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Full text of "Theorie der Heilkunde"

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Bayer. Staatsbibliothek 



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GEORG ERNST STAHL’S 

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Theorie der Heilkunde. 




Herausgegeben 


. von 

KARL WILHELM XDELER, 

Doctor der Medicin und Chirurgie, dirigirendem Arzte der Abtheilung für 

Irre im Charite'- Krankenhause zu Berlin. 

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Crfter 

Physiologie. 


Berlin 1831. 

Verlag vnu Theod. Chr. Friedr. Enslin. 

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Sr. Hochwohlgeboren 

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dein Herrn 

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Ludwig* Ideler, 

Doctor der Philosophie, ordentlichem öffentlichen Professor der 
Mathematik an der Friedrich -Wilhelms •Universität, Königlichem » 
Astronomen, Mitgliede der Akademie der Wissenschaften, 

Ritter des rothen Adler- Ordens dritter Klasse, 


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aus inniger Dankbarkeit gewidmet 


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von dem Herausgeber. 

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Ihnen eine Gabe darzubringen, theurer 
Oheim, deren Werth meiner regen Er- 
kenntlichkeit gegen Sie . nicht ganz, unange- 
messen erschiene, dies war längst der tief 
gefühlte Wunsch meines Herzens. Denn 
dafs ich einer wissenschaftlichen Ausbildung, 
und durch sie eines Wirkungskreises theil- 
haftig wurde, in welchem jedes Interesse ' 
meines Gemüths volle Befriedigung findet, 
verdanke ich zunächst Ihrer väterlichen Güte 
gegen mich. Sie waren mir Vorbild und 
Lehrer, Sie leiteten mich in den Jahren 

jugendlicher Unerfahrenheit, Sie widmeten 

• , • * 

mir in allen Angelegenheiten unausgesetzt 
Sorgfalt und Hülfe. Welcher Name kann 
mir daher wohl theurer sein, als der Ihrige, 
mit welchem ich mir erlaube, meine Nach- 


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bildung eines Meisterwerks zu weihen, da- 
mit in meinem Herzen die erkenntliche 
Liebe gegen Sie mit der Verehrung eines 
grofsen Denkers sich paare, welcher im rei- 
nen Eifer für Wahrheit und fortschreitende 
Vervollkommnung des Menschengeschlechts 
Ihnen geistesverwandt war. Nehmen Sie 
gütig diesen treuen Ausdruck meiner Ge- 
sinnung auf, nach welcher Ihre Wohlfahrt 
eine wesentliche Bedingung meines eignen 
Lebensglücks ist. 

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Ihr 


* ' dankbarster Neffe 

■ . K. . W. I d e 1 e r. 


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Vorrede. 


Ls war anfänglich meine Absicht, in einer, der vor-* 
liegenden Bearbeitung von Stahl’s Theorie der Heil- 
kunde vorauszuschickenden Einleitung auf die hohe 
Bedeutung derselben aufmerksam zu machen. Bald 
wurde ich indefs gewahr, dafs die Ausführung dieses 
Vorsatzes die engen Grenzen einer Vorrede weit über- 
schreiten würde; auch schien es mir nothwendig, dafs 
die Lehren Stahl’s erst wieder ein Gemeingut der 
Aerzte, denen sie fast nur dem Namen nach bekannt 
sind, werden müfsten, ehe man hoffen dürfte, dafs eine 
Denkschrift über sie Aufmerksamkeit erregen werde. 
Ueberdics hat er selbst in einer, dem eigentlichen 
Texte seiner Theorie vorausgehenden Abhandlung: de 
scriptis suis ad hunc diem schediasmatibus vindiciae 
quaedam et indicia, den Standpunkt seiner Forschung 
so genau bezeichnet, dafs eine Uebertragung derselben 
dem obigen Zweck vollkommen genügt. Es mögen 
mir daher nur einige Worte über die Beweggründe, 
welche mich zur Herausgabe seines Systems unter ge- 
genwärtiger Form bestimmten, vergönnt sein. 

Stahl’s Lehre ist eine Saat, welche von Dornen 
und Diesteln überwachsen, seit einem Jahrhunderte 
im Schoofse der Zeit begraben lag, und nicht eher 
zum fruchtbringenden Gedeihen emporspriefsen kann, 


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bis nicht jenes Hindemifs hinweggeräuint worden ist. 
Nicht läugnen mögen wir es, dafs er selbst Begriffe 
aufgenommen hatte, deren Verzweigung, viele schöne 
Keime erstickte, wenigstens deren Entwickelung eine 
schiefe Richtung gab, und dafs er somit einen TheiL 
der Schuld trägt, welche die Wissenschaft von der 
lautersten, durch ihn eröffneten Quelle der Erkennt- 
nis ableitete, aus welcher sie frisches Leben hätte 
schöpfen sollen. Stahl „war von einem erofsen Ge- 
danken, nämlich von der heilkräftigen Ordnung der 
menschlichen Natur, dergestalt durchdrungen, dafs er 
alle Begriffe, welche sich in jenem nicht unmittelbar 
auflösen liefsen, hintenan setzte. Deshalb blieb ihm 
das materielle Verhältnifs, welches * allerdings keinen 
inneren Grund jener Autokratie enthält, vielmehr mit 
derselben in mannigfachen Widerstreit tritt, ein rein 
passives, ungeachtet namentlich Glisson ihm schon 
mit der lebendigen Ueberzeugung vorangegangen war, 
dafs auch in der Materie thätige Bedingungen zur Her- 
vorbringung der Erscheinungen enthalten sind. Daher 
seine zu weit getriebene Geringschätzung der Anato- 
mie, ja selbst der Bildungsthätigkeit, in sofern sie nicht 
unmittelbar aus seinem angeführten Grundbegriff ver- 
standen werden kann, sondern nur in mannigfachen 
Formen und Systemen sich offenbart, denen man eine 
selbstständige Bedeutung nicht streitig machen kann, 
da die Lebensthätigkeit vielfältig durch sie modificirt 
wird. Diese Andeutung genügt, um die Einseitigkeit 
seiner Lehre, welche viele wichtige Thatsachen ver- 
schmäht, zu bezeichnen. Denn wenn es der patholo- 
gischen Anatomie grofsentheils Vorbehalten bleibt, die 
Wege und Stufenfolgen zu enthüllen, auf welchen das 
erkrankte Leben in seinen Verbildungen fortschreitet, ‘ 
nach denen seine Erscheinungen nur begriffen werden 
können; und, wenn die Forschung nach 'so wesentli- 
cher Grundbedingung eine hohe Veredlung der anato- 


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mischen Kunst voraussetzt: so hat Stahl sich durch 
seinen rühmlichen Kampf gegen die Jatromathemaliker 
und Chemiatriker, denen das Materielle Alles war, 
zu dem fast eben so fehlerhaften Gegensätze fortreifsen 
lassen, nach welchem dasselbe Nichts sein sollte. 

Wenn schon der Meister so sehr irrte, um wie 
viel verblendeter waren seine Schüler, denen es auch 
in der That gar nicht gelang, sein Ansehen geltend zu 
machen, da sie nicht einmal den wesentlichen Sinn 
seiner Lehre, wie ich ihn oben andeutete, fafsten, son- 
dern sich für verpflichtet hielten, den von seinen Geg- 
nern so sehr, angefochtenen Grundsatz von der Iden- 
tität der Seele und des Lebensprincips mit allen mög- 
lichen Scheingründen in Ermangelung von überzeugen - ! 
der Erkenntnifs zu vertheidigen. Eben dadurch gaben 
sie aber eine zu auffallende Blöfse, weil sie sich in 
unfruchtbaren Metaphysicismus verloren ^ als dafs sie 
nicht den Vorwurf der erfahrungs widrigen Träumerei 
hätten auf sich laden sollen. 

Es bedarf aber nur der Anführung einer einzigen 
Stelle, aus Stahl’s Theorie selbst, um zu beweisen, 
dafs er auf diesen Streitpunkt gar kein so wesentli- 
ches Gewicht legte, weil er wohl fühlte, dafs die Ent- 
scheidung darüber aus Gründen gefällt werden müsse, 
welche, das tiefste Geheimnifs des Lebens berührend, 
nie zur Evidenz erhoben werden können. In dem 
Anhänge zum ersten Theil seiner Theorie, welchen 
ich, da er aufserdem nur Wiederholungen früherer 
Sätze enthält, in die Uebersetzung nicht aufgenommen 
habe, sagt er nämlich ausdrücklich: Non opus est ad 
me die um scopum operose hic disquirere , an vere 
immediate ipsa anima sit rectrix Vitalis actus . 
Es war nur die wunderbare Harmonie aller Lebens- 
bewegungen im gesunden und selbst im kranken Zu- 
stande, das deutliche »Streben derselben zur Erfüllung 
des gemeinsamen Zwecks, nämlich zur Erhaltung des 


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Körpers in seiner unverletzten Beschaffenheit; es war 
die Unmöglichkeit, diese wesentlichen Bedingungen des 
Heilgeschäfts aus materiellen Verhältnissen einzusehen; 
es war endlich die weit verbreitete Herrschaft der See- 
lenthätigkeit über den Körper, welche die wenigsten 
in gleicher Klarheit und Lebendigkeit begriffen haben,' * 
was ihm jene Ueberzeugung aufdrang, die er indefs 
nicht mit, spekulativen Grübeleien, sondern stets mit 
unbestreitbaren Thatsachen zu beweisen suchte. That- 
sächliche Wahrheit, aufgefafst von einem in das in- 
nerste Gewebe der ursächlichen Verhältnisse schauen- 
den Geiste, ist es also, was seinen Schriften einen 
Werth für alle kommende Zeiten verleiht, die ihm 
einst das Verdienst, eine wahre Reformation der Heil- 
kunde angefangen zu haben, zuerkennen werden. 

Wäre bis jetzt nur ein einziger unpartheiischer 
Forscher aufgestanden, welcher eben jene grofsen Wahr- 
heiten aus den dialektischen Verstrickungen und dem 
Ueberschwall von unbeholfenen Sprachformen, in welche 
Stahl sie leider verhüllte, befreit, und aus dem bethö- 
renden Kampfe verblendeter Gegner errettet hätte; um 
wie viel heller würden sie uns jetzt strählen, und uns 
das geheimnifsvolle Naturwirken offenbaren ! Aber nicht 
begriffen von seinen Zeitgenossen, wurde er durch 
Fr. Hoffmann und Boerhaave aus dem Gesichtskreise 
der Menge entrückt, und einer Vergessenheit preis gege- 
ben, in w elcher nur wenige ihn aufgesucht, und mit freu- 
diger Bewunderung von ihm gesprochen haben. Wenn 
Platner, und in neuerer Zeit Wiodischmann und Franke 
ihm Anerkennung zu verschaffen suchten; so verhall- 
ten doch ihre Stimmen, weil man in zu grofser All- 
gemeinheit gegen ihn Parthei genommen, und sich über- 
redet hatte, dafs von einem Manne, welcher der Heil- 
kunde das Auge (wie Rollink die Anatomie nannte) 
hatte ausstechen wollen, unmöglich etwas Tüchtiges zu 
lernen sei. * Haller hatte ihn selbst einen Homo acris 


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et metapkysicus genannt, und in diesen wenigen Wor- 
ten, welche als ein Anathem über ihn ausgesprochen 
waren, kann man sein ganzes Schicksal bis jetzt lesen. 
Ohne dasselbe weiter durch alle Mifsverständnisse, ge- 
flissentliche Wortverdrehungen und hämische Insinua- 
tionen, denen er ausgesetzt gewesen ist, verfolgen zu 
wollen, begnüge ich mich mit der kurzen Bemerkung, 
dafs Hallers Kritik über ihn *) ein Muster ist, wie 
man eine solche nicht schreiben soll. Denn anstatt 
Stahl’s Grundbegriffe bündig zusammenzustellen, . raffte 
er aus den zahlreichen Schriften seiner Anhänger ab- 
gerissene Sätze zusammen, deren Widerlegung ihm nicht 
schwer fallen konnte. 

Ehe daher etwas zur Ehrenrettung Stahl’s und zur 
Verteidigung der von ihm aus tiefster Naturanschauung 
verkündigten Wahrheiten unternommen werden kann, 
ist es unumgänglich notwendig, sein System in der 
ursprünglichen Verfassung wieder herzustellen. Zur 
Erreichung dieses Zwecks würde indefs eine neue Auf- 
lage seiner Theoria medica vera , welche schon an- 
fängt, eine litterärische Seltenheit zu werden, keines- 
weges genügen, da sie schwerlich dazu beitragen mögte, 
ihm viele aufmerksame Leser zuzuwenden. Allgemein 
und gerecht ist die Klage über den schwerfälligen, 
weitschweifigen, veralteten, oft fast unverständlichen 
Styl, in welchem dieselbe verfafst ist; über die ermü- 
denden Wiederholungen, durch welche sie weit über 
die* Gebühr in die Länge ausgezerrt worden ist; über 

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die beinah endlosen Redesätze, welche man oft wie- 
derholt durchlesen mufs, um in ihnen den Hauptge- 
danken aus überflüssigen Nebenbemerkungen heraus- 
finden zu können. Man mufs eine starke Ueberzeu- 
gung von einer lohnenden Ausbeute des Studiums der 
Stahl’schen Schriften mitbringen, wenn man sich nicht 


' *) Elementa physiologiae Tom IV. pag. 517 serj. 


XII 


/ 


\ durch die Schwierigkeiten bei jedem Schritte ztlrück- 
schrecken lassen will. Man würde es kaum begreifen 

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können, wie ein so geistvoller Denker seine Sprache 
- in einem so hohen Grade habe venia chlässigen kön- 
j nen, da sie jedes Erfordemifs eines klaren, fafslichen, 
präcisen 'und lebendig fortschreitenden Vortrages ver- 
missen läfst, wenn nicht die Eigen thümlichkeit seines 
Genies hierüber Aufschlufs gäbe. Es ist nämlich die 
Fülle und Kraft der Gedanken, die sich ihm in die 
Feder drängten; es ist die wissenschaftliche Begeiste- 
rung, welche ihm zum Feilen und Abrunden seiner 
Darstellung nicht Zeit liefs; es ist der umfassende Blick 
des hoch sich aufschwingenden Geistes, der die schein- 
bar ungeregelte Masse seines Reich thums mit Leichtig- . 
keit überschaute; es ist mit einem Worte der Charak- 
ter des Reformators, welcher, indem er den Staub der 
Schule abschüttelte, es vergafs, dafs, auch er die Dis- . 
ciplin derselben nicht entbehren könne. 

Ganz unstreitig hat Stahl sich selbst unendlich 
dadurch geschadet, und zu den seichten Urtheilen über 
ihn Gelegenheit gegeben. Die wenigsten gaben sich 
die Mühe, das edle Metall aus den Schlacken, in die 
er es vererzt hatte, abzuscheiden, und liefsen sich 
nicht durch den oberflächlichen Anblick verleiten, Al- 
les bei ihm für taubes Gestein zu halten. Wenn schon 
zu seiner Zeit, welche offenbar das ausdauernde und 
tiefeindringende Schriftstudium ungleich mehr begün- 
stigte, dennoch ihm ein solches nicht auf verdiente 
Weise gewidmet wurde; wie viel weniger läfst sich 
dies jetzt hoffen. Daher dürfte es wohl ein dringen- 
des, wenn auch noch nicht tief gefühltes litterärisches 
Bedürfnifs sein, Stahl’s Werke in eine zeitgemäfse 
Form einzukleiden, damit der edelste Verkündiger der 
Naturordnung im Menschenleben endlich einmal für 
sie und sich Gehör finde. 

Wenn ich es der Achtung vor meinen ärztlichen 


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XIII 


Zeitgenossen schuldig bin, mich über die Veranlassung 

♦ 

zu meinem gegenwärtigen litterärischen Unternehmen, 
in wiefern dasselbe mit meinem wissenschaftlichen Stre- 
ben als wesentliche Bedingung desselben im Zusam-. 
menhange steht, auszuweisen; so bietet mir diese Ver- 
pflichtung zugleich eine erwünschte Gelegenheit dar, 
den Zoll der wärmsten Erkenntlichkeit abzutragen. 
Durch die Huld Sr. Excellenz des wirklichen Staats- 
Ministers Herrn Freiherrn Stein von Altenstein zu 
dem Amte eines dirigirenden Arztes der Abtheilung für 
Irre im hiesigen Charite-Krankenhause berufen, wurde 
ich zugleich des unschätzbaren Vorzugs theilhaftig, durch 
den Herrn Geheimen Ober-Medicinalrath Dr. Langer- 
mann in dasselbe eingeweiht zu werden. Wem es 
vergönnt war, die Lehren dieses Meisters in der See- 
lenheilkunde zu empfangen, und durch sie aus dem 
Labyrinth des sinnverwirrenden Zwiespalts in der 
psychiatrischen Littexatur auf den einfachen Pfad der 
Natur geleitet zu werden; ihm darf ich es nicht erst 
darlegen, wie ich durch sie in meiner geistigen Kultur 
gefördert, und über das Ziel meines Strebens aufgeklärt 
wurde. Zu den Studien, zu welchen mein hochver- 
ehrter Lehrer mich veranlafste, gehörten namentlich 
auch die Werke Stahl’s, weil nur eine Anschauungs- 
weise, in welcher unter den Erscheinungen des Lebens 
die Aeufserungen der Seelenthätigkeit nach ihrer vol- 
len Bedeutung hervortreten, in wiefern sie nämlich zu 
den vornehmsten Triebfedern des menschlichen Orga- 
nismus gehören, das Element der Seelenheilkundc wer- 
den kann. 

Nur darum gleicht letztere einem abgerissenen 
Zweige, der auf künstlichen Boden verpflanzt, weder 
Blüte noch Frucht treiben will, weil unsre neueren 
medicinischen Theorien -ohne Ausnahme den Lebens- 
prozefs als ein abgeschlossenes, physisches Gan- 
zes geltend zu machen streben, dessen Begriff, wie man 


XIV 


sich auszudrücken beliebt, durch Einmischung psycho- 
logischer Principien aus dem Reiche der Erfahrung in 
das der Metaphysik entrückt werde, und dort allen 
praktischen Werth verliere. Schlimm genug, wenn die 
Psychologie so wenig als Naturkunde, d. h. als erfah- 
rungsgemäfse Theorie des Seelenlebens bearbeitet wor- 
den ist, dafs sie noch immer mit der Metaphysik ver- 
wechselt werden kann. Nichts war nun natürlicher, 
ja nothwendiger, als dafs man unter den Erscheinun- 
gen, durch welche die - krankhaften Geraüthszustände 
sich offenbaren, die rein physischen hervorhob, und 
sie als selbstständige Krankheitsformen, w eiche eine un- 
läugbare Analogie mit den Fiebern, Entzündungen, Neu-r 
rosen u. s; w. haben, nach ihren ätiologischen, noso- 
logischen, prognostischen und therapeutischen Beziehun- 
gen in ein System brachte, wo die Aeufserungen des 
gestörten Bewufstseins als trügerische Reflexe von je^ 
nen somatischen Krankheiten, welche nicht einmal zur 
Diagnose derselben mit Sicherheit beitragen könnten, 
völlig in den Hintergrund gestellt wurden. 

Man konnte zwar das ursächliche Verhältnis der 
Leidenschaften zu den durch sie hervorgerufenen See- 
lenstörungen nicht ableugnen; aber diese Thatsache, 
deren richtige Würdigung unmittelbar zur Erkenn tnifs 
des Wesens der letzteren hätte führen müssen, liefs 
sich mit dem so eben angeführten herrschenden Grund- 
begriff nicht anders in Verbindung bringen, als dafs 
man die Leidenschaften in die Klasse der entfernten 
Ursachen verwies, wo ihnen keine gröfsere Wichtig- 
keit, als den physischen, die Nerventhätigkeit stören- 
den Einflüssen beigelegt wurde. Nun wird zwar un- 
ter den Indikationen gewöhnlich diejenige vorange- 
stellt, welche sich auf die entfernten Ursachen bezieht ; 

aber man meinte zugleich, dafs eine früher herrschend 

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gewesene Leidenschaft in ihrer physischen Wirkung 
erloschen sei, und dafs sie um so weniger ein Ge- 




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XV 


genstand des Heilverfahrens werden könne, als die 
Anregung jeder Erinnerung an sie zu Rückfällen der 
Krankheit nothwendig Veranlassung geben müsse. Hier- 
aus sind jene berühmten Vorschriften, welche Pinel für » 
das psychische Regimen bei Geisteskranken aufstellte, 
hervor- und fast in alle späteren Kompendien über- 
gegangen, und somit das vornehmste Hindemifs der 
wahren Seelenheilkunde geworden, deren eigentliches 
Ziel gerade auf die Bekämpfung und Vertilgung der 
im Wahnsinn noch fortherrschenden und denselben 
als wesentliche Ursache bedingenden Leidenschaft hin- 
gerichtet sein mufs. 

Es ist hier nicht der Ort, den zuletzt bezeichn- 
ten Begriff der Psychiatrie ausführlich zu entwickeln, 
und ich beschränke mich auf die Hindeutung, dafs 

mein hochverehrter Lehrer denselben schon in seiner 

% 

Inauguraldissertation *) in gröfster Bestimmtheit auf- 
stellte, und dessen Wahrheit in einem ausgebreiteten 
Wirken erwies, dessen grofsartige Erfolge man allge- 
mein gepriesen hat, ohne auch nur danach zu fragen, 
durch welche Mittel dieselben erreicht worden sind. 
Nur ein Paar Lehrsätze aus gedachter Dissertion hier 
einzuschalten sei mir erlaubt, da in ihnen der Ursprung 
der Seelenheilkunde ausgesprochen ist. Animi mor- 
bus est involuntaria per longius temporis spatium 
dar ans aut saepe revertens in homine , antea mente 
sana gaudente, perturbatio seu privatio facultaturn co - 
gitandi et volendi , vel respectu certi objecti vel re- 
spectu universae rerum cognitionis omnisque actio- 
nis , conjuncta cum efficacia virium imaginandi et sen - 
tiendi vel ultra modum aucta vel dirninuta. Wenn 
dieser ächt psychologische Begriff eben so sehr jeden 
leeren Metaphysicismus als allen Materialismus aus- 


*) Dissertatio de viethodo cognoscendi curandiqne animi mor 
bot itabilienda . 


XVI 


\ 


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schliefst; so beugt der nachfolgende Satz jedem Mifs- 
verständnifs vor, als werde durch ersteren die häufige 
Entstehung der Gemüthsstörungen aus körperlichen 
Ursachen abgeleugnet. Mentis morbus est vel idio • 
pathicuSy cujus fons atque sedes, seu causa et sym- 
ptomata in animo ipso ejusque organo apto quidem 
sed male usurpato , reperiuntur ; vel sympathicus y 
qui ex corporis morbo, tanquam causa occasionali y 
per consensum morbosum seu compassionem in ani- 
mo imbecilli et disposito oritur, seu potius data per 
corporis malum occasione, modoque non necessario 
erurnpit . 

Wie aber vermag man es wohl, diese Begriffe in 
Einklang mit der gesammten Theorie der Heilkunde 
zu bringen, wenn man nicht die Seele dergestalt in die 
gesammfe Lebensthätigkcit verflochten sich denkt, dafs 
die Zustände beider in steter Uebereinstimmung und 
Wechselwirkung stehen, und die Erscheinung der einen 
auf die Beschaffenheit der andern zurückschliefsen läfst? 
Die tägliche Erfahrung überzeugt uns ja davon, dafs 
der Seelenfrieden sich in der Harmonie aller Körper- 
verrichtungen abspiegelt, und dafs der Sturm der Lei- 
denschaften, in welchem die Gefühle sich gegen die 
Vernunft empören, auch die Eintracht der körperlichen 
Kräfte in wilden Aufruhr verkehrt. Wäre das phy- 
sische Leben wirklich eine so ganz in sich geschlos- 
sene Erscheinung, wie es dies wenigstens in Bezug auf 
die mannigfachen Aufsenbedingungen ist, unter deren 
Wechsel es seinen gleichbleibenden Charakter bewahrt; 
wie könnte wohl jener unveränderliche Parallelismus 
zwischen den körperlichen und geistigen Kräften statt , 
finden, wenn letztere auch nur für erstere Aufsenbe- 
dingung und nicht beide zum innigsten Bunde ver- 
flochten wären? Wie nichtssagend, wie todt sind also 
unsre herrschenden Begriffe, welche eine Kluft zwi- 
schen Seele und Körper ängstlich zu erhalten streben, 

und 


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XYII 


und statt der leicht fafslichen und naturgemäfsen Deu- 
tung der physischen Erscheinungen beim Wahnsinn 
aus den krankhaften Gemüthszuständen, die nackte Pe- 
titio principii aufstellen, bei demselben müsse ein Lei-' 
den des Gehirns oder anderer Organe angenommen 
werden, wenn sich dasselbe auch bis 1 jetzt nur in Hy- 
pothesen ahnen lasse. 

Auch nur von dieser Seite betrachtet mufs der 
Werth der Lehren Stahl’s unbegrenzt erscheinen, un- 
geachtet man sich nicht verhehlen kann, dafs er die- 
selben nicht bis zu einem solchen Grade von Ent- 
wickelung gefördert hat, dafs sie unmittelbar eine Grund- 
lage für die Psychiatrie, abgeben könnten. Denn wie 
lebendig er auch den Einflufs ,der Gemütszustände auf 
die Lebensthätigkeit anerkannte; so hat er darin doch 
mehr nur eine theoretische, als eine praktische Bedeu- 
tung aufgefunden, in sofern er zwar aus der Seele eine 
wesentliche Bedingung des Erkrankens und der Wie- 
dergenesung ableitet, aber kaum irgendwo eine deut- 
liche Anweisung giebt, wie man durch moralische Be- 
stimmung derselben einen Einflufs auf das Heilgeschäft 
gewinnen könne. Man sieht, wie er im steten Kampfe 
mit seinen Gegnern begriffen, nicht zur völligen Ent- 
wickelung seiner Begriffe gelangen konnte, und es da- 
her den Nachkommen überlassen mufste, auf dem von 
ihm gelegten Grunde weiter fortzubauen. Es bestätigt 
sich also bei ihm die Erfahrung, dafs das Genie aus 
innerer Nothwendigkeit nach einem Ziel hinstrebt, ohne 
dasselbe aus einer wiilkührlichen Absicht sich gesteckt 
zu haben, welche nur dazu dienen kann,« die Natur- 
forschung von Anfang an auf Abwege zu leiten. Denn 
leider nur zu oft haben wir das Unheil erleben müs- 
sen, weiches sich unausbleiblich einstellt, wenn nach 
vorgefafsten Begriffen die Erscheinungen gemifsdeutet 
werden. 

Der wissenschaftliche Charakter St ah Ts giebt sich 
Stahls Theorie d. Hcilk. I. b 


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XYIII 


\ 

also als reine Naivetät, mithin als treuer Ausdruck 
einer unverfälschten, Naturanschauung zu erkennen , io 
soweit ihm dieselbe in bewahrten Thatsachen vor Augen 
lag. Es würde daher ungereimt sein, bei ihm Erfah- 
rungsbegriffe suchen zu wollen, welche erst durch den 
Fleifs späterer Forscher ausgemittelt worden sind. Denn 
Thatsachen lassen sich nicht vorwegnehmen, sondern 
können von einem geistvollen Denker nur geahnt wer- 
den, in sofern sie als verbindende Mittelglieder die 
Lücken seiner Erkenntnifs ausfüllen sollen, dagegen 
der blinde Empiriker nicht nach wissenschaftlicher Ein- 
heit der Begriffe strebt, sondern mit Bruchstücken sich 
begnügt, unbekümmert, ob sie in Widerspruch stehen, 
oder nicht. Eben deshalb schien es mir durchaus un- 
statthaft, in Anmerkungen die Irrthümer StahTs zu 
berichtigen, die neuen Entdeckungen einzuschalten ; denn 
seine Theorie ist nicht für diejenigen geschrieben, welche 
sie als ein blofses Kompendium, nicht als einen Prüf- 
stein für den Gehalt und die Richtigkeit ihrer wissen- 
schaftlichen Principien, nicht als eine Quelle benutzen 
wollen, aus welcher sie den Sinn für ächte Naturan- 
schauung erfrischen und begeistern sollen. Nur ein- 
zelne Angaben, wo ich zur Vermeidung müfsiger 
Wiederholungen beträchtliche Stellen ausgelassen habe, 
glaubte ich mir erlauben zu müssen, unbesorgt darüber, 
dafs man mir den gesammten Inhalt des Werkes als 
mein eigenes wissenschaftliches Glaubensbekenntnis viel- 
leicht beimessen werde. 

Was nun meine Bearbeitung selbst betrifft, • so 
darf ich mir das Zeugnifs geben, dafs ich, so viel es 
in meinen Kräften stand, den eigentlichen Sinn des 
Originals treu wiederzugeben mich bemüht habe, ohne 
ihm etwas zu leihen oder zu nehmen. Aus früher 

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schon bemerkten Gründen war dies keinesweges eine 
leichte Aufgabe, und ich betrachte daher meine Ar- 


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XIX 


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beit nur als den ..ersten Versuch, welcher gemacht 
werden imifs, um Stahl’s Geist wieder ins Leben 
zu rufen. Wenn man an den Uebersetzer mit Recht . 
die Anforderung macht, die Urschrift nicht blos nach 
ihrem wesentlichen Gehalt sondern auch in den einzel- 
nen Redeformen so treu nachzubilden, dafs, die unüber- 
windlichen Abweichungen des verschiedenen Sprach- 
genius abgerechnet, die Uebertragung völlig die Stelle 
des Originals zu vertreten im Stande sei; so konnte 
ich dieser Regel durchaus nicht genügen, wenn ich % 

nicht ein monströses Werk liefern wollte, dessen 

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Weitschweifigkeit und Schwerfälligkeit jeden Leser 
zurückgeschreckt haben würde. Ich gestattete mir da- 
her bei der Bildung der Redesätze eine völlige Frei- 
heit, merzte jede unnütze Abschweifung, jede scho- 
lastische Spitzfindigkeit, jede Kritik veralteter Begriffe 
aus, in sofern sie nicht jetzt noch Werth haben kann, 
und zog mit einem Worte den Text so sehr in ’s Enge, 
dafs der Inhalt von 73 in Quarlform bedruckten Bo- 
gen in den Raum dieses ersten Bandes zusammenge- 
drängt wurde. Es liefs sich nicht immer vermeiden, 
dafs durch diese Auslassungen Sprünge und Lücken 
im Vortrage entstanden, welche ich nicht willkührlich 
ausfüllen durfte; eben so wenig war es mir möglich, 
jeder Wiederholung auszuweichen, wenn der Zusam- 
menhang nicht völlig unterbrochen werden sollte. Doch * 
schien mir dies ein geringeres Uebel, da ich wenigstens 
dem Gange der Darstellung im Original folgte, und eine 
fortlaufende Vergleichung mit demselben leicht möglich 
machte; als wenn ich einen ganz neuen Weg hätte ein- 
schlagen,, und mich eines völlig freien Vortrages be- 
dienen wollen, wo die Gefahr der Irrung und Abwei- 
chung unvermeidlich gewesen wär§. 

Die noch übrigen beiden Theile, welche die Pa- 
thologie enthalten sollen, werden an Umfang diesem 

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XX 

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ersten etwa gleichkommen, und sobald naeh folgen, als 
meine Berufspflichten mir d(ic Ausarbeitung derselben 
gestatten. 

Und so möge denn der lange verkannte und ver- 
schmähte Meister seine Rechtfertigung selbst überneh- 
men, und eine gerechte Anerkennung des edlen Selbst- 
gefühls, zu welchem er in einem so hohen Grade be- 
rechtigt war, bei unparteiischen Lesern finden. 

* 

Berlin, im September 1830. 


I d e 1 e r. 




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I 


4 


4 


Za der unendlichen Vermehrung der Bücher, nament-^ 
lieh in der theoretischen und praktischen Heilkunde, 
haben unstreitig die Buchdruckerkunst, die herrschende 
Henkfreiheit und die Wifsbegierde Veranlassung gege- 
ben,. Erstere, welche ein so bequemes Mittel darbie- 
tet, nützliche Kenntnisse allgemein zu verbreiten und 
auf die Nachwelt zu vererben, hat zwar das Erschei- 
nen schlechter Bücher sehr begünstigt; da sie indefs 
die Benutzung guter Schriften sehr erleichtert, so wird 
ihr grofser Nutzen lange nicht durch den Mifsbrauch 
aufgewogen.’ 

Fast eben so verhält es sich mit der Freiheit im 
. Henken uud Sprechen ; denn wiewohl sich nicht ver- 
hehlen läfst, dafs auf diese Weise viel Unsittliches, 
wenigstens Gehaltloses zum Vorschein kommt und sich 
weit verbreitet, so erwächst doch daraus kein grofser 
Nachtheil, weil den Gegnern die Befugnifs unbenom- 
men bleibt, das Thörigte, ja Schädliche, mit Gründen 
zu widerlegen und durch gesundere Begriffe zu ver- 
drängen. Es liefse sich zwar dagegen erinnern, dafs 
es viel gerathener sein würde, das Zwecklose, Müfsige, 
Ungereimte, Verdächtige, selbst offenbar Verderbliche 
gar nicht zu dulden, sondern in der Geburt zu er- 
sticken; jedoch ergiebt sich bei aufmerksamer Erwä- 
gung bald, dafs ein solcher Rath weder leicht auszu- 
führen, noch völlig angemessen sein würde. Henn zu- 


/ 


XXII 

vörderst slofsen wir auf die wichtige Frage, wer über 
den Werth solcher Gegenstände, und ob sic eine öf- 
fentliche Bekanntmachung verdienen, oder nicht, urthei- 
len solle? Ferner mufs bei der Mannigfaltigkeit der 
menschlichen Studien dem einen nutzlos und schlecht 
begründet Vorkommen, was dem andern lesenswerth 
scheint. Dazu kommt, dafs es den übelgesinnten, fri- 
volen, müfsigen und thörigten Gemüthern niemals an 
Stoff fehlt,, wenn er ihnen auch nicht von aufsen dar* 
geboten wird, und dafs das Aergemifs, welches sie 

§ i * 

geben, wackere, gediegene und werkthätige Männer 
veranlafst, mit geschärfter und gerüsteter Denkkraft 
die Irrthümer jener zu prüfen * und zu bekämpfend 
Auch scheint es unbillig zu sein, da man die Denk- 

fVeiheit nicht* in bestimmte Grenzen einschliefsen kann, 

■ 

sie auf eine ungleiche Weise zu beschränken, und da- 
her den geringeren Köpfen ein Recht zu verweigern, 
welches man den ausgezeichneten nicht streitig machen 
kann noch will. 

Eine Bestätigung geben uns seit einigen Jahrhun- 
derten die der Vertheidigung religiöser Wahrheiten ge- 
widmeten Schriften. Wenn gleich die eine Parthei mit 
friedfertigem und bescheidenem Sinn es nicht für noth- 
wendig erachtete, ihr klares Bekenntnifs wiederholt vor- 
zutragen; so ruht doch die Gegenparthei nicht, das hun- 
dertfältig Gesagte von neuem aufzuwärmen. Und ge- 
rade diejenigen, welche von niemand beurtheilt und 
beschränkt sein wollen, bedienen sich dieses Mittels, 
womit sie die Unkundigen täuschen, indem sie ihre 
Lehre von neuem wieder aufstutzcu; während sie den 
Einsichtsvolleren nur ihre mit dem gesellschaftlichen 
Frieden unverträglichen Sitten, und ihren eben so un- 
gelehrten als ungebildeten Geist verrathen. Es würde 
daher eben so wohl die Gleichheit des Rechts als die 
Billigkeit verletzen, wenn man die einen gewähren las^ 
sen wollte oder müfste, die anderen dagegen nicht so 


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XXIJI 


wohl durch die Sitte als durch das Gesetz, oder auch 
umgekehrt mehr durch jene als durch letzteres einen- 
gen wollte. Was daher nicht geradezu die Sittlichkeit 
und die gesellschaftliche Ordnung zerstört, und eine 
weise Polizei unmittelbar hemmt, das darf nicht mit 
Strenge unterdrückt werden. 

Zur Vertilgung der schlechten Bücher scheint es 
allerdings wünschenswert zu sein , dafs man es den 
guten Schriften nicht blos überliefse, sich durch ihr 
eigenes Ansehen geltend zu machen, sondern dafs man 
ihnen zu ihrer Verbreitung mit jeder Hülfe und Un- 
terstützung Vorschub leiste; doch hat sich in der Er- 
fahrung dieser Rath nicht nur als unzulässig gezeigt, 
sondern es hiefse auch die Wahrheit selbst herabsetzen, 
wenn man für sie ein ihrem Wesen fremdartiges Schutz- 
mittel erilehen wollte. Unter göttliche Obhüt ist sie 
gestellt, und zur rechten Zeit tritt sie ans Licht, wes- 
halb ihr nur selten gefrommt hat, was Menschen zu 
ihrer Förderung begehrten. Was ^laher aus innerer 
Notwendigkeit geschehen wird, das darf man mit ge- 

\ y 

trostem Muth der weisen Weltordnung anheimstellen, 
welche die Entscheidung und Leitung der menschli- 
chen Angelegenheiten sich vorbehält, und das Wahre 
und als nützlich Erprobte zur rechten Zeit an den Tag 
bringen wird. 

In dem bisher erwähnten Sinne mögen wir über 
die Unzahl der medicinischen Schriften urtheilen, welche, 
wie sich dies bei reiflicher Erwägung von selbst er- 
giebt, beinahe alle von dem nämlichen Gegenstände 
dasselbe auf gleiche Weise (wenn man nämlich das 
Wesentliche und die eigentliche Ausbeute dabei ins 
Auge fafst) zur Sprache bringen. Wozu diese endlose 
Wiederholung desselben Gegenstandes, und mit so 
grofsem Umschweif? Es drängt sich aber noch die 
wichtigere Frage * auf: Ist denn jene Kunst so wenig 
sicher, dafs während so vieler Jahrhunderte und in so 


xxnr 


gewagt ausgeführten Deduktionen, über welche dicke 
Bände voll Systemen geschrieben wurden, bei aller 
Zahl und Verschiedenheit derselben, nichts entschieden 
und ausgemacht werden konnte, w orauf man zuversicht- 
lich fufsen dürfte? Ja was soll man sagen, wenn .diese 
Ungewifsheit gegenwärtig in der Menge der widerstrei- 
tenden Meinungen den höchsten Grad erreicht hat? 
Was soll bei mangelnder Begründung der Kunst aus 
ihrer Ausübung werden, da ohne Erkenntnifs ein rech- 
tes und glückliches Handeln unmöglich ist? Wie kann 
man den Leidenden, einen Rath ertheilen, und mit 
Recht von ihnen einen Lohn fordern, da das Schwan- 
ken sich so wenig verstecken läfst, dafs zehn zusam- 
menberufene Kunstgenossen nicht nur unter sich un- 
eins, jeder des andern Denk- und Handlungsweise ta- 
delt, sondern auch, wenn es zur That kommt, ein an- 
deres, ja selbst wesentlich entgegengesetztes Verfahren 
einschlägt? Wie hart mufs dies jeden ankommen, der 
nicht verwegen und unüberlegt in den Tag hinein- 
lebt, sondern seinem Wissen und Gewissen Genüge 
leisten will! 

Sicherlich wäre es besser, von einer solchen Kunst 
gänzlich abzustehen, wenn sio nicht anders beschaffen 
ist, noch besser werden kann. Wenigstens mül’ste man 
sich aller eitlen Spekulationen, die niemals eine ge- 
sunde Frucht tragen, enthalten, und wenn die aus 
schlichter und nackter Erfahrung entsprungene Wahr- 
heit noch einige Hoffnung übrig liefse, blos auf sie mit 
allem Fleifs achten und halten. Doch wer übernimmt 
es wohl, dies anzurathen, und wer darf hoffen, jeman- . 
den dahin zu bewegen? Denn verblendet durch die 
Lockung des Glücks eilen die Aerzte , t ehe sie kaum 
noch den gesetzlich vorgeschriebenen Unterricht genos- 
sen haben, sich den IN amen und die Würde eines Doc- 
tors zu verschaffen, die Kunst zu treiben, anstatt sie 


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1 


XXV 

/ 

zu ergründen, und vielmehr auf ihren eigenen Nutzen, 
als auf das Heil anderer bedacht zu sein. 

Doch wozu in weitläuftige, obwohl gerechte Kla- 
gen ausbrechen, da durch sie nie etwas, nicht einmal 
so viel ausgerichtet wird, dafs die in diesen Mifsbräu* 
eben und Gebrechen sich abspiegelnde Herabwürdigung 
der Kunst und das Verderben des Kranken, ja des 
ganzen menschlichen Geschlechts beherzigt, und mit um 
so gröfserem Ernst und Eifer Rath gepflogen werde. 
Da ich indefs gar wohl weifs, was daran verhindert, 
selbst verbietet, von öffentlichen Berathungen sich einen 
Nutzen zu versprechen ; so will ich mich auf das be- 
schränken, worauf ich selbst mein Bestreben gerich- 
tet habe. 

Fest ist bei mir die Ueberzeugung begründet, : dafs 
die Heilkunde auf eine wahrhafte Methode gestützt und 
von jedem trügerischen Schein befreit werden könne, 
dagegen andere mit Berufung auf Autoritäten behaup- 
ten, dafs niemals eine überzeugende Theorie dieser 
Kunst festgestellt werden könne. Den Beweis meines 
Ausspruchs führe ich durch die Darlegung der wesent- 
lichen Beschaffenheit, welche der medicinischen Theo- 
rie eigen sein, und sie von entfernteren, fremdartigen, 
physikalischen Lehren unterscheiden mufs. Daher fange 
ich damit an, die Verschiedenheit der Begriffe, in wie- 
fern der Körper ein gemischter und ein belebter ist, 
hervorzuheben. Zwar schliefst eine' vollständige phy- 
sische Anthropologie diese beiden Begriffe in sich; 
jedoch mufs ich dabei beharren, dafs es in der Medir 
ein wenn nicht ausschliefslich, doch vornämlich darauf 
ankommt, zu wissen, in wiefern der Körper ein leben- 
der sei, und genannt werden könne, oder was in ihm 
das Leben sei/ 

Da nun nach meiner Ueberzeugung die Grund- 
lage einer ächt wissenschaftlichen Theorie und Praxis 


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XXTI 


in der Darstellung des Körpers als eines lebenden ent- 
halten ist; so folgt daraus von selbst, dafs unser vor-* 
nehmstes Bestreben darauf hingerichtet sein müsse, uns 
eine wahbe und einleuchtende Lehre vom Leben, sei- 
nen Ursachen und Bedingungen zu verschaffen. Denn 
aus* der Bezeichnung der inneren .Verfassung desselben 
müssen die Pathologie und Therapie nach ihren ur- 
sächlichen Verhältnissen abgeleitet werden. Es soll in 
ihnen nämlich entwickelt werden, welche Mängel der 
Lebensthätigkeit den einzelnen Krankheitsarten zum 
Grunde liegen, um wie viel letztere von den ursprüng- 
lichen Verhältnissen der ersteren ab weichen, von wel- 
chem Abstande eine Rückkehr oder Wiederherstellung 
eintreten soll, und wie dies auch ohne äufsere Beihülfe 
durch die freithätige, Autokratie der Lebensthätigkeit 
täglich geschieht. Denn indem letztere j in den ver- 
schiedenen Krankheitsformen nach eigenthümlichen und 
angemessenen Verhältnissen geleitet wird, erfolgt eine 
eigenmächtige Bekämpfung derselben, wodurch der Kör- 
per in seine ursprüngliche Verfassung zurück versetzt 
wird. Die wahrhaft methodische Therapie mufs also 
Anweisung geben, auf welche Weise der Arzt der Le- 
bensthätigkeit und ihrer Einrichtung, der Leitung, Rich- 
tung, ja dem stets bereiten Mitwirken der Natur ge~ 
mäfs, hülfreiche Hand bieten könne und solle. 

/ . Seit mehreren Jahren habe ich auf diesen Gegen- 
stand alle Sorgfalt verwandt, und es für meine Pflicht 
gehalten, darüber in Schriften zum Publikum zu reden; 
doch machte ich in der letzten Zeit die .Bemerkung, 
dafs man auf eine methodische Weise nicht nur meine 
Lehrsätze bestritt, sondern sie mir sogar als ein Ver- 
gehen ( crimen ) mit deutlichen Worten anrechnete. 
Und zwar geschah dies von einer Seite, woher ich 
nimmer so etwas erwartet hätte. Es ist indefs allen 
in der Wissenschaft bewanderten Männern längst be- 
kannt, dafs die, welche sich auf solche litterärische Ab- 


> 


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XXVII 


wege verlieren, entweder unfähige (inepti) oder unge- 
rechte ( iniqui ) sind. Die ersteren beschäftigen «sich mit 
der Ausgleichung! abweichender uud widersprechender 
Meinungen über den nämlichen Gegenstand. Es ist 
dies aber ein eitles und ungereimtes Beginnen* da es 
sich mit Meinungen befafst, welche, wenn sie auch in 
der gröfsten Ordnung zusammengestellt werden, 'doch 
die Wahrheit, die in keiner von ihnen enthalten ist, 
nicht herausbringen. Die letzteren , r welche sich mit 
ihrer Vielwisserei brüsten, wenden auf alles, was sie 
von anderen hören, ihren Spruch an: Es wird nichts 
gelehrt, was nicht früher einmal schon gesagt worden 
ist. Man könnte sie ruhig gewähren lassen, wenn ihr 
Unternehmen blos ein müfsiges wäre“; da es aber oft 
geradezu ein gehässiges wird, So erheischt es die Ge^ 
rechtigkeit, ihre Machinationen zu lähmen, damit sie 
nicht aus dem Verborgenen Schaden stiften können. * 
'Wenn es schon eines* Gelehrten unwürdig ist, 
gleich der Krähe beim Aesop , die wissenschaftlichen 
Arbeiten anderer Autoren mit Verschweigung ihres 
Namens sich anzumaafsen, und als die seinigen öffent- 
lich bekannt zu machen; was soll man dann wohl, von 
der Ehrlosigkeit derer sagen,- welche veriäumderisch 
jemanden des Plagiats beschuldigen. Um darüber zu 
urtheilen, ob Altes oder Neues, Fremdes oder Eigen- 
thümiiehes vorgetragen worden sei, mufs man zuvör- 
derst die wahre Bedeutung desselben erwägen, ob diese 
überall dieselbe sei. Dann mufs man doch freimüthig 
bekennen, anstatt böswillig zu verschweigen, dafs forsch- 
begierigen Männern, welche sich mit demselben Ge- 
genstände beschäftigen, die nämlichen Erscheinungen 
sich darbieten werden, ohne dafs man deshalb behaup- 
ten dürfte,, dafs unmittelbar einer vom andern, oder 
viele von einem einzelnen gewisse Erfahrungssätze em- 
pfangen haben, zumal wenn der zu beobachtende Ge- 
genstand ein alltäglicher ist, und daher ^eine fortwäh- 


1 tXVII* 


rende Gelegenheit zur näheren Bekanntschaft mit' ihm 
giebt. Ganz anders verhält es sich mit der Betrach- 
tung der unserm Interesse ganz fern liegenden Erschei- 
nungen, deren historische Darstellung so wenig Nutzen 
stiftet, dafs diejenigen, welche sich den Ruhm dersel- 
ben streitig machen, an den Aesopiscben Hahn erin- 
nert werden müssen, welcher einen Edelstein auf dem 
Miste* fand.* Erwägen wir die eitle Begierde; welche 
in neuerer Zeit* nach jedem Dargebotenen hascht, so 
mögen wir Seneca's treffenden Urtheils über das Conr 
sulat des Cicero gedenken, dafs dasselbe zwar nicht 
ohne Ursache, jedoch ohne Zweck gepriesen worden 
sei. * Er * bestreitet zwar nicht den Vortheil, welcher 
der Republik aus der Vielgeschäftigkeit * des populären 
und geschwätzigen Mannes, und aus seiner wachsamen 
Sorgfalt erwuchs, mit welcher er die Verschwörung 
des Catilina aufspürte und zur Oeffentlichkeit brachte; 
zugleich bespottet er aber auch mit vollem Rechte die 
unbeholfene Schwäche, des Mannes, welcher gar kein 
Ende finden konnte, den glücklichen Ausgang seiner 
höchsten Klugheit beizumessen, und dafür eine unaus- 
löschliche Dankbarkeit seines Vaterlandes anzusprechen. 
Wenn schon diese an sich so verdienstliche That einem 

r 

so strengen Tadel unterliegt ; wie viel mehr diejenigen, 
welche für eine Erfindung, die nicht eine hohle Nufs 
werth ist, die ganze gelehrte Welt sich verpflichtet 
glauben. 

Wir müssen hier eine genauere Auslegung . der 
Wörter Erfinden und Erfindung ( Invcntio et Ingen- 
ium) einschalten. Das lateinische Zeitwert perire (zu 
Grunde gehen) ist den Wörtern perdere aut arnittere 
(verlieren) analog. Auf diese Begriffe deutet das Wort 
reperire hin, gleichsam als bezeichnete man damit die 
Wiedererlangung des Verlorengegangenen. Der Aus- 
druck invenire dagegen läfst sich sehr schicklich durch 
das deutsche darüber- oder über etwas kommen, wie- 


XXIX 


dergeben. Denn es schliefst derselbe den Begriff des 
Zufälligen in sich, gleichsam das Gelangen zu einem 
schoa vorhandenen Gegenstände; im Gegensatz zu dem 
Wiederfinden des Eingebüfsten. Dieser Sinn des Wor- 
tes Erfinden ( Inventio ) pafst ganz eigentlich auf sehr 
viele neuere Beobachtungen, da die meisten sich solchen 
darboten, die gar nicht daran dachten, so dafs man 
mit Recht sagen kann, sie seien vielmehr aus Zufall 
darauf gestofsen, als dafs sie mit Vorbedacht danach 
geforscht, oder mit vorsätzlich angestellten Versuchen 
etwas aufgefunden hätten. Oder es geschah auch wohl, 
dafs eine Thatsache mit aufmerksamen Sinn aufgefafst, 
aber nicht zum praktischen Gebrauch verwendet, oder 
gar durch verkehrte Deutungen entstellt wurde, so 
dafs sie ihrem Wesen nach wieder verloren ging. 

Ein um so grösseres Lob verdient die Erforschung 
der wahren Beschaffenheit eines Dinges, und die Dar- 
legung des daraus entspringenden Nutzens; und so wie 
eine oberflächliche Betrachtung der ersteren nicht gleich- 
geschätzt werden kann, eben so wenig verdient sie 
gleich jener mit dem ehrenvollen Namen einer Ent- 
deckung belegt zu werden. Bei jedem redlich gesinn- 
ten Denker raufs daher eine wissenschaftliche Entwicke- 
lung volle Rechtfertigung gegen Verläumdung finden, 
wenn sie, r hervorgegangen aus einem der Naturan- 
schauung gänzlich zugewendeten Geiste, und gestützt 
auf ein umsichtiges und sorgfältig abwägendes Urtheil, 
nicht allein die Wesenheit einzelner Dinge und deren 
deutlichen und ausgezeichneten' Nutzen aus dem Dun- 
kel und der Verworrenheit zwiespältiger Meinungen 
hervor ans' Licht zieht; sondern auch unerhörte, ja 
selbst vielfältig angefochtene Wahrheiten auf eine, ein-* 
leuchtende Weise geltend macht, und ihren inneren . 
Zusammenhang nicht etwa mit eitlen Erdichtungen, son- 
dern in genauen Vergleichungen und festen Schlufsfol- 
gen darlegt. • • . « • * 


XXX 




;Wa8 mich betrifft , so war seit der ersten Zeit 
meiner Studien die Arbeit, alte und' bestäubte Bücher- 
sammlungen zu durchwühlen, meiner Denkart durchaus 
fremd, und ich fühlte mich ganz unfähig dazu Gemein- - 
platze aufzusucheu und zusammenzuschreiben. Dage- 
gen richtete ich meinen Sinn ausschliefslich auf eine 
angestrengte Beobachtung der Erscheinungen und auf 
eine sorgfältige Erforschung ihrer wahrhaften ursächli- 
chen Verhältnisse, und ihres inneren Zusammenhanges, 
damit aus der Erkenntnifs derselben eine unerschütter- 
liche Theorie hervorgehen möge. Leicht kann ich dies 
aus den systematischen Darstellungen beweisen, .welche 
ich schon als Jüngling von 24 Jahren auf der Jenen- 
ser Akademie vor einer nicht unbedeutenden Zahl wifs- 
begieriger und wohl vorbereiteter Zuhörer in öffentli- 
chen Vorträgen entwickelte. Denn schon damals be- » 

kannte ich mich zu denselben Lehrsätzen, welche ich 

\ 

jetzt in ein helleres Licht zu stellen mich bemühe. 

Zu meiner Rechtfertigung darf ich mich auf die 
Dogmen sämmtlicher medicinischen Schulen berufen, 
unter denen Nichts enthalten ist, was den Lehrbegrif- 
fen, auf welchen ich die Theorie der Heilkunde fest- 
stelle, weder in der Darstellung, und dem historischen 
Gehalte, noch in der wissenschaftlichen Entwickelung 
gleicht. Wer hat wohl, um nur einige Beispiele an- 
zuführen, auf den Mischungscharakter des Körpers auf- 
merksam gemacht, welcher in Fäulnifs überzugehen so 
sehr geneigt ist, und doch nach einem auffallenden Pa- 
' radoxon derselben nur in unglaublich seltenen Fällen 
unterliegt? Zwar erhielt sich bei den Alten, unstreitig 
als Ueberrest einer, verloren gegangenen Wahrheit, 
der Unterschied zwischen dem Zustande eines blos ge- 
mischten und eines lebenden Körpers; . aber anstatt 
einer gründlichen physikalisch-medicinischen Erörterung 
hierüber, verlor sie sich in die leeren Begriffe . von 
ursprünglichen und abgeleiteten Elementen, von der 


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/ 


XXXI 

t 

I 

* * 

elementaren und vitalen Wärme, von der elementaren 

und radikalen Feuchtigkeit, während die Neueren sich 
von alle dem nichts in den Sinn kommen liefsen. Wer 
wohl erläuterte den Begriff des Lebens, in wiefern der 
Körper desselben theilhaftig ist, und in welchem Ge- 
gensätze es zu seiner Mischung steht? Denn jene fro- 
stigen Philosopheme, dafs die Vereinigung der Seele 
mit dem Körper, oder die Gegenwart von Geistern in 
der Materie, oder nach der Meinung der Neueren, der 
Kreislauf der Säfte unmittelbar das Wesen des Lebens 
ausraache, haben uns nicht um einen Schritt weiter ge- 
fördert. Niemand hat es bis auf den heutigen Tag reif- 
lich erwogen, wie wenig, ja selbst wie so gar nichts 
Heilbringendes die Kunst über die Mischung und über- 
haupt alle Bedingungen vermag, welche man gewöhn- 
lich mit dem Leben verwechselt, und dafs das ganze 
Geschäft des Arztes darauf gerichtet sein müsse, das 
Leben selbst in seiner ungestörten Thätigkeit zu er- 
halten. Zwar haben die Neueren über die Exkretio- 
nen seht* spitzfindige Untersuchungen angestellt, und 
sogar die Figur der Poren zu bestimmen sich bemüht; 
aber noch nirgends habe ich eine sachgemäfse Bemer- 
kung angetroffen, wieviel und nach welcher Regel die 
Exkretionen unmittelbar zum Leben beitragen; denn 
der Begriff des letzteren, ohne welchen das Geschäft 
der Absonderungen nicht begriffen werden kann, fehlte. 

Ungeachtet vieler mühsamen anatomischen Unter- 
suchungen über den Blutumlauf und die Einrichtung 
des Herzens, der Gefäfse und ihrer Klappen zu der 
für jene erforderlichen Bewegung, hatte sich doch die 
falsche Behauptung eingeschlichen, dafs das Blut durch 
den ganzen Körper gleichförmig fortgetrieben werde, 
und dafs jede Störung dieser Gleichmäfsigkeit auf eine 
durchaus passive Weise durch äufsere Hindernisse, ma- 
terielle Verstopfungen zu Stande kommen, und dafs ' 
die 'Bestimmung der Lebensthätigkeit niemals daran 


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xxxn 


\ 


Antheil habe. Es würde dies , aus dem einfachen und 

i , 

gleichmäßigen Impulse des Blutes aus der Herzkam- 
mer in die Aorta, welche nur mit einer Oeffhung das- 
selbe empfängt, gefolgert, welches indefs, so wahr es 
an sich auch ist, die Sache doch nicht erschöpft.^Man 
erinnere sich vielmehr daran, dafs, eine wirkliche to- 
nische TBewegung durch ihr stetiges. Wirken zu der 
Verrichtung des Blutumlaufes beiträgt, wenn sie auch 
dem Herzschlage untergeordnet ist; dafs durch sie die 
porösen Theile des Körpers ununterbrochen in einem 
gewissen Grade von Spannung erhalten werden, damit 
sie nicht von dem Stofse des Blutes übermäfsig aus- 
gedehnt werden; dafs endlich diese Bewegung plötzlich 
abgeändert werden kann, welches sogar bei geringfü- 
gigen Gelegenheiten, z. B. bei Einwirkung der Kälte 
und Wärme, des Schrecks, Zorns, der Freude und 
. Schaam augenblicklich geschieht. . 

Es kommt zwar bei den Alten schon der Begriff 
von der Lebenskraft der Theile vor, wofür die Neue- 
ren den Namen Tonus gebrauchten, welchen sie auch 
den Eingeweiden zuschrieben; indefs niemand erklärte 
sich über das Wesen desselben. Wenigstens hat die 
irgendwo ausgesprochene Bezeichnung des Tonus als 
die willkührliche straffe Anspannung eines Gliedes in 
gerader Bichtung (man hätte eben so gut die Beugung 
hierher rechnen können, vorausgesetzt, dafs sie kräftig 
und anhaltend vollzogen wird) keinen Beifall gefunden, 
weil dadurch der Tonus der 'Eingeweide nicht erklärt 
wird. 

Ueberhaupt, wer hat wohl das Hauptgebrechen 
der medicinischen Theorie und Praxis, nämlich die in 
ihnen herrschende Verwirrung zu berühren gewagt? 
Zwar rügen die Praktiker dasselbe immerfort mit Be- 
zeigung ihres Unwillens; indefs wo die Wurzel dieses . 
Uebels stecke, und auf welche Weise ihm abzuhelfen 
sei, darüber habe ich nirgends einen Aufschlufs gefun- 

< ' den. 

/ 

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XXXIII 


den. Denn man ist so weit entfernt, den Unterschied 
der physikalischen Theorie von der medicinischen an- 
zuerkennen, dafs man vielmehr einstimmig und mit gro- 
fser Verwegenheit behauptet, die erstere sei die noth- 
• wendige Grundlage der letzteren und diene nicht blos 
zur Erläuterung, sondern auch zur Demonstration der- 
selben. Daher mufste es geschehen, dafs die nach dem 
Schema der chemisch -mechanischen Physiologie bear- 
beitete Pathologie fast nur mit leeren Erdichtungen 
ausgestattet wurde, und von einer wahren Heilmethode, 
welche auf einen lebenden Körper angewandt werden 
soll, völlig ablenkte, statt deren sie aus ihren Hypo-, 
thesen unfruchtbare ja selbst verderbliche Kurregeln 
ableitete. ' • , 

Niemand hat daher vor mir die Lehre aufgestellt, 
dafs nur die Bewegungen im Körper, nicht aber des- 
sen Materie unmittelbar die Aufmerksamkeit der Aerzte 
auf sich ziehen müssen; vielmehr haben alle die Be- 
trachtung des Materiellen mit grofsem Bemühen zu selt- 
samen Vorstellungen verzerrt, um aus ihnen ein Schema 
heraus zu klügeln, nach welchem die Stoffe dem Kör- 
per Bewegungen mittheilen sollen, anstatt dafs umge- 
kehrt die Stoffe durch Bewegungen fortgetrieben, und 
letztere zur Erreichung dieses Zwecks und Nutzens 
eingerichtet, geleitet, und nach Maafsgabe der Umstände 
eigenthümlich bestimmt werden müssen. 

Jedoch erkenne ich es nicht blos an, sondern ich 
preise und verkündige es auch, um wie viel die Alten in 
dieser Beziehung den Vorrang vor den Neueren ver- 
dienen, da sie es wenigstens in der Praxis sich ange- 
legen sein liefsen, den Naturbewegungen nachzuspüren 
und zu folgen, nicht aber, gleich den Neueren, vor 
ihnen sich fürchteten und von ihnen absahen, als wenn 
dieselben ein Ausdruck der Krankheit selbst wären. 
Daher rühme und erläutere ich es, dafs grofse und 
nützliche Wahrheiten enthalten sind in ihrer Lehre von 
’ Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 


c 


/ 


\ 


XXXIV 

< 

den anhaltenden und austreibenden Kräften; von den 

* 

Krisen, den anzeigenden und kritischen Tagen und Er- 
scheinungen; von den Heilbestrebungen der Natur, und' 
ihrer darauf verwandten Kraft ; von der ihr zu leisten- 
den Hülfe, welche ihr folgsam und zum Dienste be- 
reit sein mufs; von der Beobachtung der Richtung, 
welche die Naturbestrebungen einschlagen, und der ihr 
dabei zu bringenden Erleichterung. Indefs haben die 
Alten die Begriffe zu sehr im Allgemeinen gehalten, 
ohne sie mit festem i und sicherem Schritt bis in die 
einzelnen Arten zu verfolgen, daher sie auch getäuscht 
über die Bedeutung des Materiellen, von dem wahren 
Yerhältnifs der Bewegungen, und von der auf die Be- 
kämpfung des Materiellen gerichteten Lebensthätigkeit, 
welche von der Kunst unterstützt und aufgeregt wer- 
den mufs, oft zu voreilig auf Spekulationen über die 
Fehler der Materie und deren Verbesserung überge- 
gangen, und deshalb vom wahren praktischen Siun ab- 
gewichen sind. Doch gereicht es ihnen sehr zum Lobe, 
dafs sie fast immer die Heilung des Materiellen auf 
die Erweckung der Bewegungen und zwar implicite 
der absondernd eu und explicite der ausleerenden be- 
zogen, und deshalb auf die Vorbereitung und Aus- 
scheidung der Säfte ein so grofses Gewicht legten. 

In diesen Betrachtungen sind die meisten Neueren 
Fremdlinge, wenigstens sind ihre Begriffe unbestimmt, 
schwankend, zweideutig, in sich widersprechend geblie- 
ben. Offenbar rechnen sie viel zu stark auf unipittel- 
bare Verbesserung der schädlichen Eigenschaften der . 
Materie, viel zu wenig auf eine richtige Leitung der 
günstigen Bewegungen. Von einer rechten Würdigung 
der Exkretionen nach ihrem Zweck und ihrer Anord- 
nung findet sich bei ihnen keine Spur ; wohl aber trifft 
man eine Menge von Systemen , worin jener auf die 
verkehrteste Weise gedacht wird, indem dabei von 
Geistern, mechanisch-physischen Reizungen, Gähmngen 


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I 


I \ 


xxxr 


und Fermenten, von der eigentümlichen Beschaffen- 
heit der Säfte, von den Thcilen, ja sogar von Poren 

des Blotes, von der Lage der Fasern Behufs der be- 

* » # • , #« r 

wegenden Kräfte/ von der Figur der Absonderungs- 
poren und ähnlichen* Dingen die Rede ist. Aus die- 

* * • *• , 4 

sen verstrickten und der Natur ganz entfremdeten Mei- 
nungen die Wahrheit, welche in ihnen gröfstentheils 
fehlt, in Widersprüchen verloren, Und von Fiktionen 
umhüllt ist, herauszufinden, würde eine zu lästige Auf- 
gabe für den Verstand sein, statt' deren es w eit leich- 
ter fallen mufs, aus der geschichtlichen Darstellung der 
natürlichen Dinge und aus der über sie gesammelten 
Erfahrung ihren inneren Zusammenhang abzuleiten. 

Jeder Unbefangene wird mir daher gern einräu- 
men, dafs es mir nicht in den Sinn gekommen ist, mit 
einem fremden Kalbe zu pflügen, sondern dafs ich von 
Thatsachen ausgegangen bin, wobei ich allerdings, wie 
auch der Augenschein lehrt, mit grofsem Nutzen von den 
Urkunden und Ueberliefei ungen der Alten Gebrauch 
gemacht habe, N indefs blos in Bezug auf die durch Er- 
fahrung ausgemittelten Fakta. Doch gilt letzteres mehr 
von meinen jüngeren Jahren, wo ich aus jenen Quel- 
len schöpfte, damit ich während nieiner praktischen 
Laufbahn Zusehen konnte, ob es sich wirklich so ver- 

. S • r 

halte, wie dort gelehrt wurde. Danach aber beflifs 
ich mich mit dem gröfsten Eifer viele Jahre hindurch 
der eigenen Erfahrung, und entnahm aus ihr alles, was 
ich aufserdem andern Schriftstellern hätte glauben müs- 
sen. Niemand kann verständiger Weise von mir er- 
warten, dafs ich Dinge, die in täglicher Praxis einem 
begegnen, von der Autorität andrer entiehnen, und 
mehr Gewicht auf deren Glaubwürdigkeit, als auf mein 

eigenes Zeugnifs und das der Wahrheit legen soll, 

* « 

weiche man sich durch eigenen Fleifs enthüllen kann. 
Gerade darin liegt das vornehmste Gebrechen des der- 
maligen medicinischen Studiums, dafs es Sitte eevor- 

c 2 


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XXXVI 


den ist, sich mehr auf U eher Lieferung, fremde Meinung 
und Gewährleistung zu stützen, als der Wahrheit selbst 
nachzuforschen. Daher sind wir mit so vielen neuen 
Krankheitsformen überladen worden, während die na- 
turgetreuen Krankheitsgeschichten der Alten in Ver- 
gessenheit gerieten; man liefs hier wesentliche Um- 
stände aus, schob dort zufällige oder individuelle, und 
solche, welche aus Komplikationen hervorgehen, als 
hauptsächliche und unmittelbare ein, und erdichtete auf 
diese Weise Scheinbilder von ursächlichen Verhältnis- 
sen, indem man in fremdartigen Bedingungen die Be-. 
Zeichnung der eigentlichen Ursprünge aufsuchte. 

Wenn ausgemachte Wahrheiten, welche durch 
das einstimmige Zeugnifs anderer einen geschichtlichen 
Werth erlangt hatten, als solche dargestellt werden 
müssen; so verhält es sich doch anders mit denjeni- 
gen Thatsachen, welche weniger das Allgemeine, als 
besondere Umstände betreffen, die von den gewöhn- 
lichen Beobachtungen gar nicht, oder von einer un^ 
rechten Seite aufgefafst worden sind, so dafs sie, wenn 
auch im Ganzen genommen nicht unrichtig, doch in 
ihrer eigentümlichen Bedeutung falsch erscheinen. In 
solchen Fällen darf man es dem, welcher eine gründ- 
lich erforschte Wahrheit darstellt, nicht zumuthen, dafs 
er ähnliche, doch in den eigentümlichsten Bestimmun- ' 
gen ungenaue Angaben zusammenstelle, und ihn, wenn 
er dies unterläfst, nicht der Unwissenheit zeihen, oder 
ihn gar in Verdacht bringen, als ob er sich die Ent- 
deckung anderer, mit Verschweigung ihres Namens an- 
maafse, um einen eitlen Buhm zu erhaschen. Ich will 
nur Beispiels halber die Petechialfieber erwähnen, wel- 
che ich in grofser Zahl zu behandeln Gelegenheit hatte, 
w obei sich mir aus aufmerksamer Forschung die eigent- 
liche Bedeutung der bei ihnen vorkommenden Durch- 
fälle ergab. Dies leitete mich auf ein, mit glücklichem 
Erfolge angewandtes Heilverfahren, welches in dieser 


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XXXVII 


Beziehung nicht nur unerhört war, sondern auch vie- 
len, die auf ein grolses Ansehen Anspruch machten, 
unglaublich vorkam, und selbst denen, die noch ge- 
mäfsigtere Ansichten hierüber hegen, nicht Zusagen 
wollte. Im Jahre 1695 stellte ich diese Erfahrungen 
in einer Abhandlung, betitelt: Problemata ad febrium 
veram historiam pertinentia, zusammen, und gedachte 
ihrer auch in meinen Lehrvorträgen. Vier Jahre spä- 
ter fand ich in einigen Büchern, welche ich aus der 
Schefferschen Bibliothek zu Frankfurth erstanden hatte, 
dafs mehrere frühere Beobachter ähnliche Erfahrungen 
gemacht' hatten. Der vornehmste und älteste unter 
ihnen war Gerhard Columba aus Messina, dann 
ein gewisser Moräus in Brüssel aus neuerer Zeit, - 
früher als dieser Burs er, Arzt zu Annaburg, welche 
ich in meinen Vorlesungen zu nennen nicht unterliefs. « 
Meine Beobachtung blieb deshalb nicht weniger mein 
Eigen thum, ja sie stellte bei mir die Wahrheit fest, 
dafs es sich mit den Petechialfiebern jetzt anders ver- 
halte, als zur Zeit des Columba, wenigstens nach sei- 
ner Aussage, nämlich dafs dieselben gegenwärtig kei- 
nesweges durch Bauchflüsse entschieden werden, auch 
diese nicht einmal, der Meinung des Moräus gemäfs, 
einen wesentlichen Nutzen bringen, ja dafs sie überhaupt 
nicht, wie einige wollen, nützlich werden können, gleich- 
viel ob sie von selbst entstehen, oder durch die Kunst 
hervorgebracht werden. Eben so wenig bringen sie, 
wie Burs er behauptet, geradezu Schaden, sondern 
wenn es ja den Anschein hat, so können sie doch mei- 
ner Beobachtung zufolge sogleich beschränkt werden. 

Wollte .man nun in Betreff dieses Gegenstandes 
nicht sowohl das Thatsäehliche, als die Meinung der 
Schriftsteller wiedergeben, so leuchtet es ein, dafs man 
dadurch den Sinn des ersteren ganz verfehlen würde; 
stellt man dagegen das wahre Sachverhältnifs dar, so 
kann das unnütze Anführen der Autoren, von denen 


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XXXVIII 


dasselbe entstellt worden ist, nur diejenigen in gefähr- • 
liehe Verwirrung setzen, w elche davon Anwendung auf 
die Praxis machen wollen. So mufs z. B. die Behaup- 
tung des Columba zu dem Glauben verleiten, dafs 
eine künstliche Ausleerung, als solche, bei dem in Rede 
stehenden Fieber unmittelbar Nutzen stiften . könne. 
Möge nur, w er diesen V ersuch wagt, nicht einen Aus- 
gang erleben, wobei sein Gewissen verletzt wird. Wer 
sich hingegen davon durchaus keinen Nutzen verspricht, 
wird geneigt sein, eine Unterstützung der Kräfte für 
zulässig und daher die Stopfung des Durchfalls für er- 
spriefslich zu halten. Wendet er aber constipirende 
Mittel an, so geräth er dadurch in einen noch gröfsc- 
ren Irrthum, w odurch er sich mit der Wissenschaft und 
dem Gewissen entzweit. 

i 

. Man hat mir ein zweifaches litterärisches Verge- 
hen Schuld gegeben, dafs ich theils die Schriften an£ 
derer, besonders der neueren Aerzte gar nicht erwähne, 
theils nur meine eigenen anführe. Was die erste An- 
klage betrifft, so ist sie geradezu falsch, wiewohl ich 
gern gestehe, dafs ich meistentheils keinen Nutzen von 
dem Allegiren absehe. Denn da, wo man sich auf das 
* Zeugnifs anderer berufen kann, ist es besser, anstatt 
überflüssiger Citate das Thatsächliche selbst anzufüh^ 
ren, und für sich sprechen zu lassen, da es aufser dem- 

• selben gar keine Autorität giebt. Auch ist in solchen 
Fällen die Zahl der Gewährsmänner so grofs, dafs 
man unter ihnen keine Auswahl treffen kann. Wenn 
endlich' Thatsachen, für welche man Zeugen aufrufen 
kann, ihrer nicht bedürfen; so giebt es, wie ich auf- 
richtig bekennen mufs, für die noch nicht gehörig er- 

, forschten keine vollgültige Bürgschaft. Denn die aus- 
schweifende Begierde, Aufserordentliches zu erdichten 

* und zu verkündigen, mufs das Gemülh mit Ekel gegen 
einen solchen Mifsbrauch erfüllen, daher ich auch das 


I 


XXXIX 

I 

t / 

Gute, was unter so vielem Schlimmen enthalten sein 
mag, auf sich beruhen lassen will. 

Die von mir in der Physiologie vorgetragenen und 
erwiesenen Sätze konnte ich von niemand entlehnen, 
da sie von den Meinungen anderer geradezu abwei- 
chen; denn ich leite die meisten und vornehmsten un- 
ter ihnen von den Bewegungen ab, welche nothwen- 
digen Zwecken angemessen und durch sie bestimmt 
sind, dagegen die Neueren die Bewegungen aus me- 
chanischen Reizungen erklären, welche nicht auf einen 
Zweck hingerichtet, sich allein nach materiellen Ver- 
hältnissen richten. Eben so erweise ich es, dafs die 
Betrachtung des inneren Baues der festen Theile der 
eigentlichen medicinischen Anschauungsweise fremd ist, 
da es nicht in der Macht der ärztlichen Kunst steht, 
für jenen Sorge zu tragen; so wie überhaupt jede me- 
chanische oder anatomische Vorstellungsart auf das te- 
leologische Verhältnifs der Bewegungen, nach welchem 
sie in bestimmter Ordnung, Zeit- und Reihefolge und 
in der Angemessenheit zu ihrem Zweck von statten 
gehen, Jiein Licht wirft. 

Noch weniger wird man bei anderen dasjenige 
antreffen, worauf ich die Pathologie begründe. Denn 
was kann wohl mehr von der allgemein angenomme- 
nen Grundlage derselben sich entfernen, als meine Be- . 
hauptung, dafs die Abweichung der Bewegungen von 
ihrer natürlichen Ordnung ungleich wichtiger ist, als 
eitle verhältnifsmäfsige Verderbnifs der Materie, zumal 
eine sölche, welche ursprünglich statt findet, also nicht 
aus einem Fehler der Bewegungen hervorgegaugen ist? 
Deshalb bestehe ich ganz vorzüglich darauf, dafs die 
abweichenden Zustände der Bewegung keines weges aus 
der Verderbnifs der Materie entspringen, sondern dafs 
sie nur wegen derselben erfolgen. Eben so lege ich 
es dar, dafs jene krankhaften Stoffe, auf welche die 


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Bewegungen vielmehr gerichtet sind, als dafs sie aus 
ihnen hervorgehen, keinesweges der aktiven Verderb- 
nifs,* welche man gewöhnlich bei ihnen voraussetzt, 
theilhaftig sind; sondern ( dafs die Bewegungen einge- 
leitet werden, um jener Verderbnifs vorzubeugen, da- 
mit sie weder eintreten, noch weiter um sich greifen 
könne. . In unauflöslichem Zusammenhänge mit diesen 
Sätzen steht meine Folgerung, dafs viele dergleichen 
Bewegungen, ungeachtet sie aufser der natürlichen Ord- 
nung im ; Körper von statten gehen, keinesweges nach 
dem gemeinen Begriff dem Naturgesetz zuwider laufen, 
und ' als \ wirklich, krankhafte, unmittelbar durch die 
Krankheitsursache gestört und verletzt, mit ihrem auf 
die Erhaltung des Lebens berechneten Verhältnifs und 
Streben entzweit, und geradezu gegen dasselbe gerich- 
tet sind, sondern dafs sie vielmehr unter diesen Bedin- 
gungen nicht blos nützlich, sondern in den gefährlich- 
sten Fällen sogar unumgänglich nothwendig sind, weil, 
wenn sie nicht erfolgten, von den schädlichen Materien 
eine nahe , und gewisse Zerstörung befürchtet werden 
müfste. Es erhellt daraus, dafs sie nicht sowohl im 
Allgemeinen wegen der schädlichen Materien, sondern 
vielmehr geradezu zur Bekämpfung derselben hervor- 
gerufen werden, folglich nicht durch dieselben erzeugt 
sein können. 

i ' 

Aus diesem Princip ergiebt sich ferner der Satz, 
welcher nach den herrschenden Schulbegriffen paradox 
sein würde, dafs nämlich in unzähligen Fällen kein ge- 
rades Verhältnifs zwischen' den krankhaften Materien 
und den Bewegungen obwaltet, sondern dafs letztere 
ungleich schneller und kräftiger eintreten, als sicfy nach 
dem wahren Verhältnisse der Materien erwarten liefse. 
Dies gilt besonders von den Angewöhnungen, wo nach 
den üblichen Vorstellungen der Stoff je iänger je schwä- 
cher wirken müfste. 

Auf dieser Grundlage habe ich nicht nur die ge- 


XLI 


sammte Fieberlehre festgestellt, sondern damit auch die 
mannigfachen Zurüstungen des Blutlaufs, Behufs der 
Ausleerungen und ihrer Erfolge, so wie die Krankheits- 
zustände in Verbindung gebracht, weiche bei Verhin- 
derung jener eintreten. Man hat mir zwar eingewor- 
fen, dafs schon lange vor mir Campanella die Fie- 
ber für eine nützliche Sache erklärte; jedoch habe ich 
dies keinesweges verschwiegen, und es viel besser ge- 
wufst als meine Tadler, die das Werk des C am pa- 
tt eil a über die Fieber, welches ich vor Augen hatte, 
nicht einmal den Namen nach kannten. Eben so of- 
fenherzig habe ich es bekannt, dafs auch Sydenham 
das Fieber für ein Werk der Natur hält, und dafs 
Helmont desgleichen darauf hindeutet. Jedoch mufs 
man meine Uebereinstimmung mit diesen Männern aus 
einem ganz anderen Gesichtspunkte würdigen, als jene 
es gethan haben. Denn da die Sache selbst in der 
Natur gegründet ist, so kam es auf die wissenschaft- 
liche Form des Beweises an, mit weichem ich sie er- 

' t 

fafste* in welcher Gestalt sie mir erscheinen mufste. 
Wer mit hellsehendem Geiste begabt ist, nicht aber der 
Wirrkopf, wird den grofsen Unterschied begreifen zwi- 
* sehen der empirischen Anerkennung der Wahrheit, dafs 
das Fieber in seinen Erfolgen heilbringend ist, und der 
wissenschaftlichen Erklärung derselben durch die werk- 
zeuglichen Mittel, wodurch sie erst festbegründet und 
einleuchtend wird. Es ist damit, als wenn man wüfste, 
dafs es in der Welt Brod giebt, nicht aber, wo man 
es finden, oder wie man es bereiten soll. 

- Auf gleiche Weise mufs . man die Bemerkungen 
der Alten über diesen Gegenstand beurtheilen, welche 
lehren, dafs in den Fiebern, zumal den hitzigen, Kri- 
sen durch zeitgemäfse Ausleerungen augenscheinlich zu 
Stande kommen, dafs die Natur mit der Krankheit 
einen Kampf eingche, dessen glückliche und vollstän- 
dige Entscheidung als ein Sieg der ersteren zu be- 
• % 
t * 


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« 


XLII 

trachten sei. Die Natur ist ihnen daher das Bestre- 
ben zur Wohlfahrt des Körpers, welches sich in man- 
nigfachen Versuchen und Thätigkeiten kund giebt. Er- 
reicht dasselbe nicht glücklich sein Ziel, so schreiben 
sie dies einer unbezwinglichen krankhaften Beschaffen- 
heit der Materie zu; jede Erschütterung dagegen, wel- 
che zu einem glücklichen Ausgange gelangt und dahin 
gerichtet ist, leiten sie von dem heilsamen Bemühen 
der Natur, von ihrer thätigen Wachsamkeit und ange- 
messenem Wirken ab. / 

Gern bekenne ich meine Ueberzeugung, dafs nichts 

schicklicher gesagt werden könne; jedoch wird jeder, 

\ 

der die Urkunden jener zu Käthe zieht, einräumen, 
dafs überall eine eigentliche Theorie fehlt, nämlich eine 
genaue Bezeichnung, welches die vermittelnden Um- 
stände sind, welches die Erfolge und angemessenen 
Fortschritte, wie dazu die Stoffe sich verhalten, und 
nach welcher Regel dies alles eingerichtet sein müsse, 
damit ein heilbringender Erfolg eintreten könne? 

Diejenigen, welche das Lehramt übernahmen, hät- 
ten nicht mit gehaltlosen Worterklärungen, sondern 
mit thatsächlichen Beweisen und klinischen Erörterun- 
gen die. Wahrheit des Hippokratischen Satzes darthun 
sollen: Quod Natura , a nernine edocta , praest et rd 
öeovra , quae debeant, deceat, et conveiuat fieri ; also 
dafs die Natur selbst die krankheitsheilende ist, dafs 
viele Menschen ohne Arzt und Arzneien, keine ohne 
Heilung ( medicinä ) genesen. Man hätte also doch da- 
nach forschen sollen, worin diese in dreifacher Rück- 
sicht gepriesene Naturthätigkeit begründet, und ob wirk- 
lich das, was sie thut, nothweudig sei, auf welche W r eise 
sie die Krankheiten heile, also welches die eigenmäch- 
tige Heilkraft der Natur sei. Nirgends erscheint mir 
die Neugierde tadelhafter als hier, wo sie nicht etwas 
Freipdes betrifft, sondern so zu Werke geht, dafs 
das Naheliegende und Unentbehrliche durch sic in Ver* 


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gessenheit und Geringschätzung geräth. Es war über- 
flüssig den Hippokrates als Autorität zu verehren, da 
die Sache selbst in zahllosen Beispielen deutlich ‘vor 
Augen liegt, nämlich die eigenmächtige Genesung der 
Kranken von vielen und den heftigsten Krankheiten. 
Biese wichtige Wahrheit ist auch nicht in einem ein- 
zigen unter den berühmten Systemen, selbst nur oben- 
hin berührt und angedeutet worden. j 

Und doch kommt alles darauf an, auszumitteln, 
ob die Naturthätigkeit, selbst bei der Mitwirkung des 
Arztes eine unbedingt nothwendige, oder ob sie dies 
weniger ist; ja ob überhaupt von ihr unmittelbar das 
Werk der Heilung ausgeht, oder ob diese nach den 
Begriffen der Neueren dadurch zu Stande kommt, da£s 
die Materie in sich defeivescirt und somit unfähig wird, 
dem Körper zu schaden. 

, Ein anderes Beispiel betrifft die Vollblütigkeit, . 
welche schon die Allen hin und wieder als Ursache 
verschiedener Krankheiten anerkannten, ohne dafs man 
jedoch sagen kann, sie hätten den: ursächlichen Zusam- 
menhang richtig aufgefafst. Sie leiteten z. B. davon 
die Blutflüsse ab, täuschten sich aber über deren Be- 
deutung, indem sie dieselben für rein passive Zufälle 
hielten, und beachteten die darauf hinzielenden Bewe- 
gungen und deren bestimmte Perioden nicht gehörig, 
so dafs sie die Grundbedingung der Entwickelungs- 
krankheiten ( morbi aetatum) und deren Steigerungen 
aus den Augen verloren. Zwar stöfst man unter den 
Kurrcgcln der verschiedenen Systeme, besonders auch 
der Alten, auf die Warnung, vorsichtig bei der Hei- 
lung mancher Blutflüsse, die man sogar für eine Wohi- 
that der Natur halten müsse, zu verfahren; niemand 

i 

hat jedoch diese wichtige Wahrheit in das ihr gebüh- 
rende Licht gestellt. Aus dem Mangel einer befriedigen- 
den Erkenntnifs hierüber entsprang der Streit über den 
wahren Nutzen der Blutentziehungen, welcher durch- 


XLIV 




aus nicht zur Entscheidung gebracht werden . konnte. 
Und doch läfst sich auf eine so einleuchtende Weise 
darlegen, welchen unmittelbaren Vortheil bei der Voll- 
blütigkeit und den aus ihr entspringenden heftigen Be- 
wegungen die Blutflüsse bringen, und welche Nach- 
theile und weiteren Krankheitszustände sich ergeben, 
sobald dieselben ausbleiben. 

Ich darf daher nicht besorgt .sein, dafs .redlich 
Gesinnte mir das Eigentümliche meiner Deduktionen 
streitig machen werden, und kann getrost fortfahren, 
aus diesen ein zusammenhängendes System zu ent- 
wickeln, welches zur Grundlage einer wissenschaftli- 
chen Therapie geeignet ist. Mag es auch den, An- 
schein haben, als ob ich einzelne Thatsachen von an- 
deren entnommen hätte; so darf ich doch behaupten, 
dafs bei der systematischen Verknüpfung derselben, 
in deren Verfolg nirgends eine Lücke geblieben ist, 
und bei ihrer Anwendung auf die praktische Heilme- 
thode, niemand mir vorgeleuchtet hat Es verhält sich 
aber hiermit, wie mit jedem festen Verbände, dafs^ 
nämlich kein Glied daraus entfernt werden darf, wenn 
nicht das Ganze Zusammenstürzen soll. Kann man 
mir daher nicht nachweisen, dafs meine Lehren schon 
anderswo in der nämlichen Verbindung vorgetragen 
sind; so hat man nichts bewiesen. Ja, hätte ich auch 
nur das Vereinzelte gesammelt und dadurch ihm sei- 
nen wahren Werth verliehen, den es in seiner Zer- 
streuung einbüfsen mufste; so würde auch dies mir 
mehr zum Lobe, als zum Tadel angerechnet werden 
können* *)* 

♦ ' * 

— 1 ■ ’ > 

*) Stahl trägt hierauf seine eigenthümlichen Begriffe vom 
Lehen vor, welche im ersten Abschnitt der Physiologie so aus- 
führlich erörtert worden sind, dafs ihre Wiederholung ganz miifsig 
sein würde. Merkwürdig ist es indtfs, dafs er dort in dem Ka- 
pitel vom Kreisläufe nicht der tonischen Bewegung gedacht hat, 
auf deren Mitwirkung an demselben er ein so grofses Gewicht 


v 


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XLV 


/ 


Die Wirkung der tonischen Bewegung bezieht sich 
nicht blos auf die Beförderung des Kreislaufs im All- 
gemeinen, sondern auch auf die Bestimmung der :ein- 
zelnen Richtungen desselben. Es ist r unumgänglich 
nothwendig, sie zu kennen, weil ohne sie eine Menge 
von Erscheinungen in mannigfachen Zuständen nicht 
begriffen werden können. Vorzüglich wird durch sie 
das Geschäft der Ab- und Aussonderungen erläutert, 
in wiefern nämlich die absondernden Organe durch sie 
unmittelbar in einen schlaffen oder angespannten Zu- 
stand versetzt, folglich auf mannigfache Weise bestimmt 
werden können. ,- Aber auch mittelbar und von fern 
her tritt eine solche Wirkung ein, indem von andern 
Orten durch aktive Bewegungen eigenthümliche Kon- 
gestionen nach den Stellen, wo eine Absonderung statt 
finden soll, geleitet werden. Zwar waren den älteren - 
Beobachtern dergleichen Metastasen, und wie sie zur 
Unzeit mit plötzlicher Heftigkeit eintreten, nicht un- 
bekannt; die Neueren übersahen* sie aber ganz, und 
wufsten nur mit mechanischen, und hydraulischen Be- 
griffen : von passiven Stockungen zu reden. Ihre irri- 
gen Vorstellungen werden aber leicht durch den Um- 
stand, welcher einen neuen Beweis für die tonische 
Bewegung liefert, widerlegt, dafs die Ausleerungen in 
bestimmten Perioden wiederkehren. \ , , , . ' ; - 

„ Indefs die Wahrnehmung, dafs die Ab- und Aus-1 
sonderungen gelinde und langsam, ja selbst unterbro- 
chen und scheinbar zufällig von statten gehen, wäh- , 
rend alle übrigen Eunktionen sich in einem , ruhigen 
und gemäfsigten Zustande- erhalten, so dafs jene un-i 
mittelbar mit dem Kreisläufe in Verbindung stehen $ 
diese Wahrnehmung bewog die Anhänger des mecha-J 
nischen Systems, jede eigenthümliche Absicht bei jenem 


* i . t 

legt, daher ich die ah dieser Stelle eingeflochtenen Bemerkungen 

folgen lassen wilLv^V . ' .;v*rAi :;:h tu 


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XI, Y| 


Geschäft' abzuleugnen, und einen blofsen Zufall gelten 
zu lassen. -Wenn aber Etwas sich ereignet, welches 
über die angemessene Ordnung und Gleichmäfsigkeit 
hinausschweift, und dawider Bestrebungen nach be- 
stimmten Orten,' innerhalb gewisser Zeit und vermöge 
eigentümlicher Bewegungen ankämpfen; so kann über 
diese Erscheinung aus jener fahrlässigen Anschauungs- 
weise nur die unstatthafte Erklärung abgeleitet wer- 
den*, dafs alle jene Zurüstungen und* Ausgänge blos 
Wirkungen der Krankheit sind, und keinen thätigen 
Antheil von Seiten der organischen Oekonomie in sich 
begreifen, und dafs jeder Nutzen, der daraus erwach- 
sen mögte, ein blos zufälliger ist. Oder man müfste 
dies der besonderen Einrichtung durch die göttliche 
Weisheit zuschreiben, danach die Materien an sich zur 
Hervorbringung eines günstigen Erfolges geschaffen wä- 
ren, und somit jeden weiteren Zweifel in einer mysti- 
schen Philosophie verstecken, welche Alles gesagt zu 
haben scheint, obwohl sie Nichts oder nur Verkehrtes 

# 

zum Vorschein bringt. ' Denn wenn schon dem schlich- 
ten Sinne des gemeinen Mannes nicht die Erfahrung 
entgeht, auf wie häufige, wirksame und auffallende 
Weise jenes als unveränderlich gedachte Verhällnifs 
zwischen den Stoffen und* den Ausscheidungswegen, 
selbst in Bezug auf die rein physischen Vorgänge, durch 
blofse Gemüthsbe wegungen tief verletzt, wird ; so mufs 
jenes Philosophen® dem . unbefangenen Verstände als 
eine' Beleidigung der göttlichen Weisheit, Güte und 
Macht erscheinen, weil die der Materie nach dem Wil- 
len Gottes* eingeprägt ent. unwandelbaren Gesetze der 
Herrschaft jedes ifrivolen, kindisch zaghaften, tibelwol^ 
lenden GemütheB unterworfen sein würden. * 

>,i Nur das richtige Verständnifs der thätigen toni- 
schen Bewegung kann das Heilgeschäft erläutern, da- 
her jeh mich auch , auf alle W eis<? bejnijrht . habe, diese; 
Lehre in der Dissertatio de Motu Tonico Vitali dar- 


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xlvii 


zustellen. Ich hatte dieselbe hauptsächlich für prakti- 
sche Aerzte bestimmt, und die einleuchtende Wahrheit 

- i 

so wie den ausgezeichneten Nutzen jenes Begriffs zur 
Erklärung der Krankheitsersclieinungen, und zur An- 
wendung eines künstlich nachahmenden Heilverfahrens 
dargethan. Dabei hatte ich diese Lehre praktisch durch 
Beispiele erörtert, und jeden lästigen Syllogismus ver-s 
mieden, weil ich wohl wufste, dafs die Menschen un- 
gleich leichter durch anschauliche Darstellungen und dar- 
aus abgeleitete Induktionen zu einer richtigen Schlufs- 
folge geleitet werden können* als durch theoretische 
Postulate, welche sich mehr auf Voraussetzungen als 
auf wirkliche Erweise stützen. Ich zeigte daher gleich 
zu Aniang, dafs der Kreislauf des Blutes, unbeschadet 
seines allgemeinen Gesetzes, auf besondere und eigen- 
tümliche Weise mannigfach abgeändert, und vorzugs- 
weise nach einzelnen Theilen des. Körpers bestimmt, 
also von andern Theilen abgeleitet werden könne. 

Wider Erw arten erreichte ich meinen Zweck nicht, 
weshalb ich eine ausführlichere Bearbeitung dieses Ge- 
genstandes durch meine Dissertatio de Aestu rrtaris 
rrricrocosmici bekannt machte, worin ich den Ausllufs 
des Blutes aus dem Mittelpunkte nach dem Umfange, 
seinen Rückflufs, und wie beides sowohl im Allgemein 
nen, als im Besondem auf eigentümliche Weise er-' 
folgen könne, darstellte. • 

Insbesondere suchte ich eine wahrhafte Aetiologie 
der Fieber zu begründen und mit den Erscheinungen 
derselben in Einklang zu bringen, wobei sich dann er- 
gab, dafs ihre verschiedensten und wichtigsten Eigen- 
tümlichkeiten, welche sich auf ihre Zeitläufe, typische 
Ordnung, Heftigkeit, vornämlich aber auf den Erfolg 
der mannigfachen Ab- und Aussonderungen bezogen, 
in der tonischen Bewegung als ihrer aktiven Bedin- 
gung ihre Erklärung finden, und dafs >es bei Unk ennt- 
nifs oder Nichtbeachtung derselben unmöglich ist, über 


I 


I 


« < 

, / 

/ 

XLVIII 

V 

irgend eine jener Erscheinungen Rechenschaft zu ge- 
ben. So wurde es mir möglich, die Lehre von der 
tonischen Bewegung auf thatsächliche Wahrheit zu be- 
gründen. 

Hieran reihte sich die Dissertatio de Motu hu- 
morurn spastico , in welcher ich zeigte, dafs die soge- 
nannten porösen und schwammigen . Theile des Kör- • 
pers, welche für gewöhnlich eine gröfse Menge von 
Blut in sich aufnehmen, vermöge jener tonischen Be- 
wegung sich in sich zusammenziehen, das in ihnen ent- 
haltene Blut ausdrücken und nach andern Behältnis- 
sen, nämlich den Venen, forttreiben, und dafs sie, so 
lange jene Zusammenziehung in ihnen andauert, dem 
Blute keinen [neuen Eintritt gestatten, vielmehr dasselbe 
nöthigen, in gröfserer Menge in andere Theile des 
Körpers einzudringen. Alles dies belegte ich mit häu- 
fig vorkommenden und einleuchtenden Beispielen, durch 
welche nicht nur die Möglichkeit jener Vorgänge, son- 
dern auch ihre Wirklichkeit erwiesen wurde. 

Um aber mich völlig von der unfruchtbaren Me- 
thode loszusagen, welche den neueren Theorien eine 
wankende Grundlage unterschiebt, indem sie von Um- 
ständen ausgeht, welche der thatsächlichen Wahrheit 
entgegen, aus leeren Voraussetzungen entspringen; und 
um das, was wirklich geschieht, zu erweisen und fest- 
zustellen; suchte ich zunächst die Aufmerksamkeit auf 
die eigenmächtige Leitung der Lebenskräfte, also auf 
die erhaltenden Thätigkeiten hinzulenken, mit denen 
die Natur den gefährdeten Körper erleichtert und be- 
freit. Von diesem Gegenstände handelte die Disser~ 
tatio de avroxQcaia naturae und das Programma de 
6WEQyt(p naturae, \n denen ich die zukünftigen Aerzte 
daran erinnerte, was sie in Betreff der thätigen Natur- 
kraft/ und .in Beziehung auf ihre eigene Obliegenheit 
zu beobachten hätten, wie ich denn diese Lehren auch 
bei* anderen Gelegenheiten einschärfte. Ja um . diese 

ein- 


\ 


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* XLIX 


einfache und doch so allgemein gültige Wahrheit noch 
mehr aufzuhellen , bearbeitete ich das in der neueren 
Schulweisheit unerhörte Thema von der Seltenheit der 
Krankheiten, nämlich die Behauptung, dafs die einzel- 
nen Menschen nur selten, und der Art nach nur von 
einer geringen Anzahl von Krankheiten befallen wer- 
den. Zu noch gröfserer Aufklärung hierüber stellte 
ich eine Genealogie der Krankheiten in der Lehre von 
den Krankheiten der verschiedenen Lebensalter auf, 
welche ich wegen ihrer vorzüglichen Wichtigkeit in 
der Dissertatio de motibus humorum spasticis und 
de Infrequentla rnorborum abhandelte. * 

Der Inhalt dieser Streitschriften läfst sich auf fol- 
gende Sätze zurückb ringen : 1) Die Natur (nämlich nach 
der Meinung Galen’ s und anderer älteren Aerzte, die 
Seele, wie ich dies in meinem Prograrnma Isagogi- 
cum gezeigt habe) steht selbst ihren Angelegenheiten 
vor ( suis rebus ipsa consulit ); 2) sie bedient sich 
dazu vornämlich der tonischen Bewegung, mit welcher 
sie 3) insbesondere Entleerungen des überflüssigen rei- 
nen Blutes durch die moiimina haemorrhagica be- 
wirkt, welche sie 4) in eigenthümlichen Organen her- 
vorruft. 5) Di<?se Ausleerung gereicht dem Körper 
vielmehr zum Vortheil, als zum Schaden, wenn sie frei 
von jeder Störung von statten geht. 6) Wenn aber 
die Naturthätigkeit von vorn herein zu sehr erregt 
( irritatur ), somit die Ausleerung zu häufig wiederholt, 
und dadurch diese zur Gewohnheit wird, besonders 
wenn sie ohne Hindemifs erfolgt; oder 7) w r enn um- 
gekehrt bei diesem gesetzmäfsigen Bestreben zur Aus- 
leerung der Naturthätigkeit Hindernisse entgegentreten, 
dann ereignen sich gewöhnlich in den ausleerenden Or- 
ganen andere denselben entsprechende Krankheitszu- 
fälle. Hiermit habe ich folgende zwei anscheinend pa- 
radoxe Sätze in Verbindung gebracht, und durch That- 
sachen . erwiesen, nämlich 8) dafs die Lebensbew egunc 
Stahls Theorie d. Ileilk. I. d 




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/ L • 

\ * " 

allein und als solche , ohne einen selbst verhältnifs- 
mäfsigen Fehler der Materien und Organe schnell und 
tief verletzt und zerrüttet werden kann; und 9)j dafs 
viele Krankheiten, welche man bisher aus hypotheti- 
schen Verstopfungen, Reizungen, oder aus einem -Auf- 
ruhr der Geister herleitete, ihre einfache und einleuch- 
tende Erklärung in einer rein mechanischen Ursache, 
nämlich in der Verdickung des Blutes finden, welche 
laut dem Zeugnifs der Erfahrung aus dem Mangel einer 
hinreichenden Verdünnung entspringt. 

Aus Erfahrung wissen wir, wie leicht ein Ueber- 
flufs an Blut entstehen könne, dessen häufige und hef- 
tige Aufwallung die Besorgnifs des Ausbruchs schwe- 
rer Kranhheiten einflöfsen mufs. Unstreitig ist es ge- 
rathener, letzteren rorzubeugen, als ihnen Zeit zu las- 
sen, eine gefahrdrohende Höhe zu erreichen. Zur Er- 
füllung des ersteren Zwecks hat die Natur, wie man 
sich durch Beobachtung überzeugen kann, zwar eine 
eben so passende als wirksame Vorrichtung in den 
Bewegungen getroffen; jedoch ereignet es sich nur zu 
häufig, dafs das Blut, welches wegen seiner Menge 
eine Entleerung nöthig machte, durch seine Beschaf- 
fenheit für letztere untauglich wird. Dann entsteht ein 
Kampf zwischen dem Bestreben zur Ausleerung und 
dem Widerstande der jzu bewegenden Materie, wo 
daun die Stockung der letzteren noch kräftigere An- 
strengungen, und somit mannigfache Zufälle hervorruft 
Jede andere Erklärung dieses Vorganges mufs nicht 
nur ganz verworren ausfallen, sondern sich auch vom 
wahren Sachverhältnifs völlig entfernen. Manche stel- 
len z. B. die Behauptung auf, dafs diese Bewegungen 
nicht von der Seele ausgingen, welche ihren Zweck 
auf« eine angemessene Weise zu erreichen strebt, son- 
dern von anderen, der' Materie eingepflanzten hypo- 
thetischen Kräften, Geistern, u. dgl. deren eigentliches 
Verhältnifs und Richtung unmittelbar vom göttlichen 


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„ ■ ■ - 

Willen abhange. So fühlen also auch sie, ohne sich 
darüber aufgeklärt zu haben, die Nothwendigkeit der 
Annahme eines auf die Erreichung bestimmter Zwecke 
gerichteten Princips, und gewisser Regeln, welche das- 
selbe sich dabei vorschreibt; doch flechten sie auf eine 
frivole Weise den göttlichen Willen in das Heilge- 
schäft unmittelbar ein, welches von Leidenschaften so 
häufig im Innersten gestört wird. Gleichwie aber die 
friedliche Seele mit Ruhe und Ordnung über die Er- 
haltung ihres Körpers wacht; eben so überträgt sie 
ihren innern Zwiespalt unmittelbar auf das Heilgeschäft 
und dessen Leitung, welches sie als das ihrige aner- 
kennen mufs. Diese wichtige Wahrheit, welche ich 
in meiner Dissertation über die Temperamente mit meh- 
reren Beweisen belegt habe, wird aber bei der aus- 
schliefslichen Richtung des Sinnes auf mechanische Ver- 
hältnisse von niemand eingesehen. Galen hat zwar 
das Geschichtliche in der Lehre von den Tempera- 
menten zum Theil dargestellt; mir blieb es indefs über- 
lassen, die Aufmerksamkeit auf folgenden wichtigen 
Punkt zu lenken: dafs die Oekonomie der Lebensthä- 
tigkeit in dem Verhältnifs der Bewegungen ein Vor- 
bild für das Verhältnifs der Geraüthsregungen abgiebt, 
oder um mich ohne alle abstrakte Formeln auszu- 
drücken, dafs die Seele den Typus und das Verhält- 
nifs der Bewegung, an welches sie bei der Herrschaft 
über den Körper nach dem mechanischen Verhältnifs 
zwischen der Menge und Beweglichkeit der Säfte 
und deren Behältern gebunden ist, hinterdrein auf die 
Ordnung und das Maafs ihrer moralischen Kräfte 
überträgt. 

Aber auch in Betreff der Lebensbewegungen, so- 
wohl derer, welche sie im naturgemäfsen Zustande, 
als auch derer, welche sie aufser der gewöhnlichen 
Ordnung vollbringt, befolgt sie den Typus angenom- 
mener Gewohnheiten, welche sich bei Anlafs zufälli- 

d 2 


i 


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LII 

ii * . 

i - » ' 

ger äufserer Umstände ausbildeten. Dies nimmt man 
nicht nur häufig beim Typus akuter (Fieber) Bewe- 
gungen wahr, sondern auch bei jenen urplötzlichen, 
überaus wirksamen und augenscheinlichen Veränderun- 
gen der Lebensthätigkeit durch die leidenschaftlichen 
Erschütterungen eines nicht wohl erzogenen und be- 
festigten Gcmüihs. Hierbei mufste ich mich aber vor ■ 
der irrigen Erklärung derer bewahren, welche derglei- 
chen auf heftige Gemülhsbewegungen augenblicklich 
folgende Anomalien der Lebensthätigkeit von einem 
allgemeinen Aufruhr der Geister ableiten. Denn es 
verhält sich damit gerade umgekehrt, in sofern in den 
genannten Fällen die Lebensthätigkeit nicht tumultua- 
riscli zu Werke geht, sondern sehr genau den Typus 
der Bewegungen und Bestrebungen des Geinüths be- 
folgt. Ich zeigte in der Dissertatio de Aesiu rriaris 
microcosrruci an deu Beispielen der Empfindung der 
Kälte, der Wärme, des Schrecks, der Furcht, des 
Zorns, dafs liier ein Ankämpfen gegen etwas Lästiges 
im Körper gerichtet sei, und bis zur Austreibung des- 
selben wiederholt werde. Besonders einleuchtend wird 
dies beim Ekel, der oft aus blofser Einbildung entsteht. 

Einen eben so unerhörten Satz stellte ich in der 
Dissertatio de I^requentia rnorborum in hornine prae 
brutis auf, w r orin ich diese Häufigkeit vornämlich von 
den verkehrten Sitten und Irrthümern der Seele ab- 
leitete, welche, wenn auch nicht ausschliefslich dem 
Menschen eigen, doch bei ihm am zahlreichsten sind, 
und daher weit mehr, als bei den Thiercn, zu Krank- 
heiten den Ursprung abgeben müssen. Doch hätte ich 
diese Begriffe nicht zur Evidenz erheben können, wenn 
ich nicht die von den Alten verworren vorgetragene, 
von den Neueren aber vernachlässigte Lehre über die 
Temperamente, in meiner von denselben handelnden - 
Dissertation auf ihre wahre Grundlage zurückgeführt 
hätte, indem ich nicht nach jener verderblichen Kor- 


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UII 

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> ' 

puscularphilosophie, sondern nach dem Begriff eines 
organischen oder werkzeuglicken Mechanismus aus ein- 
ander setzte, dafs das Wesen der Temperamente in 
dem Verhältnisse der festen, porösen und wegsamen 
Theile zu den Säften, welche sie. in sich aufnehmen 
sollen, begründet ist *). 

t 

^ I . ■ i . . . . mm- ... — I f 

0 

*) Cs dürfte nicht uninteressant sein, die Art, wie Stahl 
die Hypothesen seiner Gegner zusaminenstellt, mit seinen eige- 
nen Worten wiederzugehen. Cujus rei uti generalem usum uno 
continuo compectu exhibui in Dissertatione de Mechanismo 
m ot us sanguinis ; puto certe alia methodo et ardine , alio 
verarum rer um , et demon&trationum etiam ph ysico - mechanico - 
• organicarum numero , et alio passim , imprimis autem praeci- 
puo, usu atque necessitate ad verain corporis Vit am, quam 
usquam compareat in istis classicis in hunc usque dient pro - 
ductis de circulatione sanguinis , figur a partic ularum 
sangu inis , poris sanguinis , energia spirituum vita - 
liurn , in sanguine , et in sang uinem , aura vitali, bal - 
samo vitali atque mumiali , f lammul a cor dis, priini 
Klementi influxu directo , obliquo, luminoso , tenebri - 
coso etc. ventilatione refrigeratoria sanguinis per 
aeris inspirationem , et em is sio ne fu l igi n u m per exspira- 
tionem , de univoca sanguinis distrib utione per pulsuin 
solum , de facilitate et promiscuo eventu ob st r uctionum, de 
grumescentia sanguinis a causis et gener alissimi s et com- 
munissime familiaribus : de dijj'usis non solum restagna - 
tionibus , sed etiam stasibus ab exiguo aliquo meatu , 
per spinae inßxionem, imo solum compunctionem inducen- 
dis : de flniditate sanguinis et calore ejus, nempe motu in- 
te st in o, progressivum simpliciter praecedentibu et ni- 
hil ab illo de pendentibu s : de calore inflammator io ab 
ipsius puris gener atione , simpliciter et immanenter susci- 
tato: de sanguine ut thesauro vitae simplici , ejusque ita 
numquam nimia mensura: de eruptionibus sanguinis 
simpliciter pa ssivis , et ab obstructione materiali , ab infarctu 
passivo viarum, dependentibus (nisi quod menstruae faemina- 
rum, imo forte etiam aliae exquisit ae statae , non aeque 
pertinaciter ad hunc censum adigantur , magiq tarnen, quia ita 
placet, quam quod ratio inveniri possit) de provuealione mo- 
t uum sanguinis extraordinariorum omnium , ft Stimuli s 
sexcent ar um potestatum salinurum . (seponendo tarnen liic 


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LIV , 


Um dies desto besser zu erweisen, gab ich eine 
Dissertation heraus, welche die wahre Aetiologie der 
Entzündungen abhandelt, worin ich zeigte, dafs in der 
Gegenwart, . oder richtiger in dem Yorangehen ma- 
terieller Ursachen keine physisch nothwendige Bedin- 
gung der Entzündungserscheinungen, der Wärme, l\ö- 
the, Geschwulst und der Empfindung des Brennens 
enthalten sei. Mein Beweis stützte, sich vornämlich 
auf das Beispiel des Brandes, wo eine überaus feine 
und durchdringende, innere zerstörende Bewegung ob- 
waltet; so wie auf die moralische Nothwendigkeit des 
unter dieser materiellen Bedingung fortdauernden, bis 
zur Entzündung gesteigerten Blutlaufs, wenn nicht ein 
unvermeidlicher Untergang des Theils, und somit des 
ganzen Körpers, aus blofser Fahrlässigkeit und^Träg- 
heit des erhaltenden Lebensprincips mit Sicherheit er- 
wartet werden solle. 

Gleichwie diese Begriffe auf eine einleuchtende 
Weise die Natur der blutigen Ausleerungen erklären, 
eben so bewährt sich ihr Nutzen und ihre Gewifsheit 
in der Erläuterung mancher anderen Zufälle, welche 
zwar nicht unmittelbar auf aktive Blutflüsse hinwirken, 
aber doch zum freien Umtriebe des Blutes im Körper 
offenbar beitragen. Hierher gehören besonders die 
krampfhaften hypochondrischen Bewegungen, von wel- 
chen ich in den Dissertationen de Vena portae , porta 
malorum et de rnalo hypochondriaco, ferner de spas- 
mis , et motibus humorum spasmodicis , so wie gele- 
gentlich an anderen Orten gehandelt habe. Ich be- 
* 

etiam, sed magis secundum voluntatem, quam intelle - 
ctum, commotiones tales per animi pathemata praesentis- 
sime, certissimeque coorientes ) ; aut per. Spiritus illos de geile- 
res (tanquafn vera r« tzvi vfiansu nonjqCaq iv rolq InovQavtoiq 
tpliaera animalis, t umult um, atque seditionum rcos agendo ), de 
acido volatili sphacelum constituente . etc. etc. 


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i 


rufe mich hierbei auf folgende, eben so einfache, als 
unbestreitbare Sätze." 1) Selbst die blofse zu geringe 
Flüssigkeit des Blutes vermag jene Zufälle auf rein 
materielle Weise hervorzurufen. 2) Die nothwendige 
Lebensbedingung (nämlich die moralische Absicht, in 
sofern der Körper nicht zerstört, sondern erhalten wer- 
den soll) fordert jenes Heilmittel, welches als das si- 
cherste und anwendbarste allein der Natur zu Gebote 
. steht, nämlich durch angemessene Vermehrung der Be- 
wegungen das ungünstige Verhältnifs des zu bewegen- 
den. Stoffes nicht nur zu kompensiren, sondern auch 
zu verbessern. 

Desgleichen gehört hierher das Auftreten der Be- 
legungen beim Monatsflufs der Weiber und der Hä- 
morrhoidalblutungen beider Geschlechter, bei denen 
mannigfache Zufälle ohne richtiges Verständnifs jener 
nicht begriffen werden können. Wie grofsen Schaden 
eine aus solcher Unkunde entspringende ärztliche Be- 
handlung dieser Zustände stifte, habe ich aus auffal- 
lenden Beispielen gelernt, und sie bewogen mich, eine 
auf wissenschaftliche Beweise gestützte physische und 
medicinische Aetiologie jener Zufälle, welche zu einer 
«gediegenen Heilmethode führen mufste, zu ermitteln. 
Ueber diesen Gegenstand habe ich in folgenden Dis- 
sertationen gesprochen: de Motu sanguinis, haernor - 
rhoidali et haernor rhoidibus externis ; de haemorrhoi- 
dibus internis , et Ileo-haematite Hippocratis; de Po- 
dagrae nova pathologia; de sanguisugis , und in dem 
Prograrnma de Cephalalgia Iliaco-haernatitica . Auch 

in den Dissertationen: de insolitis mensium viis ; de 

¥ 

mensium rnuliebrium fluxu secundurn et praeter na - 
turarn ; de Venaesectione in pede habe ich die§e Leh- 
ren vorgetragen, und gezeigt, wie damit eine wahrhafte 
Heilmethode in Verbindung zu bringen sei. Es erga- 
ben sich daraus von selbst manche praktische Kaute- 


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* i 

len, welche andere umsichtige Praktiker zwar gleich- 
falls lehren, ohne sie jedoch mit den gangbaren Schul- 
begriffen in Verbindung bringen zu können. 

Die eben so allgemeine, als unverständige Sitte, 
blofse Erdichtungen unter dem Namen praktischer 
Beobachtungen öffentlich bekannt zu machen, hat sich 
einen grofsen Einflufs auf die buntscheckigen und lee- 
ren theoretischen Meinungen verschafft, und mannig- 
fache Veranlassung zu Irrthümern gegeben. Denn jene 
aus der Luft gegriffenen Geschichten werden von Un- 
vorsichtigen und solchen, denen es an hinreichender 
Gelegenheit fehlt, eigene Beobachtungen anzustellen, 
als wahre angenommen, und bieten ihnen Stoff zu irr- 
thümlichen Erklärungen dar. Man sieht zugleich, wie 
die Sucht nach Spekulationen an dergleichen Histör- 
chen Gefallen findet, und sie als eine erwünschte 
Neuigkeit zum Ausbrüten neuer Meinungen benutzt. 
Fürwahr eine seltsame Weise, nicht aus dem Bestän- 
digen, Wahren und Bekannten, sondern aus dem Ver- 
einzelten und Seltenen, welches noch obenein falsch 

i 

aufgefafst worden ist, den allgemeinen Genius der 
Krankheiten, und ein ihm nachgeformtes System ab- 
* leiten zu wollen. Dagegen müssen Beobachtungen, 
w r elche das Thalsächliche in sich aufnehmen, dem auf 
sein Geschäft mit Ernst bedachten Geiste Genüge lei- 
sten, da sie sich in der klinischen Praxis derer, die 
auf eine tüchtige Erfahrung halten, als nützliche und 
nothw r endige Wahrheiten bestätigen. 

So habe ich es mir denn angelegen sein lassen, 
an solchen Beispielen die theoretischen und prakti- 
schen Begriffe, also die Bedeutung der Blutbewegun- 
gen, ihres organischen Charakters, ihrer Nützlichkeit 
und Nothwendigkeit sowohl im gewöhnlichen als aufser- 
gewöhnlichen Zustande, in ein helleres Licht zu stel- 
len; anfangs nur in Bruchstücken, indefs schon in mehr 
systematischem Zusammenhänge in der Dissertatio de 


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I 


LVII 

i 

fundamentis morborum aetatum . Eine vollständigere, 
jedoch gedrängte Theorie hierüber erschien in der Dis - 
sertatio de Pathologiae fundamentis practicis und in 
dem Prograrnma de Pathologin salsa . In ihnen habe 
ich dargethan, welche Folgen inan dem einfachen Ueber- 
flufs an Blut, und der daraus entspringenden Entartung 
seiner Mischung ( crasis ), nämlich seiner zu grofsen 
Verdickung, welche seiner freien Fortbewegung ein 
Hindernifs entgegenstellt, zuschreiben müsse, und wie 
diese Bedingungen die Einwirkung der über das ge- 
wöhnliche Maafs gesteigerten, und in einem ihnen ent- 
sprechenden Verhältnisse auf den Blutstrom gerichte- 
ten natürlichen Triebkraft, besonders der tonischen, 
nothwendig machen. Daher die hohe Wichtigkeit, wel- 
che die Bewegung für die gründliche Betrachtung hat, 
um so mehr, da sie gegen die besonderen Beschwerden, 

- welche aus solchen Zuständen erwachsen, auf eben so 
eigenthiimliche Weise ankämpfen, und wenn sie nicht 
in diesem Sinne verstanden werden, in dem falschen 
Lichte erscheinen, als ob sie krankhafte Bestrebungen 
und Wirkungen seien. Ich habe mich in mehreren 
Abhandlungen bemüht, vor diesem Mifsgriff die Prak- 
tiker zu warnen, und sie darüber zu belehren, wie sie 
diesen Gegenstand betrachten, und davon einen prak- 
tischen Gebrauch machen sollen. Eine besondere Be- 
ziehung hierauf haben die Diss . de Venae sectionis 
patrocinio , und die Diss. de Venae sectionis usu in 
acutisy welche indefs von meinen Schülern nach mei- 
nen Lehrsätzen verfafst worden sind. 

Früher habe ich schon bemerkt, dafs ich den 
gröfsten Nutzen dieser theoretischen Kombinationen auf 
den Theil der medicinischen Pathologie, welcher der 
Aufklärung am meisten bedarf, nämlich auf die Fieber- 
lehre beziehe, daher ich mich auch ganz vorzüglich be- 
strebt habe, letzteren auf einer sicheren Grundlage fest- 
zustellen. Vor allem anderen war cs nothwendig, eine 


' LVJII 


wahre Geschichte der Fieber zu entwerfen, welchem 
Zweck ich durch meine Schrift, Problemata betitelt, 
entsprochen habe, in der die wesentlichen Bedingun- 
gen der Fieber, sowohl im Allgemeinen, als nach ihren 
einzelnen Arten, hinlänglich angegeben worden sind. 
Hierauf habe ich die Geschichte -des Fiebers im All- 
gemeinen in einer eigenen Dissertation sorgfältig ge- 
prüft, und zwar dabei die Ordnung beobachtet, dafs 
ich mit Hindeutung auf die Theorie, dasjenige, was 
wirklich geschieht, bezeichnete. Zugleich wollte ich 
zu der Betrachtung hinleiten, dafs die Erscheinungen 
desselben nicht in einem beschränkten Sinne gedacht - 
werden müssen, sondern dafs sie auf einen organischen 
Zusammenhang, auf einen bestimmten Zweck, nämlich 
auf die Erhaltung und Befreiung des Körpers gerich- 
tet sind. Daran knüpfte ich in der Dissertatio de 
Febris rationali ratione den theoretischen Beweis, dafs 
bei einer solchen materiellen Beschaffenheit, wie sie 
in den Fiebern gegenwärtig ist, überhaupt kein besse- 
rer , und in vielen Fällen, vornämlich in den gefähr- 
lichsten, ansteckenden und pestartigen Fiebern gar kein 
anderer Heilweg offen bleibt, auf welchem der Kör- 
per von der schädlichen Materie und von ihren ver- 
derblichen Wirkungen wieder befreit werden könne, 
als die Sekretionen und Exkretionen, welche der Art, 
der Ordnung, dem Orte' und der Zeit nach sowohl 
der Konsistenz als der Wirksamkeit der auszuleeren- 
den Materie entsprechen, und auf alle Weise reichlicher 
sein müssen, als dies nach dem naturgemäßen Verhält- 
nis und nach der gewöhnlichen Menge der Auswurfs- 
stoffe erforderlich gewesen sein würde. Diese Ver- 
mehrung der Ab- und Aussonderungen kann im All- 
gemeinen nur durch eine Beschleunigung des Blutum- 
laufs, und in besonderer Beziehung durch die Rich- 
tung desselben nach den eigentümlich entsprechenden 
Organen der Sekretion und Exkretion bewirkt werden. 


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LIX 

1 " 

Die Beschleunigung des Blutumlaufs ist eins mit der 
Vermehrung der Pulsschläge, welche, so wie jene, noth- 
wendig eine Erhöhung der Wärme zur Folge haben 
mufs. Endlich geht aus der eigenthümlichen Richtung 
auf die Ab- und Aussonderungsthätigkeit der Inbegriff 
der übrigen Erscheinungen hervor, da das, was auf 
diese Weise geschehen mufs, auf keine andere Art zu 
Stande kommen kann. * 

Alles dies führt uns zu dem auffallenden Para- 
doxon, nicht sowohl, dafs das Fieber im Allgemeinen 
aus einem heilsamen Bestreben der Natur entspringt, 
denn auch * andere haben diesen Satz als richtig aner- 
kannt; sondern dafs alle Erscheinungen, welche man 
einmüthig für blos krankhafte, ja im Sinne der Neue- 
ren für unmittelbare mechanische Erfolge der schädli- 
chen Materie und für passive Symptome des Körpers 
hält, von mir für unmittelbare und positive Wirkun- 
gen der Natur zu einem heilbringenden Zweck erklärt 
werden, deren Bestimmung sich auf die Austreibung 
der schädlichen Materie bezieht, welcher sie in einem 
angemessenen mechanisch - organischen Verhältnifs ent- 
sprechen. Mit diesen Lehren habe ich zugleich den 
richtigen Weg für die Heilmethode bei den Fiebern 
gebahnt. 

Unstreitig steht meine Theorie im geraden Gegen- 
sätze zu allen Schulbegriffen der alten und neuen Zeit, 
da kein gröfserer Widerspruch in den Begriffen ge- 
dacht werden kann, als wenn Etwas auf der einen 
Seite geradezu für Krankheit, die dem Körper als ein 
leidender Zustand aufgedrungen, auf der andern Seite 
aber für dasjenige erklärt wird, was unmittelbar gegen 
die Krankheit und die krankmachende Materie gerich- 
tet und zu Stande gebracht wird. Was im ersten Sinne 
eine passive Bedeutung hat, gewinnt hier umgekehrt 
eine aktive. Somit kann ich meine Lehre mit Pvecht 
ein Paradoxon nennen, zu dessen Erläuterung ich die 


) 

* 


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LX 

beiden Dissertationen über die gallichten und über die 
Wechsel -Fieber geschrieben habe. 

Um diejenigen auf den rechten Weg. zurückzu- 
führen, welche in unrichtigen Begriffen von der ver- 
nünftigen Seele befangen, letztere von aller Theilnahme 
an diesen Vorgängen auschliefsen wollen, weil aller- 
dings sich in den Fiebern Manches, jedoch nicht das 
Meiste, wie jene wollen, ereignet, was nicht mit dein 
Bedürfnis der gesunden oder richtigen Vernunft über- 
einstimmt; so schien e& mir nützlich und nothw endig, 
die Aufmerksamkeit darauf hinzulenken, dafs die Na- 
tur des Menschen ganz besonders zu Irrthum und Aus- 
schweifung geneigt, durch Ungeduld, Uebcreilung, Wan- 
kelmuth, Furcht und Angst, durch anhaltende Traurig- 
keit und unzeitige Sicherheit, durch regellosen Wech- 
sel von 'Wagen und Verzagtheit, von Nachlässigkeit 
und vordringlichem Wesen zu einem zweckwidrigen 
Handeln verleitet werde, und dafs sie keinesweges an 
die Erinnerung dessen, was sie tliut, 'gebunden sei, da 
sie auch in Bezug auf ihre eigentliche Verstandes- und 

Willensthätigkeit durchaus nicht zu einem vollständi- 

^ * 

gen Bewufstsein und Gedächtnifs gelangt. Ich habe 
diesen Gegenstand bearbeitet in dem Prograrnma de 
dijferenlia koyov et ?.oyiopov; so wie in der Diss, de 
frequentia rnorborum in corpore hurnano , und in der 
Diss. de Naturae erroribus medicis. Dazu fügte ich 
einen Unterricht über die rationelle Heilmethode in 
Fiebern, welche ich sowohl auf theoretische Begriffe, 
als auf Erfahrungen gründete. Ich zeigte, wie ange- 
messen, ja wie nothwendig es sei, die Natur, wenn 
sie schon in ihrem Werke begriffen ist, mit entspre- 
chenden Bewegungen ihre Obliegenheiten zu erfüllen 
trachtet, und dabei mit angestrengter Wachsamkeit und 
Sorgfalt verfährt, nicht allein ohne alle Störung gewäh- 
ren zu lassen, ohne nach jener üblichen verkehrten 
Meinung ihr Wirken für die Krankheit selbst zu hal- 


i 


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LXI 


ten, und sie daher feindseliger Bestrebungen zu be- 
schuldigen; sondern ihr auch auf alle Weise Erleich- 
terung und Hülfe zu bringen, indem man jedes den 
heilsamen Natureinrichtungen entgegen tretende Hin- 
dernifs zu entfernen und zu verringern, den beschränk- 
ten Ab- und Aussonderungen einen freieren Fortgang 
zu verschaffen, die schwankenden zu sichern, die ab- 
irrenden zu ihrer Regel zurückzu führen, und die ver- 
schwindenden auf eine bescheidene Weise zurückzu- 
rufen sich bemüht. Alles dies mufs aber nach einem 
Plan geschehen, welcher der, aufserdem ihrem Charak- 
ter treu bleibenden Oekonomie des Lebens und den 

* 

an bestimmte zeitliche und andere Verhältnisse gebun- 
denen Sekretionen und Exkretionen entsprechen soll. 

Zugleich bezeichnete ich den gebahnten Weg, der 
aus dieser Theorie zur Praxis führt, wenn man nur 
reiflich erwägt, wie -trefflich in den einzelnen Arten 
der Fieber jene Apparate von Bewegungen bei den 
Ab- und Aussonderungen auf die Beschaffenheit der 
auszulecrendcn Materien berechnet sind. Desgleichen 
habe ich auf eine leicht fafsliche Weise die Gründe 
dargethan, aus welchen selbst die ansteckenden, bös- 
artigen, sogar die pestartigen Fieber, wenn sie nur 
nicht durch fremde Aufreizungen in Aufruhr versetzt 
werden, ihrer ganzen Art nach leichtere und ruhigere 
Erscheinungen darbieten, ganz gegen die gewöhnliche 
Meinung, wonach sie als überaus gewaltsam, und ihrer 
Natur nach zu den heftigsten Erschütterungen geneigt, 
dargestellt werden, was sie keinesweges sind, wenn 
nicht individuelle Ataxien der Säfte, der Bewegungen, 
und besonders der Sitten hinzutreten. Ich* zeigte, wie 
durch gemäfsigte, nur bis zu dem erforderlichen Grade 
von Anstrengung gesteigerte, ausdauernde und gleich- 
förmige Sekretions- und Exkretionsbewegungen der- 
gleichen bösartige Stoffe zur Ausstofsung gebracht wer- 
den; wie leicht und häufig es aber geschehe, dafs nach 


* * 


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' LXII 

der gewöhnlichen stürmischen Kurmethode, durch die 
unverständige Anwendung der alexiterischen Mittel und 
durch den mifsverstandenen Gebrauch der schweifstrei- 
benden Heilmethode ein grofser Schaden angestiftet 

i . 

werde. 

Vornämlich bei Fiebern, aber auch bei andern 
Krankheiten, hat die vergebliche Hoffnung, eine Ver- 
besserung der krankhaften Materie bewirken zu kön- 
nen, zu der Vernachlässigung der erforderlichen zeit- 
gemäfsen Ausleerungen, wenigstens der dazu führen- 
den Vorbereitung, Veranlassung gegeben, und sich in 
den spekulirenden Köpfen dermafsen festgesetzt, dafs 
sie alle ihre Mühe, daran verschwendet haben, die 
Weise herauszuklügeln, auf welche die Arzneien durch 
ihnen angedichtete Eigenschaften, ja selbst unter rein 
mechanischen Verhältnissen, vielmehr die Materie um- 
wandeln, als zu ihrer Ausstofsung beitragen sollten. 
Nicht nur wird dadurch zahllosen hohlen und aller 
praktischen Wahrheit entfremdeten Hypothesen Vor- 
schub geleistet, und die untrügliche und glänzende 
Wirkung mancher Arzneien, welche sich aber in der 
Erfahrung nicht bewährt, gepriesen ; sondern der leicht- 
gläubige Verstand wird auch irre geleitet, so dafs er 
weder die wahre Heilkraft der Arzneien begreifen, 
noch aus dieser die wesentliche Beschaffenheit der 
Krankheiten und ihrer Ursachen ableiten kann. . Dies 
bewog mich, in der Diss. de Alter antibus alles, was 
mir nöthig schien, hierüber zu sagen. 

Aufserdem bemühte ich mich in der Diss . de 
affectionibus periodicis, das Bestreben der Natur, sich 
zu helfen, in Bezug auf Schädlichkeiten von einer mehr 
chronischen als akuten Wirkungsart, zu erläutern ; eben 
so habe ich von dem Zusammenhänge gehandelt, in 
welchem jene Bestrebungen stehen, wenn sie entwe- 
der häufig hervorgerufen werden, ohne einen gehöri- 


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LXIII 


t 


gen Fortgang zu haben, oder wenn sie zwar leicht 
von statten gehen, aber zu oft angeregt werden, und 
zwar in den Diss. de Morbis habitualibus ; de Con- 
suetudinis efficacia und in dem Progr . de Morbis 
conturnacibus . Wie sehr aber ein mifsverstandenes, 
und durch zweckwidrige Kurversuche gestörtes Heil- 
bestreben in aktive Tumulte ausarten könne; oder wie . 
dasselbe, wenn es von der auszuleerenden Materie ver- 
eitelt wurde, in passive Krankheitszustände übergehe: 
dies habe ich in der Diss. de Morbis corruptis und 
de Erroribus Medicinae praclicae erörtert. Ueber- 
dies habe ich in dem Progr.: Anomalias motuum 
vitalium patheticas nqn esse simpliciter turbulentas, 
die Naturthätigkeit' mit Gründen, welche ich aus ihrer 
Oekonomie entlehnte, in Schutz gegen die Anschuldi- 
gung genommen, dafs in ihren Bestrebungen eine zweck- 
lose und selbstzerstörende Regellosigkeit obwalte. 

Zu allem diesem fügte ich eine gerechte Rüge der 
anmaafslichen Eitelkeit und Ruhmredigkeit, deren die 
gemeine Praxis sich schuldig macht, indem sie, ohne 
sich über ihr Thun aufgeklärt zu haben, geradezu eine 
Ungerechtigkeit gegen das heilsame Naturbestreben be- 
geht, und den guten Ausgang, unbeachtet sie ihn häu- 
fig erschwert, sich zurechnet, den unglücklichen aber 
der Natur und der Bösartigkeit der Krankheit aufbür- 
det. Hierüber habe ich in der Diss. de curadone per 
accidens gesprochen. 

Auf dieser Grundlage und ihrer ewigen und un-* 
crschütterlichen Wahrheit habe ich das Lehrgebäude 
der von mir entwickelten, zur medicinischen Theorie 
und Praxis gehörigen Begriffe aufgeführt, und mich 
bemüht, letztere dergestalt in einem gegenseitig sich 
erklärenden Zusammenhang zu bringen, dafs nichts 
. vereinzelt, und als Bruchstück stehen JJ eiben möge. 
Aus diesem Grunde habe ich mich in die Nothwen- 


\ 


/ 


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LXIV 


✓ 


digkeit versetzt gesehen, vornämlich der Anführungen 
aus meinen eigenen Schriften mich zu bedienen. Denn 
theils fand ich nicht bei anderen, was ich brauchte, 
theils mufste ich die Verbindung, in welcher die von 
mir abgehandelten Gegenstände stehen, offen darlegen. 

Ueberdies mufs ich noch bemerken, dafs das af- 
fektirte Allegiren vieler Schriftsteller an sich keinen 
grofsen Werth hat, und dafs in neuerer Zeit, wo so 
viele Hülfsmittel zu Gebote stehen, ein solches Aus- 
schreiben mehr das Ansehen einer müfsigen, als . einer 
gelehrten Arbeit hat. .Wenn nämlich, was den ersten 
Punkt betrifft, das Allegiren nicht zur Bestätigung einer 
Autorität, oder einer neuen Wahrheit dienen soll, um 
entweder den Thatsachen historisch eine höhere Glaub- 
würdigkeit zu verschaffen, oder eine neue Beobach- 
tung und Ansicht zu prüfen; so mufs ersteres durch- 
aus überflüssig sein. Bekannte Dinge mit gehäuften 
Zeugnissen zu belegen, ist eben so unnöthig, als es 
absurd ist, den Beweis für das wahre Verhältnis der 
Dinge, weiches schon gehörig entwickelt, festgestellt, 
und dem gesunden und geübten Verstände zugänglich 
gemacht ist, von der Autorität zu entlehnen, welches * 
den Verdacht erregt, dafs man vielmehr Vorurtheile, 
als ein gründliches Urtheil und aufrichtige Ueberein- 
stimmung verbreiten wolle. Nur den Fall mufs man 
ausnehmen, wo die Kürze der Zeit, oder die Verschie- 
denheit der Behandlungsweise desselben Gegenstandes 
es rathsam macht, den Leser auf andere Schriften zu 
verweisen, wo er eine vollständige Entwickelung, die 
hier nicht gegeben werden konnte, finden wird. 

Heutiges Tages stehen uns so viele Hülfsmittel 
in den praktischen Wörterbüchern des Moronus, 
Lindenius, Lippenius, Walther, in den Akten 
der Naturforscher und den Leipziger Sammlungen zu 
Gebote, dafs zur Aufhäufung von Allegaten es blos 

der 


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der Zeit bedarf. Wenn man nun gar Citate zusam- 
menhäuft, nicht um daran die Kritik zu üben, sondern 

% 

indem man Discurse aufnimmt, so dafs zwischen den 
zusammengestoppelten Sätzen kaum ein eigenes Urtheil 
übrig bleibt, so ist dies noch etwas ärgeres, als eine 
blos überflüssige Arbeit. Ich habe hierüber Einiges 
in dem Progr . de Testimoruis medicis, et de aucto - 
ritate atque veritate medica gesagt. 

Ich war es mir schuldig, dies anzuführen, um 
mich gegen die Anklage zu rechtfertigen, als ob bei 
Abfassung meiner Dissertationen es mir nicht in den 
Sinn gekommen wäre, auf wissens werthe Gegenstände 
zu merken, und ihren Zusammenhang darzustellen. 
Vielmehr war mir seit meiner ersten Jugend der Man- 
gel an gehöriger Verbindung, ja selbst der Zwiespalt 
zwischen der Theorie und Praxis, und unter den Lehr- 
begriffen überhaupt höchst anstöfsig. Daher setzte ich 
mir vor, nur dasjenige darzustellen, was in wissen- 
schaftlicher Verknüpfung stände, und wegen der Be- 
deutsamkeit seines Inhalts der sorgfältigsten Erwägung 
und Begründung würdig wäre. 

Damit übrigens alles in der klinischen Praxis, also 
in wirklichen Beobachtungen seine Bestätigung finde, . 
behielt ich das in meiner brieflichen Abhandlung von 
der tonischen Bewegung befolgte Verfahren bei, näm- 
lich dafs ich die Erscheinungen der Zustände voran- 
stellte, anstatt sie gelegentlich einzuschalten, und all- 
gemeine Sätze mit einzelnen praktischen Beispielen zu 
erläutern. Denn ungeachtet auch die letzte Methode 
keinesweges verwerflich ist, so hat sie doch den Nach- 
theil, dafs unter den Erscheinungen leicht diejenigen 
ausgewählt werden können, welche ein vorgefafstes 
Urtheil unterstützen. Wird aber der Sache selbst der 
Vorrang eingeräumt, so kann sich nicht eine Täuschung 
einschleichen. 

Stahl’s Theorie d. Heilk. I. e 


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LXVI 


Man wird mir daher das Bestreben, welches mich 
bei Abfassung meiner Schriften geleitet hat, nicht ab- 
streiten können, nur das Wahre, Nützliche und Notb- 
wendige zur Sprache zu bringen, und gegen die Ver- 
wegenheit, welche die Heilkunde mit vagen Erdichtun- 
gen erfüllt, anzukämpfen. In wiefern mir dies gelun- 
gen sei, mufs der Erfolg selbst lehren. 


r 


Inhalt. 

i 


Seite 

I. Ueber den Unterschied der Begriffe Mechanis- 

mus und Organismus I 

II. Aufforderung zur Abhaltung des Fremdartigen 

von der Heilkunde ' 31 

III. Ueber den wesentlichen Unterschied zwischen 
einem gemischten und einem lebenden Körper 47 


Theorie der Heilkunde. Erster Theil. Physiologie. 


Erster Abschnitt. Von dem Leben und der Ge r 

• sundheit überhaupt 85 

Erstes Kapitel Von dem Zweck des Körpers . . 88 v ^"‘ 

Zweites Kapitel Von dem Verhältnifs, in welchem 
die materielle Beschaffenheit des Körpers zum Le- 
ben steht 95 

Drittes Kapitel Von der Struktur des Körpers im 

Allgemeinen 99 

Viertes Kapitel Von den organischen Einrichtungen 

zur Erhaltung des Lebens 102 

1) Von dem Kreisläufe des Blutes im Allgemeinen 105 

2) Von dem Organismus der Blutbewegung . . . . 111 

* » i 

3) Von den Temperamente^ 116 

Fünftes Kapitel Von der Lebeusthätigkeit .... 124 

' e 2 


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t 


Lxvm 


, Seite 

Sechstes Kapitel. Von der Sekretion nnd Exkretion 

als der obersten formalen Bedingung des Lebens . 130 
Siebentes KapiteL. Von den einzelnen Arten der Ab- * 
sonderung. 

1) Von der Absonderung der Lymphe ....*. 134 


2) Von der Absonderung des Serums 137 

3) Von der Schleimabsonderung 143 

4) Von der Gallenabsonderung 145 

6) Von der Kothausleerung . .» 147 

6) Von der Saamenabsonderung 150 


7) Von der Milchabsonderung ......... 153 

8) Von der Absonderung des Speichels ..... 157 

Achtes Kapitel. Von der Verschiedenheit des Körpers 

und seiner Funktionen nach dem Geschlechte . . . 161 

/ , 

Zweiter Abschnitt. Von den nicht natürlichen 

• » 

Dingen . 172 

Erstes Kapitel. Von der Luft . 173 

Zweites Kapitel Von den Speisen und dem Getränke 179 
Drittes Kapitel. Von der Bewegung und Ruhe . . 187 
Viertes Kapitel. Von dem Schlafe ...... 190 

Fünftes Kapitel. Von den Ausleerungen ..... 195 

^ Sechstes KapiteL. Von den Leidenschaften .... 195 

Dritter Abschnitt. Von der Ernährung .- . . . 208 

Vierter Abschnitt. Von der Erzeugung . . . 227 

# 

^Fünfter Abschnitt. Von der Sinnesthätigkeit . 244 

Sechster Abschnitt. Von der willkührliclien Be- 
wegung 259 

-> . ' . . 

4 



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» 




Ueber den Unterschied der Begriffe 

* 

Mechanismus und Organismus. 


\ 

V 


Stahls Theorie d. Heilk. I. 


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»^1 . 

BAYEHiSCHE ' 
S-T/tÄTS* 
BU3UCTHEK 
MUeNCHCN 


/ 


Der Geist des Menschen zeichnet sich vor den übrigen 
ihm bekannten Geschöpfen durch W ifshegicrde aus, welche 
ihn nicht rasten läfst, bis er die verlangte Erkenntnifs ge- 
wonnen hat. Hierin ist der Charakter seiner Natur cnt- 
halten , welche sich durch Thät igkeit im Betrachten der 
Dinge dergestalt offenbart, dafs alles, was wir von ihr 
w issen, sich auf dies forschende Streben beschränkt. Hier- 
nach wäre der Wille, diese vornehmste Aeufserung der . 
menschlichen Natur, nichts anderes als der Drang nach 
dem erfahrungsgemäfseu Erkennen der Beschaffenheit der 
Dinge, nach welcher dieselben für angenehm und zuträg- 
lich und daher für werth gehalten werden, dafs der Mensch 
sie sich aneigne, oder für nachtheilig, dafs er sic von sich 
entferne. ' 

Das Erkenntnisvermögen ist bei den sinnlichen Vor- 
stellungen thätigj denn wir nehmen nicht nur das Vor- 
handensein der angeschauten Gegenstände durch sie wahr, 
sondern unterscheiden sie auch von einander, und zwar 
so, dafs jeder Gegenstand durch die ihm eigenthümlichen 
Merkmale bestimmt und begrenzt wird. Nach dieser Un- 
terscheidung richtet sich der Wille, begehrt oder verab- 
scheut die Dinge, je nachdem sie früher sich zu ihm ver- 
hielten, und er Läfst es hierbei nicht immer bei einer ein- 
fachen Handlung bewenden, sondern jagt auch oft den- 

V ■ .4 » 1 

selben mit Heftigkeit nach, und trifft zu ihrer Erlangung 
die künstlichsten Anstalten, um sich ihrer auf immer zu 

1 * 


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4 


i 


versichern. Demzufolge könnte cs scheinen, als wenn wir 
deshalb durch den Willen zu den Dingen und zum häufi- 
gem Verkehr mit ihnen hingezogen würden, damit dem 
Verlangen des Verstandes Genüge .geleistet werde, die 
wahre Natur derselben zu verstehen, und diese zu einer 
vollendeten Erkenntnifs zu erheben 5 doch es läfst sich mit 
dieser Annahme die entgegengesetzte Beziehung des Wil- 
lens auf das Unangenehme und Schädliche nicht vereini- 
gen, welches er flieht oder zu vernichten sucht. Hier 
kann daher keine Verbindung mit dem Erkenntnifstriebe 
gedacht werden, weil es mit demselben in Widerspruch 
stehen würde, die Vorstellung gewisser Gegenstände, an 
und für sich betrachtet, von sich abzuweisen. 

Vornämlich in der neueren Zeit haben die Menschen 
diesen Betrachtungen ihren Eifer geweiht, den, wie ge- 
schichtliche Urkunden beweisen, schon in früheren Jahr- 
hunderten Demokrit, Epikur und ihre Nachfolger darauf 
verwandten. Ja es rühmen sich Viele ? wie nach glücklich 
vollbrachtem Werke, in das innere Geheiinnifs der erschaf- 
fenen Wesen eingedrungen zu sein; doch uneingedenk der 
grofsen Schwierigkeiten, übersehen sie gerade das, worauf 
es ankommt. Denn ungeachtet ihrer mannigfachen Vor- 
stellungen haben sie sich doch weder von den einzelnen 
Dingen, noch von deren Vereinigung zum Universum einen 
Begriff erw r orben, der es ihnen erläuterte, warum dieselben 
der menschlichen Natur angenehm oder zuwider, nützlich 
oder schädlich sind. Der Grund dieses Verhältnisses hatte 
au«s der Wissenschaft von der wahren Eigentümlichkeit 
der Dinge hervorleuchten müssen, da jenes Verhältnifs als 
eine der Beziehungen, in denen letztere zu einander ste- 
hen, anzusehen ist. Statt dessen hat der Verstand nur ge- 
wisse allgemeine Eindrücke in sich aufgenommen und zu 
Begriffen verarbeitet, welche überhaupt auf jene einzelnen 
Beziehungen, aus denen die Erscheinungen hervorgehen, 
kein Licht werfen, und noch viel weniger deren ange- 
nehme oder widrige Wirkung auf den Willen erklären. 


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5 

• • ♦ * 

Es ist hier nicht der Ort, einer näheren Prüfung die 
Vorstellungen zu unterwerfen, mit denen man sich über 
diese Fragen Aufschlufs zu verschaffen glaubte, indem man 
z. B. angenehm dasjenige nannte, Was die empfindenden 
Organe des Körpers auf eine angenehme Weise berührt, 

und die Ursache davon in der wesentlichen Beschallen- 

. . * » 4 

heit der Dinge aufsuchte, die in dem Verhältnisse ihrer 

* m 

Gestalt, Gröfse und Beweglichkeit enthalten sein sollte. 
Diese Behauptung ist als eine nackte PeiUio principii je- 
der sorgfältigen Widerlegung unwürdig, und kann nur zur 
W'arnung vor ähnlichen leeren und unfruchtbaren Erklä- 
rungsversuchen dienen. 

Auf eine zweifache Weise kann man die Dinge zum 
Gegenstände einer Untersuchung machen, indem man die 
Art ihres Seins oder ihres Entstehens betrachtet, und in 
Bezug auf letzteres darauf achtet, in wiefern cs geschehen 
kann oder mufs. Im ersten Falle leistet die Anschauungs- 
weise, welche sich mit der Zahl, Gestalt und Grölse der 
Dinge beschäftigt, Genüge; aber sie deckt das Verhältnifs 
derselben zum Wollen nicht auf. Ganz verschieden da- 
von ist die Frage nach der Nothwendigkeit, welche bei 
• der Erzeugung der Dinge obwaltet, denn diese deutet 
nicht nur eben durch ihre Wirkung als einen zu errei- 
chenden Zweck auf einen Willen des thätigen Princips, 
und auf eine von demselben ausgehende Bestimmung des 
Erfolges hin, sondern sie setzt auch voraus, dafs je- 
nes Princip sich der dazu passenden Mittel bediene, und 
diese als hülfreich und nützlich für seine Absicht aner- 
kenne. 

Wenn schon unsre Kennt nifs von dem Sein der Dinge, 
wie dies gleichsam durch den Zufall gegeben ist, gering 
ausfallt; so gilt dies noch vielmehr von dem Wissen der 
Nothwendigkeit, nach welcher sie nur auf eine bestimmte 
Weise, die jede andere ausschliefst, entstehen können. 
Dies rührt daher, dafs die Menschen dem Begriff des Or- 
ganismus so wenige Aufmerksamkeit geschenkt, und diese 


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6 


/ 


fast ausschliefslich auf die Vorstellung des Mechanismus 

gerichtet haben. Ziehen wir die vereinzelten, von den 

• « * 

Alten uns überlieferten Lehrsätze in genauere Erwägung; 
so haben wir Weniger Ursache, ihren Scharfsinn zu be- 
wundern, als die Abneigung der Neueren zu tadeln, jene 
Begriffe richtig aufzufassen und zu einer vollständigeren 
Ausbildung zu fördern. 

Die Alten stellten in der Kategorie der natürlichen 
Ursachen den Zufall obenan, indem sic von ihm fast alle 

i i # 

in der Wirklichkeit vorgehenden Veränderungen, Erzeu- 
gungen und Vernichtungen ableiteten. W T ill man sich 
einer genau bezeichnenden Sprache bedienen, so kann man 
ihnen hierin nicht beipflichten; doch darf man den Zufall 
in Beziehung auf manche Erscheinungen gelten lassen, um 

_ i X * 

von ihnen diejenigen zu trennen, deren ursächliches Ver- 
hältnis bestimmt jeden Zufall aussclilicfst. Die Alten stel- 

« ✓ 

len ihm aber noch das Fatum gegenüber, und werden des- 
halb von den meisten getadelt. Es kommt hier nicht dar- 
auf an, ob sie dasselbe in dem allein gültigen Sinne rich- 
tig bezeichnet haben; so viel ist aber gewifs, dafs das, 

was sie damit ausdriieken wollten, die höchste Aufmerk- 

* * 

samkeit verdient. Nur zu häufig wird bei der wissen- 

« * t * , * 

schaftlichen Behandlung der Gegenstände der Fehler be- 
gangen, dafs man sich begnügt, den Irrthum Anderer zu 
widerlegen, anstatt bessere Lehren über sie aufzustellen, 
oder auch liur mit einem Worte darauf hinzuzeigen, dafs 
das Fehlerhafte in den Begriffen oft mehr auf einem fal- 
schen Ausdruck der Vorstellungsart, als auf ihrer Unange- 
messenheit zu den Dingen beruht. 

Die Aufstellung der Begriffe ^Zufall und Fatum war 
ein Versuch, den die Alten machten, um den Unterschied 
hervorzuheben, der bei der Erzeugung der Dinge obwal- 
tet, je nachdem dieselbe ganz gleichgültig ist, oder aus 
Ucberlegung, Vorausbestimmung zu einem bestimmten 
Zweck hervorgeht. Im ersten Falle entstehen und ver- 
gehen daher manche Arten von Körpern, ohne dafs sich 


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7 


dabei eine deutliche Absicht, ein Vorgesetzter Zweck er- 
kennen liefse; in den ihre Entstehung bedingenden Ereig- 
nissen vermiet man den Charakter der Dauer, der Be- 
stimmtheit, der Richtung auf einen gewissen Ausgang, .der- 
gestalt beim Mangel eines zum Grunde liegenden, mit 
Ueberlegung vergesellschafteten Strebens, Alles durch ein 
unvorhergesehenes und unvorbereitetes Zusammentreffen 
äufscrer Umstände bewirkt wird. Dagegen läfst sich bei 
einer anderen Gattung von Körpern ein vorherrschender 
Zweck sowohl a priori in ihrer Nothwendigkeit zu einem 
gewissen Gebrauch, der ohne sie gar nicht statt finden 
kann, als a posteriori darin nachweisen, dafs niemals ein 
solcher Körper angetroffen wird, der nicht vermöge sei- 
ner Einrichtung gauz bestimmt nur zu gewissen Zwecken, 
aufserdem aber zu keinem anderen Nutzen geeignet wäre. 
Diese Beziehung auf eine unveränderliche Absicht macht 
es daher bei der Erzeugung der letztgenannten Körper 
nothwendig, dafs ihnen zur Erreichung derselben eine völ- 
lig entsprechende Beschaffenheit mitgetheilt werde, und in 
sofern kann man die sie hervorbringe ndc Endursache ganz 
treffend als Fatum bezeichnen. Dem Zufall dagegen liegt 
keine selbstständig wirkende Ursache zum Grunde, welche 
eine wohlgeordnete Reihe von Erscheinungen hervorbringt, 
und zu einem festen Zielpunkte hinleitet. 

Diese Unterscheidung ist in neuerer Zeit, wo man 
die Grundsätze des Demokrit und Epikur weiter bearbei- 
tet hat, besonders nothwendig geworden. Die Lehre des 
ersteren läfst sich ganz einfach und deutlich so darstellen. 
Alle Dinge, welche den gröberen und feineren Sinnen er- 
scheinen, werden von Körperchen zusammengesetzt, die 
der Zahl nach unendlich, und der Gröfse nach unbemerk- 
bar sind. Durch welche Thätigkeit aber diese sich mit 
einander verbinden, oder durch weiches Princip sie zu- 
sammengefügt werden; darüber hat er sich nirgends deut- 
lich erklärt. Epikur dagegen, nachdem er die Gottheit 
von jeder Gemeinschaft mit den Dingen auszuschliefccn 


* 


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. . 8 

wagte, nahm einen undeutlich bezeichneten Trieb an, der 
zwischen allgemein herrschender Nothwendigkeit und zu- 
- fälliger Bewegung des Einzelnen hin und wieder schwan- 
kend, jede Erörterung bestimmter Naturgesetze unmöglich 
machte. Auf die nämlichen Abwege sind diejenigen ge- 
tathen, welche einem gleichen System der Corpuscularphi- 
losophie huldigend, jedes Gesetz der Erscheinungen behufs 
gewisser Zwecke aufser Acht liefsen, oder dasselbe auf 
eine so verkehrte Weise auffafsten, dafs sie die vornehm- 
sten Bedingungen derselben vom Zufall, die unwesentli- 
chen dagegen von der Nothwendigkeit abhängig machten. 
Wie kann man es wohl begreifen, dafs das unendliche 
-Weltall, und die allumfassende Ordnung der Dinge, deren 
Gröfse und Menge unser Vorstellungsvermögen weit über- 
steigt, in den dermaligen Zustand durch einen blofsen Zu- 
fall versetzt sein soll, so dafs jeder Körper von ungefähr 
an seine Stelle gekommen ist, und dafs Alles, nachdem es 
seinen Platz , eingenommen, von nun an einer unwandelba- 
ren Nothwendigkeit gehorcht? Wer mit einer solchen Ver- 
wegenheit die Unzahl der Dinge in eine so widersinnige 
Vorstellung von der Weltordnung hineinzwängt, wie kann 
er wohl zu einer richtigen Beurtheilung der unbedeutend- 
sten Ereignisse, z. B. nur derer gelangen, welche durch 
den Willen der Menschen herbeigeführt werden? 

Die Umsichtigeren erkannten diese Widersprüche und 
suchten sie auf mannigfache Weise zu beseitigen. Einige 
gaben den Rath, dergleichen Untersuchungen als zu schwie- 
rig für den menschlichen Verstand auf die Seite zu schie- 
ben, Es erwächst aber ein sein* grofser Nachtheil daraus, 

wenn man nur einzelne Wahrheiten festzustellen, und als 

» 

allezeit gültige Naturgesetze in Ansehen zu setzen sucht; 
denn nur zu häufig bieten sich Erscheinungen dar, die je- 
nen Gesetzen zuwiderlaufen, und gerade den wichtigsten 
Beziehungen der Dinge zii einander angehören. Wer darf 
sich dann wohl bei dem Ausspruch beruhigen, dafs ein 
Theil der Tbatsachen als wahr und gewifs anzuerkennen, 


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9 


• * • » 

die übrigen aber, ungeachtet sie mit jenen in unzertrenn- 
licher Verbindung stehen, und die nämlichen Dinge be- 
treffen, zu übersehen Seien, weil sie das Gegentheil von den . 
angenommenen Voraussetzungen bezeugten? Untadelig ist 
das freimüthige Bekenntnis, dafs es viele Dinge giebt, die 
sich nicht erklären lassen 5 aber es soll auch niemand streit- 
süchtig behaupten^ dafs Erklärungsprincipien, welche in 
Bezug auf eine Reihe von Erscheinungen bestimmt falsch 
sind, dennoch von anderen Thatsachen gültig sein können, 
ungeachtet diese mit jenen gleichen Ursprung haben. 

Eine andere Ausflucht suchen die, welche das Uner- | 
klärliclie für ein Wunder ausgeben. Wie kommen sie 
aber dazu, eine grolse Menge von Dingen für höchst ein- 
fach und deutlich zu halten, so dafs diesen aller Anschein 
des Uebernatürlichen abgeht, da sie doch im nothwendi- I f 
gen Zusammenhänge mit jenem Wunderbaren stehen? Jene 
müssen daher das innere Band der Dinge trennen, und jede 
Wahrscheinlichkeit, zu einer Erkcnntnifs und deren An- 
wendung zu gelangen, mit einem leeren Anstauuen ver- 
tauschen. 

Manche bedienen sich einer List, mit welcher sie sich 
selbst täuschen, oder andere hintergehen, indem sie eine 
zu grofse Wifsbegierde verdammen, und die Mäfsigung des 
Geistes anpreisen, der sich darin ergiebt, vieles nicht wis- 
sen zu können. Dies wäre sehr schön gesprochen, wenn 
sie es nur ernst und aufrichtig meinten; aber gerade 4 da- 
hinter wollen sie die Falschheit ihres Wissens verbergen. 
Denn ihre Absicht verräth sich deutlich in der Behaup- 
tung: Einige Begriffe sind so gewifs, dafs man sie gera- 
dezu dem göttlichen Willen unterlegen kann; da aber andere 
offenbar irrig sind, so mufs man dies verschweigen, damit 
nicht dem vollen Ansehen jener irgend ein Abbruch ge- 
schehe. Heifst dies redlich sein, und den andern Mäfsi- 
gung empfehlen wollen? _ . 

Allen diesen Verlegenheiten würde man ausgewichen, 
sein, wenn man die bereits erläuterte Verschiedenheit,. 


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10 


welche bei der Erzeugung der Dinge obwaltet, jenachdem 
dieselbcu ohne oder mit Vorherbestimmung eines gewissen 
Zwecks entstehen, dem Ort und Zeit, äufsere und innere 
Verhältnisse, der Umfang und die Anordnung des Einzel- 
nen entsprechen müssen, in Erwägung gezogen hätte. Be- 
vor diese Begriffe nicht in ihrer Allgemeinheit vollständig 
entwickelt worden sind, läfst sich von ihnen keine An- 
wendung auf die Heilkunde machen, wo ihr Werth so 
sehr hervorragt, dafs ohne sie in derselben weder eine 
richtige Erkcnntnifs erlangt, noch ein dieser angemessenes 
Handeln wirklich werden kann. 

Es liegt uns daher zunächst ob, den Unterschied zwi- 
schen Mechanismus und Organismus ins Klare zu setzen, 
und die Gültigkeit dieser Begriffe für eine grolse Zahl von 
Dingen darzuthun. Von jeher, vornämlich aber in neue- 
rer 'Zeit, waren die Benennungen, Mechanismus, mecha- 
nisch, Maschine, mechanische Kräfte im Gebrauch; nir gends 
i_abcr läfst sich eine scharfe Bezeichnung dieser Ausdrücke 
aufilnden. Doch ist man darin übereingekommen, gewisse 
mechanische Eigenschaften, und als solche die Gestalt, 
Gröfse, Lage und Beweglichkeit anzuerkennen; auch rech- 
net man dazu die Bewegung, oder wie einige lieber wol- 
len, die Bewegkraft. Bei Angabe dieser Bedingungen wird 
aber nirgends auf eine gegenseitige Beziehung dieser Be- 
wegkräfte zu einander, nach welcher sie auf die Errei- 
chung eines bestimmten Zwecks hingerichtet sind, Rück- 
sicht genommen, wenn auch die Alten hin und wieder 
eigenthümlichc Bestrebungen der natürlichen Dinge andeu- 
teten, die sie mit den Benennungen Appetit, Sympathie 
und Antipathie belegten, und damit^den Satz in Verbin- 
dung brachten: Alles Aehnlichc hat eine Neigung zu ein- 
ander, und zieht sich gegenseitig an. Nach der neu eren 
Vorstcllungs weise hingegen ist jeder Körper blos ein me- 
chanischer, der nur durch' sich, und allein seiner selbst 

r V- — # — — — — - 

; w egen bewegt wird , ohne allen Grund in Bezugs auf de n 

Zweck, die Anordnung' der Bewegung, und ihre Nothwen- 

1 — 



* 


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11 


digkeit für andere Körper. Zwar räumt man ein, da*fs 
, beim Zusammentreffen bestimmter Bedingungen die durch 
sie bewirkten Erfolge ihnen gemäfs hätten eintreten müs- 
sen ; aber zugleich leugnet man jede vorangehende Ursa- 
che ab, welche von vorn herein jenes Zusammentreffen 
veranstaltete, und auf die Erreichung eines Vorgesetzten 
Zwecks hinleitctc, daher der Erfolg nicht als beabsichtigte 
Wirkung, sondern als ein zufälliges Ereignifs zu betrach- 
ten sei. 

Die Erfahrung weiset jedoch nach dem einmüthigcn 
Bekenntnifs aller, die sich eine gründliche Einsicht in das 
Wesen der ursächlichen Verhältnisse erworben haben, sehr 
zahlreiche Fälle nach, wo zur Ilervorbringung der Erschei- 
nungen gewisse Bedingungen theils unmittelbar, theils mit- 
telbar, so dafs sie gleichsam eine untergeordnete Rolle 
spielen, auf eine einleuchtende Wcis*e Zusammenwirken. 
Nach dem von jeher bestehenden philosophischen Sprach- 
gebrauch begreift man unter der Benennung, Werkzeug, 
ein wirksames Mittel, dessen sich eine dem Range und 
der Bedeutung nach höher gestellte Ursache bedient, um 
eine ihrem Zweck entsprechende Wirkung herbeizuführen ; 
hieraus folgt also, dafs jede Bedingung, welche durch ih- 
ren Zutritt und ihre Dazwischenkunft nothwendig zur Er- 
reichung eines Erfolges beitragen muls, unter dem Begriffe 
der werkzeuglichen Mittel enthalten sei. 

Von dem blofsen Machen (facere) unterscheidet sich 
das Hervorbringen (cfficere) darin, dafs es die einfache 
und bestimmte Richtung und den geraden Fortgang einer 
Thätigkeit zur Verwirklichung eines Zwecks bedeutet, der- 
gestalt, dals jene ohne diesen, und dieser ohne jene we- 
der statt finden, noch gedacht werden kann; von diesem 
Begriff werden mithin alle Thätigkeiten ausgeschlossen, 
deren Erfolge nicht in einer notliwcndigen und unmittel- 
baren Beziehung zu ihnen stehen, sondern sich aus ihnen 
nur gelegentlich, bei dem zufälligen Zusammentreffen mit 
fremden Bedingungen ergeben. Gleichwie also eine her- 


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12 


V, 


vorbringende Ursache nur in sofern vorhanden sein und be- 
stehen kann, als sie unmittelbar auf eine besimmte und be- 
zweckte Wirkung gerichtet ist; eben. so kann diese kei- 
nem andern Zweck dienen, als nur die Notli wendigkeit 
bezeichnen, mit welcher jene, durch ihre innere Energie 
getrieben, in die Erscheinung übertreten mufste. In die- 
sem Causalnexus wird zugleich der Begriff eines Werk- 
zeugs weiter entwickelt, welches nur dann als ein solches 
angesehen werden kann, wenn es von dei: hervorbringen- 
den Ursache in Anwendung gezogen, und auf eine genau 
bestimmte Weise gebraucht wird, der Erreichung des 

«SM * * 

Zwecks angemessen, aufserdem aber wegen seiner forma- 
len Beschaffenheit zu keinem andern Nutzen tauglich ist. 

, * 

Niemand wird es in Abrede stellen, dafs jeder Orga- 
nismus eine werkzeugliclie Einrichtung nothwendig vor- 
aussetzt; eben so wenig wird jemand es bezweifeln, dafs 
es Organismen giebt, weil schon die Kunstwerke der Men- 
schen ihm diese Ueberzeugung gewähren müfsten. Zum 
besseren Verständnifs des Vorgetragenen wird es dienlich 
sein, auf dem synthetischen Wege fortzuschreiten, und zu 
nächst zu erörtern, in wiefern der Mechanismus dem Or- 
ganismus untergeordnet ist, aber auch selbstständig für sich 
Vorkommen kann, wo ihm dann freilich keine organische 
• Bedeutung eigen ist. 

Jenes zum Begriff eines Organismus nöthige Erfordcr- 
nifs ei ner mechanisch en Einrichtung darf nicht blofs im 
Allgemeinen gedacht werden, weil letztere schlechthin je- 
dem Körper eigen ist, sondern diese mufs in ihren cigen- 
' thümlichsten Bestimmungen und Beziehungen, sofern sie 
durch ein angemessenes mechanisches Verhältnis ihrem 
Zweck entsprechen soll, aufgefafst werden. Die materielle 
Beschaffenheit eines Organs drückt also nur jene allge- 
meine Beziehung aus, während die formale dasselbe aus- 
schliefslich zu einem gewissen Gebrauch bestimmt, und 
zur Hervorbringung ganz eigenthümlicher Wirkungen ge- 


i 

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13 


schickt macht, so dafs es nur eine zu diesem Zweck taug- 
liche Beschaffenheit haben kann. ’ ' 

Zur Erläuterung dieser Sätze durch ein Beispiel wäh- 
len wir ein sehr kunstreiches Werkzeug, die Uhr. Diese 
enthält in jedem Betracht eine grofse Menge mechanischer 
Vorrichtungen. Wiewohl der Künstler sie zur Erreichung 
eines sehr bestimmten Zwecks, die Stunden anzuzeigen, 
verfertigt und sie deshalb mit der dazu nöthigen Einrich- 
tung versehen hat, so dafs man sie dem Sprachgebrauche , 
nach ein Organ nennen muf$; so bleibt sie doch eine blofse 
Maschine so lange, als sie nicht kunstgemäfs in Gang ge- 
bracht und gestellt wird, dafs sic die Stunden in Ueber- 
einstimmung mit dem Laufe der Sonne anzeigt. Wird in 
ihr von ungeschickter Hand die treibende Feder fehlerhaft 
gespannt, so kann sie keine richtigen Stunden mehr ange- 
ben; sie wird folglich aufhören ein zur Erfüllung einer 
gewissen Absicht taugliches Instrument, ein Organ zu sein, 
ungeachtet sie eine durch die Bewegkraft der Elastizität 
angetricbehe Maschine bleibt. Wer mögte nun wohl be- 
haupten, dafs diese Maschine nicht zur Erreichung eines 
ganz eigentümlichen Zwecks, sondern nur lediglich des- 
halb gebaut worden sei, um überhaupt blofs eine automa- 
tische Bewegung hervorzubringen, oder gar, um nur vor- 
handen zu sein? Auch läfst sich wohl nicht verkennen, dals, 
indem ihrer Verfertigung eine deutliche Absicht vorher- 
ging, sic zur Verwirklichung derselben eine Einrichtung 
erhielt, \ eiche durchaus nur zu diesem einzigen Zwecke 
tauglich war. 

Ehe wir weiter fortschreiten, dürfte es notwendig 
sein, die Warnung: nicht zu eifrig in der Aufsuchung der 
den Dingen zum Grunde liegenden Zw r ecke zu sein, zu 
beachten. Es bezieht sich dieselbe auf die dern Erkennt- 
nisvermögen des Menschen so fern liegenden Gegenstände, 
dafs er die Hoffnung aufgeben mufs, in ihr Geheimnifs ein- 
zudringen. Hierher gehört z. B. die Frage, nach welcher 




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14 


# 


Ordnung, zu welchem Zw r eck die unendlich vielen und gro- 
fsen Himmelskörper geschaffen sind, zu welchem Nutzen 
die unzähligen Insekten täglich von neuem erzeugt wer- 
den, überhaupt alle Geschöpfe? Wenn wir nicht voraus- 
setzen, dafs sic zur Verherrlichung des göttlichen Willens 
vorhanden sind, so läfst sich über den Zweck ihres Da- 
seins keine gegründete Vermuthung wagen. Wiewohl sich 
nicht die Richtigkeit dieser Ausstellungen bestreiten läfst, 
• so leuchtet doch jedem ein, dafs sie kein Verbot enthalten, 
als wenn es frevelhaft wäre, sein Nachdenken solchen Be- 
trachtungen zu widmen, sondern dafs sie nur den weisen 
Rath in Erinnerung bringen, den Verstand mit dergleichen 
ihm unerreichbaren Gegenständen nicht zu ermüden. Da- 

H . •< <• J* , 

mit ist aber keinesweges gesagt, dafs das Forschen nach 
den deutlicheren und einfacheren Verhältnissen, unter de- 
nen die Dinge als Mittel zu einem Zweck erscheinen, un- 
statthaft sein sollte; vielmehr würde cs fiir den nach wis- 
senschaftlicher Einsicht Strebendem ganz ungeziemend sein, 
wenn er sich damit begnügen wollte, das blofse Dasein 
und die in die Augen fallenden Eigenschaften der Dinge 
zu betrachten, und cs vernachlässigte, oder gar die Hoff- 
nung aufgäbe, ihnen eine teleologische Ansicht abzugewin- 
nen. Denn läfst man diese ganz aufser Acht, so vermag 
man nicht einmal zu einer historischen Kenntnifs zu ge- 
langen; man miifste sich sogar den Nutzen der körperli- 
chen Organe verhehlen, wonach die Sinnorgane zur Em- 
pfindung, die Muskeln zur Bewegung, die Zunge zupji 
Sprechen dient. Man müfste selbst von der mechanischen 
Einrichtung zu diesem Gebrauch absehen, welche das Auge 
zur Aufnahme des Lichts, das Ohr zu der des Schalls ge- 
schickt macht. Wir wollen daher jenen allgemeinen und 
letzliclien Zwecken, nach denen alle Körper der Welt 
erschaffen und geordnet worden sind, und (lenen man da- 
her ganz treffend den Namen der kosmischen heigelegt 
hat, nicht zu eifrig nachjagen, noch viel weniger uns 
durch willkührliche Erdichtungen über sie täuschen; da- 


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15 


/ 


gegen mögen wir desto sorgfältiger erwägen, in welchem 
teleologischen Verhältnisse die einzelnen Dinge nach deut- 
lichen Beziehungen zu einander stehen, und daher einer 
geschichtlichen, durch richtigen Verstandesgebrauch geord- 
neten Betrachtung derselben uns befleifsigen, um uns vor 
jedem Selbstbetruge zu schützen. 

Wir köjmen uns hier aber nicht mit dem ganzen 
Reiche und den einzelnen Arten der Tliiere befassen, de- 

i r 

nen man nach der neuerdings üblichen Denkart, aller ern- 

i 

sten und wahren Betrachtung zuwider, das Vermögen zu 
urtheilen und zu unterscheiden, und daher nothwendig 
auch die Einbildungskraft, in wiefern sie sich auf con- 
crete Dinge bezieht, streitig gemacht, und blos das Ge- 
dächtnis beigelegt hat^ dem man, seltsam genug, die Fä- 
higkeit zuschrieb, die Bewegungsorgane des Körpers zu 
jeder beliebigen, und selbst bis zur Zerstörung desselben 
fortgesetzten Thätigkeit zu veranlassen. Es frommt uns 
lediglich, die Natur des Menschen nach den angegebenen 
Rücksichten einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen. 

Gehen wir näher auf die Eigenschaften ein, welche 
dem menschlichen Geiste unbezweifelt zukommen; so er- 
kennen wir es als die erste Bedingung seines Daseins, dafs 
er mit einem^ Körper verbunden ist, den wir, da er blofs 
zu seinem Gebrauche dient, den seinigen nennen. 

Eine zweite Bedingung, welche sein Wirkungsver- 
mögen betrifft, belehrt uns, dafs dasselbe, in sofern es in 
Thätig keit Übertritt, zunächst auf Erscheinungen gerichtet 
ist, welche den Körpern so wesentlich inhärent sind, dafs 
sie nicht in der Abstraction von denselben getrennt wer- 
den können, weil sie sich weder ohne einen Körper den- 
ken lassen, noch von diesem ohne sic ein Begriff mög- 
lich wäre. 

Eine dritte Bedingung der geistigen Thätigkeit ist die 
Begrenzung. , Denn nur das Endliche fällt in den Kreis 
derselben, und sic vermag nur das zu erfassen, was sich 
als eine bestimmte Einheit darstellt, so dafs sie in einem 


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/ 


16 


gegebenen Zeitabschnitte nur über einen Gegenstand nach- 
denken und urth eilen, und einer Reihe von Dingen nur 
in einer gewissen Zeitfolge mit Vervielfältigung ihres Wir- 
kens sich bemächtigen kann. Daher weicht sie scheu vor 
dem Unendlichen zurück, weil dasselbe ihr ganzes Bemü- 
hen vereitelt, und sie in den Zustand des Schwankens 
versetzt, in welchem sie die Herrschaft über sich verliert; 
sie kann die ihr gezogenen Schranken nicht überschreiten, 
.und über die Eigenschaften der körperlichen Dinge nicht 
hinausgehen. Die Erkenntnifs, welche der Geist von die- 
sen sich erwirbt, ist also, darauf begrenzt, dafs er sich 
Anschauungen von ihnen verschafft, diese in eine gehörige 
Ordnung bringt, das Bedeutungsvollere von dem Unwe- 
sentlichen sondert, die Abweichungen von der Regel an- 
merkt, und auf diese Weise sein Denkvermögen an ihnen 
übt. Diese Beschäftigung ist aber die sinnlichste, und zu-' 
gleich langsamste unter den Verrichtungen des Geistes. 
Denn zuvörderst hat sie nicht die Körper an sich, son- 
dern nur die Massen zum Gegenstände, da sic von dem 
Wesen jener schlechthin keinen wahren Begriff' bilden, 
und von ihnen nur die Zahl, die Begrenzung, den Ort, 
und das Maafs der Begrenzung, die Gestalt, angeben kann. 

Die Seele kann daher nur in sofern zur Erkenntnifs der 

\ • 

Körper gelangen, als diese den Sinnen zugänglich sind, 
und sich von den kleinsten Körpern nur unter der Vor- 
aussetzung eine Anschauung machen, dafs sie sich diesel- 
ben von einer Gröfse denkt, welche bei der gehörigen 
Sehweite noch deutlich in die Augen fallt. Eben so würde 
sie sich die leisesten Töne nur in sofern vorstellen können, 
als dieselben noch sinnlich bemerkbar sind. Es giebt zwar 
noch zartere Gegenstände, z. B. des Geruchs, Geschmacks, 
welche die Seele unterscheidet, beurtheilt, und dadurch 
zu Begriffen erhebt; doch muls man wohl erwägen, dafs 
sie dieselben nicht einzeln, sondern nur unter der Bedin- 
gung einer ungemein grofsen Anhäufung wahrnehmen kann. 
So entsteht kein Geruch, wenn nicht riechbare Theilchen 

in 


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/ 


in grofsen Massen verdunsten, und ohne diese Bedingung 
ist keine Unterscheidung und sinnliche Erkenntnis dersel 
ben möglich. 

Es giebt Menschen, denen, als sie im Schoofse ihrer 
Mutter ausgebildet wurden, die erschreckte und geäng 
stigte Phantasie derselben eine besondere Empfindlichkeit 
mittheilte, vermöge welcher sie die Gegenwart einer Katze 
im Zimmer (das aber, wohlgemerkt, nicht zu grofs sein 
darf) wahrnehmen, da dieselbe auf ihren Körper eine Wir- 
kung hervorbringt, die sie in einem beklommenen Gefühl 
spüren. Sie leiden daher an einer Verkehrheit des Wahr- 
nehmungsvermögens, welches ihrem Verstände in dem ge- 
gebenen Falle eine unklare und diinkle Anschauung dar- 
bietet, über die er sich keine deutliche Rechenschaft ab- 
legen kann. ‘ Erst nach wiederholten gleichen Erfahrungen 
wird er durch Erinnerung inne, “wenn jener Gegenstand, 
der diesen Einflufs ausübte, gegenwärtig ist, ohne dafs 
eine deutliche Vorstellung oder Erkenn tnifs ihn darauf 
hinleitete. Ein ähnliches Beispiel betrifft eine vornehme 
Jungfrau, die, mit lebhaftem Geiste begabt, frei von aller 
eitlen Furchtsamkeit und Schreckhaftigkeit, seit vielen Jah- 
ren bis jetzt einer ungestörten Gesundheit genofs. Sie war 
irgendwo zum Besuch, und fühlte sich durchaus behag- 
lich, bis sie des Nachts in einem von Eiderdaunen verfer- 
tigten Bette ruhete. Sie brachte dieselbe durchaus schlaf- 
los zu, gepeinigt von einer seltsamen Unruhe und den 
lästigsten Gefühlen, denen sie aber durchaus keinen Na- 
men zu geben wufste, und klagte am Morgen nur über 
eine, von der ungewohnten Schlaflosigkeit zurückgelassene 
Wüstheit und Schwere, aber über keinen Schmerz des 
Kopfes. So verlebte sie den Tag bis nach eingenomme- 
nem Mittagsmahl, wo sie von Müdigkeit überwältigt, und 
der vergangenen Nacht sich nicht mehr erinnernd, sich 
wieder ins Bette legte, und darin ganz die nämlichen wi- 
drigen Gefühle erlitt, welche immer heftiger wurden. Sie 
fürchtete den Ausbruch einer Krankheit, die sie auf Rech- 
Stahl’s Theorie <L Heilk. I. 2 


* 

<■ * 


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/ 


t 


18 

% 

nung der beschwerlichen Reise schrieb, bis sie innerhalb 
der leinenen Bettüberzüge kattunene, in die man die Ei- 
derdaunen einzuschliefsen pflegt, wahrnahm, und sich er- 
innerte, dafs ihr diese jederzeit Beschwerden verursacht 
hatten. 

Viertens gehört hierher das Verlangen der Seele nach . 
gewissen Dingen, und ihr Vergnügen über den Besitz und 
Gebrauch derselben, so wie umgekehrt ihre Abneigung, 
Furcht, Widerwillen gegen andere Gegenstände, und zwar 
beides nicht blos in Folge der wirklichen Gegenwart je- 
ner, und ihrer Gemeinschaft mit der Seele, sondern auch 
ihrer blofsen Erinnerung oder Erdichtung. Hierbei ist vor- 
nämlich zu bedenken, dafs sie mit jenen Dingen nicht un- 
mittelbar in Beziehung tritt, sondern lediglich Vermöge 
gewisser Medien, welche zum gröfsten Theil körperlicher 
, Art sind. 

Fünftens haben jene Medien es zwar zunächst mit 
• den Objekten zu thun, welche sie gleichsam in einer 
zusammengedrängteren Gestalt dem Bewufstsein erschei- 
nen lassen, indem z< B. das Auge die Lichtstrahlen in 
Punkte vereinigt, und eben so die Gänge des Ohres zum 
, Sammeln (der Schallwellen) eingerichtet sind; doch haben 
jene Organe keine Zwecksbeziehung auf die Objekte, son- 
dern lediglich auf die Seele, der sie Gegenstände im ver- 
kleinerten Maafsstabe vorstellig machen sollen. Es leuch- 
tet ein, dafs die Seele ohne diese Mittel der Aufsendinge 
nicht mächtig werden, weder in Gemeinschaft mit ihnen 
treten, noch eine Kenntnifs von ihnen erlangen könnte, 
und dafs jene Werkzeuge zu diesem Gebrauch aufser dem- 
. selben gar keine weitere Bedeutung haben. 

Beiläufig mag noch erwähnt werden, dafs die Thiere 
häufig für blofse Maschinen gehalten werden, welche kei- 
nen weiteren Zweck haben, aufserdem dafs Gott ihr Da- 
sein wollte. Dabei bemerkt man, dafs jede Thätigkeit, 
welche in ihrem Körper und dessen einzelnen Theilen 
herrscht, von einer Ursache herstamme , -welche ihrerseits 




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19 




anderweitig in Bewegung gesetzt, alle einzelnen nnd be- 
sonderen Wirkungen ohne Absicht, Zweck und Bestim- 
mung hervorbringe, so dafs es einerlei wäre, ob dieselben 
geschähen oder nicht. Damit wird aber die Nothwendig- 
keit und der wesentliche Charakter der Organismen noch 
jeeinesweges vernichtet; denn da sie nach dem Willen 
Gottes vorhanden und eigentümlich eingerichtet sind, so 
müssen sie wohl eine Bestimmung haben, weil kein rei- 
nerer und edlerer Zweck gedacht werden kann, als den 
der göttliche Wille beabsichtigte. 

Auf gleiche Weise nannten neuere Philosophen den 
menschlichen Körper einen Automaten, da er als ein sicht- 
barer Körper aus einzelnen Theilen zusammengesetzt sei, 
welche man organische zu nennen kein Bedenken trug. 
Somit gestehen sie es selbst ein, dafs die einzelnen Glie- 
der wenigstens für das Ganze einen Nutzen haben, und 
daher ein System bilden, welches als solches eine orga- 
nische Bedeutung haben mufs. Wir wollen ihnen in die- 
sen Widersprüchen nicht weiter folgen, sondern unsre Auf- 
gabe, zu bestimmen, o b der Körper des Menschen für sich 
selbst be stehen, u nd nur seinetwegen existiren könne, oder zu 
ein em bestimmten Gebrauch dif npn solle, zu lösen suchen. 

/* Was jenen Körper selbst betrif!t/~so ftmchlel ein:l 
1) dafs derselbe vermöge seiner materiellen Beschaffenheit 

i 

zu einer gänzlichen und überaus schnellen Zersetzung ge- 
I neigt, folglich seiner wahren Natur nach dazu bestimmt 
ist. 2) Dessen ungeachtet beobachten wir, dals sein Zu- 
stand sich gerade auf die entgegengesetzte Weise verhält, 
nämlich dafs seiner Zerstörung eine erhaltende Kraft ent- 
gegenwirkt, welche ihrem Wesen nach das Gegentheil von 
seinem materiellen Charakter, folglich Immaterie ll sein 


mufs, wie wir uns dies auch denken mögen. Betrachten 
wir jene unkörperliche Kraft als die Wirkung einer gleich- 
namigen Ursache, so kann diese keine andere, als die B e- 
^we^gjUL^sein. 3) Es ist daher in dem Körper als sol- 
\ ehern kein Grund seiner Fortdauer enthalten, da derselbe 
' 2 * 


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20 


mit 8einer .Beschaffenheit im Gegensätze stehen müfste. . 
4) Dies kann um so weniger sein, (la überhaupt nicht 
‘ einmal ein Grund vorhanden ist, weshalb derselbe existirt, 
zumal als * ein solcher, der ganz eigenthiimliche Erscheinun- 
gen äufsert. Gleichwie 5) nicht einzusehen wäre, auf 
welche Weise der Körper für sich, ohne unter der Herr- 
schaft der Seele zu stehen, seine Thätigkeit hervorbringen 
könnte eben so wenig liefse sich 6) begreifen, welchen 
Nutzen dergleichen Verrichtungen haben sollten. Dage- 
gen leuchtet 7 ) die absolute Nothwendigkeit ein, dafs ein 
solcher Körper mit dem Inbegriff und der innigsten Zu- 
sammenstimmung seiner Thätigkeiten zum Gebrauch für 
die Seele und zur Vermittelung ihrer Wirkungen vorhan- 
den sei; so wie 8) auch eine eigenthiimliche, dem Wesen 
der Seele entsprechende Einrichtung des Körpers erlorder- 
/ lieh, und uns im Allgemeinen anschaulich ist. 

Die Seele, so weit sich ihre Handlungen in Rücksicht 
auf materielle Gegenstände beurtheilen lassen, stellt sich 
uns unter dreifacher Beziehung dar; 1) im allgemeinsten 
Sinne ist sie ein thätiges Wesen, in eben dem Maafse, als 
die Materie passiv, und daher jener untergeordnet ist. 
2) Der allgemeinen Bedeutung nach ist sie ein bewegen- 
des Wesen, da alle ihre Handlungen so wohl an und für 
sich, als in Beziehung auf den Körper in Bewegungen be- 
stehen, nämlich im Fortschreiten von einem Gegenstände 
zum andern, daher Aristoteles das Denken ein Wandeln 
der menschlichen Seele nannte. 3 ) Im engsten Sinne ist 
die Seele ein intelligentes Wesen, und bedarf daher der 
Zeit, nicht nur wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Verrich- 
tungen, sondern auch wegen der Menge der Körper, welche 
Gegenstände ihres Erkennens sind, da eine Vergleichung 
nur unter mehreren Dingen, und eine vervielfältigte Ver- 
gleichung nur unter sehr vielen statt finden kann, Da 
folglich 4) die Seele nicht geschaffen ist, um nur einmal, 
oder an einem Gegenstände ihre Erkcnntnifskraft zu üben, 
sondern sie diese auch auf sehr viele in Anwendung brin- 


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I 


gen soll, so ist ihr 5) eine längere Zeitdauer nöthig, so 
wohl für ihr eigenes Geschäft, als 6) für den Gebrauch 
ihrer Werkzeuge, deren sie sich dazu bedienen mufs. 
Dafs ihr aber dergleichen Werkzeuge, unentbehrlich sind, 
läfst sich sowohl 7) a posteriori aus der Anwendung, 
welche sie von denselben macht, da ihr die Sinnorganc 
zum Wahrnehmen, und die Bewegungsorgane zur Aeufse- 
rung ihres Willens dienen, als 8) a priori aus der Be- 
schaffenheit der Gegenstände, an denen sie ihr Erkennt- 
nisvermögen üben soll, da diese als etwas Körperliches 
nur von gleichartigen Werkzeugen erfafst werden können, 
mid 9) aus der Weise darthun, auf welche die meisten 
dieser Instrumente zum Gebrauch der Seele dienen, da sie 
die Gegenstände der Vorstellungen enger zusammenfassen, 
und in gröfserer Zahl vereinigen sollen. 10) Nicht nur 
der äufsere Sinn, sondern auch der Verstand (vermöge 
der Form, unter welcher er die Objekte in sich aufnimmt) 

4 

können blofs dasjenige auffassen und dem Bewufstsein vor- 

% , 

stellen, was ein Zusammengesetztes, und seiner Gröfse nach 
ein Theilbares ist. ii) Der Gebrauch der dazu erforder- 
lichen Werkzeuge geschieht vermittelst der Bewegung, 
welche 12) nicht blos im Allgemeinen, sondern auch in 
Beziehung auf die mannigfaltigen Gegenstände der Er- 
kenntnifs und der darauf verwendeten Zeit eigenthümlich 
vorbereitet und geleitet sein mids. 13) Die Sinnorgane 
müssen zwar zur Aufnahme der entsprechenden Objekte- 
geeignet sein; aber aus dieser Bedingung allein gehen noch 
keine Anschauungen hervor, denn wenn wir mit der an- 
gestrengten Betrachtung eines Gegenstandes, sei es ver- 
mittelst des Sinnes oder des Verstandes, beschäftigt sind, 
so nehmen wir andere Sinneseindrücke, z. B. ein starkes 
Geräusch nicht wahr; ungeachtet dasselbe in das Ohr ein- 
dringt, und deutlich vou uns gehört werden würde, wenn 
wir ihm Aufmerksamkeit schenkten, bei deren Abwesen- 
heit also keine Sinnesanschauung sich bilden kann. 14) Da- 
gegen kann die Seele sich der Simiorgane nach freier Will- 


m 


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22 


i • - ■ 

kühr bedienen , sowohl in Hinsicht der Zeit, so lange sie 
will, als des Gegenstandes, den sie sieh auswählt, auf wel- 
chen sie das ihm entsprechende Sinneswerkzeug beliebig 
richtet, und dasselbe in Wirksamkeit treten läfst. Nach 
allem diesen wollen wir noch 15 ) den wesentlichsten 
Punkt in Erwägung ziehen, nämlich die Frage, ob die 
Seele als ein vernünftiges Wesen den Zweck ihres Da- 
seins in der Erkenntnifs der Dinge finde, zu deren Behuf 
ihr Organe zugetheilt sind, welche ihren Absichten und 
Bestimmungen gehorchen, und dazu von vorn herein ein- 
gerichtet sein müssen, um nämlich ihre Thätigkeit em- 
pfangen, fortpflanzen und übertragen zu können? Oder ob 
man dafür halten müsse, dafs die Seele, im engsten und 
absoluten Sinne genommen, an eine Maschine gefesselt, 
und dergestalt ihr zugegeben sei, dafs ihre wesentlichen 
Handlungen sowohl im Erkennen als Wollen nur auf die- 
selbe (und ihre Erhaltung) Bezug haben? Die letztere 
Meinung wird von denen angenommen, welche behaupten, 
der Körper werde lediglich um seiner selbst willen hervor- 
gebracht, und nur aus diesem Grunde sei die Lebensthä- 
tigkeit (von der sie aber gar keinen deutlichen Begriff ha- 
ben) wirksam, und in Verbindung mit den animalischen 
Funktionen der Empfindung und Bewegung gesetzt. Die 
Sinnorgane pflanzten den von den wahrgenommenen Ge- 
genständen empfangenen Eindruck auf die Bewegungsor- 
gane fort, und veranlalsten dadurch die Muskelwirkung; 
die Seele ihrerseits sei diesen Vorgängen zugesellt, um sie 
zu beobachten und aus ihnen Erfahrungen zu sammeln. 
Wenn es ihr auch frei stehe, sich jenen Anschauungen zu- 
zuwenden, und sie gleichsam auf abstrakte Weise zu be- 
trachten, so kämen dieselben doch eigentlich ohne ihr 
W issen und Wollen zu Stande, ganz als wenn dies alles 
in einer ihr völlig fremdartigen Sache geschähe, aus der 
ihr weder Nutzen noch Schaden erwachsen könne. Da 
nun von dieser Erklärung jede Rücksicht auf den Willen 
als obersten Leiter der Muskclbewegungen ausgeschlossen 


/ 


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23 


wird, so dachten sie sich, dafs gewisse Theilchen von den 
Aufsendingen durch die Sinnorgane in die Bewegungsor- 
gane eindrängen, und diese auf rein mechanische Weise 
dergestalt in Thätigkeit setzten, dafs durch diese vermöge 
eines ganz eigcnthümlichen Verhältnisses jener mechani- 
schen Bedingungen eine Bewegung nach dem Orte, wo- 
her jene Theilchen kommen, nicht nur hervorgebracht wer- 
den, sondern auch mit Begierde erfolgen müsse. Wenn 
daher, um unter unzähligen Beispielen eins auszuwählen, 
ein Geiziger den Fall eines klingenden Körpers auf die 
Erde hört, und denselben für ein Geldstück hält, so wird 
er nicht nur die Augen dahin richten, sondern auch unter 
Bänke und Tische kriechen, alle Ritzen durchspähen, vor- 
liegende Gegenstände auf die Seite räumen, und nicht eher 
ruhen, bis er das Gesuchte gefunden, oder wenn dies nicht 
geschieht, auf keine Weise von seiner Meinung abzubrin- 
gen sein. Wahrlich eine wunderbare Wirkung der von 
dem gefallenen Körper durch die Ohren in die Muskeln 
eingedrungenen Theilchen l Eben so widersinnig fällt diese 
Erklärung bei den sogenannten automatischen Bewegun- 
gen der Thiere aus. 

Niemand kann daher in Abrede stellen, dafs die Seele f 
allein jede willkülirliche Bewegung des Körpers hervor- 4 
bringt ,_und di e Gröfse sowohl als die Richtung derselben 
bestimmt. Es ist aber Vorsicht nöthig, um zu verhüten, 
dafs sich dabei nicht ein metaphysischer Begriff cinsclileicht, 
nach welchem die Richtung von der Bewegung unterschie- 
den, und von einem andern Princip hergeleitet werden 
könnte, so dafs sic zu dieser erst hinzutreten miifste. Da- 
nach wäre dann die Bewegung eine physische Erschei- 
nung, die Richtung dagegen etwas Metaphysisches, Abs- 
traktes, was eben so viel bedeutete, als wenn eine blofse 
Fiktion des Verstandes unmittelbar in eine wirkliche und 
körperliche Thätigkeit übergeführt werden könnte. Auf 
diese Weise urthcilen alle Philosophen, welche der Seele 
weder eine Bewegung, noch «ine Gewalt über dieselbe 


A 


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24 


zuschreibcn, sondern diese anderswo, gleichsam von selbst 
entstehen lassen. Da aber die Richtung ein der Bewe- 
gung immanenter Charakter ist, ohne den diese niemals 
Vorkommen kann; so geht eine grofse Verwirrung daraus 
hervor, wenn man jene als metaphysische Bedingung mit 
einer rein körperlichen Wirkung -in unmittelbare Verbin- 
dung bringen will. Die Unmöglichkeit der letzteren wird 
jedem einleuchten, dem der Unterschied der metaphysi- 
schen und physischen Dinge klar geworden ist. 

Wir kommen jetzt zum andern Theil der oben auf- 
gestellten Frage, nach welchem zu untersuchen ist: ob der 
Geist des Menschen schlechthin zu dem Zweck des Er- 
kennens bestimmt, und Alles ihm Zugehörige ausschliefs- 
lich ihm dienstbar ist, nicht er aber zu etwas Fremdarti- 
gem hinzutrete, von welchem er nur einen zufälligen, ab- 
geleiteten Gebrauch machen könne? Eine bejahende Ant- 
wort läfst sich hierauf 1) a priori geben, in sofern die Er- 
kenntnifskraft , mittelst welcher wir die Ordnung der er- 
schaffenen Dinge, und die Vereinigung derselben zu einem 
wunderbaren Ganzen, so wie den Schöpfer desselben um- 
fassen, eine höhere Würde behauptet, als jede andere in 
der Welt anzutreffende Tliätigkeit. 2) Dieser Erkenntnifs- 

*■ r 

trieb ist aufser allem Zweifel ursprünglich und so durch- 
aus in sich begründet, dafs er nicht durch eine ihrem gan- 
zen Wesen nach fremde Bedingung, die somit die urhe- 
bende sein würde, erst in Wirksamkeit tritt. 3) Dazu 
bedarf es aber mitwirkender Ursachen, die lediglich zu 
dieser Absicht vorbereitet sind. 4) A posteriori läfst sich 
nachwcisen, dafs der Körper mit seiner ganzen mechani- 
schen Einrichtung auf diesen Zweck berechnet, und daher 
zur Erreichung desselben geschaffen ist, so dafs 5) gar 
kein anderer Nutzen, dem er dienen sollte, gedacht wer- 
den kann. Dazu kommt, dafs 6) die Seele mit einer freien 
Kraft begabt ist, mit welcher sie nicht nur die Sinnorgane 
nach ihrer Willkülir in Thätigkcit setzt, sondern auch die 
vornehmsten Lebensorgane., ja selbst den ganzen Inbegriff 



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25 


der Lebensäufserungen beherrscht, wie dies aus den Ge - 
müthsbewegungen deutlich hervorgeht. Endlich gehört 
hierher die unverkennbare Beziehung, welche, die durch 
die Empfindung des Angenehmen oder Unangenehmen her- 
vorgerufenen Aeuiserungen des Begehrungsvermögens zur 
besseren Erhaltung, Beschützung und Ernährung des Kör- 
pers, zur Entfernung der Schädlichkeiten haben, wozu sie 
ungemein geschickt sind, danach ihr letztes Bestreben auf 
die Erhaltung der Gattung gerichtet ist, wobei eine mög- 
lichste Uebereinstimmung des Typus, der Struktur und 
Bewegung, also eine Aehnlichkeit in körperlicher und gei- 
stiger Hinsicht bewahrt wird. 

Aus dem Gesagten geht wohl unbezweifelt hervor, 
dafs der Körper als wirkliches und unmittelbares Organ 
der Seele nicht nur zu ihrem Gebrauch vorhanden, son- 
dern auch geradezu und nothwendig für denselben ur- 
sprünglich eingerichtet ist, und aufserdem keinem andern 
Dinge nützlich werden kann. Dafs aber_ die^ Bewegung f> 

des Körpers allein von der Energie der Seele au sge ht, 

erBelfiTnoch aus folgenden Gründen. Alle Thätigkeitcn, | 
welche in und durch den Körper, i n sofern er ein organi- 
scher ist, wirken, bilden nur eine Gattung, die Bewegung, 
von welcher sich nur einzel ne Arten und lUchtungcn u n- 
terscheiden lassen. Die Bewegung ist nicht nur nach ih- 
rem ganzen Begriff unkörperlich, sondern sie bleibt es 
auc h, so lange und so oft slemund durch den Körper 
, herrscht. Sie besitzt aufserdem noch andere unkörperlichc 
Attribute, welche sich, auf das Zeitmaafs, den Grad der 
Energie, auf das Verhältnifs zu ihrer Richtung, ihrem 
Zweck, und zu den ihr dienenden Organen beziehen. 
Gleichwie jede Wh’lamg yon ihrer Ursache zeugt, so die 

I Bew egung als etwas Unkörperliches von ihrem gleiehge- 

j arteten Ursprünge. Die Bewe gung als Wi rkung läfst sich 
nicht als getrennt von dem Bewegenden denken, weil sie 
abstrakt genommen - niclit als ein physisches Wesen beste- 
hen kann. Daher kann man im physischen Sinne von 


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26 


I 


einer wirklich geschehenden Bewegung nicht in abstracto 
reden, sondern sie muls inimör in concreto gedacht wer- 
den. Deshalb ist es unstatthaft, sie als Etwas, das den 
physischen Dingen immanent oder inhärent ist, zu be- 
trachten, statt dessen der Ausdruck einer substantiellen 
Kraft der Bewegung viel schicklicher ist, wenn man die 
Arten der Körper richtig unterscheidet, in denen sie wirk- 
lich vorhanden ist, und die daher beseelte genannt wer- 
den. Die Alten gebrauchten dafür auch den Namen Natur. 

Hierher gehört ferner, dais die Seele einer Mutter ver- 
möge blofser Vorstellungen, besonders der Einbildungskraft, 
auf das in ihrem Schoofse sich entwickelnde Kind derge- 
stalt wirken kann, dafs an die Stelle der bereits vollen- 
deten Struktur eines Theils eine neue tritt, und selbst dem 
Gemüthe sich unauslöschliche Eindrücke einprägen, welche 
sich späterhin in der Denk- und Handlungsweise zu er- 
kennen geben. Zu einer solchen Wirkuqg, welche aus 
einer rein moralischen Ursache, einer überaus starken Be- 
gierde, oder einem übermäfsigen Widerwillen entspringt, 
ist oft die Dauer eines Augenblicks hinreichend; um so 
merkwürdiger erscheint uns daher der Erfolg, weil sowohl 
eine fehlerhafte Struktur unverändert, als die falsche Rich- 
tung der Seele durch jedes Erziehungsmittel unverbesser- 
• lieh bleibt. 

j Eben so ist der Einfluls, den die Seele auf ihren ei- 
genen Körper durch ■ Gemüthsbe wegungen ausübt , unge- 
I mein grofs, da durch Schreck, Zorn, ungestüme Freude, 
sehr lebhaftes Verlangen, in dem nämlichen Augenblicke 
| der ganze Blutumlauf, niclit blos der Herzschlag, verän- 
dert, und in dem übrigen Körper die bedeutendsten Stö- 
\ rungen hervorgebracht werden. 

Auch läfst sich nicht bezweifeln, dafs die Seele eine 
Kcnntnifs von ihren Organen und von deren Verhältnifs 
zu den durch sie auszurichtenden Zwecken haben muls, 
wie dieselben eine bestimmte Leitung der dazu erforder- 
lichen Bewegungen durch die Seele nothwendig machen. 


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\ 


27 


Dabei kommt der Einwurf nicht in Betracht, dafs die 

Seele diesem Geschäft fremd sein müsse, weil sie sich der 

• ** 

dabei statt findenden Vorgänge und ihrer Theilnalime an 
denselben keinesweges bewufst sei, was um so weniger 
drt* Fall sein könne, da zum Bewufstsein wenigstens die 
Thätigkeit der Phantasie und des Gedächtnisses, und zu die- 
ser die Anschauung bestimmter Gestalten erfordert werde. 
Allerdings vermisseu wir dabei jedes deutliche Vorstellen, 
dem der so eben bezeichnete Charakter eigen ist ; aber 
ein Gleiches gilt auch von gewissen Bestimmungen, welche 
unbczweifelt von der Seele ausgehen. Dahin gehört z. B. 
die Abschätzung des zum Ueberspringen eines Grabens er- 
forderlichen Maafses von Kraft, der Entfernung und Rich- 
tung, nach welcher ein Wurf geschehen soll. Wiefern 
findet hierbei wohl ein mit deutlichem Bewufstsein ver- 
gesellschaftetes Denken statt? Um die wirklichen Aeufse- 

rungen der Seelenthätigkeit deutlich einzusehen, ist es 

* 

nöthig, den Unterschied aufzufassen, der zwischen einer 
einfachen und daher unklaren Vorstellung, und einer deut- 
lichen, aus der Vergleichung mehrerer Dinge hervorge- 
gangenen Erkenntnis begründet ist*). 

Der Ausspruch des Cicero : unser Ruhm ist eitel, wenn 
das, was wir thun, keinen Nützen hat, läfst sich beson- 
ders auf diese Darstellung der Verbindung zwischen Seele 
und Leib anwenden. Denn dieselbe gilt nicht blos von 
dem naturgemäfsen oder Gesundheitszustände, sondern sie 
hat einen noch ungleich gröfseren Nutzen (der durch keine 

andere Betrachtung ersetzt werden kann) bei der Erklä- 

• / 

rung der Krankheitsursachen, und der daraus hervorgehen- 
den mannigfachen Symptome, und ins besondere zur Erfor- 
schung der Entstehungsweise der verschiedenen Gemüths- 

*) ZJbi nempe altiorem certe considerationem postulat di- 
stinctio illa inter Xöyov et Xoyia/xöv, rationem et ratiocinationern, 
intellectum simpliciter et collectionem e inultitudine rerum qua- 

litercunque intellectarum , inter agnitionem f cognitionem et di - 
stinctam, imo diffusam cogitationem. 




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28 


bewegungen, und des wohltliätigen Erfolges, den diese auf 

» 4 

wahrhaft organische Art in Bezug auf die Erhaltung des 
Körpers nach sich ziehen. Bis jetzt hatte man durchaus 
keinen richtigen Begriff von dem leiblichen Leben; von 
den Bedingungen, welche zur Bezeiclmung des Körpers 
als eines lebenden erfordert werden; von dem organischen 
Grunde, welcher die alleinige und formale Ursache des 
Lebens enthält; von dem Verhältnisse der materiellen Be- 
schaffenheit des Körpers zu seiner Vitalität. Um so we- 
niger konnte man sich Rechenschaft geben voil den viel- 
fältigen Lebensbewegungen, welche während der krank- 
haften Zustände eintreten, aber nicht auf die Ze rstörung 
des Körpers gerichtet sind, sondern auf die Erhalt ung 
desselben und seiner organischen Einrichtung abzwecken. . 
i » iesem MangeV einer wissenschaftlichen Grundlage mufs 
der Irrthum in der Pathologie beigemessen werden, dafs 
jene Bewegungen für unmittelbare Krankheitssymptome 
gehalten werden, welche nicht nur dem Körper lästig, 
sondern auch verderblich seien, ungeachtet sie, sowohl in 
ihrem Bestreben als in ihrer Wirkung auf die Austreibung 
der schädlichen Dinge so vortrefflich berechnet, und dazu 
so unumgänglich nötliig sind, dafs ohne sie der den man- 
nigfachsten Einflüssen ausgesetzte Körper vor der Zerstö- 
rung nicht bewahrt werden kann. 

Man hat nun zwar dies wahre Sachverliältnifs hin und 

t 

wieder anerkannt; doch blieb der organische Zusammen- 
hang jener Bewegungen und ihre Verbindung mit der Seele 
verborgen, wurde übersehen, und mit einer verworrenen 
und lückenhaften Beweisführung behauptet oder bestrit- 
( ten. Ein anderes Hindernifs, zu einer richtigen Erkennt- 
' nifs hierüber zu gelangen, lag in der irrigen Vorstellung, 

1 dafs jene Bewegungen, welche als wahrhaft organis che auf 
(len nothwendigen Zweck der Erhaltung des Körpers be- 
f zogen werden müssen, auf eine unbestimmte Weise aus 
^Reizungen hervorgehen, welche bald einfach und unmit- 
telbar in einem blos mechanischen Verhältnifs zu Stande 


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29 


/ 


kommen, bald eine Erschütterung der Nerven oder des in ' 
ihnen enthaltenen Fluidum hervorbringen sollten, ohne al- 
len bestimmten Nutzen zur. Erhaltung des Körpers. 

Diese unaufhörlichen Schwankungen in der geschicht- 
lichen Darstellung und in der Erklärung der gedachten 
Erscheinungen haben eine fast kaum zu beseitigende Ver- 
wiiTung in die Heil kunde gebracht, und cs werden nicht 
jiur die früheren Irrtliümer fortgepflanzt, sondern immer- 
fort neue erzeugt. Auf diesen Abwegen kann man sich 
nur dann zurecht finden, wenn man die organische Be- 
deutung, w T elclie der menschliche Körper als Maschine hat, 
hervorhebt, und dadurch einleuchtend macht, dafs er, zur 
Erreichung der durch die Vernunft ausgesprochenen Zwecke 
des Geistes unumgänglich nothwendig, aufserdem gar kei- 
nen Werth haben könne. 

Wenn ohne diese gründliche Theorie der organischen 
Verhältnisse keine Physiologie und Pathologie ausgcfiihrt 
werden kann, so läfst sich ohne sie noch viel w T cniger 
eine rationelle Heilmethode denken. Denn nur indem man 
sich die bisher erläuterten Bedingungen verständlich ge- 
macht hat, in wiefern dieselben auf die Erhaltung des 
Körpers berechnet sind, gelangt man zu der Erkcnntnifs, 

dafs vornämlich das Wirken der Natur den Bemühungen 

* 

des Arztes zu Hülfe kommen, und dafs dieser sich mit 
Klugheit und Eifer befleifsigen müsse, ihre Winke zu ver- 
stehen, in steter Uebereinstimmung mit ihr zu bleiben, ihr 
Folge zu leisten, und Erleichterung zu bringen, indem er 
Hindernisse beseitigt, und die schädlichen Stoffe, so wie 
die Wege, auf denen sie ausgeschieden werden sollen, 
dazu vorbereitet. Das Ziel seines Forschens, zu weichem 
vorzüglich die Fieberlehre ihm die beste Gelegenheit giebt, 
mufs daher auf das selbstständige Thätige im Körper ge- 
richtet sein, wie es zur Erhaltung und Wiederherstellung 
desselben nothwendig, in einer schönen Ordnung und Fol- 
gereihe wirkt. 


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II. 


/ 


Aufforderung 

zur Abhaltung des Fremdartigen 

von der Heilkunde. 

* 


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Zu den Hindernissen, welche die Heilkunde umgeben, 
zählte Hippocrates die Kürze des menschlichen Lebens, 
^welches zu einer tieferen Ergrün düng dieser Kunst nicht 
ausreicht. Auch Seneca’s Worte, mit denen er die So- 
phisten über ihre unfruchtbaren Studien und Wortklaube- 
reien züchtigt, verdienen hier Erwähnung: «Sie runzeln 
ihre Augenbraunen , lassen ihren Bart lang wachsen und 
herabw r allen , um ihren armseligen Lehren (nämlich So- 
phismen und verfänglichen dialektischen Formeln) ein bes- 
seres Ansehen zu geben.» Weiterhin: «Was hältst du 
uns mit unnützem Spafs auf; hier ist zum Scherzen kein 
Ort, du bist den Unglücklichen zur Hülfe gerufen. » So 
klagt er über die Philosophen, welche ihre Pflicht ver- 
säumen, ächte Lebensweisheit zu lehren, Furchtsamkeit, 
Engherzigkeit, Traurigkeit und Verzagtheit zu bekämpfen, 
und zur Zufriedenheit, Heiterkeit und Selbstständigkeit zu 
ermahnen. Was liefse sich wohl Passenderes vom Stu- 
dium der Medicin sagen, welches gleichfalls von allem 
Fremdartigen und Leichtfertigen fern gehalten, und auf 
sein alleiniges Ziel gerichtet werden mufs? Zu den Lei- 
denden wird der Arzt gerufen, die, ihren eigenen und 
fremden Angelegenheiten entrissen, oft in Gefahr des To- 
des schweben, und auf eine säumende Hülfe nicht warten 
können. So fahrlässig wird zwar ein Arzt nicht leicht 
sein, dafs er, von einem Kranken zum Beistände aufgefor- 
dert, die Sorge für ihn gleichgültigen Dingen hintenan- 
Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 3 


\ 


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34 



setzt* aber es giebt eine verstecktere Weise, sich von 
fremdartigen Gegenständen irre leiten zu lassen, welche 
ihm seine eigentliche Pflicht ganz aus den Augen rückt. 
Es ist hiermit nicht die Vielgeschäftigkeit gemeint, welche 
sich imberufen in andere Angelegenheiten einmischt, son- 
dern der Mangel an Vorsicht, wodurch man verleitet wird, 
unwesentliche Dinge in die Medicin aufzunehmen, und sie 
dadurch so zu entstellen, » dafe sie aufhört eine wahre Heil- 
kunde zu sein. So ist es gekommen, dafs man in den 
ältesten Zeiten sich durch leere und abstrakte Sprach- und 
Denkformen von einer gründlichen Betrachtung des Kör- 
pers und von der Beobachtung und Beurtheiluiig der in 
ihm statt findenden Thätigkeiten hat ableiten lassen; da- 
gegen man in neuerer Zeit sich in gewissen allgemeinen 
Begriffen über die Materie gefiel, nur sehr wenige Erfah- 
rungen sammelte, auf die Ursachen jener Erscheinungen, 
und auf* den Grund ihrer Entstehung und ihrer gegensei- 
tigen Verbindungen gar keine Rücksicht nalim. Ueberall 
fafst man nur das sinnlich wahrnehmbare Aeufsere der 
Materie, die Gestalt der Körper und ihr räumliches Ver- 
hältnis zu einander in’s Auge, und würdigt die Ordnung 
der Bewegungen, ihre Kraft, ihre unbedingte Herrschaft 
über die Materie, ihre Zeitdauer, Gradbestimmungen, ih- 
ren Wechsel, und vornämlich ihren Zweck kaum eines 
flüchtigen Blicks. Um so weniger hat man daher eine 
Ahnung von dem Zusammenhänge, der alle Körper zum 
Weltganzen verbindet, und vorzugsweise in den organi- 
schen Körpern, die an einen bestimmten Zweck gebun- 
den 6ind, wahrgenommen wird. 

Es ist ein wahrer Ausspruch der alten Aerzte, dals 
der Arzt da anfangt, wo der Physiker zu Ende gekom- 
men ist; doch haben sie sich über die Grenzen zwischen 
der Physik und Medicin nicht deutlich erklärt. Wegen 
dieses Mangels an einer näheren Bestimmung hat man eine 
Menge von Spekulationen in die Medicin hineingezogen, 


i 


/ 


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I 


35 

\ 

i 

welche, so wahr sie auch an sich sein mögen, zu deren 
Vervollkommnung nichts beitragen. 

Schon in meiner Jugend, als ich das Studium der 
Heilkunde begann, war ich betroffen über das gebräuch- 
liche Sprichwort, dafs die besten theoretischen Aerzte oft 
in der J Praxis^ die unglücklichsten sind. Viele unter den 
beschäftigsten Praktikern bekräftigen diesen Ausspruch, 
nicht ohne einen hämischen Seitenblick auf ihre jüngeren 
Amtsgenossen, mit der Versicherung, dafs die Theorie von 
der Praxis durch eine weite Kluft getrennt sei, und dafs 
man bei der Ausübung der Heilkunde nicht nur leicht die ! , 
glänzendsten Systeme verlerne, sondern dafs dies Verges- 
sen sogar eine nothw r endige Bedingung zu einem glückli- j 
chen Handeln sei. Wenn daher jüngere Aerzte, denen 
von der Akademie her die angenommene Theorie in fri- j 
scher Erinnerung ist, diese bei Consultationen geltend ma- ; 
chen, und damit den Verordnungen der älteren entgegen 
treten wollen, so werden sie von diesen mit den ange- 
führten Behauptungen zurückgewiesen. 

Es schien mir damals ein gehr hartes Loos zu sein, 
dem Vernunftgebrauch entsagen zu sollen, da er mit der - 
Erfahrung niemals Zusammentreffen auch kam es mir pa- 
radox und widersinnig vor, dafs etwas in Betreff körper- 
licher Dinge wahr, und doch der Vernunft unbegreiflich 
sein, ja selbst mit ihr in Widerspruch stehen könne. Dies 

beunruhigte mich um so mehr, da selbst Versuche, welche 

\ , 

Aufechlufs geben könnten, weil sie den Zugang zu den 
Dingen eröffnen, dennoch über diese kein Licht verbrei- 
ten sollten, weil sie sich mit jenen Theoremen nicht ver- 
einigen lassen. 

Aber wie ein Deus ex machina erschien mir die Auf- 
lösung dieses Räthsels. Freilich nicht mit jenen Vernunft- 
schlüssen, wohl aber mit der Vernunft; nicht mit jenen 
Spekulationen, wohl aber mit jeder nüchternen Betrach- 
tung läfst sich die Natur in Uebereinstimmung bringen. 

3 * 

/ ♦ 

v 


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36 


Ich darf betheuern, dafs zugleich mit diesem Gedan- 
ken aucli ein lebhaftes Verlangen in mir entstand, jenen ' 
Schwierigkeiten, so weit meine Kräfte es gestalteten, .auf 
den Grund zu kommen, und einen < bessern Weg, wenig- 
stens die ihn versperrenden Hindernisse aufzufinden. Nicht 
läugnen will ich, dals mich dazu die jetzt herrschende 
gröfsere Denkfreiheit ermuthigte, welche nicht Anstand 
nimmt, die verjährten Meinungen der Alten in Zweifel zu 
ziehen, und ihre lückenhaften Lehren durch bessere zu 
ersetzen. Eben so wenig verhehlen will ich jedoch, dafs, 
wie sehr ich auch diesen Trieb zum Bessern anerkannte, 
ich die herrschende wissenschaftliche Methode doch nicht 
zu billigen vermogte, da es mir bei meiner angestrengten 
Aufmerksamkeit nicht entgehen konnte, dafs mehr leere 
W T ortbegriffe gespalten, als die wahren Unterschiede der 
Dinge aufgesucht werden. Selbst die Lehren der Physik, 
mit denen die medicinische Dogmatik den Anfang zu ma- 
chen pflegt, schienen mir, wiewohl sie vieles den Alten 
Unbekannte enthielten, doch mehr durch Mannigfaltigkeit 
zu glänzen, als sich durch höhere Gewifslieit und gröfsere 
Ausbildung zu bewähren. 

Indeiji ich auf Alles sorgfältig Acht gab, leuchtete 
mir immer mehr ein, dafs das vornehmste Gebrechen, 
womit diese Bestrebungen behaftet blieben, darin seinen 
Gründ hatte, dafs man den fremdartigen Beziehungen die 
Aufmerksamkeit zu sein* zuwendete, und dagegen die noth- 
wendigen und wesentlichen vcrnaclilässigte. In der Phy- 
sik schien jedes bessere Bestreben vereitelt zu werden 
durch die von den Alten fortgeerbte Geringschätzung des 
Begrifls der Bewegung, durch die Verwechselung des All- 
gemeinen mit dem Besonderen, des von aufsen Hinzuge- 
kommenen und Vergänglichen mit dem Inwohnenden und 
Bleibenden, vorzüglich aber des wirklich an einen Zweck 
gebundenen Organischen mit dem Zwecklosen ( adiaphora ) 
und im strengen Sinne Unorganischen, welches vielmelir 
zu einem bestimmten Gebrauche geeignet, als für densel- 


s 


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37 

ben bestimmt ist. Wenn schon in der Physik die For- 
schung an dieser Verwirrung krankte, so dafs von ihr 
keine lohnende Ausbeute zu hoffen war; wie viel übler 
mulste die Heilkunde berathen sein, da in sie jene rohen 
Begriffe mit eiuer gewissen Verwegenheit übertragen wur- 
den, welche sich jeder Aufklärung derselben widersetzen, 
und sie von ihrem Ziel ablenken mufsten. Den gröfsten 
Schaden aber schien mir die Verpflanzung einer physischen 
Betrachtung des Körpers auf das Gebiet der Medicin an- 
zurichten. Denn es findet ein sehr grofser Unterschied 
statt zwischen der blofsen Beschreibung des Körpers und 
der Darstellung seines Verhaltens bei Verletzungen und 
bei seiner Herstellung von denselben; die erstere liegt je- 
dem medicinischen Begriffe durchaus fern, da sich aus ihr 
nicht einmal die verschiedenen Arten der Verletzungen, 

also viel weniger noch die Methoden herleiten lassen, nach 

* 

denen diese geheilt werden können. ' 

Die Wahrheit kann ich zum Zeugen nehmen, wie 

, * 

viele Beschwerde mir die grofsen Zurüstungen neuerer 
Zeit , b esonders zu anatomischen Arbeiten verursacht ha- 
IjeiT (denn die hohlen Lehrsätze der Chemie hatte ich längst 
kennen gelernt), um so mehr, da das Licht, welches sic 
über die Medicin verbreiten sollten, auf eine so pompha fte, 
und prahlerische Weise angekündig t wurde. Daher ver- 
senkte ich mich ganz in diese Studien, denn nur die voll- 
ständige Bekanntschaft mit einer Sache giebt das Recht, 
über sie zu urtheileu. Nachdem ich Alles, >vas zu meiner 
Bekanntschaft gelangt war, durchdacht und mit der Wirk : 
lichkeit verglichen hatte , ergab sich 'mir bei ruhiger Be- 
urtheiluug, dafs zum Thcil das Wesentlichste und über- 
haupt sehr Vieles, selbst in der blofsen geschichtlichen 
Darstellung der Dinge fehlte. Vor allem stutzte ich dar- 
über. in der ganzen Lehre das Leben zu vermissen, näm- 
lich seinen Begriff, seinen Grund, die Mittel und Bedin- 
gungen, auf die es sich stützt. Freimüthig bekenne ich 
es, dafs die Alten dies Bedenken in mir angeregt hatten. 


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38 


da von ihnen die Unterscheidung ausging zwischen der 
Beschaffenheit ( temperies ) einer einfachen Mischung und 
der des menschlichen Körpers, in sofern er ein gemischter * 
und belebter zugleich ist. Diese Unterscheidung scheint 
der überlieferte Ueberrest einer damals gültigen Wahrheit 
zu sein, der aber durch Vernachlässigung oder falsche Deu- 
' tungen so in Nichts aufgelöset war, dals er zu keinem 
weiteren Nachdenken anspornte. * 

Ein zweiter Mangel ging diesem zur Seite, in Betreff 
einer genaueren Kcnntnifs der eigenthümliclien Mischung 
des menschlichen Körpers. Es fehlt zwar hierüber nicht 
ganz an Bestimmungen: da aber die Alten von allgemei- 
\ neu Vorstellungen über die Materie überhaupt sich nicht 
losmachen, und daher von jener prima materia keinen' 
Uebergang zu den einzelnen Arten von Mischungen finden 
konnten; die Neueren hingegen jene allgemeinen Begriffe 
hintenan setzten, oder unrichtig auffafsten, und statt des- 
sen die Untersuchungen über die Form und Struktur des 
Körpers, wiewohl ohne alle Beziehung auf deren Zweck 
mit grofser Sorgfalt führten; so leisteten beide hierin nichts 
Erhebliches. Darin aber stimmten sie überein, dafs sie 
der Ursache der Mischung nicht nachforschten, und sich 
daher nicht um den wichtigsten Unterschied kümmerten, 

' durch welchen die Betrachtung des Körpers, in wiefern 
] er ein gemischter, von der, in wiefern er ein belebter ist, 
getrennt wird. 

Gleichwie bei Rechenexempeln ein Irrthum in den 
ersten Zahlenreihen den Werth der Summen verfälscht, 
und beim Fortgange der Rechnung stets zunimmt, so ver- 
hält cs sich auch bei den übrigen Wissenschaften. Denn 
sobald diesen ein falsches Princip, oder gar keins unter- 
gelegt wird, so ist es unmöglich, ein dauerhaftes Gebäude 
darüber aufzuführen. Wie sehr aber die Aerzte, ungeach- 
tet ihrer grofsen Bemühungen, das wahre Ziel derselben 
aus den Augen verloren haben, erhellt besonders daraus, 
dals sie nicht darauf' achteten, dals der menschliche Kör- 


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39 


per, an und für sich rücksichtlich seiner Mischung betrach- 
tet, so sehr zur Zersetzung geneigt ist, und dessen unge- 
achtet dieser nicht anheim fallt, vielmehr seine Ursprung- 
liehe Beschaffenheit bewahrt, und* in dieser eine Reihe 
von Jahren fortdanert. 

Ein sehr fühlbarer Mangel war es ferner, dafs man 
den hohen Werth . der Exkretionen für die Lebeustliätig- 
keit nicht in vollem Maafse würdigte, vielmehr bei der 
Beschäftigung mit mechanischen BegriiFen beinahe der Ver- 
gessenheit übergab. 

Die Anatomen hatten, um das Gesagte durch ein Bei- 
spiel zu erläutern, mit grofsem Fleifse den inneren Bau 
der Muskeln untersucht, und zu zeigen sich bemüht, dafs 
aus der Zahl, Lage und Anordnung der haarfeinen Fasern 
ihre Bewegkraft hervorgehc, die durch eine so geringe 
Masse bedingt, und doch zum Heben grofser Lasten hin- 
reichend, Erstaunen erregen mufs. Weim aber ein Mus 
kel durch eine' Wunde gespalten worden ist, und es dar- 
auf ankommt, die Bedingungen zu seiner Heilung aufzu- 
finden; was nutzt dann die Aufzählung seiner Fasern, die 
Angabe seiner Anheftungspunkte, seiner Verbindung mit 
nachbarlichen Muskeln? So wird der Arzt überhaupt duiT.li 
die sorgfältigste Betrachtung der Struktur der Tbeile nie 
dahin gelangen, die wahren Heilzwecke kennen zu lernen, 

. i 

vielmehr durch jene abgehalten werden, nach diesen zu 
forschen. 

Noch weniger Aufschlufs für die medicinische Theorie 
läfst sich von der Chemie erwarten; denn diese vermogte 
es bisher nicht, die in den Säften des Körpers Vorgehen 
den Mischungsveränderungen unter einen Begriff zu brin- 
gen, der sowohl ihren allgemeinen Lehren oder Hypothe 
sen, als den Lebensvorgängen angemessen wäre. Alles, 
was die Chemiker darüber gefabelt haben, beschränkt sich 
darauf, dafs durch Säuren eine Gerinnung, durch flüchtige 
Alkalien eine Auflösung bewirkt wird, dafs die schwef- 
lichl salzige Schärfe mit Reizkrafl begabt, und die Mi- 


r 


40 


schling einer Gährung unterworfen ist. Wie wenig aber 
diese Voraussetzungen zur Erklärung der einzelnen Le- 
benserscheinungen sich eignen, geht z. B. daraus hervor, 
dafs man eine eigenthümliche Säure für die Hcmikranie, 
Augcnentzünduug, Bräune, den Zahnschmerz u. s. w. an- 
nahm, und sie bald fixer, bald flüchtiger Natur sein liefs, 
ohne aus der Chemie ihre Entstehung begreiflich machen 
zu können, wenn man nicht etwa zu Gährungen seine Zu- 
flucht nahm. Wie läfst sich aber wohl die Gegenwart sol- 
cher Säuren wirklich darthun, oder zeigen, dafs ihre grofse 
Mannigfaltigkeit aus einer Gährung hervorgehen könne? 
Je weniger dergleichen leere AllgemeinbegrifTc irgend einen 
Aufschlufs geben, um so gröfseren Schaden bringen sie 
durch ihre erwiesene Unwahrheit, da die Säfte des menscli- 
liehen Körpers von jeder sauren Gährung sehr weit ent- 
fernt, nur in eine schleimige Gerinnung, oder wenn ja 
eine Gährung in ihnen statt findet, nur in fauligte Ver- 
dcrbnils übergehen können. Ueberdies läfst sich aus die- 
sen Meinungen gar kein Grund entwickeln, woher es kommt, 
dafs die Gährung im Körper eine so seltene Erscheinung 

i 

ist, ungeachtet sie ein leicht cintretcnder und rasch fort- 

% 

schreitender Prozefs ist, um so mehr, da der Mensch gro- 
Isentkeils von gährenden Stoffen lebt, welche dessen un- 
geachtet in die gleichförmige Mischung des Körpers beson- 
ders des Blutes übergeführt werden. 

Ueberhaupt verdient die Seltenheit der Kra nkhe iten 
eine sorgfältige Beachtung, da ein einzelner Mensch wäll- 
rend seines langen Lebenslaufes nur von einer geringen 
Zahl wenig verschiedenartiger Krankheiten befallen wird, 
ja selbst der gröfsere Theil des menschlichen Geschlechts 
von ihnen auf immer verschont bleibt, sogar wenn der 
Körper sich nicht dem äufsern Ansehen nach durch Kraft 
auszeichnctc , und in der Lebensweise grofse und bedenk- 
liche Veränderungen vorgingen. Dies könnte nicht der 
Fall sein, wenn jene grofse Veränderlichkeit der Säftemi- 
schung, und ihre Geneigtheit zur Gährung wirklich ein- 

< 

» 

/ ' * 


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41 ' 


I 


treten könnte. ' Mit der Annahme der letzteren lassen sich 
überdies folgende zwei Gesetze des Lebens auch nicht im 
Entferntesten in Verbindung bringen. 1) Die periodische 
Rückkehr der Krankheiten, die nicht nach einer bestimm- 
ten allgemeinen Regel, sondern vielmehr nach individuel- 
len Bedingungen erfolgt, oder wenigstens unter mehrere 
Arten gebracht werden kann. 2) Der plötzliche Ausbruch, 
oder die schnelle Wiederkehr der Krankheiten nach hef- 
tigen Gemüthsbewegungcn. 

Während von den so eben gewürdigten medicinischen 
Theorien keine Anwendung auf die Praxis gemacht wer- . 
den konnte, hatte diese einen besseren Fortgang, da sie 
auf Erfahrung gestützt, und den Aussprüchen derselben ge- 
horsam, in ihren Erfolgen glücklich war. Sobald sie aber 
auf jene fremdartigen Theorien gegründet wurde, liefs sich 
von ihr nur Unheil befürchten, da ihr eine verfälschte Er- 
fahrung voranging, und sie aufser Stand gesetzt war* je- 
mals ihre Zwecke auf geradem Wege zu erreichen, und 
eine richtige Beobachtung anzustellen. Dies klingt hart, 

aber es ist wahr. Denn wenn nicht durch die von jenen 

* \ 

Theorien gänzlich abweichenden Naturbestrebungen ein 
glücklicher Ausgang herbeigeführt, sondern dieser nach 
dem Sinne dieser Praxis erfolgt wäre; oder wenn nicht 
die Stifter der medicinischen Schulen aus der reifen Er- 
fahrung der Alten einzelne Sätze entlehnt, in ihr System 
hineingezwängt, und mit ihnen gute Kuren verrichtet hät- 
ten, deren Verdienst sie aus Selbstverblendung ihrer Me- 
thode heimessen ; so würde ihre Praxis kein , erfreuliches 
Ergebnifs geliefert haben, 

Es wird nunmehr nicht am Unrechten Orte sein, zu 
zeigen, wie. eine wahre medicinische Theorie zu einer 
richtigen, zuverlässigen und dauerhaften Grundlage gelan- 
gen, und sich von jenen leeren Hypothesen auf immer be- 
freien könne. 

Diejenigen, welche sich irgend einen Begriff vom Le- 
ben gebildet haben, sagen, dafs dasselbe in der Bewe- 


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gong bestehe. Nehmen wir diese Definition im medicini- 
schen Sinne, in sofern sie Anleitung geben soll zur Erhal- 
tung des Lebens, zur Abwendung der ihm drohenden Ge- 
fahren, und zur Wiederherstellung seines freien Wirkens $ 
so deutet sie darauf hin, dafs man Sorge für jene Lebens- 
bewegungen tragen müsse, damit sie richtig, frei, unge- 
säumt, und ohne Nachtheil zu bringen, von statten gehen 
können. Gemeinhin will man dies durch die Erhaltung 
und Wiederherstellung derjenigen Beschaffenheit bewirken, 
welche die Mischung der zu bewegenden Materie haben 
mufs, damit sie den Bewegungen kein Hindernifs entge- 
genstellt, sondern ihnen Folge leistet. Es ist aber ein ir- 
riges Yorurtheil in der Voraussetzung enthalten, dafs der 
Charakter der Bewegung schlechthin und unmittelbar von 
der Beschaffenheit der Materie und dem Verhältnifs der 
körperlichen Organe abhängig sei, und mit diesen Bedin- 
gungen gleichen Schritt halte, dergestalt, dafs sie bei dem 
richtigen Bestände der Materie sich unverletzt erhalte, mit 
deren Entartung in Unordnung gerathe , und bei deren 
Verbesserung zu ihrer Regel zurückkehre. Diese Meinung 
scheitert sogleich an Erfahrungen, welche sich täglich wie- 
derholen, und daher allen Menschen bekannt sind, dafs 
ohne einen deutlichen, selbst nur wahrscheinlichen und 
verhältnifsmäfsigen körperlichen Fehler, sowohl der Säfte, 
als der festen Theile, die Bewegungen ursprünglich in Auf- 
ruhr gerathen, oder gehemmt, überhaupt aber von ihrer 
Ordnung abgeleitet, und zu unangemessenen Wirkungen 
veranlafst werden können, Erscheinungen, die durch die 
Leidenschaften plötzlich, und durch Angewöhnungen all- 
mählig hervorgerufen werden. 

Auch hiervon abgesehen, dürften die mit der Beant- 
wortung folgender Fragen verknüpften Schwierigkeiten 
kaum beseitigt werden können: Welches sind die Entar- 
tungen der Materie, die, indem sie den Bewegungen Hin- 
dernisse entgegenstellen, so manigfachc Krankheitserschei- 
nungen hervorbringen? Wie kann mau ihnen wirksam be- 


r 


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I 


/ 

43 

/ 

gegnen, auf welche dieser Theorie entsprechende Weise sie 
zur naturgemäfsen Beschaffenheit zurückfuhren, indem man 
die fehlerhafte Mischung bessert, upd dadurch den Bewe- 
gungen ihr Geschäft erleichtert? . 

Dennoch sind * viele dieser Hypothese durchaus erge- 
ben, und darauf bedacht, die Mischungsfehler, welche sie 
überall voraussetzen, mittelst materiell wirkender Mittel, 
die ihnen entsprechen sollen, zu verbessern. 

Auf anderen Pfaden wandelt die Natur, die Urheberin 
des Lebens und die Seele der belebten Geschöpfe, denn 
sie vollbringt ihr Werk durch die Bewegung. Diese aber 
ist nicht schlechthin als solche das Leben selbst, sondern 
dasselbe geht aus dem Zusammenwirken folgender Bedin- . 
jungen hervor. Die Bewegung ist unmittelbare Ursache 
des Kreislaufs der Säfte, von welchem der ununterbrochene 
Fortgang der Ab- und Aussonderungen abhängig ist, durch 
welche die überflüssigen und schädlichen Stoffe von den 
im Körper einheimischen und ihm zugehörigen getrennt 
und ausgeschieden werden. Diese Bedingungen sind da- , 

her Instrumente des Lebens oder der Erlialtupg des Kör- 

» 

pers in seiner naturgemäfsen Mischung und ihres Schutzes 
gegen jede Verderbnife, der sie aufserdem vermöge ihrer 
materiellen Beschaffenheit ausgesetzt sein würde. Auf die 
nämliche Weise befreit die Natur den Körper von den 
unter flüssiger Gestalt in seipe Säfte eingedrungenen Schäd- 
lichkeiten, und findet sie in sich die Mittel, auch die Ver- 
letzungen der festen Theile zu heilen; die Kunst dagegen 
bietet keine Hülfe dar, welche die Stelle der unwirksam 
gewordenen Naturkraft zu vertreten vermögte. So stimmt 
die Natur in ihrem Wirken mit den Aussprüchen der Ver- 
nunft überein, denn was ist wohl gewisser, als dafs ein 
Stoff, der au feer aller materiellen Berührung mit dem Kör- 
per gebracht ist, ihm weiter keinen Schaden bringen kann? 
Eben so ist es ungleich sicherer und einfacher, das Schäd- 
liche unmittelbar aus dem Körper zu entfernen, als auf 
die langsamere und dennoch zweifelhaftere Umwandlung 


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» 


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desselben zu einer guten Beschaffenheit Mühe und Flcifs 
zu verwenden. Auch würde ein solches, mit Hartnäckig- 
keit verfolgte Böstreben durchaus thörigt sein, da dem 
thierischen Haushalt durch die einfache tägliche Nahrung 
ein Ueberflufs guter und ihm angemessener Stoffe zum Er- 
satz der verloren gegangene^. verschafft wird. Ja es iniifste 
jenes getadelte Verfahren selbst Gefahr bringen, und diese 
schon, eintreten lassen, ehe noch jene zweifelhafte Ver- 
suche ins Werk gesetzt werden könnten. 

Gleichwie beim Menschen, so bedient sich die Natur 
auch bei den Thieren, die in ihren materiellen Verhältnis- 
sen mit jenem übereinstimmen, desselben Mittels, diese 
in ihrer Reinheit zu. erhalten. Uebcrall wird im ruhigen, 
; gleichmäßigen und ununterbrochenen Fortgange das Schäd- 
liche, wo cs sich findet, ausgestofsen, damit die Wirkung 


J 

I 

1 

< 


zugleich mit der Ursache fern gehalten werde. Wo hin- 
gegen dies unterbleibt, und den schädlichen Stoffen ge- 
stattet wird, sich im Körper zu einer stets anwachsenden 
Menge aufzuhäufen, da wächst mit dieser die Gefahr in 
gleichem Verhältnifs. 

. Dieser Methode zur Erhaltung des Körpers bedient 
sich die Natur unausgesetzt, nicht nur während seines ge- * 
sunden Zustandes, sondern auch dann, wenn die Gefahr 
der Verdcrbnifs beginnt und zu einem höheren Grade an- 
wäclist. Denn nichts steht ihr mehr zu Gebote, als die 
Bewegung, wogegen es ihr nicht gegeben ist, die Materie 
zu bilden. Unter den ihr dargebotenen, Stoffen eine Aus- 
wahl zu treffen, und sie dann mit der Substanz des Kör- 
pers zu verschmelzen, vermag sie wohl; es ist dazu aber 
eine gröfsere Zeitdauer erforderlich, daher sie sich schick- 
licher des wirksameren Mittels bedient, das Schädliche 
frühzeitig auszustofsen , ehe es durch sein längeres Ver- 
weilen verderblich wird. 

Dies ist jene Heilkraft der Natur, von welcher schon . 
Hippokrates sagte, dafs durch sic olme den äufseren Rath 
und Beistand eines Arztes viele Menschen genesen; dies 


» 


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» 


jene Autokratie, welche der sorgfältigsten Betrachtung 
würdig, auch aus wirklicher Todesgefahr den Kranken zur 
Gesundheit zurückführen kann. Sie macht daher auch den 
wesentlichen Inhalt der medicinischen Theorie aus, welche 
überdies noch darzustellen hat, wie der Naturordnung zu- 
wider der freie Fori gang der Exkretionen gehemmt wird, 
und zwar nicht blofs indircct durch Fehler der Mischung 
und der Ausscheidungswege, sondern vielmehr noch ur- 
sprünglich durch die Fehler der Bewegungen, ihres Be- 
strebens, ihrer Richtung, Anordnung, und Ausdauer in 
Bezug auf die durch sie zu erreichenden Zwecke. Indem 
nach dieser Weise auf wirkliche Thatsachen, nicht aber 
auf willkührliche Spekulationen die Pathologie und die 
Therapie begründet wird, leuchtet die Theorie der Praxis 
voran. 

Um nun noch kürzlich der Mängel zu gedenken, mit 
denen alle den blofsen Spekulationen hingegebenen Theo- 
rien behaftet sind, so herrscht in ihnen der gröfste Irrthum 
bei der Abschätzung der Gefahr, welche dem menschlichen 
. Körper aus der Beschaffenheit, welche die Mischung seiner 
Materie hat, an sich erwachsen müfste, wenn diese nicht 
unter die Herrschaft des Lebens gestellt wäre, und welche 
dessen ungeachtet so selten und in unverhältnifsmäfsig gro- 
fsen Zeitabschnitten erfolgt. Nur die Vernachlässigung einer 
gründlichen Beobachtung hat es verhindert, hierüber zu 
einer lebendigen Erkenntnifs zu gelangen; damit aber nicht 
fernerhin ein gleicher Vorwurf auf der medicinischen Theo- 
rie laste, so möge es sich jeder Arzt zu Herzen nehmen, 
dafs die Einmischung fremdartiger Begriffe in seine Wis- 
senschaft diese unausbleiblich von ihrem wahren Ziel ab- 
leitet. 


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\ 




Ueber den wesentlichen Unterschied 

/ 

zwischen 

einem gemischten und einem 
lebenden Körper. 



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t 


Seit der ältesten Zeit wurde die Theorie der Heilkunde 

in ihrer Entwickelung durch die Verwirrung aufgehalten, 

welche aus der Verwechselung der Mischung des Körpers 

mit seinem Leben entsprang. Die erste Veranlassung dazu 

gab Aristoteles, der den mit aller Naturanschauung in Wi- 

% 

derspruch stehenden Satz von der mathematischen Theil- 
barkeit der Körper in’s Unendliche aufstellte. Aus diesem 
ersten Irrthum ging ein eben so falscher Begriff von der , * 
Mischung hervor, die er sich als eine die Körper so völ- 
lig durchdringende Wirkung dachte, dafs ihre unendlich 
kleinsten Theilchen eine durchaus gleiche Beschaffenheit 
mit ihren gröfseren und in die Sinne fallenden Massen 

gemein haben. Schon Demokrit hegte eine entgegenge- 

* 

setzte Meinung, und mit ihm behaupteten die Neueren, 
dafs man in der Physik bei einfachsten Körperchen (Ato- 
men) von einer bestimmten kleinsten Gröfse stehen blei- 

' # i 

ben müsse, die zwar mannigfache Verbindungen eingelien, 
und dadurch gröfscre Massen bilden können, keinesweges 
aber bei einer abermals eintretenden Trennung dergestalt 
zertheilt werden, dafs sie jene ihnen eigenthümlich zu- * 
kommende Ausdehnung verlieren. 

Die Wahrheit dieser Behauptung läfst sich eigentlich 
nur aus der Chemie erweisen, in welcher Becher zuerst 
auf den Unterschied zwischen den gemischten und den 
zusammengesetzten Körpern aufmerksam machte. Die er- 
st eren entspringen aus der Zusammenfügung jener untheil- 
Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 4 


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/ 


50 

( t ' * 

% « 

baren Atome, und stellen im physischen Sinne Individuen 
dar, aus denen die zusammengesetzten Körper gebildet wer- 
den. Diese sowohl wie jene, können nach dem Zeugnisse 
der Chemie in ihre Elemente aufgelöset werden, welche 
ihre ursprünglichen Eigenschaften, wie vor ihrer Verbin- 
dung zeigen. Aristoteles nun wurde durch seine Vorst el- 
lungswcise verhindert, physische Individuen in dem oben 
bezeichnet en S;nne anzunehmen; da aber aus denselben 
die Aggregate hervorgehen, so konnte er von diesen we- 
nigstens die homogenen, welche aus gleichartigen Indivi- 
duen zusammengesetzt werden, nicht anerkennen. Aufser 
diesen homogenen Aggregaten giebt es aber auch noch 
heterogene, welche aus verschiedenartigen Individuen be- 
stehen. 

- / 

Zum deutlicheren Vcrständnifs dieser Grundbegriffe ist 
es nöthig, noch folgendes zu bemerken. Die aus der Ver- 
bindung verschiedenartiger Atome entstandenen Individuen 
sind von einer solchen Kleinheit, dafs sie einzeln von den 
Sinnen nicht wahrgenommen werden können. An und für 
sich betrachtet haben sie gar keine nothwendige Bezie- 
hung zur Aggregation; das Aggregat muls aber verschie- 
den nach der Verschiedenheit jener ausfallen, je nachdem 
die Bedingung zu seiner Entstehung in diesen eine Ver- 
änderung hervorbringt, oder ihm nach dem Zwecke, dem 
er dienen soll, eine bestimmte Anordnung seiner Theilc 
verliehen wird. Diese Anordnung, welche indefs nicht bei 
allen Aggregaten angetroffen wird, ist entweder eine ein- 
fach mechanische, oder eine zu gewissen Zwecken die- 
nende organische; jene wird hauptsächlich durch das eigen- 
tliümliche und gegenseitige Verhältnifs seiner Mischungs- 
theile bedingt, welches bei den organischen ohne Einflufs 
auf die Bildung bleibt 

Zur Erläuterung ein Beispiel. Die kleinsten Tlieil- 
chen des Eisens sind, sobald dasselbe in einer verdünnten 
Säure aufgelöset worden, unsichtbar. Wenn es aus dieser 
Auflösung niedergeschlagen wird, so erscheint es als ein 


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Pulver, das ein homogenes aber formloses Aggregat dar- 
stellt, welches indefs eine bestimmte Form annimmt, wenn 
das Eisen mit Werkzeugen zu einer verlangten Gestalt 
ansgearbeitet wird. Aus diesem Beispiel wird zugleich 
klar, dafs zur Hervorbringung organischer Formen die Be- 
schaffenheit der Materie »nichts beiträgt, daher auch die 
Muskeln, obgleich sie alle aus Fleisch bestehen, dennoch 
eine verschiedene Bildung zeigen. Unorganische oder me- 
chanische Formen stellen, die aus dem zufälligen Zusam- 
mentreffen der Bestandteile entstehenden Krystalle dar. 

Macht man von diesen Begriffen eine Anwendung auf 
die Physiologie, so ergeben sich daraus folgende Unter-, 
schiede zwischen den blos gemischten und den belebten 
Körpern. 

1) Die gemischten, in sofern man darunter jene ein- 
zelnen Individuen verstehen mufs, sclilicfsen jede Aggre- 
gation aus; die belebten hingegen können schlechthin nur 
als Aggregate bestehen. 

2) Bei den gemischten ist die Beziehung auf ein ho- 
mogenes oder heterogenes Aggregat durchaus gleichgültig; 
die lebenden sind ihrer Natur nach notwendig hetero- 
gene Aggregate. 

3) Die gemischten Körper lassen eine grofse Verschie- 
denheit wahrnchmen, und sie sind einer schnellen Auf- 
lösung durchaus nicht geneigt, selbst viele zusammenge- 
setzte unter ihnen zeigen eine so feste Verbindung ihrer 
Bestandteile, dafs diese oft nur durch Kunst getrennt 
werden kann. Die lebenden hingegen bedingen ohne Aus- 
nahme eine leicht zersetzbare Verbindung ihrer Mischungs- 
teile, und sind daher zur Auflösung und Fäulniis unge- 
mein geneigt. 

4) Nur zufällig, und unter dem Mitwirken äufserer 
Bedingungen treten die gemischten Körper in den Zusiand 
eines Aggregats über,' und sie verhalten sich gegen eine 
bestimmte Form desselben ganz gleichgültig; dagegen setzt 
ein lebender ursprünglich und notwendig eine durchaus 

* 4* 


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52 


* 

bestimmte, und den verschiedenen Arten eigentümliche 
Bildung oder Anordnung des Aggregatzustandes voraus, 
ohne die er nicht bestehen könnte. 

5) Die gemischten Körper haben durchaus keine not- 
wendige Beziehung auf eine gewisse Dauer, welche dage- 
gen ein wesentliches Prädikat der lebenden ausmacht, bei 
denen sie indefs in Verhältnifs zu ihrer Gröfse weit gerin- 
ger ausfallt im Vergleich mit den gemischten. 

6) Die Bestimmung der Dauer bei den gemischten 
Körpern richtet sich nach ihrer einfachen Beziehung zu 
den übrigen sie umgebenden Körpern; bei den belebten 
aber treten ganz andere Verhältnisse ihrer Dauer ein, da 
sie ungeachtet ihrer grofsen Geneigtheit zur Zersetzung, 
welche nur noch durch die umgebenden Dinge befördert 
werden könnte, dennoch im Vergleich mit dieser ihrer 
Beschaffenheit sich ungemein lange erhalten. 

, 7) Bei den gemischten Körpern ist die Dauer durch 
die Art ihrer Mischung bestimmt, welche den Untergang 
der belebten herbeiführen würde, wenn nicht eine entge- 
gengesetzte Ursache sie daran verhinderte. 

8 ) Diese grolse Zersetzbarkeit der Mischung kommt 
bei den unbelebten Körpern niemals vor, während sie eine 
wesentliche Bedingung der belebten ist. 

9) Die Ursache, von welcher die Dauer der Körper 
abhängt, bietet darin eine grolse Verschiedenheit dar, dafs 

sie sich bei den gemischten auf das materielle Verhältnifs 

» 

ihrer Elemente, dem die Mischung der umgebenden Kör- 
per entsprechen mufs, gründet, daher in ihnen durch den 
mächtigen Einflufs des Feuers , der Luft und des Wassers 
sehr grofse Veränderungen hervorgebracht werden. Die 
, Fortdauer des Lebens dagegen hängt unmittelbar von einem 
ihm eigenthümlichen , den gemischten Körpern durchaus 
fremdartigen Princip ab, durch welches es gegen jene ma- 
teriellen Bedingungen der Zersetzung geschützt wird. 

10) Auch zeichnet sich der Akt, durch den die Dauer 
des Lebens bewirkt wdrd, darin aus, dafs er ein blols for- 


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maler, unkörpcrliclicr und dalier in Bezug auf das Wesen 
der Mischung ein äufserer ist;, dennoch aber, 

11) derselben inwohnt, ihr immanent ist, so lange 
sie in ihrer Tauglichkeit zum Leben besteht. 

12) Endlich ist ein wesentlicher Charakter der leben* 
ben Geschöpfe darin begründet, dafs sie als Individuen 
zwar durch die Zersetzung ihrer Mischung zerstört, aber 
als Gattungen durch - die fortgesetzte Erzeugung neuer In- 
dividuen, mittelst eines ihnen ursprünglich eingepflanzten 
Triebes, erhalten werden.. Dies läfst sich von den ge- 
mischten Körpern nicht behaupten, da sie, wenn auch der 
Zerstörung länger widerstehend, dennoch gleichartige an 
ihre Stelle treten zu lassen nicht geeignet sind. 

Die Kunst kann daher die Bildung und Zerstörung 
der gemischten Körper bewirken; dagegen fehlt ihr durch- 
aus die Macht, lebende hervorzubringen, wenn sie auch 
diese mittelbarer Weise vernichten kann. Es ist ihr nicht 
einmal gegeben, die Mischung der lebenden durch eigen- 
mächtige Zusammensetzung von Stoffen willkührlich nach- 
zuahmen, und ihr einen organischen Aggregatzustand mit- 
zutheilen. 

Die gedachten Unterschiede, welche die Grenzen der 
Physik und der Medicin bestimmen, sind durchaus noth- 
wendig, um auszumitteln, wie viel die Kunst zu leisten 
vermag, jede eitle Bemühung nach dem Unerreichbaren 
abzuweisen, und die Forschung auf das zu richten, was 
zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit geleistet 
werden kann. Zu diesem Zweck reicht aber die blofse 
Unterscheidung der gemischten Körper von den lebenden 
nicht aus, sondern es. mufs auch die Beschaffenheit der 
letzteren in Bezug auf ihre Mischung und Form in Betracht 
gezogen werden, weil beide sich durch besondere Eigen- A 
thümliclikeiten auszeichnen. 

Die Mischung läfst sich unter einem doppelten Ge- 
sichtspunkte auffassen, in sofern blos ihr materieller Zu- 
stand, oder der Zweck desselben in Erwägung genommen 


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/ 


54 


wird. In crsterer Beziehung stellt sie sich dar als eine 
Vereinigung von einer zarten Erde, von Fett und Wasser, 
welche indels keine feste und dauernde Verbindung, son- 
dern nur einen losen, wenn gleich zähen -Zusammenhang 
eingehen können, und eben deshalb zu einer abermaligen 
Trennung unter der Form der Fäulnifs geneigt sind. Eine 
solche Mischung ist zur Erreichung der Zwecke, zu denen 
die lebenden Geschöpfe bestimmt sind, nothwendig; na- 
mentlich erfordert bei den Thieren das Bewegungs- und 
Empfindungsvermögen eine grofse Biegsamkeit der Materie, 
welche Weichheit und Zähigkeit vereint. Eine starre Erde 
würde also dazu eben so wenig getaugt haben, als ein 
auflösliches Salz. Doch werden diese Stoffe in denjeni- 
gen Tbeilen angetroffen, weiche von ihnen die nöthigen 
Eigenschaften entlehnen mufsten, z. B. die gröbere Erde 
in den Knochen, um ihnen Festigkeit zu geben, die Salze 
dagegen in den Flüssigkeiten, unter denen sic, bei den 
Thieren wenigstens, in den Aus wurfsstoffen und im Serum 
vorhanden sind; Merkwürdig sind noch die ganz speciel- 
len Eigentümlichkeiten, welche die Mischung nicht nur 
bei den einzelnen Arten, sondern selbst bei den Individuen 
im organischen Reiche annimmt, und durch einen beson- 
deren Geruch und Geschmack zu erkennen giebt, wonach 
z. B. der Hund die Fufsstapfen seines Herrn unterscheiden 
kann. Es ist klar, dafs diese Mischungen nicht eigenmäch- 
tig entstehen können, da es undenkbar wäre, dafs in dem- 
selben Raume dicht an einander gelagert so sehr verschie- 
denartige Gemische in eiiicm bestimmten Verhältnisse sich 
sollten erzeugen können. Nur ein Lebenspringip, welches 
die älteren Philosophen mit dem Namen Natur, Seele, be- 
legten, ist geeignet, durch ein mit Auswahl verknüpftes 
Wirken jene Mannigfaltigkeit eigenthümlicher Mischungen 
zu Stande zu bringen, welche aufserdem nirgends ange- 
troffen werden, nicht einmal an den Orten, und unter den- 
jenigen Substanzen, von welchen der Stoff zu jenen Mi- 
schungen entnommen wird. 


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Die Form der organischen Körper mufs nicht blos auf 
die Einrichtung und Anordnung der festen Tlieile, sondern 
auch auf die Art, nach welcher die Säfte in ihnen ver- 
breitet sind, bezogen werden. Bei den ersteren mufs man 
wieder einen Unterschied zwischen der Textur und Struk- 
tur machen, da jene die Zusammensetzung der kleinsten 
Theilchen, wie sie sich gleichsam in Linien an einander 
reihen, und dadurch den innersten Bau zu Stande brin- 
gen, diese aber die allgemeine Zusammenfügung des Ein- 
zelnen zum Ganzen betrilfk Die Bildung beider schreitet 
nach einer bestimmten Ordnung und Aufeinanderfolge fort, 
so dafs nicht nur die kleinsten Theilchen eine eigene Ge- 
stalt bekommen, sondern sic auch nach einem abgemesse- 
nen Verhältnisse zu einauder zusammentreten# welches 
sich z. B. bei der Vergleichung der rechten Körperhälfte 
mit der linken ausspricht. Auch hier waltet ein deutli- 
cher Zweck, ein organischer Nutzen vor, nach welchem 
die Form im Allgemeinen, wie im Einzelnen bestimmt 
wird. Daher hat der Körper im Ganzen wie in seinen 
besonderen Theilen eine gewisse Grölse; auf gleiche Weise 
ist der Zusammenhang, die Gestalt, die Lage der einzel- 
nen Organe sowohl nach innerem Verhältnifs, als nach ge- 
meinsamen Beziehungen genau geregelt 

Alle diese Bedingungen deuten auf die Bestimmung 
hin, die der Körper in Bezug auf das Leben hat, welches 
also auch durch seine Thätigkeit die Ernährung desselben 
bewirkt. Es kann dies aber nur geschehen, indem von 
dem Blute und den übrigen Säften immerfort Etwas ent- 
nommen wird, weshalb der Körper alsbald zu Grunde ge- 
hen müfste wenn nicht ein Ersatz dessen statt fände, was 
zu einer dauernden Erhaltung nicht geeignet ist. Daher 
ist die Ernährung dem Leben überhaupt untergeordnet 

% 

und damit unzertrennlich verbunden, folglich haben beide, 
in sofern sie sich gegenseitig bedingen und nothwendig 
voraussetzen, ein gemeinschaftliches thatiges Princip, von 
dessen cigenthümlicher Wirkungskraft insbesondere die 


V 


/ 


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56 


Organisation des Körpeis abhängt; denn ohne eine be- 
stimmte Struktur, desselben, also ohne eine gewisse Be- 
schaffenheit der festen Theile, welche den Säften überall 
einen freien Zugang gestatten müssen, kann das Leben 
nicht bestehen. t 

Wenn also die Zersetzbarkeit der Mischung des Kör- 
pers zur Erfüllung der mannigfachen Zwecke desselben notli- 
wendig ist, letztere aber nicht während eines kurzen Zeit- 
abschnittes auf einmal erreicht werden können, da selbst 
nur die künstliche Einrichtung des Körpers zu ihrer Ent- 
, Stellung eine bedeutende Zeit erfordert; so offenbart sich 
unter diesen Beziehungen die volle Bedeutung des erhal- 
tenden Princips, welches, eben weil die tliierische Mate- 
rie nicht den Grund ilirer Fortdauer in sich selbst haben 
kann, zu derselben als ein äufseres, ihr fremdartiges, hin- 
zutreten mufs. Jene Erhaltung setzt voraus, dafs in der 
Mischung des Körpers und in seiner Struktur keine Verän- 
derung vorgehe, damit beide fortwährend ihren Zwecken 
angemessen bleiben, und dafs das Verlorengegangene in 
durchaus gleicher Beschaffenheit ergänzt werde. Die dazu 
erforderlichen Bedingungen sind um so sorgfältiger zu er- 

t 

wägen, da durch die Lebensbewegungen selbst jene vor- 
handene Neigung der Materie zur Zersetzung befördert, 
und diese dennoch abgehalten wird. Denn da letztere 
sich als einfache Fäulnifs darstclit, welche den Charakter 
einer höchst thätigen Gährung an sich trägt, und als solche 
in kürzester Zeit sich überall ausbreitet; so muis ihr kräf- 
tig vorgebeugt werden,' weil, wenn sie zum Ausbruch ge- 
kommen ist, und bereits einen bedeutenderen Thcil der 
Materie ergriffen hat, es nach organischen Gesetzen un- 
möglich sein würde, den angerichteten Schaden zu ver- 
bessern, und höchstens die unsichere Aushülfe bleibt, das 
Verdorbene abzustolscn, und von neuem zu ersetzen. 

r * 

Beim Menschen tritt der Umstand ein, dafs jenes er- 
haltende Princip leicht irre geleitet, und dann durch eine 
gegenwärtige fehlerhafte Beschaffenheit des Körpers viel-- 


/ 


n. 


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57 


mehr mit sich in Widerspruch versetzt wird, als dafs es 
gegen eine zukünftige Vorkehrungen treffen könnte. Denn 
wenn in irgend einem Körpertheile örtliche Verderbnifs 
eintritt, so weicht die Lebensthätigkeit nicht blos aus dem- 
selben zurück, sondern geräth auch im Umfange desselben 
je länger je mehr in Stocken. 1 Die sich selbst überlassene, 
entartete Materie bleibt daher der vollen Wirkung der zer- 
störenden Ursachen ausgesetzt, und geht in die oben be- 
zcichnete gänzliche Verderbnils über, welche sehr schnell 
um sich greift. 

Die Ursache dieser raschen Verbreitung derselben über 
die noch unverletzten Theile mufs allein in dem Zurück- 
treten des erhaltenden Princips aus ihnen gesucht werden, 
denn so lange jene noch ihre natürliche Beschaffenheit ha- 
ben, ist in ihnen nichts Fremdartiges enthalten, von wel- 
chem sie zu einer von der Norm abweichenden Thätigkcit 
bestimmt werden könnten. In sofern ihnen eine Zerstö- 
rung bevorsteht, kann diese also nicht von etwas Materiel- 
lem ausgehen. Ueberdies ist die Disposition zur Zersetzung 
auch in einem blühend und athletisch gesunden Körper, 
w r enn noch jede fauligte Verderbnifs fern von ihm ist, 
eben so grofs, so dafs diese, wenn sie schon einen Theil 
desselben ergriffen hat, im physischen Sinne jene Dispo- 
sition um nichts in den übrigen Theilen vermehren kann. 
Eben so wenig vermag die an einer Stelle schon begom 
nene Zersetzung unmittelbar die erhaltende Thätigkcit in 
dem unverletzt gebliebenen Antheil des Körpers zu beein- 
trächtigen, da diese schon von selbst der Auflösung ent- 
gegenwirkt, und es findet also auch in dieser Beziehung kein 
Unterschied statt, ob in den angrenzenden Theilen Ver- 
derbnifs eingetreten ist, oder nicht. Um dies richtig auf- 
zufassen, mufs man daher den verschiedenen Zustand der 
Theile berücksichtigen, welche ungeachtet ihres unmittel- 
baren Zusammenhanges doch darin von einander abwei- 
chen, dafs die einen noch alle Bedingungen ihrer natürli- 
chen Beschaffenheit haben, und daher nur des Schutzes 


i 


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58 


gegen die andringende Verderbnifs bedürfen, während die 
anderen, von dieser bereits betroffen, als solche in den 

unverletzten Zustand nicht wieder zurückversetzt werden 

* 

können. Denn es würde den Gesetzen des thierischen 
Haushalts zuwiderlaufen, dafs das wirklich Zersetzte eine 
Umwandlung erfahren könnte, durch welche es der Mi- 
schung des Körpers wieder angeeignet würde.. 

Dies bestätigt sich schon bei der Eiterung, die als » 
eine untergeordnete Art einer, wie man sich ausdrückt, 
im Entstehen begriffenen Zersetzung durch die Gegenwir- 
kung der erhaltenden Thätigkeit in ihrem Fortgänge zwar 
aufgehalten wird, so dafs sie keine fauligte Verderbnis 
hervorbringen kann, dennoch aber die thierische Materie 
von ihrer gesunden Mischung so weit entfernt, dals sie 
als solche nicht länger im Körper verbleiben darf. 

Wenn also bei der beginnenden Zersetzung eines Theils 
in den benachbarten die erhaltende Thätigkeit erlischt, 
durch welche dem Fortschreiten jener Schranken gesetzt 
werden sollten, so muS die Schuld dem Lebensprincip, 
also der Seele, dem verständigen Wesen beigelegt werden, 
wohlverstanden, dafs diese so gedacht werde, wie sie wirk- 
lich ist, nicht wie sic sein sollte. Denn die Seele ist nicht 
Wohl gerichtet, mit sich in Uebereinstimmung, mit einem 
Worte gesund, sondern entartet, abschweifend; sie über- 
eilt sich nach unreifen Entschlüssen,, kommt durch eitle 
Vielgeschäftigkeit vom einfachen Wege zum Ziele ab, 

schwärmt anstatt reiflich zu erwägen; sie sieht dem Zu- 

% 

künftigen entgegen, ohne die nöthigen Vorbereitungen zu 
treffen, und wenn das Unerwartete sic überrascht, verzagt 
sie, oder wird ungeduldig, wankclmüthig, regellos, und 
fahrlässig die passenden Mittel verabsäumend, sucht sie 
ohne diese den Zweck zu erreichen. So die menschliche 
Seele. Dagegen die thierische mit gesammelter Kraft gc- 
radesweges zu Werke geht, sich mit den Dingen, von de- 
nen sie einfache und bestimmte Vorstellungen erlangt, in • 
ein richtiges Verhältnis setzt, und nach diesem ihre Ent- 


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59 


schliefsungen abmifst und ihr Handeln bestimmt. Daher ; 
die ungleich gröfsere Häufigkeit der Krankheiten bei dem 
Menschen als bei den Thieren. 

Wenn daher die Seele als Lebensprincip im ununter- 
brochenen, und so lange sie nicht eine bedeutende Stö- 
rung erleidet, im geregelten Fortgange der Zersetzung der 
Materie Einhalt thut, indem sie die Stoffe, welche, wenn 
auch nicht von Fäulnifs angesteckt, doch ihr nahe ge- 

t 

bracht sind, aus dem Körper entfernt; und wenn ihr gan- 
zes Bestreben dahin gerichtet ist, dies Geschäft mit Vor- 
satz und Ueberlegung zu vollziehen, damit jede Gelegen- 
heit zur Verderbnifs mit Vorsicht vermieden, oder sie 
selbst im Beginnen mit Nachdruck zurückge wiesen wird: 
so geschieht es doch, dafs ungeachtet der vielfältigen Vor- . 
kehrungen, jene Verderbnifs, besonders wenn sie von ge- 
walts am w irke nden Einfl üss en abstamm t, entsteht. Sie^tfilf 
dann in erneuten Angriffen mit der erhaltenden Lebens- 
kraft, deren gewöhnliche Wirkungs weise im Vergle ich mit 
ihrer r a sehen TTia 0 gkeft ^zögert, in einen ungleichen Kampf. 
Wenn der Seele auch der Charakter eines ruhigen und 
geregelten ^Vlrkens eigen ist; so niufs sie doch (wie viel 
mehr, wenn sie tumüItuansclTzu Werke geht) durch diese 
Bedingungen in Unentschlossenheit, Furcht, Abneigung ge- 
gen jedes thätige Bestreben, selbst in verworrenes Schwan- 
ken beim Handeln versetzt werden. - Schwindet nun gar 
jede Hoffnung, den Theil, welcher bereits der Verderbnifs 
anheim gefallen ist, zu erhalten, und wird der Seele die 
Gleichgültigkeit gegen den verlorenen Theil und das Ver- 
gessen desselben schwer; so entspringt hieraus eine vei> 
zweifelnde Furcht, welche auch in den angrenzenden Thei- 
len die Energie der erhaltenden Lehensthätigkeit in ihrem 
Widerstande gegen die rasch einbrechende Verderbnifs 
lähmt. Es ist dann der gesunden Vernunft (Seele) ange- 
messener, jenen Widerstand aufzugeben, als in ihm zu be- 
harren. Denn da sie stets mit Ueberlegung zu Werke 
geht, und bei der Vorbereitung zum Handeln sich Zweck 


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r 


60 


und Ziel vorsetzt; so ist in. dem Falle, wo die Voraus- 
setzung eines unmöglichen Widerstandes, wenn auch an 
sich falsch, doch für wahr gehalten wird, der Sehlufs ganz 
richtig, dafs bei der Unerreichbarkeit des Zwecks sie sich 
auch der demselben entsprechenden Mittel enthalten müsse*). 


*) Da in diesen Sätzen eine Grundlehre der Stahl’schen Pa- 
thologie enthalten ist; so mögen sie z \i besserer Vergleichung in 
der Ursprache folgen. Cum itaque universus actus Vitalis , in - 
desinente illa sua continuitate , et exquisite , quamdiu non 
vehementer perturbatur , ordinato successu , inprimis inserviat 
perpetuae praeoccupationi corruptionum , sive subtractioni illa- 
rum portionum materiae , quae quidern nondiim actu corruptio- 
nem expert ae , interim in proxima , ut ajunt , potent ia ad 
Mam constitutae , occurrunt; adeoque tota intentio atque desti - 
natio in hoc occupata sit , hoc , inquam , veluti perpetuo in pro- 
posito, consilio , imo actu etiam ipso , sit , agitetur y exer- 
ceatur, ut omnes occasiones , omnia initia f hujus corru- 
pliönis , vigilanter atque alacriter , actibus intentis abigantur , ne . 
usquam simpliciter , libero , minime omtiium autem affa- 
tim et confertim, in effectum dedueantur: certe rationi, etiam 
mediocriter adhuc ordinatae et tranquillae , consonum est, sicubi 
corruptio illa tanto Studio, tarn vigili atque constanti inten - 
tione, tarn operosa atque diffusissimae administrationis itiven- 
tione, indesinenter arcenda , nihilo sec ins adversus has omnes 
destinationes atque operationes, praesertim , uti communiter fieri 
solet, a violent o impetu, irr ui t; et praeterea multiplic a- 
tiva seu late impulsiva, praecipitem admodum suam actio- 
nem, languidiori Uli, et veluti otiosiori Vitali methodo o r- 
dinariae, objicit ; consonum tune, inquam, vel etiam adhuc 
mediocriter tranquillae atque ordinatae rationi est ( t urbul en- 
tiori autem etiam undique adaequatum ) ut trepidatio , me - 
tus, abhorrescentia totius intentionis ad agendum, nedurn 
trepida perturbatio in agendo, ita oriatur : imo, cum illius 
portionis, quae corruptione actu jam occupata est, re vera ab- 
solute desperata sit conservatio ; interim difficilis, quantumli- 
bet sanae rationi, ita «rro pri/avrjq amissae portionis, etiam nuda, 
simplex, et penitus indifferens atque ctna&t}q oblivio: non ita 
absolutissime irrationalis eiiam coorietur desperabunda talis 
formido , quod etiam in partibus proxime continuis , desperata 
futura sit, adversus agilissimum corruptionis actum, se - 


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r 


• 61 

Wenn indcfs das natürliche Maafs der Lebensthätig- 
keit und die gewöhnliche Art ihres Wirkens nicht aus- 
reicht, dem Fortgange einer starken Vcrderbnifs Einhalt 
zu thun; so vermag sie dies doch, wenn letztere zwar 
schon begonnen aber noch nicht weiter sich verbreitet hat, 
und wenn sie selbst ihre Wirksamkeit zu einem derselben 
angemessenen Grad steigern kann, wie sich dies bei der 
einfachen Eiterung, und bei dem durch passende medici- 

nisch- chirurgische Mittel beschränkten Brande zeigt. Bei 

1 / 

der Eiterung .ist der Blutumlauf, welcher unter der Form 
der Entzündung in dem Theile fortdauert, das Mittel zur 
Erhaltung seiner Vitalität und zur Entfernung der zum 
Fauligten hinneigenden Verderbnifs, und er ist zur Errei- 
chung dieses Zwecks eben so nothwendig als angemessen ' 
und hinreichend. Eben so hülfreich wird beim Brande 
eine Verwandlung der fauligten Verderbnifs in Eiterung, 
welche das Brandiggewordene von den umgebenden Tliei- 
len abstöfst. Dies alles geschieht allein durch die Lebens- 
thätigkeit, welche die Absonderung des Verdorbenen durch 
Sekretionen und Exkretionen zu Stande bringt. 

Aufser den genannten Arten der Verderbnifs, welche 
wegen ihrer schnellen und heftigen Wirkung auch eine 
vermehrte W achsamkeit und Anstrengung der Lebensthä- 
tigkeit erheischen, giebt es noch andere, deren allmähli- 
gem Fortschreiten letztere auf eine ruhige und geordnete 
Weise entgegen treten kann. Zur Erklärung dieses giin- 


gni orig simplicis Vitalis actionis Ivigyna. Unde illam omit - 
tere quam prosequi etiarn absolute sanae rutioni simpliciter con - 
sonum magis sit. Cum enitn ratio absolute semper ad conclu- 
sionem et in actionibus ordinandis ad scopum atque fi- 
nein respiciat, in tali casu , ubi, licet falsa in se, tarnen pro 
vera, supponitur seu praemittitur impossibilitas Ufa in solidum 
resistendi seu finein assequendi: justa et aequa undiquaque 
omnino est conclusio , quod negato fine etiam abstinendum 
sit a mediisy ad illum finem simpliciter et unice perti- 
nent ibus. 


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* / 




62 

v 

» > 

stigeren Verhältnisses mag hier nicht in, Anschlag kom- 
. men, dafs die Seele als Lebensprincip durch diese Art von 
Verderbnifs weniger in Furcht versetzt wird, weil sie die- 
jenige Kenntnifs hat, nach welcher sie eine für die Mi- 
schung und Struktur ihres Körpers passende Auswahl un- 
. ter den aufzunehmenden Stoffen zu deren künftigem Ge- 
brauch trifft; und dafs diese Kenntnifs eine andere in sich 
schliefst, nach welcher sie im Allgemeinen eine unvermeid- 
liche Verderbnifs voraussieht, welche sie um so weniger 
mit Besorgnifs und Widerwillen erfüllen kann, da sie im 
Besitz der Mittel zu ihrer Bekämpfung ist. Statt dessen 
genüge eine einfache Darstellung der Sache selbst. Das 
Blut ist nämlich seiner Natur nach in einem so hohen 
Grade zur Zersetzung geneigt, dafs daraus seine Verderb- 
nifs notli wendig erfolgen mülstc; doch hat letztere in die- 
sem Falle einen langsameren und ruhigem Charakter, und 
ist daher dem Wirken der erhaltenden Lcbensthätigkeit 
mehr unterworfen, welche mithin zu ihrer Beschränkung 
keiner aufserordentlichen Anstrengung bedarf. Jene Zer- 
setzung des Blutes besteht in dem Zerfallen seiner Be- 
. standtheile, welches dadurch zu Stande' kommt, dafs die 
innere Bewegung des, vorzüglich bei den warmblütigen 
, Thieren rasch umgetriebenen Blutes, besonders den festen 
Theil desselben losreifst, und dadurch eine Trennung des 
. Ganzen bewirkt. Das Blut würde daher eine zu grofse 
Verdünnung erleiden, und wegen seiner vermehrten Be- 
weglichkeit zu einer zunehmenden Auflösung gelangen, 
wenn nicht die Lebensthätigkeit eine Absonderung des 
Verderbten bewirkte, und den Abgang von dem in seine 
natürliche Beschaffenheit zurückgeführten Blute durch eineu 
Ersatz ausgliche. 

Durch die bisherigen Angaben wird zwar die Form 
des Lebens, zum Unterchiedc der mit demselben begabten 
Körper von den blos gemischten bestimmt; doch sind noch 
einige Erörterungen über diesen Gegenstand nöthig, da es 
bisher an einer richtigen Definition des Lebens gänzlich 


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63 


* 

i * 

mangelte, und das Verliältnifs desselben zu dem Subjekte, 
dem es inwohnt, unbeachtet blieb. * 

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch giebt es nur 
drei Subjekte, denen ein Leben beigelegt wird: Gott, die 
Seele, und der thierische Körper. In Bezug auf die 
Seele unterliegt es keinem Zweifel, dafs unter dem Begriff 
des Lebens im Allgemeinen nichts anderes, als Thätig-^ 
keit verstanden werden kann, welche in engerer Bedeu- 
tung eine Richtung auf körperliche Veränderungen, also 
auf den Körper selbst hat, im engsten Sinne der Erhal- 
tung und Wiederherstellung desselben dient. Denn da der 
Mensch nur als Seele, sein Körper hingegen blös als Werk- 
stMte”dei^elben gedacht werden kann; so mufs sein (der 
Seele) Leben nicht als Thätigkeit schlechthin begriffen 
werden, sondern als ein eigenthümliches Wirken in dem 
Körper, vermittelst desselben, und auf ihn als das Eigen- 

r » • 

tlium der Seele. Dafs sie als eine Ursache höheren Ran- 
ges ihr Werkzeug in Bewegung setzt, und somit das Le- 
ben begründet, ist zwar von keiner Schule anerkannt wor- 
den; aber es liegt am Tage, dafs der Körper, in sofern er 
für sich bestehend gedacht wird, durchaus keine organi- 
sche Bedeutung erlangt. Es ist daher ein grofser Fehler, 
wenn man dem Körper, ungeachtet er an sich ein blofses 

Werkzeug bleibt, dennoch ein selbstständiges Leben bei- 

/ * 

legt, da er nur in sofern belebt genannt werden kann, als 
er den Träger einer höheren Wirkungskraft abgiebt. So- 
nach ist das Leben dem Körper immanent und bleibend, 
und es macht in seiner Thätigkeit keine Unterbrechung, 
so lange cs ihm inwohnt. Eben deshalb sind es lauter 
Wahnbegriffe, was man vom Leben des Körpers, von sei- 
ner Vereinigung mit der Seele, von deren Einflufs auf ihn 
mittelst dieser Verbindung redete; desgleichen die Vor- 
stellungen von einem Medium (Elemente) des Lebens, von 
einem Geiste oder Balsam desselben, einem astralischen 
Wesen, einer substantiellen Form, einem Mitteldinge zwi- 
schen dein Körperlichen und Unkörperlichen. 



» 


i 


* 


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64 


» 


V 

Die instrumentale Ursache, durch welche die Erhal- 
tung des Körpers (das Leben) bewirkt wird, ist ein me- 
chanischer Akt, die Erhaltung selbst also ein mechanischer 
Prozefs. Denn durch die Bewegung wird von der Mi- 
schung des Körpers das ihr fremdartig und nachtheilig Ge- 
wordene im ununterbrochenen Fortgänge abgeschieden, und 
-aus dem Körper gänzlich entfernt, jenes durch Sekretion, 
letzteres durch Exkretion. Beide kommen aber nicht auf 

eine unmittelbare Weise zu Stande, da die Bewegung nicht 

% 

aus . der Materie entspringt, und sie nicht geradezu forttrei- 

4 

ben kann, sondern nur auf sie angebracht wird, und sie 
vermittelst der körperlichen Maschineneinrichtung sollici- 
tirt. Sie bedarf zur Ausstofsung der entarteten Mischungs- 
theile um so mehr der Hülfe einer eigenthümlichen Vor- 
richtung der Absonderungsorgane, da sie als Kreislauf des 
Blutes, wie schon bemerkt wurde, vielmehr durch Ver- 
flüssigung desselben seine Entmischung befördert. Weil in- 
defs das Verdorbene von einer sehr feinen Beschaffenheit 
ist, und deshalb mehr der Mischung als der Struktur der 
Theile schädlich wird, so kann es durch den Blutstrom 
leicht hinweggenommen werden, da dieser immerwährend 
jede kleinste Stelle des Körpers bespült. Gleichzeitig wird 
das Blut nach allen Sekretions- und Exkretionsorganen 
hingetrieben, deren Kanäle zu seiner Aufnahme zu eng 
sind und dasselbe vorüberströmen lassen, während ihr 
Durchmesser den feineren Auswurfsstoffen entspricht, wel- 
che durch den Impuls des Blutes in sie hineingetrieben, 
und somit von demselben abgesondert werden. Nicht mit 
Unrecht haben daher neuere Physiologen diesen Vorgang 
bei der Sekretion mit den Colaturen verglichen, durch 
welche > ebenfalls dünnere Flüssigkeiten von dickeren ab- 
geschieden werden. Durchaus unstatthaft war aber die 
Vorstellung, w r elche man sich von der Uebereinstimmung 
machte, die zwischen der Gestalt der abzusondernden 
Theilchen und der sie auihehmenden Poren der Sekretions- 
organe herrschen sollte. 

Ver- 


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65 

Vermöge ihrer Feinheit haben die auszustofsenden ent- 
arteten Mischungstlieile eine grofsc Beweglichkeit, und sie 
werden eben deshalb schädlicher und gefährlicher, da sie * 
mit um desto wirksamerer, und die Mischung inniger durch- 
dringender Kraft die Auflösung derselben herbeizuführen 
% • 

streben;' während gröber geartete heterogene Stoffe fast 
gar nicht angetroffen werden. Auf die Beschaffenheit der 
Auswurfsstoffe ist die Einrichtung der Exkretionsorgane 
berechnet; daher entweichen 1) durch die den ganzen 
Körper umschliefsende Haut die feinsten, dunstförmigen Ma- 
terien, oder auch blolses Wasser. 2) Der Darmkanal im 
Gegentheil befreit den Körper von den gröbsten Exkre- 
menten, dicken, schleimigtcn Massen, mit denen zugleich 
die Ueberreste der Speisen entfernt werden. 3) Die Urin- 
werkzeuge führen das Salzigte, nebst etwas Oeligtem und 
- vielem Wasser aus. 4) Die Galle, welche aus ihrem Be- 
• liälter in den Darmkanal abfliefst, vermischt sich daselbst 
mit den schon erwähnten Aus wurfsstoffen , deren Zähig- 
keit und reizlose Beschaffenheit sie durch ihre Schärfe bes- ; . 
sert, so wie diese, von jenen gemildert wird. 

Die Bewegung, welche auf diesen natürlichen Wegen 
die Reinigung des Körpers bewirkt, stellt sich im allge- 
meinen Sinne als Kreislauf des Blutes, im engeren als der 
Antrieb zur Sekretion, im engsten und unmittelbarsten als 
Akt der Exkretion dar, und dient in dieser mehrfachen 
Beziehung als eigentliches Instrument zur Fortdauer des 
Lebens als der JErhaltung des Körpers in seiner natürli- 
chen Mischung, durch Befreiung derselben von allen Stof- 
fen, welche derselben Verderben bringen würden. 

Es bleibt nur noch übrig, die eigenthümliche Form 
zur Sprache zu bringen, welche die Erhaltungstliätigkeit 
annimmt; denn der Habitus der Bewegungen ändert sich 
nach dem naturgemäfsen und naturwidrigen Zustande des 
Körpers ab. So lange dieser noch frei von jeder Verdcrb- 
nife ist, tragen die der Sekretion und Exkretion dienenden 
Bewegungen den Charakter der Mäfsigung, der Ruhe, einer 
Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 5 


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I 


66 

( > • * , 

wolilgercgelten und bequemen Ordnung in ihrem Fort- 
gange an sich. Dann werden durch sie in jedem Augen- 
blick die entarteten Theilchen, wie sie sich eben bilden, 
ohne Verzug, und ehe sic zu einer grofsen Menge ver- 
sammelt, Schaden bringen, oder gar sich einnisten kön- 
nen, ohne alle Mühe nach den Absonderungsorganen hin- 
getrieben. Zu diesem Zweck stehen die Bewegungen un- 
ter sich, und zu den auszustofsenden Stoffen in einem rich- 
tigen Verhältnisse; dagegen überschreiten sie ihr gewöhn- 
liches Maafs, wenn ihnen plötzlich ein heftiger Kampf mit 
einer weit verbreiteten und intensiven Verderbnifs bevor- 
steht. Das Princip, welches ihr Verhältnis und die Summe 
ihrer Kraftäufserung bestimmt, gewöhnt sich an eine be- 
stimmte Regel, nach der die Bewegungen im gesunden 
Zustande leicht und frei erfolgen, und ist daher nicht vor- 
bereitet, sich in ein plötzlich verändertes Verhältnis der- 
selben zu fügen, wenn dasselbe durch die Gegenwart un- • 
gewöhnlich fremdartiger Stoffe und deren Menge nothwen- 
dig gemacht wird, um so mehjr, da die Bewegungen in 
einer sehr verwickelten Verbindung stehen, über ein wei- 
tes Gfcbiet sich äusdehnen, folglich nur allmäklig in andere 
Beziehungen übergeführt werden können. 

Dies wird am einleuchtendsten beim Menschen, wo 
das Verhältnis der Bewegungen von dem organischen Le- 
ben auf die Aeulscrungcn seiner Vernunft und seiner sitt- 
lichen Kraft übertragen wird, so wie umgekehrt eine Ab- 
weichung der letzteren von ihrer Regel, und ihre Verwir- 
rung durch die Macht äufscrer Einflüsse sich auch dem 
System der Lebensbewegungen mittheilt. Vorzüglich klar 
wird dies durch die Einwirkung der Leidenschaften auf 
letztere. 

Zum gehörigen Vonstattengehen der Sekretionen und 
Exkretionen ist' ein richtiges Verhältnis der Auswurfs- 
stoffe , so wohl zu «den körperlichen Organen , als zu der 
austreibendeh Thätigkeit, erforderlich. In ersterer Bezie- 
hung müssen sic den Absonderungswerkzeugen dergestalt 


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67 


entsprechen , dals sie ohne Schwierigkeit in dieselben ein- 
trcten und durch sie fortgeleitet werden können, damit 
das Geschäft der Abscheidung ohne Unterbrechung vor sich 
gehe. Daher eine dicke Konsistenz sie dazu 1 untauglich 
macht. In der letzteren Hinsicht dürfen sie keine über- 
mäfsige Wirksamkeit besitzen, besonders keine Neigung 
zur fauligten Verderbnifs zeigen. Denn in diesem Falle 
würde das gewöhnliche Maafs der Lebensthätigkeit und 
ihr ruhig fortschreitendes Wirken nicht ausreichen, der 
rasch und heftig um sich greifenden Verderbnils zu be- 
gegnen, daher entweder der Körper mit seinen organischen 
Vorrichtungen zu Grunde gehen, oder die Nothwendigkcit 
eintreten müfste, die Lebensbewegungen zu einem Grade 
zu steigern, der dem gefahrdrohenden Wirken der schäd- 
lichen Stoffe angemessen wäre. Nicht nur würde eine 
solche außergewöhnliche Anstrengung mit grofsen Schwie- 
rigkeiten verknüpft sein, sondern diese müfsten noch zu- 
nehmen bei dem Bemühen, für die Leitung der Lebensbe- 
wegungen durchaus neue Regeln aufzufinden, und sie nach 
diesen im ununterbrochenen Fortgange zu erhalten. Da- 
her wird ein glücklicher Ansgang, zumal wegen zufällig 
mitwirkender, äufserer Einflüsse stets zweifelhaft bleiben. 

» * 

Iudefs übersteigt es das gewöhnliche Fassungsvermö- 
gen, den Begriff des Typus der Lebensthätigkeit von ihr 
selbst, und von dem ihr zum Grunde liegenden Princip 
zu unterscheiden; überdies vernachlässigt man eine treue 
Geschichte der Lebenserscheinungen, da sie sich mit Hy- 
pothesen nicht vereinigen lassen, und zerstört dadurch den 
eigentlichen Nerven der Wahrheit. Dies gilt besonders 
von der Macht, welche die plötzlich ausbrechenden Lei- 
denschaften ( animi intentionum repentinae . commotiones ) 
unmittelbar auf den Typus, die Ordnung und den Inbe- 
griff der Lebensbewegungen ausüben. Und zwar geschieht 
dies unendlich rascher und sicherer, als es irgend eine be- 
kannte Materie oder körperliche Thätigkeit zu bewirken 

Ä . i - « M. . _ . 

vermögt hätte. Fern von nns bleibe die widersinnige Be- 

5 * 


i 


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68 


hauptung, dafs die gesunden sowohl als kranken Lebens- 
bewegungen in keiner Beziehung der Herrschaft der ver- 
nünftigen Seele unterworfen seien. Denn eine erdichtete 
Nachricht vermag ja schon, eben so wie sie die Seele in 
Bestürzung versetzt, und sie in ihren Beschlüssen wan- 
kend macht, auch den Puls, diese offenbarste Lcbensäufsc- 
rung, in Unordnung zu bringen; und zwar geschieht bei- 
des nicht nur in dem nämlichen Augenblicke, sondern 
auch nach ganz gleichem Verhältnis, so dafs im Pulse sich 
derselbe Typus des Erzitterns offenbart. Waltet hier wohl 
ein allein physischer Akt der Lebensthätigkeit ob? Oder 
hängt er vielmehr von irgend einem Organ oder Princip 
des Lebens ab, vermittelst dessen er mit der Leidenschaft 
in irgend eine konsensuelle Verbindung tritt? In gleicher 
Beziehung würdige man die übrigen palpitircnden und 
zitternden Bewegungen, welche, oft selbst bis zu Konvul- 
sionen gesteigert, von Schreck oder Zorn veranlafst wer- 
den. Daher steht bei mir die Ueberzeugung fest, dafs die 
Leidenschaften eine unmittelbare Macht auf die Lebensbe- 
w r egungen, sowohl die allgemeinen, als. die von ihnen ab- 
liängcnden besonderen ausüben, und dals diese Lehre in 
der physischen Geschichte des Lebens, wie nicht minder 
für die Theorie der Heilkunde namentlich für die Prognose 
die gröfste Bedeutung hat. 

Es liegt mir aber mehr daran, auf geradem Wege zur 
Wahrheit vorzudringen, als die den Sinnen und der Ver- 
nunft widerstrebenden Irrthümcr zu bestreiten, eingedenk 
der Worte des Cicero: JVisi utile est cpiod facimus, stult a 
est gloiia. Wer nicht unbedacht in den Tag hineinlebt, 
mufs bekennen, dafs das Leben kurz, die Kunst lang, oder 
richtiger unendlich ist, wenn niemand sich bestrebt, ihre 
Mängel zu verbessern, und anzufangen, wenn er auch nicht 
vollenden kann. Längst war mir die Vielgcschäftigkeit 
der Neueren zuwider, welche Alles anregt, ohne cs zu 
Stande zu bringen, dergestalt, dafs das Gemüth unter dem 
Wechsel der Zerstreuung erlahmt, und weder des Vor- 


* 


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69 


* 


satzcs, noch der Ausdauer theilhaftig wird, nach einem 
nützlichen Ziel zu streben, und den Zusammenhang der 
Dinge aufzuspüren. Denn zu mühsamen Entdeckungen und 
zur Ergründung der stetigen Verknüpfung in der Natur 
bedarf es des Ernstes und der Beharrlichkeit, welche einem 
abschweifenden und zersplitterten Denken verloren gehen. 

In der frühesten Zeit richteten die Menschen ihre 
• Aufmerksamkeit zu sehr auf sogenannte innere und ein- 
fache Zustande ( affectiones ) der Materie, und liefsen des- 
halb die vielfältigen Beziehungen derselben, vornämlich die 
an ihnen vorkommenden Thätigkeiten aufser Acht. Sie 
ersannen daher groise Systeme von Körpern, denen sie be- 
sondere inwohnende und immanente Eigenschaften (nach 
dem Schulbegriff, wesentlich inhärirendc) beilegten; z. B. 
Flüssigkeit und Feuchtheit dem Wasser, dem Feuer eine 
eigentliümliche und einfache Materie, eine besondere Be^ 
wegung nach oben, im Gegensatz zu den wägbaren Stof- 
fen, welche eben wegen ihrer Schwere ein Streben ab- 
wärts nach dem Mittelpunkte der Erde haben sollten, und 
was dergleichen grobe Begriffe mehr sind. In späterer Zeit 
forschte man scharfsinnig der Materie und ihren Bewe- 
gungen nach, doch verlor man sich hier bald in die At- 
tribute der ersteren, z. B. die dauernde Begrenzung, die 
Gröfse, Ausdehnung und Gestalt, die Undurchdringlichkeit, 
welcher die physische Theilbarkeit in’s Unendliche gegen- 
überstand. Das Denken klebte daher zu sehr an der Ma- 
terie, der man die Bewegung als eine innere wesentliche 
Eigenschaft zuschrieb, und es übersah, dafs es Bewegun- 
gen giebt, welche alles Verhältnis der Materie weit über- 
schreiten, und mitgetheilt werden können. Nur wenige 
drangen tiefer ein, und betrachteten die Bewegung und 
ihre Zustände abgesondert; aber auch sic befanden sich 
in grolser Verlegenheit in BctrefT der Erscheinungen, welche 
die Bewegung aufser aller Verbindung mit der Materie 
darbietet. Daher konnten sie auch nicht ins Klare kom- 
men über die Arten derselben, nach ihrem allgemeinen. 


v 


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70 


; 


besonderen und individuellen Charakter, desgleichen über 
das ihnen zum Grunde liegende bewegende Prinzip * ). 

Man versteht unter Alteration die einfache und unmit- 
telbare Verbesserung der entarteten Materien, über welche 
ich in Ucbereinstimmung mit allen erfahrenen und wahr- 
heitsliebenden Aerzten das Urtheil lallen mufs, dafs die zu 
diesem Zweck dienenden Mittel gröfstcntheils der. durch 
sie beabsichtigten Erfolg nicht haben, und daher durchaus 
unwirksam sind; nur wenige leisten einen unzuverlässigen 
und zweideutigen Nutzen, und sind dabei wenig kräftig. 
Die meisten, denen man in Krankheiten ein alterirendes 
Vermögen beilegte, bethätigen die Exkretionen, und wir- 
ken dadurch vorthcilhaft. Eine Bestätigung des Gesagten 


*) Es ist hier eine beträchtliche Stelle wegen ermüdeuder 
Wiederholung bereits vorgetragener Begriffe ausgelassen worden. 
Stahl sucht besonders zu beweisen, dafs der Arzt durchaus un- 
vermögend sei, die Entartungen der Mischung unmittelbar zu ver- 
bessern, und er beleuchtet zu diesem Zweck die Behauptung, dafs 
das flüchtige Alkali, da es dem Blute beigemischt, dessen Gerin- 
nung verhindert, auch im lebenden Körper e^ne gleiche! Wirkung 
hervorbringe. Er zeigt, wie unstatthaft es sei, einen solchen Vor- 
theil bei Stockungen des Blutes sich zu versprechen, da das Am- 
monium in grofsen Gaben dargereicht, gefährliche Zufalle hervor- 
bringt, in geringer Menge aber unwirksam bleibt, dafs es also feh- 
lerhaft sei , hierbei nur auf materielle Wirkungen, z. B. Sättigung 
der vorhandenen Säuren durch das Alkali, nicht aber auf dessen 
Einflufs auf die Lebensthätigkeit die Aufmerksamkeit zu richten, 
und er stellt hierüber folgenden Grundsatz auf, den wir an besten 
mit seinen eigenen Worten geben. Omnino sciendum est, quod 
ut maximam partem in pkytica , ita certe absolute in Medica re , 
aestimatio potentiae ad actum prudenter instituenda sit , et re - 
vera canon talis formandus: quiequid ab omni proportionata «»- 
militudine generalium symbolicorum actuum , et ab omni certi - 
tudine specialiter eorundem , adeuque absolute ab omni generali 
atque speciali Experientia abit , illud nihilominut posse fieri , et 
verum esse , minime credi debet. Hieran knüpft sich im Texte fol- 
gendes Urtheil über die alterirende Heilmethode. 


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71 


liefert die Beobachtung bei den mannigfachsten und zum 
Tlieil heftigsten Krankheiten, welche ohne dergleichen Arz- 
neien, oft selbst durch solche, welche eine ganz entgegen- 
gesetzte Wirkung haben, geheilt werden, und zwar geht 
ihre Heilung deshalb nicht minder bequem, sicher, gefahr- 
los, rasch, dauerhaft und vollständig von statten. Wir mö- 
gen hier auch mit vollem Rechte daran erinnern, dafs 
die Genesung unzähliger Kranker von selbst, ohne Hülfe 
des Arztes und der Arzneien erfolgt, dergestalt, dafs *die 
Heilung nach den eben angegebenen Merkmalen vollstän- 
dig ist. 

Was kann daher nach diesen Vordersätzen der Klug- 
heit des Arztes angemessener sein, als den offenen Weg 
betreten, auf welchem die Erfahrung mit Zuverlässigkeit 
die Erreichung des Zwecks verlieifst, nach Seneca’s Wor- 
ten: Ilaec est sapientiu } ad nuiuram converti, et eo redire, 
finde excidimus. Man hat mir dawider häufig eingewor- 
feu: Also soll und kann der Arzt veeiter nichts thun, als 
einen müfsigen Beobachter abgeben, und sich alles Han- 
delns enthalten, da die Natur alles vollbringt? Und zwar : 
tragen sie diesen Einwurf nicht mit leisen Worten vor, ! 

\ ‘ i 

sondern sie wollen damit hämisch den Verdacht erwecken, 

' i 

als veenn die, welche über jenes Heilgeschäft der Natur 
mit richtigen Begriffen sich äufsern, von demselben nichts 
weiter verständen, als was in dem obigen beschränkten 
Sinne enthalten ist, uud dafs es daher die Hülfe jener be- 
dürfte, um zu der bewährten Heilmethode zu gelangen. 
Dessen ungeachtet räume ich es ihnen gern ein, und ich 
bin mit mehreren wackern Männern darüber einverstan- 
den, dafs der Arzt in den meisten Fällen der Natur das 
Werk der Heilung überlassen, und einen blofscn Zuschauer 
dabei abgeben müsse; uud man kann folgende drei Bedin- 
gungen aufslellen, nach denen er sich zu richten hat. Ent- 
weder es offenbart sich ein ausreichendes, geregeltes und 
zweckmäfsiges Naturwirken; oder die gebräuchliche Heil- 


**■* 


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t 

methode, besonders wie sie von verwegenen Acrzten*) 
geübt wird, steht im geraden Widerspruch mit der Natur ; 
oder letztere ist nicht einer zureichenden und wohlgerich- 
teten Kraft theilhaftig, wohin auch die Fälle gehören, 
wenn irgend eine Krankheitsmaterie eine Abhülfe nöthig 
macht, oder wenigstens gestattet. 

Was nun die erste unter den angeführten Bedingun- 
gen betrifft, wo die Natur nach dem gebräuchlichen Sprich- 
wort mit ihrem eigenen Lichte leuchtet, so würde es durch- 
aus unstatthaft sein, dem, was durch sich selbst geschieht, 
einen äufseren Beistand leihen zu wollen, welcher nur un- 
nöthig und überflüssig sein könnte. Was man nicht brau- 
chen kann, ist für einen Heller zu theuer. Zur Bestäti- 
gung dessen führen die einsichtsvollen Aerzte das Beispiel 
der Pocken an, bei denen, wenn sie regelmäfsig und gut- 
artig verlaufen, jedes künstliche Verfahren überflüssig, ja 
selbst schädlich wird, wie dies besonders Sydenham vor- 
trefflich gezeigt hat. Aber auch die meisten übrigen, selbst 
gefahrdrohenden Krankheiten, vornämlich die Fieber, und 
unter ihnen auch die bösartigen, geben uns den Beweis der 
Wahrheit dieses* Satzes. B.ei ihnen stiftet die zur rechten 
Zeit veranstaltete Ausleerung durch Erbrechen oder durch 
Ausdünstung oft einen ungemein grofsen Nutzen; wenn 
aber die „Natur yon selbst Erbrechen hervorbringt, und 
dazu eine kräftige Vorbereitung trifft, so würde nichts 
zweckwidriger und gefährlicher sein, als wenn der Arzt 
dessen ungeachtet ein Brechmittel reichte, welches schon 
einen Gesunden so heftig erschüttert. 

Den zweiten Punkt anlangend kann kein Vernünfti- 
ger darüber zweifelhaft sein, dafs es besser ist, gar nichts 
* 

zu thun, als es schlecht zu machen. Indefs unsre Prakti- 
ker, welche stets streitsüchtig, (int Sinne der Herakliti- 
schen Weltordnung, nach welcher alles durch gegcnsciti- 


*) Stahl nennt sie medicinische Entreprenneurs , Waghälse 

und Ritter von der runden Tafel, 

« 


\ 


? 


i , 


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73 


gen Zwist besteht) nur das wollen, was andere verwer- 
fen, und gerade dasjenige verschmähen, was anderen recht 
ist 5 sie wollen den Schaden, welchen sie anrichten, nicht 
eingestehen, und um sich das Ansehen zu geben, als ob 
sie niemals unthätig seien, geben sie, eben wie es die Astro- 
logen nach Becher thun , ihr Geschäft für ein nothwendi- ' 
ges aus, damit sie sich selbst unentbehrlich machen. Wie 
sollten sie daher wohl des Irrtliums und des frevelhaften 
Beginnens in ihren mannigfachen Heilmethoden, Künste- 
leien und mit ihren prahlerisch angekündigten Arzneifor- 
meln sich bezüchtigen lassen, so lange noch Leben in 
•ihnen ist? Mögen sie sich ihre Thorheit wohl bekommen 
lassen; die aber noch der Belehrung fähig sind, und guten 
Rath begehren, ihnen wollen wir diese Betrachtungen zur 
Beherzigung empfehlen, und können ihnen zuversichtlich 
den besten Nutzen davon versprechen. 

Ehe wir zur dritten Bedingung des Heilgcschäfts über- 
gehen, ist es nöthig die verworrenen Begriffe aufzuklären 
und festzustellen, welche über die eigenmächtige Lebens- 
thätigkeit, und ihr Verfahren bei widernatürlichen Zustän- 
den, wie sie dieselben zu einem glücklichen Ausgange 
bringt, herrschen. Es wurde schon erörtert, dafs die ma- 
terielle Lehre vom Körper und seiner Mischung dem Arzte 
keinen Nutzen gewährt, weil letztere, welche schon in 
ihrem naturgemäfsen Zustande den Charakter der Zersetz- 
barkeit an sich trägt, diesen nicht ablegen darf, was auch 
nicht einmal geschehen kann, daher die Annahme alteri- 
render Heilmittel durchaus eitel ist. Die Kenntnifs dieser 
materiellen Verhältnisse gehört daher zur Physik, und 
wenn man von ihr einen Vortheil in der Pathologie er- 
wartete, so täuschte man sich über den Begriff der letz- 
teren, in sofern sie die Grundlage für die Therapie abge- 
ben soll, und verwechselte die physikalische Aetiologie 
mit der medicinischcn Pathologie. Was würde es uns hel- 
fen, die Entstehungsart der materiellen Entartungeri zu 
wissen, da man ihnen kein Heilverfahren entgegenstellen 


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✓ 


74 


kann? Wenn wir z. B. sehen, dafs ein Theil in Brand 
übergegangen ist, 'so wissen wir, dafs er einer gänzlichen , 
Verderbnifs preisgegeben, weder durch Natur noch durch 
Kunst in seine, ursprüngliche Verfassung .zurückversetzt 
werden kann, und daher entfernt werden mufs. Lassen 
wir daher diese Rücksichten hinter uns liegen, und wen- 
den wir uns zu den formalen oder werkzeuglichen (instru- 
mentalen) Bedingungen des Lebens. Wir erwähnten schon, 
dafs diese in dem Wirken der Bewegungen enthalten sind. 
Wenn wir von letzteren in der Mehrheit reden, so wol- 
len wir damit nicht zu verstehen geben, dafs sie in den 
einzelnen Theilen wesentlich verschieden sind, denn sie 
sind ursprünglich ein und dasselbe Ding, und bieten nur 
in sofern einige Verschiedenheit dar, als die Ordnung ihrer 
Aufeinanderfolge und ihres Wirkens, ihre Beziehung auf 
die mannigfachen Materien, körperlichen Organe, und auf 
die Zeit einigen besonderen Bestimmungen unterworfen ist. 

Unter diesen Bewegungen behauptet der Kreislauf des 
Blutes den obersten Rang, da durch ihn nicht nur alle in 
letzterem, sondern auch durch die ganze Substanz der Or- 
gane erzeugten verdorbenen Theilchen zu den Auswurfs- 
organen hingeleitet werden. Doch ging man zu weit, weuu 
man das Umkreisen des Blutes für den Inbegriff der Le- 
bensthätigkeit hielt; denn von ihm sind die austreibenden 
Bewegungen der Exkretionsorgane unabhängig, und doch . 
zur Erhaltung der unverdorbenen Mischung eben so notk- 
wendig. Denn die Erhaltung der thierischen Mischung in 
ihrer Reinheit durch die Abscheidung der verdorbenen 
Theilchen aus dem Blute würde sehr bald vereitelt wer- 
deiv wenn letztere sich an einigen Stellen im Körper blei- 
bend anhäufen könnten. 

Fragen wir nach dem Vortheil, welcher dem Arzte 

* t 

aus der Betrachtung der instrumentalen Bedingungen der 
Lebensthätigkeit erwächst, so erhellt, dafs in Betreff der 
entfernteren Bedingungen zur Erhaltung des Lebens, welche 
in dem Kreislauf des Blutes enthalten sind, die Arznei- 


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i 


kuude nichts vermag. Denn der Arzt hat es nicht in sei- 
ner Macht, zu bewirken, dafs der Kreislauf geregelt und 

* 

gemäfsigt, mit einem Worte, auf eine zweckmäßige Weise 
von statten gehe; noch viel weniger kann er denselben 
nach gewissen Zwecken verändern, und cs ist daher ein 
eitles Vorgehen, mit der analeptisclien Heilmethode (der 
alterirenden nicht einmal zu gedenken) es dahin bringen 
zu können, dafs die Anomalien der Bewegkräfte nicht nur 
gehemmt oder wenigstens gemäfsigt, sondern auch zur na- 
turgeinäfsen Regel zuriickgefiihrt wurden. 

Aber im ganz umgekehrten Sinne verhält es sich mit 
dem Einflufs, welchen der Arzt auf die Ab- und Ausson- 
derungen, besonders auf letztere, ausüben kann; denn wer 
darf es leugnen, dafs die Kunst die mannigfachen Exkre- 
tionen hervorrufen, anregen, vermehren, vermindern und 
znrückhaltcn kann, und zwar wie es nach Zeit und Ort 
verlangt wird? Hiermit ist daher im Gebiete des leben- 
den Organismus und seiner Thätigkcit der Wirkungskreis 
bezeichnet, der allein dem Arzte zu Gebote steht, so dafs 
er durch die ihm verliehene Macht auf die mannigfachste 
Weise dem bedrohten Leben zu Hülfe kommen kann, in- 

9 

dem er zur Erhaltung und Befestigung des Körpers die 
fremdartigen und schädlichen Stoffe durch Ausleerungen 
geradezu von ihm entfernen kann. Es geschieht dies thcils 
unmittelbar durch direkte Erregung und Verminderung der 
Absonderungsbewegungen, theils, obgleich unsicherer durch 
die Vorbereitung der Absonderungs wege, endlich, und zwar 
auf sehr zweifelhafte Weise, dadurch, dafs die Materia 
peccans unmittelbar zur Ausleerung auf eine den Ausson- 
derungen entsprechende Art geschickt gemacht wird. Von 
ganz besonderer Wichtigkeit ist daher die Betrachtung der 
Thätigkeit, welche sich bei den Sekretionen und Exkre- 
tionen, auch wenn sie nicht durch Hülfe der Kunst unter- 
stützt werden, offenbart, und zwar sowohl im naturge- 

• # 

mäfsen Zustande, als auch im krankhaften, «wo mannig- 
fache ungewöhnliche und gefahrdrohende Stoffe im Kör- 


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per umherirren. Denn bei Individuen, welche mit reger 
und ausdauernder Kraft ausgerüstet, einen geregelten Ty- 
pus in dem Wirken ihrer Lebensthätigkeit zu erkennen 

* * 

geben, erfolgen jene Ausleerungen aus eigenem Antriebe, 
während letztere beim Mangel reger Selbstthätigkeit durch 
kunstgemäfse Verordnungen- unterstützt werden müssen. 
Sie erheischen dann allerdings diese Hülfe, jedoch nur in 
dem Sinne, dafs sie zwar unfähig, ihr Wirken von selbst 
. anzufangen, und nach entsprechender Ordnung und Typus 
durchzuführen, doch auch zu diesem Zweck beitragen 
müssen. Denn für sich allein vermag der Arzt keine von 
seinen nützlichen Absichten durchzusetzen, jene mittelba- 
ren und unmittelbaren Bewegungen zur Absonderung des 
Schadhaften hervorzubringen, sondern er mufs ab warten, 
dafs sie im kranken Inüividuo sich zeigen, um sie auf 
rechte Weise leiten zu können. Auch kann der Arzt bei 
den meisten krankhaften Zuständen keine Heilmethode aus- 
findig machen, welche leichter, gewisserer und sicherer 
zum Ziel führte, als jenes Heilgeschäft, welches, aus dem 
eigenmächtigen Vermögen der Natur entspringend, den 
Körper von allen Gefahren befreit. Nie mufs man dabei 
aufser Acht lassen, dafs jene Heilkraft dem lebenden Kör- 
per cigenthümlick ist, und in ihm nach so bestimmten 
Gesetzen waltet, dafs nur in der Art ihrer Aeufserung, 
nämlich in dem höheren oder geringeren Grade ihres Wir- 
kens, in ihrer Richtung nach gewissen Theilen, so wie in 
ihrem Typus einige Abweichungen statt finden können. 

Auf difesc Begriffe gründet sich die wahre wissen- 
schaftliche Theorie der Lebensthätigkeit, welche dem Arzte 
nothwendig ist, um ihre Bestrebungen einzuschen, und da- 
nach sein Wirken abzumessen, während alle anderen Be- 
ziehungen des Lebens seiner Herrschaft sich entziehen und . 
seinem Interesse fern liegen. Um indefs jeden Zweifel 
hinwegzuräumen , müssen wir noch erörtern, in wiefern 
> der Seele des Menschen das Geschäft, der Leitung der Le- 
benskräfte beigemessen werden könne. Den Seelen der 


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Tliicrc liat man das Vermögen, die Lebensthätigkeit nach 
dem Bedürfuifs der materiellen Verhältnisse zu leiten, nicht 
abgesprochen, da ihnen die Vernunft fehlt, welche im Men- 
schen damit unvereinbar sein sollte, weil sie weder von 
materiellen Gegenständen berührt werde, noch wegen ihrer 
immateriellen Natur auf sic zurückwirken könne. Ohne 
die bereits vorgetragenen Gründe gegen diese Argumente 
zu wiederholen, wohin besonders die Macht der Leiden- 
schaften, das Vermögen der Seele, den Körper auf jede 
beliebige Weise zu bewegen, und die getrübten Gemüths- 
zustände bei gefahrdrohenden Verhältnissen des Körpers 
gehören, wollen wir uns darauf beschränken, zu bezeich- 
nen, in welcher Beziehung, in welchem Umfange, und 
nach welchem Gesetz die Lebensthätigkeit der Seele zu- 
geschrieben, und wie umgekehrt letztere von ihrem Ge- 
schäft, die Lebensbewegungen zu lenken, ja selbst von ihrer 
auf dasselbe gerichteten Absicht abgeleitet werden kann. 

Da nun diese Lehre, welche die Seele zum Urheber 
aller Lebensbewegungen macht, eine unmittelbare Ver- 
knüpfung beider, ohne Dazwischenkunft eines . vermitteln- 
den Werkzeuges nothwendig voraussetzt, so hat man hier- 
aus die Folgerung gezogen, dafs der Arzt, wenn er die Stö- 
rungen der Lebensthätigkeit verbessern und heilen wolle, 
dies nur durch Heilung der Seele bewirken könne. Letz- 
teres sei indefs unmöglich, mithin jene Ansicht ungereimt. 
Zur Widerlegung wollen wir mit Vermeidung aller abs- 
trakten Begriffe uns einiger fafslicher Beispiele bedienen, 
um die Möglichkeit darzuthun, wie ein Thätiges, wenn 
auch nicht seines Wirkungsvermögens, doch seines Wir- 
kens beraubt werden könne, oder mit anderen Worten, 
wie ersteres, ungeachtet ihm selbst kein Abbruch geschieht, 
doch durch anderweitige Bestimmung des Gegenstandes, 
auf den sein Wirken gerichtet sein sollte, daran verhin- * 
dert werden könne. So hat es z. B. der Schilfer, um den 
Lauf seines Nachens zu wenden oder zu hemmen, nicht 
nöthig, den Wind abzuhalten; er braucht dazu nur das 


“ ** . 


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Steuer richtig zu lenken und die Segel cinzuziehen. Eben 
§o wird die Hausfrau, um ihren Bratenwender anzuhalten, 
nicht die elastische Feder desselben zerbrechen, sondern 
sie begnügt sich, den Windfang zu hemmen. Hiervon 
läfst sich eben so leicht eine Anwendung auf die mensch- 
liche Seele, als auf den Stein, der die Thurmuhr in Be- 
wegung «setzt, machen. 

Wir haben hier ferner die Frage zu beantworten: 
Da sich nicht bestreiten läfst, dafs die Seele das Verhält- 
nifs, in welchem die ununterbrochen andauernden Lebens- 
, bewegungen zu einander stehen, auf ihre eigene Thätig- 
keit überträgt; mufs man die (in jenem Vcrhältnifs ent- 
haltenen) Verschiedenheiten unmittelbar auf die Seele be- 
ziehen, so dafs sie ihr ursprünglich cigenthümlich und we- 
sentlich sind? Oder, wenn sich dies nicht behaupten läfst, 
wird dadurch schon die Annahme jener Verschiedenheit 
im Allgemeinen ungereimt? Es leuchtet ein, dafs der Ur- 
sprung der letzteren sich von Bedingungen a posteriori 
herschreibt, daher sie auf die Seele übertragen, also ihr 
von aufspn mitgetheilt, auch ihre Thätigkeit betrifft - Wir^ 
haben es also hier nicht mit einer Modifikation der Seele, 
sondern nur ihres Wirkens zu thun. Genauer bestimmt 

V . . . t 

rührt jene Verschiedenheit von körperlichen Bedingungen, 
also von dem Verhältnisse der Bewegungen zu der Mate- 
rie des Körpers her. Jedem Hellblickcnden wird der Un- 
terschied klar sein, je nachdem ein Ding seine Konstitu- 
tion an sich und in Bezug auf andere Dinge ursprünglich 
geltend macht, oder in liefern ihm dieselbe von anderen 
mitgetheilt wird, wo dann jene Konstitution nicht sehr 
innerstes Wesen, sondern nur sein nach aulscn gerichtetes 
Wirkungsvermögen betrifft, und ihm daher gleichsam nur 
angeheftet ist. Diese Begriffe lassen sich leicht auf die 
Bewegung anwenden, deren Modifikationen sich auf ihren 
Fortgang und ihre Ordnung beziehen, ohne dafs man den 
Grund dieser Bedingungen dem Wesen des bewegenden 
Princips inwohnend und inhärirend sich vorstellen darf. 

' Wenn nun auch die Idee, nach welcher die Seele alle 


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/ 


, 79 

ihre eigentümlichen Verrichtungen leitet und unternimmt, 
im allgemeinen Sinne als ihr wesentlich eingeboren ge- 
dacht werden mufs; so werden doch die Verhältnisse der 
Gcistesthätigkeit zu dem Körperlichen, worauf ihr Wirken . 
gerichtet ist, und ihre Verschiedenheiten nach den Zeiten 
vielmehr durch die Bestimmbarkeit der Materie, als durch 
die Geistesthätigkeit selbst bedingt. Hiermit ist der Un- 
terschied zwischen der allgemeinen Anlage zur Thätigkcit 
und ihrem speciellen Habitus unter verschiedenartigen Mo- 
difikationen deutlich genug bezeichnet. Ueberdies unter-' 
scheiden sich diese Modi nicht sowohl der Art, als dem 
Grade nach; dafs aber das Mehr oder Minder keinen spe- * 
cifischen Unterschied begründet, bedarf keiner weiteren. 
Erwähnung. 

Noch weniger Schwierigkeit bietet die Frage dar: 
ob die vernünftige Seele fähig sei, das Abmessen der Zeit 
und der Bewegungen sich zu eigen zu machen, und gehö- 
rig zu unterscheiden, so dafs dieselben nicht blofs nach 
einer bestimmten Determination wiederholt, sondern nach 
einem Wollen vollzogen werden können? Man erinnere 
sich nur an die alltäglichen Angewöhnungen, welche durch 
ein einfaches Wollen, ohne Mitwirkung körperlicher Ur- 
sachen begründet werden, z. B. die Gewohnheit,' zu be- 
stimmten Zeiten aufzuwachen oder einzuschlafen. 

Die Verbindung der vernünftigen Seele mit den kör- 
perlichen Bewegungen wird überdies nicht blos durch die 
Leitung der willkührlichen Bewegungen, sondern auch vor- 
züglich durch den Einflufs bewiesen, den die vorstehende 
Seele (anima specvlans ) auf die Ordnung und Verkettung, 
ja sogar auf den Akt selbst der vornehmsten körperlichen 
Bewegungen, des Pulses, des allgemeinen Tonus und sei- 
ner besonderen Erregung, z. B. im Magen, ausübt. Der 
Schreck und Zorn bringt im Pulse die augenblicklichsten 
und gewaltigsten Veränderungen hervor; die - heftigsten 
konvulsivischen Bewegungen entstehen von der nämlichen 
Ursache; der Magen kehrt sich beim Ekel, aus bloiser 
Einbildung, um. Gleichwie aus diesen Thatsaclien erhellt. 


t* 

* 


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80 


dafs die Bestimmung des Maafses der Zeit und der kör- ’ 
pcrlichen Bewegungen von der Bewegkraft (agilHas) der 
Seele ausgebt; eben so ist. a priori klar, dafs niclit nur 
die Bewegung als unkörperlich zur Verbindung und zuin 
Konsensus mit der unkörperlichen Seele am- meisten geeig- 
net ist, sondern dafs auch ihr, Verhältnis weniger zu den 
Organen, als zu ihrem Zweck nicht als ein körperliches 
gedacht werden kann. Was dies Verkältnils der Bewe- 
gungen zu ihren Zwecken betrifft, so kann niemand be- 
streiten, dafs ihr Mehr oder Minder, ihre 'Stärke oder 
Trägheit, ihre Fortdauer oder Unterbrechung durchaus 
nicht von der Disposition der Organe abhängt, sondern 
lediglich durch ihren Zweck bedingt wird, derselbe mag 
nun ein wirklich naturgemäfser, oder ein erdichteter sein. 

Eben so verhält es sich mit der willkührliclicn Lei- 
tung, welche einstimmig der vernünftigen Seele zugespro- 
chen, in Bezug auf Schnelligkeit oder Langsamkeit durch 
den Vorsatz bestimmt wird. Jedoch hängt der Erfolg, in , 
wieweit jener Vorsatz zur Ausführung kommen kann, zu 
einem guten Theil von der Fertigkeit der Organe ab, so 
dafs, wenn letztere einen Widerstand leisten, es wenig- 
stens einer grölseren Energie bedarf. Aus diesem Verliält- 
nils der Organe zur Willensbestimmung erwächst eine ge- 
wisse Modifikation, welche mau gemeinhin Bewegvorstcl- 
lung (idea molus) nennt, welche, wenn sie häufig sich 
wiederholt, einen stehenden Charakter annimmt, und dann 
Gewohnheit genannt wird. 

. Das hellste Licht, verbreitet indefs über diese Lehre 
die richtig verstandene Sinnesthätigkeit. .Letztere ist näm- 
lich nichts anderes, als die Einwirkung feiner äufserer Be- 
wegungen auf die feinsten von der Seele ausgehenden Be- 
wegungen, welche die Wahrnehmung zum Zweck haben, 
und für diesen eingerichtet sind. Wenn aber äufsere Ein- 
wirkungen dies schon zu leisten im Stande sind, wie viel 
mehr werden innere, die man sich als Fortsetzung der 
angefangenen Bewegungen denken kann, im- Hervorrufen 
... \ . . * t . . neuer 


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81 


neuer Vorstellungen, im Erwecken neuer Intentionen, im 
Begründen früher nicht vorhandener Verhältnisse, und An- 
gewöhnungen vermögen? 

Niemand wird nach diesen Beweisen a priori eine 
wesentliche Verschiedenheit unter den Seelen einer Gat- 
tung (des Menschen) behaupten; wenn man aber selbst 
die im Vorigen aufgestellte Lehre von der Ueberfragung 

i 

der Modifikationen, welche die Bewegungen durch ihr 
Verhältnis zu dem Körperlichen erleiden, auf die Seele 
nicht zu fassen vermögte, um wie viel unbegreiflicher 
müssen nicht erst die anderen Ansichten hierüber ausfal- 
len. So wird z. B. der zuletzt ausgesprochene Satz auf 
die Weise erklärt, dafs geradezu das materielle Verhält- 
nis des Körpers, nicht aber die durch dasselbe modificirte 
Bewegung, die Thätigkeit der vernünftigen Seele, also ihre 
Willchsäiifserungen, Neigungen und Sitten abzuändern ver- 
mögen. Bei aller Unbestimmtheit des Ausdrucks lälst sich 
nicht verkennen, dafs es hierbei vorzüglich auf die Mate- 
rie abgesehen ist; dann müssen sich aber auch die Mate- 
rialisten rund heraus darüber erklären, auf welche Weise 
das Körperliche auf die Seele wirken kann, wenn es nicht 
vermittelst der Bewegung geschieht? Ferner in welcher 
Beziehung; ob unmittelbar auf die Substanz der Seele, oder 
auf ihre Energie, ihre Wirksamkeit? Denn die letztere 
bringen sie ja selbst unter verschiedene Begriffe, wonach 
sie das Vorstellungsvcrmögen (ingenium) oder den Ver- 
stand, die Neigungen oder den Willen, und die Sitten, 
oder die Direktion der Bewegungen Behufs der Ausfüh- 
rung des Willens, unterscheiden, dennoch aber die mannig- 
fache Thätigkeit der Seele einer gemeinsamen Herrschaft 
(des Körpers) unterwerfen. Wenn sie nun gar so weit 
gehen, zu behaupten, dafs wohl das Körperliche in der 
Seele, nicht aber letztere in jenem eine Veränderung her- 
vorbringen könne, so mufs man sic doch billig fragen, auf 
welche wissenschaftliche Gründe sie diese Lehre stützen. 
Man sieht leicht, dafs sie dem alten philosophischen Ka- 
Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 6 

/ ' 


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/ 


non, nach welchem keine Verbindung des Materiellen mit , 
dem Immateriellen möglich sein soll, einen andern unter- 
schieben, nach dessen Sinn das Immaterielle zwar auf das 
Materielle vermittelst der Bewegung nicht einzuwirken 
vermöge, letzteres dagegen einen unbeschränkten und man- 
nigfachen Einflufs auf ersteres ausübe *). 

*) Stahl deckt den im vorstehenden Grundsatz enthaltenen 

♦ * 

Widerspruch auf, indem er aus ihm Folgerungen ableitet, welche die 
Einseitigkeit desselben darthun. Es kommen hierbei seine schon 
vielfältig mitgetheilten Lehrbegriffe von den Bedingungen des Le- 
bens zur Sprache, deren Wiederholung ich mir nicht nochmals 
erlauben durfte. Hier findet sich auch jene von Sprengel in seiner 
Geschichte der Medicin gerügte Stelle, welche den anmaafslicben 
Charakter Stahls besonders bezeichnen soll. Sie lautet in der 
Ursprache folgendergestalt: Ego per Dei gratiam tcio, quid scri- 
bam,.et audacter provoco omnes homines, rationis suae recte 
compotes , ut tnihi circa hasce equidem in se utique simplices res,' 
defectum aliquem solidae, directe ad rem pertinentis, demonstra- 
tionis commonstrent. Quemadmodum ex adoerso, ego sum pa- 
ratissimus, in 50 circiter lineis , plus quam totidem, ex magna 
parte etiam gravissimas, hallucinationes , demomtrare, circa hoc 
negotium publice (et quidem *a% dvxlO-eoiv, si Diis placet , pro- 
cedendo) factas: nempe varie dXoyu, an CXoya, a&fxu, üöut&txa, 
ttavv&txa, doVgara, aovXXoytga , naQtXsyxxa , doxoTta, di>igö(jixa, 
dvTlnQaxra. Diese allerdings stolze Aeufserung würde aber nur 
dann einen tadelhaften Sinn enthalten, wenn Stahl, zur Sekte uns- 
rer neueren Naturphilosophen gehörig, aus einer schwärmenden 
Einbildungskraft , nicht aber aus einer genialen Naturanschauung 
das Material zu seinem grofsartigen Lehrgebäude entnommen, folg- 
lich einer hochmüthigen Selbsttäuschung Raum gegeben hätte. 
Kann man es wohl dem geistvollen, Denker verargen, wenn er 
seinem Zeitalter weit vorausgeeilt, die armseligen theoretischen 
Begriffe, desselben in ihrer vollen Blöfse darstellt, und mit hohem 
Selbstgefühl sich seines in die Tiefen der menschlichen Natur 
eindringenden Seherblicks bewufst wird? Ihm, wie allen über- 
ragenden Geistern, gebührt das unbestreitbare Recht einer zuver- 
sichtlichen Sprache, und er durfte, so gut wie Horaz, sagen: Odi 
profanum vulgus, et arceo. 




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/ 


Theorie der Heilkunde. 


ß 

• t 

i 

Erster Theil. 

Physiologie. 



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/ 


Erster Abschnitt. 

N 

Von dem Leben und der Gesund- 
heit überhaupt. 


Die Heilkunde hat zur Aufgabe, das Leben und die Ge* - 
sundheit des menschlichen Körpers zu erhalten; den ihn 
bedrohenden Verletzungen mit Rathschlägen und Vorkeh-, 
rungen vorzubeugen; die erschütterte Gesundheit und das 
auf irgend eine Weise gefährdete Leben zu ihrer Integri- 
tät und freiem Wirken zurückzufuhren. Daher mufs der 
Arzt noth wendig der Beschaffenheit und Eigcnthümlichkeit 
dieser Dinge kundig sein, damit er dieser Kenntnifs gemäfs 
durch richtige Vergleichungen und Combinationen ausmit- • 
teln kann, was jenen Gegenständen, für welche er Sorge 
zu tragen hat, ihrer Natur nach angemessen ist, um vor-, 
her zu wissen, was ihnen Nutzen oder Schaden bringen 
wird. Nicht minder mufs er den Zustand kennen, in wel- 
chen er das von seiner Regel abgewichene Leben zurück- 
* , « 

versetzen soll, da er nicht einmal den Grad des Leidens 
abzumessen im Stande ist, wenn ihm die Kenntnifs der 
gesunden Verfassung nicht den Maafsstab dazu an die 
Hand giebt. 

Vor. allem kommt es folglich darauf an, zu wissen: * 

was das Leben ist? worin es der Form nach besteht? ; 
woran es gebunden, und wodurch es thätig ist? also wel- 


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t 

die materiellen oder subjektiven und welche teleologi- 
schen oder objektiven Bedingungen ihm zum Grunde lie- 
gen? welchen Nutzen, welche noth wendige Bestimmung 
für den Körper es hat? was es in ihm leistet? Eben so 
noth wendig ist es, den Begriff der Gesundheit festzustel- 
len, in wiefern derselbe auf den Körper anwendbar ist, 
an welchem Prädikate er sinnlich erkannt werden kann, 
welche Zustände und Thätigkeiten er in sich schliefst, de- 
• nen die Kunst zu Hülfe kommen kann? 

Von diesem Gesichtspunkte gelangt man zu dem Grund- 
satz, dafs der menschliche Körper in Bezug auf seine Mi- 
schung zur schnellsten Verderbnils durchaus geneigt ist. 
Deshalb würde die Struktur desselben, weiche der Thä- 
tigkeit des Menschen dienen soll, durch das Zerfallen der 
Mischung sogleich und gänzlich zerstört werden 5 da aber 
ihre Fortdauer durch die Natur jener Thätigkeit noth wen- 
dig gemacht wird, so mufs ein erhaltendes Prineip hinzu- 
treten, welches verhindert, dafs jene Neigung zur Ver- 
derbnifs in Wirksamkeit trete. 

. Da aber diese Disposition nicht geringfügig, vorüber- 
gehend, zufällig, von aufsen hinzukommend, sondern dem 
Körper eigenthümlich , durchweg immanent, und niemals 
von ihm zu trennen ist; so folgt daraus, dafs auch die 
Erhaltung ununterbrochen fortdauern müsse. Diese Erhal- 
tung eines zur Vcrderbnifs im höchsten Grade hinneigen- 
den Körpers macht den Begriff des Lebens aus, und in 
dieser Beziehung unterscheidet sich der lebende Körper 
von einem blos gemischten. 

Jene Erhaltung wird durch eine der Form nach me- 
chanische Thätigkeit zu Stande gebracht, und es sind dazu 
60 wohl körperliche Werkzeuge, als mannigfache Funktio- 
nen erforderlich, die in bestimmten Reihefolgen und Ver- 
bindungen verknüpft, ihre allgemeine Bedeutung in der 
Erhaltung des Ganzen finden. Die körperlichen Organe 
müssen zu ihrem mechanischen Gebrauch eine gewisse 
Einrichtung haben, und in einem richtigen Verhältnisse. 


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87 


zu einander stehen; desgleichen müssen die mittelbaren 
Thätigkeiten , aus deren gemeinsamer Wirkung das Leben 
hervorgeht, nach einer feststehenden Regel und im gehö- 
rigen Einklänge vollzogen werden. Zum Begriff der Ge- 
sundheit gehört daher sowohl die erforderliche Bildung, 
Integrität, Freiheit der Organe, und ihre Tauglichkeit zu 
den Verrichtungen, als die zeitgemäfse, geregelte, hinrei- 
chend starke Ausübung der Thätigkeiten, nicht nur im 
Einzelnen, sondern auch im allgemeinen Zusammenhänge. . 

Häufig wird die Gesundheit als das Vermögen zur 
rechten Vollbringung der Funktionen bezeichnet, weil letz- 
tere, z. B. die animalischen, nicht immer wirklich zur 
Ausführung kommen. Da indefs die vitalen Verrichtun- 
gen den animalischen der Zeit und Bedeutung nach vor- 
angehen, und im ununterbrochenen Fortgange sich erhal- 
ten; so verdient die oben gegebene Definition den Vor- 
zug. Wenn jedoch die in ihr aufgestellten Bedingungen 
auch ihre volle Gültigkeit haben; so folgt daraus doch 
nicht nothwendig, dals jene Thätigkeiten in den für sie 
eingerichteten Organen immer von statten gehen müssen, 
oder dafs nur sie und nicht andere an ihrer Stelle voll- 
zogen werden können. Denn mit dem Zeugniis der Er-’ 
fahrung im Widerspruch steht die Behauptung, dafs ein 
nothwendigefc mechanisches Verhältnis zwischen den Or- ■ 
ganen und den durch sie ausgeübten Funktionen statt 
finde, da es sich alle Tage ereignet, dafs bei völlig un- 
verletzter Beschaffenheit jener entweder gar keine, oder 
zu ihrer Konstruktion iu keiner Beziehung stehende Thä- 
tigkeiteu sich offenbaren, was besonders von dem Einflüsse 
der Leidenschaften auf die körperlichen Bewegungen gilt. 



x 


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\ . 




Erstes Kapitel. 

Von dem Zweck des Körpers. 

Aus dem Zweck und Nutzen des menschlichen Kör- 
pers, und seiner vitalen und animalischen Funktionen er- 
hellt nicht blos die Notlrwendigkeit seiner mechanischen 
Einrichtung überhaupt, sondern auch die Bestimmung und 
Richtung derselben auf jenen Zweck. ' Letzterer erfordert 
daher auch eine genaue Uebercinstimmung und freie Wir- 
kung der Funktionen. Dagegen ist es undenkbar, dafs der 
Körper, ohne irgend einen Zweck zu haben, allein kraft 
mechanischer Verhältnisse bestehen sollte. Inzwischen da 
die Betrachtung der werkzeuglichen Bedingungen, vermöge 
welcher das Leben sich behauptet, die Rücksicht auf sehr 
mannigfache, einander zu- und untergeordnete Verrichtun- 
gen in sich schliefst; so verdient hier das übliche Verfah- 
ren der Philosophen, in der Kategorie der Ursachen den 
Zweck obenan zu stellen, den Vorzug, da derselbe für das 
wirkende Princip das Motiv zur Thätigkeit ist. Zunächst 
findet daher die Bemerkung hier ihren Platz, dafs die Seele 
in Betreff der Gegenstände, auf welche ihre Thätigkeit 
vornämlich gerichtet ist, in dieser Welt schlechthin nichts 
ohne einen Körper auszurichten vermag. Denn nur durch 
Sinnorgane kann sie zu Anschauungen, und vermittelst 
dieser zur Erkenntnifs der Dinge gelangen; eben so be- 
darf sie der Hülfe körperlicher Werkzeuge zur Vcräufse- 
rung ihres Willens. Da sie überdies nur iln allmähligen 
Fortschreiten ihr Geschäft betreiben, und sich darin eine 
Fertigkeit verschaffen kann, folglich ihrer Natur nach an 
ein entsprechendes Zeitmaafs gebunden ist; so wird da- 
durch eine längere Dauer der körperlichen Organe noth- 
wendig gemacht Wenn hierin der nothwendige Zweck, 
zu welchem der Körper vorhanden sein und fortbestehen 
soll, ausgesprochen ist; so bezieht sich jener sowohl auf 


t 


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die Erhaltung desselben vermöge der vitalen Funktionen, 
als auf seine Einrichtung für die Sinnesthätigkeit, die Mus- 
kelbewegung und das Dcnkgcschäft. 

Durchaus verwerflich ist daher die Meinung, dafs » der 

^ r 

Körper den Grund seines Daseins in sich habe, weil er 
dann ohne Nutzen sein würde, und seine Fortdauer völlig 
zwecklos bliebe. Auch hängt seine Erhaltung und seine 
Tauglichkeit zum Gebrauch für die Seele von einer Be- 
dingung ab, welche seinem Wesen und seiner Beschaffen- - 
heit völlig fremd, vielmehr der Natur der Seele ganz ent- 
spricht, eben so unkörperlich, wie diese, im Körper und 
durch denselben wirksam und thätig ist. Die Seele übt 
daher über jene Bedingung eine unumschränkte Herrschaft 

/ U \ ■++ ».(> ■•»# .»-« *»'■ ».y.* wift'xs«, ••• -f * V 

aus, vergröfsert oder verringert, leitet und richtet sic nach 
ihrer Willkühr, und bedient sich ihrer als eines Werk- 
zeuges, um ihr eigenstes und ausschliefslichcs Wirken zu 

Stande zu bringen. Diese Bedingung ist keine an dere, jds [ 

die Bewegung, vermittelst welcher die Seele ihr gan- 
zes Geschäft verrichtet. Denn selbst die Vernunft besteht 
im Vergleichen der Dinge, also in einem Fortschreiten von 
einem zum andern, so dafs sie sich in einer immerwäh- 
renden Bewegung befindet, gleichwie die Erhaltung des 
Körpers und sein Gebrauch bei der Sinnesthätigkeit und 
der Muskelwirkung durch Bewegungen geschieht, welche 
den Zwecken der Seele genau angepafst sind. Es findet 
daher eine völlige tJ^ereinstimmüng zwischen der Seele 
und der Bewegung, so wohl in Betreff ihrer unkörperli- 
chen Natur, als in Bezug auf ihre Wirkung in und auf 
den Körper statt; und diese Vernunftgründe gewähren 
wohl eine hinlängliche Berechtigung, die Bewegung als 
das unmittelbare Werkzeug, dessen sich die Seele so wohl 

zu ihren eigenthümlichcn Verrichtungen, als zur Erhaltung 

~ + r 

und zum Gebrauch des Körpers bedient, zu betrachten. In 
sofern sie also auf die Erhaltung seiner Struktur und Mi- 
schung berechnet ist, entspricht sie so wohl den Absichten 
und Zwecken der Seele, als der Beschaffenheit der Mate- 


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4 


90 


rie des Körpere. Aus allem diesen folgt, dafs die Seele 
sich ihren Leib erschafft, so wie er zu ihrem Gebrauch 
tauglich ist, dafs sie ihn beherrscht, in Bewegung setzt, 

und zwar« unmittelbar, ohne die Dazwischenkunft einer 

* 7 0 , 

anderweitigen Bedingüng. \J^ 

Mit unauflöslichen Widersprüchen sind daher die Irr- 
lehren älterer und neuerer Zeit behaftet, welche aufser 
der vernünftigen Seele noch andere Bewegkräfte und Thä- 
tigkeitcn des Körpers aufstellen, da jene wegen ihrer im- 
materiellen Natur dazu nicht geeignet sei. Wie kann aber 
wohl die Seele mit diesen anderweitigen Agenzien in Ver- 
bindung treten und mit ihnen Zusammenwirken, da die- 
selben entweder immateriell sein müssen, und alsdann 
nicht auf den Körper zu wirken vermögen, oder wenn sie 

von materieller Art sind, für die Seele kein Medium zu 
, • 
ihrer Wirkung auf den Körper abgeben können? Es ist 

eine leere Ausflucht, wenn man einen Unterschied zwi- 
schen gröberen und feineren Materien machen, und die 
letzteren der Seele für näher verwandt, mit ihr vereinba- 
rer halten will. Ueberdies müfste man diefen Agenzien 
nicht blos die Erkenntnifs des Zwecks und der Ordnung 
. ihres Wirkens beilegen, sondern sie würden diese selbst 
noch in einem höheren Grade, als die Seele besitzen, da 
sie aulser dem Bewufstsein der Art, der Zeit und Gröfse 
ihrer Thätigkeit auch noch die Absichten der Seele, und 
zwar genau unter denselben Verhältnissen, wissen rnüis- 
ten, um ihnen entsprechen zu können. Von nicht besse- 
rer Art ist die Hypothese einiger Neueren, dafe die dem 
Willen der Seele im Körper dienstbaren Bewegungen nicht 
im concreten Sinne von einem Bewegenden ausgeübt oder 
geleitet würden, sondern abstrakt gedacht für sich . im 
Körper beständen, und sich nach einem von Gott ihnen 
vorgeschriebenen Gesetz richteten, wenn sie in ihrem Laufe 
nicht durch glcichgeartete, aber zufällig hiuzutretenden Din- 
gen inwohnende Bewegungen aufgehalten würden. Denn 
mit dieser Ansicht ist die Abhängigkeit jener Bewegungen 


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/ 


p 


von dem Willen der Seele, zu deren Gebrauch die Sinnes- 
thätigkeit und Muskelwirkung schlechthin bestimmt sind, 
nicht vereinbar; auch läfst sich daraus in Bezug auf die 
Lebensverrichtungen weder der Einflufs, den Leidenschaf- 
ten auf den Körper haben, noch der, welcher von der 
Mutter auf die Bildung des Kindes in ihrem Schoofse aus- 
gelit, erklären. Ohne diese Theoreme in ihre einzelsten 
Theile zu verfolgen, genüge es, sie im Allgemeinen nach 
ihren wesentlichsten Verschiedenheiten darzustellen. 

Die ältere Schule, welche der vernünftigen Seele noch 
andere selbstständige Kräfte im Körper zugesellte, bczeich- 
nete diese gleichfalls als Seelen, und stellte als solche die 
vegetative und die sensitive auf; erstere sollte dem Le- 
bensprozefs und dem Geschäft der Ernährung vorgesetzt, 
der anderen die Sinne und Muskeln untergeordnet sein. 
Unter diesen Seelen wurde allein der vernünftigen ein Er- 
kenntnisvermögen zugeschrieben; indefs auch die vegeta- 
tive und sensitive sollten ihr Geschäft nach einer gewis- 
sen Kenntnifs verrichten, also ein Bewufstsein von dem- 
selben haben, um es mit Maafs und Ordnung vollziehen 
zu können. Noch einer früheren Zeit scheint die Meinung 
anzugehören, dafs die alleinige menschliche Seele, welche 
wegen ihres eigen thümlichen und edleren Vermögens die 
vernünftige genannt wurde, auch jene untergeordneten und 
geringeren Kräfte in sich vereinige, aus dem triftigen 
Grunde, dafs, wer das Gröfsere vermag, auch das Kleinere » 

kann. Indefs die bei den Alten herrschende Vorliebe für 
abstrakte Lehren verdarb diesen an sich gesunden Begriff 
durch die Vorstellung von verschiedenen, in der Seele ent- 
haltenen substanziellen Kräften und Fähigkeiten, die mit- 

■\ 

hin als etwas Reales und positiv Thätiges auf Geheifr der 
Seele deren Auftrag ausrichten sollten. Diese Richtung 
führte zu einer Vervielfältigung unfruchtbarer Begriffe, un- 
ter denen besonders die Annahme von Geistern in späte- 
rer Zeit sich auszeichnetc. Denn da man thörigter Weise 
als einen Kanon die Behauptung aufgestcllt hatte, dafs 


/ 


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92 


* 

zwischen dem Materiellen und Immateriellen keine Ver- 
bindung statt finden könne* so schien dadurch ein starker 
Zweifel gegen die Immaterialität der Seele begründet zu 
werden. Um daher diesen Anstofs zu meiden, und die 
Mönche, welche lieber das Schwert als die Sichel in die 
Erndte anderer trugen, mit schön klingenden Worten und 
mit dem eitlen Dunst von Spekulationen zu beschwichti- 
gen, schoben die Acrzte die Dichtung von Geistern ein. 
Zwar mufs einem Knaben der vorhin bereits aufgedeckte 
Widerspruch dieser Lehre in sich schon einleuchten; in- 
defs wurde doch der Klerus, welcher sich das Recht an- 
maafste, über die geistigen Dinge abzusprechen, und ketze- 
rische Lehren über sie als gefährlich verdammte, durch 
- diesen geschickten Kunstgriff der Aerzte entwaffnet. Letz- 

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tere liefsen daher ihre Geister der Seele unterworfen sein, 
der sie als blofses -Werkzeug dienen sollten, welches an 
sich aus eigenem Antriebe nichts vermögte, und seiner Be- 
stimmung nach auch nicht selbstständig thätig sein dürfte, 
sondern allein von der Seele, je nachdem sie es zu ihrem 
Gebrauch für nöthig erachtete, in Anwendung gesetzt würde. 
Sie nahmen ferner eine Verschiedenheit unter den Geistern 
an, je nachdem diese in die Thcile einströmten, oder darin 

i 

schon vorhanden seien, um die Schwierigkeiten zu lösen, 
welche die Lebensthätigkcit sowohl mit ihrer überaus 
schnellen Fortpflanzung, als mit ihrer sehr bedeutenden 
Wirkungskraft der Erklärung darbietet. Sie würden sich 
weit leichter geholfen haben, wenn sie die Nerven, welche 
Kanäle für die Geister sein sollten, von diesen stets erfüllt 
sich gedacht hätten, weil das Volle einem Continuum gleich 
zu achten ist, und somit die schwer zu begreifende Vor- 
stellung einer augenblicklichen Fortleitung der Thätigkeit, 
z. B. von dem Gehirn nach den Zehen, vermieden wird. 
Noch unangemessener war die Vergleichung der Lebens- 
geister mit dem Lichte, dessen unbegreiflich rasche Bewe- 
gung die Schnelligkeit jener erklären sollte; ja es gingen 
einige so weit, die Aehnlichkeit beider zur Gleichheit zu 

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93 

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machen, und zu glauben, dafs die Geister ihr Wirken durch 
ein Leuchten vollbrächten. 

Wie. es zu geschehen pflegt, dafs übelverstandene Vor- 
stellungen schwerbegreiflicher Dinge die verschiedenartig- 
sten Hypothesen erzeugen; so ging aus den angeführten 
Meinungen eine in ihrer Zusammensetzung noch verwor- 
renere, die vom Arcliäus hervor. Dieser sollte in jedem 
andern Sinne der anima vegetativa der Alten gleichen; 
doch nahm Helmont in den Begriff desselben noch die viel- . 
faltigen Bezeichnungen der Lebensgeister als inwohnender 
und einströmender auf, ja er überwies jedem Organe einen 
ihm eigcnthümlichen Geist. An anderen Orten redet er 
von der anima vegetativa der Alten unter dem Namen 
eines Geistes, der theils ein Spiritus vitalis , bald wieder 
ein sp. animalis sein sollte. Allen diesen, dem Archäus 
sowohl als den Geistern, legte ei^ ein mit Bewufstsein ver- 
gesellschaftetes Handeln bei, welches also das Vermögen 
einer geregelten Thätigkeit in sich schlofs, und in sofern 
vermöge seiner Selbstständigkeit die Beihülfe der Seele 
nicht bedurfte, letzterer vielmehr gar keine Theilnahme 
gestattete. Macht man gegen diese Lehre den mächtigen 
Einflufs der Leidenschaften auf den Pulsschlag, die toni- 
schen und unwillkührlichen Bewegungen, ja selbst auf die 
Bildung des Körpers geltend; so nennen einige diese That- 
sachen Wunder, ohne jedoch damit etwas zu erklären; an- 
dere schieben eine ganz falsche Erklärung ein, indem sie 
sich dafür des Ausdrucks Aufruhr bedienen. Aber ein 
solcher waltet bei jenen Ereignissen gar nicht ob, da ihnen 
keine regellose Bewegung, sondern eine bestimmte Absicht 
und Richtung zum Grunde liegt, die z. B. beim Erbrechen 
und Ekel sich sehr deutlich erkennen läfst. 

Gegen die Lehre, dafs die Lebensbewegungen von der 

Seele ausgehe» und geleitet werden, erhoben jene noch den 

Einwurf, dafs letztere dann davon ein Bewufstsein und eine 

Erinnerung haben müfste, die ihr aber nicht gegeben seien. ^ 

Um darüber ins Klare zu kommen, mufs man den schon 
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94 


früher erwähnten Unterschied zwischen einfachen Vorstei- 
lungen, und den zusammengcsetzeu, welche aus der Ver- 
gleichung mehrerer Objekte hervorgehen, wohl beachten. 
Denn die ersteren beziehen sich auf einfache und höchst 
zarte Gegenstände, die vom Be wulstsein zwar aufgenom- 
men, und unterschieden, aber nach der gewöhnlichen Vor- 
stellungs weise keinen Stoff für das Denken und das Ge- 

i / 

dächtnifs abgeben können. Hierher gehören z. B. die Ge- 
rüche, die Arten des Geschmacks, die Farben, Töne, selbst 
die Eindrücke des Tastsinnes, welche zwar nach den Din- 
gen, an denen sie Vorkommen, unterschieden, aber weder 
in Begriffe verwandelt, noch vom Gcdächtnifs aufbewahrt 
werden können, weil ihnen jede Form abgeht, unter wel- 
cher sie sich in demselben aufzeichnen lielsen. Diese Be- 
dingung wird bei den zusammengesetzten Vorstellungen 
erfüllt, welche aus den Sinnen des Sehens* und Tastens 
entspringend, als deutliche Figuren erscheinen, und als 
solche vom Verstände und Gedächtnifs aufgefafst werden 
können. 

% 

Ein ungleich wichtigerer Grund ist es, dafs die Seele 
nicht einmal die eigenthümliche Art der Vernunfthätigkeit 
zergliedern, und sich darüber kein Bcwufstscin verschaffen 
wie dieselbe zu Stande kommt, noch sich dessen erinnern 
kann. Eben so verhält es sich mit Handlungen der rei- 
nen Willkühr, z. B. beim Werfen nach einer bestimmten 
Entfernung, nach welcher das Maafs der darauf zu ver- 
wendenden Muskelkraft abgewogen werden muis. Des- 
gleichen, welche Ueberlegung findet wohl bei der Ab- 
schätzung des Angenehmen oder Widerwärtigen statt? Mit 
einem Worte, was nimmt wohl die Seele mit ihrem Be- 
wufstsein und Gedächtnifs auf von ihren eigentümlichen 
Thätigkeiten (hierbei mag ihres Wesens, ihrer Beziehung 
zu sich und dem Leibe gar nicht einmal Erwähnung ge- 
schehen) von deren Verbindungen, Verhältnissen, Ordnun- 
gen und Reihefolgen? 

Stellt man das Gesagte zusammen, so ergiebt sich, 


\ 


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dafe Begriffe und Gedächtnifs nur äufsere Dinge zum Ge- 
genstände haben können, welche nach ihren Dimensionen 
von den Sinnen des Gesichts und Getasts unter einer be- 
stimmten Form sich auffassen lassen, dagegen alles andere, 
was weder äufserlich ergriffen, noch bildlich dargestellt 
werden kann, jenen Erkenntnifskräften unerreichbar bleibt. 


Zweites Kapitel. 

Von dem Verhältnifs, in welchem die mate- 
rielle Beschaffenheit des Körpers zum Le- 
ben steht. 

Zum deutlicheren Verständnifs des Lebens, als der Er- 
haltung des Körpers in der Beschaffenheit seiner Mischung, 
ist es nöthig, die Eigentümlichkeiten derselben, welche zu 
seiner Bestimmung notwendig, und daher von ihm unab- 
trennlich sind, näher zu erwägen. Da nämlich seine Sub- 
stanz Behufs der gröberen Muskelbewegungen und der fei- 
neren Sinnestätigkeit durchaus biegsam sein mufste, diese 
Eigenschaft aber mit einer starren Materie sich nicht ver- 
einigen läfst, so mufs sein Aggregatzustand Zähigkeit und 
Weichheit mit einander verbinden. Eine solche Bedin- 
gung wird durch die schleimigt-öligte Mischung verwirk- 
licht, welche allen biegsamen Theilen des Körpers eigen 
ist, die zugleich die starren Zusammenhalten. Da die ge- 
dachte Mischung, um der Biegsamkeit in einem hohen 
Grade teilhaftig zu werden, einen Zusatz von Wasser er- 
forderte, letzteres aber, wie bekannt, mit dem Oele keine 
dauerhafte Verbindung einzugehen vermag, sondern beide 
durch eine Gährung sich von einander loszureifsen suchen, 
so wird hierdurch bewirkt, dafs die Mischung des tieri- 
schen Körpers diese Eigentümlichkeit beibehält, und da- 
her 'zu einer fauligten Verderbnils stets geneigt bleibt. 


96 


Wenn auch die formalen Bedingungen des thierischen 
Körpers mehr von seiner Struktur, als von seiner Mischung 
abhängig sind; so setzt erstere doch sowohl beim Akt der 
Bildung, als bei den Verrichtungen, für die sie bestimmt 
ist, eine angemessene Mischung voraus; sie würde daher 
alsbald gänzlich vernichtet werden, wenn die Trennung 
der kleinsten Theilchen (Elemente), aus deren Verbindung 
sie hervorgeht, zu Stande käme. Diese Geneigtheit der 
thierischen Materie zur Zersetzung wird noch durch zwei 
Bedingungen sehr erhöht, nämlich durch die Verbindung 
derselben mit Wasser, und durch die Wärme. In Bezug 
auf ersteres, wird indefs weiterhin erörtert werden, in 
wiefern dasselbe vielmehr dem Akte der Erhaltung dien- 
lich ist. Aber auch die Wärme wird dadurch nützlich, 
dafe sie theils die zähe Konsistenz vor der Wirkung einer 
überwiegenden Feuchtigkeit schützt, theils dafs sie die fein- 
sten, flüchtigsten, und daher verderblichsten Theilchen in 
Dunstgestalt auflöset und verjagt, und somit die übrige Sub- 
stanz des Körpers in unverletzter Beschaffenheit dauernd 
erhält. . . 

Jene Verderbnils, welcher der Thierkörper ausgesetzt 
ist, gehört zum allgemeinen Geschlecht der Gährungen ; im 
engeren Sinne stellt sie sich als eine fauligte dar, welche 
als letzter Grad derselben die Materie innigst und voll- 
ständig durchdringt, und, sobald sie einmal aufgetreten ist, 
einen ungemein rasdien Fortgang nimmt. Um so dringen- 
der ist daher die Nothwendigkcit, ihr nicht nur beim Ent- 
stehen zu begegnen, sondern ihr vielmehr zuvor zu kom- 
men, ehe sie noch sich ausbilden und um sich greifen 
konnte; letzteres besonders deshalb, weil das Verfahren, 
welches ihrer Entstehung vorbeugt, ganz erfolglos bleibt, 
sobald sie auf eine bemerkliche Weise Eingang in den 
Körper gefunden hat. Denn jene vorkehrende Methode 
geht von Bewegungen aus, welche in zartester Form das 
Innerste der Organe durchdringen, um aus ihnen die flüch- 
tigsten Theilchen, welche sich aus dem innigeren Zusam- 
men- 


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97 


menhange losreifsen, zu entfernen, und somit die Struk- 
tur derselben in ihrer Zusammensetzung aus eng verbun- 
denen Elementen unverletzt zu erhalten. .Wenn .es aber 
schon so weit gekommen ist, dafs die Yerderbnifs selbst 
die Struktur zerstört, folglich die durchdringenden Reini- 
gungsbewegungen unmöglich gemacht hat; so müssen, wenn 
nicht eine aufserordentliche Bedingung zur Erhaltung hin- 
zutritt, nicht nur die zersetzten Massen in ihrer Auflösung 
fortschreiten, sondern auch den angrenzenden Theilcn wird 
ein gleicher fauligter Gährungsprozefs einverleibt. 

Wiewohl diese Sätze für den ganzen Körper gültig 
sind, so zeichnen sich doch einige seiner Theile durch ihre 
vorwaltende Geneigtheit zur Zersetzung aus. Unter diesen 
steht das Blut obenan, welches das auffallendste Beispiel 
sowohl der Hinneigung zur Auflösung, als einer feinen 
sehleimigt-öligtcn Mischung giebt, weshalb es auch des 
Schutzes der erhaltenden Thätigkeit in einem hohen Grade - 
bedarf. Indem dieser ihm zu Theil wird, verleiht es ihn 
auch allen Organen, da es vermöge seines Kreislaufs wäh- 
rend seines Durchganges durch sie von ihnen die sich los- 
trennenden Theile abspült, und diese bei seinem Fort- 
gänge mit sich hinwegnimmt. Vorzüglich deutlich wird 
dieser Hergang bei der Entzündung, wo allein der in einem 
höheren Grade und zu einer bedeutenderen Heftigkeit an- 
getriebene Kreislauf es bewirkt, dafs das stockende Blut 
nicht weiter zersetzt, sondern durch die ununterbrochene 
Hinwegnahme der feineren verdorbenen Theilchen daran 
verhindert wird; widrigenfalls letztere die innere Bewe- 
gung desselben vermehren, und die brandigte, d. h. die 
wirklich fauligte Verderbnifs einleiten würden. Jenes Mit- 
tel reicht aber zu diesem Zweck vollkommen aus, und ist 
die einzige Veranstaltung, welche dazu im Körper getroffen 
werden konnte. Je weiter indefs ein' Theil wegen der 
Beschaffenheit seiner Mischung von dieser Neigung zur 
Fäulnifs sich entfernt, desto minder ist die Gefahr, desto 
zögernder aber auch der Verlauf der Verderbniis, welche 

Stahl’s Theorie d. HeiLk. I. 

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* 

dann unter der Form von Geschwüren auftritt. In diesem 
Falle werden daher auch nicht so beschleunigte Heilbewe- 
gungen, weder in dein ergriffenen Theile, noch in dem 
ganzen Körper unternommen. Hierher gehören die blut- 
armen Theile, die Häute, Sehnen, Bänder, Drüsen, Kno- 
chen und Knorpel. 

Da die Mischung den Vorrang der Priorität hat, weil 
die Struktur schon einen specifischen Charakter der che- 
mischen Verbindung der kleinsten Theilchen voraussetzt, 
folglich die Trennung des letzteren eine gänzliche Zerstö- 
rung der Struktur noth wendig nach sich zieht $ so ergiebt 
sich hieraus, dafs die unmittelbaren Verletzungen der or- 
ganischen Form als solche eine geringe Lebensgefahr her- 
beifiihren, leichter ertragen und schneller geheilt werden; 
während die Entartungen der Mischung einen intensiveren 
Widerstand und eine stärkere, angestrengtere Aufregung 
der Lebenskräfte hervorrufen müssen, da ein gewisser Tod 
des erkrankten Theils bevorsteht, wenn letztere entweder 
ganz auf hören, oder in ihrem Wirken zu zögernd und be- 
schränkt sind. Die Struktur hat die organische Naturkraft 
(als Bildnerin) ganz in ihrer Gewalt, dagegen sie ihre 
Herrschaft über die Mischung mit den makrokosmischen 
Einflüssen, welche die Zersetzung begünstigen, theilt. Wenn 
daher ihre eigentümlichen Erhaltungsbewegungen, welche 
sich als Sekretionen, Exkretionen, und Ersatz der verloren 
gegangenen Substanz zu erkennen geben, in Stocken gera- 
then; so üben jene makrokosmischen Einflüsse der W ärme, 
der Luft und der Feuchtigkeit in ihrer VereiniguUg eine 
eben so grofse Wirkung auf die verdorbenen Theilchen in 
dem noch lebenden Körper aus, als wenn das entartete 
Organ von ihm getrennt wäre, oder einem todten an- 
gehörte. 

Zur Erklärung der Ausdrücke, welche das angestrengte 
Wirken der Lebcnsthätigkeil betrafen, werde hier vorweg- 
nehmend nur so viel bemerkt, dafs letzteres nicht -nur 
einen hohen Grad von Anspannung, sondern auch ein Er- 


i 


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99 


, * / 

zittern und Schwanken derselben bezeichnen , wenn • ihr 

in dem verletzten Theile grofse Hindernisse entgegenste- 
hen, ja dafs sie (zumal beim Menschen) aus diesem im 
schlimmsten Falle gleich Anfangs gänzlich entweicht, und 
der Fäulnifs freien Spielraum lälst. Wenn dagegen die 
Lebensthätigkeit zu dem entarteten Theile ungehinderten 
Zutritt fortwährend findet, so schränkt sie die örtliche 
Verderbnifs, z. B. Geschwüre, in bestimmte Grenzen ein, 
welche diese oft in sehr langer Zeit nicht überschreiten 
können. 


Drittes Kapitel. 

Von der Struktur des Körpers im Allge- 
meinen. 

4 

Damit die Struktur auf die erforderliche Weise zu 

v 

Stande kommen könne, ist nicht nur für jeden Theil eine 

% 

Auswahl der für denselben passenden ^»terie^nothwendig, 
die z . B. in den Knochen, Sehnen, Lßtyjjgfr ^Muskeln, eine 
angemessene Beschaffenheit annclimen mufs; sondern es 
gehört dazu auch noch eine besondere und eigenthüm- 
liche Lage der Organe, deren Gestalt unter dieser Bedin- 
gung sich ihrem Zweck gemäfs ausbildcn kann. Es kommt 
aber bei der Struktur der Theile nicht sowohl auf ihren 
• äufseren Umfang, als vielmehr auf die innere Gestaltung 
derselben nach Fasern, Kanälen und Poren an, welche 
nothwendig nach einer bestimmten Ordnung gebildet sein 
müssen. 

Zu' weit vom Wege abführen würde eine weitläufige 
Erörterung der Frage: ob das bildende Princip, welches 
den organischen Bau nach einer so bewunderungswürdi- 
gen Regel aufluhrt, auch die Mischung hervor bringen könne. 
So viel ist indels gewifc, dafs ihm eine Kenntnifs dersel- 

7 * 


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100 


% \ 

bcn eigen sein müsse, um jedem Organe die ihm zükom- 
menden Mischungs-Theile einverleiben zu können. Den 
Pflanzen läfst sich das Vermögen, ihre chemische Zusam- 
mensetzung zu bewirken, wohl nicht streitig machen, da 
diese sogleich bei der ersten Bildung einen eigenthümli- 
chen Charakter, der aufserdem nirgends angetroffen wird, 
an sich tragen. Der in ihnen vorherrschende öligte Be- 
standtheil, welchen sic .in so reichlichem Maafse enthal- 
ten, wird ihnen nicht aus der Erde zugeführt, da die fet- 
testen Vegetabilien, die Nadelhölzer, auf dem dürrsten 
Sande wachsen, in welchen die Wurzeln nicht einmal 
tief eindringen. Eben so wenig lassen sich in der Luft 
öligte Theilchen nachweisen, und erwägt man die zahl- 
losen Verschiedenheiten der Pjflanzen nach Geschmack und 
Farbe, ja die individuellen Eigenthümliclikeiten, durch 
welche die Thiere aufser den ihren Arten zukommenden 
Verschiedenheiten sich auszeichnen; so mufs die Erklärung 
derselben aus einer Panspermie der Luft sehr fabelhaft 
klingen. Denn wollte man diese gelten lassen, so müfste 
doch irgend eine Ursache, etwa ein Instinkt, vorausgesetzt 
werden, welcher ftir jede Species die ihr bestimmten Mi- 
schungstheile auswählte. Doch wie schwer begreiflich eine 
solche Vorstellung, welche an den Begriff des Wählens zu- 
gleich den des freiwilligen Autnehmens und Verbindens 
knüpfte, auch sein mögte; so würde doch die Meinung 
noch schwerer zu verstehen sein, nach welcher die Mi* 
schungstheile von selbst in die Individuen eindringen soll- 
ten, und zwar der Verschiedenheit ihrer Art gemäfs, folg- 
lich in einer derselben entsprechenden Beschaffenheit, Ord- 
nung, Zahl, Lage, wie sie demnächst wirklich angetroffen 
werden. Wenn schon bei den Pflanzen diese Fiktion nicht 

i 

durch die Annahme von Poren gerechtfertigt werden kann, 
welche unsichtbar und unendlich klein dieselben in allen 
Richtungen durchdringen, und vermöge ihrer eigcnthüinli- 
chen Gestalt nur die derselben entsprechenden Partikelchen 

aiifhehmcn sollten; so ist bei den Thicren, zumal dem 

\ 

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Menschen, eine solche Hypothese vollends unzulässig, weil 
deren Bildung durch eine irre geleitete Phantasie der Mut- 
ter dergestalt abgeändert werden kann, dafs sie sich selbst 
aufser der dem Gattungsbegriff zukommenden Eigenthüm- 
lichkeit durch ganz individuelle Abweichungen auszeichnet. 

Wenn in Bezug auf die Mischung eine sorgfältige Aus- 
wahl unter den aufzunehmenden Stoffen veranstaltet wer- 
den mufs, damit jene nicht nur im Ganzen, sondern auch 
in seinen kleinsten Theilen, deren Bestimmung gemäfs sich 
gestalte; so sind hier noch insbesondere die näheren Be- 
dingungen der Bildung durch das Zusammenlugen der Mi- 
schungstheile in Betracht zu ziehen. Letztere, weiche durch 
das Zusammentreten jedes einzelnen mit dem nachbarlichen 
den Aufbau des Ganzen vollbringen, müssen dazu in einer 
bestimmten Zahl vorhanden sein, weil alle Organe bei der 
Entwickelung ein bestimmtes Gröfsenverhältnifs sowohl un- 
ter sich, als in Bezug auf das ganze System behaupten. 
Ein zweites wesentliches Erfordernifs ist die Lage, nach 
welcher die Bestandteile der Organe sich dergestalt von 
einem Punkte zum andern an einander reihen müssen, dafs 
nicht nur die eigenthümliche Gestalt und Gröfse derselben 
herauskommt, sondern auch deren Verhältnifs zu einander 
von dem ersten Augenblicke der Bildung an bis zur letz- 
ten Stufe der Entwickelung sich gleich bleibe. Eben so 
wichtig ist das gemeinschaftliche Verhältnifs der Lage, in 
welchem die verschiedenen Organe zu einander gestellt 
sind, daher sie in ihrer Gröfse sich gegenseitig bestimmen, 
was besonders bei der Vergleichung der rechten Körper- 
hälfte mit der linken auffallend deutlich wird. Abge- 
schmackt wäre es, sich die Erfüllung dieser Bedingungen 
•etwa auf eine solche Weise verwirklicht zu denken, als 
wenn das Ganze, in einem Topfe gekocht, von gewissen 
allgemeinsten Ursachen ins Werk gesetzt wäre. 

Nicht zu übersehen ist aber noch die besondere Ein- 
richtung der Struktur, welche die Organe zur Ausübung 
ihrer Verrichtungen haben müssen. Wenn überhaupt jedes 


102 


i 

Werkzeug allen Werlh verliert, sobald dessen Gestalt zu 
seinem mechanischen Gebraüch nicht pafst; so ist es bei 
den organischen Werkzeugen noch noth wendiger, dafs sie 
der Zahl und Lage ihrer Bestandteile nach auf das voll- 
kommenste zur Erreichung ihrer Zwecke eingerichtet sind. 
Aus diesen Gründen leuchtet wohl unwidersprechlich her- 
vor, dafs das bildende Princip bei der Gründung des or- 
ganischen Baues mit Ueberlegung zu Werke gehe, da es 
eine Kenntnifs von dem mechanischen Verhältnisse der 
Organe zu den durch sie zu vollziehenden Verrichtungen 
haben mufs; und schliefst man aus diesen nicht zu bestrei- 
tenden und im systematischen Zusammenhänge stehenden 
Vordersätzen weiter, so kann man nicht umhin, die Seele 
selbst als jenen Werkmeister anzuerkennen, da sie der Be- 
dingungen aller organischen Thätigkeit kundig ist, diese 
seihst vollzieht, und durch sie die verlangte Absicht aus- 
richtet '• 

Was außerdem noch hierher gehört, wird im Ab 
schnitt von der Ernährung Vorkommen. 


Viertes Kapitel 

Von den organischen Einrichtungen zur 

Erhaltung des Lebens. 

> * 

Die werkzeuglichen Bedingungen zur Erhaltung des 
Lebens sind in drei Klassen von Bewegungen enthalten, 
deren jede ein System verschiedenartiger Operationen bil- 
det. Die erste unter ihnen begreift den Kreislauf des Blu- 
tes in sich, dessen Kemitnifs den. alten Aerztcn abging, 

i *• 

welche deshalb durchaus unvermögend waren, zu einer 
richtigen physiologischen und pathologischen Theorie, so- 
wohl in Bezug auf die geschichtlichen Darstellungen der 
Lebenserscheinungen, als in Hinsicht auf ihre ursächliche 


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103 


Erklärung, zu gelangen. Um so tadelnswerther sind die 
Neueren , dafs' sie * die ihnen dargebotene wichtige Ent- 
deckung nicht besser zu würdigen, und von ihr nicht den 
richtigen Gebrauch zu machen wufsten. 

Die Alten glaubten, das Blut sei in seinen Gefafsen 

' * , ‘ 

dergestalt eingeschlossen, dafs es gleich den stehenden Ge- 
wässern blas als Flüssigkeit der Bewegung fähig, nicht 
aber dafs ihm diese ununterbrochen und nach allen Rich- 
tungen fortschreitend eigen sei. Nur von der Seele werde 

ß 

es den einzelnen Theilen des Körpers, wenn sie dessen 

bedürften, im reichlichem Maafse zugeführt, und zwar ver- 

* _ 

mittelst der Lebensgeister, welche im Dienste der Seele 
jene Leitung des Blutes nach bestimmten Richtungen be- 
wirkten. In dieser Meinung bestärkte sie besonders die 
alltägliche Beobachtung, nach welcher ein starkes Zuströ- 
men desselben nach Theilen, welche von einem bemerk- 
baren äufseren Reize betroffen werden, rasch erfolgt, z. B. 
bei heftig gereizten Wunden, Quetschungen, die mit leb- 
haften Schmerzen vergesellschaftet sind, Verbrennungen, 
selbst bei den einfachen Stockungen des Blutes. Sie woll- 
ten hieraus zugleich erklären, wie das Blut, dessen Ver- 
zehren und Zerfallen von allen Einsichtsvolleren anerkannt 
wurde, durch Nahrung ersetzt werden könne, welches, 
durch ein Anziehen und Aufsaugen der ernährenden Flüs- 
sigkeiten durch die Gefäfse geschehen sollte. Aulserdenr 
schrieben sie den Lebensgeistern noch das Vermögen zu, 
dem Blute seine gehörige Flüssigkeit und Mischung zu er-, 
halten, daher sie auch den Absonderungen und Ausschei- 
dungen der überflüssigen, abgenutzten und entarteten Theil- 
chen vorstehen sollten. 

Eine andere Gestalt gewann diese Lehre bei den 
Neueren, als es ihnen glückte, die fortschreitende Bewe- 
gung des Blutes aus dem Herzen in die Gefafse, und seine 
Rückkehr aus diesen in jenes in Erfahrung zu bringen. 
Sie erkannten dies an zwei Thatsachen, die sich im leben- 
den und todten Körper wahmehmen lassen. Die erste be- 


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104 


trifft die Unterbindung der Gefäfse, wenn das Blut in ihnen 

noch strömt, denn die unterbundenen Arterien schwel- 

, / 

len zwischen dem Herzen und dem Bande an, entleeren 

6ich zwischen letzterem und ihren in den einzelnen Thei- 

len verbreiteten Verzweigungen, und bestätigen somit, dals 

♦ 

in ihnen das Blut vom Herzen nach den letzteren hin fort- 
bewegt wird. Wenn dagegen die Venen unterbunden wer- 
den, so entleert sich ihr Inhalt zwischen dem Bande und 
dem Herzen in letzteres, während sie von jenem bis zu 
den äufseren Thöilen anschwellen, zum deutlichen Beweise, 

dals durch sie das Blut zum Herzen zuriiekströmt. Ein 

* • * 

anderes Zeugnils für diesen Kreislauf legen die sowohl in 
den kleineren Gefäfszweigcn, als vorzüglich im Herzen und 
deri gröfseren Gefafsstämmen ah ihren Mündungen vor- 
handenen Klappen ab, welche in den Arterien zwar den 
ungehinderten Fortgang des Blutes aus dem Herzen in sie 
gestatten , aber sein Zurückfallcn in letzteres verhindern, 
während sie in den Venen in umgekehrter Richtung wohl 
den freien Eintritt desselben in die Herzhöhlen zulassen, 
aber seiner Rückkehr aus diesen in die Venen ein Hinder- 
nils entgcgenstellcn. In den Venen nimmt man selbst an 
den Verzweigungen ihrer Stämme Klappen wahr, welche 
den Rücktritt des Blutes aus ihnen in ihre Aeste vermöge 
ihres Mechanismus auf eine offenbare Weise verhindern. 
Da überdies das Herz während seiner Diastole eine ge- 
wisse Blutmenge enthält, welche es bei der Systole aus- 
- treibt; so spricht schon die Vernunft dafür, dafs hier eine 
andere Bewegung des Blutes obwalten müsse, als das Aus- 
treiben und Zurückfallcn eines und desselben Theiles des 
Blutes. Mit vollem Rechte nannten die Neueren diese 
Blutbewegung eine fortschreitende, im Gegensätze zu der 
inneren, welche blos durch seine Flüssigkeit und Wärme 
bewirkt werden sollte, und eine kreisförmige, und zwar 
in dem Sinne, dafs dasselbe zu dem Punkte, von welchem 
es ausgegangen war, nach einem weiten Umwege in einer 
Kreislinie zurückkehrt 




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105 




! Zum deutlicheren Verständnis des Wesens dieser fort- 
! schreitenden Bewegung des Blutes muls man sowohl die 
: Masse desselben, als die Bedingungen in Betracht ziehen, 

I welche seinen Kreislauf hervorbringen, und die Wirkun- 
gen, welche dieser auf dasselbe ausübt. Ferner gehört hier- , 
her die Einrichtung der Werkzeuge* durch die jener Kreis- 
lauf vollbracht wird, die Beschaffenheit der Tlieilc, welche 
er durchdringt 5 endlich der einleuchtende und noth wen- 
dige Nutzen und Erfolg, den derselbe in Bezug auf die 
Erhaltung der Blutmischung und des gesammten Lebens- 
prozesses hat. 

Was den ersten Punkt betrifft, so stellt das Blut eine 
aus drei Arten von Flüssigkeiten zusammengesetzte hete- 
rogene Masse dar. Unter denselben zeichnet sich zuvör- 
derst das im engeren Sinne genommene Blut als eine rölh- • 
liehe Substanz aus, welche für sich, aufser dem Zusam-, 
menliange mit den anderen Flüssigkeiten leicht austrock- 
net, und in Verbindung mit letzteren gleichsam als ein 
sehr zartes Pulver aufquillt und eine schleimartige Beschaf- 
fenheit annimmt. Das gewöhnlich sogenannte Blut erscheint 
daher unter dem Mikroskop als eine durchsichtige Flüssig- 
keit, in welcher röthliche Kügelchen schwimmen, die das 
eigentliche Blut ausmachen. Den zweiten Bestandtheil des 
Blutes bildet die zur Ernährung erforderliche Lymphe, 
welche unter einer feinen gallertartigen Gestalt den gan- 
zen Vorrath an Theilchen enthält, welche in die Mischung 
der einzelnen Organe einzutreten geeignet, doch im Blute 
noch ungebunden, also ohne nähere Vereinigung vorhan- 
den sind. Diese Lymphe entspringt unmittelbar aus dem 
Chylus, welcher daher auch, ehe er in sie umgewandelt 
ist, dem Blute zugemischt mit ihm umkreiset. Der dritte 
flüssige Mischungstheil des Blutes, welcher den gröfsten 
Theil seiner Masse ausmacht, ist das Serum, ein Inbegriff 
von Säften, welche nicht nur zum allgemeinen Gebrauch 


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106 


für den Körper, zur Ernährung seiner Theile und zum Er- 
satz des eigentlichen Blutes und der Lymphe untauglich 
sind, sondern auch den Körper belästigen, leicht eine 
Verderbnifs in ihm erzeugen und weiter verbreiten, und 
daher als Auswurfstoffe anzusehen sind. Zu einem gro- 
ßen Theile stammt zwar das Serum aus den Nahrungsmit- 
teln ab; nicht weniger geht es aus dem in seiner Mischung 
äufgelösetcn und zerfallenden Blute hervor. Aufser einem 
sehr reichlichen Antheil von Wasser enthält es sehr flüch- 
tige Theilchen, welche zum Orgasmus, Verdunstung und 
Gährung geneigt, und daher salzigt, schleimigt und öligt 
sind. Ihr quantitatives Verhältnis entspricht der Reihe- 
folge, in der sic aufgeführt sind, daher die Menge des 
Wassere bei weitem die überwiegende ist. 

So geht also das Blut aus der Zusammenmischung die- 
ser Säfte hervor, welche fortwährend durch einander be- 
wegt, gleichsam eine Emulsion daretellen, aber bei der ge- 
ringfügigsten Veranlassung sich wieder von einander tren- 
nen. Wenn z. B. dem Körper Blut entzogen wird, so 
scheidet sich von demselben sogleich das wässrige Serüm 

aus, und schwimmt oben auf, während der dicklichere 

• • 

Theil sich als jener röthliche und gallertartige Bestand- 
theil absondert. Wird derselbe ausgetrocknet, so bleibt er 
nur in geringer Menge, welche kaum den neunten oder 
zehnten Theil des Ganzen beträgt, zurück, nachdem alles 
Uebrige in Dunstgestalt entwichen ist. Das arterielle Blut 
enthält jenen in einem gröfseren Verhältnifs als das ve- 
nöse, besondere dasjenige, welches aus den Unterleibsein- 
geweiden zurückkehrt; denn überall, besondere aber in 
letzteren, trennt sich ein Theil der Lymphe vom arteriel- 
len Blute, und gelangt durch besondere Behältnisse, folg- 
lich auf anderem Wege, wieder zum venösen Blute kurz 
vor dessen Eintritt in das Herz. Doch bleibt auch . ein 
ansehnlicher Theil der Lymphe dem venösen Blute fort- 
während beigemischt. 

Die Mischung des- eigentlichen Blutes (des Cruors) 


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/ 


107 

enthält sehr viele öligte Substanz, welche man gewöhnlich 
die 8chwefligte nennt, und zwar verhältnifsmälsig mehr, 
als die übrigen Theile des Körpers, wenn man das Fett 
abrechnet. Es läfst sich davon kein anderer Nutzen ange- 
ben, als dafs dadurch das Blut zur Aufnahme der Wärme 
geschickt wird , und dafs es sowohl deshalb , als wegen 
seiner schweflichten Natur die zähe Konsistenz der wei- 
chen Körperlheile erhält, sie gegen die Wirkung der aus- 
weichenden Flüssigkeiten schützt, welche außerdem ein- 
treten würde. Es läfst sich zwar aus der Mischung des. 
Blutes so wenig, als aus seiner Bewegung der hohe Wärme- 
grad erklären, dessen es theilhaftig ist; doch wird es wahr- 
scheinlich, dafs seine schweflichte Materie vornämlich dazu 
mitwirkt, weil letztere die höchste Wärme in sich aufzu- 
nehmen geeignet ist, und in allen brennbaren Körpern als 
das • eigentliche Substrat derselben angesehen werden mufs. 
Dafs das Blut durch seine Bewegung erhitzt werde, er- 
hellt aus den alltäglichsten Erfahrungen, ‘ nach denen es 
zusammt dem ganzen Körper bei angestrengter Thätigkeit 
seiner Glieder nach Maafsgabe derselben rascher und stär- 
ker erwärmt wird. Dies geschieht sogar, wenn der übrige 
Körper im Zustande der Ruhe begriffen ist, und blos das 
Blut durch schnellere Pulse rascher umgetrieben wird. Die 
Alten machten sich von dieser Erscheinung eine verwor- 
rene Vorstellung, nach welcher dem Körper nicht sowohl 
freie Wärme, als vielmehr Wärmestoff eingepflanzt sein 
sollte. Unter letzterem dachten sie sich eine eigenthüm-r 
liehe physische Substanz, welche im ganzen Körper, wie 
im Blute die Wärme erzeugte, und durch ihre Zumischung 
und durchdringende Wirkung dem Blute sowohl seine ge- 
hörige Verflüssigung und Verdünnung, als seine notliwen- 
dige Wärme mittheilte. Von der verschiedenen Menge 
dieses Wärmestoffs und von seinem Einflüsse leiteten sie 
den eigenthümlichen Temperaturgrad der einzelnen Kör- 
pertheiie her. Diese metaphysischen und verworrenen 
Begriffe sind besonders von Caspar Hotfmann in seinem 


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108 * 


tractatus de Calido ititialo et Spiritilms dargestellt worden,, 
und er leitete von jenem Catidum innaium noch die Le- 
bensgeister ab. Wozu aber alle diese verwickelten und 
unnöthigerweise vervielfältigten Begriffe? 

Doch davon weiterhin ein Mehreres; hier ist es der 
Ort, meine, von den übrigen medicinisclien Schulen ab- 
weichende Vorstellung von der Wirkung des Athemliolens 
auf die Wärme darzulegen. Schon die Alten, und in Ucber- 
einstimmuug mit ihnen die Neueren behaupteten, dem 

Blute sei ein so hoher Wärmegrad ursprünglich und we- 

* 

sentlich eigen, dafs es der Abkühlung bedürfe. Dafs ihm 
die Wärme vom Herzen mitgethcilt werde, darüber wa- 
ren sie einverstanden; nach Einigen sollte dies durch die 
Lebensgeister bewirkt werden, für deren Werkstätte sie 
das Herz hielten; Wjllisius ging aber noch weiter, und 
bediente sich des unzweideutigen Ausdrucks, dafs nicht 
tropisch, sondern im eigentlichen Sinne eine Flamme im 
Herzen brenne, und nicht sowohl das Blut erwärme, als 
vielmehr glühende Funken in dasselbe werfe. Damit seine 
Siedhitze nicht die Organe verletze, müsse es abgekühlt, 
und zugleich aus ihm russige Theile entfernt werden, und 
dies geschehe durch das Einathmen einer kühleren Luft. 

. -Nach meinem Dafürhalten wird aber umgekehrt das 
Blut in den Lungen mehr als in jedem anderen Theile des 
Körpers erwärmt, wofür Gründe a priori und a posteriori 
sprechen. Zuvörderst nimmt das Blut einen höheren Wärme- 
grad an, wenn es rascher und heftiger durch Theile getrie- 
ben wird, welche durch willkührliche Bewegung stärker 
angespannt, ihn* nur einen erschwerten Durchgang gestat- 
ten. Unstreitig ist die Bewegung der Lungen beim Ath- 
men intensiver, als die irgend eines anderen Körpertheils, 
und man kann sie so hoch anschlagen, als sie beim Zusam- 
menwirken mehrerer Muskeln zur Aufhebung eines Cent- 
ners erfordert wird. Erwägt man die Kürze des Weges 
vom rechten Herzventrikel bis zu den Lungen, so fällt 
der Stofs, mit welchem er das Blut austreibt, gew r ifs nicht 


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geringer aus* als der des starkem linken Ventrikels, des- 
sen Impuls sich auf einen so grofsen Umfang und auf so 
weite Entfernung ausbreiten mufs. Also mufs auch b£i 
gleicher Kraftüufserung der Erfolg gleich sein. Ucbcrdies 
ist es a posteriori ein alltäglicher Erfahrungssatz, dafs bei 
tiefer und angestrengter Respiration während des Spre- 
chens, Singcns und lang fortgesetzten Schreiens, selbst 
wenn der übrige Körper in Ruhe begriffen ist, eine merk- 
liche Erhöhung der Wörme eintritt. Daher haben alle 
athmenden Thiere ein warmes Blut; nicht umgekehrt gilt 
aber der Satz, dafs die mit warmem Blute begabten Thiere 
athmen müssen, um dasselbe abzukühlen. Eben so wenig 
passen hierher die angeführten Beispiele, dafs im Fieber 
oder bei dem von angestrengter Bewegung beschleunigten 
Blutlaufe die Athemziige rascher und schneller erfolgen; 
denn durch diese müfste das anderswo wärmer gewordene 
Blut noch mehr erhitzt werden. Es ist hier indefs zu be- 
rücksichtigen , dafs zwar bei beschleunigtem allgemeinen 
Blutumlaufe auch die Cirkulation durch die Lungen' rascher 
v erfolgen mufs, welche, weil sie nur während der Ausdeh- 
nung der letzteren beim Athmen erfolgen kann, auch in 
diesem Falle eine Beschleunigung desselben nöthig macht; 
dafs aber diese Vermehrung der Respiration nur ihre Häu- 
figkeit, nicht aber ihre Stärke betrifft. Da nicht überhaupt 
jede beschleunigte Blutbewegung, sondern nur die hefti- 
gere, bei welcher die hart gespannten Theile das Blut 
kräftiger in die Gelafse anderer treiben, und es mit den 
W 7 änden derselben in eine stärkere Reibung bringen, die 
innere Bewegung der Wärme vermehren; so gilt ein Glei- 
ches auch von den Lungen, weiche nur bei tiefen und 
kräftigen Athemziigen das stark fortbewegte Blut erwär- 
men, nicht aber während des Fiebers oder des beschleu- 
nigten Laufens, • wo das schnelle Athmen zugleich kurz 
und oberflächlich wird, daher die Lungen nicht zu einer 
weifen Ausdehnung und zu einer harten Anspannung bringt, 
und durch sic das Blut nicht liindurchprefst, sondern ihm 


110 


nur einen rascheren Durchgang durch sie gestattet. Da- 
her wird es unter diesen Umständen nichts zur Erhöhung 
der Wärme beitragen, welche nur durch die energische • 
Anspannung des Lungengewebes bewirkt wird.. 

Es bleiben noch einige Bedingungen zu erörtern übrig, 
welche den Umlauf des Blutes durch Herz, und Lungen 
mehr im physischen als im medicinischen Sinne angeken. 
Das Blut strömt nicht von selbst in die Herzkammern, 
sondern es wird in bestimmten Mengen in sie hineinge- 
trieben, welche die Herzohren zuerst in sich aufhehme% 
und dann in die Ventrikel ergiefsen. In der Lungenvene, 
welche das aus der rechten Herzkammer durch die Lun- 
genarterie ausgestofsene Blut in die linke fortleitet, hat 
dasselbe eine hellere Rothe, als in der Hohlader, dem rech- 
ten Ventrikel und der Lungenarterie, und cs erscheint zu- 
gleich wegen der inniger ihm beigemischten Lymphe ver- 
dünnter,. Nach der herrschenden Meinung soll es von bei- 
gemengter Luft schaumigt werden, und daher gleich jedem 

anderen Schaum eine hellere Farbe annehmen. Wenn man 

% / 

auch nicht den Zutritt gewisser Stoffe aus der Luft zu 
dem Blute in den Lungen während des Athmens durch- 
weg ableugnen kann; so spricht doch kein Grund dafür, 
dafs die Luft als solche und in so grofser Menge sich dem 
Blute beimische. 

Die von mir schon früher vorgetragene Lehre von 
der Erwärmung des Blutes durch das Atlimen wurde von 
Mehreren nicht in dem rein mechanischen, sondern im phy- 
sischen Sinne aufgefafst, wonach aus der Luft ein Aether. 
während des Athmens aufgenommen werden, und dieser 
auf eine materielle Weise die Wärme vermehren sollte. 
Diese untergeschobene Meinung stützt sich aber auf kei- 
nen haltbaren Grund, und sie wird dadurch widerlegt, 
dafs jeder andere Theil des Körpers durch seine Bewe- 
gung die Wärme des ihn durchströmenden Blutes erhöht, 
woraus deutlich erhellt, dafs hier sowohl, wie beim Ath- 
men, das mechanische Verliältnifs der Bewegung die Ur- 


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111 

sache der Wärmevermehrung ist. Zur Aufnahme eines 
Aethcrs würde es des Schöpfens der Luft nicht bedürfen. 

Bemerkenswerth ist es endlich, dals bei jedem Athem- 
zuge ein Theil der wässrigen Feuchtigkeit in Dunstform 
aufgelöset ausgestofsen wird. Doch wollen wir dies nicht 
einer unmittelbaren Umwandlung der Luft in Wasser wäh- 
rend des Athmens, wie dies Einige gethan haben, zuschrei- 
ben, vielmehr darauf hindeuten, dafs sich hier ein neuer 

Weg zur Entfernung dunstformiger Aus wurfsstoffe eröffnet, 

, « 

welche ununterbrochen von statten geht, und daher ge- 
wiß nicht unbeträchtlich ist. 

\ 2 - 

. Von dem Organismus der Blutbewegimg. 

Der Kreislauf des Blutes wird durch das Herz, die 
Arterien, durch die porösen Theile und die Venen Voll- 
bracht. Der Fleifs der neueren Anatomen hat es ausge- 
mittelt, dafs das Herz ein Muskel ist. Die bedeutende 
Kraft desselben, welche die gewöhnliche Vorstellung von 
ihr gewifs ansehnlich übersteigt, läßt sich aus dem be- 
trächtlichen Stofse, den der Herzschlag auf den ganzen 
Körper ausübt, folgern. Zum Beweise dafür dient zunächst, 
dafs das Blut in einem weiten Sprunge aus den verwun- 
deten Arterien hervorspritzt. Ferner gehört hierher die 
merkwürdige Erscheinung, die man bei denen wahrneh- 
men kann, welche ein Knie über das andere schlagen, 
wodurch die grofse Cruralarterie des einen Beins zwi- 
schen die eine Kniescheibe und die andere Kniekehle ge- 
prefst wird. Man sieht dann deutlich, mit welcher Kraft 
die einzelnen Pulsschläge den überhängenden Unterschen- 
kel, welcher in dieser Lage als eine bedeutende Last wirkt, 
zu einer Höhe emportreiben, welche im Verhältnis zu der 
Ausdehnung der Arterie unendlich groß ist. 

Durch welche Kraft das Herz in Bewegung gesetzt 
werde, darüber hat man eine Menge unfruchtbarer Begriffe 
aufgesiellt. Gewöhnlich nahm man zu den Geistern seine 




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112 


Zuflucht, die aber ein leeres, nichts sagendes Wort sind. 
Nur der Mechanismus dieser, so wie jeder anderen Bewe- 
gung, läfst sich ausmitteln, in sofern die Fasern des Her- 
zens sich auf eine krciselartige Weise verschlingen, und 
somit eine schraubenförmige Bewegung zu Stande bringen. 
Nur die Zusammenziehung des Herzens während der Sy- 
stole kann als seine eigentliche Bewegung angesehen wer- 
den, die es während der Diastole einstellt, und deshalb 
erschlafft. Unstatthaft ist daher die Vorstellung, dafs das 
Herz bei der Diastole mit eigener Kraft das Blut schöpfe, 
und somit den Dienst einer Pumpe leiste, da es dieses 
Saugeus gar nicht bedarf, sondern das Blut in seine Höh- 

_ N 

len von den Herzohren getrieben wird, denen gleichfalls 
eine Systole eigenthümlich ist. Auf gleiche Weise erschlaf- 
fen auch diese während ihrer Diastole, und gestatten dem 
von allen Seiten ihnen zugedrängten Blute den Eintritt, 
ohne dazu eine positive, diastaltischc Kraft nöthig zu haben. 

Das Herz nimmt bei jeder Diastole eben so viel Blut 
auf, als es bei der nachfolgenden Systole in die Arterien 
austreibt, welche dadurch ausgedehnt, an den tastenden 
Finger anschlagen, pulsiren. Der Puls ist also nichts an- 
deres, als die Ausdehnung der Arterie durch das aus dem 
Herzen in sie ausgestofsene Blut, weshalb auch die Dia- 
stole der Arterien der Systole des Herzens entspricht. 
Gleichwie der Puls ein leidentliches Verhalten der Arte- 
rien während der Diastole bezeichnet; so ist ihnen auch 
eine Systole eigen, welche aber sanft und langsam erfolgt, 
und daher in Bezug auf Zeit und Stärke sich der Grölse 
der Diastole keinesweges vergleichen läfst, und überdies 
von dem Tonus der umgebenden Theile unterstützt wird. 
Unzulässig ist daher die Meinung einiger, dafs der Puls 
eine den Arterien eigenthümliche Bewegung sei, dafs sie 
aus eigener Kraft pulsirten; desgleichen die Behauptung, 
dafs im Fieber, ungeachtet der häufigeren Pulsschläge, den- 
noch die Fortbewegung des Blutes langsamer sei , weil 
dasselbe, verdickt oder gar geronnen, die Arterien zu ver- 

geb- 


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r 

\ 


113 


4 

geblichen Anstrengungen veranlassen sollte. Wäre die Er* 
Weiterung der Arterie während des Pulsschlages, welche 
oft bedeutende Ligaturen überwindet, eine von ihr ausge- 
hende Bewegung; so müfste sie das Blut in sich saugen, 
oder ihm wenigstens einen gröfseren Raum cröflhen, aus 
welchem es durch die nachfolgende Systole vertrieben 
würde. Da aber aus einer verwundeten oder durchschnit- 
tenen Arterie das Blut im Augenblicke des Pulses oder 
der Diastole in- einem weiten Bogen hervorspringt; so 
würde cs mit allen mechanischen Bedingungen in Wider- 
spruch stehen, die Erweiterung der Schlagadern von einer 
ihnen zugehörigen Bcw r egkraft abzuleiten. Noch fabelhaf- 
ter klingt die Erklärung jenes Ilervorspritzens des Blutes 
aus einem ihm beigesellten Geiste; denn warum sollte sich* 
dieser nur in einzelnen Intervallen thätig zeigen: oder 
wenn' dies aus einem absatzweise erfolgenden Zutritte des 
Geistes im Herzen zum Blute begreiflich gemacht werden 
sollte, wohin entschwände denn derselbe nach seiner augen- 
blicklichen Thätigkeit, und warum machte er einen neuen 
Ersatz aus dem Herzen nöthig? ' 

Das Blut wird daher in derselben Menge, in welcher * 
es die Herzohren in die Kammern ergossen, aus diesen 
in die Arterien getrieben, und zwar zunächst in die Lun- 
genarterie und in die Aorta, welche Hauptstämme , sich 
in die übrigen Schlagadern verzweigen. Dies geschieht 
auf eine so gleichförmige und einfache Weise, dafs des- 
halb die Vertheilung des Blutes bis in die feinsten Gcfäfs- 
äste nach allen Richtungen in verhältnifsmäfsig gleichen 
Mengen erfolgt, da auf die ganze Blutmasse ein gleich- 
mäfsiger Druck ausgeübt wird. * . 

Aus den Arterien tritt das Blut durch die Poren der 
Organe in die Venen über. Diese Art des Ueberganges 
wird von den Neueren bestritten, die es nicht zugeben 
wollen, dafs das Blut seine Gefafse verlassen könne, son- 
dern behaupten, dafs die Arterien in die feinsten Verzwei- 
gungen sich zertheilen, welche allmählich an Grölse zu- 
Stahls Theorie d. Ileilk. I. 8 


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114 


nehmen, zu stärkeren Stämmen sich vereinigen, und so 
das venöse System darstellen. Ja sie gehen noch weiter, 
und nehmen an, dafs die kleinsten Verästelungen der Ar- 
terien im weiteren Fortgange überaus feine Geflechte bil- 
den, indem sie sich in mannigfachen Windungen und Wir- 
beln verschlingen, welche die Drüsen ausmachen, und end- 
lich aus diesen heraustreten, um auf die gewöhnliche Weise 
' in Venen überzugehen. Bei allen ähnlichen Voraussetzun- 
gen pflege ich mich nach folgenden Grundsätzen zu rich- 
ten: „Jede hypothetische Organisation, von der sich we- 
der a priori ein Nutzen oder eine Nothwendigkeit abse- 
hen, noch von welcher es sich a posteriori aus Thatsachen 
beweisen läfst, dafs sie wirklich statt findet oder vorhan- 
den sein mufs, ist der Berücksichtigung und Anerkennung 
unwerth.“ Desgleichen: „Wenn Erscheinungen auf eine 
Weise gedeutet werden können, welche in Bezug auf die 
mit ihnen in Verbindung stehenden Thatsachen die we- 
nigsten Schwierigkeiten darbietet; so müssen ihnen keine 
Erklärungen untergeschoben werden, welche sehr gekün- 
stelt, und in mehreren Rücksichten zweifelhaft sind.“ In 
spätem Kapiteln wird es dargestellt werden, welche Ein- 

V 

'würfe gegen die Annahme eines ununterbrochenen Ueber- 
ganges aus den Arterien in die Venen sich von der natur- 
gemäßen Absonderungsthätigkcit und von dem Heilprozefs 

* / 

der Wunden entnehmen lassen. v 

Die Verschiedenheit der Pulsschläge bezieht sich auf 
die Bewegung der Arterie und auf ihre Zahl, beide im 
Verhältnis zu bestimmten Zeitabschnitten. Was die Ver- 
schiedenheiten der Bewegung, verglichen mit der Zeit be- 
trifft; so steht ihre Energie und Heftigkeit in Verbindung 
- mit ihrer Dauer und mit ihrer Angemessenheit zu dem 
ihr Vorgesetzten Zweck, und eben hieraus ergiebt sich 
das Maafs, die Ordnung ihrer Reiliefolgc, die man auch 
mit dem Namen des Rhythmus belegt. Nach allen diesen 
Beziehungen giebt es einen starken und schwachen Puls, 
einen raschen und langsamen, einen weichen und harten, 


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✓ 


115 


einen häufigen und seltenen, einen gleichförmigen und un- 
gleichförmigen, intermittirenden, hüpfenden u. s. w. Als 
eine Curiosität mag hier an die von Clcyerus uns übei lie- 
ferten Bruchstücke der Pulslehre bei den Chinesen, und 
an ihre ausgezeichnete Geschicklichkeit erinnert werden, 
mit welcher sie seltsame und zahllose Pulsarten durch das 
Gefühl unterscheiden. 

Im gesunden Körper erfolgt der Herzschlag regelmäfsig 
und von selbst ohne Bewufstsein, und man hat ihn daher 
die vornehmste vitale Tliätigkeit genannt, zum gänzlichen 
Unterschiede von den animalischen Funktionen, welche 
vom Denken und Willen abhängig sind. Doch mufs man 
wohl beachten, dafs der Herzschlag durch das Bewufstsein 
auf eine leichte und mannigfache Weise verändert wird, 

* * t 

und dafs dies nicht nur geschieht, wenn das Gemüth durch 
Schreck, Furcht,. Zorn, Freude und Verlangen mächtig er- 
griffen ist, sondern selbst dann, wenn man das Bewufst- 
sein auf den Herzschlag richtet, w r ie es denen häufig be- 
gegnet, welche am Herzklopfen leidend, davon befallen j . 
werden, sobald sie daran denken. Vorzüglich bemerkens- 
werth ist die auffallende Uebereinstimmung jener Verän- 
derungen des Pulses mit der Art der Gemüthsbewegung, , 
mit dem moralischen Zrweck der Vorstellungen, welche 

derselben zum Grunde liegen. Die Gröfse des Einflusses, 

% 

welchen die Leidenschaften auf jene Lebenstliätigkeit aus- 
üben, erhellt besonders aus dem verderblichen Erfolge, 
wenn nach einem plötzlichen und heftigen Schreck der 
Pulsschlag und jedes andere Lebenszeichen sogleich, und 
oft auf längere Zeit verschwindet; ja es fehlt nicht an Bei- 
spielen, dafs der Tod selbst darauf erfolgte. Eine eben so 
sorgfältige Erwägung verdient gegenseitig die Wirkung des 
Pulsschlages oder des fortschreitenden Blutlaufs durch das 
poröse Gewebe des Körpers auf die Geistesthätigkeit. Sie 
war schon längst kein Geheimnifs, erregte aber in den me- 
dicinischen Schulen nicht die gebührende Aufmerksamkeit, 
und diente blos der Physiognomik und der nackten Empirie. 

8 * 

» 


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I 


% 

116 


i 

' 3 . 

I 

Von den Temperamenten. 

Die von. den Alten uns zugekommenen Ueberlieferun- 
gen enthalten viele verstümmelte und entstellte Thatsachen, 
welche indefs aus der ärztlichen Beobachtung geschöpft, 
einen Schatz von helleren und nützlicheren Begriffen dar- 
bieten, als die sind, welche die Neueren sich zu eigen ge- 
macht haben. Dahin mufs man besonders die Lehre vdn 
den Temperamenten rechnen, welche spätere Schriftsteller 
mit den Arabern Komplexionen nannten. Unter Tempera- 
menten wurden früher die sogenannten Elementar -Quali- 
täten, Kälte und Wärme, Feuchtigkeit und Trockenheit 
verstanden, und diese sowohl auf die flüssigen als auf die 
festen Theilc bezogen. Mit noch gröfserer Spitzfindigkeit 
legte man sogar einzelnen Theilen besondere Temperaments- 
Verschiedenheiten bei. Alle dehnten indefs diese körperli- 
chen oder materiellen Verhältnisse der Temperamente auch 
auf den Charakter der Seele aus, und unterschieden da- 
nach ein warmes oder hitziges, ein kaltes, träges oder 
stumpfes, ein feuchtes, oder schlaffes, weiches, und ein 
trockenes, oder hartes, festes und dauerhaftes Tempera- 
ment. Diese ganze Lehre, in sofern sie sich auf das Tem- 
perament der einzelnen Tlieile bezieht, ist jedoch unfrucht- 
bar und entbehrt einer sicheren Grundlage; sie wider- 
spricht der Vernunft, soweit sie die Komplexion des gan- 

• i 

zen Körpers und die damit in Verbindung stehende Eigen- 
thümlichkeit des geistigen Charakters betrifft. 

Inzwischen lehrt es der Augenschein unwidersprech- 
lich, dafs die Textur des Körpers gewisse Verschiedenhei- 
ten darbifctet, welchen eben so bestimmte Formen des gei- 
stigen Charakters entsprechen. Auch kann man es den 
Alten nicht ganz abstreiten, dafs zu diesen Bedingungen 
sich auch noch eigenthümliche Mischungen der Säfte ge- • 
seilen, und dafs aus diesem Verhältnis - der letzteren zu 
den festen Theilen ein Gesammtcharakter hervorgeht, der 


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117 

sich durch vor walten de Feuchtigkeit, Trockenheit, Wärm« 
oder Kälte auszeichnet. Doch bedürfen diese Begriffe noch 
einer vielfältigen Ergänzung. 

Die Säfte, welche unter dem allgemeinen Namen des 
Blutes verstanden werden, können eine vierfach verschie- 
dene Temperatur annehmen. 

1) Durchweine reichliche Beimischung von Schwefel 
werden sie in einem höheren Grade verflüssigt, erhitzen 
sich daher leichter, und werden um 60 mehr zu einer völ- 
ligen gährenden Verderbnifs geneigt. 

2) Waltet unter ihnen die wässrige Feuchtigkeit vor, 
so bleiben sie zwar hinreichend flüssig, aber sie eignen 
sich dann nicht zur Erhitzung und Gährung, sondern sind 
mehr einer salzigten als fauligten Auflösung ausgesetzt. 

3) Das Mittel dieser beiden Temperaturen bringt einen 
gemäfsigten Zustand hervor, in welchem sie sich leicht- 
flüssig und in sanfter Wärme erhalten. 

4 ) Sie können aber auch verdickter, folglich zu wenig 
flüssig sein, und enthalten dann weniger Schwefel als Erde. 

Das erste Temperament wird das cholerische oder gal- 
lichte genannt 5 die folgenden siud das phlegmatische, das 
sanguinische und das melancholische. 

Was die Beschaffenheit der Struktur des Körpers be- 
trifft, welche sich nach der Verschiedenheit der Säfte bei • 
den einzelnen Temperamenten richtet, so ist dem sangui- 
nischen. ein schlaffer, poröser, scliwammigter Bau eigen, 
welcher dem reichlichen Blute einen hinlänglichen Raum 
und freien Durchgang gestattet, weshalb auch seine Ge- 
föfsc nur klein sind. Da nun in solchen Körpern das Blut 
an sich leichtflüssig ist, so treffen hier zwei Bedingungen 
zusammen, welche den Blutumlauf ungemein befördern und 
erreichtem, und es bezieht sich dies günstige Verhältnifs 
zugleich auch auf das Vonstattengehen der Ab- und Aus- 
sonderungen, so wie auf den gesammten Lebensprozefs. 

Bei der cholerischen Konstitution ist die Textur un- 
gleich straffer, daher die muskulösen Theile weniger ge- 


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118 


bläht und schwammigt erscheinen, der Körper ein gedrun- 
genes, volies, zugleich blühendes Ansehen hat. Da auch 
liier das Blut fein ausgearbeitet und leichtflüssig ist, so 
reicht zu seiner Fortbewegung die geringere Kapacität der - 
Poren in den weichen Theilen hin, um so mehr, da dem 
Herzen, so wie Ser ganzen Konstitution, eine rüstige Trieb- 
kraft eigen ist. Weil überdies die Blutgefäfse geräumiger 
« • 

sind, um das Blut, welches aufser ihnen weniger Platz fin- 
det, reichlicher in sich auf bewahren, und ungehindert 
durch sich fortleiten zu können, so bewirkt der kräftige 
Herzschlag einen starken Puls. 

Mit einem vorherrschenden Wassergehalte im Blute, 
durch welchen dasselbe verdünnt wird, pflegt auch eine 
entsprechende Weichheit der festen Theile verbunden zu 
sein. Wiewohl in diesem Falle die Struktur des Körpers 
schlaff und sehr porös ist, so dafs überall den Säften ein 
ungehinderter Durchgang eröffnet ist; so werden doch die 
weichen Theile von der reichlich sie durchdringenden 
Feuchtigkeit aufgeschwellt, mithin dichter einander ange- 
drückt, so dafs sie überall den Blutlauf erschweren. Daher 
ist den phlegmatischen Körpern eine gedunsene Weichheit, 
geringere Wärme und eine blasse Farbe eigen; ihre Blut- 
gefäfse sind sehr verengert, und wegen ihrer Blutraischung, 
so wie wegen ihrer Struktur, sind sie vorzugsweise zur 
4 Ansammlung des Fettes geneigt. 

r - Die Melancholiker, welche von jeder physischen und 
moralischen Weichheit gleich weit entfernt sind, haben 
; einen gedrungenen Körper, dessen poröse Weichgebilde 
auf den ersten Anblick als dichter, straffer, trockener* und 
magerer sich zu erkennen geben. Im Vergleich mit dem 
übrigen Körper besitzen die Muskeln und Knochen eine 
derbere Textur; insbesondere aber gestattet cs die gröfsere 
Dichtigkeit der Theile, zumal des Hautorgans, dem schwer- 
flüssigeren Blute nicht, sie^ so innig zu durchdringen , dafs' 
sie deshalb eine* rothe Farbe annehmen« könnten, anstatt 

deren daher eine bleiche oder livide wahrgenommen wird. 

* • / ' 

/ ♦ • 

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*. 1 m 

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119 


Jedoch kommen der Straffheit dieser Körper sehr weite 
Blutgefalse zu Hülfe, weshalb der Puls zwar langsam, 
jedoch kräftig und voll ist. 

* Diese vier Temperamente kommen in der Wirklich- 
keit nicht selten rein ausgeprägt vor; häufiger aber ver- 
mischen sie sich gegenseitig, gehen in einander über. Be- 
sonders gilt dies vom sanguinischen, welches am meisten 
den Erfordernissen des Körpers angemessen ist, und daher 
gewöhnlich und mit Recht für das dem Menschen zuträg- 
lichste und natürlichste gehalten wird, so dafs die übrigen 
Temperamente nur als Abweichungen von demselben gel- 
ten können. -Jedoch läßt es sich nicht bestreiten, dafs 

sehr oft Kinder von ihrer Geburt an deutlich einen an- 

/ 

dem Habitus, als den sanguinischen, zeigen, und dafs sie 
bei ihrem Wachsthum immer mehr eine der individuellen 
Eigenthümlichkeit ihrer Eltern ähnliche Körperkonstitution 
erlangen. 

Die Alten vermogten cs nicht, die Grundbedingung 
der Temperamente einzusehen, welche in dem wechselsei- 
tigen Verhältnis der Säfte des Körpers zu ihren Gefäfsen, .* 
in denen sie sich leichter oder schwerer fortbewegen, ent- 
halten . ist, da sie mit dem Kreisläufe des Blutes unbekannt 
waren; aber auch die Neueren wußten diesen wichtigen 
Gegenstand so wenig zu würdigen, dafs sie ihn für eine 
leere Ausgeburt des Gehirns erklärten. Sie verkannten da- 
her auch seine große Bedeutung im physischen, medicini- 
sclien und pbysiognomischen Sinne, namentlich die wich- 
tige Wechselbeziehung zwischen den angegebenen körper- 
lichem Bedingungen der Temperamente und den ihnen ent- 
sprechenden Verschiedenheiten des Gemüthscharakters. Nur 
Galen machte eine rühmliche Ausnahme, da er jenes Ver- 
hältnifs als Thatsache mit grolsem Fleifse darstellte. 

Da die Eigenthümlichkeit des Gemüthes sich nach der 
Verschiedenheit des Temperaments richtet, und gleichsam 
ein Ausdruck derselben ist; so finden in dieser Beziehung 
folgende Grundformen statt. 


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120 


Die Sanguiniker erfreuen sich in jeder Hinsicht der 
Freiheit des geistigen Wirkens ; sie sind daher heiter, sorg- 
los, vergnügungssüchtig, behaglich im Lebensgenuß, den 
sie wohl zu würdigen wissen; sie lieben die Ruhe, sind 
aber auch zu leichter Geschäftigkeit aufgelegt, und schätzen 
Ehre und Ruhm sehr, wenn sie ohne Beschwerde dazu ge- 
langen können. Von Natur offenherzig, sind sie weder zur 
Hinterlist noch zur Verstellung geneigt und geschickt, und 
bekennen sich daher zu Grundsätzen der Billigkeit und 
Gleichheit; den Anstrengungen abgeneigt, gerathen sie bei 
überraschenden Vorfällen in Verlegenheit, bei schwierigen 
und gefahrdrohenden Anlässen in Furcht; in wirklichen 
Gefahren geben sie sich rathlos der Verzweiflung hin, rüh- 
men sich aber nach glücklicher Ueberstehung derselben 
sehr, und erzählen gern von ihren erduldeten Leiden. Aus- 
serdem bauen sie zuversichtlich auf ihren Verstand, und 
geben sich der Sorglosigkeit hin. 

Die Cholerischen Fühlen sich zwar auch frei und si- 
cher, doch nur in sofern sie bei der Erwartung unange- 
nehmer Vorfälle keine Furcht an wandelt; sie sind daher 
wachsam, werkthätig, entschlossen, gewandt und geschickt 
in der Durchführung von Geschäften. Von Hindernissen 
zur Ungeduld und zum Zorn gereitzt, bekämpfen sie die- 
selben mit Eifer; beherzt in Gefahren, begegnen sie ihnen 
mit angestrengter Thätigkeit; selbst ein erduldetes schwe- 
res Geschick schüchtert sie für die Zukunft nicht ein, son- 
dern macht sie kühn und verwegen; was sie dabei ver- 
sehen haben suchen sie zu entschuldigen, und deshalb die 
Gefahr eher zu verachten, als zu übertreiben. Sie sind 
daher auch ruhmsüchtig, geringschätzig gegen andere, be- 
sonders Träge, und jederzeit zur Thätigkeit aufgelegt, ma- 
chen sic sich Geschäfte, um der Langenweile zu entfliehen. 

Die Phlegmatischen dagegen sind träge und stumpf- 
sinnig; zufrieden mit dem Genufs der Gegemvart, sind sic 
keiner lebhafteren Freude, die aus der innigen Werth- 


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121 


Schätzung der Dinge entspringt, nur einer kalten und mat- 
ten Vergnügung fähig. Im Handeln lässig und saumselig, 
sind sie der Arbeit abgeneigt, ihrer bald überdrüssig, und 
werden durch Anstrengungen bald abgespannt und erschöpft. 
Im Gefühl der Sicherheit eingeseliläfert, fliehen sie die Sor- 
gen, und sind geizig, um nicht durch Verlust ihres Be- 
sitzthums zu neuen Arbeiten genöthigt zu sein. Durch 
schwierige und verwickelte Geschäfte werden sie leicht 
in Besorgliclikcit, Verlegenheit, durch andringende Gefah- 
ren in Bestürzung versetzt 5 doch wissen sie sich eher in 
das schrecklichste Ereigniis, selbst den Tod ruhig zu fü- 
gen, als in geringere Gefahren. 

Ueber die Gegenwart sind die Melancholischen eben 
so unbesorgt und leicht zufrieden gestellt, als sie stets der 
Zukunft mit Zweifelsucht, Milstrauen und Argwohn ent- 
gegen sehen. Auf das Sorgfältigste beurtheilen sie daher 
die Dinge, in wiefern diese ihnen nützlich und angenehm, 
oder widerwärtig, lästig, bedenklich und gefährlich sind; 
ja sie beschäftigen sich fast noch mehr mit dem, was ihnen 
zum Nachtheil gereichen könnte, als mit dem, was ihnen 
schon wirklich Schaden bringt. , Sie zeigen sich daher 
stets umsichtig, behutsam und nachdenklich, sind betrieb- 
sam und zu gemäfsigter Beschäftigung stets aufgelegt; sie 
richten ilire Aufmerksamkeit mit Eifer und Sorgfalt auf 
das Nothwendige, sind wachsam und unermüdet, aufser 
wenn in schwerer Bedrängnifs Befangenheit ihre Kräfte 
lähmt. Doch geben sie sich weniger äer Verzweiflung 
preis, als sie mit äufserster Anstrengung sich mit Schutz- 
mitteln zu bewaffnen suchen. Hartnäckig hängen sie an 
ihren Vorsätzen, welche sie mit ernster und reifer Ucber- 
legung gefafst haben; sie hassen den Betrug, erlauben sich 
nur eine durch die Noth Wendigkeit gebotene Verstellung, 
und halten als unbestechliche Richter auf Recht, Billigkeit 
und Wahrheit. Treu und aüfrichtig dem Freunde ergeben, 
sind sie doch zurückhaltend, und leichter kann man von 


1 


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122 


ihnen gute und löbliche Dienste erlangen, als sie diese 
vertrauensvoll von anderen erwarten, da sie stets zweifel- 
süchtig überall einen Übeln Ausgang befürchten. 

Die Ursache dieser Eigenthümlichkeiten ist in dem 
Verhältnis der Säfte des Körpers zünden sie entha ltenden 
Gefafsen, und in dem, jenem Verhältnis ang emessenen C ha- 
rakter der ^ewegun^^egründet. Denn da diese Bewegung 
als Kreislauf des Blutes ohne Unterbrechung fortgesetzt 
wird, und sowohl der Ordnung, als der Wichtigkeit nach 
die vornehmste ist, weil der Körper früher vorhanden und 
belebt sein mufs, ehe die Seele in und durch ihn thätig 
sein kann; so nimmt jene Bewegung sogleich bei ihrem 
Ursprünge und nach den während desselben obwaltenden 
Verhältnissen einen bestimmten Typus an, dem sie später- 
hin unter allen Bedingungen treu bleibt. Nach ihm rich- 
tet sie alle Thatigkeit ein, durch welche er sich immer 
mehr in einer andauernden Angewöhnung befestigt. 

• Da die Sanguinischen mit einem leichtflüssigen Blute 
begabt sind, welches auf geräumigen, zahlreichen und durch- 
gangsfreien Wegen von mäfsiger Triebkraft bewegt, unge- 
hindert und bequem umkreiset, und da in diesen Bedin- 
gungen keine Andeutung künftiger Störung und Gefahr ge- 
geben ist; so wird dies leichte Wirken der Lebensthätig- 
keit bei solchen Personen auch auf ihre übrige Handlungs- 
weise übertragen, so dafs sie sich durch Uugebundenheit, 
Sicherheit und Gleichförmigkeit der geistigen Thatigkeit 
auszeichnen, bei welcher ihnen alles leicht vorkommt, und 
sie um zukünftige Schwierigkeiten unbesorgt sind. 

Die 'Cholerischen, deren frisches Blut auf engeren 
Wegen keinen leichten Fortgang findet, ersetzen diesen 
Mangel durch die Anwendung einer gröfseren Kraft, Welche 
das leichtflüssige Blut auch ungehindert umtreibt; da diese 
indefs zuweilen ermattet, so könnte es allerdings gesche- 
hen, dafs das Blut in den engen Gängen stockte und in 
Vcrderhnifs überginge. Dieser Gefahr vorzubeugen, ist da- 
her ein unter gedachten Umständen noth wendiges Erfor- 


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123 


demifs. So entsteht der den Cholerischen eigenthümliche 
Typus der. Bewegungen, dem auch der Charakter ihrer 
Sitten und Begehrungen, überhaupt ihrer geistigen Tliätig- 
keit entspricht. Sie sind daher resolut, wachsam, umsich- 
tig, unermüdet, ohne Zweifelsucht und Furcht, und daher 
mehr zur Vorsicht und zum schnellen und entschlossenen 
Handeln, als zu Spekulationen und in die Lauge gezogenen 
Berathungen geneigt. 

Ganz anders verhält es sich mit den Melancholische^ j _ 
deren dichtes Blut, um durch die engen Theile fortbe- 
wegt zu werden, einer sehr wirksamen Triebkraft bedarf 
Dennoch schließen diese Bedingungen fortwährend den 
Nachtheil in sich, daß das zur Verdichtung geneigte Blut 
durch äußere, dieselbe begünstigende Einflüsse jenen Feh- 
ler vollends bis zur Stockung (und bis zur tödtlichen Ver- 
derbnifs) in sich .aushjldeu könnte. Nicht ohne Grund leben 
daher die Melancholischen wegen der Zukunft in Furcht 
und Sorge, wie sie dies durch alle Handlungen vcrrathen; 
ihren Fleifs bewähren sie mehr dadurch, daß sie mit Be- 
harrlichkeit ihr Werk zur Vollkommenheit zu erheben 
trachten, als dafs sie leicht über die Geschäfte fortschlü- 
pfen; es ist ihnen zuwider, sich mit geringfügigen oder 
gleichzeitig mit vielfachen Geschäften abzugeben. Ueber - 
alles, was ihnen begegnen kann, sinnen sie nach; sich 
selbst und ihre Angelegenheit betrachten sie mit ^ Mils- 
trauen; sie schätzen vorzüglich Mäßigung, Ordnung und 
Gewißheit, und furchten bei verwickelten Ereignissen fast 
immer den übelsten Ausgang. 

Da bei den Phlegmatikern die bedeutende Verdün- 
nung des Blutes und der schlaffe, gedunsene Habitus des 
Körpers den Umlauf des ersteren hinreichend begünstigen, 
so bedarf es dazu keines kräftigeü Antriebes. Zwar sind 
.ihre Säfte der Entartung in eine zähe Verschleimung aus- 
gesetzt; da aber diese nicht gleich einer Gährung rasch 
eintritt, und mit schneller Gefahr bedroht, so erregt sie 
auch keine große Bcsorgniß. Auch würde der schlaffe, 


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> 


V 


* 


124 

durch Flüssigkeiten aufgeweichte Bau des Körpers bei an- 
gestrengterer Bewegung einer zwiefachen Schädlichkeit 
ausgesetzt sein, indem schlaffere Theile dazu eines weit 
höheren Grades von Wirkungskraft bedürften, als gespann- 
tere, und eine solche Textur weit zeitiger zerstört sein 
würde. Kein Wunder daher, wenn die Phlegmatiker sich 
träge der Ruhe ergeben, sich sorglos dem Gefühl der Si- 
cherheit überlassen; wenn ihnen angestrengte Thätigkeit 
zuwider ist, sie stärker dadurch ermüdet werden, und des 
Ersatzes der Kräfte durch Ruhe in einem höheren Grade 
bedürfen. 

Auf diese W 7 eise legt die Seele ihrer eigenen Thätig- 
[ keit denselben Typus zum Grunde, dem sie bei der ur- 
sprünglichsten, wesentlichsten und ununterbrochenen Le- 
bensäufserung gehorcht, in wiefern dieselbe durch das Ver- 
hältnis der Kreislaufsbewegung zu den Blutgefäfsen be- 
dingt wird; sie gewöhnt sich dergestalt an jenen Typus, 
dafs sie ihn zum bleibenden Gepräge aller ihrer Handlun- 
gen macht. Wichtig ist überdiefs die Kenntnifs der Tem- 
peramente, um die eigenthümliche Disposition der verschie- 
denen Individuen, und ihre damit übereinstimmenden Krank- 
heiten richtig würdigen zu können, welche sowohl aus dem 
Mifsverhältnifs der Materie zu den Bewegkräften, als aus 
der Ataxie der letzteren in Bezug auf ihre Heftigkeit, Ord- 
nung, Dauer und ihren Erfolg hervorgehen. 


\ 


Fünftes Kapitel. 

I 

Von der Lebensthätigkeit. 

Bei der Lehre von den Temperamenten war schon 
die Rede von dem verschiedenartigen, andauernden Ver- 
hältnisse, welches zwischen der Lebensthätigkeit und der 
Beschaffenheit der Organe und ihrer Materie obwaltet; über 


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% 


125 

i * 

jene mögen hier noch einige Bemerkungen folgen, welche 
ihre besondere Natur und Verfassung betreffen. 

Bei dem Menschen, wie nicht minder bei den man- 
nigfachen Thiergattungen ist die Dauer der Lebenslliätig- 
keit auf ein gewisses Zeitmaafs beschränkt; welches theils 
in bestimmte kleinere Abtheilungen oder Umläufe zerfallt, 
theils eine allgemeine Periode bildet, welche die gesammte 
Erscheinung des Lebens umschliefst. Letztere läfst sich 
beim Menschen nicht auf eine gleichbleibende Dauer zu- 
• rückbringen, bis zu welcher ihr Leben sich erstrecken 
müfste; nur so viel ist gewifs, dafs die wenigsten Men- 
schen ein Alter von hundert Jahren erreichen, noch we- 
nigere dasselbe überschreiten. Bestimmter lassen sich die 
Zeitabschnitte angeben, während welcher die Lcbensthä- 
tigkeit zur Entwickelung gelangt, in einem sich gleich 
bleibenden Zustande verharrt und im Abnehmen begriffen 
ist. So bezeichnet das fünfzigste Jahr, welches zunächst 
auf den siebenfachen Cyklus von sichen Jahren folgt, ganz 
deutlich die Grenze der voilkräftigen Lebensenergic, wie 
dies besonders beim weiblichen Geschlechtc unverkennbar 
ist, dessen Fortpflanzungsvermögen um jene Zeit aufhört. 
Auch beim männlichen Gesehlechte läfst sich, wenigstens 
in Bezug auf letzteres, eine merkliche Abnahme der Kräfte 
spüren. Ueberdies hört bei beiden die Zunahme des Kör- 
pers nach jeder Richtung auf; ihre Kräfte sind nicht im 
. gleichen Grade der Anstrengung und dem Ertragen kör- 
perlicher Beschwerden gewachsen* Denn wenn die Greise 
wegen Ucbung und Gewohnheit den Jüngeren an Urtheils- 
kraft überlegen sind, so stehen sie ihnen dofeh an aus- 
dauernder Thätigkeit nach. 

Noch deutlicher tritt der Wechsel der Lebensenergie 
hervor iji den besonderen Zeitabschnitten, welche als be- 
stimmte Stufen des Alters bezeichnet werden! Diese sind, 
die Kindheit, das Knaben- und Jünglingsalter, die Jahre 
der Mannheit, des beginnenden und vollendeten Greisem 
thums. Die erste erstreckt sich bis zum siebenten, das 


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126 


K 


Knabenalter ,bis zum zwölften oder vierzehnten Jahre 
die Jugend währt bis zum zwanzigsten, das blühende Le- 
bensalter etwa bis zum fünf und dreifsigsten Jahre. Die 

* v 

Mannheit rechnet man gewöhnlich bis zum fünfzigsten Jahre; 
jedoch lehrt eine sorgfältigere Beobachtung ? dafs mit dem 
siebenten Cyklus von sieben Jahren eine merkliche Ab- 
nahme der Kräfte eintritt, und daher der Begriff des stehen- * 
den Alters eine grofsc Ungleichformigkeit in sich schliefst. 
Noch unzulässiger ist es, den Anfang des Greisenthums im 
fünfzigsten Jahre zu leugnen, und dasselbe bis zum sech- 
zigsten hinauszuschieben. 

Der gedachte siebenfach siebenjährige Cyklus, auf wel- 
chen unmittelbar das, fünfzigste Jahr folgt, umfafst alle 
kleineren Perioden des menschlichen Lebens. Denn wäh- 
rend sieben Monate wird die Bildung des Menschen voll- 
bracht, so dafs er in Bezug auf sie, wenn auch nicht rück- 
sichtlich der Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Körpers, 
zur Geburt reif ist. Im siebenten Jahre fangen die Milch- 
zähne an auszufallen, und werden durch neue im Laufe der 
nächsten sieben Jahre ersetzt, bei deren Beendigung die 
Pubertät eintritt, welche sich beim weiblichen Geschlechte 
durch das Erscheinen des monatlichen Blutflusses, beim 
männlichen durch die Umwandlung der hohen Stimme in 
eine tiefere und rauhere ankündigt. Während des dritten 
siebenjährigen Cyklus trägt sich keine, auffallende Verän- 
derung zu; jedoch nach Ablauf der ersten Hälfte des fol- 
genden, wenn also der siebenfach siebenjährige Cyklus bis 
zur ersten Hälfte verstrichen ist, hört das Wachsthum des 
Körpers in die Länge auf, wiewohl noch eine Zunahme 
desselben in Bezug auf Festigkeit, Dichtheit der Theile be- 
sonders der Knochen statt findet, und bis zum Schlufs des 

* 

ganzen Cyklus, also bis zum neun und vierzigsten Jahre 
fortdauert. 

Am kürzesten sind die zu allen Zeiten wahrgenom- 
menen Perioden, an welche die Lebensthätigkeit bei dem 
Geschäfte der Krisen in den Fiebern gebunden ist; denn 


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nJ* 




127 

die Austreibung der Krankheitsstoffe, worin dasselbe be- 
steht, geschieht durchaus an bestimmten Tagen. 

Erwägt man die angegebenen Thatsachen näher, so 
läfst sich aus ihnen weder ein Grund ableiten, warum dem 
Leben des Menschen ein natürliches Ziel gesetzt ist, noch 
die Ursache der einzelnen Lebensalter und der in ihnen 
' vorgehenden Veränderungen angeben. Die Erklärung des 
Todes aus einer Entartung der Materie des Körpers und 
der aus ihr gebildeten Organe ist unbrauchbar, da die Feh- 
ler derselben allmäklig verbessert und ausgeglichen wer- 
den können, wie dies bei Verletzungen einzelner Theile 
. geschieht. Jene Mangelhaftigkeit der erhaltenden Tliätig- 
keit mufs also in der Beschränkung der Lebenskraft inner- 
halb gewisser Grenzen begründet sein, da sich aufserdem 
kein Grund, angeben läfst, weshalb erstere nicht unendlich 
fortdauern könnte. Denn auf die Materie kommt es hier- 
bei nicht an, da sie sogleich in den ersten Tagen dieselbe 
Neigung zur schnellen Zersetzung, wie in den spätesten 
Jahren hat. ] 

Eben so hängen die in den einzelnen Lebensaltern er- . 
folgenden Veränderungen in deb Textur der Körpertheile, . 
nach denen man jene auf den ersten Blick erkennen kann, 
nicht von der Gröise und: Stärke des Körpers ab, da letz- 
tere bei jugendlichen Personen zuweilen angetroffen, bei 
bejahrteren vermifst werden. * < 

Zur Erklärung des in gewissen Lebensaltern hervor- 
tretenden und verschwindenden Fortpflanzungsvermögens, 

• * r 

besonders beim weiblichen Geschlechte, mögen nachste- 
hende Bemerkungen dienen. Es wurde schon bemerkt, dafs 
zwischen dem zweiundvierzigsten und fünfzigsten Jahre die 
Zunahme des Körpers aufhöre, daher auch um diese Zeit 
zufällige Verletzungen weit langsamer und schwerer ge- 
heilt werden, als in frühem Lebensaltern. Da nun zur 
Austragung und Ernährung des Fötus im Uterus eine stär- 
kere Ausdehnung und Entwickelung der Textur und der 
Gcfäise des letzteren erfordert wird, und überdies das Blut 


i 


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# . 


128 

aus dem ganzen Körper gleichsam durch eine Zusammen- 
ziehung desselben nach dem Uterus hingedrängt werdeu 
mufs, um dem Fötus die ernährende Lymphe im hinrei- 
chenden Maafse zuzufdhren; so setzen diese Bedingungen 
ein eigenthümliehcs Vermögen der Zuleitung voraus. Wenn 
aber der weibliche Körper zu jener Zeit schon unfähig 
geworden ist, an seiner eigenen Fortbildung weiter zu ar- 
beiten; so mufs er noch vielmehr aufser Stand gesetzt sein, 

' zu dem ungleich schwierigeren Geschäft der Ausbildung 
und Ernährung eines in ihm entstehenden fremden Kör- 
pers mitzuwirken. 

Diese Erwägung der Verringerung des bildenden Ver- 
mögens erlangt dadurch eine grofse Wichtigkeit, dafs die 
Energie der Seelenthätigkeit in jedem Lebensalter einen 
cigenthümlichen Charakter annimmt, und mit der Struk- 
tur des Körpers und seinem Gebrauch in einem deutlichen 
Zusammenhänge steht. So ist z. B. das Vermögen und die 
Fertigkeit des Geistes, Vorstellungen zu vergleichen, und 
Schlüsse aus ihnen zu ziehen, im früheren Alter geringer, 

i 

als im reiferen. Mit Unrecht erklären dies einige aus einer 
unzureichenden Ausbildung der Organe, denn der gedachte 
Unterschied bezieht sich nicht auf die Art, sondern blos 
* auf die Menge der Vorstellungen. Auch die Knaben ha- 
ben das Vermögen der Intelligenz, es erstreckt sich aber 
wegen Mangel an Uebung und an Gewandheit nur auf 
wenige Gegenstände, welche sic mit einander vergleichen 
können. Daher zeichnen sich Knaben, welche zu einer 
lebhafteren Geistesthätigkcit angespornt und ^mit Neigung 
zu derselben erfüllt werden, durch einen frühzeitig schar- 
fen Verstandesgebrauch aus. Niemand wird deshalb zu 
der Behauptung verleitet werden, dafs jene Regsamkeit 
des Gemüthes und Anstrengung des Willens eine schnei- 

j 

lere Entwickelung der organischen Bedingungen bewirkt 
habe; vielmehr tritt geradezu das Gegentheil ein, da bei 
solchen Knaben, je weiter sie in der geistigen Ausbildung 
vorangeeilt sind, desto mehr der Körper geschwächt, und 
' in 


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in seiner Entwickelung zurückgehalten wird. Daher be- 
einträchtigt sich ein so überwiegender Verstandesgebrauch 
auf die Dauer selbst; er führt vielmehr Fehler des Ge- 
dächtnisses, der Phantasie herbei, als dafs er eine frühreife 
Vervollkommnung der körperlichen Organe bewirken sollte.' 

Noch einleuchtender zeigt sich dies Vermögen der 
Seele, die gehörige und lebhafte Entwickelung des Kör- 
pers aufzuhalten, bei dem mit Verlangen gepaarten Kum- 
mer, den die Deutschen Sehnsucht nennen. Eine. häufige 
Erfahrung lehrt, dafs Knaben, welche in die Fremde ge- 
sandt werden, und sich dort nicht gewöhnen können, an- 
statt zu wachsen, vielmehr mager bleiben, und endlich ab- 
zeliren, zu den Ihrigen zurückgekehrt aber ihre frühere 
Heiterkeit bald wiedergewinnen, und in der Ausbildung 
ihres Körpers rasch fortschreiten. Eben so gilt von einem 
neidischen , ' boshaften und zornmüthigen Menschen das 
Sprichwort: es sei ein grämisches, mifsgünstiges Gemüth, 
und könne vor Gram und Neid nicht gedeihen noch zu- 
nehmen. 

* / 

Invidus alterius macrescit rebus opimis. 

Wiewohl unläugbar Schwelgerei den Körper schwächt, 
und ihn in ein frühzeitiges Greisenthum versetzt; so kann 
letzteres doch durch die höchste Mäfsigung nicht über die 
oben angegebene Zeit hinaus verschoben 'werden. Indefs 
ist es nicht minder wahr, dafs die Menschen durch ange- 
messene Thätigkeit ihren Körper dauerhaft machen, und 
dann noch im späteren Greisenalter frischer Kraft theilhaf- 
tig sein können, dagegen auf eine verweichlichte Lebens- 
art späterhin eine desto gröfsere Hinfälligkeit folgt. 

Iners et luxilriosa juventus effoetum corpui tradit senectui. 



Stahls Theorie d. Heillc* I. 


9 


130 


Sechstes Kapitel. 

Von der Sekretion und Exkretion als der 

obersten formalen Bedingung des Lebens. 

. ' r % * 

Mit dem immerwährenden Kreisläufe ist eine eben so 
ununterbrochene Absonderung der obengedachten Säfte, 
vorzüglich der Lymphe und des Serums unzertrennlich ver 
bunden. Die Lymphe wird vornämlich deshalb vom Blute 
und von dessen mehr auswurfstoffigem Serum abgeschie- 
den, damit sie, im Körper zurückbleibend, wenigstens auf 
einige Zeit in ihrer Reinheit wiederhergestellt, also geläu- 
tert, nach einigem Verweilen wieder in das Blut zurück- 
kehre, und mit ihm in einiger Vermischung abermals den 
Kreislauf durch alle Theile des Körpers antrete. Bei die- 
ser Absonderung der Lymphe verdient sowohl der Mecha- 
nismus in Erwägung gezogen zu werden, mit dessen Hülfe 
sie von statten geht, als der Zweck, dem sie dient. 

Ueberhaupt läfst sich der Mechanismus, vermittelst 
dessen die Scheidung der Säfte von einander zu Stande 
kommt, in einem allgemeinen und besondern Sinne betrach- 
ten. In Betreff des ersteren bietet sich das merkwürdige 
Paradoxon dar, dafs bei den Absonderungen derjenigen Säfte, 
welche nicht unmittelbar aus dem Körper entfernt zu wer- 
den bestimmt sind, die Trennung der dicklichen Bestand- 
thcile von den flüssigen auf die Weise zu Stande kommt, 
dafs jene durch feinste Kanäle in die für sie bestimmten 
Gefälse übergehen, von denen die flüssigeren ausgeschlos- 
sen zu werden scheinen. Um sich hierüber eine Erklä- 
rung zu verschaffen, mufs man sich daran erinnern, dafs 
die Blutgefäfse während des in ihnen immerfort umkrei- 
senden Blutlaufs fortdauernd im Zustande der Anfiillung 
begriffen sind, und daher keinen unmittelbaren und unge- 
hinderten Uebcrgang des Blutes aus den feinsten Veräst- 
lungen der Arterien in die der Venen bis in die gröfsrren 


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131 


Stämme derselben gestatten. Deshalb tritt eine Verzöge- 
rung ein, bis die Venen einen Tb eil ihres Inhalts entleert, 
und dadurch für die abermalige Aufnahme von Blut Raum 
gewonnen haben. Indern also die mit dem eigentlichen 
Blute umkreisenden Säfte auf den Uebergangspunkten zwi- 
schen den Arterien und Venen eine Pressung erleiden, 
werden die dünnflüssigen unter ihnen während dieser Zwi- 
schenzeit in die Poren und Gänge der umgebenden wei- 
chen Theile hineingetrieben, und erst nach ihrer seitlichen 
Entweichung gelangt das übrig gebliebene und daher dick- 
licher gewordene Blut in die Venen. 

Wiewohl diese Theorie auf die Absonderung der übri- 
gen Säfte, der Lymphe, des Saamens, der Milch, unge- 
zwungen angewandt werden kann,, so bedarf sie hier doch 
noch der Vervollständigung durch die Angabe einer eigends 
dazu bestimmten mechanischen Vorrichtung. Die genann- 
ten Säfte scheinen nämlich nicht eben dünnflüssiger zu 
sein, als das eigentliche Blut, doch beweiset ihre halb- 
durchsichtige Beschaffenheit das Gegentheil. Auch treten 
jene dicklichen Säfte in einem sehr verflüssigten Zustande, 
nämlich durch vieles Serum verdünnt, in die für sie be- 
stimmten Absonderungskanäle ein. Jedoch geschieht dies 
nicht vermittelst eines ungehinderten Impulses, sondern 
während sie ihre Kolatorien durchwandern , erfahren sic 
eine oft bedeutende Verzögerung, so dafs die flüssigem 
Theile Zeit gewinnen, sich von den dicklichen abzutren- 
nen. Dafür sprechen folgende Gründe : 1 ) die geringe 
Menge der letzteren im Vergleich mit der gesammten Säf- 
temasse; 2) die grofse Zartheit der lymphatischen Gefafse, 
welche ein Durchschwitzen der wässrigen Bestandteile, 
also deren Trennung von den dicklichen zulassen; 3) die * 
Beschaffenheit der abgesonderten Säfte selbst, z. B. der 
Milch. Denn wenn diese zu häufig und reichlich ausge- 
sogen wird, also wenn zwischen den wiederholten Aus- 
leerungen derselben keine hinlängliche Zeit verstreicht, so 

fällt sie dünner und wässriger aus, und umgekehrt. Das- 

\ ✓ 

0 * 


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132 


v 


selbe zeigt sich bei den Auswurfsstoffen , denn auch der 
bald nach dem Genufs von Getränken gelassene Urin ist 
sehr reichlich und wässrigt, dagegen er mehrere Stunden 
hindurch zurückgehalten, in geringerer Menge und gesät- 
tigter zum Vorschein kommt. Dies gilt sogar von den 
Darmausleerungen, welche nach zu kurzen Zwischenzeiten 
sich wiederholend, eine flüssigere Beschaffenheit annch- 
men, dagegen aus trockenen und harten Ballen bestehen, 
wenn sie über die Gebühr zurückgehalten wurden *). 

Wir müssen daher noch die verschiedene Weite der 
Absonderungsgefafse in Betracht ziehen, durch welche sie 
für die Aufnahme dicklicher oder verdünnterer Säfte ge- 
schickt werden. Nach dem Zeugnils der Erfahrung ist die 
Lymphe beträchtlich dünner als das Blut, dicklicher als 
das Serum ; x der Speichel , der Lungenaus wurf und der 
Darmschleim haben eine flüssigere Beschaffenheit als die 
Galle; der Urin ist in dieser Beziehung veränderlich, je- 
doch stets dicklicher, als der Schweifs. Die Milch und 
der Saamen erscheinen zwar bei ihrer Ausleerung sehr 
dicklich; indefs gilt auch vou ihnen die frühere Bemer- 
kung, dafs sie in einem sehr verflüssigten Zustande in ihre 
Absonderungsgefafse eintreten, und erst während ihres 
Durchganges durch dieselben sich von den seitlich durch 
deren Wandungen entweichenden wässrigten Bestandthei- 
len befreien. 

Zu den wesentlichen Bedingungen des Absonderungs- 
geschäfts gehört daher vornämlich ein bestimmtes Zeit- 
maafs; es tritt aber auch in Bezug auf einige Arten des- 
selben der merkwürdige Umstand ein, daJfe ein Sckrctions- 

*) Stahl widerlegt an dieser Stelle die Lehre der Jatroma- 
themaiiker von der Absonderung. ' Bekanntlich nahmen sie an, 
dafe die Atome jeder abzusondernden Flüssigkeit eine eigenthüra- 
liche Gestalt hätten, und daher nur durch gleichgeformte Poren 
der Gefäfse in die für sie bestimmten Sekretionsorgane cindringen 
könnten. Für uns haben die hierüber geführten Streitigkeiten kei- 
nen Werth mehr. 


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133 

' » 

organ von geringer Masse oft sehr reichliche Absonderun- 
gen zu Stande bringt, ungeachtet in ihm nach Maalsgabe 
seiner Kleinheit die Abscheidung langsam von statten ge- 
hen, und im Verhältnifs zur Zeit nur eine seltene Aus- 
scheidung geschehen sollte. Wenn also doch unter diesen 
Bedingungen innerhalb kurzer Zeit reichliche Ausleerungen 
erfolgen (z. B. aus den Nieren beim Diabetes, aus den 
Drüsen des Darmkanals beim Durchfall), so mufs dies dem 
während dieser Zeit erschlafften Tonus jener Theile bei- 
gemessen werden; auch zeichnen sich die Aus wurfsstoffe 
- dann durch eine beträchtliche Verdünnung im Vergleich zu 
der Beschaffenheit aus, welche sie beim gehörigen Von- 
stattengelien der Absonderung annchmen. Die Ursache 
der verzögerten Sekretionen ist indefs nicht blos in der 
Kleinheit der abscheidenden Organe enthalten, sondern 
auch in dem Verhältnifs letzterer zu den Blutgefäfsen, 
welche, wenn sie in ihnen nur in geringerer Zahl und 
unbeträchtlicher Gröfse enthalten sind, den Andrang des 
Blutes beschränken, daher dann ein längeres Zeitmaafs er- 
forderlich ist, um aus jenem bei seinen wiederholten Um- 
läufen etwas abzuscheiden. Eine solche organische Ein- 
richtung findet man daher auch in denjenigen Absonde- 
rungswerkzeugen, welche zur Entfernung von Stoffen be- 
. stimmt sind, die nicht mit einem Male und völlig ausgc- 
leert werden sollen, sondern eben so, wie sie allmählig 
sich erzeugen, da sie keine schnell wirkenden Schädlich- 
keiten darstellen, auch nur larigsam ausgestofsen zu wer- 
den brauchen, ehe sie sich zu sehr anhäufen. 

Mit wenigen Worten mag noch der neueren Vorstel- 
lungsweise gedacht werden, nach welcher die kleinsten 
Theilclicn der Auswurfsstoffc vermöge ihrer Gestalt die 
Absonderungswerkzeuge reizen, und dadurch zur Zusam- 
menziehung und ihrer Austreibung veranlassen sollen. Aber 
der Begriff der Reizung (in'itxdio) ist nicht nur mit den 
mechanischen Verhältnissen der Dinge unvereinbar, son- 
dern es widerspricht jener Hypothese auch die Erfahrung, 


' \ 


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134 


da z. B. nach dem reichlichen Genuf von Flüssigkeiten 
sogleich eine Menge dünnen, vom Wasser kaum verschie- 
denen Urins abgesondert wird, während ein an Salztheilen 
reicher, wie er sich bei hektischen und wassersüchtigen 
Personen zeigt, nur sparsam und selten abgeht. Eben so 
steht mit jener Meinung in Widerspruch die Absetzung 
abführender Arzneien auf den Darmkanal, wenn jene durch 
die chirurgische Operation der Infusion unmittelbar in das 
Blut eingebracht waren; desgleichen die Angewöhnung, 
die Ausleerungen zu gewissen Stunden bei , Tage oder 
Nacht vorzunehmen, wobei es weder auf die Menge der 
Auswurfstoffe, noch auf ihre saturirte Beschaffenheit und 
ihre Reizkraft ankommt. 


Siebentes Kapitel. 

k \ 

1. 

Von der Absonderung der Lymphe. 

• « 

Den Alten war nicht nur die Lymphe unbekannt, 
sondern sie hatten auch von dem Baue und dem Nutzen 
der Drüsen eine sehr mangelhafte Kenntnif. Erst den 

Neueren gebührt das Verdienst, beide genaueren Untcrsu- 

« 

chungen unterworfen zu haben, und so war es Bartholin, 
welcher zuerst die lymphatischen Gefafse im Gekröse ent- 
deckte, worauf Warthon uns mit einer vollständigeren 
Adenographie beschenkte. Zu diesen Entdeckungen fügte 
Pecquet die des Brustganges, und Asellius machte vorzüg- 
lich bei den Thieren auf die in der Mitte des Gekröses 
gelegene Hauptdrüse aufmerksam. Bartholin, und nach ihm 
mehrere, wollten zwar einen Unterschied zwischen den ge- 
wöhnlichen lymphatischen Getafen im Gekröse und den 
eigentlichen Milchadern machen; auch verkannte man es, 
daf die Saugadern der Leber gleichfalls ihren Inhalt in 


4 * 


% 


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den Brusfgang ergiefsen; jedoch wurde es in der darauf 
folgenden Zeit aulser Zweifel gesetzt, dafs fast aus allen 
Theilen des Körpers auf gleiche Weise eine bedeutende 
Menge zurücklaufcnder Saugadern, welche sich dann ver- 
einigen, hervorgeht, und Ruysch so wie Rudbeck stellten 
dies auf sehr sorgfältig gezeichneten Tafeln dar. 

Es giebt für die Absonderung der Lymphe und ihre 
Wiederaufnahme eigenthümliche Organe, für jene die Drü- 
sen, für letztere die Saugadern. In Bezug auf die Drüsen 
will man jetzt die Ansicht der Alten, welche sie mit den 
Schwämmen verglichen, nach deren Art sie dünne Flüs- 
sigkeiten aufzusaugen vermögten, verwerfen, und man 
denkt sich dieselben als Knäuel, welche aus sehr feinen, 
faden gl eichen, in zahlreichen Wirbeln verschlungenen Röh- 
ren bestehen sollen, die sich dadurch in Kugelgestalt zu- 
sammenballen, und bei ihrem Eintritt in die Drüsen aus 
den feinsten Verzweigungen der Arterien entspringen, an 
ilireni anderen Ende aber sich allgemach erweiternd, wenn 
auch mit zarten Wandungen begabt, als Lymphe führende 

Geföfse sich darstellen. Es läfst sich zu Gunsten dieser 

« 

Meinung allerdings der ähnliche Bau der Hoden anführen; 
indefs ist die blofse Aehnlichkeit nicht schon ein Beweis 
der Gleichheit. Auch eignet sich die Vorstellung von der 
schwammartigen Struktur der Drüsen weit besser für die 
Erklärung der Abscheidung der dünneren Lymphe von 
dem dicklicheren Blute, und ersterer von dem noch mehr 
verflüssigten Serum. 

Die Struktur der lymphatischen Geföfse zeichnet sich 
durch zwei Eigenthümlichkeiten aus, durch ihre Zartheit 
und durch die Menge der Klappen. Erstere ist so beträcht- 
lich, dafs jene Geföfse, von den umgebenden Theilen ent- 
blößt, schon bei einer derberen Berührung mit dem Fin- 
ger zerreißen. Indefs da sie anderen zäheren Theilen gleich- 
sam sich einflechten; so erleiden sie. höchst selten eine Zer- 
reifsung, ungeachtet diese leicht erfolgen sollte. Merkwür- 
dig bleibt es daher, dafs sie beim Menschen mehr als bei 


4 


136 


t 


den Thieren durch umgebende Fasergewebe geschützt sind, 
und dennoch bei jenen die Wassersucht, welche man von 
ihrer mechanischen Verletzung herleitet, häufiger vorkommt. 

„ Doch erklärt sich dies leicht aus ihrer bereits erwähnten 

i ■ 

grofsen Zartheit, .welche ihnen eben deshalb zugetheilt 
zu sein scheint, damit sic um so leichter die Trennung 
des wässrigen Serums von der Lymphe bewirken mögen. 
Denn da letztere eine dickliche, gallertartig - schleimige 
Konsistenz hat, vermöge welcher sie in Verbindung mit 
dem salzigt- gallichten Serum leicht eine zäh- schleim igte 
Beschaffenheit ( consisteniia lenta mucescens ) annehmen 
könnte; so mulste eine Vorkehrung getroffen werden, dafs 
durch eine länger unterhaltene Vermischung beider nicht 
die zuletzt genannte Entartung herbeigefiihrt werde, und 
diese wird eben durch die frühzeitige Trennung jener ver- 
hütet. Die Erfahrung liefert Beläge hierüber, dehn wenn 
die Drüsen in der Leber, dem Gekröse, der Haut, oder 
noch mehr, wenn sie in allen diesen Organen gleichzeitig 
verstopft werden, und daher die gedachte Abscheidung 
nicht geschehen lassen, so entsteht daraus eine Wasser- 
sucht, bei welcher die lymphatisch-serösen Säfte eine Be- 
schaffenheit wie aufgelöseter Tragantschleim annehmen. 
Durch jene Abscheidung wird aber eine solche Entartung 
abgehalten, und während die Lymphe geläutert in den 
Kreislauf zurückkehrt, entweicht das Serum seitlich auf 

p 

mannigfachen Ausleerungswegen. Der Rücktritt der Lym- 
phe in die Blutgefäfse wird durch die Klappen der Saug- 
adem befördert; ferner durch den allgemeinen Tonus, wel- 
cher auf sämmtliclic Säfte des Körpers einen fortwähren- - 
den Druck ausübt, und dadurch ihre Weiterbewegung un- 
terstützt; endlich durch das Pulsiren der Arterien, denen 
daher die Lymphgefafse grofsentheils zur Seite vermittelst 
zäher Fasern angeheftet sind. 


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137 


Von der Absonderung des Serums. 

Das Serum stellt ein Gemisch mehrerer Flüssigkeiten 
dar ; deshalb wird seine Absonderung nicht von einem ein- 
zelnen Organe, sondern von verschiedenen nach der Ver- 
schiedenheit seiner Bestandteile vollbracht. Letztere fol- 
gen rücksichtlich ihrer Menge in nachstehender Reihe auf 
einander 5 zuerst eine höchst verdünnte wässrigtc Flüssig- 
keit, dann eine mehr dicklich -schleimigte, mit welcher 
sich Salztheile verbinden; hierauf folgt eine gallichte oder 
sch wcf licht- scharfe Flüssigkeit. . 

Es wurde schon bemerkt, dals die Poren der abson- 
dernden Organe der Konsistenz der durch sie auszuschei- 
denden Stoffe völlig mit ihrer Gröfse entsprechen; dies 
findet sich auch im vorliegenden Falle bestätigt. Denn es 
läfst sich nicht bezweifeln, dafs die Haut unter allen Se- - 
kretionsorganen das dichteste Gefüge hat; durch sie wird 
daher die Abscheidung der verdünntesten Flüssigkeit, des 
reinen Wassers, und die Ausstofsung desselben bewirkt. 
Aber nicht letzteres allein findet Eingang in die Haut, 
denn wenn diese durch ein unvorsichtiges Kratzen exeo- 
riirt wird, so schwitzt auf ihrer Oberfläche eine gallert- 
artige, lymphatische Feuchtigkeit aus, welche bald zu Kru- 
sten verhärtet. Die eigentliche Ausscheidung des wässri- 
gen Bestandteils geschieht daher durch das Oberhäntchcn, 
welches die Haut gleich einer Decke umgiebt. Doch hat 
auch letztere in ihrer Gesammtheit daran Theil, da sie, 
wenn nur das Oberhäutchen verletzt ist, blos eine klare 
Flüssigkeit absondert. In die Haut sind überdies sehr feine 
Blutgefafse und ungemein zarte Drüsen verwebt, damit 
jene die Säfte zuführen können, aus denen eine Absonde- 
rung geschehen soll, die Drüsen hingegen die zurückfüh- 
rende Lymphe in sich aufnehmen mögen. Das übrigo 
dichtere Gewebe der Haut ist dagegen zur Abscheidung 
des wässrigen Bestandteils von den dicklichem und zur 




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138 


Ausstofsung desselben durch ihre Oberfläche bestimmt. Ge- 
wöhnlich geschieht indels diese Ausleerung nicht in wäfs- 
riger, sondern in dunstförmiger Gestalt, als unmerkliche 
Hautausdünstung. Wenn aber bei Bewegungen der Kör- 
per mit seinen Säften in eine höhere Temperatur versetzt 
wird, so erfolgt jene Ausleerung so reichlich, dafs sie in 
flüssiger Form als Schweife zum Vorschein kommt, der, 
60 lange er ruhig fliefst, eine höchst dünne, wässrige Feuch- 
tigkeit darstellt, und daher auch aus den Kleidern weit 
früher verdampft, als jede andere Nässe. Wenn er indels 
mit gröfserer Heftigkeit hervorbricht, so nimmt er selbst 
Salztheilchen mit sich hinweg, welche zuweilen dem Blute 
im Uebermaafse beigemischt sind. Noch gröbere Stoffe, 
welche zuweilen mit dem Schweifee entleert werden, z. B. 
zähe Lymphe, gelbe Galle, ja sogar Blut, deuten auf eine 
widernatürliche Erschlaffung der Ausfuhrungsgänge hin, und 
kommen daher liier weiter nicht in Betracht. 

Das Organ dieser Absonderung umgiebt zwar als Haut 
den ganzen Körper, und nimmt in sich zahlreiche Blutge- 
fäfse, zumal an den Stellen auf, wo blutreiche fleischige 
Theilc unter ihnen gelegen sind; indels bietet nicht sie 
allein den wässrigen Flüssigkeiten einen Ausgang dar, son- 
dern diese entweichen auch von anderen Flächen, welche 
sich im Innern des Körpers zu einem grolsen Umfange aus- 
breiten. Hierher gehört besonders die Membran, welche 
sämmtliche Lungenzellchen auskleidet, und daher eine un- 

v 

gemein grofse Ausdehnung hat. Auch sie scheidet den» 
wässrigen Theil des Blutes von den übrigen ab, und stöfet 
ihn in Dunstgestalt aus. Schätzt man die Menge desselben 
nach dem ununterbrochenen Fortgange der Ausleerung ab, 
so mufs sie sehr beträchtlich ausfallcn. 

Auch die in der Brust und dem Unterleibe gelegenen 
Organe hauchen auf ihren nicht mit einander verwachse- 
nen Oberflächen einen wässrigen Dunst aus, daher diese 
fortwährend feucht bleiben, und an ihrer Verklebung mit 
einander verhindert werden. Ohne Zweifel findet auch 


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139 


eine Rückkehr dieser Feuchtigkeit durch Einsaugung in 
die blutfiihrenden Venen statt, wie sich dies am auffal- 
lendsten bei den Wassersüchtigen zeigt, deren oft sehr be- 
trächtlichen Wasseransammlungen unter dem Gebrauche 
kräftiger harntreibender und abführender Arzneien einge- 
sogen, nach den Nieren und dem Darmkanal geleitet und 
ausgeleert werden. 

Mit diesen wässrigen Theilen entweichen auch dunst- 
formige Stoffe, welche oft in dieser Gestalt Eingang in den . 
Körper finden, wie dies z. B. von den Kontagien gilt; auch 
gehören hierher die eigenthümlichen Riechstoffe, welche 
mit einem reichlichen Schweifse, wenigstens mit einer ver- 
stärkten Ausdünstung ausgestofsen werden. Selbst die Kon- 
tagien entweichen unmerklich auf diesem Wege, wenn 
die durch sie veranlagten Krankheiten einen günstigen 
Ausgang nehmen, wie dies bei guter Körperkonstitution 
zu geschehen pflegt, welche sich überhaupt durch ruliiges 
und geregeltes Vonstattcngehcn aller Funktionen auszeich- 
net, und namentlich eine gehörige Ausleerung der auszu- 
scheidenden Stoffe bewirkt. Merkwürdig ist die Richtung 
der Naturthätigkeit bei bösartigen Kontagien, da sie, J um 
deren Abscheidung auf dem angezeigten kürzesten und si- 
chersten Wege zu Stande zu bringen, die inneren Abson- 
derungsorgane, namentlich die Gedärme verschliefst, und 
dergestalt das mit den Kontagien geschwängerte Blut nach 
den äulseren Ablagerungsstellen hintreibt. 

Die durch reichlichen Gehalt an salzigt - schleimigen 
Stoffen dicklicher gewordenen Wassertheilchen werden . 
durch die Nieren ausgeschieden. Letztere bilden halbei- 
förmige Körper, aus deren Mittelpunkte die Blutgefalse • 
nach dem Umfange hin sich ausbreiten, wo das Blut beim 
Durchgänge durch die Rindensubstanz nur den gewöhnli- 
chen Druck erleidet, so dafs jene salzig-schleimigen Theil- 
„ eben noch sehr verflüssigt aus ihm abgeschieden, und dem 
Mittelpunkte der Niere wieder zugeführt werden. Man 
kann sich durch sinnliche Wahrnehmung davon überzcu- 


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gen, dafs das Nierengewebe von der Rinde aus, wo es 
sich weich ^n fühlen läßt, nach dem Mittelpunkte hin mehr 
und mehr verdichtet, und in seinem Marke gleichsam kon- 
stringirt und verdickt ist. Daher geschieht es denn, daß 
die feineren Thcilchen immer mehr von den gröberen gc- 
k trennt werden, und nur erstere in den engsten Kanälen 
einen Durchgang finden. 

Der Urin von, naturgemäfser Beschaffenheit stellt eine 
Flüssigkeit dar, welche aus vielem Wasser, einem mäfsi- 
gen Salzgehalt und einer stark verdünnten schleimig -ölig- 
ten Substanz, welche sich mit den Salztheilcn innig ver- 
bindet, zusammengesetzt ist. Zugleich muß er eine hell 
citronengelbe Farbe besitzen. Wemi er von ganz Gesun- 
den, die eine lebhafte Eigenwärme besitzen, und an den 
• reichlichen Genufs milder Getränke gewöhnt sind, entleert 
wird, so erscheint er ganz klar imd durchsichtig, und 
trübt sich erst nach einigen Tagen gleichförmig und mä- 
ßig. Bei denjenigen aber, welche viel essen, indeß mehr 
ein phlegmatisches als ein warmes Temperament besitzen, 
pflegt der Urin, bald nachdem er gelassen worden, sich 
zu trüben, und einen Bodensatz niederzuschlagen. Doch 
bleiht er in allen diesen Fällen so lange klar, als sich seine 
Wärme erhält. Wenn er sich aber sogleich bei seiner 
Ausleerung dick, also weder klar noch durchsichtig zeigt, 
wo er dann beim Erkalten nach Maafsgabe des Körperzu- 
standes oft einen reichlichen und dichten Bodensatz fallen 
läßt 5 so deutet dies darauf hin, dafs die Nierenkanäle nicht 
den gehörigen Grad von Zusammenziehung beibehalten ha- 
ben. Eben so giebt es andere Krankheitszustände, bei de- 
nen die gedachten Kanäle sich durch Zusammenschnürung 
zu sehr verengt haben, und daher nur eine fast ganz wäß- 
rige Flüssigkeit durchlassen, welche sich durch ihre bleiche 
Farbe deutlich vom gesunden Urin unterscheidet. Hieraus 
erhellt, daß auch in den Nieren eine bewegende Kraft 
thätig ist, durch welche ihre absondernden Gefäße bald 


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i 


erschlafft, bald zusammengeschnürt und verdichtet werden 
können. ' » . 

Man hat zur Erklärung der Urinabsonderung ein eige- 
nes Ferment angenommen, welches dem Harn seine Farbe 
und anderen Eigenthümlichkeiten mittheilen soll. Nun lälst 
sich zwar nicht bestreiten, dafs der Urin sehr zur Gah- 
rung (Fäulnifs) geneigt ist 5 aber man übersah dabei den 
grofsen Unterschied zwischen einer Geneigtheit zur Gäh- 
rung und einer unmittelbaren Entstehuug aus derselben. 
Wobei indefs im Allgemeinen nicht in Zweifel gezogen 
werden soll, dafs zur Erzeugung des Serums und seiner 
Bestandtheile überhaupt eine Gährung, nämlich eine eigen- 
thümliche innere Bewegung mitwirke. Auch reden wir 
hier nicht von jenen individuellen Eigenthümlichkeiten, 
durch welche ein Mensch vor dem andern so wie in Be- 
treff seiner ganzen Säftcmasse, als auch seines Urins sich 
auszeichnet. Denn da diese Modifikationen schon in der 
allgemeinen Säftemischung angetroffen werden (wie dies 
aus dem Spüren der scharfricchenden Hunde nach den Fufs- 
stapfen erhellt) so würde es vergeblich sein, sie in einzel- 
nen Flüssigkeiten besonders aufsuehen zu wollen. 

Die Urinabsonderung geht ohne Unterbrechung von 
statten; daher lliefst der Harn fortwährend aus den Nie- 
ren durch ’ die Harnleiter ab, welche häutige, aus engver- 
webten Fasern bestehende Schläuche darst eilen, sich aber 
auch zuweilen bis zu einer beträchtlichen Ausdehnung er- 
weitern können. Im physisch-mechanischen Sinne verdient 
die Art der Einmündung der Uretercu in die Blase be- 
merkt zu werden, welche so eingerichtet ist, dafs der 
Urin aus dieser nicht wieder zurückfliefsen kann. Denn 
jene verlaufen eine Strecke zwischen den äufsern starken 
Fleischfasern und der inneren Haut der Blase, ehe sie sich 
in diese mit einer Papille öffnen. Letztere wird daher 
durch einen Druck von dem Innern der Blase aus zusam- 
mengedrückt, und verschliefst dann die Ureteren, dagegen 

1 * 


1 


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der durch sie hcrabfliefsendc Urin deren Oeffnung erwei- 
tert, und leicht durch sie heraustreten kann. Eine ähn- 
liche Einrichtung ist auch dem Gallengangc eigen. Wenn 
nun Gesunde gegen die Nacht reichlich Getränk zu sich 
nehmen, und durch tiefen Schlaf verhindert, oder aus Nach- 
lässigkeit den Harn nicht entleeren, so pflegen sie beim 
Erwachen eine Spannung und Völle zu empfinden, welche 
aus der Lendengegend durch die Weichen nach der Schaam- 
gegend sich erstreckt, und erst nach Ausleerung des häu- 
figen Urins verschwindet. Dies deutet darauf hin, dafe 
die Ureteren, welche sich in die angefiillte Blase nicht 
entladen konnten, durch ihre starke Ausdehnung dies Ge- 
fühl hervorbrachten. Zugleich erhellt hieraus das Vermö- 
gen der Natur, den Tonus der Fasern in den aufnehmen- 
den Behältern nach Maafsgabe der aufzunehmenden Flüs- 
sigkeiten nachgeben zu lassen; eben so findet hierin die 
frühere Angabe eine neue Bestätigung, dafs überhaupt, und 
so auph in der Blase von ihrem Inhalte, wenn er längere 
Zeit in ihr verweilt, der wässrige Antheil in grofser Menge 
von den Venen zurückgesaugt werden kann, und daher 
das Uebrige in einem verdicktercn Zustande hinterläfst. 
Gleichwie ferner durch den Urin aus dem Blute Salztheile 
mit dem Serum entfernt werden, so geschieht dies auch 
rücksichtlich der Salze, welche mit den Nahrungsmitteln 
genossen wurden. Als Beispiel mag die Erfahrung ange- 
führt werden, dafs Säuglinge, deren Ammen stark gesal- 
zene Speisen verzehren, nicht nur einen häufigen, sondern 
auch einen scharfen und salzigen Urin lassen, der ihre 
zarte Haut erodirt. Auf gleiche Weise verhält es sich mit 
den öligt- scharfen Stoffen; denn so wie überhaupt der 
Urin galiigt-öligte Theile enthält, so pflegen auch die 
durch den Mund eingeführten öligt- scharfen Substanzen 
ihren Weg nach den Nieren zu nehmen, um durch sie auf 
eine bequeme Weise aus dem Körper geschafft zu wer- 
den. Daher veranlassen das destillirte Bernstein- und das 


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113 


Terpentliinöl nicht nur eine reichlichere Absonderung des 
Urins, sondern sie theilcn demselben, auch wenn sie nur 
in geringer Menge genommen wurden, einen besonderen 
Geruch mit Während also die schärferen Oele die Schärfe 
des Urins vermehren, stumpfen die milden Oele dieselbe 
ab; 60 finden wir, dafs * jenes durch das Oel der bittem, ' 
letzteres durch das der süfsen Mandeln bewirkt wird. 

Dafs übrigens den Nieren eine tonische Bewegung 
(motu* tonicus ) inwohnt, welche ihre Zusammenziehung 
verstärken und abspannen kann, wird durch die auffallende 
Verringerung, selbst gänzliche Unterdrückung der Harnab- 
sonderung bei der Nierenentzündung bewiesen, welche sich 
durch ein bestimmtes Gefühl in der einen oder anderen, 

« 0 

besonders der linken Niere ankündigt. Dann wird auch 
die andere Niere auf konsensuelle Weise, ohne irgend eine 
anderweitige Verletzung, durch eine tonische Striktur der- 
gestalt verdichtet und zusammengezogen, dafs sie wenig 
oder gar keinen Urin durchläfst 

3 . 

• ' 

Von der Schleimabsonderung. 

Der Schleim, wenn er dem Körper unnütz und selbst 
schädlich zu werden anföngt, mufs alsbald aus ihm ent- 
fernt werden. Ersteres geschieht, sobald er seine flüssig- 
schlüpfrige Beschaffenheit verliert, und eine grofse Zähig- 
keit annimmt, und dann vielmehr ein Hindernifs für die 
Absonderungen abgiebt, anstatt sie zu befördern und zu 
erleichtern. Der Schleim wird gewöhnlich durch die Drü- 
sen und Zotten (1 villij der Gedärme abgeschieden, daher 
auch letztere meistentheils durch ihn auf ihrer Oberfläche 

* t 

schlüpfrig erhalten und gegen Verletzungen durch den vor- 
übergleiten den harten Darmkoth geschützt werden, gleich- 
wie letzterer durch die ihm mitgetheilte Glätte einen leich- 
teren Fortgang findet. Auch trägt de { r Schleim dazu bei, 


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144 


durch sein Eindringen in den Darmkoth denselben zusam- 
men zu halten und zu kleben, ihn in weicher Beschaffenheit 
zu erhalten, und zu verhindern, dafs er nicht austrocknet 
und verhärtet. Seltener, und fast immer zum Nachtheil 
geschieht es, dafs auch im Kelilkopfe, in der Luftröhre 
und den Lungen eine Schleimabsonderung statt findet; des- 
gleichen in der Nase, der Eustachischen Röhre und den 
Drüsen des Rachens, den Mandeln. Denn eine solche, oft ' 
reichliche Schleimerzeugung ist an den genannten Stellen 
stets lästig, nicht selten sehr gefährlich, zumal in den Lun- 
gen. Aber auch dem Urin mischt sich etwas Schleim bei, 
um so mehr, da die innere Oberfläche der Blase von ihm 
überzogen wird, um durch seine zähe Sclilüpfrigkeit gegen 
den Reiz des Urins geschützt zu werden. 

Gewifs mufs es unsre Bewunderung erregen, wie die 
mit; weiser Kunst angelegte organische Einrichtung Ein- 
fachheit der Mittel und doch volle Wirksamkeit zum 
Zweck vereinigt, da ein blofser, dem Körper schädlich ge- 
wordener Auswurfsstoff, eben zur Zeit seiner Entfernung, 
demselben noch einen so grofsen Nutzen stiftet, indem er 
die leichte Fortschaffung noch gröberer Exkremente mög- 
lich macht, die ohne ihn gar nicht geschehen könnte. Eben 
so schützt auch der Schleim die Darmhäute gegen die 
Schärfe der Galle, welche aufserdem heftig auf jene ein- 
wirken, und in ihnen durch einen brennenden Reiz krampf- 
hafte Zusammenschnürungen hervorbringen würde. Dies 
zeigt sich vornämlich auch bei den ungeborenen Kindern, 
in denen gleichfalls eine Abscheidutfg der Galle aus dem 
Blute und ein Abflufs derselben in den Darm statt findet 
Wiewohl jene eine milde Beschaffenheit hat, so würde sie 
doch auf die zarten Därme eine heftige Rcizkraft ausüben, 
wenn der vorhandene Schleim dies nicht verhütete. Da- 
her kann die Galle so lange im Darm zurückgehalten 
werden, bis das Kind nach der Geburt sie zusammt dem 
Sclileime als das sogenannte Meconium ausleert. 

t 

4. Von 

. 

• \ 

/ . • 


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145 


4 . 

Von der Gallenabsonderung. 

v 

Man hat es sich in neuerer Zeit angelegen sein las* 
scn, über die Galle, so wie über Alles, was zum Haus* 
halt des menschlichen Körpers gehört, mannigfache Mei- 
nungen aufzustellen. So gab es einige, welche die Abson- 

\ 

derung der Galle aus dem Blute nicht anerkannten, son- 
dern behaupteten, dafs sie aus den Speisen als der feinere 
und bessere Theil derselben durch den Gallengang in die 
fiir sie bestimmte Blase aufsteige. Wie sollte es aber wohl 
geschehen, dafs aus dem Gemenge von unvollkommen auf- 
gelöseten Speisen sich von selbst etwas durch einen ein- 
fachen Gang abscheide, nicht aber abgesondert würde? 

Auch läfst sich mit dieser Vorstellung niclit die Art der 
Einmündung des Gallenganges in den Darm in Verbindung 
setzen, da letztere, auf gleiche Weise wie beim Eintritt 
der Ureteren in die Blase beschaffen, nur den Abflufs in 
den Darm, aber nicht aus ihm zurück gestattet. Später 
wufste Sylvius lange Zeit hindurch den Beifall vieler für 
seine Behauptung zu gewinnen, -dafs zwar die Galle aus 
der Gallenblase entleert werde, jedoch nicht sowohl als 
ein Auswurfsstoff zu betrachten sei, sondern den sehr we- 
sentlichen Nutzen habe, den guten Chylus von den un- 
brauchbaren und fakulenten Theilen abzuscheiden. Diese 
Hypothese zerfallt aber in Nichts, wenn man bedenkt, dafs 
im menschlichen Körper die Galle unmittelbar mit dem 
pankr^atischen Safte sich vermengt, ehe sie in den Darm 
eintritt, und daher nicht dem Speisenbrei allmählig beige- 

f 

mengt werden kann, um aus ihm den Chylus* niederzu- 
schlagen. Doch mehr hierüber bei der Chylifikation. 

Andere halten die Galle für einen Balsam des Kör- 
pers, der aus seiner Blase in den Darm ergossen werde, 
nicht um sich mit den Auswurfsstoffen zu vereinigen, son- 
dern um vermischt mit dem Chylus in die Säftcmassc zu- 
rückzukehren. Diese balsamische Kraft soll vornämlich 
Stahfs Theorie d. HpiHr. ?. ' ' 10 


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I 


146 

zur Erhaltung einer gehörigen Säftemischung, zur Verhü- 
tung einer schleimigt-zähen oder vappiden Verderbnils der- 
selben, aus welcher besonders die hydropisclie Kachexie 
entspringe, dienen. Dem widerspricht aber die bei Wei- 
bern, zumal den jüngeren vorkommende Chlorose, welche 
gewöhnlich einen kachektischen, ödematösen Habitus her- 
beifuhrt, wobei sich zugleich eine galligte Konstitution 
durch die deutlich gelbe Farbe verräth. Zu dem beobach- 
ten wir bei der Gelbsucht, besonders bei ihrem höhe- 
ren, unter dem Namen der Schwarzsucht bekannten Grade, 
keine von den gerühmten vorteilhaften Wirkungen der 
Galle auf die übrigen Säfte, welche doch in diesem Falle • 
eintreten müfste. Uebcrdies haben sich die Anhänger die- 
ser Meinung nicht bestimmt darüber erklärt, ob sie jene 
Eigenschaft der Galle überhaupt, oder nur einem Bestand- 
theile derselben zuschreiben, ungeachtet sie nicht leugnen, 
dafs der gröfsere Tlieil der Galle mit dem Darmkoth aus- 
geworfen wird. Auch mögten sie es. schwerlich beweisen 
können, dafs ein Theil der Galle als unbrauchbares Ex- 
krement entfernt werden müsse, während ein anderer heil- 
same balsamische Kräfte besitze. 

So viel ist gewifs , dafs die , Galle dem Darmkoth die 
Farbe mittheilt, und mit demselben ausgeleert wird; denn 
sobald eine Verstopfung des Gallengangcs den Abflufs der 
Galle verhindert, nehmen die Exkremente gleich denen 
der Hunde eine weifse Farbe an. Ist sie aber im Ucber- 
maafse vorhanden, und hat sie zugleich eine verderbte Be- 
schaffenheit, so erfolgen mannigfache galligte Ausleerungen, 
welche bald an Farbe und Zähigkeit dem Eidotter glei- 
chen, bald die grüne Farbe des Grases, oder auch des 
Grünspans, zuweilen die bläijlicke Farbe des Waids zeigen. 
Diese Erscheinungen werden besonders bei Kindern wahr- 
genommen, und cs sprechen hier besonders folgende Gründe 
dafür, dafs die grünliche Farbe ihrer Ausleerungen von der 
Galle herrühre: \) die gewöhnliche Entstehung der schar- 
fen Verderbnifs, welche dieselben dann annehmen, vom 


i 


147 


< 


Zorn der Ammen, welcher auch bei Erwachsenen einen 
zu reichlichen Gallencrgufs zu bewirken pflegt; 2) kann 
man diesen Farbenwechsel der Galle aufserhalb des Kör- 
pers künstlich hervorbringen, wenn man ihr Säuren bei- 
mischt. Die Milch der Säugenden neigt sich von selbst 
zur Säure hin; wenn sie daher mit der, Galle zusammen- 
gährt, so theilt sic ihr jene mit, welches sich schon durch 
den Geruch, den sie verbreitet, verräth. 3) Hunde, welche 
alle anderen Exkremente def Säugenden begierig verschlin- 
gen, lassen die galligten Ausleerungen derselben unberührt. 
4 ) Die saure Schärfe solcher galligten Exkremente bewirkt 

’ _ 4 

Brennen und Exkoriationcn des Afters, welche besonders 
den Kindern heftige Bauchschmerzen verursachen; ja selbst 
die Leinwand wird zuweilen davon so stark korrodirt, 
als wenn sie in Scheidewasser getaucht worden wäre. 
Nicht unbegründet ist endlich die Ansicht derer, welche 
glauben, dafs die Galle durch ihren Zuflufs die Gedärme 
zur zeitgemäfsen Entleerung der von den Speisen f übrig 
gebliebenen Exkremente reize. Denn gleichwie eine ver- 
mehrte Schärfe der Galle die Därme heftig zu reizen ver- 
mag, auch die in Klysticren beigebrachte Galle anderer 
Thiere starke Ausleerungen bewirkt; so geschieht dies im 
gemäfsigten Grade gewifs auch durch eine natürlich be- 
schaffene Galle. 


5 . 

Von der Kothausleerung. 

Die bisher betrachteten Arten von Ausleerungen be- 
zogen sich auf Stoffe, welche im Körper einheimisch sind; 
dafs es aber auch solche giebt, durch die von aufsen auf- 
genommene und dem Körper nachtheilige Materien ent- 
fernt werden, lehrt ihr heilsamer Erfolg. Vornämlich ge- 

* 

hören hierher die gröberen Exkremente, welche von den 
festen Speisen nach Aufsaugung der feineren Nahrungs- 
theilchen Zurückbleiben. Bei ihnen findet keine Sekretion 
statt) aufser nur im negativen Sinne, in sofern von ihnen 

10 * 


148 

* 

\ 

i 

der Chylus abgeschieden und fortgeleitet wird, daher hier 
eigentlich nur von einer Exkretion die Rede sein kann. 
Diese geschieht durch die peristaltisclie Bewegung der Ge- 
därme, nämlich durch Zusammenziehung derselben von 
aufsen nach innen, welche ihren Raum verengt, und ihren 
Inhalt fortschallt. Diese Bewegung schreitet in einem be- 
stimmten Zeitmaafse fort, so dals sie innerhalb 24 Stun- 
den bis zur Ausleerung des Kothes gelangt. Sie erscheint 
daher sehr gemäfsigt, und es wird dies durch die beim 
Menschen beträchtliche Länge des Darmkanals , welche bei 
den grasfressenden Thieren noch bedeutender ist, bedingt 
Eben deshalb geht sie auch gleichsam heimlich, ohne eine 
Empfindung zu erregen, von statten. Dennoch ist sie man- 
nigfachen Veränderungen durch Angewöhnung unterwor- 
fen, da die Ausleerung bei einigen täglich zweimal, bei 
anderen binnen zwei Tagen einmal erfolgt. Befördert wird 
die Ausleerung durch hinreichende Verdünnung, und ma- 
rkige ^Körperbewegung, verzögert hingegen durch unthätige 
und sitzende Lebensweise und durch willkührlichcs Nicht- 
beachten des zu ihr aulfordernden Reizes. 

Dals der Koth nicht blos den Ueberrest der Speisen, 
sondern diesen auf eine merkliche Weise verändert ent- 
halte, erweiset sich aus seinem, wenn gleich nicht eigent- 
lich faulichten Gestank, so wie aus der bekannten Er- 
scheinung, dafs die verschiedenen Thiere, auch wenn sie 
dieselben Nahrungsmittel geniefsen, doch einen an Farbe 
und Konsistenz verschiedenen Koth ausleeren. Zum Theil 

i 

mag wohl dazu die Beschaffenheit der Galle beitragen, 
keinesweges aber ein willkührlich angenommenes Ferment, 
dessen Quelle man im Blinddarm suchte. Ohne auf diese 
Hypothese weiter einzugehen, mag nur so viel angemerkt 
werden, dals letzterer bei denjenigen Thieren, welche ihn 
von ansehnlicher Gröfse haben, zur Aufnahme und zeit- 
weiligen Aufbewahrung des Speisenbreies behufs einer 
letztlichen Verdauung desselben diene. Dies ist besonders 
bei den gras- und körnerfressenden Thieren, von denen 

t . ' 


i 


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149 


letztere ihn sogar doppelt besitzen, deutlich, da er bei 
ihnen an Kapacität den oberen TheiF des Darms noch 
übertrifft. 

Audi hier bestätigt cs sich, dafs von dem Auszuwer- 
fenden noch flüssigere Theile von den Saugadern aufge- 
nommen und in die gesammte Säftemassc übergeführt, und 
aus dieser auf anderen Wegen ausgeschieden werden. Dies 
wird indirekt durch die Dysenterie bewiesen, bei welcher 
oft eine solche Menge roher, seröser Materie durch den 
After entleert wird, dafs die Harnsckretion in Stöcken ge- 
räth. Sehr behutsam werden durch jene Darmbewegun- 
gen feste, durch ihre Gestalt leicht Gefahr bringende Kör- 
per fortgeschafft, wie man dies bei den nicht ganz selte- 
nen Glasschluckern, und in den Fällen beobachtet, wo 
ganze Pflaumensteine verschluckt wurden 5 denn selten er- / 
litt wenigstens der untere Theil des Darms dabei eine Be- 
schädigung. 

Die Verschiedenheiten jener Bewegung beziehen sich 
aber nicht blos auf deren gröfserc oder geringere Schnel- 
ligkeit, sondern auch auf ihre Richtung, welche sich oft 
umkehrt, so dafs sie von unten nach oben beim Erbre- 
chen, und besonders beim Ileus, erfolgt. Aber auch in 
ihrem gewöhnlichen Verlauf kann sie ungemein beschleu- 
nigt werden, zumal bei dem Durchfall und der Ruhr, wo 
oft das Getränk nach einer Viertelstunde wieder ausgelecrt 
wird. In diesen Fällen findet aber nicht nach der unrich- 
tigen Vorstellung eine geschwächte zurückhaltende Kraft, 
statt, welche man durch Schlaffheit, Glätte und Schlüpfrig- 
keit der Därme zu bezeichnen pflegte; sondern man rnufe 
hier eine gereizte austreibende Kraft voraussetzen, wel- 
che, von einer erhöhten Sensibilität ausgehend, sich durch 
eine beschleunigte Bewegung verräth. Nur darf man hier 
nicht an eine bis zur schmerzhaften Empfindung gesteigerte 
Sensibilität denken, da sehr häufig Darmschmerzen ohne 
jene Bewegungen, und hinwiederum diese ohne jene Vor- 
kommen. 


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I 


150 

. ; 6 . 

, Von der Saamenabsonderung. 

Wenn auch die neueren anatomischen Untersuchungen 
der Hoden, nach denen sie aus fadenähnlichen Kanälen be- 
stehen, die in zahllosen Windungen sich verschlingen, 
grofse Aufmerksamkeit verdienen, so läfst sich doch kein 
näheres Verhältnifs und keine Analogie zwischen jenem 
Bau und der eigenthömlichen Beschaffenheit des Saamens, 

« und dem Vorgänge bei seiner Absonderung und ferneren 

Bereitung auffinden. Wir können daher nur das Histo- 
rische bei dieser Absonderung ins Auge fassen, in wel- 
cher Beziehung uns zuvörderst der Zeitpunkt ihres Begin- 
nens wichtig wird. . Man nennt letzteren die Pubertät, 
welche am Schlufs des zweiten siebenjährigen Cyklus cin- 
tritt, wo die bis dahin gleichsam nutzlosen Hoden mit 
einemmale zur Saamenabsonderung sich anschicken, und 
gleichzeitig der ganze Körper beträchtlich wächst, insbe- 
sondere aber die drüsigten Organe und die Luftwege sich 
stärker entwickeln. Beim männlichen Geschlechte . kün- 
digt sich dies durch die Umwandlung der feineren Stimme • 
in eine tiefere und rauhere an ; beim weiblichen Geschlechte 
tritt nach der durch den ersten Beischlaf bewirkten Erre- 
gung der Genitalien und Veränderung der Säfte eine Tur- 

gescenz des Halses auf, daher in den Worten des Horaz 

• % 

— — - non queat hestemum collum circumdure Jilo eine sehr 
richtige Wahrnehmung ausgesprochen ist. 

Zwischen dem Zeugungsstoffe der Männer und den 
von den Genitalien der Weiber abgesonderten Flüssigkei- 
ten findet der Unterschied statt, dafs letztere nur zu den 
Sufscren Bedingungen der Zeugung gehören, und daher in 
die Scheide ergossen, nur die Ausübung des Beischlafs er- 
leichtern, nicht aber dessen Produkt bilden helfen. Hier- 
mit steht ein anderer Punkt in Verbindung, nämlich nicht 
ein nach alter unbegründeter Meinung feuchteres und käl- 


\ 


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151 


/ 


tcres Temperament der Weiber, sondern die mehr wäs- 
srige Krasis, welche sich in der Konsistenz ihrer Säfte und 
festen Theile verräth, während diese bei den Männern 
dicklich, gallertartiger, zäher sind. Das Fleisch der männ- 
lichen Thicre ist daher augenscheinlich röther und nimmt 
bei den Stieren, Böcken und Hähnen eine sogar für den 
Genufs unangenehme Zähigkeit an. Das Kuhfleisch hinge- 
gen, in welchem viele wässrige Bestandtheile enthalten 

■N 

sind, schrumpft durch Entweichen derselben beim Kochen 
ganz ein, und wird durch seine Saftlosigkeit dem Gaumen 
zuwider. Zwar läfst dieser Unterschied schon bei den jun- 
gen Thieren sich nicht ganz verkennen; dafs aber die Ent- 
wickelung des Saamens und die durch seinen Rücktritt in 
den Körper veranlafste Umänderung der organischen Mi- 
schung wesentlich dazu beitrage, erhellt sowohj aus der 
verschiedenen Beschaffenheit des Fleisches bei den kastrir- 
ten und nicht kastrirten Thieren und dem durchdringen- 
den Geruch der Böcke, als aus der gesammten Gestalt. 
Denn die entmannten Thiere haben einen zarteren x und 
zugleich gedunsenem Körper, und den Italienischen Ka- 
straten, deren Stimme nicht die oben bemerkte Verände- 
rung erfährt, fehlt der Bart, dagegen ihr Haupthaar wie 
bei den Weibern stärker wächst, und sie nach des Hippo- 
krates Bemerkung niemals kahlköpfig werden. 

Die Absonderung des Saamens zeichnet sich vor allen 
anderen Sekretionen dadurch aus, dafs sie zwar ununter- 
brochen von statten geht, aber die Entleerung desselben, 
was in keinem anderen Falle geschieht, verzögert werden 
kann. Er mufs also wieder aufgesogen, und gleichsam un- 
wirksam geworden, wieder in Serum aufgelöset werden. 
Nur selten ereignet es sich, dafs diese Verhaltung eine 
nachtheilige Wirkung auf die Bewegung nnd die Phanta- 
sie, und dadurch Krämpfe und Delirien hervorbringt, und 
zwar nur dann, wenn wollüstige Aufregungen, sie mögen 
nun von körperlichen Reizen oder unreinen Vorstellungen 


V. 


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I 


152 

% 

ausgehen, eine Erschütterung wie bei der Saamenergie- 

fsung, jedoch ohne dieselbe, veranlassen. Aber auch bei' 

» » 

Gesunden, wenn sie bei reichlicher Nahrung ihr Leben im 
Müfsiggange verbringen, und die Phantasie mit üppigen 
Bildern beschäftigen, erfolgen unter wollüstigen Träumen 
nächtliche Saamenergiefsungen. Angestrengte Körperbewe- 
gungen schränken zw$r dieselben bei jenen ein; doch ha- 
ben sie diesen Erfolg bei lebhafterem Temperament weni- 
ger, ja sie geben durch erregte Blutwallungen selbst eine 
reizende Veranlassung ab. 

Vergebens suchte man die Natur des Saamens zu er- 
klären, z. B. durch die Vorstellung, dafs er aus allen Thei- 
len des Körpers entstehe, die an ihn ein Element abgäben. 
Schon durch die tägliche Beobachtung, dafs Verstümmelte 
ijnverschrte Kinder zeugen, wird vdies widerlegt; auch 
ist es bekannt, dafs durch den Einflufs der Phantasie schon 
gebildete Theile (des Fötus) zerstört, und überflüssige neu 
angebildet werden können. — - Leewenhoeks Hypothese, 

nach welcher im männlichen Saamen nicht blos der Stoff 

« / 

zum künftigen Fötus, sondern sogar von diesem ein leben- 
diges und werkthätiges Rudiment, und zwar letzteres in 
sehr grofser Zahl enthalten sein sollte, wurde' noch wei- 
ter ausgebildet, da- man in den von ihm beschriebenen 
Würmchen sogar einen völlig ausgestalteten Menschen zu 
finden glaubte. Malpighi suchte diese Rudimente im weib- 
lichen Körper, während einer dritten Meinung zufolge zahl- 
lose Mengen völlig ausgebildeter Thierleiber von allen Gat- 
tungen, nur von unendlich kleiner Gröfse in der Luft um- 
herschwimmen, und dann erst eine bleibende Bildungsstätte 
finden sollten, wenn ihnen eine solche durch den Koitus im 
Uterus bereitet würde. Diese armseligen Träumereien be- 
weisen es recht eigentlich, dafs auf einem solchen Wege 
die Wahrheit nur noch dichter verhüllt werden mufs. Nur 
so viel lafst sich mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daiß 
init dem Saamen ein höchst thätiges Wesen überströme, 
womit indessen nifcht gesagt ist, dafs es demselben auf ma- 


! 

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i 


terielle Weise stets inwohne, da es auch während des 

äufseren Zeugungsaktes ihm zugetheilt oder durch densel- 

\ 

ben erweckt werden kann. 

7 . 

Von der Milchabsonderung. 

Wiewohl diese Sekretion in einem sehr umfangsrei- 
chen, aus zahlreichen Drüsenkörncm zusammengesetzten 
Organe von statten geht, so bietet sie doch der Erklärung 
grofse Schwierigkeit dar, sowohl in Betreff des eigentüm- 
lichen Verhältnisses, in welchem die Drüse zu der von 
ihr abgesonderten Flüssigkeit steht, als der bestimmten Le- 
bensepochen, während welcher letztere nur bereitet wird. 
Denn wenn aucli die Brüste neugeborener Kinder beim , 
Drücken und Reizen etwas trübe Feuchtigkeit entleeren, 
und besonders bei erwachsenen Jungfrauen, wie in ein- 
zelnen Fällen beobachtet wurde, das Saugen an ihnen Milch 
hervorlocken kann; so findet doch auf naturgemäfse Weise 
gewöhnlich keine Absonderung derselben statt. Erst bei 
Herannäherung der Geburt schicken sich die Brüste dazu 
. an, so dals, wenn es auch bis zum ersten Tage nach der 
Entbindung selten zum wirklichen Ausfliefsen der Milch 
kommt, diese dennoch bei gesunden Wöchnerinnen in den 
genannten Drüsen zusammenströmt. Anfangs erscheint sie 
noch dünne, molkenähnlich, von trüber Farbe; am dritten 
Tage , oder beim Beginnen des vierten verdickt sie sich, 
und tritt so reichlich in die Brüste ein, dafs sie diese 
• spannend ausdehnt, bis sie entweder ausfliefst, oder durch 
Zcrtheilung ganz von diesen Absonderungswegen abgelenkt 
wird. Denn nicht leicht bahnt sich die Milch aus eige- 
nem Antriebe einen Ausweg, so dafs sie denselben von 
selbst findet, sondern sowohl die Mutter mufs durch Driik- 
ken der Brüste, als das Kind durch Saugen zu Hülfe kom- 
men, damit die Milchgänge hierdurch erweitert werden. 
An sich ist die Milch vermöge ihrer dicklichen Beschaf- 
fenheit vielmehr zum Stocken geneigt 


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I 


154 


Es findet hier also gerade das umgekehrte Verhältnis 
wie bei der Saamenabsonderung statt; denn während diese, 
auch wenn keine Ejakulation erfolgt, dennoch ununterbro- 
chen fdrtdauert, t um den Zcugungsakt stets möglich zu 
machen, geräth dagegen die Milchabsonderung, wenn sie 
2 bis 3 Tage hindurch nicht im Gange erhalten war, so 
gänzlich ins Stocken, dafs sie auf keine Weise vor einer 
neuen Entbindung wieder in Thätigkeit gesetzt werden 
kann. Ja selbst wenn Frauen, deren schon stark geworde- 
nen Kinder durch kräftiges Saugen einen reichlichen Milch- 
ausflufs unterhalten, neu geborene Kinder an die Brust 
nehmen, die sie mit ihrer geringen Saugkraft nicht entlee- 
ren können, so bleibt gewöhnlich auch ihnen die Milch 
stehen, und tritt durch die venösen Geföfse ins Blut zurück. 

Ihrer Konsistenz und ihrem Wesen nach ist die Milch 
ein von fremdartiger Beimischung gereinigter Chylus, und 
sie besteht aus schleimigt fetten, zarten, erdigten und sal- 
zigten Theilen, welche in vielem Wasser aufgelöset ein 
Gemisch darstellen, dessen Charakter die Mitte zwischen 
den Thier- und Pflanzenstoffen hält Auch dies spricht da- 
für, dafs sie ein wirklicher Chylus, nämlich ein noch rohe- 
res Gemisch ist, welches seinem vegetabilischen Ursprünge 
näher als der thierischen Substanz verwandt ist. 

Die pflanzenfressenden Säugethierc, und auch die Wei- 
ber, welche meist von gegohrenem, also leicht gährendem 
Brodte, von Bier und Wein sich nähren, erzeugen eine 
Milch von gesättigterer Konsistenz, in welcher, als einem 
weniger animalisirten Chylus, auch die chemischen Merk- 
male der Pflanzcnstoffe , und unter diesen vornämlich die 
Geneigtheit zur sauren Gährung hervorstechen, welche den 
übrigen Thierstoffen gänzlich fremd ist. 

Bekannt ist die Scheidung der Milch in ihre Bestand- 
teile, unter denen die öligten als Rahm obenauf schwim- 
men, die schleimigten aber durch Säurung zur sogenann- 
ten Schlipfermilch gerinnen, und selbst die abgeschiedenen 
Molken noch einige Klebrigkeit behalten.. Die erdigen 


V 


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155 


Theile zeigen sich vornämlich im Käse, besonders wenn 
dieser aus der abgerahmten Milch bereitet wurde. Aber 
auch rohere Stoffe, vorzüglich aus dem Pflanzenreiche, 
welche keiner Animalisation fähig waren, und daher un- 
verändert mit dem Cliylus ins Blut treten, kommen in der 
Milch vor, und bestätigen dadurch noch mehr deren Ver- 
wandtschaft mit dem Chylus. So ist es bekannt, dafs Pur- 
ganzen, welche die Atomen nehmen, auch die Kinder ab- 
fiihrcn, dafs die Milch der Kühe, wenn diese im Winter 
mit Stroh gefuttert werden, eine veränderte Konsistenz und 
einen bittern Geschmack annimmt, der auch an der we- 
nigeren und blässeren Butter bemerkt wird. Daher strei- 
fen sorgsame Hausmütter im Sommer das Laub junger 
Bäume ab, welches die Kühe besonders lieben, und wel- 
ches getrocknet dem Winterfutter beigem. ischt, der Butter 
eine schöne gelbe Farbe verleiht. 

Beim ersten Hervorbrechen der Milch empfinden die 
Weiber ein Spannen von den Achseln und den Schlüssel- 

. < 1 i 

beinen herab nach den Brüsten hin, und es rührt dasselbe 
von der gespannten Arteria mammaria und von dem an- 
gestrengten Tonus der umliegenden Muskeln her. Auch 
im Parenchym der Brüste verräth sich der Tonus durch 
eine Verdichtung und Zusammenziehung derselben bei ihrer 
Erkältung durch plötzliche Entblöfsung, auch beim Gefühl 
der Sehaam; es ist dann durch Drücken oder durch das 
Saugen des Kindes zuweilen nicht ein Tropfen Milch aus 
ihnen herauszubringen. Wenn man sie aber nun mit einer 
weichen Bürste gelinde frottirt, so entströmt ihnen die" 
Milch ohne Druck sehr reichlich. Ja die Wirkung einer 
solchen Umstimmung des Tonus ist so bedeutend, dafs das 
sanfte Reiben mit einer Sammetbürste innerhalb einer Vicr r 
telstunde bedeutende und zahlreiche Knoten der Brüste 

unter reichlichem Ausströmen der Milch zu zertheilcn ver- 

/ 

mogte. Wiederum auf die entgegengesetzte Weise verräth 
sich der Tonus durch eine plötzliche und hartnäckige Zu- 
sammenziehung, welche nach vorhergegangenem Schreck 


% 


I 


156 


K 


Knoten in den Brüsten veranlafst. Die Frauen deuten dies 

* \ 

mit den Worten an, es sei ihnen wie Messer, wie Nadeln 
in die Brust gefahren. Es verhält sich hiermit wie mit 
ähnlichen Gefühlen des Zusammenschnürens, welche sich 
plötzlich über den ganzen Körper verbreiten, und mit einem 
Zittern vergesellschaftet sind, wo dann die Deutschen sich 
des Ausdrucks bedienen, es sei ihnen ein Messer durch das 
Herz gefahren (jene Empfindung äufsert sich vornäralich 
in der Herzgrube); sie seien erschrocken, dafs cs ihnen 
zu den Nägeln hinausgefahren sei, dafs es ihnen in den 
Fiugcrkupfcn wie Nadeln gestochen habe. Wenn eine solche 
Zusammenschnürung die Brüste ergreift, so wird aus der 
stockenden Milch das Serum schnell aufgesogen, der zu- 
rückbleibende dickliche Tlieil derselben geht durch Säu- 
rung endlich in ein Koaguluin über, und bewirkt zuletzt 
gefährliche Erscheinungen. 

Die Alten nahmen eine unmittelbare Anastomose der 
epigastrischen Blutgefalse mit denen der Brüste an, um 
daraus das bald nach der Entbindung erfolgende Einströ- 
men der Milch in letztere zu erklären. Sic glaubten, dafs 
die Natur bis zu diesem Zeitpunkte in reichlicherem Maafce 
das Blut als den Ernährungsstoff dem Uterus zufuhrc, wo- 
selbst es nun weiter zu keinem Zweck dienlich sei, viel- 
mehr Schaden bringen müsse, da es nicht ferner verbraucht 
würde. Daher regurgitire es aus den hypogästrischen Ge- 
fafsen, welche mit denen des Uterus aus einem gemein- 
schaftlichen Stamme entspringen, nach den Brüsten. In- 
defs gründet sich diese hypothetische Vorstellung auf keine 
Anschauung; auch hatten sic, ungeachtet sie bei ihrer Un- 
bekanntschaft: mit dem fortschreitenden Blutumlaufe über- 
all ein Stagnircn des Blutes voraussetzten, keine Ursache, 
ein Stocken desselben zu fürchten, da letzterem durch den 
Blutverlust während der Geburt und durch die Lochien 
hinreichend vorgebeugt wird. Ucbcrdies mufs man bei 
dieser Uebertragung des Blutes von dem Uterus nach den 
Brüsten wohl weniger an die Abwendung einer Schädlich- 


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I 


157 

keit von jenem, als an die Fürsorge denken, mit welcher 
dem neugeborenen Kinde eine Nahrungsquelle eben so er- 
öffnet wird, wie früher im Uterus. Erwägt mail dies ge- , 
nau, so hat man nicht nöthig, zu einer solchen organischen 
Einrichtung seine Zuflucht zu nehmen, da die Natur zur 
Erreichung ihres Zwecks sicty unmittelbar der zu den Brü- 
sten führenden Gefäfse bedienen kann, wie sie es auch 
vermittelst der nach dieser Richtung erfolgenden tonischen 

4 / 

Bewegungen wirklich tliut. Uebcrflüssig war daher auch 
die Bemühung der Anatomen, solche Anastomosen aufzu- 
suchen, da diese nur durch eine blolse Hypothese voraus- 
gesetzt waren. 

8 . 

Von der Absonderung des Speichels. 

Von den Alten wurde der Speichel für einen Auswurfs- 
stoff gehalten, dessen Absonderung fast nur beiläufig einen 
geringfügigen Nutzen stifte; neuere Beobachtungen legen 
ihm indefs mit Recht einen weit gröfscren Werth bei. 
Erst in der jüngstverflossenen Zeit entdeckte man die Drü- 
sen, in denen er bereitet wird, und deren Ausführungs- 
gänge; auch schrieb man ihm, und gewifs nicht ohne 
Grund, die Eigenschaft zu, die Verdauung der Speisen zu 
befördern. Indefs dringt sich hierbei doch ein mannigfa- 
ches Bedenken auf; zuvörderst, dafs diese Angaben über 
den Speichel, obgleich sie sich im physischen Sinne nicht 
bezweifeln lassen, doch der Heilkunde keinen Nutzen brin- 
gen, da sie weder zum Heilgeschäft etwas beitragen, noch 
zu pathologischen Sätzen führen, welche mit letzterem in 
irgend einer Verbindung ständen. Sodann vermifst man 
eine deutliche Unterscheidung der verschiedenen Arten des 
Speichels, ungeachtet diese auf den ersten Anblick ihre 
verschiedene Beschaffenheit verrathen, da der Stenonia- 
nischc und die Whartonischen Kanäle einen dünnflüssigen 
und klaren Saft ergiefsen, aus der drüsigten Umkleidung 
der Mundhöhle, besonders aber aus den Mandeln ein dick- 



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V 


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lich-schleimiger quillt. Ferner hat man nicht auf die Spei- 
chelabsonderung hinreichend geachtet, 'welche von der 
Oberfläche des Oesophagus ausgeht, und von Geuder aus- 
führlich beschrieben wurde. Endlich ist nicht die eigen- 
tliümliche Natur dieser verschiedenen Speichelsäfte, und 
noch viel weniger die des pankreatischen Saftes hinrei- 
chend erforscht worden. Denn ungeachtet letzterer dem 
Speichel nahe verwandt zu sein scheint, so halten ihn doch . 
Viele für ganz verschieden von demselben; namentlich legte 
Sylvius auf die ihm angedichtete Säure ein grofses Ge- 
wicht, und ohne dafs er dafür irgend einen Grund anzu- 
geben vermögt hätte, wufste er seiner Hypothese einen 
grofsen Beifall zu erringen. 

Die Absonderung des Speichels erfolgt ununterbrochen 
in einer mäfsigen Menge, welche zur fortwährenden Be- 
feuchtung der Mundhöhle eben hinreicht; sobald aber Spei- 
sen, zumal starkschmeckende in dieselbe gebracht und ge- 
kaut werden,, strömt er reichlicher hinzu, und vermischt 
sich mit ihnen; aber auch schon beim blofsen Anblick der- 
selben wässert der Mund. Eben so tritt eine starke Spei- 
, chelung beim Ekel ein, zumal wenn es zum wirklichen 
Erbrechen kommt. 

Abgesehen davon, dafs der Speichel zur Erregung der 
Geschmacksempfindung beiträgt, bezieht sich sein wesent- 
lichster Nutzen auf die durch ihn zu bewirkende Ver- 
dauung der Speisen im Magen. Denn seiner Natur nach, 
wie sich dies aus einfachen Versuchen ergiebt, zur Gäh- 
rung geneigt, pflanzt er diese unbezweifelt durch seine 
Beimischung auf die Speisen fort. Gleichwie nun durch 
ihn eine vorläufige und gröbere Zersetzung derselben im 
Magen zu Stande kommt, so wird deren innigere und letzt- 
liehe Auflösung durch den pankreatischen Saft vollendet, 
dessen nahe Verwandtschaft mit ihm theils durch die 
gleiche Beschaffenheit beider Absonderungsorganc, theils 
durch seine die Gährung befördernde Eigenschaft darge- 


4 


V 


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i 


than wird. Diese Gährung, so weit sie durch den Spei- 
chel schon bewirkt wird, muls mau sich aber nicht in 
dem gewöhnlichen Sinne denken, nach welchem die Spei- 
sen von selbst ihr unterworfen sein, und wozu sie nicht 
einer so grofsen Menge von Ferment bedürfen würden, - 
sondern als eine ganz eigentümliche Trennung/" and Wie- /*" 
dervereinigung ihrer einfachen Bestandtheile (special iss i~ 
mae matei iaej) oder, wie man ^ich gewöhnlich auszudriik- 7 
ken pflegt, als die Mitteilung eines neuen Charakters, oder 
einer eigentümlichen Mischung, welche teils durch Ein- 
fügung neuer Bestandtheile (per interpositionem) ,• teils 
durch Verbindung derselben unter abgeänderten Verhält- 
nissen (per transpositionem) zu Stande kommt, wie man 
dergleichen merkwürdige Wirkungen auch bei vielen an- 
deren Fermenten beobachtet. Daraus folgt mit grofser 
Wahrscheinlichkeit, dafs der pankreatische Saft die Ani- 
malisation der Speisen durch Erneuerung und Verstärkung 
des eigentümlichen Gährungsprozesses bis zu einer höhe- 
ren Stufe fortführt. Denn da die Speisen, ungeachtet sic 
im Magen bereits eine Veränderung erfahren haben, den- 
noch ihrer Menge wegen in eine lebhafte Zersetzung ge- 
raten, welche sich leicht von dem Charakter einer wah- 
ren Assimilation entfernen könnte; so war, um dies zu 
verhindern, die abermalige Beimischung eines reinen und 
specifischen Ferments nötig, welches den im Magen be- 
gonnenen animalisirendcn Gährungsprozefs vollenden kann. 

Dafs aber wirklich eine solche Umwandlung, durch 
welche die Mischung der Speisen einen animalischen Cha- 
rakter annimmt, vor sich gehe, wird durch den aus der 
Auflösung und Verdauung derselben erzeugten Chylus be- 
wiesen, welcher zwar zum Theil noch ihre Eigenschaft' 
behält, denhoch aber unverkennbar die Merkmale einer 
neuen und eigentümlichen Mischung an sich trägt. _Dies 
zeigt sich, aufscr dem in ihm vorkommenden Fett, Schleim 
und der zarten Erde, besonders aber auch an den Salz- 


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/ 


160 

\ 

theilchen, welche den gleichnamigen im Urin, die der ve- 
getabilischen Mischung durchaus fremd sind, sehr nahe 
kommen. 

Die im thierischen Körper weitverbreitete Fetterzen- 
gung ist noch keineswegcs mit hinreichender Genauigkeit 
untersucht worden. Denn die Annahme von besonderen 
Fettzellen im Netze trägt wenig zur Erklärung bei, da 
durch sie nicht klar wird, auf welche Weise in ihnen das 
Fett sich abscheidet, wie bei dem geringen Umfange jenes 
Organes eine so schnelle und reichliche Absetzung dessel- 
ben erfolgen kann, auf welchen Wegen dasselbe aus dem 
Netze in dem ganzen Körper vertheilt werde. Denn es 
fehlen hier alle zum Absonderungsgeschäft erforderlichen 
wesentlichen Bedingungen, sowohl in Betreff der bei einem 
Sekretionsorgane vorauszusetzenden besonderen Textur, als 
der Ableitungsgänge für den ausgeschiedenen Stoff. Ja es 
giebt Thiere, denen das Netz fehlt, und die doch viel Fett 
erzeugen, namentlich die Vögel. Eben so steht auch die 
reichliche und schnelle Fetterzeugung bei den Schweinen mit 
der Gröfse ihres Netzes durchaus in keinem Verhältnifs. 

Dafs aber das Fett nicht als durchaus zwecklos, einem 
Auswurfsstoffe gleich abgelagert werde, sondern einen wirk- 
lichen Nutzen habe, geht daraus hervor, dafs es, aus dem 
Ueberflusse an guter Nahrung erzeugt, beim Mangel der- 
selben wieder verzehrt wird, also zum Ersatz derselben 
dient. Daher fand Hildanus selbst das Knochenmark bei Per- 
sonen, welche vor Hunger gestorben waren, geschwunden. 

j 


& 

Achtes 


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161 


Achtes Kapitel. 

Von der Verschiedenheit des Körpers und 
seiner Funktionen nach dem Geschlechte. 

r * 

Das weibliche Geschlecht zeichnet sich vor dem männ- 
lichen durch eine gröfsere Rcizempfanglichkeit des Körpers 
sowohl als der Seele aus. Erhält sich die körperliche Er- 
regbarkeit innerhalb der Schranken der Gesundheit, so 
wird sie die Quelle mannigfacher angenehmer. Empfindun- 
gen; überschreitet sic aber dieselben, so begründet sie da- 
durch eine Geneigtheit zu plötzlich ausbrechenden, unge- 
wöhnlich starken, und aufser der Regel erfolgenden Auf- 
regungen der Lebensthätigkeit, um Hindernisse, welche 
sich dem Umlaufe und der Vertheilung des Blutes entge- 
genstcllen, aus dem Wege zu räumen. Zu diesem Zweck 
dienen besonders spastische Bewegungen in den Hypochon- 
drien, welche bei den Weibern schneller, heftiger* und 

✓ 

stärker eintret en, als bei den Männern. 

Eben so hervorstechend ist bei jenen die Reizbarkeit 
des Gemüths und dessen Geneigtheit zu allen Leidenschaf- 
ten überhaupt, insbesondere zur Furcht, ungeachtet sie 
eine Vorliebe für eine müfsige Lebensweise hegen. Jene 
vorwaltende körperliche Reizbarkeit gründet sich auf diese 
Gemülhsart; denn eben weil die Furcht vor bevorstehen- 
den Uebeln bei ihnen gröfser ist, stellen sich krampfhafte 
Bewegungen schneller und heftiger ein. Forscht man nach 
einem letzlichcn Grunde dieser den Weibern eigenthümli- 
chen Leidenschaftlichkeit, so mufs man ihn in ihrer Be- 
stimmung zum Fortpflanzungsgeschäfte suchen. Denn man 

kann alle Arten von Leidenschaft auf drei Ilauptgeschlech- 

» 

ter zurückführen, und diese als Freude, Furcht und Un- 
beständigkeit bezeichnen. Erstere ' erweckt in ihnen die 
Liebe, und bereitet sie so auf ihren obersten Zweck, die 
Zeugung vor; Furchtsamkeit mufo dem Charakter einer Per- 
Stald's Theorie d. Heilk. I. 11 


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162 


son angemessen sein, welche nicht sich allein leben, son- 
dern auch für ein zartes Wesen in ihrem Schoofse Sorge 
tragen, und daher die dasselbe bedrohenden Gefahren flie- 
hen soll. Die Unbeständigkeit endlich, welche von einem 
Gegenstände zum andern übergeht, bezieht sich wohl dar- 
auf dafs das Weib mehrere Kinder zu empfangen bestimmt 
ist, und daher nicht einem ausclilielslich sich weihen darf. 
Eben so ist ihm die Vorliebe für ein miifsiges Leben ge- 
geben, damit es in Frieden und Sicherheit die Frucht un- 
ter seinem Herzen tragen, und dem neugeborenen Kinde 
unausgesetzt Sorgfalt, Schutz und Pflege angedeihen lassen 
könne. 

Ein anderer wesentlicher Unterschied beider Geschlech- 
ter betrifft das weichere, schlaffere und schwächere Ge- 
webe des weiblichen Körpers, dem daher, wie bereits bei 
der Lehre von den Temperamenten bemerkt wurde, eine 
grölsere Menge von wässriger Feuchtigkeit eigdn ist. , 

Die vornehmste Verschiedenheit wird indels durch 
die eigenthümliche Richtung des Blutstromes nach dem 
Uterus bedingt, welche, wenn letzterer keinen Fötus in 
sich schliefst, ihren. wahren Zweck nicht erreichen kann, 
und zu bestimmten Zeiten Entleerungen von Blut, also eine 
wirkliche Exkretion desselben bewirkt. Aufserdem ist 
jede wahre Blut ausleerung mit einer vollkom- 
menen Gesundheit unverträglich; und nur die vor- 
hingenannte den Weibern, so lange sic ihr Kind weder 
im Uterus, noch aufserhalb desselben mit Milch ernähren, 
natürlich. Jener Blutflufs stellt sich mit der Pubertät ein* 
sobald die Weiber zur Empfängnifs tüchtig werden, und 
hört mit dem Zeugungsvermögen derselben gleichzeitig auf. 
Man mufs dies aber nicht so verstehen, als ob letzteres 
schwinde, weil die Menses zu fliefsen aufhören; vielmehr 
verlieren diese sich, weil der Fortpflanzungstrieb erlischt; 
und letzteres geschieht wiederum deshalb, weil die Kraft 
des Körpers zur Selbsterhaltung im Abnehmen begriffen ist. 

Jener Blutfluls aus den Genitalien stellt sich bei den 


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I 


163 

Weibern ein. sobald sie 13 oder 14 Jahre alt geworden 
sind, und er geht dann, wenn kein Hindernifs eintritt, 
ruhig, gemälsigt, nicht sparsam, sondern gehörig reichlich 
von statten. Seine Dauer erstreckt sich auf mehrere, bei 
einigen auf 6 — 7 Tage, und darf im natürlichen Zustande 
weder kürzere, noch längere Zeit anhalten. Gewöhnlich 
tritt er mit den vornehmsten Phasen des Mondes, also mit 
dem Neu- oder mit dem Vollmonde ein, und er kehrt 
dann immer zu der nämlichen Zeit wieder. 

\ 

Dies bestimmte Zcitverhältnifs deutet darauf hin, dals 

i 

der Monatsflufs dem Gesetze der kritischen Perioden un- 
terworfen ist. Denn auch die übrigen Krisep binden sich 
an einen siebentägigen Cyklus, dergestalt, dals die am hef- 
tigsten wirkenden schädlichen Materien am 7tcn Tage aus- 
gestofsen werden, die minder verderblichen am 14ten und 
die am wenigsten bösartigen am 20sicn oder 21sten Tage. 
Nun ist zwar der Monatsflufs nach organischen Gesetzen 
nothwendig bedingt; inzwischen da ihm kein dringendes 
Bedürfnifs zum Grunde liegt, so konnte er als eine Aus- 
scheidung bis auf die längste Periode hinaus verschoben 
werden. Wenn man auch dem Mondswechsel einigen Ein- 
flufs hierauf beimessen kann, so macht sich doch weniger 
seine Herrschaft unbedingt geltend, als überhaupt jener 
siebentägige Cyklus, da es viele Frauen giebt, die keines- 
weges nach den gedachten Mondphasen, sondern überhaupt 
zu jeder Zeit, mit dem Eintritt der vierten Woche men- 
struirt werden. Doch geschieht dies allerdings am leich- 
testen während der vornehmsten Mondphasen. 

Obgleich dieser Blutflufs bei ganz gesunden Weibern 
ohne irgend eine merkliche Störung des Körpers von stat- 
ten geht, so offenbart sich bei ihnen doch eine deutlich 
verstärkte Empfindlichkeit, dergestalt dafs sie, wenn auch 
nicht vor odec bei dem Eintritt desselben, wenigstens wäh- 
rend seines Verlaufs übelgelaunt sind, und den Wechsel 
von Kälte und Hitze unangenehm empfinden. Diese Thcil- 
nahme des ganzen Körpers an dem Blutflusse wird erhöht, 

11 * 


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/ 


164 

• N 

. ^ I 

wenn derselbe, vomämlich wegen dicklicher Beschaffen- 
heit des Blutes, Hindernisse findet. Eine solche geht aber 
aus dem Ucberflufs an Kruor hervor, den eine zu reich- 
liche Nahrung bei müfsiger und sitzender Lebensweise er- 
zeugte. Dann ist ein lebhaftes Zusammenwirken aller Kör- 
pertheile nothwendig, um das schwer bewegliche Blut 
nach den feineren Absondcrungsgefatsen hinzutreibcu, und 
aus ihnen auszustofsen. Dies wird durch die bei Gelegen- 
heit des Blutumlaufs erläuterte tonische Bewegung 
der weichen Körpertheile vollbracht, durch deren Dazwi- 
schenkunft das Blut aus. einer Gegend in die andere fort- 
getrieben, und vermittelst eines verstärkten vibrirenden 
Drucks auf Absonderungswegen ausgesto&en werden kann. 
Zum Beweise eines solchen Herganges dient, dafs diese 
Personen im ganzen Umfange ihres Körpers eine Zusam- 
menziehung spüren, welche das Blut nach dem Innern des- 
selben zurücktreibt. Dies kündigt sich durch eine verrin- 
gerte Wärme der Haut, durch ihr Erbleichen, durch die 
Entleerung und deshalb Verschwinden ihrer Gefüfsc, ja 
selbst durch die verminderte Ausdehnung des Körpers an, 
der gleichsam ein abgemagertes und abgezehrtes Ansehen . 
annimmt. Die Blutanhäufung im Innern verräth sich durch 
Beklemmung auf der Brust, durch Spannen und Drücken 

im Unterleibe, welches in zuckende und zitternde Bewc- 

* 

gungen übergeht, deren Bedeutung daher keinem Zweifel 
unterliegen kann. 

So erweiset cs sich, dals diese auf Blutausleerung be- 
rechneten Bewegungen auf eine wirklich aktive Weise - 
zu Stande kommen, und es erhellt dies noch mehr aus 

/ 

den bestimmten Perioden ihrer Wiederkehr, welche nie- 
mand aus rein mechanischen Verhältnissen weder einer 
genau bestimmten Menge, noch einer eigenthümlichcn Be- 
schaffenheit des Blutes, z. B. einer verstopfenden Verdik- 
kung desselben erklären kann. Dazu kommt noch, dafs ge- 
dachter Blutfluls selbst bei deutlich veränderter Blutmenge 
eine völlige Gleichförmigkeit behauptet, z. B. bei verrin- 
nt 


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165 


gertcra Appetit, selbst beim Fasten, ferner nach vorausge- 
gangenen freiwilligen und künstlichen Blutentleerungen. 

Wenn die Periodicität des Monatsflusses nur aus einer 
aktiven Bedingung erklärt werden kann, welche zur Her- 
vorbringung desselben eine allgemeine Vorrichtung im Kör- 
per voraussetzt, und wenn das Thätige bei diesem Pro- 
zesse sich auch durch die Weise verräth, wie die zusam- 
men wirkenden Theile des Körpers einen Druck auf Blut 
ausüben , um dasselbe auszutreiben ; so spricht für den 

aktiven Charakter dieses Blutflusses noch viel mehr der 

\ 

' Zweck und die Absicht, denen er dienstbar sein soll. Denn 
es unterliegt keinem Zweifel, dafs das Weib im physischen 
Sinne zur Fortpflanzung des Geschlechts bestimmt und or- 
ganisirt ist, welches besonders daraus erhellt, dafs dasselbe 
von der Pubertät an, wo sein eigener Körper die volle 
Ausbildung erlangt hat, fortwährend dazu geschickt ist, 
ein Kind zu empfangen und auszutragen, oder zu säugen. 
Dazu wird eine ergiebigere Bereitung von Nahrungssaft, 
als die Selbsterhaltung erheischt, erfordert, so viel mehr 
nämlich, als zur Ernährung des Embryo oder Kindes nö- 
thig ist. Wenn nun der überflüssige Nahrungssaft auf diese 
Weise nicht verbraucht wird, so mufs er nothwendig in 
Blut sich verwandeln, dessen übermäfsige Menge für die 
■ Lebensbewegungen, wie sogleich gezeigt werden soll, ein 
Ilindernifs abgeben mufs. Diesem IJebelstande vorzubeu- 
gen, konnte die Natur kein einfacheres Mittel auswählen, 
als die Entleerung des Ueberflüssigen. Eben so wie jener 
. Nahrungssaft, ehe er §ich noch in Blut um wandelt, seinen 
Weg nach dem Uterus nimmt (nach den Brüsten gelangt 
er in einem noch roheren Zustande, als reiner Chylus); 
gleichergestalt strömt auch das Blut dahin , um ausgeleert 
zu werden. 

. Bekannt sind die unrichtigen Vorstellungen der Alten , 
von einer specifisch unreinen und wirklich giftigen Be- 
schaffenheit des Menstrualblutes, durch welche es sich von 

dem übrigen unterscheiden sollte. Die Entdeckung des 

' v 


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✓ 


166 


} 


Kreislaufs, welcher das Blut gleichförmig an alle Organe 
austheilt, brachte sie bald in Vergessenheit. Unstatthaft 
war gleichfalls die Erklärung durch das hierauf sich be- 
ziehende Mosaische Gesetz, welches im physischen Sinne 
nicht strenger ist, als ein ihm ähnliches, nach welchem 
jeder geschwürige, und selbst nur blutige Ausflufs den Bei- 
schlaf unrein machte, und daher verbot. Auch läfst sich 
noch leichter mit diesem Gesetze ein moralischer Zweck 
verbinden, in sofern der Beischlaf zu einer Zeit, wo in 
den Genitalien eine ausstofsende Thätigkeit rege ist, seine 
Wirkung verfehlen mufs, und daher als unnütz zugleich 
frivol wird. Wiewohl man es nicht geradezu bestreiten 
mag, dafs das an sich reine Menstrualblut, wenn es bei 
wollüstigen Individuen sich reichlich ergiefst, durch den 
Zutritt des orgastischen Saamens irgend eine Entmischung 
erleide; so mufs man doch die Erdichtungen von heftige- 
ren Wirkungen, welche hieraus sich ergeben sollen, ver- 
werfen, und kaum wird jetzt noch ein altes Weib daran 
glauben, dafs ein Spiegel durch das Ilineinblicken einer 
menstruirtcii Frau verderbe. 

In Betreff der Gefäfse, welche das Menstrualblut er- 
giefsen, halten viele dafür, dafs dies durch die* auf der in- 
neren Fläche des Uterus sich verzweigenden geschehe, 
welche unter dem Namen der Gebärmutteradern aus den 
hypogastrischen entspringen, Indefs hat der leere Uterus 
einen geringen Umfang, und ein dichtes, hartes Gewebe, 
die ihn durchdringenden Gefäfse können also im gewöhn- 
lichen Zustande nur eine unbedeutende Kapacität besitzen; 
es würde mithin aller Analogie mit ähnlichen Organen 
zuwiderlaufen, wenn durch die gedachten Gefäfse die Aus- 
leerung vollzogen würde. Ungleich mehr sind dazu die 
Gefäfse geeignet, welche aus der Vena /< aemorrhoidalis ab- 
stammen, und sich im Gebärmutterhalse verzweigen, und 
es sprechen dafür folgende Gründe. Nicht selten ergiefst 
sich selbst bei Schwängern sehr rcjcklich Blut ohne Nack- 
theit für den Fötus; auch kommt es bei anderen Frauen 


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/ 


167 


häufig vor, dafs mit dem Mcnstrualflusse Blutgcrinsel abge- 
hen, welche nicht zum zehnten Theil im Uterus hätten 
Platz finden, und durch dessen OefFnung, welche überdies 
stets geschlossen angetroffen wird, entleert werden kön- 
nen; endlich mufs man den alltäglich beobachteten Kon- 
sensus in Betracht ziehen, in welchem die Hypochondrien 
mit dem Uterus, und besonders mit dem Menstrualgeschäfte 
stehen. Von diesem Konsensus schreibt es sich her, dais 
Fehler in den Hypochondrien sogleich einen nachtheiligen 
Einflufs auf die Menstruation ausüben, und umgekehrt Stö- 
rung der letzteren schädlich auf jene und auf die in ihnen 
statt findende Blutvertheilung zurückwirken. 

N In dieser Darstellung des Menstrualgeschäfts, als einer 
nothwendigen Bedingung zum Leben des Weibes, ist zu- 
gleich eine Andeutung enthalten, wie dasselbe in einen 
widernatürlichen Zustand übergehen kann, welcher bald 
zu den mannigfachsten ungeregelten Bewegungen Veran- 
lassung giebt, denen indefs jederzeit ein heilsamer, zur Er- 
haltung des Lebens wesentlich noth wendiger Zweck zum 
Grunde liegt, da sie der Beschaffenheit der durch sie aus- 
zuleerenden Stoffe stets angemessen bleiben. Daher grün- . 
det sich auf diese Lehre die Pathologie vieler Zustände 
und Erscheinungen 7 welche von keinem andern Stand- ' 
punkte aus richtig begriffen werden können; und eben so 
steht damit eine rationelle Heilmethode in enger Verbin- 
dung. Es ist deshalb hier der rechte Ort, in genaue Er- 
wägung zu ziehen, auf welche Weise auch beim männli- 
chen Geschlechte Blutflüsse sich ereignen, untet welchen 
Bedingungen sie ihm heilbringend sein können, und wie 
aus Verhinderung derselben anderweitige Nachtheile und 
selbst Gefahren hervorgehen müssen. Doch läfst sich dies 
nur im Allgemeinen hier bezeichnen, da die weitere Aus- 
einandersetzung in die Pathologie gehört. 

Die Erhaltung einer gehörigen Blutmischung, ja die 
des Körpers und seiner Vitalität überhaupt, hängt vor- * 
nämlich von dem ununterbrochenen und ungestörten Fort- 

— % 

( • 


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168 


gange der Sekretionen und Exkretionen ab, und setzt da- 
her einen freien und leichten Blutumlauf als wesentliche 

« 

Bedingung voraus, widrigenfalls überall Hindernisse und 

s 

Gefahren eintreten müssen. Jene Rcgclmäfsigkcit des Kreis- 
läufe wird aber nur dann möglich, wenn das Blut sowohl 
in seiner Beschaffenheit als in seiner Menge, einer gewis- 
sen Norm entspricht. In letzterer Beziehung mufs dasselbe 
seiner Masse und seinem Gewichte nach der Summe der 
bewegenden Kräfte angemessen sein, weil, wenn es in bei- 
den Momenten zu einer bestimmten Kapaeität der Geßifec 
in einem zu grofeen Verhältnisse steht, es einen stärkeren 
Kraftaufwand nöthig macht, durch welchen das hierbei 
eintretende Hindernifs überwunden werden kann. Wird 
hingegen das Blut, wegen eines Mifeverhäitnisses zwischen 
seiner Menge, der Kapaeität seiner Gefäfee und der bewe- 
genden Kräfte, zu langsam umgetrieben, so erleidet es in 
seiner Mischung eine Veränderung, welche zu einer ge- 
fahrbringenden Fehlerhaftigkeit sich allmählich steigert, und 
zuletzt den bewegenden Kräften ein schnelles und gewis- 
ses Verderben bringt. Denn nur durch seine Bewegung 
bewahrt sich das Blut seine Beweglichkeit, indem es durch 
die schwammigen Organe getrieben, eine innige Durchmi- 
schung seiner Bestandthcile um so vielmehr erfahrt, als es 
häufiger jene durchdringt. Nun mufs durch eine gröfeere 
Menge des Blutes dies Durcharbeiten seiner Mischung ver- 
zögert werden, und somit in ihm die Entartung beginnen, 
welche als Verdickung neue und bedeutende Gefahren her- 
beiführt. 

. Aus guten Nahrungsmitteln wird auch ein löbliches 
Blut erzeugt, dergestalt, dafe nicht nur beide in ihrer Qua- 
lität übereinstimmen, sondern auch der Menge nach sich 
entsprechen. Dabei läfet sich nun die Frage aufwerfen, 
ob aus vortrefflichen, nur zu reichlich genossenen Nahrungs- 
stoffen mehr Blut bereitet werden könne, als zum Ver- 
brauch für den Körper erforderlich, und ihm erträglich ist? 
Di« Antwort der Aerzte seit den ältesten Zeiten Fällt be-. 

✓ * # 


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169 

jähen d aus, weil in der Erfahrung oft ein wirklicher Ueber- 
flufs an Blut nachgewiesen werden kann, und weil uutcr ■ 

solchen Umständen Entziehungen des Blutes, und über-, , 

. • 

haupt Verringerung seiner Masse augenscheinlich Nutzen 
und Erleichterung gewähren. Nur wenige erklären sich da- 
gegen,' mit dem metaphysischen Ausspruche, dafs Gott und 
* die Natur nichts umsonst thun. Aber wenn dies auch 
in Bezug auf Gott seine Richtigkeit hat, so gilt es doch 
keincsweges von der menschlichen und thierischen Natur, 
welche nur zu häufig in Irrthümern befangen ist, daher ' 
man für sie vielmehr den obigen Satz umkehren mufs. Um 
hierüber zu einer deutlichem Vorstellung zu gelangen, er- 
wäge man, dafs der menschliche Körper von seiner Ge- 
burt, ja von dem Augenblicke seiner Entstehung an wächst 
und sich ausdehnt; dafs das Blut nicht nur zur Erweite- 
rung seines Umfanges wesentlich beitragen, sondern ihn 
auch in seiner gröfseren Raumserfüllung erhalten mufs. Da 
nun das Blut zu dieser täglich fortschreitenden Vcrgröfse- 
rung des Körpers nothwendig mitwirkt, so läfst sich dar- 
aus folgern, dafs cs nicht blos in einer solchen Menge, s 
welche dem gegenwärtigen Umfange desselben entspricht, 
sondern dafs um so viel mehr von ihm vorhanden ist, als 
zum künftigen Wachsthum erfordert wird, zu welchem 
es auf eine thätige Weise bchülflicli ist. Diese überwie- 
gende Blutmenge kann daher nur innerhalb der Jahre, 
während welcher der Körper an Gröfse zunimmt, von 
Nutzen sein; indefs wenn sich auch diese Zeit bis zum 
fünf und zwanzigsten Jahre erstreckt, so bilden sich doch 
selbst in dieser Periode Angewöhnungen aus, welche über- 
mäfsige Appetite, und diesen entsprechende Bewegungen 
herrschend machen. So kann also auf ganz natürliche 
Weise mehr Blut bereitet werden, als zum gegenwärtigen 
Verbrauch und zur künftigen Verwendung erforderlich ist, 
und zwar kann dies um so v leichter geschehen, da der 
Appetit sich nicht nach dem räumlichen Verhältnis des 
Körpers, sondern nach der sinnlichen Begierde richtet. 


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* 

170 

/ • 

Das eben Gesagte drückt indefs nur die Möglichkeit 
eines solchen Herganges aus, dessen volle Bestätigung in 
folgendem aus der Erfahrung geschöpften Grundsätze ent- 
halten Ist: Der zur Unterhaltung und Vergröfserung des 
Körpers dienende Stoff wird leicht, schnell und reichlich 
herbei geschafft, ja selbst in einem gröfscrcn Maafse , als 
zum Nutzen und zur Nothdurft erforderlich ist. Ein Bei- 
spiel zur Erläuterung liefert das Fett, welches die Natur 
in manchen Individuen in reichlicher Menge ablagert, und 
für dessen Erhaltung und Schutz gegen eintretende Ver- 
derbnils sie vermittelst der Lebensbewegungen sorgt. Dies 
thut sie in Bezug auf einen Stoff, der nur für künftigen 
Gebrauch aufbewahrt wird, für die Gegenwart aber durch- 
aus nicht noth wendig ist; wie viel mehr sollte sie nicht 
das Blut, dessen unentbehrlicher Nutzen ihr so wichtig ist, 
mit Vorliebe zu gröfserer Menge anhäufen? .Hierzu kommt 
noch, dafs mit reichlicher und vortrefflicher Nahrung, mit . 
vollkräftiger Gesundheit oft eine müfsige, sitzende Lebens- 
weise zusammentrifft, wo der üppigen Bereitung des Blu- 
tes nicht eine hinreichende Verzehrung desselben ent- 
spricht, und also die Anhäufung des zurückgehaltenen be- 
günstigt und vermehrt werden mufs. 

Eine fernere Bestätigung dieser Lehren ergiebt sich 
aus der täglichen Beobachtung, dafs jüngere Personen (doch 
auch von bejahrteren gilt dies nicht seiten) durch freiwil- 
lige oder auch gewaltsame Entleerungen Blut verlieren, 
und solches bald wieder ersetzen, und dals sie an diesen 
Wechsel von Gewinn und Verlust sich bald gewöhnen. 
Ein Gleiches findet statt, wenn sie durch angestrengte Kör- 
perbewegungen fortwährend eine Menge von Blut zer- 
setzen, und dasselbe bei reichlicher Ernährung leicht wie- 

t 

der erlangen. Es wird weiterhin noch davon die Rede 
sein, wie die Natur sowohl bei den Ausleerungen, als bei der 
Blutbercitung sehr leicht Gewohnheiten annehmen kann, 
die dann auch dahin fuhren werden, dals ein Ueberfluls 
an Blut für künftige Fälle erzeugt werde, ja dals dieser, 

i 

• % . 

• - ^ 

/ 


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171 


\ 


das nothwendige Bedürfhifs für den Körper überschrei- 

* i 

tend, demselben zur Last fallen müsse. Nun lälst sich 
zwar nicht bestreiten, dafs viele ein wirkliches Uebermaafs 
an Blut ohne irgend eine Störung ihrer Gesundheit ganz 
leicht ertragen; indefs gehen daraus doch noch häufiger 
mannigfache Beschwerden und selbst Gefahren hervor. Zu 
Anfang pflegen Vollblütige überhaupt während der will- 
kührlichen Bewegungen ein Gefühl von Schwere und Druck 
zu empfinden; sie können dieselben nicht mit Ausdauer 
vollbringen, sondern ermüden weit früher, und müssen 
sich, wenn sie ihr Mifsbehagen nicht vermehren wollen, 
zeitiger zur Ruhe begeben. Beharren sie dennoch bei ihrer 
Anstrengung, so erhitzen sie sich schneller und stärker, 
als andere; ihr Blut geräth in Wallung, und verursacht, 
ihnen dadurch Empfindungen von innerem Spannen, Drük- 
ken und Beklemmung. Aber auch wenn sie im ‘ruhigen 
Zustande von einer stärkeren äufseren Wärme getroffen 
werden, oder wenn sie sich dem übermäfsigen Genüsse 
des Weins, dem Zorne hingeben, der Liebe opfern, in die 
Nächte hineinwachen; so verspüren sie danach eine driik- 
kende Ermattung, fliegende Hitze, Kopfschmerzen, und lei- 
den an unruhigem Schlaf; nicht selten empfinden sie auch 
Stechen in der Haut. Endlich sind sie mehr als andere 
vielen gefährlichen, nach geringfügigen Ursachen ausbre- 
chenden Kranklieiten ausgesetzt, wohin besonders akute 
Schmerzen und Entzündungen des Kopfes, der Ohren, 
Zähne, des Halses, der Brust, der Lenden, Eingeweide und 
Nieren, ferner hitzige und Wechselfieber gehören. Wen- 
det sich aber ihr Zustand auf eine vortheilhafte Art, so 
treten bei ihnen Blutflüsse ein. 

Auf diese Weise liegen der Menstruation und den 
übrigen Blutflüssen gemeinsame Bedingungen zum Grunde, 
da aus der. Unterdrückung beider die gröfsten Nachtheile 
hervorgehen. 


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t 


Zweiter Abschnitt. 

, / 

Von den nicht natürlichen Dingen. 


Die älteren Physiologen unterschieden die Lebensbedin- 

* I 

gungen in solche, welche schlechthin zur inneren Konsti- 
tuirung und Existenz des Körpers gehören, ihm gleichsam 
eingeboren und inhärent sind, und in solche, welche’ zwar 
auch zu seiner Erhaltung mitwirken, aber gewissermafsen 
nur von aufsen hinzutreten, und ihm eigentlich nur ange- 
fugt und nebenher zugethcilt sind. Jene nannten sie die 
natürlichen, letztere die nicht natürlichen Dinge, bei wel- 
cher Benennung, da sie nichts Widernatürliches bezeich- 
nen soll, man an Galens Worte denken mufs: In v erbis 
simus faciles. Doch trennten die Alten diese Begriffe nicht 
gehörig, denn ungeachtet sie die Natur richtig von dem 
Leben unterschieden, so begingen sie doch darin einen Feh- 
ler, dafs sie die sogenannten natürlichen Funktionen ganz 
\ 

von der.Lcbensthätigkeit absonderten, ungeachtet jene zum 
Geschäft (fer Ernährung gehören. Will man aber die Na- 
tur unter einem von dem Leben verschiedenen Begriffe 
auffassen, so mufs man sie als eine ganz vollkommene Ver- 
fassung des Körpers bezeichnen, und diese etwa bei dem 
erstgeschaffenen Menschen (Adam) voraussetzen, der nicht 
nur mit einem vorzüglichen Temperamente und vortreff- 
licher Körpcrbildung begabt, sondern auch sogleich mit 
einer vollkommenen Gröfse und Reife ausgestattet, in jeder 


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173 


Beziehung untadelig, zu allen Verrichtungen durchaus ge- 
schickt, und somit geeignet war, ein Musterbild seiner 
Gattung darzustellen. Denn die wahre, wesentliche und 
absolute Beschaffenheit eines Dinges pflegt inan die Natur 
desselben zu nennen. Da der Mensch aber gegenwärtig 
nicht mehr diesem Begriff entspricht, sondern , zu seiner 
körperlichen und geistigen Ausbildung eine längere 'Zeit 
vonnöthen hat, während welcher das Leben, und insbeson- 
dere der Ernährungsprozcfs jene Entwickelung zu Stande 
bringen; so erhellt hieraus, in welchem engen Zusammen- 
hänge die sogenannten nicht natürlichen Dinge nicht nur 
mit der Erhaltung, sondern auch mit der Konstituirung und 
Vervollkommnung der eigentlichen natürlichen Lebensbe- 
dingungen stehen. Daher beziehen sich diese Begriffe vor- 
nämlich auch auf das Lebensalter, welches, da es von dem 
Zusammenwirken der nicht natürlichen Dinge abhängt, auch 
zu diesen gerechnet werden müfste. Ja das Leben selbst 

gehört nach diesen Erläuterungen zu denselben, während 

% 

die natürlichen Lebensbedingungen streng genommen in 
der Vitalität, oder in der Tauglichkeit und gehörigen Dis- 
. . position zur fortgesetzten Erhaltung des Körpers begrif- ( - 
fen sind. 

Zu jenen nicht natürlichen Dingen werden gezählt: 

1) die Luft, 2) die Nahrungsmittel, Speisen und Getränke, 

3) die Bewegung und Ruhe, 4) der Schlaf und das Wa- 
chen, 5) die Leidenschaften, 6) die Ausleerungen. 


Erstes Kapitel. 

Von der Lu ft. 

* 

Im engeren Sinne ist die Luft dem Leben nicht un- 
umgänglich notliwendig, da auch der Fötus im mütterli- 
chen Schoolse olme alle Gemeinschaft mit der Luft lebt;. 


t 


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9 


indefs die Erhaltung des zur Ausübung seiner Funktio- 
nen reif gewordenen Menschen, ja selbst die Anlage zur 
Erreichung seiner Zwecke macht es ihm, wie allen voll- 
ständig atlimenden Thieren nothwendig, in der !Luft zu 
leben, wenn auch letztere nicht nach der irrigen Vorstel- 
lung der Neueren, welche ihren Uebergang in das Blut 
annehmen, in seinen Organismus eindringt. 

Die Duft tritt auf zwiefache Weise mit dem Menschen 
in Berührung, theils durch das Athemholcn, theils dadurch, 
dafs sie immerwährend seine äufsere Oberfläche umgiebt. 
Da die Werkzeuge und das Geschäft des Athmens mehr 
im mechanischen, als im ärztlichen Sinne ein Interesse 
darbieten; so genüge hier eine gedrängte Darstellung. Merk- 
würdig ist es zuvörderst, auf welche Weise in folgenden 
drei Eingeweiden, welche gröfstentheils aus der Verflech- 
tung zahlreicher Gefäfsäste bestehen, die Einrichtung ge- 
troffen ist, dafs letztere sich nicht in einander verwickeln. 
In der Leber wird dies durch Drüsenkörner bewirkt, 

welche sich zwischen die Gefafsverzweigungen legen; in 

v « 

der Milz durch eigentümliche Fasern, welche letztere aus- 
einanderhalten. Am künstlichsten ist aber der Bau der 
Lungen, welche aus drei Gattungen von Gefafsen und Ka- 
nälen bestehen, nämlich aus Arterien, Venen und Veräste- 
lungen der Luftröhre. Letztere, welche den wesentlich- 
sten Theil der Lunge ausmachen, sind nur an ihren Haupt- 
stämmen, so wie an der Luftröhre selbst mit Knorpelrin- 
gen versehen, durch welche sie ausgedehnt erhalten wer- 
den; in ihren kleinsten Verzweigungen hingegen bilden 
sie überaus feine häutige Röhrchen, welche durch zähe 
aber sehr zarte Scheidewände von einander geschieden 
sind, und daher Bläschen darstellen, die beim Einathmen 
der Länge und Breite nach sich ausdehnen, beim Ausath- 
men hingegen zusammenfallen, und dann insgesammt einen_ 
weit geringeren Raum einnehmen. 

Gemeinschaftlich mit diesen Luftkanälchen vertheilen 
sich die Arterien und Venen in zahllosen Verzweigungen, 


/ 


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I 


175 


' * 

und diese müssen beim Ausalhmen, also beim Zusammen- 
fallen jener, sich runzeln, und auf sich zurückziehen, so 
dafs sie in geschlängelten Windungen sich verkürzen. Die 
Arterien, welche sich daher ihrer Länge nach in Falten 
zusammenschlagen, werden unwegsam, während die Ve- 
nen bei gleicher Veränderung ihrer Gestalt rasch das Blut 
aus den kleinern Aesten in die grölscren Stämme trei- 
ben. Bei diesem Ausdelmen und Zusammenfallen wirkt der 
Brustkasten thätig mit, da sein Erheben Luft in die Lun- v 
gen einzieht, und durch sein Zusammenziehen sie wieder 
austreibt ' 

Beim Einathmen werden dagegen die zusammengefal- 
' teten Gcfafse zu einer geraden Richtung ausgestreckt, wo 
sie dann dem Blute einen freien Durchgang gestatten; zu- 
gleich erleiden sie durch die Luftkanälchen, auf denen* sic 
sich verzweigen, einen starken Druck, während diese sich 
zu Bläschen ausdehnen, und so geschieht es, dafs aus den 
Arterien das Blut, welches nicht in den rechten Herzven- 
trikel zurückkehren kann, kräftig in die Venen überge- 
trieben, und aus deren kleineren Zweigen in die gröfseren * 
Stämme fortgeleitet wird. 

Von diesen unmittelbaren Wirkungen des Athmcns 
hängen noch mittelbare Folgen ab, unter denen die Erhö- 
hung der Blutwärme schon früher zur Sprache kam, so 
wie auch schon von der Ausstofsung dunstförmiger Stolle 
beim Ausathmen die Rede war. 

Zu ihrer Ausdehnung beim Einathmen tragen die Lun- 
gen mit keiner ihnen cigenthümlichen Bewegung bei, son- 
dern sie folgen dabei lediglich der Erweiterung des Brust- 
kastens, welche durch eine so bedeutende Kraft bewirkt 
wird, dafs ein Gewicht von einem halben Centner auf die 
Brust gelegt, deren Erhebung nur unbedeutend erschwert. 
Wenn also das Einathmen durch einen so beträchtlichen 
Druck kaum an seinem leichten Fortgange behindert wird; 
so mufs die darauf verwandte Kraft einem weit höheren 
Gewichte gleich geschätzt werden. Nur im Vorbeigehen 




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176 


sei es bemerkt, dafs jene Kraft bei höherem Barometer- 
stände verstärkt werden müsse, da der Unterschied des 
Druckes auf die Brust bei heiterem und trübem Wetter 
wohl auf zwei Centner sich belaufen mag. 

Der schon erläuterte Druck auf die an den Luftzell- 
chen verzweigten Gefäfse beim Einathmen, welcher das 
Blut aus den Arterien in die Venen übertreibt, und gleich- 
zeitig die Wärmeerzeugung im Blute bedingt, bewirkt end- 
lich auch, dafs in dem letzteren die Lymphe mit den übri- 
gen Bestandtlieilcn desselben innig durchmischt wird. Die 
Luft aber, welche beim Eintreten in die stark erwärmten 
Lungen deren höhere Temperatur annimint, wird dadurch 
bedeutend ausgedehnt, und verstärkt somit ihrerseits den 
eben erwähnten Druck. Daher geschieht es, dafs man an 
heifsen Orten, z. B. in einer geheitzten Badstube anlan- 
gend, keuchend beinahe den Athem verliert, und dafs man 
während des Verweilens daselbst Beklemmung und Been- 
gung auf der Brust empfindet.* 

Solchergestalt wirkt die Luft vermöge ihrer Form beim 
Athmcn: in wiefern sie auch etwas Materielles dabei mit- 

x t 

theile, ist früher schon angedeutet worden. Auf jeden Fall 
kann letzteres nur geringfügig sein, es mufs in seiner Be- 
schaffenheit mit der Luft übereinstimmen, und wird daher 

9 ' 

kein Geist ( spiritus ) sein können, , eher noch etwa das 
Phlogiston. 

Die Wirkung der den Körper umgebenden Luft be- 
zieht sich zunächst auf die Empfindung, secundär auf die 
Mischung der Säfte; doch geht dieselbe nicht aus ihrem 
Aggregat zustande, dessen Eigenschaften sich auf die Elasti- 
zität beschränken, sondern aus dem Wechsel von Wanne 
und Kälte, aus ihrem Gehalt an W r asserdünsten, und aus 
ihren Bewegungen, welche als Wind, und selbst Sturm 
den Körper treffen, hervor. Vorzüglich verdient der Er- 
fahrungssatz ausgezeichnet zu werden, dafs die gleichför- 
mig andauernde Empfindung der Wärme, Kalte und Feuch- 
tigkeit dem Gefühl unendlich weniger lästig fallt, als der 

Wech- 


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V 


Wechsel der Gegensätze, wenn z. B. eine feuchte Kälte- 
(len Körper während der Hitze trifft, wonach die heftig- 
sten und schnellsten Störungen in letzterem ausbrechen. 
Die Wirkungen, welche durch dergleichen Veränderungen 
der Luft hervorgebracht werden, bestehen in ungleichför- 
migen Erregungen der tonischen Bewegungen. Die Kälte 
veranlafst eine Zusammenzichung der Körperoberfläche, und 
treibt dadurch die Säfte nach dem Innern zurück; die 
Wärme hingegen lockt sie durch Erschlaffung des Tonus 

der Theile nach auisen. Im ersten Falle erbleicht daher 

• / 

die Haut, in ihr verschwinden gleichsam die Gefafse, und 
es entsteht zugleich ein spannendes Gefühl von Schwere; 
die Wärme bewirkt von allem das Gegentheil, eine frische 
Farbe, ein lebhaftes Gefühl von Wärme, eine Turgcsecnz 
des Körpers, und insbesondere der Blutgefafse, leichte Be- 
weglichkeit mit Kraft gepaart , und wenn sie im Uebcr- 
maafse angebracht wurde, selbst ein dehnendes Gefühl von 
Ueberfüllung, und daher eine drückende Ermüdung. 

In einen grofsen Irrthum geriethen die Neueren, welche 

$ 

diese Erscheinungen aus dem verschiedenen, durch die Ba- 
rometerstände angezeigten, Luftdrucke erklären wollten. 
Denn der höchste Grad desselben ereignet sich bei trock- 
ner Kälte, und dennoch bringt diese die oben erwähnten 
Erfolge in einem ungleich geringeren Maafse hervor, als 
die feuchte Kälte, welche bei herrschendem Südwinde, 
und Schneefall von dem niedrigsten Barometerstände be- 
gleitet wird, und dennoch (las widrigste Gefühl des Fro- 
stes erzeugt. Ueberdies vertheilt sich der Luftdruck über 
ganze Gegenden gleichförmig, und müfste daher überall 
die nämlichen Wirkungen hervorbringen, da doch diese 
an jeder Stelle, wo man aus einer nafskalten Luft in ein 
trocknes, warmes Zimmer tritt, in die Gegensätze über- 
gehen. Endlich kommen bei gleichem Luftdruck die ver- 
schiedensten Wärme- und Kältegrade vor, von denen der 
Einflufs der Luft auf den Körper wesentlich abhängt. 

Wichtiger für unsern Zweck sind die Veränderungen, 
Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 12 


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178 


welche unter den angegebenen Bedingungen in den festen 
und flüssigen Theilen des Körpers Vorgehen, und ihnen 
widerstrebende Thätigkciten der Lebenskraft hcrvorrufen. 
Die Säfte werden von der Kälte, besonders der feuchten, 
verdickt, und sie nehmen dann eine zähe und schwerbe- 
. wegliche Beschaffenheit an; auch ist es bekannt, dafs die 
Fibern durch eine anhaltende kalte Nässe erschlafft wer- 
den.*) Trifft nun ein solcher Einflufs den Körper plötzlich, 
ode*“ vielmehr noch wiederholt und anhaltend; so mufs 
die Lebensthätigkeit seinen nachtheiligen Wirkungen zu- 
vorkommen. Dies kann aber auf keine bessere Weise ge- 
schehen, als wenn die Säfte aufser Berührung mit der 
äufseren Kälte gesetzt, und daher im Innern gleichsam ver- 
borgen werden, während sich die Fibern kräftig zusam- 
menziehen, und somit die von aufsen eindringende Feuch- 
tigkeit von sich abweliren. So bestätigt es sich also auch 
hier bei sorgfältigerem Nachdenken, dafs dem Körper zu 
seiner Erhaltung eine Einrichtung gegeben ist, welche Thä- 
tigkeiten zur Erreichung jenes nothwendigen Zwecks mög- 
lich macht, und dafs gedachte Thätjgkeiten, um letzterem 
zu entsprechen, nach einer bestimmten Regel in Wirksam- 
keit gesetzt und geleitet werden. Dies wird um so ein- 
leuchtender, da das Gcfnüth durch das Gefühl des Wider- 
willens veranlafst wird, jenen schädlichen Einwirkungen 
auszuweichen, und sie zu fliehen. 

Noch bleibt uns die Ursache arizugeben übrig, wes- 
halb das Kind, welches im mütterlichen Schoofse ohne zu 
athmen leben konnte, darin ununterbrochen fortfahren mufs, 
nachdem es einmal damit angefangen hat? Wenn sich a 
priori auch kein Grund der absoluten Nothwendigkeit des 
Athmens auffinden läfst; so kann man doch a posteriori 
leicht erklären, weshalb die einmal begonnene Respiration 


*) Fibras solidarum partium ab humiditate frigida , adeo- 
que insistente , sensim etnolliri t atque relaxari posse y pariler no- 
tum est. 


\ 


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179 


ohne Lebensgefahr nicht unterbrochen werden darf. Denn 
im ungeborenen Kiude sind die Lungen zusammcngefallcn, 
und deren grofse Gefäfsc gestatten, wegen ihrer Zusam- 
menziehung, dem Blute keinen Durchgang. Beim ersten 
Atkemzugc und der durch ihn bewirkten Ausdehnung der 
Lungen erweitern sich nun die Gcfafse, und schöpfen gleich- 
sam saugend Blut in sich, welches nachher in sie hinein- 
getrieben wird. Ist letzteres bis in die feinsten Gefäfsver- 
zweigungen gedrungen, von wo es nicht ohne neue Ath- 
mungsbe wegungen ins Herz zurückkehren kann, so würde 
es ohne dieselben daselbst stocken, und in eine den Kör- 
per zerstörende Verderbnifs übergehen. Die Obliteration 
des arteriösen Kanals zwischen der Aorta und der Lun- 
genarterie läfst sich zwar leicht daraus erklären, dafs letz- 
tere bei ihrer durch das Athinen erfolgenden Streckung sich 
gegen die Aorta verschiebt, und dadurch jenen verschliefst, 
aber diese mechanische Erläuterung ist nicht auf das eiför- 
mige Loch anwendbar. Etwas mag zur Verschliefsung des- 
selben das* durch die Lungenvenen in das Herz zurücktre- 
tende Blut beitragen, indem es die Klappe an jenem ge- 
gen das rechte Atrium zurückdrückt. 


r Zweites Kapitel. 

Von den Speisen und dem Getränke. 

Das zur Zersetzung sehr geneigte Blut, welches selbst 
durch die zur Erhaltung seiner Mischung abzweckende Be- 
wegung zum Theil aufgelöset wird, bedarf des materiellen 
Ersatzes seiner verloren gegangenen Masse. Zu diesem 
Zweck dienen die Speisen und das Getränk, von denen 
der feste und flüssige Bestandteil des Blutes abslammen^ 
aber auch zum ferneren Wachsthum der körperlichen Or- 
gane soll auf diese Weise dev Stoff herbei geschafft werden. 

12 * 


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180 


Nach dem Grundsätze, dafs Ursache und Wirkung sich 
der Art nach entsprechen müssen, ist es notliwendig, dafs 
die Substanzen, durch welche jener Ersatz geschehen soll, 
im Allgemeinen rücksichtlieh ihrer materiellen Beschaffen- 
heit mit der Mischung des Blutes und des gesammten Kör- 
pers übereinstimme. Folglich mufs die schleimig -ölige 
Mischung des letzteren, welche überdies noch viele erdige 
Theile enthält, sich in den Nahrungsmitteln wiederfinden. 
Da nun der Mensch die gedachte Mischung mit allen Tliie- 
ren gemein hat; so läfst sich hier im Allgemeinen die 
Frage aufwerfen, welche Gattung von Speisen überhaupt 
für das gesammte Thierrcich erforderlich sei? 

Hier stofsen wir indefs gleich auf die Schwierigkeit, 
dafs die im Wasser lebenden Thiere, und unter ihnen vor- 
nämlich die Amphibien und Schlangen, nicht nur sehr 
lange ohne Nahrung leben können; sondern auch Wasser 
nur in sehr geringer Menge aufhehmen. Indcfs schon die 
Alten wulsten es, dafs bei den warmblütigen Thieren eine 
weit gröfserc innere Konsumtion statt findet, denn die In- 
tensität ihrer Eigenwärme ist so grofs, dafs sie, zumal die 
reilsenden unter ihnen, nicht nur den Winter hindurch 
ausdauern, sondern sich auch eine hinlängliche Tempera- 
tur bewahren. Was die Wirkung der Kälte auf das Ge- 
fühl betrifft, so sehen wir, dafe einige Menschen mehr als 
andere aus Angewöhnung und geringerem Widerwillen 
gegen die Kälte letztere weit länger und mit geringerer 
Beschwerde aushalten können. Tobsüchtige, in denen das 
feinere Gefühl unterdrückt ist, ertragen selbst einen Kälte- 
grad, dem andere nicht hätten widerstehen können, mit 
Leichtigkeit, da bei ihnen der Kreislauf, durch den das 
Blut erwärmt wird, mit grofser Energie von statten geht. 
Es unterliegt keinem Zweifel, dafs eine solche Wärme die 
Ausdünstung, folglich die Auflösung und Verflüchtigung 
der Säfte, gar sehr befördere. 

Die Auswahl der Speisen und Getränke mufs dem 
Zweck der Erhaltung des Körpers und einer gehörigen 


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\ 


181 

V 

< 

Blutmischung entsprechen. Ohne uns hier in spekulative 
Erörterungen einzulassen, begnügen wir uns mit dem durch 
alle Jahrhunderte bewährten Erfahrungssatzc, dafs sowohl 
thierische als Pflanzenstoffe zur Nahrung geeignet sind. 
Wenn auch die Bewohner der Polarländer aus Mangel an 
besserer vegetabilischer Nahrung sich mit gedörrten Fischen 
und anderem Fleische begnügen müssen ; so kann man doch 
die Frage aufwerfen, welche geniefsbaren Stoffe am zu- 
träglichsten seien, ob die Pflanzenkost der thierischen vor- 
zuzichen sei, oder umgekehrt? Dafs jene zur Ernährung 
des Menschen ausreiche, leidet keinen Zweifel,, ja es ge- 
nügt, wie dies durch zahlreiche Erfahrungen bewiesen ist, 
der blofse Gcnufs von Brodt und Wasser. Da zwischen 
den Menschen und Tliieren rüeksichtlich des Ernährungs- 
prozesses durchaus kein Unterschied obwaltet, so dient 
zur Bestätigung des eben Gesagten, dafs auch Thiere blos 
von Früchten und W 7 asser ernährt, und selbst gemästet 
werden können. Daher dürfen wir den ältesten Ueber- 
lieferungen Glauben beimessen, dafs die Menschen sich 
einst von Eicheln und Buchnüssen nährten,, die also doch 
eine taugliche Nahrung abgeben mufstem Wir wissen 
nicht, wer zuerst auf den Gedanken kam, das Mehl zum 
Brodte ausgähren zu lassen, ob ein Zufall ihn darauf führte, 
oder die Beobachtung, dafs in dem Kropfe der Vögel die 
Körner nicht nur durch das verschluckte Wasser erweicht 
werden, sondern auch in Gährung übergehen, woraus sich 
der Schlufs ziehen liefs, dafs die rohen Stoffe dem Magen 
beschwerlicher fallen, als die gegoltenen. 

Ungeachtet alle Früchte Nahrungsstoff liefern, so ha- 
ben doch manche unter ihnen mehr oder weniger schäd- 
liche Nebenwirkungen. Der Hafer z. B. greift den Kopf 
an, und erzeugt bei reichlichem Genüsse Schwindel und 
Kopfweh; das Gerstenbrodt nimmt bald eine bedeutende 
Trockenheit und Härte an, die es unverdaulich machen; 
der Waizen liefert zwar einen hinreichenden, aber zu 
weichlichen Nahrungsstoff, daher der Roggen, der zwi- 


182 


4 


sehen beiden das Mittel hält, entweder rein, oder mit Wai- 
zen vermischt, allen übrigen vorgezogen zu werden ver- 
dient. Bekannt ist es, dafs die Orientalen den Reis in 
Gebrauch ziehen, die Amerikaner den Mays, noch andere 
die Maniok Wurzel geniefsen. Andere vegetabilische Pro- 
dukte sind weniger zu einer gleichförmigen Nahrung ge- 
eignet, z.'B. die süfsen und ölgebenden Kerne, also die 

Mandeln, Pinien und anderen Arten von Nüssen, welche 

. / 

leicht eine gewisse Schärfe annehmen. - Die Hülsenfrüchte 
sind ungleich härter und saftloser; den Gemüsen, so wie 
den meisten Wurzeln, Rüben, Pastinaken fehlt der Kle- 
ber, und die »saftreichen Baumfrüchte sind zu wässerig 

und zu arm an nährenden Bestandteilen , während sie 

/ 

fremdartige, zur Säuerung und Gährung geneigte StofTe 
enthalten. Unter den vegetabilischen Nahrungsmitteln be- 
haupten daher die zuerst genannten Früchte den ersten Rang, 
und sie werden durch ihre mannigfache Vermischung, und 
durch eine leichte Gährung gedeihlicher, als wenn sie roh 
bleiben, oder ‘das Kochen sie blos erweicht. 

Die Erfahrung, welche man mit Recht eine praktische 
Lehrerin nennt, bezeugt es, dafs auch thierisclie Kost dem 
Menschen zuträglich ist. Um aber darüber zu entscheiden, 
ob letztere oder die Pflanzenkost den Vorzug verdiene, 
mufs man zuvörderst die Struktur des menschlichen Ma- 

/ 

gens in Betracht ziehen. Hieraus ergiebt sich, dafs die- 
selbe mit der des Magens der fleischfressenden Säugethicre 
und Vögel genau übereinstimmt, und deshalb gänzlich von 
der bei den pflanzen- und körnerfressenden Thieren sich 
unterscheidet. Danach zu urthcilen mufs der Mensch, wenn 
gleich nicht ausschliefslich auf die Fleischkost angewiesen, 
doch auch für dieselbe bestimmt sein. Hiermit stellt die 
Erfahrung in Einklang, und dafs der Magen selbst das rohe 

- Fleisch verdauen könne, sehen wir durch die Tartaren und 
Samojeden bestätigt, deren Kinder sogar das rohe Fleisch 
von den Knochen abnagen. Die Thierstoffe sind nicht alle 




/ 


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183 


auf gleiche Weise zur Ernährung tauglich, und selbst die 
Milch, ungeachtet die Natur sie dazu bestimmt hat, eignet 
sich doch durchaus nicht zu einem alleinigen Nahrungs- 
mittel. Denn sie liefert dem Körper keinen hinreichenden 
und gehörig derben Ernährungsstoff, daher es auch der 
Beobachtung des Volkes nicht entgangen ist, dafs Kinder, 
welche mit blofser Milch, ohne andere feste Speise aufer- 
zogen werden, eine weiche, schlaffe Textur des Körpers 
bekommen, welche man mit dem Naincn eines schwam- 
migen Milchflcischcs zu bezeichnen pflegt. Dadurch wird 
in ihnen der Keim zu einer überrnäfsigen Empfindlichkeit 
gegen schädliche Einflüsse gelegt. Zwar dürfte es schei- 
nen, als wenn die verschiedenen Arten von Milch gegen- 
seitig ihre Mängel ersetzen könnten; indefs weder die Mut- 
termilch genügt dem Kinde während der ersten drei oder 
vier Monate, ohne die Aushülfe einer solideren Kost; noch 
ist die Kuhmilch, welche etwa in der ersten Zeit den 
Mangel jener .ergänzen könnte, für das heranwaclisende 
Kind hinreichend, um ihm die gehörige Stärke zu verlei- 
hen. Die Wahrheit dieser Bemerkungen erhellt thcils aus 
der Bestimmung der bei fortschreitender Entwickelung her- 
vorbrechenden Zähne zum Zcrbeifsen der festen Speisen, 
theils aus der Thatsaclie, dafs die Thierjungen, sobald ihre 
Zähne hinlänglich stark geworden sind, nicht nur die ihnen 
angewiesene festere Nahrung freiwillig aufsuchen, sondern 
auch die mütterlichen Brüste selbst verlassen und ver- 
schmähen. Dieser Naturtrieb tritt um so ausgezeichneter 
hervor, da sic nicht gleichgültig jede feste Nahrung zu 
sich nehmen, sondern bei deren Auswahl so sorgfältig ver- 
fahren, dafs jede Art von Thicren durchaus nur die ihr 
bestimmte verzehrt, wie denn z. B. die fleischfressenden 
Thierc sich nicht gegenseitig auffressen. Die genaue Ueber- 
einstimmung unter allen diesen Thatsachen macht es wahr- 
scheinlich, dafs auch der Mensch auf den Gcnufs fester 
Nalrruug angewiesen ist, worauf sowohl die Einrichtung 


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4 


/ 


184 


seiner Organe, als (1er ihm angeborene Appetit oder In- 
stinkt hindeutet; der günstige Erfolg einer solchen Ernäh- 
rungsweise zeugt erfahr ungsgemäfs für ihren Werth. 

Als ein anderer triftiger Grund dafür, dafs der Mensch 
ohne Fleischspeisen gar füglich bestehen könne, läfst sich 
der Widerwille gegen letztere geltend machen, den je- 
mand verspürt, sobald in seinem Organismus irgend ein 
Hindernifs hervortritt, oder eine heftige Anstrengung und 
Gefahr sich entwickelt. Eben so rasch, wie sich in diesen 
Fällen der Ekel vor Fleischkost einstellt, eben so langsam 
kehrt das Verlangen danach wieder. Dagegen werden un- 
ter solchen Umständen die vegetabilischen, besonders die 
schmackhaften Nahrungsmittel', und Vorzüglich das Brodt 
ungleich besser ertragen. Wichtig ist in dieser Beziehung 
der Ausspruch desAvicenna: Omnis inappetentiamala, punis 
autem pessima } den seine Ausleger gänzlich entstellten, in- 
dem sie ilm sagen lielsen: Omnis oppletio mala , panis autem 

t v 

pessima. Vielleicht mufs man diesen Widerwillen als die 
Folge gewisser Kraukheitszustände betrachten, welche sich 
vorzüglich zur Fäulnifs hinneigen, und denen daher der 
aus animalischer Kost erzeugte Chylus Nahrung geben 
würde, weil letzterer seiner Natur nach zur fauligten Vcr- 
derbnifs sich hinneigt. Deshalb verdient in diesen Fällen 
der aus Pflanzenspeiscn bereitete Chylus, zumal wenn er 
einer geringen Säuerung fähig ist, den Vorzug, weil er 
eben darum jener Verderbnifs entgegengesetzt ist. Gewils 
ist daher die Furcht einiger Neueren übertrieben, wenn 

• t 

sie von den süfsen Dingen überhaupt, und besonders in 
Krankheiten, den Nachtheil besorgen, dafs sie durch den 
Uebergang in Säure das Blut zum Gerinnen brächten, und 
dadurch die gröfste Gefahr herbeifiihrten. Es läfst sich 
zwar nicht leugnen, dafs die stärksten Säuren in grolser 
Menge genommen die gedachte Wirkung hervorbringen 
können; doch gilt dies, sicher nicht von den milderen und 
in geringem Maafse vorhandenen Säuren,, welche sich bei 
der Verdauung entwickeln. Vielmehr werden letztere einer 


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185 


VI 

durch die ganze Säftemasse verbreiteten fauligten Verderb- • 
nifs, welche unmittelbar zerstörend wirkt, und doch nicht 
durch Ausscheidungen entfernt werden kann, kräftig wi- 
derstehen, während sie selbst sich leicht mit den ihnen 
überall im Körper begegnenden erdigten Stoffen neutrali- 
siren, und dann ausgcstolsen werden. Die Siifsigkcitcn, 
so wie die aus ihnen erzeugten Säuren werden folglich 
nur bei Individuen, besonders empfindlichen Frauen, welche 
eine Idiosynkrasie gegen sie haben, Schaden stiften kön- 
nen. Hiernach ist der Genufs des Citronensaftcs , des Es- 
sigs, zumal des schärferen, der zur sauren Gährung geneig- 
ten Speisen, z. B. des Kohls, der Gurken, selbst des Brod- 
tes, der Siifsigkcitcn, besonders des Zuckers, weniger des . 
Honigs, zu beurtheilen. Diese Nahrungsmittel werden um 
so gedeihlicher, wenn man ihnen Dinge beimischt, welche 
an sich weniger zu einer feinen Gährung geeignet sind. 
Die Gurken und Melonen z. B. würden durch die Gäh- 
rung eine vappide Beschaffenheit annehmen, wenn man 
jenen nicht scharfen Essig und Pfeffer, letzteren nicht Zuk- 
ker oder auch Pfeffer und Salz beimischte. 

Der Mensch kann sich eben so gut mit einer einfa- 
chen Kost begnügen, als sich einer zusammengesetzten be- 
dienen; doch mufs er im letzteren Falle die Speisen auf 
eine solche Weise vermischen, dafs die der einen fehlen- 
den Eigenschaften durch andere ersetzt werden. 

Je einfacher das Getränk, um so besser ist es, und 

daher empfiehlt sich das reine Wasser besonders; indefs 
* » , • 
hat es sich doch als vortlieilhaft bewährt, dasselbe mit 

wirklichen Nahrungsstoffen zu verbinden, welche zur Gäh- 
rung geneigt, oder in dieselbe übergegangen sind, wie dies 
besonders vom Biere und Weine gilt. Auf diese Weise 
wird es verhütet, dafs die Flüssigkeit nicht sogleich auf 
den Sekretions- und Exkretionswegen aus dem Körper, 
wieder ausgeschieden wird, sondern sich besser mit den 
dicklichen Säften desselben vereinigen kann. Nur mufs 
das Getränk nicht durch einen zu grofsen Gehalt an Wein- 


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I 


186 

geist uachtbeilig werden; auch mufs man auf die verschie- 
denen Beimischungen und sonstige Beschaffenheit desselben 
Rücksicht nehmen. So wirkt z. B. ein mit rohem Hopfen 
versetztes oder aus Hafer mit Gerste bereitetes Bier be- 
täubend; auch die Weine haben eine verschiedene berau- 
schende Kraft nach dem Lande, wo sie gekeltert werden, 
am meisten der Ungarische, Thüringische und Meissencr, 
auch der Französische, wenn ihm während der Gährung 
Kalk und Pottasche zugesetzt werden. Ueber den in neue- 
ster Zeit gebräuchlich gewordenen Kaffe hat man sich ge- 
stritten, ob er zuträglich oder schädlich sei.. Ueberhaupt 
werden warme Getränke eben so wenig Nachtheil brin- 
gen, als warme Speisen, und nur dadurch mittelbar scha- 
den, dafs bei Gewöhnung an sie 1 in der Folge die kalten 
Getränke nicht ertragen werden. In den Actis Atiglicanis 

ist z. B. ein Fall enthalten, wo plötzlicher Tod auf einen 

* *> 

kalten Trunk folgte, nach langer Gewöhnung an warme 
Getränke. 

Ueberhaupt mufs man als allgemeinen. Grundsatz die 
Regel aufstellen, dafs der Mensch sich an den mäfsigen 
Gen ufs mannigfaltiger Speisen und Getränke, die nur nicht 
zu unverdaulich sein dürfen, gewöhnen, und sich vor einer 
zu ängstlichen und scrupulöscn Auswahl derselben hüte. 
Denn nicht leicht vvird etwas einem Gesunden schaden, 
wenn er es nur ohne Besorgnifs geniefst. In Krankheiten 
gebietet freilich schon die gesunde Vernunft Vorsicht, die 
indefs um so leichter beobachtet werden kann,, da der 
Kranke von selbst Widerwillen gegen die schädlichen Spei- 
sen empfindet. Die Zeit zum Genufs derselben wird am 
sichersten durch den natürlichen Appetit bestimmt, wenn 
ihn einfache Speisen, nicht Leckereien, rege machen. Auch 
mufs man nicht warten , bis langes Fasten einen starken 
Hunger erweckt, der leicht zu Ueberfüllung Veranlassung 
geben, kann. Im Genüsse einfacher Nahrung, z. B. eines 
guten Brodtes, wird ein Gesunder sich nicht leicht ein 
Uebermaafs zu Schulden kommen lassen, wohl aber ge- 


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187 


schieht dies, wenn durch Abwechselung in den Speisen 
ein eingebildeter Appetit erzeugt wird. Aber die Mahl- 
zeit muls auch bis zur Sättigung führen, welche das beste 
Maafs für die Menge der zu geniefsenden Speisen giebt 
Doch ist der Volksglaube eitel, dafs eine begonnene Ver- 
dauung durch die spätere Fortsetzung einer abgebrochenen 
Mahlzeit gestört werde; wenn dies ja geschieht, so rührt 
es von einer fehlerhaften Gewöhnung beim Genufs, nicht 
von materiellen Abnormitäten her. Denn auch hier ver- 
mag die Gewohnheit sehr viel, daher man, sich vor jeder 
Verweichlichung sorgfältig bewahren muls. 


Drittes Kapitel. 

Von der Bewegung und Ruhe. 

Der Ausspruch des Apostels: Wer nicht arbeitet, soll 
auch nicht essen, ist ganz der Naturordnung geinäls; ins- 
besondere findet er auf eine volle und derbe Diät seine 
Anwendung. Auch den fortschreitenden Kreislauf des Blu- 
tes beeinträchtigt eine sitzende Lebensweise, da sie ihn 
träger und unregelmäfsig macht, woraus mannigfache Ge- 
fahr erwachst. Dagegen befördert eine mäfsige Leibesbe- 
wegung die gleichmäfsige Vertheilung der Säfte, macht 
sie durch Verdünnung zu den nöthigen Ab- und Ausson- 
derungen geschickt, und erhält die weichen Theile in der 
nöthigen Beweglichkeit. Im Allgemeinen unterstützt die 
Bewegung jede den Thieren angeborne Thätigkeit, welche 
nur durch Uebung die erforderliche Fertigkeit erlangt, und 
wird somit eine noth wendige Lebensbedingung. Gleich- 
wie alle Funktionen des Körpers sanft, ruhig und abge- 
messen von statten gehen sollen, eben so müssen auch 
die willkührliehen Bewegungen, an welche sie geknüpft 
sind, einen glcichmäfsig geregelten Charakter annchmcn. 


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I 


V 


188 


Ungeachtet Bewegung die Grundlage des ganzen Le- 
bens ausmacht, jene nämlich, welche unwillkührlich , also 
ohne Ueberlegung und Absicht erfolgt, und entweder gleieh- 
mäfsig fortschrcitct , oder sich verstärkt; so ist hier doch 
nur von derjenigen die Rede, welche auf Gclieifs und un- 
ter der Leitung des Willens vollzogen wird. Zwei Bedin- 
gungen bestimmen das Maafs derselben, längere Ausdauer 
- bei einem mittleren Grade von Anstrengung, und Fort- 
setzung bis zu einer leichten Ermüdung. Ist sie zu hef- 
tig, so treibt sie den Blutlauf zu schnell, meist auch un- 
gleichförmig, an, imd es gehen daraus gefährliche Entar- 
tungen der Säftemischung und Ataxien der Circulation her- 
vor. Eine zu kurze Bewegung erfüllt ihren Zweck nicht, 
der Körper wird durch sie nicht zu einer glciclimäfsigen 
Thätigkeit angeregt. Vornämlich hängt aber ihre Summe 
von dem Massenverhältnils des Körpers ab, denn ein ge- 
dunsener, schlaffer Habitus desselben gebietet Vorsicht, 
und vollbringt sie mit mehr Beschwerde, als ein schlan- 
ker und beweglicher. Wo ein Ueberilufs an Säften ob- 
waltet, ist eine gemäfsigte Körperbewegung nützlich, selbst 
nothwendig; doch mufs sie dann mit noch gröfsercr Sorg- 
falt abgemessen werden, weil der unzeitige, unmäfsige und 
ungleichförmige Umtrieb der Säfte grofsen Schaden anrich- 
ten würde. 

Die Bewegung geht entweder von dem Körper selbst 
aus, oder sie wird ihm von aufsen mitgetheilt. Zur ersten 
Art gehört das Gehen auf ebenen oder bergigen Flächen, 
das mit mehrerer oder minderer Erschütterung verbundene 
Laufen, mannigfache Beugungen des Körpers mit Anstren- - 
gung, als Holzspalten, Glockenläuten, Ballspiel u. dgl. Zur 
anderen Art gehört das Reiten und Fahren, beides mit 
Erschütterungen verbunden. Sie gewähren mannigfache 
Vorthcilc, zumal bei krankhaften Dispositionen, worüber 
Sydenham de ejßcacia equitaiionis in tabidis nachgclesen 
zu werden verdient. 


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189 , 


Eine mäfsige Bewegung nützt zu allen Zeiten, und 
die Frage, ob sie für zarte Personen bald nach dein Essen 
zuträglich sei, läfst sich dadurch beantworten, dafs Bauern 
und Handwerker sich ganz wohl befinden, wenn sic Ar- 
beiten und Mahlzeiten unmittelbar auf einander folgen las- 
sen. Ueberliaupt aber sei man eingedenk, dafs die Ge- 
sundheit vornämlich von einem freien Kreislauf der Säfte 

\ 

abhängt, und dafs dieser durch Trinken und Bewegung 
erhalten wird; jenes verschafft ihnen die nöthige Beweg- 
lichkeit, letztere befördert die Circulation, und somit ihren 
Zweck, die Ab- und Aussonderungen. 

Da in den Bewegungen ein gehöriges Maafs obwalten 
mufs, so ist eine auf sie folgende Ruhe nöthig, nach dem 
‘ richtigen Ausspruch eines Dichters : Qnod caret alterna \ 
requie, durah ile non est. Doch mufs man die Ruhe wohl 
vom trägen Müfsiggange unterscheiden. Von der Bewe- 
gung darf kein unmittelbarer Uebergang zur Ruhe statt 
finden, um so mehr, da gewisse Arten des Ausruhens 
besonders nachtheilig werden können. Wenn sich z. B. 
reizbare Personen nach heftigen Anstrengungen plötzlich 
niedersetzen, so können sie sehr leicht Störungen in der 
gleichförmigen Verthcilung des Blutes erleiden. Eben so, 
wenn jemand, der nicht daran gewöhnt ist, eine starke 
Fufsreise macht, so wird er bei längerem Ausruhen unter- 
wCges eine grofse Ermüdung und starre Anspannung in 
seinem Körper verspüren, und nur mit grolscr Anstren- 
gung zur Fortsetzung seiner Reise sich anschicken können. 
Nicht minder wird der, welcher zu Fufsc, zu Pferde, oder 
selbst auf einem unbequemen Wagen, mit Anstrengung 
einen gröfseren Weg, als er sonst pflegte, zurücklegt, eine 
Zerschlagenheit in allen Gliedern fühlen. 

Mit einem Worte, es mufs ein solches Verhältnifs 

» ' « 

zwischen Ruhe und Bewegung beobachtet werden, ‘dafs 
jene nicht länger dauert als diese. Eine sehr verminderte 
Bewegung kann schon als eine Art von Ruhe angesehen 


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190 


( 

werden, und macht daher den schicklichsten Uebcrgang 
von der Anstrengung zur Ruhe, deren Dauer jener ange- 
messen sein mufs. 


Viertes Kapitel. 

Vom Schlafe. 

Die Rulic ist nur eine Aufhebung der Bewegung; im 
Schlafe hört auch die Empfindung auf. Letzterer, nebst 
dem ihm gegen überstehenden Wachen, wird mit Recht zu 
den nicht natürlichen Dingen gezählt; denn gleichwie die 
willkührliche Bewegung, welche zur Unterstützung der 
körperlichen Funktionen und zur Verwirklichung der Ab- 
sichten der Seele dient, der Ruhe zu ihrer Wiederher- 
stellung bedarf, eben. so macht das Wachen, während des- 
sen die Sinnesthätigkeit sowohl zur Bescliützung des Le- 
bens, als zur Uebung der Denkkraft rege ist, den Schlaf 
nötliig, durch welchen den Sinnen und dem Vorstellungs- 
Vermögen die gehörige Energie wiedergegeben werden soll. 

\ Das Wachen ist nämlich nichts weiter als die Thätigkeit 
des Geistes im Empfinden und Denken, dergestalt, dafe 
Wachen und Denken nach der Naturordnung unzertrenn- 
lich mit einander verbunden sind. Da aber jene Thätig- 
keit des Geistes im Empfinden und Denken keinesweges 
unbegrenzt, sondern nur gar zu. sehr beschränkt ist, so 
kann sie nicht in fortwährender Wirksamkeit verharren, 
sondern mufs bald einen bedeutenden Abbruch an ihrer 
Regsamkeit und Ausdauer erleiden, und nur der Schlaf 
kann ihr das Verlorene wieder erstatten. 

Ueber letzteren herrschen sehr irrige Begriffe, indem 
man ihn gemeiniglich als einen rein passiven Zustand dar- 
stellt, während dessen das Seelenorgan gefesselt, die Gei- 
ster umnebelt, in Düustcn und Feuchtigkeit des Gehirns 


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191 


cingehüllt sein sollen. Das Gegentheil erhellt a priori aus 
dem Wesen der Geistesthätigkeit, a posteriori aus dem 
Vermögen, sich willkührlich den Einflüssen zu entziehen, 
welche vermittelst der Sinne den Geist zur Thätigkeit an- 
regen. Weit entfernt also, dafs der Schlaf als eine Passi- 
vität dem Geiste während seiner Thätigkeit aufgedrungen 

/ 

würde, kann letzterer ihn vielmehr willkührlich nach einem 
bestimmten Zweck herbeirufen. Die Schwierigkeit in der 
Vorstellung, wie er durch einen Nachlafs seiner Thätig- 
keit den Schlaf veranlassen könne, liegt nur in dem fehler- 
haften Begriff von dem Wesen der Empfindung. Nur so 
viel mag hier in dieser Beziehung bemerkt werden, dals 
der Geist mit selbstständiger' Thätigkeit den gröfsten An- 
theil an der Erzeugung der Empfindung nimmt, woraus 
nothwendig folgt, dafs, wenn er seine Mitwirkung cinstellt, 
eben dadurch der Schlaf hervorgerufen wird. Dies erhellt 
vorzüglich aus den Bedingungen, welche dazu erforderlich 
sind, zu denen vornämlich eine tiefe Ruhe des Gemüths 
gehört, ferner das Abziehen des Verstandes vom ange- 
strengten Nachdenken, endlich eine Abneigung gegen Em- 
pfindung und Thätigkeit. Wenn daher nach bekannter 

Erfahrung widrige Gemütsbewegungen , Furcht, Trauer, 

• # 

Kummer, den Schlaf gänzlich zu verscheuchen vermögen; 
so gilt dies eben so gut von den entgegengesetzten Af- 
fekten, der Hoffnung und Freude, von lebhaften und an- 
genehmen Vorstellungen. Ja es können diese, auch wenn 
sie den Schlaf nicht durchaus abhalten, doch denselben 
stören, indem sie sich in den Träumen fortsetzen. Aus 
der Entstehung des Schlafes von Gleichgültigkeit gegen 
Sinneseindrücke erklärt es sich, dafs stumpfsinnige, zum 
Denken wenig aufgelegte Menschen eine grofse Geneigt- 
heit zum Schlafen haben, und dafs selbst lebhafte Perso- 
nen an Orten, wo sie keine Nahrung für ihre rege Gci- 
stesthätigkeit finden, sich oft kaum des Schlafes, zumal 
zur Zeit, wo sich derselbe einzustellen pflegt, erwehren 
können. 


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192 


Zu den merkwürdigen Erscheinungen in Betreff des- 
selben gehört ferner die Macht der Gewohnheit, welche 
ihn zu bestimmten Zeiten herbeiruft und ' abbricht. So 
kann man sich gewöhnen, zu einer gewissen Stunde des 
Nachts oder am Morgen, wie man es sich vorgesetzt hatte, 
zu erwachen, und wenn auch nicht gerade ein völliges 
Aufwachen erfolgt, so wird doch der Schlaf zu dieser 
Zeit von häufigem Aufschrecken unterbrochen. Diese That- 
sache ist besonders deshalb -ungemein wichtig, weil sie 
unwidersprechlich beweiset, dafs der Geist dies mit Vor- 
satz und freier Wiilkühr bewirken kann, ohne irgend 
einen theoretischen BegrifF, oder eine bildliche Vorstel- 
lung von dem Zeitmaafse, wie es etwa durch Nachdcn- 

ken bestimmt werden könnte, zu haben. Wenn es daher 

* 

auch keinem Zweifel unterliegt, dafs er diese Zeitabmes- 
sung durch Uebung und Gewohnheit besser treffen lernt, 
so ist es doch nicht minder gewifs, dafs er von der Weise 
und dem Grunde dieser Angewöhnung sich durchaus kei- 
nen deutlichen Begriff verschaffen kann. Wir merken da- 
bei nur soviel an, dafs daher der Schlaf durchaus kein 
passiver Zustand des Menschen sein könne, sondern ein 
aktiver sein müsse, da es nützlich und nothwendig ist, 
dafs die Wiilkühr einen grofsen Einflufs auf ihn ausübe, 
was nicht hätte geschehen können, wenn er als ein pas- 
sives Hingeben mit unvermeidlicher Nothwendigkeit sich 
einstellen mülste. 

Wenn auch der Schlaf zu den nicht natürlichen Din- 

» 

gen mit Recht gezählt wird, da der thierische Haushalt 
und die körperlichen Verrichtungen ihrer Bestimmung ge- 
mäfs ohne ihn nicht bestehen können; so mufs doch ein 
gewisses Verhältnifs zwischen ihm und dem Wachen ob- 
walten, so dafs keins von beiden zu lange oder zu kurze 
Zeit andaure. Auch ist der Schlaf nach Alter und Tem- 
perament verschieden, bei einigen lang und tief^ bei ande- 
ren kurz und leise. Tief nennt man ihn, wenn der Mensch 
nicht leicht und schnell erweckt werden kann, sondern 

so 


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1 


193 

< ^ • * 

so in ihn versenkt ist, dafs die äufscre Thätigkeit und der 

innere Sinn ganz aufgehoben zu sein scheinen. Mit dem 
leisen Schlafe verhält cs sich umgekehrt, da sich in ihm 
eine Empfänglichkeit für Sinnesreize erhält, und er durch 

die im Traume fortwährende Thätigkeit des Gedächtnisses 

* 

und der Phantasie dem Wirken des. Vors tellungs Vermögens 
im wachen Zustande sich annähert. Ein leiser und kur- 
zer Schlaf ist besonders dem cholerischen und melancho- 
lischen, ei 
matischen 

von dem Naturell des Geistes ab, welches, wie oben be- 

1 _ 4 

merkt wurde, nach den Temperamenten verschieden ist; 
denn der Cholerische ist stets zu einer regen Thätigkeit 

bereit, desgleichen der Melancholische, der aufserdem noch 

° ' * 

ein besorgliches, mifstrauisches, zur Furcht aufgelegtes Ge- 
müth hat; beide behaupten diese Form ihres Wirkens bei 
aller übrigen Thätigkeit, folglich auch bei der, welche 
sich auf den Schlaf bezieht. Die Sanguinischen dagegen 
wiegen sich mit leichtem, die Phlegmatischen mit nach- 
lässigem Sinne in tiefe Ruhe ein. Aber es kann auch ge- 
schehen, dafs häufig aufgeregte Gemüthsstimmungen, an- 
gestrengtes Denken, Kummer, eine Angewöhnung in Be- 
zug auf den Schlaf begründen, welche mit der Körper- 
konstitution gewissermafsen im Widerspruche steht. Der 
Jugend ist ein langer und tiefer, dem vorgerückten Alter 
ein leiser und kurzer Schlaf natürlich, unstreitig, weil 
erstere fern von intensiveren Anstrengungen der Seele, 
auch einer vielumfassenden Thätigkeit, wenigstens was 

• . i 

die Willensäufser ungen betrifft, sich enthält; gleich als 
wenn dem jugendlichen Gemüthe die Vorstellung vor- 
schwebte, dafs ihm noch viele Zeit zur Thätigkeit gegönnt 
ist, während das höhere Alter sein nahes Ziel vor Augen 
hat, und um viel in kurzer Zeit zu vollbringen, sein Ge- 
schäft mit Eifer betreibt, und die Ruhe verschmäht. In- 
defs auch hier gilt das Gesetz in Betreff der durch zufäl- 
lige moralische Eindrücke veränderten Gewohnheit, in so- 
Stabl’s Theorie d. Heilk. I. 13 


i langer und tiefer dem sanguinischen und phleg- 
Tcmperamente eigen. Dies hängt vornämlicli 


i 


\ 


i 


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194 


fern auch die Jugend durch Gcmütliscrschütternngen ihren 
Schlaf abkürzen kann. 

Jene Hypothese, welche den Schlaf von Dünsten des 
Gehirns ableitet, die den Geist umnebeln, wird insbeson- 
dere noch durch die Thatsache widerlegt, dafs der über- 
mäfsige Schlaf, dem die Trägheit sich hingiebt, eine zu- 
nehmende Schläfrigkeit bewirkt, und somit Erschlaffung 
und Stumpfsinn im Gemüthe erzeugt. Diese Erscheinung 
läfst sich mit jener Vorstellung nicht zusammenreimen, 
wenn man nicht willkührliche Voraussetzungen in die 
Erklärung aufnehmen will. Es läfst sich zwar nicht be- 
streiten, dafs gewisse materielle Ursachen den Schlaf be- 
fördern ; indefs haben diese stets einen nachtheiligen Ein- 
flufs auf den Geist. Sie bewirken dies aber nicht passiv 
durch eine Umnebelung, sondern aktiv, so dafs sie den 
Geist zugleich zu einer angestrengteren Thätigkeit anre- 
gen. Denn es entstehen lebhaftere Vorstellungen, denen 
mannigfache Willensäufserungcn entsprechen, die durch 
Hoflhung oder Furcht bestimmt werden; alle diese Sce- 
ienthätigkeiten geschehen aber auf eine verkehrte Weise. 
Beispiele geben uns die Betrunkenheit, so wie der Gcnufs 
des Opiums und die während und nach dem dadurch be- 
wirkten Schlafe erfolgenden Erscheinungen. 

Mit der von uns aufgestellten Theorie des Schlafes 
läfst sich auch die Erfahrung sehr leicht in Einklang brin- 
gen, dafs während der Anfüllung des Magens mit gesun- 
den Speisen und Getränken sich eine Neigung zum Schlafe 
einstellt. Denn es ist eine nothwendige Bedingung des . 
Verdauungsgeschäfts, dafs während des gröfsten Theils sei- 
ner Dauer Ruhe von allen übrigen Reizen und ThStig- 
keiten eintrete, damit erstcrcs ungestört und gleichförmig 
ohne Zerstreuung der Kräfte nach anderen Richtungen hin 
von statten gehe. 


/ 


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/ 


195 


/ 


Fünftes Kapitel. 

Von den Ausleerungen. 


( 


Der Ausleerungen kann liier nur in sofern gedacht 
werden, als sie gleichfalls zu den nicht natürlichen Din- 
gen gehören. Denn wenn sic keine von den absoluten 
Bedingungen zur Existenz des Körpers ausmachen, so die- 
nen sie doch zur längeren Erhaltung desselben. Da in- 
del's von ihnen früher schon ausführlich die Rede war, so 
wollen wir uns bei ihnen weiter nicht aufhaltcn. 


/ 


Sechstes Kapitel. 

Von den Leidenschaften. ' 

, i 

• * » 

Die Alten zählten mit Recht die Leidenschaften zu 
den Dingen, ohne welche der Mensch längere Zeit hin- 
durch nicht bestehen kann; ja wir sehen uns gcnöthigt, 
ihre Bedeutung selbst noch höher anzuschlagen, wenig- 
stens die Thatsache, dafs der Mensch im Laufe seines Le- 
be ns ihnen a usgesetzt ist, nicht blos auf seine Seelen tliä- 
tigkeit, sondern auch auf den Lebensprozefs zu beziehen. 
Es war demnach einseitig, bei den Leidenschaften nur den 
geistigen Akt, oder höchstens eine sinnlich - vernünftige 
Thätigkeit in Betracht zu ziehen, da sie doch unbezwei- 
felt die Lebensthätigkeit im Allgemeinen, wfie im Beson- 
deren, selbst abgesehen von aller Mitwirkung der Empfin- 
dung, zu stören vermögen. . ~ 

. .. Eben so gewifs, wie das eben Gesagte, ist auch der 

Erfahrungssatz, dafs jeder Mensch ursprünglich die Anlage 
zu eigenthiimlichen und dauernden Formen des Sittlichen 
und überhaupt der Gemüthsthätigkeit besitzt, 'welche in 


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196 


r 


der Beschaffenheit des Körpers und in dem Verhältnis 
seiner Säfte zu ihren Bewegungen begründet ist. Dies 
wurde in der Lehre von den Temperamenten naher ent- 
wickelt. Die Lebensbewegungen üben einen so mächtigen 
Einilufs auf die Gemütkszustände aus, dafs der Geist in 
dem Maafse kräftig ist oder erlahmt, als der Körper sich 
wohl oder übel befindet; jener wird selbst durch bedeu- 
tende körperliche Verletzungen dergestalt in sein em W ir^ 
ken gestört, dafs daraus Irrere den her vorgeht. Von glei- 
cher Wichtigkeit ist aber auch die Erwägung der V erän- 
derungen, welche die Leidenschaften in den Lebensb.ew'e- 
gungen hervorrufen, und die tlieils in Excessen, tlieils in 
Mängeln derselben bestehen. Das bekannteste Beispiel der- 
selben giebt uns die plötzliche und beträchtliche Verän- 
derung des Pulsschlages durch die Freude, und die noch 
gröfsere beim Zorne, den der Schreck sogar an Wirksam- 
keit übertrifft. Der höchste Grad der Freude betäubt den 
Geist, und trifft ihn wie ein Blitzstrahl, der Puls erstarrt, 
und es giebt nicht wenige Fälle, wo eine plötzliche Freude 
auf diese Weise tödtete. Noch mehr gilt dies vom Entsetzen. 
Der Zorn hingegen, so wie der mit Angst und Zittern ver- 
bundene Schreck, wo alle Kraft aufgeboten wird, um der 
’ Gefahr Widerstand zu leisten, sie zu bekämpfen, oder ihr 
zu entfliehen, spornt die tonischen Lebensbew r egungen an, 
welche dann leicht in krampfhaft konvulsivische Anfälle 
‘ gerathen. 

Diese Erscheinungen beobachtet man am ausgezeich- 
netsten bei natürlich einfachen Gemüthem, wo der har- 
monische Zusammenhang zwischen der Geistes- und der 
Lebensthätigkeit am engsten ist; denn unter dieser Bedin- 
gung mufs die Erschütterung des Gemüths den stärksten 
Aufruhr im Körper hervorbringen. Ein solches engeres 
Verhältnifs findet sich vornämlich bei den Kindern, dem 
weiblichen Geschlechte, und bei allen, deren Vernunft 
nicht durchgeübt und gegen zufällige Ereignisse nicht hin- 
länglich gewaffnet ist. Am stärksten offenbaren sich jene 




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197 


Erscheinungen bei Kindern, denen die Wirkungen der Lei- 
denschaften, welche den thierisclien Haushalt zerrütten, 
sogar durch das Säugen mitgetheilt werden können. 

Wir wollen uns hier nicht bei den Grübeleien auf- 
halten, aus welcher Quelle die Leidenschaften abstammen, 




und auf welche Weise ihre Wirkung auf den Körper zu 
Stande kommt. Denn nur mit Uebcrdrufs kann man aufser 
den früheren Fabeln noch an die Träumereien aus der neue- 
sten Zeit denken, nach denen die äufseren Gegenstände 
durch Lichtstrahlen vom Auge aus, oder durch die von 
den Ohren aufgenommenen Schallwellen, oder Erzittern 
der anderen Empfindungsnerven, einem Theile der Lebens- 
geister ihre wahre Gestalt cinprägen, und dadurch bewir- 
ken sollen, dafs diese zu einer solchen Form zusammenge- 
ballt, ins Gehirn aufsteigen, und daselbst dessen weichem 
Marke nicht nur jene Gestalt* unauslöschlich eindrücken, 
sondern auch die Bewegungsnerven in Aufruhr versetzen. 
Non piget soltun , sed profecio pudet , plura memorare. 

Nicht ganz so wahnwitzig ist die Vorstellung derer, 
welche die Wirkungen der Leidenschaften auf den Kör- ' 
per einer tumultuari sehen Bewegung der Lebensgeister zu- 
schrcibcn. Wenn nämlich die heftig aufgeregte, und da- 
her zu zweckwidrigen und maafslosen Handlungen geneigte 
Seele (es sollen sich diese Bezeichnungen allein auf ihr 
eigentliches Wirken, also nur auf ihre Thätigkeit im Den- 
keil und Wollen beziehen, ungeachtet Helmont es noch 
anders meint) die ihr zur Vernunftthätigkcit dienstbaren 
Geister auf eine gleich unordentliche und regellose Weise 
in ein ungestümes Aufwallen versetzt; so soll sich dies 
Toben auf das ganze Geschlecht der Geister allgemach 
fortpflanzen, und daher auch die animalischen in diesen 
Wirbel hineinziehen, welche dann in den ihnen angewie- 
senen Gegenden des Körpers tumultuirend, jene gefährlichen 
Symptome irregeleiteter Bewegungen hervorbrächten. In 
diesem Sinne li eisen sich allerdings einige solcher Erschei- 
nungen im Allgemeinen erläutern, z. B. das bebende Schüt- 


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198 




\ 


y * * V 

teln des ganzeu Körpers, welches aus einer durch Schreck 
erzeugten und mit Zittern und Palpitiren verbundenen all- 
gemeinen Körperschwäche entspringt; eben so die konvul- 
sivischen Bewegungen, welche leicht auf Zorn erfolgen. 


/Aber der Erklärung durch solche allgemeine Vorstellun- 
gen entschlüpfen gänzlich die cigenthümlichcn Vorgänge 
bei manchen Leidenschaften, welche auf eine ganz andere 
En tstelmngs weise hindeuten, nämlich auf eine solche, de- 
ren unverkennbare Ucbereinstimmung mit gewissen Bestre- 


bungen der Seele während eines besonderen Affekts es un- 
widersprechlich beweiset, dafs sie unmittelbar von dieser 
Absiclit der Seele ausgegangen sind. Zum besseren Ver- 


3£97“ö 


ständmfs dessen muls man sich erinnern, dafs die Leiden- 


schaften nichts anderes sind, als praematurae et intempesti - 
vae quaedam conclusiones , de rehus vel sensu oblai is, vel 
nuda intei'dum Jictione , secundum memoriani efformatis , sine 
dccenie circumstant iaimm omnium , aut saue potissimarum 
vere rationalium, considerat tone, aestimatione moral i potius, 
quam direct e } et simpliciter sensualij expeiidendarum . Auf 
dergleichen unreife und übereilte Urtheile folgen dann eben 
so unzeitige Begehrungen und Willeusbestrcbungen, denen 
die zu ihrer Ausführung dienenden willkührlichen Bewe- 
gungen entsprechen. So sind z. B. letztere beim Zorne 
ungestüm, da sie überwältigen, zurücktreiben, zerstören 
sollen. Beim Schreck gestalten sie sich als ein ängstli- 
ches Bestreben zum Entfliehen, zum Verbergen^ oder zum 
Widerstande mit gesammter Kraft gegen eine drohende 
Gefahr. Beim Verlangen geben sie sowohl einen Drang 
nach dem begehrten Gegenstände, als ein Bestreben, des- 
selben sich zu bemächtigen, und ihn zum Genufs-zu ver- 
wenden, zu erkennen, wie man dies am reinsten bei Kin- 
dern, die etwas haben wollen, wahrnimmt. 

Betrachtet man näher die von den Leidenschaften aus- 
gehenden Wirkungen auf die Lebensthätigkeit, welche mit 
jenen Bestrebungen und Richtungen des Willens in kei- 
ner unmittelbaren Verbindung zu stehen scheinen; so über- 
/ 


f 


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199 


zeugt man 6ick leicht, dafs die aus den Affekten hervor- 
gegangenen eigenthiimlichen und, ungewöhnlichen Verän- 
derungen der Lebensthätigkeit sich keinesweges von de- 
nen unterscheiden, welche von der Willkühr und einer 
deutlichen und bestimmten Absicht abhängen. Denn was 
bedeutet beim Zorne die reichlichere Vcrtheilung des Blu- 
tes an der Oberfläche des Körpers und in den Muskeln, 
der palpitirende , bis zur straffen Anspannung gesteigerte 
Tonus weiter, als eine Vorbereitung des Körpers zur höch- 
sten Kraftentwickelung bei den heftigsten und stärksten 
willkührlichen Bewegungen? Wie nahe sind die Kon- 
vulsionen mit dem gewaltsamen Ringen verwandt, mit 
welchem sehr Erzürnte sich gegen diejenigen zur Wehre 
setzen, welche sie zurückhalten, und ihren Ungestüm ver- 
hindern wollen.^ Sehr wichtig ist die alltägliche Beobach- 
tung, dafs der Zorn, wenn er befriedigt wird, und keine 
Reue kintcrlälst, auch dem Körper keinen Schaden zufügt; 
dafs er hingegen unterdrückt, im Geinüthe einen ankalten- 
den XJjdmuth und Groll hinteriälst, und im Körper Störun- 
gen der Verdauung und Ernährung, selbst Schwächung und 
zunehmende Erschöpfung der Lebensfunktionen nach sich 
zieht, oder gleichzeitig Irrereden oder Krämpfe hervor- 
erweiset sich daher eine höchst merkwürdige 


i.^So 


bring 

Gleichheit zwischen der Gemüths- und Lebensthätigkeit, 
dergestalt, dafs wenn der Zorn sich nicht sättigen kann, 
er sich auf einen andern Gegenstand, zumal wenn dieser 
durch ein längeres feindliches Verhältnis verbalst war, 
wirft, um an ihm seinen Ungestüm auszulassen. jiDer- 
gleicken Fälle kommen in unserm geselligen Zustande sehr 


häufig vor, 


und so wie bei ihnen die Richtung der Gc- 


müthsthätigkeit sich ändert, so verhält es sich auch mit 
den körperlichen Wirkungen des Affekts, welche ander- 
weitige krankhafte Paroxysmen aufwecken, z. B. Steinbe- 
schwerden, Anfälle von Hypochondrie, Hysterie, Gicht und 

Podagra. y_ _ _ _ . _ 

Um den innigen Zusammenhang völlig in’s Klare zu 


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200 


setzen, der zwischen den Erschütterungen der Lebensthä- 
tigkeit und den Gemütlisbcstreb ungen und ihrer Richtung 
im Vorstellen und Wollen statt findet, wollen wir noch 

den Affekt des Ekels näher beleuchten. Bei ihm läfst sich 

«* ( 

kein allgemeiner Aufruhr der Lebensgeister erdichten, da 
die abgeirrte Tliätigkeit sich sehr gemäfsigt und nach einer 
bestimmten Richtung wirksam zeigt, ohne Tumult und 
Verwirrung unter die nach andern Richtungen hin wirken- 
den Lebensgeister zu bringen. Der Ekel besteht in einem 
aus der Einbildung entsprungenen Affekt, denn er bezieht 
sich auf die Vorstellung von Dingen, die nur aus Vorur- 
theil für widrig dem Geschmack gehalten werden, oder 
beim Verschlucken einen unangenehmen Widerstand lei- 
sten, z. B. Haare, zäher Schleim, trockne und rauhe Pul- 

» 

ver. Wenn diese in den Mund genommen werden, so be- 
wirken sie nicht eine Erschütterung des Schlundes, der 
' Speiseröhre oder des Magens, sondern einen Aufruhr des 
empfindenden Princips, welches seine Empfindungen beur- 
theilt, danach seinen Willen bestimmt, und durch diesen 
gewisse Bewegungen hervorruft. Dies-Princip ist also bei 
jener Erscheinung zuerst wirksam, indem sich in ihm eine 
ekelerregende Vorstellung erzeugt (denn nicht blos ein auf 
dem Teller gefundenes Haar, sondern selbst die Vorstellung 
desselben in der Einbildung erweckt schon den Ekel); 
daher ist es der Natur der Sache gemäfs, die dadurch ver- 
anlafstcn Bewegungen, die auf einen bestimmten Zweck 
hingerichtet sind, jenem Princip zuzuschreiben. Also läfst 
sich bei diesem ganzen Vorgänge nichts Tumultuarisches 
und Zufälliges in den Bewegungen wahrnehmen, sondern 

sie entsprechen genau der Absicht, welche die Seele mit 

# 

der ekelerregenden Vorstellung verbindet, die eben so gut 

* 

aus der blofsen Erinnerung, als aus dem Anschauen des 
durch Erbrechen zurückzustofsenden Gegenstandes, ent- 
springt. 

Aus diesem Beispiele erhellt deutlich, dafs die Lei- 
denschaften allerdings vom Verstandesgebrauch abhängen, 


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201 


und nur den Mangel einer hinreichenden Vergleichung 
aller zu berücksichtigenden Umstände voraussetzen, und 
dafs die theils willkülirli dien, tlieils unwillkürlichen Rich- 
tungen, welche sie der Lebensthätigkeit geben, jeden un- 
bestimmten Aufruhr ausschliefsen , auch nicht auf ander- 
weitige Zwecke sich beziehen, sondern lediglich der be- 
stimmten Absicht entsprechen, welche mit jenen Vorstel- 
lungen verknüpft ist. Daher kommt es auch, dafs nicht 
alle Menschen auf gleiche Weise, sondern der eine mehr, 
der andere weniger den Leidenschaften und ihrem Ein- 
flüsse auf die Lebensthätigkeit unterworfen sind, je nach- 

t 

dem ihre Vernunft geübt und gewöhnt ist, gelassen sich 
zu sammeln, hinreichend zu vergleichen, und ruhig zu 
urtheilen. 

• i 

Diese Betrachtungen führen zu dem wichtigen Gesetz 
der Gewohnheit, welche ihre Herrschaft sowohl über die 
vitalen und animalen Funktionen, als über die Seele selbst 
aus übt. Sie läfst sich definiren als prompt itudo certu, tarn 
ad suscipiendas, quam decenter exercendas, varias actiones . 
Da sie sich also im Allgemeinen auf das Thätige, mithin auch 
auf die im Körper obwaltenden Bewegungen und ihre Rich- 
tungen bezieht; so umfafst sie nicht nur diejenigen, welche 
begonnen, rasch vollzogen und gänzlich durchgeführt wer- 
den müssen, sondern auch solche, welche gefürchtet, ge- 
mieden, selbst geflohen, und durch entgegengesetzte Le- 
bensthätigkeiten unterdrückt werden sollen. 

Gewohnheit nannien wir die (gröfsere oder geringere) 
Fertigkeit, gewisse Bewegungen anzufangen. Da nun letz- 
tere stets zu einem bestimmten Zweck unternommen, und 
folglich auf eine ihm entsprechende Weise geleitet wer- 
den; so liegt ihnen wesentlich eine in jener Absicht aus- 
gesprochene Willensthätigkeit zum Grunde. 'Die grofsc 
Macht, welche die Gewohnheit hierbei ausübt, läfst sich 
ari alltäglichen Beispielen nachweisen, wo die Seele, von 
"bestimmten Urtheilen geleitet, den ersten Antrieb geben 
muls. Eine Schlange oder eine Spinne zu berühren, wird 





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202 


dem keine Muke machen, der sich von Vorurtheilen be- 
freit hat; seinem Willen wird die That ohne Verzug fol- 
gen. W<»nn aber das Gcmütk einen Abscheu davor hat, 
also den Willen nicht darauf hinlenken kann; so wird die 
That entweder gar nicht, oder mit zitternder, fluchtiger 
Hand geschehen. . 

Die Gewohnheit besteht also sowohl in der Bereit- 
willigkeit, einen Entschlufs zum Handelu zu fassen, als in . 
der Fertigkeit, denselben leicht, ohne Zaudern, selbst mit 
einer Neigung des Gemütkes zur Ausführung zu bringen. 
In moralischer Beziehung ist besonders die Gewöhnung an 
bestimmte Absichten, also die Fertigkeit des Willens, von 
grofser Wichtigkeit. Wenn z. B. gewisse Gegenstände 
Furcht einflöfsten, und dadurch Zittern des Körpers ver- 
ursachten; so kann Gewöhnung an sie ihnen diesen Ein- 
flufs gänzlich rauben, dergestalt, dafs sie nicht einmal mehr 
die Neigung dazu erwecken, vielmehr zum Lachen und 
zum Verachten der früher schreckenden Vorstellungen an- 
reizen. 

Die Fertigkeit im Wirken bezieht sich sowohl auf 
die Regel und Ordnung desselben zu einem bestimmten 
Zweck, als auf die Beweglichkeit der dazu erforderlichen 
Organe. Denn durch fortgesetzte Uebung wird jene Re- 
gel immer mehr befestigt, so dafs späterhin in dem Maals 
und der schicklichen Verwendung der Kräfte kein Irrthum 
begangen wird. Wie alle übrigen Werkzeuge, werden 
auch die Organe durch häufige Wiederholung ihrer Ver- 
richtungen immer tauglicher zu denselben. 

Ganz vorzüglich, verdient es beachtet zu werden, dals 
die Gewohnheit vornämlich der Seele angehört. Denn von 
ihr geht die Macht der Leidenschaften ünd einer herrschen- 
den Denkweise aus; überhaupt mufs sich die eigentliche 
,Geistesthätigkeit durch Uebung, also durch unzählig oft 
wiederholte Akte ausbilden, um zu einer gewissen Fertig- 
keit zu gelangen. — Auch mufc man erwägen* dals die 
Regel, der Habitus und die Ordnung der Thätigkeiten kei- 


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V 


\ 


' 203 

\ 

nesweges von dem mechanischen Verhältnisse der Organe 
abhängt. , Denn kem Thcil des Körpers, so wenig als irgend 
ein Werkzeug, kann an sich und von selbst eine Funktion 
nach Maafsgabe eines bestimmten Zwecks verrichten, son- 
dern es ist dazu jederzeit eine Ursache von höherer Rang- 
ordnung erforderlich. Zwar pflegte man die Zeitbestim- 
mung in Betreff der beginnenden Funktionen von gewis- 
sen materiellen Reizen abhängig zu machen; doch wider- 
spricht dem die Gewöhnung an bestimmte Zeitmomente, 
welche Anfangs durchaus willkührlich ist, wenigstens sich 
auf eine Weise begründet, welche mit jenem Reize in kei- 
nem Verhältnisse steht. Ein specielles Beispiel zur Wi- 
derlegung geben uns die Fieberparoxysmen , welche in 
jedem Alter, bei jeder Körpcrgröfse gleichen Perioden fol- 
gen, ungeachtet die Menge der Säfte, das Verhältnis der 
Bewegkräfte, die Kapacität der Kreislaufsorganc, selbst 
hinzutretende zufällige Einflüsse, einen grofsen Unterschied 
hervorbringen müfsten, wenn es dabei auf materielle Be- 
dingungen ankäme. 

, Nur noch ein Beispiel von der Macht der Gewohn- 
heit wollen wir anmerken, welches früher schon bei der 
Lehre vom Schlafe erwähnt wurde. Sehr häufig geschieht 
es, dafs jemand, sei es absichtlich, oder weil auch ohne, 
seinen Willen eine Veranlassung dazu gegeben ist, die 
Gewohnheit annimmt, zu einer bestimmten Stunde mitten 
aus einem ruhigen Schlafe zu erwachen; und zwar bedarf 
es dazu um so weniger häufiger Wiederholungen, je nach- 
drücklicher die Aufforderung zum Erwachen ist. Beson- 
ders zeichnete sich hierdurch ein Mann aus, der mit einem 
erregbaren und thätigen Naturell begabt, indefs frei von 
quälenden Sorgen war. Ruhig schlief er in einer Stube, 
welche sich kaum über das Strafsenpflastcr erhob, und 
obgleich letzteres am frühen Morgen von dem Fahren der » 
Lastwagen erdröhnte, so dafs selbst das Haus davon er- 
schüttert wurde, so unterbrach dies doch nicht seiuen 
festen Schlaf, vielmehr erwachte er erst auf den Giocken- 




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204 


i 


i 


, schlag zu der Stunde, wo er gewöhnlich aufzustehen 
pfl egte, ungeachtet gerade zu dieser Zeit eine Stille ein- 
getreten war. Auch mir ist es nur zu häufig begegnet, 
wenn ich zufällig oder auf irgend einen Sinnenreiz in der 
Nacht erwachte, und ich mich dann dem Nachdenken hin- 
gab, oder gar das Bett verliefs, um mit gespannter Auf- 
merksamkeit ein Geschäft zu verrichten, dafs ich darauf 
in den folgenden Nächten genau zu derselben Stunde, und 
selbst Minute, aus einem ruhigen Schlafe erwachte. Wäre 
es nicht ungereimt, in diesen Fällen materielle Ursachen, 
die etwa in der Luft vorhanden wären, vorauszusetzen, . 

x 

welche sich zur bestimmten Zeit einstellten, um jenen 
Erfolg herbeizufuhren? 

' - Wir haben schon bemerkt,' dafs die Gewohnheit nicht 
nur zu gewissen Handlungen den Antrieb giebt, sondern 
dafs sie Veranlassung wird, gewisse Thätigkeiten abzu- 
brechen, und von ihnen auszuruhen. Dies gilt nament- 
lich von den Bewegungen, welche auf die Leidenschaften 
folgen, so wie auch von anderen Erscheinungen im Ge- 
biete der vitalen und animalen Funktionen. So z. B. kann 

t 

man sich von der Furcht vor gefährlichen Dingen entwöh- 
nen, seine Begierden stillen, selbst sich der Herrschaft des 
Zornes entziehen, . desgleichen sich an Speisen gewöhnen, 
die dem Gaumen zuwider, für den Magen beschwerlich 
zum Verdauen sind, den Ekel überwinden, es dahin brin- 
gen, dafs der Wein und Tabak nicht so stark mehr be- 
rauscht, das Gefühl gegen Kälte und Wärme ’abstumpfen, 
und sich einen ruhigen Schlaf bei fortwährendem Geräusch 
erhalten. Eben so ist es ein Werk der Gewohnheit, dafs 
angestrengtere Bewegungen durch häufige Uebung leichter 
von statten gehen. Auch diese Thatsachen sind durchaus 
mit der Hypothese unvereinbar, welche ein glcichmäisiges 
Verhältnifs zwischen materiellen Ursachen und den Erfol- 
gen der Gewohnheit annimmt, da die durch sie erzeugte 
-Fertigkeit, in dem Maafse als sie zunimmt, auf geringere 


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205 

Erregungen in Wirksamkeit tritt. Dies gilt sowohl von 
den Leidenschaften, als von der Lebenstliätigkeit. 

Unstreitig ist die Macht der Gewohnheit sehr grofs, 
und sie offenbart sich beim Menschen ungleich stärker, 
als bei den Thieren; ja sie pflanzt sich schon dem Kinde 
im mütterlichen Schoofse ein. Denn durch sie wird eine 
überzarte Empfindlichkeit, welche der Mutter eigen ist, 
auf das Kind unter ihrem Herzen übertragen, und jene 
angestammte Reizbarkeit dauert auch nach der Geburt 
fort, so dafs sie schon durch das Anwehen einer kalten 
Luft, welche selbst nur die Amme zu treffen braucht, so 
wie durch eine nicht mit Sorgfalt ausgewählte Speise, 
krankhaft gestört wird, und nur mit Mühe zu einer feste- 
ren Erregbarkeit sich umstimmen läfst. Andere Kinder 
dagegen haben von Hause aus eine ungleich gediegenere 
Lebenskraft. 

Endlich mufs man der Gewohnheit eine dem Gedächt- 
nifs analoge Eigenschaft zuschreiben, weil die Wirkungen 
früherer Angewöhnungen sich Jahre lang dauernd erhal- 
ten, ja selbst, nachdem sie lange Zeit hindurch gleichsam 
schlummerten, plötzlich durch eine schickliche Veranlas- 
sung auf alte Weise hervortreten. Ein Beispiel liefern die 
mit Blutflüssen verknüpften Bewegungen, welche durch 
alle Lebensalter, vom Kinde bis zum Greise, sich erstrecken, 
zwar nicht an den nämlichen Organen haften bleiben, also 
nicht eine bleibende Species darstellen,« wohl aber zu der- 
selben Krankheitsgattung gehören, und daher auch im All- 
gemeinen von gleichen Vorgängen im thierischcn Haushalt 
ihren Ursprung nehmen. 

Es war uns liier nicht um eine müfsige historische 
Darstellung der mächtigen Wirkungen zu thun, mit denen 
die Leidenschaften und überhaupt die intensiven Willens- 
äufserungen, in das Spiel der Lebenskräfte eingreifen; vieL 
mehr behauptet diese Lehre ein grofses Gewicht in der 
Pathologie. ^Denn die Affekte müssen mit einer durchaus 


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206 

regelmafsigcn Leitung der Lebensthätigkeit vergesellschaf- 
tet sein, und erheischen daher, wenn sie von ihrer. Bahn 
ab weichen, eine verdoppelte Wachsamkeit und Sorgfalt, 
damit sie nicht, in plötzlichen Aufruhr ausbrechend, mit 
Gewalt eine verkehrte Richtung einschiagcn, und dadurch 
das feste Band der «Lebenskräfte zerreifsen, ihren Zweck 
gänzlich vereiteln. Ja häufig bewirken sie dies auf eine 
so schnelle, tief eingreifende und hartnäckige Weise, dals 
es sehr schwer hält, die durch sie veranlafsten Störungen 
wieder auszugleichen,, und die Verirrungen der Lebens- 
thätigkeit der Herrschaft des ordnenden Princips zu un- 
terwerfen^ Vornämlich in hitzigen und bösartigen Krank- . 
heilen sind dergleichen Ausschweifungen höchst gefährlich. 
Und nicht allein die heftig stürmenden Leidenschaften be- 
zeigen sich auf diese Art verderblich, sondern auch- die 
Gewohnheit tritt oft als ein Hindernifs entgegen, dals 
noth wendige Bewegungen nicht erfolgen, oder durch sie 
unterbrochen werden. In sofern ist sic jedoch gutartiger, 
wie die übrigen Leidenschaften, als das Heilbestreben^ sich^ 
leichter dem Einflüsse der Gewohnheit entzieht, um die 
nothwendigen Lebensbewegungen in Gang zu bringen, und 
als die Gewohnheit nicht neue Störungen herbeifuhrt, 
sondern in ihrem Wirken den Charakter der Ruhe und 
Ordnung behauptet, und dadurch sich wesentlich von den 
Leidenschaften unterscheidet, welche umgekehrt mit fremd- 
artigen Erscheinungen stürmisch hereinbrechen, und meist 
hartnäckig sind. Wenn daher die Leidenschaften durch 
ihre Dauer zur Gewohnheit werden, so wirken sie weit 
weniger heftig und abschweifend. Ja es giebt sogar nicht 
seltene Fälle, wo das plötzliche Verlassen, selbst verkehr- 
ter Angewöhnungen der Seele wie dem Körper einen 
empfindlichen Schaden zufügt. So verhält cs sich mit dem 
Zorne, der Trunksucht und Wollust. Desgleichen wenn 
Menschen sich an eine harte Lebensart gewöhnt haben, 
und schnell zu einer entgegengesetzten übergehen, so pflegt 




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Ihnen dies sehr übel za bekommen, ihnen Störungen der 
Verdauung zuzuziehen. 

Uebrigens ist ein mäfsiges Walten der Leidenschaften, 
und die Gewöhnung an sie, vornämlich aber die heitere 
Zufriedenheit über die Erreichung der Vorgesetzten Zwecke 
durch Anstrengungen, dem Körper, wie der Seele, über- 
haupt dem organischen Haushalte zuträglich, schafft frische 
Kraft und Ruhe, während der Mifsbrauch zerstört. Und 
zwar sind diese heilsamen sowohl als nachtheiligen Wir- 
kungen schneller und wichtiger, als die Erfolge körperli- 
cher Verletzungen und Restaurationen. 

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Von der Ernährung. 

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Da das Ernährungsgeschäft zu einem grofsen Theile eine 
Aufgabe für die physikalische Betrachtung ist, und mit- 
hin nicht zur Theorie der Medicin gehört, so wollen wir 
davon nur aufnehmen, was mit dem von uns aufgestellten 
obersten physiologischen Grundsätze in Verbindung steht. 
Denn die Seele hat, vermöge ihrer Willenskraft und ihrer 
Macht, die Lebensbewegungen ihren Absichten gemäfs zu 
leiten, den wesentlichsten Antheil an dem Ernährungsge- 
schäft. Es kommen bei demselben vornämlich folgende 
Punkte in Betracht: 1) der Appetit; 2) die Einspeiche- 
lung der Speisen; 3) deren Verweilen im Magen während 
einer bestimmten Zeit; 4) die fortschreitenden Zusammen- 
ziehungen des Magens und der Gedärme; 5) die Aneig- 
nung, des eigentlichen Nahrungsstoffes in die thierische 
Mischung und seine Vertheilung; 6) die Apposition oder 
Anbildung desselben r die man mit Unrecht beide unter- 
schieden hat. 

Aus der Peripatetischen Schule rührt die spitzfindige 
Eintheilung des Appetits in den natürlichen, den vitalen 
oder ernährenden, und den sensitiven her. Der natür- 
liche, den man auch den unbelebten Körpern zuschrieb, 
gehört nicht hierher; der vitale oder ernährende ist eine 
bestimmte Willensäufserung, die sich auf den Genufs von 

Speise 


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Speise und Getränk bezieht. Denn er beherrscht die an- 
deren willkührlichen Tliätigkeiten der Seele dergestalt, 
dafs letztere in jeder anderen Beziehung träge und nach- 
lässig wird, wenn er unbefriedigt bleibt. Selbst die Dür- 
stenden haben während des Schlafes im Traume die Vor- 
stellung des Trinkens. Vorzüglich wird die Abhängigkeit 
des Appetits von der Seele durch .die Macht der Einbil- 
dungskraft erwiesen, welche mit ekelerregenden Vorstel- 
lungen einen natürlich regen Appetit gänzlich zu unter- \ 
drücken und in Widerwillen gegen Speisen zu verkehren 
vermag. Ein Gleiches bewirken Schreck, Kummer, Furcht 
und Angst. Ja was geschieht, wohl häufiger, als dafs an- 
gestrengtes Nachdenken, Zerstreuung durch Spiel und Un- 
terredung, die Sehnsucht der Liebe, ein Vergessen der Zeit 
wo sich der Appetit einzustcllcn pflegt, bewirken? Um- 
gekehrt empfinden Menschen beiderlei Geschlechts, welche 
an ein arbeitsames Leben gewöhnt sind, auch beim Müfsig- 
gange ein lebhaftes Verlangen nach Speisen, gleichsam als 
sollte das Essen zum Ersatz für andere Thät.igkeit dienen, 
damit doch etwas gethan werde. t 

Ein geregelter Appetit pflegt sich dann einzustellcn, 
wenn der frühere Nahrungsstoff verbraucht ist, wenn also 
eben so viel vom Blute und den übrigen Säften, sowohl 
den ernährenden als verdünnenden, zersetzt ist, als bei der 
vorigen Stillung des Hungers und Durstes aufgenommen 
wurde. Doch vermag auch hier die Gewohnheit sehr viel, 
da manche, ungeachtet sie viel essen, an Umfang nicht zu- 
nelimen, andere bei weniger Nahrung dennoch fett wer- 
den. Doch muls man dabei vorzüglich die Lebensweise 
berücksichtigen, ob sie mülsig, oder angestrengt thätig ist. 

Das genaue Vcrhältnifs, in welchem der Appetit zu sei- 
nem Zweck steht, lälst sich besonders durch seine Stärke 
bei denen erweisen, welche im Wachsthum begriffen sind. 
Umgekehrt verhält es sich bei den Bejahrten, wenn nicht 
eine thätige Lebensweise, reichlicher Weingenufs oder Ge- 
wohnheit einen lebhaften Appetit unterhalten. Menschen 
Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 14 


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210 


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hingegen, welche bei angestrengter Körperbewegung in 
kurzer Zeit viel Blut verarbeiten, erfreuen sich nicht nur 
eines regen und starken Appetits, sondern dieser kehrt 
selbst nach kurzdauernder Sättigung bald wieder, daher 
sie auch gewöhnlich vier Mahlzeiten des Tages zu halten 
pflegen. Kinder und Jünglinge, die sich durch ein rasches 
> Wachsen auszeichnen, begehren eben so oft die Befriedi- 
gung ihres Hungers. 

Ganz unhaltbar ist die Hypothese der Alten, welche 
die ursprüngliche Ursache des Hungers in materiellen Be- 
dingungen und Bewegungen, üie man jetzt mechanische 
nennt, suchten. Sie behaupteten, dafs die Blutgefäfse, 
durch mannigfachen Verbrauch des Blutes entleert, im 
Magen und Darmkanal zu saugen anfingen, und dadurch 
das unangenehme Gefühl des Hungers bewirkten. Ein 
solches Saugen, an welches jetzt auch wohl niemand 
mehr glaubt, wird durch vielfältige Gründe widerlegt 
Wir bemerkten schon, dafs Handwerker an müfsigen Ta- 
gen, selbst wenn sie längere Zeit hindurch nicht arbeite- 
ten, dennoch zu den gewohnten Stunden einen stets re- 
gen Appetit verspüren. Man mufs nun zwar den Unter- 
schied zwischen Appetit und Hunger nicht übersehen, da 
jener mehr der Gewohnheit, letzterer mehr dem noth wen- 
digen Bedürfnifs angehört; doch setzt Gewohnheit stets 
ein Princip voraus, welches nach Absichten verfahrt, da- 
her Appetit und Hunger nur dem Grade nach und in Be- 
zug auf die gröfsere oder geringere Dringlichkeit des Be- 
dürfnisses verschieden sind. Man kann also den an Ge- 
wohnheit geknüpften Appetit dem wirklichen Hunger nicht 
so diametral gegenüberstellen, dafs jener aus einer Absicht, 
letzterer aber aus einer materiellen und mechanischen Ur- 
sache, welche auf eine unbegreifliche Weise jenes Gefühl 
erregt habe, entsprungen sei. Denn auch der Hunger, 
wenn er nicht als ein tobender den höchsten Grad erreicht 
hat, bindet sich an eine sorgfältige Auswahl der Speisen, 
daher er ^diejenigen, an welche der Gaumen nicht gewöhnt 


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211 


ist, verschmäht, oder von einer verhältnifsmäfsig geringen 
Menge derselben gesättigt wird. Vorzüglich wird aber 
der Appetit durch Einbildungen auf positive und negative 
Weise bestimmt, wie sich dies besonders bei den Gelüsten 
der schwangeren Weiber zeigt, welche die eigentümli- 
chen Richtungen ihres Appetits oder Ekels selbst auf die 
Kinder vererben, und sogar die Gestalt des Gegenstandes, 
welcher ihre Phantasie erregte, durch die Macht der Vor- 
stellung dem kindlichen Körper einverleiben. Nicht genug 
mag man sich hierüber verwundern. Wenn wir auch be- 
kennen müssen, dals der Bildung^prozefs und sein forma- 
les Gesetz uns völlig unbegreiflich sind; so würde es doch 
vermessen sein, deshalb jedes Kausalverhältnifs, welches 
sich in deutlichen Erscheinungen offenbart, ableugncn zu 
wollen. % ■ 

Unverwerfliche Gründe sprechen dafür, dafs der Ap- 
petit eine wirkliche Willensäufserung ist; es erhellt dies 
auch a priori aus seinem noth wendigen Zweck, der den 
Willen bestimmt, a posteriori aus dem Geschäft des letz- 
teren, unter den Speisen eine Auswahl zu treffen. Alles 
Körperliche oder Mechanische wird nur durch gleichfalls 
körperliche Dinge sollicitirt; der Appetit dagegen, und 
noch mehr der Hunger erwacht und erhält sich, wenn 
die materiellen Gegenstände, auf die er gerichtet ist, und 
von denen man glaubt, dafs sie ihn auf eine mechanische 
W T eise erregten, fern sind. Auch scheint sich in die gang- 
baren Vorstellungen vom Hunger, den die Alten vom Sau- 
gen , die Neueren von Reizungen ableiteten , der Irrthum 
eingeschlichen zu haben, dafs man seine muthmafsliehe 
Ursache mit seiner formalen Beschaffenheit verwechselte, 
welche letztere also unter einem ganz anderen Begriffe 
aufgefafst werden mufs. Mit jenen Vorstellungen steht 
aber vornämlicli der Umstand in Widerspruch, dafs der 
Appetit nicht durch jeden Gegenstand überhaupt, sondern 
nur durch gewisse Arten von Stoffen rege gemacht wird. 
Dennoch machte man sich die abgeschmackte Vorstellung, 

14 * 


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212 


dafs ein in den Mund gebrachter Körper auf eine mecha- 
nische Weise die Werkzeuge des Kaucns zur Thätigkeit 
anrege, ungeachtet selbst die Kinder es wissen, dafs die 
Kinnladen unthätig bleiben, wenn jener Körper ihnen zu- 
wider ist. Nach jener Irrlehre müfste selbst ein Stein zum 
Kauen reizen. 

Dies mag genügen, um den Satz zu begründen: dafs 
der Appetit ein Akt desjenigen Princips ist, welches, weil 
es eines organischen Körpers auf längere Zeit bedarf, auch 
für die Erhaltung und Wiederherstellung desselben Sorge 
tragen mufs, da es, um seinen Zweck zu erreichen, die 
demselben entsprechenden Mittel ergreifen mufs. Der Ap- 
petit begehrt also Stoffe, welche zur Erhaltung des Kör- 
pers und zum Ersatz seiner verloren gegangenen Theile 
erforderlich sind, und welche als Speisen, um in solche 
umgewandelt zu werden, noch mannigfacher Vorbereitun- 
gen bedürfen. 

Es wäre eine zwecklose Grübelei, für die Zerstücke- 
lung der Speisen durch das Kauen einen andern Zweck 
1 aufzusuchen, als die Absicht, durch jene Verkleinerung der 
Gährung, welche die kleinsten Thcilchen durchdringen soll, 
zu Hülfe zu kommen. Denn da sie gröfsere Stücke nicht 
schnell genug auflöset, so könnten diese der ihnen cigen- 
thümlichen Zersetzung überlassen bleiben. Doch wird dies 
bei der rasch fortschreitenden Auflösung der Speisen so 
leicht nicht geschehen. 

Der vornehmste Nutzen des Kauens besteht aber in 
der Zumischung des Speichels. Auch hier hat man sich 
wieder verleiten lassen, einen rein mechanischen Hergang 
anzunehmen, in sofern der Speichel durch die Bewegung 
beim Kauen ausgeprefst werden sollte. Oft fliefst der Spei- 
chel reichlich ohne Kauen hervor, oft stockt seine Abson- 
derung, ungeachtet die Kiefer sich bewegen. , Denn was 
ist bekannter, als dafs der blofse Anblick, oder die An- 
näherung schmackhafter Speisen an die Lippen einen reich- 
lichen Speichelergufs hervorbringt, wie man dies mit den 


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Worten: der Mund wässert einem, zu bezeichnen pflegt. 
Im Gegentheil, wenn geschmacklose, oder widrige Hinge, 
besonders sobald sie nach erfolgter Sättigung anekeln, im 
Munde noch so sehr gekauet werden; so fehlt gewöhnlich 
die Speichelabsonderung, daher dann auch das Schlucken 
beschwerlich von statten geht, und selbst mit der Nei- 
gung zum Erbrechen kämpfen mufs. 

Es wäre eine überflüssige Mühe, weitiäuftig zu be- 
weisen, dafs das Schlucken eine willkührliche Bewegung 
ist. Zuweilen herrscht beim Ekel eine retrograde Bewe- 
gung, welche sich als Neigung zum Erbrechen zu erken- 
nen giebt, in dem Maafse vor, dafs wenn man die widrige 
Vorstellung überwinden, und das Schlucken mit Anstren- 
gung durchsetzen will, um so leichter eine Ausleerung 
nach oben erfolgt. 

Wichtiger für unsre Betrachtung ist das Verweilen 
der Speisen i m Ma gen, um daselbst vermittelst der Gäh- 
rung aufgelöset zu werden. Diesen Prozefs haben die me- 
dicinischen Schulen seit Helmont rich tig anerkannt, jedoch 
über die Eigentliümlichkeit desselben sich ip unauflösliche 
Schwierigkeiten verwickelt. Diese betreffen nicht blos den 
Umstand, dafs zur Gährung geneigte Stoffe diese Verände- 
rung in den Mägen der Thiere weit schneller erleiden, son- 
dern auch die Thatsachc, dafs solche Stoffe, die fast nur 
der fauligten Gährung fähig sind, diese dennoch nicht er- 
fahren, sondern von der cigcnthümliclien, welche man mit 
dem Namen der Verdauung bezeichnet, umgewandelt wer- 
den. Hierzu kommt noch, dafs gleich anfänglich im Ma- 
gen Und Darmkanal während dieser Gährung den in den 
Speisen enthaltenen feineren Nahrungsthcilchen eine spe- 
ciiischc Mischung, die bei den einzelnen Thiergattungen 
verschieden ist, mitgctheilt wird, wie dies durch die Ver- 
schiedenheit des Chylus oder der Milch bei Thieren, welche 
von demselben Futter sich nähren, bewiesen wird, z. B. 
bei den Schafen, Ziegen, Kühen und Pferden. 

Man suchte diese Schwierigkeit mit der Annahme spe- 


214 


cifischer Fermente zu heben. So wie überhaupt Stoffe, 
welche von seTbst in Gährung übergehen, durch den Zu- 
satz eines Ferments weit schneller in dieselbe versetzt 
werden; eben so läfst sich auch an anderen Beispielen 
nachweisen, dals specifische Fermente eigentümliche Gäh- 
.rungsbe wegungen hcrvorrufen , und dadurch den gähren- 
deh Stoffen eine besondere Mischung verleihen, welche 
sich durch einen specifischen Geschmack und Geruch zu 
erkennen giebt. Es ist z. B. bekannt, dafs eine noch so 
geringe Menge von Essig, welche an den Wänden eines 
Gcföfses haftet, den in dasselbe gegossenen- Wein oder 
Bier in eine ähnliche Säure umwandelt; eben so bewirkt 

* i 

ein schimmlichter Essig, dafs guter Wein, ohne vorher 
in eine reine Säure überzugehen, sogleich eine gleiche fau- 
ligte Verderbnifs annimmt. 

Diese im allgemeinen Sinne aufgestellte Erklärung 
kann man zwar nicht geradezu verwerfen, da eine nä- 
here sich nicht geben lälst; doch ging man wieder irre, 
indem man die Quelle und den Sitz jenes Ferments nä- 
; her zu bestimmen suchte. Denn da letzteres seine Ope- 
* ration im Magen vollbringt, so glaubte man daraus ganz 
einfach deu Schlufs ziehen zu dürfen, dafs dasselbe vom 
Magen abgesondert werde. Indefs wird diese Annahme 
dadurch zweifelhaft, daß» im Bau des Magens nichts Eigen- 
tümliches vorkonunt, was die Bereitung und Absonde- 
rung eines so specifischen Gährungsstoffes wahrscheinlich 
machte. 

Wenn man die Quelle des letzteren sogar in der Milz 
suchte, von welcher cs durch die kurzen Gefäfse in den 
Magen geleitet werden sollte, so machte man sich die 
Sache nur noch schwieriger. Denn gedachte Geföfse kön- 
nen als Venen nichts von der Milz nach dem Magen füh- 
ren, sondern sie leiten von beiden Blut nach der Leber. 
Auch läfst sich durch nichts beweisen, dafs in der Milz 
ein solches Ferment abgesondert werde, denn der herbe 
oder säuerliche Geschmack derselben gestattet einen sol- 


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chen Schlufs nicht. Aber man hatte sich nun einmal ein- 

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gebildet, dafs jenes Ferment eine Säure, und daher die 
Verdauung eine Säuerung sei. Sinnreich haben die Ana- 
tomen diesen gordischen Knoten mit dem Messer durch- 
schnitten, da sie Hunden, welche sehr rasch und kräftig 
verdauen, die Milz exstirpirten, ohne dadurch ihre Ver- 
dauung zu schwächen. Ueberdies bekennen die, welche 
ein vom Magen abgesondertes Ferment (dem andere den 
allgemeinen Namen eines Auflösungsmittels beilegen) an- 
nehmen, dafs auch der Speichel als ein solches anzusehen 
sei, und daher beim Kauen den Speisen zugemischt werde, 
um deren Verdauung zu bewirken. Da nun auf diese Weise 
eine beträchtliche Menge Speichel mit den Speisen ver- 
schluckt wird, so läfst sich kein nothwendiger Zweck ein- 
sehen, warum im Magen noch eine neue Quelle jenes Fer- 
ments enthalten sein soll; vielmehr reicht der Speichel 
vollkommen hin, die Speisen in die zur Verdauung nö- 
thige Gährung zu versetzen. Noch weniger braucht man 
zu den abstrakten Begriffen einer Verdauungskraft, eines 
Archäus im Magen, der eine Herrschaft über denselben 
ausübt, seine Zuflucht zu nehmen. Befördert wird end- 
lich noch die Verdauung bei den auf der Erde lebenden 
Thicren durch die Wärme. 

Im Magen wird die Verdauung nur begonnen, vollen- 
det dagegen während des Durchganges der Speisen durch 
den oberen Theil des Darmkanals, wo ihnen ein neues 
speichclartiges Ferment, der pankreatische Saft, zugemischt 
wird, von welchem oben schon die Rede war. Aufser 
ihm trägt auch die Galle unstreitig dazu bei, jene Gäh- 
rung von neuem anzuregen, und vollkommen zu Stande • 
zu bringen. Wird aber die Galle im Uebermaals ergos- 
sen, und trifft sie mit Materien, welche zu einer starken 
Gährung geneigt sind, zusammen, so nimmt letztere einen > 

höchst scharfen Charakter an, wie dies durch die kausti- 

/ 

sehe saure Schärfe bei der Cholera erwiesen wird* Die 
feinere aufiösendc Krall, weiche der pankreatische Saft 


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21 « 




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auf die aus dem Magen gebetenen Speisen ausübt, läfst 
sich augenscheinlich in der Verdünnung nachweisen, wel- 
che letztere, die bis dahin einen blofsen Brei darstellten, 

i * , 

nun erfahren. Dafs endlich selbst noch im Ileum, als der 
letzten Werkstätte der Verdauung, ein e ferment- und spei- 
chelartige Lymphe ergossen werde, machen die in ihm 
wahrnehmbaren drüsigten Plexus wahrscheinlich, deren Be- 
stimmung vielmehr im Absondem als im Einsaugen be- 
steht, da sie mit den anderen absondernden Drüsen einen 
conglomerirten Bau gemeinschaftlich haben, und überdies 
an der dem Mesenterium entgegengesetzten Seite gelagert 
sind, was gewifs nicht der Fall sein würde, wenn sie zu 
den im letzteren enthaltenen lymphatischen Drüsen ge- 
hörten. 

’ Der specifische und neue Charakter, den die Speisen 
durch die von den Speichelsäften bewirkte Gährung an- 
nehmen, mufs in seiner letzten Ursache auf die Seele be- 
zogen werden, da die zahllosen speeifischen Mischungen, 
und die in ununterbrochenem Wechsel auf einander folgen- 
den Erzeugungen, Zersetzungen und Wiederherstellungen 
derselben durch ein thätiges Princip bedingt werden, wel- 
ches nur bei beseelten ( animal is ) Geschöpfen, und zwar 
mit wesentlicher Noth wendigkeit wirksam ist. 

Wenn die Speisen soweit aufgelöset sind, dafs ihr 
feinerer Bestandtlicil unter der Konsistenz der Milch von 
ihren gröberen sich abscheidet, so wird erstcrer während 
des Fortganges durch den Darmkanal von den Saugadern 

/ desselben aufgenommen, und in die Blutgefäße übergeführt. 
Ueber die Beschaffenheit der aufsaugenden Gefafse hat sich 
vor etwa vierzig Jahren ein Streit erhoben, da einige sie 
für eigenthümliche Milchadern hielten, welche allein die- 
sem Geschäfte Vorständen, andere, z. B. Bilsius, der älte- 
ren Meinung beipflichteten, nach welcher der Chylus durch 
die im Gekröse vertheilten Aeste der Pfortader aufgenom- 
men, und der Leber zugeführt werden sollte. Andere hal- 
ten dafür, dafs diese Einsaugung auf beiden Wegen ge- 


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217 

« 

schelie, uiid auch ich bekenne mich zu dieser Annahme, 
wobei mir indefs wahrscheinlich ist, dafs der gröfsere 
Tlieil des Chylus in die Milchadem übergeht. Jedoch un- 
terscheide ich letztere nicht mit einigen von den übrigen 
lymphatischen Getalsen, sondern glaube, dafs die Saugadern 
des Gekröses für gewöhnlich Lymphe in sich enthalten, 
und nur zu Zeiten Chylus aufnehmen. Denn da der Chy- 
lus wahrscheinlich unmittelbar in Lymphe umgew r andelt 
werden mufs, so ist es auch nötliig, dafs er in die zur 
Absonderung und Bereitung der Lymphe dienenden Or- 
gane gebracht werde. Uebcrdies strotzen die Milchgefafse 
sichtbar von Chylus zur Zeit, wo die ' aufgelöseten Spei- 
sen im Darmkanal vorhanden sind, während die von der 
Leber ausgehenden lymphatischen Gefäfse durchaus keine 
Spur von Chylus zeigen, wie es doch wohl sein müfste,. 
wenn die Gekrösvencn den Chylus in so reichlicher Menge 
der Leber zufiihrtcn. Indefs kommt hierauf nicht viel an, 
da der Chylus auch auf dem Wege durch die Gekröse- 
saugadern sehr bald in’s Blut Übertritt, so dafs man ihn 
in demselben deutlich unterscheiden kann. 

Die Umwandlung des Chylus in Lymphe, als den un- 
mittelbaren Ernährungsstoff, setzt voraus, dafs in ihm ein 
anderes Verhältnifs seiner Bestandtheile eingetreten, folg- 
lich die frühere Verbindung derselben aufgelöset worden 
sei. Denn der Chylus als solcher enthält noch Mischungs- 
theile, welche in die neue thierische Substanz nicht ein? 
gehen dürfen, und daher ausgestofsen werden müssen, wäh- 
rend die übrigen zu mannigfachem Verbrauch dienen sol- 
len. Hierbei verliert er seine dickliche Konsistenz, behält 
aber doch noch eine gallertartige Beschaffenheit. 

So haben wir wie von einem Knäuel den Faden der 
Betrachtung abgewickelt, welche indefs mehr einen histo- 
rischen und physikalischen, als einen mcdicinischen Werth 
hat, da die Physiologie eigentlich nur das unmittelbare, thä- 
tige Wirken der als Lebensprincip auftretenden Naturkraft 
darzustellen hat. > 



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218 


Bei den bisher abgehandelten Vorgängen ist indefs 
noch das dazu erforderliche, und durch die dazu mitwir- 
kenden Bewegungen nothwendig bedingt» Zeitmaafs in 
Erwägung zu ziehen. Die Speisen müssen so lange im 
Magen verweilen, bis sie durch eine hinreichende Gäh- 
rung aufgeschlossen sind. Das dazu nöthige Zeitmaafs ent- 
spricht im gesunden Zustande genau dem Verhältnis der 
genossenen Speisen zu dem ersten Verdauungsprozefs, der- 
gestalt, dafs die leicht auflöslichen länger in ihm zurück- 
gehalten werden. Es kommt indefs hierbei nicht auf die 
Konsistenz der genossenen Speisen an, wonach die härte- 
ren nicht eher aus dem Magen fortgeschafft werden könn- 
ten, als bis sie mehr verilüssigt und dadurch beweglicher 
geworden wären, gleich als wenn der Magen blos durch 
seine allmählig erfolgende Zusammenziehung, erst das Er- 
weichte und zuletzt das Harte austriebe. Denn sehr häu- 
fig geschieht es, dafs weiche, ja selbst flüssige Substanzen 
mehrere Stunden im Magen zurückgehalten, und nicht 
eher von ihm weiter geschafft vrerden, als bis die Gäh- 
rung erfolgt ist, wie dies z. B. der Fall ist, wenn man 
beim Abendessen reichlich Getränk zu sich genommen hat, 
und einige Stunden später beim Umdrehen im Bette eine 
deutliche Fluktuation im Magen, die selbst von andern 
gehört werden kann, verspürt. Manche weiche Speisen, 
z. v B. Gemüse, bleiben oft lange im Magen, und verlassen 
ihn erst nach fünf oder sechs Stunden, wie dies durch 
das den Geschmack derselben führende Aufstofsen bewie- 
sen wird. Ist nun gar etwas mit Ekel oder in übermäfsi- 
gcr Menge ohne hinreichende Einspeichelung verschluckt 
worden, so erfolgt oft die Ausleerung desselben im ganz 
unveränderten Zustande einen oder mehrere Tage später 
durch Erbrechen. Umgekehrt begegnet es auch häufig, 
dafs zwei oder drei Stunden nach eingenommener Mahl- 
zeit ein reichliches Erbrechen vou Schleim, dem nichts 
. von dem Genossenen beigemischl ist, erfolgt, zum deutli- 
chen Beweise, dafs durch eine stellenweise Zusammcnzie- 


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219 


hung der Inhalt des Magens eingeschlossen werden kann, 
während aus einem anderen Theile desselben mit Heftig- 
keit etwas ausgestolsen wird. 

Hierdurch werden die gangbaren Vorstellungen wi- 
derlegt, dafs die Speisen durch materielle Reizung den 
Magen zur Zusammenziehung veranlassen, oder dal’s letz- 
tere, ihm ursprünglich eigen, die flüssigeren Stofle durch 
einen Druck austreibe. Vielmehr wird diese Zusammen- 
ziehung so lange aufgeschoben, bis die Speisen nicht blos 

0 

durch ihre Verflüssigung, sondern auch durch einen wirk- 
lichen auflösenden Gährungsstoff zu einer weiteren Zer- 
theilung hinlänglich vorbereitet sind. Daher werden wei- 
chere Stofle, die zwar der Auflösung durch die Verdauung 
fähig, derselben indefs einigen Widerstand leisten, länger 
im Magen zurückgehalten, bis auch sie die gehörige Ver- 
dauung erlangt haben, während härtere Körper, die keine 
Veränderung zulassen, frühzeitiger mit den erweichten 
Stoffen weitergeführt werden. Letzteres gilt z. B. von 

, f 

den Kirsch- und Pflaumensteinen, ersteres von manchen 
Gemüsen, den Häringen, dem geräucherten Schweinefleisch, 
zumal bei denen, die nicht an dergleichen gewöhnt sind. 
Hierher gehören auch die nicht seltenen Fälle, wo die 
blofse Vorstellung eines Purgirmittels schnelle und wie- 
derholte Zusammenziehungen der Gedärme hervorbringt, 
‘ wie dies eine wirkliche Abführung thun würde. 

Eben wie die zur rechten Zeit erfolgende Zusammen- 
ziehung des Magens im Verhältnifs steht mit den aufgenom- 
menen Speisen und mit ihrer gehörigen Vorbereitung zur 
ferneren Verwandlung, gleichergestalt gilt ein ähnliches 
Verhältnifs für die fortschreitende Bewegung der Gedärme. 

Es läfst sich indefs nicht bestreiten, dafs dieser Beziehung 

\ 

auch eine eigenthiimliclie organische Vorrichtung entspricht, 
da beim Menschen, so wie bei den meisten Thieren, die 
Gedärme, besonders die dünnen, sich zu einer beträchtli- 
chen Länge ausdehnen, und überdies mit ihren zahllosen 
Windungen der einfach fortschreitenden Zusammenziehung 

i 

t 

\ 


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/ 


220 

ein Hindernifs entgegensetzen, so dafs gleichsam bei jeder 
Windung eine neue Bewegung liinzutreten mufs, um den 
Fortgang des Speisebreies zu unterhalten. Jedoch muls 
man dabei zugleich erwägen, dafs einige Thiere mit einem 
verliältnifsmälsig kurzen Darmkanal begabt sind, und des- 
senungeachtet eben so leicht und'vollständig ernährt wer- 
den, wie dies besonders vom Wolfe, und im geringeren 
Maalse auch vom Hunde gilt. Nur scheint dabei der Un- 
terschied obzuwalten, dafs bei diesen Thieren der Nah- 
rungsstoff rascher in’s Blut übergcfulirt wird, daher sieh 
auch der Hunger bei ihnen wieder früher einstellt. Man 
mufs indefs die schnellere Wiederkehr des letzteren nicht 
sowohl aus einer zeitigeren Entleerung der Gedärme, als 
aus der beschleunigten Aufsaugung des Nahruugsstoffes und 
der rascheren Zersetzung des Blutes erklären, daher auch 
die reifsenden Thiere, sich selbst überlassen, nie fett wer- 
den, sondern stets einen schlanken Körperbau behalten, 
ungeachtet sie bis zur Sättigung fressen, und wenn ihrer 
GclVäfsigkelt ein hinreichendes Futter mangelt, .um so 
schneller abmagem. 

Indefs mufs man das auf die Länge oder Kürze des 
Darmkanals sich beziehende Verhältnifs als ein blos me- 
chanisches und das Wirkuugsvermögen desselben als ein 
rein organisches betrachten, da bei Thieren mit langen 
Gedärmen der Durchgang durch dieselben in sehr kurzer 
Zeit geschehen, oder sich an diese gewöhnen kann. Da- 
her kommt es so häufig vor, dafs ganz gesunde Menschen 
nach wenigen Wiederholungen den Fortgang des Speise- 
breies durch die Gedärme . nach einer festen Regel und 
einem gewissen Zeitmaafs bestimmen können, so dafs ihre 
Stuhlausleerungen zu der nämlichen, willkührlich angc- 
setzlen Stunde erfolgen. Sie haben jene so in ihrer Ge- 
walt, dafs sie den Drang dazu auf mehrere Stunden und 
Tage unterdrücken, oder sich ihrer zur willkührlichen 
Zeit entledigen können. Bei einigen geht dies so weit, 
dals sie selbst den noch flüssigen Inhalt der Gedärme, ehe 


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221 


\ 


er eine kotliartige Beschaffenheit angenommen hat, auszu- 
leeren vermögen. 

Aus allen diesen Umständen erhellt daher, dafs die 
Bewegung des Magens und der -Gedärme dem Zustande 
der durch sic fortzuleitenden Stoffe angemessen bleibt, und 
dafs daher ihr Begingen von der Abschätzung (aestimatio) 
des hinreichenden Grades von Verarbeitung derselben zu 
ferneren Zwecken abhängt; endlich dafs der Fortgang jener 
Bewegung einer bestimmten Begel unterworfen ist, wo- 
nach sie nicht zu schnell fortschreiten darf. 

Während dieses Durchganges des Speisebreies durch 
den Darmkanal werden die zur Ernährung tauglichen Theil- 
chen desselben, welche den Namen Chylus führen, von ihm 
abgeschieden, dessen fernere Fortleitung schon oben in Be- 
tracht gezogen wurde. Die letzliche Vertlieilung dessel- 
ben vermittelst des arteriellen Blutes erfolgt, nachdem er, 
vermischt mit der Lymphe und durch sie verdünnt, in 
den Lungen innig mit dem Blute vermengt, und dadurch 
fähig wurde, mit letzterem in die überall im Körper ver- 
breiteten feinsten Gefäfsendigungen einzutreten, um die 
umgebenden Theile zu bespülen. 

Noch bleibt der letzte Akt des Ernährungsgeschäfts 
zu betrachten übrig, welcher der sorgfältigsten Aufmerk- 
samkeit würdig ist, und den die Alten wie die Neueren 
mit dem Namen App osition belegen, aufscr -welcher jene 
auch eine Assimilation annehmen. Um der gegenwärtigen / 
Aufgabe auf alle Weise zu genügen, mufs man auf folgende 
Punkte Rücksicht nehmen: 1) auf die Angemessenheit des 
Nahrungsstoffes zu der Eigenthümlichkeit des durch ihn 
zu ernährenden Theils. So werden z. B. für den Knochen 
weit mehr austrocknende Theile erfordert, als für die Seh- 
nen, Membranen und Muskeln. 2) Es kommt dabei auf 
eine gehörige Zahl der abzusetzenden Theilchen an, damit 
das zu ernährende Organ stets in einem richtigen Gröfsen- 
verhältnifs zu dem Körper und seinen einzelnen Theilen 
bleibe. 3) Auch müssen die abgesetzten Theilchen sich 


/ 


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222 


auf eine solche Weise zusannunenfugen , dafs die aus ihnen 
hervorgegangene Konstruktion das Organ in seiner eigen- 
thiimlichen Form und in seinem natürlichen Umfange er- 
hält. Hiermit steht auch das richtige Vcrhältnifs der rech- 
ten Körperhälfte zur linken in Verbindung. 

Was den ersten Punkt betrifft, so können zu seiner 
Erklärung diejenigen, welche noch an materialistischen Be- 
griffen hangen, nur einen natürlichen Appetit annehmen, 
wonach das Aehnliche ein Streben nach dem Aehnlichen 
hat. Die Neueren gefielen sich in den Begriffen von einem 
noth wendigen Vcrhältnifs der Materie, von einer Ueberein- 
stimmung ihrer Figur, vermittelst welcher das Aehnliche 
dem Aclmlichen sich enger verbinden und mit ihm fester 
Zusammenhalten sollte. Es ist aber klar, dafs aufser ge- 
dachtem Vcrhältnifs einer Analogie der Gestalt in jener 
Vorstellungs weise nichts weiter deutlich hervortritt, als 
die unstatthafte Bezeichnung eines innern Bcwufstseins 
( yvcoötg ), mit welchem die einzelnen Tkeilclien sich ge- 
genseitig auswählen, begehren, nach einer gemeinschaftli- 
chen Verbindung streben, und sich sogar darüber erfreuen 
sollen. Einige Neuere geben sich zwar das Ansehen, als - 
ob sie diese Deutung verlachten; doch stellen sie blos mit 
einem anderen Worte, Trieb (Nisus), dieselbe Meinung auf, 
da letzterer gleichfalls das gegenseitige Zusammentreffen, 
und die eigenthümliehen Bewegungen der kleinsten Mas- 
sentheilehen hervorbringen und leiten soll. Die Ungereimt- 
heit dieser Erklärungen springt aber sogleich in die Augen, 
wenn man sowohl die Zahl der sich verbindenden Tlieil- 
chen, als die Ordnung und den Fortgang des Bildungsge- 
schäfts in Erwägung zieht.- 
< , 

✓ Denn cs kann hier nicht von einem einfachen und 
schnellen Zusammentreffen kleinster Massentheilchen die 
Rede sein, sondern es waltet dabei ein genaues Verliält- 
nifs, sowohl in Bezug auf Menge und Maafs, als in Hin- 
sicht auf Lage oder Gestalt, Stellung und Aneinanderrei- 
hung derselben ob. Und zwar gelten diese Beziehungen 


i • 


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223 


nickt bios im Allgemeinen, sondern sie müssen für jedes 
Organ ganz eigentümlich bestimmt sein. Hieraus erhellt 
nun die Abgeschmacktheit der Voraussetzung, welche dar- 
auf hinausläuft, dafs jenen Theilchen ein Wissen, Be- 
gehren, Streben eigen sein miifste, um nach Maafsgabe einer 
bestimmten Form, nach gewissen Zwecken und Absichten 
dergleichen speciiische Aggregate bilden zu können, wie 
sie in den verschiedenen Gegenden, Gliedern, selbst, den 
einzelnsten Theilen des Körpers, erforderlich sind. 

N Einem jeden mufs es einleuchten, dafs eine solche Zu- 
sammenfügung nach bestimmtem Verhältnis, welche von 
den kleinsten Anfängen bis zur Vollendung des ganzen 
Körpersbaues waltet, das Werk einer bestimmten Auswahl / 
ist, dergestalt, dafs ein Punkt sieb zum andern so fügen 
mufs, dafs jeder Theil in jedem Alter und bei jeder Kör- 
pergröfse, sowohl seine eigenthümliclie Gestalt annimmt, 
als in richtigem Verhältnis zu den übrigen Theilen bleibt. 
Wenn daher irgendwo eine Aufforderung statt findet, me- 
chanische Begriffe über mechanische Verhältnisse zu bil- 
den, so gilt dies gewifc von der Entstehung des Körper- 
baues. 

% 

Verwerfen wir daher die peripatetischen Begriffe vou 
einer blofsen Form, die dem Körper gleichsam von auisen 
aufgedruckt werde, desgleichen die fabelhafte Erklärung 
des Aristoteles, welcher in der Wärme des arteriösen Blu- 
tes die Ursache suchte, weshalb die Häute der Arterien 
dicker als die der Venen sind, in sofern nämlich erstere 
mehr glutinöse Materie verdicken, austrocknen, und an die 
Wände der Arterien absetzen sollte. Nicht besser sind die 
mechanischen Vorstellungen der Neueren von einem gemein- 
schaftlichen Zusammenfällen und Aneinanderhaften gleiche 
gestalteter Körperchen, eben so wie zwei abgeschliffene 
Marmorplatten mit einander in Kohäsion treten: desglei- 
chen jede ursprüngliche nothwendige Thätigkcit der Ma- 
terie und deren natürliche Bestrebungen und Appetite. 
Denn die Verbindung der Massentheilchen von den klein- 


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sten Anfängen bis zu dem höchst geregelten Aufbau des 
Ganzen kann nur von einem der Materie schlechthin frem- 
den Agens bewirkt werden, welches nach seinen Zwecken 
ordnet, vertheilt, zusammenfiigt und bildet. 

Es kommt hier vomämlich die Verschiedenheit der 
Bedingungen in Betracht, je nachdem etwas durch kör- 
perliche Organe zu Stande gebracht wird, und daher eine 
organische Bedeutung hat, im Gegensätze zum Unorgani- 
schen, wo den Erscheinungen diese Bedeutung fehlt, wo 
also das, was geschieht, unmittelbar und einfach durch 
eine Thätigkeit selbst vollbracht wird. Dergleichen un- 
organische Thätigkeiten oder einfache Bewegungen sind 
es nun, welche unmittelbar die Ablagerung der Mas- 
sentheilchen, die nachher in ihrer angenommenen Lage 
verharren, bewirken, und daher das Geschäft der Appo- 
sition und Assimilation vollziehen. Wenn folglich dem ge- 
sammten Bildungsprozesse ein Princip vorgesetzt ist, wel- 
ches nach bestimmten Verhältnissen und Zwecken jene 
einfachen Bewegungen leitet, so läfst sich ersterer folgen- 
dergestalt definiren: Quod assimilatio mdritoria nihil aliud 
sit, nisi corpusculorum, cujuslibet paHis consistentiae con- 
venientium, e lymphae liquamine, a reliqnis diversae indo- 
lis, semotio ( dum illa locum, ubi appositio Jiei'i debet, prae- 
t erlab itur ) particularum hai'um ad loca , in quae imponi , 
ibique in posierum immanere debent , admotio, seu per mo- 
. tum imm iss io, atque ita collocatio ; sed hoc ipsum absolute, 
numero simpliciter convcniente ; non qnantum maieriae oc- 
currit , sed qnantum ejus de die in diem , imo de anno in 
annum, per totos aetatum circuitus , in proportione peipe- 
tua , apponi congruit *)• Jeder wird cingestehen, dafs im 

' Vcr- 

*) Stahl hat diese ganze Lehre höchst weitschweifig und ver- 
worren abgehandelt, ohne auf sie einen grofsen Werth zu legen, 
da er sie mehr zu dem physikalischen, als dem physiologischen 
Theil der Naturlehre des Menschen rechnet. Ich habe seine Vor- 
stellungsweise abgekürzt in ihren wesentlichen Grundzügen wie- 


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225 


Verlaufe der Zeit an allen Stellen des Körpers in zahllo- 
sen Pulsen mehr NahrungsstofF vorbeigefiihrt, als daselbst 
abgesetzt wird. Hiermit steht die bekannte Thatsache in 
Verbindung, dafs Menschen von einem schlanken Körper- 
bau an Umfang nicht zunehmen, ungeachtet sie oft starke 
Esser sind, während Personen von schwammigem Habi- , 
tus selbst bei mäfsiger Ernährung doch eine beträchtliche 
Menge Fett absetzen, welches man, wie früher angegeben, 
als einen für spätere Zwecke aufbewahrten NahrungsstotF 
anselien mufs, und insbesondere zum Ersatz des Blutes 
dienen soll. 

Ebenfalls gehört die Erscheinung hierher, dafs das- 
Wachsthum des Körpers oft in kurzer Zeit beträchtlich 
zunimmt, zumal bei Jünglingen, nachdem die bildende Tlia- 
tigkeit einige Zeit vorher träger von statten gegangen war. 
So bemerkt man z. B., dafs Knaben, entweder aus wirk- 
licher Krankheit, oder wegen einer weniger krankhaften 
Anlage, blafs, träge, unruhig und zu allem linlustig blei- 
ben, und abgemagert erscheinen. Nachdem sic aber eine 
Krankheit, besonders ein Fieber, welches ihren gesamm- 
t^n Organismus aufregte, glücklich überstanden haben, er- 
langen sic eine bedeutende Regsamkeit des Geistes, und 
nehmen oft binnen weniger Monate so sehr an körperli- 
cher Ausbildung zu, dafs sic nicht nur das Versäumte 
schnell wieder einholen, Sündern auch selbst das ihrem 
Alter entsprechende Maafs an Körpergröfse überschreiten. 
Hierbei ist zu bemerken, dafs diese verschiedenen Bedin- 


derzugeben versucht, und deute hier nur darauf hin, dafs der von 
ihm angegebene motus inorganicus , welcher unter der Leitung 
'eines höheren. Agens (3er Seel^7 flach dessen Zwecken das Bil- 
dungsgeschäft vollbringt, im Wesentlichen wohl mit ungern- Bc- i 
griffen von der chemischen Wahlanziehung übereinstimmt. Bei 
dieser Gelegenheit erklärt er sich in den stärksten Ausdrücken 
gegen die Evolutionstheorie, gegen welche er besonders den schon 
mehrmals erwähnten Einflufs der Leidenschaften der Mutter auf 
das Kind in ihrem Schoofse geltend macht. 

Stahl’s Theorie d. Heilk. I. 15 


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226 

' • • t 

gungcn der Ernährung nicht vom Körper, sondern von der, 
Seele abhängig sind, je nachdem diese entweder einen 
furchtsamen, zu Uebellaune geneigten, grüblerischen Cha- 
rakter hat, oder ihre Triebkraft durch Regsamkeit, Thä- 
tigkcit bewährt. Dagegen der Materie durchaus kein unmit- 
telbarer Einflufs hierauf zugestanden werden kann. Dies 
läfst sich besonders auch durch d ; e verschiedene Körper- 
gröfse bei gleich vollkommener Gesundheit und reger Ver r 
dauungskraft beweisen, weil, wenn es hierbei blos auf die 
Beschaffenheit der Materie ankäme, bei allen ein gleiches 
Wachsthum statt finden müfste. 

Sehliefslieh mögen wir noch des' aus eben so mate- 
rialistischen Begriffen entsprungenen Wahns gedenken, dafs 
die einzelnen Körperiheile sich nicht nur durch eine be- 
sondere Tbxtur, sondern auch durch eine ihnen ausschliefs- 
lich eigenthümliche Materie auszeichnen sollen. Hierauf 
gründete jnan die Meinung, dafs dergleichen Theile, zur 
Nahrung gebraucht, tauglicher für die Ernährung des gleich- 
namigen Organs im Körper ’ seien, als jeder andere. Viel- 
leicht dachte man hierbei' an einen Geist ( Spiritus J , der 
sich jenes Glied gebildet habe, und ihm so dauernd in- 
wohne, dafs er in eineu anderen Körper übertragen, da- 
selbst gleiche Wirkung ausüben könne. So sollte die knor- 
pelartige innere Haut des Hühnermagens zur Stärkung des 
menschlichen Magens dienen, die Gebärmutter des Hasen 
die Fruchtbarkeit befördern, die Fuchslunge Brustkranken 
nützlich sein. 


i 


l 


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Vierter Abschnitt. 


V 


Von der Erzeugung. 


V 


l)as Geschäft der Fortpflanzung stimmt in seinen allge- 

f . * 

meinen Bedingungen mit der Ernährung überein, von wel- 
cher es sich nur in einzelnen untergeordneten Beziehun- 
gen unterscheidet. Doch müssen wir überhaupt die Be- 
merkung voranschicken, dafs aus ihrer Betrachtung gröfs- 
tentheils kein Vortheil für die Heilkunde hervorgeht, da- 
her wir, vornämlich des Zusammenhanges wegen, nur eini- 
ges, w r as näher hierher gehört, erwähnen wollen. 

Es läfst sich *nicht bezweifeln, dafs bei allen Thier- 

i 

gattungen, welche nicht im Wasser leben können, der 
Gesclilcchtsunterschied eine wesentliche Bedingung ist, da- 
her die alten Fabeln von Pferden, welche durch die Luft, 
und von Weibern, welche blos durch die Phantasie ge- 
schwängert würden, durchaus lächerlich sind. Was indefs 
die falsche Empfängnifs (Molenscliwangei'schaft) betrifft, 
so lälst sich ihr Ursprung aus einer wollüstig aufgeregten 
Phantasie nicht apodiktisch ableugnen, ungeachtet man da- 
bei auch wohl auf Fehler der Menstruation Rücksicht neh- 
men mufs. 

Unstreitig ist die Vermischung von Männchen und 
Weibchen einer Spceics weit fruchtbarer, als w'enn beide 
verschiedenen, zumal nicht nahe verwandten Arten ange- 
hören. Daher auch Pferd und Esel, die sich an Gestalt 

15 * 


228 


so nahe stehen, auch leichter ein Junges zeugen, welches, 
indefs selbst zur Fortpflanzung untüchtig ist. 

Schon früher wurde unsre Unkunde in Bezug auf die 
formale Beschaffenheit des Saamens, auf die Art seines 
Wirkens eingestanden. Fast alle Physiologen schreiben 
ihm eine plastische Kraft zu, welche einige von Geistern 
ableitcn, z. B. Moebius, der einen eigenthümlichen Spiri- 
tus genitalis annahm*). Alle diese erkünstelten und un- 
nöthig gespaltenen Begriffe werden aber völlig überflüssig 
gemacht durch die von uns schon oft erläuterte Lehre, 
dafs die Seele alle Vorgänge im Körper beherrschen kann. 
Da nun ihrem Gebrauche der Zweck und Nutzen der 
Struktur des Körpers gewidmet ist, so folgt daraus, dafs 
sie mehr als jedes andere Princip dieselbe zu schaffen 
vermöge; ja sie mufs dies sogar thun, da allein zu ihren 
Zwecken und notliwendigen Bedürfnissen die Einrichtung 
und Bildung des Körpers vor sich geht. Auf dem Erfah- 
rungswege läfst sich nicht nur dies bildende Vermögen 
der Seele, sondern auch die wirkliche Aeufserung und 
Thätigkeit derselben aus den Rück- und Verbildungen be- 
weisen, welche der regelmäfsig sich entwickelnde Körper- 
bau nach Einwirkungen der Phantasie und eines lebhaften 
Begehrungsvermögens erleidet. Dies Argument oder viel- 
mehr Dokument widerlegt alle entgegengesetzten Theo- 
rien, da sich auf keine andere W 7 eisc eine selbst noch so 
abstrakte Erklärung gewinnen läfst, wie die Mittheilung 
einer Vorstellung, nach deren Typus das Bildungsvermö- 
gen werkthätig ist, zwischen der vernünftigen Seele, in 
welcher jene entstand, und einer von ihr wesentlich ver- 
schiedenen plastischen Kraft, oder einem materiellen Spiri- 

*) Auch hier ist eine beträchtliche Stelle ausgelassen, wo 
Stahl mit schwerfälliger Dialektik, ohne Berücksichtigung von 
Thatsachen, die Hypothese von den Geistern in ihrer Blöfsc dar-' 
stellt, und die Widersprüche, in welche sie sich verwickelt hat, 
aufdeckt. Für uns kann diese Scholastik keinen Werth mehr 
haben. 


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229 


tue genitalis, und zwar so schnell zu Stande kommen 
könnte. Nicht genug kann man darauf hinweisen, dafs 
von der im Vorstcllcn tkätigen, vernünftigen Seele die in 
den Bildungsgang störend eingreifende Idee ausgeht. Denn 
nicht blos die Anschauung eines Gegenstandes, selbst die 
, mit Alfekt verbundene Vorstellung desselben vermag sol- 
ches zu bewirken, die sich daher auch auf abwesende 
Dinge beziehen kann. Immer aber ist cs nöthig, dafs 
diese Vorstellungen ein Begehren oder Verabscheuen, ent- 
weder plötzlich, oder doch wenigstens mit grofsem Nach- 
druck in dein Gemüth veranlassen. Zwar läfst sich die 
Art der Fortpflanzung einer blos flngirten Idee, die man 
auch ein Gedankending nennen kann, von der Seele der 
Mutter auf die des Fötus nicht erklären, doch ist so viel 
apodiktisch gewifs, dafs zwischen Wesen, welche zum 
Vorstellen, Urtkcilen und Denken geschallen sind, weit 
eher ein Konsensus und eine Mittheilung in Betreff von 
Vorstellungen und Urtheilen statt linden könne, als zwi- 
schen Dingen, welche dieser idealen oder geistigen Thä- 
tigkeit durchaus unfähig sind. 

Es führte daher nur zu durchaus gehaltlosen Begrif- 
fen, wenn man einigen Agenzien blos die Kraft der Be- 
wegung zuscliricb, und der Seele weiter nichts, als das 
Vermögen beilegte, die Bewegungen auf eigentümliche 
Art zu leiten. Denn nach dieser ruhen Vorstellungs weise 
denkt man sich jene Principien und die von ihnen ausge- 
henden Bewegungen als etwas Körperliches, die Seele mit 
ihrem angegebenen Vermögen dagegen als ein metaphysi- 
sches oder rein pneumatisches Wesen, welches mit erste- 
llen in gar keine Verbindung treten könnte. 

Wir stofsen hier auf lauter unauflösliche Probleme, 
zu denen auch die Fragen gehören, auf welche Weise die 
menschliche Seele, da sic sich ihren Körper bildet, dem 
Saamen mitgetheilt werden könne? ob und auf welche 
Art sich eine Theilung derselben annehmen lasse? Hierauf 
läfst sich freilich keine Antwort geben; wenn aber der 


\ 


i 


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> 


230 / 

• * 

Lehrsatz, dafs die dem Körper inwohnende Seele nicht nur 
nach seiner Ausbildung und Vollendung, sondern auch wäh- 
rend derselben auf ihn ihre Herrschaft ausübe, von unsern 
Gegnern deshalb, weil sich die näheren Bedingungen, nach 
denen dies geschieht, nicht ausmittcln lassen, verworfen 
wird, und sie damit den Sieg ihrer Meinungen verkünden 
wollen ; so ist ihr Beginnen eitel, da sie selbst ihre Un- 
wissenheit eingestehen müssen, und die thatsäcliliche Wahr- 
heit jenes Lehrsatzes nicht entkräften können. Da das 
Wesen der Seele, so weit wir dasselbe durch den inneren 
Sinn kennen, in Bewegung besteht, letztere aber ihrer 
Gröfse und Zahl nach theilbar ist, und in dieser Bezie- J 
hung zu allen Zeiten verschieden sich zeigt; so liegt kein 
Widerspruch darin, diese Theilbarkeit der Bewegung auch 

✓ t i 

auf das bewegende Princip zu übertragen, wenn man sich 
mit allgemeinen Begriffen begnügen will. Fern sei es aber 
von uns, diesen unfruchtbaren Lehren weiter nachzugehen, 
daher wir die, welche sich dafür intercssircn, und ihren 
Ekel zu überwinden vermögen, auf die Schriften verwei- 
sen, welche von der Uebcrtragung der Seelen und von 
ihrer individuellen Erschaffung handeln. 

Der mächtige Einflufs, welchen die Mutter auf die 
Seele des Kindes ausübt, giebt sich auch dadurch zu er- 
kennen, dafs sie uumäfsigc Begierden, Schreckhaftigkeit, 
Furchtsamkeit auf dasselbe vererbt. Daher ist der Volks- 
glaube nicht ganz verwerflich, dafs Schwangere eine ihnen 
eigene Neigung zum Stehlen mittheilen, schon aus dem 
Grunde weil sich diese leicht mit Furcht vor der Gefahr, 
entdeckt zu werden, paart. 

Eine nicht minder schwierige Frage ist es, von wel- 
chem Geschlechte jenes thätige Princip, die Seele ausgehe, 
ob vom Manne, oder <vom Weibe, oder gleichzeitig vou 
beiden, oder abwechselnd vom einen oder anderen? Dafs 
dasselbe vom Manne abstamme, glaubt Malpighius dadurch 
zu beweisen, dafs man bei den Vögeln Eier antriflt, welche 
ohne vorhergehende Begattung erzeugt, dennoch dieselben 


M 


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231 


materiellen Rudimente enthalten, wie die befruchteten, in 
denen sie sich dann weiter entwickeln. Der gemeinschaft- 
liche Antheil beider Geschlechter auch in dieser Beziehung 
wird durch die Vermischung verschiedener Species wahr- 
schcinlich gemacht, wovon uns die Maulesel und die ver- 
schiedenen Kreuzungen unter den Hunderacen ein Beispiel 
geben. Doch scheint dieser Meinung die Beobachtung der 
Pferdezüchter in sofern zu widersprechen, dafs wenigstens 
die Geschlechtsbestimmung vom Pferde ausgeht, daher ein 
Hengst mit der Eselin einen Maulesel, der Esel mit der 
Stute eine Mauleselin erzeugt. Eine neue Schwierigkeit 
führt die Erfahrung herbei, dafs eine Stute, welche zuvor 
mit einem Esel eine Mauleselin erzeugte, im folgenden 
Jahre von einem Hengste belegt, zwar ein Füllen zur 
Welt bringt, welches aber mit einem Eselsmaule oder mit 

dem Eselskreuze bezeichnet ist. Auch kann man nicht die 

0 « - 

gemeine Erfahrung ableugnen, dafs bei den Menschen das 
Geschlecht, die Körperähnlichkeit und der geistige Cha- 
rakter des Kindes sich nach demjenigen von den Eltern 
richte, welcher während des Beischlafs die höchste Krafit- 
äufserung zeigte, und darüber das stärkste sinnliche Ge- 
fühl empfand. Auch gewisse Besonderheiten pflanzen sich 
von einem der Eitern fort, wovon unter andern folgendes 
Beispiel zeugt. Die Tochter eines ehrbaren Bürgers wurde 
aufserehelicli geschwängert, und nach der Geburt ihres 
. Kindes über den Vater desselben befragt, gab sie ihren 
Bruder an, der schon einige Wochen vorher ohne eine 
hinreichende Ursache entwichen war. Abermals zur Rede 
gestellt, da sie in ein düsteres und trübsinniges Schweigen 
versank, nannte sie sowohl ihren Vater, als ihren Bruder, 
und berief sich dabei besonders auf eine eigenthümliche 
Bilduug, welche allen von ihrem Vater erzeugten Kindern 
eigen war. Sie sowohl, als ihr Bruder hatten nämlich Ze- 
hen, welche wie bei den Wasservögeln durch eine Haut 
verwachsen waren, und eben so zeigte es sich bei ihrem 
Kinde. Der Vater vrar indefs von dieser Blonstrosität frei, 


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232 


/ 


nicht so die Mutter, von welcher also diese abweichende 
Bildung durch die Tochter auf deren Kind sich fortgepflanzt 
hatte. Doch lüfst sich hierüber nichts Gewisses bestimmen, 
da hier schon das der Phantasie tief eingeprägte Bild ein 
Gleiches auszurichten vermogte. 

Schon aus dem Alterthum schreibt sich die Meinung 
v her, dafs die Seele vom Vater, der Körper von der Mutter 
abstamme. Die Mosaische Schöpfungsgeschichte scheint 
gleichfalls dafür zu zeugen, da dem erstgeschaflenen Manne 
die Seele eingehaucht wurde, die Frau aber aus ihm her- 
yorgegangen, auch aus seinem Geiste beseelt wurde. Von 
den Vögeln ist es bekannt, dafs das Weibchen seinerseits 
alles, was zur «Ernährung und selbst zur körperlichen Ge- 
staltung des Fötus dient, auch ohne Begattung hervorbringt. 
Beim Hahne machte dagegen Harvey die Beobachtung, dafs 
derselbe während einer Begattung mehrere Eier, welche 
an verschiedenen Tagen gelegt werden, befruchtet, unge- 
achtet die Menge des ergossenen Saamens gering ist, und 
nur die äufserc Oeflnung des zum Uterus führenden Gan- 
ges berührt, ohne in denselben zu gelangen. Wie es sich 
auch damit verhalten mag, so ist doch soviel gewifs, dafs 
gleichfalls die lebendig gebärenden Weibchen dem Fötus 
allen ErnährungsstofT darbieten, dessen Verbrauch zum Bil- 
dungsgeschäft mittelst der gehörigen Vertheilung, Apposi- 
tion und Assimilation aber aus ihrer eigenen Kraft zu be- 
• wirken nicht im Stande sind. Gleichergestalt verhält es 
6ich bei den Eiern, die erst nach vorgängiger Befruchtung 
durch das Männchen ein Junges in sich ausbilden. Eben 
die Eier' beweisen aber auch, dafs das Bildungsprincip ihnen 
in wohnt, nicht von aufsen zufällig auf sie ein wirkt, oder 
hinzutritt, und überdies nicht einmal eigentümliche Hülfs- 
kräfte nothwendig erfordert. Letzteres bezieht sich vor- , 
nämlich auf die Wärme, oder was sonst während derJBe- 

brütung auf sie einwirken könnte; denn nicht nur kann 

- 0 

diese eben so gut durch Kapaunen, sondern auch durch 
die Wärme der ägyptischen Brütöfen bewirkt werden. 

/ ' 


* 


« 


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I 


233 


i 


Was sonst noch zu diesem Abschnitt von der Zeugung 
gehört, begreift die Bildung des Körpers in sich, welche 
vom ersten Rudiment beginnt, und sich überhaupt als Er- 
nährung darstellt, und als solche bis ins Greisenalter fort- 
dauert. Nicht nur wird das bereits vollständig Gebildete 
durch stete Erneuerung erhalten, und das verloren Gegan- 
gene neu ergänzt; sondern es tritt auch noch ein neuer 
Zuwachs hinzu, wodurch eine fortschreitende Entwicke- 
lung in allen Theilen bewirkt wird. In Bezug auf die 
Reihenfolge, nach welcher die einzelnen Organe hervor- ( 
treten, ist die Ansicht des Aristoteles vom hüpfenden 
Punkte bekannt, welches allmälilig zunehmend zu einem 
Herzen sich ausbildet. Das bewaffnete Auge entdeckte in- 
defs in neuerer Zeit, dafs das Gehirn mit dem Rücken- 
markc und den Nerven jenem noch den Vorsprung abge- 
winnt, wie dies Malpighius besonders an bebrüteten Eiern 
sehr schön gezeigt hat. Diese Beobachtung liefert den Be- 
weis, dals jenes Princip, welches zunächst in dem Gehirn 
Und den Nerven seinen Wirkungskreis findet, auch dem Bil- 
dungsgeschäft vorsteht; denn da diejenigen Organe, welche 
das alleinige und unmittelbare Werkzeug seiner Thätigkeit 
abgeben, auch die zuerst gebildeten sind, so wird es da- 
durch wahrscheinlich, dafs von ihnen der plastische Pro- 
zefs ausgeht. Ein fernerer Beweis dafür, dafs jenes Prin- 
cip vermittelst der Nerven die Struktur der übrigen Kör- 
pertheile zu Stande bringt, ist in der Wahrnehmung ge- 
geben, dafs als unmittelbare Sprossen des Gehirns zwei 
Blasen erscheinen, welche sich später als Augen entwickeln. 
Denn letztere zeichnen sich vor allen übrigen Sinneswerk- 
zeugen durch eine sehr zarte Organisation aus, und ver- 
mittelst des Sehenerven hängt das Auge sehr innig mit 
dem verlängerten Marke zusammen. 

Wenn man den gangbaren Theorien Glauben beimes- 
sen will, so wird das Blut durch das zufällige .Zusammen- 
treffen von Massentheilchep, die einander entsprechen, er- 
zeugt. Nach uuserm Dafürhalten ist es ein und dasselbe 


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234 


4 


Princip, welches die festwerdenden Theile, von einem 
Punkte derselben zum anderen fortschreitend, bildet, und 
auf gleiche Weise die Säfte durch Zusammenmischuiig 
ihrer Elemente erzeugt. Wir rufen hier die früheren 
Sätze zurück, dafs es zu dem Wesen beseelter Geschöpfe 
gehört, mit einem Körper begabt zu sein, dessen Mischung 
zu einer schnellen Zersetzung geneigt ist, welche durch 
deren Thätigkeit beschleunigt, eiuen Ersatz durch Stolle 
nüthig macht, die nur im Allgemeinen mit jener Mischung 
Übereinkommen. Denn selbst die den Pflanzen eigenthüm- 
lichen Bestandthcile finden sich nicht in gleicher Verbin- 
dung bei den Stollen, aus denen sie ernährt werden. Letz- 
teres könnte aber weder so schnell, noch auf so mannig- 
fache Weise (da die Pflanzenarten sich durch Geruch und 
Geschmack so sehr unterscheiden) geschehen, wenn nicht 
ein eigentümliches Princip die Zusammensetzung ihrer 
Elemente unter bestimmten numerischen und räumlichen 
Verhältnissen bewirkte, welches daher den Grund der be- 
sonderen Beschaffenheit der Species enthält. Es würde 
eine petitio principii und ein Cirkel in der Erklärung sein, 
wenn man das Vermögen der Pflanzen, eigenthümliche 
Stoffe abzusetzen, der besonderen Form der Poren, die 
schon in den Saamen vorhanden sein sollen, zuschreiben 
wollte, weil dann immer die Rückfrage ^entstände, woher 
letztere ihre Poren erhalten hätten? 

Eben so leer sind die mannigfachen gebräuchlichen 
Ausdrücke Saame, Ferment, werktätige Idee nach Pla- 
ton, formgebendc Form nach Aristoteles, Biidungstrieb bei 
den Neueren, natürlicher Appetit bei den Alten, notwen- 
dige Bestimmung der Materie, eine der letzteren durch 
die göttliche Macht eingepflanzte, also ihr in wohnende, 
Bewegung. Alle diese hohlen Begriffe erklären um so 
weniger den Bildungsprozefs der organischen Körper, da 
sie sich entweder auf die Materie schlechthin beziehen, 
und deshalb über deren Zusammensetzung zu einer gere- 
gelten Struktur unter zahllosen eigentümlichen Formen 


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235 


nach organischen Zwecken keine Erklärung geben $ oder 
bei dieser den Begriff einer Seele zu Hülfe nehmen, den- 
selben^ aber durch unrichtige Merkmale entstellen, und da- 
durch mit/ sich selbst in Widerspruch gerathen. 

Was nun das Geschichtliche des Bildungsprozesses be- 
trifft , so erscheint das Blut zuerst unter einer gelblichen 
Rostfarbe, welche späterhin in die wirkliche rothe über- 
geht. Bei den cicrlegendcn Thieren kann man sich da- \ 

von überzeugen, dafs es nicht unmittelbar von der Mut- 
ter auf den Fötus übergeht. Denn ursprünglich ist in dem 
Eie keine Spur von Blut vorhanden, sondern letzteres bil- 
det sich in dem Maafse, als der hüpfende Punkt an Gröfse 
zunimmt. Eben so lernen wir bei dieser Gelegenheit, dafs 
derjenige Theil des Eies, welcher die gröfste Menge von 
Fett enthält, zum Blute auch den meisten Stoff hergiebt, 
welcher indefs zu diesem Behuf in seiner Mischung um- 
gewandelt werden mufs. Die unblutigen Theile entstehen 
dagegen aus dem Eiweifs, weiches deshalb in gröfserer 
Menge sich vorfindet. 

Das Ungereimte der vorhin widerlegten Hypothesen 
erhellt besonders auch aus ihrer Unvereinbarkeit mit dem 
nach sehr bestimmten Perioden begrenzten Zeitmaafs, wäh- ^ 
rend dessen die Ausbildung des Fötus bis zu seiner Reife 
fortschreitet. Am auffallendsten zeigt sich dies beim Men- 
schengeschlechte, da dieselbe Mutter bald robuste und grofse, 
bald kleine, schwache und zarte Kinder zur Welt bringt, 
oder auch alle Kinder einer Mutter sich entweder durch 
Stärke oder Schwäche, Gröfse oder Kleinheit auszeichnen. 

Dennoch entwickeln sich alle nach demselben Zeitverhält- 
nifs, so dafs sie nicht nur gleich alt das Licht der Welt 
erblickend, sondern auch genau um die Mitte ihres Fötus- 
lebens die ersten Spuren willkührlicher Bewegung zeigen. 
Walteten rein materielle Bildungsgesetze ob, so würde ein 
grofser Körper zu seiner Vollendung weit mehr Zeit erfor- 
dern als ein kleinerer. . . 

Die Bildungsstufen sind sich indefs nicht gleich, wie 


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/ 


236 

> * 

dies Malpiglii bei bebrüteten Eiern gezeigt hat. Auch bei 
Menschen kann man dies beobachten, da ein einmonatli- 
eher, durch Abortus ausgetriebener Fötus, an dem man in- 
defs schon Glieder, Kopf und Rumpf unterscheiden kann, 
etwa einer grofsen Ameise an Länge gleichkommt, dage- 
gen er zwischen dem zweiten und dritten Monate beinahe 
zwei Zoll lang ist, und deutlich Finger, Nase, Lippen und 
Geschlechtstheile zeigt. 

Wenn Dalempacius in den schon von Leewenhoeck 
wahrgenommenen mikroskopischen Saamenthierclien einen 
nach Kopf, Stamm und Gliedern deutlich zu unterscheiden- 
den, belebten menschlichen Körper wahrzunehmen glaubte, 
' so ist über diese Hypothese, nach welcher jeder einzelne 
Mensch unmittelbar von Gott • geschaffen wird, so viel 
zn sagen, dafs sic mit einem Anstrich von Frömmigkeit 
blendet, zugleich aber Gottes sehr unwürdig ist, da sie 
ihn dem Versehen der W r eiber dienstbar sein läfst. Es 
liegt überdies keine gröfsere Schwierigkeit in dem Begriffe 
der Kraft, mit -welcher die Seele den Körper bildet, und 
vermöge der Ernährung das ganze Leben hindurch fort- 
bildet, als in der unbestreitbaren Wahrheit, dafs sie das 
Vermögen besitzt, die Bewegungen desselben zu leiten und 
zu beherrschen. So behauptet also das Princip der Thä- 
tigkeit, nicht aber die Materie den Vorrang, da letztere 
rein passiv sich verhält, und sich daher ganz den Bestim- 
mungen des ersteren liingiebt, durch welche sie zu einer 
bestimmten Struktur und Form gestaltet wird * ). 

Bei der Bildung des Fötus im Eie ist es besonders 
einleuchtend, dafs sowohl seine einzelnen Thcile, als die 
ihn umgebenden Hüllen mit einer ihm eigenthümlichen, 
nicht von aufsen hinzutretenden Vitalität begabt sind. Zwar 
sind auch die übrigen Bcstandtheile des Eies, Dotter und 
Eiweifs, von einer solchen Beschaffenheit, dafs ihre Mi- 

*) Auch hier ist eine weitläufige Disputation gegen Leewen- 
hoeck’s Theorie über die Saamenthierchen ihres scholastischen Cha- 
rakters wegen weggelassen worden. 


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,237 


schuug selbst in unbefruchteten Eiern 6ich lange unverän- 
dert erhält; doch wird dadurch noch nicht die Lebensthä- 
*• tigkeit erklärt, welche jene Stoffe in die Substanz des Fö- 
tus und der ihn umscliliefsenden Häute überfuhrt, in ihnen 
den Kreislauf der Säfte, mannigfache Sekretionen, und selbst 
Ablagerungen, welche statt der späteren Exkretionen die- 
nen, bewirkt. So gehen daher Bildung und Bewegung von 
dem nämlichen Princip aus, welches auch im späteren Alter 
die Quelle der Lcbensihä tigkeit ist. Für diese Behauptung 
liefert, wie gesagt, das Ei den schlagendsten Beweis, da 
es in völliger Absonderung vom mütterlichen Körper sich 
befindet. 

Das Ei begreift alle Materie in sich, welche zur Aus- 
bildung des Küchelchens erfordert wird; anders verhält es 
sich bei den lebendig gebärenden Thiercn, wo dem Fötus 
durch die Gebärmuttergefäfse fortwährend Ernährungsstoff 
zugeführt wird. Bei einigen Thiergeschlechtern treten die 
Endigungen der zufuhrenden Gefäfse auch aulser der Schwan- 
gerschaft als Kotyledonen auf der inneren Fläche des Ute- 
rus hervor; diese Vorrichtung fehlt jedoch den Thieren, 
welche viele Junge gebären, z. B. den Hündinnen. Oeff- 
net man letztere während der Schwangerschaft, so be- 
merkt man an den Hörnern des Uterus an den Stellen, 
wo der Fötus gleichsam wie durch einen drüsigten Gür- 
tel an der innern Fläche derselben angeheftet ist, auf der 
äufsern ausgedehntere Blutgefäfse; doch zeichnen sich diese 
von den benachbarten nicht durch eine besondere Einrich- 
tung aus. 

Als eigenthümliches , dem Fötus zugehörendes Organ, 
welches ihm das aus der Gebärmutter aufgenommene Blut 
- zuführt, sind besondere drüsigte Körper zu betrachten, die 
bei den fleischfressenden Thieren eine zusammenhängende 
Masse bilden, und bei den einzeln gebärenden die Gestalt 
eines Kuchens annehmen. Bei den Grasfressern dagegen zer- 
theilen sie sich in mehrere nicht zusammenhängende Par- 
thien, die man auch Kotyledonen genannt hat. Gleich al- 


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238 


len übrigen Drüsen haben auch sie die. Bestimmung, die 
ernährende Lymphe von den übrigen Bestandteilen des 
Blutes abzuscheiden. Daher hängen sie auch an der in- 
neren Fläche des Uterus mittelst sehr feiner Gefäfsendi- 
gungen, durch deren Zerreifsung der Lochialilufs bewirkt 
wird. Auch ist cs nicht unwahrscheinlich, dafs durch 
diese drüsigte Masse, welche beim Menschen Aehnlichkeit 
mit der Lebersubstanz hat, eine Absonderung vollzogen 
wird, welche Serum in die mütterlichen Säfte zurückführt. 

Das aus dem mütterlichen Blute solchergestalt Abge- 
sonderte wird dem Fötus zugcleitet, beim Menschen durch 
die Nabelvene, welche zugleich das zum Fötus zurückkeh- 
rende Blut enthält, bei vielen Thieren hingegen durch ein 
sehr deutlich in die Augen fallendes lymphatisches Gefäfs, 
welches unmittelbar nach der im Gekröse gelegenen Cen- 
traldrüse, dem pancreas Asellii, führt. Schon vor zwan- 
zig Jahren habe ich dies Gefäfs nachgewiesen, und es er- 
hält sich der Theil desselben, welcher sich vom Nabel bis 

v ( * 

zu jener Drüse erstreckt, bei jungen Katzen selbst noch 
mehrere Wochen nach der Geburt 

Der Ernährungsstoff für den Fötus ist eine lympha- 
tische Flüssigkeit, welche sowohl erdig -schleimige, als 
ölige Thciie enthält, von denen ersterc bei den eierlegen- 
den Thieren deutlich im Eiweifs, letztere im Dotter vor- 
gebildet sind. 

Das ganze Bildungsgeschäft des Fötus ist an ein be- 
stimmtes Zeitmaafs gebunden, welches bei den Vögeln und 
den kleineren Säugethieren nur eine verhältnifsmäfsig ge- 
ringe Dauer umfafst. Beziehen wir diese Bedingung auf 
den Menschen, so betrifft sie nicht blos die Ausbildung 
der einzelnen Organe bis zur vollendeten äufseren Gestalt, 
sondern bis zu dem Grade von Vollkommenheit , wo sie 
zur Verrichtung ihrer Funktionen geschickt sind. Doch 
gilt letzteres nur im Allgemeinen, da die einzelnen Or- 
gane die höchste Stufe ihrer Entwickelung erst im sieben- 
ten, oder gar erst im vierzehnten Jahre erreichen. Die 


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* 


239 

» t 

Bildungszeit im Uterus läfst sich in zwei Perioden abthei- 
len. Während der ersten wird der Fötus so weit ausge- 
bildct, dafs zwar jedes Organ in der richtigen Zahl und 
dem Anschein nach in der ihm zukommenden Textur vor- 
handen ist, aber doch noch einen so zarten Bau zeigt, dafs 
dadurch die Fortdauer in der Aufsenwelt, in welcher die 
Seele ihren Wirkungskreis finden soll, ohne Gefahr der 
Verletzung und selbst der Vernichtung unmöglich wird. 
Während der zweiten Periode haben die Theile eine sol- 
che innere Stärke und feste T,exlur erlangt, dafs sie leicht 
den' Wechsel der Wärme und Kälte, der Nässe und 
Trockenheit, selbst eine nicht zu unsanfte Berührung fester 
Körper, ohne Schaden ertragen können. Die erste Pe- 
riode erstreckt sich beim Menschen auf sieben Monate, die 
zvteite Periode gellt bis zum Ende der vierzigsten Woche, 
mit welcher der Fötus zur Geburt reif wird, gleichviel, 
ob er grofs oder klein, robust oder zart gebaut ist. Auf 
der Mitte jener Zeit, nämlich um die zwanzigste Woche, 
fangt der Fötus an, sich deutlich zu bewegen, und ZAvar 
merkwürdig genug, genau zu dieser Zeit. 

Der Fötus wird von Häuten umschlossen, welche ihn 
vollständig von der inneren Wand des Uterus trennen; die 
äufsere, Chorion, ist stärker, die innere, Amnion, zarter. Sie 
enthalten eine Flüssigkeit, welche bei der Geburt sich er- 
giefst. In der naturgemäfsen Lage wendet sich der Fötus 
mit dem Kopfe nach unten, jede andere erschwert die Ge- 
burt. Auf seiner ganzen Hautoberfläche ist er mit einer 
faculenten Masse bedeckt, welche bei der Geburt sorgfäl- 
tig abgerieben werden mufs; aufserdem trocknet sie an, 
und klebt dann so fest an der Haut, dafs sie sich nicht 
entfernen läfst, ohne diese zu verletzen, welche überdies 
leicht rissig dadurch wird. Eben so ist in den Gedärmen 
das Mekonium enthalten, welches aus einem Gemisch von 
Galle, die sich während der letzten Monate ergofs,' und 
von Schleim der Darmwände bestehend, bis zur Geburt 
zurück gehalten wird. Die Ausleerung desselben erfolgt 


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1 


210 

entweder freiwillig, oder nach dem Genufs des Kolostrum, 
oder nach der Anwendung eines gelinden Abführmittels, 
z. B. des Cichorien- und Rhabarbersyrups. Geschieht dies 
nicht, so erleidet das Mekonium, mit der Milch vermischt, 
eine scharfe Verderbnils, welche nicht nur heftiges Bauch- 
grimmen, übelbeschaffcne Stuhlausleerungen, sondern selbst 
Konvulsionen bewirkt - 

Da das Kind im Uterus von Feuchtigkeit umgeben ist, 
so sollte es eigentlich niemand in den Sinn kommen , zu 
glauben, dafs es athme, die Weiber abgerechnet, welche 
bei sterbenden oder gestorbenen Kreisenden dafür Sorge 
tragen, den Mund offen zu erhalten, damit nicht das>noch 
lebende Kind ersticke. Aber auch nicht durch den Ver- 
such mit der Luftpumpe, welche auf den ersten Zug schon 
Luftblasen aus dem Blute des Fötus hervorlockt, wird be- 
wiesen, dafs Luft mit dem Ernährungsstoffe vermischt von 
der Mutter deni Fötus zugeführt werde. Denn wie leicht 
kann es geschehen, dafs die Luft, welche bei ihrer Ver- 
dünnung in Bewegung gesetzt wird, sich dem Blute, wel- 
ches sie leicht in sich aufzunehmen fähig ist, beimischt, 
und dasselbe in Blasen erhebt, wo sie dann nicht schon 
vorher in ihm vorhanden war. Auch sind die Versuche 
noch keinesweges mit der erforderlichen Sorgfalt angestellt 
worden. ' * , 

Eben so müfsig ist die Frage, ob der Fötus im müt- 
terlichen Schoofse etwas durch den Mund in sich aufnehme, 
und zwar vermittelst des Saugens das ihn umfliefsende 
Schafwasser. Kein Grund spricht für die Wahrscheinlich- 
keit dieser Ernährungsart, da die gewöhnliche durch den 
Nabel als hinreichend betrachtet werden kanu. Will man 
aber als Beweis das Vorkommen eines weifslichen Schleirrifc, 

9 

der sich auch im Magen der Thierfötus vorfindet, und aus 
der amnischen Flüssigkeit entstehen soll, geltend machen, 
so vergifst man, dafs jener Schleim als ein Auswurfsstoff 
auf der ganzen inneren Fläche des Darmkanals aus den 
Drüsen desselben abgesetzt wird, und zugleich dazu dient, 

jene 


k 


[ 


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\ 


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241 

jene schlüpfrig zu erhalten, und sie gegen die Schärfe des 
Kotlies zu schützen. • '''•■* 

Die Geburt erfolgt gewöhnlich zu Ende der vierzig- 
sten Woche, richtiger bestimmt wahrend der Mondphase, 
wo sich die Menstruation cinzustcllcn pflegte.' Die Wei- 
ber haben daher. .nicht Unrecht, "wenn sie die Wochen 
ihrer Schwangerschaft von dem Zeitpunkte zu zahlen » an- 
fangen, wo ihr Monatsflufs zum erstenmäle ausblieb. 

Das Geburtsgeschäft beginnt* wenn es auf ganz natür- 
liche Weise von statten geht, mit plötzlichen und krampf- ' 
haften Erschütterungen, welche sich vom Kreuze nach dem 
Sclioofsc erstrecken. Die Neueren haben die Frage aufge^ 
worfen, ob die Geburt allein durch den Uterus bedingt 
werde, oder ob auch das Kind einen wesentlichen Antheil 
daran habe? Für die erstere Ansicht sprechen folgende Er- 
fahrungsgründe: 1) die Schwangeren empfinden oft leb- 
hafte und angestrengte Bewegungen des Kindes, welche 
ihnen nicht selten sogar Schmerzen machen, ohne aber 
einen Reiz für das beginnende Geburlsgeschäft abzugeben. ’ 
2) Während der Wehen nehmen sie keine Bewegungen 
des Kindes wahr. * 3) Wenigstens können sie letztere 
deutlich von den Wehen unterscheiden. 4) Im Augen- 
blicke der Geburt spüren sie sehr selten Bewegungen des 
Kindes, welche 5 ) bei schnellen Geburten gänzlich fehlen. 
6) Auch eine ganz unreife Frucht wird unter Wehen ge- 
boren. 7) Abortus wird weit leichter durch Leidenschaf- 
ten und Krankheiten der Mutter, z. B. durch Epilepsie, 
Stein- und Gichtbeschwerden, als durch heftige Bewegun- 
gen des Kindes veranlagt. 8) Aucli todte Früchte werden 
durch wirkliche Wehen ausgestofsen, desgleichen 9) krank-* 
hafte Konkremente, die man Molen nennt. 10) Häufig wie- 
derholen sich noch mehrere Stunden nach der Geburt die 
Wehen in einzelnen Anfallen, besonders wenn ein starker 
Lochialflufs Blutgerinsel erzeugt, die auf diese Weise ent- 
fernt werden müssen. 11 ) Aufser den Kindesbewegungen 
wissen aufmerksame Frauen von den Wehen noch andere 
Stahls Theorie d. Ileilk. I. ' 16 


t 


/ 




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I 


242 

N • t 

im Unterleibe herumschweifende Schmerzen zu unterschei- 
den. Endlich 12) vermögen ungeduldige Gebärende durch 
heftige Körperbewegungen, durch lautes Jammern und jedes 
plötzliche Ausstößen des zurückgehaltcnen Athems die Ge- 
burtswehen schnell und auf eine nachtheilige Weise zu un- 
terdrücken, was nicht ;der Fall sein könnte, wenn die Ge- 
burtsthätigkeit Vota Kinde ausginge. 

Zu Anfang der Geburt zieht sich der Uterus mit gro- 
fser Kraft, von;-, seinem Grunde aus nach dem Halse zu, s 
krampfhaft zusammen, wodurch die Eihäute zerreifsen, und 
die in ihnen enthaltene Flüssigkeit auslceren, und somit 
nach Verringerung der Masse dem schlankeren Fötus der 
Ausgang erleichtert wird. Zuerst tritt der Kopf als der 
stärkste Theil des Fötus hervor, darauf folgt der Körper 
mit zusammengedrückten Schultern, und den Seiten ange- 
sehmiegten Armen. Da aber das Kind vermittelst der Na- 
belschnur noch an dem Mutterkuchen hängt, so pflegen die 
Hebammen ersteres sich selbst zu überlassen, bis letzterer 
nachfolgt. Der Mutterkuchen, welcher in grofser Ausbrei- 
tung an der inneren Fläche des Uterus haftet, wird durch 
die fortgesetzten Zusammeuziehungen desselben von sei- 
ner Verbindung losgerissen, was nicht ohne einen Blut- 
flufs aus den vielen kleinen Blutgefäßen geschehen kann, 

i 

welche aus dem Uterus den Ernährungssaft durch die 
Placenta dem Kinde zuführten. •. 

Von der Nachgeburt wird das Kind befreit, indem 
man die Nabelschnur zwei Zoll voü seinem Körper ent- 
fernt durchschneidet, und mit einem doppelt genommenen 

V • 

Faden unterbindet. In einigen Tagen vertrocknet dann 
das zurückgebliebene Ende derselben, und fällt ab. Das 
Mekonium mufs alsbald ausgeleert werden, damit es nicht 
die schon angegebenen Beschwerden veranlasse. Die Na- 
tur sorgt dafür, indem sie aus den Brüsten, ehe ihre er- 
weiterten Kanäle die dickere und mannigfachen Verände- 
rungen unterworfene Milch, ergießen, eine dünnere Flüs- 
sigkeit, das Kolostrum genannt, hervorströmen läfst. W ei- 






v 


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/ 


243 


ber, welche sich zur Unzeit, für klüger halten, glauben, 
dafs diese erste, ihrer Meinung nach unreine, Milch dem 
Kinde schädlich werden könne, ungeachtet sie bestimmt 
ist, das Mekonium abzuspülen und fortzuschwemmen, uud 
daher jenem weit weniger nachtheilig werden kann, als 
die an festen Bestandteilen reichere eigentliche Milch. 

Je woliler sich ein neugeborenes Kind befindet, um 

so mehr herrscht bei ihm der Schlaf über das Wachen 

1 

vor. . Seine sehr empfindlichen Augen würden durch das 
Licht leicht gefährdet werden, lind da es überhaupt der 
Sinnesthätigkcit noch nicht fähig ist, so tritt bei ihm das 
Wachen zurück. Der wohlthätige Einflufs des Schlafes 
und der Abneigung gegen Uebung der Sinne wird über- 
dies durch das Vorherrschen des Ernährungsprozesses er- 
klärt, womit auch die im späteren Leben sich wiederho- 
lende Erfahrung in Verbindung stellt, dafs die Vermeidung 
geistiger Thätigkeit und das Versenken in tiefe Ruhe dem 
ungestörten Fortgange der Ernährung ungleich förderlicher 
ist, als umgekehrt eine vielfältige und mit Gemüthsunruhe 
verknüpfte Anstrengung des Geistes. 

Das heranwachsende Kind verräth immer mehr Spu- 
ren eines Bewufstscins der umgebenden Dinge,' es lächelt 
zu den Gebärden und Lauten der ihm zusprechenden Per- 
sonen 5 umgekehrt nimmt man aber auch frühzeitig wahr, 
dafs es der Affekte des Schrecks und der Furcht fähig ist, 
welche theils unmittelbar durch äulsere Eindrücke hervor- 
gerufen werden, theils von ähnlichen Gemüthsbewegungen 
der Säugenden ausgehen, die sich dem zarten Leben des 
Kindes als ein Erzittern» der Körperbewegungen, insbeson- 
dere der tonischen und der vitalen, mittheilen. 


i 




16 * 




t 


I 


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1 


Fünfter Abschnitt. 

t • 

Von der Sinnes thäliffkcit. 


Bisher war' die Rede Ton den Bedingungen zur Erlial- 

I 

lang des Lebens; es liegt uns noch ob ,« diejenigen Thä- 
tigkeiten zu betrachten, welche nicht geradezu für jenen 
Zweck bestimmt zu sein scheinen, jedoch zur Vermeidung 
der den Körper bedrohenden Gefahren dienen, und aufscr 
diesem Nutzen für den Leib auch den allgemeinen Zwecken 
des thierischen Lebens untergeordnet sind. Namentlich gilt 
dies in Bezug auf den Menschen, dessen vornehmstes Ver- 
mögen, die Vernunft, so sehr der Mitwirkung der Sinn e 
bedarf, dafs die Alten den Grundsatz aussprachen: Nihil 
esse in inteüeciu , quod non prins fnerii in sensu. Gcwife 
ist es, dafs man ohne Iiulfc der Sinne von den wirklichen 
Dingen keine wahre Vorstellung erlangen khnn, da das 
abstrakte Denken, wenn es auch an sich richtig ist, doch 
von letzteren in Bezug auf den Ort und die Art ihres Seins 
keine ihnen angemessenen Begriffe abzuziehen vermag, son- 
dern sich im Allgemeinen darauf beschränkt, von den 
Dingen überhaupt unbestimmte, und in Hinsicht auf Zeit, 
Menge, Eigenschaften und Ocrtlichkeit ungewisse Vorstel- 
lungen zu bilden. Doch liegen dergleichen Erörterungen 
aulscr unserm Wege, denn es kommt hier nur darauf an, 
nicht blos den Nutzen, sondern selbst die Nothwendigkeit 
der Sinucsthätigkcit für die Erhaltung des Körpers dar- 
zuthun. 


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' 245 


Gleichwie das Leben sich unmittelbar auf die Mischung 
des Körpers, und auf die Befreiung derselben von feinen 
Stoffen bezieht, welche sie zersetzen, oder selbst zersetzt 
sind, und daher durch entsprechende Sekretions- und Ex- 
kretionsbewegungen entfernt werden müssen; so ist auch 
der unmittelbare Zweck der Sinnesthätigkeit und der will- 
kührlichcn Bewegung auf die Erhaltung der Struktur des 
Körpers berechnet, in sofern sie zum Schutz derselben ge- 
gen gröbere Schädlichkeiten, diese vom Körper entfernen, 
oder letzteren ihnen entziehen sollen. Eben deshalb ste- 

t 

hen diese Bedingungen nicht unter der Macht des Arztes, 
aufser dafs er dazu einen nützlichen Rath ertheilen kann. 
Daher liegt ihm auch nicht ob, über den Ursprung und 
die Wirkungsart der Sinnesthätigkeit und der willkührli- 
chen Bewegung Untersuchungen anzustellen. Indefs, da 
sie nach dem ge wohnlichen Gebrauche auch in der Phy- 
siologie abgchandelt werden, so möge hier über sie in ge- 
drängter Kürze das Wesentlichste folgen. 

_ _ i « 

Die Funktion der Sinne und der Muskelbewegung ist 
eine Thätigkeit der Seele, welche sowohl die äufeeren Ge- • 
genstände durch Werkzeuge , die nach wirklich mechani- 
schen Verhältnissen eingerichtet sind, wahrnimmt, als auf 
sic nach einem bestimmten Entschlufs zurückwirkt. Viel- 
fach hat man sich mit der Frage beschäftigt, ob der sinn- 
lichen Anschauung eine eigentkümliche Thätigkeit der Seele 
zum Grunde liege, oder ob letztere sich dabei passiv ver- 
halte, einen blofsen Eindruck empfange, der ihr Behufs 
der Wahrnehmung und Unterscheidung der Objekte auf- . 
genöthigt würde. Letztere Ansicht, welche nur von den 

materialistischen Philosophen in Schutz genommen wird, 

/ , 

setzt zugleich eine von der Seele abgesonderte Thätigkeit 
des Körpers voraus, und verdient daher keine sorgfältige 
Erwägung. ■ ' 

Die zuerst genannte Lehre stützt sich vornämlich auf 
die nothwendige Beziehung der wiilkülirliehcn Bcweguug 
auf die Erhaltung des Körpers ; denn da jene nach bestimm- 


t 


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I 


, 246 

<* 

ten Verhältnissen des Raums abgemessen, letztere aber be- 

' y \ 

stimmt walirgenommen und erkannt werden müssen, da- , 
mit auf sie das Urtheil über den Einfluls der äußeren 
Dinge auf den Körper gegründet werden könne,* so folgt 
hieraus, dafs der Seele dies Geschäft* anheim falle. Sie 
richtet auf dasselbe nicht blos ihre angestrengte Aufmerk- 
samkeit, sondern setzt dazu auch die körperlichen Organe 
in Thätigkeit, und giebt diesen dis erforderliche Richtung. 
Einen andern Beweis für das Gesagte liefert der Umstand, 
dafs die Seele sich entweder getrieben fühlt, auf drohende, 
oft eingebildete Gefahren ihre ganze Wachsamkeit mit 
Fleiß und Ausdauer zu wenden, oder dafs sie, frei von Be- 
/ sorgnifs, und ermüdet vom Beobachten der Dinge, sich 
der Sinnesthätigkeit entzieht, d. h. ihr Wirken in den Sinn- 
organen auf und durch dieselben einstellt. Ein Beispiel der 
ersten Art giebt die Furcht, welche uns an dunkeln und 
verdächtigen Orten anzu wandeln pflegt, dafs aus dem Ver- 
borgenen irgend eine Gefahr auf uns hereinbreche, wo 
dann die Augen in das tiefste Dunkel einzudringen stre- 
ben, und selbst die Ohren angestrengt (bei den Thieren 
selbst gespitzt ) und mit einer Wendung des Kopfes über- 
all hingerichtet werden, um auch nicht den leisesten Laut 
entschlüpfen zu lassen. Auch kennen die Knaben sehr gut 
die durch Furcht vor Strafen bewirkte Steigerung des Ge- 
fühls, nicht minder die Empfindung des Kitzels, welche, 

' noch ehe sie durch Berührung erweckt wird, schon durch 
die blofse Vorstellung desselben bei Neckereien, den gan- 
zen Körper zum Erzittern und Schaudern briugt, wogegen 
sie sich indefs mit festem Entschlufs waflhen können. Hier- 
her gehört ferner die Erscheinung, dafs geräuschvolle Ver- 
gnügungen, Schauspiele, das Getöse von Pauken und Trom- 
peten selbst die, welche sich daran ergötzen, zuletzt so 
übersättigen, dafs sie bei der Fortdauer dieser starken Sin- 
nesreize cinsehlafen, und nur durch die heftigsten Erschüt- 
terungen wieder erweckt werden können. Gauz verfehlt 
ist die Meinung, welche hierbei eine durch das anhaltende 


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V 


247 


\ 


Geräusch erzeugte Schwäche und Atonie der Organe vor- 
aussetzt, da Personen, welche eine Abneigung gegen der- 
gleichen hegen, oft schon zu Anfang, zumal, wenn dasselbe 
in die gewöhnliche Zeit ihres Schlafes fällt $ sich diesem 
hingeben können. Eben so sieht man in * Feldlagern , dafs 
Soldaten, selbst wenn sie nicht einmal aus Ermüdung, sich 
der Ruhe hingeben, sogar durch Kanonenschläge nicht er^ 
weckt werden. 

Bei der Sinnesthätigkeit kommen folgende Stücke in 
Betracht: 1) die ihr zum Grunde liegende Ursache, 2) die 
Sinnesthätigkeit selbst, 3) ihre Organe, 4) das Verhältnis 
beider zum Objekte, 5) ihr Zweck, theils der unmittel- 
bare und nächste, theils der mittelbare, entferntere. Ueber 
den ersten und letzten Punkt ist bereits das Nöthige be- 
merkt worden. Die Sinnesthätigkeit mufs als Bewegung 
gedacht, und iu sofern diese von der Seele ausgeht, un- 
terschieden werden von derjenigen,* welche als das For- 

\ 

male der Sinnesgegenstände anzusehen ist. Penn die Sin- 


uescmpfinduiig ist ein aus dem Zusammentreffen jener bei- 
den Bewegungen entspringendes Erzeugnis, derjenigen, 
welche die Seele in den Sinnesorganen liervörruft, so wie 
der anderen, -welche die Objekte in letztere * fortpflanzen. 
Oder mit anderen Worten, jene Empfindung ist eine Ver- 
änderung der von der Seele ausgehenden Bewegung durch 
eine andere von aufsen hinzutretende. Dazu wird im Sin- 
nesorgane ein eigenthümlichcs feines Spannungsverhältnifs 
der ihm zugehörigen Bewegung erfordert. Eine Ausnahme 
von diesen allgemeinen Bedingungen wird durch die Rich- 
tung der Willkühr auf einen einzelnen unter den zahlrei- 
chen gleichzeitigen Eindrücken auf die Sinnesthätigkeit ge- 
geben, so dafs letztere dann nicht zum Bewufstsein gelarn- 
gen, und Gegenstand eines Urtheils werden können, z. B. 
wenn man seine Aufmerksamkeit auf die Stimme eines 
Einzigen unter einem Sängerchor richtet. . 

Dies alles wird noch deutlicher, wenn man sich eine 
, richtige Vorstellung von den Sinnesorganen und von ihrem 


% 


I 


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248 


Verhältnis, sowohl zu dem sie leitenden Principe, als zu 
den äufseren. Objekten macht. Wir wollen hier ' indefs 
nicht eine genaue Beschreibung des Baues jener Theile ge- 
ben, welche in* die Anatomie gehört, wo auch die Lehre 
von dem Nutzen derselben vorkommt; hier genügt uns 
eine nähere Angabe jener so eben erwähnten Verhältnisse. 
Was nun die Beziehung zu dem Objekte betrifft, so wal- 
tet dabei eine Bedingung ob, welche die Bildung der An- 
schauung desselben befördert, in sofern die sinnlichen Ein- * 
drücke (species aensibiles) gesammelt und zusammengedrängt 
werden. Letzteren ist daher nicht ein blpfser Zugang ge- 
stattet, so dafs sie unverändert aufgenommen würden; son- 
dern indem sie vermöge eines sehr künstlichen Organismus 
enger zusammengefafst werden, wirken sie mit vereinter 
und verstärkter Kraft. Auch in dieser absichtlichen An- 
ordnung läfst sich deutlich die Zweckmäfsigkeit erkennen, 
da ohne sie die Sinneseindrücke zur Erregung einer Em- 
pfindung nicht gelangen würden. Mit Fleifs habe ich mich 
des Wortes absichtlich bedient, da dasselbe darauf hin- 
deutet, dafs das Organ nur zu diesem und keinem andern 
Zweck seine Einrichtung erhalten hat, welche daher, weil 
sie nicht aus der Wirkung der Sinneseindrücke entsprun- 
gen ist, auch nicht den Begriff eines leidentliclicn Verhal- 
tens der Seele beim Empfangen derselben zulafst. Bei der 
Einrichtung des Auges und Ohres wird» es uns besonders 
deutlich, dafs sie auf Koncentration, Sammlung, ja auf die 
Steigerung und Vervielfältigung der Sinneseindrücke be- 
rechnet ist. . In dieser Beziehung ist daher auch der Bau 
der einzelnen Sinnesorgane verschieden nach Maalsgabe der 
ihnen entsprechenden Objekte; in ihrem Verhältnis zum 
sinnlichen Wahrnehmungsvermögen stimmen sie dagegen 
überein.» Denn überall ist es dasselbe Werkzeug, welches 
die Sinneseindrücke zur anschaulichen Empfindung bringt, 
die Nerven. Da nun letztere zugleich das Organ ersten 
Ranges zur Hervorbringung der willkührlichen Bewegung 
abgeben, überhaupt die tonische so wie jede andere Be- . 


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» 

249 

wegung in den festen Theilen vermitteln; so folgt daraus, 
dafs sie von dem nämlichen Princip zur Erweckung der 
Sinnesempfindung in Thätigkeit gesetzt werden , welches 
sich ihrer auch bedient, um die willkührliche Bewegung 
hervorzubringen. Gleichwie nun niemand daran zweifelt, 
dafs jenes Wirken, mit welchem die Sinneseindrücke zur 
Erzeugung der Anschauung^ beitragen, dem Wesen nach in 
Bewegung besteht, von den feinen Lichtstrahlen bis zur 
gröberen Berührung ; eben so ist cs klar, dafs von Seiten des 
die Anschauung aufnehmenden Princips eine Bewegung auf 
die Nerven und durch diese auf die anderen Organe fort- 
* gepflanzt wird, weil, wie sich dies in sinnlich wahrnehm- 
baren Erscheinungen nachwcisen läfst, bei absichtlich an- 
gestrengter Sinnesthätigkeit eine deutlich verstärkte Span- 
nung hervortritt. Dies olfenbart sich am stärksten bei dem 
Auge und Ohre. Das Verhältnifs, in welchem beide Ar- 
ten von Bewegung Zusammentreffen , wodurch die Seele 

des Grades, der Art und Beschaffenheit der Yeränderun- | 

1 

gen innc wird, welche die von ihr ausgehende Bewegung 
durch die von aufsen hinzutretende erfahrt, dies Verhältnifs 
läfst sich am besten durch ein von der Spinne hergenom- 
menes Gleichnifs erläutern, welche die den Fäden ihres 
Gewebes mitgetheilte Bewegung in dem nämlichen Augen- 
blicke, und zwar auf dieselbe Weise empfindet, wie die 
Elasticität ihres Gewebes in Schwingung versetzt wird. 
Man könnte in sofern nach einer metaphysisch -logischen 
Mikrologie allerdings die in den Sinnorganen vorgehenden 
Veränderungen leidentliche -Zustände nennen; da wir es 
aber hier mit einem belebten, organischen Körper zu thun 
haben, den ein thätiges Princip nach seinem Zweck be- 
herrscht, und da die Spannungsbewegung in den Sinnes- 
nerven dergestalt angeordnet ist, dafs sic die von aufsen 
hinzukommenden Bewegungen in sich aufnimmt, ja ihnen 
entgegen tritt, damit sic ihr nicht entschlüpfen können, so 

sind wir wohl berechtigt, die Sinnesthätigkeit für eine 

* , 

Reaktion zu halten.- Wie nothwendig cs sei, sich über 


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250 

diese Begriffe aufzuklaren, erhellt besonders aus den un- 
gereimten Folgerungen, die man aus der Lehre von einem 
passiven Verhalten der Sinne zog. Nach letzterer sollten 
die Anschauungen ohne ein thätiges Mitwirken der Seele 
rein automatisch zu Stande kommen; ja man ging so weit, 
sie blos für einen körperlichen Eindruck zu halten, als 
wenn wirklich die von den Lichtstrahlen erzeugten Netz- v 
hautbilder der weichen Hirnsubstanz eingeprägt und in ihr 
dauernd erhalten würden, eine Vorstellung, welche noch 
unstatthafter wird, wenn man sie auf die rasch vorüber- 
eilenden Eindrücke der Töne, Farben, Gerüche bezieht. 
Auch würden, die nach dieser Ansicht durch die körper- 
liche Struktur notliwendig . bedingten automatischen An- 
schauungen nicht für den Zweck der Seele unmittelbar 
vorhanden sein, da letztere sie- nur gelegentlich aufhaschen 
und zu ihrem Gebrauch verwenden könnte. Endlich wäre 
die Seele ganz und gar aufser Stand gesetzt, nach ihren 
Absichten die Sinnesthätigkeit zu leiten und zu beherr- 
schen. Will man sich das tlieilweis passive Verhalten der 
Seele bei der Entstehung der Anschauungen durch ein Bild 
verständlich machen, so vergleiche man sie mit dem Vo- 
gelsteller, der die mit seinen Netzen und Leimruthen ge- 
fangenen Vögel nach Willkühr zu seinem Nützen gebrau- 
chen kann, oder nicht. Denn wiewohl sie in eigentlich- 
ster Bedeutung »die Sinnesnerven in Anspannung erhält, 
mufs sie es sich doch gefallen lassen , welche Auschauun- 
gen ihr gerade von den äufseren Gegenständen zugefuhrt 
werden, und sie ist nur frei in der Auswahl derselben zu 

r 

ihren Zwecken, diese mögen sich nun auf die Erhaltung 
des Körpers, oder auf den Verstandesgebrauch beziehen. 

Die ganze Leine von der Sinnesthätigkeit läfst sich 
daher auf folgende Hauptpunkte zurückbringen: 

1 ) , Da der Körper stets von mannigfachen Dingen um- 
geben ist, welche ihn auf vielfältige Weise verletzen und 
i zerstören könnten, wenn er ihnen nicht auswiche, so war 
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251 

es nothwendig, dafs dazu die erforderliche Veranstaltung 
getroffen wurde. 

2) Der Körper v soli aber nicht blos da sein, um zu 
leben, sondern auch dem Vernunftgebrauch, nämlich so- 
wohl zur Vollstreckung des Willens, als. auch zur Berei- 
cherung des Verstandes mit Vorstellungen dienen, zu wel- 
chem Behuf die Sinnes- und Bewegungsorgane gegen jede ' 
Verletzung und Verderbnifs geschützt werden müssen. 

3) Zu beiden Zwecken ist daher nicht nur die Wahr- * 
nehmung und Kenntnifs der umgebenden Dinge, sondern 
auch das Vermögen erforderlich, ihnen aus weichen, oder 
sie entfernt halten zu können. 

4) Die Wahrnehmung derselben kann nur mit Hülfe 
der Sinne geschehen, vermöge deren wir sie als gegen- 
wärtig anschauen, sie unterscheiden und beurtheilen. Das 
zweite setzt nothwendig die willkülirliche Bewegung vor- 
aus, und zwar so, dafs der Wille dem Verstände auf eiue 
enl sprechende Weise Folge leisten könne. 

5 ) Diese Bedingungen machen ihrerseits eine feine Be- 
wegkraft nothwendig, vermöge welcher die zarten Nerven- 
fasern in Spannung versetzt werden. Ja so weit die Stel- 
lung unsres Körpers zu den Sinnesgegenständen cs erheischt, 
müssen zu ihnen die Sinnesorgane mit ihrer empfindenden 
Fläche hingewendet werden, damit sie deren Eindrücke 
nicht blos empfangen und sammeln, sondern diese auch 
mit der ihnen eigenthümlichen Beweglichkeit dem * Voi*- 
stellungsvermögen Zufuhren. Selbst der ganze Körper dreht 
sich mit seinen Sinnesorganen nach dem Orte hin, von 
wo die Objekte auf sie wirken. 

6) Nur auf diese Weise kann es geschehen, dafs die 

Sinneseindrücke ( species sensibiles ) als feine Bewegungen 
mit der Spannungsbewegung der Sinnesnerven Zusammen- 
treffen. ' 

7) Hierauf erfolgt die Reflexion des Verstandes (actus 
animue vere discretorius ) , mit welcher er die zahllosen 



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252 


Sinnesgcgenstande unterscheidet, so dafe sie theils mit einem. 
Namen belegt, theils aber, ohne dafs sie sich näher bezeich- 
nen liefsen, doch deutlich von einander abgesondert wer- 
den können, wie r dies namentlich von den verschiedenen 
Schattirungen der Farben u. s. w. gilt. 

8) Die Sinnesthätigkeit ist daher nicht nur das Werk 
eines Augenblicks, sondern sie schwindet auch eben so 
schnell vorüber, ohne in irgend einem Theile des Kör- 

i 

pers einen dauernden Eindruck zu hinterlassen , den viele 
zur Erläuterung des Gedächtnisses annehmen zu müssen 
glaubten. 

Es bleibt uns noch übrig, das mit den Anschauungen 
vergesellschaftete Urtheil in Betrachtung zu ziehen, nach 
welchem die vorzunehmenden willkührlichen Bewegungen 
abgemessen werden müssen. Dasselbe unterscheidet die 
Dinge, je nachdem sie angenehm oder unangenehm sind. 
Ungeachtet dabei ohne Zweifel eine thätige Auswahl, also 
eine deutliche Willensäufserung, statt findet, so kann doch 
niemand sich darüber Rechenschaft geben, in sofern dazu 
ein bestimmtes Dcnkeri, also eine Bezeichnung durch Be- 
griffe nöthig ist. Es ist eine leere Ausflucht der Alten, 
wenn sie dies einen sinnlichen Appetit, einen natürlichen 
Instinkt nannten, und damit jeden Antheil des Willens 
ableugneten, um zu beweisen, dafs sich hierbei kein Grund 
angeben lasse, weil man darüber sich nicht mit Denken 
aufklären könne. Um wieviel sinnloser sind aber noch 
die Vorstellungen der Neueren, welche glaubten, dafs die 
von den äufseren Gegenständen den Sinnen mitgetheilten 
Rührungen eine so ungemessene Gewalt auf diese ausüb- 
ten, dafs sie nicht nur deren Nerven erschütterten, und 
die darin enthaltenen Geister aufregten, um eine An- 
schauung zu Stande zu bringen, sondern auch eben diese 
Geister, oder durch sie andere, in die entsprechenden 
Muskeln mit einer wunderbaren Ordnung und Kraft hiu- 
ciutrieben, dafs dadurch die vornehmsten und die unter- 
geordnetsten Bewegungen liervorgebrachl würden, wie sie 


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253 

dem Grade und der Zahl nach den sogenannten Appetiten 
angemessen wären *). 

• Dagegen werden die, welchen die eben erwähnten 
Abgeschmacktheiten nicht Zusagen, einräumen, dafs das 
richtige und einfache Urtheil über das Angenehme, in so- 
fern es nicht aus blofser Angewöhnung entsprungen ist, 
und das in ihm begründete Begehren sich vornämlich auf 
Dinge beziehen, welche tlieils zur Ernährung des Körpers 
sehr tauglich, theils der Fortpflanzung des Geschlechts för- 
derlich sind. Umgekehrt wird vieles dadurch unangenehm 
und widerwärtig, dafs es mit einer auf die Zerstörung uns- 
res Körpers hinzielenden Kraft begabt ist. Dies richtige 
und reale, jedoch vom höheren Verstandesgebrauch unab- 
hängige Bewufstsein des Unterschiedes der Dinge nach der 
durch sie veränlafsten Empfindung des Angenehmen und 
Unangenehmen nannten die Alten den natürlichen Instinkt; 
Neuere dagegen setzten an dessen Stelle die unter eitlem 
Schimmer einen grofsen Irrthum verbergende Behauptung, 
dafs das Geschäft der Empfindung, des an sie geknüpften 
Begehrens und der demselben dienstbaren willkührlichen 
Bewegungen dem Wesen nach schlechthin und unmittel- 
bar vom göttlichen Willen oder doch von Trieben ab- 
liange, welche durch letzteren bei der Schöpfung jeder 
Materie eingepflanzt, gleichsam in ununterbrochenem Flusse 
alle Individuen durchdrängen. 

Was nun den vorhin aufgestellten BegrifF des wenn 
auch nicht an ein syllogistisches Denken geknüpften aber 
dennoch verständigen Bcwufstscins betrifft, so mufs man 
erwägen, dafs die Unterscheidung der Gegenstände durch 
die Sinne als eine bestimmte Wahrnehmung, offenbar auch 
eine vernunftgcmäfse oder intellektuelle ist, ungeachtet sie 
: / 

*) Stahl bedient sich hier, um diese iatromatheinatische 
Lehre in ihrer ganzen Absurdität darzustellen, des Beispiels von 
den Tauben, welche auf entlegenen Feldern ihre Nahrung aufsu- 
chen, und dabei gleich Automaten durch Riechstoffe in Bewegung 
gesetzt werden sollten. 


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t 


254 

hinterdrein nicht zu einem deutlichen Verständnis erho- 
ben, und nicht durch das Denken nach allen Beziehungen 
in Begriffe aufgelöset werden kann. Denn die entgegen- 
gesetzte Annahme, nach welcher die Wahrnehmung durch 
eine mechanische Einprägung des Bildes der' äufseren Ge- 
genstände und durch die Fortpflanzung desselben nach dem 
Gehirn zu Stande kommt, ist durchaus nichtig, und über- 
dies wird jeder Zweifel daran, dafs der Verstand hierbei 
mitwirkt und den sinnlichen Empfindungen sein Gepräge 
aufdruckt, dadurch beseitigt, dafs auch bei den mannigfach- 
sten und zartesten, schnell vorübereilenden Empfindungen, 
z. B. der Arten des Geschmacks und Geruchs, ferner bei 
der Beurtheilung der Farbenmischungen, ein Besinnen und 
Erinnern statt findet, zu welchem Zweck das Sinnorgan 
wiederholt darauf hingerichtet wird, damit durch ange- 
strengtes Betrachten vermittelst desselben dem Verstände 
zum sorgfältigeren Erforschen, zur Bildung einer vollende- 
ten und unterscheidenden Vorstellung Gelegenheit gegeben 
werde. -Wenn sich das Bcwufstsein aller angewandten 
Mühe ungeachtet nicht dabei zurecht finden kann, so be- 
darf es dann oft nur der Hülfe eines Anderen, um es so- 
gleich auf den rechten Punkt zu leiten. Ueberdies mufs 
man die Stärke des Unterscheidüngsvermögens nicht aufser 
Acht lassen, welches eine so bedeutende Menge sinnlicher 
Eindrücke von einander zu sondern, und mit bestimmten 
Namen zu belegen vermag, ohne dafs dabei ein Denken 
im gewöhnlichen Sinne, nämlich ein Unterscheiden nach 
einzelnen Merkmalen möglich wäre. So vermögen wir die 
Gerüche der Blumen, auch ohne sie zu sehen, deutlich zu 
unterscheiden, wozu erforderlich ist, dafs wir jeden der- 
selben nicht nur seiner Art nach bestimmt auffassen, sou- * 
dern ihn auch als ein deutlich Gegebenes von den andern 
Arten absondern. Wenn auch hierbei jeder eigentliche 
Begriff ausgeschlossen bleibt, weil wir bei den sinnlichen 
Empfindungen, z. B. beim Geruch der Rose nicht angeben, 
was derselbe, und wie er beschaffen ist, sondern nur sa- 


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255 


% 


gen können, woran er haftet* so mufs doch jedem ein» 
leuchten, dafs wir auch dies nicht vermögten, wenn* wir 
jene Empfindung nicht deutlich unterschieden, und in die- 
ser Absonderung bei uns festgestellt hätten. . > 

• v . .In ein noch tieferes Dunkel hüllt sich die Fertigkeit 

(habitus)? welche -die Seele sich iin schnellen, sichern und 

» 

richtigen Gebrauch der. sinnlichen Vorstellungs- und Wil- 
lenskräfte erwirbt, ohne dais ihr dabei ein deutliches Den- 
ken und Vergleichen zur Hülfe käme. Denn die Empfin- 
dungen sind eben so wahr, als sie überaus schnell, augen- 
blicklich zu Stande kommen, so dais sie gleichsam öinen 
Schatten oder leisen Nachschimmer jener .urplötzlichen. und 
tieferen Erkenntnifs darstellen, welche nach den ältesten 
Ueberlieferungen in Urbildern der Seele (protoplasta) vor 
dem Sündenfalle enthalten war, wonach Adam, wie.; es 
die Schrift bezeugt, den Thieren nach ihren Eigenschaften 
einen Namen beilegte. • -* ' •* * 

- • Noch stärker drückt sich dieser Charakter in dem 
sinnlichen Begehren aus, dessen überaus grofse Schnellig- 
keit sich in Bezug auf das Angenehme, Widerwärtige, oder 
auch Gleichgültige und Nutzlose offenbart. Besonders ver- 
dient hierbei bemerkt zu werden, dafs die von den sinn- 
lichen Empfindungen ausgehende Willensbestimmung fast 
immer durch die ersten Eindrücke, welche wir empfan- 
gen, bedingt wird; denn das uranfangliche Empfinden und 
Wollen in der zartesten Kindheit, wo unser der Vernunft- 
anlagc entsprechendes Gesammtbestreben noch nicht aus 
der Einfacliheit hervorgetreten ist (ein Verhältnis wie es 
sich bei allen wiederfindet, welche' sich von Vielgcschäf- 
tigkeit fern gehalten haben), jene ursprüngliche Einheit 
unsrer Beziehung zu den Aufsendingen spricht sich so un- 
zweifelhaft aus, dafs wir von jener Zeit her nicht nur die 
Benennungen für unsre Empfindungen mitbringen, sondern 
auch ihre Bedeutung für unsern Körper und Willen sich » 
zugleich entscheidet. Jene Empfindungen haben daher an 
sich keinen absoluten Charakter und bestimmtes Vorhält- 


J 


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256 


nifs zu einander, anfser nur in wiefern ihnen eine Bezie- 
hung auf unsern Körper und zu unserm Willen eigen ist. 
Von daher stammen also die Bezeichnungen des Scharfen, 
Sauren, Beißenden, Brennenden, Nagenden; oder des An- 
genehmen, Lieblichen, Schönen; oder des Widerwärtigen, 
Häßlichen, Unangenehmen; oder des Geschmacklosen, Fa- 
den, Unnützen, Gleichgültigen u. s. w. * 

Hieraus geht wohl deutlich hervor, daß die erste und 
unmittelbare Bestimmung unsres (sinnlichen) Empfindungs- 
vermögens auf den Zweck gerichtet ist, vermöge der Sinne 
das Verhältniß der äußeren Dinge zu unserm Körper zum 
Bewußtsein zu bringen. Nicht minder unbezweifelt ist der 
Nutzen der Sinnesthätigkeit für den Verstandesgebrauch, 
in Bezug auf die einzelnen Dinge und die an ihnen haf- 
tenden Eigentümlichkeiten, und es bedarf hier um so we- 
niger einer ausführlichen Erörterung, da früher schon hier- 
von die Rede war. Es genüge der Satz, dafs die 
vernünftige Seele beim Denkgeschäft, so wie 
überhaupt bei allen Formen und Abstufungen der 
Verstandes- und Willensthätigkeit, inBezug auf 
die Erkenntnifs der Dinge nichts auszurichten 
vermag, wenn sie sich nicht beim Gebrauch der 
Sinne eine Fertigkeit verschafft, oder ihre eige- 
nen Anlagen zur Fertigkeit erhoben hat (nisi mi- 
nist ci'io sensuum habitum sibi acquireret, seu dispositionem 
suam in habitum deduceret), Nur mit Hülfe der Sinne 
kann sic sich eine Erkenntnifs von den Dingen 
erwerben, von ihrem Vorhandensein, Zeitver- 
hältnifs, von ihrer Art, Zahl und eigenthümli- 
chen Beschaffenheit Was sie daher auch in ihren eige- 

• i 

nen Angelegenheiten beginnen, wirken und vollbringen 
will, sic ist schlechthin daran gebunden, sich der Sinne 
als ihres Werkzeuges zu bedienen, aß solches in Thätig- 
keit zu setzen, zu richten und zu beherrschen, und zwar 
nach Maaßgabc der Zeit, des Orts, der Art und Beziehung, 

wie 


i 


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• 257. 

wie es ihrem weck vorzüglich aber ihrem Willen und 
der Energie ihres Vermögens entspricht. 

Insbesondere verdient die zuletzt genannte Bedingung 
in Betracht gezogen zu werden, durch welche die Seele 
in den Stand gesetzt ist, ‘der Sinnesthätigkeit entweder 
ihre Aufmerksamkeit zu schenken, oder sich von ihr ab- 
zuwenden, sie unbeachtet zu lassen, wenn nicht irgend 
ein dringendes Ereignifs sie in Wachsamkeit und ange- 
spanntem Bemcrkeu der Sinncsanschauungen erhält. Dies 
gilt sowohl von den Gefahren, welche ilir sittliches und 
intellektuelles Verhältnis, als von denen welche das kör- 
perliche Leben bedrohen. Wenn datier die Seele in ihren 
sittlichen Beziehungen von einem heftigen Verlangen oder 
Furcht bewegt wird, so erhält sie sich in wachem Zustande, 
wo sie dann mannigfachen unbequemen Empfindungen aus- 
gesetzt ist. Indefs wenn sie mit angestrengter und beharr- 
licher Ausdauer das Bewufstsein ausschlicfslich auf einen 
Gegenstand heftet, so abstrahirt sie von allen übrigen, wie 
sich dies vorzüglich beim Irrereden zeigt, welches den 
Geist von der vielseitigen Sinnesthätigkeit abzicht. Eine 
gleiche Bedingung waltet bei der Wachsamkeit, oder der 
angestrengten Aufmerksamkeit auf die sinnlichen Empfin- 
dungen ob, zu welcher die Seele bei allen gegenwärtigen 
Gefahren für die Lebensthätigkeit genöthigt, und durch 
welche sie in eine gröfsere, bis zur Angst gesteigerte Be- 
sorgnifs versetzt wird, daher sie die Nächte schlaflos zu- 
bringt, um zeitig auf das zu merken, was aufs neue ge- 
fahrdrohend hinzukommen dürfte. Daher die allbekannte 
Thatsache, dafs in solchen Zuständen, z. B. während hitzi- 
' ger Fieber, aufser der Schlaflosigkeit sich eine so bedeu- 
tend erhöhte Empfindlichkeit des ganzen Körpers einstellt, 
dafs jedes helle Licht belästigt, jedes Geräusch stärker er- 
schüttert, jede vermehrte Wärme, jede Art von Geruch 
und Geschmack eindringlicher und unangenehmer empfun- 
den wird; ja dafs die sich einstellendc Neigung zur Ruhe, 
d. h. zum Aufhören der Empfindungsthätigkeit durch den 
* Stahls Theorie d. Heilk. I. , * 17 


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258 


4 

4 


leisesten Sinnesreiz verscheucht, und mit dem Wachen 
abermals eine wiederkehrende rastlose Gefühlsaufregung 
zurückgefiihrt wird. Tadelhaft ist der für diese Zustände 
übliche Ausdruck, der sie als Schwäche irgend eines thä- 
tigen Princips bezeichnet; denn unläugbar tritt -doch der 
Geist in die Sinne hinaus, und offenbart durch die Wach- 
samkeit seine Thätigkeit beim Empfinden, so dals es wi- 
dersinnig ist, seine bereitwillige Rückkehr zu derselben 

i 

aus einem Mangel an Thätigkeit zu erklären, welche in 
dem Begriff der Schwäche enthalten ist. 

Die Lehre von der Sinnesthätigkeit hat nur dann einen 
Nutzen für die Heilkunde, w r enn sie auf die obige Weise 
dargestellt wird. Dann nur legt sie in der Pathologie den 
Grund zu einer Aetiologie der Lebens- und der gemisch- 
ten Bewegungen, welche aus ersteren und den willkühr- 
liclien zusammengesetzt sind. Hierher gehört z. B. das 
Erzittern, welches in keinem Verhältnifs zu physischen . 
Ursachen steht, da es, noch ehe Gefahr vorhanden ist, 
schon sich einstellt, und nur auf sie hindeutet, also der 
kommenden angemessen ist. Jene Bewegungen haben da- 
her den Zweck, den Körper von Schädlichkeiten zu be 
freien, obgleich es nicht selten geschieht, dafs sie dem 
Grade, der Triebkraft, der Ordnung und dem Umfange 
nach von ihrer eigentlichen Bestimmung abweichcn. 

Aufserdcm ist diese Lehre von keiner unmittelbaren 
Wichtigkeit für die Medicin, da der Arzt keinesweges den 
organischen Bau, in sofern dieser zur Aufnahme der Sin- 
neseindrücke dient, in seiner Gewalt hat. Was den soge- 
nannten inneren Sinn betrifft, der sich auf die reine Gei- 
stesthätigkeit beziehen soll, so kann auch über ihn der 
Arzt keine unmittelbare Herrschaft ausüben;, zudem ver- 
liert sich dieser Gegenstand in abstrakte Begriffe, welche 
von dem Heer der Philosophen in so mannigfache Wider- 
sprüche verflochten sind, dafs es nicht der Mühe lohnt, 
aus ihnen einzelne Sätze zu entwirren. . 




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* 


I 


I I 


Sechster Abschnitt. 

t 

Von der willkührlichen Bewegung. 


Die willkührliche Bewegung*) richtet sich, wie ihr Name 
anzeigfy nach dem Urtheil über die Sinnesanschauungen, 
und sie hat zum Zweck, die äufseren Gegenstände dem 
Körper zuzuführen, oder von ihm zu entfernen. Hierin 
ist ihre wesentlichste Bedeutung und Nothwendigkcit aus- 
gesprochen. Denn alles, was in die Sinne eingeht, ist in 
Beziehung auf den Körper entweder nützlich und ange- 
nehm, oder von entgegengesetzter Beschaffenheit, oder es 
hat als etwas Gleichgültiges gar keinen Werth für ihn. 
Das Nützliche mufs ihm daher zugefuhrt, das Schädliche 
von ihm entfernt werden, bei dem Bedeutungslosen bc- 
harrt der Körper in Ruhe, wie dies bei der Lehre vom 
Schlafe gezeigt wurde. 

Aufserdcm hat die willkührliche Bewegung auch noch 
die wesentliche Bestimmung, ' die Absichten der vernünfti- 
gen Seele auszurichten, in sofern sich diese auf körper- 
liche Gegenstände und auf die an ihnen vorzunehmenden 
Veränderungen beziehen. .Eben so gehört hierher die Rich- 
tung der Sinnesorgane zum freieren Gebrauch derselben. 

Die Funktion der willkührlichen Bewegung gründet 


*) Stahl nennt sie gewöhnlich motu * localis, fuhrt aber auch 
den jetzt dafür üblicheren Namen an. 

17 * 


# 


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260 


sich auf die tonische Bewegung. Denn ohne die letztere 
könnten die der ersteren dienenden Organe nicht leben- 
dig, d. h. frei von Verderbnifs erhalten werden; überdies 
wird die tonische Bewegung durch die starke Spannung, 
welche sie den Bewegungsorganen verleiht, zur Grund- 
lage der willkührlichen , so dafs es nur ihrer Steigerung 
durch die Bestimmung des Willens bedarf, um jene An- 
spannung bis zu einer sinnlich wahrnehmbaren Straffheit 
zu erhöhen. 

< 

Zu den Werkzeugen der Bewegung gehören in erster 
Ordnung die Organe, welche dem bewegenden Princip un- 
mittelbar untergeordnet sind; hierauf folgen die mittelba- 
ren, welche die Bewegung, in sofern sic sinnlich wahr- 
nehmbar hervortritt, in sich aufnehmen; zuletzt kommen 
die, mit deren Hülfe die Bewegung auf äufsere Gegen- 
stände angebracht, wodurch sie in sich befestigt und ge- 
sichert jvird. Zur ersten Klasse gehören die Nerven; zur 
zweiten die Muskeln und Häute; zur letzten, in materiel- 
ler Hinsicht, die starren Gebilde, Knochen, Knorpel, Bän- 
der und Sehnen, welche man in formaler Beziehung un- 
ter dem Begriff eines mechanisch organischen Baues auf- 
fassen kann, der zu jeder Richtung, einer aufrechten und 
gekrümmten, tauglich ist. Von den Nerven zu reden würde 
ein vergebliches Bemühen sein, daher wir auch nicht die 
Frage erörtern wollen, ob sie sich bewegen. Eben so hal- 
ten wir uns nicht länger bei der Thatsache auf, dafs nach 
Unterbindung eines Nervens die durch ihn zu den Mus- 
keln fortgepflanzte Bewegkraft erlischt, woraus man die 
Folgerung ziehen wollte, dafs durch sie, vielleicht durch 
Kanäle, ein Fluidum zu den Muskeln ströme, um ihnen 
den ersten Antrieb zur Bewegung zu geben. Nicht min- 
der ist es uns gänzlich verborgen, auf welche Weise letz- 
tere durch die Muskeln zu Stande kommt. Denn was die 
Anatomen nach grob sinnlicher Untersuchung, oder die 
Mechaniker nach den Gesetzen der Vervielfältigung bewe- 
gender Kräfte hierüber gefabelt haben, kann doch, auch 

0 

\ ' > 

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261 


jp 

wenn cs irgend einen befriedigenden Begriff darböte, filr 
die Heilkunde keinen Werth haben. Desgleichen soll von 
dem ursächlichen Princip der willkührlichen Bewegung 
hier nicht weitläuftig die Rede sein, zumal da auch über 
diesen Punkt schiefe Begriffe herrschen, wonach jene Be-, 
wegung aus einer Verkettung von Thätigkciten entsprin- 
gen soll, in welcher sie auf irgend eine Empfindung folgt, 
ohne dafs dabei Bezug auf einen Zweck genommen würde. 
Hierauf gründet sich besonders der Wahn, dafs Empfin- 
dung und Bewegung der Thiere rein automatisch von stat- 
ten gehe, veranlafst durch Geister, welche, verschieden von 
der Seele, durch anerschaffene Triebe nach dem Willen 
Gottes in Bewegung gesetzt würden. Nur ein träumen- 
der Kopf kann hierbei die Thatsaclie übersehen, d afs die 
willkührlichen Bewegungen s chle chthin unter der Leitung^ , 
und nliclf^der Bestimmung der vernünftigen Seele vollzo-^ 
gen werden. Hclmont suchte sich noch dadurch einen 
Ausweg zu eröffnen, dafs er zwischen dem Princip und 
dem Akte der Ueberlegung (jrrincipium et actus ratioci - 
nandi ) und dem Verstände (mens) einen wesentlichen 
Unterschied machte. Indcfs er übersah es, dafs in dieser 
Beziehung ein solches Princip seiner Natur nach nicht 
vom spiriius animalis und vitalis der Alten, welcher mit 
Bcwufstsein begabt sein sollte, ja sogar nicht von dem 
Arcliäus des Paracelsus, der durch ihn selbst so berühmt « 
wurde, sich unterscheide. Die Annahme der Neueren, 
welche der Materie inwolmende Kräfte und Triebe be- 
hauptet, von welchen, nach göttlichem Willen, alle Thä- 
tigkeit im Körper ausgehen sollte, ist jenem überlegenden 
Princip Helmont’s so ähnlich, wie ein Ei dem andern. 
Was mich betrifft, so nenne ich das Princip, welches 
nicht blo^^beiTegt, sondern auch mif Hülfe der Sinne, 

also vermittelst Werkzeuge , w r elche von ihm bewegt uipl 

g eleitet w erden, die wirklichen Dinge richtig vvahrn imm t, 
und Jn beiderlei Beziehung seinen Willen offenbart und 
durch Bewegungen zur Ausführung bringt, jenes Princip 


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262 


j! nenne ich die vernünftige Seele, und lege ihr das Ver- 
. mögen bei, jene Bewegungen anzufangen, und ihnen die 
(Richtung zu geben. ", 

Es giebt geschworene Feinde aller abstrakten Begriffe, 
welche sie nicht verstehen, und die dessenungeachtet sich 
eifrig bemühen, einen Unterschied zwischen der Thätig- 
keit, welche die Bewegung hervorbringt, und der 4 , weiche 
sie leitet, geltend zu machen. Nun bezieht sich aber die 
letztere in ihrem Wirken zu einem grofsen Theil auf den 
Anfang und das Ende der Bewegung, und trifft daher zu- 
sammen mit derjenigen, welche die Bewegung selbst nach 
dem Verhältnifs ihres Grades und ihrer Oerfliclikeit her- 
vorbringt; wie soll also wohl zwischen beiden ein Unter- 
schied statt finden? Diese Identität beider Kräfte wird 

besonders durch die häufigen Fälle bestätigt, wo nicht 

* #» 

sowohl ein heftiger Antrieb zur Bewegung, als vielmehr 
ein Mangel derselben plötzlich bei' Gemüthsbc wegungen 
sich einstellt. So tritt z. B. bei Schreck und Furcht ein 
grofscs Unvermögen ein, die Glieder zu. bewegen, unge- 
achtet die Bewegungsorgane unverletzt bleiben, und kein 

wirkliches Ilindernifs vorhanden ist, Und nur ein zukünf- 

'/ * 

tiges erdichtet wird. Es mangelt sogar das Str eben und 
der Antrieb zur Her vorbringun^einer e ntspr echenden Be- 
we gung . I Umgekehrt verhält es sich in den Fällen, wo 
ein von erdichteten Vorstellungen ausgehendes Bestreben, 
rasche and starke Bewegungen hervorzubringen, diese in 
einem entsprechenden Maafse wirklich veranlafst. Ein Bei- 
spiel, geben die Tobsüchtigen, welche vor Nichts erzittern, 
das Kühnste wagen , und bei ihrer herrschenden idee, 
zu bekämpfen und anzugreifen, eine so grofse Kraft ent- 
wickeln, dafs ein gemeines Vorurtheil ihnen efne überna- 
türliche Stärke beilegt. Dies wird um so 'auffallender, da 
diejenigen, welche sie in Schranken halten sollen, häufig 
aus Furcht kraftlos zurückweichen. (Da die Tobsüchtigen 
ihre Wuth auch an leblosen Dingen auslasscn, so zeugt 
dies von ihrer Energie, mit welcher sie ihrem festen 


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I 


263 

4 

Vorsatz anliangen , irgend etwas ihrer Idee gemjils auszu- 

richten. .... .... 

Aus diesen Beispielen erhellt deutlich, was die Seele 

in Bezug auf die Hervorbringung der Bewegungen ver- 
mag; noch bleibt uns übrig, davon zu reden, auf welche 
Weise sie letztere leitet, um dasjenige zu widei legen, was 
gewöhnlich gegen die Theilnahme der Seele au der Bewe- 
gung aufgcstcllt wird. Man behauptet nämlich, dafs die 
Seele weder bei den Lebens- noch bei den willkührliclien 
Bewegungen mitwirke, weil sie so wenig Bewufstsein als 
Erinnerung davon habe, wie dies doch sein müfstc, da sie 
mit dem Vermögen des Denkens und Gedächtnisses be- ^ 
gabt sei. *Man liefs indefs hierbei die einfache Scelenthä- 
tigkeit aufser Acht, welche jedes Denken, jede Theilnahme 
des Gedächtnisses und der Phantasie ausschlicfst, wie sie 

sich in Bezug auf die Arten des Geschmacks, der Gerüche, . 

\ 

der Töne und Farben äufsert, und im Allgemeinen den 
Charakter des Angenehmen und Widerwärtigen an sich 
trägt; aber es bedarf im gegenwärtigen Falle nicht ein- 
mal dieser Hindeutung, da ja unsre Gegner selbst das 
Vermögen, die wilikührliehen Bewegungen zu leiten, der 
Seele beimessen, nach deren Absichten jene vollzogen wer- 
den. Dessenungeachtet ist es nicht weniger gewifs, dafs 
die Seele eben so wenig sich bestimmt erinnern kann, wie 
sie das, was sie thut, vollbringt, als sie ein deutliches 
Erkenntnifs von der Bewegung überhaupt besitzt. Wenn 
man z. B. nach einer gewissen Entfernung einen Stein 
werfen, oder seine Schritte beim Erklimmen einer Höhe 
abmessen, oder die Stimme nach musikalischen Weisen 
ertönen lassen will, wie vermag man sich wohl darauf 
zu besinnen, wie alles dies geschieht? Kann man sich 
aufser dem allgemeinen Bewufstsein des Vorsatzes dazu 
wohl noch eine nähere Vorstellung hierüber verschaffen? 
Die Seele ist sich überhaupt ihrer Handlungen nur im 
Allgemeinen, im ganzen Inbegriff bewufst; sie weifs es 
z. B., dafs sie ciuc Bewegung veranlassen, einen Stein 




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V. 


X 


264 

werfen, springen, klettern will. Wenn sie dabei auch eine e 
Vorstellung von den räumlichen Verhältnissen hat, so ist $ 
sic sich doch des eigentlichen Maafscs derselben nicht be- 
wufst. Selbst wenn sie cs durch Uebung dahin gebracht J 

hat, diesen Verhältnissen gemäfs die Bewegungen einzu- \ 

» 

richten, so hat sie doch von jenen immer noch keinen \\ 
• deutlichen Begriff. ' U 

Aus dieser ganzen verwickelten Lehre läfst sich für ji 
den ätiologischen Theil der Pathologie weiter keine wich- i 
tige Folgerung ziehen, als etwa die Bemerkung, dafs eine i 
dauernde und starke Abneigung gegen willkührliche Be- i 
wegungen Ursache zu deren Vernichtung in irgend einem ] 
Theile werden kaun. Da diese Abneigung in der nicht 
reflektirenden Seeleuthätigkeit ( ratio non ratiocinans), wel- 
che bei ihrem Wirken sicherer, einfacher und ausdauern- 

, . t 

der zu sein pflegt, sich erzeugt, und fester in ihr haftet; 
so vermag der Wille, welcher von bestimmten Urtheilen 
ausgeht, dagegen nichts auszurichten. Beispiele giebt uns 
der Widerwille gegen manche Speisen und Getränke, wel- 
cher zufällig entstanden, späterhin Ekel und Erbrechen zur 
Folge hat; hier trägt dann über den aus richtigem Urtheil 
entsprungenen Vorsatz, ihn zu überwinden, .das ursprüng- 
liche und einfache Gefühl den Sieg davon. Viele Kranke, 
besonders weiblichen Geschlechts, haben einen grofsen 
Abscheu vor Arzneien, einige vor stark riechenden und 
schmeckenden, andere vor geschmack- und geruchlosen. 
Wenn diese, an gefährlichen Krankheiten darniederlicgend, 
es auch wissen, dafs sie der Arzneien bedürfen, und, 
um von der' Krankheit befreit zu werden , gern den Ekel 
überwinden mögten, so weicht dieser dessenungeachtet 
nicht. Und dennoch gründet sich der Ekel blos auf ein ver- 
worrenes Urtheil ( ratiocinatio perplexa), auf eine Fiktion 
des Verstandes, eine falsche Meinung, welche weder von 
der wirklichen Beschaffenheit der Arzneistoffe, noch von 
dem Verhalten der Organe gegen sie, sondern allein von 


» 


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265 

einem vorgefafsten Geschmacksurtlieil ( aestimatio ) ausge- 
gangen ist. 

Wenn also schon ein in erdichteten Gefühlsurtheilen 
festgewurzelter Trieb durch Vorsätze nicht verbessert oder . 
besiegt wird, welche sich auf umsichtige Begriffe stützen, 
wie viel weniger läfst sich erwarten, dafs ein Wollen, 
welches auf äufscre und vorüberschwindende Dinge ge- 
richtet ist, einem Triebe zur Bewegung oder Ruhe gebie- 
ten werde, den ein wirkliches körperliches Bedürfnifs er- 
zeugte. Das gültigste Zeugnifs zur Erläuterung der so 
eben ausgesprochenen Wahrheit legen die nicht seltenen 
Beobachtungen ab, wo örtliche Lähmungen, bei denen die 
Kraft der willkührlichen Bewegung gebrochen war, durch 
die heftigsten Anstrengungen des vernünftigen Willens ge- 
heilt wurden. Dergleichen Beispiele finden wir bei Val- 
leriola und in den Actis NcUurae Curiosonini , wo thcils 

4 

die Gefahr, in einer Feuersbrunst umzukommen, theils ein 
gewaltiger Zorn jenen Erfolg herbeiführten. Ich selbst 
' habe zwei dergleichen Fälle bei einem Brande beobach- 
tet, w r o Kranke, welche an einer gichtischen Lähmung 
litten, vor Schreck Schwäche und Schmerzen vergafsen, 
ihre Kräfte zur Rettung schwerer Gegenstände anstreng- 
ten, und dadurch nicht nur von ihrer Gicht befreit wur- 
den, sondern auch ihre freie Beweglichkeit wieder er- 
langten. 

Es verdient hier noch die Thatsache in Betracht ge- 
zogen zu werden, dafs die Bewegkräfte während ihres 
[ Gebrauchs nicht selten schwinden, wenigstens einen Ver* 
s lust erleiden. Nach der herrschenden Meinung sollen hier- 
bei körperliche Bedingungen obwalten, in sofern dabei 

\ 

materielle Bestandteile verloren gehen. Dafs es sich aber 
nicht so verhalte, lehrt das Gesetz der Gewohnheit, in 
Folge deren angestrengte und anhaltende Bewegungen mit 
ausdauernder Kraft lange fortgesetzt w erden können, wäh- 
rend Ungewohnheit, zu der sich ein Widerwille gegen 

i 

• > 

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266 


* - - * 

Anstrengungen, oder gar Furcht vor denselben gesellt, von 
Anfang an die Kräfte niederdrückt, so wie umgekehrt hef- 
tiges, aus irgend einer Ursache entsprungenes Verlangen 
aufserordentliche Kräfte zu verleihen vermag. Eine Be- 
stätigung dafür geben die Anfälle der Tobs&cht, in denen 
sich ein bewunderungswürdiges Vermögen, die angestreng- 
testen Bewegungen während langer Dauer hervorzubrin- 
gen, also ein hoher Grad von Stärke offenbart. Diese be- 
kannte Erfahrung sucht der Pöbel sich aus einer von bö- 
sen Dämonen verliehenen übernatürlichen Macht zu erklä- 

» 

ren. Hierbei stofsen wir noch auf ein anderes Paradoxon, 
woher es komme, dafs die Tobsüchtigen, ohne irgend einer 
Ruhe thcilhaftig zu werden, unausgesetzt mit Schreien, 
Heulen, und gewaltthätigem Rasen sich wach erhalten 
können , so dafs wenigstens in ihren Gebärden die ange- 
spannte Kraft sich abspiegelt, mit der sie auf eine günstige 
Gelegenheit lauern, ihren Vorsatz auszuführen, z. B. jeman- 
den, der sich ihnen unvorsichtig nähert, zu mifshandeln. 
Wie läfst sich dies mit dem Naturgesetz in Verbindung 
bringen, nach welchem vorangegangene Kraftäufserungcn 
mit Ruhe abwechseln müssen? Jene Erscheinung, welche 
selbst Jahre hindurch andauert, zeugt wohl hinlänglich 
von der Macht des heftigen Begehrens, in sofern dabei 
blos von der Bewegkraft, nicht aber von mitwirkenden 
körperlichen Stoffen die Rede sein kann, welche vielmehr 
den Lebensbewegungen als den willkührlichen oder ani- 
malischen zum Grunde 'liegen. Jene ungemeine Kraft der 
Tobsüchtigen läfst sich indefs sehr gut aus der im natur- 
gemäfsen Zustande erfolgenden Steigerung und Befestigung 
erläutern, welche die Kraft sowohl durch Gewohnheit ge- 
winnt, die der Energie eine gröfsere Ausdauer und Stä- 
tigkeit verleiht, als durch die Regsamkeit und Entschlos- 
senheit des Geistes zu bedeutenden Kraftäufs'erungen. 

Wir müssen übrigens daran zurück erinnern, dafs die 
in und durch den Körper wirkende gesammtc Lebensthä- 
ligkcit ihrer Verfassung nach in bestimmte Grenzen cin- 

i i 


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267 


geschlossen ist, und daher nicht blos von zufälligen und 
vergänglichen Angriffen, sondern auch nach feststehenden 
und wesentlichen Gesetzen eine Verringerung erleidet. 
Hierher gehört besonders ihre Beschränkung durch das 
Alter, welche mit dem vierzigsten, noch gewisser aber 
mit dem fünfzigsten Jahre deutlich eintritt, und nicht blos 
den Körper seiner Dauerhaftigkeit und eines Theils seiner 
Masse beraubt, sondern auch bewirkt, dafs die Erfolge des 
Wollens nicht der Energie desselben entsprechen. 

Es bleibt uns nur noch zu erwähnen übrig, dafs alle 
wahrnehmbaren Bewegungen des Körpers, selbst die un- 
willkürlichen oder sogenannten vitalen, die nämliche Art 
von Werkzeugen mit einander gemein haben; denn die 
Muskelfasern dienen eben sowohl zur unmittelbaren Voll- 
ziehung der Bewegung, als die Mitwirkung der Nerven 
dazu erforderlich ist, die Thätigkcit auf jene zu übertra- 
gen. Wenn nun letzteres geschieht, so verdichten sich 
entweder die Muskelfasern, und treiben durch ihre Zu- 
sammenziehung andere Dinge, besonders Flüssigkeiten, fort, 
oder sie bringen die Bewegung durch zitternde Krispatio- 
nen hervor. Umgekehrt, wenn die bewegende Thätig- 
keit nachläfst, so wird dadurch schwereren und ausdehn- 
samen Materien Gelegenheit gegeben, sich anzusammeln, 
z. B. während der Gesundheit die Ausdehnung des Ma- 

V 

gens und der Gedärme durch Speisen und Getränke, im 
krankhaften Zustande die Ansammlungen von Wasser und 
luftföraiigen Stoffen. 

In der Regel erfolgt die willkührliche Bewegung nur 
nach einer vorgängigen Sinnesthätigkeit und Willcnsbe- 
stimmung. Unter ihnen erheischen indels die Bewegun- 
gen des Fötus im mütterlichen Schoofse noch eine ge- 
nauere Betrachtung. Es läfst sich nicht bestreiten, dafs 
die Modifikationen derselben nach ihrer Heftigkeit oder 
Gelindigkeit, nach ihrem häufigem oder seltneren Vor- 
kommen, der Energie ihrer äufseren Ursachen (Reize) 
angemessen sind. Denn wenn die Mutter reizende Spei- 


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scn geniefst, sich unvorsichtig einem Uebermaafe von Er- 
hitzung oder Erkältung aussetzt, oder stark wirkende Arz- 
neien gebraucht, so werden die Bewegungen des Fötus 
lebhafter. Indefs erklärt dieser Umstand doch nicht die 
Bewegung selbst, da diese zu einer bestimmten Zeit, näm- 
lich genau in der zwanzigsten Woche der Schwanger- 
schaft, beginnt. Nun trägt zwar die willkührliche Be- 
wegung ungemein viel zum ungehinderten Kreisläufe des 
Blutes durch die einzelnen KörperÜieile bei, und es läfst 
sich dieser Nutzen 7 o6im »Fötus nicht ableug- 

nen; indefs entspricht 'weder 'die Sjimme seiner Bcwe- 
* • 1 1 « •• • ■; 1 . 
gungen dem gedachten Zweck; noch läfst sich die Errei- 

chung desselben durch sie ätts ihren -Erfolgen nachweisen, 
daher sich von jenem Satze hier keine genügende Anwen- 
dung machen läfst. 

Eben so mufs man allerdings einräumen, dafs die fest- 
weichen und biegsamen Theile (die Muskeln) zur Bewe- 
gung noch nicht geschickt sind, und durch Uebung an 
Thätigkeit gewöhnt werden müssen, und zwar sobald die 
Textur derselben straff genug geworden ist, um eine Be- 
wegung zuzulassen; indefs auch diese Bedingungen machen 
es nicht erklärlich, warum die Bewegung gerade zu einer 
so bestimmten Zeit beginnt. Man mufs daher den eigent- 
lichen Grund dieser Erscheinung in dem ursprünglichen 
Wesen der Bewegkräfte suchen, welches wir uns durch 
die Kenntnifs jener einzelnen Bedingungen nicht klar ma- 

* t , 

chjen y können. 

Es war schon bei der Lehre von den .nicht natürli- 
chen Dingen davon die Rede, in wiefern die willkühr- 
liche Bewegung der Glieder, also der gesammten porö- 
sen Körpermasse, zur Beförderung des Kreislaufs beiträgt, 
und daher bei krankhaften Störungen desselben wohlthä- 
tig werden lcann; hier wollen wir nur noch bemerken, 
dafs auch die unwillkürlichen Bewegungen, denen keine 
entsprechende Sinnesthätigkcit vorangeht, sich eben so gut 


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/ 


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auf eine objektive materielle Ursache und auf einen ähn- 
lichen Zweck beziehen, in sofern derselbe die Mischung 
und die Fortbewegung der Säfte betrifft. In wie weit 
dies wahr sei, und besonders von den konvulsivischen 
Bewegungen gelte, wird ausführlich in der Pathologie 
dargelcgt werden, auf welche daher hingewiesen wer- 
den muls. 



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° / 

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Häufigen Aufforderungen zu genügen, habe ich mich ent- 
schlossen, die ersten 5 Jahrgänge (1825 — 1829) von den 

T ITTERARISCHEN ANNALEN DER GESAMMTEN HEIL- 
künde. In Verbindung mit m. A. herausgegeben von Dr. Ju- 
stus Friedr. Carl Hecker, Professor der Heilkunde *an der 
Universität Berlin, 

— so weit der, nur noch geringe, Vorrath reicht, besonders für 
diejenigen, welche sich von 1830 an die Fortsetzung halten wol- 
len, auf -j des bisherigen Preises, 

also von 40 Rthlr. auf 13| Rthlr. herabzusetzen, 
wofür man von nun an die genannten 5 Jahrgänge durch alle 
Buchhandlungen beziehen kann — Einzelne Jahrgänge von 1825 
bis 1828 werden für 4 Rthlr. abgelassen, der Jahrgang 1829 aber 
behält, wenn er separat verlangt wird, noch den vollen Preis von 
8 Rthlr. -