  19. 

s)  Dana,  American  Journal  of  Science  Ser.  II  7,  1849,  S.  379. 

4)  Meddelelser  om  Grönland  I,  S.  31  und  33. 

5)  Vgl.  auch  das  Blatt:  Profiler  til  Fiskekartet  over  Vestfjorden.  1869.  — 

Auch  bei  den  Querschnitten  entstellt  die  leider  nötig  gewesene  (fünffache)  Über- 
höhung das  Bild  und  erweckt  übertriebene  Vorstellungen  von  der  Steilheit  der 
Seitenwände.  Aus  diesem  Grunde  sind  bei  den  drei  Profilen  vom  Nord-Fjord  in 
die  überhöhte  Zeichnung  die  wahren  Neigungswinkel  eingetragen  worden. 


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Die  Fjordbildnngen. 


229 


Bei  den  acht  Profilen  der  grönländischen  Fjorde  (Tafel  6,  Abb.  4 
und  5)  verdient  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  wie  verschieden 
die  Formen  des  Fjordes  im  Querschnitt  an  nahe  aneinander  liegenden 
Uferpunkten  sein  können. 

4.  Die  über-  und  untermeerischen  Fortsetzungen 
der  F'jorde. 

Die  meisten  Fjorde  werden  in  ihrem  inneren  Ende  von  tlber- 
meerischen  Gebirgsthälern  fortgesetzt,  die  gewöhnlich  mit  ziemlicher 
Steilheit  sich  in  die  höheren  Gebirgsteile  erheben.  Diese  Thäler 
stimmen  in  allen  Einzelheiten  ihrer  Formen  mit  denen  der  sich  an  sie 
anschliefsenden  meererfiillten  Fjordbuchten  überein.  Einmal  finden 
wir  in  ihnen  dieselben  steilen  Abhänge;  nur  wird  häufig  der  Übergang 
von  den  steilwandigen  Felsabstürzen  zu  der  flachen  Sohle  des  Thaies 
durch  Schuttkegel  gemildert.  Am  auffälligsten  ist  die  Übereinstimmung 
im  Längsschnitt.  In  den  meisten  F'ällen  erhebt  sich  der  Thalboden 
vom  Ende  des  Fjordes  ab  in  mehreren  Terrassen.  Diese  Thalstufen 
sind  aber  nicht  wie  in  unseren  Alpenthälern  flach  sich  ausbreitende 
Thalböden,  sondern  in  der  Regel  liegen  in  allen  Thälern,  wie  Perlen 
aneinander  gereiht,  langgestreckte  Binnenseen,  die  wie  die  F'jorde  die 
ganze  Breite  und  häufig  auch  die  ganze  Länge  des  Thaies  ausfüilen, 
so  dafs  es  keinen  eigentlichen  F'lufs,  sondern  nur  eine  Reihe  von  Seen 
mit  dazwischen  liegenden  Kaskaden  und  Stromschnellen  giebt.  Zu- 
weilen findet  man  diese  Seen  hinter  einem  Wall  von  Geschiebemassen, 
hinter  einer  Moräne.  In  diesem  F'all  erhebt  sich  dann  der  Thalboden 
in  der  Gestalt  mehrerer  niedriger  Stufen  zur  Höhe  der  Moräne,  und 
man  hat  dann  von  dieser  zu  dem  tiefer  liegenden  Seespiegel  hinabzu- 
steigen. Weitaus  häufiger  jedoch  liegen  die  Seen  nur  hinter  einer 
Flrhebung  des  festen  Thalgrundes,  welche  die  Höhe  der  folgenden 
Thalterrasse  bestimmt.  Viele  dieser  Seen  sind  durch  bedeutende  Tiefen 
ausgezeichnet  und  reichen  oft  Hunderte  von  Metern  unter  den  Fjord- 
spiegel.  Der  Hornindalenvand  in  der  Verlängerung  des  Ejds-Fjordes 
erreicht  eine  Tiefe  von  486  m;  da  er  54  m Uber  dem  Meer  liegt,  so 
geht  er  bis  in  eine  Tiefe  von  432  m unter  das  Meeresniveau  hinab. 
Ähnliche  Tiefen  weisen  der  Bredeinsvand,  der  Aardalsvand  und 
andere  auf1). 

Legt  man  nun  einen  Längsschnitt  durch  ein  solches  Thal,  so 
wiederholt  das  Profil  genau  die  in  den  Fjordprofilen  beobachtete  Form. 
Den  Binnenbecken  der  Fjorde  entsprechen  die  Einsenkungen  der  Seen, 
den  Schwellen  die  absperrenden  Thalriegel  oder  die  aufstauenden 

')  A.  Heiland,  On  the  Ijords,  lakes  and  cirques  in  Norway  and  Greenland. 
Quart.  Journ.  of  the  Geolog.  Soc.,  Vol.  33,  S.  169. 


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230 


P.  Dinse: 


Moränenwälle.  Solche  Thäler  sind  eben  Fjordthäler,  die  Seen  land- 
einwärts gerückte  Fjorde.  Man  könnte  sie  als  eine  dritte  Gruppe,  als 
beiderseitig  geschlossene  Fjorde,  den  beiden  anderen  zur  Seite  stellen. 

Die  Erforschung  der  Fjordseen  ist  zur  Zeit  noch  so  wenig  weit 
vorgeschritten,  dafs  ein  Studium  der  Formen  derselben  noch  aus- 
geschlossen bleibt.  Nur  in  Schottland  hat  die  Landesaufnahme  auch 
zur  Auslotung  von  Binnenseen  in  der  Fjordregion  geführt.  Hier  hat 
sich  nun  ein  weiteres  Moment  der  Ähnlichkeit  zwischen  Fjorden  und 
Fjordseen  ergeben.  Auch  die  Seen,  als  Becken  I.  Ordnung,  werden 
durch  aufsteigende  Schwellen  in  mehrere  untergeordnete  Becken  ge- 
teilt. ln  Perthshire  liegen  im  Flufsgebiet  des  Tay  und  Earn  vier  Seen, 
die  I.ochs  Rannoch,  Thtimmel,  Tay  und  Earn1).  Finden  wir  sie  auch 
nicht  in  den  Thalfortsetzungen  westlicher  Saltwaterlochs,  so  entsprechen 
sie  doch  ganz  den  Fjordseen  auf  der  Westseite.  Sie  sind  ebenso 
schmal  wie  diese,  o, 8—1,2  m breit,  von  steilen  Wänden  umgeben  und 
von  bedeutender  Tiefe.  Der  Loch  Rannoch  ist  128  m,  der  Loch  Tay 
156  m,  der  Loch  Earn  88  m tief;  Loch  Tay  reicht  50  m unter  den 
Meeresspiegel  hinab.  Im  Loch  Rannoch  verhält  sich  der  westliche  Abstieg 
zum  östlichen  Anstieg  w’ie  10,3  147,4,  im  Loch  Tay  wie  10,4:17,3.  Im 
Loch  Rannoch  unterbricht  den  sehr  sanften  Anstieg  nach  Westen  eine 
Schwelle  von  10  m Tiefe  und  sondert  so  ein  kleines  Becken  von  25  m 
Tiefe  gerade  vor  der  Mündung  des  Ericht  ab.  Im  Loch  Tay  liegt 
eine  Erhebung  von  82  m unter  dem  Seespiegel  zwischen  zwei  Einsen- 
kungen von  156  und  92  m Tiefe.  Der  Loch  Thummel  endlich  zerfallt 
durch  zwei  Schwellen  von  15  und  16  m Tiefe  in  drei  Becken  von  38, 
36  und  30  m unter  dem  Seespiegel. 

In  dem  westlichen  Fjordgebiet  entspricht  der  Loch  Awe  auch  in 
seiner  Richtung  den  Ktistenfjorden.  In  seinem  östlichen  Teil,  also  von 
der  Einmündung  des  Urchay  River  bis  zur  Ecke  Innis  Chonain  und 
dann  nordwestlich  bis  zur  Mitte  des  engen  Brander-Passes,  stellt  der 
See  ein  Becken  von  55  — 71  m Tiefe  dar.  Dann  erhebt  sich  eine  Schwelle 
auf  16  m Tiefe,  aber  kurz  darauf  sinkt  der  Boden  wieder  auf  38  m, 
gerade  dort,  wo  der  Abflufs  des  Lochan  an  Cuaig  in  die  enge  Wasser- 
strafse  einmündet.  Der  Awe-Flufs  stürzt  dann  in  Fällen  zum  Loch 
Etive  hinab.  Eine  inselbesetzte  Schwelle,  die  an  den  drei  tiefsten 
Punkten  7,  29  und  31  m tief  ist,  trennt  von  diesem  östlichen  Teil  den 
westlichen  Arm  des  Sees.  In  ihm  kann  man  drei  Becken  von  49, 
62  und  93  m hinter  Schwellen  von  27  m unter  dem  Spiegel  des  Lochs 
unterscheiden. 

*)  J.  S G.  Wilson,  A bathymetrical  survey  of  the  chief  Perthshire  lochs, 
Scot.  Geogr.  Mag.  1888,  S.  151(1. 


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Die  l'jordbildungen. 


231 


Die  Seen  in  der  Fortsetzung  der  Fjorde  sind  für  diese  insofern 
von  Wichtigkeit,  als  durch  sie  die  Ausfüllung  der  Fjorde  mit  den 
Sedimentmassen  der  Flüsse  für  die  nächste  Zukunft  verhindert  wird. 
Die  Fjordseen  sind  die  Klärungsbassins  der  Gebirgsgewässer;  in  ihnen 
lagern  Bäche  und  Flüsse  ihre  Schwemmstoffe  ab,  so  dafs  sie  dann  in 
den  Fjord  selbst  völlig  rein  einmünden.  Alle  Fjorde,  die  des  Schutzes 
eines  Binnensees  stets  entbehrt  haben,  oder  deren  Schutzseen  im  Lauf 
der  Jahrtausende  zu  Mooren  umgewandelt  sind,  sind  in  ihren  innersten 
Teilen  flach,  versandet  und  sumpfig  und  gehen  dadurch  der  Ausfüllung 
entgegen.  Die  nördlichen  Fjorde  Schottlands,  die  irischen  I.oughs,  die 
Fjorde  von  Maine  verdanken  diesem  Umstand  ihre  geringe  Tiefe.  Wie 
schnell  der  Versandungsprozefs  vor  sich  gehen  kann,  zeigt  in  letzterem 
Gebiet  ein  Vergleich  älterer  und  neuerer  Karten1).  So  wies  im  Jahr 
1862  der  Fjord  Robin  Hood  Cove  mehrere  48  m tiefe  Becken  auf, 
heute  ist  er  bis  auf  1 — 2 m versandet.  Die  Becken  in  der  Fjordstrafsc 
Rack  River  zeigen  heute  2— 4 m Tiefe,  wo  1862  Einsenkungen  von  45 
bis  60  m lagen.  Der  irische  Sligo  Harbour,  den  wir  schon  mehrfach 
erwähnten,  ist  eins  der  besten  Beispiele  für  einen  dem  Untergang  ent- 
gegengehenden  Fjord.  Er  war  einst  ein  typischer,  über  1 1 km  langer, 
0,5  — 2,5  km  breiter  Fjord,  der  sehr  bedeutende  Tiefen  aufwies.  Heute 
ist  er  so  versandet,  dafs  aufser  einer  schmalen,  zwischen  7 und  42  m 
Tiefe  wechselnden  Rinne  die  ganze  Bucht  bei  Niedrigwasser  H — 2 m 
über  dem  Meeresniveau  liegt.  Im  Eingang  bei  der  Oester- Insel  er- 
innert nur  noch  die  Einsenkung  von  143  m an  die  einstigen  grofsen 
Tiefen.  Ist  die  Eingangsschwelle  eines  Fjordes  sehr  seicht , so 
kann  bei  geringer  Gezeitenwirkung  durch  Aufhäufung  von  losem 
Material  der  ganze  Fjord  abgeschnürt  und  zu  einem  Freshwaterloch 
werden. 

Trotz  schützender  Fjordsecn  kann  die  Ausfüllung  dennoch  vor 
sich  gehen,  wenn  der  Flufs,  nachdem  er  den  See  verlassen,  Gelegen- 
heit findet,  neue  Sedimentmassen  aufzunehmen.  Der  innerste  Teil  des 
Fjordes  von  Odde  ist  von  sehr  geringer  Tiefe,  weil  der  Abflufs  des 
Sandvenvand  stetig  Teile  der  den  See  aufstauenden  Moräne,  über  die 
er  in  ansehnlichen  Fällen  hinströmt,  in  dem  Sör-Fjord  ablagert.  Der 
Schlamm,  der  den  Pudde-Fjord  fast  erfüllt,  ist  die  Ablagerung  der 
Produkte,  die  aus  der  Stadt  Bergen  stammen.  Mündet  nun  gar  ein 
Gletscherabflufs  oder  ein  Gletscher  selbst  in  einen  Fjord,  so  schreitet 
die  Ausfüllung  aufserordentlich  schnell  vor.  Brown  berichtet  aus 
Grönland , dafs  die  Gletscher  so  enorme  Massen  von  feinem  Material 
in  die  Fjorde  senden,  dafs  auf  weite  Strecken  hin  das  Wasser  der 


*)  Remmers  a.  a.  O.  S.  31. 


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232 


P.  Dinse: 


Fjorde  milchweifs  gefärbt  ist1).  Vor  dem  Frederikshaab  Isblink  lagert 
eine  breite  Zone  feiner  lehmiger  Anschwemmungen8).  Der  innerste  Teil 
des  Ameralik-Fjordes  ist  auf  fast  8 km  von  Schlammmassen  derart  an- 
gefüllt, dafs  selbst  das  Fahren  eines  leichten  Bootes  unmöglich  ist. 
Nansen  erzählt,  mit  welchen  Schwierigkeiten  es  verbunden  gewesen 
sei,  durch  den  zähen  Lehm  der  Fjordbucht  zu  stampfen  und  das 
„halbe  Boot"  bis  an  das  tiefere  Fjordwasser  zu  ziehen3). 

Den  Fjorden  ist  nur  eine  vergängliche  Existenz  beschieden;  wenn 
einst  die  Seenketten  der  Fjordthäler  verschwunden  sind,  wird  allen 
Fjorden  die  Vernichtung  drohen. 

Eine  andere  für  das  Fjordphänomen  besonders  wichtige  Erscheinung, 
auf  die  bisher  noch  viel  zu  wenig,  eigentlich  nur  von  Heiland4),  ge- 
achtet wurde,  ist  die  Thatsache,  dafs  einige  der  Fjorde,  vielleicht 
auch  alle,  auch  zum  umgebenden  Meer  hin  über  die  jetzige  Küsten- 
linie hinaus,  deutlich  erkennbare  Fortsetzungen  haben.  Die  interessante 
Karte  in  Geikie’s  „The  Great  Ice  Age“,  welche  Schottland  bei  einem 
183  m niedrigeren  Meeresstand  darstellt,  läfst  deutlich  erkennen,  wie 
einzelne  Fjorde  sich  nicht  nur  in  den  Sunden  zwischen  den  grofsen 
Inseln,  sondern  auch  noch  über  diese  hinaus  in  dem  Gebiet  der 
Flachsee  fortsetzen.  So  geht  z.  B.  das  Loch  Houm  in  den  tiefen  Sleat- 
Sund  über,  und  eine  Rinne  mit  wechselnden  Tiefen  ist  in  dessen 
Fortsetzung  bis  dicht  an  den  Absturz  des  zoo  m-Plateaus  zu  verfolgen, 
wo  sich  in  einem  breiten  Becken  die  unterseeische  Rinne  des  Minch- 
Kanals  und  des  Sleat-Sundes  vereinigen.  Auch  aus  dem  Loch  Sunart 
heraus  läuft  eine  unterseeische  Rinne  an  der  Ostseite  von  Coli  und 
Tirce  entlang. 

Am  deutlichsten  tritt  diese  Erscheinung  an  der  skandinavischen 
Fjordküste  hervor.  Genaue  Aufnahmen5),  die  man  im  Interesse  der 
Fischerei  in  dem  Teil  zwischen  dem  Ausgang  des  Nord-Fjordes  und 
dem  Lofoten-Fjord  vorgenommen  hat,  haben  den  Erweis  gebracht,  dafs 
von  einer  zusammenhängenden  Küstenbank  nicht  die  Rede  sein  kann, 
dafs  vielmehr  das  ganze  an  Breite  nach  Norden  zunehmende  Plateau 
durch  einzelne  tiefere  Rinnen  in  Teile  zerlegt  ist.  Diese  Rinnen  ent- 
sprechen ganz  genau  den  Fjorden  des  Küstenlandes.  Aus  dem  Nord- 
Fjord  hinaus  führt  ein  solches  untermeerisches  Thal  an  der  Westküste 


')  Peterm.  Geogr.  Mittigen.  1871,  S.  383. 

- ] Meddelelser  om  Grönland  I,  Kaart  C. 

3)  Nansen  a.  a.  O.  II,  S.  186—188. 

4)  Heliand,  Quart.  Journ.  of  thc  Geol.  Soc.,  Vol.  33.,  S.  175. 

5)  Karter  over  havbankernc  längs  den  Norskc  kyst,  fra  Stadt  til  Stnölcn 
1873;  fra  Stadt  til  Harö  1870. 


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Die  Fjordbildungen. 


233 


von  Vaagsö  vorbei  erst  nach  N und  dann  nach  W hinaus  in  die  See. 
Dem  Fjord  von  Aalesund  entsprecht  die  Bredsund-Tiefe,  die  aus  dem 
Vanelvs-Fjord  und  dem  Sildegabbet  Zuflüsse  erhält,  dem  Romsdals-Fjord 
die  Rinne,  die  zum  fischreichen  Storeggen  führt.  Der  Tronthjem-Fjord 
biegt  nach  seiner  Mündung  nach  Nordosten  um  und  setzt  sich  in 
tiefem  ununterbrochenen  Zug  in  dieser  Richtung  fort,  bis  er  in  ein 
nach  W führendes  Thal  ausläuft.  Ähnliche  Fortsetzungen  hat  der  Folden- 
Fjord,  der  Bindals-Fjord , der  Rauen-Fjord,  und  auch  der  Vest-Fjord 
läfst  eine  tiefeRinne  in  der  Verlängerung  des  Lofoten-Fjordes  erkennen1 * * *). 
Derart  treffliche  Beispiele,  wie  aus  Norwegen,  lassen  sich  aus  anderen 
Fjordgebieten  zur  Zeit  noch  nicht  anfUhren.  Es  ist  aber  zu  vermuten, 
dafs  bessere  und  vermehrte  Tötungen  in  den  Vonneeren  überall  die 
Verbindung  der  schon  heut  bekannten  tieferen  Stellen  zu  Rinnen  er- 
möglichen werden. 

Auch  die  untermeerischen  Fjordrinnen  wiederholen  im  Quer-  und 
I.ängsschnitt  die  Formen  der  Fjorde  und  der  überseeischen  Thäler. 
Als  steilwandige,  aber  flachbodige  Risse  zerfallen  auch  sie  durch  Er- 
hebungen in  einzelne  untermeerische  Seebecken.  In  der  Bredsund- 
Tiefe  wechseln  Tiefen  von  293  und  303  m mit  Erhebungen  von  nur 
180  m,  und  in  dem  unterseeischen  Trondhjem-Fjord  stehen  Erhebungen 
von  200  m im  Gegensatz  zu  Becken  von  305  und  444  m Tiefe. 

Einige  Eigentümlichkeiten  des  Fjordwassers,  die  auffallende  Atts- 
süfsung  der  Oberflächenschicht  der  ruhigen  Fjordgewässer  durch  die 
Mengen  des  sommerlichen  Schmelzwassers  und  die  Stetigkeit  der  hohen 
Tiefentemperatur,  mögen  hier  nur  erwähnt  werden.  Wie  Vogt*)  für 
ersteres,  so  hat  Mohn5)  für  die  letztere  Thatsache  die  Erklärung  durch 
den  Hinweis  auf  die  Besonderheiten  der  Fjordformen  gegeben. 

5.  Allgemeine  Ergebnisse. 

Somit  sind  wir  mit  der  zum  Zweck  der  Bestimmung  des  Inhaltes 
des  Fjordbegriffes  angestellten  Betrachtung  der  eigentlichen  Fjord- 
formen am  Ende.  Die  allgemeinen  Ergebnisse  sind  in  kurzem  folgende: 

1.  Es  ist  zu  unterscheiden  zwischen  Fjordbuchten  oder  eigent- 
lichen Fjorden,  Fjordstrafsen  oder  Sunden,  und  Fjordseen. 

2.  F'jordbuchten  sind  Meeresarme,  die  senkrecht  oder  unter 
steilen  Winkeln  zur  Küste  in  das  Land  hineinschneiden  und 


1 ) Fiskekart  over  den  indre  del  of  Vcslfjordcn  i Lofoten.  Krist.  r 869. 

1 : 100000.  4 Blatt. 

*)  Vogt  a.  a.  O.  S.  78—79. 

*)  Mohn,  Peterm.  Geogr.  Mittigen.  1880,  Erg.-Heft  63,  S.  15. 


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234 


P.  Dinse: 


sich  dort  meist  verästeln.  Sunde  sind  durch  Konvergenz  von 
Fjordbuchten  oder  durch  die  Verbindung  von  Fjordbuchten 
mit  einer  der  Küste  parallelen  Rinne  gebildete  beiderseitig 
offene  Wasserstrafsen ; Fjordseen  sind  beiderseitig  geschlossene 
Binnenfjorde. 

3.  Fjorde  treten  stets  gesellig  auf. 

4.  Die  Gesamtheit  der  Oberflächenformen  eines  P'jordgebietes  ist 
durch  Parallelität  der  Filemente  der  Küstenzone  einheitlich 
verbunden. 

5.  Fjorde  sind  von  geringer,  auf  längere  Erstreckungen  hin 
gleichbleibender  Breite.  Die  Länge  übertrifll  die  Breite  stets 
um  ein  Vielfaches. 

6.  Das  Mafs  der  Ausbildung  des  Fjordphänomens  ist  von  der 
mehr  oder  minder  grofsen  Erhebung  des  Landes  abhängig. 

7.  Sundbildung  und  Inselabschnürung  finden  sich  besonders  aus- 
gebildet  an  flachen  Küstenteilen. 

8.  Die  Wände  der  Fjorde  über  und  unter  dem  Wasserspiegel 
sind  steil.  Der  Querschnitt  zeigt  eine  Trogform  mit  steilem 
Abfall  und  flachem  Boden. 

9.  Durch  den  Gegensatz  der  Fjordtiefen  und  des  flachen  Vor- 
meeres stellen  die  Fjorde  geschlossene  Becken  dar.  Soweit 
diese  Becken  einheitlich  sind  (Becken  erster  Ordnung), 
sind  sie  stets  sehr  schwach  geneigt. 

10.  Die  meisten  Fjordbecken  werden  durch  höher  aufsteigende 
Schwellen  in  Binnenbecken  geteilt.  Diese  Becken  zweiter 
Ordnung  sind  in  der  Regel  stärker  geneigt. 

11.  Eine  Regelmäfsigkeit  der  Form  dieser  Becken  ist  nicht  nach- 
weisbar. 

12.  Die  Fortsetzungen  der  Fjorde,  iibermeerisch  in  Fjordthälern, 
untermeerisch  in  Fjordrinnen,  stimmen  in  allem  mit  den 
Formen  der  Fjorde  überein. 

Als  Definition  des  Begriffes  „Fjord“  ergiebt  sich  demnach : 

F’jorde  sind  in  der  Regel  gewundene,  steile  und  tiefe 
Buchten  und  Meeresstrafsen  an  gebirgigen  Festlands- 
oder Inselküsten,  die  im  Querschnitt  eine  Trogform, 
im  Längsschnitt  ein  zwischen  sanften  Wölbungen  und 
seichten  Mulden  unruhig  wechselndes  Bodenrelief  auf- 
weisen. Die  durch  F’jordbildungen  ausgezeichneten  Küsten  sind 
durch  die  stets  in  grofser  Anzahl  auftretenden  Buchten  und 
Strafsen  sehr  zerrissen  und  inselreich. 


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Die  Fjordbildunjjen. 


235 

6.  Die  fjordartigen  Küstenbildungen.  Die  geographische 
Verbreitung  der  Fjorde. 

Nach  den  vorangegangenen  Betrachtungen  wird  es  verständlich 
sein,  dafs  wir  die  Thatsache  des  unruhig  wechselnden  Bodenreliefs  für 
das  wichtigste  Kriterium  der  Zugehörigkeit  zum  Fjordtypus  halten. 
Nur  solche  Buchten  und  Strafsen  sind  als  F'jorde  zu  bezeichnen,  die 
durch  mehr  oder  minder  auffallende  Verschiedenheiten  der  Tiefen,  im 
Innern  und  vor  dem  Ringangc,  die  Form  eines  einfachen  oder  kom- 
plizierteren unterseeischen  Beckens  zeigen.  Vorausgesetzt  ist  hierbei 
natürlich,  dafs  diese  F'ormcn  unverhüllt  geblieben  sind.  Haben  Flufs- 
und  Meeressedimente  die  Tiefenunterschiede  verwischt,  so  ist  die  Ent- 
scheidung bedeutend  schwieriger  und  nur  im  Zusammenhänge  mit  der 
aus  anderen  Thatsachen  als  allein  der  Gestalt  der  Buchten  zu  ent- 
nehmenden Geschichte  des  Küstenlandes  zu  treffen. 

Wir  haben  ferner  feststellen  können,  dafs  das  allgemeine  Bild  einer 
fjordzerrissenen  Küstenzone  in  einer  gewissen  Abhängigkeit  von  dem 
Mafs  der  Erhebung  der  Küstenlandschaft  über  dem  Meeresspiegel  zu 
stehen  scheint  Es  liefe  sich  bemerken,  dafs  in  flacheren  Gebieten  die 
eigentliche  Fjordbuchtenbildung  seltener  und  weniger  scharf  ausgeprägt 
auftritt,  dafs  diese  KUstenstrecken  insei  und  sundreicher  sind. 

Besonders  deutlich  trat  dies  in  dem  Fjordgebiet  des  amerikanischen 
Staates  Maine  hervor.  In  jeder  Beziehung  bildeten  die  dortigen  For- 
men der  Küstenzone  eine  Ausnahme.  Ein  flachwelliges  Hügelland  statt 
des  schroffen  Berglandes  der  anderen  Fjordregionen,  mäfsige  Ufer- 
abhänge anstatt  der  Steilabstürze  der  typischen  Fjorduferwände,  geringe 
Tiefen  an  Stelle  der  gewaltigen  Einsenkungen  der  übrigen  Fjorde;  in  den 
typischen  Fjordgebieten  eine  scharfe  Individualisierung  der  Küsten- 
einschnitte, hier  eine  scheinbar  verwirrende  Regellosigkeit  der  Wasser- 
verbindungen, dort  eine  Beeinflussung  der  Richtungen  durch  die  Lage 
und  das  Streichen  der  Bergzüge,  hier  die  auffallende  Verknüpfung  aller 
Einzelheiten  durch  einen  ausgeprägten,  weit  verbreiteten  Parallelismus 
der  Küstenelemente. 

Dennoch  haben  wir  dies  Gebiet  zu  den  Fjordregionen  gezählt,  weil 
es  bisher  so  üblich  war;  es  geschieht  dies  aber  im  Grunde  zu  Unrecht. 
Es  wäre  richtiger,  in  den  Erscheinungsformen  des  Fjordgebiets  von 
Maine  das  erste  Glied  einer  Kette  von  Abstufungen  zu  erkennen,  die 
von  den  Formen  der  typisch  ausgebildeten  Fjorde  zu  denen  des  schwe- 
dischen Fjärdtypus,  des  cimbrischenFöhrdentypus,  des  finnischen  Schären- 
typus hinüberführt.  Es  sind  kaum  bemerkbare  Abstufungen , die  zu 
erkennen  nur  auf  Grund  einer  Überzeugung  möglich  ist,  die  man  sich 
durch  Anschauung,  und  sei  es  auch  nur* durch  die  guter  Karten,  gc- 


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236 


P.  Di n sc: 


wonnen  hat,  die  aber  nicht  leicht  in  Worte  zu  kleiden  ist.  Allen  diesen 
Küstenbildungen  ist  ein  bestimmter  Grad  der  Verwandtschaft  mit  den 
Fjordbildungen  nicht  abzuerkennen.  Was  sie  alle  verbindet,  ist  die 
Form  der  Einschnitte  oder  Strafsen  und  der  Wechsel  des  untermeeri- 
schen  Reliefs  im  Bereich  der  Küstenzone;  was  sie  trennt,  ist  der  all- 
gemeine Charakter  der  KUstenlandschaft. 

Ich  möchte  den  Versuch  wagen,  die  erwähnten  Küstentypen  von 
dem  eigentlichen  Typus  der  Fjordküste  zu  trennen,  ohne  aber  diese  Tren- 
nung allzu  stark  zu  betonen.  Eine  Gegenüberstellung  verbietet 
durchaus  die  später  noch  hervorzuhebende  Analogie  der  Entwicklungs- 
geschichte dieser  Küstenformen.  Es  wird  aber  vielleicht  zu  rechtfertigen 
sein,  dafs  ich  die  Gesamtheit  dieser  Bildungen  als  Sippe  der  fjord- 
artigen  KUstenbildungen  derjenigen  der  Fjorde  an  die  Seite 
stelle. 

Es  kann  natürlich  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  die  Einzelheiten 
dieser  Bildungen  in  der  gleichen  Weise  zu  schildern,  wie  dies  bei  den 
Fjorden  geschehen  ist.  Es  kommt  hier  nur  darauf  an,  das  Überein- 
stimmende und  das  Trennende  so  deutlich  wie  möglich  hervorzuheben, 
um  die  Grenzen  der  Fjordverbreitung  und  damit  den  Umfang  des 
Fjordbegriffs  genau  feststellen  zu  können. 

Auf  die  gleiche  Stufe  wie  die  Küsteneinschnitte  von  Maine  werden 
zweifellos  die  Buchten  und  Sunde  zu  setzen  sein,  die  in  neuerer  Zeit 
an  den  Küsten  der  nordamerikanischen  Binnenseen  festgestellt  worden 
sind.  Es  war  Ratzel1),  der  zuerst  auf  die  Formen  dieser  Küsten  auf- 
merksam machte  und  die  Einschnitte  derselben  als  Fjordbildungen 
aufgefafst  wissen  wollte.  In  eingehender  Besprechung  erläuterte 
er  die  Erscheinungen  dieser  Küsten  und  suchte  durch  eine  Verglei- 
chung mit  den  Formen  der  Küste  von  Maine  die  Zusammengehörigkeit 
beider  zu  erweisen.  Dies  letztere  ist  unzweifelhaft  richtig;  aber  un- 
statthaft ist  es,  die  dortigen  Küstenbildungen  zusammen  mit  denen  von 
Maine  zum  Zweck  des  Versuches  einer  Begriffsbestimmung  ausschliefs- 
lich  zu  verwerten. 

Nur  ein  Teil  der  Küsten  der  sechs  amerikanischen  grofsen  Binnen- 
seen kann  hier  in  Betracht  kommen.  Der  Erie-See  hat  vollständig 
ungegliedert  verlaufende  Küstenumrisse.  Auch  im  Ontario-See  finden 
sich  Einbuchtungen  und  eine  im  höchsten  Mafse  grofsartige  Inselauf- 
lösung nur  in  der  Nordostecke  zwischen  der  Mündung  des  Black  River 
und  Presqu’ile  Harbour.  Der  Lorenzo-Ausflufs  ist  erfüllt  von  dem 
Inselgewirr  der  Thousand  Islands;  besonders  gut  ausgebildete  Ein- 
schnitte weist  die  Gegend  der  Stadt  Belleville  auf. 

1 ) Ratzel,  Über  Fjordbildungen  an  Binnenseen.  Peterm.  Geogr.  Mittigen. 

t88o,  S.  387 f. 


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Die  Fjordbildungen. 


237 


lm  Huron-See  ist  die  Nord-  und  Nordostküste  der  Georgian-Bai 
und  die  beiden  Ufer  der  Kette  von  Inseln  und  Halbinseln,  welche 
diese  Bai  und  den  North  Channel  von  dem  eigentlichen  See  scheidet, 
durch  fjordartige  Bildungen  ausgezeichnet.  Der  allgemeine  Küsten- 
charakter ist  in  verschiedenen  Teilen  sehr  verschieden.  An  der  Nord- 
ostküste der  Georgian-Bai  von  der  Matchedash-Bai  bis  zur  Einmün- 
dung des  French  River  überwiegen  kleine  Einschnitte  und  ein  Schären- 
garten kleiner  \ind  kleinster  Inseln.  Am  Nordostufer  der  westkanadischen 
Halbinsel,  am  Nordufer  der  Grofsen  Manitoulin-Insel  finden  sich  tief 
eingreifende  Buchten  und  nur  wenige  gröfsere  Inseln.  An  der  letzteren 
zahlt  man  zwölf  grofse  Einschnitte,  von  denen  die  Honora-Bai  und 
der  Heywood-Sund  die  gröfsten  sind.  Ihnen  entspricht  an  dem  Süd- 
ufer der  langgestreckten  Insel  nur  eine,  allerdings  sehr  scharfgeschnittene 
Bucht,  der  Manitoulin-Golf.  Die  Ost-  und  Westküste  des  Huron-Sees 
verläuft  wieder  im  ganzen  ungegliedert. 

Die  schmale,  inselbesetzte  Strafse  von  Machinac  führt  uns  in  den 
Michigan-See.  Auch  in  ihm  ist  nur  der  nördliche  Bogen  des  Küsten- 
umrisses durch  einige  Einschnitte  ausgezeichnet.  Am  Ostufer  sind  es 
die  Green-Bai  und  die  Grand  Traverse-Bai,  am  Westufer  die  beiden 
Halbinseln  und  die  Inselreihe,  welche  die  grofse  Green-Bai  von  dem 
See  trennen.  In  dem  fünften  und  nördlichsten  See,  dem  Lake  Superior, 
kann  man  an  der  Nordküste,  namentlich  in  der  Umgegend  von  Port 
Arthur,  eine  grofse  Anzahl  langer  schmaler  Buchten  erkennen.  Beson- 
ders zerrissen  sind  die  Küsten  der  langgestreckten  Isle  Royale;  im 
Süden  ist  die  von  der  Mineral  Range  gebildete  Halbinsel  durch  die 
Keweenaw-Bai  und  ihre  Seitenarme  etwas  gegliedert. 

Fjordartige  Küstenbildungen  beschränken  sich  nun  keineswegs 
auf  die  Küsten  der  grofsen  Seen.  Auch  die  Uferlinien  der  mittleren 
und  kleinen  kanadischen  Seen  sind  unregelmäfsig  gestaltet,  ausge- 
buchtet und  inselreich.  Ratzel  erwähnt  den  George-See  im  Staat 
New  York;  auch  die  Ufer  des  Champlain-Sees,  die  Seen  von  Manitoba, 
Keewatin,  Saskatchewan  und  Athabasca  haben  zum  Teil  ein  fjord- 
artiges Aussehen. 

Ratzel  hat  deutlich  hervorgehoben,  wie  weit  die  Fjordähnlichkeit 
bei  allen  diesen  Bildungen  geht.  Er  betonte  vor  allen  den  ausge- 
prägten Parallelismus,  sowohl  der  Gesamtrichtungen,  als  auch  der 
Einzelformen,  der  sich  überall  bemerkbar  mache,  die  Anordnung  der 
Inseln  in  Reihen,  die  schmale  Form  der  Einschnitte,  die  Tiefenver- 
hältnisse. Über  letztere  ist  bisher  noch  wenig  zu  bemerken;  doch  sei 
cs  gestattet,  zwei  Beispiele  anzuführen.  Der  Manitoulin-Golf  erreicht 
im  Innern  in  sanftem,  nur  o°  1 6 ' geneigtem  Abstieg  eine  Tiefe  von 
48  m;  darauf  erhebt  sich  der  Boden  mit  einer  etwas  stärkeren  Neigung 

ZriUthr.  d.  GesetUch.  f.  Erdk.  Ild  XXIX.  IG 


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238 


P.  Dinsc: 


von  o“  18'  auf  die  Tiefe  von  7 m und  erst  11  km  von  der  Küste  ent- 
fernt findet  man  wieder  eine  Tiefe  von  51  m. 

Die  Grand  Traverse-Bai  im  Michigan-See  wird  durch  eine  schmale 
Landzunge  in  den  Ostarm  und  den  Westarm  geteilt.  Im  ersteren 
fällt  der  Boden  der  Bucht  nach  22  km  mit  einer  mittleren  Neigung  o°3o' 
auf  189  m,  um  dann  gegen  den  31,4  km  entfernten  Ausgang  von  24  m 
Tiefe  in  einem  Winkel  von  o°  lj'  anzusteigen.  Im  Westarm  entspricht 
der  Einsenkung  von  189  m eine  Tiefe  von  134  m,  der  Schwelle  von 
24  m eine  Eingangstiefe  von  37  m.  Die  Neigungswinkel  sind  hier 
0°  23'  und  0°  11 

Es  wäre  nun  falsch,  wollten  wir  unsern  Zweifel  an  der  Berech- 
tigung der  Gleichstellung  dieser  Küstenformen  mit  denen  der  typischen 
Fjordgebiete  nur  auf  die  durch  obige  Zahlen  ausgedrückte  Unbedeutend- 
heit der  unterseeischen  Bodendifferenzen  gründen.  Es  giebt  im  Gegen- 
teil noch  manche  Erscheinungen,  die  eine  solche  Trennung  berechtigt 
erscheinen  lassen.  Zuerst  mufs  die  Form  der  Buchten  auffallen.  Scharf 
gezackte,  gewundene  Einschnitte  finden  sich  aufser  an  der  Ostküste  der 
Georgian-Bai  nur  an  den  Nordküsten  der  Seen.  Die  Buchten  an 
den  SUdkiisten  und  an  den  Nordufern  der  Inseln  haben  dagegen  die 
auffallend  sackähnliche  Gestalt,  welche  auch  die  Seen  im  ganzen  auf- 
weisen. Buchten  wie  die  zwölf  Einschnitte  von  Manitoulin,  die  Grand 
Traverse-Bai,  die  Keweenaw- Bai , der  Fond  du  Lac  wiederholen 
genau  die  Form  des  Michigan-  und  des  Huron- Sees.  Der  wichtigste 
Unterschied  sind  jedoch  die  durch  die  Oberflächenform  des  ganzen 
Landes  bedingten,  wenig  schroffen  Formen  der  Ufer  und  die  geringen 
Höhen  der  Inseln. 

Die  kleineren  Seen  der  kanadischen  Seenplatte  und  die  sechs 
grofsen  Binnenseen  liegen  teils  auf  der  archaischen  Tafel  des  kana- 
dischen Schildes,  teils  auf  der  paläozoischen  Umrandung  desselben, 
und  zwar  so,  dafs  der  Nordrand  der  südlichen  Seen  und  der  Ostrand 
der  kleineren  westlichen  Becken  aus  archaischen  Felsarten  besteht, 
während  die  Wasserflächen  in  der  Regel  auf  dem  paläozoischen  Gebiet 
liegen1).  Es  ist  die  arktische  Ebene  Nord-Amerikas,  die  im  Westen  in 
allmählichem  Anstieg  mit  der  östlichen  Abdachung  des  Felsengebirges 
verwächst,  im  Süden  über  eine  unmerkliche  Wasserscheide  hinweg  in 
die  grofsere  innere  Ebene  des  Missouri-Mississippi-Beckens  übergeht, 
ein  flachwelliges,  häufig  wasserscheidenloses,  mit  den  Resten  eiszeit- 
licher Eisbedeckung  übersätes  Land.  Das  Ufer  der  Seen  ist  steil, 
aber  selbst  im  Süden  der  grofsen  Seen  übersteigen  die  Höhen  nur 
selten  250 — 300  m Der  Charakter  der  niedrigen  Tafellandschaft  er- 

>)  Süfs  a.  a O.  II  S.  53. 


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Die  Fjordbildungen. 


239 


klärt  die  unausgebildete  Form  der  den  Fjorden  und  Fjordinseln  ent- 
sprechenden Küstenbildungen. 

Die  grofee  Ähnlichkeit  zwischen  dem  Gebiet  des  kanadischen 
und  dem  des  baltischen  Schildes,  die  zuerst  von  Ed.  Süfs  erkannt 
und  beschrieben  worden  ist,  berechtigt  uns,  auch  im  Gebiet  des 
europäischen  Nordens  nach  Erscheinungen  zu  suchen,  die  den  in 
Amerika  aufgefundenen  entsprechen.  Wir  finden  verwandte  Formen 
an  den  Ufern  der  grofsen  Seen  der  baltischen  Platte,  aber  auch,  etwas 
im  Gegensatz  zu  Amerika,  in  reichstem  Mafs  an  den  Küsten  des 
grofsen  Meerbusens,  der  wie  ein  gewaltiger  See  die  tiefsten  Teile  des 
grofsen  Schildes  bedeckt.  Es  ist  ein  flaches,  kaum  welliges,  zumeist 
aus  archaischen  Gesteinen  bestehendes  Schollenland,  welches  das  nor- 
wegische Rumpfgebirge  mit  der  russischen  Tafel  verbindet.  Dies  ganze 
Land  ist  der  Schauplatz  der  Entwicklung  des  Fjärd-  und  Schären- 
küstentypus. Sie  beginnt  an  der  Ostseite  des  Kristiania-Fjordes,  wird 
dann  südlich  von  Gothenburg  durch  die  auch  geologisch  selbständige 
Landschaft  Schonen  unterbrochen  und  setzt  darauf  an  der  Ostküste 
wieder  bei  Kalmar  ein,  um  nun  den  ganzen  Botnischen  Meerbusen 
und  die  Nordseite  des  Finnischen  Meerbusens  zu  umziehen.  Eine 
Trennung  des  Fjärd-  und  des  Schärentypus  ist  wohl  kaum  statthaft, 
da  beide  einander  zu  nahe  verwandt  sind.  Was  sie  unterscheidet,  ist 
nur  der  Grad  der  Zertrümmerung  der  Küstenzone.  Beim  Fjärdtypus 
bemerken  wir  noch  das  häufigere  Vorkommen  geschlossener  Buchten 
und  demgemäfs  eine  geringere  Inselabtrennung,  an  der  Schärenküste 
ist  die  vollständige  Auflösung  in  ein  Gewirr  gröfserer  und  kleinerer  In- 
seln, Klippen,  Riffe  und  Untiefen  das  Charaktergebende,  und  die 
Buchtenbildung  tritt  wesentlich  zurück.  Da  stets  Strecken  des  Fjärd- 
typus mit  solchen  des  Schärentypus  abwechseln,  an  ihren  Grenzen  ein 
Übergang  von  dem  einen  zum  anderen  stattfindet,  so  ist  es  auch  un- 
möglich, das  Gebiet  beider  abzugrenzen.  Besonders  deutlich  ausge- 
bildete Fjärde  bemerkt  man  z.  B.  an  der  Küstenstrecke  zwischen  Ratan 
und  dem  Deger-Fjärd,  also  in  der  Küstenregion  von  Umeä,  von  Hudiks- 
vall  bis  zum  Enangersviken,  um  Söderhamm  und  bei  Osthammar,  end- 
lich vom  Braviken  bis  Westerwik.  Beispiele  typischer  Schärenküste 
sind  die  Küsten  des  nördlichsten  Teils  des  Botnischen  Busens  vom 
schwedischen  Piteä  bis  zum  finnischen  Uleäborg,  die  Gegend  um 
Nikolaistad  und  zuletzt  an  der  südwestlichen  Ecke  Finlands  von  Ny- 
stad bis  Hangö. 

Die  Fjärde  sind  schmale,  gewundene  Meeresstrafsen , die  sich 
häufig  sehr  weit  in  das  Innere  hinein  verzweigen.  Wie  die  Fjorde  sind 
auch  sie  meist  senkrecht  zur  Küstenlinie  in  das  Land  eingeschnitten. 
Der  Parallelismus  beschränkt  sich  aber  nur  auf  den  allgemeinen  Zug 

IG* 


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240 


P.  Dinse: 


der  Wasserstrafscn.  Die  Inseln,  Riffe  und  untermeerischen  Banke  sind 
oft  in  Reihen  angeordnet;  aber  es  fehlt  gerade  das,  was  bei  den 
Fjorden,  im  Küstengebiet  von  Maine  und  selbst  noch  an  den  Ufern 
der  amerikanischen  Binnenseen  diesen  Parallelismus  so  charakteristisch 
machte,  die  Übereinstimmung  der  Richtungen  der  Einzelformen.  Die 
Landzungen,  die  langgestreckten  Inseln  mit  parallelen  Ufern  fehlen  iin 
Fjärdgebiet.  In  den  Fjärden  wechseln  breite  seeartige  Erweiterungen 
mit  den  schmälsten  Engen;  die  Inseln  haben  die  unregelmäfsigsten 
Formen.  Erweckt  der  Anblick  einer  Fjordregion  den  Eindruck,  als  sei 
das  ganze  Land  mit  einer  Riesenegge  bearbeitet  worden,  so  glaubt  man 
in  einem  Gebiet  der  Fjärdküste  ein  wild  und  unregelmäfsig  zerhacktes 
Land  zu  sehen.  In  der  Regel  sind  auch  die  Fjärdbuchtcn  im  Ein- 
gänge schmal  und  durch  vorliegende  Inseln  gedeckt,  doch  findet  man 
auch  häufig  weitgeöffnete  Buchten.  Besonders  interessant  ist  der  Ver- 
gleich zwischen  der  Nord-  und  Südküste  des  Finnischen  Busens.  An 
jener  die  gezackten  Fjärde,  wie  der  Tavast- Fjärd , der  Fjärd  von 
Borgä,  Forsby  und  Lovisa,  an  dieser  die  weiten  Buchten  des  Lachepe-, 
Papon-,  Monk-  und  Kasper  -Vik.  Die  Bildungen  des  SUdufcrs  er- 
innern sehr  an  die  Buchten  an  den  Sudküsten  der  amerikanischen  Seen. 

Was  nun  die  Tiefenverhältnisse  der  F'järd-  und  Schärenküste  an- 
belangt,  so  mufs  wenigstens  auf  Grund  des  zurZeit  noch  sehr  schlechten 
Kartenmaterials  zugestanden  werden,  dafs  eine  Anzahl  von  Fjärden  sich 
in  ganz  allmählichem  Abfall,  ohne  Tiefenunterschiede,  zum  Meer 
hinabsenken,  wie  auch  in  beschränkten  Teilen  eines  Schärenkomplexes 
die  Tiefen  häufig  sehr  gleichmäfsig  bleiben.  In  wie  weit  dies  die  ur- 
sprüngliche Form  des  Meeresgrundes  ist,  mufs  dahingestellt  sein;  man 
mufs  auch  hier  mit  der  Möglichkeit  nachträglicher  Sediment-Aufhäufung 
rechnen.  In  anderen  Buchten  dagegen,  zumal  wenn  dieselben  unter 
dem  Schutz  eines  Binnensees  stehen,  bemerkt  man  den  auch  bei  den 
Fjorden  hervorgehobenen  Zug  des  häufigen  Tiefenwechsels.  So  zer- 
fallen auch  die  Fjärde  häufig  in  mehrere  Teilbecken.  Fan  Beispiel 
bietet  die  langgestreckte  Meeresbucht,  die  zu  der  schwedischen  Stadt 
I’iteä  führt.  Der  innerste  Teil  derselben,  Langnäs- Fjärd  genannt,  ist 
ein  breites,  mehrere  schmale  Arme  aussendendes  Seebecken  von  26  m 
Tiefe.  Eine  schmale,  zum  Teil  nur  1,8  m tiefe  Strafse  führt  aus 
diesem  in  den  18  m tiefen  Inre  Pite- Fjärd,  und  aus  diesem  gelangt 
man  wieder  durch  die  seichte  Enge  des  Djub-Sundes  in  den  tieferen 
Ytre  Pitre-Fjärd.  Der  Pit-Sund  verbindet  diesen  mit  der  30 — 36  m tiefen 
Vorbucht,  die  selbst  gegen  den  Meerbusen  hin  langsam  zu  15-2501 
ansteigt 

Im  Ängermanna-Fjärd  wechseln  Einsenkungen  von  79,  über  85 
und  73  m mit  Flrhebungen  von  15,  30,  1,2  m Tiefe  ab. 


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Die  Fjordbildniißen. 


241 


Oie  engen  Stellen  sind  in  fast  allen  Fjärden  die  flachen 
Schwellen,  während  die  seeartigen  Erweiterungen  stets  auch  tiefere 
Becken  sind.  Bedeutend  sind  die  Tiefen  dieser  Fjärdbecken  eigentlich 
nie;  unter  die  Tiefe  des  botnischen  Busens  scheint  keine  der  schwe- 
dischen oder  finnischen  Buchten  hinabzusinken. 

Wenn  wir  mithin  in  Fjärden  und  Schären  die  Erscheinungen 
zu  sehen  haben,  die  an  wenig  erhobenen,  flachen,  aber  meist  alten 
Tafellandschaften  den  Formen  der  Fjorde  und  der  Fjordinseln  hoher 
Gebirgs-  und  Plateauländer  entsprechen,  so  sind  im  Gegensatz  zu  ihnen 
die  Föhrden  die  verwandten  Erscheinungsformen  an  den  Küsten 
niedriger,  hügeliger,  in  der  Regel  jüngerer  Landschaften. 

Die  Verbreitung  des  Föhrden-Typus  ist,  soweitbis  jetzt  bekanntist,  eine 
sehr  beschränkte.  Man  hat  ihn  den  cimbrischen  oder  auch  den  dänischen 
genannt,  weil  er  nur  an  den  Küsten  der  dänischen  Inseln  und  an  der  Ost- 
küste der  Jütischen  Halbinsel  von  Kiel  bis  Aalborg  vorzukommen  schien. 
Vielleicht  sind  aber  auch  die  Einschnitte  an  der  Nordküste  Amerikas 
und  auf  den  Inseln  des  Arktischen  Archipels  eher  dem  Föhrden-  als 
dem  Fjordtypus  zuzuzählcn;  auch  mag  es  zu  rechtfertigen  sein,  wenn 
man  in  den  Firths  der  schottischen  Ostküste  eine  Annäherung  an  den 
Föhrden-Typus  erblickt.  Die  Formen  der  Föhrden  sind  sehr  verschie- 
den ; neben  breiten,  oft  netzartig  verzweigten  Buchten  finden  sich  sack- 
ähnliche Einschnitte  wie  die  Apenrader  und  Eckernförder  Föhrden, 
und  schmale,  gewundene,  einzelne  Einschnürungen  aufweisende  Buchten 
wie  der  Mariager-,  der  Veile- Fjord,  die  Flensburger  Föhrde,  die  schmalen 
Strafsen,  die  zu  den  Städten  Hadersleben  und  Schleswig  führen,  und 
endlich  der  treffliche  Hafen  von  Kiel.  Bei  den  letzteren  ist  die  Ähn- 
lichkeit mit  den  Fjorden  am  auffallendsten. 

Die  Tiefenverhältnisse  der  einschneidenden  Buchten  und  der  die 
Inseln  trennenden  Strafsen,  welche  letztere  den  Sunden  der  Fjordgebiete 
entsprechen,  bestätigen  im  allgemeinen  diese  Ähnlichkeit.  Allerdings 
treten  Tiefenunterschiede  wie  an  der  Schärenküste  nur  in  sehr  beschei- 
denem Mafse  auf.  Lokale  Einsenkungen  finden  sich  in  vielen  Buchten 
und  in  allen  Strafsen;  bei  einzelnen  Föhrden,  wie  in  dem  seeländischen 
Isse -Fjord,  liegt  auch  gerade  im  Eingänge  eine  Bodenschwelle.  Ge- 
meinsam ist  fast  allen  Buchten,  dafs  das  tiefe  Fahrwasser  bis  in  die 
innersten  Winkel  sich  fortsetzt.  Die  Föhrden  sind  aus  diesem  Grunde 
vortreffliche  Häfen  und  machen  dadurch  die  von  ihnen  ausgezeich- 
neten Küstengebiete  zu  den  am  besten  aufgeschlossenen  Teilen  des 
Flachlandes.  • 

Es  ist  etwas  auffallend,  dafs  alle  diese  Küstenbildungen,  denen 
doch  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  den  Formen  der  Fjorde  nicht  ab- 
zusprechen ist,  bisher  kaum  mit  dem  Fjordtypus  in  Verbindung  ge- 


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242 


P.  Dinse: 


* 

bracht  sind.  Selbst  die  Verwandtschaft  der  Bezeichnungen  Fjord,  Fjärd 
und  Föhrde  ist  in  der  Regel  übersehen,  wenigstens  nie  recht  beachtet 
worden.  Aufser  Penck  hat  niemand  Veranlassung  genommen,  einen 
Vergleich  zwischen  diesen  verschiedenen  Bildungen  anzustellen.  Um  so 
verwunderlicher  ist  die  Kühnheit,  mit  der  für  manche  andere  den 
Fjordgebieten  auch  räumlich  nicht  so  nahe  liegende  buchtenreiche 
Küstenlandschaften  der  Fjordcharakter  und  der  Name  Fjord  in  Anspruch 
genommen  worden  ist.  Es  wurde  bereits  erwähnt,  dafs  Hahn,  Günther, 
Supan  sich  für  Gegner  der  bisher  üblich  gewesenen  Beschränkung 
der  Fjorde  auf  höhere  Breiten  erklärt  haben,  dafs  Hahn  in  dieser 
Beziehung  am  weitesten  gegangen  ist. 

Hahn  teilt  die  Erosions-Inseln  in  fünf  Gruppen'),  von  denen  aber 
nur  drei  für  uns  Bedeutung  haben:  Inseln  des  norwegischen,  schwe- 
dischen und  dänischen  Typus.  Da  Insel-Abschnürung  stets  mit  Buchten 
und  Strafsenbildting  zusammenhängt,  so  liefse  sich  diese  Einteilung 
auch  auf  diese  anwenden.  Die  im  vorangegangenen  durchgefiihrte  Ein- 
teilung entspricht  derselben,  nur  haben  wir  für  den  „schwedischen  und 
dänischen  Typus"  den  übergeordneten  Begriff  der  fjordartigen  Bil- 
dungen aufgefunden  und  ihn  dem  den  Fjorden  entsprechenden  „nor- 
wegischen Typus"  an  die  Seite  gestellt. 

Aus  der  Aufführung  der  einzelnen  Gebiete  der  ersten  Gruppe  geht 
hervor,  dafs  Hahn  aufser  den  von  allen  anerkannten  Fjordregionen 
auch  noch  folgende  Erdgegenden  als  durch  Fjorde  ausgezeichnet  be- 
trachtet: in  Europa  die  Küste  von  Südwest-Irland , die  Bretagne,  die 
galizische  Spitze  Spaniens,  die  Nordostecke  Sardiniens  und  die  Küste 
Dalmatiens;  in  Asien  die  SUdspitze  der  Sinai-Halbinsel,  die  arabische 
Küste  des  Persischen  Meerbusens,  die  Küste  Süd-Chinas  und  der  beiden 
Halbinseln  Schan-tung  und  Liao-tung,  Korea  und  die  japanische  Ost- 
küste; in  Australien  die  Südküste  von  Tasmania  und  einzelne  Strecken 
der  Nordküste;  in  Afrika  die  Nordspitze  von  Madagaskar. 

Diese  Auswahl  scheint  das  Ergebnis  einer  flüchtigen  Betrachtung 
gröfserer  Übersichtskarten  zu  sein.  Man  vermifst  überall  das  Eingehen 
auf  die  besonderen  Formen,  den  Nachweis  der  Übereinstimmung  auch 
der  kleineren  Züge,  nicht  nur  des  allgemeinen  Bildes.  Die  Ähnlich- 
keit der  Umrisse  kann  selbst  dann  nichts  beweisen,  wenn  sie  von  ge- 
übten Beobachtern  und  bewährten  Gelehrten  hervorgehoben  wird. 
Hahn  betont,  dafs  Burat  für  die  Küsteneinschnitte  mehrmals  den  Aus- 
druck Fjord  gebrauche8).  Ist  denn  aber  die  Mündung  des  Trieux  ein 
Fjord,  weil  Burat  von  ihm  als  „un  vlritabte  fiord “ spricht?  Dafs  Ritter 


')  Hahn  a.  a.  O.  S.  161  f. 

*)  Burat,  Voyages  sur  les  eötes  de  France  S.  17g  u.  oft.  Hahn  a a.  O.  S.  14c 


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Die  Fjordbildungen. 


243 


die  Einschnitte  im  Persischen  Golf  Fjorde  nennt1),  ist  doch  kein  Beweis 
für  die  Fjordnatur  derselben.  Wenn  eine  Fahrt  durch  das  japanische 
Binnenmeer  völlig  an  eine  schwedische  Schärenfahrt  mahnt*),  so  sind 
dämm  die  dortigen  Küsteneinschnitte  doch  keine  Fjorde,  die  Inseln 
keine  Schären.  Ich  habe  auf  Grund  der  besten  Seekarten  alle  diese 
Küsten  mit  ihren  auffallenden  Einschnitten  auf  ihre  Zugehörigkeit  zu 
einem  bestimmten  Typus  hin  geprüft  und  kann  versichern,  dafs  auch 
keine  einzige  dieser  Buchten  den  Namen  Fjord  mit  Recht  bean- 
spruchen darf. 

Das  erste  Ergebnis  einer  Betrachtung  gröfserer  und  genauerer 
Karten  ist  die  Überzeugung,  dafs  in  den  meisten  Füllen  nicht  einmal 
eine  Ähnlichkeit  mit  den  Bildungen  einer  F'jordktlste  besteht.  Wenn 
auf  gröfseren  Übersichtskarten  eine  solche  äufsere  Ähnlichkeit  hervor- 
zutreten scheint,  so  ist  das  nur  eine  Folge  der  Thatsache,  dafs  rich- 
tige Fjorde  wegen  ihrer  geringen  Breite  auf  Karten  kleineren  Mafs- 
stabs  nicht  im  richtigen  Verhältnis  der  Längen  und  Breiten  zu  zeichnen 
sind,  dafs  sie  stets  verbreitert  erscheinen  und  so  ihrerseits  den  in  der 
That  breiteren  Buchten  ähnlich  werden.  Auf  Spezialkarten  erkennt 
man  aber  sofort  die  Verschiedenheit. 

Unter  den  Buchten  obengenannter  Küstenstrecken  unterscheidet 
eine  aufmerksame  Betrachtung  zwei  allerdings  nicht  sehr  verschiedene 
Typen.  Den  einen  bilden  die  langgestreckten,  von  annähernd  geraden 
Uferlinien  begrenzten  keilförmigen  Buchten,  den  anderen  die  gewun- 
denen, unregelmäfsigen,  zwischen  Verbreiterungen  und  Verengungen 
wechselnden  Einschnitte.  Den  ersten  Typus  vertreten  z.  B.  die  Buchten 
des  südwestlichen  Irlands.  Wir  sehen  dort  eine  Anzahl  parallel  ge- 
richteter Halbinseln,  die  im  Meer  durch  Inselreihen  fortgesetzt,  durch 
spitze  regelmäfsige  Buchten  von  einander  getrennt  sind.  F>s  sind  dies 
von  Norden  nach  Süden  geordnet  die  Dingle-Bai,  die  Ballinskellig-Bai, 
die  Bucht  des  Kenmare  River,  die  Bantry-  und  Dunmanus-Bai  und 
endlich  die  I.ong  Island-Bai.  Alle  diese  Einschnitte  sind  keilförmig. 
Die  48  km  lange  Dingle-Bai  öffnet  sich  gegen  den  Ozean  in  einer 
Breite  von  über  20  km,  läuft  dann  aber  gegen  das  Innere  hin  spitz  aus. 
Die  Kenmare  River -Bai  und  Dunmanus-Bai  sind  schmaler;  im  Ein- 
gänge zwischen  den  Vorgebirgen  noch  7,2  und  4,8  km  breit,  verjüngen 
sie  sich  nach  35  und  20  km  Länge  zu  scharfen  Spitzen.  Die  Keilform 
wiederholt  sich  übrigens  auch  in  den  kleinen  Einschnitten  an  den 
Ufern  der  grofsen  Buchten.  Alle  Vorsprünge  und  Buchten  liegen  in 
der  Süd westrichtung  der  Hauptbuchten,  und  da  auch  die  Inseln  in 

')  Ritter,  Erdkunde  14  S.  195.  Hahn  a.  a.  O.  S.  145. 

*)  Rein,  Japan  1 S 17.  Hahn  a.  a.  O.  S.  147.  Günther  a.  a.  O.  S.  465. 


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244 


P.  Dinse: 


gleichgerichteten  Reihen  angeordnet  sind,  Flüsse,  Loughs  und  Bergzüge 
derselben  Richtung  folgen,  so  kann  man  auch  in  Süd-Irland  von  einem 
Parallelismus  sprechen,  der  mit  dem  der  Fjordgebiete  recht  wohl  zu 
vergleichen  ist. 

Die  keilförmigen  Buchten  sind  selten;  unter  den  erwähnten  Küsten- 
strecken  ist  keine  andere  in  gleicher  Weise  wie  die  Südwestspitze  Ir- 
lands von  ihnen  ausgezeichnet.  Die  gröfste  Annäherung  an  die  Keilfomi 
zeigen  noch  die  asturischen  Buchten  und  die  Einschnitte  der  galizischen 
Küste,  die  Muros-,  Pontevedra-  und  Vigo-Bai.  Die  meisten  Einschnitte 
gehören  dem  anderen  Typus  an.  Unter  den  unregelmäfsigen  gewun- 
denen Buchten  kann  man  wieder  die  mannigfaltigsten  Verschieden- 
heiten von  der  einfachen,  enger  oder  weiter  geöffneten,  in  bedeuten- 
der Längserstreckung  sich  hin  und  her  windenden  Bucht  bis  zu  den 
breiten,  verzweigungsreichen,  inselerfiillten  Golfen,  wie  sic  an  den  Küsten 
der  Falklands-Inseln  auftreten,  beachten. 

Alle  diese  Küsteneinschnitte  haben  das  Gemeinsame  vergleichs- 
weise geringer  Tiefen;  fast  durchgängig  sind  sie  mit  Sedimentmassen 
der  in  sie  einmUndenden  Flüsse  aufgefüllt.  In  jeder  Bucht  begegnet 
sich  die  Meeresbedeckung  mit  einem  Alluvialboden,  der  je  nach  der 
Gröfse  und  dem  Sedimentreichtum  des  zur  Bucht  gehörigen  Flufs- 
laufes  mehr  oder  weniger  gegen  den  Ausgang  vorgeschoben  ist.  Aus 
der  Thatsache  der  Sedimentauffüllung  erklärt  es  sich  auch,  dafs  das 
Bodenrelief  aller  dieser  Bildungen  völlig  regelmäfsig  ist.  Im  Gegen- 
satz zu  den  Fjorden,  in  denen  Tiefenwechsel  selbst  dann  noch  die 
Regel  ist,  wenn  die  Aufhäufung  von  Schuttmassen  die  ursprünglichen 
Formen  teilweise  verdeckt,  senkt  sich  in  ihnen  der  Boden  stets  ganz 
allmählich  zum  äufseren  Meer  hinah.  Nach  einer  Längserstreckung 
von  55  km  erreicht  die  Bantry-Bai  erst  eine  Tiefe  von  57  m;  der 
Neigungswinkel  des  Bettes  beträgt  also  nur  o°3'26".  Bei  den  Buchten 
von  Muros,  Pontevedra  und  Vigo  betragen  die  Ausgangstiefen  92,  64 
und  49  nt,  die  Neigungswinkel  o‘  11',  o°8'  und  o°5'3o".  Das  letzte 
Profil  auf  Tafel  6 (Abb.  6),  welches  die  irische  Dtinmanus-Bai  dar- 
stellt, möge  ein  Bild  von  den  untermeerischen  Formen  solcher  Buchten 
geben. 

Wenn  in  einzelnen  derselben  Tiefenverschiedenheiten  Vorkommen, 
so  sind  diese  stets  sehr  gering.  In  der  bretagnischen  Bucht  des  Mor- 
bihan  wechselt  die  Tiefe  des  Fahrwassers  zwischen  3 m und  22  m.  Im 
Port  Essington  an  der  nordaustralischen  Halbinsel  Coburg  unterbricht 
den  sehr  sanften,  kaum  oc2'2o"  geneigten  Abfall  eine  plötzliche  Ein- 
senkung von  22  m zwischen  Record  Point  und  Spear  Point.  In  der 
Sakitsu  Ura-Rai  an  der  japanischen  Westküste  findet  sich  in  einer 
nur  9 m tiefen  Umgebung  eine  plötzliche  Vertiefung  von  über  30  m. 


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Die  Fjordbildungen. 


245 


Es  läfst  sich  aber  beobachten,  dafs  derartige  tiefe  Stellen  stets  in  den 
Verengungen  solcher  Buchten  liegen,  in  die  eine  heftige  Gezeitenströ- 
mung mit  hoher  Fluthöhe  eindringt.  Aus  Rütimeyer’s  Schilderungen 
der  Bretagne  ist  bekannt,  wie  grofs  das  Mafs  der  Fluthöhe  im  Morbi- 
han  und  ihre  Wirkungen  infolge  der  wechselnden  Gezeitenströmungen 
sind.  In  den  Port  Essington  dringt  die  Flut  mit  4 m Höhe  ein.  Tiefen- 
unterschiede in  solchen  Kiisteneinschnitten  mögen  daher  auf  einer  durch 
die  Ebbe-  und  Flutströmungen  bewirkten  unregelmäßigen  Verteilung 
der  feinen  Sedimentmassen  beruhen. 

Die  Querprofile  aller  dieser  Buchten  zeigen  statt  der  Trogform  der 
Fjorde  die  Gestalt  einer  flachen  Mulde. 

Alle  diese  sogenannten  fjordähnlichen  Einschnitte  (mit  der  einzigen 
Ausnahme  der  dalmatinischen  Küste)  sind  von  F.  von  Richthofen  unter 
dem  Namen  der  Rias-Buchten  zusammengefafst  und  als  eine  besondere 
Form  der  Küstenbildungen  den  Fjordbuchten  gegenübergestellt  wor- 
den1). Die  Rias  sind  Einbuchtungen,  die  wesentlich  nur  an  Transver- 
salküsten Vorkommen,  während  die  Fjorde  in  reiner  Form  fast  aus- 
nahmslos nur  an  Längsküsten  zu  finden  sein  sollen. 

Die  Betrachtung  der  äufseren  Umrisse  und  der  Tiefenverhältnisse 
mufs  eine  derartige  Trennung  berechtigt  erscheinen  lassen.  Ob  für 
diese  Trennung  jedoch  die  Beziehungen  der  eingebuchteten  Küsten- 
linie zur  Plastik  der  I.andräume  allein  von  entscheidender  Bedeutung 
sind,  mufs  doch  mindestens  fraglich  erscheinen.  Der  Name  „Rias“  ist 
ein  Sammelname  für  Küstenbildungcn  sehr  verschiedener  Form  und 
recht  verschiedener  Geschichte.  Es  mufs  die  Aufgabe  einer  eingehen- 
deren Betrachtung  der  Rias-Küsten  bleiben,  Verschiedenheiten  der  äufse- 
ren Umrisse  der  an  ihnen  zu  findenden  Buchten  auf  Verschiedenheiten 
der  Kombinationen  der  zu  ihrer  Herausbildung  wirksam  gewesenen 
Kräfte  zurückzuftihren.  Wenn  für  Rias-Buchten  aufser  der  Brandungs- 
wirkung und  der  Erosion  der  Gezeitenströmungen  auch  das  durch  eine 
positive  Niveauveränderung  ermöglichte  Eindringen  des  Meeres  in  die 
ursprünglich  bestehenden  und  die  vom  fliefsenden  Wasser  geschaffenen 
Hohlformen  als  Gestaltungsmomente  anzuerkennen  sind,  so  liegt  kein 
Grund  vor,  gewisse  Buchten  an  I.ängsküsten,  an  den  Küsten  von  Rumpfge- 
birgen oder  Tafellandschaften,  an  denen  eine  positive  Niveauveränderung 
stattfand,  dem  Rias-Typus  nicht  zuzurechnen.  Die  Buchten  an  der 
Küste  Süd-Brasiliens,  des  südlichen  Neu-Guinea,  der  Falklands- Inseln 
können  recht  wohl  ihren  Umrissen  und  ihren  Tiefenverhältnissen  nach 
als  Rias-Buchten  gelten. 

Ebenso  zweifelhaft  erscheint  mir  die  Beschränkung  der  Fjorde  auf 

■)  von  Richthofen,  Führer  S.  306-310. 


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246 


P.  Dinse: 


Längsküsten.  Wir  müssen  hier  auf  unsere  im  ersten  Abschnitt  gegebene 
Übersicht  der  Fjordgebiete  zurückkommen  und  unsere  Folgerungen 
ziehen.  Ein  Teil  der  Fordgebiete  — die  westamerikanischen  — sind 
die  Flanken  eines  zonalen  Faltungsgebirges.  Ein  anderer,  bedeutend 
gröfserer  Teil  — die  Fjordgebiete  Norwegens,  Schottlands,  Irlands, 
Grönlands,  Neu-Seelands,  vielleicht  auch  des  Küstengebiets  von  Baffins- 
Land  und  Labrador  — sind  die  Küstenzonen  abradierter  Rumpfgebirge. 
Da  bei  dem  Vorgänge  der  Abrasion  das  Meer  in  der  Regel  dem  Strei- 
chen der  Gebirgszüge  parallel  vordrang  und  nach  vollendeter  Abtragung 
der  ursprünglichen  Formen  ebenso  zurückwich,  so  sind  die  meisten 
Küsten  von  Rumpfgebirgen  ebenfalls  Längsküsten.  Dies  ist  jedoch 
nicht  ausnahmslos  der  Fall.  Erfolgte  die  Abrasion  an  einer  Küste,  an 
der  infolge  Absinkens  eines  Gebirgsteiles  die  einzelnen  Züge  des  Ge- 
birges quer  abbrachen,  so  schritt  die  zerstörende  Kraft  der  Brandungs- 
welle in  einem  solchen  Falle  senkrecht  zum  Streichen  der  Falten  vor. 
Eine  solche  Küstenstrecke  ist  dann  nach  dem  inneren  Bau  des  Landes 
eine  Transversalküste,  obwohl  sie  sich  in  der  Art  des  Vorgangs  des 
Wasserabflusses  genau  wie  eine  Längsküste  verhält.  Solche  Küsten  sind 
die  norwegische  Südwestküste  und  die  Westküste  Schottlands.  Wir 
würden  also  schon  den  Fjorden  an  diesen  Küstenstrecken  eine  Aus- 
nahmestellung einräumen  müssen. 

Endlich  finden  wir  auch  Fjorde  an  Küstenstrecken,  die  nicht  an- 
ders denn  als  typische  Transversalküsten  bezeichnet  werden  können: 
an  der  Nordostktiste  von  Neu-Schottland  und  an  der  Nord-  und  Süd- 
küste Neu-Fundlands.  Schon  die  Richtung  der  südlichsten  Fjorde  von 
Maine  scheint  durch  das  Herantreten  der  Ausläufer  der  Alleghanies  an 
die  Küste  bestimmt  zu  sein.  Die  nordöstlich  gerichteten  Falten  des  ost- 
amerikanischen Faltungssystems  streichen  gegen  den  St.  Lorenz -Golf 
aus,  bilden  die  Küstenvorsprünge  von  Neu -Braunschweig  und  Neu- 
Schottland  und  setzen  sich  dann  jenseits  der  Cabot-Strafse  auf  Neu- 
Fundland  fort.  Es  ist  das  Verdienst  der  Untersuchungen  von  Jukes, 
Murray  und  Howley,  nachgewiesen  zu  haben,  dafs  die  unregelmäfsig 
gestalteten  Umrisse  der  Insel  völlig  abhängig  sind  von  den  quer 
durch  dieselben  streichenden  Falten.  Die  weit  vorspringenden  Halb- 
inseln an  der  Nord-  und  Südseite  der  Insel  entsprechen  den  Anti- 
klinalen, die  Buchten  zwischen  ihnen  den  Synklinalen  des  Faltungs- 
systems. Wir  haben  mithin  an  diesen  Küstenstrecken  Buchtbildungen 
an  einer  typischen  Transversalküste,  an  der  die  Querenden  der  Ge- 
birgszüge in  scharfer  Umgrenzung  abbrechen,  an  der  ein  grofses  Fal- 
tungsgebirge unter  das  Meer  taucht. 

Während  nun  F.  von  Richthofen  der  Ansicht  ist,  dafs  an  solchen 
Küstenteilen,  wo  die  Küstenlinie  quer  zum  Gebirgs-  und  Schichten- 


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Die  Fjordbildungen. 


247 


streichen  gerichtet  ist,  der  Fjordtypus  nicht  rein  sei,  und  dafs  dort  ein 
Übergang  zum  Rias-Typus  stattfinde,  hält  Ed.  Stifs  die  Buchten  von  Neu- 
Braunschweig,  Neu-Schottland  und  Neu-Fundland  geradezu  für  „ein  auf- 
fallendes Beispiel  jener  Kilstenbildungen,  welche  F.  von  Richthofen 
als  Rias-Küsten  bezeichnet  hat"1). 

Es  mufe  nun  aber  betont  werden,  dafs  die  morphographische  Be- 
trachtung die  Behauptung  einer  Sonderstellung  aller  dieser  Meeres- 
buchten nicht  zulassen  kann.  Die  Fjordbuchten  Schottlands  und  Neu- 
Fundlands  sind  ebenso  typisch  ausgebildet,  wie  diejenigen  an  der 
Längskiiste  Norwegens;  die  Bay  of  Exploits,  die  St.  Mary’s-Bai  Neu- 
Fundlands,  der  Loch  Aber  und  Linnhe  Schottlands,  die  sämtlich  dem 
Streichen  der  Falten  folgen,  entsprechen  in  jeder  Weise  den  Fjorden 
an  der  kolumbischen  und  patagonischen  Küste,  welche  senkrecht  zur 
Richtung  der  Gebirgskette  einschneiden.  Das  Moment  der  Sediment- 
Auffüllung  kann  unmöglich  von  Wichtigkeit  sein.  Bestimmt  das  Mafs 
der  Zuschüttung  und  Verschwemmung  den  Charakter  der  Bucht,  dann 
wäre  der  Fjordcharakter  nur  eine  vorübergehende  Eigenschaft.  Schon 
heute  beginnt  in  vielen  Fjordbuchten,  selbst  an  Längsküsten,  die  Auf- 
füllung und  die  Bildung  eines  Alluvialbodens  im  Hintergründe  der 
Bucht.  Es  könnte  so  eine  Zeit  geben,  in  der  die  Tiefenverschieden- 
heiten der  Fjordbuchten  völlig  beseitigt  sind , und  der  Boden  der 
Bucht  sich  wie  der  der  Rias  allmählich  in  kaum  merklicher  Neigung 
zum  Vormeer  hinabsenken  würde.  Aber  würden  die  Fjordeinschnitte 
selbst  im  vorgeschrittenen  Stadium  der  Zuschüttung  jemals  zu  Rias- 
buchten  w'erden  können? 

Rias-Küsten  können  nur  solche  Küstenstrecken  genannt  werden, 
deren  Einbuchtungen  nicht  nur  den  Charakter,  sondern  auch  die  Ge- 
schichte der  Rias  haben;  Küsten  jedoch,  deren  Einschnitte  in  ihren 
Umrissen  und  ihren  Tiefenverhältnissen  den  Fjordcharakter  tragen,  sind 
Fjordküsten,  gleichviel  ob  sie  Längs-  oder  Transversalküsten  sind.  Für 
die  Unterscheidung  bestimmter  Typen  von  Buchten  kann  die  Beziehung 
der  Küstenlinie  zum  inneren  Bau  und  der  Plastik  des  Küstenlandes 
überhaupt  nicht  von  demselben  Wert  sein  wie  die  Formen  der  Buchten, 
die  Art  und  die  Kraft  der  an  der  Modellierung  der  Küste  wirksamen 
Agenden. 

Unter  den  Küstenstrecken,  die  Hahn  dem  norwegischen  Typus  zu- 
rechnet, befindet  sich  auch  die  dalmatinische  Küste  von  der  Quarnero- 
Bucht  bis  zur  Bocche  di  Cattaro.  LTber  den  Charakter  dieser  Küste  ist 
viel  geschrieben  worden.  Schon  Peschei  und  Reclus  war  eine  gewisse 
Ähnlichkeit  der  dortigen  Küstenzertrümmerung  mit  derjenigen  der 


')  Süfs  a.  a.  O.  II  S.  49 


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248 


P.  Di  nse: 


Fjordgebiete  aufgefallen;  beide  erkannten  jedoch  den  Unterschied  und 
zählten  Dalmatien  nicht  zu  den  Fjordküsten.  Auch  hier  genügt  nun 
wieder  eine  Betrachtung  der  übermeerischen  und  untermeerischen  Formen 
zur  Erkenntnis  der  Notwendigkeit  der  Trennung.  In  Dalmatien  walten 
in  Buchten  und  Inseln  Linien  vor,  die  tler  allgemeinen  Richtung  der 
Küste  parallel  laufen.  Die  Anordnung  der  Inseln  in  Längsreihen  ist 
aber  eine  Erscheinung,  die  in  typischen  Fjordregionen  nur  sehr  selten 
auftritt;  Beispiele  findet  man  an  dem  südlichen  Teil  des  Ostufers  der 
Vancouver-Insel  von  der  Gabriola-  bis  zur  Saturna-Insel,  oder  an  den 
Küstenstrecken  des  Oberen  Sees  (Copper  Harbour,  Agate  Harbour).  In 
solchen  Gebieten  erweisen  sich  aber  auch  die  der  Küste  parallelen  Wasser- 
strafsen  durch  die  unruhigen  Bodenformen  als  Fjordstrafsen.  In  Dal- 
matien sind  die  Tiefen  der  die  Insel  umgebenden  Meeresteile  sehr 
gering;  und  legt  man  ein  Profil  durch  die  langgestreckten  Sunde  und 
Buchten,  so  zeigt  sich,  dafs  in  ihnen  Tiefendifferenzen  fehlen  und  der 
Boden  sich  stets  sehr  sanft,  meist  unter  einem  Winkel  von  nur  1—2 
Minuten,  senkt.  Die  kleinen  Einschnitte  senkrecht  zur  Küstenlinie  sind 
meist  regelmäfsige  Rias-Buchten,  nur  für  eine  Bucht  wie  die  Doppelbai 
von  Cattaro  wird  eine  andere  Entstehungsart  anzunehmen  sein.  Dieser 
treffliche  natürliche  Hafen  besteht  aus  drei  Erweiterungen,  die  durch 
enge  Eingänge  mit  einander  in  Verbindung  stehen.  Die  ganze  dalma- 
tinische Küstenzone  besteht  aus  einer  Anzahl  paralleler  Ketten,  die 
Längsthäler  zwischen  sich  lassen.  Diese  Längsthäler  wurden  — es 
sei  hier  einmal  das  Eingehen  auf  die  Theorie  gestattet  — durch  eine 
positive  Niveauveränderung  des  Mittelmeeres  überflutet;  das  Meer  drang 
durch  die  Scharten  der  Gebirgszüge  hindurch  und  schuf  so,  da  bei 
der  geringen  Brandung  des  Mittelmeeres  eine  Abrasion  nicht  stattfand, 
die  parallelen  Sunde  und  Inselreihen.  An  der  Stelle  der  heutigen  Bucht 
von  Cattaro  drang  das  Meer  durch  drei  solcher  Scharten  ein  und  ver- 
wandelte die  tiefsten  Teile  der  drei  hinter  ihnen  liegenden  Längsthäler 
in  drei  tiefe,  abgeschlossene  Hafenbassins. 

F.  von  Richthofen  nennt  diesen  Küstentypus  den  dalmatinischen1). 
Auch  dieser  ist  ebenso  wie  der  Typus  der  Rias-Küste  unbedingt  von 
dem  der  Fjordküste  zu  scheiden. 

Man  wird  also  zu  dem  Ergebnis  kommen  müssen,  dafs  der  den 
Umfang  des  Fjordbegriffs  bezeichnende  Kreis  sich  zur  Zeit  noch  nicht  er- 
weitern läfst.  Peschei  vermutete  Fjorde  an  der  steilen  Halbinsel 
Taimyr*),  welche  das  Nordkap  Asiens  trägt,  und  erhoffte  deren  Auf- 
findung von  einem  erneuten  Besuch  dieser  bis  damals  nur  von  Laptew 

•)  von  Richthofen,  Führer  S.  308. 

s)  Peschei  a.  a.  O.  S.  17. 


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Die  Fjordbildungcn. 


249 


und  Tscheljuskin  im  Jahre  1743  betretenen  Erdgegend.  Nordenskiöld 
hat  daselbst  jedoch  1878  keine  Fjordeinschnitte  gefunden1).  Penck 
glaubt,  dafs  die  Küsten  der  Tschuktschen-Halbinsel  von  Fjorden  zer- 
rissen sind*);  aber  auch  hier  müssen  wir  den  Nachweis  derselben  der 
Zukunft  überlassen. 

Wir  müssen  somit  den  Charakter  der  Fjordküste  auch  heute  noch  auf 
die  KUstenstrecken  beschränken,  die  wir  im  Eingang  als  all- 
gemein anerkannte  Fjordgebiete  zusammenstellten,  dieselben, 
auf  die  auch  Peschei  sich  in  seinem  vielcitierten  Aufsatz  bezogen  hat.  Es 
mufs  aus  diesem  Grunde  auch  anerkannt  werden,  dafs  die  Folgerungen,  die 
Peschei  an  diese  Übersicht  des  Vorkommens  der  Fjorde  knüpfte,  auch 
heute  noch  voll  und  ganz  zu  Recht  bestehen.  Er  bemerkte,  dafs 
man  Fjorden  nur  in  höheren  nördlichen  oder  südlichen  Breiten  begegne. 
Die  äquatoriale  Grenze  des  Fjordküstentypus  der  nördlichen  Halb- 
kugel ist  eine  Linie,  die  in  den  amerikanischen  Kontinent  im  Westen 
ungefähr  unter  dem  48.  Breitengrad  eintritt,  ihn  im  Osten  bei  Portland 
(44°  n.  Br.)  verläfst  und  in  Europa  bis  zum  530  n Br.  (Irland)  und 
dem  58°  n.  Br.  (Kap  Lindesnaes)  ansteigt.  Auf  der  südlichen  Halbkugel 
beginnt  die  Fjordbildung  in  Süd- Amerika  mit  dem  42.  Grad,  in  Neu- 
seeland mit  dem  43).  Breitengrad.  Da  Afrika  den  38.  Grad  kaum 
überschreitet,  ist  dieser  Erdteil  ganz  ohne  ein  Fjordgebiet  geblieben. 
Die  annähernde  Übereinstimmung  dieser  Grenze  mit  der  io°- Jahres- 
isotherme und  der  Polargrenze  der  Regen  zu  allen  Jahreszeiten  bewog 
dann  Peschei  zu  dem  Schlufs,  die  fjordartige  Zerklüftung  der  Küsten 
sei  eine  klimatische  Erscheinung,  deren  Vorkommen  an  niedrige  Tem- 
peraturen und  reichliche  Niederschläge  gebunden  sei.  Er  bemerkte, 
dafs  eine  westliche  Lage  der  Küste  augenscheinlich  als  eine  örtliche 
Begünstigung  der  deutlichen  Entwickelung  des  Typus  aufzu  fassen  sei. 
Mit  vollem  Recht  verneinte  er  aber  eine  Beschränkung  des  Auftretens 
der  Fjorde  auf  westliche  oder  nördliche  Küstenlage.  Einmal  finden 
sich  Fjorde  an  den  Ostküstcn  Nord-Amerikas,  Grönlands,  Islands  und 
an  allen  Küsten  Spitzbergens.  Dann  machte  aber  auch  Peschei  schon 
darauf  aufmerksam,  dafs  die  schwedische  Abdachung  des  skandinavi- 
schen Hochlands  durch  Überflutung  des  vorliegenden  Landes  eben- 
falls zu  einer  typischen  Fjordküste  werden  würde.  Die  langgestreckten 
„schlauchartigen“  Thalseen  der  östlichen  Gebirgsabdachungen  sind  den 
westlichen  Fjordseen  unbedingt  vergleichbar,  und  gelänge  es  den  Welt- 
meeren, die  Ostabhänge  der  norwegischen  und  schottischen  Hochlande, 
der  südlichen  Anden  oder  des  neuseeländischen  Gebirges  zu  bespülen, 
würden  sie  auch  dort  Fjorde  und  Sunde  schaffen. 

*)  Peterm.  Geogr.  Mitügcn.  1879,  Taf.  H. 

*)  Penck,  Glaziale  Bodengestaltung.  Ausland  1882  S.  349. 


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250 


P.  Binse: 


Schon  in  den  ersten  beiden  Bearbeitungen  seines  Aufsatzes  über 
die  Fjordbildungen  hatte  Peschei  auf  Grund  dieser  Beobachtungen 
nicht  umhin  gekonnt,  den  Gletschern  einen  Anteil  an  der  Herausbil- 
dung und  Erhaltung  der  Fjorde  einzuräumen.  In  der  dritten  Auflage 
liefs  er  sich  durch  Reclus  bewegen,  die  Fjorde  mit  der  Thatsache  und 
den  Erscheinungen  der  Eiszeit  in  Verbindung  zu  bringen.  Beiden  Ge- 
lehrten war  entgangen,  dafe  derselbe  Gedanke  schon  mehrere  Jahre 
vor  ihnen  in  bestimmterer  Form  ausgesprochen  war.  Schon  im  Jahre 
1863  hatte  Dana1)  und  fast  gleichzeitig  mit  ihm  Ramsay*)  die  Behaup- 
tung aufgestellt,  dafs  Fjordbreiten  und  Driftbreiten  dieselben  sind. 

Dieser  Beschränkung  des  Vorkommens  der  Fjordbildungen  auf  Ge- 
biete eiszeitlicher  Vergletscherung  ist  seither  vielfach  widersprochen 
worden.  Es  geschah  dies  stets  von  Seiten  derjenigen,  die,  in  Verkennung 
der  durch  morphographische  Eigentümlichkeiten  begründeten  Sonder- 
stellung der  Fjordbuchten,  den  Umfang  des  Fjordbegriffs  zu  erweitern 
geneigt  waren,  und  geschah  von  diesem  Standpunkt  aus  mit  Recht. 
Man  wird  sich  aber  endlich  dazu  entschliefsen  müssen,  die  Fjorde  als 
ganz  eigenartige  Bildungen  aufzufassen,  die  nur  mit  denen  der  Fjärd- 
und  Föhrdenküsten  als  mit  minder  scharf  ausgeprägten  Übergangs- 
formen zusammenzustellen  sind.  Für  diese  fällt  aber  — wie  dies  zum 
Schlufs  nachdrücklichst  betont  werden  mag  — die  äquatoriale  Grenze 
mit  der  der  dereinstigen  Vereisung  zusammen.  Es  giebt  keinen 
Fjord  und  keinen  Fjärd,  kein  Stück  Schären-  und  keine 
Föhrdenküste,  die  jenseits  der  Linien  läge,  die  wir  bisher 
als  die  Äquatorialgrenzen  der  einst  vergletscherten  Polar- 
zonen anzusehen  gewohnt  sind. 

Wir  sind  hier  am  Schlufs  der  morphographischen  Betrachtung. 
Die  Erörterung  des  Historischen  der  Fjordtheorien  und  der  Versuch, 
die  Ergebnisse  der  Betrachtung  der  Fjord  formen  zu  einer  Kritik  der 
wichtigsten  Fjordtheorien  zu  verwerten,  soll  einem  zweiten  Aufsatz  Vor- 
behalten bleiben. 


*)  Dana,  Manual  of  Geology  1863  S.  543.  1876  S.  533. 

-}  Ramsay,  On  the  glacial  origin  of  certain  lakes  etc.  Quat.  Journ.  of 
the  Gcol.  Soc.,  Vol.  18  S.  zoll). 


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und  norwegischen  Seekarten  zu  Gründe.  Verfasser  hat  dieselben  mit  gütiger  Erlaubnis  des  Herrn  Kontre- Admiral  Hoffman n, 
Vorstandes  der  Nautischen  Abteilung  des  Reichs -Marine -Amts,  auf  das  ausgiebigste  benutzen  dürfen. 


1 1. 


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13. | Sör-Fjord  v.  Oddc  . . .1  39  I 1,5  I 15,6  395  18  319 


Die  Fjordbildungcn. 


253 


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Die  Fjordbildungen 


255 


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P.  Dinsc 


Die  Fjordbildungen 


257 


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59.  St.  Annes  Bay  (46°  17')  1 10,1  I 2,3  I 9,5  128  1,2  11  I o 45  5 39  I 1:0,13 


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258 


P.  Dinsc 


Kerguelen. 


Die  Fjordbild cn^en 


259 


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83.  Dark-Cloud-Sund  . 


260 


A.  Galle: 


Dr.  A.  Philippson’s  Höhenmessungen  in  Nord-  und  Mittel- 
Griechenland  und  Türkisch-Epirus  im  Jahr  1893. 

Berechnet  von  A.  Galle. 

Die  vorliegenden  Höhenmessungen  können  als  eine  Fortsetzung 
der  von  Dr.  Philippson  im  Peloponnes  in  den  Jahren  1887 — 1889  angc- 
stellten  angesehen  werden,  die  in  Band  24,  1889,  S.331  ff.  dieser  Zeit- 
schrift  von  mir  veröffentlicht  worden  sind.  Für  die  Bearbeitung  sind  die 
damals  angewendeten  Formeln  und  die  Jordan 'sehen  Höhentafeln  'wie- 
derum benutzt  worden.  Zwar  hat  Dr.  Pernter  (in  Exner's  Repertorium 

der  Physik  1888,  XXIV,  S.  161  ff.)  statt  des  Ausdrucks  g = g0 

den  auf  der  Poisson'schen  Formel  beruhenden  g = g0^i — ^ in  die 

Höhenformel  eingeführt  und  darauf  Tafeln1)  gegründet,  und  von  der- 
selben Grundlage  gehen  die  internationalen  meteorologischen  Tabellen 
(Paris  1890)  aus.  Es  liegt  dabei  die  Annahme  vor,  dafs  bei  dem  Ge- 
brauch der  ersteren  Formel  übersehen  werde,  dafs  die  Schwereänderung 
auf  dem  Festland  sich  anders  gestalte,  als  bei  Erfüllung  des  Raumes 
zwischen  Beobachtungsort  und  Meeresniveau  durch  die  Atmosphäre 
(etwa  wie  bei  Ballonfahrten).  Indefs  ist  verschiedentlich  (insbesondere 
von  Helmert  in  Band  II  der  „Mathematischen  und  physikalischen 
Theorien  der  höheren  Geodäsie")  darauf  aufmerksam  gemacht  worden, 
dafs  die  Resultate  der  Schweremessungen  vielfach  auf  eine  Kompen- 
sation der  oberirdischen  Massen  durch  unterirdische  Defekte  hinweisen, 
und  dafs  es  daher  richtiger  ist,  die  Schwereänderung  in  derselben 
Weise,  als  ob  sie  oberhalb  des  Geoids  in  freier  Luft  erfolge,  zu 
betrachten.  Eine  Berechtigung  würde  meines  Erachtens  nur  eine  spe- 
zielle Berücksichtigung  der  Anziehung  der  benachbarten  Massen  haben 
können,  wenn  dabei  nicht  die  eigentlich  nur  für  Hochplateaus  gütige 
Poisson’sche  Formel  angewendet,  sondern  jedesmal  auf  die  Gestaltung 
des  betreffenden  Terrains  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  der  Reduktion 
der  Schweremessungen  Rücksicht  genommen  würde.  Selbst  wenn  die 
hierzu  erforderlichen  Kenntnisse  vorhanden  wären,  würde  indefe  der 
Arbeitsaufwand  in  keinem  Verhältnis  zu  der  Genauigkeit  barometrischer 
Höhenmessungen  stehen. 

Leider  konnte  bei  den  Reisen  in  Nord-Griechenland  nicht  dasselbe 
Aneroid  verwendet  werden,  welches  sich  im  Peloponnes  im  allgemeinen 

1 ) Mit  diesen  Tafeln  hat  Dr.  Wagner  die  Höhenmessungen  von  H.  Meyer  be- 
rechnet (Petermann’s  Mitteilungen  1893,  S.  62). 


Dr.  A.  Philippson’s  Höhenmessungen  im  Jahr  1893. 


261 


gut  bewährt  hatte,  da  dieses  noch  nicht  von  der  Grönländischen 
Expedition  unter  Dr.  v.  Drygalski  zurückgekehrt  war.  Das  Bohne'sche 
Aneroid  No.  1650,  welches  bei  der  diesmaligen  Reise  mitgenommen 
war,  ist  erst  nachträglich  von  der  Physikalisch-Technischen  Reichsan- 
stalt in  Charlottenburg  untersucht  worden.  Es  scheint  mir  hier  der 
Ort  zu  sein,  dem  Wunsch  Ausdruck  zu  geben,  dafs  ebenso,  wie  kein 
Beobachter  unvorbereitet  Forschungsreisen  antreten  sollte,  auch  stets 
eine  Anzahl  Instrumente  vorhanden  sein  möchten,  die  bereits  einer 
eingehenden  Untersuchung  Uber  ihre  Tauglichkeit  unterworfen  worden 
sind.  Es  hat  sich  nämlich  herausgestellt,  dafs  Bohne  1650  sehr  be- 
deutende elastische  Nachwirkungen  zeigt,  die  in  den  Durchschnitts- 
werten bis  zu  3 mm  anwachsen.  Wenn  nun  auf  der  einen  Seite  die 
langsameren  Druckänderungen  auf  der  Reise,  wie  anzunehmen  Gründe 
vorliegen,  etwas  geringere  Nachwirkungen  verursachen,  als  bei  Druck- 
änderungen von  1 mm  in  1 Minute  bzw.  4 Minuten,  wie  sie  bei  den 
Versuchen  im  Laboratorium  angewendet  worden  sind,  so  ist  auf  der 
andern  Seite  die  Abwechslung  von  steigendem  und  abnehmendem 
Druck  im  Gebirge  so  kompliziert,  dafs  selbst  das  Vorzeichen  der  für 
die  Nachwirkung  anzubringenden  Korrektion  manchmal  zweifelhaft  sein 
kann.  Auch  unterliegt  es  nach  Ausweis  der  erhaltenen  Resultate 
keinem  Zweifel,  dafs  mehr  oder  weniger  andauernde  Änderungen  der 
Stand-Korrektion  eingetreten  sind,  die  sich  einer  rechnungsmäfsigen 
Behandlung  entziehen. 

Von  dem  ebenso  wie  im  Peloponnes  mitgeführten  Goldschmidt'schen 
Aneroid  No.  1447  wurde  ebensowenig  von  dem  Beobachter  als  von 
dem  Berechner  Gebrauch  gemacht,  da  dieses  Instrument  bei  seiner 
mangelhaften  Brauchbarkeit  nicht  einer  neuen  Prüfung  unterzogen 
worden  ist.  Von  Wichtigkeit  war  es  dagegen,  dafs  zwei  Fuess’sche 
Siedethermometer  No.  185  und  187  mitgeführt  wurden.  Leider  sind 
diese  aber  auch  nur  sechsmal  abgelesen  worden,  da  Dr.  Philippson 
über  die  Einrichtung  des  Apparates  und  die  Umständlichkeit  seiner 
Benutzung  Klage  führte.  — Die  bereits  anderweit  bestimmten  Höhen 
sind  bei  dieser  Reise  seltener  als  im  Peloponnes.  Einige  wenige  sind 
von  Dr.  Philippson  1890')  bestimmt  worden  andre  sind  der  französischen 
Karte*),  der  Wiener  Karte3),  der  Karte  von  Mavrokordatos4),  Kiepert’s 

l)  Enthalten  in:  „Bericht  über  eine  Reise  durch  Nord-  und  Mittel-Griechen- 
land“, in  Bd.  XXV,  1890,  S.  331  — 406  dieser  Zeitschrift. 

*)  Carte  de  la  Gröce,  redigie  en  Depot  de  la  Guerre,  Paris  1851  (beschränkt 
sich  auf  die  alten  Provinzen  des  Königr.  Griechenland). 

3)  Generalkarte  des  Königr.  Griechenland.  Generalkarte  von  Mittel-Europa 
L 14,  15;  M 14.  K.  K.  Militär-geographisches  Institut. 

4)  ](icqtijs  xii'iotxoü  ifiijuaios  19c  Wsffffrrlirrc.  Athen  1890. 


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262 


A.  Galle: 


Karte  der  Griechisch-Türkischen  Grenze1)  und  dem  Nivellement  der  Ko- 
pai's-Gesellschaft  entnommen;  für  Athen  und  die  nächste  Umgebung  gab 
die  preufsische  Generalstabskarte  von  Attika  einen  sichern  Anhalt.  Zum 
Teil  sind  diese  Höhenangaben  aber  ziemlich  unsicher,  und  in  vielen 
Fällen  ist  die  genaue  Identifikation  der  Punkte  eine  schwierige  und 
kommt  in  Folge  des  kupierten  Terrains  sehr  in  Betracht.  Immerhin 
deutet  die  Übereinstimmung  des  Vorzeichens  und  der  ungefähren 
Gröfse  der  Abweichungen  während  einer  bestimmten  Zeit  bei  chrono- 
logischer Anordnung  der  Stationen  darauf,  dafs  die  Abweichungen 
wenigstens  teilweise  dem  Aneroid  Bohne  1650  zur  Last  zu  legen  sind. 
Eine  Anordnung  nach  der  Höhe  der  Beobachtungsorte  führte  zu  keinem 
gesetzmäfsigen  Verlauf  der  Abweichungen,  wenn  auch  die  höchsten 
Stationen  die  stärksten  Abweichungen  aufweisen  (Uber  60  und  bis  100m). 

Zum  Zweck  der  Berechnung  w'urden  zunächst  die  von  der  Physi- 
kalisch-Technischen Reichanstalt  für  verschiedene  Drucke  und  Zu-  und 
Abnahme  des  Druckes  ermittelten  Korrektionen  von  dem  Teil,  der 
von  der  elastischen  Nachwirkung  abhängt,  befreit.  Zu  Mittelwerten 
vereinigt  geben  sie  eine  ziemlich  einfache  Kurve,  welche  graphisch 
ausgeglichen  wurde.  An  die  Aneroidablesungen  wurden  demnach  drei 
Korrektionen  angebracht,  erstens  wegen  der  Temperatur  des  Instru- 
ments, zweitens  die  aus  der  Kurve  entnommene  Teilungskorrektion 
und  drittens  eine  die  elastische  Nachwirkung  berücksichtigende  Kor- 
rektion. Die  letztere  von  der  Gröfse  und  Geschwindigkeit  der  Druck- 
änderung und  der  seit  Erreichung  des  Druckes  bis  zur  Ablesung  ver- 
flossenen Zeit2)  wesentlich  abhängige  Korrektion,  die  naturgemäfs  nur 
geschätzt  werden  konnte,  habe  ich,  von  vornherein  damit  auf  gröfsere 
Genauigkeit  verzichtend,  auf  halbe  Millimeter  abgerundet. 

Für  den  Barometerstand  am  Meeresspiegel  lagen  meteorologische 
Beobachtungen  von  den  drei  Stationen  Athen,  Volos  und  Kerkyra  vor, 
welche  wir  der  Güte  des  Direktors  der  Athener  Sternwarte  und  des 
meteorologischen  Dienstes  Herrn  D.  Eginitis  verdanken.  Auf  Grund 
der  Entfernungen  der  Beobachtungspunkte  von  diesen  drei  Stationen 
wurde  für  jeden  Tag  der  Barometerstand  am  Meeresspiegel  durch  ein 
graphisches  Verfahren  interpoliert  und  dementsprechend  zwischen  die 
drei  gegebenen  Kurven  für  letzteren  eine  vierte  Kurve  konstruiert,  bei 
der  die  Tagesschwankungen,  da  nur  für  Athen  täglich  dreimalige  Be- 
obachtungen vorliegen,  nur  ausnahmsweise  berücksichtigt  sind.  Da  zu 
der  Zeit  der  Reise  sehr  gröfse  Schwankungen  des  Barometers  Vor- 
kommen, wird  die  Interpolation  des  Barometerstandes  häufig  unsicher, 

*)  Bil.  XVII,  1882,  dieser  Zeitschrift. 

s)  Diese  ist  von  Dr.  Philippson  in  sehr  dankenswerter  Weise  überall  mit 
angegeben. 


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Dr.  A.  Philippson’s  JHöhenmessungen  im  Jahr  1893.  263 

auch  lassen  starke  Verschiedenheit  des  Ganges  und  Standes  des  Baro- 
meters auf  den  drei  Stationen  bisweilen  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der 
Daten  aufkommen.  Für  die  Ableitung  der  Mitteltemperatur  habe  ich 
als  untere  Station  nur  Athen  benutzt.  Auch  hierbei  können  Fehler- 
quellen verursacht  werden,  wie  wenigstens  ein  Fall  mit  Sicherheit 
andeutet. 

Da,  wie  bereits  oben  erwähnt,  die  Abweichungen  gegen  die  Fix- 
punkte keinerlei  regelmäfsiges  Verhalten  zeigen,  so  habe  ich  von  der 
Anbringung  einer  mit  der  Zeit  veränderlichen  Standkorrektion  richtiger 
absehen  zu  müssen  geglaubt.  Da  viele  Punkte  mehrmals  besucht  bzw. 
an  demselben  Ort  das  Aneroid  öfters  abgelesen  wurde,  so  habe  ich 
den  mittleren  Fehler  der  einzelnen  Bestimmung  aus  diesem  Material 
abgeleitet  und  zu  ± 20  m gefunden,  womit  die  Abweichungen  gegen 
die  Fixpunkte  zur  Genüge  erklärt  werden  würden. 

In  der  folgenden  Übersicht  der  Ergebnisse  sind  alle  Werte  auf 
Zehner  abgerundet  und  in  Metern  zu  verstehen.  Herr  Dr.  Philippson 
hat  die  Örtlichkeiten  ohne  Rücksicht  auf  den  Verlauf  des  Itinerars  in 
topographische  Gruppen  geordnet. 


1.  Athen  Theben— Lamia. 


Athen,  Hötel  d’Athönes, 

tn 

Skripu 

m 

90 

2.  Stock 

90 

Quelle  des  Melas*) 

90 

Epano  Liosia 

160 

Chani  Kalit  (oder  Kadi?)  Eng- 

Chassia 

320 

pafs  von  Parapotamia 

140 

Phyle 

690 

Dadi 

400 

Pafshöhe  des  Farnes,  Phyle — 

Brücke  über  den  Kephissos 

250 

Krora 

O 

00 

t-*» 

Pafehöhe  von  Purnaraki  (Oeta) 

590 

Krora 

560 

Höchster  StrafsenpunktDadi— 

Ebene  von  Dervenosialesi 

530 

Lamia 

660 

Kalyvia  „ „ 

z8o 

Obere  Grenze  des  Vorkommens 

Brücke  über  den  Asopos 

250 

von  Arbutus  am  N-Abhang 

Höhenrücken  oberhalb  Theben 

340 

der  Osta 

410 

Theben,  unterer  Stadtteil,  Pri- 

Südrand der  Spercheios-Ebene 

40 

vathaus1) 

240 

Brücke  über  den  Spercheios 

0 

Theben, untererStadtteil,  Haus 

Lamia,  Hotel  Parnafs,  am 

der  Kopals-Gesellschaft 

200 

oberen  Platz;  1.  Stock3) 

ho 

Ebene  unterhalb  Theben 

130 

’)  Bei  Philippson's  Reise  von  1890  zu  218  m bestimmt. 
*)  100  m Nivellement  der  Kopa'is-Gesellschaft. 

3)  ioa  m Philippson,  1890. 


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264 


A.  Galle: 


2.  Die  östliche  Othrys. 

(I.ami  a — Gura— Halmyros  — Echinos  — Lamia.) 


Erste  Pafshöhe  nördlich  des 

m 

Letzte  Pafshöhe  auf  dem  Weg 

xn 

Gipfels  Mavromandila 

690 

Gura — Halmyros 

IOIO 

Pafshöhe  nördlich  vom  Palaeo- 

Gientzeki 

3*° 

kastron 

770 

Halmyros 

5° 

Dorf  Limogardi 

73° 

Platanos,  Quelle  unterhalb  des 

Pafshöhe  über  die  Othrys 

910 

Dorfes 

»5° 

Übergang  über  den  Bach  Chi- 

Erste  Brücke  auf  dem  Weg 

liadotikos,  südlich  von  Ne- 

Platanos  — Vryncna 

*50 

ochori 

670 

Zweite  Brücke  auf  dem  Weg 

Pafshöhe  vor  Gura 

860 

Platanos  — Vrynena  (unter- 

Gura, am  Platz,  Haus  1.  Stock  760 

halb  Kokkoti) 

2 10 

Erste  Pafshöhe  auf  dem  Weg 

Vrynena 

560 

Gura— Halmyros  i 

[O4O 

Flufs  Salamvrias  bei  H.  Joannis 

43° 

Zweite  Pafshöhe  auf  dem  Weg 

Pafshöhe  vor  Myli 

93° 

Gura — Halmyros 

1030 

Myli  in  der  Othrys 

490 

Echinos 

40 

3.  Die  westliche  Othrys. 

(Lamia  — Pharsalos 

— Kato- Agoriani  — Varybopi). 

Pafs  Derveni-Furka 

m 

800 

salos,  auf  der  Stralse  nach 

m 

Chani  Drachmanaga 

630 

Domokos 

2 10 

Tiefste  Stelle  der  Strafse  in 

Bekriler 

9° 

der  Ebene  östlich  des  Sees 

Kato-Agoriani 

160 

von  Daukli 

470 

Pafshöhe  bei  Ano-Agoriani 

540 

Domokos,  Chani  am  Platz, 

Flufs  Pentamylos 

430 

1.  Stock 

520 

Dereli 

470 

Pharsalos,  Magazi  am  Platz, 

Pafc  Muchluka 

640 

1.  Stock 

140 

Varybopi,  Chani  am  Platz, 

Pafshöhe  westlich  von  Phar- 

t.  Stock1) 

140 

4.  Das  Flyschgebirge  der  östlichen  Agrapha,  zwischen  der  Thessa- 
lischen  Ebene  und  dem  Flnfs  Megdovas. 

(Varybopi  — Rentina  — Smokovon  — Spinassa  — Kardi  tsa  — 
Vunesi  — Muzaki  — Porta— T rikkala.) 

tn  m 

Rovoliari  830  Flufs  vor  Rentina  610 

Pafchöhe  Rovoliari  — Rentina  1020  Rentina,  Bürgermeister-Amt  900 

*)  Ebenfalls  140  m Philippson,  1890. 


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Dr.  A.  Philippson’s  Höhenmessungen  im  Jahr  1893* 

265 

m 

Bäder  von  Smokovon  410 

Kastania  (Megali-) 

m 

780 

Untere  Grenze  der  Tannen 

Bach  vor  Kataphygi 

39° 

oberhalb  Rentina  1000 

Bach  jenseits  Kataphygi 

310 

Pafs  Zacharaki 

1270 

Flufs  Karambalis  bei  Seklitsa 

r8o 

Pafshöhe  nach  Phurna  1330 

Russu 

160 

Obere  Grenze  der 

Eichen  ri8o 

Karditsa,  Hotel,  1.  Stock1) 

*3° 

Untere  Grenze  der  Tannen 

Ebene  unterhalb  Phanari 

90 

(lokal) 

910 

Phanari,  Bazar 

260 

Phurna 

870 

Vunesi*) 

790 

Flufs  bei  Phurna 

780 

Pafshöhe  hinter  Vunesi 

750 

Pafshöhe  Phurna— 

Spinassa  1210 

Makrya  Rhachi 

760 

Beginn  des  Abstiegs  nach 

Brücke  Uber  den  Muzalkos 

140 

Spinassa 

1160 

Muzaki 

180 

Spinassa,  Haus  des  Bürger- 

(Kerasia  s.  unten  Abschnitt 

meisters 

800 

9 b.) 

Flufe  Sarantaporos,  Mündung 

Höhenrücken  zwischen  Muzaki 

des  ersten  Nebenbaches  von 

und  Porta 

200 

Süd 

640 

Porta 

200 

Erste  Pafshöhe, 

Poliana 

'3° 

westl.  des  Kalk- 

Weg 

Trikkala,  Hotel  an  der  Bazar- 

berges 

.Spinassa — 1 150 

Brücke,  1.  Stock3) 

r 20 

Zweite  Pafshöhe 

Kastania  1000 

Dritte  Pafshöhe 

880 

5.  Kambunische  Berge.  Ch&ssia. 


(Trikkala  -Phlamburo. 

Kalabaka — Mavreli  — Ostrovon.) 

Zevlania 

m 

60 

Bachübergang 

m 

470 

Höhenrücken  hinter  Zevlania 

560 

Pafshöhe  vor  Spathades 

610 

Bergrücken  Ardamon  bei  Lio- 

Spathades 

250 

presi 

740 

Kalabaka,  Gasthof  am  unteren 

Brücke  über  Mavroneri-Bach 

39° 

Ende  des  Ortes,  1.  Stock 

250 

Grenzposten  Vrontismeni 

690 

Rastplatz 

900 

Grenzposten  Phlamburo4) 

1 240 

Phlamburesi 

850 

Nea  Smolia 

480 

Höhenrücken  vor  Koniskos 

pro 

*)  Mittel  aus  io  Werten.  Das  Siedethermometcr  giebt  85  na,  aber  der  Baro- 
meterstand im  Meeresniveau  ist  bei  dieser  Ablesung  unsicher,  da  in  diesen  Tagen 
heftige  Luftdruckschwankungen  stattfanden;  die  Wiener  Karte  giebt  113m. 
a)  Mittel  aus  6 Werten,  das  Siedethermometer  giebt  820  m. 

3)  1x5  m Wiener  Karte. 

4)  1207  m Kiepert. 


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266 


A.  Galle: 


m 

Flufs  bei  Gerakari  850 

Mavreli  1130 

Einsattehing  des  Grenzkammes 
beim  türkischen  Posten 
Karaul  1000 

Sattel  vor  dem  Grenzposten 
bei  Sinu-Kerasia  770 

Dorf  Sinu-Kerasia  710 

Höhe  des  Joches  bei  Aspro- 
klisia  (visiert)  660 

Grenzposten  bei  Asproklisia  660 


Dorf  Asproklisia  610 

Bach  vor  Velemisti  470 

Grenzposten  bei  Velemisti  680 

Dorf  Velemisti  600 

Thal  westlich  Velemisti  550 

Bergrücken  vor  Ostrovon  730 

Flufs  vor  Ostrovon  560 

Ostrovon  720 

Zusammenflufs  des  Baches  von 
Ostrovon  mit  dem  Murgan  320 

Chani  Murgan  270 


6.  Übergang  über  den  Zygos-Pafs  (Lakmon)  im  nördliohen  Teil 
des  griechischen  Pindos. 


(Kalabaka  — Malakasi 

m 

Chani  Tsuranaei  400 

Brücke  Uber  den  Bach  von 
Kutsuphliani  510 

Malakasi,  Wirtshaus  am  Ost- 
eingang 850 

Höhenrücken  zwischen  Mala- 
kasi und  Kutsuphliani  1270 

Brücke  über  den  Bach  südlich 
unterhalb  Malakasi  720 

Chani  Salt-Pascha1)  1340 

Grenzposten  Zygos  159° 


7.  Tttrkisch-Epiros, 

(Janina — Hagii-Saranta- 
Paramy  thia  — 

m 

Janina,  unterer  Stadtteil,  wenig 


über  dem  See3)  500 

Ebene  bei  Lykostomi  470 

Pafshöhe  vor  Han  Nerades  660 

Han  Nerades  620 


— Metzovos — Janina.) 

« 

m 

Pafshöhe  Zygos*)  1650 

Metzovos,  Prosilion,  Haus  im 
höchsten  Teil,  an  der  Strafse 
von  dem  Fort  nach  Janina  1160 
Erste  Brücke  unterhalb  Met- 


sovos  840 

Tria  Chania  710 

Flufs  von  Arta  bei  Baiduma  510 

Han  Baiduma  510 

Pafshöhe  Kyra  bei  Drysko  990 

Han  Levka  510 


aufser  dem  Pindos. 

-Sagiades— Philiataes  — 

] anina  — Arta.) 

Wasserscheide  jenseits  Han 


Nerades  640 

Flufs  Kalamas  440 

Brücke  is  tus  Hagius  über  den 
Flufs  Kormos  460 

Han  Zarovina  470 


')  1270  m Kiepert. 

*)  1550  ra  Kiepert. 
s)  484  m Wiener  Karte. 


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Dr.  A.  Philippson’s  Höhcnraessungen  im  Jahr  1893. 


267 


m 

Pafshöhe  bei  Han  Delvinaki1)  560 
Wasserscheide  470 

Han  Kakavia  370 

Flufs  von  Argyrokastron  300 

Han  Muzina  600 

Pafshöhe  vor  Gardikaki  460 

Han  Gardikaki  240 

Delvino,  Bazar  240 

Höhe  vor  Hagii  Saranta  140 

Hagii  Saranta,  Haus,  1.  Stock  20 
Karalibet  80 

Pafshöhe  nach  Mursi  180 

Mursi  70 

Smerta  1 70 

Phiiiataes  230 

Brücke  über  den  Bach  östlich 
Phiiiataes  40 

Höhenrücken  bei  Kalvaki  110 

Flufs  Kalamas,  an  der  Fähre 
bei  Mancari  20 


m 

Pafshöhe  nach  Paramythia  240 

Thalebene  bei  Paramythia  170 

Paramythia,  Haus  des  Bischofs  240 

Kakiskala,  oberes  Ende  590 

Pafshöhe  650 

Rastplatz  am  Trockenbach  430 

Han  Tsaravutsi  340 

Zusammenflufs  mehrerer  Bäche  310 

Pafshöhe  vor  Dzamaliga  560 

„ ,,  Kosmara  960 

Kosmara  700 

Unteres  Han  Rapsista  480 

(Janina  s.  oben) 

Han  Kutsulio  540 

Han  Bezanu  510 

Pafshöhe  Derveni  650 

Zweite  Pafshöhe  540 

Han  Demiraga  oder  Berira  360 

Han  Kukuleaes  180 

Philippiada,  Han  am  Bazar  10 


8.  Westlicher  Pindos,  zwischen  dem  Flufs  von  Arta  und  dem 
Aspropotamos. 

a.  Nördlicher  Teil. 


(Janina — Syraku.  Chaliki 


Gardiki — Vulgareli- 

m 

Janina  s.  Abschnitt  7. 

Kontovrachi  940 

Pafshöhe  östlich  Kontovrachi  990 
Brücke  über  den  Arta-Flufs  460 
Han  Palaeochori  1000 

Syraku,  Haus  des  Rizu  am 
Bazar,  1.  Stock*)  1160 

Kirche  H.  Georgiosb.  Syraku3)  1290 
Chaliki,  Magazi  1210 

Brücke  bei  Lepenitza  1080 

Pafshöhe  nach  Kalarrhytaes  1980 


Kalarrhytaes — Pr  am  an  ta  — 


Schoretsana — Arta.) 

m 

Lakka  am  Fufs  des  Haupt- 
kammes 1630 

Kalarrhytaes,  Cafd  am  Bazar, 

1.  Stock  1180 

Brücke  Uber  den  Karlivo-Bach  780 
Matzuki  1040 

Brücke  über  den  Bach  von 
Matzuki  800 

Brücke  überden Melissurgitiko  510 
Pramanta,  Haus  im  unteren  Teil  830 
Pramanta,  Platz  850 


■)  Das  Han  selbst  nach  der  Wiener  Karte  54g  m. 
*)  Siedethermometer : rijom. 

3)  1234  m Kiepert. 


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268 


A.  Galle: 


Melissurgi,  Platz 

m 

900 

Pafehöhe  nach  Vulgareli 

m 

'35° 

Rastplatz  an  der  oberen  Grenze 

Vulgareli,  Platz1) 

810 

des  Flysch  beim  Aufstieg 

1360 

Höhe  vor  Schoretsana 

1340 

Höhe  des  Joches  nach  Theo- 

Schoretsana,  Magazi  am  Platz  840 

doriana  -+-  ca.  50  m,  visiert 

1850 

Berg  Kastri 

143° 

Pafshöhe  des  Stavros 

2080 

Obere  Grenze  der  Arbutus- 

ObereGrenze  der  Tannen  beim 

Maquien 

490 

Abstieg 

1560 

Grenzposten  Krioneri 2) 

170 

Gardiki 

1090 

Höhenrücken  vor  Kato -Ka- 

Pafshöhe nach  Greveno 

1810 

lentini 

540 

Greveno 

1060 

Kato-Kalentini 

110 

Theodoriana,  Platz 

980 

Grenzposten  Platanorhevma 

90 

b.  Südlicher  Teil. 

(Arta  — Brücke  Koraku. 

Arta 

— Syntekno  — Pigadia — Brücke 

bei  VTuviana.) 

Arta,  Gasthof  an  dem  neuen 

m 

Tannengrenze 

m 

720 

Platz,  1.  Stock 

20 

Pafshöhe  vor  Katavothra 

9OO 

Höhenrücken  vor  I.ivitsikon 

300 

Katavothra 

660 

Livitsikon 

500 

Miliana 

580 

Höhe  Zygos 

57° 

Pafshöhe  vor  Grevia-V restenitza  690 

Flufe  von  Kalentini,  Brücke 

220 

Brücke  Koraku  über  den  As 

- 

Thalterrasse  über  dem  Flufe 

34° 

propotamos 

440 

Militärposten  Ano-Kalentini 

470 

(Arta  s.  oben.) 

Erste  Pafshöhe  Syntekno— 

Rastplatz 

460 

Sakaretsi 

1170 

Höhenrücken  vor  Syntekno 

740 

Zweite  Pafshöhe  Syntekno— 

- 

Flufs  vor  Syntekno 

43° 

Sakaretsi 

93° 

Syntekno  (Paliopulo) 

530 

Pigadia 

840 

Stanaes 

1020 

Brücke  bei  Vruviana  über  den 

Aspropotamos 

29O 

9.  östlicher  Pindos,  zwischen  Aspropotamos,  Peneios  und  Megdovas. 

a.  Nördlicher  Teil. 

(La 

ndschaft  Aspropotamos.) 

(Liaskovon  — Vitsista  — ] 

Pira- 

— Al  van  — Wlacho-Kastania  — 

Krania  — 

Chaliki.) 

(Liaskovon,  s.  unten  b.) 

m 

Martinsko 

m 

910 

Molensko,  Haus  des  Papas 

59° 

Erste  Pafshöhe 

1170 

1)  Mittel  aus  vier  Werten.  Das  Siedethermometer  giebt  797  m. 

2)  146  m Kiepert. 


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Dr.  A.  Philippson’s  Höhenmessungen  im  Jahr  1893. 


269 


Zweite  Pafshöhe 

m 

■ 180 

Valkan 

790 

Kurnesi 

870 

Pafshöhe 

1280 

Vitsista 

800 

Untere  Tannengrenze 

beim 

Aufstieg  zum  Avgo 

1270 

Obere  Tannengrenze 

beim 

Aufstieg  zum  Avgo 

»55° 

Fufs  des  höchsten  Kalkkam- 

mes  des  Avgo 

1700 

Gipfel  Avgo 

2150 

Unterste  gröfsere  Schneefelder 

beim  Abstieg  vom 

Avgo 

nach  Nordost 

1680 

Obere  Tannengrenze,  zu 

gleich 

unterste  kleine  Schneefelder 

beim  Abstieg  vom  Avgo  nach 

Nordost 

1580 

Flufs  bei  Pira 

920 

Pira 

990 

Vetemiko 

1130 

Pertuli 

1 180 

Wasserscheide  zwischen  As- 
propotamos  lind  Peneios 


nördlich  Pertuli  1210 

Aivan  850 

Sohle  des  Hauptthals  von 
Aivan  660 

Palaeochori  1000 

Pafshöhe  am  Bappa  1670 

Stanaes  oberhalb  Klinovos  1360 

Joch  oberhalb  Klinovos  1290 

Wlacho-Kastania,  oberer  Teil  930 
Pafshöhe  nach  Krania  >470 

Bach  bei  Doliana  1110 

Krania,  Haus  des  Dimarchos  1190 
Dragovisti,  Haus  im  unteren 
Teil  1080 

Dragovisti,  Platz  im  oberen 
Teil  1150 

Zusammenflufs  der  Bäche  von 
Krania  und  Chaliki  (Aspro- 
potamos)  890 

Koturi  1040 

(Chaliki  s.  8,  a.) 


b.  Mittlerer  Teil.  (Landschaft  Agrapha,  nördlicher 
Abschnitt.) 

(Brücke  Koraku  — Liaskovon  — Knissovon  — Muzaki  — 
Sremenikon  — Petri  lu — Liaskovon.) 


(Brücke  Koraku  s.  8,  b.) 

m 

Knissovon,  anderes  Haus 

m 

940 

Pafshöhe  Pente-Adelphia 

75° 

Einsattelung  am  Aufstieg 

1200 

Brücke  über  den  Bach  von 

Pafshöhe,  Wasserscheide 

1460 

Petrilu 

460 

Höchster  Punkt  des  Weges 

1470 

Liaskovon 

710 

Vatsinia 

440 

Höchster  Punkt  des  Weges 

Flufs  unterhalb  Vatsinia 

33° 

nach  Knissovon  an  der  Berg- 

(Muzaki s.  4) 

ecke  über  dem  Zusammen- 

Kerasia (Nevropolis) 

9IO 

flufs  der  Bäche 

800 

Sermenikon,  oberer  Weiler 

IO9O 

Brücke  über  den  Bach  von 

Pafshöhe  am  Butzikaki 

1800 

Glogovista 

700 

Petrilu,  Magazi  am  unteren 

Knissovon 

980 

Ende 

1190 

Z'iuchr.  d.  Geldlich,  f.  Erdk.  Kd.  XXIX.  18 


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270  A.  Galle:  Dr.  A.  Philippson’s  Höhenmessungen  im  Jahr  1893. 


Petrilu,  Haus  im  oberen  Teil 

m 

1230 

Brücke  bei  Petrilu 

1000 

Brücke  bei  Kuplesi 

780 

c.  Südlicher  Teil.  (Lands 

A b s c h 

(Brücke  von  Vruviana- 

— G r a 1 

(Brücke  von  Vruviana  s.  8,  b.) 

tn 

Kalyvia  von  Lepiana 

650 

Thal  vor  Granitsa 

S'o 

Granitsa,  Haus  des  Bürger- 

meisters, 1.  Stock 

O 

P" 

OO 

Flufs  von  Granitsa 

770 

Pafshöhe  des  Phtheri 

«45° 

Monastiraki 

760 

Flufs  Agraphiotiko,  Furth 

440 

10.  Stenoma  — Karpenisi 

Stenoma 

660 

Pafs  H.  Athanasios1) 

1470 

Karpenisi,  Hotel  t.  Stock*) 

1000 

Chani  Laspi 

1020 

Pafshöhe  nach  Lamia9) 

1240 

Rastplatz 

1490 

Höchster  Punkt  des  Berg- 

rückens 

,75° 

Joch  Krikelu  - Gardiki 

1680 

Gardiki  (Phthiotis) 

1060 

Rastplatz  unterhalb  des  Gipfels 

Oxya 

1790 

Höchster  Punkt  des  Weges, 


Stephaniada,  erste  und  unterste 
Häuser  von  Petrilu  aus  860 

chaft  Agrapha,  südlicher 
n i 1 1.) 

litsa  — Agrapha  — Steno  ma. ) 


m 

Brücke  unterhalb  Agrapha  690 
Agrapha  890 

Stanaes  1440 

Mirysi  940 

Pafshöhe  nach  Chrysu  1340 

Chrysu  750 

Flufs  Megdovas,  Furt  390 

(Stenoma  s.  10.) 


Lidoriki— Vitrinitsa, 

etwas  unterhalb  des  Gipfels 


Oxya  1 900 

Stani  1650 

Sitista  j 230 

Flufs  Phidaris  900 

Artotina,  Haus  des  Dimarchos  1200 
Pafshöhe  nach  Kostartsa  1400 

Ano-Kostartsa,  Magazi  1150 

Flufs  Kokkinos  710 

Chani  Steno,  am  Mornos-Flufs  410 
Lidoriki  570 

Chani  Malandrini  540 

Pafshöhe  nach  Vitrinitsa  760 


1418  m Philippson,  1890. 

2)  958  m Philippson,  1890. 

3)  1213m  Philippson,  1890. 


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Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Hauptmann  a.  D.  Kol  Im  tn  Charlotten  bürg. 


V 


Selbstverlag  der  Gesellschaft  für  Erdkunde. 


Druck  von  W.  Pormetter  in  Berlin. 


ZEITSCHRIFT 


DER 

GESELLSCHAFT  FÜR  ERDKUNDE 

ZU  BERLIN. 


Band  XXIX  — 1894  — No.  4. 


Herausgegefcen  im  Auftrag  des  Vorstandes 
von  dem  Generalsekretär  der  Gesellschaft 

Georg  Kollm, 

Hauptmann  a.  D. 


Inhalt. 

s 

Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrt.  Von 

A.  Hettner.  (Hierzu  Tafel  7.) 171 

Forschungen  über  die  physische  GeogTaphie  des  Hochlandes  von  Pamir  im 
Frühjahr  1894.  Von  Dr.  Sven  Hedin.  (Hierzu  Tafel  8 — iz.)  . . . 189 
Zur  Statistik  der  Vereinigten  Staaten  von  Mexiko.  Von  Dr.  H.  Polakowsky  347 

' I 

BERLIN,  w.s. 

W.  H.  KÜHL. 

PARIS. 

4 1 h.  LE  SOUD1ER. 

174  & tj6.  Boul.  St.  Gennain. 


LONDON  E.  C. 
SAMPSON  LOW  & Co. 
Fleet-  Street. 


Veröffentlichungen  der  Gesellschaft  im  Jahr  1894. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Bert  in,  Jahr- 
gang 1894  — Band  XXIX  (6  Hefte), 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin, 
Jahrgang  1894  — Band  XXI  (10  Hefte). 

Preis  im  Buchhandel  für  beide:  15  M.,  Zeitschrift  allein:  12  M.,  Ver- 
handlungen allein:  6 M. 

Beiträge  zur  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  werden  mit 
50  Mark  für  den  Druckbogvn  bezahlt,  Original-Karten  gleich  einem  Druckbogen 
berechnet 

Die  Gesellschaft  liefert  keine  Sonderabzüge;  jedoch  steht  es  den  Verfassern 
frei,  solche  nach  Übereinkunft  mit  der  Redaktion  auf  eigene  Kosten  unfertigen 
zu  lassen. 

Alle  für  die  Gesellschaft  und  die  Redaktion  der  Zeitschrift  und 
Verhandlungen  bestimmten  Sendungen  — ausgenommen  Geldsendungen 
— sind  unter  Weglassung  jeglicher  persönlichen  Adresse  an  die: 

„Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  SW.  12,  Zimmerstr.  90“, 

Geldsendungen  an  den  Schatzmeister  der  Gesellschaft,  Herrn 
Geh.  Rechnungsrat  Btttow,  Berlin  SW.  Teltower  Str.  5,  zu  richten. 

Die  Geschäftsräume  der  Gesellschaft  — Zimmerstrafse  90.  II  — sind, 
mit  Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage,  täglich  von  9 — il  Uhr  Vorm,  und  von 
4—8  Uhr  Nachm,  geöffnet. 


Geographische  Verlagshandlung  Dietrich  Reimer  in  Berlin 

Inhaber:  Hoefcr  & Vohsen. 

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Über  Vorkommen  und  Gewinnung  der  nutzbaren  Mineralien 

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SMafrikamschen  Republik  (Transvaal) 

unter  besonderer  Berücksichtigung  des  Goldbergbaues. 

General-Bericht  über  die  im  Jahre  1893  im  Aufträge  des  KönigL 
Preufs.  Herrn  Ministers  für  Handel  und  Gewerbe  nach  Südafrika 
unternommene  Reise 

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Schmeisser, 

Bergrat. 

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1894-  Preis  geh.  4 Mark.  — Gebunden  5 Mark. 

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stehen  gratis  und  franko  zur  Verfügung. 

Das  Buch,  welches  die  Resultate  der  an  Ort  und  Stelle  von  einem  hervor- 
ragenden Fachmann  im  amtlichen  Auftrag  vorgenommenen,  eingehenden 
Untersuchung  der  Gold -Lagerstätten , sowie  der  bergbaulichen  und  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  Transvaals  enthält,  wendet  sich  an  das  grobe 
Publikum.  Vornehmlich  sind  Finanzmänner,  Berg-  und  HUttenleute,  Bankbeamte 
und  Auswanderungslustige  Käufer.  Der  im  Verhältnis  zum  Umfang  und  den  Bei- 
lagen so  aufscrordentlich  niedrig  angesetzte  Preis  soll  dem  Werk  eine  weile  Ver- 
breitung sichern. 


Oie  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel 
des  Landverkehrs. 

Von  A.  Hettner. 

(Hierzu  Tafel  7.) 

I. 

Wenige  Dinge  an  einem  Lande  sind  von  so  allgemeinem  Interesse 
wie  die  Transportmittel,  die  im  Verkehr  im  Gebrauch  sind.  Für  den 
Reisenden  ist  es  die  erste  Frage,  ob  er  seinen  Weg  im  bequemen 
Eisenbahnwagen,  in  der  Postkutsche,  zu  Pferd  oder  Maultier  oder  zu 
Fufs  zurückzulegen  hat.  Der  Kaufmann  mufs,  je  nach  dem  landes- 
üblichen Transportmittel,  seine  Waren  anders  verpacken  und  andere 
Transportkosten  in  seine  Rechnung  einsetzen;  ein  Geschäft  kann  für 
ihn,  je  nachdem,  gut  oder  nicht  mehr  lohnend  sein.  Der  Bewohner 
eines  Landes  mit  entwickelten  Verkehrsverhältnissen  ist  zu  leichter 
Bewegung  befähigt,  er  steht  in  regem  wirtschaftlichen  und  geistigen 
Verkehr  mit  anderen  Ländern,  er  kann  für  den  Weltmarkt  produzieren 
und  lernt  andere  Länder  kennen;  nur  selten  dagegen  verläfst  der  Be- 
wohner eines  im  Verkehr  zurückgebliebenen  Landes  seine  Scholle,  er 
erfährt  wenig,  was  in  der  Aufsenwelt  vorgeht , die  Erzeugnisse  seines 
Bodens  und  seiner  Arbeit  sind  grofsenteils  nur  in  der  Nähe  verkäuf- 
lich. Die  Verteilung  der  Bevölkerung,  besonders  das  Verhältnis  von 
Stadt  und  Land,  die  Volkswirtschaft,  das  geistige  Leben  sind  in  hohem 
Grade  von  der  Art,  wie  sich  der  Verkehr  bewegt,  d.  h.  von  der  Art 
der  Transportmittel,  abhängig. 

Und  zugleich  ist  die  Art  des  Verkehrs  für  ein  Land  sehr 
charakteristisch;  sie  macht  einen  wesentlichen  Bestandteil  seiner 
geographischen  Eigenart  aus.  Das  Kamel  erscheint  uns  als  zum  Bild 
der  Sahara  gehörig,  das  Maultier  bildet  die  notwendige  Staffage  einer 
Anden-I.andschaft  wie  der  schwerfällige  Ochsenwagen  die  Staffage  einer 
Landschaft  aus  den  argentinischen  Pampas  oder  aus  Süd-Afrika.  Das 
westliche  Europa  oder  den  Osten  der  Vereinigten  Staaten  können  wir 
Jüngeren  uns  gar  nicht  mehr  ohne  die  Eisenbahn  vorstellen.  Auch 
wer  dem  Menschen  und  seinen  Werken  nur  ungern  einen  Platz  in  der 
geographischen  Betrachtung  einräumt,  gesteht  einen  solchen  doch, 
Zeiuchr.  d.  G«clUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  19 


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27*2 


A.  Hettncr: 


neben  der  Verteilung  der  Ansiedelungen,  am  ehesten  den  Verkehrs- 
verhältnissen zu. 

Um  so  mehr  ist  es  zu  verwundern,  dafs  die  Verteilung  der  Trans- 
portmittel über  die  Erde  noch  so  wenig  behandelt  worden  ist.  Karl 
And  ree  hat  im  ersten  Band  seiner  Geographie  des  Welthandels  einen 
lebensvollen  Überblick  über  den  Karawanenhandel  der  Erde  gegeben ; 
aber  diese  Darstellung  bedarf  der  Ergänzung  und  Vertiefung,  und  ein 
Versuch,  die  Verbreitung  der  Verkehrsformen  über  die  Erde  auf  der 
Karte  darzustellen,  ist  meines  Wissens  überhaupt  noch  nicht  gemacht 
worden1).  Die  meisten  geographischen  Darstellungen  beschränken  sich 
zu  sehr  auf  die  wichtigeren  Verkehrslinien,  die  hauptsächlichen  Eisen- 
bahnen, Dampfschiffskurse  und  Karawanenstrafsen  und  tragen  dem  all- 
gemeinen Charakter  des  Verkehrs,  der  durchschnittlichen  Beschaffen- 
heit der  Wege  und  Verkehrsmittel  zu  wenig  Rechnung;  in  vielen  geo- 
graphischen Werken  sieht  man  sich  vergeblich  nach  Angaben  hierüber 
um.  Auch  die  neueren  Versuche,  den  Verkehr  wissenschaftlich  aufzu- 
fassen *),  sind  an  dieser  einfachsten  und  doch  weitaus  wichtigsten 
Thatsache  achtlos  vorübergegangen;  in  dem  an  sich  berechtigten,  aber 
bei  verfrühter  Anwendung  schädlichen  Streben,  durch  die  Einführung 
von  Zahlenwerten  wissenschaftliche  Schärfe  zu  gewinnen,  haben  sie 
sich  nur  an  die  quantitativen  Unterschiede  des  Verkehrs,  besonders 

*)  Erst  nachdem  meine  Karte  gezeichnet  war,  sind  die  unvollkommenen 
Kärtchen  der  Verkehrslinien  von  Afrika  und  Asien  im  Handbuch  zu  Andree's 
Handatlas,  2.  Aull.  1893/94,  erschienen.  Über  Verkehr  und  Reisen  in  Afrika  hat 
einmal  Nachtigal  in  der  Deutschen  Rundschau  geschrieben.  Die  Verbreitungs- 
gebiete einzelner  Transporttiere  haben  Ritter  innerhalb  seines  grofsen  Werkes,  von 
Hehn,  in  seinem  schönen  Buch  über  die  Kulturpflanzen  und  Haustiere,  sowie 
später  F.  G.  Hahn  (Bemerkungen  über  tiergeographische  Karten,  Mitt.  d.  Vcr.  f. 
Erdk.  zu  Leipzig  1879)  und  O.  Lehmann,  das  Kamel,  seine  geographische  Ver- 
breitung und  die  Bedingungen  seines  Vorkommens  (Zeitschr.  f.  Wissenschaft).  Geo- 
graphie VIII,  S.  93 ff.)  behandelt.  Viele  Angaben  über  die  Geschichte  der  Trans- 
portmittel bei  Götz,  die  Verkehrswege  im  Dienst  des  Welthandels,  Stuttgart  1888. 

21  Die  Isochroncnkarten,  wie  sie  nach  einer  Andeutung  von  Ritter  von  Gallon, 
Penck,  Maenfs  u.  a.  gezeichnet  worden  sind,  sind  von  Interesse  für  die  Beurteilung 
der  geographischen  Lage  einer  Stadt  wie  des  Verhältnisses  der  Küste  zum  Binnen- 
land, geben  aber  kein  Bild  von  den  Verkehrsverhällnissen  eines  Landes  im  allge- 
meinen. Hierfür  ist  es  wichtiger  zu  wissen,  in  welcher  Zeit  durchschnittlich  eine 
bestimmte  Entfernung  zurückgelcgt  wird.  Götz  hat  solche  Angaben  für  die  ge- 
schichtliche Entwickelung  des  Schnellverkehrs  gesammelt;  es  würde  auch  von  Inter- 
esse sein,  die  durchschnittliche  Schnelligkeit  des  Personen-  und  Güterverkehrs  in  ver- 
schiedenen Ländern  für  die  Gegenwart  zu  ermitteln  und  womöglich  auf  einer  Karte 
vergleichend  darzustellen.  Neben  der  Schnelligkeit  der  Beförderung  kommt  es  aber 
auch  auf  Sicherheit  und  Bequemlichkeit  und  besonders  auf  die  Transportkosten  an. 


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Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrs.  273 

die  Zeitdauer,  gehalten  und  darüber  die  leichter  zu  erfassenden  Unter- 
schiede der  Art  des  Verkehrs  vernachlässigt,  von  denen  doch  die  ver- 
schiedene Schnelligkeit,  Sicherheit,  Bequemlichkeit  und  Kostspieligkeit 
des  Verkehrs  hauptsächlich  abhängt,  und  die  deshalb  den  ersten  Gegen- 
stand jeder  verkehrsgeographischen  Untersuchung  bilden  müssen. 

In  den  meisten  Gegenden  finden  wir  verschiedene  Transportmittel 
neben  einander  im  Gebrauch.  In  den  Ländern  des  westlichen  Europas 
z.  B.  vollzieht  sich  aller  Fernverkehr  auf  der  Eisenbahn,  auf  den 
I-andstrafsen  begegnen  wir  Postkutschen,  Frachtwagen  und  Fufswan- 
derem,  dazwischen  sehen  wir  einzelne  Reiter  und  Radfahrer,  auf  den 
Flüssen  und  Kanälen  bewegen  sich  Dampfschiffe  und  Frachtkähne. 
In  anderen  Ländern  mit  geringerer  Kulturentwickelung  ist  die  Mannig- 
faltigkeit der  Beförderungsmittel  zwar  geringer;  aber  es  giebt  doch  nur 
wenige  Gegenden,  in  denen  man  sich  nicht  verschiedener  Beförderungs- 
mittel bediente.  Jedoch  kommt  ihnen  meist  nicht  die  gleiche  Bedeu- 
tung zu.  Reiten  und  Radfahren  dienen  bei  uns  hauptsächlich  dem 
Vergnügen,  nur  in  geringem  Grade  dem  eigentlichen  Verkehr  und  gar 
nicht  der  Beförderung  von  Lasten;  sie  können  deshalb  als  unwichtig 
ausgelassen  werden.  Auch  der  Fufsverkehr  dient  bei  uns,  aufser  in 
den  Gebirgen,  fast  nur  noch  der  eigenen  Ortsbewegung  auf  kleinere 
Entfernungen;  wir  können  ihn  auch  als  etwas  selbstverständliches  an- 
sehen,  weil  er  sich  überall  neben  den  vollkommeneren  Verkehrsarten 
erhalten  hat,  und  brauchen  ihn  kaum  besonders  zu  erwähnen.  In  den 
meisten  Teilen  Deutschlands  hätten  wir  also  nur  Eisenbahn,  Wagen- 
verkehr und  Schifffahrt  als  wichtigere  Verkehrsformen  darzustellen. 
Ähnlich  werden  wir  überall  gewisse  Verkehrsformen,  die  nur  geringe 
Bedeutung  haben,  unberücksichtigt  lassen  können.  Oft  ist  nur  eine 
einzige  von  Bedeutung,  während  in  anderen  Ländern  mehrere  als 
gleich  wichtig  angesehen  werden  müssen. 

Meist  können  wir  einen  Unterschied  der  Transportmittel  auf  den 
Hauptlinien  und  den  Nebenlinien  des  Verkehrs  bemerken.  In  Deutsch- 
land und  überhaupt  im  westlichen  Europa  sehen  wir  zunächst  eine  Ab- 
stufung der  Eisenbahnen  nach  Bau  und  Betriebsmitteln  in  Eisenbahnen 
erster,  zweiter  und  dritter  Ordnung ; den  Eisenbahnen  gegenüber  er- 
scheinen die  FahrstTafsen  als  Nebenlinien,  bei  ihnen  haben  wir  wieder, 
ihrer  Bedeutung  im  Verkehrsnetz  entsprechend,  zwischen  Chausseen 

die  für  den  Güterverkehr  sogar  viel  wichtiger  als  die  Schnelligkeit  sind.  Man 
sollte  einmal  den  Versuch  machen,  die  Höhe  der  Transportkosten  in  verschiedenen 
Ländern  darzustellen;  allerdings  ist  die  Aufgabe  schwierig  und  nur  mit  gewissen 
Einschränkungen  lösbar,  weil  die  Transportkosten  zeitlich  sehr  schwanken,  für  ver- 
schiedene Warenklassen  verschieden  und  oft  auch  (bei  Differentialtarifen)  für  gröfscre 
Entfernungen  niedriger  als  für  kleine  Entfernungen  sind. 

19* 


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274 


A.  Hettner: 


und  gewöhnlichen  Landstrafsen  zu  unterscheiden,  auf  denen  auch  die 
Transportmittel  verschieden  sind  oder  sich  wenigstens  in  verschiedener 
Weise  bewegen.  Die  topographische  Spezialkarte  bringt  diese  Unter- 
schiede zur  Darstellung  und  ist  deshalb  zugleich  eine  Karte  der  Ver- 
kehrsarten; Übersichtskarten  aber  können  die  kleineren  Wege  nicht 
mehr  einzeln  zeigen,  sie  müssen  deshalb,  wenn  sie  noch  vollständige 
Verkehrskarten  sein  wollen,  das  Vorhandensein  der  Wege  und  die  Art 
der  Beförderung  durch  eine  allgemeine  Bezeichnungsweise,  durch  einen 
Farbenton  oder  eine  Schraffierung  andeuten.  Auf  einer  Übersichtskarte 
von  Deutschland,  in  dem  Mafsstab  wie  wir  sie  in  unseren  Handatlanten 
finden,  läfst  sich  das  Eisenbahnnetz  noch  vollständig  eintragen,  das 
Vorhandensein  von  Fahrstrafsen  aber  kann  nur  noch  durch  einen 
Farbenton  oder  eine  Schraffierung  kenntlich  gemacht  werden.  Wird 
der  Mafsstab  der  Karte  noch  kleiner,  handelt  es  sich  etwa  um  eine 
Übersichtskarte  von  Europa  oder  gar  der  ganzen  Erde,  so  können 
auch  die  Eisenbahnen  nicht  mehr  einzeln,  sondern  nur  noch  schema- 
tisch, etwa  durch  ein  mehr  oder  weniger  enges  Maschennetz  über  der 
die  Fahrstrafsen  bezeichnenden  Grundfarbe  zur  Darstellung  kommen. 
In  anderen  Ländern  stehen  Fahrstra&en  und  Saumwege  oder  Saum- 
wege  und  Fufswege  oder  Dampfschiffslinien  und  Linien  der  Kahnschiff- 
fahrt in  einem  ähnlichen  Verhältnis  wie  Eisenbahnen  und  Fahrstrafsen 
im  westlichen  Europa. 

In  den  meisten  Ländern  bestehen  aber  auch  landschaftliche  Gegen- 
sätze. In  Deutschland  z.  B.  ist  die  Verkehrsweise  der  Gebirge,  nicht 
nur  der  Alpen,  sondern  auch  vieler  Mittelgebirge,  von  der  des  Flach- 
lands verschieden ; während  hier  fast  jeder  Weg,  aufser  kleinen  F'eld- 
wegen,  fahrbar  ist,  sind  dort  Fahrstrafsen  eine  Ausnahme,  werden  die 
meisten  Wege  nur  von  Fufsgängern  oder  Saumtieren  begangen.  In 
Italien  und  auf  der  Iberischen  Halbinsel  finden  wir  denselben  Gegen- 
satz in  gröfserem  Mafsstab  ausgebildet.  In  der  Kordillere  von  Bogotä 
sind  die  meisten  Wege  Saunnvege,  auf  denen  Maultiere  und  Pferde 
den  gröfsten  Teil  des  Verkehrs  vermitteln;  aber  auf  der  Hoch- 
ebene von  Bogotä,  einem  ausgefüllten  Seebecken  inmitten  der  Kor- 
dillere, sehen  wir  F’ahrstrafsen  mit  Kutschen  und  Ochsenkarren,  wäh- 
rend wieder  andere  Teile  des  Gebirges,  die  noch  mit  dichtem  Urwald 
bekleidet  sind,  nur  dem  Fufsgänger  Zugang  bieten.  Es  würde  von 
grofsem  Interesse  sein,  solche  Gegensätze  auf  Karten  der  einzelnen 
Länder  und  Erdteile  darzustellen;  denn  auf  einer  Übersichtskarte  der 
Erde,  namentlich  in  so  kleinem  Mafsstab,  wie  unser  Kärtchen  hat,  müssen 
sie  notwendigerweise  verschwinden,  ähnlich  wie  auf  einer  Vegetations- 
karte oder  auf  einer  Karte  der  Volksdichte  der  Erde  auch  die  klei- 
neren Gegensätze  verschwinden  müssen.  Es  können  hier  nur  die  Ver- 


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Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrs.  275 

kehrsformen  dargestellt  werden,  welche  Uber  weite  Ländergebiete  ver- 
breitet sind  und  in  ihnen  eine  herrschende  Rolle  spielen,  während  die 
in  kleinen  Bezirken  oasenartig  dazwischen  verstreuten  Verkehrsfernen 
entweder  gar  nicht  oder  doch  nur  schematisch  eingezeichnet  werden 
können.  So  mufs  sich  die  Karte  und  entsprechend  auch  der  Text 
darauf  beschränken,  die  geographische  Verbreitung  der  Verkehrsformen 
in  Umrissen  darzustellen.  Die  Karte  ist  auch  nur  ein  erster  Entwurf, 
der  an  vielen  Stellen  noch  der  weiteren  Ausführung  und  der  Verbesse- 
rung bedarf. 


II. 

Am  Nordrand  der  Alten  Welt,  auf  den  Fjelden  Skandinaviens 
und  in  den  weiten  Ebenen  des  nördlichen  Rufslands  und  Sibiriens 
gebrauchen  die  Lappen,  Samojeden,  Tungusen  und  ähnliche  nomadisie- 
rende Völker  bei  ihren  Wanderungen  das  Renntier  und  den  Hund  als 
Transporttiere,  meist  indem  sie  diese  vor  den  Schlitten  spannen,  das  Renn- 
tier im  westlichen  Sibirien  jedoch  auch  als  Reit-  und  Packtier.  Die 
südliche  Grenze  dieser  Verkehrsformen  fällt  ungefähr  mit  der  ethno- 
graphischen Grenze  jener  nomadisierenden  Völker  zusammen,  liegt 
also  in  Asien  ungefähr  unter  6o°  n.  Br.,  in  Europa  ein  Stück  nörd- 
licher. 

Südlich  von  dieser  Linie  herrschen  in  den  europäischen  Kultur- 
ländern Eisenbahn  und  Wagen,  jene  für  den  Fernverkehr,  dieser  für 
den  Lokalverkehr,  vor.  Das  Eisenbahnnetz  ist  in  den  englischen,  bel- 
gischen und  deutschen  Industriebezirken  am  dichtesten,  im  übrigen 
Deutschland,  Österreich,  Italien,  Frankreich,  Grofsbritannien,  Irland, 
Dänemark,  dem  südlichen  Schweden  und  Norwegen  schon  weniger 
dicht,  auf  der  Pyrenäen-Halbinsel  und  im  westlichen  Rufsland  ebenso 
wie  in  den  nordafrikanischen  Küstenländern  noch  dünner,  aber  doch 
immer  noch  zu  dicht,  als  dafs  auf  dem  Kärtchen  die  einzelnen  Linien 
dargestellt  werden  könnten.  Im  östlichen  Rufsland,  im  nördlichen  Teil 
der  Skandinavischen  Halbinsel  und  auf  der  Balkan-Halbinsel  dagegen 
sehen  wir  nur  noch  einzelne  Linien,  und  Sibirien  erhält  eben  erst  seine 
erste  Eisenbahn.  Auch  im  Bau  und  Betrieb  der  Eisenbahnen  zeigen, 
wie  M.  M.  von  Weber  geistvoll  erörtert  hat,  die  verschiedenen  Länder 
charakteristische  Unterschiede,  die  ihren  wirtschaftlichen  Verhält- 
nissen angepafst  sind  und  auch  mit  manchen  nationalen  und  po- 
litischen Eigentümlichkeiten  in  Zusammenhang  stehen.  Fast  noch 
größer  sind  aber  die  Unterschiede  im  Straßenbau  und  Wagenverkehr. 
Frankreich,  England,  Deutschland  haben  als  Hauptstrafsen  vortreffliche 
Kunststrafsen  mit  festem  Unterbau,  die  das  ganze  Jahr  über  in  gutem 
Zustand  sind  und  dem  Verkehr  geringe  Schwierigkeiten  bieten.  ln 


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27(5 


A.  Hettner: 


den  Mittelmeerländern  ist  die  Zahl  dieser  Kunststrafsen  schon  geringer, 
und  im  östlichen  Europa  fehlen  sie  fast  ganz;  die  Strafsen  sind  hier 
nicht  viel  mehr  als  Naturwege  und  daher  meist  in  schrecklichem  Zu- 
stand. Bei  uns  sehen  wir  fast  nur  den  grofsen  vierrädrigen  Fracht- 
wagen, in  Frankreich  und  den  Mittelmeerländern  ist  der  zweirädrige 
Karren  viel  häufiger.  Als  Gespann  wird  vorzugsweise  das  Pferd,  aber 
in  den  Mittelmeerländern  daneben  auch  das  Maultier,  in  vielen  Ge- 
bieten, besonders  im  Lokalverkehr,  auch  der  Ochse  verwandt.  Im 
nordöstlichen  Deutschland,  in  Skandinavien  und  in  Rufsland,  wo  sich 
eine  dauernde  Schneedecke  bildet,  kommt  neben  dem  Wagen  im 
Winter  auch  der  Schlitten  zur  Anwendung,  ja  im  nördlichen  Rufsland 
und  in  Sibirien  spielt  er  beinahe  eine  gröfsere  Rolle  im  Verkehr  als 
der  Wagen,  weil  hier  die  Schneedecke  mehrere  Monate  bleibt  und 
eine  bessere  Fahrbahn  bietet  als  die  Strafsen  im  Frühling  und  Sommer 
mit  ihrem  unergründlichen  Morast.  In  manchen  nord-  und  mitteleuro- 
päischen Gebirgen  und  in  viel  gröfserem  Umfang  in  den  Gebirgen  der 
südeuropäischen  Halbinseln  und  der  Atlas-Länder  sind  nur  die  Haupt- 
wege fahrbare  Strafsen,  die  meisten  Wege  dagegen  nur  Saumwege,  auf 
denen  sich  der  Verkehr  auf  Reit-  und  Packtieren,  hauptsächlich  Maul- 
tieren, bewegt.  Auch  in  dem  gebirgigen  Ost-Sibirien  hören  die  Fahr- 
strafsen  auf,  der  geringe  Verkehr  wird  hier  durch  Züge  beladener 
Pferde  vermittelt.  Aber  wir  dürfen  auch  den  Schifffahrtsverkehr  auf 
Flüssen  und  Kanälen  nicht  vergessen.  In  den  gebirgigen  und  dabei 
im  Sommer  wasserarmen  Mittelmeer-Ländern  spielt  die  Schifffahrt  im 
ganzen  nur  eine  geringe  Rolle,  aber  in  England,  Frankreich,  Deutsch- 
land, Skandinavien  hat  sie  einen  grofsen  Teil  des  Güterverkehrs  zu 
bewältigen,  und  noch  viel  gröfser  ist  ihre  Bedeutung  auf  den  grofsen 
Strömen  Rufslands  und  auch  Sibiriens.  Eine  Verkehrskarte,  welche  die 
Schifffahrtsstrafsen  und  zwar  nicht  blofs  die  der  Dampfschifffahrt,  sondern 
auch  die  der  Kahnschifffahrt  nicht  zeigte,  würden  durchaus  unvoll- 
ständig sein. 

Südlich  von  dieser  Zone  des  vorherrschenden  Eisenbahn-  und  Wagen- 
verkehrs erstreckt  sich,  gleichfalls  vom  Atlantischen  Ozean  bis  beinahe 
an  den  Stillen  Ozean,  ein  Gebiet,  in  dem  der  Kamelverkehr  vorherrscht. 
Es  fällt  im  grofsen  und  ganzen  mit  dem  Gebiet  der  afrikanischen 
und  asiatischen  Wüsten  und  Steppen  zusammen.  Im  westlichen 
Teil,  in  der  heifsen  Sahara  und  in  Arabien,  finden  wir  das  ein- 
höckerige Kamel  oder  Dromedar,  im  kühleren  Cen tral- Asien  das 
zweihöckerige  oder  baktrische  Kamel,  in  Iran  und  Turan  kommen 
beide  neben  einander  vor.  Beide  werden  hauptsächlich  als  Packtiere 
gebraucht;  nur  in  den  Steppen  des  südlichen  Rufslands  und  Turans 
wird  das  Kamel  auch  vor  den  Wagen  gespannt.  ln  diesem  Gebiet 


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Die  geographische  Verbreitung  Her  Transportmittel  des  Landvcrkchrs.  277 

und  in  der  Gobi  gebraucht  man  aufser  dem  Kamel  auch  von  Ochsen 
oder  Maultieren  gezogene  Karren,  in  den  Gebirgen  des  Nordrandes 
von  Central- Asien  und  Iran,  Kleinasiens  und  in  geringem  Mafs  auch 
Arabiens  und  der  Sahara  dienen  neben  und  statt  des  Kamels  Pferd 
und  Maultier  als  Saumtiere.  Die  Schifffahrt  ist  in  diesem  wasserarmen 
Gürtel  im  ganzen  von  geringer  Bedeutung. 

Weiter  südlich  treffen  wir  nicht  mehr  gleichartige  Verkehrsverhält- 
nisse fast  über  die  ganze  Breite  der  Alten  Welt,  sondern,  der  Auflösung 
in  Halbinseln  und  Inseln  und  der  Mannigfaltigkeit  der  Bodengestal- 
tung entsprechend,  auch  Mannigfaltigkeit  der  Verkehrsformen.  Das 
tropische  Afrika  ist  im  wesentlichen  ein  Gebiet  des  Trägerverkehrs. 
In  Seneg ambien  und  im  westlichen  Sudan  wird  ein  Teil  des  Ver- 
kehrs durch  Packesel  vermittelt,  in  Abyssinien  ist  das  Maultier  das 
wichtigste  Transportmittel,  in  Ost-Afrika  sehen  wir  einzelne  Reitervölker, 
auf  dem  Niger  und  Benue,  dem  Kongo  und  seinen  gröfseren  Neben- 
flössen,  dem  Sambesi  und  den  westafrikanischen  Seen  verkehren  ge- 
legentlich Kähne  und  neuerdings  teilweise  auch  Dampfschiffe,  aber  im 
übrigen  geschieht  alle  Ortsbewegung  zu  Fufs,  werden  alle  Waren  durch 
Träger  befördert;  es  ist  bekannt,  dafs  hierin  ein  Haupthindernis  der 
Erschliefsung  des  tropischen  Afrika  liegt.  In  Süd-Afrika,  etwa  süd- 
lich von  einer  Linie,  die  von  der  Mündung  des  Kunene  zur  Mündung 
des  Limpopo  verläuft,  hat  schon  vor  der  Ankunft  der  Europäer  das 
Rind  dem  Verkehr  gedient;  von  den  Hottentotten  wird  es  noch  heute 
zum  Reiten  benutzt,  die  Holländer  haben  den  Gebrauch  des  Wagens 
hier  eingeführt,  und  heute  läfst  sich  der  Ochsenwagen  als  das  vorherr- 
schende Transportmittel  Süd-Afrikas  bezeichnen.  Daneben  findet  man 
wohl  auch  die  mit  Pferden  bespannte  Kutsche,  und  neuerdings  sind 
auch  eine  Anzahl  von  Eisenbahnen  gebaut  worden. 

Die  Transportmittel  des  südlichen  und  östlichen  Asiens  sind 
von  grofser  Mannigfaltigkeit.  Bis  in  das  Wüstenland  des  Indus  reicht 
der  Kamelverkehr.  In  Bengalen  und  Dekan  ist,  neben  den  Eisen- 
bahnen, die  das  Land  in  einem  sich  immer  mehr  verdichtenden  Netz 
überziehen,  der  Ochsenkarren  das  wichtigste  Transportmittel,  auch 
Träger  spielen  eine  grofse  Rolle;  in  Bengalen  und  auf  Ceylon  wird 
auch  der  Elefant  verwendet,  besonders  in  Bengalen  ist  der  Wasser- 
verkehr von  Bedeutung.  Wenden  wir  uns  nordwärts,  so  begegnen  wir 
am  Südabhang  des  Himalaya  fast  nur  Trägern;  in  den  Hochthälern 
des  Indus  und  des  Brahmaputra  und  ihrer  Umgebung  sehen  wir  grofse 
Herden  beladener  Schafe  und  Ziegen,  im  übrigen  Tibet,  besonders 
für  den  Verkehr  nach  China,  wird  aber  hauptsächlich  der  Yak  oder 
Grunzochse  verwendet.  China  selbst  zerfällt  in  zwei  verkehrsgeogra- 
phische Provinzen.  Nord- China,  das  Land  des  Löfs,  hat,  ebenso 


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278 


A.  HeltncT: 


wie  die  südliche  Mandschurei,  fahrbare  Naturwege,  auf  denen 
sich  mit  Maultieren  bespannte  Karren  bewegen;  auf  den  nicht  fahr- 
baren Wegen  kommen  als  Saumtiere  gleichfalls  hauptsächlich  Maultiere, 
daneben  auch  Pferde,  Esel  und  Kamele  zur  Verwendung.  Der  Mensch 
leistet  nur  im  Nahverkehr  und  weniger  als  Träger  denn  als  Karren- 
schieber Transportdienste;  die  Schifffahrt  ist  gering.  In  dem  gebir- 
gigen Süd-Ch  i n a dagegen  finden  wir  keine  Fahrstrafsen,  sondern  nur 
Fufs-  und  Saumwege,  auf  denen  die  Tasten  durch  Maultiere  und  Pferde, 
aber  noch  mehr  durch  Menschen  bewegt  werden ; die  Schifffahrt  auf 
Flüssen  und  Kanälen  ist  hier  von  grofser  Bedeutung.  Korea  und 
Japan  schliefsen  sich  an  Süd-China  an.  Der  Wagenverkehr  fehlt  fast 
ganz  oder  dringt  doch  erst  in  neuester  Zeit  ein,  besonders  in  der 
Form  kleiner,  von  Menschen  gezogener  Wägelchen;  die  eigentlichen 
Transportmittel  sind  Saumtiere,  besonders  Pferde,  und  Lastträger. 
Hinter-Indien  scheint  in  eine  Anzahl  verschiedener  Verkehrsgebiete 
zu  zerfallen,  Uber  die  aber  die  Nachrichten  noch  mangelhaft  sind. 
Fahrstrafsen  fehlen  überall  oder  sind  doch  erst  in  neuester  Zeit  in  den 
englischen  und  französischen  Besitzungen  gebaut  worden;  die  Wege 
sind  Saum-  oder  Fufswege.  In  Birma  wird  darauf  vorzugsweise  das 
Maultier,  in  den  nördlichen,  an  China  grenzenden  Teilen  Rind,  Pferd 
und  auch  der  Hund,  in  Siam  und  Anam  der  Elefant  und  Büffel  be- 
nutzt, aber  überall  mufs  auch  der  Mensch  selbst  I.astdienste  leisten, 
und  auf  der  Halbinsel  Malakka  ist  er  sogar  das  hauptsächlichste  Trans- 
portmittel. Auf  einigen  Flüssen,  besonders  dem  Irawaddi,  ist  die  Schiff- 
fahrt wichtig.  Auch  in  der  ind isc hen  Inse  1 w el  t herrscht  im  ganzen 
der  Trägerverkehr  vor;  in  Sumatra  und  Borneo  bedient  man  sich  daneben 
des  Elefanten  und  in  Sumatra  auch  des  Pferdes,  auf  den  Philippinen  des 
Büffels;  in  Java  und  auch  in  Sumatra  finden  wir  Fahrstrafsen,  auf  denen 
sich  von  Rindern  gezogene  Wagen  bewegen,  und  auch  Eisenbahnen. 

In  Australien  hat  sich  der  Mensch  fast  bis  zum  Anfang  unseres 
Jahrhunderts  ausschliefslich  auf  seinen  eigenen  Beinen  bewegt;  aber  es 
gab  überhaupt  keinen  eigentlichen  Verkehr,  sondern  nur  die  Ortsbe- 
wegung nomadisierender  Jäger  und  Pflanzensammler.  Auch  heute  noch 
herrscht  dieser  Zustand  im  gröfsten  Teil  des  Innern  und  des  Westens; 
die  Forschungsexpeditionen , die  in  diese  Gebiete  eindringen,  führen 
Pferde  oder  Kamele  mit  sich.  Das  östliche  Australien  ist  dagegen  im 
ganzen  ein  Gebiet  des  Wagen-  und  Eisenbahnverkehrs  geworden;  nur 
in  den  Gebirgen  mufs  man  sich  vielfach  noch  mit  Reit-  und  Saum- 
verkehr behelfen,  im  Innern  bürgert  sich  neuerdings  das  Kamel  ein. 
Ganz  ähnlich  sind  die  Verkehrsverhältnisse  von  Neu-Seeland.  Auf  den 
kleineren  Inseln  tritt  der  I.andverkehr  überhaupt  ganz  gegen  den  Ver- 
kehr auf  dem  Meer  zurück. 


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Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrs.  279 

Wir  wenden  uns  nach  Amerika.  Im  arktischen  Gebiet,  den 
sogenannten  Barren  Grounds,  ist  ein  grofser  Teil  des  Verkehrs  der 
spärlichen,  aus  Eskimos  und  Indianern  bestehenden  Bevölkerung  Wasser- 
verkehr; daneben  sehen  wir  den  Hundeschlitten  in  Gebrauch,  während 
das  Renntier  hier  nur  ein  Jagdtier,  nicht  ein  Haus-  oder  Transportier 
ist.  In  dem  nördlich  angrenzenden  Waldgebiet  bewegen  sich  so- 
wohl die  Indianer  wie  die  Europäer  und  Mischlinge,  die  als  Jäger  und 
Pelzhändler  hier  eindringen,  hauptsächlich  auf  den  Flüssen,  in  gröfseren 
oder  kleineren  Kähnen,  die  sie  bei  Wasserscheiden  und  Stromschnellen 
über  Land  tragen.  Transporttiere  und  der  Gebrauch  des  Wagens  sind 
hier  selten  ; wir  stofsen  auf  sie  erst,  wenn  wir  im  südlichen  Kanadien 
tmd  den  Verei n i gten  Staaten  das  Gebiet  dichterer  Bevölkerung  und 
höherer  Kultur  betreten.  Hier  treffen  wir  europäische  Verkehrsverhält- 
nisse. Iler  ganze  Osten  ist  mit  einem  dichten  Netz  von  Eisenbahnen 
überzogen,  die  zwar  oft  — doch  jetzt  nicht  mehr  so  wie  früher  — 
leichter  als  die  europäischen  gebaut  sind,  aber  sie  in  mancher  Beziehung 
übertreffen  und  eine  fast  noch  gröfsere  Rolle  als  in  Europa  spielen.  Der 
örtliche  Verkehr  geschieht  auch  hier  durch  Wagen,  obwohl  der  Strafsen- 
bau  viel  zu  wünschen  übrig  läfst.  Von  sehr  grofser  Bedeutung  sind 
auch  die  Wasserstrafsen,  die  Seen,  Flüsse  und  Kanäle.  Westlich  von 
ioo°  w.  L. , also  im  Gebiet  der  Steppe  und  der  Kordilleren, 
treffen  wir  bei  weniger  dichter  Bevölkerung  auch  viel  mangelhaftere 
Verkehrsverhältnisse,  obgleich  diese  in  Anbetracht  des  geringen  Alters 
der  Besiedelung  und  der  geringen  Bevölkerungszahl  alle  Anerkennung 
verdienen.  Wir  finden  hier  nur  einige  durchgehende  Eisenbahnlinien 
(Pacific-Bahnen),  die  sich  selbst  auf  unserer  kleinen  Karte  noch  haben 
einzeichnen  lassen;  eine  grofse  Zahl  kleinerer  Bahnen  führen  nach  Berg- 
werken u.  s.  w.,  aber  abseits  davon  mufs  man  auch  gröfsere  Strecken 
im  Wagen  oder  auf  dem  Maultier  zurücklegen.  Nur  in  dem  dichter 
bevölkerten  Kalifornien  treffen  wir  wieder  ähnliche  Verkehrsver- 
hältnisse wie  in  den  östlichen  Staaten. 

Das  mexikanische  Hochland  wird  neuerdings  von  einer  An- 
zahl von  Eisenbahnen  durchzogen,  die  sich  an  das  Eisenbahnnetz  der 
Vereinigten  Staaten  anschliefsen ; die  ebene  Bodcngestaltung  hat  schon 
seit  langem  die  Anlage  von  Fahrstrafsen  und  den  Verkehr  von  Wagen 
und  Karren  mit  Pferde-  und  Ochsengespannen  erlaubt.  ln  den  Ge- 
birgen dagegen , die  das  Hochland  durchsetzen  und  seine  Ränder 
bilden,  ist  fast  aller  Verkehr  Saumverkehr,  hauptsächlich  mittels  des 
Maultiers,  und  von  hier  zieht  sich  seine  Herrschaft,  nur  örtlich  von 
Eisenbahnen  und  Fahrstrafsen  unterbrochen,  durch  ganz  Mittel- 
Amerika  bis  nach  Süd-Amerika  hinein,  ln  den  Anden  von  Vene- 
zuela, Columbien,  Ecuador,  Peru,  Bolivien,  dem  nördlichen  Chile  und 


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280 


A.  Hcttncr: 


nordwestlichen  Argentinien  herrscht  der  Saumverkehr  durchaus  vor; 
das  wichtigste  Saumtier  ist  das  Maultier,  demnächst  das  Pferd,  in 
manchen  ärmeren  Gebieten  auch  der  Esel , im  Hochland  von  Perü 
und  Bolivien  daneben  noch  das  Lama,  das  ja  vor  der  Ankunft  der 
Europäer  das  einzige  Transporttier  Amerikas  war.  Stellenweise  hat 
man  Eisenbahnen  gebaut,  auf  einzelnen  gröfseren  Ebenen  findet  man 
Fahrstrafsen,  die  Schifffahrt  spielt  nur  an  wenigen  Stellen,  wie  auf  dem 
Magdalenen-Strom  und  dem  Guayas,  eine  gröfsere  Rolle.  Auch  die 
Llanos  des  Orinoco  haben  hauptsächlich  Saumverkehr,  aber  hier  hat 
doch  auch  die  Schifffahrt  Bedeutung,  In  dem  waldbedeckten  Tief- 
land des  Amazonen  Stroms,  das  fast  nur  an  den  Flüssen  bewohnt 
ist,  geschieht  fast  aller  Verkehr  auf  dem  Wasser,  durch  Kähne  und 
immer  mehr  auch  durch  Dampfschiffe,  und  auch  in  den  angrenzenden 
Teilen  der  Bergländer  von  Guayana  und  Brasilien  benutzen  die 
Indianer  und  die  wenigen  Reisenden  hauptsächlich  die  Flüsse  zur 
Ortsbewegung.  In  dem  höheren  und  dichter  besiedelten  östlichen  Teil 
des  brasilianischen  Berglandes  herrscht  dagegen , ebenso  wie  in  den 
Anden-Ländern,  der  Saumverkehr  vor,  in  den  mittleren  Küstenstaaten 
sind  neuerdings  auch  viele  Eisenbahnen  gebaut  worden.  Im  südlichen 
Teil  von  Rio  Grande  do  Sul  und  in  Uruguay,  noch  mehr  in  den 
argentinischen  Pampas  und  auch  in  dem  grofsen  Längsthal  von  Chile, 
ist  der  Boden  auch  ohne  Strafsenbau  grofsenteils  zum  Fahren  geeignet; 
der  Verkehr  bewegt  sich  hier  hauptsächlich  in  Kutschen  und  Ochsen- 
karren, soweit  ihn  nicht  in  neuerer  Zeit  die  schon  ein  ziemlich  dichtes 
Netz  bildenden  Eisenbahnen  an  sich  gerissen  haben.  Die  nomadi- 
sierende Indianerbevölkerung  der  patagonischen  Steppe  ist  seit 
einigen  Jahrhunderten  ein  Reitervolk  geworden;  die  Bewohner  der 
patagonischen  Westküste  endlich  und  des  Feuerlandes  bewegen  sich 
hauptsächlich  in  Kähnen  auf  den  fjordartigen  Meeresarmen. 

III. 

Wir  haben  in  einem  kurzen  Überblick  die  geographische  Ver- 
breitung der  Transportmittel  des  Landverkehrs  kennen  gelernt,  und 
wir  haben  uns  nun  zu  fragen,  von  welchen  Ursachen  diese  Verbreitung 
abhängt.  Aber  wir  wollen  diese  Frage  hier  nicht  ausführlich  beant- 
worten, sondern  nur  die  Grundsätze  andeuten,  nach  denen  sie  zu  be- 
antworten ist. 

Schon  eine  flüchtige  Betrachtung  zeigt  uns,  dafs  die  Verkehrs- 
formen eines  Landes  vielfache  Beziehungen  zu  dessen  Bodengestalt 
und  Bodenbeschaffenheit,  Klima,  Pflanzen-  und  Tierwelt  haben.  Das 
Kamel  treffen  wir  nur  in  Wüsten  und  Steppen  mit  trockenem  Klima, 
den  Elefanten  nur  in  Ländern  mit  üppiger  tropischer  Vegetation,  das 


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Die  geographische  Verbreituug  der  Transportmittel  des  Landverkehrs.  28  I 

Renntier  ist  auf  hohe  nördliche  Breiten  beschränkt.  Der  Schlitten 
kann  nur  da  gebraucht  werden,  wo  die  Niederschläge  während  einiger 
Monate  des  Jahres  als  Schnee  fallen  und  der  Schnee  liegen  bleibt. 
Die  Grenze  zwischen  Saum-  oder  Fufsverkehr  und  Wagenverkehr  fällt 
oft  mit  der  Grenze  zwischen  Flachland  und  Gebirge  zusammen,  wie 
wir  z.  B.  in  Süd-Amerika  am  Gegensatz  der  Pampas  und  Anden  ver- 
folgen können.  Auch  die  Eisenbahnen  haben  in  den  Gebirgen  viel 
weniger  Eingang  gefunden  als  in  den  Ebenen  und  sind  dort  auch  in 
anderer  Weise  gebaut  worden. 

Kann  man  also  an  einer  Abhängigkeit  der  Verkehrsformen  von 
der  Natur  der  Länder  nicht  zweifeln,  so  ist  es  andererseits  ebenso 
sicher,  dafs  diese  Abhängigkeit  nicht  unbedingt  ist.  Das  ergiebt  sich 
schon  aus  der  Thatsache,  dafs  die  Verkehrsformen  der  meisten  Länder 
sich  im  Lauf  der  Zeit  verändert  haben,  ohne  dafs  diese  Verände- 
rungen durch  Veränderungen  der  Naturbeschaffenheit  hervorgerufen 
worden  wären.  Am  ehesten  hat  man  noch  daran  denken  können,  die 
Ausbreitung  des  Kamels  über  die  Sahara,  die  erst  in  nachchristlicher 
Zeit  erfolgt  ist,  auf  eine  Verschlechterung  des  Klimas  und  eine  Ver- 
schärfung des  Wüstencharakters  zurückzuführen ; aber  die  Berechtigung 
dieser  Erklärung  ist  doch  sehr  zweifelhaft,  und  die  Verbreitung  des 
Pferdes,  Maultiers  und  Rindes  über  Amerika  seit  dem  sechzehnten,  über 
Australien  und  die  australischen  Inseln  seit  dem  neunzehnten  Jahr- 
hundert, die  allmähliche  Verdrängung  der  Saumwege  durch  Fahr- 
strafsen , der  gewöhnlichen  Fahrstrafsen  durch  macadamisierte 
Chausseen,  der  Siegeszug  der  Eisenbahnen  über  die  Erde  sind  jeden- 
falls ohne  entsprechende  Veränderungen  in  der  Natur  der  Länder  er- 
folgt. Es  sind  zunächst  geschichtliche  Thatsachen,  die  geschichtlich 
aufgefafst  werden  müssen.  Neuere  verkehrsgeographische  Studien  haben 
deshalb  mit  Recht  die  Verkehrsverhältnisse  als  etwas  Werdendes  oder 
Gewordenes  betrachtet;  aber  viele  von  ihnen  verkennen  doch  die 
eigentliche  Aufgabe  der  Verkehrsgeographie,  wenn  sie  sich,  wie 
namentlich  das  an  Thatsachen  so  reiche  Werk  von  Götz,  mit  der  Er- 
zählung des  geschichtlichen  Werdens,  noch  dazu  in  Beschränkung  auf 
die  Kulturländer,  begnügen,  ohne  dies  Werden  zu  erklären  und  in  Be- 
ziehung zur  Natur  der  Länder  zu  setzen.  Das  Verhältnis  der  Ver- 
kehrsgeschichte und  der  Verkehrsgeographie  ist  dasselbe  wie  das  Ver- 
hältnis der  historischen  Geologie  und  der  physischen  Geographie;  jene 
erzählt  die  Entwickelung  der  Erde,  diese  stellt  die  heutigen  Verhältnisse 
als  Ergebnis  des  Entwickelungsvorganges  nach  der  Seite  der  Verbreitung 
hin  dar.  Auch  die  Verkehrsgeographie  fufst  auf  geschichtlicher  Grund- 
lage; aber  ihre  eigentliche  Aufgabe  ist,  die  geographische  Verbreitung  der 
Verkehrsverhältnisse  in  der  Gegenwart  darzustellen  und  zu  erklären. 


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282 


A.  Hettner: 


Die  Entwickelung  der  Verkehrs  formen  ist  der  Entwickelung  der 
Pflanzen-  und  Tierwelt  in  vieler  lleziehung  analog;  ihre  geographische 
Verbreitung  mufs  deshalb  unter  ähnlichen  Gesichtspunkten  wie  die 
Verbreitung  der  Pflanzen  und  Tiere  betrachtet  werden,  und  zwar  gilt 
das  nicht  nur  von  den  Transporttieren,  sondern  auch  von  den  Fahr- 
zeugen und  anderen  unorganischen  Transportmitteln,  bei  denen  das 
Wesentliche  nicht  das  Material,  sondern  die  Erfindung  ist.  Ähnlich 
wie  die  Entwickelung  der  Pflanzen-  und  Tierwelt  in  einer  fortschreiten- 
den Differenzierung  und  Vervollkommnung  besteht,  hat  man  auch 
die  Entwickelung  menschlicher  Einrichtungen  als  eine  fortschreitende 
Differenzierung  und  Vervollkommnung,  allerdings  auch  mit  gelegent- 
lichen Rückschritten,  aufzufassen  begonnen.  Aber  in  beiden  Fällen 
erfolgt  die  Entwickelung  nicht  überall  gleichmäfsig,  sondern  an  jeder 
Erdstelle  verschieden,  in  Abhängigkeit  von  ihren  übrigen  Verhältnissen. 
Die  Entwickelung  der  Verkehrsverhältnisse,  im  besonderen  die  all- 
mähliche Vervollkommnung  der  Transportmittel,  geht  aus  dem  Be- 
dürfnis des  Menschen  hervor,  sich  und  seine  Güter  immer  schneller 
und  mit  immer  geringerer  Anstrengung  auf  der  Erdoberfläche  zu  be- 
wegen; aber  sowohl  dies  Bedürfnis  wie  die  Möglichkeit  seiner  Befrie- 
digung sind  je  nach  den  Naturverhältnissen  und  dem  Kulturzustand, 
der  auch  wieder  das  Ergebnis  einer  ähnlichen  Entwickelung  ist,  in 
verschiedenen  Gegenden  verschieden. 

Man  führt  die  Verbreitung  der  Pflanzen-  und  Tierarten  auf  dreierlei 
Vorgänge  zurück:  die  Entstehung  der  neuen  Art,  beziehentlich  Abart, 
ihre  Übertragung  von  einer  Gegend  zur  anderen  durch  Wind  und 
Strömungen,  Tiere  und  Menschen  und  ihre  Einbürgerung  unter  An- 
passung an  Klima  und  Boden  und  im  Kampf  mit  den  bereits  vorhan- 
denen Arten.  Auch  die  Verbreitung  der  Transportmittel  wie  anderer 
menschlicher  Einrichtungen  kann  man  sich  in  dieselben  drei  Vorgänge 
zerlegt  denken : Erfindung  beziehentlich  V erbesserung,  Wanderung  und  Ein- 
bürgerung. Alle  drei  Vorgänge  aber,  Entstehung  oder  Erfindung,  Wande- 
rung und  Einbürgerung,  sind  sowohl  bei  den  Pflanzen  und  Tieren  wie 
bei  den  menschlichen  Einrichtungen  nicht  zufällig,  sondern  in  der  Natur 
der  Erdoberfläche  und  dem  Zustand  der  Kultur  ursächlich  begründet. 

Eine  Erfindung  erscheint  uns  als  das  freieste  Erzeugnis  des  mensch- 
lichen Geistes,  bei  dem  man  jeden  Gedanken  an  eine  ursächliche  Be- 
dingtheit oder  gar  Notwendigkeit  von  sich  abweisen  möchte.  Und 
doch  lehrt  eine  nähere  Betrachtung,  dafs  jede  höhere  Erfindung  von 
einer  ganzen  Anzahl  von  Bedingungen  abhängig  ist  und  dafs  sie  des- 
halb nur  in  einer  bestimmten  Zeit  und  in  einem  bestimmten  Lande 
erfolgen  konnte,  aber  auch  erfolgen  mufste,  weil  die  Entwickelung  der 
Dinge  dazu  drängte. 


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Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrs,  283 

Ziemlich  selbstverständlich  ist  die  erste  Bedingung  einer  Dienst- 
barmachung  von  Tieren  zu  Transportzwecken;  nämlich  dafs  sie  nur 
innerhalb  des  natürlichen  Verbreitungsgebietes  dazu  geeigneter  Tiere 
oder  in  einer  Gegend  erfolgen  konnte,  wo  man  das  bereits  zu  anderen 
Zwecken  gezüchtete  Tier  eingeführt  hatte.  Wir  wissen  leider  wenig 
über  die  natürlichen  Verbreitungsgebiete  der  meisten  Transporttiere, 
und  bei  manchen  Tieren,  die  nicht  zu  Transportzwecken  dienen,  können 
wir  nicht  sagen,  ob  sie  sich  nicht  doch  dazu  hätten  erziehen  lassen, 
wenn  die  Bewohner  der  betreffenden  Gegenden  fähiger  gewesen  wären; 
aber  darüber  besteht  kein  Zweifel,  dafs  die  verschiedenen  Länder  von 
der  Natur  sehr  ungleich  mit  geeigneten  Transporttieren  ausgestattet 
sind.  Süd-Amerika  hat  ursprünglich  nur  das  Lama  besessen,  das  doch 
hinter  den  meisten  anderen  Transporttieren  weit  zurücksteht,  in  Nord- 
Amerika  könnte  man  höchstens  an  den  Bison  denken,  von  den  Beutel- 
tieren und  Schnabeltieren  Australiens  wäre  wohl  keines  geeignet  ge- 
wesen; auch  keines  der  ursprünglichen  Tiere  des  äquatorialen  und  süd- 
lichen Afrika  ist  in  den  Dienst  des  Menschen  getreten.  Alle  unsere 
Transporttiere,  der  Esel,  das  Pferd,  das  Dromedar,  das  baktrische 
Kamel  u.  s.  w.,  haben  ursprünglich  ziemlich  beschränkte  Verbreitungs- 
gebiete. Aber  noch  enger  sind  jedenfalls  die  Bezirke,  in  welchen  ur- 
sprünglich die  Zähmung  dieser  Tiere  erfolgt  ist;  denn  sowohl  das  Be- 
dürfnis wie  die  Fähigkeit  dazu  waren  zunächst  nur  an  einzelnen  Stellen 
vorhanden.  Es  bildet  eine  wichtige  Aufgabe  der  Sprachforschung  und 
Urgeschichte,  diese  Stellen  zu  bestimmen  und  den  gleichzeitigen  Kultur- 
zustand der  Völker  aufzuhellen;  die  Verkehrsgeographie  wird  dadurch 
erst  eine  sichere  Grundlage  für  ihre  Betrachtungen  erhalten. 

Auch  die  Erfindung  der  einfacheren  Fahrzeuge,  des  Wagens,  des 
Schlittens,  des  Kahns,  liegt  noch  so  im  Dunkeln,  dafs  sich  über  ihre 
geographischen  Bedingungen  wenig  sagen  läfst;  der  uralte  Besitz  des 
Wagens  sowohl  in  China  wie  bei  den  vorderasiatischen  und  europäi- 
schen Völkern  weist  vielleicht  darauf  hin,  dafs  er  aus  einer  Zeit  naher 
Berührung  dieser  Völker  in  der  Gegend  des  Pamir  stammt.  Dagegen 
können  wir  bei  den  neueren  Fortschritten  des  Verkehrswesens  die  Ab- 
hängigkeit von  Ursachen  erkennen.  Es  ist  die  fortschreitende  Kultur, 
die  zur  Vervollkommnung  der  Verkehrsmittel  drängt  und  sich  damit 
ein  wichtiges  Mittel  zu  weiterem  Fortschritt  schafft;  besonders  die  Be- 
dürfnisse grofser  centralisierter  Staaten  wirken  in  dieser  Richtung. 
Deshalb  sehen  wir  schon  in  alter  Zeit  die  hohe  Entwickelung  des 
Strafsen-  und  Kanalbaues  in  China,  deshalb  in  den  Despotien  Vorder- 
Asiens  und  im  alten  römischen  Reich,  deshalb  in  neuerer  Zeit  in  den 
fortgeschrittensten  Staaten  des  westlichen  Europas.  Die  Erfindung 
des  modernsten  Verkehrsmittels,  der  Eisenbahn,  war  nur  auf  dem 


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284 


A.  Hettner: 


Boden  europäischer  Kultur  möglich;  die  chinesische  Kultur,  die  es  zu 
keiner  eigentlichen  Wissenschaft  gebracht  hat,  war  hierzu  unvermögend. 
In  Europa  und  zwar  im  westlichen  Europa  oder  den  Europas  geistiges 
Leben  teilenden  Vereinigten  Staaten  aber  mufste  sie  damals  geschehen; 
denn  hier  war  das  dringende  Bedürfnis  nach  einer  Verbesserung  des 
Verkehrs  vorhanden  , man  hatte  das  dazu  nötige  Kapital,  und  Wissen- 
schaft und  Technik  waren  weit  genug  vorgeschritten.  Seit  Jahrzehnten 
mühten  sich  eine  grofse  Anzahl  von  Männern  mit  dem  Problem  ab 
und  waren  seiner  richtigen  Lösung  allmählich  nahe  gekommen.  Hätte 
es  keinen  Stephenson  gegeben,  so  wäre  die  Erfindung  vielleicht  etwas 
später,  aber  sie  wäre  doch  auch  gemacht  worden. 

Die  Übertragung  von  Transportmitteln  und  Verkehrseinrichtungen 
von  dem  Ort  ihrer  Erfindung  nach  anderen  Gegenden  geschieht  durch 
Völkerwanderungen  oder  auch  durch  Handel  und  geistigen  Austausch'). 
Völker,  die  ihre  Heimat  verlassen  und  andere  Wohnsitze  aufsuchen, 
nehmen  womöglich  ihre  Haustiere  und  ihren  Kulturbesitz  mit  sich. 
Auch  wenn  nicht  das  ganze  Volk  wandert,  sondern  nur  Kolonien  be- 
gründet werden,  werden  mit  den  Menschen  zugleich  ihre  Einrichtungen 
und  Hülfsmittel  verpflanzt;  wertvolle  Einrichtungen  und  Hülfsmittel, 
die  man  in  den  Kolonien  vorfindet,  gelangen  dafür  in  die  Heimat. 
Selbst  der  Händler  und  Reisende,  der  ein  fremdes  Land  nur  flüchtig 
besucht,  bringt  unter  Umständen  wertvolle  Bereicherungen  des  Kultur- 
besitzes von  dort  mit.  So  gelten  für  die  Wanderung  und  Übertragung 
der  Verkehrsformen  und  Kultureinrichtungen  überhaupt  dieselben  Be- 
dingungen wie  für  Völkerwanderungen  und  Völkerberührungen;  denn 
wo  Völker  sich  ungehindert  verbreiten  oder  wenigstens  Verbindungen 
anknüpfen  können,  findet  meist  auch  eine  Übertragung  des  Kulturbesitzes 
statt.  Hohe  Gebirge,  Wüsten,  reilsende  Flüfse  und  Meere  sind  daher 
die  wichtigsten  Hindernisse  für  die  Übertragung  der  Verkehrsformen 
von  einer  Gegend  zur  anderen,  wie  für  die  Bewegung  des  Menschen 
und  die  Ausbreitung  der  Kultur  überhaupt;  aber  nicht  unbedingte 
Hindernisse,  sondern  Hindernisse,  die  der  Mensch  eben  durch  Ver- 
vollkommnung seiner  Verkehrsmittel  allmählich  mehr  oder  weniger 
überwinden  lernt.  Durch  die  Entwickelung  der  Ozean-Schifffahrt  sind 
Länder,  die  bis  dahin  vollständig  von  einander  getrennt  waren,  in 
Austausch  ihrer  Menschen  und  Einrichtungen  getreten;  der  Ozean,  ur- 
sprünglich das  grölste  Hindernis,  ist  heute  geradezu  das  bequemste 
Mittel  der  Ausbreitung  geworden. 

Wie  aber  in  der  Natur  viele  Keime  ausgestreut  werden,  die  nicht 
aufgehen,  weil  ihnen  Klima  und  Boden  nicht  Zusagen  oder  weil  sie 

■j  Vergl.  Fr.  Ratzel,  Anthropogeographie,  1.  Bei.,  19.  Kapitel. 


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Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrs.  285 

gegen  andere  Gewächse  nicht  auf7.ukommen  vermögen,  wie  Pflanzen 
und  Tiere  auf  die  verschiedenste  Weise  nach  anderen  Ländern  ge- 
langen, aber  doch  nicht  Futs  fassen,  weil  sie  ihrer  Natur  nicht  ange- 
pafst  sind  oder  wenigstens  schlechter  angepafst  sind  als  andere  Pflanzen 
und  Tiere,  mit  denen  sie  in  Wettbewerb  treten , so  bürgern  sich  auch 
Kultureinrichtungen  keineswegs  überall  da  ein,  wohin  sie  gelangen.  Denn 
auch  sie  müssen  dazu  den  natürlichen  und  den  Kulturverhältnissen 
des  Landes  entsprechen  und  zwar  besser  entsprechen  als  andere  schon 
vorhandene  Kultureinrichtungen,  die  demselben  Zweck  dienen;  der 
Vorteil,  den  sie  vor  diesen  darbieten,  mufs  grofs  genug  sein,  um  die 
Macht  der  Gewohnheit  zu  überwinden.  Was  für  ein  Land  und  Volk 
pafst  und  deshalb  die  Herrschaft  gewinnt,  kann  für  ein  anderes  Land 
und  Volk  durchaus  unpassend  sein  und  wird  in  ihm  nicht  Fufs  fassen 
können.  Man  kann  sagen,  dafs  ein  neues,  leistungsfähiges  Verkehrs- 
mittel dann  über  ein  vorhandenes,  weniger  leistungsfähiges  obsiegen 
wird,  wenn  die  Bevölkerung  technisch  und  wirtschaftlich  im  Stande 
ist,  die  Hindernisse,  welche  die  Natur  jenem  mehr  als  der  bisherigen  Ver- 
kehrsweise bietet,  zu  überwinden,  und  wenn  sie  durch  das  Verkehrs- 
bedürfnis dazu  veranlafst  wird  oder  in  der  zu  erhoffenden  Steigerung 
des  Verkehrs  einen  genügenden  Lohn  ihrer  Anstrengung  erblickt. 

Ein  Volk  auf  niederer  Kulturstufe,  mit  einfacher  Volkswirtschaft, 
bei  dem  fast  alle  Bedürfnisse  des  Lebens  innerhalb  der  Familie  oder 
wenigstens  innerhalb  des  Stammes  oder  der  Gemeinde  erzeugt  werden, 
dessen  Habe  gering  ist,  hat,  selbst  wenn  es  ein  Wandervolk  ist,  nur 
ein  geringes  Bedürfnis  nach  vollkommenen  Verkehrsmitteln.  Erst  mit 
der  wachsenden  Arbeitsteilung,  mit  der  geographischen  Differenzierung 
der  wirtschaftlichen  Produktion  und  mit  dem  hieraus  sich  ergebenden 
Handel  beginnt  man,  sich  um  leistungsfähigere  und  bequemere  Trans- 
portmittel für  Gütet  und  Personen  zu  bemühen,  bis  man  zu  jener 
wunderbaren  Steigerung  der  Anforderungen  und  damit  auch  der  Lei- 
stungen gelangt,  die  für  die  Kulturvölker  der  Gegenwart  charakteri- 
stisch ist. 

Der  verschiedene  Umfang,  in  dem  sich  die  modernen  Verkehrsmittel 
in  verschiedenen  Ländern  eingebürgert  haben,  ist  also  in  erster  Linie 
von  dem  verschiedenen  Verkehrsbedürfnis  abhängig,  das  auf  der  ver- 
schieden hohen  Entwickelung  der  Volkswirtschaft  und  des  Handels 
beruht. 

Neben  den  Bedürfnissen  des  Verkehrs  kommen  die  geistigen  und 
technischen  Fähigkeiten  der  Bevölkerung  in  Betracht.  Aber  sie  gehen 
mit  jenen  meist  Hand  in  Hand.  Die  Fähigkeiten  der  Bevölkerung  sind 
ja  für  die  Entwickelung  der  Volkswirtschaft  und  damit  die  Gröfse 
des  Verkehrsbedürfnisses  mit  mafsgebend,  und  andererseits  erzieht  das 


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286 


A.  Hettner: 


Bedürfnis  meist  die  Fähigkeit,  es  zu  befriedigen.  Bei  einem  vorhan- 
denen Bedürfnis  wird  diese  Fähigkeit  nur  dann  fehlen , wenn  das  Be- 
dürfnis noch  neu  und  vielleicht  nicht  natürlich  erwachsen,  sondern  von 
aufsen  aufgepfropft  ist. 

Eine  sehr  wichtige  Bedingung  ist  auch  die  wirtschaftliche  Leistungs 
fähigkeit.  Je  vollkommener  ein  Verkehrsmittel  ist,  um  so  mehr  An- 
lage- und  Betriebskapital  erfordert  es  in  der  Regel.  Gröfsere  Kapi- 
talien sind  aber  auch  wieder  nur  bei  entwickelter  Volkswirtschaft  vor- 
handen; deshalb  sehen  wir  auch  diese  Bedingung  gewöhnlich  mit  den 
beiden  anderen  Bedingungen  verbunden. 

So  ist  die  stufenweise  Einführung  höherer  Verkehrsformen  eng  an 
die  stufenweise  Entwickelung  von  Volkswirtschaft  und  Kultur  geknüpft 
Es  findet  hier  eine  wechselseitige  Abhängigkeit  statt;  denn  wie  die 
Verkehrsformen  von  dem  Verkehrsbedürfnis  und  der  geistigen  und 
wirtschaftlichen  Fähigkeit  der  Bevölkerung  abhängig  sind,  so  wirken 
sie  auch  wieder  fördernd  oder  hemmend  auf  diese  ein.  Insoweit  stehi 
die  Verbreitung  der  Verkehrsmittel  zwar  nicht  aufser  Zusammenhang 
mit  der  Natur  der  Länder,  aber  der  Zusammenhang  ist  nur  mittelbar. 
Unmittelbar  dagegen  macht  sich  der  Einflufs  der  Natur  in  dem  Wider- 
stand geltend,  den  sie  den  Bemühungen  der  Kultur,  sich  geeignete 
Verkehrsmittel  zu  schaffen,  entgegensetzt,  und  der  bald  nur  eine  gröfsere 
Kraftanstrengung  nötig  macht,  bald  unüberwindlich  ist.  Diese  Natur- 
bedingungen sind,  mit  menschlichem  Mafsstab  gemessen,  wenig  ver- 
änderlich und  stehen  daher  der  in  rascher  Entwickelung  begriffenen 
Kultur  als  etwas  Bleibendes  gegenüber.  So  verschieden  sich  auch  die 
Verkehrsformen  eines  Landes  im  Lauf  der  Zeit  mit  dem  Wechsel  der 
Kulturhöhe  gestalten,  so  bewahren  sie  doch  gewisse  Merkmale,  be- 
halten sie  gleichsam  eine  Lokalfärbung,  die  eben  aus  dem  direkten 
Einflufs  der  Naturbedingungen  entspringt.  . 

Sie  liegen  teils  im  Klima,  teils  in  Gestalt  und  Beschaffenheit  des 
Bodens.  Besonders  die  Transporttiere  sind  den  Einflüssen  des  Klimas, 
klimatischen  Krankheiten  und  Plagen  unterworfen,  sie  bedürfen  auch 
einer  bestimmten  Art  und  Menge  der  Nahrung,  und  kommen  dadurch 
in  verschiedenen  Gegenden  mehr  oder  weniger  gut  fort  oder  sind  von 
manchen  Gegenden  ganz  ausgeschlossen.  Die  Verbreitung  des  Kamels, 
des  Elefanten,  des  Renntiers,  des  Lamas,  des  Grunzochsen  liefern  hier- 
für Beispiele.  Sie  sind  auch  auf  verschiedenem  Boden  in  verschie- 
dener Weise  verwendbar;  in  der  Ebene  verdient  im  allgemeinen  das 
Pferd,  im  Bergland  das  Maultier  den  Vorzug ; das  Kamel  ist  flir  Berg- 
land ungeeignet.  Mehr  aber  noch  als  auf  die  Transporttiere  macht 
sich  der  Einflufs  der  Bodengestaltung  und  Bodenbeschaffenheit  auf 
den  Gebrauch  der  Fahrzeuge  und  auf  die  geographische  Verteilung 


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Die  geographische  Verbreitung  der  Transportmittel  des  Landverkehrs.  287 

der  Hauptarten  des  Verkehrs,  des  Fufsverkehrs,  Saumverkehrs,  Wagen- 
verkehrs und  Eisenbahnverkehrs  geltend.  Der  Fufsgänger  kann  sich 
auf  dem  Festboden  fast  überall  bewegen.  Das  Saumtier  wird  durch 
Felsbildungen,  Schnee  und  Eis,  Morast  oder  dichten  Pflanzenwuchs  schon 
mehr  gehindert.  Der  Gebrauch  des  Wagens  setzt  geringe  Neigung 
des  Bodens  voraus  und  macht  an  Festigkeit  des  Bodens  und  Offenheit 
des  Geländes  gröfsere  Ansprüche;  er  ist  daher  nur  in  Ebenen  und 
Hügelländern  ohne  weiteres  möglich,  während  er  in  Sumpfgebieten  und 
Gebirgen  die  Herstellung  künstlicher  Strafsen  erfordert,  • die  nur  bei 
fortgeschrittener  Technik  unternommen  werden  kann  und  immer  mit 
grofsen  Kosten  verknüpft  ist.  Die  Eisenbahn  kann  noch  weniger  Stei- 
gungen überwinden  und  erfordert  noch  viel  gröfsere  Kunstbauten  als 
die  Fahrstrafse,  besonders  das  Eindringen  ins  Gebirge  bereitet  ihr  noch 
viel  mehr  Schwierigkeiten ; die  Bodengestaltung  übt  daher  auf  die  Ver- 
teilung der  Eisenbahnen  noch  viel  gröfseren  Einflufs  als  auf  die  Ver- 
teilung der  Fahrstrafsen  aus.  Dazu  kommt  noch,  dafs  eine  Eisenbahn 
oder  auch  eine  Fahrstrafse  einen  um  so  kleineren  Bezirk  für  den  Ver- 
kehr aufschliefst,  je  gebirgiger  das  Land  ist,  weil  die  Kosten  der  Zu- 
fuhr und  Abfuhr  zur  Eisenbahn  so  grofs  werden,  dafs  sie  sich  nicht 
mehr  lohnen;  also  ein  weiterer  Grund,  der  den  Bau  von  Eisenbahnen 
in  Gebirgsländern  einschränkt.  Der  Schlittenverkehr  ist,  von  der  Holz- 
abfuhr in  Gebirgen  abgesehen,  an  das  Vorkommen  von  Schnee  und 
F.is  gebunden. 

Fassen  wir  unsere  Erörterungen  zusammen  1 Es  ist  ein  Bild  fort- 
schreitender Entwickelung  unter  Anpassung  an  die  verschiedenen 
Natur-  und  Kulturverhältnisse,  das  sich  uns  darbietet.  Ursprünglich 
ist  der  Mensch  selbst  sein  einziges  Transportmittel.  An  einzelnen 
Stellen  erwirbt  er  allmählich  die  Fähigkeit,  Tiere  zu  zähmen  und  zu 
züchten  und  auch  für  Transportzwecke  zu  benutzen ; er  erfindet  den 
Kahn,  den  Schlitten  und  den  Wagen  und  in  neuerer  Zeit  das  Dampf- 
schiff und  die  Eisenbahn.  Diese  Transporttiere  und  Fahrzeuge  nimmt 
er  bei  seinen  Wanderungen  mit  und  überträgt  sie  auch  auf  andere 
Völker,  mit  denen  er  in  Berührung  kommt.  So  breiten  sich  die  höheren 
Verkehrsformen  aus  und  schränken  den  Fufsverkehr  und  andere  weniger 
leistungsfähige  Verkehrsarten  ein.  Aber  manchmal  findet  die  neue 
Verkehrsart  keinen  Eingang,  sondern  unterliegt  gegen  die  vorhandenen 
Verkehrsarten,  die  an  sich  vielleicht  weniger  vollkommen  sind,  sich 
aber  für  das  Land  besser  eignen. 

Das  treibende  Motiv  der  Entwickelung  ist  also  der  Trieb  des 
Menschen,  sich  sein  Leben  besser  zu  gestalten,  d.  h.  in  unserem  Fall, 
sich  und  seine  Güter  mit  geringerer  Mühe,  schneller  und  bequemer 
von  einer  Stelle  zur  andern  zu  befördern.  Dieser  Trieb  ist  überall 
Zeiuchr.  d.  Gcscllich.  f.  ErdJc.  Bd.  XXIX.  20 


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288  A.  Hettner:  Die  geogr.  Verbreitung  iler  Transportmittel  des  Landverkebts. 

vorhanden;  aber  bei  verschiedenen  Völkern  in  sehr  verschiedener  Stärke, 
und  er  wird  auch  bei  verschiedenen  Völkern  in  sehr  verschiedenem 
Mafs  von  der  menschlichen  Trägheit  eingeschränkt.  Er  ist  abhängig 
von  dem  Volkscharakter  und  der  Kulturhöhe,  die  wir  hier  als  gegeben 
betrachten,  obwohl  auch  sie  in  hohem  Grade  geographisch  be- 
dingt sind. 

Dieser  menschliche  Trieb  bedarf  aber  der  Natur  als  Unterlage 
seiner  Bestrebungen;  er  benutzt  sie  gleichsam  als  Stoff,  den  er  nach 
seinen  Zwecken  formt;  er  sucht  sie  für  sich  auszunützen  und  ist  da- 
durch von  dem  abhängig,  was  sie  ihm  bietet;  er  lernt  allmählich,  ihre 
Schätze  zu  verwerten  und  die  Hindernisse,  die  sie  ihm  in  den  Weg 
stellt,  zu  überwinden.  Darin  liegen  die  direkten  geographischen  Bedin- 
gungen der  Kulturentwickelung. 

Die  direkten  geographischen  Bedingungen  der  Entwickelung  des 
Verkehrs  sind  dreierlei  Art.  Die  natürliche  Verbreitung  der  zu  Trans- 
portleistungen geeigneten  Tiere  ist  die  selbstverständliche  Voraussetzung 
ihrer  ersten  Zähmung,  während  flir  die  Erfindung  der  Fahrzeuge  eine 
ähnliche  Bedingung  nicht  besteht,  da  es  bei  ihnen  mehr  auf  die  Erfin- 
dung als  auf  den  Stoff  ankommt.  Die  Verteilung  von  Land  und  Meer, 
die  Richtung  der  Gebirge  und  Flüsse,  das  Vorhandensein  von  Wüsten, 
Steppen  und  Urwäldern,  auch  das  Klima  wirken  als  Hemmnisse  der 
Völkerwanderung  und  Völkerberührung  und  damit  auch  der  Ausbrei- 
tung der  Verkehrsformen,  aber  als  Hemmnisse  von  veränderlicher  Be- 
deutung, die  vom  Menschen  allmählich  überwunden  werden.  Boden- 
gestalt, Bodenbeschaffenheit,  Klima  und  Pflanzenwelt  bereiten  aber  auch 
der  Einbürgerung  der  Verkehrsformen  verschiedene  Bedingungen;  sie 
machen  sie  mehr  oder  weniger  leicht  und  schliefsen  manche  Verkehrs- 
formen ganz  aus. 

In  zeitlicher  Reihenfolge  kommt  es  zuerst  hauptsächlich  auf  die 
ursprüngliche  Ausstattung  mit  geeigneten  Tieren  an.  Später  kommt 
besonders  die  geographische  Lage  in  Betracht,  weil  von  ihr  die  Mög- 
lichkeit abhängt,  die  in  anderen  Ländern  entstandenen  Verkehrsformen 
zu  empfangen.  Amerika  und  Australien  waren,  bis  zum  Beginn  der 
Ozean-Schifffahrt,  in  beiden  Beziehungen  besonders  schlecht  gestellt. 
Jetzt  sind  der  Ozean  und  die  meisten  anderen  Schranken  der  Ausbrei- 
tung überwunden;  zwischen  fast  allen  Ländern  der  Erde  ist  ein  Aus- 
tausch der  Transportmittel  möglich,  es  sind  nur  noch  die  Nachwir- 
kungen der  früheren  Schranken,  die  sich  heute  bemerkbar  machen, 
allerdings  noch  in  hohem  Grade  bemerkbar  machen.  Aber  allmählich 
werden  die  Bedingungen  der  Einbürgerung  in  den  Vordergrund  treten. 
Es  wird  mehr  und  mehr  darauf  ankommen,  welche  Gegenden  den 
vollkommeneren  Verkehrsformen  am  besten  angepafst  sind,  d.  h. 


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Sven  Hedin:  Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir.  289 

in  welche  Gegenden  diese  mit  den  geringsten  Schwierigkeiten  und 
Kosten  eingerichtet  und  betrieben  werden  können.  Gesetzt,  es 
würde  kein  neues,  vollkommeneres  Verkehrsmittel  mehr  erfunden,  auch 
sonst  ginge  die  Kultur  nicht  Uber  die  Höhe  ihrer  heutigen  Entwicke- 
lung hinaus,  die  weitere  Entwickelung  bestände  vielmehr  nur  in  der  Aus- 
breitung der  vorhandenen  Kultureinrichtungen,  so  würde  das  Ende  der 
Entwickelung  ein  Zustand  sein,  in  welchem  die  Beschaffenheit  und  die 
Menge  der  Verkehrsmittel  jeder  Gegend  von  ihrem  Klima  und  ihrem 
Bodenbau  abhängig  wäre;  denn  auch  die  Bevölkerungszahl  und  Volks- 
wirtschaft würden  diesen  angepafst  sein.  Thatsächlich  aber  wird  dieser 
Zustand  nie  eintreten;  denn  die  Menschheit  wird  in  der  Kultur  fort- 
schreiten und  sich  immer  höhere  Verkehrsformen  schaffen,  die  von 
der  Stelle  ihres  Ursprungs  aus  wieder  ihre  Wanderung  antreten  werden, 
wenn  auch  mit  schnelleren  Schritten  als  bisher.  Jener  Zustand  der 
vollkommenen  Anpassung  der  Verkehrsformen  an  die  Erdnatur  wird 
daher  nur  das  Ziel  sein,  nach  welchem  die  Entwickelung  hinstrebt, 
ohne  es  zu  erreichen. 


Forschungen  über  die  physische  Geographie  des 
Hochlandes  von  Pamir  im  Frühjahr  1894. 

Von  Dr.  Sven  Hedin. 

(Reisebericht  N'r.  z1),  am  ig.  Juni  1894  aus  Kaschgar  abgeschickt.) 

(Hierzu  Tafel  g—  n.) 

Ehe  ich  zu  dem  eigentlichen  Gegenstand  dieses  Aufsatzes  über- 
gehe, möchte  ich  einen  kurzen  orientierenden  Überblick  über  die  plas- 
tischen Verhältnisse  des  l’amir-Gebiets  und  einige  Angaben  über  dessen 
Bevölkerungsverhältnisse  voranschicken.  Dann  werde  ich  auf  die 
Schneeverhältnisse  des  letzten  Winters  im  allgemeinen  eingehen  und 
endlich  von  den  Resultaten  des  Schneeniederschlages,  von  der  Wasser- 
menge einiger  Flüsse  und  der  Bildung  der  Gletscher  im  östlichen 
Pamir  sprechen*). 

1)  Reisebericht  Nr.  1 s.  Verhandl.  d.  Ges.  f.  Erdk.  1894,  S.  150  — 165. 

*)  Da  dieser  Aufsatz  während  der  Reise  geschrieben  worden  ist,  bitte  ich  es 
mit  Nachsicht  zu  beurteilen,  wenn  ich  mich  wegen  der  Kürze  der  Zeit  einzelner 
Wiederholungen  schuldig  gemacht  oder  vielleicht  Ansichten  und  Gesichtspunkte 
ausgesprochen  habe , die  schon  von  anderen  geäufsert  sind.  Der  Aufsatz  darf 
nur  als  ein  vorläufiger  Bericht  betrachtet  werden.  Der  reichen  Bibliothek  des 
russischen  Konsuls  in  Kaschgar,  Herrn  Petrowsky,  welchem  ich  auch  aus 

20* 


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290 


Sven  Hedin: 


i.  Morphologische  Übersicht. 

Wie  Freiherr  von  Richthofen  den  ganzen  asiatischen  Kontinent  in 
centrale  oder  abflufslose,  Übergangs-  und  peripherische  Gebiete  ein- 
teilt, so  kann  man  auch  in  kleinem  Malsstab  auf  dem  Hochland  von 
Pamir  in  ähnlicher  Weise  drei  untereinander  verschiedene  Gebiete 
unterscheiden,  wobei  aber  das  abflufslose  Gebiet  im  Verhältnis  zu  den 
beiden  anderen  ziemlich  klein  ist  (Tafel  8 u.  12).  In  dem  abflufslosen 
Gebiet  fliefst  das  Wasser  zum  See  Kara-kul,  in  den  peripherischen  zum 
Amu-darya  (Aral-See)  und  zum  Tarim  (Lob-nur).  Dazu  kommt  noch 
ein  kleines  abfiufsloses  Gebiet  in  der  unmittelbaren  Umgebung  der 
Zwilling-Seen  Schor-ktil  und  Rang-kul.  Ein  grofser  Teil  des  erst- 
genannten centralen  Beckens  wird  vom  Salzsee  Kara-kul  selbst  ein- 
genommen, welcher  von  einer  Menge  temporärer  Bäche  der  Rand- 
gebirge gespeist  wird , die  ihrerseits  dem  Schmelzwasser  des  Schnees 
oder  dem  Tribut  zahlreicher  Quellen  ihre  Existenz  verdanken;  in  der- 
selben Weise  wird  der  Süfswassersee  Rang-kul  gespeist. 

Die  abflufslosen  Gebiete  im  allgemeinen  bekommen  ihre  am 
meisten  prägnanten  Charakterzüge  durch  die  ununterbrochene  Nivel- 
lierungsarbeit, die  in  ihnen  vor  sich  geht  und  darin  besteht,  dafs  sämt- 
liche Produkte  der  Zersetzung  und  Erosion  und  des  mechanischen 
Transports  im  wesentlichen  von  den  Rändern  gegen  die  tieferen 
Teile  der  Depression  getragen  werden,  um  sich  dort  abzusetzen  und 
die  Unebenheiten  des  Geländes  auszugleichen.  Obgleich  dies  auch  im 
Kara-kul-Gebiet  der  Fall  ist,  sind  doch  hier  die  vertikalen  Unterschiede 
nicht  unbedeutend.  Während  die  im  Westen  des  Sees  gelegenen  Ge- 
birge eine  relative  Höhe  von  wenigstens  1200  m haben,  ist  die  gröfste 
Tiefe  des  Sees  nach  meiner  Messung  230,5  m,  was  für  einen  Salzsee 
eines  asiatischen  Centralbeckens  als  sehr  viel  betrachtet  werden  mufs. 
Das  östliche  Becken  des  Sees,  das  von  dem  westlichen  durch  eine 

manchen  anderen  Gründen  zu  aufrichtigem  Dank  verpflichtet  bin,  verdanke  ich  dir 
Arbeiten  von  Frhr.  v.  Richthofen,  Bogdanowitsch  und  Geiger;  leider  fehlen  mir  die 
Arbeiten  IwanofTs.  An  dieser  Stelle  möchte  ich  auch  meinen  herzlichen  Dank  den  rus- 
sischen Behörden  aussprechen,  durch  deren  Liebenswürdigkeit  und  Gastfreundschaft 
die  an  und  für  sich  sehr  beschwerliche  Reise  ohne  besondere  Schwierigkeiten  ausgeführt 
werden  konnte.  Auf  der  ganzen  Reise  wurde  ich  von  kirgisischen  Führern  begleitet, 
und  die  Einwohner  des  Alai-Thals  hatten  Befehl  bekommen,  an  bestimmten  Tagen  und 
Plätzen,  bis  nach  Murgab  hin,  sich  mit  Jurten,  Heizmaterial  und  Schafen  einzu- 
finden. Von  Murgab  nach  der  russisch-chinesischen  Grenze  wurde  ich  in  derselben 
Weise  begleitet.  Vor  allen  Dingen  werde  ich  des  General-Gouverneurs  von  Tnr- 
kestan,  Baron  Wrewsky,  des  Gouverneurs  von  Fergana,  General  Pavalo- 
Schwejkowsky,  und  des  Kommandanten  von  Pamirsky  Post,  Kapitän  Sajtseff, 
dankbar  eingedenk  sein. 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


291 


Insel  und  eine  Halbinsel  getrennt  wird,  hat  dagegen  eine  Maximal- 
tiefe von  nur  20  m.  Diese  Tiefenverhältnisse  hängen  mit  den  Terrain- 
verhältnissen zusammen,  indem  das  östliche  Becken  von  flachen  Steppen 
umgeben  ist,  das  westliche  dagegen  von  hohen  Gebirgen,  die  steil  gegen 
den  See  einfallen.  Doch  empfangt  das  westliche  Becken  die  beiden 
gröfsten  Zuflüsse,  von  Norden  den  Kara-dschilga,  von  Süden  den  Mus- 
kol,  an  deren  Mündungen  die  untiefsten  Stellen  des  Beckens  gelegen 
sind,  wogegen  ihre  erosive  Kraft  noch  nicht  genügt  hat,  um  die  cen- 
tralen Stellen  des  Sees  auszufüllen.  Dies  rührt  wohl  nicht  nur  davon 
her,  dafs  der  See  von  Anfang  an  sehr  tief  gewesen,  sondern  auch  davon, 
dafs  das  Gefälle  der  beiden  Bäche  gering  ist,  und  die  von  ihnen  durch- 
strömten Gegenden  durch  die  fast  immer  wehenden  und  äufserst  hef- 
tigen Winde  von  den  feinsten  Produkten  der  Verwitterung  gereinigt 
werden.  Dennoch  ist  der  ganze  Boden  des  Kara-kul,  wie  ich  gefunden 
habe,  mit  feinem  Schlamm  bedeckt. 

Das  gröfsere  abflufslose  Gebiet  wird  an  allen  Seiten  von  mehr 
oder  weniger  bedeutenden  Gebirgskämmen  und  Massiven  umgeben; 
im  Norden  wird  es  durch  die  Wasserscheide  des  oberen  Markan-su 
begrenzt,  im  Osten  durch  den  Pafs  Kalta-davan  (4810  m),  im  Südosten 
durch  die  Pässe  Kisil-dschijik  (4663  m)  und  Ak-bajtal  (4594  m),  die  vom 
See  am  weitesten  entfernten  Punkte  des  Gebietes,  und  im  Süden  von 
der  Gebirgsgruppe  Mus-kol;  im  Westen  liegt  noch  unerforschtes  Land. 
Das  kleinere  Gebiet,  Schor-kul — Rang-kul,  wird  im  Norden  vom  Ischi- 
Pafs  (4247  m),  im  Osten  von  den  Sarik-kol-Pässen  Ak-berdi,  Tschuggataj 
(4730m),  Kum-dschilga,  Mus-kuru  u.s.  w.,  im  Süden  von  einer  wenig  hohen 
Gebirgsgruppe  nördlich  vom  Murgab  und  im  Osten  von  den  Gebirgen 
des  Akbajtal-Thales  begrenzt.  Die  Grenzpässe  haben  bedeutende  Höhen 
und  werden  von  den  Kämmen,  in  denen  sie  gelegen  sind,  wenig 
überragt.  Auch  die  Centren  der  beiden  Becken  sind  in  bedeuten- 
den absoluten  Höhen  gelegen,  nämlich  4006  m fKara-kul)  und  3731m 
(Schor-kul — Rang-kul).  Im  ganzen  haben  die  beiden  Gebiete  zwischen 
den  obenerwähnten  Grenzen  zusammen  ein  Areal  von  nur  gegen 
5500  qkm,  oder  wenig  mehr  als  der  See  Issik-kul. 

Wie  oben  erwähnt,  ist  die  vertikale  Gliederung  des  centralen 
Beckens  zu  einem  gewissen  Grad  entwickelt;  doch  wird  es  dem  Rei- 
senden, der  vom  Fergana-Thal  kommt,  das  Becken  durchquert  und 
sich  nach  Ost-Turkestan  begiebt,  nicht  entgehen,  dafs  der  Charakter 
des  Hochlandes  von  Pamir  zwischen  den  Pässen  Kisil-art  (4271  m)  im 
Norden  und  Akbajtal  im  Süden,  und  dann  von  Schor-kul  nach  Tschug- 
gataj, ein  ganz  anderer  ist  als  aufserhalb  dieser  Grenzen.  Denn  hier 
handelt  es  sich  nicht  um  ein  Hochgebirgsland,  sondern  um  ein  typisches 
Hochflächenland,  das  im  Norden  und  Süden  von  latitudinalen,  im 


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Sven  Hedin: 


Osten  von  meridionalen  Gebirgsketten  begrenzt  wird.  Für  den  Rei- 
senden, der  von  Norden  kommt,  sind  diese  Verschiedenheiten  sehr 
auffallend.  Er  hat  die  sehr  reich  entwickelte  Alai-Kette  überschritten,  das 
Alai-Thal  gekreuzt,  und  erreicht  durch  eine  sanft  ansteigende  Schlucht 
die  Kammhöhe  der  Transalai-Kette  im  Kisil-art.  Von  hier  aus  erhält 
er  einen  schönen  Überblick  über  das  Hochflächenland  mit  seinen  ver- 
hältnismäfsig  sanft  geneigten  Gehängen  und  seinen  abgerundeten  Ober- 
flächenformen; die  Gebirge  mit  ihren  immerhin  unbedeutenden  rela- 
tiven Höhen  erscheinen  ohne  irgend  welche  vorherrschende  Streich- 
richtung wie  aufgesetzt.  Hier  sind  die  Produkte  der  unermüdlichen 
Denudation  liegen  geblieben.  Überall,  besonders  in  den  Schluchten, 
sieht  man  Kies  und  Trümmer;  die  Gehänge  der  Gebirge  sind  durch 
Detritusmassen  verborgen,  und  am  Fufs  haben  sich  hie  und  da  Schutt- 
kegel gebildet.  Alles  ist  in  hohem  Grad  verwittert,  und  nur  in  den 
höchsten  Regionen,  wo  der  Wind  freien  Spielraum  hat,  tritt  der 
nackte  Fels  zu  Tage. 

Die  Thäler  zwischen  den  Gebirgszügen  der  Hochflächen-I.andschaft 
sind  sehr  sanft  geneigt  und  bieten  dem  Vorwärtskommen  nicht  die 
geringste  Schwierigkeit  dar;  der  Thalboden  ist  eben,  an  mehreren 
Stellen  scheint  er  fast  horizontal  zu  sein,  und  in  der  Mitte  fliefst  im 
Frühling  und  Sommer  ein  kleiner  Bach.  Dazu  sind  die  Hochflächen- 
Thäler  meist  sehr  breit,  so  z.  B.  das  Rang-kul-Thal  und  das  Murgab- 
Thal.  Das  landschaftliche  Aussehen  dieser  Gegenden  ist  trostlos  und 
einförmig. 

Auffallend  ist  das  im  Gegensatz  zu  anderen  abflufslosen  Becken 
Central-Asiens  geringe  Vorhandensein  von  feinem  Sand.  Auf  dem 
Weg  vom  Kisil-art  nach  dem  Ak-bajtal  begegnet  man  nur  zwischen 
Kisil-art  und  Uj-bulak,  und  dann  noch  auf  den  Steppen  um  den  Kara-kul, 
sandigem  Boden,  der  aber  von  der  Teresken-  und  Grasvegetation  ge- 
bunden und  festgehalten  wird ; sonst  ist  der  Boden  der  Thäler  und 
Schluchten  mit  grobem  Kies  und  Verwitterungstrümmern  reich  bedeckt. 
Zweifelsohne  wird  der  feine  Sand,  soweit  er  nicht  durch  die  äufserst  spär- 
liche Vegetation  gebunden  wird,  von  den  stetigen  und  heftigen  Winden 
fortgetragen,  um  in  weiter  Ferne  wieder  abgesetzt  zu  werden.  In  der 
That  sind  auf  dem  Plateauland  Staub-  und  Sandburane  eine  gewöhn- 
liche Erscheinung. 

Da  wässrige  Niederschläge  hier  eine  grofse  Seltenheit  sind, 
der  Schneeniederschlag  in  diesem  Teil  des  Pamir  am  kleinsten  ist, 
und  deshalb  die  Bäche  des  Gebietes  sehr  wenig  und  nur  während 
des  Frühlings  und  Sommers  Wasser  führen,  werden  die  Winde  und 
der  Spaltenfrost  die  kräftigsten  Agentien  der  Denudation  sein.  Auf 
der  Kara-kul-Insel  sah  ich  Syenit-  und  Schieferblöcke,  die  vom  Wind 


t 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


293 


stellenweise  schön  geschliffen  und  oft  tief  ausgehöhlt  waren.  Ebenso 
energisch  wirken  die  Temperaturverhältnisse.  Die  Amplituden  steigen 
nicht  selten  bis  auf  50°  C.  binnen  24  Stunden.  Die  Insolation  ist  intensiv 
auch  im  Winter,  und  die  Ausstrahlung  während  der  klaren  Nächte 
ebenso  lebhaft. 

Das  kleinere  abflufslose  Gebiet  ist  reicher  an  Sand,  besonders 
zwischen  dem  See  Rang-kul  und  dem  kleinen  Gebirge  Sarik-gaj.  Dieses 
Gebirge  steht  wie  ein  Querriegel  zwischen  dem  See  und  dem  Najsa- 
tasch-Thal,  und  der  Sand,  der  mit  den  vorherrschenden  westlichen 
Winden  gegen  Osten  getrieben  wird,  häuft  sich  an  seinen  westlichen 
Abhängen  zu  gewaltigen  Dünen  an,  deren  konvexe  Seiten  gegen  Osten 
gerichtet  sind. 

In  einer  sehr  breiten,  besonders  gegen  Südosten  ausgedehnten  Zone 
wird  das  centrale  Becken  von  den  Übergangsgebieten  umgeben. 
Im  allgemeinen  haben  die  östlich  und  südlich  des  Kara-kul  gelegenen 
Landstriche  fast  genau  denselben  Charakter  wie  das  Centralbecken, 
mit  sanftgeneigten  Oberflächenformen  und  reichlich  angehäuften  Ver- 
witterungsprodukten; im  Westen  aber,  wo  die  Übergangszone  ungleich 
schmäler  ist,  trägt  sie  nahezu  dieselben  Charakterzüge  wie  die  peri- 
pherischen Gebiete. 

Im  Osten  und  Süden  sind  die  relativen  Höhenunterschiede  viel 
geringer  als  im  Westen,  welche  plastischen  Verhältnisse,  wie  oben  er- 
wähnt, sich  auch  in  den  Tiefenverhältnissen  des  Kara-kul  abspiegeln. 
Nördlich  von  diesem  ist  die  Übergangszone  nicht  besonders  breit  und 
wird  fast  ausschliefslich  durch  die  Oberläufe  der  beiden  Kisil-su  und 
des  Markan-su  eingenommen.  Dieser  hat  augenscheinlich  grofse  Er- 
oberungen auf  den  früher  abflufslosen  Gebieten  gemacht;  seine  Quellen 
liegen  schon  jetzt  nordwestlich  des  Sees.  Mit  ebenso  grofsem  Recht 
dürften  auch  die  beiden  Oberläufe  des  westlichen  und  des  östlichen 
Kisil-su  hieher  gerechnet  werden;  denn  auch  hier  treten  die  plateau- 
artigen Landschaftsformen  in  den  Vordergrund,  und  besonders  der 
östliche  Teil  des  Alai-Thals  mit  seinen  bedeutenden  Höhen  zeichnet 
sich  durch  seine  flache  ebene  Plastik  aus.  Südwestlich  vom  Kara-kul 
greift  der  Kok-uj-bel  auf  das  abflufslose  Gebiet  über.  Er  ist  mit 
seinen  Quellen,  die  nur  wenig  höher  als  die  Oberfläche  des  Sees 
gelegen  sind,  in  eine  Entfernung  von  nur  10  km  vom  Mus-kol-Bach 
vorgerückt  und  wird,  geologisch  gesprochen,  vielleicht  schon  morgen 
ein  Abflufs  des  Kara-kul  sein,  wodurch  das  centrale  Becken  ganz  rudi- 
mentär werden  und  in  Übergangsgebiet  verwandelt1)  werden  w'ürde. 


•)  In  seinem  vortrefflichen  Buch,  „Die  Pamir-Gebiete"  rechnet  Dr.  \V.  Geiger 
mit  Recht  den  Pamir  zu  der  übergangszonc  im  Richthofen’schen  Sinn  der  Einteilung, 


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294 


Sven  Hedin: 


Die  ausgedehnten  Landstriche,  die  südöstlich  und  östlich  vom 
Kara-kul  gelegen  sind,  d.  h.  die  Gebiete  des  Ak-bajtal  - Baches . der 
Seen  Schor-kul  und  Rang-kul  und  des  oberen  Murgab  (Ak-su),  die  ich 
von  Westen  nach  Osten  durchquert  habe,  tragen  fast  genau  dieselben 
physisch-geographischen  Merkmale  wie  das  gröfsere  Centralgebiet;  ich 
verlege  daher  die  Grenze  der  Übergangszone  in  dieser  Richtung  an 
die  hohe,  NNW— SSO  streichende  Gebirgskette  Sarik-kol.  Vermutlich 
gilt  dasselbe,  wenn  auch  in  geringerem  Grad,  von  den  Oberlaufs- 
gebieten der  Flüsse  Alitschur,  Pamir  und  Wachan-darya. 

Eine  geographische  Homologie,  die  mir  auf  der  Reise  über  den 
Pamir  auffiel,  ist  folgende:  die  beiden  Randketten  des  Ubergangs- 
gebietes, Alai  und  Sarik-kol,  wurden  in  einfachen  Pässen  überschritten, 
und  die  Kammlinie  war  bei  beiden  scharf  markiert.  Die  Randketten 
des  abflusslosen  Gebietes  aber  wurden  in  doppelten  Pässen  (Kisil-art1) 
und  Ak-bajtal)  verquert.  Bei  dem  Pafs  Kisil-art  finden  wir  an  der 
äufseren  Seite,  d.  h.  gegen  Norden,  den  eigentlichen  Pafs,  dann  aber 

fügt  aber  hinzu:  „und  dafs  sie  zu  der  Zone  des  Übergangs  gehört,  beweist  der 
Umstand,  dafs  auf  der  östlichen  Pamir  sich  abflufslose  Seebecken  finden,  welche 
früher  sicherlich  abfliefsend  waren"  (S.  24).  Wenn  es  sich  erweisen  liefse,  dafs  der 
Kara-kul  einst  gröfser  gewesen  ist,  d.  h.  dafs  sein  Spiegel  höher  gelegen  war  als 
jetzt,  so  könnte  diese  Vermutung  richtig  sein,  vorausgesetzt,  dafs  die  konccntrische 
Erosion  an  den  Rändern  des  nbflufslosen  Gebiets  damals  eben  so  weit  vorgeschritten 
war  wie  jetzt,  was  natürlich  nicht  der  Fall  sein  kann.  Ich  bin  der  Meinung,  dafs 
diese  Gebiete  in  der  letzten  geologischen  Periode  nicht  abfliefsend,  die  abflufslosen 
Gebiete  vielmehr  früher  viel  ausgedehnter  gewesen  sind  und  sicherlich  die  ganze 
Übergangszone  umfafst  haben.  Die  Eigentümlichkeit  der  Übergangszone  ist  ja  nach 
von  Richthofen's  Definition  eben  die,  dafs  sie  eine  Zwischenform  des  centralen  und 
des  peripherischen  Gebietes  ist,  „wo  in  den  jüngsten  Perioden  Teile  der  abflufslosen 
Gebiete  in  ablliefsende  verwandelt  worden  sind,  oder  das  Umgekehrte  stattgefunden 
hat.  Im  ersten  Fall  bewahren  sie  noch  in  hohem  Grad  die  Eigentümlichkeiten 
von  Ccntral-Asien,  im  zweiten  haben  sie  diejenigen  der  peripherischen  Länder  noch 
nicht  ganz  verloren"  (China,  I,  8).  Eben  den  ersten  Fall  haben  wir  liier  vor  uns: 
die  abllufsloscn  Gebiete  werden  durch  die  von  allen  Seiten  vorrUckende  peripherische 
Erosion  allmählich  vernichtet,  und  der  Charakter  der  Landschaft  verrät  nicht  ira 
geringsten,  dafs  diese  Gegenden  jemals  abfliefsend  gewesen  sind.  Sollte  dies  denn- 
noch  einmal  früher  der  Fall  gewesen  sein,  so  ist  jedenfalls  seitdem  ein  genügender 
Zeitraum  verflossen,  dafs  diese  Gebiete  die  Eigentümlichkeiten  der  Abflufslosigkeit 
annehmen  konnten.  — Dr.  Geiger's  Definition  des  Plateaulandes  im  Gegensatz  zum 
Gebirgsland  (S.  25)  ist  sehr  zutreffend.  Als  Grenze  zwischen  Plateau  und  Gebirgs- 
Pamir  wird  richtig  73 0 ö.  L.  betrachtet. 

1 ) Aus  dem  Obigen  geht  hervor,  dafs  der  obere  Markan-su  in  der  allerletzten 
geologischen  Zeit  auf  das  abflufslose  Gebiet  übergegriflen  hat,  und  man  kann  des- 
halb von  dem  Kisil-art  als  Grenze  dieses  Gebietes  im  weitesten  Sinne  sprechen. 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


295 


an  der  inneren  Seite  des  Gebiets  wieder  einen  zweiten,  niedrigeren; 
zwischen  beiden  breitet  sich  eine  flache  Einsenkung  im  Kamm  der 
Transalai-Kette  aus.  Bei  dem  Pafs  Ak-bajtal  begegnen  wir  genau  der- 
selben Plastik;  auch  hier  liegt  der  höchste,  eigentliche  Pafs  an  der 
äufseren,  hier  der  südlichen  Seite,  und  zwischen  beiden  ist  eine  flache 
Einsenkung;  hier  ist  jedoch  die  Entfernung  zwischen  den  Doppelpässen 
viel  gröfeer,  fast  ein  Werst.  Auf  die  grofsen  Homologien  bezüglich  der 
Randketten  des  Pamir-Gebiets  wird  unten  aufmerksam  gemacht  werden. 

Die  peripherischen  Gebiete  haben  durch  die  unermüdliche 
Arbeit  der  Erosion  den  früheren  Charakter  von  Plateauland  verloren 
und  sind  durch  vollkommenere  Gebirgsentwickelung  gekennzeichnet;  die 
Formen  werden  an  den  nach  Westen  strömenden  Flüssen  stromabwärts  im- 
mer steiler  und  wilder;  das  Land  wird  durch  ungemein  tief  eingeschnittene 
Schluchten  durchfurcht,  in  denen  die  Struktur  der  Gebirge  sehr  schön 
blofsgelegt  ist,  und  auf  deren  Boden  der  Flufs  schmal  und  tief  zwischen 
heruntergefallenen  Steinblöcken  dahinbraust. ') 

Wir  haben  die  Oberläufe  der  beiden  Kisil-su  zur  Übergangszone 
gerechnet.  Von  landschaftlichem  Gesichtspunkt  ist  das  ganze  Alai- 
Thal  bis  weit  nach  Karategin  hinein  eine  Übergangsform  von  der  in 
tiefen  wilden  Querthälern  durchfurchten  Alai-Kette  zum  verhältnis- 
mäfsig  ebenen  Plateauland. 

Eine  homologe  Bildung  finden  wir  im  Osten,  wo  die  riesige  Sarik- 
kol-Kette  mit  Pafsübergängen  von  Mont  Blanc-Höhe  als  Grenze  der 
Übergangszone  betrachtet  wurde.  Da  aber,  wie  oben  erwähnt,  das 
ganze  Land  bis  zu  dieser  Grenze  genau  denselben  Charakter  hat  wie 
das  centrale  Gebiet,  ja  sogar  in  seiner  Mitte  noch  ein  zweites  abflufs- 
loses  Gebiet  einschliefst,  so  kann  man  mit  Recht  sagen,  dafs  das  lange, 
freilich  in  seinem  nördlichen  Teil  schmale  Sarik-kol-Thal,  das  im  Süden 
vom  oberen  Yarkand-darya,  im  Norden  von  den  beiden  Quellflüssen  des 
Ges  durchflossen  wird,  dieselbe  geographische  Stellung  hat  wie  das 
Alai-Thal,  d.  h.  es  bildet  eine  landschaftliche  Übergangsform  zwischen 
den  westlich  und  östlich  gelegenen  Landschaftsformen,  Hochflächenland 
einerseits,  hochentwickeltem  Gebirgsland  andererseits. 

Die  beiden  oben  erwähnten  Flüsse,  welche  vom  Pafs  Ulug-rabat 
(4177  m)  nach  Süden  und  Norden  fliefsen,  werden  hauptsächlich  vom 

'l  An  mehreren  Stellen  brausen  die  Flüsse  zwischen  vertikalen  Felswänden 
wie  durch  einen  Korridor  dahin,  und  nur  die  nichtigen  Tadschik-Bewohner  dieser 
Gegenden  können  hier  durchkommen.  Es  giebl  Passagen,  wo  sie  HolzstUckchen 
in  den  Spalten  der  vertikalen  Felswand  hoch  über  den  Flufs  cingeschlagen  haben, 
und  sie  klettern,  mit  grofsen  Packbündeln  auf  dem  Rücken  gebunden,  sicher  und 
schnell  wie  Affen  von  einem  HolzstUckchen  zum  andern.  Hie  und  da  helfen  sie 
sich  durch  Felsenvorsprünge,  Vertiefungen  oder  natürliche  Kamine. 


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296 


Sven  Hedin: 


Schmelzwasser  der  Gletscher  und  Schneemassen  der  Mus-tag-Kette  ge- 
bildet und  schwellen  eben  deshalb  im  Frühling  und  Sommer  zu  sehr 
beachtenswerten  Dimensionen  an.  Der  Ges-Flufs  führte  schon  am 
28.  April  ungefähr  24  cbm  Wasser  in  der  Sekunde  und  war  für  die 
Karawane  an  einigen  der  vielen  Übergangsstellen  nur  mit  Schwierig- 
keit zu  überschreiten;  binnen  kurzem  wird  er  aber  so  mächtig,  dafs  er 
gar  nicht  überschritten  werden  kann.  Dieser  Flufs  sammelt  den  ganzen 
Wasserreichtum  der  nördlichen  Hälften  der  Mus-tag-  und  Sarik-kol- 
Ketten,  und  vier  Seen  sind  innerhalb  der  Grenzen  seines  Flufsgebietes 
gelegen,  nämlich:  Tschacker-agil,  Bulun-kul,  Bassik-kul  und  der  Kleine 
Kara-kul;  zwischen  den  beiden  ersten  breiten  sich  ausgedehnte  Sumpf- 
niederungen aus.  Obgleich  der  östliche,  vom  Ges  und  Yarkand-darya 
entwässerte  Pamir  innerhalb  der  Grenzen  des  eigentlichen  centralen,  ab- 
flufslosen  Gebietes  Central-Asiens  fällt,  trägt  doch  die  von  den  beiden 
Flüssen  durchbrochene  Kette  ganz  und  gar  denselben  Charakter  wie 
die  eigentlichen  peripherischen  Gebiete;  in  tief  eingeschnittenen, 
wilden  und  steilen  Querthälern  wird  sie  von  den  Flüssen  mit  unwider- 
stehlicher Gewalt  durchbrochen,  und  der  geologische  Bau  derselben 
wird  in  der  schönsten  Weise  entblöfst.  Der  Ges-Flufs  hat  sogar  seine 
schmale,  äufserst  tiefe  Schlucht  gerade  zwischen  zwei  Kulminations- 
punkten der  Kette,  nämlich  Tschacker-agil  und  Ak-tau,  eingemeifselt. 
Mit  noch  gröfserer  Gewalt  bricht  sich  der  wasserreiche  Yarkand-darya, 
der  von  Bogdano witsch  die  Hauptarterie  Ost-Turkestans  genannt  wird 
und  dessen  oberer  Lauf  von  ihm  sehr  gut  beschrieben  worden  ist1), 
Bahn  durch  die  östliche  Begrenzungskette  des  Pamir-Plateaus  und  giebt 
ihr  auch  hier  die  Eigenschaften,  welche  die  peripherischen  Gebiete 
kennzeichnen*).  Dafs  aber  die  östlichen  Randgebiete  des  Pamir  in 
hohem  Grad  von  den  übrigen  Teilen  Central-Asiens  verschieden  sind 
und  vielmehr  die  Eigenschaften  der  peripherischen  Gebiete  tragen, 
darf  nicht  Wunder  nehmen.  Es  hängt  dies  selbstverständlich  in  erster 
Linie  von  den  Terrainverhältnissen,  den  grofsen  absoluten  und  relativen 
Höhen,  und  in  zweiter  Linie  von  der  grofsen  Wassermenge  ab,  indem 
das  Schmelzwasser  der  Gletscher  und  des  Schnees  und  die  reichlichen 
sommerlichen  Niederschläge  in  gewissen  Teilen  des  Gebietes*)  der 
Erosion  ein  unerschöpfliches  Material  zu  ihrer  Arbeit  in  die  Hand 
geben. 


')  Trudi  Tibttskoj  Ekspeditsij  1889 — 1890,  pod  natschahtvom  Kl.  V.  P/'evtsmu, 
II,  IO — 14  S. 

Über  diese  Bedeutung  des  Yarkand-darya  siehe  v.  Richthofen,  China  I,  18- 
3 j Bogdanowitsch  erwithnt  die  heftigen  Sonunerregen  an  den  Nordostabhängen 
des  Mustag-ata,  die  den  Yarkand-darya  zu  bedeutender  Steigung  bringen. 


Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


207 


Aus  eigener  Erfahrung  kenne  ich  nur  die  nördlichen  und  öst- 
lichen Teile  des  Pamir-Landes ; aber  mit  Beihülfe  der  meisterhaften 
russischen  Zehn- Werst-Karte  von  Fergana  und  Pamir1),  die  auch  die 
Oberflächenformen  zu  ihrer  Geltung  kommen  läfst,  darf  ich  voraus- 
setzen, dafs  wir  in  den  südlichen  und  westlichen  Grenzgebieten  des 
Pamir  dieselben  Eigentümlichkeiten  wahrnehmen  können,  wie  wir  sie 
dort  gefunden  haben.  Der  Wachan-darya  (Oberlauf  des  Pändsch)  fliefst 
zwischen  parallelen  Gebirgsketten,  und  sein  Thal  dürfte,  wenn  auch 
weniger  deutlich,  dieselben  Merkmale  einer  Übergangslandschaft  tragen 
wie  die  Alai-  und  Sarik-kol-Thäler.  Erst  im  Norden  des  Pändsch 
liegt  ein  System  von  parallelen  und  zwar  (anscheinend)  longitudinalen 
Ketten,  in  denen  wir  die  Eigenschaften  der  peripherischen  Gebiete 
hoch  entwickelt  finden;  und  in  noch  höherem  Grad  dürfte  der  südlich 
davon  gelegene  Hindu-kuh  mit  seinen  reichen  Niederschlägen  und 
zahlreichen  Gletschern  in  der  Lage  sein,  dieselben  Eigenschaften  zu 
hoher  Entfaltung  kommen  zu  lassen.  Die  Gewässer  der  Südabfälle 
dieses  Gebirges  gehören  dem  Indus  zu,  mithin  den  eigentlichen  peri- 
pherischen Gebieten.  Wir  können  also  auch  hier  von  einem  Über- 
gang sprechen,  obgleich  derselbe  weniger  merkbar  ist. 

Im  westlichen  Pamir-Gebiet  begegnen  wir  zum  vierten  Mal  dem- 
selben Phänomen.  Der  Pändsch  fliefst  hier  zwischen  (anscheinend) 
meridionalen  Ketten,  deren  absolute  Höhen  jedoch  verhältnismäfsig 
gering  sind;  das  im  Westen  des  meridionalen  Laufes  gelegene  Land, 
Badakschan,  ist  noch  wenig  erforscht.  Doch  läfst  sich  behaupten, 
dafs,  wenn  dieser  Teil  des  Pändsch-Thales  als  eine  Übergangszone 
in  gleichem  Sinn  wie  die  drei  übrigen  betrachtet  werden  könnte,  d.  h. 
als  eine  landschaftliche  Übergangsform,  das  reicher  entwickelte,  mit 
tiefen  wilden  Schluchten  und  reicher  Bewässerung  versehene  Gebiet, 
im  Gegensatz  zu  den  drei  übrigen  Grenzgebieten,  an  der  östlichen, 
d.  h.  inneren  Seite  des  Flusses  gelegen  ist,  das  weniger  reich  ent- 
wickelte aber  auf  der  äufseren,  d.  h.  in  Badakschan,  von  wo  aus  der 
Flufs  nur  zwei  nennenswerte  Zuflüsse  empfängt,  nämlich  den  meridio- 
nalen Darya-i-Schiva,  und  südlich  davon  einen  kleinen  Abflufs  des 
Schiva-Sees.*) 

Betrachten  wir  den  Pamir  im  grofsen  und  ganzen,  so  finden 
wir,  dafs  die  östliche  Hälfte  vorwiegend  Hochflächenland  ist,  wogegen 

Karta  Pamira  sostavlena  i litografizovana  pri  Turkcstanskom  vajtnno-topö- 
grafitscheskom  attdjele  1891—  *893.  Masschtab  v angltjskom  djujmt  10  verst . 
(10  Werst  auf  den  englischen  Zoll.) 

*)  Dies  kommt  auf  Blatt  60  von  Stieler’s  Handatlas  (1893)  noch  nicht  zur 
Anschauung;  dieses  und  die  oben  erwähnte  russische  Karte  sind  einander  hier  so 
unähnlich,  als  ob  sie  zwei  verschiedene  Gebiete  darstellten. 


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298 


Sven  Hedin: 


die  westliche  von  einem  Parallelsystem  longitudinaler  Ketten  ein- 
genommen wird,  in  dessen  gegen  Westen  immer  steiler  und  wilder 
werdenden  Längsthälern  sämtliche  Quellfltisse  des  Amu-darya  gegen 
Westen  fliefsen.  Es  ist  kein  Zweifel,  dafs  das  ganze  einmal  Plateau- 
land gewesen,  dafs  aber  die  westliche  Hälfte  allmählich  in  peripheri- 
sches Gebiet  verwandelt  worden  ist,  und  dafs  gegenwärtig  die  Arbeit 
der  Erosion  darauf  gerichtet  ist,  auch  die  letzten  Reste  der  ab- 
flufslosen  Gebiete  zu  vernichten.  Wie  nahe  am  Ziel  der  Kok-uj-bel 
schon  jetzt  ist,  habe  ich  oben  erwähnt;  dasselbe  gilt  auch  ftir  den 
Ak-bajtal-Bach,  der  etwa  io  Werst  südwestlich  vom  Schor-kul — Rang- 
kul  nur  etwa  ioo  m höher  als  die  Oberfläche  dieser  Seen  gelegen  ist. 

Wie  eine  Festung  von  Bastionen  umgeben  ist,  so  wird  der  Pamir 
nach  allen  vier  Himmelsrichtungen  von  grofsartigen  und  zwar  dop- 
pelten Randgebirgen  begrenzt,  nämlich  im  Norden  von  Alai-Trans- 
alai,  im  Osten  von  Sarik-kol— Mus-tag,  im  Süden  vom  Wachan-Gebirge — 
Hindu-kuh,  und  im  Westen  von  den  Gebirgen  um  den  meridionalen 
Pändsch1).  Die  Rolle  des  Festungsgrabens  wird  durch  die  Thäler 

zwischen  den  Doppelketten  gespielt:  Alai  mit  Kisil-su,  Sarik-kol  mit 
Ges  und  Yarkand-darya,  Pändsch  mit  Wachan-darya  und  Pändsch.  Das 
gewaltige  Gebirgsland  Pamir,  das  vor  kaum  ein  paar  Jahrzehnten  ftir 
ein  grofses  Plateau  gehalten  wurde,  besitzt  also  die  Form  eines  Vierecks 
und  hat  innerhalb  seiner  Grenzen  die  verschiedenartigsten  I.andschafts- 
formen  zur  Entwickelung  kommen  lassen.  Die  Grenze  des  Übergangs- 
gebietes kann  auch  als  ethnographische  und  linguistische 
Grenze  betrachtet  werden.  Das  ganze  Übergangsgebiet  mit  den 

H Auf  der  vortrefflichen  Karte  Dr.  G.Wegener's  ..Übersicht  des  Kwen-lun-Gcbirges“ 
(Zcitschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdk.  Band  XXVI,  1891)  tritt  diese  homologe  Gruppierung 
der  Gebirge  sehr  schön  hervor.  Hier  wird  aber  die  Mus-tag-Kette  „Kaschgar-Gebirge“ 
genannt,  ein  Name,  der  iwar  bezeichnend  und  berechtigt  ist,  aber  an  Ort  und  Stelle 
nicht  im  Gebrauch  ist.  Auch  Dr.  Geiger  verwendet  denselben  Namen.  Der  einzige 
richtige  und  von  den  Eingeborenen  gebrauchte  Name  ist  jedoch  Mus-tag.  Denselben 
in  die  geographische  Literatur  einzuftlhren  bringt  allerdings  eine  Bedenklichkeit  mit: 
er  kann  nämlich  mit  dem  südlichen  Mus-tag  verwechselt  werden.  Die  mustergültige 
Karte  Nr.  60  in  Sticler’s  Handatlas  giebt  vorsichtig  genug  der  Kette  gar  keinen 
Namen.  Der  Name  Kaschgar-Gebirge  ist  aber  nicht  preiszugeben.  — Der  Hum- 
boldt'sche  ,,Bolor-tag“  spukt  noch  hie  und  da  in  Reiseberichten,  ist  aber  immer 
eine  mystische  Erscheinung  geblieben.  Herr  Konsul  Petrowsky  glaubt  der  Ety- 
mologie dieses  Namens  auf  der  Spur  zu  sein.  Die  Gegend  von  Polu  wird  auch 
Pulur  genannt  und  zwischen  Pulur  und  Bolor  ist  der  Schritt  nicht  lang.  — In 
seiner  Abhandlung:  „Sametki  o faune  posvonotschnich  Ptimira'\  giebt  N.  A.  Severtsoff 
in  nur  vier  Seiten  eine  sehr  zutreffende  Charakteristik  der  Oroplastik  des  Pamir. 
( Sapiski  Tyrkestan-Attdjela  Isup-obschtsch.  lubit.  jest  jtstbosnanija,  antr.  i ttnogr.  I. 
t.  Heft.  S.  58  u.  f.  Taschkent.) 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir.  299 

abflufslosen  Gebieten  wird  nämlich  von  kirgisischen  Nomaden  bewohnt, 
und  nur  im  fernsten  Süden  finden  wir  am  Wachan-darya  wachanische 
Tadschiks.  Das  Alai-Thal  und  die  nördliche  Hälfte  des  Sarik-kol-Thales, 
die  im  weitesten  Sinne  zu  den  Ubergangsgebieten  gerechnet  werden 
können  und  jedenfalls  landschaftliche  Übergangsformen  darstellen, 
haben  ausschliefslich  kirgisische  Bewohner.  Die  im  Westen  der  Grenze 
gelegenen  Gegenden,  Darwas,  Roschan  und  Schugnan,  werden  dagegen 
vorzugsweise  von  Tadschiks  bewohnt.  Nur  wenige  Kirgisen  haben  die 
geographische  Grenze  überschritten;  so  finden  wir  sie  bei  Kuh-därä 
und  an  einigen  anderen  Orten,  doch  in  sehr  geringer  Zahl.  Dieses 
Verhältnis  ist  sicher  kein  Zufall.  Mit  dem  Wechsel  der  Jahreszeiten 
treiben  die  Nomaden  auf  den  ebenen  Hochflächen  ihre  Herden  von 
einem  Weideplatz  zum  anderen  frei  herum  und  vermeiden  die  periphe- 
rischen, tief  eingeschnittenen  Schluchten  und  steilen  Gebirge,  die  ihren 
Wanderungen  nur  Hindernisse  in  den  Weg  stellen  würden.  Die 
Tadschiks  sind  dagegen  sefshaft  und  haben  ganz  verschiedene  I.ebens- 
bedingungen.  Eine  natürliche  Folge  dieser  Völkergrenze  ist  die  lin- 
guistische. Die  Kirgisen  haben  ihre  eigenen,  türkischen,  Benennungen 
für  die  geographischen  Gegenstände,  die  Tadsckiks  ihre  eigenen,  per- 
sischen, So  haben  die  meisten  gegen  Westen  strömenden  Flüsse,  d.  h. 
die  Nebenflüsse  des  Pändsch  im  Oberlauf  kirgisische,  im  Unterlauf 
persische  Namen;  z.  B.  der  Ak-su  (kirg.)  heifst  unten  Murgab  (persisch); 
der  Gurumdi  (Alitschur)  unten  Gunt.  Von  zwei  nebeneinander  flicken- 
den Flüssen  heifst  der  eine  Kok-uj-bel,  weil  der  Oberlauf  von  kirgi- 
sischen Nomaden  von  Zeit  zu  Zeit  besucht  wird,  der  andere  Kuh-därä, 
weil  der  an  dem  Vereinigungspunkt  beider  gelegene  Kischlak  vorzugs- 
weise von  Tadschiks  bewohnt  wird. 

2.  Die  Höhenverhältnisse.  *) 

Die  wichtigsten  Pafsübergänge  der  Alai-Kette,  zwischen 
den  Meridianen  von  Kara-kul  (auf  der  Kette  selbst,  Taldik)  und 
Kokan  (Soch-Bach,  der  die  Gegend  um  Kokan  bewässert)  sind  von 
Osten  nach  Westen  folgende:  Taldik  (3537  m),  Dschipplick  (4146  m), 
Sarik-mogal  (4300  m),  Tcngis-baj  (3850  m)  und  Kara-kasik  (4360  m). 
Verwenden  wir  nur  dieses  Material,  so  bekommen  wir  für  die  Alai-Kette 
die  bedeutende  mittlere  Pafshöhe  von  4039  oder  rund  4000  m. 
Hieraus  ergiebt  sich  ferner,  dals  die  Pafshöhe  von  Osten  nach  Westen 
immer  bedeutender  wird,  obgleich  der  Boden  des  Fergana- Thaies  in 
derselben  Richtung  sinkt;  auch  hierdurch  wird  der  relative  Höhen- 


')  Das  vom  Verfasser  mitgesandte  Profil  des  Reiseweges  ist  leider  verloren 
gegangen. 


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300 


Sven  Hedin: 


unterschied  zwischen  Thalboden  und  Pafshöhe  gegen  Westen  bedeu- 
tender. Die  beiden  vom  Verkehr  am  meisten  benutzten  Pässe  sind 
Taldik  und  Tengis-baj.  Während  man  jetzt,  seitdem  die  Russen  dort 
einen  Weg  gebaut  haben,  über  den  ersteren  zu  Wagen  fahren  kann, 
ist  der  letztere  nur  mit  Schwierigkeit  zu  passieren. 

Für  die  Transalai-Kette  liegt  kein  Material  zur  Berechnung 
der  Pafshöhe  vor;  der  fast  ausschiefslich  verwendete  Pafs,  Kisil-art, 
hat  eine  Höhe  von  4271  m,  und  die  übrigen  sind  wahrscheinlich  nicht 
niedriger.  Zwischen  beiden  Ketten  zieht  sich  das  breite  Alai-Thal 
hin,  an  dessen  westlichem  Ende  die  Höhe  bei  Daraul-kurgan  2436  m 
beträgt,  im  östlichen  Teil,  bei  Arischa-bulak  3040  m und  in  dem 
obersten  Teil  des  eigentlichen  Thaies  noch  gegen  500  m mehr.  Von 
Artscha-bulak  am  Kisil-su  steigt  dann  das  Terrain  allmählich  gegen 
Süden  bis  zum  Kisil-art  (4271  m),  von  wo  aus  es  wieder  sinkt;  im  Süden 
des  Passes  liegt  das  flache,  kreisförmige  Muldenthal  des  oberen  Mar- 
kan-su  (Kok-saj).  Zwischen  diesem  und  dem  Kara-kul  passiert  man 
noch  eine  kleine  Anschwellung  des  Bodens  durch  den  Pafs  Uj-bulak, 
an  dessen  westlicher  Seite  der  isolierte  Berg  desselben  Namens  sich 
bis  zu  4384  m erhebt. 

Die  Höhe  des  Kara-kul  beträgt  fast  genau  4000  m.  Über  den 
kaum  100  m höher  gelegenen  kleinen  Pafs  Oksa/i-masar  gelangen  wir 
zum  Mus-kol-Thal  und  steigen  hier  allmählich  bis  zum  Ak-bajtal-Paß 
(4594  m),  von  wo  aus  der  Boden  ebenso  sanft  bis  zum  Murgab  sinkt, 
wo  der  Ak-bajtal-Bach  auf  einer  Höhe  von  3613  m ausmündet. 

Vom  Rang-kul  (373t  m)  steigt  der  Boden  wieder  äufserst  langsam, 
oft  so  sanft,  dafs  die  Steigung  gar  nicht  wahrzunehmen  ist,  bis  zum 
Sarik-kol-Pafs  Tschuggatai,  welcher  die  bedeutendste  Höhe  des  ganzen 
hier  beschriebenen  Weges  mit  4730  m erreicht.  Am  Bulun-kul  sind 
wir  wieder  auf  3292  m Höhe;  ein  so  unbedeutendes  Niveau  haben  wir 
seit  dem  oberen  Alai-Thal  nicht  betreten. 

Gegen  Süden  steigt  wieder  der  Boden  des  Sarik-kol-Thales  bis  zu 
dessen  Kulminationspunkt  Ulug-rabat-Pafe  (4177  m).  Der  Kleine  Kara- 
kul  hat  eine  Höhe  von  3750  m,  und  der  höchste  Gipfel  des  Mustag-ata 
südlich  davon  eine  solche  von  7630  m1). 

Wo  der  Ges-Flufs  die  Mus-tag-Kette  durchbricht,  hat  das  Terrain 
dieselbe  Höhe  wie  Bulun-kul  und  sinkt  dann,  erst  steil,  dann  sehr  all- 
mählich, bis  Kaschgar  (1230  m),  und  endlich  äufserst  sanft  zum  Lob-nor 

*)  Diese  Zahl  ist,  wie  die  meisten  anderen  hier  angeführten,  der  russischen  Karte 
entnommen,  die  15  030  Fufs  giebt;  aber  es  ist  nicht  zu  ersehen,  wie  man  zu  dieser 
anscheinend  genauen  Zahl  kommen  konnte,  da  Niemand  den  Gipfel  erreicht  hat,  und 
trigonometrische  Beobachtungen  in  so  wenig  erforschten  Gegenden  jedenfalls  zu  grofsen 
Fehlerquellen  Anlafs  geben. 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


301 


(790  m).  Wo  der  Ges-Flufs  aus  den  Gebirgen  in  flaches  Land  aust ritt, 
ist  die  Höhe  noch  1600  m. 

Aus  dem  Profil  geht  der  Hochflächencharakter  des  östlichen 
Pamir  sehr  deutlich  hervor.  Eine  nicht  unerwartete  Erscheinung,  die 
hei  jedem  auf  dem  Plateauland  gelegenen  Pafs  zu  beobachten  ist,  be- 
steht darin,  dafs  der  Boden  bis  zum  Gebirge  allmählich  sich  erhebt,  um 
dann  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Passes  plötzlich  sehr  steil  anzu- 
steigen. An  beiden  Seiten  des  Passes  sind  Erosionsmulden  gelegen. 

3.  Bevölkerungverhältnisse. 

Der  hier  besprochene  Weg  führt  gröfstenteils  durch  unbewohntes 
Gebiet.  Das  russische  Pamir-Gebiet  hatte  Oktober  1893  eine  Bevölke- 
rung von  nur  1232  Personen;  die  Randgebiete,  Alai-Thal  und  Sarik- 
kol-Thal,  sind  verhältnismäfsig  reicher  bewohnt.  Das  Alai-Thal  zerfällt 
administrativ  in  zwei  Hälften,  von  denen  die  westliche  zum  Ujäsd 
Margelan,  die  östliche  zum  Ujäsd  Osch  gerechnet  wird.  Obgleich  die 
Mitteilungen,  die  ich  von  den  hiesigen  Kirgisenhäuptlingen  bekam,  nicht 
unbedingt  zuverlässig  sind,  möchten  sie  doch  von  der  Wahrheit  nicht 
weit  entfernt  sein  und  verdienen  jedenfalls  mitgeteilt  zu  werden.  Im 
Alai-Thal  sollen  also  15  Kischlaks  oder  Winterlager  mit  rund  250 
Jurten  gestreut  liegen,  deren  Bewohner  das  ganze  Jahr  hier  bleiben 
oder  sich  nach  dem  Plateauland  begeben.  Die  Jurten  sollen  in  der 
folgenden  Weise  auf  die  gröfsten  Kischlaks  verteilt  sein:  Daraut-kurgan 
20,  Kok-su  120,  Kisit-ungur  50,  Allyn-därä  5,  Tus-därä  45,  Kaschka-su 
20  und  Djipptick  10.  Die  Bewohner  sollen  in  ethnologischer  Hin- 
sicht so  verteilt  sein:  bei  Daraut-kurgan,  Altyn-därä  und  Tus-därä 
wohnen  Teit-Kirgisen,  bei  Kaschka-su  Tjal-Teit  und  Teit,  bei  Djipp- 
tick Tjöjj-Kirgisen,  bei  Kok-su  Najman-Kirgisen,  in  Karategin  Kipp- 
tschack,  Najman  und  Kara-Teit.  Ein  grofser  Teil  der  Alai-Kirgisen 
siedeln  im  Winter  nach  Rang-kul  über,  um  ihre  Herden  auf  den  dor- 
tigen reich  grasbewachsenen  und  schneefreien  Steppen  zu  weiden. 
Ein  Teil  überwintert  jedoch  im  Alai-Thal. 

Ende  Mai  oder  Anfang  Juni  kommen  die  reichen  und  wohlhabenden 
Kirgisen  von  Fergana  nach  dem  Alai-Thal,  um  den  Sommer  hier  mit  Wett- 
rennen und  Einladungen  lustig  zuzubringen.  Die  meisten  bleiben  nur 
zwei  Monate,  manche  jedoch  2},  die  letzten  verlassen  die  Sommerlager, 
jtjjlau  genannt,  nach  drei  Monaten.  Im  Sommer  liegen  z.  B.  nur  bei 
Kaschka-su  150  Jurten. 

Die  Kirgisen  aus  den  Ujäsden  Osch  und  Andidschan  verwenden 
im  Sommer  den  Taldik-  und  den  Djipptick-Pafs,  die  von  Margelan 
und  Kokan  reiten  über  den  Tengis-baj.  Da  der  Taldik  fast  jeden 
Winter  durch  Schnee  geschlossen  wird,  verwendet  man  in  dieser 


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302 


Sven  Hedin: 


Jahreszeit  den  Tengis-baj.  Die  Tadschiks  aus  Karategin,  die  sich 
jetzt  in  ziemlich  grofser  Zahl  nach  Fergana  begeben  um  Beschäftigung 
zu  suchen,  reisen  immer  über  den  Tengis-baj  und  fast  immer  zu  Fufs. 
Durch  das  Alai-Thal  selbst  führt  eine  wichtige  Verkehrsstrafse  zwischen 
Kaschgar,  Yarkand,  Khotan  u.s.  w.  einerseits,  Karategin,  Bukhara,  Mekka, 
Medina  u,  s.  w.  andererseits.  Im  Sommer  reisen  viele  Kaufleute  und 
Pilger  durch  das  Alai-Thal. 

Das  russische  Pamir-Gebiet  zerfällt  in  zwei  Volast  und  sieben 
F.minstwos.  1)  Pamirsky  Volast  wird  in  die  folgenden  fünf  Eminstwos 
geteilt:  i)  Kara-kul  ( 1 3 1 Einw.),  2)  Murgab  (253  Einw.),  3)  Rang-kul 
(103  Einw.),  4)  Ak-tasch  (239  Einw.)  und  5)  Alitschur  (256  Einw.). 
II)  Kuh-därinsky  Volast  wird  in  zwei  Eminstwos  geteilt:  1)  Sares  (95 
Einw.)  und  2)  Kuh-därä  (155  Einw.).  Pamirsky  Volast  wird  ausschliefs- 
lieh  von  Kirgisen  bewohnt,  Kuh-därinsky  hauptsächlich  von  Tadschiks. 
Nach  Geschlecht  und  Alter  finden  wir  unter  den  1232  Bewohnern  des 
russischen  Pamir:  Männer  320,  Weiber  369,  Knaben  342  und  Mäd- 
chen 201.  Sie  sind  reine  Teit-Kirgisen '). 

Der  vorige  Kommandant  von  Pamirsky  Post,  Kapitän  Kusnetsoff, 
veranstaltete  Oktober  1892  eine  Volkszählung  mit  folgendem  Ergebnis: 
Männer  255,  Weiber  307,  Knaben  299,  Mädchen  194  oder  zusammen 
1055,  was  für  das  letzte  Jahr  einen  Zuwachs  beweist,  welcher  in  erstei 
Linie  daher  kommt,  dafs  ein  Teil  der  kirgisischen  Bevölkerung  des 
chinesischen  oder  afghanischen  Gebietes  nach  dem  russischen  über- 
siedelt, wo  die  Lebensbedingungen  wegen  der  gesunden  Administration 
in  jeder  Hinsicht  vorteilhafter  sind.  Die  am  meisten  besuchten 
Winteraule  sind  die  bei  Rang-kul,  Kosch-agil  und  Ak-tasch.  Im 
Alitschur-Pamir  giebt  es  mehrere  Aulen,  das  Pschärt-Thal  südlich  des 
Kara-kul  ist  bewohnt;  am  Murgab,  nicht  weit  östlich  der  Mündung  des 
Ak-bajtal-Baches,  liegt  der  kleine  Murgab-Aul.  Siebenundzwanzig  von 
mir  anthropologisch  gemessene  Pamir-Kirgisen  verteilen  sich  folgender- 
mafsen : 

bei  Rang-kul  geboren  11,  dort  wohnend  13 


Alitschur 

tt 

5» 

tt 

8 

Ak-tasch 

11 

3. 

tt 

3 

Kosch-agil 

tt 

a, 

tt 

1 

Murgab 

tt 

>• 

„ 

a 

Pschärt 

tt 

1 

Sarik-kol 

tt 

4 

27 

27 

')  Diese  Statistik,  die  vom  Oktober  1893  stammt,  hat  mir  der  Kommandant  der 
Festung  am  Murgak , Kapitän  Sajtscff,  der  gleichzeitig  „Chef  der  Bevölkerung 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


303 


Doch  giebt  diese  Übersicht  einen  falschen  Eindruck  von  der  Ver- 
teilung der  Bevölkerung;  denn  weil  die  Messungen  bei  den  Befestigungen 
am  Murgab  und  Rang-kul  ausgeführt  wurden,  treten  Alitschur  und 
Rang-kul  zu  viel  in  den  Vordergrund. 

Kapitän  Kusnetsoff  berechnete,  dafs  die  obenerwähnten  1055  Kir- 
gisen in  227  Jurten  wohnten,  und  dafs  ihre  Herden  aus  20  580  Schafen, 
1703  Yaks,  383  Kamelen  und  280  Pferden  bestanden.  Er  berechnete 
ferner,  dals  der  westliche  Pamir  von  35  000  Tadschiks  bewohnt  wird. 
Wo  er  die  westliche  Grenze  verlegt,  ist  mir  leider  nicht  bekannt. 
Wird  der  meridionale  Pändsch  als  solche  betrachtet,  so  ist  die  Zahl 
zu  grofs;  werden  Darwas  und  Badakschan  mit  gerechnet,  so  ist  sie  ent- 
schieden zu  klein.  Die  politische  Grenze  war  bei  meinem  Besuch  noch 
nicht  endgültig  fcstgelegt;  die  Russen  wollen  dieselbe  am  Pändsch  haben, 
die  Afghanen  (Engländer)  nördlicher  und  westlicher;  im  Osten  scheint 
die  Sarik-kol-Kctte,  d.  h.  die  Wasserscheide,  Grenze  werden  zu  sollen. 

Der  östliche  Teil  unseres  Gebietes,  östlich  vom  Sarikkol-Gebirge, 
gehört  aber  zu  China;  eine  Statistik  fehlt  hier  ganz  und  gar.  Der  Bek 
von  Su-baschi  (südlich  des  Kleinen  Kara-kul)  hat  mir  mitgeteilt,  die 
Gegend  um  den  See  sollte  von  300  Teit-Kirgisen  mit  60  Jurten  bewohnt 
sein.  Er  sei  Häuptling  über  286  Jurten,  von  denen  jedoch  die  gröfste  Zahl 
östlich  der  Mur-tag-Kette  gelegen  sei.  Die  Genauigkeit  dieser  Angaben 
ist  natürlich  zw  eifelhaft.  Sämtliche  Kirgisen  des  Pamir  werden  von  den 
Fergana-Kirgisen  einfach  Sarik-kolis  genannt.  Politisch  gehören  jetzt  die 
Ubergangsgebiete  fast  ausschliefslich  Rufsland,  nur  der  äufserste  Süden 
bildet  auch  hier  eine  Ausnahme. 

Die  obigen  Angaben  zeigen,  wie  spärlich  das  Plateaugebiet  von 
Pamir  bewohnt  ist,  und  es  kann  nicht  anders  sein  für  ein  Land,  wo 
Kälte  und  Stürme  herrschen  und  wo  die  Grasvegetation  eine  grofse 
Seltenheit  ist.  Von  den  beiden  abflufslosen  Gebieten  ist  nur  das 
kleinere  von  fast  stationären  Kirgisen  bewohnt.  Die  Kara-kul-Kirgisen 
sind  echte  Nomaden;  sie  wohnten  bei  meinem  Besuch  südlich  und 
südwestlich  des  Sees,  dessen  Ufer  dagegen  ganz  unbewohnt  bleiben. 
Im  Sommer  werden  die  Weiden  rings  um  den  Kara-kul  aufgesucht, 
und  besonders  im  Frühling  und  Herbst  von  den  Kirgisen,  die  sich 
nach  Rang-kul  und  zurück  begeben;  im  Winter  ist  die  ganze  Gras- 
vegetation von  den  grofsen  Schafherden , die  im  Herbst  passiert 
haben,  abgeweidet. 


von  Pamir"  mit  denselben  Rechten  wie  im  Ujäsdnij  natjalnik  ist,  gütigst  mitgeteilt.  In 
die  Berechnung  werden  die  Bewohner  von  Koschan  und  Schugnnn  nicht  einbegriffen, 
obgleich  diese  Gebiete  von  Kufsland  beansprucht  werden,  da  sie  dem  früheren  Chanat 
Koican  augehörten. 

Zeitschr.  d.  Geietlsch.  f-  Erdk.  Bd.  XXIX.  21 


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Sven  Hedin: 


4.  Die  Schneeverhältnisse. 

Zuerst  möchte  ich  die  Schneeverhältnisse  des  letzten  Winters  an 
einigen  einzelnen  Punkten  meines  Reiseweges  beschreiben.  In  Mar- 
ge lan  herrschte  Ende  Februar  schon  Frühlingswetter  mit  10  bis  150  C, 
und  auch  in  der  Gegend  von  Austan,  in  dem  Isfairan-Thal,  lag  nur 
in  den  höheren  Gebirgsregionen  Schnee;  noch  Ende  Januar  war  aber 
hier  auch  der  Thalboden  überall  schneebedeckt,  und  die  Kirgisen  sagten 
voraus,  dafs  der  noch  vorhandene  Schnee  in  den  Gebirgen  nach  einem 
Monat  gänzlich  geschmolzen  sein  dürfte.  Auf  dem  Wege  von  Austan 
nach  I. angar  wurde  die  Schneemenge  reichlicher,  war  aber  noch  un- 
bedeutend, und  der  Boden  noch  auf  große  Strecken  nackt.  Hie  und 
da  passierten  wir  Schneekcgel  (kirg.  kuischke)  von  mehr  oder  weniger 
frisch  gefallenen  Lawinen.  Solche  Passagen  sind  mit  Recht  sehr  ge- 
fürchtet, und  an  einer  von  ihnen  verloren  wir  ein  Pferd,  das  auf  der 
glatten  Eiskruste  hinunterrutschte,  gegen  die  Steinblöcke  des  Flußbettes 
fiel  und  augenblicklich  verendete1). 

Bei  I.angar  erweitert  sich  das  Isfairan-Thal,  und  an  der  südlichen 
Seite,  geschützt  gegen  Süden,  lag  noch  ziemlich  tiefer  Schnee.  Die 
Kirgisen  berechneten,  dafs  derselbe  noch  gegen  20  Tage  liegen  bleiben 
würde,  dagegen  würde  der  Schnee  auf  den  umstehenden  Gebirgs- 
kämmen  noch  zwei  Monate  der  Sonne  trotzen.  Im  allgemeinen  liegt 
in  der  Thalweitung  von  I.angar  vier  Monate  Schnee. 

Auf  der  südlichen  Seite  von  I.angar  wird  das  Thal  immer  enger, 
der  Pfad,  der  jetzt  werstenweit  durch  Lawinen  und  Schnee  verborgen 
war,  immer  gefährlicher.  Ich  schickte  fünf  bis  sechs  Kirgisen  jeden 
Morgen  voraus,  um  einen  neuen  Weg  durch  den  Schnee  zu  bahnen 
und  die  gefährliche  Passage  zu  bearbeiten.  An  mehreren  Stellen 
waren  die  natürlichen  Kamine  mit  Eiskruste  bedeckt,  wo  mit  eisernen 
Barren  und  Äxten  Stufen  und  Treppen  ausgehauen  wurden;  manche 
solcher  Passagen,  die  nach  aufsen  abfielen  und  hoch  über  dem  Thal- 
boden gelegen  waren,  wurden  mit  Sand  und  Erde  bestreut. 

Robat  ist  ein  kleines  von  Steinen  und  Balken  gebautes  Hospiz, 

1 ) Sonst  kamen  trotz  der  ungünstigen  Jahreszeit  keine  nennenswerten  Unglücks- 
fällc  vor.  Am  Ak-bajtal  verlor  ich  ein  zweites  Pferd  Ein  Fall  von  Iritis,  einer  von 
Schneeblindheit,  einige  Fälle  von  erfrorenen  Ftlfsen  und  einer  von  Lahmheit  der 
linken  Seite  des  Körpers  bei  einem  der  garten  — war  alles.  Der  letztere  mufste  in 
einem  sehr  bedenklichen  Zustand  von  Tschuggataj  auf  Kamclrückcn  transportiert 
werden  und  war  noch  in  Kaschgar  von  Erschöpfung  und  Schwäche  halb  tot.  Von 
der  dtlnnen  Luft  habe  ich  gar  nicht  gelitten;  nur  Handarbeit  und  körperliche  An- 
strengung führten  Müdigkeit  mit  und  beschwerliches,  schnelles  Atmen  Die  Tempe- 
ratur des  Körpers  war  (bei  Murgab)  auffallend  niedrig,  bis  35,5°.  Eine  ähnliche 
Beobachtung  hatten  auch  einige  der  russischen  Offiziere  gemacht. 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


305 


an  dem  Punkt  des  Thaies  gelegen,  wo  die  Steigung  zum  Tengis- 
baj-Pafs  sehr  steil  wird.  Gewöhnlich  fällt  hier  der  erste  Schnee 
Ende  September  und  ist  Mitte  April  wieder  verschwunden.  Doch  sind 
die  Schneeverhältnisse  in  den  einzelnen  Jahren  sehr  verschieden.  Vor 
drei  Jahren  war  der  Tengis-baj  fast  während  zweier  Monate  unpassierbar, 
and  die  Artschas  (Juniperus ) in  der  Nähe  des  Robat,  die  drei  und  vier 
Meter  Höhe  erreichen,  waren  sogar  überschneit.  Im  vorigen  Jahr  war  der 
Pafe  Ende  Februar  während  ioTage  geschlossen.  Wenn  der  Tengis-baj 
unpassierbar  ist , versuchen  die  Kirgisen  den  Djipptick  - Pafs.  Sie 
lassen  sich  selten  durch  die  Schneemassen  abschrecken;  wenn  der  Pa6 
für  Reiter  unzugänglich  ist,  gehen  sie  zu  Rufs,  indem  sie  den  Gebirgs- 
kämmen  folgen,  wo  der  Schnee  vom  Wind  weggefegt  ist.  Doch  ge- 
hören Unglücksfälle  nicht  zu  den  Seltenheiten,  und  manche  traurige 
Abenteuer  wurden  mir  während  der  Reise  erzählt.  Im  allgemeinen  ist 
Ende  Februar  die  schwerste  Jahreszeit  für  den  Tengis-baj,  weil  da  die 
meisten  Lavinen  stürzen  und  das  Thal  füllen;  auch  gehören  die  Burane 
zu  den  gewöhnlichen  Erscheinungen;  solche  kommen  auch  im  Sommer 
vor.  Die  Kirgisen  wagen  sich  nur  an  klaren  Tagen  in  den  Pafs  hinauf; 
wenn  die  Sonne  durch  Wolken  verborgen  ist,  erwarten  sie  einen  Buran 
und  bleiben  ruhig  im  Thal.  Nach  jedem  Buran  wird  der  Pfad  voll- 
ständig verschneit.  Die  letzte  Steigung  zum  Pafs  ist  äufserst  schwer, 
besonders  im  Winter,  weil  man  da  einen  bedeutenden  und  höheren 
Umweg,  um  den  tiefsten  Schnee  zu  vermeiden,  machen  mufs.  Unter- 
halb dieser  steilen  Steigung  ist  das  Thal  für  eine  Stunde  sanft  geneigt, 
und  hier  lagen  grofse  Schneemassen  angehäuft,  wo  wir  nur  mit 
Schwierigkeit  vorwärts  drangen;  die  Pferde  sanken  oftmals  ganz  und 
gar  in  den  Schnee  hinein  und  mufsten  jedesmal  abgeladen  werden.  Von 
hier  aus  erblickt  man  einen  isolierten  Gipfel  in  der  unmittelbaren  Nähe 
des  Pafses,  dessen  scharfe,  schwarze  Felsen vorsprünge  in  den  höchsten 
Regionen  aus  dem  Schnee  auftauchen.  Dieser  Gipfel  wird  Kara-kir 
genannt,  und  die  Kirgisen  teilten  mir  mit,  dafs  die  Grenze  des  ewigen 
Schnees  nicht  viel  tiefer  gelegen  sei.  Der  Pafs  hat  3850  m Höhe,  und 
die  Grenze  des  ewigen  Schnees  möchte  ich  nach  Beschreibung  der 
Kirgisen  auf  300  bis  400  m tiefer  anschlagen.  Am  Fufs  des  Kara-kir 
lagen  jetzt  gewaltige  Schneemassen  angehäuft. 

Auf  dem  Kulminationspunkt  des  Passes  war  der  Schnee  weggefegt; 
der  Boden  bestand  hier  aus  Kies,  Sand  und  lauter  Verwitterungs- 
produkten. Von  hier  aus  hat  man  eine  wunderschöne  Aussicht  über 
das  Alai-Thal  und  die  Transalai-Kette.  Von  Tengis-baj  führt  der  Weg 
in  steilen  treppenförmigen  Absätzen  am  Daraut-su  bis  zum  Alai-Thal 
hinunter.  Im  Daraut-su-Thal  waren  die  Schneemassen  noch  viel 
bedeutender  als  auf  den  nördlichen  Abhängen  der  Alai-Kette.  Wir 

21* 


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306 


Sven  Hedin: 


ritten  fast  ununterbrochen  auf  lauter  Lawinenkegeln,  von  denen  einer  am 
Tage  vorher  (26.  Febr.)  gefallen  war.  Derselbe  hatte  nach  der  Be- 
schreibung der  Kirgisen  eine  Tiefe  von  wenigstens  20  m und  eine 
Breite  (wo  wir  passierten)  von  etwa  400  m.  Einge  Lawinen  hatten  grofse 
Massen  von  Sand,  Erde  und  Steinen  im  Fall  mitgeschleppt  und  wurden 
erst  dann  entdeckt,  als  die  Pferde  hineinsanken.  Der  Daraut-su  führte 
wenig  Wasser,  flofs  hier  und  da  wie  der  obere  Isfairan  unter  Eiskuppeln 
und  Schollen,  die  sich  an  den  kleinen  Wasserfällen  zwischen  den 
Steinen  gebildet  hatten;  auf  den  Abhängen  wuchsen  auch  hier  Artschas. 

ln  der  Gegend  um  Daraut-kurgan  fällt  der  erste  Schnee  gewöhn- 
lich Ende  November,  und  alles  ist  Ende  März  wieder  verschwunden. 
In  der  ersten  Hälfte  des  April  fängt  die  Bebauung  der  Felder  an  Im 
Schiman-Thal  (mit  einem  kleinen  Bach,  der  in  den  Daraut-su  ausmündet) 
bleibt  der  Schnee  bis  Anfang  April  liegen. 

Wenn  Mitte  März  im  Fergana-Thal  die  F'rühlingsregen  fallen,  fällt 
gleichzeitig  im  Alai-Thal  der  „Sarik-kar"  (gelber  Schnee),  wie  der  letzte 
Schnee  im  Winter  genannt  wird.  Weshalb  er  so  bezeichnet  wird,  konnten 
mir  die  Kirgisen  nirgends  sagen;  sie  behaupteten  jedoch,  dafs  er  immer 
von  deutlich  gelber  Farbe  sei.  Da  der  Boden  in  dieser  Jahreszeit 
schon  an  vielen  Stellen  nackt  und  trocken  ist,  rührt  vermutlich  die 
Färbung  von  Erde  und  Staub  her,  welche  entweder  aus  der  Atmosphäre 
mit  dem  Schnee  hinunterfallen,  oder  auch  durch  den  Wind  Uber  den 
gefallenen  Schnee  ausgebreitet  werden  und  demselben  eine  gelbe  F’arbe 
verleihen.  Überall  wo  ich  im  Pamir  gereist  bin,  wird  der  letzte  Schnee 
Sarik-kar  genannt. 

Wenn  der  Sarik-kar  gefallen  ist  und  die  Frühlingssonne  zu  brennen 
anfängt,  rutschen  im  Daraut-Thal  ein  oder  zwei  Tage  nachher  bestimmt 
eine  Menge  Lawinen,  welche  das  Thal  füllen  und  den  Weg  für  15  Tage 
schwer  zu  passieren  machen.  Diese  Lawinen  sind  sehr  gefürchtet; 
ihre  Oberfläche  gefriert  jedoch  während  der  Nacht,  und  die  Kirgisen 
reisen  deshalb  in  dieser  Jahreszeit  immer  nachts  und  frühmorgens. 
Am  Tage  taut  die  Eiskruste  wieder  auf;  daher  rastet  man  von  Sonnen- 
aufgang an,  11m  etwaige  neue  Lawinen  zu  vermeiden. 

Im  unteren  Teil  des  Daraut-Thals  begegneten  wir  sehr  dickem 
Nebel,  der  die  Landschaft  überall  verbarg;  gleichzeitig  schneite  es 
ziemlich  frisch.  Meine  Begleiter  sagten,  dafs  jetzt  ein  Buran  im  Pafs 
rase,  und  dafs  wir  demselben  im  letzten  Augenblick  entgangen  seien. 
Am  folgenden  Tag  (1.  März)  raste  auch  bei  Daraut-kurgan  ein  so 
heftiger  westlicher  Buran,  dafs  wir  dort  verweilen  und  die  Jurten  mit 
Stricken  und  Stangen  befestigen  mufsten.  Hier  lag  70  bis  80  cm  Schnee, 
stellenweise  mehr;  stellenweise  war  der  Boden,  dank  dem  kräftigen 
W'inde,  fast  nackt.  Im  Alai-Thal  sind  die  westlichen  Winde  im  Winter 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


307 


sehr  konstant,  allgemein  und  heftig;  auch  östlicher  Wind  kommt  vor, 
doch  selten.  Gegen  Süden  und  Norden  schützen  die  Gebirge,  doch 
weht  von  Zeit  zu  Zeit  Südostwind.  Im  Sommer  ist  die  Atmosphäre 
siel  ruhiger;  die  Winde  sind  schwächer  und  selten.  Der  Westwind 
wird  in  Karategin  Chamak  genannt,  der  Ostwind  Irkeschtam  Chamal  und 
der  Südostwind  Murgab  Chamal. 

Am  2.  März  ritten  wir  nach  dem  kleinen  Aul  Gun  di.  Der 
Weg  führte  immer  am  rechten  Ufer  des  Kisil-su;  wir  hielten  uns 
so  nahe  wie  möglich  am  Gebirgsfufs,  weil  dort  der  Schnee  weniger 
tief  war.  Der  Boden  bestand  aus  grobkörnigem,  hart  zusammen- 
gefrorenem Sand  und  mächtigen  Konglomeraten,  in  welchen  der  Flufs 
sein  Bett  oft  bis  iom  Tiefe  eingeschnitten  hatte.  Der  Schnee  lag 
stellenweise  metertief.  Wir  hatten  frühmorgens  einige  Kirgisen  vor- 
ausgeschickt, um  den  Weg  zu  bereiten;  dieser  war  aber  jetzt  von  dem 
noch  wehenden  Buran  mit  Schnee  gefüllt,  und  wir  hatten  deshalb 
vier  Kamele,  die  einen  neuen  Pfad  ausschritten. 

Am  folgenden  Tag  hatten  wir  einen  sehr  mühsamen  Ritt  nach 
dem  grofsen  Aul  Kaschka-su  am  gleichnamigen  Bach.  Mehrere  andere 
Bäche  wurden  unterwegs  überschritten,  von  denen  der  gröfste  der  Kisil- 
ungur  ist.  Der  Schnee  wurde,  je  höher  im  Thal,  desto  tiefer;  nur  an 
gegen  Süden  abfallenden  Bodenanschwellungen  ist  die  Schneedecke 
mit  dünner  Eiskruste  bedeckt,  meistens  ist  die  Oberfläche  in  kleinen 
Wellen  gekräuselt  wie  bei  den  Sanddünen.  Der  Schnee  ist  kompakt, 
trocken  und  feinkörnig  wie  Sand. 

In  der  Gegend  um  Kaschka-su  sind  die  Schneeniederschläge  im 
allgemeinen  sehr  reichlich;  dieser  Winter  wurde  als  ungewöhnlich 
schneearm  gerechnet.  Der  erste  Schnee,  der  aber  noch  wegschmilzt, 
fällt  Anfang  Oktober,  der  letzte  verschwendet  Mitte  April.  Jetzt  er- 
warteten die  Bewohner  den  Saritc-kar  binnen  einer  Woche;  derselbe 
bringt  die  gröfsten  Schneemassen  des  Winters  mit,  ist  feucht  und  kann 
zwischen  den  Händen  zu  Bällen  zusammengebacken  wurden.  Während 
io  bis  12  Tagen  nach  dem  Sarik-kar  ist  das  Aul  manchmal  ganz 
isoliert;  erst  wenn  der  Schnee  wieder  zu  schmelzen  anfängt,  macht 
man  mit  Kutasen  (Yaks)  durch  denselben  Tunnel  und  Korridore, 
dann  folgen  Kamele,  und  endlich  kann  man  zu  Pferd  passieren.  Bei 
Kaschka-su  ist  der  Murgab- Wind  nicht  selten;  gewöhnlich  weht  der 
Wind  während  der  Nacht,  fängt  von  7 bis  8 Uhr  abends  an,  ist  um 
Mitternacht  am  stärksten  und  nimmt  gegen  Morgen  wieder  ab.  Der 
Kaschka-su  schwillt  im  Sommer  bedeutend  an,  und  der  Kisil-su  ist 
während  der  heifsesten  Zeit,  „Saratan“,  welche  Ende  Juni  beginnt  und 
40  Tage  dauert,  so  wasserreich,  dafs  er  nicht  passiert  werden  kann. 

Nach  Djipptick-su  gelangten  wir  am  4.  März;  wir  mufsten 


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Sven  Hcdin: 


unterwegs  weite  Umwege  machen,  da  die  Kamele  bisweilen  ganz  und 
gar  einsanken.  An  der  einen  langen  Strecke  lag  der  Schnee  sogar  bis 
2 und  3 m tief,  und  der  Übergang  bei  dieser  Stelle,  eine  Einsenkung 
im  Boden,  erforderte  fast  zwei  Stunden.  Da  die  Kamele  und  Pferde 
fast  bis  an  den  Hals  einsanken,  mufsten  sie  endlich  abgeladcn 
und  Kaschmas  (Filzteppiche,  die  zu  den  Jurten  verwendet  werden) 
auf  der  Schneeoberfläche  ausgebreitet  werden,  auf  denen  die  Tiere 
dann  langsam  passierten. 

Die  Schneeverhältnisse  am  Aul  Djipptick  sind  fast  dieselben 
wie  bei  Kaschka-su:  Anfang  Oktober  erster  Schnee,  gegen  Mitte  April 
alles  fort.  Das  Alai-Thal  war  heute  (am  4.)  in  Nebel  eingehüllt,  und 
spärlicher  Schnee  fiel,  man  sagte  es  sei  der  Anfang  des  Sarik-kar.  An 
demselben  Tag,  als  wir  von  einem  Buran  in  Daraut-kurgan  aufge- 
halten wurden,  raste  auch  bei  Djipptick  ein  Schneesturm,  welcher  die 
letzten  grofsen  Schneemassen  herbeigeführt  hat;  dieser  Buran  er- 
streckte sich  also  zwischen  beiden  Aulen  über  60  Werst.  Auch  in 
Djipptick  mufsten  wir  wegen  der  grofsen  Schneemenge  einen  Tag 
verweilen,  der  zu  Rekognoszierungen  verwendet  wurde.  An  diesem 
Tag  war  das  Wetter  vollkommen  ruhig  und  klar,  die  Transalai-Kette 
glänzte  in  dem  wunderbarsten  Farbenspiel,  stahlgrau,  hellblau  und 
weifs;  der  pyramidenförmige  Pik  Kaufmann  thronte  wie  ein  silberner 
Gipfel  und  erhob  sich  nur  wenig  über  die  übrigen  Gipfel  des  Gebirges. 

Am  6.  März  hatten  wir  einen  sehr  abenteuerlichen  Übergang  über 
den  Kisil-su,  der  hier  in  einer  nur  10  m breiten,  offenen  Rinne  dahin- 
flofs,  während  der  übrige  Teil  des  Flusses  mit  dünnem,  schneebedeck- 
tem Eis  bekleidet  war.  In  der  Gegend  Urtak,  auf  der  linken  Seite 
des  Alai-Thals,  sank  die  Kälte  bis  — 34,5°  C.  *) 

Am  7.  folgten  wir  dem  rechten  Ufer  des  kleinen  hauptsächlich 
von  Quellen  gespeisten  Baches  KisiJ-agin;  nur  hie  und  da  war  eine 

l)  Um  zu  zeigen,  wie  schwierig  die  Winterreisen  in  diesen  Gegenden  sein 
können,  will  ich  nur  erwähnen,  dafs  sechs  Kirgisen,  die  vom  Volastnoj  Utsch-tepes 
(Ujäsd  Osch)  auf  Befehl  des  Gouverneurs  von  Fergana  mit  Jurte  und  Heizmaterial 
für  meine  Rechnung  nach  Urtak  geschickt  waren,  den  Taldik  geschlossen  gefunden 
und  deshalb  den  nahen  Att-jolli-Pafs  versucht  hatten.  Hier  verloren  sie  ein  Pferd, 
die  Jurte  und  den  ganzen  Heizvorrat;  nur  vier  von  ihnen  erreichten  Urtak,  steif- 
gefroren und  einer  sogar  schneeblind.  Über  das  Schicksal  der  beiden  übrigen  wufsten 
sie  nichts;  wir  fanden  sie  aber  späterhin  in  Bordoba.  Die  Kirgisen  erzählten  mir, 
dafs  vor  drei  Jahren  die  Schneemengen  in  dieser  Gegend  eben  um  diese  Zeit  so 
riesig  waren,  dafs  300  Lastpferde  und  4000  Schafe  (?)  im  Kisil-art-Pafs  verloren 
gingen.  Während  fast  dreier  Monate  war  der  Weg  verschlossen,  und  zwei  Reiter, 
die  von  Urtak  nach  Sarik-mogal  ritten,  waren  19  Tage  unterwegs,  verloren  ihre 
Pferde  und  litten  jeden  Tag  von  Schnecburancn. 


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Physische  Geogtaphie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


30!) 


offene  Rinne  zu  sehen,  sonst  war  das  Wasser  überall  gefroren  und 
das  ganze  Thal  mit  hellgrünem  Eis  bekleidet,  wo  der  Schnee  weg- 
gefegt war.  Wir  ritten  den  ganzen  Tag  durch  tiefen  Schnee  und  mufs- 
ten  uns  einem  Kirgisen  anvertrauen,  der  zu  Fufs  ging  und  die  Tiefe 
des  Schnees  mit  einer  langen  Stange  prüfte.  In  der  Nacht  gelangten 
wir  zum  kleinen  Erdseraj  Bordoba.  Hier  fällt  gewöhnlich  der  erste 
Schnee  Anfang  Oktober  und  bleibt  bis  Anfang  oder  Mitte  Mai  liegen.  Die 
Burane  des  Kisil-art  sind  nicht  selten  bis  nach  Bordoba  fühlbar;  man 
sagt,  der  Irkeschtam-Wind  bringe  vorzugsweise  Schnee  (oder  Regen), 
der  Karategin-Wind  sei  meistens  klar;  dieser  ist  vorherrschend. 

Am  9.  ritten  wir  Uber  den  Kisil-art,  und  im  Augenblick  des  Auf- 
bruches hielten  die  Kirgisen  Gottesdienst,  um  eine  glückliche  Reise  zu 
erbitten.  Der  Thalboden,  von  einem  kleinen,  jetzt  ganz  gefrorenen 
Bach  durchflossen,  ist  breit  und  steigt  langsam  bis  in  die  Nähe  des 
Passes,  wo  die  Steigung  sehr  steil  wird;  in  diesem  Thal  nimmt  die 
Schneemenge  allmählich  ab,  doch  um  den  Pafs  herum  lag  bis  60  und 
So  cm  Schnee,  welcher  den  sonst  leichten  Übergang  erschwerte.  Auf 
dem  Kulminationspunkt  des  Passes,  wo  der  steinerne  Masar  des  heiligen 
Kisil-art  aufgebaut  ist,  war  der  Schnee  fast  vollständig  weggefegt. 
Jeden  Winter  fällt  viel  Schnee  auf  dem  Kisil-art,  wird  aber  gleich 
wieder  vom  Wind  weggefegt.  Wenn  der  Sarik-kar  von  Buran  oder 
starkem  Wind  nicht  begleitet  wird,  ereignet  es  sich  nicht  selten,  dafs 
der  Pafs  für  etwa  zwei  Wochen  geschlossen  bleibt. 

Auf  der  südlichen  Seite  führt  der  Weg  an  dem  kleinen,  jetzt  gänzlich 
gefrorenen  Kok-saj  (Markan-su)  hinunter,  wo  die  Schneemenge  ver- 
schwindend klein  war.  In  dieser  Gegend  kommt  Schnee  das  ganze 
Jahr  vor,  wird  aber  sogleich  vom  Wind  weggeführt.  Dann  gelangten  wir 
zu  einer  kleinen  isolierten  Gebirgsgegend  Uj-bulak ; zwischen  diesem  Berg 
und  Kisil-art  war  der  Boden  auf  lange  Strecken  ganz  und  gar  nackt,  und 
nur  die  Gebirgskämme  waren  hie  und  da  an  geschützten  Stellen  weifs; 
auf  dem  Uj-b(flak  hatte  der  Schnee  wieder  eine  Tiefe  von  40  cm,  war 
sehr  fest  und  mit  einer  pergamentartigen  Kruste  bedeckt,  die  stellen- 
weise sogar  die  Pferde  trug. 

Dann  nimmt  die  Schneerfienge  wieder  schnell  ab,  und  auf  den 
Steppen  an  der  nördlichen,  östlichen  und  südlichen  Seite  des  Kara- 
kul  war  der  Boden  überall  nackt.  Auf  dem  Eis  des  Sees  lag  aber 
7 bis  8 cm  Schnee,  und  die  Gebirge  ringsumher  waren  damit  voll- 
ständig bekleidet.  Dieser  Gebirgsschnee  verdunstet  binnen  wenigen 
Tagen,  doch  ist  es  keine  Seltenheit,  dafs  auch  im  Sommer  Schnee- 
Burane  die  Gebirge  wieder  weifs  bekleiden ; im  Lauf  des  Tages  werden 
sie  wieder  nackt.  Das  Eis  des  Sees  hatte  jetzt  auf  der  östlichen  un- 
tiefen Hälfte  eine  Mächtigkeit  von  76  bis  106  cm,  auf  der  westlichen, 


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310 


Sven  Hedin: 


tiefen,  42  bis  53  cm.  Ende  April  schmilzt  das  Eis,  zuerst  an  den  Ufern, 
bleibt  aber  viel  länger  auf  der  Mitte  des  Sees  liegen.  Vor  acht  Tagen 
waren  auch  die  Kara-kul-Gebirge  schneefrei;  ein  heftiger  Buran  hatte, 
wie  ich  von  einem  Dschigiten  hörte,  sie  wieder  weifs  gekleidet. 

Nach  der  Beschreibung  meiner  Führer  ist  die  Gegend  um  Kara- 
kul  äufserst  windig,  und  es  weht  von  allen  Himmelsrichtungen;  sollte 
irgend  welcher  Wind  als  vorherrschend  betrachtet  werden  können,  so 
wäre  es  der  südliche.  Oft  tobt  ein  Buran  im  Ak-bajtal-Pafs,  und  das 
Wetter  ist  am  Kara-kul  gleichzeitig  sehr  schön.  Die  Burane  scheinen 
also,  wie  ich  auch  später  am  Murgab  hörte,  auf  dem  Plateauland  sehr 
lokalisiert  und  begrenzt  zu  sein. 

Am  östlichen  Ufer  des  Kara-kul  ist  eine  grofse  Menge  kleiner 
Süfswassertiimpel  und  Quellen  gelegen,  die  jetzt  gefroren  waren;  das 
Wasser  des  Sees  ist  bitter,  aber  sehr  klar.  Während  der  vier  Tage, 
die  ich  am  Grofsen  Kara-kul  zubrachte,  war  das  Wetter  herrlich,  die 
I.uft  ganz  ruhig  und  klar,  und  am  Tage  brannte  die  Sonne  sogar 
heifs;  ich  konnte  in  dieser  kurzen  Zeit  bemerken,  dafs  die  Schnee- 
massen auf  den  Gebirgen  sich  schnell  verminderten,  und  dafs  die  Ab- 
hänge sogar  hie  und  da  ganz  entblöfst  wurden. 

Als  wir  am  14.  den  Marsch  gegen  Süden  fortsetzten,  fing  aber  ein 
sehr  peinlicher  Südwind  an,  und  auf  den  Gebirgen  in  derselben  Richtung 
hingen  dichte  Wolken.  Das  Gelände  steigt  unmerklich  bis  zum  Oksali- 
masar-Pafs  und  sinkt  dann  wieder  eben  so  langsam  nach  dem  Thal 
Mus-kol,  welches  von  einem  kleinen,  vom  Ak-bajtal  und  der  Gebirgs- 
gruppe  Mus-kol  kommenden  Bach  (Mus-kol  oder  nördlicher  Ak-bajtal  ge- 
nannt) durchströmt  wird.  Dieser  Bach  soll  während  des  Sommers  ziemlich 
viel  Wasser  dem  Kara-kul  zuführen,  war  aber  jetzt  gänzlich  gefroren. 
Auf  dem  Thalboden  war  jetzt  aller  Schnee  geschmolzen,  so  auch  auf 
den  gegen  Süden  abfallenden  Gebirgen;  auf  den  Abhängen,  die  im 
Schatten  lagen,  waren  aber  noch  grofse  Schneemassen  angehäuft,  welche 
stellenweise  sogar  über  den  Sommer  liegen  bleiben.  Der  erste  Schnee 
fällt  Mitte  November.  Burane  sind  sehr  allgemein;  führen  sie  nicht 
Schnee,  so  sind  sie  oft  mit  Sand  bemengt.  Es  weht  fast  täglich;  die 
Nächte  sind  öfters  ruhig.  Westwind  herrscht  vor,  was  wohl  meistens 
auf  der  Gestalt  des  Geländes  beruht. 

Eisreservoire  und  Eisvulkane.  — An  einem  Punkt,  Souk 
Tschubir,  wo  sich  das  Thal  gabelt,  wurde  das  Lager  aufgeschlagen. 
Hier  findet  sich  eine  eigentümliche  Erscheinung,  die  ich  näher  be- 
schreiben will. 

Bei  Souk  Tschubir  vereinigen  sich  die  Thäler,  welche  nach  den 
beiden  Pässen  Kisil-dschijik  (nördlich)  und  Ak-bajtal  (südlich)  hinauf- 
Uhren  und  gehen  hier  in  das  Mus-kol- Thal  über.  Am  Vereinigungs- 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


311 


punkt  ist  eine  grofse  Erweiterung  gelegen,  wo  der  Boden  sehr  eben, 
fast  horizontal  ist.  Das  Wasser  des  Mus-kol-Baches,  welches  von 
schmelzendem  Schnee  und  Quellen  stammt,  friert  im  Winter  und  bildet 
drei  grofse  Eiskuchen  oder  Reservoire.  Der  Orientierung  wegen  nenne 
ich  sie  No  i,  2 und  3.  No.  1 ist  im  Mus-koI-Thal  gelegen,  hat  eine 
,I.änge  von  etwa  1200  m und  eine  Breite  von  etwa  300  m;  seine  Längs- 
richtung  ist  ost-westlich.  No.  2,  der  kleinste,  an  der  Mündung  des 
Kisil-dschijik-Thals  gelegen,  hat  dieselbe  Richtung  und  I.änge,  ist  aber 
enger;  No.  3 ist  in  der  Mündung  des  Ak-bajtal-Thales  gelegen,  3km 
lang  und  1 km  breit  und  von  Nordwest  nach  Stldost  ausgezogen.  An- 
fang November  fängt  die  Eisbildung  an,  und  erst  Mitte  Juni  ist  das  Eis 
geschmolzen;  nur  bei  No.  3 schmilzt  es  nicht  vollständig.  Den  ganzen 
Sommer  bleibt  fast  jährlich  an  einer  geschützten  Stelle  ein  Eiskuchen 
liegen,  und  schon  Ende  September  fängt  hier  rings  umher  neue  Eis- 
bildung an.  Im  Frühling  und  Sommer  strömt  das  Schmelzwasser  von 
No.  2 und  No.  3 in  No.  1 und  dann  weiter  nach  dem  Kara-kul. 

Auf  dem  gröfsten  Eisreservoir,  welches  den  ganzen  Thalboden 
bedeckt,  so  dafs  der  Winterweg  auf  dem  Eis  hinüberführt,  machte  ich 
folgende  Beobachtungen.  Die  Oberfläche  ist  vollkommen  eben  wie 
die  eines  gefrorenen  Sees.  Nur  hie  und  da  fanden  wir  niedrige, 
schmale  Eiskämme,  die  hunderte  von  Metern  Länge  hatten.  Ein 
solcher  wurde  durchbrochen;  das  Eisgewölbe  dieses  Kammes  war 
28  cm  mächtig  und  wurde  durch  24  cm  Zwischenraum  von  einer  darunter- 
liegenden Wasseroberfläche  geschieden;  das  Wasser  hatte  eine  Tiefe 
von  91  cm  und  stand  unmittelbar  auf  dem  ebenen  Sandboden  des 
Thals,  war  übrigens  vollkommen  rein,  durchsichtig  und  süfs  und  hatte 
eine  Temperatur  von  — 0,2°  C.  Als  ich  den  Kopf  so  tief  wie  möglich 
in  das  Loch  einsenkte,  konnte  ich  nach  beiden  Seiten  wie  in  einen 
Eistunnel  hineinblicken;  die  untere  Oberfläche  des  Gewölbes  war  mit 
Eiszapfen  und  Stalagtiten  sehr  schön  geschmückt,  und  die  Wasserober- 
fläche erstreckte  sich,  soweit  ich  sehen  konnte. 

Ein  anderer  Eiskamm  war  59  cm  mächtig  und  ruhte  unmittelbar 
auf  108  cm  tiefem  Wasser.  Wo  die  Eisoberfläche  eben  war,  wurde  an 
einem  dritten  Punkt  ein  Loch  eingehauen;  als  wir  aber  in  90cm 
Tiefe  weder  Boden  noch  Wasser  fanden,  und  die  Kirgisen  vermuteten, 
das  Eis  möchte  hier  bis  dreimal  tiefer  sein,  wurde  es  verlassen.  Die 
Temperatur  im  Eis  war  hier  — 5,5°  C.  (Lufttemp.  9 Uhr  morgens 
— 7,3°).  Zehn  Meter  vom  Ufer  hatte  die  Eisdecke  71  cm  Dicke  und 
lag  unmittelbar  auf  Sand.  Nach  der  Ansicht  der  Kirgisen  ist  das  Eis 
an  den  ebenen  Stellen  überall  kompakt  bis  zum  Boden;  die  Gewölbe 
aber  sind  durch  das  sich  hinaufzwängende  Quellwasser  gebildet.  Viel- 
leicht ist  diese  Ansicht  richtig;  ich  glaube  jedoch,  dafs  die  Gewölbe 


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312 


Sven  Hedin: 


durch  die  Spannung  und  den  Tangentialdruck,  in  welchem  sich  der 
Eiskuchen  befindet,  gebildet  werden,  und  dafs  das  Wasser  hier  den 
bequemsten  Abflufs  findet.  Jeder  Eiskamm  war  durch  eine  Längsspalte 
durchbrochen,  und  aus  dieser  quoll  stellenweise  das  Wasser  heraus,  um 
sich  auf  der  Eisoberfläche  auszubreiten  und  zu  gefrieren.  In  den  beiden 
Löchern  konnte  ich  im  Querschnitt  sehr  deutlich  eine  grofse  Menge 
verschiedener  Eisschichten  wahrnehmen,  welche  zeigten,  dafs  immer 
neues  Qucllwasser  über  den  ersten  Eisschichten  gefroren  war.  Auf 
der  Eisoberfläche  flofs  schon  jetzt,  während  der  Mittagszeit,  in  schmalen 
Rinnen  Schmelzwasser. 

Am  südlichen  Ufer  des  Eisreservoirs  No.  2 kam  eine  Quelle  her- 
vor, deren  Wasser  -+-  0,9°  Temperatur  hatte.  Am  nördlichen  Ufer  be- 
fanden sich  zwei  Quellen,  die  zwei  typische  „Eisvulkane“  gebildet 
hatten,  welche  50  m von  einander  entfernt  waren.  Der  östliche  hatte 
eine  Höhe  von  5 m,  einen  Umfang  von  68  m und  Fallwinkel  von  19 
bis  22°.  In  der  Mitte  oben  war  eine  „Kratermündung“  gelegen,  von 
welcher  vier  Spalten  ausgingen;  diese  hatten  oben  eine  Breite  von 
fast  1 m,  wurden  aber  nach  unten  immer  schmäler;  sie  waren  teil- 
weise wieder  mit  U'eifsem,  luftreichem  Eis  gefüllt.  Der  „Vulkan-Kegel“ 
selbst  bestand  dagegen  aus  reinem,  hellgrünem  Eis,  in  welchem  man 
unzählbare  dünne  Schichten  von  von  Zeit  zu  Zeit  ausgetretenem  und 
gefrorenem  Wasser  beobachten  konnte.  Auch  die  Kratermündung  war 
jetzt  zusammengefroren,  und  kein  fliefsendes  Wasser  war  zu  sehen: 
also  ein  „erloschener  Vulkan“.  Ein  Eisarm  vereinigte,  ganz  wie  ein 
„Lavastrom",  den  Vulkan  mit  dem  See.  Der  Kegel  war  regelmäfsig 
konisch. 

Der  westliche  Vulkan  war  8 m hoch,  hatte  206  m im  Umfang  und 
bestand  aus  zwei  verschiedenen  Kegeln  über  einander;  der  untere  war 
sehr  flach,  hatte  nur  50  Fallwinkel  und  bestand  aus  weifsem  Eis,  der 
obere  war  kuppelförmig,  hatte  bis  30°  Fallwinkel  und  20  m Durch- 
messer und  bestand  aus  reinem  Eis.  Er  war  von  einem  Netzwerk  kon- 
centrischer  und  radialer  kleiner  Spalten  durchsetzt.  Auch  hier  war  die 
Kratermündung  zusammengefroren,  und  das  Wasser  hatte  einen  neuen 
Abflufs  durch  eine  Spalte  an  der  Seite  gefunden,  wo  es  — 0,3°  Tem- 
peratur hatte.  Meine  Kirgisen  erzählten , dafs  hier  jeden  Winter  zwei 
ähnliche  Vulkane  gebildet  werden,  die  jedoch  früh  wegschmelzen; 
dieses  Jahr  waren  sie  aber  gröfser  als  gewöhnlich. 

Die  Sehne everhältnisse  (Fortsetzung).  — Der  nächste  Tages- 
marsch führte  nach  dem  Eingang  zum  Ak-baj  tal  - Pa  fs.  Der  Boden 
war  überall  mit  einer  dünnen  Schneedecke  bekleidet;  an  geschützten 
Stellen  der  Abhänge  bleibt  der  Schnee  auch  im  Sommer  liegen,  schmilzt 
aber  .auf  dem  Thalboden.  In  den  Gebirgen  zwischen  Ak-bajtal  und 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


313 


Kisil-dschijick  sollen  nach  Angabe  der  Kirgisen  kleine  Hängegletscher 
Vorkommen. 

Der  Ak-bajtal-Pafs  hat,  wie  oben  erwähnt,  dieselbe  Gestaltung 
wie  der  Kisil-art:  eine  sehr  flache,  fast  ebene,  werstenlange  Einsenkung 
zwischen  zwei  Pässen,  von  denen  der  südliche  der  eigentliche  sehr  aus- 
geprägte Kulminationspunkt  des  Kammes  ist.  Zwischen  den  beiden 
Pässen  lag  bis  30  und  40  cm  Schnee.  Auf  dem  südlichen  Abhang  war 
die  Schneemenge  viel  bedeutender  als  auf  der  nördlichen,  bis  50  cm. 
Im  Pafe  bleibt  der  Schnee,  besonders  auf  den  südlichen  Abhängen, 
das  ganze  Jahr  liegen.  Auch  im  Sommer  kommen  Schneeniederschläge 
vor,  dagegen  regnet  es  äufserst  selten.  Wenn  der  Sarik-kar  fällt,  wird 
der  Ak-bajtal  gewöhnlich  für  5 bis  6 Tage  geschlossen,  vorausgesetzt, 
dafs  dies  vor  dem  20.  März  eintritt;  dagegen  wird  er  schon  nach  einem 
oder  zwei  Tagen  passierbar,  wenn  dies  Ende  des  Monats  geschieht. 
Der  südliche  Abhang  ist  immer  schneereicher  als  der  nördliche,  was 
wohl  davon  herrührt,  dafs  der  Schnee  hier  im  Windschatten  haften 
bleibt.  Im  Ak-bajtal-Thal,  d.  h.  östlich  des  Passes,  herrscht  west- 
licher Wind  vor.  Bei  Kornei-tarsti , etwa  20  Werst  östlich  des  Passes, 
fällt  der  erste  Schnee  des  Jahres  Ende  Oktober  oder  Anfang  November. 
Ende  März  erwarten  die  Kirgisen  den  Sarik-kar;  wenn  dieser  ausbleibt, 
sagen  sie  das  Jahr  sei  gut,  findet  er  sich  aber  ein,  so  wird  das  Jahr 
für  unglücklich  gehalten. 

Am  kleinen  Aul  Togolak-mali c k , dort  gelegen,  wo  ein  breites 
Thal  zu  den  Seen  Schor-kul  und  Rang-kul  gegen  Norden  führt  und 
nicht  weit  von  der  Schlucht  Tschitscheckti,  fällt  der  erste  Schnee  Mitte 
December  und  taut  auch  auf  den  Abhängen  Anfang  April  weg.  Jetzt 
war  der  Thalboden  schon  gänzlich  schneefrei.  Burane  sind  hier  ziem- 
lich selten,  dagegen  weht  es  fast  immer,  und  immer  von  Süden,  sehr 
selten  vom  Ak-bajtal  und  Schor-kul.  Diese  beiden  Winde,  NW  und  N, 
sind  auch  viel  schwächer  als  der  Murgab-Wind ; die  Kirgisen  sagen,  dafs 
letzterer  die  Jurten  umherwälzen  kann,  was  die  beiden  anderen  dagegen 
nicht  vermögen.  Da  aber  bei  Kornei-tarsti  Westwind  vorherrscht,  scheint 
derselbe  weiter  östlich  über  den  Südwind  hin  zu  strömen. 

Bei  Murgab,  d.  h.  an  der  russischen  Festung,  westlich  der  Mündung 
des  Ak-bajtal-Baches  gelegen,  fiel  dieses  Jahr  der  erste  bleibende  Schnee 
am  12.  December;  die  Schneemengen  waren  aber  den  ganzen  Winter 
verschwindend  klein.  Anfang  März  verschwand  der  letzte  Schnee 
rings  um  die  Festung,  bekleidete  aber  noch  Anfang  April  in  langen 
schmalen  Streifen  die  nördlichen  Abhänge  der  südlich  vom  Murgab  ge- 
legenen Gebirge.  Bei  Kisil-dschijick  und  an  dem  Weg  dorthin1) 

't  tm  Winter  führt  die  Poetdschigiten-Strafse  von  Margetan  nach  Parmirsky  Post 
über  Kisil-Dschijick,  im  Sommer  Uber  Ak-bajtal. 


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314 


Sven  Hedin: 


war  schon  Anfang  März  fast  aller  Schnee  verschwunden.  Westlich 
vom  Ak-bajtal  und  den  Mus -kol- Gebirgen,  d.  h.  im  Flußgebiet  von 
Kuh-därä  und  Kok-uj-bel  und  der  umgebenden  Gegend,  liegt  den  ganzen 
Winter  hindurch  überall  Schnee,  am  kleinen  zeitweiligen  russischen 
Fort  Kuhdärä,  beim  Zusammenflufs  der  oben  erwähnten  Flüsse,  sogar 
noch  Ende  März  sehr  beträchtlich.  Östlich  von  derselben  Grenze  ist 
die  Schneemenge  sehr  klein. 

Am  8.  April  war  in  der  Gegend  von  Schor-ku-1  und  Rang- 
kul  keine  Spur  von  Schnee  zu  finden,  und  der  ganze  Winter  war  äufserst 
schneearm  gewesen;  die  Temperatur  aber  ebenso  niedrig  wie  bei  Pa- 
mirsky  Post.  Noch  jetzt  war  der  Rang-kul  mit  92  bis  102  cm  dickem 
Eis  bekleidet. 

Auf  beiden  Seiten  des  hohen  T schuggataj-Passes,  in  der  Sarik- 
kol-Kette,  lag  jetzt  sehr  wenig  Schnee,  und  gar  keiner  im  gleichnamigen 
Thal  bis  nach  Bulung-kul.  Am  Aul  Tschuggataj,  wenig  östlich  des 
Passes,  fiel  der  erste  Schnee  Mitte  December  und  verschwand  Mitte 
März.  Die  Schneemenge  dieses  Winters  war  ziemlich  groß  gewesen; 
im  Pafs  liegt  oft  Schnee  über  den  Sommer.  Burane  sind  gewöhn- 
lich. Der  kleine  Bach  dieses  Thaies  führt  im  Sommer  nicht  wenig 
Wasser. 

Die  ganze  Gegend  um  Bulung-kul,  nach  dem  Kleinen  Kara-kul 
einerseits  und  dem  Ges-Thal  andererseits,  sowie  der  Weg  durch  dasselbe 
und  bis  nach  Kaschgar,  waren  vollständig  schneefrei.  Nur  bei  der 
chinesischen  Festung  am  Su-baschi,  südlich  vom  Kleinen  Kara-kul,  wehte 
am  23.  April  ein  heftiger  Buran,  der  alles  weifs  bekleidete;  der  Schnee, 
der  nur  5 bis  6 cm  Tiefe  hatte,  schmolz  aber  im  Lauf  des  Tages  weg. 
Am  Bulung-kul  sind  die  Schneeniederschläge  sehr  unbedeutend,  Staub- 
niederschläge und  Sandburane  allgemein.  Der  fast  immer  wehende 
Südwind  treibt  grofse  Massen  von  Sand  gegen  die  Abhänge  der  NW 
und  NO  vom  See  gelegenen  Gebirge,  deren  untere  Teile  bis  ziemlich 
hoch  hinauf  unter  gewaltigen  Sandhügeln  und  Dünen  versteckt  sind. 
Im  Osten  des  Sarik-kol-Thales  erstreckt  sich  die  gigantische  Mus-tag- 
Kette,  deren  Kamm  das  ganze  Jahr  in  ewigem  Schnee  und  Eis  glänzt, 
und  deren  Abhänge  mit  einigen  grofsen  Gletschern  und  einer  Menge 
kleiner  Hängegletscher  geschmückt  sind. 

Ergebnisse.  — Wir  finden  also,  dafs  der  nördliche  und  östliche 
Pamir  in  drei  durch  die  Bodenplastik  scharf  von  einander  getrennte 
Schneezonen  zerfallt:  im  Norden  das  Alai-Gebiet  mit  äufserst  reichlichem 
Niederschlag,  im  Osten  das  Sarik-kol-Gebiet  mit  bedeutend  weniger, 
und  zwischen  beiden  die  abflufslosen  und  Übergangsgebiete  mit  ver- 
schwindend wenig  Schnee.  Im  allgemeinen  darf  man  voraussetzen,  dafs 
die  feuchten  Winde,  die  gegen  das  Parmir-Plateau  wehen,  ihren  Schnee- 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


315 


vorrat  vorzugsweise  an  den  Randgebirgen  absetzen  uhd  trocken  zu 
den  Hochflächen  gelangen.  Der  wenige  Schnee,  der  hier  fällt,  bleibt 
fast  nur  an  geschützten,  windschattigen  Stellen  liegen,  und  wir  finden 
ihn  deshalb  besonders  an  den  Pässen  und  in  ihrer  Umgebung;  sonst 
ist  das  Plateaugebiet  fast  das  ganze  Jahr  hindurch  schneefrei,  und  wo 
auf  ebenem  Boden  der  Schnee  von  Zeit  zu  Zeit  liegen  bleibt,  wird 
durch  den  Wind  für  sein  baldiges  Wegfegen  gesorgt.  Eine  Folge 
dieser  Verhältnisse  für  die  Centralgebiete  ist  die  grofse  Trockenheit 
der  Luft  und  die  geringe  Bewässerung,  indem  nur  hie  und  da  in  den 
Schluchten  während  des  Frühlings  und  des  Sommers  kleine  wasserarme 
Bäche  fliefsen.  Auch  in  meteorologischer  Beziehung  bilden  also  die 
Grenzen  der  abflufslosen  und  Übergangsgebiete  Scheidewände. 

Im  unteren  Alai-Thal  fanden  wir  den  Schnee  vier  Monate  liegen, 
im  oberen  sogar  sieben,  am  Bulung-kul  nur  drei,  und  dort  sehr  wenig. 
Auf  den  Hochflächen  schneit  es  das  ganze  Jahr,  aber  immer  selten 
und  wenig,  und  im  Sommer  wird  der  gefallene  Schnee  sogleich  durch 
die  kräftige  Insolation  geschmolzen. 

Eine  natürliche  Folge  der  Schneeniederschläge  ist  auch  die  geo- 
graphische Verbreitung  der  aus  ihnen  stammenden  Flüsse  und  Glet- 
scher; denn  während  beide  auf  den  abflufslosen  und  die  letzten  auch 
auf  den  Übergangsgebieten  äufserst  spärlich  sind,  haben  sie  in  den 
peripherischen  Gebieten  eine  grofse  Entwickelung  erreicht.  So  grofse 
Unterschiede  in  physisch-geographischer  Beziehung  auf  einem  so  kleinen 
Erdraum  wie  die  Pamir-Gebiete  sind  auf  der  Erde  selten. 

5.  Andere  meteorologische  Beobachtungen. 

Obgleich  die  meteorologischen  Beobachtungen , die  ich  auf  der 
Reise  ausgeführt  habe,  von  verschiedenen  Orten  stammen  und  deshalb 
wenig  absoluten  Wert  haben , dürften  sie  doch  in  Anbetracht  unserer 
Unkenntnis  der  klimatischen  Verhältnisse  der  Pamir-Gegenden  von  Inter- 
esse sein.  Aus  derbeigegebenenTabelle  (S.339fif.)  geht  hervor,  dafs  infolge 
der  intensiven  Sonnenbestrahlung  am  Tag  und  der  ebenso  kräftigen 
Ausstrahlung  in  der  Nacht,  die  Amplituden  während  der  24  stündigen 
Tagesperiode  sehr  beträchtlich  sind.  Die  Insolation  ist  sehr  grofs 
(Maximum  am  17.  April  bei  Su-baschi,  1 Uhr  p.  m. , mit  58,4°,  bei 
-t- 4,3”  Lufttemperatur).  Selbst  wenn  eine  Lufttemperatur  von  — 15  bis 
— 20“  herrscht,  wird  das  Gesicht  förmlich  gebrannt  und  die  Haut, 
auch  Dank  der  Trockenheit  der  Luft,  sehr  empfindlich. 

Von  grofser  Wichtigkeit  für  die  Kenntnis  der  klimatischen  Ver- 
hältnisse des  Pamir  sind  die  meteorologischen  Beobachtungen,  die 
seit  ein  paar  Jahren  täglich  (7^1  Uhr  morgens  und  9 Uhr  abends) 
an  der  russischen  Festung  am  Murgab  ausgeführt  werden. 


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316 


Sven  Hedin: 


Kapitän  V.  Ränkovsky  hat  mir  gütigst  folgende  Angaben  für  De* 
cember  1893  bis  März  1894  gemacht.  Leider  sind  die  Angaben  alten 
Stils. 

December:  Um  7 Uhr  vormittags  zeigte  das  Thermometer  im 
Mittel  für  den  ganzen  Monat  — 19.9”  C,  um  1 Uhr  — 9°  und  um  9 Uhr 

— 18,3°.  Für  1 Uhr  war  das  Minimum  — 40°  (25  Dec.),  das  Maxi- 
mum + 2,2°  (11.  Dec.).  Während  des  Tags  war  es  im  allgemeinen 
ziemlich  warm  in  der  Sonne,  und  21  Tage  führten  Tauwetter  mit. 
Die  mittlere  Temperatur  in  der  Sonne  um  1 Uhr  war  -4-  1,7°.  Die 
Amplituden  waren  sehr  grofs,  am  gröfsten  am  14.  December  mit 
42°,  d.  h.  um  7 Uhr  — 28°,  um  1 Uhr  (in  der  Sonne)  -4-  140.  Die 
Bewölkung  war  bedeutend;  an  10  Tagen  war  der  Himmel  ganz  be- 
wölkt, an  4 Tagen  vollkommen  klar;  an  2 Tagen  wehten  Burane,  und 
an  10  Tagen  fand  Niederschlag  statt,  jedoch  nur  6 mm  im  ganzen. 
Die  Maximaltiefe  der  Schneedecke  betrug  nur  5 cm.  Der  westliche 
Himmel  war  fast  immer  mit  Schneewolken  bedeckt , der  östliche  klar. 
Die  vorherrschenden  Winde  waren:  um  7 Uhr  NNW'  und  ONO,  um 
1 Uhr  NNW  und  um  9 Uhr  ONO;  mittlere  Geschwindigkeit  2 m in 
der  Sekunde. 

Der  Januar  führte  die  niedrigsten  Kältegrade  mit:  im  Mittel  um 
7 Uhr  — 29,3°,  um  1 Uhr  — 14,8°,  um  9 Uhr  — 23,3°.  Das  Minimum 
für  1 Uhr  war  — 24,8°  (13.  Jan.),  das  Maximum  -4-  3,7°.  Das  Minimum- 
Thermometer  zeigte  fünfmal  unter  — 40°  (12.,  13.,  18.,  19.  und  22.  Januar), 
zwei  Mal  unter  — 450  (12.  und  19.  Januar).  Die  Amplituden  waren 
noch  gröfser  als  im  December,  so  am  11.  Januar  um  7 Uhr  — 37,8°, 
um  1 Uhr  -t-  12°  (in  der  Sonne),  oder  im  Lauf  von  fünf  Stunden  fast 
50°.  Der  Schnee  taute  jedoch  ein  w'enig  weg;  die  mittlere  Mächtigkeit 
der  Schneedecke  betrug  3 cm.  Fünf  Tage  hatten  Niederschlag,  aber 
im  ganzen  nur  2,9  mm.  Vorherrschende  Winde  waren  um  7 und 
1 Uhr  WSW,  um  9 Uhr  WSW  und  SSO.  Mittlere  Geschwindig- 
keit 2 m.'  1 

Februar:  Mittlere  Temperatur  für  7 Uhr  — 22,4°,  für  1 Uhr 

— 4,8°,  für  9 Uhr  — 14, 7°.  Minimum  für  1 Uhr  — 10, 8°  (10.  Februar), 
Maximum  +3,2°  (20.  Februar),  und  in  der  Sonne  -4-11,7°  im  Mittel. 
Fünf  Mal  sank  die  Kälte  unter  — 30°,  absolutes  Minimum  — 35,5° 
(10.  Februar).  Gröfete  Amplitude  47,3°  (9.  Februar),  mit  — 31,3°  um 
7 Uhr  und  -4-  16°  um  1 Uhr.  Sieben  Tage  war  der  Himmel  ganz  be- 
wölkt, 8 Tage  ganz  klar,  an  2 Tagen  wehten  Burane,  an  3 Tagen 
fiel  Schnee;  Summe  des  Niederschlags  0,9  mm.  Vorherrschende  Winde : 
um  7 und  9 Uhr  NO  und  ONO,  um  1 Uhr  SSW,  ONO  und  NNW. 
Mittlere  Geschwindigkeit  2,2  m. 

März:  Mittlere  Temperatur  des  ganzen  Monats  um  7 Uhr  — 7>7C> 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


317 


um  i Uhr  -f-  5,2',  um  9 Uhr  — 2,1°.  Minimum  um  1 Uhr  + 0,2° 
(5.  März)  und  Maximum  4-  12,2°  (20.  März).  Absolutes  Minimum  — 20° 
(2.  März).  Den  ganzen  Monat  hindurch  sank  die  Kälte  der  Nacht 
unter  o".  Nur  3 Tage  (von  7 Uhr  morgens  bis  9 Uhr  abends)  waren 
ganz  ohne  Kältegrade,  nämlich  der  22.,  29.  und  31.  März.  Der  Himmel 
war  13  Tage  klar,  6 Tage  bewölkt;  an  12  Tagen  wehten  Btirane,  und 
3 hatten  Schnecniederschlag  mit  im  ganzen  um  0,6  mm  Die  vor- 
herrschenden Winde  waren:  um  7 Uhr  NW  oder  ruhig,  um  1 Uhr 
SW  und  WSW,  um  9 Uhr  SW.  Die  Burane  kommen  gewöhnlich  aus 
SW,  fangen  um  10  oder  n Uhr  an  und  nehmen  gegen  Abend  allmählich 
ab.  Die  mittlere  Geschwindigkeit  des  Windes  für  den  Monat  war 
5,7  m in  der  Sekunde.  Relative  Feuchtigkeit  48,3$.  Die  Murgab- 
Kirgisen  behaupteten,  dafs  dieser  Winter  strenger  war  als  der  von 
1892—1893. 

6.  Der  Einflufs  der  Schneeniederschläge  auf  die  Wasser- 
mengen des  Kisil-su  und  des  Murgab. 

Der  Kisil-su  ist  vielleicht  der  gröfste  Nebenflufs  des  Amu-darya, 
jedenfalls  viel  gröfser  als  der  für  den  Quellflufs  gehaltene  Ak-su-Mur- 
gab.  Während  die  anderen  Flüsse  im  Winter  ihre  Wassermenge  in 
höchst  bedeutender  Weise  beschränken,  führt  der  Kisil-su  auch  während 
der  kalten  Jahreszeit  nicht  unbeträchtliche  Wassermassen,  und  be- 
trachtet man  seinen  jährlichen  Tribut  an  den  Amu-darya,  so  bekommt 
man  den  entschiedenen  Eindruck,  dafs  derselbe  gröfser  sein  mufs  als 
derjenige  der  übrigen  Quellflüsse. 

Bei  Daraut-Kurgan  habe  ich  am  28.  Februar  eine  Messung  des 
Kisil-su  vorgenommen.  Die  Entfernung  von  der  kleinen,  von  Khodier- 
Khan  als  Schutz  des  Einganges  zum  Tengis-baj  aufgeführten  Lehm- 
festung bis  zum  Flufs  ist  ungefähr  1 Werst.  Zuerst  passiert  man  hier  den 
Kara-su,  einen  kleinen  Nebenflufs,  der  eine  lange  Strecke  parallel  mit 
dem  Kisil-su  fliefst,  ehe  er  sich  mit  ihm  vereinigt.  Er  wird  haupt- 
sächlich von  Quellwasser  gespeist  und  hatte  jetzt  eine  Wassermenge 
von  5 cbm  in  der  Sekunde.  Das  in  mächtigen  Konglomeraten  ein- 
geschnittene Bett  des  Kisil-su  ist  sehr  breit,  wenigstens  400  m,  und  wird 
während  des  Sommers  ganz  und  gar  mit  Wasser  gefüllt.  Jetzt  hatte 
der  Flufs  eine  Breite  von  70  m,  wovon  jedoch  30  m in  der  Mitte  von 
einer  Sand-  und  Geröilbank  mit  nur  einigen  Centimetern  Wasser  einge- 
nommen wurden,  auf  deren  beiden  Seiten  das  Wasser  in  zwei  ausgeprägten 
Rinnen  dahin  flofs.  In  der  rechten  Rinne  fand  ich  eine  Maximaltiefe 
von  40  cm  und  eine  Maximalgeschwindigkeit  von  182  cm,  im  Mittel  aus 
mehreren  Beobachtungen  bzw.  35  und  154.  Die  Maximaltiefe  der 
linken  Rinne  betrug  55  cm  und  die  Maximalgeschwindigkeit  2 m,  im 


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318 


Sven  Hedin: 


Mittel  bzw.  45  und  154,  — also  bzw.  8 und  14  cbm  Wasser  in  der 
Sekunde.  Mit  dem  Kara-su  vereinigt  führte  also  der  Kisil-su  an  diesem 
Tage  nicht  weniger  als  27  cbm  Wasser  in  der  Sekunde. 

Obgleich  die  Kälte  im  Alai-Thal  nicht  unbedeutend  war,  hatte  doch 
das  Wasser  des  Kisil-su  eine  Temperatur  von  -+-  3,9°  und  der  Kara-su 
sogar  von  -+-  6,7  °.  Dieser  grolse  Unterschied  zeigt,  dafs  besonders  der 
letztere  von  warmen  Quellen  gespeist  wird,  welche  nach  den  Kirgisen  in 
der  That  nicht  weit  von  Daraut-Kurgan,  am  Fufs  der  Alai-Kette,  gelegen 
sein  sollen.  Auch  der  Hauptflufs  empfängt  viel  Quellenwasser  und 
gefriert  deshalb  von  Bordoba  aus  auch  während  kalter  Winter  nie. 
Oberhalb  Bordoba  sind  keine  solche  Quellen  gelegen,  und  dort  ge- 
friert deshalb  der  Flufs  sogar  während  des  Frühlings  und  während 
der  Sommernächte;  die  dünne  Eisdecke  schmilzt  jedoch  am  Tage. 
Im  Hochsommer  ist  der  Flufs  äufserst  wasserreich  und  während  ändert- 
halb  Monaten  bei  Daraut-Kurgan  gar  nicht  passierbar;  die  Verbin- 
dung zwischen  den  Aulen  des  rechten  und  linken  Ufers  ist  deshalb 
jedes  Jahr  für  eine  Zeit  unterbrochen.  Nachts  ist  die  Wasserraenge 
viel  gröfser  als  am  Tage;  das  Schmelz wasser  des  Schnees  von  den 
Gebirgsseiten  erreicht  erst  nachts  den  Hauptflufs;  doch  schon  um 
8 Uhr  nachmittags  fängt  er  an  zu  steigen,  um  6 Uhr  morgens  sinkt  er 
wieder  und  erreicht  gegen  8 Uhr  morgens  seinen  niedrigsten  Stand, 
um  dann  während  des  Tages  nicht  weiter  zu  sinken.  Bei  meinem  Be- 
such war  das  Wasser  kristallklar;  im  Sommer  wird  es  aber  von  Sand 
und  Lehm  im  Oberlauf  ziegelrot  gefärbt;  deshalb  der  Name  „Roter Flufs". 

Um  den  Kisil-su  mit  dem  Murgab  zu  vergleichen,  will  ich  einige 
Angaben  über  den  letztgenannten  machen.  Bei  der  russischen 
Festung,  und  zwar  wenig  unterhalb  der  Mündung  des  kleinen  Ak-baj- 
tal- Baches,  habe  ich  am  29.  März  den  Flufs  an  zwei  Stellen,  die 

1.5  Werst  von  einander  entfernt  lagen,  gemessen.  An  der  oberen 
Stelle  war  die  Breite  18  m,  die  Maximaltiefe  40  cm  und  die  Maximal- 
geschwindigkeit 134  cm,  im  Mittel  bzw.  33  und  m,  und  die  gefundene 
Wassermenge  6,6  cbm.  An  der  unteren  Stelle:  Breite  17,24  m,  Maxi- 
maltiefe 78  cm,  Maximalgeschwindigkeit  85  cm,  im  Mittel  bzw.  58  und 

71.5  und  die  Wassermenge  7,15  cbm  in  der  Sekunde.  Der  Unterschied 
der  beiden  Beobachtungen  ist  leicht  zu  erklären:  zwischen  den  beiden 
gemessenen  Punkten  und  zwischen  dem  Murgab  und  der  Festung  ist 
ein  ausgedehnter  Morast  gelegen,  welcher  im  Sommer  unter  Wasser 
steht,  im  Winter  aber,  wie  jetzt,  gefroren  ist.  In  diesem  Monat  treten 
eine  grofse  Menge  kleiner  Süfswasserquellen  zu  Tage,  deren  Wasser 
in  den  Murgab  zwischen  beiden  Punkten  ausmündet. 

Obgleich  die  Beobachtungen  am  Murgab  einen  ganzen  Monat 
später  ausgeführt  wurden,  geht  doch  aus  denselben  hervor,  dafs  der  Kisil-su 


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Physische  Geographie  <les  Hochlandes  von  Pamir. 


am 


ungefähr  viermal  so  grofs  ist  wie  der  Murgab.  Auch  dieser  schwillt  im 
Sommer  an  und  ist  an  mehreren  Stellen  unpassierbar.  Am  Ufer  des 
Murgab  haben  wir  bei  Pamirsky  Post  eine  graduierte  Teilungsstange 
im  Wasser  eingeschlagen,  an  welcher  Kapitän  Bankowsky  periodische 
Ablesungen  machen  wird;  im  Herbst  werde  ich  in  der  Lage  sein,  die 
Ergebnisse  mitzuteilen. 

Im  Oktober  und  November  sinkt  der  Murgab  zu  seinem  Minimum 
herab,  und  Mitte  December  fängt  er  an  teilweise  zu  gefrieren.  Unter- 
halb der  Festung  ist  der  Flufe  während  des  ganzen  Winters  aber  gar 
nicht  zugefroren.  Das  wenige  Eis  an  den  Ufern,  welches  unterhalb 
der  Festung  gebildet  war,  fand  ich  schon  am  5.  Februar  geschmolzen,  ob- 
gleich der  Flufs  bei  meiner  Anwesenheit  jede  Nacht  nur  noch  mit  einer 
dünnen  Eisschicht  bekleidet  wurde,  welche  aber  vormittags  ver- 
schwand. Oberhalb  der  Festung  lagen  gleichzeitig  stellenweise  an  den 
Ufern  schmale  Eisbänder,  besonders  an  dem  südlichen,  durch  Gebirge 
gegen  die  Mittagsonne  geschützten  Ufer.  Noch  im  März  lagen  hier 
solche  Eisbänder,  und  frühmorgens  schwammen  kleine  Eisschollen 
auf  der  Wasseroberfläche.  Am  12.  April  (n.  St)  hatte  das  Wasser  nach 
Bankowsky 's  Beobachtung  folgende  Teperaturen : um  7 Uhr  morgens 
— 0,3°,  um  1 Uhr  -1-5,2°,  um  9 Uhr  -I-30.  Anfang  April  fing  das 
Wasser  an  zu  steigen,  und  zwar  in  1 1 Tagen  um  6 cm. 

Der  Ak-bajtal-Bach  fing  am  21.  Februar  an  Wasser  zu  führen,  um 
bald  sein  Maximum  zu  erreichen;  im  Winter  führt  er  keinen  Tropfen. 
An  einigen  Stellen  ist  der  Bach  unterbrochen  und  scheint  hier  unter 
der  Erdoberfläche  zu  fliefsen,  um  wieder  weiter  unten  zu  Tage  zu 
treten.  Wahrscheinlich  verschwindet  das  Wasser  nur  oberflächlich 
unter  den  Verwitterungsprodukten,  die  stellenweise  sehr  reich  ange- 
häuft liegen. 

Die  obenerwähnten  Daten  über  die  Wassermenge  des  Kisil-su 
geben  zu  folgenden,  gewifs  unsicheren,  aber  jedenfalls  einleuchtenden 
Berechnungen  Veranlassung.  Der  Flufs  führte  Ende  Februar  27  cbm 
Wasser  in  der  Sekunde.  In  der  ersten  Hälfte  des  Winters  ist  die 
Wassermenge  gewifs  viel  kleiner,  im  Sommer  aber  ungleich  gröfser; 
da  aber  die  Hochwasserperiode  viel  kürzer  ist  als  die  Periode  des 
niedrigen  Wasserstandes,  wollen  wir  im  Mittel  für  das  ganze  Jahr 
25  cbm  Wasser  in  der  Sekunde  annehmen.  Das  giebt  1500  cbm  in 
der  Minute,  90000  in  der  Stunde,  2 160000  für  den  Tag  und  778400000 
für  das  Jahr.  Aus  den  Daten  über  die  Schneemenge  des  Alai-  Thaies,  die 
ich  auf  meiner  Reise  eingesammelt  habe,  darf  ich  annehmen,  dafs 
wenigstens  ein  halber  cbm  Schnee  für  ein  qm  Areal  des  ganzen  Alai- 
Thales  in  Form  von  Wasser  dem  Flufs  zu  Gute  kommt.  Mit  Sicher- 
heit, wie  ich  unten  auseinandersetzen  können  werde,  darf  man 
ZtiMchr.  d.  Gestllich.  f.  Erdk.  Kd,  XXIX.  22 


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320 


Sven  Hedin: 


annehmen,  dafs  in  der  That  für  das  ganze  Jahr  im  Mittel  wenigstens 
ein  cbm  Schnee  auf  jeden  qm  des  Alai-Gebietes  fällt,  wozu  noch 
die  Regen  der  wärmeren  Jahreszeit  kommen.  Wegen  der  grofsen 
Trockenheit  der  Luft  geht  aber  eine  grofse  Menge  durch  Verdunstung 
verloren,  ein  anderer  Teil  versiegt  im  Boden,  sagen  wir  also  wie 
oben,  dafs  nur  ein  halber  cbm  Schnee  den  Flufs  erreicht.  Geben 
wir  jetzt  dem  Alai-Thal , zwischen  den  Alai-  und  Transalai-Ketten, 
eine  Länge  von  höchstens  130  km  und  eine  mittlere  Breite  von  we- 
nigstens 40  km,  wobei  die  unteren  Abhänge  mitgerechnet  werden,  so 
bekommen  wir  ein  Areal  von  5200  km  oder  rund  5000  qkm  oder  5000 
Millionen  qm.  Dieses  Areal  liefert  also  2500  Millionen  cbm  Schnee 
oder  einen  Schneewürfei  von  1350  m Seitenlänge.  Durch  Versuche 
habe  ich  gefunden,  dafs,  wenn  der  frisch  gefallene  Alai-Schnee  ge- 
schmolzen wird,  genau  } des  Volumens  vom  Schmelzwasser  einge- 
nommen wird.  Für  das  Jahr  bekommen  wir  also  625  000  000  cbm 
Schmelzwasser,  das  den  Flufs  speist.  Der  Unterschied  der  beiden 
Resultate  kann  den  Regenniederschlägen  des  Sommers  zugeschrieben 
werden,  die  in  die  Rechnung  nicht  einbegriffen  werden  konnten.  Das 
Quellenwasser,  welches  unter  anderem  auch  vom  Kara-su  dem  Flufs 
zugeführt  wird,  stammt  natürlich  auch  ursprünglich  von  den  Nieder- 
schlägen in  den  Gebirgen  und  tritt  an  deren  Fufs  wieder  zu  Tage. 

Wie  fehlerhaft  immerhin  diese  Berechnungen  sein  mögen,  so  geht 
doch  aus  denselben  wenigstens  hervor,  wie  grofsartig  die  Wassermassen 
sind,  welche  die  Schneeniederschläge  im  Alai-Thal  jährlich  durch  den 
Kisil-su  dem  Amu-darya  zuführen.  Sie  zeigen  auch  die  Ursache  des 
grofsen  Unterschiedes  der  Wassermengen  des  Kisil-su  und  des  Murgab; 
denn  w'ährend  der  erste  ein  Gebiet  durchfliefst , welches  ungemein 
reich  an  Schneeniederschlägen  ist  und  auch  durch  Regen  in  den  Ge- 
birgen befeuchtet  wird,  strömt  der  letzgenannte  Flufs  durch  trockene 
Plateau-Gegenden,  die  an  Niederschlägen  beider  Art  ätifserst  arm  sind. 

ln  der  Nähe  des  Robat  (Seni)  von  Bordoba,  bei  dem  Eingang  zum 
Kisil-art-Thal,  liefs  ich  am  8.  März  meine  Kirgisen  ein  Profil 
durch  die  Schneedecke  und  den  Boden  ausgraben.  Das  Profil 
durch  den  Schnee  zeigte  sehr  deutlich  fünf  verschiedene  Schichten 
von  verschiedener  Festigkeit,  Härte  und  Farbe,  und  die  Grenzen 
zwischen  ihnen  waren  so  scharf  markiert,  als  ob  die  Schichten  lose 
aufeinander  dahingelegt  wären;  hier  konnte  ich  ohne  Widerstand  den 
Bleistift  hineinschieben,  was  in  den  Schneeschichten  selbst  nicht  der 
Fall  war.  Die  Kirgisen  sagten  mit  Recht,  dafs  das  Profil  fünf  ver- 
schiedene Schneeniederschlags-Perioden  des  Winters  darstellte. 

Auf  dem  Boden  befand  sich  zu  unterst  ein  Lager  von  1 cm  Dicke 
von  glashartem  Eis,  wahrscheinlich  durch  Schmelzwasser  aus  den  un- 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir.  32 1 

teren  Schneeschichten  gebildet.  Dann  folgten  von  unten  nach  oben: 
2i  cm  unreiner,  harter,  spröder  Schnee,  5 cm  mit  fast  denselben  Eigen- 
schaften, 7 cm  sehr  hart  und  nicht  ganz  rein,  15  cm  ziemlich  hart  und 
fast  rein,  und  endlich  43  cm  vollständig  reiner,  kürzlich  gefallener 
Schnee,  der  in  der  Konsistenz  viel  loser  als  die  unteren  Schichten,  aber 
doch  ziemlich  kompakt  war.  Der  Schnee  hatte  also  hier  eine  Mäch- 
tigkeit von  91  cm.  Da  die  unteren  Schichten  durch  das  Gewicht  der 
oberen  allmählich  zusammengebacken  werden,  und  da,  wie  auch  die 
Kirgisen  meinten,  die  unteren  Lagen  ursprünglich  ungefähr  dieselbe 
Mächtigkeit  gehabt  hatten  wie  die  obersten,  so  darf  man  annehmen, 
dafs  hier  während  des  Winters  gegen  2 m Schnee  gefallen  sind.  Die 
oben  erwähnte  Berechnung  für  das  ganze  Alai-Thal  ist  deshalb  gewifs 
nicht  übertrieben,  sondern  bringt  vielmehr  die  Minimalwerte. 

Als  die  Beobachtungen  bei  Bordaba  ausgeführt  wurden,  zeigte  das 
Thermometer  im  Schatten  — 13,6,  in  der  Sonne  — 11,5  (3  Uhr  nachm.). 
Um  1 1 Uhr  zeigte  das  Insolationsthermometer  46,6,  und  während  des 
Tages  schmolz  der  Schnee  auf  der  Oberfläche.  Durch  die  kräftige 
Insolation  wird  eine  grofse  Menge  Schnee  auch  während  des  Winters 
in  Wasser  verwandelt,  ein  Umstand,  der  die  grofse  Wassermenge  des 
Kisil-su,  auch  in  dieser  Jahreszeit,  erklärt. 

Dicht  unter  der  Schneeoberfläche  zeigte  das  Thermometer  — 120, 
3 cm  tief  aber  — 22,5,  woraus  hervorgeht,  dafs  die  Temperaturwechsel 
innerhalb  24  Stunden  sich  schon  auf  so  unbedeutender  Tiefe  kaum 
fühlbar  machen  (die  Minimaltemperatur  der  vorhergehenden  Nacht  war 
— 28,2°).  Dann  steigt  aber  die  Temperatur  allmählich  bis  zum  Boden, 
ist  in  43  cm  Tiefe  schon  — ri°,  in  58  cm  — 8°,  in  65  cm  — 7,8°,  in 
70  cm  — 5,7°,  und  in  91cm  oder  am  Boden  selbst  — 4,4°. 

7.  Gefrorener  Boden. 

An  derselben  Stelle  wurde  ein  61  cm  tiefer  Graben  im  Boden 
ausgehauen.  Der  Boden  bestand  aus  lehmiger  Erde  ohne  Beimengung 
von  Sand  oder  Steinen,  war  hart  wie  Eis,  wurde  aber  in  20  cm  Tiefe 
ein  wenig  mürbe,  so  dafs  die  Erdstückchen  zwischen  den  Fingern 
pulverisiert  werden  konnten.  In  27  cm  zeigte  das  Thermometer — 1,9°, 
in  41  cm  — 1,5°,  in  57  cm  — 1°  und  in  61  cm  — 0,9°.  Betrachtet  man 
die  drei  letzten  Zahlen  so  findet  man,  dafs  die  Temperatur 
mit  je  4 cm  Tiefe  um  0,1°  steigt.  Man  kann  also  voraussetzen,  dafs 
der  Boden  bis  zu  einer  Tiefe  von  wenigstens  1 m gefroren  ist.  Die 
Kirgisen  versicherten,  dafs  der  Boden  im  Sommer  nicht  gefroren  bleibt. 
Dies  mufs  aber  noch  durch  genaue  Beobachtung  bewiesen  werden; 
denn  einerseits  ist  freilich  die  Insolation  in  diesen  Gegenden  unerhört 
kräftig,  andererseits  aber  die  Temperatur  der  Nacht  auch  im  Sommer 

22* 


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322 


Sven  Hedin: 


niedrig,  fast  immer  unter  o°.  Eine  ähnliche  Beobachtung,  die  ich 
Anfang  April  an  der  russischen  Festung  bei  Murgab  ausftlhrte,  gab  für 
dieselbe  Tiefe  (61  cm)  — 0,15°;  hier  war  ein  7 cm  tiefes  Oberflächen- 
lager schon  jetzt  aufgetaut. 

8.  Exkursion  von  dem  Bulung-kul  nach  dem  Kleinen  Kara-kul, 
dem  Mus-tag-ata  und  dem  Przewalsky-Gletscher. 

Ich  habe  eben  das  Abhängigkeitsverhältnis  der  Wassermenge  des 
Kisil-su  und  des  Murgab  von  den  Niederschlägen  auf  den  Hochflächen 
und  Gebirgsländern  des  Pamir  besprochen.  Eine  andere  Naturer- 
scheinung verdankt  auch  dem  Schneeniederschlag  ihre  Existenz,  nämlich 
die  Gletscher. 

Aus  eigener  Erfahrung  kenne  ich  nur  einen  Gletscher,  nämlich 
den  Grofsen  Przewalsky-Gletscher  (so  von  Bogdanovitsch  genannt,  der 
im  Jahr  1889  diese  Gegend  besuchte),  auf  dem  westlichen  Abhang 
des  Mus-tag-ata  gelegen.  Obgleich  meine  Untersuchungen  durch  eine 
heftige  Iritis  unterbrochen  wurden,  welche  mich  zu  schleuniger  Rückreise 
nach  Kaschgar  zwang,  will  ich  doch  einige  vorläufige  Bemerkungen 
über  meine  Beobachtungen  niederlegen,  in  der  Hoffnung,  dieselben 
nach  einem  neuen  Besuch  ergänzen  zu  können. 

Ich  hatte  die  bestimmte  Absicht,  den  Versuch  zu  machen,  den 
Mus-tag-ata  bis  zum  Gipfel  zu  besteigen  (7630  m),  und  obgleich  die 
Kirgisen  mit  ihren  sehr  pikanten  Legenden  und  Erzählungen  immer 
behaupteten,  dies  sei  eine  vollkommene  Unmöglichkeit,  schlofs  ich 
doch,  seitdem  ich  den  Berg  aus  weiter  Entfernung  (von  Murgab  etwa 
1 10  Werst)  mit  scharfem  Fernrohr  und  aus  der  unmittelbaren  Nähe 
beobachtet  hatte,  dafs  die  Terrainverhältnisse  keine  unübersteigbaren 
Hindernisse  in  den  Weg  legen  würden.  Die  ersten  Untersuchungen 
und  Erkundungen  begannen  auch  unter  guten  Auspizien,  und  die 
Besteigung  wäre  vielleicht  gelungen,  wenn  ich  nicht  durch  die  oben- 
erwähnte Augenkrankheit  gezwungen  worden  wäre,  alle  Arbeiten  abzu- 
brechen. 

Mit  ausgewähllen  Leuten  und  Pferden  meiner  Karawane  machte 
ich  am  14.  und  15.  April  die  36  Werst  lange  Reise  vom  See  Bulung-kul 
nach  der  chinesischen  Festung  bei  Su-baschi,  südlich  vom  Kleinen 
Kara-ku).  Der  Bulung-kul,  der  in  zwei  getrennte  Becken  zerfällt,  war 
jetzt  eisfrei,  der  Bassik-kul  aber  noch  mit  porösem  Eis  bedeckt,  nur 
an  den  Ufern  war  offenes  Wasser  zu  sehen,  und  zwar  vollkommen 
rein  und  süfs.  Der  Kleine  Kara-kul,  ein  wunderschöner  Gebirgssee, 
dessen  krystallklares  Wasser  in  marineblauen  und  hellgrünen  Nuancen 
spielte,  war  nur  am  südlichen  Ufer  mit  dünnem  Eis  bekleidet.  Die 
Höhe  des  Bulung-kul  beträgt  nach  der  russischen  Karte  3292  m,  die 


Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


323 


des  Kleinen  Kara-kul  3750  m;  der  Höhenunterschied  ist  also  458  m. 
Der  Thalboden  steigt  zwischen  den  beiden  Seen  mit  12  m auf  1 km 
an.  Die  hiesigen  Teit-Kirgisen  nennen  den  See  einfach  Kara-kul;  von 
den  Kirgisen  des  russischen  Pamir  wird  er  Kitschik-kara-kul  (Kleiner 
Kara-kul)  genannt.  Der  Grofse  Kara-kul  wird  im  östlichen  Pamir  Arka- 
kara-kul  genannt  ( arka  bedeutet  Rückgrat);  einige  meinten,  der  Name 
sei  deshalb  gegeben  weil  er  auf  dem  Rücken  des  Pamir  gelegen  sei; 
andere,  weil  er  auf  der  anderen  Seite  des  Rückgrats  Sarik-kol  liege; 
wieder  andere,  weil  er  sich  auf  der  „hinteren  Seite"  befinde. 

Der  sanft  und  allmählich  steigende  Thalboden  war  bis  hierher 
mit  Verwitterungsprodukten  und  Alluvium  bedeckt;  am  westlichen  Ufer 
des  Kleinen  Kara-kul  tritt  aber  der  nackte  Fels  (hellgrüne  Schiefer, 
50 — 59°  NO  Fallwinkel)  zu  Tage,  und  an  dessen  Fufs  brechen  mehrere 
klare  Quellen  hervor.  Südlich  vom  See  breitet  sich  eine  ziemlich 
weite  Steppe  aus,  die  allmählich  in  das  Thal  des  Kara-kul-darya  über- 
geht, welches  sich  in  südwestlicher  Richtung  bis  zum  Pafs  Ulug-rabat 
erstreckt. 

Am  17.  April  brach  ich  von  Su-baschi  mit  einer  auserlesenen 
Karawane,  aus  einem  Tartaren,  einem  Sarten,  sieben  Kirgisen  und  elf 
Yak-Ochsen  bestehend,  in  südöstlicher  und  südlicher  Richtung  auf. 
Unser  Weg,  östlich  von  dem  genannten  Thal,  führte  über  zwei  ziemlich 
markierte  Kämme  des  unteren  Mus-tag-ata  (Tafel  12).  Zwischen  ihnen  liegt 
eine  wenig  tiefe  Thalrinne,  welche  von  Quellenwasser  und  Schmelzwasser 
eines  kleinen  Hängegletschers  durchflossen  wird.  Rechts  sehen  wir 
die  Thalsenkung  Jam-bulak,  welche  bis  in  die  Nähe  des  Przewalsky- 
Gletschers  hinauflührt  und  dort  Jam-bulak-baschi  genannt  wird.  Hier 
wurde  ein  Depot  mit  Jurte  aufgeschlagen,  in  einer  absoluten  Höhe 
von  4570  m1). 

Überall  sind  die  Abhänge  mit  Detritusmassen  bedeckt,  und 
nirgends  war  nackter  Fels  zu  beobachten.  Die  Verwitterungsprodukte 
bestehen  aus  Sand,  Kies  und  Blöcken  von  allen  Gröfsen  bis  zu  sehr 
bedeutenden.  Nichts  als  Gneifs  war  zu  entdecken,  und  zwar  von  allen 
Farben,  Strukturen  und  Korngröfsen.  Einige  Abänderungen  waren 
sehr  grobkörnig,  andere  feinkörnig,  einige  von  flaseriger  Textur,  andere 
wieder  zeigten  vorzüglich  die  Eigenschaften  des  Augengneifs;  weifee 
und  rote  Färbungen  waren  vorherrschend. 

Vom  Lagerplatz  hatten  wir  eine  weite  und  schöne  Aussicht:  im 
Norden  und  Nordnordosten  sehen  wir  die  gigantische,  sich  gegen 


')  Diese  Zahl  ist  nur  vorläufig  aus  den  von  Herrn  Hedin  übersandten  Beob- 
achtungselementen (Aneroid  und  Kochthermometer | von  Herrn  Otto  Baschin 
freundlichst  berechnet  worden. 


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T24 


Sven  Hedin: 


NNW  und  NW  umbiegende  Kette,  deren  Kulminationspunkt  der  Mus- 
tag-ata  ist;  im  Nordwesten,  Westen  und  Sild westen  die  östlichen  Ab- 
hänge des  Sarik-kol,  während  uns  ein  blendend  weifser  Schneerand 
die  Lage  des  Hauptkammes  bezeichnet.  Zwischen  den  beiden  gewaltigen 
Ketten  erstreckt  sich  das  Sarik-kol-Thal  vom  Ulug-rabat  nordöstlich 
nach  dem  Kleinen  Kara-kul  und  dann  nordnordwestlich  nach  dem 
Bulung-kul,  auf  dessen  anderer  Seite  die  nördliche  Fortsetzung  der 
Mus-tag-Kette  auftaucht.  Tief  unter  uns  erblicken  wir  den  Kleinen 
Kara-kul  und  den  Bassik-kul  wie  auf  einer  Karte  ausgebreitet,  und 
weit  im  Nordnordwesten  erscheinen  der  Bulung-kul  und  das  tief  ein- 
geschnittene Ges -Thal  zwischen  dem  Ak-tau  und  dem  Tschacker-agil. 
Im  Osten  und  Süden  wird  die  Aussicht  durch  die  Abhänge  des  Mus- 
tag-ata  verschlossen;  gerade  nach  Süden  steigt  die  Jam-bulak-baschi- 
Schlucht  bis  in  die  unmittelbare  Nähe  des  Przewalsky-Gletschers  empor, 
dessen  nördlicher,  rechter  Rand  hervorglänzt. 

Bogdanovitsch,  der  eine  eingehende  und  klare  Beschreibung  des 
geologischen  Verhältnisses  des  Mus-tag-ata  zum  Kwen-lun  einerseits 
und  zum  Pamir  und  Tien-schan  andererseits  geliefert  hat1),  unter- 
scheidet den  eigentlichen  Mus-tag-ata,  südlich  des  Kleinen  Kara-kul, 
und  den  nördlichen  Pik  Mus-tag-ata,  nordöstlich  von  dem  See. 
Zwischen  beiden  führt  der  Kara-tasch-davan  von  Ost-Turkestan  zum 
Thal  des  Kara-kul.  Die  Kirgisen  kennen  aber  nur  einen  Mus-tag- 
ata,  nämlich  den  südlichen  höchsten  Gipfel;  der  nördliche  wurde  mir 
Ak-tau  genannt.  Die  ganze  Kette  wird  von  den  Kirgisen  Mus-tag  ge- 
nannt, d.  h.  „die  Eisberge",  unter  welchen  der  Mus-tag-ata  der  „Vater 
der  Eisberge“  ist.  Der  Name  ist  sehr  bezeichnend;  denn  auf  dieser 
ganzen  Kette  sind  Firnfelder  und  Gletscherbildungen  verbreitet,  und 
dieselben  erreichen  ihre  höchste  Entwickelung  auf  dem  Mus-tag-ata. 
Der  Namen  „Tagarma“  für  dieseii  Berg  wird  an  Ort  und  Stelle  nie  ge- 
braucht. Der  Teil  des  Sarik-kol-Thales,  der  zwischen  dem  Dort 
Tagarma  und  der  Festung  Tasch-kurgan  gelegen  ist,  wird  dagegen 
Tagarma-Thal  genannt. 

Das  Gneifsmassiv  des  Mus-tag-ata  wird,  wie  auch  aus  dem  Profil 
Bogdanovitsch’s  sehr  deutlich  hervorgeht,  von  zwei  grofsartigen  Ver- 
werfungen durchsetzt,  wodurch  der  Berg  in  drei  Teile  zerfällt.  Das 
schematisch  gezeichnete  Profil  von  Bogdanovitsch  zeigt  drei  sehr  spitze 
Gipfel,  welche  durch  die  Gletscherketten,  die  oben  die  Dislokations- 
schluchten einnehmen,  getrennt  sind,  und  von  denen  der  dem  Tagarma- 
Thal  am  nächsten  gelegene  der  niedrigste,  der  dem  Ike-bel-su  am 
nächsten  gelegene  der  höchste  ist. 

1 ) Trudi  etc.  Siehe  hierüber  auch  Wegener:  „Das  Kwen-lun-Gebirgc“. 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


325 


In  der  That  hat  das  Mus-tag-ata-Massiv  die  Form  einer  flachen 
Kuppel,  die  durch  die  Dislokationsschluchten  in  drei  Teile  zerfallt, 
von  denen  der  mittlere  Gipfel,  wie  man  von  Murgab  sehr  schön  und 
deutlich  wahrnehmen  kann,  der  höchste  ist,  eine  Ansicht,  die  auch 
von  den  Kirgisen  gehegt  wurde.  Aus  eigener  Erfahrung  kenne  ich 
nur  die  nördliche  Verwerfung,  in  deren  Schlucht  der  Przewalsky- 
Gletscher  hinunterströmt.  Doch  bin  ich  der  Ansicht,  dafs  dieselbe 
nicht  eine  einfache  Verwerfung,  sondern  vielmehr  eine  Grabenversenkung 
ist.  Auf  der  Oberfläche  des  eingesunkenen  Teils  des  Gebirgsmassivs 
strömt  jetzt  der  Gletscher,  der  oberhalb  seines  Austritts  aus  dem  von 
Felsen  eingeschlossenen  Bett  eine  Breite  von  ungefähr  500  bis  600  m 
hat.  Bogdanovitsch  giebt  dem  Przewalsky-Gletscher  eine  SO— NW- 
Richtung;  dieselbe  ist  aber,  wenigstens  in  der  unteren  Hälfte,  fast 
genau  O — VV. 

Am  18.  verliefs  ich  mit  meinen  Begleitern  und  drei  Yaks  (da  die 
Kirgisen  jetzt  zu  Fufs  gingen)  früh  morgens  das  Depot  und  stieg  in 
südöstlicher  und  dann  östlicher  Richtung  empor;  wir  legten  in  gerader 
I.inie  4,5  km  zurück,  in  der  That  aber  wenigstens  doppelt  so  viel; 
die  Yaks  gingen  mit  bewunderungswürdiger  Sicherheit  auf  den  äufserst 
steilen  Abhängen  (23  bis  270),  die  überall  mit  Detritus  bedeckt  waren. 
Die  Schneemenge  war  noch  sehr  unbedeutend,  und  nach  vier  Stunden 
gelangten  wir  ohne  besondere  Schwierigkeit  zu  einer  Höhe  von  5500  m.1) 
Das  Wasser  kochte  hier  bei  82,54',  fast  genau  derselben  Temperatur, 
die  ich  im  Jahr  1890  auf  dem  Gipfel  des  Demavend  (ungefähr  5500  m) 
gefunden  hatte  (82,5°).  Hier  wurden  wir  zwei  Stunden  durch  einen 
heftigen  südlichen  Schnee-Buran  aufgehalten,  der  jeden  Fortschritt 
unmöglich  machte;  als  er  nachmittags  schwächer  wurde,  stiegen  wir 
noch  ungefähr  100  m höher,  fanden  aber,  dafs  das  Vorrücken  wegen 
des  neugefallenen  Schnees  sehr  schwierig  und  mühsam  war,  und  kehrten 
deshalb  zum  Depot  zurück. 

Wir  waren  auf  dem  Kamm  gewandert,  welcher  die  Grabenversenkung 
im  Norden  begleitet.  An  dem  höchsten  Punkt,  den  wir  erreichten, 
fand  ich  endlich  scharf  am  Rand  gegen  das  Gletscherbett  festen  Fels, 
und  zwar  harten,  ausgezeichnet  schiefrigen,  stellenweise  fast  silber- 
glänzenden Glimmerschiefer  mit  Fallrichtung  nach  15°  N,  und  ein 
wenig  tiefer  hellgrünen,  an  der  Oberfläche  stark  verwitterten,  ebenso 
geprefsten  Schiefer  mit  wilden  Falten  und  im  allgemeinen  3 bis  50 
nördlicher  Fallrichtung.  Die  Detritusprodukte  der  Abhänge  bestanden 
hier  vorzugsweise  aus  Glimmerschiefer  und  verschiedenen  grünen 
Schiefem,  weniger  zahlreich  war  Gneifs;  nur  einmal  fand  ich  ein 

*)  Siehe  Anmerkung  auf  S.  323. 


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32(i 


Sven  Hedin: 


Stückchen  schwarzen  Porphyrs  mit  weifsen  Krystallen.  Gneifs  oder 
Granit  war  hier  nirgends  fest  anstehend  zu  finden. 

Der  höchste  Punkt,  den  wir  erreichten,  befand  sich  fast  gerade 
südlich  des  Kleinen  Kara-kul  und  südöstlich  von  Su-baschi.  Wenn  man 
von  hier  aus  den  mittleren,  gerade  südlich  gelegenen  Kamm  betrachtet, 
so  findet  man,  dafs  er  sich  nach  oben  immer  flacher  wölbt,  so  dafs 
die  Fallwinkel  von  unten  nach  oben  immer  kleiner  werden:  27°,  23“, 
2i°,  so  weit  ich  durch  die  Schneewolken  beobachten  konnte.  Dieses 
mittlere,  höchste  Gewölbe  ist  mit  einer  10  bis  20  m mächtigen  Eisdecke 
bekleidet,  die  dasselbe  wie  die  Vergoldung  einer  Moscheenkuppel 
bedeckt.  Sie  ist  selbst  von  mächtigen  Firnschneemassen  überlagert 
und  wird  nach  unten  allmählich  immer  dünner.  Nur  hier  an  der 
Dislokationschlucht  sind  diese  Verhältnisse  sehr  deutlich  im  Profil,  von 
dem  gegenüberliegenden  nördlichen  Kamm  aus,  zu  beobachten.  Auf 
diesem  lagen  noch  unbedeutende  unzusammenhängende  Schneemassen ; 
erst  höher  hinauf  konnten  wir  ununterbrochene  Schnee-  und  Eisfelder 
wahrnehmen.  (Abbild,  1.) 


Abbild.  1. 


Schematischer  Querschnitt  durch  die  Gleucherpassagen  des  Mus-tag-ata 
von  N nach  S. 


Von  der  unteren  Gletscherzunge  aus  sieht  man  gegen  Osten  in 
den  höheren  Regionen  zwischen  den  beiden  Kämmen  eine  weite 
muldenförmige  Einsenkung,  deren  Firnschnee  den  Gletscher  speist. 
Dieser  findet  dann  einen  natürlichen  Auslauf  zwischen  den  beiden 
vertikalen  Wänden  der  Grabenversenkung  und  hatte  an  unserem 
höchsten  Punkt,  wie  erwähnt,  eine  Breite  von  500  bis  600m.  Die 
Entfernungen  und  relativen  Höhen  sind  im  Hochgebirge  schwer  zu 
schätzen,  und  man  irrt  leicht,  indem  man,  wie  ich  wenigstens  hier 
fand,  dieselben  zu  klein  zu  schätzen  bestrebt  ist.  Die  Breite  der 
Grabenversenkung  ist  vielleicht  noch  bedeutender  als  die  obenerwähnte 
Zahl.  Die  Höhe  der  südlichen,  linken  Wand  vom  Kamm  bis  zur 
Oberfläche  des  Gletschers  schätzte  ich  zu  500  m,  und  die  der  nörd- 
lichen, rechten  Wand  zu  weniger  als  400  m. 

Ein  Längsschnitt  zeigt  drei  steilere  Stellen  des  Unterlaufes  (Abbild.  2), 
die  sich  auch  durch  die  hier  vorherrschenden  und  die  T.ängsspalten 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir.  3'J7 

kreuzenden,  breiten,  tiefen , gegen  unten  halbmondförmig  gekrümmten 
Querrisse  verraten;  diese  sind  nur  hier  und  da  mit  Schneebrücken 
versehen,  im  Oberlauf  ist  dagegen  der  Gletscher  fast  überall  tiber- 
schneit. Wo  der  Gletscher  aus  der  Felsenpforte  austritt,  breitet  er 
sich  zu  doppelter  und  dreifacher  Breite  aus  und  wird  immer  dünner; 
noch  weiter  unten  wird  die  Gletscherzunge  immer  spitzer,  um  endlich 
zu  verschwinden. 


Abbild,  i. 


Längsschnitt  im  Unterlauf  des  Przewalsky-Gletschcrt,  drei  Anschwellungen  des 
Bodens  zeigend;  von  O nach  W. 


Während  der  Besteigung  des  nördlichen  Rückens  konnte  ich  fast 
den  ganzen  Gletscher  verfolgen.  Der  grofsartige  Anblick  und  die 
phantastischen  Landschaftsbilder,  die  sich  hier  nach  allen  Richtungen 
darboten,  spotten  jeder  Beschreibung.  Unterhalb  der  Gletscherzunge 
ist  der  Boden  stahlgrau  gefärbt,  was  teils  vom  zurückgebliebenen 
Schleifmaterial  des  jetzt  verlassenen  Untergrundes  herrührt,  teils,  und 
zwar  weiter  unten,  vom  Schlamm,  welcher,  vom  Gletscherbach  trans- 


Abbild.  3. 


Scitenmorane  Ufernioräne 


Gletscher  Eis 


Durchschnitt  durch  den  Prrewalsky- 
Gletscher  am  Austritt  aus  der  Felsen* 


Passage ; von  S nach  N.  Grundmorioe 


portiert,  sich  hier  wieder  abgesetzt  hat.  Aufserordentlich  deutlich  war 
von  hier  aus  auch  eine  alte,  halbkreisförmige  Grund-  und  Endmoräne 
wahrzunehmen,  auf  welcher  eine  Abzweigung  der  Gletscherzunge  früher 
gestanden  zu  haben  schien.  (Abbild.  3.) 

Auf  dem  ganzen  unteren  Teil  des  nördlichen  Kammes  giebt  es 
keine  Möglichkeit,  nach  dem  Gletscher  hinabzusteigen,  da  die  Fels- 


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Sven  Hedin: 


328 

wand  fast  überall  ganz  senkrecht  ist.  Auch  wenn  das  Hinuntersteigen 
möglich  wäre,  würde  man  auf  dem  Gletscher  nicht  weit  vorwärts 
gehen  können;  denn  derselbe  besteht  hier  aus  einem  Gewirr  von 
bizarren,  wilden  Eispyramiden,  die  durch  breite,  tiefe  Spalten  getrennt 
werden. 

Am  19.  April  war  das  Wetter  so  ungünstig,  dafs  an  eine  neue 
Besteigung  gar  nicht  zu  denken  war.  Früh  morgens  war  der  Himmel 
fast  klar;  aber  es  wehte  ein  äufserst  heftiger  Südwind,  wogegen  in  den 
höheren  Luftschichten  Westwind  herrschte,  wie  es  der  schnelle  Lauf 
der  Cirruswolken  gegen  Osten  zeigte.  Bald  ging  aber  der  Wind  in 
einen  Schnee-Buran  über,  und  erst  gegen  5 Uhr  abends  wurde  der 
Himmel  wieder  klar,  so  dafs  ich  einige  Photographien  nehmen  konnte. 
Der  Tag  wurde  jedoch  zu  einer  Exkursion  um  die  unterste  Gletscher- 
zunge herum  verwendet. 

Wir  folgten  der  Jam-bulak-baschi-Schlucht  bis  zum  Gletscherrand 
hinauf.  Die  Ufermoräne  hat  hier  eine  Mächtigkeit  von  wenigstens 
50  m und  besteht  aus  Trümmern  aller  Gröfsen,  von  Sand  bis  zu  mittel- 

grofsen  Blöcken,  ein  Material,  das  im 
Lauf  der  Zeit  in  reichlicher  Menge  von 
der  nördlichen  Felswand  geliefert  worden 
ist.  Ich  fand  hier  vorzugsweise  denselben 
Glimmerschiefer  und  die  grünen  Schiefer, 
die  ich  tags  vorher  gesehen  hatte;  auch 
Gneifs  war  sehr  allgemein.  Die  rechte, 
vom  Gletscher  getragene  Seitenmoräne 
war  80  m breit,  von  bis  xo  m tiefen,  teil- 
weise mit  Trümmern  gefüllten  Quer- 
spalten, oder  aufragenden,  jedoch  ver- 
hältnismäfsig  niedrigen  Eispyramiden 
unterbrochen,  hatte  aber  eine  ziemlich 
unbedeutende  Mächtigkeit,  die  selten  ein 
paar  Meter  überstieg. 

Wir  gingen  auf  dem  Gletscher  in 
OSO -Richtung  und  begegneten  oft  klei- 
nen unregelmäfsigen  Spalten,  die  mit 
Hülfe  von  Seilen  und  Alpenstöcken 
(die  ich  in  I’amirsky  Post  hatte  an- 
fertigen lassen)  überschritten  werden 
mufsten.  Nach  320  m Wanderung  kamen  wir  zu  wilderen  Teilen, 
wo  tiefe  Querspalten  und  hochaufragcnde  Eispyramiden  jedes  Weiter- 
schreiten verhinderten.  Eine  solche  Pyramide  war  zwischen  zwei  Spalten 
gelegen  und  unmöglich  zu  passieren.  Die  Kirgisen  glaubten,  wir 


Abbild.  4. 


Durchschnitt  durch  rwei 
Querspalten  im  Unterlauf 
d.  Prrcwalsky -Gletschers. 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


3-29 


hätten  wenigstens  ein  Viertel,  höchstens  ein  Drittel  der  ganzen 
Breite  zurückgelegt;  die  Eispyramiden  verbargen  aber  die  Aussicht 
gegen  Süden  über  die  Oberfläche  des  Gletschers.  Hier  machten  wir 
also  zwischen  den  beiden  Spalten  eine  Stunde  Halt.  (Abbild.  4.)  Die 
untere  Spalte  war  18  m tief  und  hatte  oben  eine  Breite  von  6m; 
die  obere  war  15,7  tief  und  oben  1,5m  breit;  beide  wurden  nach 
unten  immer  schmäler;  der  unterste  Teil  war  aber  nicht  sichtbar. 
Da  die  Eispyramiden  rings  umher  eine  Höhe  von  gegen  20  m hatten, 
so  ist  die  Mächtigkeit  des  Eises  hier  wenigstens  40  m,  vorausgesetzt, 
dafs  der  sichtbare  Teil  der  Spalten  bis  zum  Boden  reichte,  welches 
nicht  anzunehmen  ist.  In  dem  höheren,  von  Felswänden  eingeengten 
Teil,  wo  der  Eisstrom  viel  schmäler  und  zusammengedrängt  ist,  ist 
die  Tiefe  wahrscheinlich  zwei-  bis  dreimal  so  grofs.  Bogdanovitsch 
berechnet  die  Mächtigkeit  des  Gletschers  zu  nur  20  m. 

An  unserem  Beobachtungspunkt  war  eine  sehr  wenig  entwickelte 
Mittelmoräne  vorhanden,  deren  wenige  Trümmer  hier  und  da  in  gegen 
unten  gekrümmten  Halbmonden  auf  den  Eiskämmen-  zwischen  den 
Spalten  zerstreut  lagen.  Ob  dies  in  der  That  eine  echte  Mittelmoräne 
ist,  konnte  ich  nicht  entscheiden;  vielleicht  sind  diese  Trümmer  ein- 
fach die  letzten  Ausläufer  der  Seitenmoräne.  Es  ist  aber  auch  sehr 
leicht  möglich,  dafs  der  Hauptgletscher  in  den  höheren  Regionen 
einen  kleineren  Nebengletscher  aufnimmt. 

Auf  der  Mittelmoräne  wirkt  die  Ablation  so,  dafs  die  meisten 
zerstreut  und  isoliert  liegenden  Trümmerblöcke  zur  Hälfte  im  Eis 
festgefroren  und  eingesunken  sind  und  nur  mit  Äxten  losgehauen 
werden  konnten;  die  Seitenmoränc  schützt  dagegen  das  unterliegende 
Eis  gegen  die  Ablation,  und  die  Oberfläche  des  Gletschers  ist  deshalb 
hier  konkav.  Der  Fallwinkcl  der  Seitenmoräne  gegen  den  Gletscher 
beträgt  im  allgemeinen  130;  die  Oberfläche  des  Gletschers  selbst 
hat  in  diesem  Teil  des  Laufes  12°  Gefalle.  Die  Höhe  betrug  hier 
4740  m1). 

In  einer  Höhe  von  4620  m1)  passierten  wir  die  alte  Endmoräne,  die 
wir  von  oben  gesehen  hatten;  ihre  Oberfläche  bestand  aus  halbkreis- 
förmig gruppierten  Partien  von  allerlei  Trümmern,  zwischen  denen 
sich  andere  Partien,  aus  grasbewachsener  Erde  und  Sand  bestehend, 
ausbreiteten;  der  thalwärts  gerichtete  Abhang  hatte  den  äufserst  steilen 
Fallwinkel  von  38°  bis  39 °. 

Die  Spitze  der  Gletscherzunge  hat  eine  Breite  von  160  m mit  fast 
vertikalen  Wänden  und  eine  Mächtigkeit  von  gegen  25  m.  Das  Glet- 
scherende verdünnt  sich  nicht  allmählich,  sondern  ist  wie  mit  einem 


'j  Siehe  Anmerkung  auf  S.  323. 


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3:50 


Sven  H edin : 


Messer  abgeschnitten;  nur  einige  Eisblöcke  waren  am  Stirnrand  hin- 
unter gefallen.  Die  absolute  Höhe  beträgt  hier  4300  m*)s). 

Die  Gletscherzunge  scheint  wie  auf  einer  Terrasse  gelegen  zu  sein; 
nur  die  Ränder  sind  sichtbar,  die  Oberfläche  nicht.  Kein  Gletscher- 
thor hatte  sich  gebildet,  doch  quollen  zwei  ganz  kleine  Bäche  mit  trübem 
Schmelzwasser  an  den  beiden  Ecken  des  Stirnrandes  hervor.  Tiefer 
unten  waren  die  sanften  Abhänge  mit  stahlgrauen  Bändern  gezeichnet. 

Die  letzte  Endmoräne  der  Gletscherzunge  habe  ich  nicht  aufsuchen 
können,  weil  ich  die  Untersuchungen  abbrechen  mufste.  Unterhalb 
der  Gletscherzunge  ist  das  Gelände  sehr  eben  und  mit  Schleifschlamm 
und  Sand  bestreut.  Blöcke  waren  hier  sehr  selten.  (Tafel  9 — 11.) 

Die  Länge  des  Gletschers  beträgt  nach  Bogdanovitsch  5 — 6 Werst 
Nach  meiner  topographischen  Aufnahme  hat  die  ganze  untere  Gletscher- 
zunge, d.  h.  vom  Austritt  aus  der  Felsenpforte  an,  3,4  km  Länge;  aufser- 
dem  hat  der  eigentliche  Gletscher  eine  Länge  von  gegen  6 km,  und 
dazu  kommt  noch  der  obere  Teil  mit  der  Firnmulde,  die  wahrschein- 
lich ziemlich  ausgedehnt  ist. 

Am  Stirnrand  der  Gletscherzunge  waren  keine  Spuren  von  be- 
ginnender Bildung  einer  neuen  Endmoräne,  die  beweisen  könnte,  der 
Gletscher  sei  stationär  oder  im  Vorrücken  begriffen;  der  Boden  war 
vielmehr  mit  feinem  Schleifmaterial  bedeckt.  Alles  zeigte,  dafs  der 
Gletscher  in  einer  Periode  des  Rückganges  begriffen  sei,  wie  auch 
Bogdanovitsch  1889  für  sämtliche  von  ihm  besuchte  Gletscher  ge- 
funden hat. 

Die  fliefsende  Bewegung  des  Przewalsky-Gletschers  scheint  äufserst 
gering  zu  sein;  doch  liegen  keine  zahlenmäfsigen  Beobachtungen  vor. 
Ich  habe  an  den  beiden  gröfsten  Gletschern  Stangen  einschlagen 
lassen  und  werde  hoffentlich  bald  Gelegenheit  bekommen,  die  Ver- 
änderung ihrer  Lage  zu  untersuchen. 

Bogdanovitsch  verlegt  die  Schneegrenze  am  NO-Abhang  des  Mus- 
tag-ata  auf  eine  Höhe  von  r6000'  (4870m),  und  das  Central-Firngebiet, 
wovon  sechs  Gletscher  ihren  Anfang  nehmen,  zu  19000'  (5790  m). 

Der  südlich  vom  Przewalski-Gletscher  gelegene  Gletscher,  dessen 
Felsenpassage  ich  nur  aus  der  Ferne  gesehen  habe,  scheint  unter 
genau  denselben  physisch -geographischen  Bedingungen  gebildet  zu 
sein  wie  der  Przewalsky-Gletscher. 

Die  Mitteilungen,  die  ich  über  den  Mus-tag-ata  gegeben  habe, 
dürfen  nur  als  vorläufige  Ergebnisse  einer  ersten  Erkundung  be- 
trachtet werden  und  werden  hoffentlich  später,  und  zwar  in  günstigerer 
Jahreszeit,  vervollständigt  werden. 

*)  Siehe  Anmerkung  auf  S.  315. 

1 ) Nach  Bogdanovitsch  ist  die  Höhe  13000'  (3960  m). 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir.  33  1 


Itinerar  meiner  Reise  von  Margelan  nach  Kaschgar1). 


Datum 

1894 

Lagerplätze 

Entfernung 

in 

Werst 

Februar  < 

32 

Neu  Margelan. 

23 

Utsch-kurgan  (Kischlak) 

35 

*3  | 

Austan  (Kischlak,  Aul) 

23 

*4 

Ruhetag. 

*5 

Langar  (Thalweitung) 

40 

26 

Robat  (am  Eingang  zum  Tengis-baj) 

26 

*7 

Schiman-Schlucht  | 

24 

28 

Daraut-kurgan  (Aul)  1 

März 

1 

Ruhetag. 

2 

Gundi  (Aul  nahe  am  Kisil-ungur) 

22 

3 1 

Kachka-su  (Aul  am  Bach  Ka-su) 

26 

4 

Djipptick  (Aul  am  Bach  Djipptik) 

25 

5 

Ruhetag. 

6 

Urtag  (Gegend  am  1.  Ufer  des  Kisil-su)  .... 

20 

7 

Bordoba  (Robat  am  Eingang  zum  Kisil-art) . . . 

27 

8 

Ruhetag. 

9 

Kok-saj  (Bach) 

27 

IO 

Kara-kul  (nördl.  Seraj) 

25 

II  U.  12 

(Peilungen  auf  dem  Kara-kul;  etwa  50  Werst  nach 
Aghtam);  vom  nördlichen  zum  südlichen  Seraj 

(Robat)  des  Kara-kul 

| 20 

13 

Ruhetag. 

»4 

Mus-kol  (Bach  in  der  Gegend  des  Souk  Tschubi) 

*7 

»5 

| Mus-kol  (Quelle  am  Ak-bajtal) 

18 

l6 

Kornei-tarti  (Robat  No.  1) 

23 

17 

Togolak-matik  (Aul) 

25 

18 

Pamirsky  Post  (Fort  am  Murgab).  (t8.  März  bis 
7.  April  Aufenthalt  in  Pamirsky  Post.) 

26 

Die  Entfernungen  bis  nach  Pamirsky  Post  sind  nach  einer  Marschroute,  die 
mir  der  Gouverneur  von  Fergana  freundlich  gegeben  hat,  dann  nach  meinen  topo- 
graphischen Routenaufnahmen  berechnet.  Die  Angaben  zeigen  die  nötige  Zeit  für  eine 
schwere  Karawane  (im  Winter);  die  Postdschigniten  reiten  in  io  Tagen  von  Mar- 
gelan nach  Pamirsky  Post,  wechseln  aber  an  einigen  Punkten  des  Weges;  im  Winter 
brauchen  sie  11  Tage.  (S.  auch  „Verhdlgen."  1894,  S.  219.) 


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332 


Sven  Hcdin: 


Datum  1 

1894 

Lagerplätze 

Entfern. 

in 

Werst 

April 

7 

Von  Murgab  nach  Schor-kul  — Rang-kul  . . . . 

26 

8 

Fort  Rang-kul 

14 

9—IO 

Ruhe  in  Fort  Rang-kul. 

II 

Kara-turuck 

3° 

I 2 

Tschuggataj-Aul 

J5 

13 

Bulung-kul  Aul 

12 

14 

Jerri 

J3 

«5 

Su-baschi 

13 

l6 

Ruhe  in  Su-baschi. 

*7 

Jam-bulak-baschi 

8 

18 

Mus-tag-ata 

4.5 

und  zurück  nach  Jam-bulak-baschi 

4.5 

19 

, Exkursion  an  die  Zunge  des  Przewalsky-Gletschers 

IO 

20 

| Rückweg  nach  Su-baschi 

! 8 

20—25 

Aufenthalt  in  Su-baschi  wegen  Augenkrankheit. 

25 

j Rückweg  nach  Bulung-kul  ...  - 

36 

26 

Aufenthalt  bei  Bulung-kul. 

27 

Utsch-kopa 

34 

28 

Köuruk-karaol 

36 

29 

20 

3° 

Terun 

26 

Mai 

1 

Kaschgar 

45 

Die  Entfernung  von  Margelan  nach  Murgab  beträgt  somit  459  Werst, 
und  von  dort  nach  Kaschgar  268,  wobei  der  Abstecher  nach  Mus-tag 
u.  s.  w.  nicht  eingerechnet  wird.  Die  Russen  berechnen  die  Entfernung 
von  Murgab  nach  Kaschgar  zu  275  Werst,  wobei  aber  der  ein  wenig 
längere  Weg  von  Rang-kul  über  den  Ak-berdi-Pafs  nach  Bulung-kul 
angenommen  wird.  — Auf  meinen  Kartenskizzen  (Tafel  8 u.  11)  stimmen 
die  Entfernungen  nicht  überall  mit  dem  obigen,  weil  der  Weg  hie  und 
da  in  Zickzacklinien  verläuft,  die  auf  der  Karte  nicht  wiedergegeben 
werden  konnten.  Die  geographische  Lage  der  beiden  Endpunkte  de: 
Karte:  Rang-kul  und  Berg  Jerma  ist  schon  von  Oberst  Salesskij  be- 
stimmt worden,  und  zwischen  ihnen  habe  ich  meine  Marschroute  ein- 
gelegt. 


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Physische  GeogTaphie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


333 


Namenverzeichnis.  *) 

Ak-bajtal2)  „Weifse  Stute",  Pafs  südlich  des  Grofsen  Kara-kul. 

Ak-su  „Weifses  Wasser",  Oberlauf  des  Murgab. 

Ak-tasch  „Weifser  Stein",  kirgisisches  Aul  am  Ak-su. 

Ak-tau  „Weifser  Berg",  Gipfel  der  Mus-tag-Kette,  südlich  von  Ges. 

Alai  „Bunt",  wahrscheinlich  wegen  der  verschiedenen  Farbenschattierun- 
gen der  Grasvegetation,  der  gelben  Erde,  des  Lehms,  des  roten  Flusses 
und  der  weifsen  Schneestreifen  an  den  Gebirgsabhängen  (Frühling 
und  Sommer). 

Alitschur.  (Bedeutung  ?).  Oberlauf  des  Gunt-Flusses,  oberhalb  Jeschil- 
kul,  — und  umliegender  Teil  des  Pamir. 

Altyn-därä  „Gold-Thal“,  altyn  ist  freilich  türkisch  und  därä  persisch; 
die  Nachbarschaft  des  von  Tadschiks  bewohnten  Karategin  erklärt 
die  Kombination.  — Kirgisischer  Aul  im  Alai-Thal. 

Artscha - bulak  „Juniperus -Quelle".  Von  Kirgisen  bewohnte  Gegend 
am  rechten  Ufer  des  oberen  Kisil-su. 

Att-jolli  „Pferdeweg“.  Pafs  über  das  östliche  Alai-Gebirge,  so  genannt, 
entweder  weil  er  zu  Pferd  passierbar  ist,  oder  weil  Pferdeweiden  in 
der  Nähe  gelegen  sind.  So  werden  die  kleinen,  kaum  sichtbaren, 
parallelen  Pfade  an  den  Abhängen,  wo  die  Schafe  zu  ihren  Weiden 
gehen,  Koj-jolli  genannt. 

Austan  (us/un  = oberer,  astin  — unterer)  kirgisischer  Kischlak  im  Is- 
fairan-Thal.  Wahrscheinlich  „der  obere“  im  Gegensatz  zu  einem 
weiter  unten  gelegenen  Kischlak. 

Bastik-kul.  Die  Kirgisen  meinten,  es  hiefse  eigentlich  Sassik-kul 
[sassit  = stinkend).  See  im  Sarik-kol-Thal;  (^«/=See);  ein  kleiner 
Sassik-kul  ist  auf  dem  Alitschur-Pamir  gelegen.  Der  im  Sarik-kol- 
Thal  wird  doch  deutlich  mit  B ausgesprochen. 

Billanli,  Schlucht  im  Najsatasch-Thal  östlich  von  Rang-kul;  eine  Gesteins- 
art, die  zu  Schleifsteinen  gebraucht  wird. 

Billa-tock-davan , Pafs  im  Sarik-kol- Gebirge;  Billu  wahrscheinlich  = 
billauli. 

Bor-doba  „Grauer  Hügel“,  da  doba,  welches  unrein  ausgesprochen  wird, 
sicherlich  eine  Korruption  des  Wortes  teppe  ist;  in  der  That  sind 
hier  (beim  Eintritt  zur  Kisil-art-Schlucht)  graue  Hügel  sehr  allgemein. 


t)  Für  manche  Erklärung  der  folgenden  Namen  hin  ich  dem  Kaiserlich  Russi- 
schen Konsul,  Herrn  Wirklichen  Staatsrat  N.  F.  Pctrowsky  in  Kaschgar,  zu  Dank 
verpflichtet. 

In  diesem  Namenverzeichnis,  ebenso  wie  in  allen  im  Text  gebrauchten  Fremd- 
wörtern ist  j wie  im  Deutschen  zu  lesen. 


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Sven  Hedin : 


334 

Bulung-kul.  Mit  bulung  bezeichnet  man  einen  ziemlich  ausgedehnten, 
flachbodigen,  von  Gebirgen  umgebenen  Teil  eines  Thaies.  Shaw 
schreibt:  „a  corner  of  atty  encloscd  spacc.  See  im  Sarik-kol-Thal. 

Darya-i-Schiva  „Schiva-Flufs"  in  Badakschan;  Tadschik. 

Daraut-kurgan , Festung,  wo  das  Darau-su-Thal  in  das  Alai-Thal  aus- 
mündet. Därä  — Thal , «//=Gras,  kurgan  = Festung.  Vielleicht 
ist  die  kirgisische  Erklärung  des  Wortes  richtiger:  eine  Korruption 
des  Tadschikwortes  däi-rau,  „sogleich"  oder  „eilig".  Der  Reisende 
mufs  so  eilig  wie  möglich  den  Tengis-baj-Pafs  zurücklegen,  um  Buranen 
und  Lawinen  zu  entgehen. 

Djipptick,  Alai-Pafs,  Bach  und  kirgisisches  Aul;  djip  = Seil,  lick  = Zeug, 
womit  Khalaten  und  dergleichen  verfertigt  werden.  Diese  Erklärung 
ist  jedoch  fraglich;  vielleicht  ist  djipptick  eine  dort  vorhandene 
Pflanze? 

Ges-darya  „Ges-Flufs",  an  der  östlichen  Grenze  Pamirs;  ges  = eine  dem 
Alhagi  camelorum  ähnliche  Pflanze. 

Ges-baschi  „Haupt  von  Ges",  Ursprung;  doch  ist  dieser  Name  einem 
kleinen  Fort  am  Mittellauf  beigegeben,  wo  auch  Ges-baschi-kuprjuk, 
die  Brücke  von  Ges-baschi,  gelegen  ist. 

Gnndi,  kirgisisches  Kischlak  im  Alai-Thal;  von  gun  = Sonne,  Tag. 
entweder  weil  der  Kischlak  auf  dem  Abhang  eines  gegen  Osten  ab- 
fallenden Hügels  gelegen  ist,  oder  weil  man  einen  Tag  braucht,  um 
von  einem  anderen  Kischlak  dorthin  zu  gelangen.  Gunmak  = Halt 
machen  (nach  einer  Etappe);  bir  gun/ik  joll  = ein  Tagesmarsch. 
Etappe. 

Gurumdi.  Oberlauf  des  Alitschur- Flusses.  Gurum  ist  wahrscheinlich 
dasselbe  Wort  wie  im  mongolischen  Kara-korum. 

Irkeschtam , Thal,  kirgisisches  Aul  und  russisches  Fort  am  oberen 
Kisil-su  (Tarim).  ? 

Isfairan,  kleiner  Flufs  an  dem  nördlichen  Abhang  der  Alai-Kette.  ? 

Ike-bel-su,  in  den  Kleinen  Kara-kul  ausmündender  Bach.  Ika,  mong.  = 
„grofs“,  bei  = Pafs,  su  = Wasser. 

Jam  - bnlak , Schlucht  am  westlichen  Abhang  des  Mus-tag-ata;  jan 
dasselbe  Wort  wie  im  Russischen  jama  = Graben  und  järnschUchik  = 
Postkutscher;  jam,  mong.  — Poststation,  ein  einfaches  Erdhaus  oder 
Grotte ; bulak  = Quelle. 

Jam-bulak-baschi,  oberer  Teil  derselben  Schlucht 

Jerri  oder  richtiger  Djärri;  dasselbe  Wort  und  dieselbe  Bedeutung 
wie  das  Russische  jar  = Erdkluft,  Hohlweg,  Schlucht,  djärri  = eine 
Gegend,  die  an  dergleichen  Hohlwegen  reich  ist;  N von  Bassik-kul. 

Jerma,  niedriger  Gipfel,  südwestlich  vom  Kleinen  Kara-kul.  ? 

Jeschil-kul,  See  im  Alitschur-Pamir;  „grüner  See". 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


335 


Joll-tock-terek,  Pafs  im  Sarik-kol-Gebirge;  jo/i  =>  Weg;  tcrek  = Pappel. 

Kalta-davan  „Kurzer  Pafs“;  östlich  des  Grofsen  Kara-kul. 

Kara-dsohilga  „Schwarze  Schlucht",  mit  einem  kleinen  Bach,  der  in 
den  Grofsen  Kara-kul  ausmündet. 

Kara-kaiik,  Pafs  über  das  Alai-Gebirge;  „schwarzer  Zaunpfahl"  — 
oder  „spitzige  Stange." 

Kara-kir,  Gipfel  im  Tengis-baj-Pals ; kir  — Schmutz,  Schlamm. 

Kara-kul,  See  auf  dem  Pamir;  „Schwarzer  See",  weil  das  dunkle, 
klare  und  tiefe  Wasser  im  Vergleich  mit  den  umliegenden  Gebirgen, 
die  oft  überschneit  sind,  fast  schwarz  zu  sein  scheint. 

Kara-möjnak-kuprjuk  = „Brücke  der  schwarzen  Euphorbia  lalhyris“ ; 
am  mittleren  Ges. 

Kara-su  „Schwarzes  Wasser" ; kleiner  Nebenflufs  des  westlichen  Kisil-su. 

Kara-tasch-davan  „Schwarzer  Stein-Pafs",  nördlich  von  Mus-tag-ata. 

Karategin,  Thal  und  Fand  östlich  des  Alai-Thales. 

Kara-täit,  kirgisischer  Stamm  im  Alai-Thal  und  auf  dem  Pamir;  es 
giebt  kara,  sank  und  ak-täit  = schwarz,  gelb  und  weifs;  dafs  ä wird 
zwischen  a und  e ausgesprochen. 

Kara-turuck,  Thal  an  der  Westseite  der  Sarik-kol-Kette;  turuck  ist 
die  dunkelbraune  Farbe  des  Pferdes. 

Kara-tock-terek,  Pafs  über  die  Sarik-kol-Kette;  terek  = Pappel ; lock  ? 

Kajindi-dälä,  Gegend  im  Sarik-kol-Thale  zwischen  Bulung-kul  und 
Bassik-kul ; kajindi  = Birke  ( Betula  alba),  dälä  = Ebene ; „Birkenebene“. 

Kaschka-su,  Bach  und  kirgisisches  Aul  im  Alai-Thal.  kaschka  — weifser 
oder  heller  Flecken  im  schwarzen;  ein  weifser  Flecken  auf  der  Stirn 
eines  schwarzen  oder  braunen  Pferdes  ist  bei  den  Kirgisen  sehr 
beliebt.  Die  Farben  und  die  Glieder  des  Pferdes  werden  oft  zu 
geographischer  Orientierung  verwendet. 

Kipptjak,  kirgisischer  Stamm  im  Alai-Thal  und  angrenzender  Ge- 
genden. 

Kisil-art  „Roter  Pafs",  Transalai-Kette;  nördlich  vom  Kara-kul. 

Kosch-agil,  kleiner  Bach  an  der  rechten  Seite  des  Ak-su;  grofser 
kirgisischer  Aul.  kosch  = der  Platz  wo  ein  Zelt  aufgeschlagen  wird; 
agil  = Kuhstall. 

Kisil-ägin,  linker  Nebenbach  des  oberen,  westlichen  Kisil-su;  eg  in 
= Versammlung  oder  Stelle,  wo  mehrere  Wege  sich  kreuzen. 

Kisil-dschijick,  Pafs  südöstlich  des  Grofsen  Kara-kul;  „rothes  Band"; 
dschijck  werden  die  Bänder  oder  Galons  genannt,  womit  die  Khalaten 
geschmückt  wurden.  Dieser  Pafs  hat  auch  den  Namen  Us-bel. 

Kisil-su  „Rotes  Wasser",  Flufs  im  Alai-Thal. 

Kisil-ungur  „Roter  Graben";  rechter  Nebenbach  des  Kisil-su  und 
kirgisisches  Aul. 

Zeit*ch r.  d.  Gescllach.  f.  Erdk.  Bd.  XXVI.  23 


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Sven  Hedin: 


336 

Kok-saj.  Oberlauf  des  Markan-su;  „graues  Thal“;  kok  bezeichnet  auch 
die  Farben  blau  und  grün. 

Kok-su  „Graues  Wasser". 

Kok -nj- bei,  rechter  Nebenflufs  des  Bartang  (Murgab);  uj  = Jurte, 
Platz,  Haus;  fo/=Pafs;  „die  Stelle  des  grünen  Passes";  die  Flüsse 
und  Bäche  werden  oft  nach  den  Pässen  genannt,  woher  sie  kommen. 

Kornei-tarti,  Platz  am  östlichen  Ak-bajtal-Bach;  „Trompete  geblasen". 
Als  Khan  Khodja  von  den  Chinesen  verfolgt  wurde,  soll  er  hier 
durch  ein  Trompetensignal  die  Reste  seines  Heeres  gesammelt  haben 
(kirgisische  Erklärung  des  Wortes). 

Kulme-davan,  Pafs  in  der  Sarik-kol-Kette;  davon  = Pafs;  kullma  — 
„lache  nicht!".  Verbalformen  sind  freilich  nicht  gewöhnlich  in  der 
geographischen  Namenbezeichnung,  doch  kommen  sie  vor.  So  giebt 
es  in  der  Kirgisensteppe  ein  Barup-gellmas  = „wer  hinkommt,  kehn 
nicht  zurück". 

Knruk-karaol,  Fort  und  Station  am  unteren  Ges;  karaol  = Haus  oder 
Mensch,  um  Wache  zu  halten,  vom  Verbum  karamak  — sehen.  Kuruk  ?. 

Langar  „Station";  eine  Weitung  im  Isfairan-Thal  u.  m.  a. 

Markan-su,  Flufs  im  östlichen  Pamir;  markan  ist  wahrscheinlich  ein 
alter  Name;  Vielleicht  derselbe  wie  in  Marakanda  und  Samarkand  (?). 

Mus-kol  „Eis-Thal",  südöstlich  des  Grofsen  Kara-kul. 

Mus-karau,  Pafs  in  der  Sarik-kol-Kette;  «?K.r=Eis;  karau  oder  kura 
= eine  runde,  steinerne  oder  erdene  Mauer  für  die  Schafe.  So  wird 
auch  der  mit  allerlei  Resten  bestreute  Platz,  wo  eine  Karawane 
gerastet  hat,  genannt. 

Mus-tag,  östliche  Randkette  des  Pamir;  „Eis-Berg". 

Mus-tag-ata,  höchster  Gipfel  der  Mus-tag-Kette;  „Vater  der  Eis-Berge“. 

Murgab,  persisch:  „Vogel -Wasser";  Queilflufs  des  Amu-darya. 

Näjman,  kirgisischer  Stamm  im  Alai-Thal  und  Karategin. 

Najsatasch,  Thal  östlich  von  Rang-kul;  Pafs  auf  dem  Pamir;  „Stein- 
Gipfel“. 

Pändsch,  persisch:  „fünf“;  ein  Queilflufs  des  Amu-darya. 

Fschärt,  Pafs  und  von  einigen  Kirgisen  bewohnter  Platz  nördlich  des 
mittleren  Murgab;  pschät  = tleagnus  horlensis;  in  diesen  Namen  wird 
jedoch  r deutlich  hörbar. 

Oksali-masar,  kleiner  Pafs,  südlich  des  Grofsen  Kara-kul;  masar  = Mo- 
numente über  einem  Grab,  Grabmal;  oksa/i  — „I.ade  die  Flinte"!  (?). 

Rang-kul,  See  auf  Pamir;  ranga  = carx  physoides;  doch  hier  sicherlich 
die  rang  genannte  Ziegenart,  gewöhnlich  einfach  kijick  genannt,  die 
hier  allgemein  ist. 

Robat,  mehrere  I.agerstellen  auf  Pamir;  vom  Arabischen  ribat  — Kara- 
wanserai. 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


337 


Sargon,  Kischlak  südwestlich  von  Kaschgar  ?. 

Sarik-gaj  „Gelbe  Ebene“;  östlich  von  Rang-kul  mit  einem  kleinen  Pafs 
und  grofsen  SanddUnen  von  gelber  Farbe. 

Sarik-kol,  Gebirge  und  Thal  im  östlichen  Pamir;  „Gelbes  Thal“. 

Sarik-mogal,  Pafs  im  Alai-Gebirge;  „Gelber  Mongole“.  In  der  Nähe 
von  Narinsk  nennt  sich  noch  ein  kirgisischer  Stamm  mogal. 

Sarik-tasch,  Pafs  über  die  Sarik-kol-Kette;  „Gelber  Stein". 

Sares,  von  Tadschiks  und  Kirgisen  bewohnt.  Gegend  am  Murgab.  ?. 

Schirnau,  Schlucht  im  Daraut-su-Thal.  ? 

Schor-kul,  See  westlich  von  Rang-kul;  „Salz-See". 

Schiva,  See  in  Badakschan;  Tadschikwort,  bedeutet  „Fremdling". 
Im  Sarik-kol-Thal  nennen  die  Tadschiks  eines  Kischlaks  die  Be- 
wohner der  anderen  Kischlaks  schiva , d.  h.  „nicht  von  den  unsrigen“ ; 
das  Wort  wird  auch  im  Sinn  des  Verachtens  gebraucht. 

Schor-kajindi,  „Salz-Birke“;  Schlucht  im  Sarik-kol-Thal. 

Souk-tschubir,  Gegend  im  westlichen  Ak-bajtal-Thal;  ro«^  = kalt; 
tschubir  ? 

Sn-baschi,  kirgisisches  Aul  und  chinesische  F'estung  südlich  des  Kleinen 
Kara-kul;  „Wasser-Haupt",  d.  h.  „Oberlauf“,  oder  Quelle,  Ursprung 
eines  Flusses. 

Tagarma,  Dorf,  Gegend  einer  Thalweitung  im  Sarik-kol-Thal;  eig. 
tag-alma  „Berg-Apfel",  Apfelbäume  werden  noch  in  der  Gegend 
gebaut. 

Talldick,  Pafs  im  östl.  Alai-Gebirge;  vielleicht  von  ijalldich  = I.ilie. 

Tar-baschi,  Chinesische  Festung  und  kirgisisches  Aul,  wo  Ges  die 
Mus-tag-Kette  durchbricht;  „enges  Haupt". 

Tasch-kurgan,  Chinesische  Festung  und  kirgisisches  Aul  im  Tagdum- 
basch-Pamir;  „Stein-Festung“. 

Täit,  Kirgisischer  Stamm  auf  Pamir  und  im  Alai-Thal. 

Tengi»-baj,  Pafs  über  das  Alai-Gebirge;  baj  = reich ; ttngis  wahrschein- 
lich der  Name  eines  reichen  Kirgisen ; dengis  = Meer ; vielleicht  das- 
selbe Wort  wie  dschengis. 

Terem,  sartischer  Kischlak  südwestlich  von  Kaschgar;  dasselbe  Wort  wie 
Tarim  (?) 

Tjal-tftit,  Kirgisischer  Stamm  im  Alai-Thal ; tjala  = von  unreiner  Rasse. 

Tjojj,  kirgisischer  Stamm  im  Alai-Thal. 

Tjitjeckti,  Schlucht  im  östlichen  Ak-bajtal-Thal;  iji  — Schilf;  tjeckti  — 
gewachsen ; tjitjeck  = eine  von  den  Schafen  geliebte  Pflanze  mit 
kleinen  roten  Blumen;  tjitjeck  bedeutet  auch  Blattern.  Eine  Gegend 
wo  diese  Blumen  wachsen,  hat  nach  den  Kirgisen  eine  gewisse  Ähn- 
lichkeit mit  einem  von  Blattern  bedeckten  Körper. 

Tjirecktji,  Schlucht  im  Sarik-kol-Thal,  tjireck  = Lichthalter. 

23* 


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338  Sven  Hedin:  Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


Tocknsak,  Kischlak  südwestlich  von  Kaschgar;  wird  auch  tockusbak  aus- 
gesprochen, d.  h.  „Neun  Gärten". 

Togoiak-matik,  Gegend,  wo  das  Schor-kul — Rang-kul-Thal  sich  mit  dem 
Ak-bajtal-Thal  vereinigt.  (?) 

Tus-därä,  „Salz-Thal“;  Aul  im  Alai-Thal. 

Tjuckur-agil,  Gipfel  der  Mus-tag-Kette,  nördlich  des  Ges,  und  See  west- 
lich desselben;  tjuckur  — Rheum  tataricum ; agil  = Kuhstall.  Auf  den 
europäischen  Karten  unrichtig  tschak-karagu 1 geschrieben. 

IJj  bulak,  Pafs  und  Bach  nördlich  des  Grofsen  Kara-kul;  „Haus  der 
Quelle“. 

Uj-tak,  Aul  und  Station  am  unteren  Ges;  uj  = Jurte;  lak  — ungerade, 
unpaar,  weil  die  Zahl  der  Jurten  einmal  unpaarig  gewesen  ist,  oder 
weil  die  erdenen  Häuser  unsymmetrisch  gebaut  waren.  Tak  kann  auch 
tag  = Berg  sein.  Der  Ort  liegt  nicht  weit  vom  Austritt  des  Ges-Flusses 
aus  den  Gebirgen. 

Utsch-kurgan,  „Drei  Festungen“;  grofses  Dorf  am  unteren  Isfairan. 

Utsch-teppe,  „Drei  Hügel",  Kischlak  und  „wolast"  im  „ujäsd“  Osch. 

Ulug-rabat , Pafs  im  Sarik-kol-Thal ; VV'asserscheide  zwischen  Ges  und 
Jarkend-darya;  u/ug  = „grofs“. 

Urtak  „Mitte“;  Gegend  im  Alai-Thal;  d.  h.  „die  Mitte  zwischen  zwei 
Stationen"  oder  in  der  Mitte  des  Thaies  gelegen. 

Usun-tal , Gegend  südlich  von  Bulung-kul ; usun  — lang ; lal  = Salix 
caprta. 


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Meteorologische  Beobachtungen 

am  Weg  von  Margelan  nach  Pamirsky  Post,  auf  Pamirsky 
Post,  sowie  am  Weg  von  Parmirsky  Post  nach  Kaschgar 

vom  23.  Februar  bis  1.  Mai  1894. 


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amirky  Post. 


Sven  H e d i n : 


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ruhig;  die  Zahlen  bezeichnen  Windstärke  i bis  io. 

klar;  die  Zahlen  bezeichnen  Bewölkung  i bis  io;  * Schnee,  *=-  Nebel. 


Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir.  34  1 


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Ak-bajtal  ....  .... 

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Togolak-matick 

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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir.  343 


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344  Sven  H e din: 


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Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


345 


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*)  Von  hier  an  werden  die  Beobachtungen  wegen  meiner  Augenkrankheit  sehr  lückenhaft. 


346 


Sven  Hedin:  Physische  Geographie  des  Hochlandes  von  Pamir. 


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H.  Polakowsky:  Zur  Statistik  der  Ver.  Staaten  von  Mexico.  347 


Zur  Statistik  der  Vereinigten  Staaten  von  Mexico. 

Von  Dr.  H.  Polakowky. 

Der  zehnte  Bericht  des  unter  der  Leitung  des  Herrn  Dr.  D.  Antonio 
Peiiafiel  in  Mexico  stehenden  Statistischen  Amtes,  der  halbjährlich 
ausgegeben  wird,  enthält  eine  Fülle  wichtiger  Angaben,  die  ich  kurz 
zusammenstellen  will. 

Der  Flächeninhalt  des  Landes  wird  auf  i 983  382  qkm  berechnet, 
dazu  kommen  für  die  Inseln  3 681  qkm.  Die  Bevölkerung  wird  ge- 
schätzt im: 


Föderal-Distrikt  . 

447  »32 

Einw. 

Staat  Coahuila  . . . 

177  797 

Einw 

Staat  Aguascalientes 

O 

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O 

ff 

„ Tamaulipas 

189  139 

ff 

ff 

SanLuisPotosi  539  883 

ff 

„ Vera  Cruz  . . 

720  331 

ff 

ff 

Guanajuato 

999  487 

ff 

„ Tabasco  . . . 

130  090 

ff 

ff 

Queretaro  . 

213  525 

ff 

„ Campeche  . . 

91  180 

ff 

ff 

Hidalgo  . . 

5°7  156 

ff 

„ Vucatan  . . . 

286  418 

ff 

ff 

Mexico  . . 

766  526 

ff 

„ Michoacan  . . 

830  923 

ff 

ff 

Morelos  . . 

148  877 

„ Colima  . . . 

69  547 

ff 

ff 

Tlaxcala  . . 

147  988 

fl 

„ Guerrero . . . 

335  640 

ff 

ff 

Puebla  . . 

866  627 

ff 

„ Jalisco . . . 1 

274328 

ff 

ff 

Durango  . . 

3°7  283 

ff 

„ Sinai  oa  . . . 

233  684 

ff 

ff 

Zacatecas  . 

516  672 

ff 

„ Chiapas  . . . 

290  941 

ff 

ff 

Sonora  . . 

165  892 

ff 

„ Oaxaca  . . . 

806  879 

ff 

ff 

Chihuahua  . 

312  146 

ff 

Territorium  Tepic  . 

i34  7°i 

ff 

ff 

Nuevo  Leon 

389  523 

ff 

„ Baja  California 

40  500 

ff 

Im  Ganzen  11980395  Einwohner. 

Die  gröfsten  Städte  sind:  Mexico  mit  326913  Einw.,  Guadalajara 
mit  95  000  Einw.,  Puebla  mit  78  530  Einw.,  San  Luis  Potosi  mit  62  573 
Einw.,  Guanajuato  mit  52  112  Einw.,  Leon  mit  47739  Einw.,  Monterey 
mit  41  029  Einw.  — Alle  diese  Berechnungen  gelten  für  den  1.  Januar 
1894;  der  letzte  Bericht  wurde  am  1.  April  ausgegeben. 

Es  gab  im  Jahr  1892  im  ganzen  Lande: 

Staatsschulen  für  Knaben 2 750 

„ „ Mädchen 899 

„ „ beide  Geschlechter  215 

Städtische  Schulen  für  Knaben 2 130 

„ „ „ Mädchen 927 

„ „ „ beide  Geschlechter  274 

Summa:  7 200  Schulen. 

Davon  dienten  7 132  dem  Elementar-  und  68  dem  höheren  Unter- 
richt. Die  Schulen  wurden  (im  J.  1892)  besucht  von  293  140  Knaben 
und  138  037  Mädchen,  d.  h.  so  grofs  war  die  Anzahl  der  angemeldeten, 


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348 


H.  Polakowsky: 


eingeschriebenen  Kinder.  Die  Durchschnittszahl  der  die  Schule  thatsäch- 
lieh  regelmäfsig  besuchenden  Kinder  belief  sich  aber  nur  auf  314  152. 
Dieser  grofsc  Unterschied  ist  charakteristisch  für  die  Schulen  in  allen 
Ländern  des  spanischen  Amerika.  Zu  Beginn  der  Semester  sind  die 
Klassen  gut  besetzt,  aber  bald  erlahmt  das  Interesse,  die  Ausdauer 
der  Schüler  und  der  Eltern,  die  den  Kindern  gestatten,  unter  den 
kleinlichsten  Vorwänden  dem  Untericht  fern  zu  bleiben.  — Von  den 
Schülern  waren  25  671  noch  nicht  5 Jahr  alt,  239395  ’ra  Alter  von  5 
bis  10  Jahren,  141  544  zwischen  10  und  15  Jahren  und  24567  über 
15  Jahr.  Statistische  Angaben  über  die  Schulverhältnisse  in  vier  Staaten 
fehlen  bei  diesen  Angaben. 

Das  Land  besitzt  41  wissenschaftliche  Gesellschaften;  307  Zeitungen 
und  Zeitschriften  werden  veröffentlicht  und  98  öffentliche  Bibliotheken 
sind  vorhanden.  300  der  Zeitschriften  erscheinen  in  spanischer,  vier 
in  englischer,  zwei  in  französischer  und  eine  in  deutscher  Sprache. 

Die  Industrie  hat  in  den  letzten  Jahren  einen  bedeutenden  Auf- 
schwung genommen.  Es  gab  Ende  1893: 

110  Fabriken  von  Baumwoll-,  Lei-  37  Papp-Fabriken. 

nen-  und  Wollgeweben.  2 Fabriken  irdener  Waren. 

2378  Zucker-Fabriken  und  Brannt-  3 Fabriken  von  Porzellanwaren. 

wein-Brennereien.  6 Fabriken  von  Glaswaren. 

12  Bier-Brauereien.  9 Stärke-Fabriken. 

9 Chemische  Fabriken.  10  Fabriken  zur  Reinigung  der 

12  Chokolade-Fabriken.  Baumwolle  (von  den  Samen). 

9 Papier-Mühlen.  119  Kerzen-Fabriken. 

133  Seife-Fabriken.  5 Fabriken  zur  Anfertigung  künst- 

35  Cigarren -Fabriken.  licher  Steine. 

24  Streichholz-Fabriken.  7 Eis-Fabriken. 

1 Schiefspulver-Fabrik. 

Wie  schlecht  es  noch  um  die  Statistik  von  Mexico  bestellt  ist,  zeigen 
diese  Zahlen.  Die  Anzahl  der  Fabriken  und  industriellen  Anlagen 
ist  viel  gTöfser,  aber  von  den  176  Distrikten  des  ganzen  Landes  haben 
117  die  Angaben  über  den  Stand  der  Industrie  an  die  Centralstelle  in 
Mexico  nicht  eingesandt.  die  Aufforderung  unbeachtet  gelassen.  — Be- 
züglich der  Sterblichkeit  liegen  die  genauen  Angaben  erst  für  1891 
vor.  Sie  schwankt  zwischen  14  ( Sonora ) und  48  ( Mortlos ) auf  das  Tausend. 
Von  den  211  Krankenhäusern  standen  14  unter  Verwaltung  der  Fö- 
deral-Regierung , 29  unter  Verwaltung  der  Regierungen  der  Staaten, 
92  wurden  von  den  Municipien  und  76  von  Privaten  unterhalten.  Die 
auf  Grund  der  Regierungs-Konzession  erbauten  Eisenbahnen  hatten 
eine  Länge  von  10479  km,  die  Vorstadtlinien  waren  (immer  1892)185, 
die  Pferdebahnen  367  km  lang.  Im  Besitz  von  Privaten  waren  90  km 


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Zur  Statistik  der  Vereinigten  Staaten  von  Mexico. 


349 


Eisenbahnen  und  230  km  tragbarer  Bahn  (System  Decauville).  Im  Ganzen: 
11351km.  Die  Telegraphenlinien  sind  60510,  die  Telephonleitungen 
9127  km  lang.  Von  ersteren  gehören  37  239  km  der  Föderal-Regierung 
und  nur  5088  km  Privaten  und  9518  km  den  Eisenbahnen. 

Von  Staatsländereien  sind  auf  Grund  des  Gesetzes  vom  22.  Juli  1863 
vergeben  worden  an  Privatpersonen  und  Gesellschaften  in  der  Zeit  vom 
1.  Januar  1867  bis  zum  31.  December  1892  9418820  ha,  deren  Wert 
auf  2062891  Pes.  geschätzt  wird. 

Die  Produktion  des  Landes  belief  sich  im  Jahr  1892: 


an 

Reis 

auf 

8492  477  kg 

im 

Wert 

von 

2 577  936 

Pes. 

„ 

Gerste 

ff 

1 831  833  hl 

if 

ff 

ff 

4 164 108 

ff 

n 

Mais 

ff 

26  426  529  „ 

if 

ff 

tf 

103  644  890 

ff 

„ 

Weizen 

ff 

4 945  9°3  .. 

M 

ff 

m 

23  242  3°4 

ff 

„ 

Bohnen 

ff 

1 676  126  „ 

M 

ff 

M 

13  258  219 

ff 

n 

Erbsen 

ff 

204  102  „ 

if 

ff 

if 

1 506  145 

ff 

11 

Lima-Bohnen 

ff 

248878  „ 

if 

ff 

n 

804  097 

ff 

11 

Linsen 

ff 

6 187  ,, 

M 

ff 

n 

33  *5° 

f» 

„ 

getrockn.  Pfeffer1) 

„ 

4 596  3°9 

m 

ff 

n 

1 242  090 

ff 

11 

Kartoffeln 

„ 

1 1 100  060  „ 

ft 

ff 

ff 

602  815 

ff 

„ 

Leinsamen 

ff 

520318 

ff 

fl 

ff 

90  720 

ff 

H 

Kakao 

ff 

683  803  „ 

M 

ff 

ff 

393  44° 

ff 

ff 

Kaffee 

ff 

10586951  „ 

if 

ff 

fi 

4 748  352 

ff 

„ 

Tabak 

ff 

10  170920  „ 

ff 

fi 

2312116 

ff 

II 

Vanille 

ff 

217  553  .. 

if 

ff 

M 

857  665 

f» 

,1 

Zucker 

„ 

45  7 "3  865  „ 

ff 

ff 

fi 

7 443  00 1 

ff 

II 

Panocha  *) 

„ 

52809643  „ 

m 

ff 

6 145  400 

ff 

„ 

Zuckerrohr-Brandy 

ff 

606  41 1 hl 

ff 

ff 

ff 

3 436  233 

ff 

fl 

Traubenbrandy 

ff 

80  588  „ 

if 

ff 

n 

32  3°o 

ff 

„ 

Trauben  wein 

ff 

1 591  .. 

M 

ff 

fi 

29  690 

ff 

Weintrauben 

ff 

2 325  525  .. 

M 

„ 

ff 

201  170 

ff 

f, 

Mescal 3) 

ff 

10  214  860  „ 

n 

ff 

2 II4  724 

ff 

If 

Pulque 

ff 

1 952  826  „ 

if 

ff 

f» 

2 364  8lO 

ff 

fl 

Sisal- 4)Hanf 

ff 

58  053  032  kg 

ff 

ff 

ff 

6 469  07 1 

ff 

ff 

Baumwolle 

ff 

16  040  298  „ 

„ 

ff 

fi 

3 «97  »94 

ff 

')  Früchte  von  Pimenta  officinalis  Bg.,  grofses  engl.  Gewürz  oder  Tabasco-Piment. 

- ) Brote  und  Kuchen  von  braunem  Kochzucker;  in  Central-Amerika  als 
„dulce“  bekannt. 

’)  Unreiner  Branntwein  aus  Zuckerrohr. 

4)  oder  Henequen,  Pita,  Manilla  plant.  Fasern  der  Blätter  von  Agave  rigida 
var.  elongata  u.  var.  sisa/ana.  S.  Chas.  Richards  Dodge,  A Report  on  the  leaf 
libers  of  the  United  States.  Washington,  1893.  U.  S.  Depart.  of  Agricult.  Report 
No.  5.  Auch  A.  Mexieana  Lam.  liefert  (besonders  in  West-Indien)  Sisal. 


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350  H.  Polakowsky:  Zur  Statistik  der  Ver.  Staaten  von  Mexico. 

an  Indigo  auf  71177  kg  im  Wert  von  107  569  Pes. 

„ lxtle-')Fasern  „ 9615052  „ „ „ „ 626025  „ 

Diese  Angaben  sind  unvollständig,  weil  diejenigen  von  53  Polizei- 
distrikten fehlen  und  aufserdem  viele  Interessenten  falsche,  d.  h.  zu 
niedrige  Zahlen  angegeben  haben. 

Am  1.  April  1894  eröffnete  auch  der  Präsident  der  Union,  General  D. 
Porfirio  Diaz,  die  vierte  Sitzungsperiode  des  sechszehnten  Kongresses 
der  Mexikanischen  Union.  Aus  der  Botschaft  ist  folgendes  hervorzu- 
heben. Die  Schwierigkeiten  der  Grenzfestlegung  bzw.  der  gegen- 
seitigen Achtung  der  Grenzlinie  am  Rio  Grande,  in  der  Nähe  von 
Reynosa,  wo  der  Strom  durch  eine  Barre  seinen  Lauf  geändert  hatte, 
sind  in  freundschaftlicher  Weise  geregelt  worden.  Zur  neuen  Fest- 
stellung der  Grenzlinie  in  den  Kanälen  des  Rio  Grande,  wo  der  Strom 
seinen  Lauf  verändert  hat,  ist  am  8.  in  El  Paso  (Texas)  eine  Kommission 
von  Ingenieuren  beider  Länder  zusammengetreten.  Die  Kommission, 
welche  zur  Ausbesserung  der  Grenzsteine  zwischen  Mexico  und 
Nord-Amerika  seit  einigen  Jahren  thätig  war,  hat  ihre  Arbeiten  zum 
Teil  beendet  und  auf  der  Strecke  zwischen  dem  Rio  Bravo  und  Rio 
Colorado  205  Grenzsteine  aus  Eisen  und  Mauerwerk  errichtet  Die 
Grenz-Kommission  gegen  Guatemala  hat  ihre  Studien  auf  dem  Gelände 
beendet;  es  fehlt  nur  die  Aufstellung  der  Grenzsteine,  die  zur  Zeit 
angefertigt  werden. 

Trotz  der  finanziellen  Krisis,  die  alle  Unternehmungen  lähmt,  sind 
in  den  letzten  vier  Monaten  146  km  neue  Eisenbahnen  vollendet  worden. 
Zur  Vollendung  der  Tehuantepec-Bahn  ist  ein  neuer  Vertrag  abge- 
schlossen worden ; von  genannter  Bahn  sind  255  km  fertig  und  nur  40  noch 
zu  erbauen.  An  den  Entwässerungsbauten  des  Thaies  von  Mexico  ist 
fleifsig  weiter  gearbeitet  worden.  Der  grofse  Tunnel  ist  8650  m weit 
fertig,  1370  m sind  noch  auszumauern.  Die  Anlage  des  grofsen  Kanals 
hat  die  Aushebung  von  1 250  000  cbm  Boden  erfordert. 

Räuberbanden  stören  noch  zuweilen  die  Ruhe  und  den  Besitz  der 
Bewohner  der  Grenzgebiete  am  Rio  Grande.  Eine  solche  in  Texas  organi- 
sierte Bande  überfiel  im  November  1893  das  Zollhaus  in  Palomas,  raubte 
auch  eine  grofse  Menge  Vieh  und  ging  dann  über  die  Grenze  zurück. 
Als  die  Bande  im  Januar  1894  aber  einen  neuen  Streifzug  unternahm, 
wurde  sie  von  mexikanischer  Kavallerie  eingeholt  und  am  2z.  Januar  beim 
Arroyo  de  Manzano  bis  auf  den  letzten  Mann  niedergehauen.  Der- 
artige Raubzüge  und  Scharmützel  an  der  Nordgrenze  Mexicos  werden 
von  einigen  nordamerikanischen  und  europäischen  Zeitungen  stets  zu 
Unruhen  und  Revolutionsversuchen  im  Staate  Chihuahua  aufgebauscht. 

')  v.  Agave  heterocantha  Zucc. 


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leberbänbe  ju  je  15  511.  — (ferner.  $flaii|enlebcn,  2 tmlbleberbfinbe  ju  je  16  511.  — Hrumagr, 
tfrbgelrt)id|le,  2 vall'lcberbänbe  ju  je  16  SRI. 
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Druck  von  W.  Pormctter  U»  IVr  n- 


MUS.  COMP.  ZOOL 


ZEITSCHRIFT 


DER 


GESELLSCHAFT  FÜR  ERDKUNDE 

ZU  BERLIN. 


Band  XXIX  - 1894  — No.  5. 


Herausgegeben  lm  Auftrag  des  Vorstandes 
von  dem  Generalsekretär  der  Gesellschaft 


Georg  Kollm, 

Hauptmann  a.  D. 


Inhalt. 


Seite 


Reiseberichte  aus  Celebes  von  Paul  und  FrittSarasin.  Erster  Bericht. 

(Hierzu  Tafel  13.) 351 

Die  Anian-SUralse  und  Marco  Polo.  Von  Chr.  Sandler  in  München  . 401 


LONDON  E.  C. 
SAMPSON  LOW  & Co. 
Fl«t-Slreet. 


BERLIN,  w.8. 

W.  H.  KÜHL. 

L 1894. 


PARIS. 

H.  LE  SOUDEER. 

174  & 176.  Boul.  St.  Gerauüo. 


Veröffentlichungen  der  Gesellschaft  im  Jahr  1894. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin,  Jahr- 
gang 1894  — Band  XXIX  (6  Hefte), 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin, 
Jahrgang  1894  — Band  XXI  (10  Hefte). 

Preis  im  Buchhandel  für  beide:  15  M.,  Zeitschrift  allein:  iz  M.,  Ver- 
handlungen allein:  6 M. 

Beiträge  zur  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  werden  mit 
50  Mark  für  den  Druckbogen  bciahll,  Original-Karten  gleich  einem  Druckbogen 
berechnet. 

Die  Gesellschaft  liefert  keine  Sonderabzüge;  jedoch  steht  cs  den  Verfassern 
frei,  solche  nach  Übereinkunft  mit  der  Redaktion  auf  eigene  Kosten  anfertigen 
zu  lassen. 

Alle  für  die  Gesellschaft  und  die  Redaktion  der  Zeitschrift  und 
Verhandlungen  bestimmten  Sendungen  — ausgenommen  Geldsendungen 
— sind  unter  Wegl assung  jeglicher  persön liehen  Adresse  an  die: 

„Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  SW.  12,  Zimmerstr.  90-, 

Geldsendungen  an  den  Schatzmeister  der  Gesellschaft,  Herrn 
Geh.  Rechnungsrat  Btttow,  Berlin  8W.  Teltower  Str.  5,  zu  richten. 

Die  Geschäftsräume  der  Gesellschaft  — Zimmerslrafse  90.  II  — sind, 
mit  Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage,  täglich  von  9 — iz  Uhr  Vorm,  und  von 
4 — 8 Uhr  Nachm,  geöffnet. 


Geographische  Verlagshandlung  Dietrich  Reimer  in  Berlin. 

(Hoefer  St  Vohsen.) 


Im  Dezember  d.  J.  wird  erscheinen 


in  seiner  Bedeutung  für  die  Goldproduktion  in  Vergangen- 
heit, Gegenwart  und  Zukunft. 


Dr.  Karl  Futterer, 

Prival-Dozenl  a.  d.  Uni.,  llcrtin  und  Aulnern  a.  K.  Mtucum  f.  Naturkunde. 


1895.  Er-  8-  Preis  geh.  8 Mark,  geb.  10  Mark. 


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Reiseberichte  aus  Celebes 

von  Paul  und  Fritz  Sarasin. 

Erster  Bericht.1) 

I.  Überlandreise  von  Menado  nach  Gorontalo. 

(Hierzu  Tafel  13.) 

Eine  Durchquerung  des  umfangreichen  VValdgebietes,  welches  sich 
zwischen  der  Minahassa  einerseits  und  Gorontalo  andrerseits  ausbreitet, 
war  bisher  trotz  einiger  nach  dieser  Richtung  unternommener  Versuche 
noch  niemals  zur  Ausführung  gekommen,  und  so  mufete  eine  solche 
wissenschaftlich  gerechtfertigt  erscheinen,  selbst  in  dem  möglichen 
Fall,  dafs  die  Ergebnisse  als  untergeordnet  an  Bedeutung  sich  erweisen 
sollten.  Die  Ausführung  des  Unternehmens  wäre  indessen  nicht  mög- 
lich gewesen,  wenn  Herr  E.  J.  Jellesma,  Resident  der  Residentschaft 
Menado,  uns  nicht  eine  thatkräftige  Unterstützung  hätte  angedeihen 
lassen  durch  Zuweisung  der  richtigen  Leute,  durch  Nachhilfe  in  der 
Beschaffung  der  Träger,  durch  Ausstellen  von  Briefen  an  die  Radjas 
der  Nachbargebiete,  ja  durch  Absendung  besonderer  Boten  an  dieselben, 

*)  Der  Bericht  ist  datiert  aus  Tomohon  (Minahassa).  Einem  gleichzeitig 
abgesendeten  Brief  vom  Mai  1894  entnehmen  wir  das  Folgende: 

„Wir  befinden  uns  gegenwärtig  in  Tomohon  am  Fufs  des  Lokon  in  höchst 
angenehmem  Klima  ca.  780  m über  dem  Meer,  eine  nach  den  Anstrengungen  der 
Reise  sehr  wohlthucnde  Erholung.  Der  Lokon  besteht  eigentlich  aus  einer  Gruppe 
von  vier  Vulkankegeln,  von  denen  nur  der  gröfete  diesen  Namen  führt.  Der  Berg 
hat  etwa  seit  einem  Jahr  angefangen,  Spuren  von  Thatigkeit  zu  zeigen,  und  zwar 
scheint  uns  betreffs  einer  etwaigen  Eruption  die  Prognose  nicht  günstig.  Zwischen 
dem  Hauptkegel  und  einem  nördlich  befindlichen  relativ  jungen  Krater  liegt  eine 
Einsattelung,  an  deren  östlicher  Seite  vor  etwa  einem  Jahr  viel  Schlamm  und 
Steine  ausgeworfen  wurden;  seitdem  erhebt  sich  nur  eine  beständige  Dampf- 
säule aus  jener  Öffnung.  Neuerdings  hat  sich  nun  an  der  Westseite  ebenfalls  eine 
kleine  Spalte  gebildet,  aus  welcher  unter  stark  knatterndem  Geräusch  Dampf  aus- 
tritt.  Die  beiden  Gänge  scheinen  einem  Glutherd  zu  entstammen,  welcher  gerade 
unterhalb  der  genannten  Einsattelung  liegen  möchte.  Die  Auswürflinge  der  öst- 
lichen ßocca  scheinen  uns  interessant  zu  sein,  sie  bestehen  teils  aus  frisch  ange- 
Zciuchr.  d.  Ceselltch.  f.  Erdk.  Üd.  XXVI.  24 


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352 


Paul  und  Fritz  Sarasin: 


und  in  der  durch  sein  lebhaftes  Eintreten  für  unser  Vorhaben  ge- 
gebenen moralischen  Nachhilfe  gegenüber  mehreren  Stimmen,  welche 
die  Ausführung  unseres  Unternehmens  als  eines  gefährlichen  für  unrat- 
sam ansahen.  Wir  nehmen  deshalb  schon  an  dieser  Stelle  Gelegenheit, 
Herrn  Jellesma  unseren  ergebensten  Dank  öffentlich  auszusprechen. 

[1893,  20.  Novemher.]  Schon  von  Menado  aus  legten  wir  die 
Reise  zu  Fufs  zurück,  und  obgleich  bei  dieser  Durchstreifung  der 
Minahassa  manches  Bemerkenswerte  uns  vor  Augen  kam,  wollen  wir 
in  diesem  flüchtigen  Vorbericht  uns  nicht  durch  die  Beschreibung  einer 
literarisch  schon  bekannten  Landschaft  aufhalten  lassen;  wir  eilen 
vielmehr  nach  Amurang  und  von  hier,  der  Richtung  des  Flufses  Rano 
i apo  folgend,  nach  der  neueröffneten  Tabakspflanzung  mit  Namen 
Karoa,  wo  wir  bei  dem  Leiter  derselben,  Herrn  Reinking,  und  zwei 
anderen  ihm  unterstellten  Europäern  freundlichste  Aufnahme  fanden. 

[25.  November.]  Karoa  bezeichnet  im  Ganzen  die  Grenze  der 
Minahassa  gegen  das  noch  halb  unabhängige  Fürstentum  Bolang- 
Mongondo.  Die  Anpflanzung  liegt  am  Fufs  eines  die  beiden  Reiche 
scheidenden  Grenzgebirges,  mit  dessen  Übersteigung  unsere  eigent- 
liche Aufgabe  ihren  Anfang  nehmen  sollte.  Karoa  selbst  ist  von 
einem  düsteren  Waldkranz  umgeben,  in  welchem  sich  Gruppen  von 
wildem  Pisang  und  von  grünstämmigen  Nibong- Palmen  hervorthun. 
Der  Rano  i apo  umläuft,  vom  Wald  völlig  verborgen,  in  einem  nach 
Westen  und  Norden  schweifenden  Bogen  die  Pflanzung;  am  frühen 
Morgen  verrät  ein  Band  weifsen  Nebels  den  Lauf  des  Flusses.  Die 
Meereshöhe  von  Karoa  können  wir  auf  ungefähr  265  m angeben. 

Am  Abend  des  26.  November  lag  alles  Gepäck  in  sorgfältiger 
Bereitschaft,  die  Führer  waren  bestellt  und  instruiert,  jedem  Träger 
war  seine  Last  zugewiesen;  am  folgenden  Tag  früh  sechs  Uhr  sollte 

schmolzenen  Stücken  des  austretenden  vulkanischen  Gesteins,  teils  aus  roten  schlacken- 
artigen Stücken.  Wir  sammeln  natürlich  Proben  und  arbeiten  aufserdem  auch  mit 
der  Photographie.  Andere  Vulkane  wie  Klabat,  Sudaras,  Masarang  haben  wir 
ebenfalls  schon  bestiegen ; jetzt  bereiten  wir  uns  auf  den  Soputan  vor.  Besonders 
interessant  ist  auch  die  Pflanzenwelt  auf  jenen  isolierten  Waldgipfeln.  Für  kommen- 
den Juli  haben  wir  eine  fernere  Durchquerung  des  Nordarmes  der  Insel  ins  Auge 
gefafst,  und  zwar  möchten  wir  versuchen,  den  westlichen  Teil  von  Boccovol  an  der 
Nordküste  zu  durchwandern.  Zu  diesem  Zweck  müssen  wir  zunächst  von  neuem 
mit  der  Regierung  in  Verbindung  treten ; denn  ohne  deren  autoritative  Nachhilfe 
sind  Reisen  im  Innern  von  Celebes  nicht  ausführbar.  Jedenfalls  wird  uns  Celebes 
noch  lange  festhalten ; denn  es  ist  diese  Insel  nach  allen  Richtungen  hin  von  ganz 
ausnehmendem  Interesse.  Je  länger  wir  verweilen,  umsomehr  zieht  uns  dieses  Arbeits- 
gebiet an;  aber  die  mit  der  Untersuchung  des  Landes  verknüpften  Schwierigkeiten 
sind  aufserordentlich  grofs.“ 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


353 


aufgebrochen  werden.  Als  es  indessen  dazu  kommen  sollte,  stellte  es 
sich  heraus,  dafs  die  Führer  nicht  zur  Stelle  waren;  sie  hatten  sich 
nach  dem  nächsten  Dorf  weggedrückt  und  erschienen  nicht  wieder. 
Wir  schickten  unseren  Mandur,  den  Aufseher  über  unsere  Leute,  aus, 
sie  einzuholen,  was  ihm  erst  gegen  zwölf  Uhr  gelang.  Da  nun  zugleich 
ein  Platzregen  ausbrach,  verschoben  wir  die  Abreise  auf  den  folgen- 
den Tag. 

[28.  November.]  Es  stellte  sich  unserem  Abmarsch  kein  Hinder- 
nis mehr  entgegen,  und  wir  brachen  nach  dem  ungeheuer  dichten 
Wald  auf,  welcher  das  vor  uns  liegende  Grenzgebirge  bedeckte.  Der 
Pfad  lief  zunächst  so  ziemlich  eben  und  ungehindert  fort;  zwischen 
den  oft  sehr  mächtigen  Baumstämmen  zeigte  sich  hier  verhältnismäfsig 
wenig  Unterholz,  vielleicht  eine  Folge  des  äufserst  dichten  Schattens 
der  Baumkronen.  Zuweilen  wölbten  sich  mächtige  Bambusgebüsche 
über  den  Weg  hinüber,  und  Gruppen  von  Nibong-Palmen  zierten  den 
Wald  von  Stelle  zu  Stelle.  Der  Pfad  führte  zunächst  längs  dem  Rano 
i apo  und  durch  mehrere  ihm  zufliefsende  Bäche  hindurch;  denn  von 
jetzt  ab  fehlten  die  Brücken  mit  ganz  seltenen  Ausnahmen  bis  Goron- 
talo.  Nicht  weit  oberhalb  einer  Stelle,  wo  der  Rano  i apo  eine  kleine 
Schnelle  bildete,  durchschritten  wir  den  Flufe,  und  jetzt  fing  der  Weg 
allmählich  an  zu  steigen.  Öfter  zeigte  sich  hier  unter  den  Waldbäumen 
ein  palmenartig  hochstämmiger  Pandanus,  die  schön  gedrehte  Krone 
scharf  vom  Stamm  abgesetzt  und  grofs  entfaltet,  ähnlich  dem  Haupt 
einer  Areca-Palme.  Eine  Aroidee  mit  milchw:eifser  Spatha  breitete  sich 
in  Rasen  aus.  An  Tieren  herrschte  grofce  Armut,  doch  mufsten  Wald  - 
ratten hier  Vorkommen;  denn  von  Stelle  zu  Stelle  stiefsen  wir  auf  eine 
eigene  Art  von  Fallen,  welche  von  Dammarharz-  oder  Rotang-Suchern 
errichtet  worden  war,  um  diese  Tiere,  die  geröstet  von  den  Eingebornen 
sehr  gern  gegessen  werden,  zu  erhaschen.  Es  zeigte  sich  nämlich  der 
Pfad  hin  und  wieder  auf  eine  ziemlich  lange  Strecke  hin  zu  beiden 
Seiten  mit  aneinandergereihten  Palmblattstücken  besäumt,  und  in  diesem 
Palmblattzaun  fanden  wir  in  Abständen  Öffnungen  mit  Schlingen  an- 
gebracht. Rotwild  und  Schweine  bekamen  wir  nicht  zu  sehen,  Affen 
fehlten  desgleichen;  indessen  hörten  wir  Nashornvögel  vorbeischwirren, 
wobei  ein  eigentümlich  charakteristisches  Geräusch,  fast  wie  beim  Zer- 
sägen faulen  Holzes,  zustande  kommt;  die  Stimme  dieser  Vögel  erinnert 
an  die  der  Affen.  Schöne  Schmetterlinge  sahen  wir  an  einem  Bach 
versammelt;  Papilio  Blumei,  in  der  Sonne  herrlich  blau  und  grün 
aufschimmernd,  schwebte  vorüber.  Der  Pfad  erhob  sich  immer  mehr; 
doch  verhinderte  die  Dichtigkeit  des  Waldes  jede  Aussicht.  Wir  lebten 
in  dem  Gefühl,  einen  lückenlosen  Waldtunnel  zu  durchschreiten,  und 
zwar  ununterbrochen  während  dreier  Tage,  bis  sich  uns  der  Ausblick 

24* 


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354 


l’ati  und  Fritz  Sarasin: 


auf  das  Kulturland  von  Mongondo  eröftnete.  Kompafs  und  Aneroid 
verrieten  uns  die  Richtung  des  Weges  und  die  Erhebung  des  Bodens. 
In  der  Höhe  von  etwa  510  m ließen  wir  die  erste  Hütte  errichten. 

[29.  November.]  Des  folgenden  Tages  brachen  wir  bei  heite- 
rem Wetter  auf  und  verfolgten  den  beständig  aufwärts  führenden 
Weg  weiter.  Unter  den  Pflanzen  fingen  die  Farne  an,  sich  auszu- 
zeichnen; wie  der  Erde  aufsitzende  Kokospalmenhäupter  entfalteten  an 
den  feuchtesten  Stellen  Angiopteris  und  Maratiia  ihre  Früchte,  und 
unter  den  Baumfarnen  bildeten  die  zarte  A/sophi/a  und  die  mehr  drahtig 
gebaute  Oyathea,  besonders  häufig  die  letztere,  kleine  Wäldchen  am 
Absturz  der  Bachrunsen,  welche  wir  gelegentlich  zu  durchschreiten 
hatten.  Unter  den  mancherlei  epiphytischen  Farnformen  fielen  beson- 
ders Acrosticheen-Arten  seltsam  auf.  Eine  mächtige  Zingiberaceen-Art 
bildete  dichte  Gebüsche,  und  da  und  dort  erhob  der  hochstämmige 
palmenartige  Pandanus  seine  schraubig  gedrehte  Krone.  Auffallende 
Blüten  erschienen  selten;  zuweilen  bildete  jedoch  eine  fleischrot  blühende 
Balsaminee  an  den  seltenen  freieren  Stellen  dichte  Rasen.  Aus  dem 
Waldesdickicht  ertönte  der  melodisch  tönende,  kräftige  Lockruf  des 
Pirols  und  das  dumpfe  Gurren  einer  Taubenart.  Daneben  begannen 
I.andblutegel  aufzutreten,  doch  wurden  sie  uns  hier  noch  nicht  sehr 
lästig.  Eine  eigentümlich  hübsche  Art  mit  malachitgrünem  Rücken- 
streif trafen  wir  hier  zum  ersten  Mal;  wir  begegneten  ihr  später 
öfters.  Hie  und  da  lasen  wir  eine  Schnecke  auf,  besonders  häufig 
Helicarion,  ferner  Kanina  cincta  in  verschiedenen  Varietäten  und  kleinere 
Deckelschnecken,  viel  seltener  die  schönen  Obba-Formen  aus  der 
Helix-Gruppe.  Auch  erbeuteten  wir  als  Seltenheit  eine  Landplanarie 
mit  halbmondförmigem  Kopfschild  ( Bipalium ). 

Nachdem  wir  die  Höhe  von  950  m erreicht  hatten,  that  sich  der 
Wald  mit  einem  Mal  vor  uns  auf,  und  wir  standen  am  Ufer  eines 
kleinen  Sees,  dessen  Name  uns  von  den  Führern  als  Mokobang  an- 
gegeben wurde.  Er  besteht  aus  zwei  durch  eine  enge  Verbindung  zu- 
sammenhängenden Becken,  von  denen  das  gröfsere  einen  Durchmesser 
von  200  m erreichen  mag.  Obwohl  wir  uns  hier  noch  beständig  auf 
vulkanischem  Boden  bewegen,  stellt  das  Wasserbecken  keinen  Krater- 
see dar,  wie  man  vermuten  könnte.  Im  aufserordentlich  dichten  Ur- 
waldkranz, welcher  dasselbe  umgab,  spielten  stelzfüfsige  Pandanus-Bäume 
eine  hervorragende  Rolle.  Der  Anblick  des  Sees  wirkte  um  so  düsterer, 
als  der  Himmel  schon  um  diese  Stunde  (io1*  30“)  sich  fast  völlig  über- 
zogen hatte  (Bewölkung  9).  Die  uns  von  den  Führern  gemachte  An- 
gabe, der  Ausflufs  des  Sees  laufe  in  den  Rano  i apo,  können  wir  nicht 
für  richtig  halten ; vielmehr  ergiefst  sich  derselbe  in  den  nach  Nord- 
westen hinabrauschenden  l’oigar,  welchen  wir  kurze  Zeit  darauf  zu 


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11  11W- 


Reiseberichte  aus  Celebes. 


355 


durchschreiten  haben  sollten.  Der  mit  dem  gröfseren  zusammenhängende 
kleine  See  zeigte  sich  reichlich  mit  einem  schilfartigen  Grase  bestanden; 
ein  Pärchen  Wildenten  belebte  seine  Oberfläche.  In  einer  an  seinem 
Ufer  errichteten  Hütte  hielten  sich  einige  Leute  auf,  um  Rotang  zu 
sammeln;  auch  begegneten  uns  beim  Weiterwandern  noch  zwei  andere, 
von  denen  der  eine  einen  kräftigen  Spiefs  als  Waffe  trug.  Vermutlich 
waren  die  Leute  den  Poigar  herauf  von  der  Küste  hergekommen. 

Der  Weg  führte  nun  etwas  abwärts,  und  wir  stiefsen  auf  den 
reifsend  daherrauschenden  Poigar;  ein  umgestürzter  Baumstamm  bildete 
die  schwer  zu  begehende  Brücke.  Aus  dem  Flufsbett  stiegen  wir  von 
neuem  empor  und  schlugen  bald  die  Hütte  auf,  da  einer  der  Träger 
Übermüdung  zeigte  und  Regen  einzusetzen  begann.  Die  Höhe  unserer 
Station  betrug  960  m.  Wir  erbeuteten  hier  einen  riesengrofsen  Regen- 
wurm, eine  jener  blau  schimmernden  Riesen-Perichaeten,  wie  man 
ähnliche  Formen  in  vielen  tropischen  Ländern  findet.  Wenn  wir  das 
Tier  berührten,  spritzte  es  aus  seinen  Rückenporen  Saft  hervor,  auf 
eine  Entfernung  von  gut  0,5  m. 

Zu  unserem  Behagen  bemerkten  wir  auf  der  ganzen  von  uns  durch- 
zogenen Strecke  keine  Moskitos,  wie  sie  sich  überhaupt  im  dichten 
Urwald  von  Celebes  nicht  bemerklich  machen.  Dagegen  ist  hier  der 
Ort,  über  ein  anderes  empfindlich  quälendes  Wesen  einige  Worte  zu 
sagen,  welches  uns  hier  in  Celebes  als  ganz  neue  Erscheinung  ent- 
gegentrat, nämlich  über  eine  von  den  Flingeborenen  Gottone  genannte, 
ganz  winzige,  rötliche  Milbe.  Die  Anwesenheit  dieses  Tieres  verrät  ein 
äußert  heftiger  Juckreiz  der  Haut,  welche  sich  mit  kleinen  weifsen 
Beulen  bedeckt,  von  der  Art,  wie  sie  giftige  Moskitostiche  hervorzurufen 
pflegen.  Besonders  reichlich  zeigen  sie  sich  an  der  Kniekehle,  treten 
aber  an  allen  Stellen  der  Körperoberfläche,  mit  Vorliebe  auch  auf  der 
Haut  des  Bauches,  auf.  Diese  Beulen  jucken  grenzenlos,  so  daß  dem 
Trieb,  zu  kratzen,  nicht  Widerstand  zu  leisten  ist.  Als  Folge  entstehen 
in  kurzer  Zeit  ins  Breite  greifende  geschwürige  Stellen,  welche  lebhafte 
Schmerzen  erzeugen;  dazu  kommt,  dals  der  heftige  Juckreiz,  in  der 
Wärme  sich  noch  steigernd,  den  Schlaf  raubt. 

Die  Ursache  der  Erscheinung,  die  Gonone  genannte  Milbe,  ent- 
deckten wir  erst  nach  mehreren  vergeblichen  Versuchen,  sie  aufzufinden, 
und  nahmen  niTn  wahr,  dafs  dieselbe  sich  in  die  Hautporen  eingräbt, 
und,  in  diese  eingebettet,  die  erwähnten  Beulen  erzeugt.  Bei  der 
winzigen  Kleinheit  des  Tieres,  welches  für  das  unbewaffnete  Auge 
gerade  noch  erkennbar  bleibt,  ist  die  durch  dasselbe  hervorgerufene 
Erscheinung  so  auffallender  Art,  dafs  wir  annehmen  müssen,  das  von 
ihm  in  die  Haut  entlassene  und  Entzündung  erregende  Sekret  habe 
nahezu  die  Kraft  des  Schlangengiftes. 


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356 


Paul  und  Frili  Sara  sin: 


Als  Gegenmittel  wandten  wir  zuerst  Insektenpulver  au,  aber  ohne 
jeden  Erfolg;  dagegen  erzielten  wir  eine  fast  wunderbare  Linderung 
der  quälenden  Symptome  durch  Einreibung  von  Perubalsam;  ohne 
dieses  Mittel  wäre  ein  längerer  Aufenthalt  in  gewissen  Walddistrikten 
der  Insel  für  uns  unmöglich  gemacht  worden.  Die  Einwohner  verwenden 
gegen  die  Gonone-Stiche  Kajuputi-Öl  (von  Mdaleuca  cajuputi,  Rxb.);  das- 
selbe hilft  ebenfalls,  doch  taugt  es  weniger  gut  als  Perubalsam.  Wird 
die  Milbe  an  ihrem  Ort  belassen,  so  pflanzt  sie  sich  daselbst  nicht 
weiter  fort,  sondern  stirbt  nach  einigen  Tagen  ab. 

[30.  November.]  Das  Minimalthermometer  zeigte  früh  17,5°  C. 
Weiter  führte  der  Weg  ziemlich  eben  fort  auf  einem  fetten,  lehmigen 
Boden,  welchen  zuweilen  kleine  Begonien  zierten;  auch  blieb  die  er- 
wähnte rotblühende  Balsaminee  sehr  gemein.  Gewaltige  Nestfarne,  eine 
Aspleniaceen-Form,  imponierten  wie  kleine  Palmkronen  auf  den  ihnen 
als  Wirt  dienenden  schlanken  Baumstämmen.  Eine  Selagin  eilen -Form 
mit  zierlich  farnartig  geschnittenen  Wedeln  verbreitete  sich  in  gröfseren 
Rasen.  Von  Stelle  zu  Stelle  erhob  eine  Schar  Cicaden  ein  wehklagen- 
des Konzert. 

Obschon  die  Sonne  klar  schien,  triefte  der  Wald  hörbar  von  dem 
während  der  Nacht  gefallenen  Regen.  Ein  Bach,  welcher  in  einer 
60  m tiefen  Schlucht  über  Basaltblöcke  hinwegrauschte,  mufste  durch- 
schritten, gefallene  Baumstämme  unaufhörlich  überklettert  werden. 
Unter  den  Bäumen  that  sich  hier  und  da  eine  Casuarine  durch  ihre 
mattgrüne  Farbe  hervor,  oder  es  erhob  sich  thurmartig  eine  gewaltige 
Dammarfichte.  Plötzlich  that  sich  uns  der  Ausblick  in  ein  heiteres 
Niederland  auf;  wir  standen  am  südwestlichen  Rand  der  von  uns 
durchzogenen  waldbedeckten  Hochebene  und  blickten  auf  eine  band- 
förmige, mit  Kulturvegetation  bedeckte  Fläche  hinab,  das  Kulturland 
von  Mongondo.  An  verschiedenen  Stellen  erhoben  sich  Rauchsäulen 
aus  derselben,  ein  Wahrzeichen  von  Dörfern  und  Einzelwohnungen. 
Südwestlich  umgrenzten  die  Kulturfläche  düster  blaugrün  erscheinende 
Bergzüge. 

Von  hier  führte  der  Weg  sehr  steil  abwärts;  in  einer  Viertelstunde 
stiegen  wir  120  m hinab.  Weiter  verwandelte  sich  der  Pfad  in  ein 
Bachbett,  und  wir  kletterten  über  die  glatten  Basaltblöcke  abwärts.  In 
der  Höhe  von  etwa  700  m stiefsen  wir  auf  den  ersten  Baumgarten;  der 
Weg  begann  bequemer  zu  werden,  und  bald  standen  wir  in  der  Nähe 
von  Popo,  dem  ersten  Dorf  von  Mongondo. 

Werfen  wir  hier  einen  kurzen  Rückblick  auf  den  von  uns  durch- 
schrittenen Weg  von  Karoa  bis  hierher  nach  Popo,  so  werden  wir  ge- 
wahr, dafs  ein  Hochplateau  von  durchschnittlich  1000  m Höhe  die 
Minahassa  vom  Nachbarreich  Bolang-Mongondo  scheidet.  Wir  wollen 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


357 


dasselbe  das  Plateau  des  Poigar  nennen,  weil  dieser  Flufs  aus  ihm 
seine  Entstehung  nimmt.  Er  soll,  wie  die  Eingeborenen  der  Gegend 
behaupten,  einem  grofsen  See  entströmen,  der  von  ihnen  als  Dano 
(=  See)  bezeichnet  wird.  Es  würde  jedenfalls  von  hohem  Interesse 
sein,  dem  Lauf  des  Poigar  folgend,  dieses  geheimnisvolle  AVasser- 
becken  aufzusuchen,  dessen  mögliche  Lage  wir  auf  der  Karte  ange- 
deutet haben. 

An  der  Südseite  der  Hochebene  erheben  sich  ferner  einige  mächtige 
Vulkane,  von  denen  einer,  nach  in  Kottabangon  uns  gemachten  Mit- 
teilungen zu  schliefsen,  noch  in  schwacher  Thätigkeit  zu  sein  scheint. 
Diese  und  andere  Vulkane  dürften  das  Plateau  des  Poigar  durch  Auf- 
schüttung gebildet  haben.  Fetter  Boden,  gute  Bewässerung  und  ein 
herrlich  gemäfsigtes  Klima  zeichnen  die  Hochebene  aus,  welche  in- 
dessen, noch  unberührt  von  jeder  Kultur,  wie  wir  gesehen  haben,  auf 
ihrer  gesamten  Erstreckung  vom  dichtesten  Urwald  bedeckt  ist. 

In  Popo  wurden  wir  von  einigen  fast  nach  europäischer  Art  be- 
kleideten Eingeborenen  empfangen,  welche  sich  ihr  Erstaunen  über 
unser  plötzliches  Erscheinen  nicht  merken  liefsen.  Ein  neu  errichtetes 
Haus  aufserhalb  des  Dorfes  wurde  uns  zur  Wohnung  angewiesen;  es 
gehörte  dem  Obmann  des  Dorfes,  dem  sogenannten  „ Mukum  tuwa", 
welcher  indessen,  an  Fieber  schwer  erkrankt,  nicht  selbst  seine  Auf- 
wartung machen  konnte. 

Unser  Haus  füllte  sich  bald  mit  Neugierigen,  welche  ihre  Augen 
unausgesetzt  starr  auf  uns  gerichtet  hielten;  es  gelang  uns  indessen 
nach  einiger  Zeit  wenigstens  die  Mehrzahl  hinauszutreiben. 

Das  Dorf  selbst,  welches  wir  nun  in  Augenschein  nahmen,  zeigte 
sich  von  einem  schwach  gebauten  Bambuszaun  umgeben;  ein  solcher 
verschlofs  auch  den  strafsenartig  breiten  Haupteingang;  zu  beiden 
Seiten  fanden  sich  kleine  Eingänge  für  Personen  angebracht.  Etwa 
zwanzig  Häuser,  welche  in  zwei  Reihen  auf  rein  gehaltenem  Boden 
stehen,  setzen  das  Dorf  zusammen;  jedes  derselben  ruht  auf  niedrigen 
Pfählen,  wie  dies  auch  in  der  Minahassa  der  Fall  ist,  doch  sind  hier 
die  Häuser  kleiner  und  die  Dächer  höher.  In  jedem  Häuschen  findet 
sich  vorne  eine  Veranda  angebracht,  darauf  folgt  der  Hauptwohnraum, 
in  welchem  die  erhabenen  Schlafstellen  stehen;  die  hinterste,  kleinste 
Abteilung  ist  für  die  Küche  bestimmt,  in  welcher  ein  auf  den  Boden 
hingeschüttetes  Lager  Erde  als  Feuerherd  dient.  Lichtöffnungen  fehlen 
den  AVohnräumen. 

Es  fiel  uns  auf,  dafs  Frauen  und  Kinder  bei  unserem  Erscheinen 
im  Dorf  nicht  wegeilten,  vielmehr  gaben  sich  die  Frauen  den  Schein, 
als  beachteten  sie  uns  gar  nicht  und  blieben  ruhig  bei  ihrem  Geschäft. 
So  lange  sie  noch  jung  sind,  tragen  sie  ein  weifses  Jäckchen  und  einen 


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358 


Paul  tinil  Friiz  Sarasin: 


roten  Unterrock,  die  älteren  statt  dessen  einen  blauen.  Die  Männer 
kleiden  sich  meist  in  Jacken  von  weifsem  und  Beinkleider  von  blauem 
Tuch.  Die  Kleider  sind  europäische  Ware  und  stammen  von  Händlern 
in  Menado. 

Der  Viehstand  setzt  sich  in  erster  T.inie  aus  Schweinen  zusammen, 
welche  wohl  gepflegt  werden;  die  jungen  mästet  man  mit  schönen, 
* reifen  Papaja  - Früchten , welche  von  den  Eingeborenen  selber  ver- 
achtet werden;  cs  sei  ja  Schweinefutter.  Die  Früchte  werden  zer- 
schnitten und  den  Schweinchen  vorgesetzt,  während  eine  Frau  mit 
langem  Stecken  die  sich  herandrängenden  erwachsenen  Schweine,  die 
Hunde  und  Hühner  abwehrt.  Die  geernteten  Papaja-Früchte  werden  in 
einem  Bambuskorb  aufbewahrt,  welcher  auf  einem  Pfahl  befestigt  und 
mit  einem  kleinen  Dach  bedeckt  ist.  Verkaufen  wollten  uns  die  Leute 
keines  von  den  Schweinchen.  Sie  sagten,  sie  äfsen  sie  selber;  für 
zwanzig  Gulden  könnten  wir  indessen  eines  nehmen,  hiefs  es. 

Die  Bewohner  von  Popo  sind  der  Religion  nach  weder  christlich 
noch  mohamedanisch  und  werden  deshalb  als  Alfuren  bezeichnet; 
ihre  Religion  besteht  in  Dämonismus.  Sie  stammen  aus  der  Minahassa, 
woher  sie  in  den  vierziger  oder  fünfziger  Jahren  aus  Unzufriedenheit 
eingewandert  sind. 

[i.  December.]  Am  folgenden  Tag  brachen  wir  des  Mittags 
nach  dem  nicht  mehr  fernen  Kottabangon  auf.  Der  Weg  führte  immer- 
fort durch  Kulturland;  viele  von  den  Baumgärten  waren  sorgfältig 
eingehegt.  Die  Kultur  schien  üppig  zu  sein;  besonders  fielen  uns 
grofsc  Anpflanzungen  von  Mais  auf.  Auch  nahmen  wir  Kafleepflanzungen 
wahr,  und  vielfach  zeigte  sich  die  Sago  liefernde  Arenga- Palme 
angebaut. 

Vorerst  gelangten  wir  nach  einer  Stunde  Wanderns  von  Popo  nach 
Pontodong.  Da  die  Einwohner  dieses  Dorfes  in  schlechtem  Ruf  stehen, 
schlossen  sich  unsere  Träger  zusammen;  wir  selbst  und  noch  drei 
weitere  Leute,  welche  gleich  uns  Gewehre  trugen,  marschierten  aufser- 
halb,  in  Abständen  verteilt,  zur  Seite  des  Zuges. 

Das  Dorf  Pontodong  besteht  ans  zahlreichen,  durch  Gröfse  aus- 
gezeichneten Häusern,  aus  welchen  uns  die  Einwohner  erstaunt  und 
wilden  Blickes  zuschauten.  Es  fiel  uns  auf,  dafs  von  den  Frauen  hier 
nur  die  älteren  den  Oberkörper  bekleidet  trugen.  Alle  Eingeborenen 
verhielten  sich  ganz  schweigsam.  Sie  zeigten  den  echt  malayischen 
Typus,  aber  von  etwas  feinerer  Art  als  die  Leute  von  Popo,  welche 
dem  gröberen,  vielleicht  auf  ursprünglicher  chinesischer  oder  japa- 
nischer Beimischung  beruhenden  Minahassa- Typus  angehören. 

Aus  einigen  Opferstellen  im  Ort  Pontodong  schlossen  wir,  dafs 
die  Bewohner,  wenigstens  zum  Teil,  noch  Alfuren  sind. 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


359 


Weiter  passierten  wir  das  Dorf  Riga,  welches  nur  aus  ein  paar 
Häusern  besteht;  die  grüne  Kleidung  der  Frauen  deutete  darauf  hin, 
dafs  hier  die  mohamedanische  Religion  ihre  Herrschaft  begann.  Der 
Friedhof  des  Dorfes  bewies  es  durch  seine  Art  der  Anlage. 

Unser  Pfad  verwandelte  sich  nun  in  einen  guten  Reitweg,  und  wir 
gelangten  nach  kurzer  Frist  nach  Kottabangon,  dem  Hauptort  der 
Kulturhochebene  von  Mongondo.  Dieses  Dorf  ist  nicht  eingezäunt, 
sondern  allenthalben  frei  zugänglich  und  besteht  aus  zwei  Reihen  un- 
schön gehaltener  Pfahlhäuser.  Unser  Herannahen  war  den  Einwohnern 
ruchbar  geworden,  und  so  fanden  wir  um  das  gröfste  Haus  des  Ortes,  das 
sogenannte  Königshaus,  eine  Menge  Menschen  versammelt,  um  uns  zu 
erwarten;  auch  das  Innere  des  Hauses  war  dicht  von  Leuten  angefüllt. 
Wir  traten  ein  und  wurden  von  einem  halb  europäisch  gekleideten, 
älteren  Mann  empfangen,  welcher  den  Titel  Major  führte.  Wir  be- 
grüfsten  ihn,  setzten  uns  und  begannen  eines  jener  für  Europäer  äufserst 
peinlichen,  leeren  Geschwätze,  das  Bitjara  der  Malayen,  wobei  blofs 
die  Zeit  verflofs,  ohne  dafs  irgend  etwas  von  Belang  vor  sich  ging. 
Das  von  Zuschauern  dicht  erfüllte  Haus  wurde  uns  als  Unterkunft  ange- 
wiesen, was  uns  wenig  behagte ; ein  anderes  indessen  konnten  wir  nicht 
erlangen,  umsoweniger,  als  das  Königshaus  zu  bewohnen  selbstver- 
ständlich für  eine  Auszeichnung  gilt.  Der  Besuch  des  Königs  selbst 
stand  aufserdem  für  die  nächste  Zeit  bevor,  und  infolge  dessen  be- 
deckten rote  und  weifse  Tücher  die  Wände  des  Wohnraumes.  Mehrere 
von  den  Leuten  erschienen  ganz  in  rot  gekleidet,  in  rote  Jacken  und 
enge  rote  Beinkleider,  auch  trugen  sie  ein  rotes  Kopftuch.  Die  Mehr- 
zahl der  Frauen,  die  uns  bei  einem  gelegentlichen  Spaziergang  durch 
das  Dorf  begegneten,  trugen  den  Oberkörper  unbekleidet. 

Wir  fingen  nun  an,  uns  im  Königshause  etwas  einzurichten.  Da 
der  Major  keinen  Augenblick  uns  von  der  Seite  wich,  gingen  wir  ihn 
um  Reis  an  für  unsere  Leute;  er  erklärte  indessen,  es  sei  hier  nichts 
zu  bekommen,  wenigstens  kaum  so  viel,  dafs  wir  nach  Bolang  an  der 
Westküste  abziehen  könnten.  Wir  dachten  nun  aber  nicht  anders,  als 
genügend  Reis  zusammenkaufen  zu  können,  um  unseren  Weg  direkt 
westlich  Uber  Land  nach  Gorontalo  fortzusetzen.  Der  Major  versicherte 
dagegen,  das  sei  ganz  unmöglich,  nach  Gorontalo  hinüber  sei  nichts 
als  Wald,  und  wo  sich  auch  ein  kleines  Dörfchen  finde,  sei  nichts  zu 
bekommen. 

So  gaben  wir  unseren  Plan,  geradewegs  westwärts  vorzudringen, 
schweren  Herzens  auf  und  beschlossen,  zunächst  nach  Bolang  abzu- 
ziehen, um  dort  mit  dem  Radja  in  Verbindung  zu  treten  und  uns  mit 
dem  nötigen  Reis  zu  versehen;  von  dort  sollte  dann  der  Durchmarsch 
von  neuem  in  Angriff  genommen  werden. 


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360 


Paul  und  Fritz  Sarasin: 


Dem  Major  schien  es  übrigens  ganz  wohl  bei  uns  zu  werden;  er 
ging  uns  um  Genever  an,  begnügte  sich  indessen,  da  wir  diesen  nicht 
bei  uns  führten,  mit  einem  Glas  Brandy,  das  er  sehr  rühmte.  Unsere 
Cigarrenkiste  benutzte  er  als  die  seinige;  uns  selbst  aber  lag  vor  allem 
daran,  ihn  in  guter  Laune  zu  halten.  Nur,  sobald  wir  uns  zum  Essen 
anschickten,  entfernte  er  sich  nach  dem  Hinterraum  des  Hauses,  wel- 
chen er  gegenwärtig,  durch  die  bevorstehende  Ankunft  des  Königs  aus 
einem  benachbarten  Dorf  hierhergerufen,  mit  seiner  Familie  für  einige 
Zeit  bewohnte.  Vor  dem  Schlafengehen  teilte  er  uns  mit,  die  Leute 
hier  im  Ort  seien  diebisch,  er  selber  schlafe  stets  mit  geladenem  Ge- 
wehr neben  sich.  Wir  thaten  desgleichen  und  stellten  Wachen  aus. 

Abends  bemerkten  wir,  wie  unsere  Leute  sich  gegenseitig  regel- 
recht die  Glieder  massierten,  besonders  die  Brust  und  Schultern;  sie 
fetteten  die  Haut  mit  einem  Öl  ein  und  fuhren  mit  der  massierenden 
Hand  sorgfältig  den  einzelnen  Muskelzügen  nach. 

[2.  December.)  Wir  konnten  an  diesem  Tag,  so  sehr  wir  es  ge- 
wünscht hätten,  nicht  aufbrechen,  weil  unser  Mandur  in  den  nächsten 
Dörfern  nach  Reis  sich  umzuthun  hatte.  Als  wir  uns  gelegentlich  nach 
der  Küche  umsahen,  bemerkten  wir  zu  unserer  Heiterkeit,  dafs  unserem 
Koch  das  Staatsgefängnis  als  Arbeitsraum  angewiesen  worden  war.  Die 
Teller  und  Pfannen  standen  der  Reihe  nach  auf  dem  Pflock  geordnet, 
welcher  aus  zwei  schweren  auf  einander  gelegten  Balken  bestand  ; der 
untere  wies  Einschnitte  auf  für  die  Beine  der  Verbrecher. 

Wir  können  uns  in  diesem  flüchtigen  Vorbericht  nun  nicht  mehr 
mit  all  den  kleinen,  übrigens  oft  recht  charakteristischen  Vorfällen  auf- 
halten, welche  sich  bei  uns  im  Königshause  ereigneten;  der  beständig 
uns  umdrängende  dichte  Knäuel  von  Neugierigen  gab  dazu  reichlichen 
Anlafs.  Trotzdem  gelang  es  uns  noch,  eine  Photographie  des  Ortes 
aufzunehmen  und  mehrere  ethnographische  Gegenstände,  wie  Lanzen, 
Schwerter,  Klewangs  u.  a.  m.  zu  erwerben. 

Wir  wurden  sehr  stark  um  Chinin  angegangen,  weil,  wie  es  hiefs, 
hier  viel  Fieber  herrsche. 

Abends  wurde  der  nötige  Reis  herbeigebracht;  es  hatte  grofse 
Mühe  gekostet,  ihn  aufzutreiben. 

[3.  December.]  Früh  vor  Abmarsch  nahm  der  Major  höflichen 
Abschied  von  uns  und  begleitete  denselben  mit  einer  kleinen  An- 
sprache, worin  er  uns  artig  für  unseren  Besuch  dankte;  er  beschenkte 
uns  auch  mit  zwei  Wachskerzen,  die  wir,  da  uns  das  Petroleum  auf 
die  Neige  gegangen  war,  recht  wohl  verwenden  konnten.  Darauf 
schlugen  wir  den  sogenannten  „grolsen  Weg“  ( djalan  raja,  nicht  raJj,i\ 
nach  der  Küste  ein.  Derselbe  führte  zunächst  durch  Kulturland,  worin 
Maisbau  und  Gruppen  von  Sago-Palmen  auffielen.  Gröfsere  Flüge  der 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


361 


eleganten  isabellfarbigen  Taube,  Myrish'civora  luduosa,  belebten  die 
Baumgärten. 

Das  von  uns  durchzogene  Kulturland  von  Mongondo  stellt  im 
grofsen  und  ganzen  eine  Hochebene  oder  einen  weiten  Kessel  dar, 
welcher  von  waldbedeckten  Gebirgen  umzogen  ist.  Nicht  fern  von  der 
Stelle,  wo  der  Weg  sich  nach  abwärts  zu  senken  begann,  kamen  wir 
an  zwei  Solfataren  vorbei,  welche  das  umliegende  Gestein  weifs  färbten 
und  deutlichen  Schwefelgeruch  verbreiteten.  Von  jetzt  ab  begann  wieder 
dichter  Urwald,  in  welchen  der  Weg  hinabtauchte,  der  rechten  Seiten- 
halde des  vom  Flufs  Ongkag  gegrabenen  Canons  folgend.  Dieser 
Pfad,  obschon  die  Hauptverkehrsader  zwischen  Mongondo  und  Bolang, 
scheint  sich  aus  lauter  Hindernissen  zusammenzusetzen.  Unaufhörlich 
hatten  wir  über  gefallene  Baumstämme  zu  klettern,  welche  quer  über 
den  Weg  lagen;  dann  verwandelte  sich  dieser  wieder  von  Stelle  zu 
Stelle  in  einen  Lehmsumpf.  Brücken  fehlten  natürlich  stets. 

Nach  einiger  Zeit  gelangten  wir  an  den  Ongkag  selbst,  einen  starken, 
in  schönen  Schlingungen  hinabrauschenden  Flufs;  hohe  Gräser  und 
Bambushaine  bekleideten  seine  Ufer.  Von  jetzt  ab  verlor  sich  der  Weg 
zuweilen  in  den  Flufs  selbst. 

An  dieser  Stelle  kam  uns  echtes  Sedimentgestein  zur  Beobachtung, 
das  erste  Mal  auf  unserer  ganzen  bisherigen  Reise.  Es  bestand  in  einem 
grauen  Schieferthon,  dessen  Schichten  ungefähr  NO  fielen.  Der  Pfad 
führte  über  die  Schichtenköpfe  hinweg. 

Der  weitere  Weg  wurde  teils  sumpfig,  teils  glatt  wie  Seife,  teils 
verbarg  er  sich  dem  Auge  unter  Grasbiischen,  die  ihn  überwölbten. 

(4.  December.]  Es  fing  nun  schon  an,  sich  von  Stelle  zu  Stelle 
Kulturland  zu  zeigen,  in  welchem  sich  u.  a.  Kakao  häufig  angebaut 
fand.  Am  Flufs  sahen  wir  weiterhin  aufser  dem  Schieferthon  auch 
ein  Konglomerat  aus  Lehm,  dessen  Einschlüsse  als  lauchgrüne,  an 
Mächtigkeit  in  einzelnen  Fällen  Kopfgrölse  erreichende  Knollen  seltsam 
auffielen.  Wir  fügen  gleich  bei,  dafs  wir  auf  unserer  Rückreise  von 
Gorontalo  nach  Kema  an  der  Südkiiste  am  Kap  Flesko  ein  an  diese 
Einschlüsse  erinnerndes  geschichtetes  grünes  Gestein  bemerkten,  worauf 
wir  noch  zurückkommen  werden.  Endlich  stiefsen  wir  am  Ufer  des 
Ongkag  auf  einen  lose  daliegenden  Block,  welcher  aus  einer  gelblichen 
Muschelbreccie  bestand  und  viele  Korallentrümmer  enthielt.  Er  dürfte 
das  Fragment  eines  jungen,  „gehobenen"  Riffes  darstellen;  leider 
fanden  wir  dasselbe  nicht  anstehend.  Hier  am  Flufs  Ongkag  also 
stiefsen  wir  auf  eine  Grenze  des  von  uns  bis  dahin  durchzogenen 
vulkanischen  Gebietes. 

Von  jetzt  ab  wurden  bewohnte  Häuser  immer  häufiger,  es  begeg- 
neten uns  öfters  Leute,  welche  ein  höflicheres  Benehmen  gegen  uns 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


3fi2 

an  den  Tag  legten,  als  die  Bewohner  des  Mongondo-Plateaus,  und  wir 
gelangten  nach  dem  reinlich  gehaltenen  Dorf  Sa  lim  an  dungan. 
Die  uns  begrüfsenden  Einwohner  verneigten  sich  und  hielten  dabei  die 
aneinander  gelegten  Hände  an  die  Stirn,  eine  Sitte,  welche  sich  bei- 
spielsweise auch  bei  den  Singhalesen  beobachten  läfst,  und  hier  wie 
dort  zeichnen  sich  die  Bewohner  des  Niederlandes  durch  ein  freund- 
licheres Benehmen  vor  denen  des  Gebirges  aus. 

Nach  längerer  Zeit  Weiterwanderns  über  und  durch  Hindernisse 
aller  Art  verkündete  uns  das  dumpfe  Tosen  der  Brandung  die  nahe 
Küste;  wir  streiften  noch  durch  eine  Grasebene,  welche  einen  ange- 
nehmen Duft  ausströmte,  wie  ein  Weizenfeld,  und  sich  inmitten  eines 
ernsthaft  düsteren  Urwaldzirkus  ausbreitete.  Dann  gelangten  wir  an 
das  Meer,  dessen  Küste  mit  Spinifex  bewachsen  und  mit  den  violetten 
Bliitentrichtern  der  Ipomea  biloba  geschmückt  erschien.  Als  Nacht- 
quartier bezogen  wir  eine  Hütte  am  Strand.  Unsere  Träger  sangen 
und  tanzten  bis  in  die  Nacht  hinein,  denn  sie  hatten  sich  von  Leuten 
der  Umgegend  den  schon  lange  entbehrten  getrockneten  Fisch  als  Zu- 
gabe zu  ihrem  Reis  erwerben  können. 

[5.  December.]  Früh  marschierten  wir  dem  Strande  entlang  nach 
Bolang  ab,  der  Hauptstadt  des  Königreichs  Bolang-Mongonda  und 
dem  Sitz  des  Radja.  Dort  angekommen,  gelang  es  uns,  ein  reinliches 
Fischerhaus  als  Wohnung  zu  beziehen,  dessen  Hauptraum  durch  bunte 
Vorhänge  hübsch  in  kleinere  Räume  abgeteilt  erschien.  Nach  den 
lange  entbehrten  gründlichen  Reinigungsarbeiten  liefsen  wir  uns  beim 
Radja  anmelden. 

Nach  einiger  Zeit  kamen  zwei  sauber  in  Uniform  holländischen 
Schnitts  gekleidete  Würdenträger  heran,  um  uns  hinzugeleiten.  Wir 
folgten  ihnen  ein  paar  Häuser  weiter  nach  der  nicht  eben  sehr  könig- 
lich aussehenden  Wohnung  des  Radja,  welche  nicht  etwa  das  gröfste 
Haus  des  Ortes  darstellte. 

Der  Radja  trug  ebenso  wie  seine  Würdenträger  eine  an  die  hol- 
ländische Uniform  erinnernde  Kleidung,  benahm  sich  sehr  höflich  und 
versprach  uns  seine  Unterstützung  im  Aufbringen  von  Reis  und  in  der 
Beschaffung  von  Führern  für  unsere  Reise  nach  Gorontalo. 

Wir  brauchen  uns  über  unseren  Aufenthalt  in  Bolang  hier  nicht 
weiter  zu  verbreiten;  es  genüge  zu  wissen,  dafs  der  Radja  sein  Ver- 
sprechen hielt  und  uns  freundlich,  ja  zuvorkommend  in  allem  seine 
wichtige  Unterstützung  gewährte.  Da  die  grofse  Menge  des  von  uns 
aufgenommenen  Reises  erst  enthülst  werden  mufste,  da  ferner  alles 
Gepäck  von  neuem  geordnet  und  viele  Gegenstände  mittelst  eines  Prau 
nach  Menado  versandt  werden  mufsten,  da  endlich  der  ursprünglich 
für  die  Abreise  in's  Auge  gefafsteTag  sich  als  Freitag  erwies,  weshalb 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


363 


unsere  mohamedanischen  Begleiter  sich  weigerten  aufzubrechen,  konnte 
der  Abmarsch  erst  nach  einem  Aufenthalt  von  vier  Tagen  an  dem  für 
uns  wenig  interessanten  Ort  erfolgen. 

An  dieser  Stelle  bemerken  wir,  dafs  Teile  des  von  uns  bis  hieher 
zurückgelegten  Weges  schon  von  den  Herren  Schwarz,  Wilken,  De  Lange, 
De  Clercq  und  Riedel  begangen  worden  sind,  auf  deren  Berichte  wir 
in  der  definitiven  Publikation  näher  eintreten  werden  (siehe  auch  die 
Erklärung  zur  Karte  S.  400).  Hier  möge  blofs  angedeutet  werden,  dafs 
unsere,  hauptsächlich  auf  naturwissenschaftliche  Einsicht  des  Landes 
gerichtete  Bereisung  dieser  Strecke  durch  die,  übrigens  sehr  wichtigen, 
Berichte  der  genannten  Reisenden  nicht  etwa  unnötig  geworden  ist.  Von 
Bolang  ab  traten  wir  nun  eine  Reise  nach  dem  Innern  an,  welche  noch 
von  keinem  Europäer  vor  uns  ausgeführt  worden  ist. 

Unser  Plan  bestand  darin , uns  geradenwegs  von  hier  aus  durch 
das  Innere  des  Landes  nach  Gorontalo  durchzuschlagen.  Der  Radja 
gesellte  uns  als  Begleiter  einen  seiner  Würdenträger,  einen  sogenannten 
Capilan  Radja,  bei,  welcher  sich,  mit  einer  starken  Lanze  bewaffnet, 
bei  uns  einfand.  Aufserdem  bekamen  wir  einen  alten  holländischen 
Militärsäbel  zugestellt,  welchen  wir  in  den  Dörfern  des  Radja  als 
Zeichen,  dafs  wir  unter  seinem  besonderen  Schutz  standen,  vorweisen 
sollten.  Jede  Nacht  wurde  denn  auch  der  Säbel  in  den  Häusern, 
welche  uns  zur  Unterkunft  dienten,  zu  Häupten  von  uns  aufgehängt. 

[9.  December.]  Nachdem  wir  Bolang  hinter  uns  hatten,  ge- 
langten wir  bald  zum  Ästuar  des  Stromes  Lom bagin,  welcher  durch 
die  Vereinigung  der  Flüsse  Ongkag  und  Dumoga  gebildet  wird.  Wegen 
der  Krokodile  konnte  das  Wasser  nicht  durchwatet  oder  durchschwommen 
werden;  deshalb  wurden  wir  durch  das  Übersetzen  unserer  vielen  Leute, 
vermittelst  der  zwei  hier  zur  Verfügung  stehenden  Auslegerboote,  lange 
genug  aufgehalten.  Die  hier  wohnenden  Eingeborenen  umgeben  ihre 
Hutten  mit  einem  Bambuszaun,  um  die  Krokodile,  welche  des  Nachts 
den  Flufs  zu  verlassen  pflegen,  vom  Eindringen  abzuhalten. 

Bei  unserer  Weiterwanderung  längs  der  Küste  galt  es,  ein  recht 
mächtiges,  „gehobenes“  Korallenriff  zu  überklettern,  eine  marmorglatte, 
äufserst  harte,  weifsgelbc  Kalkbreccie.  Die  Lage  des  Riffes  würde 
auf  negative  Strandverschiebung  hindeuten,  wenn  wir  nicht  zugleich 
beobachtet  hätten,  dafs  dasselbe  gegenwärtig  der  Abrasion  ausgesetzt 
ist,  infolge  dessen  es  nicht  längs  dem  Strande  umschritten  werden 
konnte;  die  Wellen  brachen  sich  an  den  herabgestürzten  Blöcken. 
Wir  werden  unten  noch  einmal  auf  die  hier  beregte  Frage  zurückkommen. 

Es  erhob  sich  nun  ein  starker  Wind  von  Westen  her  uns  entgegen, 
welcher  einen  gewaltigen  Regen  heranbrachte,  so  dafs  wir  froh  waren, 
als  wir  das  Dorf  Lolak,  unweit  des  Flusses  gleichen  Namens,  er- 


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3P.4 


Paul  und  Fritt  Sarasin: 


reichten.  Wir  fanden  behagliches  Quartier,  im  geräumigen  Hause  des 
Majors  oder  Obmannes  des  Dorfes.  Von  hier  aus  begann  unser  Zug 
landeinwärts,  den  wir  den  folgenden  Tag  in  Begleitung  von  59  Mann 
antraten,  nachdem  wir  unseren  Wirt  durch  Überreichung  eines  Paares 
vergoldeter  Manschettenknöpfe  und  seine  Frau  durch  ein  Bernstein- 
halsband äufserst  zufrieden  gestellt  hatten. 

[10.  December.]  Wir  folgten  dem  rechten  Ufer  des  Flusses 
Lolak,  und  zwar  führte  der  Weg  zunächst  noch  durch  Baumgärten, 
welche  mit  Wald  abwechselten.  Nach  nicht  sehr  langer  Zeit  aber  ver- 
lor sich  der  Pfad  in  den  Flufs  selbst,  welcher  hier  eine  Breite  von 
etwa  zwanzig  Schritten  aufwies.  Das  von  ihm  mitgeführte  Geschiebe 
erwies  sich  als  Urgestein  und  entstammte  ohne  Zweifel  dem  als  Huntuk 
ßuludawa  auf  der  Karte  bezeichneten  mächtigen  Gebirgsstock. 

Anstehend  fand  sich  am  Flufs  ein  satt  rotbraun  gefärbtes,  ge- 
schichtetes Gestein,  das  wir  als  einen  Thonschiefer  auffassen  zu  müssen 
glauben;  an  einer  Stelle  in  der  Nähe  davon  bemerkten  wir  einen  eben- 
falls rotbraun  gefärbten  Lehm. 

Man  teilte  uns  mit,  es  werde  zwei  Tagereisen  weiter  oben  am 
Lolak  Gold  gefunden. 

Für  die  Nacht  richteten  wir  uns  in  einer  von  Sagoklopfern  ver- 
lassenen Hütte  ein.  Sie  lag  gerade  am  Ufer  des  Flusses,  in  welchem 
watend  wir  herangekommen  waren,  so  dafe  unser  erster  Schritt  zur 
Weiterwanderung  des  folgenden  Tages  von  neuem  in  das  knietiefe 
Wasser  zu  geschehen  hatte. 

[11.  December.]  Den  Flufs  Lolak  selbst  verliefsen  wir  nun  bald 
und  wanderten  in  einem  kleinen,  von  Süden  her  ihm  zuströmen- 
den Bache  weiter.  Bald  darauf  war  ein  mit  Bambus  bewachsener 
Hügel  zu  überschreiten,  und  wir  dachten  zunächst  nicht  anders,  als 
dafs  nunmehr  endlich  der  Boden  anfangen  werde,  sich  zu  erheben,  da 
wir  bis  zu  dieser  Stelle  stets  wenig  über  dem  Niveau  des  Meeres  ge- 
blieben waren.  Auffallender  Weise  aber  erwies  sich  diese  Voraus- 
setzung als  unrichtig;  der  Hügel  stellte  sich  blofs  als  die  Wasserscheide 
zwischem  dem  Lolak  und  einem  stromartig  mächtigen  F'lufs  dar, 
welcher  uns  als  Dumoga  bezeichnet  wurde.  Zunächst  stiefsen  wir 
noch  nicht  auf  diesen  letzteren  selbst,  sondern  wir  befanden  uns  in 
der  Ebene  desselben  und  zwar  zu  unserer  Überraschung  wiederum 
ungefähr  auf  Meeresniveau,  Auch  hier  noch  bildete  das  erwähnte 
rotbraune  Schichtgestein  die  Unterlage  des  Bodens,  wie  uns  ein  kleines 
Bachbett  lehrte. 

Der  äufserst  glatt  gewordene,  verseifte  Weg  kündete  uns-  die  Nähe 
von  Menschen  an.  Baumgärten  begannen  die  Stelle  des  Urwaldes  ein- 
zunehmen und  wir  gelangten  nach  dem  Ort  Solog,  in  welchem  indessen 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


365 

die  Häuser  noch  nicht  zu  einem  eigentlichen  Dorf  gruppiert  sind,  viel- 
mehr zerstreut  inmitten  der  Baumgärten  liegen;  nur  von  Stelle  zu  Stelle 
fanden  sich  Gruppen  von  zwei  oder  drei  Wohnungen.  Die  Leute, 
denen  wir  begegneten,  verhielten  sich  durchaus  friedlich,  begrüfsten 
uns  kurz,  sahen  uns  aber  im  übrigen  schweigend  zu.  Es  wird  hier 
hauptsächlich  Mais  gebaut,  auch  fehlen  natürlich  die  düsteren  Sago- 
Palmenhaine  nicht;  außerdem  fielen  uns  viele,  schön  in  rotbraunen 
Schoten  prangende  Kakaobäume  auf.  Eine  gröfsere  Menge  Dammar- 
harz  sahen  wir  bei  einem  Haus  aufgestapelt. 

Wir  gelangten  nun  an  die  Dumoga  selbst,  welche  voll  und  rauschend 
daherströmt;  sie  ist  mit  Prauen  gut  und  weithin  befahrbar,  wie  wir 
später  noch  sehen  werden.  Der  Weg  führte  ihrem  linken  Ufer  entlang 
südwärts  weiter.  Da  der  Strom  sich  ein  ziemlich  tiefes  Bett  gegraben 
hatte,  erwies  sich  das  Ufer  als  eine  äufserst  abschüssige  und  für  uns 
mit  den  Schuhen  sehr  schlecht  zu  begehende,  oft  entschieden  gefähr- 
liche Halde.  Zwar  hatten  Waldbäume  auf  derselben  sich  festgewurzelt; 
dennoch  gerieten  wir  oft  in  Verlegenheit,  wo  wir  den  Fufs  hinsetzen 
sollten,  und  unter  uns  rauschte  drohend  die  angeschwellte  Dumoga.  Als 
der  halsbrecherische  Weg  wieder  an  den  Strom  hinabführte,  bemerkten 
wir,  dafs  das  Bett,  in  welchem  dieser  einherflofs,  aus  Basalt  bestand,  an 
welchem  sich  auch  als  seltene  Ausnahme  ächte,  säulenartige  Bildungen 
unterscheiden  liefsen,  Von  neuem  also  befanden  wir  uns  im  Gebiet 
des  Vulkanismus. 

Wir  folgten  nun  dem  Ufer  weiter,  unausgesetzt  über  die  Basalt- 
blöcke wegklettemd,  worauf  sich  das  Strombett  von  neuem  zu  einer 
Schlucht  verengte,  an  deren  abschüssiger  Halde  wir  uns  sorgfältig  mit 
den  Füfsen  weitertasteten.  Wieder  am  Strom  selbst  angelangt,  an  einer 
Stelle,  wo  er  eine  kleine  Schnelle  bildete,  errichteten  wir  unsere  Hütte. 
Aus  etwa  siebzig  grofsen  Blättern  einer  hier  immer  häufiger  auftretenden 
Fächerpalme  wurde  das  Dach  völlig  wasserdicht  gedeckt;  auch  er- 
setzte ein  grofses  ausgespanntes  Blatt,  von  denen  einige  zwei  Meter  im 
Durchmesser  erreichten,  in  durchaus  befriedigender  Weise  die  Tisch- 
platte. 

Am  jenseitigen  Ufer  fiel  uns  eine  reiche  Gruppe  eleganter  Cycadeen 
in  das  Auge.  In  mehreren  Exemplaren  lasen  wir  eine  der  Nanina 
cincta  nahe  verwandte  und  durch  Gröfse  und  dunkle  Färbung  ausge- 
zeichnete Schnecke  auf. 

[12.  December.]  Weiter  aufwärts  sahen  wir  den  Strom  in 
relativ  engem  Basaltbett  daherrauschen,  längs  dessen  Absturz  wir  von 
neuem  eine  ganz  schlimme  Kletterei  zu  bestehen  hatten,  wobei  die 
entblöfsten,  glatten  Wurzelnetze  zu  gröfster  Vorsicht  mahnten.  Pline 
Zeit  lang  folgte  der  Weg  einem  Seitenbach,  welcher  sich  in  dem  Basalt 


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3G6  Paul  und  Fritz  Sarasin: 

eine  tiefe  Klamm  ausgewühlt  hatte,  an  deren  Seitenwänden  an  einer 
Stelle  eine  bauchige  Auswaschung  zu  beobachten  war. 

Immer  noch  befanden  wir  uns  nicht  höher  als  60  m über  dem  Meer. 

Im  Strom  fielen  uns  wiederholt  Blöcke  eines  Basaltkonglotnerats 
auf,  und  bald  darauf  zeigten  sich  Rollblöcke  von  Urgestein.  Wir  ge- 
langten an  einen  ziemlich  starken  Zuflufs,  die  Mau  genannt,  welche, 
vom  Buludawa-Gebirge  herabströmend,  ihre  Mündungsstelle  in  die 
Dumoga  weithin  mit  grobem  Urgesteingeschiebe,  gleich  einem  Alpen- 
flufs,  übersät  hatte. 

Die  Dumoga  wird  hier  mit  Brauen  und  Bambusflössen  befahren; 
verfrachtet  wird  hauptsächlich  Dammarharz,  wie  uns  daselbst  erfahrene 
Leute  berichteten. 

Wir  durchschritten  die  Mau,  und  von  neuem  verengte  sich  das 
Dumoga-Thal  an  einem  Canon,  längs  dessen  Absturz  wir  wegklettern 
mufsten.  Alsdann  öffnete  sich  das  Thal,  der  Flufs  strömte  durch 
ebenes  Land  ruhig  einher  und  bildete  kleine  Inseln;  es  zeigten  sich 
Spuren  von  Kultur,  Baumgärten  und  Häuser  begannen  aufzutreten,  wir 
befanden  uns  in  der  Nähe  von  Dumoga  besar.  Wir  wurden  mittelst 
Brauen  über  den  Strom  gesetzt,  langen  und  schmalen  Fahrzeugen,  von 
denen  die  Regierung  von  Bolang-Mongondo  vier  Stück  den  Bewohnern 
von  Dumoga  besar,  sowie  den  etwaigen  Bassanten  beständig  zur  Ver- 
fügung hält.  Den  übersetzenden  Fährleuten  brauchten  wir  keinen  Lohn 
auszubezahlen.  Das  jenseitige  Ufer  prangte  im  Schmuck  von  Bananen. 
Kokos-  und  Sago-Balmen.  Wir  wurden  von  den  Bewohnern  des  Ortes 
ruhig  empfangen  und  bekamen  als  Quartier  ein  solid  gebautes,  wenn 
auch  dunkles  Haus  angewiesen.  Hier  warteten  wir  zunächst  geduldig 
und  ziemlich  wortkarg  auf  die  noch  nicht  angelangten  Kleiderkisten, 
denn  es  regnete  immerzu;  wir  waren  völlig  durchnäßt,  froren  und  waren 
hungrig. 

Abends  sahen  so  viele  Gesichter  zur  Thür  herein,  als  in  der 
Umrahmung  Köpfe  Blatz  fanden;  gleichw’Qhl  gaben  hier,  wie  überall, 
die  Leute  ihrem  Erstaunen  keinen  Ausdruck. 

[13.  December.]  Die  Bewohner  von  Dumoga  besar  zeigen  einen 
auffallend  feinen  Typus,  einen  zarteren  Knochenbau  als  wir  bis  jetzt 
beobachtet  hatten;  dennoch  stellen  sie  durchaus  ächte  Malayen  dar. 
Wie  man  uns  sagte,  sind  sie  noch  Alfuren;  doch  haben  wohl  viele 
von  ihnen  schon  die  mohamedanische  Religion  angenommen , in 
welchem  Umstand  wir  auch  den  Grund  suchen,  dafs  wir  unter  den 
Haustieren  keine  Schweine  angetroffen  haben.  Die  Männer  tragen 
den  malayischen  Turban;  doch  fallen  unter  den  Jüngeren  solche  auf, 
welche  statt  der  Kopfbedeckung  ihre  Haare  frei  herabwallen  lassen; 
höchstens  knüpfen  sie  um  den  Kopf  eine  Schnur  von  Bast,  um  den 


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Reiseberichte  aus  Celebes.  3R7 

oberen  Teil  des  Haares  an  den  Kopf  zu  schliefsen,  was  einen  male- 
rischen Anblick  gewährt.  Ihr  Haar  ist  nicht  straff,  sondern  wellig_ 
Aufserdem  zieren  sich  junge  Männer  mit  Perlschnüren,  welche  sie  um 
den  Hals  und  das  Handgelenk  tragen. 

Die  Frauen  gehen  völlig  bekleidet;  sie  tragen  meist  gelbe  oder 
grüne  Oberkleider  und  ein  rotes,  um  die  Hüften  geschlungenes,  bis  zu 
den  Füfsen  herabreichendes  Tuch,  wie  überall  im  Malayischen  Archipel. 
Ihr  Haar  schlingen  sie  in  einen  Knoten  und  befestigen  denselben  zwar 
meistens  am  Hinterkopf,  zuweilen  aber  auch  an  der  linken  Kopfseite. 

Über  die  Sprache  der  Leute  gab  man  uns  an,  sie  sei  dieselbe  wie 
die  in  Kottabangon  und  Bolang  gesprochene,  verschieden  jedoch  von 
derjenigen  des  Nachbarreiches  Bintauna. 

Wir  sahen  einen  Mann  mit  Elephantiasis  und  eine  Frau  mit  einem 
Kropf  behaftet. 

Das  grolse,  reinlich  gehaltene  Dorf  besteht  aus  zwei  Teilen,  einem 
Unter-  und  einem  Oberdorf,  welche  je  aus  zwei  Reihen  solid  gebauter 
Häuser  bestehen;  die  Bodenfläche,  auf  welcher  sie  ruhen,  ist  ganz  rein 
gescheuert.  Das  Dorf  erweckt  den  Eindruck  von  Sauberkeit  und  läfst 
auf  Wohlhabenheit  der  Bewohner  schliefsen.  Die  Bauart  der  Häuser 
ist  dieselbe  wie  überall;  im  Hauptraum  findet  sich  eine  einzige  kleine 
Lichtöffnung  angebracht.  Meist  erscheinen  die  Häuser  mit  der  Giebel- 
seite des  Daches  nach  dem  Mittelweg  des  Dorfes  gekehrt,  zuweilen 
jedoch  auch  mit  der  Längsseite.  Im  erstcren  Fall  findet  sich  die  Auf- 
steigleiter an  der  einen  Seite,  im  letzteren  in  der  Mitte  der  Frontfläche 
angebracht. 

An  der  Stelle,  wo  ein  Weg  das  Unterdorf  mit  dem  Oberdorf  ver- 
bindet, steht  ein  aus  Bambus  errichtetes  'I'empelchen  für  den  Dämonen- 
dienst, ein  auf  vier  Pfählen  ruhendes  Häuschen,  in  welchem  sich  ein 
Tisch  und  eine  Bank,  beide  mit  Blattwerk  verziert,  befinden;  eine 
Bambusleiter  führt  hinauf. 

In  Dumoga  besar  werden  aus  Holz  geschnitzte  Teller  gebraucht; 
aufserdem  sahen  wir  in  unserem  Quartier  Porzellanteller  verschiedener 
Herkunft  in  Geflechten  aufgehängt,  darunter  auch  europäische.  Hier 
wie  überall  fallen  grofse,  aus  Rinde  gearbeitete  Behälter  auf,  welchen 
merkwürdiger  Weise  der  Boden  fehlt  und  die  zum  Aufbewahren  des 
geernteten  Reises  und  anderer  Produkte  dienen,  ein  sehr  weit  ver- 
breitetes Gerät. 

Wir  fanden  von  neuem  grofse  Schwierigkeiten,  genügenden  Reis 
zusammenzubringen,  und  trotz  der  Aufforderungen  seitens  des  uns  be- 
gleitenden Capitan  radja  rückte  der  Schulze  des  Dorfes  mit  nicht  über 
i Pikul  (=  61,75  kg)  heraus. 

[14.  December.]  Wir  stellten  unseren  Wirt  mit  einem  Stück 

Zeiuchr.  d.  GciclUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  25 


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368 


Paul  und  Fritz  Sarasin: 


roten  Tuches  und  einem  Korallenhalsband  so  sehr  zufrieden,  dafs  er 
uns  noch  mit  einem  schön  gearbeiteten  Reisstampfer,  einem  Bündel 
vortrefflicher  Erbsen  und  einem  Huhn  beschenkte.  Dann  nahmen  wir 
noch  zwei  Leute  des  Ortes  als  Führer  mit  uns,  welche  zugleich  als 
Träger  dienten,  und  schlugen  den  Weg  nach  Duluduo,  dem  ersten 
Ort  des  Nachbarfürstentums  Bintauna,  ein.  Wir  wurden  über  die 
Dumoga  zurückgebracht  und  wanderten  nun  zunächst  beständig  in 
südwestlicher  Richtung,  vorerst  noch  durch  Kulturland,  in  W'elchem  wir 
für  längere  Zeit  Häuser  zerstreut  antrafen.  Die  Leute  trugen  öfters 
in  sauberen  Kleidern  Wohlhabenheit  zur  Schau.  Sehr  häufig  kamen 
wir  an  Plätzen  vorüber,  wo  kürzlich  Sago  geklopft  worden  war.  Mais- 
bau  liefs  sich  allenthalben  feststellen;  dagegen  spielt  in  der  ganzen 
Dumoga-Ebene  der  Reisbau  keine  oder  doch  jedenfalls  eine  sehr 
untergeordnete  Rolle. 

Allmählich  fing  der  Weg  an,  ein  schlechteres  Aussehen  zu  be- 
kommen, und  Urwald  trat  an  die  Stelle  der  Kultur.  Am  Konarom, 
einem  starken  Zuflufs  des  Dumoga,  errichteten  wir  das  Nachtlager. 
Es  brach  ein  gewaltiger  Regen  aus,  während  wir  die  Hütten  zu  bauen 
begannen;  die  zurückgebliebenen  Träger  kamen  einer  nach  dem  anderen 
langsam  heran,  jeder  ein  gewaltiges  Fächerpalmenblatt  als  Regenschirm 
in  der  Hand  haltend. 

(15.  December.]  Der  Pfad  führte  zunächst  längs  dem  rechten 
Ufer  des  Konarom  weiter  durch  dichten  Urwald,  welchen  wir  von 
keinem  Wild,  aufser  von  Nashornvögeln,  belebt  fanden.  Stets  wurde 
der  Weg  mehr  und  mehr  sumpfig,  und  wir  gelangten  sehr  bald  nach 
Verlassen  des  Konarom  an  einen  zweiten,  reifsend  herabströmenden 
Zuflufs  des  Dumoga,  die  Tapadaka,  welche  wir  verschiedene  Male  zu 
durchschreiten  hatten,  und  nun  begann  bis  nahe  zu  der  Stelle,  wo  der 
Weg  wieder  an  die  Dumoga  führte,  eine  ausgedehnte  seichte  Wasser- 
fläche, welche  die  Eingeborenen,  wie  wir  später  erfuhren,  den  See 
oder  Sumpf  (Ulaga)  nennen.  Derselbe  zeigte  glücklicher  Weise  meist 
nur  Knietiefe ; doch  vermochten  wir,  da  das  Wasser  trübe,  stellenweise 
auch  gelb  war,  den  Boden  nicht  zu  erkennen.  Im  Wasser  standen 
viele  Bäume,  woraus  sich  schliefsen  liefs,  dafs  wenigstens  von  Zeit  zu 
Zeit  der  Boden  trocken  liegen  mufste. 

An  einer  Stelle  senkte  sich  der  Boden  plötzlich  unter  meinen 
Füfeen  und  das  Wasser  wurde  mehr  als  mannstief;  wahrscheinlich  hatten 
wir  hier  ein  Flufebett  zu  passieren.  Einer  unserer  Leute  schwamm  nun 
soweit  hinüber,  bis  er  seichteres  Wasser  erreichte  und  Fufs  fassen 
konnte.  Alsdann  wurde  ein  Bambus  gefällt  und  derselbe  diesseits  und 
jenseits  der  tiefen  Stelle  von  je  einem  Mann  mit  dem  Fufs  auf  den 
Boden  hinabgetreten;  oberhalb  des  Wassers  hielten  dieselben  Leute 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


369 


einen  Bambus  quer  hinüber.  An  diesem  gewann  man  Halt  für  die 
Hände,  mit  den  Ftifsen  tastete  man  sich  über  den  unten  im  Wasser 
liegenden  Bambus  hinüber. 

Schon  wanderten  wir  zwanzig  Minuten  lang  immerfort  im  Wasser 
weiter,  als  wir  an  den  tiefen  und  reifsend  herabströmenden  Flufs 
Mopujo  gelangten,  welcher  mitten  durch  den  Sumpf  heranbrauste. 
Es  wurde  nun  über  diesen  unter  grofsen  Schwierigkeiten  aus  gefällten 
Bambusen  eine  schwankende  Brücke  errichtet,  und  erst  nachdem  wir 
diese  überschritten  hatten,  gelangten  wir  wieder  für  einige  Zeit  auf 
trockenes  Land. 

Für  unsere  Mühseligkeiten  entschädigte  uns  aber  gerade  an  dieser 
sumpfigen  Stelle  ein  über  alle  Beschreibung  erhabener  Bestand  gewal- 
tiger Fächerpalmcn,  von  denen  die  alten  Bäume  kerzengerade,  gewal- 
tige Säulen  bildeten  mit  herrlichen,  schweren  Blätterkronen,  während 
die  jungen  Palmen  das  Unterholz  darstellten.  Es  knallte  wie  ein 
Pistolenschufs,  wenn  man  mit  einem  Stock  auf  die  gewaltigen  Blätter 
kräftig  genug  schlug,  dafs  sie  zersprangen,  und  da  die  ganze  Reihe 
unserer  Träger  sich  dieses  Vergnügen  machte,  erschallte  es  in  dem 
sonst  so  stillen  Walde  wie  Schufs  auf  Schufs.  Wenn,  wie  sich  dies 
mehrmals  ereignete,  ein  Regengufs  herannahte,  und  die  schweren 
Tropfen  auf  die  vielen  Palmenkronen  niederfielen,  tönte  es,  wie  wenn 
ein  Schnellzug  heranbrauste. 

Häufig  erfreute  das  Auge  eine  äufserst  zierliche  I.iane,  deren 
Blätter  wie  von  dunkelgrünem  Sammet  bedeckt,  auf  der  Unterseite 
dagegen  purpurn  gefärbt  sind.  Eine  sehr  ähnliche  Form  hatten  wir 
in  Ceylon  vielfach  als  Zierpflanze  verwendet  gesehen. 

Weiter  ging  es  noch  mehrmals  durch  hüfttiefe  Tümpel,  und  da 
zugleich  ein  sehr  solider  Regen  ausbrach,  ist  es  wohl  nicht  zu  ver- 
wundern, dafs  wir  diesen  Tag  als  einen  recht  nassen  in  der  Erinnerung 
behalten. 

Endlich  öffnete  sich  der  Wald,  und  wir  stiefsen  wieder  auf  die 
Dumoga.  Auch  hier  fanden  wir  zwei  Leute  vor,  welche  von  der  Regie- 
rung beauftragt  sind,  die  Durchreisenden  unentgeltlich  überzusetzen. 
Am  jenseitigen  Ufer  breitete  sich  ein  Baumgarten  aus  und,  daselbst 
angekommen,  bezogen  wir  Nachtlager  in  einem  kleinen  Häuschen, 
welches  eine  alte  Frau  bewohnte,  aber  sofort  räumte,  als  wir  ihr  ein 
kleines  Geschenk  in  Aussicht  stellten. 

Nachdem  wir  die  Kleider  gewechselt  hatten,  blieb  noch  etwas 
chirurgische  Arbeit  zu  thun  übrig,  da  sich  einige  unserer  Leute  an 
Bambussplittern  verwundet  hatten.  Es  kam  uns  zu  statten,  dafs  der 
eine  von  uns  gelernt  hatte,  etwas  mit  der  chirurgischen  Nadel  umzu- 
gehen. Während  der  Operation  gaben  die  Leute  keinen  Laut  von  sich, 

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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


liefsen  aber  ihren  Thränen  freien  Lauf.  Bambusverwundungen  heilen 
übrigens  nicht  glatt  ab,  weil  dieses  Holz  mit  feinsten  Kieselnädelchen 
sich  umkleidet;  diese  setzen  sich  schon  in  der  nicht  verwundeten  Haut 
für  einige  Zeit  in  unangenehmer  Weise  fest. 

Es  werden  hier  Reis,  Mais,  Kaffee,  Kakao,  Pisang,  Sago,  Kokos, 
Areca,  schöne  grofce  Bataten  und  vortrefflich  schmeckende  Erbsen 
gebaut  Die  Bewohner  sind,  ebenso  wie  die  Dumoga  besar-Leute, 
von  zartem  Körperbau.  Dennoch  erwiesen  sich  gerade  die  sehr  zart 
gebauten  Leute,  welche  uns  vom  letzteren  Ort  aus  begleiteten,  als  die 
unermüdlichsten  Träger,  obschon  man  ihnen  die  schwersten  Lasten  auf- 
gebürdet hatte. 

In  dem  von  uns  bewohnten  Häuschen  lagen  einige  starke,  mit 
Deckel  verschlossene  Bambuse,  welche  Reis  enthielten.  Auch  bemerkten 
wir  einige  grofse  Lanzen  mit  gewaltiger,  schwerer  Klinge  und  mit 
verziertem  Schaft.  Wir  wünschten  sie  zu  erwerben;  allein  die  Leute 
wollten  sie  nicht  abgeben:  sie  hätten  sie  nicht  selber  angefertigt,  son- 
dern in  Mongondo  gekauft,  sagten  sie. 

Von  hier  aus  nach  Dumoga  besar  benutzen  die  hiesigen  Einge- 
borenen in  der  Regel  nicht  den  Landweg,  sondern  befahren  mit  Prauen 
die  Dumoga;  man  erreicht  dann  Dumoga  besar  im  Lauf  eines  Tages. 

An  dieser  Stelle  vereinigt  sich  mit  der  Dumoga  der  grolse,  vom 
Buludawa-Gebirge  herabströmende  Flufs  Toraot. 

[16.  December.]  Der  W'eg  wandte  sich  westwärts,  stets  der 
Richtung  der  Dumoga  folgend.  Er  erwies  sich  immerfort  als  sehr 
schlecht;  fast  jeder  Schritt  stellte  eine  kleine,  mit  Aufmerksamkeit  zu 
verrichtende  Arbeit  dar.  Indessen  begünstigte  uns  jetzt  ein  herrliches 
Wetter,  wobei  die  Hitze  keineswegs  belästigte;  denn  der  dichte 
Waldschatten  erlaubte,  beständig  ohne  Hut  zu  wandern.  Der  von 
Palmen  immer  noch  überreich  geschmückte  Wald  glich  einem  gewal- 
tigen Treibhaus,  und  doch  herrschte  keineswegs  jene  drückende, 
schwüle  Hitze,  welche  in  unseren  Warmhäusern  den  Genufs  so  sehr 
beeinträchtigt.  Prächtige,  wie  riesige  grüne  Straulsenfederbüsclie  ent- 
faltete Bambusgruppen  verrieten  die  nahe  Dumoga;  einige  Waldbäume 
erhoben  sich  in  turmartiger  Mächtigkeit. 

Allmählich  bekam  der  Weg  ein  recht  gutes  Ansehen;  wir  begeg- 
neten Leuten,  Kulturland  ersetzte  den  Wald,  und  wir  sahen  uns  in 
Dumoga  ketjil,  einem  kleinen,  aus  blofs  sieben  Häusern  bestehen- 
den, aber  sehr  reinlich  gehaltenen  Dörfchen,  von  dessen  Schulzen  wir 
freundlich  begrüfst  wurden.  Wir  blieben  indessen  hier  nur  eine  kleine 
AVeile,  um  uns  zu  erfrischen,  da  wir  noch  Duluduo  zu  erreichen 
wünschten.  Wir  passierten  die  hier  nur  noch  knietiefe  Dumoga,  worauf 
der  Weg  ununterbrochen  vortrefflich  blieb.  Wir  hatten  mittlerweile 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


371 


rlie  Grenze  von  Bolang-Mongondo  überschritten  und  langten  jetzt  in 
Duluduo  an,  wo  wir  uns  nunmehr  im  Königreich  Bintauna  be- 
fanden. Die  Meereshöhe  des  Ortes  beträgt  nicht  mehr  als  170  m;  die 
Pumoga  strömt  also  in  einer  sehr  wenig  geneigten  Ebene  von  hier  bis 
zur  Celebes-See. 

Das  Dorf  Duluduo  unterscheidet  sich  im  Aussehen  nicht  von  den 
anderen  Ortschaften  des  Innern,  an  Umfang  dürfte  es  nur  die  Hälfte 
von  Dumoga  besar  erreichen.  Es  residiert  daselbst  der  nächst  dem 
König  erste  Würdenträger  des  Reiches  Bintauna,  der  sogenannte 
„Djugugu“ , welcher  hier  ein  gröfseres  Haus  bewohnt.  Wir  wurden  ein- 
geladen, bei  ihm  Quartier  zu  nehmen,  und  traten  ein.  Wir  fanden  im 
Hauptraum  den  Djugugu,  ein  schon  altes,  gebrechliches  Männchen, 
ferner  einen  Capitan  radja  und  noch  zwei  andere  Würdenträger  an 
einem  Tisch  vor  und  wurden  auf  höflichste  Weise  empfangen.  Nach- 
dem wir  uns  in  einem  der  Seitenräume,  welche  durch  ein  herab- 
gelassenes buntes  Tuch  vom  Hauptraum  abgetrennt  werden,  umgekleidet 
und  erfrischt  hatten,  setzten  wir  uns  zur  Versammlung,  und  nun  begann 
das  Bitjara.  Wir  legten  unser  Vorhaben  dar,  von  Duluduo  entweder 
unmittelbar,  oder  über  Buludawa  und  Bintauna,  nach  Gorontalo  zu  reisen, 
und  gingen  den  Djugugu  um  Lieferung  von  Reis  oder  Sago  an.  Es 
wurde  uns  dagegen  versichert,  direkt  westlich  nach  Gorontalo  bestehe 
kein  Weg,  und  derjenige,  welcher  über  den  Ort  Buludawa  nach  Bintauna 
hinüberführe,  sei  so  schlecht,  dafs  er  von  uns  nicht  begangen  werden 
könne.  Lebensmittel  könnten  keine  geliefert  werden,  und  ebenso 
wenig  seien  Führer  erhältlich. 

Wir  sahen  ein,  dafs  die  Leute  abgeneigt  waren,  uns  weiter  zu 
helfen,  und  mit  unserem  Durchmarsch  sah  es  schlecht  aus.  Man  riet 
uns  dringend,  nach  Malibagu  an  der  Südktiste  abzuziehen,  wohin  es 
nur  einen  Tag  weit  Wanderns  sei.  Nach  Bintauna  hinüber  brauchten 
wir  einen  Monat  und  würden  unterwegs  verhungern. 

Diese  Tonart  brachten  wir  diesen  Abend  nicht  zum  Weichen 
und  dachten,  den  kommenden  Tag  einen  ferneren  Versuch  zu  unter- 
nehmen. 

Die  Nacht  verlief  ziemlich  geräuschvoll.  Das  Haus  gehörte  dem 
Djugugu;  er  bewohnte  es  gemeinsam  mit  den  Familien  seiner  Ver- 
wandten; jede  derselben  hatte  in  einem  Seitenfach  sich  ihr  Nest  zu- 
bereitet. Überdies  hatten  alle  unsere  Träger  darin  Quartier  genommen. 
Die  Hunde  hatten  freien  Zutritt  und  bissen  sich  unter  Schreien  und 
Knurren  herum;  unter  dem  Haus  hatten  sich  mehrere,  die  ganze  Nacht 
hindurch  gewaltig  heulende  Hähne  festgesetzt,  und  da  und  dort  ertönte 
aus  einem  Familienwinkel  kräftiges  Kindergeschrei. 

[17.  December.]  Früh  empfanden  wir  die  Temperatur  als  kühl; 


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Paul  und  Fritz  Sara  sin: 


unsere  Leute  froren.  6h  3om  zeigte  das  Thermometer  i8°  C.  Das  Wetter 
war  äufserst  rein,  die  Bewölkung  i. 

Wir  setzten  uns  nun  von  neuem  mit  den  Herren,  die  schon  bereit 
waren,  uns  zu  empfangen,  zur  Beratung.  Aufser  dem  Djugugu,  dem 
Capitan  radja  und  dem  von  Dtimoga  ketjil  herbeigeeilten  Obmann 
dieses  Dorfes,  welcher  uns  daselbst  begriifst  hatte,  nahm  auch  noch 
ein  feines,  besonders  wohl  gekleidetes  Männchen  an  der  Sitzung  teil, 
welches  wir  den  Gcheimrat  nennen  wollen,  und  welches  sich  durch 
ein  musterhaft  höfliches  Benehmen  auszeichnete.  Die  Herren  wickelten 
ihren  Betel,  und  jeder  bekam  ein  kleines  Bronzegefäfs  vor  sich 
auf  den  Boden  hingestellt.  Wie  nun  die  Sache  soweit  gediehen  war, 
traten  wir  mit  der  Erklärung  hervor,  auf  jeden  Fall  direkt  durch  das 
Land  nach  Gorontalo  Vordringen  zu  wollen;  der  Djugugu  möge  also 
die  Sache  anordnen,  uns  Sago  liefern  und  zwar  sofort,  denn  morgen 
zögen  wir  ab;  auf  den  Preis  komme  es  nicht  an.  Als  auf  unser  Anliegen 
hin  teils  Schweigen  erfolgte,  teils  immer  dieselbe  Antwort,  dafs  unseren 
Wünschen  zu  entsprechen  nicht  möglich  sei,  begannen  wir  etwas  leb- 
hafter zu  sprechen,  und  da  wir  zugleich  den  Tisch  etwas  zu  bearbeiten 
anfingen,  wurde  der  Djugugu  verlegen,  was  sich  darin  aussprach,  da£> 
er  kummervollen  Antlitzes  seine  Augen  nach  oben  richtete;  alsdann 
lenkte  er  ein  und  meinte,  man  könne  ja  einmal  nach  Sago  sich  Um- 
sehen, auf  das  Geld  komme  es  übrigens  hier  nicht  an. 

Als  wir  soweit  gekommen  waren,  standen  wir  auf  und  gaben  den 
Befehl,  den  noch  vorhandenen  Reis  zusammenzuschütten;  wir  ver- 
mischten ihn  nun  mit  unterwegs  aufgekauften  Erbsen,  worauf  der  Vor- 
rat für  vier  Tage  genügend  befunden  ward.  Die  Träger,  welche  zu 
murren  anfingen,  dafs  sie  hinfort  zum  Teil  mit  Sago  sich  begnügen 
miifsten,  wurden  mit  Extrabezahlung  vertröstet.  Einer,  dem  im  Hin- 
blick auf  sein  Sagoschicksal  die  hellen  Thränen  herunterliefen,  wurde 
ausgescholten. 

So  blieb  die  Sache  zunächst  ruhen,  und  wir  warteten  die  Herbei- 
schaffung  des  in  Aussicht  gestellten  Proviants  an.  Als  nun  aber  nichts 
geschah  und  unsere  Leute  ihren  Reis  verlangten,  setzten  wir  uns  auls 
neue  zur  Ratsversammlung. 

Zunächst  trat  nun  einer  unserer  eigenen  Leute  vor,  welcher  von 
Bolang  aus  als  Führer  mit  uns  gekommen  war  und  versprochen  hatte, 
den  Weg  von  Duluduo  über  Buludawa  nach  Bintauna  zu  zeigen.  Dieser 
erklärte  jetzt,  er  habe  das  nie  gesagt,  den  Weg  nach  Bintauna  wisse 
er  gar  nicht.  Alsdann  trat  einer  vor,  welcher  behauptete,  er  komme 
eben  von  Bintauna;  aber  der  Weg  sei  für  uns  ungangbar,  ein  Bergstuiz 
habe  ihn  verschüttet. 

Der  Djugugu  meinte  nun  aufs  ernstlichste,  wir  sollten  von  unserem 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


373 


Vorhaben  abstehen,  es  seien  so  viele  böse  Steine  im  Wege,  dafs  weder 
unsere  Leute  mit  ihren  Lasten,  noch  wir  mit  unseren  Schuhen  den 
steilen  Steinweg  begehen  könnten ; auch  fänden  wir  keine  Häuser 
unterwegs  zum  Übernachten.  Als  wir  lachend  erwiderten,  wir  bauten 
unsere  Hütte  selber,  schwieg  er.  Der  Schulze  von  Dumoga  ketjil  be- 
hauptete, nach  Bintauna  hinüber  sei  es  anderthalb  Monate,  wir  thäten 
überhaupt  am  besten,  denselben  Weg,  woher  wir  gekommen  wären, 
zurlickzuwandcrn.  Als  wir  auffuhren,  frug  er  lächelnd:  „Aber  warum 
wollen  denn  die  Herren  nicht  zurück?“  Der  Djugugu  seinerseits  ver- 
lor nur  ein  einziges-  Mal  seine  Fassung,  als  wir  darauf  drangen,  Sago 
geliefert  zu  bekommen.  „Wenn  die  Herren  Sago  brauchen“,  warf  er 
uns  hin,  „warum  haben  sie  ihn  nicht  gebracht?"  Im  übrigen  aber 
hörte  er  nicht  auf,  äufserst  höflich  zu  bleiben ; er  betonte  mehrmals, 
es  handle  sich  bei  allem  nur  um  unsere  eigene  Wohlfahrt;  er  sei 
sehr  um  uns  besorgt,  deshalb  rate  er  uns  vom  Durchzug  nach 
Bintauna  ab. 

Wir  unterbrachen  darauf  wieder  die  Sitzung  und  begaben  uns 
hinaus,  um  irgend  einen  Mann  des  Dorfes  über  den  Weg  auszuforschen. 
Wir  stellten  also  einen  und  fragten  ihn,  wie  weit  es  nach  Bintauna  sei. 
Nun  hatte  sich  unterdessen,  ohne  dafs  wir  es  bemerkten,  das  Geheim- 
rätchen  uns  nachgeschlichen,  hatte  sich  hinter  den  Befragten  gemacht, 
und  als  dieser  eben  loslegen  wollte,  versetzte  er  ihm  einen  Rippen- 
stofs, worauf  er  zur  Antwort  gab:  „Fünfzehn  Tage.“  Dieses  Männchen 
arbeitete  unausgesetzt  gegen  unser  Vorhaben,  und  wenn  der  Djugugu 
merkbar  ins  Schwanken  kam,  brachte  er  ihn  durch  Zulispeln  immer 
wieder  herum.  Er  trug  gegen  4 cm  lange  Daumennägel  und  beschäftigte 
sich  meistens  damit,  Areca-Niisse  als  Beigabe  zum  Betelkauen  in  einem 
eleganten  Metallgefäfschen  zu  stampfen.  Den  Zeigefinger  hielt  er 
immer  ganz  steif,  um  den  kostbaren  Daumcnnagel  nicht  zu  bertihren. 
Er  zeigte  sich  äufserlich  sehr  besorgt  um  unser  Wohlbefinden  im  Haus, 
er  trug  uns  Kissen  herbei,  Matten,  Tücher  und  dergleichen.  Unsere 
eigene  Küche  wurde  auch  mit  Hühnern  und  allem  Nötigen  versorgt; 
man  präsentierte  uns  ein  Säckchen  Sago  und  eine  Pisang-Traube,  aber 
für  unsere  Leute  erhielten  wir  nichts. 

Um  nun  die  Sache  von  neuem  in  Flufs  zu  bringen,  erklärten  wir, 
wir  mtifsten  unbedingt  zum  Radja  von  Bintauna;  denn  wir  hätten  einen 
Brief  vom  Gro&herrn  (d.  h.  dem  Residenten  von  Menado)  zu  über- 
bringen. Wir  wiesen  denselben  vor  und  lasen  die  Adresse.  Zugleich 
verlangten  wir  nunmehr  dringend  Sago  für  unsere  Leute.  Nun  wurde 
es  den  Herren  etwas  ängstlich  zu  Mut,  und  wie  der  eine  von  uns  dem 
Djugugu  auf  die  Schultern  klopfte,  drehte  sich  der  Capitan  radja  um 
und  zeigte  seinen  Rücken.  Endlich  nach  einer  Pause  kam  dem 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


Djugugu  die  Idee,  uns  die  Bitte  vorzutragen,  ob  er  sich  mit  seinen 
Leuten  in  ein  anderes  Haus  zur  Beratung  zurückziehen  dürfe.  Wir 
gestatteten  es,  die  Herren  erhoben  sich  und  verabschiedeten  sich  mit 
Händedruck  höflichst  von  uns. 

Unterdessen  speisten  wir  zu  Mittag  und  erwarteten  das  Weitere. 
Nach  mehr  als  einstündiger  Beratung  wurde  unser  Mandur  hinüber- 
gerufen und  uns  durch  diesen  eröffnet,  der  Djugugu  könne  uns  weder 
Führer,  noch  Proviant  liefern,  falls  er  nicht  vom  König  direkt  dazu  er- 
mächtigt sei;  er  könne  es  nicht  wagen,  anders  zu  handeln,  so  sei  es 
sein  Befehl. 

Da  wir  nun  einsahen,  dafs  dies  das  letzte  Wort  sei,  entschlossen 
wir  uns,  wenn  auch  äufsert  ungern,  zum  Abzug  nach  Malibagu.  Der 
zusammengeschüttete  Reis  wurde  rasch  wieder  verteilt,  und  2h  iom  mar- 
schierten wir  ab,  nachdem  noch  alle  unsere  hohen  Freunde  sich  zum 
Händedruck  herangedrängt  hatten;  und  besonders  der  Geheimrat  gab 
sehr  seinem  Bedauern  Ausdruck,  dafs  wir  nicht  noch  die  Nacht  im 
Hause  bleiben  wollten.  Wir  waren  indessen  doch  schliefslich  froh,  uns 
mit  unseren  Leuten  in  der  freien  Luft  zu  wissen;  denn  auch  unser 
Mandur  meinte,  die  Bewohner  von  Duluduo  seien  dumm  und  gefähr- 
lich. Wir  hatten  natürlich  beständig  die  geladenen  Gewehre  zur  Hand, 
den  Revolver  in  der  Tasche.  Mit  unserem  schweren  Wachstuch  und 
unseren  Reisedecken  hatten  wir  dreifach  den  dünnen  Schindelboden 
belegt,  worauf  wir  die  Nacht  in  dem  auf  hohen  Pfählen  errichteten 
Haus  zuzubringen  hatten,  um  uns  gegen  einen  etwaigen  tückischen 
Lanzenstich  von  unten  her  zu  schützen.  Diese  Vorsichtsmafsregel  war 
uns  vor  unserer  Abreise  von  Menado  von  kundiger  Seite  angcraten 
worden. 

F.iner  unserer  Leute  erzählte  nachher,  dafs,  wenn  man  einen  Be- 
wohner von  Duluduo  angesprochen  habe,  derselbe  aus  Mifstrauen 
gleich  den  Klewang  gezückt  und  in  Bereitschaft  gehalten  habe. 

Die  Mehrzahl  der  Männer  von  Duluduo  hat  ein  anämisches  Aus- 
sehen, vielleicht  infolge  ihres  unausgesetzten  Betelkauens,  welches 
starken  Speichelflufs  hervorruft.  Dazu  kommt  die  mangelhafte  Nahrung, 
welche  fast  ausschliefslich  in  Sago  besteht.  Auch  wurde  uns  nachträg- 
lich die  merkwürdige  Mitteilung  gemacht,  einige  Leute  aus  Duluduo 
nährten  sich  ausschliefslich  von  Sago  und  wollten  kein  Salz  geniefsen; 
sie  würden  gleich  sterben,  hätten  sie  gesagt,  wenn  sie  es  äfsen. 

Der  Typus  der  Einwohner  von  Duluduo  ist  fein,  wie  wir  dies 
durchgehends  hier  im  Innern  beobachtet  haben.  Bei  alten  Männern 
tritt  die  Glabella  des  Hirnbeines  als  dünner  und  scharfer  Augenschirm 
deutlich  vor. 

Die  Männer  rasieren  ihren  ohnedies  spärlichen  Bartwuchs  derart. 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


375 


dafs  blofs  von  den  Mundwinkeln  und  von  der  Spitze  des  Kinnes  einige 
lange  Haare  herabhängen  bleiben. 

Eine  parasitäre  Hautkrankheit,  eine  Art  Ringelwurm,  Htrpts  (ircmatus, 
scheint  hier  häufig  vorzukommen.  Es  bilden  sich  dabei  auf  der  Ober- 
fläche der  Haut  nicht  unelegant  gewundene  Figuren  infolge  von  Ab- 
schuppung, so  dals  die  davon  befallenen  Leute  wie  tätowiert  aussehen, 
vornehmlich  wenn  sie  mit  ihren  Klewangs  die  abschilfernde  Haut  weg- 
schaben. Es  wird  Juckreiz  empfunden,  welcher  sich  nach  dem  Baden 
in  Meerwasser  verstärkt.  Man  nennt  die  Krankheit  hier  „kurap"\  be- 
sonders stark  verbreitet  soll  sie  im  Ort  Bintauna  sein. 

Aus  Duluduo  folgten  uns  noch  drei  weitere  Träger  nach  als  Er- 
satz für  die  nach  Dumoga  besar  zurückkehrenden  Leute;  sie  bewaff- 
neten sich  mit  solid  gearbeiteten  Lanzen.  Einer  von  ihnen  war  noch 
ein  Knabe  von  elf  Jahren,  er  trug  jedoch  seine  volle  Last  rasch  und 
ausdauernd. 

Sobald  wir  die  Dumoga  wieder  erreicht  und  durchschritten  hatten, 
errichteten  wir  unsere  Hütte  und  fafsten  den  Beschlufs,  den  hier  ge- 
scheiterten Versuch,  von  Duluduo  direkt  nach  Gorontalo  vorzudringen, 
in  umgekehrter  Richtung  von  Gorontalo  aus  zu  erneuern.  Diese  Aus- 
sicht versetzte  uns  wieder  in  fröhliche  Stimmung. 

[18.  December.]  Der  Weitermarsch  förderte  vortrefflich,  da  sich 
der  nach  Süden  führende  Weg  als  verhältnismäfsig  leicht  gangbar  er- 
wies. Er  leitete  zunächst  durch  ziemlich  dichten  Wald,  der  sich  von 
Affen,  dem  wohlbekannten  schwarzen  Pavian,  Cynopithtcus  nigrescens, 
belebt  zeigte;  wir  erlegten  ein  schönes  Männchen  für  unsere  Samm- 
lung. Viele  Vogelstimmen  liefsen  sich  im  Walde  vernehmen:  es  gelang 
uns  auch,  einen  Maleo,  Mtgacephalon  malto  Fern.,  zu  erlegen,  welcher 
hoch  auf  einem  Ast  ruhig  dasafs.  Das  Fleisch  schmeckt  vortrefflich, 
wie  zarter  Fasanenbraten. 

Weiter  marschierten  wir  längs  einem  von  Süden  strömenden  Zu- 
flufs  der  Dumoga,  oder  auch  in  demselben.  Der  Boden  erwies  sich 
als  Urgestein. 

Unter  den  Bäumen  des  Waldes  fiel  uns  eine  Art  besonders  auf, 
deren  turmartig  hoher  und  gerader  Stamm  mit  einer  glatten,  lebhaft 
grün  und  rot  geflammten  Rinde  geschmückt  erschien.  Auf  dem  mast- 
artig geraden  Stamme  trägt  er  eine  verhältnismäfsig  wenig  ausgedehnte, 
undichte  Krone.  Unsere  Leute  nannten  ihn  Onko-Baum.  Er  bildet 
eine  grofse  Zierde  des  von  ihm  geschmückten  Waldes. 

Der  Boden  begann  nun  deutlich  anzusteigen.  Von  der  in  Duluduo 
festgestellten  Erhebung  von  170  m stiegen  wir  noch  bis  350  m an, 
mit  welcher  Höhe  wir  die  Wasserscheide  zwischen  der  Dumoga-Ebene 
und  der  Südküste  erreicht  hatten.  Gleichwohl  überraschte  uns  das 


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37  rt 


Paul  und  Frilt  Sarasin: 


geringe  M.ifs  dieser  Erhebung;  denn  wir  hatten  uns  vorgestelit,  dafs 
ein  hoher  Gebirgszug,  dem  Lauf  der  Siidküste  folgend,  die  Wasser- 
scheide bilden  werde.  Nun  sahen  wir  aber  ein,  dafs  wir,  von  der 
Nordküste  nach  der  Siidküste  durchquerend,  eine  Tiefenlinie  des  von 
uns  bereisten  Celebes-Armes  durchschritten  hatten,  von  welcher  aus  im 
Osten,  Norden  und  Westen  hohe  Gebirgsstöcke  sich  erheben.  Das  im 
Osten  aufsteigende  Gebirge  ist  noch  unerforscht;  wir  halten  es  für  ein 
vulkanisches,  da  wir  oben  gesehen  haben,  dafs  die  Dumoga  gewaltige 
Massen  von  Basalt  ausscheidet,  welche  blofs  diesem  Gebirgsstock  ihre 
Entstehung  verdanken  können.  Wir  wollen  denselben  das  Mongondo- 
Gebirge  nennen;  es  bezeichnet  den  südwestlichen  Abschlufs  des  das 
Nordostende  der  Halbinsel  bildenden  vulkanischen  Gebietes.  Im  Norden, 
von  der  Dumoga  in  grofsem  Bogen  umströmt,  erhebt  sich  ein  mächtiger, 
kühn  geformter  Gebirgskamm,  welcher  von  den  Eingeborenen  als 
Huntuk-Buludawa  bezeichnet  wird.  Er  stellt,  wie  wir  schon  ge- 
sehen haben,  ein  aus  Urgestein  bestehendes  Massiv  dar,  den  nordöst- 
lichen Vorposten  des  westwärts  von  der  Dumoga  beginnenden  Urgestein- 
gebietes. Den  westlich  emporsteigenden  ausgedehnten  Gebirgsstock 
endlich,  welchen  wir  das  Bone-Gebirge  nennen,  werden  wir  auf 
unserer  zweiten  Reise  näher  kennen  lernen. 

Die  Dumoga  wird  sich  von  Duiuduo  aus  allem  Anschein  nach 
noch  weiter  nordwestlich  verfolgen  lassen  und  wird  alsdann  in  viele 
kleine  Adern  zerfallen,  welche  zum  Teil  vom  Buludawa-,  zum  Teil  vom 
Bone-Gebirge  herabrinnen.  Dieser  Flufs  strömt  also  aus  einem  von 
drei  mächtigen  Gebirgsstöcken  umgebenen  Kessel  hervor  und  ent- 
wässert die  nach  der  Senkung  absturzenden  Seitenflächen  der  Massive. 
Dafs  noch  in  jüngster  geologischer  Vergangenheit  die  Dumoga-Tiefenlinie 
vom  Meer  bedeckt  gewesen  war,  erscheint  nach  den  vorhandenen  An- 
zeichen soviel  als  sicher. 

Wir  überschritten  nun  die  zwischen  der  Dumoga  und  der  Stid- 
küste  sich  hinziehende  Wasserscheide,  welche  als  niederer  Rücken  das 
Bone-Gebirge  mit  demjenigen  von  Mongondo  verbindet,  in  kurzer  Zeit, 
worauf  der  Weg  sich  plötzlich  jäh  hinabsenkte,  längs  einem  gefährlichen 
Absturz,  nach' der  Schlucht  des  Malibagu-Flusses.  Wir  erreichten 
denselben  an  einer  Stelle,  wo  zwei  w’ild  herabrauschende  Bäche  iu- 
sammenflossen.  Wir  fanden  das  Bett  des  Malibagu  von  einem  äufserst 
harten,  weifsgrauen  Granit  gebildet. 

Der  bis  jetzt  zum  Teil  wenigstens  vortreffliche  Weg  bekam  wieder 
ein  schlechtes  Ansehen.  Die  malayischen  Pfade  sind  eben  immer  nur 
der  Ausdruck  des  Untergrundes.  Stellt  dieser  ebenen  Waldboden  dar, 
so  erscheint  auch  der  Pfad  vortrefflich ; liegen  indessen  gefallene  Bäume 
im  Wege,  so  geht  es  einfach  über  die  Stämme  weg;  Bäche  und  Flüsse 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


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werden  durchwatet;  in  vielen  Fällen,  falls  sie  nicht  zu  tief  sind  und 
gerade  in  der  gewünschten  Richtung  verlaufen,  dient  die  Wasserader 
selbst  als  Pfad;  Geröllblöcke  werden  überklettert.  Ist  der  Strom  tief, 
so  führt  der  Weg  nur  handbreit  längs  dem  Uferabsturz  hin,  wie  wir 
an  der  Dumoga  erfahren  haben;  kommt  Morast,  so  geht  es  hindurch, 
wenn  der  Sumpf  nicht  hüfttief  sein  sollte;  desgleichen  durch  Tümpel 
und  gröfsere  Wasserflächen.  Ein  Wegbau  fehlt  durchaus,  der  Pfad 
geht  gerade  auf  das  Ziel  los  und  umläuft  blofs  unüberwindliche 
Hindernisse. 

So  wanderten  wir  nun  abwärts,  vielfach  durch  den  Malibagu  oder 
auch  in  demselben,  obgleich  er  mit  schlüpfrigen  Granitblöcken  an 
vielen  Stellen  ganz  angefüllt  erschien.  Unter  den  Rollblöcken  fielen 
uns  grofse  Brocken  eines  weifsen,  kalkartig  aussehenden,  geschichteten 
Gesteins  auf.  In  der  Nähe  des  Flusses  bemerkten  wir  eine  warme 
und  rostrot  gefärbte  Quelle.  Überschwemmungsspuren  bewiesen  uns, 
dafs  der  Bach  nach  starkem  Regen  stromartig  anschwellen  kann. 

Das  Flufsthal  erweiterte  sich  nun,  und  wir  sahen  uns  plötzlich  in 
Kulturland  versetzt,  in  eine  breite  und  flache,  von  waldbedeckten 
Höhenzügen  umrahmte  Ebene,  auf  welcher  sich  Kaffee  vielfach  ange- 
pflanzt fand.  Viele  Häuser  tauchten  auf,  umgeben  von  den  bekannten 
Nutzpflanzen.  In  dieser  Ebene  strömte  der  Flufs  in  einer,  tief  in 
braune  Schwemmerde  eingeschnittenen  Rinne.  Im  Dorf  Malibagu 
selbst  angekommen,  wurden  wir  von  vielen  Teilten  erwartet,  welche 
vor  dem  Hanse  des  hier  residierenden  Djugugu  von  Bolang-Uki  sich 
versammelt  hatten.  Wir  wurden  darum  angegangen,  ihn  aufzusuchen; 
er  selber  könne  uns  nicht  entgegenkommen,  er  sei  krank.  Wir  fanden 
einen  älteren,  kränklichen  Mann,  der  uns  freundlich  für  etwaiges  Nötige 
seine  Unterstützung  zusagte,  uns  übrigens  zu  verstehen  gab,  Lebens- 
mittel seien  keine  aufzubringen,  doch  könne  er  uns  Führer  nach  Go- 
rontalo  beschaffen. 

Nach  kurzem  Besuch  brachen  wir  wieder  auf,  um  uns  unmittelbar 
nach  der  Küste  zu  wenden,  da  wir  in  dem  Dorf  selbst  nicht  über- 
nachten mochten.  Unterwegs  machte  sich  ein  junger,  zudringlicher 
Kerl  an  uns  und  verlangte,  wir  sollten  auch  dem  Obmann  des  Dorfes, 
em  hier  sogenannten  Marsaoli,  einen  Besuch  abstatten;  wir  ver- 
weigerten dies  indessen  und  wanderten  nach  der  Küste  weiter. 

Das  Dorf  Malibagu  gehört  politisch  zu  dem  kleinen,  an  der  Nord- 
küste zwischen  Bolang-Mongondo  und  Bintauna  gelegenen  Reich 
Bolang-Uki,  von  diesem  durch  die  ganze  Breite  des  von  uns  durch- 
wanderten Armes  abgetrennt.  Der  von  uns  besuchte  Mann  war,  wie 
erwähnt,  der  Djugugu  von  Bolang-Uki;  der  Radja  selbst  residiert  an 
der  Nordküste  in  der  Ortschaft  gleichen  Namens 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


Der  Weg  nach  der  Küste  verwandelte  sich  in  einen  ausgedehnten, 
mit  Nipa-Palmen  bestandenen  Biiffelsumpf,  indem  er  sich  aus  einer 
langen  Kette  oft  über  knietiefer  Kottümpe!  zusammensetzte,  bei  deren 
Durchwaten  reichliches  Sumpfgas  herausprickelte.  Es  kam  uns  oft 
unheimlich  vor,  so  ohne  weiteres  in  die  Kotmasse  hineinzutreten. 
Stellenweise  liefsen  sich  Spuren  eines  alten  Dammes  erkennen,  welcher 
einst  Malibagu  mit  dem  Meer  verbunden  haben  mufste;  doch  lag  er 
völlig  in  Ruinen.  Der  Kot  war  über  alle  Beschreibung,  und  erst  eine 
Stunde  angestrengten  Wanderns  durch  die  breite  Sumpfebene  des 
Malibagu-Flufses  brachte  uns  an  die  Küste. 

Am  Meer  fanden  wir  eine  Fischerhütte  vor,  welche  ein  Mann  aus 
Menado  bewohnte,  und  zu  unserer  grofsen  Freude  lag  in  der  Bucht 
eine  chinesische  Frau  unter  holländischer  Flagge.  Rasch  wurde  der 
Chinese  herbeigeholt;  er  konnte  uns  Reis  liefern,  soviel  wir  brauchten 
Auch  verkaufte  er  uns  ein  gutes  Auslegerboot  für  zwanzig  Gulden. 

Das  Land  bildet  hier  eine  Bucht,  im  Hintergrund  von  Waldhöhen 
umrahmt.  Der  Wald,  durch  welchen  wir  gekommen  waren,  bot  einen 
unendlich  düsteren  und  ernsthaften  Anblick. 

[19.  December.]  Wir  sahen  uns  genötigt,  einen  Tag  hier  zu 
bleiben,  da  das  eine  unserer  beiden  Boote  — wir  hatten  deren  zwei 
gekauft  — mit  Auslegern  versehen  werden  mufste  Ein  solches  Boot 
oder,  wie  wie  man  es  hier  allgemein  nennt,  Blotto,  besteht  aus  einem 
Einbaum,  stellt  also  ein  sehr  primitives  Fahrzeug  dar,  das  gleichwohl 
auch  öfters  ohne  Ausleger  benutzt  wird,  in  diesem  Fall  aber  in  sehr 
unangenehmer  Weise  schaukelt. 

Das  Klima  hier  an  der  Küste  fiel  uns,  im  Gegensatz  zu  dem  des 
Innern,  als  trocken  auf;  wir  behielten  stets  heiteren  Himmel,  auch 
wenn  das  nahe  Gebirge  sich  in  dichte  Regenwolken  gehüllt  zeigte. 

Im  umliegenden  Buschwerk  trieben  sich  Schwärme  von  Tauben 
umher,  ferner  Papageien,  Pirole  und  anderes  Geflügel. 

[20.  December.]  Schon  früh  vier  Uhr  standen  wir  auf,  um  die 
Abreise  zu  betreiben.  Um  4h  30“  hob  sich  ganz  deutlich  das  Zo- 
diakallicht  vom  östlichen  Himmel  ab.  Es  glänzte  noch  lebhafter, 
als  der  helle  Fleck  der  Milchstrafse  im  Centauren,  in  der  Umgebung 
des  Kreuzes;  sein  Widerschein  auf  der  Oberfläche  des  Meeres  war 
deutlich  zu  erkennen.  Wir  bemerkten  das  Zodiakallicht  in  Celebes  hier 
zum  ersten  Mal;  es  gehört  dazu  offenbar  ein  ganz  reiner  Horizont  und 
verhältnismäfsig  trockene  Luft.  Um  5h  erschien  die  erste  Spur  der  Däm- 
merung. Bald  darauf  setzten  wir  uns  in  Bewegung  nach  Westen  zu. 
Auf  der  See  folgten  uns  die  beiden  Blottos,  mit  Gepäck  und  Invaliden 
beladen. 

Die  Begehung  des  Strandes  erschien  für  die  nächste  Zeit  wohl 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


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thunlich;  nur  zeigten  sich  schon  jetzt  eigentümliche  Hindernisse.  Eine 
in  grofser  Zahl  längs  dem  Ufer  gedeihende,  mächtige  Baumart  legt 
ihre  Stämme  quer  über  den  Strand  hinweg  und  zwar  in  solcher  Art, 
dafs  der  wellenförmig  gebogene  Stamm  an  einer  oder  zwei,  selten  an 
drei  Stellen  dem  Boden  aufruht,  während  er  dazwischen  thorartige, 
aber  niedrige  Bogen  bildet.  Durch  diese  Thore  mufste  man  hindurch- 
kriechen, wenn  der  Stamm  sich  als  zu  unförmlich  zum  Überklettern  erwies. 
Eben  hatten  sich  diese  Bäume  mit  Blüten  bedeckt,  mit  rispenartig  zu- 
sammengeordneten weifsen  Röschen,  geziert  von  goldenen  Staubfäden; 
auf  dem  rosa  gefärbten  Fruchtknoten  sitzt  ein  weifser  Griffel.  Sie  ver- 
breiteten einen  kräftigen  und  herrlichen  Duft,  der  ein  Gemisch  zu  sein 
schien  aus  dem  von  Walderdbeeren,  Nelken  und  Rebenblüten.  Häufig 
zeigte  sich  auch  ein  Baum  mit  grofsen,  weifsen,  trompetenförmigen 
Blüten  von  gleichfalls  köstlichem  Duft.  Die  kräftige  Lilie  Crinum 
wuchs  in  ganzen  Reihen  längs  dem  Strand.  Zuweilen  sahen  wir  grofse 
Exemplare  einer  Myrmecodien-Art  an  langen  Stielen  von  den  Ästen 
der  Bäume  herabhängen. 

Bald  gelangten  wir  nun  in  einen  Hain  von  grofsen  Rhizophoren- 
Bäumen,  in  deren  Schatten  es  sich  zunächst  ganz  bequem  wandern  liefs; 
denn  noch  hatte  die  Flut  nicht  ihren  Boden  unter  Wasser  gesetzt. 
Aus  dem  Wurzelnetz  dieser  Rhizophoren-Bäume  erheben  sich,  unzählig 
über  den  Boden  verteilt,  senkrecht  nach  oben  wachsende  Sprossen,  kegel- 
förmige Holzzapfen  darstellend,  welche  nur  ausnahmsweise  ein  Büschel 
von  Blättern  tragen.  An  einigen  Stellen  verbreitete  sich  ein  Geruch 
nach  Schwefelwasserstoff,  und  der  nasse  Boden  fand  sich  daselbst  weifs 
beschlagen. 

Von  der  Tierwelt  fielen  hier  wie  überall  als  besonders  häufig  Nas- 
hornvögel auf;  einer,  welcher  frei  auf  einem  dürren  Ast  in  der  Sonne 
safs,  keuchte  mit  weit  geöffnetem  Schnabel,  ähnlich  wie  dies  bei 
uns  die  Krähen  und  Hühner  in  der  Hitze  zu  thun  pflegen.  Im  Wasser 
nahe  der  Küste  sahen  wir  von  Stelle  zu  Stelle  einsam  einen  grofsen 
Reiher  stehen.  In  einem  Rhizophoren-Sumpf  schwamm  ein  Krokodil 
nach  dem  Meer  zu;  wir  sahen  seine  Schnauzenspitze  aus  dem  Wasser 
ragen.  In  der  Bucht  nahe  dem  Ufer  spielte  eine  Herde  Delphine. 
Eine  Scink-Art  huschte  häufig  über  die  Legebäume  des  Strandes. 

Öfters  kamen  wir  an  Fischerhütten  vorüber,  und  am  Flufs  Dumi- 
nanga  breitete  sich  ein  sorgfältig  gehaltener  Fleck  von  Kulturland  mit 
bewohnten  Häusern  aus.  Solche  Kulturflecke,  welche  längs  der  ganzen 
Küste  zerstreut  angetroffen  werden,  stehen  untereinander  nicht  durch 
Wege  in  Verbindung;  das  einzige  Verkehrsmittel  bildet  vielmehr  das 
Blotto.  Wir  erfrischten  uns  an  dem  hier  wachsenden  saftreichen 
Zuckerrohr. 


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Paul  und  Fritz  S a r a s i n : 


Die  Schwierigkeit  des  Weiterwanderns  wuchs  nun  ungemein,  als 
die  Flut  sich  heranwälzte.  Der  Boden  der  Rhizophoren-Haine  wurde 
rasch  zu  knietiefem  Sumpf,  in  welchem  wir  wegen  der  Trübe  des 
Wassers  die  einzelnen  „Wurzelspargeln“  nicht  sehen  konnten.  Es  war 
eine  mühselige  Arbeit,  dieses  Durchtasten  mit  den  Füfsen  durch  den 
braunen  Sumpf,  über  die  Wurzeln  und  Steinblöke,  wobei  das  Wasser 
oft  weit  über  die  Kniee  reichte.  Zugleich  peinigten  uns  Schwärme 
kleiner  angriffswütiger  Moskitos.  Um  endlich  aus  dem  Sumpf  heraus 
zukommen,  wandten  wir  uns  landeinwärts  den  waldbedeckten  Hügeln  zu 
und  arbeiteten  uns  mit  den  Messern  durch  das  Holz  weiter.  Nach 
stundenlangem  Durchhauen  wandten  wir  uns  wieder  nach  dem  Rhizo- 
phoren-Gürtel  zurück  und  machten,  da  wir  uns  sehr  ermüdet  fühlten, 
innerhalb  derselben  auf  einer  aus  dem  Wasser  ragenden  Stelle  Halt. 

Unterdessen  waren  unsere  Frauen  weit  an  einen  Trinkwasserort 
vorausgeeilt,  während  wir  in  unseren  Sümpfen  aufgehalten  worden 
waren.  Wir  schickten  daher  einen  unserer  Führer  hin,  um  sie  herbei- 
zuholen; dieser  brauchte  zwei  Stunden,  um  sich  hindurchzuarbeiten, 
und  kam  erst  nach  drei  Stunden  mit  den  Blottos  zurück.  Wir  hatten 
unterdessen  am  Fufs  zweier  gewaltiger,  ganz  dürrer  Bäume  die  Hütte 
errichten  lassen.  Ein  Träger  machte  uns  auf  die  Gefahr  aufmerksam, 
dafs  vielleicht  einer  stürzen  könnte;  doch  vertrauten  wir  darauf,  dafs 
während  der  Nacht  kein  schwerer  Wind  eintreten  werde,  und  fielen 
bald  in  festen  Schlaf. 

[21.  December.]  Früh  wurden  die  Blottos  unter  grofsem  Lira 
ins  Meer  gezogen,  da  sie  bei  der  Flut  weit  in  den  Rhizophoren- 
Hain  batten  gerudert  werden  können,  und  wir  selbst  «'änderten  den 
jetzt  wieder  gangbaren  Strand  entlang  weiter.  Glänzend  gefärbte 
Schmetterlinge  fielen  uns  auf,  besonders  ein  purpurner  Schillerfalter, 
weiter  ein  Papilio  mit  grünen  Ober-  und  weifsen  Unterflügeln,  dann 
sammtschwarze  Arten  mit  blauschimmernden  Flecken. 

Weiter  folgte  ein  mit  schweren  Blöcken  bedeckter  Strand,  längs 
welchem  das  Meer  sich  durch  reichen  Reichtum  an  Seetieren  aus- 
zeichnete. An  den  Blöcken  selbst  haftete  eine  Onchidium-Ml.  Von 
neuem  belustigte  uns  nahe  dem  Ufer  eine  Schar  Delphine. 

In  der  Ferne  im  Süden  erkannten  wir  die  Halbinsel  Bualemo: 
westlich  vor  uns  erhob  sich  der  kühn  geschnittene  Gebirgskamm  Sinan- 
daka,  in  blauer  Farbe  strahlend.  Er  schiebt  eine  grofse  Wurzel  weit 
nach  der  See  hin  vor,  an  welcher  angekommen  wir  blätterartig  ge- 
schichtete Gneifsblöcke  anstehen  sahen.  Es  tauchte  uns  hier  schon 
die  Vermutung  auf,  dafs  alle  die  hier  mit  ihren  Ausläufern  bis  an  den 
Strand  tretenden  Bergzüge  die  Wurzeläste  eines  sehr  mächtigen  Massivs 
darstellen  könnten,  des  später  von  uns  bereisten  Bone-Gebirgcs.  Die 


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Reisebciiclite  aus  Celebes. 


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vom  Gebirge  herabströmemJen  Bäche  führten  alle  ein  herrlich  kühles 
Trinkwasser.  Meist  war  ihre  Einmündung  von  Guirlanden  der  sonst 
hier  am  Strand  fehlenden  Ipomoea  biloba  geziert. 

Als  die  heranrauschende  Flut  die  Rhizophoren-SUmpfe  zu  füllen 
begann,  winkten  wir  die  uns  stets  in  der  Ferne  begleitenden  Prauen 
heran  und  ruderten  nun  längs  dem  Strand  hin  über  Korallenriffe.  Den 
Hauptbestand  des  Korallenlebens  machten  Alcyonien  oder  Fleisch- 
korallen aus,  welche  in  mehreren  Fällen  sehr  bedeutende  Gröfse  er- 
reichten. Recht  gemein  waren  Schwärme  kleiner  Fische,  welche  bei 
schräg  auffallender  Bestrahlung  rein  himmelblau,  bei  senkrecht  auf- 
fallender smaragdgrün  erschien.  Das  Wasser  über  dem  Korallenriff 
glich  völlig  hellgrünem  Flaschenglas;  aufserhalb  des  Riffes  nahm  es 
mit  einem  Mal  tiefblaue  Farbe  an,  wie  ein  Bergsee.  Hier  stürzten  also 
die  bis  dahin  seichten  und  sehr  wenig  seewärts  geneigten  Riffe  plötz- 
lich in  die  Tiefe  ab.  Schon  von  weitem  liefs  sich  diese  Absturzlinie 
am  blendend  weifsen  Schaum  der  Brecher  erkennen. 

Am  Strand  zogen  sich  die  Rhizophoren-Haine  hin,  in  Folge  ihres 
nicht  sehr  dichten  Laubes  einigermafsen  an  Schwarzpappel-Bestände 
erinnernd.  Landeinwärts  erhob  sich  das  mächtige  Gebirge  Pangea, 
die  höheren  Kämme  in  Wolken  gehüllt. 

Unser  stark  mit  Reissäcken  überladenes  Blotto  fing  jetzt  unange- 
nehm zu  schwanken  an,  da  Seegang  sich  fühlbar  machte.  Wir  waren 
deshalb  froh,  als  wir  in  Negeri  lama  anlangten,  einer  kleinen,  sehr 
unreinlich  gehaltenen  Ansiedelung  an  der  Mündung  des  Flusses  Totoija 
gelegen.  Die  Hütten  wimmelten  hier  von  Ameisen,  Schaben  und  Wan- 
zen. Auch  machte  sich  hier  grofse  Hitze  und  Trockenheit  fühlbar. 

Der  umgebende  Wald  zeigte  sich  von  kleinerem  Wild,  wie  Affen, 
Nashornvögeln  und  Tauben,  reichlich  belebt.  Ein  von  uns  geschossener 
Affe  wurde  von  unseren  Leuten  ausgeweidet  und  darauf  als  Ganzes 
über  dem  Feuer  geröstet.  Als  der  Pelz  abgesengt  war,  wurde  der 
nackte  Rumpf  noch  lange  Zeit  über  dem  Feuer  gedreht,  alsdann  ge- 
waschen und  eingesalzen;  das  nun  harte  Fleisch  wurde  hierauf  in  Stücke 
zerschnitten,  um  mit  dem  Reis  gemischt  verzehrt  zu  werden. 

[22.  December.J  Wir  mieteten  hier  noch  eine  dritte  Prau  und 
gingen  gleich  in  See,  weil  für  die  nächste  Zeit  der  Strand  nicht  be- 
gangen werden  konnte.  Wir  bemerkten  im  Laufe  der  F’ahrt  an  einer 
Stelle  des  Ufers  die  von  der  Brandung  zerfressenen  Kalkbänke  eines 
gehobenen  Korallenriffes. 

An  einer  sehr  unwirtlichen  Stelle  des  mit  Rhizophoren  bedeckten 
Strandes  machten  wir  halt,  um  die  Hütte  aufzuschlagen.  Ein  arabischer 
Kaufmann  übernachtete  gleichfalls  daselbst  mit  seiner  Familie;  er  ver- 
frachtete von  Gorontalo  her  Reis  und  Petroleum  nach  den  verschiedenen 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


Küstenorten.  Es  quäiten  uns  hier  viele  Moskitos,  und  der  ganze 
Rhizophoren-Sumpf  roch  wie  ein  Abort. 

[23.  December.j  Obschon  wir  mehrmals,  auch  schon  an  der  Nord- 
küste,  das  Vorhandensein  von  über  der  Strandlinie  befindlichen,  soge- 
nannten Korallenriffen  konstatieren  konnten,  woraus  auf  eine  negative 
Strandverschiebung  in  jüngster  geologischer  Vergangenheit  geschlossen 
werden  darf,  so  haben  wir  doch  die  Existenz  negativer  Strandverschiebung 
in  der  Gegenwart  an  unserer  Küste  nicht  feststellen  können;  vielmehr 
machten  wir  wiederholt  die  Beobachtung,  dafs  die  Brandungswelle  in 
den  Fufs  des  anstehenden  Gesteines  sich  hineinarbeitete,  tiefe  Höhlungen 
in  demselben  auswühlend.  Gewölbeartig  hängen  oft  die  Felsköpfe  über. 
In  den  gehobenen  Korallenriffen  haben  sich  an  vielen  Stellen  niedrige 
Grotten  gebildet,  wobei  wir  mehrmals  bemerken  konnten,  wie  die  ein- 
schlagende, die  Grottenöffnung  völlig  ausfüllende  YY'elle  die  im  Innern 
befindliche  Luft  komprimierte,  so  dafs  diese  oben  mit  Gewalt  heraus- 
trat, einen  zerstäubten  YY'asserstrahl  weit  hervorschiefeend.  Salanganen 
schwebten  um  die  Grotten.  YVir  haben  also  ächte  Abrasion  vor  uns, 
welche  entweder  auf  stationären  Zustand  des  Meeresspiegels  hindeutet 
oder  auf  neuerdings  eingetretene  positive  Strandverschiebung.  YVir 
beobachteten  dieselbe  Abrasion  an  jenem  schon  erwähnten  gehobenen 
Riff  der  Nordküste,  wie  auch  an  den  Felsen  des  Kap  Flesko,  weiter 
östlich  an  der  Südküste  und  an  den  Basalt-  und  Tuffinseln  des  Strandes 
von  Kema. 

YVir  ruderten  weiter  Uber  ein  Korallenriff,  welches  von  Tieren  wie 
ein  Aquarium  sich  angefüllt  zeigte.  Buntest  gefärbte  Fische  schwebten 
w'ie  Schmetterlinge  darüber  hin.  Beim  Ort  Taludaa,  welcher  die  Grenze 
des  Distrikts  Gorontalo  bezeichnet,  gingen  wir  an  Land.  Auf  den 
nahen  YValdhügeln  ruhten,  höchstens  hundert  Meter  Uber  dem  Seespiegel, 
schwere  Nebel.  Es  findet  sich  hier  eine  ziemlich  grofse  Ansiedelung 
mit  weit  ausgebreiteter  Bodenkultur.  YVir  schritten  auf  gutem,  durch 
die  Baumgärten  führenden  YY'eg  weiter,  bis  die  herannahende  Nacht 
uns  nötigte,  an  einem  Bach  halt  zu  machen.  YVährend  die  Hütte  ge- 
baut wurde,  gelang  es  uns,  einen  vollgewachsenen  männlichen  Babirusa 
zu  erlegen,  während  derselbe  in  einem  nahen  Kokoshain  ahnungslos 
umherspazierte.  Diese  Beute  kam  uns  selbst  ebenso  willkommen,  als 
unseren  Leuten;  denn  sie  lieferte  uns  mit  einem  Mal  Überflufs  an  vor- 
trefflichem Fleisch.  Geröstet  und  mit  Reis  gemischt  genossen,  möchten 
wir  Babirusa  für  das  schmackhafteste  YVild  halten,  welches  wir  bis 
jetzt  zu  kosten  Gelegenheit  fanden.  Da  unser  Schütze  aufserdem  drei 
grofse  Tauben  ( Carpophaga  paulina,  Temm.)  erlegte,  freuten  sich  unsere 
Leute,  und  allenthalben  tönte  es  uns  entgegen : „Makanan  btsar,  ttruan, 
Makanan  btsar  (Gross  Essen  Herr !)‘‘ 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


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Die  Babirusas  sollen  sich  zuweilen  unterhalb  der  hier  zertreut 
liegenden  Pfahlhäuser  herumtreiben,  denn  sie  werden  von  den  hier 
mohammedanischen  Eingeborenen  unbehelligt  gelassen. 

[24.  December.’  Wir  wanderten  längs  dem  Strand  weiter,  über- 
schritten zwei  gehobene  Riffe  und  gelangten  an  den  Flufs  Tombolilato. 
Als  wir  uns  hier  kurze  Zeit  ausruhten,  kamen  die  Würdenträger  des  nahen 
Dorfes  heran,  um  sich  uns  vorzustellen.  Nicht  wenig  überraschte 
uns  ihr  Anblick;  denn  der  erste  Repräsentant  der  Regierung  erschien 
in  auserwählter  europäischer  Kleidung,  trug  Rock,  Weste  und  Bein- 
kleider, aus  dunkeim  Stoff;  eine  Seidenbinde  umschlofs  den  tadellos 
weifsen  Hemdkragen,  Manschetten  fehlten  nicht,  und  die  Ftifse  steckten 
in  Strümpfen  und  Lackstiefeln;  ein  rotes  Barett  krönte  das  Ganze. 
Sein  Begleiter  trug  eine  gestickte,  dunkle  Uniform;  beiden  folgte  ein 
Diener  in  blauer  Jacke,  roter  Leibbinde  und  weifsen  Beinkleidern,  also 
in  holländische  Trikolore  gewickelt. 

Um  den  nun  folgenden  geisttödtenden  Bitjara  ein  Ende  zu  bereiten, 
begaben  wir  uns  rascher,  als  wir  vorgehabt  hatten,  wieder  auf  den 
Weg.  Es  waren  zunächst  mehrere  gehobene  Korallenriffe  zu  über- 
schreiten , welche  sich  in  der  Sonne  gewaltig  erhitzten ; alle  unsere 
Leute;  die  Träger  sowohl,  wie  die  ledig  Gehenden,  beklagten  sich  über 
die  grofse  Wärme.  Als  wir  in  einen  Baumgarten  gelangten,  welcher 
ausschliefslich  aus  Papaja-Bäumen  bestand,  machten  wir  uns,  nach  Ver- 
abredung mit  dem  Besitzer,  an  die  reifen,  köstlich  erfrischenden  Früchte; 
wir  afsen  jeder,  so  viel  er  mochte,  und  fühlten  uns  bei  dem  starken 
Durst,  den  wir  empfunden  hatten,  sehr  erquickt.  Als  wir  hernach  dem 
Besitzer  einen  Gulden  einhändigten,  fragte  er  erstaunt,  ob  er  ihn  be- 
halten dürfe,  und  zeigte  sich  sehr  erfreut,  als  wir  es  bejahten. 

[25.  December.]  Im  Weiterschreiten  sahen  wir  uns  unausgesetzt 
genötigt,  kleine  Felsrücken,  welche  einer  nach  dem  andern  in  die  See 
vorsprangen,  sogenannte  Tandjongs,  zu  überklettern.  Zwischen  je 
zweien  bildete  das  Meer  eine  kleine  Bucht,  deren  Ufer  weifser  loser 
Sand  deckte.  Kulturland  fehlte  hier;  es  verbreitete  sich  ein  niederer 
Buschwald  über  die  Felsen  mit  vielen  Dracaenen  und  Cycadeen.  Die 
Übergänge  über  die  Felsvorsprünge  waren  zuweilen  gefährlich,  indem  die- 
selben jäh  nach  der  See  zu  abfielen.  Wo  in  einer  Bucht  ein  Flufs 
einmiindete,  zeigte  sich  der  Strand  mit  grobem  Geschiebe  dicht  über- 
sät. Dann  folgte  wieder  ein  wild  zerrissenes  Korallenriff,  dessen  Über- 
steigung wegen  der  mächtigen  Erhitzung  des  Gesteins  viel  Mühselig- 
keit bereitete.  So  überkletterten  wir  nach  einander  ungefähr  fünfzehn 
Felsvorspriinge  und  Korallenriffe. 

Um  nun  weiter  folgende  und  noch  höher  aufstrebende  Fcls- 
vorsprünge  zu  umgehen,  wandten  sich  unsere  Führer,  einem  Bachbett 
Zcitschr.  d.  Ge*ell«ch.  f Eriik  Bd.  XXIX.  26 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


nachgeliencl,  landeinwärts.  Ein  alter,  längst  nicht  mehr  begangener  Weg, 
der  oft  ausgeschlagen  werden  mufste,  führte  in  das  nahe  Gebirge  hin- 
auf und  erstieg  einen  etwa  200  m hohen  Bergkamm.  Dieser  bildete  einen 
Teil  der  Umgrenzung  eines  grofsen  Kessels,  welcher  sich  mit  einem 
verhältnismäfsig  engen  Ausgang  öffnete.  Inmitten  der  Kesselsenkung 
erhoben  sich  einige  kegelförmig  zugespitzte  Einzelhügel,  deren  einige 
von  einem  Häuschen  oder  einer  kleinen  Hütte  gekrönt  erschienen.  Das 
Innere  des  geräumigen  Kessels  bedeckte  eine  reiche  und  sorgfältig 
gehaltene  Maiskultur.  Wir  richteten  uns  für  die  kommende  Nacht  in 
einem  Maishäuschen  ein,  welches  auf  der  Spitze  eines  der  kegelförmigen 
Hügel  inmitten  des  grofsartigen  Bergcirkus  errichtet  stand.  Durch  die 
Lücke  des  letztem  erblickten  wir  die  hellschimmernde  Fläche  des 
Meeres. 

[26.  Dezember.]  Wir  überstiegen  den  vor  uns  liegenden  Kesselrand 
und  wandten  uns,  nachdem  dies  geschehen  war,  wieder  der  Küste  zu. 
Wir  folgten  derselben,  alle  Hindernisse  mit  mehr  oder  weniger  Be- 
schwerde überwindend.  Eine  ganze  Reihe  von  Felsvorsprüngen  mufste 
noch  genommen  werden,  auch  ein  sehr  mächtiges,  gehobenes  Korallen- 
riff, aus  welchem  die  Korallenstöcke  als  Ganzes  herauswitterten.  End- 
lich eröffnete  sich  uns  der  Ausblick  auf  die  weite  Bucht  von  Gorontalo, 
deren  gegenüberliegende  Bergküste  in  süditalienischer  Farbenpracht 
strahlte;  man  hätte  glauben  können,  den  Felsrand  von  Sorrent  oder 
Amalft  aus  der  Ferne  zu  erblicken. 

Eine  merkwürdige  Erscheinung  nahmen  wir  hier  an  den  nur  wenig 
aus  dem  Wasser  herausragenden,  gehobenen  Korallenriffen  des  Strandes 
wahr;  dieselben  zeigten  sich  derart  erodiert,  dafs  tischartige  Blöcke, 
im  Aussehen  an  die  Gletschertische  erinnernd,  stehen  geblieben  waren 
und  zwar  bildeten  dieselben  eine  sich  weit  hinziehende,  dem  Ufer  ent- 
lang laufende  Reihe.  Somit  trat  uns  auch  hier  ein  deutliches  Merkmal 
gegenwärtig  stattfindender  Abrasion  entgegen. 

Der  granitene  Gebirgszug  der  Küste  zeichnete  sich  durch  eine 
grofse  Anzahl  fast  zuckerhutartig  spitzer,  hoher  Kegel  aus. 

An  dieser  Stelle  kamen  die  Bewohner  eines  nahen  Dorfes  in  grofser 
Zahl  zu  uns  heran,  indem  sie  uns  mit  Hurrahrufen  begrüfsten;  sie  er- 
kundigten sich  mit  grofser  Spannung  nach  unserer  Herreise. 

Von  jetzt  ab  hatten  wir  noch  einen  sich  weit  hinziehenden,  mit 
weichem  Sand  oder  Kies  bedeckten  Strand  von  blendender  Weifse  zu 
überwinden,  wobei  sich  die  Hitze  stets  drückender  fühlbar  machte. 
Plötzlich,  als  wir  um  eine  letzte  Ecke  bogen,  glänzte  uns  der  Leuchtturm 
von  I.iato,  dem  Vorort  von  Gorontalo,  zu  unserer  Freude  entgegen. 

Unsere  Überlandreise  von  Menado  nach  Gorontalo  hatte,  ein- 
schliefslich  aller  durch  das  Beschaffen  von  Nahrungsmitteln  nötig  ge- 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


385 


wordener  Verzögerungen,  sicbenunddreifsig  Tage  in  Anspruch  ge- 
nommen. 

II.  Erforschung  des  Bone-FluBses. 

Da  unser  ursprüngliches  Vorhaben,  von  Duluduo  aus  geradenwegs 
westlich  nach  Gorpntalo  vorzudringen,  vereitelt  worden  war,  trafen  wir 
nunmehr  die  nötigen  Vorbereitungen,  um  von  Gorontalo  aus,  ostwärts 
dem  Laufe  des  Bone-Flusses  folgend,  nach  Duluduo  zu  gelangen,  und 
dachten,  nachdem  wir  dieses  glücklich  erreicht  hätten,  von  neuem  bei 
Malibagu  die  Küste  aufzusuchen,  um  von  dort  mittelst  hingesandter 
Prauen  nach  Kema,  unserem  Aufenthaltsort  in  der  Minahassa,  zurück- 
zureisen. Wir  trafen  deshalb  mit  einem  eingeborenen  Seemann  eine 
Verabredung,  wonach  derselbe  zwei  mit  Lebensmitteln  versehene  Prauen 
nach  Malibagu  bringen  und  daselbst  auf  uns  warten  sollte.  Nachdem 
dies  erledigt  war,  beschäftigten  wir  uns  mit  der  Anwerbung  neuer 
Träger,  da  zu  unserem  Bedauern  unser  Mandur  mit  seinen  Minahassern 
sich  nicht  geneigt  fand,  auch  die  zweite  Überlandreise  zu  unternehmen; 
sie  wünschten  das  bevorstehende  Neujahrsfest  in  Menado  zu  feiern. 

Hinsichtlich  der  anzuwerbenden  Träger  galt  es  in  erster  Linie,  die 
Zahl  derselben  ins  Auge  zu  fassen;  denn,  fufsend  auf  den  uns  während 
der  ersten  Reise  gewordenen  Erfahrungen,  konnten  wir  nicht  darauf 
rechnen,  im  Innern  des  von  uns  zu  durchziehenden  Landes  Lebens- 
mittel aufnehmen  zu  können.  Somit  setzten  wir  vorerst  die  Anzahl 
der  Tage  fest,  welche  die  Reise  im  äufsersten  Fall  nach  unserer  Schätzung 
in  Anspruch  nehmen  konnte.  Alsdann  wurde  die  Anzahl  derjenigen 
Leute  bestimmt,  welche  unser  Gepäck  tragen  sollten  und  endlich  aus- 
gerechnet, wie  viele  Reisträger  zum  Unterhalt  dieser  Leute  notwendig 
seien.  Dazu  mufsten  folgende  Umstände  in  Rechnung  gebracht  wer- 
den: Wie  wir  erfuhren,  verzehrt  ein  Mann  in  einem  Tag  ein  Katti 
Reis  (=o,6  kg);  ein  Träger  ferner  ist  blofs  im  Stande,  28  Katti  zu 
befördern,  ifst  also  in  28  Tagen  selbst  seine  ganze  Last  auf. 
Daraus  ging  zunächst  hervor,  dafs  bei  den  gegebenen  Zahlen  schon 
eine  Reise  von  28  Tagen  nicht  mehr  ausgeführt  werden  kann,  falls 
nicht  unterwegs  Lebensmittel  zu  gewinnen  sind,  und  darauf  durften 
wir,  wie  erwähnt,  bei  unserer  bevorstehenden  Reise  nicht  rechnen. 

F'olgende  Tabelle  war  demnach  in  Betracht  zu  ziehen: 

1 Träger  liefert  in  28  Tagen  o Katti  Reis 

1»  » » 27  » I 7>  » 

ln  » * 26  n 2 n » 

U.  S.  W. 

I»  »»2»  26»» 

I»  »»[»27»» 

2fi* 


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386 


Paul  und  Fritz  Sarasin: 


An  unserer  Reise  nahmen  im  ganzen  23  nicht  Reis  tragende  Leute 
teil;  diese  verzehren  in  einem  Tag  ebenso  viele  Katti;  ein  Reisträger 
liefert  in  einem  Tag  27  Katti,  da  er  ja  eines  von  seinen  Katti  selbst 
ifst;  die  23  nicht  Reis  tragenden  Leute  brauchen  also  in  einem  Tag 
21 

oder  0,8  Reisträger. 

In  zwei  Tagen  verzehren  sie  46  Katti;  ein  Reisträger  liefert  in 
zwei  Tagen  26  Katti;  in  zwei  Tagen  brauchen  23  nicht  Reis  tragende 

Leute  also  ^ oder  1,7  Reisträger. 

Auf  diese  Weise  weiterrechnend,  kanten  wir  zu  folgender  Tabelle: 


23 

Nicht-Reisträger 

brauchen 

in 

1 

Tag 

0,8  Reisträger 

23 

P 

» 

P 

» 

2 

» 

'.7 

23 

» 

P 

» 

» 

3 

P 

2,7  » 

23 

» 

» 

» 

» 

4 

» 

3,8 

23 

» 

P 

» 

» 

5 

P 

5 

23 

P 

» 

» 

» 

6 

» 

6,3  » 

23 

P 

» 

» 

» 

7 

» 

7,7  » 

23 

» 

» 

P 

p 

8 

P 

9,2  » 

u.  s.  w. 

Etwa  vom 

Tag  20  an 

steigern 

sich 

die 

Zahlen  bedeutend 

21  Tagen  braucht  es  bei  den  gegebenen  Voraussetzungen  bereits 
69  Träger,  in  23  Tagen  106,  in  25  Tagen  191,  in  26  Tagen  299,  in 
27  Tagen  621,  in  28  Tagen  unendlich  viele. 

Es  läfst  sich  aus  den  so  gefundenen  Zahlen  eine  Kurve  kon- 
struieren, welche  sich  als  Parabel  kundgiebt,  und  deren  Form  sich 
selbstverständlich  je  nach  den  Voraussetzungen  ändert;  wir  könnten 
sie  die  Konsumparabel  nennen. 

Von  den  23  nicht  Reis  tragenden  Leuten  bestanden  zwei  aus  uns 
seihst,  zwei  aus  den  Führern,  drei  aus  Koch,  Schütze  und  Ausstopfer; 
die  übrigen  16  trugen  unser  Gepäck  (Sammlungskisten,  Munition,  Kleider 
und  Decken,  Lebensmittel). 

Bei  der  nun  folgenden  Beschaffung  von  Führern  und  Trägern  sind 
wir  Herrn  Assistent-Residenten  Wesley  zu  bestem  Dank  verpflichtet, 
welcher  sich  keine  Mühe,  die  nötigen  Vorbereitungen  zu  beschleunigen, 
verdriefsen  liefs;  denn  da  die  Mehrzahl  der  Eingeborenen  Gorontalos 
von  der  Bindung  eines  eingegangenen  Kontraktes  keine  klare  Vor- 
stellung besitzen,  so  ist  behufs  Zusammenbringung  einer  gröfseren  An- 
zahl von  Trägern  zu  einer  bestimmten  Stunde  ohne  die  nachdrückliche 
Mithilfe  der  Autorität  der  Regierung  zu  keinem  Resultat  zu  gelangen. 
Obwohl  dieselbe  in  vollem  Mafs  uns  gewährt  wurde,  haben  wir  uns 
doch  an  dem  zum  Abmarsch  bestimmten  Tage  durch  das  Ausbleiben 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


387 


von  fünf  Trägern  so  lange  aufgehalten,  dafe  sich  erst  um  1 1 Uhr  der 
Abmarsch  antreten  liefs. 

Den  bis  zum  vier  kleine  Tagemärsche  entfernten  Ort  Tinogo  nöti- 
gen Reis  liefsen  wir,  da  bis  dorthin  ein  Reitweg  führte,  durch  acht 
Pferde  transportieren.  Von  dort  an  rechneten  wir  für  unsere  Reise 
noch  16  Tage  und  nahmen  daher  zum  Unterhalt  der  keine  Lebens- 
mittel tragenden  23  Leuten  30  reisbeladene  Kulis  mit. 

[1894,  6.  Januar.]  Für  die  ersten  Meilen  von  Gorontalo  an  ost- 
wärts fanden  wir  ein  gutes  Sträfschen  vor,  welches  durch  die  sumpfige, 
mit  Hochgras  bedeckte  Ebene  des  Bone-Flusses  gelegt  war.  Die  Berg- 
züge der  nächsten  Umgebung  zeigten  sich  bis  an  die  Grate  hinauf  an- 
gebaut, verloren  sich  aber  weiter  östlich  in  hohe,  waldbedeckte  Rücken. 

[7.  Januar.]  Das  Thal  des  Bone-Flusses  liefs  längere  Zeit 
eine  nur  sehr  geringe  Steigung  erkennen.  Doch  dauerte  es  nicht  sehr 
lange,  bis  wir  an  eine  Stelle  kamen,  wo  es  sich  plötzlich  verengte  und 
mit  dichtem  Wald  bedeckte.  Der  Flufs  mufste  zweimal  überschritten 
werden,  was  mit  Hilfe  von  bereitliegenden,  sehr  schwachen  Bambus- 
flöfsen  erfolgte.  Die  Pferde  schwammen  hinüber,  indem  man  sie  vom 
Flofs  aus  nachzog.  Von  Stelle  zu  Stelle  verengte  sich  das  Flufethal 
zu  einer  dunklen  Schlucht,  durch  welche  der  Bone  tosend  hinab- 
rauschte. An  solchen  Orten  verliefs  der  Weg  den  Flufs  und  leitete  im 
Bogen  über  die  nahen  Waldhügel. 

[8.  Januar.]  Auf  dem  Weg  kam  uns  ein  Heerwurm  zur  Beob- 
achtung; die  ihn  zusammensetzenden  Maden  bildeten  einen  Zug  von 
etwa  30  m Länge  und  0,5  m Breite,  welcher  sich  in  einer  Minute 
drei  Centimeter  weit  wegabwärts  bewegte.  Als  wir  den  Zug  zerstreuten, 
sammelten  sich  die  Maden  zu  runden  Häufchen  an. 

Die  grün  gefärbte  Giftschlange,  Trimeresurus  Wagleri,  scheint  im  Thal 
des  Bone  häufig  vorzukommen;  wir  bekamen  mehrere  Exemplare  kurz 
nach  einander,  auch  fanden  sich  in  den  feuchten  Wäldern  Schnecken 
(besonders  Aan/nu-Arten)  zahlreich. 

Der  Weg  verliefs  den  Flufs  und  führte  über  einen  Höhenzug  von 
380  m.  Das  Gestein  bestand  aus  demselben  weifsgrauen  Granit,  welcher 
auch  die  Felsenhügel  von  Gorontalo  bildet.  In.  der  Höhe  von  180  m 
erreichten  wir  den  Flufs  wieder. 

[9.  Januar.]  Wir  gelangten  nach  Zurücklegung  einer  sehr  kotigen 
Wegstrecke  nach  Pinogo,  dem  östlichsten  Posten  der  Resident- 
schaft Gorontalo.  Hier  brachten  wir  alle  unsere  Vorräte  in  neue 
Ordnung,  und  die  Pferde  wurden  entlassen.  Pinogo,  240  m hoch  ge- 
legen, ist  der  Hauptort  einer  gröfseren,  mit  Kulturpflanzungen  be- 
deckten Hochebene  mit  Namen  Bawangio. 

[10.  Januar.]  Wir  brachen  so  früh  auf,  als  die  Dunkelheit  es 


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388  Paul  und  Fritx  Sarasin: 

zuliefs;  das  Wetter  sah  regnerisch  aus,  der  Himmel  bleigrau.  Noch 
eine  ziemlich  grofse  Strecke  dehnte  sich  ostwärts  auf  der  Bawangio- 
Ebene  Kulturland  aus,  und  soweit  dieses  reichte,  fanden  wir  guten  Weg. 

Höchst  ungern  mufsten  wir  unterwegs  den  einen  unserer  Ftihrer, 
welcher  an  Fieber  schwer  erkrankt  war,  umkehren  lassen. 

Wir  gelangten  von  neuem  an  den  Bone  und  wurden  mit  Bambus* 
flössen  Uber  den  immer  noch  starken  Flufs  gesetzt,  was  zwei  Stunden 
in  Anspruch  nahm.  An  dieser  Stelle  vereinigte  sich  mit  dem  Bone  ein 
starker  Zuflufs,  der  Monoti. 

Der  Weg  blieb  noch  eben  und  ziemlich  leicht  gangbar,  bis  wir  den 
Ort  erreichten,  wo  die  reifsende  Bulawa  in  den  Bone  sich  ergiefst. 
Von  hier  an  konnte  der  Bone  ohne  grofse  Mühe  durchwatet  werden; 
wir  durchschritten  ihn  zweimal.  Ein  Rudel  von  vier  Wildschweinen 
sahen  wir  ebenfalls  den  Bone  passieren.  In  einem  rings  von  Urwald 
umgebenen  Baumgarten  schlugen  wir  die  Hütte  auf. 

[n.  Januar.]  Unausgesetzt  folgten  wir  dem  Lauf  des  Bone, 
und  da  ein  deutlicher  Weg  bald  aufhörte,  wurde  das  Flufsbett  von 
jetzt  an  als  solcher  benutzt.  An  einer  Stelle  im  sandigen  Ufer,  welche 
mit  Bambusgebüsch  bewachsen  war,  stiefsen  wir  auf  eine  grofse  Anzahl 
von  Gruben,  welche  Maleo-Hiihner  ausgewühlt  hatten,  um  ihre  Eier 
darin  abzulegen.  Unsere  Leute  suchten  nach,  und  wir  gewannen  zu 
unserem  Vergnügen  vier  frisch  gelegte  Eier. 

In  demselben  Bambusgebüsch,  gerade  an  der  Stelle,  wo  die  vielen 
Maleo-Gruben,  wie  Wolfsgruben  nebeneinander,  ausgescharrt  waren,  be- 
fand sich  ein  warmer  Sprudel,  welcher  aus  der  Spitze  eines  runden, 
ockergelb  gefärbten  Erdhaufens  von  ungefähr  i m Höhe,  nach  Art  eines 
winzigen  Geysirs,  hervorquoll.  Die  runde  kraterartige  Öffnung  zeigte 
etwa  zo  cm  Durchmesser.  Die  Temperatur  des  Wassers  mochte  gegen 
6o°  C.  betragen;  dasselbe  schmeckte  ähnlich  wie  Fleischbrühe  mit 
leicht  adstringierendem  Beigeschmack. 

Der  Umstand,  dafs  hier  im  Gebirge,  wo  die  Temperatur,  besonders 
im  Wald,  sich  im  ganzen  niedrig  hält,  Maleo-Eier  einfach  in  die  Erde 
gelegt  zur  Entwickelung  gelangen,  machte  uns  hier  schon  stutzig  und 
liefs  uns  einen  Zusammenhang  in  der  Anlage  dieser  Gruben  mit  der 
warmen  Quelle  vermuten.  Wir  werden  auf  diesen  Punkt  unten  noch 
einmal  zurückkommen. 

Weiter  kletterten  wir  im  Bett  des  Bone  über  die  eisglatten  Roll- 
blöcke aufwärts  und  bewegten  uns  nur  sehr  langsam  von  der  Stelle. 
Wir  kamen  an  zwei  zerfallenen  Schutzdächern  vorüber,  welche  ursprüng- 
lich von  Dammar-Suchern  errichtet  worden  waren. 

Ein  grofser,  prächtig  gefärbter  Python  schwamm  durch  den  Flufc; 
die  starke  Strömung  wälzte  seinen  bunten  Leib. 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


389 

Das  Weiterdringen  wurde  immer  schwieriger;  wo  nicht  im  Flufs 
gewandert  werden  konnte,  mufste  durch  das  Dickicht  der  Weg  ge- 
hauen werden.  Mit  einem  Mal  verlor  sich  der  Flufs  in  einen  von  senk- 
rechten Felsen  gebildeten,  engen  Canon,  aus  dessen  finsterem  Hinter- 
grund das  Rauschen  eines  Wasserfalles  hervortönte;  auch  erhob  sich 
aus  jener  verborgenen  Stelle  eine  weifse  Wolke  zerstäubten  Wassers. 
Nibong-Palmen  von  gewaltiger  Höhe  standen  in  Gruppen  am  Eingang 
der  Klamm. 

Es  blieb  uns  nichts  anderes  übrig,  als  die  Schlucht  zu  umgehen, 
und,  beständig  Weg  hauend,  kletterten  wir  über  den  waldbedeckten 
F'elsriicken,  in  welchen  der  Flufs  den  Canon  eingewühlt  hatte.  Einen 
jener  interessanten  zwergartigen  Wildochsen  von  Celebes  ( Anoa  </epressi- 
cornis),  welche  Sapiutan  (Waldochse)  von  den  Eingeborenen  genannt 
werden,  sahen  wir  aufgeschreckt  rasch  durch  das  Gebüsch  rennen. 

Die  Gonone  setzten  uns  hier  stark  zu.  Als  wir  wieder  an  den  Flufs 
hinabgestiegen  waren  und  das  Lager  am  Ufer  in  einer  Höhe  von  500  m 
aufschlugen,  zog  sich  unser  Führer,  ein  früherer  Dammar-Sucher  von 
etwas  wilden  Gewohnheiten,  nackt  aus,  lief  in  den  rauschenden  Flufs 
und  rieb  sich  seinen  Rücken  an  einem  vom  Wasser  überströmten  Fels- 
block, um  die  Gonone  loszuwerden. 

Vor  uns  im  Osten  sahen  wir  einige  hohe  Berggipfel  aufsteigen, 
nach  welchen  die  Richtung  des  Bone  hinführte. 

[13.  Januar.]  Rasch  erhob  sich  nun  das  Thal,  und  schon  nach 
kurzer  Zeit  hatten  wir  eine  Erhebung  von  600  m zu  verzeichnen. 
Der  Bone  hatte  sich  bereits  zum  Bach  verkleinert,  nachdem  wir  einen 
seiner  Zuflüsse  nach  dem  anderen  überschritten  hatten.  Der  felsige  Bach- 
boden zeigte  sich  zuweilen  kanalartig  ausgespült;  hin  und  wieder  hatten 
sich  grubenartige  Kessel  gebildet.  Unausgesetzt  bereiteten,  wenn  wir 
den  Bach  verlassen  mufsten  und  im  Wald  weiterdrangen,  tauartige 
Rotang-Stämmchen  den  Füfsen  Fallstricke.  Auch  begannen  Land- 
blutegel sich  in  unangenehmer  Weise  bemerklich  zu  machen. 

Infolge  des  fast  unausgesetzten  Watens  im  Wasser  fing  die  Ober- 
haut an  unseren  Fufssohlen  an,  sich  abzulösen;  diese  brannten  daher 
empfindlich,  ein  für  die  Weiterwanderung  äufserst  bedenklicher  Umstand. 
Wir  beschlossen  deshalb,  einen  Ruhetag  einzuschalten. 

[14.  Januar.)  Wir  befanden  uns  in  einer  tiefen  Waldschlucht; 
die  aufserordentliche  Feuchtigkeit  erzeugte  eine  gewaltige  Vegetation. 
Die  Minimaltemperatur  über  Nacht  betrug  19°  C. 

Sehr  auffallend  erschien  uns  die  grofse  Anzahl  von  Gespenst- 
heuschrecken, welche  hier  das  Laub  bewohnten;  jede  Form  ahmte  in 
immer  neu  überraschenderweise  die  Eigentümlichkeiten  der  Vegetation 
nach.  Schnecken  und  Land-Plannrien  fanden  sich  zahlreich,  auch  noch 


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3i»0 


Paul  und  Fritz.  Sarasin: 


andere  wirbellose  Tiere  von  Interesse.  So  trafen  wir  hier  besonders 
häufig  eine  sehr  merkwürdige  Opilioniden-Form  an,  wahrscheinlich  eine 
Art  der  Gattung  Dino,  deren  Palpen  durch  verhältnismäfsig  starke 
Klauen  sich  auszeichnen.  Wir  beobachteten,  wie  ein  Exemplar  ihre 
Fühlerdolche  einer  kleinen  Mantis  wiederholt  in  den  Hinterleib  stiefs, 
worauf  Tod  oder  doch  starke  todähnliche  Lähmung  des  Insektes  er- 
folgte. Es  dürfte  also  in  der  bandartigen  Verbreiterung  des  Palpen- 
endes des  Opilioniden  eine  Giftdrüse  verborgen  liegen,  deren  Absonde- 
rung durch  die  Endklaue  hervorgespritzt  werden  kann.  Wir  bemerkten 
auch,  wie  das  Tier  mit  den  im  Verhätnis  zu  anderen  Opilioniden  sehr 
grofsen  Mundscheren  sich  die  Mundöffnung  von  anhaftenden  Fremd- 
stoffen  reinigte. 

In  der  nun  folgenden  Nacht  liefs  sich  mehrmals  in  der  Um- 
gebung unseres  Lagers  ein  seltsam  verdächtiges  Geräusch  vernehmen. 
Wir  liefsen  dies  zunächst  gut  sein  und  schliefen  ein.  Um  ein  Uhr 
aber  wurden  wir  durch  unsere  Leute  aufgeweckt,  welche  in  Begleitung 
des  Führers  herankamen  und  der  Befürchtung  Ausdruck  gaben,  es 
hätten  sich  gefährliche  Menschen  {prang  djahat)  herbeigemacht;  es 
seien  Dammar-Sucher  hier  im  Wald  herum;  gestern  noch  habe  der 
Führer  zwei  gesehen;  vielleicht  sei  uns  solches  Raubgesindel  nachge- 
zogen. Wir  gaben  auf  den  Wunsch  des  Führers  vier  Schüsse  in  die 
Luft  ab,  welche  schauerlich  durch  die  finstere  Nacht  dröhnten.  Darauf- 
hin wurde  kein  Geräusch  mehr  vernommen.  Der  ruhige  Schlaf  war 
aber  doch  gestört;  unsere  Träger  blieben  unruhig,  und  der  Gedanke, 
in  dunkler  Nacht  von  Räubern  überfallen  zu  werden,  regte  auf.  In- 
dessen stellte  es  sich  den  anderen  Tag  heraus,  dafs  es  ein  blinder 
Lärm  gewesen  war,  ja  die  Sache  lief  ins  Komische  aus,  als  wir  früh 
nachsahen,  und  an  den  Fährten  bemerkten,  dafs  eine  kleine  Herde 
Sapiutans,  welche  um  unser  Lager  sich  herumgetrieben  hatte,  die  un- 
schuldige Ursache  des  Aufruhrs  gewesen  war. 

(15.  Januar.]  Minimaltemperatur  während  der  vergangenen  klaren 
Nacht  18°  C. 

Wir  folgten  dem  Bonc  weiter  und  gelangten  bald  an  eine  Spaltung 
desselben  in  zwei  Bäche,  von  denen  der  eine,  gröfsere,  vom  Führer 
mit  dem  Namen  Suawa  belegt  wurde.  Gleich  darauf  verliefsen  wir  den 
Bone  und  erstiegen  einen  hohen  Rücken,  welcher  längere  Zeit  als  Grat 
ostwärts  sich  fortsetzte.  Das  Weiterkommen  ging  hier  oben  ziemlich 
gut  von  statten,  denn  es  trat  wenig  Unterholz  hemmend  entgegen,  und 
oft  hatten  wir  für  gröfsere  Strecken  den  Vorteil,  Wildochsen  - Wege 
benutzen  zu  können,  indem  die  Anoa  gern  den  pfadartig  ebenen  Unter- 
grund der  Berggrate  als  Weg  und  als  Aufenthalt  zu  benutzen  scheint 
Hier,  in  dem  von  uns  durchzogenen  gewaltigen  Bergwald,  herrschen 


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Keiscbetichtc  aus  Celebes. 


391 


diese  Tiere  unumschränkt,  wie  zahllose  Fährten  uns  kundthaten;  am 
Kufe  eines  Baumes  fanden  wir  eine  Stelle  ganz  und  gar  zerstampft, 
wie  einen  Stallboden,  wir  überschritten  offenbar  den  Lagerplatz  einer 
Herde.  Es  dauerte  auch  nicht  lange,  so  schreckten  wir  eine  Herde 
dieser  Zwergochsen  auf,  w'elche  unser  Herannahen  nicht  gewahr  ge- 
worden war.  Überrascht  rannten  sie  wild  kreuz  und  quer  im  Gebüsch 
umher,  uns  in  einigermafsen  unsicheren  Zustand  versetzend;  wir  be- 
kamen des  an  dieser  Stelle  dichten  Unterholzes  wegen  nur  ein  einziges 
Tier  rasch  zu  Gesicht,  wie  es  an  uns  vorübersauste.  Die  er- 
schreckten Tiere  blökten  auf  eine  schnarrende,  fast  meckernde  Art. 
Sehr  wild  und  scheu,  suchte  die  Herde  sofort  das  Weite. 

Auf  den  Berggraten  bedeckt  meist  dürres  Laub  den  Boden.  Zu- 
weilen überzieht  denselben  ein  niedrig  wachsender  Rotang.  welcher 
seine  spitzen  Angeln  in  Kleider  und  Haut  schlägt.  Selten  vernahmen 
wir  Vogelstimmen;  doch  trafen  wir  von  Zeit  zu  Zeit  einen  Nashorn- 
vogel an. 

Weiter  stiegen  wir  scharf  aufwärts.  Eichen  begannen  einen  guten 
Teil  des  Waldes  zusammenzusetzen.  Eine  sehr  großblättrige  Aroidee 
zierte  die  Schluchten.  Eine  Pandanus-Art  fiel  uns  dadurch  auf,  dafs 
ihr  gerader  Stamm  am  untersten  Ende  plötzlich  in  kleine  zierliche 
Stelzen  auseinanderlief,  auf  welchen,  wie  auf  einem  künstlichen  Piedestal, 
das  Bäumchen  dastand.  Casuarinen  zeigten  sich  im  Wald  zerstreut. 

Wir  erstiegen  einen  mit  dichtem  Wald  bedeckten  Bergkegel,  vom 
Führer  als  Gunung  Suawa  bezeichnet;  eine  vorher  überschrittene  Er- 
hebung war  von  ihm  Gunung  Bone  genannt  w'orden.  Gegen  Süden 
blickend,  konnten  wir  in  der  Ferne  das  Meer  erkennen. 

Von  neuem  schreckten  wir  beim  Weiterwandern  eine  Sapiutan-Herde 
auf;  wir  kamen  aber  so  wenig  wie  das  erste  Mal  zu  Schüfe.  Wir  er- 
reichten, immer  weiter  steigend,  die  Höhe  von  1400  m. 

Sehr  belästigend  wurde  hier  oben  die  Unmasse  von  kleinen, 
schwarzen  Blutegeln,  welche  sich  oft  zu  zwanzigen  an  einer  einzigen 
Hautstelle  fcstsetzten.  Einer  von  uns  litt  sehr,  und  die  Füfse  der 
Träger  waren  von  Blut  überströmt,  als  wären  sie  mit  Schrot  angeschossen 
worden.  Das  beständig  notwendige  Ablesen  der  Würmer  hielt  den  Zug 
in  sehr  unangenehmer  Weise  auf. 

Wir  stiegen  nach  einem  Bachbett  hinab,  in  welchem  alle  Rollblöcke 
dicht  mit  Moos  überzogen  erschienen,  so  dafs,  wenn  ein  einfallender 
Sonnenstrahl  die  Schlucht  erleuchtete,  ringsum  alles,  wie  ein  Feen- 
palast, goldgrün  aufzuleuchten  schien. 

Sehr  häufig  bemerkten  wir  hier  eine  epiphytische  Pflanze  mit  suk- 
kulenten Blättern  und  karminroten  Blütentrichtern,  ein  zierlicher  Schmuck 
der  von  ihm  umsponnenen  Baumstämme. 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


392 


Es  fiel  uns  hier,  wie  überall  in  den  Wäldern  von  Celebes,  die 
grofse  Menge  von  sukkulenten  Pflanzen  auf,  besonders  unter  den 
Epiphyten ; und  sonderbarer  Weise  wachsen  oft  am  selben  Stamm  mit 
diesen  fettblättrigen  Formen  die  zartesten  Pflanzenkreaturen,  die  sich 
denken  lassen,  wie  Hymenophyllaceen  und  andere  zierliche  epiphyti- 
sche  Farne. 

[ 1 6.  Januar.]  Minimaltemperatur  während  der  Nacht  15°  C.  Wir 
froren  alle;  mehrere  unserer  Leute  erkälteten  sich. 

Wir  folgten  dem  Bach,  an  welchem  wir  übernachtet  hatten,  auf- 
wärts. Derselbe  sollte,  wie  der  Führer  behauptete,  die  Bulawa  sein,  in 
welchem  Fall  er  also  in  westlicher  Richtung  nach  dem  Bone  abfliefsen 
miifste,  wie  wir  es  auf  der  Karte  angedeutet  haben. 

Am  Bach  sahen  wir  Gneifs  anstehen,  welcher  sich  an  einigen 
Stellen  zu  einer  weifsgelben,  käsigen  Masse  umgewandelt  hatte. 

Alle  Bäume  waren  mit  Moos  Uberkleidet,  die  Felsblöcke  von  Fieder- 
farnen bedeckt.  Eine  Flechte  fiel  durch  den  Umstand  auf,  dafs  die 
Oberseite  ihres  Thallus  freundlich  grün  gefärbt  war,  während  die  Unter- 
seite milchwcifs  erschien.  Ziemlich  häufig  fanden  wir  hier  eine  an  ein 
Rhododendron  erinnernde,  kleine  strauchartige  Pflanze,  mit  winzigen 
Blättern  und  einer  karminroten,  behaarten,  kurzröhrigen  Bltitenglocke. 

Wir  drangen  nun  immerfort  über  Gipfel  und  durch  Schluchten 
nach  Osten  vor,  um  unserem  Ziel,  dem  Dumoga-Thal,  näher  zu  kommen; 
doch  fingen  wir  allmählich  an,  über  das  äußerst  langsame  Vorwärts- 
kommen besorgt  zu  werden.  Ein  Weg  fehlte  ja  schon  längst,  und  der 
Führer  wurde  oft  über  die  einzuschlagende  Richtung  schwankend,  ln 
NNO  sahen  wir  gerade  vor  uns  als  grofsen,  blauen  Bergrücken  den 
Huntuk  Buludawa  sich  erheben.  Wir  gelangten,  weiterschreitend,  auf 
einen  Gipfel  von  1450  m Höhe,  der  uns  als  Gunung  Bulawa  bezeichnet 
wurde;  er  dürfte  einer  der  Hauptgipfel  dieses  Gebirges  sein.  Den 
sehr  steilen  Abhang  wieder  hinabkletternd,  konnten  wir  bemerken,  dafs 
etwa  150  m unterhalb  der  höchsten  Stelle  das  herabfliefsende  Wasser 
zur  ersten  kleinen  Ader  sich  sammelte.  Dieselbe  vergröfserte  sich  be- 
ständig, ohne  dafs  eine  Scitenader  ihr  zuflofs;  unmerklich  sickert  das 
Wasser  der  Humusdecke  nach  der  tiefsten  Schlucht,  um  als  kleiner 
Bach  mit  einem  Mal  zur  Erscheinung  zu  kommen. 

An  einem  Bach  in  1250  m Höhe  machten  wir  halt,  und  die  Hütte 
wurde  gebaut,  während  ein  gewaltiger  Regen  niederging;  kaum  konnte 
hernach  Feuer  angefacht  werden,  weil  alles  Holz  von  Wasser  troff. 

Anstatt,  wie  wir  ursprünglich  erwartet  hatten,  einen  Weg  aufzu- 
finden, welcher  direkt  vom  Thal  des  Bone,  höhere  Gipfel  umgehend, 
nach  Duluduo  oder  auch  an  einer  anderen  Stelle  in  den  Dumoga-Kesse! 
hinübcrleiten  würde,  sahen  wir  uns  nun  mitten  in  das  F.rhebungs- 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


393 


centrum  eines  mächtigen  Gebirgsstockes  versetzt,  nämlich  des  schon 
früher  von  uns  so  genannten  Bone-Gebirges,  welches,  mit  mehreren 
domförmigen  Gipfeln  aufragend,  die  Höhe  von  14—1500  m,  vermutlich 
sogar  noch  mehr,  erreicht.  Nordöstlich  davon  steigt  die  scharf  ge- 
schnittene Gebirgsmauer  des  Huntuk-Buludawa  auf,  von  welchem  der 
Bone  Stock  durch  eine  Einsattelung  des  Bodens  getrennt  ist.  Gegen 
Südosten  und  Süden  dürften  die  mächtigen,  direkt  vom  Seestrand  sich 
erhebenden  Felsgebirge,  wie  der  Sinandaka,  Pangea  und  andere,  seine 
unmittelbare  Fortsetzung  darstellen.  Wir  vermuten  ferner,  dafs  das 
südwestliche,  auf  der  Karte  von  uns  als  unerforschtes  Gebiet  bezeich- 
nete  Gebirgsland  ebenfalls  unmittelbar  in  das  Bone-Gebirge  aufgeht. 
Desgleichen  dürfte  die  Kette,  welche  sich  nördlich  vom  Bone-Flufs 
hinzieht,  mit  dem  Bone-Massiv  in  Verbindung  stehen.  Das  Bone- 
Gebirge  würde  also  nach  unserer  Auffassung  einen  Gebirgsknoten  dar- 
stellen, und  zwar  als  solcher  das  eigentliche  Centrum  des  breiten,  zwi- 
schen Gorontalo  und  Duluduo  gelegenen  Armteiles,  und  zugleich  das 
Hauptquellgebiet  der  wichtigsten  hier  verlaufenden  Flüsse,  so  in  erster 
Linie  des  Bone,  ferner  höchst  wahrscheinlich  des  nach  Norden  ab- 
fliefsenden  Sangkup.  Nordöstlich  würde  es  Zuflüsse  an  die  Dutnoga 
abgeben,  und  südöstlich  und  südlich  die  nach  der  Küste  strömenden 
Flüsse  entlassen.  Weiter  ostwärts  verjüngt  sich  das  Bone-Gebirge 
zu  der  tief  eingesattelten  Wasserscheide  zwischen  Duluduo  und 
Malibagu,  welche  wir  im  Laufe  unserer  ersten  Reise  überschritten 
haben. 

Ein  weifsgrauer  Granit  bildet  den  Kern  des  Bone-Gebirges;  doch 
bemerkten  wir  sowohl  am  Fufs  des  Sinandaka,  als  auf  der  Höhe  des 
Bone-Massivs  selbst,  die  Reste  einer,  ursprünglich  um  den  granitenen 
Kern  sich  legenden,  wohlgeschichtcten  Gneiisschale,  welche  indessen 
schon  an  den  meisten  Stellen  abgewittert  zu  sein  scheint. 

[17.  Januar.]  Unsere  Lage  begann  kritisch  zu  werden,  weil,  wie 
wir  wahrzunehmen  begannen,  unser  Führer  sich  mit  der  Orientie- 
rung nicht  mehr  auskannte.  Wir  schlugen  deshalb  jetzt  schon  vor, 
einem  nach  Südosten  abfliefsenden  Bach  zu  folgen;  allein  der  Führer 
drängte  noch  immer  ostwärts  nach  einem  kuppelförmigen  Gipfel,  wel- 
chen er  Gurung  Monoti  oder  Moloti  nannte.  Als  wir  an  demselben 
auf  die  Höhe  von  1450  m emporgestiegen  waren  und  nun  das  Bulu- 
dawa-Gebirge  gerade  vor  uns  erblickten,  glaubte  unser  Mann,  sich  zu 
weit  nordwärts  verlaufen  zu  haben,  und  wandte  sich  über  den  von  der 
Spitze  des  Gunung  Moloti  erst  westlich,  dann  im  Bogen  südlich  ver- 
laufenden Grat  zurück.  Weil  der  dichte  Wald  keinen  oder  doch  nur 
äufserst  spärlichen  Ausblick  gestattete,  wurde  die  Orientierung  aus- 
nehmend erschwert.  Der  von  uns  begangene  Grat  umlief  in  gewal- 


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Paul  und  Frilz  Sarasin: 


tigern  Bogen  einen  ausgedehnten,  nach  SO  sich  öffnenden  Kessel, 
welchen  wir  umschritten. 

Wir  wünschten  nun  in  den  Kessel  hinabzusteigen  und  dessen  süd- 
östlicher Öffnung  zuzustreben,  wo  in  der  sonst  dusteren  Umgebung 
eine  hellere  Lücke  sich  bemerkbar  machte.  Der  Führer  trat  uns  bei ; 
indessen  wurde  der  erste  Versuch,  hinabzuklettern,  durch  eine  plötz- 
lich zu  unsern  Ftifsen  tief  abstürzende  Felswand  vereitelt.  Von  neuem 
begaben  wir  uns  nach  dem  Grat  zurück,  und  als  es  uns  vorkam,  der 
Führer  zögere,  den  Kamm  zu  verlassen,  Übernahmen  wir  selbst  die 
Führung  und  kletterten  direkt  auf  gut  Glück  in  den  Kessel  hinab. 

Während  wir  langsam  nach  unten  stiegen,  bemerkten  wir  gerade 
unter  uns  einen  Sapiutan,  welcher,  nichts  von  uns  ahnend,  unter  einem 
Gebüsch  ruhig  dastand.  Es  gelang  uns,  denselben  mit  der  Kugel  so 
glücklich  in  das  Kreuz  zu  treffen,  dafs  er  augenblicklich  fiel  und  sich 
nicht  mehr  aufzuraffen  vermochte.  Diese  Beute  kam  uns  äufserst  will 
kommen. 

Da  der  Boden  von  Blutegeln  wimmelte,  untersuchten  wir  die  Haut 
des  Tieres,  weil  wir  uns  die  Frage  vorgelegt  hatten,  wie  diesen  Warm- 
blütern die  Existenz  im  Reich  der  Landblutcgcl  möglich  gemacht  werde. 
Wir  fanden  jedoch  die  Haut  des  Zwergochsen  von  Egeln  völlig  unbe- 
helligt; aufser  einigen  wenigen  Holzböcken,  welche  an  ihm  festsafsen, 
erwies  sie  sich  als  ganz  rein.  Wahrscheinlich  sehen  sich  die  hier 
herrschenden  kleinen  Landblutegel  aufser  Stand,  die  zähe  Epidermis 
der  Anoa  anzuschneiden.  Wäre  dieses  nicht  der  Fall,  so  würde  sich 
diese  Tierart  im  Gebirge  unmöglich  halten  können. 

Wir  arbeiteten  uns  nun  immer  weiter  hinab,  bis  wir  an  den  in  der 
Tiefe  rauschenden  Bach  gelangten,  womit  wir  eine  Meereshöhe  von 
960  m erreicht  hatten  Auf  einer  vom  Bach  gebildeten  kleinen  Insel 
brachten  wir  die  Nacht  zu.  Die  Träger  langten  in  Folge  der  höchst 
mühsamen  Kletterei  erst  nach  längerer  Zeit,  einer  um  den  andern, 
bei  uns  an. 

Wir  fanden  hier  eine  Nepenlhet- Art  und  eine  grünlich  gefärbte 
Nanina  cincta -Varietät. 

Das  Wildpret  des  Sapiutan  schien  uns  den  derben  Geschmack 
des  Hirschfleisches  zu  haben. 

[18.  Januar.)  Der  Bach,  welcher  sich  bald  zum  Flufs  ver- 
gröfserte,  lief  unentwegt  nach  Südosten,  ein  Umstand,  welcher  sehr 
beruhigend  auf  uns  wirkte;  denn  es  blieben  jetzt  nur  zwei  Möglich- 
keiten offen:  entweder  wir  mufsten  in  das  Thal  der  Dumoga  gelangen 
oder  aber  nach  der  Südkltste,  in  beiden  Fällen  konnte  ein  sicherer 
Ausgang  der  Reise  nicht  fern  sein. 

Von  Zeit  zu  Zeit  bildete  der  Flufs  kleine  Wasserfälle,  welche  mit 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


395 


Mühe  umgangen  werden  mufsten;  an  einer  Steile  hatten  wir  eine  sehr 
schwere  und  gefährliche  Felskletterei  zu  bestehen,  welche  unsere  Träger 
nur  mit  grofser  Arbeit  zu  überwinden  vermochten.  Gelangten  wir  an 
die  steil  abstürzende  Flufshalde,  so  boten  uns  die  von  den  Sapiutans 
ausgetretenen  und  im  Zickzack  angelegten  Wege  eine  sehr  willkommene 
Bequemlichkeit.  Nachdem  wir  eine  gröfsere  Umgehung  felsiger  Partien 
vorgenoramen  hatten,  wandten  wir  uns  wieder  an  den  Flufs  selbst 
zurück,  welchen  wir  nun  von  herrlicher  Vegetation  begleitet  fanden. 
Es  erfreuten  das  Auge  dichte  Gruppen  gewaltig  entwickelter  Nibong- 
Palmen,  ferner  Pandanus-Bäume,  wilder  Pisang,  eine  Überfülle  von 
Baumfarnen,  dabei  knorrige  Laubbäume,  welche  uns  an  alte  Eichen 
erinnerten,  dazwischen  kleine  Wäldchen  von  Kasuarinen,  welche,  von 
der  Sonne  bestrahlt,  sich  wie  mit  leichtem  Reif  bedeckte  F'ichten  aus- 
nahmen.  In  ungefähr  600  m Höhe  sahen  wir  die  erste  Sago-Palme  ihr 
düsteres,  ungeheures  Laub  entfalten  und  bei  500  m erfreuten  uns  die 
ersten  Bambusgebüsche. 

Hübsch  weife  und  schwarz  gefärbte  Schnecken  aus  der  Nanina- 
Gruppe  fanden  sich  stets  ziemlich  häufig,  und  allenthalben  im  Wald- 
land, wo  wir  es  auch  durchstreift  hatten,  im  Gebirge  und  im  Nieder- 
land, trafen  wir  die  vier  Helix- Formen  aus  der  OMa-Gruppe  an,  am 
gleichmäfeigsten  verteilt  die  grofse  Helix  Quoyi,  Desh.  Einen  eigen- 
tümlichen grünen  Laubfrosch  mit  gelben  Tupfen  sahen  wir  gerade  in 
das  Centrum  eines  Arum-Blattes  eingeschmiegt  und  erreichten  ihn  leicht, 
da  er  sich  wegen  der  Ähnlichkeit  seiner  Hautfärbung  mit  der  des 
Blattes  unbeachtet  meinte. 

Die  Bergspitzen,  von  welchen  wir  herabgekommen  waren,  hatten 
sich  durch  die  vom  Flufs  durchschnittenen  Vorhügel  schon  lange  unserem 
Blick  entzogen. 

[19.  Januar.]  Nachdem  der  Flufs  in  der  Höhe  von  400  m durch 
einen  Seitenbach  sich  verstärkt  hatte,  durchdrang  er  jetzt  eine  tiefe 
F'elsschlucht.  Da  den  einen  von  uns  die  von  der  Oberhaut  ent- 
blöfsten  Fufssohlen  auf  den  Rollsteinen  des  Flufses  sehr  schmerzten, 
führten  wir  jetzt  eine  grofse  und,  wie  sich  bald  herausstellte,  unge- 
schickte Umgehung  aus.  Es  wurden  schwierige  und  gefährliche  F'els- 
. rutsche  erstiegen;  alsdann  that  sich  eine  Schlucht  auf,  die  durchklettert 
werden  mufste;  noch  schlimmer  ging  es  jenseits  wieder  bergan,  und 
dann  längere  Zeit  horizontal  in  der  Höhe  weiter,  vermittelst  Durch- 
schlagen durch  das  Unterholz,  kindlich,  nach  grofsem  Zeitverlust,  ge- 
wannen wir  von  neuem  den  Flufe,  wo  wir  übernachteten.  Um  die  Hütte 
zu  decken,  wurde  ein  Bestand  gewaltiger  Nibong-Palmen  gefällt;  sie 
stürzten  ächzend  in  den  hoch  aufspritzenden  Flufs,  wobei  ihr  Stamm 
zerbarst. 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


[20.  Januar.]  Da  der  eine  von  uns  nicht  mehr  im  Wasser 
gehen  konnte,  wurde  ein  Tragsessel  hergerichtet  und  unter  vielem  I.ärm 
und  Beschwerden  seitens  der  Träger  wurde  er  durch  das  reifsende 
Wasser  und  über  die  glatten  Blöcke  befördert.  Dichtes  Bestreuen 
der  verwundeten  Sohlenfläche  mit  Salicylsäurepulver  machte  ihn  aber 
schon  für  den  folgenden  Tag  wieder  marschfähig. 

Wir  stiefsen  von  neuem  auf  Maleo-Gruben  und  ebenso  wie  das  letzte 
Mal  entdeckten  wir  nicht  weil  davon  eine  warme  Quelle  von  vielleicht 
50°  C„  welche  einen  kleinen  Bach  bildete.  Obschon  beim  Hineintauchen 
der  Hand  an  der  Haut  zwischen  den  Fingern  beifsendes  Schmerzgefühl 
empfunden  wurde,  fanden  sich  dort  alle  Steine  des  Baches  mit  einer 
blaugrünen  Alge  polsterartig  überzogen. 

Wir  glauben  nun  hinsichtlich  des  Brutgeschäftes  des  Maleo-Huhnes 
behaupten  zu  dürfen,  dafs  dasselbe  zwar  in  der  Regel  seine  Eier  in 
den  Sand  des  heifsen  Seestrandes  vergräbt,  wo  alsdann  die  Sonnen- 
wärme als  kräftig  genug  sich  erweist,  um  sie  auszubrüten,  dafs  aber 
im  Gebirge  und  überhaupt  im  schattigen  Wald  des  Innern  die  Sonnen- 
wärme ersetzt  werden  mufs,  und  dafs  dann  zu  diesem  Zweck  der  Maleo 
das  Wasser  warmer  Quellen  auswählt,  welche  er  aufsucht,  um  in 
dem  durch  sie  erwärmten  Boden  seine  Brutgruben  anzulegen.  Wo 
demnach  im  Innern  des  Landes  Maleo-Hühner  angetroffen  werden,  da 
dürften  auch  warme  Quellen  nicht  weit  sein.  Der  Maleo  benutzt  also 
zwei  anorganische  Wärmequellen,  um  durch  dieselben  seine  Eier  aus- 
brüten zu  lassen,  nämlich  einerseits  die  Sonne,  andererseits  warme 
Quellen. 

Letzteren  Umstand  fanden  wir  noch  weiterhin  bestätigt;  denn  in 
der  Nähe  einer  anderen,  noch  wärmeren  Quelle,  in  welcher  man  die 
Hand  nicht  lassen  konnte,  und  welche  sich  in  einem  gröfseren  Tümpel 
angesammelt  hatte,  fanden  sich  ebenfalls  Maleo-Gruben.  Wir  liefsen  nach- 
graben und  gewannen  zwei  Eier  für  unsere  immer  mehr  sich  schmälernde 
Küche.  Endlich  folgte  noch  eine  dritte  warme  Quelle  und  ebenfalls 
zeigten  sich  in  ihrer  Nähe  Maleo-Gruben. 

Wir  waren  nun  allmählich  schon  sehr  bedeutend  herabgestiegen 
und  zwar  bereits  unter  die  Höhe  von  Ditluduo,  so  dafs  wir  unseren, 
schon  seit  längerer  Zeit  immer  dringender  auftauchenden  Verdacht, 
wir  möchten  uns  der  Küste  nähern,  bestätigt  fanden.  Der  helle  Fleck 
Himmel,  welcher  uns  beständig  nach  Südosten  lockte,  entstammte 
offenbar  der  das  Licht  massenhaft  zurückwerfenden  Meeresoberfläche, 
welche  den  über  ihr  ruhenden  Dunstmantel  weifslich  erleuchtete.  Da 
unsere  Lebensmittel  nur  noch  für  wenige  Tage  vorhielten  und  unser 
Fufswerk  in  schlechten  Stand  gekommen  war,  freuten  wir  uns  auf  den 
nun  nahe  bevorstehenden  sicheren  Ausgang  der  Wanderung.  Schon 


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Reiseberichte  aus  Celebes. 


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zeigte  sich  nun  auch  von  Zeit  zu  Zeit  eine  Hütte,  welche  Sago-Klopfern 
zum  zeitweiligen  Aufenthalt  gedient  hatte.  Der  Flufs  fiel  in  einen 
ruhigen  I.auf  und  fing  an , Inseln  zu  bilden.  Blühende  Slrobilanlhes- 
Büsche  zierten  seine  Ufer. 

[zi.  Januar.]  Am  Flufs  sahen  wir  grofse  Blöcke  eines  äufserst 
harten  Konglomerats  liegen;  rotbraune  Knollen  zeigten  sich  in  ein 
graues  Bindemittel  eingebettet.  Die  Knollen  erinnerten  uns  an  die  rot- 
braunen Thonschichten,  welche  wir  am  I.olak  und  an  anderen  Stellen 
der  Nordseite  des  Inselarmcs  anstehend  angetroffen  hatten. 

Wir  kamen  nun  an  eine  Stelle,  wo  ein  zweiter  starker  Flufs  mit 
dem  unseligen  sich  vereinigte  Das  Aneroid  verkündigte  40  m Meeres- 
höhe; vor  uns  schien  der  Himmel  hell  weifsblau,  wir  konnten  nicht 
mehr  fern  vom  Meer  sein.  Es  war  dies  ein  Glück  für  uns;  denn  bei 
dem  einen  hatten  die  tausend  Blutegelbisse  eine  solche  Entzündung 
der  Unterschenkel  hervorgerufen,  dafs  er  sich  kaum  mehr  weiter  zu 
schleppen  vermochte.  Den  vor  einigen  Tagen  gefertigten  Tragstuhl 
hatten  die  Leute  weggeworfen.  Die  Küste  erreichten  wir  in  der  That 
bald  darauf  und  zwar  beim  Ort  Negeri  lama,  wo  wir  schon  auf  unserer 
ersten  Reise  von  Malibagu  nach  Gorontalo  einmal  die  Nacht  zuge- 
bracht hatten;  der  von  uns  begangene  Flufs  war,  wie  man  uns  hier 
mitteilte,  der  Totoija  gewesen.  Wegen  der  vielen  Insekten  in  den 
Häusern  wurde  eine  frische  Hütte  errichtet  und  die  Blutegelwunden, 
welche  als  zusammenhändende,  äufserst  schmerzhafte  Geschwüre  den 
unteren  Teil  des  Unterschenkels  völlig  überdeckten,  in  sorgfältige  Be- 
handlung genommen. 

Von  Gorontalo  bis  hierher  hatte  die  Reise  17  Tage  gewährt  und, 
da  wir  von  Pinogo  aus  für  16  Tage  Reis  mit  uns  genommen  hatten, 
und  13  Tage  verflossen  waren,  seit  wir  Pinogo  verliefsen,  blieben  uns 
noch  für  drei  Tage  Lebensmittel  übrig,  als  wir  die  Küste  bei  Negeri  lama 
erreichten.  Den  folgenden  Tag  ruhten  wir  hier  aus. 

[23.  Januar.]  Wir  fanden  Gelegenheit,  eine  leidliche  Prau  von 
einem  arabischen  Kaufmann  zu  mieten  , welcher  hier  beigelegt  hatte, 
und  wir  liefsen  uns  nach  Malibagu  rudern,  wo  wir  um  Mitternacht  an- 
langten. Unsere  von  Gorontalo  aus  hieher  geschickten  Prauen  fanden 
sich  zur  Stelle. 

[ 24.  Januar.]  Alle  Träger  wurden  entlassen,  und  wir  fuhren, 
von  leisem  Wind  gefördert,  längs  der  Küste  ruhig  dahin.  Es  folgen 
hier  viele  Ansiedelungen  einander,  wonach  die  Küste  östlich  von  Mali- 
bagu als  verhältnismäfsig  wohl  bebaut  angesprochen  werden  darf. 

[ 25.  Januar.]  Da  über  Nacht  bei  aussetzendem  Wind  immer- 
fort gerudert  werden  mufste,  sahen  wir  uns  des  Morgens  nur  bis  zur 
Westseite  des  Kap  F’lesko  gefördert.  Wir  gingen  an  Land  und  er- 


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Paul  und  Fritz  Sarasin: 


richteten  ein  leichtes  Schattendach,  unter  welchem  sich  mittags  die 
Wärme  auf  37,5°  C.  steigerte. 

Die  nahen  Felsen  bestehen  aus  Sedimentgesteinen  verschiedener 
Art.  Westlich  fanden  wir  ein  grünes  Schichtgestein  anstehend,  welches 
uns  an  das  von  uns  im  Norden  des  Inselarmes  beobachtete  grünknollige 
Konglomerat  erinnerte.  Die  grünen  Schichten  wechsellagerten  mit  rot- 
und  graubraun  gefärbten  Mergelflözen.  Dieser  Schichtenkomplex  fiel 
ungefähr  östlich  ein. 

Es  folgte,  in  östlicher  Richtung  weiterschreitend,  eine  Masse,  welche 
uns  morphologisch  nicht  klar  geworden  ist,  worauf  wiederum  weiter 
östlich  Thonsandschichten  auftraten,  welche  stellenweise  schwarz  gefärbte 
Flecken  und  Figuren  einschlossen.  Diese  Schichten  fielen  ungefähr 
westlich. 

Organische  Einschlüsse  konnten  wir  nicht  mit  Sicherheit  feststellen. 

Mit  Sonnenuntergang  brachen  wir  auf  und  fuhren  um  das  von  den 
hiesigen  Schiffsleuten  sehr  gefürchtete  Kap  Flesko,  eine  weit  in  den 
Ocean  vorgeschobene  Felsmasse,  herum.  Der  Schifispatron  befahl,  alle 
Dichter  auszulöschen;  dies  müsse  immer  geschehen,  wenn  man  um  das 
Kap  Flesko  fahre.  Es  thun  dies  die  Deute  offenbar,  um  sich  den  Felsen- 
Dämon  nicht  zu  zeigen,  damit  diesem  nicht  beifallen  könnte,  die  Dichter 
selbst  auszublasen.  Hier  am  Kap  Flesko  toste  eine  gewaltige  Brandung 
gegen  die  trotzigen  Felsstirnen;  das  Meer  schien  mit  den  Felsen  zu 
ringen,  welcher  denn  auch  der  hier  stattfindenden  Abrasion  im  Daufe 
der  Zeit  wird  weichen  müssen.  Die  Brandungslinie  schimmerte  als 
weifses  Band  durch  die  vom  verschleierten  Mond  trübe  erhellte  Nacht. 
Um  diesen  hatte  sich  ein  Halbkreis  gebildet,  in  welchem  sich  westlich 
in  scheinbarer  Mondhöhe  eine  deutlich  hellere  Stelle  bemerken 
liefs;  von  dieser  strahlte  distalwärts  noch  ein  flammenförmig  zugespitzter 
Lichtschimmer  aus,  wir  hatten  zweifellos  das  Phänomen  eines  Neben- 
mondes vor  uns.  Dieses  war  hervorgerufen  durch  einen  dünnen  Flor 
Cirruswolken,  welche,  da  sie  einen  Nebenmond  erschimmern  liefsen, 
doch  offenbar  aus  kleinen  Eisprismen  sich  zusammensetzen  tnufsten. 
Wenn  wir  die  damals  auf  der  Meeresoberfläche  herrschende  Temperatur, 
von  früher  von  uns  in  Kema  angestellten  Beobachtungen  geleitet,  auf 
etwa  24°  C.  schätzen  und  ferner  uns  daran  erinnern,  dafs  die  Temperatur 
einer  in  gerader  Dinie  aufsteigenden  Duftsäule  ungefähr  alle  200  m um 
iu  C.  fällt  und  wenn  wir  weiter  bedenken,  dafs  die  Bildung  von  Eis- 
krystallen  nicht  über  — i°  C.  erfolgen  wird,  so  erhalten  wir  als  niederst 
mögliche  Grenze  der  den  Nebenmond  erzeugenden  Cirruswolken  die 
Höhe  von  5000  m. 

[26.  Januar.]  Früh  morgens  sahen  wir  auf  dem  sandigen  Strand, 
welcher  auf  die  Felsküste  des  Kap  Flesko  folgte,  mehrere  Maleo-llühner 


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Reiseberichte  aus  Celebes.  399 

umherspazieren  und  erkannten  deutlich  die  rosenrote  Brust  und  das 
schwarze  Kleid  der  kräftigen  Vögel.  An  einem  waldumrahmten,  ein- 
samen Uferplatz  spielte  eine  Hirschkuh  mit  ihrem  Jungen. 

Wir  hielten  an  einer  Stelle  des  Strandes  Tagrast,  wo  zufällig  ein 
Weg  von  Kottabangon  her  ausmündete,  und  woselbst  für  den  Durch- 
reisenden eine  geräumige  Hütte  sich  errichtet  fand.  Eine  Familie  von 
Eingeborenen  und  mehrere  Einzelpersonen  nahmen  hier  ebenfalls  Quar- 
tier, um  abzukochen;  es  läfst  sich  daraus  auf  einen  ziemlich  lebhaften 
Verkehr  zwischen  den  Kulturorten  der  Küste  und  dem  Mongondo- 
Plateau  schliefsen.  Am  Strand  lagen  sowohl  hier,  als  anderwärts  Haufen 
grofser  Trochus-  und  Tr/i/azzm-Schalen,  welche  beide  Weichtierarten  als 
Nahrung  dienen,  moderne  Kjökkenmöddinger  bildend. 

Als  kleinen  Beitrag  zur  passiven  Verbreitung  mehrerer  Tierarten 
über  Meeresabschnitte  möge  erwähnt  sein,  dafs  unsere  Prau  von  Geckos, 
Scinken,  Ameisen,  Schaben  und  Springspinnen  bewohnt  war. 

Wie  wir  uns  Belang  näherten,  bemerkten  wir  ein  braunes  Schicht- 
gestein anstehend.  An  diesem  Ort  selbst  jedoch  glauben  wir  bereits 
ein  vulkanisches  Konglomerat  wahrgenommen  zu  haben,  wonach  also 
an  dieser  Stelle  die  rezenten  Eruptivprodukte  schon  bis  an  das  Ufer 
herantreten  würden,  und  von  jetzt  ab  bis  Kema  kam  uns  kein  anders 
geartetes  Gestein  mehr  zur  Beobachtung. 

[28.  Januar.]  Nachdem  wir  die  meiste  Zeit  unserer  Seereise  nahe- 
zu keinen  Wind  gespürt  hatten,  wurden  wir  um  Mitternacht  durch 
grofse  Aufregung  unserer  Deute  und  einen  schneidigen  Wind  aufgeweckt, 
welcher,  nach  südwestlicher  Richtung  sich  bewegend,  gerade  vom  Land 
her  uns  entgegenwehte.  Die  Böe,  deren  Stärke  sich  auf  5 schätzen 
liefs,  drohte  unsere  winzige  Prau,  ein  mit  Auslegern  und  kleinem  Schutz- 
dach versehenes  Blotto,  vom  Land  ab  seewärts  zu  treiben,  und  jagte 
uns  stark  und  rasch  laufende  Wellen  entgegen.  Unsere  Leute  ruderten 
mit  aller  Kraft  dem  Strand  zu,  während  der  Patron  mit  dem  Anker  sich 
zu  schaffen  machte.  Dieser  letztere,  ein  sehr  schwächliches,  aus  Holz 
gearbeitetes  und  mit  einem  Stein  beschwertes  Werkzeug,  wollte  längere 
Zeit  nicht  fassen,  obwohl  der  Grund  erreicht  worden  war.  Erst  nach- 
dem unser  Blotto  schon  etwas  Wasser  gemacht,  hielt  er  fest,  worauf 
in  Folge  der  Befestigungsweise  des  Taues  vorne  seitlich  das  Boot  bei- 
drehte. Als  die  Wellen  sich  zu  verflachen  begannen,  ruderten  wir  ganz 
nahe  an  den  Strand  heran,  wo  wir  in  den  Windschatten  gelangten. 
Unsere  zweite  Prau  hatte  sich,  als  der  tückische  Windstofs  heransauste, 
näher  als  die  unserige  beim  Land  befunden  und  sich  sofort  nach  dem 
Strand  mitten  durch  die  Brandung  hindurch  gearbeitet. 

Die  See  blieb  nun  noch  längere  Zeit  unruhig  und  das  Wetter  böig. 
Sehr  häufige  Einzelnimbuse  entliefsen  ihren  Regen  wie  eine  Aussaat; 

Zeilachr.  d.  GoelUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  27 


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400 


Paul  und  Friti  Sarasin:  Reiseberichte  aus  Celebes. 


häufig  sahen  wir  sie  in  der  Ferne  über  der  Wasserfläche  des  Meeres 
sich  hinbewegen. 

Am  30.  Januar  liefen  wir  in  Kema  ein,  unserem  damaligen  Auf- 
enthaltsort und  dem  eigentlichen  Ausgangspunkt  unserer  Reise.  Hier 
wurden  wir  noch  vier  Wochen  mit  der  Behandlung  der  Geschwüre  in 
Atem  gehalten,  welche  bei  dem  einen  von  uns  durch  die  Blutegelbisse 
erzeugt  worden  waren. 

Über  die  allgemeinen  Ergebnisse  der  Reise  möchten  wir  uns  an 
dieser  Stelle  noch  nicht  weiter  äufsern,  als  dieselben  in  dem  gegebenen 
Bericht  bereits  Andeutung  gefunden  haben.  Es  sei  blofs  noch  beigefügt, 
dafs  im  grofsen  ganzen  die  von  uns  durchschnittene  Abtiefung  des 
Landes  in  der  Richtung  Bolang — Malibagu  die  westliche  Grenze  des 
Vulkanismus  darstellen  dürfte;  über  dem  westlich  davon  sehr  bald  zur 
Erscheinung  kommenden,  aus  einem  Granitkern,  wahrscheinlich  auch 
einer  Gneifsschale  bestehenden  Urgestein,  liegt  sodann  noch  ein  Mantel 
von  sedimentären  thonhaltigen  Schichten  und  von  Konglomeraten,  welch 
letztere  sich  aus  Rollsteinen  der  vorigen  Schichten  oder  aus  solchen 
von  Basalt  mit  Hilfe  eines  Bindemittels  gebildet  haben.  Dieser  gesamte 
Schichtenkomplex  wurde  von  den  Vulkanen  durchsprengt  und  von 
Eruptivprodukten  völlig  überschüttet.  Es  ziehen  sich  die  erwähnten 
Sedimente  noch  eine  Strecke  weit  in  nordöstlicher  Richtung  der  Küste 
entlang  aus,  bis  endlich  auch  die  Gesteine,  welche  den  Boden  des 
Strandes  bilden,  mit  Ausnahme  rezenter  Korallenriffe,  vulkanischen 
Charakter  an  sich  tragen. 

Die  von  uns  festgestellte  Tiefenlinie  Bolang  — Malibagu  dürfte 
ebenso,  wie  noch  ein  paar  andere  den  Nordarm  von  Celebes  durch- 
querende Absenkungen,  bedeutsam  sein  im  Hinblick  auf  den  in  geolo- 
gisch-historischer Vergangenheit  möglicherweise  stattgehabten  Zerfall 
des  Nordarmes  von  Celebes  in  eine  Kette  einzelner  Inseln,  ein  Um- 
stand, worauf  wir  in  der  definitiven  Publikation  näher  einzugehen  ver- 
suchen wollen. 

Bemerkungen  zur  beigegebenen  Karte. 

Die  Umrifslinien  des  Landes  wurden  der  holländischen  Seekarte 
(Oostkust  Celebes  Blad  I,  gecompileerd  op  het  hydrographisch  Bureau 
te  Batavia  1888,  1 : 1000000)  entnommen.  An  den  Küstenlinien  wurde, 
aufser  dem  Einträgen  einer  Reihe  von  Flufsmündungen,  nichts  ge- 
ändert , so  wenig  genau  sie  auch  im  einzelnen  sind , wie  uns  unsere 
Wanderung  längs  der  Sildküste  lehrte. 

Unsere  eigene  Route  nahmen  wir,  sobald  wir  bei  Karoa  die  be- 
kannten Gebiete  verliefsen,  mit  Kompafs  und  Aneroid  auf.  In  schwie- 


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Chr  Sandler:  Die  Anian-Strafse  und  Marco  Polo. 


401 


rigerem  Terrain  alle  fünf,  in  übersichtlicherem  alle  zehn  Minuten  aus- 
geführte Ablesungen  dieser  beiden  Instrumente,  verbunden  mit  Schätzen 
der  Marschgeschwindigkeit  und  gelegentlichem  Zählen  der  Schritte, 
waren  die  von  uns  angewandte  Methode.  Die  Höhenbestimmungen 
sind,  da  bei  Erhebungen  über  wenige  hundert  Meter  unsere  beiden 
Aneroide  nicht  mehr  übereinstimmend  arbeiteten,  und  wir  somit  auf 
dasjenige  Instrument,  welches  wir  als  das  zuverlässigere  kannten,  ange- 
wiesen waren,  nur  annähernd  richtig. 

Zur  Feststellung  des  Hochplateaus  des  Poigar  diente  aufser  unserer 
eigenen  Route  eine  etwas  nördlich  von  unserem  Wege  ausgeführte 
Überschreitung  des  Gebirges  durch  die  Missionare  J.  A.  Schwarz  und 
De  Lange  1876.  Die  Kulturfläche  von  Mongondo,  wie  oben  erwähnt 
mehrfach  bereist  und  zwar,  mit  Ausnahme  der  beiden  genannten  Herren, 
stets  von  der  Küste  aus,  ist  trotz  der  darüber  veröffentlichten  Reise- 
berichte auf  den  von  uns  zugänglichen  Karten  von  Nord-Celebes  höchst 
ungenau  dargestellt. 

Das  grofse  Waldgebiet  westwärts  vom  Lombagin  und  Ongkag  bis 
wenige  Tagereisen  vor  Gorontalo,  war  bislang  blofs  nach  Aussagen  von 
Eingeborenen  und  gelegentlichen  Peilungen  von  der  See  aus  in  Karten 
gebracht  worden;  hier  waren  daher  sehr  viele  Korrekturen  notwendig. 
Diese  betreffen  namentlich  den  Lauf  und  die  Zuflüsse  der  Dumoga 
und  des  Bone,  die  Verteilung  der  Gebirge,  aus  welchen  diese  Flüsse 
entspringen  und  die  Lage  mancher  Ortschaften,  namentlich  des  bin- 
taunischen  Duluduo.  Die  Höhenangabe  der  Huntuk-Buludawa-Kette 
beruht  auf  ungefährer  Schätzung  vom  Bone-Gebirge  aus. 

Für  die  Namen  haben  wir  durchweg  die  deutsche  Schreibart  ge- 
wählt und  nicht  die  sonst  auf  den  Karten  von  Celebes  gebräuchliche 
holländische. 


Die  Anian-Strafse  und  Marco  Polo. 

Von  Chr.  Sandler  in  München. 

Die  Anian-Strafse  ist  die  Meerenge,  welche  auf  den  Landkarten  des 
Mercator’schen  Zeitalters  die  Kontinente  Asien  undAmerika  von  einander 
trennt.  Sie  liegt  unter  dem  Polarkreis,  verläuft  in  nordsüdlicher  Rich- 
tung, und  die  beiden  Kontinente  spitzen  sich  gegen  sie  hin  einiger- 
mafsen  zu,  so  dafs  das  Ganze  eine  rohe,  aber  doch  auffallende  Ähnlich- 
keit mit  unserer  Darstellung  der  Bering -Gegenden  zeigt,  ln  dieser 
Weise  kommt  sie  zum  ersten  Mal  im  Jahr  1566  auf  einer  Karte  von 
Nord-Amerika  vor,  die  Bologninus  Zalterius  zu  Venedig  veröffentlicht 

27* 


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40-2 


Chr.  Sandler: 


hat.1)  Sie  gewann  bald  allgemeine  Anerkennung  und  hielt  sich  bis  in  das 
zweite  Drittel  des  17.  Jahrhunderts.  Dann  begann  man  an  ihrer  Daseins- 
berechtigung  zu  zweifeln;  man  rundete  den  Nordosten  Asiens  ab  und 
Iiefs  den  unbekannten  Nordwesten  Amerikas  leer  und  unbegrenzt,  so 
dafs  der  Pazifische  Ozean  im  Norden  eine  wesentliche  Einschnürung 
nicht  mehr  erfuhr.  Nach  den  Entdeckungsfahrten  Bering’s  (1728  und  1741 
aber  stellte  sich  heraus,  dafs  das  Bild  vom  Jahr  1566  der  Wahrheit 
näher  gekommen  war,  als  das  vom  Jahr  1700,  und  es  entstand  von 
selbst  die  Frage:  Woher  hatten  jene  älteren  Kartographen  ihr  Wissen 
über  diese  Gegend? 

Über  die  Antworten,  die  auf  diese  Frage  gegeben  worden  sind, 
kann  ich  mich  hier  kurz  fassen,  da  bereits  Prof.  S.  Rüge  des  Näheren 
darauf  eingegangen  ist s).  Ich  bemerke  nur,  dafs  eine  befriedigende 
Losung  noch  nicht  vorliegt.  Es  hat  trotz  eifrigsten  Nachsuchens  noch 
nicht  gelingen  wollen,  aus  der  Literatur  vor  1566  eine  Stelle  nachzu- 
weisen, welche  die  Einzeichnung  eines  Sundes  zwischen  Siidsee  und 
Eismeer  rechtfertigte,  und  bis  auf  unsere  Zeit  fand  sich  nicht  einmal 
für  den  Namen  „Anian“  eine  plausible  Erklärung. 

In  letzterer  Beziehung  Wandel  geschafft  zu  haben,  ist  das  Verdienst 
der  erwähnten  Abhandlung  Ruge's.  An  der  Anian-Strafse  oder  in 
ihrer  Nähe  liegen  gewöhnlich  die  Länder  Ania  und  Toloman,  und 
Rüge  wies  nach,  dafs  diese  beiden  Ländernamen,  wie  schon  Peschei 
vermutet  habe,  von  Marco  Polo  herrühen. 

Dafs  dies  richtig  ist,  darüber  besteht  kein  Zweifel.  Anders  aber 
verhält  es  sich  mit  einem  bei  dieser  Gelegenheit  ausgesprochenen 
Nebengedanken,  welcher  dahin  geht,  dafs  Polo’s  Ania  unserem  Annam 
entspreche,  dafs  also  die  Kartographen  des  16.  Jahrhunderts  Ania  und 
Toloman  aus  Irrtum  nach  Norden  verlegt  hätten. 

Zur  Begründung  seiner  Ansicht  citiert  Rüge  aus  A.  Bürck’s  Bear- 
beitung der  „Reisen  des  Marco  Polo"  (Leipzig  1845),  3.  Buch  5.  Kap., 
(S.  514)  folgende  Stelle:  „Wenn  man  den  Hafen  von  Zaitun  (das  heutige 
Tshiuan  tscheu  fu,  nördlich  von  Amoy,  unter  250  n.  Br.  an  der  Fukian- 
Stralse)  verlädst  und  gegen  Niedergang  1500  Meilen  weit  segelt,  so 
kommt  man  an  den  Meerbusen  Chainan,  der  sich  so  weit  ausdehnt, 
dafs  man  zwei  Monate  braucht,  ihn  zu  durchsegeln  von  seiner  nördlichen 
Küste  an,  wo  er  an  den  südlichen  Teil  der  Provinz  Manji  (Süd-China 

*)  Vgl.  A.  E.  No  rdenskiöld’s  Kacsimile-Atlas,  1889  (engl.  Ausg.),  S.  94b; 
die  Karte  S.  129. 

*)  Fretum  Anian.  (Die  Geschichte  der  Beringstrafse  vor  ihrer  Entdeckung.) 
1873  bzw.  in  seinen  „Abhandlungen  und  Vorträgen  zur  Geschichte  der  Erdkunde". 
Dresden  1888,  8.  55  — 70. 


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Die  Anian-Strafse  und  Marco  Polo. 


403 


stöfst,  lind  von  da,  bis  wo  er  sich  den  Ländern  Ania,  Tholoman  «nd 
vielen  anderen  schon  erwähnten  nähert.“ 

Einen  Widerspruch  gegen  die  Annahme,  Ania  sei  Annam,  kann 
man  in  diesen  unklaren  Angaben  gewifs  nicht  finden;  die  Anmerkung 
vollends,  die  Bilrck  dazu  giebt,  bekräftigt  sie  vielmehr.  Zu  erwägen  ist 
aber,  dafs  der  Urheber  der  Anian-Strafse  vermutlich  nicht  nach  der 
Handschrift  gearbeitet  hat,  auf  die  diese  Stelle  der  Bilrck’schen 
Übersetzung  zurückgeht,  sondern  dafs  er  die  beste  und  zeitlich  nächst- 
liegende  gedruckte  Ausgabe  des  Marco  Polo  benutzt  haben  wird. 
Dies  ist  merkwürdiger  Weise  gerade  die,  welche  Biirck  seiner  Bearbeitung 
zu  Grunde  gelegt  hat,  und  die  er  „in  steter  Vergleichung  mit  den  übrigen 
Ausgaben  in  manchen  offenbar  korrumpierten  Stellen  wieder  auf  die 
richtige  ursprüngliche  Form  zurückzu führen"1)  — hier  leider  ohne  Glück 
— bestrebt  war:  die  Ramusio’sehe  vom  Jahr  1559®).  Hier  lautet  die 
entsprechende  Stelle  (Libro  III,  cap.  5),  der  ich  gleich  den  Rest  des 
Kapitels  beifüge,  folgendermafsen3): 

„Wenn  man  vom  Hafen  von  Zaitum  ausfährt  und  1500  Meilen 
nach  West  ein  wenig  Südwest  segelt,  kommt  man  über  einen  Golf, 
Cheinan  genannt;  dieser  Golf  dauert  zwei  Monate  lang,  wenn  man  ihn 
nach  Norden  zu  durchsegelt;  im  ganzen  grenzt  dieser  im  Südosten  an 
die  Provinz  Mangi  und  auf  der  anderen  Seite  an  Ania  und  Toloman 
und  viele  andere  Provinzen  bei  den  oben  genannten.  In  diesem  Golf 
giebt  es  unzählige  Inseln  und  fast  alle  sind  gut  bewohnt.  Und  es  finden 
sich  auf  ihnen  grofse  Mengen  Waschgold,  das  man  aus  dem  Wasser 
des  Meeres  sammelt,  wo  die  Flüsse  münden,  und  auch  Kupfer  und 

*i  Vgl.  seine  Vorrede,  S.  VI. 

*)  Gio.  Baltista  Ramusio,  Secondo  volume  delle  Navigation!  et  Viaggi. 
Venetia  1559. 

3)  H.  Yule,  Ser  Marco  Polo,  II.  London  1874.  S.  247,  Note  4,  giebt  dieses 
Kapitel  in  einer  Anmerkung.  Da  meine  Übersetzung  von  der  seinigen  in  einigen 
Kinzelheiten  abweicht,  lasse  ich  hier  auch  den  Originaltext  folgen : „ Partendosi  dal 
porto  di  Zaitum  si  nauiga  per  Ponente  alquanto  veno  Garbin  mille  iSr  Cinquecento 
miglia , passando  vn  colfo  nominato  Cheinan , 1/  quäl  colfo  dura  di  lunghezza  per  il 
spatio  di  duoi  mesi  nauigando  verso  la  parte  di  Tramontana , il  quäl  per  tutto  eonfina 
verso  Siroceo  co  la  prouina'a  di  Mangi,  Gr  dal/'  altra  parte  co  Ania,  Gr  Tolotnan, 
& con  mo/te  altre  prouincie  con  quelle  di  sopra  nominale . Per  dentro  ä questo  colfo, 
vi  sono  hole  infinite , Gr  quasi  tutte  sono  bene  habitate.  Gr  trouasi  in  quelle  grati 
quantitd  tt oro  di  paiola,  quäl  si  raccoglie  dclT  acqua  del  Mare,  doue  sboccano  i 
fiumi,  Gr  anchora  di  rame,  Gr  dt' altre  cose,  irr  fanno  mereätie  de  ql/o,  che  si  troua  in 
vna  1 so/a , Gr  no  si  troua  nell'  altra.  Gr  contrattono  anchora  co  qlli  di  terra  ferma , 
\tche  li  vedono  oro,  rame,  &■*  altre  cose,  Gr  da  loro  cöprano  le  cose,  che  sono  loro 
necessarie.  Nella  maggior  parte  dt  dette  hole,  vi  nasce  assai  grano.  Questo  colfo 
l tanto  gründe,  Gr  tante  geh  habitano  in  quello,  che  par  quasi  vn'  altro  modo.1' 


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404 


Chr.  Sandler: 


andere  Dinge;  und  sie  treiben  Handel  mit  dem,  was  sich  auf  einer 
Insel  findet,  und  sich  auf  der  andern  nicht  findet;  und  sie  handeln 
auch  mit  denen  vom  Festland,  indem  sie  ihnen  Gold,  Kupfer  und 
andere  Dinge  verkaufen,  und  von  ihnen  die  Dinge  kaufen,  die  ihnen 
nötig  sind.  Auf  dem  gröfseren  Teil  besagter  Inseln  wächst  genug 
Korn.  Dieser  Golf  ist  so  grofs  und  so  viel  Leute  wohnen  darin,  dafs 
er  fast  eine  andere  Welt  scheint." 

Hier  ist  also  ganz  klar  gesagt,  dafs  Ania  und  Toloman  eine  zwei- 
monatliche Seereise  nördlich  von  Süd-China  liegen,  und  so  finden  wir 
sie  auf  den  Karten  nach  1566  auch  angegeben.  Dafs  dabei  eines  der 
beiden  Länder  oder  zuweilen  auch  beide  nach  Amerika  hinübergerückt 
sind,  darf  nicht  Wunder  nehmen,  da  man  ganz  natürlich  unter  der 
anderen  Welt,  von  der  im  letzten  Satz  des  citierten  Kapitels  die  Rede 
ist,  die  Neue  Welt  verstehen  zu  müssen  glaubte. 

Ziehen  wir  vollends  noch  den  Inhalt  des  Kapitels  in  Betracht, 
welches  dem  citierten  unmittelbar  vorangeht,  und  in  dem  gesagt  wird, 
dafs  das  Meer,  in  dem  die  Insel  Zipangu  liege,  nach  dem  Land  Mangi 
benannt  werde,  so  haben  wir,  abgesehen  von  der  Anian-Strafse  selbst, 
alle  Elemente  beisammen,  um  das  nördliche  Drittel  der  Südsee  so  ru 
entwerfen,  wie  wir  es  auf  Zaltieri's  Karte  von  1566  oder  auf  der 
„Karte  eines  Anonymus  des  1 6.  Jahrhunderts“1)  dargestellt  finden:  Bei 
dem  Land  Mangi  liegt  südlich  von  Zaitum  das  „Mare  de  Mangi“  mit 
der  Insel  Giapan,  nördlich  davon  der  „Golfo  Cheinan“,  und  als  Abschluß 
des  Golfes  sehen  wir  im  Nordwesten  die  „Provinz  Ania“  und  im  Nord- 
osten, in  der  „andern  Welt“,  das  Land  Toloman. 

Was  nun  die  Anian-Strafse  anbelangt,  so  liefs  sich  ein  gleich 
triftiger  Beleg  für  ihre  Einzeichnung  nicht  auffinden.  Zu  vermuten  ist 
zunächst  nur,  dafs  der  venetianische  Kartograph  Gastaldi  ihr  Urheber 
ist;  denn  er  war  nicht  nur  der  erste,  der  das  Land  Ania  in  die  karto- 
graphische Literatur  einführte,  im  Jahr  1561,®)  sondern  er  nennt  auch 
zum  ersten  Mal  die  Strafse  Anian  in  der  geographischen  Literatur, 
wahrscheinlich  schon  1562,  sicher  aber  um  15683).  Aufserdem  lag 
es  — wenn  anders  eine  Notiz  auf  Wahrheit  beruht,  auf  die  ich  in 

')  Tafel  XXX  im  Atlas  zu  K Kretschmer’s  „Entdeckung  Amerikas“  1 892 

s)  A.  E.  Nordenskiöld,  a.  a.  O.,  S.  izo  b. 

3)  In  einem  Werkchen  betitelt:  „Universalis  Mundi  descriptio  a Jacobe 
de  Gastaldis  (sic)  Pedemontano  descripta.  Venetiis,  per  Matthaeum  Paganum  in 
frezzaria,  ad  insigne  Fidei.  MDLXVTIl.“  Es  enthält  auf  1 2 bzw.  io  unnumraerierten 
Oktav-Blättern  im  wesentlichen  die  Beschreibung  einer  Weltkarte  Gastaldi’s,  insbe- 
sondere die  Angabe,  wie  die  Kontinente  von  einander  abzugrenzen  seien.  Gastaldi 
ist  dabei  im  Gegensatz  zu  der  herkömmlichen  ptolemäischen  Methode,  die  mit  Vor- 
liebe Flüsse  (Nil,  Don)  als  Grenzlinien  benutzte,  bestrebt,  die  Kontinentalgrcnzen 


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Die  Anian-Strafse  und  Marco  Polo.  40;> 

zwei  historisch-kartographischen  Abhandlungen  aus  den  Jahren  1710 
und  1713  gestofsen  bin  — niemand  so  nahe,  den  Nordosten  Asiens 
gegenüber  den  älteren  italienischen  Darstellungen  vom  Meer  umfliefsen 
zu  lassen,  wie  gerade  Gastaldi.  Das  um  1560  in  Italien  gebräuchliche 
Weltbild  verband  nämlich  Asien  und  Amerika  durch  eine  breite  Land- 
brücke. Man  war  sich  aber  darüber  klar,  dafs  diese  vor  einer  strengen 
Kritik  nicht  bestehen  konnte,  und  ein  italienischer  Autor  jener  Zeit 
überliefs  es  daher  seinen  Lesern  als  reine  Geschmackssache,  Uber  den 
Zusammenhang  oder  Nicht-Zusammenhang  von  Asien  und  Amerika  zu 
denken,  W'ie  es  ihnen  beliebte.1)  Vor  dem  Cheinan-Golf  Marco  Polo’s 
nun  hätte  die  breite  Landverbindung  zu  einer  schmalen  Landenge  zu- 
sammenschrumpfen müssen.  Um  diese  gar  zu  durchbrechen,  hätte  man 
sich  auf  Nachrichten  der  Alten,  im  besonderen  auf  Plinius’  Hist.  Nat.  VI, 
cap.  17*)  stützen  können,  wie  es  ja  wenig  später  Mercator  gethan  hat. 
Wichtiger  aber  erscheint  mir  eine  andere  Quelle,  weil  sie  von  einem  Zeit- 
genossen Marco  Polo’s  herrührt  und  als  eine  Bestätigung  und  Ergänzung 
desselben  aufgefafst  werden  konnte:  die  Geographie  des  Abulfeda,  die 
Gastaldi  zufolge  den  oben  erwähnten  Notizen  nicht  nur  gekannt,  son- 
dern sogar  übersetzt  haben  soll3).  Abulfeda  sagt  von  der  Mer  Environ- 
nante,  welche  die  ganze  Erde  umfliefst:  „Elle  passe  u f es/  de  la  Chine,  en 
se  dirigeant  vers  le  nord.  Elle  se  pro/unge  dans  cette  direction  jusqu’au 
delti  de  la  Chine , d la  hauleur  du  rempart  de  Gog  es  Magog.  Elle  se 
detourne  ensuile,  et  baigne  des  regions  inconnues , dans  la  direction  de 
Foccident.  En  cet  endroit  eile  borne  le  monde  du  cdtl  du  nord,  et  eile  fait 
face  au  pays  des  Russes.“ 4)  Gastaldi  hätte  also  Grund  genug  gehabt,  den 
Cheinan-Golf  in  nördlicher  Richtung  bis  zum  Eismeer  durchzuziehen.  Dafs 
er  dies  gerade  in  Form  einer  Meerenge  that,  das  mag  ein  bewufstes 

durch  die  Meere  zu  ziehen.  Er  erleicherte  sich  die  Beschreibung,  wenn  er  der  Enge 
zwischen  Asien  und  Amerika  einen  bestimmten  Namen  gab.  — Dafs  diese  Abgrenzung 
der  Kontinente  etwas  Neues  und  Originales  war,  geht  daraus  hervor,  dafs  Th.  For- 
cacchi,  der  sie  für  seine  „hole  pih  famose  de l Mondo",  Vcnet.  1576,  S.  193  ff. 
adoptiert  hat,  sich  ausdrücklich  auf  Gastaldi  als  Gewährsmann  beruft.  — Die  letzten 
zwei  Blätter  der  Gastaldi’schen  Weltbeschrcibung  enthalten  einen  Aufsatz  unter  dem 
Titel:  ,,7'emporis  variafio,  quam  illi  inveniunt,  qui  circiter  orbem  circuunt" ; das 
Ganze  ist  also  wohl  zweifellos  die  lateinische  Ausgabe  des  Wcrkchcns,  das  E.  Manno 
und  V.  Promis  in  den  „Atti  della  R.  Accad.  delle  Sc  lenze  di  Torino",  16.  Band, 
1880 — 81,  S.  860,  mit  der  Jahrzahl  MLXIT  i sic.  1562.’')  anftlhren. 

*)  Vgl.  K.  Kretschmer,  a.  a.  O.,  S.  434. 

*)  Ausgabe  von  P.  Manutius,  Venetiis  1559. 

3)  Chr.  Hübner,  Diss.  phil.  de  Studio  geographico,  Halae  Magdeb.,  1710, 
S.  23  f.,  und  J.  G.  Grcgorii,  curieuse  Gedanken  von  den  alten  und  neuen  Land- 
karten, Frankfurt  und  Leipzig  1713,  S.  119.  Ihre  Quelle  nennen  sie  nicht. 

4)  M.  Reinaud,  Geographie  d'Aboulfcda,  I.  Paris  1848,  S.  24. 


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40G 


Chr.  San iller: 


oder  unbewufstes  Zugeständnis  an  den  Zeitgeschmack  gewesen  sein,  der 
nun  einmal  im  Norden  ein  Gegenstück  zur  Magalhäes-Strafse  im  Süden 
haben  wollte.  — Sollte  aber  noch  überdies  die  Kunde  von  einer  Durch- 
fahrt im  nördlichen  Stillen  Meer  nach  Venedig  gelangt  sein,  so  dürfte 
damit  ursprünglich  wohl  kaum  unsere  Bering-Strafse,  sondern  eher  einer 
der  nördlichen  Ausgänge  unserer  Japanischen  See  oder  eine  Enge  in 
den  Kurilen  gemeint  gewesen  sein. 

Kehren  wir  nun  zurück  zu  Marco  Polo!  Der  Grund,  warum  das 
citierte  fünfte  Kapitel  seines  3.  Buches  für  minderwertig  galt,  ist  darin 
zu  suchen,  dafs  bereits  im  zweiten  Buch,  Kap.  47  und  48,  zwei  Länder 
nebeneinander  genannt  werden,  deren  geschriebene  Namen  Ähnlich- 
keit mit  Ania  und  Toloman  Stäben.  Bei  Ramusio  heifsen  sie  Amü  und 
Tholoman,  und  sie  liegen  der  Beschreibung  Polo's  zufolge  westlich  von 
der  Provinz  Kueitschou,  etwa  dort,  wo  auf  unsern  heutigen  Karten  die 
Lolo  oder  Kolo  angegeben  sind;  also  tief  im  Binnenland  und  beträcht- 
lich im  Süden.  Das  Ania  und  Toloman  des  dritten  Buches  aber  soll 
im  Norden  und  an  der  See  liegen.  Jeder  nun,  der  von  der  Voraus- 
setzung ausging,  dafs  sich  die  beiden  Stellen  auf  die  gleichen  Länder 
bezögen,  — und  das  geschah  wegen  ihrer  Namensähnlichkeit  und 
wegen  der  Undeutlichkeit  der  Manuskripte  offenbar  schon  sehr  frühe  — , 
mufste  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Buch  einen  unvereinbaren 
Widerspruch  erblicken,  und  die  Folge  war,  dafs  die  Stelle  im  dritten 
Buch  als  die  spätere  schon  von  frühen  Kopisten  einfach  weggelassen 
und  von  späteren  Kommentatoren  günstigen  Falls  mit  einer  Anmerkung 
über  ihren  zweifelhaften  Wert  abgethan  wurde. 

Machen  wir  uns  aber  von  dieser  Voraussetzung  frei  und  lesen  das 
auf  S.  403  citierte  Kapitel  unbefangen  durch,  so  löst  sich  die  Frage  ohne 
besondere  Schwierigkeit.  „Fährt  man  von  Zaitum  aus  nach  Südwesten, 
so  passiert  man  einen  Golf  namens  Cheinan",  das  ist  richtig  bis  auf 
den  Namen:  nicht  Cheinan,  sondern  Nan-hai,  Südmeer,  heifst  dieser 
Golf.  Da  Polo  das  Chinesische  nicht  vollkommen  beherrschte1),  konnte 
ihm  die  Umstellung  der  Silben  wohl  untergelaufen  sein,  und  aus  dem 
gleichen  Grund  konnte  es  ihm  begegnen,  dafs  er  dieses  „Südmeer“  sich 
nach  Norden  zu  erstrecken  liefs.  — F'ahren  wir  dann  von  Süd-China 
aus  nach  Norden,  so  ist,  von  Japan  abgesehen,  das  erste,  auf  das  wir 
stofsen,  Jesso,  Sachalin  und  die  Kurilen,  ein  Gebiet,  dessen  Einwohner 
sich  nicht  Ania,  sondern  Aino  oder  Ainu  nennen.  Weiterhin  erreichen 
wir  statt  Toloman  die  Halbinsel  Kamtschatka  oder  das  Land  der 
Itelman  (auch  Iteljmen)*). 

’)  H.  Yule,  a.  a.  O.,  I.  S.  19,  Note  1. 

*)  Vgl.  J.  J.  Kgli,  Nomina  Geographica,  1893,  unter  „Kamtschatka.“ 


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Die  Anian-Strafse  und  Marco  Polo. 


407 


Dafe  dies  wirklich  die  von  Polo  gemeinten  T.änder  sind,  das  ergiebt 
auch  seine  weitere  Beschreibung(s.  S.  403).  Unzählig  zwar,  wieesdortheifst, 
sind  die  Kurilen  keineswegs;  es  ist  aber  bezeichnend,  dafs  sie  von  den 
Japanern  Tsisima,  d.  h.  1000  Inseln,  genannt  werden1).  Auch  was  Marco 
Polo  über  das  Vorkommen  von  Gold  und  Kupfer  berichtet,  trifft  nicht 
unmittelbar  zu;  denn  es  giebt  wohl  Kupfer  auf  Kamtschatka2),  von  Gold- 
waschereien in  jenen  Gegenden  aber  weifs  die  moderne  Forschung 
nichts3).  Merkwürdig  dagegen  ist,  dafs  Steller  etwas  ganz  ähnliches  vom 
Eisen  berichtet,  was  Polo  vom  Gold  sagt,  nämlich  dafs  man  dort  „Eisen- 
sand aller  Orten  an  den  Ufern  der  Bäche  und  Inseen  antrifft“4),  und  dafs 
früher  ein  Handel  mit  Eisenwaren  (Messern,  Beilen,  Lanzen  und  Pfeil- 
spitzen) gegen  Pelzwerk  über  die  „andere  tschuktschische Insel“ (St.  Lorenz- 
Insel)  nach  Amerika  ging5). 

Im  übrigen  ist  der  Handel  auf  den  Inseln  beute  noch  Thatsache. 
Pelzwerk  geht  über  die  Kurilen  nach  Süden,  japanische  Manufakturen 
nach  Norden.  Zudem  verfertigen  die  Einwohner  der  Insel  Paramuschir 
„einen  Zeug  aus  Nesseln,  womit  sie  vormals  nach  weit  entlegenen  Inseln 
gehandelt  und  dagegen  seidene  und  baumwollene  Zeuge  eingetauscht 
haben“*1). 

Korn  endlich  gedeiht  in  jenen  Gegenden  nicht;  aber  „an  der  See 
wächst  ein  hohes  Gras,  welches  sowohl  dem  Halm  als  Ähren  nach  dem 
Korn  ähnlich  siehet.“  Aus  diesem  flechten  die  Eingeborenen  allerhand 
Decken,  Matten,  Körbchen,  Beutel,  selbst  Kleidungsstücke7),  und  seine 
vielfache  Verwendung  mag  die  Ursache  davon  gewesen  sein,  dafs  über- 
haupt eine  Kunde  von  dem  „Korn"  zu  Polo  gedrungen  ist. 

Es  stellt  sich  also  im  Gegensatz  zu  den  bisherigen  Anschauungen 
heraus,  dafs  Marco  Polo  auch  über  den  Nordosten  Asiens  berichtet 
war.  Nachdem  er  sonst  den  ganzen  Umkreis  Asiens  kennt  und  sogar 
Sibirien  (Bargu)  und  die  Tschuktschen  (Ciorza  oder  Chorcha,  unser 

■)  A.  a.  O.,  unter  „Kurilen“. 

*)  G.  W.  Steller,  Beschreibung  von  dem  Land  Kamtschatka.  Frankfurt  und 
Leipzig  1774,  S.  71. 

3)  Aufser  natürlich  im  Amur-Gebiet,  das  man  als  rein  festländisch  hier  wohl 
nicht  mit  in  Betracht  ziehen  kann.  F.her  konnte  man  vielleicht  an  Alaska  denken, 
wo  erst  in  neuester  Zeit  das  Vorkommen  von  Waschgold  und  Kupfer  festgestelll 
worden  ist.  Vgl.  Peterm.  Mittigen.  1894.  Litt.  B.  No.  zi8. 

4)  A.  a.  O.,  S.  71. 

5)  G.  W.  Steller,  Reise  von  Kamtschatka  nach  Amerika.  Petersburg  1 793 , 
S.  71. 

G.  F.  Müller,  Geographie  und  Verfassung  von  Kamtschatka,  1737,  S.  45 
des  Anhangs  zu  Steller's  Beschreibung  von  Kamtschatka. 

’)  Steller,  Beschreibung  S.  80. 


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4()8  Chr.  Sandler:  Die  Anian-Strafse  und  Marco  Polo. 

Tsautsu)  nennt,  wäre  es  ja  nur  zu  verwundern  gewesen,  wenn  er  vom 
nordöstlichen  Winkel  des  Kontinents  nichts  gewufst  hätte! 

Nach  alledem  kann  man  sich  füglich  auch  der  Ansicht  Gastaldi's 
und  seiner  Zeitgenossen,  der  zufolge  Marco  Polo  im  Schlufssatz  de-, 
citierten  Kapitels  auf  die  Neue  Welt  hinüberdeute,  nicht  verschlielsen. 
Dieser  Cheinan-Golf,  an  dessen  nördlichem  Ende  Ania,  Toloman  und 
viele  andere  I.änder  liegen  sollen,  und  der  so  grofs  und  von  so  viel 
Menschen  bewohnt  sein  soll,  dafs  er  fast  einer  andern  Welt  gleicht, 
läfst  sich  nicht  wohl  auf  die  unmittelbare  Nachbarschaft  Kamtschatkas 
und  der  Kurilen  beschränken.  Weder  Land  noch  Volk  dieses  Gebietes 
ist  im  Vergleich  zum  übrigen  Asien  so  abgelegen  und  fremdartig,  dafs 
sich  dafür  bei  einem  Mann  wie  Marco  Polo,  der  so  au fserord entlieh 
vielerlei  und  verschiedenerlei  Gegenden  und  Menschen  gesehen  hatte, 
die  Bezeichnung  „andere  Welt“  rechfertigen  würde.  Da  hingegen  schon 
die  nächsten  Nachbarn  der  Itelman,  die  Koräken,  von  der  amerikanischen 
Küste  des  Bering-Meeres  genaue  Kenntnis  hatten1),  so  konnte  eine 
unbestimmte  Kunde  von  entfernteren,  fremdartigeren  Ländern  Amerikas 
sehr  wohl  von  ihnen  zu  den  Itelman  und  von  da  nach  dem  Süden  ge- 
bracht worden  sein.  Die  Nachricht,  die  hier  zu  Marco  Polo  durchdrang, 
und  die  er  fast  genau  200  Jahre  vor  Columbus’  erster  Fahrt  nach  Europa 
brachte,  bedeutet  einen  Schimmer  von  Amerika  1 

■)  Steller,  Beschreibung  u.  s.  w.,  S.  240. 


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■II  »itrttr  frlbflänbigtr  Xrtl  »er  ..«llgemtine»  Bönbrrtunbe"  rrWeint  Ist  »tu: 


(Europa. 


Son  Dr.  ^IjilippCon  unb 
Sßrofcffor  Dr.  §.  llnminnn. 

fctrauSgrgcbcn  bon 

«Prof.  Dr.  pilljclm  §imrs. 

ÜIll  168  (Errtbilbrnt,  14  fiarttnbtllagrn  n.  28  ffiafrln  ln  €ol|fit)nltt  u.  farbrnbruih. 
14  ffitftrungtn  ;n  je  1 fflarli  obtr  ln  tjatbltbtr  gebunben  16  Ülnrh. 

öoüftänbia  licfltn  bon  »er  „allgemeinen  Cänbetfunbe"  uor:  „atrifa".  in  Cwlblcber  grbunben  12  Start. 
„■RtiT',  in  fytlbleber  gebuuben  15  Start.  „flmerifc",  in  (mlblcber  gebunben  15  Start.  ..■uflmlien" 
tmrb  bnb  Snrmnelioert  im  4>rvbft  1895  nfcjdjlieiirn. 

Sie  ttjlen  Sifferungen  jur  Slnfid)!.  — Särofpelte  loftenfrei. 

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Die  Entdeckung  Amerika’s 

in  ihrer  Bedeutung 

für  die  Geschichte  des  Weltbildes 


von 

Konrad  Kretschmer. 


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der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin 

zur 

vierhundertjährigen  Feier  der  Entdeckung  Amerika’s. 

Seine  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben  die  Zueignung  der  Fest- 
schrift seitens  der  Gesellschaft  Allergnädigst  zu  genehmigen  geruht. 

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Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Hauptmann  a.  D.  Kol  Im  in  Charlottenburg. 


Selbstverlag  der  Gesellschaft  für  Erdkunde. 


Druck  von  W.  Porm euer  in  Berlin. 


MUS:  COI 


ZEITSCHRIFT 


DER 


GESELLSCHAFT  FÜR  ERDKUNDE 


ZU  BERLIN. 


Band  XXIX  — 1894  - No.  6. 


Herausgegeben  im  Auftrag  dea  Vorstandes 
von  dem  Generalsekretär  der  Gesellschaft 

Georg  Kollm, 

Hauptmann  a.  D. 


Inhalt. 


Seit« 


Die  zwei  groben  Erdbeben  in  Lokris  am  S/10.  und  15-/17.  April  1894. 

Von  Dr.  Theodor  G.  Skuphos.  (Hierzu  Tafel  14—17.) 4°9 

Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket. 

Von  Martin  Hartmann.  (Schlufs.) 475 


LONDON  E.  C. 
SAMPSON  LOW  ft  Co. 
Ficet-Streot. 


BERLIN,  W.8. 
W.  H.  KÜHL. 
1894. 


PARIS. 

H.  LE  SOUDIER. 

174  & 176.  Boul.  St.  Germain 


-oogle 


Veröffentlichungen  der  Gesellschaft  im  Jahr  1895. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin,  Jahr- 
gang 1895  — Band  XXX  (6  Hefte), 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin, 
Jahrgang  1895  — Band  XXJ1  (10  Hefte). 

Preis  im  Buchhandel  für  beide:  15  M.,  Zeitschrift  allein:  12  M.,  Ver- 
handlungen allein:  6 M. 

Beiträge  zur  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  werden  mit 
50  Mark  für  dcii  Dnjckbogun  bezahlt,  Original-Karten  gleich  einem  Druckbogen 
berechnet 

Die  Gesellschaft  liefert  keine  Sonderabzüge;  jedoch  steht  es  den  Verfassern 
frei,  solche  nach  Übereinkunft  mit  der  Redaktion  auf  eigene  Kosten  anfertigen 
zu  lassen. 

Alle  für  die  Gesellschaft  und  die  Redaktion  der  Zeitschrift  und 
Verhandlungen  bestimmten  Sendungen  — ausgenommen  Geldsendungen 
— sind  unter  Weglassung  jeglicher  persönlichen  Adresse  an  die  : 

„Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  SW.  12,  Zimmerstr.  90“. 

Geldsendungen  an  den  Schatzmeister  der  Gesellschaft,  Herrn 
Geh.  Rechnungsrat  Bütow,  Berlin  SW.  Teltower  Str.  5.  zu  richten. 


Die  Geschäftsräume  der  Gesellschaft  — Zimmerstrafse  90.  II  — sind, 
mit  Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage,  täglich  von  9 — 11  Uhr  Vorm,  und  von 
4 - 8 Uhr  Nachm,  geöffnet. 


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1845  — 1895. 

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und  der  Länder  Europas 

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ln  3 Ausstattungen:  physikalisch  stumm,  physikalisch 
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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris 

am  8./20.  und  1 5.127.  April  1894.') 

Von  Dr.  Theodor  G.  Skuphos2). 

(Hierzu  Tafel  14—18.) 

I.  Das  Erdbeben  vom  8./20.  April  1894. 

Es  ist  kaum  ein  Jahr  vergangen,  seitdem  das  grofse  Erdbeben 
auf  der  Insel  Zante  fast  alle  Wohnungen  der  Stadt,  die  Landhäuser 
und  viele  Ortschaften  in  vollster  Bedeutung  des  Wortes  zerstörte  und 
nur  wenige  Ortschaften  auf  dem  Gebirge  von  Vrachionas  verschont 
blieben3),  und  wieder  wurde  ein  Teil  von  Griechenland,  und  zwar  das 
fruchtbare  Lokris  im  Kordosten  von  Mittel-Griechenland,  von  einer 
furchtbaren  und  ungeheuren  Katastrophe  heimgesucht  und  eine  grofse 

*)  Der  Bericht,  welchen  uns  der  durch  vortreffliche  Arbeiten  bereits  rühmlich 
bekannte  Geolog  Herr  I)r.  Skuphos  über  die  griechischen  Erdbeben  von  1894 
ciogesandt  hat,  enthält  eine  solche  Fülle  eigenen  Beobachtungsmaterials  und  darauf 
gegründeter  Schlußfolgerungen,  dafs  er  als  eine  wesentliche  Ergänzung  und  Er- 
weiterung des  in  „Petermann's  Mitlheilungen*  1894,  S.  217— 227  veröffentlichten 
Aufsatzes  von  Professor  Mitzopulos  über  denselben  Gegenstand  erscheint.  Da  über- 
dies nur  selten  ein  Sachkundiger  so  unmittelbar,  wie  es  bei  Herrn  Skuphos  der 
Fall  ist,  Zeuge  der  Vorgänge  während  einer  bedeutenden  Erdbeben-Katastrophe  ge- 
worden ist,  bringen  wir  den  Bericht  in  unveränderter  Gestalt  zum  Abdruck.  (D.  Red.) 

*)  Diese  Arbeit  ist  schon  vom  29./11.  Juni  bis  20./2.  Juli  dieses  Jahres  in 
der  Zeitung  „Tw/ qutpfc  uov  2t tfyttjoHoy"  unter  demselben  Titel  erschienen,  aber 
Gründe,  die  mein  Wille  nicht  beseitigen  konnte,  verhinderten  bis  jetzt  eine  Ver- 
öffentlichung in  deutscher  Sprache.  Leider  ist  jedoch  die  Priorität  der  Veröffent- 
lichung und  das  geistige  Eigentum  nicht  genügend  geachtet  worden  (vergl. 
Comptes  Rendus  hebdomadaires  des  s&inces  de  l’Academic  des  Sciences,  Paris, 
Tome  CXIX  No.  1 [2.  Juillet  1894)  und  No.  9 [20.  Aoüt  1894]  und  eine 
Nummer  der  Vossischen  Zeitung  vom  September  1894).  Daher  gebe  ich  im 
Folgenden  bei  allen  angeführten  Telegrammen  genau  Tag  und  Tageszeit 
an;  außerdem  dienen  als  Beweis  für  meine  Priorität  die  Nummern  der  Zeitung 
K’frjufois  Ttor  2v( rjr/joHor  mit  den  darin  veröffentlichten  Telegrammen,  die  ich 
täglich  von  den  Schauplätzen  der  Katastrophen  gesandt  habe. 

3)  Prof.  Dr.  K.  Mitzopulos,  Das  grofse  Erdbeben  auf  der  Insel  Zante  im 
Jahre  1893.  Petermanns  Mittheilungen  1893»  Heft  7,  S.  166  u.  s.  w. 

Zeitschr.  d.  Getellich.  f.  Erdk.  Bd.  XXX.  ‘JiS 


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410 


Theodor  G.  Skuphos: 


Zahl  von  Dörfern  und  Städten  in  wenigen  Minuten  von  Grund  au* 
vernichtet,  wobei  255  Menschen  einen  plötzlichen  Tod  fanden. 

Freitags,  am  8./20.  April  d.  J.,  um  6 Uhr  52  Minuten  abends,  ah 
noch  viele  Leute  in  Athen  auf  dem  Spaziergang  waren,  setzte  plötz- 
lich eine  für  Athen  ungewöhnlich  starke  Erderschütterung  in  der 
Richtung  von  NW  nach  SO,  deren  Dauer  5 bis  7 Sekunden  war,  die  gesamte 
Bevölkerung  der  Hauptstadt  in  grofsen  Schrecken.  Nachdem  der  erste 
Eindruck  vorüber  war,  liefen  die  Menschen  in  Furcht  und  Aufregung 
in  der  Stadt  umher,  wo  in  kurzer  Zeit  durch  private  und  offizielle 
Telegramme  die  Katastrophe  von  Theben  bekannt  wurde;  erst  am 
nächsten  Morgen  erfuhr  man  auch  die  Zerstörung  von  Atalanti  und 
den  umliegenden  Dörfern. 

Die  Schriftleitung  der  griechischen  Zeitung  l'spy/ttmi;  rwt  AVA,  r^rar“ 
(„Journal  des  Debats")  bat  mich  am  nächsten  Tag  um  einen  Artikel 
über  dieses  Erdbeben,  soweit  ich  durch  die  vorhandenen  Nachrichten 
unterrichtet  sei.  In  Folge  dieser  Aufforderung  veröffentlichte  ich  am 
1 0.  2 2 . April  in  der  oben  genannten  Zeitung  neben  anderem  auch 
folgendes  über  die  Art,  das  F'picentrum  und  die  Richtung  dieses 
Erdbebens:  „Wenn  man  die  gleichzeitig  erschütterten  Ortschaften 
dieses  tektonischen  Erdbebens  am  Abend  des  vorgestrigen  Freitag  ms 
Auge  fafst,  so  läfst  sich  annehmen,  dafs  das  Epicentrum  des  Erd- 
bebens zwischen  Atalanti  und  Theben  lag,  und  zwar  in  einer  schwach 
gebogenen  Linie  von  NW  nach  SO,  so  dafs  es  mit  der  unterseeischen 
Einsenkung  zusammentrifft , die  sich  den  Euböischen  Golf  entlang 
neben  der  steilen  Küste  von  Mittel-Griechenland  hinzieht.“ 

Am  Abend  des  Sonntags  erging  an  mich  von  der  Direktion  dieser 
Zeitung  die  Anfrage,  ob  ich  nach  Atalanti  und  den  übrigen  von  dem 
Erdbeben  heimgesuchten  Ortschaften  hinfahren  wollte,  um  an  Ort  und 
Stelle  das  Erdbeben  selbst  und  die  durch  dasselbe  hervorgebrachten 
Erscheinungen  zu  studieren,  unter  der  Bedingung,  meine  Beobachtungen 
und  Schlufsfolgerungen  telegraphisch  nach  Athen  zur  Veröffentlichung 
in  der  oben  genannten  Zeitung  zu  übersenden. 

Selbstverständlich  nahm  ich  eine  unter  solchen  Bedingungen  ge- 
stellte Aufforderung  sehr  gern  an  und  verliefs  mit  dem  Dampfer 
„Pelops“  Dienstag  Abend,  am  12./24.  April,  den  Hafen  von  Piräus,  um 
durch  den  Kanal  von  Euböa  nach  der  Skala  von  Atalanti  (Kate 
Pelli)  zu  fahren.  Am  nächsten  Tag  um  5 Uhr  abends  warf  der 
Dampfer  auf  der  Rhede  von  Atalanti. Anker,  und  ich  begab  mich  in 
einem  kleinen  Boot  vom  Schiff  ans  Land.  Ich  beginne  gleich  mit 
meinen  Beobachtungen  in  Kato  Pelli  oder  der  Skala  von  Atalanti. 

Die  Skala  von  Atalanti,  die  aus  30 — 35  Häusern  bestellt,  ist  5 bi> 
10  m landeinwärts  auf  sehr  lockerem,  zum  Teil  aus  Süfswasser- 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris« 


411 


Anschwemmungen  und  zum  Teil  aus  Meeressand  bestehendem  Boden 
gebaut.  Sämtliche  Häuser  sind  ohne  Ausnahme,  wie  durch  einen 
Schlag,  entweder  nach  Osten  oder  nach  Westen,  bezw.  nach  OSO  oder 
WNW  zusammengestürzt.  Ausnahmen  von  dieser  allgemeinen  Zer- 
störung, welche  den  Tod  von  vier  Personen  herbeiführte,  sind  ein  altes, 
niedriges,  aus  Quadersteinen  gebautes  Brunnenhäuschen  und  ein  eben- 
falls niedriges,  schmales  und  langes  Haus  in  der  Richtung  von  OSO 
nach  WNW.  Der  wie  eine  Zunge  sich  ins  Meer  erstreckende  schmale 
lange  Hafendamm  hat  sich  nach  vorne  gesenkt,  nach  SO,  d.  h.  senk- 
recht zu  seiner  Richtung,  geneigt  und  ist  vielfach  gespalten. 

Im  Hafen  von  Atalanti,  neben  der  Insel  Atalanti  und  etwas  nord- 
westlich derselben,  liegt  ein  kleines  Inselchen,  welches  aus  Dolomit 
und  Kalkstein  der  Kreideformation  besteht,  dessen  Schichten  von  NW 
nach  SO  streichen  und  40’  südwestlich  einfallen,  d.  h.  wie  die 
Schichten  des  Chlomos-Gebirges;  es  handelt  sich  hier  also  nicht  um 
eine  Mulde,  sondern  um  eine  Wiederholung  von  Schichten  des  süd- 
westlichen Schenkels  eines  Sattels,  welcher  durch  Bruchzonen  in  das 
Kuböische  Meer  eingestürzt  ist.  Auf  diesem  Inselchen  steht  eine  Ka- 
pelle des  Hagios  Nikolaos,  des  Schutzpatrons  der  Schiffer  (des  neuen 
Poseidon  der  christlichen  Neugriechen),  welches  keinen  Schaden  von 
dem  Erdbeben  des  8./20.  April  erlitten  hat. 

Nachdem  ich  meine  Beobachtungen  über  die  Erscheinungen  in 
Kato  Pelli  beendigt  hatte,  wanderte  ich  über  die  Ebene  von  Atalanti, 
die  aus  Süfswasser-Anschwemtnungen  besteht,  nach  Atalanti  und  Ano 
Pelli  hinauf,  welche  Ortschaften  auf  dem  nordöstlichen  Abhang  des 
Berges  Rhoda  liegen,  ln  diesen  beiden  Ortschaften  ist  glücklicher- 
weise kein  Menschenleben  zu  beklagen,  weil  hier,  obwohl  die  Gebäude 
grofsen  Schaden  erlitten,  der  im  teilweisen  Einsturz  einiger  Mauern, 
Rissebildung  u.  s.  w.  besteht,  kein  einziges  Haus  ganz  in  sich 
zusammengestürzt  ist.  Daraus  erklärt  sich  leicht  die  Verschonung 
der  Einwohner.  Hier  sind  die  eingestürzten  Mauern,  Ecken,  Schorn- 
steine, die  Gesimse  und  Mauervorsprünge  u.  s.  wr.  ebenfalls  in  der 
Richtung  nach  Osten  oder  Westen  bzw.  nach  ONO  oder  WSW  ge- 
fallen. Letzteres  kann  man  am  besten  in  dem  von  Makedoniern  be- 
wohnten Ano  Pelli  und  an  einem  Grab  auf  dem  Friedhof  von  Atalanti 
beobachten. 

Von  dem  Augenblick  meiner  Ankunft  in  Atalanti  an  hatte  ich 
grofse  Mühe,  die  Einwohner  dieser  beiden  Städte,  die  von  allen  Seiten 
ermuntert  wurden,  in  ihre  Wohnungen  zurückzukehren,  davon  abzu- 
halten. Auf  Grund  statistischer  Beobachtungen  grofser  Erdbeben  so- 
wohl in  Griechenland  als  auch  in  anderen  Ländern  vermutete  ich, 
dafs  ein  grofses  Erdbeben,  wie  das  vom  8./20.  April,  höchstwahr- 

•'8* 


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412 


Theodor  G.  Skuphos; 


scheinlich  sich  nicht  allein  ereignen,  sondern  dafs  noch  andere,  hef- 
tigere folgen  würden,  ln  Folge  dieser  Vermutung  hatte  ich  die  Ein- 
wohner, um  sie  vor  weiterem  Schaden  7.u  bewahren,  rechtzeitig  darauf 
aufmerksam  gemacht  und  ihnen  mit  meinem  ganzen  Ansehen  streng 
verboten,  in  ihre  Häuser  zu  gehen  ; ich  riet  ihnen  sogar,  so  entfernt 
wie  möglich  von  denselben  zu  bleiben.  Zum  Aufschlagen  ihrer  Zelte 
gab  ich  ihnen  die  breiten  Strafsen  und  Plätze  der  Stadt  an,  da  die 
Einwohner  in  der  Nähe  ihrer  Wohnungen  bleiben  wollten.  Ferner 
versuchte  ich  am  Gründonnerstag,  zur  Zeit,  als  die  Messe  in  der 
Kirche  gelesen  wurde  und  die  Soldaten  unter  der  Leitung  des  Lieute- 
nants Karakalos  den  Glockenturm  abtrugen,  hineinzukomnien  und 
durch  alle  möglichen  Mittel,  zuweilen  sogar  durch  Lügen,  dafs  ein 
Erdbeben  stattfinden  würde,  die  P'rauen  und  Kinder,  die  das  Ende 
der  Messe  erwarteten,  um  das  heilige  Abendmahl  zu  empfangen,  aus 
der  Kirche  zu  entfernen.  Meine  Vermutung  bewahrheitete  sich  leider, 
und  am  Tag  darauf,  am  Charfreitag,  fand  das  zweite  grofse  Erdbeben 
statt.  Unzweifelhaft  wird  der  Forscher  bei  Fragen,  über  die  sich  sogar 
seine  Wissenschaft  in  Verlegenheit  befindet  und  sich  nur  auf  statistische 
Erfahrungen  stützt,  alle  möglichen  vernünftigen  Vorsichtsmafsregeln 
vorschlagen,  die  durchaus  unschädlich  sind,  wie  ich  es  gegenüber 
den  Einwohnern  gethan  habe.  Diesen  Vorsichtsmafsregeln  verdankt 
es  die  Stadt  Atalanti  und  die  makedonische  Bevölkerung  von  Ano 
Pelli,  dafs  kein  Menschenleben  bei  dem  zweiten  Erdbeben  vom 
15-/27.  April  verloren  ging. 

In  der  F'ntfernung  von  einer  Stunde  nördlich  von  der  Stadt 
Atalanti  liegt  das  Dorf  Skenderaga,  von  dessen  80 — 90  Wohnungen 
fast  keine  einzige  stehen  geblieben  ist;  alle  sind  eingestürzt  und  nur 
einige  Mauern  in  der  Richtung  von  NW  nach  SO  stehen  noch  ; also 
haben  die  Einstürze  der  übrigen  Mauern  nach  derselben  Richtung, 
d.  h.  nach  NW  und  SO,  stattgefunden.  Fhne  Ausnahme  dieser 
Einstürze  bilden  die  kleinen,  kugelförmigen  Backöfen,  die  von  den 
Frauen  aus  Lehm  und  Bruchstücken  von  Ziegeln  gebaut  werden ; bei 
diesen  ist  die  nördliche  und  südliche  Seite  eingestürzt.  Auch  hier 
sind  zum  Glück  nur  vier  Personen  bei  dem  Pjrdbeben  des  8., 20.  April 
ums  Leben  gekommen.  Das  Dorf  Skenderaga  liegt  auf  niedrigen 
Hügeln  aus  sehr  lockerem  Neogen-Gestein,  welches  durch  den  Dichalo- 
Graben  (,  lixahhintv/ia)  zerschnitten  wird.  Der  Schaden  tritt  am  meisten 
im  nördlichen  Teil  des  Dorfes  hervor. 

Wenn  man  von  hier  nach  Nordosten  geht,  gelangt  man  in  einer 
Stunde  ungefähr  in  die  Heimat  des  berühmten  Freiheitskämpfers  An- 
drutzos,  nach  dem  reichen  Dorf  Livanataes.  Es  gielit  hier  Bauern, 
deren  bewegliches  und  unbewegliches  Vermögen  eine  Million  Drach- 


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Die  zwei  grofeen  Erdbeben  in  Lokris. 


413 


men  übersteigt.  Man  wird  sich  über  diese  Verhältnisse  sofort  klar, 
wenn  man  einen  Blick  auf  die  Bauart  und  Gröfse  sowohl  der  Privat- 
gebäude als  auch  der  Kirchen  u.  s.  w.  wirft.  Es  ist  auch  zu  erwähnen, 
dafs  diese  unglücklichen  Leute  grofse  Beharrlichkeit  und  Kaltblütig- 
keit gezeigt  haben,  da  einige  von  ihnen  8 — io  ihrer  Gebäude  in 
einigen  Sekunden  haben  einstürzen  sehen  und  doch  mit  unbegreiflichem 
Gleichmut  zu  sich  sagten:  „Der  Herr  hat's  gegeben,  der  Herr  hat’s 
genommen,  der  Karne  des  Herrn  sei  gelobet;  was  sollen  wir  thun!“ 
Von  den  250  Häusern  dieses  Dorfes  ist  kein  einziges  unversehrt  ge- 
blieben, fast  sämtliche  sind  bis  auf  m über  dem  Erdboden  einge- 
stürzt. Aus  den  wenigen  Häusern,  die  nur  teilweise  eingestürzt  sind, 
ersehen  wir  die  Richtung  des  Erdbebens  von  SO  nach  NW.  Als  Aus- 
nahme von  dieser  grofsen  Zerstörung  steht  das  Kaufhaus  des  Bürger- 
meisters Antoniou  da,  welches  dank  seiner  Bauart  ganz  verschont  ge- 
blieben ist;  denn  seine  Mauern  sind  aus  alternierenden  Quadersteinen 
gebaut,  wie  die  Tempel  der  alten  Griechen.  Man  zählt  auch  hier  in 
Livanataes  nur  vier  Opfer.  Von  dem  ganzen  Marktflecken  hat  der 
Stadtteil  von  Epano  Machaläs  am  meisten  gelitten.  Der  Boden,  auf 
dem  der  Marktflecken  gebaut  ist,  besteht  aus  sehr  feinem  und 
lockerem  Sand,  dessen  Mächtigkeit  10 — 12  m beträgt,  darauf  folgt 
gelbweifser,  lockerer  Mergel  und  eine  dünne  Schicht  von  an- 
geschwemmtem Lehm. 

Wenn  man  von  hier  aus  nach  Nordwesten  geht,  so  trifft  man  nach 
34  Stunden  das  Dorf  Arkitza,  welches  auf  sehr  festem,  Konglomerate 
und  Versteinerungen  führendem  Gestein  der  Neogen-Eormation  gebaut 
ist.  Man  hat  hier  glücklicherweise  nur  ein  einziges  Menschenleben 
als  Opfer  des  Erdbebens  vom  ersten  Freitag  zu  beklagen,  da  die 
Häuser  nur  sehr  unbedeutend  zerstört  sind.  Einige  Einstürze  haben 
die  Richtung  nach  Westen  und  nach  Osten,  einige  Mauern  haben 
Risse  bekommen,  dazu  sind  auch  einige  Gesimse  heruntergefallen. 
Arkitsa,  welches,  obwohl  cs  in  so  geringer  Entfernung  von  dem  so 
sehr  heimgesuchten  Livanataes  liegt,  wegen  des  festen  Bodens,  auf 
dem  es  erbaut  ist,  so  wenig  vom  Erdbeben  gelitten  hat,  ist  ein  vor- 
trefflicher Beweis  dafür,  dafs  fester  Untergrund  ein  Schutzmittel  gegen 
das  Erdbeben  ist. 

Ebenfalls  hat  das  Dorf  Gkolemion,  welches  südwestlich  vom  Dorf 
Arkitza  in  einer  Entfernung  von  2^  Stunden  liegt,  sehr  wenig  zu  leiden 
gehabt;  es  ist  nach  Westen  zu  das  erste  Dorf  des  nördlichen  Lokris, 
welches  in  der  zweiten  Erdbebenzone  liegt.  Auch  hier  hat  das  Erdbeben 
keine  Menschenppfer  gefordert.  Die  wenigen  hier  eingestürzten 
Mauern  wie  auch  die  geneigten  oder  heruntergefallenen  Schornsteine 
liegen  entweder  nach  Nordosten  oder  nach  Südwesten  geworfen. 


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414  Theodor  G.  Skuplios: 

Weiter  nach  Westen  zu  tritt  eine  Änderung  in  der  Zone  ein,  da 
die  dort  liegenden  Dörfer  sehr  wenig  gelitten  haben,  während  noch 
westlicher,  um  das  Dorf  des  Hagios  Konstantinos  herum,  die  Dörfer 
der  dritten  Erdbebenzone  liegen,  welche  nur  geringe  und  teilweise 
Einstürze  an  den  Mauern  der  Häuser  und  nur  sehr  selten  von 
ganzen  Mauern  zeigen.  Man  sieht  also,  dafs,  je  weiter  man  nach 
Westen  oder  Nordwesten  geht,  die  Zerstörungen  mehr  und  mehr  ab- 
nehmen; ein  Beweis,  dafs  das  Epicentrum  mehr  östlich,  bzw.  ONO 
von  den  vorher  erwähnten  Ortschaften  zu  suchen  ist. 

Ich  begab  mich  jetzt  nach  Südost  in  der  Richtung  nach  den 
Dörfern  Zelion,  Kalapodi  und  Sphaka,  deren  Beschädigungen  den 
der  vorher  erwähnten  Dörfer  Arkitsa  und  Gkolemion  entsprechen.  Die 
Einstürze  von  Mauern  bei  einigen  Häusern  nach  Osten  und  Westen 
zeigen  wieder,  dafs  das  Epicentrum  weiter  im  Osten  zu  suchen  ist, 
und  ferner,  dafe  diese  Dörfer  die  äufserste  westliche  Grenze  der 
zweiten  Erdbebenzone  des  westlichen  Lokris  bilden. 

Östlich  des  letztgenannten  Dorfes  und  innerhalb  derselben  Zone 
liegt  das  aus  45  Häusern  bestehende  Dorf  Kolaka,  welches  wie  die 
drei  oben  erwähnten  Dörfer  auf  lockerem  Mergel  der  Neogen-Eormation 
und  auf  alluvialen  Anschwemmungen  steht.  Hier  sind  die  eingestürzten 
Mauern,  Ecken  und  Schornsteine  auch  so  gefallen,  dafs  der  Stofe  von 
Nordost  hergekommen  sein  mufs,  so  dafs  der  Herd  in  dieser  Richtung 
zu  suchen  ist.  Die  kesselartige  Tiefebene  ■),  welche  sich  längs  des 
Dorfes  Kolaka  ausdehnt,  ist  infolge  von  Bruchzonen  entstanden. 

Von  hier  aus  nahm  ich  den  Weg,  der  südöstlich  zu  den  Dörfern 
Lutzi  und  Pavlu  führt,  in  denen  die  Zerstörung  derjenigen  in  den 
vorher  erwähnten  Dörfern  sehr  nachsteht.  Die  verhältnismäfsig 
wenigen  eingestürzten  Häuser  standen  auf  sehr  lockerem  Tertiärboden. 
Die  übrigen  haben  nur  Risse  bekommen,  aber  in  solchem  Grade,  dafs 
die  Häuser  unbewohnbar  geworden  sind.  Hier  hat  man  mehr  teil- 
weise Einstürze  von  Hausecken,  Mauern  und  Schornsteinen  nach  NO 
und  SW  zu  beobachten. 

Man  hat  also  auch  hier  den  Stofs  von  Nordost  anzunehmen.  Je- 
doch sind  auch  in  all  diesen  Dörfern  keine  Menschenopfer  zu  be- 
klagen. 

Das  Dorf  Topolia,  welches  südöstlich  von  dem  Berge  Berori  auf 
Alluvionen  gebaut  ist,  hat  ebenfalls  wegen  der  Nähe  des  Kopais-Sees 
bedeutenden  Schaden  und  eine  allgemeine  Zerstörung  seiner  25  Häuser 

')  Dr.  A.  Philippson,  Der  Kopais-See  und  seine  Umgebung  (Zeitscbr  d. 
Gesellsch.  f.  Krdk.  zu  Berlin.  Bd.  XXIX,  1894,  S.  31.)  Vgl.  auch  zur  Verfolgung 
der  weiteren  Beobachtungen  die  ausführlichere  Karte  in  genannter  Abhandlung. 


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Die  /.wci  giobcu  Kidbebeii  in  LoklU. 


415 


aufzuweisen.  Die  Einstürze  haben  meistens  nach  NNU  und  manchmal 
auch  nach  SSW  stattgefunden,  so  dafs  der  Stofs  aus  Norden  bzw. 
aus  NNO  herkam. 

Der  Leser  möge  mir  jetzt  entlang  der  Küste  des  Kopais-Secs  über 
den  aus  Kreidekalk  bestehenden  Abhang  nach  Osten  zu  bis  auf  den 
Fufsweg  folgen,  der  weiter  zur  Bucht  der  alten  Stadt  I.arymna  führt, 
wo  jetzt  das  Dorf  Kastri  liegt.  Dieses  Dorf  steht  auf  sehr  festem,  aus 
kompaktem  Tertiär-Konglomerat  bestehenden  Boden,  daher  hat  es  trotz 
der  grofsen  Kraft  dieses  Erdbebens  nur  verhältnismäfsig  wenig  ge- 
litten. Einige  Häuser  sind  nur  teilweise  eingestürzt,  und  die  übrigen 
haben  gefährliche  Risse  bekommen,  und  zwar  so,  dafs  man  sofort  er- 
kennen kann,  die  seismischen  Strahlen  oder  Wogen  kamen  aus  Nord- 
west; also  lag  auch  das  Epicentrum  in  derselben  Richtung.  Auf 
diesem  südöstlichen  Ende  der  autoseisten  Scholle  von  I.okris  hat 
das  Erdbeben  glücklicherweise  kein  einziges  Menschenopfer  gefordert; 
nicht  einmal  eine  Verwundung  ist  vorgekommen. 

Alle  diese  Ortschaften,  die  eine  so  verschiedene  geographische 
Lage  haben,  bestimmen  durch  die  auffallenden,  von  den  Erdbeben 
an  den  Gebäuden  u.  s.  w.  hervorgebrachten  Merkmale  den  Platz  für  das 
Kpicentrum  so,  dafs  man  es  bei  einem  oder  mehreren  Dörfern  der 
Halbinsel  Aetolyma  suchen  niufs. 

Und  thatsächlich  beweist  ein  einfacher,  wenn  auch  oberflächlicher 
Besuch  der  Dörfer  Martino,  Masi,  Proskyna  und  Malessina,  wie  ich 
gleich  im  Folgenden  zeigen  werde,  dafs  das  Epicentrum  des  EIrdbebens 
vom  S./20.  April,  wenn  nicht  genau  mit  diesen  Dörfern  zusammenfällt, 
so  doch  nicht  weit  davon  liegt.  Höchst  wahrscheinlich  lag  es  im 
Kuböischen  Meer  und  zwar  zwischen  dem  Kandili-Berg  und  der  Halb- 
insel Aetolyma  und  dicht  an  den  Bruchzonen,  die  entlang  der  Küste 
der  letzteren  laufen. 

Ich  liefs  das  Dorf  Kastri  im  Osten  liegen  und  schlug  einen  Weg 
ein,  der  durch  einen  dichten  und  schattenreichen  Wald  aus  Kiefern 
und  wilden  Olivenbäumen  in  zwei  Stunden  nach  Martino  führt.  Dieses 
Dorf  liegt  auf  dem  äufsersten  nördlichen  Abhang  des  Berges  Prophet 
Elias.  Der  nördliche  Abhang  des  Prophet  Elias  hat  sich  durch  ein 
System  von  Bruchzonen  eingesenkt  und  dadurch  die  kesselartige  tiefe 
Ebene,  die  sich  nördlich  und  zur  Seite  von  Martino  ausbreitet,  gebildet; 
auf  dieser  Eibene  liegt  auch  der  einsame  Brunnen,  von  dem  das  ganze 
Dorf  mit  grofser  Mühe  Wasser  schöpft. 

Die  geologische  Zusammensetzung  und  Beschaffenheit  des  Bodens 
von  Martino  ist  gerade  nicht  sehr  geeignet  für  eine  autoseiste  Gegend. 
Der  Boden  besteht  von  oben  nach  unten  aus  */«  m Humus,  1 m sehr 
verwittertem  gelbweifsen  Mergel,  darunter  einen  anderen  kalkreichen  und 


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4 IG 


Tlieudor  G.  Skuphos: 


löcherigen  Mergel,  welcher  mit  anderen  ähnlichen,  sehr  dünnen  und 
verwitterten  oder  auch  kompakten  Mergeln  wechsellagert.  Diese  Schich- 
ten sind  entweder  wagerecht  (söhlig)  oder  sehr  schwach  geneigt,  so 
dafs  also  in  verschiedenen  Orten  diese  Neigung  verschiedenartig  ist 
und  infolgedessen  die  Hochebene  bis  nach  Masi  sehr  kleine  und 
schwache  Mulden  und  Sättel  bildet. 

Die  hier  hervorgebrachte  Zerstörung  ist  bedeutend  gröfser  als  die 
von  Livanataes.  Die  meisten  Häuser  sind  fast  vollständig  eingestürzt 
und  zwar  in  der  Weise,  dafs  die  Häuser  als  Steinhaufen  erscheinen 
Der  am  meisten  beschädigte  Teil  dieses  Marktfleckens  ist  die  Gebend 
um  die  Kirche  herum,  welche  auch  dicht  an  den  alten  Bruchzonen 
liegt.  Dagegen  haben  sämtliche  Häuser,  welche  auf  den  südwestlichen 
höheren  Teilen  des  Marktfleckens  in  der  Richtung  von  Norden  nach 
Süden  liegen,  sehr  wenig  gelitten  und  zwar  nur  die  nach  NNO  und  SSW 
liegenden  Ecken,  so  dafs  auch  diese  Häuser  mir  für  die  Feststellung 
der  Richtung  des  Erdbebens  genützt  haben,  während  in  den  übrigen 
Stadtvierteln  bei  dem  Durcheinander  der  Trümmer  und  weil  bei  dem 
einen  Haus  die  nördliche,  bei  einem  andern  die  südliche  oder  die 
westliche  u.  s.  w.  Ecke  durch  reinen  Zufall  verschont  ist,  man  über 
die  Richtung  schwer  ins  Klare  kommt.  Die  furchtbare  Katastrophe  in 
der  Mitte  des  Marktfleckens  hat  die  unmittelbare  Nähe  der  alten 
Bruchzonen,  das  Vorkommen  des  Humus,  die  Wechsellagerung  dünn- 
geschichteter  und  sehr  verwitterter  Gesteine  und  die  sehr  oberflächliche 
Fundamentierung  der  Häuser  (von  25 — 40  cm)  verursacht,  während 
die  verhältnismäfsige  Verschonung  der  höheren  Teile  des  Marktfleckens 
der  kompakteren  Zusammensetzung  des  Bodens  und  der  Entfernung 
von  den  Rändern  der  alten  Bruchzonen  zu  verdanken  ist  Leider  sind 
hier  die  Unglücksfälle  bedeutend  gröfiser  als  in  den  vorher  erwähnten 
Ortschaften.  39  Personen  sind  ums  Leben  gekommen  und  andere 
56  Personen  mehr  oder  weniger  schwer  und  gefährlich  verwundet.  Die 
Veranlassung  dazu  bilden  einmal  die  engen  Gassen  und  das  zufällige 
Verweilen  der  Einwohner  in  ihren  Häusern,  sowie  dals  die  Bewohner 
in  die  Kirche  oder  in  die  Nähe  derselben  eilten,  um  ihr  Leben,  wie 
sie  glaubten,  zu  retten;  aber  leider  haben  dort  gerade  die  meisten  ihr 
Leben  verloren. 

Ungefähr  nördlich  von  Martino,  in  einer  Entfernung  von  einer 
Stunde,  liegt  auf  der  einen  Seite  eines  kleinen  Thaies  das  kleine  Dort 
Masi.  Dieses  Thal  wird  W'estlich  von  dem  langgezogenen  Hügelland 
Kumurades  und  östlich  von  dem  ebenfalls  langgezogenen  Hügelland 
Kremina  begrenzt;  die  Unebenheiten  der  beiden  Hügelländer  sind 
durch  die  langjährige  Erosions-Thätigkeit  des  Giefsbaches  Derstia 
entstanden.  Hier  herrschen  lockere  und  sehr  verwitterte,  gelbweifse 


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Die  zwei  gio&en  Erdbeben  in  Lokru. 


417 


Mergel  der  Neogen-Formation  vor,  welche  mit  dUrmbankigem,  löche- 
rigem Mergel  wechsellagern  und  sehr  schwach  geneigte  kleine  Mulden 
und  Sättel  bilden. 

Die  zerstörende  seismische  Kraft,  unterstützt  durch  die  starke 
Neigung  des  Bodens,  welche  durch  frühere  Einstürze  und  Abrutschungen 
entstanden  ist,  hat  hier  eine  solche  Verwüstung  hervorgebracht,  dafs 
dieses  Dorf  von  allen  bis  auf  die  Fundamente  zerstörten  Dörfern  von 
Lokris  den  schlimmsten  Anblick  gewährt.  Von  seinen  65  Häusern 
kann  man  auch  nicht  eine  einzige  stehengebliebene  Mauer  sehen;  alle 
sind  bis  auf  den  Grund  zerstört,  so  dafs  man  nur  mit  grofser  Schwierig- 
keit die  verschiedenen  Grundrifse  der  Häuser  erkennen  kann.  Zufälliger- 
weise aber  sind  trotz  dieser  ungeheueren  Vernichtung  sowohl  der  Ge- 
bäude als  auch  des  Bodens  selbst  verhältnismäfsig  nur  wenige,  d.  h. 
nur  6 Menschen  getötet  und  zwei  verwundet  worden;  einmal,  weil  die 
Einwohner  zur  Zeit  des  Erdbebens  noch  bei  ihrer  Beschäftigung  draufsen 
im  Feld  waren,  und  dann,  weil  die  Wohnungen  sehr  weit  von  einander 
standen. 

Von  dem  Thal,  welches  der  Giefsbach  Derstia  durchfliefst,  zweigt 
sich  in  seiner  nordöstlichen  Verlängerung  in  einer  Entfernung  von 
J/4  Stunden  von  dem  letztgenannten  Dorf  Masi  ein  anderes  kleines 
Thal  ab,  welches  sich  von  Osten  nach  Westen  zieht  und  den  Namen 
Speliä  (AVr/,7. 1«)  führt.  Auf  der  linken,  d.  h.  südlichen  Seite  dieses 
Thaies  und  auf  drei  treppenartig  aufeinander  folgenden  kleinen  Berg- 
rtächen  liegt  das  Dorf  oder  besser  der  Marktflecken  Malessina.  Diese 
drei  auf  einander  folgenden  Hochebenen  sind  in  F'olge  von  drei  alten 
Verwerfungen  entstanden,  welche  auch  die  Trennung  und  treppenartige 
Einsenkung  der  Hochflächen  hervorgebracht  haben.  Es  ist  also  selbst- 
verständlich, dafs  ein  Marktflecken,  welcher  auf  einem  Boden  steht, 
der  so  von  alten  Verwerfungen  durchsetzt  und  eingesenkt  ist,  und 
dann  von  so  heftigen  Erdstöfsen  betroffen  wurde,  bei  der  schlechten 
Bauart  der  Häuser  gänzlich  zerstört  werden  mufste.  Hier  kommt  die 
stattgefundene  Katastrophe  in  Bezug  auf  die  Gebäude  gleich  nach  der 
von  Masi.  Während  auf  den  zwei  niedrigen  Hochflächen,  welche  dicht 
an  dem  durch  Einsturz  und  durch  Mitwirkung  des  Wassers  entstandenen 
Thal  Spelia  liegen,  keine  einzige  Mauer  oder  auch  nur  ein  Teil  einer 
solchen  verschont  geblieben  ist,  sind  dagegen  auf  der  dritten,  höheren 
Hochebene  Reste  von  einigen  aus  Stein,  von  zwei  aus  Ziegeln  ge- 
bauten Häusern  vorhanden  und  3 — 4 kleinere  aus  Lehm  und  Ziegel- 
bruchstücken hergestellte  Backöfen  verschont  geblieben.  Zwei  von  diesen 
Backöfen  sind  sogar  in  solchemZustand,  dafs  man  sie  noch  benutzen  kann. 

Malessina  hat  die  meisten  Opfer  aufzuweisen.  Zum  grofsen  Un- 
glück waren  fast  alle  Leute  kurze  Zeit  vor  dem  Eintritt  der  Katastrophe 


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418 


Theodor  G Skuphot: 


von  ihren  Äckern  zurtickgekehrt,  und  entweder  mit  ihrem  Abendessen 
beschäftigt  oder  in  die  Kirche  gegangen,  wo  135  Menschen  getödtet 
und  76  Personen  mehr  oder  minder  schwer  verwundet  wurden.  Malessina 
steht  also  in  Bezug  auf  die  Zahl  der  Opfer  an  erster  Stelle,  dagegen 
in  Bezug  auf  die  Gebäude  kommt  es  gleich  nach  Masi,  welches  den 
ersten  Platz  einnimmt. 

Jetzt  möchte  ich  den  I.eser  nach  dem  Dorf  Proskyna  führen, 
welches  etwas  nordwestlich  ungefähr  in  der  Entfernung  von  anderthalb 
Stunden  liegt.  Dieses  Dorf  hat  auch  viel  Menschen  verloren,  so  dafs 
es  in  Bezug  darauf  gleich  nach  Malessina  zu  stellen  ist,  während  es  be- 
züglich der  Gebäude  hinter  den  drei  vorhererwähnten  Dörfern  Masi. 
Malessina  undMartino  kommt;  es  bildet  mit  den  übrigen  Dörfern  Larymna, 
Kalo  Pelli,  Skenderaga  und  Livanataes  die  erste  Zone  der  Zerstörung 
und  der  Intensität  des  Erdbebens  vom  SJ20.  April. 

Das  Dorf  Proskyna  liegt  am  äufsersten  östlichen  Ende  der  Ebene 
von  Atalanti;  die  Ebene  verengert  sich  zwischen  der  Ortschaft  Halmvra 
und  der  Insel  Ga'idarion,  welche  vor  der  Katastrophe  noch  Halbinsel 
war,  um  sich  etwas  weiter  östlich  bei  Dragana  bis  nach  Proskyna  hin 
wieder  zu  verbreitern.  Drei  oder  vier  Giefsbäche  fliefsen  von  Süden 
herbei,  treffen  bei  Proskyna  zusammen  und  bilden  so  die  kesselartige 
Vertiefung,  welche  im  Norden  von  Megali  Khachi,  im  Osten  von  Kastro 
und  im  Süden  von  Psilo  Lithari  begrenzt  wird. 

Die  weifsen  und  gelbweifsen  Neogenmergel,  welche  den  Boden 
von  Proskyna  bilden,  sind  so  verwittert  und  locker,  dafs  der  Boden 
an  einigen  Stellen  unter  den  Eüfsen  nachgiebt.  Fast  alle  Gebäude 
sind  eingestürzt  und  nur  einige  davon  erhalten,  aber  in  einem  solchen 
Zustand,  dafs  sie  kaum  wie  Häuser  aussehen.  Im  ganzen  sind  hier 
42  Menschen  ums  Leben  gekommen,  davon  in  der  Kirche  allein  26. 
Die  Zahl  der  Verwundeten  beläuft  sich  nur  auf  11,  aber  leider  sind  es 
meist  gefährliche  Fälle. 

Es  ist  sehr  schwer,  die  Beschreibung  irgend  eines  zerstörten  Dorfes 
in  der  ersten  seismischen  Zone  zu  geben,  da  sich  alles  in  einem  solchen 
Zustand  der  Zerstörung  befindet,  dafs  man  nicht  einmal  die  Strafsen 
erkennen  kann.  Die  von  den  Häusern  heruntergestürzten  Steine,  Hölzer, 
Ziegel,  Fenster-  oder  Thüreinfassungen  u.  s.  w.  sind  so  unter- 
einander und  mit  den  Lebensmittel-Vorräten  durcheinandergeworfen, 
dass  man  mit  den  alten  Griechen  sagen  kann:  „JTt’iUt  xtü  xtnuum  x«i 
)j&ot  aztixiat,'  tani/ifinoi1'. 

ln  einer  Entfernung  von  einer  Stunde  von  hier  aus  liegt  auf  der 
Ebene  von  Atalanti,  nicht  weit  von  der  Ortschaft  Halmyra  und  der 
jüngst  abgetrennten  Insel  Gaidarion,  das  Dorf  Kyparissi  auf  rötlich- 
braunem  Schutt  und  Anschwemmungen  des  Chlomos-Gebirges.  Dieses 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris.  4]() 

Dorf,  welches  aus  30—35  Häusern  besteht,  zeigt  nichts  anderes  als 

Haufen  von  Steinen  mit  ab  und  zu  hervorspringenden  Mauern,  deren 
Richtung  von  Osten  nach  Westen  geht.  Hier  sind  nur  drei  Menschen 
verunglückt,  aber  viele  verwundet,  die  jedoch  alle  wiederhergestellt 
sind,  obwohl  sie  unter  den  Steinhaufen  lagen  und  von  ihren  Ver- 
wandten zum  Teil  erst  nach  24  Stunden  ausgegTaben  wurden.  Bei 
den  festgebauten  Kirchen  sind  nur  die  von  Osten  nach  Westen  ge- 
richteten Mauern  zum  Teil  verschont  geblieben;  auf  diesen  ruht  auch 
in  beängstigender  Weise  das  Dach.  Die  an  den  Gebäuden  sichtbaren 
Spuren  des  Erdbebens,  wie  auch  die  Art  und  Weise  der  Verbreitung 
der  Zerstörung  sowohl  hier  als  auch  in  allen  Städten  und  Dörfern,  die 

ich  in  meiner  Kundreise  von  Kato  Pelli  aus  untersucht  habe,  zeigen 

deutlich,  dafs  man  das  Epicentrum  dieser  Katastrophe  irgendwo  auf 
der  Halbinsel  Aetolyma  zu  suchen  hat;  und  dafs  es,  wie  ich  schon  vor- 
her gesagt  habe,  wenn  nicht  mit  den  Dörfern  Masi  und  Malessina 
zusammentrifft,  dann  doch  sicher  diesen  beiden  Dörfern  sehr  nahe 
liegt  und  zwar  auf  einer  Linie  im  Kuböischen  Kanal  dicht  entlang 
der  Küste  der  Halbinsel  Aetolyma. 

Soviel  hielt  ich  für  nötig  über  die  Zerstörung  der  Städte  und 
Dörfer  von  Lokris,  welche  durch  den  ersten  Stofs  des  8./20.  April  her- 
vorgebracht wurde,  zu  erwähnen,  um  ein  Bild  davon  zu  geben,  wie 
ausgedehnt  und  schrecklich  diese  Katastrophe  war,  sowohl  bezüglich 
der  zu  beklagenden  Menschenopfer  als  auch  hinsichtlich  der  Gebäude 
und  des  Vermögens  der  Einwohner. 

Um  das  Netz  der  von  dem  Erdbeben  mehr  oder  weniger  heim- 
gesuchten Ortschaften  vollständig  zu  haben  und  auch  die  Lage  des 
Epicentrums  ganz  unzweifelhaft  zu  bestimmen,  beschlofs  ich,  jetzt  einen 
Ausflug  auf  die  gegenüberliegende  Küste  von  Euböa  zu  unternehmen, 
um  vielleicht  aus  den  dortigen  Erscheinungen  des  Erdbebens  die  Lage 
des  Epicentrums  näher  bestimmen  zu  können. 

Ungefähr  gegenüber  den  am  meisten  beschädigten  Dörfern  von 
Lokris  und  besonders  den  Dörfern,  welche  auf  der  Halbinsel  Aetolyma 
und  auf  dem  niedrigsten  Teil  der  Ebene  von  Atalanti  liegen,  befindet 
sich  auf  Euböa  unweit  der  Küste,  auf  der  Grenze  zwischen  dem 
Neogenmergel  und  dem  Serpentin,  die  Stadt  Limne,  welche  aufser 
kleinen  Rissen  an  den  Mauern  keinen  anderen  Schaden  von  diesem 
Erdbeben  erlitten  hat,  obwohl  sie  nur  15  km  von  den  so  sehr  heim- 
gesuchten Dörfern  der  Halbinsel  Aetolyma  entfernt  ist.  Die  Einwohner 
haben  hier  den  Stofs  angeblich  von  Süden  herkommend  gefühlt. 

Ferner  liegt  auf  dem  nordöstlichen  Abhang  des  Berges  von  Kandili, 
auf  der  Grenze  des  lockeren  Neogenmergels  und  des  Serpentins,  das 


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Theodor  G.  Skuphos: 


kleine  Dorf  Drasi,  welches  durch  die  Erderschütterung  vom  8.  20.  April 
absolut  gar  nicht  gelitten  hat,  abgesehen  von  ungefährlichen  und 
sehr  geringfügigen  Rissen  an  den  Mauern  der  Häuser.  Der  Stofs 
ist,  wie  wenigstens  die  Einwohner  mitteilten,  von  der  Halbinsel  Aeto- 
lyma  hergekommen. 

Auch  die  kleinen  Dörfer  Zura  und  Politika,  welche  auf  Neogen- 
Schichten  gebaut  sind,  haben  ebenfalls  nur  kleine  unbedeutende  Be- 
schädigungen erfahren  und  den  Stofs  aus  Südwesten  herkommend 
gefühlt. 

Nur  wenn  man  weiter  nach  SUdosten  geht,  werden  die  Zerstörungen 
des  Erdbebens  bedeutender  und  zwar  in  Chalkis,  wo  die  Häuser  sehr 
gelitten  haben  und  der  Hafendamm  sich  nach  dem  Euböischen  Meer 
zu  geneigt  hat,  wodurch  auch  die  Risse,  welche  mit  der  Küste  parallel 
verlaufen,  hervorgerufen  worden  sind.  Der  Stofs  ist  hier,  wie  die  ver- 
schiedenen Merkmale  an  den  Gebäuden  zeigen  und  die  Bewohner  selbst 
gefühlt  haben,  von  Nordwest  hergekommen.  Diese  Einwirkung  des  Erd- 
bebens nach  Südost  zu  ist  leicht  zu  erklären,  weil  gerade  diese  Richtung 
mit  derjenigen  der  grofsen  seismischen  Axe  zusammentrifft,  welche  ent- 
lang dem  Euböischen  Kanal  läuft.  Man  sieht  also  in  diesen  wenigen 
Dörfern  und  Städten,  die  ich  auf  der  Insel  Euböa  zur  Erklärung  der 
I.age  des  Epicentrums  besucht  habe,  dafs  dasselbe  nicht  auf  dieser 
Insel  zu  suchen  ist,  sondern  an  der  von  mir  vorher  bezeichneten 
Stelle. 

Um  die  erste  seismische  Zone  herum,  in  welcher  die  Zerstörung 
der  Gebäude  eine  vollständige  ist,  liegt  die  zweite  seismische  Zone,  in 
der  allerdings  auch  Zerstörungen  und  viele  Einstürze  von  Gebäuden 
geschehen  sind,  aber  lange  nicht  in  dem  Mafs,  wie  in  der  ersten  Zone, 
so  dafs  hier  der  von  aufsen  kommende  Wanderer  sofort  unterscheiden 
kann,  wo  das  Dorf  oder  die  Stadt  gelegen  hat,  während  dies  in  der 
ersten  seismischen  Zone  nicht  der  Fall  ist. 

Die  in  der  zweiten  seismischen  Zone  liegenden  Ortschaften  gehören 
fast  alle  zur  Eparchie  (Bezirk)  Lokris  und  sind  folgende : Arkitsa, 
Gkolemion,  Ano  Pelli  mit  Atalanti  zusammen,  Zölion,  Kalapodion, 
Sphaka,  Kolaka,  Lutzi,  Pavlu  und  Topolia. 

Um  die  zweite  seismische  Zone  herum  liegt  die  dritte  seismische 
Zone,  welche  eine  gröfsere  Ausdehnung  besitzt,  und  in  der  man  die 
verschiedenen  Dörfer  und  Städte  als  heteroseiste  betrachten  kann,  d.  h. 
bei  ihnen  ist  die  Erderschütterung  infolge  des  autothigenen  Erdbebens 
der  ersten  seismischen  Zone  hervorgebracht.  Diese  Zone  beginnt  etwas 
westlich  von  Molos,  steigt  nach  der  Phthiotischen  Ebene  hinab,  schneide; 
den  Kephissos,  schliefst  die  Dörfer  Helitza  und  Davlia  ein,  geht  an 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


421 


I.evadia  vorbei,  ohne  dasselbe  mit  einzuschliefsen,  umfafst  die  Städte 
Theben  und  Chalkis,  wendet  sich  nach  Südwesten,  durchschneidet 
Kuböa  bis  zum  Kap  Sarakitiiko,  geht  von  dort  noch  weiter  nord- 
westlich, trifft  noch  einmal  Euböa  in  Kotzikia,  schneidet  es  oberhalb 
von  Xerochori,  schliefst  die  Küsten  von  Gardiki  und  von  Achladion 
in  Mittel-Griechenland  ein  und  gelangt  dann  wieder  nach  Molos. 

Die  vierte  seismische  Zone,  endlich  die  allergröfste,  wird  ganz 
Griechenland  und  die  Türkei  einschliefsen. 

Diese  vier  seismischen  Zonen  bilden  vier  einander  umfassende 
Ellipsen,  deren  gröfsere  Axe  von  Südosten  nach  Nordwesten  streicht 
und  mit  der  Richtung  des  Euböischen  Kanals  zusammentrifft,  d.  h. 
das  Erdbeben  ist  entlang  den  alten  Bruchzonen,  welche  die  Bildung 
des  Euböischen  Golfes  hervorgebracht  haben,  besonders  thätig  gewesen. 
Die  Axe  der  ersten  seismischen  Zone  hat  ungefähr  eine  Länge  von 
33  km,  die  der  zweiten  eine  solche  von  55  und  die  der  dritten  von  105 
und  endlich  die  der  vierten  nach  den  vorhandenen  Mitteilungen  die 
Länge  von  fast  ganz  Griechenland,  d.  h.  von  Trikkala  und  noch  etwas 
nördlicher  bis  zu  den  Kykladen  und  zwar  bis  nach  der  Insel  los.  Es 
ist  hier  auch  gleich  zu  bemerken,  dafs  sich  die  stärkeren  Wirkungen 
auf  dieser  Axe  mehr  in  der  Richtung  nach  Nordwesten  als  nach  Süd- 
osten gezeigt  haben. 

Die  Richtung  der  grofsen  seismischen  Axe  der  Ellipse  wird 
von  der  der  kleinen  seismischen  Axe  durchkreuzt,  deren  Richtung 
infolge  dessen  von  Nordosten  nach  Sudwesten  verläuft.  In  der  Richtung 
der  kleinen  Axe  war  auch  die  Einwirkung  des  Erdbebens  bedeutend 
schwächer.  Die  Länge  dieser  kleinen  Axe  für  die  erste  seismische 
Zone  war  14,  für  die  zweite  30,  für  die  dritte  68  km  und  endlich  für 
die  vierte  die  ganze  Breite  von  Griechenland,  d.  h.  wahrscheinlich 
von  Zante  bis  nach  der  Insel  Skyros.  Auf  dieser  kleinen  seis- 
mischen Axe  der  Ellipse  war  die  Intensität  der  Einwirkung  des  Erd- 
bebens im  Südwesten  stärker  als  im  Nordosten,  wie  die  vorher 
erwähnten  Beobachtungen  auf  der  Insel  Euböa  beweisen;  daher  liegen 
auch  die  nordöstlichen  Bögen  der  Ellipsen  im  Euböischen  Kanal 
sehr  nahe  der  Küste  von  Lokris  und  zeigen  auf  dieser  Seite  eine 
Abflachung. 


II.  Das  Erdbeben  vom  15./27.  April  1894. 

Während  ich  am  15.  27.  April,  am  griechischen  Charfrcitag,  mittags 
noch  in  Proskyna  war,  konnte  ich  glauben,  mich  auf  dem  Deckel  eines 
grofsen  Kessels  voll  kochenden  .Wassers  zu  befinden,  in  welchem  dieses 
fortwährend  gegen  die  untere  Seite  des  Deckels  stiefs.  Immer  fühlte  ich 


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4-22 


Theodor  G.  Skuphos: 


solche  senkrechten  Stöfse,  wie  wenn  (las  kochende  Wasser  aus  dem  ganz, 
vollen  Kessel  herauszukommen  versuchte.  Diese  Stöfse  waren  manchmal 
von  unterirdischen  Geräuschen  und  Getöse  begleitet,  wie  wenn  in  einer 
gewissen  Entfernung  Kanonen  gelöst  würden,  doch  manchmal  erfolgten 
die  Stöfse  auch  ohne  dies.  Dann  und  wann  hörte  man  auch  unter- 
irdisches Getöse  ohne  wenigstens  fühlbare  Erschütterung. 

Als  ich  seiner  Zeit  meine  Telegramme  für  die  obenerwähnte  Zeitung 
unter  einem  Olivenbaum  neben  den  Zelten  der  Offiziere  schrieb,  unter- 
brachen mich  dabei  unaufhörliche  Erschütterungen  mit  oder  ohne 
unterirdisches  Getöse.  Da  ich  unmittelbar  auf  dem  Boden  safs,  fühlte 
ich  diese  Stöfse  sehr  stark,  und  zwar  schienen  sie  fast  senkrecht  bzw. 
von  Osten  oder  Nordosten  herzukommen. 

Während  meines  Marsches  nach  Martino  glaubte  ich  fortwährend, 
sowohl  wenn  ich  mit  meinem  Hammer  auf  irgend  ein  lockeres  Süfs- 
wassergestein  klopfte,  als  auch  beim  Auftreten  meiner  Ftifse,  ich  ginge 
auf  einem  hohlen  Gewölbe  und  der  Boden  selbst  sei  nicht  ganz  fest, 
sondern  bewege  sich  in  immerwährenden  Erderschütterungen  hin  und 
her,  wie  das  Wasser,  wenn  man  es  durch  einen  Stock  oder  einen 
anderen  hineingeworfenen  längeren  Gegenstand  aus  seiner  Ruhe  ge- 
bracht hat. 

Um  5 Uhr  nachmittags  traf  ich  in  Martino  ein,  nachdem  ich  das 
unebene  Hochplateau  zwischen  ihm  und  Proskyna  vielfach  durchwandert 
hatte.  Hier  besuchte  ich  unter  Begleitung  des  jungen  Ingenieur-Offiziers 
Photiadis  alle  Teile  des  Marktfleckens,  machte  die  für  meine  Studien 
nötigen  Notizen  und  Photographien  und  kehrte  dann  in  das  Zelt  der 
Offiziere  zurück,  wo  ich  leider  wegen  des  Fasttages  als  Abendessen 
nur  Hülsenfrüchte  und  Brot  bekam.  Dort,  wie  überall,  mufste  ich  den 
versammelten  Leuten  über  Erdbeben  und  ähnliche  Erscheinungen  F.r- 
klärungen  geben,  als  um  9 Uhr  17  Minuten  abends  jenes  schreckliche 
unterirdische  Getöse,  wie  von  tausend  Kanonenschüssen,  uns  in  grofse 
Angst  und  Unruhe  setzte,  da  es  auch  fast  gleichzeitig  von  einer 
succussorischen  Erschütterung  von  12  Sekunden  Dauer  begleitet 
wurde. 

Von  der  Gewalt  dieser  Erschütterung  läfst  sich  nicht  leicht  eine 
Beschreibung  geben,  da  man  keine  richtigen  und  passenden  Ausdrücke 
dafür  finden  kann,  und  nur  diejenigen,  welche  es  erlebt  haben,  sich 
der  Erscheinungen  wohl  erinnern,  aber  sie  nicht  in  Worten  wiedergeben 
können. 

Die  von  unten  nach  oben  stofsende  Kraft  war  eine  Solche,  dafs 
die  anwesenden  zwei  Offiziere  und  ich,  obwohl  wir  uns  auf  dem  Erd- 
boden fest  aneinander  hielten,  nicht  auf  dem  Boden  blieben,  sondern 
uns  auf  und  ab  bewegten,  wie  Gummibälle,  welche  die  Kinder  springen 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


423 


lassen.  Die  letzte  nach  unten  gehende  Bewegung  war  derart,  dafs  alle 
Leute  ein  Gefühl  hatten,  wie  wenn  sie  mit  einem  Aufzug  von  einem 
hoch  gelegenen  l’unkt,  wie  z.  B.  dem  Eiffel-Turm  in  Paris,  durch  ver- 
schiedene Luftschichten  allmählich  zum  Horizont  hinabstiegen.  Dasselbe 
Gefühl  hatten  auch  der  Bürgermeister  und  sämtliche  Offiziere  und 
andere  gebildete  Leute  in  Atalanti. 

Nach  einigen  Sekunden  folgten  undulatorische  Erderschütterungen 
von  Osten  nach  Westen,  welche  mit  grofser  Gewalt  eine  ganze  halbe 
Stunde  mit  Unterbrechungen  anhielten.  Jeder  Stofs  dauerte  5 bis  8 Se- 
kunden. Die  bei  diesem  Erdbeben  gebildeten  seismischen  Wogen  des 
Bodens  waren  auch  mit  blofsen  Augen  bemerkbar.  Gehen  oder  Stehen 
war  auf  dem  Erdboden  unmöglich,  weil  die  Höhe  der  Wogen  derartig 
waren,  cfafs  bald  der  eine  und  bald  der  andere  Fufs  auf  der  Höhe 
der  Wogen  war,  und  so  plötzlich  und  schnell  fand  dieses  unwillkür- 
liche wechselweise  Niedergehen  der  Füfse  statt,  dafs  man  hätte  glauben 
können,  die  Leuten  tanzten  „pas  des  i/ualre.“ 

Der  durch  diese  schreckliche,  angsterregende,  wellenförmige  Be- 
wegung des  Bodens  hervorgerufene  Zustand  wurde  noch  mehr  verstärkt 
durch  das  unaufhörliche,  wie  von  tausenden  von  Kanonen  erzeugte 
furchtbare  unterirdische  Getöse.  * 

Dreizehn  Minuten  ungefähr  blieb  darauf  der  Boden  in  Ruhe,  bis 
uns  um  10  Uhr  ein  neues,  nicht  minder  schreckliches  unterirdisches 
Getöse  von  unseren  Plätzen  aufschreckte,  da  demselben  gleichzeitig 
auch  eine  sehr  starke  von  Osten  herkommende  undulatorische  Erschütte- 
rung von  9 Sekunden  Dauer  folgte.  Alle,  die  in  dem  Zelt  waren,  wurden 
von  neuem  in  Angst  versetzt  und  machten  sich  auf  eine  gröfsere  Katastrophe 
gefafst.  Die  Flucht  in  die  Gebirge,  welche  einige  vorgeschlagen,  ist  in  so 
schrecklicher  Stunde  sehr  gefahrvoll  wegen  der  Abrutschungen  von  Felsen 
und  der  Bildung  von  Rissen  u.  s.  w.  Ich  untersagte,  da  die  Gefahr  be- 
deutend grölser  ist,  wenn  man  seinen  Platz  fortwährend  wechselt,  als 
wenn  man  auf  einen  Punkt  stehen  bleibt,  den  Aufbruch  aus  den  Zelten. 

Das  Erbleichen  und  das  Zurücktreten  der  Zunge  bis  in  die  tiefste 
Höhlung  des  Mundes,  sowie  das  schreckliche  Gefühl  von  Durst,  welches 
durch  die  bei  allen  eingetretene  unheimliche  Erregung  hervorgerufen 
wurde,  ist  so  allgemein  bekannt,  dafs  ich  es  nicht  besonders  zu  be- 
schreiben brauche.  Ich  selbst,  von  Natur  sehr  nervös,  wurde  von  einer 
solchen  Neuropathie  und  Nervenerschütterung  heimgesucht,  dafs  ich 
den  Gebrauch  meiner  Glieder  vor  Zittern  nicht  in  der  Gewalt  hatte, 
und  es  mufste  mehr  als  eine  Stunde  vergehen,  bis  mein  Körper  wieder 
zur  Ruhe  kam. 

Diese  Flrderschütterung  ging  glücklicherweise  auch  vorüber,  ohne 
dafs  ein  Unglücksfall  vorkam.  Von  Zeit  zu  Zeit  hörte  man  einige  bei 


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Theodor  G.  Skuphos: 


den  anderen  Erschütterungen  verschonte  Mauern  Umstürzen;  eine 
Thatsache,  welche  wieder  auf  unseren  sehr  empfindlich  gewordenen 
Körper  und  Geist  einwirkte. 

Wir  beschlossen  jene  Nacht  wachend  zu  verbringen;  aber  leider 
sahen  wir  zu  unserem  Unglück  bald,  dafs  unsere  Kerzen  nicht  mehr 
als  für  einige  Minuten  Leben  hatten.  Sehr  schnell  waren  sie  zu  unserem 
grofsen  Kummer  niedergebrannt,  und  so  mufsten  wir  uns  schlafen  legen, 
ohne  einmal  unsere  Stiefel  auszuziehen.  Das  nach  Soldatenart  aus 
zwei  Decken  bestehende,  auf  der  Krde  befindliche  Lager  hatte  die 
Richtung  von  Norden  nach  Süden.  Ich  hatte  mich  auf  die  rechte 
Seite  gelegt  und  fühlte  so  mit  dem  ganzen  Körper  jedesmal  die  Er- 
schütterungen des  Bodens,  welche  strahlenförmig,  fast  senkrecht,  aber 
immer  aus  Osten  herkamen.  So  oft  diese  Erschütterungen  stark 
waren,  wurde  mein  Körper  auf  dem  Boden  wie  ein  langer  Gegenstand 
von  Meereswogen  geschüttelt. 

Der  Boden  war  in  fortwährender  Bewegung,  und  bei  jeder  etwas 
heftigen  Erschütterung  sagte  einer  zum  anderen:  „Was  ist  das 
wieder?"  Und  so  ging  es  bis  3 Uhr  20  Minuten  des  Morgens,  als 
wieder  eine  fürchterliche  Erschütterung,  von  gleicher  Gewalt  wie  die 
von  10  Uhr  abends,  aber  von  kürzerer  Dauer  (6  Sekunden)  uns  wieder 
in  grofse  Angst  und  Verwirrung  setzte. 

Von  dem  ersten  Erdbeben  um  9 Uhr  17  Minuten  abends  an  bis 
um  5 Uhr  morgens  habe  ich  im  ganzen  von  kleinen  und  grofsen  Stöfsen 
365  gezählt. 

Während  mein  Plan  war,  nach  Larymna  zu  gehen,  um  dort  die 
Folge  - Erscheinungen  des  Erdbebens  vom  8./20.  April  zu  untersuchen, 
war  ich  jetzt  gezwungen,  meinen  Rucksack  mit  dem  photographischen 
Apparat  aufzupacken,  um  wieder  nach  Atalanti  zu  gehen,  da  ich  dort 
erwarten  konnte,  eine  ausgesprochenere  Wirkung  des  Erdbebens  zu 
beobachten,  weil  ja,  wie  bekannt,  das  Erdbeben  vom  8./20.  April  sich 
dort  wenig  geäufsert  hatte,  während  sämtliche  Dörfer  des  nordöstlichen 
Lokris,  zu  denen  auch  Larymna  gehörte,  fast  gänzlich  zusammengestürzt 
waren,  und  ich  infolge  dessen  dort  auch  nur  wenig  Material  zu  finden 
hoffen  konnte. 

Es  war  5 Uhr  morgens,  als  ich  über  die  Brücke  von  Martino  ging, 
welche  grofsen  Schaden  durch  das  Erdbeben  jener  Nacht  erlitten  hatte, 
im  Gegensatz  zu  dem  vom  8./20.  April,  wo  sie  verschont  geblieben. 
Hier  wurde  meine  Aufmerksamkeit  durch  eine  neugebildete  Spalte  an- 
gezogen, welche  aus  der  kesselartigen  Einsenkung  der  Ebene  von 
Martino  aufsteigt.  Diese  Spalte  schneidet  schräg  die  Landstrafse  von 
SO— NW,  steigt  auf  die  überhängenden  nordwestlichen  Berge,  wo  sie 
auf  die  sehr  harten  Kalkmergel  trifft,  die  mit  Löchern  ganz  durrh- 


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Die  zwei  groben  Erdbeben  in  Lokris. 


425 


zogen  sind,  schneidet  sie  senkrecht  zu  ihrem  Streichen  und  bringt  eine 
kleine  Dislokation  hervor.  Uber  diese  Spalte  werde  ich  noch  näheres 
mitteilen. 

Als  ich  nach  einem  Marsch  von  fünf  Viertelstunden,  d.  h.  um  6 Uhr 
20  Minuten  früh,  auf  der  Hochebene  ankam,  welche  sich  östlich  oberhalb  von 
Proskyna  ausbreitet,  fand  eine  Erderschütterung  statt  mit  der  Richtung 
NO  — SW  und  einer  Dauer  von  4 Sekunden,  zwar  mit  großer  Gewalt, 
aber  ohne  unterirdisches  Getöse.  Diese  Erschütterung  bewegte  die 
Ähren  auf  den  Ackern  wellenförmig  nach  SW  mit  einem  sonderbaren 
Geräusch;  man  hätte  glauben  können,  es  wehe  plötzlich  ein  nordöst- 
licher Wind,  während  gleichzeitig  die  dort  zerstreuten  wilden  Birnbäume 
eine  ähnliche  Bewegung  von  Nordost  nach  Südost  zeigten,  wie  wenn 
jemand  von  den  Bäumen  die  darauf  befindlichen  Erüchte  mit  grofser 
Gewalt  herunter  zu  schütteln  versuchte. 

Nachher  stieg  ich  nach  Proskyna  hinab,  wo  ich  von  den  unglück- 
lichen, sehr  erschreckten  Einwohnern  die  Stärke  jenes  Erdbebens,  den 
Schaden  und  den  panischen  Schrecken  erfuhr,  welchen  es  bei 
ihnen  hervorgebracht  hatte.  Sie  waren  im  Begriff  das  Dorf  zu  ver- 
lassen und  zwar  um  sich  vorläufig  nach  dem  Ort  Prinari,  auf  der 
Ebene  von  Atalanti,  zu  begeben,  wo  auch  ein  Chani  (Herberge)  stand. 
In  Proskyna  hat  man  das  Erdbeben  von  9 Uhr  17  Minuten  des  Abends 
auch  senkrecht  gefühlt;  dafs  dies  richtig  ist,  beweisen  mehrere  That- 
sachen.  Ol  wurde  aus  einem  Kessel  bis  an  die  Decke  des  Zeltes  ge- 
spritzt; einige  feste  Fundamentreste  von  Häusern  waren  in  die  Luft 
geschleudert  und  befanden  sich  nun  in  umgekehrter  Lage:  ein  Offizier 
war  wiederholt  in  die  Höhe  und  aus  dem  Bett  auf  den  Boden  geworfen 
worden.  Dazu  kommen  noch  einige  andere  Merkmale,  welche  die 
Wirkung  des  Stofses  am  Cbarfreitag  von  unten  nach  oben  auch  für 
diese  Ortschaft  nachweisen. 

Kurz  vor  Prinari  angelangt,  bemerkte  ich  von  fern  schon  eine 
Spalte,  welche  den  nach  Südwesten  sich  ausbreitenden  Kiefernwald 
durchschneidet.  Ich  setzte  meinen  Weg  fort,  und  um  9 Uhr  30  Minuten 
war  ich  bei  dem  Ort  Halmyra.  Welch  ein  Anblick  der  Verwüstung  bot 
sich  meinen  Augen  dar!  Die  Gegend  war  nicht  wiederzuerkennen. 
Die  grofsen  seeartigen  Teiche  der  dortigen  Wassermühle  lagen  jetzt 
ausgetrocknet  vor  meinen  Augen;  Menschen  wateten  darin,  um  Aale  zu 
greifen,  andere  entfernten  sich  auf  der  I.andstrafse  mit  Säcken  voller 
Fische.  Ich  ahmte  das  Beispiel  der  ersteren  nach,  aber  nicht  um  Fische 
zu  fangen,  sondern  um  die  Ursache  des  Phänomens  zu  untersuchen. 

Der  ausgetrocknete,  sumpfige,  mit  Gras  bewachsene  Boden  der 
seeartigen,  langgezogenen  Teiche  gab  beim  Auftreten  jedesmal  nach, 
während  rechts  und  links  von  mir  Frösche  aufsprangen  und  Aale  im 

Zeitv.hr  d.  Gctellich.  f.  Erdk.  Bd.  XXX.  -J‘J 


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Theodor  G.  Skuphos: 


4-2fi 

Schlamm  unterbrochen.  Ich  bekam  einen  grofsen  Schrecken,  als  plötzlich 
ein  ziemlich  starkes  Erdbeben  um  i)  Uhr  40  Minuten  stattfand,  welches 
3 — 4 Sekunden  dauerte  und  das  Röhricht  gewaltig  von  NO  nach  SW 
bewegte,  so  clafe  seine  obersten  Spitzen  bis  zum  Boden  reichte,  der  Boden 
selbst  sich  wie  das  Meer  bewegte  und  kleine  Risse  sich  vor  meinen 
Augen  bildeten,  aus  deren  Tiefe  schmutziges,  schlammiges  Wasser 
hervorsprudelte.  Diese  Spalten  schlossen  sich  jedoch  schnell  wieder: 
aber  ich  erwartete  in  grofser  Unruhe  und  nervöser  Erregung  von  Augen- 
blick zu  Augenblick,  es  möchte  sich  eine  gröfsere  Spalte  vor  mir  bilden, 
welche  mich  lebendig  verschlingen  würde.  Ich  blieb  stehen,  und  er»t 
als  der  Stofs  vorüber  war,  stieg  ich  heraus  auf  den  Kreidekalk,  um 
sicheren  Boden  zu  finden;  aber  dort  hatte  sich  auch  eine  Spalte  von 
Südosten  her  gebildet,  welche  mir  die  Erklärung  für  das  Verschwinden 
des  flufeartig  aus  dem  Kreidekalk  herausquellenden  Brackwassers  gab. 

Das  Meer,  welches  am  vorigen  Tag,  als  ich  vorüberkam,  150—  200  m 
von  der  I.andstrafse  entfernt  war,  befand  sich  jetzt  in  einer  Entfernung 
von  nur  einigen  Metern.  Ich  suchte  die  gestern  noch  dort  stehender 
Zelte  des  Müllers  auf,  aber  vergeblich,  sie  waren  nirgends  zu  sehen. 
Das  Haus  des  Müllers  selbst  mit  den  Äckern  umher  befand  sich  im 
Meer.  Die  ganze  dortige  Küste  bildete  jetzt  Meeresgrund,  und  nur  die 
Mühle  stand  noch  auf  festem  Land. 

Indem  ich  auf  der  I.andstrafse  weiterging,  bemerkte  ich,  dafs  sie 
nafs  war  und  in  solcher  Weise,  dafs  man  annehmen  niufste,  die  Meeres- 
wogen hätten  darüber  hingespült;  denn  geregnet  hatte  es  nicht, 
auch  lagen  kleine  Meerfische  auf  der  Strafse.  Etwas  oberhalb  der 
I.andstrafse  sah  ich  die  Familie  des  Müllers,  welche  ihre  Kleider  umi 
Wäsche  auf  den  Kreidekalkfelsen  zu  trocknen  versuchte.  Sobald  mich 
die  Müllerin  sah,  kam  sie  weinend  zu  mir,  um  mir  von  ihrem  ver- 
zweiflungsvollen Zustand  und  der  vollständigen  Vernichtung  ihres  Ver- 
mögens zu  sprechen,  da  der  einzige  Acker,  welchen  sie  besessen  hatten, 
jetzt  Meeresgrund  bildete.  Von  dieser  Familie  habe  ich  etwas  über 
die  seismischen  Meereswogen  erfahren,  was  ich  weiter  unten  berichten 
werde. 

Ungefähr  100  m von  hier  entfernt,  in  der  Richtung  nach  Atalanti. 
waren  sowohl  die  dortigen  Äcker,  als  auch  die  Landstrafse  und  die 
unbebauten  Bodenflächen  mit  zahlreichen  Felsstücken  von  verschiedenen 
Abmessungen  bestreut,  welche  von  den  steilen  Bergabhängen  der  Kreiiie- 
formation  herabgestürzt  waren.  Die  Berge  selbst  waren  an  ihren  nie- 
drigen Abhängen  von  einer  Spalte  durchschnitten,  welche  von  hier 
entlang  den  Neogen-Schichten  verläuft  und  die  Stadt  Atalanti  umschliefst. 

Es  ist  fast  unglaublich,  dafs  trotz  der  Gewalt  und  der  langen 
Dauer  des  furchtbaren  Erdbebens  vom  Charfreitag  die  Stadt  Atalanti 


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Die  zwei  gOifsen  Erdbeben  in  I.okris. 


427 


nicht  bis  auf  den  Grund  zerstört  worden  ist.  Viele,  sehr  viele 
KinstUrze  haben  stattgefunden,  sämtliche  noch  übrigen  Häuser  sind 
zum  Fallen  geneigt,  und  doch  sind  sie  nicht  eingestiirzt.  Woher 
kommt  dies:  Das  ist  eine  Frage,  welche  ich  versuchen  werde,  an 

anderer  Stelle  so  gut  wie  möglich  zu  erklären. 

Bei  meinem  Kintritt  in  die  Stadt  Atalanti  fand  ich,  dafs  die  Ein- 
wohner im  Begriff  waren  auszuwandern,  um  irgendwo  anders  ihre  Zelte 
aufzuschlagen;  sie  baten  mich  beharrlich,  ihnen  einen  sicheren  Platz 
dazu  zu  ermitteln.  Die  unaufhörlichen  Krderschütterungen  hatten  noch 
nicht  aufgehört,  und  die  Spalten  inner-  und  oberhalb  der  Stadt  klafften 
noch.  Für  die  unglücklichen  Einwohner  mufste  man  Vorsorge  treffen, 
vor  allem  entscheiden,  wo  sie  ihre  Zelte  aufschlagcn  sollten,  damit 
sie  im  Fall  einer  Wiederholung  von  ebenfalls  zerstörend  wirkenden 
und  Spalten  bildenden  Erdbeben,  wie  das  vom  Charfreitag,  keine  Ge- 
fahr liefen.  Ich  gestehe,  dafs  ich  mich  zum  ersten  Mal  seit  meiner 
Ankunft  in  dem  Erdbebengebiet  in  schwieriger  Lage  befand.  Die 
Wissenschaft  ist  bei  solchen  Fragen  leider  nur  theoretisch  — und  hier 
handelte  es  sich  um  Menschenleben. 

Der  weitere  Verlauf  der  Spalte  nach  Nordwesten  war  für  mich  bis 
zu  jenem  Augenblick  natürlich  noch  unbekannt,  da  ich  aus  Südosten 
kam;  auch  konnte  ich  nicht  wissen,  was  auf  der  Ebene  von  Atalanti 
und  auf  den  nach  Süden  liegenden  Bergen  geschehen  war.  Trotzdem 
verlangten  die  Einwohner  von  mir,  ich  solle  ihnen  einen  sicheren 
Boden  anweisen,  um  die  Zelte  aufzuschlagen.  Unter  solchen  Verhält- 
nissen teilte  ich  meine  Ansichten  über  diese  Frage  verschiedenen  Be- 
amten, wie  z.  B.  dem  Bürgermeister  Dr.  Belopulos  und  den  höchsten 
Militärpersonen  am  Ort,  dem  Hauptmann  Dr.  Beratis,  Stabsarzt  Bcllinis 
und  dem  Lieutenant  und  Polizeidirektor  Grigorakis,  in  allgemeinen  Um- 
rissen mit,  welche  mit  mir  beschlossen,  diese  Verhältnisse  der  Regie- 
rung bekannt  zu  geben.  Ich  hielt  es  für  meine  Pflicht,  als  einziger 
Fachmann  an  Ort  und  Stelle,  wenn  auch  nur  auf  private  Aufforderung 
und  nicht  offiziell  dazu  bestellt,  der  Regierung  über  die  verschiedenen 
Phänomene  Mitteilungen  zu  machen  und  gleichzeitig  meine  Befürchtungen, 
wenn  sie  auch  auf  Vermutungen  beruhten,  klar  zu  legen.  Jenes 
Telegramm,  welches  ich  an  den  Minister-Präsidenten  Trikupis  richtete, 
lautete  folgendermafsen: 

„Atalanti  16./28.  April  11  Uhr  vormittags.  Gestern  Abend  um 
g Uhr  17  Minuten  in  Martino  ein  grofses  Erdbeben,  dessen  Centrum 
im  Euböischen  Golf  lag;  es  hat  die  tertiären  (Neogen-)Schichten  und 
das  Anschwemmungsland  erschüttert.  Der  Stofs  hat  12  Sekunden 
gedauert ; diesem  folgten  andere  365  Stöfse  bis  um  5 Uhr  morgens. 
Einige  davon  waren  sehr  stark.  Der  Boden  wird  noch  fortwährend 

29* 


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428 


Theodor  G.  Skuplios: 


ersc  hüttert.  Spalten  sind  überall  gebildet,  ln  Halmyra  bei  Kyparissia 
ist  der  Anfang  der  Hauptspalte,  welche  das  Verschwinden  einer  grofsen 
Menge  Quellwassers,  das  Wassermühlen  in  Betrieb  setzte,  verursacht 
hat.  Eine  grofse  Meereswoge  hat  die  Küste  von  Halmyra  auf  einer 
Strecke  von  mehr  als  vier  Stremmata  (dem  deutschen  Morgen  ent- 
sprechend) überschwemmt.  Das  Haus  des  Müllers  und  das  Festland 
umher  ist  ins  Meer  versenkt.  Die  Fortsetzung  der  Spalte  läuft  entlang 
der  Kreide-  und  Neogen-Berge  und  schliefst  die  Stadt  Atalanti  ein. 
Eine  Einsenkung  von  einem  Meter  hat  sich  in  der  Ebene  von  Atalanti 
gebildet.  Die  Stadt  Atalanti  befindet  sich  in  Gefahr  im  Falle  neuer 
Erdbeben.  Die  Anwesenheit  von  Dampfschiffen,  um  die  Einwohner 
aufzunehmen,  ist  notwendig.  Ich  fürchte  bei  Wiederholung  der  Erd- 
beben eine  gröfsere  Einsenkung.  Einen  Platz  zum  Aufschlagen  von 
Zelten  zu  bestimmen,  ist  in  der  ganzen  Gegend  gefährlich,  da  der 
Boden  überall  gleich  unsicher  ist.  Felsblöcke  sind  überall  herunter- 
gestürzt“. 

Bei  Absendung  dieses  Telegrammes  hatte  ich  nicht  daran  gedacht, 
dafs  ich  dasselbe  nicht  an  Fachleute  richtete,  ich  hatte  vergessen,  dafs 
es  auch  von  vielen  Leuten  gelesen  werden  würde,  die  gar  nichts  von 
der  Geologie  und  geologischen  Ausdrücken  verstehen,  und  dafs  diese 
glauben  könnten,  ich  habe  eine  vollständige  Versenkung  der 
Ebene  von  Atalanti  und  zwar  als  sehr  unmittelbar  bevorstehend 
erwartet.  Dies  batte  ich  nie  ged  acht,  nie  vermutet,  nie  gefürchtet 
Vielmehr  fürchtete  ich,  dafs  bei  Wiederholung  eines  Flrdbebens  wie 
das  vom  Charfreitag  und  durch  Spaltenbildungen  von  gröfseren  Ab- 
messungen ein  Phänomen  eintreten  könne,  welches  auch  bei  uns  in  histo- 
rischer Zeit  stattgefunden  hat  und  die  blühende  Stadt  Bura1),  welche 
ungefähr  zwei  Stunden  südöstlich  von  Ägion  auf  den  nordwestlicher. 
Abhängen  der  Hügel  stand,  die  zwischen  den  Flüssen  Kyrneitis  und 
Buraikos  sich  in  einer  Entfernung  von  drei  Kilometern  von  der  Küste 
des  Korinthischen  Golfs  hinziehen,  in  einer  Spalte  hat  verschwinden 
lassen.  Jene  Spalte,  in  welcher  um  373  v.  Chr.  nach  dem  Zeugnis  von 
Strabon  und  l’ausanias  die  Stadt  Bura  begraben  wurde,  war  vielleicht 
eine  Dislokationsspaltc8);  durch  Einsenkung  verschwand  ferner  die  am 
Meer  zwischen  den  F'ltissen  Sehnus  und  Kyrneitis  gelegene  Stadt  Helikc 
in  den  Wogen  des  Korinthischen  Golfs. 

’)  J.  F.  Julius  Schmidt,  Studien  über  Vulkane  und  Erdbeben  S.  78- 
Leipzig  1881,  und  A.  Bittner,  Der  geologische  Bau  von  Attika,  Boeotien,  Lokn- 
und  Parnassis,  S.  18  Bd  XL  Denkschr.  d.  K.  Akademie  d.  Wias.  Malh.-Natunn'u 
Kl.  Wien. 

-1  A.  Bitlnei  ebenda  S,  ig  u.  s.  w. 


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Die  zwei  grolscn  Erdbeben  in  Lokris,  .(Ot) 

Ausdrücklich  sagte  ich  in  dem  obigen  Telegramm,  die  Auswahl 
einer  Stelle  zum  Aufschlagen  von  Zelten  sei  überall  gefährlich,  weil 
überall  bei  Wiederholung  von  Erdbeben  lokale  Einsenkungen  statt- 
finden  könnten,  und  dann  die  dort  befindlichen  I.eute  dem  Tode  ver- 
fallen waren.  Gleich  nachher  sagte  ich,  dafs  ich  keinen  sicheren  Platz  an- 
geben könne,  obwohl  ich  sofort  die  Stadt  verlassen  hätte,  um  die  Ver- 
hältnisse um  die  Spalte  herum  zu  besichtigen  und  einen  sicheren  Hoden 
aufserhalb  der  Zone  der  Spalte  aufzufinden.  Oie  Ergebnisse  meiner 
Untersuchungen  telegraphierte  ich  an  demselben  Tag  um  8 Uhr  30  Mi- 
nuten nachmittags  an  meine  Zeitung: 

„Atalanti,  den  16.  28.  April,  8 Uhr  30  Min.  nachmittags.  Während  der 
Quartärzeit  hat  eine  grofse  Spalte,  welche  auch  von  einer  Einsenkung 
begleitet  war,  die  Bildung  des  Euböischen  Golfes  hervorgerufen,  selbst- 
verständlich nicht  so,  wie  er  jetzt  vor  unseren  Augen  liegt,  sondern  es 
fehlten  einige  der  letzteren  jüngeren  Schichten,  welche  besonders  jetzt 
auf  den  niedrigsten  Stellen  sowohl  der  Insel  Euböa  als  auch  auf  der 
gegenüber  liegenden  Küste  von  Mittel-Griechenland  abgelagert  sind. 

Jetzt  scheint  es,  dafe  eine  weitere  Einsenkung  durch  eine  Spalte 
von  SO  nach  NW  dicht  an  der  Küste  von  Mittel  - Griechenland 
seit  neun  'lagen  sich  fortwährend  entwickelt,  welche  auch  die  bis  jetzt 
bekannten  Katastrophen  hervorgerufen  hat.  Eine  ähnliche  und  paral- 
lele Spalte,  welche  dieselbe  Ursache  hat,  wurde  gestern  Nacht  ge- 
bildet. Diese  macht  die  Zukunft  der  Ebene  von  Atalanti  bei  Wieder- 
holung von  Erdbeben,  wie  das  von  gestern  Abend,  ungewifs.  Auf  die 
bis  jetzt  sich  darbietenden  Erscheinungen  mich  stützend,  komme  ich 
zur  Vermutung,  dafs  sich  möglicherweise  noch  andere  ähnliche  Spalten 
bilden  können,  wie  die  dritte  Spalte,  welche  die  Stadt  Atalanti  durch- 
schneidet; ich  meine  nicht  diejenige,  welche  8 — 10  km  lang  ist,  sondern 
diejenige,  welche  300  m,  in  der  Luftlinie,  von  der  grofsen  entfernt  ist. 

Es  ist  noch  zu  erwähnen,  dafs  die  Erdbeben  nur  auf  den  lockeren 
Schichten  der  Tertiärzeit  und  den  Anschwemmungen,  welche  in  der 
verhältnismäfsig  ebenen  Umgebung  von  Atalanti  abgelagert  sind,  Ka- 
tastrophen hervorgerufen  haben,  dagegen  auf  den  anderen  Schichten 
fast  gar  nicht. 

Das  seismische  Centrum  lag  auf  einem  langen,  bald  schmäleren, 
bald  breiteren  Streifen,  welcher  sich  entlang  dem  Euböischen  Golf 
dicht  an  der  Küste  von  Mittel-Griechenland  hinzieht,  so  dafs  die  Dörfer 
Malessina,  Martino,  Proskyna  u.  s.  w.  das  Epicentrum  bilden. 

Um  einer,  sei  es  auch  nur  eingebildeten,  Gefahr  bei  einem  neuen 
Erdbeben  vorzubeugen  und  bei  Bildung  gröfserer  Spalten  mit  teilweisen 
Einstürzen  des  Erdreiches  u.  s.  w.  die  Einwohner  mehr  zu  sichern, 
bezeichnet«  ich  ihnen  als  Platz  zum  Aufschlagen  der  Zelte  die  niedrigen 


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430 


Theodor  G.  Skuphos: 


Flachkämme  des  Chlomos-Berges  im  Nordwestei),  welche  aufserhalb  der 
neugebildeten  Bruchzonen  liegen  und  verhältnismäfsig  nicht  euseiste 
Erdteile  sind.“ 

Um  die  unglücklichen  Einwohner  vor  neuen  Schaden  und  Schrecken 
zu  bewahren,  bin  ich  am  Ostertag  selbst  trotz  der  fürchterlichen 
Hitze  auf  die  Berge  Chlomos  und  Rhoda  gestiegen,  um  zu  unter- 
suchen, ob  sich  auch  dort  Spalten  gebildet  haben,  durch  welche  die 
Stadt  Atalanti  irgendwie  gefährdet  werden  könnte,  wenn  zufällig  Fels- 
stücke herunterfielen.  Die  Ergebnisse  telegraphierte  ich  auch  an  meine 
Zeitung  am  Ostertag  selbst. 

„Atalanti,  den  17.  29.  April,  5 Uhr  nachmittags.  Nach  vielstündiger 
Untersuchung  des  Chlomos-Berges  bin  ich  überzeugt,  dafs  oberhalb 
der  grofsen  Spalte,  d.  h.  nach  Süden  zu,  gar  nichts  geschehen  ist;  alles 
ist  in  dem  früheren  Zustand.  Dagegen  hat  die  Spalte  nach  Nordwesten 
zu  eine  weitere  Verlängerung  von  über  2 km  bekommen.  Heute  habe  ich 
eine  neue  Spalte  auf  der  Niederung  in  der  Ebene  von  Atalanti  bemerkt. 

Auch  heute  wiederhole  ich,  dafs  im  Fall  von  Erdbeben  wie  das 
vom  Charfreitag,  bei  Spaltenbildung  an  verschiedenen  Teilen  der  F'bene 
von  Atalanti  und  bei  lokalen  Einsenkungen  sicherlich  der  Platz, 
auf  dem  es  steht,  unsicher  ist." 

Alle  diese  meine  Vermutungen  und  Befürchtungen  sind  durch  das 
Erdbeben  vom  Charfreitag  wohl  begründet.  Die  kesselartigen  Ein- 
stürze eines  Landstriches  von  500  m Länge  und  40  m Breite  und  einer 
Tiefe  von  15  — zo  m bei  dem  Dorf  Skenderaga,  d.  h.  auf  der  Ebene 
von  Atalanti,  sind  der  beste  Beweis  dafür.  Wenn  an  diesem  Punkt 
sich  Menschen  befunden  hätten,  unter  ihren  Zelten  und  neben  ihren 
Möbeln,  als  die  Einstürze  stattfanden,  welches  würde  >hr  Schicksal 
gewesen  sein?  Und  die  seismische  Periode  war  noch  nicht  beendet, 
und  niemand  kann  vorher  wissen,  was  geschehen  würde,  wenn  die 
Erdbeben  der  beiden  Freitage  sich  wiederholten.  Wie  das  Erdbeben 
am  ersten  Freitag,  ohne  sich  vorher  angekündigt  zu  haben,  in 
einigen  Sekunden  so  viele  Dörfer  und  Städte  plötzlich  zerstört  und 
den  Tod  so  vieler  Menschen  verursacht  hat;  und  wie  ferner  das  Erd- 
beben am  Charfreitag  in  wenigen  Sekunden  eine  ungeheure  Spalte 
gebildet  und  dadurch  eine  so  grofse  Strecke  Landes  von  dem  übrigen 
Mittel-Griechenland  abgetrennt  hat,  so  ist  es  auch  nicht  unmöglich, 
dafs  noch  andere  Erdbeben  stattfinden  können,  welche  die  angefangene 
Arbeit  der  anderen  beiden  Erdbeben  mehr  oder  weniger  ergänzen 
werden. 

Jetzt  will  ich  auf  die  Zerstörungen  eingehen,  welche  das  Erd- 
beben vom  Charfreitag  in  den  von  ihm  heimgesuchten  Gegenden 


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Die  zwei  gruben  Erdbeben  in  Lukiis. 


43  1 


hervorgebracht  hat.  Vor  allen  Dingen  möchte  ich  feststellen,  dafs  die 
grofse  Axe  der  ersten  seismischen  Zone  dieses  Erdbebens,  welches  eben- 
falls dieselbe  Richtung  von  SO — NW  gehabt  hat,  sich  von  33  bis  zu 
52  km  und  zwar  nach  Nordwesten  vergröfsert  hat.  Während  bei  dem 
Erdbeben  vom  8.  20.  April  das  Dorf  Arkitsa,  sowie  das  Dorf  Haghios 
Konstantinos  nur  sehr  wenig  gelitten  hatte,  so  hat  jetzt  das  Erdbeben 
vom  1 5-/2 7.  April  die  Zerstörung  dieser  beiden  Dörfer  vollendet, 
welche  auf  der  neuen  Verlängerung  der  grofsen  Axe  der  Ellipse 
liegen.  Die  Vernichtung  ist  derjenigen  der  Dörfer  Malessina,  Masi 
u.  s.  w.,  welche  auf  der  Halbinsel  Aetolynia  standen,  durchaus 
analog.  Nach  Südosten  zu  dagegen  haben  von  diesem  Erdbeben  die 
Dörfer  I.arymna,  Chalia  und  die  Stadt  Chalkis,  welche  auf  derselben 
Axe  liegen,  verhältnismäfsig  wenig  gelitten. 

Natürlicherweise  hat  die  Vergröfserung  der  Katastrophe  auf  der 
grofsen  Axe , welche  sich  entlang  dem  Euböischen  Golf  geäufsert 
hat,  auch  die  Vergröfserung  der  Zerstörung  auf  der  senkrecht 
dazu  stehenden  kleinen  Axe,  d.  h.  von  SW  nach  NO,  und  zwar 
in  den  Dörfern  der  Ebene  von  l.evadia  einerseits  und  in  den 
Städten  Limne  und  Hagia  Anna  auf  Euböa  anderseits,  zur  Folge  gehabt. 

Zur  genauen  Feststellung  der  Weiterverbreitung  dieses  Erd- 
bebens fehlen  leider  die  nötigen  Mitteilungen.  Trotzdem  ersieht  man 
aus  den  vorhandenen,  dafs  das  Erdbeben  vom  1 5-/27.  April  in  Bezug 
auf  seine  Ausdehnung  bedeutend  breiter  war,  als  das  vom  8.  20.  April; 
so  wurden  z.  B.,  während  bei  dem  Erdbeben  am  ersten  F'reitag  Zante, 
Tripolis  und  Skyros  nur  schwach  von  ihm  getroffen  wurden,  von  dem 
Erdbeben  am  Charfreitag  alle  drei  stark  erschüttert.  Auf  der  Insel 
Skyros  sind  sogar  einige  Häuser  eingestürzt,  und  andere  wieder  haben 
Risse  bekommen,  obwohl,  wie  bekannt,  nach  dieser  Richtung  die  ge- 
ringere Kraft  eingewirkt  hat. 

Ebenso  war  nach  der  Richtung  der  grolsen  Axe  die  Verbreitung 
des  Erdbebens  auf  heteroseiste  Gegenden  bedeutend  stärker  als  bei 
dem  des  8./20.  April , wie  man  aus  den  telegraphischen  Mitteilungen 
von  Trikkala,  Kalambaka  und  den  Meteora  und  zum  andern  aus  denen 
von  der  Insel  Thera,  Anaphi  u.  s.  w.  ersehen  kann. 

Hier  mufs  ich  noch  bemerken,  dafs  zwei  Punkte,  Hagios  Ni- 
kolaos  einerseits  auf  der  kleinen  Insel,  welche  vor  der  Insel  Atalanti 
liegt,  und  Hagii  Theodori  anderseits  auf  den  südwestlichen  Ab- 
hängen des  Rhoda-Bergs,  welche  in  einer  Entfernung  von  10  km  auf 
einer  zu  der  Richtung  der  kleinen  seismischen  Axe  parallelen  Linie 
liegen,  bei  dem  Erdbeben  vom  8./20.  April  durchaus  gar  nichts  gelitten 
haben,  jetzt  aber  bei  dem  letzten  grofsen  Erdbeben,  bei  dem  auch  die 
grofse  seismische  Axe  vergröfsert  wurde,  nicht  verschont  geblieben 


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432 


Theodor  G.  Skuphos: 


sind:  und  zwar  ist  der  Schaden  in  Hagii  Theodor!  gröfser,  da  aufser 
den  Rissen  auch  die  oberen  Gesimse_  der  Kirche  und  ein  Teil  des 
Daches  eingestürzt  sind.  Hagios  Nikolaos  hat  weniger  Schaden 
davongetragen,  da  nur  einige  unbedeutende  Risse  gebildet  und  einige 
Dachziegel  heruntergefallen  sind. 

Dafs  die  Einwirkung  nach  diesen  zwei  Richtungen,  d.  h.  von 
SO — NW  und  von  NO — SW,  ganz  verschieden  gewesen,  war  die  Folge 
der  festen  oder  lockeren  Bestandteile  des  Bodens.  Während  nämlich 
jenseits  von  Skenderaga  die  festeren  Bestandteile  des  Bodens  bei  dem 
Erdbeben  am  ersten  Freitag  z.  B.  das  Dorf  Arkitsa  geschützt  haben, 
so  war  doch  diese  Festigkeit  bei  dem  Erdbeben  vom  Charfreitag  von 
keiner  grofsen  Bedeutung,  da  sie  dieser  Gewalt  nicht  widerstehen  konnte. 
So  lagen  die  Sachen  in  der  Richtung  der  grolsen  Axe.  In  derjenigen  der 
kleinen  Axe  dagegen,  d.  h.  von  NO  nach  SW.  hat  bei  dem  zweiten  grofsen 
Erdbeben  vom  Charfreitag  die  feste  Beschaffenheit  des  Bodens  grofsen 
Widerstand  gegen  die  zerstörende  Kraft  des  Stofses  gezeigt.  Demnach 
haben  in  dieser  Richtung  nur  diejenigen  Dörfer  und  Städte  gelitten, 
welche  auf  lockeren  Neogen-Schichten  gebaut  sind,  wie  z.  B.  Lirnne, 
Hagia  Anna  u.  s.  w.,  während  dagegen  die  auf  festen  Boden  stehenden 
Städte  und  Dörfer  gar  nicht  oder  sehr  wenig  gelitten  haben,  wie  z.  B. 
die  Stadt  Levadia,  das  Dorf  Beli,  Exarchos  u.  a. 

Analog  zu  der  Verlängerung  nach  NW  der  grofsen  Axe  der 
ersten  seismischen  Zone,  welche  jetzt  auch  das  Dorf  Hagios  Kon- 
stantinos  mit  eingeschlossen  hat,  ist  auch  die  Verlängerung  derselben 
Axe  für  die  übrigen  seismischen  Zonen.  So  beginnt  z.  B.  dort  die 
zweite  seismische  Zone,  wo  bei  dem  Erdbeben  vom  8.  20.  April  der 
Anfang  der  dritten  Zone  war,  und  dort,  wo  früher  die  vierte  begann, 
fängt  jetzt  die  dritte  an  u.  s.  w. , während  nach  der  entgegen- 
gesetzten Richtung  derselben  Axe,  d.  h.  nach  SO,  die  Grenzen  der  seis- 
mischen Zonen  für  die  beiden  grofsen  Erdbeben  unverändert  geblieben 
oder  in  Bezug  auf  das  Erdbeben  vom  Charfreitag  etwas  nordwestlich 
von  der  Grenze  des  ersten  Erdbebens  gerückt  sind.  Die  Veränderungen 
der  kleinen  Axe  bei  dem  Erdbeben  vom  15./27.  April  sind  unbedeutend 
und  in  Folge  dessen  nicht  nennenswert. 

Das  Erdbeben  vom  Charfreitag  hatte  in  den  Dörfern  der  Halb- 
insel Aetolyma  nur  sehr  wenig  an  der  Katastrophe  des  ersten  Erd- 
bebens vom  8./20.  April  zu  ergänzen  gefunden,  weil,  wie  bekannt,  dort 
die  Zerstörung  eine  völlige  gewesen  und  in  Folge  dessen  wenig  für  das 
Erdbeben  vom  Charfreitag  übrig  geblieben  war.  Dagegen  war  die  Ein- 
wirkung desselben  Erdbebens  auf  die  anderen  von  ihm  heimgesuchten 
Gegenden  sehr  bemerkbar,  da  das  erste  verhältnismäfsig  schwächer 
eingewirkt  hatte. 


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Die  zwei  greisen  Erdbeben  in  l.okris. 


433 


In  Knto  Pelli  (Skala  von  Atalanti)  hat  das  letzte  Erdbeben  aufser 
der  Umdrehung  des  Brunnens,  welchen  Baron  von  Sina  im  Jahr  1865 
dort  hat  erbauen  lassen,  der  Lockerung  der  Steine  einer  ahen  Cisterne 
und  des  oben  genannten  langgezogenen  Hauses,  der  gröfseren  Neigung, 
weiteren  Kinsenkung  und  Lockerung  der  Steine  des  Hafendammes,  auch 
die  vollständige  Zertsörung  der  bei  dem  ersten  grofsen  Erdbeben  schon 
zum  grofsen  Teil  eingestürzten  Häuser  und  Mauern  bewirkt.  Bei  dem 
Brunnen  des  Barons  von  Sina,  einer  viereckigen  und  1,70  m hohen  Säule, 
die  auf  einer  doppelten,  ebenfalls  viereckigen  Basis  ruht,  ist  die  obere 
Basis  um  70,  aber  die  Säule  auf  ihr  nur  um  2°  nordöstlich  gedreht, 
sodafs  die  Drehung  der  Säule  auf  der  Basis  nur  5 0 beträgt. 

Früher  würde  man  dieses  Phänomen  als  den  besten  Beweis  für 
eine  Kreisbewegung  des  Erdstofses  betrachtet  haben;  jetzt  aber  weifs 
man  genau,  dafs  diese  Umdrehung  nicht  auf  eine  solche  Be- 
wegung des  Erdbebens  zurückzuführen  ist,  sondern  darauf,  dafs  die 
Berührungsfläche  des  einen  Teiles  nicht  genau  in  allen  Teilen  auf 
die  andere  schliefst,  und  dafs  der  Schwerpunkt  des  einen  Teiles  nicht 
mit  dem  Mittelpunkt  desselben  Teiles  zusammenfällt.  Als  nun  ein  seis- 
mischer Strahl  eine  Ecke  oder  Seite  des  Brunnens  unter  irgend  einem 
Winkel  traf,  mufste  notwendigerweise  eine  Drehung  eintreten,  und  da  bei 
dem  oberen  und  unteren  Teil  des  Brunnens,  bei  jedem  einzelnen 
sowohl,  wie  im  Verhältnis  zu  einander,  Schwerpunkt  und  Mittelpunkt 
wahrscheinlich  nicht  zusammenfielen,  war  die  Drehung  bei  beiden  Teilen 
nicht  die  gleiche. 

In  den  Dörfern  Kyparissi,  Skenderaga,  Gkolemion  und  Livanataes 
hat  der  grofse  Stofs  vom  15./27.  April  die  Wirkung  des  ersten  vom 
8./20.  April  vollständig  ergänzt,  so  dafs  jetzt  nur  die  Spuren  von  Mauern 
dort  zu  sehen  sind. 

Die  Einwirkung  des  Erdbebens  vom  Charfreitag  kann  man  am 
besten  in  den  zwei  Dörfern  Arkitsa  und  Hagios  Konstantinos  beob- 
achten, welche  vorher  ja  nur  schwach  gelitten  hatten.  Denn  während 
in  Arkitsa  bei  dem  Erdbeben  vom  ersten  Freitag  nur  solche  Gebäude 
eingestürzt  waren,  welche  seit  langer  Zeit  auf  eine  solche  Gelegenheit 
gewartet  zu  haben  schienen,  und  nur  an  einigen  schlecht  gebauten  sich 
Risse  gebildet  hatten,  mit  Ausnahme  derjenigen  an  der  Kirche,  die 
gut  gebaut  ist,  hat  das  Erdbeben  vom  Charfreitag  die  Ansicht  von 
Arkitsa  gründlich  verändert,  sodafs  die  Zerstörung  hier  nur  wenig 
hinter  derjenigen  der  Dörfer  der  Halbinsel  Aetolyma  zurückgeblieben  ist. 

Im  Dorf  Hagios  Konstantinos  hat  auch  nur  das  Erdbeben  des 
15.  27.  April  eine  Zerstörung  hervorgebracht.  Sämtliche  Häuser  dieses 
malerisch  gelegenen  Dorfes  sind  eingestürzt.  Das  schöne  gleichnamige 
Kloster  ist  in  einen  Steinhaufen  umgewandelt;  die  zahlreichen  Zellen 


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434 


Theodor  G.  Skuphoa: 


der  Mönche  sind  gänzlich  eingestürzt.  Ebenso  ist  auch  die  Uber  200  m 
lange,  2 m hohe  und  sehr  festgebaute  Ringmauer  des  Klostergartens 
wie  eine  Steinplatte  umgefallen,  so  dafs  das  Fundament  zum  Teil  ganz 
freiliegt.  Wenn  man  diese  Mauer  auf  dem  Boden  liegen  sieht,  so  hat 
es  den  Anschein,  als  ob  der  Baumeister  sie  statt  senkrecht  von  vom 
herein  horizontal  auf  den  Boden  gebaut  habe.  Leider  hat  dieses 
Erdbeben  auch  hier  seine  Opfer  verlangt.  Der  Prior  des  Klosters 
und  zwei  Mönche  sind  unter  den  Ruinen  desselben  begraben  und  Blnf 
oder  sechs  Menschen,  aber  glücklicherweise  nicht  schwer,  verwundet 
worden. 

Weiter  nach  Nordwesten  von  Hagios  Konstantinos  haben  einige 
Dörfer  des  Demos  Thronion  ziemlichen  Schaden  gelitten,  wie  Rigini, 
Karya  u.  s.  w. ; jedoch  da  ich  sie  nicht  besucht  habe,  kann  ich  darüber 
nicht  berichten. 

In  den  bis  an  das  nordwestliche  Ende  der  Ebene  von  Phthiotis 
hin  liegenden  Dörfern  Glunitza,  Dernitza,  Xylikon,  Modi,  welche  bei 
dem  ersten  grofsen  Stofs  unversehrt  geblieben  waren , sieht  man  nach 
dem  zweiten  vom  15. '27.  gewaltige  Zerstörungen.  Elatia  (Drachmani  , 
sowie  die  übrigen  Dörfer  der  Eparchie  Levadia , welche  auf  der 
gleichen  Ebene  stehen,  nämlich  Davlia,  Hagios  Blasios,  Kapraena. 
Brachamaga,  Branesi,  Mulkion,  Rachi,  Arapochorion,  Romaeiko,  Skripu, 
Petromagula,  Karya,  Haghios,  Demitrios,  Dagli  u.  s.  w.,  die  mehr  oder 
weniger  schwach  von  dem  ersten  heimgesucht  waren,  sind  von  dem 
des  Charfreitag  vollständig  zerstört  worden. 

Nur  die  Stadt  Levadia  ist  bei  den  beiden  grofsen  Stöfsen  der 
zwei  Freitage  fast  vollständig  verschont  geblieben.  Der  angerichtetc 
Schaden  steht  dem  in  Athen  verursachten  sehr  nach.  Diese  Ver- 
schonung verdankt  Levadia  einmal  der  festen  und  nicht  lockeren  Be- 
schaffenheit des  Bodens  und  dem  dort  gebräuchlichen  sehr  guten 
Baumaterial  aus  Schiefersteinen,  anderseits  dem  Umstand,  dafs  es  in 
der  Richtung  der  kleinen  seismischen  Axe,  die  ja  die  schwächere  Ein- 
wirkung zeigt,  liegt;  denn  sämtliche  vorher  erwähnten  Dörfer,  welche, 
wenn  auch  mehr  oder  weniger  in  der  Richtung  derselben  kleinen 
Axe  liegen , verfielen  dem  völligen  Untergang,  nur  weil  sie  auf  einem 
sehr  lockeren  Bodengrund  liegen,  da  die  Ebene  von  Levadia  aus 
vom  Flufs  angeschwemmten  Erdmassen  besteht. 

Alle  bisher  erwähnten  Ortschaften  gehören  in  die  beiden  ersten 
seismischen  Zonen.  Wir  kommen  nun  zu  zwei  Städten,  welche  in  der 
dritten  seismischen  Zone  liegen  und  durch  die  zwei  grofsen  Stöfse  der 
beiden  Freitage  stark  genug  erschüttert  wurden  und  grofsen  Schaden 
aufweisen.  Diese  Städte  sind  Theben  in  Mittel-Griechenland  und  Chalkis 
auf  der  Insel  F.uboea. 


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Die  zwei  grofeen  Erdbeben  in  Lokiit».  435 

Theben  liegt  auf  der  thebanischen  Hochebene  und  wird  von  der 
thebanischen  Tiefebene  durch  eine  Verwerfung  getrennt.  Diese  Ver- 
werfung hat  die  kesselartige  Einsenkung  der  ganzen  Tiefebene  hervor- 
gebracht. Die  geologische  Beschaffenheit  des  Bodens  von  Theben 
zeigt  mehr  oder  weniger  lockere  Konglomerate,  welche  von  Osten  nach 
Westen  streichen,  mit  20 — 30°  nach  Norden  einfallen  und  mit  Kalk- 
tuff und  Thonmergel  wechsellagern,  deren  Mächtigkeit  bei  jeder  Schicht 
nicht  über  2 m reicht.  Ab  und  zu,  und  das  geschieht  jenseits  des 
Flusses  Dirke  neben  den  sogenannten  Blachomachala  von  Theben  und 
der  Vorstadt  Pyri,  nehmen  die  Schichten  an  Mächtigkeit  zu  und  werden 
auch  fester.  Deshalb  haben  auch  die  Häuser,  welche  darauf  stehen, 
wenig  gelitten.  Dagegen  zeigen  alle  anderen,  welche  auf  den  östlichen 
Abhängen  des  orographischen  Sattels  von  Theben  und  in  anderen 
Teilen  liegen,  eine  gröfsere  Wirkung  des  Bebens.  Die  Einstürze  der 
Häuser  und  die  an  denselben  gebildeten  Risse  sind  derart,  dafs  die 
Richtung  des  Stofses  von  NW  nach  SO  verlaufen  sein  mufs.  Dieselbe 
Stofsrichtung  fand  sich  auch  bei  den  Einstürzen  der  Häuser  und  der 
Risse,  welche  die,  Mauern  in  den  zwei  Vorstädten  von  Theben,  in  Pyri 
und  Hagii  Theodori,  aufweisen. 

Das  Wasser  der  Flüsse  Dirke,  Ismenos  und  Asopos  und  anderer 
parallel  zu  diesen  fliefsenden  Gewässer  hat  im  Verlauf  der  Zeit  die 
Neogen-Schichten  der  Hochebene  von  Theben  in  von  Süden  nach 
Norden  gerichtete  Bergrücken  zerschnitten.  Auf  einem  solchen  Rücken 
ist  Theben  erbaut. 

Durch  die  freundliche  Unterstützung  des  Ingenieurs  der  Stadt 
Theben,  Herrn  Rhodos,  konnte  ich  sehr  genau  sowohl  die  Wirkung 
des  Erdbebens  vom  Mai  1893,  als  auch  die  der  letzten  Erdbeben  stu- 
dieren und  mir  eine  Meinung  aus  der  allgemeinen  Übereinstimmung 
sämtlicher  Phänomene  dahin  bilden,  dafs  auch  das  Erdbeben  des  vorigen 
Jahres  (10.  22.  Mai  1893)  höchstwahrscheinlich  die  Richtung  von  NW 
nach  SO,  d.  h.  dieselbe  Richtung  mit  dem  letzten  Erdbeben  hatte.  In 
Folge  dessen  kann  man  zwei  Vermutungen  darüber  aufstellen:  ent- 
weder haben  beide  Stöfse  dieselbe  Ursache  gehabt,  d.  h.  die  weitere 
Ausbildung  des  Euböischen  Golfes,  oder  der  Stofs  von  1893  verdankt 
seiner  Entstehung  Verwerfungen,  die  zwischen  den  Bruchzonen  des 
Euböischen  Kanals  und  den  Bruchzonen  von  Theben  selbst  liegen, 
und  zwar  in  der  Richtung  von  NW. 

Die  schöne  Stadt  Chalkis  mit  ihren  anmutigen  Anlagen,  welche, 
wie  bekannt,  auf  der  Insel  Euböa  liegt,  und  zwar  auf  einer  kleinen 
Halbinsel,  die  in  die  Meerenge  Euripos  hineinragt,  hat  bedeutenden 
Schaden  durch  die  beiden  Stöfse  des  8.  20.  und  15-/27.  April  aufzu- 
weisen. Zwischen  dem  Kreidekalk-Gestein  von  Karababa  auf  der  gegen- 


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436 


Theodor  G.  Skuphos: 


Uberliegenden  Küste  von  Mittel-Griechenland  einerseits  und  dem  der 
Hiigelreihen  von  Dokos  andererseits  steht  Ophit  (Serpentin)  an.  Dieses 
Gestein  kann  man  als  die  Grundlage  der  Stadt  von  Chalkis  betrachten, 
da  auch  die  darauf  ruhenden  Anschwemmungen  in  einigen  Stadtteilen 
den  Serpentin  frei  lassen,  welcher  dann  wie  in  den  Vierteln  Kaphene- 
dak  und  des  Friedhofs  frei  zu  Tage  tritt;  in  anderen  Bezirken  der  Stadt 
dagegen  beträgt  die  Mächtigkeit  der  Anschwemmungen  1 m,  2 m und 
5 m.  Deswegen  sind  während  der  Erschütterungen  der  beiden  Freitage 
nur  diejenigen  Stadtviertel  in  Leidenschaft  gezogen,  welche  auf  mächti- 
geren Anschwemmungen  liegen,  weil  dort  wegen  der  geringen  Tiefe  der 
Grundmauern  diese  nicht  bis  auf  die  festen  Serpentin-Gesteine  reichen, 
sondern  nur  in  den  lockeren  Anschwemmungen  selbst  erbaut  sind. 

Die  Erdbebenwirkungen  in  Chalkis  bei  einem  oberflächlichen  Be- 
such kennen  zu  lernen,  ist  unmöglich,  weil  nur  wenige  Häuser  einge- 
stürzt sind  oder  Schaden  erfahren  haben,  was  man  oft  von  aufsen  gar 
nicht  zu  sehen  bekommt.  Man  müfste  also  die  Häuser  im  Innern 
untersuchen.  Was  die  zerstörende  Gewalt  des  Erdbebens  hier  nicht 
gethan  hat,  das  müssen  die  Einwohner  selbst  thipt,  d.  h.  die  zahl- 
reichen zum  Fall  bereiten  Mauern  abtragen,  um  ferneren  Unglücksfällen 
vorzubeugen. 

Die  Richtung  des  Erdbebens  kann  man  leicht  feststellen,  wenn 
man  die  zahlreichen  und  sehr  deutlichen  Merkmale,  Spalten  u.  s. » 
welche  die  Stöfse  an  den  eingestürzten  Mauern,  Fabrikschornsteinen,  her- 
vorgebracht haben,  betrachtet:  sie  geht  von  NW — SO. 

Bei  den  beiden  Erdbeben  sind  in  Chalkis  ein  Todesfall  und  drei 
Verwundungen  zu  verzeichnen  gewesen;  einige  Leute  wurden  verwundet, 
als  man  zum  Sprengen  der  durch  das  Erdbeben  baufällig  gewordenen 
Häuser  Dynamit  anwandte. 

Aus  allem  diesen  geht  hervor,  dafs  das  seismische  Epicentrum 
vom  15-/27.  April  wieder  nicht  weit  von  den  Dörfern  Masi  und 
Malessina  lag,  aber  nicht  vollständig  mit  dem  des  8.,  20.  April  zusammen 
traf,  indem  das  vom  Charfreitag  etwas  weiter  nordwestlich  verschoben 
ist,  wie  man  aus  seinen  Wirkungen  schliefsen  kann.  Und  zwar  erster.' 
aus  der  Katastrophe,  welche  dieses  Erdbeben  nach  der  Richtung  der 
grofsen  Axe  der  ersten  elliptischen  seismischen  Zone  im  Nordwesten 
hervorgebracht  hat,  zweitens  aus  den  übereinstimmenden  Mitteilungen 
aller  verläfslichen  Leute,  dafs  nämlich  das  Erdbeben  am  Charfreitag 
in  den  Städten  Chalkis  und  Athen  sowie  in  den  kleinen  Dörfern  Kastri 
in  Larymna  und  Chalia  an  der  Meerenge  Euripos  zwar  gröfsere  Dauer 
gehabt  hat,  dafs  aber  die  Kämme  der  seismischen  Wogen  sehr  weit 
von  einander  entfernt  gewesen  sind,  d.  h.  dafs  die  Gewalt  dieses  Erd- 
bebens bedeutend  schwächer  war  als  die  des  ersten  Erdbebens. 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


437 


Diese  aus  meinen  an  Ort  mul  Stelle  angestellten  Untersuchungen 
hervorgehenclc  Schlufsfolgerung,  d.  h.  die  Verschiebung  des  seismischen 
Kpicentrums,  wird  bestätigt  durch  die  letzten  telegraphischen  Depeschen 
aus  Atalanti,  dafs  nämlich  die  Einwohner  autothigene  Krdstöfse  in 
dem  Ort  Dragana  fühlten,  welcher  ziemlich  weit  nordwestlich  von  den 
Dörfern  Masi  und  Malessina  liegt.  Darum  fürchtete  ich  auch  im  Fall 
einer  Wiederholung  der  Erdbeben,  dafs  die  Katastrophe  sich  wahr- 
scheinlich noch  weiter  nordwestlich  verschieben  würde,  d.  h.  jenseits  von 
Hagios  Konstantinos.  Trotz  des  Widerspruchs  der  Mediziner  und 
der  Geologen,  welche  die  Gegend  von  Dragana,  die  in  geringer  Meeres- 
höhe nicht  weit  von  der  Ortschaft  Halmyra  liegt,  wo  ein  Stück  Fest- 
land jetzt  ins  Meer  versenkt  ist  und  die  grofse  Spalte  nahe  vorbei- 
läuft, als  für  die  Einwanderung  ungeeignet  erklären,  giebt  es  bei  uns 
Leute,  die  Dragana  als  Einwanderungsort  für  die  Dörfer  Kyparissi  und 
Proskyna  festgehalten  wissen  wollen. 

III.  Die  Eruptivgesteine  des  Rhoda-Berges  und  die  Stadt 

Atalanti. 

Das  Vorkommen  von  Eruptivgesteinen1)  oberhalb  der  Stadt  Atalanti 
hatte  ich  schon  an  dem  ersten  Tage  meiner  Anwesenheit  daselbst 
beobachtet,  verschwieg  es  aber  absichtlich,  weil  ich  ganz  überzeugt 
war,  dafs  die  Mitteilung  einer  solchen  Beobachtung  bei  Leuten,  w’elche 
herzlich  wenig  oder  gar  nichts  von  der  Geologie  verstehen,  nur  noch  mehr 
Lärm,  Verwirrung  und  Unruhe  verursachen  würde.  Auch  ist  das  Vor- 
kommen dieses  Eruptivgesteins  keineswegs  als  Ursache  der  Erdbeben 
zu  betrachten,  noch  hat  es  dabei  irgendwie  mitgewirkt,  da  diese  viel- 
mehr zu  den  tektonischen  Erdbeben  gehören  und  in  keiner  Beziehung 
zu  den  vulkanischen  Erdbeben  stehen.  Wenn  aber  die  Ursache  dieser 
Erdbeben  das  Vorkommen  von  Eruptivgesteinen  gewesen  wäre,  so  hätte 
vor  allen  Dingen  die  Stadt  Atalanti  leiden  müssen,  und  von  hier  aus 
als  Centrum  die  übrigen  Dörfer  oder  Städte,  während  jetzt,  wie  schon 
erwähnt,  die  Stadt  Atalanti  bei  dem  ersten  Erdbeben  nur  schwach  ge- 
litten hat  und  auch  durch  das  am  Charfreitag  nicht  in  der  Weise  zer- 
stört worden  ist,  wie  die  Dörfer  der  Halbinsel  Aetolyma,  in  deren  Nähe 
höchstwahrscheinlich  das  Epicentrum  der  grofsen  Stöfse  lag. 

Aus  allem,  was  ich  bis  jetzt  angeführt  habe,  ergiebt  sich  die  sehr 
auffallende  Erscheinung,  dafs  das  Erdbeben  vom  8.  20.  April  stark 

*1  Spratt,  yuarterly  Journal,  XIII  S.  2gi.  — A.  Bittner,  Der  geologische 
Bau  u.  a.  w.  S.  g,  io  u.  s.  w.  — A.  Philippson,  Der  K.opais-See  in  Griechenland 
und  seine  Umgebung.  ZciUchr.  d.  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  Bd.  XXIX, 
t 894,  S.  8. 


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438 


Theodor  G.  Skuphos: 


zerstörend  fast  nur  auf  einen  von  SO  nach  NW  gestreckten,  sehr 
schmalen  Landstreifen  entlang  dem  Kuböischen  Golf,  und  zwar  in 
Mittel-Griechenland,  eingewirkt  hat.  Infolge  dessen  ist  jeder  Ort,  wenn 
er  auch  nur  ganz  wenig  von  diesem  Erdstreifen  in  der  Richtung  SW 
und  NO  entfernt  lag  und  einigermafsen  gut  gebaut  war,  damals  mehr 
oder  weniger  verschont  geblieben,  wie  die  Stadt  Atalanti.  Dagegen 
ist  bei  dem  zweiten  Erdbeben  vom  1 5.  27.  April  neben  der  Verschiebung 
ries  seismischen  Centrums  nach  Nordwesten  auch  eine  Verbreiterung 
und  Ausdehnung  des  Schüttergebietes  in  der  Richtung  nach  SW  und 
NO  eingetreten.  So  hat  bei  dem  zweiten  Beben  die  Stadt  Atalanti 
mehr  gelitten,  am  stärksten  in  denjenigen  Stadtteilen,  welche  nahe  bei 
den  Spalten  lagen  oder  durch  dieselben  geschnitten  wurden;  hier  ist 
die  Zerstörung  eine  gründliche.  Als  Beweis  für  die  gröfsere  Gewalt 
des  Erdbebens  vom  1 5-/2 7.  April  in  der  Richtung  von  SW  nach  NO 
dient  die  Beschädigung  der  Stadt  Limne  auf  Euböa,  wie  auch  die  Be- 
schädigungen der  zwei  Kirchen  von  Hagios  Nikolaos  auf  der  gleich- 
namigen Insel  und  von  Hagii  Theodori  auf  dem  südwestlichen  Ab- 
hang des  Rhoda-Berges,  welcher  aus  Dolomiten  der  Kreideformation 
besteht. 

IV.  Erdbebenwogen,  Überschwemmung  der  Meeresküste  und 

Seebeben. 

Auch  in  dieser  Beziehung  Ubertrifft  das  Erdbeben  vom  Charfreitag 
das  vom  8./20.  April,  bei  dem  weder  Erdbebenwogen  noch  Überschwem- 
mungen der  Meeresküste  stattgefunden  haben.  Entlang  der  Küste  von 
I.okris  am  Euböischen  Golf  und  in  drei  oder  vier  ziemlich  weit  von 
einander  liegenden  bewohnten  Ortschaften  sind  Erdbebenwogen  beob- 
achtet und  Landteile  vom  Meerwasser  überschwemmt  worden. 

Erstens  wurde  in  Halmyra  die  Erdbebenwoge  gleichzeitig  mit  dem 
Erdbeben  von  9 Uhr  17  Minuten  am  Abend  vom  Charfreitag  bemerkt. 
Während  man  noch  das  unterirdische  Getöse  hörte,  das  dem  gleich- 
nachfolgenden Erdbeben  voranging,  befand  sich  das  Meer  in  grofser 
Bewegung  nach  dem  Land  zu;  bei  seinem  Zurücktreten  wurde  ein 
dumpfer  Ton  gehört,  dann  kehrte  es  plötzlich  wieder  auf  das  Festland 
zurück,  den  Boden  und  die  Landstrafse  bedeckend.  Diese  Erdbeben- 
woge hat  auf  der  Landstrafse  eine  Menge  von  kleinen  Fischen  und 
anderen  Tieren  sowie  Pflanzen  des  Meeres  zurückgelassen,  wie  mir  der 
Lieutenant  Euripäos,  welcher  etwas  vor  mir  dort  auf  seinem  Weg  nach 
Atalanti  vorbeigekommen  war,  mitteilte.  Auch  ich  bemerkte  noch 
einige  davon. 

Die  unglückliche  Familie  des  Müllers  in  Halmyra  befand  sich  in 
grofser  Gefahr,  weil  der  Müller  sich  mit  den  Arbeitern  in  der  Mühle 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  l.okris. 


430 


befand,  die  zur  Zeit  des  Erdbebens  am  Charfreitag  noch  in  Betrieb 
war,  obgleich  sie  infolge  ries  ersten  Erdbebens  sich  in  so  schad- 
haftem Zustand  befand,  tlafs  sie  bei  der  ersten  Gelegenheit  — eine 
seismische  Erschütterung  war  gar  nicht  nötig  — einstürzen  mufste. 
Reiner  Zufall  hat  ihn  und  seine  Leute  vor  der  Gefahr  bewahrt,  durch 
das  Erdbeben  am  Charfreitag  lebendig  unter  den  Ruinen  der  Mühle 
begraben  zu  werden.  Die  Frauen  und  Kinder  ries  Müllers  befanden 
sich  unter  dem  Zelt,  als  die  Erdbebenwoge  kam  und  sie  mit  allen 
Möbeln  und  Wohnungseinrichtungen,  die  sie  nach  dem  Einsturz 
ihrer  Wohnung  bei  dem  ersten  Stofs  vom  8.  20.  April  im  Zelt  aufbe- 
wahrt  hatten,  überschwemmte.  Das  Personal  der  Mühle  eilte  schnell 
herbei,  stürzte  sich  ins  Wasser,  und  rettete  mit  neuer  Lebensgefahr  die 
Frauen  und  Kinder  aus  dem  nassen  Element,  in  dem  sie  sicher  zu 
Grunde  gegangen  w’ären.  Die  unglücklichen  Leute  verloren  in  dieser 
schrecklichen  Stunde  vollständig  den  Verstand,  als  auch  nach  dem 
Zurücktreten  der  Erdbebenwoge,  weil  das  Festland  sich  infolge  der 
grofsen  Spalte  gesenkt  hatte,  die  Zelte  sowie  auch  die  umher  liegenden 
Felder  unter  Wasser  blieben.  Die  Original  - Aufnahme  auf  Tafel  14 
macht  die  vom  Meereswasser  bedeckte  Landstrecke  ersichtlich.  Aufser 
dem  Haus,  welches  mitten  im  Meer  nur  wenige  Meter  aus  den 
Wogen  hervorragt,  liegt  auch  die  Mühle  selbst  im  Meer,  und 
die  Landstrafse,  die  hier  durch  hohe  Erdaufschüttungen  hergestellt 
ist,  durchschneidet  das  Meer  als  ein  langgezogener  Damm,  zu  dessen 
beiden  Seiten  in  seiner  ganzen  Länge  25 — 30  cm  tief  das  Meerwasser 
das  Land  bedeckt.  So  ist  die  ganze  Strecke  von  Halmyra  bis  nach  Kato 
Pelli  (Skala  von  Atalanti)  in  einer  Breite  von  etwa  300  m vom  Meer  über- 
schwemmt, und  die  dreieckige  Halbinsel  Ga'idarion,  welche  noch  vor  eini- 
gen Tagen  durch  eine  schmale  Landzunge  mit  dem  übrigen  Lokris  in  Ver- 
bindung stand,  bildet  jetzt  infolge  der  Einsenkung  der  Landzunge  eine 
selbständige  Insel,  die  ziemlich  weit  von  dem  gegenüber  liegenden  Land 
entfernt  ist.  Uber  diese  Landzunge  bin  ich  damals  herüber  nach  der 
höher  gelegenen  Halbinsel  gegangen,  um  dort  das  einzige  aufKreidefelsen 
stehende  Schäferhaus  zu  besuchen,  welches  bei  dem  ersten  Erdbeben 
vom  8.  20.  April  unversehrt  geblieben  war,  während  es  durch  das  vom 
Charfreitag  einige  unbedeutende  Risse  bekam. 

Gegenwärtig  schliefst  die  Bucht  von  Atalanti  drei  Inseln  ein:  1)  die 
sehr  kleine  Insel  mit  der  Kapelle  des  HagiosNikolaos,  2)  die  Insel  Atalanti, 
welche  nach  Diodorus  Siculus  infolge  eines  Erdbebens  im  Jahr  426  v. 
Chr.,  zur  Zeit  als  Euthymos  in  Athen  herrschte,  von  Mittel-Griechenland 
abgetrennt  wurde,  und  3)  die  neugebildete  dreieckige  Insel  Ga'idarion. 

Die  zweite  Stelle,  wo  die  Erdbebenwoge  beobachtet  wurde,  war 
in  Kato  Pelli,  der  Rhede  von  Atalanti.  Hier  haben  glücklicherweise 


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440 


Theodor  G.  Skuphos: 


die  Bewohner  dieser  Meereserscheinung  nur  als  Zuschauer  von  fern 
heigewohnt.  Das  Meer  schien  auch  hier  während  des  Erdbebens  vom 
15.  27.  April  sehr  erregt,  trat  plötzlich  zurück  und  schnellte  mit  schreck- 
lichem Getöse  in  einer  Woge  auf  das  J.and.  Die  auf  der  Küste  seit 
24  Stunden  für  die  unglücklichen  Einwohner  von  Lokris  ausgeladenen 
2000  Brote  wurden  beim  Zurücktreten  der  Woge  verschlungen,  ebenso 
wurde  ein  Kahn,  welcher  dort  irgendwo  auf  die  Küste  gezogen  war. 
mit  erfafst  und  in  einer  Entfernung  von  30  m von  der  Küste  umge- 
schlagen. 

Hier  ist  das  Küstenland  nur  in  geringer  Tiefe  und  in  sehr  geringer 
Breite  vom  Meerwasser  überschwemmt,  jedoch  ist  ein  grofser  Teil  des 
nach  SO  geneigten  Hafendammes  vollständig  im  Wasser  verschwunden. 

Dann  ist  mir  über  eine  dritte  Beobachtung  der  Erdbebenwoge  be- 
richtet, welche  das  malerische  Küstenland  von  Hagios  Konstantinos 
heimgesucht  hat.  Hier  ist  das  Meer  in  jener  schrecklichen  Nacht  des 
Charfrcitag  mit  furchtbarem  Getöse  50  m von  der  Küste  zurückgetreten 
und  dann  plötzlich  hochgestiegen,  um  als  Erdbebenwoge  wieder  zurück 
auf  das  Land  zu  fluten  und  die  Küste  mit  den  darauf  stehenden 
Häusern  zu  überschwemmen.  Der  Zollbeamte  in  Hagios  Konstantinos 
befand  sich  zu  dieser  Zeit  auf  der  Strafse  neben  einer  Ölmühle,  wo 
ihm  infolge  der  Woge  das  Meereswasser  bis  ans  Knie  reichte,  während 
ein  Kahnführer,  der  seinen  Kahn  zum  Abfahren  vorbereitete,  plötzlich 
mit  seinem  Kahn  durch  die  grofse  Gewalt  der  Woge  ziemlich  weit 
landeinwärts  geworfen  wurde. 

Hier  zeigten  sich  entlang  der  Küste  viele  parallele  Spalten,  deren 
eine  (350  m lang)  eine  Landstrecke  von  mehr  als  drei  Stremmata  (Morgen 
von  dem  übrigen  Land  abgetrennt  hat,  welche  mit  den  darauf  befind- 
lichen Olivenbäumen,  Gebüschen  und  niedrigeren  Pflanzen  im  Meer  ver- 
sank. Eine  zweite,  der  ersten  parallelen  Spalte,  hat  eine  Insel  von 
42  m Länge  und  55  m Breite  gebildet,  welche  durch  eine  Meerenge  von 
3}  m von  dem  Festland  getrennt  ist. 

Ein  ähnlicher  Vorgang  wie  in  Hagios  Konstantinos  scheint  gegen- 
über an  der  Küste  von  Achladion  nach  den  telegraphischen  Berichten 
des  Professor  Dr.  Mitzopulos  stattgefunden  zu  haben. 

Ferner  sind  am  Kap  Logga  während  des  Erdbebens  vom  Char- 
freitag  durch  Spalten,  die  von  Südosten  nach  Nordwesten  streichen, 
parallel  zu  der  dortigen  Küste  grofse  Teile  des  vom  I.ogga-Flufs  ange- 
schwemmten Kaps  im  Meer  verschwunden.  Die  versunkene  Landstrecke 
beträgt  etwa  5 — 6 Stremmata. 

Seebeben.  — Der  Kapitän  des  Schiffes  „Pelops"  hat  mir  während 
unserer  F'ahrt  von  Piräus  nach  Kato  Pelli  erzählt,  dafs  er  zur  Zeit  des 
Erdbebens  vom  ersten  Freitag  in  den  Hafen  von  Volos  einfuhr,  als  er 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


441 


plötzlich  einen  starken  Stofs  gefühlt  habe,  wie  wenn  das  Schiff  auf  eine 
blinde  Klippe  gestofsen  wäre.  Er  hat  sofort  mit  dem  Senkblei  messen 
lassen  und  festgestellt,  dafs  das  Schiff  nicht  auf  eine  Klippe  ge- 
stofsen war,  sondern  dafs  die  Ursache  dieses  Stofses  ein  Beben  ge- 
wesen ist,  wie  ihm  nach  einiger  Zeit  auch  die  herangekommenen 
Kahnführer  mitteilten. 

Auch  der  Kapitän  des  Dampfschiffes  „Athena“  erzählte  mir,  dafs 
er  sich  an  dem  Abend  des  8.  April  im  Hafen  von  Volos  befunden  und 
auch  das  Beben  als  ein  Aufstofsen  auf  eine  blinde  Klippe  gespürt 
habe.  Kr  habe  auch  gleich  messen  lassen  und  dabei  genügende  Tiefe 
nachgewiesen.  Er  war  sehr  erfreut,  als  ich  ihm  mitteilte,  dafs  auch 
der  Kapitän  des  Dampfers  „Pelops"  dieselbe  falsche  Meinung  ge- 
habt hatte. 

V.  Einwirkung  der  Erdbeben  auf  Brunnen,  Quellen,  Flüsse, 
Seen,  artesische  Brunnen  u.  a. 

Das  Erdbeben  am  ersten  Freitag  hat  im  allgemeinen  nur  sehr 
wenig  auf  die  Gewässer  der  vom  Erdbeben  heimgesuchten  Gegenden 
eingewirkt.  Das  Wasser  der  artesischen  Brunnen  von  Kato  Pelli  wurde 
merkbar  vermehrt  bei  unveränderter  Temperatur.  Dasselbe  ist  auch 
bei  den  Quellen  von  Skenderaga  und  Atalanti  und  besonders  der 
Quelle  der  makedonischen  Bevölkerung  von  Ano  Pelli  geschehen. 
Die  Gewässer  der  übrigen  Brunnen,  gewöhnlichen  und  Mineralquellen, 
Flüsse  u.  s.  w.,  sind  vollständig  unverändert  geblieben.  Eine  Aus- 
nahme bilden  die  Brackwasser  der  Wassermühle  von  Pikraki,  die 
durch  das  Erdbeben  vom  8./20.  April  vollständig  verschwunden  sind. 
Diese  Wassermühle  liegt  an  der  I.andstrafse,  die  von  Livanatacs  nach 
Hagios  Konstantinos  führt,  ungefähr  100  m von  der  Küste  entfernt. 

Dagegen  war  die  Einwirkung  des  Erdbebens  vom  Charfreitag  auf 
die  Gewässer  im  allgemeinen  sehr  bedeutend,  beachtenswert  und 
lehrreich.  Die  lokrische  Spalte  geht  gerade  oberhalb  der  Ortschaft 
Halmyra  vorüber,  und  in  ihr  sind  die  flufsartig  aus  den  Kalkfelsen 
hervorquellenden  Brackwasser,  welche  die  dortige  Wassermühle  treiben, 
vollständig  verschwunden.  Das  Wasser  blieb  gegen  60  Stunden  aus, 
vom  Charfreitag  Abend  bis  zum  Montag  Vormittag,  dann  kehrte  es 
zurück;  gegenwärtig  ist  die  Menge  des  Wassers  zweimal  so  grofs  wie 
vor  dem  Verschwinden. 

Weiter  nach  Nordwesten  ist  das  Wasser  der  Stadt  Atalanti  um 
das  Dreifache  vermehrt,  während  das  Wasser  der  makedonischen  Kolonie 
infolge  der  grofsen  Spalte,  die  am  grofsen  Brunnen  von  Pasari  entlang 
geht  weggeblieben  ist.  Jetzt  kann  man  nur  das  Geräusch  des  in  der 
Spalte  sprudelnden  Wassers  hören.  Aher  das  Wasser  der  anderen 

Zeiuchr.  d.  GeaelUch.  f.  Erdk.  Bd.  XXX.  30 


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44-2 


Theodor  G.  Skuphos: 


zwei  Brunnen  von  Kasna  und  von  Dumpioti,  die  sieh  etwa  150 — 200  m 
bergabwärts  befinden,  ist  in  solchem  Grade  vermehrt,  dafs  es  von  den 
aus  Quadersteinen  gebauten  Brunnen  einige  Steine  weggerissen  hat  und 
jetzt  wie  ein  Bach  aus  den  fensterartigen  Löchern  herausfliefst  und  die 
dortige  Strafse  überschwemmt.  Wahrscheinlich  verdanken  diese  zwei 
Brunnen  die  Vermehrung  ihres  Wassers  zum  gröfsten  Teil  dem  Weg- 
bleiben  des  Wassers  des  grofsen  Brunnens  von  Pasari. 

In  dem  kleinen  Thal,  welches  nordwestlich  der  Stadt  von  Atalanti 
liegt,  sind  die  Gewässer,  welche  die  dort  in  der  Tiefe  des  Thaies 
liegenden  Wassermühlen  treiben,  so  vermehrt,  dafs  sie  die  wasser- 
leitenden  Steineinfassungen  zersprengt  haben  und  in  den  daneben  fliefsen- 
den  Giefsbach  einmünden. 

Die  Brackwasser  der  Ortschaft  Pikraki  auf  der  Landstrafse,  die 
nach  Hagios  Konstantinos  führt,  welche  durch  das  Erdbeben  des 
ersten  Freitags  verschwunden  waren,  sind  jetzt  infolge  des  Erdbebens 
vom  Charfreitag  in  dreifacher  Vermehrung  zurückgekommen  und  haben 
als  Flufs  die  Strafse  und  die  dortige  Küste  überschwemmt.  Ebenso 
ist  das  Wasser  der  Flüsse  Roditza,  welcher  durch  das  Dorf  Hagios 
Konstantinos  fliefst,  und  Logga,  welcher  am  gleichnamigen  Kap  mündet, 
sehr  fühlbar  vermehrt. 

Dasselbe  ist  auch  bei  den  übrigen  im  Südosten  von  Atalanti  liegen- 
den Dörfern  beobachtet;  besonders  aber  ist  zu  bemerken,  dafs  eine 
Quelle  des  Dorfes  Masi,  welche  bis  jetzt  trinkbares  Wasser  lieferte,  seit 
dem  Erdbeben  vom  Charfreitag  Brackwasser  geworden  ist.  Dieselbe 
Erscheinung  zeigt  die  kleine  Quelle  der  Ortschaft  Halmyra. 

Die  zahlreichen  Gewässer  der  Bucht  von  Larymna,  die  durch 
ein  System  von  Teichen  und  Kanälen  die  dortigen  Mühlen  treiben, 
sind  durch  das  Erdbeben  vom  Charfreitag  vollständig  verschwunden 
und  nach  einigen  Tagen  wieder  bedeutend  stärker  zurückgekehrt;  aber 
wegen  der  vielen  Risse  in  den  Teichen  und  Kanälen  konnte  das  Wassser 
nicht  mehr  in  diesen  gehalten  werden  und  rinnt  deshalb  in  den  da- 
neben fliefsenden  kleinen  Bach,  welcher  in  die  Bucht  von  I.arymna 
mündet. 

Das  Wasser  des  Kopais-Sees,  sowie  der  anderen  zwei,  welche 
nordöstlich  von  demselben  liegen,  nämlich  des  Hylike-  und  des  I’ara- 
limni-Sees,  ist  unverändert  geblieben. 

So  hat  sich  die  Einwirkung  der  zwei  Erdbeben  vom  8./20.  und 
1 5-/27.  April  auf  die  Gewässer  der  heimgesuchten  Teile  von  Mittel- 
Griechenland  geäufsert. 

Dagegen  sind  die  Fiinwirkungen  der  Erdbeben  auf  die  Gewässer 
der  gegenüber  liegenden  Insel  Euböa  und  zwar  in  Aedipsos  und  auf 
der  Halbinsel  Prophet  Elias,  nach  den  von  dort  an  das  Ministerium 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  T.okris. 


443 


des  Innern  gesendeten  Berichten  des  Professor  Dr.  Dambergis  be- 
deutend mannigfaltiger  und  weisen  viel  gröfsere  Erscheinungen  als 
in  Lokris  auf. 

Ich  habe  leider  bis  jetzt  noch  nicht  die  Quellen  von  Aedipsos  und 
die  Thermen  auf  der  Halbinsel  Prophet  Elias  besucht,  darum  werde 
ich  vorläufig,  um  ein  vollständiges  Bild  der  ganzen  Einwirkung  der 
Erdbeben  auf  die  Gewässer  der  Quellen,  Brunnen,  Flüsse  u.  s.  w.  zu  geben, 
die  Beobachtungen  des  Professor  Dr.  Dambergis  im  Auszug  anführen. 
Nach  seinen  Berichten  ist  die  Zahl  der  Heilquellen  von  Aedipsos  vom 
Freitag  Abend  bis  Sonntag  (i 5-/27. — ty./zq.  April)  verdoppelt  und  die 
Menge  des  jetzt  aus  den  gesamten  Quellen  herausfliefsenden  Wassers 
tim  das  Zehnfache  vermehrt  worden.  Die  neuen  Quellen  liegen  auf  den 
Abhängen  des  oberhalb  des  Badeortes  ansteigenden  Berges  und  zwar 
in  drei  Vertiefungen  desselben. 

In  der  ersten  Schlucht  sind  durch  kleine  Risse  drei  neue  Quellen 
zu  Tage  getreten,  aus  denen  reichliches  Wasser  mit  einer  Temperatur  von 
44 — 50°  C.  hcrvorsprudelt.  Auf  der  anderen  Seite  derselben  Schlucht 
ist  ein  Klotz  Humuserde  von  3 cbm  abgetrennt  und  eine  neue  Quelle 
mit  reichlichem  Wasser  von  41 0 C.  entstanden.  Neben  dieser  Quelle 
sind  viele  andere  kleine  gebildet,  und  etwas  weiter  davon  noch  vier 
andere,  aus  welchen  ebenfalls  reichliches  Wasser  mit  einer  Temperatur 
von  50- 70 0 C.  quillt. 

In  der  zweiten  Schlucht,  die  oberhalb  der  Wohnung  des  Bürger- 
meisters Dr.  med.  Papanikolau  liegt,  ist  durch  einen  Rifs  in  den  Felsen 
unterhalb  der  Marmorbrüche  die  wasserreichste  Quelle  unter  den  neuen 
Qellen  von  Aedipsos  mit  einer  Temperatur  von  70°  C.  entstanden,  die 
auch  viele  Wasserdämpfe  aufsteigen  läfst. 

In  der  nächsten  Umgebung  der  Ortschaft  Platanos  sprudelt 
reiches  Wasser  aus  fünfzig  alten,  seit  vielen  Jahrhunderten  erloschenen 
Becken  wieder  hervor.  Das  bis  zu  der  Höhe  von  1 m über  den 
Boden  springbrunnenähnlich  emporsteigende  Wasser  hat  eine  Tem- 
peratur von  7o-82°C.  Die  der  alten  Quellen  ist  von  28°  C.  auf 
55°  C.  gestiegen. 

In  der  dritten  Schlucht,  die  über  die  Wohnungen  der  Ortschaft 
von  Platainos  sich  hinzicht,  sind  6 Quellen  mit  32  — 8o°C.  Temperatur 
zu  Tage  getreten  und  3 andere  Springquellen  im  Garten,  deren  Wasser 
kocht  und  deren  Temperatur  81 — 82“  C.  ist. 

Überall  auf  der  ganzen  Strecke  des  Thermo-Flusses  (Thermopotamos) 
sind  viele  neue  Quellen  mit  einer  Temperatur  von  81 0 C.  erschienen, 
die  auch  Schwefelwasserdämpfe  ausstofsen.  Das  Wasser  der  alten 
Quelle  der  Hagii  Anargyri  ist  weniger  geworden  und  die  Temperatur 
von  770  bis  81°  C.  gestiegen, 

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144  Theodor  G.  Skuphos: 

Aus  den  alten  Quellbecken,  welche  oberhalb  der  Sylla-Bäder 
liegen,  sind  neue  Quellen  mit  77  p C.  zu  Tage  getreten.  Ebenso  sind 
in  den  alten  Becken  unterhalb  der  Sylla-Bäder  neue  Quellen  mit  78°  C. 
erschienen.  Auf  der  Strafse,  die  nach  dem  Dorf  Aedipsos  führt,  haben 
sich  ebenfalls  neue  Quellen  von  58°  C.  gezeigt,  die  aus  den  Rissen 
der  dortigen  Felsen  hervorkommen. 

Ferner  ist  auch  in  den  in  Therma  auf  der  Halbinsel  Prophet  Elias 
gelegenen  alten  Quellen,  deren  Temperatur  31 0 C.  betrug,  das  Wasser  seit 
dem  Charfreitag  vermehrt  und  die  Temperatur  bis  auf  440  C.  gestiegen. 
Zur  selben  Zeit  ist  eine  neue  Quelle  entstanden,  deren  Wrasser  beim 
Emporsteigen  einige  Veränderungen  an  der  dortigen  Erdoberfläche 
hervorgerufen  hat;  ihre  Temperatur  ist  440  C. 

Selbstverständlich  darf  man  diese  Erscheinungen,  wie  auch  aus 
dem  Titel  dieses  Kapitels  hervorgeht,  nicht  als  Ursache  des  Erdbebens 
ansehen,  sondern  vielmehr  als  Folge  desselben  betrachten. 

VI.  Über  die  Risse,  Einsenkungen,  Abrutschungen,  Einstürze 
und  Verwerfungen  der  beiden  Erdbeben  vom  8.20.  und 

15./27.  April. 

Das  Erdbeben  des  8.,  20.  April  hat  nur  sehr  wenige  derartige  Er- 
scheinungen hervorgerufen.  Spalten  oder  besser  kleine,  kaum  sichtbare 
Risse  des  Bodens  sind  in  Kato  Pelli  entlang  der  dortigen  KUste  in 
einer  Länge  von  50  - 60  m entstanden.  Ebenso  sind  an  verschiedenen 
Stellen  auf  den  Wegen,  die  nach  Martino  führen,  solche  oberfläch- 
liche Risse  im  Boden  entstanden  und  zwar  auf  Teilen  der  Strafse,  die 
in  der  Nähe  von  Brücken  liegen,  d.  h.  dort,  wo  sie  durch  künstliche 
Anschüttungen  des  Bodens  hergestellt  ist.  Die  Richtung  dieser  Risse, 
deren  Länge  selten  Uber  20  m betrug,  war  von  SO  nach  NW.  Etwas 
bedeutendere  Risse  sind  bei  den  Dörfern  Masi  und  Malcssina  gebildet, 
aber  auch  dort  war  ihre  Länge  nie  gröfser  als  200  m.  Die  Ränder 
der  Risse  waren  kaum  4 — 6 cm  von  einander  entfernt,  und  nirgends 
konnte  man  eine  Sprunghöhe  unterscheiden. 

Ferner  sind  ähnliche  Risse  auf  der  Strafse  nach  Livanataes  im 
Pharmakorhevma  entstanden,  auch  dort  nicht  von  Bedeutung  und  auf 
angeschüttetcm  Boden.  Kurzum,  die  Risse  und  Veränderungen  ries 
Bodens  waren  so  unbedeutend,  dafs,  wenn  das  Erdbeben  vom 
15.  27.  April  nicht  stattgefunden  hätte,  alle  diese  Erscheinungen  viel- 
leicht unerwähnt  geblieben  wären. 

Die  Sache  wird  aber  ganz  anders  nach  dem  Erdbeben  vom 
15./27.  April,  da  sich  durch  dasselbe  lange,  Interesse  erregende  Spalten 
gebildet  haben,  welche  Einsenkungen,  Abrutschungen,  Bergstürze  und 
Dislokationen  des  Bodens  hervorbrachten. 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lnkris. 


4 4'» 


Weitaus  die  bedeutendste  ist  die  grofse  Spalte,  welche  dem 
Euböischen  Golf  entlang  in  einer  Länge  von  55  - 60  km  parallel  der 
Küste  verläuft.  Diese  Spalte  fängt  im  SO  am  Kap  Gatza  in  der  Bucht 
von  Skroponeri  an  und  endet  im  NW  in  der  Anschwemmungsebene, 
die  zwischen  Hagios  Konstantinos  und  Molos  sich  ausbreitet.  Tn 
ihrem  Verlauf  durchschneidet  diese  Spalte  von  unten  nach  oben  folgende 
Formationen:  Dolomite,  Kalke  und  Schiefer  der  Kreideformation; 

Mergel,  Konglomerate  und  Sandsteine  der  Neogen-Formation  ; Anschwem- 
mungen des  Alluvium  und  ferner  Serpentine  und  andere  Eruptivgesteine. 
Die  Kreidekalke  hat  diese  Spalte  einmal  am  Skroponeri-  und  Pasari- 
Berg  mit  sehr  kleiner  Sprunghöhe,  dann  aber  bei  Halmyra,  wie 
Tafel  15  zeigt,  auf  eine  Entfernung  von  mehr  als  200  m mit  einem 
Niveauunterschied  von  30  cm  durchschnitten.  Auch  weiter  nordwestlich 
sind  Kreidekalke  von  der  Spatte  durchschnitten,  aber  mit  sehr  kleinem 
Niveauunterschied  und  auf  geringe  Entfernung.  Dagegen  sind  die 
Neogen-Schichten  auf  grofse  Entfernung  und  mit  grofsen  Sprunghöhen 
durchschnitten , und  dies  ist  noch  mehr  in  den  Anschwemmungen 
der  Fall. 

Der  geographische  Verlauf  der  Spalte  von  SO  nach  NW  ist  fol- 
gender: Sie  fängt  am  Kap  Gatza  an,  durchschneidet  die  südwestlichen 
Abhänge  des  Skroponeri-Berges,  die  entsprechenden  Abhänge  des 
Pasari-Berges;  von  dort  weiter  nach  Südosten  gelangt  sie  zu  dem 
einzigen  Brunnen  des  Dorfes  Martino,  welcher  nordöstlich  vom  Dorf 
in  der  alten,  kesselartig  eingesenkten  Hochebene  liegt,  steigt  nachher 
zu  der  Strafse  hinauf,  die  von  Martino  nach  Proskyna  führt  und 
schneidet  dieselbe  in  einer  Entfernung  von  5 Minuten  NW  vom  Dorf 
Martino,  geht  an  der  Ortschaft  Chiliadu  vorbei,  wo  die  alte  Stadt 
Korseia  gelegen  haben  soll,  schneidet  die  nordöstlichen  Abhänge  des 
Chlomos-Gebirges  Stunde  vom  Dorf  Proskyna  entfernt,  zieht  sich 
dann  entlang  der  Ebene  von  Atalanti,  durchschneidet  die  Ortschaft 
Halmyra  und  mit  einer  mehr  westlichen  Biegung  die  breite  Ebene  von 
Atalanti  dicht  an  den  Abhängen  des  Chlomos-Gebirges  und  oberhalb 
der  Stadt  Atalanti,  welche  sie  einschliefst,  worauf  sie  die  nordöstlichen 
Abhänge  des  Rhoda-Berges  schneidet.  Von  hier  ab  macht  die  Spalte 
eine  Biegung  nach  Nordwesten,  geht  zwischen  den  Orten  Kalamaki 
und  Arkudari  hindurch,  schneidet  die  Nordost -Abhänge  des  Epi- 
knemis-Berges,  passiert  südwestlich  von  Hagios  Konstantinos,  bildet 
dort  mehrere  mehr  oder  weniger  kleine  Risse  und  verschwindet  in  der 
Ebene,  die  sich  jenseits  von  Hagios  Konstantinos  ausdehnt,  in  der 
Nähe  dieses  Ortes  und  von  Thronion.  (Tafel  16A 

Aufser  dieser  Spalte,  welche  also  einen  langen  und  breiten  Land- 
strich von  Mittel-Griechenland  abgetrennt  hat,  sind  noch  andere  Spalten 


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44ö 


Thendor  G.  Skuphos: 


entstanden.  Zunächst  diejenige,  welche  bei  Mulkia  beginnt,  einem  Ort 
gegenüber  der  südlichen  Spitze  der  Insel  Atalanti,  die  Ebene  von  Ata- 
lanti  von  NO  nach  SW  quer  durchschneidet  und  mit  der  grofsen  Spalte 
am  südöstlichen  Ende  des  Rhoda-Berges  zusammentrifft.  Diese  Spalte 
hat  eine  Länge  von  ungefähr  7 km  und  hat  nordwestlich  eine  30  — 50  cm 
tiefe  Einsenkung  der  Ebene  von  Atalanti  hervorgerufen.  Ferner  hat 
sie  die  Strafse,  die  von  Atalanti  nach  Proskyna  führt,  durch  strahlen- 
förmige und  sich  vielfach  kreuzende  Risse  so  verworfen  und  auseinander 
gesprengt,  dafs  man  sie  zu  Wagen  garnicht  mehr  und  selbst  zu  Pferde 
nur  mit  grofser  Vorsicht  passieren  kann.  Der  Abstand  der  Ränder 
ist  gewöhnlich  15 — 20  cm,  verringert  sich  aber  ab  und  zu  bis  auf  5 cm 
und  steigt  auch  bis  25  cm. 

Eine  andere  Spalte  befindet  sich  in  der  Stadt  Atalanti  selbst.  Diese 
Spalte  zweigt  sich  ein  wenig  aufserhalb  der  Stadt  in  der  Ebene  von 
Atalanti  in  südöstlicher  Richtung  von  der  grofsen  Spalte  äb,  schneidet 
das  südöstliche  Stadtviertel  und  läuft  am  Brunnen  von  Pasari  wieder 
in  die  grofse  Spalte  aus,  so  dafs  ein  elliptischer  Landstrich  von  unge- 
fähr 800  m Länge  und  300  m Breite  eingeschlossen  wird.  Dieser 
eingeschlossene  Landstrich  zeigt  eine  Niveauveränderung  von  1— 

Tiefe.  (Tafel  17.) 

Eine  andere,  ebenfalls  einen  elliptischen  Landstrich  umschliefsende 
Spalte  hat  sich  südwestlich  von  der  Ortschaft  Kyparissi  gebildet.  Der 
von  dieser  Spalte  umschlossene  Tertiärhügel  hat  die  Richtung  von  SO 
nach  NW,  eine  Länge  von  über  2 km  und  eine  Breite  von  ungefähr 
800  m.  Die  Spalte  kann  man  auch  als  eine  Gabelung  der  grofsen 
Spalte  betrachten,  da  die  grofse  Axe  der  Ellipse  in  die  Richtung 
der  grofsen  Spalte  fällt.  Die  durch  die  Einsenkung  dieser  Scholle  her- 
vorgebrachte Niveauveränderung  beträgt  35 — 40  cm.  Die  Kluft  hat 
eine  Breite  von  25-45  cm. 

Ferner  ist  von  einer  Spalte  bei  dem  Dorf  Skenderaga  zu  berichten, 
welche  ebenfalls  einen  länglichen  Landstrich  tief  eingesenkt  hat.  Die 
Länge  desselben  ist  etwa  500  m und  die  Breite  35 — 45  m.  Die  Ein- 
senkung ist  15  — 20  m tief  und  hat  den  Lauf  eines  Giefsbaches  unter- 
brochen, der  jetzt  einen  kleinen  See  bildet. 

Ebenso  fand  ich  bei  den  Dörfern  Livanataes  und  Arkitsa  Risse 
von  100  — 150  m Länge  mit  der  Richtung  von  SO  nach  NW.  Aber 
viel  bedeutender  sind  die  zahlreichen  und  der  Küste  zwischen  dem 
Kap  Knemidos  und  Logga  parallelen  Spalten,  welche  auch  der  grofsen 
Spalte  parallel  sind ; ihre  Länge  beträgt  5 — 7 km.  Von  besonderem 
Interesse  aber  ist  die  Spalte,  welche  einen  Landstrich  von  3 — 4 □ Strem- 
mata  (Morgen)  bei  Hagios  Konstantinos  und  ebensoviel  am  Kap 
Logga  in  das  Euböische  Meer  versenkt  hat.  Ferner  hat  noch  eine 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris.  447 

zweite  Spalte  parallel  zu  dieser,  wie  ich  schon  oben  erwähnt  habe, 
eine  Insel  von  42  m Länge  und  15  m Breite  durch  eine  Meerenge 
von  3'/j  m von  dem  Land  abgetrennt. 

Nach  dem  Bericht  des  Prof.  Dr.  Mitzopulos  an  das  Ministerium 
des  Innern  sind  auch  Spalten  um  das  Dorf  Charma  herum  entstanden, 
welches  aus  20  Häusern  besteht  und  auf  der  linken  Seite  einer  Schlucht 
liegt,  deren  Tiefe  30  m ist  und  an  deren  tiefster  Stelle  die  Quelle  des 
Flusses  Boaggeios,  vulg.  Platania  entspringt.  Das  dortige  aus  Lehm 
bestehende  Terrain  der  Tertiär-Formation  wird  von  der  erwähnten 
Schlucht  durchschnitten ; diese  Schlucht  umschliefsen  Spalten  parallel 
zu  ihrer  Axe.  Es  ist  zu  fürchten,  dafs  der  Teil  des  Abhanges  der 
Schlucht,  auf  dem  die  Häuser  stehen,  in  diese  hineinstürzen  und  die 
Einwohner  mit  ihren  Häusern  verschütten  wird. 

Aus  demselben  Bericht  erfährt  man,  dafs  Spalten  bei  Acldadion 
in  Phthiotis  beobachtet  sind.  Während  des  letzten  Erdbebens  ist  der 
lehmige  Boden  dieses  Thaies  von  Spalten  parallel  zu  der  Küste  in 
einer  Entfernung  von  150  m landeinwärts  zerrissen.  Diese  Spalten 
haben  Sand  mit  Wasser  ausgeworfen  und  damit  die  dortigen  Äcker  be- 
deckt. Das  Wasser  ist  wieder  abgetrocknet,  die  Spalten  von  2 — ro  cm 
Breite  sind  noch  klaffend  und  der  Sand  liegt  trocken  zerstreut  auf 
dem  Boden.  Besonders  bemerkenswert  ist,  dafs  ein  Küstenstreifen  von 
ungefähr  300  m Länge  und  12 — 15  m Breite  vom  Festland  abgetrennt 
und  im  Wasser  verschwunden  ist;  an  dieser  Stelle  ist  ein  früherer  Bade- 
platz unzugänglich  geworden,  weil  gleich  1 m von  der  Küste  entfernt  der 
Meeresgrund  bis  auf  2 Klafter  gesunken  ist;  in  einer  Entfernung  von 
10  m ist  derselbe  jetzt  8 bis  12  Klafter  tief. 

Ferner  teilt  Herr  Professor  Dr.  Dambergis  in  einem  Bericht  an 
das  Ministerium  des  Innern  folgendes  mit:  Nachdem  ich  die  Ortschaft 
Therma  besucht  hatte,  begab  ich  mich  auch  nach  Hagios  Georgios, 
dem  Hafenort  des  eine  halbe  Stunde  entfernten  Dorfes  Gialtra,  wo  in 
einer  Ausdehnung  von  300  m die  sandige  Küste  6 — io  m tief 
ins  Meer  versunken  ist.  Der  eingesenkte  Boden  hat  eine  Breite 
von  ungefähr  um  und  trägt  viele  Risse  von  kleineren  Abmessungen. 
Ähnliche  Risse  kann  man  auch  auf  dem  zurückgebliebenen  Boden  des 
Küstenlandes  in  einer  Entfernung  von  400  m landeinwärts  beobachten. 
An  der  Stelle,  wo  das  Küstenland  eingestürzt  ist,  steigen  an  vielen 
Punkten  des  Meeres  Schwefelwasserstoffblasen  auf. 

Nach  einem  anderen  Bericht  des  Provinzial-Ingenieurs  von  Euböa 
an  das  Ministerium  des  Innern  scheint  in  dem  Dorf  Messonta  des 
Demos  Telethrion  und  500  m vom  Dorf  Ananta  entfernt  eine  Ab- 
rutschung infolge  von  Spalten  stattgefunden  zu  haben,  aus  deren  Innern 
Wasser  sprudelte. 


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•148 


Theodor  G.  Skupbos: 


Die  auf  der  Halbinsel  Aetolyma  befindlichen  Dörfer  zeigen  auch 
Spalten.  So  z.  B.  wird  das  Dorf  Masi  von  parallelen  Bruchzonen  von 
NO — SW  durchsetzt,  welche  mit  Hilfe  des  Wassers  der  dortigen 
Quellen  auf  den  Ackern  der  Ortschaft  Perivolakia  eine  fast  horizon- 
tale Abrutschung  nach  vorwärts  hervorgebracht  haben,  so  dafs  die 
darauf  befindlichen  Obstbäume  jetzt  auf  den  12  m davon  entfernten, 
nur  1 m niedrigeren  Teil  einer  Schlucht  versetzt  sind.  Ebenso  ist 
durch  Spalten  mit  derselben  Richtung  auf  den  höheren  Rändern  der 
Schlucht  des  Dorfes  Masi  eine  Einsenkung  des  Bodens  von  1 m auf 
eine  Strecke  von  mehr  als  150  m entstanden.  Diese  Spalte  hat  auch 
Felsen  gewaltsam  abgesprengt.  Ganz  verschont  von  dieser  Spalten- 
bildung ist  auch  Malessina  nicht  geblieben,  sondern  es  hat  zu  den 
alten  Verwerfungen,  welche  die  treppenförmige  Gestaltung  des  Bodens 
hervorgerufen  haben,  noch  eine  Anzahl  von  neuen  Spalten  bekommen, 
welche  von  NO  nach  SW  den  Marktflecken  durchschneiden.  Beson- 
ders aber  droht  das  niedrige  Plateau  fortwährend  mit  der  Abtrennung 
und  dem  Einsturz  von  Erdteilen  in  die  enge  Schlucht  Spelia.  Die 
Spalten,  die  sich  in  Martino  gebildet  haben,  sind  unbedeutend  und 
nicht  erwähnenswert.  Dagegen  sind  die  Spalten  von  Larymna 
recht  bedeutend;  sie  streichen  von  SO  nach  NW,  haben  eine  I4nge 
von  über  200  m,  klaffen  noch  und  aus  ihrer  Tiefe  quillt  rötliches 
Wasser,  welches  einen  grofsen  Teil  der  dortigen  Äcker  überschwemmt 
hat.  Die  dort  vorkommenden  sehr  kompakten  Konglomerate  werden 
von  rötlicher,  mit  Eisenoxyd  durchsetzter  Thonerde  überlagert,  deren 
mechanische  Auflösung  dem  herausquellenden  Meerwasser  die  rote 
Färbung  gegeben  hat. 

Nachdem  ich  jetzt  alle  Spalten,  Risse,  Einsenkungen  u.  s.  w..  be- 
schrieben habe,  kehre  ich  zu  der  grofsen  Spalte,  die  ich  zur  Unter- 
scheidung von  den  übrigen  mit  dem  Namen  „Lokrischer  Bruch“  be- 
legen möchte,  und  zu  einigen  anderen,  die  in  Zusammenhang  mit  ihr 
stehen,  zurück. 

Der  Lokrische  Bruch,  welcher  die  Abtrennung  einer  grofsen 
Scholle  hervorgerufen,  hat  nicht  überall  auf  seiner  Ausdehnung 
dieselbe  Absenkung  hervorgebracht,  sondern  diese  ist  dort,  wo 
die  Schichten  aus  sehr  dichtem  und  festem  Gestein  bestehen,  selbst- 
verständlich geringer;  die  Veränderungen  aber,  die  er  gerade  dort 
angerichtet  hat,  sind  sehr  bedeutend , da  dort  Einstürze  von  Höhlen, 
wie  z.  B.  in  Skroponeria,  nicht  weit  von  der  Bucht  von  Larymna,  Ab- 
trennungen von  Felsen,  wie  z.  B.  bei  Halmyra,  Chiliadu,  Pikraki  u.  5.  w. 
veranlafst  wurden.  In  den  Schichten  der  lockeren  Neogen-Formation 
und  in  den  Ailuvionen,  ist  die  Absenkung  bedeutend  gröfccr,  aber  ohne 
Lärm  vor  sich  gegangen  und  hat  nicht  solche  Zerstörungen  hervor- 


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Die  rwei  grolsen  Erdbeben  in  Lokris. 


4-1!» 


gerufen,  wie  z.  B.  entlang  der  Ebene  von  Atalanti  von  der  Ortschaft 
Chiliadu  bis  zu  der  Strafse  nach  Levadia  und  noch  weiter  jenseits 
derselben. 

Die  gröfste  Sprunghöhe  der  Spalte  beträgt  ungefähr  2 m,  ge- 
wöhnlich aber  etwas  mehr  als  t m,  mit  Ausnahme  des  Kreidekalkes, 
wo  sie  gewöhnlich  30  cm  beträgt,  manchmal  auch  nur  5 — 6 cm  oder 
noch  weniger. 

Die  Entfernung  der  Ränder  der  Spalte  von  einander  erreicht 
4 m,  meistens  aber  ist  sie  weniger  als  i\  m,  manchmal  nur  25  cm 
oder  auch  nur  5 — 6 cm,  wie  in  den  Gesteinen  der  Kreideformation. 

Über  die  sichtbare  Tiefe  det  Spalte  kann  man  nicht  mit  Sicher- 
heit sprechen;  es  scheint  aber,  dafs  sie  an  einigen  Stellen,  wenn  man 
die  hineingesttlrzte  Erde  abrechnet,  13—20  m tief  ist,  meistens  aber 
reicht  die  sichtbare  Tiefe  nicht  weiter  als  bis  2^  m,  manchmal  wird 
sie  noch  bedeutend  seichter,  wie  in  den  Kalken  der  Kreideformation. 
Trotz  der  geringen  sichtbaren  Tiefe  ist  es  unmöglich,  dafe  eine  Spalte, 
welche  eine  solche  ungeheuere  Ausdehnung  besitzt,  nur  oberflächlich 
sein  sollte,  sondern  sie  mufs  noch  weiter  in  die  Erdkruste  hinein- 
reichen. Wie  tief  sie  aber  eindringt,  ist  mit  Sicherheit  zu  bestimmen 
sehr  schwer;  mit  Gewifsheit  kann  man  aber  sagen,  dafs  ihre  Tiefe 
nicht  weniger  als  70,71  m in  der  Mitte  ihrer  Länge  betragen  kann, 
welche  bei  der  Stadt  Atalanti  zu  suchen  ist.  Diese  Tiefe  habe  ich 
berechnet,  geleitet  durch  den  Gedanken,  dafs  eine  Spalte  mit  der 
Länge  eines  Erdbogens  von  60  km , wie  die  Lokrische  Spalte 

von  Skroponeria  bis  Molos  sie  ungefähr  hat,  sicher  von  der  Oberfläche 
in  der  Erdkruste  wenigstens  bis  an  die  Sehne  dieses  Erdbogens  hinab- 
reichen mufs.  Die  Entfernung  der  Sehne  in  ihrer  Mitte  bis  zum  Bogen 
habe  ich  als  70,71  m gefunden. 

Aufser  der  sichtbaren  Einsenkung  der  Lokrischen  Scholle  aber, 
d.  h.  der  senkrechten  Dislokation,  hat  auch  eine  horizontale  Verschie- 
bung stattgefunden,  wie  man  leicht  bemerken  kann,  wenn  man  die  in 
die  Spalte  gestürzten  Erdklölse  betrachtet.  Sämtliche  haben  Risse  be- 
kommen, welche  nicht  senkrecht  zur  Spalte  stehen,  sondern  unter 
einem  Winkel;  also  sind  auch  die  Erdklöfse  in  der  Richtung  des 

Schenkels  dieses  Winkels  gedreht  worden.  Eine  solche  Drehung 

kann  nicht  zufällig  sein,  sondern  mufs  durch  die  Verschiebung 

| der  Lokrischen  Scholle  entstanden  sein,  sonst  müfsten  alle  die 
Richtung  von  SW — NO  haben,  während  sie  jetzt  die  Richtung  von 
SSW — NNO  besitzen.  Ferner  ist  auch  z.  B.  das  trockene  Bett  eines 
Wasserlaufes,  der  vor  der  Bildung  der  grofsen  Spalte  die  Richtung 
der  Spalte  senkrecht  schnitt,  jetzt  in  seiner  Richtung  unterbrochen, 
indem  der  auf  der  abgetrennten  Scholle  liegende  Teil  nach  Nordwest 

1 

! 


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450 


Theodor  G.  Skuphos: 


verschoben  ist.  Diese  zwei  Beobachtungen  genügen  vollständig,  um 
zu  zeigen,  dafs  wirklich  eine  Verschiebung  stattgefunden  hat,  und  zwar 
von  SO  nach  NW. 

Professor  Dr.  Mitzopulos  ist  der  Ansicht,  dafs  die  l.okrische 
Scholle,  die  von  der  Spalte  abgetrennt  wurde,  nicht  eine  Einsenkung 
infolge  einer  tektonischen  Verwerfung  darstellt,  sondern  eine  einfache 
Abrutschung  nach  NO  zu,  d.  h.  dafs  der  ganze  Vorgang  eine  Ober- 
flächeiierscheinung  ist.  Gegen  diese  Ansicht,  welche  ich  vielleicht  an- 
nehmen könnte,  wenn  die  Spalte  sich  nur  auf  einen  Teil  der  Ebene 
von  Atalanti  beschränkte,  habe  ich  Folgendes  zu  sagen. 

1.  Die  ungeheure  Länge  der  ungefähr  60  km  langen  Lokrischen 
Spalte  läfst  es  so  gut  wie  unmöglich  erscheinen,  dafs  ein  Teil  des 
Bodens  in  einer  solchen  Ausdehnung  abrutschen  könne,  nicht  einmal 
senkrecht  zu  seiner  Längsausdehnung,  während  wir  schon  in  den  oben 
erwähnten  Beobachtungen  nachgewiesen  haben,  dafs  auch  eine  Ver- 
schiebung nach  Nordwesten  stattgefunden  hat,  d.  h.  nach  der  Richtung 
des  Erdbebens  selbst  und  nicht  senkrecht  zu  seiner  Richtung. 

2.  Das  Einfallen  der  verschiedenen  Schichten  der  Lokrischen 
Scholle  der  Spalte  entlang.  Wenn  nämlich  eine  Abrutschung  stattge- 
funden hätte,  so  müssen  vor  allen  Dingen  die  tektonischen  Verhältnisse 
es  gestatten,  d.  h.  der  zur  Abrutschung  bestimmte  Teil  mufs  in  der 
ganzen  Länge  seiner  sämtlichen  Schichten  dasselbe  Einfallen  haben 
und  im  Sinne  der  Richtung  der  Abrutschung,  und  wenn  auch  irgend- 
wo eine  Schichtenordnung  mit  anderem  Einfallen  vorkäme,  so  mtifstc 
sie  so  unbedeutend  sein,  dafs  die  allgemeine  Abrutschung  sie  einfach 
mitschleppen  könnte.  Hier  aber  liegt  nicht  nur  keiner  der  obigen  Fälle 
vor,  sondern  die  Schichten  fallen  nach  der  der  Abrutschung  entgegen- 
gesetzten Richtung  ein,  und  zwar  sind  die  Eruptivgesteine  des  Berges 
Rhoda  ungcschichtet;  sie  zeigen  nur  eine  Bankabsonderung  und  zu- 
fälligerweise auch  diese  nach  Stidwesten.  Ferner  sind  dann  die 
Schichten  der  Tertiärformation,  d.  h.  die  Sandsteine,  Mergel,  Kalk- 
mergel, Konglomerate,  welche  sich  nordwestlich  von  dem  Berge  Rhoda 
verbreiten,  nämlich  bis  nach  Livanataes  und  weiter,  horizontal,  oder  sie 
haben  ein  südliches  oder  südwestliches  Einfallen,  während  gleichzeitig, 
und  das  ist  auch  das  Wichtigste,  sämtliche  Kreideschichten  mit  den 
darauf  liegenden  tertiären  Gebilden  in  der  ganzen  Länge  der  Spalte 
von  NW — SO  streichen  und  südwestlich  io — 35°  einfallen,  d.  h.  nach 
der  der  vermutlichen  Abrutschung  entgegengesetzten  Richtung. 

3.  Die  ungleichartige  petrographische  und  geologische  Zusammen- 
setzung der  Scholle.  Wie  ich  schon  oben  gezeigt  habe,  und  wie  man 
auch  sehr  deutlich  auf  der  geologischen  Karte  der  heimgesuchten 
Gegenden  sehen  kann,  ist  es  sehr  schwer  zu  begreifen,  dafs  so  un- 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


451 


gleichartige  Schichten  von  so  verschiedenartiger  tektonischer  Stellung 
eine  gemeinsame  Abrutschung  erfahren  haben  und  noch  dazu  in  solcher 
Ausdehnung. 

4.  Die  Breite  dieser  Landstriche  (10 — 12  km)  ist  eine  solche  und 
die  durch  die  Abrutschung  hervorgerufene  Reibung  würde  auf  einer  so 
grofsen  Fläche  so  bedeutend  sein,  dafs  von  Anfang  an  die  Ab- 
rutschung vereitelt  würde. 

5.  Wenn  eine  solche  Abrutschung  nach  Südwesten  stattgefunden 
hätte,  d.  h.  nach  dem  Kopais-See  und  der  Ebene  von  Theben,  Leva- 
dia  u.  s.  w.  zu,  so  könnte  ich  mir  das  vielleicht  vorstellen,  weil  viele  Vor- 
bedingungen dafür  sprechen  würden,  aber  doch  auch  wieder  nicht 
leicht  zugeben.  Wir  haben  es  hier  aber  mit  der  vermutlichen  Ab- 
rutschung nach  Nordosten  zu  thun,  gegen  deren  Möglichkeit  ja  alle 
Vorbedingungen  sprechen. 

Aus  allem  diesem  ersieht  man  also,  dafs  die  Lokrische  Spalte 
eine  Verwerfung  ist,  die  nicht  eine  Abrutschung  nach  Nordosten,  son- 
dern eine  Einsenkung,  d.  h.  senkrechte  Dislokation  hervorgebracht 
hat,  mit  W’elcher  gleichzeitig  eine  horizontale  Verschiebung  nach  Nord- 
westen, also  in  der  Richtung  des  Erdbebenstofses  verbunden  war. 

Eine  seismogenc  Spalte  also  und  zwar  durch  ein  tektonisches 
Beben  hervorgebracht,  deren  Lange  wenigstens  55  - 60  km,  deren 
sichtbare  Tiefe,  nach  Abrechnung  der  hineingefallenen  Erde  15  bis 
20  m beträgt,  deren  geringste  Tiefe  ich  als  Höhe  des  Erdbogens  von 
60  km  zu  seiner  Sehne  auf  70,71  m berechnet  habe,  bei  welcher  der 
durch  sie  abgetrennte  Landstrich  eine  sichtbare  Einsenkung  bis  zu 
2 m und  gleichzeitig  eine  Verschiebung  von  einigen  Centimetern  nach 
Nordwesten  erfahren  hat,  welche,  um  die  Richtung  von  NO  nach  SW 
beizubehalten,  d.  h.  eine  Richtung,  welche  den  Bruchzonen  des  Euböi- 
schen  Golfes,  den  Einsenkungen  des  Kopais-Sees,  der  Ebene  von  I.e- 
vadia,  des  Thaies  des  Melas-Flusses  u.  s.  w.,  auch  der  Bruchzone  des 
Korinthischen  Golfes  parallel  ist1),  weder  die  Kreidekalke  noch  die 
harten  Eruptiv -Gesteine  des  Berges  Rhoda  u.  s.  w.  verschont  hat  — 
eine  solche  Spalte  kann  man  nicht  als  einen  einfachen  Rifs  in  den 
Oberflächengebilden  auffassen,  sondern  man  mufs  sie  als  Dislokations- 
Verwerfung  ansehen*),  welche  eine  senkrechte  und  gleichzeitig  hori- 
zontale Niveauveränderung  hervorgebracht  hat. 

*)  Vergl.  A.  Bittner,  Der  geolog.  Bau  u.  s.  w.  S.  18  ff.  A.  Philippson, 
Der  Kopais-See,  S.  31,  und  andere  Forscher. 

*)  Über  die  Natur  der  groben  Spalte  u.  s.  w.  vergl.  A.  Philippson,  //*p» 
/oiV  attafjiöf  rij'c  JqxqMos  in  der  Zeitung  , Kt/  tjutyti  i wr  -JriCqre<r*(ur'",  No.  III, 
vom  25-/7.  Juli  1894,  und  ..Das  diesjährige  Erdbeben  in  Lokris“.  Verh.  d.  Gesellsch, 
f.  Erdk.  zu  Berlin,  1894,  S.  334. 


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452 


Theodor  G.  Skuphos: 


Ich  gehe  noch  weiter  und  betrachte  alle  diese  seismischen  Spalten, 
z.  B.  in  der  Ebene  von  Atalanti,  von  Skenderaga,  an  der  KUste  von 
Hagios  Konstantinos  und  I.oggos  einerseits  und  der  gegenüber- 
liegenden KUste  von  Achladion  u.  s.  w.  andererseits,  wie  auch  alle  Spalten, 
welche  Veränderungen  der  Tektonik  und  der  senkrechten  und  hori- 
zontalen Gliederung  jener  Gegend  verursacht  haben,  als  einfache  Dis- 
lokations-Spalten. Wenn  wir  annehmen  möchten,  daß»  die  Lokrische 
Spalte  eine  weitere  Entwickelung  erfahren  würde,  indem  sie  eine  noch 
gröfsere  Erweiterung  des  Euböischen  Golfes  hervorriefe,  entweder 
durch  weitere  Abtrennung  und  Einsenkung  der  I.okrischen  Scholle, 
deren  höher  gelegene  Punkte  dann  als  Inseln  sichtbar  bleiben  würden 
— dann  würde  selbstverständlich  niemand  auftreten,  der  nicht  der 
Ansicht  wäre,  daß,  wirklich  eine  tektonische  Erscheinung  stattgefunder, 
habe  und  zwar  von  grofser  Bedeutung.  Aber  was  ist  denn  anderes 
bei  den  kleinen  Spalten  eingetreten,  als  bei  den  grofsen  Spalter, 
nämlich  kesselartige  Einsenknngen  und  infolge  davon  Bildung  eines 
Sees,  Einsenkungen  und  Bildung  einer  Insel  mit  Versenkung  von 
Erdteilen  in  die  Meereswogen  u.  s.  w.  Und  bei  den  grofsen  Erschei- 
nungen wird  niemand  dagegen  sprechen,  dafs  sie  tektonischen  Ur- 
sprungs sind,  während  die  anderen  Spalten  so  erklärt  werden,  dafs  sie 
der  Einwirkung  ihres  eigenen  Gewichts  einfach  nachgegeben  und  im 
Meer  versenkt  sind.  Aber  wie  steht  es  denn  mit  dem  Meeresgrund, 
welcher  überall  tiefer  geworden  ist? 

Die  Ursache  für  solche  Erklärungen  liegt  darin,  dafs  man  in  der 
Geologie  bis  jetzt  gewöhnt  ist,  Dislokations-Spalten  nur  in  früheren 
Erd-Epochen  zu  beobachten,  während  man  für  alles,  was  sich  heutzu- 
tage vor  unseren  Augen  entwickelt,  auf  möglichst  einfache  Weise  die 
Erklärung  zu  geben  versucht,  was  meiner  Meinung  nach  nicht  immer 
das  Richtige  ist. 

Auf  dem  Isthmus  von  Korinth  z.  B.,  den  man  als  durch  eine  re- 
lative Hebung  gebildet  zu  betrachten  gewohnt  ist,  giebt  es  eine  ganze 
Anzahl  Verwerfungen,  und  zwar  in  sehr  kleinem  Mafsstab1);  trotzdem 
hält  kein  Geologe  sie  für  etwas  anderes,  da  sie  zur  Veränderung  der 
Tektonik  und  der  senkrechten  und  horizontalen  Zerstückelung  beige 
tragen  haben,  und  das  geschieht,  weil  diese  Erscheinungen  in  früheren 
geologischen  Zeiten  stattgefunden  haben. 

Es  ist  ferner  von  Professor  Dr.  Mitzopulos  und  Dr.  Papavasiliu 
gesagt  worden,  dafs  nur  in  sehr  ferner  Zukunft,  nach  Myriaden  von 

'l  Dr.  A.  Philipp  son,  Der  Isthmus  von  Korinth.  Eine  geologisch  - geo- 
graphische Monographie.  Zeitschr.  d.  (iesellsch.  I.  Erdkunde,  Bd.  XXV,  tj<>c. 
S.  15  ff,  und  55  ff. 


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Die  zwei  jjrofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


453 


Jahrhunderten,  die  wissenschaftlich  unbestimmbar  seien,  die  Abtrennung 
der  Scholle  eine  Einsenkung  hervorrufen  und  dadurch  eine  Über- 
schwemmung und  eine  Erweiterung  des  Euböischen  Golfes  herbei- 
führen oder  eine  Insel  bilden  könne,  oder,  wie  sie  noch  anders  sich 
ausgedrückt  haben,  nur  nach  Verlauf  von  Millionen  von  Jahren,  und 
zwar  nach  und  nach,  würde  das  Versinken  des  abgetrennten  Teils 
statthaben  können. 

Man  kann  gegen  alles  dieses  nichts  anderes  sagen,  als  dafs  die 
Zeit  der  Entwickelung  irgend  einer  geologischen  Erscheinung,  deren 
Grund  uns  nur  theoretisch  bekannt  ist,  nicht  bestimmt  werden  kann. 
Die  Verwirklichung  einer  Erscheinung,  welche  einmal  in  ihren  Anfängen 
zu  Tage  getreten  ist,  kann  in  jeder  Zeit  stattfinden.  Seit  ihrem  Auf- 
treten jedoch  droht  immer  die  Gefahr  der  Verwirklichung,  wie  bei 
einem  zum  Fallen  geneigten  Hause  immer  die  Gefahr  des  Einsturzes 
droht,  und  doch  der  Baumeister  nicht  im  Stande  ist,  die  Zeit  des 
Einsturzes  zu  bestimmen,  obwohl  er  dort  alles  in  kleinen  Verhält- 
nissen vor  Augen  hat  und  genau  prüfen  kann.  Um  zu  zeigen,  wie 
unhaltbar  eine  Bestimmung  der  Zeit  ist,  in  welcher  die  Verwirk- 
lichung einer  Erscheinung  statthaben  kann  oder  mufs,  könnte  ich 
zum  Beispiel  ja  auch  eine  Frist  in  folgender  Weise  bestimmen: 
Wenn  jährlich  ein  Erdbeben  wie  das  vom  Gharfreitag  stattfindet,  und 
wenn  bei  jedem  solchen  Erdbeben  eine  Einsenkung  des  Bodens  wie 
am  1 5-/27.  April,  d.  h.  von  2 m,  erfolgt,  so  würde  nach  Verlauf  von 
90  Jahren  oberhalb  von  Atalanti  der  höchste  Punkt  der  I.okrischen 
Spalte,  der  jetzt  180  m Höhe  über  dem  Meeresspiegel  hat,  Meeres- 
grund bilden. 

Daher  glaube  ich,  dafs  die  Anfänge  der  Erscheinungen,  welche 
durch  das  Erdbeben  vom  Charfreitag  zu  Tage  getreten  sind,  eine 
weitere  Entwickelung  und  Ausführung  zu  jeder  Zeit  und  nicht  nur  in 
weit  entlegener  Zukunft  erfahren  können. 

VII.  Abgestürzte  Felsen  und  die  dadurch  hervorgerufenen 
Beschädigungen. 

Infolge  des  Erdbebens  vom  ersten  Freitag  (8.  20.  April)  sind  nur 
in  zwei  oder  'drei  Ortschaften  einige  Felsstürze  vorgekommen.  Ich 
selbst  habe  solche  abgestürzten  Felsen  gesehen.  Zunächst  in  Halmyra, 
wo  ziemlich  grofse  Felsen  von  den  Kreidekalken,  welche  diese  Ortschaft 
überragen,  aus  einer  Höhe  von  70—80  m abgetrennt  worden  und  bis 
dicht  vor  die  Hirtenhütten  gefallen  sind.  Der  gröfste  von  allen  be- 
trägt 2 cbm,  ist  auf  der  Ebene  80  m weit  von  der  Basis  des  Berges 
weggerollt  und  hat  sich  links  von  der  Strafse  von  Atalanti  nach  Pro- 
skyna  fest  eingewühlt. 


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454 


Theodor  G.  Skuphos: 


Andere  Felsen  sind  bei  dem  Dorf  Masi  in  Folge  von  Spalten 
herabgefallen,  welche  sich  auf  der  oberhalb  des  Dorfes  gelegenen 
Hochebene  gebildet  haben,  die  aus  Tertiärkalkmergel  besteht;  das 
gröfste  Felsstück  ist  etwas  mehr  als  2 cbm. 

Solche  abgestürzten  Felsen  sind  ebenfalls  in  der  Bucht  von 
T.arymna  auf  den  Fttfsweg,  der  nach  Karditza  führt,  heruntergefallen 
und  in  kleine  Blöcke  von  \ — 1 cbm  zerstückelt. 

Die  durch  das  Erdbeben  vom  Charfreitag  herabgefallenen  Felsen 
sind  dagegen  bedeutend  gröfser  und  zahlreicher  auf  der  ganzen  Aus- 
dehnung der  ersten  und  zweiten  seismischen  Zone,  d.  h.  von  Larvmiw 
bis  nach  Hagios  Konstantinos.  Am  südöstlichen  Ende,  d.  h.  vor  der 
Bucht  von  I.arymna,  wo  sich  früher  Höhlen  in  den  Kreide-Felsen  be- 
fanden, sind  diese  durch  das  Erdbeben  vom  zweiten  Freitag  eingestürzt; 
Blöcke  von  sehr  grofsen  Abmessungen  haben  sich  abgetrennt  und  sind 
mit  schrecklichem  Getöse  in  das  dort  in  der  Bildung  begriffene  enge 
Thal  gestürzt,  welches  durch  sie  abgesperrt  wurde. 

In  dem  wohl  bepflanzten  kleinen  Thal  Spelia,  bei  dem  Markt- 
flecken Malessina,  haben  auch  Abstürzungen  nicht  von  einzelnen  Fels- 
stücken, sondern  von  ganzen  Erdklötzen  stattgefunden,  während  noch 
andere  bei  der  nächsten  Veranlassung  zu  stürzen  drohen.  Darum  ist  den 
Einwohnern  von  Malessina  grofse  Vorsicht  zu  empfehlen  oder  besser  ihnen 
zu  raten,  das  Thal  vollständig  zu  verlassen,  weil  namentlich  die  dortigen 
Brunnen  so  liegen,  dafs  das  Wasserholen  sehr  gefährlich  ist,  da  jederzeit 
von  den  das  Thal  überragenden  Felsen  Stücke  herunterfallen  können. 

Ebenso  sind  im  Dorf  Masi,  an  derselben  Stelle  wie  während  des 
Erdbebens  vom  ersten  Freitag,  auch  jetzt  wieder  durch  das  Erdbeben 
vom  Charfreitag  Felsen  heruntergestürzt  und  zwar  bedeutend  gröfsere 
und  zahlreichere,  von  denen  der  gröfste,  3 — 4 cbm  betragende  bis  in  das 
Dorf  gekommen  ist;  einige  davon  sind  unterwegs  auf  geneigter  Ebene 
liegen  geblieben,  so  dafs  sie  bei  der  ersten  Gelegenheit  ihren  Weg 
fortsetzen  werden.  Unglücklicherweise  liegen  auch  hier  die  Brunner, 
unterhalb  der  abgetrennten  und  zum  Weitersturz  bereiten  Felsen.  Die 
Gefahr  ist  auch  hier  sehr  ins  Auge  fallend ; deswegen  müssen  auch 
die  Einwohner,  wenn  sie  Wasser  holen,  sehr  Acht  geben.  Sie  können 
nur  hier  Wasser  holen,  da  es  in  der  nächsten  Umgebuflg  kein  anderes 
Trinkwasser  giebt. 

Weiter  südwestlich,  in  der  Ortschaft  Chiliadu,  haben  von  den  über- 
hängenden Bergen  gewaltige  Felsstürze  stattgefunden,  deren  Trümmer 
noch  bis  nach  Hagios  Georgios  heruntergerollt  sind  und  an  den 
dort  stehenden  Bäumen  grofsen  Schaden  veranlafst  haben. 

ln  der  Ortschaft  Halmyra  hat  es  während  des  ersten  Erdbebens 
vom  8.  zo.  April  förmlich  grofse  und  kleine  Felsstücke  geregnet,  so 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


455 


dafs  eine  Feldstrecke  von  mehr  als  vier  Morgen  jetzt  mit  grofsen 
und  kleinen  Kalkblöcken  (i — 5 cbm)  wie  besät  ist.  Auf  den  nord- 
östlichen Abhängen  der  dort  aufragenden  Berge  haben  die  herunter- 
kommenden Felsen  schmale  Furchen  gebildet,  deren  Fortsetzung  man 
auch  auf  der  Ebene  von  Atalanti  verfolgen  kann.  Diese  Felsstücke 
sind  noch  mächtiger,  wenn  man  zu  den  westlich  und  östlich  von 
der  Ortschaft  Halmyra  nach  Norden  herabkommenden  zwei  Wild- 
bächen hinaufsteigt.  Dort  haben  grofse  Felsklötze,  welche  von  sehr 
hoch  gelegenen  Teilen  des  Berges  abgetrennt  sind,  sehr  auffallende 
Spuren  an  den  Abhängen  hervorgebracht  und  die  durch  Wasser  in 
Bildung  begriffenen  Rinnen  angefüllt. 

Noch  weiter  nordwestlich,  in  der  Ortschaft  Pikraki,  bei  einer  Wasser- 
mühle, wo  die  Felsen  eine  Olivenanpflanzung  überragen,  sind  auch 
P'elsstticke  herabgekommen,  welche  viele  Bäume  zerstörten ; sie  sind  so 
massenhaft,  dafs  man  sie  als  Bergsturz  betrachten  kann. 

Von  hier  aus  bis  nach  Hagios  Konstantinos,  d.  h.  entlang  der 
I.andstrafse,  habe  ich  ähnliche  Felsabstlirze  zu  verzeichnen,  durch 
welche  an  vielen  Stellen  die  Strafse  gesperrt  worden  ist.  Wegen  der 
Höhe,  aus  welcher  die  Stürze  kamen  und  der  steilen  Böschung  der 
Bergabhänge,  sind  die  Blöcke  mit  solcher  Gewalt  auf  die  Ebene  her- 
untergerollt, dafs  Vertiefungen,  Gräben  und  Risse  sowohl  auf  den 
Bergabhängen  als  auf  der  Ebene  selbst  hervorgebracht  worden  sind; 
auf  der  letzteren  sind  die  Blöcke  einige  Male  aufgesprungen  und 
haben  sich  dann  fest  eingewühlt.  Solche  Abstürze  zeigt  auch  der  Berg 
Epiknemis  bei  Hagios  Konstantinos. 

VIII.  Die  tektonischen  Verhältnisse  und  die 
Entstehung  des  Eluböischen  Golfes. 

Die  verschiedenen  Formationsglieder  in  den  von  den  Erdbeben 
heimgesuchten  Gegenden  sind  von  unten  nach  oben  folgende: 

1)  die  Eruptivgesteine  von  Euböa  und  vom  Rhoda-Berg  in  Mittel- 
Griechenland  ; 

j)  die  Serpentine; 

3)  die  Kalke,  Dolomite,  Sandsteine  und  Schiefer  der  Kreide- 
formation; 

4)  die  Mergel,  Kalkmergel,  Sandsteine,  Konglomerate  u.  s.  w.  der 
Neogen-Formation; 

5)  die  Anschwemmungen  des  Diluvium  und  des  Alluvium. 

Die  älteren  Formationsglieder,  mit  Ausnahme  der  Eruptiv- Gesteine, 
sind  vielfach  gefaltet  und  durch  Längs-  und  Querverwerfungen  gestört. 
Auf  diesen  gefalteten  Schichten  ruhen  die  Neogen-Schichten,  welche  nur 
mehr  oder  weniger  einfach  gestört  sind.  Da  ich  in  einer  späteren 


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Theodor  G.  Skuphos: 


456 

Arbeit  die  tektonischen  Verhältnisse  sowie  auch  die  am  Rhoda-Berg 
bei  Atalanti  vorkommenden  Eruptivgesteine  bearbeiten  werde,  so 
beschränke  ich  mich  hier  darauf,  nur  kurz  über  die  Entstehung  des 
Euböischen  Golfes  zu  sprechen. 

Während  der  Tertiärzeit,  als  Euböa  noch  mit  Mittel-Griechen- 
land in  Verbindung  war,  scheint  sich  entlang  des  heutigen  Kanals 
von  Euböa  eine  langgezogene  Hochebene  von  Südosten  nach  Nord- 
westen  ausgebreitet  zu  haben,  auf  welcher  eine  Reihe  von  Brack- 
wasserseen1) lagen,  in  denen  nach  und  nach  die  Neogen  - Schichten 
abgelagert  wurden;  diese  Schichten  liegen  jetzt  auf  den  beiden 
Küsten  von  Mittel -Griechenland  und  Euböa.  Am  Ende  der  Tertiär- 
zeit und  am  Anfang  der  Quartärzeit  haben  grofse  tektonische  Störungen 
stattgefunden , welche  mehr  oder  weniger  die  heutigen  geologischen 
Verhältnisse  entlang  des  Euböischen  Kanals  hervorgebracht  haben. 

Dafs  diese  grofsen  Störungen  in  der  Quartärzeit  stattgefunden 
haben,  dafür  sprechen  die  ganz  analog  auf  beiden  Küsten  sowohl  auf 
Euböa  als  auch  auf  Mittel-Griechenland  abgelagerten  Neogen-Schichten, 
deren  Bildung  man  nur  erklären  kann,  wenn  man  annimmt,  dafs  sie 
einmal  zusammenhingen.  Ferner  liefert  das  Vorkommen  von  Elephas 
primigenius  Blumb.  sowohl  in  den  Diluvial- Ablagerungen  in  Euböa 
als  auch  in  Mittel-Griechenland  und  im  Peloponnes  den  besten  Beweis, 
dafs  diese  Landstrecken  auch  während  der  Quartärzeit  in  Zusammen- 
hang standen.  Da  uns  aber  allgemein  bekannt  ist,  dafs  in  dieser  Zeit 
auch  der  Mensch  lebte,  so  kommt  man  zu  dem  Schlufs,  dafe  dieses 
grofsartige  geologische  Phänomen  nicht  vor  vielen  Millionen  Jahren 
stattgefunden  hat,  sondern  vor  einer  bestimmten  Anzahl  Dekaden  von 
Jahrtausenden  in  Anwesenheit  des  Menschengeschlechts.  Von  diesem 
Elephanten  besitzt  unser  Paläontologisches  Museum  Reste. 

IX.  Über  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
der  Erdbeben. 

Leider  ist  es  mir,  da  genaue  Angaben  über  die  Zeit,  in  welcher 
die  Erdbeben  von  I.okris  stattgefunden  haben,  fehlen,  unmöglich,  irgend 
eine  Zahl  über  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Erdbeben  zu  geben. 
Oft  hat  man  Zeitangaben  aus  den  von  dem  Erdbeben  heimgesuchten 
Gegenden  mitgeteilt,  welche  wesentlich  von  derjenigen  der  Sternwarte 
in  Athen,  auf  die  man  sich  doch  verlassen  kann,  abweichen,  und  zwar 
so,  dafs  das  heteroseiste  Athen  scheinbar  die  Erdbeben  bedeutend 
früher  oder  auch  später  als  das  autoseiste  Lokris  gefühlt  hat.  Der 

')  Dr.  A.  Philippson,  Der  Kopais-See  in  Griechenland  und  seine  Umgebung. 
Zeitschr.  d.  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin.  Bd.  XXIX,  1894.  S,  30. 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lobis 


457 


Fehler  liegt  in  dem  Mangel  an  seismischen  Instrumenten,  Uhren  u.  s.  w. 
in  Griechenland. 

Aber  glücklicherweise  ist,  was  man  nicht  in  Griechenland  erreichen 
konnte,  zwischen  Athen  und  Birmingham  in  England,  wie  die  Zeitung 
„Nature"  mitteilt,  geschehen.  Die  Fortpflanzung  der  Erdbeben  von 
I.okris  ist  in  sehr  grofsen  Entfernungen  fühlbar  geworden,  und  zwar 
des  Erdbebens  vom  15.  27.  April,  welches  Davidson  mit  Hilfe  eines 
an  doppelten  Federn  hängenden,  sehr  empfindlichen  Pendels  be- 
obachtet hat.  Die  Schwingungen  sind  zuerst  um  7 Uhr  59  Minuten  ein- 
getreten, nach  und  nach  haben  sie  bis  8 Uhr  3 Minuten  zugenommen, 
um  bei  8 Uhr  28  Minuten  wieder  abzunehmen;  dann  waren  die 
Schwingungen  nicht  mehr  fühlbar.  Aus  dem  Vergleich  dieser  Zahlen 
mit  den  entsprechenden  Nachrichten  über  die  Zeit  des  Erdbebens  in 
Athen  selbst  hat  man  gefunden,  dals  das  Erdbeben  in  Birmingham 
14  Minuten  später  als  in  Athen  gefühlt  wurde.  Die  Entfernung  zwischen 
diesen  beiden  Städten  Athen  und  Birmingham  ist  wenigstens  2508  km. 
Also  beträgt  die  mittlere  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Erdbebens 
für  jede  Sekunde  3000  m.  Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  gilt  nur 
für  die  Richtung  der  grofsen  seismischen  Axe  der  Flllipse,  nach 
welcher  Richtung  sich  auch  die  starke  Zerstörung  fortgepflanzt  hat. 

Es  wäre  von  grofsem  Nutzen,  wenn  man  auch  von  einem  andern 
Punkt  nordöstlich  oder  südwestlich  'von  Griechenland  die  mittlere 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  kennen  würde,  um  auch  nach  der 
Richtung  der  kleinen  seismischen  Axe  der  Ellipse  eine  Zahl  zu  er- 
halten; diese  Geschwindigkeit  wird  bedeutend  kleiner  als  die  der 
grofsen  Axe  sein.  Auch  diese  Zahl  (3000  m)  für  die  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit der  grofsen  Axe  scheint  zu  grofs  zu  sein,  da  andere 
Flrdbeben,  welche  als  bedeutend  gröfsere  und  stärkere  zu  betrachten 
sind,  wie  z.  B.  das  Erdbeben  von  Lissabon  im  Jahr  1755,  eine  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit von  kaum  550  m,  das  von  Nord-Amerika  im 
Jahr  1843  eine  solche  nach  Westen  von  650  m,  nach  Osten  von 
998  m,  das  von  Ägion  im  Jahr  1861  nach  den  Beobachtungen  von 
Schmidt  nur  eine  von  300  m hatten.  Bei  allen  diesen  ist  also  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  bedeutend  geringer. 

Nach  den  Beobachtungen  der  Sternwarte  in  Strafsburg  war  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Erdbebens  von  Zante  im  vorigen 
Jahr  und  zwar  in  derselben  Richtung  nach  Nordwesten,  ebenfalls  eine 
grofse,  nämlich  2000 — 2500  m für  jede  Sekunde,  doch  steht  sie  der  von 
I.okris  bedeutend  nach.  Vor  allem  aber  wird  aus  diesen  zwei  Beob- 
achtungen der  neuesten  Zeit  von  Strafsburg  und  Birmingham  klar,  dafs 
die  Erdbeben  von  Zante  und  Lokris  ungefähr  nach  derselben  Richtung 
eine  sehr  auffallend  gröfsere  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  besafsen 

Zeitschr.  d.  Ges«  11  sch.  f.  Erdk.  Md.  XXX.  31 


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458 


Theodor  G.  Skuphos: 


als  die  früheren  Erdbeben.  Das  kann  man  wahrscheinlich  auf  gröfsere 
Vervollkommnung  und  Genauigkeit  der  Instrumente  der  neuesten  Zeit 
zurückführen. 

X.  Über  die  Häufigkeit  der  Erdbeben  von  Lokris 
vom  8./20.  April  bis  zum  13./25.  Juni. 

Selbstverständlich  war  es  mir  wegen  der  grofsen  Zahl  der  Erd- 
erschütterungen, welche  vom  8./20.  April  bis  zum  13.  25.  Juni  d.  J. 
in  Lokris  stattgefunden  haben,  unmöglich,  ein  vollständiges  Tagebuch 
mit  allen  nötigen  Bemerkungen  Uber  die  Stunde,  Dauer,  Richtung  und 
Folgen  u.  s.  w.  einer  jeden  Erschütterung  an  Ort  und  Stelle  zu 
führen.  Ich  habe  mich  darauf  beschränkt,  ausführliche  Angaben  nur 
für  die  grofsen  Erdbeben  zu  verzeichnen,  die  übrigen,  die  zahl- 
reicheren, zähle  ich  einfach  auf,  um  zu  zeigen,  wie  oft  und  andauernd 
der  Boden  von  Lokris  erschüttert  wurde. 

Nach  diesem  Prinzip  gebe  ich  an,  dafs  in  der  Zeit  der  ersten 
8 Tage,  d.  h.  von  dem  ersten  Erdbeben  am  ersten  Freitag  (8.  20.  April 
bis  zum  zweiten  vom  Charfreitag  (15.  27.  April)  ungefähr  850  grofse 
und  kleine  F.rderschütterungen  stattgefunden  haben.  Vom  Abend  des 
15. ,'27.  April  9 Uhr  17  Minuten,  d.  h.  des  zweiten  grofsen  Stofscs,  bis 
zum  24.  April '6.  Mai,  dem  Tage  meiner  Abreise  aus  I.okris,  sind  4250 
kleine  und  grofse  Bewegungen  des  Bodens  vorgekommen.  Seitdem  haben 
die  Erderschütterungen  fühlbar  abgenomraen,  so  dafs  sie  alle  zusammen 
bis  zum  13.  25.  Juni  die  Zahl  von  6000  nicht  überschritten  haben. 

Die  seismische  Periode  scheint  noch  nicht  zu  Ende  zu  sein,  da 
täglich  Telegramme  kommen,  welche  wieder  von  neuen  F.rderschiltte- 
rungen  berichten.  Die  Zahl  von  ungefähr  6000  Erderschütterungen  in 
I.okris  zeigt  im  Verhältnis  oder  Vergleich  zu  der  Anzahl  von  Er- 
schütterungen anderer  grofser  Erdbeben,  dafs  die  Häufigkeit  der- 
selben in  Lokris  sehr  grofs  ist. 

Nachstehend  gebe  ich  in  einer  Tabelle  die  gröfseren  und  stärkeren 
Erdbeben  mit  Beobachtungen  über  Ort,  Zeit,  Richtung,  Dauer,  Folgen. 
Intensität  u.  s.  w. 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris.  459 


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XI.  Uber  die  Tiefe  des  seismischen  Centrums  und  über  die 
Art  und  Ursache  der  Erdbeben  in  Lokris. 

Nachdem  ich  schon  festgestellt  hatte,  dafs  das  Epicentrum  des 
Erdbebens  vom  8.  20.  April  wahrscheinlich  im  Euböischen  Meer  lag 
und  zwar  nicht  weit  von  der  Küste  der  Halbinsel  Aetolyma,  zwischen 
dieser  t^nd  dem  Kandili-Berg  von  Euböa,  versuchte  ich  nach  der  Me- 
thode von  R.  Mailet  die  Tiefe  des  seismischen  Centrums  nachzuweisen. 
So  erhielt  ich  durch  zwei  Beobachtungen,  da  ich  leider  andere  wegen 
des  zweiten  Erdbebens  nicht  anstellen  konnte,  die  mittlere  Tiefe  des 
Centrums  als  6992  m,  das  Minimum  dagegen  4606  m und  das  Maximum 
9378  m.  Diese  Zahlen  sind  nicht  so  sehr  befriedigend,  wenn  man  die 
grofse  Gewalt  und  Ausbreitung  dieses  Erdbebens  ins  Auge  fafst,  und 
da  man  weifs,  dafs  Erdbeben  von  grofser  Stärke  und  von  grofser 
Ausdehnung  auf  der  Oberfläche  das  Centrum  nur  in  bedeutender  Tiefe 
haben  können. 

Dasselbe  that  ich  auch  bezüglich  des  Erdbebens  vom  Charfreitag, 
dessen  Epicentrum,  wie  bekannt,  wenn  nicht  auf  der  Halbinsel  Aetolyma 
selbst,  dann  doch  dicht  und  entlang  der  Küste  derselben  lag.  Ich 
fand,  dafs  das  seismische  Epicentrum  bedeutend  tiefer  als  das  vom 
8.  20.  April  lag;  und  zwar  ergab  sich  die  mittlere  Tiefe  aus  mehreren 
Beobachtungen  zu  nooom,  während  das  Minimum  9100  m und  das 
Maximum  14000  m betrug.  Diese  Zahlen  weichen  nicht  viel  von  den 
vieler  anderer  Erdbeben  ab.  So  war  z.  B.  die  mittlere  Tiefe  des  Erd- 
bebens von  Neapel  am  15.  December  1857  nach  Mailet  9257,  das  Minimum 
5 102  und  das  Maximum  15037  m.  Die  mittlere  Tiefe  des  Erdbebens 
von  Mittel-Deutschland  am  6.  März  1872  nach  Seebach  war  17956,  das 
Minimum  14394  und  das  Maximum  21592  m,  und  endlich  die  mittlere 
Tiefe  für  das  Erdbeben  von  Herzogenrath  vom  22.  Oktober  1873  nach 
von  Lasaulx  11130,  das  Minimum  5045  und  das  Maximum  17214  m. 

Es  war  mir  unmöglich , auch  andere  Methoden  bei  der  Be- 
stimmung der  Tiefe  des  seismischen  Centrums  anzuwenden,  weil  bei 
jedem  Erdbeben  in  Griechenland  Zeit,  Anfang  und  Dauer  jeder  Er- 
schütterung in  verschiedenen  Gegenden  aus  den  Seite  456  erwähnten 
Gründen  so  widersprechend  angegeben  werden,  dafs  man  von  diesen  An- 
gaben keinen  Gebrauch  machen  kann.  In  anderen  Staaten  sind  über- 
all sehr  empfindliche  Seismographen  und  andere  ähnliche  Instrumente 
verteilt,  durch  welche  die  Fragen  Uber  Zeit,  Anfang,  Dauer  und  Rich- 
tung eines  Erdbebens  genau  gelöst  werden.  Mein  Vaterland  Griechen- 
land befindet  sich  aber  nicht  in  dieser  glücklichen  Lage;  die  einzigen 
Seismographen  giebt  es  in  Athen,  und  auf  deren  Genauigkeit  kann  man 
sich  nicht  immer  verlassen. 


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4(12 


Theodor  G.  Skuphos: 


Als  Ursache  der  Erdbeben  sind  nun  weder  eine  vulkanische  Kraft, 
noch  das  Auftreten  der  warmen  Quellen  sowohl  auf  Euböa  als  auch 
in  Mittel-Griechenland,  noch  irgend  ein  unterirdischer  Einsturz  zu  be- 
trachten, sondern  tektonische  Vorgänge  in  der  festen  Erdrinde,  welche 
in  diesem  Fall  die  weitere  Ausbildung  des  Euböischen  Golfes  durch  die 
Zunahme  der  Euböischen  Bruchzonen,  und  zwar  derjenigen  in  Mittel- 
Griechenland  entlang  der  Küste  des  Euböischen  Golfes,  zum  Hauptziel 
haben,  was  hauptsächlich  und  sehr  auffallend  durch  das  Erdbeben  vom 
Charfreitag  und  durch  die  Entstehung  der  Lokrischen  Spalte  und  die 
nachfolgenden  Erscheinungen  zum  Ausdruck  gekommen  ist. 

Harum  habe  ich  auch  im  Interesse  der  Wissenschaft  unserer  Re- 
gierung empfohlen,  sie  möge  neue  Tiefsee-Messungen  durch  Marine- 
Offiziere  im  Euböischen  Golf  von  der  Meerenge  des  Euripus  bis  zur 
Meerenge  von  Oreon  und  weiter  vornehmen  lassen,  weil  sämtliche 
Geologen  und  Chemiker,  die  an  Ort  und  Stelle  gewesen  sind,  an  ver- 
schiedenen Punkten  Einsenkungen  des  Euböischen  Meeresgrundes  in 
ihren  Berichten  erwähnt  haben.  Ferner  habe  ich  aus  Privatmitteilungen 
erfahren,  dafs  sich  unterseeische  Spalten  am  Strand  von  Rhoviaes  ge- 
bildet haben.  Ich  selbst  habe  solche  kleine  Spalten  auf  dem 
Meeresgrund  am  Strand  von  Halmyra  senkrecht  zu  dessen  Richtung 
beobachtet. 

Natürlich  brauchen  diese  Niveau-Unterschiede  nicht  sehr  grofs  zu 
sein,  denn  zur  Bildung  einer  auch  nur  etwas  starken  Erderschütterung 
genügt  auch  eine  kaum  mefsbare  Niveau-Veränderung1).  Deshalb  habe 
ich  geraten,  die  See-Offiziere  möchten  auch  auf  kleine  Niveau-Verände- 
rungen aufmerksam  sein,  welche,  wenn  auch  nicht  für  die  Seeleute,  so 
doch  wenigstens  für  wissenschaftliche  Zwecke  von  Wichtigkeit  sind. 

XII.  Unterirdisches  Getöse  und  vulkanische  Erscheinungen. 

Seit  meiner  Ankunft  in  Atalanti  hörte  ich  bald  vor,  bald  nach 
oder  während  jeder  grofsen  oder  kleinen  Erderschütterung  unterirdi- 
sches Getöse,  wie  von  in  gewisser  Entfernung  gelöster»  Kanonen.  Die 
dortigen  Bewohner  haben  dies  auch  vor  meiner  Ankunft  schon  ver- 
nommen. Hauptsächlich  am  Charfreitag,  als  ich  mich  am  Mittag  in 
Proskyna  befand,  wurde  fortwährend  solch  schreckliches  unterirdisches 
Getöse  gehört  und  zwar  so  häufig,  auch  wenn  keine  Erderschütterung 
vorher  oder  nachher  erfolgte,  dafs  man  hätte  glauben  können,  in  irgend 
einem  Hafen  von  Euböa  begrüfsten  sich  Kriegsschiffe  durch  Geschütz- 
salven. Am  grofsartigsten  aber  war  das  unterirdische  Getöse,  welches 

*)  Dr.  A.  Philip  pson,  Erster  Reisebericht.  Über  die  Erdbeben  auf  Zattf 
Verhdlgen  d.  Gcsellsch.  f.  Erdk  zu  Berlin,  1893,  S.  ibg. 


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Die  zwei  gtofsen  Erdbeben  in  I.okris. 


463 


alle  Welt  in  Schrecken  setzte,  um  9 Uhr  17  Minuten  abends  am 
15.  27.  April  ein  wenig  vor  der  senkrechten  Erderschütterung.  Die 
Intensität  dieses  unterirdischen  Getöses  kann  man  nur  mit  dem  Knall 
von  tausend  und  mehr  auf  einmal  abgegebenen  Kanonenschüssen  ver- 
gleichen. 

Unterirdische  Getöse  von  geringerer  Intensität  als  dasjenige  vom 
15.  27.  April  wurden  auch  am  Vormittag  des  Sonnabends  vor  Ostern 
vernommen.  Auch  am  Abend  des  21.  April/2.  Mai,  als  die  königliche 
Familie  auf  der  Yacht  Sphakteria  im  Golf  von  Larymna  übernachtete 
und  ich  mit  den  Redakteuren  der  Zeitungen  „Akropolis“  und  „Asty“ 
auf  dem  Land  unter  einem  Zelt  die  Nacht  verbrachte,  fanden  in 
einem  Zeitraum  von  kaum  zwei  Stunden  18  Erderschütterungen,  fast 
alle  von  schwacher  Intensität,  statt,  welche  von  unterirdischen  Ge- 
räuschen begleitet  W'aren,  die  den  verschiedenartigsten  Pfiffen  vieler 
Eisenbahnzüge  glichen,  die  in  kurzen  Zwischenräumen  aus  Chalkis  her- 
zukommen schienen. 

Am  22.  April/3.  Mai  waren  drei  oder  vier  Erdstöfse,  welche  um 
Mittag  stattfanden,  als  ich  im  Dorf  Masi  war,  von  unterirdischem, 
donnerähnlichem  Getöse  begleitet,  w'ie  wenn  in  einer  gewissen  Ent- 
fernung Gewitter  stattfänden. 

Auch  während  dieser  Erdbeben  war,  wie  es  gewöhnlich  bei  den 
Erdbeben  in  Griechenland  der  Fall  ist,  die  Phantasie  der  Menschen 
thätig,  welche  sich  nicht  enthalten  konnten,  vulkanische  Ausbrüche  zu 
erfinden,  und  zwar  soll  50  m westlich  vom  Hylike-See,  bei  der  Mündung 
des  unterirdischen  Abflufskanals  des  Kopais-Sees,  ein  vulkanischer  Krater 
(leider  nur)  für  24  Stunden  Feuer  und  Dämpfe  ausgeworfen  haben!!! 
Diese  phantastische  Nachricht  ist  mit  solcher  Sicherheit  von  sonst  zu- 
verlässigen Leuten  in  Theben  verbreitet  worden,  dafs  sie  der  Korre- 
spondent meiner  Zeitung  sogar  als  Thatsache  telegraphiert  hat. 

Es  scheint,  dafs  das  Herunterfallen  von  Kreidekalk-Felsstücken 
bei  den  einfachen  Leuten  jener  Gegend  die  Meinung  veranlafst  hat, 
ein  Vulkan  habe  sich  gebildet,  und  diese  haben  es  dann  in  Theben 
als  sicher  verbreitet. 

Ähnliches  ist  auch  von  den  Hirten  von  Hagii  Anargyri,  nicht 
weit  von  der  Ortschaft  Halmyra,  mitgeteilt  worden;  aber  auch  hier 
habe  ich  durch  eigene  Untersuchungen  an  Ort  und  Stelle  festgestellt, 
dafs  dort  grofse  Felsmassen  von  den  Uberhängenden  Bergen  bei  dem 
Erdbeben  vom  15./27.  April  heruntergefallen  sind. 

XIII.  Das  Vorgefühl  der  Tiere  und  ihre  Furcht. 

Besonders  bei  dem  Erdbeben  vom  Charfreitag  befanden  sich  die 
Hunde  des  Marktfleckens  Martino  vollständig  im  Aufruhr.  Einige 


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Theodor  G.  Skuphos: 


Sekunden  vor  dem  unterirdischen  Getöse  fingen  sie  an  zu  heulen,  wie 
Hunde  zu  thun  pflegen,  welche  Musik  nicht  vertragen  können.  Das 
Heulen  dauerte  jene  ganze  schreckliche  Nacht  hindurch;  es  war 
ein  wirkliches  Fandämonion:  einerseits  die  unaufhörlichen  Erschütte- 
rungen des  Bodens  und  das  unterirdische  Getöse  und  andererseits  das 
obren-  und  nervenzerreifsende  Geheul  der  Hunde. 

Zwei  Tage  darauf,  d.  h.  am  Ostersonntag,  hatte  ich  in  I.ivanataes  die 
Gelegenheit,  die  Bewegungen  und  das  Miauen  einer  Katze  zu  beob- 
achten, welche  sich  mit  mir  und  einem  Krankenwärter  in  einer  kleinen 
Holzbaracke  befand.  Einige  Sekunden  vor  jeder  Erderschütterung  be- 
gann sie  so  klagend  zu  schreien,  dafs  ich  es  kaum  ertragen  konnte. 
Während  des  Erdbebens  aber  sprang  sie  von  einem  Gegenstand  zum 
anderen  und  konnte  nirgends  Ruhe  finden. 

ln  derselben  Nacht  zeigten  sich  als  wirkliche  Verkünder  der  acht 
grofsen  Erderschütterungen,  welche  in  jener  Nacht  stattfanden,  die 
Hühner  von  Epano  Machala,  einem  Teil  des  Dorfes  I.ivanataes,  wo  auch 
mein  Zelt  stand.  Während  gewöhnlich  die  Hähne,  wenn  sie  einmal  ge- 
kräht haben,  warten,  bis  auch  andere  gekräht  haben,  und  nur  wenn 
die  Reihe  an  sie  kommt,  wieder  krähen  u.  s.  w.,  so  hielten  sie  an  jenem 
Abend  die  Ordnung  nicht  inne,  sondern  alle  krähten  durcheinander  auf 
ganz  eigene  Art,  wodurch  ihre  Angst  klar  angedeutet  wurde. 

Ferner  brüllte  ein  anderes  Mal  in  demselben  Dorf  ein  Kalb,  wel- 
ches einige  Meter  oberhalb  meines  Zeltes  stand,  vor  und  während 
jeder  Erderschütterung  so  eigentümlich,  lief  und  sprang  so  unruhig 
hin  und  her,  dafs  es  meine  Aufmerksamkeit  auf  sich  zog.  Seinen  Kopf 
hatte  es  gebogen  und  nach  unten  gerichtet,  wie  wenn  es  den  Angriff 
eines  Feindes  erwartete,  mit  seinem  Schwanz  schlug  es  unaufhörlich 
wild  umher,  am-  häufigsten  nach  oben  zu;  seine  Beine  waren  bei  allen 
diesen  Bewegungen  gespreizt. 

Am  Tage  nach  dem  Erdbeben  des  Charfreitags,  während  meines 
Marsches  von  Martino  nach  Atalanti,  traf  ich  unterwegs  viele  Hasen, 
welche  mir  sehr  aufgeregt  schienen  und  durch  meine  Anwesenheit  gar 
nicht  beunruhigt  wurden ; erst  wenn  ich  mit  einem  Stein  nach  ihnen 
warf,  liefen  sie  so  schnell  sic  konnten  davon.  Merkwürdigerweise  aber 
blieben  sie  schon  in  einer  Entfernung  von  50—60  m wieder  stehen, 
und  Nase  und  Unterlippe  zuckten  uhaufhörlich  auf  und  nieder,  wie 
sie  vor  dem  Fressen  gewöhnlich  thun.  Dieses  Betragen  ist  sehr  auf- 
fallend, da  sie  sonst  bei  dem  Herannahen  von  Menschen  schleunigst 
davon  zu  laufen  pflegen. 

Ferner  erfuhr  ich  von  einem  Hirten , dafs  es  ihm  einige  Minuten 
vor  dem  Erdbeben  am  Sonnabend  vor  Ostern  trotz  seiner  und  seiner 
Genossen  Bemühungen  unmöglich  gewesen  sei,  die  Schafherde  durch 


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Die  zwei  l^'ufscn  Erdbeben  in  l.okris. 


4 «5 

die  Hunde  von  der  wilden  Flucht  in  die  Herge  abzuhalten-  Frst  als 
das  Erdbeben  vorbei  war,  seien  sie  von  selbst  wieder  zurückgekehrt. 

Unzweifelhaft  haben  auch  auf  die  anderen  Tiere  die  fürchterlichen 
Erdbeben  der  beiden  Freitage  eingewirkt,  aber  leider  fehlen  weitere 
Beobachtungen.  Vielleicht  gehen  den  grofsen  Erdbeben  schwache  Er- 
schütterungen des  Bodens  voraus,  die  für  uns  unfühlbar  bleiben,  wäh- 
rend die  Tiere,  bei  welchen,  wie  bekannt,  einige  Sinnesorgane  sehr 
fein  entwickelt  sind,  diese  kleinen  Erschütterungen  wahrscheinlich 
fühlen  können. 


XIV.  Bebenkrankheit. 

Während  der  wiederholten  Erdbeben  in  I.okris,  und  besonders 
bei  dem  Erdbeben  vom  Charfreitag,  sind  I.eute,  die  vorher  ganz  gesund 
waren,  plötzlich  von  Kopfschmerzen,  Schwindel  und  einer  Neigung  zum 
Erbrechen  befallen  worden.  Einige  sind  sogar  wirklich  zum  Erbrechen 
gekommen,  so  z.  B.  der  Stabsarzt  Dr.  Gasis  und  der  Ober-Lazaretgehlilfe 
Papastephu. 

In  Atalanti  litt  ein  Feldwebel  der  Infanterie  fortwährend  an  all- 
gemeiner Schw'äche  und  Unwohlsein,  und  sein  Aussehen  war  der  beste 
Beweis  für  diesen  Zustand  seines  Organismus. 

Ferner  wurde  im  Dorf  Petromagula  der  Zustand  der  Frau  des 
dortigen  Arztes  Dr.  Konstantin  Sgurdakis,  welche  seit  sechs  Monaten  un- 
aufhörlich krank  war,  und  der  die  Arzneien  ihres  Mannes  keine  Linderung 
brachten,  seit  dem  ersten  Tag  der  Erdbeben  vollständig  umgewandelt; 
die  F’rau  wurde  gesund  und  man  hörte  keine  Klage  mehr  von  ihr. 

XV.  Meteorologische  Verhältnisse. 

An  den  ersten  Tagen  nach  meiner  Ankunft  in  I.okris  war  in  den 
Morgenstunden  gewöhnlich  ein  etwas  kühles  und  trübes  Wetter,  im 
Lauf  des  Tages  trat  aber  nach  und  nach  ein  für  diese  Jahres- 
zeit schönes  und  warmes  Wetter  ein.  Während  der  ‘folgenden  Tage 
dagegen  war  die  Atmosphäre  vom  Morgen  an  sehr  klar  und  die 
Temperatur  ziemlich  hoch.  Nur  zweimal  trat  eine  Änderung  ein:  ein- 
mal am  Ostermontag,  als  ich  im  Dorf  Hagios  Konstantinos  war,  wo 
auf  einmal  ein  heftiger  südöstlicher  Wind  mit  starkem  Regen  eintrat 
und  von  Zeit  zu  Zeit  weicher  Hagel  fiel.  Dies  dauerte  nur  s,4  Stunden, 
nachher  erschien  die  Sonne  wieder  am  Himmel.  Am  Abend,  als  ich 
mich  wieder  in  der  Ebene  von  Atalanti  befand,  blies  ein  starker  kalter 
Wind,  und  dichte  dunkle  Wolken  verhüllten  den  Himmel  bis  zu  den 
niedrigsten  Abhängen  des  schneebedeckten  Parnafs. 

Ein  anderes  Mal  wieder,  als  ich  am  2 2.  April  4.  Mai  von  Malessina 
zurückkehrte  und  mich  vor  der  Ortschaft  Prinari  befand,  wehte  ein 


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Theodor  G.  Skuphui»: 


486 

starker  Südwestwind,  welcher,  wie  mir  gesagt  wurde,  häufig  in  dieser 
Gegend  weht;  er  ist  mit  dem  Wind  zu  vergleichen,  welcher  in  Süd- 
Deutschland  und  besonders  in  den  nördlich  vor  den  Alpen  gelegenen 
Gebieten  im  Sommer  etwas  vor  dem  Gewitter  zu  wehen  pflegt.  Als 
ich  zwei  Stunden  später  nach  Atalanti  zurückkam,  liefs  der  Wind 
wesentlich  nach  und  wurde  erst  in  der  Nacht  wieder  stärker,  um 
am  nächsten  Tag  vollständig  aufzuhören.  Sämtliche  Nächte,  mit 
Ausnahme  der  vorher  erwähnten,  waren  angenehm  und  nur  ein 
wenig  kühl. 

Während  meines  Aufenthalts  in  I.evadia  jedoch  war  das  Wetter 
neblig  und  drückend  und  der  Parnafs  mit  trübem  Nebel  belegt,  die 
Aussicht  war  sehr  beschränkt.  Am  28.  April/ 10.  Mai  vormittags  war  in 
Theben  das  Wetter  etwas  trübe,  doch  hätte  niemand  glauben  können, 
dafs  es  nachmittags  in  einen  Sturm  Umschlägen  würde,  der  mit  Regen- 
strömen die  Strafse  überschwemmen  und  sämtliche  Gegenstände,  welche 
unter  den  Zelten  waren,  ganz  durchnässen,  auch  einige  Häuser  voll- 
ständig unter  Wasser  setzen  würde,  um  das  Unglück  der  Ein- 
wohner zu  vollenden.  Der  Wirt  Helios  konnte  nur  mit  Hilfe  seines 
Regenschirmes  in  seinem  Hotel  umherwandern,  weil  das  Wasser  über- 
all durch  das  Dach  eindrang.  Nach  drei  Stunden  ungefähr  hörte  der 
Wolkenbruch  auf,  die  Atmosphäre  aber  blieb  sehr  drückend  wie  vor- 
her, was  sonst  nach  solchen  Regengüssen  hier  nie  der  Fall  ist.  Wäh- 
rend der  Nacht  regnete  es  noch  fortwährend,  und  in  der  Frühe  war 
die  Temperatur  noch  tiefer  gesunken,  so  dafs  der  Regen  fast  feinem 
Schnee  vergleichbar  war,  auch  eine  aufserordentliche  Erscheinung  für 
Griechenland  im  Mai. 

Trotzdem  schien  das  Wetter  sich  nachmittags  während  meiner 
Wanderung  nach  Chalkis  auf  bessern  zu  wollen,  aber  nur  für  24  Stunden; 
denn  in  Chalkis  selbst  kam  ein  starkes  Gewitter  mit  heftigem  Regen, 
von  Hagel  begleitet,  welches  den  Boden  bis  15  cm  hoch  überschwemmte 
die  Strafsen  vollständig  ungangbar  machte  und  die  Plätze  in  Seen 
verwandelte. 

XVI.  Wie  waren  die  Gebäude  in  den  von  den  Erdbeben 
heimgesuchten  Gegenden  gebaut? 

Zu  der  allgemeinen  Zerstörung  der  Gebäude  in  den  vom  Erd- 
beben heimgesuchten  Gegenden  hat,  aufser  der  Intensität  des  Erd- 
bebens und  der  lockeren  Zusammensetzung  des  Bodens,  jedenfalls 
die  Bauart  sowie  das  Material,  aus  dem  man  die  Häuser  hergestellt 
hat,  sehr  viel  beigetragen.  Die  aus  Steinen  gebauten  Häuser  halten 
als  Material  mehr  oder  weniger  abgerundete  Steine,  die  entweder  au- 
den  Flüssen  genommen  oder  in  den  Steinbrüchen  schlecht  und  dazu 


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Die  *wei  ^rofeen  Kidbeben  in  Lokris. 


467 


in  nicht  genügender  Gröfse  gebrochen  worden  sind,  als  Bindungsmittel 
meistens  einfachen  oder  schwach  mit  Kalk  gemischten  Lehm. 

Ferner  werden  in  jener  Gegend  die  Mauern  zwar  verhältnismäßig  dick 
hergestellt,  aber  nur  die  beiden  äußeren  Flächen  derselben  aus  größeren 
Steinen  gut  gemauert,  während  der  in  der  Mitte  befindliche  Teil  meistens 
mit  hineingeworfenen  kleinen  Steinen  und  einer  grofsen  Menge  von 
schlechtem  T.ehm  gefüllt  wird;  so  werden  die  Mauern  nur  wenig  wider- 
standsfähig. Auch  wird  nicht  genügend  Aufmerksamkeit  angewandt, 
wenn  ein  neues  Haus  neben  einem  alten  erbaut,  oder  wenn  ein 
Haus  um  einige  Zimmer  vermehrt  wird.  Diese  werden  meistens  ohne 
irgend  ein  Verbindungsmittel  an  das  alte  Haus,  sogar  an  die  verkalkten 
Mauern  derselben,  angeschlossen,  oder  die  neuen  Zimmer,  vielleicht 
aus  besserem  Material,  werden  auf  die  alten,  fast  immer  aus  schlechterem 
Material  bestehenden  Mauern  aufgesetzt.  Auch  das  Dach  wird  unmittel- 
bar ohne  Verbindung  auf  die  vier  Außenmauern  gelegt. 

Sehr  mangelhaft  ist  auch  die  Herstellung  sämtlicher  Bögen, 
welche  über  den  Thüren  und  Fenstern  angebracht  werden.  Das- 
selbe ist  bei  den  Ecken  der  Häuser  der  Fall,  welche  nur  äufserlich 
durch  viereckige  Monolithen  schön  aussehen,  aber  dem  Gebäude  gar 
keine  Festigkeit  geben,  weil  sie  zwar  aus  grofsen  Quadersteinen  er- 
baut sind,  aber  nicht  mit  dem  ganzen  Hause  in  gehörigem  Zusammen- 
hang stehen.  Diese  Verhältnisse  werden  noch  schlimmer  im  Innern 
der  Häuser,  wo  nur  kleine  Steine  zur  Herstellung  der  Verbindungs- 
mauern verwandt  werden. 

Die  Neigung  einiger  Leute  zu  Modernisierung  der  Häuser  durch 
Vergröfserung  der  Fenster  und  Thüren  in  den  alten  Häusern,  wobei 
den  Wölbungen  die  dadurch  nötig  gewordenen  gröfseren  Stützen  zu 
geben  unterlassen  wird,  hat  auch  die  Katastrophe  wesentlich  ver- 
schlimmert. 

Am  allerschlimmsten  aber  ist  die  Leichtfertigkeit,  mit  welcher  ganz 
allgemein  die  Fundamente  der  Häuser  hergestellt  werden;  die  Bau- 
meister sehen  dort  eine  Tiefe  von  nur  25 — 40  cm  selbst  auf  ange- 
schwemmtem Land  als  genügend  für  die  Fundamente  der  Häuser  an. 
Infolge  solcher  Fehler  in  der  Bauart  und  anderer,  welche  ich  viel- 
leicht als  Nichtfachmann  nicht  erkannt  habe,  ist  es  leicht  zu  be- 
greifen, dafs  die  Katastrophe  in  Lokris  so  grofs  war.  Darum  sind 
die  Dächer  und  die  Gesimse  der  Häuser  heruntergefallen;  darum  sind 
die  Ecken  der  Häuser  abgetrennt  und  von  den  Mauern  die  äufsere 
gut  gebaute  Fläche  abgeschält  und  eingestürzt,  während  die  andere, 
innere  Hälfte  stehen  geblieben  ist,  oder  seltener  umgekehrt.  Darum 
haben  sich  fast  bei  allen  Häusern  die  Gewölbe  der  Fenster  und  Thüren 
gesenkt  oder  sind  eingestürzt. 


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468 


Theodor  G.  Skuphos: 


Widerstand  haben  nur  wenige  Wohnhäuser  und  Kirchen  geleistet, 
bei  welchen  die  Ecksteine  gehörig  durch  Kalk  oder  Eisenklammem 
verbunden  waren,  wie  z.  B.  das  Kaufhaus  des  Bürgermeisters  von 
I-ivanataes,  einige  Cisternen,  welche  mit  Cementerde  von  der  Insel 
Thera  gebaut  waren,  sowie  mehrere  alte  Häuser  an  verschiedenen 
Orten  und  die  Kirche  von  Atalanti,  welche  Gewölbe  hatten.  Anderer- 
seits haben  wieder  einige  Kirchen,  welche  sehr  fest  gebaut  waren,  doch 
Schaden  erlitten;  die  Gründe  dafür  sind  in  der  sehr  schlechten  Be- 
schaffenheit des  Bodens  zu  suchen. 

Die  aus  ungebrannten  Ziegeln  erbauten  Häuser  haben  sich  als 
sehr  geeignet  fitr  autoseiste  Gegenden  erwiesen,  wenn  man  selbstver- 
ständlich der  Verbindung  der  Mauern  genügende  Aufmerksamkeit  widmet 
Es  soll  nicht  gesagt  sein,  dafs  bei  den  aus  solchen  Ziegeln  hergestellten 
Häusern  weniger  Einstürze  vorgekommen  sind,  im  Gegenteil,  besonders 
wenn  die  Häuser  mehr  als  ein  Stockwerk  hatten.  Aber  die  Einstürze 
bei  diesen  haben  ihren  Grund  lediglich  in  der  Nachlässigkeit  der  Ver- 
bindung bei  Herstellung  der  Mauern.  Sie  wären  ohne  diese  Nachlässigkeit 
sicher  nicht  geschehen.  Ferner  haben  die  Einstürze  nicht  sofort,  sondern 
erst  kurze  Zeit  nach  der  Erderschtttterung  stattgefunden,  sodafs  die 
in  solchen  Häusern  wohnenden  Leute  Zeit  genug  hatten,  sie  zu  ver- 
lassen und  so  kein  einziges  Opfer  bei  solchen  Häusern  vorgekommen 
ist.  Man  darf  auch  nicht  vergessen,  dafs  die  Wiederherstellung  dieser 
Häuser  oder  die  Ausbesserung  derselben  sehr  leicht  ist  und  von  den 
Besitzern  selbst  ausgeführt  werden  kann. 

Dagegen  haben  die  aus  ungebrannten  Ziegeln  und  Steinen  gleich- 
zeitig gebauten  Häuser  sehr  grofsen  Schaden,  gelitten  und  sind  als  ganz 
unpassend  für  autoseiste  Gegenden  zu  betrachten. 

Ferner  ist  noch  weiter  zu  erwähnen,  dafs  diejenigen  Häuser,  deren 
breite  Seite  parallel  zur  Richtung  des  Erdbebens  lag,  wenig,  diejenigen, 
welche  senkrecht  oder  unter  irgend  einem  Winkel  zur  Richtung  des 
Stofses  lagen,  sehr  viel  gelitten  haben,  so  dafs  in  der  Richtung  des 
Stofses  ganz  neue  Strafsen  durch  das  Einfallen  derselben  geöffnet  sind. 

Dasselbe  habe  ich  auch  an  den  Brücken  der  ersten  seismischen 
Zone  beobachtet,  von  denen  diejenigen  gelitten  haben,  welche  die 
Richtung  des  Erdbebens  unter  irgend  einem  Winkel  schneiden,  während 
andere,  welche  parallel  zu  dieser  Richtung  lagen , verschont  geblieben 
sind.  Ganz  verschont  sind  ebenfalls  sämtliche  eiserne  Brücken  ohne 
Unterschied  der  Richtung. 

In  der  Nähe  von  I.evadia  und  in  der  Stadt  selbst  kommt  Kreide- 
schiefer vor,  das  beste  antiseismische  Material  zur  Erbauung  von 
Häusern.  Die  aus  diesen  Steinbrüchen  genommenen  Steine  sind  als 
Schiefer  lang,  breit  und  dünn,  darum  wird  das  Gefüge  der  Mauern 


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Die  zwei  großen  Erdbeben  in  Lokris. 


469 


sehr  fest,  und  so  ist  die  Stadt  Levadia  auch  dadurch  vor  Zerstörung 
gewahrt  geblieben. 

XVII.  Wo  hätte  man  die  ein  gestürzten  Städte  und  Dörfer 
wieder  aufbauen  sollen? 

In  fast  allen  Dörfern  und  Städten  der  ersten  und  zweiten  seis- 
mischen Zone,  wie  z.  B.  in  Atalanti,  Proskyna,  Masi,  Malessina  u.  s.  w.  ist 
aufser  der  völligen  Zerstörung  der  Häuser,  auch  vielfach  der  Erdboden, 
auf  dem  die  Wohnungen  standen,  in  solchem  Grad  verändert,  dafs  die 
Auswanderung  aus  diesen  Orten  sich  von  selbst  versteht.  Da  ich  nun 
von  allen  Leuten  viel  darüber  habe  reden  hören,  so  fühle  ich  mich 
verpflichtet,  die  Aufmerksamkeit  der  Einwohner  und  besonders  der 
Regierung  auf  einige  Punkte  zu  richten,  damit  nicht  wieder  bei  neuen 
Erdbeben  Zerstörungen  und  Menschenopfer  zu  beklagen  sind. 

Vor  allem  halte  ich  es  für  notwendig,  eine  Kommission  an  Ort 
und  Stelle,  d.  h.  in  der  von  dem  Erdbeben  heimgesuchten  Gegend,  zu 
bilden.  In  dieser  Erdbeben-Kommission  müssen  sich  unbedingt  Geo- 
logen und  Ärzte  befinden,  Arzte,  um  die  hygienischen  Verhältnisse,  und 
die  Geologen,  um  die  Beschaffenheit  des  Bodens  festzustellen,  d.  h. 
Plätze  mit  mehr  oder  weniger  widerstandsfähigem  Erdboden  auszu- 
wählen. Damit  dies  gelinge , mufs  man  möglichst  solche  Stellen  aus- 
wählen, welche  aus  älteren  Gesteinen  herrühren;  wo  dies  aber  nicht 
möglich  ist,  mufs  man  auch  aufser  auf  den  Zusammenhang  der  Ge- 
steine, auf  denen  gebaut  werden  soll,  darauf  achten,  wie  sie  mit 
anderen  Schichten,  harten  oder  weichen,  wechsellagern.  Ebenso 
darf  man  nicht  auf  den  alten  Verwerfungen  bauen  lassen.  Als  un- 
bestrittene Regel  kann  man  ferner  aufstellen , dafs  man  auch  nicht 
an  der  Küste,  wo  sie  den  Meeresspiegel  nur  wenig  überragt,  und  nicht 
an  den  neugebildeten  Spalten  unterhalb  der  überhängenden  steilen 
Berge  bauen  darf.  Selbstverständlich  sind  die  neuen  Bauplätze  nicht 
weit  von  den  Äckern  und  den  reichen,  gesunden  Quellen  oder  Brunnen 
zu  wählen. 

Dass  die  geologische  Beschaffenheit  des  Bodens  auffallend  gegen 
die  zerstörende  Gewalt  der  Erdbeben  wirkt,  dafür  giebt  die  Verschonung 
der  Stadt  Levadia  und  des  Dorfes  Kxarchos  auf  dem  Abhang  des 
Chlomos-Berges,  von  Karditza  auf  der  Strafse  von  Larymna  nach  Theben, 
des  Dorfes  Beli  auf  dem  Abhang  des  Akontion-Berges,  der  Kirche  des 
Hagios  Nikolaos  auf  der  gleichnamigen  Insel  und  des  Hauses  auf 
der  neugebildeten  Insel  Galdarion,  sowie  auch  der  Stadt  Athen  im 
Verhältnis  zum  I’halerus  und  Peiräus  den  trefflichsten  Beweis. 


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470 


Theodor  G.  Skuphos: 


XVIII.  Wie  mu  fs  man  die  Häuser  auf  autoseisten 
Boden  bauen? 

Unbedingt  müssen  sämtliche  Häuser  in  antoseister  Gegend  ein- 
stöckig sein  und  wenn  möglich  aus  Holz.  Müssen  aber  Steine  an- 
gewandt werden , so  soll  man  wenigstens  Quadersteine  nehmen  und 
sie  wechselfugig  mit  gutem  Kalkmörtel  verbinden.  Sollte  das  zu  kost- 
spielig oder  nicht  möglich  sein,  so  nehme  man  Schiefersteine,  wie  man 
sie  in  Levadia  im  Gebrauch  hat,  und  zwar  als  Verbindungsmittel  auch 
Kalkmörtel  und  nicht  Lehm;  auch  sind  Holzverbindungen  oder  für 
gröfsere  Gebäude  Eisenverbindungen  anzuraten. 

Die  Grundmauern  der  Häuser  sind  in  lockerem  Boden  möglichst 
tief  zu  legen.  Die  Mauern  müssen  überall  dieselbe  Dicke  und  den- 
selben guten  Zusammenhang  in  sich  selbst  haben , vollständig  und 
gleichmäßig  gut  mit  den  Ecken  verbunden  werden  Festere  Verbindung 
der  Gesimse  mit  den  Häusern  und  grofse  Aufmerksamkeit  bei  Auf- 
legung des  Daches  ist  anzuempfehlen.  Leider  geschieht  namentlich 
letzteres  jetzt  sehr  mangelhaft.  Möglichst  wenig  Öffnungen  für  Fenster 
und  Thüren  sind  in  den  Mauern  anzubringen,  und  die  Bögen  derselben 
müssen  mit  gröfserer  Vorsicht  und  festerer  Verbindung  hergestellt  werden. 

Da  die  Gebäude,  welche  mit  der  gröfseren  Seite  unter  irgend 
einem  Winkel  die  Richtung  des  Erdbebens  schneiden,  gröfseren  Schaden 
gelitten  haben,  als  diejenigen,  welche  parallel  zu  ihr  liegen,  da  man 
nicht  alle  Häuser  und  Strafsen  parallel  zu  ihr  bauen  kann  und  diese 
Richtung  bei  einem  neuen  Erdbeben  sich  vielleicht  ändert,  so  soll  man 
mehr  oder  weniger  die  Gebäude  quadratisch  erbauen. 

Alle  diese  Vorsorgen  sind  überflüssig,  wenn  man  antiseismische 
Gebäude  herstellt,  wie  das  von  der  Kopais-Sec-Gesellschaft  in  Theben 
erbaute,  das  bei  allen  Erdbeben  unversehrt  blieb.  Es  giebt  viele  Arten 
solcher  antiseismischen  Gebäude,  die  man  in  Italien,  Amerika  und 
Japan  gebaut  hat.  Von  diesen  kann  unsere  Regierung  durch  ihre  Bevoll- 
mächtigten die  unseren  Verhältnissen  entsprechenden  auswählen  lassen. 

XIX.  Über  den  Schaden,  welchen  diese  Erdbeben 
hervorgebracht  haben. 

Die  lokrischen  Erdbeben  sind  vielleicht  die  einzigen  Erdbeben  in 
Griechenland , deren  Schaden  nicht  übertrieben  worden  ist,  und  das 
kommt  daher,  dafs  auch  die  lebhafteste  Phantasie  kaum  im  Stande  sein 
würde,  von  ihnen  eine  Beschreibung  zu  liefern,  die  ein  getreues  Bild 
des  ganzen  unermeßlichen  Unglücks  wiedergäbe.  Nur  diejenigen, 
welche  entweder  zu  jener  schrecklichen  Stunde  an  Ort  und  Stelle 
verweilten  oder  später  absichtlich  hingereist  sind,  können  sich  eine 
Vorstellung  davon  machen. 


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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  T.okris. 


471 


Damit  der  I.eser  eine  cinigermafsen  richtige  Schätzung  von  der 
Katastrophe  bekomme,  lasse  ich  ein  Verzeichnis  folgen,  in  dem  die 
Zahlen  der  eingestürzten  Häuser  — mit  Ausnahme  derjenigen,  welche 
durch  verhältnismäfsig  kleine  Ausgaben  wieder  herzustellen  sind  — 
der  Opfer,  der  Verwundeten  und  der  Einwohner  zusammengestellt  sind. 


2 j 

Stadt  oder  Dorf 

Häuser 

Tote  1 

Ver- 

Ein- 

N ; 

wundete  j 

wohner 

1. 1 

Atalanti 

650 

O 

3 

1708 

2. 

Skenderaga 

80 

4 

2 : 

308 

3-  1 

Livanataes 

250 

4 

5 

1021 

4- 

Arkitsa 

ÖO 

1 

2 1 

311 

S-i 

Hagios  Konstantinos  . . . . 

90 

3 

4 

327 

6.  | 

Karya 

35 

3 

4 

455 

7-! 

Charma 

25 

O 

0 

120 

8. 

Rigginion 

7° 

4 

0 

516 

9- 

Komnena 

16 

O 

0 

288 

IO.  1 

Kaenurion 

I I 

O 

0 

236 

II.  1 

Anteras 

6 

0 

0 

368 

160 

12.  ; 

Gkolemion 

35 

O 

0 

*3- 

Kalapodion 

100 

0 

‘ 0 

1 357 

14. 

Kato  Pelli 

35 

4 

5 

202 

’s- 

Ano  Pelli 

85 

O 

0 

591 

16.  1 

Sphaka  

ÖO 

O 

0 

203 

17- 

Drachmani  (Elatea'i 

250 

2 

2 

9°3 

18. 

Zelion 

565 

0 

0 

457 

ig. 

Exarchos 

5 

O 

0 

398 

20. 

Kolaka 

45 

O 

0 

232 

2 ! . j 

Manessi 

*5 

O 

0 

356 

22.  I 

Modi 

>5 

O 

*0 

582 

*3. 

Xyliko 

IO 

O 

1 0 

352 

24.  ! 

8 

5 10 

215 

25- 

Kalybia  Dadiu 

20 

O 

0 

26. 

Belitza 

s 

O 

0 

1440 

27 • 

Davlia 

7 

O 

0 

i396 

28. 

Hagios  Blasios 

20 

0 

5°5 

29. 

Kapraena 

45 

0 

0 

226 

30. 

Mprachamaga 

25 

O 

0 

234 

3«- 

Bramesi 

20 

O 

0 

278 

32- 

Hagios  Georgios 

J5 

O 

0 

589 

Übertragung 

2688 

23 

27 

«5844 

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472 


Theodor  G.  Skuphos: 


NJ 

1 Stadt  oder  Dorf 

1 Häuser 

1 

Tote 

1 1 

Ver- 

wundete 

Ein- 

wohner 

Übertragung  1 

2688 

23 

27 

15844 

33- 

Brastamitaes 

20 

° i 

O 

283 

34- 

Kasnessi 

45 

O 

O I 

39° 

35- 

Mulki 1 

5° 

0 ! 

O • 

262 

36. 

Rhachi 1 

15 

0 

O 

73 

37- 

Degle I 

35 

0 

O 

82 

38- 

Hagios  Demetrios 

3° 

0 

O 

383 

39- 

Karya | 

25 

0 

O 

23« 

40. 

Arapochori 

IO 

0 

0 

163 

41. 

Romaciko 

IO 

0 

O 

253 

42. 

, Petromagula 

8 

0 

O 

798 

43- 

; Skripu 

3 

1 0 

O 

684 

44. 

i Beli 

3 

■ 0 

0 

165 

45 

i Lutzi 

*5 

0 

0 

46. 

! Paviu j 

20 

1 ° 

O 

| 

47- 

| Topolia 1 

5° 

1 0 

O 

35 

48. 

1 Pyri 

25 

0 

O 

1013 

49- 

| Theben 

95 

0 

O 

3228 

5°- 

■ Hagii  Theodori 

25 

0 

0 

962 

5i- 

' Karditza 

8 

0 

O 

388 

52- 

! Kokkinon 

12 

0 

O 

370 

53- 

I I.arymna 

40 

0 

O 

143 

54- 

| Martino 

300 

i 39 

*3 

«434 

55- 

1 Masi  

60 

i 6 

2 

.18 

56- 

! Malessina 

200 

1 x39 

74 

95« 

57- 

! Proskyna  

120 

42 

I I 

5«6 

58. 

! Kyparissi 

35 

3 

6 

«83 

59- 

1 Chalia 

13 

O 

0 

709 

60. 

i Chalkis 

120 

I 

3 1 

99*9 

6l. 

Hagia  Anna 

85 

O 

0 1 

1382 

62. 

| I.imne 

'9. 

o 

0 1 

1869 

63- 

Mantudion 

5 

0 

0 

823 

64. 

1 Xerochorion 1 

3° 

1 ° ! 

0 1 

3027 

65- 

1 Palaeochorion 

12 

0 

0 

78 

66. 

1 Gialtra 

3° 

0 1 

0 

672 

67. 

Kamaria 

7 

0 

0 

560 

68. 

i Gardikion  

3 

° 

0 

1236 

69. 

Achladion  

2 

! O 

0 

«65 

3783 

255 

146 

5019S 

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Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Lokris. 


473 


Leider  ist  die  Zahl  69  für  die  von  den  beiden  Erdstöfsen  heini- 
gesuchten Städte  und  Dörfer  nicht  ganz  richtig,  weil  es  höchstwahrschein- 
lich noch  viele  andere  Dörfer  giebt,  welche  ebenfalls  gelitten  haben. 
Es  ist  mir  jedoch  trotz  vieler  Bemühungen  nicht  gelungen,  ganz  genaue 
Nachrichten  zu  bekommen,  da  die  Regierung  keine  offiziell  beglaubigten 
Bekanntmachungen  über  die  Zahl  der  zerstörten  Dörfer  und  Städte 
erlassen  hat,  obwohl  seitdem  über  6 Monate  vergangen  sind. 

Aus  diesem  Verzeichnis  ersehen  wir,  dafs  in  den  69  zerstörten 
Dörfern  und  Städten  bei  einer  Einwohnerzahl  von  50198  durch  die 
Erdstöfse  vom  8.  20.  und  15./27.  April  3783  Häuser  eingestürzt, 
255  Menschen  getödtet  und  146  schwer  verwundet  sind.  Diese  146 
schwer  Verwundeten  sind  durch  die  zeitige  Hilfe  der  Militärärzte,  mit 
Ausnahme  eines,  der  sich  einer  Operation  nicht  unterziehen  wollte,  alle 
glücklich  geheilt. 

Von  den  255  Menschenopfern  sind  die  meisten  Kinder  unter 
15  Jahren,  die  übrigen  waren  Frauen  und  nur  6 — 8 Männer.  Die  Er- 
klärung dafür  ist  ganz  einfach.  Bei  dem  ersten  Stofs  waren  die  Männer 
und  ein  Teil  der  Frauen  noch  auf  den  Ackern,  während  die  übrigen 
Frauen  und  die  Kinder  entweder  zu  Hause  oder  in  der  Kirche  waren. 
Die  grofse  Anzahl  der  verunglückten  Kinder  erklärt  sich  wieder  daraus, 
dafs  sie  die  Gefahr  weniger  ahnten  und  begriffen.  Aus  Mangel  an 
Geistesgegenwart  und  Ratlosigkeit  blieben  sie  in  den  Gebäuden  oder 
kamen  zu  spät  heraus  und  wurden  meistens  vor  den  Ausgängen  lebendig 
verschüttet.  Ebenso  mufs  ich  hervorheben,  dafs  bei  diesem  Erdbeben 
die  meisten  Opfer  in  den  Kirchen  vorgekommen  sind.  Es  ist  also 
höchst  notwendig,  den  Menschen  begreiflich  zu  machen,  dafs  bei  Erd- 
beben mit  zerstörender  Wirkung  kein  menschliches  Werk,  das  nicht 
antiseismisch  gebaut  ist,  unverschont  bleibt.  Darum  soll  man  statt  in 
die  Kirchen  zu  laufen  lieber  im  Freien  oder  wenigstens  auf  den  Plätzen 
sich  aufhalten  und  sich  möglichst  von  den  Küsten  entfernen,  für  den 
Fall,  dafs  eine  Erdbebenwoge  einträte. 

Das  zweite  Erdbeben  vom  Charfreitag  hat,  mit  Ausnahme  von  drei 
Menschenleben  in  Hagios  Konstantinos  und  ebensoviel  in  Karya, 
glücklicherweise  wegen  der  Vorsicht,  die  ich  rechtzeitig  überall  empfohlen 
hatte,  keine  Opfer  gefordert. 


Um  auch  durch  Zahlen  die  Gröfse  des  Schadens  deutlich  zu 
machen,  habe  ich  denselben  auf  Grund  der  Notizen,  welche  ich  selbst 
durch  Augenschein  oder  aus  sehr  verläfslichen  Quellen  gesammelt  habe, 
genau  berechnet. 

Zeitftchr.  d.  Ge&ellach.  f Erdk.  Bd.  XXX.  32 


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47  i Theodor  G.  Skuphos:  Die  zwei  grofsen  Erdbeben  in  Eokris. 

So  berechne  ich  z.  B.  (len  Schaden  der  Stadt  Atalanti  nur  an 


eingestürzten  Gebäuden  auf 3 250000  Drachmen, 

an  Möbeln,  Vorräten  von  Getreide,  Mehl,  Weizen, 

Öl  u.  a.,  an  AVaren  u.  s.  w.  auf 2000000  „ 

Gesamtschaden  von  Atalanti 5250000  Drachmen. 

Schaden  der  Dörfer  in  Lokris  an  eingestürzten 

Häusern 4640000  „ 

an  Möbeln,  Geräten,  Weinen,  Getreide,  Mehl  und 

Waren 3500000  „ 

Gesamtschaden  der  Dörfer  in  Lokris 8140000  Drachmen. 


Schaden  an  den  Häusern  der  Dörfer  in  der 
Ebene  von  Levadia,  sowie  an  Möbeln  u.  s.  w. 

wie  oben 1450000 

Schaden  an  eingestürzten  Häusern  in  Theben, Chal- 

kis,  Hagia  Anna,  Xerochorion,  Limne  u.s.  w.  3000000 
Schaden  in  der  vierten  seismischen  Zone,  in 


der  auch  Athen,  Piräus  u.  s.  w.  liegen,  auf.  800000  „ 

Schaden  in  Kirchen  und  Klöstern 2400000  „ 

Der  Gesamtschaden  beläuft  sich  auf 21 040000  Drachmen. 


Aufserdem  darf  man  nicht  die  Ausgaben  unerwähnt  lassen,  welche 
der  Regierung  aus  dem  Transport  von  Militär  nach  dem  Schauplatz 
des  Erdbebens,  aus  der  Zahlung  von  Zuschüssen  an  die  Offiziere  und 
Soldaten,  aus  den  Mieten  von  Privat-Dampfschiffen  zum  Transport  der 
Zelte,  Brot,  Mehl,  Holz  u.  s.  w. , aus  dem  Verderben  der  Zelte,  aus 
der  freien  Benutzung  der  AArälder  u.  a.  m.  erwachsen  sind. 

Als  einziges  Äquivalent  für  diese  Ausgaben  der  Regierung  kann 
man  die  Summe  von  3269,19  Drachmen  ansehen,  welche  die  Regierung 
aus  aufserordentlichen,  so  zu  sagen  seismischen  Telegrammen  im  Inland 
und  nach  dem  Ausland  im  Lauf  von  anderthalb  Monaten  einge- 
nommen hat. 

Wie  grofs  aber  der  in  den  Erdbeben-Gegenden  durch  die  anden- 
halbmonatliche Unterbrechung  von  Handel  und  Wandel  und  durch 
das  Aufhören  jeglicher  Erwerbsthätigkeit  hervorgebrachte  Schaden  ist, 
entzieht  sich  gänzlich  meiner  Berechnung,  da  mir  hierauf  bezügliche 
statistische  Berichte  jeder  Art  vollständig  fehlen. 


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M Hartmann:  Das Liwa  Haleb (Aleppo)  u.  ein  Teil  d.  Liwa  Dschebel  Bereket.  475 


Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa 
Dschebel  Bereket. 

Reisen,  ausgeführt  mit  Unterstützung  der  Karl  Ritter-Stiftung  der  Gesellschaft  für 
Erdkunde  und  dargestellt  von  Martin  Hartmann. 

(Schlots  *).) 

28.  Oktober. 

9h  gm  fort  vom  Kloster  auf  der  rÄ<J,rf<7-Strafse.  gh  nm  Halt. 

9h  14™  fort.  — 9h  15"'  ab  nach  links,  bei  den  Ruinen  einer  Mühle, 
auf  der  Strafse  nach  killis  und  haleb ; über  einen  kleinen  Zuflufs  des 
1 le/itschai  auf  einer  schmalen  Steinbrücke;  sehr  langsames  Marschtempo. 

— 9h  i()m  links  ein  Hügelrücken,  an  dessen  Rand  wir  hinreiten;  das 
tief  eingerissene  Thal  des  delitschai  bleibt  weit  rechts.  — 9h  24 m 
schnelleres  Marschtempo;  rechts  ein  Feld  genannt  armudly  tarla , doch 
ohne  armud,  d.  h.  Birnbäume,  gleich  darauf  ein  solches,  gen.  ktsmeli 
tarla ; vor  uns  etwas  rechts  der  kylydschdede-\kücV.m , der  sich  von  NO 
nach  SW  zieht;  wir  gehen  auf  dem  dgh  jol  oder  dgh  gedik ; meist  eben, 
selten  ein  wenig  bergab.  — 9h32m  über  ein  Flüfschen;  in  gutem 
Schritt.  — 9h  35m  über  das  Flüfschen  Ijidin  StB,  das  nach  rechts  fliefst. 

— 9h  37"'  über  ein  trockenes  Flufsbett,  das  nach  links  abfällt;  dann 
an  dem  links  bleibenden  ilgh  gedik  deresi  entlang.  — 91'  40™  rechts 
und  links  treten  die  Berge  näher  heran.  — 9h42m  in  dem  gut  be- 
wachsenen Thal  links  zeigt  sich  Wasser.  — 9h43™  schmales  Seiten- 
thälchen  von  den  Bergen  links  her.  — 9h  45 m rechts  das  Nordende 
eines  Bergrückens,  gen.  brddschin  burnu\  vor  uns  der  Hügel  ballyk  unter 
1 10°;  genau  links,  ca.  20m  entfernt,  die  Spitze  des  Hügels  kämuschly 
tiz ; wir  sind  jetzt  nicht  mehr  auf  dem  ägh  jol,  sondern  auf  ,dem 
brddschin  burnu.  — 9h55ra  auf  sehr  beschwerlichem  Wege  hinab  zur 
Ebene  bis  ioh  2 m.  — ioh  um  über  den  Flufs  hopunun  ( höpurun ?) 
tschaijy,  der  von  dem  von  ekbez  ca.  2 St.  entfernten  kiirküdUi  kommen  und 
sich  in  den  parafu  ergiefsen  soll;  wir  unter  uo°;  links  ein  Ger*)  mit 

*)  S.  Seite  142  ff.  dieses  Jahrgangs. 

*)  Ich  behalte  dieses  türkische  Wort  bei,  welches  in  allen  Wörterbüchern  fehlt, 
und  einen  niedrigen,  nicht  den  Bestandteil  eines  gröfseren  Gebirges,  dughy  bildenden 
Hügelrücken  oder  Höhenzug  bezeichnet;  das  Wort  ist  in  dem  Türkischen  jener 
Gegend  allgemein  üblich. 

.*12* 


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4 7 G 


Martin  Hartm.inn: 


der  Zijära  gcrin  udschaghy  auf  der  Spitze,  neben  welcher  eine  Mastix- 
Pistazie  (säkyzlyk  aghädschy);  die  Spitze  30°.  — toh  17“*  das  Ger  ca. 
30m  links;  wir  immerfort  durch  lichten  Palut-Wald.  — toh  25 10  100°; 
die  Zijära  des  Ger  360'  ; seit  ca.  15 ra  befinden  wir  uns  auf  einem 
Boden,  den  meine  Begleiter  Letsche  nennen,  und  der  den  Eindruck 
eines  erstarrten  Lava-Stromes  macht;  er  ist  ganz  uneben  und  bildet 
nicht  selten  kleine  Hügel.  — ioh  30 m rechts  am  Weg  ein  Hügel  von 
auffallender  Formation,  genannt  tespili  hüjügü;  ein  Wässerchen  tespili 
suju,  am  Fufs  des  Ger  entspringend,  kam  früher  bis  zu  diesem  Hügel, 
verliert  sich  aber  jetzt  in  der  Ebene;  über  den  Namen  tespili  können 
meine  Begleiter  keine  Auskunft  geben;  seit  dem  Hügel  sind  wir  auf  dem 
Feld  kanjasch  jazysy,  auf  welchem  sich  nur  vereinzelt  Lavastücke  zeigen. 

— 10 h 51“  nach  links  ab  über  gutes  Ackerland  zu  dem  baghlama,  das 
wir  ioh  561“  erreichen;  es  ist  dies  ein  ca.  2 m hoher  Damm,  der  das 
Wasser  von  den  Feldern  abhalten,  bezw.  es  aufstaucn  soll ; auf  seiner 
nördlichen  Seite  ein  jetzt  trockener  Graben,  aus  welchem  Wasser  durch 
eine  im  Damm  angebrachte  Schleuse  abgelassen  werden  kann;  auf  der 
südlichen  Seite  ein  tiefer  Brunnen,  baghlama  kuju ; der  Boden  ist  hier 
wieder  vulkanisch,  Leisehe;  im  Winter  soll  das  ganze  Terrain,  vom 
baghlama  südlich  bis  über  die  Strafse  hinüber,  unter  Wasser  stehen;  das 
baghlama  wurde  vor  ca.  15  Jahren  von  einem  Bey  in  ekbee  angelegt.  Halt. 

11 h fort  vom  baghlama , zurück  auf  die  Strafse,  an  einem  ca.  5 m 
hohen  Letsche-Rticken  entlang.  — nh  4m  wieder  auf  der  Strafse.  — 
uh5m  am  äufsersten  südlichen  Ende  des  Letsche-Rückens;  in  sehr 
langsamem  Marschtempo  nach  O;  links  der,  „Kleiner  katyraniyk“  ge- 
nannte Ger,  den  Grofsen  katyraniyk  verbergend.  — 1 1 h 9 m 8oc;  wir 
befinden  uns  auf  der  Ebene  andll  oghlunwi  oivasy,  aus  welcher,  ca. 
2 m links,  die  andll  oghlunuh  adasy  d.  i.  Andll  oghlu- Insel,  ein  ca.  6 m 
hohes  Letsche-l’lateau,  aufragt;  am  Fufs  des  Kleinen  katyraniyk  eine 
mit  gelbem  ürün  vt  (?)  bestandene  Wiese,  genannt  di/kol  oghlunuh  jazysy. 

— ix h 17“  wieder  Uber  Letsche-Boden.  — 11 h 22 m links  eine  steil  an- 
steigende, etwa  3 m hohe  Lavawand,  rissig  und  an  vielen  Stellen  ge. 
borsten.  — nh  25m  der  Fufs  des  ba/lyk  (vgl.  oben  26./10.  4h  1 7 m)  ca. 
i5m  rechts;  wir  kommen  nur  langsam  vorwärts,  da  das  Reiten  auf 
dem  zerrissenen  Lava-Feld  äufserst  beschwerlich  ist;  wir  gehen  über  die 
ba/lyk  letschest').  — 1 1 h 28™  wir  treten  aus  dem  Letsche-Gebiet,  das  im 

*)  Aus  dieser  Benennung,  „Letsche  des  Ballyk“,  geht  hervor,  dafs  das  Volk 
die  verschiedenen  Teile  des  Lava-Bodens  mit  besonderen,  an  einen  hervorragen- 
deren Punkt  inmitten  oder  am  Rande  derselben  anknüpfenden  Namen  belegt.  — 
letsche  ist  Verstümmelung  von  ar.  ladscha',  das  eigentlich  „unzugänglicher  Ort, 
Veste,  Zuflucht'1  bezeichnet  (vgl.  das  bekannte  et-tedscha  im  Iiauran,  über  welches 
s.  Wetzstein,  Reisebericht  S.  25  f.). 


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Da'  Liwa  Haie!*  (Aleppo)  und  rin  Teil  des  i.iw.i  Dschchel  Hcreket.  -477 

wesentlichen  die  Richtung  N— S zu  haben  scheint,  heraus  auf  Ackerfeld, 
über  welches  nur  kleinere  I.avastticke  zerstreut  sind;  ca.  15m  links,  am 
Fufs  des  kafyranlyk  die  sljdar- Ebene.  — 1 1 11  32"'  wieder  guter  Schritt; 
nach  O.  — nh35m  tm  links  die  westlichste  Spitze  eines  Ausläufers 
des,  N — S streichenden  kafyranlyk.  — nh37m  — 39™  über  ein  Feld, 
genannt  ikl  kardaschyn  mezary  d.  i.  das  Grab  der  beiden  Brüder,  die 
sich  mit  ihren  Heeren  hier  nachts  trafen,  sich  für  Feinde  hielten  und 
sich  gegenseitig  völlig  vernichteten:  der  eine  liegt  mit  seinen  Soldaten 
rechts,  der  andere  links  vom  Wege;  hier  ist  auch  die  Grenze  der 
Wilajets  adana  und  fyaleb ; wir  treten  in  das  letztere  ein.  — nb  41“ 
die  Strafse  teilt  sich:  rechts  über  gedik  maidan,  giirzel,  sulakly,  links 
auf  etwas  beschwerlicherem,  aber  kürzerem  Wege  nach  bülbii/',  wir 
nehmen  den  letzteren.  Halt. 

Uh  45m  fort;  links  am  Wege  der  südlichste  Punkt  des  kafyranlyk. 

— ii1*  46"»  ca.  10”  rechts  der  östlichste  Punkt  des  balfyk , der  noch 
zum  Wilajet  adana  gehört;  mittelschnell  nach  O.  — 1 1 ••  53 1,1  ca.  3m 
links  am  Fufs  des  kafyranlyk  ca.  20  Götscher-Zelte*).  — nh  55 m links 
am  Wege  ca.  12  Rohrhütten  von  Kurden,  welche  die  Reisfelder  hier 
bebauen.  — nh57m  über  einen  Arm,  bezw.  abgeleiteten  Kanal,  des 
karaftt,  der  die  Reisfelder  bewässert.  — ilh58m  rechts  der  viereckige 
Tumulus  mehmet  baghin  hüjüjii.  — 11 11  59™  sumpfiges  Terrain;  langsam. 

— i2h  der  kafyranlyk  ist  auf  ca.  4m  zurückgetreten;  115°.  — i2h2m 
über  den  karafu ; das  mehmef  baghin  hüjüjii  (vgl.  oben  11*1  58“)  ca.  15  m 
entf.,  210°.  Halt. 

12 h 8m  fort;  unter  ca.  140"  auf  den  Hügel  pendtrijin  feptsi  zu.  — 
12 h t5m  links  mundet  ein  Weg;  wir  reiten  um  die  Südspitze  des  Hügels 
herum,  der  sich  höchstens  30  m über  die  Ebene  erhebt;  auf  diesem 
ganzen  Gebiet  sind  Tataren  angesiedelt,  welche  meine  Begleiter  von 
den  Tscherkessen  wohl  unterscheiden.  — i2h  20m  die  Strafse  teilt 
sich;  wir  unter  120°  nach  links  ab.  — i2h  25 m die  Spitze  des  dschebel  el- 
akra ‘ 2240.  — i2h  27"'  110°,  gleich  darauf  100°.  — I2h3^l,,  links  ein 
länglicher  Hügel.  — J2h  36m  wir  befinden  uns  schon  auf  dem  kürd  dilgh- 
Gebiet;  wir  sind  immer  langsam  geritten;  sanft  bergab.  — i2h  4om 
über  ein  nach  r.  ziehendes  trockenes  Flufsbett;  das  Terrain  ist  wellig; 
ca.  20 m 1.  ein  niedriger  westlicher  Ausläufer  des  kügd  dilgh.  — i2h  4Öm 
wieder  über  ein  trockenes  Flufsbett;  mittlerer  Schritt.  — !2h5om  in 
den  niedrigen  Vorhöhen  des  kürd  dilgh  \ 92 °.  — i2h54nl  hinab  zu  dem 
ca.  50  m breiten  Bett  des  kodschanlv  dtrrsi.  — 1 2 h 5 5 unten  bei  dem 
wasserführenden  Flufs.  — J2h  56 m Halt. 

')  Mit  Götscher  werden  im  Folgenden  immer  die  türkischen  (turkmenischen  1 
und  kurdischen  Wanderstämme  bezeichnet. 


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478 


Marlin  Hart  mann: 


3 52 h 57 m fort;  jenseits  bergauf.  — ih  auf  der  Höhe  der  Thalwand. 
ih6m  an  der  Quelle  mitten  in  dem  Kurden-Dorf  kodschan/y.  Halt. 

1*'  55m  fort;  sanft  bergan;  etwa  iio°.  — 2h  i”  Scheideweg;  gerade- 
aus nach  dem  ca.  30™  entfernten  penderik;  wir  zunächst  unter  ca.  40 
kehren  jedoch  2h  8“  auf  den  alten  Weg  zurück.  — 2b  u"  wieder 
unter  160/170°;  langsam.  — ih  iQm  unser  mehrfach  Windungen  machen- 
der Weg  wird  von  einem  O — W laufenden,  bald  darauf  von  einem 
zweiten  geschnitten.  — 2b  201"  90°;  am  Rand  eines  Thaies  hin,  auf 
eine  ca.  80  m hohe  Spitze  zu.  — 2h  25“  über  ein  Seitentliälchen. 
120°;  mehrfach  Windungen;  sehr  langsam.  — 2h  29®  Halt;  penderin  — 
so  spricht  der,  das  ii  scharf  hervorkehrende  Zabtije  den  Ort  aus,  den 
der  Mukari  pendent  nennt;  s.  oben  2 *»  1“  - im  Thal  unter  uns,  ca.  20" 
entfernt;  Spitzen  der  kafyranfyk’s  328°  und  346°. 

21'  36m  fort,  an  einem  rechts  bleibenden,  tiefen  Thal  entlang,  das 
mit  zahlreichen  Pappeln  (Kawak)  bestanden;  bergan  auf  schlechtem 
Weg;  ioo°;  nach  dem  Zabtije,  der  erklärt,  hier  nicht  mehr  Bescheid 
zu  wissen,  da  er  sonst  immer  auf  der  anderen,  der  Hauptstrafse,  nach 
bülbiil  geritten  sei,  heifst  der  jenseits  des  Thaies  liegende  Bergrücken 
schinglr  ddg/i,  das  Thal  also  wohl  schinglr  deren';  wir  immer  in  Windungen 
bergauf;  sehr  langsam.  — 2h  57  ,n  geht  rechts  ein  kleines  Thälchen  in 
das  Hauptthal  ab.  — 2*>  59m  rechts  geht  ein  Weg  ab.  — 31*  2>»  wir 
fast  eben  auf  dem  Rücken  entlang.  — 3h  6m  ca.  40  m links  ein  erhöhter 
Punkt  mit  guter  Fernsicht:  frafcr,  mit  einem  der  Konaks  des  Hadschi 
Omer  Oghlu  (vgl.  25.  10.  2h  2om)  50°;  vor  uns  unter  70/80°  ein  schönes 
fruchtbares  Thal,  weiter  vor  der  Hauptzug  des  kiird  dägh.  Halt. 

3h  12m  fort;  160°,  bergauf;  schlechter  Weg;  seit  wir  die  Ebene 
verlassen,  hat  der  Boden  beständig  Kalksteinformation  gezeigt.  — 
3h  20 m auf  der  Höhe;  dann  fast  eben;  nach  S.  — 3*>  25“  150°;  vor 
uns  der  kleine  damryk  (oft  zu  darmyt  verstümmelt)  diigh  170°,  der  grofsc 
130°;  unter  150°  bergauf.  — Bis  31'33I”  sehr  langsam,  dann  etwas 
schneller.  — 31*  36™  guter  Schritt.  — 3h  40m  die  zwei  Quartiere  von 
damryk  tscherlschilisi , ca.  iom  entfernt,  30°  und  40°;  bulamaschly , ca. 
1 Stunde,  und  telkümen,  ca.  2 Stunden,  70°;  haytr  (s.  3*1  6“)  4°.  Halt. 

3h  44m  fort;  170°.  3h  48m  auf  einer  Höhe  unterhalb  des  kleinen 
damryk;  eben.  — 3h  50 m r.  am  Wege  die  Gehöfte  von  bejik  bejen  kbj. 
dem  Dorf  des  verstorbenen  Schgch  Ismä'tl;  110°;  r.  der  Gipfel  des 
kleinen  damryk,  nur  ca.  300  m höher,  ca.  6m  entfernt;  hier,  wie  auf  dem 
ganzen  kiird  dagh,  kein  Wald,  sondern  nur  lichtes  Buschwerk  (tschaly 
— 3h  53m  r.  Weingärten;  — wir  unter  70°  auf  den  grofsen  damryk  ru : 
sanft  bergab.  — 3h  58™  170°.  4h  an  der  Quelle  schick  isma'tJ  punar-, . 
mit  vortrefflichem  Wasser;  ca.  50  m entfernt  die  Zijära  des  Schachs: 
das  Grab  ist  umgeben  von  einer  kreisförmigen  Steinmauer,  die  ca.  1 m 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berckel.  479 

hoch , mit  stachligen  Zweigen  bedeckt  und  von  einem  kesme-Baum 
beschattet  ist;  der  Schech,  der  berühmt  warwegen  seiner  guten  Kuren 
von  Augenkrankheiten,  starb  um  1864;  jetzt  ist  sein  Sohn  Ahmed  Agha, 
der  für  sehr  reich  gilt,  Besitzer  von  bijik  bejen  köj  (s.  3h  50"');  der  grofse 
damryk  96°.  Halt. 

4h  13m  fort  in  gutem  Schritt.  — 4h  i8'n  2m  links  ein  kleiner  Hügel; 
130°;  ziemlich  eben  am  Bergrücken  herum.  — 4h  271"  rechts  am  Weg  das 
Dorf  'alikelltr',  steil  bergab  in  das  Thal,  jenseits  dessen  der  grofse 
damryk  liegt.  — 4h  29“  rechts  am  Wege  Quelle;  steil  bergab  unter  140', 
später  X2o°.  — 4h  43m  über  einen  trockenen  Zuflufs  des  dejirmen  (bei 
meinen  Begleitern  wie  därmln  klingend)  tschaijy,  4h  44”'  über  diesen 
selbst,  der  unter  ca.  200°  fliefst  und  sich  in  den  '■a/rm  ergiefst;  jenseits 
sanft  bergauf  unter  110°.  — 4h  47">  über  einen  kleinen  Zuflufs.  — 
4h  49m  rechts,  auf  der  gegenüberliegenden  Wand  des  Thaies,  an  der  wir 
entlang  reiten,  noch  ein  Viertel  von  ktller  (‘a/ikel/er).  — 4h  53m  unter 
130°,  ziemlich  eben.  — 4h  54“  wieder  bergab,  steil;  immer  am  süd- 
lichen Rand  des  grofsen  damryk  herum.  — 4h  56 m Uber  ein  trockenes 
Flufsbett;  sanft  bergauf.  — 5h  7™  150";  sanft  bergab;  Terrain  gewellt; 
zahlreiche  Winterbäche.  — 5h  i6m  bülbül  zeigt  sich.  — 5h  24m  beim 
Konak  des  Ortes,  einer  weitläufigen,  fast  dachlosen  Ruine,  in  der  nur 
ein  einziges  bewohnbares  Zimmer  ist,  das  dem  gerade  abwesenden 
Mudir  als  Wohn-  und  Amtsstube  dient;  die  Regierung  ist  durch 
einen  einzigen  Zabtije  vertreten;  mit  grofser  Mühe  gelingt  es 
ihm,  den  Muchtär  (Schulzen)  des  Ortes  herbeizuschaflen,  der  sich 
nach  langem  Hin-  und  Herreden  entschliefst,  mich  samt  meinen 
Leuten  aufzunehmen. 


29.  Oktober. 

7h  37m  fort  nach  NO,  zu  dem  ca.  6m  entfernten,  etwas  höher  ge- 
legenen kemer,  einem  Steingewölbe,  das,  ebenso  wie  zahlreiche  andere 
in  der  Nähe  umherliegende  Reste  von  Gebäuden  auf  eine  alte  Ortslage 
schliefsen  läfst;  der  Ort  heifst  keziire. 

8h  2öm  zurück  zum  Hause  des  Muchtärs,  das  wir  8h  33m  er- 
reichen. 

9h14m  fort  zum  kezabresch , das  9h  53™  bei  langsamem  Schritt 
erreicht  wird;  hier  zeigen  sich  Spuren  alter  Baulichkeiten;  Stücke  von 
Säulen  und  altem  Gemäuer  sind  zerstreut;  von  hier  aus:  kadrianly  auf 
einem  Bergrücken,  ca.  10 01  entfernt,  208°. 

10h  42“  zurück  nach  bülbül,  sanft  bergauf,  unter  70°,  dann  90°, 
sehr  langsam.  — 1 1 *»  58 111  auf  der  Höhe;  bülbül  450;  bergab.  — 

i2h  23 m beim  Hause  des  Muchtärs. 


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Martin  Hartman  n: 


% 

480 


30.  Oktober. 

9h  15m  fort  von  bülbül,  begleitet  von  dem  Kurden  Ibö;  sehr  lang- 
sam. — 9h  20m  guter  Schritt.  — 9h  25m  130°.  — 9h  36“  90°;  bald 
welliges  Terrain,  bald  eben.  — 9h43m  no°.  — 9h  5om  bergab;  dann 
fast  eben;  vortrefflicher  Weg,  später  bergauf.  — ioh  8m  wir  verlassen 
das  Gebiet  von  bülbül  und  treten  auf  den  Boden  von  schick  chorus 
über,  das  schon  zu  killiz  gehört;  die  kai'a  ca.  uo°;  guter  Schritt.  — 
,0h  22 m ca.  20m  entfernt,  unter  180°,  ein  Quartier  von  schick  chorus: 
auf  einem  Bergrücken,  etwas  entfernter  ein  anderes  Quartier  unter  1765 
und  ein  drittes  unter  166 °. — ioh  45  m links  ein  Winterflufsbett,  dasW — 0- 
Richtung  hat.  — ioh47m  über  ein  trockenes  Flufsbett;  dann  an  ihm 
entlang ; es  bleibt  rechts  unter  uns.  — 1 1 h am  nördlichen  Abhang  des 
kcreschir  dJgh  herum,  an  dessen  westlichem  Abhang  schick  chorus  liegt. 
— 1 1 h 7 111  links,  etwas  vor,  ein  Tumulus,  genannt  habidon  ( abudan ) hüjüjü, 
ca.  10  m hoch;  an  seinem  Fufc  soll  sich  eine  vortreffliche  Quelle  be- 
finden1). — 1 1 h 9m  von  dem  direkten  Weg  zur  (sa/'a  ab  nach  rechts, 
unter  170”,  zu  einem  Inschriftstein,  den  Ibö  kennt.  — ithzi"1  auf 
einer  Höhe,  auf  welcher  die  8 — 10  H von  saryndschyk  liegen.  Halt. 

llh  29,n  fort,  langsam.  — iih40“  über  ein  wildes  Thal,  welches 
links  in  ein  noch  wilderes,  grofses  und  tiefes,  nach  S laufendes  Thal 
abgeht;  es  sind  hier  dicht  nebeneinander  eine  Anzahl  tiefer,  wilder 
Thäler,  die  sich  durch  den  weichen,  splitterigen  Kreideboden  durch- 
gearbeitet  und  denselben  gründlich  zerrissen  haben;  unter  172'.  — 
11  h j2m  Halt. 

llh  56ra  fort,  sehr  steil  in  ein  tiefes  Thal.  — nh5Sra  unten  im 
Thal.  — i2h  wieder  in  einem  tiefem  Wadi  und  in  demselben  zu  dem 
Stein,  den  wir  i2h  3m  erreichen.  Halt. 

2h  58 m fort  von  dem  Stein,  zunächst  im  Thal  weiter  zu  einem 
anderen,  schlecht  erhaltenen  Inschriftstein,  der  neben  einem  tiefen 
Brunnen  mit  kreisförmiger  Öffnung  von  ca.  40  cm  Durchmesser  liegt; 
dann  die  Thalwand  hinauf.  — 3h  5m  in  einem  anderen  Thal,  das, 
wie  das  vorige,  in  das  sich  mit  dem  ‘afrin- Thal  vereinigende  gdmisch 
dtrcsi  geht;  der  nordsüdliche  Lauf  des  'afrin  läfst  sich  von  hier  ver- 
folgen; wir  sind  hier  nicht  mehr  auf  dem  Gebiet  der  i«73«7-Aschire, 
sondern  auf  dem  der  schahkoklu - Aschire , das  sich  bis  an  den  ‘afrin 
erstreckt;  jenseits  desselben,  welcher  die  Grenze  des  kürd  dagh  bildet, 
sitzt  die  ff/ßm/ifrcA-Aschire*);  wir  gehen  nach  O,  sehr  langsam.  — 
3h  12  ■»  an  dem  sehr  tiefen  gdmisch- Thal  entlang  nach  N,  einen  Hinais 

*)  Das  habidon  (alter  Name?)  weist  auf  eine  alte  Ortslage  hin. 

*)  mümidsch  oder  tmibidsch  ist  die  volkstümliche  Aussprache  für  menbtdich : 
daneben  hört  man  auch  mumbudsch.  Aschire  — ar.  'aschire,  Stamm 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo  I und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Itcrekct.  .J  S 1 

weg  suchend.  — 3h  14™  durch  das  Thal.  — 3h  i6m  jenseits  hinauf 
unter  no°.  — 3h  i9m  wieder  über  ein  tiefes  und  breites  Thal,  in  wel- 
chem ein  Fufsweg  läuft.  — 3h  27m  unter  ca.  150°,  ca.  45™  entfernt, 
ein  Stück  Land,  das  ieUelik  kalesi  heifst,  aber  keine  sichtbaren  Spuren 
einer  alten  Ortslage  mehr  tragen  soll.  — 3h3°m  an  der  Quelle  des 
Dorfes  zl/ünek ; 3h  20m  oben  im  Dorf,  in  dessen  Nähe  arabische  Be- 
duinen zelten.  — Von  hier:  säryndschyk , doch  ein  anderes  Quartier 
als  das  nl,2ira  besuchte  dieses  Dorfes,  1860;  links  davon  slmd/ik. 
— Freundliche  Aufnahme  bei  dem  Muchtar  des  Ortes. 

31.  Oktober. 

8h  47 m fort  von  zCMnek,  das  seinen  Namen  von  den  alten  Ölbäumen 
auf  dem  nordwestlich  gegenüberliegenden  Hiigel  hat.  — 81'  52"'  links  ein 
ca.  10  m langes,  ca.  3 m hohes  Stück  Mauer,  das  von  seiner  Form 
den  Namen  hiirü  plgamberin  a/y,  das  Rofs  des  Propheten  Urija,  hat, 
das  beim  Kampf  des  Urija  mit  den  Ungläubigen  versteinert  wurde.  — 
8h  55m  links  öffnet  sich  ein  kleines  Thal,  an  welchem  wir  bis  zu  seiner 
Mündung  in  das,  selbst  in  den  ca.  30 m rechts  bleibenden  'afrin  gehende 
schlch  er-rüm  drresi  (?)  entlang  gehen;  bei  dieser  Mündung  9h  im;  bis 
hieher  sind  wir  meist  unter  ca.  450  gegangen.  — 9h  5m  bei  dem  hiirü 
pfgamber , der  berühmten  Zijära  des  Propheten  Urija,  der  als  Offizier 
des  Königs  Dawid  gegen  die  Ungläubigen  kämpfte  und  hier  fiel  und 
begraben  liegt1);  ca.  20  Schritt  im  N des  Gebäudes  geht  die  grofse 
Strafse  bülbiil-killiz  vorbei;  im  W und  S ein  gröfseres  Gräberfeld,  auf 
welchem  auch  einige  römische  Inschriften.  Halt. 

Uh  55m  fort,  über  die  killiz- Strafse  fort:  unter  46°.  — i2k  2m  rechts 
am  Weg  zahlreiche  Sarkophage.  Halt. 

12h  18m  fort,  am  Wege  zahlreiche  Spuren  alter  Steinbauten.  — i2h  25  m 
ca.  4m  rechts  unter  uns  das  fdbun  fu/u,  wie  es  die  Bewohner  der  Ge- 
gend, fapy  fuju,  wie  es  der  Zabtije  nennt,  das  nach  S und  in  den  ‘afrin 
geht;  immerfort  durch  Ruinentrümmer;  wir  befinden  uns  auf  dem 
Boden  des  alten  Kyrrhos;  die  kat'a  links  über  uns  lassend,  suchen 
wir  den  achteckigen  Stein  auf,  der  wohl  die  bedeutendste  bisher  hier 
gefundene  Inschrift  trägt:  von  hier  der  Tumulus  abidon  hüjüjü  (s.  30-/10. 


')  So  auch  Jakut  IV  199  s.  v.  birus  (d.  i.  Kyrrhos);  anders  Almakdisi  p.  175 
unter  ‘ ammän  (ZDPV  VII  168):  ,,in  ihr  ist  das  Grab  des  Urija,  über  dem  eine 
Moschee  ist“,  und  danach  ohne  Rücksicht  auf  seine  eigene  abweichende  Notiz 
Jakut  III  710.  Heute  scheint  sich  die  Urija-Sage  nicht  mehr  an  ‘ammän  zu  knüpfen 
fs.  Bäd  ’ 188,  wo  nur  die  Moschee  erwähnt  ist),  obwohl  sie  1 Sam.  11  hierher  ver- 
legt wird.  E'taMabi  in  seinem  tl-'arti'is  (hisas  el-anbijä)  'erwähnt  den  Urija  nur 
gelegentlich  S.  atj  (ed  Kairo  1301)  und  nennt  ihn  nicht  Prophet. 


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Marlin  Harimann: 


482 

nh  7m)  284“  — ih  23"'  nehmen  wir  die  Richtung  auf  marsowa ; 70°; 
an  dem  Thal  domuz  deresi  entlang;  unter  50°  hinab  in  das  Thal  des 
fdhun  fuju.  — 1 h 37 m unten  im  Thal;  hier  ein  ca.  30  m breites,  trockenes 
Flufsbett,  das  nur  wenig  weiter  östlich  Wasser  aus  einer  reichlich  strö- 
menden guten  Quelle  erhält;  ca.  9 Minuten  später  in  dem  auf  der 
jenseitigen  Thalwand  gelegenen  marsowa.  Halt. 

3h  6 m fort  von  marsowa,  auf  demselben  Weg.  — 3h  1 g m im  Thal 
des  faiuu  fuju;  wir  lassen  den  achteckigen  Inschriftstein  (s.  12 h 25“ 
rechts  und  wenden  uns  der  Ruinenstadt  zu,  zu  deren  ersten  Trümmern 
wir  3h  29™  kommen;  am  Rand  des  Trümmerfeldes  entlang.  — 3h32* 
durch  ein  3,24  m breites  Thor  in  der  ca.  2,50  m hohen  Steinmauer, 
welche  nur  zum  Teil  erhalten  ist;  diese  Mauer  bildet  ein  grofses  Vier- 
eck und  hatte  an  jeder  der  vier  Seiten  ein  grofses  Thor  zwischen  zwei 
vorspringenden  Steinbauten;  innerhalb  des  Thores  die  P.este  eines 
alten  Säulenganges;  von  dem  Trümmerfeld  steigen  wir  den  Abhang 
des  die  kal'a  tragenden  Vorsprunges  des  nicht  unbedeutenden  Hügels 
gölgawan  Itpe  hinan,  ziemlich  steil,  doch  rcitbar,  bis  etwa  50  m vor 
dem  Thor,  wo  wir  absteigen  müssen;  die  Inschriften,  die  sich  auf  dem 
nicht  sehr  bedeutenden  Trümmerfeld  finden,  deuten  auf  christliche  Zeit. 

— 4h  47  m hinauf  zur  Spitze  des  Hügels.  — 4h  58™  auf  der  ein  kleines 
Plateau  bildenden  Spitze,  bei  der  Zijära  des  Gölgawan,  der  im  Kampf 
gegen  die  Ungläubigen  gefallen  ist;  gölgawan  soll  eine  Verstümmelung 
von  kclkümen  (vgl.  28., '10.  3 *>  40 ™)  sein;  von  einem  Punkt,  ca.  60  m 
nördlich  der  Zijära,  die  nur  ein  von  Gebüsch  umgebenes  freies  Grab 
ist,  keine  Kapelle,  visiere  ich:  Spitze  des  schirh  choros  dagh  (wohl  iden- 
tisch mit  dem  kereschir  dägh,  s.  30./10.  nh),  265°;  Abfall  des  kleinen 
damryk  nach  O 290°;  Abfall  des  grofsen  damryk  nach  W 2920;  höchste 
Spitze  des  letzteren  296°;  marsowa  15°;  schi/tah,  am  diesseitigen  (west- 
lichen) Ufer  des  ‘afrin  62°;  jenseits  des  ‘afrin,  ziemlich  fern,  barnaU 
90°;  die  südliche  Spitze  der  bal'a  87°;  von  einem  anderen  Punkt, 
ca.  30  m im  S der  Zijära:  hürü  ptgamba-  145  °;  Mündung  des  fdbua 
fuju  in  den  ‘afrin  162°.  Halt. 

5h  25 1,1  fort;  schleunigst  und  möglichst  gerade,  die  kal'a  rechts 
lassend,  den  Bergabhang  hinab  in  das  fäbun  fuju- Thal  und  zum  Dorf. 

— 6h  8m  in  marsoiva. 


1.  Novembet. 

Vormittags  wiederholter  Besuch  des  Ruinenfeldes;  am  Fufs  der 
ia/'a  peilte  ich  marsowa  und  das  etwa  r Stunde  entferntere  bawub  unter 
360°.  Auf  dem  Hinweg  brauchte  ich  vom  Dorf  bis  zu  dem  achteckigen 
Inschriftstein  (s.  3i./to.  I2h  2Sm),  von  welchem  ich  einen  Abklatsch 
fertigte,  24 m ; über  den  Rückweg  notierte  ich  folgendes:  ih  17"  fort 


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Das  Lhvu  Halcb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwu  Dschebel  Bereket.  483 

von  dem  Stein,  auf  dem  Weg,  den  wir  gestern  (s.  3t./to.  i b 2301  u.  s.  w.) 
genommen ; an  dem  kleinern,  wohl  irrtümlich  als  domus  deresi  bezeich- 
neten,  in  das  sabun  fujti  gehenden  Thälchen  entlang;  letzteres  soll 
ca.  30”  von  hier  aus  einer  reichlich  fliefsenden  Quelle  Wasser  bekommen 
(vgl.  oben  31./10.  ih  37”),  1 Stunde  von  hier  soll  auf  seinem  westlichen 
Ufer,  dicht  bei  einer  grofsen  Brücke,  Uber  welche  die  Strasse  iskenderun 

— killiz  führt,  eine  Mühle  liegen,  und  30 m unterhalb  dieser  Mühle 
soll  es  sich  mit  dem  ‘afrln  vereinigen ; bei  diesen  Entfernungsangaben 
ist  jedoch  in  Betracht  zu  ziehen,  dafs  der  Flufs  viele  Krümmungen 
macht.  — ih35m  in  marsowa. 

3s  24m  fort  von  marsowa,  unter  uoc  in  gutem  Schritt;  bergan.  — 
3>‘  32“  ca.  100  m rechts  eine  kleine  Zijära  unter  Bäumen.  — 3h  38“'  auf 
einer  grofsen  Strafse,  welche  marsowa  rechts  liegen  läfst.  — 3h  5om  links 
das  dschtjren  tepe  d.  i.  Gazellenhügel;  rechts  das  tiefe  und  wilde  dschljren 
Upe  deresi,  das  bald  darauf  vor  uns  in  den  ‘afrin  einmündet;  jenseits 
dieses  Thaies,  ca.  15  m entfernt,  schilhift  (s.  31./10  4 **  5801);  unter  ca.  80°, 
etwa  45 m entfernt,  aghtepe,  dem  reichem  Bairäm  Oghlu  in  killiz  gehörig; 
karnabe  no°;  das  kleine  Dorf  bekere  160 °;  in  sehr  gutem  Schritt.  — 

— 4h  6 m in  dem  breiten  Bett  des  ‘afrin,  der  hier  nur  wenig  Wasser 
hat;  wir  in  demselben  eine  kleine  Strecke  hinab  unter  ca.  170°.  — 
4h  9m  über  das,  sich  1 m rechts  in  den  'afrin  ergiefsende,  wasserführende 
aghtepesiniii  fuju]  dann  unter  140°  sanft  bergan;  Terrain  sehr  wellig. 

— 4h  14"1  fast  eben  unter  ca.  120°.  — 4h  i8m  barnabe  100 c;  steil  hinab 
in  ein  Thal.  — 4h  25™  auf  der  jenseitigen  Höhe;  gleich  darauf  wieder 
in  ein  tiefes,  etwas  Wasser  führendes  Thal.  — 4*>  28"’  über  einen 
trockenen  Seitenarm  dieses  Thaies;  dann  einen  anderen  Seitenarm 
hinauf,  dessen  reichliches  Rinnsal  wir  4 h 31 m überschreiten;  bergan. — 
4h  35m  vor  uns  barnabt  auf  einer  Anhöhe.  — 4><  38 m über  ein  von 
links  kommendes,  stark  fliefsendes  Quellrinnsal,  das  sich  rechts  am  Weg 
mit  einem  anderen  vereinigt;  an  letzterem,  das  rechts  bleibt,  hinauf.  — 
4*>  42 m der  Weg  teilt  sich:  geradeaus  hinauf  zum  Dorf  barnabe ; wir 
wenden  uns  nach  rechts,  die  Anhöhe  links  lassend.  — 4h  46“  an  der 
Quelle  des  Rinnsales  rechts;  wir  befinden  uns  seit  Überschreitung  des 
‘afrm  bereits  auf  dem  Boden  von  mübidsch  oder  mUmidsch  (vgl.  oben 
30./10.  zks™);  die  Bevölkerung  sind  hier  Türken,  welche  neben  ihrem 
türkisch  auch  kurdisch  sprechen;  Kurden  kommen  hier  nur  vereinzelt 
vor.  — Halt. 

4h  47  m fort  von  der  Quelle;  sanft  bergan.  — 4h  48“  barnabe  ca. 
100  m links;  eben,  unter  1240  auf  den  gedik  zt/in  zu,  einem  Pafs,  der 
zwischen  niedrigen  Kreidefelsen  ca.  1 Stunde  vor  uns  liegt;  Uber  ein 
weit  ausgedehntes,  ca.  45 ra  langes,  zo1"  breites  Feld  auf  sehr  bequemer, 
recht  belebter  Strafse.  — 5 11  21 m wir  schneiden  eine  breite  Strafse, 


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4X4 


Martin  Hart  m a n n : 


welche  rechts  nach  haleb,  links  nach  mar'asch  führen  soll;  rechts  lind 
links  gröfsere  Ölbaumhaine;  die  Berge  treten  auf  ca.  30™  an  die  Strafse 
heran.  — sh  25  m links  beginnt  der  ziemlich  genau  W — O laufende,  der 
Strafse  parallele,  lange  üresel  Stmcn  dägh,  auf  dessen  jenseitigem  (nörd- 
lichen) Abhang  sich  Dörfer  befinden  sollen ; rechts  der  pola/ly  dilgh,  der 
ebenfalls  der  Strafse  parallel  läuft  und  sich  an  den  vorher  rechts,  doch 
weiter  entfernt  gesehenen  karadasch  dagh  anschliefst;  unsere  Strafse  läuft 
ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  diesen  beiden  Höhenrücken.  — 5 h 27" 
ca.  45 m rechts  tachlaly  und  westlich  davon  das  entferntere  airykanny,  am 
Abhang  des  i -aradasch',  von  tachlaly  aus  zieht  sich  auf  die  Strafse  zu 
das  kuju  deresi\  genau  links  soll  das  vom  Höhenrücken  verdeckte  kuzena 
liegen;  wir  befinden  uns  hier  auf  dem  kiintsa  jitzysy,  welcher  Name,  wie 
viele  andere,  dafür  spricht,  dafs  hier  arabisch  redende  Bevölkerung 
sefshaft  war  (künlsa  = ar.  kennt  oder  kunaijise,  Kirche,  Kirchlein).  — 
5h  40m  ca.  12“1  links  die  Spitze  des  weifsen  Kreidehügels  blschik  lepe. 
— 5h  45 m rechts  kommt  unter  sehr  spitzem  Winkel  die  direkte  Strafse 
bülbül — killiz  heraus;  dieser  Punkt  heifst  südüklii  deresi  und  hier  be- 
findet sich  in  der  Mitte  der  Strafse  ein  kleiner  (von  einer  Quelle  ge- 
speister?) Tümpel.  — 5h  S2m  ca.  20  m rechts  das  kürgeli  oder  külgrli ka/a, 
ein  grofses  Felsstllck;  ca.  20m  links  der  gjaurh  bdghli- Berg.  — 6h  auf 
der  Höhe  des gedik  zitin,  von  welchem  aus  das  jetzt  nur  durch  schwachen 
Lichtschimmer  bezeichnete  killiz  sichtbar  ist.  — 6h  i8m  bei  den  Beduinen- 
zelten, die  dicht  neben  der  Stadt  aufgeschlagen  sind;  über  das  holperige 
Pflaster  des  Ortes  zu  dem  Haus  des  Armeniers  Hätschir  Effendi. 

2.  — 12.  November  in  killiz ; durch  Vermittlung  meines  Wirtes  ge- 
winne ich  die  Dienste  des  Armeniers  Hannusch  Effendi  Mighirditschian, 
der  viel  im  Land  herumgekommen  ist  und  gut  beobachtet  hat.  So 
oft  es  irgend  möglich  ist,  arbeite  ich  mit  ihm,  hauptsächlich  die  Listen 
des  Kada  killiz,  einschliefslich  der  Nahijen  von  bülbül  ('izzije)  durch- 
gehend. Von  Ausflügen  machte  ich  nur  einen  gröfseren,  der  nebst 
den  von  einem  Punkt  dicht  bei  der  Stadt  gemachten  Visuren  im 
Folgenden  mitgeteilt  ist. 


8.  November. 

Visuren  von  dem  Hügel  karafasch  (oder  karadasch)  ca.  20  m hoch, 
3m  vom  Haus  des  Hätschir  Eff.,  an  der  grofsen  Strafse  nach  kantara 
und  teil  el-halcsch,  die  über  diesen  Hügel  führt:  Hügel  von  a'zilz  20g1': 
Spitze  des  lllim  dägh  2130;  Spitze  des  parsa  dagh  2 2 5 karadasch  dägh 
zwischen  250°  und  258°;  schick  muhammed  ddgh  von  N nach  S laufend, 
zwischen  258°  und  286'';  auf  ihm  das  Zijäret  des  Schech  Muhammed, 
2om,  263";  in  der  Ferne  beschneite  Gipfel  des gjaurdagh  zwischen  203" 
und  302';  das  gedik  zttin  (s.  i./tj.  6h),  hinter  dem  Berg,  nicht  sichtbar. 


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Das  Liwa  Ilalcb  (Aleppo)  uud  ein  Teil  des  Liw.i  Dschebel  Berckel.  4H5 

nach  Angabe  Hatschir  Kft'.’s  298  , ghurab  holest',  ein  sitUs  antii|uus,  an 
welchem  sich  jcduch  T rümmer  nicht  linden,  45™,  am  Fufs  des  langen,  sich 
zwischen  329“  und  20"  von  O nach  W hinziehenden  Simen  dagh  (s.  1.11. 
5h  25“)  32 9^  — si hi!  babtb'),  ein  Zijäret,  6 — 7"*  von  meinem  Standort, 
2 ; tschakally  dagh,  auch  Hauralyk  genannt  (:),  von  NW  nach  SO  laufend, 
zwischen  30'  und  62';  an  seinem  Fufs  (rushun  gyrän , eines  der  drei 
Quartiere  des  Dorfes  tschakally,  35  ’;  der  ebenfalls  von  NW  nach  SO 
laufende,  vom  tschakally  dagh  durch  ein  Thal  mit  Strafse  getrennte 
‘ adscher  (‘ addscher ) dagh  zwischen  62°  und  75°;  an  seinem  Fufs  das 
grofse  Dorf  ‘adscher , 80  H.,  68c;  das  oijlum  hüjügü,  auf  welchem  ein 
Zijäret,  zwischen  in‘  und  1170;  hinter  ihm  das  Dorf  oijlum  ca.  n6‘; 
das  kefer  deschir  hüjügü,  hinter  welchem  das  Dorf  kefer  rohem  liegt, 
163°,  schtch  man  für  zijareti,  ca.  30-  entfernt,  an  der  /w/ci-Strafse,  178°; 
teilt  hüjügü,  ca.  t1’,  205°;  tibil,  Dorf  neben  einem  Hüjük,  1 h 30-,  203°;  der 
larzimt  chdn,  wo  das  alte  kitlis  gelegen  haben  soll,  und  wo  noch  jetzt 
mächtige  Steine  gefunden  werden,  ca.  ih,  251';  der  kleine  Garten  ilezt 
baghlschesi  mit  üppiger  Vegetation,  ca.  20  der  von  der  Tradition  als 
die  alte  Lage  der  Stadt  oder  doch  eines  Teiles  derselben  angenommen 
wird,  da  man  in  dem  ilezl  den  Namen  kitlis.  vermutet  und  sich  hier 
Spuren  einer  alten  Ortslage  finden,  93'94°. 

11  s 19-  fort  vom  Regierungsgebäude;  langsam.  — nh3o-  der 
Weg  teilt  sich:  rechts  geht  die  grofse  Strafse  nach  iskenderün  über 
(tafma  ab,  mittlerer  Schritt;  190 °.  — ith4o™  guter  Schritt,  in  dem  wir 
bis  a'zitz  bleiben.  — nh  55-  links,  allmählich  ansteigend  bis  zu  der 
ca.  150  m entfernten  Spitze,  der  lilit  hüjügü.  an  dessen  Seite  sich  eine 
Quelle  befindet,  und  an  welchem  viele  Personen  arbeiten,  mit  Gewin- 
nung von  kircdschli  toprak  (Kalk)  aus  den  alten  Bauten  in  seinem 
Innern  beschäftigt.  — nh  57“  links  geht  die  Strafse  nach  (taieb  ab; 
215°.  — I2h5™  links  sehmtlln  hüjügü  100110°;  I2h  9- armiidscha  1 30 0 ; 
das  Dorf  sehmtlln,  zwischen  armiidscha  und  dem  Hügel,  wird  von 
letzterem  verdeckt.  — i2h  25-  200°.  — 12h  26-  Halt  bei  einer 
ca.  30  m links  liegenden  Quelle. 

12h  38-  fort.  — i2h  39-  Kreuzweg:  rechts  der  kürzere  Weg  nach 
a‘zäz,  links  der  längere  ebendorthin  über  tibil',  230,235°.  — I2h  45“ 
der  Hügel  von  a'zdz  210°.  — i2h5i-  links  Hügel  von  tibil  140°; 
tibil  selbst,  das  dicht  bewohnt  und  bedeutend  erscheint,  ca.  10-,  160°; 


1 } Daneben  kommen  auch  die  Namen  schreit  el-habib , schar  et-habib  und  schil 
habil  vor:  ein  ausgezeichnetes  Beispiel  ftlr  die  Verstümmelungen  durch  Volks- 
etymologie: denn  es  ist  wohl  keine  Krage,  dafs  an  den  tapferen  General  Schurahbil 

ibn  Hasaoa,  T igd.  Fl.,  zu  denken  ist,  über  welchen  s.  die  Stellen  Jakuts  und 
Anderer,  die  in  Jakut  indes  s.  v.  zusummeugetragen  sind. 


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Martin  1 1 a r t m a n n : 


4 St» 


in  der  Nähe  des  Dorfes  Araberzelte.  — ih4m  190“  — x •>  5 m ab 

von  der  Strafse  nach  rechts  auf  das,  unter  260°  am  Fufs  des  von  N 
nach  S laufenden  parsa  dägh  liegende  Zijäret  los;  auf  dem  Rücken  des 
Berges  ein  Gemäuer  unter  276°,  neben  welchem  ein  Zijäret.  — i*>  13“ 
290°;  auf  einen  niedrigen  Sattel  des  parsa  dägh  los.  — ih23m  seit 
ca.  rh  17“  sanft  ansteigend;  links  ein  Thälchen.  — ih  26 m wirschneiden 
die  unter  220  230°  laufende  Strafse  killiz — iskendcrün.  — 1 h 32 m über  das 
Thälchen  (s.  ih  23“1);  i'1  35'“  über  ein  tiefes,  zerrissenes  Kreidefelsen- 
thal; die  Winterbäche  dieser  Thäler  ergiefsen  sich  wohl  alle  in  den 
kuwaik;  weglos;  280/290°.  — ih  43“  auf  der  Höhe  des  Sattels.  Visuren: 
der  grofse  dartnyk,  der  von  hier  aus  sehr  bedeutend  erscheint,  330'; 
der  kleine  darmyi  320°;  der  amm  dägh  (?)  296°.  — Das  beschneite 
myghr  (niughyr)  im  gjaurdägh  302°;  jdzy  bdgh  ki'ij,  15"“  unter  uns  in  der 
Ebene,  20°;  der  Hügel  von  a'zäs  188°;  südschii,  30 m unter  uns  in  der 
Ebene,  154°;  jelbaba  mit  seinem  Hügel  130°;  ma'rin  oder  ma'dfn  (der 
Name  ist  zweifelhaft;  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  2h  15 m gesehenen 
ma'rln),  an  der  /laM-Strafsc,  ca.  ih,  144°;  ein  Dorf,  das  von  arabischen 
Muslims  bewohnt  ist,  die  es  den  Türken  abgenommen,  ca.  i*>,  124'.  Halt. 

lh  5öm  fort;  auf  dem  Bergrücken;  220°;  ansteigend.  — 2h  15“ 
auf  dem  höchsten  Punkt  des  parsa  dägh;  Spitze  des  dschebe l ei  akra ‘ 
235°;  Spitze  des  lilim  dägh  209°;  ein  kleines  Zijäret  am  Fufs  des 
Berges,  ca.  45*",  225°;  sedschlris  (sedscheräs),  ca.  ih3om,  197 °;  unter 
uns  am  Fufs  des  Berges,  ca.  3ora,  ma  ‘rin\  Hügel  von  a'eäz  178*; 
minnigh,  ill30nl,  ein  grofses  Tscherkessendorf,  155°;  die  armenische 
Kirche  von  killiz  47°;  tibil  97°;  dikmrdasch,  ca.  Ih,  336°;  ‘ arab  Srtn , 
ca.  1 h,  352°;  sa'dele,  ca.  1 ,l  30 m,  8°.  Halt. 

3h  fort  zu  Fufs;  140°.  — 3 h 3 m bei  dem  ih  5m  gesehenen  Gemäuer, 
das  sich  als  unbedeutend  und  wohl  modern  herausstellt.  — 1 m nach 
S zum  Zijäret  der  Parsa  Chatun,  hinter  welcher  „Prinzessin  Parsa“ 
sich  vielleicht  ein  Heiliger  versteckt.  Ich  schlüpfe  durch  die  niedrige 
Thür  an  der  N-Seite,  innen  der  übliche,  hier  dachförmige  Holz- 
kenotaph  mit  einem  grünen  Tuchfetzen  darüber.  — 1 m nach  S zu 
einer  Höhle,  wo  der  erste  Dschamblät,  der  sich  gegen  den  Sultan  auf- 
lehnte, nach  Stanibul  gebracht  wurde  und  vom  Sultan  den  Namen 
Dschän  bfdäd  d.  i.  der  Stahlherzige  erhielt,  einen  Schatz  fand,  mit  dem 
er  die  vielen  Grundstücke,  Läden  etc.,  die  noch  jetzt  der  Familie  ge- 
hören, kaufte,  vor  ca.  300  Jahren1). 

*}  Es  ist  merkwürdig,  dafs  sich  die  Erinnerung  an  den  Ursprung  der  heute 
nur  noch  im  Libanon  zu  lindenden  Drusenfamilie  Dschamblät  so  erhalten  hat;  viel- 
leicht  ist  aber  dieselbe  künstlich  und  mit  Nebenabsichten  aufgefrischt.  Die  Notizen 
über  die  DschambUts  bei  Schidjäk,  Tünch  el-a‘jän  (Beirut  1859)  sind  leider  dürftig; 
danach  wurde  Dschän  bfilid  1571  Statthalter  von  Killiz. 


♦ 


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Das  I.iwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  de*  I.iwa  Dschcbel  Bereket.  487 


3h  17 m fort  von  der  Höhle,  sehr  steil  bergab  bis  3h  ?tm,  dann 
mittelsteil;  3h3im  über  ein  Thälchen;  jenseits  zwischen  dem  Flufsbett 
und  der  Strafse,  links  ein  Zijäret  und  zwar  nach  Waisi  Agha  in  a'zäz 
das  des  Schech  Muhammad  el-warsäwl;  nach  Waisi  Agha  nennen  die 
Araber  den  Berg  dschebel  d-barsäje.  Sanft  bergab  zur  Ebene.  — 3h  35m 
3m  rechts  ma'rln.  — 3h  37m  über  die  /laAi-Strafse.  — 3*>  40"'  Uber  den 
von  südschü  in  die  /ia/zÄ-Strafse  mündenden  Weg.  — 4h  4m  erst  jetzt 
taucht  das  gleichsam  in  einer  Grube  gelegene  a'zäz  auf.  — 4hnI“ 
ca.  250  m links  12  Araberzelte.  — 4h  i6,n  bei  den  ersten  Häusern  von 
a'zäz.  — 4h  19 m am  Haus  des  vornehmsten  Mannes  des  Ortes,  des 
trefflichen  Waisi  Agha.  — Besuch  des  Moschee  dschämi'd-lckke,  welche 
sich  als  nicht  unbedeutende  christliche  Kirche  erweist;  schöne  Inschrift 
des  Aijubiden  Saläh  ed-dln  Jüsuf,  Enkels  des  grofsen  Saläh  ed-dtn 
vom  Jahr  644. 


9.  November. 

Besichtigung  des  Ortes,  dessen  Namen  im  Mund  der  arabisch 
sprechenden  Bewohner  der  Gegend  wie  'izäz  klingt  (vgl.  das  in  „II.  Orts- 
listen" Bemerkte.)  Der  christliche  Färber  Ilschirdschi,  ein  Schützling 
Waisi  Aghas,  der  sich  vor  etwa  12  Jahren  mit  seiner  Familie  in  a'zäz 
niedergelassen,  leistete  gute  Dienste;  sein  Haus  ist  das  einzige  nicht- 
muslimische im  Ort.  — Visuren  vom  Hügel:  Hügel  von  jdbaba, 
2 h i5m,  90°;  ddbik,  3h  1 5 m,  940;  das  Zijäret  auf  dem  parsa  dägh  40. 

II h 20 m fort  von  a'zäz.  — iih3om  Halt. 

m 32“  fort;  Kreuzweg;  wir  rechts  ab  nach  jdbaba,  das  die  Araber 
schick  cr-nli  nennen.  — 1 1 h 51“  ca.  20  m rechts ' ain-dahne  (Tscherkessen) ; 
kurze  Strecke  in  leichtem  Trab.  — i2h  151“  wir  schneiden  genau  in 
rechtem  Winkel  die  Strafse  l ’ta/cb-kH/iz , die  nicht  weit  links  an  dem  Dorf 
nijara  vorbeiführt,  unterhalb  desselben  auf  einer  kleinen  Brücke  einen 
Zuflufs  des  huivaih  überschreitend.  — I2h  18"1  ca.  6™  links  nijara,  360°, 
killiz  verdeckend.  — i2h  21  m über  das  I2h  is1”  erwähnte  Wässerchen. 
— i2h5om  ca.  3m  rechts  ein  Dörfchen  mit  ca.  15  H.  — ih  i4m  am 
Fufs  des  Hügels  von  jclbaba.  Über  die  interessanten  Zeugnisse  des 
in  Syrien  verbreiteten  Steinkultus  siehe  meine  Notiz  in  Z.  V.  f.  Volks- 
kunde I p.  roif.  — Visuren  vom  Hügel:  ein  grofses  Dorf,  ca.  40m, 
1250;  ein  Hügel,  ca.  r1*,  420;  ein  gröfeeres  Dorf  ca.  30™,  220. 

Ih  52m  fort  von  dem  am  östlichen  Fufs  des  Hügels  gelegenen 
Dorf;  1150.  — 2 h 8 m an  dem  rechts  bleibenden  Dörfchen  ülbül  (10  H) 
vorbei;  daneben  20  — 30  Zelte;  120°;  auf  ' ain  d-bida  zu.  — 2h  2om 
rechts,  ca.  40 m,  faunin  (auch  fOrän  und  (türk.)  fawran  gesprochen).  — 
2 k 24 m toipuk  130°;  hiitmild  155°.  — 2 h 5 (S m bei  der  Quelle'«/«  d- 
blda  am  westlichen  Fufs  des  Hügels.  Halt. 


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4X8 


Martin  Hartman n: 


31'  lm  fort.  — 3h  2o™  hütmilet  210°;  das  Terrain  ist  wellig.  — 
3h34"1  auf  einer  dreibogigen  modernen  Brücke  über  den  buivaib,  der 
hier  (mUb  arygky  genannt  wird.  — 3 *’  37 m über  einen  zweiten  Arm 
auf  einbogiger  Brücke.  — 3h  38“  dicht  an  dem,  an  einer  etwas  be- 
deutenderen Erhebung  liegenden  (oipuk , arab.  ed-duwaibik  (Türkmenen;; 
tom  entfernt,  unter  240°,  das  Zijäret  ntbi  tdwit,  arab.  en-ncbi  daurhd,  ein 
stattliches  Gebäude  mit  4 Kuppeln,  das  erst  vor  ca.  100  Jahren  erbaut 
sein  soll,  nachdem  der  alte  Bau  des  in  höchstem  Ansehen  stehenden 
Heiligtums  lange  verfallen  war.  — 3 h 42 m guter  Schritt.  — 3 h 45  “ 
sanft  bergauf.  — 3h  54”  auf  einer  Bodenerhebung,  wie  solche,  meist 
20 — 30m  hoch,  in  diesem  welligen  Terrain  häufig  sind.  — 4*>  im  die 
Strafse,  die  bisher  unter  125°  lief,  macht  eine  Wendung:  155°.  — 
4 h i^m  134  140°;  leichter  Trab.  — 4h  20“  das  bisher  verdeckte  achten n 
zeigt  sich;  Spitze  des  Hügels  von  a.  138°.  — 4h  23 m links,  15“  ent- 
fernt türkmdn  bdrih.  — 4 1>  5 5 m am  Fufs  des  Hügels  von  achterlei,  der 
von  einer  wohl  aus  altem  Material  aufgeführten  Mauer  umgeben  ist.  — 
4h  59“  auf  dem  Hügel.  Visuren:  ein  grofses  Dorf,  ca.  ih,  124°;  ein 
desgl.,  40“,  74°;  ein  desgl.,  ih3om,  450;  ein  desgl.,  ih3o“,  45°; 
türkmen  bdrih  350°.  Das  Dorf  a.  unter  uns  zwischen  190°  und  250': 
es  ist  ein  wichtiger  Knotenpunkt,  eine  Hauptstation  für  mehrere  Straften: 
Alles  was  von  kaleb  nach  ’ain/db,  mar'asch,  urfa , dijdrbekr  will,  mufs 
hier  durch.  Telegraphenstation.  Geräumiges,  luftiges  Menzül.  — Nach 
einer  mir  in  achterin  gemachten,  von  guter  Seite  bestätigten  Angabe 
liegen  östlich  von  achterin  zahlreiche  Dörfer  bis  hin  zum  Euphrat,  30“ 
bis  ih  von  einander  entfernt;  sie  sind  alle  neu,  höchstens  20 — 30  Jahre 
alt,  und  die  Bevölkerung  gemischt : Kurden,  Türkmenen,  Araber.  Doch 
dürfte  das  arabische  Element  vorherrschen. 

10.  November. 

8 h 38 m fort  von  achterin ; 356°.  — 911  I2m  links  am  Wege  türkmen 
bdrih  (25  H Araber) ; rechts  Zelte.  — Links  geht  ein  Weg  nach  bahwii’l 1 
ab,  das  wir  jedoch  nach  der  Weisung  der  Achteriner  links  lassen;  360°. 
— 9h  41 m bihwarfa  (so  wohl  häufiger  als  bahwir(e)  20 m links,  28oc;  die 
Einwohner  sind  Araber,  doch  zweisprachig;  350°.  — 9h  54“  über  die 
Brücke  des  kuvaik  zu  der  grofsen  Mühle  bah  wir  fe  dejirmeni  am  östlichen 
Fufs  eines  kleinen  Hügels,  die  in  weitem  Umkreis  die  einzige  ist.  Halt. 

10hölm  fort.  — Rechts  vom  Hügel  geht  der  Weg  nach  ' aintäb, 
wir  links;  350°.  — ioh  58“  die  armenische  Kirche  von  killis  3150.  — 

1 1 h 2 "i  ca.  6m  links  ein  Dörfchen  mit  Araberzelten.  Terrain  sanft  ge- 
wellt. — nh23ra  Halt. 

Uh  32 >0  fort  zu  Fufs.  — nh37m  links  am  Weg,  ca.  120  m ent- 
fernt, dschekke,  15  H Araber;  vor  uns  ein  Dorf  unter  355°.  — I2h6“ 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berekct.  480 

rechts  am  Weg  das  Dörfchen  Juden,  arab.  dodijdn,  15  H;  Halt.  Zahl- 
reiche Reste  alter  Hauten,  die  zum  Teil  in  die  Häuser  eingemauert 
sind,  aus  Basalt. 

12h  10 m fort;  360°.  — i2h  30m  links  am  Weg  das  Dörfchen  bara 
mezere , ca.  10  H.  — I2h  44  m links,  ca.  45™,  fiardschele  mesdwa , zwei 
dicht  neben  einander  liegende  Dörfchen,  260°;  rechts  ca.  20'”,  humtta , 
310°;  links  ca.  5m  ein  kleiner  Hügel.  — i2h  54“1  links  steigt  das 
Terrain  sanft  an.  — 1211  57“  über  ein  ca.  1 m breites  Wadi.  — ih  6m 
rechts  am  Weg  (labst,  ca.  10  H und  6 Zelte,  Araber  und  Türken.  — 
1 *>  20 m bei  den  ersten  Häusern  des  Dorfes  teil  el-habesch,  türk,  teil 
habesch,  neben  welchem  hawesch  dialektisch,  wie  'awrin  neben  ‘a/nn. 
— Der  Name  lehnt  sich  wohl  an  den  Bild/  el-habeschi  an,  dessen 
Zijäret  sich  hier  befindet;  das  Dorf  liegt  am  südlichen  Fufs  eines 
Hügels;  Besuch  eines  Inschriftensteines  auf  freiem  Feld  ca.  i5m 
vom  Dorf,  in  der  Richtung  von  (iabse\  bedeutende  Zucht  von  Trut- 
hähnen (dik  tl-liabesch\  mit  dem  Namen  des  Ortes  in  Verbindung 
stehend  ?)  — 

4h  fort;  auf  killiz  zu;  280°  — 4h  29m  auf  der  Höhe  einer  be- 
deutenderen Bodenwelle,  die  wohl  mit  dem,  ca.  ih  rechts  sich  hin- 
ziehenden banfaru  dägh  zusammenhängt;  ca.  ih  vor  uns,  rechts  an  der 
Strafse,  der  ‘adscher  dägh.  — 4**  43 m über  den  von  dem  rbioÄ-Flufs  ge- 
speisten Graben  der  Mühle,  die  20  m tiefer  liegt.  Halt. 

4h47m  fort.  — 4h49»>  im  Thal  des  perennierenden  sinob  fu.  — 
5hi8m  ca.  15“"  rechts  ‘andz  350°;  links  das  Zijäret  des  teil  oijlum 
240°.  — 5h  26™  rechts  beginnen  die  Gärten  von  killiz.  — Links  ca. 
1 5 m , oijlum  180°;  das  Zijäret  auf  dem  mit  Ölbäumen  bewachsenen 
teil  oijlum  2100.  — 5 h 35 m über  das  llscheri  baghtsche  fti , ein  kräftiges 
Wasser,  das  aus  den  „inneren  Gärten“  kommt;  es  wird  an  einer  Brücke 
darüber  gebaut.  Wir  befinden  uns  hier  schon  auf  dem  demir  jolu,  der 
projektierten  Kunststrafee  zwischen  killiz  und  ‘ainldb,  welche  die  übrigens 
nicht  erheblichen  Schwierigkeiten  der  alten  Strafse  vermeiden  soll,  in- 
dem sie  die  Bergrücken  östlich  umgeht;  es  wird  schon  10  Jahre  an  ihr 
gearbeitet;  es  sind  aber,  obwohl  sie  fast  ganz  eben  läuft,  nur  einzelne 
Strecken  fertig;  bei  killiz  ca.  4 km,  vor  ‘aintdb  ca.  8 km.  — 6 11  20™ 
zurück  in  killiz. 

13.  November  1882  bis  1.  Januar  1883  auf  der  Reise  von  killiz 
nach  urfa  und  von  dort  zurück  nach  killiz 

2.  Januar  1883. 

9h  20 m fort  vom  Hause  des  Armeniers  Hätschir  Eff.  in  killiz.  — 
9>>  28  ">  bei  den  letzten  Häusern  der  Stadt.  — 9h  50 m rechts  am  Weg 
die  Zijära  des  Schöch  Mansur.  — ioh  35m  links  am  Weg  ein  Dorf, 

Zciuchr  d.  Geldlich.  f.  Erdk.  Bd.  XXIX.  33 


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400 


Martin  H n r t m a D n : 


gehörig  dem  Bairäm  Uglilu  ( tchimmtrrtn ?).  ioh  4om  Brunnen  mit 
vortrefflichem  Wasser.  Halt. 

Uh  5m  fort.  — nh2oro  links  am  Weg  sehimmaryk.  — 1 1 b 45m 

ca.  iom  links  das  Dörfchen  tatja.  — 12h  4“  links  am  Weg  das  Dorf 
ntjara ; wir  vereinigen  uns  mit  der  Hauptstrafse  killit-ftaleb,  die  wir  des 
schlechten  Zustandes  wegen  nicht  hatten  nehmen  können;  gleich 
darauf  auf  einer  kleinen  Brücke  über  das  Wässerchen  ntjara  suju,  das 
in  den  fialeb  aryghy  genannten  Arm  des  nähr  kuwai'k  geht.  — i2h32m 
an  dem  Punkt,  wo  ich  am  9./11.  82  i2h  15 m diese  Strafse  kreuzte.  — 
1 h 15  m Halt. 

lh  24m  fort.  — 1 h 40m  links  am  Weg  dschibrin . — 2h  ca.  20“ 
rechts  merdagän  (?).  — 2 h 3 “ am  Weg  die  Ruinen  des  verlassenen 
Dorfes  merdagän,  mit  Brunnen.  — 2h  20™  teil  rfad  wird  sichtbar.  — 
2*>  30“1  links  die  Zijära  des  Schech  Jahja  mit  zwei  Kuppeln.  — 2h 
45 m in  teil  rfäd. 

3.  Januar. 

6h  35m  fort  von  teil  rfäd.  — 7h32°*  ca.  i$m  links  kefr  najih.  — 
gh  cj2 m ca  (jn,  rec),ts  ,-hardat  inin  (?).  — 9 40 m in  baschkäj.  Halt. 

10 h 15 m (?)  fort.  — I211  35™  über  die  Brücke  des  nähr  huwaib  in 
das  aam/c- Viertel  von  fia/eb. 


in  haleb. 


4.-8.  Januar 


9.  Januar. 

ca.  2 h 30 m fort  vom  Hause  des  deutschen  Konsuls  Herrn  Zollinger, 
bei  dem  ich  die  gastlichste  Aufnahme  gefunden,  zu  Fufe;  durch  das 
hüb  el-dschcnine  aus  der  inneren  Stadt  heraus  und  am  nähr  kttu  aik  ent- 
lang bis  zur  Brücke  dschisr  en-nä'üra. 

3h  fort  von  der  Brücke  zu  Pferd;  sehr  guter  Schritt.  — 3h  10" 
ca.  3m  rechts  et-chinähje,  ein  einzelnes  Haus  in  einem  Garten.  — Sehr 
bald  verlassen  wir  die  neue  Kunststrafse,  die  rechts  abgeht  und  sich 
längere  Zeit  ca.  6m  rechts  von  unserem  Weg  hinzieht.  — 4h  ca.  100  m 
rechts  die  SW-B’.cke  des  ca.  50  H zählenden  Dorfes  beleramün.  — 4h 
20 m ca.  6m  rechts  et-hsintje.  — 4h  35 m durch  den  südlichsten  Teil  von 
ma'arra  (ma'arla),  wo  bedeutende  Taubenzucht.  — 4*>  40“  360°.  — 
4h  j0m  nach  NW.  — 4h  5öm  iom  rechts  ‘anadän.  — 5h  3"'  ca.  6™  links 
auf  einer  Anhöhe  die  Ruine  des  alten  ‘ anadän ; rechts  und  links  An- 
höhen. — 5h  17  m im  links  jd&it  ’ades')  etwas  höher  als  die  Strafse.  — 

1 ) Nach  der  Volks-Etymologie  «=  jaküt  ' ad«M  (I.insenhyacinth),  doch  wohl  zu- 
sammenzustellen  mit  dem  Jak.  IV,  1004  erwähnten  jdkid,  das  dort  als  „in  der  Nähe 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  I.iwa  Dschebel  Berckel.  401 


5b  19"*  sanft  bergauf.  — in  kefrbasim ; hier  werden  mir  als 

Orte  an  dem  Weg  zur  kal'at  sim'än  angegeben:  btkbäschi,  dtrschln, 
banastür,  rklje,  blr  lu’mi  (auch  „zweite  rkije"  genannt)1),  ftfirlln,  buriischki. 

10.  Januar. 

gh  45m  fort  von  kefrbasim  bei  schlechtestem  Wetter.  — ca.  1 1 h 
nöthigt  das  Übelbefinden  eines  der  Mitreisenden  und  das  heftige 
Schneetreiben , welches  den  Weg  nicht  erkennen  läfet , in  fefertin, 
einem  kleinen  Lager  von  jezidischen  Kurden,  ca.  1 h vor  kal'at  sim'än, 
einzukehren. 

11.  Januar. 

8h10ni  fort;  die  Wege  sind  völlig  verschneit;  in  der  Nähe  einer 
Ruine  treffen  wir  einen  Hirten  mit  Herde,  der  uns  räth,  uns  mehr 
westlich  zu  halten,  um  zur  kal'at  sim'än  zu  kommen;  die  Strafse  nach 
el-ghazzäwlje  führt  an  der  nördlichsten  Aufsenwand  dieser  schönen 
Ruine,  türkisch  küpeli  kalt  genannt,  vorbei.  Halt. 

9h  50  m fort  von  kal'at  sim'än.  — 1 1 h 5 m in  el-ghazzdwijt',  hier  sind 
wir  in  der  Ebene;  auf  vortrefflichem,  ganz  steinlosen,  veihältnismäfsig 
trockenem  Wege.  — uh40m  links,  durch  einen  Bergrücken  verdeckt, 
ischkän,  Dorf  Haidar  Agha's;  links,  weiter  vor,  dschtlemc,  Dorf  Hamid 
Agha’s;  rechts  vor  uns,  ca.  30  01  entfernt,  rfenjc.  — 1 1 •*  55 111  rechts 
der  ‘a/rln,  sich  schlängelnd,  ca.  3m  entfernt.  — i2h  3“  ca.  10 m rechts, 
jenseits  des  ‘afrin,  abu  ka'be.  — i2h  30“  über  einen  Arm  des  seichten, 
aber  reilsenden  'afrin.  Halt. 

lh7ro  fort;  über  einen  anderen  Arm  des  ‘afrin.  — 1 h 27 m ca. 
200  m links  dschindarts  mtztrtsi  (Vorwerk  von  dschindares),  ca.  15  Hütten. 
Ankunft  in  ain  tl-blda  ( akpunar ) nicht  notiert. 

12.  Januar. 

7h  20 m fort  von  ' ain  el-btda.  — 8h43'"  über  die  lange  Brücke 
dschisr  muräd  pascha.  — q1'  50 m über  die  Brücke  dschisr  karafu  , wenig 

von  ‘azaz  gelegen“  bezeichnet  wird  und  in  dem  eine  Prophetin  auftrat ; am  Rande 
der  Mar  äs  i d Cod.  Lindsay  ist  zu  Jakut’s  Artikel  bemerkt:  „ich  sage,  cs  liegt  in 
der  Nähe  von  haltb,  gehörig  zum  Distrikt  al-mlU',  und  ist  von  ’ozaz  entfernt" 
(Jak.  V,  31);  der  Distrikt  el-urtik  lag  aber  westlich  von  haleb  (5.  Jak.  V,  iz);  das 
stimmt  also  gut  zu  der  Lage  des  Ortes  auf  der  Karle.  Doch  mag  es  noch  ein 
anderes  jakid  bei  ' asäz  gegeben  haben,  zur  Unterscheidung  von  welchem  das  hier 
gemeinte  schon  früh  den  Beinamen  j.  ‘ades  erhielt.  Gerade  in  Dingen  seines 
Heimatlandes  Syrien  ist  übrigens  Jakut  am  schwächsten,  und  so  mag  auch  hier  ein 
Irrthum  vorliegen. 

1 ) raiije , gut  arabisches,  in  der  Sprechsprache  nicht  übliches  Wort  für 
Brunnen,  gleichbedeutend  mit  hi ’r  (6rr). 

33* 


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492 


Martin  Hartmann: 


hinter  derselben  links  am  Weg  dürdi  mehtmel  obasy.  — ca.  n*>  30™ 
Dijärbekirli  Chän  in  kyry/tchtln.  Halt. 

Ankunft  in  iskendcrfm  nicht  notiert. 

Die  Mitteilung  des  Reisetagebuches  vom  15.— 23.  September  1884 
(s.  S.  143)  mufste  unterbleiben,  da  der  Reiseweg  1882/83  mehr  Raum 
als  vorgesehen  eingenommen  hatte,  und  der  zweite  Teil  der  Arbeit, 
die  Ortslisten,  eine  Kürzung  nicht  vertrug.  Durch  die  Verweisungen 
auf  die  Karte  in  den  Bemerkungen  zu  den  Namenlisten  in  II,  sind  die 
von  mir  auf  der  Reise  im  September  1884  berührten  Punkte  leicht 
festzustellen.  Auf  wichtigere  Notizen  des  Tagebuches  ist  ebenda 
durch  TB  mit  Datum  des  Reisetages  verwiesen. 

Berichtigung:  S.  147  ist  als  Höhe  des  Passes  über  den  Kürd 
daghy  statt  991  m 1035  m zu  setzen;  denn  dieses  ist  der  höchste  beim 
Übergang  erreichte  Punkt  (s.  die  Höhenbestimmungen  vom  Nachmittag 
des  28./10.). 

II.  Die  Ortslisten.') 

Von  den  SH  (Jahrbüchern  des  Wilajet  Haleb)  liegen  mir  vor  die 
Jahrgänge  1 (1284),  2 (1285),  3 (1286),  4(1287),  8 (1291),  10  (1295),  11 
(1296),  12  (1299).  13  (13°°).  i4  (1301),  15  («303).  >6  (1305).  *7 

i8j(i307),  19(1308),  20(1309),  21(1310).  Eine  Vergleichung  derselben 
ergiebt,  dafs  mehrfach  erhebliche  Veränderungen  in  der  Verwaltungs- 
Einteilung  des  Wilajets  vorgenommen  worden  sind.  So  erscheint  das 
jetzige  Wilajet  Adana  als  ein  Liwa  von  Haleb  von  Jahrgang  t bis 
Jahrgang  3,  das  jetzt  zu  den  elwijc-i-müstakille  gehörende  Liwa  Zör  als 
Bestandteil  des  Wilajets  Haleb  von  Jahrgang  4 bis  Jahrgang  12.  Ebenso 
fand  fast  beständig  eine  Bewegung  in  der  Zuteilung  der  Kadas  und 
Nahijen  statt.  Es  ist  deshalb  von  einer  Anordnung  nach  Kadas  Ab- 
stand genommen  worden;  es  sind  vielmehr  die  Nahijen  zu  Grunde  ge- 
legt worden,  unter  denen  jedoch  hier  nicht  immer  Verwaltungsbezirke 
unter  einem  Mudir  zu  verstehen  sind;  vielmehr  sind  die  in  den  älteren  SH 
Jahrgang  1 — 8)  aufgeführten  Nahijen  Bestandteile  eines  Kadas,  welche 
mit  Rücksicht  auf  geographische  Lage  oder  Bevölkerungsverhältnisse 
eine  Einheit  bilden  und  als  solche  beim  Volk  einen  besonderen  Namen 
führen.  Von  Jahrgang  10  an  werden  nur  die  Nahijen  im  engern 
Sinn,  d.  h.  die  Mudirliks  genannt,  jedoch  auch  diese  nicht  immer 

')  Die  zahlreichen  Abkürzungen,  welche  in  diesem  Teil  angewandt  weiden 
mufsten,  sind  unter  Wiederholung  der  bereits  S.  148  gegebenen  am  Schlufc  der 
Arbeit  erklärt.  Ebenda  findet  sich  auch  die  Deutung  der  arabischen  und  türkisches 
Gattungswörter,  welche  in  den  Eigennamen  und  in  dem  ersten  Teil  dieser  Arbeit 
häufig  Vorkommen. 


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Das  Liwa  Haleb  ^Aleppo)  und  ein  Teil  des  Llwu  Dschebel  Berckel.  4 11  .1 

vollständig;  besonders  schlecht  gearbeitet  ist  Jahrgang  io.  In  Jahr- 
gang 21,  dem  letzten  mir  vorliegenden,  sind  im  Text  des  Beamten- 
verzeichnisses am  Ende  jedes  Kadas  wieder  sämtliche  Nahijen,  und 
zwar  mit  Zahl  ihrer  Dörfer,  aufgeführt,  freilich  nicht  sorgfältig;  die 
Nahijen,  die  zugleich  Mudirlik  sind,  figurieren  natürlich  mit  ihrem  Per- 
sonal noch  besonders.  Sie  sind  in  der  folgenden  Tabelle  durch  ein 
der  2i  beigesetztes  * bezeichnet.  Diese  Tabelle,  in  welcher  die  Ziffern 
die  Jahrgänge  von  SH  bezeichnen,  giebt  eine  Übersicht  über  die  Ein- 


teilung des  Liwa  Haleb,  wie  sie 

sich 

in 

den  verschiedenen  Jahr- 

gängen  darstellt.1) 

I.  h haleb  1 — 4.  8.  10-— 21. 

n 

el-hufair  1 — 4.  8.  21. 

n dschebel  sim'dn  1 — 4.  8. 

n 

haramurf  I — 4.  8.  21. 

II.  k idlib  1 — 4.  8.  10 — 2i. 

n 

es-swldlje  1 — 4.  8.  14 — 21.* 

n arrha  1 — 4.  8.  10.  11. 

VII. 

6 

er-rlbdnlje  3.  4.  8.  10. 

«3— *i*. 

VIII. 

6 

bailan  1 — 3.*)  4.  8.  IO — 21. 

n sermtn  1—4.  8.  21. 

n 

iskcnderOn  1 . 

n ma'arratmifrm  1 — 4.  8.  21. 

IX. 

k 

’izzlje  1 — 4.  8.  10. 

HI.  h ma'arrat  en  - nu'mdn  4.  8. 

n 

ohtschu  ‘izzeddlnlü  1 —4.  8. 

10 — 21. 

n 

'amkl  1 — 4.  8. 

IV.  k dschisr  esch-schughr  1 — 4. 

n 

schaichlar  1 — 4.  8. 

8.  IO — 21.*) 

X. 

£ 

killiz  (khs)  1 — 4.  8.  10 — 21. 

n dschisr  esch-schughr  1—4.  8. 

n 

a‘zdz  1. 

n derküsch  1 — 4.  8. 

n 

a'zdz-i-felldh  2 — 4.  8. 

n el-urdu  1 — 4.  8.  10 — 20. 

n 

a‘ zdz-i-turkmdn  2 — 4.  8. 

n kal'at  el-madlh  2 — 4.  8. 

n 

dschom  1—4.  8.  10 — 21.* 

12 — 15.  19.  20. 

n 

schikdghy  1 — 4.  8. 

V.  h hdrim  1 — 4.  8.  10—21. 

n 

menbidsch-i-f ökdM  1 — 4.  8. 

n hdrim  1 — 4.  8.  11 — 21.  ' 

n 

haradschaly  I. 

n barlscha  1 — 4.  8.  13.  16 

n 

mOsdbeh/i  1 — 4.  8. 

bis  21.* 

n 

‘izzlje  11 — 21.* 

n er-rlhänlje  11.  12.  13.  16  j 

XI. 

k 

‘aintdb  1 — 4.  8.  10 — 21. 

bis  21.* 

n 

orul  1 — 4.  8.  21. 

VI.  h anfdhija  1 — 4.  8.  10 — 21. 

n 

tschdrptn  1 — 4.  8.  21. 

n dschawär  anfdkija  (el-harblje) 

n 

rescht  1 — 4.  8.  21. 

1 — 4.  8.  21. 

n 

teil  beschdr  1 — 4.  8.  21. 

n er-rthänlje  1.  2. 

n 

hezih  1 — 4.  8.  21. 

*)  Nur  in  den  überwiegend  türkischen  Kadas 

sind  die  türkischen  Namens- 

formen  der  SH  beibehalten , in  den  anderen  sind  sie  durch  die  arabischen  ersetzt. 
*1  ti  hat  hier  keine  Nahije-Namen. 

3)  Eigentlich  nicht  hierher  gehörig,  da  das  k bailan  damals  zum  Liwa  pafas 
gehörte,  das  seit  dem  Jahre  1287  «um  Wilajet  adana  geschlagen  ist. 


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494 


Martin  Hart  mann: 


n dschekde  i — 4.  8.  21.  n mcnbidsch-i-tafitdnl  1—4.  8. 

n kyzyk  1 — 4.  8.  21.  XIII.  k iskenderün  12—21. 

n kijZ’jUlifiir  I — 4.  8.  2t.  n arsüz  13 — 21.* 

XII.  k el-bäb  wadschabbül  I — 4.  8.  n el- abädschllje  19.') 

10 — 21.  XIV.  k menbidsch  12 — 21. 

n el-bäb  1 — 4.  8.  | XV.  k er-rakka  15—21. 

n llbektü  1 — 4.  8.  10.  11.  13  XVI.  k dschebel  sim'än  16 — 21. 
bis  15.  17.  19 — 21. 

Giebt  diese  Tabelle  auch  wegen  der  Flüchtigkeit  und  Kenntnis- 
losigkeit,  mit  denen  die  SH  gearbeitet  sind  (s.  darüber  das  ZDPV  VI 
103!.  Gesagte),  kein  vollständiges  Bild,  so  zeigt  sie  doch  die  zahlreichen 
Wandlungen;  so  ist  er-rlkdnlje  in  SH  1.  2 eine  Nahije  des  k anfäkija, 
in  SH  3.  4.  8.  10  ein  Kada,  in  11 — 21  eine  Nahije  (Mudirlik)  des 
k fiärim.  Deshalb  erschien  der  gewählte  Weg,  die  Ortschaften  nur 
nach  den  Nahijen  aufzuzählen,  als  der  geeignetste.  Freilich  kommen 
hierbei  die  Hauptorte  der  Kadas,  soweit  sie  nicht  in  den  Nahije-l.isten 
verzeichnet  sind,  nicht  zur  Erwähnung;  hier  kam  es  aber  vielmehr 
darauf  an,  endlich  einmal  das  Namenmaterial,  das  thatsächlich  vor- 
handen ist,  möglichst  genau  und  sorgfältig  zusammenzustellen,  als 
Uber  die  Hauptorte,  von  denen  die  Hauptsachen  bekannt  sind,  ein 
paar  neue  Notizen  zu  bringen. 

Die  Reihenfolge  der  Ortschaften  in  den  offiziellen  Listen  der  SH 
scheint  überall  eine  ganz  willkürliche,  in  keiner  Weise  auf  die  geo- 
graphische Lage  Rücksicht  nehmende  zu  sein.  Sie  ist  jedoch  bei- 
behalten, aufser  in  den  Fällen,  wo  die  Ortschaften  einer  Nahije  von 
einem  mit  dem  Lande  gut  bekannten  Mann  systematisch  dargestellt 
wurden,  wie  das  bei  der  Fall  ist.  Den  in  den  Listen  nach  SH  ge- 
gebenen Namen  wurden  die  aus  anderen  Quellen  geschöpften  am  Schluß 
hinzugefügt  und  zur  Unterscheidung  mit  einem  Sternchen  bezeichnet. 

Von  den  in  den  Namenlisten  unter  a und  b gegebenen  Ziffern 
und  Buchstaben  beziehen  sich  die  ersteren  auf  die  Häuserzahl,  die 
• anderen  auf  Religion  oder  Rasse  der  Bewohner  (s.  das  Verzeichnis  der 
Abkürzungen).  Wo  meine  Gewährsmänner  eine  Doppelzahl,  z.  B.  40 
bis  50  angaben,  ist  gewöhnlich  nur  die  kleine  aufgenommen;  bei  Ort- 
schaften mit  gemischter  Bevölkerung  ist  die  schwächer  vertretene  in 
Klammern  beigesetzt.  Am  Schlufs  jeder  Namenliste  sind  allgemeine 
Bemerkungen  über  Gewährsmänner,  Bodengestalt,  Verkehrswege  der 


*)  Muts  auf  einem  Irrtum  beruhen,  denn  dieser  Komplex  von  Ortschaften  ge- 
hört schon  zum  k pajas , wie  denn  auch  SH  z S.  23g  ‘abädschiti  unter  den  Ort- 
schaften der  n pajas  genannt  ist;  vgl.  das  S.  149  zu  ih  40»  Bemerkte. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berckel.  4Ud 

Nahije  und  dergl.  (A),  und  besondere  Bemerkungen  zu  den  einzelnen 
Ortschaften  (B)  hinzugefilgt.1) 

Von  den  für  die  Reisewege  und  die  Karte  wichtigen  Nahijen  des 
Liwa  halrb  fehlt  nur  die  n har  im . Die  Liste  derselben  nach  SH,  welche 
vorbereitet  war,  wurde  nicht  mit  einer  zuverlässigen  Person  vollständig 
durchgegangen.  So  blieben  zahlreiche  Namen  unsicher,  und  es  wurde 
von  einer  Umschrift  der  in  den  SH  nicht  selten  stark  verstümmelten 
Namen  Abstand  genommen. 

Von  nicht  zum  Liwa  (ui ich  gehörigen  Nahijen  wurde  nur  die 
n chdssa  aufgenommen,  für  welche  genügendes  Material  vorlag. 

Die  Reihenfolge  der  Nahije-Listen  schliefst  sich  an  die  der  Nahijen 
in  der  oben  gegebenen  Kada-Liste  nach  den  SH  an. 

Bei  Verweisen  auf  die  Karte  ist  nur  Buchstabe  und  Ziffer  hinter 
den  Namen  gesetzt,  z.  B.  (ladschi  bäkir  D 7 bedeutet,  dafc  der  Ort  auf 
der  Karte  unter  D und  7 zu  suchen  ist.  Nur  wo  d?r  Verweisung  der 
Ortsname  nicht  unmittelbar  vorhergeht,  ist  das  Wort  Karte  hinzugesetzt. 


1.  Nahije  dschisr  esch-schughr. 


a 

b 

a b 

I 

dschtsr  esch-schughr 

600 

M(R)| 

' 11 

ez-zijdra 

B 

2 

cl-dschänüdljt 

*5° 

M 

1 12 

knsffin 

40 1 B 

3 

bek/eta 

IO 

N 

«3 

ischtebrak 

80  N 

4 

mischmschän 

30 

M 

; J4 

k/er(c(dr 

5o  N 

s 

bclmts 

4 

B 

! »5 

engeztk 

80  R 

6 

kesten 

20 

M 

l6 

schlch  sindjän 

5 M 

7 

besch/dmün 

7° 

M 1 

*7 

ghdnl 

*S  M 

8 

ez-zijddljc 

B I 

18 

ed-derrljc 

10  M 

9 

bar  bür 

B 

19 

el-beknjc 

1 

10 

el-fraijke 

B 

1 20 

bd&ma 

100  M 

t)  Auf  den  „Auszug  aus  dem  Tagebuch“  Blanckenhorn's  in  Bl  3 g ff.  und  die 
zu  Bl  gehörige  orographische  Karte  ist  in  B keine  Rücksicht  genommen.  Der 
gegebene  Auszug  läfst  öfter  den  Weg  nicht  deutlich  genug  erkennen;  die  Kon- 
struktion desselben  auf  der  Karte  ist  daher  schwer  kontrollierbar.  Irreführend  ist 
auch  die  durch  den  heimischen  Dialekt  Blanckenhorn’s  öfters  stark  beeintlufste 
Schreibung  der  Namen  , so  hat  er  auf  der  Karte  das  el-dschdcde  D 7 als  djedeide, 
daneben  aber  noch  auf  derselben  das  von  ihm  S.  76  erwähnte  schteide , während 
letzteres  nur  das  erstcre  in  sächsischer  Reproduktion  ist;  so  ist  auch  das  el-dschedede 
B 6 bei  ihm  S.  69  schleidi  geworden  und  das  dschenedö  D 6 bei  ihm  S.  75  schneide 
— Von  Verweisen  auf  ältere  Reisewerke  ist  Abstand  genommen,  dieselben  sind  von 
Ritter,  Erdkunde  Teil  17  Abt.  a,  vorzüglich  verwertet.  Eine  kritische  Verarbeitung 
aller  europäischen  Quellen  und  des  aus  orientalischen  Literaturen  zu  schöpfenden 
Materials  hoffe  ich  später  geben  zu  können. 


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496 


Martin  Hartmann: 


a 

b 

I | 

a 

b 

21 

schendrlsch 

3° 

N 

40 

rumldk 

I 

M 

22 

kim'dja 

IO 

N 

41 

getscherkm 

I 

N 

23 

ke/rcndsche 

60 

M 

42 

ez-zöf 

5° 

M 

24 

bahjdsün  (besun) 

30 

M 

43 

d-tuffählje 

IO 

M 

mesch/a  rdm 

3 

M 

44 

mlend 

7° 

M 

26 

‘ain  el-haur 

3 

M 

45 

gjaurkoi 

40 

N 

27 

el-hamüschtjc 

I5 

N 

46 

ke/rln 

20 

N 

28 

armla 

ÖO 

M 

47 

boghazikntr 

5 

N 

29 

chirbet  el-dschauz 

40 

M 

48 

bftbat 

20 

M 

3° 

esch-schdtürlje 

5° 

M 

49 

külschi  ( kotschi ) 

IO 

N 

31 

ctsch-tchaksünlje 

IOO 

M 

5° 

dddr 

3° 

N 

3* 

tschkd 

20 

M 

5* 

hdäschi  pascha 

33 

el-ja'hüblje 

80 

A 

52 

übin 

»5 

M 

34 

el-dschdlde 

5° 

R 

53 

el-ishdhlje 

7 

NR 

35 

erzghdn  fökdni 

B 

j 54 

kaikün 

5° 

M 

36 

bllangoz 

10 

M 

1 55 

‘ain  el-bunduk 

7 

N 

37 

el-barrdnlje 

56 

besln  ? 

38 

knlset  cn-nachlc 

*5 

M 

*57 

esch-schughr 

39 

erzghdn  lafUdni 

B 

(schughr  cl-iadlm) 

A.  Gewährsmann  Herr  Abu  Nasri,  angesehener  Christ  in  No.  i. 

B.  i)  L : 570  HM,  30  HR.  — Über  den  bei  den  Türken  der 

Umgegend  beliebten  Namen  bdzdr  s.  S.  162  zu  2h.  — Die  arabischen 
Geographen  scheinen  den  Namen  nicht  zu  kennen  (denn  es  ist  natür- 
lich nicht  mit  Ritter  1099  fr.  und  öfter  mit  esch-schughr  [s.  No.  57]  zu- 
sammenzuwerfen) ; vielmehr  mufs  man  annehmen,  dafs  es  identisch  sei 
mit  dem  Jak.  I,  869  (vgl.  auch  V,  16)  erwähnten  teil  kaschfahdn , in 
welchem  Salah  eddin  vor  der  Belagerung  der  Burgen  bekds  und  esch- 
schughr  i.  J.  584  lagerte;  s.  Imad  eddin  ed.  Landberg  146;  kitäb  errau- 
datain  II,  130.  13)  vielleicht  entstanden  aus  türkischem  ülsch  ( üdsch P) 

foprak.  19)  L:  unbewohnt.  20)  gleich  beddmd  der  Karte  des  Liwa  el- 
Ladkije  ZDPV,  XIV',  E 2.  31)  gleich  schahsini  C 6 und  S.  162  afc. 
Der  Name  ist  eine  Verstümmelung  von  schaich  sini,  das  Grab  des 
Schech  (sin  = Grab  auch  in  Oghlansiny  B 5).  32)  L:  i5>>  von  No.  i, 
dem  Hauptort  des  Kada’s,  entfernt.  37)  verödet.  51)  Lesung  zweifel- 
haft; meinem  Gewährsmann  als  Ortschaft  dieser  Nahije  unbekannt, 
vielleicht  identisch  mit  mezra'at  hadschi  pascha  ku  2 ; vielleicht  ist  aber 
auch  fiadschi  bdkir  de  li  D 7 darin  zu  sehen,  an  welchem  dann  die 
Grenze  östlich  vorbeizuführen  wäre.  56)  Lesung  zweifelhaft;  mein 
Gewährsmann  dachte  an  besendina,  das  jedoch,  wie  er  selbst  bemerkte, 
zu  derkOsch  gehört  und  in  der  That  de  No.  8 ist.  57)  es  ist  auffällig, 


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Da»  Liwa  Haleb  (Aleppo)  uiul  ein  Teil  de»  Liwa  Dschebel  Herekel.  4b7 

dafs  dieses  nicht  unbedeutende  Dorf  in  allen  SH  fehlt;  s.  Karte  D 7. 
Auch  mein  Gewährsmann  bemerkt:  es  fehlt  schughr  cl-kadim.  Spielte 
in  den  Kreuzzügen  eine  Rolle;  Jak.  III,  303. 


2.  Nahije  derküsch. 


a 

b 

a 

b 

1 

derküsch 

120 

M 

10  rimädlje 

10 

M 

2 

bitja 

30 

M(N) 

1 1 1 'arab  schammar 

B 

3 

mghidla 

20 

M(N) 

12  ‘izmirin 

3° 

M 

4 

‘dmüd 

80 

M 

| 13  1 el-fataije 

80 

ALt 

5 

chraibii  el-'itmhd 

70 

M 

1*14  ! zerzür 

6 

firri 

30 

N 

*1 5 ! duwlsät 

7 

firdschtln 

2 

N 

*16  | fahir  agha  tschift-  \ 

8 

bsendlna 

B 

j l‘S‘ 

9 

et-tenndrljc 

B 

*17  (ladschi  bdkir 

A.  Gewährsmann  wie  für  Nahije  1. 

B.  i)  Jak.  II,  569  darküsch;  saht/  darküsch  Jak.  III,  309  ist  wohl 

dasselbe.  4)  L:  an  der  Grenze  von  n el-tutfair  ; aus  Versehen  auch  in 
ku  als  No.  64.  5)  vielleicht  identisch  mit  el-cheribc  E 7.  6)  aus  Ver- 
sehen auch  in  (tu  als  No.  73.  11)  das  Vorkommen  von  Schammar- 

Beduinen  so  weit  nördlich  und  westlich  ist  auffallend,  12)  gehört 
nach  Anderen  zu  n (ulrim.  17)  s.  Karte  D 7 und  vgl.  zu  su  No.  51. 

3.  Nahije  el-urdu. 

Diese  Nahije  ist  bereits  ZDPV  XIV,  243!.  von  mir  gegeben  und 
wird  deshalb  hier  nicht  wieder  abgedruckt.  Die  muslimischen  Be- 
wohner von  No.  3,  8,  10,  12  bis  23,  welche  dort  durch  M bezeichnet 
sind,  sind  Türken. 


4.  Nahije  kal'at  el-madtk. 


1 La  I b J 

| 

« | b 

I 

kal'at  el-madlk 

I f 

1 00  |M  (R ) 

4 hauväsch 

1 40  * M 

2 

dsc  hemmäs ? 

5 el-‘amklje 

10 1 M 

3 

el-fiwaiz 

6 klaidln 

40  M 

A.  Gewährsmann  nicht  mehr  festzustellen.  — L:  Im  Volksmunde 


wird  das  Gebiet  dieser  Nahije  gewöhnlich  er-rüdsch  (s.  Jak.  II,  828) 
genannt;  die  Einwohner  gehören  alle  den  ‘arab  dschimmäse  an1).  — 

*)  vgl.  S.  166;  die  grofse  Menge  von  Büffeln  der  Art  gämiu  in  dieser  ganzen 
Gegend  wird  in  Verbindung  ru  bringen  sein  mit  der  Beladori  165  ausführlich  er- 
zählten Sendung  dieser  Tiere  in  jenes  Gebiet  durch  Elwalid  Ibn  'Abdelmalik, 
welcher  sie  von  Elhadschdschädsch  erhalten  hatte,  dem  sie  aus  dem  Sind  zuge- 
kommen  waren;  vgl.  auch  Bel.  161  und  376. 


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498 


Martin  Hartmann: 


Mit  Rücksicht  auf  letztere  Notiz  hätte  unter  b an  Stelle  von  M wohl 
überall  B gesetzt  werden  können ; die  Bewohner  sind  eben  Halb-Be- 
duinen,  welche  im  Übergange  zur  Seßhaftigkeit  sind. 

B.  i)  hiefs  noch  zur  Zeit  Jakuts  a/amija  oder  fdmija  (=  Apamea), 
s.  Jak.  I,  322  f.  (wo  auch  ein  Vers  des  Abul'alä  alma'arrl  mit  Erwäh- 
nung der  Stadt  vorkommt)  und  III,  846!.  2)  steckt  hierin  larab 

dschimmdse?  vgl.  S.  166  und  oben  unter  A.  3)  seit  drei  Jahren  ver- 
ödet infolge  derj  Räubereien  des  Rizk,  früher  waren  dort  10  H M. 
5)  zwischen  No.  4 und  No.  6,  ca.  30“  N von  No.  4.  6)  ca.  ih  30“ 

NO  von  No.  4. 

5.  Nahije  er-rlhdntje. 


I 

dtjirmtn  karschy 

3l 

el-kaile 

2 

tschatal  hüjük 

32 

ttzun  klle 

3 

kalt  däghy 

1 

33 

blfar/i 

4 

kara  ahmedli  ( kara  a/tmtdllje ) 

34 

j ümüsch  chatun  obasy 

5 

sydschanly 

35 

kyzylkaja 

6 

ischakaltcptsi 

36 

' kiifr  kata 

7 

nähr  dschanbuldd 

37 

'ain  el-btda  ( aghpunar ) 

8 

ct-tlül 

38 

. chyrsyz  punary 

9 

dschisr  elmekstir 

39 

el-chdn 

IO 

karasllmanli 

40 

ölbasch 

II 

et-dschu'aidlje 

4i 

torun 

12 

tutlu  hüjük 

42 

el-arpallje  (arpaly) 

>3 

hasan  uschaghy 

43 

kürd-ndfir 

14 

kara  hüjük 

44 

et-tschoschlsjc  ( Ischoschlu ) 

>5 

tschukurjurt 

45 

el-kehra  (ektz  uschaplary ) 

l6 

et-Urfe 

46 

kyrykchan 

17 

charäb  ‘alt 

47 

achras  oghlu  obasy 

18 

el-maffaba  (mas/epe) 

48 

kojundschrje  tl-ktblrc 

19 

daghlaghan 

49 

kojundschlje  ez-zaghlre  (kara- 

20  1 

paschahüjük 

dormuschlljc ) 

21 

'airendschlje 

50 

sawuk  fuju  (fuukfu) 

22 

hasan  biillü 

*5» 

teil  tl-achdar 

23 

küsd  ahmed  obasy 

*52 

teil  ddud  pascha 

24 

kölüköj 

*53 

schlch  sllmdn  dschenldat  obasy 

25 

cl-bammam 

*54 

dschenld  oghlu  obasy 

26 

paschaköj 

*55 

mlrmtrdn 

*7 

kurdsch  oghlu 

*56 

kurdo  obasy 

28 

chahl  mursal  obasy 

*57 

kodscha  obasy 

29 

cs-sammdnijt 

i "58 

'ömer  agha  ornunuh  oghlu 

30 

rl-kyl/yk 

i t 

*59 

jefit  japan 

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Da*  Liwa  Hai  eh  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dscbebel  Bereitet  4S1U 


*60 

nergüz  oghlu  obasy 

*67 

ki'lfy  bdz  oghlu  obasy 

*61 

el-kamberllje 

j *68 

tüdschirli  oghlu  obasy 

*62 

ekiz  oghlu  obasy 

1 *69 

kose  ahmed  oghlu  obasy 

*63 

weh  agha  obasy 

1 *70 

kundschur  oghlu  obasy 

*64 

t op  boghazy 

*71 

gögdsche  oghlu  obasy 

*65 

el-hdmda 

*72 

er-rthdh 

*66 

el-kas/al 

| 

A.  Im  wesentlichen  gilt  für  die  Quellen  das  ku  A Gesagte  (s.  S.  505); 
auch  hier  ist  der  Antiochener,  der  die  Ortschaften  so  aufzählte,  wie  sie 
ihm  der  Lage  nach  zusammen  zu  gehören  schienen,  mit  Ant.  bezeichnet, 
Hanna  Karajüsuf  mit  KJ.  Nur  von  Letzterem  stammen  die  Angaben 
Uber  Häuserzahl  und  Art  der  Bewohner  einiger  Ortschaften,  welche  in 
B verwiesen  sind.  Bei  der  Kartenkonstruktion  sind  die  sich  vielfach 
widersprechenden  Angaben,  so  gut  es  ging,  in  einander  gearbeitet 
worden.  — Im  wesentlichen  fällt  die  n er-nhdmje  mit  tl-amk  (s.  Jak. 
III  727  f.)  zusammen,  als  dessen  südliche  Grenze  KJ  die  Ortschaften 
ke/renne,  hdrim  und  el-birak  angiebt,  welche  aber  sicher  immer  schon 
zu  der  n hdrim  gehört  haben.  — Besonders  charakteristisch  für  diese 
weite  Ebene  sind  die  ghdbs ')  um  den  See  el-bafira  (Antiochia-See),  über 
welche  KJ  Folgendes  sagt:  1)  ghdb  hasan  uschaghy , gebildet  von  dem 
‘a/rln  vor  seiner  Mündung;  zwischen  ihm  und  dem  See  ist  ein  Streifen 
trockenen  Landes,  das  meist  nur  15«*,  an  manchen  Stellen  aber  bis 
ih  breit  ist  und  von  N nach  S läuft.  N von  der  Mündung  des  'afrm 
erstreckt  sich  der  Streifen  ih  30"*  lang,  S davon  ih.  — a)  das  ghdb 
gözlühüjiik , in  welches  der  karaftt  und  das  Wasser  von  gölbasch  gehen, 
s.  zu  No.  40  und  49  [cs  ist  nicht  ausgeschlossen,  dafs  sich  der  Name 
gözlühüjiik  nur  auf  den  Nordzipfel  dieses  ghdbs  bezieht],  — 3)  ghdb  el- 
hämda,  gebildet  von  den  Wässern,  die  von  der  zijdret  esch-schlch  ‘ abid , 
hdrim  und  el-birak  kommen,  beginnend  bei  tüdschirli  oghlu  obasy  (No.  68' 
[über  den  aus  diesem  ghdb  fliefsenden  nähr  dschanbulad , s.  zu  No.  5 
und  7].  — Der  Name  der  Nahije  ist  von  dem  Turkmenen-Stamm 
Rihanli  hergenommen;  s zu  No.  72. 

B.  1)  Ant.:  ih  N von  hdrim ; hier  wohnen  die  Aghas  (Grofsgrund- 

besitzer)  der  Ebene;  Sitz  des  Mudirs.  — Ebenso  KJ.  a)  Ant.: 
,5m  N von  >J0l  1.  3)  Ant.:  30m  W von  No.  2.  — Wahrscheinlich  Name 
der  nicht  bezeichneten  Ortschaft  F 5 zwischen  No.  2 und  4.  4)  Ant.: 

1 5 ra  W von  No.  3,  vier  Quartiere.  — KJ:  NO  von  No.  6;  zwei  Viertel 
mit  zusammen  40  H Tm;  ih  vom  nähr  ’a/rm,  bezw.  von  dem  an  dessen 
nördl.  Ufer  gelegenen  teil  et-achdar.  5)  Ant.:  15®  SW  von  No.  4.  — 

*)  ghab  ist  eine  mit  dichtem  Kohr  bewachsene  Wasserfläche;  neben  ghab  be- 
dienen sich  die  Araber  dafür  auch  des  dem  Türkischen  entlehnten  Wortes  sin. 


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500 


Maltin  liartmann: 


Identisch  mit  sydscharllje  KJ's,  welcher  davon  sagt:  3om  VV  von  dschc- 
ntd  oghlu  obasy  [s.  No.  54];  am  östlichen  Ufer  des  Flüfichens , welches 
von  csch-schtch  ‘abtd  herkommt,  und  über  welches  die  vor  7 Jahren 
[1875]  zerstörte  Steinbrücke,  jetzt  die  lange  Holzbrücke  dschisr  dschan- 
buhxd  führt,  die  von  dschisr  cl-hadld  3om  entfernt  ist.  — 6)  Ant.:  30“ 
W von  No.  5.  — KJ:  tschakalttpe,  jetzt  Obat  hadsch  mursal  agha  genannt, 
25  H Tm,  30m  O von  No.  10,  ih  SW  von  No.  4.  — Nach  einer  Notiz 
zu  L sind  tschakaltcpe,  liadsch  mursal  und  dschatld  oghlu  identisch;  das 
wird  bestätigt  für  tsch.  und  !}.  m.  durch  die  eben  mitgeteilte  Angabe 
KJ's  ; dsch.o.  wird  nur  ein  anderes  Quartier  sein,  wie  es  denn  auch 
E s dicht  neben  /).  »>■  eingetragen  ist.  7)  Ant.:  30™  W von  No.  6;  der 
Flufs  nähr  dsch.  kommt  von  dejirmcn  harsch}'  her,  geht  mit  anderen 
Wässern  in  das  ghab  e/-bdmda,  tritt  aus  diesem  wieder  als  F’lufs  her- 
aus. — Der  Flufs  nähr  dsch.  ist  sicher  identisch  mit  dem  zu  No.  ; 
nach  KJ  erwähnten;  KJ  hat  eine  Ortschaft  n.  dsch.  nicht  erwähnt,  doch 
ist  an  ihrer  Existenz  kein  Zweifel.  Das  Kartenbild  E 5 wird  dahin  zu 
ändern  sein,  dafs  n.  dsch.  und  das  ghab  cl-hdmda  etwa  2 km  nach  SO 
gerückt  werden.  — Das  dschanbulad  ist  wohl  der  Name  der  in  Syrien 
bekannten  Familie,  über  welche  s.  oben  S.  486.  8)  Ant.:  3 Quartiere, 
i*>  von  No.  7.  9)  Ant.:  30 m von  No.  8.  10)  Ant.:  ih  von  No.  9,  mit 

dem  chän  cl-küsa,  auch  chän  til'at  c/cndi  genannt.  — Nach  TB  18/9  84 
liegt  dieser  Chan  in  der  That  in  oder  bei  einem  Dorf;  dieses  roufs 
unser  harasllmanli  sein;  s.  auch  E 5.  — KJ:  harasllmanlijc  15  H Tm. 
westlich  von  No.  13  und  30™  SW  von  No.  6.  11)  KJ:  eine  der  beiden 
Mezra'as  auf  den  Ländereien  der  französischen  Ramis-Gesellschaft,  die 
sich  von  dem  jarlyghan  nach  SO  erstrecken;  die  andere  Mezra'a, 
mirmirän,  stöfst  an  cl-dsch.  im  SO  an.  12)  Ant.:  ih3om  O von  No.  u. 
13)  Ant.:  30 m O von  No.  12.  — KJ:  30 m W von  kurdo  obasy  (No.  56) 
und  O von  No.  10;  15  H Tm.  14)  Ant.:  15™  O von  No.  13?  — KJ: 
50  H Tm,  30“  NW  von  hodscha  obasy  (No.  57)  und  3om  O von  No.  56. 
16)  Ant.:  15"“  O von  No.  15.  — KJ:  etwas  O von  No.  18  und  20«”  O 
von  No.  57.  17)  Ant.:  i5mS  von  No.  16.  18)  Ant.:  3om  N von  No.  17 
— KJ  : etwas  W von  No.  16.  — Die  türkische  Form  mastcpe  wird  durch 
Volksetymologie  entstanden  sein  ( mas-lepc ).  19)  Ant.:  30“  O von  No.  18. 
20)  Ant,:  an  der  Mündung  des  nähr  ’a/rin.  21)  Ant.:  45 m O von  No.  20. 
22)  Ant.:  iom  O von  No.  21.  23)  Ant.:  SO  von  No.  22.  25)  KJ 

20  H Tm;  30“  O von  No.  27;  3m  davon  entfernt  das  Dorf  ‘Omer 
aghas  (No.  58),  25  H K und  M,  noch  zu  el~‘amh  gehörig,  doch  auf  der 
Grenze  von  dschom.  26)  Ant.:  3om  W von  No.  25.  27)  Ant.:  45“  W 
von  No.  25.  KJ:  60  HM,  die  früher  B waren;  ca.  ih  3om  S von  No.  37. 
28)  Ant.:  i5m  W von  No.  27.  29)  Ant.:  th  W von  No.  28.  30)  Ant 

3om  W von  No.  29.  31)  Ant.:  ih  NW  von  No.  30.  '32'  Ant.:  45“  NW 


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Das  Liwa  Haleb  i Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berckel.  501 


von  No.  30?  — No.  31  und  32  sollen  zusammen  den  Namen  aghköj 
führen.  33)  Ant.:  15 1,1  W von  No.  32.  — KJ:  3 Viertel  von  denen  eines 
obat  arsldn  agha  heifst ; ih  NW  von  No.  59  und  ih  N von  No.  60. 
34)  Ant. : ih  O von  No.  33.  — Ist  iimüsch  schlechte  Aussprache  für 
gümüsch ? vielleicht  ist  No.  34  nur  ein  Viertel  von  No.  33.  35)  Ant.: 

30 m O von  No.  34:  3 Viertel.  — KJ:  ih  S von  dschisr  muräd  pascha: 
20 — 25  H Tm.  36)  Ant.:  30"'  O von  No.  35.  37)  Ant:  3om  O von 

No.  36.  — KJ:  ih30m  SO  von  No.  35;  20  H Tm;  hier  ein  Chan  und 
zwei  Kramläden,  da  die  Karawanen  von  iskendcrtin  nach  haleb  hier  ge- 
wöhnlich ihren  zweiten  Konak  machen;  vgl.  zu  No.  27.  38)  Ant:  ih  N 
von  No.  37.  39)  Ant.:  auch  muräd  pascha  kiij  genannt;  B.  — KJ:  20  H 
‘arab  dschimmäse,  3om  S von  el-kambcrhje  (No.  61);  ca.  2m  entfernt  die 
Brücke  dschisr  muräd  pascha , welche  über  das  Wasser  führt,  das  von 
dem  30 m von  der  Brücke  entfernten  See  gölbasch  kommt.  40)  KJ: 
kleine  Insel  in  dem  See  gölbasch  (s.  zu  No.  39),  bewohnt  von  ‘arab 
dschimmäse;  das  Wasser  um  diese  Insel  herum  ist  100 — 500  m breit, 
im  O mehr,  im  W wenig  Wasser;  der  See  ist  aus  Quellwassern  ge- 
bildet; sein  Wasser  ist  im  Winter  warm,  und  deshalb  gehen  dann  alle 
Sellör-Fische  ( harabalyh  der  Türken)  dorthin,  wo  der  Fischfang  von  den 
Bewohnern  der  Insel  in  der  Weise  betrieben  wird,  dafs  sie  von  einer 
Reihe  hinter  einander  fahrender  Boote  aus  mit  langen  gyrnäs  (eigentlich 
purnäs,  d.  i.  lange  Stange  mit  Stahlhaken'l  gespiefst  werden;  das  Wasser, 
das  aus  dem  gölbasch  in  den  atifäkija-See  geht1),  heifst  moijit  tl-gölbasch 
und  geht  zunächst  nicht  weit  von  der  Brücke  dschisr  muräd  pascha  in 
das  grofse  Ghäb,  in  welches  auch,  ca.  40“  W davon,  der  nähr  harafti 
mündet  Das  türkische  gölbasch  klingt  im  arabischen  Mund  meist  wie 

*)  Diese  Notiz  wirft  vielleicht  einiges  Licht  auf  die  schwierige  Stelle  Belndori 
14g,  wo  es  heilst:  „und  es  gehörte  das  Gebiet  von  baghräs  dem  Maslama  lbn 
‘Abdelmalik  . . . und  'ain  es-sallaur  und  der  See  davon  (des  *a.  es-s.)  gehörten  ihm 
ebenfalls;  auch  el-iskendernne  (so  wird  statt  el-isktnderijt  zu  lesen  sein)  gehörte 
ihm.“  Wie  aus  dem  von  mir  Notierten  hervorgeht,  ist  der  See  gölbasch  berühmt 
durch  seinen  Reichtum  an  dem  sellör  genannten  Fische  ( macroplcronotus  niger?  die 
Gleichstellung  mit  dem  Aal  ist  sehr  fraglich).  Das  'ain  es-sallaur  Beläd.’s  kann 
nur  in  der  Gegend  von  antäkija  gesucht  werden;  so  liegt  eine  Gleichstellung  mit  göl- 
basch sehr  nahe;  dafs  Bel.  von  der  Quelle  spricht,  erklärt  sich  dadurch,  dals  der  See 
(s.  oben)  aus  Quellwassern  gebildet  ist,  wie  denn  sein  Name  gölbasch  ihn  wohl 
auch  als  „Kopf  des  Sees“,  d.  h.  als  Ursprungsort  des  antäkija -Sen  zu  bezeichnen 
scheint.  Weniger  wahrscheinlich  ist  die  Gleichstellung  des  ‘ain  es-sallaur  mit  dem 
'ain  es-samak  in  der  Nähe  von  karamurt  (D  4;  kr  7),  wenn  auch  hier  der  Charakter 
des  bezeichneten  Gewässers  als  Quelle  in  dem  Namen  mehr  hervortritt.  Mit  der 
buhaira  kann  bei  Bel.  a.  a.  O nur  der  See  von  antäkija  gemeint  sein,  wie  sich  aus 
Jak.  I,  516  unter  buhaira t el-jäghrä  ergieht. 


t 


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Martin  Mart  mann: 


502 

gu/basch  oder  gRlbasch  und  hat,  als  Appellativum  (Seekopf),  meist  den 
Artikel.  — Nach  I 19.  10.  4h  32m  liegt  der  See  am  Fufs  des  gölbasch- 
Berges.  41)  Ant.:  30 m von  No.  40,  3h  lang  und  breit,  5 Quartiere, 
unter  denen  kabaklar , el-kamberllje , mufiammed  kelja  (?)  obasy.  — KJ: 
turun,  30  H Tm,  eine  Oba,  40"  O von  der  Mündung  des  frarafu  in 
das  Ghäb  und  1 h W von  el-kamberlije  (No.  61).  — Die  Eintragung  von 
drei  forun  E 3/4  erklärt  sich  durch  diese  Angaben:  für  Ant  ist  forun 
der  Name  eines  Dorf  komplexes,  für  KJ  der  Name  eines  Viertels: 
welches  das  von  KJ  speziell  gemeinte  ist,  wird  sich  nicht  feststellen 
lassen.  — Vgl.  19./10.  4h32m,  wo  es  als  aus  3 Dörfchen  bestehend, 
bezeichnet  ist.  42)  Ant:  ih  N von  No.  41,  auf  dem  andern  (rechten) 
Ufer  des  karafu.  — KJ : O von  ektz  oghlu  obasy  (No.  62)  und  1 h 1 5 
W von  well  agha  obasy  (No.  63);  es  wird  auch  immed  (=  a(imed)  obasy 
genannt  und  gehört  schon  zu  dem  Gebiet  von  No.  44:  seit  einigen 
Jahren  bezahlt  es  den  Zehnten  nach  ntar'asch,  doch  Konskription  nach 
härirn.  — S.  I 20.  10.  gh  48  m.  43)  Ant.:  am  östl.  Ufer  des  nähr  £arafu. 
441  Ant.:  10  Viertel,  worunter  weh  agha  obasy.  — Auch  hier  liegt  die 
Sache  ähnlich  wie  bei  No.  41,  nur  dafs  KJ  keine  einzige  Ortschaft 
besonders  mit  dem  Namen  ct-tschoschllje  bezeichnete,  sondern  den 
Namen  immer  als  den  eines  Gebietes  gebrauchte;  als  auf  diesem  Gebiet 
gelegen  bezeichnete  er  deutlich  No.  63  und  71;  cs  werden  dazu  auch 
No.  67,  42  und  72  gehören.  — Das  nach  I 20./10.  i2h  24“  mir  als 
Ischorsch/i  bezeichnete  Dorf  dürfte  nur  eine  der  zahlreichen  zu  diesem 
Gebiet  gehörigen  Ortschaften  sein.  45)  Ant.:  ih  von  No.  44  — Besser 
bestimmt  durch  Ant  zu  No.  46,  wonach  es  ih  O von  kyrykehdtt  liegt, 
also  sicher  identisch  ist  mit  dem  ektz  oghlu  obasy  (E  4);  KJ:  25  H Tm, 
1 h O von  achras  oghlu  obasy  (No.  47)  und  VV  von  No.  42;  5 m W von  der 
Brücke  über  den  karayu.  46)  Ant.:  ih  W von  No.  45.  — S.  zu  No.  45 
und  I 19./10.  12  h 27 ”>  u.  ö.  — 47)  Ant.:  mahmudlt  (achras  oghlu  obasy), 
30 m S von  No.  46.  — KJ:  achras  oghlu  obasy  30 111  N von  kojundchhje 
el-kcblrc  (No.  48),  genannt  nach  dem  Schulzen  des  Ortes,  welcher  husatit 
ibn  el-achras  hiefs;  s.  auch  zu  No.  48;  die  Gleichsetzung  von  mahmudlt 
und  ach.  0.  0.  bei  Ant.  ist  offenbar  ein  Versehen.  48)  Kj:  auch 
mahmudhje  genannt,  20  H Tm;  neben  dem  Ort  ein  Hügel,  der  gröfser 
ist  als  der  neben  No.  49,  welches  ein  wenig  westl.  liegt;  von  hier 
nach  SO  einige  Häuser  ‘arab  dschimmäse.  — Vgl.  auch  zu  No.  47. 
49)  Ant.  und  KJ  stimmen  in  betreff  des  Doppelnamens  überein.  — KJ: 
40  H Tm,  ih  O von  No.  50,  von  dem  es  durch  ein  Stück  Ghäb,  Namens 
gozlü  hiijük,  wo  viel  Wildschweine,  getrennt  ist.  — Über  den  Hügel  bei 
dem  Ort  s.  zu  No.  48.  50)  KJ:  1 h W von  No.  49,  und  40“  O von 
No.  64 ; an  dem  Flüfschen  fazvuk  fu  ( fuuksu ),  das  sich  direkt  [d.  h.  ohne 
durch  ein  Ghäb  zu  gehen]  in  die  bahnt  ergiefst,  ca.  3om  W von  dem 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Reichet.  503 

Ghäb,  das  cs  von  No.  49  trennt  (s.  zu  No.  49);  am  Fufs  eines  Berges. 
51)  KJ:  40  H Tm  und  M;  i>>  O von  No.  4,  am  nördl.  Ufer  des  ‘a/rtn 
(s.  zu  No.  4.)  52)  KJ:  O von  No.  51,  am  Süd-Ufer  des  ‘a/rm,  5 m vom 
Flufs.  — S.  zu  No.  53.  53)  KJ:  3om  SO  von  No.  52.  54)  KJ:  3om 
NW  von  No.  65  und  30"'  O von  No.  5 (s.  zu  No.  5.)  — Vgl.  auch  be- 
sonders zu  No.  6.  55)  S.  zu  No.  ir.  56)  KJ:  7 H Tm,  30m  W von 
No.  14  und  30“  O von  No.  13  (s.  No.  13  und  14);  arabisch  öbat  kurdfl 
genannt.  57)  KJ:  20™  W von  No.  16  und  30™  SO  von  No.  14  (s. 
No.  14  und  16);  arabisch  öbat  el-kodscha  genannt.  58)  S.  zu  No.  25.  — 
Das  omii  ist  vielleicht  identisch  mit  dem  ommu,  Ritter  1624.  59)  KJ: 

30  H Tm,  ih  SO  von  No.  33  und  i*  von  der  Mündung  des  ‘a/rm. 
60)  KJ:  1 h S von  No.  33  und  3om  vom  ‘afrtn.  61)  KJ:  20  H Tm,  30m 
N von  No.  39  und  i*1  O von  No.  41.  62)  KJ:  25  H Tm,  W von  No. 
42  und  ih  O von  No.  47.  63)  KJ:  SW  von  No.  67  und  ih  15 m O von 
No.  42.  64)  KJ:  ih  NO  von  karamurl  {kr  No.  4)  und  40"»  W von 

No.  50;  20  H Tm,  erst  seit  Derwisch  Pascha1)  angesiedelt.  65)  KJ: 
3 Viertel,  50  H M und  Tm,  W von  No.  68  und  30™  SO  von  No.  54, 
dicht  am  Ufer  des  Ghäb;  in  der  Nähe  kose  ahmed  oghlu  obasy  (No.  69). 
— Zuteilung  nicht  ganz  sicher;  E 5 liegt  es  schon  in  n ftarim',  jeden- 
falls wird  es  noch  zu  e/-‘amk  gerechnet.  66)  KJ:  20  H K,  30m  S von 
No.  58.  67)  KJ:  15  H Tm,  NO  von  No.  63  und  15"*  O von  No.  70,  — 
Vielleicht  ist  nicht  kyiiy,  sondern  kyly  zu  schreiben:  fyly  boz  — dessen 
Haar  graufarbig  ist.  68)  KJ:  O von  No.  65  und  20  m W von  No.  1. 
Von  hier  nach  W das  grofse  ghäb  ei  ( tamda . 69)  S.  zu  No.  65.  70) 

KJ:  10  H Tm,  15“  W von  No.  67  und  SW  von  No.  71;  der  (eundschur  0. 
hiefs  fiasan.  71)  KJ : 7 H Tm,  NO  von  No.  70;  noch  zum  'amk  gehörig, 
doch  schon  auf  dem  Gebiet  von  et-ischoschhje  (No.  44).  72)  Nach  I 

20.  10.  ioh  28ra  giebt  es  ein  Sommerdorf  er-rlftä/l,  das  auch  E 3 ein- 
getragen ist.  Weder  Ant.  noch  KJ  kennen  eine  Ortschaft  solchen 
Namens,  es  wird  sich  also  wohl  nur  um  eine  Niederlassung  von 
Rihanli-Turkmenen  handeln,  über  welche  schon  Burkhardt  ausführliche 
Nachrichten  giebt,  und  die  wohl  auch  jetzt  noch  den  Hauptteil  der 
Bewohner  von  el-'amk  ausmachen. 

Im  dem  Kada  er-rl^anlje  als  zusammenfallend  mit  ei-'amk  werden 
die  Städte  zu  suchen  sein,  welche  Tiglath  Pileser  Annalen  144  als  zum 
Land  unki  gehörig  aufgezählt  sind.  S.  über  sie  Winkler,  Altor.  Forsch. 
17  und  besonders  über  die  Hauptstadt  kinalia  ebenda  S.  9.  Aus- 
grabungen in  den  zahlreichen  Tumuli,  welche  Uber  die  Ebene  zerstreut 
sind,  dürften  reiche  Ausbeute  liefern. 

1 ) Dieser  war,  als  es  das  Räubergesindel  des  Mustuk  Pascha  (s.  Ritter  1842  f. 
und  die  Memoiren  der  Princesse  de  Belgioso)  zu  arg  getrieben  hatte,  i.  J.  1860 
nach  dem  Gianr  dägh  geschickt  worden  und  hatte  sehr  gründlich  „pazifiziert". 


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Martin  Hartmann: 


504 


6.  Nahije  dschawdr  anfdkija. 


l 

b 

a 

b 

td-dtrsUnlje 

| 

IOO 

N 

11 

ei-chdlfljt 

30 

N 

2 

dscherdäfttjc 

20 

N 

12 

el-tsmä'llljt 

75 ! 

N 

3 

jakfo 

HO 

N 

»3 

cd-dcrwlschljc 

»5 ' 

N 

4 

el-karjt 

»3° 

N 

14 

btt  el-chardb 

i ; 

5 

bustdn  tr-rds 

O O 

N 

»5 

es-sinnänlje 

20 

N 

6 

dir  cl-mdschfa 

N 

1 6 

cl-filltt 

20 

N 

7 

el-lfarblje 

70 

N 

»7 

e/-ma‘schükljc 

8 

ed-dwlr 

140 

N 

*18 

‘am  dichdmü.i 

9 

ed-dar'üzlje 

» 

40 

N 

*19 

cl-‘abbdra 

IO 

ef-bughdddlje 

40 

N 

A.  Die  offizielle  türkische  Bezeichnung  dschavär-ianfdkija  (s.  das 
kleinere  Nebenkärtchen),  ar.  dschawdr  anfdkija,  d.  i.  Umgegend  von  anfd- 
ktja,  in  SH  i — 4.  8,  dürfte  beim  Volk  fast  ganz  unbekannt  sein.  Da- 
gegen werden  von  ihm  die  Ortschaften  2,  3,  5,  6,  7,  9,  11,  12  nach  7 
mit  dem  Namen  el-frarblje  bezeichnet,  welcher  in  SH  21  im  weiteren 
Sinne,  als  Name  der  ganzen  Nahije,  als  deren  Ortschaftenzahl  24  an- 
gegeben ist,  erscheint;  dieser  Dorfkomplex  beginnt  nach  KJ  ca.  ih 
S anfdkija  bei  dem  Brunnen  tschifta  kasfal  oder  cl-kasfalain,  d.  i.  Doppel- 
brunnen, und  erstreckt  sich  bis  zu  ueba'  tl-fauwdr,  das  von  btt  ef-ma 
herkommt;  letzteres  ist  nicht  eigentlich  ein  Dorf,  sondern  ein  Punkt, 
wo  eine  grofee  Menge  kräftiger  Quellen  aus  dem  Berge  hervorspringen 
und  sieben  Mühlen  treiben.  — Die  in  den  Anmm.  angeführten  niedri- 
geren Häuserzahlen  bei  KJ  sind  wohl  richtiger  als  die  von  L. 

B.  4)  KJ:  gehört  nicht  mehr  zu  ef-fiarbije,  liegt  aber  schon  auf 
der  Höhe,  auf  welcher  12)  liegt,  und  grenzt  an  dieses  an;  30  H N. 
12)  KJ:  21  H N.  13)  steckt  in  dem  dlrlschd  (= dir  rlschd?)  neben  ed- 
derwlschtjc  (s.  Nebenkarte)  eine  ältere  Form  des  Namens?  14)  Gärten 
mit  Häusern  noch  innerhalb  der  alten  Mauer  von  anfäktja,  nur  im 
Sommer  und  Herbst  von  N bewohnt.  17)  L:  nicht  hierher  gehörig.  — 
Wohl  gleich  el-ma'schuka  C 5. 


7.  Nahije  ef-kufair. 


a 

b 

a 

b 

I 

bachschln 

IOO 

M I 

6 

7° 

2 

Ml 

5° 

M 

7 

bdwerde  (Joprak- 

3 

dschisr  tl-hadld 

40 

M 

hasar ) 

IOO 

M 

4 

bdtmbo 

130 

M 

! 8 

tysibdfttjt  ( subha 

5 

tl-'ubldljt 

»5 

M 

oder  fubha/ij 

70 

M 

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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket  5Q5 


a 

h 

a 

b 

9 

bdzhujuk 

3° 

M 

45  ez-zau 

30 

N 

IO 

tt-tänischmdnije 

46  dabat  esch-schCch 

(lanischma) 

60 

M 

{sc/ttch  köj) 

120 

TM 

1 1 

kuzuldscha  (pyzytd- 

1 7 kursbillö 

3° 

N 

sc  ha) 

.o 

48  chaino 

80 

M 

12 

illdscha 

10 

59  mn-chänd 

120 

M 

1 3 

närindscha  (nur- 

5 0 kal'at  d-kufau 

40 

T 

lldscha) 

25 

T 

5 1 fOflar 

80 

T 

»4 

gogdschegüz  (gügd- 

5 2 ct-oftdschilar 

40 

'Fm 

schcgöz) 

40 

T 

53  turfando 

5° 

N 

l5 

aghdscherün 

80 

T 

54  mar  fi) 

40 

MT 

lö  teil  (tabesch 

30 

T 

55  ealhja 

40 

MT 

«7 

e l-manftirtjc 

T 

56  ktrbjdz 

I IO 

T 

18 

ferzala 

40 

M 

5 7 d-ferferlje 

3° 

M 

«9 

ez-zijdi  11 

5° 

M 

58  he  tja 

70 

M 

20 

'an  fi) 

80 

M 

59  dschümc 

60 

M 

21 

biltin 

35 

M 

60  mkäbrus 

120 

M 

22 

hitrln 

50 

T 

61  am  füwCtr 

20 

N 

23 

d-maghdala 

100 

M 

62  bäsibbe 

30 

NM 

24 

keschkenlt 

120 

M 

63  bä  schiebe 

70 

M 

25 

batfsdnüs 

1 20 

M 

64  ‘dmüd 

30 

M 

26 

ed-dlr 

60 

Al 

65  zerzur 

40 

M 

27 

bdbalrßn 

70 

M 

66  mesra'at  hadschi 

28 

mczra'at  et-turkmän 

40 

Al 

Pascha 

IOO 

M 

29 

dschenldo  (tschinta) 

80 

R 

67  teil  ‘ammär 

5° 

M 

30 

es-stirlje 

120 

R 

68  hlaizän 

I 

31 

el-fätktje  (fetka) 

60 

M 

69  j mezra'at  bäwerde 

3° 

M 

32 

trmtndseho 

5° 

T 

70  ! äläkend 

20 

M 

33 

el-fenk 

80 

M 

7 1 | kalänis  ( kuldms ) 

70 

M 

34 

bttbdra 

40 

T 

72  dumät 

3° 

N 

35 

besltka 

7° 

T 

73  firri 

30 

N 

36 

karfO 

‘3° 

T 

74  el-kurrlje 

20 

T 

37 

böjükburdsch 

60 

'1' 

75  d-t/ubaib 

IO 

38 

rnirjas 

40 

M 

7 6 ed-derntje 

4 

39 

d-knaibnje 

5° 

M 

*77  bCfun 

«5 

N 

40 

baijra 

25 

N 

'78  ‘ainisliis 

>5 

MN 

4i 

berdljc 

IO 

N 

*79!  dschindahje 

IOO 

J 

42 

frendschdr 

60 

M 

*80  \ tschiflhk  reschul 

43 

kifr  ‘äbid 

3° 

M 

ägha 

40 

N 

44 

fs-se/erlje 

60 

M 

' 8 1 tschiftlikan 

Zeiuchr.  d.  OeselLch.  f.  Krdk.  1kl  XXIX.  34 


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Marlin  Hartmann: 


506 


A.  Für  diese  Nahije  lagen  vor:  i)  die  SH-I.istc,  ausgefüllt  nach 

Personen  von  mäfsiger  Zuverlässigkeit  (L).  2)  eine  Liste  nach  einem 

gut  unterrichteten  Antiochener  (Ant.);  derselbe  kehrte  sich  nicht  an 
die  ihm  vorgelesene  SH-I,iste,  sondern  zählte  die  Ortschaften  auf,  wie 
sie  nach  ihrer  Lage  zusammengehören;  er  ging  von  der  Einteilung  des 
Gebietes  in  kufair  el-fok9.nl,  k.  el-wusfdnl  und  k-  et-tahtänl,  d.  h.  oberes, 
mittleres  und  unteres  Kusair  aus.  r — 22  gehören  zu  k-  et-tahfdnl,  23 
bis  45,  5g  — 62,  66  zu  k-  el-wusfdnl , 46 — 58,  63  — 65  zu  k.  el-fökdm; 
für  den  Rest  liegt  Zuteilung  nicht  vor.  Da  diese  Liste  die  wert- 
vollere, so  ist  sie  im  folgenden  wiedergegeben;  L ist  nur  an- 
gezogen, wo  ihre  Angabe  Beachtung  verdiente.  3)  Aufzeichnungen 
im  TB  nach  Hanna  Karajüsuf  (s.  über  denselben  S.  144  u.  i64)f 
hier  bezeichnet  mit  KJ.  — Die  allgemeinerer  Art  unter  den  letzteren 
lassen  sich  so  zusammenfassen:  Das  dschebel  el- kusair  genannte 

Gebiet  zeigt  zahlreiche  grofse  Ebenen , die  sehr  ertragreich 
und  gut  bebaut  sind;  Haupterzeugnisse:  Weizen,  Gerste,  Oliven 
(in  anfdkija  zu  Seife  verarbeitet).  Durch  den  dschebel  el- kufair  führen 
von  anfdkija  vier  Wege:  1)  anfdkija  - llldscha  (hier  geht  die  Strafte 
nach  dschisr  el-hadld  ab)  — über  den  nähr  cl-chischschdbe  (Brücke)  — 
kasfal  el-chischschdbe,  Brunnen  bei  der  Brücke  — von  hier  a)  über 
kyzyfdscha  (n),  el-laf$ijc  (6),  mezra'at  bdwerde  (6g),  bduierde  (7),  el-magh- 
da/a  (23)  nach  mkdbrus  (60);  b)  30m  W bachschln  (1)  über  den  nähr  el- 
bdwerde,  am  Flufs  entlang  nach  O in  die  Ebene,  in  dieser  nach  mezra- 
'at  (tadschi  pascha  (66);  hier  erster  Halt  der  Pilgerkarawane  von  anfdkija. 
welche  diesen  Weg  nimmt,  jedoch  erst  bei  dschisr  esch-schughr  den 
Flufs  überschreitet.  — 2)  anfdkija  — bah  el-fiadld  in  der  alten  Mauer; 
15 m S davon  teilt  sich  der  Weg:  a)  über  ef-kurrije  (74)  nach  el-fenk 
(33);  b)  über  bojük  burdsch  (37),  von  wo  Wege  nach  bdwerde  (7)  und 
karso  (36)  abgehen,  es-sürlje  (30),  dschentdo  (2g),  mündet  wenig  S dsche- 
nldo  in  3.  — 3)  anfdkija  — ‘ain  ed-dschezzar  C 5 Uber  das  steil  auf- 
steigende Gebirge  durch  den  Pafs  boghdz  el-dschindschillje,  welcher  ver- 
rufen ist  wegen  seiner  Beschwerlichkeit  und  Unsicherheit  — ca.  20  mS 
des  Passes  itafa  ed-dschubb  — el-fdfhje  (31)  — nimmt  wenig  S von 
dschentdo  Strafse  2)  auf  — kefr  ’dbid  (43)  — es-sc/erljc  — (44)  kirb/dz 
(56)  — tritt  wenig  S von  dort  in  die  Nahije  dschisr  esch-schughr  über. 
— Dieser  Strafse  folgt  die  Telegraphenleitung  nach  dschisr  esch-schughr. 
4)  anfdkija  — btt  el-md  C 6 — bei  einem  Brunnen  30 m SO  davon  teilt 
sich  der  Weg:  a)  über  soflar  (51)  nach  ka/'af  el-kufair  (50):  b)  über 
dai'af  csch-schtch  (46);  das  ist  die  grofse  Strafse  nach  ef-ladkije. 

B.  1)  Ant.:  am  nähr  cf -bdwerde , nahe  der  Mündung  in  den  ’dfl. 

2)  Ant.:  15m  von  No.  1,  auf  No.  3 zu.  — L:  Ulf  scharkt  60  M.  — KJ: 
//(’/  ckamki  30 m S von  No.  3,  zwischen  diesem  und  No.  1.  15  H M. 


Digitlzi 


Je 


Das  Liwa  Haleb  ( Aleppo!  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  507 

4)  Ant,:  15™  VV  von  No.  3.  5)  Ant.:  S von  No.  4.  — L:  15  m von  No.  8. 

6)  Ant.:  W von  No.  5.  — Fehlt  in  L.  7)  Ant.:  S von  No.  6.  — In  SH 

nur  der  türkische  Name,  dessen  richtige  Schreibung  f oprakh'fär  und  der 
bei  den  gemeinen  Leuten  unbekannt  ist;  L:  unbekannt.  — KJ  spricht 
die  türkische  Namensform  loprak  asar  mit  der  oft  vorkommenden  Ver- 
stümmelung von  hifitr  aus  und  erklärt  es:  man  hängt  die  Erde  auf 
(jtschntkü  et-träb).  — Auch  KJ  sagt  durchaus  bäwerde  und  daneben 
nähr  el-bäwerde,  obwohl  man  bei  beiden  Namen  entweder  Artikel  oder 
Artikellosigkeit  erwarten  sollte.  8;  Ant.:  ih  W No.  3.  — L:  ef-febtfit. 

— KJ:  ff  - fibbafrlje  35  H T,  30"'  O maghäret  ed-dtheb  (s.  No.  12). 

9)  Ant.:  S.  von  No.  8.  — L:  bozjok  mit  der  bekannten  Verkürzung  in 

solchen  türkischen  Namen  mit  hüjük.  — KJ : 20  H T,  2om  von  No.  8. 

10)  Ant.:  VV  von  No.  9.  — L:  turschmäntje.  n)  Ant:  S von  No.  10. 

tschiftlik',  M und  N wechseln.  — KJ:  40“  S der  Brücke  des  nähr  el- 
chischschdbe,  30 m von  No.  6.  - Fehlt  in  L.  12)  Ant.:  ih  30“  O anfakija; 
M und  N wechseln;  dort  die  Höhle  maghäret  ed-deheb,  die  jedoch  jetzt 
verborgen  ist.  — Fehlt  in  I,.  — vgl.  zu  No.  8.  13)  Ant.:  ih  O anfakija', 
die  Bewohner  zweisprachig.  14)  Ant.:  S von  No.  13.  — KJ:  gSgdsche- 
göz,  jk  SO  von  No.  13.  gögdsche  ist  nach  KJ  ein  bei  den  Turkmenen 
übliches  Wort  für  weifslich,  von  Menschen,  Augen  u.  dergl. ; dasselbe 
gSgdsche  steckt  sicher  in  göjdschebel  s.  I 24:9  2h  45 m,  wo  göjdsche  nach 
Zenker  mit  bläulich,  schwärzlich  übersetzt  ist.  15)  Ant:  O von  No.  14;  die 
T zweisprachig,  ebenso  in  No.  16  u.  17.  — KJ:  30m  O von  No.  14; 
dschurün  el-btd\  20  H T.  16)  Ant.  u.  KJ : 30m  O von  No.  15.  17)  Ant.:  O 
von  No.  16.  — KJ:  15  H T.  18)  Ant:  W von  No.  1,  S vom  nähr  el-bäwerde. 
19)  Ant.:  S von  No.  18.  — L:  zijara.  — KJ:  zijära  auf  demselben  Berg- 
rücken wie  No.  21  und  südlich  von  diesem;  O von  No.  19  eine  Fähre 
über  den  nähr  el-’äff.  20)  Ant.:  S von  No.  19.  — KJ:  30“  S von 
No.  71  und  höher  als  dieses  21)  Ant.:  zwischen  No.  18  u.  19.  — vgl. 
zu  No.  19.  22)  Ant.:  zwischen  No.  16  u.  17;  die  Bewohner  zweisprachig. 
23)  Ant : W von  No.  20.  — KJ : 1 h S von  No.  7 ; 50  H M.  24)  Ant. : 
W von  No.  23.  — KJ:  kischknlt , 30m  SW  von  No.  23;  60 H M.  25)  Ant.: 
NW  von  No.  24.  — KJ:  O von  No.  75;  25  H.  26)  Ant.:  S von  No.  25. 

— Fehlt  in  L;  auch  nicht  von  KJ  genannt.  27)  Ant.:  S von  No.  26. 

— L:  bäbifrün;  ist  der  zweite  Teil  des  Namens  zusammenzustellen  mit 

batrtin  im  Libanon?  über  das  bä  s.  zu  No.  63.  28)  Ant.:  W von  No.  27. 

29)  Ant.:  N von  No.  28.  — KJ:  30“  S von  No.  30;  30H  R.  — SH  hat 

es  nur  in  der  türkischen  F'orrn  tschinta,  es  wurde  daher  bei  dem  Durch- 
sehen der  Liste  nicht  erkannt  und  fehlt  in  L.  30)  Ant  : N von  No.  29; 
zwischen  No.  29  und  30  der  nähr  d-bäzär.  — KJ:  30™  W von  No.  36; 
60  H R;  Kirche;  zwischen  No.  29  und  30,  dicht  an  dem  nähr  el-bäwerde, 
der  hier  den  Namen  n.  el-bazar  (MarktHufs)  hat,  befindet  sich  ein 

34* 


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fi08 


Martin  Hartmann: 


mächtiger  Felsen,  auf  welchem  während  des  ganzen  Sommers  bis  zur 
Olivenlese  Anfang  November  jeden  Donnerstag  ein  Markt  abgehalten 
wird,  zu  dem  sich  oft  bis  2000  Menschen  versammeln,  und  von  dem 
der  Flufs  hier  den  Namen  nähr  cl-bäzdr  hat;  der  Flufs  soll  von  dai- 
‘at  esch-schech  herkommen.  — fürtje  D6  nach  L;  auch  SH  hat  ;;  doch 
ist  es-surlje  wohl  richtiger.  31)  Ant. : W von  No.  30.  KJ:  tl-fätlktje,  15" 
W von  No.  30;  30  H M.  3a)  Ant.:  N von  No.  31.  33)  Ant.:  N 

von  No.  32.  — KJ:  30m  S von  No.  74.  — Fehlt  in  L,  da  es  in  SH 

eng  mit  No.  1 zusammengedruckt  ist  und  für  einen  irrtümlichen  Zusatz 
zu  diesem  Namen  gehalten  wurde.  — Der  in  Nord-Syrien  häufige  Name 
fenk  ( el-fenk ) ist  vielleicht  mit  armenischem  wank  = Kloster  zusammenzu- 
stellen; vgl.  auch  zu  is  it.  34)  Ant:  O von  No.  32.  — L:  bdbitra. 
35)  Ant.:  SO  von  No.  34;  die  Bewohner  zweisprachig,  so  auch  No.  36. 
— L:  el-bdf/ika.  — KJ:  30®  SO  von  No.  34.  36)  Ant.:  30“  S von 
No.  35.  — KJ:  Moschee;  30®  O von  No.  30.  37)  Ant.:  O von  No.  36. 

38)  Ant.:  NO  von  No.  37.  — Fehlt  in  L,  auch  von  KJ  nicht  genannt. 

39)  Ant. : W von  No.  31.  40)  Ant.:  S von  No.  39.  41)  Ant.:  S von  No.  40. 

4a)  Ant.:  S von  No.  41.  43)  Ant.:  S von  No.  42.  44)  Ant.:  S von  No.  43. 

45)  Ant.:  VV  von  No.  30.  46)  Ant,:  die  Bewohner  zweisprachig.  48)  Ant: 
die  Bewohner  sprechen  auch  türkisch  und  kurdisch.  50)  Ant.:  10®  S 
davon  die  Burgruine.  — Damit  kann  nur  die  kal'at  ez-zau  C 6 gemeint 
sein;  denn  nach  Ant.  zu  No.  51  liegt  dieses  N von  No.  50,  also  auch 
N der  Burgruine.  Ich  notierte  zwischen  der  Ruine  und  fOflar  keine 
Ortschaft1).  51)  Ant.:  N von  No.  50.  5a)  Ant.:  45®  von  No.  51;  die 

Bewohner  stammen  aus  cl-'amk , dessen  Bewohner  hauptsächlich  Tm 
sind  (vgl.  zu  ri  72).  53)  Ant:  S von  No.  48.  54)  Ant:  S von  No.  53. 

55)  Ant.:  S von  No.  54.  56)  Ant.:  die  Bewohner  zweisprachig.  57)  Ant.: 
T schiftlick ; S von  No.  56.  58)  Ant.:  45®  S von  No.  57.  — Scheint 

Knclave  in  k dschisr  esch-schughr  zu  sein,  zu  welchem  es  auch  nach  der 
Karte  D 7 gehört.  Dafs  die  Zuteilung  auffällig,  geht  auch  daraus  her- 
vor, dafs  Herr  Abu  Nasri  (s.  su  A)  ausdrücklich  bemerkte,  hitja  (sic!) 
gehöre,  obwohl  nur  41'  N dschisr  esch-schughr  gelegen,  doch  zu  ku. 
Vielleicht  ist  jedoch  auf  der  Karte  durch  südlichere  I.egung  der 
Grenze  hctja  in  ku  einztischliefsen.  59)  Ant.:  45®  S von  No.  28*). 


1 ) Den  Namen  kal'at  ez-zau  linde  ich  bei  den  arabischen  Schriftstellern  nicht. 
Dagegen  ist  von  der  kal'at  et-kusair  ,,in  der  Nähe  von  antakija mehrfach  die 
Rede:  i.  J.  674  d.  H.  wurde  sie  vom  Sultan  Bibars  genommen  (Makrizi  Maral  I,  x, 
127)  und  i.  J.  678  wurde  der  Emir  Fachr  eddin  Altunbä  zum  NiVib  es-saltane  in 
ihr  bestellt  (ebenda  II,  t,  6);  s.  auch  Nuwairi’s  Bericht  ebenda  I,  2,  267  f. 

2)  Sollte  in  diesem  gürne  das  räthselhafte  clgurgume  Belndori  160  ff.  zu  sehen 
sein  ? Dafs  die  Stadt  nach  Bel.  im  dschebet  d-lukknm  liegt,  spricht  nicht  dagegen  ; 


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Das  Liwa  llaleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dscliebel  Bereitet.  50!* 

6o)  Ant.:  O von  No.  59  und  W von  No.  66:  Kj : ih  i5m  S von  No.  24. 
60  H M.  61)  Ant.:  S von  No.  60.  — L:  ‘an  füwdr ; zu  dem  ä Pur  ai 
vgl.  bat,  schtlch  für  bait,  schaich  im  NusBairier-Gebirge  ZDPV  XIV  241. 
Nicht  ganz  auf  derselben  Stufe  steht  die  Verkürzung  des  ‘ain  zu  'an  in 
der  türkischen  Aussprache  ‘antcb  für  ‘ain/db  mit  Beibehaltung  des  viel- 
leicht geht  die  von  in  antäkija  und  Umgegend  sicher  gehörte  Form 
'antiki  im  Munde  von  Türken  auf  eine  Volksetymologie  zurück,  welche 
auch  hier  im  ersten  Teil  des  Namens  das  Wort  ‘am  sucht.  6a)  Ant.: 
S von  No.  61.  63)  Ant.:  S von  No.  62.  — Das  bd  in  No.  62  und  63 

ist  das  aramäische  bl,  stat.  constr.  zu  bl/a,  also  eig.  Haus  von;  s.  ZDPV 
XIV,  242;  nicht  selten  wird  es  zu  b verkürzt;  daneben  findet  sich 
in  gleicher  Bedeutung  der  Rest  des  arabischen  bait:  bt,  z.  B.  in  bteddln 
für  bait  eddin  im  Libanon,  dessen  kürzere  Form  auch  in  Schrift  und 
Druck  erscheint  (z.  B.  in  Schidjäk,  achbär  ela‘jän  oft).  — KJ:  ih  SO 
von  No.  25;  40  H M;  seit  kurzem  verlassen  infolge  von  Zwistigkeiten 
der  Einwohner1)  64)  Ant.:  S von  No.  63;  s.  zu  de  4.  65)  Ant.:  W von 
No.  64;  No.  64  und  65  liegen  auf  dem  wafa  ez-tembeki  E 6,  das  schon 
zu  derküsch  gehört.  66)  nach  KJ  ist  hier  Fähre.  67)  bildet  eine  En- 
klave in  der  n ftärim  68)  Ant.:  gehört  zu  No.  29,  von  dem  es  nur  5™ 
entfernt  ist.  69)  Ant.:  io«N  von  No.  7,  auch  genannt  kürd  mezra'asi. 
— Letzteres  SH,  wozu  in  I,:  mezra'a/  tl-akrdd.  In  der  arabischen  Form 
des  Namens  hat  das  mezra'a,  durch  dessen  Vorsetzung  dieser  Ort  von 
dem  grofsen  bawerde  (7)  unterschieden  wird,  offenbar  die  Bedeutung 
„Vorwerk";  in  der  türkischen  Form  und  ihrer  arabischen  Wieder- 
gabe heifst  es  einfach:  „Weiler,  Dörfchen",  und  wird  so  auch 
oft  in  arabischen  Namen  angewandt,  z.  B.  mezra'a/  el-'arab  oft 
in  Syrien.  70)  Ant.:  W von  No.  7.  71)  Ant.:  O von  No.  23.  — 

L:  kulänis.  72)  Ant.:  O von  No.  44.  — Steckt  in  dem  Namen  der 
Heiligenname  dümi/}  73)  Ant.:  O von  No.  72,  auf  dem  w.  cz-zembeki 
wie  No.  64  und  65.  — s.  zu  de  6 74)  Ant.:  SO  anfäkija.  75)  Ant. 
jo™  O von  No.  25,  von  dem  es  ein  Vorwerk  ist;  die  10  Familien 
in  einem  Gehöft.  76)  Ant.:  151“  W von  No.  66;  die  4 Familien  in 
einem  Gehöft. 


denn  für  Bel.  schliefst  sich  an  dieses  Gebirge  im  Süden  sofort  der  Libanon 
an  (s.  a.  a.  O.X  Es  sei  hier  noch  die  äufsere  Ähnlichkeit  von  el-gurgume 
mit  mürdschümlü  (s.  m.  su  A4)  bemerkt,  wenn  auch  die  Gleichstellung  der 
Stadt  mit  einem  in  der  Nähe  dieses  Baches  au  suchenden  Orte  nicht  sehr  wahr- 
scheinlich ist. 

*)  Auffällig  oft  findet  sich  in  Nord-Syrien  das  Aufgeben  eines  Dorfes  seitens 
der  Bewohner,  vgl  S.  Igo  über  urdiköj. 


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510 


Martin  Hartmann: 


8.  Nahije 

karamuruf. 

a 

b 

a ! 

b 

1 

el-ezlije 

IO 

N 

8 

kümiir  tschukuru 

20  1 

T 

2 

el-awäjflje 

20  , 

N 

9 

el-blfarltje 

3 

alachän  (älächän) 

IO 

el-karallje 

4 

‘ arab  karamurt 

I*11 

‘arabchän 

5 

ez-zilfkänllje  (zilf- 

1*12 

es-sirdallje 

kan/i,  silfkanny) 

*13 

mar'aschly  boghazy 

6 

el-batrakln  (bedirge) 

•5 

T 

;*14 

lähme  oghlu  obasy 

7 

gölbäsch 

1**5 

| top  bajasy 

l 

A.  Nach  den  SH,  auch  nach  SH  2t,  zum  k anfdkija  gehörig; 
dagegen  TB:  der  Distrikt  karamurf  gehört  jetzt  zum  k bailän.  — 
Letzteres  wird  das  Richtige  sein;  es  wird  nach  Bildung  des  k isken- 
derün,  das  zuerst  in  SH  12  auftritt,  das  k bailän,  das  nun  nur  noch 
aus  der  n bailän  bestand,  durch  Hinzuschlagung  der  n karamurf  ver- 
gröfsert  worden  sein.  — Aufser  den  15  Ortschaften  der  Liste  dürften 
zu  der  Nahije  noch  die  Tscherkessendörfer  gehören,  welche  auf  der 
Karte  nur  durch  dieses  Wort  oder  durch  den  Namen  tscherkessköj  be- 
zeichnet sind. 

B.  2)  S.  I 9./10.  4h  4m;  danach  läge  ein  Tscherkessendorf  in  der 

Nähe  des  Ortes,  denn  das  kann  doch  „auf  dem  Toprak  von  cl-‘a.“ 
wohl  nur  bedeuten.  3)  S.  I 9./10.  4h  4"“,  wonach  es  4 H hat;  nach  TB 
22-/9.  84  ist  es  von  Tscherkessen  bewohnt.  4)  L:  zwei  Quartiere_ 
oberes  und  unteres,  obat  edsch-dschum'a  und  Obaf  ibn  (a‘me  genannt.  Die 
Bewohner  sind  ‘arab  dschimmäse,  die  auch  Ackerbau  treiben.  — ln 
der  Nähe  der  chän  karamurt  s.  I 12./10.  6h  15“.  5)  Es  giebt  Winter- 

und  Sommerdorf  s.  I 12./10.  4h  20m  und  4''  37"*.  6)  S.  I 12. /10.  4h  55“, 
nach  TB  22-/9.  84  ist  ein  Viertel  des  Orts  von  Tscherkessen  bewohnt. 
7)  Natürlich  darf  hier  nicht  an  den  See  und  Ort  N von  der  balirat 
anfdkija  ri  40  gedacht  werden,  es  ist  wohl  das  ‘ain  es-semek  oder  balyk 
gölü  I 12./10.  5h  5om  gemeint,  wenn  auch  von  mir  keine  Ortschaft  an 
dem  Wasser  notiert  worde.  Vgl.  zu  ri  40.  8)  L:  hoch  im  Gebirge; 

arabisch  auch  dschürit  el - fahm  genannt.  — Nach  diesem  Ort  ist  der 
kömür  tschukuru  ddghy  genannt,  der  mir  in  el-karallje  (TB  17.  9.  84) 
als  Grenze  zwischen  dem  bailän  dägh  und  dem  dschebel  el-aftmar  be- 
zeichnet wurde.  Vgl.  az  19.  13)  S.  I 12./10.  5h  3 7 , wo  es  Tscher- 

kessendorf genannt  ist.  14)  Nur  nach  I 12./10.  4h  45™;  fraglich. 
15)  Nur  nach  I 13./10.  6 53"«.  Die  Zuteilung  zu  dieser  Nahije  ist 
unsicher. 


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Das  Liwa  Haleb  lAleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  51  1 


g.  Nahije  es-swidije. 


a 

b 

a 

b 

I 

ez-zitunlje 

300 

R 

24 

es-sumberlje 

5° 

T (N) 

2 

jöghun  uluk  {el- 

25 

dekmidschc  {degöm- 

ghulluk ) 

45° 

A 

Jsche ) 

IOO 

N 

3 

hädschi  hababil  {el-  , 

1 26 

nähr  el-kebtr 

200 

N 

frababllje) 

250 

A(AP) 

| 27 

nähr  ez-zaghlr 

«50 

N 

4 

bitjas  ermenl 

A 

J 28 

jajyladschuk  (jai- 

5 

biltäs  el-brütestanl 

AP 

htdschyk) 

IOO 

T 

6 

el-mischräklje 

100 

N 

29 

el-kabüslje  {kebsej 

»so 

A 

7 

el-kabakllye 

30 

T 

3° 

el-hsintje 

IOO 

T 

8 

mghairün 

200 

N 

3« 

et-taraschllje 

50 

T 

9 

tlcl  el-himbläs 

15° 

N 

32 

el-dschilhje 

IOO 

N 

IO 

el-kräkslje 

200 

T 

33 

kör  der  es  (kor  deresi) 

IOO 

N 

1 1 

kelsadschuk 

IOO 

AT 

i 34 

sUstjc  el-kebire  | 

IOO 

N 

12 

faildscha  (faily- 

35 

süstje  ez-zghtre  1 

dschd) 

200 

N 

36 

el-kuwaistje 

25 

N 

*3 

mengUlfjc 

120 

N 

37 

turundschli 

5° 

N 

14 

güzel  burdsch 

30 

N 

i 3» 

Hel  el-ktzli 

IOO 

N 

•5 

‘ aidljet  el-fokanl 

IOO 

N 

1 39 

U'ädi  dschereb 

*5° 

N 

16 

el-lauschije 

300 

N (R) 

40 

cl-'aidljit  el-lihlamje 

40 

N 

*7 

e/-‘äb/lje 

!5° 

N (A) 

1 4» 

sarandschik? 

18 

n'airlje 

IOO 

N 1 

1 42 

tschekmedsche 

IOO 

N 

«9 

el-dschedide 

200 

N 

43 

el-chinnlje 

150 

N 

20 

el-mughäjir  (ma- 

44 

keld Iran  ? 

gharadschyk) 

IOO 

N(A) 

45 

medandschuk  (nie- 

21 

fandyrän  {seldiren) 

75 

T 

dandschyk) 

50 

T 

22 

barbarün 

50 

T 

*46 

el-eskele 

23 

‘ alaijeddin  (‘ ileddln ) 

»5° 

M 

*47 

el-dschertrije 

30 

M 

A,  Der  Gebrauch  des  Namens  es-sw€dlje  ist  schwankend:  bald 
bezeichnet  er  die  wohlangebaute  Ebene  zwischen  dem  Orontes,  dem 
Meere,  dem  Südabfall  des  dschebel  müsa  und  dem  Westabbang  des 
dschebel  mär  sim‘än,  bald  die  gröfste  Ortschaft  dieser  Ebene  ez-zttünlje 
{sw  i);  all  dies  abgesehen  von  der  viel  weiteren  Ausdehnung  der 
n es-sw.  im  offiziellen  Sinn.  So  gehen  diese  beiden  Anwendungen  in 
den  Ausführungen  Ritter's  nach  englischen  Quellen  XVII  1218  f.,  1222  ff. 
beständig  durcheinander,  und  so  kennt  man  auch  heute  nördlich  vom 
dschebel  el  - ahmar  und  südlich  und  östlich  vom  Orontes  er  - sw.  fast  nur 
als  Namen  eines  Ortes,  während  die  Bewohner  der  Ebene  selbst  und 
ihrer  näheren  Umgebung  diesen  Namen  nie  für  ein  bestimmtes  Dorf  ge- 
brauchen, sondern  darunter  nur  jene  Ebene  mit  ihren  durchaus  von  ein- 


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512 


Martin  Hart  mann: 


ander  unterschiedenen  Ortschaften  verstehen.  Daneben  hört  man  diese 
Ortschaften  auch  wohl  als  Juira,  Viertel,  Quartier  von  es -sw.  bezeichnen, 
so  dafs  letzteres  der  Name  des  Dorfkomplexes  ist.  Vgl.  das  zu  ekbez 
Bemerkte  S.  181.1)  — In  SU  21  hat  die  n es-sw.  22  Ortschaften;  wahr- 
scheinlich gehört  diese  Ziffer  zu  der  vorher  genannten  n karamurf  und 
die  Ziffer  55  dieser  zu  es-szv.  — TB:  im  dschebel  mär  sim*än  finden  sich 
zahlreiche  Heilkräuter,  besonders  berühmt  ist  das  kaschlschit  mär  sim*dn , 
Simeonskraut,  das  nur  in  der  Ruine  des  Klosters  des  M Sim'än  wächst; 
diese  Ruine  gehört  heute  niemandem  und  wird  auch  nicht  besucht.*) 

B.  1)  Vgl.  I.  30./9.  — TB:  „<ra-2.  existiert  an  seinem  heutigen 
Platz  erst  seit  ca.  80  Jahren;  vorher  soll  es  im  O der  knfset  es-saijide 
[s.  zu  No  47]  gelegen  haben.“  2)  Vgl.  I 29-/9.  (S.  155).  3)  Vgl.  I 
29-/9.  (S-  156)-  4)  und  5)  Vgl.  I 29-/9.  (S.  155)*  — Nach  den  mich 
führenden  Armeniern  hat  bitjäs  550  Seelen,  wovon  276  AP,  274  A.  Die 
Zerlegung  in  zwei  Ortschaften  ist  wohl  irrig,  wenn  auch  die  A und  AP 
gesondert  wohnen  mögen.3)  6)  TB:  „In  el-m.  alte  Ruine  der  Kirche 
der  Heiligen  Kuzma  wa  Dimjän  [Cosmas  et  Damianus],  doch  befindet 
sich  der  Schlüssel  zu  diesem  von  Muslims  und  Christen  besuchten 
Wallfahrtsort  seit  ca.  30  Jahren  in  den  Händen  der  Nussairier,  welche 
auch  die  dort  dargebrachten  Weihgeschenke  stehlen.  Vor  ca.  4 Jahren 
haben  die  R von  anfäkija  eine  Bittschrift  nach  Constantinopel  gerichtet. 

*)  Bei  Jakut  (I  385)  ist  es  - suwaidtje  der  Hafen  von  antakija , aus  welchem 
die  Franken  die  Waren  nach  diese  Stadt  herauf  brachten , das  Portus  Sancti 
Symeonis  der  Kreuzfahrer,  über  welches  s.  Wilhelm  von  Tyrus  XIV  5;  XV  13; 
XVII  31;  Gauterius  bei  Prutz  Quellenbeitr.  I 37;  Rey  col.  franques  101  und  353. 
— Vgl.  auch  Abulf  Geogr.  I 233;  II  i,  12;  nach  Makrizi  Maml  I,  2,  52  marschiert 
der  Emir  Bedr  addin  i.  J.  666  über  es  swtdije  gegen  antakija. 

2)  Dieses  Kloster  scheint  nicht  selten  mit  dem  bedeutenderen,  als  kaPat  sim'an 
bekannten  (G  5;  s.  Baed.3  410  ff.  Nöldeke,  Or.  Sk.  224  fr.)  verwechselt  worden  zo 
sein;  die  Notizen,  die  aus  Ibn  Butlan  Jak.  II  672  mitgeteilt  werden,  können  sich 
wohl  nur  auf  das  näher  bei  haleb  gelegene  beziehen  und  doch  nennt  Ibn  BuUän 
es  „aufserhalb  antakija “ gelegen,  und  Jakut  unterscheidet  es  sorgfältig  von  dem  in 
der  Gegend  von  haleb  zwischen  dem  dschebel  bam  ‘ ulaim  und  dem  dschebel  el-a‘la. 
Die  Kirche  kennt  drei  Heilige  des  Namens  Simeon  Stylites;  dafs  der  Älteste,  gest. 
460,  dort  lebte,  wo  heute  die  kabat  simlän  liegt,  geht  aus  der  Notiz  des  Evagrius 
hervor,  die  Acta  SS.  1,  286  abgedruckt  ist  und  wonach  der  Tempel  dieses  S.  300 
Stadien  (—  ca.  75  km)  von  Antiochia  entfernt  lag;  dafs  das  Kloster,  um  das  es 
sich  hier  handelt,  das  des  jüngeren  Simeon  St.,  gest.  596,  ist,  ergiebt  sich  aus 
Acta  SS.  18,  302  f,  wo  von  der  Lage  des  Mons  Mirabilis,  auf  welchem  er  lebte, 
ausführlich  gehandelt  wird. 

3)  Es  darf  nicht  mit  dem  bitjäs  Jak.  I 667  zusammengestellt  werden,  das  „nach 
übereinstimmender  Meinung  der  Bewohner  von  haleb “ dicht  bei  der  Stadt  lag, 
übrigens  zu  Jakuts  Zeit  verödet  war 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Beieket.  513 


um  die  Ruine  frei  zu  bekommen,  aber  nichts  ausgerichtet;  die  N haben 
das  Grab  der  Heiligen , das  WO  gerichtet  war,  in  die  Richtung  NS 
gebracht,  es  ist  aber  von  selbst  in  seine  alte  Lage  zurtlckgekehrt.“ 
8)  Danach  hat  der  westliche  Teil  des  dschebtl  mär  sim'än  den  Namen 
dschebel  mghairün.  io)  Wohl  zu  unterscheiden  von  el-karaküslje  am 
Nordabhang  des  dschebel  el-abra1 , über  welches  vgl.  1 2./10.  2 h 43 m ; 
über  die  Schreibung  s.  ZDPV  XIV  244  zu  No.  8.  n)  Ebenso  wie  das 
kesUdschuk  C 5 eine  arabische  Verstümmelung  des  türkischen  klisadschik , 
d.  h.  Kirchlein;  vgl.  zu  az  11.  16)  Ein  Drittel  R.  17)  Ca.  5 H A.  — 
Ölbäume.  19)  Vgl.  1 30./9.  (S.  157).  20)  Wenige  A.  21)  Vgl.  I 28.;9. 
(S.  »53  f-)  Nebenformen  des  Namens  in  arabischem  Mund:  sandehln, 
sande/ar.  Sollte  in  dem  satt  Sanct  stecken?  Etwa  Sancta  Helena? 
Vgl.  sandschuuän  ZDPV  XIV  198  zu  33  und  sanbülas  a.  a.  O.  224  zu 
26;  ist  fanderlje  a.  a.  O.  240  No.  191  eine  weitere  Verstümmelung? 
22)  Danach  ist  der  nähr  berberUn  genannt,  der  näher  der  Mündung  in 
den  Orontes  den  Namen  nähr  bannt)  führt.  23)  Urform:  ‘abt’ed-din.  — 
Die  Bewohner  sprechen  türkisch  und  arabisch;  sind  ursprünglich  Araber. 
29)  Die  Bewohner  räumen  nach  Kräften  mit  den  wenig  S gelegenen 
Ruinen  des  alten  Seleucia  auf  durch  Verkauf  der  Steine.  32)  Hier 
trieb  lange  Zeit  der  Schwindler  Schöch  Ibrahim  el-Dschilll  sein  Un- 
wesen, der,  zehrend  von  dem  Ansehen  seines  frommen  Vaters  Schech 
Hasan  Schech  el-harf,  die  Bauern  bethörte  und  eine  Kasse  ä la  Adele 
Spitzer  anlegte,  aus  der  er  so  lange  seine  eigenen  sehr  bedeutenden 
Ausgaben  bestritt,  bis  ca.  1880  der  energische  Dschemll  Pascha,  Wali 
von  bolcb , dafür  sorgte,  dafs  er  in  die  Galeeren  von  'akkä  kam.  36) 
Vgl.  I 7./10.  (S.  165).  41)  War  nicht  zu  ermitteln;  verschrieben  für 

serajdschib ? 4a)  Auf  dem  Plan  von  Antiochia  in  Baed.3  an  der  Strafse 
nach  es-sw.  43)  Darnach  ist  wahrscheinlich  der  nähr  bannd  [vgl.  zu 
No.  22]  benannt,  mit  Verstümmelung  des  Namens.  46)  Vgl.  I 2./10. 
(S.  159)-  — In  den  sieben  Chans,  welche  den  ganzen  Ort  bilden,  sollen 
sich  ca.  zwanzig  Geschäftsräume  mit  den  zugehörigen  Speichern  be- 
finden. 47)  Auf  der  Ostseite  des  Dorfes  die  knlsil  es-saijide,  Kirche 
der  Jungfrau. 

10.  Nahije  bat/an. 


! a 

b 1 

a 

b 

I 

$ary  mazy 

7 1 schemmik  ( schembih ) 

5° 

T 

2 

dschilanly 

40 

T I *8  karyny  kara 

3 

bahrt))  ( bughräs ) 

>5 

T *9  foghanly 

4 

Ischakal/y 

»5 

T j*  1 0 kütschüdsche  köj 

5 

delibekirli 

40 

T 1 |*l  II  baildn  ( be/en ) 

6 

äläj  blkli 

20 

T *12  i)t\b  köji 

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.'>14 


Marlin  Hartmann: 


A.  Uber  die  Gewährsmänner  s.  is  A. 

B.  i)  Verödet;  vgl.  I 18./10.  4 56m.  a)  S.  I 25-, 9.  11 h 56“ 

tschailanly.  3)  S.  I 13..  10.  6h  17“*  u.  ö.  — Vgl.  zu  No.  ti.*)  4)  Eis 

sind  zwei  tschakally  zu  unterscheiden,  das  obere  und  das  untere;  das 
obere  s.  I 13./10.  ioh  33 m,  das  untere  19./10.  ioh  i8ra;  vgl.  Karte  D 4. 
5)  S.  I 19./10.  4h  32™.  7)  S.  I 13./10.  9h3m;  in  TB  84  als 

\\\ni.cx-schembik  bezeichnet ; vgl.  auch  zu  No.  11.  8)  S.  I 13. /io.  9h  1 2“, 
wo  allerdings  nur  von  einem  toprak  des  Namens  die  Rede  ist.  9)  Wohl 
identisch  mit  foghandschy  I 13  /10  9h  3om.  10)  S.  I 25  9.  nh56“  und 
19.,  10.  ioh  30™.  11)  In  den  SH  als  Kreisstadt  vorangestellt  mit  dem 

Vermerk,  dafs  es  fünf  Quartiere  habe.  Unter  denselben  befinden  sich 
auch  bakrtif  und  schembik.  Man  wird  dabei  aber  nicht  notwendig  an 
No.  3 und  7 zu  denken  haben.4)  12)  S.  I 14./I0.  6h  51“. 


11.  Nahije  uktschu  ‘izzeddlnlü. 


a 

a 

I 

kütschiik  tschertschili 

10  ; 

1 *5 

tiadschi  müsa 

1 

2 

beko  obasy 

4 

l6 

uksüzlü 

20 

3 

‘ti/tker/er 

7 j 

17 

ma(isiredschik 

20 

4 

fulaify 

3°  ! 

18 

tiadschi  küsymly 

20 

5 

kürzet 

1° 

*9 

‘arab  uschaghy 

IO 

6 

bagh/sche 

3° 

t 20 

mabttfly 

40 

7 

‘uganly 

20 

21 

kanfara 

IO 

8 

scharkijan/y 

15 

22 

tiamschctck 

IO 

9 

berktisch 

7 

23 

berbend 

IO 

IO 

büjük  scibikanty 

10 

24 

pertikli 

20 

1 I 

kurne 

5 

25 

baty  obasy 

»5 

12 

za'ri 

10 

26 

chidrijanty 

>5 

»3 

haijamly 

io 

27 

liafer 

»5 

14 

kasendscheli  ( esendscheli ) 

3°  | 

28 

schingil 

IO 

1 ) Über  baghras  s.  Jak.  1 693  f. ; es  spielte  io  den  Kreuzzügen  eine  be- 
deutende Rolle  und  man  scheint  damals  die  Pylae  Syriae,  heut  Pals  von  bailan, 
nach  dieser,  die  Straße  beherrschenden  Festung  genannt  zu  haben,  s.  z.  B.  Makrir. 
Maml.  II  1,  61,  wo  von  der  ‘akabat  baghrtu  die  Hede  ist;  s.  auch  Makr.  Maml. 
II  z,  157,  190.  Ibn  Attr  XI  35;  XII  11  f.;  Mar.  Sanuto  Secr.  Fid.  II  4,  15;  III  5, 
I.  14,  1.  — ‘Imäd  ed-dm,  der  die  Eroberung  des  Ortes  durch  Saläh  ed-din  i.  J.  584 
ausführlich  beschreibt,  schreibt  nach  der  ed.  Landberg  S.  155  bughras , also  sich 
anschließend  an  die  dumpfe  Aussprache,  die  damals  gewiß  ebenso  wie  heut  beim 
Volk  die  allein  übliche  war. 

2)  Nach  einer  Notiz  in  SH  13  S.  88  ist  cs  950  d.  Fl  von  Sultan  Sulaimän 
gegründet  und  hiefs  früher  ‘am  ml  (?  lies:  nabll  bail'r I. 


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« 


Da*  Liwa  Hakb  ( Aleppo  I und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berekel.  ft  15 


^ _ - . * J 

a 

29 

külgüman 

IO 

3* 

bülamadschly 

20 

30 

widsch/i 

IO 

33 

kodschan/y 

3« 

kütschük  sdbikanly 

IO 

34 

deli  ‘osman 

5 

A.  Als  Nebenform  des  Namens  dieser  Nahije  finde  ich  in  1,: 
'azdlnli\  es  ist  dies  offenbar  eine  vulgäre  Verstümmelung  von  'izzeddlnlü. 
— Auffälliger  Weise  fehlt  unter  den  Ortschaften  dieser  Nahije  in  sämt- 
lichen SH  der  Name  des  Hauptdorfes,  welches  im  Land  ausschließlich 
bülbül  heifst.  Als  aus  den  drei  Nahijen  ‘amtki , oktschu  ' izzeddlnlü  und 
schaich/ar  ein  Kada  gebildet  wurde  — es  erscheint  zuerst  in  SH  i, 
zuletzt  in  SH  io  — erhielt  dieses,  vielleicht  mit  Anlehnung  an  den 
Namen  des  Sultans  'Abd  el  ‘azlz,  den  Namen  ‘izzlje  (für  'azlzije ?),  und 
so  wurde  nun  amtlich  auch  bülbül  benannt,  welches  Hauptort  des  neuen 
Kadas  wurde.  Uber  diesen  sagen  SH  2,  3,  4,  8:  „die  Kreisstadt 
‘izzijf  hat  zwei  Quartiere,  namens  sdbikd  und  Ischarkdn/y."  Dazu  notierte 
ich:  „lies  sdbikanly  und  scharkanly  " Nun  kommen  diese  beiden  Namen 
in  der  Liste  unter  No.  10  (vgl.  No.  31)  und  No.  8 vor,  wenn  nämlich 
scharki/dn/y  mit  scharkanly  zu  identifizieren  ist.  Doch  ist  es  nicht  sehr 
wahrscheinlich,  dafs  die  beiden  Viertel  des  Hauptortes  als  besondere 
Ortschaften  aufgeführt  sind,  zumal  die  Hauptorte  der  Kadas  wegen 
ihrer  Sonderstellung  gewöhnlich  nicht  in  die  Nahije-Listen  aufgenommen 
sind.  Das  Zusammentreffen  der  Namen  kann  recht  wohl  ein  zu- 
fälliges sein.  — Gewährsmann  Hannüsch  Effendi,  s.  I S.  144  und 
2. — 12./11. 

B.  1)  L:  das  andere  tschertschili  liegt  im  gjaurddgh.  3)  Gleich 
dem  'alikeller  G 2;  s.  I 28./10.  4h  27m.  6)  L:  drei  Dörfer.  7)  L:  auf 
dem  Eschme-Toprak.  17)  Die  SH  haben  übereinstimmend  ‘ain  statt  fit). 
20)  Die  HS  übereinstimmend  mdmafly.  29)  Vgl.  das  zu  am  No.  22 


Bemerkte;  = kclkümcn  H 1. 

33)  S.  I 28. '10.  lh  6ra. 

12. 

Nahije  ‘amiki. 

a i 

1 1 

a 

1 

ztrkdnly 

rnr] 

9 

kasch  uschaghy 

IO 

2 

ge/dn/l? 

10 

kur t uschaghy 

10 

3 

tschafal  kuju 

20 

11 

bllan  köj 

' 30 

4 

Sdghyr  obasy 

10. 

12 

basanderli 

IO 

5 

kuru  göl 

25 

13 

schorba  ogh/u 

15 

6 

challtk  uschaghy 

25 

abrdf 

15 

7 

kofanly 

25 

‘imdd/y 

IO 

8 

! 

kötenli 

10 

16 

'ain-i-hadschar 

5 

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Martin  Hartiuann: 


51« 


a 

a 

«7 

büjük  karkytt 

IO  1 

1 24 

erende 

20 

18 

kiitschük  karkyn 

IO  1 

25 

durmuschkan/y 

•° 

»9 

teil  (au’ll 

10 

1 26 

schich  angala 

20 

20 

kcschik  kürze/ 

10 

*7 

sennära 

1 *0 

21  | 

holender 

IO 

28 

kyrmytlyk 

1 30 

22 

challl-i-gülkdwt 

10 

29 

scherscheb 

1 10 

*3i 

hadschi  bihil 

IO  | 

30 

schl(t  Ischakallysy 

40 

A.  Der  Name  dieser  Nahije  ist  nur  in  dem  sehr  ungenauen  SH  3 
‘ amlki  geschrieben,  sonst  immer  ohne  j<i\  doch  wird  die  Aussprache 
'aniiki  Hannüsch  Effendi's  durch  jene  volle  Schreibung  gestützt.  In 
keinem  Fall  wird  dieses  ’amiki  mit  dem  Namen  der  F.bene  el-'amk  zu- 
sammenzustellen sein.  — Gewährsmann  wie  ok  A. 

B.  2)  Unbekannt.  3)  L:  2 Dörfer;  giebt  den  Zehnten  nach 
dschom.  6)  L:  2 Dörfer.  12)  I,:  auch  dirckli  genannt.  20)  L:  2 Dörfer. 
21)  Die  SH  übereinstimmend  mit  ‘ain  als  erstem  Buchstaben  22)  gül- 
kdu-i  wahrscheinlich  gleich  gölgatran , das  auch  in  der  F’orm  kelkümen 
erscheint;  vgl.  I 31./10.  4h  58"1.  24)  L:  auch  schich  erende  genannt.  30) 
I«:  3 Dörfer  mit  zusammen  40  H.  — Die  SH  übereinstimmend  schich\  das 
schlh  meiner  Umschrift  erscheint  auch  in  dem  in  L am  Schlufs  der 
Nahije  gemachten  Zusatz  „schih  50  H".  Dieser  Zusatz  ist  nicht  recht 
verständlich;  vielleicht  ist  zu  verstehen,  dafs  es  eine  größere  Ortschaft 
schi(t  oder  schich  giebt  und  zwei  kleinere  durch  Zusätze  davon  unter- 
schiedene, von  denen  die  eine  das  schih  Ischakallysy  (No.  30),  die  andere 
das  schich  crcndc  (s.  zu  No.  24)  ist. 


13.  Nahije  schaich/ar. 


a l 

a 

1 dümbüllü 

5°  i 

1 2 indschirli 

3° 

2 aschaghy  kürkanly 

>5 

1 3 musko 

IO 

3 i jokary  kürkanly 

«5 

1 4 j redscho  obasy 

10 

4 \ fdry  uschaghy 

12 

1 5 I 'btmanly 

7 

5 ! ba'dinli 

40 

1 6 I hopkänly 

7 

6 hasan  gülkdwi 

I 2 { 

1 7 1 mesakdnly 

7 

7 1 kodakö 

12 

1 8 mamaly 

10 

8 j gümüsch 

7 

1 9 scherscheb 

5 

9 1 schadijän/y 

: «5 

20  /tadschi  cha/ll  ogh/u 

J5 

10  kal‘a 

IO 

21  ma'rnül  uschaghy 

I 60 

1 1 ; gewsün  ? 

22  challl  ümer  uschaghy 

20 

1 

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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berelcel.  517 


a 

1 a 

23 

sd(y  uschaghy 

IO 

34 

welikli 

5 

24 

ma'Uldschek 

IO 

35 

penderekli 

IO 

*5 

tschalkama  oghlu 

10  j 

! 36 

ddudun  obasy 

10 

26 

goljanly 

10 

37 

ky/iy 

7 

27 

kürdnty 

20 

i 38 

karabdbd 

IO 

28 

tscharchyfly 

IO 

1 39 

frlrik 

IO 

29 

Ischakmak 

25 

1 40 

besilko 

10 

3° 

tschentschenli 

«5 

; 41 

tschiftkdnli 

IO 

31 

pullu 

IO 

1 42 

‘af/dn/y 

10 

32 

gunde 

7 

i 43 

kösejdnli 

20 

33 

simdlikli 

3 

44 

tepe  obasy 

IO 

A.  Gewährsmann  wie  ok  A. 

B.  6)  Vgl.  challl-i-  gülkäul  am  No.  22.  g)  L:  neben  schädijdnly 
auf  dem  aiman  dägh  das  Zijaret  des  Biläl-i-habeschT.  — 11)  SH  2,  3,  4 
haben  verschiedene  Verstümmelungen  des  sehr  undeutlichen,  Hannüsch 
nicht  bekannten  Namens,  nach  denen  man  darin  giimüsch  sehen  mülste; 
dieser  Name  kam  aber  schon  als  No.  8 vor,  vielleicht  sind  Klein-  und 
Grofe -giimüsch  gemeint.  13)  Kurdische  Verstümmelung  von  Müsä.  14) 
Dafselbe  von  Redscheb.  19)  Ein  anderes  scherscheb  s.  am  No.  2g. 

26)  Nach  SH  2,  3,  4,  8 liegt  goljanly  unterhalb  der  unbedeutenden 
Ruine  einer  Kal'a  (Burg),  welche  sich  auf  dem  dägh  obasy,  kurdisch 
gundetschi  genannten  Punkt  auf  der  Spitze  des  hauwar  däghy  befindet. 

27)  Nach  SH  2,  3,  4,  8 ist  hier  das  Grab  des  Biläl-i-habeschT;  s.  da- 
gegen die  Aussage  Hannüsch  Effendi's  zu  No.  9. 

Aus  der  Verarbeitung  der  allgemeinen  Bemerkungen  über  das 
Kada  ’izzrje  in  SH  2,  3,  4,  8 mit  Hannüsch  Effendi  ergab  sich  folgendes 
Bild  der  Berge,  Thäler,  Flüsse  in  den  vorstehenden  drei  Nahijen, 
welche  früher  das  Kada  dzzlje  bildeten,  jetzt  dem  in  bülbül  residierenden 
Mudir  der  gleichnamigen  Regierungs-Nahije  unterstehen:  1)  Berge:  a) 
in  am:  hauwar  'däghy,  auf  ihm  wilde  Ölbäume,  2h  lang,  3om  breit; 
b)  in  ok:  grofser  darmyk  (vgl.  I 28./T0.  4h  i8">)  ih  30“  lang,  30"1  breit; 
kleiner  darmyk,  ih  lang,  ih  breit  mit  Pinienwald;  chasiuwanly  dägh, 
3h  30™  lang,  ih  breit,  von  O nach  W laufend,  ein  Teil  schon  zu  dschöm 
gehörig;  mit  reichem  und  mannigfaltigem  Baumwuchs;  c)  in  sa:  aiman 
dägh,  auch  Imin  dägh  genannt,  2h  lang,  2h  breit.  — 2)  Thäler:  tschamlyk 
deresi,  N vom  darmyk  (grofsen?);  sary  sin  davrendi  (=  deresi)  im  N 
des  aiman  dägh\  schlh  dewrendi  im  S des  aiman  dägh\  ok  deresi  zwischen 
dem  aiman  dägh  und  dem  hauwar  dägh.  — 3)  Flüsse:  nähr  karafti 


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518 


Marlin  Hartmann: 


fliefst  bei  dem  Dorf  hasebdsche/i  (fehlt  in  sa\  Karte  G 2)  vorbei;  über 
ihn  eine  zweibogige  Holzbrücke,  die  in  das  k.  chdffa  überfuhrt;  indschefu, 
von  den  Kurden  dwi  zerdwuk  genannt  in  sa  und  ok,  fliefst  durch  die 
Ebene  kytych  zwischen  mdbaf/y  und  öksüzlü , d,  i.  zwischen  den  Bergen 
(tauwar  ddgh  und  chastuwanty  dagh,  treibt  zwei  Mühlen  und  geht  in  den 
nähr  ‘afrln. 


14.  Nahije  a'zäz-i-felläh. 


a 

b 

b 

I 

a'zdz  {‘azez) 

200 

M j 

31  liästn 

20 

M 

2 

mar'anäz 

10 

M | 

32  ! hatlfa 

»5 

M 

3 

stdschcräz 

«5 

M I 

33  k ulsurudsch 

25 

K 

4 

ka/ma 

*5 

K 

34  ! ghaifün 

«5 

M 

5 

bahuHtr 

35  tiltdne 

*5 

M 

6 

ma‘rata 

IO 

K 

36  1 bdr  Oda 

*5 

M 

7 

schwdra 't el-dschauz 

7 

KM  | 

37  dir  el-haua 

>5 

M 

8 

mdliktje 

15 

M j 

38  wasch 

IO 

M 

9 

merjamtn 

30 

M ! 

39  j achterin 

5° 

M 

IO 

‘andb 

10 

M | 

40  kiptdn 

IO 

M 

11 

fitfmardsrh 

»5 

M 

41  \mezra‘ulla 

IO 

M 

12 

tinnib 

IO 

MK  1 

42  aghburhän 

IO 

M 

13 

küschte'dr 

7 

M 

43  1 kahr  kelbln 

20 

M 

14 

teil  ‘ adschär 

7 

M 

44  j ke'lbe 

IO 

M 

15 

kefr  anfün 

7 

M 

45  ghurür 

IO 

M 

l6 

minnigh 

25 

M 

46  zijädlje 

20 

M 

>7 

kefr  chdschir 

s 

B 

47  , babwarfa 

20 

M 

18 

'ain  dakni 

20 

MC 

48  türkmen  bdri/i 

25 

M 

«9 

kiil/ü  dschibrtn 

25 

M 

49  hütemlat 

40 

M 

20 

teil  rfäd 

*5° 

M 

50  faurdn  (jörän) 

5° 

M 

21 

dir  el-dschmäl 

5° 

M 

51  j kefre 

•5 

M 

22 

kijfln 

IO 

M 

52  j telllln 

40 

M 

23 

kefr  ndjd 

30 

M 

33  ! ddbik 

35 

M 

24 

kefr  ndfih 

IO 

M 1 

54  be/ika 

20 

M 

25 

ahrez 

IO 

M 

55  ' bawdrtinnahr 

25 

M 

26 

schieb  jd'O 

25 

M 

56  eschref 

3° 

M 

27 

defterddr 

'5° 

M I 

57  sinibbol 

20 

M 

28 

(aschig  hyrbyl 

25 

M 

58  1 tschiftlik 

»5 

M 

29 

ma'rata 

59  schivdra'at  et-erz 

*5 

M 

3° 

fäfln 

*s 

M 

60  kisär 

,0 

M 

A.  Die  mit  L bezeichneten  Angaben  stammen  sämtlich  von 
Hannüsch  Kffendi  (s.  ok  A),  mit  dem  die  Listen  durchgegangen  wurden. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  519 

— L:  die  Nahije  ist  fast  ganz  Kbene,  nur  im  N ragen  die  Ausläufer 
des  parsa  chatun  Jdghy  hinein,  auch  finden  sich  eine  Anzahl  Hügel, 
wie  teil  a'zdz,  teil  rfäd,  teil  'adschar,  teil  mäht,  teil  balldl,  tlllln  u.  a.  — 
B.  l)  L:  auch  ein  Haus  A.  — a'zdz  ist  die  arabische,  ‘azez  die 
türkische  Aussprache,  ln  der  Schreibung  mit  alif  am  Anfang  stimmen 
die  SH  überein.  Diese  Form  der  Sprech-  und  Schreibsprache  ist  wohl 
durch  Volksetymologie  entstanden,  indem  man  an  das  Verbalsubstantiv 
i'zdz  von  a'azz,  stärken,  erhöhen,  ehren  dachte.  Die  älteste  Namens- 
form, die  sich  nachweisen  läßt,  scheint  Chazaz  zu  sein:  es  gehörte 
nach  den  assyrischen  Angaben  im  9.  Jahrhundert  v.  Chr.  zu  dem  Reich 
Patin  im  Thal  des  unteren  Orontes  und  des  ‘Afrin  (Meyer,  GA  I $ 287) 
und  ist  einer  der  drei  Orte  Arpad,  Chazaz,  Mansuäte,  gegen  welche 
Ramäniräri  III  806,  805,  797  zog  (ebenda  S 340-  Jäküt  III  667  hat 
‘ azaz , jedoch  mit  der  Bemerkung,  dafs  bisweilen  am  Anfang  ein  alif 
vorgesetzt  wird.  — 4)  L:  die  Bewohner  sprechen  auch  arabisch.  — 
5)  L:  seit  20  Jahren  verödet.  6)  L:  die  Bewohner  sind  von  der 
bäräzy-aschlreti.  — SH  3,  4,  8 deutlich  ma'rdste ; nur  SH  2 ma'rata. 
Hannüsch  kennt  aber  kein  ma'rdste , sondern  nur  ma'rata,  und  zwar  nur 
einen  Ort  dieses  Namens;  wie  dann  freilich  das  deutliche  ma'rata 
von  SH  4,  8,  neben  welchem  in  SH  2,  3 ma'rdta  für  No.  29,  zu  er- 
klären ist,  bleibt  unklar.  7)  Vgl.  schwdra'at  el-erz  No.  59.  g)  Ist  der 
Name  mit  mar'andz  No.  2 zusammenzustellen,  d.  h.  mar  in  beiden  gleich 
aram.  mär  Herr?  10)  L:  nahe  an  No.  9.  — in  SH  geschrieben:  anäb.  mit 
alif.  11)  KK  Tat-Mar‘asch ; doch  scheint  die  Zusammenstellung  mit 
Mar'asch  bedenklich,  da  die  SH  übereinstimmend  alif,  nicht  'ain  haben. 
Andererseits  kann  verglichen  werden  (a/humf  at  No.  1 , bei  dem  die 
Zusammenstellung  mit  liunif  (ftims)  nahe  liegt.  Das  tat  beider  Namen 
ist  wohl  dasselbe;  doch  ist  kaum  an  türk,  tat  zu  denken;  vielleicht 
liegt  ein  uraltes  Namenselement  vor;  etwa  das  Tut  von  Tutmes 
(Dhutmes)?  oder  ist  nur  faf/iumf  gleich  verstümmelten  Dhutmes?  12) 
L:  die  K sind  Schechanly-Kurden.  — Das  Tunep  der  ägyptischen 
Inschriften,  dessen  König  von  Dhutmes  III  besiegt  und  gefangen  wurde 
(Meyer  AG  I S 220;  vgl.  auch  S Z22,  236),  und  das  nichts  mit  dem 
Daphne  bei  anfdkija  zu  thun  hat  (Ebers  ZDMG  31,  465).  Die  Gleichung 
tinnib  ( tennib ) gleich  tunep  ist  auch  von  Nöldeke  AZ  1876,  10  f.  auf- 
gestellt worden;  s.  dort  auch  die  Stellen  der  arabischen  Geographen 
mit  tinnab.  13)  L:  nahe  an  No.  12.  15)  Die  SH  übereinstimmend 

an/ttn,  d.  h.  Anton,  wohl  mit  Volksetymologie  für  das  auch  sonst  in 
Nordsyrien  vorkommende  a/tUn  (Namen  mit  diesem  s.  ZDPV  XIV  246). 
KK:  Kfer  Altun.  19)  Wahrscheinlich  in  zwei  Orte  küllü  und  dschibrln 
zu  zerlegen ; unzweifelhaft  ist  die  Existenz  eines  dschibrln  ca.  7 km  N 
teil  rfdd  (No.  21)  J 3:  küllü  wird  vielleicht  in  dem  Küllidje,  in  KH 


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520 


Martin  Hartmann: 


zwischen  No.  21  und  ftaleb,  gefunden  werden  können;  das  Zusammen- 
werfen wurde  wohl  erleichtert  durch  das  Vorhandensein  eines  Teil 
Djibin,  dicht  bei  KüUidje , wenn  die  Eintragung  in  KH  auf  zuverlässigen 
Quellen  beruht.  20)  L:  ja'ni  refäzlUrin  kalesi,  wörtlich:  „das  heifst  die 
Burg  der  Ketzer“:  mit  diesen  Worten  wollte  Hannüsch  wohl  die  all- 
gemeine Ansicht  wiedergeben,  dafs  der  Name  teil  rfctd  etymologisch 
auf  das  Wort  zurückgehe,  mit  dem  die  Türken  und  auch  die  sunni- 
tischen Araber  gern  die  Schiiten  bezeichnen:  rttfidi,  von  den  Türken 
rdfyzy  gesprochen  (s.  Zenker  s.  v.  räfyz,  Dozy  s.  v.  arfdd , das  von 
Bocthor  ganz  richtig  als  Plural  zu  rafidl  Ketzer  gegeben  wird).  Ob 
sonst  refdzi  neben  räfizi  gebraucht  wird,  scheint  nicht  zu  belegen: 
vielleicht  ist  die  Form  nur  der  F.tymologie  zu  Liebe  gebildet.  — 
Au&er  dem  verstümmelten  Namen  ist  von  der  alten  stolzen  Arpad,  die 
schon  oben  zu  No.  1 erwähnt  wurde,  wenig  übrig  geblieben.  26)  L: 
ja'O  gleich  jalfja\  hier  ist  ein  Zijäret  des  Schech  ‘Es.  — Die  HS  über- 
einstimmend jd‘0,  genau  so  wie  Hannüsch  sprach.  — KH:  Schekh 
Yahia.  27)  L:  arabisch  märi‘.  — In  dieser  Namensform  steckt  wohl 
der  alte  Name;  vielleicht  identisch  mit  dem  bdnfr  von  No.  48?  Das 
türkische  defterdttr  sagt  nichts.  28)  L:  1 H AK.  29)  S.  zu  6.  30)  L: 
nahe  an  den  Gärten  von  jtaleb.  — Gleich  KH:  Felfin?  33)  L:  barazy- 
Kurden.  39)  S.  I 9./11.  (S.  488).  41)  P2in  rätselhafter  Name,  der  zunächst 
an  mezra'a  anklingt.  Die  SH  schreiben  übereinstimmend  mz(d)r‘/d. 
43)  SH  8 kefr,  2,  3,  4 fca‘r\  letzteres  ist  gesichert  durch  das  babr  des 
Hannüsch;  doch  kommt  kfer  vielleicht  im  Volksmund  neben  dem 
unverständlichen  ka‘r  vor;  daneben  liegt  wohl  auch  noch  Beeinflussung 
durch  das  kefer  k.  at  No.  53  vor.  48)  S.  I 9/11.  4h  23“  und  4h  55”. 
52)  KK  Teil  ‘Alin.  Da  die  SH  übereinstimmend  alif, \ nicht  ‘ain  haben, 
so  wird  es  bei  tellhn  bleiben  und  teil  ‘alin  als  falscher  Schlufs  anzu- 
sehen sein.  53)  Über  die  Bedeutung  des  merdsch  Jabik  und  die  Vor- 
stellungen, die  sich  daran  beim  Volk  knüpfen,  s.  meine  Notiz  in  ZV  f. 
Vk.  I S.  102.  5g)  L:  ganz  weit  ab  von  No.  58,  im  SW  von  killiz. 


15.  Nahije  a'z/Jz-i-turkmJn. 


a 

b 

a b 

I 

tathumf 

20 

B 

8 

wafiU’ln 

O 

2 

kuntfara 

IO 

B 

9 

dethemi 

10  T 

3 

‘uu’l/ln 

IO 

B 1 

IO 

döUk 

10  T 

4 

gidrldsch 

10 

Tm 

I I 

zabariln 

10  | T 

5 

kara  göz 

10 

BM 

12 

gSgddsch 

20  | T 

6 

tellscha'lr 

20 

T 

*3 

kantara 

10  B 

7 

mezra'a  schdhln 

IO 

T 

«4 

karadscha  Sren 

10  B 

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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo)  uni  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  521 


a 

b 

i a 

b 

.5 

ttll  habesch 

40 

T 

40  ! kefer  pari  sc  ha 

10 

TB 

16 

hobst 

10 

T 

41  kefer  tschüsch 

IO 

T 

*7 

‘adschär  ? 

4° 

T 

j 42  schimmaryk 

IO 

TB 

18 

SiWC 

20 

T | 

43  tätja 

7 

B 

*9 

id  - duuaibik  (foi- 

44  nfgerc 

15 

T 

puh) 

20 

T 

45  J siidschü 

>5 

T 

20 

liardschele 

15 

TB 

46  dschäriz  ( dschfriz ) 

IO 

i T 

21 

kara  kopri 

*5 

Tm  ; 

4 7 jahmül 

IO 

1 T 

22 

düdiin 

15 

Tm 

48  tibil 

*5 

T 

23 

chafaty  wemyghed- 

1 

49  terschäm 

IO 

T 

dm 

20 

B 

50  jdzy  hägh 

IO 

TK 

24 

dschekke 

«5 

T 

51  za'deli 

IO 

KB 

25  jeni  ja  pan 

7 

TB 

52  kara  kuju 

7 

T 

26 

1 samandere 

10 

TB 

53  kefer  kr /bin 

20 

M 

27 

sthtwlrln 

20 

T 

54  humlh 

7 

B 

28 

rd‘i/ 

3° 

T 

55 

'S 

T 

29 

myrghyl 

10 

T 

56  ba  rag  hl II 

IO 

T 

3° 

kyzyl  mtzra'a 

10 

B 

57  i yffadschi/k 

7 

B 

3i 

dt/ha 

io 

TB 

58  dikme  fasch 

7 

K 

32 

i utuwär 

10 

T 

59  , lerschikln 

»5 

K 

33 

arpa  ktsmts 

7 

B 

60  ma'rln 

*5 

T 

34 

igde 

10 

T 

'<  61  nijlum 

»5 

T 

35 

kefer  ghanl 

20 

T 

62  ftzljc  ( fezzlje ?) 

IO 

M 

3® 

täghlu 

10 

, T 

63  It/har 

20 

TB 

37 

ülbül 

>5 

T 

1 64  kara  mtzra'a 

IO 

B 

38  jelbaha 

10 

T 

j 65  kefer  rahmt 

5 

T 

39 

U/Ihstn 

IO 

T 

A.  Uber  die  mit  I.  bezeichnten  Angaben  s.  die  allgemeine  Be 


merkung  zu  af.  — L:  von  Hügeln  merke:  teil  tibil.  teil  fcin,  teil  ha- 
besch,  teil  scha'rrt  ttll  baräghltl,  Ulbar. 

B.  i)  L:  ein  Arnaut.  — Wohl  Überbleibsel  aus  der  Zeit  Ibrahim 
Paschas,  wie  sich  solche  mehrfach  in  Syrien  verstreut  finden.  — vgl. 
zu  af  No.  it.  2)  L;  nur  SchäwT-Bcduinen.  — Dasselbe  gilt  auch  in 
allen  andern  Fällen,  wo  die  Bevölkerung  durch  B bezeichnet  ist. 
7)  L:  am  nähr  (laleb.  12)  ü:  die  T sind  von  der  ja/dnafsch-Aschire. 
1 5)  s.  I io./u.  i ■>  2om.  19)  s.  I 9./11.  3h  38"’.  td-d.  eigentlich  = das 
kleine  dabik',  über  dabik  s.  zu  af  No.  53.  20)  21)  am  sin  ob  }u.  22)  s. 
I to./n.  1 2 h 6m,  wo  düdijan , türk,  düden.  23)  I.:  mygheddln  gleich  ar. 
muhjid-dln.  25)  am  sinob  in.  26'  am  nähr  haUb.  28)  die  SH  haben 
übereinstimmend  dä'il,  weiches  ganz  gleich  ist  dem  dä'il,  Station  12 
Zeitsthr.  d.  GesclUch.  f.  Eidk.  Bd.  XXIX.  35 


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522 


Marlin  Hartmann: 


der  Eisenbahnlinie  ruh -schäm  — cl-muztrtb  (ZL)PV  XVII  62);  so 
ist  vielleicht  das  nach  Hannüsch  notierte  rä'il  ein  Versehen. 
38)  s.  I 9./11.  ih  i4m.  44)  s.  I 9./11.  i2h  iS1“,  wo  der  Name 
als  nijara  gehört  wurde,  und  2./1.  1 2 h 4 m , wo  nljara  geschrieben 
ist.  48)  Gleich  dem  lubbal,  Jak.  I 823  f. , das  einen  Markt  und 
eine  Predigtkanzel  hatte ; wird  in  der  Geschichte  der  Hamdaniden 
erwähnt;  s.  Freytag  in  ZDMG  XI  200,  Anm.  4.  53)  die  SH  stimmen 

sämtlich  überein,  und  es  wird  an  der  Existenz  dieses  ktfer  k.  neben 
dem  hafir  ktlbin  af  No.  43  nicht  zu  zweifeln  sein.  59)  L:  bdrazy- 
Kurden;  am  nähr  ha/eb.  60)  s.  I 8./11.  ih  55m.  61)  s.  I io.'ii.  5h  26“. 


16.  Nahije  dschom. 


a 

b 

a 1 

b 

I 

schlch  saijidi 

7 

K. 

29 

chdztjanfy 

15 

J* 

2 

‘arscha  wählbar 

3° 

J*  1 

3° 

Isfhakn/ly 

iS 

K 

3 

turunda  (frundo) 

«5 

J* 

31 

; ischkäni  schark 

15 

K Jz 

4 

kürzt  l 

•5 

K 

32 

küdschaman 

IO 

K 

5 

bästtt 

3° 

K Jz 

33 

tscholakän 

20 

K 

6 

burdsch  weküffir 

40 

JzB 

34 

karabaschlar 

25  1 

J* 

7 

ghazzdwljc 

3° 

V 

35 

kiirkän 

IO 

K 

8 

schähdir 

20 

J*  1 

36 

säfjän 

IO 

K 

9 

kefrzid 

IO 

K j 

37 

ktferdele 

*5  : 

K 

IO 

iskdn 

3° 

K Jz 

1 38 

pilpitr 

10 1 

K 

1 1 

frlrl 

IO 

K ! 

39 

höjiik  oba 

*5 

K 

12 

dschr/emr 

40 

K 

40 

ktftr  seht/ 

.0 

K 

>3 

hädschUrr 

IO 

K 

1 4i 

1 ma'rata 

3° 

K 

«4 

U/lsillOr 

iS 

K 

42 

> kahl  nrr 

i to 

K 

«5 

düwdn 

10 

K 

43 

dsrhywvh 

40  1 

K 

l6 

mrddja 

10 

K 

44  dargtr 

20  | 

K 

«7 

dschädschije 

10 

B 

45 

ktivkdf? 

I 

18 

ttisri 

7 

K 

46 

zijädljc 

7 

B 

«9 

hadsrhi  iskendrr 

15 

K 

47 

krrsrn 

10 

K 

20 

‘abbdsljc 

10 

Kjz 

48 

dschudldf 

10 

K 

21 

mufmmmcdsjr 

10 

K Jz 

49 

Irpc 

20 

K 

22 

nerwdnc 

15 

K. 

5° 

kökebe 

10 

K 

J3 

tkizdschc 

15 

K. 

51 

bdbuht 

10 

K 

24 

ischkäni  gharb 

i IO 

J* 

52 

ktfer  bnfra 

10 

K 

25 

barckt 

1 10 

K 

53 

‘ andtrlje 

8 

B 

26 

jalangoz 

10 

K 

54 

telif 

10 

K 

27 

kür  an 

10 

K 

55 

ras  tl-‘ain 

10 

K B 

2» 

miske 

i 10 

K 

56 

teil  hammö 

7 

B 

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Das  I.iwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereitet.  523 


,1 

! ■ 

b 

i 4 

b 

57  bamihk  , 

IO 

K 

69  1 tschatal  zijäret 

IO 

K 

58  ramädije 

1 10 

K Jz 

70  i hä  U dl  je 

IO 

K 

59  nßrkdn 

IO 

K 

7 1 j dir  muschmusch 

IO 

K 

60  j sehr /kan 

IO 

K 

72  1 rä/änfy 

IO 

K 

6 1 | fki  achor 

15 

K 

73  foghdnck 

IO 

K 

62  1 birimdsche 

>5 

K 

74  | abu  ke'lbe 

IO 

K 

63  hadsch  liasan/y 

«5 

K 

|75  seferlje 

IO 

K 

64  j charzän 

IO 

K 

76  j dschinderls 

20 

K 

65  i schaifdn 

1 

77  mütmütc 

10 

K 

66  ! l usrbete 

IO 

K ! 

I78;  kirbc 

10 

K 

67  1 penje 

| 7 

K j 

I 79  | kefer  fafra 

IO 

K 

68  baff  el-ftaiie 

IO 

K 1 

A.  Über  den  Sitz  des  Mudirs  war  Genaues  nicht  zu  ermitteln. 
Der  italienische  Generalkonsul  in  futleb,  Herr  Vitto,  schrieb  mir  auf 
Anfrage  unter  dem  18.  11.92:  ,,/a  rteidence  du  Moudir  de  Giume  es t ä 
!' Afrin.  II  a une  maison  <1  cdti  du  Kan , prls  du  pont  de  la  route 
carossable  sur  le  lorrent  Afrin."  Ob  der  Mudir  seinen  Sitz  in  diesem 
scheinbar  ziemlich  einsam  gelegenen  Hause  auch  nach  dem  vollständigen 
Eingehen  der  Kunststrafse  (s.  unten)  behalten  wird , scheint  allerdings 
recht  zweifelhaft.  — Gewährsmann  Hannüsch  Effendi.  — Die  ältere 
Form  des  Namens  ist  el-dschüma,  s.  Belädori  149,  wonach  die  Dörfer 
von  et-dschüme  durch  Abu  ‘Ubaida  erobert  wurden;  Jak.  II,  159.  Bei  den 
Byzantinern  entspricht  Zürne  z.  B.  in  dem  Vertrag,  der  Anna  Comnena 
XIII  p.  412  ff.  (Recueil  Crois.  aut.  gr.  I,  180  ff.)  mitgeteilt  ist. 

B.  7)  S.  I.  11. /i.  11  h 5m.  8)  L:  Hier  Zijäret  des  Jeziden-Schechs 

Rikäb,  nahe  am  lehit  dilgh,  nördlich  von  demselben.  10)  Zweifelhaft, 
doch  wohl  nicht  derselbe  Name  wie  No.  24  und  31.  12)  S.  I ii./i. 

nh40ro.  24)  Vgl.  No.  31,  wahrscheinlich  ist  eins  der  beiden  das 

ischkan  I ii./i.  1 1 h 40 m.  34)  L:  So  heifsen  die  Geistlichen  der 
Jeziden.  (?)  74)  Vielleicht  gleich  dem  abu  ka'be  I ii./i.  i2h  3m. 

76)  Hier  hält  Windeier  es  für  möglich,  das  kulmadara  der  Land- 
schaft unki  (s.  zu  /•/  B am  Ende)  zu  suchen  (altorient.  Forsch.  17). 
Angenommen,  dafs  kulmadara  in  dieser  Gegend  gelegen,  was  nicht 
unwahrscheinlich,  bietet  doch  die  Gleichung  kulmadara  gleich  gindaros 
lautlich  Schwierigkeit1). 


>)  Beachtenswert  ist,  dafs  Masüidi  in  dem  tita b ct-tenblh,  ed.  de  Goeje  p.  59, 
den  Antakija-See  nach  diesem  Ort  nennt:  buhairat  gindnres ; dort  wird  auch  der 
Klnfelauf  genannt,  der  den  Sec  mit  dem  Orontes  verbindet  ( moijit  et-bahra,  9. 
S.  166)  unter  dem  nicht  recht  zu  erklärenden  Namen  nähr  er-rkja  ( rukjai ).  — 

35*  ' 


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524 


Martin  Harlmannr 


17.  Nahije  schikdghy. 


I 

1 

a 

b 

a 

b 

( 

näz  uschaghy 

IO 

KZ 

14 

sa*rindschtk 

10  1 

K 

2 

mttinli 

•5 

K 

! *5 

gemruk 

15 

K 

3 

düdlrli  fdkdni 

j 16 

mt  dankt 

3° 

K 

4 

düdlrli  tahtdni 

*5 

K Z I 

i *7 

j Jiu/ibi 

«5 

K 

s 

1 mesch'alc 

to 

K 

1 18 

kefer  rüm 

IO 

K 

6 

scharrdnly 

*5 

I K 

1 19 

kara  kurt  ku/aghy^ 

1 

J£ 

7 

tschamdnly 

IO 

K 

20 

kurt  ku/aghy  | 

25 

8 

silkanli 

>5 

Jz  (K) 

; 21 

kara  te/te 

10 

9 

‘a/i  bazän/y 

»5 

K 

22 

ktfer  miz 

7 

K (T) 

IO 

belttrsik 

IO 

K 

1 23 

göbelek 

10 

K 

1 1 

furak/y 

7 

K 

24 

körtük 

4 

: K 

12 

zltünek 

IO 

K 

1 25 

kodschik 

3 

K 

»3 

dlydschy 

>5 

K 

A.  Gewährsmann  Hannüsch  Etfendi.  — Von  den  unter  b vor- 
kommenden Zigeunern  (Z)  gilt  das  zu  mu  A Bemerkte. 

B.  2)  L:  auch  2 Jz.  3)  L:  seit  ca.  10  Jahren  verödet.  5)  L: 

hier  zwei  Zijärets,  eins  auf  dem  Berge,  eins  unten,  genannt  franndn  und 
manndn,  — so,  immer  ohne  schick,  — die  jedenfalls  alt  sind;  hier 
entspringt  eine  Quelle,  deren  Wasser  elf  Mühlen  treibt  und  in  den 
‘afrln  geht.  — hanndn  und  manndn  erinnern  an  das  arabische  Sprich- 
wort: bin  hdna  wamdnd  dä'at  lihana  (zwischen  hdnd  und  tnänd  sind 

wir  um  unsere  Bärte  gekommen).  10)  K:  neben  No.  12.  ra)  S.  1 31. '10. 
8h  47  m.  14)  Wohl  identisch  mit  dem  färyndschyk  30.  10.  1 1 h 21“. 
16)  1.:  zwei  Dörfer.  17)  1.:  zwei  Dörfer.  19)  ao)  L:  kurt  kulagh^ 
3 Dörfer,  eins  westlich,  die  andern  beiden  östlich  vom  ‘a/rln.  32)  L: 
die  T in  der  Minderzahl,  jedoch  Besitzer  des  Dorfes. 


18.  Nahije  mumbudsch  fäkdni. 


a 

b 

a 

b 

i kr  um 

60 

T 

4 

jylanntdscht 

10 

T 

2 1 zelha 

4 

T 

5 

‘ömerdschik 

7 

TB 

3 magharadschyk 

1 i 

T 1 

6 

kara  tnelik 

20 

TB 

Die  Form  des  Namens  bei  Dimaschki  ed.  Mehren  S.  1 12  dschindaräs  dürfte  die 
richtigere  sein  und  das  dschindures  im  Text  Mas.’*  nur  verschrieben  sein;  die  Stelle 
des  alt/  zwischen  den  beiden  unverbundenen  Buchstaben  und  das  Hineinwerfen  des 
Länge  - a/i/  in  solchem  Fall  durch  den  Schreiber  ohne  Achtsamkeit,  macht 
gerade  hier  eine  Verschreibung  sehr  erklärlich.  Die  Form  mit  n am  Ende  ent- 
spricht sonst  mehr  dem  alten  Gindäros  als  demheutigen  dschindtris. 


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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dscliebel  Bereitet.  525 


a 

[j 

a 

b 

7 spanak 

«5 

| 

K 

| 30  1 behadürii 

8 * (atnburäli 

10 

T 

3 1 jäidschi 

20 

T 

q iilmtz 

20 

T 

32  busi  hdschu 

8 

T 

1 0 1 buzCru 

IO 

T 

33  dschildschimc 

*5 

T 

1 1 banadschyb 

7 

T 

34  miilki  dewerdn 

20 

TK 

1 2 ‘ababe 

IO 

TA 

35  j kam  fdbai 

7 

T 

1 3 narbjdscha 

36  kehriz 

IO 

T 

14  tellhusen 

7 

T | 

,371  tschöreklik 

5 

T 

1 5 \ tjrl  kana 

7 

T 

| 38  | hasch  maghara 

IO 

T 

1 6 räwanda 

*5 

T 

} 39  sabar 

IO 

T 

17  ' tkt  dam 

; 40  i misch? til 

7 

T 

18  i wir  egen 

IO 

K 

41  bischanh 

4 

T 

1 9 dscherdsc hik 

IO 

T 

42  dschengltt 

40 

T 

20  I ‘arab  weren 

IO 

K 

43  minädir 

IO 

B 

2 r bebe  re 

7 

K 

44  d?r  snvan 

IO 

K 

22  kam  jatoasch 

10 

T 

1 45  * adschar ? 

23  schlraz 

15 

T 

46  kuskungyran 

>5 

K 

24  ! jafdydtcha 

20 

T 

47  Ischubur  oba 

»5 

K 

25  kuzeni ? byzijl  giil? 

»5 

K 

48  bettük 

26  (uldschi  bbj 

IO 

T 

49  ktfiz 

IO 

T 

27  kam  byl 

7 

T 

50  ijltn 

IO 

K 

28  misirdschib 

>5 

Tm 

1 5 1 süjüllii 

29  lell  ibrahlm 

6 

T 

*52  1 arab  hiijitgü 

5 

T 

A.  Gewährsmann  Hannüsch  Efifendi.  — mumbudsch  ist  die  ge- 
wöhnliche Aussprache  für  menbidsch  im  Volksmund.  Nach  mündlicher 
Mitteilung  l’rofessor  Euting’s  wird  auch  das  bekanntere  menbidsch, 
der  Hauptort  des  gleichnamigen  Kadas  (s.  S.  494)  nicht  so,  sondern 
bumbudsch  ausgesprochen,  worin  sich  die  Erinnerung  an  den  alten 
Namen  bambybe  deutlich  erhalten  hat.  Den  Namen  hat  die  Nahije 
jedenfalls  von  den  Bewohnern,  welche  der  türkischen  Aschire  mßmidsch 
oder  mübidsch,  woneben  auch  mumbudsch,  angehören  (s.  I 30./10.  3h  51“  . 
Dieser  Stamm  dürfte  seinen  Namen  von  dem  alten  menbidsch  haben. 
— Als  unterscheidender  Zusatz  soll  neben  fokam  auch  rdn  andan  Vor- 
kommen, worin  der  Name  der  am  ‘afnn  gelegenen  Rabat  Rävanda 
(KK;  gleich  er  - nUrandan  Jak.  II  741,  Abulf.  Geogr.  II  2,  4 2 f. ; vgl. 
auch  hier  No.  16)  zu  erkennen  ist. 

B.  10)  Gleich  dem  kuzena  Karte  I 2,  I 1./11.  5h  27"1.  13)  L:  verödet 
seit  15  Jahren.  14)  L:  hier  entspringt  der  ba/yb  nehri,  der  sich  in  den 
nähr  hateb  ergiefst.  16)  L : mit  bahn  — s.  darüber  schon  oben  unter 
A ; merkwürdig  ist,  dafs  sich  das  ältere  rawanddn  mit  n in  dem  Namen 


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526 


Martin  Hartmann: 


der  Nahije  erhalten  zu  haben  scheint,  während  die  kürzere  Form 
räwanda  für  den  Ort  mit  Burg  als  die  heutige  durch  die  Überein- 
stimmung der  SH  mit  Hannfisch  Effendi  gesichert  ist.  17)  L:  seit 
5 Jahren  verödet.  25)  SH  übereinstimmend  kuzcne,  doch  kennt  Han- 
nüsch  nur  einen  Ort  dieses  Namens  (s.  No.  10);  er  vermutet  ft'jzyl  göl. 
28)  L:  die  Bewohner  sind  Kyzylbaschen  von  der  scharkaui  'aschiresi. 
30)  I.:  seit  lange  verödet.  34)  L:  die  Bewohner  gehören  der  hamat/y 
‘aschlrtsi  an.  40)  L:  an  dem  balyk  nrhri.  42)  Erinnert  an  Ist  henk, 
türkisch  tschengien  be  12.  45)  L:  wahrscheinlich  das  ‘ adschar  at  17. 

48)  L : nahe  an  No.  50,  verödet.  51)  L:  unbekannt. 


19.  Nahije  mU.cn  btk/i. 


a 

b i 

1 

a 

b 

I 

sibtirüz 

25 

T 

29 

ismd'lldschikier 

5 

•1' 

2 

dümbüllü 

10 

T 

30 

kaman 

10 

T 

3 

maghiiradccbik 

»5 

K 

31 

nur  hanlar  ? baz 

4 

du  katsch  gemrigi 

>5 

T J 

haidar  ? 

5 

kara  ismä'll 

IO 

T | 

32 

katadschik  fokani 

10 

T 

$ 

(a/lar  gemrigi 

IO 

T 

33 

aghdschc  kend 

15 

T 

7 

liastal 

10 

T 

34 

kam  tut 

>5 

T 

8 

flridschek 

iS 

T 

35 

wiriklar 

IO 

T 

9 

söjütlü 

25 

T 

36 

eschek  kuju  tahtani 

IO 

T 

IO 

bekddsch  öghlu 

5 

T I 

37 

kyzyl  kend 

3° 

T 

1 1 

ftarsik 

IO 

T I 

38 

tachlahj  karatul 

10 

T 

12 

giik  mftsa 

15 

T I 

39 

husen  öghlu 

20 

T 

«3 

schilgln 

15 

T 

40 

baliklt 

15 

r 

14 

schähwelf  gemrigi 

20 

T 

41 

Zübölar 

»5 

emlr  hatsch 

42 

demirdschller 

l6 

tschinar 

20 

T 

43 

eschek  kuju  fökäni 

10 

T 

17 

kürtündschller 

20 

T 

44 

chirtsch  öghlu 

18 

dschlbenek 

10 

TZ 

1 45 

chatun  mezra'asi 

10 

T 

*9 

chaskdn/y 

IO 

T 

46 

schCch  ehorus 

20 

K 

20 

bvjük  kardem 

25 

T 

47 

sa'attl 

7 

K 

21 

külschük  kardem 

25 

T 

48 

habcsinö 

5 

* 

22 

fcrlse 

7 

T 

49 

‘adtsler 

5 

K 

23 

kozdschughaz 

IO 

T 

5° 

chydschyb  öghlu 

24 

kakadschik  tahtani 

8 

T 

5' 

e Iber  an 

25 

fizge 

25 

T 

! 52 

‘ a/janly 

7 

K 

26 

kör  a/jmed  hiijügü 

20 

T 

53 

(adschdyn/y 

10 

K 

27 

jataghdn 

4 

T 

54 

merddnly 

»5 

K 

28 

kodscha/ar 

4 

T 

55 

scha'abty 

10 

K 

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Das  Liwa  H.deb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  527 


a 

b 

a 

b 

56 

schtr  mezra'asi 

7 

K 

; 66 

arzab 

IO 

K 

57 

chai  oghlu 

7 

K 

67 

nuzra'ti 

IO 

K 

5» 

seht  Hab 

10 

K 

68 

dostänhj 

IO 

K 

59 

merscwl  ( marsowa ) 

IO 

K 

69 

tnuräd  hüjügü 

20 

K 

60 

baut:  (bairuk'\ 

10 

K 

7° 

schenikdsrbf  (Ische- 

6l 

schamdtir 

10 

K 

nikdscht) 

IO 

K 

62 

ütschpynar 

7 

T 

7* 

blkölar 

7 

K 

63 

barbejäz 

7 

K 

! 72 

boghäz  kennt 

5 

K 

64 

tschäirusehih  kiij 

7 

T 

! 73 

do  haiderän 

IO 

K 

zengü l 

10 

K.  i 

1 74 

mennänin  köji 

7 

T 

A.  Die  hier  mit  Z = Zigeuner  bezeichneten  Bewohner  heifsen  in 
I,  abdal\  ich  habe  dieselben  nach  meinen  Eindrücken  den  Zigeunern 
gleichgestellt;  das  Wort  abda/  fehlt  bei  Zenker,  es  ist  gewifs  zusammen- 
zustellen mit:  „h/isnn  abdallg , ein  Stamm  von  Zigeunern  ( eingdne ) in  der 
Gegend  von  Angora  und  Kazanlyk."  (tehdschc-i-'osmänl  I 2). 

B.  l)  L:  Haupt  der  Nahije  und  in  der  Mitte  derselben  gelegen. 

10)  L:  1 H A.  15)  I.:  seit  3 Jahren  verödet.  17)  L:  neben  ihm  chirtsch 
oghlu , mit  dem  zusammen  es  die  20  H hat.  20)  21)  I.:  der  ursprüng- 
liche Name  dieses  Doppel -Dorfes  ist  ü lisch  agha/sch.  31)  Unbekannt. 
35)  — 38)  Fehlen  in  SH  8,  sicher  nur  aus  Versehen.  36)  L:  dort  der 
esc  heb- kuju  - Brunnen.  37)  L:  4 Dörfer.  41)  L:  bildet  einen  Teil  von 
b'jzgl  ktnd  (No.  37).  — sobö  ist  mir  als  Name  einer  muslimischen  Familie 
in  Mittelsyrien  vorgekommen;  kurdisch?  42)  L:  seit  ca.  10  Jahren  ver- 
ödet 44)  S.  zu  No.  17.  46)  I,:  3 Dörfer.  — S.  I 30., '10.  ioh  8m, 

i°h  JS”  u-  ö.  50)  I verödet;  seit  3 Jahren  sind  dort  i II  K.  51)  L: 

verödet.  58)  S.  I 31./10.  4h  58™,  1./11.  3h  50™.  59)  S.  I31./10.  (S.  482  f.). 

60)  S.  1 i./ii.  (S.  482).  63)  Gewifs  zusammenzustellen  mit  birhjas  D 6. 

68)  I 3 Dörfer.  74)  Nach  Hannüsch  hinzugefügt. 


20.  Nahije  iskenderün. 


a 

b i 

a i b 

1 kara  aghatsch 

90 

N ! 

8 j he  bat  man 

3°  ! t 

2 iskenderün 

5°° 

i 9 j sakyt 

60  1 T 

3 ncrgezlik 

20 

T 1 

10  burlli/ 

20  T 

4 , kara  busain 

20 

T 1 

1 1 kurlhj  fenk 

*5  ! T 

5 aghtschai 

IO 

TN 

* 1 2 baubar d 

3°  | T 

6 el-aschkar  {aschbar- 

* 1 3 giijdschebel 

>5  T 

btlik ) 

■ 8 

TN  | 

*14  el-  'abadschhje{  apal- 

7 | dschebeke 

1 '5 

T 

schitli) 

50  1 T 

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528 


Martin  Hartmann  : 


a b 

| a 1 b 

*15 

alma  ddgh 

«5  T 

1*23  sufun 

10  N 

*16 

kairak 

20  T 

*24  blt  el-muftl 

10  T 

*17 

salyngatsch 

3 T 

*25  ! büjiikdere 

*18 

dgholuk 

1 o j T 

*261  far/i/s 

*19 

baghlytscha 

8 | T 

*27  kyseh/a 

*20 

'arab  deresi 

10  j T 

*28  i tl-kiuchmar 

*21 

birindschlik 

10  1 T 

*29  ) (l-güzrllljt (güze/lik) 

*22 

hd'ut  (hdivül) 

5 T 

*30  haiwaly 

A.  Da  in  SH  i — 4,  8 die  Ortschaften  von  is,  az  und  be  unter 
Kada  bailän  vereinigt  sind  — k iskenderün  tritt  erst  in  SH  12,  die 
n arsüz  erst  in  SH  13  auf  — so  hat  I,  für  die  genannten  drei  Nahijen 
denselben  Gewährsmann,  der  die  SH-Liste  durch  Nennung  von  18 
Namen  ergänzte,  nämlich  is  No.  12  — 24  und  «No.  15—19.  Aufserden) 
findet  sich  eine  von  mir  geschriebene  Liste  nicht  mehr  festzustellender 
Herkunft  für  die  Nahijen  is,  az,  be,  kr,  bezeichnet  L 2,  welche  nur 
Namen  enthält  und  zwar  29  für  is  (=  is  No.  1 — 29);  29  für  az,  wovon 
19  = az  No.  1 — 19;  12  für  be,  wovon  7 = b< • No.  1—  7;  13  für  kr,  wo- 
von 10  — - kr  No.  1 — 10.  Endlich  verdanke  ich  Herrn  Zähi  Eff.  Zerdk 
aus  iskctulerUn , den  ich  in  bailän  traf,  Mitteilungen,  welche  hier  durch 
Z bezeichnet  sind. 

B.  1)  S.  I 2Ö./9.  (S.  151).  a)  Über  die  früheren  Versuche,  den 
Ort  von  der  äufserst  gefährlichen  Nachbarschaft  der  pestilenzialischen 
Sümpfe  zu  befreien,  s.  Ritter  1839  f.  Aus  einer  Notiz  der  Beiruter 
Zeitung  Lisän  el-fiä!  vom  2.  Mai  94  ist  zu  entnehmen,  dafs  jetzt  energisch 
an  der  Austrocknung  dieser  Sümpfe  gearbeitet  wird.  — Der  Ort  findet 
sich  in  der  Form  el-iskenderüne  schon  bei  Belädori  161  und  163;  auch 
das  el-iskenderlje  Bel.  148  wird  unsern  Ort  bezeichnen  sollen  und  ist  wohl 
verschrieben.  3)  S.  I 2Ö./9.  ioh  47™,  wo  nergiz/ik  geschrieben  ist;  be- 
liebter Sommeraufenthalt  für  Familien  aus  No.  2 — Nach  Z ist  nergiztik 
vielmehr  ein  Komplex  von  Ortschaften  oder  Quartieren,  als  welche  er 
nannte  No.  22,  24,  27 — 29.  4)  Z:  karafrasanltje.  — L 2:  karaküziiHü, 
s.  auch  I 29.-9.  llh  23m-  6)  S.  1 24.  9.  (S.  148);  wohl  nach  einem 
früheren  Besitzer  namens  el-Aschkar,  türkisch  Aschkar  Bey,  genannt. 
7)  Nach  Z giebt  es  unteres  und  oberes  dschebeke,  ersteres  1 h,  letzteres 
4h  von  No.  2 entfernt.  9)  S.  1 25.,'9-  9h  55m  u.  ö.;  14.  10.  6h  57“  u.  ö. 
10)  S.  I 25., '9.  8h,  nh45m.  JI)  Oas  ftnk  >st  das  bereits  zu  ku  33  be- 
sprochene. Der  Name  kommt  als  der  einer  Burg  in  der  Nähe  von 
dscheztret  ihn  ‘ t/mar  Abulf.  J.  541  vor;  s.  auch  Jakut  111  920,  wonach 
fanak  zu  schreiben  ist.  12)  S.  1 24., 9.  2h  45“'.  13)  S.  1 24-/9.  2h451”- 
wonach  hier  nicht  ein  Dorf,  sondern  nur  Dreschplätze  sind.  14)  S. 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  I-iwa  Dschebel  Bereket.  529 

I 24-/9  th4°m>  14. /10.  nh9m.  15)  S.  I.  24-/9.  1 h 40 m,  14./10.  9h  25m. 

16)  S.  I 24-/9.  I2h  u-  ö.  l7)  S.  I 24.  9.  9h  50“1.  18)  S.  I 24-/9. 

uh  jo»;  du luk.  19)  S.  I 24-/9.  11  h ,om:  baghlydscha.  20!  TB  zu  26-/9. 

II  h 40 m:  6 H T und  4 H R.  ai)  S.  I 26-/9.  12  h 28m;  eigentlich  pirind- 

schlik  d.  i.  Reisfeld.  22)  1-  2:  el-hdut.  — S.  zu  No.  3.  23)  Z:  j dfun. 

24)  S.  zu  No.  3.  27)  S.  zu  No.  3;  Z nannte  es  el-hysch/iije.  28)  S.  zu 

No.  3.  2gi  S.  zu  No.  3;  dagegen  I.  2:  hat  besonderen  Muchtär;  liegt 
zwischen  nergtzlik  und  baild».  30!  Nur  nach  einer  Notiz  TB  16./9.  84 
aufgenommen. 


2i.  Nahije  arsäz. 


a 

b 

a 

b 

1 kisrik  (keserik) 

70 

T 

16*  kürd  bägh  (kürd 

2 ; el-wuhdb  ( alhop ) 

60 

N | 

baghy) 

3° 

T 

3 j el-aghdschdllji 

*17  t sc  her  ist  he  kaja 

( aghdschäli ) 

100 

N - 

(/scher /sch  ühajasy) 

20 

T 

4 hikr  ei-arab  ('arab 

*18  (Muh 

10 

T 

Ischiftiigi) 

10 

N : 

*19  kiimiir  tschuknru 

3° 

T 

5 1 nähr  tf-f/jäd 

40 

N 

*20  schich/y 

6 | el-tcll  (hüjiih) 

40 

N 1 

*2 1 karatschai 

7 el-ahmedhje(/iadschi 

*22  lulek 

1 aftmedh) 

40 

N 

:,,23  budschah 

8 b<  köji 

26 

N 

*24 , la/ar/y 

9 kara  göz 

• 5 

T 

*25  cs-saijar 

1 0 akbar  (Mn  ) 

•5 

N 

*26  chaimtsekisi 

1 1 el-kihe  (kcnlsa  önü) 

3° 

N 

*27  ‘arabgedtk 

12  in' hink  (Ischengien) 

20 

T 

*28  esch-sch/u/e 

1 3 göj  mtdan 

20 

n ; 

*29  bekne 

14  el-kaba  (habil  eshe- 

7° 

R 

*3°  giij dschebel 

■ 

1 Uti)  ( ursitz ) 

*3 1 dcre  kuju 

*15  d schar  hi 

IO 

T 

A.  Über  die  Gewährsmänner  s.  is  A.  T B:  „Die  Nahije  ist  erst 
vor  kurzem  gebildet;  Ibrahim  Eflf.  ist  als  ständiger  Mudir  erst  seit 
3I  Monat  hier;  bis  dahin  wurde  der  Distrikt  von  einem  Tschawisch 
(Korporal)  verwaltet,  der  sehr  oft  wechselte.  Die  Einwohner  selbst 
baten  um  Einsetzung  eines  eigenen  Mudirs,  da  die  Geschäfte  ziemlich 
bedeutend  sind.  Die  Regierung  erfüllte  den  Wunsch.  Freilich  ent- 
standen nun  Lasten:  denn  die  ca.  500  Piaster,  welche  der  Mudir  monat- 
lich erhalten  soll . werden  nicht  von  der  Regierung  gezahlt , sondern 
kommen  zum  Teil  aus  den  Einkünften  der  Regierungszeitung,  für 
welche  jede  der  16  Ortschaften  jährlich  90  Piaster  zahlen  mufs,  teils 
aus  anderen  Nebeneinkünften.  Nach  dem  Mudir  beträgt  die  Ausfuhr 


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530 


Martin  Hartmann: 


von  Getreide  aus  arsüz  jährlich  höchstens  3000  Sack  ; auch  viel  Holz 
wird  von  hier  verschifft,  das  auf  dem  Gebirge  geschlagen  wird.  Das 
Getreide  geht  von  hier  mit  Barke  nach  is ktnderün,  von  dort  per  Dampfer 
weiter;  das  Holz  geht  von  hier  direkt  nach  Tripolis,  Beirut,  Alexan- 
drien.“ 

B.  il  S.  I 28./t).  61'  37 m.  5)  Ist  nach  anderen  nähr  es-sijdd  zu 
schreiben  in  der  Bedeutung  von  nähr  rs-sitdit/ , Flufs  der  Herren. 
10)  S.  I 2Ö./9.  2h3onl.  11)  Wie  zu  No.  10.  12)  S.  1 26.lt).  ih  25“; 

als  ar.  Name  der  Ortschaft  wurde  immer  /schenk  gehört,  dagegen 
dschebel  el-lschenk.  14)  TB  27-/9.:  „Die  Bewohner  des  Ortes  selbst 
nennen  ihn  arsüz  und  durchaus  nur  so ; aufserhalb,  z.  B.  in  iskenderün, 
kennt  man  arsüz  nur  als  den  Namen  des  ganzen  Distriktes,  während 
der  Hafenort  kaha,  arabisch  tl-kaba  genannt  wird ; von  letzterem  Namen 
wollen  aber  die  Arsuzer  nichts  wissen;  sie  behaupten  nämlich,  es  sei 
das  türkische  kaba  grob,  roh,  und  von  den  Türken  gewählt,  um  die 
Ungeschlachtheit  der  Bewohner  zu  bezeichnen.  Der  jetzige  Ort,  der  nicht, 
wie  man  in  iskenderün  sagte,  ca.  300,  sondern  nur  70  Häuser  hat,  soll  erst 
ca.  50  Jahre  alt  sein  und  von  einem  Mann  namens  es-Säjigh,  dessen 
Familie  noch  jetzt  die  erste  im  Ort  ist,  gegründet  sein.  Fis  leben 
noch  dessen  Wittwe,  eine  Griechin,  und  drei  seiner  acht  Söhne,  Sim- 
‘än,  'Abdelmesih  und  ‘Abdalla  im  Ort.  Zu  gewissen  Zeiten  des  Jahres 
kommen  Inselgriechen  mit  ihren  Fahrzeugen,  welche  sich  hier  festlegen 
und  von  hier  aus  täglich  Ausfahrten  ins  Meer  machen,  um  Schwämme 
zu  fischen.  — Der  Hafs  der  Christen  hier  gegen  die  Muslims  ist  sehr 
grofs,  und  sie  machen  kein  Hehl  daraus;  sie  sind  ja  auch  unter  sich 
in  arsüz  wohnen  nur  drei  arabisch-muslimische  und  eine  türkische 
Familie;  alle  übrigen  sind  Rftm."  — Die  Form  des  Namens  arsüz  wird 
bestätigt  durch  das  von  mir  deutlich  gehörte  arsuzl,  Arsuzer.  Doch 
mag  das  z am  Finde  schon  in  arabischem  Munde  meist  in  s übergehen, 
wie  es  in  dem,  die  Wörter  mit  scharf  betonter,  kurzer  Findsilbe  her- 
vorstofsenden  Munde  der  Türken  sicher  geschieht.  Interessant  ist 
die  Schreibung  'arsüs,  welche  ich  in  der  Adresse  eines  arabischen 
Privatbriefes  und  auf  einer,  in  an/akija  gesehenen,  angeblich  von  dem 
Lehrer  des  Französischen  an  der  Ruschdije  dort,  dem  Armenier  Kara- 
betian  angefertigten  Karte  des  Kreises  an/akija  fand,  und  welche  Kara- 
betian  Eff.  selbst  damit  verteidigte,  dafs  die  Türken  den  Namen, 
wenn  er  nicht  mit  ‘ain  geschrieben  wäre,  ersus  sprechen  würden, 
während  sie  in  Wahrheit  arsus  sagen.  — In  den  SH  erscheint  der 
Name  immer  als  arsüz.  — Der  Ort  findet  sich  als  rtsis  schon  bei  Be- 
lädori  161  (daraus  hat  wohl  Jak  sein  rdsls  II,  840):  die  Leute  des 
rätselhaften  el-gurgüme  werden  von  Romäern,  die  von  rdsts  und  </- 
isktnderüne  herkamen,  unterstützt.  19)  bereits  als  kr  8 aufgeführt;  nach 


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Das  Liwa  Haleb  ( Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Berekel.  53 1 

Karte  D 4 liegt  es  dicht  an  der  Grenze  der  n karamurf  gegen  n baildn 
und  zugleich  nicht  fern  der  Grenze  von  n arsüz.  Da  es  mir  von  zwei 
Gewährsmännern  unter  den  Ortschaften  von  az  genannt  wurde,  so  war 
seine  Anführung  hier  wohl  nicht  zu  umgehen.  26)  s.  1 *8-/9.  6h  37“. 
30)  nach  TB  16/9.  84.  Das  Kehlen  des  Ortes  in  SH  läfst  vermuten, 
dafs  es  amtlich  als  „Quartier“  einer  gröfseren  Gemeinde,  wohl  No.  16, 
angesehen  wird.  31)  nach  TB  16  /9.  84. 


22.  Nahije  ekbts. 


“ 

b 

a j b 

, 

sa/man/y 

; 5° 

AT 

6 \jtHi  Japan  30  1 T 

2 

nüh  uschaphy 

3° 

T 

7 1 kazal  uschaphy  25  T 

3 

sary  kur  Hu 

3° 

IT(A) 

8 karametli  (kara  ah- 

4 

durak/ar 

'5 

T 

medlt)  | 7 I T 

5 

chyrchaly 

25 

1 T | 
l ! 

1 

23.  Nahije  tejek. 

a 

b 

a 

b 

9 

dedemli 

15 

T 

13  kara/akly 

70 

T 

IO 

alysch/y 

«5 

AK  1 

1 4 ehrislijün  ? 

II 

aghdschatar 

30 

T (AK)  1 

1 5 adamanly 

»5 

K 

12 

karajetyp/y 

IO 

T 

24.  Nahije  fuidschl/ai . 


16  ' hädschllar 

22  ' 

1 kttnah? 

28  edsche  puhar 

1 7 SOU/ 

J3 

demrek 

29  ‘arab  uschaphy 

1 8 giil  punar 

24 

juwaly 

30  urdukij  ( ordiköj ) 

19  \ {jributschuk 

20  küredschi 

2 1 scher  eßl 

25  : 

26 

27 

kafyran/yk 

kara/akly 

kyzyllar 

31  joluklar 

1 

A.  Die  vorstehenden  drei  Nahijen  ekbez,  tejek  und  lutdschl/ar  bilden 
das  Kada  chäffa,  welches  in  SH  1.  2.  3.  4.  8.  10  als  Teil  des  Liwa 
mar'asch  erscheint.  Kür  das  Jahr  1296  wurde  eine  Neuordnung  vor- 
genommen, über  welche  Sälnäme  Adana  6 (1296)  folgendes  gesagt 
ist : „Der  Name  des  Sandschak  dschebel  berekel  war  früher  Sandschak 
pajas,  und  der  Hauptort  war  die  Kreisstadt  pajas ; es  bestand  aus  den 
zwei  Kadas  pajas  und  ‘otmanije  und  der  einen  Nahije  jumurfalyk ; mit 
Rücksicht  auf  die  bestehenden  Verhältnisse  wurde  auf  Antrag  der 
Hauptort  des  Mutessarifliks  nach  dem  in  der  Mitte  des  dschebel  berekel 
liegenden  jarpuz  verlegt,  und  es  wurden  in  Gemäfsheit  der  lokalen 
Beziehungen  die  Kadas  chäffa,  ifläfajc  und  bulanyk  durch  Allerhöchste 


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532 


Martin  Hartmann: 


Kabinetsordre  von  dem  Sandschak  mar'asch  abgetrennt  und  hierher 
angeschlossen;  der  Name  dschebel  berekel  wurde  deshalb  auf  das  er- 
wähnte Liwa  ausgedehnt,  und  das  Kada  pajas  gebildet;  jetzt  besteht 
also  das  Sandschak  dschebel  berekel  nach  dem  oben  Erwähnten  aus  den 
fünf  Kadas  pajas , ‘almdnlje,  chdffa,  if/dlnje  und  bu/dnyk" ; es  finden  sich 
jedoch  nur  über  die  Kadas  chdffa,  pajas  und  ‘ofmdmje  Notizen.  So 
blieb  es:  auch  Sälnäme  Adana  7.  8.  10  haben  chdffa  als  Kada  von 
dschebel  bereket.  Mit  Rücksicht  auf  die  ohnehin  grofse  Zahl  der  Ab- 
kürzungen sind  die  Ortschaften  fortlaufend  numeriert  und  ist  auf  sie 
mit  ca  und  Ziffer  verwiesen.  Zu  n ekbcz  TB  23  10:  Nach  der  Etymo- 
logie der  F.kbezli’s  kommt  der  Name  von  agh,  weifs,  und  bez,  Lein- 
wand, weil  die  ca.  15  Familien,  die  hier  zuerst  bauten,  weifse  Leinwand 
trugen;  später  habe  man  dann  aus  aghbez  ekbcz  gemacht;  die  Osmanlis 
sagen  sogar  eibez.  — Zu  n.  hddschl/ar  sind  in  L a und  b nicht  aus- 
gefüllt.  — Gewährsmann  für  L und  TB  ist,  wenn  nichts  anderes  an- 
gegeben, Tschilo,  über  welchen  s.  I 21. — 27./10.  (S.  1811. 

B.  1)  L:  20  AK,  18  AP,  8 A.  — Das  ist  mir  zuverlässiger  als  die 
Angabe  I 22. ho.  TB  (nach  dem  Superior):  Die  Armenier  verstehen 
hier  und  in  dieser  ganzen  Gegend  nur  sehr  wenig  Armenisch;  auch  in 
der  von  den  Lazaristen  eingerichteten  katholischen  Schule  wird  nur 
türkisch  unterrichtet  (türkisches  Lesebuch  in  türk,  und  armen.  Schrift, 
türk.  Grammatik  in  armen.  Schrift);  die  Eltern  der  Kinder  sind  dem 
Lehrer  feindlich,  die  Erwachsenen  können  nicht  lesen  und  schreiben, 
Einrichtung  von  Abendstunden  für  dieselben  hatte  keinen  Erfolg.  — 
Der  Ort  wird  als  der  bedeutendste  der  Nahije  wohl  auch,  namentlich 
von  Fremden,  mit  dem  Namen  dieser  bezeichnet  und  ist  so  auch  auf 
den  bisherigen  Karten  eingetragen;  vgl.  auch  S.  181.  a)  S.  I 25./10. 
ioh  5”"  und  26./10.  2*>  42”'.  3)  L:  SO  von  No.  1;  5 H Christen  (AK?’- 

4)  S.  I 25./10.  ioh-  5)  S.  I 25. /io.  io*1  30"'.  6)  S.  I 25.  10.  ioh  20*. 
7)  S.  I 25./10.  io*1  36™.  8)  S.  I 26./10.  2h  42“;  I.:  2 H AK.  9)  S. 
I 25J10.  2h  2om.  10)  I.:  katholische  Schule,  n)  L:  4 H AK.  13)  L: 
Wandertürken,  zwei  Quartiere:  gehört  eigentlich  nicht  mehr  zu  iejei, 
sondern  nimmt  eine  Sonderstellung  ein.  14)  L:  ein  Dorf  solchen 
Namens  existiert  nicht.  15)  L:  ihO  von  chdffa,  am  Ufer  des  sich  in 
den  karafu  ergiefsenden  hoponttn  tschaijy ; es  giebt  noch  ein  zweites, 
am  karafu  selbst  gelegenes  und  r h 30“  von  dem  ersten  entferntes 
adamanly,  welches  jedoch  schon  auf  dem  Gebiet  von  bülbül  liegt. 
16)  TB:  zwei  Quartiere1),  8 H T,  2 H A,  4 H türkisch  sprechende  R; 

•I  Tschilo  brauchte  hierfür  immer  oijmat ; die  Turkmenen  von  el-'amt  saget 
dafür  oba,  das  auch  als  oba  (übi)  in  das  Arabische  jener  Gegend  übergegangen  ist. 
das  türk,  oha  ist  eigentlich  „uriarisches  Nomadenzelt  von  Filz“  l Zenker):  als  arab 
Wort  für  Zelt  hat  es  auch  Bocthor  unter  tente. 


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Das  I.iwa  Halch  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschcbel  Bereitet  533 

letztere  sind  von  No.  18,  wo  noch  1 H R,  liierhergekommen ; ih3om 
von  chdffa.  17)  TB:  kiijlii,  30  H T;  auch  Söul  obasy  genannt;  süut  ist 
ursprünglich  Name  eines  Brunnens;  ih  30""  von  cha$$a.  — S.  I 25./10. 
2h  20 m,  wo  „ sd'u / oder  kiijlii".  18)  TB:  oder  antyn,  r H R [s.  zu  No.  t6], 
14  — 17  H T;  zh  von  chdffa,  am  Fufs  des  Gebirges.  19)  TB:  fAsylly, 
auch  tjributschuk  genannt,  zwei  Quartiere;  38  H T,  12  H A (AK?) 
20)  TB:  T,  3 — 4 H A,  4h  von  chdffa,  am  Fufc  des  Gebirges.  21)  SH  3: 
scharkiy.  TB:  nicht  bekannt.  22)  SH  3:  ktigh,  SH  4:  kümach,  SH  8: 
kr  ml  sch , TB:  nicht  bekannt.  23)  TB:  5h  von  chdffa  und  ca.  2h  von 
urdukiij,  an  dem  Pafswege  über  das  kiirmenlinin  gedigi  F.  3.  — T,  1 H 
AK.  24)  TB:  6 H T;  oberhalb  von  No.  20  und  wohl  auch  zu  diesem 
gerechnet.  25)  TB:  3b  3om  von  chdffa ; T.  26)  wohl  gleich  No.  13. 
27)  TB:  ih  30 m von  chdffa;  T.  28)  TB:  2h  von  chdffa ; T.  29)  TB: 
ganz  nahe  an  No.  19,  zu  dem  es  gezählt  wird;  6 H T.  30)  TB:  wurde 
zur  Zeit  Derwisch  Paschas  (s.  zu  ri  64)  gegründet,  der  Leute  von 
No.  20  dort  ansiedelte;  jetzt  ist  das  Dorf  verlassen;  die  Bewohner 
haben  ein  neues  urdukiij  ca.  2om  W vom  alten,  am  Fufs  des  Gebirges 
gegründet.  Nach  anderen  sind  sie  wieder  in  das  schon  im  Gebirge 
liegende  küredschi  (No.  20)  zurückgegangen.  S.  auch  I 20./10.  th3om. 
31)  TB:  nahe  an  No.  17,  4 H T. 


Höhenbestimmungen.1) 


Zeit 

Höhe 

in  Meter 

_ l 

1882  83. 

24. 

9. 82. 

7 0 

140 

846 

200 

9 5 

438 

92* 

568 

950 

697 

1 1 10 

1070 

II  35 

1057  1 

I I 4* 

1070 

I 10 

1212 

14° 

<375 

Zeit 

Höhe 
in  Meter 

2 0 

1293 

2 a5 

U90 

2 45 

<°5° 

450 

440 

5*5  i 

140 

25- 

9. 

645 

140 

8 0 

440 

95° 

850 

10 5,6 

<°35 

1 1 45 

1480  | 

1 5a 

<795 

I 

Zeit 

Höhe 
in  Meter  j 

3'* 

1480 

545 

440 

26., 

9- 

7 15 

140 

28. 

9- 

6 0 

2 

6.» 

81 

730 

169 

8 ° 

399 

8.o 

59* 

9” 

1010  !j 

in  Meter 

lo’>  1156 

IM’  1460 

1 1 56  1 487 

I2a6  1559 

29.  9. 

6«0  386 

7 0 345 

8 o 432 

9 0 444 

34«  169 

30.  9. 

7 45  5< 


1 ) Berechnet  nach  der  Fischer’schen  Formel  aus  meinen  Barometer-  und  Ther- 
mometer-Notierungen (s.  S.  143)  und  den  Barometer-  und  Thermometerständen  des 
nächsten  Kiislenortes,  aus  welchem  «old  e Vorlagen,  Beirut  (s.  Jahrbb.  der  K.K. 
Centralanstalt  für  Meteorologie  und  Erd-Magn.  Jahrg.  1882,  1883)1  Beachtung 


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534 


Martin  Hartmann: 


Zeit 

Höhe 

Zeit 

! 

Höhe 

in  Meter 

in  Meter 

2.1 

10. 

9-s 

32° 

II  '5 

1 iS 

93“ 

I 

37° 

12  8 

5 

I4-. 

10. 

I SS 

3« 

2 aS 

167 

5 ü 

1 475 

2 «3 

339 

6'° 

539 

6 's 

600 

3 ’4 

59° 

1 6*9 

439 

784 

755 

638 

800 

3/so. 

6«? 

822 

4i? 

1485 

j 657 

in 

fO 

00 

■585 

750 

900 

S'-l 

17851) 

8 8 

83s 

9 0 

813 

8” 

852 

34“ 

35  1 

8 “5 

818 

835 

792 

4./ IO. 

855 

875 

1030 

7« 

9 ,s 

1146 

9-2 

1 83*} 

IO<3 

1328 

12. 

'io. 

II  0 

1240 

545 

95 

1 1 .8 

”47 

7 25 

”5 

1 1 34 

1040 

II  58 

1083 

*3*' 

'io. 

j 12” 

858 

5i5 

1 ,25 

12  58 

670 

8 * 

246 

I 18 

710 

Zeit 

Höhe 
in  Meter 

1 

Zeit 

Höhe 
in  Meter 

143 

460 

. 

20. 

to. 

2 3 

316 

2 16 

>45 

63° 

172 

2 3* 

78 

83* 

133 

3 1 

53 

84» 

HO 

3 45 

0 

848  j 

1 x6 

919 

1 10 

'5- 

10. 

93*  , 

1 10 

910 

«5 

IO  3 

108 

II  5« 

141 

18. 

10. 

1 

12  6 

125 

8 >5 

5 

12  57 

150 

345 

60 

I 10 

230 

4« 

230 

2 0 

285 

5‘9 

490 

3 'S 

286 

9!» 

475 

35' 

418 

19. 

10. 

4 0 

435 

65» 

475 

4 9 

45° 

10  8 

56* 

21.10. 

I Oa5 

592 

I04S 

00 

85«  | 

645 

I I 18 

369 

II  5« 

134 

23-1 

10. 

4.4 

172 

3 ° 

808 

4 31 

230 

3 5 

835 

5’8 

232 

3 55 

640 

der  Hohe  der  Beiruter  Beobachtungsstation  von  34  m über  dem  Meer  (so  nach 
Jahrg.  1881  S.  274;  30  in  nach  Jahrg.  1884  S.  VI).  Da  aus  Beirut  nur  Be- 
obachtungen für  830,  2 3°  und  8 3£  Vorlagen,  so  wurden  die  Berechnungen  nach  der 
Formel  nur  für  die  Notierungen  vorgenommen,  welche  zu  denselben  oder  nächst- 
liegenden  Zeitpunkten  gemacht  waren.  Die  dazwischenliegenden  wurden  nach  dem 
sich  aus  den  festen  ZifTern,  zwischen  denen  sie  liegen,  ergebenden  Mittel  berechnet. 
Wo  sich  für  denselben  Ort  bei  Berechnung  mehrfacher  Notierungen  nach  der 
Formel  verschiedene  Höhen  ergaben,  wurde  eine  Ausgleichung  vorgenommen.  Die 
Punkte,  auf  welche  sich  die  berechneten  Höhen  beziehen,  sind  durch  Aufsuchen 
der  Zeit  in  I leicht  festzustellen;  wo  sich  eine  entsprechende  Zeit  nicht  findet,  ist 
der  Beobachtungsort  aus  den  unmittelbar  vorhergehenden  oder  folgenden  Zeit- 
notierungen zu  erkennen. 

»)  Bl:  1767.  *)  Bl: 


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Das  I.iwa  Haleb  (Aleppo)  tind  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  535 


Zeit  | 

Höhe 
in  Meter 

j Zeit 

1 

Höhe 
in  Meter 

25., 

!lo. 

I 6 

440 

2 3<» 

621 

f 1 5 

957 

„ | 

I I *3 

1047 

3 6 

838 

12  0 

1440 

320 

1 

901 

I 2 *4 

1535 

348 

991 

12  44 

1468 

ij  4 ° 

«°35 

I 5o 

1480 

■ 418 

966 

2 20 

1632 

j 4,4  ■ 

790 

3 14 

1636 

330 

, *55° 

29 ./ 

1 

'10. 

3 38 

1544 

737 

732 

3 54 

«4«3 

8’s 

75« 

4T4 

1147 

8 J4 

685 

430 

867 

j 

5 a 

775 

30. 

10. 

28. 

10. 

63» 

685 

95’ 

408 

93« 

656 

10*9 

332 

10  8 

716 

10  3° 

344 

io 

490 

12  19 

335 

II 31 

53« 

12  *8 

356 

I 2«» 

456  j 

I 2*7 

374 

12  40 

374 

3>- 

10. 

125° 

397 

7 • 

434 

I 0 

415 

5 35 

565 

Zeit 



Hohe 
in  Meter  | 

Zeit 

Hohe 
in  Meter 

i./ll. 

I 35  ! 

497 

730 

7 

405 

342 

2 5« 

33*  | 
345 

447 

424 

416 

IO  » 

4« 

450 

336 

3S4 

433 

390 

426 

4”  1 
4 35  ; 
448 

375 

400 

483 

95ä 

10. 

432 

11. 

95» 

666 

954 

418 

8 ./■ 

11. 

12  5« 

450 

1*3 

557 

« 3 
4" 

469 

55° 

I ■* 

648 

4*9 

637 

143 

73« 

4 4» 

508 

2*5 

884 

81» 

660 

3 38 
3« 

670 

65« 

9-,« 

83. 

3 47 

638 

84» 

395 

4 1 

613  | 

s 35 

S«° 

4,3 

587 

IO./I. 

8r 

57°  1 

2 30 

575 

9 •/ 

I I. 

I I./I. 

12  0 | 

525 

3 0 

«85 

12  35 

502  i 

3 8 

«53 

I '* 

479 

io_£ 

126 

Bemerkungen  zu  der  Karte. 

a)  Zu  der  Hauptkarte:  Das  Vorkommen  desselben  Namens  bei 
verschiedenen  benachbarten  Ortszeichen  erklärt  sich  durch  das  zu  bi 
41  Bemerkte;  in  einigen  Fällen  werden  die  Ortschaften  gleichen  Namens 
vom  Volk  als  oberes  und  unteres  unterschieden  sein,  wie  wohl  die  zwei 
karkytt  H 3.  — Von  den  Höhenangaben  sind  nur  die  wichtigsten  in  die 
Karte  aufgenommen.  — Die  Zeichnung  der  Grenzen  mufste  naturgcmäfs 
meist  eine  mutmafslichc  sein;  einiges,  das  unwahrscheinlich,  zeigte 
sich  erst,  als  die  Karte  fertig  vorlag;  s.  die  S.  172  Anm.  2 für  die 
Grenze  der  Wilajets  Adana  und  Haleb  vorgeschlagenen  Änderungen. 
— Im  einzelnen:  B6  nähr  el-'as,  sehr.:  nähr  el-‘äs.  — C 6 war  der 
westliche  Teil  des  dschebel  mär  sim'än  mit  dem  Sondernamen  dschebel 


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586 


Martin  Hartmann: 


mghairün  zu  bezeichnen,  s.  zu  sw  8.  — D 4 die  Ziffer  6jo,  welche  die 
Hohe  des  Bailän-Passes  bezeichnet,  ist  in  671  zu  verwandeln.  Dieses 
ergab  sich  aus  der  Berechnung  der  am  22. lg.  84  gemachten  Notierung 
und  steht  der  682  der  Nebenkarte,  Plan  der  Kunststrafse,  sehr  nahe. 
Zu  hoch  ist  sicher  die  728  von  KK  und  die  730  der  Karte  zu  Bl.  — 
CV  4 iskan,  sehr,  ischkan  nach  I 11.  1.  nh4om.  — H 2 ist  tellelik  kahu 
nach  I 30.  10.  3h  27™  ca  45">  SSO  von  zttünek  einzutragen. 

b)  Zu  der  Nebenkarte:  Plan  der  Kunststrafse  Iskcnderun- 
Haleb.  Die  in  den  Jahren  1882:83  auf  Betreiben  des  energischen 
Walis  Dschemll  Pascha  trotz  des  unverständigen  Widerstandes  der 
Bevölkerung,  namentlich  der  fanatischen  Notabein  von  lialeb,  gebaute 
Kunststrafse  isktnderün - haleb  erwies  sich  sehr  bald  als  ein  gänzlich 
verfehltes  Unternehmen.  Um  nicht  weniger  als  ca.  50  km  länger  als 
die  alte  Karawanenstrafse,  bot  sie  den  einzigen  Vorteil,  dafs  sie  fahr- 
bar war,  und  dafs  auf  ihr  der  im  Winter  oft  gewaltig  angeschwollene 
nähr  'afrtn  zu  jeder  Zeit  auf  einer  stattlichen  Steinbrücke  passiert 
werden  konnte,  während  bei  Hochwasser  die  Karawanen,  die  die  alte 
Strafse,  gewöhnlich  Strafse  von  turmanln  genannt,  benutzten,  oft  tage- 
lang liegen  bleiben  mufsten.  Die  Steinbrücke  wurde  ein  Jahr  nach 
ihrer  Einweihung  zum  Teil  von  den  Fluten  weggerissen,  das  durch 
Holz  ersetzte  Stück  bald  von  böswilliger  Hand  in  Brand  gesteckt;  ist 
es  auch  wieder  erneuert,  so  bleibt  die  Strafse  doch  fast  ganz  unbe- 
nutzt; obwohl  die  Regierung  jährlich  6000  I,.  tq.  = 112  000  Mark  für 
Reparaturen  ausgegeben  haben  soll,  ist  sie  gänzlich  verfallen.  In  der 
schlechten  Jahreszeit  soll  sie  durch  den  tiefen  Schmutz  noch  unweg- 
samer sein  als  der  Karawanenweg.  Die  Gelder  für  Reparaturen  waren 
ein  willkommener  Bissen  für  die  Taschen  einer  ganzen  Anzahl  von 
gros  bonneis,  aber  der  Skandal  wurde  schliefslich  zu  arg,  und  wie  die 
Beiruter  Zeitung  Al-Bachir  [el-beschlr]  vom  2.  Mai  1894  meldet,  hat  sich 
die  Regierung  entschlossen,  die  mit  grofsen  Kosten  gebaute  Strafse 
aufzugeben  und  weiterhin  Mühe  und  Gelder  der  turmamn-  Strafse  zu- 
zuwenden. Übrigens  ist  die  Frage  dieser  Strafse  nur  noch  etwa  für 
ein  Jahrzehnt  von  Bedeutung,  denn  die  Sociöt£  Ottomane  des  chemins 
de  fer  de  Svrie  et  de  l’Euphrate,  welche  voraussichtlich  bis  ca.  1000 
die  Eisenbahnstrecke  Damaskus — Aleppo  - Biredschik  herstellen  wird, 
hat  für  alle  Linien,  die  diese  Linie  mit  der  Küste  verbinden,  den  Vor- 
tritt.  Unter  diesen  Verbindungslinien  ist  aber  die  Aleppo — Alexan- 
drette  die  wichtigste.  — Winckler  läfst  in  seinen  Altorientalischeu 
Forschungen  I die  assyrischen  Könige  bei  ihren  Kriegszügen  nach  dem 
Lande  unfn  eine  grofse  Heerstrafse  ziehen,  deren  Richtung  von  ihm 
offenbar  nach  dieser  türkischen  Chaufsee,  wie  sie  in  KK  eingetragen 
ist,  beschrieben  wird.  Es  ist  aber  sicher,  dafs  die  türkische  Tracc 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  537 

sich  in  keiner  Weise  an  irgend  eine  frühere  Strafse  anschliefst,  und 
die  Vermutungen  für  den  von  den  assyrischen  Heeren  genommenen 
Weg  sind,  soweit  sie  sich  auf  den  ganz  modernen,  höchst  ungeschickt 
angelegten  türkischen  Strafsenbau  gründen,  hinfällig. 


Abkürzungen: 


I 

= 

Teil  I:  die  Wege;  die  Zif- 

L  = 

Ortslisten  (s.  S.  144). 

fern  beziehen  sich  auf  die 

Lt  = 

Lateiner  (röm.-kath.) 

Reisetage. 

M = 

arabisch  sprechende  Mus- 

A 

= 

Orthodoxe  Armenier. 

lims. 

AK 

= 

Katholische  Armenier. 

N = 

Norden  und  Nussairier. 

AP 

= 

Protestantische  Armenier. 

n = 

Nahije. 

B 

= 

Beduinen. 

O = 

Osten 

c 

— 

Tscherkessen. 

P = 

Protestanten. 

H 

= 

Häuser. 

R = 

Rüm  (Griech.-Orthodoxe). 

I 

= 

Ismaelier. 

RK  = 

Rüm  Kätülik  (Griechisch- 

J 

= 

Juden. 

Katholische  oder  Unierte). 

Jak 

= 

Jakut. 

S = 

Süden. 

J* 

= 

Jeziden. 

SH  = 

sd/ndme-i-fidleb,  d.  i.  offi- 

K 

- 

Kurden. 

zielles  Jahrbuch  über  das 

k 

= 

Kada. 

Wilajet  Aleppo  (s.  S.  144). 

KH 

= 

Kiepert,  Hausknecht’s  Rou- 

T  = 

Türken. 

ten  im  Orient  I und  II. 

TB  = 

Tagebuch. 

KJ 

= 

Hanna  Karajusuf  (s.  ku  A). 

Tm  = 

Turkmenen. 

KK 

= 

Kiepert’s  Karte  zu  Humann 

W = 

Westen. 

Puchstein,  Reisen  in  Klein- 
Asien  und  Nord-Syrien. 

Z = 

Zigeuner. 

Abkürzungen  de 

r N ahije-Namen. 

af 

= 

a'zdz-i-felldb. 

kr  = 

karamurf. 

am 

= 

‘amkl 

ku  = 

rl-ku}air. 

at 

= 

a'zdz-i-turkmdn. 

mf  = 

mrnbidseh-i-f ökdnl . 

az 

= 

arstiz. 

mu  = 

müsäbekli. 

bc 

= 

baildn. 

ok  = 

oktschu  ‘izzcddmlü. 

ca 

= 

chdffa. 

ri  = 

er-rlkdnljc. 

da 

= 

dschawar  anfdkija. 

sa  — 

schaichlar. 

de 

=3 

dtrküsch. 

si  = 

schikdghy. 

do 

= 

dschöm. 

= 

dschisr  esch-schughr. 

is 

= 

iskenderün. 

S7V  = 

es-nvidlje. 

kl 

= 

kal'at  el-madlk . 

Zeiuchr.  d.  Ct*cll«ch.  f.  Erdk.  R.i  XXIX.  30 


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538 


Martin  Hartmann: 


Erklärung  arabischer  und  türkischer  Gattungswörter,  welche  m 
Eigennamen  und  in  dem  Reiseweg  häufig  Vorkommen  : 


‘ain  Quelle. 
bei  Hochpafs. 
böjük  ( büjiik ) grofs. 
chirbe  Ruine. 
dagh  Berg,  Gebirge. 
die  hebet  Berg. 
büjiik  Hügel. 
haha,  kale  Burg. 

hasfal  Brunnen  (s.  S.  160  Anm.  r). 
keblr  grofs. 

honah  (Konak)  Rastort;  Regierungs- 
gebäude. 
kütschük  klein. 


nähr  Flufs. 

saghlr  {zag/nr ) klein. 

fu  Wasser. 

teil  Hügel. 

tepe  Spitze,  Pik. 

foprah  (Toprak)  Gebiet. 

tschai  Flufs. 

tichiftlik  Gehöft ; wenn  allein- 
stehend = kaiserliche  Domäne. 
wddi  Thal. 

zijetra  (ar.),  zijäret  (türk.)  Heiligen- 
grab, Wallfahrtsort. 


HL  Alphabetisches  Verzeichnis  der  Namen  der  Ortslisten 
und  der  Karte. 


A. 

el-'abadschhje  is  14 

el-' abbar a da  19  C 5 
'abbdslje  do  20 
Abidon  hüjüjü  H 2 
abrdf  am  14 
abu  ke'lbe  ( abu  ha'be)  do 
74  G 4 

achtertn  af  39  K 4 
achras  oghlu  obasy  s. 

mahmudh  ri  47  F.  4 
adamanly  ca  15 
adar  su  50 
'adtsler  mu  49 
el-'adilllje  C 5 
'adschär  ( adscher ) at  1 7 
K 2 

'ad sc  har  mf  45 
el-'a/fijr  hu  6 D 6 
ägh  alma  (Q)  F 1 
ägh  o/uh  (ö)  R 5 

aghburhän  af  42 
aghdschalar  ca  1 1 


aghdschällje  az  3 B 4 
aghdsche  kend  mu  33 
aghdscherün  hu  1 5 
agho/uh  is  18  D 3 
aghpuiiar  (‘ ain  el-hlda) 
r<  37  F 4 
aghtepe  J 2 
agh/schai  A 5 
aghtschai  is  5 D 3 
el-ahmcdhje  s.  hadschi 
ahmcdli  az  7 B 4 
ahrez  af  25 
‘aidljit  el-fohänl  sw  15 

c 5 

el-'aidljit  et-tihtdnje  sw 
40  C 5 

'ain  cl-blda  K 3 
'ain  cl-blda  s.  aghpuiiar 
ri  37  F 4 

'ain  et-bunduh  su  55 
'ain  dahni  af  18  J 3 
‘ain  darb  el-maghära 

( Q ) b4 


‘ain  dschämüs  da  1 8 C 6 
'ain  el-dschezzdr  (Q)  C 5 
‘ain  füwdr  hu  61 
'ain -i- badschar  am  16 

G3 

'ain  el-bardmlje  C 3 
‘ain  el-baur  su  26 
‘ain  el-keblre  (Q)  D 7 
‘ain  es-semeh  D 4 
‘ainisläs  hu  78 
'airendschlje  ri  21  E 5 
airykanny  J 2 
‘ahabe  mf  12 
akbar  s.  ehber  az  10  B 4 
Ahhaja  F,  3 
el-'dhhje  sw  17  C 5 
ala  göz  F 1 
alachän  kr  3 1)  5 

alaj  blkli  be  6 
'alaijcddln  s.  ‘i/eddm  sw 

23  r>  5 

a Iahend  hu  70 
Alan  dagh  D 3 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bereket.  539 


A/atschdm  A 5 
a/hop  ( el-wuhdb ) az  2 
B4 

‘a/i  bazdnly  si  9 
‘a/i  keller  ob  3 G 2 
a/jdnly  mu  52 
almadagh  is  15  D 3 
älydschy  si  13 
a/yschly  ca  10 
AM KI F 3 4 G 3 4 H2/3 
d-'amkljc  bl  5 
‘amfed  de  4,  ku  64  E 7 
‘dn  füwdr  (‘ ain  füwdr ) 
hu  61 

'andb  af  10 
‘anaddn  ] 5 
‘andz  K 2 
‘ ander  ijc  do  53 
and!/  ogh/unuii  adasy 
G i 

‘anga/a  F 4 
‘anfO  hu  20  E 6 
an/äkija  ( an/abi ) C 5 
‘arab  deresi  is  20  C 3 
‘arab  dschemmdse  D 4 
‘arab  dschimmdse  E 4 
‘arab  hüjiigü  mf  52 
‘arab  baramurf  (Jkara- 
murf)  br  4 D 4 
'arab  Ören  J 2 
‘arab  schammar  de  11 
'arab  tschift/igi  (i Uhr  d- 
‘arab)  az  4 B 4 
'arab  uschaghy  ca  29 
‘arab  uschaghy  ob  19  G2 
‘arab  wlren  mf  20 
‘arabchän  br  11 
‘arabgedih  a:  27  B 4 
‘arhüb  s.  ‘öpiilo 
armla  su  28 
armudscha  J 2 
arpa  besmez  at  33 


arpahje  ( arpaly ) ri  42 
E 3 

arschi  bibar  H 3 
ARSÜZ  A 4 5 B 4/5 
C 4'5 

arsßz  ( el-baba ) az  t 4 B 4 
arzab  mu  66 
‘arscha  wabibdr  do  2 

H3 

Asardede  E 2 
aschaghy  bürhanly  sa  2 
d-aschbar  is  6 D 3 
'af/dn/y  sa  42 
dtyb  höji  be  12  D 3 
el-'awdblje  br  2 C 5 
a'zdz  (‘azez)  af  1 J 3 
A'ZAZ-  I-  FELLAH 
H 3/4  J 3/4  K 3 4 
A'ZAZ-I-  TL  RKMAN 
H 2,3  J 2/3  K.  2/3 

B. 

bäb  bü/us  D 5 
bdb  ei-hadld  D 5 
bdbatrün  ku  27 
bdbetra  hu  34 
bäbu/ll  (bah/i/)  do  51  G 4 
bachschm  ( bichschln ) hu 
1 E 5 

ba'din/i  sa  5 
baghlama  G 1 
baghlytscha  is  19  D 3 
baghräs  s.  babrdf  D 4 
baghlsche  oh  6 
bahjdsün  {besun)  su  24 
el-ba/tra  D 4 5 E 4 5 
bahudr  af  5 
ba/nvar/a  ( ba/twir/e ) af 
47  K 3 

baijira  ( el-bai/rd ) ku  40 
BAILAX  C 3/4  D 3/4  | 
bai/dn  ( be/eh ) be  1 1 I)  4 


babrdf  (baghrds)  be  3 

D4 

babsdnüs  [bubs.)  ku  25 

D 6 

balihli  mu  40 
Ba/Iyb  G 2 
bä  ly  obasy  ob  25  II  1 
banastür  H 5 
bardghl/l  at  56 
barbarün  {berberün)  sw 
22  C 5 

el-barränljc  su  37 
leärüda  af  36 
basch  maghara  mf  38 
baschköj  J 5 
bäschirbe  ku  63  D 6 
bäsibbe  ku  62 
baff  cl-liaijc  do  68 
bdsüt  do  5 
el-ba/rabin  s.  bedreke 
kr  6 D 4 

bdub  ( bdwub ) mu  60  H 2 
bäwerde  (=  toprab 
hifdr?)  ku  1 Xi  6 
bdäma  su  20 
hdembfl  ku  4 
d-bedrehe  s.  d-ba/rak/n 
kr  6 D 4 
begh  O/u'u  F 1 
behädürli  mf  30 
bljik  bejen  höji  G 2 
bekbdschi  H 5 
bekdäsch  Ogh/u  mu  10 
bekere  21  J 2 
bekfela  su  3 
beh/esch/i  E 3 
blkö  obasy  ok  2 
bikölar  mu  71 
d-bcbrlje  su  19 
bekwe  az  29  B 4 
bllan  böj  am  11  H 2 
bdangoz  su  36 
36* 


540 


Martin  Hartmann: 


beltka  af  54 
beleb  s.  bailän 
beUramUn  ( be/leramun ) 1 

J 5 

bellük  mf  48 
belmls  su  5 
belürfek  si  10 
berbend  ok  23 
berberün  s.  barbarün 
berdlje  ku  41 
berkdsch  ok  9 
blschdnli  mf  41 
litschik  tepe  J 2 
beschlämün  su  7 
besi/ko  sa  40 
bestti ? su  56 
bes/lka  ku  35 
bifün  ku  77 

liesün  s.  bahjdsün  su  24 
bi/  el-chardb  da  14 

btt  ej-mtl  C 6 
btt  el-mufti  is  24  C 4 
bt/arli  ri  33  E 4 
el-bi/arllje  kr  9 
bey  koji  az  8 
bezga  B 7 

bichschln  s.  bachschln 
bijänö  ( bijanum ) J 5 
bir  lu'me  H 5 
el-birak  ( jenischehir ) F 5 
birimdsche  do  62 
birindschlik  is  21  C 4 
bi/ja  de  2 

bi/jas  ermenl  sw  4 Fi  5 
bitjds  el-brOleslant  sw  5 

B5 

bitli  ‘a/i  D 5 
bitrln  ku  22 
boghäz  C 6 
bog  hä  z kerm  mu  72 
boghdziknir  su  47 
bozhujuk  ku  9 


brhind  E 6 
bsendtna  de  8 E 7 
b/t/In  ku  21  0 6 
b/tbdt  su  48 
budschak  az  23  A4 
el-bughdadtje  da  10  C 6 
biijluk  C 4 

büjiik  burdsch  ku  37  O5 
Biijük  Damryk  G 2 
biijük  kardem  mu  20 
biijük  karkyn  am  17 
Büjiik  Ka/yranlyk  G 1 
büjiik  oba  do  39 
büjük  sdbt'kan/y  ok  10 
büjükdere  is  25  C 3 
bülamadschly  ( büla - 
maschly)  ok  32  G 2 
bülbül  H 2 
bunt  D 3 

burdsch  weküffcr  do  6 
burdschke  H 5 
bustän  cr-rds  da  5 C 5 
bykir  at  55 

Ch. 

chai  Oghlu  mu  57 
chaimesekisi  <iZ  26  B 4 
chaimesekisi  fuju  A B 4 
t haino  ku  48  D 6 
chalfaty  wemyghcddin 
at  23 

chillidtjc  do  70 
challl-i-gülkäwl  am  22 
chaill  mursal  obasy  ri  28 
F4  ! 

chaill  ner  do  42 
chaill  ömer  uschaghy 
sa  22 

challek  uschaghy  am  6 
e/-r  halft  je  da  11  C 6 
el-chdn  ( murad  pascha ) 1 
ri  39  E 4 


chin  bairam  H 3 
el-channlje  s.  el-chinnlji 
charäb  ‘a/i  ri  17  E 5 
chardb  es-su/fan  E 7 
chardatinln  J 4 
charzdn  do  64 
chaskdn/y  mu  19 
chdffa  F 2 

chdtün  mezra'asi  mu  45 
chazijanly  do  29 
el-cheribe  E 7 
chidrblk  B 6 
chidrijdnly  ok  26 
el-chinntje  ( el-channlje ' 
sw  43  C 5 

chirbet  el-dschauz  su  29 
chirlsch  oghlu  mu  44 
chraibit  el-‘amüd  de  5 
chrlbe  (grebe)  H 4 
christijdn  ca  14 
chydschyb  Oghlu  mu  50 
chyrchaly  ca  5 F 1 
chyrlawuk  A 5 
chyrsyz  punary  ri  38 

F4 

D. 

däbik  af  53  K 3 
dagh/aghan  ri  19  F 5 
dahharyn  gedigi  D 3 
dai'at  esch  - schlch  s. 

schick  köj  ku  46  C 6 
daljdn  C 5 
daljdn  D 5 
damryk  tschertschilisi 
G 2 

darglr  do  44 
ddrit  ‘izze  G 5 
ed-dar'üzlje  da  9 C 6 
dauduh  obasy  sa  36 
Daz  dägh  C 5/6 
Daz  dägh  D 3 


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Das  Liwu  Ilaleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liw.i  Dschcbel  Berekel.  541 


dtdemii  ca  9 F 2 
dedemli  jailasynyrt  fuju 
E 1 

def tertiär  af  27 
dejirmtn  karschy  (‘amyk 
köjü)  ri  1 F 5 
dejirmtn  tschai  Gz  H 2/3  | 
dejirmtn  uschaghy  E 3 
dejirmtn  dertsi  D 3 
dekmidsche  ( dökmedsche ) j 
(degömdsche)sw  25  C5 
del(ta  0/31 
delhemi  at  9 
deli  ‘osman  ok  34 
de/i  uschaghy  E 3 
delihekirli  be  5 1)  3 
dth/sc ha i F 1/2 
demirdschlltr  mu  42 
demrek  ca  23  E 3 
ed-dtr  ku  26 
dir  el-dschmäl  (deir gerne  f) 

af  1 1 J 4 
dir  el-hawa  af  37 
dir  el-mäschta  da  6 C 6 
dir  muschmusch  do  71 
dir  siu'än  mf  44 
derc  bagh/sche  D 4 C 3 
dere  kuju  az  31  C 4 
derindere  kuUughu  D 4 
dtrlschu  s.  ed-derwlschtje  \ 
DERKÜSCHTt  7 E6/7 
dtrküsch  de  x E 7 
ed-dernlje  ku  76 
ed-derrtje  su  18 
derschln  H 5 
ed-dersünlje  da  1 C 6 
ed-derwlschije  ( dir  Istha ) 
da  13  C 5 

dikeli  dasch  (Säule)  D 5 
dikmc  lasch  ( dikmedasch ) 
at  58  J 2 
dirnlje  E 6 


rfd  l laidcran  mu  73 
dokatsch  gemrigi  mu  4 
dökmedsche  s.  dekmidsche 
do/an  F 1 
do/ek  at  10 
dös/dn/y  mu  68 
dschadschlje  du  1 7 
dsch'aidlje  (el-dschu- 
‘aidlje)  ri  1 1 D 5 
el-dschClnüdlje  su  2 D 7 
dschdrld  az  15 
dsthariz  ( dschlriz ) at  46 
DSCHA  WAR  - /-  /LV- 
7V1A7//1  C 5/6  D 5 | 
el-dschdfdc  su  34  D 7 
dschebeke  is  7 
Uschebel  el-abmar  A 4/5 
B 4 5 C 4/5 
Uschebel  e/-altra'  B 7 
Uschebel  arstiz  A 4/5 

B 4 5 C 4/5 

Uschebel  bereket  G 5 
Uschebel  karatschat 

C 5/6 

Uschebel  el-kurtlu  D 3 
Uschebel  Mdr  Sirn'än 
C 6 

Uschebel  Müsa  B 5/6 
USCHEBEL  SJM'AN 
G 4 5 H 4/5  J 4 5 ! 

Uschebel  et-tschenk  B/C  4 | 
el-dschedlde  sw  19  B 6 
Uschljren  tepe  J 2 
dschekke  at  24  K 3 
dscheleme  do  12  G 4 
dschemmas?  kl  2 
dschenld  ogh/u  obasy  ri 
54  K 5 

dschenldt>(lschinla)ku  29 
dschengtn  mf  42 
dscherddklje  ( ed-dsch .)  da 

2 ^ 5 


dscherdschik  mf  19 
el-dscherlrlje  sw  47  B 6 
dschtbenek  mu  18 
dschibrln  J 3 
dschilanly  be  2 
dschi/dschime  mf  33 
el-dschilhje  sw  32  B 6 
dschinderls  (dschindarts) 
do  76  G 4 

dschindilij  ( dschindallje ) 
ku  79 

dschinni  punary  F 1 
dschisr  dschanbuläd  E 5 
dschisr  ei-hadld  ku  3 E 5 
dschisr  hannd  C 5 
dschisr  el-meksür  ri  9 
E 5 

dschisr  mur ad  pascha  E4 
USCH1SR  ESCH- 
SCHUGHR  C 7 
D 6,  7 E 7 

dschisr  esch-schughr 
(dschisr  -i-schughür) 
su  1 D/  E 7 

USCH  OM  F4  5 G 3/4/ 5 

H3/4 

el-dschu' aidlje  ri  1 1 D 5 
dschubb  {Br)  C 6 
dschudtdc  do  48 
dschüme  ku  59 
dschywyk  do  43 
düddn  (düderi)  at  22  K 3 
dtidlrli  fokdni  si  3 
dttdtrli  la/i/ani  si  4 
dü mal  ku  72 
dümbü/lü  sa  1 
dümbül/ü  mu  2 
duraklar  ca  4 Fl 
durmuschkan/y  am  25 
cd  - duwaibik  ( toipuk ) 
at  19 

dUuän  do  15 


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542 

duwlsdt  de  13  E 2 
ed-dwtr  da  & C 6 

E. 

edsche  punar  ca  28 
ijlen  mf  50 
ijrl  kana  mf  13 
ijributschuk  ca  19 
ekber  s.  akbar  az  lq  B 4 
EKBEZ  E 1Z2  F 1/2 
G I h 

ekiz  köprü  B 5 

ekiz  oghlu  obasy  ri  62 

E 4 

Ekiz  tcpe  B 5 
ckiz  uschaklar  s.  el-kehra 
tlberdn  mu  31 
llldscha  te  L!  D 5 
tmlr  Hatsch  mu  13 
cndewi  f«  D 4 
engczik  su  15 
trende  am  24  G 3 
ermendscho  ku  $2 
erzghän  fokdni  su  33 
erzghän  taHtdni  su  49 
eschek  kuju  fokdni  mu 
43 

eschek  kuju  taHtdni  mu 
36 

eschref  af  56 
esendsche/i  H 1 
el-eskele  sw  46  B 6 
el-ezüje  kr  1 C 5 

F. 

et-fdchüra  B 6 
fdfln  af  30 
fartys  is  2Ä  C 4 
el-fasük  E 2 
el-fälklje  Afrika)  ku  31 
D 6 

faftum  puhary  (Q)  B 5 


Marlin  Hartmann: 

I fefertln  H 5 

| el-fenk  (Q)  B 4 
el-fenk  ku  33  D 6 
ferferlje  G 4 
el-ferferlje  ku  £7  D fi 
flridschei  mu  8 
ferlse  mu  22 
ferzala  ku  18 
feztje  ( fezzlje ?)  at  (12 
el-filht  da  lö  C 5 
firdschan  de  \ 
firri  de  6 
firri  ku  23 
fizge  mu  25 
el-fraijke  su  lq  D (l 
frendschar  ku  42  D 6 
frlrl  do  i_i 
frlrik  sa  39 
fyndykly  C 4 
fyndykly  deresi  C/B  4 
fyrnyz  jailasy  C 4 

G. 

Gedik  zitin  J 2 
gedikmaidan  G 2 
geldnll?  am  2 
gemruk  si  13 
gerin  udschaghy  F I 
getscherktn  su  41 
gewsün  sa  12 
srhilb  el-Hämda  E 5 
ghdb  kasan  uschaghy 

E All 

ghai/ün  af  34 
ghdm  su  42 
ghazzdwlje  do  2 G 5 
ghurür  af  45 
gjaurkoi  su  45 
Gjaurli  baghli-  diigh  J 2 

1 gidridsch  at  4 
göbelek  si  23 
gögddsch  at  L2 


gögdsche  oghlu  obasy  n 

11  E3 

gogdschegüz  ku  14 
gij  rnidän  ( gOmaiddn ) 
<J2  13  B 4 

göjdschebel  az  30  C 4 
göjdschebel  is  13  D 3 
gök  tnüsa  mu  12 
gölbäsch  kr  j 
gölbasch  ri  40  E 3 
Gö/ddghy  V 1 
Gölgawan  tepe  H 2 
göljanly  sa  26 
gOmaiddn  az  13  B 4 
gömisch  deresi  H 2 
gömmadscha  B C 5 
gSmmit  F 3 
gönnen  tschai  C B 4 
grlbe  s.  chrlbe 
gül  puhar  ca  lS 
güldschihdn  (Q)  B 4 
gület  es-sulfdnlje  D 5 
gümüsch  sa  8 
gunde  sa  32 
gündüz/ü  D 3 
güzel  burdsch  sw  14  D 5 
el-güzelllje  is  29 

H. 

el-hababltje  s Hadschi 
liababll  sw  3 B 6 
habesind  mu  48 
habse  at  16  K 2 
hädsch  hasanly  do  63 
Hadschi  ahmedll  (et- 
ahmedllje ) <u  2 B 4 
Hadschi  bdkir  de  IJ  D J 
Hadschi  bildt  am  23 
Hadschi  challl  oghlu  sa 
20 

Hadschi  Hababh  (el- 
Hababhje  sw  3 B 6 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebc)  Berckel.  543 


(uidschi  hasan  agha 
tschiftligi  E 6 
t tadschi  iskender  do  19 
F 4 

(tadschi  hdsymly  ok  18 
l uidschi  köj  mf  26 
(tadschi  mursal  obasy 
(tschakal  (cpc)  ri  6 E 5 
hadschi  mftsa  ok  15 
hddschi  pascha  su  51 
HADSCHILAR  E 2/3 
F 23 

hadschi/ar  ca  16  F 2 
hadschilaryn  tschaijy  F 2 
hadschilcr  do  1 3 
ha/t  cl-haumz  B 6 
ha  tja  m ly  ok  13 
haima  tschynar  L)  3 
hatr  dschdmOs  E 5 
haiwa/y  is  30  C 4 
haleb  J 5 
holender  am  21 
ha/lfa  af  32 
haltanly  F 1 
el-hdmda  ri  65  E 5 
hamtlik  do  57 
hamldtjc  s.  sur 
el-pammdm  B 6 
el-hammäm  ri  25  F 4 
hamschclck  ok  22 
el-hamüschtje  su  27 
harbele  do  66 
el-harblje  da  7 C 5 
(tardsche/e  ( wesdwa ) at 
20  K 3 
har  ehe  do  25 
HAR  IM  E 5/6  F 5 6 
härim  E 5 
hantan  J 5 
har  stk  mu  1 1 
hasan  biillii  ri  22  E 3 
hasan  gü/kdwi  sa  6 


hasan  uschaghy  obasy  ri 

•3  ES 

(tasanderli  am  12 
hasebdsche/i  G 2 
hasendscheli  ( esendscheli ) 
ok  14 

hafer  ok  27  G 2 
Hasgara  (Grab  des) 

F 2 

ha  sin  af  31 

ha'Ut  ( hdwüt ) is  22  C 4 
(tamvdr  at  32 
hauu’dsch  kl  4 
hautdr/innahr  af  55 
hekdsche  F 4 
hetja  ku  58  D 7 
hikr  el-  'arab  arab 
tschiftligi)  az  4 B 4 
hipkanly  sa  1 6 
hopunun  tschaijy  F 1/2 
el-hstntje  sw  30  J 5 
hiijük  (1 et-tell ) az  6 B 4 
/tu tibi  si  1 7 

humlll  ( humtla ) at  54 

K3 

hürü  pighamber  II  2 
husen  Oghlu  mu  39 
hütenildt  ( hutmitel ) af  49 
K 3 

el-ftwaiz  kl  3 


jaghla  E 7 
ja  hm  ul  at  47 
jdidschi  mf  3 1 
jaila  D 3 

jäjyladschüh  ( el-jailad - 
SChu(t)  S7V  28  C 5 
jdhit'ades  H 5 
jahto  da  3 C 5 
el-ja'kübije  su  33  D 7 
ja/angoz  do  26 


janar  dasch  C 4 
jarlyghan  D 5 
■ jafdydscha  mf  24 
ja  tag  hd  n mu  27 
el-jdzlje  B 5 
el-jäzür  B 6 
jäzy  btlgh  at  50  J 2 
jelbaba  at  38  K 3 
jeüi  japan  ri  59  F 5 
jetii  japan  ca  6 F 1 
[ jeni  japan  at  25 
jeni  schehir  s.  el-birak 
jeniköj  F 4 
, igde  at  34 
iki  achor  do  61 

' 

ikl  dam  mf  17 
liizdsche  do  23 
‘i/eddln  (‘ alaijeddln ) sw 
23  D 5 

illizi  baghtschesi  J 2 
‘imddly  am  15 
indschirli  sa  12 
jOghun  uluh  ( el-ghuUuh ) 
sw  2 B 6 

jo/cary  kürkanly  sa  3 
G 2 

i joluhlar  ca  3 1 
fonaspfeiler  D 3 
ischidni  gharb  do  24 
ischkäni  schar h do  31 
ischtebrah  sa  13 
el-ishdhlje  su  53  D 7 
iskdn  do  10  G 4 
ISKENDER  UH  C 3/4 
D 3 E 3 

iskender ün  is  2 C 3 
ISLA  HI /E  E/F/G/H  1 
ismd'lldschikler  mu  29 
cl-ismä'lltjc  da  12  C 6 
juwaly  ca  24 
jylannedsche  mf  4 
‘izmcnn  de  12  E 6 


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I 1 


544 


Marlin  Harlmann: 


K. 

haha  (el-kabn)  az  14  B 4 
el-kabahhje  sw  7 1!  6 
el-kdbUslje  {hebst)  stv  29 

B 6 

habyrtyh  B 6 
hadrianly  G 2 
kafer  petra  (—  kefer 

partscha?)  G 4 
kafermes  (—  hefermiz) 

H3 

kahr  kelbln  af  43 
kaja  baschy  F 1 
haihun  su  54  D 7 
el-kaile  ri  31 
kairak  is  16  D 3 
halla  su  10  G 2 
el-kal'a  H 2 
el-kal'a  A 5 
e/-ha/‘a  B 6 
el-hat'a  D 4 
kal'adschik fokdni  mu  32 
kal'adschik  tahtdmmu  24 
hal'at  el-hufair  ku  50 
hal'at  el-madlh  kl  1 
kal'at  esch-schughr  D 7 
hal'at  sim'dn  G 5 
hal'at  ez-zau  C 6 
haldnis  (huldnis)  ku  7 1 
halt  ddghy  ri  3 
hämdn  mu  30 
el-kamberltje  ri  61  E 4 
hanadschyh  mf  1 1 
>l-hanje  J 3 
hanfara  at  13 
hanfara  oh  21  G 3 
hapulu  E 1 

hara  aghdtsch  is  1 C 3 
kara  ahrnedh  F 2 
hara  ahrnedh  (je)  ri  4 

ES 

hara  göz  az  q 


hara  hiijüh  ri  1 4 K 5 
hara  busain  ( Lira  hü- 
züllii)  is  4 C 3 
hara  jawasch  mf  22 
hara  ismd'll  mu  5 
hara  kSpri  a!  21 
hara  kuju  at  52 
kara  hurt  hulaghy  si  1 9 
hara  hyl  mf  27 
hara  me/ik  mf  6 
hara  mezra'a  ( hara  me- 
zere)  at  64  K 3 
hara  fahal  mf  35 
hara  tepe  si  21 
hara  tut  mu  34 
kara  uschaghy  F 1 
harabdbil  (harababa)  sa 
38  G 2 

Karababa  ddghy  G 2 
karabaschlar  do  34 
harabdschah  (Hafen)  B6 
Karadasch  ddgh  ) 2 
haradormuschltje  s.  ko- 
jundschtje  ez  - zaghlre 
har  ad  sc  ha  ören  at  14 
harafahly  ca  13 
harafahly  ca  26 
haragöl  A 5 
karagöl  D 5 
haragöz  at  5 
Karahüsünlü  tepesi  C 4 
harajdyply  ca  1 2 
haraklise  B 5 
haraküsl  C 6 
el-harallje  kr  10  C 5 
haramaghdra  E 3 
harametli  (hara  afimed/i) 
ca  8 F 2 

KARAMURT  C 4 5 
D45 

haramurf  s.  ‘arab  hara- 
murf 


harasltmanli  ri  10  E 5 
harafu  (nähr  harafu) 

G 1/2  F 2 3 E 3 4 
Karatepe  B 5 
haratschai  az  21  A4 
haratschor  C 6 
harbejdz  mu  63 
harbijdz  ( hirbjds ) ku  56 
D 6 

el-harje  da  4 C 6 
harkür  su  9 
harhyn  H 3 
harlyh  tepesi  C 5 
harnabe  J 2 
harfO  ku  36  D 6 
Kar/alalay  C 5 
harynyhara  be  8 D 4 
hasch  uschaghy  am  9 
el-kaschmar  ( kaschmar ) 
is  28  C 3 
el-has(al  ri  66  F'  5 
hastal  mu  7 
ka  s fön  su  12 
hafma  af  4 H 3 
hdtyranlyh  ca  25 
haukard  is  12  D 3 
kazal  uschaghy  ca  7 F 1 
hazandschih  A 5 
Kazyhly  C 5 
iebse  s.  el-kdbüslje 
ke'lbc  af  44 
kefer  bafra  do  52 
kefer  ghanl  at  35 
kefer  kelbln  at  53 
kefer  miz  (kafermes)  s, 
22  H 3 

kefer  partscha  at  40 
kefer  rabtm  at  65 
kefer  rüm  si  18 
kefer  fafra  do  79 
kefer  schll  do  40 
kefer  tschüsch  at  41 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschcbel  Bereitet.  545 


kef erdete  da  37 
kefiz  mf  49 
ktfr  ‘tlbid  ku  43  1)  6 
kt  fr  antün  (küfr  allein) 

af  *5  J 4 
ktfr  chdschir  af  17 
kefr  fiüm  E 5 
ktfr  ndjd  af  23 
kefr  ndfifi  af  24  J 4 
kefrbaslm  H 5 
kefre  af  51 
kefrendsche  su  23 
kefrenne  E 5 
kefrztd  do  9 
el-kehra  ( ekis  uschaklar) 
ri  45 

kehr ts  mf  36 
keldlrän  sw  44 
Keljandschyk  B 5 
ke/kümen  H 1 
keller  C 7 

kthadsthuk  ( keslcdschuk ) 
sw  11  C 5 

kenisa  Snü  (kilse)  az  1 1 B 4 

Ktreschir  dägh  H 2 

kerkib  D 3 

ktrküd/ü  F 1 

kersen  ( kersan ) du  47  H 4 

ktschik  kürzet  am  20 

kesehkenU  ku  24  I ) 6 

kes/edsehuk  s.  kelsadschuk 

kesrlk  (kt senk)  az  1 B 4 

kesten  su  6 

ketnn  su  46 

kewkäf?  do  45 

kezdbresch  G 2 

kt zd  re  H 2 

kfer  fakab  E 6 

kferdebbln  E 7 

kf erklär  su  14 

kiff  ln  af  22 

killiz  (klls)  J 2 


el-kilse  s.  kenisa  Snü  az 
11  B 4 

kinidja  su  22 
kip/dn  af  40 
kirbe  do  78 

kirbjdz  (karbijäz)  ku  56 
D 6 

kisär  af  60 
plaidln  kl  6 

k/aizän  (kllzän)  ku  68 1J  6 
klls  s.  killiz 
el-knaije(el-knljt)de  1 3 D7 
el-kntbrtj  ku  39  D 6 
knlsel  en-naehle  su  38 
knlsel  es-saijide  B 6 
ködakö  sa  7 
kodscha  obasy  ri  57  E 5 
kodschalar  mu  28 
ködschaman  do  32 
kodschanly  ok  33  G 2 
kodschanly  deresi  G 2 
kodschik  si  25 
kojundschljc  el-keblre  r/48 
kojundschlje  ez-  zag  hl re 
(karadormuschllje)  ri 
49  E 4 
kökebe  do  50 
komur  Isehukuru  az  19 
u.  kr  8 D 4 
kör  afimed  hiijügü  mu  26 
kor  deresi  (korderes)  sw 
33  B6 

Kör  oghlunun  geri  F 2 
körmtn/inin  gedigi  E 3 
körlük  si  24 
käse  afimed  oghlu  obasy 
ri  69 

kösejdnli  sa  43 
kn/an/v  am  7 H 2 
kölen/i  am  8 
kölü  göl  D 3 
kölüköj  ri  24 


kosdsehughaz  mu  23 
el-krdkslje  sw  10  C 5 
krüm  mf  1 

kubäb  ( el-kubaib ) ku  75 

D 6 

küfr  fata  ri  36  E 4 
kuju  deresi  J 2 
ku/dnis (ka/dnis) ku  7 1 E6 
külgüman  ok  29 
kül/ü  dschibrin  af  19 
kulsurudsch  af  33 
küllün  D 2 
künah ? ca  22 
kundsehur  oghlu  obasy 
ri  70  E 3 
kunlfara  at  2 
kürdn  do  27 
kürdn/y  sa  27 
kürd  bdgh  az  16  B 4 
Kürddäghy  G I lz  '3  H 1 /2 
j Kürd  geri  F 1 
Kürd  jüsuf  F 2 
j kürd  ndfir  ri  43  E 3 
kurdo  obasy  ri  56 
kur dsch  oghlu  ri  27  F 4 
küredschi  ca  20  E 2 
kürkän  do  35 
\ kur ne  ok  1 1 H 2 
el-kurrlje  ku  74  D 5 
kurfbil/O  ku  47  D 6 
kurt  ku/aghv  si  20 
kurt  uschaghy  am  10 
kurt  ly  is  10  D 3 
kurl/y  fenk  is  11 
kürlündschller  mu  1 7 
Kuru  ddgh  F 1 
kuru  göl  am  5 
I kürzet  ok  5 
[ kürzet  do  4 
küsd  afimed  obasy  ri  23  E5 
EL-KUSAIR  C 6 7 
D 5/6  E 5 6 


I 


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Marlin  Harlmaun: 


546 

kuschdschu  mf  32 
Kuschdschu  F 1 
küschdsche  ‘dr  ( kuschte 
•dr)  af  13 

kuskun  gyrdn  mf  46  K 2 
ku/schi  {kitscht)  su  49 
kütschüdsche  kSj  be  1 o D4 
Küts c hük  Damryk  («2 
kütschiik  kardtm  mu  21 
kütschük  karkyn  am  18 
Kütschük  Kafyran/yk  G 1 
kütschük  säbikanly  ok  3 1 
kütschük  tschcrtschi/i  ok  1 
kütschüti  E 3 
el-kuwaislje  sw  36  C 5 
kuztni?  ( kyzyl  göl?)  mf 
25 

kuztni  (tuzena)  mf  10  J 2 
kuzuldscha  (kyzyldscha) 

ku  11 

kytly  sa  37 

kylly  boz  oghlu  obasy  ri 

67  E3 

ei-kyllyi  ri  30  E 4 
kynysanly  F 1 
kyradsch  obas ;/  G 2 
kyrly  C 4 

kyrmytlyk  am  28  F 3 
kyrykchdn  ( chan  de/ibe- 
kirli)  ri  46  E 4 
kyschta  is  27  C 3 
kyfsadschyk  al  57 
kyzlar  iabury  F 1 
kyzlar  kalcsi  D 3 
kyzlar  kalcsi  D 4 
Kyzyl  dagh  A 4/5  B 4/5 
C 4/5 

kyzyl  kmd  mu  37 
kyzyl  mezra'a  al  30 
kyzylbaschlar  H 2 
kyzylkaja  ri  35  E 4 
kyzyllar  ca  27 


L. 

tl-lauschljc  sw  16  B 6 
Lltim  ddgh  (i  5 
Lelit  hüjüjü  J 2 
LI  WA  DSCHEBEL 

BEREKET  I)  1/2/3 
E 1/2/3  F 1/2/3  G 1/2  j 
H 1 

LI  WA  EL-LADKIfE 
A 7 B 7 C 7 

M 

ma'arra  (tna'ara)  ] 5 
mabäfly  ok  20  G 3 
el-maghdra  B 5 
magharadschyk  mf  3 
magharadschyk  mu  3 
magharadsc(t\k  ( el - mu- 
ghäjir)  sw  20  B 6 
el-maghda/a  ku  23  D 6 | 
mabmudli  ( achras  oghlu 
obasy)  ri  47  E 4 
mahsircdschik  ok  17  G 3 
makdm  el-chidr  B 6 
maliklje  af  8 
mama/y  sa  18 
ma'mül  uschaghy  sa  21 
el-manfürljc  ku  17 
mar'andz  ( maranes ) af 

2 J 3 

mar'aschly  boghazy  kr  13 

»4 

ma'rata  af  6 
ma'rata  af  29 
ma'rata  do  41  G 3 
mardegän  J 3 
ma'rln  at  60  J 3 
mar  so  ku  54 
marsowa  s.  merscwi 
maschale  s.  mcsch'ale 
el-ma'schükljc  (el-ma- 
‘schüka)  da  17  D 5 


mastepc  (d-maftaba)  ri 
■ 8 Es 

ma'üldschek  sa  24 
mcdtXja  do  16 
meddndschük  sw  45 
mtddnkt  si  16 
Mehemct  baghin  hüjüjü 
G 1 

MEN BID  SCH  FU- 
KANI\  MU.MRUDSCIt 
RA  WAND  AN)  J 2 K 2 
mcngüllje  ( el-m.)sw  1 3 C5 
mcnndnin  köji  mu  74 
mcrddnly  mu  54 
mcrjamln  af  9 
merscwi  ( marsowa ) mu 
59  H 2 

mesakdnly  sa  1 7 
mcsch'ale  (maschale)  si 
5 H3 

meschtd  räm  «<25 
metin/i  si  2 
mezra'a  mu  67 
mezra'a  fchdhln  al  7 
mezra'a t bäwerde  ku  69 
mezra'at  haiischi  pasetus 
ku  66  E 6 

mezra'at  et-lurkmdn  ku 

28  n 6 

mczra'u/la  af  41 
mghairün  sw  8 
mghldla  de  3 
el-mijddün  B 6 
minddir  mf  43 
minil?  J 3 
minnigh  af  16  J 3 
mirjamin  E 7 
mirjäs  tu  38 
mir  mir dn  ri  55 
mischdnö  ku  49  I)  6 
mischetil  mf  40 
mischmschan  su  4 


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Das  Liwa  Halcb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dscliebel  Bereket.  547 


el-mischrdkljc  sw  6 B 6 
misirdschik  mf  28 
miske  do  28 
mkdltruf  ku  60  D 6 
mlend  su  44 
moijit  tl-ba(ira  D 5 
moraly  s.  es-sirdallje 
el-mughdjir  s.  magha- 
radschyk  sw  20  B 6 
Mughyr  E 2 
muhammtdlje  do  21 
miilki  dcwerdn  mf  34 
MUMBUDSCH  BA- 
WANDAN  s.  MEN-  ' 
B1DSCH  FOKAN1 
murdd  hüjügii  mu  6 9 
murdsch  esch-schic  h C 6 j 
mürdschümlii  }u  A 4 
ML'SABEKLI  J 1/2 
musko  sa  13 
muffa/a  agha  tschiftligi 

D4 

mütmüte  do  77 
myrghyi  at  29 

N. 

nähr  et-abjad  D/E  7 
nähr  ‘■afrln  J 2 H 2/3,  4 
G 4 F 4/5  E 5 
nähr  aghtschai  D 3 
nähr  el-'äf  (Oron/es) 

E 7 6/5  D5  C5/6  B6 
nähr  baildn  C 3 
nähr  el-balrakin  C 4 D 4 
nähr  el-bdwerde  D 6 E 5 / 6 
nähr  el-chaftb  C 5 
nähr  el-chischschdbe  D 5 
nähr  dschanbutadri 7 E 5 
nähr  el-fauwdr  C 5 
nähr  el-kafa  C 6 
nähr  koramurf  D 4 
nähr  koraju  s.  karafu 


nähr  karatschai  el-krhir 
(büjük  kora/schdt  ) B 5 
C 5/6 

nähr  karatschai  czzaghtr 
(kü/schük  karatschai) 
CS/6 

nähr  el-kcbtr  stv  26 
nähr  t}-sl]äd  az  5 B 4 
nähr  ez-zaghlr  sw  27 
n'airljc  sw  18 
narlldscha  ( närindscha ) 
ku  13  D 5 
narlydscha  mf  13 
narlyk  A 5 
narlyk  B 5 
Naulu  ddgh  C 4 
näz  uschaghy  si  1 
ncba‘ el-fauwdr  C 6 
ncbul  H 4 
ncrgez/ik  is  3 C 3 
ncrgüz  oghlu  obasy  ri 
60  E 5 

nerwdne  do  22 
nlgcre  (nijara)  at  44  J 3 
cn-nlka  E 7 
nijara  $uju  J/K.  3 
nisri  do  18 

nah  uschaghy  ca  2 F 2 
nur  (taidar  ? mu  31 
nürkdn  do  59 

0. 

Ogh/ansini  B 5 
oijlum  at  61  K 2 
el-okdschltar  ku  52 
öksüzlü  ok  16  G 3 
OK  TSCHU  ‘ IZZED  - 
D1NLÜ  G 2/3  H 2/3 
‘ömcr  agha  Omunuii 
ogh/u  ri  58  F 4 
‘ömtrdschik  mf  5 
‘öpiilo  (jarküb)  H 2 


orduköj(urduknj)  ca  30  F2 
Orontcs  s.  nähr  cl-‘df 
‘ötmanty  sa  15 
Szerll  D 2 

P. 

PAfAS  D 1/2/3  E 1/2 
pajas  D 2 
Parsa  ddghy  J 3 
paschahüjük  ri  20  E 5 
paschaköj  ri  26  F 4 
pcndcrekli  ( pcnderik ) sa 
35  G 2 

Pcnderik  tepesi  G 1 
penje  do  67 
pertikli  ok  24 
Pctrolcumquellc  B 4 
pitpitc  do  38 
Po/at/y  ddgh  J 2 
pul  tu  sa  3 1 
puiiar  baschy  F 2 

B. 

rabat  tschai  D 2 
rd'il  at  28 
ramddlje  do  58 
rds  el-'ain  do  55 
rds  et-chanzlr  A 5 
rdwanda  mf  16 
redscho  obasy  sa  14 
er-rlftd/l  ri  72  E 3 
ER-RIHAXIfE  D 4/5 
E 34/5  E 3/4/5  G 5 
rimädtje  de  10 
rklje  H 5 
rum/dk  su  40 
rütänly  do  72 

S. 

sa'atli  mu  47 
fabar  mf  39 
fdbun  fuju  H 2 


I 


I 


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548 


Martin  Hart  mann: 


{dghyr  obasy  am  4 
cf-fai  D 3 
es-saijar  az  25  ß 4 
saildscha  ( sailydscha ) sll- 
dscha  sw  12  C 5 j 
{aka/lutan  D 3 
sakar  üküz  A 5 
sdkyt  i'j  9 D 3 
salkin  E 6 
salkja  ku  55 
salmanly  ca  1 F 1 
salyhgatsch  is  17  D 3 
samandere  a!  26 
es-sammdnlje  ri  29  F 4 
{andyrän  sw  21  B 5 
sarandschik?  sw  41 
sa'rindschck  (saryn- 
dschyk)  st  14  H 2 
Sarmy  sakly  owa  B 5 
{ary  kurtlu  ca  3 
{ary  rnazy  bc  1 C 3 
{dry  seit  I)  3 
{dry  seki  (uju  D 2/3 
{dry  fu  D 4 
{dry  uschaghy  sa  4 
saryndschyk  H 2 
sdfjdn  do  36 
sd(y  uschaghy  sa  23 
{ aurdtt  ( fOrdn ) ( {auran ) 
«/  5°  K 3 
sdwa  s.  hardschele 
{tncuk  {uju  ri  50  D 4 
scha'ably  mu  55 
sehädijdniy  sa  9 G 2 
schahdir  do  8 
schdhsini  s.  e/sch-tschak- 
süntje 

schäincch  gemrigi  mu  14 
SCHA1CHI.AR  F 3 ! 

G 2 3 

sc  hat  fdn  do  65 
schakschak  A 5 


schamdfir  mu  61 
schar kijanly  ok  8 
scharränly  st  6 
esch-schdtürlje  su  30 
schlch  anga/a  am  26 
schlch  chorus  mu  46  H 2 
schlch  jd‘ö  af  26 
schlch  koj  (dai  ‘at  esch- 
schlch)  ku  46  C 6 
schlch  saijidi  do  1 
schlch  sindjän  su  16 
schlch  sltmdn  dschenlddt 
obasy  ri  53  F 4 
schlchly  F 1 
schlch/y  ( schlchhjc ) az 
20  A 5 
schekere  C 3 
schembik  s.  schtmmlk 
schcmmlk  ( schembik ) be  7 

d4 

schendrlsch  su  21 
schenikdsche  mu  70 
scher efll?  ca  21 
scher scheb  sa  19 
scherscheb  am  29 
schilt  F 3 

schilt  tschakallysy  am  30 
SCHIKAGhV  H 2/3 
schiigln  mu  13 
schiltah  mu  58  H 2 
schimmaryk  at  42  J 3 
Schimmer rtn  J 3 
schingil  ok  28 
schlr  mezra'asi  mu  56 
schlraz  mf  23 
schilkdn  do  60 
schmllln  J 2 
schorba  oghlu  am  13 
esch-schtäl  az  28  B 4 
esch-schughr  su  57  D 7 
schwdra‘1  el-dschauz  af  7 
schwdra'at  el-erz  af  59 


schwlrln  at  27 
sedscheräz  ( sadscharas ) 

af  3 J 3 

es-sefertje  ku  44  D 6 
! se/erlje  do  75 
[ sljdar  G 1 
sl/dscha  s.  saildscha 
Seleucia  (Ruinen)  B 6 
slmälikli  ( slmd/ik ) sa  33 
| H 2 

Samara  am  27  G 4 
slwe  at  18 

e{-{ibd(aje  { subha ) ku  S 
siblirüz  mu  1 
silklär  D 5 
] si/kdnly  si  8 
es-sinndnlje  da  15  C 6 
sinibbol  af  57 
sinob  su  K 2 
' es-sirdaltje  ( morafy ) kr 
| 12  D 5 

skütijd / D 6 
j Söbedschc  tepe/eri  B 5 
{Oflar  s.  {uflar  ku  5 1 C 6 
1 {oghdnek  do  73 
{ Oghanly  ({oghandschyj 
be  9 C 4 
söjüllü  mu  9 
söjütlii  mf  51 
sokulitk  s.  {ttkluk  az  iS 

C4 

söut  ca  17  F 2 
spanak  mf  7 
südschü  at  45  J 3 
{uflar  ({oflar)  ku  51  C 6 
(ufün  ({ ufun ) is  23  C 3 
suk/uk  (sokuluk)  az  18 

! C4 

(u/ak/v  ok  4 G 2 
{ülu  moghdra  F 1 
es-sümberlje  sw  24  C 5 
I sur  (bamldtje)  G 2 


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Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  und  ein  Teil  des  Liwa  Dschebel  Bcrekct.  549 


e s-sürlje  fe  30  D 6 
süstje  el-keblre  s-w  34 
süstje  ez-zghire  sw  35 
yuukfu  chany  D 4 
ES-  S WED I JE  A 5 
B 5/6  C 5/6  D 5 
sydschanly  ri  5 
sydscharllje  F.  5 

T. 

tachtaly  J 2 
tachtaly  karatul  mu  38 
tädschirli  ogh/u  obasy 
ri  68  F 5 
tadschdyn/y  mu  53 
fdhir  agha  tschiftligi  de 
16  F,  7 

/ ambürdli  mf  8 
ef-tdnischmdnlje  ku  10 
et-taraschllje  sw  31 
lardly  A 5 
tarzime  chdn  J 2 
tdschly  ftyrby/  af  28 
tatarly  az  24 
/afftums  at  1 
tdtja  (fafja)  at  43  J 3 
taflar  gemrigi  mu  6 
tut  mar  äse  h (talmarsch) 

af  11  J 4 
Tazy  däghy  B 5 
TEJEK  E 2 F 2 G 2 
tejek  F 2 

tekmedschik  kas/aly  B 7 
Uknit  el-moi  B 5 
tclehn  af  52 
telif  do  54 

et-tell  s.  hüjiik  az  6 B 4 
teil  abu  tat ha  E 6 
teil  el-achdar  ri  51  F 5 
teil  ‘adschär  ( te/l  ha - 
d sc  har)  af  14  J 4 
teil  'ammär  ku  67  K 6 


| teil  ‘är  at  63 
teil  däüd  pascha  ri  52 
F 5 

teil  häbesch  at  15  K 2 
teil  el-habesch  ku  16 
teil  hammd  do  56 
teil  ibrahlm  mf  29 
teil  rfdd  af  20  J 4 
teil  tawll  am  19  G 3 
tellhsln  at  39 
tellhusln  mf  14 
tcllscha'lr  at  6 
le/lsil/dr  do  14 
et-tenndrlje  de  9 
tepe  do  49 
tepe  obasy  sa  44 
lermanln  G 5 
ter schäm  at  49 
tersckikln  at  59 
lesbi  F 1 

Tespili  hüjüjü  F 1 
tibil  at  48  J 3 
tilmiz  mf  9 
Ulla  ne  af  35 
tinnib  af  12 
et-tirfe  s.  ef-turfe 
tlll  el-himblas  ( tlil  ham- 
blas) yw  9 C 5 
tlll  el-hizh  sw  3 8 C 5 

tlll  sc  bar  kl  ku  2 
et-tlül  ri  8 E 5 
(öghlu  at  36 
lähme  ogh/u  obasy  kr  14 
D 5 

foibuk  ( toipuh ) at  19  K3 
lokal  H 5 

jop  boghazy  ri  64  D 4 
fop  kajasy  kr  15  D 4 
foprak  hifdr  ? (=  bä- 
werde?)  D 6 
torun  ri  41  E 3 
(orun  K 4 


Trappisten  - Nieder- 
lassung F 1 
et-trundschhje  s.  tu- 
rundschlt 

tschaghly  koz  B 5 
tschaghylghdn  B 5 
Tschakal  biikünüh  geri 
F 1 

tschakal/y  be  4 D 4 
Ischakally  do  30 
tschakaltepesi  ri  6 E 5 
tschakmak  sa  29 
elsch-tschaksünlje  ( schah - 
sini)  su  31  C 6 
tschalkama  ogh/u  sa  25 
tschamdnly  si  7 
tschamurly  ( etsch-tschd - 
murllje)  D $ 
tschämy  fu  A 4 
elsch-lschanak/l/e  B 5 
t schar chyt ly  sa  28 
j tschardak  E 1 
tschatal  hüjiik  ri  2 F 5 
j tschatal  kuju  am  3 
tschatal  zijdret  do  69 
I Tschataltepe  F 2 
Tschataltscham  C 5 
tscha/man  is  8 
etsch-tschaullk  B 6 
tschdwuschin  köj  mu  64 
tschekmedsche  S7V  42  C 5 
1 tschenikdsche  mu  70 
/schenk  az  12  C 4 
tschentschenli  sa  30 
tscherkessköj  D 4 
tscherkesskäj  D 5 
tscherkessköj  D 5 
tschertsche  kaja  ( tscher - 
tschü  kajasy)  az  1 7 C4 
tschifta  kas/al  C 5 
Ischflkdn/i  sa  41 
tschiftlik  af  58 


.1 


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I 


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550  M.  Hartmann:  Das  Liwa  Haleb  (Aleppo)  u.  ein  Teil  d.  Liwa  Dschebel  Bcreket. 


tschi/Hik  el-efendi  E 6 
tschiftlik  reschld  lighä 
ku  80 

tschiftlikän  ? ku  81 
tsc  binar  mu  16 
tschkd  su  32 
tschokmerzimen  D 2 
tscholakdn  do  33 
/ schär eklik  mf  37 
tschoschlu  ri  44  E 3 
tschutfur  oba  vif  47 
tschukurjurt  ri  15 
tschybykly  C 5 
et-tuffdhlje  su  43 
tulfk  az  22  B 4 
tumama  C 6 
tummas  kllsasy  B 6 
(urakl)'  si  11 
(urfando  ku  53  D 6 
ef-furfe  (ef-firfe)  ri  16 

ES 

(Urin  E 7 

turkmdn  oktschllar  ? ku 

52 

türkmen  bdrifr  af  48  K 3 
turont  s.  (urunda 
turuk  A 5 

(urunda  ( turont ) ( trundo ) 
do  3 H 3 

turundschli  (ft  - (rund- 
schlije)  sw  3 7 C s 
tut  tu  hüjük  ri  12  E 5 

U. 

el-'ubidlje  ku  5 
übln  su  52 
Üdsch  Ören  F 2 
‘ugan/y  ok  7 H 2 
ütbül  at  37  K 3 


ümüsch  chatun  obasy  ri 
34 

EL-URDUü  6 7 C 6 7 
el-urdu  C 7 
urduköj  s.  orduköj  ca  30 
F 2 

Uresel  ntmen  dtlgh  J 2 
ütschpynar  mu  62 
'uu'llln  at  3 
uzun  r»  32 

w. 

tvädi  dschereb  ( dscharab ) 
jk/  39  C 6 
wahwln  at  8 
wasch  af  38 
wa(a  ez-zembeki  E 6/7 
well  agha  uschaghy  ri 

63  E 3 

welikli  sa  34 
wir  egen  mf  18 
widschli  ok  30  Hl 
WILA  JET  A1) ANA 
D 1/2/3  E 1/2/3  F 1/2/3 
G 1/2  H 1 

WILAJET  BEIRUT 
A 7 B 7 C 7 
wirik/ar  mu  35 
el-wuhdb  az  2 B 4 

Z. 

zabardn  at  11 
za'deli  (je)  at  51  J 2 
zaW  1 2 
ez-zau  ku  45  C 6 
m/  2 

zengül  mu  65 
ez-zerlje  C 6 
zcrkänly  am  1 


ztrzür  de  14  u.  ku  65  E 7 
zltünek  si  12  H 2 
ez-zltünlje  sw  1 B 6 
ez-zijddlje  su  8 
zijddlje  af  46 
eijädlje  do  46  H 3 
ez-zijdra  ku  19  D 6 
ez-zijdra  su  1 1 
zijdra  J 3 

i Zijdral  däghy  C 4 
J zijdrat  en-nebi  däüd  K 3 
zijdrat  parsa  chatun  J 3 
zijdrat  scharfiabft  J 2 
zijdrat  esch-schlch  ‘abld 
E 5 

zijdrat  esch-schlch  chahl 

C 6 

zijdrat  esch-schlch  frasan 

DS 

zijdrat  esch-schlch  ismd'll 
G 2 

zijdrat  esch-schlch  jahja 
J 4 

zijdrat  esch-schlch  man- 
für  J 2 

zijdrat  esch-schlch  man- 
für  C 5 

zijdrat  esch-schlch  mu- 
bammed  J 2 

zijdrat  esch-schlch  mu- 
hammed  el  - warfäwi 
J 3 

zijdrat  esch-schlch  müsa 

»5 

ez-zilfkänhjc  kr  5 D 5 
zille  tschai  C/B  4 
zdbölar  mu  41 
ez-ZOf  su  42 
Zorkun  tepesi  C 4 


Druck  ron  W.  Pormotter,  Berlin. 


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Zntkchr  d GckdUch  f Erdkundr  ru  B«rhn  . Bd  XXIX  IBM  Tafel  7 


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Abflufslose  Gebiete  von  Kara*kul  und  Schor-kul -Kang-kul. 

Über  Rang  «gebiete  mit  vorwiegendem  Plateaucharakter. 

Das  Übrige  gebürt  den  peripherischen  Gebieten  an  und  zwar  den  Flußgebieten  des  Syr-darya 
im  N.,  des  Tarim  int  O.,  des  Indus  im  S.  und  des  Anui-darya  im  W. 

— » — • — Reiseweg  des  Verfassers. 


Zeitschrift  der  Gesellsch.  f.  Erdkunde  ru  Herlin  Hd.  XXIX,  »894. 


Tafel  8. 


Üfcersichtakisze  des  Pamir, 

die  Hauptrichtungen  der  Gebirge  darstellend. 


Zeitschrift  der  Gescllsch.  f.  Erdkunde  zu  Berlin.  Bd.  XXIX,  1894.  Tafel  9. 


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Mus-Ug-atft  von  Westen;  Austritt  des 


S.  H. 


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Zeitschrift  der  Gesellsch.  f.  Erdkunde  *u  Berlin.  Bd.  XXIX,  1894.  Tafel  it. 


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Tafel  13. 


icrforechtes  Gebiet 
tlongondo- Gebirge 


>r.^t  liö*  Iwt  u Slrmdr  v Wilhelm  Crtve 


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ZeiHchr.  d.  GetelUch.  f.  Krdk.  zu  Berlin,  Bd.  XXIX,  1894.  Tafel  14. 


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▲neloht  der  aum  Teil  Ins  Meer  gesunkenen  Gegend  von  Halmyra;  linke  Wohnhaus,  rechte  Mühle,  dazwischen 

Lande  traüse. 


Zcitschr.  d.  Gescllsch.  f.  Crdk.  zu  Berlin,  Hd.  XXIX,  1894.  Tafel  15. 


Zeitschr.  d.  Ge»ellsch.  f.  Erdk.  zu  Berlin,  Bd.  XXIX,  1894  Tafel  »7. 


Die  grolee  Spelte  oberhalb  der  Stadt  Atalanti  bei  der  Quelle  P&sari;  die  beiden  Soldaten  geben  die  Sprunghöhe  der 

Spalte  an. 


Avvfrvjv «?  v < Ä XtÄ4i  in 

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Demnächst  erscheint  im  Verlag  von  W.  H.  Kühl,  Berlin  W g.: 

BIBLIOTHECA  GEOGRAPHICA 

HERAUSGEGEBEN 
VON  DER 

ISELLSCH'AFT  FÜR  ERDKUNDE  ZU  BERLIN 

BEARBEITET 

VON 

OTTO  BASCHIN 

UNTER  MITWIRKUNG 

VON 

DR-  ERNST  WAGNER. 

ul  I.  Jahrgang  1891  u.  1892.  Berlin  1895.  XVI  u.  506  S.  8°. 

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