JJan/clitn
KASCltOAY
Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde zu Berlin
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
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j 01
WHITNEY LIBRARY
IIARVARD UNIVERSITY.
\ 1 THE GIFT OF
I
V J. D. WHITNEY,
Sturyis Hoope r Profruor
I
I!« TIIF.
MUSEUM OF OOMPABATIVE ZOÖLOGY.
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ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU
BERLIN.
HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAG DES VORSTANDES
VON
DEM GENERALSEKRETÄR DER GESELLSCHAFT
GEORG KOLLM,
HAUPTMANN A. D.
BAND XXIX. — Jahrgang 1894.
MIT 18 Tafeln um! b Abbildungen im Text.
BERLIN, W. 8.
W H. KÜHL.
C. >*94-
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Inhalt <lcs neu nundzwanzigs ten Bandes.
Aufsätze.
(Für den Inhalt ihrer Aufsatic lind die Verfasser allein verantwortlich.)
Seite
Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung. Von Dr. Alfred
Philippson. (Hierzu Tafel i und z.) i
Über die Methoden der Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen zur
See. Von Dr. Wilhelm Mei na rdus . . . 90
Studien über das Klima Spaniens während der jüngeren Tertiärperiode und
der Diluvialpetiode. Von Albrecht Penck. (Mit 2 Abbildungen
im Text.) • 109
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschcbel Bcreket. Reisen,
ausgeführt mit Unterstützung der Karl- Ritter-Stiftung der Gesellschaft
für Erdkunde und dargestellt von Martin Hartmann. (Hierzu Tafel 3.) 14z
Die Fjordbildungen. Ein Beitrag zur Morphologie der Küsten. Von P.
Dinse. (Hierzu Tafel 4 — 6.) 189
Dr. A. Philippsons Höhenmessungen in Nord- und Mittel-Griechenland und
Türkisch-Epirus im Jahr 1893. Berechnet von A. Galle 160
Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrs. Von
A. Hettncr. (Hierzu Tafel 7.) 171
Forschungen über die physische Geographie des Hochlandes von Pamir im
Frühjahr 1894* Von Dr. Sven Hedin (Reisebericht Nr. 2, am 18.
Juni 1894 aus Kaschgar abgeschickt.) Mit 4 Abbildungen im Text.
(Hierzu Tafel 8 — x 1. ) Z89
Zur Statistik der Vereinigten Staaten von Mexiko. Von Dr. H. Polakowsky. 347
Reiseberichte aus Celebes von Paul und Fritz Sa rasin. Erster Bericht.
(Hierzu Tafel 13.) 351
Die Anian-Strafse und Marco Polo. Von Chr. Sandler 401
Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris am 8./ 20. und 1 5-/27. April 1894. Von
Dr. Theodor G. Skuphos. (Hierzu Tafel 14—18-) 409
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschcbel Bcreket. Reisen,
ausgeführt mit Unterstützung der Karl-Ritter-Stiftung der Gesellschaft
für Erdkunde und dargestellt von Martin Hartmann. (Schlufs.) 475
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Tafel i.
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Karten und Bilder.
(Die Bilder sind von den Karten durch ein 0 unterschieden..1
Der Kopais-See und seine Umgebung. Von Dr. Alfred Philippson.
Malsstab i : 1 50 000.
Geologische Kartenskizze des Kopais-See-Gebiets. Profile.
Karte des Liwa Haleb und eines Teiles des Liwa Dschebel Bereket nach
den Reisewegen Marlin Hartmann’s in den Jahren 1881 1883 und
1884- Mafsstab 1 : 220000.
und 5. Tiefenkarten und Langsdurchsclmitte zur Darstellung der Gestaltung
der Fjordbecken. Nach englischen Seekarten entworfen und gezeichnet
von Dr. P. Dins e. 1894- Längenmafsstab i : 150000, Höhenmafsstab
1 : 10000.
Querschnitte zur Darstellung der Formen der Fjordbecken. Nach eng-
lischen Seekarten entworfen und gezeichnet von Dr. P. Dinse. i894-
Mafsstäbc verschieden.
Die wichtigsten Transportmittel des Landverkehrs, entworfen von Dr.
A. Hcttner.
Übersichtskarte des Pamir, die Hauplrichtungen der Gebirge darstellend.
Mus-tag ata von Westen; Austritt des Przewalsky-Gletsclrers.
Zunge des Przewalsky-Gletsclrers gegen SW.
Unterlauf des Przewalsky -Gletschers" nach SW.
Reiseweg von Dr. Sven Hedin im Pamir-Gebiet, von Rnng-kul nach
dem Mus-tag-ata. April 1894. Mafsstab 1 : 200000.
Vorläufiger Karten- Entwurf zu P. u. F. Sa rasin *s Reisen zwischen
der Minahassa und Gorontalo (Nord-Celebes). November 1803 bis
Januar i894- Malsstab 1:750000.
Ansicht der zum Teil ins Meer gesunkenen Gegend von llalmyra
Die grolse Spalte durch die Kreideformation oberhalb von llalmyra.
Die grolse Spalte am nordöstlichen Abhang des Chlomos-Gebirges.
Die grofse Spalte oberhalb der Stadt Alalanti bei der Quelle Pasari.
Geologische Übersichtskarte des Erdbeben-Gebietes von Lokris nachBillner
und Feiler von Theodor Skuphos. Malsstab 1 : 400000.
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Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1894.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1894 — Band XXIX (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1894 — Band XXI (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M., Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur 7-eltf.chri/t der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogen bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
berechnet.
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; jedoch steht cs den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassung jeglicher persönlichen Ad resse an die :
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90“,
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Btttow, Berlin W. Leipziger Platz 13, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstrafse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — li Uhr Vorm, und von
4 — g Uhr Nachm, geöffnet.
Geographische Verlagshandlung Dietrich Reimer in Berlin,
Inhaber: Hoefer & Vohsen.
Soeben ist erschienen:
Dr. Oscar Batunann,
Durch Massai-Land zur Nilquelle.
Reisen und Forschungen der Massai-Expedition
des deutschen Antisklaverei-Komitee in den Jahren 1891 — 1893.
Mit 27 Vollbildern, 140 Text-Illustrationen und 1 Karte x : 1,500,000.
1894. Preis geheftet 14 Mark, gebunden 16 Mark.
*
Von demselben Verfasser erschien früher:
Usambara und seine N achbargebiete.
Darstellung des nordöstlichen Deutsch -Ost -Afrika und seiner Bewohner.
Von Dr. Oscar Baumann.
Mit 14 ethnograph. Abbildungen, i Textplänen, g Karten und 4 Notenseiten.
Ig9l. Preis kart. iz Mark.
Durch alle Buchhandlungen zu beziehen! —
★ Ausführlicher Prospekt gratis und franko! ★
Der KopaTs-See in Griechenland und seine Umgebung.
Von Dr. Alfred Philippson.
(Hierzu Tafel i und 2.)
Einleitung
Der KopaTs-See in Böotien ist einer der gröfsten und inter-
essantesten Vertreter der Gruppe der sogenannten Katavothren-
Seen1), jener periodischen Seen oder Sumpfsecn, welche des ober-
irdischen Abflusses entbehren und ausschliefslich durch unterirdische
Schlünde (im Neugriechischen „Katavothren” genannt) entwässert werden,
die sich im Kalkgebirge ihrer Umrandung bilden. Fast allen diesen
Seen ist eine starke Veränderlichkeit ihrer Wassermenge und damit
auch ihrer Spiegelhöhe und Ausdehnung eigen, die bei den meisten,
und so auch bei dem Kopais - See, bis zu zeitweiliger gänzlicher
Austrocknung oder wenigstens bis zur Verwandelung in einen Sumpf
führt.
Die Ursachen dieser Veränderlichkeit der Katavothren - Seen
sind mehrfache. Zunächst bewirkt der Mangel eines oberirdischen
Abflusses, dessen Schwellenhöhe bei anderen Seen die Höhe des
Wasserspiegels annähernd beständig erhält, bei dieser Gattung von
Seebecken, dafs jede Veränderung der Wasserzufuhr sich unmittelbar
in einem entsprechenden Schwanken des Seespiegels äufsert. Die
Regenmengen sind aber von Jahr zu Jahr verschieden, und daher
ist es auch die Höhe des Seespiegels. Zu dieser jährlichen Schwankung
kommt aber, besonders in dem subtropischen Meditcrran-Klima, noch
eine lebhafte jahreszeitliche Periode. Denn hier hört in der
sommerlichen Trockenzeit die Wasserzufuhr fast gänzlich auf, und in-
folge dessen erlebt der See gegen Ende der Trockenzeit jedesmal
ein Minimum seines Wasserstandes.
Eine andere wichtige Ursache aber ist die Veränderlichkeit des
Fassungs-Vermögens der Katavothren, also ein Schwanken in
der Menge des Abflusses Hierbei wirken erstens eine grofse Zahl
*) Vgl. meinen „Peleponnes", Berlin 189z, S. 440.
Ztiuchr. d. 0«l|jch. f. Erdk. Bd XXIX. 1
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Alfred Philippson:
von Zufälligkeiten mit, welche die unterirdischen Wassergänge bald
erweitern, bald verstopfen. Arbeitet im allgemeinen das durchströmcnde
Wasser vermittels seiner mechanischen Erosion wie seines chemisch
lösenden Einflusses auf den kohlensauren Kalk beständig an der Er-
weiterung der Gänge, so sind diese doch ebenso der Gefahr der
Verstopfung ausgesetzt, sowohl durch Einstürze der Decke, welche
namentlich durch die in jenen Gegenden häufigen Erdbeben befördert
werden, als auch durch Hineinschwemmen von Steinen, Geröll,
Schlamm, Vegetations-Resten u. s. w. Solche eingeschwemmten Massen
kommen in den Katavothren-Gängen sehr leicht zur Ablagerung, da
diese sehr unregelmäfsig gestaltet sind, sowohl im Verlauf, wie in der
Weite, wie im Gefälle. Bald erweitern sie sich zu breiten Grotten,
bald verengen sie sich zu schmalen Spalten, durch die sich das Wasser
durchzwängen mufs. Ja, es kommen wohl auch heberartige Strecken
vor, in welchen der Gang abwärts und aufwärts steigt, wobei das
Wasser nur durch den hydrostatischen Druck des höheren Schenkels
die Steigung überwindet. Solche Strecken kann natürlich überhaupt
kein mitgeschwemmter Schutt passieren. Fast alles in die Kata-
vothren hineingeführte Sediment bleibt daher in den
Gängen zurück, was sich schon darin zeigt, dafs das cinfliefscndc
Wasser oft stark getrübt ist, beim Wiedererscheinen in grofsen Quellen
dagegen stets krystallklar erscheint.
Aufser dieser wechselnden Erweiterung und Verstopfung der
Wassergänge spielt sich aber zweitens bei allen diesen Seen ein stetiger
Vorgang ab, welcher das Fassungsvermögen der Abflufs-Schliinde ver-
ändert. Es ist das die langsame, aber beständige Erhöhung des
Seebodens durch die von den Bächen in den See geführten festen
Stoffe. So wird jede Katavothre mit der Zeit durch den anwachsen-
den Seeboden überstiegen; dann stürzt sich das Wasser noch eine Zeit
lang mit Gewalt in die schon unter dem Niveau des Seebodens be-
findlichen Schlünde hinein, grofse Teile des lockeren Erdreiches des-
selben mit sich reifsend. Bald sind dann die Öffnungen der Kata-
vothren ganz begraben und damit für immer aufser Dienst gestellt.
Sind die bedeutenderen Katavothren eines Sees auf diese Weise ver-
schlossen, so mufs der See steigen, bis sich in einem höheren Niveau
neue Katavothren durch die auflösende Kraft des Wassers, das den
Gestcinsspalten folgt, gebildet haben. So finden wir neben der jahres-
zeitlichen Periode des Wasserstandes und neben den Schwankungen
von Jahr zu Jahr auch noch starke Veränderungen in längeren, un-
regelmäfsigen Zeiträumen, bestehend in einem stärkeren Anstieg des
Wassers, dem ein geringeres Fallen und dann eine lange Zeit verhält-
nismäfsiger Ständigkeit folgt. Aufserdem kommen aber auch kurz-
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Der Kopais-Sec in Griechenland und seine Umgebung.
3
dauernde gewaltsame Entleerungen und WicderfüUungcn vor, wie sie
durch plötzliche Durchbrüche und Verstopfungen einzelner Gänge
hervorgebracht werden. Im ganzen gelü aber die Entwickelung, in-
folge des Ansteigens des Seebodens, im Sinn einer beständigen Er-
höhung des Seespiegels vor sich, die naturgemäfs mit einer Erweiterung
des Umfangs und einem Seichterwerden des Sees verbunden ist.
Das Endziel wird erreicht, wenn die Seefläche so grofs wird, dafs die
Wasserzufuhr nicht mehr zur Überschwemmung der ganzen Fläche
und zum Ersatz der Verdunstung hinreicht. Dann löst sich der See
in eine Anzahl von Sümpfen auf, zwischen denen trockene, fruchtbare
Ebenen sich ausdehnen, ein Stadium, in welchem sich z. B. die Ost-
arkadische Hochebene befindet.
Das sind die Ursachen der Schwankungen in dem Wasserstand
der Katavothren - Seen und der naturgemäfse Entwickelungsgang der
letzteren. Wir sehen, dafs nur ein Teil der Faktoren des Wasserstandes
klimatisch ist, dafs wir also nicht erwarten können, dafs die be-
deutenderen Schwankungen dieser Seen mit den klimatischen Perioden,
wie sie Brückner aufgestellt hat, zusammenfallen.
Der Kopais-See befand sich mitten in diesem Entwickelungsgang,
als er in den letzten Jahren durch das Eingreifen des Menschen voll-
ständig trocken gelegt wurde.
Dieser See erweckt dadurch besonderes Interesse, dafs er in einem
Lande alter Kultur liegt, in einer fruchtbaren, früh besiedelten Um-
gebung, auf deren Geschicke sein Zustand von bedeutendem Flinflufs
war. Er ist wiederholt, und zwar schon im grauesten Altertum, Gegen-
stand von Versuchen gewesen, die seine dauernde Austrocknung be-
zweckten, und diese geben uns wieder wertvolle Aufschlüsse über den
Kulturgrad und das technische Vermögen der Vorzeit.
Da nun neuerdings durch die künstliche Ableitung des Sees
sein Besuch und die Besichtigung der für seine Natur und Ge-
schichte wichtigen Punkte anfserordentlich erleichtert ist, beschlofs
ich, insbesondere angeregt durch Herrn Geheimrat Curtius, dieses
hochinteressante Gebiet bei Gelegenheit einer im F'rühjahr 1893 im
Auftrag der Gesellschaft für Erdkunde ausgeführten Reise nach Nord-
Griechenland aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Bei einer
früheren Reise im Jahr 1890 hatte ich nur die Gegend von
Theben, den Helikon und die Umgebung von I.ivadia, ferner die
Küstenlinie von Atalanti bis Chalkis flüchtig bereist, ohne das See-
gebiet selbst zu berühren. Leider stand mir auch diesmal nur eine
sehr kurze Zeit — drei Tage — für das Gebiet des Kopais-Sees zur
Verfügung, da mich meine eigentlichen Aufgaben nach dem Norden
riefen. Jedoch genügten diese wenigen Tage hei der trefflichen
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Alfred Philippson:
Führung, deren ich mich zu erfreuen hatte, um wenigstens einen Über-
blick über den Hau des Landes, Uber die eigentümlichen hydro-
graphischen Verhältnisse, sowie über die alten und neuen F.ntwässerungs-
versuche zu gewinnen. Ich hatte von der Athener Vertretung der in
England residierenden Direktion der „Gesellschaft zur Austrocknung
und Ausnutzung des Kopai's-Sees" warme Empfehlungen an ihre In-
genieure erhalten. Diese, zwei Franzosen, Herr Forgeard in Theben
und Herr Lallier in Karditsa, bewirteten und führten mich als Gast
der Gesellschaft in der liebenswürdigsten Weise, und versahen mich
mit den eingehendsten Auskünften. Für meine Beförderung zu
Wagen und zu Pferd wurde in trefflichster Weise gesorgt. Die Ge-
sellschaft hat nämlich von Theben nach den Arbeitsplätzen einige
freilich recht urwüchsige Fahrwege angelegt. Nur so war es mir mög-
lich, in der kurzen Zeit verhältnismäfsig so viel zu sehen; denn die
Entfernungen der einzelnen interessanten Punkte unter sich und von
dem Hauptquartier in Theben sind sehr beträchtlich und mufsten zum
gröfsten Teil im vierspännigen Wagen in eiligster Fahrt zurückgelegt
werden. Machten wir doch am ersten Tag 46 km zu Wagen, am
zw'eiten 60 km zu Wagen und 30 km zu Pferd, am dritten Tage 60 km
zu Wagen I
Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle der KopaTs-
Gesellschaft, insbesondere aber den Herren Forgeard und Lallier für
die wahrhaft herzliche Gastlichkeit, die sie mir erwiesen haben, den
aufrichtigsten Dank zu sagen! —
Es fehlt nicht an Nachrichten und eingehenden Abhandlungen
über den Kopais-See, wie man aus dem am Schlufs angefUgten, chrono-
logisch geordneten Literatur -Verzeichnis ersehen wird. Insbesondere
mögen die Arbeiten von Forchhammer, K. O. Müller, Ulrichs
und Sau vage hervorgehoben werden. Der geologische Bau des Landes
ist durch die Aufnahmen von Bittner in grofsen Umrissen festgestellt.
Ich selbst habe geologische Aufnahmen in diesem Gebiet nicht ge-
macht; die nachfolgende Darstellung fufst daher in geologischer Hin-
sicht wesentlich auf Bittner’s Untersuchungen. Trotz der zahlreichen
Vorarbeiten, und obgleich mein eigener Besuch zu kurz war, um
irgendwie gründlichere Studien an Ort und Stelle zu gestatten, will
ich es doch unternehmen, ein zusammenfassendes Bild des Kopäis-
Sees und seines Gebietes auf Grund der vorliegenden Berichte und
eigener Anschauung zu entwerfen, um die Schlüsse daraus zu ziehen,
die sich für die Entstehung und Geschichte des eigenartigen Landes
und seines grofsen Sumpfsees ergeben. Diese Arbeit wird vielleicht
zur klareren Auffassung der Natur der Katavothrcn-Seen einiges bei-
tragen.
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1 ii 111 I It I
Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
5
I. Orograpiache und geologische Übersicht.
Das östliche Mittel-Griechenland ist ein schmaler, von WNW
nach OSO gestreckter Landstreifen, an dessen beiden Längsktlsten
je eine Gebirgskette mit derselben Richtung entlang zieht. Die
antiken Namen, mit denen die Wissenschaft auch heute noch
die einzelnen Glieder dieser beiden parallelen Ketten bezeichnet,
sind Oeta, Knemis und Ptoon in dem nördlichen, Parnafs,
Helikon, Kithaeron und Parnes im südlichen Zuge. An die letzten
beiden schliefst sich die Halbinsel Attika an, die fiir uns nicht in
Betracht kommt. Zwischen den beiden grofsen Gebirgszügen hegt
eine zusammenhängende Reihe von Niederungen, die nur am Ostende
die Meeresküste berührt, sonst aber durch die genannten Gebirge
vollständig nach aufsen abgeschlossen wird.
Der westlichste, oberste Abschnitt der Niederungszone, das zwei-
geteilte Becken des oberen Kephissos in Doris und Phokis, hegt
aufserhalb unseres Gegenstandes. Es findet seinen östlichen Abschlufs
durch einen Engpafs zwischen den Kalkbergen Parori und Vetrisa,
beim alten Parapotamia, in der Nähe des heutigen Dorfes Belesi,
durch welchen der im Winter ansehnliche Flufs Kephissos aus seinem
oberen Becken in die Böotische Niederung eintritt, die sich von
hier mit wechselnder Breite bis zum Kanal von Euboea zwischen den
alten Hafenorten Aulis und Oropos erstreckt.
Die Böotische Niederung gliedert sich wieder in mehrere natürlich
gesonderte Teile. Der westlichste ist die Thalebene des Kephissos
von dem erwähnten Engpafs abwärts bis zum alten Orchomenös, wo
der Flufs in den Kopäis-See mündet. Dieses Becken von Chaeronea,
nach jener Stadt genannt, die sich im Altertum an seinem Südrand erhob,
ist eine 2l bis 3! km breite fruchtbare Flbene von F'lufsalluvium mit
geringem östlichem Gefälle, die keine besonderen Erscheinungen auf-
weist, im Norden von den Kalkbergen Vetrisa (543 m) und Durduvana
— letzterer ein langer, abschreckend kahler Rücken — im Süden von
den niedrigen Höhen von Kaprena (dem alten Chaeronea), aus
Kreideschiefer und darüber liegendem Rudistenkalk bestehend,
begrenzt. Am Ende der Durduvana bei Orchomenos öffnet sich die
Ebene zu dem breiten Becken des Kopals- Sees, einer rings um-
schlossenen Niederung ohne oberirdischen Abflufs. Sie bildet ungefähr
ein Rechteck, dessen Länge von WNW nach OSO 24 km, dessen
Breite etwa 13 km beträgt. Aufserdem sendet sie noch einige un-
regelmäfsige Buchten in die Gebirge hinein, sodafs man die gesamte
Ausdehnung der Kopafs-Niederung (nicht des Sees) nach roher Schätz-
ung zu etwa 350 qkm annehmen kann.
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Alfred Philippson:
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Die Buchten der Kopa'is-Niederung sind folgende:
a) Am Westrand von N nachS: t. die Bucht von Tzamali; 2. die
Mündung der Ebene von Chaeronea; zwischen beiden springt die
Durduvana wie ein Sporn — daher im Altertum Akontion, die Lanze,
genannt — vor, auf dessen Ende Skripu (Orchomenös) liegt; 3. die
Bucht von Livadia, eine Schwemmland-Ebene von dem Flufs von
Livadia (der alten Herkyna oder Probatia) durchflossen.
b) Am Südrand: 4. die kleine Bucht von Koronea.
c) Am Ostrand: 5. die Bai von Kaneski; 6. die Bai von
Karditsa.
d) Von der Nordostecke endlich zieht sich: 7. die merkwürdigste
Bucht, die von Topolias (dem alten Kopae), stark gegliedert zuerst
nach NO, dann nach O in das Gebirge hinein, etwa 12 km lang und
2 — 3 km breit. Sie endet in nur 5! km Entfernung von der Meeres-
bucht von Larymna und nur 6 km von der Meeresbucht von Skro-
poneri.
Der Boden der Niederung senkt sich zunächst vom südwest-
lichen und südlichen Gebirgsrand nach der Mitte der Ebene zu sanft
ein, da die hier mündenden gro&en Bäche, vor allem der Kephissos
und die Herkyna, flache Schuttkegel in das Becken vorbauen. Sie
bilden einen zusammenhängenden Saum wohl angebauten, von zahl-
reichen Dörfern besetzten Kulturlandes am West- und Südufer de.-,
Sees. An den anderen Rändern aber mündet kein einziges gröfsercs
Thal. Hier fehlt daher der flachgeneigte Saum vollständig, und das
Gebirge fällt unmittelbar zu der fast horizontalen Fläche ab,
die etwa zwei Drittteile der Niederung einnimmt und den Boden
des Kopais-Sees bildet. Ihre Höhe über dem Meeresspiegel
schwankt, mit Ausnahme geringfügiger Stellen, nur zwischen 94 und 97 m.
Es ist die verbreiterte Fortsetzung der Kephissos-Ebene, unterscheidet
sich aber von dieser durch das ungemein geringe Gefäll, welches
sie in westöstlicher Richtung besitzt.
Der periodische Kopa'is-See, welcher diese ebene Fläche den
gröfsten Teil des Jahres bedeckte, bevor er durch die menschliche
Kunst abgeleitet wurde, bespülte also den steilen Gebirgsrand unmittel-
bar im Norden und Osten, von Skripu über Topolias bis zur Südost-
ecke der Niederung ; fast überall wird hier der See von einem steilen Ab-
sturz von 20 bis 30 m Höhe eingefafst, den seine Wellen aus dem
felsigen Ufer ausgenagt haben. Im Süden und Westen ist er dagegen
vom Gebirge durch jenen Saum höheren Schwemmlandes geschieden.
Während also die ganze Niederung auf allen Seiten Buchten besitzt,
hat der See solche nur im NW, N und O, wo hingegen der südliche und
südwestliche Umrifs ziemlich einfach verläuft. Nur im SW sendet er
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Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung. 7
einen schlauchartigen Fortsatz, den Sumpf von H. Dimitrios, in die
Ebene hinein. In der Nähe des Steilufers erheben sich vier hohe Fels-
inseln aus dem Seeboden, wovon die bedeutendste die Insel Gla am
Eingang der Bucht von Topolias ist. Dazu kommt die felsige Halb-
insel, auf der Topolias selbst liegt, und die nur durch eine niedrige
Landzunge mit dem Festland zusammenhängt.
Der See bestand als solcher nur während der nassen Jahreszeit,
im Winter und im Frtlhjahr. Sein Spiegel lag dann durchschnittlich
97 m über dem Meer und bedeckte somit den Boden im Maxi-
mum nur 3 m hoch. Sein Flächeninhalt bei diesem Stand wird auf
230 bis 250 qkm angegeben'). Im Spätsommer schrumpfte der See
mehr oder weniger zusammen ; bald blieben dann noch einige Wasserflächen
und Sümpfe erhalten, bald trocknete er ganz aus. Die Ausdehnung und
Dauer des Sees waren daher stets nach den Jahrgängen sehr ver-
schieden; besonders schwankte sein Umfang auf der flachen Süd-
seite, wo eine feste Grenze des Seebodens gar nicht gezogen wer-
den kann.
Wir haben also in der Kopals-Niederung zu unterscheiden: 1) den
höheren, stets wasserfreien, daher dauernd angebauten Saum im Westen
und Südwesten, 2) den horizontalen Seeboden, und zwar a) die nur zeit-
weise überschwemmten Teile, b) die dauernd sumpfigen, nur in beson-
ders dürren Jahren austrocknenden Strecken. —
Die Umgrenzung der Kopals-Niederung wird im Süden
durch das Helikon - Gebirge gebildet. Ein auffälliger Einschnitt
(Babilutzi-Pafs 956 m, Thal von Kukura und des Phalaros, Bucht von
Koronea) zerlegt dieses Gebirge in einen westlichen und östlichen Ab-
schnitt. Im Westen finden wir drei parallele Hauptketten, bestehend
aus Kreidekalk mit schmalen Schieferzonen dazwischen: Iriveza (1312 m)
und Xerovuni im Norden, Megali Lutza (1248m) in der Mitte, Pa-
laeovuno (1749 m) im Süden. Im östlichen Teil dagegen erhebt sich
die breite einheitliche Kalkmasse der Zagara, des Musenberges der
Alten (1527 m), in welcher unter dem Kalk hier und da Schiefer zum Vor-
schein kommt. Der Hauptkamm der Zagara ist eine imposante, scharf ge-
schnittene Berggestalt, besonders im Profil gesehen, wie er von der
Thebanischen Ebene aus erscheint, deren Landschaftsbild nur durch
ihn einen Zug von Grofsartigkeit erhält. Von der Kopais-Niederung aus
zeigt er sich dagegen als ziemlich einförmiger, langgezogener Grat von
lichtgrauer Kalkfarbe, dessen Waldbestand arg zusammengeschmolzen
ist. — Den eigentlichen Rand der Kopals-Niederung bildet aber eine
t) Strelbitzky (Superficie de l'Europc, St. Petersbourg 1 882, S. 204) rechnet,
»ohl zu wenig, 213,7 qkm.
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Alfred Philippson:
ziemlich breite Zone von Vorhügeln des Helikon. Dem Gebirge liegt
hier eine sanft geformte Stufe aus Kreideschiefer vor. Zwischen Li-
vadia und Koronen, in dem Gebirge Laphystion der Alten, tritt dar-
unter am Rand der Ebene ein unterer Kalk hervor, während west-
lich von Livadia im Keratovuno und östlich von Koronen im Libethrion-
Zug Kalkschollen dem Schiefer aufliegen. Diese Kalke sind es, welche
den eigentlichen Rand der Ebene zusammensetzen; sie ragen vermöge
ihrer Härte als ausdrucksvolle Vorkette über der Schieferzone auf, be-
sonders der zackige Klippenzug des Libethrion, dessen Kalk durch
Erosion stark zerschnitten ist.
Alle Ketten des Helikon streichen nach OSO. Der Südrand der
Kopais -Niederung liegt also genau im Streichen des Gebirges. Naclr
Osten brechen alle Helikon-Ketten gegen die Thebanische Niederung
querab; nur eine südliche niedrige Vorkette setzt sich im Kithaeron
weiter fort.
Eine weit verwickeltere , wenn auch niedrigere Gebirgswelt bildet
die nördliche und östliche Umrahmung des Kopais-Beckens.
Im Norden scheidet das Chlomos-Gebirge die Kopals von der
Küste. Eine von Neogen (jüngerem Tertiär) erfüllte Lücke bei Kala-
podi, durch welche man über eine Wasserscheide von nur 391 m
Meereshöhe ') von Atalanti in das obere Kephissos - Becken gelangen
kann, trennt dieses Gebirge gänzlich von dem westlicheren Teil des grofsen
nördlichen Höhenzuges Mittel-Griechenlands, speziell von der Kette der
Tzuka (843 m) ab. ln dem Chlomos - Gebirge selbst haben wir eine
nördliche und eine s ü d 1 i c h e Z o n e zu unterscheiden, welche im ganzen
ebenfalls OSO streichen. Die nördliche besteht aus einer mächtigen
Kalkmasse, wesentlich einem weifsen, feinkörnigen dolomitischen Ge-
stein, unter welchem, namentlich auf der Nordseite, Serpentin und
porphyritische Eruptivgesteine auftreten. Zunächst bildet dieser
Kalk den breiten Stock des eigentlichen Chlomos (1081 m), der fast den
ganzen Raum zwischen der Bucht von Tzamali des Kopals - Sees und
der Küstenebene von Atalanti einnimmt und in einer spitzen auffälligen
Gipfelpyramide kulminiert. Nach Osten teilt sich die Zone in zwei
Kalkketten, welche die Neogenhecken von Kolaka und Martino um-
fassen ; die nördliche erreicht 606 m und endigt an der aus Neogen
bestehenden Halbinsel Aetolimas; die südliche, bis 658m hoch, zieht
gegen die Meeresbucht von Larymna und breitet sich südlich der-
selben zu einem plateauartigen Gebirge aus, in welchem der
Kalkstein ausschliefslich herrscht Der H. Ilias (638 m), die Berge von
*) Heger, Barometrische Höhenmessungen in Nord- Griechenland. Denkschr. der
Wiener Akademie, Math.-naturw. Klasse. 40. Bd. 1880. S. 80.
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- • u — — .
Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung. 9
Stroponeri, der lange Rücken Strutzina sind Teile dieser einförmigen,
der beherrschenden Gipfelformen ganz entbehrenden Kalkmasse. Die
Bucht von Topolias der Kopais, die Meeresbucht von Skroponeri und
mehrere kleinere Kesselthäler sind darin eingesenkt. Ein nur 148 m
ti. d. M. '), also 5 1 m über dem See gelegenes Joch von anstehendem Kalk-
stein führt von der Topolias - Bucht hinüber zu einer kleinen kessel-
förmigen Ebene (45 m ti. d. M. nach Durand-Clay, 33 m nach Heger*),
in welcher eine grofse Quelle, das Kephalari von Larymna, entspringt,
und von dort zieht sich ein Thälchen nach Larymna hinab. Wir nennen
diesen wichtigen, nur 51km breiten Übergang den Isthmos von La-
rymna. Die Bucht von Skroponeri ist dagegen durch hohes Kalkge-
birge vom Kopais-See getrennt. —
Die südliche Zone des Chlomos - Gebirges zeigt einen anderen
Charakter. Hier haben wir einen wiederholten Wechsel von Kalk-
und Schieferzügen, indem diese Gesteine vielfach mit einander
wechsellagern. Die harten Kalke ragen jedesmal in Rücken hervor
über die weicheren Schiefer, sodafs es hier nicht an mannigfaltigen
Formen der Landschaft fehlt. An Stelle der Schiefer treten häufig
Hornsteine und Serpentine in den einzelnen Schieferzügen auf,
jedoch ist der Serpentin nicht in so bedeutenden Massen vorhanden, wie
unter dem Chlomos-Kalk. — Diese Zone bildet zunächst das Gebirge
nördlich der Ebene von Chaeronea bis zur Bucht von Tzamali. Hier sind
drei Kalkrücken zu vermerken: 1) der von Abae, 2) die Vetrisa
und der Mavrovuno und 3) die Durduvana; dazwischen niedrige Streifen
von Schiefer. Nach Westen liegt die Fortsetzung dieser Zone zumeist unter
dem oberen Kephissos-Becken versunken. Nach Osten bildet sie am
Nordrand des Kopais - Sees die breite Halbinsel zwischen den Buchten
von Tzamali und Topolias, ebenfalls mit wechselnden Kalk- und
Schieferzügen (Mavrovuno, Verori). Das kleine Kesselthal von Pavlo
ist darin eingesenkt.
Jenseits der Unterbrechung durch die Bucht von Topolias breitet
sich diese südliche Zone des Chlomos-Gebirges zu einem vielgestaltigen
'deinen Bergland aus, das wir nach dem antiken Namen des Haupt-
gipfels, Ptoon, das Ptoische Gebirge nennen wollen. Darunter ver-
stehen wir das ganze Gebiet zwischen dem Ostrand der Kopais und
dem Euripos. Es zerfallt wieder in drei Gruppen. 1) Der eigentliche Zug
des Ptoon (726m), mit häufigem Wechsel von Kalk- und Schieferzügen,
erstreckt sich vom Eingang der Bucht von Topolias nach OSO zum
testende des Sees Paralimni; hier scheint sich das Streichen nach
■) Durand-Clay S. 4.
*) Kraus S. 384 Anm. 1.
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10
Alfred IMiilippson:
ONO zu wenden, sodals die Fortsetzung des l’toon ehemals die Stelle
eingenommen zu haben scheint, an welcher jetzt dieses langgestreckte
Seebecken eingesenkt ist. — 2) Südlich des eigentlichen l’toon breitet
sich ein ziemlich niederes Kalkplateau aus, in welchem Schiefer und
Serpentin nur an wenigen Stellen hervortreten. Es gipfelt im Südwesten
im Berge Phaga (567 m), dem Sphinx- Berge der Alten. Dieses Kalk-
plateau bildet den Ostrand der Kopals von der Bucht von Karditsa
nach Süden und fällt steil zur unteren Thebanischen Ebene ab. Der
gleich näher zu besprechende Likeri-See ist in das Kalkplateau einge-
senkt. Nach Osten erstreckt es sich in dem Berg Molocba bis zur
kleinen Ebene von Mu riki (80 — 90 m), welche die Verbindung zwischen
der unteren Thebanischen Ebene und dem See von Paralimni herstellt,
gegen beide durch je einen niedrigen Hügelrücken von Serpentin ab-
gegrenzt. — 3) Östlich dieser Ebene von Muriki erhebt sich die dritte
Gruppe des Ptoischen Berglandes, die in der steilen Pyramide der
Ktypa (1025 m), der stolzen Landmarke des Euripos, gipfelt. Es ist
eine weitverzweigte Bergmasse aus Kalkstein und darunter liegendem
Serpentin, welch’ letzterer namentlich in einer Längsfurche auftritt, die
von Muriki gen Lukisia nach ONO zieht Ein schmaler Kalkrücken
trennt diesen Serpentin von dem Paralimni-See, während sich nach SO
Kalkgebirge bis zur Niederung von Tanagra erstreckt. Das Hypaton
(749 m), welches gegen die thebanische Ebene vorspringt, I.ykovuni,
Klephtovuni und Ktypa sind einzelne Teile dieser von Thälern stark
zerschnittenen Masse, die für unsere Aufgabe nicht weiter in Betracht
kommt.
In diese Ptoische Bergmasse sind zwei Seebecken eingesenkt,
welche in ihrer Gestalt und Wasserführung vom Kopäis-See sehr ver-
schieden sind. Beide sind ebenfalls oberirdisch abflufslos und stehen
durch unterirdische Schlünde unter sich, mit der Kopals und mit dem
Meer in Verbindung. Auch ihre Wasserstände heben und senken sich
wie die Kopals; aber da die Becken steilwandig und tief sind, ver-
mögen diese Schwankungen keine wesentlichen Veränderungen ihres
Umfanges herbeizuführen, und sie bleiben stets als Seen bestehen. Das
eine dieser Becken ist der Likeri-See (Hylike der Alten) in dem
Kalkplateau der Phaga. Es ist ein sehr unregelmäfsiger steiler Ein-
bruch, aus zwei breiten und tiefen, stark zerschlitzten Teilen bestehend,
die durch eine schmale und, wie es scheint, seichte ') Enge verbunden
sind. Vor der neuerdings erfolgten Zuleitung des Kopals-Wassers in den
Likeri-See war dieser 8,2 km lang und im Maximum 3,8 km breit; sein
Flächeninhalt betrug (nach Strelbitzky) 12,9 qkm; sein Spiegel lag gewöhn-
*| Wenigstens labt der Umstand, dafs dieser Kanal im Altertum iiberbrückt
war (Ulrichs), auf geringe Tiefe schließen.
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Der KopaVs-Sce in Griechenland und seine Umgebung. 1 1
lieh 45 m1) über dem Meer (also 52 m tiefer als die Kopals) und stieg in
der nassen Zeit um 4 bis 7 m.2) Im Nord westen schliefst sich an den
See die kleine Ebene von Sengina an. Diese wird von der Bucht
von Karditsa des Kopais-Sees nur durch ein schmales Joch anstehenden
Felsens von 118 m Meereshöhe (nach Durand-Clay), also nur 21 m über
dem Kopals-See, geschieden, den Isthmos von Karditsa. Eine
tiefe Einsattelung, welche bei den Entwässerungsarbeiten, wie wir sehen
werden, eine grofse Rolle spielt, trennt hier also das Ptoon-Gebirge
von der Phaga-Gruppe und verbindet das Kopals- mit dem Likeri-Becken.
Noch mehrere andere Lücken weist die Gebirgsumrandung des Likeri-
Sees auf. Die untere Thebanische Ebene wird durch eine Bresche im
Südrand des Sees zu diesem hin entwässert, indem sich hier der
Kanavari-Bach in den Likeri-See ergiefst, und zwar mit einem Wasser-
fall, da das Niveau der Ebene um 45 m höher ist als der See. Es ist
nicht unwahrscheinlich, dafs diese Bresche erst durch Menschenhand
soweit vertieft worden ist, dafs sie als Abflufs der Thebanischen Ebene
dienen kann. (Vgl. S. 14.) Wenigstens ist dies die Ansicht von
Herrn Forgeard, der den Ort besucht hat. Nach Nordost führt bei
Ungra ein Sattel von 120 m Mecreshöhe zu der Paralimni hinüber. Im
NO des Likeri-Sees senkt sich die Ebene von Muriki zu ihm hinab,
nrn das Nordende des Berges Molocha herum. Ein nur 83 m ü. d. M.
hohes Joch trennt dann die Ebene von Muriki, und damit auch den
Likeri-See, von dem Becken der Paralimni. (Isthmos von Muriki.)
Der See Paralimni (d. h. Nebensee), von dem uns kein sicherer
Name aus dem Altertum bekannt ist, nimmt den Grund einer lang von
WSW nach ONO gestreckten Thalsenke ein. Er ist 8 km lang und
bis 1,6 km breit und umfafst (nach Strelbitzky) 9,1 qkm. Sein Spiegel
lag vor der Kopals-Entwässerung 35 m ü. d. M. (also 10 m unter dem
I.ikeri) und war (nach Durand-Clay) Schwellungen bis zu um Uber
den normalen Stand ausgesetzt. Er trennt die Berge von Skroponeri
im Norden von der Phaga- und Ktypa-Gruppe im Süden, während sich
am Westende das Ptoon erhebt. Die Längseiten des Sees sind steil,
dagegen liegen an den beiden Enden kleine Ebenen. Der untere Ab-
schlufs gegen das Meer wird durch einen breiten flachen Rücken ge-
bildet (Jochhöhe 95 m nach Mitteilung des Herrn Forgeard, 87 m nach
Durand-Clay), der sich flach zur nahen Küste bei den Ruinen der alten
Stadt Anthedon hinabsenkt. (Isthmos von Anthedon.)
Die drei Seen Kopals, Likeri und Paralimni sind also in ihrer
Höhenlage treppenförmig angeordnet und sind von einander und
1 ) Karte der Kopais-Gesellschaft.
-) Durand-Clay S. 5.
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Alfred Fhilippson:
vom Meer durch schmale und niedrige, aber von anstehendem Fels
gebildete Isthmen getrennt. —
In dem Kopals-Becken haben wir das zweite Glied der böotisclien
Niederungen kennen gelernt: das dritte ist das Becken von Theben,
welches sich im SO daran anschliefst. Es wird im N vom Ptoischen
Bergland, im W von dem Querabbruch des Helikon, im S vom Wall
des Kithaeron begrenzt; im O springt ein Hügelland aus Kalkstein,
welches im Soros-Berg gipfelt, vom Parnes weit nach N vor und läfst
nur einen schmalen Niederungsstreifen zwischen sich und der Ktypa-
Gruppe übrig. Dieser erbreitert sich nach SO zu dem von ncogenen
Hügeln erfüllten Becken von Tanagra, dem vierten Glied der
böotisclien Niederungen, das sich zum Meer öffnet. Es kommt hier
nicht weiter in Betracht. — Das Thebanische Becken besitzt einen
südlicheren höheren Teil (etwa 300 m ü. d. M.), ein flach-
welliges Gebiet neogener Schichten mit breiten Thalauen, fruchtbar,
aber heutzutage nur sehr dünn bevölkert. Der Asopos durchfliefst es
in trägem Lauf, um sich dann ostwärts in enger Schlucht durch das
Bergland des Soros zum Becken von Tanagra durchzuarbeiten. In einer
langen, Ost-West streichenden Bodenstufe von etwa 200 m Höhe stürzt
dieses Oberland nach Norden ab zu der unteren Thebanischen
Ebene (90 — 100 m U. d. M.), die im Gegensatz zu ersterem als völlig
horizontale Schwemmland-Ebene erscheint, wohl angebaut, aber gänzlich
frei von Dörfern. Die auffällige Bodenstufe entspricht einer nordwärts
gerichteten Verwerfung: man sieht hier die Neogenschichten des Über-
landes sich nach N umbiegen und hinabtauchen, um in der unteren
Ebene nirgends mehr zum Vorschein zu kommen. An dem Abhang
liegt hoch oben die Burghöhe der altehrwürdigen Kadmeia, von der
aus das alte Theben sich hinab bis zur Ebene erstreckte, während das
heutige Thiva oder Phiva sich auf die Burghöhe zurückgezogen hat.
Theben war und ist durch seine Lage der natürliche Mittelpunkt des
ganzen Beckens.
Die untere Thebanische Ebene, etwa 19 km von W nach O lang,
ist im östlichen Teil, der Aonischen Ebene, 5 km breit, verengt sich
aber im Westen, in der Tenerischen Ebene, auf ii — 3! km. Nur der
mittlere Abschnitt wird durch die oben erwähnte Bresche in den Likeri-
See entwässert, während die Enden abflufslos und daher versumpft sind.
Besonders gilt dies vom Westende, wo sich, 8 m unter dem Niveau der
Kopa'is, der Variko-Sumpf befindet. Hier berührt sich die untere The-
banische Ebene mit der Südostecke der Kopais-Niederung. Ein niedriger
schmaler Bergriegel anstehenden Gesteines trennt beide, an den
niedrigsten Stellen aber nur etwa 20 m über der Kopa'is! Dieser
Isthmos, den wir nach der alten Stadt Onchestos nennen wollen,
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung. ]3
ist neben den Isthmen von Larymna und Karditsa der dritte niedrige
Ausgang des Kopals-Bcckens nach Osten, um so wichtiger, als er in die
ähnliche und fast ebenso hohe Ebene von Theben führt.
Dies sind die Hauptziige der orographischen und geologischen Ge-
staltung des Kopuls-Gebietes. Es mögen hier nun zunächst die Be-
obachtungen angeführt werden, die ich dort persönlich machen konnte.
II. Beobachtungen.
i. Thebe n - M u riki - Par ali mni - An th ed on. (19. März 1893).
Wir fuhren zunächst auf der nach Chalkis führenden Chaussee den
Höhenrand von Theben hinab zur unteren thebanischen Ebene, dann
auf schlechtem Fahrweg über den Damm der unvollendeten Piraeus-
Larissa-Eisenbalm hinweg und durch die Ebene nach Norden. Letztere ist
eine völlig horizontale Fläche eines bräunlichen, leichten, etwas steinigen,
aber sehr fruchtbaren Lehmbodens. Zur rechten erhebt sich der Berg
Misovuni inselgleich aus dem Schwemmland. Der tiefere Untergrund
der Ebene besteht jedenfalls aus den Ablagerungen eines Binnensees;
denn wäre das Becken durch Bäche aufgeftillt, so würde die Ebene
nicht so horizontal sein, sondern man müfste die einzelnen Schuttkegel
noch einigermafsen unterscheiden können. An der Oberfläche ist aber
nichts von den See-Ablagerungen zu sehen; sie sind von dem durch
Verwitterung und äolische Zufuhr gebildeten Lehm bedeckt. — Nur
am Fufs der Bodenstufe von Theben finden sich durch die reichen
Quellen, die bei der Stadt entspringen, bewässert, Gärten, Wein-
l'flanzungen, Obst- und Ölbäume. Der ganze Rest der Ebene ist mit
Getreide, besonders Gerste, angebaut.
Im Nordosten erhebt sich hinter dem Dorf Syrtzi der Berg Hypaton,
der auf einer Basis von Serpentin eine Kalkkappe mit, wie es von
weitem scheint, südlichem Einfallen1) trägt. Am Fufs des Berges liegt
bei Syrtzi noch eine abgesunkene Kalkscholle. Der Serpentin breitet sich
von hier weit nach Norden aus, durch seine sanften Gehänge und rötliche
Vrwitterungsfarbe scharf von den grauen Kalkschrofien abstechend.
Zwischen Syrtzi und dem Kalkberg Molocha (östlich des I.ikeri-
Sees) dehnen sich niedrige kahle Hügel von grauer Farbe aus, die aber
nicht, wie man nach der Farbe glauben könnte und wie die Bittner'sche
Karte zeichnet, Neogen, sondern Serpentin sind, der stark zersetzt
und ausgebleicht ist. Man sieht ihn am Strafseneinschnitt netzartig
verwittert, indem ein Maschenwerk von weifslichen Adern gelbe Kugeln
versetzten Serpentins umzieht. Wir sahen in einiger Entfernung in
') Bittner S. 3 giebt ein Einfällen nach NO und N wenig W an. Vgl. auch
Oe Abbildung daselbst Tafel 1.
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14
Alfred Philippson:
dem Serpentin mehrere Gruben angelegt, in denen, wie Herr Forgeard
sagte, ein schneeweifser harter „Kaolin“ gewonnen wird, den man nach
England zur Fayence-Fabrikation ausführt. Es ist wohl Magnesit,
der in Griechenland häufig im Serpentin vorkommt. — Der Serpentin
dieser Hügel steht in Zusammenhang mit der grofsen Serpentinmasse
zwischen Syrtzi, Muriki und Lukisia, liegt also unter dem Hypaton-
Kalk und unterteuft ebenso den Kalk der Molocha, der mit ersterem
identisch zu sein scheint. Ich glaubte in der Molocha ein flaches,
W streichendes Faltengewölbe zu erblicken.
Um diesen Hügelzug zwischen den Ebenen von Theben und Muriki
zu durchkreuzen, hat man gamicht anzusteigen, da die niedrigste Stelle
sich kaum über die erstere Ebene erhebt und durch einen kleinen Fan-
schnitt eingekerbt ist. Wohl aber geht es nach N etwas hinunter zu
der kleinen runden Ebene von Muriki, die sich zum Eikeri-Sec ent-
wässert. Dieser steigt jetzt durch die Zuleitung des Kopals-Wassers
allmählich an und ist schon um das Nordende der Molocha herum vor-
gedrungen. Die Annahme von I.eake (Tr. North. Gr. II S. 318 f.), dafs
besagter kleiner Einschnitt einst, in vorhistorischer Zeit, behufs besserer
Entwässerung der Thebanischen Ebene künstlich angelegt sei, erscheint
mir nicht unwahrscheinlich. (Vgl. S. 11 die Bresche zum I.ikeri-
See.) — Das Dorf Muriki bleibt rechts am Bergabhang liegen. Dort
sieht man über dem Serpentin, der sich nach ONO in das Gebirge
hineinzieht, eine Kalkscholle liegen, die nach N zur Paralimni einfällt
(Kalk von Muriki). Sie bildet augenscheinlich den Gegcnflügel zum
Hypaton-Kalk, mit dem zusammen sie ein grofses Gewölbe darstellt,
welches den Serpentin überspannt und sich in der Molocha nach Westen
fortsetzt.
Eine sehr niedrige Schwelle schliefst die F.bene von Muriki (etwa
70 — 90 m) nach N ab (Sattelhöhe nur 83 m ü. d. M.); jenseits geht es steil
hinunter zu der 48 m tiefer liegenden Paralimni. Die Schwelle ist von
der Kopa'is-Gescllschaft durch einen offenen, bis jetzt noch nicht vom
Wasser erreichten Graben von 5 m Maximaltiefe eingekerbt worden.
In ihm steht im mittleren Teil Serpentin an bis zur Jochhöhe, nach
beiden Enden zu lehnt sich aber daran ein horizontal geschichtetes
Konglomerat, augenscheinlich eine Binnensee- Ablagerung. Den
Abfall zur Paralimni bildet ein Ausläufer des Muriki-Kalkes. Derselbe
zieht sich auch weiter westlich gegen Ungra. (Doch soll an dem dortigen
Joch zwischen Likeri und Paralimni Schiefer anstehen). Dieser Kalk
ist dunkelgrau bis schwarz und massig geschichtet, streicht NO und
fällt NW gegen den See. Er bildet die ganze Südseite des Paralimni-
Beckens.
Auf holperigem, engem Wege geht es nun immer zwischen See und
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung. ]5
Gebirge entlang. Die einsame Wasserfläche zwischen den düsteren,
einförmigen, nur von dürftigem Kermeseichen- und Pistazien-Gebfisch
bewachsenen Bergen eingebettet, macht unter dem trüben Himmel
einen recht melancholischen Eindruck. Keine menschliche Wohnung
ist zu sehen, aufser einem Fischerhaus, das ehemals am Ufer des sehr
fischreichen Sees stand, jetzt aber nur noch mit dem Dach hervorragt.
Denn der See ist in der letzten Zeit sehr gestiegen, nachdem der Likcri-
See durch Zuleitung des Kopals- Wassers angeschwollen ist, ein Beweis
mehr, dafs beide in unterirdischem Zusammenhang stehen. Stellenweise
ist der Fahrweg schon überspiilt. Der See warf unter dem lebhaften
Nordost recht ansehnliche Wellen; einen kleinen Strandwall von grobem
Sand hatte er schon an seiner neuen Uferlinie aufgeschüttet.
An mehreren Stellen sieht man im Felsboden ein antikes Wagcn-
geleise, die Strafse, die einst Theben mit dem heute ganz unbewohnten
Anthedon verband. An einem Punkt, wohl einer Ausweiche, liegen
zwei Geleise in ziemlichem Abstand neben einander.
Gegenüber, am Nordufer des Sees, erhebt sich das lange Kalk-
gebirge Strutzina, dessen Schichten nach S, gegen den See einfallen.
Am Westende des Sees erblickt man das Ptoon-Gebirge. Dort sieht
man den Kalk der Strutzina nach S unter einen Schieferzug einfallen,
der seinerseits den Kalk des Ptoon-Gipfels unterlagert. Die Fort-
setzung des Schieferzuges miifste am Paralimni liegen, fehlt hier aber
vollständig. Jedenfalls liegt der See auf einer ONO gerichteten Störungs-
linie, zu der sowohl der (ältere) Strutzina-Kalk als der (jüngere) Muriki-
Kaik beiderseitig einfallen.
In der Nähe des Ostendes des Sees zieht sich der Kalk von Muriki
nach rechts vom Ufer fort und das Gehänge hinauf. Darunter erscheint
Serpentin, der in einem Streifen gegen I.ukisia zieht, wo er sich mit
dem grofsen Serpentinzug zu vereinigen scheint. Bald darauf kommt
man wieder auf Kalk, der aber unter diesem Serpentin liegt, über den
Isthmos von Anthedon hinüberzieht und sich mit dem Kalk der Strutzina
vereinigt; er bildet also mit diesem zusammen ein tieferes Niveau als
der Kalk von Muriki und der Ktypa. Nach Durchkreuzung der kleinen
angebauten Ebene am Ostende des Sees stehen wir vor dem Rücken
des Isthmos von Anthedon, der vön der Kopals-Gescllschaft vermittels
eines Tunnels, an dem sich an beiden Enden offene Einschnitte an-
schliefsen, in 52 m Meereshöhe durchbohrt ist. Da diese Werke noch
nicht vom Wasser erreicht sind, können wir sie begehen und im Tunnel
mit Hülfe einer Laterne die durchschnittenen Gesteine beobachten.
Der Durchstich ist SSW — NNO gerichtet. Wir erhalten folgendes Profil
vom Südcnde aus (Vgl. Tafel 2, Abb. 1.). Im offenen Einschnitt, etwa
250 m weit, Serpentin (d. i. der Serpentin unter dem Muriki-Kalk),
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IG
Alfred Philippson:
stellenweise flaserig und eisenschüssig, zumTeil inblättrigen, serpentinigen
Schiefer und eisenschüssigen Hornstein übergehend, die steil nach S
einfallen. Dann kommt unter dem Serpentin eine kleine Kalk-Klippe
zum Vorschein, ebenfalls S fallend, welche die natürliche Oberfläche nicht
erreicht, sondern nach N scharf an einer Verwerfung abbricht. Dann
folgt wieder flaseriger Serpentin, wieder S fallend, unter welchem sich kurz
vor dem Eingang des Tunnels, etwa 300 m vom Anfang des Einschnittes,
abermals derselbe Kalk hervorhebt. Es ist ein schwarzer, undeutlich
geschichteter, fast massiger Kalk, der nun weiter im Tunnel anhält,
jener Kalk-Ausläufer der Strutzina, der den eigentlichen Rücken des
Isthmos bildet. Das Streichen ist im Tunnel durchweg WNW, (fallend S);
aufserdem sieht man viele Klüfte in den verschiedensten Richtungen.
Ungefähr in der Mitte des 860 m langen Tunnels, bei 390 m vom
SUdeingang, schneidet der Kalk nach N an einer grofsen Kluft ab gegen
lockere jugendliche Konglomerate, welche die nördliche Hälfte des
Tunnels zusammensetzen. Dieser Teil mufste daher ausgemauert werden.
An der Grenzkluft tritt etwas Wasser in den Tunnel ein. Am nörd-
lichen Eingang kann man das Konglomerat beobachten, welches die
Wände des offenen Einschnittes bildet, der sich hier an den Tunnel
anschliefst. Gerade am Tunnel-Eingang sieht man eine einzelne Schicht
gegen S geneigt, sonst ist das Konglomerat ungeschichtet; es besteht
aus grofsen halbgerundeten Kalkstücken. Aus dem Einschnitt heraus-
tretend, sieht man, dafs das Konglomerat einem rezenten Schuttkegel
angehört, der sich von dem nordwestlichen Kalkberg herabzieht, sich
auf dieser Seite des Isthmos fächerförmig ausbreitet und sich von
diesem aus flach gegen das Meer hinabsenkt. Er legt sich also an den
Kalk an, welcher den eigentlichen Rücken des Isthmos bildet — Der
Kalk der Strutzina und des Isthmos fällt nach S unter den Serpentin
von Lukisia ein ').
Östlich von dem grofsen Schuttkegcl zieht sich am Gebirgsfufs,
der Küste entlang, eine Terrasse von horizontalem neogenem Kon-
glomerat hin, welches sich von dem Schuttkegel deutlich durch seine
Lagerung unterscheidet.
Am Ufer, unweit der Ruinen des alten Anthedon, hat die Kopais-
Gesellschaft ein grofses Haus errichtet, das jetzt leer steht. Gegenüber
erblickt man die Küste von Euböa, wo die wilde Felswand des Kandili
das Bild beherrscht.
■) Meine Angabe in dem „Bericht u. s. w.“, Zeitschr. Ges. f. Erdk. 1890, S. 390,
dafs der Isthmos von Antlicdon aus Neogen bestehe, beruhte auf dem Anschein von
weitem und auf der Bittner’schcn Karte. Wie sich aus obigem ergiebt, ist sie irr-
tümlich.
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Der Kopais-Scc in Griechenland und seine Umgebung.
17
Auf dem Rückweg über den Rücken des Isthmos betrachteten
wir einen antiken, ansehnlich tiefen Graben, der unvollendet ge-
blieben ist.
2. Theben - Karditsa - Bai von Topolias und Grofse Kata-
vothre. (20. März 1893). Wir benutzen die Strafse nach I.ivadia bis
kurz vor dem Isthmos von Onchestos. Zur Rechten haben wir beständig
den Damm der Piraeus-Larissa-Bahn. Die Ebene ist auch hier sehr
fruchtbar. Der Kanavari-Bach hat sich einige Meter tief in die Ebene
eingeschnitten, sodafs dieser Teil derselben völlig entsumpft ist. Zur
linken begleitet uns der Höhenrand der oberen Thcbanischen Ebene,
der nach W allmählich ansteigt und sich in einer Terrasse am Ab-
hang des Helikon bis oberhalb Haliartos fortsetzt. Die gro&en und
reichen Dörfer Vagia und Mavromati liegen auf der Höhe der Stufe.
Gegenüber erheben sich die kahlen Wände des Phaga-Gebirges, und
wir sehen deutlich die Bresche, die zum Likeri-See führt. Das Ende
der Ebene nimmt der Sumpfsee Variko ein, jetzt eine runde Wasser-
fläche, von Rohr umgeben und von Wasservögeln belebt.
Die Schwelle, welche die Scheide der Thebanischen Ebene gegen
die Kopa'is bildet, steigt in der Mitte als ansehnlicher Kalkberg auf,
rechts und links desselben jedoch, am Fufs der Phaga sowohl wie der
Vorhöhen des Helikon, führt je ein ganz niedriger Sattel hinüber. Den
südlichen benutzt die Chaussee nach I.ivadia, den nördlichen die un-
vollendete Eisenbahn und unser Fahrweg nach Karditsa. Ich will hier
gleich anführen, was ich am folgenden Tag auf dem südlichen Sattel
beobachtete. Dieses sehr niedrige Joch wird durch den Einschnitt
der Strafse noch bedeutend eingekerbt. Der moderne Einschnitt ist
augenscheinlich nur die Erweiterung eines alten, denn man sieht seine
linke (südliche) Seitenwand an einer Stelle mit einem antiken Mauer-
werk von ansehnlichen Quadern belegt. Den Engpafs beherrschte im
Altertum die Stadt Onchestos. Das Gestein ist hier ein grüner und
roter, flaseriger, stark zersetzter mergeliger Schiefer, übergehend in ein
Konglomerat gerundeter Serpentingerölle, wie es auch bei Livadia in
den Kreideschiefern vorkommt; auch grofse eckige Blöcke eines
kieseligen Gesteins liegen darin. Die Schichten sind stark geneigt,
quer über den Weg streichend, und scheinen dem Kalk, der zu beiden
Seiten des Engpasses in geringer Entfernung auftaucht, aufzuliegen.
Das Ganze sieht viel mehr nach Kreideschiefern aus, als nach Neogen;
doch kann man hierüber im Zweifel sein. Die Bittner’sche Karte giebt
hier Neogen an. Letzteres steht übrigens in geringer Entfernung südlich
über dem Kalk an. Die Frage ist also von keiner grofsen Wichtigkeit.
Das nördlichere Joch des Isthmos liegt zwischen Höhen schwarzen,
massigen Kalkes; am Sattel selbst steht aber nur lockere Terra rossa
Zciuchr. d. GcKlbch. f Erdk. Bd. XXIX. 2
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Alfred Philippson:
an, jene bekannte rote Verwitterungserde, die sich aus der Zersetzung
des Kalkes bildet; sie ist untermischt mit vielen eckigen Kalkbröckchen.
Auch der Eisenbahn-Einschnitt entblöfst nichts anderes. Ob darunter
doch Kalk verborgen liegt, oder ob wir hier eine nur mit lockerem
Schutt, natürlich oder künstlich, verstopfte Lücke zwischen der Kopa'is
und der Thebanischen Ebene vor uns haben? Nur sehr wenig erhebt
sich das Joch über den Boden der Kopa'is! Es wäre wohl der näheren
Untersuchung wert, ob wir es hier vielleicht mit einer künstlichen Ab-
dämmung des Kopais-Sees von der Thebanischen Ebene zu thun haben.
Der Weg führt nun am Rand des ehemaligen Kopäis-Sees entlang.
Unabsehbar dehnt sich zur Linken die einförmige braune Ebene aus,
rings von ausdruckslosen kahlen Hügeln eingefafst: ein trostloser, aber
in seiner Einfachheit doch erhabener Anblick. Dahinter steigt in
grofsartiger Majestät der schneebedeckte Parnafs auf. — Zur rechten
Seite haben wir beständig die niedrige, aber jähe Klippenwand, die
den Seeboden unmittelbar begrenzt. Erst über dieser Wand von etwa
20 bis 30 m Höhe beginnen die sanften Böschungen, die sonst diesem
Gebirge eigen sind. In der Klippenwand öffnen sich schier zahllose
Katavothrcn, die weiter unten näher geschildert werden sollen. Unregel-
mäfsig springt die rötlich verwitternde, rauh-zackige Steilwand bald in
Kaps vor, denen zuweilen noch kleine Felsinseln vorliegen, bald zieht
sie sich in Buchten zurück. Der Boden der letzteren ist jetzt angebaut,
während die See -Ebene selbst noch öde daliegt. — Mehrfach kann
man die Reste der uralten Kanäle und Deiche der Minyer beobachten.
Wir umziehen zunächst die Bucht von Kaneski, in deren Hinter-
grund Schiefer unter dem Kalk der Phaga hervortritt. Auf der Nord-
seitc der Bucht ist das Streichen des schwarzen Kalkes NO (wechselnd
zwischen N40 bis N'ös^O), das Einfallen nach SO gerichtet. Von der
Insel H. Marina an zieht das Ufer eine Strecke weit nach N; das
Schichtstreichen ist hier O bis OSO. Dann folgt eine scharfe Ecke
bei der Katavothre Sopi, wo das Ufer nach O in die Bucht von Kar-
ditsa einbiegt (Streichen der Schichten S55cO, fallend SW). Hier
nähert sich der neue Gürtelkanal dem Ufer; in dem 3 bis 4 m tiefen
Einschnitt (bis zum Wasserspiegel) sicht man zu unterst gelblichen
Sand, darüber eine W'eifse mergelige Erde, welche überall den Boden
der Kopals bildet. Ganz oben ist sie durch Humus schw’arz gefärbt,
sodafs die Oberfläche selbst nicht weife, sondern dunkel erscheint.
Der Boden des Sees liegt bis hierher am Ufer 95 m U. d. M., sodafe
das Wasser bei höchstem Stand an der Klippenwand 2 m hoch hinauf-
reichte. Es hat vielfach am Fufs derselben eine Strandbildung zurück-
gelassen, nämlich flache Bänke horizontaler Schichten aus kleinen
Kalkgeröllen.
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Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
19
Es folgt eine kleine nach OSO gerichtete Uferstrecke, dann wieder
eine Strecke nach NNO. Die Schichten streichen genau O und stehen
saiger. Dann wendet sich der Klippenrand endgültig nach O bis zum
Hintergrund der Bai von Karditsa. Dort, bei dem einsamen Haus der
Kopals-Gesellschaft — das Dorf Karditsa liegt eine starke halbe Stunde
entfernt im nördlichen Gebirge — erblickt man zwei ansehnlich hohe,
aber sehr flache Wälle quer über die Bucht hinüberlaufen, einer in
geringer Entfernung hinter dem anderen. Man könnte sie auf den
ersten Blick leicht für künstliche Aufschüttungen halten. Aber abgesehen
von der Zwecklosigkeit einer solchen Anlage hier im Hintergrund
der Bucht, spricht auch die grolse Breite und die Flachheit der
Böschungen dagegen. Wo der grolse neue Ableitungskanal in sie ein-
geschnitten ist, sieht man, daß, sie aus Schotter gerundeter Kalkgerölle
mit diskordanter Parallelstruktur und flach-sattelförmiger Lagerung be-
stehen. Beiderseits tauchen die Schotter der Dämme unter die Terra
rossa hinab, welche diesen innersten Teil der Bucht bildet. Anderer-
seits Allst aber der hintere Wall wieder auf dem weifsen Mergel des
Kopäls-Bodens, d. h. also auf altem Seegrund, und auf roter Erde, wie
das Profil vor dem Westeingang des Tunnels von Karditsa zeigt
(Taf, 2, Abb. 2). In demselben Profil sieht man vor dem Tunnel-Eingang
ein grofees künstliches Loch, das mit roter Erde und Steinen wieder
«geschüttet ist. Es ist eine alte Ausschachtung, die wahrscheinlich mit
dem Versuch einer Durchbohrung des Isthmos von Karditsa zusammen-
hängt. — Es ergiebt sich also, dafs die beiden Dämme nur als natürliche
Strand wälle aufgefafet werden können, wie sie von Seen vor tief ein-
greifenden Buchten häufig aufgeschüttet werden, Nehrungen bildend. Sie
entstammen einer Zeit höheren Wasserstandes, und zwar der hintere Damm
einem höheren und älteren Stand, als der vordere. Beide sind aber recht
alt, wie die mächtige Terra rossa beweist, die ihnen seitwärts anlagert.
Die beiden Wälle scheiden eine kleine runde Ebene von dem
übrigen Seeboden ab. Dahinter liegt der Isthmos von Karditsa,
welcher die Kopa'is von der Ebene von Sengina und dem Likeri-See
trennt. Der Scheiderücken besteht im SUdosten der Bucht, zunächst
dem Ende der Kalkmasse der Phaga, nach den sanften Formen und
der weilsen Farbe zu urteilen, wohl aus Neogen. Niedriger aber ist
der Rücken auf der Ostseite der Bucht, zunächst den Vorhöhen des
Ptoon, wo er aus anstehenden Kreidegesteinen gebildet wird. Hier
liegt die tiefste und schmälste Stelle des Scheiderückens, die von der
Kopais- Gesellschaft mit einem 672 m1) langen geradlinigen Tunnel in
’) Diese Zahl giebt Durand -Clay (S. 17), nicht 815 m, wie Supan (S. 73) schreibt.
Mir selbst wurde 860m angegeben, welche Zahl mit der Länge des Tunnels von
Amhedon iibereinstimml; sie beruht wohl auf einer Verwechselung mit dieser.
'2*
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20
Alfred Philippson:
OSO-Richtung durchbohrt ist. Da derselbe von dem Wasser der
Kopals durchströmt wird, kann er nicht mehr begangen werden. Kr
ist übrigens ausgemauert, und zwar der westliche Teil im Kalk, der
östliche im Serpentin.
Wir überschreiten den Rücken an der tiefsten Stelle. Die westliche
Seite bis zur Jochhöhe besteht aus Kalk; jenseits derselben führt
ein kleiner natürlicher Thalrifc zur Sengina-Ebene hinab; in ihm steht
Serpentin unter dem Kalk an. Ein antiker künstlicher Einschnitt von
beträchtlicher Breite und Tiefe — nach Kambanis bis 30 m tief — ist
mit ONO-Richtung in den harten Kalkfels der Westseite und der Joch-
höhe ausgearbeitet. Vor seinem westlichen Eingang befinden sich
noch einige tiefe Schächte; einen anderen Schacht hat man bei dem
Bau des Tunnels angefahren. Nach Osten zielt der Graben auf den
natürlichen Thalrifs. Er ist aber gegen diesen, gerade an der Grenze
von Kalk und Serpentin, durch einen grofsen Kalkfelsen abgesperrt.
Es blieb mir zweifelhaft, ob derselbe von der unfertigen Arbeit stehen
gelassen, oder ob er von der hohen Südseite herabgestürzt ist.
Diese projektierte, aber nicht vollendete alte Durchbohrung des
Isthmos von Karditsa1) suchte, da sie ein offener Einschnitt war, die
tiefste Einsattelung zu benutzen und den natürlichen Thalrifs der Ost-
seite auf dem kürzesten Weg zu erreichen, daher die ONO-Richtung. Der
ganze Abflufs zusammen würde die Gestalt einer nach S offenen Kurve
gehabt haben. Für den modernen Tunnelbau ist die Höhe des Felsens
über dem Tunnel gleichgültig, ihm liegt nur an der Abkürzung der
Länge. Der Tunnel schneidet daher als gradlinige Sehne die Kurve
ab und mündet etwas unterhalb in denselben Thalrifs. Mit mächtigen
Katarakten stürzt sich das aus dem Tunnel hervorströmende Wasser
hinab zum Likeri-See. Am Eingang des Tunnels steht fiaseriger Serpentin-
schiefer an, übergehend in Hornstein und bunte Thonschiefer, auch in
ein gelbes, mulmig -okriges Gestein. Darunter hebt sich ein unterer
Kalk hervor (während auch der Kalk über dem Serpentin auf den
Thalseiten fortsetzt). Der untere Kalk ist gefaltet und von einer
breiten Kluft durchsetzt, die mit hineingefallenen Serpentin -Brocken
erfüllt ist.
Nach der Bucht von Karditsa zurückgekehrt, begaben wir uns zu
Pferd zunächst nach dem gleichnamigen Dorf. Die Bucht wird im N
durch eine steil ansteigende Bergwand von Kalkstein begrenzt, in
welcher am Ostende der Bucht zwei Serpentinzüge erscheinen. Oben
liegen die Ruinen des alten Akraephion. Weiter westlich führt ein
Thal zu einer kleinen Weitung hinauf, in welcher das Dorf liegt.
! 1 Vgl. die Beschreibung von Leakc II S. 315fr., Ulrichs I S. 245.
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Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
21
Das Thal durchschneidet die erwähnte Bergwand quer, und man
sieht hier, dafs der Kalk derselben eine nicht sehr mächtige Platte
bildet, die nach S zur Bucht einfällt. Darunter kommt bergwärts
Sandstein und Thonschiefer hervor, stark in mäandrischen Knickungen
zusammengefaltet; diese Gesteine setzen die Thal Weitung zusammen
und werden auf den Höhen ringsum von dem Kalk Überlagert. Das
Schichtstreichen ist östlich. — Wir gehen über einen Pafseinschnitt
nach NW, wohin sich auch zwischen den beiderseitigen Kalkhöhen
die Schiefer ziehen. Jenseits steigen wir in einem Thälchen hinab zum
Ufer der Kopals. Am Ausgang des Thälchens erscheint schwarzer Kalk
unter dem Schiefer, welcher letztere sich nach Osten am Nordabhang
des langgestreckten Berges von Kokkino hinzieht. Er bildet dort eine
Terrasse unter dem oberen Kalk des Bergrückens; auf ihr liegt das
Dorf Kokkino. (Taf. 2, Abb. 3.)1)
Wir kommen nun an die kleine Bucht des Kopals-Sees, vor welcher
sich die hohe Felsinsel Gla, von kyklopischen und mittelalterlichen
Ruinen gekrönt, aus dem Seeboden erhebt. Ringsum steht nur der
schwarze massige Kalkstein an, der den Schiefer von Kokkino unter-
teuft; er liegt im Hintergrund der Bucht horizontal, am Nordufer fällt
er nach N ein. Es folgt nun eine kurze nordwärts gerichtete KUsten-
strecke; dann wendet sich das Ufer rechtwinkelig nach O in die Bucht
von Topolias hinein. An der Ecke liegen die Reste eines fränkischen
Turmes, Pyrgos H. Marina, schräg gegenüber von Topolias. Hier
drängt sich der Flufs Melas oder Mavropotamos, der einzige beständige
Wasserlauf der Kopaüs, unmittelbar an das steile Felskap an. Sein Bett
ist steilwandig mehrere Meter tief unter das Niveau der Ebene einge-
schnitten; es zeigen sich in ihm nur die weifsen Mergel des Seebodens
entblöfst. Eine schmale fränkische Brücke, dem Weg von Theben nach
Topolias dienend, führt in sieben Bogen Uber den ansehnlich breiten
und tiefen, ruhig strömenden Flufs.
Nahe südlich des Felskaps fallen die Schichten des schwarzen
Kalkes, sich nach N umbiegend, saiger in die Tiefe; am Kap selbst
steht, ebenfalls saiger, ursprünglich wohl den schwarzen Kalk über-
lagernd, ein plattiger heller Kalk an.
Auf der linken Seite des Melas zieht sich durch die Eibene ein
deutlich erhaltener alter Kanal, von breiten Deichen eingefafst, die
auf der Innenseite mit kyklopischem Mauerwerk versehen sind. Durch
die Einschwemmungen der Jahrtausende ist der Boden des Kanals
fast bis zur Höhe der Ebene angefüllt; die Deiche sind abgeflacht. Der
heutige Melas hat sein Bett aus dem Kanal hinaus verlegt und letzteren
l) Vgl. auch die Abbildungen bei Bittner, Tafel I.
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22
Alfred Philippson:
an einigen Stellen durch seine Windungen angeschnitten und strecken-
weise ganz zerstört. t
Wir durchwandern nun die Bai von Topolias in östlicher Richtung
bis zu ihrem Ende. Sie ist rings von Kalkbergen umgeben, weiche
deutlich geschichtet sind und in rötlicher Farbe verwittern. Auf der
Nordseite nahe dem Ostende ist das Streichen der Schichten nach N
gerichtet1), abweichend von dem sonst im ganzen Gebiet herrschenden
OSO-Streichen. Hier liegen mehrere Katavothren im Hintergrund
kleiner Buchten zwischen Felsvorsprilngen (s. S. 47). Von der
NO-F.cke der Bai zieht sich der niedrige Sattel nach Larymna hinüber.
Wir betrachteten mehrere der antiken Schächte, die auf der ganzen
Linie des Sattels abgeteuft sind. Ani Ostrand der Bucht von Topolias,
bei der Grofsen Katavothre, streichen die Schichten des Kalkes O und
fallen S. — Von hier ging es nach dem Haus bei Karditsa zurück
und von dort zu Wagen nach Theben, wo wir spät abends eintrafen.
3. Theben-Livad ia-Skripu (21. März) und weiter nach Dadi
(22. März 1893). Der Weg bis zum Isthmos von Onchestos ist schon oben
beschrieben worden. Jenseits desselben geht es kaum merklich hinab
auf den Saum höheren Schwemmlandes, der den Seeboden im Süden
begrenzt; links steigen die Vorhöhen des Helikon an. Der erste Teil
jenes Saumes ist der Schuttkegel des Baches I.ophis oder Permessos,
auf welchem das Dorf Mulki liegt. Die Strafse führt links vom Dorf
an einem Felsvorsprung mit altem Wachtturm vorbei, wo gelber dick-
bankiger dichter Kalk ansteht. Wir machen an einem Haus der
Kopals-Gesellschaft Halt, das, wiederholt durch Erdbeben zerstört,
gerade wieder aufgebaut wurde.
Die Höhen bei dem Hause bestehen aus demselben dichten Kalk,
streichend SW, fallend NO. Auch der breite, flache Hügel westlich
des Hauses, auf dem ehemals das alte Haliartos stand, besteht aus
gelbem, dichtem Kalk, wechselnd mit rotem Hornstein und mit Massen
einer bunten Kalkbreccie, welche Bohnen von Eisenerz enthält. Die
Breccie ist keine Oberflächenbildung, sondern dem Kalk eingelagert.
Von dem Hügel von Haliartos, der halbinselartig in die Niederung
vorspringt, hat man einen weiten Blick über diese selbst und auf den
schneebedeckten Parnafs im Westen. — Über dem Kalk von Mulki
scheint an den Abhängen des Helikon bei Mazi Schiefer zu liegen.
Gleich westlich Haliartos kommt Serpentin-Schiefer und Serpentin-
Konglomerat zum Vorschein.
Der Weg führt nun an der zackigen Kette des I.ibethrion vorbei :
oben liegen Kalke, darunter Schiefer, sehr stark gefaltet, W streichend.
*) So auch bei dem Kephalari von Larymna, vgl. meinen „Bericht“ u. s. w.
S. 389.
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Der Kopais-See io Griechenland und seine Umgebung.
•23
In dem Bergvorsprung I’etra stellt unter diesem Schiefer wieder der
gelbe Kalk an, dem die Quelle Tilphusa entspringt. Hier tritt das
Gebirge unmittelbar an das See-Ufer, und die Strafsc, die Eisenbahn
sowie der grofse Gttrtelkanal mit seinen Deichen ziehen dicht am
Felsen vorbei. Nun öffnet sich links die Bucht von Koronea; dann
kommen wir bei den heifsen Quellen und den Mühlen von Kalamaki
wieder an den Fufs des Gebirges, der aus Schiefer besteht, unter dem
bergwärts Kalk hervortaucht. Zur Rechten entfernt sich das Ufer des
ehemaligen Kopals-Sees immer mehr von uns, und vor ihm breitet sich
eine fruchtbare, schön angebaute Ebene aus. Bald um eine Bergecke
biegend, sehen wir plötzlich das malerische Livadia vor uns1); doch
ohne in die Stadt einzufahren, biegen wir rechts ab durch die Ebene
nach Skripü. Auf einer neuen Brücke überschreiten wir den grofsen
Gurtelkanal, der den Kephissos in sich aufgenommen hat, und dann auf
einer alten Brücke den ehemaligen, jetzt trocken liegenden Unterlauf
jenes Flusses. Das Dorf Skripu liegt auf dem Delta-Kegel, den der
Kephissos in den Kopals-See vorgebaut hat, an dem Ende des langen
Felsrückens Durduvana (Akontion), der die Akropolis von Orcho-
menos trägt, von der noch ansehnliche Mauern erhalten sind. Die
alte Stadt zog sich wohl auch in die Ebene hinab und über die Stelle
des heutigen Dorfes hin. Der Felskamm der Akropolis fällt ziemlich sanft
nach S, dagegen sehr jäh nach N zur Bucht von Tzamali ab. Die
Schichten des hellen Kalkes der Durduvana fallen bei Skripu nach S;
weiter westlich aber bilden sie ein W streichendes Gewölbe, welches
nach N unter die Schieferzone von Tzamali eintaucht. *) An
der Nordseite der Bucht sieht man nur stark gefalteten, rötlich ver-
witternden Kalk.
An dem letzten Ausläufer des Akontion bei Skripu liegt auf der
Südseite des Kalkrückens eine bedeutende Masse von Erde an, die
augenscheinlich von Menschenhand aufgeschüttet ist. In diese Erde
ist das prächtige Kuppelgrab, das sog. „Schatzhaus des Minyas“, hin-
eingebaut. Die Decke der Grabkammer besteht aus grofsen skulpierten
Platten eines grünlichen krystallinischen Schiefergesteins. AVoher mögen
diese Stücke herbeigebracht sein?
Am Nordfufs der Akropolis entspringt, genau im Niveau von
ioo m U. d. M., eine der Quellen des Melas, einst die Quelle der Chariten.
Der ganze benachbarte Teil der Bucht ist stark versumpft und wird
es auch trotz der Entwässerung des Sees bleiben.
1 ) Vgl. meinen „Bericht“ u. s. w. S. 356.
*) So erschien es mir deutlich von den Quellen des Melas aus. Bittner (S. 6
und 9) giebt allerdings an, dafc der Kalk den Schiefer überlagere.
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•24
Alfred Philippson:
Der Weitermarsch von Skripu nach Dadf am oberen Kephissos
führt uns am Stidfttfs der Durduvana entlang. Zur Linken haben wir
die ungemein fruchtbare Kephissos-Ebene, durchaus angebaul, und zwar
zumeist mit Baumwolle, dann auch mit Mais. Der Flufs selbst ist von
Weidenbäumen eingefafst. Oberhalb von Skripu ist der Flufs durch eine
Schleuse von seinem natürlichen Mündungslauf abgesperrt und in den
hier beginnenden grofsen Gürtelkanal geleitet. Aufwärts bis Veli ist
das rechte Ufer des Flusses eingedeicht, da er hier bei Hoch-
fluten oft nach rechts ausbricht. Bei Bisbardi enthält der Durduvana-
Kalk zahlreiche Rudisten und andere Fossilreste. Am Westende der
Durduvana sieht man den Kalk wiederum nach N unter Schiefer ein-
fallen, aus dem sich weiter nach N der Kalk des Mavrovuno hervorhebt;
der Schieferzug bildet also eine Faltenmulde. In dem Kalk des Mavro-
vuno und der Vetrisa ist der Engpafs des Kephissos bei dem alten
Parapotamia eingeschnitten; auch hier führt der Kalk Rudisten. Der
Engpafs besitzt immerhin einen Thalboden von einigen hundert Metern
Breite. Alle Berge sind abschreckend kahl, denn die immergrünen
Makien fehlen hier wegen des binnenländischen Klimas gänzlich, mit
Ausnahme der dürftigen Kermeseiche.
Die weiteren Beobachtungen fallen aufserhalb der Grenzen unseres
Gebietes. ')
III. Der geologische Bau des Faltengebirges und
die Entstehung der Becken.
Unsere Kenntnis des geologischen Baues des Kopals-Gebietes
beruht fast ausschliefslich auf den Aufnahmen von Bittner, welche
den Umständen entsprechend nur den Charakter vorläufiger Übersichts-
aufnahmen tragen konnten. Wie dieser F'orscher selbst hervorhebt,
genügen sie nicht, um bei dem Mangel bestimmbarer Fossilien und bei
den verwickelten tektonischen Verhältnissen eine sichere Reihenfolge
der Schichten im östlichen Mittel-Griechenland aufzustellen. Die Unter-
scheidung zweier Kalketagen mit einer Schieferzone dazwischen, wie
sie Bittner durchzuführen suchte, steht daher auf schwachen F'üfsen.
Als gewifs können wir nur sagen, dafs die ganzen Faltengebirge dieses
Gebietes von Attika abgesehen — aus einem mehrfachen
Wechsel von Kalksteinen und Schiefern (nebst Sandsteinen) be-
stehen; zu den Schiefern gesellen sich, diese stellenweise ersetzend und
verdrängend, Serpentine, und mit diesen eng verbunden und wohl
als Kontaktbildungen derselben aufzufassen, Horn steine (Jaspis). Die
1 ) Andere geologische Beobachtungen im Kopais-Gebiet s. bei Fiedler, Russ-
egger, Sauvage, besonders aber Bittner a. a. O. S. r — 8- Auch Philippson „Bericht“
u.s.w. S. 353, 357, 389 f-
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Der Kopäis-See in Griechenland und seine Umgebung.
25
verschiedenen Kalk- und Schieferhorizonte ähneln einander petro-
graphisch sehr, auch wechselt der petrographische Habitus in ein und der-
selben Gesteinszone öfters, Umstände, welche die Entwirrung noch mehr
erschweren. In mehreren Kalkhorizonten finden sich Rudisten, die
aber nur an einer Stelle, dem Keratovuno oder Hörnerberg (zwischen
Liradia und Chaeronea) in ihren Arten bestimmbar sind '). Diese ge-
hören dem Provencien (Turon), also der oberen Kreideformation
an. Da auch an zahlreichen anderen Orten Rudisten, wenn auch nicht
näher bestimmbar, auftreten, andererseits in dem ganzen Gebiet noch
kein Fossil gefunden ist, das einer anderen Formation, als der Kreide,
angehört, so müssen wir die ganze mächtige Schichtfolge der Kreide-
formation zuzählen.
Diese Schichten sind in dem ganzen Kopals-Gebiet mehr oder
weniger stark gefaltet, und zwar mit der Streichrichtung WNW — OSO,
die sich in dem Ptoischen Bergland in O und ONO umdreht. Da-
neben finden sich zahreiche örtliche Abweichungen der Streichrichtung.
In dem nördlichen Gebirgszug, dem Chlomos- und Ptoischen Ge-
birge, herrscht im allgemeinen ein Einfallen der ganzen Schicht-
komplexe nach Südsüdwest, indem ihre Schichtköpfe nach Nord
ausbeifsen. Anschaulich beschreibt Bittner (S. 7) dies Verhalten, wie
es sich z. B. beim Überblick vom Chlomos-Gipfel aus zeigt. — Wir
können hier also eine Anzahl paralleler Gesteinszonen unterscheiden,
von denen die südlichere immer die jüngere ist. Im einzelnen sind
aber auch diese Gesteinszonen in sich stark gefaltet, sogar bis zu
saigerer Schichtstellung. Erst auf der Linie Karditsa Ungra-Paralimni
hört das südliche F’allen auf, und es folgt ein grofses Faltengewölbe
in der Phaga- und Ktypa-Gruppe*). Diesem Gewölbe scheint westlich
des Sees die Antiklinale der Durduvana zu entsprechen.
Wesentlich anders ist der Bau des Helikon. Zwar herrscht auch
hier das Streichen nach OSO, allmählich nach O umbiegend, aber das
Gebirge besteht aus mehreren parallelen, dicht aneinander gedrängten
Falten*), an welche sich im N die Phaga-Falte anschliefst. Die Grenze
zwischen dem Gebiet mit südlichem Einfallen und den Falten des Helikon
läuft also etwa von Tzamali durch die Kopals, über den Isthmos von
Karditsa und den Paralimni-See. Die Falten des Helikon finden ihre Fort-
setzung nach W im Parnafs, nach O im Soros-Gebirge, während sich
nach SO im Kithaeron und Parnes neue Falten angliedern, die im
Westen unter dem Korinthischen Golf begraben liegen.
1 ) Vgl. Bittner a. a. O. S. 40. — Steinmann, Einige Fossilreste aus Griechenland.
Ztschr. d. Deutsch. Geolog. Gesellsch. 1890. S. 769!.
*) Vgl. Bittner S. 9. 3) Bittner S. 49.
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26
Alfred Fhilipps'on:
Die einfacheren Lagerungsverhältnisse des nördlichen Gebirgszuges
geben uns die Möglichkeit, wesentlich auf Grund der Bittner’schen
Beobachtungen eine Schichtfolge aufzustellen, die für diesen Gebirgs-
teil einen ziemlichen Grad von Wahrscheinlichkeit hat. Es ist die
folgende:
1) Zu unterst liegen der Serpentin und die übrigen Eruptiv-
gesteine von Atalanti.
2) Darüber der Kalk des Chlomos, ein weifser, feinkörniger
dolomitischer Kalkstein, der den Zug des Chlomos von Kalapodi bis
Martino zusammensetzt. Er geht nach oben unmerklich über in den
3) Kalk von Skroponeri, einen dickbankigen, meist dunklen,
schwarzgrauen — stellenweise aber auch (wohl im höheren Teil) gelb-
lichen plattigen — Kalk, welcher das Gebirge um die Buchten von
Topolias und Skroponeri bildet. Aus dieser Gegend sind keine Ru-
disten bekannt, doch ist der Skroponeri-Kalk, wie wir sehen werden,
wahrscheinlich mit dem dunklen Kalk der Herkyna- Schlucht bei
Livadia identisch, welcher solche führt1).
4) Wechselnde Schiefer- und Kalk-Züge des Ptoon, die wir als
Ptoische Stufe bezeichnen wollen; mit den Schiefern zusammen tritt
abermals Serpentin auf. Die Kalke sind meist sehr dicht, hell gefärbt
und führen Rudisten. Diese Stufe bildet die Kalke und Schiefer bei
Abae im NW des Kopals-Sees, die Gegend von Pavlo und Topolias
und dann die Gruppe des Ptoon. Auch der Serpentin von Lukisia
und Muriki gehört wohl hierher.
5) Darüber folgt eine mächtige Kalkmasse, die wir als Phaga-
Kalk bezeichnen wollen. Dieser ist bald grauschwarz, bald hellgelb-
lich und führt Rudisten. Ihm gehören die Gruppen der Phaga und
Ktypa an, im Westen des Sees die Kalke des Mavrovuno, der Durdu-
vana und des Hömerbergs, am Fufs des Helikon wahrscheinlich die
Kalke von Mulki und Petra. Durch die Fossilien des Hörnerbergs
würde dieser Kalk in das Turon gerückt.
6) Über diesem Kalk liegt die Schieferzone von Tzamali,
ohne Serpentin.
Wenn wir mit dieser Schichtfolge zunächst die Gesteine des
Helikon vergleichen, so können wir mit einiger Wahrscheinlichkeit
die Schiefer von Livadia, die unter den Kalken des Hörnerberges (=
Phaga-Kalk No. 5) liegen, der Ptoischen Stufe (No. 4) zurechnen, die
darunter liegenden Kalke des westlichen Gebirgsabschnittes (s. S. 7)
dem Skroponeri- und Chlomoskalk (Nr. 3 und 2); dagegen wären
im östlichen Gebirgsabschnitt die gelben Kalke der Küstenkette süd-
1 ) Bitlner S. 39. Steinmann a. a. O.
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Der Kopais-Sce in Griechenland und seine Umgebung.
•27
lieh von Dombrena ebenso wie die am Nordfufs hervortretenden Kalke
von Mulki und Petra dem Phaga-Kalk (No. 5), die Schiefer von Zagara
den Tzamali-Schiefern (No. 6) gleichzustellen; die darüber lagernden
7) Kalke des Helikon von Zagara würden die ganze Schicht-
folge nach oben abscbliefsen. Es sind, nach Bittner. helle, dichte,
plattige , fossilleere Kalke, also wohl an die italienische Scaglia
erinnernd.
Ist die Unterscheidung dieser Horizonte innerhalb der Umrahmung
des Kopals-Beckens nur als eine wahrscheinliche, nicht als eine
sichere zu bezeichnen, so begeben wir uns ganz in das Gebiet hypo-
thetischer Spekulation, wenn wir diese Stufen schon jetzt, wo genauere
Aufnahmen noch fehlen, über andere Teile des östlichen Griechenland
verfolgen. Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dafs die Schiefer- und
die Kalkfacies sich vielfach gegenseitig ersetzen und verdrängen, dafs
also die Stufen nicht auf gröfsere Strecken beständig sind. Dennoch
will ich es mir nicht versagen, hier kurz anzuführen, wie sich nach
meiner Meinung eine solche Parallelisierung am wahrscheinlichsten ge-
stalten würde; denn vielleicht bietet dieser Versuch doch eine Hand-
habe für die spätere Entwirrung der griechischen Kreideformation.
Verfolgen wir den nördlichen Gebirgszug nach Westen, so scheint
derChlomos-Kalk an einerQuerverschiebung bei Kalapodi abzuschneiden.
Jenseits derselben besteht die Gruppe der Tzuka aus Kalk, der teils
den Serpentin der Fondana überlagert, (mit Rudisten), teils denselben
unterlagert. Der Serpentin der Fondana ist wohl gleich dem von
Muriki, also Ptoisch (No. 4), der Kalk der Tzuka teils Skroponeri-,
teils Phaga - Kalk. Der Kalk des Gipfelzuges der Saromata scheint
Chlomos- und Skroponeri-Kalk (2 und 3) zu sein1). _ Unter ihm
liegt auf der Nordseite ein System von Kalken, bunten Schiefern
und Serpentinen und darunter die mächtige Kalkmasse der Ther-
mopylen. Falls hier nicht eine Überschiebung, also eine Wieder-
holung der Ptoon- und Chlomos-Stufe vorliegt, hätten wir hier noch
einen älteren Kalk unter der Chlomos - Stufe. Noch wahrschein-
licher ist dies in dem Spartia - Gebirge der Fall,, welches sich an
der Küste von Kaenurion bis Livonataes zieht. Die Serpentine und
Jaspisse desselben entsprechen dem Serpentin von Atalanti; der
darunter liegende Spartia-Kalk wäre dann das tiefste Glied
der Schichtfolge des östlichen Mittel-Griechenland.
In der südlichen Gebirgskette würde die obere Kalkmasse des
Parnafs dem Phaga- und Hörnerberg-Kalk (No. 5) gleich sein ; der
untere Kalk, zu dem auch wohl die von Bittner entdeckte Gault-Fauna
') Vgl. Bittner S. 16.
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28
Alfred Philippson:
gehört, dem Chlomos- und Skroponeri-Kalk ( 2 und 3). Der Phaga-
Stufe (5) scheint auch der Hauptkalk des Kithaeron und Farnes mit
seinen Rudisten zu entsprechen, während die darunter liegenden
Schiefer- und Kalkzüge, z. B. bei Phyle im Parnes, der Ptoon-Stufe
(4) gleich zu stellen wären. Über dem Parnes-Hauptkalk liegen in der
Gipfelregion dieses Gebirges Schiefer (= Tzamali, 6) und Plattenkalke
(= Zagara, 7).
In der Argolis würde der Kalk von Cheli vielleicht dem Spartia-
Kalk, die Schiefer und Serpentine von Lygurio und der Geraneia dem
Serpentin von Atalanti, die Kalke von Phanari und der Geraneia dem
Chlomos- und Skroponeri-Kalk, die Schiefer des Aderes mit ihren
Kalkziigen den Ptoon-Schichten, die Kalke von Hydra dem Phaga-Kalk
entsprechen. — Ist dies richtig, dann ist der Kalk von Salamis und
des Aegaleos bei Athen, als Fortsetzung der Geraneia, ebenfalls gleich
dem Chlomos- und Skroponeri-Kalk, die Athener Schiefer gleich dem
Serpentin von Atalanti, die darunter liegenden Kalke am Fufs des
Hymettos1) gleich dem Spartia-Kalk und also auch gleich dem Cheli-
Kalk. Diese Schiefer und unteren Kalke weisen auch im Streichen an-
nähernd auf den Chcli-Kalk und die Lygurio-Schiefer der Argolis hin.
Darunter folgen in Attika die krystallinischen Schiefer und Marmore.
Wie sich nun aber der Aegaleos-Kalk zum Parnes-Kalk verhält, den wir
eben einer jüngeren Stufe zugeschrieben haben, bleibt zweifelhaft. —
Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unserem Kopals-Gc-
biet zurück.
Die Faltung des Gebirges war, entweder nach Schlufs der Kreide
oder spätestens in der mittleren Tertiärzeit, längst vollendet, als die
grofsen Becken in ihm sich zu bilden begannen. Die ältesten Teile
dieser Becken sind mit jungtertiären Ablagerungen erfüllt, und diese
sind wiederum gebrochen, aber nicht gefaltet. Die vollständige Unab-
hängigkeit dieser jüngeren Beckenbildung von dem Bau des älteren
Faltengebirges zeigt sich auf Schritt und Tritt. Die Becken greifen
ganz unregelmäfsig durch die verschiedenen Zonen des Faltengebirges
hindurch. So liegen die beiden oberen, dorisch-phokischen Becken
des Kephissos nördlich von der Kalkzone des Mavrovuno und Parori,
die sich im Parnafs fortsetzt, während das Becken von Chaeronea süd-
lich desselben Kalkzuges liegt. Das Kopa'is-Becken selbst durchsetzt
verschiedene Zonen des Faltengebirges, welche von Westen her an das
Becken herantreten und auf dessen Ostseite ihre Fortsetzung finden.
So ist der südliche Teil des Kopals-Beckens in die nördlichste Falte
des Helikon-Systems, die Falte der Durduvana und Phaga, eingebrochen;
1 J Lepsius, Geologie von Attika. Berlin 1 893.
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Der Kopäis-See in Griechenland und seine Umgebung.
29
der nördliche Teil dagegen durchsetzt die Ptoische Zone und greift noch
in die Chlomos-Zone ein. Ebenso unterbricht das thebanische Becken
den Zusammenhang der Helikon-Falten mit dem Soros-Gebirge. Jung-
tertiäre, ungefaltete Schichten finden sich in verschiedenen Teilen
dieser Becken.
Die beckenförmigen Einbrüche der Phokisch-böotischen
Niederungsreihe sind also späterer Entstehung als das
Faltengebirge und in ihrer Anordnung und Umgrenzung
von diesem unabhängig.
Dafs die Reihe dieser Niederungen der Streichrichtung des Falten-
gebirges zu folgen scheint, kann diesen Schlufs nicht erschüttern. Denn
bei genauerer Betrachtung sehen wir, dafs dies nur für einzelne
Glieder der Reihe, nicht für diese selbst gilt, indem die einzelnen
Becken, wie wir sahen, in verschiedenen Zonen des Faltengebirges
liegen, und zwar in rautenförmiger Anordnung: je weiter nach Osten,
desto mehr nach Süden verschoben. Das oberste Becken endlich
liegt gar nicht mehr im Streichen des Faltengebirges, da dieses sich
hier nach NNW gedreht hat. Ebensowenig ist dies bei den benach-
barten und ähnlichen Bruchzonen des Korinthischen Golfes und des
Kanals von Euboea der F'all. Die scheinbare Übereinstimmung der
Beckenreihe mit dem Streichen des Faltengebirges ist also nur als eine
zufällige zu bezeichnen, wenn es auch natürlich im einzelnen nicht
ausgeschlossen ist, dafs die Leitlinien des F'altengcbirges hier und da
auf den Verlauf der späteren Brüche eingewirkt haben, bezüglich dafs
diese schon im Faltengebirge stellenweise vorgebildet waren. Die
beiden jetzt durch die Einbrüche getrennten Bergketten
bildeten also ursprünglich eine einheitliche Gebirgsmasse.
Da die einzelnen Becken von einander meist durch Bergriegel
anstehenden Kreidegesteins getrennt sind, welche mit den Seitenwänden
in unmittelbarem geologischen Zusammenhang stehen, also nicht etwa
eingesunkene Teile darstellen, besteht die Niederungsreihe aus einer
Anzahl selbständiger Einbrüche, die auf einer gemeinsamen Axe
angeordnet und im ganzen wohl gleichaltriger Entstehung sind.
Schon die regelmäfsige Anordnung giebt zu erkennen, dafs wir es
bei diesen Becken nicht etwa mit Einstürzen über Höhlungen zu thun
haben, die vom Wasser im Kalkstein ausgelaugt wären, also mit einem
Karstphänomen — wie das zuweilen vom Kopals-Becken behauptet
wird — sondern dafs sie tektonischen Ursprungs sind. Das wird zur
Gewifsheit durch den Umstand, dafs ja die grofcen Becken durchaus
nicht nur in Kalkstein, sondern auch in mächtige Schiefer und Serpen-
tine cingesenkt sind und die verschiedensten Gesteinszonen ohne Rück-
sicht auf ihre petrographische Beschaffenheit durchsetzen. Besonders
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30
Alfred Philippson:
klar ist dies an den Buchten der Kopals-Niederung. Aufserdem sehen
wir in der grofsen Verwerfung von Theben eine tektonische Erscheinung,
die mit der Entstehung des thebanischen Beckens ursächlich verbunden
ist. Auch die Becken von Kolaka und Martino sind wohl tektonischen
Ursprungs. Anders steht es aber mit den kleinen Seebecken des
Likeri und Paralimni, welche als schmale und tiefe Senken in Kalk-
stein eingebrochen sind. Diese können sehr wohl als Einsturz-
becken über Höhlungen aufgefafst werden, welche der mächtige
unterirdische Wasserstrom, der hier von der Kopais nach Osten zum
Meer zieht, ausgelaugt hat.
Über das Alter und die Entstehungsgeschichte der Becken geben
uns die jungtertiären (neogenen) Schichten einigen Aufschlufs. Wir
finden Binne nsee- Ablagerungen dieser Zeit an der Küste des
Kanals von Euboea und im Innern der Becken in weiter Verbreitung
und grofser Mächtigkeit. Sie bestehen aus Mergeln, Sanden und
Konglomeraten; letztere sind im thebanischen Becken sehr reich an
Serpentingeröllcn und führen aus deren Zersetzung entstandenen Meer-
schaum. Fossilien sind aus diesen Schichten im ganzen festländischen
östlichen Mittel-Griechenland (aufser Attika) nur von einem Fundpunkt
bei Livonataes (nördlich von Atalanti in der Nähe der Küste) bekannt.
Es ist eine brackische Fauna der levantinischen Stufe des Pliocän.
Das mächtige Neogen, das von hier westlich bis zu den Thermopylen
die Küste begleitet und, in Schollen verworfen, das Gebirge bis 700 m
Höhe einhüllt, entstammt also einem Binnensee, der mit dem Meer
in beschränkter Verbindung gestanden hat. Nicht nachgewiesen, auch
nicht wahrscheinlich ist ein solcher Zusammenhang mit dem Meer bei
den übrigen neogenen Binnenseen unseres Gebietes. Hier finden sich
die Neogenschichten an der Küste nur in einzelnen kleinen, unzu-
sammenhängenden Flecken und in fast vollkommen horizontaler Lagerung ;
so in der Halbinsel Aetolimas, dann östlich von Anthedon, ferner bei
Chalia; ausgedehnter im Becken von Tanagra. Gegenüber auf Euboea
liegen ähnliche Partien neogener Binnensee-Gebilde. Es ist klar, dals
in der jüngeren Tertiärzeit an der Stelle des Kanals von Euboea
sich eine Kette von Binnenseen befand, an deren Statt erst später
der Meeresarm trat, wie dies ja auch mit der sonstigen Geschichte
des Ägäischen Meeres übereinstimmt.
Im Innern des Landes finden sich neogene Süfswasser-Schichten
in abgeschlossenen Becken bei Kolaka und Martino sowie am oberen
Kephissos. Eine grofse einheitliche Ablagerung bedeckt ferner im Zu-
sammenhang das Becken von Tanagra und die obere Thebanische Ebene
und zieht von hier aus als schmale Terrasse am Stidrand des Kopals-
Beckens hin, in einzelnen Flecken bis in die Gegend von Livadia reichend.
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Der Kopa'is-See in Griechensand und seine Umgebung.
31
Wie schon erwähnt, bricht diese See-Ablagerung, welche bis etwa 400 m
Meereshöhe hinaufreicht, nach N in die Tiefe, um weder in der unteren
Thebanischen Ebene noch in dem ganzen nördlichen Teil der Kopals-
Niederung wieder zum Vorschein zu kommen. Die kleinen Vorkomm-
nisse von See-Ablagerungen südlich von Karditsa und an dem Isthmos
von Muriki können kleinen lokalen Becken entstammen; zudem ist ihr
tertiäres Alter nicht zu beweisen.
In der Neogenzeit breitete sich also schon ein einheit-
liches, tektonisch eingebrochenes Seebecken über den süd-
lichen Teil der Thebanischen und Kopats-Niederung aus.
Erst später sanken dann die nördlichen Teile dieser Niederungen ein,
und zwar bedeutend tiefer als die südlichen, sodafs der alte Seeboden
in einer Meereshöhe von 300 bis 400 m zurückblieb, bezüglich zu ihr
gehoben wurde. Dafs an den Verwerfungen, welche die Einbrüche
bedingten, auch Hebungen stattgefunden, das Neogen also auch ge-
hoben sei, macht die Analogie mit der korinthischen Bruchzone wahr-
scheinlich, wo ich dies des Näheren nachgewiesen habe1). Mit der
Ausbildung der Brüche gingen lebhafte Verschiebungen auch des
Faltengebirges — aber ohne erneute Faltung — vor sich, doch haben
diese das Kopals-Gebiet weniger betroffen, als das Gebirge nördlich
der oberen Kephissos-Becken, wo das Neogen stark gestört bis zu
700 m hinaufreicht, während es hier 500 m (bei Kolaka) nicht über-
steigt. — Von den Becken-Brüchen gingen jedenfalls auch Querspalten
aus, welche die Rand-Gebirge durchsetzten und verschoben. Als ein
solcher Querbruch ist z. B. die Linie von Kalapodi, ferner die phokische
Erdbebenlinie aufzufassen. Die äufserst heftigen Erdstöfse, die unser
ganzes Gebiet heimzusuchen pflegen — so hat im Sommer 1893, nach
meiner Anwesenheit in Theben, ein Beben diese Stadt stark mitge-
nommen — bezeugen, dafs die Bewegungen noch nicht zur Ruhe ge-
kommen sind.
Die Übereinstimmung zwischen den drei parallelen Bruchzonen des
Korinthischen Golfes, der Phokisch-böotischen Niederung und des
Kanals von Euboea ist eine sehr grofse. Alle drei sind zuerst im
Neogen entstanden und haben sich seitdem nach Nord, bzw. NO ver-
schoben, indem auf der Südseite das Neogen der ältesten Versenkung
an den Gebirgen emporstieg, auf der Nordseite sich tiefere Einbrüche
ausbildeten, sodafs an den nördlichen Bruchrändern kein oder wenig
Neogen zu finden ist. Dafs die beiden Meeresarme jetzt als eine ein-
heitliche Grabenversenkung erscheinen, während die Phokisch-böotische
Niederung noch aus einzelnen Kesselbrüchen besteht, ist nur ein
') Vgl. meinen „Peloponnes", Berlin 1891 S. 431 f.
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32
Alfred Philippson:
gradueller Unterschied ; denn auch die ersteren bestanden augenschein-
lich zuerst aus einzelnen Becken, die sich erst später durch fort-
schreitenden Abbruch vereinigten.
So ordnen sich die Becken der Phokisch-böotischen Niederung den
zahlreichen jugendlichen tektonischen Einbrüchen ein, welche in ganz
Griechenland das Faltengebirge geradezu durchlöchern und für die
heutige Gestaltung des Landes fast mafsgebender sind, als der Bau
des Faltengebirges selbst. Ich möchte an dieser Stelle nochmals be-
tonen, wie bei Untersuchungen über den Gebirgsbau Griechenlands
stets beachtet werden mufs, dafs die Einbrüche jünger als das Falten-
gebirge und von diesem unabhängig sind, wie dies schon Neumayr
hervorgehoben hat. Der Verlauf und der Umrifs der Gebirge sind
wesentlich durch diese jüngeren Brüche bedingt, und auch ihre Schicht-
stellung ist oft von den an diesen vor sich gegangenen Bewegungen
verändert. Diese späteren Einflüsse haben wir zu eliminieren, wenn
wir den Bau der Faltengebirge studieren wollen. Es wird dies zuweilen
vernachlässigt, und dann kommt man zu den verwickeltsten Durch-
kreuzungen verschiedener „Faltungsrichtungen". —
Nach erfolgtem Einbruch mufsten sich die Becken naturgemäfs mit
Seen füllen. Ob der n eogene See, der das heutige Becken von Tanagra
ganz und die von Theben und der Kopals teilweise bedeckte, einen ober-
flächlichen Ausflufs zum Meer hatte, wissen wir nicht. Später sanken die
nördlichen Teile der beiden letzteren Becken ein, und zwar noch weit
tiefer, als sie es heute sind, denn sie sind ja jetzt von Alluvium auf-
gefüllt. Die Seen zogen Sich nun naturgemäfs in diese nördlicheren,
tieferen Teile zurück. Ihr Boden war zunächst uneben, bergig, wie es
die Oberfläche des versenkten Gebirgsteiles sein mufste, die lange der
Erosion ausgesetzt gewesen war. Noch heute erheben sich ja isolierte
Berginseln aus den Ebenen hervor. Die vollkommene Horizontalität
der unteren Thebanischen Ebene verrät, dafs hier ebenso, wie in der
Kopals, einst ein See bestanden hat (vergl. S. 13).
Da die beiden tiefen Becken der Kopals und von Theben rings
geschlossen waren, mufsten die Seen zunächst ohne oberflächlichen Ab-
flufs sein. Das Wasser mufste so lange in ihnen steigen, bis entweder
1) die Verdunstung dem Zuflufs das Gleichgewicht hielt, oder 2) das
Becken am niedrigsten Punkt seiner Umwallung überflofs, oder 3) sich
unterirdische Ausgänge öffneten. Ob beim Kopals-See einer der ersten
beiden Fälle jemals eingetreten ist, mufs dahingestellt bleiben. Der
erste Fall ist wohl möglich, da auch in der Jetztzeit, selbst bei mangel-
haft funktionierenden Katavothren, der See durch die sommerliche Ver-
dunstung zuweilen ganz austrocknete. Dagegen treffen wir nirgends
Spuren eines alten oberflächlichen Ablaufes.
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Der Kopjis-See in Griechenland und seine Umgebung
33
Wie dem auch sei, es bildeten sich früher oder später, indem das
Wasser den Gesteinsspalten folgend eindrang, durch die auflösende
Kraft des kohlensäurehaltigen Wassers auf den kohlensauren Kalk
Katavothren, unterirdische Abzugsschliinde , in' dem Geliirgs-
randc beider Seen aus. Die Katavothren sind erst die Folge
der d urch t ek ton is ch en Ei n bru ch entstandenen Seen, haben
also mit deren Ursprung selbst nichts zu thun. Zugleich bedeckte sich
der Seeboden mit ebenem Schwemmland, das allmählich nach auf-
wärts wuchs und die Seen immer seichter machte; endlich erreichte
der Boden die tiefsten Katavothren. Damit waren die Seen in
periodische Kata vothren-Seen umgewandelt, und es begann jenes
wechselnde Spiel der Wasserstände, das wir eingangs als charakteristisch
für diese Art von Seen geschildert haben. Im ganzen war damit der
Zustand hergcstellt, wie er im Kopats-See in der historischen Zeit be-
obachtet worden ist. Der Thebani sehe See dagegen hatte bereits in
vorhistorischer Zeit seinen Boden bis zur Höhe der tiefsten Punkte seiner
Umrandung, nämlich der Bresche zum I.ikeri-See und dem Eingang
zur Ebene von Muriki, erhöht, und flofs dann ab, vielleicht durch
künstliche Vertiefung der Ausgänge unterstützt. Soweit menschliche
Erinnerung reicht, ist daher die untere Thebanische Ebene bis auf
einige Sümpfe trocken gewesen und konnte der Kultur dienen. Der
Boden des Kopals-Sees hat sich aber noch nicht bis zur tiefsten Stelle
seiner Umrandung erhoben; die Kopats blieb daher T>is zu unseren
Tagen ein periodischer See.
Theoretisch müssen wir voraussetzen, dafs der Kopats-See seinen
Boden und damit auch zugleich seinen Spiegel immer mehr erhöht
hat. Nun finden wir aber an seinen Ufern Spuren früherer höherer
Wasserstände. Ich meine hier nicht jene Wasserstandsmarken von
einigen Metern Höhe über dem Seeboden, welche sich in Gestalt von
irhwärzlichen Streifen, bei den periodischen Überschwemmungen
ilurch irgend welchen Niederschlag in der Höhe des jeweiligen See-
spiegels gebildet, an dem Klippenrand hinziehen (z. B. an dem I’yrgos
H. Marina), sondern weit höhere Spuren. Es sind dies aufserden Strand-
villen von Karditsa alte Katavothren-I.öcher, welche sich an dem
Klippenrand hoch über dem Seeboden öffnen. Leider erlaubte es die
Kurze der Zeit nicht, die Höhe derselben zu messen. Dieser höhere
Wasserstand stammt wahrscheinlich aus vorhistorischer Zeit; denn wir
»erden sehen, dafe die Verhältnisse des Sees sich seit dem Beginn
der geschichtlichen Überlieferung nicht wesentlich verändert haben.
Im Zusammenhang hiermit steht die Frage, ob der Kopats-See sich
jemals auch Uber die Thebanische Ebene erstreckt hat. Wir sahen,
dafs die tiefste Stelle des beide Ebenen trennenden lsthmos schmal
Zeitschr. d. GeselUch. f. Erdk. Bd. XXIX. 3
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34
Alfred Philippson:
und niedrig ist und, soweit an der Oberfläche sichtbar, aus lockerer
Krde mit Steinbrocken vermischt besteht. Ks ist nicht ausgeschlossen,
dafs wir es hier mit einer künstlichen Aufschüttung zu thun haben,
und es wäre wohl möglich, dafs erst Menschenhand in vorhistorischer
Zeit — vor den später zu erwähnenden Minyem — die untere The-
banische Ebene durch Abdämmung des Kopais - Sees an jener Stelle
und durch Erweiterung der Ausflüsse der Thebanischen Ebene selbst
trocken gelegt hat. Von grofser Wichtigkeit für die Entscheidung
dieser Frage wäre eine genaue Messung der höchsten Wasserstands-
spuren der Kopais, ob diese höher oder annähernd so hoch liegen,
als die tiefste Stelle des Isthmos von Onchestos. Gegen die Annahme
eines ehemaligen Zusammenhanges zwischen dem See von Theben und
der Kopais spricht freilich ein wichtiger Umstand. Die Ufer der
Kopais zeigen ringsum einen steilen Klippenrand, der von den Wellen
des Sees ausgearbeitet ist. Hätte der Kopals-See auch die Thebanische
Ebene bedeckt, so müfste diese in gleicher Höhe ebenfalls einen
Klippenrand aufweisen. Das ist aber nicht der Fall, obwohl der Boden
der Ebene tiefer liegt, als die Kopais. Wenn also der einstige Sec
der Thebanischen Ebene einen Klippenrand gebildet hat, liegt er jetzt
unter dem Alluvium verborgen, also in bedeutend tieferem Niveau, als
die Kopais. — Die Frage ist jedenfalls eingehender Untersuchung wert.
»
IV. Die klimatischen Verhältnisse und das natürliche
Znflnfs- nnd Abflufs-System.
Über das Klima des Kopais - Gebietes stehen uns keine sicheren
Zahlen zu Gebote. Die Kopäls-Gesellschaft läfst zwar Kegenmessungen
vornehmen, doch werden deren Ergebnisse nicht veröffentlicht. Im
ganzen schliefst sich das Klima des Gebietes naturgemäfs an das des
übrigen Ost-Griechenland, besonders von Athen, von wo sorgfältige
Beobachtungen vorliegen, an. Doch unterscheidet cs sich von diesem
nicht unwesentlich, und zwar besonders in der Temperatur. Das
Klima der binnenländischen Ebenen Böotiens ist noch kontinentaler als
das von Athen, da sie von dem Einflufs des Meeres durch die Gebirge
abgeschnitten sind. Die Winter sind, wie schon die Alten bemerkt
haben1), kälter und schneereicher als in Attika. Die Gebirgskette des
Kithaeron und l’ames dient im Winter als Wetterscheide zwischen
dem sonnigeren Attika und dem trüberen Himmel, den starken Frost-
graden Böotiens. Während Schneefällc in Athen zu den Selten-
heiten gehören, und nur einige Mal vorübergehend in jedem Winter
auftreten, sind die böotischen Ebenen häufig viele Tage lang unter
') Vgl. Neomann-Partsch, S 5 3 f .
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung. 3f)
einer Schneedecke begraben, und der Frost wird zuweilen so stark, dafs
die Ölbäume schweren Schaden leiden oder ganz zu Grunde gehen.
So war es z. B. im Winter 1887/88 der Fall, wo in Böotien der I.and-
verkehr einige Zeit lang durch den Schnee vollständig aufgehoben
wurde. Auch im März 1893, zur Zeit meiner Anwesenheit im Kopals-
Gebiet, herrschte dort bei beständigem durchdringendem Nordwind
eine für das Mittelmeer-Gebiet, die geringe Meereshöhe und die vorge-
schrittene Jahreszeit ganz aufserordentliche Kälte. Zwar war dieses
Frühjahr überhaupt in ganz Griechenland ein sehr rauhes, aber das
Thermometer hielt sich doch in Athen auf bedeutend höherem Stande.
Der 19. März war von 8 Uhr morgens an bewölkt und zunächst noch
ziemlich warm (-1- 9 bis 10“); nachmittags aber setzte der Nordwind
ein, und gegen 4 Uhr nachm, herrschte in Theben wohl eine Stunde lang
heftiger Schneefall; der Schnee blieb freilich nicht liegen. Das Thermo-
meter sank auf -1- 20. Der 20. war klar; in Theben betrug die
Temperatur morgens 6 Uhr + 1“, in der Ebene aber waren die
Gewässer mit einer Kishaut überzogen und die Berge bis tief hinab
beschneit. Der 21. brachte morgens in Theben o°, im Freien starken
Frost. Bis Mittag war der Himmel klar, dann überzog er sich
und die Temperatur stieg auf -4- 5J0 um 3 Uhr nachm. Am 22. war
morgens bei klarem Himmel im Freien wieder Frost (in Skripu + i°),
abends in Dadi starkes Schneegestöber und am 23. morgens — 1 °.
Zu der gröfseren Winterkälte Böotiens trägt wesentlich die hohe
Gebirgsschranke im S bei, w'elche die warmen Südwinde abhält und
die Nordwinde zum Niederschlag von Schnee auf der böotischen Seite
nötigt, wogegen der nördliche Gebirgszug, da er weit niedriger ist, die
Nordwinde nicht abzuhalten vermag. Der Kopals-See selbst verursachte
häufige feuchtkalte Nebel in seinem Gebiet, wirkte aber im Allgemeinen
in seiner unmittelbaren Umgebung etwas erwärmend. So bemerkt
Theophrast (De causis plantarum V, 12, 3), dafs die Kälte weniger
stark sei, wenn der See besonders hoch angeschwollen. Ob durch
die Austrocknung des Sees die Winter im Kopäis - Becken kälter ge-
worden sind, konnte ich nicht erfahren.
Die Sommer - Temperaturen sind wohl nicht gerade höher als in
Athen, doch fehlt die Abkühlung durch die Seebrise. Die Hitze soll
feuchter und drückender sein, wozu die Ausdünstungen der Seen und
Sümpfe beitragen, welche auch die Atmosphäre häufig dunstig und un-
durchsichtig erhalten1), ln der heifsen Zeit und den darauf folgenden
Herbstmonaten herrschen die heftigsten Malariafieber in ganz
Böotien, besonders aber im Kopais-Becken. Von der dichteren und
*) Vgl. Burnouf, S. 155 ff.
3*
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Alfred Philippson:
schwereren Luft leiteten die Alten manche Schattenseiten im Charakter
der Böotier ab1).
Was die Niederschläge angeht, so ist in Böotien die sommer-
liche Trockenzeit, in der nur seltene und kurze Regen fallen, nicht
minder ausgeprägt, als in Attika. Sie dauert etwa von Mitte Mai bis
Mitte September. Selbst die Schneevorräte des Parnafs genügen dann
nicht, um den Kephissos auf seinem Unterlauf vor der äufsersten Ver-
ringerung seiner Wasserführung, ja gelegentlicher vollständiger Aus-
trocknung, zu bewahren. Alle anderen Bäche des Gebietes sind natür-
lich erst recht im Sommer reduziert, die meisten ganz trocken. Doch
verursachen zuweilen die heftigen Gewitter, die am Parnafs nieder-
gehen, plötzliche gefährliche Hochfluten des Kephissos auch mitten
im Sommer. — Die Hauptregenzeit fällt auch hier wohl in den November
und December, während sich im Frühjahr eine allmähliche Verringerung
des Regens bemerkbar macht. Die Regenmenge scheint im Ganzen
beträchtlicher zu sein als in Attika, besonders in dem von hohen Ge-
birgen umgebenen westlichen Teil des Gebietes. Tagelange Regen-
güsse sind auch in Theben keine Seltenheit. Der Ingenieur Moule
schätzt2) die jährliche Regenmenge „in der Ebene von Chaeronea
und im Becken des Kephissos" auf 90 cm, eine für Ost-Griechenland
sehr hohe Zahl, in Theben nur auf 50cm. Die Zahl der Regentage
beträgt nach ihm 95 bis 100. Andrerseits ist die Verdunstung na-
mentlich im Sommer aufserordentlich hoch; ihre Höhe beläuft sich nach
Durand-Clay auf ii bis 2 m das Jahr.
Aufser dem Regen, der auf die Ebene niedergeht, besitzt die
u n tere T h ebanisch e Eb ene nur geringfügige Zuflüsse, die im Som-
mer wohl sämtlich austrocknen. Der bedeutendste ist der Kanavari-
Bach, vom Helikon herkommend und durch die oft erwähnte Bresche
in den Likeri-See mündend. Mit ihm vereinigt sich der Abflufs der
Quellen, welche an der Bodenstufe von Theben im Gebiet dieser
Stadt östlich und westlich von der Kadmeia entspringen3) und das
ganze Jahr reichlich Wasser spenden, das aber zumeist zur künstlichen
Berieselung in der unmittelbaren Nähe der Stadt verwendet wird. Da
der Kanavari - Bach sich ziemlich tief in die Ebene eingeschnitten hat,
ist die Entwässerung des mittleren Teiles derselben eine vollständige.
Die Gewässer des östlichen Teiles versickern ohne bestimmten End-
punkt. Im westlichen Teil bildet sich dagegen der Sumpf Variko, der
durch eine Katavothre an der Nordseite mangelhaft ahfliefst, aller
Wahrscheinlichkeit nach zum I.ikeri-See.
') Vgl. Bur^jan, I S. ioi.
2) Nach der Mitteilung von Durand-Clay, S. 7.
*) Vgl. Bursian I, S. 115 f.
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Der KopaTü-See in Griechenland und seine Umgebung. 37 '
Weit reicher sind die Zuflüsse des Kopais-Sees. Er empfängt
aufser den in ihn selbst fallenden Niederschlägen und den kleineren
Trockenbächen der Nord- und Ostseite, die sich nur bei heftigen Regen-
güssen auf kurze Zeit füllen, von West und Süd eine gröfsere Zahl
ansehnlicher Bäche. Der bedeutendste ist der Mavropotamos oder
Kephissos, der sein Wasser aus den hohen Gebirgen Pamafs, Helikon
und Oeta bezieht und wegen seiner plötzlichen Hochfluten gefürchtet
ist; er mündet am Ende der Durduvana mit einem grofsen Deltakegel.
Die Hauptmündung liegt bei Skripu; bei Hochwasser sendet er aber
auch Arme nach rechts, die in den Sumpf von H. Dimitrios münden.
— Dann folgt der Flufs von Livadia (die Herkyna oder Pro-
batia der Alten). Er entsteht aus zwei Quellflüssen, von denen der
eine, längere vom westlichen Helikon herkommt und den Charakter
eines Wildbaches besitzt, der andere aber sich bei I.ivadia selbst aus
den mächtigen dort entspringenden Quellen bildet, die das ganze Jahr
hindurch Wasser liefern und die Baumsvollspinnereien dieser Stadt
treiben. Ihr Wasser wird aber im Sommer gröfstenteils zur Berieselung
der Gärten und Felder verbraucht, ehe es die Kopais erreicht. Die
Herkyna mündet in den Sumpf von H. Dimitrios, zusammen mit den
heifeen Quellen von Kalamaki, welche am Gebirgsrand östlich
von I.ivadia entspringen. Weiterhin münden am Siidrand der Bach
Pontgia (Phalaros der Alten), dann eine Anzahl von kleinen Tor-
renten, von denen eine wohl der Triton des Altertums ist, und schliefs-
lich der Bach von Zagara, der von einigen für den I.ophis, von
anderen für den Permessos oder Termessos der Alten gehalten
wird; er mündet in einem Deltavorsprung bei Mulki, östlich von Hali-
artos. Außerdem entspringen am südlichen Seerand am Felsen Petra die
Quelle Tilphusa, am Felsen Haliartos die Quelle Kissussa der Alten.
Diese Quellen sind übrigens nicht sehr bedeutend. Die anderen
Bäche liefern im Hochsommer so gut wie gar kein Wasser. Durand-
Clay1) giebt folgende Zahlen für die Wassermenge der Zuflüsse des
Kopais-Sees (Kubikmeter in einer Sekunde):
... , . Gewöhnliches Aufsergewöhnlichcs
Niedrigster Stand TT ,
Hochwasser
Kephissos . . . .
2>5
100
154
Herkyna
1.0
2S
70
Phalaros
0
16
2S
I.ophis (Zagara) . .
o,2S
25
40
Übrige Torrenten . .
0.25
>
>
4
156
289
t) S. 8, vgl. auch Supan, Peterm. Mitt. 1889, S. 7z.
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38
Alfred Pliilippson:
In diesen Zahlen sind die Quellen am Seerand, besonders auch
die Quellen des Melas, die wir gleich erwähnen werden, nicht einbe-
griffen. Es ist auch zu bemerken, dafs der Kephissos im Sommer
trockener Jahre zuweilen ganz ausbleibt, und dafs dann auch der I.ophis
und die übrigen Torrenten trocken sind. — Über die Gesamtzufuhr
während eines Jahres ist nichts bekannt.
Alle diese Zuflüsse verteilen sich — wir sprechen im folgenden
stets vom natürlichen Zustand vor der künstlichen Trockenlegung des
Sees — sobald sie den horizontalen Seeboden erreichen; keiner von
ihnen, selbst der mächtige Kephissos nicht, besitzt auf dem Seeboden
ein bestimmtes, geschlossenes Bett. Ist der See mit Wasser gefüllt, so
versteht sich dies von selbst; liegt aber der Seeboden trocken, so führen
auch die Bäche so wenig Wasser, dafs sie sich in den Schilfdickichten
der horizontalen Ebene kein bestimmtes Bett ausarbeiten können. Nur
in den Übergangszeiten kann man wohl das Wasser des Kephissos, wie
manche Reisende berichten, noch eine Strecke weit in dem Seewasser
durch seine Farbe und Strömung unterscheiden; aber schon die Wider-
sprüche über die Richtung seines Laufes im See, die wir bei den
einzelnen Reisenden finden, lassen erkennen, dafs er durch kein festes
Bett geregelt wird. Die meisten Schriftsteller lassen ihn von Skripu
nach NO fliefsen und sich in einem Sumpf bei Stroviki mit dem Melas
vereinigen1), andere wieder führen ihn von Skripu nach Südosten. So sagt
Ulrichs (I S. 191): „Im sehr trockenen Sommer des Jahres 1837, als ich
in Skripu war, flössen beide Flüsse, der Kephissos und Melas, gänzlich
getrennt von einander und vermischten sich an keiner Stelle.
Der Kephissos macht zwischen Skripu und dem kleinen Dorfe l’etro-
magula eine kurze Biegung nach Norden, fliefst dann aber w'ieder nach
Südosten fort bis etwa um die Mitte des Sees, worauf er sich nach
Nordosten wendet und an Kopae vorüber zu seinen Katavothren fliefst.
Der Melas schweift weiter nach Norden aus und nähert sich dem jen-
seitigen Ufer bei dem Kloster der heiligen Dreifaltigkeit und den Ruinen
von Tegyrae. Von dort am Ufer fortfliefsend verschwindet er in einer
Katavothre am Berge Kumetes (bei Stroviki; nur zum Teil! Verf.), ehe
er den Kephissos bei Kopae erreicht. Bei höherem Wasser fliefst jedoch
nicht nur der Kephissos zwischen dem Dorf Skripu und dem Kloster
durch ein mit Weiden bewachsenes, jetzt trockenes Bett in den Melas
über, sondern der Melas vermischt sich auch mit dem Kephissos in den
tiefen Sümpfen zwischen Tegyrae und Kumetes.“ Die zuverlässigen
Karten (Carte de la Grice und die Karte der Kopa'is-Gesellschaft)
geben dem Kephissos gar keinen festen Lauf auf dem Seeboden, und
dies wird auch das richtige sein. Da der Kephissos heute aus seinem
i) Z. B. Leake II, S. 154.
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung.
39
natürlichen Lauf abgelenkt ist, kann man die Frage durch Beobachtung
kaum noch entscheiden. Alle diese Zuflüsse erreichen als solche die
gegenüberliegenden Seiten des Beckens nicht, sondern erst mufs sich
dieses füllen, ehe das Wasser überhaupt zur Ostseite gelangen kann,
wo sich die Katavothren befinden.
Ganz anders verhält sich nun aber ein Gewässer, das am Nord-
westraud des Kopais-Sees selbst, in der Bucht von Tzamali, entspringt,
der schon erwähnte Melas der Alten, heute ebenso wie der Kephissos
Mavropotamos genannt. Es ist ein merkwürdiger Flufs, dessen ganzer
Lauf auf dem Seeboden der Kopais liegt. An der Nordseite des
Sporns der Durduvana, welcher die Akropolis von Orchomenos trägt,
strömt am Fufs der Felsen eine ungemein wasserreiche Quelle hervor
,ioo m ü. d. AL), die Akidalia, die Quelle der Chariten, die hier ihre
Verehrungsstätte hatten. Sie bildet sogleich in einem mit Rohr dicht
bewachsenen Sumpf den ansehnlichen Flufs, der bald noch durch andere
Quellen verstärkt wird und wegen seiner dunklen Farbe den Namen
„Der Schwarze“ trägt. Diese schwarze Farbe rührt, wie bei vielen
Quellbächen, von dem Mangel aller festen Bestandteile her, welche
die Lichtstrahlen reflektieren könnten. Weiter gegen Tzamali zu ent-
springt noch die Quelle Petakas, und im NW der Bucht die mächtige
Quelle Polygyra (97,6 m), deren Abflufs sich ebenfalls mit dem Melas
vereinigt. Die Quellen des Melas sowohl wie der Polygyra entspringen
auf der Grenze des Schiefers von Tzamali gegen die ihn unterteufenden
Kalke im Norden und Süden. Sie entstammen augenscheinlich einem
Wasserniveau im Innern des Kalkes, welches diesen bis zur Höhe der
Kopais-Ebene anfüllt. Da diese unterirdische Wasseransammlung von
den jahreszeitlichen Schwankungen des Regens ziemlich unabhängig
ist, liefern die Quellen das ganze Jahr hindurch eine ziemlich gleich-
mäfsige Wassermenge. Die Bucht von Tzamali ist durch diese Quellen
gänzlich versumpft, obwohl der Boden z. T. etwas über dem Niveau
des Sees liegt, und zwar bleibt dieser Sumpf auch in der trockenen
Jahreszeit und trotz der Trockenlegung des übrigen Sees durch die
Kopals-Gesellschaft bestehen. Es ist ein grofses Schilfdickicht. Der
Flufs ist von schwankendem Moorboden umgeben, und Ulrichs hörte
von den Bauern, dafs das Land am Mavropotamos schwimme (S. 192).
Das sind wohl die n]ao 1 rrloaöt<; des ’l’heophrast, die Plinius mit insu/ae
fluitantes, schwimmende Inseln, übersetzt. Infolge der Gleichmäfsigkeit der
Quellen ist der Melas der einzige beständige Flufs der Kopais-
N'iederung. Nachdem er die Abflüsse aller Quellen, welche um die Bucht
von Tzamali entspringen, gesammelt hat, setzt er seinen Lauf in der Nähe
des Nordufers nach Osten fort und empfängt hier, wenigstens in d,en
Ibergangszeiten zwischen Fülle und Leere des Sees, in einem aus-
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40
Alfred Philippson:
gedehnten Sumpf einen Teil des Kephissos-Wassers. Bei der Insel
Stroviki zweigt sich ein Arm des Melas nach links ab, fliefst zwischen
Insel und Festland hindurch und verschwindet in zwei Katavothren
(siehe unten Nr. i u. 2). Der Hauptstrom aber (liefst aufserhalb der
Insel weiter und der Länge nach durch die Bucht von Topolias, an deren
Ostende er, mit noch immer, selbst im Sommer, bedeutender Wasser-
masse in der sog. „Grofsen Katavothra“ verschwindet. Der Melas be-
sizt ein ganz bestimmtes Bett, welches er sich in die Ebene des
Seebodens eingeschnitten hat, und zwar im unteren Teil seines Laufes,
in der Bucht von Topolias, bis 5 m tief. Dieses kommt natürlich nur
zum Vorschein, wenn der nördliche Teil des Sees trocken ist.
Durand-Clay giebt dem Melas bei gewöhnlichem Wasserstand eine
Masse von 5 cbm die Sekunde. (Wohl etwas knapp gerechnet!) Andere
Quellen sind auf dem Seeboden selbst nicht gefunden worden.
Thatsächlich ist also der Melas der einzige Flufs, der den Boden
des Kopa'is-Sees als wirklicher Flufs durchströmt, während alle anderen
sich in die Sümpfe verteilen. Das Gewässer, welches die Bucht von
Topolias in der trockenen Jahreszeit, wenn der Seeboden dort entblöfst
ist, und ebenso unverändert noch jetzt, nachdem alle anderen Flüsse
abgeleitet sind, in geschlossenem Bett durchzieht, ist ausschliefslich
Wasser des Melas, nicht des Kephissos, von dem nur zu gewissen Zeiten
ein Teil dem Melas zutliefst. Trotzdem wird dieser Flufslauf von fast
allen alten wie neuen Schriftstellern Kephissos genannt. Die Alten be-
schreiben genau die Quellen des Melas, die zwischen Orchomenos und
Aspledon entspringen1), und den Flufs Melas selbst, der durch seine
Sümpfe den Zugang nach Orchomenos von Norden her versperrt“). Sie
wissen, dafs Melas und Kephissos eine Strecke weit gesondert fliefsen5),
und dafs zwischen ihnen ein Teil der Ebene liegt, welcher I’elekania
genannt wird und gutes Flötenrohr hervorbringf*). Es ist also un-
zweifelhaft, dafs der Melas der Alten wirklich der oben beschriebene
Flufslauf ist. Dennoch geben sie dem Unterlauf, der bei Kopae (To-
polias) vorbeifliefst5) und in der Grofsen Katavothre verschwindet, den
Namen Kephissos. Diesen lassen sie auch in der Quelle bei I.arymna
wieder hervorbrechen und bei dieser Stadt ins Meer münden8). Einige
lassen den Melas vorher in besonderen Katavothren verschwinden7),
*) Strabo XX, 2,41. Pausanias IX, 38, 5. Plutarch, Sulla XX
-') Plutarch, Felopidas XVI.
3) Theophrast, De causis plant. V, 5, 2: ixthtQOS ya p |bi ray rtvToii nÖQoy.
4) Theophrast, Hist, plant. IV, n, 8 ■
5) Pausanias IX, 24, j.
8) Strabo IX, 2, 18.
7) Strabo, IX, 2, 18
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung.
41
indem sie also nur den bei Stroviki links abzweigenden Arm als Melas
bezeichnen, andere lassen ihn ganz oder zum Teil in den Kephissos
aufgehen1). Am besten orientiert zeigt sich Plutarch, dessen Wiege in
dem benachbarten Chaeronea gestanden hat. Er sagt (Sulla XX), dafs
der Melas bei Orchomenos entstände, als einziger von allen griechischen
Flüssen bis zu den Quellen schiffbar, dafs er aber nicht weit fliefse,
sondern zum grofsten Teil bald in Sümpfen verschwinde, zum kleineren
Teil aber sich mit dem Kephissos vereinige, an der Stelle, wo das
meiste Flötenrohr wachse. Der Flufs ähnele dem Nil, indem er wie
dieser im Sommer anschwelle und auch ähnliche Gewächse hervorbringe,
nur dafs sie nutzlos seien. — Ob übrigens der Melas wirklich im Sommer
anschwillt, habe ich nicht erfahren. Es wird dies im heutigen Griechen-
land von sehr vielen grofsen Quellen behauptet, beruht aber wohl meist
auf einer Täuschung, indem die beständige Quelle im Sommer gröfser
erscheint im Vergleich mit anderen in der Trockenheit abnehmenden
Gewässern. — Die gröfste Verwirrung herrscht bei Strabo. F.r läfst den
Kephissos bei Kopae in einer Katavothre verschwinden und bei Larymna
wieder hervorbrechen; vom Melas aber sagt er (IX 2, 18): „Auch bei
Orchomenos soll ein Schlund entstanden sein, der den Flufs Melas auf-
nahm, welcher durch das Gebiet von Haliartos (liefst und dort den
Sumpf bildet, der das Flötenrohr hervorbringt. Dieser Flufs ist übrigens
ganz verschwunden, sei es, dafs er durch den Schlund in verborgene
Gänge (liefst, sei es, dafs die Sümpfe und Seen ihn verschlingen.“ Er
lafst also den Melas bei Haliartos vorbeifliefsen, einer Stadt, die an
der Südostecke des Sees lag; dort befindet sich in der That eine der
tiefsten Stellen des Sees, die stets sumpfig bleibt und *also als der
Flötenrohr-Sumpf von Haliartos anzusprechen ist. Danach müfste also
der Melas den Kephissos gekreuzt haben! Ulrichs erklärt diesen Wider-
spruch zwar so, dafs dort noch ein anderer Melas bestanden habe.
Da aber Strabo nur von einem Melas spricht und ebenso alle anderen
Autoren, da Strabo ferner diesen Melas bei Orchomenos verschwunden
läfst, mufs man diese Erklärung zurückweisen und dabei bleiben, dafs
hier wie auch an manchen anderen Stellen, Strabo sich in der Lage
und dem Verlauf der Flüsse geirrt habe!
Es ist ja auch leicht zu entschuldigen, wenn die Alten über das
Verhalten des Kephissos und Melas sich nicht klar geworden sind, da
der Seeboden in historischer Zeit nur sehr schwer zugänglich war, und
überhaupt die Griechen, sowohl der alten wie der neuen Zeit, für
hydrographische Verhältnisse kein rechtes Verständnis besitzen. Sie
konstruieren leicht die wunderlichsten Verbindungen von Flufsläufen,
Plutarch, Sulla, X.X.
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42
Alfred Philippson:
und bei den Neugriechen insbesondere treffen wir einen überraschen-
den Mangel an einheitlichen Flufsnamen, selbst für grofse und in ihrem
Zusammenhang ganz augenscheinliche Gewässer. Die Flüsse und Bäche
heifsen in der Regel nur nach den Orten, an denen sie vorbeifliefsen,
und wechseln daher ihren Namen sehr häufig von Ort zu Ort. ln
unserem Fall mag auch die Erinnerung mitgewirkt haben, dafs einst
zur Zeit der minyschen Kanalbauten der Kephissos wirklich das Bett
des Melas benutzt hatte. Vor allem aber war der Melas die meiste Zeit
ganz und gar vom Seewasser bedeckt, während man im Kephissos mit
Leichtigkeit den gröfsten Fltifs des östlichen Mittel-Griechenland er-
kannte, infolge dessen auch der ganze See meist Kephissis, nicht
Kopäis, genannt wurde. Sah man also einen ansehnlichen Flufs in
den Katavothren der Bucht von Topolias (Kopae) verschwinden, so lag
es nahe, ihn für den Kephissos zu halten. Diesem Irrtum folgen denn
auch fast alle neueren Schriftsteller. — —
Wir müssen hier noch kurz bei dem Relief des Seebodens
verweilen, das mit den Zuflüssen in engster Beziehung steht. So ge-
ringfügig und flach auch die Höhen-Unterschiede des Seebodens sind,
so besitzen sie dennoch für die natürlichen Wasserstände sowohl als
für die künstlichen Entwässerungsversuche hohe Bedeutung. Da ist
nun sehr bemerkenswert, dafs der See nach den Vermessungen der
Kopals-Gesellschaft (vgl. Tafel i) nicht in der Mitte am tiefsten ist,
sondern an dem Nord-, Ost- und Südrand. Der ganze mittlere Teil
wird von einer Erhöhung eingenommen, welche sich im Westen an den
Deltakegel des Kephissos anlehnt und dessen unterseeische Fortsetzung
bildet: die Isohypsen laufen konzentrisch um die Mündung des Kephissos
herum, indem sich der Boden von dort nach O, SO und S abdacht,
von 97 m auf 94,50 m, bis in die Nähe der gegenüberliegenden Ränder.
Es ist klar, dafs dieser flache Kegel dem Schlamm des Kephissos zu-
zuschreiben ist. Gerade in der Mitte des Sees sitzt nun dieser Ab-
dachung noch eine isolierte flache Erhöhung auf, in welcher der Boden
bis zu 95,27 m (gegen 94,75 m näher zur Kephissos-Mündung) ansteigt.
Die wahrscheinliche Entstehung dieser Anhöhe durch die minyschen
Kanalbauten soll weiter unten besprochen werden. — Eine tiefe
Rinne zieht dagegen von der Herkyna- Mündung am Südufer ent-
lang, mit einer Bodenhöhe von 94,50 m; sie vertieft sich im SO-Winkel
des Sees bei Haliartos und vor der Bai von Kancski bis auf 94,38 m,
zieht dann, beiläufig mit dieser Höhe, am Ostrand entlang zur Bucht
von Karditsa, wo sie mit 94,05 m eine tiefste Stelle besitzt. Weiterhin
endet die Rinne in einer kesselförmigen Vertiefung südlich der Insel
Gla (93,88 m). Von der Furche des Melas bleibt sie durch einen
Rücken von 94,31 m Höhe getrennt. Diese Furche des Melas zieht
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Der Kopa'is-Sec in Griechenland und seine Umgebung.
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sich, dem Flufslauf entsprechend, am Nordufer des Sees entlang; im
westlichen Teil scheint sie kaum vorhanden zu sein, und erst bei
Stroviki tieft sie sich unter die Umgebung ein (94,20 m, der Melas
selbst 93,10 m). Bei Topolias liegt der Melas in 92,80 m, bei H. Marina
in 91,90 m, vor der grofsen Katavothre in 89,40 m, während der Boden
der Bucht von Topolias sich durchgehends zwischen 94,00 und
04,45 m hält.
So wird bei niedrigem Wasserstand die Mitte des Sees am ersten
entblöfst, während an den Rändern das Wasser sich länger hält, am
längsten in den drei Buchten des Ostrandes, dann südlich der Insel
Gla und bei dem Ort Topolias. Au feer diesen tiefsten Stellen sind,
trotz höherer I.age, die NW- und SW- Ecke des Sees dauernd ver-
sumpft (Sümpfe des Melas und von H. Dimitrios)1), da hier die reich-
lichste Wasserzufuhr stattfindet; das geringe Gefälle des Bodens reicht
eben nicht aus, das hineinfliefsende Wasser von diesen Stellen schnell
genug zu entfernen.
Die Periodizität des Regenfalles und infolge dessen des Wasser-
zuflusses, sowie die Gestalt des Seebodens erklären vollständig die
jährliche Periode des Wasserstandes des Sees. Zu den oben mitgetcilten
Zahlen über die Wasserführung der Zuflüsse des Kopais-Sees mufs man
noch hinzufügen, dafs von der gesamten jährlichen Regenmenge, die
unmittelbar auf den Seeboden fällt, auf die Sommermonate so gut wie
gar nichts kommt, wogegen in dieser Zeit eine ungemein hohe Ver-
dunstung stattfindet.
Nach der höchsten Schätzung beträgt die Zufuhr durch Bäche und
Quellen im Sommer nur etwa 8 cbm die Sekunde, die sich auf einen
Flächenraum von 250 qkm zu verteilen haben, während sich die Zufuhr im
Winter im Mittel auf 150, im Maximum auf etwa 270 cbm die Sekunde
stellt. Die sommerliche Zufuhr würde, selbst wenn gar kein Abflufs
stattfände, durch die Verdunstung bedeutend tibertroft'en werden; daher
wird sie nicht nur ganz aufgezehrt, sondern auch der vom Winter zurück-
gebliebene Vorrat wird im Lauf des Sommers fortwährend verringert a).
>) Vgl. Neumann-Partsch, S. 144, Anm. 4.
2) Eiuc einfache Rechnung zeigt folgendes: 8 cbm in der Sekunde auf 150 qkm
Seefläche verteilt giebt einen Zuilufs von 0,03z ebem in der Sekunde auf 1 qm See-
fläche. Beträgt die Verdunstungshohe 150 cm, so kommt im Durchschnitt auf 1 qm
Seefläche im Jahr tf Millionen Kubikcentimeter Verdunstung, das giebt in der Sekunde
0,048 ebem. Also auf 1 qm Seeflächc im Sommer in der Sekunde 0,032 ebem Zuflufs,
0,048 ebem Verdunstung. Dabei ist angenommen, dafs kein Abflufs stattflndet, —
während dies durch die Grofse Katavothre wohl der Fall ist — , ferner dafs die
Verdunstung im Sommer nicht gröfser ist als im Jahresdurchschnitt, während sie in
Wirklichkeit weit beträchtlicher ist. In Wahrheit ist also der Überschuß der Ver-
dunstung über den Zuflufs im Sommer noch sehr viel grober!
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Alfred Philippson:
Pie winterliche Zufuhr übersteigt dagegen nicht nur die Verdunstung
sehr bedeutend, sondern auch die Abflufsmöglichkeit durch die Kata-
vothren. Der See steigt daher, so lange die Regen dauern; erst nach-
dem diese nachlasscn, beginnt sich der See allmählich durch den
fortdauernden Abflufs durch die Katavothren und dann später auch
durch das Überwiegen der Verdunstung zu entleeren.
Das Steigen des Sees beginnt im November, nach dem Eintritt
der heftigen Herbstregen, und das Wasser erreicht seinen höchsten
Stand im Februar oder März. Dann bedeckte es, vor der Ableitung
der letzten Jahre, den ganzen Seeboden als zusammenhängende Wasser-
fläche, die je nach den Jahrgängen gröfsere Ausdehnung besafs. Die
mittlere Höhe des Wasserspiegels um diese Zeit war 97 m ü. d. M. , die
Ausdehnung ungefähr die, wie sie auf unserer Karte erscheint. Oft
aber überflutete der See auch Teile der fruchtbaren Ebenen im S und
SW. Die Katavothren sind um die Zeit des Hochwassers ganz vom
Wasser bedeckt und verraten ihre Existenz nur durch einen strudelnden
Zug in die Tiefe. Der See war aber durchaus nicht eine offene
Wasserfläche, sondern die meisten Reisenden schildern seinen Anblick
von weitem gleich dem einer üppig- grünen Wiese; erst beim Heran-
nahen erkannte man die Täuschung, die durch die ungeheuren Schilf-
rohrdickichte hervorgebracht war, welche einen grofsen Teil des Sees
einnahmen und den Abflufs der Gewässer wesentlich erschwerten.
Schilf wuchs aber, wie es scheint, nur in den tiefsten Stellen, die auch
im Sommer sumpfig blieben, und da diese nahe am Ufer lagen, konnte
man leicht den ganzen See für ein einziges Rohrdickicht halten. —
Im Frühjahr begann der See zu sinken. Zuerst traten einzelne un-
regelmäfsige braune (schilffreie) Landstreifen hervor, die sich immer
mehr zusammenschlossen. Im Hochsommer waren grofse Strecken des
Sees, in der Mitte und unmittelbar am Ufer, trocken. Es wuchsen
Gräser und Kräuter darauf, und Hirten trieben ihre Herden auf ihnen
zur Weide. Das Wasser hielt sich in manchen Jahren in den tiefsten
Stellen den ganzen Sommer über; in anderen Jahren wurden auch
diese in einen Morast verwandelt oder ganz ausgetrocknet. Ende
August war gewöhnlich bei weitem der gröfste Teil des Sees trocken;
das Minimum an Wasser wurde aber erst im Oktober erreicht. Der
See bildete dann eine weite braune Fläche, nur hier und da unter-
brochen von einigen grünen Sumpf- Flecken, von Schilf und anderen
Wasserpflanzen bewachsen. Im November begann dann der See sich
schnell wieder zu füllen1).
Dieses Verhalten des Sees war wohl in der ganzen historischen
') Vgl. Sauvage, S. 134.
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Der Kopats-See in Griechenland und seine Umgebung.
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Zeit im Allgemeinen dasselbe. Es wechselte nur in längeren Perioden die
Dauer und Höhe der winterlichen Überschwemmungen, lind ebenso
die mehr oder weniger vollständige Austrocknung im Sommer, je nach
der Fassungskraft der Katavothren, wie wir eingangs geschildert haben.
Die Zeiten hohen Wasserstandes bestanden also nicht in einem gleich-
mäfsigen Hochwasser während des ganzen Jahres, sondern nur in
einer Steigerung der winterlichen Hochflut; ebenso die Zeiten ver-
hältnismäfsiger Einschränkung des Sees in einer längeren Dauer und
grölseren Vollständigkeit der Austrocknung im Sommer. Die gelegent-
lichen verderblichen Überschwemmungen des Sees, von denen uns be-
richtet wird, waren besonders hohe win te rliche Anschwellungen1). —
Wenden wir uns zu den natürlichen Abflüssen des Sees.
Die Katavothren*), wie im Neugriechischen die unterirdischen
Abzüge des Sees, besonders ihre Öffnungen, genannt werden (bei den
Alten yurruaia oder (tdna&nu) , welche allein den Abflufs des Kopäis-
wassers bisher besorgten, öffnen sich sämtlich am Steilufer des Sees
im anstehenden Kalkstein des Klippenrandes; sie gehören also zu der
Gruppe der sogenannten „Thor-Katavothren", während „Schlürflöcher“
am Boden des Sees nicht vorhanden sind*). Von allen Katavothren
des Kopais-Sees kennen wir nur die Öffnung des Schlundes, während
der Verlauf der Höhlengänge selbst unbekannt ist. Über ihre Ent-
stehung kann kein Zweifel obwalten. Es sind weder künstlich aus-
gearbeitete Tunnels, wie die älteren Reisenden der Neuzeit glaubten4),
noch durch die Gebirgsaufrichtung •’’) oder durch Erdbeben aufgerissene
Spalten, sondern durch das Wasser selbst ausgelaugte Gänge, wie sie
in ailen Kalkgebirgen Vorkommen. Die Erdbeben können nur sekundär
einen Einflufs auf die Katavothren ausüben, indem sie solche verstopfen
oder Verstopfungen zu entfernen vermögen. Von den Entwicklungs-
gesetzen der Katavothren ist schon eingangs dieser Arbeit die Rede
gewesen.
Man findet auf den Karten am Kopa'is-See 25 Katavothren ver-
zeichnet, von denen 16 eigene Namen führen. In Wirklichkeit giebt
es aber noch unzählige andere kleinere und kleinste Spalten, welche
Wasser aufnehmen können. Eine feste Grenze ist zwischen den Kata-
vothren und den kleinsten Spältchcn nicht zu ziehen, da allmähliche
Übergänge dazwischen liegen, und in der That die grofsen Katavothren
*) Vgl. z. B. Pausanias IX, 24, 2. 38, 6.
Es heilst in der Einzahl die Katavothrc, rj xara/lui9ptr, nicht das Kala-
tolhron, wie viele fälschlich schreiben.
*) Vgl. meinen „Peloponnes“ S. 493.
V) Wheler, Raikes.
5) Wie 1. B. Forchharamer glaubte (1. c. S. 162).
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Alfred Philippson:
durch Erweiterung kleinster Spalten entstehen. Es ist klar, dafs das
Wasser beim Eindringen in das Gestein am leichtesten den vorhandenen
Spalten folgt, und so finden wir in der That einen gewissen Zusam-
menhang zwischen den Katavothren und dem Verlauf der Schichtfugen,
also den Lagerungsverhältnissen der Schichten des Kalksteins. Da-
gegen haben schon Forchhammer (S. 162) und Sauvage (S. 132) be-
tont, dafs die Katavothren vollständig unabhängig von der Gestalt der
Oberfläche sind und sich durchaus nicht etwa da öffnen, wo Thäler
oder Pafseinschnitte liegen.
Die Katavothren befinden sich fast sämtlich im Osten des Sees,
und zwar angefangen von dem Nordrand des östlichen Teils der
Bucht von Topolias, genau südlich von Martino, bis zur Südostccke
des Sees bei Onchestos. Aufserhalb dieser Küstenstrecke liegen nur
drei Katavothren am Nordrand in der Nähe von Topolias. Diese
Verteilung ist geologisch begründet. An der Süd- und Südwestküste
sind Katavothren wegen des breiten Alluvialsaumes unmöglich. Die
Bucht von Tzamali wird überwiegend von Schiefer begrenzt; die beiden
Kalkzüge der Durduvana und von Abae sind so mit Wasser gesättigt,
dafs sie noch mächtige Quellen an den See abgeben. An der Nord-
küste treffen wir zunächst wieder Schiefer an. Von hier an finden wir
Katavothren überall dort, wo die Schichten des Kalkes quer gegen
die Uferlinie ausstreichen, die Schichtfugen sich also dem Wasser
öffnen; dagegen keine Katavothren dort, wo die Schichten dem Ufer
parallel streichen. Wenn auch im Allgemeinen Katavothren bei je-
der Streich- und Fallrichtung Vorkommen können1), so ist ihre Bil-
dung doch sehr erleichtert, wenn die Schichten rechtwinklig auf das
Ufer gerichtet sind. Dieses ist nun, aufser an dem gröfsten Teil der
Ostküste, an der Nordküste nur in jener Gegend der Fall, wo die drei
isolierten Katavothren auftreten.
Im folgenden seien die einzelnen bemerkenswerten Katavothren
der Reihe nach, im NW anfangend, besprochen. Diejenigen , die der
Verfasser selbst besucht hat, sind durch einen * hervorgehoben.
I. Gruppe des Nordrandes bei Topolias.
1) Die Katavothre von Stroviki, hinter dieser Insel am Ufer des
Festlandes.
2) Die Katavothre von Topolias (Kopae d. A.), etwas westlich
von diesem Ort.
3) Die Katavothre etwa 1 km nördlich von Topolias, nur auf der
französischen Carte de la Grdce verzeichnet.
>) Vgl. meinen „Peloponnes“ S. 494.
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Der Kopais-See in Griechenland nnd »eine Umgebung. 47
Die beiden ersten nehmen eine Abzweigung des Mclas auf ; die
erste soll auch im Sommer in Thätigkeit sein. Auf diese bezieht sich
wohl die schon oben erwähnte Angabe des Strabo (LX, 2, 18), dafs
sich bei Orchomenos ein Schlund gebildet habe, welcher den Melas
aufnahm. Danach wäre diese Katavothre erst in historischer Zeit ent-
standen. — Man bringt mit diesen beiden ersten Katavothrcn die
salzige Quelle (Almyro) in Zusammenhang, welche bei dem alten Opus
am Meeresstrand entspringt1). Zur Unterstützung führt man an, dafs
in einem Brunnen bei Pavlo das Wasser nordwärts fliefse. Es erscheint
mir aber wenig wahrscheinlich, dafs ein solcher Zusammenhang besteht,
da dann das Wasser, quer zum Schichtstreichen, die Schieferzüge von
Pavlo zu passieren hätte. Eher ist anzunehmen, dafs das Wasser
dieser Katavothren dem Schichtstreichen folgend unter dem Seeboden
her nach SO abfliefst und sich dem allgemeinen unterirdischen Strom
anschliefst, der von der Ostseite des Sees gegen das Meer gerichtet
ist. Almyro ist wohl eine Strandquelle, wie sie in sehr grofser Zahl
an den griechischen Küsten Vorkommen.
II. Gruppe am Ostende der Bai von Topolias*).
4) Katavothre von Palaeomylos.
5) Katavothre von Spitia. *
6) Katavothre von Sykia.
Diese drei liegen noch am Nordrand der Bai und zwar die bei-
den letzteren im Hintergrund kleiner Buchten zwischen vorspringenden
Kaps. Die Schichten streichen hier ausnahmsweise annähernd Nord,
sodafs sie quer gegen das Ufer gerichtet sind. Zu der Katavothre
von Spitia (Nr. 5) führt ein grofser, deutlich erhaltener Kanal der
Minyer hin. Nach den anderen Katavothren am Ostende der Bai
von Topolias habe ich keine alten Kanäle hinführen gesehen, doch
will ich, bei der Eile meines Besuches, ihr Vorhandensein nicht leugnen,
da die Herren Kambanis und I.allier angeben, dafs Abzweigungen auch
nach den anderen Katavothren dieser Gruppe vorhanden sind3). Jeden-
falls aber war die Katavothre von Spitia eine der wichtigsten Ablei-
tungen des Kanalsystems der Minyer. Der alte Kanal vor derselben
verläuft in Windungen, wie sie ein natürliches Flufsbett zu machen
pflegt. Es geht daraus hervor, dafs die Alten einen vorhandenen natlir-
*) Forchhammer S. 163. Leake II S. 185. Ulrichs (S. 198) beschreibt Nr. 1,
and verbindet sie gleichfalls mit der Quelle bei Opus. Fiedler (I, S. nof.) be-
schreibt 1 u. i als seine 7. und 8- Katavothre, ersterc verbindet er mit Opus,
letztere mit der Quelle bei den Martino-Mühlen, d. i. der Quelle von Larymna.
- ) Fiedler I S. ro8ff. beschreibt diese K. als N. 1 — 5.
3) Kambanis S. 133 und Karte.
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Alfred Philippson:
liehen Flufslauf benutzt haben. Die Katavothre selbst ist ein grofses
Thor, das vollständig von herabgestitrzten grofsen Blöcken versperrt
ist,.sodafs man auch nicht entscheiden kann, ob ihr Boden tiefer liegt
als die Ebene. Es ist wohl möglich, dafs wir hier eine künstliche Ver-
stopfung vor uns haben. Sollte es diejenige sein, durch welche die
Thebaner die Kopals - Ebene ertränkt und so die Macht der Orcho-
menier vernichtet haben sollen?? —
7) Katavothre von Bin ia*1), an der NO-Ecke der Bai gelegen, vor
dem Joch von Larymna. Die Schichten des Kalkes streichen hier SO,
fallen SW, sind also ebenfalls gegen das hier schon N-S streichende
Ufer quer gerichtet. Die Katavothre besteht zunächst aus einem
oben offenen Eingang ohne Decke, der sich dann in zwei bedeckte
Gänge spaltet; der rechte Hauptgang zieht dem Schichtstreichen fol-
gend nach SO, der linke, engere Gang nach NO; der Boden beider
liegt etwa 5 m unter dem Niveau der Ebene, die sich vor dem Ein-
gang stark zu diesem hinabsenkt. Gleich hinter der Katavothre be-
ginnt die Reihe von antiken Schächten, die sich nach NO über das
Joch von Larymna zieht. Sollte der linke Gang vielleicht der Anfang
eines künstlichen Tunnels sein? Seine Form ist zwar sehr unrcgel-
mäfsig, könnte aber durch Abwitterung verändert sein.
8) Die Grofse Katavothre* (>) MeyuXtj Kataßm&nn)*), in welche
sich noch jetzt der Mclas das ganze Jahr ergiefst. Sie öffnet sich am
Ostrande der Bai als ein mächtiges Felsenthor, von der Sohle bis zur Decke
(nach I.olling, im Baedeker) über 25 m hoch. Die Schichten streichen O
bis NO und fallen SO; die Decke des Thorbogens wird von einer nach
SO geneigten Schichtfläche gebildet. (S. die Abbildung im Text.) Der
Boden des Thores liegt viel tiefer als die Ebene, sodafs das Wasser (vor
der Trockenlegung des Sees) im Winter bis zur Decke des Thores reichte.
(Die Decke liegt also etwa 97 m ü. d. M. ; der Boden demnach etwa
72 m; der Secbodcn liegt in dieser Gegend 94,5 m ü. d. M.) Der wasser-
reiche Melas, der schon vorher einige Meter tief in die Ebene einge-
schnitten ist, stürzt sich mit brausenden Stromschnellen in den Schlund.
Dieser ist, soweit man sehen kann, nach O gerichtet. Man kann in die
mächtige Höhle einige Schritte weit hineingehen, dann versperrt aber ein
herabgestürzter Teil der Decke den Weg; in das durch diesen Einsturz
entstandene Loch kann man von oben hinabsteigen. Man sieht dann, wie
das Wasser zwischen den Blöcken strudelnd in die Tiefe verschwindet.
Der sichtbare Teil des Höhlenganges hört hier auf; aber an der Ober-
fläche in derselben Richtung weitergehend, kommt man zu einer kleinen
') Ulrichs S. zu.
Vgl. Brandis S. 12g, Fiedler S. 108 und die anderen Schriftsteller.
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Der Kopais-See in Griechenland nnd seine Umgebung.
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Doline, ein Beweis, dafs die Höhle hier fortsetzt. — Über dem Eingangs-
thor der Katavothre steht eine kleine Kapelle und ein einzelner Ölbaum.
9. Katavothre von Suda, am Südrande der Bai von Topolias.
Alle Katavothren dieser Gruppe, mit Ausnahme der Grofsen Kata-
vothre, waren auch vor derTrockenlegung des Sees nur bei hohem Wasser-
stand in Thätigkeit, im Sommer aber trocken; jetzt sind sie ganz aufser
Thätigkeit gesetzt Die Grofse Katavothre ist die einzige Ka-
tavothre am ganzen See — vielleicht mit Ausnahme von Nr. 1.
(Stroviki) — welche früher und ebenso noch jetzt das ganze
Jahr hindurch Wasser verschlingt, und zwar in grofser Masse.
Wenn wir von ihr aus im Streichen der Schichten nach O gehen, so finden
wir in 6 km Entfernung die grofse Quelle von Skroponeri am Gestade
der gleichnamigen Meeresbucht. Auch diese Quelle führt das ganze Jahr
Grofse Katavothre mit dem Melas-Flufs.
Nach einer vom Verfasser am 20. Marz 1893 aufgenommenen Photographie
Wasser1). Eine zweite Gruppe von zwei grofsen Quellen (Kephalaria im
Neugriech.) liegt jenseits des Joches mit den antiken Schächten gegen
barymna zu. Die obere dieser Quellen, die ich am 14. April 1890 be-
■) Vgl. Fiedler I S. 1*5 Forchhammer I S. 164 f., Heger in Kraus a. a.
0. S. 389, meinen „Bericht u. s. w.“ S. 389.
Zeiuchr d. GcelUch. f. Erdk. Ud. XXIX. 4
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Alfred Philippson:
suchte1), entspringt in einem kleinen Thalkessel, aus dem sich ein
Thälchen zur Bucht von Larymna hinabzieht; die Quelle liegt nach
Heger8) 33 m, nach Durand-Clay (a. a. O. S. 6) 45 m ü. d. M. Sie bildete
zunächst einen kleinen, wie es schien sehr tiefen Teich, in dem das
Wasser zum gröfsten Teil von unten heraufquoll, und flofs dann durch
das Thälchen zum Meer. In demselben Thälchen entpringt dann dieandere
mächtige Quelle*). Die obere Quelle trocknete stets im Sommer aus;
Heger fand sie schon im Mai trocken, während die untere Quelle sich
länger hielt, aber auch im Sommer fast ganz verschwand. Jetzt, nach-
dem der Kopals-See trocken gelegt ist, sollen beide Quellen ver-
siegt sein. Ich fand im April 1890 in der oberen Quelle noch Wasser,
da damals, nach Angabe des Herrn Lallier, sich in der Bai von To-
polias noch etwas Wasser befand, das seitdem ebenfalls verschwunden ist.
Durch diesen Zusammenhang der Wasserstände ist nachgewiesen
dafs die Quelle von Skroponeri der Grofsen Katavothre entstammt,
dafs dagegen die Quellen von Larymna den Abflufs der jetzt aufser
Thätigkeit gesetzten Katüvothren 4 — 7 darstcllten, sei es einer be-
stimmten oder aller zusammen. Der Verlauf des Schichtstreichens weist
mehr auf eine Verbindung der Larymna-Quelle mit den Katavothren
4 — 6, als mit derjenigen von Binia 7, welche schon in SO streichendem
Kalk liegt. Die meisten Schriftsteller nehmen letztere Verbindung an,
verleitet durch die tiefe Einsattelung der Oberfläche zwischen Binia und
Larymna. Dafs aber die Oberflächengestalt auf den Verlauf der Ka-
tavothrengänge keinen Einflufs hat, ist schon erwähnt worden.
Strabo berichtet (IX, 2, 18): „Als der Kopais-See anwuchs, so dafs
er Kopae zu ertränken drohte, entstand am See nahe bei Kopae ein
Schlund (j;«V/ra) und eröffnete einen unterirdischen Abflufs von 30 Stadien,
und dieser nahm den Flufs — (den Kephissos, d. h. den Melas s.
S. 40 ff.) — auf; darauf brach dieser bei dem lokrischen oberen La-
rymna wieder an die Oberfläche. Der Ort wird Anchoe genannt. Es
ist aber auch ein gleichnamiger Sec; und von dort mündet bereits der
Kephissos in das Meer. Da nun damals die Überschwemmung auf-
hörte, so hörte auch die Gefahr für die Umwohner auf, aufser den
schon ertränkten Städten."
Diese neu eröffnete Katavothre des Strabo kann nur in unserer
Gruppe II, nicht in Gruppe I gesucht werden, da eine Verbindung
zwischen letzterer und den Quellen von Larymna auch den Alten nicht
annehmbar erscheinen konnte; auch steht dem die Entfernungsangabe
*) Vgl. meinen „Bericht“ S. 389-
2) Denkschr. d. Wiener Akad. d. Wiss., Math, natunv. CI., 40. Bd , S. 79.
*) Ober diese Quellen vgl. Lcakc II S. 286, Forchliammcr I S. 164, Fiedler I
S. 110 („bei den Martini-Mühlen“) u. a.
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Der Kopaüs-See in Griechenland und seine Umgebung. 51
von 30 Stadien entgegen. Die Worte „nahe bei Kopae“ sind also in
weiterem Sinn zu fassen. Da die Katavothre Nr. 5 schon zur Minyer-
Zeit in Thätigkeit war, wie wir sahen, Nr. 7 aber kaum mit der Quelle
von Larymna in Beziehung stehen dürfte, wird es wohl Nr. 4 oder
Nr. 6 gewesen sein. Der „See“ Afichoe ist jener Quellteich der oberen
Quelle') von Larymna; es ist daher die von Bittner geäufserte Ver-
mutung, das Kesselthal der Quelle sei ein See gewesen und vielleicht
erst durch Menschenhand abgeleitet worden, überflüssig.
III. Gruppe bei der Insel Gla.
10. Katavothre auf der Ostseite der Insel Gla.
11. und 12. Zwei Katavothren von Ptelea.
13. Katavothre von Vrystika.
Diese Katavothren liegen zwischen der Bai von Topolias und der
von Karditsa, wo die Kalke und Schiefer der Ptoischen Zone gegen
den See ausstreichen. Sie bilden also das genaue Gegenüber der
Gruppe I. Nr 11 — 13 entwässern einen der tiefsten Teile des See-
bodens. Das Wasser kann von hier aus, dem Streichen der Kalkzüge
folgend, augenscheinlich nur zum Paralimni-See gelangen.
IV. Gruppe der Bucht von Karditsa.
Die Nordseite der Bucht besitzt keine Katavothren, da sie genau
im Streichen der Schichten verläuft. Dagegen finden wir auf der Süd-
seite eine ganze Reihe. Die erste Strecke des Südrandes, vom Innern
der Bucht aus, verläuft nach West; die Schichten streichen in sehr
spitzem Winkel gegen das Ufer aus. Hier befinden sich mehrere Höhlen
im Klippenrand, welche, im Schichtstreichen verlaufend, sich schief gegen
das Ufer öffnen. Dann springt der Rand nach SSW zurück, während
die saigeren Schichten genau O streichen. In dieser Querstrecke
liegen wieder eine ganze Anzahl von grofsen Höhlen etwas über der
Ebene, und zuletzt
14. die Katavothre von Palaeomylos* oder H. Ni ko laos (nicht zu
verwechseln mit Nr. 4). Sie ist sehr niedrig; ihre Decke liegt im Niveau
der Ebene, deren Boden zu ihr einsinkt. Sie ist durch Alluviallehm
fast ganz verstopft. Ihr Verlauf liegt genau im Streichen der Schichten,
W — O. — Nun folgt eine Uferstrecke nach WNW, im Streichen der
Schichten, daher ohne Katavothren. Wo die Küste nach SW umbiegt,
liegt an der Ecke
5 ) Diesen See erwähnt auch Pausanias IX, 13, 7; (bei Larymna) Itut rj di
(eitr äyxtßald ijc, ein Beiwort, das auf den Quellteich sehr wohl pafst. Es ist daher,
besonders gegenüber den klaren Worten des Strabo, nicht nötig, anstatt li/rvy zu
setzen wie dies Schubart nach dem Vorgang von Ulrichs (I S. 233) thut.
4*
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52
Alfred Philippson:
15. die Katavothre von Sopi.* Schichtstreichen S 55 O, Fallen SW .
Die Decke liegt im Niveau der Ebene. Von dem nahen antiken Haupt-
kanal führt eine Zuleitung zu ihr hin, auf einer (der östlichen) Seite
von einem Deich begleitet, welcher das Wasser von der Bucht von
Karditsa absperrte.
Nun folgt eine nach S gerichtete Küstenstrecke bis zum Kap H.
Marina; die Schichten streichen O bis OSO, also fast rechtwinklig auf
das Ufer. Eine grofse Zahl von grottenarligen Katavothren und kleinen
Spalten durchlöchern hier siebartig den Klippenrand. Alle liegen im
Streichen der Schichten, ihr Boden meist unter dem Niveau der Ebene,
dabei oft ihre Decke hoch über demselben. Der Boden ist meist mit
hineingeschwemmter Erde verstopft, z. T. ist auch die Decke einge-
stürzt, und grofse Blöcke liegen dann vor und in dem Loch. Ein
antiker Deich zieht dicht am Ufer vorbei, und Zweigkanäle fuhren zu
vielen der Katavothren hin. Die Karte des Herrn I.allier giebt auf
dieser Strecke nur 4 Katavothren an, die wir als Nr. 16 — 19 bezeichnen
wollen.
V. Gruppe der Bucht von Kaneski.
Am Nordrande dieser Bucht begegnen wir zunächst mehreren alten
Katavothren in gröfserer Höhe, dann
20. einer kleinen Katavothre,* deren Boden etwa 3 m unter dem
Niveau der Ebene liegt und die im Streichen der Schichten (N 40 0 0
Fallen flach SO) verläuft. Am Eingang ist die Decke herabgestürzt. —
Dann folgt eine Höhle etwa 4 m über der Ebene. Darauf
21. die Grofse Katavothre von Kaneski.* Der Kalk streicht
N 65 0 O. Die Katavothre ist eine schmale, unregelmäfsige Kluft im
Streichen der Schichten; die Sohle liegt etwa 3$ m unter dem Niveau
der Ebene, und auch der obere Teil ragt nicht über dasselbe hinaus.
Ein alter Kanal führt zu der Katavothre hin. Als der See noch be-
stand, funktionierte diese Katavothre kräftig; man hat sie jetzt gereinigt,
damit sie das Regenwasser der Bucht, das keinen Abflufs zu dem grofsen
Gürtelkanal der Gesellschaft hat, aufnimmt. Bei der Reinigung stiefs
man auf Spuren .alter sorgfältiger Bearbeitung des Schlundes1).
Auf der Südseite der Bucht liegen, im Kalk der Schwelle, welche
die Kopais von der Thebanischen Ebene trennt:
22. die Kleine Katavothre von Kaneski;
23. die Katavothre von Mavromati;
24. die Katavothre von Mulki,
welche die Sümpfe von Haliartos entwässerten.
1 ) Kambanis S. 136 Anm.
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Der KopaTs-See in Griechenland ond seine Umgebung. 53
Wir haben nun noch kurz zu erörtern, wohin das Wasser abflofs,
welches, vor der Austrocknung des Sees, zur nassen Jahreszeit in diesen
Katavothren der Gruppen III bis V verschwand. Es ist klar, dafs der
unterirdische Abfltifs von der Ostseite des Sees im Streichen der
Schichten des Kalksteins nach O und ONO zum Meer geschah. Am
Rande der Phaga-Masse gegen die untere Thebanische Ebene treten
keine erheblichen Quellen auf. Der Kalk der Ktypa-Gruppe ist durch
den Serpentin von Muriki und Lukisia getrennt von den Kalken am
Kopals-See, also für die Gewässer des letzteren unerreichbar. Der
ganze Abflufs der Kopals mufs also, soweit er nicht in den Quellen
von Larymna und Skroponeri zu Tage tritt, zwischen letzterer und der
Gegend von Lukisia das Meer erreichen. An der Oberfläche sichtbare,
bedeutendere Quellen finden sich in dieser Gegend nur drei: i. am
Westende des Sees von Likeri, durch welche Kopa'is-Wasser diesem
See zuströmt; sie trocknete im Sommer aus; 2. am Westende der
Paralimni, die wohl Wasser des Likeri-Sees führt; 3. eine salzige
Quelle am Meerestrande bei Anthedon, ein Abflufs der Paralimni. —
Diese drei Quellen sind sehr unbedeutend im Verhältnis zu der Masse,
die zur Zeit des gefüllten Sees in die Katavothren abströmte. Der gröfste
Teil des Kopals- Wassers mufste also ausschliefslich unterirdisch strömend,
unter dem Meeresspiegel dem Meer zufliefsen. Es scheint also, dafs
ein einheitliches unterirdisches Wasserniveau mit meerwärts gerichtetem
Gefälle sich von der Kopals zur Küste hinab erstreckt. Dieser Grund-
wasserstrom ist es auch höchst wahrscheinlich, welcher die Seebecken
von Likeri und Paralimni mit Wasser erfüllt. Denn das oberirdische
Zuflufsgebiet dieser Becken ist zu gering, um die grofse Menge von
Wasser, die sich in ihnen beständig hält, zu erklären. Dafs thatsächlich
ein unterirdischer Zusammenhang zwischen der Kopals und den beiden
Seen besteht, ergiebt sich auch daraus, dafs diese in ihrem Wasser-
stand mit ersterer stiegen und fielen. Seitdem der Likeri-See durch
die jetzige Zuleitung des Kopals-Wassers ansteigt, erhöht sich auch der
Spiegel der Paralimni, wenn auch langsamer; es besteht also auch eine
unterirdische Verbindung zwischen Likeri und Paralimni. Vor den
jiingsten Eingriffen in die hydrographischen Verhältnisse waren also
diese beiden Seen Grundwasser-Seen, ihre Spiegel entsprachen dem
Niveau des unterirdischen Wasserstroms, der von der KopaJs zum Meer
hinabzog; dadurch erklärt sich zugleich, dafs die Spiegelhöhen der
drei Seen treppenförmig zum Meer absteigend angeordnet sind.
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54
Alfred Philippson:
V. Die Geschichte des Sees und seines Gebietes. Die Versuche
zu seiner Austrocknung.
a. Mythische Zeit.
Wir müssen annehmen, dafs zu der Zeit, als sich zum ersten Mal
ein Kulturvolk an den Ufern des Kopais-Sees niederliefs, dieser sich
schon in einem ähnlichen Zustand befunden habe, wie in der Neuzeit
vor der jüngsten Ableitung durch die Kopals-Gesellschaft. Schon damals
war es ein periodischer See, durch Katavothren entwässert, die
freilich nicht alle dieselben gewesen sein müssen, die in der Neuzeit
in Thätigkeit waren; es war ein See, der in der heifsen Zeit bis auf einige
Sümpfe eintrocknete. Die Umwohner sahen alljährlich eine weite,
überaus fruchtbare Ebene vor ihren Augen erscheinen, die sich aber
jedesmal nach so kurzer Zeit wieder mit Wasser bedeckte, dafs ein
regelmäfsiger Anbau derselben nicht möglich war. Da mufste sich,
namentlich bei einem des Wasserbaues kundigen Volk, der Gedanke
leicht cinstellen, ob es nicht möglich wäre, durch Eindämmung und
Ableitung der Zuflüsse den vorübergehenden Zustand der Trockenheit
in einen dauernden zu verwandeln. Bei einem beständigen See, dessen
Boden niemals sichtbar wurde, wäre ein solcher Gedanke wohl
schwerlich gefafst worden.
Es melden uns nun alte Sagen aus grauer Vorzeit, dafs einst ein
Volk dort gesessen habe, welches dieses grofse Werk mit Erfolg durch-
führte, das Volk der Minyer. Das wenige, was die alten Sagen von
diesem Volk berichten, ist durch die Forschungen geistreicher Alter-
tumskenner, durch Aufhellung des Zusammenhangs alter Ortsnamen
und Götterkulte, dann durch die Entwickelung der Denkmalskunde in
helleres Licht gerückt worden1).
Die Minyer, die bei den Griechen stets in ruhmreichem Andenken
geblieben sind, waren ein seefahrendes Volk, welches den Griechen
stammverwandt, aus Vorder-Asien herüberkam und sich, mit asiatischer
Kultur erfüllt, an den östlichen Küsten Griechenlands in zahlreichen
Kolonien niederliefs. Die Sage von dem kühnen Argonautenzuge
knüpft sich an die Minyer; ihnen gehört, nach Curtius, auch der
Stamm der Gephyraeer an, welcher den Wasserbau und wohl auch die
Schrift nach Griechenland brachte. Der Wasserbau konnte in solcher
Vollendung, wie wir ihn gerade in der heroischen Vorzeit in Griechen-
land an mehreren Orten antreffen — er wird von den Sagen meist
1 1 Vergl. Curtius, Die Deichbauten der Minyer, und die dort angegebene
Literatur.
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Oer Kopa'is-See io Griechenland und seine Umgebung.
55
dem Herakles zugeschrieben — dort nicht gut entstanden sein, in
einem Lande, wo die Gelegenheit zu seiner Ausübung immerhin recht
beschränkt, seine Bedeutung nur für wenige, eng begrenzte Gaue eine
hervorragende war. Er kann nur von den grofsen Flufslandschaften
Asiens und Ägyptens herübergebracht sein, wo die Natur des ganzen
Landes zu seiner Bethätigung zwang, wo keine höhere Kultur ohne
ihn möglich war.
Diese Minyer kamen von der nahen Küste aus auch in das Ko-
paJs-Becken und liefsen sich dort zuerst in der Ebene am Südrande
nieder, gründeten aber später, durch Überschwemmungen aus der
Ebene vertrieben1), an und auf dem vorspringenden Sporn des Berges
Akontion (Dtirduvana), einem zur Beherrschung der Seeebene wie ge- •
schaffenen Orte, einen prächtigen Königssitz, die Stadt Orchomenös,
Nach Strabo scheint es, als ob diese Verlegung der Austrocknung des
Sees voranging ; jedenfalls steht die Blüte dieses Orchomenos auf dem
Akontion in unmittelbarem Zusammenhang mit den Wasserbauten. Or-
chomenos wurde „eine der belebtesten Verkehrstädte des Altertums,
wo man von verschollenen Menschen, wie Orestes, am ehesten Kunde
zu erlangen hoffen konnte, die goldreiche Königsstadt, in der so viele
Einkünfte zusammenströmen, wie in dem hundertthorigen Theben“.
\Curtius a. a. O. S. 1188)*). Für die Bedeutung des minyschen Orchomenos
zeugt noch heute das grofse, prächtig ausgestattete Kuppelgrab, das
sog. „Schatzhaus des Minyas", das durchaus den ähnlichen Bauten in
Mykenae entspricht und diesen wohl gleichaltrig ist. Dieser Reichtum
und dieser Verkehr von Orchomenos sind nur denkbar, wenn der Ko-
pais-See ausgetrocknet, in fruchtbare F’luren umgewandelt und von
Strafeen durchzogen war. Denn das anbaufähige Gebiet der Stadt
aufserhalb des Seebodens ist von geringer Ausdehnung, und wenn der
Seeboden unzugänglich ist, liegt sie abseits jedes gröfseren Verkehrs-
weges, während sie im Gegenteil, wenn der See durchkreuzt werden
kann, den kürzesten Weg von Attika, Theben, dem Euripos einerseits nach
dem oberen Kephissos-Becken und dem Gebiet des Spercheios anderer-
seits beherrscht. In der That hat Orchomenos später, als der See
wieder bestand, nie wieder eine hervorragende Stellung eingenommen.
Ist also der Glanz der Minyer - Stadt Orchomenos nur verständlich
unter der Voraussetzung, dafs die See-Ebene ausgetrocknet und ange-
baut war, so wird dies ausdrücklich bezeugt durch Strabo, der, alten
Sagen folgend, schreibt (IX, 2, 40) : „Man sagt, dafs das Gebiet, welches
jetzt der Kopa'is-See einnimmt, früher ausgetrocknet (änmy&ui) und von
') Strabo IX, z, 18. 41.
VgL Strabo IX, 2, 40. Pausanias IX, 36, 3.
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56
Alfred Philippton:
den benachbarten Orchomeniern völlig angebaut gewesen sei. Auch
dieses führt man als Beweis ihres Reichtums an.“ Der Sage nach ge-
hörte also der ganze Seeboden den Orchomeniern, die aus ihm vor-
nehmlich ihren Reichtum bezogen. Gleichzeitig lagen auch andere ur-
alte Städte um den See herum, welche später durch Überschwemmung
zu Grunde gingen, so Eleusis und Athene am Triton - Flufs (also am
Südrand), und die noch im Schiffskatalog der Ilias erwähnten Arne
und Mideia. (Strabo IX, 2, 18. 35. Pausanias, IX, 24, 2). Auf der
jähen Felsinsel Gla, welche sich nahe der Ostküste aus dem See er-
hebt, finden sich heute noch kyklopische Mauerreste einer Nieder-
lassung aus mythischer Vorzeit1), welche in ihrer Bauart den Mauern
von Mykenae entsprechen. Vielleicht ist es die Burg von Arne, an
deren Fufs diese Stadt in der See-Ebene selbst lag. Natürlich mufste
nach der Überschwemmung der Unterstadt auch die Burg verlassen
werden; das benachbarte Akraephion machte später auf den Namen
Arne Anspruch (Strabo IX, 2, 34). Alle diese Städte standen wahrschein-
lich unter der Oberherrschaft der Orchomenier, sodafs diese als die
Besitzer des ganzen Seebodens gelten konnten.
Uber das Ende der Orchomenischen Herrlichkeit berichten nun
die Sagen weiter, dafs die Thebaner — welche dem von den Minyern
scharf unterschiedenen Stamm der Böotier angehörten -r als sie sich,
eifersüchtig auf die Macht der Orchomenier, gegen diese erhoben,
unter Beihüife des Herakles die Katavothren verstopften und so den
ganzen Seeboden wieder unter Wasser setzten. So überliefert es
Diodor (4, 18): „Er (Herakles) bewirkte durch Verstopfung des Ab-
flusses (1 (tti&Qor ) bei dem minyschen Orchomenos, dafs das Land in
einen See verwandelt wurde, und dafs alles in ihm zu Grunde ging“;
ferner Pausanias (IX, 38, 5): „Die Thebaner sollen unter Herakles
den Flufs Kephissos in die Orchomenische Ebene abgeleitet haben;
bis dahin sei aber dieser unter dem Berg in das Meer entwichen, be-
vor Herakles den durch den Berg führenden Schlund (xdafiu ) verstopft
habe“. Übrigens bezweifelt Pausanias gleich darauf die Richtigkeit
dieser Sage; denn es sei kein Grund vorhanden, weshalb die Orcho-
menier den Schlund nicht wieder hätten öffnen können, da sie auch noch
später reich gewesen seien. Polyaenos aber stellt die Sache wesent-
lich anders dar; darnach hätte Herakles nur während der Entschei-
dungsschlacht gegen die Orchomenier den Schlund verstopft, später
aber habe er die Verstopfung entfernt, und der Kephissos habe seinen
alten Weg wieder genommen1).
*) Forchharamer I S. 180. Bädeker S. 19».
s) 'HQaxlijc Mtwais naltuiov .... yy Ji ü rtoTtc/jibc Kr^ftaab; opi(cüF o{»ij
Iluovitaobv xtti ' MJvitoy, ituvjy &i lrtv Boiutu'ay fjiorjy, ngiy ix/laXXiiy tlf Sälaacay,
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Der Kopats-See in Griechenland und (eine Umgebung. 57
Die Sagen sind also allein wohl nicht beweisend, dafs der See
künstlich durch Verstopfung seitens der feindlichen Thebaner wieder-
entsanden sei.
Dies ist im Gegenteil aus mehreren Gründen wenig wahrscheinlich.
Zunächst hätte, wenn die zahlreichen Katavothren im allgemeinen noch
gut funktionierten, die Verstopfung einer Katavothre wohl kaum ge-
nügt, den ganzen See wieder zu überschwemmen. Auch ist der Zweifel
des Pausanias wohl berechtigt. Entweder verblieb die verstopfte Kata-
vothre nach dem Kriege im Besitz der Orchomenier, dann hatten diese
das meiste Interesse, sie wieder zu öffnen; oder aber das Seegebiet
war mm den Thebanern zugefallen, dann ist es nicht ersichtlich, wa-
rum diese nicht den Seeboden auch fiir sich selbst wieder nutzbar
machten; denn eine künstliche Verstopfung ist auch leicht wieder zu
entfernen. Ein Vergleich mit der künstlich veranlalsten Überschwem-
mung des Dollart (Curtius a. a. O. 1193) ist deshalb nicht statthaft, weil
ein einmal herbeigeführter derartiger Einbruch des Meeres, wie beim
Dollart, nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, wohl aber die Ver-
stopfung einer einzelnen Katavothre. Wir können also wohl annehmen,
dafs die Thebaner, nachdem sich die Abflufsverhältnisse des Sees durch
natürliche Vorgänge (vgl. S. 2) schon verschlechtert hatten, diese
Verschlechterung durch Verstopfung einzelner Katavothren beschleunig-
ten und verstärkten, nicht aber, dafs sie allein den ganzen Seeboden
unter Wasser setzten. Auch sind Anzeichen vorhanden, dafs diese
Wiederherstellung des Sees durch langsames Anwachsen desselben
während längerer Zeit vor sich ging. So wurden zuerst Athen und
Eleusis, viel später erst Ame und Mideia vom See verschlungen.
Pausanias bezeugt ausdrücklich (IX, 24, 2), dafs erstere beiden Städte
durch eine besonders hohe winterliche Überschwemmung, also durch
einen natürlichen Vorgang, eine Folge des allmählichen Anwachsen des
Sees zu Grunde gegangen seien. Auch sank der Reichtum von Orcho-
menos nicht plötzlich, sondern es erscheint noch bei Homer reich an
Schätzen, während seine politische Macht schon so beschränkt war,
dafs im Schiffskatalog nur noch das nahe Aspledon zu seinem Gebiet
gehörte; dennoch stellte es 30 Schiffe, während alle übrigen böotischen
Städte zusammen auch nur 50 Schiffe ausgerüstet hatten. Wir thtin
also wohl besser, uns die Wiederentstehung des Kopa'is-Sees als einen
ipniniütr utyniüj yaaunji aqayijs yiyvtiat, jovto di To ynffuft ‘ Hgaxlrji nitfro if
fityakots ntqirttxiaaf tinom uif H fix notapiiv il( to mdiov, fytht Miyvni xa&tand-
£okto, xai di] tov ntdiov ituvitociyros roig Miyöatt To imuxöy riyguöy ijy. ‘ Htiax-
xpflujffrrf dnoTuyi^u to ynoua xai o Krj<fnro6{ ini lijy (tQyaiay inaviQynat
ödoy. — Dafs bei den Alten unter dem Kephissos der Melas zu verstehen sei, ist
S. 40 ff. auseinandergesetzt worden.
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58
Alfred Philippson:
langsamen natürlichen Vorgang zu denken, der vielleicht unterstützt
wurde durch eine vorhergehende Vernachlässigung seitens der Orcbo-
menier und durch eine böswillige Verstopfung durch die Thebaner.
Jedenfalls aber geht auch aus diesen Berichten mit Sicherheit
hervor, dafs i) der See zur Zeit der Blüte des minyschen Orchomenos
trocken gewesen ist, 2) damals der Abflufs nur durch natürliche Kata-
vothren (jdiruant) besorgt wurde, 3) dafs das Ende der minyschen
Herrlichkeit und das Emporsteigen Thebens zusammenfiel mit einer er-
neuten allgemeinen Überschwemmung des Seebodens.
Orchomenos sank damals langsam, aber endgültig von seiner
Höhe herab, da ihm seine Lebensader unterbunden war; Theben trat
an die Spitze Böotiens und schwang sich allmählich zu einer der ersten
Städte von Hellas auf. Dieser Wechsel in der Bedeutung der Haupt-
städte spiegelte nur das Schicksal der beiden grofsen böotischen Becken-
landschaften, der Thebanischen und der Kopais, wieder. Diese letztere
wurde nun zum grolsen Teil durch einen widrigen Sumpfsee einge-
nommen, der weithin seine Umgebung mit Fiebern verpestete ; das an-
baufähige Land wurde auf einen schmalen Saum beschränkt. Die ganze
Kopais-Ebene stand von da an an historischer und kultureller Bedeu-
tung weit hinter dem östlichen Böotien zurück.
Dies der Inhalt der sagenhaften Berichte über eine uralte Kultur
iin Kopäis-Becken. Man hat zuweilen gezweifelt, ob ihnen historische
Wahrheit zu Grunde läge. Auch läfst es die erwähnte Stelle bei Strabo
unentschieden, ob die Austrocknung des Sees eine natürliche oder
künstliche gewesen sei. Neuerdings aber sind alle Zweifel durch eine hoch
bedeutsame Entdeckung gehoben worden, welche man bei Gelegenheit
der jetzigen Austrocknung des Sees gemacht hat. Es fanden sich näm-
lich auf dem Boden des Sees Spuren eines ausgedehnten Systems von
Kanälen und Deichen, die den ganzen See umspannten, die Zu-
flüsse desselben fassen und zu den Katavothren am Ostrande führen
sollten. Einzelne dieser Dämme waren schon früher bekannt; man hatte
sie aber bisher als alte Strafsen angesprochen, bis diese Deutung nach
Erkenntnis des ganzen Systems hinfällig wurde. Die Herren Michel
Kambanis nnd Lallier, Beamte der Kopa'is-See-Gesellschaft haben
diese Bauten untersucht und darüber einen vorläufigen Bericht ge-
geben1), den Curtius*) zu einer kleinen geistvollen Abhandlung be-
nutzt hat. Genauere Aufnahmen stehen noch aus, aber die Hauptzüge
des ganzen Werkes sind festgestellt, und es ist überzeugend dargethan,
dafs es in der That der Entwässerung des Sees dienen sollte. Da von
einer späteren erfolgreichen Trockenlegung kein Bericht vorliegt, müssen
*) Bulletin de Correspondance Hellenique 1892. S. 121 — 137.
s) Sitzungsber. Berl. Akad. Phil.-hist. Kl. 1892 S. 1181 — 1193.
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Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung,
59
wir in diesen Bauten die Werke der alten Minyer sehen; zudem
weist die Bauart des Mauerwerks, das an einzelnen Stellen der Dämme
noch erhalten ist, entschieden auf die Zeit der Bauten von Tiryns und
Mykenac hin. So ist es denn bewiesen, dafs die alten Minyer durch
kunstvolle Wasserbauten den Kopals - See trocken gelegt haben. Vor
unseren Augen steht ein grofsartiges Kulturwerk des grauesten Altertums,
von dem bisher nur dunkle Sagen meldeten, in heller Beleuchtung da,
ein Werk, das der späteren griechischen Kultur nicht wieder gelungen ist.
Die Einzelheiten der minyschen Wasserbauten möge man in den
angeführten beiden Abhandlungen nachlesen. Ich habe nur einzelne
Teile derselben besichtigen können und mich dabei von der Zuver-
lässigkeit der Angaben von Kambanis und I.allier überzeugt, ohne bei
der Kürze der Zeit denselben etwas hinzufügen zu können. Was man
heute noch von den Bauten sieht, das sind sehr niedrige und äufserst
flach geböschte, dabei sehr breite Erdwälle, welche sich weit hin durch
die Ebene ziehen, hier deutlich, dort streckenweise verwischt. Bald
ist es nur eine einzige, bald sind es zw'ei in geringem Abstand parallel
hinziehende Wälle. Zwischen beiden, oder bei einem einzelnen Damm
an dessen einer Seite, sieht man an vielen Stellen eine langgezogene
flache Vertiefung, das Bett eines alten Kanals. So verwischt Deiche
und Kanäle auch zum grofsen Teil sind, so ist ihr wirklicher Bestand
dem Beschauer unzweifelhaft, da bei ihrer langen Erstreckung und
ihrem Auftreten an den Punkten, wo man sie erwarten mufs, ihr Zu-
sammcnschliefsen zu einem wohldurchdachten System den Gedanken
an eine etwraige Täuschung durch natürliche Bodenerhöhungen nicht
aufkommen läfst; aufserdem würde jede natürliche Ursache für ihre
Entstehung fehlen. Den untrüglichsten Beweis liefert aber das Mauer-
werk aus grofsen polygonalen Steinblöcken, welches an vielen Stellen
die Wasserseite der Deiche, und stets nur diese, stützt und auskleidet.
(Vgl. die Abbildungen bei Kambanis.) An einzelnen Stellen ist es
trefflich erhalten, während an anderen nur eine Reihe weifser Steine,
die sich durch die sonst völlig steinlose Ebene kilometerweit hinzieht,
seinen ehemaligen Bestand anzeigt. Diese auffälligen weifsen Steinreihen
bilden das deutlichste Merkmal für die Verfolgung der alten Dämme.
Es ist natürlich, dafs durch die Jahrtausende lang alljährlich sich
wiederholenden Überschwemmungen die Kanäle zugeschüttet, die Deiche
abgeflacht und durch das abgeschwemmte Material verbreitert sind.
Auch hat sich jedenfalls der Seeboden beträchtlich erhöht, so dafs nur
noch die Kronen der Deiche aus dem Schwemmland hervorragen. Am
besten sind die Bauten in der Bucht von Topolias erhalten, wo sie am
stärksten angelegt werden mufsten, weil hier die gesamten Gewässer
des Sees zusammengeführt wurden. Hier erblickt man mit wunderbarer
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60
Alfred Philippson:
Deutlichkeit den alten Kanal, wie er sich durch die Ebene windet, zu
beiden Seiten von ansehnlichen Deichen, mit Mauern auf der Innen-
seite, begleitet.
Der Plan des minyschen Entwässerungs-Werkes ist in
kurzen Zügen der folgende.
Drei Kanäle führen von W nach O durch den See, der eine am
linken (nördlichen) Ufer, der zweite am rechten (südlichen) Ufer entlang,
der dritte durch die Mitte.
1. Der linke Uferkanal. Ein grofser Deich mit einem Kanal
auf der linken Seite, von Karya nach NO ziehend, sperrt das Mündungs-
gebiet des Kephissos gegen den Hauptsee ab und leitet den Flufs nach
NO zur Vereinigung mit dem Melas in der Gegend von Stroviki. Die
Bucht von Tzamali scheint den Überschwemmungen des Kephissos über-
lassen worden zu sein, da dieser nach links nicht eingedeicht war. Nach
der Vereinigung beider Flüsse werden sie dicht an der Nordküste entlang
geleitet, hinter der Insel Stroviki und der Halbinsel von Topolias her,
indem das linke Ufer durch die Küste, das rechte durch einen grofsen
Deich gebildet wird. Von Topolias (Kopae) führt der Kanal, auf jeder
Seite von einem ausgemauerten Deich eingefafst, quer über die Bucht
von Topolias zur Felsecke beim Pyrgos H. Marina, wo er den rechten
Ufer-Kanal aufnimmt, dann weiter zum Ostende der Bucht; dort führen
ein Arm nach der Katavothre von Spitia und, dem Bericht von
Kambanis und Lallier zufolge, andere Arme auch nach den übrigen
Katavothren der Gruppe II. Der Melas läuft auf dieser ganzen Strecke
aufserhalb des alten Kanals, und zw'ar weit tiefer eingeschnitten als
dieser; doch war der Kanal ehemals wohl ebenso tief; er ist jetzt nur
zugeschwemmt.
2. Der Mittelkanal nimmt durch zwei fächerförmig auseinander-
strebende Deiche die Gewässer des Herkyna-Baches auf und führt
sie nach Osten in den mittleren, jetzt höchsten Teil des Seebodens.
Man hat diesen Kanal 7 km weit verfolgt; er ist von zwei Deichen
eingefafst, welche des Mauerwerks gänzlich entbehren und allmählich
immer schwächer werden, bis sie endlich verschwinden in der Nähe
eines grofsen Tumulus (Grabhügels), der, auf einer jetzt fast unzu-
gänglichen Stelle gelegen, auch seinerseits die einstmalige Kultur des
Seebodens bezeugt. Man hat bisher die Fortsetzung des Kanals nach
Osten nicht finden können. Die Herren Kambanis und Lallier nehmen
aber an, dafs diese Fortsetzung einstmals bestanden und dais der Mittel-
kanal sich am Ostufer mit dem rechten Uferkanal vereinigt habe, doch
ist auch die Vereinigungsstelle noch nicht sicher gefunden worden1).
') VergU Kambuus S. 131.
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Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
61
Die Fortsetzung des Kanals ist also nur hypothetisch. Ich halte
eine andere Annahme für wahrscheinlicher. Es scheint mir nämlich
durchaus unnötig und unzweckmäfsig zu sein, allein für die Ableitung
der Herkyna einen Kanal quer durch den ganzen Seeboden zu bauen,
und zwar durch den höchsten Teil desselben; man konnte den Bach
weit bequemer dem rechten Gürtelkanal Zufuhren, der sehr wohl die
Herkyna auch noch aufnehmen konnte, da ihm sonst nur ganz unbe-
deutende Zuflüsse zugehen. Auch die heutige Entwässerungs-Anlage
führt nicht nur die Herkyna, sondern auch den Kephissos dem rechten
Uferkanal zu. Der Abfuhr des Regenwassers konnte der antike Mittel-
kanal auch nicht dienen, da er durch den höchsten Teil des See-
bodens führt, ungleich des für diesen Zweck bestimmten heutigen
Mittelkanals. Als Ableitungskanal erscheint also der antike Mittelkanal
zwecklos. Andererseits mufs man bedenken, dafs im griechischen Klima
ein wirklich reicher Ertrag der Ebene nur bei Berieselung derselben
erzielt werden konnte. Die Natur der Kopals-Ebene mufste mit Not-
wendigkeit dazu führen, die den Minyern alsVorbild dienenden asiatisch-
ägyptischen Wasserbauten, bei denen Ent- und Bewässerung stets Hand
in Hand gehen, auch in der Hinsicht nachzuahmen, dafs sie für eine
hinreichende Berieselung der Felder und Gärten sorgten. Der Kephissos
war durch seine wilden Hochfluten, der Melas durch seine excentrische
Lage dazu nicht geeignet; die Leitung beider am Nordufer entlang
beweist, dafs sie von den Minyern nicht für diesen Zweck in gröfserem
Mafsstab benutzt wurden. Dagegen ist nächst dem Melas die Herkyna
der zahmste und durch die grofse Quelle von I.ivadia am gleich-
mäfsigsten ernährte Zuflufs der Kopals — daher das Fehlen des Mauer-
werks an den Dämmen des Mittelkanals - ; sie mündete aufserdem an
geeigneter Stelle. Ich glaube daher, dafs man die Herkyna durch den
sog. Mittclkanal zur Berieselung des Seebodens verwendet hat.
Man führte sie zu diesem Zweck in den mittelsten und höchsten Teil
des Seebodens, von wo man ihr Wasser durch zahlreiche kleine und
kleinste Kanäle, die natürlich jetzt verschwunden sind, durch die Ebene
verteilen konnte. Eine Fortsetzung des Kanals, wenigstens in beträcht-
licher Stärke, bis zum Ostufer des Sees anzunehmen ist daher nicht
nötig. So würde sich auch die eigentümliche flache Erhöhung er-
klären, die am Ende des Mittelkanals dem schon an sich höheren Teil
des Seebodens aufsitzt : sie entstand durch die allmähliche Anschwem-
mung des von der Herkyna mitgebrachten Sediments, das sich zumeist
hier, wo das Wasser verteilt wurde, niederschlagen mufste.
3. Der rechte Uferkanal war bestimmt, die Zuflüsse des Sees,
von der Herkyna an nach Osten, aufzunehmen. Er beginnt an der
Mündung des Phalaros bei Mamura und führt diesen Bach nach Osten;
”\
A
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62
Alfred Philippson:
ein Seitenkanal leitet ihn noch einen anderen Bach des Stidufers zu
Beide Kanäle sind auffallender Weise nur auf der rechten Seite einge-
deicht. Kanal und Deich verlieren sich in jener natürlichen Tiefen-
rinne (vgl. S. 42), welche das Südufer des Sees begleitet und die
Sümpfe von Haliartos enthält. Der Kanal beginnt erst wieder östlich
von Mulki, und zwar dicht am Ufer, wo der Seeboden höher liegt als
dort, wo sich die Spuren des ersten Kanalstückes verlieren. Hier nahm
er wohl zunächst den Bach von Mulki (Tophis oder Permessos) auf.
Herr Kambanis nimmt an, dafs das fehlende Kanalstück zerstört sei.
Die Gestalt des Seebodens läfst es aber als recht wohl möglich er-
scheinen, dafs das erste Kanalstück an den Sümpfen von Haliartos I
geendet habe, sei es, dafs man das wenige Wasser des Kanals eben-
falls durch kleinere Kanäle zur Berieselung verwendete, sei es, dafs
man es in den Sümpfen verdunsten liefs, die man vielleicht als unbe-
deutend bestehen liefs. Ich führe diese Möglichkeiten an, um zu zeigen,
dafs man die wirklich beobachteten Kanalstrecken nicht ohne weiteres
hypothetisch verbinden darf, wie dies die Herren Kambanis und Lallier,
und nach ihnen Curtius gethan haben. — Das Kanalstück, das bei
Mulki beginnt, führt nun von hier am Ostnfer entlang nach Norden.
An den vorspringenden Küstenteilen schmiegt es sich unmittelbar an,
hier finden wir naturgcmäfs nur einen Deich, und zwar auf der See-
seite des Kanals. Vor den Buchten aber führt der Kanal frei hinüber,
dort beiderseits von einem Deich eingefafst. Fast zu jeder be-
deutenderen Katavothre führt eine Abzweigung des Kanals hin. An
dem Pyrgos H. Marina vereinigt sich der rechte mit dem linken Ufer-
Kanal, welcher bei weitem das meiste Wasser führte.
Durch dieses Kanalsystem, das mit aufserordentlichem Scharfsinn
den natürlichen Verhältnissen angepafst war, und das durch seine
Deiche auch die Hochfluten zu fassen vermochte, führten die alten
Minyer die Zuflüsse des Kopals-Sees, soweit sie nicht, wie ich vermute,
zur Berieselung verwendet wurden, den Katavothren der Ostseite zu.
An diesen hat man Spuren von Erweiterungs- und Ausräumungs - Ar-
beiten gefunden, die aber von geringem Umfang sind1). Es fragt sich
übrigens sehr, ob sie von den Minyern und nicht vielmehr von Krates
(s. unten) herrühren. Man benutzte also zur schliefslichen Ableitung
des Wassers aus dem Becken ausschliefslich die vorhandenen natür-
lichen Schlünde, nicht künstliche Durchstiche. Dies ist ein wesent-
licher Unterschied gegen die späteren Entwässerungsversuche. Die
Minyer suchten das Heil nur im engen Anschlufs an die Natur, nicht
in gewaltsamen Eingriffen in dieselbe. Für größere Durchstiche in
*j Kambanis S. 136.
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung.
63
festem Fels batten die Minyer wohl auch nicht die nötigen Mittel
— handelte es sich doch immer nur um das Werk eines verhältnis-
mäfsig kleinen Kantons — und nicht genügende Erfahrung, da wir an-
nehmen müssen, dafs ihre Kenntnisse aus den grofsen Stromländern
des Ostens herstammten. Die Benutzung der Katavothren brachte aber
grofsc Gefahren für das ganze Werk mit sich, da die unterirdischen
Gänge, der menschlichen Beaufsichtigung und Einwirkung verschlossen,
zahlreichen Zufälligkeiten ausgesetzt waren. Die natürliche Verschlechte-
rung des Abflufsvermögens der Katavothren war es wohl, welche
schliefslich den Untergang des ganzen minyschen Werkes verursachte.
Auf den Isthmen von Larymna und Karditsa finden sich, wie
erwähnt, Reste von künstlichen Durchstechungs-Versuchen.
Aber diese gehören entschieden nicht der minyschen, sondern einer
späteren Zeit an. Von dem Isthmus von Karditsa ergiebt sich das
aus der Lage von selbst, da ja durch den Kanal- und Deichbau der
Minyer die Bucht von Karditsa von dem Kopäls-See abgeschnilten war.
Eher könnte man die 16 Schächte auf dem Joch von Larymna den
Minyern zuschreiben , und manche neueren Schriftsteller haben dies
gethan1). Aber auch dies erweist sich als unannehmbar. Es giebt
zwei Erklärungen für die Bestimmung dieser Schächte. Nach der einen
sollen sie zur Aufsuchung und Reinigung eines natürlichen Katavothren-
ganges gedient haben8). Daserscheintundenkbar, denn die Bohrungen
liegen alle genau auf der niedrigsten Linie des Überganges. Ein
natürlicher Katavothrengang verläuft aber unabhängig von der
Oberflächengestalt, also sicher nicht genau unter der niedrigsten
Jochlinie3). Überhaupt ist es, wie wir gesehen haben (S. 22 und 50), dem
Schichtstreichen nach zu schliessen, unwahrscheinlich, dafs ein
Katavothrengang in der ungefähren Richtung des Jochs verläuft.
Kannte man also schon den Verlauf des unterirdischen Höhlen-
ganges, den man aufsuchen wollte, so würden die Schächte eine
andere Lage haben ; wollte man ihn aber erst durch die Schächte
finden, so würde man nicht eine so grofse Zahl von Schächten aufs
Geratewohl in die Tiefe getrieben haben. Es bleibt also nur die
zweite Erklärung übrig, dafs nämlich die Schächte eine Vorbereitung
zur Herstellung eines künstlichen Tunnels waren, welcher den See
entwässern sollte*). Kambanis giebt sogar an (S. 122), dafs dieser
Tunnel zu einem Dritteil seiner ganzen Länge, welche 2 km betragen
sollte, fertig gestellt sei. Andere Autoren melden nichts davon, auch
>} Forchhammer I, S. 168. Leake II, S. 293 t. Ulrichs S. 209.
s) Leake II, S. 283, 293 f. Brandis S. 129.
3) Vgl. Forchhammer S. i6S-
*) Forchhammer S. 168.
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64
Alfred Philippson:
ich selbst habe den Tunnel nicht gesehen1). Wie dem auch sei, jeden-
falls war ein Tunnelbau beabsichtigt. Ähnliche Schächte finden sich
auch sonst bei antiken Tunnelbauten; sie dienten wohl hauptsächlich
rur Luftzufuhr während des Baues — den man heute durch Venti-
latoren besorgt — , dann aber auch wohl, um während des Baues in
der Tiefe die Richtung nicht zu verlieren — kannte man doch weder
Kompafs noch Theodolith. Selbst der Ausarbeitung offener Einschnitte
— wie am Isthmos von Korinth und am Isthmos von Karditsa -- ging
die Abteufung einer gröfseren Zahl von Schächten auf der Linie des
projektierten Einschnittes voraus. Um nun an der Höhe der Schächte
zu sparen, folgten diese und demnach auch der beabsichtigte Tunnel
der niedrigsten Linie des Joches von Larymna. Dafs hier also ein
Tunnel gebaut werden sollte, der aber nicht fertig geworden ist, kann
keinem Zweifel unterliegen. Dies kann aber nicht in der Absicht der
Minyer gelegen haben, denn diese benutzten ja die natürlichen Kata-
vothren zur Abfuhr des Wassers. Da der See damals lange Zeit völlig
trocken war, die Abflüsse also gut funktionierten, der Tunnel aber nie
fertig geworden ist, also auch nie gedient haben kann, können die
Arbeiten auf dem Isthmos von Larymna dem minyschen Ent-
wässerungswerk n ich t angehö r t haben, ebensowenig wie die
auf dem Isthmos von Karditsa*). Wir W'erdcn auf das Alter dieser
Werke später zu rück kommen.
Betrachten wir noch kurz den Zustand des Sees zur Zeit
des Beginnes der minyschen Arbeiten, soweit er sich aus diesen
selbst erschliefeen läfst. Jedenfalls lag der See schon damals einen
Teil des Jahres trocken, sonst hätte man ja überhaupt die Arbeiten
nicht ausführen, namentlich die nötigen Messungen nicht machen
können. Klar zeigt sich dies auch in dem gewundenen Verlauf des
grofsen Kanals in der Bucht von Topolias. Er beweist, dafs man ein
vorhandenes Elufsbett benutzt hat, dafs also schon damals der Flufs
Melas in ganz ähnlicher W'eise bestand als jetzt. Die meisten der
heutigen Katavothren bestanden schon damals, wie die Zuleitungen
zu ihnen beweisen; sie konnten aber mehr Wasser fassen als
heute, da sie selbst zur Zeit der stärksten W'asserzufuhr diese zu be-
wältigen vermochten, ohne das Wasser aufzustauen. Heute wäre dies
1 } Vielleicht ist der Seitenzweig der Katavothre von Binia der Eingang des
Tunnels?
*) Fiedler (I, S. 113(1.) beschreibt ausführlich die Schächte bei Larymna und
glaubt, sie seien thatsächlich mit einem Tunnel verbunden, der von deu Minyern
erbaut und von Krates später gereinigt sei. So lange aber nicht nachgewiesen ist,
dafs ein fertiger Tunnel vorhanden ist, so lange kann man die Arbeit nicht den
Minyern zuschreibcn.
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~r
Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung. (J5
nicht mehr möglich. Die Katavothren befanden sich augenscheinlich
damals von Natur in einem besseren Zustande; etwaige Erweiterungs-
arbeiten mufsten sich ja auf die Eingänge beschränken. Heute finden
wir die meisten Katavothren-Öflfnungen unter dem Niveau der Ebene;
wir müssen annehmen, dafs sie damals in oder wenig unter dem
Niveau des Seebodens gelegen haben und dafs dieser sich seitdem um
einige Meter erhöht hat. Dadurch sind die Katavothren verschlechtert
worden und neue haben sich nicht in dem Mafse gebildet, um dies
ausgleichen zu können. Der Kopals - See hat sich also von Natur in
einem günstigeren Zustande befunden, als die Minyer ihr Werk be-
gannen. Die Katavothren genügten zur Abfuhr des Wassers, und die
Baumeister hatten nur dafür zu sorgen, dafs das Wasser, in schmale
Betten gefafst, den Schlünden zugefUhrt wurde, ohne dafs es sich zu-
vor über die Ebene verbreitete.
b. Historische Zeit des Altertums.
In der ganzen historischen Zeit des Altertums war der
Kopafs-See ein periodischer See, der im Winter am höchsten stand,
im Sommer aber mehr oder weniger zusammenschrumpfte und zuweilen
ganz austrocknete, bis auf einige Sümpfe, die auch im Sommer fast
stets Wasser enthielten. Diese lagen, wie oben erwähnt, an den vier
Ecken und führten gesonderte Namen (Strabo IX 2, 27: See von
Ilaliartos, von Kopae). Als gemeinsamer Name des ganzen Sees tritt
bei Homer „Kephissis“ auf, der sich auch später neben dem von Ko-
pae abgeleiteten Namen Kopais erhielt. Eingehend beschreibt Strabo
die amphibische Natur des Seegebietes (IX, 2, 16): „Von diesen Ebenen
ist ein Teil überschwemmt, indem sich Flüsse über sie ausbreiten,
welche erst dann, nachdem sie (in Schlünde) hineingeraten sind, ihre
Mündung gewinnen; ein andrer Teil aber ist trocken und wird wegen
seiner Fruchtbarkeit mannigfaltig angebaut. Da die Erde in derTiefe voll
Höhlen und Klüfte ist, sind durch heftige Erdbeben häufig einige dieser
Durchlässe verstopft, andere geöffnet worden, teils bis zur Oberfläche, teils
durch unterirdische Gänge ; dasselbe geschieht aber auch mit den Ge-
wässern, dafs die einen durch unterirdische Kanäle fliefsen, die andern an
der Oberfläche als Seen und Flüsse. Es geschieht aber, dafs, wenn die
Abflüsse in der Tiefe verstopft sind, die Seen anwachscn bis zu den
besiedelten Orten, so dafe sie Städte und Länder ertränken; wenn aber
dieselben oder andere Abflüsse sich öffnen, werden jene wieder entblöfst,
so dafe man auf denselben Stellen bald schiffen, bald zu Fufs gehen
kann, und dafs dieselben Städte bald an dem See, bald entfernt von
ihm liegen.“
l’ausanias berichtet (IX, 38, 5), dafs der Sec zwar immer einen
Zeiuchr. d. Osellsch. f. Erdk. Bd. XXIX.
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grofscn Teil des orchomcnischen Gebietes bedecke, am meisten aber
im Winter, wenn der Notos bläst. Aufser der jahreszeitlichen Schwan-
kung wechselte der Wasserstand in den einzelnen Jahren. Man glaubt«,
dafs das Wasser alle neun Jahre einmal höher steige und dann zwei
Jahre hindurch auf diesem höheren Stand stehen bleibe, wie dies
zur Zeit der Schlacht von Chaeronea der Fall gewesen sei'). Wenn
der See hoch angeschwollen sei, sollte die Winterkälte weniger stark
sein*). In den beständigen Sümpfen wuchs das beste Flötenrohr, so
besonders in den Sümpfen zwischen Melas und Kephissos, einer Gegend,
welche Pelekania genannt wurde, ferner an der Mündung des Kephissos,
der sog. Oxeia Kampe, und an der Mündung des Baches Probatia1),
auch bei Haliartos'). In den Sümpfen bei Orchomenos sollen sich
schwimmende Inseln, nXuääei, gebildet haben (Theophrast a. a. O. und
Plinius a. a. O.). Von den Erzeugnissen des Sees waren, aufser dem
Flötenrohf, die Aale berühmt (Pausanias IX, 24, 2), wie noch heute,
und bei Orchomenos wuchsen treffliche Melonen (Aristot. Probl. XXI,
32), wie jetzt bei Mulki. Von Zeit zu Zeit ereigneten sich grofse Über-
schwemmungen, welche die bewohnten Orte bedrohten und häuflg zur
Verlegung der Städte zwangen5). Diese Überschwemmungen wurden
durch Verstopfung von Katavothren, die häufig durch F.rdbeben veratdafsi
wurde, hervorgerufen, und dann zuweilen durch die (natürliche) Er-
öffnung einer neuen Katavothre beendigt, wie die von Strabo erwähnte
Überschwemmung, welche Kopae bedrohte.
Zahlreiche Städte und Ortschaften lagen in der historischen Zeit
um den Kopafs-See herum, so am Westrande: Aspledon, Orchomenos
(jetzt Skripu), etwas abseits Lebadeia (jetzt Livadia); am Südrande
Koronea, Tilphusion, Alalkomenae, Okaleae, Haliartos, Onchestos; am
Ostrand Phoenikis, Akraephion (dicht bei dem jetzigen Karditsa); am
Nordrand Kopae (jetzt Topolias), Holmones, Hyettos, Tegyra. Aber
keine dieser Städte hat jemals wieder eine gröfsere Macht erlangt, da
ihr anbaufähiges Gebiet, obwohl z. T. ungemein fruchtbar, beschränkt
war. Das ganze Land war durch seine schwere Fieberluft be-
rüchtigt. Kein übermächtiges einheimisches Centrum zog, wie früher
Orchomenos, das ganze Kopals-Becken unter seine Herrschaft, sondern
das Haupt Böotiens blieb stets Theben. Zwar versuchte Orcho-
menos auch in historischer Zeit zuweilen noch mit Theben zu rivali-
*) Bursian I, S. 19g. Theophrast, hist, plant IV, ir, af. Plinius, bist,
nat. 16, 66.
*) Theophrast, cans. plant V, 1 1, 3.
3) Theophrast hist, plant. IV. 11, g. Plinius 16, 66.
4) Strabo IX, 2, ig.
*) Strabo IX, a, 17.
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De/ Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
67
siercn, aber ohne dauernden Erfolg1). Nur nach der Zerstörung
Thebens durch Alexander hoben sich die böotischen Städte vorüber-
gehend, da das thebanische Gebiet unter sic verteilt wurde. Traten
also die Kopa'fs-Städte an politischer Macht sehr in den Hintergrund,
so war ihnen doch durch ihre Tage an dem wichtigsten Durchlafs von
Nordwesten gegen Theben, Athen und den Isthmos eine hohe strate-
gische Bedeutung gesichert. Oft war das Becken der Kopäts der
Schauplatz wichtiger Schlachten und Belagerungen, ja der schwankende
Sumpfboden der See-Ebene selbst hat in dem Kampfe Sulia’s gegen
das Heer des Mithridates zur Entscheidung wesentlich beigetragen, in-
dem er Rosse und Krieger der Asiaten versinken liefs.
Strabo giebt den Umfang des Sees zu seiner Zeit auf 380 Stadien
an (etwa 70 km), was ungefähr der heutigen Ausdehnung entspricht,
wenn man die kleineren Krümmungen nicht mitzählt. War die Be-
deutung des Kopals-Beckens schon in der Zeit der griechischen Unab-
hängigkeit keine grofse gewesen, so war es damals durch die langen blutigen
Kämpfe zuerst der Makedonier gegen die Griechen, dann der Make-
donier und Griechen gegen die römische Übermacht, Kämpfe, die ge-
rade in Böotien am schlimmsten wüteten, vollständig zu Grunde ge-
richtet. Strabo fand alle Städte Böotiens, aufser Tanagra und Thes-
piae, in Ruinen. Ebenso schildert Plutarch das Gebirge im Norden
und Osten des Kopals-Sees als eine so vollkommene Einöde, wie sie es
kaum jetzt ist. Auch Pausanias fand das Land in keinem besseren
Zustande; es scheint sich also in der römischen Kaiserzeit nicht er-
holt zu haben. Jedoch meldet eine in Karditsa gefundene Inschrift,
dafs (um das Jahr 40 n. Chr.) ein reicher Bürger von Akraephion den
„gröfcten und unser (Akraephion’s) Land beschützenden Deich“ mit einem
Aufwande von 6000 Denaren auf eine Länge von 12 Stadien wieder
hergestellt habe. Es kann damit nur der noch heute deutlich erhaltene
Deich gemeint sein, welcher quer vor der Bucht von Karditsa vorbei-
zieht; ursprünglich der rechtsseitige Deich des rechten Uferkanals der
Minyer, diente er später wahrscheinlich als Wehr gegen das Eindringen
des Sees in die Bucht von Karditsa. Wir sehen daraus, dafs selbst
damals noch die Werke der Minyer teilweise fortbestanden. —
Die Austrocknung des Sees, welche den Minyern gelungen war
und in der Erinnerung der Nachwelt noch fortlebte, mufste zu neuen
Versuchen anspornen. Wir haben aber nur von einem einzigen der-
artigen Unternehmen eine schriftliche Überlieferung, und zwar wiederum
durch Strabo. Dieser schreibt (IX, 2, 18): „Als aber die Abflüsse sich
wieder verstopften, reinigte der Bergmann Krates aus Chalkis die Ver-
Vgl. Müller, a. a. O. S. 396 fl.
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Alfred Philippson:
Stopfungen wieder (äruxa&ai'nmi1 zn r/tqntr//iaz«), hörte aber auf, als die
Böotier sich veruneinigten ; obgleich, wie er seihst in einem Brief an
Alexander (den Grofsen) sagt, schon vieles Land trocken gelegt war,
wo nach der einen Annahme das alte ürchomenos') gelegen sein soll,
nach der andern aber Eleusis und Athen am Triton-Flufs . . . Hieraus
ergiebt sich nur, dafs Krates zur Zeit Alexanders des Grofsen die Kata-
vothren gereinigt und dadurch den Spiegel des Sees etwas gesenkt
hat, wodurch am Südrande einige Strecken trocken gelegt wurden.
Vielleicht rühren von Krates die Spuren von Bearbeitung her, die sich
in einigen Katavothren gefunden haben, (s. S. 53)*). Erst noch spätere
Schriftsteller, Diogenes Laertios (IV, 5, 23) und Stcphanos von Byzanz
(A&ijtai) sprechen auch von Gräben, die Krates gezogen haben soll.
Ersterer nennt den Krates icupQmQvjpt VlXtidrSQif trvroir, letzterer schreibt:
rat ... r/ tx rtjt ämtfareiaa utzd tu xnoztnor emxlva&ijrai
tijs Ktotzaidoi, uzt Kndzr^ avzqv StizdqiQevair. Wenn also diese
späten Berichte Glauben verdienen, so zog Krates auch Gräben oder
Dämme durch den Seeboden zum Schutz des durch die Reinigung
der Katavothren trocken gelegten Landes5). Es liegt aber keine Ver-
anlassung vor, auf diese Berichte hin dem Krates auch jene Durch-
stechungsversuche auf den Isthmen von I.arymna und Karditsa zuzu-
schreiben, wie fast alle neueren Schriftsteller gethan haben. Da diese
Durchstiche unvollendet blieben, konnten sie auch keine Senkung des
Seespiegels hervorgerufen haben. Strabo, der das ganze Kopats-Gebiet
besonders eingehend behandelt, würde sicherlich ein so großartiges
Unternehmen des Krates, wie die Durchstechung der Isthmen, nicht
unerwähnt gelassen haben; statt dessen spricht er nur von einer
Reinigung der Verstopfungen!
Es sind uns also keinerlei Nachrichten überliefert, aus
welcher Zeit die gewaltigen Arbeiten stammen, die wir auf
den Isthmen, welche die Kopais vom Meer trennen, be-
wundern.
Diese Arbeiten bestehen: 1. aus einer Reihe von Schächten auf
dem Joch von I.arymna; 2. einem offenen Einschnitt nebst einigen
Schächten auf dem Joch von Karditsa; 3. einem offenen Einschnitt auf
dem Isthmos von Muriki zwischen Likeri und Paralimni; 4. einem
offenen Einschnitt auf dem Isthmos von Anthedon. Keine dieser Ar-
beiten ist vollendet worden.
Während das Werk Nr. 1 die unmittelbare Ableitung der Kopais
zum Meer bezweckte, bilden Nr. 2 bis 4 Glieder eines anderen Pro-
*) D. h. das älteste Orcbomenos am Südrande.
a) Ulrichs, Kambanis.
5) Leake II, S. 293. Ulrichs S. 21 r.
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Der Kopais-Sce in Griechenland und seine Umgebung. (JC)
jektes, nämlich den Kopals-See zum I,ikeri-See abzuleiten, diesen bis zu
einer gewissen Höhe ansteigen und dann zur Paralimni überfliefsen zu
lassen, worauf diese dann in einer gewissen Höhe zum Meer überfliefsen
sollte. Während so die Kopais austrocknen sollte, würden die beiden
anderen Seen an Umfang etwas gewonnen haben.
Es handelt sich also auf dem Joch von Larymna und auf der
Linie Karditsa — Anthedon um zwei von einander unabhängige Versuche.
Denn es wäre zwecklos gewesen, zu gleicher Zeit beide so schwierige
Projekte in Angriff zu nehmen, da die Ausführung nur eines von beiden
den Zweck völlig erreicht hätte. Die beiden Versuche gehören also
verschiedenen Zeiten an, wenn auch vielleicht einer und derselben Epoche.
W’ährend die Minyer sich zur Ableitung des Wassers ausschlicfslich
der natürlichen Katavothren bedienten und auch Krates diese allein zu
benutzen gedachte, hatte man nunmehr die Unzuverlässigkeit der Ka-
tavothren erkannt und schritt daher zur Herstellung künstlicher Durch-
stiche. Von den drei Stellen, die dafür in Betracht kamen, den Isthmen
von Larymna, Karditsa und Onchestos, war letzterer ausgeschlossen,
da man hier das Wasser durch die fruchtbaren Gefilde Thebens hätte
leiten müssen und diese dadurch aufs äufserste bedroht haben würde.
Bis jetzt liegt kein positiver Anhalt dafür vor, in welcher Zeit die
Durchstichsversuche gemacht wurden. Ein negatives Merkmal ist das
vollständige Schweigen des Strabo Uber diese sehr bedeutenden Ar-
beiten. Sollten sie vielleicht erst später durch römische Kaiser unter-
nommen worden sein? Haben doch mehrere Cäsaren ihre besondere
Vorliebe für Griechenland durch grofsartige Bauten bezeugt, wie Nero
durch den Versuch einer Durchstechung des Isthmos von Korinth,
Hadrian durch die Eröffnung des Skironischen Engpasses, durch
seine zahlreichen Bauten in Athen, durch die grofsen Wasser-
leitungen nach Athen und Korinth u. s. w. In der Hand der römischen
Herrscher waren genügende Machtmittel für derartige grofsartige Werke
vereinigt, während die Griechen durch ihre Zerspitterung und durch
ihre abergläubische Furcht vor einer künstlichen Durchbrechung natür-
licher Schranken davon abgehalten wurden. — Eine eingehendere
Untersuchung, besonders die Ausräumung einiger Schächte, würde viel-
leicht Licht hierüber verbreiten können.
c. Das Mittelalter.
Wechselvoll war die menschliche Geschichte des Kopals-Beckens, wie
die des ganzen Griechenland, in der langen Zeit des Mittelalters. Völker-
stürme brausten über das entvölkerte und tief gesunkene Land dahin,
Fremdherrschaften lösten sich ab. Und doch fehlt es in dem wüsten
Ringen, welches fast diese ganze Periode erfüllt, nicht an lichteren Zeiten
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70
Alfred Philippson:
friedlicher Kulturarbeit und, wenn auch bescheidenen, Aufschwunges.
Während alledem hören wir aber so gut wie nichts über den Zustand
des Kopais-Sees selbst.
Unter Makedoniern und Römern hatten die griechischen Städte-
Republiken noch ein Scheindasein geführt. Dem oströmischen Reich
war es Vorbehalten, die stets zur Zersplitterung und örtlicher Scheidung
neigenden Griechen in das feste Gefüge eines zentralistischen Staats
auch äufserlich einzuordnen. Doch schon beginnen die Fluten der
Völkerwanderung auch das Kopais-Becken mit Barbarenhorden zu über-
schwemmen. Von manchen Einfällen ist es nicht sicher, ob sie unser
Gebiet berührt haben, gewifs aber war dies der Fall bei dem Einfall
der Westgoten unter Alarich (395 und 396), der Böotien furchtbar ver-
wüstete. Später drangen die Slaven ein, zuerst 539 oder 540, dann
wiederum 577 bis 588 zusammen mit den Avaren. Vom 7. Jahrhundert
an schoben sich langsam grofse Massen von Slaven in Griechenland
ein und liefsen sich als Bauern in dem entvölkerten Land nieder.
Der mifsglückte Aufstand der Griechen gegen die byzantinische Zentral-
gewalt (727), die furchtbare Pest von 746 und 747, begünstigten ihre
Ausbreitung. Auch im Kopais-Becken werden sie neue Bestandteile
der Bevölkerung hinzugefügt haben, wenn auch die Slavisierung in
Mittel-Griechenland wohl nicht so bedeutend war, wie im Peloponnes.
Die slavischen Ortsnamen scheinen im Kopais-Gebiet recht spärlich zu
sein1). Im 9. Jahrhundert wurden die Slaven unterworfen und dem
Christentum zugeführt; bald nahmen sie vollständig Sprache und Sitte
der Griechen an, mit denen sie zu einer Volksmasse verschmolzen.
Noch einmal, 996, erschienen vorübergehend Bulgaren und Slaven im
Kopais-Becken. Im allgemeinen aber folgte auf die Slavenflut eine
Zeit der Ruhe, die nur von gelegentlichen Plünderungszügen der Sara-
zenen und Normannen unterbrochen wurde, welche aber hauptsächlich
die Küsten betrafen. Nur der Streifzug Roger’s II von Sizilien (1147),
bei welchem Theben geplündert wurde, zog auch das böotische Binnen-
land in Mitleidenschaft. Durch die Slaven waren die Lücken der Be-
völkerung Griechenlands wieder durch ein frisches, kräftiges Element
ergänzt worden. Ein lebhafter Aufschwung ganz Griechenlands kenn-
zeichnet die Jahrhunderte nach der Hellenisierung der eingedrungenen
Slaven, besonders das 12. Jahrhundert. An diesem Aufschwung nahm
Theben in ganz hervorragendem Mafs Anteil.
Diese Stadt war zu Strabo’s Zeit nur noch ein unbedeutendes Dorf,
und Pausanias fand den Ort, wie heute, auf den Raum der Kadmeia
i) Vgl. Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter. I. Stuttgart,
1889, S. ui.
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Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
71
beschränkt. Aber unter den Byzantinern mufs Theben wieder einige
Bedeutung erlangt haben ; denn es war nach der, spätestens im 8. Jahr-
hundert entstandenen Themen-Einteilung des Reiches der Sitz des Stra-
tegen des Thema Hellas, also die Hauptstadt von ganz Mittel-Griechen-
land1). Gegen Ende des 12. Jahrhunderts finden wir sie als volkreiche
und lebhafte Industriestadt, in welcher namentlich Seidenweberei und
Färberei getrieben wurde. Der vielgewanderte Benjamin von Tudela,
der die Stadt damals besuchte, sagt von ihr: „Theben, jene grofse
Stadt, wo 2000 Juden sind, die besten Verfertiger von seidenen und
purpurnen Stoßen in den griechischen Landen“2). Wenn allein die
jüdische Gemeinde 2000 Seelen zählte, so mufs die ganze Volkszahl
eine sehr beträchtliche gewesen sein3). Eine Binnenstadt wie Theben,
in einem Lande und in einer Zeit, wo von einem erheblichen Handel
auf Landwegen keine Rede war, konnte einen solchen Aufschwung
nur nehmen, wenn sie der Mittelpunkt eines gröfseren fruchtbaren
Gebietes war, das ihr die Rohprodukte für ihre Industrie, wenigstens
zum gröfsten Teil, liefern konnte. Unter diesen Rohprodukten standen
oben an die Seide und verschiedene Farbstoffe, unter denen sich
wohl auch die sog. Kermesbeere der dort überall auf dürrem Boden
wachsenden Quercus coccifera befand. Es ist aber nicht ausgeschlossen,
dafs auch damals schon wie heute Baumwolle im Kopais-Becken ge-
baut wurde, die dann in Theben ebenfalls zur Verarbeitung kam.
Jedenfalls gehörte das Kopais-Becken mit zu dem Ernährungs-Gebiet
von Theben, und es scheint, dafs damals die Verhältnisse des See-
bodens günstiger für die Kultur gewesen sind, als im Altertum und der
Neuzeit Aber neben Theben war in Böotien nur noch Livadia von
einiger Bedeutung; alle anderen Städte, die im Altertum das Kopais-
Becken umgeben hatten, waren entweder völlig verschwunden, oder zu
kleinen Dörfern mit veränderten Namen (Orchomenos-Skripu, Kopae-
Topolias, Akraephion-Karditsa) herabgesunken.
In derselben Zeit des Aufschwungs in Griechenland bereitete sich
aber neues Verderben vor, und zwar durch das Eindringen des Feudal-
wesens in das Byzantinische Reich und in Griechenland insbesondere,
welches sich in einzelne Lehensfürstentümer spaltete. Die alte Zer-
splitterung machte sich nun von neuem geltend. Auf dem so durch den
Feudalismus vorbereiteten Boden von Hellas erschienen dann nach der
Errichtung des lateinischen Kaisertums in Konstantinopel die fränkischen
1 1 Hertzberg, Geschichte Griechenlands seit dem Absterben des antiken Lebens.
L Gotha, 1*76, S. 185.
1 1 Nach der Übersetzung von Asher.
Vgl. Finlay, History of Greece IV, S. 56.
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7-'
Alfred Philippson:
Ritter, schlugen in kurzer Zeit die griechischen Statthalter und Lehen s-
fürsten nieder und errichteten ihrerseits in zahlreiche Baronien und Herr-
schaften zerteilte Feudalstaaten nach abendländischem Muster. L'as
Kopals-Gebiet wurde mit dem übrigen Böotien und Attika zusammen 1 204
von Bonifacius II von Monferrat erobert und als Lehen dem Otto de la
Roche als „Megaskyr“ von Athen übertragen, dessen Familie, seit :2öo
als „Herzoge von Athen", bis 1308 im Besitz des Landes blieb. Die
Herzoge von Athen schlugen ihre Residenz in Theben auf, das also
Hauptstadt des ganzen östlichen Mittel-Griechenland blieb. Eine glän-
zende Hofhaltung, prächtige Ritterspiele, Pflege des Minnegesangs
schmückten die Stadt des Pindar und Epaminondas mit den Reizen
mittelalterlicher Romantik. Noch heute sind die Trümmer eines grofsen
prächtigen Schlosses zu sehen, welches die reichen Herren von St. Omer
in Theben erbaut haben. Überall im Lande, das in zahlreiche grofse
und kleine Lehen zerfiel, erhoben sich die mächtigen Burgen und
Schlösser der französischen Barone.
Die Gegend des Kopats-Sees weist besonders zahlreiche Burgen
und Wachttürme aus jener Epoche auf, die sich zum Teil an Stellen
erheben, die in neuerer Zeit durch den See fast unzugänglich waren,
so z. B. auf der Insel Gla, die schon zur Minyer-Zeit eine Festung
trug. Diese und manche andere Burgen, ferner die fränkische Brücke
über den Melas am Pyrgos H. Marina, überhaupt die starke Besetzung
des ganzen Gebietes durch die fränkischen Herren, sind nur ver-
ständlich, wenn die Verhältnisse der See-Ebene damals weit
günstiger waren als in der Neuzeit1). Wenn wir dazu die
hohe Blüte von Theben bedenken, so müssen wir es als sehr wahr-
scheinlich bezeichnen, dafs der Kopais-See im 12. und 13. Jahr-
hundert durch natürliche Vorgänge stark zusammenge-
schrumpft war.
Im Jahr 1311 fiel der letzte französische Herzog von Athen, Walther
von Brienne, mit fast der gesamten fränkischen Ritterschaft Mittel-Griechen-
lands im Kampf gegen die katalanische Söldnerschar der „Grofsen Kom-
pagnie". Die Schlacht fand statt auf dem Sumpfboden des Kopats-Sees,
und dieser verschlang, wie einst die Krieger Mithridates’, nun die Panzer-
reiter der Franken, die, seiner Tücken unkundig, siegesgewits auf die
Katalanen lossprengten. Diese bemächtigten sich des ganzen Herzogtums,
plünderten Theben und machten das Kastell von Livadia zu einer ihrer
Hauptburgen. Bis 1385 dauerte das Regiment dieser Söldner-Gesell-
schaft, bis der Beherrscher von Korinth und Vostitza, Rainerio Acci-
ajuoli, aus florentinischem Geschlecht, das Herzogtum Athen in Besitz
■) Gregoroviuj, Athen im Mittelalter II, S. 20. Ulrichs, S. zu f.
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Der Kop.iis-Sec in Griechenland und seine Umgebung.
73
nahm. Unter beständigen Fehden und Thronstreitigkeiten, in die sich
nun auch die Türken, welche schon 1362 zum ersten Mal hier er-
schienen waren, mit furchtbaren Kriegs- und Plünderungszügen ein-
mischten, regierten die Acciajuoli bis 1458, in welchem Jahr das
Herzogtum dem Türkischen Reich einverleibt wurde.
Die Frankenherrschaft war, besonders seit dem Eindringen der
Katalanen, für Griechenland eine Zeit vollständigen Niederganges,
welche der Nachblüte des 12. Jahrhunderts ein Ende machte. Die
Aussaugung und Bedrückung des Volkes durch die fremdländischen
Herren, die beständigen Fehden dieser unter sich und mit den im
14. Jahrhundert wieder entstehenden griechischen Fürstentümern im
Peloponnes und Nord-Griechenland, die Plünderungszüge der Söldner-
scharen wie der Seeräuber, schliefslich die blutigen Feldzüge der Türken
ruinierten und entvölkerten das Land abermals. Dies führte wiederum
ein neues Volk nach Griechenland, die Albanesen. Es war vor-
nehmlich Rainer Acciajuoli, der um die Wende des 14. zum 15. Jahr-
hundert aibanesische Kolonisten in grofser Zahl in seine Besitzungen rief.
Auch im Kopals-Gebiet liefsen sie sich als Hirten und Bauern nieder.
Noch heute ist der östliche Teil des Beckens, ebenso wie das ganze
östliche Böotien überhaupt, ausschliefslich von Albanesen be-
wohnt. Die Sprachgrenze gegen die den Westen einnehmende griechisch
redende Bevölkerung verläuft westlich von Martino und Topolias, dann
nach SW über den See zum Phalaros, dessen Gebiet noch zur alba-
nesischen Sprache gehört. In der Ebene im Westen des Sees, um
Livadia und Skripu, wird griechisch gesprochen. Es ist aber nicht
ausgeschlossen, dafs auch hier Albanesen gesessen haben, die helleni-
siert sind.
d. Die neuere Zeit.
Nachdem die Franken, Albanesen und Griechen niedergeworfen
waren, machten nur noch die Venetianer den Türken den Besitz
Griechenlands streitig. Noch bis 1503 dauerte der Kampf zwischen
diesen, der dann 1522 bis 1573 mit Unterbrechungen von neuem tobte ;
Mittel-Griechenland wurde aber von diesen Wirren weniger berührt.
Dann erst war die türkische Herrschaft entschieden, die auch in Böotien
bis 1821 nicht wieder unterbrochen wurde. Nur 1692, als der Pelo-
ponnes von den Venetianern erobert war, wurde Livadia durch eine
Schar peloponnesischer Albanesen vollkommen ausgeplündert. Sonst
herrschte die ganze Zeit einigermafsen Ruhe, die nur durch die Arma-
tolen- und Klephtenbanden gestört wurde. Doch hat die türkische
Herrschaft die Wunden nicht zu heilen vermocht. Das Aussaugungs-
und Erpressungssystem der Beamten, ihre Gleichgültigkeit gegen jeden
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74
Alfred Philippson:
Fortschritt verhinderten den Aufschwung. Wie in allen Ebenen Griechen-
lands, wurde auch in der Kopals-Niederung der Boden an mohame-
danische Grundherren verteilt, welche ihn an die christlichen Bauern
verpachteten. Diese selbst waren zwar von Frohnden und Abgaben
an die Beamten und Grundherren bedrückt und ihrer Willkür unter-
worfen, sonst aber unter ihren eigenen Archonten ziemlich sich
selbst überlassen. Immerhin erholte sich im Lauf der Zeit das
Land einigermafsen , und gegen Ende der Türkenherrschaft finden
wir den nicht überschwemmten Teil der FIbene wieder recht gut
angebaut.
Der Schwerpunkt Böotiens und Mittel-Griechenlands überhaupt hatte
sich wohl schon bei Beginn der Türkenherrschaft von dem durch die
kriegerischen Ereignisse wiederholt hart betroffenen Theben, das ihn
mindestens sieben Jahrhunderte besessen hatte, nach Livadia,
also in das Kopals-Becken, verschoben. Während Theben wieder zu
einem Dorf hinabsank, blühte Livadia, das im Altertum ganz unbe-
deutend gewesen war, zu einem ansehnlichen Städtchen auf. Mit seinem
überaus festen Kastell wurde es der Sitz für die Regierung Mittel-
Griechenlands.
Eine neue furchtbare Heimsuchung brach über das Land herein
durch den achtjährigen, von beiden Seiten unter schrecklichen Greueln
geführten F'reiheitskampf der Griechen. Bei dem wechselnden Kriegs-
glück blieb fast kein Teil Griechenlands verschont, und auch das
Kopals-Becken fiel der allgemeinen Decimierung, Verarmung und Ver-
wilderung der Bevölkerung anheim. Livadia und Theben wurden völlig
zerstört. Das Ergebnis des Kampfes war die F'reiheit der christlichen
Bevölkerung, die völlige Ausrottung und Vertreibung der Mohamedaner,
aber auch eine trostlose Verwüstung des Landes, die man nur mit
dem Zustande Deutschlands nach dem dreifsigjährigen Kriege ver-
gleichen kann. In den seitdem verflossenen 65 Jahren des Friedens
sind diese Folgen immer noch nicht ganz verwunden, wenn sich
auch ein langsamer stetiger Fortschritt, im Kopals-Becken nament-
lich durch den Anbau der Baumwolle gefördert, bis in die letzten
Jahre bemerkbar gemacht hat, wo der finanzielle Bankerott Griechen-
lands wieder einen starken Rückschlag in seiner Entwickelung ver-
anlafst hat.
Seitdem neuere Reisende das Kopals-Becken besucht haben, befand
sich der See in dem Zustand, wie wir ihn weiter oben geschildert
haben. Der Abflufs durch die Katavothren war beengt, der Seeboden
den gröfsten Teil des Jahres mit Wasser bedeckt; in der heifsen Zeit
wurden gröfsere oder kleinere Teile desselben, je nach der Witterung
des Jahres, trocken, bis auf einige beständige Sümpfe. Von 1824
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung. 75
bis 1834 hat sich das Wasser zehn Jahre lang gar nicht verlaufen;
im Jahr 1837 lag der See dagegen den ganzen Sommer hindurch
trocken. (Ulrichs.) Eine grofee Überschwemmung ereignete sich im
Winter 1847 auf 1 848 l) ; dabei wurden grofse Teile der angebauten
Ebene von Livadia unter Wasser gesetzt. Das Gleiche ereignete sich
1852 und 1864; 1856 lag die Kopafs viele Wochen lang ganz trocken2).
An eine ausgedehntere Ausnutzung des Seebodens konnte nicht gedacht
werden; nur kleine Teile an den Rändern wurden gelegentlich, wenn
sich das Wasser zeitig genug verlief, besäet, und gaben dann, wenn
das Glück günstig war, überaus reiche Ernten; oft aber verdarb ein
unzeitiges Wachsen des Sees den ganzen Ertrag3). Im Sommer konnten
auch einige Rinder- und Schafherden auf dem Seeboden geweidet
werden; sie gehörten teils den Albanesen von Martino, teils noma-
dischen Hirten. Aber diese Ausnutzung war national - ökonomisch
von gar keinem Belang. Die Umgebung des Sees wurde zwar ange-
baut, litt aber schwer an den Fiebern, welche sich aus den Aus-
dünstungen der Sümpfe entwickelten. — Da die in den letzten Jahren
durchgeführte Trockenlegung des Sees noch keine wesentliche Ände-
rung in dem ökonomischen Zustand des Gebietes hervorgerufen hat,
wollen wir, ehe wir dieses Unternehmen betrachten, einen Blick auf
die Vegetation und die Siedelungs Verhältnisse des Kopats-
Gebietes in der Gegenwart werfen.
Das ganze Gebirgsland im Norden und Osten des Sees ist
überaus dürr und unfruchtbar. Kein einziger Bach führt den gröfseren
Teil des Jahres hindurch Wasser. Fast überall steht der nackte Fels
an, und nur in dessen Spalten sammelt sich etwas Verwitterungserde,
aus welcher die häfslichen kugeligen Büsche der Kermeseiche
(Qucrcus coccifera L.) mit'ihren kleinen immergrünen, harten und stäch-
lichten Blättern hervorwachsen. Die meist nur Kniehohe erreichenden
Büsche liegen in weitem Abstand über der grauen Felsfläche verstreut.
Sie bilden fast die alleinherrschende Vegetationsformation dieser Kalk-
gebirge. Nur gegen die Meeresküste hin treten auch andere immer-
grüne Gebüsche auf, die an einzelnen Gehängen dichte Buschwälder
(Makien) bilden. Wälder giebt es, mit Ausnahme von einigen Be-
ständen der Aleppokiefer unmittelbar an der Meeresküste, gar nicht,
ja selbst einzelnstehende Bäume sind grofse Seltenheiten! — Wo die
Kenneseiche fehlt, oder wo sie in sehr weiten Abständen steht, da
tritt die noch trostlosere Phrygan a-Vegetation auf, kleine dürre,
*) Bournouf S. 151 f.
*) Supan S. 71.
'} Forchhammer S. 179.
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Alfred Philippson:
staubfarbige, stachlichte Halbsträucher, die ebenfalls überall den Boden
zwischen sich frei lassen. Ihnen gesellen sich im Frühjahr grofsblättrige
Zwiebelgewächse hinzu, besonders der seltsame Asphodelus; aber
diese verschwinden nach kurzer Vegetationszeit wieder. Ebenso ergeht
es den Gräsern und Kräutern, die in der nassen Zeit den mit Erde
erfüllten Gesteinsspalten entspriefsen. Diese Gräser und Kräuter bieten
in der feuchten Jahreszeit (Oktober bis April) Sch afh erd en Nahrung,
während die Ziegen die Sprossen der Kermeseichen abnagen. Aber
grofse Flächen gehören dazu, um einer Herde zu genügen. Im Sommer
müssen die Hirten die höheren Gebirge aufsuchen, soweit sie nicht die
feuchten Stellen des Seebodens abweiden lassen. Die Viehzucht ist
die wichtigste Nahrungsquelle der Bewohner dieser Gebirge, ja für ein-
zelne Dörfer, z. B. Martino, die einzige. Ackerbau kann nur in
kleinen Mulden und auf einigen sanfteren Gehängen, wo sich etwas
Verwitterungserde zwischen den Steinen sammelt, in dürftiger Weise
getrieben werden. Gröfsere Ackerflächen bieten nur die wenigen kleinen
kesselförmigen Ebenen, die hier und da in das Gebirge eingesenkt
sind. Sie sind daher fast stets mit einem Dorf besetzt. — Die Be-
völkerung dieses Gebirgslandes ist, wie aus dem Vorstehenden leicht
verständlich, eine überaus dünne. Wenn wir das hier in Rede stehende
Gebiet in folgender Weise umgrenzen: im Norden und Osten die Küste
von Atalanti bis Vathy (südlich vom Euripos) — ausgeschlossen bleiben
dabei von unserem Gebiet die Küstenebcne von Atalanti selbst und
die kleine flache Halbinsel von Chalia, wo ganz andere Bedingungen
herrschen; — im Westen die Linie Atalanti — ßogdanos — Westspitze
der Durduvana; im Süden Durduvana, Nord- und Ostufer des Sees,
untere Thebanische Ebene (diese ausgeschlossen) — so liegen in diesem
ganzen Gebiet folgende Ortschaften (mit den Einwohnerzahlen nach
der Zählung von 1889)*) :
In der Nähe des Randes des Kopa'is-Sees:
Tzamali*)
... 105
Einwohner
Topolias
• • ■ 32S
II
Kokkino
• • • 37°
II
Karditsa
... 388
II
(Kloster Pelagia) . . .
... 13
W
1201 Einwohner.
1 ) Die Dörfer mit mehr als 500 Einw. sind gesperrt gedruckt.
2) Rhado fehlt in der Liste der Volkszählung. Vielleicht ist es mit iß der
Zahl für Pavlo einbegriffen.
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Der Kopa’is-See in Griechenland und seine Umgebung.
77
Ohne Beziehung zum Kopals-See:
Exarchos
... 398
Einwohner
Kolaka
• • • 232
II
Pavlo
... 596
II
Martino
• • • »434
II
I.arymna
• • • »43
II
Mazi
. . . Il8
II
Malesina
. . . 961
1»
Proskyna
. . . 5»6
I*
I.ukisia
. 286
II
Muriki
. . . 400
II
Ungra
. . . 128
II
Sengina
... 70
II
(Kloster Sagmata) . . .
. . . IO
II
5292 Einwohner.
Zusammen hat also das ganze Gebiet 16 Dörfer mit 6493 Ein-
wohnern, wovon nur 4 Dörfer mit 1201 Einwohnern an den Kopals-See
grenzen. Den Flächeninhalt des Gebietes kann man auf rund 850 qkm
schätzen, sodafs auf einen Quadratkilometer nur 7,5 Einwohner kommen.
Jedes Dorf hat im Durchschnitt 54 qkm, also eine deutsche Quadrat-
meile, Gebiet. Nur 4 Dörfer haben über 500, nur eins, Martino, über
1000 Einwohner. Das sind gewifs aufserordentlich dürftige Bevölkerungs-
verhältnisse, besonders wenn wir sie mit dem Altertum vergleichen,
wo uns aus diesem Gebiet die Namen von 15 Städten und Flecken
überliefert sind, worunter sieben am Rande der Kopals!
Ähnliche aber im ganzen etwas günstigere Vegetations- und Be-
völkerungsverhältnisse besitzt der Helikon im S des Seebeckens. Die
gröfsere Höhe des Gebirges und stärkerer Schneefall im Winter er-
nähren eine reichlichere Bewässerung. Die gröfseren Thäler haben in
ihren Auen und an ihren Gehängen etwas reichlichere Ackerkrume. Die
höheren Teile des Gebirges sind vielfach noch mit, allerdings sehr ge-
lichtetem, Tannenwald bestanden. So ist allerdings auch hier die
Bevölkerung arm und dünn gesäet und vorwiegend Viehzucht treibend,
aber doch etwas zahlreicher, als in dem nördlichen und östlichen
Gebirgsland. Da der Helikon nur geringe Beziehungen zum Kopals-
Becken hat, gehen wir hier nicht näher auf ihn ein.
Die Hauptfrucht des Anbaues in den Gebirgen ist Weizen und
Gerste.
Wenden wir uns nun zu der Kopals-Niederung selbst. Aufserhalb
des eigentlichen Seebodens ist der höhere Schwemmlandsaum am
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Alfred Philippgon:
West- und Südrand, mit Ausnahme einiger Schuttkegel, sehr fruchtbar,
wohlbewässert und durchaus angebaut. Die wilde Vegetation ist sehr ein-
geschränkt. Die Flüsse sind von Weiden und Pappeln eingefafst. In der
Nähe der Ortschaften und Quellen finden sich einige Baumpflanzungen,
hauptsächlich Maulbeerbäume und mitteleuropäische Obstarten ent-
haltend. Die Südfrüchte gedeihen wegen des strengen Winters im
ganzen böotischen Binnenlande nicht; kaum dafs einige kümmerliche
Ölbäume bei Theben und Livadia bestehen können, häufig durch
Frost beschädigt. P'erner giebt es bei den Dörfern Gemüsegärten:
berühmt sind die Melonen von Mulki. Auch Wein und Getreide
wird angebaut, ferner Sesam und Anis. Die wichstigste P'eldfrucht
ist aber, in der Ebene im Westen des Sees fast allein herrschend,
die Baumwolle, und zwar die einjährige Baumwollstaude ( Gos -
sypium herbaceum L.)1). Ihr Anbaubezirk zieht sich von hier westwärts
den Kephissos aufwärts, während sie in der unteren Thebanischen
Ebene fehlt, da sie der künstlichen Bewässerung bedarf, die dort nicht
möglich ist. Die Baumwolle bildet die Haupteinnahme der Bewohner
der Kopafe-Ebene. Sie wird zum gröfsten Teil in I.ivadia, mit Hülfe der
Wasserkraft der mächtigen Quelle dieses Ortes, versponnen und dann
auf Karren nach dem Piräus geführt2).
Die Bevölkerung dieser Niederung im W und S des Sees ist da-
her eine für griechische Verhältnisse ziemlich dichte, wenn sie sich
darin auch nicht im entferntesten mit den Ebenen des Peloponnes
messen kann. Wenn wir als Grenze den Gebirgsrand und den See,
gegen die Ebene von Chaeronea die Linie nehmen, welche vom
Ostende der Durduvana bei Skripu nach SW zum Ostende der Hügel
von Bramaga (nordöstlich von Livadia) zieht, so haben wir in diesem
Gebiet von rund 100 qkm folgende Ortschaften:
Skripu
. . . 689 Einwohner
Petromagula . . . .
. ... 798
Arapochorion
• • ■ 163 „
Vranezi
... 278
Karya
• • • 231 ..
Livadia
... 4990 „
■) Wann der Anbau der Baumwolle im Kopa'is-Gcbiet cingefiihrt worden, ist
mir unbekannt; vielleicht ist er schon recht alt Jedenfalls ist es nicht richtig,
dafs erst der amerikanische Seccssionskrieg die Baumwollcnkultur hier ins Leben
gerufen habe (Ncumann-Partsclr S. 455), da sie schon bald nach dem griechischen
Unabhängigkeitskrieg als bedeutend hervorgehoben wird. (Brandis, Mitteilungen
I, S. 117).
2) Näheres über den Ackerbau dieser Gegend findet man bei Durand*Clay.
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Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
79
H. Dimitrios ....
• ■ • • 383
Einwohner
Degle
. . . . 82
II
Rhachi
• • • ■ 73
»f
Mamura
. . . . 143
tt
Vrastamitaes ....
. . . . 283
II
Mulki
. . . . 262
J9
8375 Einwohner.
Im ganzen also 12 Ortschaften mit 8375 Einwohnern, d. s. 84 Ein-
wohner auf 1 qkm — wohl bemerkt, den unbewohnten Seeboden von
der Berechnung ausgeschlossen! Dabei müssen wir aber beachten, dafs
fast zwei Dritteile der Einwohner in Livadia vereinigt sind, also einer
Stadt, die einem weit gröfseren Bezirk als Mittelpunkt dient und da-
her ihren Erwerb nicht allein aus der Kopais-Niederung bezieht.
Livadia ist der einzige städtische Ort des ganzen Kopals-Gebietes.
Die Baumwollspinnereien, W'elche durch die Wasserkraft der Herkyna-
Quellen getrieben werden, geben ihm einen industriellen Charakter, wie
er nur sehr wenigen Orten Griechenlands eigen ist. Überragt von den
auf jähem Felsen thronenden Trümmern des mittelalterlichen Kastells
ziehen sich die Häuser den Abhang hinunter in die enge Schlucht der
Herkyna-Quelle und steigen am anderen Abhang ebenso wieder hin-
auf; unten am Grunde läuft neben dem überbrückten Bach die enge,
lebhafte Bazargasse. Unmittelbar nördlich der Stadt öffnet sich die
Schlucht zu der Bucht der Kopals - Ebene, die hier von Westen den
anderen Hauptarm der Herkyna aus breiterem Thal empfängt. So
bietet Livadia von Norden her wohl eines der malerischsten Städte-
bildcr Griechenlands. Aufser Livadia ist nur noch Skripu, das
mit dem dicht benachtbarten l’ctromagula eine einzige Niederlassung
von fast 1500 Einwohnern bildet, von Bedeutung. Es ist aber nur
ein Dorf mit niedrigen Häusern, w'elche zwischen dem Ende der
Durduvana, welche die Reste von Orchomenos trägt, und dem Ufer
des Sees zerstreut umher liegen. — Alle anderen Orte sind kleine
Dörfchen.
Werfen wir zum Vergleich noch einen Blick auf das Becken von
Theben. Die untere Ebene ist sehr fruchtbar und ganz angebaut,
aber wegen des Mangels an Bewässerung nicht für die Baumwolle
geeignet. Es wird hauptsächlich Getreide gebaut. Die obere
Ebene, mit ihrem flachen Neogen-Hügelland, ist lange nicht so
ergiebig, wenn sie auch fast durchwegs angebaut werden könnte. Es
geschieht dies aber nur in sehr geringem Mafs. Während im Alter-
tum hier, aufser Theben selbst, drei bedeutende Städte lagen (Thes-
piae, Leuktra, Plataeae) ist die Bevölkerung jetzt sehr dünn, das Land
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Alfred Philippsnn:
zum gröfsten Teil als Schafweidc benutzt. Aufser am Abhange von
Theben ist das ganze I.and fast baumlos.
Das Becken von Theben umfafst etwa 350 qkm und zählt 15000
Einwohner, also 43 auf 1 qkm. Davon entfallen auf Theben seihst
3228 Einwohner; mit den am Fufs des Abhanges gelegenen Vororten
Pyri und II. Theodori aber 5203 Einwohner, so dafs es mit diesen zu-
sammen Livadia noch (ibertrifft. Es trägt aber vielmehr dörflichen, acker-
bauenden Charakter als dieses; Industrie fehlt vollständig, der Bazar
ist unbedeutend und der Verkehr läfst sich mit dem Livadias nicht
vergleichen.
In dem ganzen Mittel-Griechenland östlich von T.amia und Amphissa,
aulser Attika, giebt es neben Livadia und Theben keinen einzigen
städtischen Ort; höchstens könnte man das unbedeutende Atalanti
noch als solchen bezeichnen. Kein einziger Ort erreicht mehr 4000
Einwohner. So ist Livadia der kommerzielle Mittelpunkt dieses ganzen
Gebietes. Nur der östliche Küstensaum gravitiert nach Chalkis hin-
über.
Die Hauptverkehrsader des Landes ist die Chaussee Athen-Theben-
Livadia-Dadi-Lamia, mit Abzweigung von Theben nach Chalkis. Sie zieht
von Theben am Südrand des Kopals-Beckens nach Livadia und dann das
Kephissos-Thal aufwärts. Dieselbe Route verfolgt die im Bau begriffene
Eisenbahn Piraeus-Larissa. Aufserdem hat die Kopals - Gesellschaft
einige primitive Fahrwege von Theben nach ihren Arbeitsplätzen gebaut
Sonst giebt es nur Reitwege. Der Verkehr nach auswärts vollzieht
sich vornehmlich auf der I.andstrafse nach Athen und Piräus, nur in
sehr geringem Mafs nach den Hafenorten Atalanti und Chalkis, gar
nicht nach Westen oder nach der Küste des Korinthischen Golfes,
die durch rauhe Gebirge von dem Binnenlande getrennt ist.
e. Die Trockenlegung des Kopa'fs-Sees in der Neuzeit.
Seit dem Altertum ruhte das Problem der Trockenlegung des Ko-
pals - Sees vollständig. Kaum aber war Griechenland von dem türki-
schen Joch erlöst, als man dieses grofse Werk wieder ins Auge fafstc.
Die ersten Projekte rührten von Deutschen her, nämlich von Fiedler,
der 1836, und Russegger, der 1839 das Kopals-Gebiet besuchte;
den Vorschlag von Forchhammer, die Ableitung durch Erweite-
rung der Quellen, in welchen das Kopals - Wasser hervortritt, zu be-
wirken, kann man nicht als ernst zu nehmendes Projekt ansehen.
Dann folgte der französische Ingenieur Sauvage (1846). Der Aus-
führung trat man aber erst näher, als der Ingenieur Moule 1879 das
Becken untersucht hatte. Auf sein Gutachten hin wurde eine fran-
zösische Gesellschaft gegründet, welche im Jahr 1880 von der
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Der Kopais-Sce in Griechenland und seine Umgebung.
81
griechischen Regierung die Konzession erhielt. Für die Ausführung
des Unternehmens gewährte man ihr als Entgelt fast den ganzen
trocken zu legenden Seeboden, den man durch die Isohypse von 97 m
umgrenzte, als Eigentum, und zwar 8000 ha für immer, 16000 ha
auf 99 Jahre, zusammen also eine Fläche von 24 000 ha. Mit Zugrunde-
legung der Moule’schen Arbeiten wurde der Plan entworfen und unter
dem Chef-Ingenieur Pochet 1883 ins Werk gesetzt. Schon am 12. Juni
1886 wurde der Tunnel eröffnet, welcher das Wasser des Kopais-Sees
zum Likeri ableitet, und damit ersterer abgezapft. Im Januar 1889
ging das ganze Unternehmen in die Hände einer englischen Ge-
sellschaft über. Jetzt ist die Trockenlegung im wesentlichen voll-
endet, und zwar mit einigen beträchtlichen Abweichungen von dem ur-
sprünglichen Plan, wie er von Durand-Clay veröffentlicht und durch
Supan (in Petermann's Mitteilungen 1889) bekannt gemacht wurde.
Alle modernen Projekte unterscheiden sich von der Entwässerungs-
anlage der Minyer wesentlich dadurch, dafs man die Katavothren teils
gar nicht, teils nur in zweiter Linie für die Ableitung benutzt, diese
dagegen hauptsächlich durch künstliche Tunnel bewirkt, welche man
durch die das Kopals-Becken vom Meer trennenden Isthmen treibt. Man
folgt also dabei dem Plan jener unbekannten Baumeister des späteren
Altertums. Die Projekte von Fiedler, Russegger und Sauvage empfahlen
die Durchbohrung des Isthmos von I.arymna; das zur Ausführung ge-
langte Unternehmen wählte jedoch den anderen Weg, nämlich die
Durchbohrung der Isthmen von Karditsa, Muriki und Anthedon, die
Ableitung des Wasser erst in den Likeri, von diesem in die Paralimni
und dann in das Meer, unter beträchtlicher Aufstauung dieser beiden
Seen. Die Gründe, weshalb man diesem Weg den Vorzug vor dem
Joch von Larymna gab, entziehen sich meiner Kenntnis und Beur-
teilung. Auf dem gewählten Weg sind die Durchstiche länger als beim
joch von Larymna, aufserdem verschlingen die angeschwollenen beiden
kleineren Seen einiges angebaute Land, welches die Gesellschaft hat
ankaufen müssen; andererseits ist die Länge der Kanäle auf dem See-
boden der Kopais wohl etwas kürzer, und man gewinnt durch die
Aufstauung des Wassers in den beiden kleinen Seen eine bedeutende,
gleichmäfsige Wasserkraft, die man zu industriellen Zwecken benutzen
kann.
Aufser diesem System von Durchstichen hat man aber auch eine
Kanalisierung des Seebodens selbst durchgeführt, um die Zuflüsse des
Sees zu dem Ableitungs-Tunnel zu führen, ohne dafs sie sich Uber den
Seeboden ausbreiten. Die moderne Anlage stellt also eine Kombi-
nation dar aus dem Entwässcrungs - System der Minyer und aus dem
einen der beiden späteren Versuche des Altertums — natürlich eine
Zeiuch r. d. GcselUch. f. Erdlc. Bd. XXIX. (i
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Alfred Philippson:
unbewufste Nachahmung, da ja die Minyschen Kanäle erst während der
Arbeit zum Vorschein kamen.
Das ganze Entwässerungswerk, wie es jetzt fertig vorliegt, ist kurz
folgendes.
Ein grofser Gürtelkanal umzieht den See im Westen, Süden
und Südosten. Er beginnt am Kephissos bei den Orten Gephyri und
Rhomaeiko, etwa 7 km oberhalb seiner Mündung in den See, ungefähr
an der Stelle, wo der Flufs bei Hochfluten nach rechts abzuschweifen
liebte. Der Kephissos ist hier durch eine Schleuse von seinem alten
Lauf abgesperrt und in den Gürtelkanal geleitet. Bei bedrohlichem
Hochwasser soll die Schleuse geöffnet werden; dann nimmt ein Teil
des Kephissos-Wassers den alten Lauf, wird an der ehemaligen Miln-
dung von einem Notkanal aufgenommen und dem Melas zugeführt.
In gewöhnlichen Zeiten ist aber der Kephissos ganz vom Melas abge-
sperrt. — Vom Kephissos zieht der Gürtelkanal am Westufer, dann
am Süd- und Ostufer des Sees entlang bis zur Bucht von Karditsa.
Bis in die Nähe von Haliartos liegt der Kanal aufserhalb des Seebodens,
dann zieht er sich in diesen hinein. Dieser Gürtelkanal nimmt
alle Zuflüsse des Sees auf dieser ganzen Strecke auf, das
heifst alle beträchtlichen Zuflüsse des Sees überhaupt, aus-
genommen den Melas. Die Zuflüsse sind oberhalb ihrer Mündung in
den Kanal sämtlich reguliert und eingedeicht. — Der Kanal besteht
aus einem doppelten Bett ; das für den kleinen Wasserstand ist in den
natürlichen Boden eingeschnitten; es wird zu beiden Seiten von je einem
Deich begleitet, welche über den Boden aufragen und so ein breiteres
Hochflutbett bilden. Aufserhalb der Deiche verlaufen dann noch
kleine Austrocknungs- Gräben, welche das Regenwasser der Umge-
bung sammeln. Der Kanal ist 33 km lang; das kleine Bett hat 9
bis 22 m Sohlenbreite; die Breite des Hochflutbettes (der Abstand der
Deiche) beträgt 69 bis 52 m; die Tiefe des kleinen Bettes ist etwa 2 m,
die Höhe der Deiche 1,60 bis 1,90 m. Der Kanal fällt von 100,79 rr>
bis auf 90,50 m; seine Sohle liegt in der Bucht von Karditsa etwa 4 m
unter dem Niveau der Ebene. Die gesamte bewegte Erdmasse beläuft
sich auf 1660000 Kubikmeter1).
Der zweite Kanal, der „innere Kanal“, empfängt keinen Zu-
fltifs von Aufsen. Er beginnt bei Karya am Westufer und folgt der
tiefsten Rinne des Seebodens in der Nähe des Südufers, läuft also
dem Gürtelkanal in geringer Entfernung parallel. Er ist bestimmt, das
Regenwasser, das auf den Seeboden fällt, abzuleiten und so die Bil-
düng von Sümpfen in den tiefsten Teilen zu verhindern. Er ver-
') Durand-Ciay; Supan S. 73.
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung.
83
einigt sich nach einem Lauf von 24 km mit dem Gtirtelkanal in der
Bucht von Karditsa.
Ursprünglich hat man noch einen nördlichen Gürtelkanal ge-
plant, der den Melas demselben Vereinigungspunkt zuführen sollte.
Man hat aber diese Absicht aufgegeben und den Melas in seinem alten
Lauf gelassen, indem man ihn nur in seinem mittleren Lauf einge-
deicht hat — in seinem Unterlauf ist dies nicht nötig, da er dort tief
eingeschnitten ist. Aufserdem leitet man ihm durch jenen oben er-
wähnten Notkanal im Fall der Gefahr Wasser des Kephissos zu. Ein
kleines StUck des beabsichtigten Nordkanals ist in der Bucht von
Karditsa fertig gestellt. Der Melas mündet also nach wie vor in
seiner grofsen Katavothre (Nr. 8) und erscheint in der Quelle von
Skroponeri wieder zu Tage.
Die Überlassung des Melas an die grofse Katavothre kann nur als
ein sehr glücklicher Gedanke bezeichnet werden. Man hat dadurch grofse
Kosten erspart und zugleich den Ableitungs-Tunnel erheblich entlastet;
andererseits bietet die gleichmäfsige Wasserführung des Melas die Ge-
währ, dafs sein Abflufs durch die Katavothre keiner Störung unter-
liegen wird.
Alles andere Wasser, aufser dem Melas, vereinigt sich also in dem
Kanal der Bucht von Karditsa. Von hier führt es zunächst ein offener
Einschnitt von 2760 m Länge durch die Ebene, die sich an die Bucht
anschliefst, dann der Tunnel von Karditsa durch den Rücken des
Isthmos. Die Länge des Tunnels wurde mir zu 860 m angegeben1)
(Durand-Clay 672 m); er ist 7! m hoch und 5 bis 6 m breit. Jenseits
folgt noch ein kurzer Einschnitt, dann sttirzt sich das Wasser in mäch-
tigem Katarakt hinab in die Ebene von Sengina und den Likeri-See.
Dieser See lag vorher 45 m hoch. Jetzt steigt er infolge des Zuflusses,
der ihm seit der Eröffnung des Tunnels 1886 zugeht, allmählich an.
Ein fränkischer Thurm , der zur Zeit der Aufnahme der Carte de la
Gr6ce (in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts) auf einer Halb-
insel im See stand, bei Beginn der Arbeiten schon auf einer Insel sich
befand, ragt jetzt nur noch mit seinen Zinnen hervor. Bald wird
dieser Zeuge abendländischer Ritterherrschaft für immer unter den
Fluten begraben sein.
Der Likeri-See wird bis zum Niveau von 80 m ansteigen, also bis
wenige Meter unter der Tunnelöffnung. Die kleine Ebene von Sengina,
dieses Dörfchen selbst, sowie ein Teil der Ebene von Muriki wird dann
verschwunden sein. Sie sind von der Gesellschaft angekauft. Dann
wird sich der See über den Isthmos von Muriki ergiefsen, den man
l) Vgl. das S. 19 Gesagte.
(i*
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Alfred Philippson:
durch einen offenen Einschnitt etwas eingekerbt hat. Die Sohle
dieses Einschnittes liegt 78 m ü. d. M. und wird 2 m hoch mit Wasser
bedeckt sein; er ist 25 m breit, im Maximum 5 m tief und etwa 600 m
lang. Eine Brücke führt hinüber. — Dann wird sich das Wasser frei
hinabstürzen zu dem früher 35 m hohen Paralimni-See. Einen ur-
sprünglich beabsichtigten Tunnel bei Ungra zur Verbindung des Likeri
mit der Paralimni hat man aufgegeben. Schon jetzt dringt durch unter-
irdische Spalten unerwarteter Weise Wasser aus dem ansteigenden
I.ikeri-See in die Paralimni. Diese steigt daher bereits; wenn der
Uberflufs über den Isthmos von Muriki in Thätigkeit getreten ist, wird
sie noch schneller steigen und zwar bis zur Höhe von 55 m ü. d. M.
Dann wird das Wasser in den bereits fertiggestellten Abflufs eintreten,
der es durch den Isthmos von Anthedon zum Meer hinausfuhrt. Dieser
letzte Durchstich besteht aus zwei offenen Einschnitten von zusammen
576 m Länge und einem dazwischenliegenden Tunnel von 860 m Länge,
3! bis 4 m hoch und breit. Dann fällt das Wasser in freiem Lauf zu der nur
800 m entfernten Küste hinab, wobei es also an 50 m Gefälle besitzt.
Diese Wasserstürze von Muriki und Anthedon werden eine sehr
bedeutende Kraft liefern. Man berechnet die Masse, welche aus dem
Likeri ausströmen wird, auf 50 Millionen1), diejenige, welche den Tunnel
von Anthedon passieren wird, auf 40 Millionen Kubikmeter im Jahr2).
Da die Seen als Reservoire dienen, wird die Schwankung der Wasser-
menge in den Jahreszeiten gering sein. Man beabsichtigt daher, an
diesen Wasserfällen industrielle Anlagen zu errichten. Wenn sich erst
der Boden des Kopais-Sees mit Baumwoll-Feldern bedeckt haben wird,
dann wird man hier das Rohprodukt, verspinnen können, wie es in
kleinerem Mafs schon in Livadia mit Hülfe der dortigen Wasserkraft
geschieht. Doch das ist vorläufig ein Zukunftstraum und wird wohl
noch lange ein solcher bleiben! Könnte man nicht die Wassermenge
und die Kraft dieser Wasserstürze dazu benutzen, um das unter Wasser-
mangel schwer leidende Athen mit Wasser zu versorgen?
Der Kopäls-See ist durch die Trockenlegung jetzt völlig ver-
schwunden, mit Ausnahme weniger Sümpfe, besonders desjenigen an
den Melas-Quellen. Die Schilfdickichte, die ihn bedeckten, sind bis
auf kleine Reste verschwunden. Unabsehbar breitet sich die vollständig
horizontale, fast vegetationslose braune Fläche aus3), auf der man rein
*) S. die Karte der Kopa'is-Gesellscbaft.
*) Durand-Clay S. ig.
3) Eine weifse Farbe der Oberfläche — auf die man den alten Namen Drxiüric
für die Ebene von Kopae bezieht — habe ich in aen von mir besuchten Teilen
nicht gesehen. Der weitse Mergel des Bodens ist an der Oberfläche durch Humus
dunkel gefärbt.
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung.
85
gar nichts sieht, auf der daher jeder Mafsstab für Gröfse und Ent-
fernung fehlt.
Die A us t rock nung ist also technisch vorläufig gelungen.
Fast 25000 Hektar des allerfruchtbarsten Bodens sind gewonnen. Nach
Durand-Clay kann der Hektar durchschnittlich 2100 — 7000 kg Mais
liefern, was einem Netto-Ertrag von 200 — 710 Frs. entspricht, oder
1900 — 2000 kg Baumwolle, die einen Reingewinn von 250 — 775 Frs.
abwirft. Das gäbe also einen jährlichen Rein- Ertrag von mindestens
5 MilL Frs., wenn der ganze Seeboden bebaut ist. — Aber der Erfolg
ist, selbst nur in technischer Hinsicht, noch manchen Gefahren aus-
gesetzt. Zunächst fragt es sich, ob das Ausmafs der Kanäle und die
Stärke der Deiche grofs genug sind, um einer aufsergewöhnlichen Hoch-
flut des Kephissos, wie sie sich zuweilen ereignen. Stand zu halten. Ferner
würde eine Verstopfung des Tunnels von Karditsa das ganze Becken
wieder unter Wasser setzen. Zwar ist bei einem künstlichen Tunnel
wegen seiner regelmäfsigen Gestalt die Gefahr einer Verstopfung weit
geringer als bei den tinregelmäfsigen Katavothren; dennoch aber ist
sie nicht ausgeschlossen, besonders da die Erdbeben dort so überaus
häufig und heftig sind'). Eine Verstopfung des Tunnels wäre aber
nicht zu beseitigen, ohne dafs man das Wasser von ihm abdämmt und
so die See-Ebene wieder zeitweise überschwemmt. Man thäte wohl
gut, einen kleineren Teil der See-Ebene durch Eindeichung zu einem
Not-Bassin zu gestalten, in welches man das Wasser aufstauen könnte,
bis etwaige Reparatur-Arbeiten vollendet wären; so könnte man viel-
leicht die Überschwemmung der ganzen Ebene vermeiden.
Jedenfalls benötigt das ganze Werk beständiger aufmerksamer
Beaufsichtigung. Sollte diese einmal unterlassen werden — was bei
einem etwaigen finanziellen Mifserfolg der Gesellschaft wohl denkbar
w'äre — , so würde ein Verlust des ganzen Erfolges zu befürchten sein.
Ist die Trockenlegung gelungen, so fragt es sich weiter, wie steht
es mit der Ausnützung des Gewonnenen? — In die finanziellen Er-
gebnisse und Absichten der Gesellschaft habe ich natürlich keinen Ein-
blick. Das Folgende ist daher nur persönliche Ansicht, aus meiner
Kenntnis der griechischen Verhältnisse gewonnen. Da möchte ich nun
glauben, dafs die Verwertung des Seebodens noch in weiter Ferne liegt.
Zunächst fehlt bisher die Bewässerung des Bodens. Ein Anbau
von Sommerfrüchten, besonders der Baumwolle, welche die loh-
nendste Frucht dieser Gegend ist, kann in dem trockenen Klima des
Sommers nur bei Berieselung getrieben werden, und da es keine Quellen
im Seeboden giebt, das Wasser der Zuflüsse aber in den Kanälen tiefer
*) Auf die Erdbeben-Gefahr hat Supan (S. 73) aufmerksam gemacht.
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Alfred Philippson:
liegt als die Oberfläche, müssen künstliche Vorrichtungen zur Be-
wässerung des Seebodens ersonnen werden. So beabsichtigte denn
auch das ursprüngliche Projekt, mit Hülfe der Kraft des Wassersturzes
bei dem — jetzt aufgegebenen — Tunnel von Ungra Wasser über das
Niveau der Kopais-Ebene zu heben und dann über diese hin zu ver-
teilen. Bisher ist noch keine derartige Anlage gemacht worden, und
ich weifs nicht, ob eine solche noch in der Absicht der Gesellschaft liegt.
Ein noch wichtigeres Hindernis ist aber der Mangel an Arbeits-
kräften für die Bebauung. Wie wir sahen, ist schon ohne Hinzu-
rechnung des Seebodens die Bevölkerung des Kopa'ts-Gebietes eine
sehr dünne. Die Leute sind zudem wenig arbeitsam und äufserst ge-
nügsam. Die Bevölkerung reicht daher kaum hin, das schon vorher
vorhandene kulturfähige Land zu bebauen. Sie wird es zudem meist
vorziehen, bei ihren, wenn auch weniger fruchtbaren Ackern zu bleiben,
die ihnen als freies Eigentum gehören, als den Seeboden zu bebauen,
den sie von der Gesellschaft pachten oder kaufen müssen. So kommt
es, dafs jetzt zwar ein Teil des Seebodens an den Rändern regelmäfsig
und mit Sicherheit des Ertrages bebaut wird, der auch schon vorher
von den umliegenden Dörfern, aber nur in günstigen Sommern und
unter Gefahr des Verlustes der Ernte angebaut wurde; dafs sich auch
wohl der Anbau um einiges ausgedehnt hat — dals aber die grofse
Masse des Bodens noch unbenutzt daliegt.
Ein ausgedehnterer Anbau des Seebodens wird sich nur ermög-
lichen lassen, wenn man Kolonisten ansiedelt. Das hat aber auch
bedeutende Schwierigkeiten, und ich weifs nicht, ob daran überhaupt
schon gedacht ist. Die Teile Griechenlands, welche wegen Über-
völkerung Ansiedler abgeben könnten, sind gering; es sind z. B. die
Mani und Arkadien; und die Griechen pflegen heutzutage, wenn sie
sich zum Auswandern entschliefsen, es vorzuziehen, als Händler,
namentlich ins Ausland, zu gehen, und nicht sich wieder als Acker-
bauer, und besonders nicht in Griechenland niederzulassen. Eine Aus-
nahme bilden nur die Korinthen-Gegenden, die aber neuerdings
auch ihre Anziehungskraft einzubüfsen scheinen. Es könnte daher
eigentlich nur an ausländische Kolonisten, etwa christliche Albanesen
und Makedonier oder Süd -Italiener gedacht werden. Der Nieder-
lassung der letzteren stehen aber die nationale und religiöse Eremd-
artigkeit der einheimischen Bevölkerung und die traurigen ökonomischen
Verhältnisse Griechenlands im Wege. So fürchte ich, dafs noch lange
der Seeboden der Kopäis zwar trocken, aber auch unbebaut bleiben
wird. Überhaupt halte ich es für verfehlt in Griechenland, wo grofse
Mengen trefflichen Landes wegen Mangels an Ackerbauern ungenutzt
daliegen, noch grofse Strecken Neulandes gewinnen zu wollen.
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Der Kopa'is-See in Griechenland und seine Umgebung.
87
Burnouf hat im Jahr 1850 die Befürchtung ausgesprochen, dafs
durch Trockenlegung des Kopals-Sees das Klima des östlichen Mittel-
Griechenlands trockener werden würde. Es ist sicher, dafs das Fehlen
eines so grofsen Wasserspiegels in einem rings von Bergen umgebenen
Kessel auf das Klima dieses Kessels selbst nicht ganz ohne Einflufs sein
kann. Haben doch schon die Alten beobachtet, dafs bei hohem Wasser-
stand die Winter in Böotien wärmer sind als bei geringer Wassermenge.
Eine Veränderung des Klimas wird sich aber im wesentlichen auf die Zeit
von November bis Juni beschränken, da im Spätsommer und Herbst der
See in der Regel trocken war. Ob sich in der ersteren Jahreszeit ein
Nachlassen der Niederschläge Böotiens seit dem Austrocknen des Sees
bemerkbar gemacht hat, weifs ich nicht. Jedenfalls möchte ich vermuten,
dafs sie nicht bedeutend ist, da die Niederschläge in Griechenland doch
wesentlich durch die grofsen Luftströmungen bedingt sind. Aufserdem
hat, wenn die Regenbeobachtungen, die Durand-Clay angiebt, richtig
sind, Böotien in seiner nassen Jahreszeit so reichliche Niederschläge,
dafs es einen kleinen Abzug schon vertragen kann — die sommerliche
Trockenzeit bleibt ja davon unberührt. Wohl aber wird sich eine
rauhere Temperatur des Winters im Kopals-Becken bemerklich machen,
die durch die grofse Wasserfläche jedenfalls nicht unwesentlich ge-
mildert wurde, obwohl auch so schon Böotien von jeher wegen kalter
Winter berüchtigt war. Erst längere Beobachtungen werden darüber
Entscheidung bringen. Jedenfalls war der Winter 1887 88 in Böotien
sehr streng, und ebenso trat zur Zeit meines Besuches im März 1893
aufsergewöhnliche Kälte ein (s. o.)
Einen klimatischen Erfolg hat die Austrocknung des Kopals-
Sees nach den Aussagen der Umwohner schon gehabt, nämlich das
Nachlassen der früher in der ganzen Umgebung so aufserordentlich
heftigen Malaria-Fieber!
Viele Fragen der natürlichen und der vom Menschen beeinflufsten
Geschichte des Sees bleiben noch zu lösen übrig, und es würde sich
wohl lohnen, sie an Ort und Stelle einer eingehenden Untersuchung
zu unterziehen. Besonders wären folgende Fragen aufzuhellen: 1. Ist
die Bresche am Südrand des Likeri-Sees, durch welche der Kanavari-
Bach mündet, von Menschenhand erweitert? 2. Ist das Joch am Isthmos
von Onchestos, welches die Eisenbahn benutzt, durch künstliche Auf-
schüttung erhöht? 3. Wie hoch liegen die höchsten Wasserstandsmarken
am Kopals-See und wie verhalten sie sich zur Höhe jenes Joches bei
Onchestos? 4. Aus welcher Zeit stammen die Durchstiche der Isthmen
von Larymna und Karditsa? Hier sollte man einige der Schächte aus-
täiunen. 5. Haben die bisher nicht gefundenen Kanalstrecken der
Minyer existiert? 6. Was birgt der Tumulus in der Mitte des Sees?
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88
Alfred Philippson:
Hoffen wir, dafs bald eine kundige Kraft die Lösung dieser Fragen
in .Angriff nehme!
Die wichtigere Literatur über den Kopais-See.
'I’heophrast (372 — 287 v. Chr.). Historia plantarum IV, n. 8.
„ De causis plantarum V, 5, 2. 12, 3.
Diodorus Siculus (Ende des 1. Jahrh. v. Chr.), IV, 18.
Strabo (63 vor bis 24 nach Chr.), IX, 2, 13. 16 — 19. 40.
Plinius (23 — 79 nach Chr.), Historia naturalis XVI, 66.
Plutarch (46 — 130 nach Chr), Moralia 41, 3
„ Pelopidas XVI.
„ Sulla XX.
Pausanias (schrieb 160 — 180 nach Chr.), IX, 23, 4. 24. 36, 3. 38, 5. 6.
Polyaenus (2. Jahrh. nach Chr.), I, 3. 5.
Diogenes Laertios (1. Hälfte des 3. Jahrh. nach Chr.), IV, 5.
Stephanos von Byzanz (6. Jahrh. nach Chr.), vide 'sHHjnu.
Wheler and Spon, A Journey into Greece. London 1682, S. 465—469.
(Erste genauere Beschreibung der Katavothren in neuerer Zeit, auch
der antiken Ableitungs-Arbeiten auf den Isthmen. Die Katavothren
werden für Werke der Menschenhand angesehen).
Pococke, Beschreibung des Morgenlandes, herausgeg. von Beyer. III.
Erlangen 1792. S. 225 f. (Beschreibung des Sees und der Kata-
vothren, die 60 an der Zahl sein sollen).
Wal pole, Memoirs relating to European and Asiatic Turkey. London
1818. Darin: Raikes, Remarks 011 parts of Boeotian and Phocis.
S. 301 — 305. Walpole, On the Boeotian Catabothra and Copaic
Lake. S. 305 ff. (Katavothren für künstlich gehalten.)
Dodwell, A classical and topographical Tour through Greece. II.
London 1819. S. 55 ff.
Müller, K. O., Orchomenos und die Minyer. (1. Aufl. 1820). 2. Auflage,
Breslau 1844. Mit Karte. (Erste Beleuchtung der Geschichte des
Sees im Altertum.)
Leake, Travels in Northern Greece. II. London 1835. S. 118— 161.
276—323.
Fo rch h ammer, Hellenika. Griechenland, im Neuen das Alte. I.
Berlin 1837. Mit Karte. (Eingehende topographische und hydro-
graphische Beschreibung. Abenteuerliche geologische Ansichten.)
Ulrichs, Reisen und Forschungen in Griechenland. I. Bremen 1840.
(Ausführliche Darstellung.)
Fiedler, Reise durch Griechenland. I. Leipzig 1840. S. 100 — 131.
(Geologie, Projekt zur Entwässerung.)
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Der Kopais-Sec in Griechenland und eeine Umgebung.
89
Bran dis, Mitteilungen Uber Griechenland. I. Leipzig 1842. S. 124 — 130.
Mure, A Tour in Greece. I. London 1842. S. 226 f.
Buchon, La Gr6ce continentale et la Mortfe. Paris 1844. S. 213 — 226.
(Mit besonderer Berücksichtigung des Mittelalters.)
Sauvage, Description gdologique d’une partie de la Grece continentale
et de l'ile d'Eub6e. Annales des Mines. IV* S<5rie. T. X. Paris 1846.
S. 101 — 156. (Besonders S. 129 — 138.) Mit geologischer Karte.
(Erste genauere Darstellung der Geologie des Kopals-Gebietes.)
Russegger, Reisen in Europa, Asien und Afrika. IV. Stuttgart 1848.
S. 92 — 101. (Geologie, Projekt zur Entwässerung.)
Ross, L., Griechische Königsreisen. I. Halle 1848. S. 25. 99 — 103.
Sauvage, Projet de dessechement du Lac Copa'is. Memoire ä l'appui
redig6 en 1849 par C. S. Äthanes 1868. (Mir nicht zugänglich).
Burnouf, Le Lac Copats. Archives des Missions scientifii|ues. I.
Paris 1850. S. 133 — 160. (Zusammenstellung, besonders der klima-
tischen und hydrographischen Verhältnisse.)
Bursi an, Geographie von Griechenland. I. Leipzig 1862. S. 195 — 199.
(Gute Zusammenfassung der Topographie und Geschichte des Sees.)
Lindermayer, Die Austrocknung des Kopais-Sees in Griechenland.
Ausland 1865. S. 393—397-
Bittner, Der geologische Bau von Attika, Böotien, Lokris und Parnassis.
Denkschriften d. Wiener Akademie d. Wiss. Math.-naturw. Klasse.
Bd. 40. 1880. S. 2—8. Geologische Karte. (Grundlegende
Arbeit über die Geologie des Seegebiets)
Neumann-Partsch, Physikalische Geographie von Griechenland.
Breslau 1885. S. 224 — 247. (Zusammenfassung.)
Durand -Clay, Le dessechement du Lac Copais. Extrait du Bulletin
de la Direction de rHydraulicpie agricole. Paris 1888. Karte. «
(Das jüngste Projekt der Austrocknung.)
Supan, Die Trockenlegung des Kopais-Sees. Petermann's Mitteilungen,
35. Bd. Gotha 1889. S. 71 ff. Karte. (Auszug aus dem vorigen.)
Philippson, Bericht über eine Reise durch Nord- und Mittel-Griechen-
land. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 25. Bd.
1890. S. 389 f. (Die Meeresküste des Seegebiets.)
Kraus, Sumpf- und Seebildungen in Griechenland mit besonderer Be-
rücksichtigung der Karsterscheinungen und insbesondere der Kata-
bothren-Seen. Mitteilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft
in Wien. Bd. 35. 1892. S. 383 — 392. (Kompilation, nicht frei von
Irrtümern. Von Wichtigkeit sind einige Beiträge von Heger.)
Kambanis, Le dessechement du lac Copa'is par les anciens. Bulletin de
Correspondance Hellclnique. XVI. Paris 1892. S. 121 — 137. Mit Karte
von Lallier. (Erforschung der Entwässerungsarbeiten der Minyer.)
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90
Wilh. Meiuardus.
Curtius, Die Deichbauten der Minyer. Sitzungsbericht der Berliner
Akademie d. Wiss. Philos.-histor. Klasse. Bd. 55. 1892. S. 1181 — 93.
Mit Karte von Kaupcrt. (Beruht auf der vorigen Arbeit.)
Bädekers Griechenland. (Redigiert von Lölling.) 3. Aufl. Leipzig
1893. S. 190 — 198.
Karten, soweit sie nicht in den angeführten Schriften
enthalten:
Carte de la Gr£ce, 1 : 200000. R^digöe et grav£e au Depöt de la
Guerre. Paris 1852. (Noch immer die einzig zuverlässige topo-
graphische Grundlage.)
Plan du lac Copals, 1 : 50000. Aufgenommen von den Ingenieuren
der „Compagnie frangaise pour le dessichment et l'exploitation du
lac Copais." (Nicht im Buchhandel. Genaue Aufnahme des See-
bodens, Zeichnung des Projektes zur Austrocknung, das jedoch bei
der Ausführung verändert worden ist.)
Über die Methoden der Verarbeitung von meteorolo-
gischen Beobachtungen zur See.
Von Dr. Wilh. Meinardus.
Als der Verfasser auf Grund des im Archiv der Deutschen See-
warte befindlichen maritim-meteorologischen Beobachtungsmaterials die
klimatischen Verhältnisse des nordöstlichen Teils des Indischen Ozeans
bearbeitete, lag es ihm ob, die Methoden der Zusammenfassung der
Einzelbeobachtungen zu prüfen. Als Ergebnis dieser Prüfung stellte
sich heraus, dafs bei der Behandlung der Beobachtungen nach den
bisher angewandten Methoden sich Fehlerquellen bemerkbar machen,
deren Gröfse vielleicht unterschätzt zu werden pflegt, auf die aufmerk-
sam zu machen wenigstens um so mehr geboten erscheint, als die
Methoden der ozeanischen Klimatologie und die ihnen anhaftenden
Mängel, soweit dem Verfasser bekannt, noch keine systematische Be-
handlung erfahren haben.
Bei der nachfolgenden Untersuchung Uber die Methoden der Ver-
arbeitung maritim-meteorologischer Beobachtungen wird angenommen,
dafs ein reichhaltiges, von Kapitänen der Handelsmarine gesammeltes,
kritisch gesichtetes, tadelloses Beobachtungsmaterial, wie es besser
kaum von einer wissenschaftlichen See-Expedition hätte geliefert werden
können, der klimatologischen Bearbeitung zu Grunde gelegt werden
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Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen aur See.
01
kann. Es leuchtet sogleich ein, dafs dieses zur See gewonnene Beob-
achtungsmaterial nach anderen Methoden behandelt werden mufs, als
das zu Lande gewonnene, weil die räumliche und zeitliche Ver-
teilung der Beobachtungen hier und dort wesentlich verschieden ist.
Es scheint deshalb zweckmäfsig, von diesen beiden Gesichtspunkten
aus den Gang der Untersuchung zu leiten.
Die räumliche Verteilung der Beobachtungen.
Fast alle Länder der civilisierten Staaten sind mit einem festen
meteorologischen Beobachtungsnetz überzogen, jede Station des Netzes
liefert eine fortlaufende Beobachtungsreihe. Anders auf der herren-
losen See. Die Maschen des maritimen Beobachtungsnetzes verschieben
sich in jedem Augenblick, werden hier enger, dort weiter, bald wird
dieser, bald jener Punkt durch eine Beobachtung ausgezeichnet. Bei
längerer Betrachtung dieses beweglichen Bildes bemerkt man, dafs eine
gewisse Auswahl von Beobachtungsorten stattfindet, dafs diese Orte
längs bestimmter Linien auf Streifen liegen, die den Ozean überziehen,
an den Küsten sich schaaren und in vielen Punkten sich durchschneiden:
man beobachtet die grolsen ozeanischen VerkehrsstTafsen.
Welche Gesetze bestimmen die Lage der grofsen maritimen Ver-
kehrsadern ?
Den Schiffen der Handelsmarine, welche den Güteraustausch
zwischen den durch Meeresflächen getrennten Ländern zu vermitteln
haben, gilt als erster Wahlspruch : billige und schnelleFahrt. DieErfüllung
dieser beiden Forderungen wird gegenwärtig von Dampfern und Segel-
schiffen in verschiedener Weise angestrebt. Der Dampfer erreicht
durch schnelle, aber kostspielige Fahrt sein Ziel, der Segler sucht die
Strecken günstigen Windes, welcher ihn kostenfrei, aber auf längerer
Fahrt zum Bestimmungshafen führt. Die den Dampfer bewegende
Kraft steht unter dem Willen des Menschen, sie kann dazu benutzt
werden, der Kraft widriger Winde und Meeresströmungen zu trotzen;
daher ist für den Dampfer im allgemeinen die geometrisch kürzeste
Linie auch die Linie der schnellsten Fahrt. Die Segel indessen bläht
bald ein starker, bald ein schwacher Wind; günstige, beständige und
frische Brisen, die den einen Meeresteil vor dem andern auszeichnen,
die Gunst des Augenblicks, welche der Kapitän zu nutzen versteht,
bestimmen dieRoute und die Geschwindigkeit des Seglers. Die Verkehrs-
strafsen der Dampfer sind gröfste Kreise, die der Segler vielfach ge-
brochene Linien, welche an den Weg von Lichtstrahlen erinnern, die
Medien von verschiedener optischer Elastizität zwar auf Umwegen, aber
doch mit dem geringsten Zeitaufwand durcheilen
Die Dampferroute vermag die Hand des Seefahrers im voraus nach
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Willi. Meinardus:
mathematischer Formel oder als gerade Linie auf Karten gnomonischer
Projektion festzulegen. Die Segelschiffroute bestimmen erst die in
langen Zeiten gesammelte, traditionelle und eigene Erfahrung der See-
fahrer und die wachsende Kenntnis der Verteilung der Winde und
ihrer Gesetze. Deshalb haben diese Linien im Lauf der Zeit ihre
Lage verändert, verbessert und nähern sich, namentlich seit Maury’s
beispielgebender Einrichtung eines maritimen Beobachtungsnetzes und
systematischer Auswertung der Beobachtungen, immer mehr den Linien
der durchschnittlich schnellsten Fahrt1).
Den Segelrouten ist noch eine kurze Betrachtung zu widmen, zu-
mal jede klimatologische Erforschung der Ozeane die meteorologischen
Beobachtungen auf Segelschiffen, welche die auf den Handelsdampfem
gemachten an Zahl weit tibertreffen, in erster Linie zu benutzen hat
und deshalb die Methoden der Bearbeitung von Segelschiff-Beobachtungen
in den Vordergrund der Besprechung treten müssen.
Die Lage der Segelrouten ist, abgesehen von der Verteilung des
Festen und Flüssigen, abhängig von der Lage der mit einander handel-
treibenden Länder und ihrer Häfen und von der mittleren Verteilung
der vorherrschenden Luft- und Meeresströmungen, welch’ letztere
wieder eine Funktion der Jahreszeit zu sein pflegt. (Von den Meeres-
strömungen, als den weniger wirksamen Triebkräften der Schiffe, nrag
der Kürze halber abgesehen werden.) Wie indessen die mittlere Verteilung
der vorherrschenden Luftströmungen nur als eine abstrakte Gröfse, ist
die mittlere Schiffsroute, wie sie auf Karten dargestellt und in Segel-
handbüchern empfohlen wird, auch nur gewissermafsen als eine abstrakte
Linie anzusehen. In jedem konkreten F'all wird oder kann die Verteilung
der Winde von jener mittleren abweichen, und wegen dieser Abweichung
wir dauch die Schiffsroute jedes einzelnen Seglers von der mittleren ab-
weichen. Die einzuhaltende Segelroute wird zwar im grofsen und
*) Wie sich seit Columbus’ Zeiten bis zu Maury’s epochemachender Thal die
Lage der grofsen ozeanischen Verkehrslinien vielfach geändert, manchmal ver-
schlechtert, doch im allgemeinen teils unter tastenden Versuchen und durch zufällige
Entdeckungen, teils unter bisweilen spekulativer Verwertung der um Ende des
17. Jahrhunderts beginnenden Erkenntnis der allgemeinen Cirkulation der Atmosphäre
und ihrer Modifikationen durch die Verteilung des Festen und Flüssigen, verbessert
hat, darüber findet man eine lehrreiche Besprechung in den „Annalen der Hydro-
graphie“ (XXI 1893, S. 217, 252, 294fr.) von Eugen Gelcich, Beiträge zur
Geschichte der ozeanischen Segelanweisungcn. Über die Gründung nautischer
Institute und ihre Thätigkeit auf diesem Gebiet erhält man ein anschauliches Bild
durch den „Bericht über die Pflege der maritimen Meteorologie in Deutschland,
erstattet an den Internaüonalen Meteorologen-Kongrefs in Rom durch Dr. Neumayer.
(Hamburg 1879.)“
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Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen zur See.
93
ganzen für jeden Segler nach der in den Segelhandbüchern gegebenen
Anweisung, im einzelnen aber durch die angetroffenen Windverhältnisse
bestimmt werden.
Von der Lage der mittleren Verkehrslinien ist nun, wie sich von
selbst versteht, die Verteilung der Beobachtungsorte auf dem Meer
abhängig. Durch die Abweichungen der konkreten Schiffsrouten von
den mittleren vergröfsert sich das Areal, auf dem Beobachtungen ge-
macht werden, ganz bedeutend; es laufen breite Beobachtungsstreifen
längs der mittleren Verkehrslinien über die Ozeane. Auf den mittleren
Routen selbst liegen die Beobachtungsorte am dichtesten gedrängt, ihre
Zahl nimmt senkrecht zu jenen mit wachsendem Abstand rasch bis zu
einem Minimum ab. Ferner findet aber auch längs der Segellinien
ein Wechsel der Dichte der Beobachtungsorte statt, weil dort, wo
günstige Windverhältnisse die Fahrt beschleunigen, die Beobachtungs-
orte weit auseinandergezogen, an Stellen, wo ungünstige Winde oder
Stillen die Fahrt hemmen, sie dicht zusammengedrängt werden. Be-
trachtet man z. B. die Verteilung der Beobachtungspunkte längs einer
Segellinie, welche das nördliche und südliche Passat-Gebiet und die
dazwischen liegende Doldrum-Zone meridional kreuzt, so findet man
eine Verdichtung der Bcobachtungsorte in der Doldrum-Zone und an
den windstillen polaren Grenzen der Passatgebiete, in diesem selbst
eine Verdünnung.
Das sind im allgemeinen die Regeln, nach denen sich die räum-
liche Verteilung der Beobachtungsorle auf den Ozeanen bestimmt. Die
Beschränkung ihrer Lage auf gewisse Streifen, ihre verschiedene Dichte
im Längs- und Querschnitt dieser Streifen geben dem maritimen Beob-
achtungsnetz ein eigentümliches Gepräge.
Die Beobachtungsorte auf dem Meer unterscheiden sich nun aber
von den Stationen auf dem Lande dadurch, dafs an diesen eine
fortlaufende Beobachtungsreihe ununterbrochen fortgesetzt, an jenen
nur eine einzige Beobachtung gemacht wird. Die Zahl der Beobachtungs-
urte auf dem Meer ist also identisch mit der Zahl der Beobachtungen
selbst. Was oben von der Lage und der Dichte der Beobachtungsorte
gesagt wurde, gilt in gleicher Weise von der Verteilung der Beob-
achtungen selbst.
Wegen dieses wesentlichen Unterschieds im Charakter der
Beobachtungsorte zu Lande und zur See, bedarf die klimatologische
Erforschung des Meeres einer ganz andern Methode, die Beobachtungen
zu bearbeiten, als die des Festlandes. Da man nicht in der Lage ist,
aus einer einmaligen Beobachtung an einem Ort die klimatischen
Mittelwerte zu bestimmen, so fafst man mehrere Beobachtungspunkte,
die innerhalb einer bestimmten Fläche liegen, zusammen und spricht
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Wilh. Meinardus:
dieser ganzen Fläche oder doch ihrer Mitte die klimatischen Eigen-
schaften der in ihr liegenden Beobachtungspunkte zu, von denen jeder
nur eine einzige Beobachtung zur Bestimmung jener Eigenschaften bei-
getragen hat.
Bei der Befolgung dieser Methode werden zwei Voraus-
setzungen gemacht:
1) Das Klima jedes Ortes der Fläche stimmt mit dem
Klima der Fläche überein.
2) Gerade die Beobachtungen, welche an verschiedenen
Punkten und zu verschiedenen Zeiten in der Fläche ge-
macht wurden, eignen sich zur Bestimmung der klima-
tischen Mittelwerte der Fläche.
Die erste Voraussetzung wird um so mehr erfüllt sein, je kleiner
die Fläche ist, die zweite Voraussetzung verlangt eine gewisse Lage
und Ausdehnung der Fläche , welche durch die Lage der mittleren
Schiffsrouten bestimmt wird. Das ergiebt sich aus folgender Über-
legung.
Es wurde vorher schon bemerkt, dafs durch die Abweichung der
konkreten Windverhältnisse von den mittleren auch eine Abweichung
der entsprechenden Schifffahrtslinien herbeigeführt wird. Da nun eine
bestimmte Abweichung der Windverhältnisse von den mittleren eine
bestimmte seitliche Abweichung der Segelroute von der mittleren zur
notwendigen Folge haben wird, so kommen jene bestimmten Wind-
verhältnisse hauptsächlich in einer seitlichen Zone, welche der mittleren
Schiffsroute parallel läuft, zur Beobachtung. Infolgedessen werden
überhaupt alle Windbeobachtungen, welche auf der einen Seite der
mittleren Route gemacht sind, in dem einen Sinn von den „normalen“
abweichen, die auf der andern Seite gemachten in einem andern Sinn.
Ein Segler, welcher einer mittleren Route zu folgen gedenkt, wird z. B.
durch starke, von rechts wehende Winde nach links, durch starke
von links wehende Winde nach rechts von der Route abgedrängt.
Die Beobachtungen auf der linken Seite der mittleren Bahn werden
daher bei andern Winden gemacht als die auf der rechten Seite. Die
Windbeobachtungen werden gleichsam sortiert oder polarisiert, da die
seitlich von der Route gemachten polare Gegensätze zeigen. Diese
Sortierung beschränkt sich nicht auf die Windbeobachtungen; denn da
jeder Windrichtung ein bestimmter Witterungscharakter entspricht,
welcher in den Werten der klimatischen Windrosen seinen Ausdruck
findet, so wird mit der abnormen Windrichtung der abnorme
Witterungscharakter in den Beobachtungen zu Seiten der mittleren
Schiffsroute ausgeprägt.
Diese Erwägungen setzen uns in die Lage zu prüfen, wann die
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Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen zur See. 95
mite Voraussetzung, die bei der Zusammenfassung maritimer Beob-
achtungen gemacht wird (s. oben), erfüllt ist. Die Lage und Gröfse der
Fläche, deren Klima aus den in ihr gemachten meteorologischen
Beobachtungen bestimmt werden soll, ist so zu wählen, dafs die senk-
recht gegen die mittlere Schiffsroute sortierten Beobachtungen mit
einander vereinigt werden. Denn wollte man auf die Lage der mittleren
Segelrouten keine Rücksicht nehmen und z. B. die Beobachtungen nur
nach Eingradfeldern zusammenfassen, so würden die daraus berechneten
klimatischen Konstanten der links von mittleren Segelrouten gelegenen
Flächen von denen der rechts gelegenen mehr oder weniger abweichen,
ohne dafs in Wirklichkeit ein solcher Unterschied besteht. Es ist
vielmehr noch eine Zusammenziehung der quer gegen die Routen
liegenden Flächen notwendig, um die zweite Voraussetzung zu erfüllen.
Dadurch wird allerdings das Areal der Fläche, welche als klimatisch
einheitlich betrachtet wird, vergröfsert und die erste Voraussetzung,
dafs das Klima jedes Ortes der Fläche mit dem Klima der Fläche
übereinstimmt, weniger erfüllt werden. Aber es liegt in der Natur der
Verteilung maritimer Beobachtungen, dafs sich aus ihnen nur annähernd
ozeanische Klimate bestimmen lassen.
Will man zu möglichst einwurfsfreien Ergebnissen gelangen, so zer-
lege man die den Segelrouten folgenden BeobachtungsstTeifen durch
Querstriche von gleichem Abstand in Querbänder oder Zonen, deren
jede, wenn jene Streifen nicht zu breit sind, als klimatisch einheitliches
Gebiet zu betrachten ist. Jede Zone umfafst dann die Beobachtungen,
die auf der Mitte und rechts und links der Bahn gemacht wurden.
Diese Methode ist schon häufig in den Arbeiten, welche sich auf das
im Archiv der Deutschen Seewarte befindliche Beobachtungsmaterial
stutzen, mit der aus praktischen Gründen gebotenen Modifikation be-
folgt, dafs die erwähnten Zonen von Breiten- oder Längengraden ein-
gefafst sind, also nicht immer senkrecht zur mittleren Kursrichtung
stehen ').
Die Methode, welche in manchen englischen und holländischen
Bearbeitungen Anwendung gefunden hat, solche Eingradfelder, deren
aus den Beobachtungen bestimmte klimatische Elemente ähnlich sind,
mit einander zu „ homogeneous areas“-) zu verbinden, ist nach den
vorigen Auseinandersetzungen nicht empfehlenswert; vielmehr sollten
’) Vgl. z. B. die Untersuchungen von Koppen und Sprung über die Regen-
verhältnisse des Atlantischen Ozeans (Ann. d. Hydr. VIII, 1 880, S. 130 IT.) sowie
manche Abhandlungen in den Veröffentlichungen: „Aus dem Archiv der Deutschen
Seewarte.“
*1 Remarks explanatory of the meteorological charts of thc ocean - district
mfjacent to thc Cape of Good Hope. London i88z. S. 7.
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96
Wilh. Meinardus:
gerade die Eingradfelder, deren klimatische Elemente durch die
Sortierung der Beobachtungen quer gegen die mittlere Segelroute
fälschlich unähnlich geworden sind, mit einander verbunden werden.
Aufser der gewissermafsen unwillkürlichen Auswahl der Beob-
achtungsorte, deren wir soeben gedachten, findet aber in manchen
Fällen auch eine willkürliche Auswahl statt. Es kommt der Führer
des Segelschiffs an gewissen Orten seiner Reise in die Lage, nach den
von ihm angetroffenen Windverhältnissen entscheiden zu müssen,
welche von mehreren möglichen Segelrouten er von da ab einzuschlagen
hat, um in kürzester Frist sein Ziel zu erreichen. Es wird somit je
nach den atmosphärischen Verhältnissen, welche an solchen Scheide-
wegen gerade von ihm beobachtet werden, entweder der eine oder
andere Teil des Ozeans, welcher vor ihm liegt, mit Beobachtungen
bedacht werden. Dieser Umstand dürfte von dem nachteiligsten, kaum
zu kompensierenden Einflufs auf die Gröfse des aus den Beobachtungen
ermittelten Gesamtergebnisses sein, zumal wenn in solchen Fällen von
allen Schiffern die Anweisungen desselben Segelhandbuches zu Rate
gezogen werden.
In dem von der Deutschen Seewarte herausgegebenen Segelhand-
buch für den Indischen Ozean wird z. B. empfohlen, dafs Schiffe, welche,
nach Häfen der hinterindischen Küste bestimmt, zur Zeit des
NO-Monsuns Acheen Head (Nordspitze von Sumatra) erreichen, östlich
der Nikobaren und Andamanen aufkreuzen, wenn der NO -Monsun
schwach, dagegen westlich in weitem Bogen ausholen sollen, wenn
der NO -Monsun stark entwickelt ist. Infolge dessen werden östlich
jener Inselreihe Beobachtungen gemacht, welche einem schwachen,
westlich dagegen solche, die einem starken NO - Monsun entsprechen.
Ein anderer erwähnenswerter Fall betrifft die Fahrt der Schiffe
auf der Heimkehr von den hinterindischen Häfen in den Monaten Mai
und Juni. Um diese Zeit segeln die Schiffe bei veränderlichen, meist
westlichen Winden mit nordsüdlichem Kurs über den Äquator bis auf
eine südliche Breite, wo sie den SO - Passat erreichen. Dann schlagen
sie einen neuen Kurs nach WSW ein. Die mittlere nördliche Grenze
des SO -Passats liegt im Mai in ctwra 40 s. Br. Diese Grenze ist aber
aufserordentlich weitreichenden unperiodischen Schwankungen unter-
worfen. Wenn nun ein Schiff den SO-Passat in einer sehr niederen
südlichen Breite antrifft, so wird es in dieser Breite bereits seinen Kurs
ändern und auf WSW setzen. Trifft es den Passat erst in einer
höheren Breite, so wird es bis zu dieser seinen meridionalen Kurs
beibehalten haben. Infolgedessen werden im westlichen Teil dieses
dem Äquator südlich benachbarten Gebiets die Beobachtungen haupt-
sächlich bei SO - Passatwinden , die im östlichen Teil bei veränder-
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»r Ti 1
Verarbeitung von raeteo rologischen Beobachtungen zur See.
97
liehen Winden gemacht, ohne dafs ein solcher Unterschied in den
klimatischen Verhältnissen beider Teile besteht.
Es sei gestattet, den letzt erwähnten Fall durch eine Tabelle zu
belegen, welche sich auf Beobachtungen an Bord deutscher Segelschiffe
gründet.
Mittlere Nordgrenzc des SO -Passats im östlichen Indischen Ozean
im Mai : 4 °.4 s. Br.
4° - io“ s. Br.
■
86° — 88°
88"— 90 c
0
N
r
*
92° — 94° ö. L.
Mittel
N
3
«3
7
19
II
NO
3
5
15
8 '
9
Procen-
O
8
5
16
*3
•5
tische
SO
«3
65
42
3»
5°
Wind- •
S
3
3
3
6
4
häufig-
SW
O
1
8
2
3
keit
W
O
3
I
4
2
NW
O %
1
I
O
I
Still
O
3
8
4
Windstärke . .
4-3
3-3
3-3
*•3
3-2
Temperatur . .
27.0
27.7
27.9
28.2
27.8
Bewölkung . .
5-o
6.0
6.0
6.0
S’9
Regenhäufigkeit %
48
29
26
25
29
Zahl der Beob-
achtungen . .
81
141
196
189
607
Man bemerkt die aus der Methode der Bearbeitung entspringende,
jedenfalls nicht in der Natur der Sache liegende Verschiedenheit der
klimatischen Elemente unter nahe bei einander gelegenen Meridian-
streifen. Durch die Zusammenfassung der Beobachtungen unter Ver-
nachlässigung der Länge (letzte Spalte der Tabelle) darf man hoffen,
dn einigermafsen zutreffendes Bild des Witterungscliarakters dieser
Breitenzone (4°— 10° s. Br.) zu erhalten. —
Die zweite Voraussetzung, welche bei der Verbindung meteorolo-
gischer Beobachtungen zwecks Ermittelung der klimatischen Konstanten
gemacht wurde, lautete: Gerade die Beobachtungen, welche an ver-
schiedenen Punkten und zu verschiedenen Zeiten in der Fläche ge-
macht wurden, eignen sich zur Bestimmung der klimatischen Mittel-
werte der Fläche. Durch die Einführung von Querbändern oder Zonen
ZÄizhr d GcielUch. f. Erdk. Bd. XXIX. 7
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98
W i 1 h . Meinardus:
ist zwar die Bedingung erfüllt, dnfs die an verschiedenen Punkten ge-
machten Beobachtungen zusammengehören und sich zur Bestimmung
des Klimas der Fläche eignen; aber es ist bisher unberücksichtigt
geblieben, dafs diese Beobachtungen zu verschiedenen Zeiten ge-
macht sind.
Im Gebiet einer Zone, worunter im folgenden ein den obigen
Voraussetzungen entsprechend gelegenes, klimatisch als einheitlich zu
betrachtendes Gebiet verstanden werden soll, wird keine fortlaufende
Beobachtungsreihe durch Monate, Jahre fortgesetzt. Nur wenn ein
Schiff die Zone kreuzt, werden den früheren Beobachtungen einige
neue hinzugefügt. Die Zahl der hinzugefügten Beobachtungen richtet
sich nach dem Aufenthalt des Schiffes in der Zone, der Aufenthalt in
erster I.inie nach der Gunst oder Ungunst der Witterung, also ist auch
die Zahl der neu hinzukommenden Beobachtungen eine Funktion der
gerade herrschenden Wittcrungsverhältnisse. Von jedem Schiff wird
eine solche Beobachtungsserie geliefert. Unter den zeitlich getrennten
„Serien" sind diejenigen die längsten, welche bestimmten, für das Fort-
kommen der Schiffe ungünstigen Wittcrungsverhältnissen entsprechen.
Aus der ununterbrochenen Folge der Witterungserscheinungen, welche
sich in der Zone ereignen, werden vorzüglich solche beobachtet, welche
die Fahrt der Schiffe verzögern. Bei der Bildung des arithmetischen
Mittels aller Beobachtungen fallen natürlich die langen Beobachtungs-
serien am meisten, die kurzen, welche günstigen Witterungsverhältnissen
entsprechen, am wenigsten ins Gewicht. Das Gesamtresultat wird
daher durch die von Seiten des beobachtenden Seefahrers unbewufste
Bevorzugung gewisser Witterungstypen und durch die Vernachlässigung
anderer beeinflufst, man erhält scheinbare klimatische Konstanten,
welche von den wahren abweichen.
Die Dauer des Aufenthalts in einer Zone hängt wesentlich von
der Richtung und Stärke des Windes ab, welchen der Segler antrifft:.
Gegenwinde, schwache, wenn auch günstige Winde, verlangsamen die
Fahrt. Deshalb werden in den Resultaten die procentischen Häufig-
keiten der Gegenwinde zu grofs ausfallen, die mittlere Windstärke
zu klein.
Von welchem Einflufs Windrichtung und Windstärke auf die Dauer
des Aufenthalts der Schiffe in einer Zone sein können, mögen zwei
Fälle zeigen, welche bei zwei deutschen Schiffen nach Ausweis ihrer
meteorologischen Journale eintraten. Beide Schiffe fuhren, auf der
Heimreise begriffen, um Mitte Mai 1887 mit nordsüdlichem Kurs über
den 2.° n. Br. in etwa 940 ö. L. Die Windbeobachtungsreihen, welche
auf den Schiffen während ihrer Fahrt zwischen jenem Parallelkreis und
dem 2.0 s. Br. geliefert wurden, sind folgende. Der Kürze halber ist
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Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen zur See. t)J)
nur die mittlere Windrichtung undWindstärke jedes Tages angegeben, als
Mittelwerte aus je sechs Einzelbeobachtungen.
Mai 1887.
1. VoIlschifF „Gustav und Oscar", Kapt. M. Seemann. J.-Nr. 2808.
Dat.
Mittagsort
Windrichtg.
Stärke
IO.
1 0 1 1 ' N. 940 42' O.
W
3- 7
1 1.
0° 14' S. 94c 48' O.
WSW
4.0
12.
i°27'S. 95° >3’ O.
WzS
2-3
18 Beobachtungen.
2.
Bark „Birma", Kapt. Fr. Hullmann. J.-Nr. 2827.
Dat.
Mittagsort
Windrichtg.
Stärke
16.
il 6 ' N. 94* 45' O.
SWzW
3-°
i7-
o° 17' N. 95° 12' 0.
SW
18.
o° 23' N. 940 48' O.
SWzS
1.2
x9«
o° 31' N. 940 S4r O.
Still
0
20.
0° 40' N. 94°S5'0.
NW
'•5
21.
0° 9' S. 94° 42' O.
SW
«•3
22.
0“ 24' S. 940 27' O.
4 N. u. 2 S.
«■5
23-
0“ 34' S. 94c 6' O.
Var. und Kalmen
°-5
24.
o° 47' S. 940 6' O.
Var. und SO
1.0
25-
i°i8'S. 930 381 O.
SO
2.1
26.
1 0 58’ S. 93° 8-0.
2 NO (2.5), 1 SO (2),
1 WSW (2).
65 Beobachtungen.
Das erste Schiff traf, wie man
sieht, beständige westliche Winde,
welche die
F'ahrt durch die vier
Breitengrade verhältnismäfsig rasch
von Statten
gehen liefsen. Das
zweite Schiff wurde
zuerst durch
widrige südwestliche Winde gehemmt und konnte, weil in den nächsten
Tagen keine beständige Ilriese sich aufthat, vielmehr veränderliche,
sehr schwache Winde und Stillen häufig wurden, keine Fahrt machen.
Durch das erste Schiff wurden die bereits vorhandenen Beobachtungen
nur tim 18, durch das zweite um 65 Beobachtungen vermehrt. Die für
die Fahrt nicht hinderlichen westlichen Winde, welche vielleicht noch
bis zum 16. Mai in der Nähe des Äquators geweht haben, kamen nur
an drei Tagen zur Beobachtung, werden also zu wenig F.influfs auf
das Gesamtergebnis haben, die schwachen veränderlichen Winde,
welche nach dem 16. eintraten, sind dagegen, wie wohl anzunehmen
ist, während des gröfsten Teils ihrer Dauer zur Beobachtung gekommen,
die werden unverhältnismäfsig stark das Gesamtergebnis beeinflussen.
Um die unnatürliche Anhäufung der Windhäufigkeits-I’rocente im
ungünstigen Quadranten zu verhüten, ist von den Engländern bei der
7*
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100
Willi. Meinardus:
Bearbeitung der in der Nähe vom Kap der Guten Hoffnung gemachten
Beobachtungen wie auch bei andern Gelegenheiten folgendes Verfahren
eingeschlagen1).
Alle Beobachtungsserien der oben beschriebenen Art, welche in
einem Eingradfeld geliefert sind, werden auf eine Länge reduziert,
indem jede Serie, mag sie lang oder kurz sein, als eine einzige Beob-
achtung in Rechnung gezogen wird, und die Einzelbeobachtungen jeder
Serie als Bruchteile der Einheit ins Gewicht fallen. Ein Schiff habe
bei der Fahrt durch ein solches Gebiet zwei W- und zwei NW-Winde
beobachtet, ein anderes zwei günstige SOAVinde. Dann würden die
zw'ei W- und die zwei NW-Winde mit je 0,5 (Summa 1,0), die zwei
SO-Winde mit 1,0 anzusetzen sein, und, falls weiter keine Beobachtungen
auf diesem Gebiet vorliegen, würden sich in Procenten: 25 W-, 25 NW-
und 50 SO-Winde ergeben, statt nach der sonst üblichen Berechnungs-
weise 33,3 W-, ebensoviel NW- und ebensoviel SO-Winde.
Folgende Bedenken dürften gegen diese Methode geltend zu
machen sein. Die Länge der Beobachtungsserien wird bei Anwendung
dieses Verfahrens nur als Funktion der Windrichtung, nicht auch der
Windstärke, der Richtung und Stärke der Meeresströmungen, der
Schiffsqualität, der im Eingradfeld zurückgelegten Wegstrecke, d h. von
Faktoren aufgefafst, welche neben der Windrichtung alle mehr oder
minder für die Aufenthaltslänge der Schiffe in einem Eingradfeld mafs-
gebend sind. Wenn ein Schiff z. B. das Eingradfeld in einer Ecke
auf kurzem Wege durchschneidet und deshalb in ihm nur eine
Beobachtung irgend einer Windrichtung macht, so wird diese Beob-
achtung ebenso schwer ins Gewicht fallen, als jene einzige Beobachtung
eines anderen Schiffes, welches eine günstige Windrichtung antraf und
aus diesem Grunde nur eine Beobachtung im Eingradfeld machen
konnte, oder als eine einzige Beobachtung eines guten Seglers, welcher
bei zwar ungünstiger Windrichtung, aber mit starkem Winde, das Ein.
gradfeld durchkreuzte u. s. w. Es sind eben ganz heterogene Ver-
hältnisse, welche die Gleichheit der Länge verschiedener Beobachtungs-
serien herbeifuhren können. Die Windrichtung spielt gar nicht immer
die Hauptrolle, und deshalb werden ganz beliebige Windrichtungen
bei der Berechnung nach jener Methode zu stark oder zu schwach ins
Gewicht fallen, je nachdem die andern genannten Faktoren sich für
die Fahrt des Schiffes günstig oder ungünstig gestalteten.
Durch die englische „Wägungsmethode“ (,process of wtigh/ing k)
werden dem vorigen zufolge die Windhäufigkeits-Procente den wahren
in sehr verschiedenem, von mannigfachen Faktoren abhängigem Mafs
lj Rcmarks explanatory u. s. w. S. 5.
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Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen cur See.
101
angenähert und in manchen Fällen selbst ferner gerückt werden. Es
mag deshalb doch wohl geratener sein, die direkt gewonnenen Werte
beizubehalten, wie es in den Veröffentlichungen der Deutschen See-
warte geschieht. —
Es ergiebt sich aus den angestellten Betrachtungen, dafs auch
durch eine endlose Vermehrung der Beobachtungen sich die aus ihnen
berechneten Werte der Windhäufigkeit einer „Zone“ den wahren Werten
nicht nähern, vielmehr gegen gewisse, von diesen abweichende Werte,
welche scheinbare genannt werden mögen, konvergieren. Atifserdem
treten aber bei allen klimatischen Elementen, welche mit der Wind-
richtung in Beziehung stehen, scheinbare Werte auf. Die barischen,
thermischen, nephischen, ombrischen und andere Windrosen geben an,
welche Funktionen der Luftdruck, die Temperatur, die Bewölkung,
die Regenverhältnisse u. s. w. von den Windrichtungen sind. Zwischen
je weiteren Grenzen sich diese Funktionen bewegen, d. h. je gröfser
die Amplituden der Windrosen sind, um so empfindlicher äufsert sich
der Eintlufs der scheinbaren Windverhältnisse auf die mittleren Werte
der erwähnten Elemente und zwar besonders, wenn die Kursrichtung
der Schiffe nach den extremen Richtungen der Windrose zeigt.
Gegenwinde werden häufiger beobachtet als günstige Winde. Die
Werte der Elemente , welche jenen Winden gemäfs den klimatischen
Windrosen entsprechen-, haben daher bei Bildung des arithmetischen
Mittels ein unnatürliches Übergewicht, die andern ein Untergewicht;
besonders in höheren Breiten, wo die Windrichtung veränderlich und
die Amplitude der Windrosen grofs ist, werden die scheinbaren Werte
von den wahren bedeutender abweichen als in den Tropen.
Aufser von der Windrichtung ist die Länge des Aufenthalts ejnes
Schiffes in einer Zone abhängig von der Windstärke; je geringer die
Windstärke, desto länger wird im allgemeinen die Beobachtungsserie,-
also werden auch die Wetterlagen , welche gleichzeitig mit geringen
Windstärken und Stillen aufzutreten pflegen, ihren Charakter in den
aus den Beobachtungen gebildeten Mittelwerten zu sehr ausprägen.
Anticyklonen, in deren Bereich die Windstärke gering und daher
die Fahrt der Schiffe verzögert zu sein pflegt, beeinflussen mit ihren
charakteristischen Witterungserscheinungen (hohem Luftdruck, extremer
Temperatur, geringer Bewölkung und Niederschlagsneigung u. s. w.)
das Gesamtergebnis und bedingen eine Abweichung der scheinbaren
Werte von den wahren in ihrem Sinn, welche allerdings dann noch
durch die früher geschilderten Einflüsse (Verhältnis der Windrichtung
zur Kursrichtung) verändert wird. Cyklonen, denen gewöhnlich eine
lebhaftere Luftbewegung eigen ist, vertreiben die Schiffe aus ihrem
Gebiet (mit Ausnahme der verhätnismäfsig wenigen Fälle, wo die
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102
Wilh. Meinardus:
Heftigkeit der Luftbewegung ein Reffen der Segel bedingt), so dafs nur
wenige Beobachtungen in der Flächeneinheit gemacht werden. Alle
den Cyklonen eigentümlichen Erscheinungen (niedriger Luftdruck, ge-
mäfsigte Temperatur, starke Bewölkung und Niederschlagsneigung u.s.w.)
sind in dem Gesamtergebnis zu wenig vertreten und drängen die schein-
baren Werte nach derselben Seite von den wahren ab, nach welcher
die Anticyklonen sie zu ziehen suchen. Jedoch wird auch diese Schlufs-
folgerung je nach der Kursrichtung der Schiffe zu verändern sein.
In der gemäfsigten Zone, wie überhaupt in solchen Gebieten,
deren Witterungsgeschichte durch einen häufigen Wechsel von
Anticyklonen und Cyklonen also auch von Windrichtung und Stärke
charakterisiert wird, müssen die erwähnten Verhältnisse, welche für die
Bestimmung der klimatischen Elemente nachteilig sind, sich am be-
deutendsten geltend machen.
Wenn von den ausreisenden Schiffen dieselben P.outen verfolgt
würden, wie von den heimreisenden und sich in beiden Richtungen
gleich viel Schiffe gleichzeitig bewegten, wäre zu hoffen, dafs die Un-
gleichheiten, welche günstige und ungünstige Witterungsverhältnisse
auf die Zahl der Beobachtungen ausüben, bis zu einem gewissen Grad
aufgehoben würden. Aber nur stellenweise fallen die Routen der Aus-
und Heimreise zusammen, nur in der Nähe der besuchtesten Häfen,
an den Vorsprüngen der Länder, welche sich zwischen Abfahrts- und
Bestimmungsort legen, scharen sich die Schifffahrtslinien zusammen.
Und auch an solchen Stellen pflegt die Richtung der Bewegung mit
den Jahreszeiten zu wechseln, so dafs nicht gleichzeitig von einer
gleich grofsen Zahl von Schiffen mit entgegengesetzter Kursrichtung
Beobachtungen gemacht werden. Die Ungleichheiten bleiben also
bestehen, welche zu einer Fälschung der Beobachtungsresultate führen.
Die mehrfach erwähnte zweite Voraussetzung, w'elche der Klima-
tologe bei der Bearbeitung maritimen Beobachtungsmaterials macht,
ist nach den voraufgehenden Betrachtungen nur teilweise erfüllt. Durch
eine passend gewählte Lage der Flächen (nämlich quer gegen die
mittlere Schiffsroute) werden zwar die Beobachtungen, welche zusammen-
gehören, mit einander vereinigt, aber die Beobachtungen selbst sind
vorzugsweise zu solchen Zeiten gemacht, wo die Witterung einen
bestimmten, dem Fortkommen der Schifte ungünstigen Charakter hatte,
und prägen daher eben diesen Witterungscharakter in den aus ihnen
abgeleiteten Mittelwerten in unnatürlicher Weise aus.
Die zeitliche Verteilung der Beobachtungen
Als von den Gesetzen die Rede war, welche die Lage der Verkehrs-
linien zur See bestimmen, wurde als einer der Hauptfaktoren die
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, it II ."> V1
Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen zur Sec.
103
mittlere Verteilung der vorherrschenden Luftströmungen angeführt.
Dieser Faktor ist mit der Jahreszeit veränderlich und hat eine jähr-
liche Periode.
Durch die jahresperiodische, pendelnde Bewegung der Sonne
zwischen den beiden Wendekreisen wird sowohl eine ähnliche, in
engere Grenzen eingeschlossene, periodische Bewegung der zur allge-
meinen Cirkulation der Atmosphäre gehörigen Windsysteme bewirkt,
als auch auf den Festländern und den ihnen benachbarten Meeres-
flächen jahreszeitlich wechselnde, monsunartige Luftbewegungen hervor-
gerufen. Infolge jener Verschiebungen und dieser Veränderungen der
Windsysteme ist auch die Lage der mittleren Schifffahrtslinien jahres-
zeitlichen Schwankungen unterworfen, welche einer gleichmäfsigen Ver-
teilung der Beobachtungen über das Jahr in einem bestimmten Gebiets-
teil sehr wenig günstig sind. Es bleiben Meeresflächen, welche in der
einen Jahreshälfte von zahlreichen Schiffen einer bestimmten Kurs-
richtung befahren werden, in der andern unberührt, weil nun die Wind-
verhältnisse für das Fortkommen der Schiffe jener Kursrichtung
hinderlich sind. F.s können dann aber Schiffe mit anderer Kurs-
richtung mit Vorliebe diesen Meeresteil aufsuchen. Mit der Änderung
der vorherrschenden Kursrichtung ändert sich die Differenz zwischen
den wahren und scheinbaren Werten der klimatischen Elemente, auch
sie unterliegt in solchen Gebieten einer jährlichen Periode.
Die jahreszeitliche Periode der Schiffs- und Beobachtungsfrequenz
in einem ozeanischen Feld ist ferner sehr wesentlich bedingt durch die
Abfahrtszeiten der Schiffe aus ihren Häfen. Die im Welthandel be-
wegten Produkte, deren Erzeugung und Verschiffung an gewisse
Epochen des Jahres gebunden ist, regeln die jährliche Periode eines
grofsen Teils des ozeanischen Verkehrs. Daher werden weite Meeres-
räume zu gewissen Zeiten des Jahres fast gänzlich von Beobachtungen
entblöfst, ihre Klimate der Forschung entzogen oder nur notdürftig
aus sporadischen, individuellen Charakter tragenden Beobachtungen
erkannt. Zu andern Zeiten können dann dieselben Meeresflächen von
ganzen Schiffsgeschwadern besucht sein und durch eine Überfülle von
Beobachtungen ausgezeichnet werden.
Man ist in der That berechtigt, bisweilen von einer Überfülle von
Beobachtungen zu sprechen. Es kommt nicht selten vor, dafs zwei
oder mehrere Schiffe gleichzeitig miteinander dieselbe Fläche befahren.
Es werden dann an jedem Termin zwei oder mehrere Beobachtungen
gemacht, welche im allgemeinen nahe übereinstimnien. Durch Mittel-
bildung aus den gleichzeitigen Beobachtungswerten ist deren Zahl auf
eins zu reduzieren und der Mittelwert in die gesamte Beobachtungsreihe
einzuführen.
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104
W i 1 h . M e i n a r d u s :
Sowohl die Zahl der jährlichen Beobachtungen als auch der Ver-
lauf ihrer jährlichen Periode an einem Ort des Meeres ist nicht kon-
stant, sondern von Jahr zu Jahr Schwankungen unterworfen; denn es
wechselt die jährliche Zahl der beobachtenden Schifte aus mannig-
fachen Gründen, und es verschieben sich die Phasen der jahreszeit-
lichen Periode der Schiffs- und Beobachtungsfrequenz uni halbe oder
ganze Monate, weil der Witterungscharakter der Jahre verschieden ist
und infolgedessen auch in dem einen Jahr die Fahrt der Schifte be-
schleunigt, in einem andern verzögert wird.
Der Wert der klimatischen F.lemente für die zwölf Monate und
das Jahr läfst sich nur aus einer grofsen , im allgemeinen mit der
geographischen Breite des Beobachtungsortes wachsenden Anzahl von
Beobachtungs-Monaten und -Jahren ermitteln , da der Witterungs-
charakter jedes Jahres und Monats bald mehr, bald weniger, bald in
diesem, bald in jenem Sinn von dem normalen abweicht. Diese Ab-
weichung wird auf den Beobachtungsplätzen des festen Bandes all-
jährlich aus einer konstanten Zahl von Beobachtungen bestimmt. Auf
den Beobachtungsflächen des Ozeans schwankt die Zahl der Beob-
achtungen mit den Jahren; es werden deshalb die Eigentümlichkeiten
der verschiedenen Jahrgänge mit ganz verschiedenem Gewicht auf das
Endresultat einwirken. Jahre und Monate, welche durch ungünstige
Windverhältnisse die Zahl der Beobachtungen in einer F'läche ver-
mehrten, prägen ihren Witterungscharakter im Jahres- oder Monats-
mittel besonders aus. Es finden hier dieselben Einflüsse auf die Ab-
weichung der scheinbaren von den wahren klimatischen Werten in
vielleicht verstärktem Mafs statt, die oben bereits erörtert sind.
Durch die Verschiebung der Phasen, welche der jährlichen Periode
der Beobachtungszahl angehören, fällt in dem einen Jahr das Maximum
der Beobachtungen auf diesen, in einem andern auf einen benachbarten
Monat. Wenn die Amplitude der Periode groß ist und Maximum und
Minimum vielleicht nur um zwei Monate auseinander liegen, kann die
Verschiebung der Phasen für gewisse Monate zur Folge haben, dafs
sie in dem einen Jahr um sehr viele, in dem nächsten um sehr wenige
Beobachtungen bereichert werden. Durch den Ausfall oder gering-
fügigen Anteil gewisser Jahre, die vielleicht denselben Witterungs-
charakter tragen, können die Monatsmittel nicht unbeeinflufst bleiben
und auch aus diesem Grund in bestimmter Richtung von den wahren
entfernt werden.
Die besprochenen Variationen der Beobachtungsverteilung nach
der Zeit machen sich in höheren Breiten ungünstiger geltend, als in
niederen, wo die mittleren Abweichungen der Monats- und Jahresmittel
klein sind.
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Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen zur See. 105
Um auch die zuletzt besprochenen, störenden Einflüsse durch ein
Beispiel zu erläutern, möge hier eine Tabelle Platz finden, welche die
zeitliche Verteilung der Beobachtungen, die auf deutschen Segelschiffen
in den sechs Jahren 1885 — 1890 auf dem Indischen Ozean in der Zone vom
2.'J bis 4.0 n. Br. und etwa zwischen 88.° und 96.0 ö. L. gemacht wurden,
darstellt.
Zahl der Beobachtungen an Bord deutscher Segelschiffe vom z.° bis
4 ° n. Br. und etwa 88.°
bis 96. 0
ö. L.
(Procente
der Gesamtzahl jedes
Monats).
1885
1886
1887
18S8
1889
1890.
Summe
Januar
7
*3
18
5°
8
4
764
Februar
1 2
'4
14
23
*3
M
343
März
IO
■4
«9
>4
29
14
871
April
*7
2 t
«5
2t
17
9
574
Mai
«3
‘5
23
32
8
9
271
Juni
34
23
16
3
23
1
!54
Juli
22
0
0
16
37
*5
128
November
«3
3«
15
«9
4
18
140
December
16
*5
28
16
11
14
378
In den
Häfen der hinterindischen
Westküste
pflegt sich zu
Beginn
des Jahres ein ansehnliches Geschwader deutscher Handelsschiffe zu
sammeln, um für die Heimat Reis zu laden. Nach dem Zeitpunkt
dieser Reisverschiffung richtet sich in erster J.inie die jahresperiodische
Verteilung der Beobachtungen im nordöstlichenTeil des Indischen Ozeans.
Wie aus der letzten Spalte der Tabelle hervorgeht, fällt zwischen 2.°
und 4.° n. Br. das Maximum der Beobachtungszahl auf Januar, wenn
die ausreisenden, und auf März, wenn die heimkehrenden Schiffe diese
Breitenzone kreuzen ; ein sekundäres Minimum im Februar trennt die
beiden Maxima, um diese Zeit laden die Schifte in den hinterindischen
Häfen. Das absolute Minimum fällt auf die Spätsommer-Monate; dann
pflegen fast gar keine Beobachtungen in diesem Meeresteil gemacht
zu werden. Eine auf deutsche Beobachtungen fufsendc Darstellung
der klimatischen Verhältnisse jenes Gebiets wird sich also schlechter-
dings etwa auf die Monate November bis Juli beschränken müssen.
Die obige Tabelle läfst ferner erkennen, dafs der Anteil der ein-
zelnen Jahre an der Gesamtsumme der Beobachtungen aufserordent-
lich verschieden ist. Die Summe der Zahlen jeder Horizontalreihe ist
auf 100 reduziert, jede Zahl giebt also an, wie viel Procente der in
der letzten Vertikalreihe angegebenen Gesamtzahl der Beobachtungen
in dem betreffenden Jahr geliefert wurden. Wären in jedem der sechs
Jahre (1885 — 1890) gleich viele Beobachtungen zwischen 2° und 4.0 n. Br.
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106
Wilh. Mcinardus:
angestellt, so würden alle Procentzahlen 1006=16*4 betragen. That-
sächlich finden aber ganz bedeutende Abweichungen statt, welche auf
mannigfache Ursachen zurückzuführen sind.
Wir heben einige charakteristische Erscheinungen hervor. Im
Jahr 1888 durchfuhr eine ungewöhnlich grofse Zahl von Schiffen
das Beobachtungsgebiet; infolge dessen werden die Witterungsverhält-
nisse des Jahres 1888 sich im Gesamtresultat besonders bemerkbar
machen. Im Januar entfallen sogar 50% aller in den sechs Jahren ge-
machten Beobachtungen auf jenes Jahr. Die Ursache dieser Erscheinung
liegt darin, dafs in dem genannten Monat ein grofses Schiffsgeschwader
durch widrige Winde auf der Fahrt nach Hinterindien gehemmt wurde;
daher häufte sich die Zahl der Beobachtungen, die Schiffe liefen ver-
spätet in die hinterindischen Häfen ein und traten später als gewöhn-
lich ihre Rückreise an. Eine Folge davon war, dals nun auch in den
Monaten April und Mai 1888 verhältnismäfsig zu viele Beobachtungen
in der hier betrachteten Breitenzone gemacht wurden. Es fand also
durch die Hemmung der Schiffe im Januar eine Phasenverschiebung
in der Jahresperiode der Beobachtungen statt, welche der Ermittelung
der wahren klimatischen Werte hinderlich sein mufs.
Eine ähnliche Phasenverschiebung trat im Jahr 1889 ein. Durch
ungünstige Windverhältnisse im südtropischen Teil des Indischen
Ozeans aufgehalten, kamen die Schiffe noch später als im vorauf-
gehenden Jahr, nämlich erst im Februar und März in das Beobachtungs-
gebiet, und ihre Rückreise fällt zum gröfseren Teil erst in die Monate
Juni und Juli. Die Witterungsverhältnisse der genannten Monate von
1889 beeinflussen demnach in überwiegendem Mafs das Gesamtergebnis.
Zusammenfassung.
Die Beantwortung der Frage: In welcher Weise sind die maritimen
meteorologischen Beobachtungen zu verbinden , um die Kenntnis
ozeanischer Klimate zu fördern? machte eine Untersuchung der räum-
lichen und zeitlichen Verteilung derartiger Beobachtungen notwendig.
Durch die Identität der Zahl von Beobachtungspunkten und Beob-
achtungen wird die Einführung einer besonderen Methode bei der
Verarbeitung maritimen Beobachtungsmaterials erforderlich. Nur die
Zusammenfassung von Flächenelementen, von einer grofsen Zahl von
Beobachtungen kann überhaupt zu Resultaten führen. Die Gröfse der
klimatischen Flächeneinheiten und ihre Lage kann nicht durch die
Einteilung des irdischen Gradnetzes bestimmt werden. Die Reisen der
Segelschiffe auf gewissen, nach mittleren Windverhältnissen festgelegten
Verkehrsstrafsen bedingen längs dieser Strafsen eine streifenförmige
Verdichtung der Beobachtungen. Durch die von einem einzelnen
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Verarbeitung von meteorologischen Beobachtungen zur See.
107
Schiff angetroffenen, besonderen, von den mittleren mehr oder weniger
abweichenden Windverhältnisse wird auch eine Abweichung der Route
dieses Schiffes von der mittleren herbeigeführt: der Beobachtungsort
■wird somit eine Funktion der zu beobachtenden Erscheinungen. F,s
findet ein Sortieren der Beobachtungen quer gegen die mittlere Schiffs-
route statt. Wenn man die Beobachtungsstreifen, welche den grofsen
Yerkehrsstrafsen folgen, durch Querlinien in Abschnitte teilt, erhält
man quer zur mittleren Segelroute liegende Beobachtungszonen, von
denen jede die gesonderten, aber zusammengehörigen Beobachtungen
in sich enthält. Diese werden dann bei der Berechnung der klima-
tischen Werte miteinander vereinigt. Die ermittelten Werte dürfen
für den Teil der Zone gelten, welcher der mittleren Segelroute am
nächsten liegt.
Die Länge der von einem Schiff in einer Zone gelieferten Beob-
achtungsserie hängt von der Dauer seines Aufenthalts in der Zone ab.
Diese wird in erster Linie durch die gerade angetroffenen Wind-
verhältnisse bestimmt. Damit wird auch die Länge der Beobachtungs-
serie eine Funktion der zu beobachtenden Erscheinungen. Gegenwinde,
geringe Windstärken verlängern die Serien. Bei der Mittelbildung
fallen diese Windverhältnisse und die ihnen entsprechenden Werte des
Luftdrucks, der Temperatur, der Bewölkung, der Niederschläge u.s.w.
zu stark ins Gewicht, sie werden gleichsam den wahren Werten
superponiert. Man gelangt zu scheinbaren Werten, die am wenigsten
von den wahren abweichen, wo Schiffe mit verschiedener und ent-
gegengesetzter Kursrichtung gleichzeitig verkehren.
Wegen der jährlichen Periode der Windrichtungen und der Schiffs-
reisen können weite Meeresflächen, die in gewissen Monaten von
Schiffen stark besucht werden, in andern ganz vereinsamen. Die Be-
stimmung der klimatischen Werte ist dann für einige Monate durch
eine grofse Zahl von Beobachtungen gesichert, für andere aber un-
möglich. Durch den ungleichmäßigen Anteil der Jahre an den Beob-
achtungen, durch Schwankungen in der jährlichen Periode der Beob-
achtungszahl werden die Ergebnisse namentlich dann ungünstig beeinflußt,
wenn, wie es in der Regel der Fall ist, jene Schwankungen durch
meteorologische Erscheinungen herbeigeführt werden.
Wir sind nicht in der Lage eine Methode anzugeben, wodurch
die zahllosen Fehlerquellen, deren Ursprung wir zu entdecken suchten,
vermieden werden könnten. Die mannigfachen Komplikationen der zu
einer Fälschung der Gesamt-Ergebnisse beitragenden Ursachen lassen
auch kaum die Hoffnung aufkommen, dafs jemals eine solche Elimi-
nationsmethode gefunden werden wird. Doch ist man vielleicht im
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108 Willi. Meinardus: Verarbeitung v. meteorologischen Beobachtungen r.ur See.
Stande, bessere Ergebnisse zu erzielen, wenn man dort, wo es die Fülle
von Beobachtungen gestattet, die synoptische Darstellung in den Dienst
der Klimatologie stellt. In der That kann man für manche Orte in
viel besuchten Meeren, wie dem Nordatlantischen Ozean, mit Hilfe von
Interpolationen aus synoptischen Karten die Werte der dargestellten
meteorologischen Elemente für jeden Tag bestimmen. Zwar wird der
Grad der Genauigkeit je nach der Zahl und Dichte der Beobachtungs-
punkte wechseln, jedoch werden durch eine hinreichend grofse Zahl
von Beobachtungen die Interpolationsfehler eliminiert. Auf diese
Weise lassen sich Mittelwerte bestimmen für jeden Monat und das
Jahr1).
Es würde sich verlohnen, die so aus einer gröfseren Zahl von Jahr-
gängen gewonnenen klimatischen Konstanten von Mceresteilen mit
denen zu vergleichen , welche nach der üblichen Methode berechnet
sind. Die Differenzen würden die Abweichungen der wahren von der»
scheinbaren Werten liefern. Auch würde vielleicht ein Mafs ftlr die
Gröfse dieser Abweichungen gewonnen werden können, wenn man die
aus Dampferbeobachtungen berechneten Werte mit den aus Segel-
schiffbeobachtungen berechneten vergleicht.
Zwar werden die durch solche Vergleiche ermittelten Abweichungen
nicht grofe sein, und die von uns angcstellten Betrachtungen berechtigen
keineswegs zu der Annahme, dafs die bisher errungene Erkenntnis
ozeanischer Klimate in wesentlichen Stücken durch die Anwendung
nicht einwurfsfreier Methoden gefälscht sein könne; aber bei der fort-
schreitenden Vervollkommnung der Methoden der Einzelbcobachtungen
und bei den wachsenden Ansprüchen an eine genaue, äquivalente Dar-
stellung der Erscheinungen durch Zusammenfassung der Einzelbeob-
achtungen scheint es notwendig zu werden, auf etwaige Unvollkommen-
heiten von bisher in Anwendung befindlichen Methoden mit gröfscrem
Nachdruck hinzuweisen und vor einer Überschätzung der Genauigkeit
von Ergebnissen zu warnen, selbst wenn sie durch eine ungeheure, stetig
wachsende Zahl von Einzelbeobachtungen gesichert erscheinen.
1 ) Vgl. z. B. W. Koppen, Untersuchungen über die Wittcrungsverhältnisse
zwischen dein Kelsengebirge und dem Ural in den Monaten Januar bis März 1*78.
„Aus dem Archiv der Deutschen Seewartc“ III, 1880. Nr. 5, S. 4f. und die von
der Deutschen Seewartc herausgegebenen synoptischen täglichen Wetterkarten für
den Nordatlantischen Ozean und die angrenzenden Länder.
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Im Verlag von W. H. Kühl, Berlin W. 8, Jägerstr. 73, erschien:
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der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
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schrift seitens der Gesellschaft Allergnädigst zu genehmigen geruht.
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bei Bestellung an den Generalsekretär.
Geographische Verlagshandlung Dietrich Reimer in Berlin
Soeben erschien:
Inhaber: Hoefer & Vobsen.
*
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des
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»
S
.*
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von dem ständigen Geschäftsführer des Centralansschusses
des Deutschen Geographentages
GEORG KOLLM,
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Mit 3 Abbildungen im Test und 2 Karten.
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4»
*
»
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•
i
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Soeben erschien im Unterzeichneten Verlag:
Cartier to Frontenac
A Study of Geographica! Discovery in the Inferior of North America in its
Histofical Kclations, 1534-1700. Illustrated with Maps, Plans, &c. 8°. cloth.
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Sampson Low Marston & Co.. Ld., London E.C.
1
Nachrichten Uber Geophysik. Heft I n. 2 sind erschienen; Heft 3, gleioh den
vorausgehenden eine Anzahl wertvoller Artikel enthaltend, erscheint im April.
Preis des Jahrganges (12 Nummern) 8 Mark.
Probehefte gratis.
Zu beziehon durch alle Buchhandlungen oder direkt von der Redaktion
und Administration.
Wien XV, Pouthongasse 2.
Joh. F. Fehlinger.
Für die Redaktion verantwortlich: Hauptmann a. D. Kol Im in Charlottenburg.
Selbstverlag der Gesellschaft für Erdkunde.
Druck von W. Poem etter In Berlin.
MUS. COMP 2QOL
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXIX — 1894 — No. 2.
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt.
Seite
Stadien über das Klima Spaniens während der jüngeren TeTtifirperiode
und der Diluvialperiode. Von AlbrechtPenck 109
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Lina Dscbebel Bercket.
Von Martin Hartmann. (Hierxu Tafel 3) 14a
LONDON E. C.
SAMPSON LOW & Co.
Fleet-Street.
BERLIN, w.s.
W. H. KÜHL.
£ 1894.
PARIS.
H. LE SOUDIER.
<74 & 176. Boul. St. Gcrmain.
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1894.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1894 - Band XXIX (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1894 — Band XXI (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M.t Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogen bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
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Die Gesellschalt liefert keile So nderabxüge; jedoch steht es den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassung jeglicher persön liehen Adresse an die :
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90“,
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Btttow, Berlin W. Leipziger Platz 13, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstraise 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — 12 Uhr Vorm, und von
4 — 8 Uhr Nachm, geöffnet.
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Geographische Verlagshandlung Dietrich Reimer in Berlin,
Inhaber: Hoefer & Vohsen.
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maris Aegaei. No. XV. Graecia seplcntrionalis. No. XVII. Ulyricum
el Thracia. No. XXVI. Insulae Britannicac. No XXVII. Hispania.
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Studien über das Klima Spaniens während der jüngeren
Tertiärperiode und der Diluvialperiode.
Von Albrecht Penck
Uber die Ursachen der mannigfaltigen klimatischen Veränderungen,
welche Mittel-Europa seit der Mitte der Tertiärperiode erfahren hat,
wird man erst dann volle Klarheit erhalten, wenn man ihren Wirkungen
über gröfsere und zwar verschieden gelegene Teile der Erdoberfläche
nachgespürt hat. Die Pyrenäen-Halbinsel bietet in. dieser Hinsicht ein
noch wenig untersuchtes Arbeitsfeld. Ihre Nachbarschaft zu Afrika
läfet mutmafsen, dafs, falls das wärmere Klima, welches Mittel-Europa
während der Miocän -Epoche genofs, durch eine Verschiebung der
klimatischen Zonen bedingt war, auf ihr afrikanische Zustände
herrschten. Unter gleicher Voraussetzung mufste sich auch die Eiszeit
auf ihr durch ein Klima höherer Breiten geltend machen, welches auf
den zahlreichen Gebirgen des Landes Vergletscherungen zur Folge
hatte. Dabei bietet die Thatsache, dafs die Halbinsel als solche be-
reits seit der mittleren Tertiärperiode besteht und im Westen schon
seit älterer Zeit ununterbrochen vom Atlantik bespült wird, einen festen
Faden , um die Einzelheiten in den Erscheinungen zu einem Gesamt-
bild zu verknüpfen. Wenn wirklich grofse Verschiebungen der Klima-
gürtel eingetreten sind, so wird man in den nördlich und südlich be-
findlichen Gestadeländern des Atlantik gegenwärtige Analogien zu
den früheren Zuständen der Halbinsel finden und so feststellen können,
um welche Beträge die Klima-Zonen längs der Ufer eines Ozeans
wanderten.
Diese Erwägungen liefsen mich mit Freuden die Gelegenheit be-
grüfsen, welche mir der 1892 in Huelva abgehaltene Amerikanisten-
Kongrefs zu einer Bereisung Spaniens bot.
Es erschien mir als das zweckmäfsigste, mit meinen Untersuchungep,
welche durch mancherlei Gründe erschwert und teilweise vereitelt
worden sind, an jene Arbeiten anzuknüpfen, die ich 1883 in den West-
Pyrenäen ausführte und damals auf die Ost-Pyrenäen nicht ausdehnen
konnte. Der erste Teil der nachfolgenden Arbeit ist daher eine Fort-
Zciuchr. d. GntlUch. f. Erdk. Bd. XXIX. 8
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1 JO Albrecht Penck:
Setzung meiner Studie über die „Eiszeit in den Pyrenäen“1). Die beiden
anderen Teile beschäftigen sich mit den tertiären und diluvialen Ab-
lagerungen Central - Spaniens, welche eingehend gewürdigt werden
müssen, um die stattgehabten Klimaänderungen zu erkennen. Was
tüchtige spanische Geologen Uber das Tertiär der Halbinsel an Beob-
achtungsmaterial veröffentlichen , vermag ich im Folgenden nicht zu
erweitern, und ich mufs mich beschränken, einen abweichenden Stand-
punkt hinsichtlich der Erklärung jener Gebilde zu entwickeln; dagegen
kann ich den Beobachtungsschatz jener vortrefflichen Forscher über
das Quartär durch einige Angaben vermehren.
I. Die Eiszeit in den Ost-Pyrenäen nebst Bemerkungen über
den Thalzug von La Perche.
Seit Veröffentlichung meiner „Eiszeit in den Pyrenäen" sind nur
wenige Arbeiten über diesen Gegenstand erschienen. Trutat*) hat
ganz kürzlich in seiner Schilderung der Pyrenäen auch eine Dar-
stellung der alten Gletscher des Gebirges gegeben, welche ersichtlich
nur auf älteren Beobachtungen beruht, ohne von den 1883 veröffent-
lichten Daten und Ansichten Notiz zu nehmen, wogegen Camena
d’Almeida in seiner vorzüglichen Erforschungsgeschichte der Pyrenäen
sich vornehmlich auf jene stützt3). Die damals offen gelassene Lücke
über die Ost-Pyrenäen besteht also noch heute, und um sie wenigstens
in einigen Umrissen auszufüllen, durcheilte ich die Thäler der Ariöge
und von Andorra sowie den langen Thalzug von La Perche, wobei
ich mich der Begleitung meines Freundes E. Brückner erfreute. In
Perjjignan glückte es mir, meinen Freund J. Partsch zu treffen,
welcher dieselbe Route, wie ich, bereits zurückgelegt hatte, und mit
ihm gemeinsam machte ich genufsreiche Exkursionen um Prades.
Im Ari6ge-Thal befindet sich, ebenso wie in den anderen Thälern
der Nord-Pyrenäen, eine Schotterterrasse, die nach Norden in den Thal-
boden einsinkt, nach Süden aber mehr und mehr ansteigt, bis sie jäh
auf hört, worauf Gletscher -Erscheinungen sich entwickeln. Man sieht
jene Terrasse noch bei dem malerisch gelegenen Foix, weiter oberhalb
ist sie noch unverkennbar bis zur Mündung des Scios oberhalb Mont-
gaillard; dann hört sie mit einem Mal auf, und bereits beim Weiler
Garrabel zwischen St. Paul und Mercus bemerkt man Gletscherschliffe
und Moränen, welche nunmehr öfters, namentlich zwischen Verdun
*) Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig. 1883. S 163 und in
Sondcr-Ausgabe. Leipzig 1 884-
2) I-es Pyrint'cs. Paris, Bailliire, 1894- S. 78.
*) Les Pyrences. Düveloppement de la connaissancc güographique de la cliaine.
Paris, Armand Colin. O. J. (1893). S. 319.
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Klima Spaniens wahrend der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. ] J ]
und Ax-les-Thermes sichtbar werden. Hiernach mnfs das Knde des
Ariöge-Gletschers weiter oberhalb, als früher von mir nach älteren
Quellen verzeichnet, angesetzt werden. Es ist nicht bei Foix, sondern
6 km w'eiter thalaufwärts, unfern St. Paul, zu suchen.
Recht ausgedehnt sind auch die Gletscherspuren im oberen
Ariüge-Thal entwickelt Südlich von Ax-les-Thermes erstreckt sich eine
förmliche Rundhöcker-I.andschaft ; Endmoränen- Wälle aber queren das
Thal erst in seinen obersten Verzweigungen in der Gegend von Hospi-
talet, ein postglaciales Ruhestadium in der Vergletscherung andeutend.
Ausgedehnte Moränen auch bekleiden den Nordabfall des Col de
Puymorens, auf dessen Höhe I.eymerie1) bereits früher Granitblöcke
beobachtete. Dieselben scheinen anzudeuten, dafs der iqoo m hohe
Pafs vom Eis überschritten wurde. Mutmafslich war es der Ari6ge-
Gletscher, welcher in das Carol-Thal tiberflofs. Das würde etwa
600 m für seine Mächtigkeit ergeben.
Im Thal des Valira, des Hauptflusses der kleinen pyrenäischen
Republik Andorra, wurden nicht selten Gletscherspuren gesehen. Hei
Saldeu (1855 m) liegen zahlreiche erratische Blöcke umher, bei Canillo
(1550 m) wird es von einem Endmoränen -Wall gequert, der Hauptort An-
dorra^, Andorra Vella, selbst liegt südlich von einem über und über
abgeschliffenen Rundhöcker, am gegenüberliegenden Thalgehänge sieht
man mindestens 200 m über I.as Escäldas eine Ufermoräne sich entlang
ziehen, welche, wie man mir erzählte, vor einem Thal unweit San
Miguel einen kleinen See aufstaut. In Nebenthälern aufgestaute
Schotter wurden auch schon weiter oberhalb, links von Encamp ge-
sehen. Bis 3 km unterhalb des Dorfes Andorra lassen sich die Find-
linge verfolgen, nämlich bis an den breiten Schuttkegel von Sa. Coloma
(1000 m); dann folgen abwärts Überreste von Schotterterrassen. So
hält sich denn der Valira -Gletscher Andorras genau in den Grenzen,
die bereits 1864 E. Dupont*) aufgefunden. Er entfernt sich, in der
Luftlinie gemessen, nur wenig über 20 km vom Pyrenäen-Kamm und
steigt bis 1000 m herab, während das Ende seines Gegenübers, des
Ari£ge - Gletschers, 30 km weit vom First des Gebirges, in nur 450 m
Meereshöhe lag. Entschieden war der Gletscher der Südseite weit
kleiner als der der Nordabdachung, und es müssen bereits während
der Eiszeit die beiden Abdachungen der Pyrenäen klimatisch ver-
schieden begünstigt gewesen sein.
*) Kicil d’une exploration giologique de la v.illee de la Segre. Bull Soc
Geolog. (1) XXVI. 1869. S. 604.
- ) Sur divers phdnomdnes diluviens observes dans lc ddpartement de TAritrge
et quelques vallees voisines. Annal. des Mines (4) V. 1844* S. 481.
8*
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112
Albrecht Penck:
Der Ostflügel der Pyrenäen wird von einer auffälligen Tiefenlinie
schräge geschnitten, die im Norden durch den Lauf der TSt, im Süden
durch den des Segre hervorgehoben wird. Die Thäler beider Flüsse
sind vollständig gegeneinander geöffnet und verwachsen über dem
1622 m hohen Col de la Perche zu einem einzigen grofsen Thalzug,
welcher den WNW streichenden Hauptkamm der Pyrenäen von der
WSW gerichteten Kammflucht des Canigou (2785 m), des Puigmal
(2909 m) und der Sierra de Cadf (2638 m) scheidet. Im Westen, wo
den Jurakalk-Mauern der letzterwähnten Sierra an der einen Seite des
Thalzuges die Granitberge der anderen Seite gegenüberstehen, macht der-
selbe einen ähnlichen Eindruck, wie irgend eines der grofsen ostalpinen
Längsthäler zwischen Kalk- und Central-Alpen ; in der Mitte und im
Osten dagegen, wo beide Flanken aus denselben Gesteinen bestehen,
erinnert dieselbe eher an die breiten Thalzüge der rhätischen Alpen,
ähnelt z. B. dem Engadin, und speziell die Landschaft um den Col de
la Perche gemahnt an die Szenerie um Reschen-Scheideck , nur dafs
eine Ortler-Aussicht fehlt.
In ihrer Längserstreckung zerfällt der in Rede stehende Thalzug,
welcher am besten nach dem Perche-Sattel benannt wird, in mehrere
deutlich von einander gesonderte Becken. Gegen Osten verschmilzt
er mit dem Tech-Thal zu den nur 100 m hoch liegenden Ebenen des
Roussillon; in der Mitte erweitert er sich zu der nahezu 30 km langen
und bis 6 km breiten, 1050 — 1500 m hoch gelegenen Ebene der Cerdana,
im Westen endlich verbreitert er sich um La Seo de Urgel (700 m) zu
einem dritten Becken an der Mündung des aus Andorra kommenden
Valira-Thales. Die beiden letzterwähnten Becken werden zwischen Bellver
und La Seo durch einen 25 km langen, zum Teil schluchtartigen Durch-
bruch des Segre verbunden. Derselbe wird von breiten, vielfach zer-
schnittenen Felsterrassen begleitet, welche dem F'lufsgefäll entgegen
nach Westen hin ansteigen, dermafsen, dafs sie zunächst nur 100 m,
später bei der Brücke von Bar 300 m, endlich bei Vilanova sich fast
500 m über den Segre erheben.
Zwischen der Cerdana und den Flbenen des Roussillon endlich
stellt die Tßt eine Verbindung her. Sie fliefst zunächst quer über den
nördlichen Ausläufer der Cerdana, hart am Col de la Perche vorüber,
dann tritt sie in einen engen , ungemein malerischen Durchbruch ein,
durch welchen sie unterhalb l’rades die Ebene des Roussillon erreicht.
Auch dieser Durchbruch ist, wenigstens von Olette an, von Terrassen
begleitet, die sich 400 — 500 m hoch über den F'Iufs erheben.
Schräg zum Schichtstreichen verlaufend, kann der Thalzug von
La Perche nicht mit der Faltung der Pyrenäen in Zusammenhang ge-
bracht werden. Er ist zweifellos erst nach der eigentlichen Gebirgs-
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. 1 ■ I. • .
Klima Spaniens während der Tertiärpetiode und der Diluvialperiode. 113
bildung, welche bis in die ältere Tertiärperiode gedauert hat, ent-
standen. Dessenungeachtet besitzt er ein hohes Alter, denn seine becken-
förmigen Erweiterungen werden von jüngerem Tertiär eingenommen.
Längst schon kennt man die Braunkohlen, welche in der Cerdaiia
nahe dem Nord- und Südende der Ebene ausgebeutet werden". Darüber
lagern lebhaft gefärbte, rote oder braune Thone mit zahlreichen meist
eckigen Gesteinstrümmern. Man sieht dieselben in der Gegend von
Saillagou.se in der französischen Cerdagne, dann den Segre abwärts häufig,
namentlich in der Gegend von Bellver. Diese roten Thone kehren
im Becken von La Seo de Urgel wieder, sie bilden hier den Hügel,
welcher die schwächliche Festung trägt. Längs des Durchbruches
fehlt das Tertiär am Segre, es scheint jedoch auf den Höhen der
Terrassen vorzukommen, wenigstens hörte ich in Martinet von mehreren
Braunkohlen-Funden auf der Höhe der Terrasse.
Die Braunkohlen-Formation der Cerdaiia ist zu mehreren Malen,
am vollständigsten 1885 von Ch. Depdret und L. Rö rolle, be-
schrieben worden'). Beide Autoren kommen zu dem Schlufs, dafs eine
den Eppelsheimer Sanden und den Oeninger Kalken äquivalente Bil-
dung vorliege, und ihr Ergebnis ist durch die spätere Auffindung von
Dinotherium bavaricum bestätigt worden2). Sie schreiben den Ab-
lagerungen einen lakustren Ursprung zu. Darnach müfste man das
Kohlenlager auf die Zusammenschwemmung von Holz aus benachbarten
Gebieten zurückfuhren , wie sich solches in kleinen Gebirgsseen auch
wirklich ereignet5). Allein mit dem Holz wird auch Schlamm in die
Gebirgsseen hineingespült und dieser schlägt sich als Kruste auf den
herbeigeschleppten Baumstrünken nieder, was man fast allenthalben in
den grofsen und kleinen Alpenseen wahrnehmen kann. Diese vege-
tabilischen Substanzen kommen in der Uferzone, bei kleinen Seen auch
in der Mitte zwischen den Sedimenten zur Ablagerung, nirgends aber
ist bislang am Boden eines grofsen und breiten Gebirgssees eine solche
Ansammlung von vegetabilischer Substanz angetroffen worden, dafs
dieselbe ein Kohlenlager bilden würde. Alle die neueren Auslotungen
der Alpenseen wiesen an deren Grund nur Schlamm, nirgends Holz-
massen nach. Wenn aber die Braunkohlenformation der Cerdaiia
lakustren Ursprungs ist, so müfste. sie einem grofsen See entstammen,
■) Note sur la Geologie et sur les Mammifires fossiles du bassin lacustre miocine
supdrieur de la Cerdagne. Bull. Soc. G£ol. de France (3) XIII. 1884/8$* S. 488.
2) L. M. Vidal, Resena geolögica y minera de la provincia de Gerona. Bol.
Map. Geol. Espana. XIII. 1 886. S. 1.
2) Vgl. hierzu die von B. Studer an C. v. Leonhard berichteten Beob-
achtungen am Lungern-See. Neues Jahrb. f. Min. und Geol. 1836. S. 699.
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114
Albrecht Pcnck:
und unter Bedingungen entstanden sein, die gegenwärtig sich nicht
wiederholen.
Die Hauptablagerungsstätten pflanzlichen Materials sind jetzt die
Sümpfe, nämlich teils die Torfmoore, teils die bewaldeten Swamps,
wie solche namentlich in Nord-Amerika manche Flufsläufe begleiten.
Für eine analoge Entstehung der Kohlenflötze der Cerdana spricht
das Vorkommen zahlreicher gut erhaltener Blätter. Zarte Blätter, wie
sie R Grolle beschreibt, halten keinen weiten Transport aus, ihre gute
Flrhaltung macht wahrscheinlicher, dafs sie in kleinen Lachen, die
keinem Sumpf fehlen, abgelagert wurden, als dafs sie Kilometer weit
in einen grofsen See hineingeschleppt wären. In gleiche Richtung
weisen die Knochen landbewohnender Tiere in den die Kohle be-
gleitenden Thonen. Wenn auch zweifellos Kadaver gelegentlich in
Seen hineingeschwemmt werden, so ist dies doch immerhin ein seltener
Fall, dagegen versinken häufig grofse Tiere leicht in sumpfigem Boden,
und die Torfmoore sind es dementsprechend auch, welche z. B. die
vollständigsten Funde eiszeitlicher Tiere enthalten. Nach alledem
möchte ich mir die Cerdana während der Kohlenbildung weniger als
einen See vorstellen, denn als ein versumpftes Thal mit reichlichem
Pflanzen wuchs und zahlreichen Altwassern, so etwa wie das heutige
Enns-Thal oberhalb des Gesäuses.
Mit Recht sondern Depöret und Rtlrolle von der eigentlichen
Braunkohlenformation der Cerdana scharf den hangenden roten Lehm,
welcher noch keine Fossilien geliefert hat. Derselbe erinnerte sie an
die obermiocänen (bzw. unterpliocänen) Lehme des Rhone-Thals und
von Pikermi, und sie möchten ihm, gleich den letzteren, einen halb-
kontinentalen Ursprungzuschreiben; zweifellos zeigt er eine Veränderung
in der Landschaft an: die üppige Vegetationsdecke verschwand vom
Thalgrund, von den benachbarten Höhen schwemmten die Bäche
steinigen roten Verwitterungslehm herab und häuften ihn im Thal in
Gestalt grofser flacher Schuttkegel an.
In welcher Richtung jenes alte Thal entwässert wurde, werden
nähere Untersuchungen über das Material seiner Sande und Lehme
möglicherweise aufhellen können. Jedenfalls aber haben seither
Störungen seines Gefälles stattgefunden; denn die Braunkohlen-Formation
der Cerdana ist sichtlich disloziert worden, sie steigt sowohl nach
Osten wie nach Westen hin an , wahrscheinlich hat sie sich einst
ununterbrochen bis nach La Seo de Urgel erstreckt, denn wenn sie
auch heute zwischen Bellver und der genannten Stadt noch nicht
nachgewiesen ist, so zeigen doch die über dem Flufs befindlichen Fels-
terrassen an, dafs einst ein breiter, nunmehr dislozierter Thalboden
sich hier erstreckte. Den Segre - Durchbruch hat man darnach als
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiodc. 115
einen Einschnitt des Stromes in einen gehobenen Gebirgskörper zu
betrachten; Flufsgerölle, welche sich an mehreren Stellen, z. B. bei
Martinet, 25—30 m über den Segre verfolgen lassen, sprechen für dessen
allmähliche Arbeit.
Die Ablagerungen des Beckens vom Roussillon unterscheiden sich
merklich von denen der Cerdana1). Hier sind ganz enorme Geröll-
massen zur Ablagerung gelangt, die ältesten im Meer, die jüngeren
auf dem Land. Die Fauna jenes Meeres macht zweifellos, dafs die
Geröllbildung während der wahren, echten Pliocänzeit begann, und
zwar zu der Zeit, als sich die Thone von Piacenza in Italien ab-
lagerten, also entschieden später als die Bildung der Braunkohlen
in der Cerdana; Säugetierfunde in ihr machen zweifellos, dafs sie
noch fortdauerte, als Mastodon arvenensis seinen Einzug im Arno-Thal,
im Languedoc und in der Auvergne gehalten hatte (Asti-Stufe). Die
Terrasse, welche im Tet-Thal bei Olette einsetzt, besteht gleichfalls
aus Geröllmassen , die zu einer sehr losen Nagelfluh verkittet sind
und auf französischen geologischen Karten als Diluvium angegeben
werden. Dieselben erfüllen ein altes, einige hundert Meter tiefes Thal
neben der heutigen Töt; nach ihrer Ablagerung haben noch Schicht-
störungen stattgefunden, sie fallen deutlich südwärts und dürften daher
dem Tertiär zuzuzählen sein. In manchen Lagen sind ihnen ganz
riesige Blöcke, namentlich von Granit eingebettet.
Bis zu röoom Höhe ansteigend, bietet der Thalzug der Perche
ausgezeichnete Gelegenheit, Einblick in die Entwicklung des eiszeit-
lichen Glacialphänomens in den Ost-Pyrenäen zu nehmen. Während
man nun aber in den Thälern der Nord-Pyrenäen zwischen Saison und •
Aridge die alten Gletscherspuren bis 470m herab verfolgen kann, ist
der lange Thalzug zwischen La Seo de Urgel und Prades an keiner Stelle
von Gletschern erfüllt gewesen. Nirgends finden sich im Segre-
Durchbruch unterhalb Bellver erratische Blöcke, nirgends, wie bereits
Leymerie*) hervorhob, Moränen auf dem Tertiär der Cerdana; was
Depdret und Rerolle von Puigcerda als solche beschrieben, ist
lediglich ein deutlich geschichteter, aus gut gerollten Gesteinen be-
stehender Diluvialschotter, mutmafslich zwar eine fluvioglaciale, aber
sicher keine glaciale Bildung. Moränen endlich fehlen auch selbst auf
I) Depdret, Note sur la Geologie du bassin du Roussillon. Bull. Soc. Geol.
de France (3) XIII. 1884/85. p. 462. — Description gdologique du bassin tertiaire
da Roussillon. These, fac. Sc. Paris 1885 und Annales des Sciences Geologiqucs.
XVII. 1885. — Sur l’importance et la durdc de la periode plioedne. Compt.
Read. CIII. 1886. S. 1208.
*) Rdcit d’une exploration gdologique de la valide de la Sdgre. Bull. Soc.
Gdol. de France (2) XXVI. 1869. S. 604 (628).
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116
Albrecht Pcnck:
dem Col de la Perche, und bis gegen Olette hin kommt man im Tet-
Thal nirgends dazu, Glacialbildungen zu mutmafsen. Lediglich vor
dem Ausgang einiger von Nordwesten kommender Thäler sieht man
Moränenwälle, die bereits von Charles Martins1) als solche erkannt
worden sind: so z. B. vor dem Thal von Carol, nördlich Puigcerda,
vor jenem von Angoustrine, namentlich aber unfern Mont -Louis im
obersten Tet-Thal.
Diese Thatsache ist für Bestimmung der eiszeitlichen Schneegrenze
in den Pyrenäen wichtig. Alle Gletscher erstrecken sich mit ihren
Zungen bis unter die Grenze des ewigen Schnees, und zwar um so
mehr, je gröfser sie sind; wenn also die Pyrenäen-Gletscher den Perche-
Thalzug nicht zu erfüllen vermochten, so mufs dieser durchweg unter der
eiszeitlichen Schneegrenze gelegen gewesen sein, und letztere mufs
sich in nicht unbeträchtlich gröfserer Höhe als 1600 m befunden haben.
Zur näheren Bestimmung ihrer Lage kann der 18 km lange Töt-
Gletscher dienen. Derselbe lehnte sich an ein Gehänge von 2600 m
mittlerer Höhe und endete bei Mont -Louis 1650 m hoch, wo seine
Endmoränen bis 1750 m Höhe ansteigen. Eine solche Entwickelung
weist auf eine Höhe der Schneegrenze von nennenswert über 2000 m,
während sie in den mittleren Pyrenäen zu etwa 1700 m Höhe be-
stimmt wurde, in den westlichen aber entschieden noch weit tiefer lag.
Barg doch hier das Thal der Saison einen 8 km langen Gletscher, der
bis 580 m Höhe herabstieg, und dabei steigt die Umwallung der ver-
gletscherten Thalstrecke nur auf etwa 1600 m an8). Hier mufs die eis-
zeitliche Schneegrenze also ebenso wesentlich unter 1600 m Höhe ge-
• legen gewesen sein, wie am Col de la Perche darüber.
Kurowski®) zeigte, dafs man aus der Höhenentwicklung eines
Gletschers auf die Lage der Schneegrenze schliefeen kann. Dieselbe
befindet sich im Niveau der mittleren Höhe der Gletscher-Oberfläche.
Stellt man sich nun die Gletscher als dreieckige, gleichmäfsig von ihrer
Zunge nach ihrer Umwallung hin ansteigende Flächen vor, so kann
man nach einer einfachen Formel ihre mittlere Höhe berechnen4).
Dieselbe ergiebt sich für den Saison-Gletscher zu rund 1300 m, für den
1 ) Note giologique sur la vallec du Vernct et la distinclion des fausses et des
vraies moraines dans les Pyr^nees orientales. Bull. Soc. Geolog, de France (2)
XI. 1854. S. 442.
8) Vgl. die Eiszeit in den Pyrenäen. S. 47. Die auf S. 44 angegebene Höhe
der Umwallung des Saison-Gletschers bezieht sich nur auf den angrenzenden Pyre-
näen-Kamm.
®) Die Höhe der Schneegrenze mit besonderer Berücksichtigung der Finster-
aarhorn-Gruppe. Geogr. Abh. V. 1. Wien 189t. S. 115.
■*) Penck, Morphologie der Erdoberfläche. Stuttgart 1894- Bd. I. S. 40.
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. ] 1 7
Tet-Gletscher zu 2280 m, für den benachbarten, wahrscheinlich aber über
den Col de Puymourens durch den Ariege-Gletscher gespeisten Carol-
Gletscher zu 2180 m. Hiernach ist für die Eiszeit ein beträchtliches
Ansteigen der Schneegrenze in den Pyrenäen nicht blofs von Nord
nach Sud, sondern namentlich auch von West nach Ost anzunehmen.
Auch die letztere Thatsache wiederholt sich in der Gegenwart. Der
Pic d’Anie (2502 m) im Westen trägt stets gröfsere Schneeflecken,
gänzlich verschwinden dieselben im Osten vom 290g m hohen Puigmal.
Letzterer liegt entschieden unter der heutigen Schneegrenze, ersterer
taucht in dieselbe hinein, sodafs auch ihr ein Anstieg von 500 — 600 m
von West nach Ost zuzuschreiben ist.
Während der Mangel an Gletscherspuren auf dem Col de la Perche
bereits mehrfach hervorgehoben worden ist, wird zugleich des öfteren
von dem Vorhandensein solcher im unteren Tet-Thal gesprochen. Be-
reits Max Braun *) beobachtete hier Moränen, Ch arles Mart i ns fand
hier neben pseudoglacialen Bildungen echt glaciale, und kürzlich er-
wähnte Trutat die letzteren. Braun und Martins stimmen darin über-
ein, dafs die Moränen nicht von einem Töt-Gletscher, sondern einem
Canigou-Gletscher herrührten, welcher dementsprechend auf der Karte
der eiszeitlichen Gletscher in den Pyrenäen verzeichnet wurde, obwohl
dessen Entwickelung keineswegs im Einklang mit der hohen I.age der
Schneegrenze in den Ost-Pyrenäen steht. Es wurde daher die Unter-
suchung der einschlägigen Spuren damals schon als wünschenswert
bezeichnet. Es war mir vergönnt, dieselbe mit meinem Freund
Jos. Partsch vorzunehmen, welcher die Gegend schon durchwandert
hatte.
Charles Martins fand namentlich im Thal von Vemet erratische
Blöcke. Wenn man von Villefranche in jenem Thal aufwärts wandert,
so passiert man zunächst eine enge, in Kalk eingeschnittene Schlucht,
und erreicht dann unterhalb Comedia eine Thalerweiterung, deren
Gehänge mit zum Teil riesigen Blöcken bestreut sind, die sich aber
in scharfer Grenze gegen den Kalk der Enge absetzen, ohne auf den-
selben überzugreifen. Ganz etwas ähnliches sieht man unweit Joncet halb-
wegs Prades und Olette im Tfit-Thal, aus welcher Gegend Max Braun
Moränen ausdrücklich, ebenso wie von Corneilla erwähnt (s. Abbild. 1).
Der untere Teil des Gehänges besteht hier aus paläozoischen Schiefern,
der obere ist übersäet mit grofsen Blöcken, besonders von Granit,
welche namentlich auf der Terrasse des Tdt-Thales häufig sind. Hier
bann man sich bald vergewissern, dafs die Blöcke nicht etwa blofs auf
der Oberfläche älterer Schichten liegen, sondern vielmehr aus derselben
d Neues Jahrbuch f. Min. und Geolog. rg43. S. go.
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1IH
Albrcchl Penck:
ausgewittert sind. Man sieht an den Gehängen des bei Serdinya
mündenden Seitenthälchens zahlreiche grofse Rutschungen; dieselben
legen bis zur Thalsohle herab eine südwärts fallende, ans Sand, Lehm
und Geröllbänken bestehende Ablagerung blofe, die stellenweise riesige
Granitblöcke birgt und als wahres Riesenkonglomerat entgegentritt.
Abbild, t.
Profil in einem Seitenthal der Töt bei Joncet.
Lehm und Gerolle auf altem Schiefer. Längen i : 20 ooo, Höhen 1 : ro 000.
An den Gehängen nun werden Sand und Lehm, sowie kleineres
Geröll weggespült, die grofsen Blöcke bleiben liegen und ahmen in
ihrem Auftreten auf der Landoberfläche die echten Gletscherblöcke
nach. Eben dieselbe Ablagerung tritt nun auch im Thal von Vernet
bei Corneilla auf; sic ist es, welche auch hier die zahlreichen Blöcke
liefert, deren Verbreitung genau mit der ihres Muttergesteins zusam-
mcnfällt. Auch hier bildet das Riesenkonglomerat die Ausfüllung eines
dem heutigen Tel -Thal parallelen Thals, genau wie unfern Joncet,
und hier wie da ist es sichtlich aufgerichtet worden.
Nicht anders liegen die Dinge in der Gegend von Prades, wo
Charles Martins gleichfalls erratische Blöcke sah. Nördlich dieses
Städtchens schaltet sich in den Winkel zwischen dem Thal der Tet
und der Castillane ein niedriger Rücken ein, welcher um so mehr an
einen Moränenwall erinnert, als er über und Uber mit grofsen Blöcken
besäet ist. Eine Wasserrinne tind Rutschungen unweit des Dörfchens
Catlar aber vergewissern, dafs auch hier das Riesenkonglomerat den
Kern des Hügels bildet. Sobald neben demselben am Thalgehänge
die Schiefer in sanften Gehängen emporsteigen, hört auch die Block-
bestreuung auf — ein sicheres Kennzeichen dafür, dafs sie durch
Auswitterung von Blöcken aus dem Riesenkonglomerat verursacht ist
Alle die Blöcke, welche man in der Gegend um Prades für
erratische halten könnte und gehalten hat, sind entschieden keine
solche; sie sind ebenso aus ihrem Liegenden herausgewittert, wie die
Blöcke, welche Charles Martins über seinen falschen Moränen
unweit Le Vernet und Corneilla beobachtete, nirgends sieht man in
der Gegend von Prades echte Moränen. Die prächtigen Erdpyramiden
von Joncet am linken Tet-Thalgehänge sind ferner nicht, wie die be-
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* . , V • • „ i
Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialpcriode. 1 1 i)
kannten schweizer und tiroler Vorkommnisse, aus Moränen heraus-
gearbeitet, sondern aus leicht verfestigtem Gellängeschutt heraus-
geschnitten; wie endlich schon Charles Martins hervorhob, fehlen
in der ganzen Gegend und zwar namentlich in der Enge des Vernet-
Thales oberhalb Villefranche alle Gletscherschliffe. Man wird daher
nicht mehr von einer Vergletscherung des unteren Töt-Thales vom
Canigou her sprechen dürfen, und die echten Gletscherspuren mut-
mafslich erst in beträchtlicher Höhe an den Gehängen jenes Herges zu
suchen haben. Dafür erhebt sich aber eine andere Frage, ob nämlich
nicht vielleicht das Riesenkonglomerat des Tdt - Thaies eine uralte
Moräne darstellt; ist doch z. B. Garrigou') geneigt, von miocänen
Gletscherspuren in den Pyrenäen zu sprechen, und verlegt doch gerade
im Roussillon Trutat*) eine Vergletscherung in das Pliocän, in die
Piacenza-Stufe, indem er Ablagerungen des Tech-Thales, welche der
Beschreibung nach denen der Gegend von Prades aufs Haar gleichen,
als Moränen bezeichnet.
In der That teilt das Riesenkonglomerat von Prades das Auf-
treten von Kubikmeter grofsen Blöcken mit mancher Moränenablagerung,
und man wird darin solange einen Beweis für seine glaciale Ent-
stehung erblicken, als man den Transport grofscr Gesteinsblöcke aus-
schliefslich auf Eiswirkungen zurückfiihrt. Allein letztere Annahme ist
nicht richtig. Auch die Flüsse vermögen riesige Gesteinsblöcke fort-
zuwälzen, wovon man sich an blockreichen Gewässern in den Alpen
und selbst im Mittelgebirge, wie z. B. im Riesengebirge, leicht über-
zeugen kann, wo der Zackenbach Blöcke von fast t cbm Inhalt
bei Hochwasser in das Warmbrunner Becken hinausrollt. In zahl-
reichen Schuttkegeln kann man weitere Beweise für einen Block-
transport durch rinnendes Wasser sammeln, und zwar auch an Stellen,
wo eine Verfrachtung durch Eis ausgeschlossen ist. Auch eine weitere
noch bezeichnendere Eigentümlichkeit teilt das Riesenkonglomerat von
Prades mit echten Moränen. Während die grofsen Granitblöcke eine
rauhe Oberfläche besitzen, sofern sie nicht, wie vielfach der 'Kall,
mürbe geworden oder gar im Verwitterungsprozefs aufgelöst sind, zeigen
die hier und da auftretenden Grauwackengeschiebe unverkennbare
Schrammungen und erinnern dadurch an die Scheuersteine von Glet-
1 J Traces de diverses ipoques glaciaires dans la vallce de Tarascon, Artige.
Bull. Soc. Giol. de France (z) XXIV. 1867. S. 577. Risumi giologique accom-
pagnant la carte giologique de l’Ariige etc. Bull. Soc. Giol. de France (3) II.
1871. S. 418.
*) Sur les dipöts glaciaires de la vallie inlcrieure du Tech. Compt. Rend.
LXXX. 1875 !• S. 1108. — Les Pyrinie*. Paris 1894. S. 78.
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120
Albrecht Penck:
schern. Dies gilt namentlich von dem Vorkommnis von Cazlar nördlich
von Prades. Aber genauere Betrachtung vergewissert alsbald, dafs die
Schrammung nicht vom Typus der echten glacialen ist, sondern derart,
wie sie recht häufig auf Geschieben älterer Geröllablagerungen vor-
kommt, so z. B. wie die Schrammung auf den Geschieben der schwei-
zerischen und bayerischen alpinen Tertiärnagelfluh, der Nagelfluh -Bil-
dungen von Pitten in Nieder-Österreich, des Klagenfurter Beckens u. s. w.
Während die echten glacialen Schrammen sichtlich in festes Gestein scharf
eingraviert sind, erscheinen jene anderen breit, wie in weichem Gestein
ausgefurcht, und man mufs sich bei Prades ebenso wie anderwärts hüten,
aus derartig gestriemten Geschieben auf glaciale Wirkungen zu
schliefsen; denn der Gesamthabitus der Ablagerung ist kein glacialer.
Dieselbe ist deutlich geschichtet: bankweise liegen die grofsen Blöcke
zusammen, getrennt durch mächtige Lagen feinkörnigerer Zwischen-
mittel. Mag eine Blockbank, in welcher die Schichtung naturgemäfs
verschwommen ist, manchmal moränenähnlich aussehen, so gilt dies
gewifs nicht von den dazwischen geschalteten sandigen, selbst lehmigen
Partien. Das ganze erinnert weit mehr an eine mächtige Wildbach-
ablagerung als an eine Gletscherbildung, und wenn man sich ver-
gegenwärtigt, dafs das Becken des Roussillon jedenfalls durch einen
Einbruch während der Pliocän-Epoche entstand, dafs also damals
ein beträchtlicher Steilabfall gebildet wurde , welcher neben dem
Niederschlag die Hauptexistenzbedingung der Wildbach-Thätigkeit ist, so
wird man in der aufsergewöhnlichen Entwickelung von Konglomeraten
im Roussillon lediglich eine Folge jener tektonischen Ursachen er-
blicken, die das Becken schufen.
Meine kärglich zubemessene Zeit gestattete mir leider nicht, auch
das von Trutat beschriebene Profil von Le Boulou im Tech-Tha!
zu besuchen. Es sei nur erwähnt, dafs Dep6ret‘) die schräg ge-
schichteten Ablagerungen von Boulou, welche nach Trutat eine
plioeäne Moräne sind, als plioeäne Deltabildungen des Tech bezeich-
net, wobei er hervorhebt, dafs Schalen mariner Mollusken noch
den einzelnen Gerollen anhaften. Dagegen pflichtet Deptfret in
der Deutung der Ablagerungen von Les Trompettes bei Le Boulou
als Moräne Trutat bei, ohne jedoch in derselben gekritzte Ge-
schiebe finden zu können. Als erratische deutet er ferner die Blöcke
am linken Tech-Ufer zwischen Treserre und Le Boulou, und im Thal
der Velmanya, 120 m Uber den jetzigen Alluvionen. Wenn man be-
l) Note sur la gdologie du bassin du Roussillon. Bull Soc. Giolog. de
France (3) XIII. 1885. S. 462. — Description geologique du bassin tertiaire du
Roussillon. Annales des Sciences Giologiques XVII. 1885 S. 61.
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. 121
rücksichtigt, dafs man in Le Boulou nur 68 m über dem Meer ist, und
dafs die Gehänge des Tech-Thales lediglich im Norden 2000 m Höhe
überschreiten, im Süden aber unter 1500m bleiben, insgesamt also
kaum 1600m Höhe erreichen, so darf man wohl annehmen, dafs die
Ablagerungen von Boulou unter Verhältnissen auftrcten, die eine erneute
Untersuchung recht wünschenswert machen.
Neben den pliozänen Ablagerungen des Tech-Thales sind nament-
lich auch die wahrscheinlich gleichalterigen Geröllmassen der Platte
von Lannemezan als Glacialbildungen beschrieben worden , und
Garrigou1 * *) hat aus ihrem Vorhandensein gefolgert, dafs ununter-
brochen vom Pliocän bis ins Pleistocän Gletscher die Pyrenäen deckten.
Schon 1883 konnte ich mich in der Gegend von Patt und Lourdes
vergewissern, dafs dort reine fluviatile Ablagerungen vorlägen, nämlich
Lehmlager und Bänke stark verwitterten Gerölls. Diese Gebilde setzen
sich ununterbrochen bis zur eigentlichen Platte von I.annemezan
hin fort und sind dort in ihrer bezeichnenden Wechsellagerung in zahl-
reichen Eisenbahn-Einschnitten zu sehen. Es fehlt jede Veranlassung,
diese Schichten für glaciale zu halten. Solange nicht zwingendere
Gründe vorliegen, w'ird man nicht von einer pliocänen Vergletscherung
der Pyrenäen sprechen dürfen. Doppelt wünschenswert erscheint
darnach, die gleichfalls von Garrigou angeführten Beweisstellen
für eine miocäne Eiszeit des Gebirges zu überprüfen.
II. Das mittelspanische Miocän.
Der grofsen Einförmigkeit in der Gestaltung der kastilischen
Hochebenen und des Ebro-I.andes entspricht eine ebensolche Monotonie
ihres geologischen Aufbaus. Sie bestehen ausschliefslich aus Schichten
des jüngeren Tertiärs und des Diluvium. In den ersteren haben
ältere Autoren, wie Ezquerra del Bayo*), de Verneuil und
Collomb5), Casiano de Prado4) bereits jene drei Stufen unter-
schieden, welche auch heute noch von den spanischen Geologen ge-
1 J Glacicrs et depöts quaternaires des Pyrdndes. Compte Rendu Vme scssion
da Congris International d’Anthropologie et d’Archeologie prebistoriques. Bo-
logna 1871.
*) Des formations tcrtiaires du centre de l’Espagne. Bull. Soc. gdol. de
France (1) II. 1845. S. 63t. Referat nach Anal, de Minas. Esp. III. 1845- S. 631.
s) Coup d’oeil sur la Constitution gdologique de quelques provinccs de
l'Espagne. Bull. Soc. Geolog, de France (1) X. 1853. S. 61 (71).
*) Note sur la gdologie de la province de Madrid. Bull. Soc. Geolog, de
France (1) X. 1853. S. 168. Descripciön fisica y geoldgica de la provincia de
Madrid. 1864. S. 127.
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122
Albrecht Penck:
sondert werden. Unten trifft man Nagelfluh- und Sandsteinbildungen,
darüber Thone mit Gypsen nebst Steinsalz, zu oberst endlich Kalke —
mag man sich nun mitten in Alt-Kastilien um Valladolid oder im
östlichen Neu-Kastilien bei Cuenca, oder endlich am Fufs der Pyre-
näen in der Provinz Huesca befinden. In keiner dieser Ablagerungen
ist aber bisher je der Überrest eines Meeresbewohners gefunden
worden; man kennt aus den beiden oberen Stufen ausschliefslich
Süfswasser- und Uandschnecken , sowie I.andsäugeticre und einige
Reste von Krokodilen; die untere Stufe ist fossilfrei. Diese Säugetier-
reste gleichen im allgemeinen denjenigen, welche die obere Süfs-
wasser-Molasse des Alpenvorlandes geliefert hat; hiernach kann man die
Ablagerung als obermiocän bezeichnen und der Braunkohle der
Cerdaiia gleichstellen. Spanische Geologen, dem Beispiel von Daniel
de Cortäzar1) folgend, gliederten den Komplex noch weiter und
betrachteten lediglich den obersten Horizont als miocän, während sie,
veranlafst durch eine gewisse Analogie in der petrographischen Ent-
wickelung der Schichtfolgen Spaniens und des Pariser Beckens, die
untersten Schichten als eocän, die mittleren als proicän (oligocän) hin-
stellten. Diese Auflassung ist nicht haltbar, denn sie steht nicht mit
paläontologischen Daten in Einklang. Die unterste Schichtgruppe ist,
wie schon erwähnt, fossilfrei, kann daher nicht als eocän erwiesen
werden, aus der mittleren wurden zwar Siifswasserschnecken mit Arten
des Pariser Beckens indentifiziert; aber sie enthält in den Provinzen
Valladolid und Zamora Reste ausgezeichneter miocäner Säuger, sodafs
an ihrem obermiocänen Alter nicht gezweifelt werden kann. Wurden
doch bei Valladolid bereits vor längerer Zeit Mastodon angustidens
gefunden2), dazu gesellte sich später Dinotherium giganteum :l). In der
Provinz Zamora4) wurde gleichfalls Mastodon angustidens , aufserdem
Acerotherium incisivum in den sogenannten Proicänschichten gefunden.
Es ist daher wohl die Identifizierung der Konchylien mit eocänen Arten
mit Zweifel aufzunehmen. Ein weiterer Beweis für das miocäne Alter
wird endlich, wie Choffat6) zeigte, in Portugal angetroflen, bis wohin
sich die spanischen Binnenbildungen erstrecken; sie treten nämlich
1 ) Dcscripciön fisica, geolögica y agrolögica de la provincia de Cuenca.
Mem. Com. Mapa Geolögico de Espaiia. 111. 1875; de la provincia de Valladolid:
Ebenda V 1877.
de Cortlzar, Dcscripciön de la provincia de Valladolid. S. 116.
3) Vilanova, Comple Rendu Soc. Hclvet. Sc. Natur. 1887. S. »t. Arch. des
Sc. phys. et nat. Gcnive. 1887.
4) Puig y Larraz, Dcscripciön fisica y geolögica de la provincia de
Zamora» Mem. Com. Mapa Geolögico de Espaiia. XI. 1 883.
•’ ) Annuairc Göologique Universcl. III. S. 574.
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. ] 23
unfern Lissabon mit mioeänen marinen Schichten in Wechsellagerung,
welch letztere der marinen Molassc des Alpenvorlandes, den helvetischen
Schichten entsprechen. Darnach läfst sich sagen, dafs die spanischen
Tertiärbildungen höchstens bis ins Helvetian zurückreichen , während
die bekannte reiche Hipparion-Fauna von Concud in der Provinz
Teruel1 *) die jüngsten Glieder in das älteste Pliocän verweist. Es ent-
stammen also die spanischen Tertiärbildungen dem Zeitraum, in wel-
chem sämtliche Tertiärschichten des Wiener Beckens zur Ablagerung
kamen, und sie werden dementsprechend auch auf der kürzlich er-
schienenen geologischen Karte von Spanien durchweg als mioeän5)
bezeichnet.
Alle die in Rede stehenden Bildungen sind von vornherein als
lakustre bezeichnet worden, und man hat aus ihrem Auftreten auf drei
riesige und mehrere kleinere Süfswasserseen geschlossen, welche bei-
nahe zwei Fünftel von ganz Spanien deckten, und weil bei dem herr-
schenden Verhältnis zwischen Niederschlag und Verdunstung sich
so grofse Süfswasserseen auf der Halbinsel nicht halten können, wenn
sie nicht sehr bedeutende Zuflüsse haben, so hat man auf ein riesiges
Einzugsgebiet derselben geschlossen, das man in der Atlantis sowie
einem versunkenen Land zwischen Spanien und Irland suchte3 4).
Grofsartige Umwälzungen der Erdkruste sollten darauf die gegen-
wärtige Umgrenzung der Halbinsel schaffen und die Seen öffnen.
Gegen diese besonders auch noch von Daniel de Cortäzar1)
geteilte Ansicht drängen sich einige Bedenken auf. Den mittel-
spanischen Tertiärbildungen entsprechen gleichalterige marine
Ablagerungen an den Küsten. Bereits ist des Vorkommens derselben
unweit Lissabon gedacht, weiter mufs auf die marinen Miocänbildungen
im Becken des Guadalquivir, auf die von Katalonien, besonders in den
Küstengebirgen von Tarragona und Barcelona verwiesen werden. Diese
Ablagerungen ermöglichen die Umrisse der Halbinsel während der
Miocänepoche auf drei Seiten zu ziehen, im Osten und Westen hatte
sie etwa ihre heutigen Grenzen, im Süden reichte sie weniger weit,
Mittelmeer und Atlantik hingen nördlich der bätischen Cordillera zu-
sammen. Nur im Norden fehlen am Rand der Pyrenäen-Halbinsel
marine Miocänablagerungen. Gleichwohl darf man sich hier das Land
nicht weit ausgedehnt denken; denn die in der Gegend von Bordeaux
1 ) Vgl. de Cortäzar, Bosquejo fisico, geolögico y mioero de la provincia
de Teruel. Bol. Com. Mapa Geolög. Espana. XII. 1885. S.ZÖ3.
*) Mapa Geologien de Espana 1:400000. Madrid 1893. Bl- <9- 1 0 •
3) Verneuil et Collomb a. a. O. S. 77. — Fcrd. Körner, Geologische
Reisenotizen aus Spanien. Neues Jahrb. f. Min. und Geol. 1 804. S. 769 (77z).
4) Descripciön Valladolid S. 101.
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124
Albrecht Penck:
reichlich entwickelten marinen Miocänbildungen weisen darauf hin,
dafs der Gascogner Golf damals schon, wenn auch nicht genau in
seinen heutigen Umrissen, bestand. Die mittelspanischen Ter-
tiär-Ablagerungen müssen bei einer der heutigen sehr ähn-
lichen geographischen Konfiguration entstanden sein.
Aber auch gegen Annahme ihrer einheitlichen Entstehung in
Binnenseen machen sich verschiedene Gründe geltend. Nagelfluh-
Bildungen, wie sie mit fast horizontaler Schichtung an der Basis des
mittelspanischen Miocäns auftreten, darf man nicht ohne weiteres als
lakuster bezeichnen; denn die Ablagerung von Gerollen in Seen be-
schränkt sich lediglich auf deren Ufer. Hier trifft man im Bereich
der Brandung Kiese, welche von den Wellen auf flach geböschter
Unterlage hin und her gerollt werden, und eine im allgemeinen schmale
Uferzone bilden. Schotter begegnet man ferner an Flufsmündungen,
wo sie in die Seen hinausgeschüttet werden, und zwar mit der
charakteristischen schrägen Delta-Schichtung. Eine solche mufs in allen
mächtigen lakustren Schotterbildungen erwartet werden, sie ist aber,
soweit Beobachtungen vorliegen, noch nirgends in der Nagelfluh an
der Basis des mittelspanischen Miocän wahrgenommen worden. Man
wird daher notwendiger Weise für jene einen anderen als lakustren
Ursprung anzunehmen haben, und mufs sie, wie alle mächtigen, nahezu
horizontal geschichteten Kiese als Ablagerungen bewegten Wassers
auffassen; denn nur solches vermag Gerolle auf nahezu ebener Fläche
fortzuschaffen. Da sich nun die Thätigkeit der Brandung nur auf einen
schmalen Ufersaum und geringe Tiefen beschränkt, also nicht aus-
gedehnte und mächtige Schottermassen anzuhäufen vermag, so wird
man wohl auch die mittelspanische Tertiär-Nagelfluh in ähnlicher Weise
als Flufsanschwemmungen zu betrachten haben, wie die ähnlich be-
schaffenen Nagelfluh-Ablagerungen der subalpinen Molasse. Es besteht
überhaupt zwischen der unteren Abteilung des mittelspanischen Tertiärs
und der gesamten Siifswasser-Molasse des nördlichen Alpen-Vorlandes
eine unverkennbare Ähnlichkeit. In jener vergesellschaften sich weiche,
mürbe Sandsteine mit Nagelfluh, in Spanien verknüpfen sich Nagel-
fluh-Bildungen (Gonfolitas) mit thonigen, kalkhaltigen Sandsteinen
(Macinos), und wie man sich mehr und mehr mit der Vorstellung be-
freundet, dafs nicht blofs die Nagelfluh, sondern auch die Sandsteine
der Siifswasser-Molasse als Flufsablagerungen zu betrachten sind, so
wird man wohl auch in den unteren Schichten des mittelspanischen
Tertiärs am ehesten fluviatile Bildungen zu erkennen haben.
Die mittlere Abteilung des centralspanischen Miocäns hat von
jeher die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt und der Annahme einer
reinen Süfswasser-Formation manche Schwierigkeiten bereitet; denn sic
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Klima Spaniens während der Terliärperiode und der Diluvialperiode. 125
enthält nicht blofs in allgemeiner Verbreitung Gipse, sondern auch,
wie schon seit langem bekannt, Steinsalz, und zahlreiche Salzquellen
steigen aus ihr auf. Bei Remolinos oberhalb Zaragoza im Ebro-Lande
sind z. B. den dortigen Gipsen zahlreiche 0,1 — 0,5 m mächtige Stein-
salzschichten eingeschaltet, welche insgesamt ein 5 — 6 m mächtiges,
fleifsig abgebautes I.ager bilden1 * *). Unweit davon befindet sich im
gleichen geologischen Horizont das Steinsalzlager von Valtierra, eben-
falls am linken Ebro -Ufer und zwar in Navarra gelegen. Auch das
Steinsalz von Villarrubia in der Provinz Toledo gehört in die mittlere
Miocänstufe1), und der Salzgehalt der Salzseen bei Medina del Campo
in der Provinz Valladolid wird von D. de Cortäzar5) auf Soolquellen,
die dem Tertiär entsteigen, zurückgeführt. Zwar gröfstenteils zur Trias
gehörig, rührt doch ein guter Teil des Salzreichtums von Spanien
aus dem centralen Miocän her4). Freilich fördern die aus letzterem
kommenden Soolquellen selten reines Kochsalz, sondern meist auch
schwefelsaures Natrium, wie denn überhaupt auch die verschiedensten
Bitterwässer der mittleren Abteilung des mittelspanischen Miocäns
entsteigen, welches dabei aber gleich der oberen Abteilung Reste
von Süfswasser- und Landschnecken führt. Bereits 1864 bildete Casiano
de Prado5) Lymneen aus dem Gips von Colmenar de Oreja, sowie
den Abdruck einer Paludina in Gips ab; Daniel de Cortäzar®) er-
wähnt aus den gipsführenden Schichten der Provinz Valladolid Slifs-
wasserschnecken, die er aus den bereits dargelegten Gründen mit
Lymnea longiscata Brong., Planorbis levigatus Desh., mit Planorbis rotun-
Ja/us Brong., Bithynia pusilla Brong., also Arten aus dem Eocän
identifizierte.
Der Ursprung dieser Gips- und Steinsalzlager in Bildungen, die
nach den in ihnen auftretenden Versteinerungen Süfswassersedimente
sind, hat begreiflicherweise spanische Geologen seit langem beschäftigt.
Wie man überhaupt eine Analogie zwischen der Schichtfolge des
Pariser Beckens und des mittleren Spanien mutmafste, so hat man die
1 ) Alph. Briart, Etüde sur les depöts gypseux et gypso-saliföriens. Annal.
Soc. Geolog. de Belgique. XIII. 1888.89. S. 62 (94). — Weiteres bei Donayre,
ßosquejo de una descripciön lisica y geolögica de la provincia de Zaragoza.
Mem. Com. del Mapa Geolog, de Espana. I. 1875 > welches Werk mir nicht zu-
gänglich ist
*) Casiano de Prado. Descripciön de Madrid. S. 146.
s) Descr. de Valladolid, p. 128.
*) Vergl. auch S. Calderon. La sal comun y su papel en el organismo del
globo. An. Soc. esp. hist. nat. XVII. S. 367.
5) Descr. de Madrid. S. 150.
®) Descr. de Valladolid. S. 129.
Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Bd. XXIX. 9
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126
Albrecht Penck:
verschiedenen Hypothesen, welche Uber die Bildung des Pariser Gipses
aufgestellt worden sind, auch für die des spanischen anzuwenden ge-
sucht, und Daniel de Cortäzar1) steht ganz auf dem Boden von
Delesse, wenn er die Gipslager der Provinz Valladolid als Quell-
absätze deutet. Betreffs der Steinsalzlager aber meint Casiano de
Prado*), dafs sic in Salzseen entstanden, die mit dem Meere in Ver-
bindung standen, so etwa, wie das Salz in der Lagune von Torrevieja
südlich von Alicante. Diese Ansicht ist jüngst von Briart aufgegriffen
und erweitert worden. Derselbe erklärt allen Gips und alles Steinsalz
des Miocäns im Ebro-I.and kurzweg als marin, hält die vorkommenden
Silfswasser -Versteinerungen für eingeschwemmt und führt den Mangel
an marinen Versteinerungen darauf zurück, dafs der angereicherte Salz-
und Gipsgehalt der Lagunen das organische Leben in ihnen unmöglich
machte5).
Diese Annahme Briart’s ist wohl kaum aufrecht zu erhalten; sie
verlangt eine Lagune, die sich mindestens 200 km weit ins Ebro-Land
erstreckt haben, also weit gröfser gewesen sein mufs, als irgend eine
Lagune der Gegenwart, und eine so riesige Wasserfläche müfste doch
wenigstens anfänglich Meerestiere beherbergt haben, so wie dies bei
dem Mar ntenor unweit Carthagena der Fall ist'). Wollte man nun aber
gar Briart's Hypothese auf die übrigen Salz- und Gipslagerstätten
des mittelspanischen Tertiärs ausdehnen, so müfste man eine riesige,
Uber fast ganz Spanien sich ausdehnende Lagune annehmen, für deren
Existenz keinerlei andere Beweise beizubringen sind, als eben die
Salzlager; man würde zur Annahme einer Meeresbedeckung während
des Miocäns auch im Innern der Halbinsel greifen müssen, während
doch die Schichtfolge durch ihre Fossilien offenbart,' dafs der Kern
des Landes seit Schlufs der mesozoischen Ara nie vom Meer bedeckt
gewesen ist. An letzteres, seit langem feststehende Ergebnis hat
jedenfalls die genetische Betrachtung der mittelspanischen mioeänen
Gips- und Salzlagerstätten anzuknüpfen, und es ist von vornherein zu
betonen, dafs letztere nicht marinen Ursprungs sein können.
Eine solche Annahme mag auf den ersten Blick befremdlich er-
scheinen, wo doch das Meer eine verdünnte Gips- und Kochsalzlösung
darstellt und nur zu verdunsten braucht , um Steinsalz- und Gipslager
zu bilden. Allein die Bildung von solchen knüpft sich gegenwärtig
•) Ebenda. S. 110.
*) Descr. de Madrid. S. 14 1.
5) a. a. O. S. 107.
J. Rein, Geographische und naturwissenschaftliche Abhandlungen I. 1892
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvial periode. 127
nur in seltenen Fällen an das Meer, dort nämlich, wo Meeresteile ge-
gliedert oder abgeschnürt werden, was sich recht selten, und gegen-
wärtig nur mit kleinen Flächen ereignet. Der Hauptschauplatz der
Gips- und Steinsalzbildungen liegt jetzt in den kontinentalen Binnen-
gebieten im Bereich des salzhaltigen Bodens1). Die Wiistenländer der
Erde auszeichnend, umgürtet letzterer den Kaspi-See, ist häufig in
Turkestan und im südlichen West-Sibirien, im Tarim-Becken, in Tibet,
in Persien und Kleinasien, als Sebcha kehrt er an vielen Stellen der
Sahara wieder. Er zeichnet die Playa des grofsen Beckens zwischen
dem Felsengebirge und der Sierra Nevada aus, findet sich beiderseits
des Wendekreises des Steinbocks an der Westküste Süd- Amerikas und
etwas weiter südlich an der Ostabdachung der argentinischen Cordillera
wieder, ist endlich in den zahllosen Saltpans von Süd-Afrika vorhanden.
Wo solcher Salzboden herrscht, giebt es Salzseen mit stark wechseln-
dem Spiegel, in welchen Gips und Salz zusammengeschwemmt und
in der Trockenzeit ausgeschieden werden, so dafs Gips- und Salzlager
entstehen.
Der salzhaltige Boden der heutigen Kontinentalgebiete mit seinen
lokalen Steinsalz- und Gips-Ansammlungen bildet ein recentes Seiten-
stück zur mittleren Abteilung des centralspanischen Miocäns, und den
Bildungsprozcfs des letzteren kann man sich am klarsten durch einen
Vergleich mit den Schichten veranschaulichen, deren Ablagerung heute,
sechs Grad weiter südlich, in der etwas mehr kontinental gelegenen
algerischen Schott-Region fortdauert. Hier finden sich in den Sebchen
Lehmmassen, imprägniert mit Gips in Staubform, und wechselnd mit
ganzen Schichten körnigen Gipses; in diesen Gebilden finden sich,
ganz ebenso wie in Spanien, Land- und Siifswasserschnecken s). Gleich-
zeitig aber lagern die Flüsse grobkörnige Schotter ab, und wie die
zahlreichen von Rolland5) mitgeteilten Bohrregister erkennen lassen,
ist eine unten grobkörnige, oben gipsführende Ablagerung entstanden.
Entsprechendes scheint sich auch in Spanien ereignet zu haben,
wenigstens hebt Daniel de Cortäzar hervor, dafs dort, wo die Ab-
teilung der Nagelfluh und der Macinos besonders stark entwickelt sind,
die Gipse verschwinden 4). Nach alledem mufs man die mittlere
Abteilung des centralspanischen Miocäns als eine Art Sebcha-Bildung
•) Vgl. Rohrbach’s Karte von Grund und Boden in Bergbaus’ Phys. Atlas,
Tafel 4.
*) Blanckenh orn, Die gcognostischen Verhältnisse von Afrika I. Erg.
Heft 90. Peterm. Milt. S. 49.
5) Geologie du Sahara Algerien. Paris 1890. S 110.
*) Descripcion de Valladolid. S. 100.
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128
Albrecht Penck:
ansehen, entstanden in flachen, kontinentalen Binnengebieten, in welche
die von der Umgebung kommenden Flüsse Gerolle, Sand und Lehm
hineinschütteten, und welche zeitweilig durch Überschwemmungen in
mehr oder weniger salzige Wasserlachen verwandelt wurden. Diese
Erklärung macht auch das Vorkommen von Resten grolser Säugetiere
in der Mitte der Tertiärbecken, z. B. bei Valladolid, begreiflich, welches,
wie bereits bei Betrachtung der Cerdaiia gezeigt, mit der Annahme
grofser Seen nicht im Einklang steht. Da jene Becken nie in ihrer
ganzen Ausdehnung unter Wasser standen, so konnten sie zeitweilig
von Tieren durchwandert werden, deren Reste also auch mitten im
Becken zu erwarten sind.
In der oberen Abteilung des mittelspanischen Miocäns sind die
Kalklager die eigentlichen Fundstätten der Süfswasser-Fossilien und
namentlich aus ihnen ist auf den lakustren Ursprung der gesamten
Schichtfolge geschlossen worden. Allein man darf aus ihrem Auftreten
keineswegs auf grofse zusammenhängende Seen in Alt- und Neu-
Kastilien sowie im Ebro-Lande folgern, da sie immer nur lokal und in
geringer Mächtigkeit entwickelt sind, ln der Provinz Valladolid sind
sie durchschnittlich nur 6 — 7 m, höchstens 15 m mächtig, in der Pro-
vinz Madrid schwellen sie auf 6 — 12 m an, in Guadalajara an einer
Stelle auf 35 m; häufig fehlen sie, wie z. B. um Madrid, im Ebro-Lande
sind sie gegen die Mitte hin stärker als am Rande entwickelt1). Vor
allem weist aber ihre Fauna auf geringe Wassertiefe und Ufernähe.
Sie bergen nämlich ausschliefslich Sumpfschnecken der Genera
Lymnaca, Paludina, Plarnorbis , Bithynia, zu welchen sich nirgends
fehlende Helix-Arten gesellen, die auf die Nachbarschaft des Landes
weisen; Reste von Zweischalern fehlen. Die ganze Gesellschaft ge-
mahnt eher an die Fauna eines quellreichen Sumpfes, als die eines
tiefen, offenen Sees; sie erinnert lebhaft an die des süddeutschen Alm,
welcher z. B. in der Gegend von München ein viele Quadratkilometer
messendes Lager bildet, das subaeril entstanden ist.
Die Beweise für einen lakustren Ursprung des innerspanischen
Miocäns treffen also höchstens für die dasselbe abschliefsenden
Kalkdecken zu, welche als Ausscheidungen flacher Lachen gelten
können, während die beiden unteren Abteilungen desselben deut-
liche Kennzeichen einer fluviatilen Bildungsweise oder einer Entstehung
in Salzsümpfen tragen. Den ganzen Komplex darf man daher nicht
als eine lakustre Formation bezeichnen, sondern mufs ihn jenen
Bildungen zuzählen, die auf dem festen Lande, gröfstenteils unter Mit-
1 ) L. Mallada, Descripciön fisica y geolbgica de la provincia de Huesca.
Mem. Com. Mapa Geologico de Espana. VI. 1878- S. 340.
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. 1 29
Wirkung der Flüsse, örtlich in Seen zur Ablagerung kamen und sich
dadurch auszeichnen, dafs ihre Schichtflächen in der Regel mit früheren
Landoberflächen zusammenfallen. Solche Gebilde wurden Konti -
nental-Formation genannt1 2). Diese Kontinentalbildungen sind durch
das Vorwalten mehr oder weniger grober mechanischer Sedimente
ausgezeichnet, und wenn man die Landoberfläche gern als eine Ruine
hinstellt, kann man sie als den Schutt bezeichnen, der unmittelbar an
den Seiten der Ruine liegen blieb. Unter ihnejt spielen die alten
Flufsanschwemmungen, die Ebenen-Bildungen, eine grofse Rolle. Die-
selben werden durch häufige Diskordanzen charakterisiert; denn An-
häufung und Zerstörung durch Flüsse finden auf der Landoberfläche
dicht nebeneinander statt, häufig reifst ein Flufs in die eben von ihm
aufgeschütteten Ufer ein und lagert unweit davon gleichzeitig Gerolle
oder Sand ab. Derartige Diskordanzen kommen auch im mittel-
spanischen Miocän vor. Casiano de Prado*) hat deren mehrere
aus der Provinz Madrid abgebildet. Endlich zeichnen sich die
fluviatilen Kontinental-Formationen häufig durch das Auftreten von
Kohlenschmitzen, die nur gelegentlich zu ausgedehnten Flötzen an-
schwellen, aus, und deren Entstehung darin begründet ist, dafs ge-
legentlich reich bewachsene Gebiete überschüttet werden. Auch der-
artige Lignit-Schmitzen fehlen dem mittelspanischen Miocän nicht.
Casiano de Prado3 *) berichtet von solchen aus der Gegend von
Valdelaguna unweit Aranjuez, weitere Vorkommnisse finden sich in der
Provinz Guadalajara bei Brihucga1). Mit einer der bedeutendsten der
jüngeren echten Kontinental-Formationen hat in der That auch das mittel-
spanische Miocän die auffälligste Ähnlichkeit, nämlich mit den pliocänen
Gebilden des Beckens vom Schott Melrir. Dort hat man ein Itrrain de
transport fluviatilen Ursprungs mit eingelagerten, wenig mächtigen laku-
stren Bildungen, welches sich Uber weite Flächen in grofser Mächtigkeit
verbreitet und allenthalben Süfswasser- und Landschnecken führt5).
Die Entwicklungsgeschichte Central-Spaniens während der Miocän-
1 ' So zunächst von italienischen Geologen. Vgl. z. B. Taramelli. Gcologia -
delle Provincie Vcnetc. Mem. R. Acc. d. Lincei. Roma. CI. d. Sc. Fis. mat. e
nat. XIIX. 1881. (S. 167). Siehe ferner A. Pavlov, Types gindliques des for-
mations continentales de l'dpoque glaciaire et postglaciaire. Isw. Geolog. Comite.
St Petersburg. VII. 1888- Nr. 7. Rolland, a. a. O. S. 161. A.Penck, Die For-
men der Landoberfläche. Verhdlgn. d. IX. Deutschen Geographentages. r89i.
S. 18 (36). — Morphologie d. Erdoberfläche. 1894. Bd. II S. 36.
2 j Descripciön de Madrid. S. 138. s) Ebenda. S. 139.
*) Castel, Provincia de Guadalajara. Bol. Map. Geolög. VIII, i88r, S. 157,
(136, 159).
5) Rolland, a. a. O. S. 166.
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Albrccht Pcnck:
epoche ist nach dem Vorangehenden die folgende: Nachdem das Land
seit der jüngeren Kreide-Epoche vom Meer verlassen worden war,
wurde es zunächst während der älteren Tertiärzeit ununterbrochen von
den Flüssen abgetragen, ohne dafs es zu ausgedehnten Ablagerungen
auf dem festen Land kam, so wie dies heute für den gröfsten
Teil Mittel-Europas gilt. In der Miocän-Epoche jedoch begann die
Aufschüttung von Geröll- und lehmigen Sandmassen, so wie sie gegen-
wärtig namentlich in. den wasserarmen Gebieten des Festlandes erfolgt.
Bald darauf fanden die Flüsse keinen Ausweg mehr aus dem Land,
sie versiegten infolge überwiegender Verdunstung, am Ende ihres
Laufes blieben die in ihnen gelöst gewesenen Salze zurück, es bildeten
sich Gips- und Salzkrusten, deren Material örtlich zusammengeschwemmt
wurde. Hierauf erfüllten sich die in einzelne flache Wannen zergliederten
Binnengebiete mit süfsem Wasser, es entstanden in ihnen Seen, in
welchen sich Kalk absetzte, schliefslich flössen die Seen über, ihre
Abflüsse schnitten tiefe Thäler ein, und zapften sie durch dieselben an,
sodafs sie sich entleerten. Die Entwicklungsgeschichte Mittel-Spaniens
erscheint hiernach durch das Auftreten und Verschwinden einer Trocken-
periode während der Miocänzeit charakterisiert.
Die Ursache dieser Trockenperiode kann nicht in einer konti-
nentalen Lage des Landes gesucht werden, da es, wie gezeigt,
während der Miocän-Epoche vom Meer in ähnlicher Weise wie heute
umspült war. Aber die Nachbarschaft des Meeres hat nicht unbedingt
Regenreichtum zur Folge, man erinnere sich nur an die Westküsten
der Festländer in der Nähe der Wendekreise; die klimatischen Zustände,
welche die Flntwickelung der I’yrenäen-Halbinsel während der Miocän-
Epoche auszeichncten, treten auch gegenwärtig noch am Atlantik,
im südlichen Marokko in der Region des Ued Draa entgegen.
Eine Verschiebung der klimatischen Zustände um 12 0 nordwärts
würde auch heute in Spanien die Ablagerung von Kontinentalgebilden
in Binnengebieten zur F'olge haben, also die Zustände herbeiführen,
die während der Miocän-Epoche geherrscht haben. Die Annahme einer
derartigen Verschiebung klimatischer Zonen hat für die Miocän-Epoche
nichts befremdliches, ist doch längst bekannt, dafs ihre Ablagerungen
in Mittel-Europa die Flora südlicher Breiten beherbergen Die Oeninger
Flora weist nach O. Heer auf eine mittlere Jahrestemperatur von i8°C.
Man mufs von dort wiederum 12° weiter südwärts gehen, um gegen-
wärtig eine solche Temperatur zu treffen. Der Parallelismus der an
zwei so weit von einander entfernten Orten für das Klima der Miocän-
epoche gewonnenen Ergebnisse ist völlig; während man aber aus der
Flora des mitteleuropäischen Miocän lediglich auf höhere Temperatur
schlofs, mufs man aus der Entwickelung der gleichalterigen Ablagerungen
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. 131
in Spanien auf die in niedrigeren Breiten herrschende Trockenheit des
Klimas schliefsen. Nicht blofs die Isothermen lagen in der Miocän-
epoche in Europa nördlicher, sondern auch das gesamte Windsystem,
welches die Trockenheit an den Westküsten unter den Wendekreisen
verursachte, war um einen entsprechenden Betrag polwärts verschoben.
Die Passate, welche heute etwa bei den Canarien ihre Nordgrenze
erreichen, müssen damals in der Breite des Golfes von Biscaya ge-
wurzelt haben.
III. Das Diluvium in Spanien.
Neben den jungtertiären Schichten spielen die diluvialen im
Aufbau Central-Spaniens eine grofse Rolle. Während sie sich im
Ebro-Lande nur auf Terrassen längs der grofsen Pyrenäen-Flüsse be-
schränken, bilden sie in Alt- und Neu -Kastilien ausgedehnte Decken,
welche sich vom Rufe einzelner Gebirge nach der Mitte der grofsen
Becken ziemlich rasch senken. So sind sie südlich vom kantabrischen
Gebirge entwickelt, so begleiten sie beide Abfälle des kastilianischen
Scheidegebirges, und zwar der Sierren von Guadarrama und Gredos.
Die Zusammensetzung der schrägen Diluvialebene südlich der
Sierra von Guadarrama ist in der Umgebung von Madrid bereits seit
langem untersucht worden. Bei San Isidro, am rechten Ufer des
Manzanares, also gegenüber der Stadt, werden die obersten 2 — 3 m
mächtigen Partien des Diluvium als gelber, grusführender Ziegellehm
ausgebeutet. Darunter folgen Sand und feiner Granitgrus, hier und
da mit Einlagerungen eines zähen grünen Thones; zuunterst endlich
stellt sich gröberes Gerölle ein. Fossilfunde charakterisieren die Folge
als quartär. Man kennt solche von Bos, Equus, Cervus elaphus, Rhi-
noceros und Eltphas ; de Verneuil und Lartet ferner erkannten
in den gelegentlich vorkommenden Feuersteinen paläolithische Werk-
zeuge1), und Casiano de Prado*) hat später eine Anzahl von solchen
abgebildet.
Weitere Aufschlüsse in der erwähnten schiefen Diluvialebene liefert
die spanische Nordbahn nördlich von Madrid. Zunächst sieht man in
den Eisenbahneinschnitten denselben gelben Lehm, wie bei San
Isidro, dann aber trifft man auf Geröll, welches gröber und gröber
wird, bis man unweit der Station Torre Lodones eine wahre Block-
>) De Verneuil et L. Lartet, Note sur un silex taillö trouv£ dans le
diluvium des environs de Madrid. Bull. Soc. G£ol. de France (a) XX. 1862.
S. 698. — De Verneuil, Sur le diluvium des environs de Madrid. Ebenda (2)
XXIV. S. 499.
*) Dcscripcidn de la provincia de Madrid. S. 186 — 194.
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132
Albrecht Pcnck:
anliäufung erreicht. Auf den ersten Blick sieht dieselbe moränenähnlich
aus, aber bei genauerer Betrachtung zeigt sie eine deutliche Schichtung,
welche auch in der von Casiano de Prado1) gegebenen Abbildung
des Aufschlusses deutlich erkennbar ist. Unweit davon hebt sich der
Granit hervor, der hier mit zahllosen Blöcken bedeckt ist, sich aber
zunächst nicht wesentlich über das Niveau des angrenzenden Gerölls
erhebt, und vor dem Fufs der Sierra noch einen Teil der schrägen
Ebene von Neu-Kastilien bildet. Alles in allem hat man es mit einem
riesigen flachen Schuttkegel von Trümmern der Sierra zu thun, welcher
sich am Fufs derselben erstreckt, so etwa wie der Deckenschotter über
das nördliche Alpen -Vorland gebreitet ist. Während aber der Deeken-
Profil von Madrid nach der Sierra de Guadarrama.
Länge i : 250 000, Höhe 1 : 20 000.
Schotter von tiefen Thälern zerschnitten wird, liegt der Sierra-Schutt
unzerthalt da, und während jener höchstens grob mittelkörnig wird,
geht der Sierra-Schutt in eine Blockanhäufung über, der man, falls sie
nicht ausgezeichnet geschichtet wäre, einen glacialen Ursprung zu-
schreiben könnte. Mit Moränen kommt der Sierra-Schutt jedoch
nirgends in Berührung, während der subalpine Deckenschotter in solche
übergeht (s. Abbild. 2).
Ganz analog sind der Beschreibung nach die Diluvialgebilde
nördlich der Sierren von Guadarrama und Gredos, sowie südlich des
kantabrischen Gebirges in den Provinzen I.eon, Palencia und Zamora.
Überall hat man es mit grofsen flachen Schuttkegeln zu thun; und mit
der Ursache von deren Anhäufung haben sich spanische Geologen
mehrfach beschäftigt. Im allgemeinen ist dabei der Standpunkt ver-
treten worden, den bereits Casiano de Prado innehatte, nämlich
dafs bedeutende Wassermassen die Sierren gleichsam abwuschen und
den Schutt in die Vorländer verfrachteten*). Die Annahme von
l) Ebenda S. 166.
*) a. a, O. S. 174. De Cortä2ar, Descripciön de Valladolid S. 143. Des-
cripciön de Segövia. S. 197.
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. 133
Gletscherwirkungen wird dabei nicht als unbedingt ausgeschlossen,
aber als schwer erweisbar angesehen. Casiano de Prado sagt
direkt, dafs man in der Sierra de Guadarrama weder ordentliche
Moränen noch Blocklehm gefunden habe1); von einigen Stellen zählt
er jedoch Blöcke auf, die als erratisch gelten können. Baysselance*)
hingegen bemerkte längs der Eisenbahn am Abfall der Sierra zwischen
den Stationen Torre Lodones und Avila zahlreiche Rundhöcker und
Gletscherschliffc.
Diese letztere Beobachtung vermag ich nicht zu bestätigen. Man
sieht am Nordabfall der Sierra bei Cercedilla und bei El Escurial
zwar zahlreiche einzelne riesige Granitblöcke und auch manchen rund-
lichen Felsbuckel, allein allenthalben handelt es sich hier nur um die
bekannten, sackförmigen Verwitterungsgestalten des Granit, nirgends
kommen echte erratische Blöcke oder zweifellose Gletscherschliffe vor.
Allerdings finden sich auf den Granitklippen gar nicht selten jene
Steinschüsseln, welche gelegentlich für Riesentöpfe angesehen worden
sind, und auf Grund deren Berendt3) jüngst auf eine ausgedehnte
Vergletscherung des Riesengebirges schlofs. Allein es handelt sich
hierbei gewifs nur, wie bereits Casiano de Prado'*) erkannte, um
Verwitterungsgebilde, welche den Tafoni Corsicas an die Seite zu
stellen sind. Was aber die Grobkörnigkeit der Diluvialschichten an-
belangt, so darf man aus ihr allein gewifs nicht auf glacialen Ursprung
schliefsen. Jeder sichere Beweis für eine Vereisung des Fufses der
Sierra fehlt. Dagegen finden sich Spuren alter Gletscher in ihrem
Innern, und zwar, wie so häufig in den Alpen und den deutschen
Mittelgebirgen, in der Nachbarschaft der kleinen Bergseen, welche
auch die Sierra de Guadarrama zieren, und auf Grund deren bereits
1884 die Vergletscherung derselben gemutma&t wurde5).
Die Sierra de Guadarrama gipfelt südöstlich des bekannten Lust-
schlosses von San Ildefonso oder La Granja, wo zwischen dem nach Nord-
osten führenden Längsthal von Valsain und dem bedeutenderen Parallel-
hal des I.ozoya der Carpetanos-Rücken zu der 2385 m hohen Penalara
anschwillt. Eine breite, sanft gewölbte Gipfelfläche fällt nach Süden
und Osten stcilwandig ab, und zieht sich nach Norden in einen leicht
t) a. a, O. S. 164.
*) Quelques traccs glaciaircs en Espagne. Annuairc Club Alpin Fran^ais. 1883.
S. 410.
s) Spuren einer Vergletscherung des Riesengebirges. Jahrb. d. Kgl. Preufs.
Geolog. Landesanstalt XII. 1891. S. 137.
*) a. a. O. S. 70.
5) Penck, Geographische Wirkungen der Eiszeit. Verhdgn. des IV. Deutschen
Geographentages. 1884- S. 66 (Kartei.
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Albrccht Penck:
134
passierbaren Grat aus. Unter den Ostwänden liegen in 2100 m die viel-
besungenen Lagunen der Penalara, welche die Quellbäche des Lozoya
speisen. Es sind keine Kar-Seen, sondern kleine Tümpel, die meist in
Felsen eingesenkt, sich auf einer breiten Gehängestufe erstrecken.
Nach dem Lozoya-Thal hin werden sie von einem langen Moränenwall
umgürtet, welcher in einzelnen Bogen gegen Osten vorspringt; der
zwischen ihnen auftretende Fels zeigt hier und da Gletscherschlifte,
welche N8o°0 laufen. Die Endmoräne zieht sich als ein etwa 40 m
hoher steiler blockbesäeter Damm südwärts und umrandet das Becken
eines in 1780 m Höhe gelegenen erloschenen Sees, biegt dann west-
wärts um , wo unter den Südwänden der Penalara zwei weitere er-
loschene Seen in 1860 und 1940 m Höhe liegen.
Eine ähnliche Gehängestufe, wie sie östlich der Penalara auftritt,
findet sich auch gegen La Granja hin, dieselbe lag außerhalb meines
Weges; ich mufs daher offen lassen, ob auch der Westabfall jenes
Gipfels vergletschert gewesen ist. Sicherlich aber erstreckten sich die
Gletscher nicht in die Thäler herab. Nirgends, selbst nicht nahe am
Hintergehänge des Valsain sah ich Moränen, und mit der geschilderten
Endmoräne hören auch die erratischen Blöcke mit einem Mal auf.
Es müssen sehr kleine Gehängegletscher von wenigen hundert
Meter Länge gewesen sein , die sich an den Ostabfall der Penalara
legten, eher steilen Schneefeldern mit einem Eisfufs, als echten Eis-
strömen vergleichbar. Da nun kleine Gletscher sich nirgends weit aus
dem Bereich des ewigen Schnees herauserstrecken , so mufs die eis-
zeitliche Schneegrenze nicht weit von ihrem Rand gelegen gewesen
sein, und dürfte sich in etwa 2000 — 2100 m befunden haben. Heute
liegt sie hoch über den Gipfeln der Sierra; dieselbe birgt nirgends
dauernde Schneeflecken, wohl aber werden für die Bedürfnisse des
Hofes von San Ildefonso auf der Nordseite der Penalara Schneereste
durch Überstreuen mit Sägespänen bis in den Herbst hinein kon-
serviert. Ich traf solche in etwa 1800 m Höhe. Auch die der Sierra
de Guadarrama benachbarte, auf 2650 m Höhe ansteigende Sierra de
Gredos wird alljährlich durchaus schneefrei, und es liegt daher kein
Grund vor, die heutige Schneegrenze im mittleren Spanien in geringerer
Höhe zu suchen, als nach ihrem Auftreten am Südabfall der Pyrenäen
und auf der Serra Nevada von Granada erwartet werden kann,
nämlich in über 3000 m Höhe. Darnach liegt heute die Schneegrenze
im mittleren Spanien um 1000 m höher, als zur Zeit der Gletscher der
Penalara. Nun hat sich in Mittel-Europa die Eiszeit allenthalben als
eine Epoche erwiesen, in welcher die Schneegrenze um mindestens
rooo m tiefer lag als heute; die kleinen Gletscher der Penalara führen
sich daher auf eine ebensolche Depression der Schneegrenze zurück,
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialpcriode. 1 35
wie die Gletscher der deutschen Mittelgebirge, und müssen, trotz ihrer
Kleinheit, gleich jenen als eiszeitliche Gebilde gelten.
Echte Gletscherspuren sind bereits auf dem • westlichsten Glied
der kastilischen Scheidegebirge gefunden worden. A. de Vas-
concellos Pereira Cabral entdeckte 1883, dafs die Serra da
Estrella in beträchtlichem Umfang vereist gewesen ist. Seine dies-
bezüglichen Beobachtungen wurden aber erst 1887 veröffentlicht '),
nachdem schon 1884 auf Grund der in jenem Gebirge vorhandenen
Seen auf eine ehemalige Vergletscherung desselben geschlossen worden
war*). Vasconcellos fand zahlreiche Gletscherschliffe im Thal der
Lagoa comprida, also auf der Westseite der Serra bis zu jenem See
(1525 — 1550 m) herab. Er verzeichnete erratische Blöcke im Valle de
Conde in 1500 m Höhe, und entdeckte namentlich im oberen Thal
des Zezere aufser Gletscher-Schliffen und -Blöcken auch einen grofsen
Endmoränenwall, den von Apertado, dicht oberhalb der Mündung des
Torrente da Candieira, in nur 1200 m Höhe, als Rest eines mindestens
3 km langen echten Thalgletschers. Auch weiter unterhalb bemerkte
er noch zahlreiche Morätien-Ablagerungen, namentlich in der Um-
gebung des Dorfes Manteigas bis zu einer Örtlichkeit Vargem do
Crasto, worauf sie mit einem Mal aussetzen; gleichwohl sieht Vas-
concellos auch noch die am Fufs des Gebirges bei Valhelhas, 26 km
unterhalb der Quellen des Zezere auftretenden Ablagerungen als
Moränen an. Mag vielleicht die letztere Annahme als noch nicht recht
sicher begründet erscheinen, so mufs man doch schon aus den Moränen
unterhalb Manteigas auf einen nahezu 15 km langen, bis unter 700 m
Höhe herabsteigenden Gletscher, also auf eine sehr tiefe Tage der
Schneegrenze schliefsen. Liegt doch die Umwallung des Zezere-Thals
nicht höher als in 1700m, sodafs sich sein Gletscher unter ganz ähn-
lichen orographischen Bedingungen wie der des Saison-Thaies in den
Pyrenäen entwickelte, was auf eine gleiche Lage der Schneegrenze,
also in etwa 1350 — 1400 m Höhe, schliefsen läfst. Bedeutend höher
kann aber auch die Schneegrenze nicht gelegen haben, als der
Gletscher den Moränenwall von Apertado aufbaute, denn auch in
diesem Fall war seine Umrahmung nur 1700 m hoch, was angesichts
des Endes in 1200 m Höhe auf eine Lage der Schneegrenze im Niveau
von 1500 m deuten würde. Unter allen Umständen lag also in
dem westlichsten Ausläufer der kastilischen Scheidegebirge die Schnee-
grenze nennenswert, mindestens 500- 600 m tiefer, als über der central
gelegenen Sierra de Guadarrama. Genau ebenso wie in den
<) Traces d’aetions giaciaires dans la Serra d'Estrella. Comnrunic. da Co mm iss.
dos Trabalhos geologicos de Portugal. I. Lisboa. 1887. S. 189.
*) Penck, Geographische Wirkungen der Eiszeit A. a. O.
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136
Albrecht Penck:
Pyrenäen senkte sich in der mittleren Breite der Halbinsel
die eiszeitliche Schneegrenze nach dem Ozean hin, was die
heutige Norwegens* gleichfalls thut.
Nachdem die Mutmafsung sich bestätigt hat, dafs die Bergseen
der Sierra de Guadarrama gleich jenen der Serra da Estrella mit dem
Giacial-Phänomen in Beziehung stehen, ist es wohl gestattet, dasselbe
von den übrigen ähnlich gelegenen Bergseen der Pyrenäen-Halbinsel
anzunehmen. Man kennt solche auf der Sierra de Gredos. Unweit
des 2650 m hohen Plaza de Almansor befindet sich in einem Kare die
Laguna de Gredos, 2097 m hoch, von welcher Donayre eine Abbil-
dung mitteilt1); ein weiterer Bergsee ist die in 2295 m Höhe gelegene
Laguna Cimera. Hiernach dürfte die eiszeitliche Schneegrenze in der
Sierra de Gredos etwa in derselben Höhe gelegen gewesen sein wie
in der östlich benachbarten Sierra de Guadarrama. Einen Grad weiter
nördlich besitzt die der portugiesischen Grenze benachbarte Sierra
Segundcra Bergseen. Das Gebirge erhebt sich im Alto de Moncalvo
auf 2047 m, in seinem Innern birgt es die Seen de la Yegua (1726 m)
und de I.acillos (1720 m), an seinen Fufs gerückt ist der 11,25 qkm
messende, im Mittel 45 m tiefe Lago de Sanabria (oder de Tera, de
Benavente, de Conde, de Castafieda), in nur 1028m Höhe. Puig y
I.arraz, welcher diese Gegend geologisch aufnahm, hat erratische
Blöcke und Felsschliffe in der Umgebung der Seen beobachtet2). Alle
diese Erscheinungen weisen auf ein ähnlich tiefes Niveau der eiszeit-
lichen Firnlinie, wie es in der Serra da Estrella wahrgenommen
wurde, nämlich auf höchstens 1500 m. Gleichfalls unter 41 0 Nord
liegt mehr im Innern die jüngst von Palacios3) untersuchte, mit
2259 m gipfelnde Sierra de Urbion mit der Laguna Negra (1753 m)
und der Laguna I.aga (1871 m). Das Gebirge selbst besteht aus
unterer Kreide ; es liegen daher keine Karstseen, sondern mutmafslich
glaciale Bergseen vor, welche auf eine etwas tiefere Lage der Schnee-
grenze, als iq der Sierra de Guadarrama beobachtet, folgern lassen.
Man kann dieselbe auf etwa 1900 — 2000 m Höhe schätzen. Die weiter
östlich gelegene, im Cerro de San Miguel mit 2315 m gipfelnde Sierra
de Moncayo endlich besitzt keinen Bergsee. Ihr Gipfel ist nach den
Schilderungen des Grafen Saint-Saud*) gewölbt und weicht von
1) Descripciön fisica y geolögica de la provincia de Avila. Mem. Com. Map.
Geoläg. de Kspana. Madrid 1879.
2) Descripciön fisica y geolögica de la provincia de Zamora. Mem. Com. Map
Geolög. de Espaha. XI. 1883. S. 133.
3) Descripciön fisica, geolögica y agrolögica de la provincia de Soria. Mem.
Com. Map. Geolög. de Kspana. 1890-
4) Le Moncayo. (Aragon et Castille) Annuaire Club Alpin. Franfais. XVII.
1890. S. 153.
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialperiode. 137
Hochgebirgsformen durchaus ab. Mutmafslich ragte dies Gebirge gar
nicht oder nur sehr wenig in die glaciale Schneegrenze hinein, deren
Höhe sohin auf etwa 2200 — 2300 m zu veranschlagen ist. Es wiederholen
sich also auch unter 42° N in Spanien Anzeichen für ein Sinken der
eiszeitlichen Schneegrenze in der Richtung nach dem Ozean hin.
Namentlich durch Willkomm1) sind Bergseen auch aus dem
südlichsten der spanischen Hochgebirge , der Sierra Nevada von
Granada bekannt geworden. Dieselben liegen in den zirkusartig er-
weiterten Thalwurzeln der Thäler der Hoch-Sierra in 2600 — 2900 m,
also, wie überdies aus Einzelschilderungen hervorgeht, in echten Karen.
Von Spuren einer ehemaligen Vergletscherung berichtet Willkomm
nichts. Nach He 11 mann2) giebt es überhaupt keine Glacial - Abla-
gerungen in der Sierra, und auch R. v. Drasch e 3) begegnete solchen
im allgemeinen nicht, er bildet jedoch einen Felsschliff vom Camino
de los neveros ab, welcher recht wohl ein Gletscherschliff sein könnte.
Dagegen ist nach Rey-Lescure *) die Sierra reich an Moränen und
Gletscherschliffen, und Schimper5) liefs sogar die Gletscher bis aus
dem Gebirge heraus, bis Granada wandern, wo sie die Alhambra-
Konglomerate aufschütten sollen.
Prachtvoll schöne Tage, welche ich verwenden wollte, 11m zui
Klärung dieser Widersprüche beizutragen, mufste ich, weil ich von
Gibraltar aus einen englischen Dampfer benutzt hatte, im Oktober 1892
vor Mälaga der Cholera halber in Quarantäne liegen, und als ich
darauf nach Granada kam, liefs die Witterung keinen Abstecher in die
Sierra mehr zu. Ich konnte mich lediglich vergewissern, dafs in der
Nähe der Hauptstadt Hoch-Andalusiens gewifs keine Gletscherspuren
Vorkommen, und dafs das Alhambra -Konglomerat zweifellos eine
fluviatile Ablagerung ist. Ob jedoch dies Konglomerat, wie Dräsche,
Gonzalo y Tarin6) und Guillenjin-Tarayre7) annehmen, diluvial
*) Vgl. Stein - Wappäus, Handbuch der Geographie und Statistik. 7. Aull.
Bd. III. 2. Leipzig 1862—71. S. 20. — Aus den Hochgebirge# von Granada.
Wien 1882.
-) Der südlichste Gletscher Europas. Vcrhdlgn. d. Gesellsch. f. Erdk. z. Berlin
VIII. 188t. S. 36a (365).
*) Geologische Skizze des Hochgebirgsteiles der Sierra Nevada in Spanien.
Jahrbuch d. K. K. Geolog. Reichsanstalt. XXIX. 1879- S. 93.
4 ) Note sur la geologie generale de l’Espagne. Bull. Soc. G60I. de France.
I3) IX. 1880/81. S. 346.
5) Voyage g^ologique et botanique au Sud d'Espagne. lTnstitut. 1849.
®) Reseha fisica y geolögica de la provincia de Granada. Bol. Com. Map.
Geolog, de Espaha. VIII. 1884. S. 1.
J) Sur la Constitution minüralogiquc de la Sierra Nevada de Grenade. Compt.
Rend. Acad. de Paris. C. 1885 S. 1231.
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138
Albrecht Pen ck:
ist, oder ob es, wie Bertrand und Kilian1) meinen, obermiocän ist,
vermag ich nicht zu entscheiden. Bertrand und Kilian stützen ihre
Ansicht durch den Hinweis auf eine Wechsellagerung der von ihnen
mit dem Alhambra-Konglomerate identifizierten Blockformation und
marinen Mergeln, welche sie zwischen Quentar und Granada wahr-
nahmen. Ich konnte auch diese Stelle nicht besuchen. Der petro-
graphische Habitus der Ablagerung macht den Eindruck einer recht
jungen Bildung.
Die Mutmafsung liegt nahe, dafs die Sierra während der Eiszeit
vergletschert war, und dafs ihre Lagunen gleich den Kar-Seen der
Alpen glacialen Ursprungs sind, da sich am Aufbau der Hoch-Sierra
keine Kalke beteiligen, an welche sich Dolinen-Seen knüpfen könnten.
Die Frage aber bleibt offen, ob jene Lagunen gleich denen der Sierra
de Guadarrama dem Maximalstand der Vergletscherung entsprechen,
oder gleich jenen der Alpen einem Rückzugsstadium. Im ersteren
Fall würde man für die Höhe der glacialen Schneegrenze in der Sierra
Nevada mehr als 3000 nj anzusetzen haben, also rund 1000 m höher
als in der nur 40 weiter nördlich gelegenen Sierra de Guadarrama
suchen müssen, was wohl kaum als wahrscheinlich gelten kann. Es
wird daher eine Untersuchung der glacialgeologischen Verhältnisse von
Granada noch wichtige Aufklärungen über die Lage der Schneegrenze
im südlichen Spanien gewähren, und damit auch aufhellen, ob wie
Hooker und Ball meinen, K. v. Fritsch aber bezweifelt, der Hohe
Atlas stark vergletschert gewesen ist. Wenn unter 41 °N. die nicht
einmal 2000 m hohe Serra da Estrella grolse Gletscher trug, wird man
von dem zwar io° weiter südlich, aber in ähnlicher Meernähe gelegenen
und auf 4500 m ansteigenden Hohen Atlas wohl annehmen dürfen,
dafs auch er Gletscher trug; eine sichere Stütze aber würde diese
Mutmalsung erst gewinnen, wenn die etwa halbwegs zwischen beiden
Gebirgen befindliche Sierra Nevada sich gleichfalls als einstmals stark
vereist erweisen würde.
Für den nördlichen Teil der Pyrenäischen Halbinsel kann jeden-
falls eine relativ tiefe Lage der glacialen Schneegrenze als sicher gelten.
Im Innern und am Mittelmeer über 2000 m hoch gelegen, senkte
sich dieselbe rasch zum Atlantik, unfern dessen Gestaden sie in den
Pyrenäen in etwa 1300 m, in der Nähe von Lissabon in höchstens
1500 m zu suchen war. Einer ähnlich tiefen Lage der Schneegrenze
begegnet man am Atlantik gegenwärtig etwa in der Breite von Hoch-
1 ) Mission d'Andalousie. Etudes sur les terrains secondaircs el tertiaires dans
les provinccs de Grenade el de Malaga. M£m. pres. par divers savants ä EAcad.
des Sc. Paris. 1889. XXX. S. 491.
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialpcriode. ] 39
Schottland (570 N), dessen 1343m hoher Ben Nevis noch keinen ewigen
Schnee trägt. Im Binnenland aber trifft man die Höhenlage der
Schneegrenze, welche der glacialen von Mittel- und Ost - Spanien ent-
spricht, erst nördlich der Alpen, an deren Rand das Firnmeer nicht
unter 2500 m herabsinkt. Etwa Uber den deutschen Mittelgebirgen,
also unter 50° N, sowie Uber dem mittleren Ural unter 57 °N liegt
heute die Schneegrenze so hoch, wie einst über der Sierra de Gua-
darrama.
Bekanntlich sind es zwei Momente, welche die Lage der klima-
tischen Schneegrenze an irgend einem Ort bestimmen, nämlich deren
Temperatur- und deren Niederschlags-Verhältnisse. Sinkt die erstere
oder steigert sich der Schneefall, so sinkt die Schneegrenze. Die tiefe
Lage der Schneegrenze in Spanien kann also theoretisch die Folge
niederer Temperatur oder reichlicher Niederschläge sein. Die gegen-
wärtigen Niederschlagsverhältnisse auf der Halbinsel ermöglichen
zwischen beiden Annahmen zu wählen. Die Serra da Estrella gehört
zu den regenreichsten Gebieten Europas; eine an ihrem Nordabfall in
1441 m Höhe gelegene Station bat eine Niederschlagsmenge von 3,9 m im
Mittel von fünfjahren geliefert1 * * * *) und dabei verläuft die Schneegrenze über
den beinahe 2000 m messenden Gipfeln der Serra. Eine solch aufser-
gewöhnlich grofse Niederschlagsmenge im inneren Spanien wUrde daher
noch nicht genügen, um die Lage der eiszeitlichen Schneegrenze auf
der Sierra de Guadarrama, an deren Abfall heute kaum 1 m Nieder-
schlag fällt8), zu erklären. Wie grofs nun müfsten gar die Nieder-
schlagsmengen gewesen sein, welche zur Erklärung der überaus tiefen
Lage der eiszeitlichen Schneegrenze auf der Serra da Estrella nötig
wären, ohne dafs man zugleich auch zur Annahme einer Temperatur-
erniedrigung greift! Genügt gegenwärtig noch nicht ein Regenfall von
3,9 m jährlich, um die Serra in ewigen Schnee zu tauchen, so müfste
man, um einen Gletscher von der Ausdehnung des alten Fasstromes
im Zezere-Thal zu erklären, eine Niederschlagsmenge von 7 — 10 m
annehmen, also Werte, die den höchsten ausnahmsweise auf der
Erde beobachteten nahe kommen würden, und die also keinesfalls als
wahrscheinlich gelten können.
Viel weniger Ungereimtheiten bringt die Annahme einer niederen
Temperatur zur Erklärung der Eiszeit Spaniens mit sich. Man hätte,
l) Vgl. J. Hann, pie gröfsten Regenmengen in Österreich. Met. Zcitschr. 1894-
S. 189 ond Hellmann, Die Regenverhältnisse der Iberischen Halbinsel. Zeitschr.
d. Gcsellsch. f. Erdk. zu Berlin, 1888. S. 307 (319).
8) In San Bdefonso (1191 m) wurden im Mittel 900 mm gemessen. D. de
Cortizar, Decr. de la prov. de Segovia. Bol. Com. Mapa Geolog. 189t S. 71.
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140
Albrecht Penck:
um dieselbe zu erklären, an den Nordküsten der Halbinsel, lediglich
die Temperaturverhältnisse jener Gestadeländer des Atlantik zu
supponieren, in welchen die Schneegrenze heute so tief wie vordem an den
Gestaden der Halbinsel lag, nämlich die von Mittel-Schottland; hier ist die
Schneegrenze bei genau der gleichen Niederschlagmenge1), welche die
Serra da Estrella geniefst, in der Höhe zu suchen, in der sie
während der Eiszeit im letzteren Gebirge lag. Man hätte sohin eine
Temperatur-Erniedrigung von 4,5° — 50 C. anzunehmen, zu welchem
Wert bereits mehrfach Schätzungen auf anderem Wege gelangt sind.
Diese Temperatur-Erniedrigung während der Diluvialperiode ist geringer
als die Temperatur-Erhöhung, welche für Mittel-Europa in der Miocän-
Epoche anzunehmen ist. Aber während sich die Temperatur-Änderung
während des Miocäns durch Annahme einer Verschiebung der Klima-
gürtel um 12° polwärts erklären läfst, setzt die Eiszeit eine solche um
14° äquatorwärts voraus.
Wenn an den spanischen Küsten während der Eiszeit ein
britisches, im Innern des Landes ein mitteleuropäisches Klima
herrschte, so mufste bei den Erhebungsverhältnissen des Landes ein
grofser Teil von dessen Oberfläche über der Waldgrenze gelegen ge-
wesen sein, sodafs eine starke Abspülung in den höheren und eine be-
trächtliche Anschwemmung in tieferen Gebieten stattfand. Man wird
daher wohl einen Teil der spanischen Diluvialgebilde als fluviatile
Ablagerungen aus der Eiszeit zu betrachten haben.
Zu den Glacialbildungen Mittel - Europas gesellen sich bekannter-
mafsen interglaciale, vor allem der Löss. Derselbe fehlt auf der
Pyrenäen-Halbinsel. Ich sah ihn nirgends in den Ebenen Neu- oder
Alt-Kastilien, weder im Ebro-I.and noch in der andalusischen Senke,
wo man nach der Art seines Auftretens in Mittel-Europa doch erwarten
sollte, ihn selbst von der Eisenbahn aus zu bemerken; ich beobachtete
ihn auch weder an den Flanken der Sierra de Guadarrama noch bei
Granada, und fand seiner auch nicht in der geologischen Literatur
über Spanien erwähnt. Dieser auffällige Mangel dürfte sich auf die
klimatischen Verhältnisse der Interglacial-Zciten zurückfuhren lassen.
Dieselben waren jedenfalls etwas wärmer als die Gegenwart, und
Mittel-Europa hatte daher, entsprechend seiner kontinentalen Lage, ver-
hältnismäfsig trockenes Klima ; es war in das Bereich der grofsen kon-
tinentalen Steppenregion mit winterlicher Trockenheit einbezogen,
deren Ausläufer sich ja gegenwärtig bis an seine Grenzen erstrecken.
Als Steppenstaub kam in ihm der Löss zur Ablagerung. Wenn nun
>) Hann, Meteorologie des Ben Nevis. Meteorologische Zeitschrift. 1891.
S. 455 (469k
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Klima Spaniens während der Tertiärperiode und der Diluvialpcriode. | 4 1
auch die Pyrenäen- Halbinsel etwas wärmer als gegenwärtig war, ward
sie zugleich doch nicht ihrer maritimen Lage verlustig, ihre nördlichen
Partien genossen etwa das Klima ihres Südens und dieser das des
nördlichen Marokko, welches bis zum Parallel von Fes mindestens
ebenso regenreich wie Andalusien ist. Aber wenn auch der Eindruck
Spaniens der eines Steppenlandes ist, so kommt doch gegenwärtig dort
ebenso wenig Steppenstaub zur Ablagerung wie im nördlichen Marokko.
Die kräftigen Winterregen schwemmen das feine äolische Sediment
des Sommers fort und hindern dessen Anhäufung. Ganz anders in
den kontinentalen Steppengebieten, welche einen spärlichen Regenfall
im Früh- oder Spätsommer erhalten und im Winter trocken sind. Der
vom Frost gelockerte Boden wird hier nicht verschwemmt, sondern
nur verweht, und wenn der Frühsommerregen beginnt, überzieht sich
das Land mit einem dichten Pflanzenkleid, das es vor Abschwemmung
schützt. In der That sind die gegenwärtigen Gebiete subaerischer
staubiger Sedimentation auf die winterdürren Kontinental-Steppen be-
schränkt und fehlen den Steppenländern im Bereich subtropischer
Winterregen. Welche Ablagerungen in Spanien für den Löss Auftreten,
ob dieselben in der That, wie nach dem vorangehenden zu mutma&en,
sich den gegenwärtig im Land entstehenden Kontinentalgebilden eng
anschliefsen, werden spätere Untersuchungen zu zeigen haben.
In der Entwicklungsgeschichte der Pyrenäischen Halbinsel spiegeln
sich zwei Zeiten erheblicher Verschiebungen der Klimaregionen,
welche bereits als solche in Mittel-Europa längst bekannt sind. Wäh-
rend der Miocän-Epoche herrschten klimatische Zustände, welche man
gegenwärtig zwölf Grade weiter südlich antriflft, während der Eiszeit
Temperaturen, denen man heute vierzehn Grad weiter nördlich be-
gegnet. Gleiches gilt für Mittel-Europa, und die Unterschiede, die in
den klimatischen Verhältnissen beider Länder herrschten, entsprechen
seit der Miocän-Epoche den heutigen, welche durch die Verschiedenheit
in der geographischen Lage beider bedingt sind. Hiernach ergiebt
sich eine Amplitude von 26°, also fast drei Zehntel des Meridian-
Quadranten, innerhalb welcher sich die Klimazonen verschoben haben.
Dieser Nachweis aber beschränkt sich auf einen Meridianstreifen
von 15 °, also ein Vierundzwanzigstel des Erdumfanges, und bevor eine
sichere Erklärung der einschlägigen Erscheinungen zu erwarten ist, mufs
bekannt sein, wie sich dieselben in periökischen Gebieten abspielten.
Zeiuchr, d. GeselUch. f. Erdk. Ild. XXIX.
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142
Martin Hart mann:
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa
Dschebel Bereket.
Reisen, ausgeführt mit Unterstützung der Karl Ritter-Stiftung der Gesellschaft für
Erdkunde und dargestellt von Martin Hartmann.
(Hierzu Tafel J.)
Von dem Höhenzug, welcher die syrische Küste begleitet, ist der
nördlichste Teil am wenigsten bekannt. Stid-Syrien ist vorzüglich
aufgenommen; von Mittel-Syrien sind bedeutende Teile so erforscht,
dafs die Hauptsachen der Bodengestalt deutlich hervortreten, Uber
Nord-Syrien liegen zuverlässige Nachrichten nur in beschränktem Mafs
vor. So richtete ich die Reisen, welche ich während meines Aufent-
haltes in Beirut als Kanzler-Dragoman des Kaiserlichen Konsulats
unternehmen konnte, nach diesem Teil des Landes. Im November
1881 besuchte ich das Nussairier-Gebirge'). Vom 22. September 1882
bis 14. Januar 1883 machte ich von Alexandrette aus eine Reise, welche
mich zunächst über den hohen Kamm des in dem gefürchteten- Ras
el-chanzir zum Meer abfallenden Dschebel el-ahmar oder Dschebel
Arsuz (auf den Karten falsch Dschebel Musa genannt) an die Mündung
des Orontes, auf den Gipfel des Dschebel el-akra, nach Antiochia,
Bailan, Pajas führte. Der Plan, den Amanus Mons auf dem über
Tschokmerzimen und Tschardak in das Thal des Karasu führenden
Pafs zu überschreiten, scheiterte an dem Widerstand des Kaimma-
kams von Pajas; ich mufste nach Alexandrette zurück und erreichte
das unterhalb des Tschardak-Passes am Ostabhang des Gebirges lie-
gende Salmanly (Ekbez) mit seiner gastfreundlichen Lazaristen-Nieder-
lassung auf dem gewöhnlichen Wege (Kyrykchan — Chassa). Bei dem
mehrtägigen Aufenthalt dort wurden Ausflüge gemacht. Weiter ging
es über Bülbül im Kurd-daghy nach Killiz, von dort über Aintab,
Besne, Tut, Adiaman, Samsat nach Urfa und von dort zurück über
Biredschik, Aintab, Killiz, Aleppo nach Alexandrette. Die mir auf
Verwendung des Herrn Professor Heinrich Kiepert in Aussicht gestellte
Unterstützung aus der Karl Ritter-Stiftung der Gesellschaft für Erd-
kunde zu Berlin sollte erst fällig werden, wenn die Herrn Kiepert ein-
gesandten Tagebücher durch weitere Aufzeichnungen in bestimmter
■) Bericht darüber s. Zeitschrift des Deutschen Paläst. -Vereins XIV, 151 — 255
„Das Liwa el-Ladkije“.
Digi
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berckel. (43
Richtung ergänzt würden. So führte ich vom 15. bis 23. September
1884 eine Reise aus, auf welcher ich das Hochgebirge südlich des
Bailan-Passes auf dem zwischen dem Dschebel el-ahmar und dem Dschebel
Bailan gelegenen Pafse von Fyrnyz überschritt und durch die Ebene
zwischen dem Orontes und dem Antiochia-See Harim als östlichsten
Punkt erreichte; von diesem wandte ich mich südlich über Derkusch
nach Dschisr esch-schughr und kehrte durch den Dschebel el-kusair,
über Antiochia und Bailan nach Alexandrette zurück. Es wurden mir
nun die Kosten der Reise 1882 — 83 aus den Mitteln der Stiftung er-
stattet, wofür ich hiermit den ergebensten Dank ausspreche. Besonders
verpflichtet bin ich Herrn Kiepert, welcher trotz der grofsen Menge
eigener Arbeiten mich durch Ratschläge und Ausführungen oft sehr
umfassender Art, ja selbst durch Mitteilung von Kopien eigener Karten-
konstruktionen über die zu bereisenden Gebiete unterstützt hat.
Bei den beiden Reisen war ich mit folgenden Instrumenten versehen :
1. Holosteric-Barometer No. 438 von Dörffel in Berlin, 2. Schmnlkalder
Bussole von F. W. Breithaupt & Sohn in Kassel. 3. Taschenkompafs,
der benutzt werden mufste, wo das äufserst empfindliche Instrument 2
einzustellen keine Zeit war. Ein mitgenommenes Thermometer zer-
brach mir leider schon bei dem ersten Ausflug am 24. 9. 82, so dafs
ich mich begnügen mufste, den, allerdings vielmehr die Temperatur
des Instrumentes, als die der Luft anzeigenden Stand des in 1 an-
gebrachten Thermometers zu verzeichnen und bei den Berechnungen
in Betracht zu ziehen.
Über meine Art zu arbeiten kann ich nur das in dem „Liwa el-
Ladkije“ (ZDPV XIV, S. 158 f.) Gesagte hier wiederholen: „Ich habe
mich bemüht, mit den Instrumenten möglichst viele Messungen vor-
zunehmen und zu notieren. Gewissenhaft wurden die Zeiten und alles,
was auf und an dem Wege Aufmerksamkeit erregte, verzeichnet . . . .
Die am Tage im Sattel mit Bleistift gemachten Notizen wurden am
Abend mit Tinte kopiert, ferner das, was im Quartier in Erfahrung
gebracht und beobachtet werden konnte, sorgfältig verzeichnet und
endlich die Ortslisten des Landesteiles, mit welchem bei den An-
wesenden der Sachlage nach eine besonders gute Bekanntschaft an-
genommen werden konnte, mit ihnen durchgegangen. Hier galt es
nicht selten, einen heftigen und systematischen Widerstand zu über-
winden, Dieser Fremde, der so viel schrieb, so viel fragte, so viele
Namen im Lande kannte, war den Leuten unheimlich, und es hiefs
immer gleich ubeddo jiktib b/ddnaal »er will unser Land aufsch reiben«,
damit nachher seine Landsleute kommen und es mit Leichtigkeit weg-
nehmen können. Meistens gelang es, die Leute zum Sprechen zu
bringen, indem ihre Eitelkeit angeregt wurde: der Orientale liebt es,
10*
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Marlin Hartmann:
sich gut unterrichtet zu zeigen, und packt man ihn von der Seite, so
kramt er aus, was er weife; freilich oft auch, was er nicht weife, er
flunkert gern. Aber erstens sind die Gebirgsbauem im Innern dazu
meist nicht schlau genug, sodann aber fanden sich unter der Zahl der
Neugierigen, die allemal herzukamen, um den Fremden anzusehen, immer
genug, welche Flunkereien gleich aufmutzten. Gingen die Meinungen
über Lage und Flntfcrnung einer Ortschaft einmal auseinander, so war
das besonders lehrreich; denn die Leute erwärmten sich dann, und
aus Rede und Gegenrede ging manches hervor, was bei einfachem
Abfragen nicht zur Sprache gekommen wäre. Dann liefe sich die Er-
örterung gewöhnlich leicht in erwünschter Weise lenken."
Über die im Vorstehenden erwähnten „Ortslisten“ sei gleich hier
bemerkt, dafs ich, ähnlich wie vor dem Antritt der Reise in das Nussai-
rier-Gebirge 1881, das in den Staatshandbüchern (Salnames) für das
Wilajet Aleppo auf 1285, 1286, 1287 und 1291 vorliegende reichliche
Material so geordnet hatte, dafs seine Verwertung, d. h. Verifizierung,
Berichtigung, Ergänzung möglichst schnell erfolgen konnte. Auf grofsen
Bogen waren die Namen jener Jahrbücher in einer Spalte untereinander
geschrieben, wobei der jeweilig zuverlässigst erscheinende Jahrgang zu
Grunde gelegt, die Varianten der anderen anbei vermerkt wurden;
für Umschrift, Angaben über Entfernung vom Verwaltungs-Mittelpunkt,
Häuserzahl, Religion der Bewohner waren Spalten eingerichtet Der
gröfsere Teil der so vorbereiteten Bogen wurde während der Reise
mehr oder minder vollkommen bearbeitet und mit Nachrichten im An-
schlufe an die Listen und an den in Übersetzung beigefügten sta-
tistischen Teil der Jahrbücher betreffend den bezüglichen Verwaltungs-
bezirk, nicht selten auch mit Notizen, die sich aus freier Rede und
Gegenrede ergaben, bedeckt. Bei längeren Aufenthalten, bei denen
die Dienste besonders gut unterrichteter Männer gewonnen werden
konnten, wurden ausführlichere Mitteilungen derselben in das Tage-
buch aufgenommen. So arbeitete ich in Salmanly (Ekbez) mit dem
Armenier Tschllö, in Antiochia mit dem Araber Hannä Karajüsuf, in
Killiz mit dem Armenier Hannüsch. Alle drei Männer haben ein Leben
hinter sich, das zum gröfsten Teil mit Streifereien in der Gegend, in
der ich sie traf, zur Jagd oder in Geschäften ausgefüllt war, und ihre
Angaben erwiesen sich als verhältnismäfeig zuverlässig. Namentlich
Hannä Karajüsuf ist ein Mann von scharfer Beobachtung und gutem
Gedächtnis.
Im Folgenden lege ich die Bearbeitung meiner Tagebücher fiir
den Teil der Reise vor, welcher sich in dem I.iwa Aleppo bewegt hat,
mit Ausschlufs der noch in dieses Verwaltungsgebiet fallenden Strecken
Killiz — Aintab auf der Hin- und Biredschik — Aintab — Killiz auf der
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 145
Rückreise. Obwohl der Mafsstab der Karte (1:220000) genügend grofs
ist, um in den meisten Fällen auch die Einzelheiten des Reiseweges er-
kennen zu lassen, schien eine vollständige Wiedergabe desselben doch ge-
boten, um eine Nachprüfung in den zahlreichen Fällen zu ermöglichen,
wo die Karte Neues oder von früheren Arbeiten Abweichendes bietet.
Von Abweichungen erwähne ich besonders die Eintragung von Chässa
(F 2); in Kiepert’s Karte zu Humann-Puchstein '), in welche auch
mein Weg aufgenommen wurde, ist der Ort unter 36° 27' ö. L. Gr. einge-
tragen; bei meiner völlig selbständigen Konstruktion erhielt ich dafür
bei fast gleicher Breite 36°34'ö. L. ; trotz dieser Differenz von 7' er-
hielt ich für Killiz die Länge der Kiepert’schen Karte*), bei Differenz
der Breite um 3' (36° 39' gegen 36° 42' K.’s). In der That lassen sich
die Eintragungen von Chässa und Killiz bei K. deshalb schwer ver-
einigen, weil bei der Lage des ersteren die Entfernung zwischen beiden
Orten um etwa 10 km (dem Äquivalent von 7') gröfser ist, als nach
meiner Aufnahme anzunehmen ist. Ist die Länge von Killiz richtig, so
ist für Chässa die von mir gewonnene bei weitem wahrscheinlicher.
Das Karasu-Thal hat für uns durch die Funde von Sendjirli ein be-
sonderes Interesse erlangt; es erscheint nicht unwichtig, dafs dieser
Punkt richtig angesetzt wird. Ist meine Konstruktion richtig, so ist
er 7' östlicher zu legen. Bei der Zeichnung der Gebirge wurden grund-
sätzlich nur die eigenen Beobachtungen und Erkundungen zu Grunde
gelegt. Da Sicheres immer nur für den schmalen Streifen vorlag,
auf den der Weg Ausblick bot, so konnte der vermutungsweisen Er-
gänzung des Bildes nicht wohl entraten werden. Für die der Küste
zunächst gelegenen Teile wurde auch die Küstenaufnahme der eng-
lischen Admiralität (Ml) herangezogen, natürlich mit der gehörigen
Vorsicht, denn die so fein gestrichelten Gebirgsgruppen derselben sind
zum grofsen Teil freie Phantasie. Besondere Sorgfalt wurde darauf
verwandt, die Gliederung des mächtigen Küstengebirges kräftig her-
vortreten zu lassen.
Im südlichen Teil sind der Dschebel el-akra' und der Dschebel
el-ahmar zu beiden Seiten der Orontes- Mündung gelagert, wie zwei
mächtige Wachttürme; nicht unmöglich ist, dafs zwischen ihnen einst
ein langgestreckter Meerbusen in das Land hinein sich schob bis zu
dem weiten Wasserbecken, das die Antiochia-Ebene ausfüllte3). Be-
t) Reisen in Kleinasien und Nordsyrien, Berlin 1890.
*) Ich hatte daher keine Veranlassung, die Verlegung von Killiz um 4' nach
\V bei Bl. [d. i hier und im Folgenden : Blanckcnhom, Grundzüge der Gcol. n. physik.
Geogr. von Nord-Syrien, 1891] 89 nachzuahmen.
•1) Nach Bl. 10.
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14(5
Martin Harttnann:
merkenswert ist, dafs der Dschebel Mar Sim'an, obwohl nördlich des
Orontes gelegen, welcher sich hier zwischen ihm und dem Abfall des
Dschebel es-sabuni auf der südlichen Seite in dem Boghaz seinen
Weg durch die Felsen bricht, zum Massiv des Dschebel el-akra gehört,
nicht die südlichste Spitze des westlichsten der vom Dschebel el-ahmar
zum Orontes hin vorgeschickten Ausläufer bildet1). Dieser westlichste
Ausläufer ist es, welcher den Namen Dschebel Musa führt, der bisher
immer falsch dem Hauptzug beigelegt wurde; genauer heifst so nur
der ostwestlich streichende Rücken, der südlich vom Tazy daghy im
rechten Winkel sich abzweigt, während der Teil zwischen ihm und dem
Hauptkamm, der in dem Tazy daghy seine höchste Spitze erreicht,
den Sondernamen Sandyran daghy führt. Die Piks des Hochkammes
sind vornehmlich nach den Mitteilungen des Herrn Musa Filian in
Bitjas eingetragen, welcher die Güte hatte, eine Anzahl eingesandter
Fragen ausführlich zu beantworten. Durch den im September 1884
gewählten Weg über den Pafs von Fymyz (s. S. 143) konnte die
Abgrenzung des Dschebel el-ahmar und des Dschebel Bailan 2) näher
bestimmt werden. Von den Pässen nördlich von dem die Hauptstrafse in
das Innere bildenden Bailan-Pafs wurde der Gezbel, der über Sakyt er-
reicht wird und die kürzeste Verbindung darstellt zwischen Alexandrette
und dem wichtigen Kyrykchan, wo sich die Strafse durch das Karasu-
Thal von der Aleppo-Straße abzwTeigt, von Alexandrette aus bestiegen,
der Tschardak-Paß zwischen Tschokmerzimen (Pajas) und F.kbez (Chassa)
von Ekbez aus besucht. Die wichtigen Spitzen Alan-dagh (D 3), Mu-
ghyr (E 2) und Kuschdschu (F 1) konnten nur vermutungsweise ein-
getragen werden. beider konnte auch nicht der Paß besucht werden,
welcher von der Küste bei Sakaltutan (D 3) im Thal des Flüßchens
von Dejirmenderesi aufsteigend den Kamm auf dem Körmenlinin gedigi
überschreitet und unterhalb des imponierenden Akkaja (E 3) zu Urduköj
im Karasu-Thal hinabsteigt. Der Gebirgseinschnitt, durch den er führt,
soll ein sehr tiefer sein, und die Pafshöhe wird 1000 m nicht über-
schreiten, während Gezbel und Tschardak Hochpässe von i486 m und
1550 m sind. Wie im Mittelsyrischen Küstengebirge ist auch hier der
Abfall nach Osten viel schroffer als der westliche; keine Terrassen,
keine Thäler, die in sanften Windungen sich den Abhang hinabziehen,
vielmehr eine steile Wand, in welche hin und wieder von Winterströmen
tiefe F'urchen gegraben sind. Auf dem Kamm fesseln zuweilen riesige
*) In dieser Auffassung der Struktur, die zuerst von Blanckenhorn (Bl. 9) aus-
gesprochen zu sein scheint, wird man diesem Forscher folgen müssen.
-) Auf den Karten und in den geologischen Werken meist alma oder elma-
dagh genannt; ich habe den Namen für diesen Teil des Gebirges nie gehört.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 147
Felsen von grotesken Formen den Blick des in der Ebene Wandernden,
wie der wohl 600 m lange, nach N und O in gewaltigem Steilabfall
endigende, schon erwähnte Akkaja. Ein anderer Steilabfall, den der
von Kyrykchan nach Norden Reitende beständig vor sich hat, ist das
südliche Ende eines Ausläufers des Hauptkammes nach Südosten (E 2).
Wie dem Libanon der Antilibanus und dem nördlichen Teil des
Nussairier-Gebirges die Höhenzüge am Ostufer des Orontes, so liegt
dem Amanus mons jenseits der Karasu-Ebene der Kürd daghy gegen-
über, welcher sich viel weiter südlich zieht, als die bisherigen Karten
annelimen lassen. Der Pafs (991 m), auf welchem ich ihn überschritt,
liegt zwischen dem grofsen und kleinen Damryk, die in diesem Teil
des Gebirges wohl die höchsten Erhebungen bilden. Sehr merkwürdig
ist der Streifen vulkanischer Formation, welcher zwischen den beiden
Gebirgszügen in der Gegend des Baghlama (G 1) gleichsam eine Brücke
bildet. Südlich derselben scheinen sich im Karasu-Thal nur verein-
zelte Rücken (Ger) und Hügel ( Hiijük )') zu finden. Nördlich schieben
sich die nordöstlich streichenden beiden Katyranlyks ein. Im Osten
kann der Hauptzuflufs des Nähr ‘Afrin als die Grenze des Kürd daghy
betrachtet werden; jenseits desselben erheben sich die Gebirge um
Killiz, welche nach Süden in die grofse nordsyrische Hochebene abfallen.
Bei Schreibung der Namen, deren Form oder Aussprache in
arabischem und türkischem Mund verschieden ist, ist überall der ara-
bischen Form der Vorzug gegeben worden; nur wo die türkische Form
in den Sattelnotizen überwiegend auftritt und charakteristisch ist, ist
sie auch in dem Itinerar beibehalten worden. Bei der Umschrift ist
im allgemeinen das System des Deutschen Palästina -Vereins ange-
wandt. Doch ist nicht pedantisch verfahren, und sind sowohl bei den
in gewöhnlicher Druckschrift erscheinenden Eigennamen, als auch bei
den beibehaltenen orientalischen Gattungswörtern, wie in Ausdrücken
der türkischen Verwaltung, die unterscheidenden Punkte und Zeichen
fortgelasssen worden. Der Kundige ergänzt sie leicht, dem Unkundigen
sagen sie doch nichts. Mit Rücksicht auf Einheitlichkeit und auf Raum-
ersparnis sind im Text und auf der Karte ausschließlich die im Lande
selbst üblichen Namen der Orte angewandt, auch wo sie von der uns
geläufigen erheblicher abweichen : antdkija, iskenderün, haleb ftlr Antiochia,
Alexandrette, Aleppo u. dgl. mehr.
Im Jahr 1900 wird voraussichtlich das Schienennetz von etwa
800 km, dessen Bau in Angriff genommen und in einzelnen Teilen be-
endigt ist, und dessen Ausführung in sicheren, kapitalkräftigen Händen
1 ) Eine gröbere Anzahl derselben dürfte künstlich sein; hier ist von Nach-
grabungen reiche Ausbeute zu erwarten.
V
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148
Martin Hartmann:
liegt, fertig gestellt sein1). Die grofse Strecke Damaskus— Aleppo —
Biredschik wird nur zu einem sehr kleinen Teil das hier bearbeitete
Gebiet berühren; es ist jedoch die Verbindung Aleppos mit der Küste
durch einen Schienenweg nur eine Frage der Zeit. Mit dem Bau dieser
Strecke wird das geographische Material bedeutend anwachsen, und
werden zugleich die Mittel zur besseren Erforschung des Landes ver-
mehrt werden. Von den anderen Teilen Syriens, welche von den
neuen Verkehrswegen nicht berührt werden, ist das Gebiet zwischen
einer Linie Tripolis — Horns und der andern Lattakia - Dschisr esch-
schughr am meisten der Erforschung bedürftig. Wird auch dieses in
einer Sonderkarte festgelegt, so wird endlich das geschaffen werden
können, was bereits in den Verhandlungen der Gesellschaft 1891 S. 293
als ein dringendes Erfordernis bezeichnet worden ist: eine brauchbare
Gesamtkarte von Syrien.
Im Folgenden vorkommende Abkürzungen:
A — Orthodoxe Armenier.
AK =■ Katholische Armenier.
AP — Protestantische Armenier.
H = Haus, Häuser.
I — Ismaelier.
J = Juden.
M = arabisch sprechende Muslims.
N = Nussair ier.
R = Rum (Griechisch Orthodoxe).
RK = Rüm Katulik (Griechisch-Katho-
lische oder Unierte)
T = Türken.
Tm = Turkmenen.
I. Die Wege.*)
1881/83.
24. September 1882.
8h 30 m fort von et-asehkar (türk, aschkarbehk), 3 km von iskenderün,
begleitet von dem Türken Mustafa aus kaukard, nach O. — 8h 55 m
nach NO. — 9h 2om der hohe salyngatseh daghy vor uns, fast östlich;
an seinem Fufs, im NO, das Dörfchen sa/yngatseh. — 98 50™ salyn-
gatseh, 3 H. Halt.
10 h 30 m fort von salyngatseh nach O; auf dem Wege Aufenthalt
von ca. 8m. — nhiom auf dem höchsten Punkt des Weges über
den salyngatseh dilghy ; baghlydscha ca. 30 lu entfernt, ioo°; iloluk (d. i.
agh oluk , WeiGsrinne) ca. 20m unter uns, 300° — nh25™ bergab bis
1 1 h 35m- — nh35n' nach SO; bergauf; iskendervn 287°. — 1 2 h iom
') s. darüber mein .Das Bahnnetz Mittel-Syriens“ in ZDPV XVII, 56 ff.
*) Alleinstehende Gradziffer bezeichnet den Winkel, welchen ein Messen der
allgemeinen Wegrichtung mit dem Kompais, Gradziffer bei einem Ortsnamen den
Winkel, welchen das Peilen des Ortes ergab.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 149
bei den ersten Häusern des sehr zerstreut liegenden, aber nicht grofsen
Dorfes kairak ; wenige Minuten später am pyfiar baschy, Quelle mit vor-
trefflichem und reichlichem Wasser. Halt. Spitze des alaü dagh ca.
70°; über diesen Berg führt der atan bei, der nördlichste der drei
Pässe, auf welchen man von iskenderün in das karasu - Thal gelangt;
die beiden anderen sind der ges bei (s. 25/9 iih45“') und der be/eil
gedi'k, der bekannte Pafs von baildn ( belcn)\ ist der letzte auch der
weitaus am meisten benutzte, so werden doch auch die beiden anderen
oft genug begangen.
lh 10m fort von der Quelle auf den alaii dägh zu. — ih 30"“ letzte
Häuser von kairak', dichter Nebel kommt von N und bedeckt den
Berg, so dafs ich die Besteigung aufgebe; wir wenden uns nach alma-
dagh. — ih40,n bei den ersten Häusern von almadügh ; die 20 — 30 H
liegen sehr zerstreut auf der ausgedehnten Hochebene; es ist Sommer-
dorf und seine Bewohner haben ihren eigentlichen Sitz in apatschilli,
ar. el-'-abadschlljc , d. i. in dem tiefer gelegenen Komplex von Ort-
schaften, welcher diesen Namen führt; ebenso ist es mit kairak', beide
Orte sollen schon zum Wilajet adana gehören. — 2*> Halt.
2h17m fort. — 2 b 25 m an der Quelle des Baches von aschkar-
bilik. — 2 h 45 m am göjdschebel , nahe von einigen der sehr zerstreut
liegenden 50—60 H von silkyl ; hier nur Dreschplätze (harman, ar.
baidar), kein Dorf. Die Notiz „ göjdschebel 15 H T" (s. T.isten) wird
sich dagegen nicht halten lassen. — Die Erklärung des Namens als
dschebel el-azrak, die mir von einem Einheimischen gegeben wurde, ist
sicher falsch; dem etymologisierenden Volk liegt allerdings die Zu-
sammenstellung mit ar. dschebel nahe; der Name ist aber zusammen-
gesetzt aus gSjdsche, bläulich, schwärzlich, von gök, göj, und bei = Pafs,
Sattel (s. I2h io™). — Halt, iskenderün 308°, fast in gleicher Richtung
aschkarbilik und kaukard.
3h fort. — ca. 4h in kaukard, 50 — 60 H T, Winterdorf der Leute
von sakyt. Halt.
4 h 50 m fort. _ jh 25 m zurück in aschkarbilik.
25. September.
7h 30 ra fort von aschkarbilik.
7h 52m in kaukard. Durch das Dorf; auf einem Rücken, der steil
aus dem tiefen Thal, das links vom Weg ist, aufsteigt; jenseits des
Thaies die steile Wand des salyhgalsch düghy ; rechts ein anderer
Rücken, durch einen Einschnitt getrennt. — ca. 8 11 bei dem Haus
meines Führers Mustafa, einem der letzten und höchsten des Dorfes;
iskenderün 3 io0. Halt.
8h 50m fort; immer noch auf demselben Weg, auf dem wir am
Tage vorher zurttckgekehrt; nach S, dann SO, dann O. — gh scharfe
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150
Martin Hartmann:
Wendung nach rechts, genau S; bald darauf über ein Wässerchen;
nach WSW.
9h 12m fast östlich, wenig S; auf einer Hochebene. — 9h 23”
bergauf nach SO; bald darauf wieder eben — 6m Halt. — 9h 5o”>
Halt, iskenderün 31 50; links hatten wir immer den safyüga/sck däghy',
vor uns liegt der säkyt daghy , links von ihm almadägh, rechts der
gez bei.
9h 53m fort. — 9h 55”1 rechts, jenseits einer kleinen Ebene, die
ersten Häuser des sehr zerstreut liegenden Sommerdorfes sdkyt. —
10h 2 m links immer noch Häuser von sdtyf. — ioh 17 ra über eine gut
bebaute Ebene. — ioh 2öm Halt.
10h50m fort. — 11 h iom Wald mit mächtigen Bäumen, besonders
Rüstern, Wacholder, demirdschik (?). — 1 1 h 33 ,n rechts geht ein Weg
nach baildn ab, auf dem dieses in ca. 2 Stunden zu erreichen ist. —
nh45m auf der Höhe des gez bel\ es ist ein nur ca. 30m langer
Sattel zwischen zwei Bergspitzen, die nördlich und südlich davon auf-
steigen; dieser Pafs bietet den kürzesten Weg in das Karasu-Thal. —
8ra Halt. — n*> 56 m bei den ca. 13 bereits gänzlich verlassenen
Hütten, in welchen die Leute von kurtlu fenk und kurtlu jir decke,
welche Dörfer ebenso wie tichailanly und külscküdsche köj am Ostab-
hang des Gebirges liegen, sommern. Die Hütten liegen in einem
freundlichen kleinen Hochthal, in dessen Mitte ein spärlich fliefsendes
Wässerchen. Halt.
12h 62ra fort auf den Gipfel der südlichen Bergspitze zu Fufs. —
1 h 55 m auf dem Gipfel; iskenderün 320°, aschkar bllik 3240; der nörd-
liche Gipfel 1 5 0 ; akkaja (s. 20./10. i2>> 24m) 330; zwischen dem nörd-
lichen Gipfel und dem scharfgezackten akkaja sieht man im Hinter-
grund den asardede, höchsten Punkt des gjaur dagh (?), zu welchem
der akkaja und die anderen weiter hinten sichtbaren Berge gehören;
höchste Spitze des baildn dcigh 246°.
2h50m fort; sehr steiler Abstieg auf weichem Boden. — 3*1 i8m
wir münden etwas W vom Pafssattel in den alten Weg ein. Halt.
3h 55“ fort; bald nach Abzweigung des baildn -Weges (s. 1 1 h 33“)
nimmt Mustafa den näheren Weg, auf dem wir heraufgekommen; ich
auf der besseren, aber längeren Strafse. — 4h 35ro an dem Halte-
punkt von ioh 26“, wo mich Mustafa erwartet. — 5h 45m in kaukard
beim Haus Mustafa’s (s. 8h). — 6!l 15“ zurück in aschkarblltk.
26. September.
10 h lÖm fort von iskenderün, begleitet von zwei Mukaris, dem
arabischen Christen (griechisch) Hannä und dem Nussairier Jüsuf, und
dem Tschawusch (Korporal) Hasan, einem echten Türken. Der Nus-
sairier ist unterwürfig, fleifsig, immer heiter; der Türke ernst, zurück-
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Dis Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschcbel Bereket. ]51
haltend, aber zu helfen bereit und geschickt, wo es not thut ; der Christ
ist frech , faul , unfähig. — Dicht am Meer in gutem Schritt. —
ioh47ln links am Bergabhang nergizlik. — 1 1 h 15™ links das grofse,
sich sehr lang hinziehende karaaghätsch (karaghdlsc/i). — 1 1 h 23 links,
am Fufs des Gebirges, das Dörfchen kara hüzüllü. — uh40m vor
uns links ‘arab deresi an einem Hügel, der ein Ausläufer des bailän
iigh ist. — i2h niedrige, vom Gebirge vorgeschossene Rücken treten
an das Meer heran. — i2h 15™ — 18 m um eine sehr steil abfallende •
Bergnase herum; die Vorberge treten zurück. — i2h 28m links, ca. iom
entfernt, büjükdtrf, ca. 30 m entfernt, birindschlik ( birldschli ). — i2h 40 1,1
Brunnen ‘ain el harämije ; an den wieder ans Meer tretenden Bergen
endang und um sie herum. — 1 h 25"' 15“ links /schenk oder tschengien.
— ih vor uns und links die weite, leicht gewellte Ebene von
arsüz. — 2h ca. 30 m links, etwas hinter uns, h'lse, und weiter hinten
svkuluk ; ca. ih links akbar. — 2h i5m über den zille Ischai. — 2h 25 m
ab von der Küste in die mit dichtem Gebüsch, besonders Oleander,
bewachsene Ebene. — 2h 3om bei der schönen Quelle giildschihan, 3m
vom Meer; etwas südlich von hier lief der ra/lf, die Römerstrafse von
der Küste nach antdkija. Halt.
3h fort, am Meer. — 3h 40 m ab von der Küste, wegen der vor-
springenden Berge; sanft bergauf. — ca. 4h 2ora wieder am Meer,
das hier eine Bucht bildet, an deren gegenüberliegender Spitze arsüz
erscheint. Kurz vor dem Ort über ein Flüfschen. ca. 5h 5m in arsüz
(auch el-kaba genannt), abgestiegen im Haus des Dschirdschi Nä'üs,
eines Tripolitaners, der seit mehreren Jahren dort ansässig ist.
28. September.
5h 45 m fort von arsüz nach S, in der Richtung der Q. el-fenk durch
die Ebene; rechts niedrige Hügel. — 6h 20“ zwischen zwei gröfseren
Hügeln hindurch. — 6h 25“ Hügelland; nach S, mit geringer Ab-
weichung nach W. — 6h 28"> wir steigen die Hügel (Vorberge) hinauf.
_ 6*1 37 m an dem Friedhof des rechts gelegenen Dorfes chaime-
sektsi, das nur von Türken bewohnt ist, etwa 50 H, und zu kesrlk (keserik)
gehört, sofern unter diesem nicht eine einzelne Ortschaft (s. Karte B4),
sondern ein „Toprak“, Gebiet mit mehreren Ortschaften zu verstehen
ist, wie das der türkische offizielle Gebrauch zu sein scheint. — 6h 42™
Halt bei einem Hause des Dorfes; freundliche Aufnahme.
7h 16ra fort nach S. — 7h zs"1 wir steigen bergan. 7h42m Halt.
7h45m fort. — 7h 52"» immer zwischen Hügelland; ziemlich steil
bergauf; bald sehr steil; schlechter Weg. — 8h 10 m an der Wand
einer tiefen Thalschlucht, die rechts bleibt, entlang; rechts unter uns
ein lauter Bach, der durch das steile Thal hinabfallt. 8h I2ra bei
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152
Martin Hartmann:
‘am darb el-maghära, einer Quelle mit vortrefflichem Wasser, die den
Bach speist. Halt.
8h 22m nach O, dann N, gleich darauf wieder O. — 8h 30™ arsüz
wird sichtbar und bleibt es meistens; nach SSO. — 8h 35m Weg wird
schlecht. — 8h 46 m nicht geradeaus, denn das ist ein darb kutuk
chascheb, Weg, auf dem das Holz thalwärts geschafft wird, sondern
ein wenig nach links ab. — 9h 2zra abgesessen, weil der Weg zu steil.
arsüz 2,5°; links davon, näher, chaimesekisi ; jenseits desselben, noch
etwas weiter links, die Mündung des viürdschümlü tschai. — Halt.
9>> 45m fort. — 9h5im die maghdra, eine kleine, wohl natürliche
Höhle, in welcher die Holzhauer bei Regen Schutz suchen; im SO ein
tiefes Thal, aus welchem uns gegenüber ein hoher Berg aufsteigt, an
dessen Rand sich ein Weg hinzieht; dieser Weg soll ursprünglich
ein darb frendsch, Strafte von Franken gewesen sein; so schliefet man
nach den großen Steinen und Spuren einer alten Kirche dort; er war
aber verfallen und ist erst vor nicht langer Zeit von Topal Hisjün
(=Husain?), dem er gehört, ausgebessert worden, doch nur bis zu
einer gewissen Stelle; dieser Weg, der von arsüz kommt, vereinigt sich
bei der jäzije (s. ih4om) mit unserem Weg. Die Berge sind stark ab-
geholzt. Halt.
9h Ö8m fort. — loh 14"* an dem tiknit el-moi, d. i. Wassertrog,
nach W'elchem der Weg auch darb et-teknc genannt wird; das ttkne ist
ein im Stein ausgehöhlter Raum, in welchem sich ca. 20 cm hoch
Wasser befindet, das trinkbar ist und mit einem darin schwimmenden
Kürbis geschöpft werden kann, wohl Regenwasser; nach der Volks-
meinung ist dieses Ukne alt und zwar von den Franken gemacht. — Halt.
10h 20m fort; immer an einem Bergrücken entlang; links tiefes
Thal. — rih 13m vorbei an zwei Häusern, wo Pech (zift) aus Kiefer-
harz ( merch , türk, tschyran) gebrannt wird von vier griechisch und
türkisch sprechenden Christen aus Anatolien und zwei Christen aus
arsüz, die im Sommer dort hinaufziehen. — iih42m sehr schwieriger
Anstieg; arsüz 356°. — nh45ra Halt.
Uh 56m fort; auf dem letzten Teil des Weges sehr langsam, oft
zu Fufs, weil der Weg sehr steil, zuweilen sogar nicht reitbar war;
auch weiter sehr langsam bergauf.
12h 2m auf der Wasserscheide: Blick nach der anderen Seite des
Gebirges; von hier werden die Stämme nördlich nach arsüz durch
Menschen — auch die Frauen müssen mitarbeiten — oder durch
Ochsen herabgezogen; zum Transport nach Süden werden sie oben in
Bretter Ideff) geschnitten, die dann auf Tieren nach sandyrdn geschafft
werden, von wo sie weiter gehen, besonders nach anfctkija. — Auf der
Wasserscheide entlang, oder vielmehr etwas unter ihr auf der südlichen
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereitet. ]53
Seite nach O; bergab, doch sehr wenig; Weg zwar Reitweg, doch
äufcerst beschwerlich. — I2h I7m faf/um pynary. — i2h 22 m weite
Rundsicht mit dem dschebel el-akrä im Hintergrund. — i2h 26 m am
dgi o/ui, einer vortrefflichen Quelle, ungefähr 2 m rechts unterhalb des
Weges; von hier aus dschebel müsl (siel mit T und dschebel, das hier
auch von den Türken nie durch dägh ersetzt wird) vor uns zwischen
1800 und 2000; die Spitze des dschebel el-aira' unter ca. iSo° weit im
Hintergrund. Halt.
lh30m fort. — ih-jym kleine Hirtenhütte; immer noch auf der
Wasserscheide, oder ein wenig unterhalb auf der Südseite, nach O. —
ih4o“ beginnt der sehr beschwerliche Abstieg; Wald; diese Seite ist
noch wenig abgeholzt; nach ca. 8 m Uber eine schöne Ebene, welche
die Araber el-jdzije (s. 9h 5 1 m) 1 ) , die Türken iyz/ar iabury, d. i. das
Grab der Mädchen nennen, und welche besonders reich an Wild-
schweinen sein soll; ih46ra geht links ein Weg nach gömmadscha
ab, der über diesen Ort nach an/dtija führt; immer eben. — ih 52ra
hier letzter höchster Punkt, von dem aus anfdkija sichtbar. — Halt.
1 b 55 m fort; Weg sehr schlecht, eigentlich nur für Maultiere, nicht
für Pferde zu passieren, mit denen er auch nur selten gemacht wird;
überhaupt wird dieser Weg wenig begangen; 4—5 Personen im Monat.
— 2h 30™ rechts vor uns öffnet sich ein tiefes Thal, wie ein solches
links schon eine Weile lief. — 2h 52 m auf einer schattigen kleinen
Ebene mit Kiefern, welche wegen des roten Wassers, das sich im
Winter hier sammelt, kyzyl gSl, d. i. roter See heifst; hier finden sich
viele Hirsche8). Halt
2h 57m fort; zu unserer Rechten immer ein hoher Bergrücken, von
dem wir durch ein tiefes Thal getrennt sind und der in rechtem
Winkel auf den dschebel müsi zu stofsen scheint. — 3h 25m Halt auf
einem schattigen Platz.
3h 35m fort; sehr steil bergab auf glattem Kiefernadelweg; sehr
langsam; es scheint, dafs die nördliche Seite des überschrittenen
Hauptkammes des Gebirges dschebel arsßz, die südliche dschebel sandyrdn
heilst. — 4h 3om rechts ein Wässerchen, das in den iaralschai gehen
soll. — 5h iom über den Bach von sandyrdn, der nach S (liefst. —
5 k 25 m bej Jen ersten Häusern von sandyrdn, und zwar von dem berl-
') d.h. die Ebene; denn jnuje ist nur eine Arabisierung des echt türkischen
Wortes jdsy „Ausdehnung, grofser Kaum, Fläche, Ebene“ (Zenker).
8) oder ihnen verwandte Paarzeher; meine Begleiter nennen das Tier ar.
**‘a bern, d. i. eigentl. Wildziege, türk, gejik, das in den Wbb. durch „Hirsch“
viedergegeben wird, und erzählen davon: es hat lange Hörner, die ihm, wenn es
it Jahre alt wird, in den After hineinwachsen, so dafs cs sterben mufs.
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154
Martin Hartmann:
gedsche , d. h. das diesseitige, genannten Teil des Dorfes; ca. 5m zwischen
diesen, dann über Feld. —
5h 45 m nach ca. 8“1 beschwerlichsten Abstieges auf Steintreppen
über ein Wasser und jenseits bergauf; ungefähr 3m zwischen den Häu-
sern des ötegedsche, d. i. jenseitigen Teiles ; berigedsche und ütegedschc, die
etwa 20m von einander entfernt liegen und durch den schwer zu
passierenden Flufs getrennt sind, machen vielmehr den Eindruck von
zwei verschiedenen Dörfern. — 6>l beim letzten Hause des Dorfes, dem
des Schulzen (Schech Hadschi Agha), bei dem wir die freundlichste
Aufnahme finden.
29. September.
6 h 50m fort nach SSO; sanft bergab; südlich von uns der dschchel
müst. — Steil bergab zu einem Wässerchen, das in den karatschai
geht; jenseits bergauf nach O. — 7h 5m wieder über das Flüfschen;
an einem Thal mit stark rauschendem Bach entlang. — Von sandyran
führt ein direkter Weg zur kal'a (s. unten tzhö"1), der jedoch sehr
beschwerlich ist. — 7b iom links unter uns, sehr tief im Thal, der
nähr karatschai el-keblr. — 7 h 1 2 1,1 mündet von N in dieses Thal ein
minder tiefes, kurzes Querthal mit wenig Wasser. Wir immer auf der
steil abfallenden Südwand des karatschai-Thzles, dicht am Rand, ent-
lang, ziemlich eben. — 711 25”“ näher an der Thalsohle; der Flufs hat nur
geringes Gefäll; fast eben. — 7h 27 m links geht bergab die Strafse nach
antakija ab; nach rechts, vom Flufs ab, ziemlich steil den Berg hinan,
immer auf der Strafse nach es-nvidtje ; meine Begleiter stellen fest, dafe der
Weg über den Oghlansiny-Pafs (s. Karte B 5) weiter, aber bequemer
ist. — 7h 30»1 ab nach S in ein Seitenthälchen des karatschai ; an der
Thalwand darüber fort; dann steil bergauf. — 7 h 3 2 m einige Häuser,
die zu ekiz köprü, d. i. Doppelbrücke, gehören sollen; wir befinden uns
bereits am Rand des dschebel müsl. — Bergauf bis 7h 36'", dann berg-
ab; links Häuser von ekiz köprü , das von Türkmenen (? gemeint ist
wohl: Türken; die Christen der Gegend nennen die Türken meist
fälschlich Türkmenen) bewohnt ist; hier wird Seidenzucht getrieben.
7 h 50“* bergauf. — 7 h 53 m eben; links im Grund des auf beiden
Seiten sanft abfallenden Thaies der karatschai, auf dessen jenseitigem,
nördlichen Ufer sich die antakija- Strafse hinzieht, nicht sehr hoch über
dem Flufs, den sie kurz vorher überschritten hat. — 7h 56m bergauf.
— 8b wir verlassen das Gebiet von ekiz köprü und treten in das von
tschaghylghün ein; immer eben an der sanft abfallenden Thalwand
entlang. — 8h nm etwas bergauf, gleich darauf wieder eben. — 8h 15“
bei einer vortrefflichen starken Quelle, deren Wasser durch ein steiles
Seitenthal nach N zu in den karatschai geht; zahlreiche mächtige Nufs-
bäume; hier einige Hütten, in denen Armenier aus bitjäs Seidenzucht
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Das Liwa Halep (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. (55
treiben, die aber, wenn ihre Arbeit beendigt, wieder nach bifjds zurück-
kehren. Halt.
9h fort; im bergauf, dann eben. — 9h im das ziemlich bedeutende
Dorf el-'ädilhjc türk, adilll, das an der an/akija-Strake liegt, und zwar
nördlich von einem grofsen, flachen Felsenfeld ca. i h 1.; i St. östlich davon
tlldscha, türk, sailadscha oder saijyladscha, ebenfalls an der anfdkija-
Strafse; in el-'dd. A und N, in slldscha nur N. — Nach S, bald darauf
unter 210:220°, an dem Ostrand des dschtbcl mlisl herum. — 9h25m
rechts einige Häuser, die schon zu bitjds gehören. — gh 30 m mitten im
Dorf bei dem Haus Barker’s'); äufserst unfreundlicher Empfang von
Seiten der Armenier, die Verwalter des Grundstücks und Hauses sind ;
alles macht den trostlosesten Eindruck; was eine fleifsige, intelligente
Hand mit Liebe geschaffen, verfällt, wird mit Gleichgiltigkeit dem
Ruin entgegengeführt. Der Garten verwildert, das Haus ist allenthalben
schadhaft B hintcrliefs drei Söhne, von denen nur noch einer, Edward,
lebt. Das Grab seines Vaters, das auf der höchsten Terrasse des
an der Berglehne klebenden Gartens liegt, ist von ihm mit einem Denk-
stein geziert. Oberverwalter aller Besitzungen B.’s ist ein Levantiner in
haUb. Mit dem Mund strömen die Armenier dort von Dankbarkeit für
den Verstorbenen über: Viele rettete er vor Vergewaltigung durch die
Mächtigen, ja vom Tode; mancher Mutter den einzigen Sohn vom Kriegs-
dienst zur Zeit Ibrahim Paschas (von dessen strenger, keinen Glaubens-
und Klassenunterschied kennender Zucht weder Muslims noch Christen
etwas wissen wollen); ein besonderes Verdienst hatte B. durch Ein-
führung und Veredelung vom Bäumen und Pflanzen; es war dies ein
Sport, dem er sehr grofse Opfer brachte. Nach dem mich herumfüh-
renden Armenier, Sohn des Frank Serkls, hat bi/jds 550 Seelen, 274 A,
276 AP; die protestantische Gemeinde bestehe seit 28 Jahren: aufser
biljäs seien noch drei Dörfer rein von Armeniern bewohnt: joghun uluk,
arab. tl-ghulluk mit 450 — 500 H (?), frädschi habcbh und hebst. — 10 m
SO von B.’s Haus die schöne Quelle kara puiiar, die zwischen Felsen
hervorkommt, und deren Wasser in den kara tschai geht; 2m davon
eine unbedeutende Ruine, lumm ed-dahab (nach dem Hlg. Chrysosto-
mus?) genannt, wohl aus der Zeit des kleinarmenischen Königreiches
der Rupeniden, in welcher hier zahlreiche Klöster waren2); auf einem
Stein, der neuerdings als Oberbalken eines Thores verwandt ist, ein
griechisches, von einem Kreis umschlossenes Kreuz, mit Verzierungen
in den Feldern; wenig oberhalb eine Höhle, die als Einsiedlerort ge-
') S. über ihn Ritter XVII 41. iaoj.
2) Ausführlich behandelt die darüber vorhandenen, sehr zerstreuten und leider
nicht sehr ausgiebigen Nachrichten Alischan, Siswan (Venedig 1885).
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156
Martin Hartmann:
dient haben soll. Es sollen sich an elf Stellen Ruinen finden, Uber
die ganze Gegend zerstreut, von denen jedoch meist nichts als der
Grundrifs zu sehen; in ihrer Umgebung viele Cisternen, etwa 300, wohl-
gemauert; doch nirgends eine Inschrift; das Volk hält diese Ruinen,
die sämtlich nicht bedeutend und bis auf wenige gänzlich zerstört sind,
für Kirchen aus der Zeit der Franken. Zu ihnen ist wohl zu rechnen
die ka/'a (s. I2h 8m) und die mantrün (— ar. matrdn : Metropolit?) kalesi,
letztere auf nicht reitbarem Weg in 3 Stunden zu erreichen.
llh 25m fort. — 11 h 43 wir treten auf das Gebiet von el - hababhjc
(türk, hädschi habt-bli) über. — nh46m an einem Wässerchen entlang.
— nh52m über das Wässerchen; sehr beschwerlicher Aufstieg über
mächtige, glatte Steinplatten. — 1 1 h 55 m erste Häuser von el-(tabablije\
der Weg wieder gut. — 12 h 8m dicht unter der ka/'a, die ca. 2m rechts
oberhalb vom Weg liegt, und zu der wir zu Fufs auf sehr schlechtem
Weg hinaufklimmen; von der Ruine, die von den Leuten von el-hab
allmählich abgetragen wird, indem sie die Steine zum Bau ihrer Häuser
verwenden, nur noch wenig erhalten. Der Weg über die ka/'a ist be-
schwerlicher und länger als die Hauptstrafse von bitjds nach es-m.'tJijt.
Von dem kleinen Hügel, auf dem die ka/'a liegt, guter Überblick: unter-
halb cl-bababhje schlängelt sich der bSjük tschai, d. i. der bisher nur als
karatschai bezeichnete grofse karatschai ; d-mischräkljt, das die Armenier
dort mit der, in der ganzen Gegend um anfdkija üblichen Aussprache
des k als ch (joch für jok, bachach für bakak = bakalym) mischrachiji
nennen) 170°.
12h 35m wieder bei den Tieren auf dem Weg unterhalb der ka/'a",
fort. — i2h 58 m gerade auf die Spitze des dschcbcl cl-akra zu, die sich
scharf abhebt, wie dieser einsam aufragende, stolze Pik gleichsam eine
Landmarke bildet. 1 *> g m Abstieg. — ih 15“ Ruine einer Kirche, ge-
nannt lummäs khsasy oder kmsit mär dümat; die Breite des Mittelschiffes
betrug 4’, m; die Armenier aus den umliegenden Dörfern, und selbst
weiter her, kommen hierher, um zu beten. Doch soll der Besuch sich
nicht an einen bestimmten Tag knüpfen. Halt
lh 25™ fort, nach W, bald nach SW' und mehr südlich. — ih 44m
bei den ersten Häusern von jöghun u/uk ; dann durch ein tiefes Thal
auf sehr glatten Steintreppen; jenseits noch andere Häuser des grofsen
und betriebsamen Fleckens; hier ist, wie in cl-kababhjc, bedeutende
Seidenzucht und Herstellung von Seidenwaaren (Gürteltücher, Kopf-
tücher u. dgl.). — 2h — 2k 3“ beschwerliches Reiten auf sehr glattem
Steinplattenweg. — 2 11 10 “> bei den ersten Häusern von chidrbtk. —
2 h 1 5 ,n an einem kräftigen, ca. 2 m breiten Bach, der wenige Min.
nördlich entspringt. Halt. Der Krämer Müsä, Typus eines alten Ar-
meniers, macht folgende Angaben: das Dorf chidrbtk hat ca. 250 H,
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liw.i Dschebel Bereket. J57
mit joghun uluk zusammen ca. 500 H; in der Nähe liegt eine alte
Kirche, in welcher regelmäfsig am Wartawär-Tage, dem Sonntag nach
Ostern, Gottesdienst gehalten wird ; sie ist erst vor ca. 40 Jahren her-
gerichtet, nachdem sie in Ruinen gelegen; noch lebt bei diesen Älteren
die Erinnerung an die frühere Zeit, mit ihren Gewaltthätigkeiten der
Mächtigen: so an den bösen Hadschi Bekir Agha in anfäkija, der hier
befahl. Der Ahorn, unter dem wir gelagert sind, hat mit seinem
mächtigen hohlen Stamm schon als Kapelle gedient, nachdem ein
Knabe dort eine Erscheinung von zwei weifsen Männern gehabt hat.
3h 40m fort, nach S, viel Ölbäume zu Seiten des Weges, wie diese
ganze Gegend reich daran ist; rechts in einer Vertiefung das Dorf
cl-jäzUr unter 230° (A und N). — 4h 6m ca. 5“ rechts einige Häuser
von et-jdzür, — 4h 10“ Ruinen einer von Barker in grofsem Mafsstab
angelegten Seidenspinnerei. — 4 h 25 m an dem Wasser von chidrblk,
welches die ganze Ebene von es-swidlje bewässert. — 4 h 2 7 m Mühle
und erste Häuser von ez-zltüntje. — 4 11 30 über den Flufs. — 4*» 50“1
im Hause des Herrn ‘Abd el-hakk Sulaimän ‘Abd el-hakk in ez-zltUntje.
30. September.
11 *> fort von ez-zltünlje auf den dschebel el-akra zu. — nh 4m über
ein Wässerchen ; in gutem Schritt, — 1 1 h 9m wieder über ein Wässerchen ;
sanft bergan. — nh nra bei den letzten Häusern von ze-zltümje , im
NW des Ortes; wieder nach W, auf el-dschedlde zu. — nh 15m Halt.
llh 18m fort. — nh 22m nach W, wenig S. — uh 30™ ca. 15m ent-
fernt, am Fufs des dschebel mUsa, korderesi ca. 20°; rechts und links
am Weg die Gärten von el-dschedide ca. 15 m entfernt, e-fdchüra 150°;
links el-eskele. Halt.
Uh39m fort, immer zwischen Gärten des Dorfes el-dschedlde, das
reicher als alle übrigen Ortschaften von es-swldlje an Wein und Granaten
sein soll. — nh45m im Hause des ‘Ali Dlb, eines nussairischen Sche-
riks des Herrn Nikula Saba in ez-zclUnlje. Halt
lh 15 ra fort nach SW, begleitet von dem Nussarier ‘Ali Dlb. —
1 h 19“ aus den Gärten von el-dschedlde heraus, über eine schön an-
gebaute, fruchtbare Ebene zum Meer. — ih4om ca. sm vom Meeres-
ufer, bei dem Makäm (Wallfahrtsort) des Chiclr oder Mär Dschir-
dschis, d. i. heiligen Georg, welcher besonders von den Haidarlje oder
Schemällje-Nussairiern aus an/dhija viel besucht wird. Auch jetzt ist dort
viel Volks, wohl 1000 Seelen, die ein lustiges, sehr weltliches Treiben
dort üben; der Chaddäm, d. i. der Hüter, erhält von jedem dort ge-
schlachteten Tier das Fell; auch an Streit fehlt es nicht: die Nussai-
rier reiben sich mit den Muslims, die ebenfalls aus an/dhja zu dem
Fest gekommen sind und in drei Häusern und zwei Zelten neben
dem Makäm wohnen; das viereckige Gebäude aus Stein, das nach oben
Z«itschr. d. Gescllsch. f. Erdk. Bd. XXIX. 1 1
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158
Martin Hartmann:
in einen stumpfen Kegel ausläuft, ist ca. 3 m hoch; an einer sehr
hohen Stange, die es überragt, ist eine Laterne befestigt, welch nächt-
lich brennt; sie soll wohl als Leuchtfeuer an dieser gefährlichen Küste
dienen. Halt.
1 h 50 m fort; in geringer Entfernung vom Meer nach N. — zh 2m
Anfang eines stagnierenden Wassers, das aus einer Quelle bei <1-
mughdjir kommt, und an dem wir hinreiten. — 2h 9” und weiter,
mehrfach über Bäche und Rinnsale, oder trockene Betten von solchen;
im allgemeinen erscheint das Land hier als eine Sandwüste; zuweilen
rechts gepflügtes Land , das mit Dara (Mais) .bestellt werden soll. —
2 h 32 m links wieder stagnierendes Wasser in Pfützen. — 2>>37m wir
wenden uns vom Meere ab, einem Trümmerhaufen zu. — 2h 38 m bei
einer Steinmauer, die wohl eine Wand des alten, künstlichen Hafens
von Seleucia bildete, den ‘Ali Dlb mmat el-katahtniU nennt, und der
sonst gewöhnlich einfach mlnat el-'ali^a, der alte Hafen, genannt ward.
— 3I1 3m bei den Wachthäusem, bezw. der Höhle, die am Eingang
des boghilz, d. h. des den Hafen mit dem Meer verbindenden Kanals,
in den Felsen gehauen ist; von hier die Kirche von el-kabüslje , das
ca. 30 m vom Meer entfernt ist, 60 °; nördlich von hier el-tschauhk, ein
Dörfchen am Meer, das noch zum Gebiet von d-käbüsijc gehört. Die
Bevölkerung ist hier ganz armenisch; auch oberhalb der Höhle sind
einige Häuser, welche zu el-käbüslje gehören, und die Höhle selbst ist
Eigentum der Armenier dieses Dorfes; dieselben räumen übrigens mit
den Ruinen des alten Seleucia, auf dessen Boden wir uns hier be-
finden, gut auf; sie verkaufen die alten Bausteine mit einem Piaster
das Stück, und auch der Schech Ibrahim el-Dschilli soll den Bedarf
zum Bau seines Konaks in d-dschillije von hier bezogen haben. Halt.
3h löm fort von der östlichen Kanalöffnung durch den dehhz, den
berühmten Felsenkanal, den merkwürdigsten Rest der Seleucus-Stadt,
welcher ausführlich beschrieben ist BädA 390 f. ; meine Begleiter nennen
ihn d-gärls (= persischem kehrlz oder kärlz); in einem Garten südlich
des Trümmerfeldes eine stark beschädigte Statue von mäßiger Arbeit,
die hier gegen 1842 gefunden sein soll. Nach längerem Umherstreifen
kommen wir 5h 50“ zu dem ca. 40 H zählenden el-mughdjir. Über
den Rückweg nach ez-zdünije ist nichts notiert.
1. Oktober in ez-zdümje.
2. Oktober.
Visuren vom Dach des Hauses des Herrn ‘Abdelhakk in ez-zltünljc.
ein Hügel, hinter welchem el-lauschlje liegt, 237 °; Spitze des dschcbd
el-akrä 191 °; in derselben Richtung die Bucht barabdschak mit einem
kleinen natürlichen Hafen; an ihrer nördlichen Seite el - mijcidün ;
die weifee Kuppel des Schech Hasan in el-dschilhje 1940; wenig nörd-
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Das I-iwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berckel. J 59
Sch davon die Häuser des Sch. Ibrahim el-dschillT; chidrbtk am Ab-
hang des Gebirges 334 knlsel es-satjide 345 tl-dschcrirlje 338°,
beide ca. 15 m von ez-zttünsje\ el-hababllje 3°.
10h50m fort vom Hause des Herrn ‘Abdelhakk in e z-zllünije. —
n*> i8m wir treten aus den Gärten heraus auf das wafa el - 'dfl, die
„Orontes-Ebene“, ein Gelände, welches aufserordentlich ertragreich ist.
— nh 33 m am ‘dfl oder ‘i lf (letztere Aussprache die fast allein übliche),
nachdem wir die ganze Zeit in sehr gutem Schritt geritten. — nh 37"»
in el-eskele, das nur aus sieben Chans besteht; Besuch des Herrn Nikola
Schukrl in seinem Chan, wo sich auch der Onbaschi einfindet, der mit
zwei Mann Vertreter der Regierungsgewalt ist. Etwa ein Jahr nach mei-
nem Besuch wurde eine dem Kaimmakam von antäkija unterstehende
Mudirije es-swldlje gebildet, mit Sitz des Mudirs in el-eskele. Halt.
12 h 13m fort von el-eskele', auf einer an einem Tau gezogenen
Fähre über den Strom.
12h 32m fort von dem südlichen Ufer; an ihm beginnen ca. 2m
östlich vom Landungsplatz die Gärten des Dorfes el - dschilllje , in
welchen, ca. 6m vom Landungsplatz, die Zijdra des Schech Hasan
Schech el-harf liegt; wenig nördlich derselben die Häuser des Sch.
IbrähTm el-dschilll; ca. 3ra östlich vom Dorf steigt sanft der dschebel
ti-ldbunije an. — 1 2 h 40 m der Fufs des Gebirges ca. 5™ links. —
J2h4im links am Weg, fast bis zum Gebirge reichend, ein Sumpf. —
i2h 43“ mit Wendung nach O um das südliche Ende des Sumpfes
herum auf das Gebirge zu; 130°. — i2h 48“" Halt.
12h 50m fort; 150° — ih dicht unter einem steil abfallenden Felsen
des Berges; rechts mächtige Felsblöcke. — ih3ra links unter dem
überhangenden Felsen ein fast trockenes Bassin, das bestimmt war, das
Wasser einer Quelle aufzunehmen, welche sich jetzt unter der Erde
einen Weg bahnt, und das nach Angabe eines vorbeireitenden Nussairiers
baft (ha/d?) el-häwOz heifst; die südliche Seite des Bassins wird von
dem unregelmäfsigen Felsen gebildet; die nördliche ist eine gemauerte
Wand, 6,94 m lang und 1,10 m breit; die anderen Wände sind 5,20 m
lang; von der Vorderwand läuft eine gemauerte Rinne nach NW ab,
welche wohl das Wasser des Bassins in eine, offenbar alte, Wasser-
leitung führte, die hier vorbeikam und von der Spuren noch namentlich
in der Richtung auf el-mijddün (s. i*1 50"1) zu erkennen sind. Halt.
lh30ra fort; dicht am Berge entlang; 250°. — ih33ra und weiter,
kommen fast beständig links zahlreiche Quellen unter dem Berge her-
vor, meist reichlich sprudelnd, welche in der leider nur wenig ange-
bauten Ebene verlaufen; rechts Spuren einer Wasserleitung ; es ist wohl
dieselbe wie die 1 h 3m erwähnte. Halt.
lh37m fort. — ih38ra an dem äulsersten Vorsprung des Berg-
11*
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IGO
Martin Hartmann:
rtickens herum, 190°; überall starke Quellen mit reichlichem Wasser;
rechts am Weg bebautes Land. — ih45m das Gebirge tritt zurück;
180 — ih 5om rechts erstes Haus von cl-mijadün. — ih 53™ auf dem
Platze des Dorfes; ich suche einen Führer nach bezga, das im Mund
der Leute hier wie bezgO klingt; von den Nussairiern will niemand mit-
gehen; endlich findet sich ein Türke aus karaktisl, der in Geschäften
hier ist und uns führen will. — Zu Fufs am Rande des Gebirges
bergauf, sehr beschwerlich wegen der glatten Felsplatten, die den Weg
bilden; cs zeigt sich, dafs der Berg, den wir nun hinaufreiten, von dem,
an dem wir früher entlang geritten sind, durch ein Thal getrennt ist.
2*> 6m wieder zu Pferd; zunächst nach O; der ziemlich breite Weg
zieht sich in Windungen den Berg hinan. — 2h i3ro links geht ein
Weg nach tümama ( tltma ), auch tummdma genannt, ab; steil bergauf. —
2h 18 m vor uns, etwa unter 200°, an dem Abfall des gegenüberliegenden
Berges, bzw. Felsens, eine Höhle, e/-(iamm<lm genannt; links Ruinen
einer Kirche, doch unbedeutend. Halt.
2h 25'" fort; 150°; rechts unter uns die lieblichen Felder der
Ebene und weiter ein westöstlicher Bergrücken; links ebenfalls ein
Bergrücken, doch durch ein Thal getrennt; an dem Rücken rechts
hinauf. — 2h43m schon nahe der Höhe des Rückens; vor uns, ca.
30m entfernt, karaküsl 950; 2h47m der Weg teilt sich: links nach
karaknsi, das ca. 50 H hat, und Uber welches auch ein Weg nach
bezga führt; rechts der direkte Weg nach bezga unter 150 °, den wir
nehmen; rechts, dicht neben uns, ein tiefes, sehr schmales Thal, jen-
seits dessen sich eine steile Wand erhebt ; beide Thalwände sind mit
dunklem Laub dicht bedeckt; 160/170°; zwischen zwei Bergrücken, vor
uns, ca. 15 m entfernt, eine Kuppe; zwischen Gebüsch und niedrigen
Bäumen hindurch. — 3h 2* die beiden Bergrücken entfernen sich von
einander; zwischen ihnen steigt ziemlich steil die Kuppe auf; wir lassen
dieselbe links und gehen 3h 5m zwischen ihr und dem rechten Berg-
rücken hindurch; dann wieder zwischen den beiden Rücken, die einen
mäfsigen Abfall haben und sich nicht mehr hoch über den Weg er-
heben ; 150160°. — 3h 15® auf einer kleinen Ebene, die rings von
niedrigen Höhen begrenzt ist; dann unter i5o°(i8o^?) auf einen quer-
vorliegenden höheren Bergrücken los. — 3h 26 m rechts ein Weg berg-
auf, der auch nach bezga führt. — 3h 30 m 2 H, die schon zu bezga
gehören sollen; hinab in eine Grotte zu einer Quelle, die früher ein
jetzt trocken liegendes, nach dem Volksglauben aus der Zeit der Frenk,
Franken, oder Küffär, Ungläubigen, d. h. der Kreuzfahrer, stammendes
Kastal1) speiste. Halt.
1 ) Dieses Wort wird im Folgenden immer für die so häufig unzutreffenden,
schon seit Jahrhunderten in denselben Formen gehaltenen Brunnen angewandt
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Lina Dschebel Bereket. )ß)
3h 40 m fort. — 3h 4im Spitze des dschebel el-akra 230°; wir gehen
gerade auf dieselbe los; rechts schieben sich die Berge kulissenartig
in einander, im Hintergrund das Meer. 3 h 47'" ca. 2m rechts einige
Häuser; rings um uns niedrige Bergrücken, zwischen denen freundliche
Ebenen. — 4h4m rechts ein Thal; meist eben, zuweilen ansteigend,
selten absteigend. — 4h45In am ersten Hause von bezga, nachdem ich
kurz vorher den Führer (s. oben rh53m) abgelohnt und entlassen. —
4h 48 m bei der Dorf-Moschee, in deren Nähe ich in einem leerstehenden
Haus Quartier nehme; Empfang nicht allzu freundlich; nur der
Hodscha (Schulmeister) des Ortes und ein Bursche, den das Los bei
der Ziehung zum Militär getroffen, und der in ein paar Tagen sich in
el-urdu stellen mu£, Ahmed Agha, machen sich um uns verdient.
Letzterer erbietet sich, uns zur Besteigung des dschebel el-akra Führer-
dienste zu leisten.
3. Oktober.
fh 53m fort von der Moschee, begleitet von Jüsuf und dem Tscha-
wusch zu Pferde, Ahmed Agha zu Fufs; klare, mondhelle Nacht. —
2h 5”i Halt.
2h 8m fort. — 2h 55m an dem Brunnen lekmedschik1) kastaly, der
nach Ahmed Agha aus der Zeit der „Ungläubigen“ stammt. Halt.
3h 6m fort; nach Ahmed Agha haben wir von hier aus noch eine
halbe Stunde bis zur Spitze (auf dem Rückwege brauchten wir bei sehr
langsamem Marschtempo 1 St.; s. unten 7h5om); wir verlieren jedoch
den Weg; die Lage wird recht unangenehm; von 4h bis 4h 4510 sehr
steiler Aufstieg, unterbrochen durch einen Halt von iora; wir müssen uns
in dichtem Gehölz mit Mühe einen Weg bahnen, auf dem äufserst steil
ansteigenden, immer unter unseren Ftlfsen nachgebenden Boden; auch
die Tiere kommen nur mühsam vorwärts. — 4h 45 m auf einem kleinen
freien Platz, wenig oberhalb von welchem die Kahlheit beginnt, von
der der Berg seinen Namen el-akra, eigentlich der „kahlköpfige“, hat;
4 b 45® Halt.
4b 50 m fort; der Weg ist nicht mehr so steil wie bisher, und der
letzte Teil bis vor der Kuppe reitbar. — sh iom auf der Kuppe des
Berges bei dem zijäret (ar. ez-zijiira), einer aus einfachen Feldsteinen
zusammengetragenen kreisförmigen Mauer, die nur diesen Namen,
„Wallfahrtsort", ohne den sonst üblichen Zusatz eines Heiligen- oder
Prophetennamens trägt: dieses Heiligtum wird von Muslims und Nus-
werden: eine Steinwand von 2 X I bis 4 X 2 m, mit gewölbter Nische, in deren
Mitte, etwa go cm über dem Boden, das Wasser aus- und in einen in der Nische
stehenden Trog dielst.
1 ) vielleicht ist teknedschik gemeint; vgl. tekne in teknit el-moi 28. '9. lob 14 m .
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11S2
Martin Hartmann:
sairiern bewallfahrtet und ist ein recht interessantes Denkmal des auch
heilt noch im Orient so sehr verbreiteten Höhenkultus, zu welchem
der Tschawusch die ganz ähnliche Stätte vergleicht, welche sich nach
ihm auf dem daz dagh bei dem gez bei befindet; auch Ahmed Agha
machte seine Ceremonien: er ging zwei Mal um das zijdret herum, und
zwar sogleich, nachdem wir angekommen waren; nach jeder Umkrei-
sung blieb er einen Augenblick stehen und betete; es wurde ausdrück-
lich bemerkt, dafs diese Stätte von den Christen nicht bewallfahrtet
werde. Diese besuchen vielmehr eine Kirchenruine, die nicht weit
unterhalb der Spitze liegt und von Ahmed Agha gezeigt werden sollte,
uns aber nicht zu Gesicht gekommen ist — Halt.
0h 45m fort zu FufS) auf dem richtigen Weg. — 6h 57m beginnt
Waldung. — 7 h 1 5 m aufgesessen, da man von hier aus meist reiten
kann; in langsamem Marschtempo. — 5“ Halt. — 7>>4om— 44m zu
Fuß, da der Weg nicht reitbar ist. — 7!« 5om wieder bei dem Brunnen
lekmedschik. Halt.
7h 58m fort_ gh bei der Moschee in bezga. Rast.
10 h 30 m fort von bezga, zunächst auf demselben Weg, auf dem wir
gekommen. - hinab zu einer kleinen Ebene mit Tabakpflan-
zungen, wie denn Tabak fast das Einzige zu sein scheint, was die
armen, sehr indolenten Bewohner von bezga kultivieren. — ioh38m
jenseits hinauf. — ioh 51 m Wegscheide. Halt.
10h 56m fort; w'ir verlassen den alten Weg; 80 °. — iih5o>° bei
den Dreschtennen des links an der Straße liegenden Dorfes heller. —
n h tj2ra Halt bei dem Dorf.
12h 5m fort. — Von ca. i2h 2om an eben, an dem oberen Rand
eines ziemlich steil abfallenden Bergrückens entlang. — ih vor uns ein
Dorf unter 720. — iht3m links einige Häuser, die wohl zu dem ca.
8m rechts liegenden Dorf gehören, das mit dem, eben unter 720 ge-
sehenen identisch ist und karatschor heifsen soll. — 2 h bei einem einzeln-
stehenden Haus, an welchem gearbeitet wird; der Besitzer ist ab-
wesend, ein Verwandter desselben nimmt uns aber in dem frucht-
reichen Garten freundlich auf; nach ihm heifst dieses Haus fellahlik
(d. i. etwa Meierei) schahsini und gehört zu bazdr; so nennen nämlich
die Türken dieser ganzen Gegend fast ausschliefslich das Kada und
den Ort dschisr esch-schughr, welch letzterer Name ihnen nur wenig
geläufig ist, nach dem weit und breit berühmten Montagsmarkt, der
an dem Ort regelmäßig gehalten wird; dorthin, nach dschisr esch-
schughr , müssen sich die jungen Leute von schahsini zum Militärdienst
stellen, dorthin müssen die Abgaben entrichtet werden u. s w., ein
Zustand, den mein Gewährsmann lebhaft beklagt, da die Verwaltungs-
vororte el-urdu und selbst anfakija ziemlich nahe liegen, während der
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereitet. Jß3
Ort mit dem ca. t2h entfernten dschtsr tsch-sch. sonst gar keine Be-
nehungen hat'). Halt.
2h 45m fort von schahsinr, nach einem besonders anfangs sehr
steilen und beschwerlichen Abstieg gelangen wir 3h42m an Jas stid-
liche Ufer des nähr el-'ds (Orontes), ca 20m östlich von dem hübsch
gelegenen Dörfchen ez-zlrije (Name nicht sicher), ca. 6 H, auf dem
nördlichen Ufer des Flusses aus dem Grün hervorblickend; an dem
Flufs fort in gutem Schritt; das Thal ist hier ziemlich schmal und
die Straße zuweilen nicht unbedenklich, da auf der einen Seite der
Bergabhang ansteigt, auf der anderen Seite das Ufer steil zu dem
io — 15 m unter uns rauschenden Flufs abfällt; dazu ist der Weg nicht
eben; bald erhebt er sich ziemlich beträchtlich Uber das Flufsbett, bald
läuft er dicht neben ihm hin; wir befinden uns in dem sogenannten
boghdz (Engpafs, Schlucht), und der Abhang, den wir zuletzt hinabge-
stiegen sind, ist wohl der Ostabfall des dschebel es-sdbOnlje, an dessen
Westseite wir den Tag vorher (s. oben 2/10 i2h 50"1 und weiter) ent-
lang geritten sind; soll doch eben der dschebel es-sdbünlje im Süden
mit dem dschebel mghairün *) im Norden den boghitz bilden; in diesem
boghilz bis ca. 4h5ra. — 4h 24™ Uber ein trocknes Flußbett; rechts
und links Häuser eines Dorfes. — 4*“ 34 m durch das sich lang hin-
ziehende es-sinnlnijc. — 4h 5om gegenüber der Mündung eines, von N
sich in den ‘äs ergiefsenden Flufees (des büjük karatschail)', auch von
rechts kommt ein Winterstrom; wir überschreiten ihn auf einer Stein-
brücke, die einen Teil der alten Römerstrafse bildet, der wir schon seit
längerer Zeit folgen. 5h der Flufs macht ein grofses Knie nach Norden
und scheint sich um einen, ca. 15 m links liegenden weifsglänzenden Ge-
bäudekomplex ( Zijdra ?) herumzuziehen; wir schneiden die Krümmung
ab. — 5h 20m durch das sich lang hinziehende Dorf ed-dwtr bis 5h 26"'.
— 5h 32 m auf dem anderen Ufer ein bedeutenderes Dorf. — Nicht
viel später zu einer alten Wasserleitung und bald darauf zu einer
kleinen Brücke; hier hörten wir, el-ismd'l/lje, das wir erreichen wollten,
sei noch über eine Stunde entfernt; w’ir müfsten uns, um dorthin zu
gelangen, rechts halten; das thaten wir, gelangten aber statt in das
ersehnte Dorf aus den Baumgärten, durch die wir bisher geritten
waren, heraus auf einen freien Platz und zu einem recht beschwerlichen
Anstieg, auf dem der Weg kaum sichtbar war. Die Lage wurde immer
*) Diese einzelne Thatsache ist ein krasses Beispiel für die oft gemachte Bemer-
kung, dafs die administrative Einteilung des Landes äufsersl willkürlich ist und auf
die Bedürfnisse und Beziehungen der Bewohner nicht die geringste Rücksicht
nimmt.
*) Sondername des westlichen Teiles des Dschebel Miir SimVtn der Karte
(C 6).
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164
Martin Hartmann:
peinlicher; die Tiere waren auf das Äufserste erschöpft und strauchelten
in der Finsternis beständig, wir selbst mifsmutig; so kehrten wir um,
nachdem wir eine Weile bergan geklettert waren, und schlugen uns
unten so schnell wie möglich in die Gärten: in dem ersten Hause frei-
lich, an dem wir anklopften, dem des Abdelghani Agha, wurden wir
recht unfreundlich abgewiesen, fanden aber bald darauf ein um so
herzlicheres Willkommen in dem Hause des Schech 'Abderrezzäk, bei
dem wir ca. 6h 30“ ankamen. Der Komplex von Häusern und Gärten,
zu dem es gehört — in diesem ganzen Gebiet, von antäkija bis btt
ei-md, welches den offiziellen Namen nähijtt dschatvär antäkija hat. beim
Volk nur ei-ftarbljt heifst und ausschliefslich von Nussairiern bewohnt
wird, liegt Garten an Garten; in den meisten derselben Häuser —
dürfte diejenige von den 19 Ortschaften der fiarblji bilden, welche ‘ain
dschamOs heifst.
4. Oktober.
Morgens W'ird der im Garten des Muhammed Eflfendi ‘Aseldsche
liegende Sarkophag aus spätrömischer Zeit besucht; zahlreich sollen
die Spuren sein, die aus der Glanzzeit der alten Daphne hier gefunden
werden, jenes mächtigen Lusthains gröfsten Stils bei dem alten An-
tiocheia, auf dessen Boden wir uns befinden.
llhö1" fort von dem Hause des Schech ‘Abderrezzäk in sehr lang-
samem Schritt; die antäkija- Strafse, in welche wir schon nh 10“ ein-
miinden, führt Uber niedriges Hügelland. — 111145m ca, 15m rechts
das Dorf cl-ftarbijt, im Grünen liegend, nach welchem die ganze Gegend
cl-harblje genannt wird, — ca. 1 h in antäkija bei dem Hause des Kaiserl.
Konsularagenten Herrn Missäkiän, wo ich gastliche Aufnahme finde.
5. — 11. Oktober in antäkija.
Durch Herrn Missäkiän’s Vermittlung gewinne ich die Dienste des
Hannä Karajüsuf, eines griechischen Christen, der die nähere Umgegend
von antäkija, die weite Ebene zwischen dem gjaur dtlgh, kürd diigh und
den Höhen bei härim, und die Gebirgslandschaft von et-kusair ausge-
zeichnet kennt. Er spricht arabisch und türkisch fast gleich gut und
ziemlich deutlich; doch ist es nicht immer leicht, seiner lebhaften Dar-
stellung zu folgen; so sind Mifsverständnisse bei Fixierung seiner An-
gaben nicht ausgeschlossen; auch ist es fast unmöglich, dafs nicht bei
der grofsen Menge von Angaben über Ortslagen, Namen, Flufsläufe
u. dergl. , die er rein aus dem Gedächtnis und nur aus der eigenen
Anschauung heraus macht, Irrtiimer unterlaufen. Dadurch erklärt es
sich, dafs sich hin und wieder Umvahrscheinlichkeiten, ja Widersprüche
finden. Seine Angaben sind in die Karte und in die Anmerkungen zu
den Ortslisten hineingearbeitet worden. Von Ausflügen unternahm ich
während des Aufenthalts in antäkija nur zwei, welche hier folgen.
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Das Liwa Halcb (Aleppo! und ein Teil des Liwa Dschebel Bcreket. |(j5
7. Oktober.
7h 40ra fort vom Hause des Herrn Missäkiän, in gutem Schritt,
begleitet von Hannä Karajüsuf und dem Mukari Jüsuf. — 8h über den
nähr el-küwaislje (el-iaumtslje), der vom dschebel arsüz kommt, und seinen
Namen von dem, unter 360° in der Ebene gelegenen Dorf el-küwaislje
hat. — 811 2m die Strafse teilt sich: links der Winter-, rechts der Sommer-
weg, wir nehmen den letzteren. — 8h 7 m dicht vor dem daljän et-
tafr/tlni, welches auch ed-da/jän allein genannt wird, da es das alte ist, wäh-
rend das obere, daljän el-fokäni oder jarlyghan daljany, ca. it St. von
anfäkija, erst 30 Jahre alt ist. -• 8h 15m am ‘df, an dem Punkt, wo
1S80 bei niedrigem Wasserstand der jetzt im Regierungsgebäude von
antäkija aufbewahrte Sarkophag zuerst sichtbar wurde. Halt. Ich
schreite unter 350 eine Linie von 1500 m ab, in deren Anfangspunkt
(a) und Endpunkt (b) ich folgende Visuren mache: a) dschebel el-akra
214°; die Spitze eines kleinen Bergrückens, welchen Hanna als dschebel
karatschai, genannt nach dem Dorf karatschai , bezeichnet, 2220; die
höchste östlichste Spitze des hier vollständig getrennt von dem dschebel
el-ahmar oder kyzyl dägh') erscheinenden dschebel mftsi 260°; el-kuwaistje,
ca. 1 5 m, 297 el-'aidlje mit einer weifsen, weithin sichtbaren Zijära
des Schech Jüsuf Petrchän (Bedrchän?), ca. 30 m, 303 °; die höchste
Spitze des dschebel el-ahmar 3290; das Dörfchen tlll el-kizh, ca. 20"',
340°; eine kleine Zijära, ca. 30“, 345 0 ; der dschebel baililn, hier ziem-
lich niedrig erscheinend, to°; eine scharfe Spitze, die Hanna als dschebel
el-kurtlu bezeichnet und die identisch ist mit der von mir bestiegenen
Kuppe im S des gez bei- Passes 15°; ein sehr scharfer Bergzacken des
gjaurdägh (der akkaja}) 23 °; eine Chirbe (Trümmerhaufen, Gemäuer),
genannt el-chän oder chän el-chirbän, um welche herum seit ca. 20
Jahren 5—6 Hütten liegen, 41 bitli ‘ali, jenseits des 'äs, 76°, und fast
unter demselben Winkel güzel burdsch diesseits des ‘äs; ein Ölbaum-
hain, dicht bei welchem das von hier nicht sichtbare närindscha, türk.
narlidscha, liegen soll, 100°; antäkija ist nicht sichtbar, doch der west-
lichste Punkt der alten Mauer auf dem Mons Silpius 182°; b) kanny
kiijiik, ein Hügel, 31 °; die Zijära des Schech Hasan 39°; jenseit des
moijit el-bahra, d. h. des Kanals zwischen See und auf dem nörd-
lichen Ufer des ‘äs, ca. ib, ‘ alaijeddtn , das von den ‘arab el-dscham-
mäse bewohnt ist, am Fufs eines Hügels, 70'; ein kleines Wäldchen
von Karadschän- (Karatschäm = Kiefer?) Bäumen, ca. 2om, 73 °; bitli
‘ali 107°; güzel burdsch 1190, beide nur ca. 20m; närindscha, ca. 40”1,
') So nennt man auf der ganzen südlichen Seite, namentlich in der Gegend
von antakija, den Zug vom ras el-chanür bis zum batlan-ßcrg , den man auf
der nördlichen meist mit dem allgemeinen Namen dschebel arsüs bezeichnet (vgl.
auch 17./9. $4).
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Martin Hartmann:
166
131°; el-ma'schüka auf dem südlichen Ufer des ‘fff, ca. 30™, 152°; der
westlichste Punkt der Mauerreste 190° ; Spitze des dschebe / el-abrd
2 13 0 ; die Zijära von e/-‘aidlje 282°; tltl el-bizh 312°; die Zijära des
Ortes 3 1 9 0 ; die Spitze des dschebe/ el-burllu {kurl/i) 355 der Bergzacken
des gjaurditgh 24 — Bei 300 m war ein im rechten Winkel zur Basis-
linie liegendes, 42 Schritt entferntes, massives Steingemäuer, das wohl
der alten Stadtmauer angehörte, besichtigt worden (2,50 m lang, 3 m
breit, 1,50 m hoch); bei 1160 m hatte ein Wintergraben, der rechts
neben uns in den sich in den ‘fff ergiefsenden nähr el-ezltje (? /Ul el-
l’izfr:) mündete, umgangen werden müssen; ca. 5 m vom Endpunkt der
Basis ca. fünfzehn Zelte von ‘arab ghinnäme, d. h. Schafzucht trei-
benden Beduinen (Gegensatz: ‘arab drehimmäse, d. h. Büffelzucht trei-
bende Beduinen). Halt.
2h 48 m fort von den Araberzelten. — 2 h 52 m Uber ein schmales
Winterflu&bett. — 2h 55"1 4 Zelte; wir gehen in der Richtung des
Schech Hasan. — 3 h 5 m ab nach rechts zu dem bauscht!, d. i. dem
Punkt, wo das moijit el-babra (d. i. der Kanal zwischen Fluls und See)
sich mit dem ‘fff vereinigt1). — 12” bei einem alten Gemäuer,
11 m lang, 11.50 m breit, wohl Rest eines alten Mauerturms; ca. 60 m
östlich von hier ist das bauscht! ; vom bauscht! aus die Zijära Schech
Hasan 23 °. Halt.
3h 28 m fort, an dem moijit el-babra entlang nach N. — 3h ST°
rechts im W'asser das sedde, d. h. der Punkt, wo man im Winter grofse
Netze von einem Ufer zum andern spannt, um die Fische zu fangen,
die aus dem trüben W’asser des 'ils in das immer klare Wasser des
moijit el-bahra hinaufziehen; man fängt dann oft täglich 1 — 1} Kantär
(ä 250 kg)2). Halt.
3h 39m fort; das moijit el-bahra macht ein grolses Knie nach rechts,
dem wir nicht folgen; wir treffen das W’asser erst wieder 3h43m, um
es gleich wieder, wegen einer grofsen Krümmung, zu verlassen. —
3h links kommt ein trockenes Flufsbett vom Gebirge her. —
3h 53 m wir durchsetzen das moijit el-babra. — 4h links das Dörfchen,
ca. 20 Hütten N, das nach dem Heiligen der nahen Zijära schlch basan
benannt ist; wenige Tage vorher waren Leute aus diesem Dorf von
Tscherkessen, die zahlreich in der Gegend angesiedelt sind, ermordet
worden; alles klagt bitter Uber die Gewaltthätigkeit dieser Fremdlinge,
*) Daher der Name tauscht!, wohl gleich türkischem kauschut von kmeuschmak,
sich vereinigen, nach bekannter Nominalbildung (vgl. getschid u. dg].); das Nomen
scheint sich in den Wörterbüchern nicht zu finden.
J) Es ist hier wohl an eine ähnliche Art des Fischfangs zu denken, wie sie
nach Humann-Puchstein S. 176 im merzimon-su betrieben wird und dort ausführlich
beschrieben ist.
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Das Liwa Halcb (Aleppo) und ein Teil des Lhva Dschebel Berekct. 107
gegen welche die Einwohner bei der Regierung keinen Schutz finden.
— 4h 4m bei einer mächtigen Eiche; wenige Schritte davon die Zijära
des Schech Hasan1); von dem Hügel neben derselben: die Zijära des
Schech MüsT, ca. 200 m entfernt, unter einer dichten Baumgruppe, 360°;
Zacken des gjaurddgh (s. 8 11 15“) 24 °; Spitze des dschehel el-kurt/u 130;
cz-zUfkännlje, gehörig zum Toprak von karamurt, 70; es-sirddllje, ca. 2h,
3470; manfarit älachttn, unbewohnte alte Ruine, 341 0 ; ein Tscherkessen-
dorf auf dem Toprak von el-'awdklje, 3350; ca. 15“ über demselben,
weiter den Berg hinauf, d/dchdn (4 H), ca. i^o1", 316°; ein Tscher-
kessendorf (30 — 40 H) auf dem Hügel kabr cl-gha/a, jenseits des moijit
el-baftra, ca. 1 5 m , 312°; dicht unter uns, an dem moijit cl-bahrti, das
daljän el-dschedtd oder daljän mazlüm blk 273 °;*) die Zijära des Schech
Mansür bei tlll el-kizh 2490; el-kuuaislje 232°; Spitze des dschebel el-akra
216,5; das Mädene des bdb el-dschisr in anfäkija 212°; güzel burdsch
206°; thdscha, ca. 1 h, 1 55 °; ein Tscherkessendorf, ca. 15™, 126°.
4h 54 m fort vom Hügel. — 5 h 37 m über den nähr e!-urfahje\ ca.
15“ links das I.ager der ‘arab ghinnäme (s. 8h 15 m). — Zeit der An-
kunft in anfäktja nicht notiert.
10. Oktober.
ca. 2h fort; zunächst zu dem ein wenig oberhalb der Kaserne
Ibrahim Paschas (s. Karton) gelegenen mldan el-dscherld, einem Platz
mit altem Gemäuer, unter welchem eine Höhlung mit mächtigen
Säulen; in der Nähe die vierbogige Brücke und Wasserleitung, über
welche eine der Strafsen nach el-kufair führt. — 3h bei dem burdsch
el'idde, Arsenal, genannten Punkt des westlichsten Teils der alten, sich
>) im höchsten Ansehen stehend; wer „beim Schach Hasan“ falsch schwört,
mufs das sofort mit dem Tod büfsen; das ist viel schlimmer als „bei Allah“ falsch
schwören. Die Zijära des Schech Müsi ist lange nicht so heilig.
*) Dieses Daljän, d. i. künstlich angelegter Behälter zur Fischzucht, wurde
damals viel besprochen; cs war seit sechs Monaten aufser Betrieb gesetzt, nachdem
es bis dahin immer auf zwei Jahre für 260 Beutel ( — ca. 24 050 M.j von der
Regierung verpachtet worden war, die Hälfte dessen, was es einbrachte; schon seit
Jahren sollten die Anwohner der Bahra , d. i. des an/akiju-Secs um Abschaffung
der Daljäns, und namentlich dieses, petitioniert haben ; denn es hindere den Ausflufs
des Wassers aus dem See und veranlasse Übertreten desselben, und ihre Interessen
würden dadurch schwer geschädigt; verliere auch die Regierung bei Abschaffung
des Daljäns die Pacht, so würde sie reichlich entschädigt werden durch das, was
ihr in diesem Fall durch die Neugewinnung von Land zukomme. Diese wohl be-
gründete Ansicht von der Sache wurde auch von dem französischen Konsul in
antakija vertreten, und er soll die Einstellung des Daljiin-Betriebes zum Besten des
Landes durchgesetzt haben. Ein Nussairier aus einem der um den Daljän herum-
liegenden Dörfer, der sich zu uns gesellte, behauptete freilich, das alles sei nur
eine Intrigue, und das Daljän richte in Wirklichkeit gar keinen Schaden an.
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168
Martin Hartmann:
den Rerg südlich der Stadt hinaufziehenden Festungsmauer. — 3h 25 m
an dem westlichen Punkte des ersten, gröfseren zusammenhängenden
Stückes Mauer, das erhalten ist; die Dicke der Mauer beträgt an
dem Thor, einige Meter von dem westlichsten Punkt, 2,57 m, die
Höhe vom Erdboden bis zu dem Sims, bis zu welchem sie nur er-
halten, 7,9 m (vgl. den Plan von Antiochia Baedeker3 418/19). Von
hier: el-buwaislje 345°; die Zijära von el-'aidlje 330°; die Zijära von
Uli cl-kizh 3530; kelsedschuk 312°; der Punkt, wo die Strafce nach es-
swldtje den nähr berberün oder n. lianna auf dem dschisr franna über-
schreitet, 2 7 5 0 ; berberün 2940; die Mündung des ziemlich langen Flusses
«. berberün ca. iom südlich von der Brücke; zwischen der Brücke
dschisr banna und der grofsen ‘dr-Brücke bei anfakija zeigt sich noch
eine kleine einbogige Brücke, dschisr e/-buffdrdl über das Flüfschen
nähr el-buf}drdl, das sich als schmaler Streifen in den ‘äs ergiefst;
eine hohe Bergspitze, die mir als dschebel bailän bezeichnet wird, aber
wohl der dschebel cl-hurtlije oder el-bur/lu (s. 7./10. 8h 1 5m) ist, 140; der
spitze Zacken des gjaur dägh (s. 7. .10. 8h 15™) 210. — 5*> 15“ bei der
bal'a, den gröfsten erhaltenen Turmruinen; von hier südlich das
Dörfchen cl-kurrljc auf dem nördlichen Abhang eines Bergrückens,
der die Aussicht auf den dschebel el-buftiir verdeckt, zu dem er selbst wohl
schon als gehörig zu betrachten ist. — Erst bei einbrechender Dunkelheit
erreichen wir das oft beschriebene bdb el-hadid oder demir bapusu\ am
östlichen Ende der Stadt angelangt, sehen wir in einiger Entfernung
über uns, etwa in der Mitte der Höhe des Berges, das jede Nacht
brennende, weithin leuchtende I.icht der Zijära des HabTb en-nedsch-
dschär, jenes Apostels ‘Isäs, welcher in der islamischen Legende als
Blutzeuge gefeiert wird'); in der Zijära, die bei Muslims und Nus-
sairiern in hohem Ansehen steht, auch von ärmeren Christen besucht
wird, ist beständig ein Wächter; uns westlich wendend, lassen wir,
nicht weit von dem Ostende der Stadt, die Zijära der KaddTse Katrin,
heiligen Katharina, rechts, und kehrten durch die Stadt zurück.
12. Oktober.
2h 7m fort von der grofsen ‘dj-Brücke in an/dkija in gutem Schritt,
nach N. — 2h 27 m über den nähr el-buwaislje. — 2h 35m rechts treten
die Berge erheblich zurück; wir immer am Flufs entlang, der be-
ständig Krümmungen macht. — 2h38m am anderen Ufer des ca. 100 m
entfernten Flusses ein Daljän, wohl das da/jdn et-takläni (s. 7./10. 8h 7“).
— 2h43m rechts das kleine Gemäuer, das 7./10. gemessen wurde; wir
gehen auf der Sommerstrafse, d. h. der östlicheren, ganz in der Ebene
laufenden, welche in und kurz nach der Regenzeit nicht zu benutzen
1 ) S. über ihn meine Besprechung von Bäd.3 in der Deutschen Liter -Zeitung
13./8. 1892 (No. 33).
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Das Liwa Haleb (Aleppo) ond ein Teil des Liwa Dschebel Berekct. 169
ist. — 2 h 45 m wir entfernen uns vom Flufs. — 2h5om über einen
Wintergraben; genau auf die Spitze des dschebel cl-kurthjc (kurtlu) zu,
welche Richtung im allgemeinen eingehalten wird. — 2h 54“ über ein
breites Flu&bett, in welchem nur an einer Stelle weniges Wasser. —
2h 55m ca. 5 m rechts die Araberhütten, welche 7./10. besucht wnirden.
— 5b 5m das Terrain links wird wellig. — 3b 16 1,1 über einen Winter-
bach. — 3b 27m ca. 3“1 rechts 5 Araberzelte und 2 Rohrhütten, letztere
wohl von Türkmenen bewohnt. — 3h3om ein Tumulus ca. 1 m rechts.
— 3h 32 ln über ein ca. 2 m breites Flufsbett mit wenig Wasser.
3b 38 m ca. 5m rechts ein Nussairierdorf am daljän mazlüm pascha, und
ca. 10 m weiter rechts, am und auf dem Hügel, der die Zijära trägt,
das Dorf schlch pasan. — 3b 4om iom links ein Tscherkessendorf, das
sich durch seine kreisförmige Anlage und die Kuppelform seiner
Hütten sofort auffallend von den arabischen Dörfern unterscheidet. —
3 b 45 m ober ein schmales Winterflüfschen. — 3h 46 m ca. 6m rechts die
nördlich von schlch pasan gelegene Zijära, fast ganz von Laub ver-
deckt. — 4b über ein schmales Winterflüfschen. — 4b 12™ links ist
die äufserste in die Ebene vorspringende Spitze des dschebel el-apmar
ca. 30“ entfernt. — 4h 15m Uber das denn göz mit Wasser, das Pfützen
bildet und keinen rechten Abflufs zu haben scheint; die ganze Gegend
scheint sehr sumpfig; auch mehrfach werden Gräben gefunden, die ganz
niedrige Ufer und wohl nur im Winter regelmäfsig Wasser haben. —
4 h 20 m rechts die ca. 15 Sommerhütten der Bewohner des iveiter
westlich am F'ufs des Berges gelegenen ez-zilfkdnhje aus Rohr und
daneben 2 Araberzelte. — 4h 30“ ca. 10 m rechts ein vereinzelt auf
freiem Felde aus dem Boden herausstehender Säulenstumpf von
mäfsiger Dicke, genannt dike/i dusch, ar. padschar el-pä'ide. — 4h 37™
cz-zilfkdnltje , das von den Türken zilfkanli, von den Arabern meist,
mit Assimilation, ez-zilfkannijc genannt werden soll, 2om links. —
4h 40“ links treten die Berge näher heran. — 4h 45m ca. 30“' rechts
ein Araberdorf, töhme oghlu obasy ? ; jenseits desselben ist der mächtige
anfdisja - See , el-bapra, sichtbar. — 4h 5S1" ca. 30 m links el-bitrikln am
Fufs der niedrigen Vorberge. Halt.
4h 58 ™ fort. — 5h 1 2 m 5ra rechts ein Tumulus. — 5h ism über
das wasserlose, breite Bett des nähr el-balrakin (bitrikln) oder bidirge
fuju nach Bezeichnung Hasans. — 5h j6“ ein schmaler Graben mit
reichlichem Wasser. Halt.
5h 18 m fort. — 5 b 2om ca. 15 m rechts ein Tscherkessendorf; links
die niedrigen Vorberge ca. i5m entfernt. — 5h 28m über das trockene,
auf beiden Seiten mit Gebüsch bestandene Bett des fury fu. — 5h 37 ra
ca. 30“ links, am Fufs des Gebirges, das Tscherkessendorf mar'aschly
boghazy, zu welchem hier ein Weg abführt. • — 5h 45ra wir nähern uns
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170
Martin Hartmann:
sehr dem Gebirge, von dessen Fufs das aufserordentlich fischreiche Wasser
des ‘ain essemek kommt. — 5h 50™ am Fufs des Gebirges; links mündet
hier die Winterstrafse ein; wir treten in das Gebirge ein; ca. 6m rechts
das Wasser des ‘ain es-semek sichtbar. — 5h 55™ bergauf. — 6h 15 "■ bei
dem chtln karamurf. Die Steigung bis hierher war nicht beträchtlich.
13. Oktober.
Umsicht: das nördlichste Ende des Sees cl-bafira ist nur ca. 30”
entfernt; der sanfte Abfall eines Htigelrtlckens 156°; die Spitze eines
kleinen, unabhängig von den nahen Vorbergen aus der Ebene aufstei-
genden Hügels 113°; ca. 100m vom Chan ein Kastal; das Dörfchen
karamurf liegt am Abhang des niedrigen Bergrückens, etwas westlich
vom Chan; das Terrain senkt sich bis zum See nur wenig. —
6h4m fort vom Chan. — 6h 7 m an dem ca. 4 m breiten nähr
karamurf, über das eine einbogige Brücke führt; diese überschreitet
der gewöhnlich eingeschlagene Weg nach bailätf, wir nehmen den etwas
beschwerlicheren, darb el-ka/'a genannten; auf der südlichen Seite des
Flüfschens weiter nach W. — 6h 17™ ein schmaler Weg geht zu ca. 20.
2 m links liegenden Häusern ab, die schon zu baghrds, im Munde meiner
Begleiter durchaus bughrds klingend (vgl. bughdäd für baghddd), ge-
hören sollen; ca. 50 m rechts immer der mit dichtem Gebüsch (Oleander'
bestandene nähr karamurf — 6h 22™ durch das Thor eines 1,20 m dicken
alten Mauerrestes, der nach der Meinung der Leute von einer alten
Mühle herrührt. — 6h 30m von links kommt ein kleines, mit dichtem
Baumwuchs bestandenes Wässerchen herunter; unter den Bäumen, ca.
3ra links, 7—8 Häuser; rechts und links schöne alte Ölbäume. —
6 h 33111 über einen Flufs ( nähr karamurf? endewi $u ?), der ca. 2 m breit
ist; bergauf. — 6h 35“ durch das Dorf baghrds. — 6h 36"* Halt.
gu 40m fort, zu Fufs, begleitet von einem Türken aus baghrds
und dem Tschawusch , zur kal'a, 280°. — 6h 53m nach Erklette-
rung des steilen O-Randes des Burgfelsens, der nach N, W, S fast
senkrecht, nach O nur steil abfällt, und dem im S und SO ein ähn-
licher Felsen gegenüberliegt, bei der Mauer der kal'a', Inschriften
'finden sich gar nicht; auf dem höchsten Punkt der Burg ein ziemlich
gut erhaltener Bau, ca. 21 m lang, 8 m breit, 15 m hoch, den die Leute
von baghrds kllsa, d. i. Kirche, nennen; Dicke der Mauer in den Fenster-
nischen 1,20 m; Decke gewölbt; zahlreiche Nischen in den Wänden;
von den hohen Bogenfenstern des Raumes aus weite Fernsicht; auf
der N-Seite haben wir tief unter uns das nähr karamurf, das aus dem
‘ansehaghyzy f«1) kommt, von welchem auch die Burg ihr Wasser er-
1 1 Man denkt zunächst an ‘ain, aus dem das 'an verstümmelt sein könnte; doch
ist ‘anscha hier wohl die in jener Gegend übliche Verstümmelung von ‘a'ischa, und
ghyiy — k)‘zy • Tochter der Aischa
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschcbel Bereitet. 171
hielt; auch auf der S -Seite unter uns ein tiefer Abgrund; von W
kommend ist das ‘anschaghyzy $u sichtbar; von einer W-O laufenden
Galerie aus, die ca. 2 m breit und 2} m hoch ist, sehen wir unter uns
die Ruine kyzlar kalesi, und, ca. 301" entfernt, top kajasy 140°; hinab
zum Dorf, in welchem wir 8h 8m bei den Tieren sind.
8h 42 m fort von baghräs. — 8h45m an der Quelle von baghräs',
zwischen niedrigen Hügeln sanft bergauf; 360°; 2m Aufenthalt; vor
uns eine Bergspitze, die nach dem Tschawusch apysch kaja heifst und
zum dazdägh gehört. — 9h 3m rechts unter uns, am Bergabhang klebend,
schembik (20 H); 20°; guter Weg. — 9h 7m sanft bergab; rechts steiler
Abfall; am Bergrücken entlang nach W. — 9h 12"1 immer noch berg-
ab; rechts, ca. iom entfernt, jenseits eines Thaies, einige Häuser, die
schon zu bailan gehören sollen und auf einem Toprak liegen, das
b&ryny hara heifst; der Weg wird steinig. — 9h 15“ an einem Wässerchen
baryny kara fuju, das aus einer nahen Quelle kommt. Halt.
9h22m fort; bergauf, steil; langsam. — 9h 30™ links foghandschy,
ca. r h entfernt, auf dem jenseitigen Bergabhang, 260/270°; dicht unter
den vorhin (s. 9h I2m) gesehenen Häusern, die zu bailan gehören
sollen: Aufenthalt von 4ra. — 9h 35 ni steil bergauf — 9h 38m sanft
bergauf; 360°. — 9h 44'" eben; bald darauf wieder sanft bergauf. —
9h 50“ ein Kastal mit Quelle. Halt.
9h 53m fort. — ioh 6m rechts in der Ferne, am Rand der Ebene,
I’als und Dorf top boghasy , zwischen zwei Hügeln ; unter uns die fialeb-
Strafse sichtbar. — loh iom bergab. — ioh 24m rechts, auf einem
kleinen Hügel und ca. 3"“ von der Aa/W-Strafse, von uns ca. 20™ ent-
fernt, der türkische Wachtposten derindere, in welchem beständig zwei
bis drei Mann zum Schutz der Strafse liegen, auf der gerade hier
früher viele Raubanfälle vorkamen. Halt.
10 1> 29m fort. — ioh33m über ein Wässerchen; ca. 100 m links
das Dorf tschahally (15 HT). — ioh 43"* wir münden in die fia/eb-
Strafse ein; nach W. — io*1 46m an dem Punkt, wo sich für den von
W kommenden die ^«/<A-§trafee in die obere und die untere teilt;
die obere, welche wir rechts hatten, soll der nähere aber beschwer-
lichere Weg sein. — nh i2m an einem Kastal dicht vor bailan. —
1 1 h 13m bei den ersten Häusern des Ortes; durch ihn hindurch. —
1 1 h 2om im Jeni Chan (Neuer Chan).
14. Oktober.
5h 57 01 fort vom Chan in bailan auf der $fl/rÄ-Strafsc in Richtung
iskenderUn. — 6h 2m ab von der Strafse nach rechts; 360°; den steilen
Abhang im N des Ortes hinauf. — 6h sra wieder NW, ungefähr in
gleicher Richtung mit der Strafse. — 61* 9m 360°. — 6*1 15"' eine
kleine Ebene; bald darauf wieder bergauf, sanft, auf schmalem Pfad.
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172
Martin Hartmann:
- 6h 23m rechts ein Wässerchen moijit el - ‘dlik oder d/yh fuju. —
6h 34m auf der Höhe des Bergrückens, den wir bisher vor uns sahen;
von hier senkt sich das Land nach N und W, während es sich im O
an eine Berglehne anschliefst; eben; 8o°. — 6h 38°* an der östlich
bleibenden Berglehne entlang. — 6h 47“ links Abfall; jenseits des-
selben Bergrücken. — 6h 51"' ca. 50 m links das Dörfchen el-'ätih oder
atyh kSji '). — 6b 55 m Uber das reichlich fliefsende dtyk $uju (s. oben
6h 23'"). — 6h 57m an den Ruinen einer alten Kirche, ki/se, die nichts
Besonderes bieten, ca. 24m lang, 12 m breit, 2im hoch; um die
Ruine herum sind Spuren alter Bauten sichtbar; es sollen hier oft
Münzen und andere Antika gefunden werden; ca. 2m NO der Ruine
entspringt das ätyk fuju\ hier nähern sich die östliche und die west-
liche Berglehne auf 6— 8m einander. Halt.
7>< 37m fort von der Ruine; eben; ca. 40°; rechts und links Berg-
rücken. — 7h 50™ die Bergrücken treten auf beiden Seiten an die
Strafse heran, bald darauf gehen sie wieder auseinander; links Thal.
— 7 h 55 m bergab. — 8 h wieder bergauf; 6o°; am rechten (östlichen!
Bergrücken entlang. 8h 33 m bei den ersten Häusern von sd£ yf (vgl.
25./9. 9h 55m), steil bergauf; dann eben. — S 11 37 m Halt.
8h 40 m fort. — 8h45m links Reste eines alten Gemäuers. —
rechts die letzten Häuser des sehr zerstreut liegenden sdhyi’, links schon
seit längerer Zeit das Meer sichtbar. - gb t8ra steil bergauf. —
9 h 25“ links geht das dschäghiap deresi hinunter, welches die Grenze
zwischen dem Toprak von snkyt und alma ddgh, und somit von iskenderün
und pajas bilden soll8). — 9 h 40“* rechts am Weg das erste Haus von
alma dagh\ über die ausgedehnte Ebene, auf welcher die wenigen
Häuschen von alma ddgh liegen (vgl. 24-/9. 1 h 4°m)- — 9 h 42“ Halt;
Rast bei einem 2™ links von der Strafse liegenden Kastal.
10 h 30m fort vom Kastal. •- ioh 38“ an einigen Häusern von alma
ddgh vorbei. — 10 h 44'" iskenderün 285°. Halt.
10*1 48m fort. — ioh5im iskenderßn wird verdeckt durch einen
Rücken mit drei Spitzen, der nach N und S steil abfällt; ca. 360°;
bergab. — nb bei einem FlUfechen, an welchem 8 H des grolsen,
sehr zerstreut liegenden Dorfes apatschiili oder el-'abddschhje liegen. Halt.
auf der Karte aus Versehen rechts anstatt links vom Weg eingetragen.
a) Zusammengehalten mit der Notiz 24. 9. ib 40 ni, dafs almadagh und kairak
schon zum Wilajet adana gehören sollen, läfst diese Bemerkung über die Grenze
der Kadas iskenderün und pajas , d. h. der Wil. haleb und adana, annehmen, dafs
dieselbe auf der Karte zu weit nördlich gezeichnet ist , vielmehr sich von dem
Küstenpunkt nach SO zieht ; sie dürfte sich am nähr karasu mit der SO-Grenze
von adana treifen, welche wohl dem Lauf dieses Flusses folgt, entgegen der Zeich-
nung auf der Karte,
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Das Liwa Halcb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. ]73
11 h 17 m fort; steil bergab. — nh 2im bergauf, am Bergrücken
entlang; links das Meer von Vorbergen verdeckt. — ii*1 34m 4H von
d-abädschlije. — nh35m sehr steil bergauf. — rih39nl Halt.
Uh 47m fort. — ni'54'n links unten auf einer freundlichen Ebene
einige Häuser von tl- ‘abildschllje. — nh 58 m bergab; links bald das
Meer sichtbar, bald durch Berge verdeckt. — i2h8m rechts vom Wege
ein einzelnes Haus; am Bergabhang rechts in verschiedenen Ent-
fernungen Häusergruppen, die sämtlich zu el-'abddschhje gehören. —
i2h 30m der Weg ist sehr schmal und beschwerlich geworden; verirrt;
auf ein rechts liegendes Dorf zu; 70 °. — 2m Aufenthalt. — i2h45nl
bei dem Dorf; die Frauen haben als Kopfbedeckung einen ca. 20 cm
gerade aufsteigenden Cylinder von buntfarbigen Stoffen, über welchen
ein weifses Tuch lose geworfen ist; vom unteren Rand dieser Kopf-
bedeckung hängen zu Seiten des Gesichtes Schuppenriemen von Silber
herab, die oben bis 3 cm breit sind und bis an das Kinn, bei Wohl-
habenden auch weiter reichen; aufserdem hängen kleinere und gröfsere
Silberstücke herab ; die Mädchen tragen die roten Mützen (Fez) mit
einem kleinen Tuch umwunden; die Frauen — nur solche begegnen
uns — erklären, über die Berge führe kein Weg nach dermen (d. i.
dtjirmen) dertsi, über welches ich hatte pajas erreichen wollen; sie
zeigen uns den Weg, um zur großen Strafse zu gelangen. — Aufent-
halt 5 m. — Zurück nach NW; 300°; eben. 1 h 9 m der Weg führt
uns hinab ans Meer. — ih I7m iskenderün 257 °. Halt.
lh 20ro fort; steil bergab, auf schlechtem Weg. — 2k 26™ unten
im Thal; bald darauf bei kerkib. — 2 h 3 1 m Halt.
2h 40m fort. — 2h43m bei den ersten Häusern von aghtschai, das
sich bis ans Meer erstrecken soll; über 2 Wässerchen. — Aufenthalt
3®. — 2h 53 m Uber den nähr aghtschai, der von kerkib kommt, ca.
2I m breit; nach NW. — i^;11 auf einer kleinen Anhöhe; von hier:
sijirit es-saijide, eine weifsglänzende Kapelle, die von ' Christen besucht
wird, 1800; links dicht am Meer das Dörfchen kötü gSl (?). Halt.
3h 22m hinab zum Meer. — 3k 25™ wir münden in die grofse
Strafse iskenderün — pajas. — 3h 33m das fakalfufan beginnt, ein sehr
schmaler ii — 2 m breiter Pfad am Meer: rechts eine fast senkrecht
aufsteigende Erdwand, links das Meer; am Beginn dieses Engpasses
ca. 30 m rechts, auf der Höhe, ein türkischer Wachtposten mit 3 bis
4 Mann; einige Schritte weiter Brunnen mit gutem Wasser. — 3h47m
die ca. 4 m breite Mündung eines trockenen Flufsbettes, das von rechts
zwischen senkrechten Erdwänden heraus kommt. — 3 h 55 m vom Meer
ab ins Land hinein; bergauf. — 4*> höchster Punkt des niedrigen
Rückens, welchen das Hochgebirge zum Meere vorschiebt, und welcher
den Weg am Meer unmöglich macht; dieser Teil der Strafse, auf
Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Bd XXIX. 12
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174
Martin Hartmann:
welchem die Spuren einer alten Römerstrafse sichtbar sind, heilst
ef-fai1). — 4h gm ca. 200 m links die beiden Steinmauern, welche die
Jonaspfeiler genannt werden. Halt.
4h 12m fort. — 4h i8m unten am Ende des ef-fai und der Römer-
strafse; durch den zu Seiten des Weges liegenden Friedhof des
Dörfchens färy seki\ etwas weiter, rechts an der Strafse, ein türkischer
Wachtposten mit 3—4 Mann, genannt phafar ef-fai, der erste auf dem
Gebiet des Wilajets adana , dessen Grenze hier überschritten wird. —
4h 22m zu Fufs zu dem rechts auf einer Anhöhe liegenden kafr el-
bendt oder kyzlar kalesi. — 4 h 27"' oben bei demselben; über dem
Thor Inschrift über die Restaurierung dieser Burg durch Sultan Selim
vom 1. Muharram 923 (? Zehner nicht deutlich). Halt.
4h 52m fort vom Wachtposten. — 5h 7m links am Meer Reste
eines alten Landungssteges {bunt). — 5h 20"» an dem fdry seki fuju ent-
lang, das hier einen Sumpf bildet. — 5h 25™ über das Flüfschen dicht
bei seiner Mündung, wo es ca. 20. m breit ist. — Von hier an keine
Notizen mehr gemacht; Ankunft in pajas ca. 6h 30™. Sehr schlechte
Unterkunft in dem armseligen, verödeten, ungesunden Flecken. Da
ich von pajas aus einen neuen Berittenen brauche, der Kaimmakam
aber noch in der Sommerresidenz in Szerlü ist, so mufe zunächst dieses
besucht werden.
15. Oktober.
9h 20™ fort von pajas ; das Meer ca. 5™ links; 20 °. — 9h 40™
360°; auf der grofsen Strafse ‘osmäntje- adana, an welcher auch Szerlü
liegt; das Meer entfernt sich, da es bedeutende Biegung nach W
macht, wir aber nach N gehen; die Ebene ist mit niedrigem, bis 1 m
hohem Gebüsch bestanden. — ioh 40“* über den hier ca. 20 m breiten
trockenen rabat tschai, der im Winter oft 2 — 3 Tage unpassierbar sein
soll. — ioh 41™ wir treten in die Gärten von Szerlü oder el-'Szerhje ein;
rechts ein Wässerchen, von N kommend. — ioh 50“ beim „Konak“,
Regierungsgebäude, des Kaimmakams von pajas, einem Bretterhäuschen,
aus Latten dürftig zusammengeschlagen. Da ich nicht im Besitz eines
Bujuruldu (Regierungspasses) bin, wie ihn nach Behauptung des Beamten
ein ihm mitgeteilter Erlafs des Ministers des Innern für solche Personen,
die angeblich zu wissenschaftlichen Zwecken im Lande umherreisen,
vorschreibt2), so weigert er sich, mir einen neuen Berittenen zu dem
1 ) Wohl das türkische Wort sdj, sai, dessen Bedeutung „Zahl“ hier freilich
keinen Anhalt bietet: ist ostliirk. säj = cours dteau sec en iti et torrentueux en
hiver (Pavet de Courteille, Dict.l heranzuziehen?
*) Von einer ähnlichen Intrige eines türkischen Provinzialbeamten wurde Prof.
Ilirschfeld (Königsberg) betroffen, auf Grund des gleichen M i 11 istcrial -Erlasses;
s. darüber Vcrhandl. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin, Iä8z, S. 395.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 2 T 5
Ritt über das Gebirge nach ekbez mitzugeben’). Er behauptet, mich
entweder zu seinem Wali nach adana oder zurUck nach iskenderün
schicken zu müssen. Da es bedenklich war, gegen den Willen der
Behörde zu reisen, so beschlofs ich, in iskenderün zunächst das Nötige
zu veranlassen. Obwohl ein Armenier in Szerlü mir Gastfreundschaft
angeboten hatte, ritt ich noch an demselben Tage nach pajas zurück;
denn in der Luft von Szerlü lag jene schwere Feuchtigkeit, welche ein
Heerd der gefährlichsten Fieber zu sein pflegt.
2h 60"> fort von Szerlü. — 5"* Aufenthalt. — 3h 50 1,1 links, ca. 30m
entfernt, kültün. — 4h i5m pajas.
16. Oktober.
Über den Ritt von pajas nach iskenderün nichts notiert. — In
iskenderün telegraphierte ich sofort an den Kaiserlichen Konsul in fia/e/i,
Herrn Zollinger.
17. Oktober.
Am Nachmittag trifft Drahtnachricht von Herrn Zollinger ein, dafs
der Wali von haleb, Dschemil Pascha, den Kaimmakams von bai/dn
und ki/liz drahtlich befohlen, mich mit Berittenen zu versehen, und
da& ich in ‘ain/db das Bujuruldu finden werde.
18. Oktober.
3b 5,n fort von iskenderün. — 3h38m der Weg teilt sich: rechts
der weitere Kamelweg, links der gewöhnliche Reitweg, an dem Tele-
graphen entlang. — 3h 45 nach einigen Minuten Anstiegs Halt; isken-
derün 1 8°.
3h 52m fort. — 4h 3ra rechts ein Wässerchen, das von dem Dorf
schekere (*Isi spricht schekerai, mit der beliebten breiten Dehnung von
betontem kurzen End-z) kommt und nach karaaghdtsch geht. — 4h 7 m
bei dem Wachtposten mit zwei Mann, der nach dem links im Wadi
gelegenen, doch vom Weg aus nicht sichtbaren Dörfchen schekere, schekere
kuliughu benannt ist. 4h 16™ steil bergauf. — 4 11 21"' iskenderün
io,s°. Halt.
4h 25ra fort, eben; wir sind auf der grofsen Strafse. — 4h 47“ bis
hierher rechnet man von iskenderün für die Kamele 2 h (zu 4 km) ; baildn
etwa 1600; ein wenig vorher hatten wir die Grenze zwischen den Kadas
iskenderün und bai/dn überschritten. — 4h 56" es beginnt ein Stück
(der mittlerweile fertig gebauten) Chaussee; rechts, nur durch ein Thal
getrennt, der Bergzug, den ich oft gesehen, und der mir immer als
bai/dn - Berg bezeichnet wurde; Mustafa nennt ihn naulu oder nauly
*) Dieser Ritt hätte mich über den Pafs zwischen Ischokmerzimen und ekbez
geführt, dessen Besuch mir wichtig schien und auch von Herrn Kiepert besonders
anempfohlen war. Meinen Besuch desselben von ekbez aus s. 25. Oktober.
12*
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176
Martin Hartmann:
dägh, das aus nauruz dägh entstanden sei; der östliche Teil heifse
noch besonders ischam/yk dägh, der westliche armudluk dägh (diese
Namen bezeichnen nur die Bewaldung); dafs das Stück Chaussee, auf
dem wir reiten, vor den anderen Teilen begünstigt ist, ist nicht wunder-
bar; denn es läuft auf einer Ebene, genannt färy mazy jäzysy, die
übrigens in I.änge und Breite nur eine geringe Ausdehnung hat; rechts,
zwischen uns und dem nauly dägh ist das dert baghtsche. 5h 9“ links
am Weg badschi ' osmän kasfaly, mit wenigem und schlechtem Wasser.—
5h i6m das trockene frl/im deresi kastaly ; die Strafse macht hier eine
scharfe Biegung. — 5h 20 ra bailän wird dicht unter uns sichtbar. —
5h 25™ im „Neuen Chan" in bailän, einem der westlichsten Häuser
des Ortes. — In demselben finde ich einen deutschen Lazaristenbruder
aus ekbez, Joseph Hochgürtel von Köln: er sei den Tag vorher mit
einem anderen Bruder, der nach bairüt gereist sei, auf dem sehr
schönen, aber sehr beschwerlichen Weg, der von chä$$a direkt über
das Gebirge nach iskenderün führe, angekommen, und wolle heute
zurück.
19. Oktober.
9t> 2m fort vom Neuen Chan in bailän; Zabtije: Saijid Agha; berg-
auf auf der /ia<W-Strafse. — 9 h 35™ rechts mündet die ia^Antr-Strafse ein;
wenig bergab; kurz vorher hatte sich die fialeb- Strafse in die obere,
nördlichere, und untere, südlichere, geteilt; wir halten die untere ge-
nommen (vergl. 13., '10 ioh 46“). — 9h 47™ rechts geht die grofse Strafse
nach anUxkija ab, die nach etwa 4“ an dem Wachtposten derinden
kutlughu vorbeifuhrt, welcher 9h 5om etwa 5™ genau rechts liegt (s. 13.10.
ioh 24m). — ioh 4m wir nehmen einen Seitenweg, der sich sehr bald
wieder mit der grofsen Strafse vereinigt. — ioh i2ln rechts unten in der
Ebene ist die Strafse von top boghäz sichtbar, die durch das ‘amk führt,
und von der man weiter östlich leicht auf die ^a/zi-Strafse gelangen
kann. — ioh 15"* rechts, etwas vor uns, ziemlich entfernt, am Rand der
Ebene, die beiden schon früher gesehenen Hügel (vgl. 13./10. ioh 6“);
ioh i8m genau rechts, unter uns, etwa in halber Höhe zwischen uns und
der Ebene, das untere Ischafta/ly (das obere s. »3-/10. ioh 33m). —
ioh 25m sanft bergab. — ioh 30"' links ein Steinhaus und eine Hütte,
etwa io"‘ oberhalb der Strafse; sie bilden das kü/schiidschc köj, das zu
dem grofsen Dorfkomplex von iurllu gehört. — ioh 52 ™ über eine
liebliche Ebene, die mit schönen alten Gall-Eichen (etwa 150 Stämme)
bestanden ist. — 11 h iom Halt; Visuren: Spitze des dschebel el-aica
209°; die Spitze des lelim dägh oder dschebel barakät 1180; ein kleinerer,
mitten in der Ebene liegender Hügel 100°.
llh 23™ fort. — nh 30“ rechts unten in der Ebene, westlich von
einem kleinen, wohl künstlichen Hügel, nahe am Fufs des Berges,
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 177
nur etwa 30“ entfernt, das Dörfchen fuuk fu, noch zu baildn gehörig.
— jih^jra links, von kur Hu herabkommend, ein Bach, der nach rechts
thalwärts fliefst. — nh4om steil bergab bis 1 1 h 43 m ; dann sanfter.
— 11 h 45m über das Flüfschen fuuk fu, das hier eine Art See
bildet. Halt.
Uh 50m fort. _ uh ji« an dem verödeten Chan fuuk fu chdny
vorbei. — n11 54™ wieder sanft bergauf; von dem Chan, der zwischen
Hügeln liegt, erweitert sich schnell die Ebene nach rechts und geht
mit sehr geringer Neigung hinunter bis zum See; wellig; wir; sind fast
die ganze Zeit in sehr gutem Schritt, zuletzt leichtem Trab geritten,
unter 450. — Uns entgegen kommt, von einem Hügel herabflielsend,
das delibckirli fuju, das wir i2h i7m überschreiten. — I2>>2im bei
einer Brandstätte, einigen Hütten aus Binsen, und einem Neubau links
am Weg; links ein kräftiger Bach ; etwa 15“ links zwei Dörfchen, nicht
weit von einander. — i2h 26m wieder ein Wasser. — i2h 27“ rechts
ein Haus ; alle diese Häuser gehören schon zu dem Dorf kyrykchan,
in welches wir i2h 29"1 einreiten. — i2h 30“ bei dem Chan in kyryk-
chdn, in welchem eih türkischer Militärposten von 3 Mann zur Be-
wachung der Strafse liegt. Das Dorf hat 7-8 Steinhäuser, meist sehr
lang und ganz niedrig, wohl sämtlich Chans, und eine Anzahl (etwa 15)
Hütten aus Binsen. Im I.auf des Nachmittags auf den nordwestlich
vom Chan gelegenen, dicht vor demselben steil aufsteigenden Hügel,
an den sich ein anderer, etwas höherer Hügel, nördlich anschliefst;
die Spitze des letzteren wird in 8m erreicht (4h 32 m); Visuren: Spitze
des dschebcl el-akrd , die ganz klj\r ist, 21 2°; Spitze des dschebcl bcrekdt,
der nach Saijid Agha identisch ist mit dem Mint ddgh (vgl. nh iom),
aber wohl zu unterscheiden von dem dschebcl berckdt im Wilajet
adana, 1240; zwischen 1240 und etwa 48° der kürd ddgh, dem jedoch
unter 1 io° das kyzyl jaka *) mit 5—6 Dörfern und unter 740 bis 940
der gölbasch- Berg, an dessen Fufs das gleichnamige Dorf inmitten des
Sees auf einer hügelartigen Insel unter 78° liegt, vorgelagert sind;
unter uns in der Ebene mufs der durch den Vorhügel verdeckte Chan
unter etwa 1230 liegen; einige andere grofse Chans, 10 — rsm entfernt,
noch zu ki’rykchdn gehörig, 98° und 105°; ein kleiner künstlicher
Hügel mitten in der Ebene 90°; ebenfalls in der Ebene, nicht sehr
weit von dem Fufs des Hügels, dejirmcn uschaghy 82°; in der Ebene,
etwa mitten zwischen dejirmcn uschaghy und gölbasch, furun {t orun ), aus
drei Dörfchen bestehend, 790; ein kleiner, selbstständig aus der Ebene
aufsteigender Rücken, weiter östlich, 59°; der gezbel- Pafs (s. 25-/9.
*) = dem hytyl kaja der Karte (E 4), das wohl etwas zu weit südlich ein-
getragen ist.
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178
Marlin Martmann:
nh 45 n>) 295°, die von mir bestiegene Bergkuppe südlich von demselben
(s. 25.(9. ,zh 521”) 2S7°; delibckirli, das nach Saijid Ahga nur von den
Türken so genannt wird, arabisch aber dijdrbckirli heifst, mit zwei
Quartieren, nicht weit von hier, 298°; über die Ebene sind zahlreiche
Ortschaften zerstreut, über die ich nicht genügende Auskunft er-
halten kann.
20. Oktober.
8h 19m fort von kyryfchdn. — 8h 26m und 8h 3om die beiden, den
Tag vorher vom Hügel anvisierten Chane, rechts am Weg, bei dem
zweiten verlassen wir die ^a/ci-Strafse, uns nach links wendend; sehr
gutes Marschtempo, teils leichter Trab. — 8'< 30"' links am Weg die
letzte Spitze des Rückens, der bis hieher vom gjaurdägh vorgeschossen
ist, dann tritt das Hügelterrain nach links auf 2 - 4™ von der Strafse
zurück; sanft bergab. — 8h42“ sanft bergauf; welliges Gelände. —
8h 50“ auf einem niedrigen Rücken, der etwa 2m rechts zur Ebene ab-
fällt; 3m rechts in der Ebene das Dörfchen dejirmett uschaghy ( odschaghy ?),
etwa 15 H; nach N, weiter in die Hügel hinein; gesbel-Tais 285"; etwa
iom links die steileren Vorberge des gjaurdagh. — 8h 56 — 57“ über
ein sumpfiges Terrain, das ein Reisfeld trägt. — 9t 20°. — 9b iom um
die Spitze eines steiler abfallenden Vorberges herum. — 9h i3"> ein
Hügel 750; zwischen ihm und uns, etwa 20 m entfernt, kütschülü; lang-
sameres Marschtempo. — 9h 2om etwa 2m genau rechts dth uschaghy.
— 9h 26m dicht am Abfall des gjaurddgh entlang. 9h 3om Halt.
911 32"' fort. — 9h 36™ links am Weg eine einzelnstehende llausruine,
früher Mühle, genannt gündüslüt ) rechts, etwa 15“ entfernt , kütschülü. —
9h 40m links, etwa iom entfernt, karamaghdra mit etwa 20 H; der gjaur
dagh steigt links von uns ziemlich steil gleich zum Kamm empor, ohne
erheblichere Vorberge. — 9h 43™ karamaghdra immer noch links, am
Puls des Kammes, von dem wir uns allmählich entfernen. — 9b 48“
etwa 5m links ein einzeln liegender Hügel, etwa 30 m hoch; etwa 15“
rechts, etwas vor uns, arpaly ; genau rechts, weit in der Ebene, ein
gröfseres Dorf. — 9h 53m wir gehen unter 180. 9h 54"", im links ein
Hügel. Halt. Der Steilabfall eines Südost-Ausläufers des gjaurdagh,
der sehr charakteristisch ist, und den wir beständig vor uns haben,
unter 25°.
10 h fort; wieder gutes Marschtempo. — ioh3m etwa 15“ links
ein Dorf mit etwa 30 H. — iok 7“ das Dorf etwa iom genau links;
am Weg ein türkischer Friedhof. ioh 15 m der Fufs des Hochgebirges
etwa 2ora entfernt; auf den Steilabfall (vgl. 9h 53™) los; 250. — ioh 23“
etwa 60 m rechts 5 H, die wohl zu dem, 6 — iom rechts gelegenen, sich
bis an den Fufs eines etwa 20™ entfernten Tumulus hinziehenden
Dorf gehören. — ioh 25» links ein grofscr Friedhof. — ioh 28m rechts
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Das Liwa Halcb (Aleppo) und eiu Teil des Liwa Dschebel Bereiset. 179
am Weg wieder einige Häuser (io — 12); dieses ganze Dorf, bis an den
Hügel (s. ioh 23'“) soll tr-rifrali heifsen; die Hütten, samt den Dächern,
sind aus birdi (Rohr); die hier wohnenden Türken sind nur im Sommer
hier; im Winter ziehen sie in die Gegend von 'ain el-bida1). — ioh 42 m
über ein Wässerchen. Halt.
10 ^ 44 m fort. — ioh 51 ra wieder über ein Wässerchen. — ioh 53“
Wendung nach rechts; 50°; auf einen in der Ebene vorgelagerten
Bergrücken los; links dicht am Weg die Ruinen eines Dorfes (8—10 H).
ioh 5öm 38°; auf eine Bergspitze zu; der Weg wird steinig, während
er bisher ganz glatt war. — ioh 5&m 25 0 ; rechts in der Ebene 3 Tumuli. —
jih jm wieder Häuserruinen links am Weg; etwa 201" links, am Fufs
des Gebirges, das wieder näher herantritt, ein Dörfchen zwischen
Bäumen. — nh 2m Uber ein Wässerchen. — nh 7m unter etwa 50°. —
11 h 141” Halt bei einem Flüfschen.
Uh 50m fort5 zu Fufs auf einen kleinen, etwas links von der Strafse
liegenden Hügel; nh56ra auf seiner ebenen, breitflächigen Höhe; von
hier der Steilabfall (s. 9h 53m) 23°; der Fufs des steil abfallenden Ge-
birges etwa 20 ni entfernt; zwischen ihm und mir ein Tumulus. Halt.
12h 4 m fort; zurück auf die Strafse, wo i2h6m mit den anderen
zusammengetroflen ; von hier an leichter Trab. — iah iom Uber das
kräftige Wasser tschoschlu fuju, etwa ij m breit; wir sind hier auf dem
Boden von ZscAoscA/y; wir reiten im Wasser, bezw. auf Sumpfland. —
i2h 14m wieder über ein kräftiges Wässerchen. — t2h 24™ etwa 20 m
links das Dorf tscAorschli ; so, nicht iscAoscAli, höre ich den Namen
jetzt deutlich von Saijid Agha und ‘Isi ; in der Richtung des Dorfes
erhebt sich auf dem Kamm ein mächtiger, sich ziemlich lang hin-
ziehender Felsen, der nördlich in einem sehr wilden, fast senkrechten
Absturz endigt; besonders dadurch fällt dieser Fels sehr auf, dafs er
kahles, nacktes, weifsglänzendes Gestein ist, während der Kamm mit
Bäumen und Gebüsch bewachsen; ich erkenne in ihm den schon von der
Kuppe am gczbcl (s. 2579. 1 h 55“) anvisierten aAAaja\ in der That sagt
Saijid Agha auf meine Frage, das sei der öchfraja {sic, OcA, klang fast
in seinem Munde das a£); das Gebirge sendet nun wieder erheb-
lichere Querzüge in die Ebene, welche von der Strafse überschritten
werden müssen, und deren östlichste Erhebungen zum Teil den Blick
in die Ebene versperren. — 12h 32 m rechts ein felsiger Hügel. —
i2h 42 m etwa iom rechts ein felsiger Hügel, als Abschlufs eines
zur Ebene abfallenden Querzuges. — 1 2 h 45 m Uber einen kräftigen
*) Mit dieser Angabe ist nichts gesagt; denn das rihäh ist sicher identisch
mit dem Namen des Turkomanen-Stamraes Rihanly, und dafs dieser in jener Gegend
wohnt, bezw. wandert, ist schon aus Burckhardt (s. K 1625 IT.) bekannt; vgl. auch
die Xahijc cr-rthnntje in den Ortslisten.
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180
Martin Hartmann:
Bach, gleich darauf über das breitere, trockene Bett eines Winter-
flusses. i2*‘49m der Steilabfall jetzt unter etwa 150 vor uns; ebener,
stcinloser Weg. — ih links felsiger Hügel; wasserreiches Land mit
Feldern ; sehr schnelles Marschtempo. — 1 h 1 7 n> Wendung nach rechts,
mehr östlich; der Steilabfall bleibt links. — ih i9m in einem Thälchen
mit Bach und reicher Vegetation. — 1*1 zi"> der Steilabfall genau links,
etwa 45 m entfernt; hinter ihm eine höhere Bergspitze sichtbar. —
ih23m rechts und links am Weg Ruinen von Häusern, und so auch
weiter bis zum Dorf urdikBj. — ih z6m über ein Wässerchen. — ih 28°*
über einen bedeutenderen Bach mit steinigem Bett. — ih3om erste
Häuser des Dorfes urdiköj, durch welches die Strafse hindurchführt;
sämtlich verlassen und im Verfall: ein Bild der traurigen Lage des
Landes; die Bewohner wohnen jetzt in einem gleichnamigen Dorf im
Gebirge; rechts ein Hügel, der die Ebene verdeckt. — i1,43m rechts
jenseits eines Thälchens, in welchem ein steiniges, trockenes Flufsbett,
ein Hügel, hinter welchem in der Ebene ein bedeutenderer Bergrücken
aufsteigt; das Terrain sehr wellig; zahlreiche Hügel. — 1 & 52“ über
das etwa 50 m breite, ganz mit Steingeröll gefüllte, jetzt trokene Bett des
(tadschilaryn tschaijy. — 2 h in einer weiten Ebene mit gutem, doch nicht
bestelltem Kulturland; links ist der gjaurdägh auf etwa 1 St. zurück-
getreten; der Bergrücken rechts nur etwa 30"" entfernt. 2*> 23“ ein
Ausläufer des Bergrückens rechts tritt bis auf etwa 15“ an die Strafse
heran. — 2h 26m rechts und links ein grofser Friedhof; dicht am Weg
ein Grab mit zwei offenbar alten Säulenstümpfen, von denen einer mit
rohen Zeichen versehen ist, je etwa 1 1 m hoch ; neben dem einen ein
verkümmertes Eichbäumchen, an dessen Äste Kleiderfetzen gebunden
sind1); auf die Säulenstümpfe sind Steinchen aufgehäuft, so viele ihrer
Platz haben. Halt.
2h 32ra fort. — 2 h 45 1,1 links wieder Gräber; der gjaurdägh erscheint
wieder näher (ca. 45 m); rechts steigt der Boden sanft an; kein Blick
in die Ebene. — 3 h rechts ein nach S fliefsendes Wasser, ca. 2J m
breit, nach Saijid Agha chäffany/7 fuju genannt. — 3h 4m ca. 4" rechts
ein Tumulus. — 3*> 8 m ein Ausläufer des gjaurdägh tritt bis auf etwa
150 m links an die Strafse heran; chäsfa, bezw. die Kaserne von
ch., liegt als weilsglänzender Punkt unter 350° vor uns, am Fufs des
Gebirges. — 3h 12" die Strafse teilt sich: links ab nach chäffa, gerade-
aus nach? ( if/ä/iije ?) — 3h »5™ ein Gebirgsausläufer tritt links bis auf
50 m an die Strafse heran. — 3h 22 m wir reiten an einem Rinnsal mit
klarem Wasser, das rechts ist, hinauf. — 3h 28™ über dieses Wasser,
*) Über den Glauben, dafs das Befestigen von Kleiderfetzen eines Kranken
an einem heiligen Baum oder Heiligengrab Heilung bringe, s ZV f. Volksk. I ioj.
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IIIIH I
I III
Di» Liwa llaleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berckel. [ g 1
welches links, ca. i ra entfernt, eine kleine Mühle treibt; die Ausläufer
des gjaurddgh begleiten uns immer links in Entfernung von 50- 6om.
— 3h 34“ rechts und links Ruinen von Häusern. — 3h 40“ die Ebene
rechts wird wieder sichtbar. — 3h4im erste Hütten von cAdffa, das
freundlich unter Bäumen liegt. — 3h 44 m das Regierungsgebäude ca.
100 m links; Saijid Agha verläfst mich um in cAdffa zu bleiben. Halt.
3h 48m welliges Terrain. — 3h 53“ rechts in der Ebene ein
Tumulus. — 3h 57m: 2m rechts einige Häuser, die wohl noch zu cAdffa
gehören [vgl. 22. 110. 2h 50“]. — 3h 58"» bergauf, in die Berge hinein.
— 4h 4m östlich ist ein, ca. 700 m von N nach S ziehender Rücken
vorgelagert. — 4h 7“ Halt.
4h 9“ fort; langsameres Marschtempo ; unter 360°. — 4 h 23™ über
einen, etwa 15 m breiten Flufs; Halt.
4h 26m fort; 30°; am Weg Tabakfclder und Weinberge. — 4 *» 38"’
rechts am Weg ein mächtiger Felskegel mit Höhle. — 4 b 5ora rechts
unter uns ein Gebirgsflufsbett, ca. 3 m breit, trocken. — 4h 53“1 bei
einer Wendung wird das Lazaristenkloster sichtbar. — 411 55“ der
Weg teilt sich: der Hauptweg geradeaus, wir rechts ab zu dem unter
340° auf einer Anhöhe vor uns liegenden Kloster; über das 5—6 m
breite Flufsbett. — 5h 2m erste Häuser von tkbez. — 51' io“ im Hause
der Lazaristen, wo ich die freundlichste Aufnahme fand.
21. — 27. Oktober im Lazaristenkloster in salvianli\ denn diesen
Namen führt eigentlich das Dorf, in welchem es liegt und welches
wohl auch, wie die anderen Ortschaften der Nahije tkbez, als Oijmak,
Quartier, Viertel, von tkbez bezeichnet wird, gemeiniglich aber, als der
Hauptort, geradezu tkbez genannt zu werden scheint. Durch Vermittelung
der mich in jeder Weise unterstützenden Herren des Klosters gewinne
ich die Dienste Tschilös, eines alten Armeniers, der in seiner Jugend
selbst das Räuberhandwerk in dem damals freilich noch fast ganz
unabhängigen Gebirge getrieben haben will, und von seinen zahllosen
Streifereien her die Gegend südlich bis zur Grenze des Wilajets fraleb,
nördlich bis etwa ifldjtije und jarpuz recht gut kennt. Die unternom-
menen Ausflüge sind folgende:
22. Oktober (Sonntag).
Nach der letzten Messe, an der eine gröfsere Anzahl Personen
der angeblich etwa 50 Familien starken katholischen Gemeinde teilnahm,
Spaziergang mit dem deutschen Bruder Joseph in der näheren Um-
gebung des Klosters; südlich an demselben in geringer Entfernung
eine Grotte mit drei Grabstellen, wo byzantinische Münzen gefunden
sind; etwas weiter der christliche Friedhof, der vordem von allen
Christen gemeinsam benutzt wurde; als vor 6 Jahren (1876) Maroniten
hierher kamen (noch jetzt besteht hier eine Kolonie von arabisch
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182
Martin Hart mann:
redenden Maroniten, die Theer brennen und einen eigenen Geistlichen
haben), wollten diese nicht mit den „Ketzern“ zusammen beerdigt sein,
sondern legten sich einen besonderen Friedhof in der Nähe der Kapelle
an, wo nun auch die andern Katholiken begraben. Der alte Friedhof
zeigt nur einen Stein, der Aufmerksamkeit erregt: er trägt ein griechi-
sches Kreuz, etwas verzogen, und die Jahreszahl 1265 mit arabischen
Ziffern. Auf dem in der Nähe befindlichen muslimischen Friedhof
fällt ein als Grabstein benutzter Säulenstumpf mit Zeichen auf, welcher
‘den beiden 20./10. 2h 26“ gesehenen ähnlich ist; nach Bruder Joseph
trifft man solche Säulenstümpfe öfter.
Nachmittags Besuch beim Kaimmakam von c/nlffa ; die spärlichen
Notizen des Hin- und Rückweges sind folgende:
lh 45m fort vom Kloster. —-2h 5om tra links ein paar Häuser, die
mir mein Führer, der Postbote des Klosters, als Ischd/ym biinysy be-
zeichnet. — In chdffa traf ich den Kaimmakam in der, übrigens ganz
verfallenen Kaserne an; er war vor ca. 10 Tagen aus tejek oder tijetc,
45 m von chit}fa im gjaurditgh , wo er des mörderischen Klimas von
rhitffa wegen im Sommer residiert, zurückgekehrt; auch der Kadi von
fhdfja war anwesend; der Kaimmakam erklärte sich bereit, mir einen
Zabtije nach kil/is zu geben; Nüri Bey — dies war sein Name — , ein
noch junger, geweckter Mann, war nicht unfreundlich; er fragte mich
zwei Mal, ob ich bei den Patres in ekbes wohne, gab aber der feind-
lichen Gesinnung, die die Lazaristen ihm zuschreiben, keinen Ausdruck,
erkannte vielmehr an, dafs ihre Schule eine Wohlthat für die Gegend
sei; freilich, meinte er, die Leute dieser Gegend wollten ihre Kinder
nichts lernen lassen (nach Angabe der Lazaristen sehnt sich im Gegenteil
die Bevölkerung nach Unterricht, Strafsen, Förderung aller Art), und
besonders die Ekbezer seien eine böse Gesellschaft: die Notabein unter
ihnen seien die Häupter von Räuberbanden, die sich mit Viehstehlen
u. dgl. abgäben. —
3h 30™ fort von chd;;a ; vom Fufs des Berges bis zu dem Flufs
puiiar baschy (vgl. 20./10. 4 h 23™) heilst der Weg ki/hjin (ki/idschin .-')
gtdigi\ das puiiar baschy kommt gleich sehr kräftig , ja , nach Angabe
des Führers, ebenso kräftig wie dort, wo wir es 4h 15“ überschreiten,
unter dem nur ca. iom links liegenden Felsabfall hervor. — 4*» i8m
rechts ein Baumwoll-Feld, links ein Weinberg, wie überhaupt die Gegend
gut angebaut ist; von dem puiiar iarcAy-Flufs bis kurz vor ekbez heifst
das Terrain ilsilr , und so heifst auch der rechts bleibende Felsberg
mit Höhle (vgl. 20./10. 4h 38™) iisär / epesi ; ihm gegenüber links der
Hügel Ischalal /epesi. — 4h 34m rechts das ky/y/srh tepe') und hinter
*) verhört für kylydsch dedei vgl. ig./io. 9h 24 m.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dscbebel Rereket. 183
demselben das sich lang hinziehende tschamly burun, das zwar dem
fa(yran/yh nahe ist, aber nicht mit ihm zusammenhängt. — 4h45m
rechts das trockene Bett des de/i/schtti, das nach SO geht; der de/i-
Ischai soll von dem kuschdschti ddgh kommen, den wir links in Wolken
sehen, soll sich nicht mit dem puhar baschy vereinigen. — 4h 48™
links ein herabgestürzter Felsblock, welcher sdghyr dasch heifst, weil
das auf der einen Seite von ihm, selbst laut, Gesprochene auf der
anderen nicht gehört wird.
23. Oktober.
2h 35m fort vom Kloster, begleitet von Tschilö; sehr langsam;
zunächst zwischen Hecken unter 330/340°; in dieser Richtung sind
hinter dem Kloster keine Häuser mehr; das Dorf liegt im S und W
des Klosters. — zh 45™ bergan, unter 6o°. — 3h chtiffa (Kaserne) 185°.
Halt.
3h lm fort. — 3h 5m auf der Höhe eines Rückens; eben. Die
beiden Spitzen des östlichen ha/yran/yk 70°. — 3h 19"» bergab in
jungem Eichwald; eben; sehr guter Weg; ziemlich nahe am Gebirge
erhebt sich selbstständig aus der Ebene ein langer, kahler, niedriger
Rücken, genannt maimyn geri\ ein anderer aus der Ebene auf
steigender Hügel ist der ballyh, so genannt von dem dort ge
wonnenen bal, Honig (?). — 3h 29“* auf der Grenze zwischen
elbez und schlch/y , das hier fast wie schachly gesprochen wird, und
damit auch auf der Grenze zwischen den Kadas chdffa und ifM/ilje;
bergab, ziemlich steil, auf schlüpfrigem Weg. — 3h 35m wir wenden
uns von dem direkt nach dem ca. 8 1,1 vor uns liegenden Dörfchen
s chlchly führenden Weg ab nach rechts; steil hinab auf glattem Weg.
— 3h 45 m r chlchly ca. 3™ links; unter ca. 8o° ein selbstständig aus
der Ebene aufsteigender ger, d. i. langgestreckter Hügelrücken, an
dessen westlichem Fufs, an der Strafse nach ifMhlje ein hulluh (Wacht-
posten) liegt. — 3h 55 m an der Quelle dschinni puiiary und dicht dabei
die zwei Zelte der Trappisten -Missionare , welche hier eine Nieder-
lassung anlegen. In der Nähe derselben mehrere Grotten, die wohl
Einsiedlern gedient haben; etwa fünf solcher Grotten sollen sich
ca. 45 m entfernt von der Niederlassung am F’ufs des Berges finden,
gegenüber dem Wachtposten, der auf einem ger an der t$/d(nje- Strafse
liegt (vgl. 3h45m), und nur ca. 600 m westlich von dieser Strafse; von
diesen Grotten her soll die Quelle d/dgöz1) kommen, die, ähnlich wie
1) Der sonst gut unterrichtete Trappisten-Pater Philipp aus Nancy, dem ich
diese Nachrichten verdanke, erklärte den Namen als source de Dieu; er hat aber
nichts mit alluh, Gott, zu thun, das ata ist dasselbe wie in äladägh und anderen
mit älä zusammengesetzten Namen, nämlich — rot, rötlich.
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184
Martin Hartmann:
das puiiar baschy, sofort sehr stark aus dem Felsen hervortritt, und
von den Trappisten zu Fufs in ca. 30 m erreicht wird; der Boden dort
ist schon ganz vulkanisch; an vielen Stellen sind die Schwefelgase,
wenn man nur wenig gräbt, riechbar; die Eingeborenen nennen das
Terrain dort letsche (vgl. 28-/10, ioh 25m). — Über den Rückweg zum
Kloster notierte ich nichts.
25. Oktober.
gh 50 m fort von dem Kloster, zwischen Dorfhäusern hindurch. —
ioh durch duraklar. — ioh 5™ vor uns nüh uschaghy, das toh 8m links
von uns ist; dort die schöne Quelle gäl punar bei einem mächtigen
Ahorn. — ioh i5m nach N und NW ab; rechts geht der Weg ab
nach der 1 h 30 m entfernten (t^a/wa-Quelle, die wegen ihres ausge-
zeichneten Wassers berühmt ist. — ioh 20m erste Häuser von jeni
Japan; wir unter 350°, am wasserlosen delitschai entlang; Weg steinig
und schlecht. — ioh 30m etwa iom rechts chyrchaly, dessen Wasser
in den delitschai geht, sich jedoch in dessen Bett verliert; wir machen
eine energische Wendung nach W und gehen nun unter etwa 310°.
— ioh 36 m links erstes Haus von pazäl uschaghy, durch das Dorf bis
ioh 42m. — ioh 45m Uber den delitschai, der hier Wasser hat, das sich
jedoch später verliert; auf der westlichen Seite des Flusses bergauf
unter 310°; ioh 47™ sehr steil; dann sanft, dann wieder steil. Wir
gehen in der Schlucht pazat uschaghy boghazy hinauf, an dem rechten
Abhang eines schönen reich bewachsenen Thaies. — nhi3m auf
dem Gedik (Pafs) ly dar pabury d. i. das Grab der Mädchen; es ist
das eine 20 — 30 m breite, sanft geneigte Ebene, welche nach beiden
Seiten in ziemlich steilen, bewaldeten Abhängen abfällt, rechts hinunter
zu dem pazat uschaghy deresi, auf dessen anderer Seite ein Bergrücken
aufsteigt, jenseits dessen das paurma deresi liegt; den Namen bat diese
Ebene woM von den grofsen dunklen Basaltblöcken, mit denen sie be-
deckt ist, und welche zuweilen grabhügelartige Konglomerationen
bilden (vgl. 4h 14 m). Halt.
Uh 17 m fort. — 111» 2t m am Ende des pyzlar kabury; es beginnt
das tschardap jopuschu, d. i. Steilanstieg zum tschardap ; wir folgen nicht
der Strafse, sondern machen einen kleinen Abstecher, ziemlich eben,
nach rechts, den steilen, bewaldeten Abhang entlang, der rechts
gähnt, zu der Quelle begh olu-u (Olughu), die wir nh 26 erreichen; sie
liegt unter vier mächtigen, dicht nebeneinander stehenden Ahorn-
bäumen; hier beginnt die Region der Ceder (pama/ap) und des Wach-
holderbaums ( ardydsch ). Reichlicher und kräftiger Baumwuchs; auch
eine Eiche, welche der deutschen Eiche ganz gleich zu sein scheint,
und die ich sonst in Syrien nicht gefunden habe; die Türken nennen
sie Ijre und unterscheiden sie wohl von pdlut {palamut ). Halt.
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Das Liwa Halcb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschcbcl Bereiset.
llh 31m fort; sehr steil bergauf, um wieder den Weg zu erreichen,
in Windungen; abwechselnd mittelsteil und sehr steil. — ii*>5om
260°; Vegetation fast nur Cedern, Eichen und Gall-Eichen; rechts ein
sehr tiefes Thal, links Bergrücken. — 12 h sanft bergauf, gleich darauf
fast eben; hier ist das tsehardak jokuschu zu Ende, die nun folgende
Ebene hat keinen besonderen Namen; sie ist nur mit fjre = Eichen be-
standen. — 12 h 8m wieder bergauf. — i2h i3m wieder eben; am Weg
dghlsehilm - Bäume, Weifskiefern (gemeint sind wohl Weilstannen?),
während sich in der Ebene nur der karatschdm, Schwarzkiefer (gemeine
Kiefer) findet. — i2h 23™ sanft bergab. — i2h 25m Uber einen etwa
30 m langen, 20 m breiten, freien, steinigen Platz. — i2h 2Öm steil
bergab. — i2h 27 ra über das Wässerchen dedemli jailasynyh fuju. —
12 h 29 ■> links kommt ein Weg von dtdemli, bezw. von lejek, unter 220°
heraus; wir gehen unter 350°. Halt.
12 h 31 m fort, eben. — i2h33nl links ein Bergkegel, an dessen
Fufs, dicht an der Strafse, die Ruinen der etwa 10 Sommerhütten der
Leute von lejek liegen; wir kommen Uber eine hübsche Ebene, die von
etwa 250° nach 70° orientiert ist; 300°; auf vortrefllicher Strafse; ganz
steinloser Boden. — i2h 40"" auf dem eigentlichen tsehardak ; es ist
dies ein wasserreicher Platz, der in der Mitte mit hohem Gras be-
standen ist; die Ebene verengt sich nach W zu, die Berge treten rechts
und links näher heran. — i2h 44"* am Ischardak ptthary mit reichlichem
Graswuchs auf sumpfigem Boden, hier sind Sommerhütten der Leute
von lejek, doch bereits verlassen; von hier geht der Pafsweg noch 3om
nach W, dann spaltet er sich: rechts nach kapu/u, etwa 2( St.; links, oder
weiter nach W, nach tschokmerzimen, dem grofsen altarmenischen Dorf
mit etwa 500 H; von tschokm. geht der Weg rechts nach odschakly
15™, von dort nach tschaily 15“; geradeaus nach Szerlü 30 m; doch
giebt es auch einen direkteren Weg nach Szerlü, der tschokmerzimen nicht
berührt.
1 h 50 m fort; no°. — ih 58“ scharfe Wendung; 140°. —
2 ^ über ein trockenes Winterflufsbett. — 2h 4“ wir biegen von dem
alten Weg, dem wir bisher gefolgt, ab, zum Weg nach lejek, der
sanft bergauf steigt, unter 1800. — 2h i2m über das Quellwässer-
chen des dedemli jailasynyh fuju (s. i2h 27m); wir sind hier auf
dem dedemli jailasy. — 2h 15“ wir gehen von 'dem lejek -Weg ab,
nach links, den Berg hinauf. — 2h 20”* auf der Spitze des Hügels;
Visuren: dedemli 137 °, tief, in einer schmalen Thalsenkung, am südlichen
Abhang eines 63 137 0 laufenden Bergrückens, am nördlichen eines
anderen, niedrigeren; die beiden Spitzen des büjük kafyranlyk 64° und
67°, die des kt Uschiik ka/yranlyk 69° und 87°, eine Ebene, welche einen
tiefen Einschnitt zwischen den beiden ka/yranlyks macht, 69°; etwa 30 m
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Martin Hartmann:
rechts von der äufsersten südlichen Spitze des kleinen jcaf. der kleine
Hügel ballyk ; zwischen lins und den kafyranlyks, ungefähr in der Mitte
der Ebene, liegt der Ischakal bükünüh geri, 8o°, auf dessen Spitze sich
ein Zijaret Namens gerin odschaghy befindet; die höchste Spitze des
zwischen 130° und 1530 sichtbaren und nach der Sage einst von dem
Räuber Köroghlu mit seinen 1700 Reitern bewohnten kvroghlunun geri
1390; das Dorf ftadschilar in dem tiefen Thal des (tadschilar tschaijy
1660; in derselben Richtung, doch durch Vorberge verdeckt sdut oder
köjlü ; die höchste Spitze des kiird dägh , bekannt unter dem Namen
damryfc dägh, an deren Fufs südlich bülbül liegt, ioo°; auf der Höhe
des sich vor uns erstreckenden kürd dägh das Dorf frafer (10 — 12 H K),
mit dem Konak des verstorbenen Hadschi Ömeroghlu, der auch in
killis einen grofsen Konak hatte, ungefähr in derselben Richtung wie das
ballyk 95°; die Spitze des lllin dägh') 1 55 0 ; der dem kürd dägh vor-
gelagerte, doch nicht mit ihm zusammenhängende karabdbä dägh zwi-
schen 1200 und 1290; an seinem südlichen Ende, auf der östlichen
Seite, soll das von hier nicht sichtbare Dorf karabäbä liegen; hinter
dem karabäbd dägh, am Fufs des kürd dägh, kyradsch obasy ; beide
Dörfer gehören schon zum Gebiet von bülbül. Halt.
3h 10 m fort von der Spitze, nach N. zu Fufs, ohne Weg, steil
bergab. — 3h i4m nach NO — 3h30m wieder auf dem alten Wege;
eben; nach Osten, auf einem breiten Rücken entlang; sanft bergab. —
3h 38 m steil bergab; etwa 8o°. — 3h 42"" wieder eben; die Spitze des
kuschdschu links. — 3h 47m links tiefes Thal, steil abfallend; bald eben,
bald sanft bergab. — 3h 54™ die Spitze des felsigen, bäum- und wasser-
losen, kegelstumpfförmigen kuru dägh vor uns unter etwa 20°; So01;
bergab, steil, auf dem Uchardak jokuschu ; links immer das tiefe Thal.
— 4h 14m am Ende des Steilabstiegs, Beginn der sanft abfallenden
Ebene kyzlar kabury (vgl. nh I31"); der Stein, welcher die von dem
Volk als Grabzeichen genommenen Haufen bildet, ist dunkel und röt-
lich, und verschieden von dem Gestein, das weiter oben und unten
gesehen wurden; nach einem Lazaristenbruder ist es eine Art Schiefer,
die sich ausbeuten lassen würde; rechts öffnet sich nun ein tiefes Thal.
— 4h 28m Wendung nach rechts; steil bergab; 80°; hier wieder Kalk-
*) Das ist natürlich der dschebel latlün, von dem Jak. IV 374 sagt: „auch Am-
lül genannt; ein Gebirge, das sich über ha ich erhebt, zwischen ihm und antakija ;
auf seinem Gipfel befindet sich der Wächter (Wachtthurm, daidubnn) von bau lahiv,
es giebt auf diesem Gebirge Dörfer und Weiler“ u. s. w. ; vgl. auch Jak. I 779.
— Oben (19. /io. Ilb 10™ und 4h 32m) ist der Name nach der Aussprache meines
türkischen Begleiters lelim geschrieben; im arabischen Mund geht eher im am Ende
ln in über (ibrähin u. dgl.) als umgekehrt.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. ] ^ 7
stein form. it ioti — 4h 47m Uber den delitschai. — 4h 5om an einem Haus
von fcazal uschaghy.
5*> 45“ wieder im Kloster.
26. Oktober.
2h 30™ fort nach SW. — 2h 42“ über den delitschai auf einer ein-
’bogigen Brücke; durch nah uschaghy, dann durch haraahmedli, nach
S; von 2h 50“ bergauf. — 3h im auf dem Sattel, der zum garga gedigi
führt; etwa 10 m links der Pik Ischalallepe (vgl. 22/10 4 h 181"), rechts
der bedeutend höhere gäl daghy, jenseits eines Thaies, welches selbst
zum Teil durch einen kleinen, gleich rechts am Sattel liegenden Pik
verdeckt ist; wir befinden uns auf der Strafse nach lejck ; das üdsch
öjren tepe ziemlich genau im S vor uns. — 3 11 25 ra auf dem Pafs garga
gedigi', von hier soll bis tejek noch 25“ Wegs sein; das Kloster 34 °;
die nahe (in Luftlinie etwa 10“) Spitze des kegelartigen üdsch öjren
oder üdsc he öjren, das nach beiden Seiten steil abfallt, 113°; die Abhänge
desselben 162° und 65°; mein Führer bemerkt ausdrücklich, dafs der
Name nichts mit ülsch = drei zu thun hat; der kürd jüsuf Berg, 43,5°;
der dembel (ein bei, Pafs?) hinter dem kürd jUsuf-Berg, 34c; eine hohe
Bergspitze, die mir als puschdschu bezeichnet wird (vgl. 4h t7m) 290;
göl daghy, dessen Spitze nur etwa 20“ in Luftlinie entfernt scheint,
zwischen 275 0 und 320°. Halt.
3h 49“ fort von dem Pafs zu einem Punkt am südlichen Abfall
des üdsch öjren unter Z330; zuerst auf einem Weg, dann weglos, sehr
steil bergauf; bald zeigt sich die Unmöglichkeit weiter zu kommen;
nach rechts ab zu einem tiefer gesehenen Weg; auf diesem unter etwa
166°, ziemlich eben, am südlichen Rand des Berges entlang, immer
durch sehr dichtes Gebüsch. — 4h 9“ Lichtung auf einem Bergvor-
sprung unter dem Felskegel, der nur noch etwa 60 m höher, aber er-
sichtlich sehr schwer zu erklimmen ist; auf dem Vorsprung eben auf
den Abfall desselben in die Ebene zu. — 4h Z2m sanft bergauf. —
4h 13“ ein Grab, genannt das Grab des Hasgara (Haskara?), nach einem
Muslim aus ckbess, der vor etwa 60 Jahren hier einen Garten angelegt
hat und vor etwa 50 Jahren hier gestorben und begraben ist. Dieser
Bergvorsprung fällt auf beiden Seiten ziemlich steil ab, rechts zum
garga gedigi deresi, links zu einem Thal, welches zwischen dem üdsch
öjren und dem kürd jüsuf liegt, und in dessen Fortsetzung nach der
Ebene hin der punar baschy sichtbar ist; bei dem Grabe des Hasgara
ist der Rücken etwa 25 nt breit; um einen besseren Punkt für Visuren
zu gewinnen, auf dem Rücken weiter vor; 4h Z7m dicht an den ziem-
lich steilen Abfall in die Ebene; Visuren: Kaserne von cha$$a 258,5°;
genau in derselben Richtung die mittlere, kleinere Spitze des kör
figh/unui! geri; die gröfsere desselben 150,5°; der ganze kör ogh/unun
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188 M. Hartmann: Das I-iwa Halcb (Aleppo) u. ein Teil d. Liwa Dschebel Bereket.
geri, der nicht mit dem kürd dägh zusammenhängt, sondern selbständig
aus der Ebene aufsteigt, zwischen 140° und 170°; die mughyr-Spitze
des gjaur dägh') 239 °; gül däghy 299°; Spitze des üdsch öjrcn 351°;
kuschdschu 23°; kürd jüsuf etwa 30°; ein beschneiter Gipfel des Taurus,
in weiter Ferne, 26,5°; die beiden Spitzen des grofsen katyranlyk 520
und 540, die des kleinen 56° und 79°; Spitze des ballyk 88°; das
Schloft des Hadschi Ömer oghlu auf einem Pik des kürd dägh (d. L
frafer; vgl. 2h 2om) 91,5°; das nicht sichtbare k arabäbä wohl unter 136°;
in der Ebene glänzt der Lauf des hopurun (vgl. 28./10. ioh nro hopunun)
tschaijy, der sich in den karafu ergiefst, welch letzterer westlich vom
karabäbä geri flieftt; von der Ebene zwischen unserem Punkt und dem
kürd dägh ist etwa die westliche Hälfte Ackerland, die östliche Wald;
weiter nach N ist alles Ackerland; die Spitze des ischakai bükunüii geri
[vgl. 2h 20 m] 65°; das kürd geri, auf dessen Spitze ein Wachtposten
liegt [vgl. 23-/10. 3h 45 m] und über welches die Stralse von if/äjuje
geht, 46°.
5h 10 m fort. — 5*> 14™ bei dem Hasgara-Grab; zu Fufs. — 5h 28 m
auf dem garga gedigi. Halt.
5h 32ra zu Pferd bergab; auf einem anderen Weg, als dem ge-
wöhnlichen, zurück: uns mehr links haltend, lassen wir den 3h im gleich
rechts am Sattel gesehenen Pik, der nun links bleiben sollte, rechts;
am Abhang des göl däghy ein wenig bergan; Dieser Weg ist etwas
kürzer, aber beschwerlicher. — 6h wieder auf dem alten Weg. —
6h3m erstes Haus von kara akmcdli. — 6h iom über die einbogige
Brücke des delitschai, — 6h 25*" beim Kloster; auf dem ganzen Rück-
weg ziemlich schnelles Marschtempo.
27. Oktober.
Visuren vom Kloster aus: garga gedigi 2 13 °; Spitze des üdsch ojren
208°; Spitze des Ischatallepe 197 °; drei hohe Spitzen des gjaur dägh
274° 355.5° und 25°- — (Schlufs folgt.)
■) identisch mit dem vom Pik am geibel- Pafs aus gesehenen asardede (s. z$./9-
1 h 55m)?
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Im Verlag von W. H. KUhl, Berlin W. 8, Jägerstr. 73, erschien.
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Für die Redaktion verantwortlich : Hauptmann a. D. Kol lm in ChArlottenburg.
Selbstverlag der Gesellschaft für Erdkunde.
Druck von W. Pormetter in Berlin.
***»*'•'* iJ* t/UAl
MUS. COMP. ZOOL
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXIX - 1894 — No. 3.
Herausgegeben Im Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt.
Seite
Die Fjordbildungen. Ein Beitrag zur Morphographie der Küsten. Von
P. Dinse. (Hierzu Tafel 4 — 6.) 189
Dr. A. Pkilippson's Höhenmessungen in Nord- und Mittel- Griechenland
und Türltisch-Epirus im Jahr 1893. Berechnet von A. Galle . . . . *60
LONDON E. C.
SAMPSON LOW & Co.
Fleet-Street.
BERLIN, w.8.
W. H. KÜHL.
1894.
PARIS.
H. LE SOUDIER.
174 & 176. Boul. St. Germain.
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1894.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1894 — Band XXIX (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1894 — Band XXI (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M., Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogen bezahlt, Original-Kaiten gleich einem Druckbogen
berechnet.
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; jedoch steht es den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassung jeglicher persönlichen Ad resse an die:
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12. Zimmerstr. 90“,
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Btitow, Berlin W. Leipziger Platz 13, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstrafse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — IX Uhr Vorm, und von
4 — g Uhr Nachm, geöffnet.
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Inhaber; Hoefer & Vohsen.
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<21
IS]
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Die Fjordbildungen.
Ein Beitrag zur Morphographie der Küsten.
Von P. Dinse.
(Hierzu Tafel 4 — 6.)
Einl eitung.
Das letzte grofse Zeitalter der Entdeckungen wird in unseren Tagen
zu Ende gehen. Die Erforschung der Länder und Meere in der alten
und neuen Welt ist nahezu vollendet, so dafs eine räumliche Erweite-
rung der Erdkunde anders als in bescheidenen Grenzen bald nicht
mehr möglich sein wird.
Die Aufgaben der wissenschaftlichen Erdkunde sind aus diesem
Grund im Lauf der letzten Jahrzehnte andere geworden. Das einst
von ihr verfolgte Ziel war die Feststellung des Thatsächlichen, die
Kenntnis und Beschreibung der auf der Erdoberfläche vorkommenden
Formen. Die Entdeckungsreisen lieferten ein stetig anwachsendes
Material. Bald erkannte man die ungeheure Mannigfaltigkeit der Form-
gebilde auf der Erdoberfläche und gelangte zum Bewufstsein der Not-
wendigkeit einer systematischen Ordnung des aufgespeicherten reichen
Schatzes von Beobachtungsergebnissen.
Diese Sichtung geschah zuerst nach der unvollkommenen Methode
der Gruppierung des gewonnenen Materials nach räumlichen Gesichts-
punkten zum Zweck der encyklopädischen Beschreibung bestimmter
Erdräume'). Als dann eine immer reicher werdende Fülle vergleich-
baren Beobachtungsmaterials zuströmte und der Blick sich so erweiterte,
schritt man von dieser synthetischen Verarbeitungsmethode zu einer
höheren, analytisch zu nennenden Art geographischer Darstellung fort.
Man lernte die mehr oder minder willkürlichen Erdraumsschranken
übersehen, man begann die Gesamtheit des durch Beobachtung und
Messung gewonnenen , in chorographischen Beschreibungen nieder-
gelegten Materials zu betrachten, man fand gewisse allgemeine, für
Forschung und Darstellung verwendbare leitende Gesichtspunkte auf.
Diese Art der Sichtung ist die zur Zeit allgemein anerkannte Ver-
') v. Richthofen, Aufgaben und Methoden, 1883, S. 3 1 f.
Zeiuchr. d. Ge« II ich. t. ErdV. Bd. XXIX. 13
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190
P. Dinse:
arbeitungsmethode. Ihr Ergebnis ist die „allgemeine Geographie“
unserer Lehrbücher. Durch vergleichende Betrachtung der Erscheinun-
gen auf der ganzen Erdoberfläche hat man gewisse Kategorien und
unter diesen wieder bestimmte Typen der Formgebilde kennen gelernt.
Man bemüht sich, in diese die verwirrende Fülle des Stoffes einzu-
ordnen. Seit mehr als zwei Jahrhunderten arbeitet man hieran, und
manche mustergültige Versuche weitgehender Systematisierung sind die
Erfolge, welche diese Thätigkeit gezeitigt hat. Von einem abschliefsen-
den Ergebnis sind wir aber noch sehr weit entfernt. Noch immer ge-
lingt es, neue Typen aufzufinden; bei der doch immerhin noch ober-
flächlichen Kenntnis der Erdräume ist der von bestimmten Gesichts-
punkten ausgehenden Spekulation der weiteste Spielraum gelassen; vor
allem aber fehlt es überall an der genauen Kenntnis der das eigent-
liche Wesen eines anerkannten Typus ausmachenden Merkmale.
Trotzdem hat man sich in unseren Tagen eine noch höhere Auf-
gabe gestellt. Indem nämlich die systematisierende, auf geographische
Vergleichung begründete Betrachtungsweise naturgemäfs zur Erkenntnis
von Wirkungen führt, die unter gleichen Bedingungen regelmäfsig
wiederkehren, und so zur Auffindung allgemein gültiger Gesetze ver-
hilft, veranlafst sie zur Annahme der Existenz eines stets obwaltenden
Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung. Die Geographie hat
auch ihrerseits teilgenommen an der neuen Richtung der Natur-
geschichte, deren Grundzug nicht mehr die reine Beschreibung, sondern
die Erklärung von Erscheinungen ist. In einer Art historischer Auf-
fassung schildert sie nicht mehr chorographisch, wie die Dinge sind,
sondern chorologisch, wie sie geworden sind, in welcher Weise die
verschiedenen Kräfte, mannigfach kombiniert, zur Entstehung der
wechselnden Formen und Erscheinungen zusammengewirkt haben.
Die erstaunliche Vervollkommnung der technischen HUlfsmittel
und die grofsen Fortschritte der Naturwissenschaften in dem letzten
Jahrhundert haben die ergebnisreiche Verfolgung dieses Ziels ermög-
licht. Schon viele treffliche Arbeiten haben an ihrem Teil ihr Ziel,
die morphologische Erfassung der Erscheinungen auf der Erdoberfläche,
erreicht, schon mancher der auf dem Weg der Analyse aufgefundenen
Typen ist genetisch aufgefafst und erklärt worden. In den weitaus
meisten Fällen jedoch scheitern die Versuche, eine Kategorie von
Formenerscheinungen unter Berücksichtigung des Kausalverhältnisses
zu betrachten, an dem ungenügenden Stand des zu Grunde liegenden
Materials.
Wenn wir heute die allgemeine Geographie als den Kampfplatz oft
sehr weit auseinander gehender Theorien erkennen, so ist dies eine Folge
unserer noch mangelhaften Kenntnis. Ein schon häufig citiertes Wort
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Die Fjordbildungcn.
191
Leopold von Buch 's weist darauf hin, dafs, so lange es noch möglich
sei, bei der Erklärung eines physikalischen Phänomens gleichsam eine
Wahl zwischen mehreren Erklärungsarten zu gestatten, unsere Kenntnis
dieses Phänomens noch nicht für vollständig und erschöpft gelten
könne. Es fehlt in der That auch nach jahrhundertelanger Arbeit
noch an gutem Material, an der für die Lösung verwickelter Probleme
nötigen Basis einer hinreichenden Menge von Beobachtungen und
Messungen.
Diesem Mangel mehr und mehr abzuhelfen, schickt man in unserer
Zeit Expeditionen aus, nicht zu Entdeckungszwecken, sondern um" der
Wissenschaft als solcher zu dienen, weniger zur Erweiterung, als zur
Vertiefung unserer Kenntnisse. Der Thätigkeit daheim bleibt es dann
Vorbehalten, durch Prüfung und Bearbeitung der Ergebnisse dem Ziel,
der morphologischen Auffassung der Erscheinungen, nachzustreben.
Die nachfolgende Abhandlung beschäftigt sich mit der Erörterung
eines Themas, welches wohl mit am meisten umstritten ist, mit der
Frage der Fjordbildungen. Sie will keinesfalls den Versuch wagen,
den Streit um die Ursachen derselben zu entscheiden; es ist dies zur
Zeit geradezu eine Unmöglichkeit, da es eben noch völlig an der
genügenden Menge guten Beobachtungs- und Messungsmaterials fehlt.
Der Verfasser hält es für seine Pflicht, sich der Ableitung allzu posi-
tiver Schlufsfolgerungen zu enthalten, zumal da ihm eine auf Autopsie
gegründete Kenntnis der Fjordbildungen leider gänzlich abgeht. Da
aber die in einer später zu veröffentlichenden Abhandlung versuchte
Kritik der bisher aufgestellten Theorien ohne Parteinahme für eine be-
stimmte Ansicht ein farbloses Bild geben würde, so möge schon hier
ausgesprochen sein, dafs diese Parteinahme zu Gunsten einer gemäfsigten
Glacialerosionstheorie erfolgt ist. Dem Verfasser ist es ergangen, wie
schon manchem anderen, der sich mit ähnlichen Problemen bcfafste.
Im Anfang der Glacialerosionstheorie durchaus abgeneigt, ist er im
Lauf der Zeit zu der Überzeugung gelangt, dafs nur mit ihrer Hülfe
die Mehrzahl der bei den Fjordbildungen nachweisbaren Erscheinungen
befriedigend erklärt werden kann.
Ihre Hauptaufgabe sieht die vorliegende Arbeit in einer durch
Anwendung der vergleichenden Methode zu erreichenden Feststellung
des Fjordtypus. Ihre Thätigkeit verläuft zum grofsen Teil innerhalb
des Rahmens der analytischen Betrachtungsweise der allgemeinen Geo-
graphie. Jedem, der sich einmal auch nur flüchtig mit der Frage der
Fjordbildungen beschäftigt hat, wird sicherlich die aufserordentliche
Dürftigkeit des allen theoretischen Ausführungen zu Grunde liegenden
Materials aufgefallen sein. Überall dieselben wenigen Beispiele! Überall
»iederkehrend dieselben Vermutungen, die gleichen auf unerwiesenen
13»
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192
P. Dinse:
Voraussetzungen aufgebauten Schlüsse. Der Verfasser möchte im fol-
genden dem bestehenden Widerstreit der Ansichten durch eine Zu-
sammenstellung und Verarbeitung des aus Karten und der I.iteratur
zu entnehmenden Materials eine zum Teil neue, jedenfalls sicherere
Grundlage geben. Er hofft auf diese Weise zur Klärung der An-
schauungen beitragen und eine endgültige Lösung des Problems vor-
bereiten zu können.
t. Übersicht Uber die wichtigsten Fjordregionen.
Der Begriff „Fjord“ ist weder dem Inhalt noch dem Umfang nach
genau festgestellt, obschon seit nunmehr fünfzig Jahren die Fjordküste
als ein besonderer Küstentypus Aufnahme in jedes Werk allgemein
geographischen Inhalts, in jedes Handbuch, sei es nun der Geologie
oder der Geographie oder der Ozeanographie, gefunden hat.
Die morphographischen Eigentümlichkeiten gewisser Meeresbuchten
waren natürlich schon früh von aufmerksamen Reisenden beachtet
worden. Cook1) wie Darwin*) hatten sie bei ihren Besuchen des
Feuerlandes kennen gelernt. Die Aufstellung des Typus verdankt man
jedoch erst dem amerikanischen Geologen James D. Dana.
In den Jahren 1838—42 begleitete derselbe die grofse Expedition
des Admirals Charles Wilkes, die von der Regierung zu Washington
zur Erforschung der pazifischen Küste Amerikas und einiger Insel-
gruppen des Grofsen Ozeans ausgesandt wurde, und hatte hierbei Ge-
legenheit, sowohl den südlichsten Teil der südamerikanischen Anden-
Küste, als auch das Küstengebiet von Britisch -Kolumbia kennen zu
lernen. Heinigekehrt, veröffentlichte er in dem offiziellen Reisebericht
der Wilkes' Exploring Expedition5), ebenso wie später in dem
American Journal of Science einige kleine Abhandlungen über
die Eigentümlichkeiten der Formen, die er an den beiden erwähnten
Küstenstrecken beobachtet hatte und die er zuerst mit den in Nor-
wegen und Schottland schon längst bekannten Fjorden auf eine Stufe
stellte.
In allen diesen Arbeiten definierte er die Fjorde4) als enge Kanäle,
die wie künstliche Wasserstrafsen in das Land bis zu einer grofsen
Entfernung von der Küste einschneiden. Er machte dann auch noch
•) Peschei, Neue Probleme. 2. Aufl. 1876, S. 20.
*) Darwin, A naturalist's voyage. New edition 1890, S. 199.
*) Dana, U. S. Exploring Expedition under the command of Charles
Wilkes, Vol. X: Geology. Philad. 1849, ®. *>75 — 678.
4) Dana a. a. O. S. 675.
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Die Fjordbildungen.
193
auf die grofse Tiefe dieser Einschnitte, die Steilheit der Wände Uber
und unter dem Wasserspiegel und endlich auf das durch das gesellige
Auftreten derselben geschaffene unrcgclmäfsige Netzwerk von Wasser-
verbindungen aufmerksam ').
Siebzehn Jahre später veröffentlichte, ohne Da na ’s Arbeiten zu
kennen, O. Peschei als einen Teil seiner „Neuen Probleme zur ver-
gleichenden Erdkunde“ den Abschnitt über die Fjordbildungen*), der
unter allen Abhandlungen des geistreichen und gewandten Verfassers
als der beste gilt. Er begann mit den Worten: „Fjorde sind steile
und tiefe Schluchten an Festlands- und Inselküsten. Sehr häufig dringen
diese Einschnitte senkrecht oder unter sehr steilen Winkeln in das
Land hinein." Peschei erhob natürlich nicht den Anspruch, mit diesen
wenigen Worten eine richtige Definition zu geben; da er aber leider
verabsäumt hat, am Ende seines Aufsatzes, nachdem er mit Hülfe seines
vergleichenden Verfahrens zu manchem wichtigen Ergebnis gekommen
war, eine alle wesentlichen Merkmale berücksichtigende, kurz zusammcn-
gefafste Begriffsbestimmung anzufügen, so war es nicht anders möglich,
als dafs diese wenigen der Abhandlung vorangestellten Worte ver-
wirrend wirken mufsten. Dana und Peschei haben es durch ihre
Definitionen verschuldet, dafs manche Darsteller der Küstenformen
bestimmt wurden, den Fjordcharakter, den jene durch ihre weiteren
Deduktionen nur für ganz bestimmte Küstenstrecken annahmen, den
verschiedenartigsten Küstenteilen beizulegen. So hat F. G. Hahn in
seinen „Inselstudien" überall, wo er ein Eingreifen des Meeres in der
Gestalt zackiger Meeresbuchten und eine damit in Zusammenhang
stehende Abgliederung von Inseln gewahrte, von Fjorden und fjord-
ähnlichen Gebilden gesprochen, und zwar ohne einen Unterschied
zwischen beiden Bezeichnungen zu machen. Ähnlich finden wir es bei
S. Günther5), und auch A. Supan rechnet in seinen „Grundzügen
der physischen Erdkunde"*) manche Küsteneinschnitte und Meeres-
strafsen, die Dana und Peschei nicht genannt hatten, zu den Fjord-
bildungen.
In neuester Zeit hat dann F. von Richthofen5) versucht, durch
Einführung des Unterschiedes zwischen Fjorden und Rias die Ver-
wirrung zu beseitigen. Diese Unterscheidung hat bisher noch nicht
*) American Journal of Science Ser. II 7, 1849, S. 377 — 380.
*) Peschei a. a. O. S. 9fr.
3) Handbuch der Geophysik und physikalischen Geographie II, 1885, S. 463
— 4<>5-
*) S. aoo — 203.
5) von Richthofcn, Führer für Forschungsreisende, 188^, S. 306 — 310.
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Aufnahme in die Lehrbücher finden können. Th. Fischer hat sie in
seinen Marburger Vorlesungen Uber „Allgemeine Geographie“ ange-
nommen; auch die Karte „Seetiefen, Küsten, Häfen u. s. w.“ in Berg-
haus’ „Physikalischem Atlas“') trennt die beiden KUstentypen. Von
anderer Seite ist sie dagegen abgelehnt worden"), und die folgende
Erörterung möchte zeigen, dafs eine scharfe Trennung zwischen Fjord-
lind Rias-Typus zwar natürlich geboten, aber etwas anders zu begründen
ist, als F. von Richthofen dies thut.
Der beste Weg, um zur Klarheit über die Verbreitung der Fjord-
küste zu kommen und eine genaue Definition des Begriffes „Fjord“
zu geben, wird der sein, dafs man zunächst die morphographischen
Eigentümlichkeiten derjenigen Küsteneinschnitte, die allgemein als dem
Fjordtypus zugehörig anerkannt sind, genau betrachtet und darauf mit
Benutzung der hierdurch gewonnenen Ergebnisse die Erdgegenden und
Küstenstrecken, für die Hahn, Günther, Supan u. a. den gleichen
Charakter in Anspruch nehmen, auf ihre Zugehörigkeit hin prüft. Wenn
wir auf diese Weise manche obiger Meeresbuchten als fjordartige, die
meisten dagegen als zwar fjordähnliche, aber doch in wesentlichen
Punkten von den wahren Fjorden verschiedene Bildungen erkannt und
damit die Grenzen der Fjordverbreitung kennen gelernt haben, wird
sich die Erörterung leicht zu dem Historischen der Fjordtheorien hin-
überfuhren lassen.
Allgemein anerkannt ist der Typus der Fjordküste in Europa an
der Westküste Norwegens und Schottlands, an der Nordwestküste Ir-
lands und auf den Inseln des arktischen Inselringes, also auf Island,
Spitzbergen, Franz Josefs-Land und Nowaja Semlja. Auf der westlichen
Kontinentalinsel erkennt man den Fjordtypus allseitig an auf Grönland
und den Inseln des arktischen Archipels; ferner an der Ostküste des
amerikanischen Festlandes vom Kap Chidley bis zu den Küsten des
Staates Maine bei Portland und an der Westküste von Alaska bis zur
Grenze des englischen und amerikanischen Besitzes. In Süd-Amerika
zerschneiden Fjorde die Anden-Küste von Puerto Montt und der Insel
Chiloe bis zum Feuerland hinab. Australien scheint nur mit der Süd-
inscl von Neuseeland und den Auckland-Inscln, wo schon vor Hoch-
stetter und von Haast Dana Fjorde aufwics3), an der Erscheinung
teilzunehmen. Afrika hat keine Fjordküste; ebenso müssen wir auch
Asien vor der Hand übergehen. Dagegen sind auch auf den Inseln
') Abteilung II: Hydrographie, Bl. IV.
s) J. Rein in seiner Besprechung von Harada, „Die Japanischen Inseln“.
Verh. d. Ges. f. Erdk. z. Berlin, XVII, 1890, S. 551.
31 American Journal of Science Ser. II 7, 1849, S. 380.
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Die Fjordbildungen.
195
des antarktischen Inselringes wie auf denen des arktischen allgemein
Fjordbildungen beobachtet worden, ja die Fjordbuchten von Kerguelen
gelten mit als die am typischsten ausgestalteten.
Es liegt nun in der Natur der Sache, dafs wir uns im folgenden
nur auf diejenigen Gebiete zu beschränken haben werden, die nach
dem Stand ihrer Erforschung einige Aussicht gewähren, dafs wir in
ihnen die Eigentümlichkeiten der F’jordformen deutlich erkennen
können. Es sind dies hauptsächlich Norwegen, Schottland, Irland,
und soweit es bekannt ist, auch Grönland; in Amerika die Küste von
Neu-Fundland , Maine und Britisch -Kolumbia und in Australien Neu-
seeland. Nur für die Fjorde dieser Gegenden steht uns ein einiger-
mafsen befriedigendes Kartenmaterial zu Gebot. Die anderen Fjord-
gebiete werden nur selten zum Vergleich und zum Erweis ihrer gleichen
Gestaltung herangezogen werden können.
Es wird die späteren Betrachtungen erleichtern, wenn wir schon
hier am Anfang unserer Darstellung eine möglichst kurz gefafste all-
gemeine Schilderung der wichtigsten, durch Fjordbildungen ausgezeich-
neten Küstengebiete zu geben versuchen. Die Rücksicht auf die späteren
Erörterungen mag die Auswahl derselben erklären und die ungleiche
Behandlung entschuldigen.
Norwegen und Schottland mit den Gruppen der Shetlands,
Orkneys und Hebriden sowie einem Teil von Wales und Irland sind
Stücke eines grofsen Gebirgszuges, der, von E. Suefs das Kaledonische
Gebirge genannt1), in vordevonischer Zeit durch eine nordwestlich
gerichtete Bewegung in Falten gelegt und erhoben wurde. Er besteht
demgemäfs fast ausschliefslich aus F’elsarten des archaischen und paläo-
zoischen Zeitalters.
Dieses Gebirge wurde nach der Ansicht von E. Suefs später
durch Versenkungen, von denen gewaltige Brüche an der schottischen
und norwegischen Küste Zeugnis geben, in drei Teile zerlegt. Das
Meer, welches heute Norwegen und Schottland und dieses von Irland
trennt, liegt auf dem in die Tiefe gesunkenen Gebirgsteil.
Der gebirgige Teil der Skandinavischen Halbinsel besteht
seinem geologischen Bau nach aus zwei deutlich unterschiedenen Zonen.
Die eine ist die archaische Zone des äufsersten Nordwestens, die über
die Halbinseln und Inseln, von Magerö über Kvalö, Sorö und Sjeiland
bis zum Vest-F'jord zu verfolgen ist und dann auf die Inselreihe der
Lofoten hinübersetzt. Eine Linie leicht erkennbarer Dislokationen
trennt dann nach Osten dieses westliche Gneisgebiet von dem fest-
l) E. Suefs, Antlitz der Erde II, 1888, S. 9z f. Ich folge für die geologi-
schen Bemerkungen im wesentlichen dessen Ausführungen.
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196
P. Dinse:
ländischen Hauptteil des norwegischen Gebirgslandes. Dasselbe besteht
aus einem archaischen Unterbau mit einer Decke untersilurischer Fels-
arten. Während es sich aber im Norden als ein Tafelland darstellt,
legen sich weiter im Süden schon von der Gegend des Ostufers des
Vest-Fjordes ab die geschichteten Gesteine in lange Falten, aus deren
Antiklinalen die Gneise und Granite des Unterhaus hervortreten. Dieses
Faltungsgebiet nimmt gegen Süden an Breite zu, bis es in der Gegend
des Hardanger-Fjordes das ganze südliche Norwegen ausfüllt. Hier
streichen die Falten südwestlich gegen das europäische Nordmeer aus.
Die Ostgrenze dieses ganzen Gebietes bildet die flache Auflagerung
der silurischen Schichten auf die archaische Tafel des baltischen
Schildes.
Die heutigen Formen dieses Berglandes entsprechen nun in keiner
Weise dem nach dem geologischen Bau zu erwartenden Aussehen.
Man ist über den orographischen Gesamtcharakter des skandinavischen
Gebirges lange im Unklaren gewesen1). Nachdem die Ansicht von
der Existenz eines einheitlichen langen und wilden Gebirgszuges, des
Kjölen, aufgegeben war, hat lange Zeit hindurch der Forsell'sche
Vergleich mit einer brandenden Sturmwelle grofsen Beifall gefunden.
Auch Suefs hielt früher die Halbinsel für eine einzige ungleichförmige
Falte von grofser Amplitude2). Die neueren Forschungen haben zu
einem etwas abweichenden Ergebnis geführt. A. Heiland teilte näm-
lich3) denjenigen Teil der Halbinsel, der die am auffälligsten wechseln-
den Formen des Reliefs zeigt, durch parallele Linien in eine Anzahl
gleich grofser Quadrate, ermittelte die höchsten Erhebungen in den-
selben und verglich dann diese Höhen. Es ergab sich das einfache
Gesetz, dafs von der Westküste an nach Osten jedes Quadrat eine
höhere Erhebung aufweise als das voran gegangene, und dafs dieses
Verhältnis sich fortsetze bis zu einer bestimmten Linie, von der aus
dann nach Osten die Höhe wieder abnähme. Er erklärte Norwegen
für ein Plateau, das von einer bestimmten Kammlinie aus sich im
südlicheren Teil nach Osten und Westen, im nördlicheren mehr nach
Nordwesten und Südosten abdache. Die Linie gröfster Erhebung zeigte
sich völlig unabhängig vom geologischen Bau des Landes.
Da also hierdurch klargestellt war, dafs die durch eine energische
Faltung bedingten Formen bis auf eine gewisse, flach ansteigende, ge-
rundete Wölbung beseitigt worden sind, so wurde es hiermit wahr-
*) F. G. Hahn, Schweden und Norwegen. Länderkunde von Europa II i,
1890, S. 3i6f.
a) Suefs, Entstehung der Alpen, 1875, S. 1 5 1 .
3) Penck, Norwegens Oberfläche. Ausland 1881, S. 190.
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Die Fjordbildungen.
197
scheinlich, dafs Norwegen als ein gewaltiges Abrasionsgebirge aufzu-
fassen sei. Über die Zeit der Abrasion läfst sich sicheres noch nicht
festsetzen; doch scheint seit der Juraperiode das Abrasionsplateau nur
noch der Arbeit der atmosphärischen Agentien ausgesetzt gewesen
zu sein. -
Heute fällt dieses grofse durch Abrasion geschaffene Rumpfgebirge
in der Gestalt eines mäfsigcn Steilrandes zum Niveau des europäischen
Nordmeeres hin ab. Dieser Steilabfall ist aber in einem aufserordent-
lich hohen Grad zerrissen und zertrümmert, so dafs man nur schwer
die einstige unverletzte Kitstenlinie wieder herzustellen vermag. Der
Festlandsrand selbst ist durch weiteingreifende Buchten in eine
Folge fast unzähliger Halbinseln und Vorgebirge zerteilt. Den
Inselkranz nennen die Norweger skjaergaard, die Schärenflur; die
einschneidenden Meeresbuchten führen meist den Namen fjord , die
Wasserstrafsen zwischen dem Festland und den Inseln und zwischen
diesen selbst den Namen sund. Eine Konsequenz der Benennungen
ist allerdings nicht zu bemerken; denn häufig findet man auch für
offene Strafsen den Namen fjord , und auch andere Bezeichnungen,
wie sjö und hotten sind vielfach angewandt.
Fjordbildung, Halbinselabschnürung und Inselabtrennung treten
überall miteinander verbunden auf, aber der Reichtum und die Mannig-
faltigkeit der Inselwelt hängt nicht allerorten von dem Mafs der Grofs-
artigkeit der Fjordbildung ab. Ganz glatt verlaufende Küstenstrecken
und völlige Inselarmut sind in Norwegen ungemein selten. Man findet
beide eigentlich nur an der durch den Wogenprall des Ozeans gefahr-
vollen und unwirtlichen Küste Jäderen und an deren südlicher Fort-
setzung bis zum Eingang des Flekke-Fjord kurz vor der Halbinsel von
Farsund, an der nur die Insel Ekerö am Eingang des Ekersundes be-
merkenswert ist. Aber auch der übrige Teil der norwegischen Süd-
küste bis zur Einfahrt in die grofse Bucht von Kristiania scheint seine
ursprüngliche Form annähernd bewahrt zu haben. Mit Ausnahme der
kurzen Strecke zwischen Farsund und der Landzunge des Kap Lindes-
naes, welche eine gewisse Anhäufung von Einschnitten aufweist, ist
hier die Fjordbildung und Auflockerung in Inseln unbedeutend und
ohne typische Formen.
Vom Eingang des bei Stavanger sich öffnenden Bukken-Fjordes bis
zu der das Nordkap tragenden Insel Magerö erreicht dagegen die
Zertrümmerung des Steilabfalls der Küste ihren höchsten Grad. Diese
ganze Strecke zerfällt in zwei grofse Teile, die durch den kurzen Teil
zwischen dem Eingang des Trondhjem-Fjordes und dem Folden-Fjord
und dem Vigten-Archipel von einander geschieden werden. An Grofsartig-
keit der Küstenentwickelung stehen sich beide Teile gleich. Doch während
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198
P. Dinse:
der südlichere, also der Kreisbogen zwischen Bukken-Fjord und Trond-
hjem-Fjord, in den die bekanntesten Fjorde, der Hardanger-, Sogne-,
Nord- und Romsdals-Fjord einschneiden, in seinen Inseln sich ziemlich
allmählich herabsenkt, tritt in den nördlichen, um so auffallender je
weiter man nach Norden kommt, auf dem Festland wie auf den Inseln,
die wilde Alpenwelt des nordwestlichen Gneisgebiets in steilen Abfällen
unmittelbar an die Küste heran. Vom Salten-Fjord und dem Beginn
der Inselreihe der Lofoten bis hinauf zum Alten-Fjord ist der Formen-
reichtum am gröfsten.
In dem kurzen Zwischenraum, der den nördlichen und südlichen
Teil scheidet, ist die Zerstückelung der Festlandsküste durch Fjorde
gering; dagegen ist hier die Schärenflur das Gewirr kleiner und
kleinster Inseln, Klippen und kaum sichtbarer Riffe, am grofsartigstcn
entwickelt. Im Gegensatz zu diesem Teil ist die Nordküste Skandi-
naviens zwar fjordreich, aber inselarm. Weite lange Meeresbuchten
schneiden hier in das nur wenig gebirgige Land ein; ihre Ufer sind
noch zackig und vielfach eingebuchtet; aber von Magerö ab nach
Osten finden sich nur wenige niedrige Inseln von sehr geringem
Umfang.
Die Länge der skandinavischen Küste beträgt nach einer Messung,
welche die Einschnitte unberücksichtigt läfst, nur 4500 km ; mit Ein-
rechnung aller Buchten, Einschnitte und Fjorde würde sie sich nach
Strelbitzky jedoch auf nicht weniger als 27000 km, also um das
Fünffache vermehren1). Nach Reclus*), der nur Norwegen betrachtet,
lassen die Fjorde die Küstenlänge von 1900 km der ungenauen Messung
auf 13 000 km anwachsen.
Der Grundbau des heute schottischen Teiles5) des alten Kano-
nischen Gebirges läfst manche Analogie mit dem des skandinavischen
Gebirges erkennen. Der Gneiszone der Lofoten entspricht in Schott-
land das Gebiet archaischer Felsarten, welches von Kap Wrath bis
zum Loch Broom den Festlandsrand, weiter im Westen aufser der
Inselreihe der Hebriden die Inseln Coli und Tiree bildet. Wie in
Norwegen der Vest-Fjord, so liegt hier der Minch- Kanal auf diesem
Gneisgebiet. Diese Zone wird nach Südosten begrenzt durch eine Linie
heftiger Störungen, die auf dem Festland vom Loch Eriboll bis zum
Loch Carron verläuft, dann einen Teil der Halbinsel Sleat von der
vulkanischen Insel Skye abschneidet und sich zwischen Coli und Tiree
einerseits und der Insel Mull andererseits fortsetzt. Südöstlich von
*1 F. G. Hahn a. a. O. S. 317.
a) Reclus, La Terre II, 1869. S. 167.
5) Suefs, Antlitz der Erde II, iggg, S. 94!.
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Die Fjordbildungen.
199
dieser I.inie liestchen die schottischen Hochlande bis zu der grofsen
Brtichlinie, die vom unteren Clyde bis Stonehaven an der Ostktiste
verläuft, zum Teil aus metamorphischen Gebilden, welche sich einer
genaueren Altersbestimmung entziehen, aber jedenfalls nicht jünger als
Silur sind. Die Streichrichtung der sehr gestörten Schichtmassen,
welche teilweise nach Nordwesten Uberschoben sind, ist im allgemeinen
Südwest-Nordost. Aber auch hier sind die grofsen Erhebungen der
Zeit bis zum Silur durch Abrasion zum gröfsten Teil beseitigt worden,
so dafs der Rundblick von irgend einer Erhebung sofort feststellt,
dafs sämtliche Kämme und Gipfel eine imaginäre, leicht gewölbte
Fläche berühren.
Den Ostrand der Hochlande bilden zu einem grofsen Teil alte
devonische rote Sandsteine, die auch die Orkneys und fast die ganzen
Shetlands-Inseln zusammensetzen. Im Süden trennt sie der Graben
der I.owlands, in dem neben diesen Sandsteinen auch die Gebilde der
Karbonzeit durch eine Versenkung erhalten sind, von einem neuen
silurischen, den Hochlanden sehr ähnlichen, nur niedrigeren Horst.
Die schottische Fjordküste beschränkt sich auf den westlichen und
einen Teil des nördlichen Abfalles der Hochlande. Südlich von der
Mündung des Clyde hören Fjordbildungen vollständig auf. Im all-
gemeinen ist der Charakter der schottischen Westküste dem der
norwegischen gleich, doch ist hier die ehemalige Küstenlinie nicht so
leicht wiederherzustellen als dort. Abgesehen von der Zerstückelung
durch Fjorde scheinen in Schottland Verwerfungen, namentlich im
südlichen Teil die beiden grofsen Bruchlinien, deren Zeugen im Inland
die I.inie des Kaledonischen Kanals und die südliche Begrenzungslinie
der Grampian Mountains sind, die Formen der Küstenzone beeinflufst
zu haben. Am besten entwickelt ist der Fjordtypus auf der westlichen
Küstenstrecke zwischen der Insel Mull und Kap Wrath. Eine Schären-
flur wie in Norwegen findet sich nicht; die gröfseren Inseln tiber-
wiegen. Nur die Inselkette der äufseren Hebriden erinnert durch ihren
Inselreichtum an das Klippengewirr der Lofoten.
Auch das nordirische Fjordgebiet1) fällt völlig zusammen
mit den Fortsetzungen des schottischen Berglandes, die in den Er-
hebungen von Donegal und den Rücken von Mayo und Connemara
zu Tag treten. Die ursprünglichen Formen sind auch hier geschwunden;
kein Centralmassiv, keine Bergkette erinnert noch an das Faltungsge-
birge der Silurzeit Im Süden dieses südwestlich gerichteten Zuges
breitet sich die gTofse centrale Ebene Irlands, eine weite Tafel flachge-
lagerten Kohlenkalkes, aus. Wo diese Tafel an die Küste tritt, also in
*) Suefs a. a. O. S. ioo.
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200
P. Dinse:
der Galway-Bai und am Fufs der Mourne Mountains, endet die Fjord-
küste.
Die irischen Küsteneinschnitte sind gering an Zahl, von wenig an-
sehnlicher Gröfse und ohne besonders typische Formen. Die meisten
Fjordbuchten sind bereits von den in sie einmündenden Flüssen zu-
geschüttet. Am zerrissensten sind die Küsten der Halbinsel von Con-
naught, wo sich sowohl Fjordbildung wie Inselabtrennung in reicherem
Mafs vereint findet.
In Schottland wie in Irland bezeichnet man die in das Land ein-
dringenden Meeresarme als loch (irisch: /ough) = lac, lacus, und
unterscheidet sie als sealochs von den Binnenseen, den frcshwaterlochs.
Von den zu Europa zu zählenden Inseln des europäischen
Nordmeeres und des Eismeeres mögen Spitzbergen und Nowaja
Semlja hier nur erwähnt werden, da der ungenügende Stand der Er-
forschung derselben uns weder einen Überblick über den inneren
Bau noch die äufsere Gestaltung möglich macht. Auch Uber die Insel-
gruppe der Färöer und Island nur einige wenige Worte! Die
crsteren sind durch Sundbildungen völlig zerstückelt und gewähren
dasselbe Bild wie die schottischen Inselgruppen der Orkneys und
Shetlands. Im Gegensatz aber zu diesen zum gröfsten Teil aus
devonischen Felsarten bestehenden Inseln ist es hier ein aus miocänen
Eruptivgesteinen, meist Trapp, gebildetes, im Mittel 300 m hohes
Plateau1), in welches die Fjorde eindringen Island ist besonders im
Nordwesten, weniger im Norden und Osten, durch Fjordbildungen
ausgezeichnet. Es ist dies das Gebiet der älteren tertiären Basalte.
Die Südküste dagegen, das Gebiet jungeruptiver Bildungen, ist flach
und ungegliedert.
Die gewaltige Insel Grönland ist von allen Fjordgebieten das-
jenige, in dem die Morphologie der F’jordbildungen am besten studiert
werden kann. Leider ist aber sowohl der Bau des Landes als die
Umrisse desselben bisher nur in den allgemeinen Grundzügen bekannt.
Die Zusammensetzung des grönländischen Gebirgslandes aus Ge-
steinen der ältesten Erdperioden, aus altem grauen Gneis, aus Glimmer-
schiefern, Hornblenden, Graniten und Syenit, läfst darauf schliefsen,
dafs auch Grönland ein abradiertes Plateau ist; wenigstens haben sich
deutliche Spuren einer Abrasion*) der einstigen nordöstlich gerichteten
Falten fast überall im Westen bis zum Humboldt-Gletscher hinauf auf-
finden lassen. Auf dem abradierten Grundbau haben sich an einzelnen
Stellen, so namentlich an der Westküste von der Disko-Insel und der
t) Baumgartner, Island und die Färöer, 1889, S. 58.
*) Suefs a. a. O. II, S. 89 ff.
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Die Fjordbildungen.
201
Halbinsel Nugsuak ab nördlich, Ablagerungen der Kreide- und Tertiär-
zeit unter einer Basaltdecke erhalten und bilden dort einen dem Gneis-
gebirge vorgelagerten Küstensaum. Über den südlichsten Teil der
Ostküste hat die letzte Veröffentlichung Nansen’s1 * *) einigen Aufschlufs
gebracht und nachgewiesen, dafs über den aus Gneis bestehenden
Grundbau einige Syenitgruppen hoch aufragen. Die Küste Grönlands
mufs nach allen Berichten und nach den genauen dänischen Seekarten
ein der norwegischen im wesentlichen analoges Bild gewähren. Die
Ostküste ist uns zur Zeit noch sehr mangelhaft bekannt; doch wissen
wir, dafs aufser vielen kleinen Einschnitten grofse Fjorde, wie der
Sermilik, der Scoresby- und der Franz Josefs-Fjord, in das unbekannte
Innere einschneiden. An der besser bekannten Westküste ist der süd-
liche Teil am meisten zerstückelt. Von der Disko-Bucht ab, also in
dem erwähnten nördlichen Trappgebiet, nimmt der Reichtum an Fjord-
einschnitten ab; doch schneiden auch hier noch einmal der Fjord
von Umanak und die etwas nördlicheren Fjorde zwischen den beiden
Halbinseln Nugsuak und Svartenhuk bis zum Uvkusigsats-Fjord tief in
den eisfreien Gneisrand ein. Nach der langen Küstenstrecke der
Melville-Bai, die nach den bisherigen Berichten wenn auch nicht völlig
ungegliedert, so doch buchtenarm zu verlaufen scheint, weisen dann
die östlichen Küsten des Smith- und Kennedy-Sundes wieder eine grofse
Anzahl kleinerer und mehrere grofse Fjordeinschnitte auf.
Wie ähnlich der Gesamteindruck der südlichen F'jordregion dem
der norwegischen Küste ist, dafür diene die Schilderung eines Nor-
wegers als Zeugnis. Nansen beschreibt das Bild der Küstenzone am
Ausgang des Ameralik-Fjordes mit folgenden Worten: „In den Strahlen
der untergehenden Sonne sahen wir das Meer, die vielen gröfseren
und kleineren Inseln vor uns liegen. Die weichen gesättigten Farben-
töne des Himmels spiegelten sich im Meer wieder, das die dunklen
Inselchen und Schären umwogte. Wir hielten mit dem Rudern inne, —
ein Gefühl der Heimat Uberkam uns. Genau so liegen die wetter-
zerklüfteten Inseln daheim im Meer. Der aufspritzende Meeresgischt,
der liebkosende Sonnennebel umgiebt sie, und dahinter erhebt sich
das Land, erstrecken sich die Fjorde. Kein Wunder, dafs unsere Vor-
fahren sich von diesem Land angezogen fühlten!“8)
Das Fjordgebiet des amerikanischen Ostens gehört in
seinem nördlichen Teil, also auf Baffins-Land und auf Labrador, dem
selbständigen hohen Gneisgebirge an, welches die silurische und
l) Wissenschaftliche Ergebnisse von Dr. F. Nansen’s Durchquerung von
Grönland 1888. Peterm. Geogr. Mittigen, Erg. -Heft 105. 1891. S. 53 — 64.
*) Nansen, Auf Schneeschuhen durch Grönland II, 1891, S. 196.
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P. Dinse:
devonische Umrandung des kanadischen Schildes vom Meer trennt.
Dieses alte Gebirge ist fast auf seiner ganzen Erstreckung von Fjorden
zerstückelt. Die Entwickelung ist am grofsartigsten an den Küsten der
Cumberland- Halbinsel auf Baffins-Eand. Gegen Süden werden die
Einschnitte kleiner; doch ist gerade das südliche Labrador wieder
besonders fjord- und inselreich. Leider genügen aber die Untersuchungen
dieses ganzen Gebietes durch Rob. Bell1) und Boas8) noch nicht,
um über die Ursache des Wechsels des allgemeinen Küstencharakters
an verschiedenen Stellen dieser langen Zone klar zu sehen. Der süd-
liche Abschnitt der ostamerikanischen Fjordküste, also die Küste von
Neu-F'undland, Neu-Braunschweig, der Halbinsel Neu-Schottland und des
Staates Maine, ist die ozeanische Begrenzungszonc des nördlichsten
Teiles jenes grofsen Gebietes paralleler nordöstlich gerichteter Falten,
welches den Osten der Vereinigten Staaten einnimmt. Das ganze Berg-
land östlich vom St. Lorenzstrom besteht aus mehreren parallel von S
nach N streichenden, durch sibirische Streifen getrennten Zonen iau-
rentinischer Gneise und huronischer krystallinischer Schiefer. In die
gröfste derselben, ein welliges Hügelland, schneiden die Fjorde von
Maine ein; sie schwenkt dann nach Nordosten um, begrenzt die Fundy-
Bai und setzt sich darauf jenseits der Champlain-Lorenzo- Kluft auf
Neu-Fundland fort. Ob das Gebiet der Fundy-Bai und die Insel Neu-
Fundland zu den echten F’jordregionen zu zählen ist, kann zweifelhaft
erscheinen. Es wird nötig sein, an späterer Stelle hierauf noch zurück-
zukommen.
Wenden wir uns nun zu dem amerikanischen Westen, so fallt
es sofort in die Augen, dafs sowohl das Fjordgebiet des kolumbischen
Nordens wie das des patagonischen Südens der Unterbrechung einet
niederen Küstenkette durch das Meer ihre besondere F'orm und die
Anordnung der Fjordbuchten in zwei parallelen KUstenzonen verdanken.
Im Norden ist die westliche Kette des grofsen westamerikanischen
Faltungssystems, die heute noch in der grofsen Vancouver- Insel, den
Königin Charlotte-Inseln und dem Thlinkithen-Archipel aufragt, zuerst
in der San Juan de Fuka-Strafse und dann nördlich noch mehrfach
unterbrochen. Dqm Meer wurde so die Überflutung des tertiären
Muldenthaies zwischen ihr und dem Kaskadengebirge ermöglicht. Die
Wasserbedeckung beginnt hier mit dem Strafsengewirr des Fuget Sound
und des Admiralty Inlet. Nördlich davon sind sowohl die Westküsten
der Inseln als auch die des Festlandes von Fjorden und Sunden in
Halbinseln und Inseln aufgelöst. Die Fjordentwickelung ist am reicli-
*) Report on Hudsons Ray. Geolog. Survey of Canada. Report for 1879/80.
a) Boas, Baffinland. Petcrm. Geogr. Mittigen., Erg. -Heft 80. 1885.
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Die Fjordbildungen.
203
sten an dem Ostufer der Strafee von Georgia, wo die grofsen Howe-,
Jervis-, Toba- und Bute Inlets in das Kaskadengebirge eindringen und
nördlich bis zum Portland Channel. Die Inselabschnürung ist am
stärksten im Thlinkithen-Archipel. An der Küste von Alaska treten
beide Erscheinungen etwas zurück, um dann aber an der Südküste der
Halbinsel Alaska wieder deutlich vereint hervorzutreten.
Im Süden ist es die chilenische Kiistenkordillere, die südlich vom
Kanal de Chacao in einzelne Stücke, wie die Insel Chiloe, den Chonos'
Archipel und die Halbinsel Taytao, zerteilt ist. Die chilenische Muhle
zwischen dieser Kordillere und der Hauptkette der Anden ist so in
ihrem südlicheren Teil schon von der Region der grofsen Seen der
Provinz I.lanquihue ab überflutet. Die Buchtenbildung ist in diesem
Teil noch gering. Von der Halbinsel Taytao ab aber wird die bisher
untergeordnete, aus Glimmerschiefern, Thonschiefern untermischt mit
Granit und Grünstein bestehende Küstenkette die eigentliche Haupt-
kette. Von den Inseln tritt sie auch auf das Festland selbst über und
bedingt durch ihre allmähliche Abschwenkung nach Osten die Form
der Südspitze des Kontinents. Auch hier vermag das Auge die eigent-
liche Küstenlinie sofort zu erkennen , doch von festländischem Zu-
sammenhang der Küstenzone ist wenig zu bemerken. Vom Golf von
Penas ab besteht das ganze Gebiet aus einem Gewirr grofser und
kleiner Inseln. Es ist die Sundbildung, die hier bedeutend überwiegt
und so grofsartig auftritt, dafs die Klistenzerstückelung selbst die der
norwegischen Küste übertrifft.
Das letzte Fjordgebiet, welches einer eingehenden Betrachtung
wert ist, ist der südlichste Teil der Westküste der neuseeländischen
Stdinsel. Der Fjordcharakter ist hier erst spät erkannt worden.
Dana machte zuerst darauf aufmerksam, die Karte Hochstetter's
brachte den sicheren Erweis, von Haast’s und Hector’s Unter-
suchungen bestätigten die früheren Beobachtungen. In neuester Zeit
bat von Lendenfeld das neuseeländische Fjordgebiet geschildert. >
Der nördliche Teil der Insel ist erfüllt von einem grofsen Faltungs-
gebirge. Der Hauptkamm liegt nahe der Westküste und wird vort
mehreren östlichen Nebenkämmen begleitet. Er wird gebildet durch
eine Zone vereinzelter langgestreckter gneisischer Kerne, der sich im
Westen eine schmale paläozoische Scholle und einzelne Reste pliozäner
Bildungen vorlegen. Dieser Teil der Westküste verläuft völlig glatt
und buchtenlos. Ungefähr vom 44 ° ab breitet sich das Gebirge jedoch
m einem weiten, im Mittel 1600 m hohen Plateau aus '), dem keine
«lieblich hohen Gipfel entragen. Sein steiler Abfall ist nach Westen,
') von Lendcnfeld, Australische Reise, 1892, S. 169. igr.
204
P. Dinse:
der sanftere nach Osten gerichtet. Es besteht aus alten Gneisen.
Suefs1) hält dieses Gneisgebiet für den Kern eines einseitigen Faltungs-
gebirges, welches nordwestlich streichend im Stidteil der Insel mit
mit einem anderen nordöstlich verlaufenden, dem heutigen Rückgrat
der Insel, zusammentraf. Nur dieses Gneisgebiet, welches seine flache
Wölbung wohl auch einer einstigen Abrasion verdankt, ist durch Fjord-
bildung ausgezeichnet. An der 125 km langen Küstenstrecke finden
wir 13 grofse Fjorde; zuerst sind es nur scharfeingeschnittene Fjord-
buchten, zwischen denen die Küstenlinie glatt und ungegliedert ver-
läuft. Weiter im Süden folgen kompliziertere, mehr horizontal als
vertikal ausgebildete Fjorde. Vom Breaksea-Sund beginnt in der Re-
solution-Insel die Inselabtrennung; sie nimmt nach Süden zu und er-
reicht im Dusky-Sund ihr höchstes Mafs.
Die Südküste ist unzerstlickelt; dagegen weist die Stewart - Insel,
ein Teil des südlichen Faltungsgebirges, wieder einige Einschnitte auf.
Es wäre möglich, schon auf Grund dieser allgemeinen Übersicht
über die Fjordgebiete einige Schlüsse zu ziehen. Es wird sich aber
empfehlen, Folgerungen erst dann hervorzuheben, wenn eine genaue
Definition des Fjordbegriffes die Feststellung der Grenzen der F'jord-
verbreitung ermöglicht hat.
2. Die übermeerischen Formen der Fjorde.
Der Name „Fjord“ stammt, wie erwähnt, aus Norwegen; in
schwedischer Sprache kommt dasselbe Wort in der Form fjiird, in
Island als fjörSur, auf den Färöern als fjördur vor. Gleichbedeutend
mit dem englischen firth und dem deutschen Wort „F'öhrde ", kommt
der Name ursprünglich jeder Meeresbucht zu. Seitdem aber durch
Dana der Fjordtypus aufgestellt wurde, ist die Bezeichnung zum
terminus Uchnicus geworden und darf seither nur ftir Küsteneinschnitte
angewandt werden, die den ganz bestimmten und unverkennbaren
Charakter der norwegischen Meeresbuchten zeigen.
Diesen eigentümlichen Charakter an den norwegischen Fjorden
und den als /ochs, inleis und sounds bezeichneten Fanschnitten der
anderen als F'jordküsten hingestellten Küstenstrecken hervorzuheben,
ist die nächstliegende Aufgabe.
Die vorangegangene Übersicht der F'jordregionen wird zu einem
Schlufs geführt haben, der so nahe liegt, dafs er einer besonderen
Flervorhebung eigentlich nicht bedürfte. Das gesellige Auftreten der
F’jorde ist schon von Dana und I’eschel erkannt worden. Wir finden
F'jordbildungen stets in grofser Anzahl auf weite Küstenstrecken hin
*) E. Snefs a. a. O. S. igzf.
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Die Fjordbildungen.
205
verteilt; abgesehen von den kleinen Inseln ist die 125 km lange neu-
seeländische Fjordküste mit ihren 13 Fjorden das kleinste Fjordgebiet.
Wo Fjordeinschnitte auftreten, sind es ihrer gleich eine grofse Anzahl,
und überall, wo Fjordküsten sich an andere Küstenstrecken anschliefsen,
tritt der Wechsel der Küstengestaltung ohne Überleitung durch unaus-
geprägte Formen ein.
Diese Thatsache regionaler Anhäufung unterscheidet die Fjorde
von allen anderen Küstengliederungen.
Die Betrachtung der übermeerischen Teile der Fjorde wird zur
Zeit noch sehr erschwert durch den grofsen Mangel an guten Karten
der Fjordgebiete. Wir sind im Grund angewiesen auf die freilich
mustergültige Topografisk kari ovtr kongeriget Norgt und die ebenfalls
trefflichen Karten der Ordnance Survey of Scotland. Allerdings ist jene
so wenig weit vorgeschritten, dafs wir aufser der Umgebung von Kristiania
nur einige Blätter von den Fjordregionen um Bergen und Trondhjem
und ein Blatt vom Sognc-Fjord besitzen. Auch für Schottland fehlen
noch mehrere Blätter der typischsten Fjordgegend zwischen Skye und
Mull. Für alle anderen Gebiete stehen aufser den Seekarten nur Über-
sichtskarten zu Gebot.
Innerhalb der einzelnen Fjordküstenstrecken lassen sich zwei
Arten von Fjord-Individuen unterscheiden. Die erste Art sind
die beiderseitig offenen Fjordstrafsen , die fast überall Sunde oder
Strafsen, seltener Fjorde genannt werden. Zur Sundbildung und der damit
stets verbundenen Inselabschnürung kommt es entweder durch Kon-
vergenz zweier Fjordbuchten oder durch die Kreuzung derselben durch
Meeresstrafsen, die der KUstenlinie parallel ziehen. Im ersteren Fall,
wenn also zwei Fjorde unter spitzen Winkeln ins Land schneidend
sich treffen, entsteht innerhalb dieser Gabel eine dreieckige Insel mit
schmaler Grundlinie und langen Schenkeln. In Neu-Seeland schneiden
der Thompson-Sund und der Doubtful-Sund die einem rechtwinkligen
Dreieck sehr ähnliche, aufserordentlich regelmäfsige Secretary-Insel ab.
Da aber derartige gröfsere Inseln durch kleinere Fjorde meist unregel-
mäfsig gestaltet, oft auch durch Fjordstrafsen ihrerseits wieder in Insel-
stücke aufgelöst werden, so ist diese Erscheinung selten so deutlich zu
erkennen. An der Südspitze Grönlands kreuzen sich die Fjorde der
Ost- und Westküste. Der Prinds Christians-Sund und der Torsukatak-
Ilua-Fjord treffen aiff einander und schneiden die ganze südliche Spitze
von dem Hauptland ab; aber auch die das Kap Farvel tragende Insel
wird in derselben Weise wieder von der Christians IV.-Insel abgetrennt.
Würde der Itivdlek-Fjord nur ein wenig weiter in das Land hinein-
schneiden, so würde er durch seine Vereinigung mit dem Söndre Ström-
Fjord (Kangerdluksuak) eine Insel von sehr deutlicher Dreiecksform
Zciuchr. d. Gcxllich. f. Erdk. Itd. XXIX. 14
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•20fi
P. Dinsc:
absondern. Es ist leicht, andere Beispiele hierfür in jedem Fjordgebiet
aufzufinden.
Die Inselabschnürung durch Sunde, die der Küste parallel laufen,
ist bedeutend häufiger zu bemerken. Es mag hier der Hinweis auf die
westamerikanische Küste genügen, wo sowohl im Norden wie im Süden
die grofsen und kleinen Inseln ihre Inselnatur der Verbindung kleinerer
zur Küste senkrechter und einer langen, ihr parallelen Strafse verdanken.
Schon unsere Eingangsübersicht hat gezeigt, dafs an den verschie-
denen Fjordküsten Gebiete gröfserer Sund-Entwickelung mit solchen, in
denen die Fjord buchten überwiegen, abwechseln.
Die eigentlichen, nur einseitig gegen das Meer geöffneten Fjorde
sind die andere Art. Sie erstrecken sich weit in das Land, verzweigen
sich dort und setzen sich meist überseeisch in Gebirgsthälem, die
häufig von Seenreihen erfüllt sind, bis in die höchsten Gebirgs- oder
Plateauhöhen fort. Seltener, meist in den auf gewöhnlichen Karten
verschwindenden kleinen Einschnitten, reicht die Wasserbedeckung bis
an den steilwandigen Thalabschlufs.
Einen wertvollen Beitrag zur Kenntnis der Morphographie der
Fjorde hat F’r. Ratzel in seinem Aufsatz: „Über P'jordbildungen an
Binnenseen“1) geliefert. Zum Schlufs dieser Abhandlung giebt er eine
Zusammenstellung der allgemeinsten Ergebnisse einer vergleichenden
Betrachtung der Binnenfjorde der amerikanischen Seen und der Küsten-
fjorde von Maine und Columbia. Man hat dieselben mit einigem Recht
als allgemeine „Regeln zur Beurteilung des physiographischen Verhält-
nisses einer Flrdgegend, die auf ihre Zugehörigkeit zu den Fjord-
regionen zu prüfen ist"8), aufgefafst. Diese Zusammenstellung kann
jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, ebenso wenig wie
die Allgemeingültigkeit der Regeln aufser Zweifel steht. Ratzel be-
trachtet in dem erwähnten Aufsatz drei Fjordregionen, von denen die
Zugehörigkeit der einen sehr fraglich ist, während die beiden anderen
als die am wenigsten typischen gelten müssen. Aus diesem Grund
sind nur zwei dieser Regeln als allgemein richtig anzuerkennen.
Ratzel schreibt den Eindruck der Einheitlichkeit, den die Fjord-
regionen, in der Horizontalen betrachtet, machen, einmal dem durch-
greifenden Parallelismus, der sich in der Richtung der Elemente einer
Fjordküste, also der Halbinseln, Landzungen, Inseln, Klippen, Buchten
und Strafsen zeige, und dann der geringen Breite der Wasserstrafsen
zu3). „Die Fjordbildungen sind unter sich gewöhnlich auf weite
’) Pcterm, Geogr. Mitteilgen, 1880, S. 387 ff.
*) Günther, Lehrbuch der Geophysik, 1885, II, S. 464 Anm. 3.
3) Ratzel a. a. O. S. 395.
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Die Fjordbildungen.
207
Strecken parallel, doch werden sie durch Gebirge, welche an die Küste
herantreten, gegen die Gebirge hin abgelenkt." Ratzel bemerkte an
der nordöstlichen Küste eine SW — NO -Richtung, die weiter nach Süden
in eine SSW — NNO-Richtung übergehe; an der nordwestlichen Küste
sollte eine NW — SO -Richtung vorherrschen.
An der Küste des Staates Maine ist ein derartiger Parallelismus
nach den uns zu Gebot stehenden englischen und amerikanischen See-
karten allerdings unverkennbar1); auch auf den Färöern mag er von
vornherein zugegeben werden. Man hat jedoch beobachten wollen,
dafs es in allen anderen Fjordgebieten etwas anders stehe. Penck2)
machte gegen Ratzel darauf aufmerksam, dafs es nötig sei, Fjord-
kiisten verschiedener Art zu trennen, je nachdem die Küste, in welche
die Fjorde einschneirien, einem flachwelligen Hügelland oder einem
hohen Gebirgsland angehöre. In den letzteren, d. h. in fast allen
Fjordgebieten, trete der Parallelismus soweit zurück, dafs er auf
Kartenbildern kleineren Mafsstabes vollständig verschwinde, ln Nor-
wegen und Schottland, sowie an der westamerikanischen Küste, sei
die Unterscheidung gewisser Hauptrichtungen, die sich auch in den
kleinen und kleinsten Zügen bemerkbar machen, sehr schwierig durch-
zuführen. Der Parallelismus mache hier den unregelmäfsigen Ver-
ästelungen normaler Thäler Platz.
In allen diesen typischen Fjordgebieten wird man die Regel be-
stätigt finden, die Peschei zuerst aufstellte3), dafs nämlich die Fjorde
oder wenigstens ihre Hauptarme senkrecht oder unter sehr steilen
Winkeln in das Land hineinzudringen pflegen. Haben wir nun eine
Küste, die auf die ganze Länge ihrer Erstreckung eine Richtung bei-
behält, so werden auch ihre Fjordbuchten unter sich nahezu parallel
sein. Dies ist der Fall in Grönland und Neu-Seeland, wo ein gewisser
Parallelismus auch der Hauptbuchten doch nicht zu leugnen sein wird,
wenngleich dieselben in ein gebirgiges Land einschneiden. Betrachten
wir jedoch ein inselförmiges F'jordgebiet, w'ie Island, oder eine P'jord-
küste wie Norwegens Westküste, die in der allgemeinen Richtung
wechselt, so finden wir F'jorde in allen Richtungen der Windrose.
Aber trotzdem ist Ratzel’s Beobachtung richtig. Auch diese
l) Auf R atzel 's Anregung hin ist dieses Fjordgebiet von Remmers genau
untersucht worden. Der Nachweis eines weitgehenden Parallelismus ist der kleinen
Arbeit völlig gelungen. Das Bestreben des Verfassers, die Häufigkeit des Vor-
kommens paralleler Küstenstrecken in einem bestimmt begrenzten Gebiet durch
Zahlenwerte darzustellen, erscheint aber als nutzloses Bemühen. O. Remmers,
Untersuchungen der Fjorde an der Küste von Maine. Dissert. Halle 1891.
*) Penck, Glaciale Bodengestaltung. Ausland 1882» S. 373.
8) Peschei a. a. O. S. 9.
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P. Dinse:
Fjordregionen sind, wenngleich ihre Hauptzüge differieren, durch
Parallelismus der kleineren Elemente zu einer Gesamtheit aufs innigste
verbunden.
Allerdings ist dies nur auf Karten gröfseren Malsstabes deutlich
zu sehen. Es genügt z. B. ein Blick auf eines der prächtigen Blätter
der Topografisk hart over kongeriget Norge oder der Ordnance Survey of
Scotland, um eine Art Parallelismus sofort zu erkennen. Man betrachte
z. B. die Blätter Skjörn (49 b) und Bjömör (49 d) des erstgenannten
Werkes, also einen Teil des Gebietes nordwestlich vom Trondhjem-
Fjord. Ein doppelter scharf ausgeprägter Parallelismus beherrscht
diesen ganzen Gebirgsteil. Einer SW — NO-Richtung entsprechen die
gröfseren inneren Fjorde; in Landzungen zerschnitten, springt das
Land in die See hinein. Kleinere Buchten mit parallelen Wänden
trennen diese Zungen; Inselreihen, durch Untiefen mit den Vorgebirgen
verbunden, setzen ihre Richtung fort, bis der ganze südwestlich ge-
richtete Zug weit draufsen in der See mit kleinen kaum aufragenden
Klippen verschwindet. Die Thalfortsetzungen im Land, der Verlauf
der Isohypsen, die Seenreihen, alles nimmt an diesem Parallelismus
Teil. Rechtwinklig zu dieser Richtung steht aber eine andere südost-
nordwestliche, die sich in gleicher Weise durch Parallelismus der
Buchten und Thäler, der Bergzüge und Inselreihen kenntlich macht
Ein derartiger Doppelparallelismus ist auf allen bisher vorhandenen
genauen Kartenbildern von Fjordgegenden unverkennbar. Man könnte
z. B. auch noch auf den Teil 'der schottischen Westküste zwischen
Craignish Point und Knap Point hinweisen, wo in den Lochs Craignish
und Swen Uferlinien, Inselumrisse und Klippenreihen in auffallendem
Parallelismus stehen.
Ratzel's Behauptung, dafs alle Fjordgebiete durch das Vorherrschen
paralleler Richtungen einheitlich verbunden seien, ist mithin völlig be-
rechtigt, wenn sie auch der Einschränkung bedarf, dafs diese Er-
scheinung nur in flacheren Gebieten der Küstenzone besonders deut-
lich hervortritt. In gebirgigen Fjordgebieten nehmen dagegen meist
nicht die grofsen Buchten, sondern nur die kleinen Elemente der
Fjordküste an diesem Parallelismus Teil.
Auch die andere Beobachtung Ratzel's, dafs die durchgehends
geringe Breite aller Einschnitte und Strafsen ein besonderes Kenn-
zeichen aller F’jordküsten sei1), wird man überall bestätigt finden.
An der norwegischen Küste gilt der bekannte Lyse-Fjord, der, vom
Hüle-Fjord sich abzweigend, erst senkrecht zu diesem nach Nordosten,
dann nach Osten sich hinzieht, als einer der regelmäfsigstcn Einschnitte.
*) Ratzel a. a. O. S. 395.
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Die Fjordbildungen.
209
Ungefähr 40 km lang, mifst er im Durchschnitt nur 1,9 km Breite, wäh-
rend die schmälsten Stellen kaum 0,6 km erreichen. Die ebenso auf-
fallend regelmäfsige Abzweigung des Hardanger-Fjordes, der Sör-Fjord
von Odde, wechselt auf 38,6 km I.änge nur zwischen 1,8 und 0,6 km
Breite. Ebenso schmal ist auf lange Entfernung hin der Indre Folden-
Fjord, die Abzweigung des Folden-Fjordes. Nach Ratzel und Remmers
sind die gröfsten Breiten der Fjorde an der Küste von Maine 2,8 bis
1,7 km. In der Fjordregion des Puget-Sundes mifst die durchschnitt-
liche Breite der Fjordarme nicht mehr als 1,2 km. Von den kolum-
bischen Fjorden behält das Jervis Inlet auf 62,5 km, das Toba Inlet aut
25 km, das Knight Inlet endlich auf 81,5 km Länge eine durchschnitt-
liche Breite von 2 — 3 km. Etwas ansehnlicher wird natürlich die Breite
derjenigen Fjorde, die unter ansehnlichen Verästelungen weit in das
Land hineinreichen. Der Sogne-Fjord greift 180 km weit mit seinen
inneren Armen in das Hochfjeld von Jotunheim ein. Er besitzt auf
dieser ganzen ungeheuren Erstreckung, die der Entfernung von der
Oder-Mündung bis Berlin gleichkommt, eine mittlere Breite von 4,8 km;
nur dort, wo ein Seitenarm in ihn einmündet, zeigen sich einige see-
artige Erweiterungen. Selbst an der Mündung des Hauptfjordes über-
schreitet die Breite zwischen den hier durch Inselreihen dargestellten
Uferwänden kaum die erwähnte Zahl.
Die Fjorde an der Nordküste Skandinaviens und ähnlich auch
diejenigen an der Nordküste Schottlands sind , wie bereits erwähnt,
breiter geöffnet. Der Varanger-Fjord behält auf eine Erstreckung von
40 km, sich fast gleichbleibend, eine Breite von 12km; dann erweitert
er sich jedoch in dem Mafs, dafs er zwischen den beiden Vorgebirgen
am Eingang mehr als 45 km mifst. Ebenso steht es auch mit den
anderen nördlichen Fjorden, dem Porsanger- und Laxe-F'jord, in Schott-
land mit dem Kyle of Durness, dem Loch Eriboll, dem Kyle of
Tongue. Es mag dies als ein auffallender Unterschied hervorgehoben
werden.
In der dem folgenden Abschnitt beigegebenen Tabelle sind Zahlen
für die durchschnittliche Breite fast aller in dieser Arbeit erwähnten
Fjorde angegeben. Diese Zahlen sind durch Messungen ermittelt,
welche an den Seekarten direkt ausgeführt wurden. Die durch sie
erhaltenen Werte sind oft noch zu grofs. Die genauere Berechnung
Fläche durch Länge hätte kaum ein genaueres Mittel ergeben, weil die
Länge des Fjordes sich ohne Willkür nicht finden läfst.
Sämtliche als Fjorde, Sunde, Lochs oder Inlets bezeichneten
Küsteneinschnitte sind von sehr geringer Breite, und zwar bleiben
diese Breiten auf weite Firstreckungen hin gleich. Die Länge der Flin-
buchtungen und Strafsen übertrifft die Breite derselben stets um ein
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210
P. Dinse:
Vielfaches. Eine genauere Angabe dieses Verhältnisses von Länge zu
Breite ist kaum nötig. In der Regel sind die Fjorde zehn- bis
zwanzigmal länger als die durchschnittliche Breite beträgt. Bei den
gröfsten Fjorden steigt diese Verhältniszahl auf i : 31 (Jervis Inlet),
1 : 41 (Knight Inlet) und 1 : 3g (Sogne-Fjord).
Peschei hatte die Fjorde schon in den Eingangsworten als steile
Schluchten definiert; im weiteren Verlauf seiner Darlegung betonte
er dann noch ausdrücklich als ein Ergebnis seiner vergleichenden
Untersuchung, dafs Fjorde nur an felsigen Steilküsten Vorkommen1).
F> wollte damit auch die geringe Anzahl der Fjorde an der Küste
und auf den Inseln des amerikanischen Nordens und das gänzliche
Fehlen derselben an der asiatischen Nordküste erklären. Wieder wies
auch hier Penck*) darauf hin, dafs felsige Steilküsten kein unbedingtes
Erfordernis für Fjordbildungcn sein können. Die Ostküste Nord-
Amerikas bilden nicht auffallend steile Felsränder, sondern ein sehr
flachwelliges Hügelland von 300 bis 600 m Höhe senkt sich allmählich zu
dem nur wenig über den Meeresspiegel erhobenen Küstenstrich. Nun
wird man Maine wohl zweifellos als ein Fjordgebiet gelten lassen
müssen, aber ebenso unzweifelhaft ist es das am wenigsten typisch
ausgestaltete auf der ganzen Erde. Eine gewisse Abhängigkeit der
Grofsartigkeit des Fjordphänomens von der mehr oder minder grofsen
Erhebung des Küstenlandes ist doch unleugbar, insofern, als die
Fjordbildungen wie in Maine, so auch in anderen flachen Küsten-
gebieten sowohl seltener als auch minder scharf ausgeprägt auftreten.
In Norwegen ist der einzige fjordarme Abschnitt der Westküste, die
Strecke zwischen dem Eingang des Trondhjem-Fjordes und dem Vigten-
Archipel, zugleich der flachste. Ein anderes Beispiel aus Ost-Grönland!
Die letzte Schilderung des Teiles der ostgrönländischen Küste vom
Kap Farvel bis zum Sermilik (66°) unterscheidet an derselben fünf
Abschnitte3). Zwei derselben, die Strecken von Auarket bis Ikermiut
und von Igdloluarsuk bis Inigsalik, haben nur eine sehr wenig ein-
geschnittene Küstenlinie, die drei anderen, also von der Südspitze bis
Auarket, von Ikermiut bis Igdloluarsuk und von Inigsalik bis zum
66. Breitengrad, sind stark zerschnitten und zerrissen, fjord- und sund-
reich. Eben diese Abschnitte aber sind auch hochaufragend. Uber
die aus Gneis bestehenden Umgebungen erheben sich oft bis zur Höhe
von 1250 m Syenitgruppen mit hohen kühnen Bergspitzen und tiefen
engen Thälern dazwischen, richtige gezackte Gebirge. Die beiden
*) Peschei a. a. O. S. 17.
*) Penck, Glaciale Bodengestaltung. Ausland 188z, S. 349.
3) Nansen a. a. O. S. 54—57.
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Die Fjordbildungen.
211
anderen jedoch mit wenigen breiten Buchten gehören einem niederen
Land an, welches nur wenig aus der Eisdecke hervorragt und auch in
den jetzt mit Eis und Schnee überdeckten Teilen eben zu sein scheint.
Da aber die unausgebildeten Kiisteneinschnitte dieser niederen Gebiete
an dem Fjordcharakter zweifellos teilnehmen, so wird man Penck’s Ein-
wurf die Berechtigung nicht aberkennen dürfen. Nichts desto weniger
steht aber fest, dafs Fjorde typischer Ausgestaltung an Steilküsten ge-
bunden sind. Die Fjorde von Norwegen, Schottland, Columbia, Pata-
gonien und Neu-Seeland schneiden sämtlich in ein höheres Gebirgsland
ein, und mit steilen Wänden fallen überall die Felsmassen zum Spiegel
der Fjorde ein.
Charakteristische Schilderungen dieser Steilheit der Fjordwände
finden sich allenthalben in der Reiseliteratur. Wie mit einem Beilhieb
in die Hochebene der norwegischen Scholle hineingehackt, sollen die
norwegischen Fjorde sich in die Tiefe hinabsenken *). Man glaubt oft
geradenwegs über die horizontale Fläche des Fjeld Vordringen zu
können und hat dann auf einmal dicht vor den Füfsen einen jähen
Abgrund von schwindelnder Tiefe, zu welchem die Gewässer der Höhe
in Wasserfällen hinabstürzen. Vibe*) berichtet von vielen hunderte
von Metern hohen Wasserfallen, die, ohne auch nur einmal den Fels
zu berühren, zum Spiegel der Fjorde hinabspringen, sodafs man, ohne
benetzt zu werden, zwischen den Felsen und dem Wasserfall hindurch-
fahren kann. Auch den neuseeländischen Milford -Sund zieren hohe
Fälle, wie der 146 m hohe Stirling Waterfail und die 165 m hohen
Bow'enfalls. In den grönländischen Fjorden findet man oft bei stunden-
langer Fahrt keine Gelegenheit zum Landen. Steile, senkrechte, viel-
leicht auch überhangendc Felswände von 700 bis 800 m Höhe gehören
in allen Fjordgebieten nicht zu den Seltenheiten. Es geschieht dies
überall, wo das Gebirge in Absätzen staffelförmig von den Plateau-
höhen zum Meeresspiegel niedergeht. Man mufs sich aber doch vor
übertriebenen Angaben hüten. Das Auge ist ja stets geneigt, die
vertikale Erhebung im Verhältnis zur horizontalen Entfernung zu über-
schätzen, und da der Mehrzahl der Menschen die Fähigkeit, Höhen-
winkel auch nur annähernd richtig zu beurteilen, gänzlich abgeht,
werden stets zu grofse Neigungswinkel angenommen. Bei den Fjorden
kommt noch hinzu, dafs der Kontrast zwischen der toten Ruhe des
Fjordspiegels und dem lebendigen Aufstreben der Felswände den Ein-
druck der Steilheit der letzteren erhöht. Die häufigen Anführungen
höherer Erhebungen in der Nähe der Fjordbuchten sind vielfach ge-
*) G uthe -Wagner, Lehrbuch der Geographie II, 1883, S. 350.
*) A. Vibe, Küsten und Meer Norwegens. P. G. M. Erg.-Heft 1, 1860. S. 5.
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P. Dinse:
eignet, durch den Gegensatz der Zahlen übertriebene Vorstellungen zu
erwecken. Tritt eine hohe Berggruppe an das Ufer eines Fjordes, so
ist der Aufstieg zu ihr entweder in den ersten Hektometern ein sehr
steiler, und es folgt dann eine allmählichere Erhebung, oder aber die
Uferpartien sind flacher, und erst in gröfserer Entfernung vom Strand
beginnt das steile Aufstreben. In beiden Fällen überschätzt man den
Erhcbungswinkel. Als besonders erstaunliches Beispiel einer grofsen
Neigung erwähnt Vibe1) und nach ihm wiederholt Reclus*) den
Thorsnut, der mit einer Erhebung von 1583 m auf 4,2 km an den
Fjord von Odde herantritt. Hier ist das Aufsteigen der Fjordwände
ein steiles, aber der mittlere Neigungswinkel bis zu den überragenden
Höhen beträgt doch nur 20° 39'. In Grönland erhebt sich der Berg
der Insel Umanak 1164 m über den Meeresspiegel; der unersteigbare
F’els befindet sich aber in der Mitte der mit relativ sehr geringer
Neigung aus dem Fjord auftauchenden Insel, und der mittlere Er-
hebungswinkel ist i7°3'. Wenn der Mitre Peak in Neu-Seeland mit
1695 m auf 1,4 km an den Milford-Sund herantritt, so kann er nicht
in „einer 70° steilen, 1800 m hohen Felswand direkt vom Meer auf-
ragen“®).
Eine eingehende Musterung der bisher vorhandenen genaueren
Karten europäischer Fjordgebiete hat als gröfsten auffindbaren Thal-
wand-Neigungswinkel einen solchen von 53 bis 54 ° ergeben. Es ist dies
im Närö-Fjord, einem Seitenfjord des grofsen Sogne-Fjordes; die vortreff-
lichen Abbildungen in Güfsfcldt’s Werk über die Nordlandfahrten
des deutschen Kaisers zeigen den schroffen Charakter der dortigen
Fjordnatur aufs deutlichste. Man wird also gut daran thun, Angaben
von mehr als 800 m hohen senkrechten Fjordwänden oder von allge-
meinen Neigungswinkeln von mehr als 540 für Übertreibungen zu halten.
In der Regel sind die Erhebungswinkel bis zu den überragenden Höhen
hinauf selbst in den am grofsartigsten ausgestalteten Fjordspalten nicht
gröfser als 30 bis 40°. Dafs diese Zahlen allerdings schon eine sehr
erhebliche Steilheit der Fjordwände darstellen, beweist die Thatsache,
dafs Abhänge von 37 0 selbst von geübten Bergsteigern kaum noch
zu erklimmen sind.
Es möge endlich auch erwähnt werden, dafs die mehr oder minder
grofse Erhebung des Landes nicht nur auf die Form und Zahl der
Einschnitte selbst, sondern auch auf den allgemeinen Charakter der
i) Vibe a. a. O. S. 5.
*) Reclus, Revue des Deux Mondes 1867, Bd. 8, S. 268. Reclus, La
Terre IT, 1869, S. 168.
®) von Lendenfeld, Australische Reise, 1892, S. 185.
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Die Fjordbildungen.
213
ganzen Fjordzone von Einflufs ist. Die flacheren Küstengebiete sind
in der Regel auch die insclreichen. In hohen Plateauländern ist die
Ausbildung der Fjorde mehr in der Vertikale, in sanften Abdachungen
des Küstengebirges dagegen in der Horizontale vor sich gegangen.
3. Die untermeerischen Formen der Fjorde.
Das eigentlich Charakteristische der Fjorde sind jedoch nicht die
Teile Uber dem Wasser, sondern die vom Wasser bedeckten Formen,
die Tiefenverhältnisse. Hier ist es nun nicht der Mangel, sondern die
Ungenauigkeit unserer Karten, welche die bedauerliche Unklarheit über
die Fjordgestaltung verschuldet hat. Wir besitzen von der englischen
Marine Seekarten aller Fjordgebiete der Erde; die chilenischen Schiffe
haben in den patagonischen Gewässern gelotet; für Ost-Amerika stehen
die Karten der U. S. Coast Survey, für Norwegen die Arbeiten des
Geografisk Opmaaling zur Verfügung. Die Seekarten geben die
Fjorde in der Isohypse des heutigen Meeresstandes. So trefflich sie
auch in jeder anderen Beziehung sein mögen , um so geringer ist ihr
Wert, wenn man den Versuch unternimmt, sich nach ihren Angaben
ein Bild von den Formen der Fjorde unter dem Meeresspiegel zu
machen.
Einmal sind nur die wenigsten Buchten bis in das innere Ende
hinein ausgelotet. Die Fjorde sind vortreffliche Häfen; sie sind aber
wertlos, weil sie nur selten an ihren Ufern Platz zu Ansiedlungen, und,
da sie fast alle in Hochgebirge einschneiden, nie ein Hinterland be-
sitzen. Infolge dessen liegt für die hydrographischen Ämter der see-
fahrenden Nationen keine Veranlassung vor, diese buchtenreichen
Küsten und die tiefen Einschnitte, die wegen ihrer Naturschönheiten
nur als Ziele für Vergnügungsreisende Bedeutung haben, genauer auf-
zunehmen. Meist sind nur die wenigen Fjordstrafsen, die dem Welt-
verkehr dienen, und die Zugänge zu den wenigen bedeutenderen
Orten , die als Fischereistädte oder als Hauptstätten der Verwaltung
von Wichtigkeit sind, genau vermessen. Für die abgeschlossenen
Fjordbuchten kommt ferner in Betracht, dafs dieselben durchgängig
von bedeutender Tiefe sind. Da in ihnen Gefahren für die Schiff-
fahrt wenig zu befürchten sind, so genügt es, einige wenige I.otungen
vorzunehmen. Meist befinden sich dieselben in der Nähe der Ufer.
Sind die Lotungen häufiger, so sind sie meist abgebrochen; bei Tiefen
von über 50 Faden oder 94 m schwindet meist das Interesse, welches
die Rücksicht auf den Schiffsverkehr erweckt hat. Diese beiden Fehler
sind es, die bei der Betrachtung der englischen Seekarten Bedauern
erregen werden. Immerhin sind aber gerade diese am besten für
unsere Zwecke verwendbar; einzelne der Fjordbuchten sind von
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P. Dinse:
englischen Schiffen so gut verlötet worden, dafs es sogar möglich war,
die vielen Anhaltspunkte zur Zeichnung von Tsobathenlinien zu ver-
werten. In Norwegen ist aus Interesse für die Fischerei der Varanger-
Fjord genauer, d. h. in mehreren Linien verlötet worden; die Tiefen-
linien, welche die Fiskekart over Varangerfjorden') angiebt,
werden aber an Genauigkeit mit den Isobathen bekannter Binnensee-
karten nicht zu vergleichen sein. Auf den meisten norwegischen See-
karten beschränken sich die Tiefenlotungen in den Fjorden auf eine
bestimmte Linie, die ungefähr das Mittelfahrwasser anzeigt. Von wie
geringer Bedeutung diese meist in der Mitte der Fjorde stehenden,
oft mehr als 10 km von einander entfernten Tiefenzahlen sind, liegt
auf der Hand. Der Querschnitt der Fjorde giebt, wie nachher noch
zu zeigen sein wird, unregelmäfsige Formen des Bettes der Fjord-
gewässer an. Die unrichtige Wahl von Lotungsstellen kann somit auf
Strecken von 15 bis 20 km das Bild des Fjordbettes völlig entstellen.
Haben wir z. B. im Sogne-Fjord*) ungefähr 25 km vom Ausgang die
Tiefenzahl von 1242 m (661 norw. Faden), so zeigt die 7I km darauf
folgende Zahl nur eine Tiefe von 850 m (450 Faden) an; 7 km weiter
hat das Lot wieder erst bei 1084 km (630 Faden) den Boden erreicht.
Derartige plötzliche Unterschiede, die häufiger zu finden sind, haben
etwas sehr unwahrscheinliches. Meist steht in solchem Fall die eine
geringere Tiefe angebende Zahl an Biegungen der Wasserstrafse, und
es ist dann zu vermuten, dafs das Schiff die Lotung über einem unter-
meerischen Thalvorsprung vorgenommen hat. In dem obigen, als
Beispiel benutzten Fall wird sicher eine dem südlichen Ufer näher
vorzunehmende Lotung eine Tiefenzahl ergeben, welche zwischen den
Zahlen 1242 und ro84 die Mitte hält. Lotungen in der Längsrichtung
der Fjorde haben nur Wert, wenn sie mit solchen quer über denselben
verbunden sind. Da solche mehr von wissenschaftlichem Interesse be-
stimmten systematischen Lotungsunternehmen zur Zeit noch zu den
Seltenheiten gehören , so kann all unser derzeitiges Wissen über die
unterseeischen Formen der Fjorde nur als durchaus ungenügend an-
gesehen werden.
Was nun im allgemeinen die Tiefenverhältnisse der Fjorde an-
belangt, so bezeichnet man gewöhnlich die absolute grofse Tiefe der-
selben als hervorstechendes Merkmal. „Fjorde sind tiefe und steile
Schluchten.“ Nun hat auch hier wieder Ratzel die Ansicht aus-
') Fiskekart over Varangerfjorden, udgivet af den Geografiske Opmaaling.
Krist. 1887- 3 Blatt. 1: 100000.
Specialkart over Sognefjorden , udgivet af den Geografiske Opmaaling.
Krist. 1869. 3 Blatt. 1 : 1 00 000.
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Die Fjordbildunjjen.
215
gesprochen1), dafs man den Tiefenverhältnissen der Fjorde viel zu
grofses Gewicht beigelegt habe. Er meinte, weil es unbestreitbar sei,
dafs Anschwemmungen der Flüsse und Strömungen die Tiefe der
Fjorde zu verringern vermögen, und weil es thatsächlich flache Fjorde
gebe, sei die Tiefe dieser Einschnitte als vergängliches Moment weniger
zu betonen. Dieser Einwurf, der sich übrigens nur gegen die Be-
hauptung einer absolut grofsen Tiefe richtet, verliert nun viel an Be-
weiskraft dadurch, dafs er sich ausschliefslich auf die Ergebnisse der
Betrachtung der Sunde des Puget-Sundes und der Fjorde von Maine stützt.
Die Formen dieser Wasserstrafsen und Buchten bilden ja in allem eine
Ausnahme und beweisen gegenüber der Einheitlichkeit der Erscheinungen
in allen anderen Fjordgebieten sehr wenig. Es giebt in der That
seichte Fjorde; die Buchten von Maine, die Fjorde Nord -Schottlands
sind in der Regel nicht tiefer als 60 m. In den irischen Einschnitten
sind Tiefen von 35 m eine sehr grofse Seltenheit; nur der Sligo Har-
bour sinkt zu einer Tiefe von 143 m herab. Aber die absolute grofse
Tiefe ist gar nicht das, was die Fjorde vor anderen Buchten auszeichnet,
sondern ausschliefslich die Verschiedenheit der Tiefen in ver-
schiedenen Teilen eines Fjordes.
Der erste, der hierauf aufmerksam machte, war Cook, der beim
Einscgeln in den Christtag-Sund des Feuerlandes zuerst bei 37 Faden,
tiefer im Sund erst bei 64 Faden Grund fand, während zuletzt die
100 Faden lange Lotleine den Grund überhaupt nicht mehr erreichte*).
Darwin fand ebendort die gleiche Erscheinung allgemein, und er stellte
es schon als Regel auf, dafs die Fjorde an ihrer Mündung von ge-
ringerer Tiefe seien als im Innern3), Später war es "Lübbert, der
wieder darauf hinwies4). Peschei und Reclus nahmen es auf,
und Leipoldt sprach es als allgemeines Gesetz aus5). „Bei allen
Fjorden zeigt sich, dafs an ihrem Ausgang der Boden viel seichter
ist als im Hintergrund."
Das Gesetz ist in dieser Form nicht ganz richtig; es giebt Fjord-
buchten, und zwar auch geschlossene schmale Buchten von typischer
Form, die an ihrem Ausgang tiefer sind als im Inneren. Richtiger ist
die folgende Fassung: „Allen Fjordgebieten liegt ein seichtes
Meer vor, dessen geringe Tiefen zu den bedeutenden Ein-
') Ratzel a. a. O. S. 393.
*) Vgl. Peschei a. a. O. S. 10.
3) Darwin vgl. Ramsay, The physical geology and geography of Great
Britain, 187g, S. 448.
4) O. Lübbert, Das Reisen in Norwegen. Ausland 1863, S. 970 Anm.
5) Peschel-Leipoldt, Physische Erdkunde, 1879, S. 480.
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P. Dinse:
Senkungen im Inneren der fjordzerrissenen Küstenzone in
auffallendem Gegensatz stehen."
Der norwegischen Westküste ist ein schmaler Saum flacheren
Meeresbodens vorgelagert. Abgesehen von einigen tieferen Rinnen
übersteigt die Tiefe dort nie 200 m. In den Fjorden sind Tiefen bis
zu 1242 m gelotet worden.
Schottland und Irland liegen auf einem Plateau, welches aufser in
kleineren örtlichen Einsenkungen überall nur bis zu 50—80 m unter
der Meeresoberfläche liegt. In den schottischen und irischen Lochs
finden sich dagegen Tiefen bis zu 140 — 180 m.
Die Tiefen Verhältnisse an der ostgrönländischen Küste schildert
der Bericht der zweiten deutschen Nordpolar-Expedition1) in der Weise,
dafs er annimmt, eine über 366 m tiefe Rinne ziehe sich längs der
Küste hin; weiter draufsen im Meer zeige jedoch das Lot oft Tiefen
von weniger als 183 m an. Bei der Fahrt von offener See zum Kap
Broer Ruys und dann in den Franz Josefs-Fjord hinein fand die „Ger-
mania“ erst abnehmende Tiefen, mehrere Meilen vom Land 156 m,
ganz in der Nähe desselben am Eingang des Fjordes 179 m, und im
Fjord selbst konnte das Lot mit 915 m den Boden nicht erreichen.
An der westgrönländischen Küste liegen die Verhältnisse ähnlich.
Die Küste wird von einem schmalen Saum flacheren Meeres, in dem
nur einige wenige tiefere Einsenkungen und Rinnen die Tiefe von jo
bis 75 m übersteigen, begleitet. Das Innere der Fjorde ist zu wenig
bekannt; selbst auf den genauesten dänischen Seekarten bemerkt man
nur an zwei Stellen einige in Reihen angeordnete Tiefenzahlen. Im
Nordre Strom-Fjord unter 67° 45' n. Br. ergaben die Lotungen im
Innern 494 m, weiter zur Mündung 406, 295, 372 m und endlich
draufsen im Meer nur 38 m Tiefe. In der Disko-Bucht vor dem Ein-
gang der Fjordbuchten von Christianshaab findet man hintereinander
von innen nach aufsen geordnet 240, 299, 233, 179, 250, 192, 131 und
86 m. Nach J. A. D. Jensen’s Lotungen8) ist der Fiske-Fjord (63°io')
im Innern bis zu 323 m, der Sermilik (63° 30^ bis zu 131 m tief; das
vorliegende Meer weist nur Tiefen von 90 m auf.
Das Meer an den Küsten des Staates Maine ist so seicht, dafs
man erst in einer Entfernung von 14 km Tiefen von nom erreicht
Nach Nordosten nimmt die Tiefe des Vormeeres etwas zu. Die Fjord-
tiefen sind in diesem Gebiet aufserordentlich gering. Nach Ratzel
und Remmers finden sich in den südlicheren Buchten nur Maximal-
') Die zweite deutsche Nordpolarfahrt in den Jahren 1869 und 1870, H,
S. 679.
a) Mcddtlelser om Grönland I, S. 33. 31.
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Die Fjordbildungen.
217
riefen von 48 — 60 m; etwas nördlicher im Penobscot- Gebiet steigt die
Tiefe auf 100 — 150 m. In den meisten kleineren Buchten sind Tiefen
von 20 — 30 m die gröfsten Einsenkungen.
Um so grofsartiger sind dagegen die Gegensätze der Tiefen vor
und in dem Fjordgebiet von Britisch -Columbia. Vor der Vancouver
Insel zieht sich in durchschnittlicher Breite von 37 km ein unterseeisches
Plateau hin, welches nirgends bis unter die Tiefe von 183 m hinab-
sinkt. Nur in den die Westküste der Insel zerschneidenden Fjorden
bemerkt man bedeutendere Einsenkungen. Der Quatsino-Sund zeigt
als gröfste Tiefe im Innern 229 m; auch der sich aufserordentlich
weit in die Insel hineindrängende Alberni- Kanal des Barclay -Sundes
weist in der Mitte eine Einsenkung von 276 m auf. Der Notka-Sund
hat seine gröfste Tiefe von 198 m im Innern, während vor seiner
Mündung eine Bank aufsteigt, die bei 18 km Breite nirgends mehr als
90 m unter der Meeresoberfläche liegt. Die Insel Vancouver wird von
dem amerikanischen Festland durch den Queen Charlotte -Sund , die
Johnstone-Strait und die Strafse von Georgia getrennt. Diese Sunde
sind zum gröfsten Teil tief, doch liegt gerade dort, wo die grofse Insel,
nur durch die Johnstone- Strafse von dem zerrissenen Festlandsrand
getrennt, mit der kolumbischen Küste verwächst, ein seichterer Meeres-
teil vor den Fjordeingängen. Und in diesen Fjorden finden wir Tiefen
von 230 m (Knight Inlet), 255 m (Call Creek), 232 m (Loughborough
Inlet) und so fort.
Von der chilenisch -patagonischen Fjordküste ist wenig zu sagen.
Die Seitenfjorde sind trotz der Thätigkeit der englischen, deutschen
und chilenischen Marine wenig bekannt, und wo wir Tiefenzahlen
haben, sind die Lotungen bei 55 oder 75 m abgebrochen. Immerhin
stehen auch hier dem flachen Vormeer Tiefen von über 1045 m, wie
man sie in der Magellan-Strafse gelotet hat, gegenüber. Vor der neu-
seeländischen Fjordküste erstreckt sich eine flache Bank hin, die von
so bedeutender Ausdehnung ist, dafs die Tiefen der Fjorde erst in
einer Entfernung von 30 km von der Küste wieder angetroffen werden
können. Der tiefste Fjord Neu-Seelands ist mit 392 m der nördlichste
der dreizehn Einschnitte, der Milford-Sund. Eine solche Tiefe wird erst
too km von der Küste entfernt gelotet werden können.
In den meisten Fällen dringt nun allerdings das flache Vormeer
bis in die Eingänge der Fjordbuchten selbst vor. Mündet dagegen
der Fjord in eine durch Konvergenz mehrerer Einschnitte entstandene
gröfsere Bucht oder in einen der der Küste parallel ziehenden Sunde,
so findet man nicht selten, dafs die eigentlichen Fjorde am Eingang
keine Schwellen haben. So steht es z. B. mit dem in die Clyde Sea
mündenden Loch Fyne und dem Loch Broom, einem Seitenarm des
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P, Dinsc:
North Minch. Die Fjorde der Inseln Mull und Skye haben keine Kin-
gangsschwellen. Auch das kolumbischc Jervis Inlet behält auf eine
Länge von 22 km eine Tiefe von über 183 m bei und mündet dann
in die über 275 m tiefe Malaspina-Strafse ein. Während mithin im
ersten häufigeren Fall schon in dem eigentlichen Fjord selbst infolge
der Abschliefsung der inneren Tiefen durch eine Anschwellung am
Eingang ein Becken gebildet wird, geschieht dies in dem anderen Fall
erst durch das entferntere Vormeer, und die Fjordbucht bildet nur
mit ihrer Fortsetzung in dem Sund ein gröfseres, komplizierteres
Becken.
Die so entstandenen Becken sind nun selten in der Weise regel-
mäfsig und einheitlich, dafs der Boden vom inneren Ende bis zur
gröfsten Tiefe allmählich hinabsinkt, um dann bis zur Erhebung des
Vormeeres wieder anzusteigen. Beispielsweise senkt sich der Boden
des Sogne-Fjordes derart bis zu der gröfsten in allen Fjorden der Erde
geloteten Tiefe, bis zu 1242 m hinab. Der Aufstieg ist dann bedeutend
steiler; eine Schwelle von nur 158 m Tiefe unter dem Meeresspiegel
trennt das tiefere innere Becken von der norwegischen Rinne. Auch
der Hardanger-Fjord sinkt in seinen beiden oberen Armen mit ziemlich
gleichmäfsigem Gefälle bis zu seiner gröfsten Tiefe von 800 m hinab
und erreicht dann erst am Ausgang wieder die geringe Tiefe von
203 m. Die nördlichen F'jorde Neu-Seelands sind alle dergestalt ein-
heitliche Becken.
In der Regel aber sind die Fjordbecken nicht so regelmäfsig. Die
meisten Fjorde sind vielmehr durch den Wechsel gröfserer Tiefen und
hoch aufsteigender Schwellen in eine Anzahl Binnenbecken geteilt.
Wir wollen diese Teilbecken als Becken II. Ordnung von den grofsen,
den ganzen Fjord darstellenden Becken I. Ordnung unterscheiden.
Während der Gegensatz der inneren Tiefe und der äufseren
Schwellen schon früh bemerkt und oft besprochen ist, ist die That-
sache, dafs auch in den Fjorden selbst Unregelmäfsigkeiten des Boden
reliefs zu beobachten sind, fast unbeachtet geblieben. Mi 11 hat sie in
seiner mustergültigen Arbeit über die Clyde Sea area1) erwähnt;
auch Remmers hat in den Fjorden von Maine das Vorhandensein
von Binnenschwellen hervorgehoben. In der übrigen Literatur finden
sich dagegen nur wenige Andeutungen.
Da aufser dem nach Lieutenant Schie’s Angaben gezeichneten
Lyse-Fjordprofil*) und den Längsprofilen Mill’s Fjordprofile nicht
*) H. R. Mill, Clyde Sei area. Proc. of Royal Soc. Edinbg. 1891, S. 641 ff.
*) Peterra. Geogr. Mitteilgen. Erg. -Heft 1, 1860. Berghaos* Phys. Atlas,
Abt. II: Hydrographie, Bl. VIII.
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Die Fjordbildungen. 219
existieren, so habe ich mich bemüht, auf Grund des zu Gebot stehen-
den reichen Kartenmaterials einige Längsschnitte durch Fjorde zu
zeichnen1). Dieselben werden am besten die Unregelmäfsigkeit des
untcrmeerischen Fjordgeländes, in deren Nachweis die vorliegende
Arbeit ihr wichtigstes Ergebnis sieht, zeigen. Daneben wird auch die
Zeichnung einiger Tiefenkarten von Fjordbuchten zur Verdeutlichung
und Ergänzung der bisherigen Vorstellungen von den untcrmeerischen
Formen der Fjorde wesentlich beitragen können.
Der Loch Hourn ist eine der drei Buchten, die sich zum Sleat-
Sound öffnen; man kann ihn als den oberen Abschnitt dieser tiefen
Meeresstrafse auffassen. Der ganze ungefähr 20 km lange Fjord hat
eine Fläche von ungefähr 38 qkm; er zerfällt in zwei Teile, den
breiten eigentlichen Loch Hourn und den inneren sehr schmalen Loch
Hourn beg.
Die Skizze und der Längsschnitt zeigen, dafs sich dieser schmale
Fjordarm in vier gesonderte Becken teilt. Vier Erhebungen von nur
t — 13 m Tiefe trennen die Einsenkungen von 18, 49, 38 und 49 m
Tiefe. Die Schwellen sind mit Sedimentmassen, die das Fahrwasser
sehr verengen, bedeckt; auf der zweiten ragt eine kleine Felseninsel
aus dem nur 10 m tiefen Wasser auf.
Der breitere Fjordteil ist ein einheitliches Becken; sehr allmählich
senkt es sich zu der gröfsten Tiefe von 183 m, die gerade im Fjord-
eingang liegt, hinab. Darauf erhebt der Boden sich wieder auf etwas
weniger als 100 m Tiefe, und die Fjordrinne vereinigt sich mit der
des Sleat-Sundes.
Loch Creran und Loch Etive sind Seitenbuchten des Firth of
Lorn. Der erstere, 12,5 km lang, im Mittel 1,15 km breit, hat ungefähr
14,4 qkm Wasserfläche. Eine 9 m unter dem Meeresspiegel liegende
Schwelle sondert ein inneres schmales Becken von 37 m Tiefe von
dem breiteren Hauptteil des Fjordes ab. Dieser erreicht in sehr
sanftem Abstieg die Maximaltiefe von 49 m und steigt dann schnell
zu einer Schwelle auf, die zum Teil, im Sgeir Cailleach, als Klippen-
reihe hervorragt, zum anderen Teil eine Tiefe von nur 8 m aufweist.
Durch die schon fast ganz landfest gewordene Eriska-lnsel verengt
sich nun der Fjord. Die Tiefe übersteigt nur an zwei Stellen 10 m.
Gerade vor der Landzunge stellt eine Erhebung von nur 7 m unter
dem Meeresspiegel die Eingangsschwelle dar.
Im Loch Etive (31 km lang, 0,97 km breit, 30,1 qkm grofs) ist
dagegen der innere Teil regelmäfsiger gestaltet. Die gröfste Tiefe von
über 130 m wird in allmählichem Abstieg von 13 km Ifänge erreicht.
■) Siehe die der Arbeit beigegebenen Tafeln 4 und 5.
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220
P. Dinse:
Dann erhebt der Boden sich sehr viel schneller und bildet in der
durch die Halbinsel Duranis verengten Stelle eine trennende Schwelle
von nur 1 1 m Tiefe. F.s folgen nun mehrere kleinere Einsenkungen,
die aber die Tiefe von 68 m nicht übersteigen, während die Erhebungen
20 bis 24 m tief liegen. Vor der Mündung tritt die Ledaig-Felsplatte
gbgen den Fjord vor und erzwingt eine bedeutende Verengung des
Fahrwassers. Hier im Connel-Sund liegt die Eingangsschwelle nur
6 m unter dem Flutniveau. Im Eingang selbst findet sich vor dem
Ledaig Point eine lokale Einsenkung von 42 m. Bemerkenswert ist
auch, wie sich die Rinne tieferen Wassers zwischen Dunstaftnage Point
und der vorgelagerten Insel hindurch gegen den Fjordeingang hindrängt.
Der neuseeländische George-Sund (21,6 km lang, 1,3 km breit
und 42,7 qkm grofs) ist in mehreren Querreihen sehr gut verlötet
worden. Kr ist eins der seltenen einheitlichen Fjordbecken. Der
Boden sinkt mit zwei sehr geringen Unterbrechungen mit nur oc 37 '
zu der ausgedehnten tiefsten Fläche herab; der tiefste Punkt ist
nicht bekannt, da die Lotungen bei 194 m abgebrochen wurden.
Der Anstieg ist um das Dreifache steiler. Die Schwelle von ungefähr
70 m Tiefe liegt genau im Eingang der Bucht.
Die bedeutende Tiefe des Fjordes gestattete eine Darstellung des
Beckens in natürlichem Verhältnis der Längen und Tiefen. Die kleinen
Unebenheiten des Bodens mufsten natürlich bei dieser Zeichnung ver-
schwinden.
Die beiden Frofile vom Caswell-Sund und Doubtful- Sund (Taf. 4,
Abbild. 3 und 4) stellen die extremsten Typen von Fjordbecken dar.
Im Caswell-Sund, einem der regelmäfsigsten Becken, folgt auf einen
sehr sanften Abfall (1 0 12 ') ein aufserordentlich steiler Anstieg (7°7')l
im Doubtful-Sund sind die beiden Becken, in die der Fjord zerfallt,
durch einen schnellen Abstieg und einen sehr langsamen Anstieg aus-
gezeichnet.
Die Darstellung der Tiefenverhältnisse eines Fjordbeckens durch
Profilzeichnung ist aber überaus unvorteilhaft, weil bei der meist
grofsen Länge der Fjorde Längen und Tiefen nicht in demselben Ver-
hältnis zu zeichnen sind. Eine fünfzehnfache Überhöhung, wie
sie in den als Beispiele dienenden, im Mafsstab von 1 : 150000 ge-
zeichneten Längsschnitten durchweg angewandt ist, ist das mindeste,
wenn man die Tiefenverhältnisse einigermafsen deutlich hervortreten
lassen will. Der zweite Durchschnitt vom George-Sund, welcher Längen
und Tiefen im natürlichen Verhältnis giebt, wird die Notwendigkeit
einer Überhöhung beweisen.
Eine jede Überhöhung erweckt aber falsche Vorstellungen von
den Neigungsverhältnissen und beeinträchtigt die Vergleichbarkeit der
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Die Fjordbildungen.
221
Winkel. Dieselben werden verzerrt, und zwar die kleineren Winkel in
stärkerem Mafs als die gröfseren1). Wo es sich also darum handelt,
l) In beifolgender Abbildung stelle BC die zur Länge A C im natürlichen Ver-
hältnis gezeichnete Höhe, CD die mfach überhöhte Höhe dar.
D
Dann ist (p der wahre, <px der durch die Überhöhung vergrößerte Neigungs-
winkel und <f der durch die Überhöhung bewirkte Zuschlagswinkel. Aus den
beiden Gleichungen:
. . a -v . . . ... DC m li C
tg^| = 4-^) und tg(^ 4- d) = oder =
ergiebt sich durch eine sehr einfache Rechnung die Gleichung:
tg 0 -+- tg J _ m — i
m tg tp = — — oder nach tg if aufgelöst: tg tf = tg <b r— — •
i — tg^tgd s s B m tg2^H-i
Ist nun tp ein kleiner Winkel, tg tp also eine sehr kleine Zahl, so kann m lg‘- tp
als verschwindende Größe neben i vernachlässigt werden, und tg ü ist dann ange-
nähert = (m — i)tg^, J also ein verhältnismäßig großer Winkel. Wenn dagegen
<p ein großer Winkel ist, so daß die Vernachlässigung von m tg- tp gegen i nicht
mehr statthaft ist, so erhalten wir: tgd=tg<J& - ** • Gegen das vorige
« tgJ tp 4- i
ist der Nenner bedeutend größer, der Wert des ganzen Ausdrucks also beträchtlich
kleiner. Es folgt, daß beu einigermaßen kleinem <p der Zuschlagswinkel J unver-
hältnismäßig groß ausfallt gegenüber dem Fall eines großen tp.
Es ergiebt sich daraus, daß bei Anwendung einer Überhöhung die verschie-
denen Winkel einer Zeichnung nicht vergleichbar sind. Durch überhöhte Zeichnung
werden nur die Tangenten der in der Zeichnung und der in der Natur auftretenden
Winkel in einen rationalen Zusammenhang gebracht; die Winkel selbst sind durch
transcendcnte Funktionen mit einander verbunden. Die richtige Beurteilung der-
artiger Zeichnung wird aber fast unmöglich gemacht, sobald — was sich oft nicht
vermeiden lassen wird — zwei verschiedene Überhöhungsmafsstäbe angewandt sind.
Die verschiedenartig verzerrten Winkel können nur dann auf einander bezogen werden,
wenn man sie beide auf die natürliche Größe bringt, also gerade die Verhältnisse
wiederherstellt, die man durch die überhöhte Zeichnung verdeutlichen wollte.
Zeiuchr. d. GesclUch. f. Erdk. Bd. XXIX. 15
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■
Winkel zu vergleichen, müssen die wahren Verhältnisse betrachtet
werden. Diese lassen sich auch bei sehr kleinen Differenzen durch
Zahlen leichter darstellen als durch die Zeichnung. Wir setzen also
an die Stelle der letzteren Zahlenwerte.
In der am Schlufs des Aufsatzes beigegebenen Tabelle sind
die Gröfsen- und Tiefenverhältnisse fast aller Fjorde der Erde, in
denen systematische Tötungen vorgenommen sind, in solchen Zahlen-
werten dargestellt. Am meisten ist das schottische Fjordgebiet be-
rücksichtigt worden, weil dort sämtliche Fjorde so trefflich aus-
gelotet sind, dafs es möglich ist, für jede Bucht die Tiefenlinien auf
das genaueste zu zeichnen. Dagegen sind die norwegischen Beispiele
minderwertig, weil die dort stets nur vorhandene eine Längsreihe von
Lotungen keine Gewifsheit giebt, dafs die Berechnung stets der Linie
gröfster Tiefe folgt. Für Irland konnten nur wenige Beispiele ange-
führt werden, weil hier die weit vorgeschrittene Versandung der
Buchten die eigentlichen Fjordformen verhüllt. Grönland mufste fast
ganz vernachlässigt werden. Die für Labrador, Neu-Fundland und Neu-
Schottland gegebenen Zahlen sind wieder durchaus sicher. Das Fjord-
gebiet von Maine blieb unberücksichtigt, weil die Verhältnisse dort zu
unbedeutend sind. Es mag hier auf Remmers1 gute Zusammenstellung
verwiesen werden. Die Angaben aus dem kolumbischen Gebiet sind
wieder minderwertig, weil ihnen zum Teil abgebrochene Lotungen zu
Grunde liegen. Die Fjordregion von Kerguelen lieferte vier leidlich
gute Beispiele. Von den dreizehn neuseeländischen Fjorden endlich
konnten zwölf sehr gute Werte geben; nur im Preservation-Sund ver-
hinderte die Thatsache, dafs hier die Fjordmitte nicht verlötet ist, die
Berechnung. Sämtliche Zahlen sind auf das genaueste berechnet; die
Entfernungsangaben sind etwas abgerundet, doch wurden die Winkel
auf Grund der unabgerundeten Werte ermittelt. Meist wird es möglich
sein, nach diesen Zahlenangaben vollständig genaue Profile zu zeichnen;
nur in einigen wenigen Fällen, bei denen kein tiefster Punkt, sondern
nur eine tiefste Fläche festzustellen war, wurde die Längserstreckung
derselben in der Tabelle nicht berücksichtigt.
Die sowohl für Längen wie für Tiefen durchgeführte Anwendung
des metrischen Systems erschien geboten, da verschiedene Werte für
Faden zu benutzen waren. Die Berechnung der Längen (Spalte i)
wurde dadurch etwas erschwert, dafs der Fjordanfang selten genau
festgestellt werden kann. Die sogenannte Eingangsschwelle war in
keinem Fall maßgebend. In der Regel ist der Fjord bis zur Verbin-
dungslinie der festländischen Vorgebirge oder bis zu den äufsersten Spitzen
der die Fjordwände darstellenden gröfseren Inseln gerechnet worden.
Uber die Breitenangaben (Spalte 2) ist bereitsdas Nötige gesagt worden.
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Die Fjordbildungen.
223
Die folgenden acht Spalten (3 — 10) sollen die Tiefenverhältnisse
und die Form der Fjordbecken verdeutlichen. Die ersten vier Spalten
(3 - 6) geben die Zahlen für die ganzen gröfseren Fjordbecken (Becken
I. Ordnung). Die erste und dritte Zahlenreihe in Spalte 3 geben die
Entfernungen vom inneren Fjordabschlufs bis zur Beckentiefe und von
dieser bis zur Ausgangstiefe an, die beiden anderen (fett gedruckten)
Zahlen die gröfste Tiefe und die Tiefe der Eingangsschwelle bzw. des
Vormeeres. Spalte 4 und 5 enthalten die mittleren Neigungswinkel des
Abstiegs und Anstiegs des F'jordbodens, Spalte 6 die Angabe des Verhält-
nisses der Längen des Abstiegs und des Anstiegs. Zerfällt ein Fjord durch
höher aufsteigende Schwellen in Teilbecken (Becken 11. Ordnung), so
finden sich für diese die Angaben in den Spalten 7 bis ro in gleicher
Anordnung. Auch die Werte für kleine Seitenfjorde sind hier eingestellt.
Spalte 11 giebt die Tiefen der Eingangsschwellen bzw. die des
Vormeeres an1).
') Über die Art der Berechnung der Zahlen und Werte fiir die Neigungs-
winkel und die Längen Verhältnisse benötigt es noch einiger Worte.
Je nach der Anzahl der zu verwendenden Lotungen stellt sich im Längsschnitt
der Abstieg und Anstieg eines Fjordbeckens als mehr oder weniger gebrochene Linie
dar. Es wechseln Strecken von sehr verschiedener Neigung. Zum Zweck der Ver-
gleichung bedarf man aber eines Mittelwertes. Nun erhält man einen solchen einmal
dadurch , dafs man die Gröfee der verschiedenen Neigungen nach ihrem Gewicht
berücksichtigt. Haben wir (Abbild. 2) auf die Länge <z, eine Neigung von m auf 1 km,
Abbild. 2
auf die Länge u, eine solche von n auf 1 km, so ergäbe sich eine mittlere Neigung
a. m a, n h. h., .
von - — • Da nun r« = , «= ist, so folgt:
at+ <h a\ ai
a, m + fl., n A, -f- h,
a, +a, a, + a,
oder die mittlere Neigung ist gleich dem Quotienten der Beckentiefe und der Ent-
fernung des tiefsten Punktes vom Anfang des Beckens. Im Prohl stellt sich die
mittlere Neigung durch die Verbindungslinie der Schwellenhöhc und Beckentiefe dar.
15*
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224
P. Din sc:
Die tabellarische Zusammenstellung aller dieser Werte und die zu
diesem Zweck notwendige genaue Musterung aller Seekarten der
Eine andere Methode, derjenigen analog, welche zur Berechnung meteorologischer
Mittelwerte benutzt wird, ist die Verwandlung der durch die gebrochene Linie und die
beiden Koordinaten begrenzten Figur in ein flächengleiches rechtwinkliges Dreieck, aus
dem man dann durch Division der Katheten einen Wert für die mittlere Neigung erhält.
Welcher von diesen Berechnungsarten für unsere Zwecke der Vorzug zu geben
sei, ist wohl kaum zu entscheiden. Die durch die erstere berechneten Winkelwerte
sind in der Regel gröfser als die Resultate der zweiten Methode; nur in den
seltenen Fällen, wo auf eine gröfsere Strecke geringer Neigung eine kleine Strecke
steilen Abfalls oder Anstiegs folgt, wie z. B. beim neuseeländischen Doubtful-Sund
(Tafel 4 Abb. 4), sind die letzteren grofser als die ersteren. In unserer Tabelle
sind durchweg die einfacher zu findenden Werte der ersten Berechnungsart angegeben.
Da die späteren theoretischen Erörterungen besonders Gewicht auf die geringe Größe
der berechneten Neigungswinkel legen, so können die Schlüsse durch die Thatsache»
dafs meist die größeren Mittelwerte benutzt sind, nur bekräftigt werden. Die Winkel -
werte wurden berechnet, weil nach dem subjektiven Empfinden des Verfassers dieselben
eine bessere Vorstellung zu geben vermögen als die Angabe der Neigungszahlen.
Bei der Feststellung des Verhältnisses der Abstiegs- und Aufstiegslängen er-
schien es nicht angängig, die auf den Karten abzumessenden Entfernungen direkt
zu vergleichen. Die Tiefenzahlen, welche die Lage der drei in Betracht kommen-
den Punkte angeben, stehen nicht unter gleichen Verhältnissen. Die zu ihnen ge-
hörigen Höhen sind nicht die gleichen, während cs hier doch darauf ankommt, das
Verhältnis der Strecken zu ermitteln, die zu gleichen Höhen führen. Man mufste
also die Becken vervollständigen und annehmen, dafs dieselben insofern regelmäßig
seien, als die Schwelle wieder den Wasserspiegel bzw. die Höhe der voran-
gegangenen oder folgenden Schwelle erreiche. Es ergiebt sich aber, dafs eine
derartige schematische Vervollständigung, wie sie in der Abbild. 3 angegeben ist, un-
Abbild. 3.
nötig ist. Die zu bestimmende Größe ist — -- — -. Es ist identisch:
a, -F d
fl, : a, + rf — . - 1 oder nach der Figur ctg a, : ctg a„.
n} A,
Da die Kotangenten die reziproken Werte der Tangenten sind, so verhält sich
«i : öj •+■ d = tg at : tga,. Es bedarf also nur einer Vergleichung der Tangenten
der bekannten Neigungswinkel.
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Die Fjordbildungen.
225
Fjordgebiete hat nun zu einigen Ergebnissen geführt, die wohl hervor-
hebenswert sind.
Länge und Breite der Fjorde stehen in keinem Abhängigkeits-
verhältnis. Viele der langen Fjorde sind aufserordentlich schmal,
während dagegen manche kleine Buchten sich durch auffallende Breite
auszeichnen. Auch über das Verhältnis von Länge und Tiefe ist wenig
zu sagen. In der Regel sind die längsten Fjorde auch die tiefsten
(Sogne-Ardals- Fjord r87 km 1242 m; Hardanger-Fjord 156 km 800 m;
Nord-Fjord 120km 564m; Knight Inlet 114km 231m). Ein regel-
mäfsiges Zunehmen der Tiefe mit der Länge ist aber keineswegs zu
beobachten. Im Gegenteil sind sogar innerhalb einer Gruppe von
Fjorden oft kleinere Fjorde tiefer als die gröfseren. So ist z. B. der
der Gröfee nach neunte Fjord Neu-Seelands, der Milford -Sund, mit
392 m einer der tiefsten. Ebenso ist ein Zusammenhang zwischen Breite
und Tiefe, was die Fjorde als Ganzes anbelangt, nicht nachzuweisen.
Betrachtet man jedoch die Fjordbucht in ihren einzelnen Teilen, so läfst
sich als Regel hinstellen, dafs die Verbreiterungen des Fjordthals
seichter sind als die Verengungen desselben. Besonders deutlich tritt
dies hervor, wenn eine gröfsere Felseninsel das Fjordthal teilt. Im
Howe -Sund liegt die gröfsere Anvil -Island. Vor ihr verbreitert sich
der bis dahin 3,5 km breite Fjord auf 7,6 km, während in den durch
die Insel gebildeten Engen die Breite nur 1,7 km beträgt. In der Er-
weiterung ist der Fjord 174 m, in den Verengungen 234 und 212 m
tief. Diese Beobachtung trifft aber nur dann zu, wenn man die Fjorde
als Schluchten von einer Thalwand hinüber zur anderen betrachtet.
Fafst man hingegen den Fjord als Wasserstrafse auf und betrachtet
seine Formen auf Karten, die, wie die unseren, nicht den Verlauf der
steilwandigen Thalabhänge, sondern nur den Zug der mit Wasser be-
deckten Thalbodenteile geben, so kommt man zu einer genau entgegen-
gesetzten Beobachtung. Die Verbreiterungen der Wasserstrafse sind
stets tief, die Verengungen stets seicht.
Mündet ein Seitenarm in den Hauptfjord, so entsteht dadurch in
der Regel eine seeartige Erweiterung der Wasserstrafse. Stets nehmen
dann die Tiefen des Haupt-Fjordes zu. Die Vereinigung des Lyster-
und Aardals-Fjordes erhöht das Mafs der Tiefe des Sogne-Fjordes von
641 m auf 929 m, also um 288 m. Die Mündung des Aurland-Fjordes
führt eine Vertiefung von 49 m, die des Sogndal-Fjordes eine solche
von 56 m, die des Fjaerland-Fjordes eine gleiche von 131 m herbei.
Nach Aufnahme aller oberen Seitenarme behält der Sogne-Fjord auf
eine Erstreckung von 58 km die aufserordentlich grofse Tiefe von Uber
1220 m bei.
Der Sogndals-Fjord sinkt erst nach der Einmündung des Baches
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•226
P. Dinse:
des eigentlichen Sogndals auf 280 m hinab. Im Hardanger Fjord ist
gerade vor der Einmündung des Fjordes von Odde eine lokale Ein-
senkung von 66 m zu bemerken.
Der Nord-Fjord erhält erst nach der Vereinigung des Ejds-Fjordes
mit dem bisher verschieden benannten südlichen Hauptarm die Tiefe
von 564* ni. Im Varanger-Fjord findet sich die gröfste Tiefe auch an
der Stelle, wo er an der Südseite einige Seitenarme aussendet.
Der Breaksea-Sund in Neil-Seeland erreicht erst nach der Vereini-
gung des Vancouver- und Broughton-Armes die Tiefe von 520 m.
Man könnte Beispiele für diese Erscheinung aufserordentlich häufen.
Zum Beweis der Thatsache, dafs Verengungen der Wasserstrafse in der
Regel seicht sind, möchte ich auf die beigegebenen Kartenskizzen (Tafel
4 u. 5) verweisen. Sowohl im Loch Hourn, wie im Loch Creran und
Loch Etive sind die schmälsten Stellen des Fjord fahrwassers auch
die flachsten. Da das Eingehen auf die Theorie hier vermieden bleiben
soll, so mufs die Erklärung dieser Thatsache späterer Erörterung Vor-
behalten sein.
ln scharfen Biegungen des Fjordthaies finden sich die tiefsten
Stellen meist am schwächer gekrümmten Ufer.
Die tabellarische Zusammenstellung zeigt aufs deutlichste, dafs nur
eine geringe Minderzahl von Fjorden einheitliche regelmäfsige Becken-
form haben. Bei sehr vielen von ihnen würde eine bessere Auslotung
ebenfalls noch kleinere Teilbecken unterscheiden lassen. Die meisten
Fjorde bestehen aus mehreren sekundären Becken, die durch Er-
hebungen von einander getrennt sind. Bei einzelnen Buchten war es
sogar nicht einmal möglich, ein Becken I. Ordnung ohne Willkür
hervorzuheben; diese bestehen aus einer Kette nahezu gleich tiefer
Einsenkungen.
Die Schwellen eines Fjordes zeigen nichts Gesetzmäfsiges. Es
giebt Fjorde, in denen die Schwellentiefe gegen den Ausgang hin
zunimmt, in anderen liegen die inneren Schwellen tiefer unter dem
Meeresspiegel als die Eingangsschwelle der Bucht. Auch die Becken-
tiefen eines Fjordes sind meist sehr verschieden; eine Abnahme nach
aufsen ist häufig, aber nicht die Regel.
Was nun die Neigungswinkel anbelangt, so leuchtet ein, dafs die-
selben bei den gröfseren Becken, soweit sie thatsächlich einheitlich
sind, äufserst gering sind. Die gröfseren Fjorde sind durchweg sehr
flache Einsenkungen. Es ist besonders hervorzuheben, dafs selbst im
Sogne-Fjord trotz der grofsen Tiefe von 1242 m der Neigungswinkel
des Beckenabstiegs nur o° 39', des Anstiegs 1° 2' beträgt. In der Regel
halten sich die Werte für ersteren in den Grenzen von o° 30' bis i°3o’,
für letzteren in denen von i° 30' bis 20 30'. So starke Neigungen, wie
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Die Fjordbildunpen.
227
wir sie beispielsweise im Caswell-Sund (70 7') und im Nancy -Sund
(63 54r) finden, sind Seltenheiten. Die Neigungswinkel der kleineren
Teilbecken sind dagegen häufig bedeutend gröfser. Winkel von 3 bis 6°
kommen mehrfach vor, ja in einem irischen Lough, dem Sligo Harbour,
wird sogar ein Maximum von 35 0 24' für den Abstieg erreicht. Die
stärksten Neigungen weisen meist die kleinen im äufsersten Hintergrund
der Fjorde liegenden Becken auf.
Die Vergleichung der Winkelwerte lehrt, dafs meist die Abstiegs-
winkel kleiner sind als die Anstiegswinkel. Zu dem gleichen Ergebnis
führt die Vergleichung der Abstiegs- und Anstiegslängen. Eine Gesetz-
mäfsigkeit der Form der Fjordbecken ist allerdings nicht festzustellen.
In 163 von den 208 Beispielen unserer Tabelle liegt die gröfste Tiefe
dem Fjordausgang oder der das Becken abschliefsenden Boden-
anschwellung näher als dem inneren Fjord- bzw. Beckenanfang. In
den übrigen 45 Fällen ist das Gegenteil zu beobachten, und es finden
sich sogar einzelne Beispiele sehr schnellen Abstiegs und langsamen
Aufstiegs (Doubtful-Sund, Call Creek, Loch Torridon, Sligo Harbour).
Die Zusammenstellung der Tiefen der Eingangsschwellen zeigt eine
sehr bedeutende Verschiedenheit. Selbst in eng begrenzten Teilen
eines Fjordgebietes ist eine Übereinstimmung der Eingangstiefen be-
nachbarter Fjorde nicht zu bemerken. Wenn hier die Bezeichnung
Eingangsschwelle übernommen ist, so soll damit keineswegs gesagt
w'erden, dafs die angeführten Erhebungen stets genau im Eingang der
F'jordbucht liegen. Häufig liegen dieselben vielmehr im Inneren der-
selben, während im Eingang eine Vertiefung zu finden ist. Falls die
angegebene Zahl nicht die Tiefe des Vormeeres anzeigt, was in der
Regel zutrifft, bezeichnet sie nur die dem offenen Meer nächste Er-
hebung des Fjordbodens. Aus den Angaben der Entfernungen ist in
jedem Fall die Lage derselben im Fjord und vor demselben leicht zu
berechnen.
Auf die Frage, woraus diese überall nachzuweisenden Erhebungen
in den Fjordbecken, die Schwellen am Eingang der Fjordeinschnitte
bestehen, näher einzugehen, ist an dieser Stelle unangebracht. Es
wäre dabei ein Eingehen auf die Theorien unabweisbar. Erwähnt aber
mag auch hier schon werden, dafs, soweit Beobachtungen angestellt
worden sind , Aufsen- und Binnenschwellen aus anstehendem Gestein
bestehend gefunden sind.
Die früher geschilderte Steilheit der Fjordwände über dem W'asser
setzt sich auch unter dem Wasserspiegel fort. Vibe fand beim Angeln
40 — 50 m vom Ufer mit einer Leine von 150 m keinen Grund mehr1);
*) Vibe a. a. O. S. 9 Am. 1.
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P. Dinse:
es weist dies auf einen Böschungswinkel von ungefähr 720 hin. Im
Franz Josefs-Fjord konnte die „Germania“ dicht am Land mit über
180 m keinen Ankergrund finden1). Vogt erzählte von seiner Nord-
landsfahrt, dafs nach Einlaufen in den Fjord von Bergen das Schiff
so dicht an das Ufer heranfahren konnte, dafs die Reisenden vom
Bordrand an das felsige Gestade zu springen vermochten*), und Dana5)
berichtet von Kolumbia, dafs ein in den Fjord einsegelndes Schiff
eher mit den Raen den Pallisadcnwall der F'ichten als mit dem Kiel
den Boden berühre.
Genauere Querschnitte von Fjorden zu zeichnen, ist überall da
unmöglich, wo wir nur eine Tiefenzah! in der Mitte des Fjordes be-
sitzen. Profile würden in diesem Fall nur insofern Wert haben, als
sie das Verhältnis der überragenden Höhen zu der Fjordtiefe versinn-
bildlichten. Doch möge immerhin bemerkt werden , dafs die mittlere
Neigung der untermeerischen F'jordwände im Lyse-Fjord bei 428 m
Tiefe 37!°, im Hardanger-Fjord bei 800 m etwas über 25“, im Sogne-
Fjord an der tiefsten Stelle auf der Nordseite 28! °, auf der Südseite
fast 340 beträgt.
Wo die Seekarten jedoch eine Reihe von Lotungen quer über den
Fjord aufweisen, ist es leicht, auch gute Querschnitte herzustellen. Auf
Tafel 6 sind einige solcher nach guten Lotungen gezeichneten Quer-
schnitte zusammengestellt. Alle diese Beispiele vom George -Sund,
vom Loch Hourn, vom Nord-Fjord und die nach Jensen’s Lotungen
gezeichneten Querprofile durch den Fiske- und Sermilik-Fjord*) ebenso
wie unsere genauen Tiefenkarten auf Tafel 4 und 5 bestätigen eine
Trogform der Fjorde im Querschnitt. Die Wände fallen steil zur
Tiefe ein, aber der eigentliche Fjordboden ist nur wenig geneigt und
eben'’). Die einfache Trogform ist die Regel; nicht selten weist aber
auch der Querschnitt gewisse Unregelmäfsigkeiten auf. Zuweilen
scheidet ein untermeerischer Rücken den Fjord in zwei parallele
Rinnen. Ragt dieser Rücken aus dem Wasser heraus, so entstehen
die Inselreihen, die so häufig das Fjordfahrwasser teilen.
*) Die zweite deutsche Nordpolarfahrt II, S. 665.
2) C. Vo gt , Nordfahrt S. 19.
s) Dana, American Journal of Science Ser. II 7, 1849, S. 379.
4) Meddelelser om Grönland I, S. 31 und 33.
5) Vgl. auch das Blatt: Profiler til Fiskekartet over Vestfjorden. 1869. —
Auch bei den Querschnitten entstellt die leider nötig gewesene (fünffache) Über-
höhung das Bild und erweckt übertriebene Vorstellungen von der Steilheit der
Seitenwände. Aus diesem Grunde sind bei den drei Profilen vom Nord-Fjord in
die überhöhte Zeichnung die wahren Neigungswinkel eingetragen worden.
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Die Fjordbildnngen.
229
Bei den acht Profilen der grönländischen Fjorde (Tafel 6, Abb. 4
und 5) verdient besonders hervorgehoben zu werden, wie verschieden
die Formen des Fjordes im Querschnitt an nahe aneinander liegenden
Uferpunkten sein können.
4. Die über- und untermeerischen Fortsetzungen
der F'jorde.
Die meisten Fjorde werden in ihrem inneren Ende von tlber-
meerischen Gebirgsthälern fortgesetzt, die gewöhnlich mit ziemlicher
Steilheit sich in die höheren Gebirgsteile erheben. Diese Thäler
stimmen in allen Einzelheiten ihrer Formen mit denen der sich an sie
anschliefsenden meererfiillten Fjordbuchten überein. Einmal finden
wir in ihnen dieselben steilen Abhänge; nur wird häufig der Übergang
von den steilwandigen Felsabstürzen zu der flachen Sohle des Thaies
durch Schuttkegel gemildert. Am auffälligsten ist die Übereinstimmung
im Längsschnitt. In den meisten F'ällen erhebt sich der Thalboden
vom Ende des Fjordes ab in mehreren Terrassen. Diese Thalstufen
sind aber nicht wie in unseren Alpenthälern flach sich ausbreitende
Thalböden, sondern in der Regel liegen in allen Thälern, wie Perlen
aneinander gereiht, langgestreckte Binnenseen, die wie die F'jorde die
ganze Breite und häufig auch die ganze Länge des Thaies ausfüilen,
so dafs es keinen eigentlichen F'lufs, sondern nur eine Reihe von Seen
mit dazwischen liegenden Kaskaden und Stromschnellen giebt. Zu-
weilen findet man diese Seen hinter einem Wall von Geschiebemassen,
hinter einer Moräne. In diesem F'all erhebt sich dann der Thalboden
in der Gestalt mehrerer niedriger Stufen zur Höhe der Moräne, und
man hat dann von dieser zu dem tiefer liegenden Seespiegel hinabzu-
steigen. Weitaus häufiger jedoch liegen die Seen nur hinter einer
Flrhebung des festen Thalgrundes, welche die Höhe der folgenden
Thalterrasse bestimmt. Viele dieser Seen sind durch bedeutende Tiefen
ausgezeichnet und reichen oft Hunderte von Metern unter den Fjord-
spiegel. Der Hornindalenvand in der Verlängerung des Ejds-Fjordes
erreicht eine Tiefe von 486 m; da er 54 m Uber dem Meer liegt, so
geht er bis in eine Tiefe von 432 m unter das Meeresniveau hinab.
Ähnliche Tiefen weisen der Bredeinsvand, der Aardalsvand und
andere auf1).
Legt man nun einen Längsschnitt durch ein solches Thal, so
wiederholt das Profil genau die in den Fjordprofilen beobachtete Form.
Den Binnenbecken der Fjorde entsprechen die Einsenkungen der Seen,
den Schwellen die absperrenden Thalriegel oder die aufstauenden
') A. Heiland, On the Ijords, lakes and cirques in Norway and Greenland.
Quart. Journ. of the Geolog. Soc., Vol. 33, S. 169.
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230
P. Dinse:
Moränenwälle. Solche Thäler sind eben Fjordthäler, die Seen land-
einwärts gerückte Fjorde. Man könnte sie als eine dritte Gruppe, als
beiderseitig geschlossene Fjorde, den beiden anderen zur Seite stellen.
Die Erforschung der Fjordseen ist zur Zeit noch so wenig weit
vorgeschritten, dafs ein Studium der Formen derselben noch aus-
geschlossen bleibt. Nur in Schottland hat die Landesaufnahme auch
zur Auslotung von Binnenseen in der Fjordregion geführt. Hier hat
sich nun ein weiteres Moment der Ähnlichkeit zwischen Fjorden und
Fjordseen ergeben. Auch die Seen, als Becken I. Ordnung, werden
durch aufsteigende Schwellen in mehrere untergeordnete Becken ge-
teilt. ln Perthshire liegen im Flufsgebiet des Tay und Earn vier Seen,
die I.ochs Rannoch, Thtimmel, Tay und Earn1). Finden wir sie auch
nicht in den Thalfortsetzungen westlicher Saltwaterlochs, so entsprechen
sie doch ganz den Fjordseen auf der Westseite. Sie sind ebenso
schmal wie diese, o, 8—1,2 m breit, von steilen Wänden umgeben und
von bedeutender Tiefe. Der Loch Rannoch ist 128 m, der Loch Tay
156 m, der Loch Earn 88 m tief; Loch Tay reicht 50 m unter den
Meeresspiegel hinab. Im Loch Rannoch verhält sich der westliche Abstieg
zum östlichen Anstieg w’ie 10,3 147,4, im Loch Tay wie 10,4:17,3. Im
Loch Rannoch unterbricht den sehr sanften Anstieg nach Westen eine
Schwelle von 10 m Tiefe und sondert so ein kleines Becken von 25 m
Tiefe gerade vor der Mündung des Ericht ab. Im Loch Tay liegt
eine Erhebung von 82 m unter dem Seespiegel zwischen zwei Einsen-
kungen von 156 und 92 m Tiefe. Der Loch Thummel endlich zerfallt
durch zwei Schwellen von 15 und 16 m Tiefe in drei Becken von 38,
36 und 30 m unter dem Seespiegel.
In dem westlichen Fjordgebiet entspricht der Loch Awe auch in
seiner Richtung den Ktistenfjorden. In seinem östlichen Teil, also von
der Einmündung des Urchay River bis zur Ecke Innis Chonain und
dann nordwestlich bis zur Mitte des engen Brander-Passes, stellt der
See ein Becken von 55 — 71 m Tiefe dar. Dann erhebt sich eine Schwelle
auf 16 m Tiefe, aber kurz darauf sinkt der Boden wieder auf 38 m,
gerade dort, wo der Abflufs des Lochan an Cuaig in die enge Wasser-
strafse einmündet. Der Awe-Flufs stürzt dann in Fällen zum Loch
Etive hinab. Eine inselbesetzte Schwelle, die an den drei tiefsten
Punkten 7, 29 und 31 m tief ist, trennt von diesem östlichen Teil den
westlichen Arm des Sees. In ihm kann man drei Becken von 49,
62 und 93 m hinter Schwellen von 27 m unter dem Spiegel des Lochs
unterscheiden.
*) J. S G. Wilson, A bathymetrical survey of the chief Perthshire lochs,
Scot. Geogr. Mag. 1888, S. 151(1.
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Die l'jordbildungen.
231
Die Seen in der Fortsetzung der Fjorde sind für diese insofern
von Wichtigkeit, als durch sie die Ausfüllung der Fjorde mit den
Sedimentmassen der Flüsse für die nächste Zukunft verhindert wird.
Die Fjordseen sind die Klärungsbassins der Gebirgsgewässer; in ihnen
lagern Bäche und Flüsse ihre Schwemmstoffe ab, so dafs sie dann in
den Fjord selbst völlig rein einmünden. Alle Fjorde, die des Schutzes
eines Binnensees stets entbehrt haben, oder deren Schutzseen im Lauf
der Jahrtausende zu Mooren umgewandelt sind, sind in ihren innersten
Teilen flach, versandet und sumpfig und gehen dadurch der Ausfüllung
entgegen. Die nördlichen Fjorde Schottlands, die irischen I.oughs, die
Fjorde von Maine verdanken diesem Umstand ihre geringe Tiefe. Wie
schnell der Versandungsprozefs vor sich gehen kann, zeigt in letzterem
Gebiet ein Vergleich älterer und neuerer Karten1). So wies im Jahr
1862 der Fjord Robin Hood Cove mehrere 48 m tiefe Becken auf,
heute ist er bis auf 1 — 2 m versandet. Die Becken in der Fjordstrafsc
Rack River zeigen heute 2— 4 m Tiefe, wo 1862 Einsenkungen von 45
bis 60 m lagen. Der irische Sligo Harbour, den wir schon mehrfach
erwähnten, ist eins der besten Beispiele für einen dem Untergang ent-
gegengehenden Fjord. Er war einst ein typischer, über 1 1 km langer,
0,5 — 2,5 km breiter Fjord, der sehr bedeutende Tiefen aufwies. Heute
ist er so versandet, dafs aufser einer schmalen, zwischen 7 und 42 m
Tiefe wechselnden Rinne die ganze Bucht bei Niedrigwasser H — 2 m
über dem Meeresniveau liegt. Im Eingang bei der Oester- Insel er-
innert nur noch die Einsenkung von 143 m an die einstigen grofsen
Tiefen. Ist die Eingangsschwelle eines Fjordes sehr seicht , so
kann bei geringer Gezeitenwirkung durch Aufhäufung von losem
Material der ganze Fjord abgeschnürt und zu einem Freshwaterloch
werden.
Trotz schützender Fjordsecn kann die Ausfüllung dennoch vor
sich gehen, wenn der Flufs, nachdem er den See verlassen, Gelegen-
heit findet, neue Sedimentmassen aufzunehmen. Der innerste Teil des
Fjordes von Odde ist von sehr geringer Tiefe, weil der Abflufs des
Sandvenvand stetig Teile der den See aufstauenden Moräne, über die
er in ansehnlichen Fällen hinströmt, in dem Sör-Fjord ablagert. Der
Schlamm, der den Pudde-Fjord fast erfüllt, ist die Ablagerung der
Produkte, die aus der Stadt Bergen stammen. Mündet nun gar ein
Gletscherabflufs oder ein Gletscher selbst in einen Fjord, so schreitet
die Ausfüllung aufserordentlich schnell vor. Brown berichtet aus
Grönland , dafs die Gletscher so enorme Massen von feinem Material
in die Fjorde senden, dafs auf weite Strecken hin das Wasser der
*) Remmers a. a. O. S. 31.
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232
P. Dinse:
Fjorde milchweifs gefärbt ist1). Vor dem Frederikshaab Isblink lagert
eine breite Zone feiner lehmiger Anschwemmungen8). Der innerste Teil
des Ameralik-Fjordes ist auf fast 8 km von Schlammmassen derart an-
gefüllt, dafs selbst das Fahren eines leichten Bootes unmöglich ist.
Nansen erzählt, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden gewesen
sei, durch den zähen Lehm der Fjordbucht zu stampfen und das
„halbe Boot" bis an das tiefere Fjordwasser zu ziehen3).
Den Fjorden ist nur eine vergängliche Existenz beschieden; wenn
einst die Seenketten der Fjordthäler verschwunden sind, wird allen
Fjorden die Vernichtung drohen.
Eine andere für das Fjordphänomen besonders wichtige Erscheinung,
auf die bisher noch viel zu wenig, eigentlich nur von Heiland4), ge-
achtet wurde, ist die Thatsache, dafs einige der Fjorde, vielleicht
auch alle, auch zum umgebenden Meer hin über die jetzige Küsten-
linie hinaus, deutlich erkennbare Fortsetzungen haben. Die interessante
Karte in Geikie’s „The Great Ice Age“, welche Schottland bei einem
183 m niedrigeren Meeresstand darstellt, läfst deutlich erkennen, wie
einzelne Fjorde sich nicht nur in den Sunden zwischen den grofsen
Inseln, sondern auch noch über diese hinaus in dem Gebiet der
Flachsee fortsetzen. So geht z. B. das Loch Houm in den tiefen Sleat-
Sund über, und eine Rinne mit wechselnden Tiefen ist in dessen
Fortsetzung bis dicht an den Absturz des zoo m-Plateaus zu verfolgen,
wo sich in einem breiten Becken die unterseeische Rinne des Minch-
Kanals und des Sleat-Sundes vereinigen. Auch aus dem Loch Sunart
heraus läuft eine unterseeische Rinne an der Ostseite von Coli und
Tirce entlang.
Am deutlichsten tritt diese Erscheinung an der skandinavischen
Fjordküste hervor. Genaue Aufnahmen5), die man im Interesse der
Fischerei in dem Teil zwischen dem Ausgang des Nord-Fjordes und
dem Lofoten-Fjord vorgenommen hat, haben den Erweis gebracht, dafs
von einer zusammenhängenden Küstenbank nicht die Rede sein kann,
dafs vielmehr das ganze an Breite nach Norden zunehmende Plateau
durch einzelne tiefere Rinnen in Teile zerlegt ist. Diese Rinnen ent-
sprechen ganz genau den Fjorden des Küstenlandes. Aus dem Nord-
Fjord hinaus führt ein solches untermeerisches Thal an der Westküste
') Peterm. Geogr. Mittigen. 1871, S. 383.
- ] Meddelelser om Grönland I, Kaart C.
3) Nansen a. a. O. II, S. 186—188.
4) Heliand, Quart. Journ. of thc Geol. Soc., Vol. 33., S. 175.
5) Karter over havbankernc längs den Norskc kyst, fra Stadt til Stnölcn
1873; fra Stadt til Harö 1870.
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Die Fjordbildungen.
233
von Vaagsö vorbei erst nach N und dann nach W hinaus in die See.
Dem Fjord von Aalesund entsprecht die Bredsund-Tiefe, die aus dem
Vanelvs-Fjord und dem Sildegabbet Zuflüsse erhält, dem Romsdals-Fjord
die Rinne, die zum fischreichen Storeggen führt. Der Tronthjem-Fjord
biegt nach seiner Mündung nach Nordosten um und setzt sich in
tiefem ununterbrochenen Zug in dieser Richtung fort, bis er in ein
nach W führendes Thal ausläuft. Ähnliche Fortsetzungen hat der Folden-
Fjord, der Bindals-Fjord , der Rauen-Fjord, und auch der Vest-Fjord
läfst eine tiefeRinne in der Verlängerung des Lofoten-Fjordes erkennen1 * * *).
Derart treffliche Beispiele, wie aus Norwegen, lassen sich aus anderen
Fjordgebieten zur Zeit noch nicht anfUhren. Es ist aber zu vermuten,
dafs bessere und vermehrte Tötungen in den Vonneeren überall die
Verbindung der schon heut bekannten tieferen Stellen zu Rinnen er-
möglichen werden.
Auch die untermeerischen Fjordrinnen wiederholen im Quer- und
I.ängsschnitt die Formen der Fjorde und der überseeischen Thäler.
Als steilwandige, aber flachbodige Risse zerfallen auch sie durch Er-
hebungen in einzelne untermeerische Seebecken. In der Bredsund-
Tiefe wechseln Tiefen von 293 und 303 m mit Erhebungen von nur
180 m, und in dem unterseeischen Trondhjem-Fjord stehen Erhebungen
von 200 m im Gegensatz zu Becken von 305 und 444 m Tiefe.
Einige Eigentümlichkeiten des Fjordwassers, die auffallende Atts-
süfsung der Oberflächenschicht der ruhigen Fjordgewässer durch die
Mengen des sommerlichen Schmelzwassers und die Stetigkeit der hohen
Tiefentemperatur, mögen hier nur erwähnt werden. Wie Vogt*) für
ersteres, so hat Mohn5) für die letztere Thatsache die Erklärung durch
den Hinweis auf die Besonderheiten der Fjordformen gegeben.
5. Allgemeine Ergebnisse.
Somit sind wir mit der zum Zweck der Bestimmung des Inhaltes
des Fjordbegriffes angestellten Betrachtung der eigentlichen Fjord-
formen am Ende. Die allgemeinen Ergebnisse sind in kurzem folgende:
1. Es ist zu unterscheiden zwischen Fjordbuchten oder eigent-
lichen Fjorden, Fjordstrafsen oder Sunden, und Fjordseen.
2. F'jordbuchten sind Meeresarme, die senkrecht oder unter
steilen Winkeln zur Küste in das Land hineinschneiden und
1 ) Fiskekart over den indre del of Vcslfjordcn i Lofoten. Krist. r 869.
1 : 100000. 4 Blatt.
*) Vogt a. a. O. S. 78—79.
*) Mohn, Peterm. Geogr. Mittigen. 1880, Erg.-Heft 63, S. 15.
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234
P. Dinse:
sich dort meist verästeln. Sunde sind durch Konvergenz von
Fjordbuchten oder durch die Verbindung von Fjordbuchten
mit einer der Küste parallelen Rinne gebildete beiderseitig
offene Wasserstrafsen ; Fjordseen sind beiderseitig geschlossene
Binnenfjorde.
3. Fjorde treten stets gesellig auf.
4. Die Gesamtheit der Oberflächenformen eines P'jordgebietes ist
durch Parallelität der Filemente der Küstenzone einheitlich
verbunden.
5. Fjorde sind von geringer, auf längere Erstreckungen hin
gleichbleibender Breite. Die Länge übertrifll die Breite stets
um ein Vielfaches.
6. Das Mafs der Ausbildung des Fjordphänomens ist von der
mehr oder minder grofsen Erhebung des Landes abhängig.
7. Sundbildung und Inselabschnürung finden sich besonders aus-
gebildet an flachen Küstenteilen.
8. Die Wände der Fjorde über und unter dem Wasserspiegel
sind steil. Der Querschnitt zeigt eine Trogform mit steilem
Abfall und flachem Boden.
9. Durch den Gegensatz der Fjordtiefen und des flachen Vor-
meeres stellen die Fjorde geschlossene Becken dar. Soweit
diese Becken einheitlich sind (Becken erster Ordnung),
sind sie stets sehr schwach geneigt.
10. Die meisten Fjordbecken werden durch höher aufsteigende
Schwellen in Binnenbecken geteilt. Diese Becken zweiter
Ordnung sind in der Regel stärker geneigt.
11. Eine Regelmäfsigkeit der Form dieser Becken ist nicht nach-
weisbar.
12. Die Fortsetzungen der Fjorde, iibermeerisch in Fjordthälern,
untermeerisch in Fjordrinnen, stimmen in allem mit den
Formen der Fjorde überein.
Als Definition des Begriffes „Fjord“ ergiebt sich demnach :
F’jorde sind in der Regel gewundene, steile und tiefe
Buchten und Meeresstrafsen an gebirgigen Festlands-
oder Inselküsten, die im Querschnitt eine Trogform,
im Längsschnitt ein zwischen sanften Wölbungen und
seichten Mulden unruhig wechselndes Bodenrelief auf-
weisen. Die durch F’jordbildungen ausgezeichneten Küsten sind
durch die stets in grofser Anzahl auftretenden Buchten und
Strafsen sehr zerrissen und inselreich.
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Die Fjordbildunjjen.
235
6. Die fjordartigen Küstenbildungen. Die geographische
Verbreitung der Fjorde.
Nach den vorangegangenen Betrachtungen wird es verständlich
sein, dafs wir die Thatsache des unruhig wechselnden Bodenreliefs für
das wichtigste Kriterium der Zugehörigkeit zum Fjordtypus halten.
Nur solche Buchten und Strafsen sind als F'jorde zu bezeichnen, die
durch mehr oder minder auffallende Verschiedenheiten der Tiefen, im
Innern und vor dem Ringangc, die Form eines einfachen oder kom-
plizierteren unterseeischen Beckens zeigen. Vorausgesetzt ist hierbei
natürlich, dafs diese F'ormcn unverhüllt geblieben sind. Haben Flufs-
und Meeressedimente die Tiefenunterschiede verwischt, so ist die Ent-
scheidung bedeutend schwieriger und nur im Zusammenhänge mit der
aus anderen Thatsachen als allein der Gestalt der Buchten zu ent-
nehmenden Geschichte des Küstenlandes zu treffen.
Wir haben ferner feststellen können, dafs das allgemeine Bild einer
fjordzerrissenen Küstenzone in einer gewissen Abhängigkeit von dem
Mafs der Erhebung der Küstenlandschaft über dem Meeresspiegel zu
stehen scheint Es liefe sich bemerken, dafs in flacheren Gebieten die
eigentliche Fjordbuchtenbildung seltener und weniger scharf ausgeprägt
auftritt, dafs diese KUstenstrecken insei und sundreicher sind.
Besonders deutlich trat dies in dem Fjordgebiet des amerikanischen
Staates Maine hervor. In jeder Beziehung bildeten die dortigen For-
men der Küstenzone eine Ausnahme. Ein flachwelliges Hügelland statt
des schroffen Berglandes der anderen Fjordregionen, mäfsige Ufer-
abhänge anstatt der Steilabstürze der typischen Fjorduferwände, geringe
Tiefen an Stelle der gewaltigen Einsenkungen der übrigen Fjorde; in den
typischen Fjordgebieten eine scharfe Individualisierung der Küsten-
einschnitte, hier eine scheinbar verwirrende Regellosigkeit der Wasser-
verbindungen, dort eine Beeinflussung der Richtungen durch die Lage
und das Streichen der Bergzüge, hier die auffallende Verknüpfung aller
Einzelheiten durch einen ausgeprägten, weit verbreiteten Parallelismus
der Küstenelemente.
Dennoch haben wir dies Gebiet zu den Fjordregionen gezählt, weil
es bisher so üblich war; es geschieht dies aber im Grunde zu Unrecht.
Es wäre richtiger, in den Erscheinungsformen des Fjordgebiets von
Maine das erste Glied einer Kette von Abstufungen zu erkennen, die
von den Formen der typisch ausgebildeten Fjorde zu denen des schwe-
dischen Fjärdtypus, des cimbrischenFöhrdentypus, des finnischen Schären-
typus hinüberführt. Es sind kaum bemerkbare Abstufungen , die zu
erkennen nur auf Grund einer Überzeugung möglich ist, die man sich
durch Anschauung, und sei es auch nur* durch die guter Karten, gc-
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236
P. Di n sc:
wonnen hat, die aber nicht leicht in Worte zu kleiden ist. Allen diesen
Küstenbildungen ist ein bestimmter Grad der Verwandtschaft mit den
Fjordbildungen nicht abzuerkennen. Was sie alle verbindet, ist die
Form der Einschnitte oder Strafsen und der Wechsel des untermeeri-
schen Reliefs im Bereich der Küstenzone; was sie trennt, ist der all-
gemeine Charakter der KUstenlandschaft.
Ich möchte den Versuch wagen, die erwähnten Küstentypen von
dem eigentlichen Typus der Fjordküste zu trennen, ohne aber diese Tren-
nung allzu stark zu betonen. Eine Gegenüberstellung verbietet
durchaus die später noch hervorzuhebende Analogie der Entwicklungs-
geschichte dieser Küstenformen. Es wird aber vielleicht zu rechtfertigen
sein, dafs ich die Gesamtheit dieser Bildungen als Sippe der fjord-
artigen KUstenbildungen derjenigen der Fjorde an die Seite
stelle.
Es kann natürlich nicht unsere Aufgabe sein, die Einzelheiten
dieser Bildungen in der gleichen Weise zu schildern, wie dies bei den
Fjorden geschehen ist. Es kommt hier nur darauf an, das Überein-
stimmende und das Trennende so deutlich wie möglich hervorzuheben,
um die Grenzen der Fjordverbreitung und damit den Umfang des
Fjordbegriffs genau feststellen zu können.
Auf die gleiche Stufe wie die Küsteneinschnitte von Maine werden
zweifellos die Buchten und Sunde zu setzen sein, die in neuerer Zeit
an den Küsten der nordamerikanischen Binnenseen festgestellt worden
sind. Es war Ratzel1), der zuerst auf die Formen dieser Küsten auf-
merksam machte und die Einschnitte derselben als Fjordbildungen
aufgefafst wissen wollte. In eingehender Besprechung erläuterte
er die Erscheinungen dieser Küsten und suchte durch eine Verglei-
chung mit den Formen der Küste von Maine die Zusammengehörigkeit
beider zu erweisen. Dies letztere ist unzweifelhaft richtig; aber un-
statthaft ist es, die dortigen Küstenbildungen zusammen mit denen von
Maine zum Zweck des Versuches einer Begriffsbestimmung ausschliefs-
lich zu verwerten.
Nur ein Teil der Küsten der sechs amerikanischen grofsen Binnen-
seen kann hier in Betracht kommen. Der Erie-See hat vollständig
ungegliedert verlaufende Küstenumrisse. Auch im Ontario-See finden
sich Einbuchtungen und eine im höchsten Mafse grofsartige Inselauf-
lösung nur in der Nordostecke zwischen der Mündung des Black River
und Presqu’ile Harbour. Der Lorenzo-Ausflufs ist erfüllt von dem
Inselgewirr der Thousand Islands; besonders gut ausgebildete Ein-
schnitte weist die Gegend der Stadt Belleville auf.
1 ) Ratzel, Über Fjordbildungen an Binnenseen. Peterm. Geogr. Mittigen.
t88o, S. 387 f.
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Die Fjordbildungen.
237
lm Huron-See ist die Nord- und Nordostküste der Georgian-Bai
und die beiden Ufer der Kette von Inseln und Halbinseln, welche
diese Bai und den North Channel von dem eigentlichen See scheidet,
durch fjordartige Bildungen ausgezeichnet. Der allgemeine Küsten-
charakter ist in verschiedenen Teilen sehr verschieden. An der Nord-
ostküste der Georgian-Bai von der Matchedash-Bai bis zur Einmün-
dung des French River überwiegen kleine Einschnitte und ein Schären-
garten kleiner \ind kleinster Inseln. Am Nordostufer der westkanadischen
Halbinsel, am Nordufer der Grofsen Manitoulin-Insel finden sich tief
eingreifende Buchten und nur wenige gröfsere Inseln. An der letzteren
zahlt man zwölf grofse Einschnitte, von denen die Honora-Bai und
der Heywood-Sund die gröfsten sind. Ihnen entspricht an dem Süd-
ufer der langgestreckten Insel nur eine, allerdings sehr scharfgeschnittene
Bucht, der Manitoulin-Golf. Die Ost- und Westküste des Huron-Sees
verläuft wieder im ganzen ungegliedert.
Die schmale, inselbesetzte Strafse von Machinac führt uns in den
Michigan-See. Auch in ihm ist nur der nördliche Bogen des Küsten-
umrisses durch einige Einschnitte ausgezeichnet. Am Ostufer sind es
die Green-Bai und die Grand Traverse-Bai, am Westufer die beiden
Halbinseln und die Inselreihe, welche die grofse Green-Bai von dem
See trennen. In dem fünften und nördlichsten See, dem Lake Superior,
kann man an der Nordküste, namentlich in der Umgegend von Port
Arthur, eine grofse Anzahl langer schmaler Buchten erkennen. Beson-
ders zerrissen sind die Küsten der langgestreckten Isle Royale; im
Süden ist die von der Mineral Range gebildete Halbinsel durch die
Keweenaw-Bai und ihre Seitenarme etwas gegliedert.
Fjordartige Küstenbildungen beschränken sich nun keineswegs
auf die Küsten der grofsen Seen. Auch die Uferlinien der mittleren
und kleinen kanadischen Seen sind unregelmäfsig gestaltet, ausge-
buchtet und inselreich. Ratzel erwähnt den George-See im Staat
New York; auch die Ufer des Champlain-Sees, die Seen von Manitoba,
Keewatin, Saskatchewan und Athabasca haben zum Teil ein fjord-
artiges Aussehen.
Ratzel hat deutlich hervorgehoben, wie weit die Fjordähnlichkeit
bei allen diesen Bildungen geht. Er betonte vor allen den ausge-
prägten Parallelismus, sowohl der Gesamtrichtungen, als auch der
Einzelformen, der sich überall bemerkbar mache, die Anordnung der
Inseln in Reihen, die schmale Form der Einschnitte, die Tiefenver-
hältnisse. Über letztere ist bisher noch wenig zu bemerken; doch sei
cs gestattet, zwei Beispiele anzuführen. Der Manitoulin-Golf erreicht
im Innern in sanftem, nur o° 1 6 ' geneigtem Abstieg eine Tiefe von
48 m; darauf erhebt sich der Boden mit einer etwas stärkeren Neigung
ZriUthr. d. GesetUch. f. Erdk. Ild XXIX. IG
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P. Dinsc:
von o“ 18' auf die Tiefe von 7 m und erst 11 km von der Küste ent-
fernt findet man wieder eine Tiefe von 51 m.
Die Grand Traverse-Bai im Michigan-See wird durch eine schmale
Landzunge in den Ostarm und den Westarm geteilt. Im ersteren
fällt der Boden der Bucht nach 22 km mit einer mittleren Neigung o°3o'
auf 189 m, um dann gegen den 31,4 km entfernten Ausgang von 24 m
Tiefe in einem Winkel von o° lj' anzusteigen. Im Westarm entspricht
der Einsenkung von 189 m eine Tiefe von 134 m, der Schwelle von
24 m eine Eingangstiefe von 37 m. Die Neigungswinkel sind hier
0° 23' und 0° 11
Es wäre nun falsch, wollten wir unsern Zweifel an der Berech-
tigung der Gleichstellung dieser Küstenformen mit denen der typischen
Fjordgebiete nur auf die durch obige Zahlen ausgedrückte Unbedeutend-
heit der unterseeischen Bodendifferenzen gründen. Es giebt im Gegen-
teil noch manche Erscheinungen, die eine solche Trennung berechtigt
erscheinen lassen. Zuerst mufs die Form der Buchten auffallen. Scharf
gezackte, gewundene Einschnitte finden sich aufser an der Ostküste der
Georgian-Bai nur an den Nordküsten der Seen. Die Buchten an
den SUdkiisten und an den Nordufern der Inseln haben dagegen die
auffallend sackähnliche Gestalt, welche auch die Seen im ganzen auf-
weisen. Buchten wie die zwölf Einschnitte von Manitoulin, die Grand
Traverse-Bai, die Keweenaw- Bai , der Fond du Lac wiederholen
genau die Form des Michigan- und des Huron- Sees. Der wichtigste
Unterschied sind jedoch die durch die Oberflächenform des ganzen
Landes bedingten, wenig schroffen Formen der Ufer und die geringen
Höhen der Inseln.
Die kleineren Seen der kanadischen Seenplatte und die sechs
grofsen Binnenseen liegen teils auf der archaischen Tafel des kana-
dischen Schildes, teils auf der paläozoischen Umrandung desselben,
und zwar so, dafs der Nordrand der südlichen Seen und der Ostrand
der kleineren westlichen Becken aus archaischen Felsarten besteht,
während die Wasserflächen in der Regel auf dem paläozoischen Gebiet
liegen1). Es ist die arktische Ebene Nord-Amerikas, die im Westen in
allmählichem Anstieg mit der östlichen Abdachung des Felsengebirges
verwächst, im Süden über eine unmerkliche Wasserscheide hinweg in
die grofsere innere Ebene des Missouri-Mississippi-Beckens übergeht,
ein flachwelliges, häufig wasserscheidenloses, mit den Resten eiszeit-
licher Eisbedeckung übersätes Land. Das Ufer der Seen ist steil,
aber selbst im Süden der grofsen Seen übersteigen die Höhen nur
selten 250 — 300 m Der Charakter der niedrigen Tafellandschaft er-
>) Süfs a. a O. II S. 53.
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Die Fjordbildungen.
239
klärt die unausgebildete Form der den Fjorden und Fjordinseln ent-
sprechenden Küstenbildungen.
Die grofee Ähnlichkeit zwischen dem Gebiet des kanadischen
und dem des baltischen Schildes, die zuerst von Ed. Süfs erkannt
und beschrieben worden ist, berechtigt uns, auch im Gebiet des
europäischen Nordens nach Erscheinungen zu suchen, die den in
Amerika aufgefundenen entsprechen. Wir finden verwandte Formen
an den Ufern der grofsen Seen der baltischen Platte, aber auch, etwas
im Gegensatz zu Amerika, in reichstem Mafs an den Küsten des
grofsen Meerbusens, der wie ein gewaltiger See die tiefsten Teile des
grofsen Schildes bedeckt. Es ist ein flaches, kaum welliges, zumeist
aus archaischen Gesteinen bestehendes Schollenland, welches das nor-
wegische Rumpfgebirge mit der russischen Tafel verbindet. Dies ganze
Land ist der Schauplatz der Entwicklung des Fjärd- und Schären-
küstentypus. Sie beginnt an der Ostseite des Kristiania-Fjordes, wird
dann südlich von Gothenburg durch die auch geologisch selbständige
Landschaft Schonen unterbrochen und setzt darauf an der Ostküste
wieder bei Kalmar ein, um nun den ganzen Botnischen Meerbusen
und die Nordseite des Finnischen Meerbusens zu umziehen. Eine
Trennung des Fjärd- und des Schärentypus ist wohl kaum statthaft,
da beide einander zu nahe verwandt sind. Was sie unterscheidet, ist
nur der Grad der Zertrümmerung der Küstenzone. Beim Fjärdtypus
bemerken wir noch das häufigere Vorkommen geschlossener Buchten
und demgemäfs eine geringere Inselabtrennung, an der Schärenküste
ist die vollständige Auflösung in ein Gewirr gröfserer und kleinerer In-
seln, Klippen, Riffe und Untiefen das Charaktergebende, und die
Buchtenbildung tritt wesentlich zurück. Da stets Strecken des Fjärd-
typus mit solchen des Schärentypus abwechseln, an ihren Grenzen ein
Übergang von dem einen zum anderen stattfindet, so ist es auch un-
möglich, das Gebiet beider abzugrenzen. Besonders deutlich ausge-
bildete Fjärde bemerkt man z. B. an der Küstenstrecke zwischen Ratan
und dem Deger-Fjärd, also in der Küstenregion von Umeä, von Hudiks-
vall bis zum Enangersviken, um Söderhamm und bei Osthammar, end-
lich vom Braviken bis Westerwik. Beispiele typischer Schärenküste
sind die Küsten des nördlichsten Teils des Botnischen Busens vom
schwedischen Piteä bis zum finnischen Uleäborg, die Gegend um
Nikolaistad und zuletzt an der südwestlichen Ecke Finlands von Ny-
stad bis Hangö.
Die Fjärde sind schmale, gewundene Meeresstrafsen , die sich
häufig sehr weit in das Innere hinein verzweigen. Wie die Fjorde sind
auch sie meist senkrecht zur Küstenlinie in das Land eingeschnitten.
Der Parallelismus beschränkt sich aber nur auf den allgemeinen Zug
IG*
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P. Dinse:
der Wasserstrafscn. Die Inseln, Riffe und untermeerischen Banke sind
oft in Reihen angeordnet; aber es fehlt gerade das, was bei den
Fjorden, im Küstengebiet von Maine und selbst noch an den Ufern
der amerikanischen Binnenseen diesen Parallelismus so charakteristisch
machte, die Übereinstimmung der Richtungen der Einzelformen. Die
Landzungen, die langgestreckten Inseln mit parallelen Ufern fehlen iin
Fjärdgebiet. In den Fjärden wechseln breite seeartige Erweiterungen
mit den schmälsten Engen; die Inseln haben die unregelmäfsigsten
Formen. Erweckt der Anblick einer Fjordregion den Eindruck, als sei
das ganze Land mit einer Riesenegge bearbeitet worden, so glaubt man
in einem Gebiet der Fjärdküste ein wild und unregelmäfsig zerhacktes
Land zu sehen. In der Regel sind auch die Fjärdbuchtcn im Ein-
gänge schmal und durch vorliegende Inseln gedeckt, doch findet man
auch häufig weitgeöffnete Buchten. Besonders interessant ist der Ver-
gleich zwischen der Nord- und Südküste des Finnischen Busens. An
jener die gezackten Fjärde, wie der Tavast- Fjärd , der Fjärd von
Borgä, Forsby und Lovisa, an dieser die weiten Buchten des Lachepe-,
Papon-, Monk- und Kasper -Vik. Die Bildungen des SUdufcrs er-
innern sehr an die Buchten an den Sudküsten der amerikanischen Seen.
Was nun die Tiefenverhältnisse der F'järd- und Schärenküste an-
belangt, so mufs wenigstens auf Grund des zurZeit noch sehr schlechten
Kartenmaterials zugestanden werden, dafs eine Anzahl von Fjärden sich
in ganz allmählichem Abfall, ohne Tiefenunterschiede, zum Meer
hinabsenken, wie auch in beschränkten Teilen eines Schärenkomplexes
die Tiefen häufig sehr gleichmäfsig bleiben. In wie weit dies die ur-
sprüngliche Form des Meeresgrundes ist, mufs dahingestellt sein; man
mufs auch hier mit der Möglichkeit nachträglicher Sediment-Aufhäufung
rechnen. In anderen Buchten dagegen, zumal wenn dieselben unter
dem Schutz eines Binnensees stehen, bemerkt man den auch bei den
Fjorden hervorgehobenen Zug des häufigen Tiefenwechsels. So zer-
fallen auch die Fjärde häufig in mehrere Teilbecken. Fan Beispiel
bietet die langgestreckte Meeresbucht, die zu der schwedischen Stadt
I’iteä führt. Der innerste Teil derselben, Langnäs- Fjärd genannt, ist
ein breites, mehrere schmale Arme aussendendes Seebecken von 26 m
Tiefe. Eine schmale, zum Teil nur 1,8 m tiefe Strafse führt aus
diesem in den 18 m tiefen Inre Pite- Fjärd, und aus diesem gelangt
man wieder durch die seichte Enge des Djub-Sundes in den tieferen
Ytre Pitre-Fjärd. Der Pit-Sund verbindet diesen mit der 30 — 36 m tiefen
Vorbucht, die selbst gegen den Meerbusen hin langsam zu 15-2501
ansteigt
Im Ängermanna-Fjärd wechseln Einsenkungen von 79, über 85
und 73 m mit Flrhebungen von 15, 30, 1,2 m Tiefe ab.
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Die Fjordbildniißen.
241
Oie engen Stellen sind in fast allen Fjärden die flachen
Schwellen, während die seeartigen Erweiterungen stets auch tiefere
Becken sind. Bedeutend sind die Tiefen dieser Fjärdbecken eigentlich
nie; unter die Tiefe des botnischen Busens scheint keine der schwe-
dischen oder finnischen Buchten hinabzusinken.
Wenn wir mithin in Fjärden und Schären die Erscheinungen
zu sehen haben, die an wenig erhobenen, flachen, aber meist alten
Tafellandschaften den Formen der Fjorde und der Fjordinseln hoher
Gebirgs- und Plateauländer entsprechen, so sind im Gegensatz zu ihnen
die Föhrden die verwandten Erscheinungsformen an den Küsten
niedriger, hügeliger, in der Regel jüngerer Landschaften.
Die Verbreitung des Föhrden-Typus ist, soweitbis jetzt bekanntist, eine
sehr beschränkte. Man hat ihn den cimbrischen oder auch den dänischen
genannt, weil er nur an den Küsten der dänischen Inseln und an der Ost-
küste der Jütischen Halbinsel von Kiel bis Aalborg vorzukommen schien.
Vielleicht sind aber auch die Einschnitte an der Nordküste Amerikas
und auf den Inseln des Arktischen Archipels eher dem Föhrden- als
dem Fjordtypus zuzuzählcn; auch mag es zu rechtfertigen sein, wenn
man in den Firths der schottischen Ostküste eine Annäherung an den
Föhrden-Typus erblickt. Die Formen der Föhrden sind sehr verschie-
den ; neben breiten, oft netzartig verzweigten Buchten finden sich sack-
ähnliche Einschnitte wie die Apenrader und Eckernförder Föhrden,
und schmale, gewundene, einzelne Einschnürungen aufweisende Buchten
wie der Mariager-, der Veile- Fjord, die Flensburger Föhrde, die schmalen
Strafsen, die zu den Städten Hadersleben und Schleswig führen, und
endlich der treffliche Hafen von Kiel. Bei den letzteren ist die Ähn-
lichkeit mit den Fjorden am auffallendsten.
Die Tiefenverhältnisse der einschneidenden Buchten und der die
Inseln trennenden Strafsen, welche letztere den Sunden der Fjordgebiete
entsprechen, bestätigen im allgemeinen diese Ähnlichkeit. Allerdings
treten Tiefenunterschiede wie an der Schärenküste nur in sehr beschei-
denem Mafse auf. Lokale Einsenkungen finden sich in vielen Buchten
und in allen Strafsen; bei einzelnen Föhrden, wie in dem seeländischen
Isse -Fjord, liegt auch gerade im Eingänge eine Bodenschwelle. Ge-
meinsam ist fast allen Buchten, dafs das tiefe Fahrwasser bis in die
innersten Winkel sich fortsetzt. Die Föhrden sind aus diesem Grunde
vortreffliche Häfen und machen dadurch die von ihnen ausgezeich-
neten Küstengebiete zu den am besten aufgeschlossenen Teilen des
Flachlandes. •
Es ist etwas auffallend, dafs alle diese Küstenbildungen, denen
doch eine gewisse Ähnlichkeit mit den Formen der Fjorde nicht ab-
zusprechen ist, bisher kaum mit dem Fjordtypus in Verbindung ge-
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242
P. Dinse:
*
bracht sind. Selbst die Verwandtschaft der Bezeichnungen Fjord, Fjärd
und Föhrde ist in der Regel übersehen, wenigstens nie recht beachtet
worden. Aufser Penck hat niemand Veranlassung genommen, einen
Vergleich zwischen diesen verschiedenen Bildungen anzustellen. Um so
verwunderlicher ist die Kühnheit, mit der für manche andere den
Fjordgebieten auch räumlich nicht so nahe liegende buchtenreiche
Küstenlandschaften der Fjordcharakter und der Name Fjord in Anspruch
genommen worden ist. Es wurde bereits erwähnt, dafs Hahn, Günther,
Supan sich für Gegner der bisher üblich gewesenen Beschränkung
der Fjorde auf höhere Breiten erklärt haben, dafs Hahn in dieser
Beziehung am weitesten gegangen ist.
Hahn teilt die Erosions-Inseln in fünf Gruppen'), von denen aber
nur drei für uns Bedeutung haben: Inseln des norwegischen, schwe-
dischen und dänischen Typus. Da Insel-Abschnürung stets mit Buchten
und Strafsenbildting zusammenhängt, so liefse sich diese Einteilung
auch auf diese anwenden. Die im vorangegangenen durchgefiihrte Ein-
teilung entspricht derselben, nur haben wir für den „schwedischen und
dänischen Typus" den übergeordneten Begriff der fjordartigen Bil-
dungen aufgefunden und ihn dem den Fjorden entsprechenden „nor-
wegischen Typus" an die Seite gestellt.
Aus der Aufführung der einzelnen Gebiete der ersten Gruppe geht
hervor, dafs Hahn aufser den von allen anerkannten Fjordregionen
auch noch folgende Erdgegenden als durch Fjorde ausgezeichnet be-
trachtet: in Europa die Küste von Südwest-Irland , die Bretagne, die
galizische Spitze Spaniens, die Nordostecke Sardiniens und die Küste
Dalmatiens; in Asien die SUdspitze der Sinai-Halbinsel, die arabische
Küste des Persischen Meerbusens, die Küste Süd-Chinas und der beiden
Halbinseln Schan-tung und Liao-tung, Korea und die japanische Ost-
küste; in Australien die Südküste von Tasmania und einzelne Strecken
der Nordküste; in Afrika die Nordspitze von Madagaskar.
Diese Auswahl scheint das Ergebnis einer flüchtigen Betrachtung
gröfserer Übersichtskarten zu sein. Man vermifst überall das Eingehen
auf die besonderen Formen, den Nachweis der Übereinstimmung auch
der kleineren Züge, nicht nur des allgemeinen Bildes. Die Ähnlich-
keit der Umrisse kann selbst dann nichts beweisen, wenn sie von ge-
übten Beobachtern und bewährten Gelehrten hervorgehoben wird.
Hahn betont, dafs Burat für die Küsteneinschnitte mehrmals den Aus-
druck Fjord gebrauche8). Ist denn aber die Mündung des Trieux ein
Fjord, weil Burat von ihm als „un vlritabte fiord “ spricht? Dafs Ritter
') Hahn a. a. O. S. 161 f.
*) Burat, Voyages sur les eötes de France S. 17g u. oft. Hahn a a. O. S. 14c
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Die Fjordbildungen.
243
die Einschnitte im Persischen Golf Fjorde nennt1), ist doch kein Beweis
für die Fjordnatur derselben. Wenn eine Fahrt durch das japanische
Binnenmeer völlig an eine schwedische Schärenfahrt mahnt*), so sind
dämm die dortigen Küsteneinschnitte doch keine Fjorde, die Inseln
keine Schären. Ich habe auf Grund der besten Seekarten alle diese
Küsten mit ihren auffallenden Einschnitten auf ihre Zugehörigkeit zu
einem bestimmten Typus hin geprüft und kann versichern, dafs auch
keine einzige dieser Buchten den Namen Fjord mit Recht bean-
spruchen darf.
Das erste Ergebnis einer Betrachtung gröfserer und genauerer
Karten ist die Überzeugung, dafs in den meisten Füllen nicht einmal
eine Ähnlichkeit mit den Bildungen einer F'jordktlste besteht. Wenn
auf gröfseren Übersichtskarten eine solche äufsere Ähnlichkeit hervor-
zutreten scheint, so ist das nur eine Folge der Thatsache, dafs rich-
tige Fjorde wegen ihrer geringen Breite auf Karten kleineren Mafs-
stabs nicht im richtigen Verhältnis der Längen und Breiten zu zeichnen
sind, dafs sie stets verbreitert erscheinen und so ihrerseits den in der
That breiteren Buchten ähnlich werden. Auf Spezialkarten erkennt
man aber sofort die Verschiedenheit.
Unter den Buchten obengenannter Küstenstrecken unterscheidet
eine aufmerksame Betrachtung zwei allerdings nicht sehr verschiedene
Typen. Den einen bilden die langgestreckten, von annähernd geraden
Uferlinien begrenzten keilförmigen Buchten, den anderen die gewun-
denen, unregelmäfsigen, zwischen Verbreiterungen und Verengungen
wechselnden Einschnitte. Den ersten Typus vertreten z. B. die Buchten
des südwestlichen Irlands. Wir sehen dort eine Anzahl parallel ge-
richteter Halbinseln, die im Meer durch Inselreihen fortgesetzt, durch
spitze regelmäfsige Buchten von einander getrennt sind. F>s sind dies
von Norden nach Süden geordnet die Dingle-Bai, die Ballinskellig-Bai,
die Bucht des Kenmare River, die Bantry- und Dunmanus-Bai und
endlich die I.ong Island-Bai. Alle diese Einschnitte sind keilförmig.
Die 48 km lange Dingle-Bai öffnet sich gegen den Ozean in einer
Breite von über 20 km, läuft dann aber gegen das Innere hin spitz aus.
Die Kenmare River -Bai und Dunmanus-Bai sind schmaler; im Ein-
gänge zwischen den Vorgebirgen noch 7,2 und 4,8 km breit, verjüngen
sie sich nach 35 und 20 km Länge zu scharfen Spitzen. Die Keilform
wiederholt sich übrigens auch in den kleinen Einschnitten an den
Ufern der grofsen Buchten. Alle Vorsprünge und Buchten liegen in
der Süd westrichtung der Hauptbuchten, und da auch die Inseln in
') Ritter, Erdkunde 14 S. 195. Hahn a. a. O. S. 145.
*) Rein, Japan 1 S 17. Hahn a. a. O. S. 147. Günther a. a. O. S. 465.
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P. Dinse:
gleichgerichteten Reihen angeordnet sind, Flüsse, Loughs und Bergzüge
derselben Richtung folgen, so kann man auch in Süd-Irland von einem
Parallelismus sprechen, der mit dem der Fjordgebiete recht wohl zu
vergleichen ist.
Die keilförmigen Buchten sind selten; unter den erwähnten Küsten-
strecken ist keine andere in gleicher Weise wie die Südwestspitze Ir-
lands von ihnen ausgezeichnet. Die gröfste Annäherung an die Keilfomi
zeigen noch die asturischen Buchten und die Einschnitte der galizischen
Küste, die Muros-, Pontevedra- und Vigo-Bai. Die meisten Einschnitte
gehören dem anderen Typus an. Unter den unregelmäfsigen gewun-
denen Buchten kann man wieder die mannigfaltigsten Verschieden-
heiten von der einfachen, enger oder weiter geöffneten, in bedeuten-
der Längserstreckung sich hin und her windenden Bucht bis zu den
breiten, verzweigungsreichen, inselerfiillten Golfen, wie sic an den Küsten
der Falklands-Inseln auftreten, beachten.
Alle diese Küsteneinschnitte haben das Gemeinsame vergleichs-
weise geringer Tiefen; fast durchgängig sind sie mit Sedimentmassen
der in sie einmUndenden Flüsse aufgefüllt. In jeder Bucht begegnet
sich die Meeresbedeckung mit einem Alluvialboden, der je nach der
Gröfse und dem Sedimentreichtum des zur Bucht gehörigen Flufs-
laufes mehr oder weniger gegen den Ausgang vorgeschoben ist. Aus
der Thatsache der Sedimentauffüllung erklärt es sich auch, dafs das
Bodenrelief aller dieser Bildungen völlig regelmäfsig ist. Im Gegen-
satz zu den Fjorden, in denen Tiefenwechsel selbst dann noch die
Regel ist, wenn die Aufhäufung von Schuttmassen die ursprünglichen
Formen teilweise verdeckt, senkt sich in ihnen der Boden stets ganz
allmählich zum äufseren Meer hinah. Nach einer Längserstreckung
von 55 km erreicht die Bantry-Bai erst eine Tiefe von 57 m; der
Neigungswinkel des Bettes beträgt also nur o°3'26". Bei den Buchten
von Muros, Pontevedra und Vigo betragen die Ausgangstiefen 92, 64
und 49 nt, die Neigungswinkel o‘ 11', o°8' und o°5'3o". Das letzte
Profil auf Tafel 6 (Abb. 6), welches die irische Dtinmanus-Bai dar-
stellt, möge ein Bild von den untermeerischen Formen solcher Buchten
geben.
Wenn in einzelnen derselben Tiefenverschiedenheiten Vorkommen,
so sind diese stets sehr gering. In der bretagnischen Bucht des Mor-
bihan wechselt die Tiefe des Fahrwassers zwischen 3 m und 22 m. Im
Port Essington an der nordaustralischen Halbinsel Coburg unterbricht
den sehr sanften, kaum oc2'2o" geneigten Abfall eine plötzliche Ein-
senkung von 22 m zwischen Record Point und Spear Point. In der
Sakitsu Ura-Rai an der japanischen Westküste findet sich in einer
nur 9 m tiefen Umgebung eine plötzliche Vertiefung von über 30 m.
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Die Fjordbildungen.
245
Es läfst sich aber beobachten, dafs derartige tiefe Stellen stets in den
Verengungen solcher Buchten liegen, in die eine heftige Gezeitenströ-
mung mit hoher Fluthöhe eindringt. Aus Rütimeyer’s Schilderungen
der Bretagne ist bekannt, wie grofs das Mafs der Fluthöhe im Morbi-
han und ihre Wirkungen infolge der wechselnden Gezeitenströmungen
sind. In den Port Essington dringt die Flut mit 4 m Höhe ein. Tiefen-
unterschiede in solchen Kiisteneinschnitten mögen daher auf einer durch
die Ebbe- und Flutströmungen bewirkten unregelmäßigen Verteilung
der feinen Sedimentmassen beruhen.
Die Querprofile aller dieser Buchten zeigen statt der Trogform der
Fjorde die Gestalt einer flachen Mulde.
Alle diese sogenannten fjordähnlichen Einschnitte (mit der einzigen
Ausnahme der dalmatinischen Küste) sind von F. von Richthofen unter
dem Namen der Rias-Buchten zusammengefafst und als eine besondere
Form der Küstenbildungen den Fjordbuchten gegenübergestellt wor-
den1). Die Rias sind Einbuchtungen, die wesentlich nur an Transver-
salküsten Vorkommen, während die Fjorde in reiner Form fast aus-
nahmslos nur an Längsküsten zu finden sein sollen.
Die Betrachtung der äufseren Umrisse und der Tiefenverhältnisse
mufs eine derartige Trennung berechtigt erscheinen lassen. Ob für
diese Trennung jedoch die Beziehungen der eingebuchteten Küsten-
linie zur Plastik der I.andräume allein von entscheidender Bedeutung
sind, mufs doch mindestens fraglich erscheinen. Der Name „Rias“ ist
ein Sammelname für Küstenbildungcn sehr verschiedener Form und
recht verschiedener Geschichte. Es mufs die Aufgabe einer eingehen-
deren Betrachtung der Rias-Küsten bleiben, Verschiedenheiten der äufse-
ren Umrisse der an ihnen zu findenden Buchten auf Verschiedenheiten
der Kombinationen der zu ihrer Herausbildung wirksam gewesenen
Kräfte zurückzuftihren. Wenn für Rias-Buchten aufser der Brandungs-
wirkung und der Erosion der Gezeitenströmungen auch das durch eine
positive Niveauveränderung ermöglichte Eindringen des Meeres in die
ursprünglich bestehenden und die vom fliefsenden Wasser geschaffenen
Hohlformen als Gestaltungsmomente anzuerkennen sind, so liegt kein
Grund vor, gewisse Buchten an I.ängsküsten, an den Küsten von Rumpfge-
birgen oder Tafellandschaften, an denen eine positive Niveauveränderung
stattfand, dem Rias-Typus nicht zuzurechnen. Die Buchten an der
Küste Süd-Brasiliens, des südlichen Neu-Guinea, der Falklands- Inseln
können recht wohl ihren Umrissen und ihren Tiefenverhältnissen nach
als Rias-Buchten gelten.
Ebenso zweifelhaft erscheint mir die Beschränkung der Fjorde auf
■) von Richthofen, Führer S. 306-310.
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P. Dinse:
Längsküsten. Wir müssen hier auf unsere im ersten Abschnitt gegebene
Übersicht der Fjordgebiete zurückkommen und unsere Folgerungen
ziehen. Ein Teil der Fordgebiete — die westamerikanischen — sind
die Flanken eines zonalen Faltungsgebirges. Ein anderer, bedeutend
gröfserer Teil — die Fjordgebiete Norwegens, Schottlands, Irlands,
Grönlands, Neu-Seelands, vielleicht auch des Küstengebiets von Baffins-
Land und Labrador — sind die Küstenzonen abradierter Rumpfgebirge.
Da bei dem Vorgänge der Abrasion das Meer in der Regel dem Strei-
chen der Gebirgszüge parallel vordrang und nach vollendeter Abtragung
der ursprünglichen Formen ebenso zurückwich, so sind die meisten
Küsten von Rumpfgebirgen ebenfalls Längsküsten. Dies ist jedoch
nicht ausnahmslos der Fall. Erfolgte die Abrasion an einer Küste, an
der infolge Absinkens eines Gebirgsteiles die einzelnen Züge des Ge-
birges quer abbrachen, so schritt die zerstörende Kraft der Brandungs-
welle in einem solchen Falle senkrecht zum Streichen der Falten vor.
Eine solche Küstenstrecke ist dann nach dem inneren Bau des Landes
eine Transversalküste, obwohl sie sich in der Art des Vorgangs des
Wasserabflusses genau wie eine Längsküste verhält. Solche Küsten sind
die norwegische Südwestküste und die Westküste Schottlands. Wir
würden also schon den Fjorden an diesen Küstenstrecken eine Aus-
nahmestellung einräumen müssen.
Endlich finden wir auch Fjorde an Küstenstrecken, die nicht an-
ders denn als typische Transversalküsten bezeichnet werden können:
an der Nordostktiste von Neu-Schottland und an der Nord- und Süd-
küste Neu-Fundlands. Schon die Richtung der südlichsten Fjorde von
Maine scheint durch das Herantreten der Ausläufer der Alleghanies an
die Küste bestimmt zu sein. Die nordöstlich gerichteten Falten des ost-
amerikanischen Faltungssystems streichen gegen den St. Lorenz -Golf
aus, bilden die Küstenvorsprünge von Neu -Braunschweig und Neu-
Schottland und setzen sich dann jenseits der Cabot-Strafse auf Neu-
Fundland fort. Es ist das Verdienst der Untersuchungen von Jukes,
Murray und Howley, nachgewiesen zu haben, dafs die unregelmäfsig
gestalteten Umrisse der Insel völlig abhängig sind von den quer
durch dieselben streichenden Falten. Die weit vorspringenden Halb-
inseln an der Nord- und Südseite der Insel entsprechen den Anti-
klinalen, die Buchten zwischen ihnen den Synklinalen des Faltungs-
systems. Wir haben mithin an diesen Küstenstrecken Buchtbildungen
an einer typischen Transversalküste, an der die Querenden der Ge-
birgszüge in scharfer Umgrenzung abbrechen, an der ein grofses Fal-
tungsgebirge unter das Meer taucht.
Während nun F. von Richthofen der Ansicht ist, dafs an solchen
Küstenteilen, wo die Küstenlinie quer zum Gebirgs- und Schichten-
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Die Fjordbildungen.
247
streichen gerichtet ist, der Fjordtypus nicht rein sei, und dafs dort ein
Übergang zum Rias-Typus stattfinde, hält Ed. Stifs die Buchten von Neu-
Braunschweig, Neu-Schottland und Neu-Fundland geradezu für „ein auf-
fallendes Beispiel jener Kilstenbildungen, welche F. von Richthofen
als Rias-Küsten bezeichnet hat"1).
Es mufe nun aber betont werden, dafs die morphographische Be-
trachtung die Behauptung einer Sonderstellung aller dieser Meeres-
buchten nicht zulassen kann. Die Fjordbuchten Schottlands und Neu-
Fundlands sind ebenso typisch ausgebildet, wie diejenigen an der
Längskiiste Norwegens; die Bay of Exploits, die St. Mary’s-Bai Neu-
Fundlands, der Loch Aber und Linnhe Schottlands, die sämtlich dem
Streichen der Falten folgen, entsprechen in jeder Weise den Fjorden
an der kolumbischen und patagonischen Küste, welche senkrecht zur
Richtung der Gebirgskette einschneiden. Das Moment der Sediment-
Auffüllung kann unmöglich von Wichtigkeit sein. Bestimmt das Mafs
der Zuschüttung und Verschwemmung den Charakter der Bucht, dann
wäre der Fjordcharakter nur eine vorübergehende Eigenschaft. Schon
heute beginnt in vielen Fjordbuchten, selbst an Längsküsten, die Auf-
füllung und die Bildung eines Alluvialbodens im Hintergründe der
Bucht. Es könnte so eine Zeit geben, in der die Tiefenverschieden-
heiten der Fjordbuchten völlig beseitigt sind , und der Boden der
Bucht sich wie der der Rias allmählich in kaum merklicher Neigung
zum Vormeer hinabsenken würde. Aber würden die Fjordeinschnitte
selbst im vorgeschrittenen Stadium der Zuschüttung jemals zu Rias-
buchten w'erden können?
Rias-Küsten können nur solche Küstenstrecken genannt werden,
deren Einbuchtungen nicht nur den Charakter, sondern auch die Ge-
schichte der Rias haben; Küsten jedoch, deren Einschnitte in ihren
Umrissen und ihren Tiefenverhältnissen den Fjordcharakter tragen, sind
Fjordküsten, gleichviel ob sie Längs- oder Transversalküsten sind. Für
die Unterscheidung bestimmter Typen von Buchten kann die Beziehung
der Küstenlinie zum inneren Bau und der Plastik des Küstenlandes
überhaupt nicht von demselben Wert sein wie die Formen der Buchten,
die Art und die Kraft der an der Modellierung der Küste wirksamen
Agenden.
Unter den Küstenstrecken, die Hahn dem norwegischen Typus zu-
rechnet, befindet sich auch die dalmatinische Küste von der Quarnero-
Bucht bis zur Bocche di Cattaro. LTber den Charakter dieser Küste ist
viel geschrieben worden. Schon Peschei und Reclus war eine gewisse
Ähnlichkeit der dortigen Küstenzertrümmerung mit derjenigen der
') Süfs a. a. O. II S. 49
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P. Di nse:
Fjordgebiete aufgefallen; beide erkannten jedoch den Unterschied und
zählten Dalmatien nicht zu den Fjordküsten. Auch hier genügt nun
wieder eine Betrachtung der übermeerischen und untermeerischen Formen
zur Erkenntnis der Notwendigkeit der Trennung. In Dalmatien walten
in Buchten und Inseln Linien vor, die tler allgemeinen Richtung der
Küste parallel laufen. Die Anordnung der Inseln in Längsreihen ist
aber eine Erscheinung, die in typischen Fjordregionen nur sehr selten
auftritt; Beispiele findet man an dem südlichen Teil des Ostufers der
Vancouver-Insel von der Gabriola- bis zur Saturna-Insel, oder an den
Küstenstrecken des Oberen Sees (Copper Harbour, Agate Harbour). In
solchen Gebieten erweisen sich aber auch die der Küste parallelen Wasser-
strafsen durch die unruhigen Bodenformen als Fjordstrafsen. In Dal-
matien sind die Tiefen der die Insel umgebenden Meeresteile sehr
gering; und legt man ein Profil durch die langgestreckten Sunde und
Buchten, so zeigt sich, dafs in ihnen Tiefendifferenzen fehlen und der
Boden sich stets sehr sanft, meist unter einem Winkel von nur 1—2
Minuten, senkt. Die kleinen Einschnitte senkrecht zur Küstenlinie sind
meist regelmäfsige Rias-Buchten, nur für eine Bucht wie die Doppelbai
von Cattaro wird eine andere Entstehungsart anzunehmen sein. Dieser
treffliche natürliche Hafen besteht aus drei Erweiterungen, die durch
enge Eingänge mit einander in Verbindung stehen. Die ganze dalma-
tinische Küstenzone besteht aus einer Anzahl paralleler Ketten, die
Längsthäler zwischen sich lassen. Diese Längsthäler wurden — es
sei hier einmal das Eingehen auf die Theorie gestattet — durch eine
positive Niveauveränderung des Mittelmeeres überflutet; das Meer drang
durch die Scharten der Gebirgszüge hindurch und schuf so, da bei
der geringen Brandung des Mittelmeeres eine Abrasion nicht stattfand,
die parallelen Sunde und Inselreihen. An der Stelle der heutigen Bucht
von Cattaro drang das Meer durch drei solcher Scharten ein und ver-
wandelte die tiefsten Teile der drei hinter ihnen liegenden Längsthäler
in drei tiefe, abgeschlossene Hafenbassins.
F. von Richthofen nennt diesen Küstentypus den dalmatinischen1).
Auch dieser ist ebenso wie der Typus der Rias-Küste unbedingt von
dem der Fjordküste zu scheiden.
Man wird also zu dem Ergebnis kommen müssen, dafs der den
Umfang des Fjordbegriffs bezeichnende Kreis sich zur Zeit noch nicht er-
weitern läfst. Peschei vermutete Fjorde an der steilen Halbinsel
Taimyr*), welche das Nordkap Asiens trägt, und erhoffte deren Auf-
findung von einem erneuten Besuch dieser bis damals nur von Laptew
•) von Richthofen, Führer S. 308.
s) Peschei a. a. O. S. 17.
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Die Fjordbildungcn.
249
und Tscheljuskin im Jahre 1743 betretenen Erdgegend. Nordenskiöld
hat daselbst jedoch 1878 keine Fjordeinschnitte gefunden1). Penck
glaubt, dafs die Küsten der Tschuktschen-Halbinsel von Fjorden zer-
rissen sind*); aber auch hier müssen wir den Nachweis derselben der
Zukunft überlassen.
Wir müssen somit den Charakter der Fjordküste auch heute noch auf
die KUstenstrecken beschränken, die wir im Eingang als all-
gemein anerkannte Fjordgebiete zusammenstellten, dieselben,
auf die auch Peschei sich in seinem vielcitierten Aufsatz bezogen hat. Es
mufs aus diesem Grunde auch anerkannt werden, dafs die Folgerungen, die
Peschei an diese Übersicht des Vorkommens der Fjorde knüpfte, auch
heute noch voll und ganz zu Recht bestehen. Er bemerkte, dafs
man Fjorden nur in höheren nördlichen oder südlichen Breiten begegne.
Die äquatoriale Grenze des Fjordküstentypus der nördlichen Halb-
kugel ist eine Linie, die in den amerikanischen Kontinent im Westen
ungefähr unter dem 48. Breitengrad eintritt, ihn im Osten bei Portland
(44° n. Br.) verläfst und in Europa bis zum 530 n Br. (Irland) und
dem 58° n. Br. (Kap Lindesnaes) ansteigt. Auf der südlichen Halbkugel
beginnt die Fjordbildung in Süd- Amerika mit dem 42. Grad, in Neu-
seeland mit dem 43). Breitengrad. Da Afrika den 38. Grad kaum
überschreitet, ist dieser Erdteil ganz ohne ein Fjordgebiet geblieben.
Die annähernde Übereinstimmung dieser Grenze mit der io°- Jahres-
isotherme und der Polargrenze der Regen zu allen Jahreszeiten bewog
dann Peschei zu dem Schlufs, die fjordartige Zerklüftung der Küsten
sei eine klimatische Erscheinung, deren Vorkommen an niedrige Tem-
peraturen und reichliche Niederschläge gebunden sei. Er bemerkte,
dafs eine westliche Lage der Küste augenscheinlich als eine örtliche
Begünstigung der deutlichen Entwickelung des Typus aufzu fassen sei.
Mit vollem Recht verneinte er aber eine Beschränkung des Auftretens
der Fjorde auf westliche oder nördliche Küstenlage. Einmal finden
sich Fjorde an den Ostküstcn Nord-Amerikas, Grönlands, Islands und
an allen Küsten Spitzbergens. Dann machte aber auch Peschei schon
darauf aufmerksam, dafs die schwedische Abdachung des skandinavi-
schen Hochlands durch Überflutung des vorliegenden Landes eben-
falls zu einer typischen Fjordküste werden würde. Die langgestreckten
„schlauchartigen“ Thalseen der östlichen Gebirgsabdachungen sind den
westlichen Fjordseen unbedingt vergleichbar, und gelänge es den Welt-
meeren, die Ostabhänge der norwegischen und schottischen Hochlande,
der südlichen Anden oder des neuseeländischen Gebirges zu bespülen,
würden sie auch dort Fjorde und Sunde schaffen.
*) Peterm. Geogr. Mitügcn. 1879, Taf. H.
*) Penck, Glaziale Bodengestaltung. Ausland 1882 S. 349.
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P. Binse:
Schon in den ersten beiden Bearbeitungen seines Aufsatzes über
die Fjordbildungen hatte Peschei auf Grund dieser Beobachtungen
nicht umhin gekonnt, den Gletschern einen Anteil an der Herausbil-
dung und Erhaltung der Fjorde einzuräumen. In der dritten Auflage
liefs er sich durch Reclus bewegen, die Fjorde mit der Thatsache und
den Erscheinungen der Eiszeit in Verbindung zu bringen. Beiden Ge-
lehrten war entgangen, dafe derselbe Gedanke schon mehrere Jahre
vor ihnen in bestimmterer Form ausgesprochen war. Schon im Jahre
1863 hatte Dana1) und fast gleichzeitig mit ihm Ramsay*) die Behaup-
tung aufgestellt, dafs Fjordbreiten und Driftbreiten dieselben sind.
Dieser Beschränkung des Vorkommens der Fjordbildungen auf Ge-
biete eiszeitlicher Vergletscherung ist seither vielfach widersprochen
worden. Es geschah dies stets von Seiten derjenigen, die, in Verkennung
der durch morphographische Eigentümlichkeiten begründeten Sonder-
stellung der Fjordbuchten, den Umfang des Fjordbegriffs zu erweitern
geneigt waren, und geschah von diesem Standpunkt aus mit Recht.
Man wird sich aber endlich dazu entschliefsen müssen, die Fjorde als
ganz eigenartige Bildungen aufzufassen, die nur mit denen der Fjärd-
und Föhrdenküsten als mit minder scharf ausgeprägten Übergangs-
formen zusammenzustellen sind. Für diese fällt aber — wie dies zum
Schlufs nachdrücklichst betont werden mag — die äquatoriale Grenze
mit der der dereinstigen Vereisung zusammen. Es giebt keinen
Fjord und keinen Fjärd, kein Stück Schären- und keine
Föhrdenküste, die jenseits der Linien läge, die wir bisher
als die Äquatorialgrenzen der einst vergletscherten Polar-
zonen anzusehen gewohnt sind.
Wir sind hier am Schlufs der morphographischen Betrachtung.
Die Erörterung des Historischen der Fjordtheorien und der Versuch,
die Ergebnisse der Betrachtung der Fjord formen zu einer Kritik der
wichtigsten Fjordtheorien zu verwerten, soll einem zweiten Aufsatz Vor-
behalten bleiben.
*) Dana, Manual of Geology 1863 S. 543. 1876 S. 533.
-} Ramsay, On the glacial origin of certain lakes etc. Quat. Journ. of
the Gcol. Soc., Vol. 18 S. zoll).
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und norwegischen Seekarten zu Gründe. Verfasser hat dieselben mit gütiger Erlaubnis des Herrn Kontre- Admiral Hoffman n,
Vorstandes der Nautischen Abteilung des Reichs -Marine -Amts, auf das ausgiebigste benutzen dürfen.
1 1.
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13. | Sör-Fjord v. Oddc . . .1 39 I 1,5 I 15,6 395 18 319
Die Fjordbildungcn.
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Z'iuchr. d. GeKlIich. f. Erdk. Bd. XXIX. 17
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Die Fjordbildungen
255
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17*
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256
P. Dinsc
Die Fjordbildungen
257
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59. St. Annes Bay (46° 17') 1 10,1 I 2,3 I 9,5 128 1,2 11 I o 45 5 39 I 1:0,13
IO.
258
P. Dinsc
Kerguelen.
Die Fjordbild cn^en
259
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83. Dark-Cloud-Sund .
260
A. Galle:
Dr. A. Philippson’s Höhenmessungen in Nord- und Mittel-
Griechenland und Türkisch-Epirus im Jahr 1893.
Berechnet von A. Galle.
Die vorliegenden Höhenmessungen können als eine Fortsetzung
der von Dr. Philippson im Peloponnes in den Jahren 1887 — 1889 angc-
stellten angesehen werden, die in Band 24, 1889, S.331 ff. dieser Zeit-
schrift von mir veröffentlicht worden sind. Für die Bearbeitung sind die
damals angewendeten Formeln und die Jordan 'sehen Höhentafeln 'wie-
derum benutzt worden. Zwar hat Dr. Pernter (in Exner's Repertorium
der Physik 1888, XXIV, S. 161 ff.) statt des Ausdrucks g = g0
den auf der Poisson'schen Formel beruhenden g = g0^i — ^ in die
Höhenformel eingeführt und darauf Tafeln1) gegründet, und von der-
selben Grundlage gehen die internationalen meteorologischen Tabellen
(Paris 1890) aus. Es liegt dabei die Annahme vor, dafs bei dem Ge-
brauch der ersteren Formel übersehen werde, dafs die Schwereänderung
auf dem Festland sich anders gestalte, als bei Erfüllung des Raumes
zwischen Beobachtungsort und Meeresniveau durch die Atmosphäre
(etwa wie bei Ballonfahrten). Indefs ist verschiedentlich (insbesondere
von Helmert in Band II der „Mathematischen und physikalischen
Theorien der höheren Geodäsie") darauf aufmerksam gemacht worden,
dafs die Resultate der Schweremessungen vielfach auf eine Kompen-
sation der oberirdischen Massen durch unterirdische Defekte hinweisen,
und dafs es daher richtiger ist, die Schwereänderung in derselben
Weise, als ob sie oberhalb des Geoids in freier Luft erfolge, zu
betrachten. Eine Berechtigung würde meines Erachtens nur eine spe-
zielle Berücksichtigung der Anziehung der benachbarten Massen haben
können, wenn dabei nicht die eigentlich nur für Hochplateaus gütige
Poisson’sche Formel angewendet, sondern jedesmal auf die Gestaltung
des betreffenden Terrains in ähnlicher Weise wie bei der Reduktion
der Schweremessungen Rücksicht genommen würde. Selbst wenn die
hierzu erforderlichen Kenntnisse vorhanden wären, würde indefe der
Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis zu der Genauigkeit barometrischer
Höhenmessungen stehen.
Leider konnte bei den Reisen in Nord-Griechenland nicht dasselbe
Aneroid verwendet werden, welches sich im Peloponnes im allgemeinen
1 ) Mit diesen Tafeln hat Dr. Wagner die Höhenmessungen von H. Meyer be-
rechnet (Petermann’s Mitteilungen 1893, S. 62).
Dr. A. Philippson’s Höhenmessungen im Jahr 1893.
261
gut bewährt hatte, da dieses noch nicht von der Grönländischen
Expedition unter Dr. v. Drygalski zurückgekehrt war. Das Bohne'sche
Aneroid No. 1650, welches bei der diesmaligen Reise mitgenommen
war, ist erst nachträglich von der Physikalisch-Technischen Reichsan-
stalt in Charlottenburg untersucht worden. Es scheint mir hier der
Ort zu sein, dem Wunsch Ausdruck zu geben, dafs ebenso, wie kein
Beobachter unvorbereitet Forschungsreisen antreten sollte, auch stets
eine Anzahl Instrumente vorhanden sein möchten, die bereits einer
eingehenden Untersuchung Uber ihre Tauglichkeit unterworfen worden
sind. Es hat sich nämlich herausgestellt, dafs Bohne 1650 sehr be-
deutende elastische Nachwirkungen zeigt, die in den Durchschnitts-
werten bis zu 3 mm anwachsen. Wenn nun auf der einen Seite die
langsameren Druckänderungen auf der Reise, wie anzunehmen Gründe
vorliegen, etwas geringere Nachwirkungen verursachen, als bei Druck-
änderungen von 1 mm in 1 Minute bzw. 4 Minuten, wie sie bei den
Versuchen im Laboratorium angewendet worden sind, so ist auf der
andern Seite die Abwechslung von steigendem und abnehmendem
Druck im Gebirge so kompliziert, dafs selbst das Vorzeichen der für
die Nachwirkung anzubringenden Korrektion manchmal zweifelhaft sein
kann. Auch unterliegt es nach Ausweis der erhaltenen Resultate
keinem Zweifel, dafs mehr oder weniger andauernde Änderungen der
Stand-Korrektion eingetreten sind, die sich einer rechnungsmäfsigen
Behandlung entziehen.
Von dem ebenso wie im Peloponnes mitgeführten Goldschmidt'schen
Aneroid No. 1447 wurde ebensowenig von dem Beobachter als von
dem Berechner Gebrauch gemacht, da dieses Instrument bei seiner
mangelhaften Brauchbarkeit nicht einer neuen Prüfung unterzogen
worden ist. Von Wichtigkeit war es dagegen, dafs zwei Fuess’sche
Siedethermometer No. 185 und 187 mitgeführt wurden. Leider sind
diese aber auch nur sechsmal abgelesen worden, da Dr. Philippson
über die Einrichtung des Apparates und die Umständlichkeit seiner
Benutzung Klage führte. — Die bereits anderweit bestimmten Höhen
sind bei dieser Reise seltener als im Peloponnes. Einige wenige sind
von Dr. Philippson 1890') bestimmt worden andre sind der französischen
Karte*), der Wiener Karte3), der Karte von Mavrokordatos4), Kiepert’s
l) Enthalten in: „Bericht über eine Reise durch Nord- und Mittel-Griechen-
land“, in Bd. XXV, 1890, S. 331 — 406 dieser Zeitschrift.
*) Carte de la Gröce, redigie en Depot de la Guerre, Paris 1851 (beschränkt
sich auf die alten Provinzen des Königr. Griechenland).
3) Generalkarte des Königr. Griechenland. Generalkarte von Mittel-Europa
L 14, 15; M 14. K. K. Militär-geographisches Institut.
4) ](icqtijs xii'iotxoü ifiijuaios 19c Wsffffrrlirrc. Athen 1890.
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262
A. Galle:
Karte der Griechisch-Türkischen Grenze1) und dem Nivellement der Ko-
pai's-Gesellschaft entnommen; für Athen und die nächste Umgebung gab
die preufsische Generalstabskarte von Attika einen sichern Anhalt. Zum
Teil sind diese Höhenangaben aber ziemlich unsicher, und in vielen
Fällen ist die genaue Identifikation der Punkte eine schwierige und
kommt in Folge des kupierten Terrains sehr in Betracht. Immerhin
deutet die Übereinstimmung des Vorzeichens und der ungefähren
Gröfse der Abweichungen während einer bestimmten Zeit bei chrono-
logischer Anordnung der Stationen darauf, dafs die Abweichungen
wenigstens teilweise dem Aneroid Bohne 1650 zur Last zu legen sind.
Eine Anordnung nach der Höhe der Beobachtungsorte führte zu keinem
gesetzmäfsigen Verlauf der Abweichungen, wenn auch die höchsten
Stationen die stärksten Abweichungen aufweisen (Uber 60 und bis 100m).
Zum Zweck der Berechnung w'urden zunächst die von der Physi-
kalisch-Technischen Reichanstalt für verschiedene Drucke und Zu- und
Abnahme des Druckes ermittelten Korrektionen von dem Teil, der
von der elastischen Nachwirkung abhängt, befreit. Zu Mittelwerten
vereinigt geben sie eine ziemlich einfache Kurve, welche graphisch
ausgeglichen wurde. An die Aneroidablesungen wurden demnach drei
Korrektionen angebracht, erstens wegen der Temperatur des Instru-
ments, zweitens die aus der Kurve entnommene Teilungskorrektion
und drittens eine die elastische Nachwirkung berücksichtigende Kor-
rektion. Die letztere von der Gröfse und Geschwindigkeit der Druck-
änderung und der seit Erreichung des Druckes bis zur Ablesung ver-
flossenen Zeit2) wesentlich abhängige Korrektion, die naturgemäfs nur
geschätzt werden konnte, habe ich, von vornherein damit auf gröfsere
Genauigkeit verzichtend, auf halbe Millimeter abgerundet.
Für den Barometerstand am Meeresspiegel lagen meteorologische
Beobachtungen von den drei Stationen Athen, Volos und Kerkyra vor,
welche wir der Güte des Direktors der Athener Sternwarte und des
meteorologischen Dienstes Herrn D. Eginitis verdanken. Auf Grund
der Entfernungen der Beobachtungspunkte von diesen drei Stationen
wurde für jeden Tag der Barometerstand am Meeresspiegel durch ein
graphisches Verfahren interpoliert und dementsprechend zwischen die
drei gegebenen Kurven für letzteren eine vierte Kurve konstruiert, bei
der die Tagesschwankungen, da nur für Athen täglich dreimalige Be-
obachtungen vorliegen, nur ausnahmsweise berücksichtigt sind. Da zu
der Zeit der Reise sehr gröfse Schwankungen des Barometers Vor-
kommen, wird die Interpolation des Barometerstandes häufig unsicher,
*) Bil. XVII, 1882, dieser Zeitschrift.
s) Diese ist von Dr. Philippson in sehr dankenswerter Weise überall mit
angegeben.
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Dr. A. Philippson’s JHöhenmessungen im Jahr 1893. 263
auch lassen starke Verschiedenheit des Ganges und Standes des Baro-
meters auf den drei Stationen bisweilen Zweifel an der Richtigkeit der
Daten aufkommen. Für die Ableitung der Mitteltemperatur habe ich
als untere Station nur Athen benutzt. Auch hierbei können Fehler-
quellen verursacht werden, wie wenigstens ein Fall mit Sicherheit
andeutet.
Da, wie bereits oben erwähnt, die Abweichungen gegen die Fix-
punkte keinerlei regelmäfsiges Verhalten zeigen, so habe ich von der
Anbringung einer mit der Zeit veränderlichen Standkorrektion richtiger
absehen zu müssen geglaubt. Da viele Punkte mehrmals besucht bzw.
an demselben Ort das Aneroid öfters abgelesen wurde, so habe ich
den mittleren Fehler der einzelnen Bestimmung aus diesem Material
abgeleitet und zu ± 20 m gefunden, womit die Abweichungen gegen
die Fixpunkte zur Genüge erklärt werden würden.
In der folgenden Übersicht der Ergebnisse sind alle Werte auf
Zehner abgerundet und in Metern zu verstehen. Herr Dr. Philippson
hat die Örtlichkeiten ohne Rücksicht auf den Verlauf des Itinerars in
topographische Gruppen geordnet.
1. Athen Theben— Lamia.
Athen, Hötel d’Athönes,
tn
Skripu
m
90
2. Stock
90
Quelle des Melas*)
90
Epano Liosia
160
Chani Kalit (oder Kadi?) Eng-
Chassia
320
pafs von Parapotamia
140
Phyle
690
Dadi
400
Pafshöhe des Farnes, Phyle —
Brücke über den Kephissos
250
Krora
O
00
t-*»
Pafehöhe von Purnaraki (Oeta)
590
Krora
560
Höchster StrafsenpunktDadi—
Ebene von Dervenosialesi
530
Lamia
660
Kalyvia „ „
z8o
Obere Grenze des Vorkommens
Brücke über den Asopos
250
von Arbutus am N-Abhang
Höhenrücken oberhalb Theben
340
der Osta
410
Theben, unterer Stadtteil, Pri-
Südrand der Spercheios-Ebene
40
vathaus1)
240
Brücke über den Spercheios
0
Theben, untererStadtteil, Haus
Lamia, Hotel Parnafs, am
der Kopals-Gesellschaft
200
oberen Platz; 1. Stock3)
ho
Ebene unterhalb Theben
130
’) Bei Philippson's Reise von 1890 zu 218 m bestimmt.
*) 100 m Nivellement der Kopa'is-Gesellschaft.
3) ioa m Philippson, 1890.
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264
A. Galle:
2. Die östliche Othrys.
(I.ami a — Gura— Halmyros — Echinos — Lamia.)
Erste Pafshöhe nördlich des
m
Letzte Pafshöhe auf dem Weg
xn
Gipfels Mavromandila
690
Gura — Halmyros
IOIO
Pafshöhe nördlich vom Palaeo-
Gientzeki
3*°
kastron
770
Halmyros
5°
Dorf Limogardi
73°
Platanos, Quelle unterhalb des
Pafshöhe über die Othrys
910
Dorfes
»5°
Übergang über den Bach Chi-
Erste Brücke auf dem Weg
liadotikos, südlich von Ne-
Platanos — Vryncna
*50
ochori
670
Zweite Brücke auf dem Weg
Pafshöhe vor Gura
860
Platanos — Vrynena (unter-
Gura, am Platz, Haus 1. Stock 760
halb Kokkoti)
2 10
Erste Pafshöhe auf dem Weg
Vrynena
560
Gura— Halmyros i
[O4O
Flufs Salamvrias bei H. Joannis
43°
Zweite Pafshöhe auf dem Weg
Pafshöhe vor Myli
93°
Gura — Halmyros
1030
Myli in der Othrys
490
Echinos
40
3. Die westliche Othrys.
(Lamia — Pharsalos
— Kato- Agoriani — Varybopi).
Pafs Derveni-Furka
m
800
salos, auf der Stralse nach
m
Chani Drachmanaga
630
Domokos
2 10
Tiefste Stelle der Strafse in
Bekriler
9°
der Ebene östlich des Sees
Kato-Agoriani
160
von Daukli
470
Pafshöhe bei Ano-Agoriani
540
Domokos, Chani am Platz,
Flufs Pentamylos
430
1. Stock
520
Dereli
470
Pharsalos, Magazi am Platz,
Pafc Muchluka
640
1. Stock
140
Varybopi, Chani am Platz,
Pafshöhe westlich von Phar-
t. Stock1)
140
4. Das Flyschgebirge der östlichen Agrapha, zwischen der Thessa-
lischen Ebene und dem Flnfs Megdovas.
(Varybopi — Rentina — Smokovon — Spinassa — Kardi tsa —
Vunesi — Muzaki — Porta— T rikkala.)
tn m
Rovoliari 830 Flufs vor Rentina 610
Pafchöhe Rovoliari — Rentina 1020 Rentina, Bürgermeister-Amt 900
*) Ebenfalls 140 m Philippson, 1890.
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Dr. A. Philippson’s Höhenmessungen im Jahr 1893*
265
m
Bäder von Smokovon 410
Kastania (Megali-)
m
780
Untere Grenze der Tannen
Bach vor Kataphygi
39°
oberhalb Rentina 1000
Bach jenseits Kataphygi
310
Pafs Zacharaki
1270
Flufs Karambalis bei Seklitsa
r8o
Pafshöhe nach Phurna 1330
Russu
160
Obere Grenze der
Eichen ri8o
Karditsa, Hotel, 1. Stock1)
*3°
Untere Grenze der Tannen
Ebene unterhalb Phanari
90
(lokal)
910
Phanari, Bazar
260
Phurna
870
Vunesi*)
790
Flufs bei Phurna
780
Pafshöhe hinter Vunesi
750
Pafshöhe Phurna—
Spinassa 1210
Makrya Rhachi
760
Beginn des Abstiegs nach
Brücke Uber den Muzalkos
140
Spinassa
1160
Muzaki
180
Spinassa, Haus des Bürger-
(Kerasia s. unten Abschnitt
meisters
800
9 b.)
Flufe Sarantaporos, Mündung
Höhenrücken zwischen Muzaki
des ersten Nebenbaches von
und Porta
200
Süd
640
Porta
200
Erste Pafshöhe,
Poliana
'3°
westl. des Kalk-
Weg
Trikkala, Hotel an der Bazar-
berges
.Spinassa — 1 150
Brücke, 1. Stock3)
r 20
Zweite Pafshöhe
Kastania 1000
Dritte Pafshöhe
880
5. Kambunische Berge. Ch&ssia.
(Trikkala -Phlamburo.
Kalabaka — Mavreli — Ostrovon.)
Zevlania
m
60
Bachübergang
m
470
Höhenrücken hinter Zevlania
560
Pafshöhe vor Spathades
610
Bergrücken Ardamon bei Lio-
Spathades
250
presi
740
Kalabaka, Gasthof am unteren
Brücke über Mavroneri-Bach
39°
Ende des Ortes, 1. Stock
250
Grenzposten Vrontismeni
690
Rastplatz
900
Grenzposten Phlamburo4)
1 240
Phlamburesi
850
Nea Smolia
480
Höhenrücken vor Koniskos
pro
*) Mittel aus io Werten. Das Siedethermometcr giebt 85 na, aber der Baro-
meterstand im Meeresniveau ist bei dieser Ablesung unsicher, da in diesen Tagen
heftige Luftdruckschwankungen stattfanden; die Wiener Karte giebt 113m.
a) Mittel aus 6 Werten, das Siedethermometer giebt 820 m.
3) 1x5 m Wiener Karte.
4) 1207 m Kiepert.
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266
A. Galle:
m
Flufs bei Gerakari 850
Mavreli 1130
Einsattehing des Grenzkammes
beim türkischen Posten
Karaul 1000
Sattel vor dem Grenzposten
bei Sinu-Kerasia 770
Dorf Sinu-Kerasia 710
Höhe des Joches bei Aspro-
klisia (visiert) 660
Grenzposten bei Asproklisia 660
Dorf Asproklisia 610
Bach vor Velemisti 470
Grenzposten bei Velemisti 680
Dorf Velemisti 600
Thal westlich Velemisti 550
Bergrücken vor Ostrovon 730
Flufs vor Ostrovon 560
Ostrovon 720
Zusammenflufs des Baches von
Ostrovon mit dem Murgan 320
Chani Murgan 270
6. Übergang über den Zygos-Pafs (Lakmon) im nördliohen Teil
des griechischen Pindos.
(Kalabaka — Malakasi
m
Chani Tsuranaei 400
Brücke Uber den Bach von
Kutsuphliani 510
Malakasi, Wirtshaus am Ost-
eingang 850
Höhenrücken zwischen Mala-
kasi und Kutsuphliani 1270
Brücke über den Bach südlich
unterhalb Malakasi 720
Chani Salt-Pascha1) 1340
Grenzposten Zygos 159°
7. Tttrkisch-Epiros,
(Janina — Hagii-Saranta-
Paramy thia —
m
Janina, unterer Stadtteil, wenig
über dem See3) 500
Ebene bei Lykostomi 470
Pafshöhe vor Han Nerades 660
Han Nerades 620
— Metzovos — Janina.)
«
m
Pafshöhe Zygos*) 1650
Metzovos, Prosilion, Haus im
höchsten Teil, an der Strafse
von dem Fort nach Janina 1160
Erste Brücke unterhalb Met-
sovos 840
Tria Chania 710
Flufs von Arta bei Baiduma 510
Han Baiduma 510
Pafshöhe Kyra bei Drysko 990
Han Levka 510
aufser dem Pindos.
-Sagiades— Philiataes —
] anina — Arta.)
Wasserscheide jenseits Han
Nerades 640
Flufs Kalamas 440
Brücke is tus Hagius über den
Flufs Kormos 460
Han Zarovina 470
') 1270 m Kiepert.
*) 1550 ra Kiepert.
s) 484 m Wiener Karte.
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Dr. A. Philippson’s Höhcnraessungen im Jahr 1893.
267
m
Pafshöhe bei Han Delvinaki1) 560
Wasserscheide 470
Han Kakavia 370
Flufs von Argyrokastron 300
Han Muzina 600
Pafshöhe vor Gardikaki 460
Han Gardikaki 240
Delvino, Bazar 240
Höhe vor Hagii Saranta 140
Hagii Saranta, Haus, 1. Stock 20
Karalibet 80
Pafshöhe nach Mursi 180
Mursi 70
Smerta 1 70
Phiiiataes 230
Brücke über den Bach östlich
Phiiiataes 40
Höhenrücken bei Kalvaki 110
Flufs Kalamas, an der Fähre
bei Mancari 20
m
Pafshöhe nach Paramythia 240
Thalebene bei Paramythia 170
Paramythia, Haus des Bischofs 240
Kakiskala, oberes Ende 590
Pafshöhe 650
Rastplatz am Trockenbach 430
Han Tsaravutsi 340
Zusammenflufs mehrerer Bäche 310
Pafshöhe vor Dzamaliga 560
„ ,, Kosmara 960
Kosmara 700
Unteres Han Rapsista 480
(Janina s. oben)
Han Kutsulio 540
Han Bezanu 510
Pafshöhe Derveni 650
Zweite Pafshöhe 540
Han Demiraga oder Berira 360
Han Kukuleaes 180
Philippiada, Han am Bazar 10
8. Westlicher Pindos, zwischen dem Flufs von Arta und dem
Aspropotamos.
a. Nördlicher Teil.
(Janina — Syraku. Chaliki
Gardiki — Vulgareli-
m
Janina s. Abschnitt 7.
Kontovrachi 940
Pafshöhe östlich Kontovrachi 990
Brücke über den Arta-Flufs 460
Han Palaeochori 1000
Syraku, Haus des Rizu am
Bazar, 1. Stock*) 1160
Kirche H. Georgiosb. Syraku3) 1290
Chaliki, Magazi 1210
Brücke bei Lepenitza 1080
Pafshöhe nach Kalarrhytaes 1980
Kalarrhytaes — Pr am an ta —
Schoretsana — Arta.)
m
Lakka am Fufs des Haupt-
kammes 1630
Kalarrhytaes, Cafd am Bazar,
1. Stock 1180
Brücke Uber den Karlivo-Bach 780
Matzuki 1040
Brücke über den Bach von
Matzuki 800
Brücke überden Melissurgitiko 510
Pramanta, Haus im unteren Teil 830
Pramanta, Platz 850
■) Das Han selbst nach der Wiener Karte 54g m.
*) Siedethermometer : rijom.
3) 1234 m Kiepert.
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268
A. Galle:
Melissurgi, Platz
m
900
Pafehöhe nach Vulgareli
m
'35°
Rastplatz an der oberen Grenze
Vulgareli, Platz1)
810
des Flysch beim Aufstieg
1360
Höhe vor Schoretsana
1340
Höhe des Joches nach Theo-
Schoretsana, Magazi am Platz 840
doriana -+- ca. 50 m, visiert
1850
Berg Kastri
143°
Pafshöhe des Stavros
2080
Obere Grenze der Arbutus-
ObereGrenze der Tannen beim
Maquien
490
Abstieg
1560
Grenzposten Krioneri 2)
170
Gardiki
1090
Höhenrücken vor Kato -Ka-
Pafshöhe nach Greveno
1810
lentini
540
Greveno
1060
Kato-Kalentini
110
Theodoriana, Platz
980
Grenzposten Platanorhevma
90
b. Südlicher Teil.
(Arta — Brücke Koraku.
Arta
— Syntekno — Pigadia — Brücke
bei VTuviana.)
Arta, Gasthof an dem neuen
m
Tannengrenze
m
720
Platz, 1. Stock
20
Pafshöhe vor Katavothra
9OO
Höhenrücken vor I.ivitsikon
300
Katavothra
660
Livitsikon
500
Miliana
580
Höhe Zygos
57°
Pafshöhe vor Grevia-V restenitza 690
Flufe von Kalentini, Brücke
220
Brücke Koraku über den As
-
Thalterrasse über dem Flufe
34°
propotamos
440
Militärposten Ano-Kalentini
470
(Arta s. oben.)
Erste Pafshöhe Syntekno—
Rastplatz
460
Sakaretsi
1170
Höhenrücken vor Syntekno
740
Zweite Pafshöhe Syntekno—
-
Flufs vor Syntekno
43°
Sakaretsi
93°
Syntekno (Paliopulo)
530
Pigadia
840
Stanaes
1020
Brücke bei Vruviana über den
Aspropotamos
29O
9. östlicher Pindos, zwischen Aspropotamos, Peneios und Megdovas.
a. Nördlicher Teil.
(La
ndschaft Aspropotamos.)
(Liaskovon — Vitsista — ]
Pira-
— Al van — Wlacho-Kastania —
Krania —
Chaliki.)
(Liaskovon, s. unten b.)
m
Martinsko
m
910
Molensko, Haus des Papas
59°
Erste Pafshöhe
1170
1) Mittel aus vier Werten. Das Siedethermometer giebt 797 m.
2) 146 m Kiepert.
Digitized by Google
Dr. A. Philippson’s Höhenmessungen im Jahr 1893.
269
Zweite Pafshöhe
m
■ 180
Valkan
790
Kurnesi
870
Pafshöhe
1280
Vitsista
800
Untere Tannengrenze
beim
Aufstieg zum Avgo
1270
Obere Tannengrenze
beim
Aufstieg zum Avgo
»55°
Fufs des höchsten Kalkkam-
mes des Avgo
1700
Gipfel Avgo
2150
Unterste gröfsere Schneefelder
beim Abstieg vom
Avgo
nach Nordost
1680
Obere Tannengrenze, zu
gleich
unterste kleine Schneefelder
beim Abstieg vom Avgo nach
Nordost
1580
Flufs bei Pira
920
Pira
990
Vetemiko
1130
Pertuli
1 180
Wasserscheide zwischen As-
propotamos lind Peneios
nördlich Pertuli 1210
Aivan 850
Sohle des Hauptthals von
Aivan 660
Palaeochori 1000
Pafshöhe am Bappa 1670
Stanaes oberhalb Klinovos 1360
Joch oberhalb Klinovos 1290
Wlacho-Kastania, oberer Teil 930
Pafshöhe nach Krania >470
Bach bei Doliana 1110
Krania, Haus des Dimarchos 1190
Dragovisti, Haus im unteren
Teil 1080
Dragovisti, Platz im oberen
Teil 1150
Zusammenflufs der Bäche von
Krania und Chaliki (Aspro-
potamos) 890
Koturi 1040
(Chaliki s. 8, a.)
b. Mittlerer Teil. (Landschaft Agrapha, nördlicher
Abschnitt.)
(Brücke Koraku — Liaskovon — Knissovon — Muzaki —
Sremenikon — Petri lu — Liaskovon.)
(Brücke Koraku s. 8, b.)
m
Knissovon, anderes Haus
m
940
Pafshöhe Pente-Adelphia
75°
Einsattelung am Aufstieg
1200
Brücke über den Bach von
Pafshöhe, Wasserscheide
1460
Petrilu
460
Höchster Punkt des Weges
1470
Liaskovon
710
Vatsinia
440
Höchster Punkt des Weges
Flufs unterhalb Vatsinia
33°
nach Knissovon an der Berg-
(Muzaki s. 4)
ecke über dem Zusammen-
Kerasia (Nevropolis)
9IO
flufs der Bäche
800
Sermenikon, oberer Weiler
IO9O
Brücke über den Bach von
Pafshöhe am Butzikaki
1800
Glogovista
700
Petrilu, Magazi am unteren
Knissovon
980
Ende
1190
Z'iuchr. d. Geldlich, f. Erdk. Kd. XXIX. 18
Digitized by Google
270 A. Galle: Dr. A. Philippson’s Höhenmessungen im Jahr 1893.
Petrilu, Haus im oberen Teil
m
1230
Brücke bei Petrilu
1000
Brücke bei Kuplesi
780
c. Südlicher Teil. (Lands
A b s c h
(Brücke von Vruviana-
— G r a 1
(Brücke von Vruviana s. 8, b.)
tn
Kalyvia von Lepiana
650
Thal vor Granitsa
S'o
Granitsa, Haus des Bürger-
meisters, 1. Stock
O
P"
OO
Flufs von Granitsa
770
Pafshöhe des Phtheri
«45°
Monastiraki
760
Flufs Agraphiotiko, Furth
440
10. Stenoma — Karpenisi
Stenoma
660
Pafs H. Athanasios1)
1470
Karpenisi, Hotel t. Stock*)
1000
Chani Laspi
1020
Pafshöhe nach Lamia9)
1240
Rastplatz
1490
Höchster Punkt des Berg-
rückens
,75°
Joch Krikelu - Gardiki
1680
Gardiki (Phthiotis)
1060
Rastplatz unterhalb des Gipfels
Oxya
1790
Höchster Punkt des Weges,
Stephaniada, erste und unterste
Häuser von Petrilu aus 860
chaft Agrapha, südlicher
n i 1 1.)
litsa — Agrapha — Steno ma. )
m
Brücke unterhalb Agrapha 690
Agrapha 890
Stanaes 1440
Mirysi 940
Pafshöhe nach Chrysu 1340
Chrysu 750
Flufs Megdovas, Furt 390
(Stenoma s. 10.)
Lidoriki— Vitrinitsa,
etwas unterhalb des Gipfels
Oxya 1 900
Stani 1650
Sitista j 230
Flufs Phidaris 900
Artotina, Haus des Dimarchos 1200
Pafshöhe nach Kostartsa 1400
Ano-Kostartsa, Magazi 1150
Flufs Kokkinos 710
Chani Steno, am Mornos-Flufs 410
Lidoriki 570
Chani Malandrini 540
Pafshöhe nach Vitrinitsa 760
1418 m Philippson, 1890.
2) 958 m Philippson, 1890.
3) 1213m Philippson, 1890.
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Druck von W. Pormetter in Berlin.
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXIX — 1894 — No. 4.
Herausgegefcen im Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt.
s
Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrt. Von
A. Hettner. (Hierzu Tafel 7.) 171
Forschungen über die physische GeogTaphie des Hochlandes von Pamir im
Frühjahr 1894. Von Dr. Sven Hedin. (Hierzu Tafel 8 — iz.) . . . 189
Zur Statistik der Vereinigten Staaten von Mexiko. Von Dr. H. Polakowsky 347
' I
BERLIN, w.s.
W. H. KÜHL.
PARIS.
4 1 h. LE SOUD1ER.
174 & tj6. Boul. St. Gennain.
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Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1894.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Bert in, Jahr-
gang 1894 — Band XXIX (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1894 — Band XXI (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M., Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogvn bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
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Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; jedoch steht es den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten unfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassung jeglicher persönlichen Adresse an die:
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90“,
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Btttow, Berlin SW. Teltower Str. 5, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstrafse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — il Uhr Vorm, und von
4—8 Uhr Nachm, geöffnet.
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Inhaber: Hoefcr & Vohsen.
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SMafrikamschen Republik (Transvaal)
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Preufs. Herrn Ministers für Handel und Gewerbe nach Südafrika
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1894- Preis geh. 4 Mark. — Gebunden 5 Mark.
★ Prospekte ★
stehen gratis und franko zur Verfügung.
Das Buch, welches die Resultate der an Ort und Stelle von einem hervor-
ragenden Fachmann im amtlichen Auftrag vorgenommenen, eingehenden
Untersuchung der Gold -Lagerstätten , sowie der bergbaulichen und wirt-
schaftlichen Verhältnisse Transvaals enthält, wendet sich an das grobe
Publikum. Vornehmlich sind Finanzmänner, Berg- und HUttenleute, Bankbeamte
und Auswanderungslustige Käufer. Der im Verhältnis zum Umfang und den Bei-
lagen so aufscrordentlich niedrig angesetzte Preis soll dem Werk eine weile Ver-
breitung sichern.
Oie geographische Verbreitung der Transportmittel
des Landverkehrs.
Von A. Hettner.
(Hierzu Tafel 7.)
I.
Wenige Dinge an einem Lande sind von so allgemeinem Interesse
wie die Transportmittel, die im Verkehr im Gebrauch sind. Für den
Reisenden ist es die erste Frage, ob er seinen Weg im bequemen
Eisenbahnwagen, in der Postkutsche, zu Pferd oder Maultier oder zu
Fufs zurückzulegen hat. Der Kaufmann mufs, je nach dem landes-
üblichen Transportmittel, seine Waren anders verpacken und andere
Transportkosten in seine Rechnung einsetzen; ein Geschäft kann für
ihn, je nachdem, gut oder nicht mehr lohnend sein. Der Bewohner
eines Landes mit entwickelten Verkehrsverhältnissen ist zu leichter
Bewegung befähigt, er steht in regem wirtschaftlichen und geistigen
Verkehr mit anderen Ländern, er kann für den Weltmarkt produzieren
und lernt andere Länder kennen; nur selten dagegen verläfst der Be-
wohner eines im Verkehr zurückgebliebenen Landes seine Scholle, er
erfährt wenig, was in der Aufsenwelt vorgeht , die Erzeugnisse seines
Bodens und seiner Arbeit sind grofsenteils nur in der Nähe verkäuf-
lich. Die Verteilung der Bevölkerung, besonders das Verhältnis von
Stadt und Land, die Volkswirtschaft, das geistige Leben sind in hohem
Grade von der Art, wie sich der Verkehr bewegt, d. h. von der Art
der Transportmittel, abhängig.
Und zugleich ist die Art des Verkehrs für ein Land sehr
charakteristisch; sie macht einen wesentlichen Bestandteil seiner
geographischen Eigenart aus. Das Kamel erscheint uns als zum Bild
der Sahara gehörig, das Maultier bildet die notwendige Staffage einer
Anden-I.andschaft wie der schwerfällige Ochsenwagen die Staffage einer
Landschaft aus den argentinischen Pampas oder aus Süd-Afrika. Das
westliche Europa oder den Osten der Vereinigten Staaten können wir
Jüngeren uns gar nicht mehr ohne die Eisenbahn vorstellen. Auch
wer dem Menschen und seinen Werken nur ungern einen Platz in der
geographischen Betrachtung einräumt, gesteht einen solchen doch,
Zeiuchr. d. G«clUch. f. Erdk. Bd. XXIX. 19
Digitized by Google
27*2
A. Hettncr:
neben der Verteilung der Ansiedelungen, am ehesten den Verkehrs-
verhältnissen zu.
Um so mehr ist es zu verwundern, dafs die Verteilung der Trans-
portmittel über die Erde noch so wenig behandelt worden ist. Karl
And ree hat im ersten Band seiner Geographie des Welthandels einen
lebensvollen Überblick über den Karawanenhandel der Erde gegeben ;
aber diese Darstellung bedarf der Ergänzung und Vertiefung, und ein
Versuch, die Verbreitung der Verkehrsformen über die Erde auf der
Karte darzustellen, ist meines Wissens überhaupt noch nicht gemacht
worden1). Die meisten geographischen Darstellungen beschränken sich
zu sehr auf die wichtigeren Verkehrslinien, die hauptsächlichen Eisen-
bahnen, Dampfschiffskurse und Karawanenstrafsen und tragen dem all-
gemeinen Charakter des Verkehrs, der durchschnittlichen Beschaffen-
heit der Wege und Verkehrsmittel zu wenig Rechnung; in vielen geo-
graphischen Werken sieht man sich vergeblich nach Angaben hierüber
um. Auch die neueren Versuche, den Verkehr wissenschaftlich aufzu-
fassen *), sind an dieser einfachsten und doch weitaus wichtigsten
Thatsache achtlos vorübergegangen; in dem an sich berechtigten, aber
bei verfrühter Anwendung schädlichen Streben, durch die Einführung
von Zahlenwerten wissenschaftliche Schärfe zu gewinnen, haben sie
sich nur an die quantitativen Unterschiede des Verkehrs, besonders
*) Erst nachdem meine Karte gezeichnet war, sind die unvollkommenen
Kärtchen der Verkehrslinien von Afrika und Asien im Handbuch zu Andree's
Handatlas, 2. Aull. 1893/94, erschienen. Über Verkehr und Reisen in Afrika hat
einmal Nachtigal in der Deutschen Rundschau geschrieben. Die Verbreitungs-
gebiete einzelner Transporttiere haben Ritter innerhalb seines grofsen Werkes, von
Hehn, in seinem schönen Buch über die Kulturpflanzen und Haustiere, sowie
später F. G. Hahn (Bemerkungen über tiergeographische Karten, Mitt. d. Vcr. f.
Erdk. zu Leipzig 1879) und O. Lehmann, das Kamel, seine geographische Ver-
breitung und die Bedingungen seines Vorkommens (Zeitschr. f. Wissenschaft). Geo-
graphie VIII, S. 93 ff.) behandelt. Viele Angaben über die Geschichte der Trans-
portmittel bei Götz, die Verkehrswege im Dienst des Welthandels, Stuttgart 1888.
21 Die Isochroncnkarten, wie sie nach einer Andeutung von Ritter von Gallon,
Penck, Maenfs u. a. gezeichnet worden sind, sind von Interesse für die Beurteilung
der geographischen Lage einer Stadt wie des Verhältnisses der Küste zum Binnen-
land, geben aber kein Bild von den Verkehrsverhällnissen eines Landes im allge-
meinen. Hierfür ist es wichtiger zu wissen, in welcher Zeit durchschnittlich eine
bestimmte Entfernung zurückgelcgt wird. Götz hat solche Angaben für die ge-
schichtliche Entwickelung des Schnellverkehrs gesammelt; es würde auch von Inter-
esse sein, die durchschnittliche Schnelligkeit des Personen- und Güterverkehrs in ver-
schiedenen Ländern für die Gegenwart zu ermitteln und womöglich auf einer Karte
vergleichend darzustellen. Neben der Schnelligkeit der Beförderung kommt es aber
auch auf Sicherheit und Bequemlichkeit und besonders auf die Transportkosten an.
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Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrs. 273
die Zeitdauer, gehalten und darüber die leichter zu erfassenden Unter-
schiede der Art des Verkehrs vernachlässigt, von denen doch die ver-
schiedene Schnelligkeit, Sicherheit, Bequemlichkeit und Kostspieligkeit
des Verkehrs hauptsächlich abhängt, und die deshalb den ersten Gegen-
stand jeder verkehrsgeographischen Untersuchung bilden müssen.
In den meisten Gegenden finden wir verschiedene Transportmittel
neben einander im Gebrauch. In den Ländern des westlichen Europas
z. B. vollzieht sich aller Fernverkehr auf der Eisenbahn, auf den
I-andstrafsen begegnen wir Postkutschen, Frachtwagen und Fufswan-
derem, dazwischen sehen wir einzelne Reiter und Radfahrer, auf den
Flüssen und Kanälen bewegen sich Dampfschiffe und Frachtkähne.
In anderen Ländern mit geringerer Kulturentwickelung ist die Mannig-
faltigkeit der Beförderungsmittel zwar geringer; aber es giebt doch nur
wenige Gegenden, in denen man sich nicht verschiedener Beförderungs-
mittel bediente. Jedoch kommt ihnen meist nicht die gleiche Bedeu-
tung zu. Reiten und Radfahren dienen bei uns hauptsächlich dem
Vergnügen, nur in geringem Grade dem eigentlichen Verkehr und gar
nicht der Beförderung von Lasten; sie können deshalb als unwichtig
ausgelassen werden. Auch der Fufsverkehr dient bei uns, aufser in
den Gebirgen, fast nur noch der eigenen Ortsbewegung auf kleinere
Entfernungen; wir können ihn auch als etwas selbstverständliches an-
sehen, weil er sich überall neben den vollkommeneren Verkehrsarten
erhalten hat, und brauchen ihn kaum besonders zu erwähnen. In den
meisten Teilen Deutschlands hätten wir also nur Eisenbahn, Wagen-
verkehr und Schifffahrt als wichtigere Verkehrsformen darzustellen.
Ähnlich werden wir überall gewisse Verkehrsformen, die nur geringe
Bedeutung haben, unberücksichtigt lassen können. Oft ist nur eine
einzige von Bedeutung, während in anderen Ländern mehrere als
gleich wichtig angesehen werden müssen.
Meist können wir einen Unterschied der Transportmittel auf den
Hauptlinien und den Nebenlinien des Verkehrs bemerken. In Deutsch-
land und überhaupt im westlichen Europa sehen wir zunächst eine Ab-
stufung der Eisenbahnen nach Bau und Betriebsmitteln in Eisenbahnen
erster, zweiter und dritter Ordnung ; den Eisenbahnen gegenüber er-
scheinen die FahrstTafsen als Nebenlinien, bei ihnen haben wir wieder,
ihrer Bedeutung im Verkehrsnetz entsprechend, zwischen Chausseen
die für den Güterverkehr sogar viel wichtiger als die Schnelligkeit sind. Man
sollte einmal den Versuch machen, die Höhe der Transportkosten in verschiedenen
Ländern darzustellen; allerdings ist die Aufgabe schwierig und nur mit gewissen
Einschränkungen lösbar, weil die Transportkosten zeitlich sehr schwanken, für ver-
schiedene Warenklassen verschieden und oft auch (bei Differentialtarifen) für gröfscre
Entfernungen niedriger als für kleine Entfernungen sind.
19*
Digitized by Google
274
A. Hettner:
und gewöhnlichen Landstrafsen zu unterscheiden, auf denen auch die
Transportmittel verschieden sind oder sich wenigstens in verschiedener
Weise bewegen. Die topographische Spezialkarte bringt diese Unter-
schiede zur Darstellung und ist deshalb zugleich eine Karte der Ver-
kehrsarten; Übersichtskarten aber können die kleineren Wege nicht
mehr einzeln zeigen, sie müssen deshalb, wenn sie noch vollständige
Verkehrskarten sein wollen, das Vorhandensein der Wege und die Art
der Beförderung durch eine allgemeine Bezeichnungsweise, durch einen
Farbenton oder eine Schraffierung andeuten. Auf einer Übersichtskarte
von Deutschland, in dem Mafsstab wie wir sie in unseren Handatlanten
finden, läfst sich das Eisenbahnnetz noch vollständig eintragen, das
Vorhandensein von Fahrstrafsen aber kann nur noch durch einen
Farbenton oder eine Schraffierung kenntlich gemacht werden. Wird
der Mafsstab der Karte noch kleiner, handelt es sich etwa um eine
Übersichtskarte von Europa oder gar der ganzen Erde, so können
auch die Eisenbahnen nicht mehr einzeln, sondern nur noch schema-
tisch, etwa durch ein mehr oder weniger enges Maschennetz über der
die Fahrstrafsen bezeichnenden Grundfarbe zur Darstellung kommen.
In anderen Ländern stehen Fahrstra&en und Saumwege oder Saum-
wege und Fufswege oder Dampfschiffslinien und Linien der Kahnschiff-
fahrt in einem ähnlichen Verhältnis wie Eisenbahnen und Fahrstrafsen
im westlichen Europa.
In den meisten Ländern bestehen aber auch landschaftliche Gegen-
sätze. In Deutschland z. B. ist die Verkehrsweise der Gebirge, nicht
nur der Alpen, sondern auch vieler Mittelgebirge, von der des Flach-
lands verschieden ; während hier fast jeder Weg, aufser kleinen F'eld-
wegen, fahrbar ist, sind dort Fahrstrafsen eine Ausnahme, werden die
meisten Wege nur von Fufsgängern oder Saumtieren begangen. In
Italien und auf der Iberischen Halbinsel finden wir denselben Gegen-
satz in gröfserem Mafsstab ausgebildet. In der Kordillere von Bogotä
sind die meisten Wege Saunnvege, auf denen Maultiere und Pferde
den gröfsten Teil des Verkehrs vermitteln; aber auf der Hoch-
ebene von Bogotä, einem ausgefüllten Seebecken inmitten der Kor-
dillere, sehen wir F’ahrstrafsen mit Kutschen und Ochsenkarren, wäh-
rend wieder andere Teile des Gebirges, die noch mit dichtem Urwald
bekleidet sind, nur dem Fufsgänger Zugang bieten. Es würde von
grofsem Interesse sein, solche Gegensätze auf Karten der einzelnen
Länder und Erdteile darzustellen; denn auf einer Übersichtskarte der
Erde, namentlich in so kleinem Mafsstab, wie unser Kärtchen hat, müssen
sie notwendigerweise verschwinden, ähnlich wie auf einer Vegetations-
karte oder auf einer Karte der Volksdichte der Erde auch die klei-
neren Gegensätze verschwinden müssen. Es können hier nur die Ver-
Digitized by Google
Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrs. 275
kehrsformen dargestellt werden, welche Uber weite Ländergebiete ver-
breitet sind und in ihnen eine herrschende Rolle spielen, während die
in kleinen Bezirken oasenartig dazwischen verstreuten Verkehrsfernen
entweder gar nicht oder doch nur schematisch eingezeichnet werden
können. So mufs sich die Karte und entsprechend auch der Text
darauf beschränken, die geographische Verbreitung der Verkehrsformen
in Umrissen darzustellen. Die Karte ist auch nur ein erster Entwurf,
der an vielen Stellen noch der weiteren Ausführung und der Verbesse-
rung bedarf.
II.
Am Nordrand der Alten Welt, auf den Fjelden Skandinaviens
und in den weiten Ebenen des nördlichen Rufslands und Sibiriens
gebrauchen die Lappen, Samojeden, Tungusen und ähnliche nomadisie-
rende Völker bei ihren Wanderungen das Renntier und den Hund als
Transporttiere, meist indem sie diese vor den Schlitten spannen, das Renn-
tier im westlichen Sibirien jedoch auch als Reit- und Packtier. Die
südliche Grenze dieser Verkehrsformen fällt ungefähr mit der ethno-
graphischen Grenze jener nomadisierenden Völker zusammen, liegt
also in Asien ungefähr unter 6o° n. Br., in Europa ein Stück nörd-
licher.
Südlich von dieser Linie herrschen in den europäischen Kultur-
ländern Eisenbahn und Wagen, jene für den Fernverkehr, dieser für
den Lokalverkehr, vor. Das Eisenbahnnetz ist in den englischen, bel-
gischen und deutschen Industriebezirken am dichtesten, im übrigen
Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Grofsbritannien, Irland,
Dänemark, dem südlichen Schweden und Norwegen schon weniger
dicht, auf der Pyrenäen-Halbinsel und im westlichen Rufsland ebenso
wie in den nordafrikanischen Küstenländern noch dünner, aber doch
immer noch zu dicht, als dafs auf dem Kärtchen die einzelnen Linien
dargestellt werden könnten. Im östlichen Rufsland, im nördlichen Teil
der Skandinavischen Halbinsel und auf der Balkan-Halbinsel dagegen
sehen wir nur noch einzelne Linien, und Sibirien erhält eben erst seine
erste Eisenbahn. Auch im Bau und Betrieb der Eisenbahnen zeigen,
wie M. M. von Weber geistvoll erörtert hat, die verschiedenen Länder
charakteristische Unterschiede, die ihren wirtschaftlichen Verhält-
nissen angepafst sind und auch mit manchen nationalen und po-
litischen Eigentümlichkeiten in Zusammenhang stehen. Fast noch
größer sind aber die Unterschiede im Straßenbau und Wagenverkehr.
Frankreich, England, Deutschland haben als Hauptstrafsen vortreffliche
Kunststrafsen mit festem Unterbau, die das ganze Jahr über in gutem
Zustand sind und dem Verkehr geringe Schwierigkeiten bieten. ln
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27(5
A. Hettner:
den Mittelmeerländern ist die Zahl dieser Kunststrafsen schon geringer,
und im östlichen Europa fehlen sie fast ganz; die Strafsen sind hier
nicht viel mehr als Naturwege und daher meist in schrecklichem Zu-
stand. Bei uns sehen wir fast nur den grofsen vierrädrigen Fracht-
wagen, in Frankreich und den Mittelmeerländern ist der zweirädrige
Karren viel häufiger. Als Gespann wird vorzugsweise das Pferd, aber
in den Mittelmeerländern daneben auch das Maultier, in vielen Ge-
bieten, besonders im Lokalverkehr, auch der Ochse verwandt. Im
nordöstlichen Deutschland, in Skandinavien und in Rufsland, wo sich
eine dauernde Schneedecke bildet, kommt neben dem Wagen im
Winter auch der Schlitten zur Anwendung, ja im nördlichen Rufsland
und in Sibirien spielt er beinahe eine gröfsere Rolle im Verkehr als
der Wagen, weil hier die Schneedecke mehrere Monate bleibt und
eine bessere Fahrbahn bietet als die Strafsen im Frühling und Sommer
mit ihrem unergründlichen Morast. In manchen nord- und mitteleuro-
päischen Gebirgen und in viel gröfserem Umfang in den Gebirgen der
südeuropäischen Halbinseln und der Atlas-Länder sind nur die Haupt-
wege fahrbare Strafsen, die meisten Wege dagegen nur Saumwege, auf
denen sich der Verkehr auf Reit- und Packtieren, hauptsächlich Maul-
tieren, bewegt. Auch in dem gebirgigen Ost-Sibirien hören die Fahr-
strafsen auf, der geringe Verkehr wird hier durch Züge beladener
Pferde vermittelt. Aber wir dürfen auch den Schifffahrtsverkehr auf
Flüssen und Kanälen nicht vergessen. In den gebirgigen und dabei
im Sommer wasserarmen Mittelmeer-Ländern spielt die Schifffahrt im
ganzen nur eine geringe Rolle, aber in England, Frankreich, Deutsch-
land, Skandinavien hat sie einen grofsen Teil des Güterverkehrs zu
bewältigen, und noch viel gröfser ist ihre Bedeutung auf den grofsen
Strömen Rufslands und auch Sibiriens. Eine Verkehrskarte, welche die
Schifffahrtsstrafsen und zwar nicht blofs die der Dampfschifffahrt, sondern
auch die der Kahnschifffahrt nicht zeigte, würden durchaus unvoll-
ständig sein.
Südlich von dieser Zone des vorherrschenden Eisenbahn- und Wagen-
verkehrs erstreckt sich, gleichfalls vom Atlantischen Ozean bis beinahe
an den Stillen Ozean, ein Gebiet, in dem der Kamelverkehr vorherrscht.
Es fällt im grofsen und ganzen mit dem Gebiet der afrikanischen
und asiatischen Wüsten und Steppen zusammen. Im westlichen
Teil, in der heifsen Sahara und in Arabien, finden wir das ein-
höckerige Kamel oder Dromedar, im kühleren Cen tral- Asien das
zweihöckerige oder baktrische Kamel, in Iran und Turan kommen
beide neben einander vor. Beide werden hauptsächlich als Packtiere
gebraucht; nur in den Steppen des südlichen Rufslands und Turans
wird das Kamel auch vor den Wagen gespannt. ln diesem Gebiet
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Die geographische Verbreitung Her Transportmittel des Landvcrkchrs. 277
und in der Gobi gebraucht man aufser dem Kamel auch von Ochsen
oder Maultieren gezogene Karren, in den Gebirgen des Nordrandes
von Central- Asien und Iran, Kleinasiens und in geringem Mafs auch
Arabiens und der Sahara dienen neben und statt des Kamels Pferd
und Maultier als Saumtiere. Die Schifffahrt ist in diesem wasserarmen
Gürtel im ganzen von geringer Bedeutung.
Weiter südlich treffen wir nicht mehr gleichartige Verkehrsverhält-
nisse fast über die ganze Breite der Alten Welt, sondern, der Auflösung
in Halbinseln und Inseln und der Mannigfaltigkeit der Bodengestal-
tung entsprechend, auch Mannigfaltigkeit der Verkehrsformen. Das
tropische Afrika ist im wesentlichen ein Gebiet des Trägerverkehrs.
In Seneg ambien und im westlichen Sudan wird ein Teil des Ver-
kehrs durch Packesel vermittelt, in Abyssinien ist das Maultier das
wichtigste Transportmittel, in Ost-Afrika sehen wir einzelne Reitervölker,
auf dem Niger und Benue, dem Kongo und seinen gröfseren Neben-
flössen, dem Sambesi und den westafrikanischen Seen verkehren ge-
legentlich Kähne und neuerdings teilweise auch Dampfschiffe, aber im
übrigen geschieht alle Ortsbewegung zu Fufs, werden alle Waren durch
Träger befördert; es ist bekannt, dafs hierin ein Haupthindernis der
Erschliefsung des tropischen Afrika liegt. In Süd-Afrika, etwa süd-
lich von einer Linie, die von der Mündung des Kunene zur Mündung
des Limpopo verläuft, hat schon vor der Ankunft der Europäer das
Rind dem Verkehr gedient; von den Hottentotten wird es noch heute
zum Reiten benutzt, die Holländer haben den Gebrauch des Wagens
hier eingeführt, und heute läfst sich der Ochsenwagen als das vorherr-
schende Transportmittel Süd-Afrikas bezeichnen. Daneben findet man
wohl auch die mit Pferden bespannte Kutsche, und neuerdings sind
auch eine Anzahl von Eisenbahnen gebaut worden.
Die Transportmittel des südlichen und östlichen Asiens sind
von grofser Mannigfaltigkeit. Bis in das Wüstenland des Indus reicht
der Kamelverkehr. In Bengalen und Dekan ist, neben den Eisen-
bahnen, die das Land in einem sich immer mehr verdichtenden Netz
überziehen, der Ochsenkarren das wichtigste Transportmittel, auch
Träger spielen eine grofse Rolle; in Bengalen und auf Ceylon wird
auch der Elefant verwendet, besonders in Bengalen ist der Wasser-
verkehr von Bedeutung. Wenden wir uns nordwärts, so begegnen wir
am Südabhang des Himalaya fast nur Trägern; in den Hochthälern
des Indus und des Brahmaputra und ihrer Umgebung sehen wir grofse
Herden beladener Schafe und Ziegen, im übrigen Tibet, besonders
für den Verkehr nach China, wird aber hauptsächlich der Yak oder
Grunzochse verwendet. China selbst zerfällt in zwei verkehrsgeogra-
phische Provinzen. Nord- China, das Land des Löfs, hat, ebenso
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278
A. HeltncT:
wie die südliche Mandschurei, fahrbare Naturwege, auf denen
sich mit Maultieren bespannte Karren bewegen; auf den nicht fahr-
baren Wegen kommen als Saumtiere gleichfalls hauptsächlich Maultiere,
daneben auch Pferde, Esel und Kamele zur Verwendung. Der Mensch
leistet nur im Nahverkehr und weniger als Träger denn als Karren-
schieber Transportdienste; die Schifffahrt ist gering. In dem gebir-
gigen Süd-Ch i n a dagegen finden wir keine Fahrstrafsen, sondern nur
Fufs- und Saumwege, auf denen die Tasten durch Maultiere und Pferde,
aber noch mehr durch Menschen bewegt werden ; die Schifffahrt auf
Flüssen und Kanälen ist hier von grofser Bedeutung. Korea und
Japan schliefsen sich an Süd-China an. Der Wagenverkehr fehlt fast
ganz oder dringt doch erst in neuester Zeit ein, besonders in der
Form kleiner, von Menschen gezogener Wägelchen; die eigentlichen
Transportmittel sind Saumtiere, besonders Pferde, und Lastträger.
Hinter-Indien scheint in eine Anzahl verschiedener Verkehrsgebiete
zu zerfallen, Uber die aber die Nachrichten noch mangelhaft sind.
Fahrstrafsen fehlen überall oder sind doch erst in neuester Zeit in den
englischen und französischen Besitzungen gebaut worden; die Wege
sind Saum- oder Fufswege. In Birma wird darauf vorzugsweise das
Maultier, in den nördlichen, an China grenzenden Teilen Rind, Pferd
und auch der Hund, in Siam und Anam der Elefant und Büffel be-
nutzt, aber überall mufs auch der Mensch selbst I.astdienste leisten,
und auf der Halbinsel Malakka ist er sogar das hauptsächlichste Trans-
portmittel. Auf einigen Flüssen, besonders dem Irawaddi, ist die Schiff-
fahrt wichtig. Auch in der ind isc hen Inse 1 w el t herrscht im ganzen
der Trägerverkehr vor; in Sumatra und Borneo bedient man sich daneben
des Elefanten und in Sumatra auch des Pferdes, auf den Philippinen des
Büffels; in Java und auch in Sumatra finden wir Fahrstrafsen, auf denen
sich von Rindern gezogene Wagen bewegen, und auch Eisenbahnen.
In Australien hat sich der Mensch fast bis zum Anfang unseres
Jahrhunderts ausschliefslich auf seinen eigenen Beinen bewegt; aber es
gab überhaupt keinen eigentlichen Verkehr, sondern nur die Ortsbe-
wegung nomadisierender Jäger und Pflanzensammler. Auch heute noch
herrscht dieser Zustand im gröfsten Teil des Innern und des Westens;
die Forschungsexpeditionen , die in diese Gebiete eindringen, führen
Pferde oder Kamele mit sich. Das östliche Australien ist dagegen im
ganzen ein Gebiet des Wagen- und Eisenbahnverkehrs geworden; nur
in den Gebirgen mufs man sich vielfach noch mit Reit- und Saum-
verkehr behelfen, im Innern bürgert sich neuerdings das Kamel ein.
Ganz ähnlich sind die Verkehrsverhältnisse von Neu-Seeland. Auf den
kleineren Inseln tritt der I.andverkehr überhaupt ganz gegen den Ver-
kehr auf dem Meer zurück.
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Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrs. 279
Wir wenden uns nach Amerika. Im arktischen Gebiet, den
sogenannten Barren Grounds, ist ein grofser Teil des Verkehrs der
spärlichen, aus Eskimos und Indianern bestehenden Bevölkerung Wasser-
verkehr; daneben sehen wir den Hundeschlitten in Gebrauch, während
das Renntier hier nur ein Jagdtier, nicht ein Haus- oder Transportier
ist. In dem nördlich angrenzenden Waldgebiet bewegen sich so-
wohl die Indianer wie die Europäer und Mischlinge, die als Jäger und
Pelzhändler hier eindringen, hauptsächlich auf den Flüssen, in gröfseren
oder kleineren Kähnen, die sie bei Wasserscheiden und Stromschnellen
über Land tragen. Transporttiere und der Gebrauch des Wagens sind
hier selten ; wir stofsen auf sie erst, wenn wir im südlichen Kanadien
tmd den Verei n i gten Staaten das Gebiet dichterer Bevölkerung und
höherer Kultur betreten. Hier treffen wir europäische Verkehrsverhält-
nisse. Iler ganze Osten ist mit einem dichten Netz von Eisenbahnen
überzogen, die zwar oft — doch jetzt nicht mehr so wie früher —
leichter als die europäischen gebaut sind, aber sie in mancher Beziehung
übertreffen und eine fast noch gröfsere Rolle als in Europa spielen. Der
örtliche Verkehr geschieht auch hier durch Wagen, obwohl der Strafsen-
bau viel zu wünschen übrig läfst. Von sehr grofser Bedeutung sind
auch die Wasserstrafsen, die Seen, Flüsse und Kanäle. Westlich von
ioo° w. L. , also im Gebiet der Steppe und der Kordilleren,
treffen wir bei weniger dichter Bevölkerung auch viel mangelhaftere
Verkehrsverhältnisse, obgleich diese in Anbetracht des geringen Alters
der Besiedelung und der geringen Bevölkerungszahl alle Anerkennung
verdienen. Wir finden hier nur einige durchgehende Eisenbahnlinien
(Pacific-Bahnen), die sich selbst auf unserer kleinen Karte noch haben
einzeichnen lassen; eine grofse Zahl kleinerer Bahnen führen nach Berg-
werken u. s. w., aber abseits davon mufs man auch gröfsere Strecken
im Wagen oder auf dem Maultier zurücklegen. Nur in dem dichter
bevölkerten Kalifornien treffen wir wieder ähnliche Verkehrsver-
hältnisse wie in den östlichen Staaten.
Das mexikanische Hochland wird neuerdings von einer An-
zahl von Eisenbahnen durchzogen, die sich an das Eisenbahnnetz der
Vereinigten Staaten anschliefsen ; die ebene Bodcngestaltung hat schon
seit langem die Anlage von Fahrstrafsen und den Verkehr von Wagen
und Karren mit Pferde- und Ochsengespannen erlaubt. ln den Ge-
birgen dagegen , die das Hochland durchsetzen und seine Ränder
bilden, ist fast aller Verkehr Saumverkehr, hauptsächlich mittels des
Maultiers, und von hier zieht sich seine Herrschaft, nur örtlich von
Eisenbahnen und Fahrstrafsen unterbrochen, durch ganz Mittel-
Amerika bis nach Süd-Amerika hinein, ln den Anden von Vene-
zuela, Columbien, Ecuador, Peru, Bolivien, dem nördlichen Chile und
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280
A. Hcttncr:
nordwestlichen Argentinien herrscht der Saumverkehr durchaus vor;
das wichtigste Saumtier ist das Maultier, demnächst das Pferd, in
manchen ärmeren Gebieten auch der Esel , im Hochland von Perü
und Bolivien daneben noch das Lama, das ja vor der Ankunft der
Europäer das einzige Transporttier Amerikas war. Stellenweise hat
man Eisenbahnen gebaut, auf einzelnen gröfseren Ebenen findet man
Fahrstrafsen, die Schifffahrt spielt nur an wenigen Stellen, wie auf dem
Magdalenen-Strom und dem Guayas, eine gröfsere Rolle. Auch die
Llanos des Orinoco haben hauptsächlich Saumverkehr, aber hier hat
doch auch die Schifffahrt Bedeutung, In dem waldbedeckten Tief-
land des Amazonen Stroms, das fast nur an den Flüssen bewohnt
ist, geschieht fast aller Verkehr auf dem Wasser, durch Kähne und
immer mehr auch durch Dampfschiffe, und auch in den angrenzenden
Teilen der Bergländer von Guayana und Brasilien benutzen die
Indianer und die wenigen Reisenden hauptsächlich die Flüsse zur
Ortsbewegung. In dem höheren und dichter besiedelten östlichen Teil
des brasilianischen Berglandes herrscht dagegen , ebenso wie in den
Anden-Ländern, der Saumverkehr vor, in den mittleren Küstenstaaten
sind neuerdings auch viele Eisenbahnen gebaut worden. Im südlichen
Teil von Rio Grande do Sul und in Uruguay, noch mehr in den
argentinischen Pampas und auch in dem grofsen Längsthal von Chile,
ist der Boden auch ohne Strafsenbau grofsenteils zum Fahren geeignet;
der Verkehr bewegt sich hier hauptsächlich in Kutschen und Ochsen-
karren, soweit ihn nicht in neuerer Zeit die schon ein ziemlich dichtes
Netz bildenden Eisenbahnen an sich gerissen haben. Die nomadi-
sierende Indianerbevölkerung der patagonischen Steppe ist seit
einigen Jahrhunderten ein Reitervolk geworden; die Bewohner der
patagonischen Westküste endlich und des Feuerlandes bewegen sich
hauptsächlich in Kähnen auf den fjordartigen Meeresarmen.
III.
Wir haben in einem kurzen Überblick die geographische Ver-
breitung der Transportmittel des Landverkehrs kennen gelernt, und
wir haben uns nun zu fragen, von welchen Ursachen diese Verbreitung
abhängt. Aber wir wollen diese Frage hier nicht ausführlich beant-
worten, sondern nur die Grundsätze andeuten, nach denen sie zu be-
antworten ist.
Schon eine flüchtige Betrachtung zeigt uns, dafs die Verkehrs-
formen eines Landes vielfache Beziehungen zu dessen Bodengestalt
und Bodenbeschaffenheit, Klima, Pflanzen- und Tierwelt haben. Das
Kamel treffen wir nur in Wüsten und Steppen mit trockenem Klima,
den Elefanten nur in Ländern mit üppiger tropischer Vegetation, das
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Die geographische Verbreituug der Transportmittel des Landverkehrs. 28 I
Renntier ist auf hohe nördliche Breiten beschränkt. Der Schlitten
kann nur da gebraucht werden, wo die Niederschläge während einiger
Monate des Jahres als Schnee fallen und der Schnee liegen bleibt.
Die Grenze zwischen Saum- oder Fufsverkehr und Wagenverkehr fällt
oft mit der Grenze zwischen Flachland und Gebirge zusammen, wie
wir z. B. in Süd-Amerika am Gegensatz der Pampas und Anden ver-
folgen können. Auch die Eisenbahnen haben in den Gebirgen viel
weniger Eingang gefunden als in den Ebenen und sind dort auch in
anderer Weise gebaut worden.
Kann man also an einer Abhängigkeit der Verkehrsformen von
der Natur der Länder nicht zweifeln, so ist es andererseits ebenso
sicher, dafs diese Abhängigkeit nicht unbedingt ist. Das ergiebt sich
schon aus der Thatsache, dafs die Verkehrsformen der meisten Länder
sich im Lauf der Zeit verändert haben, ohne dafs diese Verände-
rungen durch Veränderungen der Naturbeschaffenheit hervorgerufen
worden wären. Am ehesten hat man noch daran denken können, die
Ausbreitung des Kamels über die Sahara, die erst in nachchristlicher
Zeit erfolgt ist, auf eine Verschlechterung des Klimas und eine Ver-
schärfung des Wüstencharakters zurückzuführen ; aber die Berechtigung
dieser Erklärung ist doch sehr zweifelhaft, und die Verbreitung des
Pferdes, Maultiers und Rindes über Amerika seit dem sechzehnten, über
Australien und die australischen Inseln seit dem neunzehnten Jahr-
hundert, die allmähliche Verdrängung der Saumwege durch Fahr-
strafsen , der gewöhnlichen Fahrstrafsen durch macadamisierte
Chausseen, der Siegeszug der Eisenbahnen über die Erde sind jeden-
falls ohne entsprechende Veränderungen in der Natur der Länder er-
folgt. Es sind zunächst geschichtliche Thatsachen, die geschichtlich
aufgefafst werden müssen. Neuere verkehrsgeographische Studien haben
deshalb mit Recht die Verkehrsverhältnisse als etwas Werdendes oder
Gewordenes betrachtet; aber viele von ihnen verkennen doch die
eigentliche Aufgabe der Verkehrsgeographie, wenn sie sich, wie
namentlich das an Thatsachen so reiche Werk von Götz, mit der Er-
zählung des geschichtlichen Werdens, noch dazu in Beschränkung auf
die Kulturländer, begnügen, ohne dies Werden zu erklären und in Be-
ziehung zur Natur der Länder zu setzen. Das Verhältnis der Ver-
kehrsgeschichte und der Verkehrsgeographie ist dasselbe wie das Ver-
hältnis der historischen Geologie und der physischen Geographie; jene
erzählt die Entwickelung der Erde, diese stellt die heutigen Verhältnisse
als Ergebnis des Entwickelungsvorganges nach der Seite der Verbreitung
hin dar. Auch die Verkehrsgeographie fufst auf geschichtlicher Grund-
lage; aber ihre eigentliche Aufgabe ist, die geographische Verbreitung der
Verkehrsverhältnisse in der Gegenwart darzustellen und zu erklären.
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282
A. Hettner:
Die Entwickelung der Verkehrs formen ist der Entwickelung der
Pflanzen- und Tierwelt in vieler lleziehung analog; ihre geographische
Verbreitung mufs deshalb unter ähnlichen Gesichtspunkten wie die
Verbreitung der Pflanzen und Tiere betrachtet werden, und zwar gilt
das nicht nur von den Transporttieren, sondern auch von den Fahr-
zeugen und anderen unorganischen Transportmitteln, bei denen das
Wesentliche nicht das Material, sondern die Erfindung ist. Ähnlich
wie die Entwickelung der Pflanzen- und Tierwelt in einer fortschreiten-
den Differenzierung und Vervollkommnung besteht, hat man auch
die Entwickelung menschlicher Einrichtungen als eine fortschreitende
Differenzierung und Vervollkommnung, allerdings auch mit gelegent-
lichen Rückschritten, aufzufassen begonnen. Aber in beiden Fällen
erfolgt die Entwickelung nicht überall gleichmäfsig, sondern an jeder
Erdstelle verschieden, in Abhängigkeit von ihren übrigen Verhältnissen.
Die Entwickelung der Verkehrsverhältnisse, im besonderen die all-
mähliche Vervollkommnung der Transportmittel, geht aus dem Be-
dürfnis des Menschen hervor, sich und seine Güter immer schneller
und mit immer geringerer Anstrengung auf der Erdoberfläche zu be-
wegen; aber sowohl dies Bedürfnis wie die Möglichkeit seiner Befrie-
digung sind je nach den Naturverhältnissen und dem Kulturzustand,
der auch wieder das Ergebnis einer ähnlichen Entwickelung ist, in
verschiedenen Gegenden verschieden.
Man führt die Verbreitung der Pflanzen- und Tierarten auf dreierlei
Vorgänge zurück: die Entstehung der neuen Art, beziehentlich Abart,
ihre Übertragung von einer Gegend zur anderen durch Wind und
Strömungen, Tiere und Menschen und ihre Einbürgerung unter An-
passung an Klima und Boden und im Kampf mit den bereits vorhan-
denen Arten. Auch die Verbreitung der Transportmittel wie anderer
menschlicher Einrichtungen kann man sich in dieselben drei Vorgänge
zerlegt denken : Erfindung beziehentlich V erbesserung, Wanderung und Ein-
bürgerung. Alle drei Vorgänge aber, Entstehung oder Erfindung, Wande-
rung und Einbürgerung, sind sowohl bei den Pflanzen und Tieren wie
bei den menschlichen Einrichtungen nicht zufällig, sondern in der Natur
der Erdoberfläche und dem Zustand der Kultur ursächlich begründet.
Eine Erfindung erscheint uns als das freieste Erzeugnis des mensch-
lichen Geistes, bei dem man jeden Gedanken an eine ursächliche Be-
dingtheit oder gar Notwendigkeit von sich abweisen möchte. Und
doch lehrt eine nähere Betrachtung, dafs jede höhere Erfindung von
einer ganzen Anzahl von Bedingungen abhängig ist und dafs sie des-
halb nur in einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Lande
erfolgen konnte, aber auch erfolgen mufste, weil die Entwickelung der
Dinge dazu drängte.
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Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrs, 283
Ziemlich selbstverständlich ist die erste Bedingung einer Dienst-
barmachung von Tieren zu Transportzwecken; nämlich dafs sie nur
innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebietes dazu geeigneter Tiere
oder in einer Gegend erfolgen konnte, wo man das bereits zu anderen
Zwecken gezüchtete Tier eingeführt hatte. Wir wissen leider wenig
über die natürlichen Verbreitungsgebiete der meisten Transporttiere,
und bei manchen Tieren, die nicht zu Transportzwecken dienen, können
wir nicht sagen, ob sie sich nicht doch dazu hätten erziehen lassen,
wenn die Bewohner der betreffenden Gegenden fähiger gewesen wären;
aber darüber besteht kein Zweifel, dafs die verschiedenen Länder von
der Natur sehr ungleich mit geeigneten Transporttieren ausgestattet
sind. Süd-Amerika hat ursprünglich nur das Lama besessen, das doch
hinter den meisten anderen Transporttieren weit zurücksteht, in Nord-
Amerika könnte man höchstens an den Bison denken, von den Beutel-
tieren und Schnabeltieren Australiens wäre wohl keines geeignet ge-
wesen; auch keines der ursprünglichen Tiere des äquatorialen und süd-
lichen Afrika ist in den Dienst des Menschen getreten. Alle unsere
Transporttiere, der Esel, das Pferd, das Dromedar, das baktrische
Kamel u. s. w., haben ursprünglich ziemlich beschränkte Verbreitungs-
gebiete. Aber noch enger sind jedenfalls die Bezirke, in welchen ur-
sprünglich die Zähmung dieser Tiere erfolgt ist; denn sowohl das Be-
dürfnis wie die Fähigkeit dazu waren zunächst nur an einzelnen Stellen
vorhanden. Es bildet eine wichtige Aufgabe der Sprachforschung und
Urgeschichte, diese Stellen zu bestimmen und den gleichzeitigen Kultur-
zustand der Völker aufzuhellen; die Verkehrsgeographie wird dadurch
erst eine sichere Grundlage für ihre Betrachtungen erhalten.
Auch die Erfindung der einfacheren Fahrzeuge, des Wagens, des
Schlittens, des Kahns, liegt noch so im Dunkeln, dafs sich über ihre
geographischen Bedingungen wenig sagen läfst; der uralte Besitz des
Wagens sowohl in China wie bei den vorderasiatischen und europäi-
schen Völkern weist vielleicht darauf hin, dafs er aus einer Zeit naher
Berührung dieser Völker in der Gegend des Pamir stammt. Dagegen
können wir bei den neueren Fortschritten des Verkehrswesens die Ab-
hängigkeit von Ursachen erkennen. Es ist die fortschreitende Kultur,
die zur Vervollkommnung der Verkehrsmittel drängt und sich damit
ein wichtiges Mittel zu weiterem Fortschritt schafft; besonders die Be-
dürfnisse grofser centralisierter Staaten wirken in dieser Richtung.
Deshalb sehen wir schon in alter Zeit die hohe Entwickelung des
Strafsen- und Kanalbaues in China, deshalb in den Despotien Vorder-
Asiens und im alten römischen Reich, deshalb in neuerer Zeit in den
fortgeschrittensten Staaten des westlichen Europas. Die Erfindung
des modernsten Verkehrsmittels, der Eisenbahn, war nur auf dem
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A. Hettner:
Boden europäischer Kultur möglich; die chinesische Kultur, die es zu
keiner eigentlichen Wissenschaft gebracht hat, war hierzu unvermögend.
In Europa und zwar im westlichen Europa oder den Europas geistiges
Leben teilenden Vereinigten Staaten aber mufste sie damals geschehen;
denn hier war das dringende Bedürfnis nach einer Verbesserung des
Verkehrs vorhanden , man hatte das dazu nötige Kapital, und Wissen-
schaft und Technik waren weit genug vorgeschritten. Seit Jahrzehnten
mühten sich eine grofse Anzahl von Männern mit dem Problem ab
und waren seiner richtigen Lösung allmählich nahe gekommen. Hätte
es keinen Stephenson gegeben, so wäre die Erfindung vielleicht etwas
später, aber sie wäre doch auch gemacht worden.
Die Übertragung von Transportmitteln und Verkehrseinrichtungen
von dem Ort ihrer Erfindung nach anderen Gegenden geschieht durch
Völkerwanderungen oder auch durch Handel und geistigen Austausch').
Völker, die ihre Heimat verlassen und andere Wohnsitze aufsuchen,
nehmen womöglich ihre Haustiere und ihren Kulturbesitz mit sich.
Auch wenn nicht das ganze Volk wandert, sondern nur Kolonien be-
gründet werden, werden mit den Menschen zugleich ihre Einrichtungen
und Hülfsmittel verpflanzt; wertvolle Einrichtungen und Hülfsmittel,
die man in den Kolonien vorfindet, gelangen dafür in die Heimat.
Selbst der Händler und Reisende, der ein fremdes Land nur flüchtig
besucht, bringt unter Umständen wertvolle Bereicherungen des Kultur-
besitzes von dort mit. So gelten für die Wanderung und Übertragung
der Verkehrsformen und Kultureinrichtungen überhaupt dieselben Be-
dingungen wie für Völkerwanderungen und Völkerberührungen; denn
wo Völker sich ungehindert verbreiten oder wenigstens Verbindungen
anknüpfen können, findet meist auch eine Übertragung des Kulturbesitzes
statt. Hohe Gebirge, Wüsten, reilsende Flüfse und Meere sind daher
die wichtigsten Hindernisse für die Übertragung der Verkehrsformen
von einer Gegend zur anderen, wie für die Bewegung des Menschen
und die Ausbreitung der Kultur überhaupt; aber nicht unbedingte
Hindernisse, sondern Hindernisse, die der Mensch eben durch Ver-
vollkommnung seiner Verkehrsmittel allmählich mehr oder weniger
überwinden lernt. Durch die Entwickelung der Ozean-Schifffahrt sind
Länder, die bis dahin vollständig von einander getrennt waren, in
Austausch ihrer Menschen und Einrichtungen getreten; der Ozean, ur-
sprünglich das grölste Hindernis, ist heute geradezu das bequemste
Mittel der Ausbreitung geworden.
Wie aber in der Natur viele Keime ausgestreut werden, die nicht
aufgehen, weil ihnen Klima und Boden nicht Zusagen oder weil sie
■j Vergl. Fr. Ratzel, Anthropogeographie, 1. Bei., 19. Kapitel.
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Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrs. 285
gegen andere Gewächse nicht auf7.ukommen vermögen, wie Pflanzen
und Tiere auf die verschiedenste Weise nach anderen Ländern ge-
langen, aber doch nicht Futs fassen, weil sie ihrer Natur nicht ange-
pafst sind oder wenigstens schlechter angepafst sind als andere Pflanzen
und Tiere, mit denen sie in Wettbewerb treten , so bürgern sich auch
Kultureinrichtungen keineswegs überall da ein, wohin sie gelangen. Denn
auch sie müssen dazu den natürlichen und den Kulturverhältnissen
des Landes entsprechen und zwar besser entsprechen als andere schon
vorhandene Kultureinrichtungen, die demselben Zweck dienen; der
Vorteil, den sie vor diesen darbieten, mufs grofs genug sein, um die
Macht der Gewohnheit zu überwinden. Was für ein Land und Volk
pafst und deshalb die Herrschaft gewinnt, kann für ein anderes Land
und Volk durchaus unpassend sein und wird in ihm nicht Fufs fassen
können. Man kann sagen, dafs ein neues, leistungsfähiges Verkehrs-
mittel dann über ein vorhandenes, weniger leistungsfähiges obsiegen
wird, wenn die Bevölkerung technisch und wirtschaftlich im Stande
ist, die Hindernisse, welche die Natur jenem mehr als der bisherigen Ver-
kehrsweise bietet, zu überwinden, und wenn sie durch das Verkehrs-
bedürfnis dazu veranlafst wird oder in der zu erhoffenden Steigerung
des Verkehrs einen genügenden Lohn ihrer Anstrengung erblickt.
Ein Volk auf niederer Kulturstufe, mit einfacher Volkswirtschaft,
bei dem fast alle Bedürfnisse des Lebens innerhalb der Familie oder
wenigstens innerhalb des Stammes oder der Gemeinde erzeugt werden,
dessen Habe gering ist, hat, selbst wenn es ein Wandervolk ist, nur
ein geringes Bedürfnis nach vollkommenen Verkehrsmitteln. Erst mit
der wachsenden Arbeitsteilung, mit der geographischen Differenzierung
der wirtschaftlichen Produktion und mit dem hieraus sich ergebenden
Handel beginnt man, sich um leistungsfähigere und bequemere Trans-
portmittel für Gütet und Personen zu bemühen, bis man zu jener
wunderbaren Steigerung der Anforderungen und damit auch der Lei-
stungen gelangt, die für die Kulturvölker der Gegenwart charakteri-
stisch ist.
Der verschiedene Umfang, in dem sich die modernen Verkehrsmittel
in verschiedenen Ländern eingebürgert haben, ist also in erster Linie
von dem verschiedenen Verkehrsbedürfnis abhängig, das auf der ver-
schieden hohen Entwickelung der Volkswirtschaft und des Handels
beruht.
Neben den Bedürfnissen des Verkehrs kommen die geistigen und
technischen Fähigkeiten der Bevölkerung in Betracht. Aber sie gehen
mit jenen meist Hand in Hand. Die Fähigkeiten der Bevölkerung sind
ja für die Entwickelung der Volkswirtschaft und damit die Gröfse
des Verkehrsbedürfnisses mit mafsgebend, und andererseits erzieht das
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A. Hettner:
Bedürfnis meist die Fähigkeit, es zu befriedigen. Bei einem vorhan-
denen Bedürfnis wird diese Fähigkeit nur dann fehlen , wenn das Be-
dürfnis noch neu und vielleicht nicht natürlich erwachsen, sondern von
aufsen aufgepfropft ist.
Eine sehr wichtige Bedingung ist auch die wirtschaftliche Leistungs
fähigkeit. Je vollkommener ein Verkehrsmittel ist, um so mehr An-
lage- und Betriebskapital erfordert es in der Regel. Gröfsere Kapi-
talien sind aber auch wieder nur bei entwickelter Volkswirtschaft vor-
handen; deshalb sehen wir auch diese Bedingung gewöhnlich mit den
beiden anderen Bedingungen verbunden.
So ist die stufenweise Einführung höherer Verkehrsformen eng an
die stufenweise Entwickelung von Volkswirtschaft und Kultur geknüpft
Es findet hier eine wechselseitige Abhängigkeit statt; denn wie die
Verkehrsformen von dem Verkehrsbedürfnis und der geistigen und
wirtschaftlichen Fähigkeit der Bevölkerung abhängig sind, so wirken
sie auch wieder fördernd oder hemmend auf diese ein. Insoweit stehi
die Verbreitung der Verkehrsmittel zwar nicht aufser Zusammenhang
mit der Natur der Länder, aber der Zusammenhang ist nur mittelbar.
Unmittelbar dagegen macht sich der Einflufs der Natur in dem Wider-
stand geltend, den sie den Bemühungen der Kultur, sich geeignete
Verkehrsmittel zu schaffen, entgegensetzt, und der bald nur eine gröfsere
Kraftanstrengung nötig macht, bald unüberwindlich ist. Diese Natur-
bedingungen sind, mit menschlichem Mafsstab gemessen, wenig ver-
änderlich und stehen daher der in rascher Entwickelung begriffenen
Kultur als etwas Bleibendes gegenüber. So verschieden sich auch die
Verkehrsformen eines Landes im Lauf der Zeit mit dem Wechsel der
Kulturhöhe gestalten, so bewahren sie doch gewisse Merkmale, be-
halten sie gleichsam eine Lokalfärbung, die eben aus dem direkten
Einflufs der Naturbedingungen entspringt. .
Sie liegen teils im Klima, teils in Gestalt und Beschaffenheit des
Bodens. Besonders die Transporttiere sind den Einflüssen des Klimas,
klimatischen Krankheiten und Plagen unterworfen, sie bedürfen auch
einer bestimmten Art und Menge der Nahrung, und kommen dadurch
in verschiedenen Gegenden mehr oder weniger gut fort oder sind von
manchen Gegenden ganz ausgeschlossen. Die Verbreitung des Kamels,
des Elefanten, des Renntiers, des Lamas, des Grunzochsen liefern hier-
für Beispiele. Sie sind auch auf verschiedenem Boden in verschie-
dener Weise verwendbar; in der Ebene verdient im allgemeinen das
Pferd, im Bergland das Maultier den Vorzug ; das Kamel ist flir Berg-
land ungeeignet. Mehr aber noch als auf die Transporttiere macht
sich der Einflufs der Bodengestaltung und Bodenbeschaffenheit auf
den Gebrauch der Fahrzeuge und auf die geographische Verteilung
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Die geographische Verbreitung der Transportmittel des Landverkehrs. 287
der Hauptarten des Verkehrs, des Fufsverkehrs, Saumverkehrs, Wagen-
verkehrs und Eisenbahnverkehrs geltend. Der Fufsgänger kann sich
auf dem Festboden fast überall bewegen. Das Saumtier wird durch
Felsbildungen, Schnee und Eis, Morast oder dichten Pflanzenwuchs schon
mehr gehindert. Der Gebrauch des Wagens setzt geringe Neigung
des Bodens voraus und macht an Festigkeit des Bodens und Offenheit
des Geländes gröfsere Ansprüche; er ist daher nur in Ebenen und
Hügelländern ohne weiteres möglich, während er in Sumpfgebieten und
Gebirgen die Herstellung künstlicher Strafsen erfordert, • die nur bei
fortgeschrittener Technik unternommen werden kann und immer mit
grofsen Kosten verknüpft ist. Die Eisenbahn kann noch weniger Stei-
gungen überwinden und erfordert noch viel gröfsere Kunstbauten als
die Fahrstrafse, besonders das Eindringen ins Gebirge bereitet ihr noch
viel mehr Schwierigkeiten ; die Bodengestaltung übt daher auf die Ver-
teilung der Eisenbahnen noch viel gröfseren Einflufs als auf die Ver-
teilung der Fahrstrafsen aus. Dazu kommt noch, dafs eine Eisenbahn
oder auch eine Fahrstrafse einen um so kleineren Bezirk für den Ver-
kehr aufschliefst, je gebirgiger das Land ist, weil die Kosten der Zu-
fuhr und Abfuhr zur Eisenbahn so grofs werden, dafs sie sich nicht
mehr lohnen; also ein weiterer Grund, der den Bau von Eisenbahnen
in Gebirgsländern einschränkt. Der Schlittenverkehr ist, von der Holz-
abfuhr in Gebirgen abgesehen, an das Vorkommen von Schnee und
F.is gebunden.
Fassen wir unsere Erörterungen zusammen 1 Es ist ein Bild fort-
schreitender Entwickelung unter Anpassung an die verschiedenen
Natur- und Kulturverhältnisse, das sich uns darbietet. Ursprünglich
ist der Mensch selbst sein einziges Transportmittel. An einzelnen
Stellen erwirbt er allmählich die Fähigkeit, Tiere zu zähmen und zu
züchten und auch für Transportzwecke zu benutzen ; er erfindet den
Kahn, den Schlitten und den Wagen und in neuerer Zeit das Dampf-
schiff und die Eisenbahn. Diese Transporttiere und Fahrzeuge nimmt
er bei seinen Wanderungen mit und überträgt sie auch auf andere
Völker, mit denen er in Berührung kommt. So breiten sich die höheren
Verkehrsformen aus und schränken den Fufsverkehr und andere weniger
leistungsfähige Verkehrsarten ein. Aber manchmal findet die neue
Verkehrsart keinen Eingang, sondern unterliegt gegen die vorhandenen
Verkehrsarten, die an sich vielleicht weniger vollkommen sind, sich
aber für das Land besser eignen.
Das treibende Motiv der Entwickelung ist also der Trieb des
Menschen, sich sein Leben besser zu gestalten, d. h. in unserem Fall,
sich und seine Güter mit geringerer Mühe, schneller und bequemer
von einer Stelle zur andern zu befördern. Dieser Trieb ist überall
Zeiuchr. d. Gcscllich. f. ErdJc. Bd. XXIX. 20
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288 A. Hettner: Die geogr. Verbreitung iler Transportmittel des Landverkebts.
vorhanden; aber bei verschiedenen Völkern in sehr verschiedener Stärke,
und er wird auch bei verschiedenen Völkern in sehr verschiedenem
Mafs von der menschlichen Trägheit eingeschränkt. Er ist abhängig
von dem Volkscharakter und der Kulturhöhe, die wir hier als gegeben
betrachten, obwohl auch sie in hohem Grade geographisch be-
dingt sind.
Dieser menschliche Trieb bedarf aber der Natur als Unterlage
seiner Bestrebungen; er benutzt sie gleichsam als Stoff, den er nach
seinen Zwecken formt; er sucht sie für sich auszunützen und ist da-
durch von dem abhängig, was sie ihm bietet; er lernt allmählich, ihre
Schätze zu verwerten und die Hindernisse, die sie ihm in den Weg
stellt, zu überwinden. Darin liegen die direkten geographischen Bedin-
gungen der Kulturentwickelung.
Die direkten geographischen Bedingungen der Entwickelung des
Verkehrs sind dreierlei Art. Die natürliche Verbreitung der zu Trans-
portleistungen geeigneten Tiere ist die selbstverständliche Voraussetzung
ihrer ersten Zähmung, während flir die Erfindung der Fahrzeuge eine
ähnliche Bedingung nicht besteht, da es bei ihnen mehr auf die Erfin-
dung als auf den Stoff ankommt. Die Verteilung von Land und Meer,
die Richtung der Gebirge und Flüsse, das Vorhandensein von Wüsten,
Steppen und Urwäldern, auch das Klima wirken als Hemmnisse der
Völkerwanderung und Völkerberührung und damit auch der Ausbrei-
tung der Verkehrsformen, aber als Hemmnisse von veränderlicher Be-
deutung, die vom Menschen allmählich überwunden werden. Boden-
gestalt, Bodenbeschaffenheit, Klima und Pflanzenwelt bereiten aber auch
der Einbürgerung der Verkehrsformen verschiedene Bedingungen; sie
machen sie mehr oder weniger leicht und schliefsen manche Verkehrs-
formen ganz aus.
In zeitlicher Reihenfolge kommt es zuerst hauptsächlich auf die
ursprüngliche Ausstattung mit geeigneten Tieren an. Später kommt
besonders die geographische Lage in Betracht, weil von ihr die Mög-
lichkeit abhängt, die in anderen Ländern entstandenen Verkehrsformen
zu empfangen. Amerika und Australien waren, bis zum Beginn der
Ozean-Schifffahrt, in beiden Beziehungen besonders schlecht gestellt.
Jetzt sind der Ozean und die meisten anderen Schranken der Ausbrei-
tung überwunden; zwischen fast allen Ländern der Erde ist ein Aus-
tausch der Transportmittel möglich, es sind nur noch die Nachwir-
kungen der früheren Schranken, die sich heute bemerkbar machen,
allerdings noch in hohem Grade bemerkbar machen. Aber allmählich
werden die Bedingungen der Einbürgerung in den Vordergrund treten.
Es wird mehr und mehr darauf ankommen, welche Gegenden den
vollkommeneren Verkehrsformen am besten angepafst sind, d. h.
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Sven Hedin: Physische Geographie des Hochlandes von Pamir. 289
in welche Gegenden diese mit den geringsten Schwierigkeiten und
Kosten eingerichtet und betrieben werden können. Gesetzt, es
würde kein neues, vollkommeneres Verkehrsmittel mehr erfunden, auch
sonst ginge die Kultur nicht Uber die Höhe ihrer heutigen Entwicke-
lung hinaus, die weitere Entwickelung bestände vielmehr nur in der Aus-
breitung der vorhandenen Kultureinrichtungen, so würde das Ende der
Entwickelung ein Zustand sein, in welchem die Beschaffenheit und die
Menge der Verkehrsmittel jeder Gegend von ihrem Klima und ihrem
Bodenbau abhängig wäre; denn auch die Bevölkerungszahl und Volks-
wirtschaft würden diesen angepafst sein. Thatsächlich aber wird dieser
Zustand nie eintreten; denn die Menschheit wird in der Kultur fort-
schreiten und sich immer höhere Verkehrsformen schaffen, die von
der Stelle ihres Ursprungs aus wieder ihre Wanderung antreten werden,
wenn auch mit schnelleren Schritten als bisher. Jener Zustand der
vollkommenen Anpassung der Verkehrsformen an die Erdnatur wird
daher nur das Ziel sein, nach welchem die Entwickelung hinstrebt,
ohne es zu erreichen.
Forschungen über die physische Geographie des
Hochlandes von Pamir im Frühjahr 1894.
Von Dr. Sven Hedin.
(Reisebericht N'r. z1), am ig. Juni 1894 aus Kaschgar abgeschickt.)
(Hierzu Tafel g— n.)
Ehe ich zu dem eigentlichen Gegenstand dieses Aufsatzes über-
gehe, möchte ich einen kurzen orientierenden Überblick über die plas-
tischen Verhältnisse des l’amir-Gebiets und einige Angaben über dessen
Bevölkerungsverhältnisse voranschicken. Dann werde ich auf die
Schneeverhältnisse des letzten Winters im allgemeinen eingehen und
endlich von den Resultaten des Schneeniederschlages, von der Wasser-
menge einiger Flüsse und der Bildung der Gletscher im östlichen
Pamir sprechen*).
1) Reisebericht Nr. 1 s. Verhandl. d. Ges. f. Erdk. 1894, S. 150 — 165.
*) Da dieser Aufsatz während der Reise geschrieben worden ist, bitte ich es
mit Nachsicht zu beurteilen, wenn ich mich wegen der Kürze der Zeit einzelner
Wiederholungen schuldig gemacht oder vielleicht Ansichten und Gesichtspunkte
ausgesprochen habe , die schon von anderen geäufsert sind. Der Aufsatz darf
nur als ein vorläufiger Bericht betrachtet werden. Der reichen Bibliothek des
russischen Konsuls in Kaschgar, Herrn Petrowsky, welchem ich auch aus
20*
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290
Sven Hedin:
i. Morphologische Übersicht.
Wie Freiherr von Richthofen den ganzen asiatischen Kontinent in
centrale oder abflufslose, Übergangs- und peripherische Gebiete ein-
teilt, so kann man auch in kleinem Malsstab auf dem Hochland von
Pamir in ähnlicher Weise drei untereinander verschiedene Gebiete
unterscheiden, wobei aber das abflufslose Gebiet im Verhältnis zu den
beiden anderen ziemlich klein ist (Tafel 8 u. 12). In dem abflufslosen
Gebiet fliefst das Wasser zum See Kara-kul, in den peripherischen zum
Amu-darya (Aral-See) und zum Tarim (Lob-nur). Dazu kommt noch
ein kleines abfiufsloses Gebiet in der unmittelbaren Umgebung der
Zwilling-Seen Schor-ktil und Rang-kul. Ein grofser Teil des erst-
genannten centralen Beckens wird vom Salzsee Kara-kul selbst ein-
genommen, welcher von einer Menge temporärer Bäche der Rand-
gebirge gespeist wird , die ihrerseits dem Schmelzwasser des Schnees
oder dem Tribut zahlreicher Quellen ihre Existenz verdanken; in der-
selben Weise wird der Süfswassersee Rang-kul gespeist.
Die abflufslosen Gebiete im allgemeinen bekommen ihre am
meisten prägnanten Charakterzüge durch die ununterbrochene Nivel-
lierungsarbeit, die in ihnen vor sich geht und darin besteht, dafs sämt-
liche Produkte der Zersetzung und Erosion und des mechanischen
Transports im wesentlichen von den Rändern gegen die tieferen
Teile der Depression getragen werden, um sich dort abzusetzen und
die Unebenheiten des Geländes auszugleichen. Obgleich dies auch im
Kara-kul-Gebiet der Fall ist, sind doch hier die vertikalen Unterschiede
nicht unbedeutend. Während die im Westen des Sees gelegenen Ge-
birge eine relative Höhe von wenigstens 1200 m haben, ist die gröfste
Tiefe des Sees nach meiner Messung 230,5 m, was für einen Salzsee
eines asiatischen Centralbeckens als sehr viel betrachtet werden mufs.
Das östliche Becken des Sees, das von dem westlichen durch eine
manchen anderen Gründen zu aufrichtigem Dank verpflichtet bin, verdanke ich dir
Arbeiten von Frhr. v. Richthofen, Bogdanowitsch und Geiger; leider fehlen mir die
Arbeiten IwanofTs. An dieser Stelle möchte ich auch meinen herzlichen Dank den rus-
sischen Behörden aussprechen, durch deren Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft
die an und für sich sehr beschwerliche Reise ohne besondere Schwierigkeiten ausgeführt
werden konnte. Auf der ganzen Reise wurde ich von kirgisischen Führern begleitet,
und die Einwohner des Alai-Thals hatten Befehl bekommen, an bestimmten Tagen und
Plätzen, bis nach Murgab hin, sich mit Jurten, Heizmaterial und Schafen einzu-
finden. Von Murgab nach der russisch-chinesischen Grenze wurde ich in derselben
Weise begleitet. Vor allen Dingen werde ich des General-Gouverneurs von Tnr-
kestan, Baron Wrewsky, des Gouverneurs von Fergana, General Pavalo-
Schwejkowsky, und des Kommandanten von Pamirsky Post, Kapitän Sajtseff,
dankbar eingedenk sein.
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
291
Insel und eine Halbinsel getrennt wird, hat dagegen eine Maximal-
tiefe von nur 20 m. Diese Tiefenverhältnisse hängen mit den Terrain-
verhältnissen zusammen, indem das östliche Becken von flachen Steppen
umgeben ist, das westliche dagegen von hohen Gebirgen, die steil gegen
den See einfallen. Doch empfangt das westliche Becken die beiden
gröfsten Zuflüsse, von Norden den Kara-dschilga, von Süden den Mus-
kol, an deren Mündungen die untiefsten Stellen des Beckens gelegen
sind, wogegen ihre erosive Kraft noch nicht genügt hat, um die cen-
tralen Stellen des Sees auszufüllen. Dies rührt wohl nicht nur davon
her, dafs der See von Anfang an sehr tief gewesen, sondern auch davon,
dafs das Gefälle der beiden Bäche gering ist, und die von ihnen durch-
strömten Gegenden durch die fast immer wehenden und äufserst hef-
tigen Winde von den feinsten Produkten der Verwitterung gereinigt
werden. Dennoch ist der ganze Boden des Kara-kul, wie ich gefunden
habe, mit feinem Schlamm bedeckt.
Das gröfsere abflufslose Gebiet wird an allen Seiten von mehr
oder weniger bedeutenden Gebirgskämmen und Massiven umgeben;
im Norden wird es durch die Wasserscheide des oberen Markan-su
begrenzt, im Osten durch den Pafs Kalta-davan (4810 m), im Südosten
durch die Pässe Kisil-dschijik (4663 m) und Ak-bajtal (4594 m), die vom
See am weitesten entfernten Punkte des Gebietes, und im Süden von
der Gebirgsgruppe Mus-kol; im Westen liegt noch unerforschtes Land.
Das kleinere Gebiet, Schor-kul — Rang-kul, wird im Norden vom Ischi-
Pafs (4247 m), im Osten von den Sarik-kol-Pässen Ak-berdi, Tschuggataj
(4730m), Kum-dschilga, Mus-kuru u.s. w., im Süden von einer wenig hohen
Gebirgsgruppe nördlich vom Murgab und im Osten von den Gebirgen
des Akbajtal-Thales begrenzt. Die Grenzpässe haben bedeutende Höhen
und werden von den Kämmen, in denen sie gelegen sind, wenig
überragt. Auch die Centren der beiden Becken sind in bedeuten-
den absoluten Höhen gelegen, nämlich 4006 m fKara-kul) und 3731m
(Schor-kul — Rang-kul). Im ganzen haben die beiden Gebiete zwischen
den obenerwähnten Grenzen zusammen ein Areal von nur gegen
5500 qkm, oder wenig mehr als der See Issik-kul.
Wie oben erwähnt, ist die vertikale Gliederung des centralen
Beckens zu einem gewissen Grad entwickelt; doch wird es dem Rei-
senden, der vom Fergana-Thal kommt, das Becken durchquert und
sich nach Ost-Turkestan begiebt, nicht entgehen, dafs der Charakter
des Hochlandes von Pamir zwischen den Pässen Kisil-art (4271 m) im
Norden und Akbajtal im Süden, und dann von Schor-kul nach Tschug-
gataj, ein ganz anderer ist als aufserhalb dieser Grenzen. Denn hier
handelt es sich nicht um ein Hochgebirgsland, sondern um ein typisches
Hochflächenland, das im Norden und Süden von latitudinalen, im
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292
Sven Hedin:
Osten von meridionalen Gebirgsketten begrenzt wird. Für den Rei-
senden, der von Norden kommt, sind diese Verschiedenheiten sehr
auffallend. Er hat die sehr reich entwickelte Alai-Kette überschritten, das
Alai-Thal gekreuzt, und erreicht durch eine sanft ansteigende Schlucht
die Kammhöhe der Transalai-Kette im Kisil-art. Von hier aus erhält
er einen schönen Überblick über das Hochflächenland mit seinen ver-
hältnismäfsig sanft geneigten Gehängen und seinen abgerundeten Ober-
flächenformen; die Gebirge mit ihren immerhin unbedeutenden rela-
tiven Höhen erscheinen ohne irgend welche vorherrschende Streich-
richtung wie aufgesetzt. Hier sind die Produkte der unermüdlichen
Denudation liegen geblieben. Überall, besonders in den Schluchten,
sieht man Kies und Trümmer; die Gehänge der Gebirge sind durch
Detritusmassen verborgen, und am Fufs haben sich hie und da Schutt-
kegel gebildet. Alles ist in hohem Grad verwittert, und nur in den
höchsten Regionen, wo der Wind freien Spielraum hat, tritt der
nackte Fels zu Tage.
Die Thäler zwischen den Gebirgszügen der Hochflächen-I.andschaft
sind sehr sanft geneigt und bieten dem Vorwärtskommen nicht die
geringste Schwierigkeit dar; der Thalboden ist eben, an mehreren
Stellen scheint er fast horizontal zu sein, und in der Mitte fliefst im
Frühling und Sommer ein kleiner Bach. Dazu sind die Hochflächen-
Thäler meist sehr breit, so z. B. das Rang-kul-Thal und das Murgab-
Thal. Das landschaftliche Aussehen dieser Gegenden ist trostlos und
einförmig.
Auffallend ist das im Gegensatz zu anderen abflufslosen Becken
Central-Asiens geringe Vorhandensein von feinem Sand. Auf dem
Weg vom Kisil-art nach dem Ak-bajtal begegnet man nur zwischen
Kisil-art und Uj-bulak, und dann noch auf den Steppen um den Kara-kul,
sandigem Boden, der aber von der Teresken- und Grasvegetation ge-
bunden und festgehalten wird ; sonst ist der Boden der Thäler und
Schluchten mit grobem Kies und Verwitterungstrümmern reich bedeckt.
Zweifelsohne wird der feine Sand, soweit er nicht durch die äufserst spär-
liche Vegetation gebunden wird, von den stetigen und heftigen Winden
fortgetragen, um in weiter Ferne wieder abgesetzt zu werden. In der
That sind auf dem Plateauland Staub- und Sandburane eine gewöhn-
liche Erscheinung.
Da wässrige Niederschläge hier eine grofse Seltenheit sind,
der Schneeniederschlag in diesem Teil des Pamir am kleinsten ist,
und deshalb die Bäche des Gebietes sehr wenig und nur während
des Frühlings und Sommers Wasser führen, werden die Winde und
der Spaltenfrost die kräftigsten Agentien der Denudation sein. Auf
der Kara-kul-Insel sah ich Syenit- und Schieferblöcke, die vom Wind
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
293
stellenweise schön geschliffen und oft tief ausgehöhlt waren. Ebenso
energisch wirken die Temperaturverhältnisse. Die Amplituden steigen
nicht selten bis auf 50° C. binnen 24 Stunden. Die Insolation ist intensiv
auch im Winter, und die Ausstrahlung während der klaren Nächte
ebenso lebhaft.
Das kleinere abflufslose Gebiet ist reicher an Sand, besonders
zwischen dem See Rang-kul und dem kleinen Gebirge Sarik-gaj. Dieses
Gebirge steht wie ein Querriegel zwischen dem See und dem Najsa-
tasch-Thal, und der Sand, der mit den vorherrschenden westlichen
Winden gegen Osten getrieben wird, häuft sich an seinen westlichen
Abhängen zu gewaltigen Dünen an, deren konvexe Seiten gegen Osten
gerichtet sind.
In einer sehr breiten, besonders gegen Südosten ausgedehnten Zone
wird das centrale Becken von den Übergangsgebieten umgeben.
Im allgemeinen haben die östlich und südlich des Kara-kul gelegenen
Landstriche fast genau denselben Charakter wie das Centralbecken,
mit sanftgeneigten Oberflächenformen und reichlich angehäuften Ver-
witterungsprodukten; im Westen aber, wo die Übergangszone ungleich
schmäler ist, trägt sie nahezu dieselben Charakterzüge wie die peri-
pherischen Gebiete.
Im Osten und Süden sind die relativen Höhenunterschiede viel
geringer als im Westen, welche plastischen Verhältnisse, wie oben er-
wähnt, sich auch in den Tiefenverhältnissen des Kara-kul abspiegeln.
Nördlich von diesem ist die Übergangszone nicht besonders breit und
wird fast ausschliefslich durch die Oberläufe der beiden Kisil-su und
des Markan-su eingenommen. Dieser hat augenscheinlich grofse Er-
oberungen auf den früher abflufslosen Gebieten gemacht; seine Quellen
liegen schon jetzt nordwestlich des Sees. Mit ebenso grofsem Recht
dürften auch die beiden Oberläufe des westlichen und des östlichen
Kisil-su hieher gerechnet werden; denn auch hier treten die plateau-
artigen Landschaftsformen in den Vordergrund, und besonders der
östliche Teil des Alai-Thals mit seinen bedeutenden Höhen zeichnet
sich durch seine flache ebene Plastik aus. Südwestlich vom Kara-kul
greift der Kok-uj-bel auf das abflufslose Gebiet über. Er ist mit
seinen Quellen, die nur wenig höher als die Oberfläche des Sees
gelegen sind, in eine Entfernung von nur 10 km vom Mus-kol-Bach
vorgerückt und wird, geologisch gesprochen, vielleicht schon morgen
ein Abflufs des Kara-kul sein, wodurch das centrale Becken ganz rudi-
mentär werden und in Übergangsgebiet verwandelt1) werden w'ürde.
•) In seinem vortrefflichen Buch, „Die Pamir-Gebiete" rechnet Dr. \V. Geiger
mit Recht den Pamir zu der übergangszonc im Richthofen’schen Sinn der Einteilung,
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294
Sven Hedin:
Die ausgedehnten Landstriche, die südöstlich und östlich vom
Kara-kul gelegen sind, d. h. die Gebiete des Ak-bajtal - Baches . der
Seen Schor-kul und Rang-kul und des oberen Murgab (Ak-su), die ich
von Westen nach Osten durchquert habe, tragen fast genau dieselben
physisch-geographischen Merkmale wie das gröfsere Centralgebiet; ich
verlege daher die Grenze der Übergangszone in dieser Richtung an
die hohe, NNW— SSO streichende Gebirgskette Sarik-kol. Vermutlich
gilt dasselbe, wenn auch in geringerem Grad, von den Oberlaufs-
gebieten der Flüsse Alitschur, Pamir und Wachan-darya.
Eine geographische Homologie, die mir auf der Reise über den
Pamir auffiel, ist folgende: die beiden Randketten des Ubergangs-
gebietes, Alai und Sarik-kol, wurden in einfachen Pässen überschritten,
und die Kammlinie war bei beiden scharf markiert. Die Randketten
des abflusslosen Gebietes aber wurden in doppelten Pässen (Kisil-art1)
und Ak-bajtal) verquert. Bei dem Pafs Kisil-art finden wir an der
äufseren Seite, d. h. gegen Norden, den eigentlichen Pafs, dann aber
fügt aber hinzu: „und dafs sie zu der Zone des Übergangs gehört, beweist der
Umstand, dafs auf der östlichen Pamir sich abflufslose Seebecken finden, welche
früher sicherlich abfliefsend waren" (S. 24). Wenn es sich erweisen liefse, dafs der
Kara-kul einst gröfser gewesen ist, d. h. dafs sein Spiegel höher gelegen war als
jetzt, so könnte diese Vermutung richtig sein, vorausgesetzt, dafs die konccntrische
Erosion an den Rändern des nbflufslosen Gebiets damals eben so weit vorgeschritten
war wie jetzt, was natürlich nicht der Fall sein kann. Ich bin der Meinung, dafs
diese Gebiete in der letzten geologischen Periode nicht abfliefsend, die abflufslosen
Gebiete vielmehr früher viel ausgedehnter gewesen sind und sicherlich die ganze
Übergangszone umfafst haben. Die Eigentümlichkeit der Übergangszone ist ja nach
von Richthofen's Definition eben die, dafs sie eine Zwischenform des centralen und
des peripherischen Gebietes ist, „wo in den jüngsten Perioden Teile der abflufslosen
Gebiete in ablliefsende verwandelt worden sind, oder das Umgekehrte stattgefunden
hat. Im ersten Fall bewahren sie noch in hohem Grad die Eigentümlichkeiten
von Ccntral-Asien, im zweiten haben sie diejenigen der peripherischen Länder noch
nicht ganz verloren" (China, I, 8). Eben den ersten Fall haben wir liier vor uns:
die abllufsloscn Gebiete werden durch die von allen Seiten vorrUckende peripherische
Erosion allmählich vernichtet, und der Charakter der Landschaft verrät nicht ira
geringsten, dafs diese Gegenden jemals abfliefsend gewesen sind. Sollte dies denn-
noch einmal früher der Fall gewesen sein, so ist jedenfalls seitdem ein genügender
Zeitraum verflossen, dafs diese Gebiete die Eigentümlichkeiten der Abflufslosigkeit
annehmen konnten. — Dr. Geiger's Definition des Plateaulandes im Gegensatz zum
Gebirgsland (S. 25) ist sehr zutreffend. Als Grenze zwischen Plateau und Gebirgs-
Pamir wird richtig 73 0 ö. L. betrachtet.
1 ) Aus dem Obigen geht hervor, dafs der obere Markan-su in der allerletzten
geologischen Zeit auf das abflufslose Gebiet übergegriflen hat, und man kann des-
halb von dem Kisil-art als Grenze dieses Gebietes im weitesten Sinne sprechen.
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
295
an der inneren Seite des Gebiets wieder einen zweiten, niedrigeren;
zwischen beiden breitet sich eine flache Einsenkung im Kamm der
Transalai-Kette aus. Bei dem Pafs Ak-bajtal begegnen wir genau der-
selben Plastik; auch hier liegt der höchste, eigentliche Pafs an der
äufseren, hier der südlichen Seite, und zwischen beiden ist eine flache
Einsenkung; hier ist jedoch die Entfernung zwischen den Doppelpässen
viel gröfeer, fast ein Werst. Auf die grofsen Homologien bezüglich der
Randketten des Pamir-Gebiets wird unten aufmerksam gemacht werden.
Die peripherischen Gebiete haben durch die unermüdliche
Arbeit der Erosion den früheren Charakter von Plateauland verloren
und sind durch vollkommenere Gebirgsentwickelung gekennzeichnet; die
Formen werden an den nach Westen strömenden Flüssen stromabwärts im-
mer steiler und wilder; das Land wird durch ungemein tief eingeschnittene
Schluchten durchfurcht, in denen die Struktur der Gebirge sehr schön
blofsgelegt ist, und auf deren Boden der Flufs schmal und tief zwischen
heruntergefallenen Steinblöcken dahinbraust. ')
Wir haben die Oberläufe der beiden Kisil-su zur Übergangszone
gerechnet. Von landschaftlichem Gesichtspunkt ist das ganze Alai-
Thal bis weit nach Karategin hinein eine Übergangsform von der in
tiefen wilden Querthälern durchfurchten Alai-Kette zum verhältnis-
mäfsig ebenen Plateauland.
Eine homologe Bildung finden wir im Osten, wo die riesige Sarik-
kol-Kette mit Pafsübergängen von Mont Blanc-Höhe als Grenze der
Übergangszone betrachtet wurde. Da aber, wie oben erwähnt, das
ganze Land bis zu dieser Grenze genau denselben Charakter hat wie
das centrale Gebiet, ja sogar in seiner Mitte noch ein zweites abflufs-
loses Gebiet einschliefst, so kann man mit Recht sagen, dafs das lange,
freilich in seinem nördlichen Teil schmale Sarik-kol-Thal, das im Süden
vom oberen Yarkand-darya, im Norden von den beiden Quellflüssen des
Ges durchflossen wird, dieselbe geographische Stellung hat wie das
Alai-Thal, d. h. es bildet eine landschaftliche Übergangsform zwischen
den westlich und östlich gelegenen Landschaftsformen, Hochflächenland
einerseits, hochentwickeltem Gebirgsland andererseits.
Die beiden oben erwähnten Flüsse, welche vom Pafs Ulug-rabat
(4177 m) nach Süden und Norden fliefsen, werden hauptsächlich vom
'l An mehreren Stellen brausen die Flüsse zwischen vertikalen Felswänden
wie durch einen Korridor dahin, und nur die nichtigen Tadschik-Bewohner dieser
Gegenden können hier durchkommen. Es giebl Passagen, wo sie HolzstUckchen
in den Spalten der vertikalen Felswand hoch über den Flufs cingeschlagen haben,
und sie klettern, mit grofsen Packbündeln auf dem Rücken gebunden, sicher und
schnell wie Affen von einem HolzstUckchen zum andern. Hie und da helfen sie
sich durch Felsenvorsprünge, Vertiefungen oder natürliche Kamine.
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Sven Hedin:
Schmelzwasser der Gletscher und Schneemassen der Mus-tag-Kette ge-
bildet und schwellen eben deshalb im Frühling und Sommer zu sehr
beachtenswerten Dimensionen an. Der Ges-Flufs führte schon am
28. April ungefähr 24 cbm Wasser in der Sekunde und war für die
Karawane an einigen der vielen Übergangsstellen nur mit Schwierig-
keit zu überschreiten; binnen kurzem wird er aber so mächtig, dafs er
gar nicht überschritten werden kann. Dieser Flufs sammelt den ganzen
Wasserreichtum der nördlichen Hälften der Mus-tag- und Sarik-kol-
Ketten, und vier Seen sind innerhalb der Grenzen seines Flufsgebietes
gelegen, nämlich: Tschacker-agil, Bulun-kul, Bassik-kul und der Kleine
Kara-kul; zwischen den beiden ersten breiten sich ausgedehnte Sumpf-
niederungen aus. Obgleich der östliche, vom Ges und Yarkand-darya
entwässerte Pamir innerhalb der Grenzen des eigentlichen centralen, ab-
flufslosen Gebietes Central-Asiens fällt, trägt doch die von den beiden
Flüssen durchbrochene Kette ganz und gar denselben Charakter wie
die eigentlichen peripherischen Gebiete; in tief eingeschnittenen,
wilden und steilen Querthälern wird sie von den Flüssen mit unwider-
stehlicher Gewalt durchbrochen, und der geologische Bau derselben
wird in der schönsten Weise entblöfst. Der Ges-Flufs hat sogar seine
schmale, äufserst tiefe Schlucht gerade zwischen zwei Kulminations-
punkten der Kette, nämlich Tschacker-agil und Ak-tau, eingemeifselt.
Mit noch gröfserer Gewalt bricht sich der wasserreiche Yarkand-darya,
der von Bogdano witsch die Hauptarterie Ost-Turkestans genannt wird
und dessen oberer Lauf von ihm sehr gut beschrieben worden ist1),
Bahn durch die östliche Begrenzungskette des Pamir-Plateaus und giebt
ihr auch hier die Eigenschaften, welche die peripherischen Gebiete
kennzeichnen*). Dafs aber die östlichen Randgebiete des Pamir in
hohem Grad von den übrigen Teilen Central-Asiens verschieden sind
und vielmehr die Eigenschaften der peripherischen Gebiete tragen,
darf nicht Wunder nehmen. Es hängt dies selbstverständlich in erster
Linie von den Terrainverhältnissen, den grofsen absoluten und relativen
Höhen, und in zweiter Linie von der grofsen Wassermenge ab, indem
das Schmelzwasser der Gletscher und des Schnees und die reichlichen
sommerlichen Niederschläge in gewissen Teilen des Gebietes*) der
Erosion ein unerschöpfliches Material zu ihrer Arbeit in die Hand
geben.
') Trudi Tibttskoj Ekspeditsij 1889 — 1890, pod natschahtvom Kl. V. P/'evtsmu,
II, IO — 14 S.
Über diese Bedeutung des Yarkand-darya siehe v. Richthofen, China I, 18-
3 j Bogdanowitsch erwithnt die heftigen Sonunerregen an den Nordostabhängen
des Mustag-ata, die den Yarkand-darya zu bedeutender Steigung bringen.
Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
207
Aus eigener Erfahrung kenne ich nur die nördlichen und öst-
lichen Teile des Pamir-Landes ; aber mit Beihülfe der meisterhaften
russischen Zehn- Werst-Karte von Fergana und Pamir1), die auch die
Oberflächenformen zu ihrer Geltung kommen läfst, darf ich voraus-
setzen, dafs wir in den südlichen und westlichen Grenzgebieten des
Pamir dieselben Eigentümlichkeiten wahrnehmen können, wie wir sie
dort gefunden haben. Der Wachan-darya (Oberlauf des Pändsch) fliefst
zwischen parallelen Gebirgsketten, und sein Thal dürfte, wenn auch
weniger deutlich, dieselben Merkmale einer Übergangslandschaft tragen
wie die Alai- und Sarik-kol-Thäler. Erst im Norden des Pändsch
liegt ein System von parallelen und zwar (anscheinend) longitudinalen
Ketten, in denen wir die Eigenschaften der peripherischen Gebiete
hoch entwickelt finden; und in noch höherem Grad dürfte der südlich
davon gelegene Hindu-kuh mit seinen reichen Niederschlägen und
zahlreichen Gletschern in der Lage sein, dieselben Eigenschaften zu
hoher Entfaltung kommen zu lassen. Die Gewässer der Südabfälle
dieses Gebirges gehören dem Indus zu, mithin den eigentlichen peri-
pherischen Gebieten. Wir können also auch hier von einem Über-
gang sprechen, obgleich derselbe weniger merkbar ist.
Im westlichen Pamir-Gebiet begegnen wir zum vierten Mal dem-
selben Phänomen. Der Pändsch fliefst hier zwischen (anscheinend)
meridionalen Ketten, deren absolute Höhen jedoch verhältnismäfsig
gering sind; das im Westen des meridionalen Laufes gelegene Land,
Badakschan, ist noch wenig erforscht. Doch läfst sich behaupten,
dafs, wenn dieser Teil des Pändsch-Thales als eine Übergangszone
in gleichem Sinn wie die drei übrigen betrachtet werden könnte, d. h.
als eine landschaftliche Übergangsform, das reicher entwickelte, mit
tiefen wilden Schluchten und reicher Bewässerung versehene Gebiet,
im Gegensatz zu den drei übrigen Grenzgebieten, an der östlichen,
d. h. inneren Seite des Flusses gelegen ist, das weniger reich ent-
wickelte aber auf der äufseren, d. h. in Badakschan, von wo aus der
Flufs nur zwei nennenswerte Zuflüsse empfängt, nämlich den meridio-
nalen Darya-i-Schiva, und südlich davon einen kleinen Abflufs des
Schiva-Sees.*)
Betrachten wir den Pamir im grofsen und ganzen, so finden
wir, dafs die östliche Hälfte vorwiegend Hochflächenland ist, wogegen
Karta Pamira sostavlena i litografizovana pri Turkcstanskom vajtnno-topö-
grafitscheskom attdjele 1891— *893. Masschtab v angltjskom djujmt 10 verst .
(10 Werst auf den englischen Zoll.)
*) Dies kommt auf Blatt 60 von Stieler’s Handatlas (1893) noch nicht zur
Anschauung; dieses und die oben erwähnte russische Karte sind einander hier so
unähnlich, als ob sie zwei verschiedene Gebiete darstellten.
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298
Sven Hedin:
die westliche von einem Parallelsystem longitudinaler Ketten ein-
genommen wird, in dessen gegen Westen immer steiler und wilder
werdenden Längsthälern sämtliche Quellfltisse des Amu-darya gegen
Westen fliefsen. Es ist kein Zweifel, dafs das ganze einmal Plateau-
land gewesen, dafs aber die westliche Hälfte allmählich in peripheri-
sches Gebiet verwandelt worden ist, und dafs gegenwärtig die Arbeit
der Erosion darauf gerichtet ist, auch die letzten Reste der ab-
flufslosen Gebiete zu vernichten. Wie nahe am Ziel der Kok-uj-bel
schon jetzt ist, habe ich oben erwähnt; dasselbe gilt auch ftir den
Ak-bajtal-Bach, der etwa io Werst südwestlich vom Schor-kul — Rang-
kul nur etwa ioo m höher als die Oberfläche dieser Seen gelegen ist.
Wie eine Festung von Bastionen umgeben ist, so wird der Pamir
nach allen vier Himmelsrichtungen von grofsartigen und zwar dop-
pelten Randgebirgen begrenzt, nämlich im Norden von Alai-Trans-
alai, im Osten von Sarik-kol— Mus-tag, im Süden vom Wachan-Gebirge —
Hindu-kuh, und im Westen von den Gebirgen um den meridionalen
Pändsch1). Die Rolle des Festungsgrabens wird durch die Thäler
zwischen den Doppelketten gespielt: Alai mit Kisil-su, Sarik-kol mit
Ges und Yarkand-darya, Pändsch mit Wachan-darya und Pändsch. Das
gewaltige Gebirgsland Pamir, das vor kaum ein paar Jahrzehnten ftir
ein grofses Plateau gehalten wurde, besitzt also die Form eines Vierecks
und hat innerhalb seiner Grenzen die verschiedenartigsten I.andschafts-
formen zur Entwickelung kommen lassen. Die Grenze des Übergangs-
gebietes kann auch als ethnographische und linguistische
Grenze betrachtet werden. Das ganze Übergangsgebiet mit den
H Auf der vortrefflichen Karte Dr. G.Wegener's ..Übersicht des Kwen-lun-Gcbirges“
(Zcitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Band XXVI, 1891) tritt diese homologe Gruppierung
der Gebirge sehr schön hervor. Hier wird aber die Mus-tag-Kette „Kaschgar-Gebirge“
genannt, ein Name, der iwar bezeichnend und berechtigt ist, aber an Ort und Stelle
nicht im Gebrauch ist. Auch Dr. Geiger verwendet denselben Namen. Der einzige
richtige und von den Eingeborenen gebrauchte Name ist jedoch Mus-tag. Denselben
in die geographische Literatur einzuftlhren bringt allerdings eine Bedenklichkeit mit:
er kann nämlich mit dem südlichen Mus-tag verwechselt werden. Die mustergültige
Karte Nr. 60 in Sticler’s Handatlas giebt vorsichtig genug der Kette gar keinen
Namen. Der Name Kaschgar-Gebirge ist aber nicht preiszugeben. — Der Hum-
boldt'sche ,,Bolor-tag“ spukt noch hie und da in Reiseberichten, ist aber immer
eine mystische Erscheinung geblieben. Herr Konsul Petrowsky glaubt der Ety-
mologie dieses Namens auf der Spur zu sein. Die Gegend von Polu wird auch
Pulur genannt und zwischen Pulur und Bolor ist der Schritt nicht lang. — In
seiner Abhandlung: „Sametki o faune posvonotschnich Ptimira'\ giebt N. A. Severtsoff
in nur vier Seiten eine sehr zutreffende Charakteristik der Oroplastik des Pamir.
( Sapiski Tyrkestan-Attdjela Isup-obschtsch. lubit. jest jtstbosnanija, antr. i ttnogr. I.
t. Heft. S. 58 u. f. Taschkent.)
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir. 299
abflufslosen Gebieten wird nämlich von kirgisischen Nomaden bewohnt,
und nur im fernsten Süden finden wir am Wachan-darya wachanische
Tadschiks. Das Alai-Thal und die nördliche Hälfte des Sarik-kol-Thales,
die im weitesten Sinne zu den Ubergangsgebieten gerechnet werden
können und jedenfalls landschaftliche Übergangsformen darstellen,
haben ausschliefslich kirgisische Bewohner. Die im Westen der Grenze
gelegenen Gegenden, Darwas, Roschan und Schugnan, werden dagegen
vorzugsweise von Tadschiks bewohnt. Nur wenige Kirgisen haben die
geographische Grenze überschritten; so finden wir sie bei Kuh-därä
und an einigen anderen Orten, doch in sehr geringer Zahl. Dieses
Verhältnis ist sicher kein Zufall. Mit dem Wechsel der Jahreszeiten
treiben die Nomaden auf den ebenen Hochflächen ihre Herden von
einem Weideplatz zum anderen frei herum und vermeiden die periphe-
rischen, tief eingeschnittenen Schluchten und steilen Gebirge, die ihren
Wanderungen nur Hindernisse in den Weg stellen würden. Die
Tadschiks sind dagegen sefshaft und haben ganz verschiedene I.ebens-
bedingungen. Eine natürliche Folge dieser Völkergrenze ist die lin-
guistische. Die Kirgisen haben ihre eigenen, türkischen, Benennungen
für die geographischen Gegenstände, die Tadsckiks ihre eigenen, per-
sischen, So haben die meisten gegen Westen strömenden Flüsse, d. h.
die Nebenflüsse des Pändsch im Oberlauf kirgisische, im Unterlauf
persische Namen; z. B. der Ak-su (kirg.) heifst unten Murgab (persisch);
der Gurumdi (Alitschur) unten Gunt. Von zwei nebeneinander flicken-
den Flüssen heifst der eine Kok-uj-bel, weil der Oberlauf von kirgi-
sischen Nomaden von Zeit zu Zeit besucht wird, der andere Kuh-därä,
weil der an dem Vereinigungspunkt beider gelegene Kischlak vorzugs-
weise von Tadschiks bewohnt wird.
2. Die Höhenverhältnisse. *)
Die wichtigsten Pafsübergänge der Alai-Kette, zwischen
den Meridianen von Kara-kul (auf der Kette selbst, Taldik) und
Kokan (Soch-Bach, der die Gegend um Kokan bewässert) sind von
Osten nach Westen folgende: Taldik (3537 m), Dschipplick (4146 m),
Sarik-mogal (4300 m), Tcngis-baj (3850 m) und Kara-kasik (4360 m).
Verwenden wir nur dieses Material, so bekommen wir für die Alai-Kette
die bedeutende mittlere Pafshöhe von 4039 oder rund 4000 m.
Hieraus ergiebt sich ferner, dals die Pafshöhe von Osten nach Westen
immer bedeutender wird, obgleich der Boden des Fergana- Thaies in
derselben Richtung sinkt; auch hierdurch wird der relative Höhen-
') Das vom Verfasser mitgesandte Profil des Reiseweges ist leider verloren
gegangen.
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Sven Hedin:
unterschied zwischen Thalboden und Pafshöhe gegen Westen bedeu-
tender. Die beiden vom Verkehr am meisten benutzten Pässe sind
Taldik und Tengis-baj. Während man jetzt, seitdem die Russen dort
einen Weg gebaut haben, über den ersteren zu Wagen fahren kann,
ist der letztere nur mit Schwierigkeit zu passieren.
Für die Transalai-Kette liegt kein Material zur Berechnung
der Pafshöhe vor; der fast ausschiefslich verwendete Pafs, Kisil-art,
hat eine Höhe von 4271 m, und die übrigen sind wahrscheinlich nicht
niedriger. Zwischen beiden Ketten zieht sich das breite Alai-Thal
hin, an dessen westlichem Ende die Höhe bei Daraul-kurgan 2436 m
beträgt, im östlichen Teil, bei Arischa-bulak 3040 m und in dem
obersten Teil des eigentlichen Thaies noch gegen 500 m mehr. Von
Artscha-bulak am Kisil-su steigt dann das Terrain allmählich gegen
Süden bis zum Kisil-art (4271 m), von wo aus es wieder sinkt; im Süden
des Passes liegt das flache, kreisförmige Muldenthal des oberen Mar-
kan-su (Kok-saj). Zwischen diesem und dem Kara-kul passiert man
noch eine kleine Anschwellung des Bodens durch den Pafs Uj-bulak,
an dessen westlicher Seite der isolierte Berg desselben Namens sich
bis zu 4384 m erhebt.
Die Höhe des Kara-kul beträgt fast genau 4000 m. Über den
kaum 100 m höher gelegenen kleinen Pafs Oksa/i-masar gelangen wir
zum Mus-kol-Thal und steigen hier allmählich bis zum Ak-bajtal-Paß
(4594 m), von wo aus der Boden ebenso sanft bis zum Murgab sinkt,
wo der Ak-bajtal-Bach auf einer Höhe von 3613 m ausmündet.
Vom Rang-kul (373t m) steigt der Boden wieder äufserst langsam,
oft so sanft, dafs die Steigung gar nicht wahrzunehmen ist, bis zum
Sarik-kol-Pafs Tschuggatai, welcher die bedeutendste Höhe des ganzen
hier beschriebenen Weges mit 4730 m erreicht. Am Bulun-kul sind
wir wieder auf 3292 m Höhe; ein so unbedeutendes Niveau haben wir
seit dem oberen Alai-Thal nicht betreten.
Gegen Süden steigt wieder der Boden des Sarik-kol-Thales bis zu
dessen Kulminationspunkt Ulug-rabat-Pafe (4177 m). Der Kleine Kara-
kul hat eine Höhe von 3750 m, und der höchste Gipfel des Mustag-ata
südlich davon eine solche von 7630 m1).
Wo der Ges-Flufs die Mus-tag-Kette durchbricht, hat das Terrain
dieselbe Höhe wie Bulun-kul und sinkt dann, erst steil, dann sehr all-
mählich, bis Kaschgar (1230 m), und endlich äufserst sanft zum Lob-nor
*) Diese Zahl ist, wie die meisten anderen hier angeführten, der russischen Karte
entnommen, die 15 030 Fufs giebt; aber es ist nicht zu ersehen, wie man zu dieser
anscheinend genauen Zahl kommen konnte, da Niemand den Gipfel erreicht hat, und
trigonometrische Beobachtungen in so wenig erforschten Gegenden jedenfalls zu grofsen
Fehlerquellen Anlafs geben.
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
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(790 m). Wo der Ges-Flufs aus den Gebirgen in flaches Land aust ritt,
ist die Höhe noch 1600 m.
Aus dem Profil geht der Hochflächencharakter des östlichen
Pamir sehr deutlich hervor. Eine nicht unerwartete Erscheinung, die
hei jedem auf dem Plateauland gelegenen Pafs zu beobachten ist, be-
steht darin, dafs der Boden bis zum Gebirge allmählich sich erhebt, um
dann in der unmittelbaren Nähe des Passes plötzlich sehr steil anzu-
steigen. An beiden Seiten des Passes sind Erosionsmulden gelegen.
3. Bevölkerungverhältnisse.
Der hier besprochene Weg führt gröfstenteils durch unbewohntes
Gebiet. Das russische Pamir-Gebiet hatte Oktober 1893 eine Bevölke-
rung von nur 1232 Personen; die Randgebiete, Alai-Thal und Sarik-
kol-Thal, sind verhältnismäfsig reicher bewohnt. Das Alai-Thal zerfällt
administrativ in zwei Hälften, von denen die westliche zum Ujäsd
Margelan, die östliche zum Ujäsd Osch gerechnet wird. Obgleich die
Mitteilungen, die ich von den hiesigen Kirgisenhäuptlingen bekam, nicht
unbedingt zuverlässig sind, möchten sie doch von der Wahrheit nicht
weit entfernt sein und verdienen jedenfalls mitgeteilt zu werden. Im
Alai-Thal sollen also 15 Kischlaks oder Winterlager mit rund 250
Jurten gestreut liegen, deren Bewohner das ganze Jahr hier bleiben
oder sich nach dem Plateauland begeben. Die Jurten sollen in der
folgenden Weise auf die gröfsten Kischlaks verteilt sein: Daraut-kurgan
20, Kok-su 120, Kisit-ungur 50, Allyn-därä 5, Tus-därä 45, Kaschka-su
20 und Djipptick 10. Die Bewohner sollen in ethnologischer Hin-
sicht so verteilt sein: bei Daraut-kurgan, Altyn-därä und Tus-därä
wohnen Teit-Kirgisen, bei Kaschka-su Tjal-Teit und Teit, bei Djipp-
tick Tjöjj-Kirgisen, bei Kok-su Najman-Kirgisen, in Karategin Kipp-
tschack, Najman und Kara-Teit. Ein grofser Teil der Alai-Kirgisen
siedeln im Winter nach Rang-kul über, um ihre Herden auf den dor-
tigen reich grasbewachsenen und schneefreien Steppen zu weiden.
Ein Teil überwintert jedoch im Alai-Thal.
Ende Mai oder Anfang Juni kommen die reichen und wohlhabenden
Kirgisen von Fergana nach dem Alai-Thal, um den Sommer hier mit Wett-
rennen und Einladungen lustig zuzubringen. Die meisten bleiben nur
zwei Monate, manche jedoch 2}, die letzten verlassen die Sommerlager,
jtjjlau genannt, nach drei Monaten. Im Sommer liegen z. B. nur bei
Kaschka-su 150 Jurten.
Die Kirgisen aus den Ujäsden Osch und Andidschan verwenden
im Sommer den Taldik- und den Djipptick-Pafs, die von Margelan
und Kokan reiten über den Tengis-baj. Da der Taldik fast jeden
Winter durch Schnee geschlossen wird, verwendet man in dieser
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Sven Hedin:
Jahreszeit den Tengis-baj. Die Tadschiks aus Karategin, die sich
jetzt in ziemlich grofser Zahl nach Fergana begeben um Beschäftigung
zu suchen, reisen immer über den Tengis-baj und fast immer zu Fufs.
Durch das Alai-Thal selbst führt eine wichtige Verkehrsstrafse zwischen
Kaschgar, Yarkand, Khotan u.s. w. einerseits, Karategin, Bukhara, Mekka,
Medina u, s. w. andererseits. Im Sommer reisen viele Kaufleute und
Pilger durch das Alai-Thal.
Das russische Pamir-Gebiet zerfällt in zwei Volast und sieben
F.minstwos. 1) Pamirsky Volast wird in die folgenden fünf Eminstwos
geteilt: i) Kara-kul ( 1 3 1 Einw.), 2) Murgab (253 Einw.), 3) Rang-kul
(103 Einw.), 4) Ak-tasch (239 Einw.) und 5) Alitschur (256 Einw.).
II) Kuh-därinsky Volast wird in zwei Eminstwos geteilt: 1) Sares (95
Einw.) und 2) Kuh-därä (155 Einw.). Pamirsky Volast wird ausschliefs-
lieh von Kirgisen bewohnt, Kuh-därinsky hauptsächlich von Tadschiks.
Nach Geschlecht und Alter finden wir unter den 1232 Bewohnern des
russischen Pamir: Männer 320, Weiber 369, Knaben 342 und Mäd-
chen 201. Sie sind reine Teit-Kirgisen ').
Der vorige Kommandant von Pamirsky Post, Kapitän Kusnetsoff,
veranstaltete Oktober 1892 eine Volkszählung mit folgendem Ergebnis:
Männer 255, Weiber 307, Knaben 299, Mädchen 194 oder zusammen
1055, was für das letzte Jahr einen Zuwachs beweist, welcher in erstei
Linie daher kommt, dafs ein Teil der kirgisischen Bevölkerung des
chinesischen oder afghanischen Gebietes nach dem russischen über-
siedelt, wo die Lebensbedingungen wegen der gesunden Administration
in jeder Hinsicht vorteilhafter sind. Die am meisten besuchten
Winteraule sind die bei Rang-kul, Kosch-agil und Ak-tasch. Im
Alitschur-Pamir giebt es mehrere Aulen, das Pschärt-Thal südlich des
Kara-kul ist bewohnt; am Murgab, nicht weit östlich der Mündung des
Ak-bajtal-Baches, liegt der kleine Murgab-Aul. Siebenundzwanzig von
mir anthropologisch gemessene Pamir-Kirgisen verteilen sich folgender-
mafsen :
bei Rang-kul geboren 11, dort wohnend 13
Alitschur
tt
5»
tt
8
Ak-tasch
11
3.
tt
3
Kosch-agil
tt
a,
tt
1
Murgab
tt
>•
„
a
Pschärt
tt
1
Sarik-kol
tt
4
27
27
') Diese Statistik, die vom Oktober 1893 stammt, hat mir der Kommandant der
Festung am Murgak , Kapitän Sajtscff, der gleichzeitig „Chef der Bevölkerung
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Doch giebt diese Übersicht einen falschen Eindruck von der Ver-
teilung der Bevölkerung; denn weil die Messungen bei den Befestigungen
am Murgab und Rang-kul ausgeführt wurden, treten Alitschur und
Rang-kul zu viel in den Vordergrund.
Kapitän Kusnetsoff berechnete, dafs die obenerwähnten 1055 Kir-
gisen in 227 Jurten wohnten, und dafs ihre Herden aus 20 580 Schafen,
1703 Yaks, 383 Kamelen und 280 Pferden bestanden. Er berechnete
ferner, dals der westliche Pamir von 35 000 Tadschiks bewohnt wird.
Wo er die westliche Grenze verlegt, ist mir leider nicht bekannt.
Wird der meridionale Pändsch als solche betrachtet, so ist die Zahl
zu grofs; werden Darwas und Badakschan mit gerechnet, so ist sie ent-
schieden zu klein. Die politische Grenze war bei meinem Besuch noch
nicht endgültig fcstgelegt; die Russen wollen dieselbe am Pändsch haben,
die Afghanen (Engländer) nördlicher und westlicher; im Osten scheint
die Sarik-kol-Kctte, d. h. die Wasserscheide, Grenze werden zu sollen.
Der östliche Teil unseres Gebietes, östlich vom Sarikkol-Gebirge,
gehört aber zu China; eine Statistik fehlt hier ganz und gar. Der Bek
von Su-baschi (südlich des Kleinen Kara-kul) hat mir mitgeteilt, die
Gegend um den See sollte von 300 Teit-Kirgisen mit 60 Jurten bewohnt
sein. Er sei Häuptling über 286 Jurten, von denen jedoch die gröfste Zahl
östlich der Mur-tag-Kette gelegen sei. Die Genauigkeit dieser Angaben
ist natürlich zw eifelhaft. Sämtliche Kirgisen des Pamir werden von den
Fergana-Kirgisen einfach Sarik-kolis genannt. Politisch gehören jetzt die
Ubergangsgebiete fast ausschliefslich Rufsland, nur der äufserste Süden
bildet auch hier eine Ausnahme.
Die obigen Angaben zeigen, wie spärlich das Plateaugebiet von
Pamir bewohnt ist, und es kann nicht anders sein für ein Land, wo
Kälte und Stürme herrschen und wo die Grasvegetation eine grofse
Seltenheit ist. Von den beiden abflufslosen Gebieten ist nur das
kleinere von fast stationären Kirgisen bewohnt. Die Kara-kul-Kirgisen
sind echte Nomaden; sie wohnten bei meinem Besuch südlich und
südwestlich des Sees, dessen Ufer dagegen ganz unbewohnt bleiben.
Im Sommer werden die Weiden rings um den Kara-kul aufgesucht,
und besonders im Frühling und Herbst von den Kirgisen, die sich
nach Rang-kul und zurück begeben; im Winter ist die ganze Gras-
vegetation von den grofsen Schafherden , die im Herbst passiert
haben, abgeweidet.
von Pamir" mit denselben Rechten wie im Ujäsdnij natjalnik ist, gütigst mitgeteilt. In
die Berechnung werden die Bewohner von Koschan und Schugnnn nicht einbegriffen,
obgleich diese Gebiete von Kufsland beansprucht werden, da sie dem früheren Chanat
Koican augehörten.
Zeitschr. d. Geietlsch. f- Erdk. Bd. XXIX. 21
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Sven Hedin:
4. Die Schneeverhältnisse.
Zuerst möchte ich die Schneeverhältnisse des letzten Winters an
einigen einzelnen Punkten meines Reiseweges beschreiben. In Mar-
ge lan herrschte Ende Februar schon Frühlingswetter mit 10 bis 150 C,
und auch in der Gegend von Austan, in dem Isfairan-Thal, lag nur
in den höheren Gebirgsregionen Schnee; noch Ende Januar war aber
hier auch der Thalboden überall schneebedeckt, und die Kirgisen sagten
voraus, dafs der noch vorhandene Schnee in den Gebirgen nach einem
Monat gänzlich geschmolzen sein dürfte. Auf dem Wege von Austan
nach I. angar wurde die Schneemenge reichlicher, war aber noch un-
bedeutend, und der Boden noch auf große Strecken nackt. Hie und
da passierten wir Schneekcgel (kirg. kuischke) von mehr oder weniger
frisch gefallenen Lawinen. Solche Passagen sind mit Recht sehr ge-
fürchtet, und an einer von ihnen verloren wir ein Pferd, das auf der
glatten Eiskruste hinunterrutschte, gegen die Steinblöcke des Flußbettes
fiel und augenblicklich verendete1).
Bei I.angar erweitert sich das Isfairan-Thal, und an der südlichen
Seite, geschützt gegen Süden, lag noch ziemlich tiefer Schnee. Die
Kirgisen berechneten, dafs derselbe noch gegen 20 Tage liegen bleiben
würde, dagegen würde der Schnee auf den umstehenden Gebirgs-
kämmen noch zwei Monate der Sonne trotzen. Im allgemeinen liegt
in der Thalweitung von I.angar vier Monate Schnee.
Auf der südlichen Seite von I.angar wird das Thal immer enger,
der Pfad, der jetzt werstenweit durch Lawinen und Schnee verborgen
war, immer gefährlicher. Ich schickte fünf bis sechs Kirgisen jeden
Morgen voraus, um einen neuen Weg durch den Schnee zu bahnen
und die gefährliche Passage zu bearbeiten. An mehreren Stellen
waren die natürlichen Kamine mit Eiskruste bedeckt, wo mit eisernen
Barren und Äxten Stufen und Treppen ausgehauen wurden; manche
solcher Passagen, die nach aufsen abfielen und hoch über dem Thal-
boden gelegen waren, wurden mit Sand und Erde bestreut.
Robat ist ein kleines von Steinen und Balken gebautes Hospiz,
1 ) Sonst kamen trotz der ungünstigen Jahreszeit keine nennenswerten Unglücks-
fällc vor. Am Ak-bajtal verlor ich ein zweites Pferd Ein Fall von Iritis, einer von
Schneeblindheit, einige Fälle von erfrorenen Ftlfsen und einer von Lahmheit der
linken Seite des Körpers bei einem der garten — war alles. Der letztere mufste in
einem sehr bedenklichen Zustand von Tschuggataj auf Kamclrückcn transportiert
werden und war noch in Kaschgar von Erschöpfung und Schwäche halb tot. Von
der dtlnnen Luft habe ich gar nicht gelitten; nur Handarbeit und körperliche An-
strengung führten Müdigkeit mit und beschwerliches, schnelles Atmen Die Tempe-
ratur des Körpers war (bei Murgab) auffallend niedrig, bis 35,5°. Eine ähnliche
Beobachtung hatten auch einige der russischen Offiziere gemacht.
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
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an dem Punkt des Thaies gelegen, wo die Steigung zum Tengis-
baj-Pafs sehr steil wird. Gewöhnlich fällt hier der erste Schnee
Ende September und ist Mitte April wieder verschwunden. Doch sind
die Schneeverhältnisse in den einzelnen Jahren sehr verschieden. Vor
drei Jahren war der Tengis-baj fast während zweier Monate unpassierbar,
and die Artschas (Juniperus ) in der Nähe des Robat, die drei und vier
Meter Höhe erreichen, waren sogar überschneit. Im vorigen Jahr war der
Pafe Ende Februar während ioTage geschlossen. Wenn der Tengis-baj
unpassierbar ist , versuchen die Kirgisen den Djipptick - Pafs. Sie
lassen sich selten durch die Schneemassen abschrecken; wenn der Pa6
für Reiter unzugänglich ist, gehen sie zu Rufs, indem sie den Gebirgs-
kämmen folgen, wo der Schnee vom Wind weggefegt ist. Doch ge-
hören Unglücksfälle nicht zu den Seltenheiten, und manche traurige
Abenteuer wurden mir während der Reise erzählt. Im allgemeinen ist
Ende Februar die schwerste Jahreszeit für den Tengis-baj, weil da die
meisten Lavinen stürzen und das Thal füllen; auch gehören die Burane
zu den gewöhnlichen Erscheinungen; solche kommen auch im Sommer
vor. Die Kirgisen wagen sich nur an klaren Tagen in den Pafs hinauf;
wenn die Sonne durch Wolken verborgen ist, erwarten sie einen Buran
und bleiben ruhig im Thal. Nach jedem Buran wird der Pfad voll-
ständig verschneit. Die letzte Steigung zum Pafs ist äufserst schwer,
besonders im Winter, weil man da einen bedeutenden und höheren
Umweg, um den tiefsten Schnee zu vermeiden, machen mufs. Unter-
halb dieser steilen Steigung ist das Thal für eine Stunde sanft geneigt,
und hier lagen grofse Schneemassen angehäuft, wo wir nur mit
Schwierigkeit vorwärts drangen; die Pferde sanken oftmals ganz und
gar in den Schnee hinein und mufsten jedesmal abgeladen werden. Von
hier aus erblickt man einen isolierten Gipfel in der unmittelbaren Nähe
des Pafses, dessen scharfe, schwarze Felsen vorsprünge in den höchsten
Regionen aus dem Schnee auftauchen. Dieser Gipfel wird Kara-kir
genannt, und die Kirgisen teilten mir mit, dafs die Grenze des ewigen
Schnees nicht viel tiefer gelegen sei. Der Pafs hat 3850 m Höhe, und
die Grenze des ewigen Schnees möchte ich nach Beschreibung der
Kirgisen auf 300 bis 400 m tiefer anschlagen. Am Fufs des Kara-kir
lagen jetzt gewaltige Schneemassen angehäuft.
Auf dem Kulminationspunkt des Passes war der Schnee weggefegt;
der Boden bestand hier aus Kies, Sand und lauter Verwitterungs-
produkten. Von hier aus hat man eine wunderschöne Aussicht über
das Alai-Thal und die Transalai-Kette. Von Tengis-baj führt der Weg
in steilen treppenförmigen Absätzen am Daraut-su bis zum Alai-Thal
hinunter. Im Daraut-su-Thal waren die Schneemassen noch viel
bedeutender als auf den nördlichen Abhängen der Alai-Kette. Wir
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Sven Hedin:
ritten fast ununterbrochen auf lauter Lawinenkegeln, von denen einer am
Tage vorher (26. Febr.) gefallen war. Derselbe hatte nach der Be-
schreibung der Kirgisen eine Tiefe von wenigstens 20 m und eine
Breite (wo wir passierten) von etwa 400 m. Einge Lawinen hatten grofse
Massen von Sand, Erde und Steinen im Fall mitgeschleppt und wurden
erst dann entdeckt, als die Pferde hineinsanken. Der Daraut-su führte
wenig Wasser, flofs hier und da wie der obere Isfairan unter Eiskuppeln
und Schollen, die sich an den kleinen Wasserfällen zwischen den
Steinen gebildet hatten; auf den Abhängen wuchsen auch hier Artschas.
ln der Gegend um Daraut-kurgan fällt der erste Schnee gewöhn-
lich Ende November, und alles ist Ende März wieder verschwunden.
In der ersten Hälfte des April fängt die Bebauung der Felder an Im
Schiman-Thal (mit einem kleinen Bach, der in den Daraut-su ausmündet)
bleibt der Schnee bis Anfang April liegen.
Wenn Mitte März im Fergana-Thal die F'rühlingsregen fallen, fällt
gleichzeitig im Alai-Thal der „Sarik-kar" (gelber Schnee), wie der letzte
Schnee im Winter genannt wird. Weshalb er so bezeichnet wird, konnten
mir die Kirgisen nirgends sagen; sie behaupteten jedoch, dafs er immer
von deutlich gelber Farbe sei. Da der Boden in dieser Jahreszeit
schon an vielen Stellen nackt und trocken ist, rührt vermutlich die
Färbung von Erde und Staub her, welche entweder aus der Atmosphäre
mit dem Schnee hinunterfallen, oder auch durch den Wind Uber den
gefallenen Schnee ausgebreitet werden und demselben eine gelbe F’arbe
verleihen. Überall wo ich im Pamir gereist bin, wird der letzte Schnee
Sarik-kar genannt.
Wenn der Sarik-kar gefallen ist und die Frühlingssonne zu brennen
anfängt, rutschen im Daraut-Thal ein oder zwei Tage nachher bestimmt
eine Menge Lawinen, welche das Thal füllen und den Weg für 15 Tage
schwer zu passieren machen. Diese Lawinen sind sehr gefürchtet;
ihre Oberfläche gefriert jedoch während der Nacht, und die Kirgisen
reisen deshalb in dieser Jahreszeit immer nachts und frühmorgens.
Am Tage taut die Eiskruste wieder auf; daher rastet man von Sonnen-
aufgang an, 11m etwaige neue Lawinen zu vermeiden.
Im unteren Teil des Daraut-Thals begegneten wir sehr dickem
Nebel, der die Landschaft überall verbarg; gleichzeitig schneite es
ziemlich frisch. Meine Begleiter sagten, dafs jetzt ein Buran im Pafs
rase, und dafs wir demselben im letzten Augenblick entgangen seien.
Am folgenden Tag (1. März) raste auch bei Daraut-kurgan ein so
heftiger westlicher Buran, dafs wir dort verweilen und die Jurten mit
Stricken und Stangen befestigen mufsten. Hier lag 70 bis 80 cm Schnee,
stellenweise mehr; stellenweise war der Boden, dank dem kräftigen
W'inde, fast nackt. Im Alai-Thal sind die westlichen Winde im Winter
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
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sehr konstant, allgemein und heftig; auch östlicher Wind kommt vor,
doch selten. Gegen Süden und Norden schützen die Gebirge, doch
weht von Zeit zu Zeit Südostwind. Im Sommer ist die Atmosphäre
siel ruhiger; die Winde sind schwächer und selten. Der Westwind
wird in Karategin Chamak genannt, der Ostwind Irkeschtam Chamal und
der Südostwind Murgab Chamal.
Am 2. März ritten wir nach dem kleinen Aul Gun di. Der
Weg führte immer am rechten Ufer des Kisil-su; wir hielten uns
so nahe wie möglich am Gebirgsfufs, weil dort der Schnee weniger
tief war. Der Boden bestand aus grobkörnigem, hart zusammen-
gefrorenem Sand und mächtigen Konglomeraten, in welchen der Flufs
sein Bett oft bis iom Tiefe eingeschnitten hatte. Der Schnee lag
stellenweise metertief. Wir hatten frühmorgens einige Kirgisen vor-
ausgeschickt, um den Weg zu bereiten; dieser war aber jetzt von dem
noch wehenden Buran mit Schnee gefüllt, und wir hatten deshalb
vier Kamele, die einen neuen Pfad ausschritten.
Am folgenden Tag hatten wir einen sehr mühsamen Ritt nach
dem grofsen Aul Kaschka-su am gleichnamigen Bach. Mehrere andere
Bäche wurden unterwegs überschritten, von denen der gröfste der Kisil-
ungur ist. Der Schnee wurde, je höher im Thal, desto tiefer; nur an
gegen Süden abfallenden Bodenanschwellungen ist die Schneedecke
mit dünner Eiskruste bedeckt, meistens ist die Oberfläche in kleinen
Wellen gekräuselt wie bei den Sanddünen. Der Schnee ist kompakt,
trocken und feinkörnig wie Sand.
In der Gegend um Kaschka-su sind die Schneeniederschläge im
allgemeinen sehr reichlich; dieser Winter wurde als ungewöhnlich
schneearm gerechnet. Der erste Schnee, der aber noch wegschmilzt,
fällt Anfang Oktober, der letzte verschwendet Mitte April. Jetzt er-
warteten die Bewohner den Saritc-kar binnen einer Woche; derselbe
bringt die gröfsten Schneemassen des Winters mit, ist feucht und kann
zwischen den Händen zu Bällen zusammengebacken wurden. Während
io bis 12 Tagen nach dem Sarik-kar ist das Aul manchmal ganz
isoliert; erst wenn der Schnee wieder zu schmelzen anfängt, macht
man mit Kutasen (Yaks) durch denselben Tunnel und Korridore,
dann folgen Kamele, und endlich kann man zu Pferd passieren. Bei
Kaschka-su ist der Murgab- Wind nicht selten; gewöhnlich weht der
Wind während der Nacht, fängt von 7 bis 8 Uhr abends an, ist um
Mitternacht am stärksten und nimmt gegen Morgen wieder ab. Der
Kaschka-su schwillt im Sommer bedeutend an, und der Kisil-su ist
während der heifsesten Zeit, „Saratan“, welche Ende Juni beginnt und
40 Tage dauert, so wasserreich, dafs er nicht passiert werden kann.
Nach Djipptick-su gelangten wir am 4. März; wir mufsten
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Sven Hcdin:
unterwegs weite Umwege machen, da die Kamele bisweilen ganz und
gar einsanken. An der einen langen Strecke lag der Schnee sogar bis
2 und 3 m tief, und der Übergang bei dieser Stelle, eine Einsenkung
im Boden, erforderte fast zwei Stunden. Da die Kamele und Pferde
fast bis an den Hals einsanken, mufsten sie endlich abgeladcn
und Kaschmas (Filzteppiche, die zu den Jurten verwendet werden)
auf der Schneeoberfläche ausgebreitet werden, auf denen die Tiere
dann langsam passierten.
Die Schneeverhältnisse am Aul Djipptick sind fast dieselben
wie bei Kaschka-su: Anfang Oktober erster Schnee, gegen Mitte April
alles fort. Das Alai-Thal war heute (am 4.) in Nebel eingehüllt, und
spärlicher Schnee fiel, man sagte es sei der Anfang des Sarik-kar. An
demselben Tag, als wir von einem Buran in Daraut-kurgan aufge-
halten wurden, raste auch bei Djipptick ein Schneesturm, welcher die
letzten grofsen Schneemassen herbeigeführt hat; dieser Buran er-
streckte sich also zwischen beiden Aulen über 60 Werst. Auch in
Djipptick mufsten wir wegen der grofsen Schneemenge einen Tag
verweilen, der zu Rekognoszierungen verwendet wurde. An diesem
Tag war das Wetter vollkommen ruhig und klar, die Transalai-Kette
glänzte in dem wunderbarsten Farbenspiel, stahlgrau, hellblau und
weifs; der pyramidenförmige Pik Kaufmann thronte wie ein silberner
Gipfel und erhob sich nur wenig über die übrigen Gipfel des Gebirges.
Am 6. März hatten wir einen sehr abenteuerlichen Übergang über
den Kisil-su, der hier in einer nur 10 m breiten, offenen Rinne dahin-
flofs, während der übrige Teil des Flusses mit dünnem, schneebedeck-
tem Eis bekleidet war. In der Gegend Urtak, auf der linken Seite
des Alai-Thals, sank die Kälte bis — 34,5° C. *)
Am 7. folgten wir dem rechten Ufer des kleinen hauptsächlich
von Quellen gespeisten Baches KisiJ-agin; nur hie und da war eine
l) Um zu zeigen, wie schwierig die Winterreisen in diesen Gegenden sein
können, will ich nur erwähnen, dafs sechs Kirgisen, die vom Volastnoj Utsch-tepes
(Ujäsd Osch) auf Befehl des Gouverneurs von Fergana mit Jurte und Heizmaterial
für meine Rechnung nach Urtak geschickt waren, den Taldik geschlossen gefunden
und deshalb den nahen Att-jolli-Pafs versucht hatten. Hier verloren sie ein Pferd,
die Jurte und den ganzen Heizvorrat; nur vier von ihnen erreichten Urtak, steif-
gefroren und einer sogar schneeblind. Über das Schicksal der beiden übrigen wufsten
sie nichts; wir fanden sie aber späterhin in Bordoba. Die Kirgisen erzählten mir,
dafs vor drei Jahren die Schneemengen in dieser Gegend eben um diese Zeit so
riesig waren, dafs 300 Lastpferde und 4000 Schafe (?) im Kisil-art-Pafs verloren
gingen. Während fast dreier Monate war der Weg verschlossen, und zwei Reiter,
die von Urtak nach Sarik-mogal ritten, waren 19 Tage unterwegs, verloren ihre
Pferde und litten jeden Tag von Schnecburancn.
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Physische Geogtaphie des Hochlandes von Pamir.
30!)
offene Rinne zu sehen, sonst war das Wasser überall gefroren und
das ganze Thal mit hellgrünem Eis bekleidet, wo der Schnee weg-
gefegt war. Wir ritten den ganzen Tag durch tiefen Schnee und mufs-
ten uns einem Kirgisen anvertrauen, der zu Fufs ging und die Tiefe
des Schnees mit einer langen Stange prüfte. In der Nacht gelangten
wir zum kleinen Erdseraj Bordoba. Hier fällt gewöhnlich der erste
Schnee Anfang Oktober und bleibt bis Anfang oder Mitte Mai liegen. Die
Burane des Kisil-art sind nicht selten bis nach Bordoba fühlbar; man
sagt, der Irkeschtam-Wind bringe vorzugsweise Schnee (oder Regen),
der Karategin-Wind sei meistens klar; dieser ist vorherrschend.
Am 9. ritten wir Uber den Kisil-art, und im Augenblick des Auf-
bruches hielten die Kirgisen Gottesdienst, um eine glückliche Reise zu
erbitten. Der Thalboden, von einem kleinen, jetzt ganz gefrorenen
Bach durchflossen, ist breit und steigt langsam bis in die Nähe des
Passes, wo die Steigung sehr steil wird; in diesem Thal nimmt die
Schneemenge allmählich ab, doch um den Pafs herum lag bis 60 und
So cm Schnee, welcher den sonst leichten Übergang erschwerte. Auf
dem Kulminationspunkt des Passes, wo der steinerne Masar des heiligen
Kisil-art aufgebaut ist, war der Schnee fast vollständig weggefegt.
Jeden Winter fällt viel Schnee auf dem Kisil-art, wird aber gleich
wieder vom Wind weggefegt. Wenn der Sarik-kar von Buran oder
starkem Wind nicht begleitet wird, ereignet es sich nicht selten, dafs
der Pafs für etwa zwei Wochen geschlossen bleibt.
Auf der südlichen Seite führt der Weg an dem kleinen, jetzt gänzlich
gefrorenen Kok-saj (Markan-su) hinunter, wo die Schneemenge ver-
schwindend klein war. In dieser Gegend kommt Schnee das ganze
Jahr vor, wird aber sogleich vom Wind weggeführt. Dann gelangten wir
zu einer kleinen isolierten Gebirgsgegend Uj-bulak ; zwischen diesem Berg
und Kisil-art war der Boden auf lange Strecken ganz und gar nackt, und
nur die Gebirgskämme waren hie und da an geschützten Stellen weifs;
auf dem Uj-b(flak hatte der Schnee wieder eine Tiefe von 40 cm, war
sehr fest und mit einer pergamentartigen Kruste bedeckt, die stellen-
weise sogar die Pferde trug.
Dann nimmt die Schneerfienge wieder schnell ab, und auf den
Steppen an der nördlichen, östlichen und südlichen Seite des Kara-
kul war der Boden überall nackt. Auf dem Eis des Sees lag aber
7 bis 8 cm Schnee, und die Gebirge ringsumher waren damit voll-
ständig bekleidet. Dieser Gebirgsschnee verdunstet binnen wenigen
Tagen, doch ist es keine Seltenheit, dafs auch im Sommer Schnee-
Burane die Gebirge wieder weifs bekleiden ; im Lauf des Tages werden
sie wieder nackt. Das Eis des Sees hatte jetzt auf der östlichen un-
tiefen Hälfte eine Mächtigkeit von 76 bis 106 cm, auf der westlichen,
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310
Sven Hedin:
tiefen, 42 bis 53 cm. Ende April schmilzt das Eis, zuerst an den Ufern,
bleibt aber viel länger auf der Mitte des Sees liegen. Vor acht Tagen
waren auch die Kara-kul-Gebirge schneefrei; ein heftiger Buran hatte,
wie ich von einem Dschigiten hörte, sie wieder weifs gekleidet.
Nach der Beschreibung meiner Führer ist die Gegend um Kara-
kul äufserst windig, und es weht von allen Himmelsrichtungen; sollte
irgend welcher Wind als vorherrschend betrachtet werden können, so
wäre es der südliche. Oft tobt ein Buran im Ak-bajtal-Pafs, und das
Wetter ist am Kara-kul gleichzeitig sehr schön. Die Burane scheinen
also, wie ich auch später am Murgab hörte, auf dem Plateauland sehr
lokalisiert und begrenzt zu sein.
Am östlichen Ufer des Kara-kul ist eine grofse Menge kleiner
Süfswassertiimpel und Quellen gelegen, die jetzt gefroren waren; das
Wasser des Sees ist bitter, aber sehr klar. Während der vier Tage,
die ich am Grofsen Kara-kul zubrachte, war das Wetter herrlich, die
I.uft ganz ruhig und klar, und am Tage brannte die Sonne sogar
heifs; ich konnte in dieser kurzen Zeit bemerken, dafs die Schnee-
massen auf den Gebirgen sich schnell verminderten, und dafs die Ab-
hänge sogar hie und da ganz entblöfst wurden.
Als wir am 14. den Marsch gegen Süden fortsetzten, fing aber ein
sehr peinlicher Südwind an, und auf den Gebirgen in derselben Richtung
hingen dichte Wolken. Das Gelände steigt unmerklich bis zum Oksali-
masar-Pafs und sinkt dann wieder eben so langsam nach dem Thal
Mus-kol, welches von einem kleinen, vom Ak-bajtal und der Gebirgs-
gruppe Mus-kol kommenden Bach (Mus-kol oder nördlicher Ak-bajtal ge-
nannt) durchströmt wird. Dieser Bach soll während des Sommers ziemlich
viel Wasser dem Kara-kul zuführen, war aber jetzt gänzlich gefroren.
Auf dem Thalboden war jetzt aller Schnee geschmolzen, so auch auf
den gegen Süden abfallenden Gebirgen; auf den Abhängen, die im
Schatten lagen, waren aber noch grofse Schneemassen angehäuft, welche
stellenweise sogar über den Sommer liegen bleiben. Der erste Schnee
fällt Mitte November. Burane sind sehr allgemein; führen sie nicht
Schnee, so sind sie oft mit Sand bemengt. Es weht fast täglich; die
Nächte sind öfters ruhig. Westwind herrscht vor, was wohl meistens
auf der Gestalt des Geländes beruht.
Eisreservoire und Eisvulkane. — An einem Punkt, Souk
Tschubir, wo sich das Thal gabelt, wurde das Lager aufgeschlagen.
Hier findet sich eine eigentümliche Erscheinung, die ich näher be-
schreiben will.
Bei Souk Tschubir vereinigen sich die Thäler, welche nach den
beiden Pässen Kisil-dschijik (nördlich) und Ak-bajtal (südlich) hinauf-
Uhren und gehen hier in das Mus-kol- Thal über. Am Vereinigungs-
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
311
punkt ist eine grofse Erweiterung gelegen, wo der Boden sehr eben,
fast horizontal ist. Das Wasser des Mus-kol-Baches, welches von
schmelzendem Schnee und Quellen stammt, friert im Winter und bildet
drei grofse Eiskuchen oder Reservoire. Der Orientierung wegen nenne
ich sie No i, 2 und 3. No. 1 ist im Mus-koI-Thal gelegen, hat eine
,I.änge von etwa 1200 m und eine Breite von etwa 300 m; seine Längs-
richtung ist ost-westlich. No. 2, der kleinste, an der Mündung des
Kisil-dschijik-Thals gelegen, hat dieselbe Richtung und I.änge, ist aber
enger; No. 3 ist in der Mündung des Ak-bajtal-Thales gelegen, 3km
lang und 1 km breit und von Nordwest nach Stldost ausgezogen. An-
fang November fängt die Eisbildung an, und erst Mitte Juni ist das Eis
geschmolzen; nur bei No. 3 schmilzt es nicht vollständig. Den ganzen
Sommer bleibt fast jährlich an einer geschützten Stelle ein Eiskuchen
liegen, und schon Ende September fängt hier rings umher neue Eis-
bildung an. Im Frühling und Sommer strömt das Schmelzwasser von
No. 2 und No. 3 in No. 1 und dann weiter nach dem Kara-kul.
Auf dem gröfsten Eisreservoir, welches den ganzen Thalboden
bedeckt, so dafs der Winterweg auf dem Eis hinüberführt, machte ich
folgende Beobachtungen. Die Oberfläche ist vollkommen eben wie
die eines gefrorenen Sees. Nur hie und da fanden wir niedrige,
schmale Eiskämme, die hunderte von Metern Länge hatten. Ein
solcher wurde durchbrochen; das Eisgewölbe dieses Kammes war
28 cm mächtig und wurde durch 24 cm Zwischenraum von einer darunter-
liegenden Wasseroberfläche geschieden; das Wasser hatte eine Tiefe
von 91 cm und stand unmittelbar auf dem ebenen Sandboden des
Thals, war übrigens vollkommen rein, durchsichtig und süfs und hatte
eine Temperatur von — 0,2° C. Als ich den Kopf so tief wie möglich
in das Loch einsenkte, konnte ich nach beiden Seiten wie in einen
Eistunnel hineinblicken; die untere Oberfläche des Gewölbes war mit
Eiszapfen und Stalagtiten sehr schön geschmückt, und die Wasserober-
fläche erstreckte sich, soweit ich sehen konnte.
Ein anderer Eiskamm war 59 cm mächtig und ruhte unmittelbar
auf 108 cm tiefem Wasser. Wo die Eisoberfläche eben war, wurde an
einem dritten Punkt ein Loch eingehauen; als wir aber in 90cm
Tiefe weder Boden noch Wasser fanden, und die Kirgisen vermuteten,
das Eis möchte hier bis dreimal tiefer sein, wurde es verlassen. Die
Temperatur im Eis war hier — 5,5° C. (Lufttemp. 9 Uhr morgens
— 7,3°). Zehn Meter vom Ufer hatte die Eisdecke 71 cm Dicke und
lag unmittelbar auf Sand. Nach der Ansicht der Kirgisen ist das Eis
an den ebenen Stellen überall kompakt bis zum Boden; die Gewölbe
aber sind durch das sich hinaufzwängende Quellwasser gebildet. Viel-
leicht ist diese Ansicht richtig; ich glaube jedoch, dafs die Gewölbe
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312
Sven Hedin:
durch die Spannung und den Tangentialdruck, in welchem sich der
Eiskuchen befindet, gebildet werden, und dafs das Wasser hier den
bequemsten Abflufs findet. Jeder Eiskamm war durch eine Längsspalte
durchbrochen, und aus dieser quoll stellenweise das Wasser heraus, um
sich auf der Eisoberfläche auszubreiten und zu gefrieren. In den beiden
Löchern konnte ich im Querschnitt sehr deutlich eine grofse Menge
verschiedener Eisschichten wahrnehmen, welche zeigten, dafs immer
neues Qucllwasser über den ersten Eisschichten gefroren war. Auf
der Eisoberfläche flofs schon jetzt, während der Mittagszeit, in schmalen
Rinnen Schmelzwasser.
Am südlichen Ufer des Eisreservoirs No. 2 kam eine Quelle her-
vor, deren Wasser -+- 0,9° Temperatur hatte. Am nördlichen Ufer be-
fanden sich zwei Quellen, die zwei typische „Eisvulkane“ gebildet
hatten, welche 50 m von einander entfernt waren. Der östliche hatte
eine Höhe von 5 m, einen Umfang von 68 m und Fallwinkel von 19
bis 22°. In der Mitte oben war eine „Kratermündung“ gelegen, von
welcher vier Spalten ausgingen; diese hatten oben eine Breite von
fast 1 m, wurden aber nach unten immer schmäler; sie waren teil-
weise wieder mit U'eifsem, luftreichem Eis gefüllt. Der „Vulkan-Kegel“
selbst bestand dagegen aus reinem, hellgrünem Eis, in welchem man
unzählbare dünne Schichten von von Zeit zu Zeit ausgetretenem und
gefrorenem Wasser beobachten konnte. Auch die Kratermündung war
jetzt zusammengefroren, und kein fliefsendes Wasser war zu sehen:
also ein „erloschener Vulkan“. Ein Eisarm vereinigte, ganz wie ein
„Lavastrom", den Vulkan mit dem See. Der Kegel war regelmäfsig
konisch.
Der westliche Vulkan war 8 m hoch, hatte 206 m im Umfang und
bestand aus zwei verschiedenen Kegeln über einander; der untere war
sehr flach, hatte nur 50 Fallwinkel und bestand aus weifsem Eis, der
obere war kuppelförmig, hatte bis 30° Fallwinkel und 20 m Durch-
messer und bestand aus reinem Eis. Er war von einem Netzwerk kon-
centrischer und radialer kleiner Spalten durchsetzt. Auch hier war die
Kratermündung zusammengefroren, und das Wasser hatte einen neuen
Abflufs durch eine Spalte an der Seite gefunden, wo es — 0,3° Tem-
peratur hatte. Meine Kirgisen erzählten , dafs hier jeden Winter zwei
ähnliche Vulkane gebildet werden, die jedoch früh wegschmelzen;
dieses Jahr waren sie aber gröfser als gewöhnlich.
Die Sehne everhältnisse (Fortsetzung). — Der nächste Tages-
marsch führte nach dem Eingang zum Ak-baj tal - Pa fs. Der Boden
war überall mit einer dünnen Schneedecke bekleidet; an geschützten
Stellen der Abhänge bleibt der Schnee auch im Sommer liegen, schmilzt
aber .auf dem Thalboden. In den Gebirgen zwischen Ak-bajtal und
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
313
Kisil-dschijick sollen nach Angabe der Kirgisen kleine Hängegletscher
Vorkommen.
Der Ak-bajtal-Pafs hat, wie oben erwähnt, dieselbe Gestaltung
wie der Kisil-art: eine sehr flache, fast ebene, werstenlange Einsenkung
zwischen zwei Pässen, von denen der südliche der eigentliche sehr aus-
geprägte Kulminationspunkt des Kammes ist. Zwischen den beiden
Pässen lag bis 30 und 40 cm Schnee. Auf dem südlichen Abhang war
die Schneemenge viel bedeutender als auf der nördlichen, bis 50 cm.
Im Pafe bleibt der Schnee, besonders auf den südlichen Abhängen,
das ganze Jahr liegen. Auch im Sommer kommen Schneeniederschläge
vor, dagegen regnet es äufserst selten. Wenn der Sarik-kar fällt, wird
der Ak-bajtal gewöhnlich für 5 bis 6 Tage geschlossen, vorausgesetzt,
dafs dies vor dem 20. März eintritt; dagegen wird er schon nach einem
oder zwei Tagen passierbar, wenn dies Ende des Monats geschieht.
Der südliche Abhang ist immer schneereicher als der nördliche, was
wohl davon herrührt, dafs der Schnee hier im Windschatten haften
bleibt. Im Ak-bajtal-Thal, d. h. östlich des Passes, herrscht west-
licher Wind vor. Bei Kornei-tarsti , etwa 20 Werst östlich des Passes,
fällt der erste Schnee des Jahres Ende Oktober oder Anfang November.
Ende März erwarten die Kirgisen den Sarik-kar; wenn dieser ausbleibt,
sagen sie das Jahr sei gut, findet er sich aber ein, so wird das Jahr
für unglücklich gehalten.
Am kleinen Aul Togolak-mali c k , dort gelegen, wo ein breites
Thal zu den Seen Schor-kul und Rang-kul gegen Norden führt und
nicht weit von der Schlucht Tschitscheckti, fällt der erste Schnee Mitte
December und taut auch auf den Abhängen Anfang April weg. Jetzt
war der Thalboden schon gänzlich schneefrei. Burane sind hier ziem-
lich selten, dagegen weht es fast immer, und immer von Süden, sehr
selten vom Ak-bajtal und Schor-kul. Diese beiden Winde, NW und N,
sind auch viel schwächer als der Murgab-Wind ; die Kirgisen sagen, dafs
letzterer die Jurten umherwälzen kann, was die beiden anderen dagegen
nicht vermögen. Da aber bei Kornei-tarsti Westwind vorherrscht, scheint
derselbe weiter östlich über den Südwind hin zu strömen.
Bei Murgab, d. h. an der russischen Festung, westlich der Mündung
des Ak-bajtal-Baches gelegen, fiel dieses Jahr der erste bleibende Schnee
am 12. December; die Schneemengen waren aber den ganzen Winter
verschwindend klein. Anfang März verschwand der letzte Schnee
rings um die Festung, bekleidete aber noch Anfang April in langen
schmalen Streifen die nördlichen Abhänge der südlich vom Murgab ge-
legenen Gebirge. Bei Kisil-dschijick und an dem Weg dorthin1)
't tm Winter führt die Poetdschigiten-Strafse von Margetan nach Parmirsky Post
über Kisil-Dschijick, im Sommer Uber Ak-bajtal.
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Sven Hedin:
war schon Anfang März fast aller Schnee verschwunden. Westlich
vom Ak-bajtal und den Mus -kol- Gebirgen, d. h. im Flußgebiet von
Kuh-därä und Kok-uj-bel und der umgebenden Gegend, liegt den ganzen
Winter hindurch überall Schnee, am kleinen zeitweiligen russischen
Fort Kuhdärä, beim Zusammenflufs der oben erwähnten Flüsse, sogar
noch Ende März sehr beträchtlich. Östlich von derselben Grenze ist
die Schneemenge sehr klein.
Am 8. April war in der Gegend von Schor-ku-1 und Rang-
kul keine Spur von Schnee zu finden, und der ganze Winter war äufserst
schneearm gewesen; die Temperatur aber ebenso niedrig wie bei Pa-
mirsky Post. Noch jetzt war der Rang-kul mit 92 bis 102 cm dickem
Eis bekleidet.
Auf beiden Seiten des hohen T schuggataj-Passes, in der Sarik-
kol-Kette, lag jetzt sehr wenig Schnee, und gar keiner im gleichnamigen
Thal bis nach Bulung-kul. Am Aul Tschuggataj, wenig östlich des
Passes, fiel der erste Schnee Mitte December und verschwand Mitte
März. Die Schneemenge dieses Winters war ziemlich groß gewesen;
im Pafs liegt oft Schnee über den Sommer. Burane sind gewöhn-
lich. Der kleine Bach dieses Thaies führt im Sommer nicht wenig
Wasser.
Die ganze Gegend um Bulung-kul, nach dem Kleinen Kara-kul
einerseits und dem Ges-Thal andererseits, sowie der Weg durch dasselbe
und bis nach Kaschgar, waren vollständig schneefrei. Nur bei der
chinesischen Festung am Su-baschi, südlich vom Kleinen Kara-kul, wehte
am 23. April ein heftiger Buran, der alles weifs bekleidete; der Schnee,
der nur 5 bis 6 cm Tiefe hatte, schmolz aber im Lauf des Tages weg.
Am Bulung-kul sind die Schneeniederschläge sehr unbedeutend, Staub-
niederschläge und Sandburane allgemein. Der fast immer wehende
Südwind treibt grofse Massen von Sand gegen die Abhänge der NW
und NO vom See gelegenen Gebirge, deren untere Teile bis ziemlich
hoch hinauf unter gewaltigen Sandhügeln und Dünen versteckt sind.
Im Osten des Sarik-kol-Thales erstreckt sich die gigantische Mus-tag-
Kette, deren Kamm das ganze Jahr in ewigem Schnee und Eis glänzt,
und deren Abhänge mit einigen grofsen Gletschern und einer Menge
kleiner Hängegletscher geschmückt sind.
Ergebnisse. — Wir finden also, dafs der nördliche und östliche
Pamir in drei durch die Bodenplastik scharf von einander getrennte
Schneezonen zerfallt: im Norden das Alai-Gebiet mit äufserst reichlichem
Niederschlag, im Osten das Sarik-kol-Gebiet mit bedeutend weniger,
und zwischen beiden die abflufslosen und Übergangsgebiete mit ver-
schwindend wenig Schnee. Im allgemeinen darf man voraussetzen, dafs
die feuchten Winde, die gegen das Parmir-Plateau wehen, ihren Schnee-
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
315
vorrat vorzugsweise an den Randgebirgen absetzen uhd trocken zu
den Hochflächen gelangen. Der wenige Schnee, der hier fällt, bleibt
fast nur an geschützten, windschattigen Stellen liegen, und wir finden
ihn deshalb besonders an den Pässen und in ihrer Umgebung; sonst
ist das Plateaugebiet fast das ganze Jahr hindurch schneefrei, und wo
auf ebenem Boden der Schnee von Zeit zu Zeit liegen bleibt, wird
durch den Wind für sein baldiges Wegfegen gesorgt. Eine Folge
dieser Verhältnisse für die Centralgebiete ist die grofse Trockenheit
der Luft und die geringe Bewässerung, indem nur hie und da in den
Schluchten während des Frühlings und des Sommers kleine wasserarme
Bäche fliefsen. Auch in meteorologischer Beziehung bilden also die
Grenzen der abflufslosen und Übergangsgebiete Scheidewände.
Im unteren Alai-Thal fanden wir den Schnee vier Monate liegen,
im oberen sogar sieben, am Bulung-kul nur drei, und dort sehr wenig.
Auf den Hochflächen schneit es das ganze Jahr, aber immer selten
und wenig, und im Sommer wird der gefallene Schnee sogleich durch
die kräftige Insolation geschmolzen.
Eine natürliche Folge der Schneeniederschläge ist auch die geo-
graphische Verbreitung der aus ihnen stammenden Flüsse und Glet-
scher; denn während beide auf den abflufslosen und die letzten auch
auf den Übergangsgebieten äufserst spärlich sind, haben sie in den
peripherischen Gebieten eine grofse Entwickelung erreicht. So grofse
Unterschiede in physisch-geographischer Beziehung auf einem so kleinen
Erdraum wie die Pamir-Gebiete sind auf der Erde selten.
5. Andere meteorologische Beobachtungen.
Obgleich die meteorologischen Beobachtungen , die ich auf der
Reise ausgeführt habe, von verschiedenen Orten stammen und deshalb
wenig absoluten Wert haben , dürften sie doch in Anbetracht unserer
Unkenntnis der klimatischen Verhältnisse der Pamir-Gegenden von Inter-
esse sein. Aus derbeigegebenenTabelle (S.339fif.) geht hervor, dafs infolge
der intensiven Sonnenbestrahlung am Tag und der ebenso kräftigen
Ausstrahlung in der Nacht, die Amplituden während der 24 stündigen
Tagesperiode sehr beträchtlich sind. Die Insolation ist sehr grofs
(Maximum am 17. April bei Su-baschi, 1 Uhr p. m. , mit 58,4°, bei
-t- 4,3” Lufttemperatur). Selbst wenn eine Lufttemperatur von — 15 bis
— 20“ herrscht, wird das Gesicht förmlich gebrannt und die Haut,
auch Dank der Trockenheit der Luft, sehr empfindlich.
Von grofser Wichtigkeit für die Kenntnis der klimatischen Ver-
hältnisse des Pamir sind die meteorologischen Beobachtungen, die
seit ein paar Jahren täglich (7^1 Uhr morgens und 9 Uhr abends)
an der russischen Festung am Murgab ausgeführt werden.
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316
Sven Hedin:
Kapitän V. Ränkovsky hat mir gütigst folgende Angaben für De*
cember 1893 bis März 1894 gemacht. Leider sind die Angaben alten
Stils.
December: Um 7 Uhr vormittags zeigte das Thermometer im
Mittel für den ganzen Monat — 19.9” C, um 1 Uhr — 9° und um 9 Uhr
— 18,3°. Für 1 Uhr war das Minimum — 40° (25 Dec.), das Maxi-
mum + 2,2° (11. Dec.). Während des Tags war es im allgemeinen
ziemlich warm in der Sonne, und 21 Tage führten Tauwetter mit.
Die mittlere Temperatur in der Sonne um 1 Uhr war -4- 1,7°. Die
Amplituden waren sehr grofs, am gröfsten am 14. December mit
42°, d. h. um 7 Uhr — 28°, um 1 Uhr (in der Sonne) -4- 140. Die
Bewölkung war bedeutend; an 10 Tagen war der Himmel ganz be-
wölkt, an 4 Tagen vollkommen klar; an 2 Tagen wehten Burane, und
an 10 Tagen fand Niederschlag statt, jedoch nur 6 mm im ganzen.
Die Maximaltiefe der Schneedecke betrug nur 5 cm. Der westliche
Himmel war fast immer mit Schneewolken bedeckt , der östliche klar.
Die vorherrschenden Winde waren: um 7 Uhr NNW' und ONO, um
1 Uhr NNW und um 9 Uhr ONO; mittlere Geschwindigkeit 2 m in
der Sekunde.
Der Januar führte die niedrigsten Kältegrade mit: im Mittel um
7 Uhr — 29,3°, um 1 Uhr — 14,8°, um 9 Uhr — 23,3°. Das Minimum
für 1 Uhr war — 24,8° (13. Jan.), das Maximum -4- 3,7°. Das Minimum-
Thermometer zeigte fünfmal unter — 40° (12., 13., 18., 19. und 22. Januar),
zwei Mal unter — 450 (12. und 19. Januar). Die Amplituden waren
noch gröfser als im December, so am 11. Januar um 7 Uhr — 37,8°,
um 1 Uhr -t- 12° (in der Sonne), oder im Lauf von fünf Stunden fast
50°. Der Schnee taute jedoch ein w'enig weg; die mittlere Mächtigkeit
der Schneedecke betrug 3 cm. Fünf Tage hatten Niederschlag, aber
im ganzen nur 2,9 mm. Vorherrschende Winde waren um 7 und
1 Uhr WSW, um 9 Uhr WSW und SSO. Mittlere Geschwindig-
keit 2 m.' 1
Februar: Mittlere Temperatur für 7 Uhr — 22,4°, für 1 Uhr
— 4,8°, für 9 Uhr — 14, 7°. Minimum für 1 Uhr — 10, 8° (10. Februar),
Maximum +3,2° (20. Februar), und in der Sonne -4-11,7° im Mittel.
Fünf Mal sank die Kälte unter — 30°, absolutes Minimum — 35,5°
(10. Februar). Gröfete Amplitude 47,3° (9. Februar), mit — 31,3° um
7 Uhr und -4- 16° um 1 Uhr. Sieben Tage war der Himmel ganz be-
wölkt, 8 Tage ganz klar, an 2 Tagen wehten Burane, an 3 Tagen
fiel Schnee; Summe des Niederschlags 0,9 mm. Vorherrschende Winde :
um 7 und 9 Uhr NO und ONO, um 1 Uhr SSW, ONO und NNW.
Mittlere Geschwindigkeit 2,2 m.
März: Mittlere Temperatur des ganzen Monats um 7 Uhr — 7>7C>
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
317
um i Uhr -f- 5,2', um 9 Uhr — 2,1°. Minimum um 1 Uhr + 0,2°
(5. März) und Maximum 4- 12,2° (20. März). Absolutes Minimum — 20°
(2. März). Den ganzen Monat hindurch sank die Kälte der Nacht
unter o". Nur 3 Tage (von 7 Uhr morgens bis 9 Uhr abends) waren
ganz ohne Kältegrade, nämlich der 22., 29. und 31. März. Der Himmel
war 13 Tage klar, 6 Tage bewölkt; an 12 Tagen wehten Btirane, und
3 hatten Schnecniederschlag mit im ganzen um 0,6 mm Die vor-
herrschenden Winde waren: um 7 Uhr NW oder ruhig, um 1 Uhr
SW und WSW, um 9 Uhr SW. Die Burane kommen gewöhnlich aus
SW, fangen um 10 oder n Uhr an und nehmen gegen Abend allmählich
ab. Die mittlere Geschwindigkeit des Windes für den Monat war
5,7 m in der Sekunde. Relative Feuchtigkeit 48,3$. Die Murgab-
Kirgisen behaupteten, dafs dieser Winter strenger war als der von
1892—1893.
6. Der Einflufs der Schneeniederschläge auf die Wasser-
mengen des Kisil-su und des Murgab.
Der Kisil-su ist vielleicht der gröfste Nebenflufs des Amu-darya,
jedenfalls viel gröfser als der für den Quellflufs gehaltene Ak-su-Mur-
gab. Während die anderen Flüsse im Winter ihre Wassermenge in
höchst bedeutender Weise beschränken, führt der Kisil-su auch während
der kalten Jahreszeit nicht unbeträchtliche Wassermassen, und be-
trachtet man seinen jährlichen Tribut an den Amu-darya, so bekommt
man den entschiedenen Eindruck, dafs derselbe gröfser sein mufs als
derjenige der übrigen Quellflüsse.
Bei Daraut-Kurgan habe ich am 28. Februar eine Messung des
Kisil-su vorgenommen. Die Entfernung von der kleinen, von Khodier-
Khan als Schutz des Einganges zum Tengis-baj aufgeführten Lehm-
festung bis zum Flufs ist ungefähr 1 Werst. Zuerst passiert man hier den
Kara-su, einen kleinen Nebenflufs, der eine lange Strecke parallel mit
dem Kisil-su fliefst, ehe er sich mit ihm vereinigt. Er wird haupt-
sächlich von Quellwasser gespeist und hatte jetzt eine Wassermenge
von 5 cbm in der Sekunde. Das in mächtigen Konglomeraten ein-
geschnittene Bett des Kisil-su ist sehr breit, wenigstens 400 m, und wird
während des Sommers ganz und gar mit Wasser gefüllt. Jetzt hatte
der Flufs eine Breite von 70 m, wovon jedoch 30 m in der Mitte von
einer Sand- und Geröilbank mit nur einigen Centimetern Wasser einge-
nommen wurden, auf deren beiden Seiten das Wasser in zwei ausgeprägten
Rinnen dahin flofs. In der rechten Rinne fand ich eine Maximaltiefe
von 40 cm und eine Maximalgeschwindigkeit von 182 cm, im Mittel aus
mehreren Beobachtungen bzw. 35 und 154. Die Maximaltiefe der
linken Rinne betrug 55 cm und die Maximalgeschwindigkeit 2 m, im
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Sven Hedin:
Mittel bzw. 45 und 154, — also bzw. 8 und 14 cbm Wasser in der
Sekunde. Mit dem Kara-su vereinigt führte also der Kisil-su an diesem
Tage nicht weniger als 27 cbm Wasser in der Sekunde.
Obgleich die Kälte im Alai-Thal nicht unbedeutend war, hatte doch
das Wasser des Kisil-su eine Temperatur von -+- 3,9° und der Kara-su
sogar von -+- 6,7 °. Dieser grolse Unterschied zeigt, dafs besonders der
letztere von warmen Quellen gespeist wird, welche nach den Kirgisen in
der That nicht weit von Daraut-Kurgan, am Fufs der Alai-Kette, gelegen
sein sollen. Auch der Hauptflufs empfängt viel Quellenwasser und
gefriert deshalb von Bordoba aus auch während kalter Winter nie.
Oberhalb Bordoba sind keine solche Quellen gelegen, und dort ge-
friert deshalb der Flufs sogar während des Frühlings und während
der Sommernächte; die dünne Eisdecke schmilzt jedoch am Tage.
Im Hochsommer ist der Flufs äufserst wasserreich und während ändert-
halb Monaten bei Daraut-Kurgan gar nicht passierbar; die Verbin-
dung zwischen den Aulen des rechten und linken Ufers ist deshalb
jedes Jahr für eine Zeit unterbrochen. Nachts ist die Wasserraenge
viel gröfser als am Tage; das Schmelz wasser des Schnees von den
Gebirgsseiten erreicht erst nachts den Hauptflufs; doch schon um
8 Uhr nachmittags fängt er an zu steigen, um 6 Uhr morgens sinkt er
wieder und erreicht gegen 8 Uhr morgens seinen niedrigsten Stand,
um dann während des Tages nicht weiter zu sinken. Bei meinem Be-
such war das Wasser kristallklar; im Sommer wird es aber von Sand
und Lehm im Oberlauf ziegelrot gefärbt; deshalb der Name „Roter Flufs".
Um den Kisil-su mit dem Murgab zu vergleichen, will ich einige
Angaben über den letztgenannten machen. Bei der russischen
Festung, und zwar wenig unterhalb der Mündung des kleinen Ak-baj-
tal- Baches, habe ich am 29. März den Flufs an zwei Stellen, die
1.5 Werst von einander entfernt lagen, gemessen. An der oberen
Stelle war die Breite 18 m, die Maximaltiefe 40 cm und die Maximal-
geschwindigkeit 134 cm, im Mittel bzw. 33 und m, und die gefundene
Wassermenge 6,6 cbm. An der unteren Stelle: Breite 17,24 m, Maxi-
maltiefe 78 cm, Maximalgeschwindigkeit 85 cm, im Mittel bzw. 58 und
71.5 und die Wassermenge 7,15 cbm in der Sekunde. Der Unterschied
der beiden Beobachtungen ist leicht zu erklären: zwischen den beiden
gemessenen Punkten und zwischen dem Murgab und der Festung ist
ein ausgedehnter Morast gelegen, welcher im Sommer unter Wasser
steht, im Winter aber, wie jetzt, gefroren ist. In diesem Monat treten
eine grofse Menge kleiner Süfswasserquellen zu Tage, deren Wasser
in den Murgab zwischen beiden Punkten ausmündet.
Obgleich die Beobachtungen am Murgab einen ganzen Monat
später ausgeführt wurden, geht doch aus denselben hervor, dafs der Kisil-su
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Physische Geographie <les Hochlandes von Pamir.
am
ungefähr viermal so grofs ist wie der Murgab. Auch dieser schwillt im
Sommer an und ist an mehreren Stellen unpassierbar. Am Ufer des
Murgab haben wir bei Pamirsky Post eine graduierte Teilungsstange
im Wasser eingeschlagen, an welcher Kapitän Bankowsky periodische
Ablesungen machen wird; im Herbst werde ich in der Lage sein, die
Ergebnisse mitzuteilen.
Im Oktober und November sinkt der Murgab zu seinem Minimum
herab, und Mitte December fängt er an teilweise zu gefrieren. Unter-
halb der Festung ist der Flufe während des ganzen Winters aber gar
nicht zugefroren. Das wenige Eis an den Ufern, welches unterhalb
der Festung gebildet war, fand ich schon am 5. Februar geschmolzen, ob-
gleich der Flufs bei meiner Anwesenheit jede Nacht nur noch mit einer
dünnen Eisschicht bekleidet wurde, welche aber vormittags ver-
schwand. Oberhalb der Festung lagen gleichzeitig stellenweise an den
Ufern schmale Eisbänder, besonders an dem südlichen, durch Gebirge
gegen die Mittagsonne geschützten Ufer. Noch im März lagen hier
solche Eisbänder, und frühmorgens schwammen kleine Eisschollen
auf der Wasseroberfläche. Am 12. April (n. St) hatte das Wasser nach
Bankowsky 's Beobachtung folgende Teperaturen : um 7 Uhr morgens
— 0,3°, um 1 Uhr -1-5,2°, um 9 Uhr -I-30. Anfang April fing das
Wasser an zu steigen, und zwar in 1 1 Tagen um 6 cm.
Der Ak-bajtal-Bach fing am 21. Februar an Wasser zu führen, um
bald sein Maximum zu erreichen; im Winter führt er keinen Tropfen.
An einigen Stellen ist der Bach unterbrochen und scheint hier unter
der Erdoberfläche zu fliefsen, um wieder weiter unten zu Tage zu
treten. Wahrscheinlich verschwindet das Wasser nur oberflächlich
unter den Verwitterungsprodukten, die stellenweise sehr reich ange-
häuft liegen.
Die obenerwähnten Daten über die Wassermenge des Kisil-su
geben zu folgenden, gewifs unsicheren, aber jedenfalls einleuchtenden
Berechnungen Veranlassung. Der Flufs führte Ende Februar 27 cbm
Wasser in der Sekunde. In der ersten Hälfte des Winters ist die
Wassermenge gewifs viel kleiner, im Sommer aber ungleich gröfser;
da aber die Hochwasserperiode viel kürzer ist als die Periode des
niedrigen Wasserstandes, wollen wir im Mittel für das ganze Jahr
25 cbm Wasser in der Sekunde annehmen. Das giebt 1500 cbm in
der Minute, 90000 in der Stunde, 2 160000 für den Tag und 778400000
für das Jahr. Aus den Daten über die Schneemenge des Alai- Thaies, die
ich auf meiner Reise eingesammelt habe, darf ich annehmen, dafs
wenigstens ein halber cbm Schnee für ein qm Areal des ganzen Alai-
Thales in Form von Wasser dem Flufs zu Gute kommt. Mit Sicher-
heit, wie ich unten auseinandersetzen können werde, darf man
ZtiMchr. d. Gestllich. f. Erdk. Kd, XXIX. 22
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320
Sven Hedin:
annehmen, dafs in der That für das ganze Jahr im Mittel wenigstens
ein cbm Schnee auf jeden qm des Alai-Gebietes fällt, wozu noch
die Regen der wärmeren Jahreszeit kommen. Wegen der grofsen
Trockenheit der Luft geht aber eine grofse Menge durch Verdunstung
verloren, ein anderer Teil versiegt im Boden, sagen wir also wie
oben, dafs nur ein halber cbm Schnee den Flufs erreicht. Geben
wir jetzt dem Alai-Thal , zwischen den Alai- und Transalai-Ketten,
eine Länge von höchstens 130 km und eine mittlere Breite von we-
nigstens 40 km, wobei die unteren Abhänge mitgerechnet werden, so
bekommen wir ein Areal von 5200 km oder rund 5000 qkm oder 5000
Millionen qm. Dieses Areal liefert also 2500 Millionen cbm Schnee
oder einen Schneewürfei von 1350 m Seitenlänge. Durch Versuche
habe ich gefunden, dafs, wenn der frisch gefallene Alai-Schnee ge-
schmolzen wird, genau } des Volumens vom Schmelzwasser einge-
nommen wird. Für das Jahr bekommen wir also 625 000 000 cbm
Schmelzwasser, das den Flufs speist. Der Unterschied der beiden
Resultate kann den Regenniederschlägen des Sommers zugeschrieben
werden, die in die Rechnung nicht einbegriffen werden konnten. Das
Quellenwasser, welches unter anderem auch vom Kara-su dem Flufs
zugeführt wird, stammt natürlich auch ursprünglich von den Nieder-
schlägen in den Gebirgen und tritt an deren Fufs wieder zu Tage.
Wie fehlerhaft immerhin diese Berechnungen sein mögen, so geht
doch aus denselben wenigstens hervor, wie grofsartig die Wassermassen
sind, welche die Schneeniederschläge im Alai-Thal jährlich durch den
Kisil-su dem Amu-darya zuführen. Sie zeigen auch die Ursache des
grofsen Unterschiedes der Wassermengen des Kisil-su und des Murgab;
denn w'ährend der erste ein Gebiet durchfliefst , welches ungemein
reich an Schneeniederschlägen ist und auch durch Regen in den Ge-
birgen befeuchtet wird, strömt der letzgenannte Flufs durch trockene
Plateau-Gegenden, die an Niederschlägen beider Art ätifserst arm sind.
ln der Nähe des Robat (Seni) von Bordoba, bei dem Eingang zum
Kisil-art-Thal, liefs ich am 8. März meine Kirgisen ein Profil
durch die Schneedecke und den Boden ausgraben. Das Profil
durch den Schnee zeigte sehr deutlich fünf verschiedene Schichten
von verschiedener Festigkeit, Härte und Farbe, und die Grenzen
zwischen ihnen waren so scharf markiert, als ob die Schichten lose
aufeinander dahingelegt wären; hier konnte ich ohne Widerstand den
Bleistift hineinschieben, was in den Schneeschichten selbst nicht der
Fall war. Die Kirgisen sagten mit Recht, dafs das Profil fünf ver-
schiedene Schneeniederschlags-Perioden des Winters darstellte.
Auf dem Boden befand sich zu unterst ein Lager von 1 cm Dicke
von glashartem Eis, wahrscheinlich durch Schmelzwasser aus den un-
Digitiz
1 Google
Physische Geographie des Hochlandes von Pamir. 32 1
teren Schneeschichten gebildet. Dann folgten von unten nach oben:
2i cm unreiner, harter, spröder Schnee, 5 cm mit fast denselben Eigen-
schaften, 7 cm sehr hart und nicht ganz rein, 15 cm ziemlich hart und
fast rein, und endlich 43 cm vollständig reiner, kürzlich gefallener
Schnee, der in der Konsistenz viel loser als die unteren Schichten, aber
doch ziemlich kompakt war. Der Schnee hatte also hier eine Mäch-
tigkeit von 91 cm. Da die unteren Schichten durch das Gewicht der
oberen allmählich zusammengebacken werden, und da, wie auch die
Kirgisen meinten, die unteren Lagen ursprünglich ungefähr dieselbe
Mächtigkeit gehabt hatten wie die obersten, so darf man annehmen,
dafs hier während des Winters gegen 2 m Schnee gefallen sind. Die
oben erwähnte Berechnung für das ganze Alai-Thal ist deshalb gewifs
nicht übertrieben, sondern bringt vielmehr die Minimalwerte.
Als die Beobachtungen bei Bordaba ausgeführt wurden, zeigte das
Thermometer im Schatten — 13,6, in der Sonne — 11,5 (3 Uhr nachm.).
Um 1 1 Uhr zeigte das Insolationsthermometer 46,6, und während des
Tages schmolz der Schnee auf der Oberfläche. Durch die kräftige
Insolation wird eine grofse Menge Schnee auch während des Winters
in Wasser verwandelt, ein Umstand, der die grofse Wassermenge des
Kisil-su, auch in dieser Jahreszeit, erklärt.
Dicht unter der Schneeoberfläche zeigte das Thermometer — 120,
3 cm tief aber — 22,5, woraus hervorgeht, dafs die Temperaturwechsel
innerhalb 24 Stunden sich schon auf so unbedeutender Tiefe kaum
fühlbar machen (die Minimaltemperatur der vorhergehenden Nacht war
— 28,2°). Dann steigt aber die Temperatur allmählich bis zum Boden,
ist in 43 cm Tiefe schon — ri°, in 58 cm — 8°, in 65 cm — 7,8°, in
70 cm — 5,7°, und in 91cm oder am Boden selbst — 4,4°.
7. Gefrorener Boden.
An derselben Stelle wurde ein 61 cm tiefer Graben im Boden
ausgehauen. Der Boden bestand aus lehmiger Erde ohne Beimengung
von Sand oder Steinen, war hart wie Eis, wurde aber in 20 cm Tiefe
ein wenig mürbe, so dafs die Erdstückchen zwischen den Fingern
pulverisiert werden konnten. In 27 cm zeigte das Thermometer — 1,9°,
in 41 cm — 1,5°, in 57 cm — 1° und in 61 cm — 0,9°. Betrachtet man
die drei letzten Zahlen so findet man, dafs die Temperatur
mit je 4 cm Tiefe um 0,1° steigt. Man kann also voraussetzen, dafs
der Boden bis zu einer Tiefe von wenigstens 1 m gefroren ist. Die
Kirgisen versicherten, dafs der Boden im Sommer nicht gefroren bleibt.
Dies mufs aber noch durch genaue Beobachtung bewiesen werden;
denn einerseits ist freilich die Insolation in diesen Gegenden unerhört
kräftig, andererseits aber die Temperatur der Nacht auch im Sommer
22*
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322
Sven Hedin:
niedrig, fast immer unter o°. Eine ähnliche Beobachtung, die ich
Anfang April an der russischen Festung bei Murgab ausftlhrte, gab für
dieselbe Tiefe (61 cm) — 0,15°; hier war ein 7 cm tiefes Oberflächen-
lager schon jetzt aufgetaut.
8. Exkursion von dem Bulung-kul nach dem Kleinen Kara-kul,
dem Mus-tag-ata und dem Przewalsky-Gletscher.
Ich habe eben das Abhängigkeitsverhältnis der Wassermenge des
Kisil-su und des Murgab von den Niederschlägen auf den Hochflächen
und Gebirgsländern des Pamir besprochen. Eine andere Naturer-
scheinung verdankt auch dem Schneeniederschlag ihre Existenz, nämlich
die Gletscher.
Aus eigener Erfahrung kenne ich nur einen Gletscher, nämlich
den Grofsen Przewalsky-Gletscher (so von Bogdanovitsch genannt, der
im Jahr 1889 diese Gegend besuchte), auf dem westlichen Abhang
des Mus-tag-ata gelegen. Obgleich meine Untersuchungen durch eine
heftige Iritis unterbrochen wurden, welche mich zu schleuniger Rückreise
nach Kaschgar zwang, will ich doch einige vorläufige Bemerkungen
über meine Beobachtungen niederlegen, in der Hoffnung, dieselben
nach einem neuen Besuch ergänzen zu können.
Ich hatte die bestimmte Absicht, den Versuch zu machen, den
Mus-tag-ata bis zum Gipfel zu besteigen (7630 m), und obgleich die
Kirgisen mit ihren sehr pikanten Legenden und Erzählungen immer
behaupteten, dies sei eine vollkommene Unmöglichkeit, schlofs ich
doch, seitdem ich den Berg aus weiter Entfernung (von Murgab etwa
1 10 Werst) mit scharfem Fernrohr und aus der unmittelbaren Nähe
beobachtet hatte, dafs die Terrainverhältnisse keine unübersteigbaren
Hindernisse in den Weg legen würden. Die ersten Untersuchungen
und Erkundungen begannen auch unter guten Auspizien, und die
Besteigung wäre vielleicht gelungen, wenn ich nicht durch die oben-
erwähnte Augenkrankheit gezwungen worden wäre, alle Arbeiten abzu-
brechen.
Mit ausgewähllen Leuten und Pferden meiner Karawane machte
ich am 14. und 15. April die 36 Werst lange Reise vom See Bulung-kul
nach der chinesischen Festung bei Su-baschi, südlich vom Kleinen
Kara-ku). Der Bulung-kul, der in zwei getrennte Becken zerfällt, war
jetzt eisfrei, der Bassik-kul aber noch mit porösem Eis bedeckt, nur
an den Ufern war offenes Wasser zu sehen, und zwar vollkommen
rein und süfs. Der Kleine Kara-kul, ein wunderschöner Gebirgssee,
dessen krystallklares Wasser in marineblauen und hellgrünen Nuancen
spielte, war nur am südlichen Ufer mit dünnem Eis bekleidet. Die
Höhe des Bulung-kul beträgt nach der russischen Karte 3292 m, die
Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
323
des Kleinen Kara-kul 3750 m; der Höhenunterschied ist also 458 m.
Der Thalboden steigt zwischen den beiden Seen mit 12 m auf 1 km
an. Die hiesigen Teit-Kirgisen nennen den See einfach Kara-kul; von
den Kirgisen des russischen Pamir wird er Kitschik-kara-kul (Kleiner
Kara-kul) genannt. Der Grofse Kara-kul wird im östlichen Pamir Arka-
kara-kul genannt ( arka bedeutet Rückgrat); einige meinten, der Name
sei deshalb gegeben weil er auf dem Rücken des Pamir gelegen sei;
andere, weil er auf der anderen Seite des Rückgrats Sarik-kol liege;
wieder andere, weil er sich auf der „hinteren Seite" befinde.
Der sanft und allmählich steigende Thalboden war bis hierher
mit Verwitterungsprodukten und Alluvium bedeckt; am westlichen Ufer
des Kleinen Kara-kul tritt aber der nackte Fels (hellgrüne Schiefer,
50 — 59° NO Fallwinkel) zu Tage, und an dessen Fufs brechen mehrere
klare Quellen hervor. Südlich vom See breitet sich eine ziemlich
weite Steppe aus, die allmählich in das Thal des Kara-kul-darya über-
geht, welches sich in südwestlicher Richtung bis zum Pafs Ulug-rabat
erstreckt.
Am 17. April brach ich von Su-baschi mit einer auserlesenen
Karawane, aus einem Tartaren, einem Sarten, sieben Kirgisen und elf
Yak-Ochsen bestehend, in südöstlicher und südlicher Richtung auf.
Unser Weg, östlich von dem genannten Thal, führte über zwei ziemlich
markierte Kämme des unteren Mus-tag-ata (Tafel 12). Zwischen ihnen liegt
eine wenig tiefe Thalrinne, welche von Quellenwasser und Schmelzwasser
eines kleinen Hängegletschers durchflossen wird. Rechts sehen wir
die Thalsenkung Jam-bulak, welche bis in die Nähe des Przewalsky-
Gletschers hinauflührt und dort Jam-bulak-baschi genannt wird. Hier
wurde ein Depot mit Jurte aufgeschlagen, in einer absoluten Höhe
von 4570 m1).
Überall sind die Abhänge mit Detritusmassen bedeckt, und
nirgends war nackter Fels zu beobachten. Die Verwitterungsprodukte
bestehen aus Sand, Kies und Blöcken von allen Gröfsen bis zu sehr
bedeutenden. Nichts als Gneifs war zu entdecken, und zwar von allen
Farben, Strukturen und Korngröfsen. Einige Abänderungen waren
sehr grobkörnig, andere feinkörnig, einige von flaseriger Textur, andere
wieder zeigten vorzüglich die Eigenschaften des Augengneifs; weifee
und rote Färbungen waren vorherrschend.
Vom Lagerplatz hatten wir eine weite und schöne Aussicht: im
Norden und Nordnordosten sehen wir die gigantische, sich gegen
') Diese Zahl ist nur vorläufig aus den von Herrn Hedin übersandten Beob-
achtungselementen (Aneroid und Kochthermometer | von Herrn Otto Baschin
freundlichst berechnet worden.
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T24
Sven Hedin:
NNW und NW umbiegende Kette, deren Kulminationspunkt der Mus-
tag-ata ist; im Nordwesten, Westen und Sild westen die östlichen Ab-
hänge des Sarik-kol, während uns ein blendend weifser Schneerand
die Lage des Hauptkammes bezeichnet. Zwischen den beiden gewaltigen
Ketten erstreckt sich das Sarik-kol-Thal vom Ulug-rabat nordöstlich
nach dem Kleinen Kara-kul und dann nordnordwestlich nach dem
Bulung-kul, auf dessen anderer Seite die nördliche Fortsetzung der
Mus-tag-Kette auftaucht. Tief unter uns erblicken wir den Kleinen
Kara-kul und den Bassik-kul wie auf einer Karte ausgebreitet, und
weit im Nordnordwesten erscheinen der Bulung-kul und das tief ein-
geschnittene Ges -Thal zwischen dem Ak-tau und dem Tschacker-agil.
Im Osten und Süden wird die Aussicht durch die Abhänge des Mus-
tag-ata verschlossen; gerade nach Süden steigt die Jam-bulak-baschi-
Schlucht bis in die unmittelbare Nähe des Przewalsky-Gletschers empor,
dessen nördlicher, rechter Rand hervorglänzt.
Bogdanovitsch, der eine eingehende und klare Beschreibung des
geologischen Verhältnisses des Mus-tag-ata zum Kwen-lun einerseits
und zum Pamir und Tien-schan andererseits geliefert hat1), unter-
scheidet den eigentlichen Mus-tag-ata, südlich des Kleinen Kara-kul,
und den nördlichen Pik Mus-tag-ata, nordöstlich von dem See.
Zwischen beiden führt der Kara-tasch-davan von Ost-Turkestan zum
Thal des Kara-kul. Die Kirgisen kennen aber nur einen Mus-tag-
ata, nämlich den südlichen höchsten Gipfel; der nördliche wurde mir
Ak-tau genannt. Die ganze Kette wird von den Kirgisen Mus-tag ge-
nannt, d. h. „die Eisberge", unter welchen der Mus-tag-ata der „Vater
der Eisberge“ ist. Der Name ist sehr bezeichnend; denn auf dieser
ganzen Kette sind Firnfelder und Gletscherbildungen verbreitet, und
dieselben erreichen ihre höchste Entwickelung auf dem Mus-tag-ata.
Der Namen „Tagarma“ für dieseii Berg wird an Ort und Stelle nie ge-
braucht. Der Teil des Sarik-kol-Thales, der zwischen dem Dort
Tagarma und der Festung Tasch-kurgan gelegen ist, wird dagegen
Tagarma-Thal genannt.
Das Gneifsmassiv des Mus-tag-ata wird, wie auch aus dem Profil
Bogdanovitsch’s sehr deutlich hervorgeht, von zwei grofsartigen Ver-
werfungen durchsetzt, wodurch der Berg in drei Teile zerfällt. Das
schematisch gezeichnete Profil von Bogdanovitsch zeigt drei sehr spitze
Gipfel, welche durch die Gletscherketten, die oben die Dislokations-
schluchten einnehmen, getrennt sind, und von denen der dem Tagarma-
Thal am nächsten gelegene der niedrigste, der dem Ike-bel-su am
nächsten gelegene der höchste ist.
1 ) Trudi etc. Siehe hierüber auch Wegener: „Das Kwen-lun-Gebirgc“.
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
325
In der That hat das Mus-tag-ata-Massiv die Form einer flachen
Kuppel, die durch die Dislokationsschluchten in drei Teile zerfallt,
von denen der mittlere Gipfel, wie man von Murgab sehr schön und
deutlich wahrnehmen kann, der höchste ist, eine Ansicht, die auch
von den Kirgisen gehegt wurde. Aus eigener Erfahrung kenne ich
nur die nördliche Verwerfung, in deren Schlucht der Przewalsky-
Gletscher hinunterströmt. Doch bin ich der Ansicht, dafs dieselbe
nicht eine einfache Verwerfung, sondern vielmehr eine Grabenversenkung
ist. Auf der Oberfläche des eingesunkenen Teils des Gebirgsmassivs
strömt jetzt der Gletscher, der oberhalb seines Austritts aus dem von
Felsen eingeschlossenen Bett eine Breite von ungefähr 500 bis 600 m
hat. Bogdanovitsch giebt dem Przewalsky-Gletscher eine SO— NW-
Richtung; dieselbe ist aber, wenigstens in der unteren Hälfte, fast
genau O — VV.
Am 18. verliefs ich mit meinen Begleitern und drei Yaks (da die
Kirgisen jetzt zu Fufs gingen) früh morgens das Depot und stieg in
südöstlicher und dann östlicher Richtung empor; wir legten in gerader
I.inie 4,5 km zurück, in der That aber wenigstens doppelt so viel;
die Yaks gingen mit bewunderungswürdiger Sicherheit auf den äufserst
steilen Abhängen (23 bis 270), die überall mit Detritus bedeckt waren.
Die Schneemenge war noch sehr unbedeutend, und nach vier Stunden
gelangten wir ohne besondere Schwierigkeit zu einer Höhe von 5500 m.1)
Das Wasser kochte hier bei 82,54', fast genau derselben Temperatur,
die ich im Jahr 1890 auf dem Gipfel des Demavend (ungefähr 5500 m)
gefunden hatte (82,5°). Hier wurden wir zwei Stunden durch einen
heftigen südlichen Schnee-Buran aufgehalten, der jeden Fortschritt
unmöglich machte; als er nachmittags schwächer wurde, stiegen wir
noch ungefähr 100 m höher, fanden aber, dafs das Vorrücken wegen
des neugefallenen Schnees sehr schwierig und mühsam war, und kehrten
deshalb zum Depot zurück.
Wir waren auf dem Kamm gewandert, welcher die Grabenversenkung
im Norden begleitet. An dem höchsten Punkt, den wir erreichten,
fand ich endlich scharf am Rand gegen das Gletscherbett festen Fels,
und zwar harten, ausgezeichnet schiefrigen, stellenweise fast silber-
glänzenden Glimmerschiefer mit Fallrichtung nach 15° N, und ein
wenig tiefer hellgrünen, an der Oberfläche stark verwitterten, ebenso
geprefsten Schiefer mit wilden Falten und im allgemeinen 3 bis 50
nördlicher Fallrichtung. Die Detritusprodukte der Abhänge bestanden
hier vorzugsweise aus Glimmerschiefer und verschiedenen grünen
Schiefem, weniger zahlreich war Gneifs; nur einmal fand ich ein
*) Siehe Anmerkung auf S. 323.
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32(i
Sven Hedin:
Stückchen schwarzen Porphyrs mit weifsen Krystallen. Gneifs oder
Granit war hier nirgends fest anstehend zu finden.
Der höchste Punkt, den wir erreichten, befand sich fast gerade
südlich des Kleinen Kara-kul und südöstlich von Su-baschi. Wenn man
von hier aus den mittleren, gerade südlich gelegenen Kamm betrachtet,
so findet man, dafs er sich nach oben immer flacher wölbt, so dafs
die Fallwinkel von unten nach oben immer kleiner werden: 27°, 23“,
2i°, so weit ich durch die Schneewolken beobachten konnte. Dieses
mittlere, höchste Gewölbe ist mit einer 10 bis 20 m mächtigen Eisdecke
bekleidet, die dasselbe wie die Vergoldung einer Moscheenkuppel
bedeckt. Sie ist selbst von mächtigen Firnschneemassen überlagert
und wird nach unten allmählich immer dünner. Nur hier an der
Dislokationschlucht sind diese Verhältnisse sehr deutlich im Profil, von
dem gegenüberliegenden nördlichen Kamm aus, zu beobachten. Auf
diesem lagen noch unbedeutende unzusammenhängende Schneemassen ;
erst höher hinauf konnten wir ununterbrochene Schnee- und Eisfelder
wahrnehmen. (Abbild, 1.)
Abbild. 1.
Schematischer Querschnitt durch die Gleucherpassagen des Mus-tag-ata
von N nach S.
Von der unteren Gletscherzunge aus sieht man gegen Osten in
den höheren Regionen zwischen den beiden Kämmen eine weite
muldenförmige Einsenkung, deren Firnschnee den Gletscher speist.
Dieser findet dann einen natürlichen Auslauf zwischen den beiden
vertikalen Wänden der Grabenversenkung und hatte an unserem
höchsten Punkt, wie erwähnt, eine Breite von 500 bis 600m. Die
Entfernungen und relativen Höhen sind im Hochgebirge schwer zu
schätzen, und man irrt leicht, indem man, wie ich wenigstens hier
fand, dieselben zu klein zu schätzen bestrebt ist. Die Breite der
Grabenversenkung ist vielleicht noch bedeutender als die obenerwähnte
Zahl. Die Höhe der südlichen, linken Wand vom Kamm bis zur
Oberfläche des Gletschers schätzte ich zu 500 m, und die der nörd-
lichen, rechten Wand zu weniger als 400 m.
Ein Längsschnitt zeigt drei steilere Stellen des Unterlaufes (Abbild. 2),
die sich auch durch die hier vorherrschenden und die T.ängsspalten
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir. 3'J7
kreuzenden, breiten, tiefen , gegen unten halbmondförmig gekrümmten
Querrisse verraten; diese sind nur hier und da mit Schneebrücken
versehen, im Oberlauf ist dagegen der Gletscher fast überall tiber-
schneit. Wo der Gletscher aus der Felsenpforte austritt, breitet er
sich zu doppelter und dreifacher Breite aus und wird immer dünner;
noch weiter unten wird die Gletscherzunge immer spitzer, um endlich
zu verschwinden.
Abbild, i.
Längsschnitt im Unterlauf des Przewalsky-Gletschcrt, drei Anschwellungen des
Bodens zeigend; von O nach W.
Während der Besteigung des nördlichen Rückens konnte ich fast
den ganzen Gletscher verfolgen. Der grofsartige Anblick und die
phantastischen Landschaftsbilder, die sich hier nach allen Richtungen
darboten, spotten jeder Beschreibung. Unterhalb der Gletscherzunge
ist der Boden stahlgrau gefärbt, was teils vom zurückgebliebenen
Schleifmaterial des jetzt verlassenen Untergrundes herrührt, teils, und
zwar weiter unten, vom Schlamm, welcher, vom Gletscherbach trans-
Abbild. 3.
Scitenmorane Ufernioräne
Gletscher Eis
Durchschnitt durch den Prrewalsky-
Gletscher am Austritt aus der Felsen*
Passage ; von S nach N. Grundmorioe
portiert, sich hier wieder abgesetzt hat. Aufserordentlich deutlich war
von hier aus auch eine alte, halbkreisförmige Grund- und Endmoräne
wahrzunehmen, auf welcher eine Abzweigung der Gletscherzunge früher
gestanden zu haben schien. (Abbild. 3.)
Auf dem ganzen unteren Teil des nördlichen Kammes giebt es
keine Möglichkeit, nach dem Gletscher hinabzusteigen, da die Fels-
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Sven Hedin:
328
wand fast überall ganz senkrecht ist. Auch wenn das Hinuntersteigen
möglich wäre, würde man auf dem Gletscher nicht weit vorwärts
gehen können; denn derselbe besteht hier aus einem Gewirr von
bizarren, wilden Eispyramiden, die durch breite, tiefe Spalten getrennt
werden.
Am 19. April war das Wetter so ungünstig, dafs an eine neue
Besteigung gar nicht zu denken war. Früh morgens war der Himmel
fast klar; aber es wehte ein äufserst heftiger Südwind, wogegen in den
höheren Luftschichten Westwind herrschte, wie es der schnelle Lauf
der Cirruswolken gegen Osten zeigte. Bald ging aber der Wind in
einen Schnee-Buran über, und erst gegen 5 Uhr abends wurde der
Himmel wieder klar, so dafs ich einige Photographien nehmen konnte.
Der Tag wurde jedoch zu einer Exkursion um die unterste Gletscher-
zunge herum verwendet.
Wir folgten der Jam-bulak-baschi-Schlucht bis zum Gletscherrand
hinauf. Die Ufermoräne hat hier eine Mächtigkeit von wenigstens
50 m und besteht aus Trümmern aller Gröfsen, von Sand bis zu mittel-
grofsen Blöcken, ein Material, das im
Lauf der Zeit in reichlicher Menge von
der nördlichen Felswand geliefert worden
ist. Ich fand hier vorzugsweise denselben
Glimmerschiefer und die grünen Schiefer,
die ich tags vorher gesehen hatte; auch
Gneifs war sehr allgemein. Die rechte,
vom Gletscher getragene Seitenmoräne
war 80 m breit, von bis xo m tiefen, teil-
weise mit Trümmern gefüllten Quer-
spalten, oder aufragenden, jedoch ver-
hältnismäfsig niedrigen Eispyramiden
unterbrochen, hatte aber eine ziemlich
unbedeutende Mächtigkeit, die selten ein
paar Meter überstieg.
Wir gingen auf dem Gletscher in
OSO -Richtung und begegneten oft klei-
nen unregelmäfsigen Spalten, die mit
Hülfe von Seilen und Alpenstöcken
(die ich in I’amirsky Post hatte an-
fertigen lassen) überschritten werden
mufsten. Nach 320 m Wanderung kamen wir zu wilderen Teilen,
wo tiefe Querspalten und hochaufragcnde Eispyramiden jedes Weiter-
schreiten verhinderten. Eine solche Pyramide war zwischen zwei Spalten
gelegen und unmöglich zu passieren. Die Kirgisen glaubten, wir
Abbild. 4.
Durchschnitt durch rwei
Querspalten im Unterlauf
d. Prrcwalsky -Gletschers.
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
3-29
hätten wenigstens ein Viertel, höchstens ein Drittel der ganzen
Breite zurückgelegt; die Eispyramiden verbargen aber die Aussicht
gegen Süden über die Oberfläche des Gletschers. Hier machten wir
also zwischen den beiden Spalten eine Stunde Halt. (Abbild. 4.) Die
untere Spalte war 18 m tief und hatte oben eine Breite von 6m;
die obere war 15,7 tief und oben 1,5m breit; beide wurden nach
unten immer schmäler; der unterste Teil war aber nicht sichtbar.
Da die Eispyramiden rings umher eine Höhe von gegen 20 m hatten,
so ist die Mächtigkeit des Eises hier wenigstens 40 m, vorausgesetzt,
dafs der sichtbare Teil der Spalten bis zum Boden reichte, welches
nicht anzunehmen ist. In dem höheren, von Felswänden eingeengten
Teil, wo der Eisstrom viel schmäler und zusammengedrängt ist, ist
die Tiefe wahrscheinlich zwei- bis dreimal so grofs. Bogdanovitsch
berechnet die Mächtigkeit des Gletschers zu nur 20 m.
An unserem Beobachtungspunkt war eine sehr wenig entwickelte
Mittelmoräne vorhanden, deren wenige Trümmer hier und da in gegen
unten gekrümmten Halbmonden auf den Eiskämmen- zwischen den
Spalten zerstreut lagen. Ob dies in der That eine echte Mittelmoräne
ist, konnte ich nicht entscheiden; vielleicht sind diese Trümmer ein-
fach die letzten Ausläufer der Seitenmoräne. Es ist aber auch sehr
leicht möglich, dafs der Hauptgletscher in den höheren Regionen
einen kleineren Nebengletscher aufnimmt.
Auf der Mittelmoräne wirkt die Ablation so, dafs die meisten
zerstreut und isoliert liegenden Trümmerblöcke zur Hälfte im Eis
festgefroren und eingesunken sind und nur mit Äxten losgehauen
werden konnten; die Seitenmoränc schützt dagegen das unterliegende
Eis gegen die Ablation, und die Oberfläche des Gletschers ist deshalb
hier konkav. Der Fallwinkcl der Seitenmoräne gegen den Gletscher
beträgt im allgemeinen 130; die Oberfläche des Gletschers selbst
hat in diesem Teil des Laufes 12° Gefalle. Die Höhe betrug hier
4740 m1).
In einer Höhe von 4620 m1) passierten wir die alte Endmoräne, die
wir von oben gesehen hatten; ihre Oberfläche bestand aus halbkreis-
förmig gruppierten Partien von allerlei Trümmern, zwischen denen
sich andere Partien, aus grasbewachsener Erde und Sand bestehend,
ausbreiteten; der thalwärts gerichtete Abhang hatte den äufserst steilen
Fallwinkel von 38° bis 39 °.
Die Spitze der Gletscherzunge hat eine Breite von 160 m mit fast
vertikalen Wänden und eine Mächtigkeit von gegen 25 m. Das Glet-
scherende verdünnt sich nicht allmählich, sondern ist wie mit einem
'j Siehe Anmerkung auf S. 323.
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3:50
Sven H edin :
Messer abgeschnitten; nur einige Eisblöcke waren am Stirnrand hin-
unter gefallen. Die absolute Höhe beträgt hier 4300 m*)s).
Die Gletscherzunge scheint wie auf einer Terrasse gelegen zu sein;
nur die Ränder sind sichtbar, die Oberfläche nicht. Kein Gletscher-
thor hatte sich gebildet, doch quollen zwei ganz kleine Bäche mit trübem
Schmelzwasser an den beiden Ecken des Stirnrandes hervor. Tiefer
unten waren die sanften Abhänge mit stahlgrauen Bändern gezeichnet.
Die letzte Endmoräne der Gletscherzunge habe ich nicht aufsuchen
können, weil ich die Untersuchungen abbrechen mufste. Unterhalb
der Gletscherzunge ist das Gelände sehr eben und mit Schleifschlamm
und Sand bestreut. Blöcke waren hier sehr selten. (Tafel 9 — 11.)
Die Länge des Gletschers beträgt nach Bogdanovitsch 5 — 6 Werst
Nach meiner topographischen Aufnahme hat die ganze untere Gletscher-
zunge, d. h. vom Austritt aus der Felsenpforte an, 3,4 km Länge; aufser-
dem hat der eigentliche Gletscher eine Länge von gegen 6 km, und
dazu kommt noch der obere Teil mit der Firnmulde, die wahrschein-
lich ziemlich ausgedehnt ist.
Am Stirnrand der Gletscherzunge waren keine Spuren von be-
ginnender Bildung einer neuen Endmoräne, die beweisen könnte, der
Gletscher sei stationär oder im Vorrücken begriffen; der Boden war
vielmehr mit feinem Schleifmaterial bedeckt. Alles zeigte, dafs der
Gletscher in einer Periode des Rückganges begriffen sei, wie auch
Bogdanovitsch 1889 für sämtliche von ihm besuchte Gletscher ge-
funden hat.
Die fliefsende Bewegung des Przewalsky-Gletschers scheint äufserst
gering zu sein; doch liegen keine zahlenmäfsigen Beobachtungen vor.
Ich habe an den beiden gröfsten Gletschern Stangen einschlagen
lassen und werde hoffentlich bald Gelegenheit bekommen, die Ver-
änderung ihrer Lage zu untersuchen.
Bogdanovitsch verlegt die Schneegrenze am NO-Abhang des Mus-
tag-ata auf eine Höhe von r6000' (4870m), und das Central-Firngebiet,
wovon sechs Gletscher ihren Anfang nehmen, zu 19000' (5790 m).
Der südlich vom Przewalski-Gletscher gelegene Gletscher, dessen
Felsenpassage ich nur aus der Ferne gesehen habe, scheint unter
genau denselben physisch -geographischen Bedingungen gebildet zu
sein wie der Przewalsky-Gletscher.
Die Mitteilungen, die ich über den Mus-tag-ata gegeben habe,
dürfen nur als vorläufige Ergebnisse einer ersten Erkundung be-
trachtet werden und werden hoffentlich später, und zwar in günstigerer
Jahreszeit, vervollständigt werden.
*) Siehe Anmerkung auf S. 315.
1 ) Nach Bogdanovitsch ist die Höhe 13000' (3960 m).
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir. 33 1
Itinerar meiner Reise von Margelan nach Kaschgar1).
Datum
1894
Lagerplätze
Entfernung
in
Werst
Februar <
32
Neu Margelan.
23
Utsch-kurgan (Kischlak)
35
*3 |
Austan (Kischlak, Aul)
23
*4
Ruhetag.
*5
Langar (Thalweitung)
40
26
Robat (am Eingang zum Tengis-baj)
26
*7
Schiman-Schlucht |
24
28
Daraut-kurgan (Aul) 1
März
1
Ruhetag.
2
Gundi (Aul nahe am Kisil-ungur)
22
3 1
Kachka-su (Aul am Bach Ka-su)
26
4
Djipptick (Aul am Bach Djipptik)
25
5
Ruhetag.
6
Urtag (Gegend am 1. Ufer des Kisil-su) ....
20
7
Bordoba (Robat am Eingang zum Kisil-art) . . .
27
8
Ruhetag.
9
Kok-saj (Bach)
27
IO
Kara-kul (nördl. Seraj)
25
II U. 12
(Peilungen auf dem Kara-kul; etwa 50 Werst nach
Aghtam); vom nördlichen zum südlichen Seraj
(Robat) des Kara-kul
| 20
13
Ruhetag.
»4
Mus-kol (Bach in der Gegend des Souk Tschubi)
*7
»5
| Mus-kol (Quelle am Ak-bajtal)
18
l6
Kornei-tarti (Robat No. 1)
23
17
Togolak-matik (Aul)
25
18
Pamirsky Post (Fort am Murgab). (t8. März bis
7. April Aufenthalt in Pamirsky Post.)
26
Die Entfernungen bis nach Pamirsky Post sind nach einer Marschroute, die
mir der Gouverneur von Fergana freundlich gegeben hat, dann nach meinen topo-
graphischen Routenaufnahmen berechnet. Die Angaben zeigen die nötige Zeit für eine
schwere Karawane (im Winter); die Postdschigniten reiten in io Tagen von Mar-
gelan nach Pamirsky Post, wechseln aber an einigen Punkten des Weges; im Winter
brauchen sie 11 Tage. (S. auch „Verhdlgen." 1894, S. 219.)
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332
Sven Hcdin:
Datum 1
1894
Lagerplätze
Entfern.
in
Werst
April
7
Von Murgab nach Schor-kul — Rang-kul . . . .
26
8
Fort Rang-kul
14
9—IO
Ruhe in Fort Rang-kul.
II
Kara-turuck
3°
I 2
Tschuggataj-Aul
J5
13
Bulung-kul Aul
12
14
Jerri
J3
«5
Su-baschi
13
l6
Ruhe in Su-baschi.
*7
Jam-bulak-baschi
8
18
Mus-tag-ata
4.5
und zurück nach Jam-bulak-baschi
4.5
19
, Exkursion an die Zunge des Przewalsky-Gletschers
IO
20
| Rückweg nach Su-baschi
! 8
20—25
Aufenthalt in Su-baschi wegen Augenkrankheit.
25
j Rückweg nach Bulung-kul ... -
36
26
Aufenthalt bei Bulung-kul.
27
Utsch-kopa
34
28
Köuruk-karaol
36
29
20
3°
Terun
26
Mai
1
Kaschgar
45
Die Entfernung von Margelan nach Murgab beträgt somit 459 Werst,
und von dort nach Kaschgar 268, wobei der Abstecher nach Mus-tag
u. s. w. nicht eingerechnet wird. Die Russen berechnen die Entfernung
von Murgab nach Kaschgar zu 275 Werst, wobei aber der ein wenig
längere Weg von Rang-kul über den Ak-berdi-Pafs nach Bulung-kul
angenommen wird. — Auf meinen Kartenskizzen (Tafel 8 u. 11) stimmen
die Entfernungen nicht überall mit dem obigen, weil der Weg hie und
da in Zickzacklinien verläuft, die auf der Karte nicht wiedergegeben
werden konnten. Die geographische Lage der beiden Endpunkte de:
Karte: Rang-kul und Berg Jerma ist schon von Oberst Salesskij be-
stimmt worden, und zwischen ihnen habe ich meine Marschroute ein-
gelegt.
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Physische GeogTaphie des Hochlandes von Pamir.
333
Namenverzeichnis. *)
Ak-bajtal2) „Weifse Stute", Pafs südlich des Grofsen Kara-kul.
Ak-su „Weifses Wasser", Oberlauf des Murgab.
Ak-tasch „Weifser Stein", kirgisisches Aul am Ak-su.
Ak-tau „Weifser Berg", Gipfel der Mus-tag-Kette, südlich von Ges.
Alai „Bunt", wahrscheinlich wegen der verschiedenen Farbenschattierun-
gen der Grasvegetation, der gelben Erde, des Lehms, des roten Flusses
und der weifsen Schneestreifen an den Gebirgsabhängen (Frühling
und Sommer).
Alitschur. (Bedeutung ?). Oberlauf des Gunt-Flusses, oberhalb Jeschil-
kul, — und umliegender Teil des Pamir.
Altyn-därä „Gold-Thal“, altyn ist freilich türkisch und därä persisch;
die Nachbarschaft des von Tadschiks bewohnten Karategin erklärt
die Kombination. — Kirgisischer Aul im Alai-Thal.
Artscha - bulak „Juniperus -Quelle". Von Kirgisen bewohnte Gegend
am rechten Ufer des oberen Kisil-su.
Att-jolli „Pferdeweg“. Pafs über das östliche Alai-Gebirge, so genannt,
entweder weil er zu Pferd passierbar ist, oder weil Pferdeweiden in
der Nähe gelegen sind. So werden die kleinen, kaum sichtbaren,
parallelen Pfade an den Abhängen, wo die Schafe zu ihren Weiden
gehen, Koj-jolli genannt.
Austan (us/un = oberer, astin — unterer) kirgisischer Kischlak im Is-
fairan-Thal. Wahrscheinlich „der obere“ im Gegensatz zu einem
weiter unten gelegenen Kischlak.
Bastik-kul. Die Kirgisen meinten, es hiefse eigentlich Sassik-kul
[sassit = stinkend). See im Sarik-kol-Thal; (^«/=See); ein kleiner
Sassik-kul ist auf dem Alitschur-Pamir gelegen. Der im Sarik-kol-
Thal wird doch deutlich mit B ausgesprochen.
Billanli, Schlucht im Najsatasch-Thal östlich von Rang-kul; eine Gesteins-
art, die zu Schleifsteinen gebraucht wird.
Billa-tock-davan , Pafs im Sarik-kol- Gebirge; Billu wahrscheinlich =
billauli.
Bor-doba „Grauer Hügel“, da doba, welches unrein ausgesprochen wird,
sicherlich eine Korruption des Wortes teppe ist; in der That sind
hier (beim Eintritt zur Kisil-art-Schlucht) graue Hügel sehr allgemein.
t) Für manche Erklärung der folgenden Namen hin ich dem Kaiserlich Russi-
schen Konsul, Herrn Wirklichen Staatsrat N. F. Pctrowsky in Kaschgar, zu Dank
verpflichtet.
In diesem Namenverzeichnis, ebenso wie in allen im Text gebrauchten Fremd-
wörtern ist j wie im Deutschen zu lesen.
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Sven Hedin :
334
Bulung-kul. Mit bulung bezeichnet man einen ziemlich ausgedehnten,
flachbodigen, von Gebirgen umgebenen Teil eines Thaies. Shaw
schreibt: „a corner of atty encloscd spacc. See im Sarik-kol-Thal.
Darya-i-Schiva „Schiva-Flufs" in Badakschan; Tadschik.
Daraut-kurgan , Festung, wo das Darau-su-Thal in das Alai-Thal aus-
mündet. Därä — Thal , «//=Gras, kurgan = Festung. Vielleicht
ist die kirgisische Erklärung des Wortes richtiger: eine Korruption
des Tadschikwortes däi-rau, „sogleich" oder „eilig". Der Reisende
mufs so eilig wie möglich den Tengis-baj-Pafs zurücklegen, um Buranen
und Lawinen zu entgehen.
Djipptick, Alai-Pafs, Bach und kirgisisches Aul; djip = Seil, lick = Zeug,
womit Khalaten und dergleichen verfertigt werden. Diese Erklärung
ist jedoch fraglich; vielleicht ist djipptick eine dort vorhandene
Pflanze?
Ges-darya „Ges-Flufs", an der östlichen Grenze Pamirs; ges = eine dem
Alhagi camelorum ähnliche Pflanze.
Ges-baschi „Haupt von Ges", Ursprung; doch ist dieser Name einem
kleinen Fort am Mittellauf beigegeben, wo auch Ges-baschi-kuprjuk,
die Brücke von Ges-baschi, gelegen ist.
Gnndi, kirgisisches Kischlak im Alai-Thal; von gun = Sonne, Tag.
entweder weil der Kischlak auf dem Abhang eines gegen Osten ab-
fallenden Hügels gelegen ist, oder weil man einen Tag braucht, um
von einem anderen Kischlak dorthin zu gelangen. Gunmak = Halt
machen (nach einer Etappe); bir gun/ik joll = ein Tagesmarsch.
Etappe.
Gurumdi. Oberlauf des Alitschur- Flusses. Gurum ist wahrscheinlich
dasselbe Wort wie im mongolischen Kara-korum.
Irkeschtam , Thal, kirgisisches Aul und russisches Fort am oberen
Kisil-su (Tarim). ?
Isfairan, kleiner Flufs an dem nördlichen Abhang der Alai-Kette. ?
Ike-bel-su, in den Kleinen Kara-kul ausmündender Bach. Ika, mong. =
„grofs“, bei = Pafs, su = Wasser.
Jam - bnlak , Schlucht am westlichen Abhang des Mus-tag-ata; jan
dasselbe Wort wie im Russischen jama = Graben und järnschUchik =
Postkutscher; jam, mong. — Poststation, ein einfaches Erdhaus oder
Grotte ; bulak = Quelle.
Jam-bulak-baschi, oberer Teil derselben Schlucht
Jerri oder richtiger Djärri; dasselbe Wort und dieselbe Bedeutung
wie das Russische jar = Erdkluft, Hohlweg, Schlucht, djärri = eine
Gegend, die an dergleichen Hohlwegen reich ist; N von Bassik-kul.
Jerma, niedriger Gipfel, südwestlich vom Kleinen Kara-kul. ?
Jeschil-kul, See im Alitschur-Pamir; „grüner See".
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
335
Joll-tock-terek, Pafs im Sarik-kol-Gebirge; jo/i => Weg; tcrek = Pappel.
Kalta-davan „Kurzer Pafs“; östlich des Grofsen Kara-kul.
Kara-dsohilga „Schwarze Schlucht", mit einem kleinen Bach, der in
den Grofsen Kara-kul ausmündet.
Kara-kaiik, Pafs über das Alai-Gebirge; „schwarzer Zaunpfahl" —
oder „spitzige Stange."
Kara-kir, Gipfel im Tengis-baj-Pals ; kir — Schmutz, Schlamm.
Kara-kul, See auf dem Pamir; „Schwarzer See", weil das dunkle,
klare und tiefe Wasser im Vergleich mit den umliegenden Gebirgen,
die oft überschneit sind, fast schwarz zu sein scheint.
Kara-möjnak-kuprjuk = „Brücke der schwarzen Euphorbia lalhyris“ ;
am mittleren Ges.
Kara-su „Schwarzes Wasser" ; kleiner Nebenflufs des westlichen Kisil-su.
Kara-tasch-davan „Schwarzer Stein-Pafs", nördlich von Mus-tag-ata.
Karategin, Thal und Fand östlich des Alai-Thales.
Kara-täit, kirgisischer Stamm im Alai-Thal und auf dem Pamir; es
giebt kara, sank und ak-täit = schwarz, gelb und weifs; dafs ä wird
zwischen a und e ausgesprochen.
Kara-turuck, Thal an der Westseite der Sarik-kol-Kette; turuck ist
die dunkelbraune Farbe des Pferdes.
Kara-tock-terek, Pafs über die Sarik-kol-Kette; terek = Pappel ; lock ?
Kajindi-dälä, Gegend im Sarik-kol-Thale zwischen Bulung-kul und
Bassik-kul ; kajindi = Birke ( Betula alba), dälä = Ebene ; „Birkenebene“.
Kaschka-su, Bach und kirgisisches Aul im Alai-Thal. kaschka — weifser
oder heller Flecken im schwarzen; ein weifser Flecken auf der Stirn
eines schwarzen oder braunen Pferdes ist bei den Kirgisen sehr
beliebt. Die Farben und die Glieder des Pferdes werden oft zu
geographischer Orientierung verwendet.
Kipptjak, kirgisischer Stamm im Alai-Thal und angrenzender Ge-
genden.
Kisil-art „Roter Pafs", Transalai-Kette; nördlich vom Kara-kul.
Kosch-agil, kleiner Bach an der rechten Seite des Ak-su; grofser
kirgisischer Aul. kosch = der Platz wo ein Zelt aufgeschlagen wird;
agil = Kuhstall.
Kisil-ägin, linker Nebenbach des oberen, westlichen Kisil-su; eg in
= Versammlung oder Stelle, wo mehrere Wege sich kreuzen.
Kisil-dschijick, Pafs südöstlich des Grofsen Kara-kul; „rothes Band";
dschijck werden die Bänder oder Galons genannt, womit die Khalaten
geschmückt wurden. Dieser Pafs hat auch den Namen Us-bel.
Kisil-su „Rotes Wasser", Flufs im Alai-Thal.
Kisil-ungur „Roter Graben"; rechter Nebenbach des Kisil-su und
kirgisisches Aul.
Zeit*ch r. d. Gescllach. f. Erdk. Bd. XXVI. 23
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Sven Hedin:
336
Kok-saj. Oberlauf des Markan-su; „graues Thal“; kok bezeichnet auch
die Farben blau und grün.
Kok-su „Graues Wasser".
Kok -nj- bei, rechter Nebenflufs des Bartang (Murgab); uj = Jurte,
Platz, Haus; fo/=Pafs; „die Stelle des grünen Passes"; die Flüsse
und Bäche werden oft nach den Pässen genannt, woher sie kommen.
Kornei-tarti, Platz am östlichen Ak-bajtal-Bach; „Trompete geblasen".
Als Khan Khodja von den Chinesen verfolgt wurde, soll er hier
durch ein Trompetensignal die Reste seines Heeres gesammelt haben
(kirgisische Erklärung des Wortes).
Kulme-davan, Pafs in der Sarik-kol-Kette; davon = Pafs; kullma —
„lache nicht!". Verbalformen sind freilich nicht gewöhnlich in der
geographischen Namenbezeichnung, doch kommen sie vor. So giebt
es in der Kirgisensteppe ein Barup-gellmas = „wer hinkommt, kehn
nicht zurück".
Knruk-karaol, Fort und Station am unteren Ges; karaol = Haus oder
Mensch, um Wache zu halten, vom Verbum karamak — sehen. Kuruk ?.
Langar „Station"; eine Weitung im Isfairan-Thal u. m. a.
Markan-su, Flufs im östlichen Pamir; markan ist wahrscheinlich ein
alter Name; Vielleicht derselbe wie in Marakanda und Samarkand (?).
Mus-kol „Eis-Thal", südöstlich des Grofsen Kara-kul.
Mus-karau, Pafs in der Sarik-kol-Kette; «?K.r=Eis; karau oder kura
= eine runde, steinerne oder erdene Mauer für die Schafe. So wird
auch der mit allerlei Resten bestreute Platz, wo eine Karawane
gerastet hat, genannt.
Mus-tag, östliche Randkette des Pamir; „Eis-Berg".
Mus-tag-ata, höchster Gipfel der Mus-tag-Kette; „Vater der Eis-Berge“.
Murgab, persisch: „Vogel -Wasser"; Queilflufs des Amu-darya.
Näjman, kirgisischer Stamm im Alai-Thal und Karategin.
Najsatasch, Thal östlich von Rang-kul; Pafs auf dem Pamir; „Stein-
Gipfel“.
Pändsch, persisch: „fünf“; ein Queilflufs des Amu-darya.
Fschärt, Pafs und von einigen Kirgisen bewohnter Platz nördlich des
mittleren Murgab; pschät = tleagnus horlensis; in diesen Namen wird
jedoch r deutlich hörbar.
Oksali-masar, kleiner Pafs, südlich des Grofsen Kara-kul; masar = Mo-
numente über einem Grab, Grabmal; oksa/i — „I.ade die Flinte"! (?).
Rang-kul, See auf Pamir; ranga = carx physoides; doch hier sicherlich
die rang genannte Ziegenart, gewöhnlich einfach kijick genannt, die
hier allgemein ist.
Robat, mehrere I.agerstellen auf Pamir; vom Arabischen ribat — Kara-
wanserai.
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
337
Sargon, Kischlak südwestlich von Kaschgar ?.
Sarik-gaj „Gelbe Ebene“; östlich von Rang-kul mit einem kleinen Pafs
und grofsen SanddUnen von gelber Farbe.
Sarik-kol, Gebirge und Thal im östlichen Pamir; „Gelbes Thal“.
Sarik-mogal, Pafs im Alai-Gebirge; „Gelber Mongole“. In der Nähe
von Narinsk nennt sich noch ein kirgisischer Stamm mogal.
Sarik-tasch, Pafs über die Sarik-kol-Kette; „Gelber Stein".
Sares, von Tadschiks und Kirgisen bewohnt. Gegend am Murgab. ?.
Schirnau, Schlucht im Daraut-su-Thal. ?
Schor-kul, See westlich von Rang-kul; „Salz-See".
Schiva, See in Badakschan; Tadschikwort, bedeutet „Fremdling".
Im Sarik-kol-Thal nennen die Tadschiks eines Kischlaks die Be-
wohner der anderen Kischlaks schiva , d. h. „nicht von den unsrigen“ ;
das Wort wird auch im Sinn des Verachtens gebraucht.
Schor-kajindi, „Salz-Birke“; Schlucht im Sarik-kol-Thal.
Souk-tschubir, Gegend im westlichen Ak-bajtal-Thal; ro«^ = kalt;
tschubir ?
Sn-baschi, kirgisisches Aul und chinesische F'estung südlich des Kleinen
Kara-kul; „Wasser-Haupt", d. h. „Oberlauf“, oder Quelle, Ursprung
eines Flusses.
Tagarma, Dorf, Gegend einer Thalweitung im Sarik-kol-Thal; eig.
tag-alma „Berg-Apfel", Apfelbäume werden noch in der Gegend
gebaut.
Talldick, Pafs im östl. Alai-Gebirge; vielleicht von ijalldich = I.ilie.
Tar-baschi, Chinesische Festung und kirgisisches Aul, wo Ges die
Mus-tag-Kette durchbricht; „enges Haupt".
Tasch-kurgan, Chinesische Festung und kirgisisches Aul im Tagdum-
basch-Pamir; „Stein-Festung“.
Täit, Kirgisischer Stamm auf Pamir und im Alai-Thal.
Tengi»-baj, Pafs über das Alai-Gebirge; baj = reich ; ttngis wahrschein-
lich der Name eines reichen Kirgisen ; dengis = Meer ; vielleicht das-
selbe Wort wie dschengis.
Terem, sartischer Kischlak südwestlich von Kaschgar; dasselbe Wort wie
Tarim (?)
Tjal-tftit, Kirgisischer Stamm im Alai-Thal ; tjala = von unreiner Rasse.
Tjojj, kirgisischer Stamm im Alai-Thal.
Tjitjeckti, Schlucht im östlichen Ak-bajtal-Thal; iji — Schilf; tjeckti —
gewachsen ; tjitjeck = eine von den Schafen geliebte Pflanze mit
kleinen roten Blumen; tjitjeck bedeutet auch Blattern. Eine Gegend
wo diese Blumen wachsen, hat nach den Kirgisen eine gewisse Ähn-
lichkeit mit einem von Blattern bedeckten Körper.
Tjirecktji, Schlucht im Sarik-kol-Thal, tjireck = Lichthalter.
23*
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338 Sven Hedin: Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
Tocknsak, Kischlak südwestlich von Kaschgar; wird auch tockusbak aus-
gesprochen, d. h. „Neun Gärten".
Togoiak-matik, Gegend, wo das Schor-kul — Rang-kul-Thal sich mit dem
Ak-bajtal-Thal vereinigt. (?)
Tus-därä, „Salz-Thal“; Aul im Alai-Thal.
Tjuckur-agil, Gipfel der Mus-tag-Kette, nördlich des Ges, und See west-
lich desselben; tjuckur — Rheum tataricum ; agil = Kuhstall. Auf den
europäischen Karten unrichtig tschak-karagu 1 geschrieben.
IJj bulak, Pafs und Bach nördlich des Grofsen Kara-kul; „Haus der
Quelle“.
Uj-tak, Aul und Station am unteren Ges; uj = Jurte; lak — ungerade,
unpaar, weil die Zahl der Jurten einmal unpaarig gewesen ist, oder
weil die erdenen Häuser unsymmetrisch gebaut waren. Tak kann auch
tag = Berg sein. Der Ort liegt nicht weit vom Austritt des Ges-Flusses
aus den Gebirgen.
Utsch-kurgan, „Drei Festungen“; grofses Dorf am unteren Isfairan.
Utsch-teppe, „Drei Hügel", Kischlak und „wolast" im „ujäsd“ Osch.
Ulug-rabat , Pafs im Sarik-kol-Thal ; VV'asserscheide zwischen Ges und
Jarkend-darya; u/ug = „grofs“.
Urtak „Mitte“; Gegend im Alai-Thal; d. h. „die Mitte zwischen zwei
Stationen" oder in der Mitte des Thaies gelegen.
Usun-tal , Gegend südlich von Bulung-kul ; usun — lang ; lal = Salix
caprta.
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Meteorologische Beobachtungen
am Weg von Margelan nach Pamirsky Post, auf Pamirsky
Post, sowie am Weg von Parmirsky Post nach Kaschgar
vom 23. Februar bis 1. Mai 1894.
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amirky Post.
Sven H e d i n :
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klar; die Zahlen bezeichnen Bewölkung i bis io; * Schnee, *=- Nebel.
Physische Geographie des Hochlandes von Pamir. 34 1
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir. 343
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344 Sven H e din:
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Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
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*) Von hier an werden die Beobachtungen wegen meiner Augenkrankheit sehr lückenhaft.
346
Sven Hedin: Physische Geographie des Hochlandes von Pamir.
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H. Polakowsky: Zur Statistik der Ver. Staaten von Mexico. 347
Zur Statistik der Vereinigten Staaten von Mexico.
Von Dr. H. Polakowky.
Der zehnte Bericht des unter der Leitung des Herrn Dr. D. Antonio
Peiiafiel in Mexico stehenden Statistischen Amtes, der halbjährlich
ausgegeben wird, enthält eine Fülle wichtiger Angaben, die ich kurz
zusammenstellen will.
Der Flächeninhalt des Landes wird auf i 983 382 qkm berechnet,
dazu kommen für die Inseln 3 681 qkm. Die Bevölkerung wird ge-
schätzt im:
Föderal-Distrikt .
447 »32
Einw.
Staat Coahuila . . .
177 797
Einw
Staat Aguascalientes
O
00
O
ff
„ Tamaulipas
189 139
ff
ff
SanLuisPotosi 539 883
ff
„ Vera Cruz . .
720 331
ff
ff
Guanajuato
999 487
ff
„ Tabasco . . .
130 090
ff
ff
Queretaro .
213 525
ff
„ Campeche . .
91 180
ff
ff
Hidalgo . .
5°7 156
ff
„ Vucatan . . .
286 418
ff
ff
Mexico . .
766 526
ff
„ Michoacan . .
830 923
ff
ff
Morelos . .
148 877
„ Colima . . .
69 547
ff
ff
Tlaxcala . .
147 988
fl
„ Guerrero . . .
335 640
ff
ff
Puebla . .
866 627
ff
„ Jalisco . . . 1
274328
ff
ff
Durango . .
3°7 283
ff
„ Sinai oa . . .
233 684
ff
ff
Zacatecas .
516 672
ff
„ Chiapas . . .
290 941
ff
ff
Sonora . .
165 892
ff
„ Oaxaca . . .
806 879
ff
ff
Chihuahua .
312 146
ff
Territorium Tepic .
i34 7°i
ff
ff
Nuevo Leon
389 523
ff
„ Baja California
40 500
ff
Im Ganzen 11980395 Einwohner.
Die gröfsten Städte sind: Mexico mit 326913 Einw., Guadalajara
mit 95 000 Einw., Puebla mit 78 530 Einw., San Luis Potosi mit 62 573
Einw., Guanajuato mit 52 112 Einw., Leon mit 47739 Einw., Monterey
mit 41 029 Einw. — Alle diese Berechnungen gelten für den 1. Januar
1894; der letzte Bericht wurde am 1. April ausgegeben.
Es gab im Jahr 1892 im ganzen Lande:
Staatsschulen für Knaben 2 750
„ „ Mädchen 899
„ „ beide Geschlechter 215
Städtische Schulen für Knaben 2 130
„ „ „ Mädchen 927
„ „ „ beide Geschlechter 274
Summa: 7 200 Schulen.
Davon dienten 7 132 dem Elementar- und 68 dem höheren Unter-
richt. Die Schulen wurden (im J. 1892) besucht von 293 140 Knaben
und 138 037 Mädchen, d. h. so grofs war die Anzahl der angemeldeten,
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348
H. Polakowsky:
eingeschriebenen Kinder. Die Durchschnittszahl der die Schule thatsäch-
lieh regelmäfsig besuchenden Kinder belief sich aber nur auf 314 152.
Dieser grofsc Unterschied ist charakteristisch für die Schulen in allen
Ländern des spanischen Amerika. Zu Beginn der Semester sind die
Klassen gut besetzt, aber bald erlahmt das Interesse, die Ausdauer
der Schüler und der Eltern, die den Kindern gestatten, unter den
kleinlichsten Vorwänden dem Untericht fern zu bleiben. — Von den
Schülern waren 25 671 noch nicht 5 Jahr alt, 239395 ’ra Alter von 5
bis 10 Jahren, 141 544 zwischen 10 und 15 Jahren und 24567 über
15 Jahr. Statistische Angaben über die Schulverhältnisse in vier Staaten
fehlen bei diesen Angaben.
Das Land besitzt 41 wissenschaftliche Gesellschaften; 307 Zeitungen
und Zeitschriften werden veröffentlicht und 98 öffentliche Bibliotheken
sind vorhanden. 300 der Zeitschriften erscheinen in spanischer, vier
in englischer, zwei in französischer und eine in deutscher Sprache.
Die Industrie hat in den letzten Jahren einen bedeutenden Auf-
schwung genommen. Es gab Ende 1893:
110 Fabriken von Baumwoll-, Lei- 37 Papp-Fabriken.
nen- und Wollgeweben. 2 Fabriken irdener Waren.
2378 Zucker-Fabriken und Brannt- 3 Fabriken von Porzellanwaren.
wein-Brennereien. 6 Fabriken von Glaswaren.
12 Bier-Brauereien. 9 Stärke-Fabriken.
9 Chemische Fabriken. 10 Fabriken zur Reinigung der
12 Chokolade-Fabriken. Baumwolle (von den Samen).
9 Papier-Mühlen. 119 Kerzen-Fabriken.
133 Seife-Fabriken. 5 Fabriken zur Anfertigung künst-
35 Cigarren -Fabriken. licher Steine.
24 Streichholz-Fabriken. 7 Eis-Fabriken.
1 Schiefspulver-Fabrik.
Wie schlecht es noch um die Statistik von Mexico bestellt ist, zeigen
diese Zahlen. Die Anzahl der Fabriken und industriellen Anlagen
ist viel gTöfser, aber von den 176 Distrikten des ganzen Landes haben
117 die Angaben über den Stand der Industrie an die Centralstelle in
Mexico nicht eingesandt. die Aufforderung unbeachtet gelassen. — Be-
züglich der Sterblichkeit liegen die genauen Angaben erst für 1891
vor. Sie schwankt zwischen 14 ( Sonora ) und 48 ( Mortlos ) auf das Tausend.
Von den 211 Krankenhäusern standen 14 unter Verwaltung der Fö-
deral-Regierung , 29 unter Verwaltung der Regierungen der Staaten,
92 wurden von den Municipien und 76 von Privaten unterhalten. Die
auf Grund der Regierungs-Konzession erbauten Eisenbahnen hatten
eine Länge von 10479 km, die Vorstadtlinien waren (immer 1892)185,
die Pferdebahnen 367 km lang. Im Besitz von Privaten waren 90 km
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Zur Statistik der Vereinigten Staaten von Mexico.
349
Eisenbahnen und 230 km tragbarer Bahn (System Decauville). Im Ganzen:
11351km. Die Telegraphenlinien sind 60510, die Telephonleitungen
9127 km lang. Von ersteren gehören 37 239 km der Föderal-Regierung
und nur 5088 km Privaten und 9518 km den Eisenbahnen.
Von Staatsländereien sind auf Grund des Gesetzes vom 22. Juli 1863
vergeben worden an Privatpersonen und Gesellschaften in der Zeit vom
1. Januar 1867 bis zum 31. December 1892 9418820 ha, deren Wert
auf 2062891 Pes. geschätzt wird.
Die Produktion des Landes belief sich im Jahr 1892:
an
Reis
auf
8492 477 kg
im
Wert
von
2 577 936
Pes.
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Gerste
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1 831 833 hl
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ff
4 164 108
ff
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Mais
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26 426 529 „
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103 644 890
ff
„
Weizen
ff
4 945 9°3 ..
M
ff
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23 242 3°4
ff
„
Bohnen
ff
1 676 126 „
M
ff
M
13 258 219
ff
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Erbsen
ff
204 102 „
if
ff
if
1 506 145
ff
11
Lima-Bohnen
ff
248878 „
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ff
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804 097
ff
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Linsen
ff
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M
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getrockn. Pfeffer1)
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4 596 3°9
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1 242 090
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Leinsamen
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Traubenbrandy
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58 053 032 kg
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ff
6 469 07 1
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Baumwolle
ff
16 040 298 „
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3 «97 »94
ff
') Früchte von Pimenta officinalis Bg., grofses engl. Gewürz oder Tabasco-Piment.
- ) Brote und Kuchen von braunem Kochzucker; in Central-Amerika als
„dulce“ bekannt.
’) Unreiner Branntwein aus Zuckerrohr.
4) oder Henequen, Pita, Manilla plant. Fasern der Blätter von Agave rigida
var. elongata u. var. sisa/ana. S. Chas. Richards Dodge, A Report on the leaf
libers of the United States. Washington, 1893. U. S. Depart. of Agricult. Report
No. 5. Auch A. Mexieana Lam. liefert (besonders in West-Indien) Sisal.
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350 H. Polakowsky: Zur Statistik der Ver. Staaten von Mexico.
an Indigo auf 71177 kg im Wert von 107 569 Pes.
„ lxtle-')Fasern „ 9615052 „ „ „ „ 626025 „
Diese Angaben sind unvollständig, weil diejenigen von 53 Polizei-
distrikten fehlen und aufserdem viele Interessenten falsche, d. h. zu
niedrige Zahlen angegeben haben.
Am 1. April 1894 eröffnete auch der Präsident der Union, General D.
Porfirio Diaz, die vierte Sitzungsperiode des sechszehnten Kongresses
der Mexikanischen Union. Aus der Botschaft ist folgendes hervorzu-
heben. Die Schwierigkeiten der Grenzfestlegung bzw. der gegen-
seitigen Achtung der Grenzlinie am Rio Grande, in der Nähe von
Reynosa, wo der Strom durch eine Barre seinen Lauf geändert hatte,
sind in freundschaftlicher Weise geregelt worden. Zur neuen Fest-
stellung der Grenzlinie in den Kanälen des Rio Grande, wo der Strom
seinen Lauf verändert hat, ist am 8. in El Paso (Texas) eine Kommission
von Ingenieuren beider Länder zusammengetreten. Die Kommission,
welche zur Ausbesserung der Grenzsteine zwischen Mexico und
Nord-Amerika seit einigen Jahren thätig war, hat ihre Arbeiten zum
Teil beendet und auf der Strecke zwischen dem Rio Bravo und Rio
Colorado 205 Grenzsteine aus Eisen und Mauerwerk errichtet Die
Grenz-Kommission gegen Guatemala hat ihre Studien auf dem Gelände
beendet; es fehlt nur die Aufstellung der Grenzsteine, die zur Zeit
angefertigt werden.
Trotz der finanziellen Krisis, die alle Unternehmungen lähmt, sind
in den letzten vier Monaten 146 km neue Eisenbahnen vollendet worden.
Zur Vollendung der Tehuantepec-Bahn ist ein neuer Vertrag abge-
schlossen worden ; von genannter Bahn sind 255 km fertig und nur 40 noch
zu erbauen. An den Entwässerungsbauten des Thaies von Mexico ist
fleifsig weiter gearbeitet worden. Der grofse Tunnel ist 8650 m weit
fertig, 1370 m sind noch auszumauern. Die Anlage des grofsen Kanals
hat die Aushebung von 1 250 000 cbm Boden erfordert.
Räuberbanden stören noch zuweilen die Ruhe und den Besitz der
Bewohner der Grenzgebiete am Rio Grande. Eine solche in Texas organi-
sierte Bande überfiel im November 1893 das Zollhaus in Palomas, raubte
auch eine grofse Menge Vieh und ging dann über die Grenze zurück.
Als die Bande im Januar 1894 aber einen neuen Streifzug unternahm,
wurde sie von mexikanischer Kavallerie eingeholt und am 2z. Januar beim
Arroyo de Manzano bis auf den letzten Mann niedergehauen. Der-
artige Raubzüge und Scharmützel an der Nordgrenze Mexicos werden
von einigen nordamerikanischen und europäischen Zeitungen stets zu
Unruhen und Revolutionsversuchen im Staate Chihuahua aufgebauscht.
') v. Agave heterocantha Zucc.
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je 15 Ult. — Qaattt. £d)äp|ung ber Xiertoell. 3n ßalbleber, 115 SRI. — Hanfe, Irr Wenfdi. 2 ßalb--
leberbänbe ju je 15 511. — (ferner. $flaii|enlebcn, 2 tmlbleberbfinbe ju je 16 511. — Hrumagr,
tfrbgelrt)id|le, 2 vall'lcberbänbe ju je 16 SRI.
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Filr die Redaktion verantwortlich: Hauptmann a. D. Kollm in Charlottcnhura.
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der
bearbeitet im
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Druck von W. Pormctter U» IVr n-
MUS. COMP. ZOOL
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXIX - 1894 — No. 5.
Herausgegeben lm Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt.
Seite
Reiseberichte aus Celebes von Paul und FrittSarasin. Erster Bericht.
(Hierzu Tafel 13.) 351
Die Anian-SUralse und Marco Polo. Von Chr. Sandler in München . 401
LONDON E. C.
SAMPSON LOW & Co.
Fl«t-Slreet.
BERLIN, w.8.
W. H. KÜHL.
L 1894.
PARIS.
H. LE SOUDEER.
174 & 176. Boul. St. Gerauüo.
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1894.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1894 — Band XXIX (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1894 — Band XXI (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: iz M., Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogen bciahll, Original-Karten gleich einem Druckbogen
berechnet.
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; jedoch steht cs den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Wegl assung jeglicher persön liehen Adresse an die:
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90-,
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Btttow, Berlin 8W. Teltower Str. 5, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerslrafse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — iz Uhr Vorm, und von
4 — 8 Uhr Nachm, geöffnet.
Geographische Verlagshandlung Dietrich Reimer in Berlin.
(Hoefer St Vohsen.)
Im Dezember d. J. wird erscheinen
in seiner Bedeutung für die Goldproduktion in Vergangen-
heit, Gegenwart und Zukunft.
Dr. Karl Futterer,
Prival-Dozenl a. d. Uni., llcrtin und Aulnern a. K. Mtucum f. Naturkunde.
1895. Er- 8- Preis geh. 8 Mark, geb. 10 Mark.
— Durch alle Buchhandlungen zu beziehen! ■—
★ Ausführlicher Prospekt gratis und franko! ★
Reiseberichte aus Celebes
von Paul und Fritz Sarasin.
Erster Bericht.1)
I. Überlandreise von Menado nach Gorontalo.
(Hierzu Tafel 13.)
Eine Durchquerung des umfangreichen VValdgebietes, welches sich
zwischen der Minahassa einerseits und Gorontalo andrerseits ausbreitet,
war bisher trotz einiger nach dieser Richtung unternommener Versuche
noch niemals zur Ausführung gekommen, und so mufete eine solche
wissenschaftlich gerechtfertigt erscheinen, selbst in dem möglichen
Fall, dafs die Ergebnisse als untergeordnet an Bedeutung sich erweisen
sollten. Die Ausführung des Unternehmens wäre indessen nicht mög-
lich gewesen, wenn Herr E. J. Jellesma, Resident der Residentschaft
Menado, uns nicht eine thatkräftige Unterstützung hätte angedeihen
lassen durch Zuweisung der richtigen Leute, durch Nachhilfe in der
Beschaffung der Träger, durch Ausstellen von Briefen an die Radjas
der Nachbargebiete, ja durch Absendung besonderer Boten an dieselben,
*) Der Bericht ist datiert aus Tomohon (Minahassa). Einem gleichzeitig
abgesendeten Brief vom Mai 1894 entnehmen wir das Folgende:
„Wir befinden uns gegenwärtig in Tomohon am Fufs des Lokon in höchst
angenehmem Klima ca. 780 m über dem Meer, eine nach den Anstrengungen der
Reise sehr wohlthucnde Erholung. Der Lokon besteht eigentlich aus einer Gruppe
von vier Vulkankegeln, von denen nur der gröfete diesen Namen führt. Der Berg
hat etwa seit einem Jahr angefangen, Spuren von Thatigkeit zu zeigen, und zwar
scheint uns betreffs einer etwaigen Eruption die Prognose nicht günstig. Zwischen
dem Hauptkegel und einem nördlich befindlichen relativ jungen Krater liegt eine
Einsattelung, an deren östlicher Seite vor etwa einem Jahr viel Schlamm und
Steine ausgeworfen wurden; seitdem erhebt sich nur eine beständige Dampf-
säule aus jener Öffnung. Neuerdings hat sich nun an der Westseite ebenfalls eine
kleine Spalte gebildet, aus welcher unter stark knatterndem Geräusch Dampf aus-
tritt. Die beiden Gänge scheinen einem Glutherd zu entstammen, welcher gerade
unterhalb der genannten Einsattelung liegen möchte. Die Auswürflinge der öst-
lichen ßocca scheinen uns interessant zu sein, sie bestehen teils aus frisch ange-
Zciuchr. d. Ceselltch. f. Erdk. Üd. XXVI. 24
Digitized by Google
352
Paul und Fritz Sarasin:
und in der durch sein lebhaftes Eintreten für unser Vorhaben ge-
gebenen moralischen Nachhilfe gegenüber mehreren Stimmen, welche
die Ausführung unseres Unternehmens als eines gefährlichen für unrat-
sam ansahen. Wir nehmen deshalb schon an dieser Stelle Gelegenheit,
Herrn Jellesma unseren ergebensten Dank öffentlich auszusprechen.
[1893, 20. Novemher.] Schon von Menado aus legten wir die
Reise zu Fufs zurück, und obgleich bei dieser Durchstreifung der
Minahassa manches Bemerkenswerte uns vor Augen kam, wollen wir
in diesem flüchtigen Vorbericht uns nicht durch die Beschreibung einer
literarisch schon bekannten Landschaft aufhalten lassen; wir eilen
vielmehr nach Amurang und von hier, der Richtung des Flufses Rano
i apo folgend, nach der neueröffneten Tabakspflanzung mit Namen
Karoa, wo wir bei dem Leiter derselben, Herrn Reinking, und zwei
anderen ihm unterstellten Europäern freundlichste Aufnahme fanden.
[25. November.] Karoa bezeichnet im Ganzen die Grenze der
Minahassa gegen das noch halb unabhängige Fürstentum Bolang-
Mongondo. Die Anpflanzung liegt am Fufs eines die beiden Reiche
scheidenden Grenzgebirges, mit dessen Übersteigung unsere eigent-
liche Aufgabe ihren Anfang nehmen sollte. Karoa selbst ist von
einem düsteren Waldkranz umgeben, in welchem sich Gruppen von
wildem Pisang und von grünstämmigen Nibong- Palmen hervorthun.
Der Rano i apo umläuft, vom Wald völlig verborgen, in einem nach
Westen und Norden schweifenden Bogen die Pflanzung; am frühen
Morgen verrät ein Band weifsen Nebels den Lauf des Flusses. Die
Meereshöhe von Karoa können wir auf ungefähr 265 m angeben.
Am Abend des 26. November lag alles Gepäck in sorgfältiger
Bereitschaft, die Führer waren bestellt und instruiert, jedem Träger
war seine Last zugewiesen; am folgenden Tag früh sechs Uhr sollte
schmolzenen Stücken des austretenden vulkanischen Gesteins, teils aus roten schlacken-
artigen Stücken. Wir sammeln natürlich Proben und arbeiten aufserdem auch mit
der Photographie. Andere Vulkane wie Klabat, Sudaras, Masarang haben wir
ebenfalls schon bestiegen ; jetzt bereiten wir uns auf den Soputan vor. Besonders
interessant ist auch die Pflanzenwelt auf jenen isolierten Waldgipfeln. Für kommen-
den Juli haben wir eine fernere Durchquerung des Nordarmes der Insel ins Auge
gefafst, und zwar möchten wir versuchen, den westlichen Teil von Boccovol an der
Nordküste zu durchwandern. Zu diesem Zweck müssen wir zunächst von neuem
mit der Regierung in Verbindung treten ; denn ohne deren autoritative Nachhilfe
sind Reisen im Innern von Celebes nicht ausführbar. Jedenfalls wird uns Celebes
noch lange festhalten ; denn es ist diese Insel nach allen Richtungen hin von ganz
ausnehmendem Interesse. Je länger wir verweilen, umsomehr zieht uns dieses Arbeits-
gebiet an; aber die mit der Untersuchung des Landes verknüpften Schwierigkeiten
sind aufserordentlich grofs.“
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Reiseberichte aus Celebes.
353
aufgebrochen werden. Als es indessen dazu kommen sollte, stellte es
sich heraus, dafs die Führer nicht zur Stelle waren; sie hatten sich
nach dem nächsten Dorf weggedrückt und erschienen nicht wieder.
Wir schickten unseren Mandur, den Aufseher über unsere Leute, aus,
sie einzuholen, was ihm erst gegen zwölf Uhr gelang. Da nun zugleich
ein Platzregen ausbrach, verschoben wir die Abreise auf den folgen-
den Tag.
[28. November.] Es stellte sich unserem Abmarsch kein Hinder-
nis mehr entgegen, und wir brachen nach dem ungeheuer dichten
Wald auf, welcher das vor uns liegende Grenzgebirge bedeckte. Der
Pfad lief zunächst so ziemlich eben und ungehindert fort; zwischen
den oft sehr mächtigen Baumstämmen zeigte sich hier verhältnismäfsig
wenig Unterholz, vielleicht eine Folge des äufserst dichten Schattens
der Baumkronen. Zuweilen wölbten sich mächtige Bambusgebüsche
über den Weg hinüber, und Gruppen von Nibong-Palmen zierten den
Wald von Stelle zu Stelle. Der Pfad führte zunächst längs dem Rano
i apo und durch mehrere ihm zufliefsende Bäche hindurch; denn von
jetzt ab fehlten die Brücken mit ganz seltenen Ausnahmen bis Goron-
talo. Nicht weit oberhalb einer Stelle, wo der Rano i apo eine kleine
Schnelle bildete, durchschritten wir den Flufe, und jetzt fing der Weg
allmählich an zu steigen. Öfter zeigte sich hier unter den Waldbäumen
ein palmenartig hochstämmiger Pandanus, die schön gedrehte Krone
scharf vom Stamm abgesetzt und grofs entfaltet, ähnlich dem Haupt
einer Areca-Palme. Eine Aroidee mit milchw:eifser Spatha breitete sich
in Rasen aus. An Tieren herrschte grofce Armut, doch mufsten Wald -
ratten hier Vorkommen; denn von Stelle zu Stelle stiefsen wir auf eine
eigene Art von Fallen, welche von Dammarharz- oder Rotang-Suchern
errichtet worden war, um diese Tiere, die geröstet von den Eingebornen
sehr gern gegessen werden, zu erhaschen. Es zeigte sich nämlich der
Pfad hin und wieder auf eine ziemlich lange Strecke hin zu beiden
Seiten mit aneinandergereihten Palmblattstücken besäumt, und in diesem
Palmblattzaun fanden wir in Abständen Öffnungen mit Schlingen an-
gebracht. Rotwild und Schweine bekamen wir nicht zu sehen, Affen
fehlten desgleichen; indessen hörten wir Nashornvögel vorbeischwirren,
wobei ein eigentümlich charakteristisches Geräusch, fast wie beim Zer-
sägen faulen Holzes, zustande kommt; die Stimme dieser Vögel erinnert
an die der Affen. Schöne Schmetterlinge sahen wir an einem Bach
versammelt; Papilio Blumei, in der Sonne herrlich blau und grün
aufschimmernd, schwebte vorüber. Der Pfad erhob sich immer mehr;
doch verhinderte die Dichtigkeit des Waldes jede Aussicht. Wir lebten
in dem Gefühl, einen lückenlosen Waldtunnel zu durchschreiten, und
zwar ununterbrochen während dreier Tage, bis sich uns der Ausblick
24*
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354
l’ati und Fritz Sarasin:
auf das Kulturland von Mongondo eröftnete. Kompafs und Aneroid
verrieten uns die Richtung des Weges und die Erhebung des Bodens.
In der Höhe von etwa 510 m ließen wir die erste Hütte errichten.
[29. November.] Des folgenden Tages brachen wir bei heite-
rem Wetter auf und verfolgten den beständig aufwärts führenden
Weg weiter. Unter den Pflanzen fingen die Farne an, sich auszu-
zeichnen; wie der Erde aufsitzende Kokospalmenhäupter entfalteten an
den feuchtesten Stellen Angiopteris und Maratiia ihre Früchte, und
unter den Baumfarnen bildeten die zarte A/sophi/a und die mehr drahtig
gebaute Oyathea, besonders häufig die letztere, kleine Wäldchen am
Absturz der Bachrunsen, welche wir gelegentlich zu durchschreiten
hatten. Unter den mancherlei epiphytischen Farnformen fielen beson-
ders Acrosticheen-Arten seltsam auf. Eine mächtige Zingiberaceen-Art
bildete dichte Gebüsche, und da und dort erhob der hochstämmige
palmenartige Pandanus seine schraubig gedrehte Krone. Auffallende
Blüten erschienen selten; zuweilen bildete jedoch eine fleischrot blühende
Balsaminee an den seltenen freieren Stellen dichte Rasen. Aus dem
Waldesdickicht ertönte der melodisch tönende, kräftige Lockruf des
Pirols und das dumpfe Gurren einer Taubenart. Daneben begannen
I.andblutegel aufzutreten, doch wurden sie uns hier noch nicht sehr
lästig. Eine eigentümlich hübsche Art mit malachitgrünem Rücken-
streif trafen wir hier zum ersten Mal; wir begegneten ihr später
öfters. Hie und da lasen wir eine Schnecke auf, besonders häufig
Helicarion, ferner Kanina cincta in verschiedenen Varietäten und kleinere
Deckelschnecken, viel seltener die schönen Obba-Formen aus der
Helix-Gruppe. Auch erbeuteten wir als Seltenheit eine Landplanarie
mit halbmondförmigem Kopfschild ( Bipalium ).
Nachdem wir die Höhe von 950 m erreicht hatten, that sich der
Wald mit einem Mal vor uns auf, und wir standen am Ufer eines
kleinen Sees, dessen Name uns von den Führern als Mokobang an-
gegeben wurde. Er besteht aus zwei durch eine enge Verbindung zu-
sammenhängenden Becken, von denen das gröfsere einen Durchmesser
von 200 m erreichen mag. Obwohl wir uns hier noch beständig auf
vulkanischem Boden bewegen, stellt das Wasserbecken keinen Krater-
see dar, wie man vermuten könnte. Im aufserordentlich dichten Ur-
waldkranz, welcher dasselbe umgab, spielten stelzfüfsige Pandanus-Bäume
eine hervorragende Rolle. Der Anblick des Sees wirkte um so düsterer,
als der Himmel schon um diese Stunde (io1* 30“) sich fast völlig über-
zogen hatte (Bewölkung 9). Die uns von den Führern gemachte An-
gabe, der Ausflufs des Sees laufe in den Rano i apo, können wir nicht
für richtig halten ; vielmehr ergiefst sich derselbe in den nach Nord-
westen hinabrauschenden l’oigar, welchen wir kurze Zeit darauf zu
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11 11W-
Reiseberichte aus Celebes.
355
durchschreiten haben sollten. Der mit dem gröfseren zusammenhängende
kleine See zeigte sich reichlich mit einem schilfartigen Grase bestanden;
ein Pärchen Wildenten belebte seine Oberfläche. In einer an seinem
Ufer errichteten Hütte hielten sich einige Leute auf, um Rotang zu
sammeln; auch begegneten uns beim Weiterwandern noch zwei andere,
von denen der eine einen kräftigen Spiefs als Waffe trug. Vermutlich
waren die Leute den Poigar herauf von der Küste hergekommen.
Der Weg führte nun etwas abwärts, und wir stiefsen auf den
reifsend daherrauschenden Poigar; ein umgestürzter Baumstamm bildete
die schwer zu begehende Brücke. Aus dem Flufsbett stiegen wir von
neuem empor und schlugen bald die Hütte auf, da einer der Träger
Übermüdung zeigte und Regen einzusetzen begann. Die Höhe unserer
Station betrug 960 m. Wir erbeuteten hier einen riesengrofsen Regen-
wurm, eine jener blau schimmernden Riesen-Perichaeten, wie man
ähnliche Formen in vielen tropischen Ländern findet. Wenn wir das
Tier berührten, spritzte es aus seinen Rückenporen Saft hervor, auf
eine Entfernung von gut 0,5 m.
Zu unserem Behagen bemerkten wir auf der ganzen von uns durch-
zogenen Strecke keine Moskitos, wie sie sich überhaupt im dichten
Urwald von Celebes nicht bemerklich machen. Dagegen ist hier der
Ort, über ein anderes empfindlich quälendes Wesen einige Worte zu
sagen, welches uns hier in Celebes als ganz neue Erscheinung ent-
gegentrat, nämlich über eine von den Flingeborenen Gottone genannte,
ganz winzige, rötliche Milbe. Die Anwesenheit dieses Tieres verrät ein
äußert heftiger Juckreiz der Haut, welche sich mit kleinen weifsen
Beulen bedeckt, von der Art, wie sie giftige Moskitostiche hervorzurufen
pflegen. Besonders reichlich zeigen sie sich an der Kniekehle, treten
aber an allen Stellen der Körperoberfläche, mit Vorliebe auch auf der
Haut des Bauches, auf. Diese Beulen jucken grenzenlos, so daß dem
Trieb, zu kratzen, nicht Widerstand zu leisten ist. Als Folge entstehen
in kurzer Zeit ins Breite greifende geschwürige Stellen, welche lebhafte
Schmerzen erzeugen; dazu kommt, dals der heftige Juckreiz, in der
Wärme sich noch steigernd, den Schlaf raubt.
Die Ursache der Erscheinung, die Gonone genannte Milbe, ent-
deckten wir erst nach mehreren vergeblichen Versuchen, sie aufzufinden,
und nahmen niTn wahr, dafs dieselbe sich in die Hautporen eingräbt,
und, in diese eingebettet, die erwähnten Beulen erzeugt. Bei der
winzigen Kleinheit des Tieres, welches für das unbewaffnete Auge
gerade noch erkennbar bleibt, ist die durch dasselbe hervorgerufene
Erscheinung so auffallender Art, dafs wir annehmen müssen, das von
ihm in die Haut entlassene und Entzündung erregende Sekret habe
nahezu die Kraft des Schlangengiftes.
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Paul und Frili Sara sin:
Als Gegenmittel wandten wir zuerst Insektenpulver au, aber ohne
jeden Erfolg; dagegen erzielten wir eine fast wunderbare Linderung
der quälenden Symptome durch Einreibung von Perubalsam; ohne
dieses Mittel wäre ein längerer Aufenthalt in gewissen Walddistrikten
der Insel für uns unmöglich gemacht worden. Die Einwohner verwenden
gegen die Gonone-Stiche Kajuputi-Öl (von Mdaleuca cajuputi, Rxb.); das-
selbe hilft ebenfalls, doch taugt es weniger gut als Perubalsam. Wird
die Milbe an ihrem Ort belassen, so pflanzt sie sich daselbst nicht
weiter fort, sondern stirbt nach einigen Tagen ab.
[30. November.] Das Minimalthermometer zeigte früh 17,5° C.
Weiter führte der Weg ziemlich eben fort auf einem fetten, lehmigen
Boden, welchen zuweilen kleine Begonien zierten; auch blieb die er-
wähnte rotblühende Balsaminee sehr gemein. Gewaltige Nestfarne, eine
Aspleniaceen-Form, imponierten wie kleine Palmkronen auf den ihnen
als Wirt dienenden schlanken Baumstämmen. Eine Selagin eilen -Form
mit zierlich farnartig geschnittenen Wedeln verbreitete sich in gröfseren
Rasen. Von Stelle zu Stelle erhob eine Schar Cicaden ein wehklagen-
des Konzert.
Obschon die Sonne klar schien, triefte der Wald hörbar von dem
während der Nacht gefallenen Regen. Ein Bach, welcher in einer
60 m tiefen Schlucht über Basaltblöcke hinwegrauschte, mufste durch-
schritten, gefallene Baumstämme unaufhörlich überklettert werden.
Unter den Bäumen that sich hier und da eine Casuarine durch ihre
mattgrüne Farbe hervor, oder es erhob sich thurmartig eine gewaltige
Dammarfichte. Plötzlich that sich uns der Ausblick in ein heiteres
Niederland auf; wir standen am südwestlichen Rand der von uns
durchzogenen waldbedeckten Hochebene und blickten auf eine band-
förmige, mit Kulturvegetation bedeckte Fläche hinab, das Kulturland
von Mongondo. An verschiedenen Stellen erhoben sich Rauchsäulen
aus derselben, ein Wahrzeichen von Dörfern und Einzelwohnungen.
Südwestlich umgrenzten die Kulturfläche düster blaugrün erscheinende
Bergzüge.
Von hier führte der Weg sehr steil abwärts; in einer Viertelstunde
stiegen wir 120 m hinab. Weiter verwandelte sich der Pfad in ein
Bachbett, und wir kletterten über die glatten Basaltblöcke abwärts. In
der Höhe von etwa 700 m stiefsen wir auf den ersten Baumgarten; der
Weg begann bequemer zu werden, und bald standen wir in der Nähe
von Popo, dem ersten Dorf von Mongondo.
Werfen wir hier einen kurzen Rückblick auf den von uns durch-
schrittenen Weg von Karoa bis hierher nach Popo, so werden wir ge-
wahr, dafs ein Hochplateau von durchschnittlich 1000 m Höhe die
Minahassa vom Nachbarreich Bolang-Mongondo scheidet. Wir wollen
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Reiseberichte aus Celebes.
357
dasselbe das Plateau des Poigar nennen, weil dieser Flufs aus ihm
seine Entstehung nimmt. Er soll, wie die Eingeborenen der Gegend
behaupten, einem grofsen See entströmen, der von ihnen als Dano
(= See) bezeichnet wird. Es würde jedenfalls von hohem Interesse
sein, dem Lauf des Poigar folgend, dieses geheimnisvolle AVasser-
becken aufzusuchen, dessen mögliche Lage wir auf der Karte ange-
deutet haben.
An der Südseite der Hochebene erheben sich ferner einige mächtige
Vulkane, von denen einer, nach in Kottabangon uns gemachten Mit-
teilungen zu schliefsen, noch in schwacher Thätigkeit zu sein scheint.
Diese und andere Vulkane dürften das Plateau des Poigar durch Auf-
schüttung gebildet haben. Fetter Boden, gute Bewässerung und ein
herrlich gemäfsigtes Klima zeichnen die Hochebene aus, welche in-
dessen, noch unberührt von jeder Kultur, wie wir gesehen haben, auf
ihrer gesamten Erstreckung vom dichtesten Urwald bedeckt ist.
In Popo wurden wir von einigen fast nach europäischer Art be-
kleideten Eingeborenen empfangen, welche sich ihr Erstaunen über
unser plötzliches Erscheinen nicht merken liefsen. Ein neu errichtetes
Haus aufserhalb des Dorfes wurde uns zur Wohnung angewiesen; es
gehörte dem Obmann des Dorfes, dem sogenannten „ Mukum tuwa",
welcher indessen, an Fieber schwer erkrankt, nicht selbst seine Auf-
wartung machen konnte.
Unser Haus füllte sich bald mit Neugierigen, welche ihre Augen
unausgesetzt starr auf uns gerichtet hielten; es gelang uns indessen
nach einiger Zeit wenigstens die Mehrzahl hinauszutreiben.
Das Dorf selbst, welches wir nun in Augenschein nahmen, zeigte
sich von einem schwach gebauten Bambuszaun umgeben; ein solcher
verschlofs auch den strafsenartig breiten Haupteingang; zu beiden
Seiten fanden sich kleine Eingänge für Personen angebracht. Etwa
zwanzig Häuser, welche in zwei Reihen auf rein gehaltenem Boden
stehen, setzen das Dorf zusammen; jedes derselben ruht auf niedrigen
Pfählen, wie dies auch in der Minahassa der Fall ist, doch sind hier
die Häuser kleiner und die Dächer höher. In jedem Häuschen findet
sich vorne eine Veranda angebracht, darauf folgt der Hauptwohnraum,
in welchem die erhabenen Schlafstellen stehen; die hinterste, kleinste
Abteilung ist für die Küche bestimmt, in welcher ein auf den Boden
hingeschüttetes Lager Erde als Feuerherd dient. Lichtöffnungen fehlen
den AVohnräumen.
Es fiel uns auf, dafs Frauen und Kinder bei unserem Erscheinen
im Dorf nicht wegeilten, vielmehr gaben sich die Frauen den Schein,
als beachteten sie uns gar nicht und blieben ruhig bei ihrem Geschäft.
So lange sie noch jung sind, tragen sie ein weifses Jäckchen und einen
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Paul tinil Friiz Sarasin:
roten Unterrock, die älteren statt dessen einen blauen. Die Männer
kleiden sich meist in Jacken von weifsem und Beinkleider von blauem
Tuch. Die Kleider sind europäische Ware und stammen von Händlern
in Menado.
Der Viehstand setzt sich in erster T.inie aus Schweinen zusammen,
welche wohl gepflegt werden; die jungen mästet man mit schönen,
* reifen Papaja - Früchten , welche von den Eingeborenen selber ver-
achtet werden; cs sei ja Schweinefutter. Die Früchte werden zer-
schnitten und den Schweinchen vorgesetzt, während eine Frau mit
langem Stecken die sich herandrängenden erwachsenen Schweine, die
Hunde und Hühner abwehrt. Die geernteten Papaja-Früchte werden in
einem Bambuskorb aufbewahrt, welcher auf einem Pfahl befestigt und
mit einem kleinen Dach bedeckt ist. Verkaufen wollten uns die Leute
keines von den Schweinchen. Sie sagten, sie äfsen sie selber; für
zwanzig Gulden könnten wir indessen eines nehmen, hiefs es.
Die Bewohner von Popo sind der Religion nach weder christlich
noch mohamedanisch und werden deshalb als Alfuren bezeichnet;
ihre Religion besteht in Dämonismus. Sie stammen aus der Minahassa,
woher sie in den vierziger oder fünfziger Jahren aus Unzufriedenheit
eingewandert sind.
[i. December.] Am folgenden Tag brachen wir des Mittags
nach dem nicht mehr fernen Kottabangon auf. Der Weg führte immer-
fort durch Kulturland; viele von den Baumgärten waren sorgfältig
eingehegt. Die Kultur schien üppig zu sein; besonders fielen uns
grofsc Anpflanzungen von Mais auf. Auch nahmen wir Kafleepflanzungen
wahr, und vielfach zeigte sich die Sago liefernde Arenga- Palme
angebaut.
Vorerst gelangten wir nach einer Stunde Wanderns von Popo nach
Pontodong. Da die Einwohner dieses Dorfes in schlechtem Ruf stehen,
schlossen sich unsere Träger zusammen; wir selbst und noch drei
weitere Leute, welche gleich uns Gewehre trugen, marschierten aufser-
halb, in Abständen verteilt, zur Seite des Zuges.
Das Dorf Pontodong besteht ans zahlreichen, durch Gröfse aus-
gezeichneten Häusern, aus welchen uns die Einwohner erstaunt und
wilden Blickes zuschauten. Es fiel uns auf, dafs von den Frauen hier
nur die älteren den Oberkörper bekleidet trugen. Alle Eingeborenen
verhielten sich ganz schweigsam. Sie zeigten den echt malayischen
Typus, aber von etwas feinerer Art als die Leute von Popo, welche
dem gröberen, vielleicht auf ursprünglicher chinesischer oder japa-
nischer Beimischung beruhenden Minahassa- Typus angehören.
Aus einigen Opferstellen im Ort Pontodong schlossen wir, dafs
die Bewohner, wenigstens zum Teil, noch Alfuren sind.
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Reiseberichte aus Celebes.
359
Weiter passierten wir das Dorf Riga, welches nur aus ein paar
Häusern besteht; die grüne Kleidung der Frauen deutete darauf hin,
dafs hier die mohamedanische Religion ihre Herrschaft begann. Der
Friedhof des Dorfes bewies es durch seine Art der Anlage.
Unser Pfad verwandelte sich nun in einen guten Reitweg, und wir
gelangten nach kurzer Frist nach Kottabangon, dem Hauptort der
Kulturhochebene von Mongondo. Dieses Dorf ist nicht eingezäunt,
sondern allenthalben frei zugänglich und besteht aus zwei Reihen un-
schön gehaltener Pfahlhäuser. Unser Herannahen war den Einwohnern
ruchbar geworden, und so fanden wir um das gröfste Haus des Ortes, das
sogenannte Königshaus, eine Menge Menschen versammelt, um uns zu
erwarten; auch das Innere des Hauses war dicht von Leuten angefüllt.
Wir traten ein und wurden von einem halb europäisch gekleideten,
älteren Mann empfangen, welcher den Titel Major führte. Wir be-
grüfsten ihn, setzten uns und begannen eines jener für Europäer äufserst
peinlichen, leeren Geschwätze, das Bitjara der Malayen, wobei blofs
die Zeit verflofs, ohne dafs irgend etwas von Belang vor sich ging.
Das von Zuschauern dicht erfüllte Haus wurde uns als Unterkunft ange-
wiesen, was uns wenig behagte ; ein anderes indessen konnten wir nicht
erlangen, umsoweniger, als das Königshaus zu bewohnen selbstver-
ständlich für eine Auszeichnung gilt. Der Besuch des Königs selbst
stand aufserdem für die nächste Zeit bevor, und infolge dessen be-
deckten rote und weifse Tücher die Wände des Wohnraumes. Mehrere
von den Leuten erschienen ganz in rot gekleidet, in rote Jacken und
enge rote Beinkleider, auch trugen sie ein rotes Kopftuch. Die Mehr-
zahl der Frauen, die uns bei einem gelegentlichen Spaziergang durch
das Dorf begegneten, trugen den Oberkörper unbekleidet.
Wir fingen nun an, uns im Königshause etwas einzurichten. Da
der Major keinen Augenblick uns von der Seite wich, gingen wir ihn
um Reis an für unsere Leute; er erklärte indessen, es sei hier nichts
zu bekommen, wenigstens kaum so viel, dafs wir nach Bolang an der
Westküste abziehen könnten. Wir dachten nun aber nicht anders, als
genügend Reis zusammenkaufen zu können, um unseren Weg direkt
westlich Uber Land nach Gorontalo fortzusetzen. Der Major versicherte
dagegen, das sei ganz unmöglich, nach Gorontalo hinüber sei nichts
als Wald, und wo sich auch ein kleines Dörfchen finde, sei nichts zu
bekommen.
So gaben wir unseren Plan, geradewegs westwärts vorzudringen,
schweren Herzens auf und beschlossen, zunächst nach Bolang abzu-
ziehen, um dort mit dem Radja in Verbindung zu treten und uns mit
dem nötigen Reis zu versehen; von dort sollte dann der Durchmarsch
von neuem in Angriff genommen werden.
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360
Paul und Fritz Sarasin:
Dem Major schien es übrigens ganz wohl bei uns zu werden; er
ging uns um Genever an, begnügte sich indessen, da wir diesen nicht
bei uns führten, mit einem Glas Brandy, das er sehr rühmte. Unsere
Cigarrenkiste benutzte er als die seinige; uns selbst aber lag vor allem
daran, ihn in guter Laune zu halten. Nur, sobald wir uns zum Essen
anschickten, entfernte er sich nach dem Hinterraum des Hauses, wel-
chen er gegenwärtig, durch die bevorstehende Ankunft des Königs aus
einem benachbarten Dorf hierhergerufen, mit seiner Familie für einige
Zeit bewohnte. Vor dem Schlafengehen teilte er uns mit, die Leute
hier im Ort seien diebisch, er selber schlafe stets mit geladenem Ge-
wehr neben sich. Wir thaten desgleichen und stellten Wachen aus.
Abends bemerkten wir, wie unsere Leute sich gegenseitig regel-
recht die Glieder massierten, besonders die Brust und Schultern; sie
fetteten die Haut mit einem Öl ein und fuhren mit der massierenden
Hand sorgfältig den einzelnen Muskelzügen nach.
[2. December.) Wir konnten an diesem Tag, so sehr wir es ge-
wünscht hätten, nicht aufbrechen, weil unser Mandur in den nächsten
Dörfern nach Reis sich umzuthun hatte. Als wir uns gelegentlich nach
der Küche umsahen, bemerkten wir zu unserer Heiterkeit, dafs unserem
Koch das Staatsgefängnis als Arbeitsraum angewiesen worden war. Die
Teller und Pfannen standen der Reihe nach auf dem Pflock geordnet,
welcher aus zwei schweren auf einander gelegten Balken bestand ; der
untere wies Einschnitte auf für die Beine der Verbrecher.
Wir können uns in diesem flüchtigen Vorbericht nun nicht mehr
mit all den kleinen, übrigens oft recht charakteristischen Vorfällen auf-
halten, welche sich bei uns im Königshause ereigneten; der beständig
uns umdrängende dichte Knäuel von Neugierigen gab dazu reichlichen
Anlafs. Trotzdem gelang es uns noch, eine Photographie des Ortes
aufzunehmen und mehrere ethnographische Gegenstände, wie Lanzen,
Schwerter, Klewangs u. a. m. zu erwerben.
Wir wurden sehr stark um Chinin angegangen, weil, wie es hiefs,
hier viel Fieber herrsche.
Abends wurde der nötige Reis herbeigebracht; es hatte grofse
Mühe gekostet, ihn aufzutreiben.
[3. December.] Früh vor Abmarsch nahm der Major höflichen
Abschied von uns und begleitete denselben mit einer kleinen An-
sprache, worin er uns artig für unseren Besuch dankte; er beschenkte
uns auch mit zwei Wachskerzen, die wir, da uns das Petroleum auf
die Neige gegangen war, recht wohl verwenden konnten. Darauf
schlugen wir den sogenannten „grolsen Weg“ ( djalan raja, nicht raJj,i\
nach der Küste ein. Derselbe führte zunächst durch Kulturland, worin
Maisbau und Gruppen von Sago-Palmen auffielen. Gröfsere Flüge der
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Reiseberichte aus Celebes.
361
eleganten isabellfarbigen Taube, Myrish'civora luduosa, belebten die
Baumgärten.
Das von uns durchzogene Kulturland von Mongondo stellt im
grofsen und ganzen eine Hochebene oder einen weiten Kessel dar,
welcher von waldbedeckten Gebirgen umzogen ist. Nicht fern von der
Stelle, wo der Weg sich nach abwärts zu senken begann, kamen wir
an zwei Solfataren vorbei, welche das umliegende Gestein weifs färbten
und deutlichen Schwefelgeruch verbreiteten. Von jetzt ab begann wieder
dichter Urwald, in welchen der Weg hinabtauchte, der rechten Seiten-
halde des vom Flufs Ongkag gegrabenen Canons folgend. Dieser
Pfad, obschon die Hauptverkehrsader zwischen Mongondo und Bolang,
scheint sich aus lauter Hindernissen zusammenzusetzen. Unaufhörlich
hatten wir über gefallene Baumstämme zu klettern, welche quer über
den Weg lagen; dann verwandelte sich dieser wieder von Stelle zu
Stelle in einen Lehmsumpf. Brücken fehlten natürlich stets.
Nach einiger Zeit gelangten wir an den Ongkag selbst, einen starken,
in schönen Schlingungen hinabrauschenden Flufs; hohe Gräser und
Bambushaine bekleideten seine Ufer. Von jetzt ab verlor sich der Weg
zuweilen in den Flufs selbst.
An dieser Stelle kam uns echtes Sedimentgestein zur Beobachtung,
das erste Mal auf unserer ganzen bisherigen Reise. Es bestand in einem
grauen Schieferthon, dessen Schichten ungefähr NO fielen. Der Pfad
führte über die Schichtenköpfe hinweg.
Der weitere Weg wurde teils sumpfig, teils glatt wie Seife, teils
verbarg er sich dem Auge unter Grasbiischen, die ihn überwölbten.
(4. December.] Es fing nun schon an, sich von Stelle zu Stelle
Kulturland zu zeigen, in welchem sich u. a. Kakao häufig angebaut
fand. Am Flufs sahen wir weiterhin aufser dem Schieferthon auch
ein Konglomerat aus Lehm, dessen Einschlüsse als lauchgrüne, an
Mächtigkeit in einzelnen Fällen Kopfgrölse erreichende Knollen seltsam
auffielen. Wir fügen gleich bei, dafs wir auf unserer Rückreise von
Gorontalo nach Kema an der Südkiiste am Kap Flesko ein an diese
Einschlüsse erinnerndes geschichtetes grünes Gestein bemerkten, worauf
wir noch zurückkommen werden. Endlich stiefsen wir am Ufer des
Ongkag auf einen lose daliegenden Block, welcher aus einer gelblichen
Muschelbreccie bestand und viele Korallentrümmer enthielt. Er dürfte
das Fragment eines jungen, „gehobenen" Riffes darstellen; leider
fanden wir dasselbe nicht anstehend. Hier am Flufs Ongkag also
stiefsen wir auf eine Grenze des von uns bis dahin durchzogenen
vulkanischen Gebietes.
Von jetzt ab wurden bewohnte Häuser immer häufiger, es begeg-
neten uns öfters Leute, welche ein höflicheres Benehmen gegen uns
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Paul und Fritz Sarasin:
3fi2
an den Tag legten, als die Bewohner des Mongondo-Plateaus, und wir
gelangten nach dem reinlich gehaltenen Dorf Sa lim an dungan.
Die uns begrüfsenden Einwohner verneigten sich und hielten dabei die
aneinander gelegten Hände an die Stirn, eine Sitte, welche sich bei-
spielsweise auch bei den Singhalesen beobachten läfst, und hier wie
dort zeichnen sich die Bewohner des Niederlandes durch ein freund-
licheres Benehmen vor denen des Gebirges aus.
Nach längerer Zeit Weiterwanderns über und durch Hindernisse
aller Art verkündete uns das dumpfe Tosen der Brandung die nahe
Küste; wir streiften noch durch eine Grasebene, welche einen ange-
nehmen Duft ausströmte, wie ein Weizenfeld, und sich inmitten eines
ernsthaft düsteren Urwaldzirkus ausbreitete. Dann gelangten wir an
das Meer, dessen Küste mit Spinifex bewachsen und mit den violetten
Bliitentrichtern der Ipomea biloba geschmückt erschien. Als Nacht-
quartier bezogen wir eine Hütte am Strand. Unsere Träger sangen
und tanzten bis in die Nacht hinein, denn sie hatten sich von Leuten
der Umgegend den schon lange entbehrten getrockneten Fisch als Zu-
gabe zu ihrem Reis erwerben können.
[5. December.] Früh marschierten wir dem Strande entlang nach
Bolang ab, der Hauptstadt des Königreichs Bolang-Mongonda und
dem Sitz des Radja. Dort angekommen, gelang es uns, ein reinliches
Fischerhaus als Wohnung zu beziehen, dessen Hauptraum durch bunte
Vorhänge hübsch in kleinere Räume abgeteilt erschien. Nach den
lange entbehrten gründlichen Reinigungsarbeiten liefsen wir uns beim
Radja anmelden.
Nach einiger Zeit kamen zwei sauber in Uniform holländischen
Schnitts gekleidete Würdenträger heran, um uns hinzugeleiten. Wir
folgten ihnen ein paar Häuser weiter nach der nicht eben sehr könig-
lich aussehenden Wohnung des Radja, welche nicht etwa das gröfste
Haus des Ortes darstellte.
Der Radja trug ebenso wie seine Würdenträger eine an die hol-
ländische Uniform erinnernde Kleidung, benahm sich sehr höflich und
versprach uns seine Unterstützung im Aufbringen von Reis und in der
Beschaffung von Führern für unsere Reise nach Gorontalo.
Wir brauchen uns über unseren Aufenthalt in Bolang hier nicht
weiter zu verbreiten; es genüge zu wissen, dafs der Radja sein Ver-
sprechen hielt und uns freundlich, ja zuvorkommend in allem seine
wichtige Unterstützung gewährte. Da die grofse Menge des von uns
aufgenommenen Reises erst enthülst werden mufste, da ferner alles
Gepäck von neuem geordnet und viele Gegenstände mittelst eines Prau
nach Menado versandt werden mufsten, da endlich der ursprünglich
für die Abreise in's Auge gefafsteTag sich als Freitag erwies, weshalb
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Reiseberichte aus Celebes.
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unsere mohamedanischen Begleiter sich weigerten aufzubrechen, konnte
der Abmarsch erst nach einem Aufenthalt von vier Tagen an dem für
uns wenig interessanten Ort erfolgen.
An dieser Stelle bemerken wir, dafs Teile des von uns bis hieher
zurückgelegten Weges schon von den Herren Schwarz, Wilken, De Lange,
De Clercq und Riedel begangen worden sind, auf deren Berichte wir
in der definitiven Publikation näher eintreten werden (siehe auch die
Erklärung zur Karte S. 400). Hier möge blofs angedeutet werden, dafs
unsere, hauptsächlich auf naturwissenschaftliche Einsicht des Landes
gerichtete Bereisung dieser Strecke durch die, übrigens sehr wichtigen,
Berichte der genannten Reisenden nicht etwa unnötig geworden ist. Von
Bolang ab traten wir nun eine Reise nach dem Innern an, welche noch
von keinem Europäer vor uns ausgeführt worden ist.
Unser Plan bestand darin , uns geradenwegs von hier aus durch
das Innere des Landes nach Gorontalo durchzuschlagen. Der Radja
gesellte uns als Begleiter einen seiner Würdenträger, einen sogenannten
Capilan Radja, bei, welcher sich, mit einer starken Lanze bewaffnet,
bei uns einfand. Aufserdem bekamen wir einen alten holländischen
Militärsäbel zugestellt, welchen wir in den Dörfern des Radja als
Zeichen, dafs wir unter seinem besonderen Schutz standen, vorweisen
sollten. Jede Nacht wurde denn auch der Säbel in den Häusern,
welche uns zur Unterkunft dienten, zu Häupten von uns aufgehängt.
[9. December.] Nachdem wir Bolang hinter uns hatten, ge-
langten wir bald zum Ästuar des Stromes Lom bagin, welcher durch
die Vereinigung der Flüsse Ongkag und Dumoga gebildet wird. Wegen
der Krokodile konnte das Wasser nicht durchwatet oder durchschwommen
werden; deshalb wurden wir durch das Übersetzen unserer vielen Leute,
vermittelst der zwei hier zur Verfügung stehenden Auslegerboote, lange
genug aufgehalten. Die hier wohnenden Eingeborenen umgeben ihre
Hutten mit einem Bambuszaun, um die Krokodile, welche des Nachts
den Flufs zu verlassen pflegen, vom Eindringen abzuhalten.
Bei unserer Weiterwanderung längs der Küste galt es, ein recht
mächtiges, „gehobenes“ Korallenriff zu überklettern, eine marmorglatte,
äufserst harte, weifsgelbc Kalkbreccie. Die Lage des Riffes würde
auf negative Strandverschiebung hindeuten, wenn wir nicht zugleich
beobachtet hätten, dafs dasselbe gegenwärtig der Abrasion ausgesetzt
ist, infolge dessen es nicht längs dem Strande umschritten werden
konnte; die Wellen brachen sich an den herabgestürzten Blöcken.
Wir werden unten noch einmal auf die hier beregte Frage zurückkommen.
Es erhob sich nun ein starker Wind von Westen her uns entgegen,
welcher einen gewaltigen Regen heranbrachte, so dafs wir froh waren,
als wir das Dorf Lolak, unweit des Flusses gleichen Namens, er-
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3P.4
Paul und Fritt Sarasin:
reichten. Wir fanden behagliches Quartier, im geräumigen Hause des
Majors oder Obmannes des Dorfes. Von hier aus begann unser Zug
landeinwärts, den wir den folgenden Tag in Begleitung von 59 Mann
antraten, nachdem wir unseren Wirt durch Überreichung eines Paares
vergoldeter Manschettenknöpfe und seine Frau durch ein Bernstein-
halsband äufserst zufrieden gestellt hatten.
[10. December.] Wir folgten dem rechten Ufer des Flusses
Lolak, und zwar führte der Weg zunächst noch durch Baumgärten,
welche mit Wald abwechselten. Nach nicht sehr langer Zeit aber ver-
lor sich der Pfad in den Flufs selbst, welcher hier eine Breite von
etwa zwanzig Schritten aufwies. Das von ihm mitgeführte Geschiebe
erwies sich als Urgestein und entstammte ohne Zweifel dem als Huntuk
ßuludawa auf der Karte bezeichneten mächtigen Gebirgsstock.
Anstehend fand sich am Flufs ein satt rotbraun gefärbtes, ge-
schichtetes Gestein, das wir als einen Thonschiefer auffassen zu müssen
glauben; an einer Stelle in der Nähe davon bemerkten wir einen eben-
falls rotbraun gefärbten Lehm.
Man teilte uns mit, es werde zwei Tagereisen weiter oben am
Lolak Gold gefunden.
Für die Nacht richteten wir uns in einer von Sagoklopfern ver-
lassenen Hütte ein. Sie lag gerade am Ufer des Flusses, in welchem
watend wir herangekommen waren, so dafe unser erster Schritt zur
Weiterwanderung des folgenden Tages von neuem in das knietiefe
Wasser zu geschehen hatte.
[11. December.] Den Flufs Lolak selbst verliefsen wir nun bald
und wanderten in einem kleinen, von Süden her ihm zuströmen-
den Bache weiter. Bald darauf war ein mit Bambus bewachsener
Hügel zu überschreiten, und wir dachten zunächst nicht anders, als
dafs nunmehr endlich der Boden anfangen werde, sich zu erheben, da
wir bis zu dieser Stelle stets wenig über dem Niveau des Meeres ge-
blieben waren. Auffallender Weise aber erwies sich diese Voraus-
setzung als unrichtig; der Hügel stellte sich blofs als die Wasserscheide
zwischem dem Lolak und einem stromartig mächtigen F'lufs dar,
welcher uns als Dumoga bezeichnet wurde. Zunächst stiefsen wir
noch nicht auf diesen letzteren selbst, sondern wir befanden uns in
der Ebene desselben und zwar zu unserer Überraschung wiederum
ungefähr auf Meeresniveau, Auch hier noch bildete das erwähnte
rotbraune Schichtgestein die Unterlage des Bodens, wie uns ein kleines
Bachbett lehrte.
Der äufserst glatt gewordene, verseifte Weg kündete uns- die Nähe
von Menschen an. Baumgärten begannen die Stelle des Urwaldes ein-
zunehmen und wir gelangten nach dem Ort Solog, in welchem indessen
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Reiseberichte aus Celebes.
365
die Häuser noch nicht zu einem eigentlichen Dorf gruppiert sind, viel-
mehr zerstreut inmitten der Baumgärten liegen; nur von Stelle zu Stelle
fanden sich Gruppen von zwei oder drei Wohnungen. Die Leute,
denen wir begegneten, verhielten sich durchaus friedlich, begrüfsten
uns kurz, sahen uns aber im übrigen schweigend zu. Es wird hier
hauptsächlich Mais gebaut, auch fehlen natürlich die düsteren Sago-
Palmenhaine nicht; außerdem fielen uns viele, schön in rotbraunen
Schoten prangende Kakaobäume auf. Eine gröfsere Menge Dammar-
harz sahen wir bei einem Haus aufgestapelt.
Wir gelangten nun an die Dumoga selbst, welche voll und rauschend
daherströmt; sie ist mit Prauen gut und weithin befahrbar, wie wir
später noch sehen werden. Der Weg führte ihrem linken Ufer entlang
südwärts weiter. Da der Strom sich ein ziemlich tiefes Bett gegraben
hatte, erwies sich das Ufer als eine äufserst abschüssige und für uns
mit den Schuhen sehr schlecht zu begehende, oft entschieden gefähr-
liche Halde. Zwar hatten Waldbäume auf derselben sich festgewurzelt;
dennoch gerieten wir oft in Verlegenheit, wo wir den Fufs hinsetzen
sollten, und unter uns rauschte drohend die angeschwellte Dumoga. Als
der halsbrecherische Weg wieder an den Strom hinabführte, bemerkten
wir, dafs das Bett, in welchem dieser einherflofs, aus Basalt bestand, an
welchem sich auch als seltene Ausnahme ächte, säulenartige Bildungen
unterscheiden liefsen, Von neuem also befanden wir uns im Gebiet
des Vulkanismus.
Wir folgten nun dem Ufer weiter, unausgesetzt über die Basalt-
blöcke wegklettemd, worauf sich das Strombett von neuem zu einer
Schlucht verengte, an deren abschüssiger Halde wir uns sorgfältig mit
den Füfsen weitertasteten. Wieder am Strom selbst angelangt, an einer
Stelle, wo er eine kleine Schnelle bildete, errichteten wir unsere Hütte.
Aus etwa siebzig grofsen Blättern einer hier immer häufiger auftretenden
Fächerpalme wurde das Dach völlig wasserdicht gedeckt; auch er-
setzte ein grofses ausgespanntes Blatt, von denen einige zwei Meter im
Durchmesser erreichten, in durchaus befriedigender Weise die Tisch-
platte.
Am jenseitigen Ufer fiel uns eine reiche Gruppe eleganter Cycadeen
in das Auge. In mehreren Exemplaren lasen wir eine der Nanina
cincta nahe verwandte und durch Gröfse und dunkle Färbung ausge-
zeichnete Schnecke auf.
[12. December.] Weiter aufwärts sahen wir den Strom in
relativ engem Basaltbett daherrauschen, längs dessen Absturz wir von
neuem eine ganz schlimme Kletterei zu bestehen hatten, wobei die
entblöfsten, glatten Wurzelnetze zu gröfster Vorsicht mahnten. Pline
Zeit lang folgte der Weg einem Seitenbach, welcher sich in dem Basalt
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3G6 Paul und Fritz Sarasin:
eine tiefe Klamm ausgewühlt hatte, an deren Seitenwänden an einer
Stelle eine bauchige Auswaschung zu beobachten war.
Immer noch befanden wir uns nicht höher als 60 m über dem Meer.
Im Strom fielen uns wiederholt Blöcke eines Basaltkonglotnerats
auf, und bald darauf zeigten sich Rollblöcke von Urgestein. Wir ge-
langten an einen ziemlich starken Zuflufs, die Mau genannt, welche,
vom Buludawa-Gebirge herabströmend, ihre Mündungsstelle in die
Dumoga weithin mit grobem Urgesteingeschiebe, gleich einem Alpen-
flufs, übersät hatte.
Die Dumoga wird hier mit Brauen und Bambusflössen befahren;
verfrachtet wird hauptsächlich Dammarharz, wie uns daselbst erfahrene
Leute berichteten.
Wir durchschritten die Mau, und von neuem verengte sich das
Dumoga-Thal an einem Canon, längs dessen Absturz wir wegklettern
mufsten. Alsdann öffnete sich das Thal, der Flufs strömte durch
ebenes Land ruhig einher und bildete kleine Inseln; es zeigten sich
Spuren von Kultur, Baumgärten und Häuser begannen aufzutreten, wir
befanden uns in der Nähe von Dumoga besar. Wir wurden mittelst
Brauen über den Strom gesetzt, langen und schmalen Fahrzeugen, von
denen die Regierung von Bolang-Mongondo vier Stück den Bewohnern
von Dumoga besar, sowie den etwaigen Bassanten beständig zur Ver-
fügung hält. Den übersetzenden Fährleuten brauchten wir keinen Lohn
auszubezahlen. Das jenseitige Ufer prangte im Schmuck von Bananen.
Kokos- und Sago-Balmen. Wir wurden von den Bewohnern des Ortes
ruhig empfangen und bekamen als Quartier ein solid gebautes, wenn
auch dunkles Haus angewiesen. Hier warteten wir zunächst geduldig
und ziemlich wortkarg auf die noch nicht angelangten Kleiderkisten,
denn es regnete immerzu; wir waren völlig durchnäßt, froren und waren
hungrig.
Abends sahen so viele Gesichter zur Thür herein, als in der
Umrahmung Köpfe Blatz fanden; gleichw’Qhl gaben hier, wie überall,
die Leute ihrem Erstaunen keinen Ausdruck.
[13. December.] Die Bewohner von Dumoga besar zeigen einen
auffallend feinen Typus, einen zarteren Knochenbau als wir bis jetzt
beobachtet hatten; dennoch stellen sie durchaus ächte Malayen dar.
Wie man uns sagte, sind sie noch Alfuren; doch haben wohl viele
von ihnen schon die mohamedanische Religion angenommen , in
welchem Umstand wir auch den Grund suchen, dafs wir unter den
Haustieren keine Schweine angetroffen haben. Die Männer tragen
den malayischen Turban; doch fallen unter den Jüngeren solche auf,
welche statt der Kopfbedeckung ihre Haare frei herabwallen lassen;
höchstens knüpfen sie um den Kopf eine Schnur von Bast, um den
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Reiseberichte aus Celebes. 3R7
oberen Teil des Haares an den Kopf zu schliefsen, was einen male-
rischen Anblick gewährt. Ihr Haar ist nicht straff, sondern wellig_
Aufserdem zieren sich junge Männer mit Perlschnüren, welche sie um
den Hals und das Handgelenk tragen.
Die Frauen gehen völlig bekleidet; sie tragen meist gelbe oder
grüne Oberkleider und ein rotes, um die Hüften geschlungenes, bis zu
den Füfsen herabreichendes Tuch, wie überall im Malayischen Archipel.
Ihr Haar schlingen sie in einen Knoten und befestigen denselben zwar
meistens am Hinterkopf, zuweilen aber auch an der linken Kopfseite.
Über die Sprache der Leute gab man uns an, sie sei dieselbe wie
die in Kottabangon und Bolang gesprochene, verschieden jedoch von
derjenigen des Nachbarreiches Bintauna.
Wir sahen einen Mann mit Elephantiasis und eine Frau mit einem
Kropf behaftet.
Das grolse, reinlich gehaltene Dorf besteht aus zwei Teilen, einem
Unter- und einem Oberdorf, welche je aus zwei Reihen solid gebauter
Häuser bestehen; die Bodenfläche, auf welcher sie ruhen, ist ganz rein
gescheuert. Das Dorf erweckt den Eindruck von Sauberkeit und läfst
auf Wohlhabenheit der Bewohner schliefsen. Die Bauart der Häuser
ist dieselbe wie überall; im Hauptraum findet sich eine einzige kleine
Lichtöffnung angebracht. Meist erscheinen die Häuser mit der Giebel-
seite des Daches nach dem Mittelweg des Dorfes gekehrt, zuweilen
jedoch auch mit der Längsseite. Im erstcren Fall findet sich die Auf-
steigleiter an der einen Seite, im letzteren in der Mitte der Frontfläche
angebracht.
An der Stelle, wo ein Weg das Unterdorf mit dem Oberdorf ver-
bindet, steht ein aus Bambus errichtetes 'I'empelchen für den Dämonen-
dienst, ein auf vier Pfählen ruhendes Häuschen, in welchem sich ein
Tisch und eine Bank, beide mit Blattwerk verziert, befinden; eine
Bambusleiter führt hinauf.
In Dumoga besar werden aus Holz geschnitzte Teller gebraucht;
aufserdem sahen wir in unserem Quartier Porzellanteller verschiedener
Herkunft in Geflechten aufgehängt, darunter auch europäische. Hier
wie überall fallen grofse, aus Rinde gearbeitete Behälter auf, welchen
merkwürdiger Weise der Boden fehlt und die zum Aufbewahren des
geernteten Reises und anderer Produkte dienen, ein sehr weit ver-
breitetes Gerät.
Wir fanden von neuem grofse Schwierigkeiten, genügenden Reis
zusammenzubringen, und trotz der Aufforderungen seitens des uns be-
gleitenden Capitan radja rückte der Schulze des Dorfes mit nicht über
i Pikul (= 61,75 kg) heraus.
[14. December.] Wir stellten unseren Wirt mit einem Stück
Zeiuchr. d. GciclUch. f. Erdk. Bd. XXIX. 25
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Paul und Fritz Sarasin:
roten Tuches und einem Korallenhalsband so sehr zufrieden, dafs er
uns noch mit einem schön gearbeiteten Reisstampfer, einem Bündel
vortrefflicher Erbsen und einem Huhn beschenkte. Dann nahmen wir
noch zwei Leute des Ortes als Führer mit uns, welche zugleich als
Träger dienten, und schlugen den Weg nach Duluduo, dem ersten
Ort des Nachbarfürstentums Bintauna, ein. Wir wurden über die
Dumoga zurückgebracht und wanderten nun zunächst beständig in
südwestlicher Richtung, vorerst noch durch Kulturland, in W'elchem wir
für längere Zeit Häuser zerstreut antrafen. Die Leute trugen öfters
in sauberen Kleidern Wohlhabenheit zur Schau. Sehr häufig kamen
wir an Plätzen vorüber, wo kürzlich Sago geklopft worden war. Mais-
bau liefs sich allenthalben feststellen; dagegen spielt in der ganzen
Dumoga-Ebene der Reisbau keine oder doch jedenfalls eine sehr
untergeordnete Rolle.
Allmählich fing der Weg an, ein schlechteres Aussehen zu be-
kommen, und Urwald trat an die Stelle der Kultur. Am Konarom,
einem starken Zuflufs des Dumoga, errichteten wir das Nachtlager.
Es brach ein gewaltiger Regen aus, während wir die Hütten zu bauen
begannen; die zurückgebliebenen Träger kamen einer nach dem anderen
langsam heran, jeder ein gewaltiges Fächerpalmenblatt als Regenschirm
in der Hand haltend.
(15. December.] Der Pfad führte zunächst längs dem rechten
Ufer des Konarom weiter durch dichten Urwald, welchen wir von
keinem Wild, aufser von Nashornvögeln, belebt fanden. Stets wurde
der Weg mehr und mehr sumpfig, und wir gelangten sehr bald nach
Verlassen des Konarom an einen zweiten, reifsend herabströmenden
Zuflufs des Dumoga, die Tapadaka, welche wir verschiedene Male zu
durchschreiten hatten, und nun begann bis nahe zu der Stelle, wo der
Weg wieder an die Dumoga führte, eine ausgedehnte seichte Wasser-
fläche, welche die Eingeborenen, wie wir später erfuhren, den See
oder Sumpf (Ulaga) nennen. Derselbe zeigte glücklicher Weise meist
nur Knietiefe ; doch vermochten wir, da das Wasser trübe, stellenweise
auch gelb war, den Boden nicht zu erkennen. Im Wasser standen
viele Bäume, woraus sich schliefsen liefs, dafs wenigstens von Zeit zu
Zeit der Boden trocken liegen mufste.
An einer Stelle senkte sich der Boden plötzlich unter meinen
Füfeen und das Wasser wurde mehr als mannstief; wahrscheinlich hatten
wir hier ein Flufebett zu passieren. Einer unserer Leute schwamm nun
soweit hinüber, bis er seichteres Wasser erreichte und Fufs fassen
konnte. Alsdann wurde ein Bambus gefällt und derselbe diesseits und
jenseits der tiefen Stelle von je einem Mann mit dem Fufs auf den
Boden hinabgetreten; oberhalb des Wassers hielten dieselben Leute
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Reiseberichte aus Celebes.
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einen Bambus quer hinüber. An diesem gewann man Halt für die
Hände, mit den Ftifsen tastete man sich über den unten im Wasser
liegenden Bambus hinüber.
Schon wanderten wir zwanzig Minuten lang immerfort im Wasser
weiter, als wir an den tiefen und reifsend herabströmenden Flufs
Mopujo gelangten, welcher mitten durch den Sumpf heranbrauste.
Es wurde nun über diesen unter grofsen Schwierigkeiten aus gefällten
Bambusen eine schwankende Brücke errichtet, und erst nachdem wir
diese überschritten hatten, gelangten wir wieder für einige Zeit auf
trockenes Land.
Für unsere Mühseligkeiten entschädigte uns aber gerade an dieser
sumpfigen Stelle ein über alle Beschreibung erhabener Bestand gewal-
tiger Fächerpalmcn, von denen die alten Bäume kerzengerade, gewal-
tige Säulen bildeten mit herrlichen, schweren Blätterkronen, während
die jungen Palmen das Unterholz darstellten. Es knallte wie ein
Pistolenschufs, wenn man mit einem Stock auf die gewaltigen Blätter
kräftig genug schlug, dafs sie zersprangen, und da die ganze Reihe
unserer Träger sich dieses Vergnügen machte, erschallte es in dem
sonst so stillen Walde wie Schufs auf Schufs. Wenn, wie sich dies
mehrmals ereignete, ein Regengufs herannahte, und die schweren
Tropfen auf die vielen Palmenkronen niederfielen, tönte es, wie wenn
ein Schnellzug heranbrauste.
Häufig erfreute das Auge eine äufserst zierliche I.iane, deren
Blätter wie von dunkelgrünem Sammet bedeckt, auf der Unterseite
dagegen purpurn gefärbt sind. Eine sehr ähnliche Form hatten wir
in Ceylon vielfach als Zierpflanze verwendet gesehen.
Weiter ging es noch mehrmals durch hüfttiefe Tümpel, und da
zugleich ein sehr solider Regen ausbrach, ist es wohl nicht zu ver-
wundern, dafs wir diesen Tag als einen recht nassen in der Erinnerung
behalten.
Endlich öffnete sich der Wald, und wir stiefsen wieder auf die
Dumoga. Auch hier fanden wir zwei Leute vor, welche von der Regie-
rung beauftragt sind, die Durchreisenden unentgeltlich überzusetzen.
Am jenseitigen Ufer breitete sich ein Baumgarten aus und, daselbst
angekommen, bezogen wir Nachtlager in einem kleinen Häuschen,
welches eine alte Frau bewohnte, aber sofort räumte, als wir ihr ein
kleines Geschenk in Aussicht stellten.
Nachdem wir die Kleider gewechselt hatten, blieb noch etwas
chirurgische Arbeit zu thun übrig, da sich einige unserer Leute an
Bambussplittern verwundet hatten. Es kam uns zu statten, dafs der
eine von uns gelernt hatte, etwas mit der chirurgischen Nadel umzu-
gehen. Während der Operation gaben die Leute keinen Laut von sich,
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Paul und Fritz Sarasin:
liefsen aber ihren Thränen freien Lauf. Bambusverwundungen heilen
übrigens nicht glatt ab, weil dieses Holz mit feinsten Kieselnädelchen
sich umkleidet; diese setzen sich schon in der nicht verwundeten Haut
für einige Zeit in unangenehmer Weise fest.
Es werden hier Reis, Mais, Kaffee, Kakao, Pisang, Sago, Kokos,
Areca, schöne grofce Bataten und vortrefflich schmeckende Erbsen
gebaut Die Bewohner sind, ebenso wie die Dumoga besar-Leute,
von zartem Körperbau. Dennoch erwiesen sich gerade die sehr zart
gebauten Leute, welche uns vom letzteren Ort aus begleiteten, als die
unermüdlichsten Träger, obschon man ihnen die schwersten Lasten auf-
gebürdet hatte.
In dem von uns bewohnten Häuschen lagen einige starke, mit
Deckel verschlossene Bambuse, welche Reis enthielten. Auch bemerkten
wir einige grofse Lanzen mit gewaltiger, schwerer Klinge und mit
verziertem Schaft. Wir wünschten sie zu erwerben; allein die Leute
wollten sie nicht abgeben: sie hätten sie nicht selber angefertigt, son-
dern in Mongondo gekauft, sagten sie.
Von hier aus nach Dumoga besar benutzen die hiesigen Einge-
borenen in der Regel nicht den Landweg, sondern befahren mit Prauen
die Dumoga; man erreicht dann Dumoga besar im Lauf eines Tages.
An dieser Stelle vereinigt sich mit der Dumoga der grolse, vom
Buludawa-Gebirge herabströmende Flufs Toraot.
[16. December.] Der W'eg wandte sich westwärts, stets der
Richtung der Dumoga folgend. Er erwies sich immerfort als sehr
schlecht; fast jeder Schritt stellte eine kleine, mit Aufmerksamkeit zu
verrichtende Arbeit dar. Indessen begünstigte uns jetzt ein herrliches
Wetter, wobei die Hitze keineswegs belästigte; denn der dichte
Waldschatten erlaubte, beständig ohne Hut zu wandern. Der von
Palmen immer noch überreich geschmückte Wald glich einem gewal-
tigen Treibhaus, und doch herrschte keineswegs jene drückende,
schwüle Hitze, welche in unseren Warmhäusern den Genufs so sehr
beeinträchtigt. Prächtige, wie riesige grüne Straulsenfederbüsclie ent-
faltete Bambusgruppen verrieten die nahe Dumoga; einige Waldbäume
erhoben sich in turmartiger Mächtigkeit.
Allmählich bekam der Weg ein recht gutes Ansehen; wir begeg-
neten Leuten, Kulturland ersetzte den Wald, und wir sahen uns in
Dumoga ketjil, einem kleinen, aus blofs sieben Häusern bestehen-
den, aber sehr reinlich gehaltenen Dörfchen, von dessen Schulzen wir
freundlich begrüfst wurden. Wir blieben indessen hier nur eine kleine
AVeile, um uns zu erfrischen, da wir noch Duluduo zu erreichen
wünschten. Wir passierten die hier nur noch knietiefe Dumoga, worauf
der Weg ununterbrochen vortrefflich blieb. Wir hatten mittlerweile
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Reiseberichte aus Celebes.
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rlie Grenze von Bolang-Mongondo überschritten und langten jetzt in
Duluduo an, wo wir uns nunmehr im Königreich Bintauna be-
fanden. Die Meereshöhe des Ortes beträgt nicht mehr als 170 m; die
Pumoga strömt also in einer sehr wenig geneigten Ebene von hier bis
zur Celebes-See.
Das Dorf Duluduo unterscheidet sich im Aussehen nicht von den
anderen Ortschaften des Innern, an Umfang dürfte es nur die Hälfte
von Dumoga besar erreichen. Es residiert daselbst der nächst dem
König erste Würdenträger des Reiches Bintauna, der sogenannte
„Djugugu“ , welcher hier ein gröfseres Haus bewohnt. Wir wurden ein-
geladen, bei ihm Quartier zu nehmen, und traten ein. Wir fanden im
Hauptraum den Djugugu, ein schon altes, gebrechliches Männchen,
ferner einen Capitan radja und noch zwei andere Würdenträger an
einem Tisch vor und wurden auf höflichste Weise empfangen. Nach-
dem wir uns in einem der Seitenräume, welche durch ein herab-
gelassenes buntes Tuch vom Hauptraum abgetrennt werden, umgekleidet
und erfrischt hatten, setzten wir uns zur Versammlung, und nun begann
das Bitjara. Wir legten unser Vorhaben dar, von Duluduo entweder
unmittelbar, oder über Buludawa und Bintauna, nach Gorontalo zu reisen,
und gingen den Djugugu um Lieferung von Reis oder Sago an. Es
wurde uns dagegen versichert, direkt westlich nach Gorontalo bestehe
kein Weg, und derjenige, welcher über den Ort Buludawa nach Bintauna
hinüberführe, sei so schlecht, dafs er von uns nicht begangen werden
könne. Lebensmittel könnten keine geliefert werden, und ebenso
wenig seien Führer erhältlich.
Wir sahen ein, dafs die Leute abgeneigt waren, uns weiter zu
helfen, und mit unserem Durchmarsch sah es schlecht aus. Man riet
uns dringend, nach Malibagu an der Südktiste abzuziehen, wohin es
nur einen Tag weit Wanderns sei. Nach Bintauna hinüber brauchten
wir einen Monat und würden unterwegs verhungern.
Diese Tonart brachten wir diesen Abend nicht zum Weichen
und dachten, den kommenden Tag einen ferneren Versuch zu unter-
nehmen.
Die Nacht verlief ziemlich geräuschvoll. Das Haus gehörte dem
Djugugu; er bewohnte es gemeinsam mit den Familien seiner Ver-
wandten; jede derselben hatte in einem Seitenfach sich ihr Nest zu-
bereitet. Überdies hatten alle unsere Träger darin Quartier genommen.
Die Hunde hatten freien Zutritt und bissen sich unter Schreien und
Knurren herum; unter dem Haus hatten sich mehrere, die ganze Nacht
hindurch gewaltig heulende Hähne festgesetzt, und da und dort ertönte
aus einem Familienwinkel kräftiges Kindergeschrei.
[17. December.] Früh empfanden wir die Temperatur als kühl;
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Paul und Fritz Sara sin:
unsere Leute froren. 6h 3om zeigte das Thermometer i8° C. Das Wetter
war äufserst rein, die Bewölkung i.
Wir setzten uns nun von neuem mit den Herren, die schon bereit
waren, uns zu empfangen, zur Beratung. Aufser dem Djugugu, dem
Capitan radja und dem von Dtimoga ketjil herbeigeeilten Obmann
dieses Dorfes, welcher uns daselbst begriifst hatte, nahm auch noch
ein feines, besonders wohl gekleidetes Männchen an der Sitzung teil,
welches wir den Gcheimrat nennen wollen, und welches sich durch
ein musterhaft höfliches Benehmen auszeichnete. Die Herren wickelten
ihren Betel, und jeder bekam ein kleines Bronzegefäfs vor sich
auf den Boden hingestellt. Wie nun die Sache soweit gediehen war,
traten wir mit der Erklärung hervor, auf jeden Fall direkt durch das
Land nach Gorontalo Vordringen zu wollen; der Djugugu möge also
die Sache anordnen, uns Sago liefern und zwar sofort, denn morgen
zögen wir ab; auf den Preis komme es nicht an. Als auf unser Anliegen
hin teils Schweigen erfolgte, teils immer dieselbe Antwort, dafs unseren
Wünschen zu entsprechen nicht möglich sei, begannen wir etwas leb-
hafter zu sprechen, und da wir zugleich den Tisch etwas zu bearbeiten
anfingen, wurde der Djugugu verlegen, was sich darin aussprach, da£>
er kummervollen Antlitzes seine Augen nach oben richtete; alsdann
lenkte er ein und meinte, man könne ja einmal nach Sago sich Um-
sehen, auf das Geld komme es übrigens hier nicht an.
Als wir soweit gekommen waren, standen wir auf und gaben den
Befehl, den noch vorhandenen Reis zusammenzuschütten; wir ver-
mischten ihn nun mit unterwegs aufgekauften Erbsen, worauf der Vor-
rat für vier Tage genügend befunden ward. Die Träger, welche zu
murren anfingen, dafs sie hinfort zum Teil mit Sago sich begnügen
miifsten, wurden mit Extrabezahlung vertröstet. Einer, dem im Hin-
blick auf sein Sagoschicksal die hellen Thränen herunterliefen, wurde
ausgescholten.
So blieb die Sache zunächst ruhen, und wir warteten die Herbei-
schaffung des in Aussicht gestellten Proviants an. Als nun aber nichts
geschah und unsere Leute ihren Reis verlangten, setzten wir uns auls
neue zur Ratsversammlung.
Zunächst trat nun einer unserer eigenen Leute vor, welcher von
Bolang aus als Führer mit uns gekommen war und versprochen hatte,
den Weg von Duluduo über Buludawa nach Bintauna zu zeigen. Dieser
erklärte jetzt, er habe das nie gesagt, den Weg nach Bintauna wisse
er gar nicht. Alsdann trat einer vor, welcher behauptete, er komme
eben von Bintauna; aber der Weg sei für uns ungangbar, ein Bergstuiz
habe ihn verschüttet.
Der Djugugu meinte nun aufs ernstlichste, wir sollten von unserem
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Reiseberichte aus Celebes.
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Vorhaben abstehen, es seien so viele böse Steine im Wege, dafs weder
unsere Leute mit ihren Lasten, noch wir mit unseren Schuhen den
steilen Steinweg begehen könnten ; auch fänden wir keine Häuser
unterwegs zum Übernachten. Als wir lachend erwiderten, wir bauten
unsere Hütte selber, schwieg er. Der Schulze von Dumoga ketjil be-
hauptete, nach Bintauna hinüber sei es anderthalb Monate, wir thäten
überhaupt am besten, denselben Weg, woher wir gekommen wären,
zurlickzuwandcrn. Als wir auffuhren, frug er lächelnd: „Aber warum
wollen denn die Herren nicht zurück?“ Der Djugugu seinerseits ver-
lor nur ein einziges- Mal seine Fassung, als wir darauf drangen, Sago
geliefert zu bekommen. „Wenn die Herren Sago brauchen“, warf er
uns hin, „warum haben sie ihn nicht gebracht?" Im übrigen aber
hörte er nicht auf, äufserst höflich zu bleiben ; er betonte mehrmals,
es handle sich bei allem nur um unsere eigene Wohlfahrt; er sei
sehr um uns besorgt, deshalb rate er uns vom Durchzug nach
Bintauna ab.
Wir unterbrachen darauf wieder die Sitzung und begaben uns
hinaus, um irgend einen Mann des Dorfes über den Weg auszuforschen.
Wir stellten also einen und fragten ihn, wie weit es nach Bintauna sei.
Nun hatte sich unterdessen, ohne dafs wir es bemerkten, das Geheim-
rätchen uns nachgeschlichen, hatte sich hinter den Befragten gemacht,
und als dieser eben loslegen wollte, versetzte er ihm einen Rippen-
stofs, worauf er zur Antwort gab: „Fünfzehn Tage.“ Dieses Männchen
arbeitete unausgesetzt gegen unser Vorhaben, und wenn der Djugugu
merkbar ins Schwanken kam, brachte er ihn durch Zulispeln immer
wieder herum. Er trug gegen 4 cm lange Daumennägel und beschäftigte
sich meistens damit, Areca-Niisse als Beigabe zum Betelkauen in einem
eleganten Metallgefäfschen zu stampfen. Den Zeigefinger hielt er
immer ganz steif, um den kostbaren Daumcnnagel nicht zu bertihren.
Er zeigte sich äufserlich sehr besorgt um unser Wohlbefinden im Haus,
er trug uns Kissen herbei, Matten, Tücher und dergleichen. Unsere
eigene Küche wurde auch mit Hühnern und allem Nötigen versorgt;
man präsentierte uns ein Säckchen Sago und eine Pisang-Traube, aber
für unsere Leute erhielten wir nichts.
Um nun die Sache von neuem in Flufs zu bringen, erklärten wir,
wir mtifsten unbedingt zum Radja von Bintauna; denn wir hätten einen
Brief vom Gro&herrn (d. h. dem Residenten von Menado) zu über-
bringen. Wir wiesen denselben vor und lasen die Adresse. Zugleich
verlangten wir nunmehr dringend Sago für unsere Leute. Nun wurde
es den Herren etwas ängstlich zu Mut, und wie der eine von uns dem
Djugugu auf die Schultern klopfte, drehte sich der Capitan radja um
und zeigte seinen Rücken. Endlich nach einer Pause kam dem
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Paul und Fritz Sarasin:
Djugugu die Idee, uns die Bitte vorzutragen, ob er sich mit seinen
Leuten in ein anderes Haus zur Beratung zurückziehen dürfe. Wir
gestatteten es, die Herren erhoben sich und verabschiedeten sich mit
Händedruck höflichst von uns.
Unterdessen speisten wir zu Mittag und erwarteten das Weitere.
Nach mehr als einstündiger Beratung wurde unser Mandur hinüber-
gerufen und uns durch diesen eröffnet, der Djugugu könne uns weder
Führer, noch Proviant liefern, falls er nicht vom König direkt dazu er-
mächtigt sei; er könne es nicht wagen, anders zu handeln, so sei es
sein Befehl.
Da wir nun einsahen, dafs dies das letzte Wort sei, entschlossen
wir uns, wenn auch äufsert ungern, zum Abzug nach Malibagu. Der
zusammengeschüttete Reis wurde rasch wieder verteilt, und 2h iom mar-
schierten wir ab, nachdem noch alle unsere hohen Freunde sich zum
Händedruck herangedrängt hatten; und besonders der Geheimrat gab
sehr seinem Bedauern Ausdruck, dafs wir nicht noch die Nacht im
Hause bleiben wollten. Wir waren indessen doch schliefslich froh, uns
mit unseren Leuten in der freien Luft zu wissen; denn auch unser
Mandur meinte, die Bewohner von Duluduo seien dumm und gefähr-
lich. Wir hatten natürlich beständig die geladenen Gewehre zur Hand,
den Revolver in der Tasche. Mit unserem schweren Wachstuch und
unseren Reisedecken hatten wir dreifach den dünnen Schindelboden
belegt, worauf wir die Nacht in dem auf hohen Pfählen errichteten
Haus zuzubringen hatten, um uns gegen einen etwaigen tückischen
Lanzenstich von unten her zu schützen. Diese Vorsichtsmafsregel war
uns vor unserer Abreise von Menado von kundiger Seite angcraten
worden.
F.iner unserer Leute erzählte nachher, dafs, wenn man einen Be-
wohner von Duluduo angesprochen habe, derselbe aus Mifstrauen
gleich den Klewang gezückt und in Bereitschaft gehalten habe.
Die Mehrzahl der Männer von Duluduo hat ein anämisches Aus-
sehen, vielleicht infolge ihres unausgesetzten Betelkauens, welches
starken Speichelflufs hervorruft. Dazu kommt die mangelhafte Nahrung,
welche fast ausschliefslich in Sago besteht. Auch wurde uns nachträg-
lich die merkwürdige Mitteilung gemacht, einige Leute aus Duluduo
nährten sich ausschliefslich von Sago und wollten kein Salz geniefsen;
sie würden gleich sterben, hätten sie gesagt, wenn sie es äfsen.
Der Typus der Einwohner von Duluduo ist fein, wie wir dies
durchgehends hier im Innern beobachtet haben. Bei alten Männern
tritt die Glabella des Hirnbeines als dünner und scharfer Augenschirm
deutlich vor.
Die Männer rasieren ihren ohnedies spärlichen Bartwuchs derart.
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Reiseberichte aus Celebes.
375
dafs blofs von den Mundwinkeln und von der Spitze des Kinnes einige
lange Haare herabhängen bleiben.
Eine parasitäre Hautkrankheit, eine Art Ringelwurm, Htrpts (ircmatus,
scheint hier häufig vorzukommen. Es bilden sich dabei auf der Ober-
fläche der Haut nicht unelegant gewundene Figuren infolge von Ab-
schuppung, so dals die davon befallenen Leute wie tätowiert aussehen,
vornehmlich wenn sie mit ihren Klewangs die abschilfernde Haut weg-
schaben. Es wird Juckreiz empfunden, welcher sich nach dem Baden
in Meerwasser verstärkt. Man nennt die Krankheit hier „kurap"\ be-
sonders stark verbreitet soll sie im Ort Bintauna sein.
Aus Duluduo folgten uns noch drei weitere Träger nach als Er-
satz für die nach Dumoga besar zurückkehrenden Leute; sie bewaff-
neten sich mit solid gearbeiteten Lanzen. Einer von ihnen war noch
ein Knabe von elf Jahren, er trug jedoch seine volle Last rasch und
ausdauernd.
Sobald wir die Dumoga wieder erreicht und durchschritten hatten,
errichteten wir unsere Hütte und fafsten den Beschlufs, den hier ge-
scheiterten Versuch, von Duluduo direkt nach Gorontalo vorzudringen,
in umgekehrter Richtung von Gorontalo aus zu erneuern. Diese Aus-
sicht versetzte uns wieder in fröhliche Stimmung.
[18. December.] Der Weitermarsch förderte vortrefflich, da sich
der nach Süden führende Weg als verhältnismäfsig leicht gangbar er-
wies. Er leitete zunächst durch ziemlich dichten Wald, der sich von
Affen, dem wohlbekannten schwarzen Pavian, Cynopithtcus nigrescens,
belebt zeigte; wir erlegten ein schönes Männchen für unsere Samm-
lung. Viele Vogelstimmen liefsen sich im Walde vernehmen: es gelang
uns auch, einen Maleo, Mtgacephalon malto Fern., zu erlegen, welcher
hoch auf einem Ast ruhig dasafs. Das Fleisch schmeckt vortrefflich,
wie zarter Fasanenbraten.
Weiter marschierten wir längs einem von Süden strömenden Zu-
flufs der Dumoga, oder auch in demselben. Der Boden erwies sich
als Urgestein.
Unter den Bäumen des Waldes fiel uns eine Art besonders auf,
deren turmartig hoher und gerader Stamm mit einer glatten, lebhaft
grün und rot geflammten Rinde geschmückt erschien. Auf dem mast-
artig geraden Stamme trägt er eine verhältnismäfsig wenig ausgedehnte,
undichte Krone. Unsere Leute nannten ihn Onko-Baum. Er bildet
eine grofse Zierde des von ihm geschmückten Waldes.
Der Boden begann nun deutlich anzusteigen. Von der in Duluduo
festgestellten Erhebung von 170 m stiegen wir noch bis 350 m an,
mit welcher Höhe wir die Wasserscheide zwischen der Dumoga-Ebene
und der Südküste erreicht hatten. Gleichwohl überraschte uns das
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37 rt
Paul und Frilt Sarasin:
geringe M.ifs dieser Erhebung; denn wir hatten uns vorgestelit, dafs
ein hoher Gebirgszug, dem Lauf der Siidküste folgend, die Wasser-
scheide bilden werde. Nun sahen wir aber ein, dafs wir, von der
Nordküste nach der Siidküste durchquerend, eine Tiefenlinie des von
uns bereisten Celebes-Armes durchschritten hatten, von welcher aus im
Osten, Norden und Westen hohe Gebirgsstöcke sich erheben. Das im
Osten aufsteigende Gebirge ist noch unerforscht; wir halten es für ein
vulkanisches, da wir oben gesehen haben, dafs die Dumoga gewaltige
Massen von Basalt ausscheidet, welche blofs diesem Gebirgsstock ihre
Entstehung verdanken können. Wir wollen denselben das Mongondo-
Gebirge nennen; es bezeichnet den südwestlichen Abschlufs des das
Nordostende der Halbinsel bildenden vulkanischen Gebietes. Im Norden,
von der Dumoga in grofsem Bogen umströmt, erhebt sich ein mächtiger,
kühn geformter Gebirgskamm, welcher von den Eingeborenen als
Huntuk-Buludawa bezeichnet wird. Er stellt, wie wir schon ge-
sehen haben, ein aus Urgestein bestehendes Massiv dar, den nordöst-
lichen Vorposten des westwärts von der Dumoga beginnenden Urgestein-
gebietes. Den westlich emporsteigenden ausgedehnten Gebirgsstock
endlich, welchen wir das Bone-Gebirge nennen, werden wir auf
unserer zweiten Reise näher kennen lernen.
Die Dumoga wird sich von Duiuduo aus allem Anschein nach
noch weiter nordwestlich verfolgen lassen und wird alsdann in viele
kleine Adern zerfallen, welche zum Teil vom Buludawa-, zum Teil vom
Bone-Gebirge herabrinnen. Dieser Flufs strömt also aus einem von
drei mächtigen Gebirgsstöcken umgebenen Kessel hervor und ent-
wässert die nach der Senkung absturzenden Seitenflächen der Massive.
Dafs noch in jüngster geologischer Vergangenheit die Dumoga-Tiefenlinie
vom Meer bedeckt gewesen war, erscheint nach den vorhandenen An-
zeichen soviel als sicher.
Wir überschritten nun die zwischen der Dumoga und der Stid-
küste sich hinziehende Wasserscheide, welche als niederer Rücken das
Bone-Gebirge mit demjenigen von Mongondo verbindet, in kurzer Zeit,
worauf der Weg sich plötzlich jäh hinabsenkte, längs einem gefährlichen
Absturz, nach' der Schlucht des Malibagu-Flusses. Wir erreichten
denselben an einer Stelle, wo zwei w’ild herabrauschende Bäche iu-
sammenflossen. Wir fanden das Bett des Malibagu von einem äufserst
harten, weifsgrauen Granit gebildet.
Der bis jetzt zum Teil wenigstens vortreffliche Weg bekam wieder
ein schlechtes Ansehen. Die malayischen Pfade sind eben immer nur
der Ausdruck des Untergrundes. Stellt dieser ebenen Waldboden dar,
so erscheint auch der Pfad vortrefflich ; liegen indessen gefallene Bäume
im Wege, so geht es einfach über die Stämme weg; Bäche und Flüsse
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Reiseberichte aus Celebes.
377
werden durchwatet; in vielen Fällen, falls sie nicht zu tief sind und
gerade in der gewünschten Richtung verlaufen, dient die Wasserader
selbst als Pfad; Geröllblöcke werden überklettert. Ist der Strom tief,
so führt der Weg nur handbreit längs dem Uferabsturz hin, wie wir
an der Dumoga erfahren haben; kommt Morast, so geht es hindurch,
wenn der Sumpf nicht hüfttief sein sollte; desgleichen durch Tümpel
und gröfsere Wasserflächen. Ein Wegbau fehlt durchaus, der Pfad
geht gerade auf das Ziel los und umläuft blofs unüberwindliche
Hindernisse.
So wanderten wir nun abwärts, vielfach durch den Malibagu oder
auch in demselben, obgleich er mit schlüpfrigen Granitblöcken an
vielen Stellen ganz angefüllt erschien. Unter den Rollblöcken fielen
uns grofse Brocken eines weifsen, kalkartig aussehenden, geschichteten
Gesteins auf. In der Nähe des Flusses bemerkten wir eine warme
und rostrot gefärbte Quelle. Überschwemmungsspuren bewiesen uns,
dafs der Bach nach starkem Regen stromartig anschwellen kann.
Das Flufsthal erweiterte sich nun, und wir sahen uns plötzlich in
Kulturland versetzt, in eine breite und flache, von waldbedeckten
Höhenzügen umrahmte Ebene, auf welcher sich Kaffee vielfach ange-
pflanzt fand. Viele Häuser tauchten auf, umgeben von den bekannten
Nutzpflanzen. In dieser Ebene strömte der Flufs in einer, tief in
braune Schwemmerde eingeschnittenen Rinne. Im Dorf Malibagu
selbst angekommen, wurden wir von vielen Teilten erwartet, welche
vor dem Hanse des hier residierenden Djugugu von Bolang-Uki sich
versammelt hatten. Wir wurden darum angegangen, ihn aufzusuchen;
er selber könne uns nicht entgegenkommen, er sei krank. Wir fanden
einen älteren, kränklichen Mann, der uns freundlich für etwaiges Nötige
seine Unterstützung zusagte, uns übrigens zu verstehen gab, Lebens-
mittel seien keine aufzubringen, doch könne er uns Führer nach Go-
rontalo beschaffen.
Nach kurzem Besuch brachen wir wieder auf, um uns unmittelbar
nach der Küste zu wenden, da wir in dem Dorf selbst nicht über-
nachten mochten. Unterwegs machte sich ein junger, zudringlicher
Kerl an uns und verlangte, wir sollten auch dem Obmann des Dorfes,
em hier sogenannten Marsaoli, einen Besuch abstatten; wir ver-
weigerten dies indessen und wanderten nach der Küste weiter.
Das Dorf Malibagu gehört politisch zu dem kleinen, an der Nord-
küste zwischen Bolang-Mongondo und Bintauna gelegenen Reich
Bolang-Uki, von diesem durch die ganze Breite des von uns durch-
wanderten Armes abgetrennt. Der von uns besuchte Mann war, wie
erwähnt, der Djugugu von Bolang-Uki; der Radja selbst residiert an
der Nordküste in der Ortschaft gleichen Namens
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Paul und Fritz Sarasin:
Der Weg nach der Küste verwandelte sich in einen ausgedehnten,
mit Nipa-Palmen bestandenen Biiffelsumpf, indem er sich aus einer
langen Kette oft über knietiefer Kottümpe! zusammensetzte, bei deren
Durchwaten reichliches Sumpfgas herausprickelte. Es kam uns oft
unheimlich vor, so ohne weiteres in die Kotmasse hineinzutreten.
Stellenweise liefsen sich Spuren eines alten Dammes erkennen, welcher
einst Malibagu mit dem Meer verbunden haben mufste; doch lag er
völlig in Ruinen. Der Kot war über alle Beschreibung, und erst eine
Stunde angestrengten Wanderns durch die breite Sumpfebene des
Malibagu-Flufses brachte uns an die Küste.
Am Meer fanden wir eine Fischerhütte vor, welche ein Mann aus
Menado bewohnte, und zu unserer grofsen Freude lag in der Bucht
eine chinesische Frau unter holländischer Flagge. Rasch wurde der
Chinese herbeigeholt; er konnte uns Reis liefern, soviel wir brauchten
Auch verkaufte er uns ein gutes Auslegerboot für zwanzig Gulden.
Das Land bildet hier eine Bucht, im Hintergrund von Waldhöhen
umrahmt. Der Wald, durch welchen wir gekommen waren, bot einen
unendlich düsteren und ernsthaften Anblick.
[19. December.] Wir sahen uns genötigt, einen Tag hier zu
bleiben, da das eine unserer beiden Boote — wir hatten deren zwei
gekauft — mit Auslegern versehen werden mufste Ein solches Boot
oder, wie wie man es hier allgemein nennt, Blotto, besteht aus einem
Einbaum, stellt also ein sehr primitives Fahrzeug dar, das gleichwohl
auch öfters ohne Ausleger benutzt wird, in diesem Fall aber in sehr
unangenehmer Weise schaukelt.
Das Klima hier an der Küste fiel uns, im Gegensatz zu dem des
Innern, als trocken auf; wir behielten stets heiteren Himmel, auch
wenn das nahe Gebirge sich in dichte Regenwolken gehüllt zeigte.
Im umliegenden Buschwerk trieben sich Schwärme von Tauben
umher, ferner Papageien, Pirole und anderes Geflügel.
[20. December.] Schon früh vier Uhr standen wir auf, um die
Abreise zu betreiben. Um 4h 30“ hob sich ganz deutlich das Zo-
diakallicht vom östlichen Himmel ab. Es glänzte noch lebhafter,
als der helle Fleck der Milchstrafse im Centauren, in der Umgebung
des Kreuzes; sein Widerschein auf der Oberfläche des Meeres war
deutlich zu erkennen. Wir bemerkten das Zodiakallicht in Celebes hier
zum ersten Mal; es gehört dazu offenbar ein ganz reiner Horizont und
verhältnismäfsig trockene Luft. Um 5h erschien die erste Spur der Däm-
merung. Bald darauf setzten wir uns in Bewegung nach Westen zu.
Auf der See folgten uns die beiden Blottos, mit Gepäck und Invaliden
beladen.
Die Begehung des Strandes erschien für die nächste Zeit wohl
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Reiseberichte aus Celebes.
379
thunlich; nur zeigten sich schon jetzt eigentümliche Hindernisse. Eine
in grofser Zahl längs dem Ufer gedeihende, mächtige Baumart legt
ihre Stämme quer über den Strand hinweg und zwar in solcher Art,
dafs der wellenförmig gebogene Stamm an einer oder zwei, selten an
drei Stellen dem Boden aufruht, während er dazwischen thorartige,
aber niedrige Bogen bildet. Durch diese Thore mufste man hindurch-
kriechen, wenn der Stamm sich als zu unförmlich zum Überklettern erwies.
Eben hatten sich diese Bäume mit Blüten bedeckt, mit rispenartig zu-
sammengeordneten weifsen Röschen, geziert von goldenen Staubfäden;
auf dem rosa gefärbten Fruchtknoten sitzt ein weifser Griffel. Sie ver-
breiteten einen kräftigen und herrlichen Duft, der ein Gemisch zu sein
schien aus dem von Walderdbeeren, Nelken und Rebenblüten. Häufig
zeigte sich auch ein Baum mit grofsen, weifsen, trompetenförmigen
Blüten von gleichfalls köstlichem Duft. Die kräftige Lilie Crinum
wuchs in ganzen Reihen längs dem Strand. Zuweilen sahen wir grofse
Exemplare einer Myrmecodien-Art an langen Stielen von den Ästen
der Bäume herabhängen.
Bald gelangten wir nun in einen Hain von grofsen Rhizophoren-
Bäumen, in deren Schatten es sich zunächst ganz bequem wandern liefs;
denn noch hatte die Flut nicht ihren Boden unter Wasser gesetzt.
Aus dem Wurzelnetz dieser Rhizophoren-Bäume erheben sich, unzählig
über den Boden verteilt, senkrecht nach oben wachsende Sprossen, kegel-
förmige Holzzapfen darstellend, welche nur ausnahmsweise ein Büschel
von Blättern tragen. An einigen Stellen verbreitete sich ein Geruch
nach Schwefelwasserstoff, und der nasse Boden fand sich daselbst weifs
beschlagen.
Von der Tierwelt fielen hier wie überall als besonders häufig Nas-
hornvögel auf; einer, welcher frei auf einem dürren Ast in der Sonne
safs, keuchte mit weit geöffnetem Schnabel, ähnlich wie dies bei
uns die Krähen und Hühner in der Hitze zu thun pflegen. Im Wasser
nahe der Küste sahen wir von Stelle zu Stelle einsam einen grofsen
Reiher stehen. In einem Rhizophoren-Sumpf schwamm ein Krokodil
nach dem Meer zu; wir sahen seine Schnauzenspitze aus dem Wasser
ragen. In der Bucht nahe dem Ufer spielte eine Herde Delphine.
Eine Scink-Art huschte häufig über die Legebäume des Strandes.
Öfters kamen wir an Fischerhütten vorüber, und am Flufs Dumi-
nanga breitete sich ein sorgfältig gehaltener Fleck von Kulturland mit
bewohnten Häusern aus. Solche Kulturflecke, welche längs der ganzen
Küste zerstreut angetroffen werden, stehen untereinander nicht durch
Wege in Verbindung; das einzige Verkehrsmittel bildet vielmehr das
Blotto. Wir erfrischten uns an dem hier wachsenden saftreichen
Zuckerrohr.
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Paul und Fritz S a r a s i n :
Die Schwierigkeit des Weiterwanderns wuchs nun ungemein, als
die Flut sich heranwälzte. Der Boden der Rhizophoren-Haine wurde
rasch zu knietiefem Sumpf, in welchem wir wegen der Trübe des
Wassers die einzelnen „Wurzelspargeln“ nicht sehen konnten. Es war
eine mühselige Arbeit, dieses Durchtasten mit den Füfsen durch den
braunen Sumpf, über die Wurzeln und Steinblöke, wobei das Wasser
oft weit über die Kniee reichte. Zugleich peinigten uns Schwärme
kleiner angriffswütiger Moskitos. Um endlich aus dem Sumpf heraus
zukommen, wandten wir uns landeinwärts den waldbedeckten Hügeln zu
und arbeiteten uns mit den Messern durch das Holz weiter. Nach
stundenlangem Durchhauen wandten wir uns wieder nach dem Rhizo-
phoren-Gürtel zurück und machten, da wir uns sehr ermüdet fühlten,
innerhalb derselben auf einer aus dem Wasser ragenden Stelle Halt.
Unterdessen waren unsere Frauen weit an einen Trinkwasserort
vorausgeeilt, während wir in unseren Sümpfen aufgehalten worden
waren. Wir schickten daher einen unserer Führer hin, um sie herbei-
zuholen; dieser brauchte zwei Stunden, um sich hindurchzuarbeiten,
und kam erst nach drei Stunden mit den Blottos zurück. Wir hatten
unterdessen am Fufs zweier gewaltiger, ganz dürrer Bäume die Hütte
errichten lassen. Ein Träger machte uns auf die Gefahr aufmerksam,
dafs vielleicht einer stürzen könnte; doch vertrauten wir darauf, dafs
während der Nacht kein schwerer Wind eintreten werde, und fielen
bald in festen Schlaf.
[21. December.] Früh wurden die Blottos unter grofsem Lira
ins Meer gezogen, da sie bei der Flut weit in den Rhizophoren-
Hain batten gerudert werden können, und wir selbst «'änderten den
jetzt wieder gangbaren Strand entlang weiter. Glänzend gefärbte
Schmetterlinge fielen uns auf, besonders ein purpurner Schillerfalter,
weiter ein Papilio mit grünen Ober- und weifsen Unterflügeln, dann
sammtschwarze Arten mit blauschimmernden Flecken.
Weiter folgte ein mit schweren Blöcken bedeckter Strand, längs
welchem das Meer sich durch reichen Reichtum an Seetieren aus-
zeichnete. An den Blöcken selbst haftete eine Onchidium-Ml. Von
neuem belustigte uns nahe dem Ufer eine Schar Delphine.
In der Ferne im Süden erkannten wir die Halbinsel Bualemo:
westlich vor uns erhob sich der kühn geschnittene Gebirgskamm Sinan-
daka, in blauer Farbe strahlend. Er schiebt eine grofse Wurzel weit
nach der See hin vor, an welcher angekommen wir blätterartig ge-
schichtete Gneifsblöcke anstehen sahen. Es tauchte uns hier schon
die Vermutung auf, dafs alle die hier mit ihren Ausläufern bis an den
Strand tretenden Bergzüge die Wurzeläste eines sehr mächtigen Massivs
darstellen könnten, des später von uns bereisten Bone-Gebirgcs. Die
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Reisebciiclite aus Celebes.
3H1
vom Gebirge herabströmemJen Bäche führten alle ein herrlich kühles
Trinkwasser. Meist war ihre Einmündung von Guirlanden der sonst
hier am Strand fehlenden Ipomoea biloba geziert.
Als die heranrauschende Flut die Rhizophoren-SUmpfe zu füllen
begann, winkten wir die uns stets in der Ferne begleitenden Prauen
heran und ruderten nun längs dem Strand hin über Korallenriffe. Den
Hauptbestand des Korallenlebens machten Alcyonien oder Fleisch-
korallen aus, welche in mehreren Fällen sehr bedeutende Gröfse er-
reichten. Recht gemein waren Schwärme kleiner Fische, welche bei
schräg auffallender Bestrahlung rein himmelblau, bei senkrecht auf-
fallender smaragdgrün erschien. Das Wasser über dem Korallenriff
glich völlig hellgrünem Flaschenglas; aufserhalb des Riffes nahm es
mit einem Mal tiefblaue Farbe an, wie ein Bergsee. Hier stürzten also
die bis dahin seichten und sehr wenig seewärts geneigten Riffe plötz-
lich in die Tiefe ab. Schon von weitem liefs sich diese Absturzlinie
am blendend weifsen Schaum der Brecher erkennen.
Am Strand zogen sich die Rhizophoren-Haine hin, in Folge ihres
nicht sehr dichten Laubes einigermafsen an Schwarzpappel-Bestände
erinnernd. Landeinwärts erhob sich das mächtige Gebirge Pangea,
die höheren Kämme in Wolken gehüllt.
Unser stark mit Reissäcken überladenes Blotto fing jetzt unange-
nehm zu schwanken an, da Seegang sich fühlbar machte. Wir waren
deshalb froh, als wir in Negeri lama anlangten, einer kleinen, sehr
unreinlich gehaltenen Ansiedelung an der Mündung des Flusses Totoija
gelegen. Die Hütten wimmelten hier von Ameisen, Schaben und Wan-
zen. Auch machte sich hier grofse Hitze und Trockenheit fühlbar.
Der umgebende Wald zeigte sich von kleinerem Wild, wie Affen,
Nashornvögeln und Tauben, reichlich belebt. Ein von uns geschossener
Affe wurde von unseren Leuten ausgeweidet und darauf als Ganzes
über dem Feuer geröstet. Als der Pelz abgesengt war, wurde der
nackte Rumpf noch lange Zeit über dem Feuer gedreht, alsdann ge-
waschen und eingesalzen; das nun harte Fleisch wurde hierauf in Stücke
zerschnitten, um mit dem Reis gemischt verzehrt zu werden.
[22. December.J Wir mieteten hier noch eine dritte Prau und
gingen gleich in See, weil für die nächste Zeit der Strand nicht be-
gangen werden konnte. Wir bemerkten im Laufe der F’ahrt an einer
Stelle des Ufers die von der Brandung zerfressenen Kalkbänke eines
gehobenen Korallenriffes.
An einer sehr unwirtlichen Stelle des mit Rhizophoren bedeckten
Strandes machten wir halt, um die Hütte aufzuschlagen. Ein arabischer
Kaufmann übernachtete gleichfalls daselbst mit seiner Familie; er ver-
frachtete von Gorontalo her Reis und Petroleum nach den verschiedenen
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Paul und Fritz Sarasin:
Küstenorten. Es quäiten uns hier viele Moskitos, und der ganze
Rhizophoren-Sumpf roch wie ein Abort.
[23. December.j Obschon wir mehrmals, auch schon an der Nord-
küste, das Vorhandensein von über der Strandlinie befindlichen, soge-
nannten Korallenriffen konstatieren konnten, woraus auf eine negative
Strandverschiebung in jüngster geologischer Vergangenheit geschlossen
werden darf, so haben wir doch die Existenz negativer Strandverschiebung
in der Gegenwart an unserer Küste nicht feststellen können; vielmehr
machten wir wiederholt die Beobachtung, dafs die Brandungswelle in
den Fufs des anstehenden Gesteines sich hineinarbeitete, tiefe Höhlungen
in demselben auswühlend. Gewölbeartig hängen oft die Felsköpfe über.
In den gehobenen Korallenriffen haben sich an vielen Stellen niedrige
Grotten gebildet, wobei wir mehrmals bemerken konnten, wie die ein-
schlagende, die Grottenöffnung völlig ausfüllende YY'elle die im Innern
befindliche Luft komprimierte, so dafs diese oben mit Gewalt heraus-
trat, einen zerstäubten YY'asserstrahl weit hervorschiefeend. Salanganen
schwebten um die Grotten. YVir haben also ächte Abrasion vor uns,
welche entweder auf stationären Zustand des Meeresspiegels hindeutet
oder auf neuerdings eingetretene positive Strandverschiebung. YVir
beobachteten dieselbe Abrasion an jenem schon erwähnten gehobenen
Riff der Nordküste, wie auch an den Felsen des Kap Flesko, weiter
östlich an der Südküste und an den Basalt- und Tuffinseln des Strandes
von Kema.
YVir ruderten weiter Uber ein Korallenriff, welches von Tieren wie
ein Aquarium sich angefüllt zeigte. Buntest gefärbte Fische schwebten
w'ie Schmetterlinge darüber hin. Beim Ort Taludaa, welcher die Grenze
des Distrikts Gorontalo bezeichnet, gingen wir an Land. Auf den
nahen YValdhügeln ruhten, höchstens hundert Meter Uber dem Seespiegel,
schwere Nebel. Es findet sich hier eine ziemlich grofse Ansiedelung
mit weit ausgebreiteter Bodenkultur. YVir schritten auf gutem, durch
die Baumgärten führenden YY'eg weiter, bis die herannahende Nacht
uns nötigte, an einem Bach halt zu machen. YVährend die Hütte ge-
baut wurde, gelang es uns, einen vollgewachsenen männlichen Babirusa
zu erlegen, während derselbe in einem nahen Kokoshain ahnungslos
umherspazierte. Diese Beute kam uns selbst ebenso willkommen, als
unseren Leuten; denn sie lieferte uns mit einem Mal Überflufs an vor-
trefflichem Fleisch. Geröstet und mit Reis gemischt genossen, möchten
wir Babirusa für das schmackhafteste YVild halten, welches wir bis
jetzt zu kosten Gelegenheit fanden. Da unser Schütze aufserdem drei
grofse Tauben ( Carpophaga paulina, Temm.) erlegte, freuten sich unsere
Leute, und allenthalben tönte es uns entgegen : „Makanan btsar, ttruan,
Makanan btsar (Gross Essen Herr !)‘‘
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Reiseberichte aus Celebes.
383
Die Babirusas sollen sich zuweilen unterhalb der hier zertreut
liegenden Pfahlhäuser herumtreiben, denn sie werden von den hier
mohammedanischen Eingeborenen unbehelligt gelassen.
[24. December.’ Wir wanderten längs dem Strand weiter, über-
schritten zwei gehobene Riffe und gelangten an den Flufs Tombolilato.
Als wir uns hier kurze Zeit ausruhten, kamen die Würdenträger des nahen
Dorfes heran, um sich uns vorzustellen. Nicht wenig überraschte
uns ihr Anblick; denn der erste Repräsentant der Regierung erschien
in auserwählter europäischer Kleidung, trug Rock, Weste und Bein-
kleider, aus dunkeim Stoff; eine Seidenbinde umschlofs den tadellos
weifsen Hemdkragen, Manschetten fehlten nicht, und die Ftifse steckten
in Strümpfen und Lackstiefeln; ein rotes Barett krönte das Ganze.
Sein Begleiter trug eine gestickte, dunkle Uniform; beiden folgte ein
Diener in blauer Jacke, roter Leibbinde und weifsen Beinkleidern, also
in holländische Trikolore gewickelt.
Um den nun folgenden geisttödtenden Bitjara ein Ende zu bereiten,
begaben wir uns rascher, als wir vorgehabt hatten, wieder auf den
Weg. Es waren zunächst mehrere gehobene Korallenriffe zu über-
schreiten , welche sich in der Sonne gewaltig erhitzten ; alle unsere
Leute; die Träger sowohl, wie die ledig Gehenden, beklagten sich über
die grofse Wärme. Als wir in einen Baumgarten gelangten, welcher
ausschliefslich aus Papaja-Bäumen bestand, machten wir uns, nach Ver-
abredung mit dem Besitzer, an die reifen, köstlich erfrischenden Früchte;
wir afsen jeder, so viel er mochte, und fühlten uns bei dem starken
Durst, den wir empfunden hatten, sehr erquickt. Als wir hernach dem
Besitzer einen Gulden einhändigten, fragte er erstaunt, ob er ihn be-
halten dürfe, und zeigte sich sehr erfreut, als wir es bejahten.
[25. December.] Im Weiterschreiten sahen wir uns unausgesetzt
genötigt, kleine Felsrücken, welche einer nach dem andern in die See
vorsprangen, sogenannte Tandjongs, zu überklettern. Zwischen je
zweien bildete das Meer eine kleine Bucht, deren Ufer weifser loser
Sand deckte. Kulturland fehlte hier; es verbreitete sich ein niederer
Buschwald über die Felsen mit vielen Dracaenen und Cycadeen. Die
Übergänge über die Felsvorsprünge waren zuweilen gefährlich, indem die-
selben jäh nach der See zu abfielen. Wo in einer Bucht ein Flufs
einmiindete, zeigte sich der Strand mit grobem Geschiebe dicht über-
sät. Dann folgte wieder ein wild zerrissenes Korallenriff, dessen Über-
steigung wegen der mächtigen Erhitzung des Gesteins viel Mühselig-
keit bereitete. So überkletterten wir nach einander ungefähr fünfzehn
Felsvorspriinge und Korallenriffe.
Um nun weiter folgende und noch höher aufstrebende Fcls-
vorsprünge zu umgehen, wandten sich unsere Führer, einem Bachbett
Zcitschr. d. Ge*ell«ch. f Eriik Bd. XXIX. 26
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Paul und Fritz Sarasin:
nachgeliencl, landeinwärts. Ein alter, längst nicht mehr begangener Weg,
der oft ausgeschlagen werden mufste, führte in das nahe Gebirge hin-
auf und erstieg einen etwa 200 m hohen Bergkamm. Dieser bildete einen
Teil der Umgrenzung eines grofsen Kessels, welcher sich mit einem
verhältnismäfsig engen Ausgang öffnete. Inmitten der Kesselsenkung
erhoben sich einige kegelförmig zugespitzte Einzelhügel, deren einige
von einem Häuschen oder einer kleinen Hütte gekrönt erschienen. Das
Innere des geräumigen Kessels bedeckte eine reiche und sorgfältig
gehaltene Maiskultur. Wir richteten uns für die kommende Nacht in
einem Maishäuschen ein, welches auf der Spitze eines der kegelförmigen
Hügel inmitten des grofsartigen Bergcirkus errichtet stand. Durch die
Lücke des letztem erblickten wir die hellschimmernde Fläche des
Meeres.
[26. Dezember.] Wir überstiegen den vor uns liegenden Kesselrand
und wandten uns, nachdem dies geschehen war, wieder der Küste zu.
Wir folgten derselben, alle Hindernisse mit mehr oder weniger Be-
schwerde überwindend. Eine ganze Reihe von Felsvorsprüngen mufste
noch genommen werden, auch ein sehr mächtiges, gehobenes Korallen-
riff, aus welchem die Korallenstöcke als Ganzes herauswitterten. End-
lich eröffnete sich uns der Ausblick auf die weite Bucht von Gorontalo,
deren gegenüberliegende Bergküste in süditalienischer Farbenpracht
strahlte; man hätte glauben können, den Felsrand von Sorrent oder
Amalft aus der Ferne zu erblicken.
Eine merkwürdige Erscheinung nahmen wir hier an den nur wenig
aus dem Wasser herausragenden, gehobenen Korallenriffen des Strandes
wahr; dieselben zeigten sich derart erodiert, dafs tischartige Blöcke,
im Aussehen an die Gletschertische erinnernd, stehen geblieben waren
und zwar bildeten dieselben eine sich weit hinziehende, dem Ufer ent-
lang laufende Reihe. Somit trat uns auch hier ein deutliches Merkmal
gegenwärtig stattfindender Abrasion entgegen.
Der granitene Gebirgszug der Küste zeichnete sich durch eine
grofse Anzahl fast zuckerhutartig spitzer, hoher Kegel aus.
An dieser Stelle kamen die Bewohner eines nahen Dorfes in grofser
Zahl zu uns heran, indem sie uns mit Hurrahrufen begrüfsten; sie er-
kundigten sich mit grofser Spannung nach unserer Herreise.
Von jetzt ab hatten wir noch einen sich weit hinziehenden, mit
weichem Sand oder Kies bedeckten Strand von blendender Weifse zu
überwinden, wobei sich die Hitze stets drückender fühlbar machte.
Plötzlich, als wir um eine letzte Ecke bogen, glänzte uns der Leuchtturm
von I.iato, dem Vorort von Gorontalo, zu unserer Freude entgegen.
Unsere Überlandreise von Menado nach Gorontalo hatte, ein-
schliefslich aller durch das Beschaffen von Nahrungsmitteln nötig ge-
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Reiseberichte aus Celebes.
385
wordener Verzögerungen, sicbenunddreifsig Tage in Anspruch ge-
nommen.
II. Erforschung des Bone-FluBses.
Da unser ursprüngliches Vorhaben, von Duluduo aus geradenwegs
westlich nach Gorpntalo vorzudringen, vereitelt worden war, trafen wir
nunmehr die nötigen Vorbereitungen, um von Gorontalo aus, ostwärts
dem Laufe des Bone-Flusses folgend, nach Duluduo zu gelangen, und
dachten, nachdem wir dieses glücklich erreicht hätten, von neuem bei
Malibagu die Küste aufzusuchen, um von dort mittelst hingesandter
Prauen nach Kema, unserem Aufenthaltsort in der Minahassa, zurück-
zureisen. Wir trafen deshalb mit einem eingeborenen Seemann eine
Verabredung, wonach derselbe zwei mit Lebensmitteln versehene Prauen
nach Malibagu bringen und daselbst auf uns warten sollte. Nachdem
dies erledigt war, beschäftigten wir uns mit der Anwerbung neuer
Träger, da zu unserem Bedauern unser Mandur mit seinen Minahassern
sich nicht geneigt fand, auch die zweite Überlandreise zu unternehmen;
sie wünschten das bevorstehende Neujahrsfest in Menado zu feiern.
Hinsichtlich der anzuwerbenden Träger galt es in erster Linie, die
Zahl derselben ins Auge zu fassen; denn, fufsend auf den uns während
der ersten Reise gewordenen Erfahrungen, konnten wir nicht darauf
rechnen, im Innern des von uns zu durchziehenden Landes Lebens-
mittel aufnehmen zu können. Somit setzten wir vorerst die Anzahl
der Tage fest, welche die Reise im äufsersten Fall nach unserer Schätzung
in Anspruch nehmen konnte. Alsdann wurde die Anzahl derjenigen
Leute bestimmt, welche unser Gepäck tragen sollten und endlich aus-
gerechnet, wie viele Reisträger zum Unterhalt dieser Leute notwendig
seien. Dazu mufsten folgende Umstände in Rechnung gebracht wer-
den: Wie wir erfuhren, verzehrt ein Mann in einem Tag ein Katti
Reis (=o,6 kg); ein Träger ferner ist blofs im Stande, 28 Katti zu
befördern, ifst also in 28 Tagen selbst seine ganze Last auf.
Daraus ging zunächst hervor, dafs bei den gegebenen Zahlen schon
eine Reise von 28 Tagen nicht mehr ausgeführt werden kann, falls
nicht unterwegs Lebensmittel zu gewinnen sind, und darauf durften
wir, wie erwähnt, bei unserer bevorstehenden Reise nicht rechnen.
F'olgende Tabelle war demnach in Betracht zu ziehen:
1 Träger liefert in 28 Tagen o Katti Reis
1» » » 27 » I 7> »
ln » * 26 n 2 n »
U. S. W.
I» »»2» 26»»
I» »»[»27»»
2fi*
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386
Paul und Fritz Sarasin:
An unserer Reise nahmen im ganzen 23 nicht Reis tragende Leute
teil; diese verzehren in einem Tag ebenso viele Katti; ein Reisträger
liefert in einem Tag 27 Katti, da er ja eines von seinen Katti selbst
ifst; die 23 nicht Reis tragenden Leute brauchen also in einem Tag
21
oder 0,8 Reisträger.
In zwei Tagen verzehren sie 46 Katti; ein Reisträger liefert in
zwei Tagen 26 Katti; in zwei Tagen brauchen 23 nicht Reis tragende
Leute also ^ oder 1,7 Reisträger.
Auf diese Weise weiterrechnend, kanten wir zu folgender Tabelle:
23
Nicht-Reisträger
brauchen
in
1
Tag
0,8 Reisträger
23
P
»
P
»
2
»
'.7
23
»
P
»
»
3
P
2,7 »
23
»
»
»
»
4
»
3,8
23
»
P
»
»
5
P
5
23
P
»
»
»
6
»
6,3 »
23
P
»
»
»
7
»
7,7 »
23
»
»
P
p
8
P
9,2 »
u. s. w.
Etwa vom
Tag 20 an
steigern
sich
die
Zahlen bedeutend
21 Tagen braucht es bei den gegebenen Voraussetzungen bereits
69 Träger, in 23 Tagen 106, in 25 Tagen 191, in 26 Tagen 299, in
27 Tagen 621, in 28 Tagen unendlich viele.
Es läfst sich aus den so gefundenen Zahlen eine Kurve kon-
struieren, welche sich als Parabel kundgiebt, und deren Form sich
selbstverständlich je nach den Voraussetzungen ändert; wir könnten
sie die Konsumparabel nennen.
Von den 23 nicht Reis tragenden Leuten bestanden zwei aus uns
seihst, zwei aus den Führern, drei aus Koch, Schütze und Ausstopfer;
die übrigen 16 trugen unser Gepäck (Sammlungskisten, Munition, Kleider
und Decken, Lebensmittel).
Bei der nun folgenden Beschaffung von Führern und Trägern sind
wir Herrn Assistent-Residenten Wesley zu bestem Dank verpflichtet,
welcher sich keine Mühe, die nötigen Vorbereitungen zu beschleunigen,
verdriefsen liefs; denn da die Mehrzahl der Eingeborenen Gorontalos
von der Bindung eines eingegangenen Kontraktes keine klare Vor-
stellung besitzen, so ist behufs Zusammenbringung einer gröfseren An-
zahl von Trägern zu einer bestimmten Stunde ohne die nachdrückliche
Mithilfe der Autorität der Regierung zu keinem Resultat zu gelangen.
Obwohl dieselbe in vollem Mafs uns gewährt wurde, haben wir uns
doch an dem zum Abmarsch bestimmten Tage durch das Ausbleiben
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Reiseberichte aus Celebes.
387
von fünf Trägern so lange aufgehalten, dafe sich erst um 1 1 Uhr der
Abmarsch antreten liefs.
Den bis zum vier kleine Tagemärsche entfernten Ort Tinogo nöti-
gen Reis liefsen wir, da bis dorthin ein Reitweg führte, durch acht
Pferde transportieren. Von dort an rechneten wir für unsere Reise
noch 16 Tage und nahmen daher zum Unterhalt der keine Lebens-
mittel tragenden 23 Leuten 30 reisbeladene Kulis mit.
[1894, 6. Januar.] Für die ersten Meilen von Gorontalo an ost-
wärts fanden wir ein gutes Sträfschen vor, welches durch die sumpfige,
mit Hochgras bedeckte Ebene des Bone-Flusses gelegt war. Die Berg-
züge der nächsten Umgebung zeigten sich bis an die Grate hinauf an-
gebaut, verloren sich aber weiter östlich in hohe, waldbedeckte Rücken.
[7. Januar.] Das Thal des Bone-Flusses liefs längere Zeit
eine nur sehr geringe Steigung erkennen. Doch dauerte es nicht sehr
lange, bis wir an eine Stelle kamen, wo es sich plötzlich verengte und
mit dichtem Wald bedeckte. Der Flufs mufste zweimal überschritten
werden, was mit Hilfe von bereitliegenden, sehr schwachen Bambus-
flöfsen erfolgte. Die Pferde schwammen hinüber, indem man sie vom
Flofs aus nachzog. Von Stelle zu Stelle verengte sich das Flufethal
zu einer dunklen Schlucht, durch welche der Bone tosend hinab-
rauschte. An solchen Orten verliefs der Weg den Flufs und leitete im
Bogen über die nahen Waldhügel.
[8. Januar.] Auf dem Weg kam uns ein Heerwurm zur Beob-
achtung; die ihn zusammensetzenden Maden bildeten einen Zug von
etwa 30 m Länge und 0,5 m Breite, welcher sich in einer Minute
drei Centimeter weit wegabwärts bewegte. Als wir den Zug zerstreuten,
sammelten sich die Maden zu runden Häufchen an.
Die grün gefärbte Giftschlange, Trimeresurus Wagleri, scheint im Thal
des Bone häufig vorzukommen; wir bekamen mehrere Exemplare kurz
nach einander, auch fanden sich in den feuchten Wäldern Schnecken
(besonders Aan/nu-Arten) zahlreich.
Der Weg verliefs den Flufs und führte über einen Höhenzug von
380 m. Das Gestein bestand aus demselben weifsgrauen Granit, welcher
auch die Felsenhügel von Gorontalo bildet. In. der Höhe von 180 m
erreichten wir den Flufs wieder.
[9. Januar.] Wir gelangten nach Zurücklegung einer sehr kotigen
Wegstrecke nach Pinogo, dem östlichsten Posten der Resident-
schaft Gorontalo. Hier brachten wir alle unsere Vorräte in neue
Ordnung, und die Pferde wurden entlassen. Pinogo, 240 m hoch ge-
legen, ist der Hauptort einer gröfseren, mit Kulturpflanzungen be-
deckten Hochebene mit Namen Bawangio.
[10. Januar.] Wir brachen so früh auf, als die Dunkelheit es
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388 Paul und Fritx Sarasin:
zuliefs; das Wetter sah regnerisch aus, der Himmel bleigrau. Noch
eine ziemlich grofse Strecke dehnte sich ostwärts auf der Bawangio-
Ebene Kulturland aus, und soweit dieses reichte, fanden wir guten Weg.
Höchst ungern mufsten wir unterwegs den einen unserer Ftihrer,
welcher an Fieber schwer erkrankt war, umkehren lassen.
Wir gelangten von neuem an den Bone und wurden mit Bambus*
flössen Uber den immer noch starken Flufs gesetzt, was zwei Stunden
in Anspruch nahm. An dieser Stelle vereinigte sich mit dem Bone ein
starker Zuflufs, der Monoti.
Der Weg blieb noch eben und ziemlich leicht gangbar, bis wir den
Ort erreichten, wo die reifsende Bulawa in den Bone sich ergiefst.
Von hier an konnte der Bone ohne grofse Mühe durchwatet werden;
wir durchschritten ihn zweimal. Ein Rudel von vier Wildschweinen
sahen wir ebenfalls den Bone passieren. In einem rings von Urwald
umgebenen Baumgarten schlugen wir die Hütte auf.
[n. Januar.] Unausgesetzt folgten wir dem Lauf des Bone,
und da ein deutlicher Weg bald aufhörte, wurde das Flufsbett von
jetzt an als solcher benutzt. An einer Stelle im sandigen Ufer, welche
mit Bambusgebüsch bewachsen war, stiefsen wir auf eine grofse Anzahl
von Gruben, welche Maleo-Hiihner ausgewühlt hatten, um ihre Eier
darin abzulegen. Unsere Leute suchten nach, und wir gewannen zu
unserem Vergnügen vier frisch gelegte Eier.
In demselben Bambusgebüsch, gerade an der Stelle, wo die vielen
Maleo-Gruben, wie Wolfsgruben nebeneinander, ausgescharrt waren, be-
fand sich ein warmer Sprudel, welcher aus der Spitze eines runden,
ockergelb gefärbten Erdhaufens von ungefähr i m Höhe, nach Art eines
winzigen Geysirs, hervorquoll. Die runde kraterartige Öffnung zeigte
etwa zo cm Durchmesser. Die Temperatur des Wassers mochte gegen
6o° C. betragen; dasselbe schmeckte ähnlich wie Fleischbrühe mit
leicht adstringierendem Beigeschmack.
Der Umstand, dafs hier im Gebirge, wo die Temperatur, besonders
im Wald, sich im ganzen niedrig hält, Maleo-Eier einfach in die Erde
gelegt zur Entwickelung gelangen, machte uns hier schon stutzig und
liefs uns einen Zusammenhang in der Anlage dieser Gruben mit der
warmen Quelle vermuten. Wir werden auf diesen Punkt unten noch
einmal zurückkommen.
Weiter kletterten wir im Bett des Bone über die eisglatten Roll-
blöcke aufwärts und bewegten uns nur sehr langsam von der Stelle.
Wir kamen an zwei zerfallenen Schutzdächern vorüber, welche ursprüng-
lich von Dammar-Suchern errichtet worden waren.
Ein grofser, prächtig gefärbter Python schwamm durch den Flufc;
die starke Strömung wälzte seinen bunten Leib.
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Reiseberichte aus Celebes.
389
Das Weiterdringen wurde immer schwieriger; wo nicht im Flufs
gewandert werden konnte, mufste durch das Dickicht der Weg ge-
hauen werden. Mit einem Mal verlor sich der Flufs in einen von senk-
rechten Felsen gebildeten, engen Canon, aus dessen finsterem Hinter-
grund das Rauschen eines Wasserfalles hervortönte; auch erhob sich
aus jener verborgenen Stelle eine weifse Wolke zerstäubten Wassers.
Nibong-Palmen von gewaltiger Höhe standen in Gruppen am Eingang
der Klamm.
Es blieb uns nichts anderes übrig, als die Schlucht zu umgehen,
und, beständig Weg hauend, kletterten wir über den waldbedeckten
F'elsriicken, in welchen der Flufs den Canon eingewühlt hatte. Einen
jener interessanten zwergartigen Wildochsen von Celebes ( Anoa </epressi-
cornis), welche Sapiutan (Waldochse) von den Eingeborenen genannt
werden, sahen wir aufgeschreckt rasch durch das Gebüsch rennen.
Die Gonone setzten uns hier stark zu. Als wir wieder an den Flufs
hinabgestiegen waren und das Lager am Ufer in einer Höhe von 500 m
aufschlugen, zog sich unser Führer, ein früherer Dammar-Sucher von
etwas wilden Gewohnheiten, nackt aus, lief in den rauschenden Flufs
und rieb sich seinen Rücken an einem vom Wasser überströmten Fels-
block, um die Gonone loszuwerden.
Vor uns im Osten sahen wir einige hohe Berggipfel aufsteigen,
nach welchen die Richtung des Bone hinführte.
[13. Januar.] Rasch erhob sich nun das Thal, und schon nach
kurzer Zeit hatten wir eine Erhebung von 600 m zu verzeichnen.
Der Bone hatte sich bereits zum Bach verkleinert, nachdem wir einen
seiner Zuflüsse nach dem anderen überschritten hatten. Der felsige Bach-
boden zeigte sich zuweilen kanalartig ausgespült; hin und wieder hatten
sich grubenartige Kessel gebildet. Unausgesetzt bereiteten, wenn wir
den Bach verlassen mufsten und im Wald weiterdrangen, tauartige
Rotang-Stämmchen den Füfsen Fallstricke. Auch begannen Land-
blutegel sich in unangenehmer Weise bemerklich zu machen.
Infolge des fast unausgesetzten Watens im Wasser fing die Ober-
haut an unseren Fufssohlen an, sich abzulösen; diese brannten daher
empfindlich, ein für die Weiterwanderung äufserst bedenklicher Umstand.
Wir beschlossen deshalb, einen Ruhetag einzuschalten.
[14. Januar.) Wir befanden uns in einer tiefen Waldschlucht;
die aufserordentliche Feuchtigkeit erzeugte eine gewaltige Vegetation.
Die Minimaltemperatur über Nacht betrug 19° C.
Sehr auffallend erschien uns die grofse Anzahl von Gespenst-
heuschrecken, welche hier das Laub bewohnten; jede Form ahmte in
immer neu überraschenderweise die Eigentümlichkeiten der Vegetation
nach. Schnecken und Land-Plannrien fanden sich zahlreich, auch noch
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3i»0
Paul und Fritz. Sarasin:
andere wirbellose Tiere von Interesse. So trafen wir hier besonders
häufig eine sehr merkwürdige Opilioniden-Form an, wahrscheinlich eine
Art der Gattung Dino, deren Palpen durch verhältnismäfsig starke
Klauen sich auszeichnen. Wir beobachteten, wie ein Exemplar ihre
Fühlerdolche einer kleinen Mantis wiederholt in den Hinterleib stiefs,
worauf Tod oder doch starke todähnliche Lähmung des Insektes er-
folgte. Es dürfte also in der bandartigen Verbreiterung des Palpen-
endes des Opilioniden eine Giftdrüse verborgen liegen, deren Absonde-
rung durch die Endklaue hervorgespritzt werden kann. Wir bemerkten
auch, wie das Tier mit den im Verhätnis zu anderen Opilioniden sehr
grofsen Mundscheren sich die Mundöffnung von anhaftenden Fremd-
stoffen reinigte.
In der nun folgenden Nacht liefs sich mehrmals in der Um-
gebung unseres Lagers ein seltsam verdächtiges Geräusch vernehmen.
Wir liefsen dies zunächst gut sein und schliefen ein. Um ein Uhr
aber wurden wir durch unsere Leute aufgeweckt, welche in Begleitung
des Führers herankamen und der Befürchtung Ausdruck gaben, es
hätten sich gefährliche Menschen {prang djahat) herbeigemacht; es
seien Dammar-Sucher hier im Wald herum; gestern noch habe der
Führer zwei gesehen; vielleicht sei uns solches Raubgesindel nachge-
zogen. Wir gaben auf den Wunsch des Führers vier Schüsse in die
Luft ab, welche schauerlich durch die finstere Nacht dröhnten. Darauf-
hin wurde kein Geräusch mehr vernommen. Der ruhige Schlaf war
aber doch gestört; unsere Träger blieben unruhig, und der Gedanke,
in dunkler Nacht von Räubern überfallen zu werden, regte auf. In-
dessen stellte es sich den anderen Tag heraus, dafs es ein blinder
Lärm gewesen war, ja die Sache lief ins Komische aus, als wir früh
nachsahen, und an den Fährten bemerkten, dafs eine kleine Herde
Sapiutans, welche um unser Lager sich herumgetrieben hatte, die un-
schuldige Ursache des Aufruhrs gewesen war.
(15. Januar.] Minimaltemperatur während der vergangenen klaren
Nacht 18° C.
Wir folgten dem Bonc weiter und gelangten bald an eine Spaltung
desselben in zwei Bäche, von denen der eine, gröfsere, vom Führer
mit dem Namen Suawa belegt wurde. Gleich darauf verliefsen wir den
Bone und erstiegen einen hohen Rücken, welcher längere Zeit als Grat
ostwärts sich fortsetzte. Das Weiterkommen ging hier oben ziemlich
gut von statten, denn es trat wenig Unterholz hemmend entgegen, und
oft hatten wir für gröfsere Strecken den Vorteil, Wildochsen - Wege
benutzen zu können, indem die Anoa gern den pfadartig ebenen Unter-
grund der Berggrate als Weg und als Aufenthalt zu benutzen scheint
Hier, in dem von uns durchzogenen gewaltigen Bergwald, herrschen
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Keiscbetichtc aus Celebes.
391
diese Tiere unumschränkt, wie zahllose Fährten uns kundthaten; am
Kufe eines Baumes fanden wir eine Stelle ganz und gar zerstampft,
wie einen Stallboden, wir überschritten offenbar den Lagerplatz einer
Herde. Es dauerte auch nicht lange, so schreckten wir eine Herde
dieser Zwergochsen auf, w'elche unser Herannahen nicht gewahr ge-
worden war. Überrascht rannten sie wild kreuz und quer im Gebüsch
umher, uns in einigermafsen unsicheren Zustand versetzend; wir be-
kamen des an dieser Stelle dichten Unterholzes wegen nur ein einziges
Tier rasch zu Gesicht, wie es an uns vorübersauste. Die er-
schreckten Tiere blökten auf eine schnarrende, fast meckernde Art.
Sehr wild und scheu, suchte die Herde sofort das Weite.
Auf den Berggraten bedeckt meist dürres Laub den Boden. Zu-
weilen überzieht denselben ein niedrig wachsender Rotang. welcher
seine spitzen Angeln in Kleider und Haut schlägt. Selten vernahmen
wir Vogelstimmen; doch trafen wir von Zeit zu Zeit einen Nashorn-
vogel an.
Weiter stiegen wir scharf aufwärts. Eichen begannen einen guten
Teil des Waldes zusammenzusetzen. Eine sehr großblättrige Aroidee
zierte die Schluchten. Eine Pandanus-Art fiel uns dadurch auf, dafs
ihr gerader Stamm am untersten Ende plötzlich in kleine zierliche
Stelzen auseinanderlief, auf welchen, wie auf einem künstlichen Piedestal,
das Bäumchen dastand. Casuarinen zeigten sich im Wald zerstreut.
Wir erstiegen einen mit dichtem Wald bedeckten Bergkegel, vom
Führer als Gunung Suawa bezeichnet; eine vorher überschrittene Er-
hebung war von ihm Gunung Bone genannt w'orden. Gegen Süden
blickend, konnten wir in der Ferne das Meer erkennen.
Von neuem schreckten wir beim Weiterwandern eine Sapiutan-Herde
auf; wir kamen aber so wenig wie das erste Mal zu Schüfe. Wir er-
reichten, immer weiter steigend, die Höhe von 1400 m.
Sehr belästigend wurde hier oben die Unmasse von kleinen,
schwarzen Blutegeln, welche sich oft zu zwanzigen an einer einzigen
Hautstelle fcstsetzten. Einer von uns litt sehr, und die Füfse der
Träger waren von Blut überströmt, als wären sie mit Schrot angeschossen
worden. Das beständig notwendige Ablesen der Würmer hielt den Zug
in sehr unangenehmer Weise auf.
Wir stiegen nach einem Bachbett hinab, in welchem alle Rollblöcke
dicht mit Moos überzogen erschienen, so dafs, wenn ein einfallender
Sonnenstrahl die Schlucht erleuchtete, ringsum alles, wie ein Feen-
palast, goldgrün aufzuleuchten schien.
Sehr häufig bemerkten wir hier eine epiphytische Pflanze mit suk-
kulenten Blättern und karminroten Blütentrichtern, ein zierlicher Schmuck
der von ihm umsponnenen Baumstämme.
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Paul und Fritz Sarasin:
392
Es fiel uns hier, wie überall in den Wäldern von Celebes, die
grofse Menge von sukkulenten Pflanzen auf, besonders unter den
Epiphyten ; und sonderbarer Weise wachsen oft am selben Stamm mit
diesen fettblättrigen Formen die zartesten Pflanzenkreaturen, die sich
denken lassen, wie Hymenophyllaceen und andere zierliche epiphyti-
sche Farne.
[ 1 6. Januar.] Minimaltemperatur während der Nacht 15° C. Wir
froren alle; mehrere unserer Leute erkälteten sich.
Wir folgten dem Bach, an welchem wir übernachtet hatten, auf-
wärts. Derselbe sollte, wie der Führer behauptete, die Bulawa sein, in
welchem Fall er also in westlicher Richtung nach dem Bone abfliefsen
miifste, wie wir es auf der Karte angedeutet haben.
Am Bach sahen wir Gneifs anstehen, welcher sich an einigen
Stellen zu einer weifsgelben, käsigen Masse umgewandelt hatte.
Alle Bäume waren mit Moos Uberkleidet, die Felsblöcke von Fieder-
farnen bedeckt. Eine Flechte fiel durch den Umstand auf, dafs die
Oberseite ihres Thallus freundlich grün gefärbt war, während die Unter-
seite milchwcifs erschien. Ziemlich häufig fanden wir hier eine an ein
Rhododendron erinnernde, kleine strauchartige Pflanze, mit winzigen
Blättern und einer karminroten, behaarten, kurzröhrigen Bltitenglocke.
Wir drangen nun immerfort über Gipfel und durch Schluchten
nach Osten vor, um unserem Ziel, dem Dumoga-Thal, näher zu kommen;
doch fingen wir allmählich an, über das äußerst langsame Vorwärts-
kommen besorgt zu werden. Ein Weg fehlte ja schon längst, und der
Führer wurde oft über die einzuschlagende Richtung schwankend, ln
NNO sahen wir gerade vor uns als grofsen, blauen Bergrücken den
Huntuk Buludawa sich erheben. Wir gelangten, weiterschreitend, auf
einen Gipfel von 1450 m Höhe, der uns als Gunung Bulawa bezeichnet
wurde; er dürfte einer der Hauptgipfel dieses Gebirges sein. Den
sehr steilen Abhang wieder hinabkletternd, konnten wir bemerken, dafs
etwa 150 m unterhalb der höchsten Stelle das herabfliefsende Wasser
zur ersten kleinen Ader sich sammelte. Dieselbe vergröfserte sich be-
ständig, ohne dafs eine Scitenader ihr zuflofs; unmerklich sickert das
Wasser der Humusdecke nach der tiefsten Schlucht, um als kleiner
Bach mit einem Mal zur Erscheinung zu kommen.
An einem Bach in 1250 m Höhe machten wir halt, und die Hütte
wurde gebaut, während ein gewaltiger Regen niederging; kaum konnte
hernach Feuer angefacht werden, weil alles Holz von Wasser troff.
Anstatt, wie wir ursprünglich erwartet hatten, einen Weg aufzu-
finden, welcher direkt vom Thal des Bone, höhere Gipfel umgehend,
nach Duluduo oder auch an einer anderen Stelle in den Dumoga-Kesse!
hinübcrleiten würde, sahen wir uns nun mitten in das F.rhebungs-
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Reiseberichte aus Celebes.
393
centrum eines mächtigen Gebirgsstockes versetzt, nämlich des schon
früher von uns so genannten Bone-Gebirges, welches, mit mehreren
domförmigen Gipfeln aufragend, die Höhe von 14—1500 m, vermutlich
sogar noch mehr, erreicht. Nordöstlich davon steigt die scharf ge-
schnittene Gebirgsmauer des Huntuk-Buludawa auf, von welchem der
Bone Stock durch eine Einsattelung des Bodens getrennt ist. Gegen
Südosten und Süden dürften die mächtigen, direkt vom Seestrand sich
erhebenden Felsgebirge, wie der Sinandaka, Pangea und andere, seine
unmittelbare Fortsetzung darstellen. Wir vermuten ferner, dafs das
südwestliche, auf der Karte von uns als unerforschtes Gebiet bezeich-
nete Gebirgsland ebenfalls unmittelbar in das Bone-Gebirge aufgeht.
Desgleichen dürfte die Kette, welche sich nördlich vom Bone-Flufs
hinzieht, mit dem Bone-Massiv in Verbindung stehen. Das Bone-
Gebirge würde also nach unserer Auffassung einen Gebirgsknoten dar-
stellen, und zwar als solcher das eigentliche Centrum des breiten, zwi-
schen Gorontalo und Duluduo gelegenen Armteiles, und zugleich das
Hauptquellgebiet der wichtigsten hier verlaufenden Flüsse, so in erster
Linie des Bone, ferner höchst wahrscheinlich des nach Norden ab-
fliefsenden Sangkup. Nordöstlich würde es Zuflüsse an die Dutnoga
abgeben, und südöstlich und südlich die nach der Küste strömenden
Flüsse entlassen. Weiter ostwärts verjüngt sich das Bone-Gebirge
zu der tief eingesattelten Wasserscheide zwischen Duluduo und
Malibagu, welche wir im Laufe unserer ersten Reise überschritten
haben.
Ein weifsgrauer Granit bildet den Kern des Bone-Gebirges; doch
bemerkten wir sowohl am Fufs des Sinandaka, als auf der Höhe des
Bone-Massivs selbst, die Reste einer, ursprünglich um den granitenen
Kern sich legenden, wohlgeschichtcten Gneiisschale, welche indessen
schon an den meisten Stellen abgewittert zu sein scheint.
[17. Januar.] Unsere Lage begann kritisch zu werden, weil, wie
wir wahrzunehmen begannen, unser Führer sich mit der Orientie-
rung nicht mehr auskannte. Wir schlugen deshalb jetzt schon vor,
einem nach Südosten abfliefsenden Bach zu folgen; allein der Führer
drängte noch immer ostwärts nach einem kuppelförmigen Gipfel, wel-
chen er Gurung Monoti oder Moloti nannte. Als wir an demselben
auf die Höhe von 1450 m emporgestiegen waren und nun das Bulu-
dawa-Gebirge gerade vor uns erblickten, glaubte unser Mann, sich zu
weit nordwärts verlaufen zu haben, und wandte sich über den von der
Spitze des Gunung Moloti erst westlich, dann im Bogen südlich ver-
laufenden Grat zurück. Weil der dichte Wald keinen oder doch nur
äufserst spärlichen Ausblick gestattete, wurde die Orientierung aus-
nehmend erschwert. Der von uns begangene Grat umlief in gewal-
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Paul und Frilz Sarasin:
tigern Bogen einen ausgedehnten, nach SO sich öffnenden Kessel,
welchen wir umschritten.
Wir wünschten nun in den Kessel hinabzusteigen und dessen süd-
östlicher Öffnung zuzustreben, wo in der sonst dusteren Umgebung
eine hellere Lücke sich bemerkbar machte. Der Führer trat uns bei ;
indessen wurde der erste Versuch, hinabzuklettern, durch eine plötz-
lich zu unsern Ftifsen tief abstürzende Felswand vereitelt. Von neuem
begaben wir uns nach dem Grat zurück, und als es uns vorkam, der
Führer zögere, den Kamm zu verlassen, Übernahmen wir selbst die
Führung und kletterten direkt auf gut Glück in den Kessel hinab.
Während wir langsam nach unten stiegen, bemerkten wir gerade
unter uns einen Sapiutan, welcher, nichts von uns ahnend, unter einem
Gebüsch ruhig dastand. Es gelang uns, denselben mit der Kugel so
glücklich in das Kreuz zu treffen, dafs er augenblicklich fiel und sich
nicht mehr aufzuraffen vermochte. Diese Beute kam uns äufserst will
kommen.
Da der Boden von Blutegeln wimmelte, untersuchten wir die Haut
des Tieres, weil wir uns die Frage vorgelegt hatten, wie diesen Warm-
blütern die Existenz im Reich der Landblutcgcl möglich gemacht werde.
Wir fanden jedoch die Haut des Zwergochsen von Egeln völlig unbe-
helligt; aufser einigen wenigen Holzböcken, welche an ihm festsafsen,
erwies sie sich als ganz rein. Wahrscheinlich sehen sich die hier
herrschenden kleinen Landblutegel aufser Stand, die zähe Epidermis
der Anoa anzuschneiden. Wäre dieses nicht der Fall, so würde sich
diese Tierart im Gebirge unmöglich halten können.
Wir arbeiteten uns nun immer weiter hinab, bis wir an den in der
Tiefe rauschenden Bach gelangten, womit wir eine Meereshöhe von
960 m erreicht hatten Auf einer vom Bach gebildeten kleinen Insel
brachten wir die Nacht zu. Die Träger langten in Folge der höchst
mühsamen Kletterei erst nach längerer Zeit, einer um den andern,
bei uns an.
Wir fanden hier eine Nepenlhet- Art und eine grünlich gefärbte
Nanina cincta -Varietät.
Das Wildpret des Sapiutan schien uns den derben Geschmack
des Hirschfleisches zu haben.
[18. Januar.) Der Bach, welcher sich bald zum Flufs ver-
gröfserte, lief unentwegt nach Südosten, ein Umstand, welcher sehr
beruhigend auf uns wirkte; denn es blieben jetzt nur zwei Möglich-
keiten offen: entweder wir mufsten in das Thal der Dumoga gelangen
oder aber nach der Südkltste, in beiden Fällen konnte ein sicherer
Ausgang der Reise nicht fern sein.
Von Zeit zu Zeit bildete der Flufs kleine Wasserfälle, welche mit
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Reiseberichte aus Celebes.
395
Mühe umgangen werden mufsten; an einer Steile hatten wir eine sehr
schwere und gefährliche Felskletterei zu bestehen, welche unsere Träger
nur mit grofser Arbeit zu überwinden vermochten. Gelangten wir an
die steil abstürzende Flufshalde, so boten uns die von den Sapiutans
ausgetretenen und im Zickzack angelegten Wege eine sehr willkommene
Bequemlichkeit. Nachdem wir eine gröfsere Umgehung felsiger Partien
vorgenoramen hatten, wandten wir uns wieder an den Flufs selbst
zurück, welchen wir nun von herrlicher Vegetation begleitet fanden.
Es erfreuten das Auge dichte Gruppen gewaltig entwickelter Nibong-
Palmen, ferner Pandanus-Bäume, wilder Pisang, eine Überfülle von
Baumfarnen, dabei knorrige Laubbäume, welche uns an alte Eichen
erinnerten, dazwischen kleine Wäldchen von Kasuarinen, welche, von
der Sonne bestrahlt, sich wie mit leichtem Reif bedeckte F'ichten aus-
nahmen. In ungefähr 600 m Höhe sahen wir die erste Sago-Palme ihr
düsteres, ungeheures Laub entfalten und bei 500 m erfreuten uns die
ersten Bambusgebüsche.
Hübsch weife und schwarz gefärbte Schnecken aus der Nanina-
Gruppe fanden sich stets ziemlich häufig, und allenthalben im Wald-
land, wo wir es auch durchstreift hatten, im Gebirge und im Nieder-
land, trafen wir die vier Helix- Formen aus der OMa-Gruppe an, am
gleichmäfeigsten verteilt die grofse Helix Quoyi, Desh. Einen eigen-
tümlichen grünen Laubfrosch mit gelben Tupfen sahen wir gerade in
das Centrum eines Arum-Blattes eingeschmiegt und erreichten ihn leicht,
da er sich wegen der Ähnlichkeit seiner Hautfärbung mit der des
Blattes unbeachtet meinte.
Die Bergspitzen, von welchen wir herabgekommen waren, hatten
sich durch die vom Flufs durchschnittenen Vorhügel schon lange unserem
Blick entzogen.
[19. Januar.] Nachdem der Flufs in der Höhe von 400 m durch
einen Seitenbach sich verstärkt hatte, durchdrang er jetzt eine tiefe
F'elsschlucht. Da den einen von uns die von der Oberhaut ent-
blöfsten Fufssohlen auf den Rollsteinen des Flufses sehr schmerzten,
führten wir jetzt eine grofse und, wie sich bald herausstellte, unge-
schickte Umgehung aus. Es wurden schwierige und gefährliche F'els-
. rutsche erstiegen; alsdann that sich eine Schlucht auf, die durchklettert
werden mufste; noch schlimmer ging es jenseits wieder bergan, und
dann längere Zeit horizontal in der Höhe weiter, vermittelst Durch-
schlagen durch das Unterholz, kindlich, nach grofsem Zeitverlust, ge-
wannen wir von neuem den Flufe, wo wir übernachteten. Um die Hütte
zu decken, wurde ein Bestand gewaltiger Nibong-Palmen gefällt; sie
stürzten ächzend in den hoch aufspritzenden Flufs, wobei ihr Stamm
zerbarst.
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396
Paul und Fritz Sarasin:
[20. Januar.] Da der eine von uns nicht mehr im Wasser
gehen konnte, wurde ein Tragsessel hergerichtet und unter vielem I.ärm
und Beschwerden seitens der Träger wurde er durch das reifsende
Wasser und über die glatten Blöcke befördert. Dichtes Bestreuen
der verwundeten Sohlenfläche mit Salicylsäurepulver machte ihn aber
schon für den folgenden Tag wieder marschfähig.
Wir stiefsen von neuem auf Maleo-Gruben und ebenso wie das letzte
Mal entdeckten wir nicht weil davon eine warme Quelle von vielleicht
50° C„ welche einen kleinen Bach bildete. Obschon beim Hineintauchen
der Hand an der Haut zwischen den Fingern beifsendes Schmerzgefühl
empfunden wurde, fanden sich dort alle Steine des Baches mit einer
blaugrünen Alge polsterartig überzogen.
Wir glauben nun hinsichtlich des Brutgeschäftes des Maleo-Huhnes
behaupten zu dürfen, dafs dasselbe zwar in der Regel seine Eier in
den Sand des heifsen Seestrandes vergräbt, wo alsdann die Sonnen-
wärme als kräftig genug sich erweist, um sie auszubrüten, dafs aber
im Gebirge und überhaupt im schattigen Wald des Innern die Sonnen-
wärme ersetzt werden mufs, und dafs dann zu diesem Zweck der Maleo
das Wasser warmer Quellen auswählt, welche er aufsucht, um in
dem durch sie erwärmten Boden seine Brutgruben anzulegen. Wo
demnach im Innern des Landes Maleo-Hühner angetroffen werden, da
dürften auch warme Quellen nicht weit sein. Der Maleo benutzt also
zwei anorganische Wärmequellen, um durch dieselben seine Eier aus-
brüten zu lassen, nämlich einerseits die Sonne, andererseits warme
Quellen.
Letzteren Umstand fanden wir noch weiterhin bestätigt; denn in
der Nähe einer anderen, noch wärmeren Quelle, in welcher man die
Hand nicht lassen konnte, und welche sich in einem gröfseren Tümpel
angesammelt hatte, fanden sich ebenfalls Maleo-Gruben. Wir liefsen nach-
graben und gewannen zwei Eier für unsere immer mehr sich schmälernde
Küche. Endlich folgte noch eine dritte warme Quelle und ebenfalls
zeigten sich in ihrer Nähe Maleo-Gruben.
Wir waren nun allmählich schon sehr bedeutend herabgestiegen
und zwar bereits unter die Höhe von Ditluduo, so dafs wir unseren,
schon seit längerer Zeit immer dringender auftauchenden Verdacht,
wir möchten uns der Küste nähern, bestätigt fanden. Der helle Fleck
Himmel, welcher uns beständig nach Südosten lockte, entstammte
offenbar der das Licht massenhaft zurückwerfenden Meeresoberfläche,
welche den über ihr ruhenden Dunstmantel weifslich erleuchtete. Da
unsere Lebensmittel nur noch für wenige Tage vorhielten und unser
Fufswerk in schlechten Stand gekommen war, freuten wir uns auf den
nun nahe bevorstehenden sicheren Ausgang der Wanderung. Schon
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Reiseberichte aus Celebes.
397
zeigte sich nun auch von Zeit zu Zeit eine Hütte, welche Sago-Klopfern
zum zeitweiligen Aufenthalt gedient hatte. Der Flufs fiel in einen
ruhigen I.auf und fing an , Inseln zu bilden. Blühende Slrobilanlhes-
Büsche zierten seine Ufer.
[zi. Januar.] Am Flufs sahen wir grofse Blöcke eines äufserst
harten Konglomerats liegen; rotbraune Knollen zeigten sich in ein
graues Bindemittel eingebettet. Die Knollen erinnerten uns an die rot-
braunen Thonschichten, welche wir am I.olak und an anderen Stellen
der Nordseite des Inselarmcs anstehend angetroffen hatten.
Wir kamen nun an eine Stelle, wo ein zweiter starker Flufs mit
dem unseligen sich vereinigte Das Aneroid verkündigte 40 m Meeres-
höhe; vor uns schien der Himmel hell weifsblau, wir konnten nicht
mehr fern vom Meer sein. Es war dies ein Glück für uns; denn bei
dem einen hatten die tausend Blutegelbisse eine solche Entzündung
der Unterschenkel hervorgerufen, dafs er sich kaum mehr weiter zu
schleppen vermochte. Den vor einigen Tagen gefertigten Tragstuhl
hatten die Leute weggeworfen. Die Küste erreichten wir in der That
bald darauf und zwar beim Ort Negeri lama, wo wir schon auf unserer
ersten Reise von Malibagu nach Gorontalo einmal die Nacht zuge-
bracht hatten; der von uns begangene Flufs war, wie man uns hier
mitteilte, der Totoija gewesen. Wegen der vielen Insekten in den
Häusern wurde eine frische Hütte errichtet und die Blutegelwunden,
welche als zusammenhändende, äufserst schmerzhafte Geschwüre den
unteren Teil des Unterschenkels völlig überdeckten, in sorgfältige Be-
handlung genommen.
Von Gorontalo bis hierher hatte die Reise 17 Tage gewährt und,
da wir von Pinogo aus für 16 Tage Reis mit uns genommen hatten,
und 13 Tage verflossen waren, seit wir Pinogo verliefsen, blieben uns
noch für drei Tage Lebensmittel übrig, als wir die Küste bei Negeri lama
erreichten. Den folgenden Tag ruhten wir hier aus.
[23. Januar.] Wir fanden Gelegenheit, eine leidliche Prau von
einem arabischen Kaufmann zu mieten , welcher hier beigelegt hatte,
und wir liefsen uns nach Malibagu rudern, wo wir um Mitternacht an-
langten. Unsere von Gorontalo aus hieher geschickten Prauen fanden
sich zur Stelle.
[ 24. Januar.] Alle Träger wurden entlassen, und wir fuhren,
von leisem Wind gefördert, längs der Küste ruhig dahin. Es folgen
hier viele Ansiedelungen einander, wonach die Küste östlich von Mali-
bagu als verhältnismäfsig wohl bebaut angesprochen werden darf.
[ 25. Januar.] Da über Nacht bei aussetzendem Wind immer-
fort gerudert werden mufste, sahen wir uns des Morgens nur bis zur
Westseite des Kap F’lesko gefördert. Wir gingen an Land und er-
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398
Paul und Fritz Sarasin:
richteten ein leichtes Schattendach, unter welchem sich mittags die
Wärme auf 37,5° C. steigerte.
Die nahen Felsen bestehen aus Sedimentgesteinen verschiedener
Art. Westlich fanden wir ein grünes Schichtgestein anstehend, welches
uns an das von uns im Norden des Inselarmes beobachtete grünknollige
Konglomerat erinnerte. Die grünen Schichten wechsellagerten mit rot-
und graubraun gefärbten Mergelflözen. Dieser Schichtenkomplex fiel
ungefähr östlich ein.
Es folgte, in östlicher Richtung weiterschreitend, eine Masse, welche
uns morphologisch nicht klar geworden ist, worauf wiederum weiter
östlich Thonsandschichten auftraten, welche stellenweise schwarz gefärbte
Flecken und Figuren einschlossen. Diese Schichten fielen ungefähr
westlich.
Organische Einschlüsse konnten wir nicht mit Sicherheit feststellen.
Mit Sonnenuntergang brachen wir auf und fuhren um das von den
hiesigen Schiffsleuten sehr gefürchtete Kap Flesko, eine weit in den
Ocean vorgeschobene Felsmasse, herum. Der Schifispatron befahl, alle
Dichter auszulöschen; dies müsse immer geschehen, wenn man um das
Kap Flesko fahre. Es thun dies die Deute offenbar, um sich den Felsen-
Dämon nicht zu zeigen, damit diesem nicht beifallen könnte, die Dichter
selbst auszublasen. Hier am Kap Flesko toste eine gewaltige Brandung
gegen die trotzigen Felsstirnen; das Meer schien mit den Felsen zu
ringen, welcher denn auch der hier stattfindenden Abrasion im Daufe
der Zeit wird weichen müssen. Die Brandungslinie schimmerte als
weifses Band durch die vom verschleierten Mond trübe erhellte Nacht.
Um diesen hatte sich ein Halbkreis gebildet, in welchem sich westlich
in scheinbarer Mondhöhe eine deutlich hellere Stelle bemerken
liefs; von dieser strahlte distalwärts noch ein flammenförmig zugespitzter
Lichtschimmer aus, wir hatten zweifellos das Phänomen eines Neben-
mondes vor uns. Dieses war hervorgerufen durch einen dünnen Flor
Cirruswolken, welche, da sie einen Nebenmond erschimmern liefsen,
doch offenbar aus kleinen Eisprismen sich zusammensetzen tnufsten.
Wenn wir die damals auf der Meeresoberfläche herrschende Temperatur,
von früher von uns in Kema angestellten Beobachtungen geleitet, auf
etwa 24° C. schätzen und ferner uns daran erinnern, dafs die Temperatur
einer in gerader Dinie aufsteigenden Duftsäule ungefähr alle 200 m um
iu C. fällt und wenn wir weiter bedenken, dafs die Bildung von Eis-
krystallen nicht über — i° C. erfolgen wird, so erhalten wir als niederst
mögliche Grenze der den Nebenmond erzeugenden Cirruswolken die
Höhe von 5000 m.
[26. Januar.] Früh morgens sahen wir auf dem sandigen Strand,
welcher auf die Felsküste des Kap Flesko folgte, mehrere Maleo-llühner
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Reiseberichte aus Celebes. 399
umherspazieren und erkannten deutlich die rosenrote Brust und das
schwarze Kleid der kräftigen Vögel. An einem waldumrahmten, ein-
samen Uferplatz spielte eine Hirschkuh mit ihrem Jungen.
Wir hielten an einer Stelle des Strandes Tagrast, wo zufällig ein
Weg von Kottabangon her ausmündete, und woselbst für den Durch-
reisenden eine geräumige Hütte sich errichtet fand. Eine Familie von
Eingeborenen und mehrere Einzelpersonen nahmen hier ebenfalls Quar-
tier, um abzukochen; es läfst sich daraus auf einen ziemlich lebhaften
Verkehr zwischen den Kulturorten der Küste und dem Mongondo-
Plateau schliefsen. Am Strand lagen sowohl hier, als anderwärts Haufen
grofser Trochus- und Tr/i/azzm-Schalen, welche beide Weichtierarten als
Nahrung dienen, moderne Kjökkenmöddinger bildend.
Als kleinen Beitrag zur passiven Verbreitung mehrerer Tierarten
über Meeresabschnitte möge erwähnt sein, dafs unsere Prau von Geckos,
Scinken, Ameisen, Schaben und Springspinnen bewohnt war.
Wie wir uns Belang näherten, bemerkten wir ein braunes Schicht-
gestein anstehend. An diesem Ort selbst jedoch glauben wir bereits
ein vulkanisches Konglomerat wahrgenommen zu haben, wonach also
an dieser Stelle die rezenten Eruptivprodukte schon bis an das Ufer
herantreten würden, und von jetzt ab bis Kema kam uns kein anders
geartetes Gestein mehr zur Beobachtung.
[28. Januar.] Nachdem wir die meiste Zeit unserer Seereise nahe-
zu keinen Wind gespürt hatten, wurden wir um Mitternacht durch
grofse Aufregung unserer Deute und einen schneidigen Wind aufgeweckt,
welcher, nach südwestlicher Richtung sich bewegend, gerade vom Land
her uns entgegenwehte. Die Böe, deren Stärke sich auf 5 schätzen
liefs, drohte unsere winzige Prau, ein mit Auslegern und kleinem Schutz-
dach versehenes Blotto, vom Land ab seewärts zu treiben, und jagte
uns stark und rasch laufende Wellen entgegen. Unsere Leute ruderten
mit aller Kraft dem Strand zu, während der Patron mit dem Anker sich
zu schaffen machte. Dieser letztere, ein sehr schwächliches, aus Holz
gearbeitetes und mit einem Stein beschwertes Werkzeug, wollte längere
Zeit nicht fassen, obwohl der Grund erreicht worden war. Erst nach-
dem unser Blotto schon etwas Wasser gemacht, hielt er fest, worauf
in Folge der Befestigungsweise des Taues vorne seitlich das Boot bei-
drehte. Als die Wellen sich zu verflachen begannen, ruderten wir ganz
nahe an den Strand heran, wo wir in den Windschatten gelangten.
Unsere zweite Prau hatte sich, als der tückische Windstofs heransauste,
näher als die unserige beim Land befunden und sich sofort nach dem
Strand mitten durch die Brandung hindurch gearbeitet.
Die See blieb nun noch längere Zeit unruhig und das Wetter böig.
Sehr häufige Einzelnimbuse entliefsen ihren Regen wie eine Aussaat;
Zeilachr. d. GoelUch. f. Erdk. Bd. XXIX. 27
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400
Paul und Friti Sarasin: Reiseberichte aus Celebes.
häufig sahen wir sie in der Ferne über der Wasserfläche des Meeres
sich hinbewegen.
Am 30. Januar liefen wir in Kema ein, unserem damaligen Auf-
enthaltsort und dem eigentlichen Ausgangspunkt unserer Reise. Hier
wurden wir noch vier Wochen mit der Behandlung der Geschwüre in
Atem gehalten, welche bei dem einen von uns durch die Blutegelbisse
erzeugt worden waren.
Über die allgemeinen Ergebnisse der Reise möchten wir uns an
dieser Stelle noch nicht weiter äufsern, als dieselben in dem gegebenen
Bericht bereits Andeutung gefunden haben. Es sei blofs noch beigefügt,
dafs im grofsen ganzen die von uns durchschnittene Abtiefung des
Landes in der Richtung Bolang — Malibagu die westliche Grenze des
Vulkanismus darstellen dürfte; über dem westlich davon sehr bald zur
Erscheinung kommenden, aus einem Granitkern, wahrscheinlich auch
einer Gneifsschale bestehenden Urgestein, liegt sodann noch ein Mantel
von sedimentären thonhaltigen Schichten und von Konglomeraten, welch
letztere sich aus Rollsteinen der vorigen Schichten oder aus solchen
von Basalt mit Hilfe eines Bindemittels gebildet haben. Dieser gesamte
Schichtenkomplex wurde von den Vulkanen durchsprengt und von
Eruptivprodukten völlig überschüttet. Es ziehen sich die erwähnten
Sedimente noch eine Strecke weit in nordöstlicher Richtung der Küste
entlang aus, bis endlich auch die Gesteine, welche den Boden des
Strandes bilden, mit Ausnahme rezenter Korallenriffe, vulkanischen
Charakter an sich tragen.
Die von uns festgestellte Tiefenlinie Bolang — Malibagu dürfte
ebenso, wie noch ein paar andere den Nordarm von Celebes durch-
querende Absenkungen, bedeutsam sein im Hinblick auf den in geolo-
gisch-historischer Vergangenheit möglicherweise stattgehabten Zerfall
des Nordarmes von Celebes in eine Kette einzelner Inseln, ein Um-
stand, worauf wir in der definitiven Publikation näher einzugehen ver-
suchen wollen.
Bemerkungen zur beigegebenen Karte.
Die Umrifslinien des Landes wurden der holländischen Seekarte
(Oostkust Celebes Blad I, gecompileerd op het hydrographisch Bureau
te Batavia 1888, 1 : 1000000) entnommen. An den Küstenlinien wurde,
aufser dem Einträgen einer Reihe von Flufsmündungen, nichts ge-
ändert , so wenig genau sie auch im einzelnen sind , wie uns unsere
Wanderung längs der Sildküste lehrte.
Unsere eigene Route nahmen wir, sobald wir bei Karoa die be-
kannten Gebiete verliefsen, mit Kompafs und Aneroid auf. In schwie-
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Chr Sandler: Die Anian-Strafse und Marco Polo.
401
rigerem Terrain alle fünf, in übersichtlicherem alle zehn Minuten aus-
geführte Ablesungen dieser beiden Instrumente, verbunden mit Schätzen
der Marschgeschwindigkeit und gelegentlichem Zählen der Schritte,
waren die von uns angewandte Methode. Die Höhenbestimmungen
sind, da bei Erhebungen über wenige hundert Meter unsere beiden
Aneroide nicht mehr übereinstimmend arbeiteten, und wir somit auf
dasjenige Instrument, welches wir als das zuverlässigere kannten, ange-
wiesen waren, nur annähernd richtig.
Zur Feststellung des Hochplateaus des Poigar diente aufser unserer
eigenen Route eine etwas nördlich von unserem Wege ausgeführte
Überschreitung des Gebirges durch die Missionare J. A. Schwarz und
De Lange 1876. Die Kulturfläche von Mongondo, wie oben erwähnt
mehrfach bereist und zwar, mit Ausnahme der beiden genannten Herren,
stets von der Küste aus, ist trotz der darüber veröffentlichten Reise-
berichte auf den von uns zugänglichen Karten von Nord-Celebes höchst
ungenau dargestellt.
Das grofse Waldgebiet westwärts vom Lombagin und Ongkag bis
wenige Tagereisen vor Gorontalo, war bislang blofs nach Aussagen von
Eingeborenen und gelegentlichen Peilungen von der See aus in Karten
gebracht worden; hier waren daher sehr viele Korrekturen notwendig.
Diese betreffen namentlich den Lauf und die Zuflüsse der Dumoga
und des Bone, die Verteilung der Gebirge, aus welchen diese Flüsse
entspringen und die Lage mancher Ortschaften, namentlich des bin-
taunischen Duluduo. Die Höhenangabe der Huntuk-Buludawa-Kette
beruht auf ungefährer Schätzung vom Bone-Gebirge aus.
Für die Namen haben wir durchweg die deutsche Schreibart ge-
wählt und nicht die sonst auf den Karten von Celebes gebräuchliche
holländische.
Die Anian-Strafse und Marco Polo.
Von Chr. Sandler in München.
Die Anian-Strafse ist die Meerenge, welche auf den Landkarten des
Mercator’schen Zeitalters die Kontinente Asien undAmerika von einander
trennt. Sie liegt unter dem Polarkreis, verläuft in nordsüdlicher Rich-
tung, und die beiden Kontinente spitzen sich gegen sie hin einiger-
mafsen zu, so dafs das Ganze eine rohe, aber doch auffallende Ähnlich-
keit mit unserer Darstellung der Bering -Gegenden zeigt, ln dieser
Weise kommt sie zum ersten Mal im Jahr 1566 auf einer Karte von
Nord-Amerika vor, die Bologninus Zalterius zu Venedig veröffentlicht
27*
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40-2
Chr. Sandler:
hat.1) Sie gewann bald allgemeine Anerkennung und hielt sich bis in das
zweite Drittel des 17. Jahrhunderts. Dann begann man an ihrer Daseins-
berechtigung zu zweifeln; man rundete den Nordosten Asiens ab und
Iiefs den unbekannten Nordwesten Amerikas leer und unbegrenzt, so
dafs der Pazifische Ozean im Norden eine wesentliche Einschnürung
nicht mehr erfuhr. Nach den Entdeckungsfahrten Bering’s (1728 und 1741
aber stellte sich heraus, dafs das Bild vom Jahr 1566 der Wahrheit
näher gekommen war, als das vom Jahr 1700, und es entstand von
selbst die Frage: Woher hatten jene älteren Kartographen ihr Wissen
über diese Gegend?
Über die Antworten, die auf diese Frage gegeben worden sind,
kann ich mich hier kurz fassen, da bereits Prof. S. Rüge des Näheren
darauf eingegangen ist s). Ich bemerke nur, dafs eine befriedigende
Losung noch nicht vorliegt. Es hat trotz eifrigsten Nachsuchens noch
nicht gelingen wollen, aus der Literatur vor 1566 eine Stelle nachzu-
weisen, welche die Einzeichnung eines Sundes zwischen Siidsee und
Eismeer rechtfertigte, und bis auf unsere Zeit fand sich nicht einmal
für den Namen „Anian“ eine plausible Erklärung.
In letzterer Beziehung Wandel geschafft zu haben, ist das Verdienst
der erwähnten Abhandlung Ruge's. An der Anian-Strafse oder in
ihrer Nähe liegen gewöhnlich die Länder Ania und Toloman, und
Rüge wies nach, dafs diese beiden Ländernamen, wie schon Peschei
vermutet habe, von Marco Polo herrühen.
Dafs dies richtig ist, darüber besteht kein Zweifel. Anders aber
verhält es sich mit einem bei dieser Gelegenheit ausgesprochenen
Nebengedanken, welcher dahin geht, dafs Polo’s Ania unserem Annam
entspreche, dafs also die Kartographen des 16. Jahrhunderts Ania und
Toloman aus Irrtum nach Norden verlegt hätten.
Zur Begründung seiner Ansicht citiert Rüge aus A. Bürck’s Bear-
beitung der „Reisen des Marco Polo" (Leipzig 1845), 3. Buch 5. Kap.,
(S. 514) folgende Stelle: „Wenn man den Hafen von Zaitun (das heutige
Tshiuan tscheu fu, nördlich von Amoy, unter 250 n. Br. an der Fukian-
Stralse) verlädst und gegen Niedergang 1500 Meilen weit segelt, so
kommt man an den Meerbusen Chainan, der sich so weit ausdehnt,
dafs man zwei Monate braucht, ihn zu durchsegeln von seiner nördlichen
Küste an, wo er an den südlichen Teil der Provinz Manji (Süd-China
*) Vgl. A. E. No rdenskiöld’s Kacsimile-Atlas, 1889 (engl. Ausg.), S. 94b;
die Karte S. 129.
*) Fretum Anian. (Die Geschichte der Beringstrafse vor ihrer Entdeckung.)
1873 bzw. in seinen „Abhandlungen und Vorträgen zur Geschichte der Erdkunde".
Dresden 1888, 8. 55 — 70.
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Die Anian-Strafse und Marco Polo.
403
stöfst, lind von da, bis wo er sich den Ländern Ania, Tholoman «nd
vielen anderen schon erwähnten nähert.“
Einen Widerspruch gegen die Annahme, Ania sei Annam, kann
man in diesen unklaren Angaben gewifs nicht finden; die Anmerkung
vollends, die Bilrck dazu giebt, bekräftigt sie vielmehr. Zu erwägen ist
aber, dafs der Urheber der Anian-Strafse vermutlich nicht nach der
Handschrift gearbeitet hat, auf die diese Stelle der Bilrck’schen
Übersetzung zurückgeht, sondern dafs er die beste und zeitlich nächst-
liegende gedruckte Ausgabe des Marco Polo benutzt haben wird.
Dies ist merkwürdiger Weise gerade die, welche Biirck seiner Bearbeitung
zu Grunde gelegt hat, und die er „in steter Vergleichung mit den übrigen
Ausgaben in manchen offenbar korrumpierten Stellen wieder auf die
richtige ursprüngliche Form zurückzu führen"1) — hier leider ohne Glück
— bestrebt war: die Ramusio’sehe vom Jahr 1559®). Hier lautet die
entsprechende Stelle (Libro III, cap. 5), der ich gleich den Rest des
Kapitels beifüge, folgendermafsen3):
„Wenn man vom Hafen von Zaitum ausfährt und 1500 Meilen
nach West ein wenig Südwest segelt, kommt man über einen Golf,
Cheinan genannt; dieser Golf dauert zwei Monate lang, wenn man ihn
nach Norden zu durchsegelt; im ganzen grenzt dieser im Südosten an
die Provinz Mangi und auf der anderen Seite an Ania und Toloman
und viele andere Provinzen bei den oben genannten. In diesem Golf
giebt es unzählige Inseln und fast alle sind gut bewohnt. Und es finden
sich auf ihnen grofse Mengen Waschgold, das man aus dem Wasser
des Meeres sammelt, wo die Flüsse münden, und auch Kupfer und
*i Vgl. seine Vorrede, S. VI.
*) Gio. Baltista Ramusio, Secondo volume delle Navigation! et Viaggi.
Venetia 1559.
3) H. Yule, Ser Marco Polo, II. London 1874. S. 247, Note 4, giebt dieses
Kapitel in einer Anmerkung. Da meine Übersetzung von der seinigen in einigen
Kinzelheiten abweicht, lasse ich hier auch den Originaltext folgen : „ Partendosi dal
porto di Zaitum si nauiga per Ponente alquanto veno Garbin mille iSr Cinquecento
miglia , passando vn colfo nominato Cheinan , 1/ quäl colfo dura di lunghezza per il
spatio di duoi mesi nauigando verso la parte di Tramontana , il quäl per tutto eonfina
verso Siroceo co la prouina'a di Mangi, Gr dal/' altra parte co Ania, Gr Tolotnan,
& con mo/te altre prouincie con quelle di sopra nominale . Per dentro ä questo colfo,
vi sono hole infinite , Gr quasi tutte sono bene habitate. Gr trouasi in quelle grati
quantitd tt oro di paiola, quäl si raccoglie dclT acqua del Mare, doue sboccano i
fiumi, Gr anchora di rame, Gr dt' altre cose, irr fanno mereätie de ql/o, che si troua in
vna 1 so/a , Gr no si troua nell' altra. Gr contrattono anchora co qlli di terra ferma ,
\tche li vedono oro, rame, &■* altre cose, Gr da loro cöprano le cose, che sono loro
necessarie. Nella maggior parte dt dette hole, vi nasce assai grano. Questo colfo
l tanto gründe, Gr tante geh habitano in quello, che par quasi vn' altro modo.1'
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404
Chr. Sandler:
andere Dinge; und sie treiben Handel mit dem, was sich auf einer
Insel findet, und sich auf der andern nicht findet; und sie handeln
auch mit denen vom Festland, indem sie ihnen Gold, Kupfer und
andere Dinge verkaufen, und von ihnen die Dinge kaufen, die ihnen
nötig sind. Auf dem gröfseren Teil besagter Inseln wächst genug
Korn. Dieser Golf ist so grofs und so viel Leute wohnen darin, dafs
er fast eine andere Welt scheint."
Hier ist also ganz klar gesagt, dafs Ania und Toloman eine zwei-
monatliche Seereise nördlich von Süd-China liegen, und so finden wir
sie auf den Karten nach 1566 auch angegeben. Dafs dabei eines der
beiden Länder oder zuweilen auch beide nach Amerika hinübergerückt
sind, darf nicht Wunder nehmen, da man ganz natürlich unter der
anderen Welt, von der im letzten Satz des citierten Kapitels die Rede
ist, die Neue Welt verstehen zu müssen glaubte.
Ziehen wir vollends noch den Inhalt des Kapitels in Betracht,
welches dem citierten unmittelbar vorangeht, und in dem gesagt wird,
dafs das Meer, in dem die Insel Zipangu liege, nach dem Land Mangi
benannt werde, so haben wir, abgesehen von der Anian-Strafse selbst,
alle Elemente beisammen, um das nördliche Drittel der Südsee so ru
entwerfen, wie wir es auf Zaltieri's Karte von 1566 oder auf der
„Karte eines Anonymus des 1 6. Jahrhunderts“1) dargestellt finden: Bei
dem Land Mangi liegt südlich von Zaitum das „Mare de Mangi“ mit
der Insel Giapan, nördlich davon der „Golfo Cheinan“, und als Abschluß
des Golfes sehen wir im Nordwesten die „Provinz Ania“ und im Nord-
osten, in der „andern Welt“, das Land Toloman.
Was nun die Anian-Strafse anbelangt, so liefs sich ein gleich
triftiger Beleg für ihre Einzeichnung nicht auffinden. Zu vermuten ist
zunächst nur, dafs der venetianische Kartograph Gastaldi ihr Urheber
ist; denn er war nicht nur der erste, der das Land Ania in die karto-
graphische Literatur einführte, im Jahr 1561,®) sondern er nennt auch
zum ersten Mal die Strafse Anian in der geographischen Literatur,
wahrscheinlich schon 1562, sicher aber um 15683). Aufserdem lag
es — wenn anders eine Notiz auf Wahrheit beruht, auf die ich in
') Tafel XXX im Atlas zu K Kretschmer’s „Entdeckung Amerikas“ 1 892
s) A. E. Nordenskiöld, a. a. O., S. izo b.
3) In einem Werkchen betitelt: „Universalis Mundi descriptio a Jacobe
de Gastaldis (sic) Pedemontano descripta. Venetiis, per Matthaeum Paganum in
frezzaria, ad insigne Fidei. MDLXVTIl.“ Es enthält auf 1 2 bzw. io unnumraerierten
Oktav-Blättern im wesentlichen die Beschreibung einer Weltkarte Gastaldi’s, insbe-
sondere die Angabe, wie die Kontinente von einander abzugrenzen seien. Gastaldi
ist dabei im Gegensatz zu der herkömmlichen ptolemäischen Methode, die mit Vor-
liebe Flüsse (Nil, Don) als Grenzlinien benutzte, bestrebt, die Kontinentalgrcnzen
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Die Anian-Strafse und Marco Polo. 40;>
zwei historisch-kartographischen Abhandlungen aus den Jahren 1710
und 1713 gestofsen bin — niemand so nahe, den Nordosten Asiens
gegenüber den älteren italienischen Darstellungen vom Meer umfliefsen
zu lassen, wie gerade Gastaldi. Das um 1560 in Italien gebräuchliche
Weltbild verband nämlich Asien und Amerika durch eine breite Land-
brücke. Man war sich aber darüber klar, dafs diese vor einer strengen
Kritik nicht bestehen konnte, und ein italienischer Autor jener Zeit
überliefs es daher seinen Lesern als reine Geschmackssache, Uber den
Zusammenhang oder Nicht-Zusammenhang von Asien und Amerika zu
denken, W'ie es ihnen beliebte.1) Vor dem Cheinan-Golf Marco Polo’s
nun hätte die breite Landverbindung zu einer schmalen Landenge zu-
sammenschrumpfen müssen. Um diese gar zu durchbrechen, hätte man
sich auf Nachrichten der Alten, im besonderen auf Plinius’ Hist. Nat. VI,
cap. 17*) stützen können, wie es ja wenig später Mercator gethan hat.
Wichtiger aber erscheint mir eine andere Quelle, weil sie von einem Zeit-
genossen Marco Polo’s herrührt und als eine Bestätigung und Ergänzung
desselben aufgefafst werden konnte: die Geographie des Abulfeda, die
Gastaldi zufolge den oben erwähnten Notizen nicht nur gekannt, son-
dern sogar übersetzt haben soll3). Abulfeda sagt von der Mer Environ-
nante, welche die ganze Erde umfliefst: „Elle passe u f es/ de la Chine, en
se dirigeant vers le nord. Elle se pro/unge dans cette direction jusqu’au
delti de la Chine , d la hauleur du rempart de Gog es Magog. Elle se
detourne ensuile, et baigne des regions inconnues , dans la direction de
Foccident. En cet endroit eile borne le monde du cdtl du nord, et eile fait
face au pays des Russes.“ 4) Gastaldi hätte also Grund genug gehabt, den
Cheinan-Golf in nördlicher Richtung bis zum Eismeer durchzuziehen. Dafs
er dies gerade in Form einer Meerenge that, das mag ein bewufstes
durch die Meere zu ziehen. Er erleicherte sich die Beschreibung, wenn er der Enge
zwischen Asien und Amerika einen bestimmten Namen gab. — Dafs diese Abgrenzung
der Kontinente etwas Neues und Originales war, geht daraus hervor, dafs Th. For-
cacchi, der sie für seine „hole pih famose de l Mondo", Vcnet. 1576, S. 193 ff.
adoptiert hat, sich ausdrücklich auf Gastaldi als Gewährsmann beruft. — Die letzten
zwei Blätter der Gastaldi’schen Weltbeschrcibung enthalten einen Aufsatz unter dem
Titel: ,,7'emporis variafio, quam illi inveniunt, qui circiter orbem circuunt" ; das
Ganze ist also wohl zweifellos die lateinische Ausgabe des Wcrkchcns, das E. Manno
und V. Promis in den „Atti della R. Accad. delle Sc lenze di Torino", 16. Band,
1880 — 81, S. 860, mit der Jahrzahl MLXIT i sic. 1562.’') anftlhren.
*) Vgl. K. Kretschmer, a. a. O., S. 434.
*) Ausgabe von P. Manutius, Venetiis 1559.
3) Chr. Hübner, Diss. phil. de Studio geographico, Halae Magdeb., 1710,
S. 23 f., und J. G. Grcgorii, curieuse Gedanken von den alten und neuen Land-
karten, Frankfurt und Leipzig 1713, S. 119. Ihre Quelle nennen sie nicht.
4) M. Reinaud, Geographie d'Aboulfcda, I. Paris 1848, S. 24.
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40G
Chr. San iller:
oder unbewufstes Zugeständnis an den Zeitgeschmack gewesen sein, der
nun einmal im Norden ein Gegenstück zur Magalhäes-Strafse im Süden
haben wollte. — Sollte aber noch überdies die Kunde von einer Durch-
fahrt im nördlichen Stillen Meer nach Venedig gelangt sein, so dürfte
damit ursprünglich wohl kaum unsere Bering-Strafse, sondern eher einer
der nördlichen Ausgänge unserer Japanischen See oder eine Enge in
den Kurilen gemeint gewesen sein.
Kehren wir nun zurück zu Marco Polo! Der Grund, warum das
citierte fünfte Kapitel seines 3. Buches für minderwertig galt, ist darin
zu suchen, dafs bereits im zweiten Buch, Kap. 47 und 48, zwei Länder
nebeneinander genannt werden, deren geschriebene Namen Ähnlich-
keit mit Ania und Toloman Stäben. Bei Ramusio heifsen sie Amü und
Tholoman, und sie liegen der Beschreibung Polo's zufolge westlich von
der Provinz Kueitschou, etwa dort, wo auf unsern heutigen Karten die
Lolo oder Kolo angegeben sind; also tief im Binnenland und beträcht-
lich im Süden. Das Ania und Toloman des dritten Buches aber soll
im Norden und an der See liegen. Jeder nun, der von der Voraus-
setzung ausging, dafs sich die beiden Stellen auf die gleichen Länder
bezögen, — und das geschah wegen ihrer Namensähnlichkeit und
wegen der Undeutlichkeit der Manuskripte offenbar schon sehr frühe — ,
mufste zwischen dem zweiten und dritten Buch einen unvereinbaren
Widerspruch erblicken, und die Folge war, dafs die Stelle im dritten
Buch als die spätere schon von frühen Kopisten einfach weggelassen
und von späteren Kommentatoren günstigen Falls mit einer Anmerkung
über ihren zweifelhaften Wert abgethan wurde.
Machen wir uns aber von dieser Voraussetzung frei und lesen das
auf S. 403 citierte Kapitel unbefangen durch, so löst sich die Frage ohne
besondere Schwierigkeit. „Fährt man von Zaitum aus nach Südwesten,
so passiert man einen Golf namens Cheinan", das ist richtig bis auf
den Namen: nicht Cheinan, sondern Nan-hai, Südmeer, heifst dieser
Golf. Da Polo das Chinesische nicht vollkommen beherrschte1), konnte
ihm die Umstellung der Silben wohl untergelaufen sein, und aus dem
gleichen Grund konnte es ihm begegnen, dafs er dieses „Südmeer“ sich
nach Norden zu erstrecken liefs. — F'ahren wir dann von Süd-China
aus nach Norden, so ist, von Japan abgesehen, das erste, auf das wir
stofsen, Jesso, Sachalin und die Kurilen, ein Gebiet, dessen Einwohner
sich nicht Ania, sondern Aino oder Ainu nennen. Weiterhin erreichen
wir statt Toloman die Halbinsel Kamtschatka oder das Land der
Itelman (auch Iteljmen)*).
’) H. Yule, a. a. O., I. S. 19, Note 1.
*) Vgl. J. J. Kgli, Nomina Geographica, 1893, unter „Kamtschatka.“
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Die Anian-Strafse und Marco Polo.
407
Dafe dies wirklich die von Polo gemeinten T.änder sind, das ergiebt
auch seine weitere Beschreibung(s. S. 403). Unzählig zwar, wieesdortheifst,
sind die Kurilen keineswegs; es ist aber bezeichnend, dafs sie von den
Japanern Tsisima, d. h. 1000 Inseln, genannt werden1). Auch was Marco
Polo über das Vorkommen von Gold und Kupfer berichtet, trifft nicht
unmittelbar zu; denn es giebt wohl Kupfer auf Kamtschatka2), von Gold-
waschereien in jenen Gegenden aber weifs die moderne Forschung
nichts3). Merkwürdig dagegen ist, dafs Steller etwas ganz ähnliches vom
Eisen berichtet, was Polo vom Gold sagt, nämlich dafs man dort „Eisen-
sand aller Orten an den Ufern der Bäche und Inseen antrifft“4), und dafs
früher ein Handel mit Eisenwaren (Messern, Beilen, Lanzen und Pfeil-
spitzen) gegen Pelzwerk über die „andere tschuktschische Insel“ (St. Lorenz-
Insel) nach Amerika ging5).
Im übrigen ist der Handel auf den Inseln beute noch Thatsache.
Pelzwerk geht über die Kurilen nach Süden, japanische Manufakturen
nach Norden. Zudem verfertigen die Einwohner der Insel Paramuschir
„einen Zeug aus Nesseln, womit sie vormals nach weit entlegenen Inseln
gehandelt und dagegen seidene und baumwollene Zeuge eingetauscht
haben“*1).
Korn endlich gedeiht in jenen Gegenden nicht; aber „an der See
wächst ein hohes Gras, welches sowohl dem Halm als Ähren nach dem
Korn ähnlich siehet.“ Aus diesem flechten die Eingeborenen allerhand
Decken, Matten, Körbchen, Beutel, selbst Kleidungsstücke7), und seine
vielfache Verwendung mag die Ursache davon gewesen sein, dafs über-
haupt eine Kunde von dem „Korn" zu Polo gedrungen ist.
Es stellt sich also im Gegensatz zu den bisherigen Anschauungen
heraus, dafs Marco Polo auch über den Nordosten Asiens berichtet
war. Nachdem er sonst den ganzen Umkreis Asiens kennt und sogar
Sibirien (Bargu) und die Tschuktschen (Ciorza oder Chorcha, unser
■) A. a. O., unter „Kurilen“.
*) G. W. Steller, Beschreibung von dem Land Kamtschatka. Frankfurt und
Leipzig 1774, S. 71.
3) Aufser natürlich im Amur-Gebiet, das man als rein festländisch hier wohl
nicht mit in Betracht ziehen kann. F.her konnte man vielleicht an Alaska denken,
wo erst in neuester Zeit das Vorkommen von Waschgold und Kupfer festgestelll
worden ist. Vgl. Peterm. Mittigen. 1894. Litt. B. No. zi8.
4) A. a. O., S. 71.
5) G. W. Steller, Reise von Kamtschatka nach Amerika. Petersburg 1 793 ,
S. 71.
G. F. Müller, Geographie und Verfassung von Kamtschatka, 1737, S. 45
des Anhangs zu Steller's Beschreibung von Kamtschatka.
’) Steller, Beschreibung S. 80.
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4()8 Chr. Sandler: Die Anian-Strafse und Marco Polo.
Tsautsu) nennt, wäre es ja nur zu verwundern gewesen, wenn er vom
nordöstlichen Winkel des Kontinents nichts gewufst hätte!
Nach alledem kann man sich füglich auch der Ansicht Gastaldi's
und seiner Zeitgenossen, der zufolge Marco Polo im Schlufssatz de-,
citierten Kapitels auf die Neue Welt hinüberdeute, nicht verschlielsen.
Dieser Cheinan-Golf, an dessen nördlichem Ende Ania, Toloman und
viele andere I.änder liegen sollen, und der so grofs und von so viel
Menschen bewohnt sein soll, dafs er fast einer andern Welt gleicht,
läfst sich nicht wohl auf die unmittelbare Nachbarschaft Kamtschatkas
und der Kurilen beschränken. Weder Land noch Volk dieses Gebietes
ist im Vergleich zum übrigen Asien so abgelegen und fremdartig, dafs
sich dafür bei einem Mann wie Marco Polo, der so au fserord entlieh
vielerlei und verschiedenerlei Gegenden und Menschen gesehen hatte,
die Bezeichnung „andere Welt“ rechfertigen würde. Da hingegen schon
die nächsten Nachbarn der Itelman, die Koräken, von der amerikanischen
Küste des Bering-Meeres genaue Kenntnis hatten1), so konnte eine
unbestimmte Kunde von entfernteren, fremdartigeren Ländern Amerikas
sehr wohl von ihnen zu den Itelman und von da nach dem Süden ge-
bracht worden sein. Die Nachricht, die hier zu Marco Polo durchdrang,
und die er fast genau 200 Jahre vor Columbus’ erster Fahrt nach Europa
brachte, bedeutet einen Schimmer von Amerika 1
■) Steller, Beschreibung u. s. w., S. 240.
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(Europa.
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ÜIll 168 (Errtbilbrnt, 14 fiarttnbtllagrn n. 28 ffiafrln ln €ol|fit)nltt u. farbrnbruih.
14 ffitftrungtn ;n je 1 fflarli obtr ln tjatbltbtr gebunben 16 Ülnrh.
öoüftänbia licfltn bon »er „allgemeinen Cänbetfunbe" uor: „atrifa". in Cwlblcber grbunben 12 Start.
„■RtiT', in fytlbleber gebuuben 15 Start. „flmerifc", in (mlblcber gebunben 15 Start. ..■uflmlien"
tmrb bnb Snrmnelioert im 4>rvbft 1895 nfcjdjlieiirn.
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Selbstverlag der Gesellschaft für Erdkunde.
Druck von W. Porm euer in Berlin.
MUS: COI
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXIX — 1894 - No. 6.
Herausgegeben im Auftrag dea Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt.
Seit«
Die zwei groben Erdbeben in Lokris am S/10. und 15-/17. April 1894.
Von Dr. Theodor G. Skuphos. (Hierzu Tafel 14—17.) 4°9
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket.
Von Martin Hartmann. (Schlufs.) 475
LONDON E. C.
SAMPSON LOW ft Co.
Ficet-Streot.
BERLIN, W.8.
W. H. KÜHL.
1894.
PARIS.
H. LE SOUDIER.
174 & 176. Boul. St. Germain
-oogle
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1895.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1895 — Band XXX (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1895 — Band XXJ1 (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M., Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für dcii Dnjckbogun bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
berechnet
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; jedoch steht es den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassung jeglicher persönlichen Adresse an die :
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90“.
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Bütow, Berlin SW. Teltower Str. 5. zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstrafse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — 11 Uhr Vorm, und von
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris
am 8./20. und 1 5.127. April 1894.')
Von Dr. Theodor G. Skuphos2).
(Hierzu Tafel 14—18.)
I. Das Erdbeben vom 8./20. April 1894.
Es ist kaum ein Jahr vergangen, seitdem das grofse Erdbeben
auf der Insel Zante fast alle Wohnungen der Stadt, die Landhäuser
und viele Ortschaften in vollster Bedeutung des Wortes zerstörte und
nur wenige Ortschaften auf dem Gebirge von Vrachionas verschont
blieben3), und wieder wurde ein Teil von Griechenland, und zwar das
fruchtbare Lokris im Kordosten von Mittel-Griechenland, von einer
furchtbaren und ungeheuren Katastrophe heimgesucht und eine grofse
*) Der Bericht, welchen uns der durch vortreffliche Arbeiten bereits rühmlich
bekannte Geolog Herr I)r. Skuphos über die griechischen Erdbeben von 1894
ciogesandt hat, enthält eine solche Fülle eigenen Beobachtungsmaterials und darauf
gegründeter Schlußfolgerungen, dafs er als eine wesentliche Ergänzung und Er-
weiterung des in „Petermann's Mitlheilungen* 1894, S. 217— 227 veröffentlichten
Aufsatzes von Professor Mitzopulos über denselben Gegenstand erscheint. Da über-
dies nur selten ein Sachkundiger so unmittelbar, wie es bei Herrn Skuphos der
Fall ist, Zeuge der Vorgänge während einer bedeutenden Erdbeben-Katastrophe ge-
worden ist, bringen wir den Bericht in unveränderter Gestalt zum Abdruck. (D. Red.)
*) Diese Arbeit ist schon vom 29./11. Juni bis 20./2. Juli dieses Jahres in
der Zeitung „Tw/ qutpfc uov 2t tfyttjoHoy" unter demselben Titel erschienen, aber
Gründe, die mein Wille nicht beseitigen konnte, verhinderten bis jetzt eine Ver-
öffentlichung in deutscher Sprache. Leider ist jedoch die Priorität der Veröffent-
lichung und das geistige Eigentum nicht genügend geachtet worden (vergl.
Comptes Rendus hebdomadaires des s&inces de l’Academic des Sciences, Paris,
Tome CXIX No. 1 [2. Juillet 1894) und No. 9 [20. Aoüt 1894] und eine
Nummer der Vossischen Zeitung vom September 1894). Daher gebe ich im
Folgenden bei allen angeführten Telegrammen genau Tag und Tageszeit
an; außerdem dienen als Beweis für meine Priorität die Nummern der Zeitung
K’frjufois Ttor 2v( rjr/joHor mit den darin veröffentlichten Telegrammen, die ich
täglich von den Schauplätzen der Katastrophen gesandt habe.
3) Prof. Dr. K. Mitzopulos, Das grofse Erdbeben auf der Insel Zante im
Jahre 1893. Petermanns Mittheilungen 1893» Heft 7, S. 166 u. s. w.
Zeitschr. d. Getellich. f. Erdk. Bd. XXX. ‘JiS
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410
Theodor G. Skuphos:
Zahl von Dörfern und Städten in wenigen Minuten von Grund au*
vernichtet, wobei 255 Menschen einen plötzlichen Tod fanden.
Freitags, am 8./20. April d. J., um 6 Uhr 52 Minuten abends, ah
noch viele Leute in Athen auf dem Spaziergang waren, setzte plötz-
lich eine für Athen ungewöhnlich starke Erderschütterung in der
Richtung von NW nach SO, deren Dauer 5 bis 7 Sekunden war, die gesamte
Bevölkerung der Hauptstadt in grofsen Schrecken. Nachdem der erste
Eindruck vorüber war, liefen die Menschen in Furcht und Aufregung
in der Stadt umher, wo in kurzer Zeit durch private und offizielle
Telegramme die Katastrophe von Theben bekannt wurde; erst am
nächsten Morgen erfuhr man auch die Zerstörung von Atalanti und
den umliegenden Dörfern.
Die Schriftleitung der griechischen Zeitung l'spy/ttmi; rwt AVA, r^rar“
(„Journal des Debats") bat mich am nächsten Tag um einen Artikel
über dieses Erdbeben, soweit ich durch die vorhandenen Nachrichten
unterrichtet sei. In Folge dieser Aufforderung veröffentlichte ich am
1 0. 2 2 . April in der oben genannten Zeitung neben anderem auch
folgendes über die Art, das F'picentrum und die Richtung dieses
Erdbebens: „Wenn man die gleichzeitig erschütterten Ortschaften
dieses tektonischen Erdbebens am Abend des vorgestrigen Freitag ms
Auge fafst, so läfst sich annehmen, dafs das Epicentrum des Erd-
bebens zwischen Atalanti und Theben lag, und zwar in einer schwach
gebogenen Linie von NW nach SO, so dafs es mit der unterseeischen
Einsenkung zusammentrifft , die sich den Euböischen Golf entlang
neben der steilen Küste von Mittel-Griechenland hinzieht.“
Am Abend des Sonntags erging an mich von der Direktion dieser
Zeitung die Anfrage, ob ich nach Atalanti und den übrigen von dem
Erdbeben heimgesuchten Ortschaften hinfahren wollte, um an Ort und
Stelle das Erdbeben selbst und die durch dasselbe hervorgebrachten
Erscheinungen zu studieren, unter der Bedingung, meine Beobachtungen
und Schlufsfolgerungen telegraphisch nach Athen zur Veröffentlichung
in der oben genannten Zeitung zu übersenden.
Selbstverständlich nahm ich eine unter solchen Bedingungen ge-
stellte Aufforderung sehr gern an und verliefs mit dem Dampfer
„Pelops“ Dienstag Abend, am 12./24. April, den Hafen von Piräus, um
durch den Kanal von Euböa nach der Skala von Atalanti (Kate
Pelli) zu fahren. Am nächsten Tag um 5 Uhr abends warf der
Dampfer auf der Rhede von Atalanti. Anker, und ich begab mich in
einem kleinen Boot vom Schiff ans Land. Ich beginne gleich mit
meinen Beobachtungen in Kato Pelli oder der Skala von Atalanti.
Die Skala von Atalanti, die aus 30 — 35 Häusern bestellt, ist 5 bi>
10 m landeinwärts auf sehr lockerem, zum Teil aus Süfswasser-
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris«
411
Anschwemmungen und zum Teil aus Meeressand bestehendem Boden
gebaut. Sämtliche Häuser sind ohne Ausnahme, wie durch einen
Schlag, entweder nach Osten oder nach Westen, bezw. nach OSO oder
WNW zusammengestürzt. Ausnahmen von dieser allgemeinen Zer-
störung, welche den Tod von vier Personen herbeiführte, sind ein altes,
niedriges, aus Quadersteinen gebautes Brunnenhäuschen und ein eben-
falls niedriges, schmales und langes Haus in der Richtung von OSO
nach WNW. Der wie eine Zunge sich ins Meer erstreckende schmale
lange Hafendamm hat sich nach vorne gesenkt, nach SO, d. h. senk-
recht zu seiner Richtung, geneigt und ist vielfach gespalten.
Im Hafen von Atalanti, neben der Insel Atalanti und etwas nord-
westlich derselben, liegt ein kleines Inselchen, welches aus Dolomit
und Kalkstein der Kreideformation besteht, dessen Schichten von NW
nach SO streichen und 40’ südwestlich einfallen, d. h. wie die
Schichten des Chlomos-Gebirges; es handelt sich hier also nicht um
eine Mulde, sondern um eine Wiederholung von Schichten des süd-
westlichen Schenkels eines Sattels, welcher durch Bruchzonen in das
Kuböische Meer eingestürzt ist. Auf diesem Inselchen steht eine Ka-
pelle des Hagios Nikolaos, des Schutzpatrons der Schiffer (des neuen
Poseidon der christlichen Neugriechen), welches keinen Schaden von
dem Erdbeben des 8./20. April erlitten hat.
Nachdem ich meine Beobachtungen über die Erscheinungen in
Kato Pelli beendigt hatte, wanderte ich über die Ebene von Atalanti,
die aus Süfswasser-Anschwemtnungen besteht, nach Atalanti und Ano
Pelli hinauf, welche Ortschaften auf dem nordöstlichen Abhang des
Berges Rhoda liegen, ln diesen beiden Ortschaften ist glücklicher-
weise kein Menschenleben zu beklagen, weil hier, obwohl die Gebäude
grofsen Schaden erlitten, der im teilweisen Einsturz einiger Mauern,
Rissebildung u. s. w. besteht, kein einziges Haus ganz in sich
zusammengestürzt ist. Daraus erklärt sich leicht die Verschonung
der Einwohner. Hier sind die eingestürzten Mauern, Ecken, Schorn-
steine, die Gesimse und Mauervorsprünge u. s. wr. ebenfalls in der
Richtung nach Osten oder Westen bzw. nach ONO oder WSW ge-
fallen. Letzteres kann man am besten in dem von Makedoniern be-
wohnten Ano Pelli und an einem Grab auf dem Friedhof von Atalanti
beobachten.
Von dem Augenblick meiner Ankunft in Atalanti an hatte ich
grofse Mühe, die Einwohner dieser beiden Städte, die von allen Seiten
ermuntert wurden, in ihre Wohnungen zurückzukehren, davon abzu-
halten. Auf Grund statistischer Beobachtungen grofser Erdbeben so-
wohl in Griechenland als auch in anderen Ländern vermutete ich,
dafs ein grofses Erdbeben, wie das vom 8./20. April, höchstwahr-
•'8*
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412
Theodor G. Skuphos;
scheinlich sich nicht allein ereignen, sondern dafs noch andere, hef-
tigere folgen würden, ln Folge dieser Vermutung hatte ich die Ein-
wohner, um sie vor weiterem Schaden 7.u bewahren, rechtzeitig darauf
aufmerksam gemacht und ihnen mit meinem ganzen Ansehen streng
verboten, in ihre Häuser zu gehen ; ich riet ihnen sogar, so entfernt
wie möglich von denselben zu bleiben. Zum Aufschlagen ihrer Zelte
gab ich ihnen die breiten Strafsen und Plätze der Stadt an, da die
Einwohner in der Nähe ihrer Wohnungen bleiben wollten. Ferner
versuchte ich am Gründonnerstag, zur Zeit, als die Messe in der
Kirche gelesen wurde und die Soldaten unter der Leitung des Lieute-
nants Karakalos den Glockenturm abtrugen, hineinzukomnien und
durch alle möglichen Mittel, zuweilen sogar durch Lügen, dafs ein
Erdbeben stattfinden würde, die P'rauen und Kinder, die das Ende
der Messe erwarteten, um das heilige Abendmahl zu empfangen, aus
der Kirche zu entfernen. Meine Vermutung bewahrheitete sich leider,
und am Tag darauf, am Charfreitag, fand das zweite grofse Erdbeben
statt. Unzweifelhaft wird der Forscher bei Fragen, über die sich sogar
seine Wissenschaft in Verlegenheit befindet und sich nur auf statistische
Erfahrungen stützt, alle möglichen vernünftigen Vorsichtsmafsregeln
vorschlagen, die durchaus unschädlich sind, wie ich es gegenüber
den Einwohnern gethan habe. Diesen Vorsichtsmafsregeln verdankt
es die Stadt Atalanti und die makedonische Bevölkerung von Ano
Pelli, dafs kein Menschenleben bei dem zweiten Erdbeben vom
15-/27. April verloren ging.
In der F'ntfernung von einer Stunde nördlich von der Stadt
Atalanti liegt das Dorf Skenderaga, von dessen 80 — 90 Wohnungen
fast keine einzige stehen geblieben ist; alle sind eingestürzt und nur
einige Mauern in der Richtung von NW nach SO stehen noch ; also
haben die Einstürze der übrigen Mauern nach derselben Richtung,
d. h. nach NW und SO, stattgefunden. Fhne Ausnahme dieser
Einstürze bilden die kleinen, kugelförmigen Backöfen, die von den
Frauen aus Lehm und Bruchstücken von Ziegeln gebaut werden ; bei
diesen ist die nördliche und südliche Seite eingestürzt. Auch hier
sind zum Glück nur vier Personen bei dem Pjrdbeben des 8., 20. April
ums Leben gekommen. Das Dorf Skenderaga liegt auf niedrigen
Hügeln aus sehr lockerem Neogen-Gestein, welches durch den Dichalo-
Graben (, lixahhintv/ia) zerschnitten wird. Der Schaden tritt am meisten
im nördlichen Teil des Dorfes hervor.
Wenn man von hier nach Nordosten geht, gelangt man in einer
Stunde ungefähr in die Heimat des berühmten Freiheitskämpfers An-
drutzos, nach dem reichen Dorf Livanataes. Es gielit hier Bauern,
deren bewegliches und unbewegliches Vermögen eine Million Drach-
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Die zwei grofeen Erdbeben in Lokris.
413
men übersteigt. Man wird sich über diese Verhältnisse sofort klar,
wenn man einen Blick auf die Bauart und Gröfse sowohl der Privat-
gebäude als auch der Kirchen u. s. w. wirft. Es ist auch zu erwähnen,
dafs diese unglücklichen Leute grofse Beharrlichkeit und Kaltblütig-
keit gezeigt haben, da einige von ihnen 8 — io ihrer Gebäude in
einigen Sekunden haben einstürzen sehen und doch mit unbegreiflichem
Gleichmut zu sich sagten: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat’s
genommen, der Karne des Herrn sei gelobet; was sollen wir thun!“
Von den 250 Häusern dieses Dorfes ist kein einziges unversehrt ge-
blieben, fast sämtliche sind bis auf m über dem Erdboden einge-
stürzt. Aus den wenigen Häusern, die nur teilweise eingestürzt sind,
ersehen wir die Richtung des Erdbebens von SO nach NW. Als Aus-
nahme von dieser grofsen Zerstörung steht das Kaufhaus des Bürger-
meisters Antoniou da, welches dank seiner Bauart ganz verschont ge-
blieben ist; denn seine Mauern sind aus alternierenden Quadersteinen
gebaut, wie die Tempel der alten Griechen. Man zählt auch hier in
Livanataes nur vier Opfer. Von dem ganzen Marktflecken hat der
Stadtteil von Epano Machaläs am meisten gelitten. Der Boden, auf
dem der Marktflecken gebaut ist, besteht aus sehr feinem und
lockerem Sand, dessen Mächtigkeit 10 — 12 m beträgt, darauf folgt
gelbweifser, lockerer Mergel und eine dünne Schicht von an-
geschwemmtem Lehm.
Wenn man von hier aus nach Nordwesten geht, so trifft man nach
34 Stunden das Dorf Arkitza, welches auf sehr festem, Konglomerate
und Versteinerungen führendem Gestein der Neogen-Eormation gebaut
ist. Man hat hier glücklicherweise nur ein einziges Menschenleben
als Opfer des Erdbebens vom ersten Freitag zu beklagen, da die
Häuser nur sehr unbedeutend zerstört sind. Einige Einstürze haben
die Richtung nach Westen und nach Osten, einige Mauern haben
Risse bekommen, dazu sind auch einige Gesimse heruntergefallen.
Arkitsa, welches, obwohl cs in so geringer Entfernung von dem so
sehr heimgesuchten Livanataes liegt, wegen des festen Bodens, auf
dem es erbaut ist, so wenig vom Erdbeben gelitten hat, ist ein vor-
trefflicher Beweis dafür, dafs fester Untergrund ein Schutzmittel gegen
das Erdbeben ist.
Ebenfalls hat das Dorf Gkolemion, welches südwestlich vom Dorf
Arkitza in einer Entfernung von 2^ Stunden liegt, sehr wenig zu leiden
gehabt; es ist nach Westen zu das erste Dorf des nördlichen Lokris,
welches in der zweiten Erdbebenzone liegt. Auch hier hat das Erdbeben
keine Menschenppfer gefordert. Die wenigen hier eingestürzten
Mauern wie auch die geneigten oder heruntergefallenen Schornsteine
liegen entweder nach Nordosten oder nach Südwesten geworfen.
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414 Theodor G. Skuplios:
Weiter nach Westen zu tritt eine Änderung in der Zone ein, da
die dort liegenden Dörfer sehr wenig gelitten haben, während noch
westlicher, um das Dorf des Hagios Konstantinos herum, die Dörfer
der dritten Erdbebenzone liegen, welche nur geringe und teilweise
Einstürze an den Mauern der Häuser und nur sehr selten von
ganzen Mauern zeigen. Man sieht also, dafs, je weiter man nach
Westen oder Nordwesten geht, die Zerstörungen mehr und mehr ab-
nehmen; ein Beweis, dafs das Epicentrum mehr östlich, bzw. ONO
von den vorher erwähnten Ortschaften zu suchen ist.
Ich begab mich jetzt nach Südost in der Richtung nach den
Dörfern Zelion, Kalapodi und Sphaka, deren Beschädigungen den
der vorher erwähnten Dörfer Arkitsa und Gkolemion entsprechen. Die
Einstürze von Mauern bei einigen Häusern nach Osten und Westen
zeigen wieder, dafs das Epicentrum weiter im Osten zu suchen ist,
und ferner, dafe diese Dörfer die äufserste westliche Grenze der
zweiten Erdbebenzone des westlichen Lokris bilden.
Östlich des letztgenannten Dorfes und innerhalb derselben Zone
liegt das aus 45 Häusern bestehende Dorf Kolaka, welches wie die
drei oben erwähnten Dörfer auf lockerem Mergel der Neogen-Eormation
und auf alluvialen Anschwemmungen steht. Hier sind die eingestürzten
Mauern, Ecken und Schornsteine auch so gefallen, dafs der Stofe von
Nordost hergekommen sein mufs, so dafs der Herd in dieser Richtung
zu suchen ist. Die kesselartige Tiefebene ■), welche sich längs des
Dorfes Kolaka ausdehnt, ist infolge von Bruchzonen entstanden.
Von hier aus nahm ich den Weg, der südöstlich zu den Dörfern
Lutzi und Pavlu führt, in denen die Zerstörung derjenigen in den
vorher erwähnten Dörfern sehr nachsteht. Die verhältnismäfsig
wenigen eingestürzten Häuser standen auf sehr lockerem Tertiärboden.
Die übrigen haben nur Risse bekommen, aber in solchem Grade, dafs
die Häuser unbewohnbar geworden sind. Hier hat man mehr teil-
weise Einstürze von Hausecken, Mauern und Schornsteinen nach NO
und SW zu beobachten.
Man hat also auch hier den Stofs von Nordost anzunehmen. Je-
doch sind auch in all diesen Dörfern keine Menschenopfer zu be-
klagen.
Das Dorf Topolia, welches südöstlich von dem Berge Berori auf
Alluvionen gebaut ist, hat ebenfalls wegen der Nähe des Kopais-Sees
bedeutenden Schaden und eine allgemeine Zerstörung seiner 25 Häuser
') Dr. A. Philippson, Der Kopais-See und seine Umgebung (Zeitscbr d.
Gesellsch. f. Krdk. zu Berlin. Bd. XXIX, 1894, S. 31.) Vgl. auch zur Verfolgung
der weiteren Beobachtungen die ausführlichere Karte in genannter Abhandlung.
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Die /.wci giobcu Kidbebeii in LoklU.
415
aufzuweisen. Die Einstürze haben meistens nach NNU und manchmal
auch nach SSW stattgefunden, so dafs der Stofs aus Norden bzw.
aus NNO herkam.
Der Leser möge mir jetzt entlang der Küste des Kopais-Secs über
den aus Kreidekalk bestehenden Abhang nach Osten zu bis auf den
Fufsweg folgen, der weiter zur Bucht der alten Stadt I.arymna führt,
wo jetzt das Dorf Kastri liegt. Dieses Dorf steht auf sehr festem, aus
kompaktem Tertiär-Konglomerat bestehenden Boden, daher hat es trotz
der grofsen Kraft dieses Erdbebens nur verhältnismäfsig wenig ge-
litten. Einige Häuser sind nur teilweise eingestürzt, und die übrigen
haben gefährliche Risse bekommen, und zwar so, dafs man sofort er-
kennen kann, die seismischen Strahlen oder Wogen kamen aus Nord-
west; also lag auch das Epicentrum in derselben Richtung. Auf
diesem südöstlichen Ende der autoseisten Scholle von I.okris hat
das Erdbeben glücklicherweise kein einziges Menschenopfer gefordert;
nicht einmal eine Verwundung ist vorgekommen.
Alle diese Ortschaften, die eine so verschiedene geographische
Lage haben, bestimmen durch die auffallenden, von den Erdbeben
an den Gebäuden u. s. w. hervorgebrachten Merkmale den Platz für das
Kpicentrum so, dafs man es bei einem oder mehreren Dörfern der
Halbinsel Aetolyma suchen niufs.
Und thatsächlich beweist ein einfacher, wenn auch oberflächlicher
Besuch der Dörfer Martino, Masi, Proskyna und Malessina, wie ich
gleich im Folgenden zeigen werde, dafs das Epicentrum des EIrdbebens
vom S./20. April, wenn nicht genau mit diesen Dörfern zusammenfällt,
so doch nicht weit davon liegt. Höchst wahrscheinlich lag es im
Kuböischen Meer und zwar zwischen dem Kandili-Berg und der Halb-
insel Aetolyma und dicht an den Bruchzonen, die entlang der Küste
der letzteren laufen.
Ich liefs das Dorf Kastri im Osten liegen und schlug einen Weg
ein, der durch einen dichten und schattenreichen Wald aus Kiefern
und wilden Olivenbäumen in zwei Stunden nach Martino führt. Dieses
Dorf liegt auf dem äufsersten nördlichen Abhang des Berges Prophet
Elias. Der nördliche Abhang des Prophet Elias hat sich durch ein
System von Bruchzonen eingesenkt und dadurch die kesselartige tiefe
Ebene, die sich nördlich und zur Seite von Martino ausbreitet, gebildet;
auf dieser Eibene liegt auch der einsame Brunnen, von dem das ganze
Dorf mit grofser Mühe Wasser schöpft.
Die geologische Zusammensetzung und Beschaffenheit des Bodens
von Martino ist gerade nicht sehr geeignet für eine autoseiste Gegend.
Der Boden besteht von oben nach unten aus */« m Humus, 1 m sehr
verwittertem gelbweifsen Mergel, darunter einen anderen kalkreichen und
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4 IG
Tlieudor G. Skuphos:
löcherigen Mergel, welcher mit anderen ähnlichen, sehr dünnen und
verwitterten oder auch kompakten Mergeln wechsellagert. Diese Schich-
ten sind entweder wagerecht (söhlig) oder sehr schwach geneigt, so
dafs also in verschiedenen Orten diese Neigung verschiedenartig ist
und infolgedessen die Hochebene bis nach Masi sehr kleine und
schwache Mulden und Sättel bildet.
Die hier hervorgebrachte Zerstörung ist bedeutend gröfser als die
von Livanataes. Die meisten Häuser sind fast vollständig eingestürzt
und zwar in der Weise, dafs die Häuser als Steinhaufen erscheinen
Der am meisten beschädigte Teil dieses Marktfleckens ist die Gebend
um die Kirche herum, welche auch dicht an den alten Bruchzonen
liegt. Dagegen haben sämtliche Häuser, welche auf den südwestlichen
höheren Teilen des Marktfleckens in der Richtung von Norden nach
Süden liegen, sehr wenig gelitten und zwar nur die nach NNO und SSW
liegenden Ecken, so dafs auch diese Häuser mir für die Feststellung
der Richtung des Erdbebens genützt haben, während in den übrigen
Stadtvierteln bei dem Durcheinander der Trümmer und weil bei dem
einen Haus die nördliche, bei einem andern die südliche oder die
westliche u. s. w. Ecke durch reinen Zufall verschont ist, man über
die Richtung schwer ins Klare kommt. Die furchtbare Katastrophe in
der Mitte des Marktfleckens hat die unmittelbare Nähe der alten
Bruchzonen, das Vorkommen des Humus, die Wechsellagerung dünn-
geschichteter und sehr verwitterter Gesteine und die sehr oberflächliche
Fundamentierung der Häuser (von 25 — 40 cm) verursacht, während
die verhältnismäfsige Verschonung der höheren Teile des Marktfleckens
der kompakteren Zusammensetzung des Bodens und der Entfernung
von den Rändern der alten Bruchzonen zu verdanken ist Leider sind
hier die Unglücksfälle bedeutend gröfiser als in den vorher erwähnten
Ortschaften. 39 Personen sind ums Leben gekommen und andere
56 Personen mehr oder weniger schwer und gefährlich verwundet. Die
Veranlassung dazu bilden einmal die engen Gassen und das zufällige
Verweilen der Einwohner in ihren Häusern, sowie dals die Bewohner
in die Kirche oder in die Nähe derselben eilten, um ihr Leben, wie
sie glaubten, zu retten; aber leider haben dort gerade die meisten ihr
Leben verloren.
Ungefähr nördlich von Martino, in einer Entfernung von einer
Stunde, liegt auf der einen Seite eines kleinen Thaies das kleine Dort
Masi. Dieses Thal wird W'estlich von dem langgezogenen Hügelland
Kumurades und östlich von dem ebenfalls langgezogenen Hügelland
Kremina begrenzt; die Unebenheiten der beiden Hügelländer sind
durch die langjährige Erosions-Thätigkeit des Giefsbaches Derstia
entstanden. Hier herrschen lockere und sehr verwitterte, gelbweifse
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Die zwei gio&en Erdbeben in Lokru.
417
Mergel der Neogen-Formation vor, welche mit dUrmbankigem, löche-
rigem Mergel wechsellagern und sehr schwach geneigte kleine Mulden
und Sättel bilden.
Die zerstörende seismische Kraft, unterstützt durch die starke
Neigung des Bodens, welche durch frühere Einstürze und Abrutschungen
entstanden ist, hat hier eine solche Verwüstung hervorgebracht, dafs
dieses Dorf von allen bis auf die Fundamente zerstörten Dörfern von
Lokris den schlimmsten Anblick gewährt. Von seinen 65 Häusern
kann man auch nicht eine einzige stehengebliebene Mauer sehen; alle
sind bis auf den Grund zerstört, so dafs man nur mit grofser Schwierig-
keit die verschiedenen Grundrifse der Häuser erkennen kann. Zufälliger-
weise aber sind trotz dieser ungeheueren Vernichtung sowohl der Ge-
bäude als auch des Bodens selbst verhältnismäfsig nur wenige, d. h.
nur 6 Menschen getötet und zwei verwundet worden; einmal, weil die
Einwohner zur Zeit des Erdbebens noch bei ihrer Beschäftigung draufsen
im Feld waren, und dann, weil die Wohnungen sehr weit von einander
standen.
Von dem Thal, welches der Giefsbach Derstia durchfliefst, zweigt
sich in seiner nordöstlichen Verlängerung in einer Entfernung von
J/4 Stunden von dem letztgenannten Dorf Masi ein anderes kleines
Thal ab, welches sich von Osten nach Westen zieht und den Namen
Speliä (AVr/,7. 1«) führt. Auf der linken, d. h. südlichen Seite dieses
Thaies und auf drei treppenartig aufeinander folgenden kleinen Berg-
rtächen liegt das Dorf oder besser der Marktflecken Malessina. Diese
drei auf einander folgenden Hochebenen sind in F'olge von drei alten
Verwerfungen entstanden, welche auch die Trennung und treppenartige
Einsenkung der Hochflächen hervorgebracht haben. Es ist also selbst-
verständlich, dafs ein Marktflecken, welcher auf einem Boden steht,
der so von alten Verwerfungen durchsetzt und eingesenkt ist, und
dann von so heftigen Erdstöfsen betroffen wurde, bei der schlechten
Bauart der Häuser gänzlich zerstört werden mufste. Hier kommt die
stattgefundene Katastrophe in Bezug auf die Gebäude gleich nach der
von Masi. Während auf den zwei niedrigen Hochflächen, welche dicht
an dem durch Einsturz und durch Mitwirkung des Wassers entstandenen
Thal Spelia liegen, keine einzige Mauer oder auch nur ein Teil einer
solchen verschont geblieben ist, sind dagegen auf der dritten, höheren
Hochebene Reste von einigen aus Stein, von zwei aus Ziegeln ge-
bauten Häusern vorhanden und 3 — 4 kleinere aus Lehm und Ziegel-
bruchstücken hergestellte Backöfen verschont geblieben. Zwei von diesen
Backöfen sind sogar in solchemZustand, dafs man sie noch benutzen kann.
Malessina hat die meisten Opfer aufzuweisen. Zum grofsen Un-
glück waren fast alle Leute kurze Zeit vor dem Eintritt der Katastrophe
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418
Theodor G Skuphot:
von ihren Äckern zurtickgekehrt, und entweder mit ihrem Abendessen
beschäftigt oder in die Kirche gegangen, wo 135 Menschen getödtet
und 76 Personen mehr oder minder schwer verwundet wurden. Malessina
steht also in Bezug auf die Zahl der Opfer an erster Stelle, dagegen
in Bezug auf die Gebäude kommt es gleich nach Masi, welches den
ersten Platz einnimmt.
Jetzt möchte ich den I.eser nach dem Dorf Proskyna führen,
welches etwas nordwestlich ungefähr in der Entfernung von anderthalb
Stunden liegt. Dieses Dorf hat auch viel Menschen verloren, so dafs
es in Bezug darauf gleich nach Malessina zu stellen ist, während es be-
züglich der Gebäude hinter den drei vorhererwähnten Dörfern Masi.
Malessina undMartino kommt; es bildet mit den übrigen Dörfern Larymna,
Kalo Pelli, Skenderaga und Livanataes die erste Zone der Zerstörung
und der Intensität des Erdbebens vom SJ20. April.
Das Dorf Proskyna liegt am äufsersten östlichen Ende der Ebene
von Atalanti; die Ebene verengert sich zwischen der Ortschaft Halmvra
und der Insel Ga'idarion, welche vor der Katastrophe noch Halbinsel
war, um sich etwas weiter östlich bei Dragana bis nach Proskyna hin
wieder zu verbreitern. Drei oder vier Giefsbäche fliefsen von Süden
herbei, treffen bei Proskyna zusammen und bilden so die kesselartige
Vertiefung, welche im Norden von Megali Khachi, im Osten von Kastro
und im Süden von Psilo Lithari begrenzt wird.
Die weifsen und gelbweifsen Neogenmergel, welche den Boden
von Proskyna bilden, sind so verwittert und locker, dafs der Boden
an einigen Stellen unter den Eüfsen nachgiebt. Fast alle Gebäude
sind eingestürzt und nur einige davon erhalten, aber in einem solchen
Zustand, dafs sie kaum wie Häuser aussehen. Im ganzen sind hier
42 Menschen ums Leben gekommen, davon in der Kirche allein 26.
Die Zahl der Verwundeten beläuft sich nur auf 11, aber leider sind es
meist gefährliche Fälle.
Es ist sehr schwer, die Beschreibung irgend eines zerstörten Dorfes
in der ersten seismischen Zone zu geben, da sich alles in einem solchen
Zustand der Zerstörung befindet, dafs man nicht einmal die Strafsen
erkennen kann. Die von den Häusern heruntergestürzten Steine, Hölzer,
Ziegel, Fenster- oder Thüreinfassungen u. s. w. sind so unter-
einander und mit den Lebensmittel-Vorräten durcheinandergeworfen,
dass man mit den alten Griechen sagen kann: „JTt’iUt xtü xtnuum x«i
)j&ot aztixiat,' tani/ifinoi1'.
ln einer Entfernung von einer Stunde von hier aus liegt auf der
Ebene von Atalanti, nicht weit von der Ortschaft Halmyra und der
jüngst abgetrennten Insel Gaidarion, das Dorf Kyparissi auf rötlich-
braunem Schutt und Anschwemmungen des Chlomos-Gebirges. Dieses
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris. 4]()
Dorf, welches aus 30—35 Häusern besteht, zeigt nichts anderes als
Haufen von Steinen mit ab und zu hervorspringenden Mauern, deren
Richtung von Osten nach Westen geht. Hier sind nur drei Menschen
verunglückt, aber viele verwundet, die jedoch alle wiederhergestellt
sind, obwohl sie unter den Steinhaufen lagen und von ihren Ver-
wandten zum Teil erst nach 24 Stunden ausgegTaben wurden. Bei
den festgebauten Kirchen sind nur die von Osten nach Westen ge-
richteten Mauern zum Teil verschont geblieben; auf diesen ruht auch
in beängstigender Weise das Dach. Die an den Gebäuden sichtbaren
Spuren des Erdbebens, wie auch die Art und Weise der Verbreitung
der Zerstörung sowohl hier als auch in allen Städten und Dörfern, die
ich in meiner Kundreise von Kato Pelli aus untersucht habe, zeigen
deutlich, dafs man das Epicentrum dieser Katastrophe irgendwo auf
der Halbinsel Aetolyma zu suchen hat; und dafs es, wie ich schon vor-
her gesagt habe, wenn nicht mit den Dörfern Masi und Malessina
zusammentrifft, dann doch sicher diesen beiden Dörfern sehr nahe
liegt und zwar auf einer Linie im Kuböischen Kanal dicht entlang
der Küste der Halbinsel Aetolyma.
Soviel hielt ich für nötig über die Zerstörung der Städte und
Dörfer von Lokris, welche durch den ersten Stofs des 8./20. April her-
vorgebracht wurde, zu erwähnen, um ein Bild davon zu geben, wie
ausgedehnt und schrecklich diese Katastrophe war, sowohl bezüglich
der zu beklagenden Menschenopfer als auch hinsichtlich der Gebäude
und des Vermögens der Einwohner.
Um das Netz der von dem Erdbeben mehr oder weniger heim-
gesuchten Ortschaften vollständig zu haben und auch die Lage des
Epicentrums ganz unzweifelhaft zu bestimmen, beschlofs ich, jetzt einen
Ausflug auf die gegenüberliegende Küste von Euböa zu unternehmen,
um vielleicht aus den dortigen Erscheinungen des Erdbebens die Lage
des Epicentrums näher bestimmen zu können.
Ungefähr gegenüber den am meisten beschädigten Dörfern von
Lokris und besonders den Dörfern, welche auf der Halbinsel Aetolyma
und auf dem niedrigsten Teil der Ebene von Atalanti liegen, befindet
sich auf Euböa unweit der Küste, auf der Grenze zwischen dem
Neogenmergel und dem Serpentin, die Stadt Limne, welche aufser
kleinen Rissen an den Mauern keinen anderen Schaden von diesem
Erdbeben erlitten hat, obwohl sie nur 15 km von den so sehr heim-
gesuchten Dörfern der Halbinsel Aetolyma entfernt ist. Die Einwohner
haben hier den Stofs angeblich von Süden herkommend gefühlt.
Ferner liegt auf dem nordöstlichen Abhang des Berges von Kandili,
auf der Grenze des lockeren Neogenmergels und des Serpentins, das
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Theodor G. Skuphos:
kleine Dorf Drasi, welches durch die Erderschütterung vom 8. 20. April
absolut gar nicht gelitten hat, abgesehen von ungefährlichen und
sehr geringfügigen Rissen an den Mauern der Häuser. Der Stofs
ist, wie wenigstens die Einwohner mitteilten, von der Halbinsel Aeto-
lyma hergekommen.
Auch die kleinen Dörfer Zura und Politika, welche auf Neogen-
Schichten gebaut sind, haben ebenfalls nur kleine unbedeutende Be-
schädigungen erfahren und den Stofs aus Südwesten herkommend
gefühlt.
Nur wenn man weiter nach SUdosten geht, werden die Zerstörungen
des Erdbebens bedeutender und zwar in Chalkis, wo die Häuser sehr
gelitten haben und der Hafendamm sich nach dem Euböischen Meer
zu geneigt hat, wodurch auch die Risse, welche mit der Küste parallel
verlaufen, hervorgerufen worden sind. Der Stofs ist hier, wie die ver-
schiedenen Merkmale an den Gebäuden zeigen und die Bewohner selbst
gefühlt haben, von Nordwest hergekommen. Diese Einwirkung des Erd-
bebens nach Südost zu ist leicht zu erklären, weil gerade diese Richtung
mit derjenigen der grofsen seismischen Axe zusammentrifft, welche ent-
lang dem Euböischen Kanal läuft. Man sieht also in diesen wenigen
Dörfern und Städten, die ich auf der Insel Euböa zur Erklärung der
I.age des Epicentrums besucht habe, dafs dasselbe nicht auf dieser
Insel zu suchen ist, sondern an der von mir vorher bezeichneten
Stelle.
Um die erste seismische Zone herum, in welcher die Zerstörung
der Gebäude eine vollständige ist, liegt die zweite seismische Zone, in
der allerdings auch Zerstörungen und viele Einstürze von Gebäuden
geschehen sind, aber lange nicht in dem Mafs, wie in der ersten Zone,
so dafs hier der von aufsen kommende Wanderer sofort unterscheiden
kann, wo das Dorf oder die Stadt gelegen hat, während dies in der
ersten seismischen Zone nicht der Fall ist.
Die in der zweiten seismischen Zone liegenden Ortschaften gehören
fast alle zur Eparchie (Bezirk) Lokris und sind folgende : Arkitsa,
Gkolemion, Ano Pelli mit Atalanti zusammen, Zölion, Kalapodion,
Sphaka, Kolaka, Lutzi, Pavlu und Topolia.
Um die zweite seismische Zone herum liegt die dritte seismische
Zone, welche eine gröfsere Ausdehnung besitzt, und in der man die
verschiedenen Dörfer und Städte als heteroseiste betrachten kann, d. h.
bei ihnen ist die Erderschütterung infolge des autothigenen Erdbebens
der ersten seismischen Zone hervorgebracht. Diese Zone beginnt etwas
westlich von Molos, steigt nach der Phthiotischen Ebene hinab, schneide;
den Kephissos, schliefst die Dörfer Helitza und Davlia ein, geht an
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris.
421
I.evadia vorbei, ohne dasselbe mit einzuschliefsen, umfafst die Städte
Theben und Chalkis, wendet sich nach Südwesten, durchschneidet
Kuböa bis zum Kap Sarakitiiko, geht von dort noch weiter nord-
westlich, trifft noch einmal Euböa in Kotzikia, schneidet es oberhalb
von Xerochori, schliefst die Küsten von Gardiki und von Achladion
in Mittel-Griechenland ein und gelangt dann wieder nach Molos.
Die vierte seismische Zone, endlich die allergröfste, wird ganz
Griechenland und die Türkei einschliefsen.
Diese vier seismischen Zonen bilden vier einander umfassende
Ellipsen, deren gröfsere Axe von Südosten nach Nordwesten streicht
und mit der Richtung des Euböischen Kanals zusammentrifft, d. h.
das Erdbeben ist entlang den alten Bruchzonen, welche die Bildung
des Euböischen Golfes hervorgebracht haben, besonders thätig gewesen.
Die Axe der ersten seismischen Zone hat ungefähr eine Länge von
33 km, die der zweiten eine solche von 55 und die der dritten von 105
und endlich die der vierten nach den vorhandenen Mitteilungen die
Länge von fast ganz Griechenland, d. h. von Trikkala und noch etwas
nördlicher bis zu den Kykladen und zwar bis nach der Insel los. Es
ist hier auch gleich zu bemerken, dafs sich die stärkeren Wirkungen
auf dieser Axe mehr in der Richtung nach Nordwesten als nach Süd-
osten gezeigt haben.
Die Richtung der grofsen seismischen Axe der Ellipse wird
von der der kleinen seismischen Axe durchkreuzt, deren Richtung
infolge dessen von Nordosten nach Sudwesten verläuft. In der Richtung
der kleinen Axe war auch die Einwirkung des Erdbebens bedeutend
schwächer. Die Länge dieser kleinen Axe für die erste seismische
Zone war 14, für die zweite 30, für die dritte 68 km und endlich für
die vierte die ganze Breite von Griechenland, d. h. wahrscheinlich
von Zante bis nach der Insel Skyros. Auf dieser kleinen seis-
mischen Axe der Ellipse war die Intensität der Einwirkung des Erd-
bebens im Südwesten stärker als im Nordosten, wie die vorher
erwähnten Beobachtungen auf der Insel Euböa beweisen; daher liegen
auch die nordöstlichen Bögen der Ellipsen im Euböischen Kanal
sehr nahe der Küste von Lokris und zeigen auf dieser Seite eine
Abflachung.
II. Das Erdbeben vom 15./27. April 1894.
Während ich am 15. 27. April, am griechischen Charfrcitag, mittags
noch in Proskyna war, konnte ich glauben, mich auf dem Deckel eines
grofsen Kessels voll kochenden .Wassers zu befinden, in welchem dieses
fortwährend gegen die untere Seite des Deckels stiefs. Immer fühlte ich
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4-22
Theodor G. Skuphos:
solche senkrechten Stöfse, wie wenn (las kochende Wasser aus dem ganz,
vollen Kessel herauszukommen versuchte. Diese Stöfse waren manchmal
von unterirdischen Geräuschen und Getöse begleitet, wie wenn in einer
gewissen Entfernung Kanonen gelöst würden, doch manchmal erfolgten
die Stöfse auch ohne dies. Dann und wann hörte man auch unter-
irdisches Getöse ohne wenigstens fühlbare Erschütterung.
Als ich seiner Zeit meine Telegramme für die obenerwähnte Zeitung
unter einem Olivenbaum neben den Zelten der Offiziere schrieb, unter-
brachen mich dabei unaufhörliche Erschütterungen mit oder ohne
unterirdisches Getöse. Da ich unmittelbar auf dem Boden safs, fühlte
ich diese Stöfse sehr stark, und zwar schienen sie fast senkrecht bzw.
von Osten oder Nordosten herzukommen.
Während meines Marsches nach Martino glaubte ich fortwährend,
sowohl wenn ich mit meinem Hammer auf irgend ein lockeres Süfs-
wassergestein klopfte, als auch beim Auftreten meiner Ftifse, ich ginge
auf einem hohlen Gewölbe und der Boden selbst sei nicht ganz fest,
sondern bewege sich in immerwährenden Erderschütterungen hin und
her, wie das Wasser, wenn man es durch einen Stock oder einen
anderen hineingeworfenen längeren Gegenstand aus seiner Ruhe ge-
bracht hat.
Um 5 Uhr nachmittags traf ich in Martino ein, nachdem ich das
unebene Hochplateau zwischen ihm und Proskyna vielfach durchwandert
hatte. Hier besuchte ich unter Begleitung des jungen Ingenieur-Offiziers
Photiadis alle Teile des Marktfleckens, machte die für meine Studien
nötigen Notizen und Photographien und kehrte dann in das Zelt der
Offiziere zurück, wo ich leider wegen des Fasttages als Abendessen
nur Hülsenfrüchte und Brot bekam. Dort, wie überall, mufste ich den
versammelten Leuten über Erdbeben und ähnliche Erscheinungen F.r-
klärungen geben, als um 9 Uhr 17 Minuten abends jenes schreckliche
unterirdische Getöse, wie von tausend Kanonenschüssen, uns in grofse
Angst und Unruhe setzte, da es auch fast gleichzeitig von einer
succussorischen Erschütterung von 12 Sekunden Dauer begleitet
wurde.
Von der Gewalt dieser Erschütterung läfst sich nicht leicht eine
Beschreibung geben, da man keine richtigen und passenden Ausdrücke
dafür finden kann, und nur diejenigen, welche es erlebt haben, sich
der Erscheinungen wohl erinnern, aber sie nicht in Worten wiedergeben
können.
Die von unten nach oben stofsende Kraft war eine Solche, dafs
die anwesenden zwei Offiziere und ich, obwohl wir uns auf dem Erd-
boden fest aneinander hielten, nicht auf dem Boden blieben, sondern
uns auf und ab bewegten, wie Gummibälle, welche die Kinder springen
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris.
423
lassen. Die letzte nach unten gehende Bewegung war derart, dafs alle
Leute ein Gefühl hatten, wie wenn sie mit einem Aufzug von einem
hoch gelegenen l’unkt, wie z. B. dem Eiffel-Turm in Paris, durch ver-
schiedene Luftschichten allmählich zum Horizont hinabstiegen. Dasselbe
Gefühl hatten auch der Bürgermeister und sämtliche Offiziere und
andere gebildete Leute in Atalanti.
Nach einigen Sekunden folgten undulatorische Erderschütterungen
von Osten nach Westen, welche mit grofser Gewalt eine ganze halbe
Stunde mit Unterbrechungen anhielten. Jeder Stofs dauerte 5 bis 8 Se-
kunden. Die bei diesem Erdbeben gebildeten seismischen Wogen des
Bodens waren auch mit blofsen Augen bemerkbar. Gehen oder Stehen
war auf dem Erdboden unmöglich, weil die Höhe der Wogen derartig
waren, cfafs bald der eine und bald der andere Fufs auf der Höhe
der Wogen war, und so plötzlich und schnell fand dieses unwillkür-
liche wechselweise Niedergehen der Füfse statt, dafs man hätte glauben
können, die Leuten tanzten „pas des i/ualre.“
Der durch diese schreckliche, angsterregende, wellenförmige Be-
wegung des Bodens hervorgerufene Zustand wurde noch mehr verstärkt
durch das unaufhörliche, wie von tausenden von Kanonen erzeugte
furchtbare unterirdische Getöse. *
Dreizehn Minuten ungefähr blieb darauf der Boden in Ruhe, bis
uns um 10 Uhr ein neues, nicht minder schreckliches unterirdisches
Getöse von unseren Plätzen aufschreckte, da demselben gleichzeitig
auch eine sehr starke von Osten herkommende undulatorische Erschütte-
rung von 9 Sekunden Dauer folgte. Alle, die in dem Zelt waren, wurden
von neuem in Angst versetzt und machten sich auf eine gröfsere Katastrophe
gefafst. Die Flucht in die Gebirge, welche einige vorgeschlagen, ist in so
schrecklicher Stunde sehr gefahrvoll wegen der Abrutschungen von Felsen
und der Bildung von Rissen u. s. w. Ich untersagte, da die Gefahr be-
deutend grölser ist, wenn man seinen Platz fortwährend wechselt, als
wenn man auf einen Punkt stehen bleibt, den Aufbruch aus den Zelten.
Das Erbleichen und das Zurücktreten der Zunge bis in die tiefste
Höhlung des Mundes, sowie das schreckliche Gefühl von Durst, welches
durch die bei allen eingetretene unheimliche Erregung hervorgerufen
wurde, ist so allgemein bekannt, dafs ich es nicht besonders zu be-
schreiben brauche. Ich selbst, von Natur sehr nervös, wurde von einer
solchen Neuropathie und Nervenerschütterung heimgesucht, dafs ich
den Gebrauch meiner Glieder vor Zittern nicht in der Gewalt hatte,
und es mufste mehr als eine Stunde vergehen, bis mein Körper wieder
zur Ruhe kam.
Diese Flrderschütterung ging glücklicherweise auch vorüber, ohne
dafs ein Unglücksfall vorkam. Von Zeit zu Zeit hörte man einige bei
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Theodor G. Skuphos:
den anderen Erschütterungen verschonte Mauern Umstürzen; eine
Thatsache, welche wieder auf unseren sehr empfindlich gewordenen
Körper und Geist einwirkte.
Wir beschlossen jene Nacht wachend zu verbringen; aber leider
sahen wir zu unserem Unglück bald, dafs unsere Kerzen nicht mehr
als für einige Minuten Leben hatten. Sehr schnell waren sie zu unserem
grofsen Kummer niedergebrannt, und so mufsten wir uns schlafen legen,
ohne einmal unsere Stiefel auszuziehen. Das nach Soldatenart aus
zwei Decken bestehende, auf der Krde befindliche Lager hatte die
Richtung von Norden nach Süden. Ich hatte mich auf die rechte
Seite gelegt und fühlte so mit dem ganzen Körper jedesmal die Er-
schütterungen des Bodens, welche strahlenförmig, fast senkrecht, aber
immer aus Osten herkamen. So oft diese Erschütterungen stark
waren, wurde mein Körper auf dem Boden wie ein langer Gegenstand
von Meereswogen geschüttelt.
Der Boden war in fortwährender Bewegung, und bei jeder etwas
heftigen Erschütterung sagte einer zum anderen: „Was ist das
wieder?" Und so ging es bis 3 Uhr 20 Minuten des Morgens, als
wieder eine fürchterliche Erschütterung, von gleicher Gewalt wie die
von 10 Uhr abends, aber von kürzerer Dauer (6 Sekunden) uns wieder
in grofse Angst und Verwirrung setzte.
Von dem ersten Erdbeben um 9 Uhr 17 Minuten abends an bis
um 5 Uhr morgens habe ich im ganzen von kleinen und grofsen Stöfsen
365 gezählt.
Während mein Plan war, nach Larymna zu gehen, um dort die
Folge - Erscheinungen des Erdbebens vom 8./20. April zu untersuchen,
war ich jetzt gezwungen, meinen Rucksack mit dem photographischen
Apparat aufzupacken, um wieder nach Atalanti zu gehen, da ich dort
erwarten konnte, eine ausgesprochenere Wirkung des Erdbebens zu
beobachten, weil ja, wie bekannt, das Erdbeben vom 8./20. April sich
dort wenig geäufsert hatte, während sämtliche Dörfer des nordöstlichen
Lokris, zu denen auch Larymna gehörte, fast gänzlich zusammengestürzt
waren, und ich infolge dessen dort auch nur wenig Material zu finden
hoffen konnte.
Es war 5 Uhr morgens, als ich über die Brücke von Martino ging,
welche grofsen Schaden durch das Erdbeben jener Nacht erlitten hatte,
im Gegensatz zu dem vom 8./20. April, wo sie verschont geblieben.
Hier wurde meine Aufmerksamkeit durch eine neugebildete Spalte an-
gezogen, welche aus der kesselartigen Einsenkung der Ebene von
Martino aufsteigt. Diese Spalte schneidet schräg die Landstrafse von
SO— NW, steigt auf die überhängenden nordwestlichen Berge, wo sie
auf die sehr harten Kalkmergel trifft, die mit Löchern ganz durrh-
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Die zwei groben Erdbeben in Lokris.
425
zogen sind, schneidet sie senkrecht zu ihrem Streichen und bringt eine
kleine Dislokation hervor. Uber diese Spalte werde ich noch näheres
mitteilen.
Als ich nach einem Marsch von fünf Viertelstunden, d. h. um 6 Uhr
20 Minuten früh, auf der Hochebene ankam, welche sich östlich oberhalb von
Proskyna ausbreitet, fand eine Erderschütterung statt mit der Richtung
NO — SW und einer Dauer von 4 Sekunden, zwar mit großer Gewalt,
aber ohne unterirdisches Getöse. Diese Erschütterung bewegte die
Ähren auf den Ackern wellenförmig nach SW mit einem sonderbaren
Geräusch; man hätte glauben können, es wehe plötzlich ein nordöst-
licher Wind, während gleichzeitig die dort zerstreuten wilden Birnbäume
eine ähnliche Bewegung von Nordost nach Südost zeigten, wie wenn
jemand von den Bäumen die darauf befindlichen Erüchte mit grofser
Gewalt herunter zu schütteln versuchte.
Nachher stieg ich nach Proskyna hinab, wo ich von den unglück-
lichen, sehr erschreckten Einwohnern die Stärke jenes Erdbebens, den
Schaden und den panischen Schrecken erfuhr, welchen es bei
ihnen hervorgebracht hatte. Sie waren im Begriff das Dorf zu ver-
lassen und zwar um sich vorläufig nach dem Ort Prinari, auf der
Ebene von Atalanti, zu begeben, wo auch ein Chani (Herberge) stand.
In Proskyna hat man das Erdbeben von 9 Uhr 17 Minuten des Abends
auch senkrecht gefühlt; dafs dies richtig ist, beweisen mehrere That-
sachen. Ol wurde aus einem Kessel bis an die Decke des Zeltes ge-
spritzt; einige feste Fundamentreste von Häusern waren in die Luft
geschleudert und befanden sich nun in umgekehrter Lage: ein Offizier
war wiederholt in die Höhe und aus dem Bett auf den Boden geworfen
worden. Dazu kommen noch einige andere Merkmale, welche die
Wirkung des Stofses am Cbarfreitag von unten nach oben auch für
diese Ortschaft nachweisen.
Kurz vor Prinari angelangt, bemerkte ich von fern schon eine
Spalte, welche den nach Südwesten sich ausbreitenden Kiefernwald
durchschneidet. Ich setzte meinen Weg fort, und um 9 Uhr 30 Minuten
war ich bei dem Ort Halmyra. Welch ein Anblick der Verwüstung bot
sich meinen Augen dar! Die Gegend war nicht wiederzuerkennen.
Die grofsen seeartigen Teiche der dortigen Wassermühle lagen jetzt
ausgetrocknet vor meinen Augen; Menschen wateten darin, um Aale zu
greifen, andere entfernten sich auf der I.andstrafse mit Säcken voller
Fische. Ich ahmte das Beispiel der ersteren nach, aber nicht um Fische
zu fangen, sondern um die Ursache des Phänomens zu untersuchen.
Der ausgetrocknete, sumpfige, mit Gras bewachsene Boden der
seeartigen, langgezogenen Teiche gab beim Auftreten jedesmal nach,
während rechts und links von mir Frösche aufsprangen und Aale im
Zeitv.hr d. Gctellich. f. Erdk. Bd. XXX. -J‘J
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Theodor G. Skuphos:
4-2fi
Schlamm unterbrochen. Ich bekam einen grofsen Schrecken, als plötzlich
ein ziemlich starkes Erdbeben um i) Uhr 40 Minuten stattfand, welches
3 — 4 Sekunden dauerte und das Röhricht gewaltig von NO nach SW
bewegte, so clafe seine obersten Spitzen bis zum Boden reichte, der Boden
selbst sich wie das Meer bewegte und kleine Risse sich vor meinen
Augen bildeten, aus deren Tiefe schmutziges, schlammiges Wasser
hervorsprudelte. Diese Spalten schlossen sich jedoch schnell wieder:
aber ich erwartete in grofser Unruhe und nervöser Erregung von Augen-
blick zu Augenblick, es möchte sich eine gröfsere Spalte vor mir bilden,
welche mich lebendig verschlingen würde. Ich blieb stehen, und er»t
als der Stofs vorüber war, stieg ich heraus auf den Kreidekalk, um
sicheren Boden zu finden; aber dort hatte sich auch eine Spalte von
Südosten her gebildet, welche mir die Erklärung für das Verschwinden
des flufeartig aus dem Kreidekalk herausquellenden Brackwassers gab.
Das Meer, welches am vorigen Tag, als ich vorüberkam, 150— 200 m
von der I.andstrafse entfernt war, befand sich jetzt in einer Entfernung
von nur einigen Metern. Ich suchte die gestern noch dort stehender
Zelte des Müllers auf, aber vergeblich, sie waren nirgends zu sehen.
Das Haus des Müllers selbst mit den Äckern umher befand sich im
Meer. Die ganze dortige Küste bildete jetzt Meeresgrund, und nur die
Mühle stand noch auf festem Land.
Indem ich auf der I.andstrafse weiterging, bemerkte ich, dafs sie
nafs war und in solcher Weise, dafs man annehmen niufste, die Meeres-
wogen hätten darüber hingespült; denn geregnet hatte es nicht,
auch lagen kleine Meerfische auf der Strafse. Etwas oberhalb der
I.andstrafse sah ich die Familie des Müllers, welche ihre Kleider umi
Wäsche auf den Kreidekalkfelsen zu trocknen versuchte. Sobald mich
die Müllerin sah, kam sie weinend zu mir, um mir von ihrem ver-
zweiflungsvollen Zustand und der vollständigen Vernichtung ihres Ver-
mögens zu sprechen, da der einzige Acker, welchen sie besessen hatten,
jetzt Meeresgrund bildete. Von dieser Familie habe ich etwas über
die seismischen Meereswogen erfahren, was ich weiter unten berichten
werde.
Ungefähr 100 m von hier entfernt, in der Richtung nach Atalanti.
waren sowohl die dortigen Äcker, als auch die Landstrafse und die
unbebauten Bodenflächen mit zahlreichen Felsstücken von verschiedenen
Abmessungen bestreut, welche von den steilen Bergabhängen der Kreiiie-
formation herabgestürzt waren. Die Berge selbst waren an ihren nie-
drigen Abhängen von einer Spalte durchschnitten, welche von hier
entlang den Neogen-Schichten verläuft und die Stadt Atalanti umschliefst.
Es ist fast unglaublich, dafs trotz der Gewalt und der langen
Dauer des furchtbaren Erdbebens vom Charfreitag die Stadt Atalanti
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Die zwei gOifsen Erdbeben in I.okris.
427
nicht bis auf den Grund zerstört worden ist. Viele, sehr viele
KinstUrze haben stattgefunden, sämtliche noch übrigen Häuser sind
zum Fallen geneigt, und doch sind sie nicht eingestiirzt. Woher
kommt dies: Das ist eine Frage, welche ich versuchen werde, an
anderer Stelle so gut wie möglich zu erklären.
Bei meinem Kintritt in die Stadt Atalanti fand ich, dafs die Ein-
wohner im Begriff waren auszuwandern, um irgendwo anders ihre Zelte
aufzuschlagen; sie baten mich beharrlich, ihnen einen sicheren Platz
dazu zu ermitteln. Die unaufhörlichen Krderschütterungen hatten noch
nicht aufgehört, und die Spalten inner- und oberhalb der Stadt klafften
noch. Für die unglücklichen Einwohner mufste man Vorsorge treffen,
vor allem entscheiden, wo sie ihre Zelte aufschlagcn sollten, damit
sie im Fall einer Wiederholung von ebenfalls zerstörend wirkenden
und Spalten bildenden Erdbeben, wie das vom Charfreitag, keine Ge-
fahr liefen. Ich gestehe, dafs ich mich zum ersten Mal seit meiner
Ankunft in dem Erdbebengebiet in schwieriger Lage befand. Die
Wissenschaft ist bei solchen Fragen leider nur theoretisch — und hier
handelte es sich um Menschenleben.
Der weitere Verlauf der Spalte nach Nordwesten war für mich bis
zu jenem Augenblick natürlich noch unbekannt, da ich aus Südosten
kam; auch konnte ich nicht wissen, was auf der Ebene von Atalanti
und auf den nach Süden liegenden Bergen geschehen war. Trotzdem
verlangten die Einwohner von mir, ich solle ihnen einen sicheren
Boden anweisen, um die Zelte aufzuschlagen. Unter solchen Verhält-
nissen teilte ich meine Ansichten über diese Frage verschiedenen Be-
amten, wie z. B. dem Bürgermeister Dr. Belopulos und den höchsten
Militärpersonen am Ort, dem Hauptmann Dr. Beratis, Stabsarzt Bcllinis
und dem Lieutenant und Polizeidirektor Grigorakis, in allgemeinen Um-
rissen mit, welche mit mir beschlossen, diese Verhältnisse der Regie-
rung bekannt zu geben. Ich hielt es für meine Pflicht, als einziger
Fachmann an Ort und Stelle, wenn auch nur auf private Aufforderung
und nicht offiziell dazu bestellt, der Regierung über die verschiedenen
Phänomene Mitteilungen zu machen und gleichzeitig meine Befürchtungen,
wenn sie auch auf Vermutungen beruhten, klar zu legen. Jenes
Telegramm, welches ich an den Minister-Präsidenten Trikupis richtete,
lautete folgendermafsen:
„Atalanti 16./28. April 11 Uhr vormittags. Gestern Abend um
g Uhr 17 Minuten in Martino ein grofses Erdbeben, dessen Centrum
im Euböischen Golf lag; es hat die tertiären (Neogen-)Schichten und
das Anschwemmungsland erschüttert. Der Stofs hat 12 Sekunden
gedauert ; diesem folgten andere 365 Stöfse bis um 5 Uhr morgens.
Einige davon waren sehr stark. Der Boden wird noch fortwährend
29*
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428
Theodor G. Skuplios:
ersc hüttert. Spalten sind überall gebildet, ln Halmyra bei Kyparissia
ist der Anfang der Hauptspalte, welche das Verschwinden einer grofsen
Menge Quellwassers, das Wassermühlen in Betrieb setzte, verursacht
hat. Eine grofse Meereswoge hat die Küste von Halmyra auf einer
Strecke von mehr als vier Stremmata (dem deutschen Morgen ent-
sprechend) überschwemmt. Das Haus des Müllers und das Festland
umher ist ins Meer versenkt. Die Fortsetzung der Spalte läuft entlang
der Kreide- und Neogen-Berge und schliefst die Stadt Atalanti ein.
Eine Einsenkung von einem Meter hat sich in der Ebene von Atalanti
gebildet. Die Stadt Atalanti befindet sich in Gefahr im Falle neuer
Erdbeben. Die Anwesenheit von Dampfschiffen, um die Einwohner
aufzunehmen, ist notwendig. Ich fürchte bei Wiederholung der Erd-
beben eine gröfsere Einsenkung. Einen Platz zum Aufschlagen von
Zelten zu bestimmen, ist in der ganzen Gegend gefährlich, da der
Boden überall gleich unsicher ist. Felsblöcke sind überall herunter-
gestürzt“.
Bei Absendung dieses Telegrammes hatte ich nicht daran gedacht,
dafs ich dasselbe nicht an Fachleute richtete, ich hatte vergessen, dafs
es auch von vielen Leuten gelesen werden würde, die gar nichts von
der Geologie und geologischen Ausdrücken verstehen, und dafs diese
glauben könnten, ich habe eine vollständige Versenkung der
Ebene von Atalanti und zwar als sehr unmittelbar bevorstehend
erwartet. Dies batte ich nie ged acht, nie vermutet, nie gefürchtet
Vielmehr fürchtete ich, dafs bei Wiederholung eines Flrdbebens wie
das vom Charfreitag und durch Spaltenbildungen von gröfseren Ab-
messungen ein Phänomen eintreten könne, welches auch bei uns in histo-
rischer Zeit stattgefunden hat und die blühende Stadt Bura1), welche
ungefähr zwei Stunden südöstlich von Ägion auf den nordwestlicher.
Abhängen der Hügel stand, die zwischen den Flüssen Kyrneitis und
Buraikos sich in einer Entfernung von drei Kilometern von der Küste
des Korinthischen Golfs hinziehen, in einer Spalte hat verschwinden
lassen. Jene Spalte, in welcher um 373 v. Chr. nach dem Zeugnis von
Strabon und l’ausanias die Stadt Bura begraben wurde, war vielleicht
eine Dislokationsspaltc8); durch Einsenkung verschwand ferner die am
Meer zwischen den F'ltissen Sehnus und Kyrneitis gelegene Stadt Helikc
in den Wogen des Korinthischen Golfs.
’) J. F. Julius Schmidt, Studien über Vulkane und Erdbeben S. 78-
Leipzig 1881, und A. Bittner, Der geologische Bau von Attika, Boeotien, Lokn-
und Parnassis, S. 18 Bd XL Denkschr. d. K. Akademie d. Wias. Malh.-Natunn'u
Kl. Wien.
-1 A. Bitlnei ebenda S, ig u. s. w.
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Die zwei grolscn Erdbeben in Lokris, .(Ot)
Ausdrücklich sagte ich in dem obigen Telegramm, die Auswahl
einer Stelle zum Aufschlagen von Zelten sei überall gefährlich, weil
überall bei Wiederholung von Erdbeben lokale Einsenkungen statt-
finden könnten, und dann die dort befindlichen I.eute dem Tode ver-
fallen waren. Gleich nachher sagte ich, dafs ich keinen sicheren Platz an-
geben könne, obwohl ich sofort die Stadt verlassen hätte, um die Ver-
hältnisse um die Spalte herum zu besichtigen und einen sicheren Hoden
aufserhalb der Zone der Spalte aufzufinden. Oie Ergebnisse meiner
Untersuchungen telegraphierte ich an demselben Tag um 8 Uhr 30 Mi-
nuten nachmittags an meine Zeitung:
„Atalanti, den 16. 28. April, 8 Uhr 30 Min. nachmittags. Während der
Quartärzeit hat eine grofse Spalte, welche auch von einer Einsenkung
begleitet war, die Bildung des Euböischen Golfes hervorgerufen, selbst-
verständlich nicht so, wie er jetzt vor unseren Augen liegt, sondern es
fehlten einige der letzteren jüngeren Schichten, welche besonders jetzt
auf den niedrigsten Stellen sowohl der Insel Euböa als auch auf der
gegenüber liegenden Küste von Mittel-Griechenland abgelagert sind.
Jetzt scheint es, dafe eine weitere Einsenkung durch eine Spalte
von SO nach NW dicht an der Küste von Mittel - Griechenland
seit neun 'lagen sich fortwährend entwickelt, welche auch die bis jetzt
bekannten Katastrophen hervorgerufen hat. Eine ähnliche und paral-
lele Spalte, welche dieselbe Ursache hat, wurde gestern Nacht ge-
bildet. Diese macht die Zukunft der Ebene von Atalanti bei Wieder-
holung von Erdbeben, wie das von gestern Abend, ungewifs. Auf die
bis jetzt sich darbietenden Erscheinungen mich stützend, komme ich
zur Vermutung, dafs sich möglicherweise noch andere ähnliche Spalten
bilden können, wie die dritte Spalte, welche die Stadt Atalanti durch-
schneidet; ich meine nicht diejenige, welche 8 — 10 km lang ist, sondern
diejenige, welche 300 m, in der Luftlinie, von der grofsen entfernt ist.
Es ist noch zu erwähnen, dafs die Erdbeben nur auf den lockeren
Schichten der Tertiärzeit und den Anschwemmungen, welche in der
verhältnismäfsig ebenen Umgebung von Atalanti abgelagert sind, Ka-
tastrophen hervorgerufen haben, dagegen auf den anderen Schichten
fast gar nicht.
Das seismische Centrum lag auf einem langen, bald schmäleren,
bald breiteren Streifen, welcher sich entlang dem Euböischen Golf
dicht an der Küste von Mittel-Griechenland hinzieht, so dafs die Dörfer
Malessina, Martino, Proskyna u. s. w. das Epicentrum bilden.
Um einer, sei es auch nur eingebildeten, Gefahr bei einem neuen
Erdbeben vorzubeugen und bei Bildung gröfserer Spalten mit teilweisen
Einstürzen des Erdreiches u. s. w. die Einwohner mehr zu sichern,
bezeichnet« ich ihnen als Platz zum Aufschlagen der Zelte die niedrigen
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430
Theodor G. Skuphos:
Flachkämme des Chlomos-Berges im Nordwestei), welche aufserhalb der
neugebildeten Bruchzonen liegen und verhältnismäfsig nicht euseiste
Erdteile sind.“
Um die unglücklichen Einwohner vor neuen Schaden und Schrecken
zu bewahren, bin ich am Ostertag selbst trotz der fürchterlichen
Hitze auf die Berge Chlomos und Rhoda gestiegen, um zu unter-
suchen, ob sich auch dort Spalten gebildet haben, durch welche die
Stadt Atalanti irgendwie gefährdet werden könnte, wenn zufällig Fels-
stücke herunterfielen. Die Ergebnisse telegraphierte ich auch an meine
Zeitung am Ostertag selbst.
„Atalanti, den 17. 29. April, 5 Uhr nachmittags. Nach vielstündiger
Untersuchung des Chlomos-Berges bin ich überzeugt, dafs oberhalb
der grofsen Spalte, d. h. nach Süden zu, gar nichts geschehen ist; alles
ist in dem früheren Zustand. Dagegen hat die Spalte nach Nordwesten
zu eine weitere Verlängerung von über 2 km bekommen. Heute habe ich
eine neue Spalte auf der Niederung in der Ebene von Atalanti bemerkt.
Auch heute wiederhole ich, dafs im Fall von Erdbeben wie das
vom Charfreitag, bei Spaltenbildung an verschiedenen Teilen der F'bene
von Atalanti und bei lokalen Einsenkungen sicherlich der Platz,
auf dem es steht, unsicher ist."
Alle diese meine Vermutungen und Befürchtungen sind durch das
Erdbeben vom Charfreitag wohl begründet. Die kesselartigen Ein-
stürze eines Landstriches von 500 m Länge und 40 m Breite und einer
Tiefe von 15 — zo m bei dem Dorf Skenderaga, d. h. auf der Ebene
von Atalanti, sind der beste Beweis dafür. Wenn an diesem Punkt
sich Menschen befunden hätten, unter ihren Zelten und neben ihren
Möbeln, als die Einstürze stattfanden, welches würde >hr Schicksal
gewesen sein? Und die seismische Periode war noch nicht beendet,
und niemand kann vorher wissen, was geschehen würde, wenn die
Erdbeben der beiden Freitage sich wiederholten. Wie das Erdbeben
am ersten Freitag, ohne sich vorher angekündigt zu haben, in
einigen Sekunden so viele Dörfer und Städte plötzlich zerstört und
den Tod so vieler Menschen verursacht hat; und wie ferner das Erd-
beben am Charfreitag in wenigen Sekunden eine ungeheure Spalte
gebildet und dadurch eine so grofse Strecke Landes von dem übrigen
Mittel-Griechenland abgetrennt hat, so ist es auch nicht unmöglich,
dafs noch andere Erdbeben stattfinden können, welche die angefangene
Arbeit der anderen beiden Erdbeben mehr oder weniger ergänzen
werden.
Jetzt will ich auf die Zerstörungen eingehen, welche das Erd-
beben vom Charfreitag in den von ihm heimgesuchten Gegenden
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Die zwei gruben Erdbeben in Lukiis.
43 1
hervorgebracht hat. Vor allen Dingen möchte ich feststellen, dafs die
grofse Axe der ersten seismischen Zone dieses Erdbebens, welches eben-
falls dieselbe Richtung von SO — NW gehabt hat, sich von 33 bis zu
52 km und zwar nach Nordwesten vergröfsert hat. Während bei dem
Erdbeben vom 8. 20. April das Dorf Arkitsa, sowie das Dorf Haghios
Konstantinos nur sehr wenig gelitten hatte, so hat jetzt das Erdbeben
vom 1 5-/2 7. April die Zerstörung dieser beiden Dörfer vollendet,
welche auf der neuen Verlängerung der grofsen Axe der Ellipse
liegen. Die Vernichtung ist derjenigen der Dörfer Malessina, Masi
u. s. w., welche auf der Halbinsel Aetolynia standen, durchaus
analog. Nach Südosten zu dagegen haben von diesem Erdbeben die
Dörfer I.arymna, Chalia und die Stadt Chalkis, welche auf derselben
Axe liegen, verhältnismäfsig wenig gelitten.
Natürlicherweise hat die Vergröfserung der Katastrophe auf der
grofsen Axe , welche sich entlang dem Euböischen Golf geäufsert
hat, auch die Vergröfserung der Zerstörung auf der senkrecht
dazu stehenden kleinen Axe, d. h. von SW nach NO, und zwar
in den Dörfern der Ebene von l.evadia einerseits und in den
Städten Limne und Hagia Anna auf Euböa anderseits, zur Folge gehabt.
Zur genauen Feststellung der Weiterverbreitung dieses Erd-
bebens fehlen leider die nötigen Mitteilungen. Trotzdem ersieht man
aus den vorhandenen, dafs das Erdbeben vom 1 5-/27. April in Bezug
auf seine Ausdehnung bedeutend breiter war, als das vom 8. 20. April;
so wurden z. B., während bei dem Erdbeben am ersten F'reitag Zante,
Tripolis und Skyros nur schwach von ihm getroffen wurden, von dem
Erdbeben am Charfreitag alle drei stark erschüttert. Auf der Insel
Skyros sind sogar einige Häuser eingestürzt, und andere wieder haben
Risse bekommen, obwohl, wie bekannt, nach dieser Richtung die ge-
ringere Kraft eingewirkt hat.
Ebenso war nach der Richtung der grolsen Axe die Verbreitung
des Erdbebens auf heteroseiste Gegenden bedeutend stärker als bei
dem des 8./20. April , wie man aus den telegraphischen Mitteilungen
von Trikkala, Kalambaka und den Meteora und zum andern aus denen
von der Insel Thera, Anaphi u. s. w. ersehen kann.
Hier mufs ich noch bemerken, dafs zwei Punkte, Hagios Ni-
kolaos einerseits auf der kleinen Insel, welche vor der Insel Atalanti
liegt, und Hagii Theodori anderseits auf den südwestlichen Ab-
hängen des Rhoda-Bergs, welche in einer Entfernung von 10 km auf
einer zu der Richtung der kleinen seismischen Axe parallelen Linie
liegen, bei dem Erdbeben vom 8./20. April durchaus gar nichts gelitten
haben, jetzt aber bei dem letzten grofsen Erdbeben, bei dem auch die
grofse seismische Axe vergröfsert wurde, nicht verschont geblieben
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432
Theodor G. Skuphos:
sind: und zwar ist der Schaden in Hagii Theodor! gröfser, da aufser
den Rissen auch die oberen Gesimse_ der Kirche und ein Teil des
Daches eingestürzt sind. Hagios Nikolaos hat weniger Schaden
davongetragen, da nur einige unbedeutende Risse gebildet und einige
Dachziegel heruntergefallen sind.
Dafs die Einwirkung nach diesen zwei Richtungen, d. h. von
SO — NW und von NO — SW, ganz verschieden gewesen, war die Folge
der festen oder lockeren Bestandteile des Bodens. Während nämlich
jenseits von Skenderaga die festeren Bestandteile des Bodens bei dem
Erdbeben am ersten Freitag z. B. das Dorf Arkitsa geschützt haben,
so war doch diese Festigkeit bei dem Erdbeben vom Charfreitag von
keiner grofsen Bedeutung, da sie dieser Gewalt nicht widerstehen konnte.
So lagen die Sachen in der Richtung der grolsen Axe. In derjenigen der
kleinen Axe dagegen, d. h. von NO nach SW. hat bei dem zweiten grofsen
Erdbeben vom Charfreitag die feste Beschaffenheit des Bodens grofsen
Widerstand gegen die zerstörende Kraft des Stofses gezeigt. Demnach
haben in dieser Richtung nur diejenigen Dörfer und Städte gelitten,
welche auf lockeren Neogen-Schichten gebaut sind, wie z. B. Lirnne,
Hagia Anna u. s. w., während dagegen die auf festen Boden stehenden
Städte und Dörfer gar nicht oder sehr wenig gelitten haben, wie z. B.
die Stadt Levadia, das Dorf Beli, Exarchos u. a.
Analog zu der Verlängerung nach NW der grofsen Axe der
ersten seismischen Zone, welche jetzt auch das Dorf Hagios Kon-
stantinos mit eingeschlossen hat, ist auch die Verlängerung derselben
Axe für die übrigen seismischen Zonen. So beginnt z. B. dort die
zweite seismische Zone, wo bei dem Erdbeben vom 8. 20. April der
Anfang der dritten Zone war, und dort, wo früher die vierte begann,
fängt jetzt die dritte an u. s. w. , während nach der entgegen-
gesetzten Richtung derselben Axe, d. h. nach SO, die Grenzen der seis-
mischen Zonen für die beiden grofsen Erdbeben unverändert geblieben
oder in Bezug auf das Erdbeben vom Charfreitag etwas nordwestlich
von der Grenze des ersten Erdbebens gerückt sind. Die Veränderungen
der kleinen Axe bei dem Erdbeben vom 15./27. April sind unbedeutend
und in Folge dessen nicht nennenswert.
Das Erdbeben vom Charfreitag hatte in den Dörfern der Halb-
insel Aetolyma nur sehr wenig an der Katastrophe des ersten Erd-
bebens vom 8./20. April zu ergänzen gefunden, weil, wie bekannt, dort
die Zerstörung eine völlige gewesen und in Folge dessen wenig für das
Erdbeben vom Charfreitag übrig geblieben war. Dagegen war die Ein-
wirkung desselben Erdbebens auf die anderen von ihm heimgesuchten
Gegenden sehr bemerkbar, da das erste verhältnismäfsig schwächer
eingewirkt hatte.
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Die zwei greisen Erdbeben in l.okris.
433
In Knto Pelli (Skala von Atalanti) hat das letzte Erdbeben aufser
der Umdrehung des Brunnens, welchen Baron von Sina im Jahr 1865
dort hat erbauen lassen, der Lockerung der Steine einer ahen Cisterne
und des oben genannten langgezogenen Hauses, der gröfseren Neigung,
weiteren Kinsenkung und Lockerung der Steine des Hafendammes, auch
die vollständige Zertsörung der bei dem ersten grofsen Erdbeben schon
zum grofsen Teil eingestürzten Häuser und Mauern bewirkt. Bei dem
Brunnen des Barons von Sina, einer viereckigen und 1,70 m hohen Säule,
die auf einer doppelten, ebenfalls viereckigen Basis ruht, ist die obere
Basis um 70, aber die Säule auf ihr nur um 2° nordöstlich gedreht,
sodafs die Drehung der Säule auf der Basis nur 5 0 beträgt.
Früher würde man dieses Phänomen als den besten Beweis für
eine Kreisbewegung des Erdstofses betrachtet haben; jetzt aber weifs
man genau, dafs diese Umdrehung nicht auf eine solche Be-
wegung des Erdbebens zurückzuführen ist, sondern darauf, dafs die
Berührungsfläche des einen Teiles nicht genau in allen Teilen auf
die andere schliefst, und dafs der Schwerpunkt des einen Teiles nicht
mit dem Mittelpunkt desselben Teiles zusammenfällt. Als nun ein seis-
mischer Strahl eine Ecke oder Seite des Brunnens unter irgend einem
Winkel traf, mufste notwendigerweise eine Drehung eintreten, und da bei
dem oberen und unteren Teil des Brunnens, bei jedem einzelnen
sowohl, wie im Verhältnis zu einander, Schwerpunkt und Mittelpunkt
wahrscheinlich nicht zusammenfielen, war die Drehung bei beiden Teilen
nicht die gleiche.
In den Dörfern Kyparissi, Skenderaga, Gkolemion und Livanataes
hat der grofse Stofs vom 15./27. April die Wirkung des ersten vom
8./20. April vollständig ergänzt, so dafs jetzt nur die Spuren von Mauern
dort zu sehen sind.
Die Einwirkung des Erdbebens vom Charfreitag kann man am
besten in den zwei Dörfern Arkitsa und Hagios Konstantinos beob-
achten, welche vorher ja nur schwach gelitten hatten. Denn während
in Arkitsa bei dem Erdbeben vom ersten Freitag nur solche Gebäude
eingestürzt waren, welche seit langer Zeit auf eine solche Gelegenheit
gewartet zu haben schienen, und nur an einigen schlecht gebauten sich
Risse gebildet hatten, mit Ausnahme derjenigen an der Kirche, die
gut gebaut ist, hat das Erdbeben vom Charfreitag die Ansicht von
Arkitsa gründlich verändert, sodafs die Zerstörung hier nur wenig
hinter derjenigen der Dörfer der Halbinsel Aetolyma zurückgeblieben ist.
Im Dorf Hagios Konstantinos hat auch nur das Erdbeben des
15. 27. April eine Zerstörung hervorgebracht. Sämtliche Häuser dieses
malerisch gelegenen Dorfes sind eingestürzt. Das schöne gleichnamige
Kloster ist in einen Steinhaufen umgewandelt; die zahlreichen Zellen
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Theodor G. Skuphoa:
der Mönche sind gänzlich eingestürzt. Ebenso ist auch die Uber 200 m
lange, 2 m hohe und sehr festgebaute Ringmauer des Klostergartens
wie eine Steinplatte umgefallen, so dafs das Fundament zum Teil ganz
freiliegt. Wenn man diese Mauer auf dem Boden liegen sieht, so hat
es den Anschein, als ob der Baumeister sie statt senkrecht von vom
herein horizontal auf den Boden gebaut habe. Leider hat dieses
Erdbeben auch hier seine Opfer verlangt. Der Prior des Klosters
und zwei Mönche sind unter den Ruinen desselben begraben und Blnf
oder sechs Menschen, aber glücklicherweise nicht schwer, verwundet
worden.
Weiter nach Nordwesten von Hagios Konstantinos haben einige
Dörfer des Demos Thronion ziemlichen Schaden gelitten, wie Rigini,
Karya u. s. w. ; jedoch da ich sie nicht besucht habe, kann ich darüber
nicht berichten.
In den bis an das nordwestliche Ende der Ebene von Phthiotis
hin liegenden Dörfern Glunitza, Dernitza, Xylikon, Modi, welche bei
dem ersten grofsen Stofs unversehrt geblieben waren , sieht man nach
dem zweiten vom 15. '27. gewaltige Zerstörungen. Elatia (Drachmani ,
sowie die übrigen Dörfer der Eparchie Levadia , welche auf der
gleichen Ebene stehen, nämlich Davlia, Hagios Blasios, Kapraena.
Brachamaga, Branesi, Mulkion, Rachi, Arapochorion, Romaeiko, Skripu,
Petromagula, Karya, Haghios, Demitrios, Dagli u. s. w., die mehr oder
weniger schwach von dem ersten heimgesucht waren, sind von dem
des Charfreitag vollständig zerstört worden.
Nur die Stadt Levadia ist bei den beiden grofsen Stöfsen der
zwei Freitage fast vollständig verschont geblieben. Der angerichtetc
Schaden steht dem in Athen verursachten sehr nach. Diese Ver-
schonung verdankt Levadia einmal der festen und nicht lockeren Be-
schaffenheit des Bodens und dem dort gebräuchlichen sehr guten
Baumaterial aus Schiefersteinen, anderseits dem Umstand, dafs es in
der Richtung der kleinen seismischen Axe, die ja die schwächere Ein-
wirkung zeigt, liegt; denn sämtliche vorher erwähnten Dörfer, welche,
wenn auch mehr oder weniger in der Richtung derselben kleinen
Axe liegen , verfielen dem völligen Untergang, nur weil sie auf einem
sehr lockeren Bodengrund liegen, da die Ebene von Levadia aus
vom Flufs angeschwemmten Erdmassen besteht.
Alle bisher erwähnten Ortschaften gehören in die beiden ersten
seismischen Zonen. Wir kommen nun zu zwei Städten, welche in der
dritten seismischen Zone liegen und durch die zwei grofsen Stöfse der
beiden Freitage stark genug erschüttert wurden und grofsen Schaden
aufweisen. Diese Städte sind Theben in Mittel-Griechenland und Chalkis
auf der Insel F.uboea.
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Die zwei grofeen Erdbeben in Lokiit». 435
Theben liegt auf der thebanischen Hochebene und wird von der
thebanischen Tiefebene durch eine Verwerfung getrennt. Diese Ver-
werfung hat die kesselartige Einsenkung der ganzen Tiefebene hervor-
gebracht. Die geologische Beschaffenheit des Bodens von Theben
zeigt mehr oder weniger lockere Konglomerate, welche von Osten nach
Westen streichen, mit 20 — 30° nach Norden einfallen und mit Kalk-
tuff und Thonmergel wechsellagern, deren Mächtigkeit bei jeder Schicht
nicht über 2 m reicht. Ab und zu, und das geschieht jenseits des
Flusses Dirke neben den sogenannten Blachomachala von Theben und
der Vorstadt Pyri, nehmen die Schichten an Mächtigkeit zu und werden
auch fester. Deshalb haben auch die Häuser, welche darauf stehen,
wenig gelitten. Dagegen zeigen alle anderen, welche auf den östlichen
Abhängen des orographischen Sattels von Theben und in anderen
Teilen liegen, eine gröfsere Wirkung des Bebens. Die Einstürze der
Häuser und die an denselben gebildeten Risse sind derart, dafs die
Richtung des Stofses von NW nach SO verlaufen sein mufs. Dieselbe
Stofsrichtung fand sich auch bei den Einstürzen der Häuser und der
Risse, welche die, Mauern in den zwei Vorstädten von Theben, in Pyri
und Hagii Theodori, aufweisen.
Das Wasser der Flüsse Dirke, Ismenos und Asopos und anderer
parallel zu diesen fliefsenden Gewässer hat im Verlauf der Zeit die
Neogen-Schichten der Hochebene von Theben in von Süden nach
Norden gerichtete Bergrücken zerschnitten. Auf einem solchen Rücken
ist Theben erbaut.
Durch die freundliche Unterstützung des Ingenieurs der Stadt
Theben, Herrn Rhodos, konnte ich sehr genau sowohl die Wirkung
des Erdbebens vom Mai 1893, als auch die der letzten Erdbeben stu-
dieren und mir eine Meinung aus der allgemeinen Übereinstimmung
sämtlicher Phänomene dahin bilden, dafs auch das Erdbeben des vorigen
Jahres (10. 22. Mai 1893) höchstwahrscheinlich die Richtung von NW
nach SO, d. h. dieselbe Richtung mit dem letzten Erdbeben hatte. In
Folge dessen kann man zwei Vermutungen darüber aufstellen: ent-
weder haben beide Stöfse dieselbe Ursache gehabt, d. h. die weitere
Ausbildung des Euböischen Golfes, oder der Stofs von 1893 verdankt
seiner Entstehung Verwerfungen, die zwischen den Bruchzonen des
Euböischen Kanals und den Bruchzonen von Theben selbst liegen,
und zwar in der Richtung von NW.
Die schöne Stadt Chalkis mit ihren anmutigen Anlagen, welche,
wie bekannt, auf der Insel Euböa liegt, und zwar auf einer kleinen
Halbinsel, die in die Meerenge Euripos hineinragt, hat bedeutenden
Schaden durch die beiden Stöfse des 8. 20. und 15-/27. April aufzu-
weisen. Zwischen dem Kreidekalk-Gestein von Karababa auf der gegen-
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Theodor G. Skuphos:
Uberliegenden Küste von Mittel-Griechenland einerseits und dem der
Hiigelreihen von Dokos andererseits steht Ophit (Serpentin) an. Dieses
Gestein kann man als die Grundlage der Stadt von Chalkis betrachten,
da auch die darauf ruhenden Anschwemmungen in einigen Stadtteilen
den Serpentin frei lassen, welcher dann wie in den Vierteln Kaphene-
dak und des Friedhofs frei zu Tage tritt; in anderen Bezirken der Stadt
dagegen beträgt die Mächtigkeit der Anschwemmungen 1 m, 2 m und
5 m. Deswegen sind während der Erschütterungen der beiden Freitage
nur diejenigen Stadtviertel in Leidenschaft gezogen, welche auf mächti-
geren Anschwemmungen liegen, weil dort wegen der geringen Tiefe der
Grundmauern diese nicht bis auf die festen Serpentin-Gesteine reichen,
sondern nur in den lockeren Anschwemmungen selbst erbaut sind.
Die Erdbebenwirkungen in Chalkis bei einem oberflächlichen Be-
such kennen zu lernen, ist unmöglich, weil nur wenige Häuser einge-
stürzt sind oder Schaden erfahren haben, was man oft von aufsen gar
nicht zu sehen bekommt. Man müfste also die Häuser im Innern
untersuchen. Was die zerstörende Gewalt des Erdbebens hier nicht
gethan hat, das müssen die Einwohner selbst thipt, d. h. die zahl-
reichen zum Fall bereiten Mauern abtragen, um ferneren Unglücksfällen
vorzubeugen.
Die Richtung des Erdbebens kann man leicht feststellen, wenn
man die zahlreichen und sehr deutlichen Merkmale, Spalten u. s. »
welche die Stöfse an den eingestürzten Mauern, Fabrikschornsteinen, her-
vorgebracht haben, betrachtet: sie geht von NW — SO.
Bei den beiden Erdbeben sind in Chalkis ein Todesfall und drei
Verwundungen zu verzeichnen gewesen; einige Leute wurden verwundet,
als man zum Sprengen der durch das Erdbeben baufällig gewordenen
Häuser Dynamit anwandte.
Aus allem diesen geht hervor, dafs das seismische Epicentrum
vom 15-/27. April wieder nicht weit von den Dörfern Masi und
Malessina lag, aber nicht vollständig mit dem des 8., 20. April zusammen
traf, indem das vom Charfreitag etwas weiter nordwestlich verschoben
ist, wie man aus seinen Wirkungen schliefsen kann. Und zwar erster.'
aus der Katastrophe, welche dieses Erdbeben nach der Richtung der
grofsen Axe der ersten elliptischen seismischen Zone im Nordwesten
hervorgebracht hat, zweitens aus den übereinstimmenden Mitteilungen
aller verläfslichen Leute, dafs nämlich das Erdbeben am Charfreitag
in den Städten Chalkis und Athen sowie in den kleinen Dörfern Kastri
in Larymna und Chalia an der Meerenge Euripos zwar gröfsere Dauer
gehabt hat, dafs aber die Kämme der seismischen Wogen sehr weit
von einander entfernt gewesen sind, d. h. dafs die Gewalt dieses Erd-
bebens bedeutend schwächer war als die des ersten Erdbebens.
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris.
437
Diese aus meinen an Ort mul Stelle angestellten Untersuchungen
hervorgehenclc Schlufsfolgerung, d. h. die Verschiebung des seismischen
Kpicentrums, wird bestätigt durch die letzten telegraphischen Depeschen
aus Atalanti, dafs nämlich die Einwohner autothigene Krdstöfse in
dem Ort Dragana fühlten, welcher ziemlich weit nordwestlich von den
Dörfern Masi und Malessina liegt. Darum fürchtete ich auch im Fall
einer Wiederholung der Erdbeben, dafs die Katastrophe sich wahr-
scheinlich noch weiter nordwestlich verschieben würde, d. h. jenseits von
Hagios Konstantinos. Trotz des Widerspruchs der Mediziner und
der Geologen, welche die Gegend von Dragana, die in geringer Meeres-
höhe nicht weit von der Ortschaft Halmyra liegt, wo ein Stück Fest-
land jetzt ins Meer versenkt ist und die grofse Spalte nahe vorbei-
läuft, als für die Einwanderung ungeeignet erklären, giebt es bei uns
Leute, die Dragana als Einwanderungsort für die Dörfer Kyparissi und
Proskyna festgehalten wissen wollen.
III. Die Eruptivgesteine des Rhoda-Berges und die Stadt
Atalanti.
Das Vorkommen von Eruptivgesteinen1) oberhalb der Stadt Atalanti
hatte ich schon an dem ersten Tage meiner Anwesenheit daselbst
beobachtet, verschwieg es aber absichtlich, weil ich ganz überzeugt
war, dafs die Mitteilung einer solchen Beobachtung bei Leuten, w’elche
herzlich wenig oder gar nichts von der Geologie verstehen, nur noch mehr
Lärm, Verwirrung und Unruhe verursachen würde. Auch ist das Vor-
kommen dieses Eruptivgesteins keineswegs als Ursache der Erdbeben
zu betrachten, noch hat es dabei irgendwie mitgewirkt, da diese viel-
mehr zu den tektonischen Erdbeben gehören und in keiner Beziehung
zu den vulkanischen Erdbeben stehen. Wenn aber die Ursache dieser
Erdbeben das Vorkommen von Eruptivgesteinen gewesen wäre, so hätte
vor allen Dingen die Stadt Atalanti leiden müssen, und von hier aus
als Centrum die übrigen Dörfer oder Städte, während jetzt, wie schon
erwähnt, die Stadt Atalanti bei dem ersten Erdbeben nur schwach ge-
litten hat und auch durch das am Charfreitag nicht in der Weise zer-
stört worden ist, wie die Dörfer der Halbinsel Aetolyma, in deren Nähe
höchstwahrscheinlich das Epicentrum der grofsen Stöfse lag.
Aus allem, was ich bis jetzt angeführt habe, ergiebt sich die sehr
auffallende Erscheinung, dafs das Erdbeben vom 8. 20. April stark
*1 Spratt, yuarterly Journal, XIII S. 2gi. — A. Bittner, Der geologische
Bau u. a. w. S. g, io u. s. w. — A. Philippson, Der K.opais-See in Griechenland
und seine Umgebung. ZciUchr. d. Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin Bd. XXIX,
t 894, S. 8.
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438
Theodor G. Skuphos:
zerstörend fast nur auf einen von SO nach NW gestreckten, sehr
schmalen Landstreifen entlang dem Kuböischen Golf, und zwar in
Mittel-Griechenland, eingewirkt hat. Infolge dessen ist jeder Ort, wenn
er auch nur ganz wenig von diesem Erdstreifen in der Richtung SW
und NO entfernt lag und einigermafsen gut gebaut war, damals mehr
oder weniger verschont geblieben, wie die Stadt Atalanti. Dagegen
ist bei dem zweiten Erdbeben vom 1 5. 27. April neben der Verschiebung
ries seismischen Centrums nach Nordwesten auch eine Verbreiterung
und Ausdehnung des Schüttergebietes in der Richtung nach SW und
NO eingetreten. So hat bei dem zweiten Beben die Stadt Atalanti
mehr gelitten, am stärksten in denjenigen Stadtteilen, welche nahe bei
den Spalten lagen oder durch dieselben geschnitten wurden; hier ist
die Zerstörung eine gründliche. Als Beweis für die gröfsere Gewalt
des Erdbebens vom 1 5-/2 7. April in der Richtung von SW nach NO
dient die Beschädigung der Stadt Limne auf Euböa, wie auch die Be-
schädigungen der zwei Kirchen von Hagios Nikolaos auf der gleich-
namigen Insel und von Hagii Theodori auf dem südwestlichen Ab-
hang des Rhoda-Berges, welcher aus Dolomiten der Kreideformation
besteht.
IV. Erdbebenwogen, Überschwemmung der Meeresküste und
Seebeben.
Auch in dieser Beziehung Ubertrifft das Erdbeben vom Charfreitag
das vom 8./20. April, bei dem weder Erdbebenwogen noch Überschwem-
mungen der Meeresküste stattgefunden haben. Entlang der Küste von
I.okris am Euböischen Golf und in drei oder vier ziemlich weit von
einander liegenden bewohnten Ortschaften sind Erdbebenwogen beob-
achtet und Landteile vom Meerwasser überschwemmt worden.
Erstens wurde in Halmyra die Erdbebenwoge gleichzeitig mit dem
Erdbeben von 9 Uhr 17 Minuten am Abend vom Charfreitag bemerkt.
Während man noch das unterirdische Getöse hörte, das dem gleich-
nachfolgenden Erdbeben voranging, befand sich das Meer in grofser
Bewegung nach dem Land zu; bei seinem Zurücktreten wurde ein
dumpfer Ton gehört, dann kehrte es plötzlich wieder auf das Festland
zurück, den Boden und die Landstrafse bedeckend. Diese Erdbeben-
woge hat auf der Landstrafse eine Menge von kleinen Fischen und
anderen Tieren sowie Pflanzen des Meeres zurückgelassen, wie mir der
Lieutenant Euripäos, welcher etwas vor mir dort auf seinem Weg nach
Atalanti vorbeigekommen war, mitteilte. Auch ich bemerkte noch
einige davon.
Die unglückliche Familie des Müllers in Halmyra befand sich in
grofser Gefahr, weil der Müller sich mit den Arbeitern in der Mühle
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Die zwei grofsen Erdbeben in l.okris.
430
befand, die zur Zeit des Erdbebens am Charfreitag noch in Betrieb
war, obgleich sie infolge ries ersten Erdbebens sich in so schad-
haftem Zustand befand, tlafs sie bei der ersten Gelegenheit — eine
seismische Erschütterung war gar nicht nötig — einstürzen mufste.
Reiner Zufall hat ihn und seine Leute vor der Gefahr bewahrt, durch
das Erdbeben am Charfreitag lebendig unter den Ruinen der Mühle
begraben zu werden. Die Frauen und Kinder ries Müllers befanden
sich unter dem Zelt, als die Erdbebenwoge kam und sie mit allen
Möbeln und Wohnungseinrichtungen, die sie nach dem Einsturz
ihrer Wohnung bei dem ersten Stofs vom 8. 20. April im Zelt aufbe-
wahrt hatten, überschwemmte. Das Personal der Mühle eilte schnell
herbei, stürzte sich ins Wasser, und rettete mit neuer Lebensgefahr die
Frauen und Kinder aus dem nassen Element, in dem sie sicher zu
Grunde gegangen w’ären. Die unglücklichen Leute verloren in dieser
schrecklichen Stunde vollständig den Verstand, als auch nach dem
Zurücktreten der Erdbebenwoge, weil das Festland sich infolge der
grofsen Spalte gesenkt hatte, die Zelte sowie auch die umher liegenden
Felder unter Wasser blieben. Die Original - Aufnahme auf Tafel 14
macht die vom Meereswasser bedeckte Landstrecke ersichtlich. Aufser
dem Haus, welches mitten im Meer nur wenige Meter aus den
Wogen hervorragt, liegt auch die Mühle selbst im Meer, und
die Landstrafse, die hier durch hohe Erdaufschüttungen hergestellt
ist, durchschneidet das Meer als ein langgezogener Damm, zu dessen
beiden Seiten in seiner ganzen Länge 25 — 30 cm tief das Meerwasser
das Land bedeckt. So ist die ganze Strecke von Halmyra bis nach Kato
Pelli (Skala von Atalanti) in einer Breite von etwa 300 m vom Meer über-
schwemmt, und die dreieckige Halbinsel Ga'idarion, welche noch vor eini-
gen Tagen durch eine schmale Landzunge mit dem übrigen Lokris in Ver-
bindung stand, bildet jetzt infolge der Einsenkung der Landzunge eine
selbständige Insel, die ziemlich weit von dem gegenüber liegenden Land
entfernt ist. Uber diese Landzunge bin ich damals herüber nach der
höher gelegenen Halbinsel gegangen, um dort das einzige aufKreidefelsen
stehende Schäferhaus zu besuchen, welches bei dem ersten Erdbeben
vom 8. 20. April unversehrt geblieben war, während es durch das vom
Charfreitag einige unbedeutende Risse bekam.
Gegenwärtig schliefst die Bucht von Atalanti drei Inseln ein: 1) die
sehr kleine Insel mit der Kapelle des HagiosNikolaos, 2) die Insel Atalanti,
welche nach Diodorus Siculus infolge eines Erdbebens im Jahr 426 v.
Chr., zur Zeit als Euthymos in Athen herrschte, von Mittel-Griechenland
abgetrennt wurde, und 3) die neugebildete dreieckige Insel Ga'idarion.
Die zweite Stelle, wo die Erdbebenwoge beobachtet wurde, war
in Kato Pelli, der Rhede von Atalanti. Hier haben glücklicherweise
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440
Theodor G. Skuphos:
die Bewohner dieser Meereserscheinung nur als Zuschauer von fern
heigewohnt. Das Meer schien auch hier während des Erdbebens vom
15. 27. April sehr erregt, trat plötzlich zurück und schnellte mit schreck-
lichem Getöse in einer Woge auf das J.and. Die auf der Küste seit
24 Stunden für die unglücklichen Einwohner von Lokris ausgeladenen
2000 Brote wurden beim Zurücktreten der Woge verschlungen, ebenso
wurde ein Kahn, welcher dort irgendwo auf die Küste gezogen war.
mit erfafst und in einer Entfernung von 30 m von der Küste umge-
schlagen.
Hier ist das Küstenland nur in geringer Tiefe und in sehr geringer
Breite vom Meerwasser überschwemmt, jedoch ist ein grofser Teil des
nach SO geneigten Hafendammes vollständig im Wasser verschwunden.
Dann ist mir über eine dritte Beobachtung der Erdbebenwoge be-
richtet, welche das malerische Küstenland von Hagios Konstantinos
heimgesucht hat. Hier ist das Meer in jener schrecklichen Nacht des
Charfrcitag mit furchtbarem Getöse 50 m von der Küste zurückgetreten
und dann plötzlich hochgestiegen, um als Erdbebenwoge wieder zurück
auf das Land zu fluten und die Küste mit den darauf stehenden
Häusern zu überschwemmen. Der Zollbeamte in Hagios Konstantinos
befand sich zu dieser Zeit auf der Strafse neben einer Ölmühle, wo
ihm infolge der Woge das Meereswasser bis ans Knie reichte, während
ein Kahnführer, der seinen Kahn zum Abfahren vorbereitete, plötzlich
mit seinem Kahn durch die grofse Gewalt der Woge ziemlich weit
landeinwärts geworfen wurde.
Hier zeigten sich entlang der Küste viele parallele Spalten, deren
eine (350 m lang) eine Landstrecke von mehr als drei Stremmata (Morgen
von dem übrigen Land abgetrennt hat, welche mit den darauf befind-
lichen Olivenbäumen, Gebüschen und niedrigeren Pflanzen im Meer ver-
sank. Eine zweite, der ersten parallelen Spalte, hat eine Insel von
42 m Länge und 55 m Breite gebildet, welche durch eine Meerenge von
3} m von dem Festland getrennt ist.
Ein ähnlicher Vorgang wie in Hagios Konstantinos scheint gegen-
über an der Küste von Achladion nach den telegraphischen Berichten
des Professor Dr. Mitzopulos stattgefunden zu haben.
Ferner sind am Kap Logga während des Erdbebens vom Char-
freitag durch Spalten, die von Südosten nach Nordwesten streichen,
parallel zu der dortigen Küste grofse Teile des vom I.ogga-Flufs ange-
schwemmten Kaps im Meer verschwunden. Die versunkene Landstrecke
beträgt etwa 5 — 6 Stremmata.
Seebeben. — Der Kapitän des Schiffes „Pelops" hat mir während
unserer F'ahrt von Piräus nach Kato Pelli erzählt, dafs er zur Zeit des
Erdbebens vom ersten Freitag in den Hafen von Volos einfuhr, als er
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris.
441
plötzlich einen starken Stofs gefühlt habe, wie wenn das Schiff auf eine
blinde Klippe gestofsen wäre. Er hat sofort mit dem Senkblei messen
lassen und festgestellt, dafs das Schiff nicht auf eine Klippe ge-
stofsen war, sondern dafs die Ursache dieses Stofses ein Beben ge-
wesen ist, wie ihm nach einiger Zeit auch die herangekommenen
Kahnführer mitteilten.
Auch der Kapitän des Dampfschiffes „Athena“ erzählte mir, dafs
er sich an dem Abend des 8. April im Hafen von Volos befunden und
auch das Beben als ein Aufstofsen auf eine blinde Klippe gespürt
habe. Kr habe auch gleich messen lassen und dabei genügende Tiefe
nachgewiesen. Er war sehr erfreut, als ich ihm mitteilte, dafs auch
der Kapitän des Dampfers „Pelops" dieselbe falsche Meinung ge-
habt hatte.
V. Einwirkung der Erdbeben auf Brunnen, Quellen, Flüsse,
Seen, artesische Brunnen u. a.
Das Erdbeben am ersten Freitag hat im allgemeinen nur sehr
wenig auf die Gewässer der vom Erdbeben heimgesuchten Gegenden
eingewirkt. Das Wasser der artesischen Brunnen von Kato Pelli wurde
merkbar vermehrt bei unveränderter Temperatur. Dasselbe ist auch
bei den Quellen von Skenderaga und Atalanti und besonders der
Quelle der makedonischen Bevölkerung von Ano Pelli geschehen.
Die Gewässer der übrigen Brunnen, gewöhnlichen und Mineralquellen,
Flüsse u. s. w., sind vollständig unverändert geblieben. Eine Aus-
nahme bilden die Brackwasser der Wassermühle von Pikraki, die
durch das Erdbeben vom 8./20. April vollständig verschwunden sind.
Diese Wassermühle liegt an der I.andstrafse, die von Livanatacs nach
Hagios Konstantinos führt, ungefähr 100 m von der Küste entfernt.
Dagegen war die Einwirkung des Erdbebens vom Charfreitag auf
die Gewässer im allgemeinen sehr bedeutend, beachtenswert und
lehrreich. Die lokrische Spalte geht gerade oberhalb der Ortschaft
Halmyra vorüber, und in ihr sind die flufsartig aus den Kalkfelsen
hervorquellenden Brackwasser, welche die dortige Wassermühle treiben,
vollständig verschwunden. Das Wasser blieb gegen 60 Stunden aus,
vom Charfreitag Abend bis zum Montag Vormittag, dann kehrte es
zurück; gegenwärtig ist die Menge des Wassers zweimal so grofs wie
vor dem Verschwinden.
Weiter nach Nordwesten ist das Wasser der Stadt Atalanti um
das Dreifache vermehrt, während das Wasser der makedonischen Kolonie
infolge der grofsen Spalte, die am grofsen Brunnen von Pasari entlang
geht weggeblieben ist. Jetzt kann man nur das Geräusch des in der
Spalte sprudelnden Wassers hören. Aher das Wasser der anderen
Zeiuchr. d. GeaelUch. f. Erdk. Bd. XXX. 30
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44-2
Theodor G. Skuphos:
zwei Brunnen von Kasna und von Dumpioti, die sieh etwa 150 — 200 m
bergabwärts befinden, ist in solchem Grade vermehrt, dafs es von den
aus Quadersteinen gebauten Brunnen einige Steine weggerissen hat und
jetzt wie ein Bach aus den fensterartigen Löchern herausfliefst und die
dortige Strafse überschwemmt. Wahrscheinlich verdanken diese zwei
Brunnen die Vermehrung ihres Wassers zum gröfsten Teil dem Weg-
bleiben des Wassers des grofsen Brunnens von Pasari.
In dem kleinen Thal, welches nordwestlich der Stadt von Atalanti
liegt, sind die Gewässer, welche die dort in der Tiefe des Thaies
liegenden Wassermühlen treiben, so vermehrt, dafs sie die wasser-
leitenden Steineinfassungen zersprengt haben und in den daneben fliefsen-
den Giefsbach einmünden.
Die Brackwasser der Ortschaft Pikraki auf der Landstrafse, die
nach Hagios Konstantinos führt, welche durch das Erdbeben des
ersten Freitags verschwunden waren, sind jetzt infolge des Erdbebens
vom Charfreitag in dreifacher Vermehrung zurückgekommen und haben
als Flufs die Strafse und die dortige Küste überschwemmt. Ebenso
ist das Wasser der Flüsse Roditza, welcher durch das Dorf Hagios
Konstantinos fliefst, und Logga, welcher am gleichnamigen Kap mündet,
sehr fühlbar vermehrt.
Dasselbe ist auch bei den übrigen im Südosten von Atalanti liegen-
den Dörfern beobachtet; besonders aber ist zu bemerken, dafs eine
Quelle des Dorfes Masi, welche bis jetzt trinkbares Wasser lieferte, seit
dem Erdbeben vom Charfreitag Brackwasser geworden ist. Dieselbe
Erscheinung zeigt die kleine Quelle der Ortschaft Halmyra.
Die zahlreichen Gewässer der Bucht von Larymna, die durch
ein System von Teichen und Kanälen die dortigen Mühlen treiben,
sind durch das Erdbeben vom Charfreitag vollständig verschwunden
und nach einigen Tagen wieder bedeutend stärker zurückgekehrt; aber
wegen der vielen Risse in den Teichen und Kanälen konnte das Wassser
nicht mehr in diesen gehalten werden und rinnt deshalb in den da-
neben fliefsenden kleinen Bach, welcher in die Bucht von I.arymna
mündet.
Das Wasser des Kopais-Sees, sowie der anderen zwei, welche
nordöstlich von demselben liegen, nämlich des Hylike- und des I’ara-
limni-Sees, ist unverändert geblieben.
So hat sich die Einwirkung der zwei Erdbeben vom 8./20. und
1 5-/27. April auf die Gewässer der heimgesuchten Teile von Mittel-
Griechenland geäufsert.
Dagegen sind die Fiinwirkungen der Erdbeben auf die Gewässer
der gegenüber liegenden Insel Euböa und zwar in Aedipsos und auf
der Halbinsel Prophet Elias, nach den von dort an das Ministerium
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Die zwei grofsen Erdbeben in T.okris.
443
des Innern gesendeten Berichten des Professor Dr. Dambergis be-
deutend mannigfaltiger und weisen viel gröfsere Erscheinungen als
in Lokris auf.
Ich habe leider bis jetzt noch nicht die Quellen von Aedipsos und
die Thermen auf der Halbinsel Prophet Elias besucht, darum werde
ich vorläufig, um ein vollständiges Bild der ganzen Einwirkung der
Erdbeben auf die Gewässer der Quellen, Brunnen, Flüsse u. s. w. zu geben,
die Beobachtungen des Professor Dr. Dambergis im Auszug anführen.
Nach seinen Berichten ist die Zahl der Heilquellen von Aedipsos vom
Freitag Abend bis Sonntag (i 5-/27. — ty./zq. April) verdoppelt und die
Menge des jetzt aus den gesamten Quellen herausfliefsenden Wassers
tim das Zehnfache vermehrt worden. Die neuen Quellen liegen auf den
Abhängen des oberhalb des Badeortes ansteigenden Berges und zwar
in drei Vertiefungen desselben.
In der ersten Schlucht sind durch kleine Risse drei neue Quellen
zu Tage getreten, aus denen reichliches Wasser mit einer Temperatur von
44 — 50° C. hcrvorsprudelt. Auf der anderen Seite derselben Schlucht
ist ein Klotz Humuserde von 3 cbm abgetrennt und eine neue Quelle
mit reichlichem Wasser von 41 0 C. entstanden. Neben dieser Quelle
sind viele andere kleine gebildet, und etwas weiter davon noch vier
andere, aus welchen ebenfalls reichliches Wasser mit einer Temperatur
von 50- 70 0 C. quillt.
In der zweiten Schlucht, die oberhalb der Wohnung des Bürger-
meisters Dr. med. Papanikolau liegt, ist durch einen Rifs in den Felsen
unterhalb der Marmorbrüche die wasserreichste Quelle unter den neuen
Qellen von Aedipsos mit einer Temperatur von 70° C. entstanden, die
auch viele Wasserdämpfe aufsteigen läfst.
In der nächsten Umgebung der Ortschaft Platanos sprudelt
reiches Wasser aus fünfzig alten, seit vielen Jahrhunderten erloschenen
Becken wieder hervor. Das bis zu der Höhe von 1 m über den
Boden springbrunnenähnlich emporsteigende Wasser hat eine Tem-
peratur von 7o-82°C. Die der alten Quellen ist von 28° C. auf
55° C. gestiegen.
In der dritten Schlucht, die über die Wohnungen der Ortschaft
von Platainos sich hinzicht, sind 6 Quellen mit 32 — 8o°C. Temperatur
zu Tage getreten und 3 andere Springquellen im Garten, deren Wasser
kocht und deren Temperatur 81 — 82“ C. ist.
Überall auf der ganzen Strecke des Thermo-Flusses (Thermopotamos)
sind viele neue Quellen mit einer Temperatur von 81 0 C. erschienen,
die auch Schwefelwasserdämpfe ausstofsen. Das Wasser der alten
Quelle der Hagii Anargyri ist weniger geworden und die Temperatur
von 770 bis 81° C. gestiegen,
30*
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144 Theodor G. Skuphos:
Aus den alten Quellbecken, welche oberhalb der Sylla-Bäder
liegen, sind neue Quellen mit 77 p C. zu Tage getreten. Ebenso sind
in den alten Becken unterhalb der Sylla-Bäder neue Quellen mit 78° C.
erschienen. Auf der Strafse, die nach dem Dorf Aedipsos führt, haben
sich ebenfalls neue Quellen von 58° C. gezeigt, die aus den Rissen
der dortigen Felsen hervorkommen.
Ferner ist auch in den in Therma auf der Halbinsel Prophet Elias
gelegenen alten Quellen, deren Temperatur 31 0 C. betrug, das Wasser seit
dem Charfreitag vermehrt und die Temperatur bis auf 440 C. gestiegen.
Zur selben Zeit ist eine neue Quelle entstanden, deren Wrasser beim
Emporsteigen einige Veränderungen an der dortigen Erdoberfläche
hervorgerufen hat; ihre Temperatur ist 440 C.
Selbstverständlich darf man diese Erscheinungen, wie auch aus
dem Titel dieses Kapitels hervorgeht, nicht als Ursache des Erdbebens
ansehen, sondern vielmehr als Folge desselben betrachten.
VI. Über die Risse, Einsenkungen, Abrutschungen, Einstürze
und Verwerfungen der beiden Erdbeben vom 8.20. und
15./27. April.
Das Erdbeben des 8., 20. April hat nur sehr wenige derartige Er-
scheinungen hervorgerufen. Spalten oder besser kleine, kaum sichtbare
Risse des Bodens sind in Kato Pelli entlang der dortigen KUste in
einer Länge von 50 - 60 m entstanden. Ebenso sind an verschiedenen
Stellen auf den Wegen, die nach Martino führen, solche oberfläch-
liche Risse im Boden entstanden und zwar auf Teilen der Strafse, die
in der Nähe von Brücken liegen, d. h. dort, wo sie durch künstliche
Anschüttungen des Bodens hergestellt ist. Die Richtung dieser Risse,
deren Länge selten Uber 20 m betrug, war von SO nach NW. Etwas
bedeutendere Risse sind bei den Dörfern Masi und Malcssina gebildet,
aber auch dort war ihre Länge nie gröfser als 200 m. Die Ränder
der Risse waren kaum 4 — 6 cm von einander entfernt, und nirgends
konnte man eine Sprunghöhe unterscheiden.
Ferner sind ähnliche Risse auf der Strafse nach Livanataes im
Pharmakorhevma entstanden, auch dort nicht von Bedeutung und auf
angeschüttetcm Boden. Kurzum, die Risse und Veränderungen ries
Bodens waren so unbedeutend, dafs, wenn das Erdbeben vom
15. 27. April nicht stattgefunden hätte, alle diese Erscheinungen viel-
leicht unerwähnt geblieben wären.
Die Sache wird aber ganz anders nach dem Erdbeben vom
15./27. April, da sich durch dasselbe lange, Interesse erregende Spalten
gebildet haben, welche Einsenkungen, Abrutschungen, Bergstürze und
Dislokationen des Bodens hervorbrachten.
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lnkris.
4 4'»
Weitaus die bedeutendste ist die grofse Spalte, welche dem
Euböischen Golf entlang in einer Länge von 55 - 60 km parallel der
Küste verläuft. Diese Spalte fängt im SO am Kap Gatza in der Bucht
von Skroponeri an und endet im NW in der Anschwemmungsebene,
die zwischen Hagios Konstantinos und Molos sich ausbreitet. Tn
ihrem Verlauf durchschneidet diese Spalte von unten nach oben folgende
Formationen: Dolomite, Kalke und Schiefer der Kreideformation;
Mergel, Konglomerate und Sandsteine der Neogen-Formation ; Anschwem-
mungen des Alluvium und ferner Serpentine und andere Eruptivgesteine.
Die Kreidekalke hat diese Spalte einmal am Skroponeri- und Pasari-
Berg mit sehr kleiner Sprunghöhe, dann aber bei Halmyra, wie
Tafel 15 zeigt, auf eine Entfernung von mehr als 200 m mit einem
Niveauunterschied von 30 cm durchschnitten. Auch weiter nordwestlich
sind Kreidekalke von der Spatte durchschnitten, aber mit sehr kleinem
Niveauunterschied und auf geringe Entfernung. Dagegen sind die
Neogen-Schichten auf grofse Entfernung und mit grofsen Sprunghöhen
durchschnitten , und dies ist noch mehr in den Anschwemmungen
der Fall.
Der geographische Verlauf der Spalte von SO nach NW ist fol-
gender: Sie fängt am Kap Gatza an, durchschneidet die südwestlichen
Abhänge des Skroponeri-Berges, die entsprechenden Abhänge des
Pasari-Berges; von dort weiter nach Südosten gelangt sie zu dem
einzigen Brunnen des Dorfes Martino, welcher nordöstlich vom Dorf
in der alten, kesselartig eingesenkten Hochebene liegt, steigt nachher
zu der Strafse hinauf, die von Martino nach Proskyna führt und
schneidet dieselbe in einer Entfernung von 5 Minuten NW vom Dorf
Martino, geht an der Ortschaft Chiliadu vorbei, wo die alte Stadt
Korseia gelegen haben soll, schneidet die nordöstlichen Abhänge des
Chlomos-Gebirges Stunde vom Dorf Proskyna entfernt, zieht sich
dann entlang der Ebene von Atalanti, durchschneidet die Ortschaft
Halmyra und mit einer mehr westlichen Biegung die breite Ebene von
Atalanti dicht an den Abhängen des Chlomos-Gebirges und oberhalb
der Stadt Atalanti, welche sie einschliefst, worauf sie die nordöstlichen
Abhänge des Rhoda-Berges schneidet. Von hier ab macht die Spalte
eine Biegung nach Nordwesten, geht zwischen den Orten Kalamaki
und Arkudari hindurch, schneidet die Nordost -Abhänge des Epi-
knemis-Berges, passiert südwestlich von Hagios Konstantinos, bildet
dort mehrere mehr oder weniger kleine Risse und verschwindet in der
Ebene, die sich jenseits von Hagios Konstantinos ausdehnt, in der
Nähe dieses Ortes und von Thronion. (Tafel 16A
Aufser dieser Spalte, welche also einen langen und breiten Land-
strich von Mittel-Griechenland abgetrennt hat, sind noch andere Spalten
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44ö
Thendor G. Skuphos:
entstanden. Zunächst diejenige, welche bei Mulkia beginnt, einem Ort
gegenüber der südlichen Spitze der Insel Atalanti, die Ebene von Ata-
lanti von NO nach SW quer durchschneidet und mit der grofsen Spalte
am südöstlichen Ende des Rhoda-Berges zusammentrifft. Diese Spalte
hat eine Länge von ungefähr 7 km und hat nordwestlich eine 30 — 50 cm
tiefe Einsenkung der Ebene von Atalanti hervorgerufen. Ferner hat
sie die Strafse, die von Atalanti nach Proskyna führt, durch strahlen-
förmige und sich vielfach kreuzende Risse so verworfen und auseinander
gesprengt, dafs man sie zu Wagen garnicht mehr und selbst zu Pferde
nur mit grofser Vorsicht passieren kann. Der Abstand der Ränder
ist gewöhnlich 15 — 20 cm, verringert sich aber ab und zu bis auf 5 cm
und steigt auch bis 25 cm.
Eine andere Spalte befindet sich in der Stadt Atalanti selbst. Diese
Spalte zweigt sich ein wenig aufserhalb der Stadt in der Ebene von
Atalanti in südöstlicher Richtung von der grofsen Spalte äb, schneidet
das südöstliche Stadtviertel und läuft am Brunnen von Pasari wieder
in die grofse Spalte aus, so dafs ein elliptischer Landstrich von unge-
fähr 800 m Länge und 300 m Breite eingeschlossen wird. Dieser
eingeschlossene Landstrich zeigt eine Niveauveränderung von 1—
Tiefe. (Tafel 17.)
Eine andere, ebenfalls einen elliptischen Landstrich umschliefsende
Spalte hat sich südwestlich von der Ortschaft Kyparissi gebildet. Der
von dieser Spalte umschlossene Tertiärhügel hat die Richtung von SO
nach NW, eine Länge von über 2 km und eine Breite von ungefähr
800 m. Die Spalte kann man auch als eine Gabelung der grofsen
Spalte betrachten, da die grofse Axe der Ellipse in die Richtung
der grofsen Spalte fällt. Die durch die Einsenkung dieser Scholle her-
vorgebrachte Niveauveränderung beträgt 35 — 40 cm. Die Kluft hat
eine Breite von 25-45 cm.
Ferner ist von einer Spalte bei dem Dorf Skenderaga zu berichten,
welche ebenfalls einen länglichen Landstrich tief eingesenkt hat. Die
Länge desselben ist etwa 500 m und die Breite 35 — 45 m. Die Ein-
senkung ist 15 — 20 m tief und hat den Lauf eines Giefsbaches unter-
brochen, der jetzt einen kleinen See bildet.
Ebenso fand ich bei den Dörfern Livanataes und Arkitsa Risse
von 100 — 150 m Länge mit der Richtung von SO nach NW. Aber
viel bedeutender sind die zahlreichen und der Küste zwischen dem
Kap Knemidos und Logga parallelen Spalten, welche auch der grofsen
Spalte parallel sind ; ihre Länge beträgt 5 — 7 km. Von besonderem
Interesse aber ist die Spalte, welche einen Landstrich von 3 — 4 □ Strem-
mata (Morgen) bei Hagios Konstantinos und ebensoviel am Kap
Logga in das Euböische Meer versenkt hat. Ferner hat noch eine
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris. 447
zweite Spalte parallel zu dieser, wie ich schon oben erwähnt habe,
eine Insel von 42 m Länge und 15 m Breite durch eine Meerenge
von 3'/j m von dem Land abgetrennt.
Nach dem Bericht des Prof. Dr. Mitzopulos an das Ministerium
des Innern sind auch Spalten um das Dorf Charma herum entstanden,
welches aus 20 Häusern besteht und auf der linken Seite einer Schlucht
liegt, deren Tiefe 30 m ist und an deren tiefster Stelle die Quelle des
Flusses Boaggeios, vulg. Platania entspringt. Das dortige aus Lehm
bestehende Terrain der Tertiär-Formation wird von der erwähnten
Schlucht durchschnitten ; diese Schlucht umschliefsen Spalten parallel
zu ihrer Axe. Es ist zu fürchten, dafs der Teil des Abhanges der
Schlucht, auf dem die Häuser stehen, in diese hineinstürzen und die
Einwohner mit ihren Häusern verschütten wird.
Aus demselben Bericht erfährt man, dafs Spalten bei Acldadion
in Phthiotis beobachtet sind. Während des letzten Erdbebens ist der
lehmige Boden dieses Thaies von Spalten parallel zu der Küste in
einer Entfernung von 150 m landeinwärts zerrissen. Diese Spalten
haben Sand mit Wasser ausgeworfen und damit die dortigen Äcker be-
deckt. Das Wasser ist wieder abgetrocknet, die Spalten von 2 — ro cm
Breite sind noch klaffend und der Sand liegt trocken zerstreut auf
dem Boden. Besonders bemerkenswert ist, dafs ein Küstenstreifen von
ungefähr 300 m Länge und 12 — 15 m Breite vom Festland abgetrennt
und im Wasser verschwunden ist; an dieser Stelle ist ein früherer Bade-
platz unzugänglich geworden, weil gleich 1 m von der Küste entfernt der
Meeresgrund bis auf 2 Klafter gesunken ist; in einer Entfernung von
10 m ist derselbe jetzt 8 bis 12 Klafter tief.
Ferner teilt Herr Professor Dr. Dambergis in einem Bericht an
das Ministerium des Innern folgendes mit: Nachdem ich die Ortschaft
Therma besucht hatte, begab ich mich auch nach Hagios Georgios,
dem Hafenort des eine halbe Stunde entfernten Dorfes Gialtra, wo in
einer Ausdehnung von 300 m die sandige Küste 6 — io m tief
ins Meer versunken ist. Der eingesenkte Boden hat eine Breite
von ungefähr um und trägt viele Risse von kleineren Abmessungen.
Ähnliche Risse kann man auch auf dem zurückgebliebenen Boden des
Küstenlandes in einer Entfernung von 400 m landeinwärts beobachten.
An der Stelle, wo das Küstenland eingestürzt ist, steigen an vielen
Punkten des Meeres Schwefelwasserstoffblasen auf.
Nach einem anderen Bericht des Provinzial-Ingenieurs von Euböa
an das Ministerium des Innern scheint in dem Dorf Messonta des
Demos Telethrion und 500 m vom Dorf Ananta entfernt eine Ab-
rutschung infolge von Spalten stattgefunden zu haben, aus deren Innern
Wasser sprudelte.
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•148
Theodor G. Skupbos:
Die auf der Halbinsel Aetolyma befindlichen Dörfer zeigen auch
Spalten. So z. B. wird das Dorf Masi von parallelen Bruchzonen von
NO — SW durchsetzt, welche mit Hilfe des Wassers der dortigen
Quellen auf den Ackern der Ortschaft Perivolakia eine fast horizon-
tale Abrutschung nach vorwärts hervorgebracht haben, so dafs die
darauf befindlichen Obstbäume jetzt auf den 12 m davon entfernten,
nur 1 m niedrigeren Teil einer Schlucht versetzt sind. Ebenso ist
durch Spalten mit derselben Richtung auf den höheren Rändern der
Schlucht des Dorfes Masi eine Einsenkung des Bodens von 1 m auf
eine Strecke von mehr als 150 m entstanden. Diese Spalte hat auch
Felsen gewaltsam abgesprengt. Ganz verschont von dieser Spalten-
bildung ist auch Malessina nicht geblieben, sondern es hat zu den
alten Verwerfungen, welche die treppenförmige Gestaltung des Bodens
hervorgerufen haben, noch eine Anzahl von neuen Spalten bekommen,
welche von NO nach SW den Marktflecken durchschneiden. Beson-
ders aber droht das niedrige Plateau fortwährend mit der Abtrennung
und dem Einsturz von Erdteilen in die enge Schlucht Spelia. Die
Spalten, die sich in Martino gebildet haben, sind unbedeutend und
nicht erwähnenswert. Dagegen sind die Spalten von Larymna
recht bedeutend; sie streichen von SO nach NW, haben eine I4nge
von über 200 m, klaffen noch und aus ihrer Tiefe quillt rötliches
Wasser, welches einen grofsen Teil der dortigen Äcker überschwemmt
hat. Die dort vorkommenden sehr kompakten Konglomerate werden
von rötlicher, mit Eisenoxyd durchsetzter Thonerde überlagert, deren
mechanische Auflösung dem herausquellenden Meerwasser die rote
Färbung gegeben hat.
Nachdem ich jetzt alle Spalten, Risse, Einsenkungen u. s. w.. be-
schrieben habe, kehre ich zu der grofsen Spalte, die ich zur Unter-
scheidung von den übrigen mit dem Namen „Lokrischer Bruch“ be-
legen möchte, und zu einigen anderen, die in Zusammenhang mit ihr
stehen, zurück.
Der Lokrische Bruch, welcher die Abtrennung einer grofsen
Scholle hervorgerufen, hat nicht überall auf seiner Ausdehnung
dieselbe Absenkung hervorgebracht, sondern diese ist dort, wo
die Schichten aus sehr dichtem und festem Gestein bestehen, selbst-
verständlich geringer; die Veränderungen aber, die er gerade dort
angerichtet hat, sind sehr bedeutend , da dort Einstürze von Höhlen,
wie z. B. in Skroponeria, nicht weit von der Bucht von Larymna, Ab-
trennungen von Felsen, wie z. B. bei Halmyra, Chiliadu, Pikraki u. 5. w.
veranlafst wurden. In den Schichten der lockeren Neogen-Formation
und in den Ailuvionen, ist die Absenkung bedeutend gröfccr, aber ohne
Lärm vor sich gegangen und hat nicht solche Zerstörungen hervor-
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Die rwei grolsen Erdbeben in Lokris.
4-1!»
gerufen, wie z. B. entlang der Ebene von Atalanti von der Ortschaft
Chiliadu bis zu der Strafse nach Levadia und noch weiter jenseits
derselben.
Die gröfste Sprunghöhe der Spalte beträgt ungefähr 2 m, ge-
wöhnlich aber etwas mehr als t m, mit Ausnahme des Kreidekalkes,
wo sie gewöhnlich 30 cm beträgt, manchmal auch nur 5 — 6 cm oder
noch weniger.
Die Entfernung der Ränder der Spalte von einander erreicht
4 m, meistens aber ist sie weniger als i\ m, manchmal nur 25 cm
oder auch nur 5 — 6 cm, wie in den Gesteinen der Kreideformation.
Über die sichtbare Tiefe det Spalte kann man nicht mit Sicher-
heit sprechen; es scheint aber, dafs sie an einigen Stellen, wenn man
die hineingesttlrzte Erde abrechnet, 13—20 m tief ist, meistens aber
reicht die sichtbare Tiefe nicht weiter als bis 2^ m, manchmal wird
sie noch bedeutend seichter, wie in den Kalken der Kreideformation.
Trotz der geringen sichtbaren Tiefe ist es unmöglich, dafe eine Spalte,
welche eine solche ungeheuere Ausdehnung besitzt, nur oberflächlich
sein sollte, sondern sie mufs noch weiter in die Erdkruste hinein-
reichen. Wie tief sie aber eindringt, ist mit Sicherheit zu bestimmen
sehr schwer; mit Gewifsheit kann man aber sagen, dafs ihre Tiefe
nicht weniger als 70,71 m in der Mitte ihrer Länge betragen kann,
welche bei der Stadt Atalanti zu suchen ist. Diese Tiefe habe ich
berechnet, geleitet durch den Gedanken, dafs eine Spalte mit der
Länge eines Erdbogens von 60 km , wie die Lokrische Spalte
von Skroponeria bis Molos sie ungefähr hat, sicher von der Oberfläche
in der Erdkruste wenigstens bis an die Sehne dieses Erdbogens hinab-
reichen mufs. Die Entfernung der Sehne in ihrer Mitte bis zum Bogen
habe ich als 70,71 m gefunden.
Aufser der sichtbaren Einsenkung der Lokrischen Scholle aber,
d. h. der senkrechten Dislokation, hat auch eine horizontale Verschie-
bung stattgefunden, wie man leicht bemerken kann, wenn man die in
die Spalte gestürzten Erdklölse betrachtet. Sämtliche haben Risse be-
kommen, welche nicht senkrecht zur Spalte stehen, sondern unter
einem Winkel; also sind auch die Erdklöfse in der Richtung des
Schenkels dieses Winkels gedreht worden. Eine solche Drehung
kann nicht zufällig sein, sondern mufs durch die Verschiebung
| der Lokrischen Scholle entstanden sein, sonst müfsten alle die
Richtung von SW — NO haben, während sie jetzt die Richtung von
SSW — NNO besitzen. Ferner ist auch z. B. das trockene Bett eines
Wasserlaufes, der vor der Bildung der grofsen Spalte die Richtung
der Spalte senkrecht schnitt, jetzt in seiner Richtung unterbrochen,
indem der auf der abgetrennten Scholle liegende Teil nach Nordwest
1
!
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450
Theodor G. Skuphos:
verschoben ist. Diese zwei Beobachtungen genügen vollständig, um
zu zeigen, dafs wirklich eine Verschiebung stattgefunden hat, und zwar
von SO nach NW.
Professor Dr. Mitzopulos ist der Ansicht, dafs die l.okrische
Scholle, die von der Spalte abgetrennt wurde, nicht eine Einsenkung
infolge einer tektonischen Verwerfung darstellt, sondern eine einfache
Abrutschung nach NO zu, d. h. dafs der ganze Vorgang eine Ober-
flächeiierscheinung ist. Gegen diese Ansicht, welche ich vielleicht an-
nehmen könnte, wenn die Spalte sich nur auf einen Teil der Ebene
von Atalanti beschränkte, habe ich Folgendes zu sagen.
1. Die ungeheure Länge der ungefähr 60 km langen Lokrischen
Spalte läfst es so gut wie unmöglich erscheinen, dafs ein Teil des
Bodens in einer solchen Ausdehnung abrutschen könne, nicht einmal
senkrecht zu seiner Längsausdehnung, während wir schon in den oben
erwähnten Beobachtungen nachgewiesen haben, dafs auch eine Ver-
schiebung nach Nordwesten stattgefunden hat, d. h. nach der Richtung
des Erdbebens selbst und nicht senkrecht zu seiner Richtung.
2. Das Einfallen der verschiedenen Schichten der Lokrischen
Scholle der Spalte entlang. Wenn nämlich eine Abrutschung stattge-
funden hätte, so müssen vor allen Dingen die tektonischen Verhältnisse
es gestatten, d. h. der zur Abrutschung bestimmte Teil mufs in der
ganzen Länge seiner sämtlichen Schichten dasselbe Einfallen haben
und im Sinne der Richtung der Abrutschung, und wenn auch irgend-
wo eine Schichtenordnung mit anderem Einfallen vorkäme, so mtifstc
sie so unbedeutend sein, dafs die allgemeine Abrutschung sie einfach
mitschleppen könnte. Hier aber liegt nicht nur keiner der obigen Fälle
vor, sondern die Schichten fallen nach der der Abrutschung entgegen-
gesetzten Richtung ein, und zwar sind die Eruptivgesteine des Berges
Rhoda ungcschichtet; sie zeigen nur eine Bankabsonderung und zu-
fälligerweise auch diese nach Stidwesten. Ferner sind dann die
Schichten der Tertiärformation, d. h. die Sandsteine, Mergel, Kalk-
mergel, Konglomerate, welche sich nordwestlich von dem Berge Rhoda
verbreiten, nämlich bis nach Livanataes und weiter, horizontal, oder sie
haben ein südliches oder südwestliches Einfallen, während gleichzeitig,
und das ist auch das Wichtigste, sämtliche Kreideschichten mit den
darauf liegenden tertiären Gebilden in der ganzen Länge der Spalte
von NW — SO streichen und südwestlich io — 35° einfallen, d. h. nach
der der vermutlichen Abrutschung entgegengesetzten Richtung.
3. Die ungleichartige petrographische und geologische Zusammen-
setzung der Scholle. Wie ich schon oben gezeigt habe, und wie man
auch sehr deutlich auf der geologischen Karte der heimgesuchten
Gegenden sehen kann, ist es sehr schwer zu begreifen, dafs so un-
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris.
451
gleichartige Schichten von so verschiedenartiger tektonischer Stellung
eine gemeinsame Abrutschung erfahren haben und noch dazu in solcher
Ausdehnung.
4. Die Breite dieser Landstriche (10 — 12 km) ist eine solche und
die durch die Abrutschung hervorgerufene Reibung würde auf einer so
grofsen Fläche so bedeutend sein, dafs von Anfang an die Ab-
rutschung vereitelt würde.
5. Wenn eine solche Abrutschung nach Südwesten stattgefunden
hätte, d. h. nach dem Kopais-See und der Ebene von Theben, Leva-
dia u. s. w. zu, so könnte ich mir das vielleicht vorstellen, weil viele Vor-
bedingungen dafür sprechen würden, aber doch auch wieder nicht
leicht zugeben. Wir haben es hier aber mit der vermutlichen Ab-
rutschung nach Nordosten zu thun, gegen deren Möglichkeit ja alle
Vorbedingungen sprechen.
Aus allem diesem ersieht man also, dafs die Lokrische Spalte
eine Verwerfung ist, die nicht eine Abrutschung nach Nordosten, son-
dern eine Einsenkung, d. h. senkrechte Dislokation hervorgebracht
hat, mit W’elcher gleichzeitig eine horizontale Verschiebung nach Nord-
westen, also in der Richtung des Erdbebenstofses verbunden war.
Eine seismogenc Spalte also und zwar durch ein tektonisches
Beben hervorgebracht, deren Lange wenigstens 55 - 60 km, deren
sichtbare Tiefe, nach Abrechnung der hineingefallenen Erde 15 bis
20 m beträgt, deren geringste Tiefe ich als Höhe des Erdbogens von
60 km zu seiner Sehne auf 70,71 m berechnet habe, bei welcher der
durch sie abgetrennte Landstrich eine sichtbare Einsenkung bis zu
2 m und gleichzeitig eine Verschiebung von einigen Centimetern nach
Nordwesten erfahren hat, welche, um die Richtung von NO nach SW
beizubehalten, d. h. eine Richtung, welche den Bruchzonen des Euböi-
schen Golfes, den Einsenkungen des Kopais-Sees, der Ebene von I.e-
vadia, des Thaies des Melas-Flusses u. s. w., auch der Bruchzone des
Korinthischen Golfes parallel ist1), weder die Kreidekalke noch die
harten Eruptiv -Gesteine des Berges Rhoda u. s. w. verschont hat —
eine solche Spalte kann man nicht als einen einfachen Rifs in den
Oberflächengebilden auffassen, sondern man mufs sie als Dislokations-
Verwerfung ansehen*), welche eine senkrechte und gleichzeitig hori-
zontale Niveauveränderung hervorgebracht hat.
*) Vergl. A. Bittner, Der geolog. Bau u. s. w. S. 18 ff. A. Philippson,
Der Kopais-See, S. 31, und andere Forscher.
*) Über die Natur der groben Spalte u. s. w. vergl. A. Philippson, //*p»
/oiV attafjiöf rij'c JqxqMos in der Zeitung , Kt/ tjutyti i wr -JriCqre<r*(ur'", No. III,
vom 25-/7. Juli 1894, und ..Das diesjährige Erdbeben in Lokris“. Verh. d. Gesellsch,
f. Erdk. zu Berlin, 1894, S. 334.
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452
Theodor G. Skuphos:
Ich gehe noch weiter und betrachte alle diese seismischen Spalten,
z. B. in der Ebene von Atalanti, von Skenderaga, an der KUste von
Hagios Konstantinos und I.oggos einerseits und der gegenüber-
liegenden KUste von Achladion u. s. w. andererseits, wie auch alle Spalten,
welche Veränderungen der Tektonik und der senkrechten und hori-
zontalen Gliederung jener Gegend verursacht haben, als einfache Dis-
lokations-Spalten. Wenn wir annehmen möchten, daß» die Lokrische
Spalte eine weitere Entwickelung erfahren würde, indem sie eine noch
gröfsere Erweiterung des Euböischen Golfes hervorriefe, entweder
durch weitere Abtrennung und Einsenkung der I.okrischen Scholle,
deren höher gelegene Punkte dann als Inseln sichtbar bleiben würden
— dann würde selbstverständlich niemand auftreten, der nicht der
Ansicht wäre, daß, wirklich eine tektonische Erscheinung stattgefunder,
habe und zwar von grofser Bedeutung. Aber was ist denn anderes
bei den kleinen Spalten eingetreten, als bei den grofsen Spalter,
nämlich kesselartige Einsenknngen und infolge davon Bildung eines
Sees, Einsenkungen und Bildung einer Insel mit Versenkung von
Erdteilen in die Meereswogen u. s. w. Und bei den grofsen Erschei-
nungen wird niemand dagegen sprechen, dafs sie tektonischen Ur-
sprungs sind, während die anderen Spalten so erklärt werden, dafs sie
der Einwirkung ihres eigenen Gewichts einfach nachgegeben und im
Meer versenkt sind. Aber wie steht es denn mit dem Meeresgrund,
welcher überall tiefer geworden ist?
Die Ursache für solche Erklärungen liegt darin, dafs man in der
Geologie bis jetzt gewöhnt ist, Dislokations-Spalten nur in früheren
Erd-Epochen zu beobachten, während man für alles, was sich heutzu-
tage vor unseren Augen entwickelt, auf möglichst einfache Weise die
Erklärung zu geben versucht, was meiner Meinung nach nicht immer
das Richtige ist.
Auf dem Isthmus von Korinth z. B., den man als durch eine re-
lative Hebung gebildet zu betrachten gewohnt ist, giebt es eine ganze
Anzahl Verwerfungen, und zwar in sehr kleinem Mafsstab1); trotzdem
hält kein Geologe sie für etwas anderes, da sie zur Veränderung der
Tektonik und der senkrechten und horizontalen Zerstückelung beige
tragen haben, und das geschieht, weil diese Erscheinungen in früheren
geologischen Zeiten stattgefunden haben.
Es ist ferner von Professor Dr. Mitzopulos und Dr. Papavasiliu
gesagt worden, dafs nur in sehr ferner Zukunft, nach Myriaden von
'l Dr. A. Philipp son, Der Isthmus von Korinth. Eine geologisch - geo-
graphische Monographie. Zeitschr. d. (iesellsch. I. Erdkunde, Bd. XXV, tj<>c.
S. 15 ff, und 55 ff.
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Die zwei jjrofsen Erdbeben in Lokris.
453
Jahrhunderten, die wissenschaftlich unbestimmbar seien, die Abtrennung
der Scholle eine Einsenkung hervorrufen und dadurch eine Über-
schwemmung und eine Erweiterung des Euböischen Golfes herbei-
führen oder eine Insel bilden könne, oder, wie sie noch anders sich
ausgedrückt haben, nur nach Verlauf von Millionen von Jahren, und
zwar nach und nach, würde das Versinken des abgetrennten Teils
statthaben können.
Man kann gegen alles dieses nichts anderes sagen, als dafs die
Zeit der Entwickelung irgend einer geologischen Erscheinung, deren
Grund uns nur theoretisch bekannt ist, nicht bestimmt werden kann.
Die Verwirklichung einer Erscheinung, welche einmal in ihren Anfängen
zu Tage getreten ist, kann in jeder Zeit stattfinden. Seit ihrem Auf-
treten jedoch droht immer die Gefahr der Verwirklichung, wie bei
einem zum Fallen geneigten Hause immer die Gefahr des Einsturzes
droht, und doch der Baumeister nicht im Stande ist, die Zeit des
Einsturzes zu bestimmen, obwohl er dort alles in kleinen Verhält-
nissen vor Augen hat und genau prüfen kann. Um zu zeigen, wie
unhaltbar eine Bestimmung der Zeit ist, in welcher die Verwirk-
lichung einer Erscheinung statthaben kann oder mufs, könnte ich
zum Beispiel ja auch eine Frist in folgender Weise bestimmen:
Wenn jährlich ein Erdbeben wie das vom Gharfreitag stattfindet, und
wenn bei jedem solchen Erdbeben eine Einsenkung des Bodens wie
am 1 5-/27. April, d. h. von 2 m, erfolgt, so würde nach Verlauf von
90 Jahren oberhalb von Atalanti der höchste Punkt der I.okrischen
Spalte, der jetzt 180 m Höhe über dem Meeresspiegel hat, Meeres-
grund bilden.
Daher glaube ich, dafs die Anfänge der Erscheinungen, welche
durch das Erdbeben vom Charfreitag zu Tage getreten sind, eine
weitere Entwickelung und Ausführung zu jeder Zeit und nicht nur in
weit entlegener Zukunft erfahren können.
VII. Abgestürzte Felsen und die dadurch hervorgerufenen
Beschädigungen.
Infolge des Erdbebens vom ersten Freitag (8. 20. April) sind nur
in zwei oder 'drei Ortschaften einige Felsstürze vorgekommen. Ich
selbst habe solche abgestürzten Felsen gesehen. Zunächst in Halmyra,
wo ziemlich grofse Felsen von den Kreidekalken, welche diese Ortschaft
überragen, aus einer Höhe von 70—80 m abgetrennt worden und bis
dicht vor die Hirtenhütten gefallen sind. Der gröfste von allen be-
trägt 2 cbm, ist auf der Ebene 80 m weit von der Basis des Berges
weggerollt und hat sich links von der Strafse von Atalanti nach Pro-
skyna fest eingewühlt.
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Theodor G. Skuphos:
Andere Felsen sind bei dem Dorf Masi in Folge von Spalten
herabgefallen, welche sich auf der oberhalb des Dorfes gelegenen
Hochebene gebildet haben, die aus Tertiärkalkmergel besteht; das
gröfste Felsstück ist etwas mehr als 2 cbm.
Solche abgestürzten Felsen sind ebenfalls in der Bucht von
T.arymna auf den Fttfsweg, der nach Karditza führt, heruntergefallen
und in kleine Blöcke von \ — 1 cbm zerstückelt.
Die durch das Erdbeben vom Charfreitag herabgefallenen Felsen
sind dagegen bedeutend gröfser und zahlreicher auf der ganzen Aus-
dehnung der ersten und zweiten seismischen Zone, d. h. von Larvmiw
bis nach Hagios Konstantinos. Am südöstlichen Ende, d. h. vor der
Bucht von I.arymna, wo sich früher Höhlen in den Kreide-Felsen be-
fanden, sind diese durch das Erdbeben vom zweiten Freitag eingestürzt;
Blöcke von sehr grofsen Abmessungen haben sich abgetrennt und sind
mit schrecklichem Getöse in das dort in der Bildung begriffene enge
Thal gestürzt, welches durch sie abgesperrt wurde.
In dem wohl bepflanzten kleinen Thal Spelia, bei dem Markt-
flecken Malessina, haben auch Abstürzungen nicht von einzelnen Fels-
stücken, sondern von ganzen Erdklötzen stattgefunden, während noch
andere bei der nächsten Veranlassung zu stürzen drohen. Darum ist den
Einwohnern von Malessina grofse Vorsicht zu empfehlen oder besser ihnen
zu raten, das Thal vollständig zu verlassen, weil namentlich die dortigen
Brunnen so liegen, dafs das Wasserholen sehr gefährlich ist, da jederzeit
von den das Thal überragenden Felsen Stücke herunterfallen können.
Ebenso sind im Dorf Masi, an derselben Stelle wie während des
Erdbebens vom ersten Freitag, auch jetzt wieder durch das Erdbeben
vom Charfreitag Felsen heruntergestürzt und zwar bedeutend gröfsere
und zahlreichere, von denen der gröfste, 3 — 4 cbm betragende bis in das
Dorf gekommen ist; einige davon sind unterwegs auf geneigter Ebene
liegen geblieben, so dafs sie bei der ersten Gelegenheit ihren Weg
fortsetzen werden. Unglücklicherweise liegen auch hier die Brunner,
unterhalb der abgetrennten und zum Weitersturz bereiten Felsen. Die
Gefahr ist auch hier sehr ins Auge fallend ; deswegen müssen auch
die Einwohner, wenn sie Wasser holen, sehr Acht geben. Sie können
nur hier Wasser holen, da es in der nächsten Umgebuflg kein anderes
Trinkwasser giebt.
Weiter südwestlich, in der Ortschaft Chiliadu, haben von den über-
hängenden Bergen gewaltige Felsstürze stattgefunden, deren Trümmer
noch bis nach Hagios Georgios heruntergerollt sind und an den
dort stehenden Bäumen grofsen Schaden veranlafst haben.
ln der Ortschaft Halmyra hat es während des ersten Erdbebens
vom 8. zo. April förmlich grofse und kleine Felsstücke geregnet, so
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris.
455
dafs eine Feldstrecke von mehr als vier Morgen jetzt mit grofsen
und kleinen Kalkblöcken (i — 5 cbm) wie besät ist. Auf den nord-
östlichen Abhängen der dort aufragenden Berge haben die herunter-
kommenden Felsen schmale Furchen gebildet, deren Fortsetzung man
auch auf der Ebene von Atalanti verfolgen kann. Diese Felsstücke
sind noch mächtiger, wenn man zu den westlich und östlich von
der Ortschaft Halmyra nach Norden herabkommenden zwei Wild-
bächen hinaufsteigt. Dort haben grofse Felsklötze, welche von sehr
hoch gelegenen Teilen des Berges abgetrennt sind, sehr auffallende
Spuren an den Abhängen hervorgebracht und die durch Wasser in
Bildung begriffenen Rinnen angefüllt.
Noch weiter nordwestlich, in der Ortschaft Pikraki, bei einer Wasser-
mühle, wo die Felsen eine Olivenanpflanzung überragen, sind auch
P'elsstticke herabgekommen, welche viele Bäume zerstörten ; sie sind so
massenhaft, dafs man sie als Bergsturz betrachten kann.
Von hier aus bis nach Hagios Konstantinos, d. h. entlang der
I.andstrafse, habe ich ähnliche Felsabstlirze zu verzeichnen, durch
welche an vielen Stellen die Strafse gesperrt worden ist. Wegen der
Höhe, aus welcher die Stürze kamen und der steilen Böschung der
Bergabhänge, sind die Blöcke mit solcher Gewalt auf die Ebene her-
untergerollt, dafs Vertiefungen, Gräben und Risse sowohl auf den
Bergabhängen als auf der Ebene selbst hervorgebracht worden sind;
auf der letzteren sind die Blöcke einige Male aufgesprungen und
haben sich dann fest eingewühlt. Solche Abstürze zeigt auch der Berg
Epiknemis bei Hagios Konstantinos.
VIII. Die tektonischen Verhältnisse und die
Entstehung des Eluböischen Golfes.
Die verschiedenen Formationsglieder in den von den Erdbeben
heimgesuchten Gegenden sind von unten nach oben folgende:
1) die Eruptivgesteine von Euböa und vom Rhoda-Berg in Mittel-
Griechenland ;
j) die Serpentine;
3) die Kalke, Dolomite, Sandsteine und Schiefer der Kreide-
formation;
4) die Mergel, Kalkmergel, Sandsteine, Konglomerate u. s. w. der
Neogen-Formation;
5) die Anschwemmungen des Diluvium und des Alluvium.
Die älteren Formationsglieder, mit Ausnahme der Eruptiv- Gesteine,
sind vielfach gefaltet und durch Längs- und Querverwerfungen gestört.
Auf diesen gefalteten Schichten ruhen die Neogen-Schichten, welche nur
mehr oder weniger einfach gestört sind. Da ich in einer späteren
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Theodor G. Skuphos:
456
Arbeit die tektonischen Verhältnisse sowie auch die am Rhoda-Berg
bei Atalanti vorkommenden Eruptivgesteine bearbeiten werde, so
beschränke ich mich hier darauf, nur kurz über die Entstehung des
Euböischen Golfes zu sprechen.
Während der Tertiärzeit, als Euböa noch mit Mittel-Griechen-
land in Verbindung war, scheint sich entlang des heutigen Kanals
von Euböa eine langgezogene Hochebene von Südosten nach Nord-
westen ausgebreitet zu haben, auf welcher eine Reihe von Brack-
wasserseen1) lagen, in denen nach und nach die Neogen - Schichten
abgelagert wurden; diese Schichten liegen jetzt auf den beiden
Küsten von Mittel -Griechenland und Euböa. Am Ende der Tertiär-
zeit und am Anfang der Quartärzeit haben grofse tektonische Störungen
stattgefunden , welche mehr oder weniger die heutigen geologischen
Verhältnisse entlang des Euböischen Kanals hervorgebracht haben.
Dafs diese grofsen Störungen in der Quartärzeit stattgefunden
haben, dafür sprechen die ganz analog auf beiden Küsten sowohl auf
Euböa als auch auf Mittel-Griechenland abgelagerten Neogen-Schichten,
deren Bildung man nur erklären kann, wenn man annimmt, dafs sie
einmal zusammenhingen. Ferner liefert das Vorkommen von Elephas
primigenius Blumb. sowohl in den Diluvial- Ablagerungen in Euböa
als auch in Mittel-Griechenland und im Peloponnes den besten Beweis,
dafs diese Landstrecken auch während der Quartärzeit in Zusammen-
hang standen. Da uns aber allgemein bekannt ist, dafs in dieser Zeit
auch der Mensch lebte, so kommt man zu dem Schlufs, dafe dieses
grofsartige geologische Phänomen nicht vor vielen Millionen Jahren
stattgefunden hat, sondern vor einer bestimmten Anzahl Dekaden von
Jahrtausenden in Anwesenheit des Menschengeschlechts. Von diesem
Elephanten besitzt unser Paläontologisches Museum Reste.
IX. Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der Erdbeben.
Leider ist es mir, da genaue Angaben über die Zeit, in welcher
die Erdbeben von I.okris stattgefunden haben, fehlen, unmöglich, irgend
eine Zahl über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erdbeben zu geben.
Oft hat man Zeitangaben aus den von dem Erdbeben heimgesuchten
Gegenden mitgeteilt, welche wesentlich von derjenigen der Sternwarte
in Athen, auf die man sich doch verlassen kann, abweichen, und zwar
so, dafs das heteroseiste Athen scheinbar die Erdbeben bedeutend
früher oder auch später als das autoseiste Lokris gefühlt hat. Der
') Dr. A. Philippson, Der Kopais-See in Griechenland und seine Umgebung.
Zeitschr. d. Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Bd. XXIX, 1894. S, 30.
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lobis
457
Fehler liegt in dem Mangel an seismischen Instrumenten, Uhren u. s. w.
in Griechenland.
Aber glücklicherweise ist, was man nicht in Griechenland erreichen
konnte, zwischen Athen und Birmingham in England, wie die Zeitung
„Nature" mitteilt, geschehen. Die Fortpflanzung der Erdbeben von
I.okris ist in sehr grofsen Entfernungen fühlbar geworden, und zwar
des Erdbebens vom 15. 27. April, welches Davidson mit Hilfe eines
an doppelten Federn hängenden, sehr empfindlichen Pendels be-
obachtet hat. Die Schwingungen sind zuerst um 7 Uhr 59 Minuten ein-
getreten, nach und nach haben sie bis 8 Uhr 3 Minuten zugenommen,
um bei 8 Uhr 28 Minuten wieder abzunehmen; dann waren die
Schwingungen nicht mehr fühlbar. Aus dem Vergleich dieser Zahlen
mit den entsprechenden Nachrichten über die Zeit des Erdbebens in
Athen selbst hat man gefunden, dals das Erdbeben in Birmingham
14 Minuten später als in Athen gefühlt wurde. Die Entfernung zwischen
diesen beiden Städten Athen und Birmingham ist wenigstens 2508 km.
Also beträgt die mittlere Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Erdbebens
für jede Sekunde 3000 m. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit gilt nur
für die Richtung der grofsen seismischen Axe der Flllipse, nach
welcher Richtung sich auch die starke Zerstörung fortgepflanzt hat.
Es wäre von grofsem Nutzen, wenn man auch von einem andern
Punkt nordöstlich oder südwestlich 'von Griechenland die mittlere
Fortpflanzungsgeschwindigkeit kennen würde, um auch nach der
Richtung der kleinen seismischen Axe der Ellipse eine Zahl zu er-
halten; diese Geschwindigkeit wird bedeutend kleiner als die der
grofsen Axe sein. Auch diese Zahl (3000 m) für die Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der grofsen Axe scheint zu grofs zu sein, da andere
Flrdbeben, welche als bedeutend gröfsere und stärkere zu betrachten
sind, wie z. B. das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, eine Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit von kaum 550 m, das von Nord-Amerika im
Jahr 1843 eine solche nach Westen von 650 m, nach Osten von
998 m, das von Ägion im Jahr 1861 nach den Beobachtungen von
Schmidt nur eine von 300 m hatten. Bei allen diesen ist also die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit bedeutend geringer.
Nach den Beobachtungen der Sternwarte in Strafsburg war die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Erdbebens von Zante im vorigen
Jahr und zwar in derselben Richtung nach Nordwesten, ebenfalls eine
grofse, nämlich 2000 — 2500 m für jede Sekunde, doch steht sie der von
I.okris bedeutend nach. Vor allem aber wird aus diesen zwei Beob-
achtungen der neuesten Zeit von Strafsburg und Birmingham klar, dafs
die Erdbeben von Zante und Lokris ungefähr nach derselben Richtung
eine sehr auffallend gröfsere Fortpflanzungsgeschwindigkeit besafsen
Zeitschr. d. Ges« 11 sch. f. Erdk. Md. XXX. 31
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Theodor G. Skuphos:
als die früheren Erdbeben. Das kann man wahrscheinlich auf gröfsere
Vervollkommnung und Genauigkeit der Instrumente der neuesten Zeit
zurückführen.
X. Über die Häufigkeit der Erdbeben von Lokris
vom 8./20. April bis zum 13./25. Juni.
Selbstverständlich war es mir wegen der grofsen Zahl der Erd-
erschütterungen, welche vom 8./20. April bis zum 13. 25. Juni d. J.
in Lokris stattgefunden haben, unmöglich, ein vollständiges Tagebuch
mit allen nötigen Bemerkungen Uber die Stunde, Dauer, Richtung und
Folgen u. s. w. einer jeden Erschütterung an Ort und Stelle zu
führen. Ich habe mich darauf beschränkt, ausführliche Angaben nur
für die grofsen Erdbeben zu verzeichnen, die übrigen, die zahl-
reicheren, zähle ich einfach auf, um zu zeigen, wie oft und andauernd
der Boden von Lokris erschüttert wurde.
Nach diesem Prinzip gebe ich an, dafs in der Zeit der ersten
8 Tage, d. h. von dem ersten Erdbeben am ersten Freitag (8. 20. April
bis zum zweiten vom Charfreitag (15. 27. April) ungefähr 850 grofse
und kleine F.rderschütterungen stattgefunden haben. Vom Abend des
15. ,'27. April 9 Uhr 17 Minuten, d. h. des zweiten grofsen Stofscs, bis
zum 24. April '6. Mai, dem Tage meiner Abreise aus I.okris, sind 4250
kleine und grofse Bewegungen des Bodens vorgekommen. Seitdem haben
die Erderschütterungen fühlbar abgenomraen, so dafs sie alle zusammen
bis zum 13. 25. Juni die Zahl von 6000 nicht überschritten haben.
Die seismische Periode scheint noch nicht zu Ende zu sein, da
täglich Telegramme kommen, welche wieder von neuen F.rderschiltte-
rungen berichten. Die Zahl von ungefähr 6000 Erderschütterungen in
I.okris zeigt im Verhältnis oder Vergleich zu der Anzahl von Er-
schütterungen anderer grofser Erdbeben, dafs die Häufigkeit der-
selben in Lokris sehr grofs ist.
Nachstehend gebe ich in einer Tabelle die gröfseren und stärkeren
Erdbeben mit Beobachtungen über Ort, Zeit, Richtung, Dauer, Folgen.
Intensität u. s. w.
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris. 459
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XI. Uber die Tiefe des seismischen Centrums und über die
Art und Ursache der Erdbeben in Lokris.
Nachdem ich schon festgestellt hatte, dafs das Epicentrum des
Erdbebens vom 8. 20. April wahrscheinlich im Euböischen Meer lag
und zwar nicht weit von der Küste der Halbinsel Aetolyma, zwischen
dieser t^nd dem Kandili-Berg von Euböa, versuchte ich nach der Me-
thode von R. Mailet die Tiefe des seismischen Centrums nachzuweisen.
So erhielt ich durch zwei Beobachtungen, da ich leider andere wegen
des zweiten Erdbebens nicht anstellen konnte, die mittlere Tiefe des
Centrums als 6992 m, das Minimum dagegen 4606 m und das Maximum
9378 m. Diese Zahlen sind nicht so sehr befriedigend, wenn man die
grofse Gewalt und Ausbreitung dieses Erdbebens ins Auge fafst, und
da man weifs, dafs Erdbeben von grofser Stärke und von grofser
Ausdehnung auf der Oberfläche das Centrum nur in bedeutender Tiefe
haben können.
Dasselbe that ich auch bezüglich des Erdbebens vom Charfreitag,
dessen Epicentrum, wie bekannt, wenn nicht auf der Halbinsel Aetolyma
selbst, dann doch dicht und entlang der Küste derselben lag. Ich
fand, dafs das seismische Epicentrum bedeutend tiefer als das vom
8. 20. April lag; und zwar ergab sich die mittlere Tiefe aus mehreren
Beobachtungen zu nooom, während das Minimum 9100 m und das
Maximum 14000 m betrug. Diese Zahlen weichen nicht viel von den
vieler anderer Erdbeben ab. So war z. B. die mittlere Tiefe des Erd-
bebens von Neapel am 15. December 1857 nach Mailet 9257, das Minimum
5 102 und das Maximum 15037 m. Die mittlere Tiefe des Erdbebens
von Mittel-Deutschland am 6. März 1872 nach Seebach war 17956, das
Minimum 14394 und das Maximum 21592 m, und endlich die mittlere
Tiefe für das Erdbeben von Herzogenrath vom 22. Oktober 1873 nach
von Lasaulx 11130, das Minimum 5045 und das Maximum 17214 m.
Es war mir unmöglich , auch andere Methoden bei der Be-
stimmung der Tiefe des seismischen Centrums anzuwenden, weil bei
jedem Erdbeben in Griechenland Zeit, Anfang und Dauer jeder Er-
schütterung in verschiedenen Gegenden aus den Seite 456 erwähnten
Gründen so widersprechend angegeben werden, dafs man von diesen An-
gaben keinen Gebrauch machen kann. In anderen Staaten sind über-
all sehr empfindliche Seismographen und andere ähnliche Instrumente
verteilt, durch welche die Fragen Uber Zeit, Anfang, Dauer und Rich-
tung eines Erdbebens genau gelöst werden. Mein Vaterland Griechen-
land befindet sich aber nicht in dieser glücklichen Lage; die einzigen
Seismographen giebt es in Athen, und auf deren Genauigkeit kann man
sich nicht immer verlassen.
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4(12
Theodor G. Skuphos:
Als Ursache der Erdbeben sind nun weder eine vulkanische Kraft,
noch das Auftreten der warmen Quellen sowohl auf Euböa als auch
in Mittel-Griechenland, noch irgend ein unterirdischer Einsturz zu be-
trachten, sondern tektonische Vorgänge in der festen Erdrinde, welche
in diesem Fall die weitere Ausbildung des Euböischen Golfes durch die
Zunahme der Euböischen Bruchzonen, und zwar derjenigen in Mittel-
Griechenland entlang der Küste des Euböischen Golfes, zum Hauptziel
haben, was hauptsächlich und sehr auffallend durch das Erdbeben vom
Charfreitag und durch die Entstehung der Lokrischen Spalte und die
nachfolgenden Erscheinungen zum Ausdruck gekommen ist.
Harum habe ich auch im Interesse der Wissenschaft unserer Re-
gierung empfohlen, sie möge neue Tiefsee-Messungen durch Marine-
Offiziere im Euböischen Golf von der Meerenge des Euripus bis zur
Meerenge von Oreon und weiter vornehmen lassen, weil sämtliche
Geologen und Chemiker, die an Ort und Stelle gewesen sind, an ver-
schiedenen Punkten Einsenkungen des Euböischen Meeresgrundes in
ihren Berichten erwähnt haben. Ferner habe ich aus Privatmitteilungen
erfahren, dafs sich unterseeische Spalten am Strand von Rhoviaes ge-
bildet haben. Ich selbst habe solche kleine Spalten auf dem
Meeresgrund am Strand von Halmyra senkrecht zu dessen Richtung
beobachtet.
Natürlich brauchen diese Niveau-Unterschiede nicht sehr grofs zu
sein, denn zur Bildung einer auch nur etwas starken Erderschütterung
genügt auch eine kaum mefsbare Niveau-Veränderung1). Deshalb habe
ich geraten, die See-Offiziere möchten auch auf kleine Niveau-Verände-
rungen aufmerksam sein, welche, wenn auch nicht für die Seeleute, so
doch wenigstens für wissenschaftliche Zwecke von Wichtigkeit sind.
XII. Unterirdisches Getöse und vulkanische Erscheinungen.
Seit meiner Ankunft in Atalanti hörte ich bald vor, bald nach
oder während jeder grofsen oder kleinen Erderschütterung unterirdi-
sches Getöse, wie von in gewisser Entfernung gelöster» Kanonen. Die
dortigen Bewohner haben dies auch vor meiner Ankunft schon ver-
nommen. Hauptsächlich am Charfreitag, als ich mich am Mittag in
Proskyna befand, wurde fortwährend solch schreckliches unterirdisches
Getöse gehört und zwar so häufig, auch wenn keine Erderschütterung
vorher oder nachher erfolgte, dafs man hätte glauben können, in irgend
einem Hafen von Euböa begrüfsten sich Kriegsschiffe durch Geschütz-
salven. Am grofsartigsten aber war das unterirdische Getöse, welches
*) Dr. A. Philip pson, Erster Reisebericht. Über die Erdbeben auf Zattf
Verhdlgen d. Gcsellsch. f. Erdk zu Berlin, 1893, S. ibg.
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Die zwei gtofsen Erdbeben in I.okris.
463
alle Welt in Schrecken setzte, um 9 Uhr 17 Minuten abends am
15. 27. April ein wenig vor der senkrechten Erderschütterung. Die
Intensität dieses unterirdischen Getöses kann man nur mit dem Knall
von tausend und mehr auf einmal abgegebenen Kanonenschüssen ver-
gleichen.
Unterirdische Getöse von geringerer Intensität als dasjenige vom
15. 27. April wurden auch am Vormittag des Sonnabends vor Ostern
vernommen. Auch am Abend des 21. April/2. Mai, als die königliche
Familie auf der Yacht Sphakteria im Golf von Larymna übernachtete
und ich mit den Redakteuren der Zeitungen „Akropolis“ und „Asty“
auf dem Land unter einem Zelt die Nacht verbrachte, fanden in
einem Zeitraum von kaum zwei Stunden 18 Erderschütterungen, fast
alle von schwacher Intensität, statt, welche von unterirdischen Ge-
räuschen begleitet W'aren, die den verschiedenartigsten Pfiffen vieler
Eisenbahnzüge glichen, die in kurzen Zwischenräumen aus Chalkis her-
zukommen schienen.
Am 22. April/3. Mai waren drei oder vier Erdstöfse, welche um
Mittag stattfanden, als ich im Dorf Masi war, von unterirdischem,
donnerähnlichem Getöse begleitet, w'ie wenn in einer gewissen Ent-
fernung Gewitter stattfänden.
Auch während dieser Erdbeben war, wie es gewöhnlich bei den
Erdbeben in Griechenland der Fall ist, die Phantasie der Menschen
thätig, welche sich nicht enthalten konnten, vulkanische Ausbrüche zu
erfinden, und zwar soll 50 m westlich vom Hylike-See, bei der Mündung
des unterirdischen Abflufskanals des Kopais-Sees, ein vulkanischer Krater
(leider nur) für 24 Stunden Feuer und Dämpfe ausgeworfen haben!!!
Diese phantastische Nachricht ist mit solcher Sicherheit von sonst zu-
verlässigen Leuten in Theben verbreitet worden, dafs sie der Korre-
spondent meiner Zeitung sogar als Thatsache telegraphiert hat.
Es scheint, dafs das Herunterfallen von Kreidekalk-Felsstücken
bei den einfachen Leuten jener Gegend die Meinung veranlafst hat,
ein Vulkan habe sich gebildet, und diese haben es dann in Theben
als sicher verbreitet.
Ähnliches ist auch von den Hirten von Hagii Anargyri, nicht
weit von der Ortschaft Halmyra, mitgeteilt worden; aber auch hier
habe ich durch eigene Untersuchungen an Ort und Stelle festgestellt,
dafs dort grofse Felsmassen von den Uberhängenden Bergen bei dem
Erdbeben vom 15./27. April heruntergefallen sind.
XIII. Das Vorgefühl der Tiere und ihre Furcht.
Besonders bei dem Erdbeben vom Charfreitag befanden sich die
Hunde des Marktfleckens Martino vollständig im Aufruhr. Einige
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404
Theodor G. Skuphos:
Sekunden vor dem unterirdischen Getöse fingen sie an zu heulen, wie
Hunde zu thun pflegen, welche Musik nicht vertragen können. Das
Heulen dauerte jene ganze schreckliche Nacht hindurch; es war
ein wirkliches Fandämonion: einerseits die unaufhörlichen Erschütte-
rungen des Bodens und das unterirdische Getöse und andererseits das
obren- und nervenzerreifsende Geheul der Hunde.
Zwei Tage darauf, d. h. am Ostersonntag, hatte ich in I.ivanataes die
Gelegenheit, die Bewegungen und das Miauen einer Katze zu beob-
achten, welche sich mit mir und einem Krankenwärter in einer kleinen
Holzbaracke befand. Einige Sekunden vor jeder Erderschütterung be-
gann sie so klagend zu schreien, dafs ich es kaum ertragen konnte.
Während des Erdbebens aber sprang sie von einem Gegenstand zum
anderen und konnte nirgends Ruhe finden.
ln derselben Nacht zeigten sich als wirkliche Verkünder der acht
grofsen Erderschütterungen, welche in jener Nacht stattfanden, die
Hühner von Epano Machala, einem Teil des Dorfes I.ivanataes, wo auch
mein Zelt stand. Während gewöhnlich die Hähne, wenn sie einmal ge-
kräht haben, warten, bis auch andere gekräht haben, und nur wenn
die Reihe an sie kommt, wieder krähen u. s. w., so hielten sie an jenem
Abend die Ordnung nicht inne, sondern alle krähten durcheinander auf
ganz eigene Art, wodurch ihre Angst klar angedeutet wurde.
Ferner brüllte ein anderes Mal in demselben Dorf ein Kalb, wel-
ches einige Meter oberhalb meines Zeltes stand, vor und während
jeder Erderschütterung so eigentümlich, lief und sprang so unruhig
hin und her, dafs es meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Seinen Kopf
hatte es gebogen und nach unten gerichtet, wie wenn es den Angriff
eines Feindes erwartete, mit seinem Schwanz schlug es unaufhörlich
wild umher, am- häufigsten nach oben zu; seine Beine waren bei allen
diesen Bewegungen gespreizt.
Am Tage nach dem Erdbeben des Charfreitags, während meines
Marsches von Martino nach Atalanti, traf ich unterwegs viele Hasen,
welche mir sehr aufgeregt schienen und durch meine Anwesenheit gar
nicht beunruhigt wurden ; erst wenn ich mit einem Stein nach ihnen
warf, liefen sie so schnell sic konnten davon. Merkwürdigerweise aber
blieben sie schon in einer Entfernung von 50—60 m wieder stehen,
und Nase und Unterlippe zuckten uhaufhörlich auf und nieder, wie
sie vor dem Fressen gewöhnlich thun. Dieses Betragen ist sehr auf-
fallend, da sie sonst bei dem Herannahen von Menschen schleunigst
davon zu laufen pflegen.
Ferner erfuhr ich von einem Hirten , dafs es ihm einige Minuten
vor dem Erdbeben am Sonnabend vor Ostern trotz seiner und seiner
Genossen Bemühungen unmöglich gewesen sei, die Schafherde durch
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Die zwei l^'ufscn Erdbeben in l.okris.
4 «5
die Hunde von der wilden Flucht in die Herge abzuhalten- Frst als
das Erdbeben vorbei war, seien sie von selbst wieder zurückgekehrt.
Unzweifelhaft haben auch auf die anderen Tiere die fürchterlichen
Erdbeben der beiden Freitage eingewirkt, aber leider fehlen weitere
Beobachtungen. Vielleicht gehen den grofsen Erdbeben schwache Er-
schütterungen des Bodens voraus, die für uns unfühlbar bleiben, wäh-
rend die Tiere, bei welchen, wie bekannt, einige Sinnesorgane sehr
fein entwickelt sind, diese kleinen Erschütterungen wahrscheinlich
fühlen können.
XIV. Bebenkrankheit.
Während der wiederholten Erdbeben in I.okris, und besonders
bei dem Erdbeben vom Charfreitag, sind I.eute, die vorher ganz gesund
waren, plötzlich von Kopfschmerzen, Schwindel und einer Neigung zum
Erbrechen befallen worden. Einige sind sogar wirklich zum Erbrechen
gekommen, so z. B. der Stabsarzt Dr. Gasis und der Ober-Lazaretgehlilfe
Papastephu.
In Atalanti litt ein Feldwebel der Infanterie fortwährend an all-
gemeiner Schw'äche und Unwohlsein, und sein Aussehen war der beste
Beweis für diesen Zustand seines Organismus.
Ferner wurde im Dorf Petromagula der Zustand der Frau des
dortigen Arztes Dr. Konstantin Sgurdakis, welche seit sechs Monaten un-
aufhörlich krank war, und der die Arzneien ihres Mannes keine Linderung
brachten, seit dem ersten Tag der Erdbeben vollständig umgewandelt;
die F’rau wurde gesund und man hörte keine Klage mehr von ihr.
XV. Meteorologische Verhältnisse.
An den ersten Tagen nach meiner Ankunft in I.okris war in den
Morgenstunden gewöhnlich ein etwas kühles und trübes Wetter, im
Lauf des Tages trat aber nach und nach ein für diese Jahres-
zeit schönes und warmes Wetter ein. Während der ‘folgenden Tage
dagegen war die Atmosphäre vom Morgen an sehr klar und die
Temperatur ziemlich hoch. Nur zweimal trat eine Änderung ein: ein-
mal am Ostermontag, als ich im Dorf Hagios Konstantinos war, wo
auf einmal ein heftiger südöstlicher Wind mit starkem Regen eintrat
und von Zeit zu Zeit weicher Hagel fiel. Dies dauerte nur s,4 Stunden,
nachher erschien die Sonne wieder am Himmel. Am Abend, als ich
mich wieder in der Ebene von Atalanti befand, blies ein starker kalter
Wind, und dichte dunkle Wolken verhüllten den Himmel bis zu den
niedrigsten Abhängen des schneebedeckten Parnafs.
Ein anderes Mal wieder, als ich am 2 2. April 4. Mai von Malessina
zurückkehrte und mich vor der Ortschaft Prinari befand, wehte ein
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Theodor G. Skuphui»:
486
starker Südwestwind, welcher, wie mir gesagt wurde, häufig in dieser
Gegend weht; er ist mit dem Wind zu vergleichen, welcher in Süd-
Deutschland und besonders in den nördlich vor den Alpen gelegenen
Gebieten im Sommer etwas vor dem Gewitter zu wehen pflegt. Als
ich zwei Stunden später nach Atalanti zurückkam, liefs der Wind
wesentlich nach und wurde erst in der Nacht wieder stärker, um
am nächsten Tag vollständig aufzuhören. Sämtliche Nächte, mit
Ausnahme der vorher erwähnten, waren angenehm und nur ein
wenig kühl.
Während meines Aufenthalts in I.evadia jedoch war das Wetter
neblig und drückend und der Parnafs mit trübem Nebel belegt, die
Aussicht war sehr beschränkt. Am 28. April/ 10. Mai vormittags war in
Theben das Wetter etwas trübe, doch hätte niemand glauben können,
dafs es nachmittags in einen Sturm Umschlägen würde, der mit Regen-
strömen die Strafse überschwemmen und sämtliche Gegenstände, welche
unter den Zelten waren, ganz durchnässen, auch einige Häuser voll-
ständig unter Wasser setzen würde, um das Unglück der Ein-
wohner zu vollenden. Der Wirt Helios konnte nur mit Hilfe seines
Regenschirmes in seinem Hotel umherwandern, weil das Wasser über-
all durch das Dach eindrang. Nach drei Stunden ungefähr hörte der
Wolkenbruch auf, die Atmosphäre aber blieb sehr drückend wie vor-
her, was sonst nach solchen Regengüssen hier nie der Fall ist. Wäh-
rend der Nacht regnete es noch fortwährend, und in der Frühe war
die Temperatur noch tiefer gesunken, so dafs der Regen fast feinem
Schnee vergleichbar war, auch eine aufserordentliche Erscheinung für
Griechenland im Mai.
Trotzdem schien das Wetter sich nachmittags während meiner
Wanderung nach Chalkis auf bessern zu wollen, aber nur für 24 Stunden;
denn in Chalkis selbst kam ein starkes Gewitter mit heftigem Regen,
von Hagel begleitet, welches den Boden bis 15 cm hoch überschwemmte
die Strafsen vollständig ungangbar machte und die Plätze in Seen
verwandelte.
XVI. Wie waren die Gebäude in den von den Erdbeben
heimgesuchten Gegenden gebaut?
Zu der allgemeinen Zerstörung der Gebäude in den vom Erd-
beben heimgesuchten Gegenden hat, aufser der Intensität des Erd-
bebens und der lockeren Zusammensetzung des Bodens, jedenfalls
die Bauart sowie das Material, aus dem man die Häuser hergestellt
hat, sehr viel beigetragen. Die aus Steinen gebauten Häuser halten
als Material mehr oder weniger abgerundete Steine, die entweder au-
den Flüssen genommen oder in den Steinbrüchen schlecht und dazu
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Die *wei ^rofeen Kidbeben in Lokris.
467
in nicht genügender Gröfse gebrochen worden sind, als Bindungsmittel
meistens einfachen oder schwach mit Kalk gemischten Lehm.
Ferner werden in jener Gegend die Mauern zwar verhältnismäßig dick
hergestellt, aber nur die beiden äußeren Flächen derselben aus größeren
Steinen gut gemauert, während der in der Mitte befindliche Teil meistens
mit hineingeworfenen kleinen Steinen und einer grofsen Menge von
schlechtem T.ehm gefüllt wird; so werden die Mauern nur wenig wider-
standsfähig. Auch wird nicht genügend Aufmerksamkeit angewandt,
wenn ein neues Haus neben einem alten erbaut, oder wenn ein
Haus um einige Zimmer vermehrt wird. Diese werden meistens ohne
irgend ein Verbindungsmittel an das alte Haus, sogar an die verkalkten
Mauern derselben, angeschlossen, oder die neuen Zimmer, vielleicht
aus besserem Material, werden auf die alten, fast immer aus schlechterem
Material bestehenden Mauern aufgesetzt. Auch das Dach wird unmittel-
bar ohne Verbindung auf die vier Außenmauern gelegt.
Sehr mangelhaft ist auch die Herstellung sämtlicher Bögen,
welche über den Thüren und Fenstern angebracht werden. Das-
selbe ist bei den Ecken der Häuser der Fall, welche nur äufserlich
durch viereckige Monolithen schön aussehen, aber dem Gebäude gar
keine Festigkeit geben, weil sie zwar aus grofsen Quadersteinen er-
baut sind, aber nicht mit dem ganzen Hause in gehörigem Zusammen-
hang stehen. Diese Verhältnisse werden noch schlimmer im Innern
der Häuser, wo nur kleine Steine zur Herstellung der Verbindungs-
mauern verwandt werden.
Die Neigung einiger Leute zu Modernisierung der Häuser durch
Vergröfserung der Fenster und Thüren in den alten Häusern, wobei
den Wölbungen die dadurch nötig gewordenen gröfseren Stützen zu
geben unterlassen wird, hat auch die Katastrophe wesentlich ver-
schlimmert.
Am allerschlimmsten aber ist die Leichtfertigkeit, mit welcher ganz
allgemein die Fundamente der Häuser hergestellt werden; die Bau-
meister sehen dort eine Tiefe von nur 25 — 40 cm selbst auf ange-
schwemmtem Land als genügend für die Fundamente der Häuser an.
Infolge solcher Fehler in der Bauart und anderer, welche ich viel-
leicht als Nichtfachmann nicht erkannt habe, ist es leicht zu be-
greifen, dafs die Katastrophe in Lokris so grofs war. Darum sind
die Dächer und die Gesimse der Häuser heruntergefallen; darum sind
die Ecken der Häuser abgetrennt und von den Mauern die äufsere
gut gebaute Fläche abgeschält und eingestürzt, während die andere,
innere Hälfte stehen geblieben ist, oder seltener umgekehrt. Darum
haben sich fast bei allen Häusern die Gewölbe der Fenster und Thüren
gesenkt oder sind eingestürzt.
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468
Theodor G. Skuphos:
Widerstand haben nur wenige Wohnhäuser und Kirchen geleistet,
bei welchen die Ecksteine gehörig durch Kalk oder Eisenklammem
verbunden waren, wie z. B. das Kaufhaus des Bürgermeisters von
I-ivanataes, einige Cisternen, welche mit Cementerde von der Insel
Thera gebaut waren, sowie mehrere alte Häuser an verschiedenen
Orten und die Kirche von Atalanti, welche Gewölbe hatten. Anderer-
seits haben wieder einige Kirchen, welche sehr fest gebaut waren, doch
Schaden erlitten; die Gründe dafür sind in der sehr schlechten Be-
schaffenheit des Bodens zu suchen.
Die aus ungebrannten Ziegeln erbauten Häuser haben sich als
sehr geeignet fitr autoseiste Gegenden erwiesen, wenn man selbstver-
ständlich der Verbindung der Mauern genügende Aufmerksamkeit widmet
Es soll nicht gesagt sein, dafs bei den aus solchen Ziegeln hergestellten
Häusern weniger Einstürze vorgekommen sind, im Gegenteil, besonders
wenn die Häuser mehr als ein Stockwerk hatten. Aber die Einstürze
bei diesen haben ihren Grund lediglich in der Nachlässigkeit der Ver-
bindung bei Herstellung der Mauern. Sie wären ohne diese Nachlässigkeit
sicher nicht geschehen. Ferner haben die Einstürze nicht sofort, sondern
erst kurze Zeit nach der Erderschtttterung stattgefunden, sodafs die
in solchen Häusern wohnenden Leute Zeit genug hatten, sie zu ver-
lassen und so kein einziges Opfer bei solchen Häusern vorgekommen
ist. Man darf auch nicht vergessen, dafs die Wiederherstellung dieser
Häuser oder die Ausbesserung derselben sehr leicht ist und von den
Besitzern selbst ausgeführt werden kann.
Dagegen haben die aus ungebrannten Ziegeln und Steinen gleich-
zeitig gebauten Häuser sehr grofsen Schaden, gelitten und sind als ganz
unpassend für autoseiste Gegenden zu betrachten.
Ferner ist noch weiter zu erwähnen, dafs diejenigen Häuser, deren
breite Seite parallel zur Richtung des Erdbebens lag, wenig, diejenigen,
welche senkrecht oder unter irgend einem Winkel zur Richtung des
Stofses lagen, sehr viel gelitten haben, so dafs in der Richtung des
Stofses ganz neue Strafsen durch das Einfallen derselben geöffnet sind.
Dasselbe habe ich auch an den Brücken der ersten seismischen
Zone beobachtet, von denen diejenigen gelitten haben, welche die
Richtung des Erdbebens unter irgend einem Winkel schneiden, während
andere, welche parallel zu dieser Richtung lagen , verschont geblieben
sind. Ganz verschont sind ebenfalls sämtliche eiserne Brücken ohne
Unterschied der Richtung.
In der Nähe von I.evadia und in der Stadt selbst kommt Kreide-
schiefer vor, das beste antiseismische Material zur Erbauung von
Häusern. Die aus diesen Steinbrüchen genommenen Steine sind als
Schiefer lang, breit und dünn, darum wird das Gefüge der Mauern
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Die zwei großen Erdbeben in Lokris.
469
sehr fest, und so ist die Stadt Levadia auch dadurch vor Zerstörung
gewahrt geblieben.
XVII. Wo hätte man die ein gestürzten Städte und Dörfer
wieder aufbauen sollen?
In fast allen Dörfern und Städten der ersten und zweiten seis-
mischen Zone, wie z. B. in Atalanti, Proskyna, Masi, Malessina u. s. w. ist
aufser der völligen Zerstörung der Häuser, auch vielfach der Erdboden,
auf dem die Wohnungen standen, in solchem Grad verändert, dafs die
Auswanderung aus diesen Orten sich von selbst versteht. Da ich nun
von allen Leuten viel darüber habe reden hören, so fühle ich mich
verpflichtet, die Aufmerksamkeit der Einwohner und besonders der
Regierung auf einige Punkte zu richten, damit nicht wieder bei neuen
Erdbeben Zerstörungen und Menschenopfer zu beklagen sind.
Vor allem halte ich es für notwendig, eine Kommission an Ort
und Stelle, d. h. in der von dem Erdbeben heimgesuchten Gegend, zu
bilden. In dieser Erdbeben-Kommission müssen sich unbedingt Geo-
logen und Ärzte befinden, Arzte, um die hygienischen Verhältnisse, und
die Geologen, um die Beschaffenheit des Bodens festzustellen, d. h.
Plätze mit mehr oder weniger widerstandsfähigem Erdboden auszu-
wählen. Damit dies gelinge , mufs man möglichst solche Stellen aus-
wählen, welche aus älteren Gesteinen herrühren; wo dies aber nicht
möglich ist, mufs man auch aufser auf den Zusammenhang der Ge-
steine, auf denen gebaut werden soll, darauf achten, wie sie mit
anderen Schichten, harten oder weichen, wechsellagern. Ebenso
darf man nicht auf den alten Verwerfungen bauen lassen. Als un-
bestrittene Regel kann man ferner aufstellen , dafs man auch nicht
an der Küste, wo sie den Meeresspiegel nur wenig überragt, und nicht
an den neugebildeten Spalten unterhalb der überhängenden steilen
Berge bauen darf. Selbstverständlich sind die neuen Bauplätze nicht
weit von den Äckern und den reichen, gesunden Quellen oder Brunnen
zu wählen.
Dass die geologische Beschaffenheit des Bodens auffallend gegen
die zerstörende Gewalt der Erdbeben wirkt, dafür giebt die Verschonung
der Stadt Levadia und des Dorfes Kxarchos auf dem Abhang des
Chlomos-Berges, von Karditza auf der Strafse von Larymna nach Theben,
des Dorfes Beli auf dem Abhang des Akontion-Berges, der Kirche des
Hagios Nikolaos auf der gleichnamigen Insel und des Hauses auf
der neugebildeten Insel Galdarion, sowie auch der Stadt Athen im
Verhältnis zum I’halerus und Peiräus den trefflichsten Beweis.
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470
Theodor G. Skuphos:
XVIII. Wie mu fs man die Häuser auf autoseisten
Boden bauen?
Unbedingt müssen sämtliche Häuser in antoseister Gegend ein-
stöckig sein und wenn möglich aus Holz. Müssen aber Steine an-
gewandt werden , so soll man wenigstens Quadersteine nehmen und
sie wechselfugig mit gutem Kalkmörtel verbinden. Sollte das zu kost-
spielig oder nicht möglich sein, so nehme man Schiefersteine, wie man
sie in Levadia im Gebrauch hat, und zwar als Verbindungsmittel auch
Kalkmörtel und nicht Lehm; auch sind Holzverbindungen oder für
gröfsere Gebäude Eisenverbindungen anzuraten.
Die Grundmauern der Häuser sind in lockerem Boden möglichst
tief zu legen. Die Mauern müssen überall dieselbe Dicke und den-
selben guten Zusammenhang in sich selbst haben , vollständig und
gleichmäßig gut mit den Ecken verbunden werden Festere Verbindung
der Gesimse mit den Häusern und grofse Aufmerksamkeit bei Auf-
legung des Daches ist anzuempfehlen. Leider geschieht namentlich
letzteres jetzt sehr mangelhaft. Möglichst wenig Öffnungen für Fenster
und Thüren sind in den Mauern anzubringen, und die Bögen derselben
müssen mit gröfserer Vorsicht und festerer Verbindung hergestellt werden.
Da die Gebäude, welche mit der gröfseren Seite unter irgend
einem Winkel die Richtung des Erdbebens schneiden, gröfseren Schaden
gelitten haben, als diejenigen, welche parallel zu ihr liegen, da man
nicht alle Häuser und Strafsen parallel zu ihr bauen kann und diese
Richtung bei einem neuen Erdbeben sich vielleicht ändert, so soll man
mehr oder weniger die Gebäude quadratisch erbauen.
Alle diese Vorsorgen sind überflüssig, wenn man antiseismische
Gebäude herstellt, wie das von der Kopais-Sec-Gesellschaft in Theben
erbaute, das bei allen Erdbeben unversehrt blieb. Es giebt viele Arten
solcher antiseismischen Gebäude, die man in Italien, Amerika und
Japan gebaut hat. Von diesen kann unsere Regierung durch ihre Bevoll-
mächtigten die unseren Verhältnissen entsprechenden auswählen lassen.
XIX. Über den Schaden, welchen diese Erdbeben
hervorgebracht haben.
Die lokrischen Erdbeben sind vielleicht die einzigen Erdbeben in
Griechenland , deren Schaden nicht übertrieben worden ist, und das
kommt daher, dafs auch die lebhafteste Phantasie kaum im Stande sein
würde, von ihnen eine Beschreibung zu liefern, die ein getreues Bild
des ganzen unermeßlichen Unglücks wiedergäbe. Nur diejenigen,
welche entweder zu jener schrecklichen Stunde an Ort und Stelle
verweilten oder später absichtlich hingereist sind, können sich eine
Vorstellung davon machen.
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Die zwei grofsen Erdbeben in T.okris.
471
Damit der I.eser eine cinigermafsen richtige Schätzung von der
Katastrophe bekomme, lasse ich ein Verzeichnis folgen, in dem die
Zahlen der eingestürzten Häuser — mit Ausnahme derjenigen, welche
durch verhältnismäfsig kleine Ausgaben wieder herzustellen sind —
der Opfer, der Verwundeten und der Einwohner zusammengestellt sind.
2 j
Stadt oder Dorf
Häuser
Tote 1
Ver-
Ein-
N ;
wundete j
wohner
1. 1
Atalanti
650
O
3
1708
2.
Skenderaga
80
4
2 :
308
3- 1
Livanataes
250
4
5
1021
4-
Arkitsa
ÖO
1
2 1
311
S-i
Hagios Konstantinos . . . .
90
3
4
327
6. |
Karya
35
3
4
455
7-!
Charma
25
O
0
120
8.
Rigginion
7°
4
0
516
9-
Komnena
16
O
0
288
IO. 1
Kaenurion
I I
O
0
236
II. 1
Anteras
6
0
0
368
160
12. ;
Gkolemion
35
O
0
*3-
Kalapodion
100
0
‘ 0
1 357
14.
Kato Pelli
35
4
5
202
’s-
Ano Pelli
85
O
0
591
16. 1
Sphaka
ÖO
O
0
203
17-
Drachmani (Elatea'i
250
2
2
9°3
18.
Zelion
565
0
0
457
ig.
Exarchos
5
O
0
398
20.
Kolaka
45
O
0
232
2 ! . j
Manessi
*5
O
0
356
22. I
Modi
>5
O
*0
582
*3.
Xyliko
IO
O
1 0
352
24. !
8
5 10
215
25-
Kalybia Dadiu
20
O
0
26.
Belitza
s
O
0
1440
27 •
Davlia
7
O
0
i396
28.
Hagios Blasios
20
0
5°5
29.
Kapraena
45
0
0
226
30.
Mprachamaga
25
O
0
234
3«-
Bramesi
20
O
0
278
32-
Hagios Georgios
J5
O
0
589
Übertragung
2688
23
27
«5844
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472
Theodor G. Skuphos:
NJ
1 Stadt oder Dorf
1 Häuser
1
Tote
1 1
Ver-
wundete
Ein-
wohner
Übertragung 1
2688
23
27
15844
33-
Brastamitaes
20
° i
O
283
34-
Kasnessi
45
O
O I
39°
35-
Mulki 1
5°
0 !
O •
262
36.
Rhachi 1
15
0
O
73
37-
Degle I
35
0
O
82
38-
Hagios Demetrios
3°
0
O
383
39-
Karya |
25
0
O
23«
40.
Arapochori
IO
0
0
163
41.
Romaciko
IO
0
O
253
42.
, Petromagula
8
0
O
798
43-
; Skripu
3
1 0
O
684
44.
i Beli
3
■ 0
0
165
45
i Lutzi
*5
0
0
46.
! Paviu j
20
1 °
O
|
47-
| Topolia 1
5°
1 0
O
35
48.
1 Pyri
25
0
O
1013
49-
| Theben
95
0
O
3228
5°-
■ Hagii Theodori
25
0
0
962
5i-
' Karditza
8
0
O
388
52-
! Kokkinon
12
0
O
370
53-
I I.arymna
40
0
O
143
54-
| Martino
300
i 39
*3
«434
55-
1 Masi
60
i 6
2
.18
56-
! Malessina
200
1 x39
74
95«
57-
! Proskyna
120
42
I I
5«6
58.
! Kyparissi
35
3
6
«83
59-
1 Chalia
13
O
0
709
60.
i Chalkis
120
I
3 1
99*9
6l.
Hagia Anna
85
O
0 1
1382
62.
| I.imne
'9.
o
0 1
1869
63-
Mantudion
5
0
0
823
64.
1 Xerochorion 1
3°
1 ° !
0 1
3027
65-
1 Palaeochorion
12
0
0
78
66.
1 Gialtra
3°
0 1
0
672
67.
Kamaria
7
0
0
560
68.
i Gardikion
3
°
0
1236
69.
Achladion
2
! O
0
«65
3783
255
146
5019S
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Die zwei grofsen Erdbeben in Lokris.
473
Leider ist die Zahl 69 für die von den beiden Erdstöfsen heini-
gesuchten Städte und Dörfer nicht ganz richtig, weil es höchstwahrschein-
lich noch viele andere Dörfer giebt, welche ebenfalls gelitten haben.
Es ist mir jedoch trotz vieler Bemühungen nicht gelungen, ganz genaue
Nachrichten zu bekommen, da die Regierung keine offiziell beglaubigten
Bekanntmachungen über die Zahl der zerstörten Dörfer und Städte
erlassen hat, obwohl seitdem über 6 Monate vergangen sind.
Aus diesem Verzeichnis ersehen wir, dafs in den 69 zerstörten
Dörfern und Städten bei einer Einwohnerzahl von 50198 durch die
Erdstöfse vom 8. 20. und 15./27. April 3783 Häuser eingestürzt,
255 Menschen getödtet und 146 schwer verwundet sind. Diese 146
schwer Verwundeten sind durch die zeitige Hilfe der Militärärzte, mit
Ausnahme eines, der sich einer Operation nicht unterziehen wollte, alle
glücklich geheilt.
Von den 255 Menschenopfern sind die meisten Kinder unter
15 Jahren, die übrigen waren Frauen und nur 6 — 8 Männer. Die Er-
klärung dafür ist ganz einfach. Bei dem ersten Stofs waren die Männer
und ein Teil der Frauen noch auf den Ackern, während die übrigen
Frauen und die Kinder entweder zu Hause oder in der Kirche waren.
Die grofse Anzahl der verunglückten Kinder erklärt sich wieder daraus,
dafs sie die Gefahr weniger ahnten und begriffen. Aus Mangel an
Geistesgegenwart und Ratlosigkeit blieben sie in den Gebäuden oder
kamen zu spät heraus und wurden meistens vor den Ausgängen lebendig
verschüttet. Ebenso mufs ich hervorheben, dafs bei diesem Erdbeben
die meisten Opfer in den Kirchen vorgekommen sind. Es ist also
höchst notwendig, den Menschen begreiflich zu machen, dafs bei Erd-
beben mit zerstörender Wirkung kein menschliches Werk, das nicht
antiseismisch gebaut ist, unverschont bleibt. Darum soll man statt in
die Kirchen zu laufen lieber im Freien oder wenigstens auf den Plätzen
sich aufhalten und sich möglichst von den Küsten entfernen, für den
Fall, dafs eine Erdbebenwoge einträte.
Das zweite Erdbeben vom Charfreitag hat, mit Ausnahme von drei
Menschenleben in Hagios Konstantinos und ebensoviel in Karya,
glücklicherweise wegen der Vorsicht, die ich rechtzeitig überall empfohlen
hatte, keine Opfer gefordert.
Um auch durch Zahlen die Gröfse des Schadens deutlich zu
machen, habe ich denselben auf Grund der Notizen, welche ich selbst
durch Augenschein oder aus sehr verläfslichen Quellen gesammelt habe,
genau berechnet.
Zeitftchr. d. Ge&ellach. f Erdk. Bd. XXX. 32
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47 i Theodor G. Skuphos: Die zwei grofsen Erdbeben in Eokris.
So berechne ich z. B. (len Schaden der Stadt Atalanti nur an
eingestürzten Gebäuden auf 3 250000 Drachmen,
an Möbeln, Vorräten von Getreide, Mehl, Weizen,
Öl u. a., an AVaren u. s. w. auf 2000000 „
Gesamtschaden von Atalanti 5250000 Drachmen.
Schaden der Dörfer in Lokris an eingestürzten
Häusern 4640000 „
an Möbeln, Geräten, Weinen, Getreide, Mehl und
Waren 3500000 „
Gesamtschaden der Dörfer in Lokris 8140000 Drachmen.
Schaden an den Häusern der Dörfer in der
Ebene von Levadia, sowie an Möbeln u. s. w.
wie oben 1450000
Schaden an eingestürzten Häusern in Theben, Chal-
kis, Hagia Anna, Xerochorion, Limne u.s. w. 3000000
Schaden in der vierten seismischen Zone, in
der auch Athen, Piräus u. s. w. liegen, auf. 800000 „
Schaden in Kirchen und Klöstern 2400000 „
Der Gesamtschaden beläuft sich auf 21 040000 Drachmen.
Aufserdem darf man nicht die Ausgaben unerwähnt lassen, welche
der Regierung aus dem Transport von Militär nach dem Schauplatz
des Erdbebens, aus der Zahlung von Zuschüssen an die Offiziere und
Soldaten, aus den Mieten von Privat-Dampfschiffen zum Transport der
Zelte, Brot, Mehl, Holz u. s. w. , aus dem Verderben der Zelte, aus
der freien Benutzung der AArälder u. a. m. erwachsen sind.
Als einziges Äquivalent für diese Ausgaben der Regierung kann
man die Summe von 3269,19 Drachmen ansehen, welche die Regierung
aus aufserordentlichen, so zu sagen seismischen Telegrammen im Inland
und nach dem Ausland im Lauf von anderthalb Monaten einge-
nommen hat.
Wie grofs aber der in den Erdbeben-Gegenden durch die anden-
halbmonatliche Unterbrechung von Handel und Wandel und durch
das Aufhören jeglicher Erwerbsthätigkeit hervorgebrachte Schaden ist,
entzieht sich gänzlich meiner Berechnung, da mir hierauf bezügliche
statistische Berichte jeder Art vollständig fehlen.
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M Hartmann: Das Liwa Haleb (Aleppo) u. ein Teil d. Liwa Dschebel Bereket. 475
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa
Dschebel Bereket.
Reisen, ausgeführt mit Unterstützung der Karl Ritter-Stiftung der Gesellschaft für
Erdkunde und dargestellt von Martin Hartmann.
(Schlots *).)
28. Oktober.
9h gm fort vom Kloster auf der rÄ<J,rf<7-Strafse. gh nm Halt.
9h 14™ fort. — 9h 15"' ab nach links, bei den Ruinen einer Mühle,
auf der Strafse nach killis und haleb ; über einen kleinen Zuflufs des
1 le/itschai auf einer schmalen Steinbrücke; sehr langsames Marschtempo.
— 9h i()m links ein Hügelrücken, an dessen Rand wir hinreiten; das
tief eingerissene Thal des delitschai bleibt weit rechts. — 9h 24 m
schnelleres Marschtempo; rechts ein Feld genannt armudly tarla , doch
ohne armud, d. h. Birnbäume, gleich darauf ein solches, gen. ktsmeli
tarla ; vor uns etwas rechts der kylydschdede-\kücV.m , der sich von NO
nach SW zieht; wir gehen auf dem dgh jol oder dgh gedik ; meist eben,
selten ein wenig bergab. — 9h32m über ein Flüfschen; in gutem
Schritt. — 9h 35m über das Flüfschen Ijidin StB, das nach rechts fliefst.
— 9h 37"' über ein trockenes Flufsbett, das nach links abfällt; dann
an dem links bleibenden ilgh gedik deresi entlang. — 91' 40™ rechts
und links treten die Berge näher heran. — 9h42m in dem gut be-
wachsenen Thal links zeigt sich Wasser. — 9h43™ schmales Seiten-
thälchen von den Bergen links her. — 9h 45 m rechts das Nordende
eines Bergrückens, gen. brddschin burnu\ vor uns der Hügel ballyk unter
1 10°; genau links, ca. 20m entfernt, die Spitze des Hügels kämuschly
tiz ; wir sind jetzt nicht mehr auf dem ägh jol, sondern auf ,dem
brddschin burnu. — 9h55ra auf sehr beschwerlichem Wege hinab zur
Ebene bis ioh 2 m. — ioh um über den Flufs hopunun ( höpurun ?)
tschaijy, der von dem von ekbez ca. 2 St. entfernten kiirküdUi kommen und
sich in den parafu ergiefsen soll; wir unter uo°; links ein Ger*) mit
*) S. Seite 142 ff. dieses Jahrgangs.
*) Ich behalte dieses türkische Wort bei, welches in allen Wörterbüchern fehlt,
und einen niedrigen, nicht den Bestandteil eines gröfseren Gebirges, dughy bildenden
Hügelrücken oder Höhenzug bezeichnet; das Wort ist in dem Türkischen jener
Gegend allgemein üblich.
.*12*
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4 7 G
Martin Hartm.inn:
der Zijära gcrin udschaghy auf der Spitze, neben welcher eine Mastix-
Pistazie (säkyzlyk aghädschy); die Spitze 30°. — toh 17“* das Ger ca.
30m links; wir immerfort durch lichten Palut-Wald. — toh 25 10 100°;
die Zijära des Ger 360' ; seit ca. 15 ra befinden wir uns auf einem
Boden, den meine Begleiter Letsche nennen, und der den Eindruck
eines erstarrten Lava-Stromes macht; er ist ganz uneben und bildet
nicht selten kleine Hügel. — ioh 30 m rechts am Weg ein Hügel von
auffallender Formation, genannt tespili hüjügü; ein Wässerchen tespili
suju, am Fufs des Ger entspringend, kam früher bis zu diesem Hügel,
verliert sich aber jetzt in der Ebene; über den Namen tespili können
meine Begleiter keine Auskunft geben; seit dem Hügel sind wir auf dem
Feld kanjasch jazysy, auf welchem sich nur vereinzelt Lavastücke zeigen.
— 10 h 51“ nach links ab über gutes Ackerland zu dem baghlama, das
wir ioh 561“ erreichen; es ist dies ein ca. 2 m hoher Damm, der das
Wasser von den Feldern abhalten, bezw. es aufstaucn soll ; auf seiner
nördlichen Seite ein jetzt trockener Graben, aus welchem Wasser durch
eine im Damm angebrachte Schleuse abgelassen werden kann; auf der
südlichen Seite ein tiefer Brunnen, baghlama kuju ; der Boden ist hier
wieder vulkanisch, Leisehe; im Winter soll das ganze Terrain, vom
baghlama südlich bis über die Strafse hinüber, unter Wasser stehen; das
baghlama wurde vor ca. 15 Jahren von einem Bey in ekbee angelegt. Halt.
11 h fort vom baghlama , zurück auf die Strafse, an einem ca. 5 m
hohen Letsche-Rticken entlang. — nh 4m wieder auf der Strafse. —
uh5m am äufsersten südlichen Ende des Letsche-Rückens; in sehr
langsamem Marschtempo nach O; links der, „Kleiner katyraniyk“ ge-
nannte Ger, den Grofsen katyraniyk verbergend. — 1 1 h 9 m 8oc; wir
befinden uns auf der Ebene andll oghlunwi oivasy, aus welcher, ca.
2 m links, die andll oghlunuh adasy d. i. Andll oghlu- Insel, ein ca. 6 m
hohes Letsche-l’lateau, aufragt; am Fufs des Kleinen katyraniyk eine
mit gelbem ürün vt (?) bestandene Wiese, genannt di/kol oghlunuh jazysy.
— ix h 17“ wieder Uber Letsche-Boden. — 11 h 22 m links eine steil an-
steigende, etwa 3 m hohe Lavawand, rissig und an vielen Stellen ge.
borsten. — nh 25m der Fufs des ba/lyk (vgl. oben 26./10. 4h 1 7 m) ca.
i5m rechts; wir kommen nur langsam vorwärts, da das Reiten auf
dem zerrissenen Lava-Feld äufserst beschwerlich ist; wir gehen über die
ba/lyk letschest'). — 1 1 h 28™ wir treten aus dem Letsche-Gebiet, das im
*) Aus dieser Benennung, „Letsche des Ballyk“, geht hervor, dafs das Volk
die verschiedenen Teile des Lava-Bodens mit besonderen, an einen hervorragen-
deren Punkt inmitten oder am Rande derselben anknüpfenden Namen belegt. —
letsche ist Verstümmelung von ar. ladscha', das eigentlich „unzugänglicher Ort,
Veste, Zuflucht'1 bezeichnet (vgl. das bekannte et-tedscha im Iiauran, über welches
s. Wetzstein, Reisebericht S. 25 f.).
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Da' Liwa Haie!* (Aleppo) und rin Teil des i.iw.i Dschchel Hcreket. -477
wesentlichen die Richtung N— S zu haben scheint, heraus auf Ackerfeld,
über welches nur kleinere I.avastticke zerstreut sind; ca. 15m links, am
Fufs des kafyranlyk die sljdar- Ebene. — 1 1 11 32"' wieder guter Schritt;
nach O. — nh35m tm links die westlichste Spitze eines Ausläufers
des, N — S streichenden kafyranlyk. — nh37m — 39™ über ein Feld,
genannt ikl kardaschyn mezary d. i. das Grab der beiden Brüder, die
sich mit ihren Heeren hier nachts trafen, sich für Feinde hielten und
sich gegenseitig völlig vernichteten: der eine liegt mit seinen Soldaten
rechts, der andere links vom Wege; hier ist auch die Grenze der
Wilajets adana und fyaleb ; wir treten in das letztere ein. — nb 41“
die Strafse teilt sich: rechts über gedik maidan, giirzel, sulakly, links
auf etwas beschwerlicherem, aber kürzerem Wege nach bülbii/', wir
nehmen den letzteren. Halt.
Uh 45m fort; links am Wege der südlichste Punkt des kafyranlyk.
— ii1* 46"» ca. 10” rechts der östlichste Punkt des balfyk , der noch
zum Wilajet adana gehört; mittelschnell nach O. — 1 1 •• 53 1,1 ca. 3m
links am Fufs des kafyranlyk ca. 20 Götscher-Zelte*). — nh 55 m links
am Wege ca. 12 Rohrhütten von Kurden, welche die Reisfelder hier
bebauen. — nh57m über einen Arm, bezw. abgeleiteten Kanal, des
karaftt, der die Reisfelder bewässert. — ilh58m rechts der viereckige
Tumulus mehmet baghin hüjüjii. — 11 11 59™ sumpfiges Terrain; langsam.
— i2h der kafyranlyk ist auf ca. 4m zurückgetreten; 115°. — i2h2m
über den karafu ; das mehmef baghin hüjüjii (vgl. oben 11*1 58“) ca. 15 m
entf., 210°. Halt.
12 h 8m fort; unter ca. 140" auf den Hügel pendtrijin feptsi zu. —
12 h t5m links mundet ein Weg; wir reiten um die Südspitze des Hügels
herum, der sich höchstens 30 m über die Ebene erhebt; auf diesem
ganzen Gebiet sind Tataren angesiedelt, welche meine Begleiter von
den Tscherkessen wohl unterscheiden. — i2h 20m die Strafse teilt
sich; wir unter 120° nach links ab. — i2h 25 m die Spitze des dschebel el-
akra ‘ 2240. — i2h 27"' 110°, gleich darauf 100°. — I2h3^l,, links ein
länglicher Hügel. — J2h 36m wir befinden uns schon auf dem kürd dilgh-
Gebiet; wir sind immer langsam geritten; sanft bergab. — i2h 4om
über ein nach r. ziehendes trockenes Flufsbett; das Terrain ist wellig;
ca. 20 m 1. ein niedriger westlicher Ausläufer des kügd dilgh. — i2h 4Öm
wieder über ein trockenes Flufsbett; mittlerer Schritt. — !2h5om in
den niedrigen Vorhöhen des kürd dilgh \ 92 °. — i2h54nl hinab zu dem
ca. 50 m breiten Bett des kodschanlv dtrrsi. — 1 2 h 5 5 unten bei dem
wasserführenden Flufs. — J2h 56 m Halt.
') Mit Götscher werden im Folgenden immer die türkischen (turkmenischen 1
und kurdischen Wanderstämme bezeichnet.
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478
Marlin Hart mann:
3 52 h 57 m fort; jenseits bergauf. — ih auf der Höhe der Thalwand.
ih6m an der Quelle mitten in dem Kurden-Dorf kodschan/y. Halt.
1*' 55m fort; sanft bergan; etwa iio°. — 2h i” Scheideweg; gerade-
aus nach dem ca. 30™ entfernten penderik; wir zunächst unter ca. 40
kehren jedoch 2h 8“ auf den alten Weg zurück. — 2b u" wieder
unter 160/170°; langsam. — ih iQm unser mehrfach Windungen machen-
der Weg wird von einem O — W laufenden, bald darauf von einem
zweiten geschnitten. — 2b 201" 90°; am Rand eines Thaies hin, auf
eine ca. 80 m hohe Spitze zu. — 2h 25“ über ein Seitentliälchen.
120°; mehrfach Windungen; sehr langsam. — 2h 29® Halt; penderin —
so spricht der, das ii scharf hervorkehrende Zabtije den Ort aus, den
der Mukari pendent nennt; s. oben 2 *» 1“ - im Thal unter uns, ca. 20"
entfernt; Spitzen der kafyranfyk’s 328° und 346°.
21' 36m fort, an einem rechts bleibenden, tiefen Thal entlang, das
mit zahlreichen Pappeln (Kawak) bestanden; bergan auf schlechtem
Weg; ioo°; nach dem Zabtije, der erklärt, hier nicht mehr Bescheid
zu wissen, da er sonst immer auf der anderen, der Hauptstrafse, nach
bülbiil geritten sei, heifst der jenseits des Thaies liegende Bergrücken
schinglr ddg/i, das Thal also wohl schinglr deren'; wir immer in Windungen
bergauf; sehr langsam. — 2h 57 ,n geht rechts ein kleines Thälchen in
das Hauptthal ab. — 2*> 59m rechts geht ein Weg ab. — 31* 2>» wir
fast eben auf dem Rücken entlang. — 3h 6m ca. 40 m links ein erhöhter
Punkt mit guter Fernsicht: frafcr, mit einem der Konaks des Hadschi
Omer Oghlu (vgl. 25. 10. 2h 2om) 50°; vor uns unter 70/80° ein schönes
fruchtbares Thal, weiter vor der Hauptzug des kiird dägh. Halt.
3h 12m fort; 160°, bergauf; schlechter Weg; seit wir die Ebene
verlassen, hat der Boden beständig Kalksteinformation gezeigt. —
3h 20 m auf der Höhe; dann fast eben; nach S. — 3*> 25“ 150°; vor
uns der kleine damryk (oft zu darmyt verstümmelt) diigh 170°, der grofsc
130°; unter 150° bergauf. — Bis 31'33I” sehr langsam, dann etwas
schneller. — 31* 36™ guter Schritt. — 3h 40m die zwei Quartiere von
damryk tscherlschilisi , ca. iom entfernt, 30° und 40°; bulamaschly , ca.
1 Stunde, und telkümen, ca. 2 Stunden, 70°; haytr (s. 3*1 6“) 4°. Halt.
3h 44m fort; 170°. 3h 48m auf einer Höhe unterhalb des kleinen
damryk; eben. — 3h 50 m r. am Wege die Gehöfte von bejik bejen kbj.
dem Dorf des verstorbenen Schgch Ismä'tl; 110°; r. der Gipfel des
kleinen damryk, nur ca. 300 m höher, ca. 6m entfernt; hier, wie auf dem
ganzen kiird dagh, kein Wald, sondern nur lichtes Buschwerk (tschaly
— 3h 53m r. Weingärten; — wir unter 70° auf den grofsen damryk ru :
sanft bergab. — 3h 58™ 170°. 4h an der Quelle schick isma'tJ punar-, .
mit vortrefflichem Wasser; ca. 50 m entfernt die Zijära des Schachs:
das Grab ist umgeben von einer kreisförmigen Steinmauer, die ca. 1 m
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berckel. 479
hoch , mit stachligen Zweigen bedeckt und von einem kesme-Baum
beschattet ist; der Schech, der berühmt warwegen seiner guten Kuren
von Augenkrankheiten, starb um 1864; jetzt ist sein Sohn Ahmed Agha,
der für sehr reich gilt, Besitzer von bijik bejen köj (s. 3h 50"'); der grofse
damryk 96°. Halt.
4h 13m fort in gutem Schritt. — 4h i8'n 2m links ein kleiner Hügel;
130°; ziemlich eben am Bergrücken herum. — 4h 271" rechts am Weg das
Dorf 'alikelltr', steil bergab in das Thal, jenseits dessen der grofse
damryk liegt. — 4h 29“ rechts am Wege Quelle; steil bergab unter 140',
später X2o°. — 4h 43m über einen trockenen Zuflufs des dejirmen (bei
meinen Begleitern wie därmln klingend) tschaijy, 4h 44”' über diesen
selbst, der unter ca. 200° fliefst und sich in den '■a/rm ergiefst; jenseits
sanft bergauf unter 110°. — 4h 47"> über einen kleinen Zuflufs. —
4h 49m rechts, auf der gegenüberliegenden Wand des Thaies, an der wir
entlang reiten, noch ein Viertel von ktller (‘a/ikel/er). — 4h 53m unter
130°, ziemlich eben. — 4h 54“ wieder bergab, steil; immer am süd-
lichen Rand des grofsen damryk herum. — 4h 56 m Uber ein trockenes
Flufsbett; sanft bergauf. — 5h 7™ 150"; sanft bergab; Terrain gewellt;
zahlreiche Winterbäche. — 5h i6m bülbül zeigt sich. — 5h 24m beim
Konak des Ortes, einer weitläufigen, fast dachlosen Ruine, in der nur
ein einziges bewohnbares Zimmer ist, das dem gerade abwesenden
Mudir als Wohn- und Amtsstube dient; die Regierung ist durch
einen einzigen Zabtije vertreten; mit grofser Mühe gelingt es
ihm, den Muchtär (Schulzen) des Ortes herbeizuschaflen, der sich
nach langem Hin- und Herreden entschliefst, mich samt meinen
Leuten aufzunehmen.
29. Oktober.
7h 37m fort nach NO, zu dem ca. 6m entfernten, etwas höher ge-
legenen kemer, einem Steingewölbe, das, ebenso wie zahlreiche andere
in der Nähe umherliegende Reste von Gebäuden auf eine alte Ortslage
schliefsen läfst; der Ort heifst keziire.
8h 2öm zurück zum Hause des Muchtärs, das wir 8h 33m er-
reichen.
9h14m fort zum kezabresch , das 9h 53™ bei langsamem Schritt
erreicht wird; hier zeigen sich Spuren alter Baulichkeiten; Stücke von
Säulen und altem Gemäuer sind zerstreut; von hier aus: kadrianly auf
einem Bergrücken, ca. 10 01 entfernt, 208°.
10h 42“ zurück nach bülbül, sanft bergauf, unter 70°, dann 90°,
sehr langsam. — 1 1 *» 58 111 auf der Höhe; bülbül 450; bergab. —
i2h 23 m beim Hause des Muchtärs.
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Martin Hartman n:
%
480
30. Oktober.
9h 15m fort von bülbül, begleitet von dem Kurden Ibö; sehr lang-
sam. — 9h 20m guter Schritt. — 9h 25m 130°. — 9h 36“ 90°; bald
welliges Terrain, bald eben. — 9h43m no°. — 9h 5om bergab; dann
fast eben; vortrefflicher Weg, später bergauf. — ioh 8m wir verlassen
das Gebiet von bülbül und treten auf den Boden von schick chorus
über, das schon zu killiz gehört; die kai'a ca. uo°; guter Schritt. —
,0h 22 m ca. 20m entfernt, unter 180°, ein Quartier von schick chorus:
auf einem Bergrücken, etwas entfernter ein anderes Quartier unter 1765
und ein drittes unter 166 °. — ioh 45 m links ein Winterflufsbett, dasW — 0-
Richtung hat. — ioh47m über ein trockenes Flufsbett; dann an ihm
entlang ; es bleibt rechts unter uns. — 1 1 h am nördlichen Abhang des
kcreschir dJgh herum, an dessen westlichem Abhang schick chorus liegt.
— 1 1 h 7 111 links, etwas vor, ein Tumulus, genannt habidon ( abudan ) hüjüjü,
ca. 10 m hoch; an seinem Fufc soll sich eine vortreffliche Quelle be-
finden1). — 1 1 h 9m von dem direkten Weg zur (sa/'a ab nach rechts,
unter 170”, zu einem Inschriftstein, den Ibö kennt. — ithzi"1 auf
einer Höhe, auf welcher die 8 — 10 H von saryndschyk liegen. Halt.
llh 29,n fort, langsam. — iih40“ über ein wildes Thal, welches
links in ein noch wilderes, grofses und tiefes, nach S laufendes Thal
abgeht; es sind hier dicht nebeneinander eine Anzahl tiefer, wilder
Thäler, die sich durch den weichen, splitterigen Kreideboden durch-
gearbeitet und denselben gründlich zerrissen haben; unter 172'. —
11 h j2m Halt.
llh 56ra fort, sehr steil in ein tiefes Thal. — nh5Sra unten im
Thal. — i2h wieder in einem tiefem Wadi und in demselben zu dem
Stein, den wir i2h 3m erreichen. Halt.
2h 58 m fort von dem Stein, zunächst im Thal weiter zu einem
anderen, schlecht erhaltenen Inschriftstein, der neben einem tiefen
Brunnen mit kreisförmiger Öffnung von ca. 40 cm Durchmesser liegt;
dann die Thalwand hinauf. — 3h 5m in einem anderen Thal, das,
wie das vorige, in das sich mit dem ‘afrin- Thal vereinigende gdmisch
dtrcsi geht; der nordsüdliche Lauf des 'afrin läfst sich von hier ver-
folgen; wir sind hier nicht mehr auf dem Gebiet der i«73«7-Aschire,
sondern auf dem der schahkoklu - Aschire , das sich bis an den ‘afrin
erstreckt; jenseits desselben, welcher die Grenze des kürd dagh bildet,
sitzt die ff/ßm/ifrcA-Aschire*); wir gehen nach O, sehr langsam. —
3h 12 ■» an dem sehr tiefen gdmisch- Thal entlang nach N, einen Hinais
*) Das habidon (alter Name?) weist auf eine alte Ortslage hin.
*) mümidsch oder tmibidsch ist die volkstümliche Aussprache für menbtdich :
daneben hört man auch mumbudsch. Aschire — ar. 'aschire, Stamm
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Das Liwa Haleb (Aleppo I und ein Teil des Liwa Dschebel Itcrekct. .J S 1
weg suchend. — 3h 14™ durch das Thal. — 3h i6m jenseits hinauf
unter no°. — 3h i9m wieder über ein tiefes und breites Thal, in wel-
chem ein Fufsweg läuft. — 3h 27m unter ca. 150°, ca. 45™ entfernt,
ein Stück Land, das ieUelik kalesi heifst, aber keine sichtbaren Spuren
einer alten Ortslage mehr tragen soll. — 3h3°m an der Quelle des
Dorfes zl/ünek ; 3h 20m oben im Dorf, in dessen Nähe arabische Be-
duinen zelten. — Von hier: säryndschyk , doch ein anderes Quartier
als das nl,2ira besuchte dieses Dorfes, 1860; links davon slmd/ik.
— Freundliche Aufnahme bei dem Muchtar des Ortes.
31. Oktober.
8h 47 m fort von zCMnek, das seinen Namen von den alten Ölbäumen
auf dem nordwestlich gegenüberliegenden Hiigel hat. — 81' 52"' links ein
ca. 10 m langes, ca. 3 m hohes Stück Mauer, das von seiner Form
den Namen hiirü plgamberin a/y, das Rofs des Propheten Urija, hat,
das beim Kampf des Urija mit den Ungläubigen versteinert wurde. —
8h 55m links öffnet sich ein kleines Thal, an welchem wir bis zu seiner
Mündung in das, selbst in den ca. 30 m rechts bleibenden 'afrin gehende
schlch er-rüm drresi (?) entlang gehen; bei dieser Mündung 9h im; bis
hieher sind wir meist unter ca. 450 gegangen. — 9h 5m bei dem hiirü
pfgamber , der berühmten Zijära des Propheten Urija, der als Offizier
des Königs Dawid gegen die Ungläubigen kämpfte und hier fiel und
begraben liegt1); ca. 20 Schritt im N des Gebäudes geht die grofse
Strafse bülbiil-killiz vorbei; im W und S ein gröfseres Gräberfeld, auf
welchem auch einige römische Inschriften. Halt.
Uh 55m fort, über die killiz- Strafse fort: unter 46°. — i2k 2m rechts
am Weg zahlreiche Sarkophage. Halt.
12h 18m fort, am Wege zahlreiche Spuren alter Steinbauten. — i2h 25 m
ca. 4m rechts unter uns das fdbun fu/u, wie es die Bewohner der Ge-
gend, fapy fuju, wie es der Zabtije nennt, das nach S und in den ‘afrin
geht; immerfort durch Ruinentrümmer; wir befinden uns auf dem
Boden des alten Kyrrhos; die kat'a links über uns lassend, suchen
wir den achteckigen Stein auf, der wohl die bedeutendste bisher hier
gefundene Inschrift trägt: von hier der Tumulus abidon hüjüjü (s. 30-/10.
') So auch Jakut IV 199 s. v. birus (d. i. Kyrrhos); anders Almakdisi p. 175
unter ‘ ammän (ZDPV VII 168): ,,in ihr ist das Grab des Urija, über dem eine
Moschee ist“, und danach ohne Rücksicht auf seine eigene abweichende Notiz
Jakut III 710. Heute scheint sich die Urija-Sage nicht mehr an ‘ammän zu knüpfen
fs. Bäd ’ 188, wo nur die Moschee erwähnt ist), obwohl sie 1 Sam. 11 hierher ver-
legt wird. E'taMabi in seinem tl-'arti'is (hisas el-anbijä) 'erwähnt den Urija nur
gelegentlich S. atj (ed Kairo 1301) und nennt ihn nicht Prophet.
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Marlin Harimann:
482
nh 7m) 284“ — ih 23"' nehmen wir die Richtung auf marsowa ; 70°;
an dem Thal domuz deresi entlang; unter 50° hinab in das Thal des
fdhun fuju. — 1 h 37 m unten im Thal; hier ein ca. 30 m breites, trockenes
Flufsbett, das nur wenig weiter östlich Wasser aus einer reichlich strö-
menden guten Quelle erhält; ca. 9 Minuten später in dem auf der
jenseitigen Thalwand gelegenen marsowa. Halt.
3h 6 m fort von marsowa, auf demselben Weg. — 3h 1 g m im Thal
des faiuu fuju; wir lassen den achteckigen Inschriftstein (s. 12 h 25“
rechts und wenden uns der Ruinenstadt zu, zu deren ersten Trümmern
wir 3h 29™ kommen; am Rand des Trümmerfeldes entlang. — 3h32*
durch ein 3,24 m breites Thor in der ca. 2,50 m hohen Steinmauer,
welche nur zum Teil erhalten ist; diese Mauer bildet ein grofses Vier-
eck und hatte an jeder der vier Seiten ein grofses Thor zwischen zwei
vorspringenden Steinbauten; innerhalb des Thores die P.este eines
alten Säulenganges; von dem Trümmerfeld steigen wir den Abhang
des die kal'a tragenden Vorsprunges des nicht unbedeutenden Hügels
gölgawan Itpe hinan, ziemlich steil, doch rcitbar, bis etwa 50 m vor
dem Thor, wo wir absteigen müssen; die Inschriften, die sich auf dem
nicht sehr bedeutenden Trümmerfeld finden, deuten auf christliche Zeit.
— 4h 47 m hinauf zur Spitze des Hügels. — 4h 58™ auf der ein kleines
Plateau bildenden Spitze, bei der Zijära des Gölgawan, der im Kampf
gegen die Ungläubigen gefallen ist; gölgawan soll eine Verstümmelung
von kclkümen (vgl. 28., '10. 3 *> 40 ™) sein; von einem Punkt, ca. 60 m
nördlich der Zijära, die nur ein von Gebüsch umgebenes freies Grab
ist, keine Kapelle, visiere ich: Spitze des schirh choros dagh (wohl iden-
tisch mit dem kereschir dägh, s. 30./10. nh), 265°; Abfall des kleinen
damryk nach O 290°; Abfall des grofsen damryk nach W 2920; höchste
Spitze des letzteren 296°; marsowa 15°; schi/tah, am diesseitigen (west-
lichen) Ufer des ‘afrin 62°; jenseits des ‘afrin, ziemlich fern, barnaU
90°; die südliche Spitze der bal'a 87°; von einem anderen Punkt,
ca. 30 m im S der Zijära: hürü ptgamba- 145 °; Mündung des fdbua
fuju in den ‘afrin 162°. Halt.
5h 25 1,1 fort; schleunigst und möglichst gerade, die kal'a rechts
lassend, den Bergabhang hinab in das fäbun fuju- Thal und zum Dorf.
— 6h 8m in marsoiva.
1. Novembet.
Vormittags wiederholter Besuch des Ruinenfeldes; am Fufs der
ia/'a peilte ich marsowa und das etwa r Stunde entferntere bawub unter
360°. Auf dem Hinweg brauchte ich vom Dorf bis zu dem achteckigen
Inschriftstein (s. 3i./to. I2h 2Sm), von welchem ich einen Abklatsch
fertigte, 24 m ; über den Rückweg notierte ich folgendes: ih 17" fort
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Das Lhvu Halcb (Aleppo) und ein Teil des Liwu Dschebel Bereket. 483
von dem Stein, auf dem Weg, den wir gestern (s. 3t./to. i b 2301 u. s. w.)
genommen ; an dem kleinern, wohl irrtümlich als domus deresi bezeich-
neten, in das sabun fujti gehenden Thälchen entlang; letzteres soll
ca. 30” von hier aus einer reichlich fliefsenden Quelle Wasser bekommen
(vgl. oben 31./10. ih 37”), 1 Stunde von hier soll auf seinem westlichen
Ufer, dicht bei einer grofsen Brücke, Uber welche die Strasse iskenderun
— killiz führt, eine Mühle liegen, und 30 m unterhalb dieser Mühle
soll es sich mit dem ‘afrln vereinigen ; bei diesen Entfernungsangaben
ist jedoch in Betracht zu ziehen, dafs der Flufs viele Krümmungen
macht. — ih35m in marsowa.
3s 24m fort von marsowa, unter uoc in gutem Schritt; bergan. —
3>‘ 32“ ca. 100 m rechts eine kleine Zijära unter Bäumen. — 3h 38“' auf
einer grofsen Strafse, welche marsowa rechts liegen läfst. — 3h 5om links
das dschtjren tepe d. i. Gazellenhügel; rechts das tiefe und wilde dschljren
Upe deresi, das bald darauf vor uns in den ‘afrin einmündet; jenseits
dieses Thaies, ca. 15 m entfernt, schilhift (s. 31./10 4 ** 5801); unter ca. 80°,
etwa 45 m entfernt, aghtepe, dem reichem Bairäm Oghlu in killiz gehörig;
karnabe no°; das kleine Dorf bekere 160 °; in sehr gutem Schritt. —
— 4h 6 m in dem breiten Bett des ‘afrin, der hier nur wenig Wasser
hat; wir in demselben eine kleine Strecke hinab unter ca. 170°. —
4h 9m über das, sich 1 m rechts in den 'afrin ergiefsende, wasserführende
aghtepesiniii fuju] dann unter 140° sanft bergan; Terrain sehr wellig.
— 4h 14"1 fast eben unter ca. 120°. — 4h i8m barnabe 100 c; steil hinab
in ein Thal. — 4h 25™ auf der jenseitigen Höhe; gleich darauf wieder
in ein tiefes, etwas Wasser führendes Thal. — 4*> 28"’ über einen
trockenen Seitenarm dieses Thaies; dann einen anderen Seitenarm
hinauf, dessen reichliches Rinnsal wir 4 h 31 m überschreiten; bergan. —
4h 35m vor uns barnabt auf einer Anhöhe. — 4>< 38 m über ein von
links kommendes, stark fliefsendes Quellrinnsal, das sich rechts am Weg
mit einem anderen vereinigt; an letzterem, das rechts bleibt, hinauf. —
4*> 42 m der Weg teilt sich: geradeaus hinauf zum Dorf barnabe ; wir
wenden uns nach rechts, die Anhöhe links lassend. — 4h 46“ an der
Quelle des Rinnsales rechts; wir befinden uns seit Überschreitung des
‘afrm bereits auf dem Boden von mübidsch oder mUmidsch (vgl. oben
30./10. zks™); die Bevölkerung sind hier Türken, welche neben ihrem
türkisch auch kurdisch sprechen; Kurden kommen hier nur vereinzelt
vor. — Halt.
4h 47 m fort von der Quelle; sanft bergan. — 4h 48“ barnabe ca.
100 m links; eben, unter 1240 auf den gedik zt/in zu, einem Pafs, der
zwischen niedrigen Kreidefelsen ca. 1 Stunde vor uns liegt; Uber ein
weit ausgedehntes, ca. 45 ra langes, zo1" breites Feld auf sehr bequemer,
recht belebter Strafse. — 5 11 21 m wir schneiden eine breite Strafse,
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4X4
Martin Hart m a n n :
welche rechts nach haleb, links nach mar'asch führen soll; rechts lind
links gröfsere Ölbaumhaine; die Berge treten auf ca. 30™ an die Strafse
heran. — sh 25 m links beginnt der ziemlich genau W — O laufende, der
Strafse parallele, lange üresel Stmcn dägh, auf dessen jenseitigem (nörd-
lichen) Abhang sich Dörfer befinden sollen ; rechts der pola/ly dilgh, der
ebenfalls der Strafse parallel läuft und sich an den vorher rechts, doch
weiter entfernt gesehenen karadasch dagh anschliefst; unsere Strafse läuft
ungefähr in der Mitte zwischen diesen beiden Höhenrücken. — 5 h 27"
ca. 45 m rechts tachlaly und westlich davon das entferntere airykanny, am
Abhang des i -aradasch', von tachlaly aus zieht sich auf die Strafse zu
das kuju deresi\ genau links soll das vom Höhenrücken verdeckte kuzena
liegen; wir befinden uns hier auf dem kiintsa jitzysy, welcher Name, wie
viele andere, dafür spricht, dafs hier arabisch redende Bevölkerung
sefshaft war (künlsa = ar. kennt oder kunaijise, Kirche, Kirchlein). —
5h 40m ca. 12“1 links die Spitze des weifsen Kreidehügels blschik lepe.
— 5h 45 m rechts kommt unter sehr spitzem Winkel die direkte Strafse
bülbül — killiz heraus; dieser Punkt heifst südüklii deresi und hier be-
findet sich in der Mitte der Strafse ein kleiner (von einer Quelle ge-
speister?) Tümpel. — 5h S2m ca. 20 m rechts das kürgeli oder külgrli ka/a,
ein grofses Felsstllck; ca. 20m links der gjaurh bdghli- Berg. — 6h auf
der Höhe des gedik zitin, von welchem aus das jetzt nur durch schwachen
Lichtschimmer bezeichnete killiz sichtbar ist. — 6h i8m bei den Beduinen-
zelten, die dicht neben der Stadt aufgeschlagen sind; über das holperige
Pflaster des Ortes zu dem Haus des Armeniers Hätschir Effendi.
2. — 12. November in killiz ; durch Vermittlung meines Wirtes ge-
winne ich die Dienste des Armeniers Hannusch Effendi Mighirditschian,
der viel im Land herumgekommen ist und gut beobachtet hat. So
oft es irgend möglich ist, arbeite ich mit ihm, hauptsächlich die Listen
des Kada killiz, einschliefslich der Nahijen von bülbül ('izzije) durch-
gehend. Von Ausflügen machte ich nur einen gröfseren, der nebst
den von einem Punkt dicht bei der Stadt gemachten Visuren im
Folgenden mitgeteilt ist.
8. November.
Visuren von dem Hügel karafasch (oder karadasch) ca. 20 m hoch,
3m vom Haus des Hätschir Eff., an der grofsen Strafse nach kantara
und teil el-halcsch, die über diesen Hügel führt: Hügel von a'zilz 20g1':
Spitze des lllim dägh 2130; Spitze des parsa dagh 2 2 5 karadasch dägh
zwischen 250° und 258°; schick muhammed ddgh von N nach S laufend,
zwischen 258° und 286''; auf ihm das Zijäret des Schech Muhammed,
2om, 263"; in der Ferne beschneite Gipfel des gjaurdagh zwischen 203"
und 302'; das gedik zttin (s. i./tj. 6h), hinter dem Berg, nicht sichtbar.
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Das Liwa Ilalcb (Aleppo) uud ein Teil des Liw.i Dschebel Berckel. 4H5
nach Angabe Hatschir Kft'.’s 298 , ghurab holest', ein sitUs antii|uus, an
welchem sich jcduch T rümmer nicht linden, 45™, am Fufs des langen, sich
zwischen 329“ und 20" von O nach W hinziehenden Simen dagh (s. 1.11.
5h 25“) 32 9^ — si hi! babtb'), ein Zijäret, 6 — 7"* von meinem Standort,
2 ; tschakally dagh, auch Hauralyk genannt (:), von NW nach SO laufend,
zwischen 30' und 62'; an seinem Fufs (rushun gyrän , eines der drei
Quartiere des Dorfes tschakally, 35 ’; der ebenfalls von NW nach SO
laufende, vom tschakally dagh durch ein Thal mit Strafse getrennte
‘ adscher (‘ addscher ) dagh zwischen 62° und 75°; an seinem Fufs das
grofse Dorf ‘adscher , 80 H., 68c; das oijlum hüjügü, auf welchem ein
Zijäret, zwischen in‘ und 1170; hinter ihm das Dorf oijlum ca. n6‘;
das kefer deschir hüjügü, hinter welchem das Dorf kefer rohem liegt,
163°, schtch man für zijareti, ca. 30- entfernt, an der /w/ci-Strafse, 178°;
teilt hüjügü, ca. t1’, 205°; tibil, Dorf neben einem Hüjük, 1 h 30-, 203°; der
larzimt chdn, wo das alte kitlis gelegen haben soll, und wo noch jetzt
mächtige Steine gefunden werden, ca. ih, 251'; der kleine Garten ilezt
baghlschesi mit üppiger Vegetation, ca. 20 der von der Tradition als
die alte Lage der Stadt oder doch eines Teiles derselben angenommen
wird, da man in dem ilezl den Namen kitlis. vermutet und sich hier
Spuren einer alten Ortslage finden, 93'94°.
11 s 19- fort vom Regierungsgebäude; langsam. — nh3o- der
Weg teilt sich: rechts geht die grofse Strafse nach iskenderün über
(tafma ab, mittlerer Schritt; 190 °. — ith4o™ guter Schritt, in dem wir
bis a'zitz bleiben. — nh 55- links, allmählich ansteigend bis zu der
ca. 150 m entfernten Spitze, der lilit hüjügü. an dessen Seite sich eine
Quelle befindet, und an welchem viele Personen arbeiten, mit Gewin-
nung von kircdschli toprak (Kalk) aus den alten Bauten in seinem
Innern beschäftigt. — nh 57“ links geht die Strafse nach (taieb ab;
215°. — I2h5™ links sehmtlln hüjügü 100110°; I2h 9- armiidscha 1 30 0 ;
das Dorf sehmtlln, zwischen armiidscha und dem Hügel, wird von
letzterem verdeckt. — i2h 25- 200°. — 12h 26- Halt bei einer
ca. 30 m links liegenden Quelle.
12h 38- fort. — i2h 39- Kreuzweg: rechts der kürzere Weg nach
a‘zäz, links der längere ebendorthin über tibil', 230,235°. — I2h 45“
der Hügel von a'zdz 210°. — i2h5i- links Hügel von tibil 140°;
tibil selbst, das dicht bewohnt und bedeutend erscheint, ca. 10-, 160°;
1 } Daneben kommen auch die Namen schreit el-habib , schar et-habib und schil
habil vor: ein ausgezeichnetes Beispiel ftlr die Verstümmelungen durch Volks-
etymologie: denn es ist wohl keine Krage, dafs an den tapferen General Schurahbil
ibn Hasaoa, T igd. Fl., zu denken ist, über welchen s. die Stellen Jakuts und
Anderer, die in Jakut indes s. v. zusummeugetragen sind.
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Martin 1 1 a r t m a n n :
4 St»
in der Nähe des Dorfes Araberzelte. — ih4m 190“ — x •> 5 m ab
von der Strafse nach rechts auf das, unter 260° am Fufs des von N
nach S laufenden parsa dägh liegende Zijäret los; auf dem Rücken des
Berges ein Gemäuer unter 276°, neben welchem ein Zijäret. — i*> 13“
290°; auf einen niedrigen Sattel des parsa dägh los. — ih23m seit
ca. rh 17“ sanft ansteigend; links ein Thälchen. — ih 26 m wirschneiden
die unter 220 230° laufende Strafse killiz — iskendcrün. — 1 h 32 m über das
Thälchen (s. ih 23“1); i'1 35'“ über ein tiefes, zerrissenes Kreidefelsen-
thal; die Winterbäche dieser Thäler ergiefsen sich wohl alle in den
kuwaik; weglos; 280/290°. — ih 43“ auf der Höhe des Sattels. Visuren:
der grofse dartnyk, der von hier aus sehr bedeutend erscheint, 330';
der kleine darmyi 320°; der amm dägh (?) 296°. — Das beschneite
myghr (niughyr) im gjaurdägh 302°; jdzy bdgh ki'ij, 15"“ unter uns in der
Ebene, 20°; der Hügel von a'zäs 188°; südschii, 30 m unter uns in der
Ebene, 154°; jelbaba mit seinem Hügel 130°; ma'rin oder ma'dfn (der
Name ist zweifelhaft; nicht zu verwechseln mit dem 2h 15 m gesehenen
ma'rln), an der /laM-Strafsc, ca. ih, 144°; ein Dorf, das von arabischen
Muslims bewohnt ist, die es den Türken abgenommen, ca. i*>, 124'. Halt.
lh 5öm fort; auf dem Bergrücken; 220°; ansteigend. — 2h 15“
auf dem höchsten Punkt des parsa dägh; Spitze des dschebe l ei akra ‘
235°; Spitze des lilim dägh 209°; ein kleines Zijäret am Fufs des
Berges, ca. 45*", 225°; sedschlris (sedscheräs), ca. ih3om, 197 °; unter
uns am Fufs des Berges, ca. 3ora, ma ‘rin\ Hügel von a'eäz 178*;
minnigh, ill30nl, ein grofses Tscherkessendorf, 155°; die armenische
Kirche von killiz 47°; tibil 97°; dikmrdasch, ca. Ih, 336°; ‘ arab Srtn ,
ca. 1 h, 352°; sa'dele, ca. 1 ,l 30 m, 8°. Halt.
3h fort zu Fufs; 140°. — 3 h 3 m bei dem ih 5m gesehenen Gemäuer,
das sich als unbedeutend und wohl modern herausstellt. — 1 m nach
S zum Zijäret der Parsa Chatun, hinter welcher „Prinzessin Parsa“
sich vielleicht ein Heiliger versteckt. Ich schlüpfe durch die niedrige
Thür an der N-Seite, innen der übliche, hier dachförmige Holz-
kenotaph mit einem grünen Tuchfetzen darüber. — 1 m nach S zu
einer Höhle, wo der erste Dschamblät, der sich gegen den Sultan auf-
lehnte, nach Stanibul gebracht wurde und vom Sultan den Namen
Dschän bfdäd d. i. der Stahlherzige erhielt, einen Schatz fand, mit dem
er die vielen Grundstücke, Läden etc., die noch jetzt der Familie ge-
hören, kaufte, vor ca. 300 Jahren1).
*} Es ist merkwürdig, dafs sich die Erinnerung an den Ursprung der heute
nur noch im Libanon zu lindenden Drusenfamilie Dschamblät so erhalten hat; viel-
leicht ist aber dieselbe künstlich und mit Nebenabsichten aufgefrischt. Die Notizen
über die DschambUts bei Schidjäk, Tünch el-a‘jän (Beirut 1859) sind leider dürftig;
danach wurde Dschän bfilid 1571 Statthalter von Killiz.
♦
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Das I.iwa Haleb (Aleppo) und ein Teil de* I.iwa Dschcbel Bereket. 487
3h 17 m fort von der Höhle, sehr steil bergab bis 3h ?tm, dann
mittelsteil; 3h3im über ein Thälchen; jenseits zwischen dem Flufsbett
und der Strafse, links ein Zijäret und zwar nach Waisi Agha in a'zäz
das des Schech Muhammad el-warsäwl; nach Waisi Agha nennen die
Araber den Berg dschebel d-barsäje. Sanft bergab zur Ebene. — 3h 35m
3m rechts ma'rln. — 3h 37m über die /laAi-Strafse. — 3*> 40"' Uber den
von südschü in die /ia/zÄ-Strafse mündenden Weg. — 4h 4m erst jetzt
taucht das gleichsam in einer Grube gelegene a'zäz auf. — 4hnI“
ca. 250 m links 12 Araberzelte. — 4h i6,n bei den ersten Häusern von
a'zäz. — 4h 19 m am Haus des vornehmsten Mannes des Ortes, des
trefflichen Waisi Agha. — Besuch des Moschee dschämi'd-lckke, welche
sich als nicht unbedeutende christliche Kirche erweist; schöne Inschrift
des Aijubiden Saläh ed-dln Jüsuf, Enkels des grofsen Saläh ed-dtn
vom Jahr 644.
9. November.
Besichtigung des Ortes, dessen Namen im Mund der arabisch
sprechenden Bewohner der Gegend wie 'izäz klingt (vgl. das in „II. Orts-
listen" Bemerkte.) Der christliche Färber Ilschirdschi, ein Schützling
Waisi Aghas, der sich vor etwa 12 Jahren mit seiner Familie in a'zäz
niedergelassen, leistete gute Dienste; sein Haus ist das einzige nicht-
muslimische im Ort. — Visuren vom Hügel: Hügel von jdbaba,
2 h i5m, 90°; ddbik, 3h 1 5 m, 940; das Zijäret auf dem parsa dägh 40.
II h 20 m fort von a'zäz. — iih3om Halt.
m 32“ fort; Kreuzweg; wir rechts ab nach jdbaba, das die Araber
schick cr-nli nennen. — 1 1 h 51“ ca. 20 m rechts ' ain-dahne (Tscherkessen) ;
kurze Strecke in leichtem Trab. — i2h 151“ wir schneiden genau in
rechtem Winkel die Strafse l ’ta/cb-kH/iz , die nicht weit links an dem Dorf
nijara vorbeiführt, unterhalb desselben auf einer kleinen Brücke einen
Zuflufs des huivaih überschreitend. — I2h 18"1 ca. 6™ links nijara, 360°,
killiz verdeckend. — i2h 21 m über das I2h is1” erwähnte Wässerchen.
— i2h5om ca. 3m rechts ein Dörfchen mit ca. 15 H. — ih i4m am
Fufs des Hügels von jclbaba. Über die interessanten Zeugnisse des
in Syrien verbreiteten Steinkultus siehe meine Notiz in Z. V. f. Volks-
kunde I p. roif. — Visuren vom Hügel: ein grofses Dorf, ca. 40m,
1250; ein Hügel, ca. r1*, 420; ein gröfeeres Dorf ca. 30™, 220.
Ih 52m fort von dem am östlichen Fufs des Hügels gelegenen
Dorf; 1150. — 2 h 8 m an dem rechts bleibenden Dörfchen ülbül (10 H)
vorbei; daneben 20 — 30 Zelte; 120°; auf ' ain d-bida zu. — 2h 2om
rechts, ca. 40 m, faunin (auch fOrän und (türk.) fawran gesprochen). —
2 k 24 m toipuk 130°; hiitmild 155°. — 2 h 5 (S m bei der Quelle'«/« d-
blda am westlichen Fufs des Hügels. Halt.
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4X8
Martin Hartman n:
31' lm fort. — 3h 2o™ hütmilet 210°; das Terrain ist wellig. —
3h34"1 auf einer dreibogigen modernen Brücke über den buivaib, der
hier (mUb arygky genannt wird. — 3 *’ 37 m über einen zweiten Arm
auf einbogiger Brücke. — 3h 38“ dicht an dem, an einer etwas be-
deutenderen Erhebung liegenden (oipuk , arab. ed-duwaibik (Türkmenen;;
tom entfernt, unter 240°, das Zijäret ntbi tdwit, arab. en-ncbi daurhd, ein
stattliches Gebäude mit 4 Kuppeln, das erst vor ca. 100 Jahren erbaut
sein soll, nachdem der alte Bau des in höchstem Ansehen stehenden
Heiligtums lange verfallen war. — 3 h 42 m guter Schritt. — 3 h 45 “
sanft bergauf. — 3h 54” auf einer Bodenerhebung, wie solche, meist
20 — 30m hoch, in diesem welligen Terrain häufig sind. — 4*> im die
Strafse, die bisher unter 125° lief, macht eine Wendung: 155°. —
4 h i^m 134 140°; leichter Trab. — 4h 20“ das bisher verdeckte achten n
zeigt sich; Spitze des Hügels von a. 138°. — 4h 23 m links, 15“ ent-
fernt türkmdn bdrih. — 4 1> 5 5 m am Fufs des Hügels von achterlei, der
von einer wohl aus altem Material aufgeführten Mauer umgeben ist. —
4h 59“ auf dem Hügel. Visuren: ein grofses Dorf, ca. ih, 124°; ein
desgl., 40“, 74°; ein desgl., ih3om, 450; ein desgl., ih3o“, 45°;
türkmen bdrih 350°. Das Dorf a. unter uns zwischen 190° und 250':
es ist ein wichtiger Knotenpunkt, eine Hauptstation für mehrere Straften:
Alles was von kaleb nach ’ain/db, mar'asch, urfa , dijdrbekr will, mufs
hier durch. Telegraphenstation. Geräumiges, luftiges Menzül. — Nach
einer mir in achterin gemachten, von guter Seite bestätigten Angabe
liegen östlich von achterin zahlreiche Dörfer bis hin zum Euphrat, 30“
bis ih von einander entfernt; sie sind alle neu, höchstens 20 — 30 Jahre
alt, und die Bevölkerung gemischt : Kurden, Türkmenen, Araber. Doch
dürfte das arabische Element vorherrschen.
10. November.
8 h 38 m fort von achterin ; 356°. — 911 I2m links am Wege türkmen
bdrih (25 H Araber) ; rechts Zelte. — Links geht ein Weg nach bahwii’l 1
ab, das wir jedoch nach der Weisung der Achteriner links lassen; 360°.
— 9h 41 m bihwarfa (so wohl häufiger als bahwir(e) 20 m links, 28oc; die
Einwohner sind Araber, doch zweisprachig; 350°. — 9h 54“ über die
Brücke des kuvaik zu der grofsen Mühle bah wir fe dejirmeni am östlichen
Fufs eines kleinen Hügels, die in weitem Umkreis die einzige ist. Halt.
10hölm fort. — Rechts vom Hügel geht der Weg nach ' aintäb,
wir links; 350°. — ioh 58“ die armenische Kirche von killis 3150. —
1 1 h 2 "i ca. 6m links ein Dörfchen mit Araberzelten. Terrain sanft ge-
wellt. — nh23ra Halt.
Uh 32 >0 fort zu Fufs. — nh37m links am Weg, ca. 120 m ent-
fernt, dschekke, 15 H Araber; vor uns ein Dorf unter 355°. — I2h6“
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berekct. 480
rechts am Weg das Dörfchen Juden, arab. dodijdn, 15 H; Halt. Zahl-
reiche Reste alter Hauten, die zum Teil in die Häuser eingemauert
sind, aus Basalt.
12h 10 m fort; 360°. — i2h 30m links am Weg das Dörfchen bara
mezere , ca. 10 H. — I2h 44 m links, ca. 45™, fiardschele mesdwa , zwei
dicht neben einander liegende Dörfchen, 260°; rechts ca. 20'”, humtta ,
310°; links ca. 5m ein kleiner Hügel. — i2h 54“1 links steigt das
Terrain sanft an. — 1211 57“ über ein ca. 1 m breites Wadi. — ih 6m
rechts am Weg (labst, ca. 10 H und 6 Zelte, Araber und Türken. —
1 *> 20 m bei den ersten Häusern des Dorfes teil el-habesch, türk, teil
habesch, neben welchem hawesch dialektisch, wie 'awrin neben ‘a/nn.
— Der Name lehnt sich wohl an den Bild/ el-habeschi an, dessen
Zijäret sich hier befindet; das Dorf liegt am südlichen Fufs eines
Hügels; Besuch eines Inschriftensteines auf freiem Feld ca. i5m
vom Dorf, in der Richtung von (iabse\ bedeutende Zucht von Trut-
hähnen (dik tl-liabesch\ mit dem Namen des Ortes in Verbindung
stehend ?) —
4h fort; auf killiz zu; 280° — 4h 29m auf der Höhe einer be-
deutenderen Bodenwelle, die wohl mit dem, ca. ih rechts sich hin-
ziehenden banfaru dägh zusammenhängt; ca. ih vor uns, rechts an der
Strafse, der ‘adscher dägh. — 4** 43 m über den von dem rbioÄ-Flufs ge-
speisten Graben der Mühle, die 20 m tiefer liegt. Halt.
4h47m fort. — 4h49»> im Thal des perennierenden sinob fu. —
5hi8m ca. 15“" rechts ‘andz 350°; links das Zijäret des teil oijlum
240°. — 5h 26™ rechts beginnen die Gärten von killiz. — Links ca.
1 5 m , oijlum 180°; das Zijäret auf dem mit Ölbäumen bewachsenen
teil oijlum 2100. — 5 h 35 m über das llscheri baghtsche fti , ein kräftiges
Wasser, das aus den „inneren Gärten“ kommt; es wird an einer Brücke
darüber gebaut. Wir befinden uns hier schon auf dem demir jolu, der
projektierten Kunststrafee zwischen killiz und ‘ainldb, welche die übrigens
nicht erheblichen Schwierigkeiten der alten Strafse vermeiden soll, in-
dem sie die Bergrücken östlich umgeht; es wird schon 10 Jahre an ihr
gearbeitet; es sind aber, obwohl sie fast ganz eben läuft, nur einzelne
Strecken fertig; bei killiz ca. 4 km, vor ‘aintdb ca. 8 km. — 6 11 20™
zurück in killiz.
13. November 1882 bis 1. Januar 1883 auf der Reise von killiz
nach urfa und von dort zurück nach killiz
2. Januar 1883.
9h 20 m fort vom Hause des Armeniers Hätschir Eff. in killiz. —
9>> 28 "> bei den letzten Häusern der Stadt. — 9h 50 m rechts am Weg
die Zijära des Schöch Mansur. — ioh 35m links am Weg ein Dorf,
Zciuchr d. Geldlich. f. Erdk. Bd. XXIX. 33
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400
Martin H n r t m a D n :
gehörig dem Bairäm Uglilu ( tchimmtrrtn ?). ioh 4om Brunnen mit
vortrefflichem Wasser. Halt.
Uh 5m fort. — nh2oro links am Weg sehimmaryk. — 1 1 b 45m
ca. iom links das Dörfchen tatja. — 12h 4“ links am Weg das Dorf
ntjara ; wir vereinigen uns mit der Hauptstrafse killit-ftaleb, die wir des
schlechten Zustandes wegen nicht hatten nehmen können; gleich
darauf auf einer kleinen Brücke über das Wässerchen ntjara suju, das
in den fialeb aryghy genannten Arm des nähr kuwai'k geht. — i2h32m
an dem Punkt, wo ich am 9./11. 82 i2h 15 m diese Strafse kreuzte. —
1 h 15 m Halt.
lh 24m fort. — 1 h 40m links am Weg dschibrin . — 2h ca. 20“
rechts merdagän (?). — 2 h 3 “ am Weg die Ruinen des verlassenen
Dorfes merdagän, mit Brunnen. — 2h 20™ teil rfad wird sichtbar. —
2*> 30“1 links die Zijära des Schech Jahja mit zwei Kuppeln. — 2h
45 m in teil rfäd.
3. Januar.
6h 35m fort von teil rfäd. — 7h32°* ca. i$m links kefr najih. —
gh cj2 m ca (jn, rec),ts ,-hardat inin (?). — 9 40 m in baschkäj. Halt.
10 h 15 m (?) fort. — I211 35™ über die Brücke des nähr huwaib in
das aam/c- Viertel von fia/eb.
in haleb.
4.-8. Januar
9. Januar.
ca. 2 h 30 m fort vom Hause des deutschen Konsuls Herrn Zollinger,
bei dem ich die gastlichste Aufnahme gefunden, zu Fufe; durch das
hüb el-dschcnine aus der inneren Stadt heraus und am nähr kttu aik ent-
lang bis zur Brücke dschisr en-nä'üra.
3h fort von der Brücke zu Pferd; sehr guter Schritt. — 3h 10"
ca. 3m rechts et-chinähje, ein einzelnes Haus in einem Garten. — Sehr
bald verlassen wir die neue Kunststrafse, die rechts abgeht und sich
längere Zeit ca. 6m rechts von unserem Weg hinzieht. — 4h ca. 100 m
rechts die SW-B’.cke des ca. 50 H zählenden Dorfes beleramün. — 4h
20 m ca. 6m rechts et-hsintje. — 4h 35 m durch den südlichsten Teil von
ma'arra (ma'arla), wo bedeutende Taubenzucht. — 4*> 40“ 360°. —
4h j0m nach NW. — 4h 5öm iom rechts ‘anadän. — 5h 3"' ca. 6™ links
auf einer Anhöhe die Ruine des alten ‘ anadän ; rechts und links An-
höhen. — 5h 17 m im links jd&it ’ades') etwas höher als die Strafse. —
1 ) Nach der Volks-Etymologie «= jaküt ' ad«M (I.insenhyacinth), doch wohl zu-
sammenzustellen mit dem Jak. IV, 1004 erwähnten jdkid, das dort als „in der Nähe
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des I.iwa Dschebel Berckel. 401
5b 19"* sanft bergauf. — in kefrbasim ; hier werden mir als
Orte an dem Weg zur kal'at sim'än angegeben: btkbäschi, dtrschln,
banastür, rklje, blr lu’mi (auch „zweite rkije" genannt)1), ftfirlln, buriischki.
10. Januar.
gh 45m fort von kefrbasim bei schlechtestem Wetter. — ca. 1 1 h
nöthigt das Übelbefinden eines der Mitreisenden und das heftige
Schneetreiben , welches den Weg nicht erkennen läfet , in fefertin,
einem kleinen Lager von jezidischen Kurden, ca. 1 h vor kal'at sim'än,
einzukehren.
11. Januar.
8h10ni fort; die Wege sind völlig verschneit; in der Nähe einer
Ruine treffen wir einen Hirten mit Herde, der uns räth, uns mehr
westlich zu halten, um zur kal'at sim'än zu kommen; die Strafse nach
el-ghazzäwlje führt an der nördlichsten Aufsenwand dieser schönen
Ruine, türkisch küpeli kalt genannt, vorbei. Halt.
9h 50 m fort von kal'at sim'än. — 1 1 h 5 m in el-ghazzdwijt', hier sind
wir in der Ebene; auf vortrefflichem, ganz steinlosen, veihältnismäfsig
trockenem Wege. — uh40m links, durch einen Bergrücken verdeckt,
ischkän, Dorf Haidar Agha's; links, weiter vor, dschtlemc, Dorf Hamid
Agha’s; rechts vor uns, ca. 30 01 entfernt, rfenjc. — 1 1 •* 55 111 rechts
der ‘a/rln, sich schlängelnd, ca. 3m entfernt. — i2h 3“ ca. 10 m rechts,
jenseits des ‘afrin, abu ka'be. — i2h 30“ über einen Arm des seichten,
aber reilsenden 'afrin. Halt.
lh7ro fort; über einen anderen Arm des ‘afrin. — 1 h 27 m ca.
200 m links dschindarts mtztrtsi (Vorwerk von dschindares), ca. 15 Hütten.
Ankunft in ain tl-blda ( akpunar ) nicht notiert.
12. Januar.
7h 20 m fort von ' ain el-btda. — 8h43'" über die lange Brücke
dschisr muräd pascha. — q1' 50 m über die Brücke dschisr karafu , wenig
von ‘azaz gelegen“ bezeichnet wird und in dem eine Prophetin auftrat ; am Rande
der Mar äs i d Cod. Lindsay ist zu Jakut’s Artikel bemerkt: „ich sage, cs liegt in
der Nähe von haltb, gehörig zum Distrikt al-mlU', und ist von ’ozaz entfernt"
(Jak. V, 31); der Distrikt el-urtik lag aber westlich von haleb (5. Jak. V, iz); das
stimmt also gut zu der Lage des Ortes auf der Karle. Doch mag es noch ein
anderes jakid bei ' asäz gegeben haben, zur Unterscheidung von welchem das hier
gemeinte schon früh den Beinamen j. ‘ades erhielt. Gerade in Dingen seines
Heimatlandes Syrien ist übrigens Jakut am schwächsten, und so mag auch hier ein
Irrthum vorliegen.
1 ) raiije , gut arabisches, in der Sprechsprache nicht übliches Wort für
Brunnen, gleichbedeutend mit hi ’r (6rr).
33*
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492
Martin Hartmann:
hinter derselben links am Weg dürdi mehtmel obasy. — ca. n*> 30™
Dijärbekirli Chän in kyry/tchtln. Halt.
Ankunft in iskendcrfm nicht notiert.
Die Mitteilung des Reisetagebuches vom 15.— 23. September 1884
(s. S. 143) mufste unterbleiben, da der Reiseweg 1882/83 mehr Raum
als vorgesehen eingenommen hatte, und der zweite Teil der Arbeit,
die Ortslisten, eine Kürzung nicht vertrug. Durch die Verweisungen
auf die Karte in den Bemerkungen zu den Namenlisten in II, sind die
von mir auf der Reise im September 1884 berührten Punkte leicht
festzustellen. Auf wichtigere Notizen des Tagebuches ist ebenda
durch TB mit Datum des Reisetages verwiesen.
Berichtigung: S. 147 ist als Höhe des Passes über den Kürd
daghy statt 991 m 1035 m zu setzen; denn dieses ist der höchste beim
Übergang erreichte Punkt (s. die Höhenbestimmungen vom Nachmittag
des 28./10.).
II. Die Ortslisten.')
Von den SH (Jahrbüchern des Wilajet Haleb) liegen mir vor die
Jahrgänge 1 (1284), 2 (1285), 3 (1286), 4(1287), 8 (1291), 10 (1295), 11
(1296), 12 (1299). 13 (13°°). i4 (1301), 15 («303). >6 (1305). *7
i8j(i307), 19(1308), 20(1309), 21(1310). Eine Vergleichung derselben
ergiebt, dafs mehrfach erhebliche Veränderungen in der Verwaltungs-
Einteilung des Wilajets vorgenommen worden sind. So erscheint das
jetzige Wilajet Adana als ein Liwa von Haleb von Jahrgang t bis
Jahrgang 3, das jetzt zu den elwijc-i-müstakille gehörende Liwa Zör als
Bestandteil des Wilajets Haleb von Jahrgang 4 bis Jahrgang 12. Ebenso
fand fast beständig eine Bewegung in der Zuteilung der Kadas und
Nahijen statt. Es ist deshalb von einer Anordnung nach Kadas Ab-
stand genommen worden; es sind vielmehr die Nahijen zu Grunde ge-
legt worden, unter denen jedoch hier nicht immer Verwaltungsbezirke
unter einem Mudir zu verstehen sind; vielmehr sind die in den älteren SH
Jahrgang 1 — 8) aufgeführten Nahijen Bestandteile eines Kadas, welche
mit Rücksicht auf geographische Lage oder Bevölkerungsverhältnisse
eine Einheit bilden und als solche beim Volk einen besonderen Namen
führen. Von Jahrgang 10 an werden nur die Nahijen im engern
Sinn, d. h. die Mudirliks genannt, jedoch auch diese nicht immer
') Die zahlreichen Abkürzungen, welche in diesem Teil angewandt weiden
mufsten, sind unter Wiederholung der bereits S. 148 gegebenen am Schlufc der
Arbeit erklärt. Ebenda findet sich auch die Deutung der arabischen und türkisches
Gattungswörter, welche in den Eigennamen und in dem ersten Teil dieser Arbeit
häufig Vorkommen.
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Das Liwa Haleb ^Aleppo) und ein Teil des Llwu Dschebel Berckel. 4 11 .1
vollständig; besonders schlecht gearbeitet ist Jahrgang io. In Jahr-
gang 21, dem letzten mir vorliegenden, sind im Text des Beamten-
verzeichnisses am Ende jedes Kadas wieder sämtliche Nahijen, und
zwar mit Zahl ihrer Dörfer, aufgeführt, freilich nicht sorgfältig; die
Nahijen, die zugleich Mudirlik sind, figurieren natürlich mit ihrem Per-
sonal noch besonders. Sie sind in der folgenden Tabelle durch ein
der 2i beigesetztes * bezeichnet. Diese Tabelle, in welcher die Ziffern
die Jahrgänge von SH bezeichnen, giebt eine Übersicht über die Ein-
teilung des Liwa Haleb, wie sie
sich
in
den verschiedenen Jahr-
gängen darstellt.1)
I. h haleb 1 — 4. 8. 10-— 21.
n
el-hufair 1 — 4. 8. 21.
n dschebel sim'dn 1 — 4. 8.
n
haramurf I — 4. 8. 21.
II. k idlib 1 — 4. 8. 10 — 2i.
n
es-swldlje 1 — 4. 8. 14 — 21.*
n arrha 1 — 4. 8. 10. 11.
VII.
6
er-rlbdnlje 3. 4. 8. 10.
«3— *i*.
VIII.
6
bailan 1 — 3.*) 4. 8. IO — 21.
n sermtn 1—4. 8. 21.
n
iskcnderOn 1 .
n ma'arratmifrm 1 — 4. 8. 21.
IX.
k
’izzlje 1 — 4. 8. 10.
HI. h ma'arrat en - nu'mdn 4. 8.
n
ohtschu ‘izzeddlnlü 1 —4. 8.
10 — 21.
n
'amkl 1 — 4. 8.
IV. k dschisr esch-schughr 1 — 4.
n
schaichlar 1 — 4. 8.
8. IO — 21.*)
X.
£
killiz (khs) 1 — 4. 8. 10 — 21.
n dschisr esch-schughr 1—4. 8.
n
a‘zdz 1.
n derküsch 1 — 4. 8.
n
a'zdz-i-felldh 2 — 4. 8.
n el-urdu 1 — 4. 8. 10 — 20.
n
a‘ zdz-i-turkmdn 2 — 4. 8.
n kal'at el-madlh 2 — 4. 8.
n
dschom 1—4. 8. 10 — 21.*
12 — 15. 19. 20.
n
schikdghy 1 — 4. 8.
V. h hdrim 1 — 4. 8. 10—21.
n
menbidsch-i-f ökdM 1 — 4. 8.
n hdrim 1 — 4. 8. 11 — 21. '
n
haradschaly I.
n barlscha 1 — 4. 8. 13. 16
n
mOsdbeh/i 1 — 4. 8.
bis 21.*
n
‘izzlje 11 — 21.*
n er-rlhänlje 11. 12. 13. 16 j
XI.
k
‘aintdb 1 — 4. 8. 10 — 21.
bis 21.*
n
orul 1 — 4. 8. 21.
VI. h anfdhija 1 — 4. 8. 10 — 21.
n
tschdrptn 1 — 4. 8. 21.
n dschawär anfdkija (el-harblje)
n
rescht 1 — 4. 8. 21.
1 — 4. 8. 21.
n
teil beschdr 1 — 4. 8. 21.
n er-rthänlje 1. 2.
n
hezih 1 — 4. 8. 21.
*) Nur in den überwiegend türkischen Kadas
sind die türkischen Namens-
formen der SH beibehalten , in den anderen sind sie durch die arabischen ersetzt.
*1 ti hat hier keine Nahije-Namen.
3) Eigentlich nicht hierher gehörig, da das k bailan damals zum Liwa pafas
gehörte, das seit dem Jahre 1287 «um Wilajet adana geschlagen ist.
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494
Martin Hart mann:
n dschekde i — 4. 8. 21. n mcnbidsch-i-tafitdnl 1—4. 8.
n kyzyk 1 — 4. 8. 21. XIII. k iskenderün 12—21.
n kijZ’jUlifiir I — 4. 8. 2t. n arsüz 13 — 21.*
XII. k el-bäb wadschabbül I — 4. 8. n el- abädschllje 19.')
10 — 21. XIV. k menbidsch 12 — 21.
n el-bäb 1 — 4. 8. | XV. k er-rakka 15—21.
n llbektü 1 — 4. 8. 10. 11. 13 XVI. k dschebel sim'än 16 — 21.
bis 15. 17. 19 — 21.
Giebt diese Tabelle auch wegen der Flüchtigkeit und Kenntnis-
losigkeit, mit denen die SH gearbeitet sind (s. darüber das ZDPV VI
103!. Gesagte), kein vollständiges Bild, so zeigt sie doch die zahlreichen
Wandlungen; so ist er-rlkdnlje in SH 1. 2 eine Nahije des k anfäkija,
in SH 3. 4. 8. 10 ein Kada, in 11 — 21 eine Nahije (Mudirlik) des
k fiärim. Deshalb erschien der gewählte Weg, die Ortschaften nur
nach den Nahijen aufzuzählen, als der geeignetste. Freilich kommen
hierbei die Hauptorte der Kadas, soweit sie nicht in den Nahije-l.isten
verzeichnet sind, nicht zur Erwähnung; hier kam es aber vielmehr
darauf an, endlich einmal das Namenmaterial, das thatsächlich vor-
handen ist, möglichst genau und sorgfältig zusammenzustellen, als
Uber die Hauptorte, von denen die Hauptsachen bekannt sind, ein
paar neue Notizen zu bringen.
Die Reihenfolge der Ortschaften in den offiziellen Listen der SH
scheint überall eine ganz willkürliche, in keiner Weise auf die geo-
graphische Lage Rücksicht nehmende zu sein. Sie ist jedoch bei-
behalten, aufser in den Fällen, wo die Ortschaften einer Nahije von
einem mit dem Lande gut bekannten Mann systematisch dargestellt
wurden, wie das bei der Fall ist. Den in den Listen nach SH ge-
gebenen Namen wurden die aus anderen Quellen geschöpften am Schluß
hinzugefügt und zur Unterscheidung mit einem Sternchen bezeichnet.
Von den in den Namenlisten unter a und b gegebenen Ziffern
und Buchstaben beziehen sich die ersteren auf die Häuserzahl, die
• anderen auf Religion oder Rasse der Bewohner (s. das Verzeichnis der
Abkürzungen). Wo meine Gewährsmänner eine Doppelzahl, z. B. 40
bis 50 angaben, ist gewöhnlich nur die kleine aufgenommen; bei Ort-
schaften mit gemischter Bevölkerung ist die schwächer vertretene in
Klammern beigesetzt. Am Schlufs jeder Namenliste sind allgemeine
Bemerkungen über Gewährsmänner, Bodengestalt, Verkehrswege der
*) Muts auf einem Irrtum beruhen, denn dieser Komplex von Ortschaften ge-
hört schon zum k pajas , wie denn auch SH z S. 23g ‘abädschiti unter den Ort-
schaften der n pajas genannt ist; vgl. das S. 149 zu ih 40» Bemerkte.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berckel. 4Ud
Nahije und dergl. (A), und besondere Bemerkungen zu den einzelnen
Ortschaften (B) hinzugefilgt.1)
Von den für die Reisewege und die Karte wichtigen Nahijen des
Liwa halrb fehlt nur die n har im . Die Liste derselben nach SH, welche
vorbereitet war, wurde nicht mit einer zuverlässigen Person vollständig
durchgegangen. So blieben zahlreiche Namen unsicher, und es wurde
von einer Umschrift der in den SH nicht selten stark verstümmelten
Namen Abstand genommen.
Von nicht zum Liwa (ui ich gehörigen Nahijen wurde nur die
n chdssa aufgenommen, für welche genügendes Material vorlag.
Die Reihenfolge der Nahije-Listen schliefst sich an die der Nahijen
in der oben gegebenen Kada-Liste nach den SH an.
Bei Verweisen auf die Karte ist nur Buchstabe und Ziffer hinter
den Namen gesetzt, z. B. (ladschi bäkir D 7 bedeutet, dafc der Ort auf
der Karte unter D und 7 zu suchen ist. Nur wo d?r Verweisung der
Ortsname nicht unmittelbar vorhergeht, ist das Wort Karte hinzugesetzt.
1. Nahije dschisr esch-schughr.
a
b
a b
I
dschtsr esch-schughr
600
M(R)|
' 11
ez-zijdra
B
2
cl-dschänüdljt
*5°
M
1 12
knsffin
40 1 B
3
bek/eta
IO
N
«3
ischtebrak
80 N
4
mischmschän
30
M
; J4
k/er(c(dr
5o N
s
bclmts
4
B
! »5
engeztk
80 R
6
kesten
20
M
l6
schlch sindjän
5 M
7
besch/dmün
7°
M 1
*7
ghdnl
*S M
8
ez-zijddljc
B I
18
ed-derrljc
10 M
9
bar bür
B
19
el-beknjc
1
10
el-fraijke
B
1 20
bd&ma
100 M
t) Auf den „Auszug aus dem Tagebuch“ Blanckenhorn's in Bl 3 g ff. und die
zu Bl gehörige orographische Karte ist in B keine Rücksicht genommen. Der
gegebene Auszug läfst öfter den Weg nicht deutlich genug erkennen; die Kon-
struktion desselben auf der Karte ist daher schwer kontrollierbar. Irreführend ist
auch die durch den heimischen Dialekt Blanckenhorn’s öfters stark beeintlufste
Schreibung der Namen , so hat er auf der Karte das el-dschdcde D 7 als djedeide,
daneben aber noch auf derselben das von ihm S. 76 erwähnte schteide , während
letzteres nur das erstcre in sächsischer Reproduktion ist; so ist auch das el-dschedede
B 6 bei ihm S. 69 schleidi geworden und das dschenedö D 6 bei ihm S. 75 schneide
— Von Verweisen auf ältere Reisewerke ist Abstand genommen, dieselben sind von
Ritter, Erdkunde Teil 17 Abt. a, vorzüglich verwertet. Eine kritische Verarbeitung
aller europäischen Quellen und des aus orientalischen Literaturen zu schöpfenden
Materials hoffe ich später geben zu können.
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496
Martin Hartmann:
a
b
I |
a
b
21
schendrlsch
3°
N
40
rumldk
I
M
22
kim'dja
IO
N
41
getscherkm
I
N
23
ke/rcndsche
60
M
42
ez-zöf
5°
M
24
bahjdsün (besun)
30
M
43
d-tuffählje
IO
M
mesch/a rdm
3
M
44
mlend
7°
M
26
‘ain el-haur
3
M
45
gjaurkoi
40
N
27
el-hamüschtjc
I5
N
46
ke/rln
20
N
28
armla
ÖO
M
47
boghazikntr
5
N
29
chirbet el-dschauz
40
M
48
bftbat
20
M
3°
esch-schdtürlje
5°
M
49
külschi ( kotschi )
IO
N
31
ctsch-tchaksünlje
IOO
M
5°
dddr
3°
N
3*
tschkd
20
M
5*
hdäschi pascha
33
el-ja'hüblje
80
A
52
übin
»5
M
34
el-dschdlde
5°
R
53
el-ishdhlje
7
NR
35
erzghdn fökdni
B
j 54
kaikün
5°
M
36
bllangoz
10
M
1 55
‘ain el-bunduk
7
N
37
el-barrdnlje
56
besln ?
38
knlset cn-nachlc
*5
M
*57
esch-schughr
39
erzghdn lafUdni
B
(schughr cl-iadlm)
A. Gewährsmann Herr Abu Nasri, angesehener Christ in No. i.
B. i) L : 570 HM, 30 HR. — Über den bei den Türken der
Umgegend beliebten Namen bdzdr s. S. 162 zu 2h. — Die arabischen
Geographen scheinen den Namen nicht zu kennen (denn es ist natür-
lich nicht mit Ritter 1099 fr. und öfter mit esch-schughr [s. No. 57] zu-
sammenzuwerfen) ; vielmehr mufs man annehmen, dafs es identisch sei
mit dem Jak. I, 869 (vgl. auch V, 16) erwähnten teil kaschfahdn , in
welchem Salah eddin vor der Belagerung der Burgen bekds und esch-
schughr i. J. 584 lagerte; s. Imad eddin ed. Landberg 146; kitäb errau-
datain II, 130. 13) vielleicht entstanden aus türkischem ülsch ( üdsch P)
foprak. 19) L: unbewohnt. 20) gleich beddmd der Karte des Liwa el-
Ladkije ZDPV, XIV', E 2. 31) gleich schahsini C 6 und S. 162 afc.
Der Name ist eine Verstümmelung von schaich sini, das Grab des
Schech (sin = Grab auch in Oghlansiny B 5). 32) L: i5>> von No. i,
dem Hauptort des Kada’s, entfernt. 37) verödet. 51) Lesung zweifel-
haft; meinem Gewährsmann als Ortschaft dieser Nahije unbekannt,
vielleicht identisch mit mezra'at hadschi pascha ku 2 ; vielleicht ist aber
auch fiadschi bdkir de li D 7 darin zu sehen, an welchem dann die
Grenze östlich vorbeizuführen wäre. 56) Lesung zweifelhaft; mein
Gewährsmann dachte an besendina, das jedoch, wie er selbst bemerkte,
zu derkOsch gehört und in der That de No. 8 ist. 57) es ist auffällig,
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Da» Liwa Haleb (Aleppo) uiul ein Teil de» Liwa Dschebel Herekel. 4b7
dafs dieses nicht unbedeutende Dorf in allen SH fehlt; s. Karte D 7.
Auch mein Gewährsmann bemerkt: es fehlt schughr cl-kadim. Spielte
in den Kreuzzügen eine Rolle; Jak. III, 303.
2. Nahije derküsch.
a
b
a
b
1
derküsch
120
M
10 rimädlje
10
M
2
bitja
30
M(N)
1 1 1 'arab schammar
B
3
mghidla
20
M(N)
12 ‘izmirin
3°
M
4
‘dmüd
80
M
| 13 1 el-fataije
80
ALt
5
chraibii el-'itmhd
70
M
1*14 ! zerzür
6
firri
30
N
*1 5 ! duwlsät
7
firdschtln
2
N
*16 | fahir agha tschift- \
8
bsendlna
B
j l‘S‘
9
et-tenndrljc
B
*17 (ladschi bdkir
A. Gewährsmann wie für Nahije 1.
B. i) Jak. II, 569 darküsch; saht/ darküsch Jak. III, 309 ist wohl
dasselbe. 4) L: an der Grenze von n el-tutfair ; aus Versehen auch in
ku als No. 64. 5) vielleicht identisch mit el-cheribc E 7. 6) aus Ver-
sehen auch in (tu als No. 73. 11) das Vorkommen von Schammar-
Beduinen so weit nördlich und westlich ist auffallend, 12) gehört
nach Anderen zu n (ulrim. 17) s. Karte D 7 und vgl. zu su No. 51.
3. Nahije el-urdu.
Diese Nahije ist bereits ZDPV XIV, 243!. von mir gegeben und
wird deshalb hier nicht wieder abgedruckt. Die muslimischen Be-
wohner von No. 3, 8, 10, 12 bis 23, welche dort durch M bezeichnet
sind, sind Türken.
4. Nahije kal'at el-madtk.
1 La I b J
|
« | b
I
kal'at el-madlk
I f
1 00 |M (R )
4 hauväsch
1 40 * M
2
dsc hemmäs ?
5 el-‘amklje
10 1 M
3
el-fiwaiz
6 klaidln
40 M
A. Gewährsmann nicht mehr festzustellen. — L: Im Volksmunde
wird das Gebiet dieser Nahije gewöhnlich er-rüdsch (s. Jak. II, 828)
genannt; die Einwohner gehören alle den ‘arab dschimmäse an1). —
*) vgl. S. 166; die grofse Menge von Büffeln der Art gämiu in dieser ganzen
Gegend wird in Verbindung ru bringen sein mit der Beladori 165 ausführlich er-
zählten Sendung dieser Tiere in jenes Gebiet durch Elwalid Ibn 'Abdelmalik,
welcher sie von Elhadschdschädsch erhalten hatte, dem sie aus dem Sind zuge-
kommen waren; vgl. auch Bel. 161 und 376.
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498
Martin Hartmann:
Mit Rücksicht auf letztere Notiz hätte unter b an Stelle von M wohl
überall B gesetzt werden können ; die Bewohner sind eben Halb-Be-
duinen, welche im Übergange zur Seßhaftigkeit sind.
B. i) hiefs noch zur Zeit Jakuts a/amija oder fdmija (= Apamea),
s. Jak. I, 322 f. (wo auch ein Vers des Abul'alä alma'arrl mit Erwäh-
nung der Stadt vorkommt) und III, 846!. 2) steckt hierin larab
dschimmdse? vgl. S. 166 und oben unter A. 3) seit drei Jahren ver-
ödet infolge derj Räubereien des Rizk, früher waren dort 10 H M.
5) zwischen No. 4 und No. 6, ca. 30“ N von No. 4. 6) ca. ih 30“
NO von No. 4.
5. Nahije er-rlhdntje.
I
dtjirmtn karschy
3l
el-kaile
2
tschatal hüjük
32
ttzun klle
3
kalt däghy
1
33
blfar/i
4
kara ahmedli ( kara a/tmtdllje )
34
j ümüsch chatun obasy
5
sydschanly
35
kyzylkaja
6
ischakaltcptsi
36
' kiifr kata
7
nähr dschanbuldd
37
'ain el-btda ( aghpunar )
8
ct-tlül
38
. chyrsyz punary
9
dschisr elmekstir
39
el-chdn
IO
karasllmanli
40
ölbasch
II
et-dschu'aidlje
4i
torun
12
tutlu hüjük
42
el-arpallje (arpaly)
>3
hasan uschaghy
43
kürd-ndfir
14
kara hüjük
44
et-tschoschlsjc ( Ischoschlu )
>5
tschukurjurt
45
el-kehra (ektz uschaplary )
l6
et-Urfe
46
kyrykchan
17
charäb ‘alt
47
achras oghlu obasy
18
el-maffaba (mas/epe)
48
kojundschrje tl-ktblrc
19
daghlaghan
49
kojundschlje ez-zaghlre (kara-
20 1
paschahüjük
dormuschlljc )
21
'airendschlje
50
sawuk fuju (fuukfu)
22
hasan biillü
*5»
teil tl-achdar
23
küsd ahmed obasy
*52
teil ddud pascha
24
kölüköj
*53
schlch sllmdn dschenldat obasy
25
cl-bammam
*54
dschenld oghlu obasy
26
paschaköj
*55
mlrmtrdn
*7
kurdsch oghlu
*56
kurdo obasy
28
chahl mursal obasy
*57
kodscha obasy
29
cs-sammdnijt
i "58
'ömer agha ornunuh oghlu
30
rl-kyl/yk
i t
*59
jefit japan
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Da* Liwa Hai eh (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dscbebel Bereitet 4S1U
*60
nergüz oghlu obasy
*67
ki'lfy bdz oghlu obasy
*61
el-kamberllje
j *68
tüdschirli oghlu obasy
*62
ekiz oghlu obasy
1 *69
kose ahmed oghlu obasy
*63
weh agha obasy
1 *70
kundschur oghlu obasy
*64
t op boghazy
*71
gögdsche oghlu obasy
*65
el-hdmda
*72
er-rthdh
*66
el-kas/al
|
A. Im wesentlichen gilt für die Quellen das ku A Gesagte (s. S. 505);
auch hier ist der Antiochener, der die Ortschaften so aufzählte, wie sie
ihm der Lage nach zusammen zu gehören schienen, mit Ant. bezeichnet,
Hanna Karajüsuf mit KJ. Nur von Letzterem stammen die Angaben
Uber Häuserzahl und Art der Bewohner einiger Ortschaften, welche in
B verwiesen sind. Bei der Kartenkonstruktion sind die sich vielfach
widersprechenden Angaben, so gut es ging, in einander gearbeitet
worden. — Im wesentlichen fällt die n er-nhdmje mit tl-amk (s. Jak.
III 727 f.) zusammen, als dessen südliche Grenze KJ die Ortschaften
ke/renne, hdrim und el-birak angiebt, welche aber sicher immer schon
zu der n hdrim gehört haben. — Besonders charakteristisch für diese
weite Ebene sind die ghdbs ') um den See el-bafira (Antiochia-See), über
welche KJ Folgendes sagt: 1) ghdb hasan uschaghy , gebildet von dem
‘a/rln vor seiner Mündung; zwischen ihm und dem See ist ein Streifen
trockenen Landes, das meist nur 15«*, an manchen Stellen aber bis
ih breit ist und von N nach S läuft. N von der Mündung des 'afrm
erstreckt sich der Streifen ih 30"* lang, S davon ih. — a) das ghdb
gözlühüjiik , in welches der karaftt und das Wasser von gölbasch gehen,
s. zu No. 40 und 49 [cs ist nicht ausgeschlossen, dafs sich der Name
gözlühüjiik nur auf den Nordzipfel dieses ghdbs bezieht], — 3) ghdb el-
hämda, gebildet von den Wässern, die von der zijdret esch-schlch ‘ abid ,
hdrim und el-birak kommen, beginnend bei tüdschirli oghlu obasy (No. 68'
[über den aus diesem ghdb fliefsenden nähr dschanbulad , s. zu No. 5
und 7]. — Der Name der Nahije ist von dem Turkmenen-Stamm
Rihanli hergenommen; s zu No. 72.
B. 1) Ant.: ih N von hdrim ; hier wohnen die Aghas (Grofsgrund-
besitzer) der Ebene; Sitz des Mudirs. — Ebenso KJ. a) Ant.:
,5m N von >J0l 1. 3) Ant.: 30m W von No. 2. — Wahrscheinlich Name
der nicht bezeichneten Ortschaft F 5 zwischen No. 2 und 4. 4) Ant.:
1 5 ra W von No. 3, vier Quartiere. — KJ: NO von No. 6; zwei Viertel
mit zusammen 40 H Tm; ih vom nähr ’a/rm, bezw. von dem an dessen
nördl. Ufer gelegenen teil et-achdar. 5) Ant.: 15® SW von No. 4. —
*) ghab ist eine mit dichtem Kohr bewachsene Wasserfläche; neben ghab be-
dienen sich die Araber dafür auch des dem Türkischen entlehnten Wortes sin.
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500
Maltin liartmann:
Identisch mit sydscharllje KJ's, welcher davon sagt: 3om VV von dschc-
ntd oghlu obasy [s. No. 54]; am östlichen Ufer des Flüfichens , welches
von csch-schtch ‘abtd herkommt, und über welches die vor 7 Jahren
[1875] zerstörte Steinbrücke, jetzt die lange Holzbrücke dschisr dschan-
buhxd führt, die von dschisr cl-hadld 3om entfernt ist. — 6) Ant.: 30“
W von No. 5. — KJ: tschakalttpe, jetzt Obat hadsch mursal agha genannt,
25 H Tm, 30m O von No. 10, ih SW von No. 4. — Nach einer Notiz
zu L sind tschakaltcpe, liadsch mursal und dschatld oghlu identisch; das
wird bestätigt für tsch. und !}. m. durch die eben mitgeteilte Angabe
KJ's ; dsch.o. wird nur ein anderes Quartier sein, wie es denn auch
E s dicht neben /). »>■ eingetragen ist. 7) Ant.: 30™ W von No. 6; der
Flufs nähr dsch. kommt von dejirmcn harsch}' her, geht mit anderen
Wässern in das ghab e/-bdmda, tritt aus diesem wieder als F’lufs her-
aus. — Der Flufs nähr dsch. ist sicher identisch mit dem zu No. ;
nach KJ erwähnten; KJ hat eine Ortschaft n. dsch. nicht erwähnt, doch
ist an ihrer Existenz kein Zweifel. Das Kartenbild E 5 wird dahin zu
ändern sein, dafs n. dsch. und das ghab cl-hdmda etwa 2 km nach SO
gerückt werden. — Das dschanbulad ist wohl der Name der in Syrien
bekannten Familie, über welche s. oben S. 486. 8) Ant.: 3 Quartiere,
i*> von No. 7. 9) Ant.: 30 m von No. 8. 10) Ant.: ih von No. 9, mit
dem chän cl-küsa, auch chän til'at c/cndi genannt. — Nach TB 18/9 84
liegt dieser Chan in der That in oder bei einem Dorf; dieses roufs
unser harasllmanli sein; s. auch E 5. — KJ: harasllmanlijc 15 H Tm.
westlich von No. 13 und 30™ SW von No. 6. 11) KJ: eine der beiden
Mezra'as auf den Ländereien der französischen Ramis-Gesellschaft, die
sich von dem jarlyghan nach SO erstrecken; die andere Mezra'a,
mirmirän, stöfst an cl-dsch. im SO an. 12) Ant.: ih3om O von No. u.
13) Ant.: 30 m O von No. 12. — KJ: 30 m W von kurdo obasy (No. 56)
und O von No. 10; 15 H Tm. 14) Ant.: 15™ O von No. 13? — KJ:
50 H Tm, 30“ NW von hodscha obasy (No. 57) und 3om O von No. 56.
16) Ant.: 15"“ O von No. 15. — KJ: etwas O von No. 18 und 20«” O
von No. 57. 17) Ant.: i5mS von No. 16. 18) Ant.: 3om N von No. 17
— KJ : etwas W von No. 16. — Die türkische Form mastcpe wird durch
Volksetymologie entstanden sein ( mas-lepc ). 19) Ant.: 30“ O von No. 18.
20) Ant,: an der Mündung des nähr ’a/rin. 21) Ant.: 45 m O von No. 20.
22) Ant.: iom O von No. 21. 23) Ant.: SO von No. 22. 25) KJ
20 H Tm; 30“ O von No. 27; 3m davon entfernt das Dorf ‘Omer
aghas (No. 58), 25 H K und M, noch zu el~‘amh gehörig, doch auf der
Grenze von dschom. 26) Ant.: 3om W von No. 25. 27) Ant.: 45“ W
von No. 25. KJ: 60 HM, die früher B waren; ca. ih 3om S von No. 37.
28) Ant.: i5m W von No. 27. 29) Ant.: th W von No. 28. 30) Ant
3om W von No. 29. 31) Ant.: ih NW von No. 30. '32' Ant.: 45“ NW
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Das Liwa Haleb i Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berckel. 501
von No. 30? — No. 31 und 32 sollen zusammen den Namen aghköj
führen. 33) Ant.: 15 1,1 W von No. 32. — KJ: 3 Viertel von denen eines
obat arsldn agha heifst ; ih NW von No. 59 und ih N von No. 60.
34) Ant. : ih O von No. 33. — Ist iimüsch schlechte Aussprache für
gümüsch ? vielleicht ist No. 34 nur ein Viertel von No. 33. 35) Ant.:
30 m O von No. 34: 3 Viertel. — KJ: ih S von dschisr muräd pascha:
20 — 25 H Tm. 36) Ant.: 30"' O von No. 35. 37) Ant: 3om O von
No. 36. — KJ: ih30m SO von No. 35; 20 H Tm; hier ein Chan und
zwei Kramläden, da die Karawanen von iskendcrtin nach haleb hier ge-
wöhnlich ihren zweiten Konak machen; vgl. zu No. 27. 38) Ant: ih N
von No. 37. 39) Ant.: auch muräd pascha kiij genannt; B. — KJ: 20 H
‘arab dschimmäse, 3om S von el-kambcrhje (No. 61); ca. 2m entfernt die
Brücke dschisr muräd pascha , welche über das Wasser führt, das von
dem 30 m von der Brücke entfernten See gölbasch kommt. 40) KJ:
kleine Insel in dem See gölbasch (s. zu No. 39), bewohnt von ‘arab
dschimmäse; das Wasser um diese Insel herum ist 100 — 500 m breit,
im O mehr, im W wenig Wasser; der See ist aus Quellwassern ge-
bildet; sein Wasser ist im Winter warm, und deshalb gehen dann alle
Sellör-Fische ( harabalyh der Türken) dorthin, wo der Fischfang von den
Bewohnern der Insel in der Weise betrieben wird, dafs sie von einer
Reihe hinter einander fahrender Boote aus mit langen gyrnäs (eigentlich
purnäs, d. i. lange Stange mit Stahlhaken'l gespiefst werden; das Wasser,
das aus dem gölbasch in den atifäkija-See geht1), heifst moijit tl-gölbasch
und geht zunächst nicht weit von der Brücke dschisr muräd pascha in
das grofse Ghäb, in welches auch, ca. 40“ W davon, der nähr harafti
mündet Das türkische gölbasch klingt im arabischen Mund meist wie
*) Diese Notiz wirft vielleicht einiges Licht auf die schwierige Stelle Belndori
14g, wo es heilst: „und es gehörte das Gebiet von baghräs dem Maslama lbn
‘Abdelmalik . . . und 'ain es-sallaur und der See davon (des *a. es-s.) gehörten ihm
ebenfalls; auch el-iskendernne (so wird statt el-isktnderijt zu lesen sein) gehörte
ihm.“ Wie aus dem von mir Notierten hervorgeht, ist der See gölbasch berühmt
durch seinen Reichtum an dem sellör genannten Fische ( macroplcronotus niger? die
Gleichstellung mit dem Aal ist sehr fraglich). Das 'ain es-sallaur Beläd.’s kann
nur in der Gegend von antäkija gesucht werden; so liegt eine Gleichstellung mit göl-
basch sehr nahe; dafs Bel. von der Quelle spricht, erklärt sich dadurch, dals der See
(s. oben) aus Quellwassern gebildet ist, wie denn sein Name gölbasch ihn wohl
auch als „Kopf des Sees“, d. h. als Ursprungsort des antäkija -Sen zu bezeichnen
scheint. Weniger wahrscheinlich ist die Gleichstellung des ‘ain es-sallaur mit dem
'ain es-samak in der Nähe von karamurt (D 4; kr 7), wenn auch hier der Charakter
des bezeichneten Gewässers als Quelle in dem Namen mehr hervortritt. Mit der
buhaira kann bei Bel. a. a. O nur der See von antäkija gemeint sein, wie sich aus
Jak. I, 516 unter buhaira t el-jäghrä ergieht.
t
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Martin Mart mann:
502
gu/basch oder gRlbasch und hat, als Appellativum (Seekopf), meist den
Artikel. — Nach I 19. 10. 4h 32m liegt der See am Fufs des gölbasch-
Berges. 41) Ant.: 30 m von No. 40, 3h lang und breit, 5 Quartiere,
unter denen kabaklar , el-kamberllje , mufiammed kelja (?) obasy. — KJ:
turun, 30 H Tm, eine Oba, 40" O von der Mündung des frarafu in
das Ghäb und 1 h W von el-kamberlije (No. 61). — Die Eintragung von
drei forun E 3/4 erklärt sich durch diese Angaben: für Ant ist forun
der Name eines Dorf komplexes, für KJ der Name eines Viertels:
welches das von KJ speziell gemeinte ist, wird sich nicht feststellen
lassen. — Vgl. 19./10. 4h32m, wo es als aus 3 Dörfchen bestehend,
bezeichnet ist. 42) Ant: ih N von No. 41, auf dem andern (rechten)
Ufer des karafu. — KJ : O von ektz oghlu obasy (No. 62) und 1 h 1 5
W von well agha obasy (No. 63); es wird auch immed (= a(imed) obasy
genannt und gehört schon zu dem Gebiet von No. 44: seit einigen
Jahren bezahlt es den Zehnten nach ntar'asch, doch Konskription nach
härirn. — S. I 20. 10. gh 48 m. 43) Ant.: am östl. Ufer des nähr £arafu.
441 Ant.: 10 Viertel, worunter weh agha obasy. — Auch hier liegt die
Sache ähnlich wie bei No. 41, nur dafs KJ keine einzige Ortschaft
besonders mit dem Namen ct-tschoschllje bezeichnete, sondern den
Namen immer als den eines Gebietes gebrauchte; als auf diesem Gebiet
gelegen bezeichnete er deutlich No. 63 und 71; cs werden dazu auch
No. 67, 42 und 72 gehören. — Das nach I 20./10. i2h 24“ mir als
Ischorsch/i bezeichnete Dorf dürfte nur eine der zahlreichen zu diesem
Gebiet gehörigen Ortschaften sein. 45) Ant.: ih von No. 44 — Besser
bestimmt durch Ant zu No. 46, wonach es ih O von kyrykehdtt liegt,
also sicher identisch ist mit dem ektz oghlu obasy (E 4); KJ: 25 H Tm,
1 h O von achras oghlu obasy (No. 47) und VV von No. 42; 5 m W von der
Brücke über den karayu. 46) Ant.: ih W von No. 45. — S. zu No. 45
und I 19./10. 12 h 27 ”> u. ö. — 47) Ant.: mahmudlt (achras oghlu obasy),
30 m S von No. 46. — KJ: achras oghlu obasy 30 111 N von kojundchhje
el-kcblrc (No. 48), genannt nach dem Schulzen des Ortes, welcher husatit
ibn el-achras hiefs; s. auch zu No. 48; die Gleichsetzung von mahmudlt
und ach. 0. 0. bei Ant. ist offenbar ein Versehen. 48) Kj: auch
mahmudhje genannt, 20 H Tm; neben dem Ort ein Hügel, der gröfser
ist als der neben No. 49, welches ein wenig westl. liegt; von hier
nach SO einige Häuser ‘arab dschimmäse. — Vgl. auch zu No. 47.
49) Ant. und KJ stimmen in betreff des Doppelnamens überein. — KJ:
40 H Tm, ih O von No. 50, von dem es durch ein Stück Ghäb, Namens
gozlü hiijük, wo viel Wildschweine, getrennt ist. — Über den Hügel bei
dem Ort s. zu No. 48. 50) KJ: 1 h W von No. 49, und 40“ O von
No. 64 ; an dem Flüfschen fazvuk fu ( fuuksu ), das sich direkt [d. h. ohne
durch ein Ghäb zu gehen] in die bahnt ergiefst, ca. 3om W von dem
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Reichet. 503
Ghäb, das cs von No. 49 trennt (s. zu No. 49); am Fufs eines Berges.
51) KJ: 40 H Tm und M; i>> O von No. 4, am nördl. Ufer des ‘a/rtn
(s. zu No. 4.) 52) KJ: O von No. 51, am Süd-Ufer des ‘a/rm, 5 m vom
Flufs. — S. zu No. 53. 53) KJ: 3om SO von No. 52. 54) KJ: 3om
NW von No. 65 und 30"' O von No. 5 (s. zu No. 5.) — Vgl. auch be-
sonders zu No. 6. 55) S. zu No. ir. 56) KJ: 7 H Tm, 30m W von
No. 14 und 30“ O von No. 13 (s. No. 13 und 14); arabisch öbat kurdfl
genannt. 57) KJ: 20™ W von No. 16 und 30™ SO von No. 14 (s.
No. 14 und 16); arabisch öbat el-kodscha genannt. 58) S. zu No. 25. —
Das omii ist vielleicht identisch mit dem ommu, Ritter 1624. 59) KJ:
30 H Tm, ih SO von No. 33 und i* von der Mündung des ‘a/rm.
60) KJ: 1 h S von No. 33 und 3om vom ‘afrtn. 61) KJ: 20 H Tm, 30m
N von No. 39 und i*1 O von No. 41. 62) KJ: 25 H Tm, W von No.
42 und ih O von No. 47. 63) KJ: SW von No. 67 und ih 15 m O von
No. 42. 64) KJ: ih NO von karamurl {kr No. 4) und 40"» W von
No. 50; 20 H Tm, erst seit Derwisch Pascha1) angesiedelt. 65) KJ:
3 Viertel, 50 H M und Tm, W von No. 68 und 30™ SO von No. 54,
dicht am Ufer des Ghäb; in der Nähe kose ahmed oghlu obasy (No. 69).
— Zuteilung nicht ganz sicher; E 5 liegt es schon in n ftarim', jeden-
falls wird es noch zu e/-‘amk gerechnet. 66) KJ: 20 H K, 30m S von
No. 58. 67) KJ: 15 H Tm, NO von No. 63 und 15"* O von No. 70, —
Vielleicht ist nicht kyiiy, sondern kyly zu schreiben: fyly boz — dessen
Haar graufarbig ist. 68) KJ: O von No. 65 und 20 m W von No. 1.
Von hier nach W das grofse ghäb ei ( tamda . 69) S. zu No. 65. 70)
KJ: 10 H Tm, 15“ W von No. 67 und SW von No. 71; der (eundschur 0.
hiefs fiasan. 71) KJ : 7 H Tm, NO von No. 70; noch zum 'amk gehörig,
doch schon auf dem Gebiet von et-ischoschhje (No. 44). 72) Nach I
20. 10. ioh 28ra giebt es ein Sommerdorf er-rlftä/l, das auch E 3 ein-
getragen ist. Weder Ant. noch KJ kennen eine Ortschaft solchen
Namens, es wird sich also wohl nur um eine Niederlassung von
Rihanli-Turkmenen handeln, über welche schon Burkhardt ausführliche
Nachrichten giebt, und die wohl auch jetzt noch den Hauptteil der
Bewohner von el-'amk ausmachen.
Im dem Kada er-rl^anlje als zusammenfallend mit ei-'amk werden
die Städte zu suchen sein, welche Tiglath Pileser Annalen 144 als zum
Land unki gehörig aufgezählt sind. S. über sie Winkler, Altor. Forsch.
17 und besonders über die Hauptstadt kinalia ebenda S. 9. Aus-
grabungen in den zahlreichen Tumuli, welche Uber die Ebene zerstreut
sind, dürften reiche Ausbeute liefern.
1 ) Dieser war, als es das Räubergesindel des Mustuk Pascha (s. Ritter 1842 f.
und die Memoiren der Princesse de Belgioso) zu arg getrieben hatte, i. J. 1860
nach dem Gianr dägh geschickt worden und hatte sehr gründlich „pazifiziert".
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Martin Hartmann:
504
6. Nahije dschawdr anfdkija.
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N
A. Die offizielle türkische Bezeichnung dschavär-ianfdkija (s. das
kleinere Nebenkärtchen), ar. dschawdr anfdkija, d. i. Umgegend von anfd-
ktja, in SH i — 4. 8, dürfte beim Volk fast ganz unbekannt sein. Da-
gegen werden von ihm die Ortschaften 2, 3, 5, 6, 7, 9, 11, 12 nach 7
mit dem Namen el-frarblje bezeichnet, welcher in SH 21 im weiteren
Sinne, als Name der ganzen Nahije, als deren Ortschaftenzahl 24 an-
gegeben ist, erscheint; dieser Dorfkomplex beginnt nach KJ ca. ih
S anfdkija bei dem Brunnen tschifta kasfal oder cl-kasfalain, d. i. Doppel-
brunnen, und erstreckt sich bis zu ueba' tl-fauwdr, das von btt ef-ma
herkommt; letzteres ist nicht eigentlich ein Dorf, sondern ein Punkt,
wo eine grofee Menge kräftiger Quellen aus dem Berge hervorspringen
und sieben Mühlen treiben. — Die in den Anmm. angeführten niedri-
geren Häuserzahlen bei KJ sind wohl richtiger als die von L.
B. 4) KJ: gehört nicht mehr zu ef-fiarbije, liegt aber schon auf
der Höhe, auf welcher 12) liegt, und grenzt an dieses an; 30 H N.
12) KJ: 21 H N. 13) steckt in dem dlrlschd (= dir rlschd?) neben ed-
derwlschtjc (s. Nebenkarte) eine ältere Form des Namens? 14) Gärten
mit Häusern noch innerhalb der alten Mauer von anfäktja, nur im
Sommer und Herbst von N bewohnt. 17) L: nicht hierher gehörig. —
Wohl gleich el-ma'schuka C 5.
7. Nahije ef-kufair.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket 5Q5
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Zeiuchr. d. OeselLch. f. Krdk. 1kl XXIX. 34
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Marlin Hartmann:
506
A. Für diese Nahije lagen vor: i) die SH-I.istc, ausgefüllt nach
Personen von mäfsiger Zuverlässigkeit (L). 2) eine Liste nach einem
gut unterrichteten Antiochener (Ant.); derselbe kehrte sich nicht an
die ihm vorgelesene SH-I,iste, sondern zählte die Ortschaften auf, wie
sie nach ihrer Lage zusammengehören; er ging von der Einteilung des
Gebietes in kufair el-fok9.nl, k. el-wusfdnl und k- et-tahtänl, d. h. oberes,
mittleres und unteres Kusair aus. r — 22 gehören zu k- et-tahfdnl, 23
bis 45, 5g — 62, 66 zu k- el-wusfdnl , 46 — 58, 63 — 65 zu k. el-fökdm;
für den Rest liegt Zuteilung nicht vor. Da diese Liste die wert-
vollere, so ist sie im folgenden wiedergegeben; L ist nur an-
gezogen, wo ihre Angabe Beachtung verdiente. 3) Aufzeichnungen
im TB nach Hanna Karajüsuf (s. über denselben S. 144 u. i64)f
hier bezeichnet mit KJ. — Die allgemeinerer Art unter den letzteren
lassen sich so zusammenfassen: Das dschebel el- kusair genannte
Gebiet zeigt zahlreiche grofse Ebenen , die sehr ertragreich
und gut bebaut sind; Haupterzeugnisse: Weizen, Gerste, Oliven
(in anfdkija zu Seife verarbeitet). Durch den dschebel el- kufair führen
von anfdkija vier Wege: 1) anfdkija - llldscha (hier geht die Strafte
nach dschisr el-hadld ab) — über den nähr cl-chischschdbe (Brücke) —
kasfal el-chischschdbe, Brunnen bei der Brücke — von hier a) über
kyzyfdscha (n), el-laf$ijc (6), mezra'at bdwerde (6g), bduierde (7), el-magh-
da/a (23) nach mkdbrus (60); b) 30m W bachschln (1) über den nähr el-
bdwerde, am Flufs entlang nach O in die Ebene, in dieser nach mezra-
'at (tadschi pascha (66); hier erster Halt der Pilgerkarawane von anfdkija.
welche diesen Weg nimmt, jedoch erst bei dschisr esch-schughr den
Flufs überschreitet. — 2) anfdkija — bah el-fiadld in der alten Mauer;
15 m S davon teilt sich der Weg: a) über ef-kurrije (74) nach el-fenk
(33); b) über bojük burdsch (37), von wo Wege nach bdwerde (7) und
karso (36) abgehen, es-sürlje (30), dschentdo (2g), mündet wenig S dsche-
nldo in 3. — 3) anfdkija — ‘ain ed-dschezzar C 5 Uber das steil auf-
steigende Gebirge durch den Pafs boghdz el-dschindschillje, welcher ver-
rufen ist wegen seiner Beschwerlichkeit und Unsicherheit — ca. 20 mS
des Passes itafa ed-dschubb — el-fdfhje (31) — nimmt wenig S von
dschentdo Strafse 2) auf — kefr ’dbid (43) — es-sc/erljc — (44) kirb/dz
(56) — tritt wenig S von dort in die Nahije dschisr esch-schughr über.
— Dieser Strafse folgt die Telegraphenleitung nach dschisr esch-schughr.
4) anfdkija — btt el-md C 6 — bei einem Brunnen 30 m SO davon teilt
sich der Weg: a) über soflar (51) nach ka/'af el-kufair (50): b) über
dai'af csch-schtch (46); das ist die grofse Strafse nach ef-ladkije.
B. 1) Ant.: am nähr cf -bdwerde , nahe der Mündung in den ’dfl.
2) Ant.: 15m von No. 1, auf No. 3 zu. — L: Ulf scharkt 60 M. — KJ:
//(’/ ckamki 30 m S von No. 3, zwischen diesem und No. 1. 15 H M.
Digitlzi
Je
Das Liwa Haleb ( Aleppo! und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 507
4) Ant,: 15™ VV von No. 3. 5) Ant.: S von No. 4. — L: 15 m von No. 8.
6) Ant.: W von No. 5. — Fehlt in L. 7) Ant.: S von No. 6. — In SH
nur der türkische Name, dessen richtige Schreibung f oprakh'fär und der
bei den gemeinen Leuten unbekannt ist; L: unbekannt. — KJ spricht
die türkische Namensform loprak asar mit der oft vorkommenden Ver-
stümmelung von hifitr aus und erklärt es: man hängt die Erde auf
(jtschntkü et-träb). — Auch KJ sagt durchaus bäwerde und daneben
nähr el-bäwerde, obwohl man bei beiden Namen entweder Artikel oder
Artikellosigkeit erwarten sollte. 8; Ant.: ih W No. 3. — L: ef-febtfit.
— KJ: ff - fibbafrlje 35 H T, 30"' O maghäret ed-dtheb (s. No. 12).
9) Ant.: S. von No. 8. — L: bozjok mit der bekannten Verkürzung in
solchen türkischen Namen mit hüjük. — KJ : 20 H T, 2om von No. 8.
10) Ant.: VV von No. 9. — L: turschmäntje. n) Ant: S von No. 10.
tschiftlik', M und N wechseln. — KJ: 40“ S der Brücke des nähr el-
chischschdbe, 30 m von No. 6. - Fehlt in L. 12) Ant.: ih 30“ O anfakija;
M und N wechseln; dort die Höhle maghäret ed-deheb, die jedoch jetzt
verborgen ist. — Fehlt in I,. — vgl. zu No. 8. 13) Ant.: ih O anfakija',
die Bewohner zweisprachig. 14) Ant.: S von No. 13. — KJ: gSgdsche-
göz, jk SO von No. 13. gögdsche ist nach KJ ein bei den Turkmenen
übliches Wort für weifslich, von Menschen, Augen u. dergl. ; dasselbe
gSgdsche steckt sicher in göjdschebel s. I 24:9 2h 45 m, wo göjdsche nach
Zenker mit bläulich, schwärzlich übersetzt ist. 15) Ant: O von No. 14; die
T zweisprachig, ebenso in No. 16 u. 17. — KJ: 30m O von No. 14;
dschurün el-btd\ 20 H T. 16) Ant. u. KJ : 30m O von No. 15. 17) Ant.: O
von No. 16. — KJ: 15 H T. 18) Ant: W von No. 1, S vom nähr el-bäwerde.
19) Ant.: S von No. 18. — L: zijara. — KJ: zijära auf demselben Berg-
rücken wie No. 21 und südlich von diesem; O von No. 19 eine Fähre
über den nähr el-’äff. 20) Ant.: S von No. 19. — KJ: 30“ S von
No. 71 und höher als dieses 21) Ant.: zwischen No. 18 u. 19. — vgl.
zu No. 19. 22) Ant.: zwischen No. 16 u. 17; die Bewohner zweisprachig.
23) Ant : W von No. 20. — KJ : 1 h S von No. 7 ; 50 H M. 24) Ant. :
W von No. 23. — KJ: kischknlt , 30m SW von No. 23; 60 H M. 25) Ant.:
NW von No. 24. — KJ: O von No. 75; 25 H. 26) Ant.: S von No. 25.
— Fehlt in L; auch nicht von KJ genannt. 27) Ant.: S von No. 26.
— L: bäbifrün; ist der zweite Teil des Namens zusammenzustellen mit
batrtin im Libanon? über das bä s. zu No. 63. 28) Ant.: W von No. 27.
29) Ant.: N von No. 28. — KJ: 30“ S von No. 30; 30H R. — SH hat
es nur in der türkischen F'orrn tschinta, es wurde daher bei dem Durch-
sehen der Liste nicht erkannt und fehlt in L. 30) Ant : N von No. 29;
zwischen No. 29 und 30 der nähr d-bäzär. — KJ: 30™ W von No. 36;
60 H R; Kirche; zwischen No. 29 und 30, dicht an dem nähr el-bäwerde,
der hier den Namen n. el-bazar (MarktHufs) hat, befindet sich ein
34*
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fi08
Martin Hartmann:
mächtiger Felsen, auf welchem während des ganzen Sommers bis zur
Olivenlese Anfang November jeden Donnerstag ein Markt abgehalten
wird, zu dem sich oft bis 2000 Menschen versammeln, und von dem
der Flufs hier den Namen nähr cl-bäzdr hat; der Flufs soll von dai-
‘at esch-schech herkommen. — fürtje D6 nach L; auch SH hat ;; doch
ist es-surlje wohl richtiger. 31) Ant. : W von No. 30. KJ: tl-fätlktje, 15"
W von No. 30; 30 H M. 3a) Ant.: N von No. 31. 33) Ant.: N
von No. 32. — KJ: 30m S von No. 74. — Fehlt in L, da es in SH
eng mit No. 1 zusammengedruckt ist und für einen irrtümlichen Zusatz
zu diesem Namen gehalten wurde. — Der in Nord-Syrien häufige Name
fenk ( el-fenk ) ist vielleicht mit armenischem wank = Kloster zusammenzu-
stellen; vgl. auch zu is it. 34) Ant: O von No. 32. — L: bdbitra.
35) Ant.: SO von No. 34; die Bewohner zweisprachig, so auch No. 36.
— L: el-bdf/ika. — KJ: 30® SO von No. 34. 36) Ant.: 30“ S von
No. 35. — KJ: Moschee; 30® O von No. 30. 37) Ant.: O von No. 36.
38) Ant.: NO von No. 37. — Fehlt in L, auch von KJ nicht genannt.
39) Ant. : W von No. 31. 40) Ant.: S von No. 39. 41) Ant.: S von No. 40.
4a) Ant.: S von No. 41. 43) Ant.: S von No. 42. 44) Ant.: S von No. 43.
45) Ant.: VV von No. 30. 46) Ant,: die Bewohner zweisprachig. 48) Ant:
die Bewohner sprechen auch türkisch und kurdisch. 50) Ant.: 10® S
davon die Burgruine. — Damit kann nur die kal'at ez-zau C 6 gemeint
sein; denn nach Ant. zu No. 51 liegt dieses N von No. 50, also auch
N der Burgruine. Ich notierte zwischen der Ruine und fOflar keine
Ortschaft1). 51) Ant.: N von No. 50. 5a) Ant.: 45® von No. 51; die
Bewohner stammen aus cl-'amk , dessen Bewohner hauptsächlich Tm
sind (vgl. zu ri 72). 53) Ant: S von No. 48. 54) Ant: S von No. 53.
55) Ant.: S von No. 54. 56) Ant.: die Bewohner zweisprachig. 57) Ant.:
T schiftlick ; S von No. 56. 58) Ant.: 45® S von No. 57. — Scheint
Knclave in k dschisr esch-schughr zu sein, zu welchem es auch nach der
Karte D 7 gehört. Dafs die Zuteilung auffällig, geht auch daraus her-
vor, dafs Herr Abu Nasri (s. su A) ausdrücklich bemerkte, hitja (sic!)
gehöre, obwohl nur 41' N dschisr esch-schughr gelegen, doch zu ku.
Vielleicht ist jedoch auf der Karte durch südlichere I.egung der
Grenze hctja in ku einztischliefsen. 59) Ant.: 45® S von No. 28*).
1 ) Den Namen kal'at ez-zau linde ich bei den arabischen Schriftstellern nicht.
Dagegen ist von der kal'at et-kusair ,,in der Nähe von antakija mehrfach die
Rede: i. J. 674 d. H. wurde sie vom Sultan Bibars genommen (Makrizi Maral I, x,
127) und i. J. 678 wurde der Emir Fachr eddin Altunbä zum NiVib es-saltane in
ihr bestellt (ebenda II, t, 6); s. auch Nuwairi’s Bericht ebenda I, 2, 267 f.
2) Sollte in diesem gürne das räthselhafte clgurgume Belndori 160 ff. zu sehen
sein ? Dafs die Stadt nach Bel. im dschebet d-lukknm liegt, spricht nicht dagegen ;
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Das Liwa llaleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dscliebel Bereitet. 50!*
6o) Ant.: O von No. 59 und W von No. 66: Kj : ih i5m S von No. 24.
60 H M. 61) Ant.: S von No. 60. — L: ‘an füwdr ; zu dem ä Pur ai
vgl. bat, schtlch für bait, schaich im NusBairier-Gebirge ZDPV XIV 241.
Nicht ganz auf derselben Stufe steht die Verkürzung des ‘ain zu 'an in
der türkischen Aussprache ‘antcb für ‘ain/db mit Beibehaltung des viel-
leicht geht die von in antäkija und Umgegend sicher gehörte Form
'antiki im Munde von Türken auf eine Volksetymologie zurück, welche
auch hier im ersten Teil des Namens das Wort ‘am sucht. 6a) Ant.:
S von No. 61. 63) Ant.: S von No. 62. — Das bd in No. 62 und 63
ist das aramäische bl, stat. constr. zu bl/a, also eig. Haus von; s. ZDPV
XIV, 242; nicht selten wird es zu b verkürzt; daneben findet sich
in gleicher Bedeutung der Rest des arabischen bait: bt, z. B. in bteddln
für bait eddin im Libanon, dessen kürzere Form auch in Schrift und
Druck erscheint (z. B. in Schidjäk, achbär ela‘jän oft). — KJ: ih SO
von No. 25; 40 H M; seit kurzem verlassen infolge von Zwistigkeiten
der Einwohner1) 64) Ant.: S von No. 63; s. zu de 4. 65) Ant.: W von
No. 64; No. 64 und 65 liegen auf dem wafa ez-tembeki E 6, das schon
zu derküsch gehört. 66) nach KJ ist hier Fähre. 67) bildet eine En-
klave in der n ftärim 68) Ant.: gehört zu No. 29, von dem es nur 5™
entfernt ist. 69) Ant.: io«N von No. 7, auch genannt kürd mezra'asi.
— Letzteres SH, wozu in I,: mezra'a/ tl-akrdd. In der arabischen Form
des Namens hat das mezra'a, durch dessen Vorsetzung dieser Ort von
dem grofsen bawerde (7) unterschieden wird, offenbar die Bedeutung
„Vorwerk"; in der türkischen Form und ihrer arabischen Wieder-
gabe heifst es einfach: „Weiler, Dörfchen", und wird so auch
oft in arabischen Namen angewandt, z. B. mezra'a/ el-'arab oft
in Syrien. 70) Ant.: W von No. 7. 71) Ant.: O von No. 23. —
L: kulänis. 72) Ant.: O von No. 44. — Steckt in dem Namen der
Heiligenname dümi/} 73) Ant.: O von No. 72, auf dem w. cz-zembeki
wie No. 64 und 65. — s. zu de 6 74) Ant.: SO anfäkija. 75) Ant.
jo™ O von No. 25, von dem es ein Vorwerk ist; die 10 Familien
in einem Gehöft. 76) Ant.: 151“ W von No. 66; die 4 Familien in
einem Gehöft.
denn für Bel. schliefst sich an dieses Gebirge im Süden sofort der Libanon
an (s. a. a. O.X Es sei hier noch die äufsere Ähnlichkeit von el-gurgume
mit mürdschümlü (s. m. su A4) bemerkt, wenn auch die Gleichstellung der
Stadt mit einem in der Nähe dieses Baches au suchenden Orte nicht sehr wahr-
scheinlich ist.
*) Auffällig oft findet sich in Nord-Syrien das Aufgeben eines Dorfes seitens
der Bewohner, vgl S. Igo über urdiköj.
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510
Martin Hartmann:
8. Nahije
karamuruf.
a
b
a !
b
1
el-ezlije
IO
N
8
kümiir tschukuru
20 1
T
2
el-awäjflje
20 ,
N
9
el-blfarltje
3
alachän (älächän)
IO
el-karallje
4
‘ arab karamurt
I*11
‘arabchän
5
ez-zilfkänllje (zilf-
1*12
es-sirdallje
kan/i, silfkanny)
*13
mar'aschly boghazy
6
el-batrakln (bedirge)
•5
T
;*14
lähme oghlu obasy
7
gölbäsch
1**5
| top bajasy
l
A. Nach den SH, auch nach SH 2t, zum k anfdkija gehörig;
dagegen TB: der Distrikt karamurf gehört jetzt zum k bailän. —
Letzteres wird das Richtige sein; es wird nach Bildung des k isken-
derün, das zuerst in SH 12 auftritt, das k bailän, das nun nur noch
aus der n bailän bestand, durch Hinzuschlagung der n karamurf ver-
gröfsert worden sein. — Aufser den 15 Ortschaften der Liste dürften
zu der Nahije noch die Tscherkessendörfer gehören, welche auf der
Karte nur durch dieses Wort oder durch den Namen tscherkessköj be-
zeichnet sind.
B. 2) S. I 9./10. 4h 4m; danach läge ein Tscherkessendorf in der
Nähe des Ortes, denn das kann doch „auf dem Toprak von cl-‘a.“
wohl nur bedeuten. 3) S. I 9./10. 4h 4"“, wonach es 4 H hat; nach TB
22-/9. 84 ist es von Tscherkessen bewohnt. 4) L: zwei Quartiere_
oberes und unteres, obat edsch-dschum'a und Obaf ibn (a‘me genannt. Die
Bewohner sind ‘arab dschimmäse, die auch Ackerbau treiben. — ln
der Nähe der chän karamurt s. I 12./10. 6h 15“. 5) Es giebt Winter-
und Sommerdorf s. I 12./10. 4h 20m und 4'' 37"*. 6) S. I 12. /10. 4h 55“,
nach TB 22-/9. 84 ist ein Viertel des Orts von Tscherkessen bewohnt.
7) Natürlich darf hier nicht an den See und Ort N von der balirat
anfdkija ri 40 gedacht werden, es ist wohl das ‘ain es-semek oder balyk
gölü I 12./10. 5h 5om gemeint, wenn auch von mir keine Ortschaft an
dem Wasser notiert worde. Vgl. zu ri 40. 8) L: hoch im Gebirge;
arabisch auch dschürit el - fahm genannt. — Nach diesem Ort ist der
kömür tschukuru ddghy genannt, der mir in el-karallje (TB 17. 9. 84)
als Grenze zwischen dem bailän dägh und dem dschebel el-aftmar be-
zeichnet wurde. Vgl. az 19. 13) S. I 12./10. 5h 3 7 , wo es Tscher-
kessendorf genannt ist. 14) Nur nach I 12./10. 4h 45™; fraglich.
15) Nur nach I 13./10. 6 53"«. Die Zuteilung zu dieser Nahije ist
unsicher.
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Das Liwa Haleb lAleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 51 1
g. Nahije es-swidije.
a
b
a
b
I
ez-zitunlje
300
R
24
es-sumberlje
5°
T (N)
2
jöghun uluk {el-
25
dekmidschc {degöm-
ghulluk )
45°
A
Jsche )
IOO
N
3
hädschi hababil {el- ,
1 26
nähr el-kebtr
200
N
frababllje)
250
A(AP)
| 27
nähr ez-zaghlr
«50
N
4
bitjas ermenl
A
J 28
jajyladschuk (jai-
5
biltäs el-brütestanl
AP
htdschyk)
IOO
T
6
el-mischräklje
100
N
29
el-kabüslje {kebsej
»so
A
7
el-kabakllye
30
T
3°
el-hsintje
IOO
T
8
mghairün
200
N
3«
et-taraschllje
50
T
9
tlcl el-himbläs
15°
N
32
el-dschilhje
IOO
N
IO
el-kräkslje
200
T
33
kör der es (kor deresi)
IOO
N
1 1
kelsadschuk
IOO
AT
i 34
sUstjc el-kebire |
IOO
N
12
faildscha (faily-
35
süstje ez-zghtre 1
dschd)
200
N
36
el-kuwaistje
25
N
*3
mengUlfjc
120
N
37
turundschli
5°
N
14
güzel burdsch
30
N
i 3»
Hel el-ktzli
IOO
N
•5
‘ aidljet el-fokanl
IOO
N
1 39
U'ädi dschereb
*5°
N
16
el-lauschije
300
N (R)
40
cl-'aidljit el-lihlamje
40
N
*7
e/-‘äb/lje
!5°
N (A)
1 4»
sarandschik?
18
n'airlje
IOO
N 1
1 42
tschekmedsche
IOO
N
«9
el-dschedide
200
N
43
el-chinnlje
150
N
20
el-mughäjir (ma-
44
keld Iran ?
gharadschyk)
IOO
N(A)
45
medandschuk (nie-
21
fandyrän {seldiren)
75
T
dandschyk)
50
T
22
barbarün
50
T
*46
el-eskele
23
‘ alaijeddin (‘ ileddln )
»5°
M
*47
el-dschertrije
30
M
A, Der Gebrauch des Namens es-sw€dlje ist schwankend: bald
bezeichnet er die wohlangebaute Ebene zwischen dem Orontes, dem
Meere, dem Südabfall des dschebel müsa und dem Westabbang des
dschebel mär sim‘än, bald die gröfste Ortschaft dieser Ebene ez-zttünlje
{sw i); all dies abgesehen von der viel weiteren Ausdehnung der
n es-sw. im offiziellen Sinn. So gehen diese beiden Anwendungen in
den Ausführungen Ritter's nach englischen Quellen XVII 1218 f., 1222 ff.
beständig durcheinander, und so kennt man auch heute nördlich vom
dschebel el - ahmar und südlich und östlich vom Orontes er - sw. fast nur
als Namen eines Ortes, während die Bewohner der Ebene selbst und
ihrer näheren Umgebung diesen Namen nie für ein bestimmtes Dorf ge-
brauchen, sondern darunter nur jene Ebene mit ihren durchaus von ein-
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512
Martin Hart mann:
ander unterschiedenen Ortschaften verstehen. Daneben hört man diese
Ortschaften auch wohl als Juira, Viertel, Quartier von es -sw. bezeichnen,
so dafs letzteres der Name des Dorfkomplexes ist. Vgl. das zu ekbez
Bemerkte S. 181.1) — In SU 21 hat die n es-sw. 22 Ortschaften; wahr-
scheinlich gehört diese Ziffer zu der vorher genannten n karamurf und
die Ziffer 55 dieser zu es-szv. — TB: im dschebel mär sim*än finden sich
zahlreiche Heilkräuter, besonders berühmt ist das kaschlschit mär sim*dn ,
Simeonskraut, das nur in der Ruine des Klosters des M Sim'än wächst;
diese Ruine gehört heute niemandem und wird auch nicht besucht.*)
B. 1) Vgl. I. 30./9. — TB: „<ra-2. existiert an seinem heutigen
Platz erst seit ca. 80 Jahren; vorher soll es im O der knfset es-saijide
[s. zu No 47] gelegen haben.“ 2) Vgl. I 29-/9. (S. 155). 3) Vgl. I
29-/9. (S- 156)- 4) und 5) Vgl. I 29-/9. (S. 155)* — Nach den mich
führenden Armeniern hat bitjäs 550 Seelen, wovon 276 AP, 274 A. Die
Zerlegung in zwei Ortschaften ist wohl irrig, wenn auch die A und AP
gesondert wohnen mögen.3) 6) TB: „In el-m. alte Ruine der Kirche
der Heiligen Kuzma wa Dimjän [Cosmas et Damianus], doch befindet
sich der Schlüssel zu diesem von Muslims und Christen besuchten
Wallfahrtsort seit ca. 30 Jahren in den Händen der Nussairier, welche
auch die dort dargebrachten Weihgeschenke stehlen. Vor ca. 4 Jahren
haben die R von anfäkija eine Bittschrift nach Constantinopel gerichtet.
*) Bei Jakut (I 385) ist es - suwaidtje der Hafen von antakija , aus welchem
die Franken die Waren nach diese Stadt herauf brachten , das Portus Sancti
Symeonis der Kreuzfahrer, über welches s. Wilhelm von Tyrus XIV 5; XV 13;
XVII 31; Gauterius bei Prutz Quellenbeitr. I 37; Rey col. franques 101 und 353.
— Vgl. auch Abulf Geogr. I 233; II i, 12; nach Makrizi Maml I, 2, 52 marschiert
der Emir Bedr addin i. J. 666 über es swtdije gegen antakija.
2) Dieses Kloster scheint nicht selten mit dem bedeutenderen, als kaPat sim'an
bekannten (G 5; s. Baed.3 410 ff. Nöldeke, Or. Sk. 224 fr.) verwechselt worden zo
sein; die Notizen, die aus Ibn Butlan Jak. II 672 mitgeteilt werden, können sich
wohl nur auf das näher bei haleb gelegene beziehen und doch nennt Ibn BuUän
es „aufserhalb antakija “ gelegen, und Jakut unterscheidet es sorgfältig von dem in
der Gegend von haleb zwischen dem dschebel bam ‘ ulaim und dem dschebel el-a‘la.
Die Kirche kennt drei Heilige des Namens Simeon Stylites; dafs der Älteste, gest.
460, dort lebte, wo heute die kabat simlän liegt, geht aus der Notiz des Evagrius
hervor, die Acta SS. 1, 286 abgedruckt ist und wonach der Tempel dieses S. 300
Stadien (— ca. 75 km) von Antiochia entfernt lag; dafs das Kloster, um das es
sich hier handelt, das des jüngeren Simeon St., gest. 596, ist, ergiebt sich aus
Acta SS. 18, 302 f, wo von der Lage des Mons Mirabilis, auf welchem er lebte,
ausführlich gehandelt wird.
3) Es darf nicht mit dem bitjäs Jak. I 667 zusammengestellt werden, das „nach
übereinstimmender Meinung der Bewohner von haleb “ dicht bei der Stadt lag,
übrigens zu Jakuts Zeit verödet war
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Beieket. 513
um die Ruine frei zu bekommen, aber nichts ausgerichtet; die N haben
das Grab der Heiligen , das WO gerichtet war, in die Richtung NS
gebracht, es ist aber von selbst in seine alte Lage zurtlckgekehrt.“
8) Danach hat der westliche Teil des dschebtl mär sim'än den Namen
dschebel mghairün. io) Wohl zu unterscheiden von el-karaküslje am
Nordabhang des dschebel el-abra1 , über welches vgl. 1 2./10. 2 h 43 m ;
über die Schreibung s. ZDPV XIV 244 zu No. 8. n) Ebenso wie das
kesUdschuk C 5 eine arabische Verstümmelung des türkischen klisadschik ,
d. h. Kirchlein; vgl. zu az 11. 16) Ein Drittel R. 17) Ca. 5 H A. —
Ölbäume. 19) Vgl. 1 30./9. (S. 157). 20) Wenige A. 21) Vgl. I 28.;9.
(S. »53 f-) Nebenformen des Namens in arabischem Mund: sandehln,
sande/ar. Sollte in dem satt Sanct stecken? Etwa Sancta Helena?
Vgl. sandschuuän ZDPV XIV 198 zu 33 und sanbülas a. a. O. 224 zu
26; ist fanderlje a. a. O. 240 No. 191 eine weitere Verstümmelung?
22) Danach ist der nähr berberUn genannt, der näher der Mündung in
den Orontes den Namen nähr bannt) führt. 23) Urform: ‘abt’ed-din. —
Die Bewohner sprechen türkisch und arabisch; sind ursprünglich Araber.
29) Die Bewohner räumen nach Kräften mit den wenig S gelegenen
Ruinen des alten Seleucia auf durch Verkauf der Steine. 32) Hier
trieb lange Zeit der Schwindler Schöch Ibrahim el-Dschilll sein Un-
wesen, der, zehrend von dem Ansehen seines frommen Vaters Schech
Hasan Schech el-harf, die Bauern bethörte und eine Kasse ä la Adele
Spitzer anlegte, aus der er so lange seine eigenen sehr bedeutenden
Ausgaben bestritt, bis ca. 1880 der energische Dschemll Pascha, Wali
von bolcb , dafür sorgte, dafs er in die Galeeren von 'akkä kam. 36)
Vgl. I 7./10. (S. 165). 41) War nicht zu ermitteln; verschrieben für
serajdschib ? 4a) Auf dem Plan von Antiochia in Baed.3 an der Strafse
nach es-sw. 43) Darnach ist wahrscheinlich der nähr bannd [vgl. zu
No. 22] benannt, mit Verstümmelung des Namens. 46) Vgl. I 2./10.
(S. 159)- — In den sieben Chans, welche den ganzen Ort bilden, sollen
sich ca. zwanzig Geschäftsräume mit den zugehörigen Speichern be-
finden. 47) Auf der Ostseite des Dorfes die knlsil es-saijide, Kirche
der Jungfrau.
10. Nahije bat/an.
! a
b 1
a
b
I
$ary mazy
7 1 schemmik ( schembih )
5°
T
2
dschilanly
40
T I *8 karyny kara
3
bahrt)) ( bughräs )
>5
T *9 foghanly
4
Ischakal/y
»5
T j* 1 0 kütschüdsche köj
5
delibekirli
40
T 1 |*l II baildn ( be/en )
6
äläj blkli
20
T *12 i)t\b köji
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.'>14
Marlin Hartmann:
A. Uber die Gewährsmänner s. is A.
B. i) Verödet; vgl. I 18./10. 4 56m. a) S. I 25-, 9. 11 h 56“
tschailanly. 3) S. I 13.. 10. 6h 17“* u. ö. — Vgl. zu No. ti.*) 4) Eis
sind zwei tschakally zu unterscheiden, das obere und das untere; das
obere s. I 13./10. ioh 33 m, das untere 19./10. ioh i8ra; vgl. Karte D 4.
5) S. I 19./10. 4h 32™. 7) S. I 13./10. 9h3m; in TB 84 als
\\\ni.cx-schembik bezeichnet ; vgl. auch zu No. 11. 8) S. I 13. /io. 9h 1 2“,
wo allerdings nur von einem toprak des Namens die Rede ist. 9) Wohl
identisch mit foghandschy I 13 /10 9h 3om. 10) S. I 25 9. nh56“ und
19., 10. ioh 30™. 11) In den SH als Kreisstadt vorangestellt mit dem
Vermerk, dafs es fünf Quartiere habe. Unter denselben befinden sich
auch bakrtif und schembik. Man wird dabei aber nicht notwendig an
No. 3 und 7 zu denken haben.4) 12) S. I 14./I0. 6h 51“.
11. Nahije uktschu ‘izzeddlnlü.
a
a
I
kütschiik tschertschili
10 ;
1 *5
tiadschi müsa
1
2
beko obasy
4
l6
uksüzlü
20
3
‘ti/tker/er
7 j
17
ma(isiredschik
20
4
fulaify
3° !
18
tiadschi küsymly
20
5
kürzet
1°
*9
‘arab uschaghy
IO
6
bagh/sche
3°
t 20
mabttfly
40
7
‘uganly
20
21
kanfara
IO
8
scharkijan/y
15
22
tiamschctck
IO
9
berktisch
7
23
berbend
IO
IO
büjük scibikanty
10
24
pertikli
20
1 I
kurne
5
25
baty obasy
»5
12
za'ri
10
26
chidrijanty
>5
»3
haijamly
io
27
liafer
»5
14
kasendscheli ( esendscheli )
3° |
28
schingil
IO
1 ) Über baghras s. Jak. 1 693 f. ; es spielte io den Kreuzzügen eine be-
deutende Rolle und man scheint damals die Pylae Syriae, heut Pals von bailan,
nach dieser, die Straße beherrschenden Festung genannt zu haben, s. z. B. Makrir.
Maml. II 1, 61, wo von der ‘akabat baghrtu die Hede ist; s. auch Makr. Maml.
II z, 157, 190. Ibn Attr XI 35; XII 11 f.; Mar. Sanuto Secr. Fid. II 4, 15; III 5,
I. 14, 1. — ‘Imäd ed-dm, der die Eroberung des Ortes durch Saläh ed-din i. J. 584
ausführlich beschreibt, schreibt nach der ed. Landberg S. 155 bughras , also sich
anschließend an die dumpfe Aussprache, die damals gewiß ebenso wie heut beim
Volk die allein übliche war.
2) Nach einer Notiz in SH 13 S. 88 ist cs 950 d. Fl von Sultan Sulaimän
gegründet und hiefs früher ‘am ml (? lies: nabll bail'r I.
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«
Da* Liwa Hakb ( Aleppo I und ein Teil des Liwa Dschebel Berekel. ft 15
^ _ - . * J
a
29
külgüman
IO
3*
bülamadschly
20
30
widsch/i
IO
33
kodschan/y
3«
kütschük sdbikanly
IO
34
deli ‘osman
5
A. Als Nebenform des Namens dieser Nahije finde ich in 1,:
'azdlnli\ es ist dies offenbar eine vulgäre Verstümmelung von 'izzeddlnlü.
— Auffälliger Weise fehlt unter den Ortschaften dieser Nahije in sämt-
lichen SH der Name des Hauptdorfes, welches im Land ausschließlich
bülbül heifst. Als aus den drei Nahijen ‘amtki , oktschu ' izzeddlnlü und
schaich/ar ein Kada gebildet wurde — es erscheint zuerst in SH i,
zuletzt in SH io — erhielt dieses, vielleicht mit Anlehnung an den
Namen des Sultans 'Abd el ‘azlz, den Namen ‘izzlje (für 'azlzije ?), und
so wurde nun amtlich auch bülbül benannt, welches Hauptort des neuen
Kadas wurde. Uber diesen sagen SH 2, 3, 4, 8: „die Kreisstadt
‘izzijf hat zwei Quartiere, namens sdbikd und Ischarkdn/y." Dazu notierte
ich: „lies sdbikanly und scharkanly " Nun kommen diese beiden Namen
in der Liste unter No. 10 (vgl. No. 31) und No. 8 vor, wenn nämlich
scharki/dn/y mit scharkanly zu identifizieren ist. Doch ist es nicht sehr
wahrscheinlich, dafs die beiden Viertel des Hauptortes als besondere
Ortschaften aufgeführt sind, zumal die Hauptorte der Kadas wegen
ihrer Sonderstellung gewöhnlich nicht in die Nahije-Listen aufgenommen
sind. Das Zusammentreffen der Namen kann recht wohl ein zu-
fälliges sein. — Gewährsmann Hannüsch Effendi, s. I S. 144 und
2. — 12./11.
B. 1) L: das andere tschertschili liegt im gjaurddgh. 3) Gleich
dem 'alikeller G 2; s. I 28./10. 4h 27m. 6) L: drei Dörfer. 7) L: auf
dem Eschme-Toprak. 17) Die SH haben übereinstimmend ‘ain statt fit).
20) Die HS übereinstimmend mdmafly. 29) Vgl. das zu am No. 22
Bemerkte; = kclkümcn H 1.
33) S. I 28. '10. lh 6ra.
12.
Nahije ‘amiki.
a i
1 1
a
1
ztrkdnly
rnr]
9
kasch uschaghy
IO
2
ge/dn/l?
10
kur t uschaghy
10
3
tschafal kuju
20
11
bllan köj
' 30
4
Sdghyr obasy
10.
12
basanderli
IO
5
kuru göl
25
13
schorba ogh/u
15
6
challtk uschaghy
25
abrdf
15
7
kofanly
25
‘imdd/y
IO
8
!
kötenli
10
16
'ain-i-hadschar
5
Digitized by Google
Martin Hartiuann:
51«
a
a
«7
büjük karkytt
IO 1
1 24
erende
20
18
kiitschük karkyn
IO 1
25
durmuschkan/y
•°
»9
teil (au’ll
10
1 26
schich angala
20
20
kcschik kürze/
10
*7
sennära
1 *0
21 |
holender
IO
28
kyrmytlyk
1 30
22
challl-i-gülkdwt
10
29
scherscheb
1 10
*3i
hadschi bihil
IO |
30
schl(t Ischakallysy
40
A. Der Name dieser Nahije ist nur in dem sehr ungenauen SH 3
‘ amlki geschrieben, sonst immer ohne j<i\ doch wird die Aussprache
'aniiki Hannüsch Effendi's durch jene volle Schreibung gestützt. In
keinem Fall wird dieses ’amiki mit dem Namen der F.bene el-'amk zu-
sammenzustellen sein. — Gewährsmann wie ok A.
B. 2) Unbekannt. 3) L: 2 Dörfer; giebt den Zehnten nach
dschom. 6) L: 2 Dörfer. 12) I,: auch dirckli genannt. 20) L: 2 Dörfer.
21) Die SH übereinstimmend mit ‘ain als erstem Buchstaben 22) gül-
kdu-i wahrscheinlich gleich gölgatran , das auch in der F’orm kelkümen
erscheint; vgl. I 31./10. 4h 58"1. 24) L: auch schich erende genannt. 30)
I«: 3 Dörfer mit zusammen 40 H. — Die SH übereinstimmend schich\ das
schlh meiner Umschrift erscheint auch in dem in L am Schlufs der
Nahije gemachten Zusatz „schih 50 H". Dieser Zusatz ist nicht recht
verständlich; vielleicht ist zu verstehen, dafs es eine größere Ortschaft
schi(t oder schich giebt und zwei kleinere durch Zusätze davon unter-
schiedene, von denen die eine das schih Ischakallysy (No. 30), die andere
das schich crcndc (s. zu No. 24) ist.
13. Nahije schaich/ar.
a l
a
1 dümbüllü
5° i
1 2 indschirli
3°
2 aschaghy kürkanly
>5
1 3 musko
IO
3 i jokary kürkanly
«5
1 4 j redscho obasy
10
4 \ fdry uschaghy
12
1 5 I 'btmanly
7
5 ! ba'dinli
40
1 6 I hopkänly
7
6 hasan gülkdwi
I 2 {
1 7 1 mesakdnly
7
7 1 kodakö
12
1 8 mamaly
10
8 j gümüsch
7
1 9 scherscheb
5
9 1 schadijän/y
: «5
20 /tadschi cha/ll ogh/u
J5
10 kal‘a
IO
21 ma'rnül uschaghy
I 60
1 1 ; gewsün ?
22 challl ümer uschaghy
20
1
Digitized by Google
Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berelcel. 517
a
1 a
23
sd(y uschaghy
IO
34
welikli
5
24
ma'Uldschek
IO
35
penderekli
IO
*5
tschalkama oghlu
10 j
! 36
ddudun obasy
10
26
goljanly
10
37
ky/iy
7
27
kürdnty
20
i 38
karabdbd
IO
28
tscharchyfly
IO
1 39
frlrik
IO
29
Ischakmak
25
1 40
besilko
10
3°
tschentschenli
«5
; 41
tschiftkdnli
IO
31
pullu
IO
1 42
‘af/dn/y
10
32
gunde
7
i 43
kösejdnli
20
33
simdlikli
3
44
tepe obasy
IO
A. Gewährsmann wie ok A.
B. 6) Vgl. challl-i- gülkäul am No. 22. g) L: neben schädijdnly
auf dem aiman dägh das Zijaret des Biläl-i-habeschT. — 11) SH 2, 3, 4
haben verschiedene Verstümmelungen des sehr undeutlichen, Hannüsch
nicht bekannten Namens, nach denen man darin giimüsch sehen mülste;
dieser Name kam aber schon als No. 8 vor, vielleicht sind Klein- und
Grofe -giimüsch gemeint. 13) Kurdische Verstümmelung von Müsä. 14)
Dafselbe von Redscheb. 19) Ein anderes scherscheb s. am No. 2g.
26) Nach SH 2, 3, 4, 8 liegt goljanly unterhalb der unbedeutenden
Ruine einer Kal'a (Burg), welche sich auf dem dägh obasy, kurdisch
gundetschi genannten Punkt auf der Spitze des hauwar däghy befindet.
27) Nach SH 2, 3, 4, 8 ist hier das Grab des Biläl-i-habeschT; s. da-
gegen die Aussage Hannüsch Effendi's zu No. 9.
Aus der Verarbeitung der allgemeinen Bemerkungen über das
Kada ’izzrje in SH 2, 3, 4, 8 mit Hannüsch Effendi ergab sich folgendes
Bild der Berge, Thäler, Flüsse in den vorstehenden drei Nahijen,
welche früher das Kada dzzlje bildeten, jetzt dem in bülbül residierenden
Mudir der gleichnamigen Regierungs-Nahije unterstehen: 1) Berge: a)
in am: hauwar 'däghy, auf ihm wilde Ölbäume, 2h lang, 3om breit;
b) in ok: grofser darmyk (vgl. I 28./T0. 4h i8">) ih 30“ lang, 30"1 breit;
kleiner darmyk, ih lang, ih breit mit Pinienwald; chasiuwanly dägh,
3h 30™ lang, ih breit, von O nach W laufend, ein Teil schon zu dschöm
gehörig; mit reichem und mannigfaltigem Baumwuchs; c) in sa: aiman
dägh, auch Imin dägh genannt, 2h lang, 2h breit. — 2) Thäler: tschamlyk
deresi, N vom darmyk (grofsen?); sary sin davrendi (= deresi) im N
des aiman dägh\ schlh dewrendi im S des aiman dägh\ ok deresi zwischen
dem aiman dägh und dem hauwar dägh. — 3) Flüsse: nähr karafti
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518
Marlin Hartmann:
fliefst bei dem Dorf hasebdsche/i (fehlt in sa\ Karte G 2) vorbei; über
ihn eine zweibogige Holzbrücke, die in das k. chdffa überfuhrt; indschefu,
von den Kurden dwi zerdwuk genannt in sa und ok, fliefst durch die
Ebene kytych zwischen mdbaf/y und öksüzlü , d, i. zwischen den Bergen
(tauwar ddgh und chastuwanty dagh, treibt zwei Mühlen und geht in den
nähr ‘afrln.
14. Nahije a'zäz-i-felläh.
a
b
b
I
a'zdz {‘azez)
200
M j
31 liästn
20
M
2
mar'anäz
10
M |
32 ! hatlfa
»5
M
3
stdschcräz
«5
M I
33 k ulsurudsch
25
K
4
ka/ma
*5
K
34 ! ghaifün
«5
M
5
bahuHtr
35 tiltdne
*5
M
6
ma‘rata
IO
K
36 1 bdr Oda
*5
M
7
schwdra 't el-dschauz
7
KM |
37 dir el-haua
>5
M
8
mdliktje
15
M j
38 wasch
IO
M
9
merjamtn
30
M !
39 j achterin
5°
M
IO
‘andb
10
M |
40 kiptdn
IO
M
11
fitfmardsrh
»5
M
41 \mezra‘ulla
IO
M
12
tinnib
IO
MK 1
42 aghburhän
IO
M
13
küschte'dr
7
M
43 1 kahr kelbln
20
M
14
teil ‘ adschär
7
M
44 j ke'lbe
IO
M
15
kefr anfün
7
M
45 ghurür
IO
M
l6
minnigh
25
M
46 zijädlje
20
M
>7
kefr chdschir
s
B
47 , babwarfa
20
M
18
'ain dakni
20
MC
48 türkmen bdri/i
25
M
«9
kiil/ü dschibrtn
25
M
49 hütemlat
40
M
20
teil rfäd
*5°
M
50 faurdn (jörän)
5°
M
21
dir el-dschmäl
5°
M
51 j kefre
•5
M
22
kijfln
IO
M
52 j telllln
40
M
23
kefr ndjd
30
M
33 ! ddbik
35
M
24
kefr ndfih
IO
M 1
54 be/ika
20
M
25
ahrez
IO
M
55 ' bawdrtinnahr
25
M
26
schieb jd'O
25
M
56 eschref
3°
M
27
defterddr
'5°
M I
57 sinibbol
20
M
28
(aschig hyrbyl
25
M
58 1 tschiftlik
»5
M
29
ma'rata
59 schivdra'at et-erz
*5
M
3°
fäfln
*s
M
60 kisär
,0
M
A. Die mit L bezeichneten Angaben stammen sämtlich von
Hannüsch Kffendi (s. ok A), mit dem die Listen durchgegangen wurden.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 519
— L: die Nahije ist fast ganz Kbene, nur im N ragen die Ausläufer
des parsa chatun Jdghy hinein, auch finden sich eine Anzahl Hügel,
wie teil a'zdz, teil rfäd, teil 'adschar, teil mäht, teil balldl, tlllln u. a. —
B. l) L: auch ein Haus A. — a'zdz ist die arabische, ‘azez die
türkische Aussprache, ln der Schreibung mit alif am Anfang stimmen
die SH überein. Diese Form der Sprech- und Schreibsprache ist wohl
durch Volksetymologie entstanden, indem man an das Verbalsubstantiv
i'zdz von a'azz, stärken, erhöhen, ehren dachte. Die älteste Namens-
form, die sich nachweisen läßt, scheint Chazaz zu sein: es gehörte
nach den assyrischen Angaben im 9. Jahrhundert v. Chr. zu dem Reich
Patin im Thal des unteren Orontes und des ‘Afrin (Meyer, GA I $ 287)
und ist einer der drei Orte Arpad, Chazaz, Mansuäte, gegen welche
Ramäniräri III 806, 805, 797 zog (ebenda S 340- Jäküt III 667 hat
‘ azaz , jedoch mit der Bemerkung, dafs bisweilen am Anfang ein alif
vorgesetzt wird. — 4) L: die Bewohner sprechen auch arabisch. —
5) L: seit 20 Jahren verödet. 6) L: die Bewohner sind von der
bäräzy-aschlreti. — SH 3, 4, 8 deutlich ma'rdste ; nur SH 2 ma'rata.
Hannüsch kennt aber kein ma'rdste , sondern nur ma'rata, und zwar nur
einen Ort dieses Namens; wie dann freilich das deutliche ma'rata
von SH 4, 8, neben welchem in SH 2, 3 ma'rdta für No. 29, zu er-
klären ist, bleibt unklar. 7) Vgl. schwdra'at el-erz No. 59. g) Ist der
Name mit mar'andz No. 2 zusammenzustellen, d. h. mar in beiden gleich
aram. mär Herr? 10) L: nahe an No. 9. — in SH geschrieben: anäb. mit
alif. 11) KK Tat-Mar‘asch ; doch scheint die Zusammenstellung mit
Mar'asch bedenklich, da die SH übereinstimmend alif, nicht 'ain haben.
Andererseits kann verglichen werden (a/humf at No. 1 , bei dem die
Zusammenstellung mit liunif (ftims) nahe liegt. Das tat beider Namen
ist wohl dasselbe; doch ist kaum an türk, tat zu denken; vielleicht
liegt ein uraltes Namenselement vor; etwa das Tut von Tutmes
(Dhutmes)? oder ist nur faf/iumf gleich verstümmelten Dhutmes? 12)
L: die K sind Schechanly-Kurden. — Das Tunep der ägyptischen
Inschriften, dessen König von Dhutmes III besiegt und gefangen wurde
(Meyer AG I S 220; vgl. auch S Z22, 236), und das nichts mit dem
Daphne bei anfdkija zu thun hat (Ebers ZDMG 31, 465). Die Gleichung
tinnib ( tennib ) gleich tunep ist auch von Nöldeke AZ 1876, 10 f. auf-
gestellt worden; s. dort auch die Stellen der arabischen Geographen
mit tinnab. 13) L: nahe an No. 12. 15) Die SH übereinstimmend
an/ttn, d. h. Anton, wohl mit Volksetymologie für das auch sonst in
Nordsyrien vorkommende a/tUn (Namen mit diesem s. ZDPV XIV 246).
KK: Kfer Altun. 19) Wahrscheinlich in zwei Orte küllü und dschibrln
zu zerlegen ; unzweifelhaft ist die Existenz eines dschibrln ca. 7 km N
teil rfdd (No. 21) J 3: küllü wird vielleicht in dem Küllidje, in KH
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520
Martin Hartmann:
zwischen No. 21 und ftaleb, gefunden werden können; das Zusammen-
werfen wurde wohl erleichtert durch das Vorhandensein eines Teil
Djibin, dicht bei KüUidje , wenn die Eintragung in KH auf zuverlässigen
Quellen beruht. 20) L: ja'ni refäzlUrin kalesi, wörtlich: „das heifst die
Burg der Ketzer“: mit diesen Worten wollte Hannüsch wohl die all-
gemeine Ansicht wiedergeben, dafs der Name teil rfctd etymologisch
auf das Wort zurückgehe, mit dem die Türken und auch die sunni-
tischen Araber gern die Schiiten bezeichnen: rttfidi, von den Türken
rdfyzy gesprochen (s. Zenker s. v. räfyz, Dozy s. v. arfdd , das von
Bocthor ganz richtig als Plural zu rafidl Ketzer gegeben wird). Ob
sonst refdzi neben räfizi gebraucht wird, scheint nicht zu belegen:
vielleicht ist die Form nur der F.tymologie zu Liebe gebildet. —
Au&er dem verstümmelten Namen ist von der alten stolzen Arpad, die
schon oben zu No. 1 erwähnt wurde, wenig übrig geblieben. 26) L:
ja'O gleich jalfja\ hier ist ein Zijäret des Schech ‘Es. — Die HS über-
einstimmend jd‘0, genau so wie Hannüsch sprach. — KH: Schekh
Yahia. 27) L: arabisch märi‘. — In dieser Namensform steckt wohl
der alte Name; vielleicht identisch mit dem bdnfr von No. 48? Das
türkische defterdttr sagt nichts. 28) L: 1 H AK. 29) S. zu 6. 30) L:
nahe an den Gärten von jtaleb. — Gleich KH: Felfin? 33) L: barazy-
Kurden. 39) S. I 9./11. (S. 488). 41) P2in rätselhafter Name, der zunächst
an mezra'a anklingt. Die SH schreiben übereinstimmend mz(d)r‘/d.
43) SH 8 kefr, 2, 3, 4 fca‘r\ letzteres ist gesichert durch das babr des
Hannüsch; doch kommt kfer vielleicht im Volksmund neben dem
unverständlichen ka‘r vor; daneben liegt wohl auch noch Beeinflussung
durch das kefer k. at No. 53 vor. 48) S. I 9/11. 4h 23“ und 4h 55”.
52) KK Teil ‘Alin. Da die SH übereinstimmend alif, \ nicht ‘ain haben,
so wird es bei tellhn bleiben und teil ‘alin als falscher Schlufs anzu-
sehen sein. 53) Über die Bedeutung des merdsch Jabik und die Vor-
stellungen, die sich daran beim Volk knüpfen, s. meine Notiz in ZV f.
Vk. I S. 102. 5g) L: ganz weit ab von No. 58, im SW von killiz.
15. Nahije a'z/Jz-i-turkmJn.
a
b
a b
I
tathumf
20
B
8
wafiU’ln
O
2
kuntfara
IO
B
9
dethemi
10 T
3
‘uu’l/ln
IO
B 1
IO
döUk
10 T
4
gidrldsch
10
Tm
I I
zabariln
10 | T
5
kara göz
10
BM
12
gSgddsch
20 | T
6
tellscha'lr
20
T
*3
kantara
10 B
7
mezra'a schdhln
IO
T
«4
karadscha Sren
10 B
Digitized by Google
Das Liwa Halcb (Aleppo) uni ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 521
a
b
i a
b
.5
ttll habesch
40
T
40 ! kefer pari sc ha
10
TB
16
hobst
10
T
41 kefer tschüsch
IO
T
*7
‘adschär ?
4°
T
j 42 schimmaryk
IO
TB
18
SiWC
20
T |
43 tätja
7
B
*9
id - duuaibik (foi-
44 nfgerc
15
T
puh)
20
T
45 J siidschü
>5
T
20
liardschele
15
TB
46 dschäriz ( dschfriz )
IO
i T
21
kara kopri
*5
Tm ;
4 7 jahmül
IO
1 T
22
düdiin
15
Tm
48 tibil
*5
T
23
chafaty wemyghed-
1
49 terschäm
IO
T
dm
20
B
50 jdzy hägh
IO
TK
24
dschekke
«5
T
51 za'deli
IO
KB
25 jeni ja pan
7
TB
52 kara kuju
7
T
26
1 samandere
10
TB
53 kefer kr /bin
20
M
27
sthtwlrln
20
T
54 humlh
7
B
28
rd‘i/
3°
T
55
'S
T
29
myrghyl
10
T
56 ba rag hl II
IO
T
3°
kyzyl mtzra'a
10
B
57 i yffadschi/k
7
B
3i
dt/ha
io
TB
58 dikme fasch
7
K
32
i utuwär
10
T
59 , lerschikln
»5
K
33
arpa ktsmts
7
B
60 ma'rln
*5
T
34
igde
10
T
'< 61 nijlum
»5
T
35
kefer ghanl
20
T
62 ftzljc ( fezzlje ?)
IO
M
3®
täghlu
10
, T
63 It/har
20
TB
37
ülbül
>5
T
1 64 kara mtzra'a
IO
B
38 jelbaha
10
T
j 65 kefer rahmt
5
T
39
U/Ihstn
IO
T
A. Uber die mit I. bezeichnten Angaben s. die allgemeine Be
merkung zu af. — L: von Hügeln merke: teil tibil. teil fcin, teil ha-
besch, teil scha'rrt ttll baräghltl, Ulbar.
B. i) L: ein Arnaut. — Wohl Überbleibsel aus der Zeit Ibrahim
Paschas, wie sich solche mehrfach in Syrien verstreut finden. — vgl.
zu af No. it. 2) L; nur SchäwT-Bcduinen. — Dasselbe gilt auch in
allen andern Fällen, wo die Bevölkerung durch B bezeichnet ist.
7) L: am nähr (laleb. 12) ü: die T sind von der ja/dnafsch-Aschire.
1 5) s. I io./u. i ■> 2om. 19) s. I 9./11. 3h 38"’. td-d. eigentlich = das
kleine dabik', über dabik s. zu af No. 53. 20) 21) am sin ob }u. 22) s.
I to./n. 1 2 h 6m, wo düdijan , türk, düden. 23) I.: mygheddln gleich ar.
muhjid-dln. 25) am sinob in. 26' am nähr haUb. 28) die SH haben
übereinstimmend dä'il, weiches ganz gleich ist dem dä'il, Station 12
Zeitsthr. d. GesclUch. f. Eidk. Bd. XXIX. 35
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522
Marlin Hartmann:
der Eisenbahnlinie ruh -schäm — cl-muztrtb (ZL)PV XVII 62); so
ist vielleicht das nach Hannüsch notierte rä'il ein Versehen.
38) s. I 9./11. ih i4m. 44) s. I 9./11. i2h iS1“, wo der Name
als nijara gehört wurde, und 2./1. 1 2 h 4 m , wo nljara geschrieben
ist. 48) Gleich dem lubbal, Jak. I 823 f. , das einen Markt und
eine Predigtkanzel hatte ; wird in der Geschichte der Hamdaniden
erwähnt; s. Freytag in ZDMG XI 200, Anm. 4. 53) die SH stimmen
sämtlich überein, und es wird an der Existenz dieses ktfer k. neben
dem hafir ktlbin af No. 43 nicht zu zweifeln sein. 59) L: bdrazy-
Kurden; am nähr ha/eb. 60) s. I 8./11. ih 55m. 61) s. I io.'ii. 5h 26“.
16. Nahije dschom.
a
b
a 1
b
I
schlch saijidi
7
K.
29
chdztjanfy
15
J*
2
‘arscha wählbar
3°
J* 1
3°
Isfhakn/ly
iS
K
3
turunda (frundo)
«5
J*
31
; ischkäni schark
15
K Jz
4
kürzt l
•5
K
32
küdschaman
IO
K
5
bästtt
3°
K Jz
33
tscholakän
20
K
6
burdsch weküffir
40
JzB
34
karabaschlar
25 1
J*
7
ghazzdwljc
3°
V
35
kiirkän
IO
K
8
schähdir
20
J* 1
36
säfjän
IO
K
9
kefrzid
IO
K j
37
ktferdele
*5 :
K
IO
iskdn
3°
K Jz
1 38
pilpitr
10 1
K
1 1
frlrl
IO
K !
39
höjiik oba
*5
K
12
dschr/emr
40
K
40
ktftr seht/
.0
K
>3
hädschUrr
IO
K
1 4i
1 ma'rata
3°
K
«4
U/lsillOr
iS
K
42
> kahl nrr
i to
K
«5
düwdn
10
K
43
dsrhywvh
40 1
K
l6
mrddja
10
K
44 dargtr
20 |
K
«7
dschädschije
10
B
45
ktivkdf?
I
18
ttisri
7
K
46
zijädljc
7
B
«9
hadsrhi iskendrr
15
K
47
krrsrn
10
K
20
‘abbdsljc
10
Kjz
48
dschudldf
10
K
21
mufmmmcdsjr
10
K Jz
49
Irpc
20
K
22
nerwdnc
15
K.
5°
kökebe
10
K
J3
tkizdschc
15
K.
51
bdbuht
10
K
24
ischkäni gharb
i IO
J*
52
ktfer bnfra
10
K
25
barckt
1 10
K
53
‘ andtrlje
8
B
26
jalangoz
10
K
54
telif
10
K
27
kür an
10
K
55
ras tl-‘ain
10
K B
2»
miske
i 10
K
56
teil hammö
7
B
Digitized by Google
Das I.iwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereitet. 523
,1
! ■
b
i 4
b
57 bamihk ,
IO
K
69 1 tschatal zijäret
IO
K
58 ramädije
1 10
K Jz
70 i hä U dl je
IO
K
59 nßrkdn
IO
K
7 1 j dir muschmusch
IO
K
60 j sehr /kan
IO
K
72 1 rä/änfy
IO
K
6 1 | fki achor
15
K
73 foghdnck
IO
K
62 1 birimdsche
>5
K
74 | abu ke'lbe
IO
K
63 hadsch liasan/y
«5
K
|75 seferlje
IO
K
64 j charzän
IO
K
76 j dschinderls
20
K
65 i schaifdn
1
77 mütmütc
10
K
66 ! l usrbete
IO
K !
I78; kirbc
10
K
67 1 penje
| 7
K j
I 79 | kefer fafra
IO
K
68 baff el-ftaiie
IO
K 1
A. Über den Sitz des Mudirs war Genaues nicht zu ermitteln.
Der italienische Generalkonsul in futleb, Herr Vitto, schrieb mir auf
Anfrage unter dem 18. 11.92: ,,/a rteidence du Moudir de Giume es t ä
!' Afrin. II a une maison <1 cdti du Kan , prls du pont de la route
carossable sur le lorrent Afrin." Ob der Mudir seinen Sitz in diesem
scheinbar ziemlich einsam gelegenen Hause auch nach dem vollständigen
Eingehen der Kunststrafse (s. unten) behalten wird , scheint allerdings
recht zweifelhaft. — Gewährsmann Hannüsch Effendi. — Die ältere
Form des Namens ist el-dschüma, s. Belädori 149, wonach die Dörfer
von et-dschüme durch Abu ‘Ubaida erobert wurden; Jak. II, 159. Bei den
Byzantinern entspricht Zürne z. B. in dem Vertrag, der Anna Comnena
XIII p. 412 ff. (Recueil Crois. aut. gr. I, 180 ff.) mitgeteilt ist.
B. 7) S. I. 11. /i. 11 h 5m. 8) L: Hier Zijäret des Jeziden-Schechs
Rikäb, nahe am lehit dilgh, nördlich von demselben. 10) Zweifelhaft,
doch wohl nicht derselbe Name wie No. 24 und 31. 12) S. I ii./i.
nh40ro. 24) Vgl. No. 31, wahrscheinlich ist eins der beiden das
ischkan I ii./i. 1 1 h 40 m. 34) L: So heifsen die Geistlichen der
Jeziden. (?) 74) Vielleicht gleich dem abu ka'be I ii./i. i2h 3m.
76) Hier hält Windeier es für möglich, das kulmadara der Land-
schaft unki (s. zu /•/ B am Ende) zu suchen (altorient. Forsch. 17).
Angenommen, dafs kulmadara in dieser Gegend gelegen, was nicht
unwahrscheinlich, bietet doch die Gleichung kulmadara gleich gindaros
lautlich Schwierigkeit1).
>) Beachtenswert ist, dafs Masüidi in dem tita b ct-tenblh, ed. de Goeje p. 59,
den Antakija-See nach diesem Ort nennt: buhairat gindnres ; dort wird auch der
Klnfelauf genannt, der den Sec mit dem Orontes verbindet ( moijit et-bahra, 9.
S. 166) unter dem nicht recht zu erklärenden Namen nähr er-rkja ( rukjai ). —
35* '
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524
Martin Harlmannr
17. Nahije schikdghy.
I
1
a
b
a
b
(
näz uschaghy
IO
KZ
14
sa*rindschtk
10 1
K
2
mttinli
•5
K
! *5
gemruk
15
K
3
düdlrli fdkdni
j 16
mt dankt
3°
K
4
düdlrli tahtdni
*5
K Z I
i *7
j Jiu/ibi
«5
K
s
1 mesch'alc
to
K
1 18
kefer rüm
IO
K
6
scharrdnly
*5
I K
1 19
kara kurt ku/aghy^
1
J£
7
tschamdnly
IO
K
20
kurt ku/aghy |
25
8
silkanli
>5
Jz (K)
; 21
kara te/te
10
9
‘a/i bazän/y
»5
K
22
ktfer miz
7
K (T)
IO
belttrsik
IO
K
1 23
göbelek
10
K
1 1
furak/y
7
K
24
körtük
4
: K
12
zltünek
IO
K
1 25
kodschik
3
K
»3
dlydschy
>5
K
A. Gewährsmann Hannüsch Etfendi. — Von den unter b vor-
kommenden Zigeunern (Z) gilt das zu mu A Bemerkte.
B. 2) L: auch 2 Jz. 3) L: seit ca. 10 Jahren verödet. 5) L:
hier zwei Zijärets, eins auf dem Berge, eins unten, genannt franndn und
manndn, — so, immer ohne schick, — die jedenfalls alt sind; hier
entspringt eine Quelle, deren Wasser elf Mühlen treibt und in den
‘afrln geht. — hanndn und manndn erinnern an das arabische Sprich-
wort: bin hdna wamdnd dä'at lihana (zwischen hdnd und tnänd sind
wir um unsere Bärte gekommen). 10) K: neben No. 12. ra) S. 1 31. '10.
8h 47 m. 14) Wohl identisch mit dem färyndschyk 30. 10. 1 1 h 21“.
16) 1.: zwei Dörfer. 17) 1.: zwei Dörfer. 19) ao) L: kurt kulagh^
3 Dörfer, eins westlich, die andern beiden östlich vom ‘a/rln. 32) L:
die T in der Minderzahl, jedoch Besitzer des Dorfes.
18. Nahije mumbudsch fäkdni.
a
b
a
b
i kr um
60
T
4
jylanntdscht
10
T
2 1 zelha
4
T
5
‘ömerdschik
7
TB
3 magharadschyk
1 i
T 1
6
kara tnelik
20
TB
Die Form des Namens bei Dimaschki ed. Mehren S. 1 12 dschindaräs dürfte die
richtigere sein und das dschindures im Text Mas.’* nur verschrieben sein; die Stelle
des alt/ zwischen den beiden unverbundenen Buchstaben und das Hineinwerfen des
Länge - a/i/ in solchem Fall durch den Schreiber ohne Achtsamkeit, macht
gerade hier eine Verschreibung sehr erklärlich. Die Form mit n am Ende ent-
spricht sonst mehr dem alten Gindäros als demheutigen dschindtris.
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Das Liwa Halcb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dscliebel Bereitet. 525
a
[j
a
b
7 spanak
«5
|
K
| 30 1 behadürii
8 * (atnburäli
10
T
3 1 jäidschi
20
T
q iilmtz
20
T
32 busi hdschu
8
T
1 0 1 buzCru
IO
T
33 dschildschimc
*5
T
1 1 banadschyb
7
T
34 miilki dewerdn
20
TK
1 2 ‘ababe
IO
TA
35 j kam fdbai
7
T
1 3 narbjdscha
36 kehriz
IO
T
14 tellhusen
7
T |
,371 tschöreklik
5
T
1 5 \ tjrl kana
7
T
| 38 | hasch maghara
IO
T
1 6 räwanda
*5
T
} 39 sabar
IO
T
17 ' tkt dam
; 40 i misch? til
7
T
18 i wir egen
IO
K
41 bischanh
4
T
1 9 dscherdsc hik
IO
T
42 dschengltt
40
T
20 I ‘arab weren
IO
K
43 minädir
IO
B
2 r bebe re
7
K
44 d?r snvan
IO
K
22 kam jatoasch
10
T
1 45 * adschar ?
23 schlraz
15
T
46 kuskungyran
>5
K
24 ! jafdydtcha
20
T
47 Ischubur oba
»5
K
25 kuzeni ? byzijl giil?
»5
K
48 bettük
26 (uldschi bbj
IO
T
49 ktfiz
IO
T
27 kam byl
7
T
50 ijltn
IO
K
28 misirdschib
>5
Tm
1 5 1 süjüllii
29 lell ibrahlm
6
T
*52 1 arab hiijitgü
5
T
A. Gewährsmann Hannüsch Efifendi. — mumbudsch ist die ge-
wöhnliche Aussprache für menbidsch im Volksmund. Nach mündlicher
Mitteilung l’rofessor Euting’s wird auch das bekanntere menbidsch,
der Hauptort des gleichnamigen Kadas (s. S. 494) nicht so, sondern
bumbudsch ausgesprochen, worin sich die Erinnerung an den alten
Namen bambybe deutlich erhalten hat. Den Namen hat die Nahije
jedenfalls von den Bewohnern, welche der türkischen Aschire mßmidsch
oder mübidsch, woneben auch mumbudsch, angehören (s. I 30./10. 3h 51“ .
Dieser Stamm dürfte seinen Namen von dem alten menbidsch haben.
— Als unterscheidender Zusatz soll neben fokam auch rdn andan Vor-
kommen, worin der Name der am ‘afnn gelegenen Rabat Rävanda
(KK; gleich er - nUrandan Jak. II 741, Abulf. Geogr. II 2, 4 2 f. ; vgl.
auch hier No. 16) zu erkennen ist.
B. 10) Gleich dem kuzena Karte I 2, I 1./11. 5h 27"1. 13) L: verödet
seit 15 Jahren. 14) L: hier entspringt der ba/yb nehri, der sich in den
nähr hateb ergiefst. 16) L : mit bahn — s. darüber schon oben unter
A ; merkwürdig ist, dafs sich das ältere rawanddn mit n in dem Namen
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526
Martin Hartmann:
der Nahije erhalten zu haben scheint, während die kürzere Form
räwanda für den Ort mit Burg als die heutige durch die Überein-
stimmung der SH mit Hannfisch Effendi gesichert ist. 17) L: seit
5 Jahren verödet. 25) SH übereinstimmend kuzcne, doch kennt Han-
nüsch nur einen Ort dieses Namens (s. No. 10); er vermutet ft'jzyl göl.
28) L: die Bewohner sind Kyzylbaschen von der scharkaui 'aschiresi.
30) I.: seit lange verödet. 34) L: die Bewohner gehören der hamat/y
‘aschlrtsi an. 40) L: an dem balyk nrhri. 42) Erinnert an Ist henk,
türkisch tschengien be 12. 45) L: wahrscheinlich das ‘ adschar at 17.
48) L : nahe an No. 50, verödet. 51) L: unbekannt.
19. Nahije mU.cn btk/i.
a
b i
1
a
b
I
sibtirüz
25
T
29
ismd'lldschikier
5
•1'
2
dümbüllü
10
T
30
kaman
10
T
3
maghiiradccbik
»5
K
31
nur hanlar ? baz
4
du katsch gemrigi
>5
T J
haidar ?
5
kara ismä'll
IO
T |
32
katadschik fokani
10
T
$
(a/lar gemrigi
IO
T
33
aghdschc kend
15
T
7
liastal
10
T
34
kam tut
>5
T
8
flridschek
iS
T
35
wiriklar
IO
T
9
söjütlü
25
T
36
eschek kuju tahtani
IO
T
IO
bekddsch öghlu
5
T I
37
kyzyl kend
3°
T
1 1
ftarsik
IO
T I
38
tachlahj karatul
10
T
12
giik mftsa
15
T I
39
husen öghlu
20
T
«3
schilgln
15
T
40
baliklt
15
r
14
schähwelf gemrigi
20
T
41
Zübölar
»5
emlr hatsch
42
demirdschller
l6
tschinar
20
T
43
eschek kuju fökäni
10
T
17
kürtündschller
20
T
44
chirtsch öghlu
18
dschlbenek
10
TZ
1 45
chatun mezra'asi
10
T
*9
chaskdn/y
IO
T
46
schCch ehorus
20
K
20
bvjük kardem
25
T
47
sa'attl
7
K
21
külschük kardem
25
T
48
habcsinö
5
*
22
fcrlse
7
T
49
‘adtsler
5
K
23
kozdschughaz
IO
T
5°
chydschyb öghlu
24
kakadschik tahtani
8
T
5'
e Iber an
25
fizge
25
T
! 52
‘ a/janly
7
K
26
kör a/jmed hiijügü
20
T
53
(adschdyn/y
10
K
27
jataghdn
4
T
54
merddnly
»5
K
28
kodscha/ar
4
T
55
scha'abty
10
K
Digitized by Google
Das Liwa H.deb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 527
a
b
a
b
56
schtr mezra'asi
7
K
; 66
arzab
IO
K
57
chai oghlu
7
K
67
nuzra'ti
IO
K
5»
seht Hab
10
K
68
dostänhj
IO
K
59
merscwl ( marsowa )
IO
K
69
tnuräd hüjügü
20
K
60
baut: (bairuk'\
10
K
7°
schenikdsrbf (Ische-
6l
schamdtir
10
K
nikdscht)
IO
K
62
ütschpynar
7
T
7*
blkölar
7
K
63
barbejäz
7
K
! 72
boghäz kennt
5
K
64
tschäirusehih kiij
7
T
! 73
do haiderän
IO
K
zengü l
10
K. i
1 74
mennänin köji
7
T
A. Die hier mit Z = Zigeuner bezeichneten Bewohner heifsen in
I, abdal\ ich habe dieselben nach meinen Eindrücken den Zigeunern
gleichgestellt; das Wort abda/ fehlt bei Zenker, es ist gewifs zusammen-
zustellen mit: „h/isnn abdallg , ein Stamm von Zigeunern ( eingdne ) in der
Gegend von Angora und Kazanlyk." (tehdschc-i-'osmänl I 2).
B. l) L: Haupt der Nahije und in der Mitte derselben gelegen.
10) L: 1 H A. 15) I.: seit 3 Jahren verödet. 17) L: neben ihm chirtsch
oghlu , mit dem zusammen es die 20 H hat. 20) 21) I.: der ursprüng-
liche Name dieses Doppel -Dorfes ist ü lisch agha/sch. 31) Unbekannt.
35) — 38) Fehlen in SH 8, sicher nur aus Versehen. 36) L: dort der
esc heb- kuju - Brunnen. 37) L: 4 Dörfer. 41) L: bildet einen Teil von
b'jzgl ktnd (No. 37). — sobö ist mir als Name einer muslimischen Familie
in Mittelsyrien vorgekommen; kurdisch? 42) L: seit ca. 10 Jahren ver-
ödet 44) S. zu No. 17. 46) I,: 3 Dörfer. — S. I 30., '10. ioh 8m,
i°h JS” u- ö. 50) I verödet; seit 3 Jahren sind dort i II K. 51) L:
verödet. 58) S. I 31./10. 4h 58™, 1./11. 3h 50™. 59) S. I31./10. (S. 482 f.).
60) S. 1 i./ii. (S. 482). 63) Gewifs zusammenzustellen mit birhjas D 6.
68) I 3 Dörfer. 74) Nach Hannüsch hinzugefügt.
20. Nahije iskenderün.
a
b i
a i b
1 kara aghatsch
90
N !
8 j he bat man
3° ! t
2 iskenderün
5°°
i 9 j sakyt
60 1 T
3 ncrgezlik
20
T 1
10 burlli/
20 T
4 , kara busain
20
T 1
1 1 kurlhj fenk
*5 ! T
5 aghtschai
IO
TN
* 1 2 baubar d
3° | T
6 el-aschkar {aschbar-
* 1 3 giijdschebel
>5 T
btlik )
■ 8
TN |
*14 el- 'abadschhje{ apal-
7 | dschebeke
1 '5
T
schitli)
50 1 T
Digitized by Google
528
Martin Hartmann :
a b
| a 1 b
*15
alma ddgh
«5 T
1*23 sufun
10 N
*16
kairak
20 T
*24 blt el-muftl
10 T
*17
salyngatsch
3 T
*25 ! büjiikdere
*18
dgholuk
1 o j T
*261 far/i/s
*19
baghlytscha
8 | T
*27 kyseh/a
*20
'arab deresi
10 j T
*28 i tl-kiuchmar
*21
birindschlik
10 1 T
*29 ) (l-güzrllljt (güze/lik)
*22
hd'ut (hdivül)
5 T
*30 haiwaly
A. Da in SH i — 4, 8 die Ortschaften von is, az und be unter
Kada bailän vereinigt sind — k iskenderün tritt erst in SH 12, die
n arsüz erst in SH 13 auf — so hat I, für die genannten drei Nahijen
denselben Gewährsmann, der die SH-Liste durch Nennung von 18
Namen ergänzte, nämlich is No. 12 — 24 und «No. 15—19. Aufserden)
findet sich eine von mir geschriebene Liste nicht mehr festzustellender
Herkunft für die Nahijen is, az, be, kr, bezeichnet L 2, welche nur
Namen enthält und zwar 29 für is (= is No. 1 — 29); 29 für az, wovon
19 = az No. 1 — 19; 12 für be, wovon 7 = b< • No. 1— 7; 13 für kr, wo-
von 10 — - kr No. 1 — 10. Endlich verdanke ich Herrn Zähi Eff. Zerdk
aus iskctulerUn , den ich in bailän traf, Mitteilungen, welche hier durch
Z bezeichnet sind.
B. 1) S. I 2Ö./9. (S. 151). a) Über die früheren Versuche, den
Ort von der äufserst gefährlichen Nachbarschaft der pestilenzialischen
Sümpfe zu befreien, s. Ritter 1839 f. Aus einer Notiz der Beiruter
Zeitung Lisän el-fiä! vom 2. Mai 94 ist zu entnehmen, dafs jetzt energisch
an der Austrocknung dieser Sümpfe gearbeitet wird. — Der Ort findet
sich in der Form el-iskenderüne schon bei Belädori 161 und 163; auch
das el-iskenderlje Bel. 148 wird unsern Ort bezeichnen sollen und ist wohl
verschrieben. 3) S. I 2Ö./9. ioh 47™, wo nergiz/ik geschrieben ist; be-
liebter Sommeraufenthalt für Familien aus No. 2 — Nach Z ist nergiztik
vielmehr ein Komplex von Ortschaften oder Quartieren, als welche er
nannte No. 22, 24, 27 — 29. 4) Z: karafrasanltje. — L 2: karaküziiHü,
s. auch I 29.-9. llh 23m- 6) S. 1 24. 9. (S. 148); wohl nach einem
früheren Besitzer namens el-Aschkar, türkisch Aschkar Bey, genannt.
7) Nach Z giebt es unteres und oberes dschebeke, ersteres 1 h, letzteres
4h von No. 2 entfernt. 9) S. 1 25.,'9- 9h 55m u. ö.; 14. 10. 6h 57“ u. ö.
10) S. I 25., '9. 8h, nh45m. JI) Oas ftnk >st das bereits zu ku 33 be-
sprochene. Der Name kommt als der einer Burg in der Nähe von
dscheztret ihn ‘ t/mar Abulf. J. 541 vor; s. auch Jakut 111 920, wonach
fanak zu schreiben ist. 12) S. 1 24., 9. 2h 45“'. 13) S. 1 24-/9. 2h451”-
wonach hier nicht ein Dorf, sondern nur Dreschplätze sind. 14) S.
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des I-iwa Dschebel Bereket. 529
I 24-/9 th4°m> 14. /10. nh9m. 15) S. I. 24-/9. 1 h 40 m, 14./10. 9h 25m.
16) S. I 24-/9. I2h u- ö. l7) S. I 24. 9. 9h 50“1. 18) S. I 24-/9.
uh jo»; du luk. 19) S. I 24-/9. 11 h ,om: baghlydscha. 20! TB zu 26-/9.
II h 40 m: 6 H T und 4 H R. ai) S. I 26-/9. 12 h 28m; eigentlich pirind-
schlik d. i. Reisfeld. 22) 1- 2: el-hdut. — S. zu No. 3. 23) Z: j dfun.
24) S. zu No. 3. 27) S. zu No. 3; Z nannte es el-hysch/iije. 28) S. zu
No. 3. 2gi S. zu No. 3; dagegen I. 2: hat besonderen Muchtär; liegt
zwischen nergtzlik und baild». 30! Nur nach einer Notiz TB 16./9. 84
aufgenommen.
2i. Nahije arsäz.
a
b
a
b
1 kisrik (keserik)
70
T
16* kürd bägh (kürd
2 ; el-wuhdb ( alhop )
60
N |
baghy)
3°
T
3 j el-aghdschdllji
*17 t sc her ist he kaja
( aghdschäli )
100
N -
(/scher /sch ühajasy)
20
T
4 hikr ei-arab ('arab
*18 (Muh
10
T
Ischiftiigi)
10
N :
*19 kiimiir tschuknru
3°
T
5 1 nähr tf-f/jäd
40
N
*20 schich/y
6 | el-tcll (hüjiih)
40
N 1
*2 1 karatschai
7 el-ahmedhje(/iadschi
*22 lulek
1 aftmedh)
40
N
:,,23 budschah
8 b< köji
26
N
*24 , la/ar/y
9 kara göz
• 5
T
*25 cs-saijar
1 0 akbar (Mn )
•5
N
*26 chaimtsekisi
1 1 el-kihe (kcnlsa önü)
3°
N
*27 ‘arabgedtk
12 in' hink (Ischengien)
20
T
*28 esch-sch/u/e
1 3 göj mtdan
20
n ;
*29 bekne
14 el-kaba (habil eshe-
7°
R
*3° giij dschebel
■
1 Uti) ( ursitz )
*3 1 dcre kuju
*15 d schar hi
IO
T
A. Über die Gewährsmänner s. is A. T B: „Die Nahije ist erst
vor kurzem gebildet; Ibrahim Eflf. ist als ständiger Mudir erst seit
3I Monat hier; bis dahin wurde der Distrikt von einem Tschawisch
(Korporal) verwaltet, der sehr oft wechselte. Die Einwohner selbst
baten um Einsetzung eines eigenen Mudirs, da die Geschäfte ziemlich
bedeutend sind. Die Regierung erfüllte den Wunsch. Freilich ent-
standen nun Lasten: denn die ca. 500 Piaster, welche der Mudir monat-
lich erhalten soll . werden nicht von der Regierung gezahlt , sondern
kommen zum Teil aus den Einkünften der Regierungszeitung, für
welche jede der 16 Ortschaften jährlich 90 Piaster zahlen mufs, teils
aus anderen Nebeneinkünften. Nach dem Mudir beträgt die Ausfuhr
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530
Martin Hartmann:
von Getreide aus arsüz jährlich höchstens 3000 Sack ; auch viel Holz
wird von hier verschifft, das auf dem Gebirge geschlagen wird. Das
Getreide geht von hier mit Barke nach is ktnderün, von dort per Dampfer
weiter; das Holz geht von hier direkt nach Tripolis, Beirut, Alexan-
drien.“
B. il S. I 28./t). 61' 37 m. 5) Ist nach anderen nähr es-sijdd zu
schreiben in der Bedeutung von nähr rs-sitdit/ , Flufs der Herren.
10) S. I 2Ö./9. 2h3onl. 11) Wie zu No. 10. 12) S. 1 26.lt). ih 25“;
als ar. Name der Ortschaft wurde immer /schenk gehört, dagegen
dschebel el-lschenk. 14) TB 27-/9.: „Die Bewohner des Ortes selbst
nennen ihn arsüz und durchaus nur so ; aufserhalb, z. B. in iskenderün,
kennt man arsüz nur als den Namen des ganzen Distriktes, während
der Hafenort kaha, arabisch tl-kaba genannt wird ; von letzterem Namen
wollen aber die Arsuzer nichts wissen; sie behaupten nämlich, es sei
das türkische kaba grob, roh, und von den Türken gewählt, um die
Ungeschlachtheit der Bewohner zu bezeichnen. Der jetzige Ort, der nicht,
wie man in iskenderün sagte, ca. 300, sondern nur 70 Häuser hat, soll erst
ca. 50 Jahre alt sein und von einem Mann namens es-Säjigh, dessen
Familie noch jetzt die erste im Ort ist, gegründet sein. Fis leben
noch dessen Wittwe, eine Griechin, und drei seiner acht Söhne, Sim-
‘än, 'Abdelmesih und ‘Abdalla im Ort. Zu gewissen Zeiten des Jahres
kommen Inselgriechen mit ihren Fahrzeugen, welche sich hier festlegen
und von hier aus täglich Ausfahrten ins Meer machen, um Schwämme
zu fischen. — Der Hafs der Christen hier gegen die Muslims ist sehr
grofs, und sie machen kein Hehl daraus; sie sind ja auch unter sich
in arsüz wohnen nur drei arabisch-muslimische und eine türkische
Familie; alle übrigen sind Rftm." — Die Form des Namens arsüz wird
bestätigt durch das von mir deutlich gehörte arsuzl, Arsuzer. Doch
mag das z am Finde schon in arabischem Munde meist in s übergehen,
wie es in dem, die Wörter mit scharf betonter, kurzer Findsilbe her-
vorstofsenden Munde der Türken sicher geschieht. Interessant ist
die Schreibung 'arsüs, welche ich in der Adresse eines arabischen
Privatbriefes und auf einer, in an/akija gesehenen, angeblich von dem
Lehrer des Französischen an der Ruschdije dort, dem Armenier Kara-
betian angefertigten Karte des Kreises an/akija fand, und welche Kara-
betian Eff. selbst damit verteidigte, dafs die Türken den Namen,
wenn er nicht mit ‘ain geschrieben wäre, ersus sprechen würden,
während sie in Wahrheit arsus sagen. — In den SH erscheint der
Name immer als arsüz. — Der Ort findet sich als rtsis schon bei Be-
lädori 161 (daraus hat wohl Jak sein rdsls II, 840): die Leute des
rätselhaften el-gurgüme werden von Romäern, die von rdsts und </-
isktnderüne herkamen, unterstützt. 19) bereits als kr 8 aufgeführt; nach
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Das Liwa Haleb ( Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Berekel. 53 1
Karte D 4 liegt es dicht an der Grenze der n karamurf gegen n baildn
und zugleich nicht fern der Grenze von n arsüz. Da es mir von zwei
Gewährsmännern unter den Ortschaften von az genannt wurde, so war
seine Anführung hier wohl nicht zu umgehen. 26) s. 1 *8-/9. 6h 37“.
30) nach TB 16/9. 84. Das Kehlen des Ortes in SH läfst vermuten,
dafs es amtlich als „Quartier“ einer gröfseren Gemeinde, wohl No. 16,
angesehen wird. 31) nach TB 16 /9. 84.
22. Nahije ekbts.
“
b
a j b
,
sa/man/y
; 5°
AT
6 \jtHi Japan 30 1 T
2
nüh uschaphy
3°
T
7 1 kazal uschaphy 25 T
3
sary kur Hu
3°
IT(A)
8 karametli (kara ah-
4
durak/ar
'5
T
medlt) | 7 I T
5
chyrchaly
25
1 T |
l !
1
23. Nahije tejek.
a
b
a
b
9
dedemli
15
T
13 kara/akly
70
T
IO
alysch/y
«5
AK 1
1 4 ehrislijün ?
II
aghdschatar
30
T (AK) 1
1 5 adamanly
»5
K
12
karajetyp/y
IO
T
24. Nahije fuidschl/ai .
16 ' hädschllar
22 '
1 kttnah?
28 edsche puhar
1 7 SOU/
J3
demrek
29 ‘arab uschaphy
1 8 giil punar
24
juwaly
30 urdukij ( ordiköj )
19 \ {jributschuk
20 küredschi
2 1 scher eßl
25 :
26
27
kafyran/yk
kara/akly
kyzyllar
31 joluklar
1
A. Die vorstehenden drei Nahijen ekbez, tejek und lutdschl/ar bilden
das Kada chäffa, welches in SH 1. 2. 3. 4. 8. 10 als Teil des Liwa
mar'asch erscheint. Kür das Jahr 1296 wurde eine Neuordnung vor-
genommen, über welche Sälnäme Adana 6 (1296) folgendes gesagt
ist : „Der Name des Sandschak dschebel berekel war früher Sandschak
pajas, und der Hauptort war die Kreisstadt pajas ; es bestand aus den
zwei Kadas pajas und ‘otmanije und der einen Nahije jumurfalyk ; mit
Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse wurde auf Antrag der
Hauptort des Mutessarifliks nach dem in der Mitte des dschebel berekel
liegenden jarpuz verlegt, und es wurden in Gemäfsheit der lokalen
Beziehungen die Kadas chäffa, ifläfajc und bulanyk durch Allerhöchste
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532
Martin Hartmann:
Kabinetsordre von dem Sandschak mar'asch abgetrennt und hierher
angeschlossen; der Name dschebel berekel wurde deshalb auf das er-
wähnte Liwa ausgedehnt, und das Kada pajas gebildet; jetzt besteht
also das Sandschak dschebel berekel nach dem oben Erwähnten aus den
fünf Kadas pajas , ‘almdnlje, chdffa, if/dlnje und bu/dnyk" ; es finden sich
jedoch nur über die Kadas chdffa, pajas und ‘ofmdmje Notizen. So
blieb es: auch Sälnäme Adana 7. 8. 10 haben chdffa als Kada von
dschebel bereket. Mit Rücksicht auf die ohnehin grofse Zahl der Ab-
kürzungen sind die Ortschaften fortlaufend numeriert und ist auf sie
mit ca und Ziffer verwiesen. Zu n ekbcz TB 23 10: Nach der Etymo-
logie der F.kbezli’s kommt der Name von agh, weifs, und bez, Lein-
wand, weil die ca. 15 Familien, die hier zuerst bauten, weifse Leinwand
trugen; später habe man dann aus aghbez ekbcz gemacht; die Osmanlis
sagen sogar eibez. — Zu n. hddschl/ar sind in L a und b nicht aus-
gefüllt. — Gewährsmann für L und TB ist, wenn nichts anderes an-
gegeben, Tschilo, über welchen s. I 21. — 27./10. (S. 1811.
B. 1) L: 20 AK, 18 AP, 8 A. — Das ist mir zuverlässiger als die
Angabe I 22. ho. TB (nach dem Superior): Die Armenier verstehen
hier und in dieser ganzen Gegend nur sehr wenig Armenisch; auch in
der von den Lazaristen eingerichteten katholischen Schule wird nur
türkisch unterrichtet (türkisches Lesebuch in türk, und armen. Schrift,
türk. Grammatik in armen. Schrift); die Eltern der Kinder sind dem
Lehrer feindlich, die Erwachsenen können nicht lesen und schreiben,
Einrichtung von Abendstunden für dieselben hatte keinen Erfolg. —
Der Ort wird als der bedeutendste der Nahije wohl auch, namentlich
von Fremden, mit dem Namen dieser bezeichnet und ist so auch auf
den bisherigen Karten eingetragen; vgl. auch S. 181. a) S. I 25./10.
ioh 5”" und 26./10. 2*> 42”'. 3) L: SO von No. 1; 5 H Christen (AK?’-
4) S. I 25./10. ioh- 5) S. I 25. /io. io*1 30"'. 6) S. I 25. 10. ioh 20*.
7) S. I 25./10. io*1 36™. 8) S. I 26./10. 2h 42“; I.: 2 H AK. 9) S.
I 25J10. 2h 2om. 10) I.: katholische Schule, n) L: 4 H AK. 13) L:
Wandertürken, zwei Quartiere: gehört eigentlich nicht mehr zu iejei,
sondern nimmt eine Sonderstellung ein. 14) L: ein Dorf solchen
Namens existiert nicht. 15) L: ihO von chdffa, am Ufer des sich in
den karafu ergiefsenden hoponttn tschaijy ; es giebt noch ein zweites,
am karafu selbst gelegenes und r h 30“ von dem ersten entferntes
adamanly, welches jedoch schon auf dem Gebiet von bülbül liegt.
16) TB: zwei Quartiere1), 8 H T, 2 H A, 4 H türkisch sprechende R;
•I Tschilo brauchte hierfür immer oijmat ; die Turkmenen von el-'amt saget
dafür oba, das auch als oba (übi) in das Arabische jener Gegend übergegangen ist.
das türk, oha ist eigentlich „uriarisches Nomadenzelt von Filz“ l Zenker): als arab
Wort für Zelt hat es auch Bocthor unter tente.
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Das I.iwa Halch (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschcbel Bereitet 533
letztere sind von No. 18, wo noch 1 H R, liierhergekommen ; ih3om
von chdffa. 17) TB: kiijlii, 30 H T; auch Söul obasy genannt; süut ist
ursprünglich Name eines Brunnens; ih 30"" von cha$$a. — S. I 25./10.
2h 20 m, wo „ sd'u / oder kiijlii". 18) TB: oder antyn, r H R [s. zu No. t6],
14 — 17 H T; zh von chdffa, am Fufs des Gebirges. 19) TB: fAsylly,
auch tjributschuk genannt, zwei Quartiere; 38 H T, 12 H A (AK?)
20) TB: T, 3 — 4 H A, 4h von chdffa, am Fufc des Gebirges. 21) SH 3:
scharkiy. TB: nicht bekannt. 22) SH 3: ktigh, SH 4: kümach, SH 8:
kr ml sch , TB: nicht bekannt. 23) TB: 5h von chdffa und ca. 2h von
urdukiij, an dem Pafswege über das kiirmenlinin gedigi F. 3. — T, 1 H
AK. 24) TB: 6 H T; oberhalb von No. 20 und wohl auch zu diesem
gerechnet. 25) TB: 3b 3om von chdffa ; T. 26) wohl gleich No. 13.
27) TB: ih 30 m von chdffa; T. 28) TB: 2h von chdffa ; T. 29) TB:
ganz nahe an No. 19, zu dem es gezählt wird; 6 H T. 30) TB: wurde
zur Zeit Derwisch Paschas (s. zu ri 64) gegründet, der Leute von
No. 20 dort ansiedelte; jetzt ist das Dorf verlassen; die Bewohner
haben ein neues urdukiij ca. 2om W vom alten, am Fufs des Gebirges
gegründet. Nach anderen sind sie wieder in das schon im Gebirge
liegende küredschi (No. 20) zurückgegangen. S. auch I 20./10. th3om.
31) TB: nahe an No. 17, 4 H T.
Höhenbestimmungen.1)
Zeit
Höhe
in Meter
_ l
1882 83.
24.
9. 82.
7 0
140
846
200
9 5
438
92*
568
950
697
1 1 10
1070
II 35
1057 1
I I 4*
1070
I 10
1212
14°
<375
Zeit
Höhe
in Meter
2 0
1293
2 a5
U90
2 45
<°5°
450
440
5*5 i
140
25-
9.
645
140
8 0
440
95°
850
10 5,6
<°35
1 1 45
1480 |
1 5a
<795
I
Zeit
Höhe
in Meter j
3'*
1480
545
440
26.,
9-
7 15
140
28.
9-
6 0
2
6.»
81
730
169
8 °
399
8.o
59*
9”
1010 !j
in Meter
lo’> 1156
IM’ 1460
1 1 56 1 487
I2a6 1559
29. 9.
6«0 386
7 0 345
8 o 432
9 0 444
34« 169
30. 9.
7 45 5<
1 ) Berechnet nach der Fischer’schen Formel aus meinen Barometer- und Ther-
mometer-Notierungen (s. S. 143) und den Barometer- und Thermometerständen des
nächsten Kiislenortes, aus welchem «old e Vorlagen, Beirut (s. Jahrbb. der K.K.
Centralanstalt für Meteorologie und Erd-Magn. Jahrg. 1882, 1883)1 Beachtung
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534
Martin Hartmann:
Zeit
Höhe
Zeit
!
Höhe
in Meter
in Meter
2.1
10.
9-s
32°
II '5
1 iS
93“
I
37°
12 8
5
I4-.
10.
I SS
3«
2 aS
167
5 ü
1 475
2 «3
339
6'°
539
6 's
600
3 ’4
59°
1 6*9
439
784
755
638
800
3/so.
6«?
822
4i?
1485
j 657
in
fO
00
■585
750
900
S'-l
17851)
8 8
83s
9 0
813
8”
852
34“
35 1
8 “5
818
835
792
4./ IO.
855
875
1030
7«
9 ,s
1146
9-2
1 83*}
IO<3
1328
12.
'io.
II 0
1240
545
95
1 1 .8
”47
7 25
”5
1 1 34
1040
II 58
1083
*3*'
'io.
j 12”
858
5i5
1 ,25
12 58
670
8 *
246
I 18
710
Zeit
Höhe
in Meter
1
Zeit
Höhe
in Meter
143
460
.
20.
to.
2 3
316
2 16
>45
63°
172
2 3*
78
83*
133
3 1
53
84»
HO
3 45
0
848 j
1 x6
919
1 10
'5-
10.
93* ,
1 10
910
«5
IO 3
108
II 5«
141
18.
10.
1
12 6
125
8 >5
5
12 57
150
345
60
I 10
230
4«
230
2 0
285
5‘9
490
3 'S
286
9!»
475
35'
418
19.
10.
4 0
435
65»
475
4 9
45°
10 8
56*
21.10.
I Oa5
592
I04S
00
85« |
645
I I 18
369
II 5«
134
23-1
10.
4.4
172
3 °
808
4 31
230
3 5
835
5’8
232
3 55
640
der Hohe der Beiruter Beobachtungsstation von 34 m über dem Meer (so nach
Jahrg. 1881 S. 274; 30 in nach Jahrg. 1884 S. VI). Da aus Beirut nur Be-
obachtungen für 830, 2 3° und 8 3£ Vorlagen, so wurden die Berechnungen nach der
Formel nur für die Notierungen vorgenommen, welche zu denselben oder nächst-
liegenden Zeitpunkten gemacht waren. Die dazwischenliegenden wurden nach dem
sich aus den festen ZifTern, zwischen denen sie liegen, ergebenden Mittel berechnet.
Wo sich für denselben Ort bei Berechnung mehrfacher Notierungen nach der
Formel verschiedene Höhen ergaben, wurde eine Ausgleichung vorgenommen. Die
Punkte, auf welche sich die berechneten Höhen beziehen, sind durch Aufsuchen
der Zeit in I leicht festzustellen; wo sich eine entsprechende Zeit nicht findet, ist
der Beobachtungsort aus den unmittelbar vorhergehenden oder folgenden Zeit-
notierungen zu erkennen.
») Bl: 1767. *) Bl:
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Das I.iwa Haleb (Aleppo) tind ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 535
Zeit |
Höhe
in Meter
j Zeit
1
Höhe
in Meter
25.,
!lo.
I 6
440
2 3<»
621
f 1 5
957
„ |
I I *3
1047
3 6
838
12 0
1440
320
1
901
I 2 *4
1535
348
991
12 44
1468
ij 4 °
«°35
I 5o
1480
■ 418
966
2 20
1632
j 4,4 ■
790
3 14
1636
330
, *55°
29 ./
1
'10.
3 38
1544
737
732
3 54
«4«3
8’s
75«
4T4
1147
8 J4
685
430
867
j
5 a
775
30.
10.
28.
10.
63»
685
95’
408
93«
656
10*9
332
10 8
716
10 3°
344
io
490
12 19
335
II 31
53«
12 *8
356
I 2«»
456 j
I 2*7
374
12 40
374
3>-
10.
125°
397
7 •
434
I 0
415
5 35
565
Zeit
Hohe
in Meter |
Zeit
Hohe
in Meter
i./ll.
I 35 !
497
730
7
405
342
2 5«
33* |
345
447
424
416
IO »
4«
450
336
3S4
433
390
426
4” 1
4 35 ;
448
375
400
483
95ä
10.
432
11.
95»
666
954
418
8 ./■
11.
12 5«
450
1*3
557
« 3
4"
469
55°
I ■*
648
4*9
637
143
73«
4 4»
508
2*5
884
81»
660
3 38
3«
670
65«
9-,«
83.
3 47
638
84»
395
4 1
613 |
s 35
S«°
4,3
587
IO./I.
8r
57° 1
2 30
575
9 •/
I I.
I I./I.
12 0 |
525
3 0
«85
12 35
502 i
3 8
«53
I '*
479
io_£
126
Bemerkungen zu der Karte.
a) Zu der Hauptkarte: Das Vorkommen desselben Namens bei
verschiedenen benachbarten Ortszeichen erklärt sich durch das zu bi
41 Bemerkte; in einigen Fällen werden die Ortschaften gleichen Namens
vom Volk als oberes und unteres unterschieden sein, wie wohl die zwei
karkytt H 3. — Von den Höhenangaben sind nur die wichtigsten in die
Karte aufgenommen. — Die Zeichnung der Grenzen mufste naturgcmäfs
meist eine mutmafslichc sein; einiges, das unwahrscheinlich, zeigte
sich erst, als die Karte fertig vorlag; s. die S. 172 Anm. 2 für die
Grenze der Wilajets Adana und Haleb vorgeschlagenen Änderungen.
— Im einzelnen: B6 nähr el-'as, sehr.: nähr el-‘äs. — C 6 war der
westliche Teil des dschebel mär sim'än mit dem Sondernamen dschebel
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586
Martin Hartmann:
mghairün zu bezeichnen, s. zu sw 8. — D 4 die Ziffer 6jo, welche die
Hohe des Bailän-Passes bezeichnet, ist in 671 zu verwandeln. Dieses
ergab sich aus der Berechnung der am 22. lg. 84 gemachten Notierung
und steht der 682 der Nebenkarte, Plan der Kunststrafse, sehr nahe.
Zu hoch ist sicher die 728 von KK und die 730 der Karte zu Bl. —
CV 4 iskan, sehr, ischkan nach I 11. 1. nh4om. — H 2 ist tellelik kahu
nach I 30. 10. 3h 27™ ca 45"> SSO von zttünek einzutragen.
b) Zu der Nebenkarte: Plan der Kunststrafse Iskcnderun-
Haleb. Die in den Jahren 1882:83 auf Betreiben des energischen
Walis Dschemll Pascha trotz des unverständigen Widerstandes der
Bevölkerung, namentlich der fanatischen Notabein von lialeb, gebaute
Kunststrafse isktnderün - haleb erwies sich sehr bald als ein gänzlich
verfehltes Unternehmen. Um nicht weniger als ca. 50 km länger als
die alte Karawanenstrafse, bot sie den einzigen Vorteil, dafs sie fahr-
bar war, und dafs auf ihr der im Winter oft gewaltig angeschwollene
nähr 'afrtn zu jeder Zeit auf einer stattlichen Steinbrücke passiert
werden konnte, während bei Hochwasser die Karawanen, die die alte
Strafse, gewöhnlich Strafse von turmanln genannt, benutzten, oft tage-
lang liegen bleiben mufsten. Die Steinbrücke wurde ein Jahr nach
ihrer Einweihung zum Teil von den Fluten weggerissen, das durch
Holz ersetzte Stück bald von böswilliger Hand in Brand gesteckt; ist
es auch wieder erneuert, so bleibt die Strafse doch fast ganz unbe-
nutzt; obwohl die Regierung jährlich 6000 I,. tq. = 112 000 Mark für
Reparaturen ausgegeben haben soll, ist sie gänzlich verfallen. In der
schlechten Jahreszeit soll sie durch den tiefen Schmutz noch unweg-
samer sein als der Karawanenweg. Die Gelder für Reparaturen waren
ein willkommener Bissen für die Taschen einer ganzen Anzahl von
gros bonneis, aber der Skandal wurde schliefslich zu arg, und wie die
Beiruter Zeitung Al-Bachir [el-beschlr] vom 2. Mai 1894 meldet, hat sich
die Regierung entschlossen, die mit grofsen Kosten gebaute Strafse
aufzugeben und weiterhin Mühe und Gelder der turmamn- Strafse zu-
zuwenden. Übrigens ist die Frage dieser Strafse nur noch etwa für
ein Jahrzehnt von Bedeutung, denn die Sociöt£ Ottomane des chemins
de fer de Svrie et de l’Euphrate, welche voraussichtlich bis ca. 1000
die Eisenbahnstrecke Damaskus — Aleppo - Biredschik herstellen wird,
hat für alle Linien, die diese Linie mit der Küste verbinden, den Vor-
tritt. Unter diesen Verbindungslinien ist aber die Aleppo — Alexan-
drette die wichtigste. — Winckler läfst in seinen Altorientalischeu
Forschungen I die assyrischen Könige bei ihren Kriegszügen nach dem
Lande unfn eine grofse Heerstrafse ziehen, deren Richtung von ihm
offenbar nach dieser türkischen Chaufsee, wie sie in KK eingetragen
ist, beschrieben wird. Es ist aber sicher, dafs die türkische Tracc
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 537
sich in keiner Weise an irgend eine frühere Strafse anschliefst, und
die Vermutungen für den von den assyrischen Heeren genommenen
Weg sind, soweit sie sich auf den ganz modernen, höchst ungeschickt
angelegten türkischen Strafsenbau gründen, hinfällig.
Abkürzungen:
I
=
Teil I: die Wege; die Zif-
L =
Ortslisten (s. S. 144).
fern beziehen sich auf die
Lt =
Lateiner (röm.-kath.)
Reisetage.
M =
arabisch sprechende Mus-
A
=
Orthodoxe Armenier.
lims.
AK
=
Katholische Armenier.
N =
Norden und Nussairier.
AP
=
Protestantische Armenier.
n =
Nahije.
B
=
Beduinen.
O =
Osten
c
—
Tscherkessen.
P =
Protestanten.
H
=
Häuser.
R =
Rüm (Griech.-Orthodoxe).
I
=
Ismaelier.
RK =
Rüm Kätülik (Griechisch-
J
=
Juden.
Katholische oder Unierte).
Jak
=
Jakut.
S =
Süden.
J*
=
Jeziden.
SH =
sd/ndme-i-fidleb, d. i. offi-
K
-
Kurden.
zielles Jahrbuch über das
k
=
Kada.
Wilajet Aleppo (s. S. 144).
KH
=
Kiepert, Hausknecht’s Rou-
T =
Türken.
ten im Orient I und II.
TB =
Tagebuch.
KJ
=
Hanna Karajusuf (s. ku A).
Tm =
Turkmenen.
KK
=
Kiepert’s Karte zu Humann
W =
Westen.
Puchstein, Reisen in Klein-
Asien und Nord-Syrien.
Z =
Zigeuner.
Abkürzungen de
r N ahije-Namen.
af
=
a'zdz-i-felldb.
kr =
karamurf.
am
=
‘amkl
ku =
rl-ku}air.
at
=
a'zdz-i-turkmdn.
mf =
mrnbidseh-i-f ökdnl .
az
=
arstiz.
mu =
müsäbekli.
bc
=
baildn.
ok =
oktschu ‘izzcddmlü.
ca
=
chdffa.
ri =
er-rlkdnljc.
da
=
dschawar anfdkija.
sa —
schaichlar.
de
=3
dtrküsch.
si =
schikdghy.
do
=
dschöm.
=
dschisr esch-schughr.
is
=
iskenderün.
S7V =
es-nvidlje.
kl
=
kal'at el-madlk .
Zeiuchr. d. Ct*cll«ch. f. Erdk. R.i XXIX. 30
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538
Martin Hartmann:
Erklärung arabischer und türkischer Gattungswörter, welche m
Eigennamen und in dem Reiseweg häufig Vorkommen :
‘ain Quelle.
bei Hochpafs.
böjük ( büjiik ) grofs.
chirbe Ruine.
dagh Berg, Gebirge.
die hebet Berg.
büjiik Hügel.
haha, kale Burg.
hasfal Brunnen (s. S. 160 Anm. r).
keblr grofs.
honah (Konak) Rastort; Regierungs-
gebäude.
kütschük klein.
nähr Flufs.
saghlr {zag/nr ) klein.
fu Wasser.
teil Hügel.
tepe Spitze, Pik.
foprah (Toprak) Gebiet.
tschai Flufs.
tichiftlik Gehöft ; wenn allein-
stehend = kaiserliche Domäne.
wddi Thal.
zijetra (ar.), zijäret (türk.) Heiligen-
grab, Wallfahrtsort.
HL Alphabetisches Verzeichnis der Namen der Ortslisten
und der Karte.
A.
el-'abadschhje is 14
el-' abbar a da 19 C 5
'abbdslje do 20
Abidon hüjüjü H 2
abrdf am 14
abu ke'lbe ( abu ha'be) do
74 G 4
achtertn af 39 K 4
achras oghlu obasy s.
mahmudh ri 47 F. 4
adamanly ca 15
adar su 50
'adtsler mu 49
el-'adilllje C 5
'adschär ( adscher ) at 1 7
K 2
'ad sc har mf 45
el-'a/fijr hu 6 D 6
ägh alma (Q) F 1
ägh o/uh (ö) R 5
aghburhän af 42
aghdschalar ca 1 1
aghdschällje az 3 B 4
aghdsche kend mu 33
aghdscherün hu 1 5
agho/uh is 18 D 3
aghpuiiar (‘ ain el-hlda)
r< 37 F 4
aghtepe J 2
agh/schai A 5
aghtschai is 5 D 3
el-ahmcdhje s. hadschi
ahmcdli az 7 B 4
ahrez af 25
‘aidljit el-fohänl sw 15
c 5
el-'aidljit et-tihtdnje sw
40 C 5
'ain cl-blda K 3
'ain cl-blda s. aghpuiiar
ri 37 F 4
'ain et-bunduh su 55
'ain dahni af 18 J 3
‘ain darb el-maghära
( Q ) b4
‘ain dschämüs da 1 8 C 6
'ain el-dschezzdr (Q) C 5
‘ain füwdr hu 61
'ain -i- badschar am 16
G3
'ain el-bardmlje C 3
‘ain el-baur su 26
‘ain el-keblre (Q) D 7
‘ain es-semeh D 4
‘ainisläs hu 78
'airendschlje ri 21 E 5
airykanny J 2
‘ahabe mf 12
akbar s. ehber az 10 B 4
Ahhaja F, 3
el-'dhhje sw 17 C 5
ala göz F 1
alachän kr 3 1) 5
alaj blkli be 6
'alaijcddln s. ‘i/eddm sw
23 r> 5
a Iahend hu 70
Alan dagh D 3
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bereket. 539
A/atschdm A 5
a/hop ( el-wuhdb ) az 2
B4
‘a/i bazdnly si 9
‘a/i keller ob 3 G 2
a/jdnly mu 52
almadagh is 15 D 3
älydschy si 13
a/yschly ca 10
AM KI F 3 4 G 3 4 H2/3
d-'amkljc bl 5
‘amfed de 4, ku 64 E 7
‘dn füwdr (‘ ain füwdr )
hu 61
'andb af 10
‘anaddn ] 5
‘andz K 2
‘ ander ijc do 53
and!/ ogh/unuii adasy
G i
‘anga/a F 4
‘anfO hu 20 E 6
an/äkija ( an/abi ) C 5
‘arab deresi is 20 C 3
‘arab dschemmdse D 4
‘arab dschimmdse E 4
‘arab hüjiigü mf 52
‘arab baramurf (Jkara-
murf) br 4 D 4
'arab Ören J 2
‘arab schammar de 11
'arab tschift/igi (i Uhr d-
‘arab) az 4 B 4
'arab uschaghy ca 29
‘arab uschaghy ob 19 G2
‘arab wlren mf 20
‘arabchän br 11
‘arabgedih a: 27 B 4
‘arhüb s. ‘öpiilo
armla su 28
armudscha J 2
arpa besmez at 33
arpahje ( arpaly ) ri 42
E 3
arschi bibar H 3
ARSÜZ A 4 5 B 4/5
C 4'5
arsßz ( el-baba ) az t 4 B 4
arzab mu 66
‘arscha wabibdr do 2
H3
Asardede E 2
aschaghy bürhanly sa 2
d-aschbar is 6 D 3
'af/dn/y sa 42
dtyb höji be 12 D 3
el-'awdblje br 2 C 5
a'zdz (‘azez) af 1 J 3
A'ZAZ- I- FELLAH
H 3/4 J 3/4 K 3 4
A'ZAZ-I- TL RKMAN
H 2,3 J 2/3 K. 2/3
B.
bäb bü/us D 5
bdb ei-hadld D 5
bdbatrün ku 27
bdbetra hu 34
bäbu/ll (bah/i/) do 51 G 4
bachschm ( bichschln ) hu
1 E 5
ba'din/i sa 5
baghlama G 1
baghlytscha is 19 D 3
baghräs s. babrdf D 4
baghlsche oh 6
bahjdsün {besun) su 24
el-ba/tra D 4 5 E 4 5
bahudr af 5
ba/nvar/a ( ba/twir/e ) af
47 K 3
baijira ( el-bai/rd ) ku 40
BAILAX C 3/4 D 3/4 |
bai/dn ( be/eh ) be 1 1 I) 4
babrdf (baghrds) be 3
D4
babsdnüs [bubs.) ku 25
D 6
balihli mu 40
Ba/Iyb G 2
bä ly obasy ob 25 II 1
banastür H 5
bardghl/l at 56
barbarün {berberün) sw
22 C 5
el-barränljc su 37
leärüda af 36
basch maghara mf 38
baschköj J 5
bäschirbe ku 63 D 6
bäsibbe ku 62
baff cl-liaijc do 68
bdsüt do 5
el-ba/rabin s. bedreke
kr 6 D 4
bdub ( bdwub ) mu 60 H 2
bäwerde (= toprab
hifdr?) ku 1 Xi 6
bdäma su 20
hdembfl ku 4
d-bedrehe s. d-ba/rak/n
kr 6 D 4
begh O/u'u F 1
behädürli mf 30
bljik bejen höji G 2
bekbdschi H 5
bekdäsch Ogh/u mu 10
bekere 21 J 2
bekfela su 3
beh/esch/i E 3
blkö obasy ok 2
bikölar mu 71
d-bcbrlje su 19
bekwe az 29 B 4
bllan böj am 11 H 2
bdangoz su 36
36*
540
Martin Hartmann:
beltka af 54
beleb s. bailän
beUramUn ( be/leramun ) 1
J 5
bellük mf 48
belmls su 5
belürfek si 10
berbend ok 23
berberün s. barbarün
berdlje ku 41
berkdsch ok 9
blschdnli mf 41
litschik tepe J 2
beschlämün su 7
besi/ko sa 40
bestti ? su 56
bes/lka ku 35
bifün ku 77
liesün s. bahjdsün su 24
bi/ el-chardb da 14
btt ej-mtl C 6
btt el-mufti is 24 C 4
bt/arli ri 33 E 4
el-bi/arllje kr 9
bey koji az 8
bezga B 7
bichschln s. bachschln
bijänö ( bijanum ) J 5
bir lu'me H 5
el-birak ( jenischehir ) F 5
birimdsche do 62
birindschlik is 21 C 4
bi/ja de 2
bi/jas ermenl sw 4 Fi 5
bitjds el-brOleslant sw 5
B5
bitli ‘a/i D 5
bitrln ku 22
boghäz C 6
bog hä z kerm mu 72
boghdziknir su 47
bozhujuk ku 9
brhind E 6
bsendtna de 8 E 7
b/t/In ku 21 0 6
b/tbdt su 48
budschak az 23 A4
el-bughdadtje da 10 C 6
biijluk C 4
büjiik burdsch ku 37 O5
Biijük Damryk G 2
biijük kardem mu 20
biijük karkyn am 17
Büjiik Ka/yranlyk G 1
büjiik oba do 39
büjük sdbt'kan/y ok 10
büjükdere is 25 C 3
bülamadschly ( büla -
maschly) ok 32 G 2
bülbül H 2
bunt D 3
burdsch weküffcr do 6
burdschke H 5
bustän cr-rds da 5 C 5
bykir at 55
Ch.
chai Oghlu mu 57
chaimesekisi <iZ 26 B 4
chaimesekisi fuju A B 4
t haino ku 48 D 6
chalfaty wemyghcddin
at 23
chillidtjc do 70
challl-i-gülkäwl am 22
chaill mursal obasy ri 28
F4 !
chaill ner do 42
chaill ömer uschaghy
sa 22
challek uschaghy am 6
e/-r halft je da 11 C 6
el-chdn ( murad pascha ) 1
ri 39 E 4
chin bairam H 3
el-channlje s. el-chinnlji
charäb ‘a/i ri 17 E 5
chardb es-su/fan E 7
chardatinln J 4
charzdn do 64
chaskdn/y mu 19
chdffa F 2
chdtün mezra'asi mu 45
chazijanly do 29
el-cheribe E 7
chidrblk B 6
chidrijdnly ok 26
el-chinntje ( el-channlje '
sw 43 C 5
chirbet el-dschauz su 29
chirlsch oghlu mu 44
chraibit el-‘amüd de 5
chrlbe (grebe) H 4
christijdn ca 14
chydschyb Oghlu mu 50
chyrchaly ca 5 F 1
chyrlawuk A 5
chyrsyz punary ri 38
F4
D.
däbik af 53 K 3
dagh/aghan ri 19 F 5
dahharyn gedigi D 3
dai'at esch - schlch s.
schick köj ku 46 C 6
daljdn C 5
daljdn D 5
damryk tschertschilisi
G 2
darglr do 44
ddrit ‘izze G 5
ed-dar'üzlje da 9 C 6
dauduh obasy sa 36
Daz dägh C 5/6
Daz dägh D 3
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Das Liwu Ilaleb (Aleppo) und ein Teil des Liw.i Dschcbel Berekel. 541
dtdemii ca 9 F 2
dedemli jailasynyrt fuju
E 1
def tertiär af 27
dejirmtn karschy (‘amyk
köjü) ri 1 F 5
dejirmtn tschai Gz H 2/3 |
dejirmtn uschaghy E 3
dejirmtn dertsi D 3
dekmidsche ( dökmedsche ) j
(degömdsche)sw 25 C5
del(ta 0/31
delhemi at 9
deli ‘osman ok 34
de/i uschaghy E 3
delihekirli be 5 1) 3
dth/sc ha i F 1/2
demirdschlltr mu 42
demrek ca 23 E 3
ed-dtr ku 26
dir el-dschmäl (deir gerne f)
af 1 1 J 4
dir el-hawa af 37
dir el-mäschta da 6 C 6
dir muschmusch do 71
dir siu'än mf 44
derc bagh/sche D 4 C 3
dere kuju az 31 C 4
derindere kuUughu D 4
dtrlschu s. ed-derwlschtje \
DERKÜSCHTt 7 E6/7
dtrküsch de x E 7
ed-dernlje ku 76
ed-derrtje su 18
derschln H 5
ed-dersünlje da 1 C 6
ed-derwlschije ( dir Istha )
da 13 C 5
dikeli dasch (Säule) D 5
dikmc lasch ( dikmedasch )
at 58 J 2
dirnlje E 6
rfd l laidcran mu 73
dokatsch gemrigi mu 4
dökmedsche s. dekmidsche
do/an F 1
do/ek at 10
dös/dn/y mu 68
dschadschlje du 1 7
dsch'aidlje (el-dschu-
‘aidlje) ri 1 1 D 5
el-dschClnüdlje su 2 D 7
dschdrld az 15
dsthariz ( dschlriz ) at 46
DSCHA WAR - /- /LV-
7V1A7//1 C 5/6 D 5 |
el-dschdfdc su 34 D 7
dschebeke is 7
Uschebel el-abmar A 4/5
B 4 5 C 4/5
Uschebel e/-altra' B 7
Uschebel arstiz A 4/5
B 4 5 C 4/5
Uschebel bereket G 5
Uschebel karatschat
C 5/6
Uschebel el-kurtlu D 3
Uschebel Mdr Sirn'än
C 6
Uschebel Müsa B 5/6
USCHEBEL SJM'AN
G 4 5 H 4/5 J 4 5 !
Uschebel et-tschenk B/C 4 |
el-dschedlde sw 19 B 6
Uschljren tepe J 2
dschekke at 24 K 3
dscheleme do 12 G 4
dschemmas? kl 2
dschenld ogh/u obasy ri
54 K 5
dschenldt>(lschinla)ku 29
dschengtn mf 42
dscherddklje ( ed-dsch .) da
2 ^ 5
dscherdschik mf 19
el-dscherlrlje sw 47 B 6
dschtbenek mu 18
dschibrln J 3
dschilanly be 2
dschi/dschime mf 33
el-dschilhje sw 32 B 6
dschinderls (dschindarts)
do 76 G 4
dschindilij ( dschindallje )
ku 79
dschinni punary F 1
dschisr dschanbuläd E 5
dschisr ei-hadld ku 3 E 5
dschisr hannd C 5
dschisr el-meksür ri 9
E 5
dschisr mur ad pascha E4
USCH1SR ESCH-
SCHUGHR C 7
D 6, 7 E 7
dschisr esch-schughr
(dschisr -i-schughür)
su 1 D/ E 7
USCH OM F4 5 G 3/4/ 5
H3/4
el-dschu' aidlje ri 1 1 D 5
dschubb {Br) C 6
dschudtdc do 48
dschüme ku 59
dschywyk do 43
düddn (düderi) at 22 K 3
dtidlrli fokdni si 3
dttdtrli la/i/ani si 4
dü mal ku 72
dümbü/lü sa 1
dümbül/ü mu 2
duraklar ca 4 Fl
durmuschkan/y am 25
cd - duwaibik ( toipuk )
at 19
dUuän do 15
Digitlzed by Google
542
duwlsdt de 13 E 2
ed-dwtr da & C 6
E.
edsche punar ca 28
ijlen mf 50
ijrl kana mf 13
ijributschuk ca 19
ekber s. akbar az lq B 4
EKBEZ E 1Z2 F 1/2
G I h
ekiz köprü B 5
ekiz oghlu obasy ri 62
E 4
Ekiz tcpe B 5
ckiz uschaklar s. el-kehra
tlberdn mu 31
llldscha te L! D 5
tmlr Hatsch mu 13
cndewi f« D 4
engczik su 15
trende am 24 G 3
ermendscho ku $2
erzghän fokdni su 33
erzghän taHtdni su 49
eschek kuju fokdni mu
43
eschek kuju taHtdni mu
36
eschref af 56
esendsche/i H 1
el-eskele sw 46 B 6
el-ezüje kr 1 C 5
F.
et-fdchüra B 6
fdfln af 30
fartys is 2Ä C 4
el-fasük E 2
el-fälklje Afrika) ku 31
D 6
faftum puhary (Q) B 5
Marlin Hartmann:
I fefertln H 5
| el-fenk (Q) B 4
el-fenk ku 33 D 6
ferferlje G 4
el-ferferlje ku £7 D fi
flridschei mu 8
ferlse mu 22
ferzala ku 18
feztje ( fezzlje ?) at (12
el-filht da lö C 5
firdschan de \
firri de 6
firri ku 23
fizge mu 25
el-fraijke su lq D (l
frendschar ku 42 D 6
frlrl do i_i
frlrik sa 39
fyndykly C 4
fyndykly deresi C/B 4
fyrnyz jailasy C 4
G.
Gedik zitin J 2
gedikmaidan G 2
geldnll? am 2
gemruk si 13
gerin udschaghy F I
getscherktn su 41
gewsün sa 12
srhilb el-Hämda E 5
ghdb kasan uschaghy
E All
ghai/ün af 34
ghdm su 42
ghazzdwlje do 2 G 5
ghurür af 45
gjaurkoi su 45
Gjaurli baghli- diigh J 2
1 gidridsch at 4
göbelek si 23
gögddsch at L2
gögdsche oghlu obasy n
11 E3
gogdschegüz ku 14
gij rnidän ( gOmaiddn )
<J2 13 B 4
göjdschebel az 30 C 4
göjdschebel is 13 D 3
gök tnüsa mu 12
gölbäsch kr j
gölbasch ri 40 E 3
Gö/ddghy V 1
Gölgawan tepe H 2
göljanly sa 26
gOmaiddn az 13 B 4
gömisch deresi H 2
gömmadscha B C 5
gSmmit F 3
gönnen tschai C B 4
grlbe s. chrlbe
gül puhar ca lS
güldschihdn (Q) B 4
gület es-sulfdnlje D 5
gümüsch sa 8
gunde sa 32
gündüz/ü D 3
güzel burdsch sw 14 D 5
el-güzelllje is 29
H.
el-hababltje s Hadschi
liababll sw 3 B 6
habesind mu 48
habse at 16 K 2
hädsch hasanly do 63
Hadschi ahmedll (et-
ahmedllje ) <u 2 B 4
Hadschi bdkir de IJ D J
Hadschi bildt am 23
Hadschi challl oghlu sa
20
Hadschi Hababh (el-
Hababhje sw 3 B 6
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebc) Berckel. 543
(uidschi hasan agha
tschiftligi E 6
t tadschi iskender do 19
F 4
(tadschi hdsymly ok 18
l uidschi köj mf 26
(tadschi mursal obasy
(tschakal (cpc) ri 6 E 5
hadschi mftsa ok 15
hddschi pascha su 51
HADSCHILAR E 2/3
F 23
hadschi/ar ca 16 F 2
hadschilaryn tschaijy F 2
hadschilcr do 1 3
ha/t cl-haumz B 6
ha tja m ly ok 13
haima tschynar L) 3
hatr dschdmOs E 5
haiwa/y is 30 C 4
haleb J 5
holender am 21
ha/lfa af 32
haltanly F 1
el-hdmda ri 65 E 5
hamtlik do 57
hamldtjc s. sur
el-pammdm B 6
el-hammäm ri 25 F 4
hamschclck ok 22
el-hamüschtje su 27
harbele do 66
el-harblje da 7 C 5
(tardsche/e ( wesdwa ) at
20 K 3
har ehe do 25
HAR IM E 5/6 F 5 6
härim E 5
hantan J 5
har stk mu 1 1
hasan biillii ri 22 E 3
hasan gü/kdwi sa 6
hasan uschaghy obasy ri
•3 ES
(tasanderli am 12
hasebdsche/i G 2
hasendscheli ( esendscheli )
ok 14
hafer ok 27 G 2
Hasgara (Grab des)
F 2
ha sin af 31
ha'Ut ( hdwüt ) is 22 C 4
(tamvdr at 32
hauu’dsch kl 4
hautdr/innahr af 55
hekdsche F 4
hetja ku 58 D 7
hikr el- 'arab arab
tschiftligi) az 4 B 4
hipkanly sa 1 6
hopunun tschaijy F 1/2
el-hstntje sw 30 J 5
hiijük (1 et-tell ) az 6 B 4
/tu tibi si 1 7
humlll ( humtla ) at 54
K3
hürü pighamber II 2
husen Oghlu mu 39
hütenildt ( hutmitel ) af 49
K 3
el-ftwaiz kl 3
jaghla E 7
ja hm ul at 47
jdidschi mf 3 1
jaila D 3
jäjyladschüh ( el-jailad -
SChu(t) S7V 28 C 5
jdhit'ades H 5
jahto da 3 C 5
el-ja'kübije su 33 D 7
ja/angoz do 26
janar dasch C 4
jarlyghan D 5
■ jafdydscha mf 24
ja tag hd n mu 27
el-jdzlje B 5
el-jäzür B 6
jäzy btlgh at 50 J 2
jelbaba at 38 K 3
jeüi japan ri 59 F 5
jetii japan ca 6 F 1
[ jeni japan at 25
jeni schehir s. el-birak
jeniköj F 4
, igde at 34
iki achor do 61
'
ikl dam mf 17
liizdsche do 23
‘i/eddln (‘ alaijeddln ) sw
23 D 5
illizi baghtschesi J 2
‘imddly am 15
indschirli sa 12
jOghun uluh ( el-ghuUuh )
sw 2 B 6
jo/cary kürkanly sa 3
G 2
i joluhlar ca 3 1
fonaspfeiler D 3
ischidni gharb do 24
ischkäni schar h do 31
ischtebrah sa 13
el-ishdhlje su 53 D 7
iskdn do 10 G 4
ISKENDER UH C 3/4
D 3 E 3
iskender ün is 2 C 3
ISLA HI /E E/F/G/H 1
ismd'lldschikler mu 29
cl-ismä'lltjc da 12 C 6
juwaly ca 24
jylannedsche mf 4
‘izmcnn de 12 E 6
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I 1
544
Marlin Harlmann:
K.
haha (el-kabn) az 14 B 4
el-kabahhje sw 7 1! 6
el-kdbUslje {hebst) stv 29
B 6
habyrtyh B 6
hadrianly G 2
kafer petra (— kefer
partscha?) G 4
kafermes (— hefermiz)
H3
kahr kelbln af 43
kaja baschy F 1
haihun su 54 D 7
el-kaile ri 31
kairak is 16 D 3
halla su 10 G 2
el-kal'a H 2
el-kal'a A 5
e/-ha/‘a B 6
el-hat'a D 4
kal'adschik fokdni mu 32
kal'adschik tahtdmmu 24
hal'at el-hufair ku 50
hal'at el-madlh kl 1
kal'at esch-schughr D 7
hal'at sim'dn G 5
hal'at ez-zau C 6
haldnis (huldnis) ku 7 1
halt ddghy ri 3
hämdn mu 30
el-kamberltje ri 61 E 4
hanadschyh mf 1 1
>l-hanje J 3
hanfara at 13
hanfara oh 21 G 3
hapulu E 1
hara aghdtsch is 1 C 3
kara ahrnedh F 2
hara ahrnedh (je) ri 4
ES
hara göz az q
hara hiijüh ri 1 4 K 5
hara busain ( Lira hü-
züllii) is 4 C 3
hara jawasch mf 22
hara ismd'll mu 5
hara kSpri a! 21
hara kuju at 52
kara hurt hulaghy si 1 9
hara hyl mf 27
hara me/ik mf 6
hara mezra'a ( hara me-
zere) at 64 K 3
hara fahal mf 35
hara tepe si 21
hara tut mu 34
kara uschaghy F 1
harabdbil (harababa) sa
38 G 2
Karababa ddghy G 2
karabaschlar do 34
harabdschah (Hafen) B6
Karadasch ddgh ) 2
haradormuschltje s. ko-
jundschtje ez - zaghlre
har ad sc ha ören at 14
harafahly ca 13
harafahly ca 26
haragöl A 5
karagöl D 5
haragöz at 5
Karahüsünlü tepesi C 4
harajdyply ca 1 2
haraklise B 5
haraküsl C 6
el-harallje kr 10 C 5
haramaghdra E 3
harametli (hara afimed/i)
ca 8 F 2
KARAMURT C 4 5
D45
haramurf s. ‘arab hara-
murf
harasltmanli ri 10 E 5
harafu (nähr harafu)
G 1/2 F 2 3 E 3 4
Karatepe B 5
haratschai az 21 A4
haratschor C 6
harbejdz mu 63
harbijdz ( hirbjds ) ku 56
D 6
el-harje da 4 C 6
harkür su 9
harhyn H 3
harlyh tepesi C 5
harnabe J 2
harfO ku 36 D 6
Kar/alalay C 5
harynyhara be 8 D 4
hasch uschaghy am 9
el-kaschmar ( kaschmar )
is 28 C 3
el-has(al ri 66 F' 5
hastal mu 7
ka s fön su 12
hafma af 4 H 3
hdtyranlyh ca 25
haukard is 12 D 3
kazal uschaghy ca 7 F 1
hazandschih A 5
Kazyhly C 5
iebse s. el-kdbüslje
ke'lbc af 44
kefer bafra do 52
kefer ghanl at 35
kefer kelbln at 53
kefer miz (kafermes) s,
22 H 3
kefer partscha at 40
kefer rabtm at 65
kefer rüm si 18
kefer fafra do 79
kefer schll do 40
kefer tschüsch at 41
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschcbel Bereitet. 545
kef erdete da 37
kefiz mf 49
ktfr ‘tlbid ku 43 1) 6
kt fr antün (küfr allein)
af *5 J 4
ktfr chdschir af 17
kefr fiüm E 5
ktfr ndjd af 23
kefr ndfifi af 24 J 4
kefrbaslm H 5
kefre af 51
kefrendsche su 23
kefrenne E 5
kefrztd do 9
el-kehra ( ekis uschaklar)
ri 45
kehr ts mf 36
keldlrän sw 44
Keljandschyk B 5
ke/kümen H 1
keller C 7
kthadsthuk ( keslcdschuk )
sw 11 C 5
kenisa Snü (kilse) az 1 1 B 4
Ktreschir dägh H 2
kerkib D 3
ktrküd/ü F 1
kersen ( kersan ) du 47 H 4
ktschik kürzet am 20
kesehkenU ku 24 I ) 6
kes/edsehuk s. kelsadschuk
kesrlk (kt senk) az 1 B 4
kesten su 6
ketnn su 46
kewkäf? do 45
kezdbresch G 2
kt zd re H 2
kfer fakab E 6
kferdebbln E 7
kf erklär su 14
kiff ln af 22
killiz (klls) J 2
el-kilse s. kenisa Snü az
11 B 4
kinidja su 22
kip/dn af 40
kirbe do 78
kirbjdz (karbijäz) ku 56
D 6
kisär af 60
plaidln kl 6
k/aizän (kllzän) ku 68 1J 6
klls s. killiz
el-knaije(el-knljt)de 1 3 D7
el-kntbrtj ku 39 D 6
knlsel en-naehle su 38
knlsel es-saijide B 6
ködakö sa 7
kodscha obasy ri 57 E 5
kodschalar mu 28
ködschaman do 32
kodschanly ok 33 G 2
kodschanly deresi G 2
kodschik si 25
kojundschljc el-keblre r/48
kojundschlje ez- zag hl re
(karadormuschllje) ri
49 E 4
kökebe do 50
komur Isehukuru az 19
u. kr 8 D 4
kör afimed hiijügü mu 26
kor deresi (korderes) sw
33 B6
Kör oghlunun geri F 2
körmtn/inin gedigi E 3
körlük si 24
käse afimed oghlu obasy
ri 69
kösejdnli sa 43
kn/an/v am 7 H 2
kölen/i am 8
kölü göl D 3
kölüköj ri 24
kosdsehughaz mu 23
el-krdkslje sw 10 C 5
krüm mf 1
kubäb ( el-kubaib ) ku 75
D 6
küfr fata ri 36 E 4
kuju deresi J 2
ku/dnis (ka/dnis) ku 7 1 E6
külgüman ok 29
kül/ü dschibrin af 19
kulsurudsch af 33
küllün D 2
künah ? ca 22
kundsehur oghlu obasy
ri 70 E 3
kunlfara at 2
kürdn do 27
kürdn/y sa 27
kürd bdgh az 16 B 4
Kürddäghy G I lz '3 H 1 /2
j Kürd geri F 1
Kürd jüsuf F 2
j kürd ndfir ri 43 E 3
kurdo obasy ri 56
kur dsch oghlu ri 27 F 4
küredschi ca 20 E 2
kürkän do 35
\ kur ne ok 1 1 H 2
el-kurrlje ku 74 D 5
kurfbil/O ku 47 D 6
kurt ku/aghv si 20
kurt uschaghy am 10
kurt ly is 10 D 3
kurl/y fenk is 11
kürlündschller mu 1 7
Kuru ddgh F 1
kuru göl am 5
I kürzet ok 5
[ kürzet do 4
küsd afimed obasy ri 23 E5
EL-KUSAIR C 6 7
D 5/6 E 5 6
I
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Marlin Harlmaun:
546
kuschdschu mf 32
Kuschdschu F 1
küschdsche ‘dr ( kuschte
•dr) af 13
kuskun gyrdn mf 46 K 2
ku/schi {kitscht) su 49
kütschüdsche kSj be 1 o D4
Küts c hük Damryk («2
kütschiik kardtm mu 21
kütschük karkyn am 18
Kütschük Kafyran/yk G 1
kütschük säbikanly ok 3 1
kütschük tschcrtschi/i ok 1
kütschüti E 3
el-kuwaislje sw 36 C 5
kuztni? ( kyzyl göl?) mf
25
kuztni (tuzena) mf 10 J 2
kuzuldscha (kyzyldscha)
ku 11
kytly sa 37
kylly boz oghlu obasy ri
67 E3
ei-kyllyi ri 30 E 4
kynysanly F 1
kyradsch obas ;/ G 2
kyrly C 4
kyrmytlyk am 28 F 3
kyrykchdn ( chan de/ibe-
kirli) ri 46 E 4
kyschta is 27 C 3
kyfsadschyk al 57
kyzlar iabury F 1
kyzlar kalcsi D 3
kyzlar kalcsi D 4
Kyzyl dagh A 4/5 B 4/5
C 4/5
kyzyl kmd mu 37
kyzyl mezra'a al 30
kyzylbaschlar H 2
kyzylkaja ri 35 E 4
kyzyllar ca 27
L.
tl-lauschljc sw 16 B 6
Lltim ddgh (i 5
Lelit hüjüjü J 2
LI WA DSCHEBEL
BEREKET I) 1/2/3
E 1/2/3 F 1/2/3 G 1/2 j
H 1
LI WA EL-LADKIfE
A 7 B 7 C 7
M
ma'arra (tna'ara) ] 5
mabäfly ok 20 G 3
el-maghdra B 5
magharadschyk mf 3
magharadschyk mu 3
magharadsc(t\k ( el - mu-
ghäjir) sw 20 B 6
el-maghda/a ku 23 D 6 |
mabmudli ( achras oghlu
obasy) ri 47 E 4
mahsircdschik ok 17 G 3
makdm el-chidr B 6
maliklje af 8
mama/y sa 18
ma'mül uschaghy sa 21
el-manfürljc ku 17
mar'andz ( maranes ) af
2 J 3
mar'aschly boghazy kr 13
»4
ma'rata af 6
ma'rata af 29
ma'rata do 41 G 3
mardegän J 3
ma'rln at 60 J 3
mar so ku 54
marsowa s. merscwi
maschale s. mcsch'ale
el-ma'schükljc (el-ma-
‘schüka) da 17 D 5
mastepc (d-maftaba) ri
■ 8 Es
ma'üldschek sa 24
mcdtXja do 16
meddndschük sw 45
mtddnkt si 16
Mehemct baghin hüjüjü
G 1
MEN BID SCH FU-
KANI\ MU.MRUDSCIt
RA WAND AN) J 2 K 2
mcngüllje ( el-m.)sw 1 3 C5
mcnndnin köji mu 74
mcrddnly mu 54
mcrjamln af 9
merscwi ( marsowa ) mu
59 H 2
mesakdnly sa 1 7
mcsch'ale (maschale) si
5 H3
meschtd räm «<25
metin/i si 2
mezra'a mu 67
mezra'a fchdhln al 7
mezra'a t bäwerde ku 69
mezra'at haiischi pasetus
ku 66 E 6
mezra'at et-lurkmdn ku
28 n 6
mczra'u/la af 41
mghairün sw 8
mghldla de 3
el-mijddün B 6
minddir mf 43
minil? J 3
minnigh af 16 J 3
mirjamin E 7
mirjäs tu 38
mir mir dn ri 55
mischdnö ku 49 I) 6
mischetil mf 40
mischmschan su 4
Digitized by Goos
Das Liwa Halcb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dscliebel Bereket. 547
el-mischrdkljc sw 6 B 6
misirdschik mf 28
miske do 28
mkdltruf ku 60 D 6
mlend su 44
moijit tl-ba(ira D 5
moraly s. es-sirdallje
el-mughdjir s. magha-
radschyk sw 20 B 6
Mughyr E 2
muhammtdlje do 21
miilki dcwerdn mf 34
MUMBUDSCH BA-
WANDAN s. MEN- '
B1DSCH FOKAN1
murdd hüjügii mu 6 9
murdsch esch-schic h C 6 j
mürdschümlii }u A 4
ML'SABEKLI J 1/2
musko sa 13
muffa/a agha tschiftligi
D4
mütmüte do 77
myrghyi at 29
N.
nähr et-abjad D/E 7
nähr ‘■afrln J 2 H 2/3, 4
G 4 F 4/5 E 5
nähr aghtschai D 3
nähr el-'äf (Oron/es)
E 7 6/5 D5 C5/6 B6
nähr baildn C 3
nähr el-balrakin C 4 D 4
nähr el-bdwerde D 6 E 5 / 6
nähr el-chaftb C 5
nähr el-chischschdbe D 5
nähr dschanbutadri 7 E 5
nähr el-fauwdr C 5
nähr el-kafa C 6
nähr koramurf D 4
nähr koraju s. karafu
nähr karatschai el-krhir
(büjük kora/schdt ) B 5
C 5/6
nähr karatschai czzaghtr
(kü/schük karatschai)
CS/6
nähr el-kcbtr stv 26
nähr t}-sl]äd az 5 B 4
nähr ez-zaghlr sw 27
n'airljc sw 18
narlldscha ( närindscha )
ku 13 D 5
narlydscha mf 13
narlyk A 5
narlyk B 5
Naulu ddgh C 4
näz uschaghy si 1
ncba‘ el-fauwdr C 6
ncbul H 4
ncrgez/ik is 3 C 3
ncrgüz oghlu obasy ri
60 E 5
nerwdne do 22
nlgcre (nijara) at 44 J 3
cn-nlka E 7
nijara $uju J/K. 3
nisri do 18
nah uschaghy ca 2 F 2
nur (taidar ? mu 31
nürkdn do 59
0.
Ogh/ansini B 5
oijlum at 61 K 2
el-okdschltar ku 52
öksüzlü ok 16 G 3
OK TSCHU ‘ IZZED -
D1NLÜ G 2/3 H 2/3
‘ömcr agha Omunuii
ogh/u ri 58 F 4
‘ömtrdschik mf 5
‘öpiilo (jarküb) H 2
orduköj(urduknj) ca 30 F2
Orontcs s. nähr cl-‘df
‘ötmanty sa 15
Szerll D 2
P.
PAfAS D 1/2/3 E 1/2
pajas D 2
Parsa ddghy J 3
paschahüjük ri 20 E 5
paschaköj ri 26 F 4
pcndcrekli ( pcnderik ) sa
35 G 2
Pcnderik tepesi G 1
penje do 67
pertikli ok 24
Pctrolcumquellc B 4
pitpitc do 38
Po/at/y ddgh J 2
pul tu sa 3 1
puiiar baschy F 2
B.
rabat tschai D 2
rd'il at 28
ramddlje do 58
rds el-'ain do 55
rds et-chanzlr A 5
rdwanda mf 16
redscho obasy sa 14
er-rlftd/l ri 72 E 3
ER-RIHAXIfE D 4/5
E 34/5 E 3/4/5 G 5
rimädtje de 10
rklje H 5
rum/dk su 40
rütänly do 72
S.
sa'atli mu 47
fabar mf 39
fdbun fuju H 2
I
I
Digitized by Google
548
Martin Hart mann:
{dghyr obasy am 4
cf-fai D 3
es-saijar az 25 ß 4
saildscha ( sailydscha ) sll-
dscha sw 12 C 5 j
{aka/lutan D 3
sakar üküz A 5
sdkyt i'j 9 D 3
salkin E 6
salkja ku 55
salmanly ca 1 F 1
salyhgatsch is 17 D 3
samandere a! 26
es-sammdnlje ri 29 F 4
{andyrän sw 21 B 5
sarandschik? sw 41
sa'rindschck (saryn-
dschyk) st 14 H 2
Sarmy sakly owa B 5
{ary kurtlu ca 3
{ary rnazy bc 1 C 3
{dry seit I) 3
{dry seki (uju D 2/3
{dry fu D 4
{dry uschaghy sa 4
saryndschyk H 2
sdfjdn do 36
sd(y uschaghy sa 23
{ aurdtt ( fOrdn ) ( {auran )
«/ 5° K 3
sdwa s. hardschele
{tncuk {uju ri 50 D 4
scha'ably mu 55
sehädijdniy sa 9 G 2
schahdir do 8
schdhsini s. e/sch-tschak-
süntje
schäincch gemrigi mu 14
SCHA1CHI.AR F 3 !
G 2 3
sc hat fdn do 65
schakschak A 5
schamdfir mu 61
schar kijanly ok 8
scharränly st 6
esch-schdtürlje su 30
schlch anga/a am 26
schlch chorus mu 46 H 2
schlch jd‘ö af 26
schlch koj (dai ‘at esch-
schlch) ku 46 C 6
schlch saijidi do 1
schlch sindjän su 16
schlch sltmdn dschenlddt
obasy ri 53 F 4
schlchly F 1
schlch/y ( schlchhjc ) az
20 A 5
schekere C 3
schembik s. schtmmlk
schcmmlk ( schembik ) be 7
d4
schendrlsch su 21
schenikdsche mu 70
scher efll? ca 21
scher scheb sa 19
scherscheb am 29
schilt F 3
schilt tschakallysy am 30
SCHIKAGhV H 2/3
schiigln mu 13
schiltah mu 58 H 2
schimmaryk at 42 J 3
Schimmer rtn J 3
schingil ok 28
schlr mezra'asi mu 56
schlraz mf 23
schilkdn do 60
schmllln J 2
schorba oghlu am 13
esch-schtäl az 28 B 4
esch-schughr su 57 D 7
schwdra‘1 el-dschauz af 7
schwdra'at el-erz af 59
schwlrln at 27
sedscheräz ( sadscharas )
af 3 J 3
es-sefertje ku 44 D 6
! se/erlje do 75
[ sljdar G 1
sl/dscha s. saildscha
Seleucia (Ruinen) B 6
slmälikli ( slmd/ik ) sa 33
| H 2
Samara am 27 G 4
slwe at 18
e{-{ibd(aje { subha ) ku S
siblirüz mu 1
silklär D 5
] si/kdnly si 8
es-sinndnlje da 15 C 6
sinibbol af 57
sinob su K 2
' es-sirdaltje ( morafy ) kr
| 12 D 5
skütijd / D 6
j Söbedschc tepe/eri B 5
{Oflar s. {uflar ku 5 1 C 6
1 {oghdnek do 73
{ Oghanly ({oghandschyj
be 9 C 4
söjüllü mu 9
söjütlii mf 51
sokulitk s. {ttkluk az iS
C4
söut ca 17 F 2
spanak mf 7
südschü at 45 J 3
{uflar ({oflar) ku 51 C 6
(ufün ({ ufun ) is 23 C 3
suk/uk (sokuluk) az 18
! C4
(u/ak/v ok 4 G 2
{ülu moghdra F 1
es-sümberlje sw 24 C 5
I sur (bamldtje) G 2
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Das Liwa Haleb (Aleppo) und ein Teil des Liwa Dschebel Bcrekct. 549
e s-sürlje fe 30 D 6
süstje el-keblre s-w 34
süstje ez-zghire sw 35
yuukfu chany D 4
ES- S WED I JE A 5
B 5/6 C 5/6 D 5
sydschanly ri 5
sydscharllje F. 5
T.
tachtaly J 2
tachtaly karatul mu 38
tädschirli ogh/u obasy
ri 68 F 5
tadschdyn/y mu 53
fdhir agha tschiftligi de
16 F, 7
/ ambürdli mf 8
ef-tdnischmdnlje ku 10
et-taraschllje sw 31
lardly A 5
tarzime chdn J 2
tdschly ftyrby/ af 28
tatarly az 24
/afftums at 1
tdtja (fafja) at 43 J 3
taflar gemrigi mu 6
tut mar äse h (talmarsch)
af 11 J 4
Tazy däghy B 5
TEJEK E 2 F 2 G 2
tejek F 2
tekmedschik kas/aly B 7
Uknit el-moi B 5
tclehn af 52
telif do 54
et-tell s. hüjiik az 6 B 4
teil abu tat ha E 6
teil el-achdar ri 51 F 5
teil ‘adschär ( te/l ha -
d sc har) af 14 J 4
teil 'ammär ku 67 K 6
| teil ‘är at 63
teil däüd pascha ri 52
F 5
teil häbesch at 15 K 2
teil el-habesch ku 16
teil hammd do 56
teil ibrahlm mf 29
teil rfdd af 20 J 4
teil tawll am 19 G 3
tellhsln at 39
tellhusln mf 14
tcllscha'lr at 6
le/lsil/dr do 14
et-tenndrlje de 9
tepe do 49
tepe obasy sa 44
lermanln G 5
ter schäm at 49
tersckikln at 59
lesbi F 1
Tespili hüjüjü F 1
tibil at 48 J 3
tilmiz mf 9
Ulla ne af 35
tinnib af 12
et-tirfe s. ef-turfe
tlll el-himblas ( tlil ham-
blas) yw 9 C 5
tlll el-hizh sw 3 8 C 5
tlll sc bar kl ku 2
et-tlül ri 8 E 5
(öghlu at 36
lähme ogh/u obasy kr 14
D 5
foibuk ( toipuh ) at 19 K3
lokal H 5
jop boghazy ri 64 D 4
fop kajasy kr 15 D 4
foprak hifdr ? (= bä-
werde?) D 6
torun ri 41 E 3
(orun K 4
Trappisten - Nieder-
lassung F 1
et-trundschhje s. tu-
rundschlt
tschaghly koz B 5
tschaghylghdn B 5
Tschakal biikünüh geri
F 1
tschakal/y be 4 D 4
Ischakally do 30
tschakaltepesi ri 6 E 5
tschakmak sa 29
elsch-tschaksünlje ( schah -
sini) su 31 C 6
tschalkama ogh/u sa 25
tschamdnly si 7
tschamurly ( etsch-tschd -
murllje) D $
tschämy fu A 4
elsch-lschanak/l/e B 5
t schar chyt ly sa 28
j tschardak E 1
tschatal hüjiik ri 2 F 5
j tschatal kuju am 3
tschatal zijdret do 69
I Tschataltepe F 2
Tschataltscham C 5
tscha/man is 8
etsch-tschaullk B 6
tschdwuschin köj mu 64
tschekmedsche S7V 42 C 5
1 tschenikdsche mu 70
/schenk az 12 C 4
tschentschenli sa 30
tscherkessköj D 4
tscherkesskäj D 5
tscherkessköj D 5
tschertsche kaja ( tscher -
tschü kajasy) az 1 7 C4
tschifta kas/al C 5
Ischflkdn/i sa 41
tschiftlik af 58
.1
:1l
I
l
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550 M. Hartmann: Das Liwa Haleb (Aleppo) u. ein Teil d. Liwa Dschebel Bcreket.
tschi/Hik el-efendi E 6
tschiftlik reschld lighä
ku 80
tschiftlikän ? ku 81
tsc binar mu 16
tschkd su 32
tschokmerzimen D 2
tscholakdn do 33
/ schär eklik mf 37
tschoschlu ri 44 E 3
tschutfur oba vif 47
tschukurjurt ri 15
tschybykly C 5
et-tuffdhlje su 43
tulfk az 22 B 4
tumama C 6
tummas kllsasy B 6
(urakl)' si 11
(urfando ku 53 D 6
ef-furfe (ef-firfe) ri 16
ES
(Urin E 7
turkmdn oktschllar ? ku
52
türkmen bdrifr af 48 K 3
turont s. (urunda
turuk A 5
(urunda ( turont ) ( trundo )
do 3 H 3
turundschli (ft - (rund-
schlije) sw 3 7 C s
tut tu hüjük ri 12 E 5
U.
el-'ubidlje ku 5
übln su 52
Üdsch Ören F 2
‘ugan/y ok 7 H 2
ütbül at 37 K 3
ümüsch chatun obasy ri
34
EL-URDUü 6 7 C 6 7
el-urdu C 7
urduköj s. orduköj ca 30
F 2
Uresel ntmen dtlgh J 2
ütschpynar mu 62
'uu'llln at 3
uzun r» 32
w.
tvädi dschereb ( dscharab )
jk/ 39 C 6
wahwln at 8
wasch af 38
wa(a ez-zembeki E 6/7
well agha uschaghy ri
63 E 3
welikli sa 34
wir egen mf 18
widschli ok 30 Hl
WILA JET A1) ANA
D 1/2/3 E 1/2/3 F 1/2/3
G 1/2 H 1
WILAJET BEIRUT
A 7 B 7 C 7
wirik/ar mu 35
el-wuhdb az 2 B 4
Z.
zabardn at 11
za'deli (je) at 51 J 2
zaW 1 2
ez-zau ku 45 C 6
m/ 2
zengül mu 65
ez-zerlje C 6
zcrkänly am 1
ztrzür de 14 u. ku 65 E 7
zltünek si 12 H 2
ez-zltünlje sw 1 B 6
ez-zijddlje su 8
zijddlje af 46
eijädlje do 46 H 3
ez-zijdra ku 19 D 6
ez-zijdra su 1 1
zijdra J 3
i Zijdral däghy C 4
J zijdrat en-nebi däüd K 3
zijdrat parsa chatun J 3
zijdrat scharfiabft J 2
zijdrat esch-schlch ‘abld
E 5
zijdrat esch-schlch chahl
C 6
zijdrat esch-schlch frasan
DS
zijdrat esch-schlch ismd'll
G 2
zijdrat esch-schlch jahja
J 4
zijdrat esch-schlch man-
für J 2
zijdrat esch-schlch man-
für C 5
zijdrat esch-schlch mu-
bammed J 2
zijdrat esch-schlch mu-
hammed el - warfäwi
J 3
zijdrat esch-schlch müsa
»5
ez-zilfkänhjc kr 5 D 5
zille tschai C/B 4
zdbölar mu 41
ez-ZOf su 42
Zorkun tepesi C 4
Druck ron W. Pormotter, Berlin.
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Zntkchr d GckdUch f Erdkundr ru B«rhn . Bd XXIX IBM Tafel 7
fl «
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Abflufslose Gebiete von Kara*kul und Schor-kul -Kang-kul.
Über Rang «gebiete mit vorwiegendem Plateaucharakter.
Das Übrige gebürt den peripherischen Gebieten an und zwar den Flußgebieten des Syr-darya
im N., des Tarim int O., des Indus im S. und des Anui-darya im W.
— » — • — Reiseweg des Verfassers.
Zeitschrift der Gesellsch. f. Erdkunde ru Herlin Hd. XXIX, »894.
Tafel 8.
Üfcersichtakisze des Pamir,
die Hauptrichtungen der Gebirge darstellend.
Zeitschrift der Gescllsch. f. Erdkunde zu Berlin. Bd. XXIX, 1894. Tafel 9.
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Mus-Ug-atft von Westen; Austritt des
S. H.
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Zeitschrift der Gesellsch. f. Erdkunde *u Berlin. Bd. XXIX, 1894. Tafel it.
Digitized by Google
Tafel 13.
icrforechtes Gebiet
tlongondo- Gebirge
>r.^t liö* Iwt u Slrmdr v Wilhelm Crtve
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ZeiHchr. d. GetelUch. f. Krdk. zu Berlin, Bd. XXIX, 1894. Tafel 14.
Digitized by Google
▲neloht der aum Teil Ins Meer gesunkenen Gegend von Halmyra; linke Wohnhaus, rechte Mühle, dazwischen
Lande traüse.
Zcitschr. d. Gescllsch. f. Crdk. zu Berlin, Hd. XXIX, 1894. Tafel 15.
Zeitschr. d. Ge»ellsch. f. Erdk. zu Berlin, Bd. XXIX, 1894 Tafel »7.
Die grolee Spelte oberhalb der Stadt Atalanti bei der Quelle P&sari; die beiden Soldaten geben die Sprunghöhe der
Spalte an.
Avvfrvjv «? v < Ä XtÄ4i in
fl y^/y,/^^^>a»g fb&n-sc&v /wvkj .
___ ,- d£tv9A*vv%cllC %J»n4n oowv 8 /£ö feXpti.^ l89a*-.
c) ^V^VVV/VVVV*V . - n p u A5j9fl- p ”
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Demnächst erscheint im Verlag von W. H. Kühl, Berlin W g.:
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änbifl liegen Don ber allgemeinen Slatnrfunbe“ nor : »rebln. Tierleben, 10 fealbleberbänbe an
Mart — Oaade. adioylrmg ber Tiertoelt. 3it tyrlblcber, 15 SKarf. — Sanfe, Ter »en|H,
blcberbänbe jn je 15 Marl. - flatjtl. »eirerlnnbe, 2 Cwlbleberbflnbe jn je 16 Sinti. - «errter,
Sflanicnlefceu, 2 fcalbleberbünbe ju je 16 Slarf.
Grfie Siefmutgen burd) jebt »udjbanblung jur «nfld)t. — ^rofpelte lofttnfrti.
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bearbeitet im
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