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Full text of "Buddhistischer Katechismus zur Einführung in die Lehre des Buddha Gótamo: Nach den heiligen ..."

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Buddhistischer Kalecliismus 

A 817,487 

Einführung in die Lehre des Buddha fitötamo 



heiligen Schriften der südlichen Buddhisten 

zum Gebrauche für Europäer zusammengestellt 

und mit Anmerkungen versehen 



Subh&lra Bliikschu. 



BRAGNSCHWKIG 

HWETSCHKE UN» SOHN 
i IPPl i.u\.\ t i'i EBSUrOBTURFT) 



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Buddhistischer Katechismus 



zur 



Einführung in die Lehre des Buddha Götamo. 



Nach den 

heiligen Schriften .der südlichen Buddhisten 
zum Gebrauche für Europäer zusammengestellt 
und mit Anmerkungen versehen 



von 

L -• . . . 

Subhädra. Bhikschu. 



< i - » 



Dritte Auflage. 



BRAUNSCHWEIG 

C. A. SCHWETSCHKE UND SOHN 

(APPELHANS & PFENNINGSTORFF) 
1892. 



"BL 



Alle Rechte vorbehalten. 






Vorwort zur ersten Auflage, 



Obwohl an umfangreichen, wissenschaftlichen Wer- 
ken aber den Buddhismus kein Mangel mehr ist, fehlte 
es doch bisher gänzlich an einer im besten Sinne volks- 
tümlichen und allgemeinverständlichen Darlegung, welche 
die erhabene Lehre des Buddha Gtftamo nicht als 
todten Wissensgegenstand behandelt, sondern sie als 
die lebendige, noch heute klar und lauter fliessende 
Quelle der Wahrheit den weitesten Kreisen zugänglich 
machen will. 

Als erster Versuch in dieser Richtung erschien vor 
Jahresfrist*) die deutsche Uebersetzung eines „buddhistischen 
Katechismus" von Henry S. Oleott. Dieser Versuch ist 
über Erwarten gelungen. Denn obgleich der Olcott'sche 
Katechismus ursprünglich nur für den Unterricht singha- 
lesischer und birmanischer Kinder bestimmt war und daher 
naturgemäss den Ansprüchen gebildeter europäischer Leser 
nicht ganz gerecht werden konnte, wurde die Auflage doch 
schnell vergriffen, und dadurch der Beweis geliefert, dass 
auch im Abendlande sich das Interesse für die buddhistische 
Religion zu regen beginnt. 

Daraus aber erwuchs den Anhängern des Buddha 
zugleich die Verpflichtung, für Herausgabe eines buddhis- 
tischen Katechismus in deutscher Sprache Sorge zu tragen, 

•) 1887. 



- tv - 

welcher für das gereifte Verständniss erwachsener Leser 
berechnet ist und die ganzen Grundzüge der Lehre in 
gedrängter Kürze enthält, unter Weglassung alles Bei- 
werkes, mit welchem der Aberglaube und die kindliche 
Phantasie der Völker sie im Laufe der Jahrtausende aus- 
geschmückt hat. 

Diesem Zwecke dient das vorliegende Werkchen. 
Es wendet sich an alle diejenigen, welche nicht im ma- 
teriellen Fortschritt und gesteigerten Wohlleben das höchste 
Ziel des Daseins suchen, sondern, abgestossen von dem 
wilden Kampfe um irdische Güter, den die Selbstsucht 
täglich erbarmungsloser führt, und unbefriedigt von den 
Lehren der herrschenden Religionen, nach jenem inneren 
Frieden und jener gesicherten Erkenntnis verlangen, die 
allein das Leben werth machen, und die ihnen weder todte 
Dogmen noch die Ergebnisse der' gegenwärtig so sieges- 
gewiss auftretenden Wissenschaft zu gewähren vermögen. 

Für diese ist der buddhistische Katechismus verfasst. 
Wenn sie ihn recht lesen und verstehen, so werden sie 
darin finden, was sie suchen: eine Lehre, welche frei von 
Dogmen und Formenwesen, im Einklang mit der Natur und 
ihren Gesetzen, die höchsten, Geist und Herz gleicher- 
maassen befriedigenden Wahrheiten in so einfachem Ge- 
wände enthält, dass sie selbst dem bescheidenen Verstände 
fassbar sind, und dabei doch von einer Tiefe, die auch von 
dem philosophisch und wissenschaftlich gebildeten, mit 
allen geistigen Errungenschaften einer hochgesteigerten 
Kultur ausgerüsteten Europäer nicht leicht ergründet 
werden dürfte. 

Indessen ist hier die Einschränkung hinzuzufügen, 
dass ein Katechismus für den Schüler und Anfänger be- 
stimmt ist und daher nicht Alles enthalten, noch das, 
was er enthält, bis zu seinen letzten Konsequenzen ver- 



_- V — 

folgen und darlegen kann. Wer also nach höchster, all- 
seitiger Erkenntniss verlangt, wer die Lehre nicht nur ver- 
stehen, sondern ihr auch nachleben will, der sei aufsein 
eigenes Nachdenken und auf den persönlichen Verkehr 
mit denen verwiesen, welche ihm auf dem hier vor- 
gezeichneten Wege schon vorangeschritten sind. 

Und so möge denn das Licht der welterleuchtenden 
Wahrheit, das aus dem fernen Osten, woher ja alles Licht 
stammt, jetzt seine Strahlen in das Abendland hinüber- 
sendet, sich siegreich ausbreiten, zum Wohle, zum Heile, 
zur Erlösung für Jedermann. 



Vorwort zur dritten Auflage. 



Bei Bearbeitung der vorliegenden, vermehrten und 
verbesserten Auflage hat der Verfasser sich bemüht, über- 
all da, wo erfahrungsgemäss die Hauptschwierigkeiten der 
buddhistischen Lehre liegen, durch noch schärfere und 
klarere Fassung des Textes und grössere Ausführlichkeit 
in den Anmerkungen die Gefahr einer missverständlichen 
Auffassung nach Möglichkeit auszuschliessen. Ebenso ist 
bei allen jenen Stellen in der Lebensgeschichte des Buddha, 
wo die Wahrheit in symbolisch-allegorischer Einkleidung 
auftritt — eine Darstellungsart, die dem Inder so natürlich 
und vertraut ist, wie sie dem modern europäischen Geiste zu 
widerstreben scheint — ausdrücklich auf die richtige Aus- 
legung aufmerksam gemacht worden. 

Da die über den Buddhismus schreibenden europäischen 
Gelehrten fast durchgängig die buddhistischen Termini und 
Eigennamen in der Sanskrit-Form wiedergeben, so hatte 
es der Verfasser in den früheren Auflagen des Katechismus 
für zweckmässig gehalten, ebenso zu verfahren. Diesmal 
sind jedoch an Stelle der Sanskrit-Bezeichnungen die ent- 
sprechenden, bei den südlichen Buddhisten allein gebräuch- 
lichen Pali -Worte getreten, mit Ausnahme von Earma, 
Buddha, Nirwana und Bhikschu, die sich bereits zu sehr 
eingebürgert haben, um durch Eammam, Buddho, Nibbanam 



— VII — 

und Bhikkhu ohne Weiteres ersetzt werden zn können. Einer 
späteren Zeit mnss es vorbehalten bleiben, auch in diesen 
Nebendingen Einheitlichkeit und Uebereinstimmung herbei- 
zuführen, ein Bestreben, das gegenwärtig gänzlich hinter 
der wichtigeren Aufgabe zurücktritt, den Geist des Buddhis- 
mus im Abendlande zu verbreiten. Denn die Form und das 
Wort, so ehrwürdig sie auch sein mögen, sind in Sachen der 
Erkenntniss nichts, der Geist Alles. Und den Geist der er- 
habenen Lehre des indischen Weisen wird der verständniss- 
volle und wahrheitsdurstige Leser in diesem kleinen, aber 
inhaltsreichen Buche überall antreffen. Möge er die be- 
freiende Kraft desselben im eigenen Innern verspüren. — 
Wer dem Buddhismus ein eingehenderes Stadium wid- 
men will, dem seien folgende vortreffliche Werke empfohlen: 
Oldenberg, „Buddha"; Neumann, „Buddhistische 
Anthologie", „Ueber die Verwandtschaft buddhistischer 
und christlicher Lehren"; Rhys Davids, „Buddhism", 
„Buddhist Birth Stör i es"; Alabaster, „Wheel of the 
Law"; Max Müller, „SacredBooks of theEast," BandX 
und XL 

Im Jahre 2435 nach dem Nirwana des Vollendeten. 



Subhadra Bhikschu. 



* 



1. Zu welcher Religion*) bekennst du dich? 
Ich bin ein Buddhist. 

2. Was versteht man unter einem Buddhisten? 

Einen Menschen, welcher den Buddha als den Weit- 
erleuchter, den höchsten Führer und Meister aller lebenden 
Wesen verehrt, in der von ihm verkündeten Lehre die 
Wahrheit erkennt und sich ernstlich bestrebt, die Vor- 
schriften derselben zu befolgen. 

3. Wie wird man ein Buddhist? 

Durch freie Erschliessung. Nicht durch die Geburt, 
nicht durch Nationalität, noch Rasse; nicht durch eine 
Weihe, Taufe oder sonst eine rechtsverbindliche Ceremonie, 

*) Es ist eine von europäischen Gelehrten öfters aufgeworfene 
Frage, ob der Buddhismus mehr den Namen einer Religion oder 
einer Philosophie verdiene. Er ist in der That beides — die er- 
habendsten moralisch-religiösen Lehren verbinden sich in ihm mit 
den tiefsten philosophischen Erkenntnissen zu einem untrennbaren 
Ganzen. Der Buddhismus klärt seine Anhänger über die Natur 
des Weltalls und der darin herrschenden Gesetze und Kräfte auf, 
er erschliesst dem Menschen den Kern seines Innern, zeigt ihm 
seine wahre über dieses flüchtige Erdenleben hinausliegende höhere 
Bestimmung, erleuchtet seinen Geist, erweckt die in ihm schlum- 
mernden moralischen Kräfte und Fähigkeiten, entzündet in ihm 
den Trieb zum Guten und Edeln und setzt ihn in den Stand, durch 
ernstes Streben und gewissenhafte Anwendung der Vorschriften das 
höchste Ziel jedes lebenden Wesens, die Seligkeit, die Erlösung, 
das Nirwana zu erreichen. Daher ist also der Buddhismus eine 
Religion. 

Er ist aber zugleich eine Philosophie, denn er verlangt 
von seinen Anhängern nicht blinden Glauben, sondern eine durch 
eigenes Forschen, eigene Prüfung und ernstes Nachdenken gewonnene 
und befestigte Ueberzeugung. Er stützt seine Lehrsätze nicht auf 

1 



— 2 — 

denn der Buddhismus besitzt weder die Gewalt einer Staats- 
religion noch eine Hierarchie. Wer den Lehren des Buddha 
nachlebt, ist ein Buddhist, mag er einer Buddhistengemeinde 
angehören oder nicht. Der Beitritt zu einer solchen erfolgt 
durch einfache Willenserklärung und Aussprechen der Zu- 
fluchtsformel. 

4. Wie lautet die Zufluchtsformel? 

Die Zufluchtsformel (Tisäranam) lautet: 
Ich nehme meine Zuflucht zum Buddha. 
Ich nehme meine Zuflucht zur Lehre (Dhammo). 
Ich nehme meine Zuflucht zur Brüderschaft der Erlesenen 
(Sangho). 

5. Was soll durch das feierliche Aussprechen die- 
ser Zufluchtsformel ausgedrückt werden? 

Der, welcher diese Formel ausspricht, will dadurch 
vor aller Welt bezeugen, dass er den Buddha fortan zu 
seinem Lehrer und Vorbild erwählt; dass er in der Lehre 
den Inbegriff und die Grundprinzipien der Wahrheit und 
Gerechtigkeit, sowie den Weg zur Selbstvervollkommnung und 
Erlösung erblickt; dass er die Brüderschaft der Erlesenen 
als die verehrungswürdigen Nachfolger des Buddha, als 
die wahren Ausüber, Verkünder und Ausleger der Lehre 
betrachtet. 

6. Ist diese Zufluchtsformel für alle Buddhisten 
bindend? 

Für alle ohne Ausnahme, mögen sie nun der Brüder- 
schaft der Erlesenen angehören und damit das Leben eines 



den Willen eines unbegreiflichen Gott -Schöpfers oder eine über- 
natürliche Offenbarung, sondern auf die Alienvorliegende natür- 
liche Beschaffenheit der Welt und des Lebens. Er sucht nicht 
durch die Androhung ewiger Strafen dem Uebeltbäter Furcht ein- 
zujagen, sondern das vom irdischen Wahne getrübte Auge des Irren- 
den aufzuhellen, damit er die Wahrheit zu schauen vermöge, und 
bringt den redlich Strebenden auf dem Wege geistiger Entwickelung 
und moralischer Selbstvervollkommnung auf einen Standpunkt, wo 
alles Vergängliche als wesenloser Schein hinter ihm liegt und Vor- 
urtheil, Zweifel und Wahn dahinschwinden im Lichte der Erkenntniss. 



— 3 — 

Bettelmönches (Bhikschu, Sämano) erwählt haben, oder 
weltliche Anhänger (Upäsakos) sein. Doch ist das Aus- 
sprechen der Zufluchtsformel ein freies Gelübde und hat 
nur moralische Gültigkeit. Rechtliche Verpflichtungen irgend 
welcher Art knüpfen sich daran nicht, 

7. Wie nennt man die heilige Dreiheit, deren 
Führung sich der Buddhist durch das Aus- 
sprechen der Zufluchtsformel anvertraut? 

Die drei Leitsterne; denn diese heilige Dreiheit 
leuchtet uns in der Finsterniss unseres Erdenlebens, wie 
die Sterne dem Schiffer auf nächtlichem sturmbewegten 
Meere, und leitet denjenigen, der sich nach ihr getreulich 
richtet, durch den wüsten Ozean der Unwissenheit, der 
Begierde und des Leidens in den Hafen des ewigen Friedens. 
Darum blickt der Buddhist voll Vertrauen, voll Dank- 
barkeit und voll Ehrfurcht auf die drei Leitsterne hin und 
spricht mit andächtigem Gemüthe: 

Verehrung dem Heiligen, dem Weltüberwinder, dem 

Buddha. 
Verehrung der heiligen, der reinen, der erlösenden 

Lehre. 
Verehrung der Brüderschaft der Erlesenen. 



* 



rf 



Der Buddha. 



8. Wer ist der Buddha ? 

Der aus eigener Kraft zur Vollendung und Erleuchtung 
gelangte, schon in diesem Leben erlöste, höchst gütige 
heilige und weise Verkünder der Wahrheit und Stifter der 
buddhistischen Religion. 

9. Ist der Buddha ein Gott, welcher sich den 
Menschen geoffenbart hat? 

Nein. 

10. Oder war er ein Gottgesandter, der zur Erde 
herabgestiegen ist, um den Menschen das Heil 
zu bringen? 

Nein. 

11. So war er also ein Mensch? 

Ja, er war ein Mensch. Aber ein Mensch, wie er 
in vielen Jahrtausenden nur einmal geboren wird, einer 
jener erhabenen Weltüberwinder und Weiterleuchter, die 
geistig und moralisch die irrende und leidende Menschheit 
so hoch überragen, dass sie der kindlichen Anschauung des 
Volkes als „Götter" oder „Gottgesandte" erscheinen. 

12. Ist Buddha ein Eigenname? 

Nein, Buddha ist die Bezeichnung eines inneren 
Zustandes oder einer Geistesverfassung. 



— 5 — 

13. Was bedeutet denn das Wort? 

Der Erleachtete ; es bezeichnet einen Menschen, der 
ans eigener Kraft die höchste, einem lebenden Wesen er- 
reichbare Erkenntniss und moralische Vollkommenheit er- 
langt hat. 

14. Wie war des Buddha wirklicher Name? 
Siddhättho wurde er bei seiner Geburt genannt. 

15. Wer waren seine Eltern? 

König Suddhödano und Königin Mayä. 

16. Ueber welches Volk herrschte König Suddhö- 
dano? 

Ueber den indischen Volkstamm der Sakyos *). 

17. Wann wurde Prinz Siddhättho geboren? 

An einem Freitage des Jahres 623 vor Beginn der 
christlichen Zeitrechnung. 

18. Wissen wir etwas Näheres über die Geburt des 
Buddha und seine Jugendzeit? 

Sehr wenig geschichtlich Beglaubigtes. Aber die 
Legende berichtet uns darüber ausführlich; sie hat, wie bei 
allen grossen Religionsstiftern, die Geburt und die Jugend- 
zeit des Buddha mit allerlei wunderbaren Ereignissen und 
poetischen Zuthaten ausgeschmückt. 

19. Was erzählt uns die Legende? 

Schon bei der Geburt des Prinzen Siddhättho sagten 
die Brahmanen, welche als Priester und Astrologen am 
Hofe des Königs Suddhödano lebten, die künftige erhabene 
Bestimmung des Kindes voraus. Sie prophezeiten : „Wenn 
Prinz Siddhättho den Thron besteigt, so wird er ein König 

*) Die Sakyos gehörten der grossen arischen Völkerfamilie 
an, von der auch die europäischen Nationen — Germanen, Romanen 
und Slawen — Glieder sind. Der von ihnen bewohnte Landstrich 
lag im nordöstlichen Indien, am Fasse des Himalaja, und die 
Hauptstadt Kapilawatthu etwa 150 Kilometer nördlich von der Stadt 
Benares am Flusse Röhini. 



I 



— 6 — 

der Könige, ein Weltbeherrscher werden; wenn er aber 
dem Throne entsagt, und das Leben eines Asketen erwählt, 
so wird er ein Weltüberwinder, ein vollendeter Buddha 
werden". Und der Büsser Kaladäwalo eilte aus der Wild- 
niss des Himälaya herbei, warf sich vor dem Kinde zur 
Erde nieder und sprach: „Wahrlich, dieses Kind wird einst 
ein höchster vollendeter Buddha werden und den Menschen 
den Weg zur Erlösung weisen". Und er weinte, da er 
wusste, dass er bei seinem hohen Alter diesen Zeitpunkt 
nicht mehr erleben könne*). 

20. Freute sich König Suddhödano über Kalade- 
walo's Weissagung? 

Nein. Er suchte im Gegentheile durch alle ihm zu 
Gebote stehenden Mittel ihre Erfüllung zu verhindern, denn 
er wünschte, dass Prinz Siddhättho einst ein weltbeherr- 
schender Monarch werde. 

2L Welche Mittel wandte er an, um diesen Zweck 
zu erreichen? 

Die Brahmanen hatten ihm gesagt, dass der Anblick 
des menschlichen Leidens und der irdischen Vergänglichkeit 
den Prinzen zur Weltflucht veranlassen würde. Der König 
hielt daher aus der Nähe seines Sohnes Alles fern, was 
diesem Kenntniss vom menschlichen Leiden und vom Tode 
hätte geben können. Er umgab ihn mit allen Genüssen 
und allem königlichen Luxus und Glanz, um ihn recht fest 
an das Weltleben zu fesseln. Die ausgezeichnetsten Lehrer 
mussten ihn in den Künsten und Wissenschaften und den- 



*) Brahmanische Büsser, Einsiedler und Asketen gab es be- 
reits Jahrhunderte vor der Geburt des Buddha in Indien. Die- 
selben lebten entweder in kleinen Bambushütten im Walde bei- 
sammen, dem Studium der heiligen, mystischen Schriften (der 
Upanischaden) der Weden hingegeben, oder in Höhlen und unter 
Bäumen als Einsiedler. Viele zogen auch als heimathslose Asketen 
von Ort zu Ort, erbettelten ihre Nahrung vor den Thüren und 
gaben sich den qualvollsten Selbstpeinigungen hin, um alle sinn- 
lichen Regungen gewaltsam in sich zu ertödten, die Seele von allen 
irdischen Banden frei zu machen und zur Vereinigung mit dem 
Ewigen, dem Brahman, zu gelangen. 



— 7 — 

jen igen ritterlichen Fertigkeiten unterrichten, welche einem 
Königssohne zukommen. Als Prinz Siddhättho zum Jüng- 
ling heranwuchs, Hess ihm sein Vater drei Paläste erbauen, 
für jede der drei indischen Jahreszeiten — die heisse, die 
kalte und die Kegenzeit — je einen. Alle waren ausge- 
stattet mit der grössten Pracht, rings umher breiteten 
sich weite Gärten und Haine aus, mit klaren, von Lotos- 
blumen umkränzten Teichen, kühlen Grotten, plätschernden 
Quellen und Beeten voll der schönsten Blumen. In diesen 
Gärten und Hainen verlebte der Prinz seine Jugend, aber 
er durfte sie nicht verlassen, und allen Armen, Kranken 
und Greisen war der Zutritt auf das strengste verwehrt. 
Söhne aus den edelsten Familien des Landes bildeten seine 
Umgebung. In seinem 16ten Jahre vermählte ihn sein 
Vater mit der Prinzessin Yasodharä und ausserdem umgab 
ihn ein ganzer Harem von schönen, im Tanze und in der 
Musik geschulten Mädchen, wie es damals bei den indischen 
Fürsten der Brauch war. 

22. Wie war es möglich, dass der Prinz inmitten 
all' dieser Herrlichkeiten und Freuden den Ge- 
danken der Weltflucht fassen konnte? 

Bei seinen Ausfahrten in den Schlossgärten und 
Parks hatte er vier bedeutsame Erscheinungen, welche ihn 
über die wahre Natur des Daseins aufklärten. 

23. Was für Erscheinungen waren das? 

Die eines gebrechlichen, von der Last des Alters 
gebeugten Greises, die eines mit Geschwüren bedeckten 
Kranken, die eines verwesenden Leichnams und die eines 
ehrwürdigen Bettelmönches. 

24. Welchen Eindruck machten diese Erscheinun- 
gen auf Prinz Siddhatto? 

Sie erschütterten ihn auf das Tiefste. Die ganze 
Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Lebens wurde ihm da- 
durch klar*). Die trügerischen und kurzen Freuden, welche 



*) Als Prinz Siddhättho eines Tages im Parke spazieren fuhr, 
bemerkte er plötzlich einen gebrechlichen alten Mann, mit von der 



— 8 — 

Alter, Krankheit, Schmerzen und Tod im Gefolge haben, 
verloren ihren Reiz für ihn. Fortan mied er alle Lustbar- 
keiten ; es reifte in ihm die Einsicht, dass das Dasein kein 
wünschenswerthes Gut, sondern vielmehr ein Uebei ist, und 

Last der Jahre gekrümmtem Bücken, der, auf einen Stab gestützt, 
mühsam dahinschlich. Siddhättho fragte verwundert seinen Wagen- 
lenker Tschanno, was für ein seltsames Wesen das sei, und Tschanno 
antwortete, es sei ein Greis. — «Wurde er in diesem Zustande ge- 
boren?" fragte der Prinz weiter. — „Nein, Herr, er war einst jung 
und blühend, wie Du". — „Giebt es mehr solcher Greise? - forschte 
der Prinz immer erstaunter. — „Sehr viele, Herr!" — «Und wie 
gerieth er in diesen beklagenswerthen Zustand? — „Es ist der 
Lauf der Natur, dass alle Menschen alt und gebrechlich werden 
müssen, sofern sie nicht in jungen Jahren sterben". — „Auch ich 
Tschanno?" — „Auch Du, Herr!" 

Dieser Vorfall stimmte den jungen Prinzen so nachdenklich, 
dass er befahl, nach Hause zurückzufahren, da er alle Freude an 
der schönen Umgebung verloren hatte. Einige Zeit darnach er- 
blickte er bei einer abermaligen Ausfahrt einen Aussätzigen, und 
als ihn auf seine Fragen Tschanno auch über diese Erscheinung 
aufklärte, wurde er so tief ergriffen, dass er fortan alle Lustbar- 
keiten mied und über die Leiden des Menschen nachzugrübeln be- 
gann. Nach Verlauf einer längeren Zeit wurde ihm die dritte 
Erscheinung zu Theil. Er sah einen bereits in Verwesung befind- 
lichen Leichnam am Wege liegen. Auf das heftigste erschüttert 
kehrte er sofort nach Hause zurück, indem er ausrief: „Weh mir, 
was nützt aller königlicher Glanz, alle Pracht und aller Genuss, 
wenn sie mich nicht vor dem Greisenalter, der Krankheit und dem 
Tode bewahren können! Wie unglücklich sind die Menschen! Giebt 
es denn kein Mittel, dem Leiden und dem Tode, die sich mit jeder 
Geburt erneuern, auf immer ein Ende zu machen?* 1 

Diese Frage beschäftigte ihn fortan unausgesetzt. Die Antwort 
darauf wurde ihm bei einer späteren Ausfahrt. Es erschien ihm 
ein Asket im gelben Gewände, wie es die buddhistischen Brüder 
tragen, dessen ehrwürdige Züge den tiefen Frieden seines Innern 
deutlich wiederspiegelten. Diese Erscheinung wies dem von den 
Räthselfragen des Seins gequälten Prinzen den Weg, auf dem er 
ihre Lösung zu suchen hatte. Von jetzt an reifte in ihm der Ent- 
schluss heran, die Welt zu verlassen und die Bahn zu beschreiten, 
die Jeder, der nach der Vollendung strebt, beschreiten muss. — 
Diese allegorische Erzählung ist ja offenbar eine spätere Erfindung, 
aber voll tiefer innerer Wahrheit, denn sie lehrt uns, dass es allein 
die Erkenntniss der Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Lebens ist, 
die in empfänglichen Gemüthern zur Weltflucht und Entsagung 
führt, zu jener gänzlichen Sinnesänderung, welche alle Heiligen und 
Weltüberwind er durchgemacht haben, und die der Weltlich gesinnte 
nicht begreift. 



— 9 — 

dass es thöricht und edler Naturen nicht würdig ist, den 
Genüssen nachzutrachten. AIP sein Streben war von jetzt 
an auf ein höheres Ziel gerichtet. 

25. Auf was für ein Ziel? 

Er wollte die Ursachen des menschlichen Elends: 
der Geburt, des Leidens, des Alterns, des Todes und der 
Wiedergeburt*) ergründen und das Mittel finden, ihnen ein 
Ende zu machen. Er beschioss, gleich jenem ehrwürdigen 
Bettelmönche, der ihm erschienen war, die Welt zu verlassen 
und in die Wildniss zu gehen. 



*) Die Lehre yon der Wiedergeburt, das heisst der wiederholten 
Verkörperung der Individualität, der innere Wesenheit des Menschen, 
ist die älteste und ehrwürdigste Erkenntniss des Men schengeschlechtes, 
jene Urweisheit oder Urreligion, die sich dem unbefangenen, nicht 
von früh eingeimpften Irrlehren und Vorurtheilen getrübten Ver- 
stände fast von selbst aufdrängt. In den Religionen aller Kultur- 
völker, mit Ausnahme der jüdisch-christlichen, bildet sie den Grund- 
pfeiler, auf dem alle übrigen Lehren ruhen. Und selbst in christ- 
lichen Landen haben ihr trotz des kirchlichen Druckes und der 
drohenden Verfolgung zu allen Zeiten heimlich viele grossen Geister 
angehangen. Sie allein vermag uns von dem Wahne zu befreien, 
dass der Mensch ein Geschöpf sei, welches die Willkür eines Gottes 
ans dem Nichts ins Dasein gerufen, und das für ein solch' zweifel- 
haftes Geschenk, wie das Leben ist, auch noch dankbar sein muss. 
Die Lehre von der Wiedergeburt allein giebt dem Menschen seine 
wahre Freiheit und Selbstbestimmung zurück, die bei einem all- 
mächtigen Gott-Schöpfer nimmermehr bestehen kann, sie allein ruht 
auf wahrer Gerechtigkeit, und nur in ihr wird das schöne Wort 
des edlen Jesus von Nazareth zur Wahrheit: „Was der Mensch 
säet, das wird er erndten". Die Lehre von der Wiedergeburt allein 
löst uns das Räthsel unseres Daseins, erklärt uns befriedigend, 
warum der Gerechte oft arm und verachtet ist, während der Uebel- 
thäter Reich th um und Ehre geniesst, und beantwortet uns die ver- 
zweifelte, aus Millionen gequälter Menschenherzen vergebens zum 
Himmel dringende Frage, warum wir so viel leiden müssen. Sie 
klärt uns darüber auf, dass unzerstörbar, wie die Materie und die 
Naturkräfte, auch unser inneres Wesen ist. Mit eigenem Willen, 
vom Drang nach Dasein bethört, haben wir uns in dieses Leben 
begeben und es unter ewig wechselnden Gestalten fortgeführt seit 
Anbeginn der Dinge bis auf den heutigen Tag. Der Tod ist keine 
Vernichtung, noch weniger eine Befreiung oder Vollendung, sondern 
nur der Ueb ergang aus einer hinfälligen Form in eine andere. 
Wer am Leben Genüge findet, der sei getrost: kein Gott und kein 



— 10 — 

26. Wurde ihm dieser Entschluss leicht? 

Nein ; denn er musste ja auf alles verzichten, was 
den Menschen sonst als das höchste Glück erscheint: auf 
den Königsthron, auf Macht, Ehre, Reichthum und alle da- 
mit verbundenen Genüsse und selbst auf das Zusammenleben 
mit seinem geliebten Weibe und seinem Sohne Rahulo, den 
ihm Prinzessin Yasodharä kurz vorher geboren hatte. 

27. Suchte ihn sein Vater und Prinzessin Yasodharä 
nicht von seinem Vorhaben abzubringen? 

Er theilte ihnen dasselbe nicht mit, sondern zog 
es vor, heimlich zu fliehen, denn er fürchtete, das Flehen 
seines betagten Vaters und die Thränen seines Weibes 
könnten ihn in seinem Entschlüsse wankend machen*). 
Eines Nachts, als Alles schlief, stand er leise auf, warf 
noch einen letzten Abschiedsblick auf sein ahnungslos 
schlummerndes Weib und auf seinen kleinen Sohn, weckte 
Tschanno, damit er ihm sein Lieblingsross Känthako sattele, 
und ritt davon. Unbemerkt kam er an den Thorwachen 
vorüber und sprengte hinaus in die Finsterniss, so schnell 
ihn sein Ross davon tragen wollte. Als er, auf dem Gipfel 
eines Hügels angekommen, noch einmal den Blick nach 
seiner Vaterstadt zurückwandte, trat Maro, der Versucher, 
zu ihm. Er zeigte ihm die rings ausgebreiteten Reiche dieser 
Erde, führte ihm alle Lockungen der Macht und des könig- 
lichen Glanzes noch einmal vor Augen und versprach ihm 



Teufel kann es ihm rauben. Des Menschen Schicksal beruht allein 
auf seinem inneren Wesen, auf seinem eigenen Willen, dem noch 
zahllose Wiedergeburten in Aussicht stehen, in denen er die Früchte 
seiner guten wie bösen Thaten erndten wird. Wer aber des stets 
erneuerten Daseins mit seinen Leiden und Freuden ernstlich über- 
drüssig ist, dem steht der Weg zur Befreiung offen. Er gehe ihn 
nur mit festem Entschluss und er wird aus eigener Kraft jenes er- 
habene Ziel erreichen, wo die ihrer Natur nach noth wendigerweise 
beschränkte, leidvolle und schuldvolle Individualität sich gänzlich 
im Nirwana auflöst. Dies ist die Seligkeit, der ewige Friede, nach 
dem alle lebenden Wesen bewusst oder unbewusst verlangen und 
welchen sie, vom Wahne getäuscht, nicht finden können. 

*) Königin Mayä lebte nicht mehr, sie starb sieben Tage nach 
des Prinzen Geburt. 



— 11 — 

die Weltherrschaft, wenn er von seinem Vorhaben abstehen 
wolle*). Der Buddha wies den Versucher mit Verachtung 
zurück. Sein Entschluss war unerschütterlich. „Von da an 
aber", heisst es in der Legende, „folgte Maro den Spuren 
des Vollendeten, in der Hoffnung, dass er doch noch eine 
Gelegenheit fände, ihn zu Falle zu bringen". 

28. Wie alt war Prinz Siddhattho, als er in die 
Wildniss ging? 

29 Jahre. 

29. Wohin wandte er sich zunächst? 

Nach dem Flusse Anomä. Dort schnitt er sich mit 
dem Schwerte sein schönes langes Haar ab, übergab dem 
treuen Tschanno seine Waffen, seine Schmucksachen und 
sein Pferd und befahl ihm, damit nach Kapilawatthu zurück- 
zukehren und den König und die Prinzessin Yasodharä 
über sein Schicksal zu beruhigen. Nachdem Tschanno ihn 
verlassen hatte, brachte er noch sieben Tage am Ufer des 
Anomä, in der Einsamkeit zu, ganz seinen Betrachtungen 
hingegeben, erfüllt von der hohen Freude, den ersten wich- 
tigsten Schritt zur Erreichung seines Zieles gethan und 
dte Fesseln des Weltiebens abgestreift zu haben. Dann 
wechselte er mit einem vorüber gehenden Bettler die 
Kleider und wanderte nach Radschagaham, der Hauptstadt 
des Königreiches Magadhä,**). 



*) Maro, der Versucher und Fürst dieser Welt, spielt in der 
buddhistischen Legende ungefähr dieselbe Rolle, wie in der christ- 
lichen Satanas, der Fürst der Finsterniss. Auch Christus wurde ja 
nach der evangelischen Legende in der Wüste vom Teufel versucht, 
wie hier der Buddha von Maro. Ueberhaupt stimmt die Lebens- 
geschichte Jesu, wie sie in den Evangelien erzählt wird, in den 
wesentlichsten Funkten so auffällig mit der hier im kurzen Auszug 
wiedergebenen Lebensgeschichte des Buddha überein, dass man un- 
willkürlich zu der Annahme gedrängt wird, die Buddhalegende habe 
den Verfassern der Evangelien als Vorbild für ihre Lebensgeschichte 
des Jesu von Nazareth gedient. 

**) Mit diesem bedeutungsvollen Schritte hört die legenden- 
hafte Vorgeschichte des Prinzen Siddhättho auf, und es beginnt die 
weltgeschichtliche Laufbahn des Asketen Gotamo, den seine Zeit- 
genossen den Erleuchteten, den Buddha genannt haben. 



— 12 — 

30. Warum ging er dorthin? 

In der Nähe von Radschagaham lebten zwei Brah- 
manen, Alaro Kalamo und Uddako, die im Rufe hoher 
Weisheit standen. Bei diesen trat er unter dem Namen 
Götamo als Schüler ein. 

31. Was lehrten diese Brahmanen? 

Der eine lehrte, dass man durch Gebete, Opfer und 
religiöse Gebräuche mannigfacher Art die Seele läutern 

Der Vollendete selbst hat sich seinen Jüngern gegenüber nur 
gelegentlich und in kurzen, schlichten Worten über die Gründe ge- 
äussert, die ihn zu dem Entschlüsse der Weltflucht gebracht haben. 
Aus diesen Stellen geht klar hervor, dass die Legende keine Er- 
dichtung, sondern nur poetische Ausgestaltung des thatsächlichen 
Herganges ist. 

So lesen wir im Madschima Nikayo: 

„Zwei Ziele giebt es, Ihr Jünger: Das heilige Ziel und das 
unheilige Ziel. Was aber ist das unheilige Ziel? Da sucht, Ihr 
Jünger, Einer, der selbst der Geburt, dem Altern, der Krankheit, 
dem Tode, dem Leiden und der Sünde unterworfen ist, was auch 
der Geburt, dem Altern, der Krankheit, dem Tode, dem Leiden und 
der Sünde unterworfen ist, nämlich: Weib und Kind, Knecht und 
Magd, Haus und Hof, Gold und Silber. Das, Ihr Jünger, ist das 
unheilige Ziel". 

Auch ich, Ihr Jünger, handelte so, als ich noch nach der 
Wahrheit forschte, als ich noch nicht ein Erleuchteter, ein Buädha 
geworden war. Da kam mir der Gedanke, statt des Vergänglichen 
und Leidvollen, das ich als Unheil erkannt hatte, die Befreiung von 
Geburt, Altern, Krankheit, Tod, Leiden und Sünde, die unvergleich- 
liche Sicherheit, das Nirwana, zu suchen. Das ist das heilige Ziel. 

Und ich zog nach einiger Zeit, jung, kräftig, dunkelhaarig, in 
der ersten Blüthe des Mannesalters, gegen den Willen meiner wei- 
nenden und klagenden Eltern, mit geschorenem Haar und Bart und 
mit dem gelben Gewand bekleidet aus dem Hause in die Heimath- 
losigkeit hinaus ". — Und an einer andern Stelle, nachdem er den 
Jüngern von dem Glanz und Ueberflusse erzählt hat, der ihn in 
seinen Palästen umgab, fährt er fort: 

„Solcher Beichthum, Ihr Jünger, umgab mich, in solcher 
Herrlichkeit lebte ich. Da erwachte in mir dieser Gedanke: Ein 
thörichter Alltagsmensch, ob er gleich selbst dem Altern, der 
Krankheit und dem Tode unterworfen ist, fühlt Widerwillen, Ab- 
scheu und Ekel, wenn er einen Greis, einen Kranken, einen Leich- 
nam erblickt. Dieser Abscheu aber kehrt sich gegen ihn selbst. 
Auch ich bin ja dem Altern, der Krankheit und dem Tode unter- 
worfen. — Als ich so dachte, Ihr Jünger, ging in mir aller Jugend- 
muth unter". 



— 13 — 

und durch göttliche Gnade zur Erlösung gelangen könne. 
Der Andere, dass mystische Versenkung und unmittelbare 
Anschauung des Ewigen der Weg zum Heile sei. 

32. Fand Götamo, dass diese Lehre die richtige 
sei? 

Nein. Er eignete sich all' das Wissen der Brah- 

manen an und machte alle ihre religiösen Uebungen eifrig 

mit, ohne seinem Ziele dadurch näher zu kommen. Bald 

erkannte er, dass das Wissen dieser Brahmanen eitel sei 

und nicht zur Erlösung vom Leiden, vom Tode und von 

der Wiedergeburt führe. 

33. Was begann er nach diesem Fehlschlag? 

Es gab noch andere Brahmanen, welche glaubten, 
dass die Askese, die völlige, gewaltsame Ertödtung aller 
sinnlichen Regungen, des Willens und der Leidenschaften, 
der wahre Weg zur Erlösung sei. Götamo beschloss jetzt, 
deren Vorschriften nachzuleben. Zu dem Zwecke zog er sich 
in einen dichten Wald bei Uruwela zurück und lag in der 
Einsamkeit desselben den härtesten Bussübungen und Selbst- 
peinigungen ob*). Bald verbreitete sich der Kuf seines 
heiligen Wandels und führte ihm fünf Genossen zu, die das 
gleiche Ziel verfolgten. In Bewunderung der Geistesstärke 
und Ausdauer, mit welcher Götamo sich seinen Kasteinngen 
hingab, harrten sie bei ihm aus in der Erwartung, dass 
er sicher eines Tages die Erlösung erringen würde. Dann 
wollten sie seine Schüler werden. 

34. Wie hiessen diese fünf Asketen ? 

Kondanyo, Bhäddiyo, Wappo, Mahanämo und 
Assadschi. 



*) Dieser Ort, wo der Buddha lange Jahre der Askese oblag 
und wo er auch die Erleuchtung erlangte, wurde später Buddha- 
Gaya, d. h. die Einsiedelei des Buddha genannt. Tempel und 
Klöster entstanden daselbst, die tausend Jahre später, als sich der 
Buddhismus über ganz Mittel- und Ostasien verbreitet hatte, von 
zahlreichen Mönchen bewohnt waren und einen Hauptwallfahrtsort 
für Pilger ans allen buddhistischen Ländern bildeten. Noch heute 
bezeichnet ein verfallener Tempel, der jetzt wieder hergestellt werden 
soll, die geweihte Stätte. 



— 14 — 

35. Wie lange weilte Gotamo im Walde bei Uru- 
wela? 

Nahezu sechs Jahre. Die Kräfte seines Körpers 
schwanden unter unausgesetzten Selbstpeinigungen, Fasten 
und Wachen dahin, aber er Hess in seinem Streben nicht nach. 
Als er eines Nachts in tiefe Betrachtungen versunken auf 
und ab schritt, brach er plötzlich vor gänzlicher Erschöpfung 
bewusstlos zusammen, sodass ihn seine Gefährten für todt 
hielten. Nach einiger Zeit jedoch kam er wieder zu sich. 

36. Setzte er seine asketischen Uebungen weiter 
fort? 

Nein. Er sah ein, dass die Askese nimmermehr 
zur Vollendung und Erlösung fuhrt. Er hatte sich beinahe 
getödtet und das Ziel, die geistige und moralische Selbst- 
vervollkommnung, doch nicht erreicht*). Er gab daher 
alle eigentlichen Kasteiungen auf und nahm wieder regel- 
mässig Nahrung zu sich. Als dies seine Genossen sahen, 
wurden sie an ihm irre; sie glaubten, er sei seinem Ent- 
schlüsse untreu geworden und verliessen ihn. 

37. Verzweifelte auch Gotamo daran, das Ziel zu 
erreichen? 

Nicht einen Augenblick. Von allen verlassen sah 
er ein, dass auf den von Andern gelehrten Wegen das Heil 
nicht zu erlangen sei, und er beschloss, fortan nur den Ein- 



*) Nicht nur der erhabene Stifter der buddhistischen Lehre, 
sondern auch viele christliche Heilige früherer Jahrhunderte mussten 
aus eigener Erfahrung zu der Erkenntniss gelangen, dass Askese 
nicht zum Heile führt. „Durch blosse Abtödtung", sagt Nagaseno, 
der grosse Buddhistenapostel, „erlangt man nicht einmal eine glück- 
liche Wiedergeburt, viel weniger Erlösung 4 *. 

Die buddhistische Lehre verwirft daher auch jede Selbst- 
peinigung und gewaltsame „Abtödtung des Fleisches" als unnütz- 
lich und verderblich und richtet ihr* Augenmerk allein auf Läu- 
terung des Herzens und Willens von allen Leidenschaften und 
bösen Trieben, sowie auf Entwickelung der Erkenntniss und der 
inneren geistigen Kräfte des Menschen. Als nothwendige Vorbe- 
dingung dazu wird das Aufgeben jedes Besitzes, der sinnlichen 
Freuden, alles weltlichen Treibens, und freiwillige Armuth und 
Keuschheit gefordert. 



— 15 — 

gebnngen seines Innern zu folgen. Die Selbstpeinigung 
hatte er aufgegeben und beschränkte sich fortan auf strenge 
Enthaltung von aller Sinnlichkeit; zugleich strebte er in 
völliger Einsamkeit nach Erschliessung seines Innern, nach 
völliger Entfaltung der höheren geistigen Kräfte. Eines 
Nachts hatte er sich unter einem Nigrödho-Baume, welcher 
nicht weit vom Ufer des Nerandscharä-Flusses stand, nieder- 
gelassen*). Unter diesem Baume war es, wo er den letzten 
schwersten Kampf siegreich bestand. 

38. Was für ein Kampf war das? 

Der Kampf gegen die irdischen Neigungen und Be- 
gierden, welche im Menschenherzen wohnen, und die sich 
nochmals, obwohl er sie schon völlig überwunden zu haben 
glaubte, in ihm erhoben; der Kampf mit dem Wahn, mit 
der Weitlust und jenem Trachten nach Dasein und Genuss, 
jenem Willen zum Leben, welcher die Wurzel und der 
Grundtrieb unseres Wesens, sowie die Quelle aller unserer 
beiden, ist. Noch einmal stellten sich ihm Ehre, Kuhm, 
Ma.cht, Keichthum, die irdische Liebe, das Glück des 
Faisiüienlebens und alle Genüsse und Freuden, welche die 
^^It dem Begünstigten darbietet, in verlockendster Gestalt 
da** • noch einmal erhob der nagende Zweifel sein Schlangen- 
fla Opt. Aber unerschütterlich entschlossen, lieber zu sterben, 
a * s auf die Erreichung seines Zieles zu verzichten, rang 
"^fcamo mit den furchtbaren Gewalten und gewann den 
°^<g**). Und nun, da die letzten Anwandlungen mensch- 



*) Dieser Baum wird von den Buddhisten Bodhi- odevlfio- 
Ba '5^ : * n > d. h. Baum der Erkenntniss, von den Naturforschern Ficus 
™**€£]08a genannt Ein Schössling desselben grünt noch jetzt an 
aetr Tempelruine von Buddha-Gayä. Ein anderer Schössling wurde 
V01: * der Prinzessin Sanghamitta, der Tochter des König Asöko, 
^"^i* Ceylon gebracht und bei der alten Hauptstadt dieser Insel, 
Al *"**.*adhapüram, eingepflanzt. Er steht noch in vollem Wachsthum 
nn *l ist der älteste historische Baum der Erde. 

**) Die heiligen Bücher stellen diesen innern Kampf des ein- 
SN*x^n Asketen in einer farbenprächtigen grossartigen Allegorie als 
der* Kampf Gotamo's mit Maro dar. Maro erkennt, dass der ent- 
scheidende Augenblick gekommen ist. Er tritt zu dem unter dem 
Boclhibaume in tiefer Betrachtung sitzenden Götamo hin und 



— 16 — 

licher Schwäche überwunden, und der tiefe Friede des Nir- 
wana in sein Herz eingezogen war, erhob sich sein Geist 
durch alle Stufen inneren Schauens bis zu jener erhabenen 
Höhe, wo dem Strebenden volle Erleuchtung zu Theil wird. 
Er hatte das Ziel erreicht: der Schleier war von seinen 
Augen gefallen, die höchste universelle Erkenntniss gewon- 
nen. Er war ein Vollendeter, ein Buddha geworden*). 

39. Hatte er nun die Ursachen des menschlichen 
Elends, der Geburt, des Leidens, des Alters, 
des Todes und der Wiedergeburt erkannt? 

Ja. Ihm • that sich, wie es in den heiligen Büchern 
heisst, das reine ungetrübte Auge der Wahrheit auf, und 
er erkannte die Ursache des Entstehens und Vergehens 



bietet ihm nochmals die Weltherrschaft an. Gdtamo weist ihn mit 
Verachtung zurück, er ist den Lockungen des Ehrgeizes nicht mehr 
zugänglich. Jetzt ergrimmt Maro, und ruft seine Heerschaaren, die 
vernichtenden Naturgewalten, zum Angriff gegen den Verwegenen 
auf, der im Begriff ist, ihm die Herrschaft über die Menschenherzen 
zu entwinden. Alle Elemente gerathen in Aufruhr. Der Donner 
kracht, Blitze zucken herab, ein Erdbeben erschüttert den Konti- 
nent, Regen fluthen strömen hernieder und drohen Alles zu er- 
säufen, ein Orkan entwurzelt rings umher die stärksten Bäume, und 
von den Bergen herabrollende Felsstücke drohen den Weisen zu 
zerschmettern, der gelassen inmitten dieser Schrecknisse und unbe- 
kümmert um die Gefahr seinen Gedankengang verfolgt. Auch 
Furcht vermag ihn nicht mehr zu erschüttern. Da greift Maro zu 
seiner letzten und gefahrlichsten Waffe. Er sendet seine zauber- 
schönen Töchter Radscha, Arati und Tanhä (Wollust, Hass und 
Lebenstrieb). Diese bieten, während sich die Umgebung in einen 
Feenhain verwandelt, alle ihre Künste auf, den weltflüchtigen As- 
ketffi zu umgarnen und in ihre Netze zu verstricken. Doch Gd- 
tamo durchschaut ihre wahre Natur, er wendet sich mit Ekel von 
den lockenden Gestalten ab. Damit ist der Kampf entschieden. 
Maro flieht voller Verzweiflung; er fühlt seinen Thron wanken. 
Der Weltüberwinder hat ihm die Herrschaft über die Menschen- 
herzen entrissen. 

*) Unter Erleuchtung im buddhistischen Sinne ist kein wunder- 
barer oder mystischer, durch Einfluss ausser weltlicher, göttlicher 
Mächte herbeigeführter Vorgang zu verstehen, sondern jene un- 
mittelbare Erfassung der Wahrheit, jener intuitive Tiefblick in die 
Natur der Dinge, der sich von der Intuition des künstlerischen 
Genius nur dem Grade, nicht dem Wesen nach unterscheidet, nur 
eine höhere Stufe derselben darstellt. 



— 17 — 

der Wesen, die Ursache des Leidens, des Todes und der 
Wiedergebart, aber auch das Mittel, allem Leiden ein 
Ende zu machen, dem unablässigen Kreislauf von Geburt 
und Tod zu entgehen und die Erlösung, das Nirwana, zu 
erreichen. 

40. Wie lange weilte er unter dem Bodhi-Baum? 

Sieben Tage weilte er am Fusse des Baumes in 
tiefer Versenkung. Dann erhob er sich und ging zu dem 
Adschapälo- Feigenbäume (Baum der .Ziegenhirten). Dort 
kam ihm dieser Gedanke: „Erkannt habe ich die be- 
seligende, aber schwer zu erringende Wahrheit, die allein 
dem vollendeten Weisen zu Theil wird. Soll ich sie ver- 
künden? In irdischen Trieben bewegt sich die Menschheit, 
auf Erden hat sie ihre Stätte und findet sie ihre Lust. Die 
ewige Weltordnung, das Gesetz der Verkettung von Ur- 
sache und Wirkung wird sie nicht fassen, die Lehre von 
dem Aufgeben des Willens zum Leben, von der Ueber- 
windung des Verlangens und der Begierden und vom Wege 
zur Erlösung wird sie nicht hören wollen. Wenn ich die 
Lehre verkünde, wird es mir nur Pein, nur Verachtung, nur 
Enttäuschung bringen*). 

4L Gab der Buddha diesem Bedenken Gehör? 

Nein. Er wies es als eine seiner unwürdige 
Schwäche zurück. Das Mitleid mit den irrenden und lei- 
denden Menschen bestimmte ihn, noch die Last einer langen 
Erdenlaufbahn und die schwere Aufgabe eines Verkündigers 
der Wahrheit auf sich zu nehmen. 

42. Was geschah nun? 

Der Buddha verweilte noch drei Wochen unter dem 
Baume der Ziegenhirten, die Seligkeit der errungenen Er- 



*) Diese natürliche Regung im Gemüthe des Buddha wird 
von der Legende wieder als eine Versuchung Maro's dargestellt. 
Der Volksgeist hat eben überall und jederzeit das Bestreben, sich 
solche inneren Vorgänge und Kämpfe unter dem Bilde einer 
äusseren, dramatischen Begebenheit zu veranschaulichen. Die bud- 
dhistische Legende ist aber stets sehr durchsichtig. 

1 



lösnng geniessend und seine Lehre im Geiste in allen ihren 
Theilen ausgestaltend. Während dieser 28 Tage seit E r ' 
langung der Buddhaschaft blieb er ganz allein und nah** 1 
weder Speise noch Trank zu sich. Dann aber erhob e * 
sich und sprach.' „Geöffnet sei Allen die Pforte des Heft 6 ' 
wer Ohren hat, höre die Lehre und lebe ihr nach ! 

48. Wem verkündete er die Lehre zuerst? 

Den fünf Asketen, welche so lange bei ihm gewei" 
und ihn verlassen hatten, als er die Selbstpeinigunge*** 
aufgab. 

44. Wo fand er sie wieder? 

In einem Haine bei der Stadt Benares, im Wild— ~ 
parke Isipätanam, in der Migadäyo-Einsiedelei. 

45. Hörten die fünf Asketen ihn bereitwillig an? 

Sie hatten die Absicht, dies nicht zu thun, da sie 
ihn als einen Abtrünnigen betrachteten, aber die Hoheit 
seiner Erscheinung, der erhabene Ausdruck seines Ant- 
litzes machten einen so gewaltigen Eindruck auf sie, dass sie 
sich wider Willen vor ihm beugten und voller Ehrfurcht 
seinen Worten lauschten. 

46. Wie nennt man diese erste Predigt des Buddha? 

Die „Verkündigung der sittlichen Weltordnung", 
oder die „Gründung des Reiches der ewigen Gerechtigkeit". 
Diese Predigt enthält die Grundzüge der ganzen Lehre: 
die vier Heilswahrheiten*). 

47. Welche Wirkung hatte diese Fredigt auf die 
fünf Asketen? 

Sie erkannten den Buddha als den Welterleuchter 
an und begehrten, seine Jünger zu werden. Und der Er- 
habene nahm sie als die ersten in die Brüderschaft der Er- 
lesenen (Sangho) auf mit den Worten: „Seid mir gegrüsst, 
Ihr Brüder. Wohl verkündet ist die Lehre. Wandelt hin- 
fort in Heiligkeit, allem Leiden ein Ende zu machen". 

*) Die vier Heilswahrheiten siehe unter „Lehre". 



— 19 — 

48. Wer war der erste von den fünf Jüngern , der 
zur vollen Erkenntniss gelangte? 

Der bejahrte Kondänyo. Ihm ging das reine, un- 
getrübte Ange der Wahrheit auf, und er erreichte die Stufe 
eines Arahä*). Bald folgten auch die vier Andern. 

49. Gewann der Buddha in Benares noch andere 
Jünger? 

Noch viele. Der nächste, welcher bekehrt wurde, 
war Yaso, ein Jüngling aus edlem Geschlechte. Aber 
nicht nur Brahmanen, Edle und Vornehme lauschten den 
Worten des Erhabenen, sondern auch das Volk, denn er 
machte keinen Unterschied der Kaste, des Ranges oder 
Standes, wie es die brahmanischen Priester thaten, sondern 
predigte Allen, die willig waren, ihn zu hören. Nach fünf 
Monaten betrug die Zahl der Jünger bereits sechzig, ohne 
die weltlichen Anhänger. Es fand darauf die Aussendung 
der Brüder statt. 

50. Was versteht man unter der Aussendung der 
Brüder? 

Der Buddha versammelte die Brüder um sich, und 
befahl ihnen, einzeln hinaus zu wandern in die Welt und 
dl© erlösende Lehre überall zu verbreiten**). 

61. Mit welchen Worten geschah dies? 

Der Buddha sprach zu den Brüdern: „Ihr seid von 
allen Banden frei, von göttlichen und menschlichen. So 
ziehet denn aus, Ihr Brüder, wandert umher und predigt 
die Lehre zum Heile und zur Errettung für alle lebenden 
^esen, aus Mitleid für die Welt, zur Freude, zum Segen, 

*) Ein Arahä ist derjenige, welcher die vierte und höchste 
Stnf^ der Heiligkeit und damit das Nirwana erreicht hat. 

**) Nur dadurch, dass der Buddha selbst die Jünger in der 

Ltslire unterwies, und dass diese Jünger Brahmanen waren, also 

dünner, welche schon ihr ganzes Leben in Selbstverläugnung, 

^^ehdenken und heiligem Streben nach der Erlösung hingebracht 

hatten, war es möglich, dass dieselben bereits nach fünf Monaten 

die Lehre so vollständig inne hatten, um selbst als Wander- 

prediger auftreten zu können. 

2* 



zum Heile für Götter*) und Menschen. Es giebt Viele, 
die lauteren Herzens und guten Willens sind, aber wenn 
sie die erlösende Lehre nicht hören, gehen sie zu Grunde. 
Diese werden Eure Anhänger und der Wahrheit Be- 
kenner sein". 

52. Blieb der Buddha allein in Benares? 

Nein; er wandte sich zurück nach Uruwela. Dort 
lebten in Waldhütten zahlreiche Brahmanen, welche die 
heiligen Feuer unterhielten und die im Weda vorgeschrie- 
benen Opferbräuche verrichteten. Denen predigte er von 
dem Feuer der Sinnenlust, der Leidenschaften nnd der 
Begier und gewann viele von ihnen zu Jüngern nnd An- 
hängern. 

Dann wanderte er weiter nach Radschagäham, wo er den 
König Bimbisaro und eine grosse Anzahl von Edellenten 
bekehrte. So breitete sich die heilbringende Lehre immer 
weiter aus. 

53. Kehrte er nie wieder nach seiner Heimath, nach 
Kapilawatthu zurück? 

Von Radschagäham wanderte er nach Kapilawatthu, 
und der Ruf seines Wirkens ging vor ihm her. Aber er kehrte 
nicht im Königspalaste ein, sondern weilte mit den Brüdern, 
die bei ihm waren, in einem Haine vor der Stadt, wie es 
die Ordnung der Brüderschaft vorschreibt. Da kam König 
Suddhödano und alle seine männlichen Verwandten hinaus, 
ihn zu begrüssen. Als sie ihn aber erblickten im schlechten 



*) Götter leugnet der Buddhismus weder, noch erkennt er sie 
besonders an : er bedarf ihrer einfach nicht, weder zur Stütze seiner 
Moral noch zur Erlangung der Erlösung. Wer an Götter glauben 
will, mag es thun, nur darf er nicht vergessen, dass die Götter, wie 
alle lebenden Wesen, vergänglich und der Wiedergeburt unterworfen 
sind, mag ihr Leben auch nach Millionen Erdenjahren zählen, und 
dass der zur Erlösung gelangte Heilige, vor Allem aber der Buddha, 
weit über alle Götter erhaben ist. — Bei obiger Anführung sind 
unter „Göttern" die Brahmanengötter gemeint, die allerdings, wie 
alle übrigen Götter, die in den fünf Erdtheilen angebetet werden, 
der Erlösung durch die fortschreitende Vernunft des Menschenge- 
schlechtes dringend bedürfen. 



— 21 — 

Gewände eines Bhikschu (Bettelmönchs), mit kurzgescho- 
renem Barte und Haupthaar, schämten sie sich seiner. 

Am andern Morgen nahm der Buddha seine Almosen- 
schale*), und ging, dem Brauche der Brüderschaft gemäss, 
in die Stadt, um an den Hausthüren seine Nahrung einzu- 
sammeln. Als der König, sein Vater, davon hörte, kam er 
herbeigeeilt und sprach mit Worten des Vorwurfs zu ihm : 
„Mein Sohn, warum thust du mir eine solche Schmach an, 
gleich einem Bettler nach Gaben zu heischen?" 

Der Buddha antwortete: „Grosser König, dies war 
von jeher der Brauch Aller aus meinem Geschlechte". 

König Suddhödano aber verstand ihn nicht und rief: 
„Wir stammen aus einem Geschlechte von Königen und 
Kriegern, und Keiner von diesen hat sich je so weit er- 
niedrigt, sein Brod vor den Thüren zu erbetteln !" 

Da lächelte der Erhabene und sprach : „Du und die 
Deinen, Ihr rühmt Euch mit Recht, aus einem Geschlechte 
von Königen abzustammen. Meine Ahnen aber sind die 
Buddhas vergangener Jahrtausende und diese hielten es, 
wie ich"**). 

Da schwieg König Suddhödano, fasste ihn bei der Hand 
lind führte ihn nach dem Palaste. 



*) Die Almosenschale der buddhistischen Bettel mönche ist 
«ine irdene oder metallene Schüssel mit geradem Stiel, welche 
jedes Mitglied der Brüderschaft stets bei sich trägt und worin die 
tägliche Nahrung von ihnen eingesammelt wird. Auch der Buddha 
wich von dieser Regel nur dann ab, wenn er von einem welt- 
lichen Anhänger (Upäsako) in dessen Haus eingeladen war, um 
dort zu speisen. 

**) In den fernen Zeitaltern der Vergangenheit, in deren 
Dunkel keine Geschichtsforschung mehr zu dringen vermag, traten 
ebenfalls welterleuchtende Buddhas auf, welche die erlösende Lehre 
verkündeten, denn das Heil ist, wie Irrthum, Schuld und 
Leiden, immer da. Nie fehlt es dem Menschen, der ernstlich 
nach Erkenntnis und Erlösung strebt, an den Mitteln dazu. Jedes- 
mal, wenn die reine Lehre völlig in Verfall zu gerathen, und die 
Menschheit in sinnlichen Begierden und geistiger Finsterniss zu 
versinken droht, wird auch ein neuer Buddha geboren. Der letzte 
dieser Buddhas, die Leuchte unseres Zeitalters, war eben der 
Buddha Götamo, dessen Lehre wir folgen. 



22 



54. Begehrte der Buddha nicht sein Weib und sei- 
nen Sohn Bahulo wiederzusehen? 

. Noch am selbigen Tage begab er sich zu der Prin- 
zessin Yasödhara, begleitet von zweien seiner Jünger*). 
Und als Yasödhara ihn vor sich stehen sah im Gewände 
des Bettelmönches, vermochte sie kein Wort hervorzu- 
bringen, sondern sank vor ihm nieder, umfasste seine Knie 
und weinte bitterlich. 

Da hob sie der Buddha auf, tröstete sie und unterwies 
sie mit liebevollen Worten in der Lehre. Und seine Worte 
fanden eine gute Stätte in ihrem Herzen. 

Und als der Buddha gegangen war, kleidete Yasödhara 
ihren Sohn Rähulo in seine besten Gewänder, und sandte 
ihn zu dem Erhabenen**), damit der Prinz seinen Vater um 
sein Erbe bitte. Der Knabe trat vor den Buddha hin und 
sprach: „Mein Yater, ich werde einst König sein und den 
Thron der Säkya einnehmen. Drum gieb mir mein Erbe". 

Da fasste ihn der Erleuchtete bei der Hand, führte 
ihn hinaus vor die Stadt nach dem Nigrödho - Haine, wo er 
mit den Jüngern seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, und 
dort sprach er zu Rähulo: „Mein Sohn, du begehrst von 
mir ein Erbe , das der Vergänglichkeit unterworfen ist nnd 
Leiden im Gefolge hat. Ein solches habe ich nicht mehr 
zu vergeben. Aber die Schätze, welche ich unter dem 



*) Kein Mitglied der Brüderschaft darf allein in die Behau- 
sung eines Weibes gehen, ausser in Nothfällen. 

**) Der „Erhabene" ist eine oft angewandte Bezeichnung des 
Buddha. Es kommen deren in den heiligen Büchern des Buddhis- 
mus noch eine ganze Anzahl ähnlicher vor, die alle eine Eigen- 
schaft des Buddha ausdrücken. So heisst er: Sakyamuni, der 
Weise aus dem Stamme der Sakyas; der „Heilige*, weil er frei 
von allem Willen zum Leben , allen Leidenschaften und Begierden 
ist; der „Vollendete", weil er nach langem Kampfe mit dem 
Irrthum und den irdischen Trieben die Vollendung erreicht hat; der 
„Erleuchtete**, weil ihm unter dem Baume der Erkenntniss 
die höchste Erleuchtung zu Theil ward; der „Weltüberwinder", 
weil er Maro, den Fürsten dieser Welt, der sinnlichen Liebe, des 
Todes und der Finsterniss, den Versucher der Wesen, überwunden 
hat; und endlich der „Welterleuchte r", weil er nicht nur sich 
selbst erlöst, sondern die heilbringende Lehre gepredigt und das 
Licht der Wahrheit über die ganze Welt hat leuchten lassen. 




— 23 — 

Baume der Erkenntniss gewonnen habe, seien Dein. Dies 
ist das geistige Erbe, das ich dir vermache ; dies kann dir 
Niemand entreissen". 

Und daranf befahl er dem Sariputto, Rahulo in die 
Brüderschaft der Erlesenen aufzunehmen. 

Ausser Rahulo aber erlangten noch viele von des 
Buddha Verwandten Aufnahme in die Brüderschaft, unter 
diesen Anando, Dewadätta, (Jpäli und Anurüdho. 

66. Welches waren — ausser den zuletztgenannten — 
die hervorragendsten Jünger des Erleuchteten? 

Sariputto, Moggallano und Kässapo. 

66. Wie lange weilte der Buddha in Kapilawatthu? 

Er verbrachte dort die vier Monate der Regenzeit 
des zweiten Jahres seiner Lebrthätigkeit. Dann schied er, 
um an andern Orten sein Werk fortzusetzen. 

67. Wie lange predigte der Buddha die Lehre? 

Bis zu seinem Tode, im Ganzen 45 Jahre. Wäh- 
rend dieser Zeit zog er acht Monate des Jahres von Dorf 
zu Dorf, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land, stets 
begleitet von einer Scbaar von Jüngern und überall das 
Volk durch Predigt, Ermahnung und Gleichniss unter- 
weisend. Die vier Monate der Regenzeit aber brachte er 
stets an einem und demselben Orte zu, entweder im Hause 
eines Anhängers, oder in den Gärten und Hainen, welche 
von reichen Anhängern der Brüderschaft zum Geschenk ge- 
macht worden waren*). 

*) Die Regenzeit ist in Indien die Zeit des erwachenden Thier- 
und Pflanzenlebens. Der Nordländer kann sich schwerlich einen 
Begriff davon machen, in welcher ungeheuren Fülle sich nach den 
ersten Regentagen schon die Thier- und Pflanzenkeime entwickeln, 
welche während der ertödtenden Trockenheit der heissen Zeit in 
einer Art Todesschlaf, dem Winterschlaf der nördlichen Länder 
vergleichbar, gelegen haben. Es ist dann thatsächlich unmöglich, 
auf Wald- und Feldwegen nur einen Schritt zu thun, ohne pflanz- 
liches und thierisches Leben zu vernichten. Daher wanderte der 
Buddha während der Regenzeit nicht und verbot auch seinen 
Jüngern, dies zu thun, ausser in Fällen dringender Noth. 



— 24 — 

68. Wo weilte der Buddha am häufigsten und am 
liebsten? 

Im Bambuswalde (Weluwänam) bei Radschagdham, 
einem ehemaligen Parke des Königs Bimbisäro, welchen die- 
ser der Brüderschaft geschenkt hatte, und im Dschetahaine 
(Dschetawänam) bei Savatthi, einer Gabe des reichen Kauf- 
mannes Anathapindiko. In beiden waren Klöster (Wihäros) 
für die Bhikschu erbaut worden. Diese Statten sind be- 
rühmt geworden in der Geschichte des Buddhismus, denn 
hier war es, wo der Erhabene die meisten der in den heiligen 
Büchern aufgezeichneten Wahrheiten verkündete. 

59. Wurde während dieser 45 Jahre die Iiehre des 
Buddhismus fest begründet? 

Ja. Der Ruhm des Buddha und die heilbringende 
Wahrheit breiteten sich mächtig aus, Tausende von Per- 
sonen aus allen Ständen, Männer und Frauen, nahmen die 
höheren Gelübde auf sich und traten der Brüderschaft bei 
als Bettelmönche (Bhikschu, Samdnen) oder Nonnen (Bhik- 
schuni) und Unzählige erklärten sich für weltliche Anhänger 
des Erleuchteten.*) 



*) Der Buddhismus zählt noch jetzt, obgleich seit 1500 Jahren 
ein Stillstand in der Ausbreitung der Lehre eingetreten ist, mehr 
Anhänger, als das Christenthum aller Konfessionen zusammenge- 
nommen, nämlich 450 Millionen, also ein volles Drittel des ge- 
sammten Menschengeschlechtes. Ein Jahrhundert vor Christi Ge- 
burt waren die Jünger des Weiterleuchters bereits nach Westen und 
Osten weit über die Grenzen Indiens vorgedrungen, und in der 
Stadt Alexandria in Baktrien lebten viele Brüder und weltliche An- 
hänger. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Jesus von Nazareth, 
dessen Lehren mit denen des Buddhismus ja so viel innerliche 
Uebereinstimmung haben, von seinem zwölften bis zu seinem 
dreissigsten Jahre, während welcher Zeit die Evangelien nichts von 
ihm zu berichten wissen, ein Schüler der Buddhistenmönche war 
und unter ihrer Leitung die Arahäschaft erreichte. Dann £ehrte 
er in sein Heimathland zurück, um seinem Volke die erlösende 
Lehre zu verkünden. 

Diese Lehre Jesu ist später verstümmelt und mit Irrthümern 
aus dem Gesetzbuche der Juden vermischt worden. Die Grund- 
lehren des Christenthums aber, wie das ganze Auftreten des Stifters 
sind offenbar buddhistischen Ursprungs, und der liebevolle Na- 
zarener, dem auch jeder Buddhist seine Verehrung zollen wird, 



— 25 — 

60. Hatte der Buddha während seiner Lehrthätig- 
keit keine Verfolgungen und Anfeindungen von 
Seiten der herrschenden brahmanischen Beli- 
gion zu erdulden? 

Nein; denn wie dem Buddhismus, so ist auch dem 
echten Brahmanismus alle Unduldsamkeit gegen Anders- 
gläubige, aller religiöse Fanatismus fremd. Aber einer 
seiner eigenen Jünger erhob sich gegen fhn. 

61. Welcher von den Jüngern war das? 

Dewadätto. Dieser wurde vom Ehrgeiz verblendet, 
er wollte an Stelle des bejahrten Meisters die Leitung 
der Brüderschaft an sich reissen, und als ihm dies nicht 
gelang, trachtete er dem Buddha sogar nach dem Leben. 
Alle Anschläge aber, die er gegen den Erhabenen unter- 
nahm, scheiterten. 

62. Wissen wir etwas über des Buddha letzte Le- 
benstage und seinen Tod? 

Ja. Das Maha-Parinibbäna-Suttam, oder das Buch 
von dem Eingehen des Erleuchteten zum ewigen Frieden 
(Parinirwäna) berichtet ausführlich darüber. 

68. Was berichtet uns dieses Buch? 

Als der Weiterleuchter im achtzigsten Lebensjahre 
8tand, fühlte er seine Kräfte schwinden. Und er sprach zu 
Anando, der stets um ihn war*): „Anando, ich bin hoch 



war ein Arahä, der das Nirwana erreicht hatte. Jetzt aber ist 
in Europa die Zeit wieder reif geworden , wo die westlichen Ab- 
kömmlinge der Arier die reine unverfälschte Lehre des Buddha 
hören und erkennen können. Diese wird in Europa die Religion 
der Zukunft sein, denn sie allein ist nicht eine Glaubenssache, wie 
alle andern r geoffenbarten " Religionen, sondern Erkenntniss- und 
Ueberzeugungslehre, die Religion des freien, edlen, sich selbst ver- 
trauenden Menschenthums , das keine göttliche Gnade begehrt und 
keinen göttlichen Zorn fürchtet, und den Richter seiner Thaten 
allein im eigenen Herzen, in der eigenen besseren Erkenntniss sieht. 
*) Anando war der persönliche Begleiter des Buddha ge- 
wesen von dem Augenblicke an, da er in die Brüderschaft ein- 
getreten war. Er war derjenige unter den Jüngern, den der Meister 
wegen seines kindlichen Gemüthes, seines weichen liebevollen Herzens 
und seiner Anhänglichkeit vor Allen lieb hatte. 



— 26 — 

bei Jahren, bin ein Greis, das Maass meiner Tage ist voll, 
und meine Erdenreise nähert sich ihrem Ende". Da ward 
Anando von grosser Trauer ergriffen und bat den Meister, 
noch länger auf Erden iu verweilen. Der Bnddha aber 
verwies ihm solche Reden und sprach: „Habe ich dich 
nicht oft gelehrt, Anando, dass es in der innersten Natur 
aller Dinge, wie lieb und theuer auch immer sie uns seien, 
begründet liegt, dass wir uns von ihnen trennen, sie ver- 
lassen, von ihnen scheiden müssen ? Alles was geboren, ge- 
worden oder entstanden ist, trägt in sich selbst die Not- 
wendigkeit des Vergehens; wie also könnte es möglich 
sein, dass ein menschliches Wesen, wäre es selbst ein 
Buddha, nicht verginge? Keinen Zustand ewiger Dauer 
kann es geben. — Heute über drei Monate wird der Vollen- 
dete zum ewigen Frieden eingehen. 

Darum, Ihr Bruder, denen ich die von mir erkannte 
Wahrheit verkündigt habe, macht sie Euch völlig zu eigen, 
lebt im Geiste derselben täglich und stündlich, versenkt 
Euch darein und verbreitet sie an meiner Statt, auf dass 
die reine Lehre lange bestehe und erhalten bleibe. Wer 
treu auf dem Pfade der Heiligkeit verharrt, der wird sicher 
dieses Meer des Lebens kreuzen und an jenes erhabene 
Ziel gelangen, wo alles Leiden endet". 

Und obgleich der Erleuchtete hinfallig war und von 
Schmerzen geplagt, wanderte er doch noch von Ort zu Ort, 
überall die Brüder und weltlichen Anhänger um sich ver- 
sammelnd und zu unerschütterlichem Ausharren auf dem 
Pfade des Heiles ermahnend. 

In Pavä rastete er im Mangohaine Tschundo's, eines 
Mannes aus der Kaste der Schmiede. Und als Tschundo 
dies hörte, eilte er voller Freude herbei und lud den Voll- 
endeten in sein Haus ein. 

Nachdem der Buddha mit den Brüdern das Mahl bei 
Tschundo eingenommen und den Schmied durch seine Worte 
erfreut und erbaut hatte, wanderte er weiter nach Kusinard. 
Unterwegs überfiel ihn eine schwere Krankheit und heftige 
Schmerzen peinigten ihn, doch der Erhabene, starken 
Geistes und voller Selbstbeherrschung, ertrug sie ohne 
Klage. Bald aber wurde seine Schwäche so gross, dass 



— 27 — 

er sich am Wege unter einem Baume niederlassen musste. 
Und er sprach zu Anando: „Hole mir etwas Wasser, Anando, 
mich dürstet". 

Anando that nach des Erhabenen Wunsch, und der 
Buddha trank und erquickte sich. 

Nun begab es sich, dass der junge Pükkuso, ein Kauf- 
mann vom Stamme der Mallas, mit einer Wagenkarawane 
die Strasse daherkam. Und als er den Vollendeten unter 
dem Baume sitzen sah, näherte er sich ihm voller Ehr- 
furcht, grüsste ihn und neigte sich vor ihm. Darauf befahl 
er einem seiner Diener, ein paar kostbare Gewänder von 
geglättetem Goldstoff herbeizubringen und sprach: „Meister, 
erweise mir die Gunst, diese Gewänder aus meinen Händen 
anzunehmen". 

Der Buddha antwortete: „So gieb mir eines der Ge- 
wänder, Pükkuso, und Anando das andere". 

Da legte Anando dem Buddha das eine der goldenen 
Gewänder an, und als dies geschehen war, schien es seinen 
Glanz völlig verloren zu haben. Voller Erstaunen rief 
Anando: „Herr, so strahlend ist dein Angesicht und so 
klar, dass dieses Gewand aus geglättetem Goldstoff ganz 
»einen Glanz verloren zu haben scheint". 

Und der Erleuchtete antwortete: „Es ist so, wie du 
sagst, Anando. Zweimal während seiner Erdenlaufbabn 
erscheint das Antlitz des Vollendeten so hell und klar: in 
jener Nacht, in welcher er die höchste Erkenntniss erlangt 
und in der Nacht, in welcher er zum ewigen Frieden ein- 
geht*). Und heute noch, Anando, in der dritten Nacht- 
wache, wird das Parinirwäna des Vollendeten sein". 

Darauf erhob sich der Erleuchtete neu gekräftigt und 
wanderte mit den Jüngern, die bei ihm waren, nach dem 
Salhaine der Mallas bei Kusinarä, am Ufer des Hiran- 
yavdti. Und er sprach zu Anando : 



*) Aus diesem Erlebnis« hat die Legende eine „Verklärung" 
gemacht, während der einfache Sinn dieser Erzählung doch auf der 
Hand liegt. Vor dem geistigen Lichte, das aus dem Antlitz eines 
Buddha strahlt, erbleicht natürlich aller Goldesglanz dieser Erde. 
Die grosse Menge aber hascht stets nach dem Wunderbaren. 



— 28 — 

„Ich bitte dich, Anando, breite mir ein Gewand übei 
den Ruhesitz zwischen den beiden Salbäumen. Dort will 
ich mich niederlegen". 

„Wie du es wünschest, Meister", versetzte Anando, 
und er bereitete dem Vollendeten ein Lager auf dem Ruhe- 
sitze zwischen den Zwillings- Salbäumen, mit dem Haupte 
nach Norden. Und der Buddha legt sich darauf nieder. 

Und siehe da! Die beiden Salbäume waren über und 
über voller Blüthen, obwohl es nicht die Jahreszeit dazu 
war; gleich einem Regen schütteten sie ihre Blüthen über 
den Erleuchteten aus, und himmlische Weisen ertönten in 
den Lüften. 

Da sprach der Buddha: 

„Seht, welch 9 ein Schauspiel! Himmel und Erd< 
streben, den Vollendeten zu ehren. Doch dies ist nicht di 
rechte Verehrung , der rechte Preis , die rechte Verhef 
lichung, die dem Vollendeten gebührt. Diejenigen mein« 
Jünger und Anhänger, die immerdar im Geist und in d< 
Wahrheit leben und getreulich die Vorschriften recb 
schaffenen Wandels befolgen, diese allein geben dem Vol 
endeten die rechte Ehre, den rechten Preis, die rech< 
Verherrlichung" *). 

Und der Erhabene wandte sich abermals zu den Jünger 
und sprach : „Vielleicht werden nach meinem Dahinscheide 
einige von Euch denken: Der Mund des Meisters ist ve 
stummt, wir haben keinen Führer mehr! Aber so dürft II 
nicht denken, Ihr Brüder. Die Lehre, die ich Euch ve: 
kündet, und die Vorschriften fleckenlosen Wandels, welct 
ich für Euch festgesetzt habe, diese sollen, wenn ich nie] 
mehr unter Euch weile, Eure Führer und Meister sein". 



*) Das Wunderbare des Vorganges ist offenbar nebensächlic 
ist nur die sinnbildliche Form, um den Anhängern auf das ei 
dringlichste zum Bewnsstsein zu bringen, dass der Buddha seit 
göttliche Ehren, die seiner Person dargebracht werden, gerii 
schätzt, dass man ihn nicht dnreh Lob, Preis und Dank, dun 
eitles Wort- und Schaugepränge ehrt, sondern allein durch treue B 
folgung seiner Lehren. Freilich zieht, wie überall und immerdf 
auch in buddhistischen Landen der grosse Haufe das erstere v< 
da den Meister preisen leicht, ihm nachahmen aber schwer ist. 



— 29 — 

nach einer Weile erhob der Buddha nochmals 
lme und sprach: 

Brüder, seid stets eingedenk meiner Ermahnung : 
itandene ist vergänglich ; strebt nach der Erlösung 
irlass !" 

waren die letzten Worte des Erleuchteten. Dann 
jin Geist hinab in die Tiefen innerer Versenkung, 
r jene Stufe erreicht hatte, wo alles Vorstellen 
ten, und das Bewusstsein des Ich völlig erloschen 
er in das höchste Nirwana ein. 

dem östlichen Thore von Kusinarä verbrannten 
i der Mallas den Leib des Welterleuchters mit den 
ie man sie einem Könige erweist. 



Pd 



* 



Die Lehre (Dhammo). 



64. Was ist die Lehre? 

Die Lehre ist die von dem Buddha geschaute und 
verkündete, durch die Ueberlieferung der Arahats uns er- 
haltene und in den heiligen Schriften aufgezeichnete Wahr- 
heit und Weltordnung. 

65. Wie nennt man die heiligen Schriften der Bud- 
dhisten? 

Die drei Pitakas oder Büchersammlungen: Sutta- 
Pitakam, Vinaya-Pitakam und Abidhamma-Pitakam. 

66. Was ist der Inhalt der drei Pitakas? 

Das Sutta-Pitakam enthält die Lehrreden, Pre- 
digten und Ausspräche des Buddha, welche sowohl für die 
Bhikschu als für die weltlichen Anhänger (Up&sakos) bestimmt 
sind, sowie eine Anzahl von Gleichnissen und Sprüchen zur 
näheren Erläuterung der Lehre. 

Das Vinaya-Pitakam enthält die Satzungen und 
Verhaltungsvorschriften für die Brüderschaft der Erlesenen, 
die Bhikschu und Samanen. 

Das Abidhamma-Pitakam enthält religiös-philo- 
sophische, psychologische und metaphysische Abhandlungen 
aus jüngerer Zeit. Es ist eine zum Theil scholastische 
Ueberarbeitung älterer Texte und nur dem Gelehrten recht 
verständlich. 



67. Enthalten diese drei Büchersammlungen gött- 
liche Offenbarungen? 

Nein, es giebt keine göttlichen Offenbarungen. Dass 
die Wahrheit dem Begünstigten oder Begnadigten durch 
einen Gott oder Engel eingegeben oder geoffenbart wird, 
ist eine Annahme , die der Buddhismus ganz und gar ver- 
wirft. Nie Aaben die Menschen andere Offenbarungen 
empfangen, als aus dem Munde jener erhabenen Lehrer des 
Menschengeschlechtes , die sich aus eigener Kraft zur 
höchsten geistigen und moralischen Vollendung emporge- 
rungen haben, und die man daher welterleuchtende Buddbas 
nennt. Der letzte dieser Weiterleuchter ist der Buddha Oö- 
tamo; was dieser geschaut und verkündet bat, enthalten die 
drei Pitakas. 

68. Weshalb bedürfen wir solcher welterleuchtender 
Buddhas ? 

Wegen unserer Leiden und unserer Unwissenheit*). 
Denn das Leiden und die Nichtigkeit des Lebens erweckt 

*) Weil wir die wahre Natur der Welt und des Menschen 
nicht erkennen, weil wir in Unwissenheit über das Walten der mo- 
dischen Weltordnung befangen sind , verstricken wir nns immer 
aufs neue in Schuld, welche zn ihrer Abbüssung die Leiden einer 
neuen Geburt erfordert. 

Weil wir vom irdischen Wahn verblendet sind, trachten wir 
nach Dingen, die ihren Werth nur in unserer Einbildung haben 
und mehr Schmerz als Genuas gewähren, schätzen das hoch, was 
nichtig und eitel ist, betrüben uns über Vorkommnisse, die unsere 
Teilnahme nicht verdienen und freuen uns über das, was uns 
whädigt, und wohl gar die Ursache zu unserm Verderben wird. 
Weil wir die rechte Erkenntniss nicht haben, hängen wir unser 
H*n an irdische, vergängliche Güter, verwickeln uns in Streit und 
Ungemach im Kampfe ums Dasein, und lassen unser wahres Heil 
8*nz aus den Augen. So ist denn unser ganzes Dasein eine unab- 
sehbare Kette von unerfüllten Wünschen, Täuschungen und Ent- 
täuschungen , die sehr schmerzlich sind , von Leidenschaften und 
Begierden, die ihr Ziel verfehlen, oder, wenn für kurze Zeit ge- 
stillt, gleich schlecht geheilten Wunden immer aufs neue auf- 
brechen, unsere körperlichen und geistigen Kräfte untergraben und 
Q Q8 in einem immerwährenden Zustande des Leidens erhalten, aus 
welchem es für den Unwissenden, den Verblendeten keinen Aus- 
sig giebt. 



— 32 — 

in edleren Naturen zwar die Sehnsucht nach Erlösung, die 
Unwissenheit aber verhindert uns, aus eigenen Kräften den 
Weg aus diesem Samsäro zu finden. Darum bedarf es 
des Meisters, der ihn uns zeigt. 

69. Was ist Samsäro? 

Der Samsäro ist die Welt, in der w leben, die 
Welt des Irrthums, der Schuld, der Geburt, des Leidens 
und des Todes; die Welt des Entstehens und Vergehens, 
des ewigen Wechsels, der Enttäuschungen und Schmerzen, 
des unaufhörlichen, nimmer endenden Kreislaufes der Wieder- 
geburten. 

70. Welches ist die Ursache der Geburt, des Lei- 
dens, des Todes und der Wiedergeburt? 

Es ist der uns alle erfüllende Wille zum Leben*), 
das Trachten nach individuellem Dasein in dieser oder in 
einer jenseitigen Welt (Himmel oder Paradies). 

71. Und wodurch kann man dem Leiden, dem Tode 
und der Wiedergeburt ein Ende machen? 

Durch das Aufgeben des Willens zum Leben, durch 
die Ueberwindung des Trachtens nach individuellem Dasein 
in dieser oder einer andern Weit. Dies ist die Befreiung, 
die Erlösung, der Weg zum ewigen Frieden. 

72. Was verhindert uns denn, den Willen zum Le- 
ben aufzugeben und die Erlösung zu erlangen? 

Unsere Unwissenheit (Awidscbä)**), unsere Verblen- 
dung, unser Mangel an rechter Erkenntniss. 

*) Der Ausdruck „Wille zum Leben** (tanhä) bedeutet im 
buddhistischen Sinne nicht nur dasjenige, was der Europäer unter 
dem bewussten Willen versteht, sondern den allen Wesen (auch 
Thieren und Pflanzen) innewohnenden, theils bewussten, theils nn- 
bewussten „Lebenstrieb", die Gesammtheit aller auf die Er- 
haltung des Daseins und die Erlangung von Wohlsein und Genuas 
gerichteten selbstsüchtigen Bestrebungen, Regungen, Begierden, Nei- 
gungen und Abneigungen. 

Diese Bedeutung des Wortes sollte der europäische Leser sich 
stets gegenwärtig halten. 

**) Unwissenheit (Awidschä) ist jene uns Allen angeborene ver- 



— 33 — 

73. Welche Erkenntniss ist es, die zur Ueberwin- 
dung des Lebenswillens und zur Erlösung fuhrt ? 

Die Erkenntniss der vier Heilswahrheiten, die uns 
der Buddha verkündet hat. 

74. Nenne mir die vier Heilswahrheiten! 

Es sind: Die Wahrheit vom Leiden; von der Ur- 
sache des Leidens; von der Aufhebung des Leidens; vom 
Wege, der zur Aufhebung des Leidens führt. 

75. Erkläre mir diese vier Heilswahrheiten näher! 

So höre die eigenen Worte des Buddha. 

„Weil wir vier Heilswahrheiten nicht erkennen und 
erfassen, Ihr Brüder, müssen wir so lange den traurigen 
öden Weg der Wiedergeburten durchwandern. Und welches 
sind die vier Heilswahrheiten? Die Wahrheit vom Leiden, 
die Wahrheit von der Ursache des Leidens, die Wahrheit 
von der Aufhebung des Leidens und die Wahrheit vom 
Wege, der zur Aufhebung des Leidens führt. 

Aber wenn diese vier Wahrheiten einmal völlig er- 
kannt und erfasst sind, so schwindet der Wille znm Leben, 
jenes Trachten, das zu erneuertem Dasein führt, erlischt, 
und der Kreislauf der Wiedergeburten hört auf*). 

Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit vom 
Leiden : Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist 
Leiden, Tod ist Leiden ; von Liebem getrennt sein ist Leiden, 
mit Unliebem vereint sein ist Leiden, nicht erlangen, was 
man begehrt, ist Leiden. Kurz, das Dasein als Einzelwesen 
(als Individualität, als Ichheit) ist seiner ganzen Natur nach 
leidvoll. 



kehrte Betrachtungsweise der Dinge, vermöge welcher wir die flüch- 
tige, nichtige, ewig entstehende und vergehende Erscheinungswelt 
als das wahrhaft Seiende betrachten und uns daher begierig an sie 
anklammern, während wir das Ewige, Unvergängliche , nie Werdende 
noch Vergehende als blosses Hirngespinnst ansehen. Der aber, dem 
die rechte Erkenntniss anfgegangen ist, weiss : dies Leben ist gar kein 
wahres Sein, sondern ein unaufhörliches Werden und Vergehen und 
Neuwerden, ein unaufhaltsamer Wechsel aller materiellen, moralischen 
und geistigen Zustände unter beständigem Kampf und Leiden. 
*) Maha-Parinibbäna-Suttam. 



— 34 — 

Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit von der 
Ursache des Leidens: Es ist der Wille zum Leben, das 
Trachten nach Dasein und Genuss, welches von Wieder- 
geburt zu Wiedergeburt führt und bald in dieser, bald in 
jener Gestalt seine Befriedigung sucht. Es ist das Trachten 
nach Befriedigung der Leidenschaften, das Trachten nach 
individueller Glückseligkeit im gegenwärtigen oder in einem 
jenseitigen Leben. 

Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit von der 
Aufhebung des Leidens : Es ist die völlige Vernichtung des 
Willens zum Leben, des Trachtens nach Dasein und Genuss. 
Man muss ihn überwinden, sich seiner entäussern , * sich 
davon lösen, ihm länger keine Stätte gewähren. 

Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit vom 
Wege, der zur Aufhebung des Leidens führt. Es ist der 
von mir gefundene, erhabene Pfad, dessen acht Theile 
heissen: „Rechte Erkenntniss, rechtes Wollen, rechtes 
Wort, rechte That, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes 
Gedenken, rechtes Sichversenken". 

Zwei Irrwege sind es, Ihr Brüder, die derjenige, 
welcher nach der Erlösung strebt, nicht gehen darf. Der 
eine, das Trachten nach der Befriedigung der Leiden- 
schaften und der sinnlichen Genüsse, ist niedrig, gemein, 
entwürdigend und verderblich ; es ist der Weg der Welt- 
kinder. Der andere, die Selbstpeinigung und Askese, ist 
trübselig, peinvoll und nutzlos. Der Mittelweg allein, den 
der Vollendete gefunden hat, vermeidet diese beiden Irr- 
wege, öffnet die Augen, verleiht Einsicht und führt zur Be- 
freiung, zur Weisheit, zur Vollendung, zum Nirwana*). 



*) Der nichtbuddhistische europäische Leser wird nicht leicht 
inne werden, welche Summe von tiefen Erkenntnissen und religiös- 
philosophischen Wahrheiten in diesen wenigen Sätzen des Dhamma- 
Tschakka-Pawattäna-Suttam enthalten ist. Wiederholtes, ernstes Nach- 
denken darüber ist daher nicht genug zu empfehlen. Niemand darf 
hoffen, die wahre Natur des Daseins und die erhabene Lehre des 
Buddha recht zu verstehen, ehe er nicht völlig in den Sinn und 
die Bedeutung der vier Heilswahrheiten eiugedrungen ist, ehe er 
nicht ihre ganze Tragweite erkannt hat. 



35 — 



76. Was ist Nirwana? 



Ein Zustand des Gemüthes und Geistes, in dem 
aller Wille zum Leben, alles Trachten nach Dasein und 
Genusa erloschen ist, und damit jede Leidenschaft, jedes 
Verlangen, jede Begier, jede Furcht, jedes Uebelwollen und 
jeder Schmerz. Es ist ein Zustand vollkommenen inneren 
Friedens, begleitet von der unerschütterlichen Gewissheit 
der erlangten Erlösung, ein Zustand, den Worte nicht be- 
schreiben können, und den die Phantasie des weltlich Ge- 
sinnten sich vergebens auszumalen sucht. Nur wer es an 
sich selbst erfahren hat, weiss, was Nirwana ist*). 



*) Ueber Nirwana herrschen bei den meisten Europäern, trotz 
der von hervorragenden Gelehrten längst gegebenen richtigen Er- 
klärung, noch immer wunderliche Begriffe. Nirwana heisst wörtlich 
übersetzt: Erloschensein, Ausgew eh tsein, — gleich einer Flamme, 
die der Wind ausweht, oder die aus Mangel an Nahrung erlischt. 
Daraus hat man nun schliessen zu müssen geglaubt, dass Nirwana 
das Nichts bedeute. Dies ist eine irrige Meinung; vielmehr ist Nir- 
wana ein Zustand höchster Vergeistigung, von dem freilich Keiner, 
der noch von irdischen Banden gefesselt wird, eine zureichende 
Vorstellung haben kann. 

Was ist denn aber im Nirwana erloschen oder ausgeweht? — 
Der Wille zum Leben ist erloschen, das Trachten nach Dasein und 
Genuss in dieser oder einer andern Welt; erloschen ist der Wahn, 
dass materielle Güter irgend einen innern Werth haben oder dauernd 
sein könnten. Ausgeweht ist die Flamme der Sinnlichkeit und Begier, 
auf immer ausgeweht das flackernde Irrlicht der „Ichheit". Zwar 
lebt der vollendete Heilige, der Arahä (nur ein solcher kann Nirwana 
schon in diesem Leben erreichen) noch im Körper fort, denn die 
Wrkung des Irrthums und der Schuld früherer Geburten, die schon 
zu wirken angefangen hat und sich eben daher als belebter Leib in 
der Zeitlichkeit darstellt, kann nicht zu nichte gemacht werden; 
ftber der Körper ist vergänglich, bald kommt die Stunde, wo er 
dahinschwindet. Dann ist nichts mehr übrig, was eine neue Wieder- 
geburt veranlassen könnte, und der Arahä geht zum ewigen Frieden, 
in das Farinirwäna, das jenseitige Nirwana ein. 

Parinirwäna ist im Sinne anderer lleligionslehren und des 
"Wissenschaftlichen Materialismus allerdings gänzliche Vernichtung, 
vollständige Auflösung der Individualität, denn Nichts bleibt im 
farinirwäna übrig, was irgendwie dem menschlichen Begriffe vom 
Dasein entspräche. Vom Standpunkte dessen aber, der die Arahä- 
schaft erreicht hat, ist die Welt mit allen ihren Erscheinungen viel- 
mehr „Nichts*, ein Spiegelbild, eine schillernde Seifenblase, und 

3* 



— 36 — 

77. Ist Nirwana gleichbedeutend mit Erlösung? 

Ja. Es ist die Erlösung, die schon in diesem Leben 
erreichbar ist, die restlose Vernichtung von Begier, Uebel- 
wollen und Wahn. 

78. Kann jeder Mensch schon in der gegenwärtigen 
Geburt zum Nirwana gelangen? 

Nur die Wenigsten können es. Die meisten Menschen 
sind durch die Wirkung ihrer Thaten in früheren Geburten 
von einer so mangelhaften geistigen und moralischen Be- 
schaffenheit, dass es noch vieler Wiedergeburten bedarf, 
ehe sie sich soweit geläutert haben, um die Erlösung zu er- 
langen. Aber eine Wiedergeburt unter günstigen Um- 
ständen kann Jeder erreichen, der ernstlich danach strebt. 

79. Hängt denn unsere Wiedergeburt allein von uns 
selbst ab? 

Allein von unserm Willen. Dieser Wille zum Leben 
(tanhä), der uns Alle erfüllt und den Kern unseres Wesens 
bildet, ist die eigentliche weltschöpferische Kraft*), er ist 



^^pjfe?""* 



Parinirwäna das Eingehen ins wahre Sein, ins Ewige, Unvergäng- 
liche, wo keine Unterschiedlichkeit, kein Kampf nnd kein Leiden 
mehr ist. 

*) Es muss hier nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen 
werden, dass der europäische Schüler des Buddhismus nicht den 
„Willen zum Leben", d. h. die uns angeborene Lebenslust, den 
Lebenstrieb oder die Anhänglichkeit an das Dasein mit dem be- 
wussten Willen verwechselt. Der bewusste Wille bildet nur 
einen kleinen Theil des ganzen „Willens zum Leben* 4 , nämlich 
denjenigen, welcher in unser Gehirn-Bewusstsein fällt, der grössere 
Theil aber des „Willens zum Leben" kommt den Pflanzen und 
Thieren gar nicht, den meisten Menschen nur sehr unvollkommen 
zum Bewusstsein, und äussert sich allein als blinder instinktiver 
Trieb, als hartnäckige Liebe zum Dasein, als Bestreben, Alles auf- 
zusuchen, was das Dasein schmerzlos und angenehm macht, und 
Alles zu fliehen, was es bedroht und schädigt. Viele sogenannte 
Pessimisten z. B. , welche das Leben verachten, und deren b e - 
w u s s t e r Wille sich thatsächlich von dem gegenwärtigen 
Leben abwendet, sind oft in dem Wahne befangen, dass sie den 
„Willen zum Leben" überwunden haben. Dem ist aber nicht so, 
denn ihre Selbstsucht, ihre Anhänglichkeit an die Freuden und 
~ , ihr Mangel an Selbstverleugnung, beweisst, dass der un- 



— 37 — 

das, was andere Religionen sich als Qott personifizirt denken, 
er ist die Ursache unseres Dasein und unserer Wiedergeburt 
und in Wahrheit der Schöpfer, Erhalter und zugleich 
Zerstörer aller Dinge — die wahre Dreieinigkeit. 

80. Ist die Art und Beschaffenheit, in der wir 
wiedergeboren werden, ebenfalls von uns ab- 
hängig? 

Ja. Die Art und Beschaffenheit unserer Wieder- 
geburt ist durch unser Earma bedingt. 

8L Was ist Karma? 

Karma ist unser Thun; unser Verdienst und unsere 
Schuld im moralischen Sinne. Wenn unser Verdienst über- 
wiegt, so werden wir in einer höheren Wesenreihe, oder als 
Mensch unter günstigen Verhältnissen wiedergeboren, haben 
wir aber schwere Schuld auf uns geladen, so ist die not- 
wendige Folge eine Wiedergeburt in niedrigerer Form und 
reich an Leiden. 

82. Sind nicht unsere Thaten die natürliche Folge 
unseres angeborenen individuellen Charakters? 

Ganz recht. Aber dieser angeborene Charakter 
selbst ist nichts weiter als das Produkt unseres Earma — 
d. h. aller unserer Gedanken, Worte und Thaten in früheren 
Lebensläufen*). Wir sind in jedem Augenblicke unseres 



bewusste Lebenstrieb noch in ihnen thätig ist und sie sicher zu einer 
neuen Wiedergeburt führen wird. Dasselbe gilt zum Theil für die 
frommen und Gläubigen aller Religionen. Diese verachten zwar das 
irdische Leben, weil es ihr Glaube so verlangt, trachten aber um so 
befcser nach einer individuellen Fortdauer im Himmel oder Para- 
diese. — Das wirkliche Erlöschen des Willens zum Leben zeigt sich 
10 völliger Selbstlosigkeit und Entsagung, Geduld im Leiden, der 
Abwesenheit aller Begierden (Zorn, Hass, Neid, Uebelwollen, Streben 
nach Besitz, Wollust, Hochmuth, Geiz, Eitelkeit), vollkommenem 
Gleichmuth, aufrichtigem Wohlwollen gegen alle lebenden Wesen 
nnd dem Verzicht auf Lohn für gute Thaten in dieser oder einer 
jenseitigen Welt (Himmel oder Paradies). 

*) Unser ganzes Sein und Wesen ist die Folge dessen, was 
Jflr gethan haben: unsere Thaten haben es erzeugt, unsere Thaten 
haben ihm Gestalt gegeben. Wer aus bösem Willen spricht oder 



— 38 — 

Daseins genau das, was wir selbst aus uns gemacht haben 
und gemessen und leiden stets nur das, was wir verdienen. 

83. Auf welchem Gesetze beruht das? 

Auf dem Gesetze der Kausalität, dem Grundgesetze 
alles Geschehens. Gleichwie im Physischen und Materiellen, 
so führt auch im Geistigen und Moralischen jede Ursache 
mit Nothwendigkeit die ihr genau entsprechende Wirkung 
herbei. Diesem Naturgesetze vermag sich kein lebendes 
Wesen zu entziehen, selbst die höchsten Götter sind ihm 
unterworfen. Auf diesem Naturgesetze beruht, wie die 
physische, so auch die sittliche Weltordnung, die 
ausgleichende Gerechtigkeit im Menschenleben und im 
Weltganzen *). 



handelt, dem folgt Leiden, wie das Bad dem Fusse des Zugthieres. 
Wer aus gutem Willen spricht oder handelt, dem folgt Glückselig- 
keit, wie sein Schatten. (Dhammapadam.) — Meine That ist mein Be- 
sitz, meine That mein Erbe, meine That der Mutterschoss, der mich 
gebar. Meine That ist das Geschlecht, dem ich verwandt bin, 
meine That ist meine Zuflucht. (Anguttara Nikayo.) 

*) Strenge, unwandelbare Gerechtigkeit herrscht im ganzen 
Reiche der belebten und unbelebten Natur. Mit Nothwendigkeit 
trägt jede böse und jede gute That ihre Frucht. Keine Gnade 
eines persönlichen Gottes vermag den von Gewissensangst gequälten 
Missethäter vor den Folgen seiner bösen That zu erretten, keine 
Willkür eines Herrschers Himmels und der Erden dem guten 
Menschen den Lohn seiner Verdienste zu schmälern. Daher heisst 
es im Dhammapadam: Nicht in den Fernen des unermesslichen 
Weltraumes, nicht in des Meeres Mitte, nicht in den Tiefen der 
Bergesklüfte findest du eine Stätte, wo du der Frucht deiner bösen 
Thaten entrinnen könntest. 

Freilich hat es, entgegen den Lehren aller grossen morgen- und 
abendländischen Denker, immer Menschen gegeben, welche das Wirken 
einer ausgleichenden Gerechtigkeit, also einer sittlichen Weltordnung 
läugneten. Es zeugt dies von grossem Mangel an Nachdenken. 
Die blosse Thatsache, das sich das Streben nach gerechter Aus- 
gleichung von Schuld und Leiden, Verdienst und Lohn in jedem 
Menschenherzen unausrottbar vorfindet, und in so höherem Grade, 
je edler der Mensch ist, entscheidet die Streitfrage schon. Wir 
sind ja nur ein kleiner Theil der Welt, ein Produkt der Natur, 
und es kann sich offenbar im Produkt nichts vorfinden, was 
nicht schon in der hervorbringenden Ursache wäre; in den 
Thfli]tftfl|fc|L was das Ganze nicht in viel höherem Grade besässe. 




— 39 — 

84. Welcher Unterschied ist zwischen Tanhä und 
Karma? 

Tanhä oder der Wille zum Leben ist die wirkende 
Ursache unseres Daseins und unserer Wiedergeburt über- 
haupt; Karma ist dasjenige, welches die Art und Be- 
schaffenheit unseres Daseins und unserer Wiedergeburt be- 
stimmt, also unsere Gestalt, unsere Anlagen, die Welt, in 
der wir leben, unsere Leiden und Freuden. Karma ist 
unsere That, unser individueller Charakter und zugleich das, 
was andere Religionen Gottes Fügung, Vorsehung oder 
Schicksal nennen*). 

85. Wird der Mensch nur auf dieser Erde wieder- 
geboren? 

Nein. Es giebt unzählige, bewohnte Weltkörper im 
uner messlichen Raum, auf denen theils niedriger stehende, 
theils höher entwickelte Wesen, als der Mensch ist, leben. 
In allen diesen Welten kann eine Wiedergeburt stattfinden. 

86. Sind die Weltkörper unveränderlich? 

Alle sind, wie unsere Erde, beständigen Verän- 
derungen unterworfen. Ein stetiger Wechsel herrscht in der 



Andererseits jedoch — dies sei für die gesagt, die es zu fassen 
vermögen — ist die Natur unser Produkt, das Spiegelbild unseres 
eigenen Wesens. Sie kann daher stets nur unserer inneren Be- 
schaffenheit gemäss ausfallen, und der Eine wird dort schon das 
Walten der ausgleichenden Gerechtigkeit und einer höheren Harmonie 
gewahren, wo der Andere nichts als ein wirres Chaos, ein Spiel 
des blinden Zufalls und schreiende Disharmonie erblickt. So hängt 
im Grunde auch hier wieder Alles von dem Grade unserer Erkennt- 
niss und moralischen Entwickelung ab. 

*) Dem in ganz anderen Anschauungen aufgewachsenen Euro- 
päer einen richtigen Begriff vom Karma zu geben, ist eine der 
schwierigsten Aufgaben und in wenigen Worten kaum möglich, denn 
es gilt hier, in eine der tiefsten und weittragendsten Grundlehren 
des Buddhismus einzudringen. Viel wird schon gewonnen sein, 
wenn der Schüler sich stets gegenwärtig hält, dass das Karma keine 
von aussen (etwa wie ein Gott) wirkende, sondern eine innere, im 
Herzen jedes Lebewesens selbst befindliche Kraft ist. Wer tief ge- 
nug zu denken vermag, wird schliesslich auf den Punkt gelangen, 
wo für ihn unser Thun, unser Karma, unser individueller Charakter, 
unser Schicksal und die sittliche Weltordnung in eins zusammenfallen. 



— 40 — 

ganzen belebten und unbelebten Natur. Weltkörper ent- 
stehen, entwickeln sich und vergehen wieder — so ist es 
die Ordnung von Ewigkeit her. 

87. Ist die Welt aus dem Nichts entstanden? 

Nein. Aus dem Nichts kann nie etwas werden 
oder entstehen. 

88. Hat sie ein Gott-Schöpfer durch seinen Willen 
ins Dasein gerufen? 

Es giebt keinen Gott-Schöpfer, von dessen Gnade 
oder dessen Willen der Bestand der Welt abhinge. Alles 
entsteht und entwickelt sich durch und aus sich selbst, kraft 
seines eigenen Willens und gemäss seiner inneren Natur 
und Beschaffenheit (seinem Earma). Einen persönlichen 
Gott-Schöpfer hat nur die Unwissenheit der Menschen er- 
funden. Die Buddhisten aber verwerfen durchaus den 
Glauben an einen persönlichen Gott und halten die Lehre 
von einer Schöpfung aus Nichts für einen Irrwahn*). 

89. Hat der Buddha Nichts über den ersten Anfang 
und über das Ende des Weltalls gelehrt? 

Nein. 

90. Warum nicht? 

Weil dieses Wissen die Kräfte des menschlichen Ver- 
standes übersteigt (transcendent ist), und, selbst wenn es er- 
langt und in Worten gelehrt werden könnte, die Menschen 



*) Die „Schöpfung" ist für den Buddhisten nur die Erneue- 
rung eines untergegangenen Weltkörpers oder Weltsystems. Die 
Weltzerstörungen werden durch Naturkräfte und Katastrophen ver- 
schiedener Art veranlasst, immer aber bleiben sie zu einer Zeit auf 
einen kleinen Theil des Universums beschränkt. Die eigentliche 
innere Ursache dieser Zerstörungen ist die aufgehäufte, sehr hoch 
angewachsene Schuld der lebenden Wesen, ihr ungünstiges Karma. 
Die Wiedererneuerung der zerstörten Welten hat seine Ursache 
im günstigen Earma. Solche Zerstörungen und Erneuerungen von 
Weltkörpern finden im unermesslichen Baume beständig statt. Die 
neuere europäische Naturwissenschaft steht in dieser Hinsicht — 
soweit der äussere Hergang in Frage kommt — ganz auf dem 
Standpunkte, auf dem sieh die Buddhisten schon seit 2400 «Jahren 
befinden. 



— 41 — 

in ihrer geistigen und moralischen Entwicklung doch nicht 
fordern würde, weil es nicht zur Aufhebung des Leidens, 
nicht zum Heil, zur Erlösung, zum Nirwana fuhrt. Phantasie, 
Verstand und abstrakte Vernunft werden sich stets vergeb- 
lich abmühen, einen Beginn der Zeit, eine Grenze des Rau- 
mes, eine Entstehung des Seins, der Welt und der Indivi- 
dualität vorzustellen oder zu denken. 

91. So ist also eine Erklärung der letzten Geheim- 
nisse des Seins unmöglich? 

Ja, weil keine Formen der Endlichkeit, wozu auch 
Gedanken und Sprache gehören, das Unendliche, keine zeit- 
lichen Bestimmungen das Zeitlose, das Ewige auszudrücken 
vermögen; kein in der Kette der Ursächlichkeit erfolgendes 
Denken das Ursachlose, an sich selbst Seiende erfassen kann. 
Und wo man dies in anderen Religionen dennoch versucht 
hat, da hat solches Beginnen stets nur zu nichtigen Spekula- 
tionen, leeren Behauptungen, phantastischen Erdichtungen 
und zu Streit, Missverständniss, ja sogar oft zu Krieg, Mord 
und Gräueln aller Art geführt, also statt Wahrheit, Heil und 
Frieden nur Irrthum, Unheil und Leiden zur Folge gehabt. 
Darum wies der Buddha alle solche Fragen ab und verbot 
auch seinen Jüngern, sich damit zu beschäftigen*). 



*) ,Ihr Jünger, denkt nicht Gedanken, wie der Weltlichgesinnte 
sie denkt: die Welt ist ewig, oder die Welt ist nicht ewig; die Welt 
ist endlich, oder die Welt ist unendlich. Richtet euer Nachdenken 
-vielmehr auf das Leiden, die Entstehung des Leidens, die Aufhebung 
des Leidens und den Weg, der zur Aufhebung des Leidens führt". 
(Samyutta Nikayo.) 

„Die Entwickelung der Wesen, Ihr Jünger, hat ihren Beginn 
in der Ewigkeit. Kein Anfang laset sich erkennen, seitdem die 
Wesen, in Unwissenheit befangen und vom Lebenswillen getrieben, 
von Geburt zu Geburt umherirren und wandern. Was meint Ihr, 
ist mehr : das Wasser in den vier grossen Meeren, oder die Thränen, 
die geflossen und von Euch vergossen sind , seit Ihr -auf diesem 
weiten Wege umherirrtet und jammertet und klagtet, weil Euch zu 
Theil wurde, was Ihr hasstet, und nicht zu Theil wurde, was Ihr 
liebtet? Des Vaters, der Mutter, des Bruders, der Schwester, der 
Kinder Tod, Verlust der Verwandten, der Güter — das Alles 
habt Ihr seit undenklichen Zeiten erlitten, und darüber sind von 
Buch mehr Thränen vergossen worden, als Wasser in den vier 
grossen Meeren ist. (Samyutta Nikayo.) 



— 42 — 

92. Wir werden demnach diese Räthsel nie lösen? 

Nie, so lange wir Individualitäten und vom Lebens- 
trieb gefesselt sind. Aber Jeder, der die Lehre des Buddha 
erfasst hat und ihr nachlebt, kann zur Befreiung von den 
Fesseln der Endlichkeit, zur Erleuchtung und Erlösung ge- 
langen, wo dann im Lichte universeller Erkenntniss das 
innere Wesen der Dinge sich ihm entschleiern wird, und alle 
jene Räthselfragen schwinden, an denen sich jetzt sein durch 
den individuellen Lebenstrieb beschränkter Verstand ver- 
geblich abmüht. Er muss nur redliches Erkenntnissstreben 
haben und mit festem Entschluss den erhabenen, acht- 
theiligen Pfad der Erlesenen betreten*). 

93. Wie geschieht dies auf die rechte Weise ? 
Indem man das Weltleben aufgiebt, der Brüderschaft 

Wie aus diesen und vielen ähnlichen Stellen in den Lehrreden 
des Buddha hervorgeht, hat der Erhabene nichts von einer Weltent- 
stehung, Weltschöpfung, einem ersten Anfang und dergleichen verkündet. 
Er verschmäht es, seine Moral und Erkenntnisslehre auf Träumereien 
und Märchen aufzubauen. Er nimmt das Dasein der Welt und der leben- 
den Wesen als eine Thatsache, er fragt nicht : wie entstand die Welt 
oder das Sein? sondern allein: was ist dieses so räthsel hafte Leben, 
welchen Zweck hat es, wohin führt es? Und da er erkannt hat, 
dass es stets nur zu Leiden, Kampf, Alter, Tod und neuer Gebart 
führt, dass es ein unaufhörliches Werden und Vergehen, ein end- 
loser schmerzlicher Kreislauf ist, so weist er den Weg zur Befreiung. 
Den Schülern aber, denen dies nicht genug ist, sondern die nicht 
eher Vertrauen zum Wege der Befreiung, den der Buddha lehrt, 
fassen wollen, ehe ihnen nicht das Geheimniss der Weltentstehung 
verrathen worden ist, antwortet der Meister durch folgendes Gleichniss : 

„Ein Mann wurde von einem vergifteten Pfeile getroffen, da 
riefen seine Freunde und Verwandten einen kundigen Arzt. Wie 
wenn der Kranke nun sagte : ich will meine Wunde nicht behandeln 
lassen, ehe ich nicht weiss, wer der Mann ist, von dem ich ver- 
wundet worden bin, wie er heisst, ob er gross oder klein ist, was 
für einer Familie er angehört, und wie die Waffe beschaffen war, 
mit der er mich getroffen hat. — Was würde das Ende solch* 
thörichten Verhaltens sein? Der Mann würde an seiner Wunde 
sterben*. (Madschima Nikayo.) 

*) „Stemme dich muthig dem Strome der Leidenschaften ent- 
gegen, treibe von dir die Begierden, o Samane. Hast du des Ent- 
standenen Nichtigkeit erkannt, so bist du auch Erkenner des Ewigen 
geworden!" heisst es im Dhammapadam. 



■* 



— 43 — 

der Erlesenen beitritt, und, dem Beispiele des Erhabenen 
nacheifernd, alle seine Kräfte auf Erreichung des höchsten 
Zieles verwendet. 

94. Vermag dies ein Jeder? 

Jeder vermag es, der ernstlich will*), aber die 
meisten wollen die Welt und ihre trügerischen Genüsse 
nicht aufgeben. 

95. Kann nicht auch der, welcher im Welttreiben 
verharrt, die Erleuchtung und Erlösung er- 
reichen? ♦ 

Nein, das ist unmöglich. Schon in diesem Leben 
das Nirwana zu erreichen bleibt denen vorbehalten, welche 
den erhabenen achttheiligen Pfad eingeschlagen haben **), 
also den Bhikschu. Die Upasakos können nur eine günstige 
Wiedergeburt erlangen. 



*) Mancher wird beim besten Willen in der gegenwärtigen 
Gebart keine sichtbaren Fortschritte machen, weil ihm zu viel 
übles Karma aus früheren Lebensläufen im Wege steht. Statt aber 
muthlos den Kampf aufzugeben , sollte er um so eifriger nach 
innerer Läuterung streben und, aller Misserfolge ungeachtet, sich 
nicht in seinem Entschlüsse, die moralische Vollkommenheit zu er- 
ringen, erschüttern lassen. Nur auf solche Weise kann er das jetzt 
noch übermächtige ungünstige Karma so weit überwinden, um, wenn 
nicht in dieser, doch in der nächsten Geburt unter besseren äusseren 
und inneren Verhältnissen seinem Ziele nahe zu kommen. Wie im 
Physischen uud Materiellen so sind auch im Geistigen und Mora- 
lischen ernste Entschlossenheit, Muth, Geduld und nie ermüdende 
Ausdauer die alleinigen Bürgen des Erfolges. Man vergesse nicht: 
selbst ein Buddha brauchte noch sechs Jahre unausgesetzter An- 
strengung, um die Erkenntniss und Befreiung zu erringen. 

**) Die im Welttreiben verharrenden Upasakos können im gün- 
stigsten Falle die dritte Stufe der Vollendung erreichen, d. h. 
Anägamin werden. Sie sind in Folge ihres moralischen Verdienstes 
keiner üblen Wiedergeburt mehr ausgesetzt, sondern werden in 
einer der höchsten Lichtwelten wiedergeboren und gehen von dort 
ans nach Erlangung der erlösenden Erkenntniss in das Nirwana ein. 
Doch ist es sehr schwierig für den in der Welt lebenden ein Anä- 
gamin zu werden, da der Hindernisse und Versuchungen zu viele 
sind. Uebrigens ist es nicht das gelbe Ordensgewand , nicht die 
äusserli che Befolgung der Satzungen, was den Bhikschu vor dem 
Upasakos auszeichnet, sondern allein die Gesinnung, die Reinheit, 
die Erkenntniss. Und daher kann man, ohne durch förmlichen 



— 44 — 

06. Wodurch unterscheiden sich die Upasakos vo** 
den Bhiksohu? 

Pie Upasakos oder Anhänger der Lehre legen nur 
die fünf allgemeinen Gelübde ab und suchen den im Sigalo- 
wada-Suttam enthaltenen Vorschriften des rechtschaffenen 
Wandels und des Wohlwollens nach besten Kräften nach- 
zuleben, bleiben aber in der Welt und erfüllen getreulich 
ihre Pflichten als Familienmitglied und Staatsbürger. Die 
Bhikschu jedoch, die eigentlichen Jünger des Buddha, ent- 
sagen vollständig der Welt, treten der Brüderschaft der 
Erlesenen bei, legen die zehn Gelübde ab und richten ihr 
Leben ganz nach den im Vinayo enthaltenen Satzungen ein. 

07. Wie lauten die fünf Gelübde der Upasakos? 

Die fünf Gelübde oder Päntscha-Silam lauten : 
Ich gelobe — 

1. Kein lebendes Wesen zu tödten oder zu ver- 
letzen *). 

2. Nicht zu stehlen, d. h. Nichts zu nehmen, was 
mir nicht gehört oder mir nicht freiwillig ge- 
geben wird. 

3. Mich aller geschlechtlichen Ausschweifung und 
allen unerlaubten geschlechtlichen Umgangs zu 
enthalten, weder die Weiber, Töchter, Mündel 
noch Schutzbefohlenen meiner Mitmenschen zu 
verfuhren. 



\ 



Aufnahmeakt der Brüderschaft der Erlesenen beigetreten zu sein, 
doch das Leben eines Bhikschu führen und der heiligen Bruder- 
schaft angehören. Denn im Dhammapadam heisst es: 

„Wer sein Herz beruhigt und seine Sinne gezügelt hat, in 
Keuschheit und Friedfertigkeit mit allen Wesen lebt nnd nachsichtig 
gegen Jedermann ist, der ist in Wahrheit ein Bhikschu, mag er 
gleich nicht im Gewände eines solchen einhergehen ". 

*) Dieses erste und vornehmste der Gelübde umfasst „alle 
lebenden Wesen", also nicht nur die Menschen. Wer Thiere 
muthwillig tödtet, verletzt oder quält, ist kein Anhänger des Er- 
leuchteten und kann nicht zu einer günstigeren Wiedergeburt ge- 
langen. 



— 45 — 

4. Nicht zu lügen, zu betrügen oder zu verläumden. 

5. Keine berauschenden Getränke zu gemessen*). 

98. Welches sind die Vorschriften der Rechtschaffen- 
heit und des Wohlwollens, die das Sigalowada- 
Suttam giebt? 

Die Eltern sollen ihre Kinder zum Guten erziehen, 
sie vom Bösen zurückhalten, sie etwas Ordentliches lernen 
lassen, ihnen mit Rath und That beistehen, ihnen ihr Erbe 
nicht vorenthalten. 

Die Kinder sollen den Eltern gehorsam sein, getreu- 
lich alle kindlichen Pflichten erfüllen, der Eltern Habe nicht 
verschwenden, sie im Alter und in der Gebrechlichkeit 
unterstützen, sich in allen Stücken würdig machen, ihre 
Erben zu sein, und nach der Eltern Tode deren Andenken 
in Ehren halten. 

Der Schüler soll den Lehrer achten, ihm folgen, ihm 
seine Ehrerbietung durch Wort und That bezeugen, seinen 
Lehren mit Aufmerksamkeit zuhören. 

Der Lehrer soll den Schüler zum Guten und Wahren 
anleiten, ihn nach bestem Können in den Wissenschaften 
unterrichten, über ihn wachen. 

Der Gatte soll sein Weib mit Liebe und Achtung be- 
handeln, ihr treu sein, sie allen andern gegenüber hoch- 
halten und es ihr auch an standesgemässer Kleidung und 
Schmuck nicht fehlen lassen. 

Die Frau soll ihren Hausstand in guter Ordnung 
halten, Freunde und Verwandten gastfreundlich empfangen, 
ihrem Manne die Treue bewahren, sein Gut zusammenhalten 
und mit Fleiss und Eifer allen Pflichten als Hausfrau nach- 
kommen. 

Der Freund soll den Freund und Genossen so be- 
handeln, wie er selbst von ihm behandelt zu werden wünscht, 
ihm stets freundlich und zuvorkommend begegnen, seine 



*) Dies Gelübde wird im vollen Umfange nur von der 
Brüderschaft abgelegt. Für den weltlichen Anhänger bedeutet es 
Enthaltsamkeit von jeder Art gebrannter Wässer, ausser in Krank- 
heitsfällen, gegen den massigen Genuss von Bier und Wein dürfte 
wohl nichts einzuwenden sein. 



— 46 — 

Interessen wahrnehmen, die Habe mit ihm theilen, ihn voa 
unklugen Schritten zurückhalten, ihm, wenn er in Noth 
oder Gefahr ist, eine Zuflucht bieten, und im Unglück trß ü 
zu ihm stehen. 

Der Herr soll für die Wohlfahrt seiner Diener od er 
Gehülfen sorgen, indem er ihnen keine Arbeit zumuthe*^ 
welche ihre Kräfte übersteigt; es soll ihnen angemesset* e 
Nahrung und Lohn geben, sie auch in Krankheitsfall^! 
unterhalten, von ungewöhnlichem Gewinn ihnen einen The i- 
zukommen lassen, ihnen genügende Feiertage gewähren. 

Die Diener und G e h ü 1 f e n sollen jederzeit freudig^ 
und eifrig ihre Arbeit thun, zufrieden mit dem seiiy 
was sie dafür erhalten und nie Uebles über ihren Herrn 
reden. 

Der rechte Anhänger des Buddhismus soll den 
Bhikschu seine freundliche Gesinnung in Gedanken, Worten 
und Thaten beweisen, sie stets in seinem Hause willkom- 
men hcissen, und sie mit dem versehen, was sie zur Erhal- 
tung ihres Körpers bedürfen. 

Die Bhikschu und Samanen sollen die Anhänger 
vom Unrechtthun zurückzuhalten suchen, sie zum Guten er- 
mahnen, wahres Wohlwollen gegen sie hegen, sie in der 
Lehre unterrichten, ihre Zweifel zerstreuen und ihnen den 
Weg zu einer glücklichen Wiedergeburt weisen. 



99. Welche Frucht trägt die Befolgung der fünf 
Gelübde und der Vorschriften der R-echtschaffen- 
heit und des Wohlwollens? 

Derjenige, welcher sie getreulich erfüllt, wird auf 
Erden geachtet sein, von vielen Leiden und Schmerzen frei 
bleiben, ein gutes Gewissen haben und in Frieden mit 
seinen Nachbarn leben. Seine Erkenntniss wird wachsen, 
und er wird in günstigeren Umständen wiedergeboren 
werden. 

Noch höheres Verdienst erwirbt sich, wer auf längere 
oder kürzere Zeit, mindestens aber an den wöchentlichen 
Feiertagen (üpösatho) die acht Gelübde (Atthänga-Silam) 
beobachte] 




— 47 — 

100. Welches sind die acht Gelübde? 

Es sind die ersten fünf nebst diesen dreien : 
Ich gelobe — 

6. Nicht zu ungehöriger Zeit zu essen, d. h. nach 
der Mittagsmahlzeit keine Speise mehr zu mir zu 
nehmen. 

7. Mich des Tanzens, des Singens weltlicher Lieder, 
des Besuches der öffentlichen Schauspiele und 
Musikaufführungen, kurz aller weltlichen und zer- 
streuenden Vergnügungen zu enthalten. 

8. Den Gebrauch von Schmuck jeder Art, der wohl- 
riechenden Wässer, Oele und Salben, kurz Alles, 
was der Eitelkeit dient, zu meiden*). 

An Stelle des Gelübdes, alle Ausschweifung zu meiden, 
tritt während der Beobachtung der Atthanga-Silam vollkom- 
mene Keuschheit, auch bei verheiratheten Leuten. 

101. Welches sind die zehn Gelübde der Bhikschu? 

Es sind die Dasa-Silam, d. h. ausser den genannten 
acht noch diese zwei. 
Ich gelobe: 

9. Die Benutzung üppiger Betten aufzugeben, auf 
einem harten, niedrigen Lager zu schlafen, so- 
wie alle und jede Weltlichkeit zu meiden. 

10. Immerdar in freiwilliger Armuth zu leben. 

102. Auf wie vielerlei Art kann gegen diese Gelübde 
gefehlt werden? 

Auf dreierlei Art: mit Gedanken, Worten und 
Werken. 

103. Warum muss man ein Bhikschu werden, um 
das Nirwana zu erreichen? 

Weil im Weltleben die allseitige Erfüllung der zehn 



*) Die Beobachtung der acht Gelübde dient als eine sehr 
heilsame Uebung für den weltlichen Anhänger. Wer sich nie selbst 
eine Entbehrung und Beschränkung auferlegt hat, wird freilich 
nicht ermessen können, wie sehr unsere geistigen und sittlichen 
Kräfte durch solche freiwillige Entsagung gestärkt und nach und 
nach zu immer Höherem befähigt werden,. 



— 48 — 

Gelübde, die Abstreifang der zehn Fesseln nnd die El 
langung der höchsten Erkenntniss nicht möglich ist. Alle 
weltliche Treiben beruht im Grunde auf Selbstsucht unc 
Unwissenheit. 

104. So müssen wir also, um zur Erlösung zu ge- 
langen, den Weg völliger Entsagung gehen? 

Nicht den Weg der Entsagung, sondern den Weg 
der Befreiung. Wer die Verzichtleistung auf irdische 
Güter, Genüsse und Freuden für eine schmerzliche Ent- 
sagung hält, der ist noch weit von der rechten Erkennt- 
niss entfernt. Wer diese Verzichtleistung aber als eine 
Befreiung von wertlosen, nichtigen und lästigen Dingen, 
von drückenden Fesseln ansieht, der sieht es recht an *). 



*) Es ist ein Wahn, den der sinnliche, vom Willen zum 
Leben, vom Trachten nach Dasein nnd Genuas erfüllte Mensch 
zu seiner eigenen Qual hegt, dass die Befriedigung der Begierden 
und Neigungen Glück gewähre. Alle Begierden werden durch Er- 
reichung des Begehrten nur auf kurze Zeit gestillt, erwachen aber 
immer aufs Neue nnd zwar um so stärker, je mehr man ihnen 
nachgiebt. Jeder erfüllte Wunsch erzeugt einen neuen, und keine 
endliche Befriedigung ist auf diesem Wege auch nur denkbar. 
Dazu kommt noch, dass alle die unvermeidlichen Enttäuschungen 
und Fehlschläge, der Streit, Kampf und Hader mit unsern Mit- 
menschen, die das gleiche Ziel verfolgen, mit in den Kauf ge- 
nommen werden müssen. Dieser ewige Kampf aber kann nur auf 
Kosten unserer leiblichen und geistigen Kräfte durchgeführt werden. 
Je mehr wir also den Begierden und Neigungen die Zügel schieasen 
lassen, desto mehr nehmen sie zu, und desto mehr nehmen zugleich 
unsere Kräfte, welche doch das einzige Mittel des Genusses sind, 
ab. Zunahme der Begierden und gleichzeitige Abnahme der Mittel 
zur Befriedigung derselben — dies ist das unerbittliche Naturgesetz, 
dem solch' verkehrtes Streben unterliegt Es muss daher Jedem, 
der ernstlich darüber nachdenkt, einleuchten, wie thöricht es ist, 
den sinnlichen Genüssen nachzujagen, da das so sehnsuchtig er- 
strebte Glück ja nimmermehr zu erreichen ist. — Darum heisst es 
im Dhaminapadam: 

Wie mögt Ihr lachen, wie Euch freu'n in dieser Welt, 

Die nur die Flamme niedriger Begier erhält? 

In Finsterniss geht ihr dahin, die nimmer weicht, 

Ihr das Licht nicht sucht, das sie verscheucht. 




— 49 — 

105. Kann uns nicht der Buddha durch sein eigenes 
Verdienst von den Folgen unserer Schuld er- 
lösen ? 

Nein. Kein Mensch kann durch einen andern er- 
löst werden. Kein Gott und kein Heiliger, so lehren die 
heiligen Bücher, vermag einen Menschen vor den Folgen 
seiner bösen Thaten zu schützen. Ein Jeder nmss sich 
selbst erlösen. Der Buddha hat uns nur den Weg gezeigt, 
wie Jeder sein eigener Erlöser werden kann. . 

106. Warum ist keine stellvertretende Erlösung mög- 
lich? 

Weil Gerechtigkeit das Grundprinzip alles Ge- 
schehens ist, weil keine Willkür eines Gottes, sondern 
strenge Gesetzmässigkeit im Weltganzen herrscht. Dass der 
Schuldlose die Sünden des Schuldigen auf sich nehmen, und 
der Uebelthäter aus Gnade von den Folgen seines Thuns 
befreit werden könne, ist eine thörichte Annahme*), die auf 
einer gänzlichen Verkennung der sittlichen Weltordnung be- 
ruht. Schuld und Leiden, Verdienst und Lohn halten ein- 
ander stets die Wage. 

107. Wodurch erwirbt man sich Verdienst im mo- 
ralischen Sinne? 

Durch treue Befolgung der Gelübde in Gedanken, 
Worten und Thaten, durch eifriges Streben nach Erkennt- 
niss, vor allem aber durch Gerechtigkeit und Wohlwollen 
gegen alle lebenden Wesen. 

108. Ist es vornehmlich die sichtbare That, welche 
das Verdienst bestimmt? 

Keineswegs. Keine äussere Handlung ist an sich 
selbst verdienstlich, das Verdienst hängt hauptsächlich von 
dem inneren Beweggrunde, von der Lauterkeit des Willens 
ab. Die That ist nur deshalb so wichtig, weil sie das 



*) Dn selbst bist es, der das Böse that, da selbst bist es, der 
dafür leidet. Durch eigene Anstrengung erwirbst du Verdienst, 
durch eigene Anstrengung wirst du der Schuld ledig. Verschuldung 
wie Heiligung hängen von deinem eigenen Thun ab. Niemand kann 
einen andern entlasten. (Dhammapadam.) 

4 



— 50 — 

äussere sichtbare Zeichen der inneren Gemüthsbeschaffei 
heit, der Willensrichtung und Erkenntniss des Thäters is 

109. Erläutere dies durch ein Beispiel! 

Ein Mensch kann viel Geld zur Unterstützung dei 
Brüderschaft, zur Linderung der Armuth oder für gemein- 
nützige Stiftungen aufwenden und dadurch doch für sein 
Heil wenig oder Nichts gewinnen, wenn er nämlich das 
Alles nur aus dem Grunde thut, um Ansehen und Ehre bei den 
Leuten zu erlangen. Ein Solcher hat seinen Lohn durch 
die Ehre, die ihm dadurch wird, schon in dieser Geburt 
empfangen und kein Verdienst erworben. Wer dagegen 
gut und mildthätig handelt, in der Absicht, seine Selbstver- 
vollkommnung zu fördern und eine günstige Wiedergeburt zu 
erlangen, erwirbt Verdienst, dessen Frucht er in der nächsten 
Geburt gemessen wird. Das höchste Verdienst aber er- 
wirbt derjenige, welcher ohne Erwartung des Lohnes in 
dieser oder in einer späteren Geburt seinen Mitwesen Gutes 
thut, aus reinem Mitleid, aus lauterem, von keiner selbst- 
süchtigen Regung getrübtem Wohlwollen. Ein solcher ist 
dem Nirwana nahe und der Wiedergeburt in einer der 
höchsten Lichtwelten gewiss. 

110. Was müssen wir also thun, um uns wahres 
Verdienst zu erwerben? 

Die Selbstsucht überwinden, das Böse meiden, das 
Gute vollbringen. 

111. Warum muss die Selbstsucht überwunden wer- 
den? 

Weil die Selbstsucht (der Egoismus) die Hauptur- 
sache aller unserer Irrthümer, Thorheiten und bösen Thaten, 
und das Haupthinderniss zur Vollbringung der guten ist. 

112. Was ist eine gute Handlung? 

Eine jede, welche in der lauteren Absicht geschieht, 
das Wohl anderer lebenden Wesen zu befördern und ihre 
Leiden zu lindern. 




— Ol- 
lis. Was ist eine böse Handlung? 

Eine jede, welche in der Absicht begangen wird, 
andere lebende Wesen zu verletzen, zu schädigen oder den- 
selben Leid zuzufügen. 

Sodann jede selbstsüchtige Handlung, welche nur das 
eigene Wohl im Auge hat, unbekümmert, ob dadurch Andern 
Leiden verursacht wird. 

114. Es giebt doch aber auch selbstsüchtige Hand- 
lungen, die keinem Andern schaden? 

Solche Handlungen sind weder gut noch böse zu 
nennen. Befördern sie des Handelnden materielles Wohl, 
so sind sie klug, dienen sie seiner Selbstvervollkommnung, 
so sind sie weise. Schädigen sie ihn an Körper oder Geist, 
so sind sie thöricht. 

Im Grunde aber entspringt jede selbstsüchtige Hand- 
lung, mag sie auch Niemand Schaden bringen, dem Haften 
an der Individualität und steht daher der Erreichung des 
höchsten Zieles entgegen. 

115. Giebt es Pflichten gegen sich selbst? 

Nein. Die Lehre von den Pflichten gegen sich selbst 
oder von der „Pflicht der Selbsterhaltung" ist nur eine Be- 
schönigung der Selbstsucht. 

116. Ist es Unrecht, dem Feinde, der uns Schaden 
und Leid zufügt, mit gleichem zu vergelten? 

Ja, es ist Unrecht, Böses mit Bösem zu vergelten*), 
und unwürdig des edlen, nach Vollendung strebenden Men- 
schen. Der weltliche Anhänger (Upasako) mag sein Recht 
auf dem gesetzlichen Wege suchen; doch geschehe es ohne 
Hass, ohne Bitterkeit gegen den Gegner. Dem Bhikschu 

*) Er hat mich betrogen, geschlagen, zu Grande gerichtet. Wer 
solche Gedanken im Herzen nährt, bei dem wird der Hass nimmer 
aufhören. Denn Hass wird nicht durch Hass überwunden; durch 
Nichthassen wird Hass überwunden, so ist es die Ordnung von 
Ewigkeit her. (Dhammapadam.) 

Ueberwinde den Zornigen durch Sanftmuth, den Bösen durch 
Güte, den Geizigen durch Freigebigkeit, den Lügner durch Wahr- 
heit. (Dhammapadam.) 

4* 



— 52 — 

aber, welcher der Welt entsagt hat, steht solches nicht zu. 
Er überlässt den Beleidiger der ewigen Gerechtigkeit und 
verzeiht nnd bemitleidet ihn, denn jener wird sein Unrecht 
infolge der Wirkung des Karma in dieser oder der nächsten 
Geburt büssen müssen, und zwar um so schwerer, je mehr er 
jetzt frohlockt und je hartnäckiger er sich gegen die bessere 
Erkenntniss verschliesst. 

117. Muss der verstockte Uebelthäter ewig für seine 
bösen Thaten büssen? 

Nein, Keine zeitliche Schuld, so schwer sie auch 
sei, kann ewige Strafe zur Folge haben*). Das wäre eine 
ungerechte, ja grausame Weltordnung, die solches zuliesse. 
Die sittliche Weltordnung aber, die uns der Buddha ver- 
kündet hat, beruht auf der ewigen Gerechtigkeit, und 
daher findet jede böse That auch nur die ihr entsprechende 
zeitliche Vergeltung in dieser oder den folgenden Geburten. 

118. Giebt es ein radikales oder absolutes Böses? 

Nein. Alles irdische ist relativ, Alles ist eine Ver- 
hältnissgrösse, auch das moralisch Gute und Böse. Beide 
Ausdrücke bezeichnen nur den stärkeren oder geringeren 
Grad des Egoismus eines lebenden Wesens, dessen Wurzeln 
Lebenswille und Unwissenheit sind. 

Kein lebendes Wesen, mag es auch noch so tief in 
Selbstsucht und Unwissenheit versunken sein, ist von der 
Erlösung ausgeschlossen. Ein jedes vermag — wenn viel- 
leicht auch erst durch eine lange Reihe von Wiedergeburten 



*) Lohn und Strafe, Verdienst und Schuld sind eigentlich bildliche 
Ausdrücke, unserer beschränkten, menschlichen Auffassung angepasst. 
Die Weltordnung kennt im Grunde weder Lohn noch Strafe, Ver- 
dienst noch Schuld, Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit. Alles ist 
nothwendige und natürliche Folge des eigenen rechten oder verkehrten 
Erkennens, Wollens und Thuns. Rechte Erkenntniss der Gesetze 
unserer eigenen Natur und des Weltalls, und Gehorsam gegen diese 
physischen, moralischen und geistigen Gesetze ist daher der einzige 
Weg zur Befreiung vom Leiden und zur Erreichung des ewigen 
Friedens, des Nirwana, jenes erhabenen Zieles, das jenseits von Gut 
und BÖs i , Schuld und Leiden liegt, jenseits alles Denkens und Dar- 
stellens und entrückt allen Gesetzen und Formen der Endlichkeit. 



— 53 — 

— zur Erkenntniss und zur Vollendung zu gelangen, wenn 
es nur will. Andererseits ist kein Wesen, sei es noch so 
gut und edel, der Erlösung sicher, ehe es nicht Nirwana 
erreicht hat. So lange noch der kleinste Rest von Lebens- 
willen und Unwissenheit vorhanden ist, kann stets noch ein 
Rückfall eintreten. 

Denn alles T h u n , das gute wie das böse, bleibt in der 
Sphäre der Endlichkeit befangen und führt nicht darüber 
hinaus. Zum Nirwana führt allein das sich Lösen vom 
Thun, und die völlige Ueberwindung und restlose Vernich- 
tung des Lebenswillens durch die Erkenntniss*). 

119. Also giebt es auch keine Hölle und keinen 
Himmel? 

Nicht im Sinne der Christen, Juden und Moham- 
medaner. Wohl aber giebt es dunkle Welten der Pein und 
Verzweiflung, in die kein Strahl erlösender Erkenntniss 
hineindringt. Dort muss der mit schwerer Schuld Beladene 
so lange weilen, bis er die Frucht seiner bösen That ge- 
nossen hat. Dann führt ihn sein gutes Earma (sein Ver- 
dienst) zu einer Wiedergeburt als Mensch, wo ihm aufs Neue 
die Möglichkeit geboten ist, zur Erkenntniss, und durch 
rechtschaffenen Wandel auf den Pfad des" Heiles zu ge- 
langen. — Ebenso giebt es lichte Welten der Freude, wo 
der gute, aber noch nicht zur Erlösung gereifte Mensch die 
Frucht seines Tugendverdienstes geniesst. Ist aber die 
Frucht des Tugendverdienstes verzehrt, so muss auch er, 
da noch Wille zum Leben und ungetilgtes Earma vorhanden 
ist, als Mensch zur Erde zurück**). 



*) Erkenntniss im buddhistischen Sinne bedeutet nicht äussere 
Verstandeserkenntniss, die ohne Ein Aus s auf den Charakter 
des Menschen bleibt, sondern jene geniale Durchschauung, 
jenes tiefe Erfassen des Welt- und Menschenräthsels, 
auf Grund äusserer und innerer Erfahrung, wodurch eine vollständige 
Veränderung der Denk und Em pfindungs weise, eine gänzliche innere 
Umwandlung herbeigeführt wird. 

**) Derjenige, welcher die vier Heils Wahrheiten erkannt hat, wird 
daher auch weder nach irdischem Glück noch nach einem Dasein 
in den lichten Himmelswelten verlangen, sondern allein nach der 
Befreiung, der Erlösung. Denn so lange die Individualität nicht aufge- 



— 54 — 

* 120. Wird die Missethat der Eltern an den Kindern 
heimgesucht? 

Nein. Dies würde der ewigen Gerechtigkeit wider- 
sprechen. Für fremde Schuld braucht Niemand zu leiden. 
Die abergläubische Annahme, dass ein Gott die Sünden der 
Väter an den schuldlosen Kindern räche, beruht auf gänz- 
licher Verkennung der sittlichen Weltordnung. 

121. Aber wir sehen doch, dass die Kinder den El- 
tern durchgängig ähnlich sind in körperlichen 
und geistigen Eigenschaften, dass sie gute und 
böse Triebe, Gesundheit und Krankheit, Beich- 
thum und Armuth von ihnen erben. Scheint 
dies nicht der Lehre vom Karma zu wider- 
sprechen ? 

Nein, es bestätigt sie. Denn eben weil unser inne- 
res Wesen, unser individueller Charakter dem unserer 
Eltern ähnlich ist, sind wir ihre Kinder geworden. Weil 
wir im Augenblicke unserer Wiederverkörperung zu keinen 
andern lebenden Wesen so grosse Wahlverwandtschaft 
hatten, als zu unsern Eltern, darum haben wir uns gerade 
bei ihnen verkörpert. Gleiche Ursachen aber erzeugen 
gleiche Wirkungen ; die innere Uebereinstimmung im Wesen 
der Eltern und Kinder prägt sich notwendigerweise in 
ihrem Aeussern, ihren Neigungen und Schicksalen aus. 

Keineswegs aber findet eine „Vererbung", d. h. .eine 
Uebertragung von körperlichen und geistigen Eigen- 
schaften, von Gutem und Bösem, Glück oder Unglück, von 
den Eltern auf die Kinder in der Art statt, wie der Materia- 
lismus es sich vorstellt. Vererbung ist im Grunde ein 
blosser Name für die der Wissenschaft unerklärliche That- 
sache, dass viele Eigenschaften Eltern, und Kindern gemein- 



hoben ist, so lange ist auch Leiden, Geburt und Tod nicht aufgehoben. 
Selbst die Engel und Götter (so kann man die in den höheren 
Welten lebenden Wesen nennen) sind dem Entstehen, Vergehen und 
Wiedergeborenwerden unterworfen. Alles Wandelbare aber ist leid- 
voll. Daher heisst es im Dhammapadam: 

„Besser, als alle Reiche der Erde beherrschen, besser als die 
Himmelswelten bewohnen, besser selbst, als Herr dieses ganzen Welt- 
alls (Gott) zu werden ist es, den ersten Schritt auf dem Wege zur 
BefreiuiULAJhun 4 '. 



}freiun|^LUH 



— 55 — 

sam sind. Die richtige Erklärung dafür giebt uns allein 
die Lehre vom Karma und von der Wiedergeburt. 

122. Wie erklärt sich die häufig hervortretende Ver- 
schiedenheit zwischen Eltern und Kindern? 

Durch eben dasselbe Gesetz, denn die Kinder sind ja, 
trotz aller Wahlverwandtschaft mit den Eltern, selbstständige 
Individualitäten, sie haben ihr eigenes Karma und müssen 
daher neben den mit den Eltern übereinstimmenden Eigen- 
schaften auch viele andere besitzen, die ihnen allein ange- 
hören. Kommen nun gerade letztere im gegenwärtigen 
Leben zur Entfaltung, so scheinen die Kinder ihren Eltern 
ganz unähnlich zu sein. 

Die stärkste Wahlverwandtschaft zwischen Eltern und 

Kindern besteht überhaupt nur im Augenblicke der Zeugung; 

von der Geburt an geht jedes Lebewesen seinen besonderen 

Entwickelungsgang, der von demjenigen der Eltern oft weit 

abfährt. 

123. Wie ist es mit dem Walten der ewigen Ge- 
rechtigkeit zu vereinen, dass der Gute und 
Rechtschaffene so oft auf Erden leiden muss ? 

Er büsst die noch ungetilgte Schuld, welche er in 
früheren Lebensläufen auf sich geladen hat. Es ist die 
Folge seines ungünstigen Karma, das gerade jetzt zur Reife 
kommt. 

124. Und wie erklärt es sich, dass der Böse und Un- 
gerechte oft in hohem Ansehen steht und alle 
Freuden der Erde geniesst? 

Dies ist die Folge seines Verdienstes in früheren 
Geburten, sein günstiges Karma. Wenn er aber die Frucht 
seiner Verdienste genossen hat, so wird er auch in dieser 
oder den folgenden Wiedergeburten die bittere Frucht seiner 
Uebelthaten kosten müssen*). 

*) „Die böse That ist nicht wie frische Milch, die schnell ge- 
rinnt, sondern wie ein schwelendes Feuer unter der Asche. Unge- 
sehen glimmt es fort und bricht dann plötzlich aus, um das trügerische 
Gebäude des Glückes, in dem der Uebelthäter sich sicher wähnt, 
zu zerstören", sagt das Dhammapadam. 



— 56 — 

125. Wohin führt uns diese Ueberaeugung ? 

Den Unglücklichen fährt sie zu der Erkenntniss, 
dass er wegen seiner Leiden nicht Götter noch Menschen, 
nicht die Welt noch den Zufall, oder gar Teufel und Dämo- 
nen anzuklagen hat, sondern allein sich selbst; sie führt ihn 
zu der Einsicht, dass die Quelle aller seiner Leiden das 
eigene verkehrte Thun, die eigene Verblendung ist, und 
dass eine gründliche, dauernde Abhülfe nicht durch 
äussere Mittel, durch Besserung der Lebensbedingungen, 
sondern allein durch innere Umkehr und Streben nach Er- 
kenntniss erreicht werden kann. 

Den Glücklichen aber führt diese Ueberzeugung zu 
wahrer Bescheidenheit, zu gerechtem und wohlwollendem Ge- 
brauche seiner Stellung und seines Reichthums. Denn wenn 
er nicht stetig strebt, sein Verdienst zu vermehren, wenn 
er in Hochmuth und Selbstüberschätzung, Habgier und 
Hartherzigkeit verfällt, so wird, wenn die Frucht des frühe- 
ren Tugendverdienstes verzehrt ist, schon in diesem Leben 

Die Ungleichheit der äussern Lebensschicksale auf dieser Erde, 
die scheinbare Ungerechtigkeit, die darin liegt, dass gute Menschen 
oft von schwerem Leiden heimgesucht werden, während die Bösen 
in Herrlichkeit und Freuden dahinleben, ist für jeden Denkenden 
ein Beweis für die moralische Notwendigkeit der Wiedergeburt. 
Dass dieses unermessliche und bewunderungswürdige Weltgebäudc 
nicht das Spiel eines blinden Zufalls sein kann, sondern nur das 
Resultat gesetzmässig wirkender Kräfte; Gesetzmässigkeit aber und 
ausgleichende Gerechtigkeit sich zu einander verhalten, wie physisches 
und geistiges Geschehen, also im Grunde eins und dasselbe sind, 
einmal von Innen, einmal von Aussen betrachtet — dies ist eine 
Wahrheit, deren sich bei ernstem Nachdenken und gereifter Einsicht 
Niemand verschliessen wird. Wer diese Wahrheit leugnet, mit dem 
streiten wir nicht. Wer sie anerkennt, für den folgt mit Not- 
wendigkeit daraus, dass Schuld und Leiden, Verdienst und Glück 
einander genau entsprechen müssen. Wenn wir also die Guten 
leiden sehen, und die Ursache dieses Leidens kann nicht in den 
Thaten des gegenwärtigen Lebens gefunden werden, so muss sie in 
der Schuld einer früheren Geburt begründet sein. Wo Wohlsein 
und Freuden herrschen bei übler Gesinnungsart, da muss Verdienst 
aus einer früheren Geburt vorhanden sein. Es giebt hier eben 
keinen Ausweg: wer eine sittliche Weltordnung anerkennt, wird, 
wenn er folgerichtig zu denken vermag, auch zu der Ueberzeugung 
von der Wahrheit und Wirklichkeit der Wiedergeburt gezwungen. 




oder in der nächsten Geburt Elend und Leiden die Folge 
davon sein, während der von ihm verachtete Arme und 
Niedrige vielleicht einer freudevollen Geburt entgegengeht. 

126. Kann man sich nicht durch Selbstmord den 
Folgen seiner Missethaten entziehen? 

Nein. Der ewigen Gerechtigkeit kann sich Niemand 
entziehen, ihr Walten ist unerbittlich und allmächtig und 
ihr entrinnt Niemand. Daher heisst es im Dhammäpadam: 
„Nicht in den Fernen des unermesslichen Weltraumes, nicht 
in des Meeres Mitte, nicht in den Tiefen der Bergesklüfte 
findest du eine Stätte, wo du den Folgen deiner bösen 
Thaten entrinnen könntest". 

127. Ist der Selbstmord ein Unrecht oder eine Sünde ? 

Der Selbstmord ist, falls dadurch nicht übernommene 
Pflichten gegen andere Menschen verletzt werden, kein Un- 
recht, denn jedes lebende Wesen hat ein unveräusserliches 
und unanfechtbares Recht auf sein eigenes Leben. Aber 
Selbstmord ist eine thörichte Handlung, da er einen Lebens- 
faden gewaltsam abzuschneiden sucht, der mit Notwendig- 
keit sofort wieder angeknüpft wird und zwar meist unter 
noch ungünstigeren Umständen als diejenigen sind, denen 
der Selbstmörder in seiner Verblendung zu entfliehen 
trachtete. 

128. Warum unter ungünstigeren Umständen? 

Weil unser Leiden allein die Folge unseres eigenen 
Irrthums und unserer eigenen Schuld ist. Solange daher 
der Irrthum nicht verscheucht, und die Schuld nicht getilgt 
ist, kann man zu keiner günstigeren Geburt gelangen. Wer 
dies erkennt, wird alle Leiden geduldig ertragen und sich 
bemühen, durch rechtschaffenen Wandel, aufrichtige Selbst- 
erkenntniss und gute Thaten soviel Verdienst als möglich 
zu erwerben, damit er einer günstigeren Wiedergeburt 
würdig werde. Wer sich aber dem Leiden, das zu seiner 
Läuterung dient, thörichterweise durch Selbstmord zu ent- 
ziehen sucht, der beweist dadurch, dass er von Selbsterkennt- 
niss noch weit entfernt ist, und dass er nicht den Willen 



— 58 — 

hat, gut und weise zu werden. In blindem Wahn zerstört er 
den Körper, diese flüchtige, vergängliche Erscheinung, die 
er für sein wahres Wesen hält, nnd beschreitet dadurch den 
abwärts führenden Pfad*), der ihn, wenn weiter verfolgt, 
schliesslich zur Wiedergeburt in einer der Welten der Qual 
und Verzweiflung führt. 

129. Was in uns ist es denn eigentlich, das wieder- 
geboren wird ? 

Unser individueller Wille zum Leben, also unser mora- 
lischer Charakter, unsere Individualität. Diese bildet den 
Kern unseres Wesens und schafft sich nach dem Zerfall des 
gegenwärtigen materiellen Körpers auf Grund des vorhan- 
denen Tanhä und Karma einen neuen, der ihrer Beschaffen- 
heit genau entspricht. 

130. Ist nicht dieser individuelle Lebenswille oder die 
Individualitat dasselbe, was man „Seele 41 nennt? 

Nein, es ist nicht dasselbe. Den Glauben an eine „un- 
sterbliche Seele", d. h. eine einheitliche, ewige und unzer- 



*) Letzteres gilt nicht in gleichem Maasse von jedem Selbst- 
mörder, sondern nur von solchen, welche sich tödten, um der 
Schande nnd Bestrafung für begangene Missethaten zu entgehen, 
oder ans Verzweiflung darüber, dass ihre leidenschaftlichen Wünsche 
nicht erfüllt werden. Es giebt aber auch Selbstmorde, die edlen 
Motiven entspringen, z. B. der Absicht, ein Leben zu enden, das 
nur noch eine Last, ein Hinderniss für dem Selbstmörder nahe- 
stehende und geliebte Personen ist, oder um den Fall seines Vater- 
landes nicht mit ansehen zu müssen. Bei denen, die aus diesen 
und ähnlichen Gründen freiwillig aus dem Leben scheiden, findet 
ein Beschreiten des abwärts führenden Pfades nicht statt. Doch 
liegt dem Selbstmorde stets ein Irrthum zu Grunde, ein Ver- 
kennen der sittlichen Weltordnung, und die Folgen können daher 
nie günstige sein. Nur derjenige, welcher in diesem Leben bereits 
das Nirwana erreicht hat, also ein Arahä, kann, da sein Karma 
völlig erschöpft ist, jederzeit freiwillig aus der Welt gehen. Ein 
solcher aber wird es in den seltensten Fällen thun, sondern denken 
wie Sariputto: „Ich verlange nicht nach Tod, ich verlange nicht 
nach Leben ; ich warte, bis die Stunde kommt, wie ein Knecht, der 
seinen Lohn erwartet. Ich verlange nicht nach Tod, ich verlange 
nicht nach Leben; ich warte, bis die Stunde kommt, bewusst und 
wachen Geistes. (Milinda-Panha.) 




- 59 — 

störbare Wesenheit, welche im Körper nur ihre zeitweilige 
Wohnstätte aufgeschlagen hat, hält der Buddhismus für einen 
auf Unkenntniss der wahren Beschaffenheit des Seins und 
_ der Lebewesen beruhenden Irrthum*). Der Buddhismus lehrt 
keine „Seelenwanderung", sondern die Neubildung des In- 
dividuums in der materiellen Erscheinungswelt auf Grund 
seines Lebenswillens (Tanhä) und seines moralischen Cha- 
rakters (Karma). 

131. Ist vielleicht das „Ich" identisch mit der Seele ? 

Nein. Das „Ich" ist ebenfalls keine bleibende We- 
senheit, keine immaterielle Substanz, sondern ein Zu- 
stand, hervorgegangen aus der Verbindung der fünf 
Khandhos. 

132. Was sind die fünf Khandhos ? 

Die fünf, theils höheren, theils niederen Bestandteile 
und Kräfte eines lebenden Wesens, nämlich : die körperlichen 
Eigenschaften; die durch die Sinnesempfindungen vermit- 
telten Vorstellungen; die Begriffe; die Saukhäros, d. h. die 
geistigen und moralischen angeborenen Anlagen, die Nei- 
gungen, Abneigungen u. s. w.; das Bewusstsein. Kein einziger 

*) Der so weit verbreitete Glauben an eine unsterbliche Seele, 
in uns, d. h. einer individuellen, mit Erkenntniss begabten, von 
andern verschiedenen, erschaffenen oder gewordenen und dabei doch 
ewigen Wesenheit entspringt hauptsächlich dem egoistischen Ver- 
langen nach persönlicher ewiger Fortdauer. Dieser Aberglaube ist 
also ein Ausfluss des verblendeten Willens zum Leben und gehört 
zu den „zehn Fesseln", welche den Menschen an das Dasein ketten 
und die Erlösung verhindern. 

Einsehen, dass im Grunde die Individualität mit ihren den 
andern Individualitäten feindlichen Bedürfnissen und Wünschen es 
ist, welche das ganze Leiden der Welt verursacht, dass daher in- 
dividuelles Wollen und Streben seiner ganzen Natur nach verkehrt 
und unselig, und es das Beste ist, die Individualität willig aufzu- 
gehen — das heisst einen grossen, ja, den grössten Schritt auf dem 
Wege der Erkenntniss gemacht haben. 

Die Menschen wollen aber ihre Individualität um jeden Preis 
erhalten, daher das Ansehen der Religionen, welche den ewigen 
Fortbestand der Individualität versprechen; daher der nimmer endende 
Kampf um's Dasein, daher alles Leid, aller Jammer, von denen das 
lieben voll ist, daher die Schwierigkeit der Erlösung. 



— 60 — 

dieser fünf, noch alle fünf zusammen, sind eine Seele; wohl 
aber erzeugen sie, sobald sie durch Tanhä und Earma zu 
einem lebenden, individuellen Wesen vereinigt werden, die 
Vorstellung des „Ich", d. h. jedes Wesen fasst in seinem 
Bewusstsein sich als ein von der Welt und andern Wesen 
verschiedenes auf. 

Dieses persönliche „Ich" geht jedesmal im Tode unter 
und ist in jeder Geburt ein anderes. 

133. So ist also das Wesen, welches wiedergeboren 
wird, ein anderes, als das, welches gestorben 
ist? 

Dem noch im Zustande der Unwissenheit befindlichen 
Menschen, der das persönliche „Ich"bewusstsein als sein 
wahres Wesen auffasst, mag es so scheinen. Der zur Er- 
kenntniss gelangte weiss, dass sein wahres, über diese flüch- 
tige Erscheinung hinausreichendes inneres Wesen sein Tanhä 
und Karma ist, das jedesmalige „Ich "bewusstsein aber der 
Fackel zu vergleichen, die ein Wanderer in nächtlicher Ge- 
gend anzündet, um seinen Weg zu finden. Wenn er sie nicht 
mehr braucht, bläst er sie aus, um sich bei einer späteren, 
neuen Wanderung eine andere Fackel anzuzünden. 

So ist, mag auch das Bewusstsein des „Ich" wechseln, 
es doch dieselbe individuelle Wesenheit, welches in der 
einen Geburt die gute oder böse That thut und in der 
Wiedergeburt die Früchte dieses Thuns geniesst. 

134. Wie lange lebt die Individualität in immer 
neuen Verkörperungen fort? 

So lange bis die volle Erkenntniss und moralische 
Läuterung, das diesseitige Nirwana, erreicht ist. Dann er- 
lischt sie nacli dem Tode des letzten Leibes restlos im jen- 
seitigen Nirwana (Parinirwäna). 

135. Was ist Parinirwana? 

Vom Parinirwäna kann man sich keine Vorstellung 
machen*, es liegt jenseits aller Erkenntniss, jenseits aller 
Begriffe. Man kann weder sagen, dass es ist, noch dass es 
nicht ist, weil keine Formen des Seins auf Parinirwäna 
anwendbar sind. 



— 61 — 



„Es giebt, Ihr Jünger, eine Stätte, wo nicht Erde, noch 
Wasser ist, nicht Luft noch Licht, nicht Raumunendlichkeit 
noch Zeitunendlichkeit, nicht irgend ein Dasein, nicht Vor- 
stellen noch Nichtvorstellen, nicht diese Welt noch jene 
Welt. Dort ist nicht Entstehen noch Vergehen, nicht Sterben, 
nicht Geburt, nicht Ursache noch Wirkung, nicht Verände- 
rung noch Stillstand. — 

Es giebt, Ihr Jünger, ein Ungeborenes, Unentstandenes, 
nicht Gewordenes, nicht Gestaltetes. Gäbe es dies nicht, so 
würde es auch keinen Ausweg geben aus der Welt des Ge- 
wordenen, Entstandenen, Gestalteten". So spricht der Meister 
im Udana. Wer es zu fassen vermag, d$r fasse es. 

136, Wie kommt es, dass wir uns unserer früheren 
Lebensläufe nicht erinnern? 

Weil wir vom irdischen Wahne verblendet sind, weil 
der Schleier der Unwissenheit unser Auge bedeckt, weil wir 
f est an der Individualität haften und uns unserer höheren 
Natur daher gar nicht, oder nur sehr unvollkommen bewusst 
werden*). Wir leben im Körper im Zustande der Gebunden- 



* ) Das Gedächtniss gehört zu dem phänomenalen Theile unseres 
Wesen, zu den Khandhos, die im Tode ihre Verbindung lösen. 
Es kann also nicht in die folgende Geburt mit hinübergenommen 
werden, ebenso wenig, wie unsere erworbenen wissenschaftlichen 
Kenntnisse oder künstlerischen Fertigkeiten. Haben nicht oft Greise, 
bei denen das Gehirn schwach wird, den grössten Theil ihrer Er- 
lebnisse schon vor dem Tode vergessen? Wie sollte da die Er- 
innerung erhalten bleiben, nachdem im Tode das Gehirn völlig 
zerfallen und in der folgenden Geburt ein neues an seine Stelle 
getreten ist? Die Fackel des beschränkten, individuellen Bewusst- 
seins beleuchtet stets nur den gegenwärtigen Weg (in der jeweiligen 
Verkörperung): sie ist keine Sonne, die ihre Strahlen über ein 
Weltsystem aussendet. Trotzdem ist, was wir erstrebt, erlitten, 
erfahren und im höheren Sinne gelernt haben, nicht verloren, denn 
die Summe unserer Erfahrung und unseres Wissens schlägt sich 
nieder als Willensrichtung, als gesteigerte Bewusstseins- und Er- 
kenntnissfähigkeit und kommt in der nächsten Geburt als an- 
geborene Anlage zum Ausdruck. 

Wer aber einwenden wollte, dass der Mangel der Rückeri nnerung 
ein Beweis für das Nichtbestehen der Wiedergeburt sei, der bedenke: 
von der Empfängniss bis zur Geburt hat Niemand ein ttewusstsein, 
und doch wird kein Mensch leugnen wollen, dass er während dieser 
Zeit bereits ein individuelles Leben führte. Die bewusste Erinnerung 



— 62 — 

heit oder Fesselung, von welcher diejenigen, welche nach 
der Erlösung streben, eben frei zu werden suchen. Unser 
Dasein gleicht dem Traume. 

137. Erläutere dies durch ein Gleichniss. 

Wir haben des Nachts Träume. In diesen sind wir 
bald ein Bettler, bald ein König; in dem einen Traume ge- 
fangen, arm, von Leiden und Gefahren bedroht, in dem an- 
dern vom Glück begünstigt und voller Freude. Und dennoch 
ist es dasselbe „Ich", welches alle diese Gestalten im Traume 
annimmt. 

Ferner: in dem Traume einer Nacht erinnern wir uns 
nicht daran, dass wir schon früher geträumt haben. Der 
Erwachte aber erinnert sich der Träume vieler Nächte. 
Genau so verhält es sich mit unsern verschiedenen Lebens- 
läufen. Es ist stets dieselbe Individualität, welche in ver- 
änderter Gestalt wiedergeboren wird; jede Geburt ist ein 
Traum dieses individuellen Lebenswillens, bald schrecklich, 
bald freudevoll. Solange wir uns in einem dieser Träume 
des Lebens befinden, erinnern wir uns nicht der früheren 
Lebensträume. Der geistig und moralisch Vollendete aber, 
ein Buddha oder Arahä, hat ausgeträumt. Er ist der Er- 
wachte und erinnert sich seiner früheren Geburten*). 

Diese Erkenntniss tritt aber erst dann ein, wenn die 
„zehn Fesseln" vollständig abgestreift sind und die end- 
gültige Befreiung vom Dasein erlangt ist. 



der meisten Menschen hebt überhaupt erst mit dem dritten oder 
vierten Jahre an, wenige wissen sich vorher eines einzelnen Ereig- 
nisses schattenhaft zu erinnern. Und wie wichtig für unser späteres 
Leben, für unsere Geistes- und Charakterrichtung sind gerade diese 
vollständig vergessenen Ereignisse und Eindrücke der ersten Kindheit ! 
*) Es ist buddhistische Lehre, dass das Selbstbewusstsein stets 
nur diejenigen Seiten der Individualität beleuchtet, welche gerade 
in der jeweiligen Geburt zur Entfaltung kommen, also keineswegs 
die Tiefe der Individualität erschöpft; dass es dagegen neben dem 
beschränkten „Ich u bewusstsein der gerade erreichten Eutwickelungs- 
form noch ein Individualbewusstsein giebt, welches die ganze 
Reihe der durchlaufenen Entwickelungsstufen umfasst, aber gleich- 
sam latent bleibt und erst nach Erlangung des Nirwana in Thätig- 
keit tritt, nachdem Begier, Uebelwollen und Wahn, die seine Ent- 
faltung verhinderten, restlos vernichtet sind. 



— 63 — 

138. Welches sind die zehn Fesseln? 

1. Der Wahn, dass das Ich, die Individualität oder 
die Seele unsterblich sei. 

2. Der Zweifel, dass es eine sittliche Weltordnung 
und einen Weg zur Erlösung giebt. 

3. Der Aberglaube, dass äussere religiöse Gebräuche, 
Gebete, Opfer, Hören der Predigt, Reliquienver- 
ehrung, Wallfahrten und sonstige Riten und Ce- 
remonien zur Erlösung führen. 

4. Die sinnlichen Leidenschaften und Begierden. 

5. Hass, Uebel wollen gegen seine Mitwesen. 

6. Liebe zum irdischen Leben. 

7. Verlangen nach einem künftigen Leben im Himmel 
oder Paradiese. 

8. Stolz. 

9. Geistiger Hochmuth. 

10. Unwissenheit (Awidschä). 

139. Trägt nicht Reue und Busse ebenfalls zur Selbst- 
vervollkommnung und Erlösung bei? 

Ja, aber durch Reue und Busse allein lässt sich 
Nichts ausrichten, denn die ewige Gerechtigkeit lässt sich 
Nichts abhandeln, abbitten oder abzwingen. 

Die Reue ist nur insofern von Werth, als sie die leb- 
haft gefühlte Erkenntniss unserer Schuld in sich schliesst 
und uns anspornt, das Unrecht und Leiden, welches wir 
Andern zugefügt haben, nach besten Kräften wieder gut zu 
machen, und uns fernerhin Verdienst zu erwerben. T h a t e n - 
lose Reue aber und jammernde Zerknirschung sind ganz 
nutzlos. 

Ebenso nutzlos ist jede äusserliche Busse*), d. h. die 
Uebernahme irgend einer Strafe, Selbstpeinigung u. dergl. 
Die wahre Reue des Buddhisten zeigt sich in muthigem Bc- 



*) Nicht Kasteinngen, nicht das Scheeren des Hauptes, nicht 
beten, fasten, büssen und ein Leben in Armut reinigt den, der die 
Begierden nicht überwanden hat. 

Was nützt dein geschorenes Haupt, du Thor, was dein Gewand 
aus Lumpen ? In deinem Innern wohnt Bosheit, aber dein Aeusseres 
heuchelt Heiligkeit. (Dhammapadam.) 



treten des Weges zum Heil, und die wahre Busse in der 
Unterdrückung der Selbstsucht, der Leidenschaften und Be- 
gierden. 

140. Lehrte der Buddha, dass nur Anhänger seiner 
Religion zur Erlösung gelangen können? 

Nein. Der Buddha verkündigte die Herrschaft der 
sittlichen Weltordnung, der ewigen Gerech- 
tigkeit, und diese fragt nicht darnach, was Einer glaubt 
oder nicht glaubt. Auf die That, auf die innere Gesinnung, 
auf den guten oder bösen Willen kommt es an! Jedes 
Wesen erhält den Lohn, den es verdient, ob es Buddhist ist 
oder nicht. Auch Andersgläubige können daher zur Er- 
lösung gelangen, nur ist es für sie viel schwieriger, und die 
Gefahr, das Ziel zu verfehlen, sehr gross. 

Es ist, wie wenn Jemand einem falschen Wegweiser 
folgt. Nach langem Umherirren kreuz und quer, durch 
Sümpfe, Wüsten, Wälder, über Berge und Flüsse, wird er 
vielleicht endlich doch ans Ziel gelangen. Wer aber dem 
richtigen Wegweiser folgt, der braucht nur gerade ans zu 
gehen und nicht vom Pfade abzuweichen, um schnell und 
sicher das Ziel zu erreichen. Der richtige Wegweiser aber 
ist allein der Buddha. 

141. Wie verhält sich der Buddhismus Anders- 
gläubigen gegenüber? 

Er gebietet uns, alle Menschen, welcher Rasse, Natio- 
nalität oder welchen Glaubens sie auch sein mögen, als 
unsere Brüder anzusehen, die Ueberzeugung jedes Anders- 
gläubigen zu achten und selbst alle Wortstreitigkeiten über 
religiöse Dinge zu vermeiden. Die buddhistische Lehre ist 
vom Geiste reinster Duldung durchweht;*) niemals und 



*) Als vor etwa vierzig Jahren die französische (katholische) 
Mission bei dem Könige von Siam um die Erlanbniss bat, sich im 
Lande niederlassen zu dürfen, gewährte sie dieser mit der grössten 
Hereitwilligkeit und über Hess den Missionaren sogar ein Grundstück, 
indem er ihnen den besten Erfolg wünschte. Dieser Erfolg blieb 
aus, dagegen suchten die Missionare auf andere Weise ihren christ- 
lichen Glaubenseifer zu bethätigen, indem sie die Bilder in einem 
nahegelegenen Buddhistcntemnel besudelten. Als die Bewohner des 



— 65 — 

nirgendwo ist für ihre Ausbreitung Blut geflossen, nie hat 
sie, wo sie zur Herrschaft gelangte, Andersgläubige verfolgt 
oder unterdrückt. Wer die Wahrheit nicht erkennt oder 
nicht hören will, schadet nur sich selbst und erregt daher 
das Mitleid des Buddhisten, nicht seinen Hass. 

142. Viele sehen in der milden Sinnesart der Bud- 
histen nur Schwäche. Ist es wahr, dass der 
Buddhismus die Thatkraft lähmt? 

Dem Verblendeten mag es so scheinen, denn der 
Buddhismus lähmt allerdings die rohe, thierische Thatkraft, 
die sich in dem leidenschaftlichen Ringen nach Besitz und 
Genuss, im wilden, erbarmungslosen Kampfe ums Dasein 
äussert, indem er lehrt, dass auf dem Wege materiellen Fort- 
schritts und äusserer Verfeinerung das Heil nicht zu erreichen 
ist, sondern allein durch geistige und moralische Entwicke- 
lung. Aber trotzdem geht der Buddhist nicht kampflos durchs 
Leben. Nur gewechselt ist der Kampfplatz — statt der 
äussern Welt, ist er jetzt die eigene Brust ; und obwohl mit 
der Welt in Frieden und daher anscheinend thatenlos, ringt 
der Buddhist unablässig und mit Aufbietung aller höheren 
und edleren Kräfte gegen die selbstsüchtigen Triebe seines 
Herzens und die Reizungen der Sinne. Das ist die That- 



Dorfes, denen der Tempel zugehörte, darüber beim Könige Klage 
fährten, rieth ihnen dieser, als die Klügeren nachzugeben, die Bild- 
nisse des Buddha anderswo hinzustellen, da dieselben ja doch nur 
Erinnerungszeichen seien, und allem Streit aus dem Wege zu gehen, 
denn in der Religion handele es sich um wichtigere Dinge, als um 
solche elende Zänkereien mit Barbaren. 

Als der englische Protestantenmissionar Edkins in neuester 
Zeit in China ein berühmtes Buddhistenkloster besuchte, nahm ihn 
der Abt freundlich auf und erbot sich sogar, ihm unentgeltlich ein 
Stück von den Klosterländereien zum Bau einer christlichen Kirche 
zu überlassen. 

Aehnliche Beispiele Hessen sich aus alter und neuer Zeit hunderte 
anführen. Christliche Prediger nennen ein solches edles und vor- 
urtheilsfreies Verhalten „tadelnswerthe Lauheit" in Religionsange- 
legenheiten, Buddhisten dagegen sind überzeugt, dass so zu handeln 
dem Wohlwollen entspricht, das gegen jedes lebende Wesen in 
Worten und Werken zu bethätigen, der erhabene Stifter ihrer Reli- 
gion ihnen zur Pflicht gemacht hat. 

5 




— 66 — 

kraft des wahren Buddhisten — und dieser Kampf ist 
schwieriger, edler, höher und für die Menschheit frucht- 
bringender als die Kämpfe und Siege aller Eroberer und 
Könige, von denen die Weltgeschichte meldet. 

„Grösser als wer tausend mal tausend Feinde in der 
Schlacht besiegt, ist der Mann, der sich selbst besiegt. 
Wahrlich, er ist der grosseste der Sieger u . (Dhammapadam.) 

143. Sind Gebete, Opfer und die Beobachtung reli- 
giöser Gebräuche zur Erreichung des Nirwana 
nöthig? 

Nein, Gebete und Opfer im eigentlichen Sinne giebt 
es nicht in der buddhistischen Religion. Das Hersagen von 
Sprüchen aber oder das Lesen der heiligen Schriften, das 
Anhören von Predigten und dergl. ist, wenn es mit wahrer 
Andacht geschieht, von hohem Werthe, da es den Muth des 
Anhängers in Stunden der Versuchung aufrichtet und stärkt, 
sein Vertrauen zu der eigenen Kraft und der Lehre befestigt 
und die innere Sammlung befördert. Alle äusseren religiö- 
sen Gebräuche verfolgen denselben Zweck. Sie sind für 
den weltlichen Anhänger wichtig und unentbehrlich, um ihn 
au die wahre Bedeutung des Lebens zu erinnern, seinen 
Sinn von den Lockungen der Welt abzulenken und ihm stets 
das höchste Ziel vor Augen zu stellen. 

Wer aber bereits den Weg zur Erlösung beschritten 
hat, und als Bhikschu nur noch der geistigen Entwickelung 
und moralischen Selbstvervollkommnung lebt, bedarf solcher 
Hüifsmittel nicht mehr*). 

144. Wird die Verehrung von Bildern, Bildsäulen 
oder Reliquien des Buddha und seiner Jünger 
von der Lehre gefordert? 

Nein. Der Buddha lehrte, dass dergleichen Bräuche 
zur Erreichung der Erlösung nichts beitrügen, wohl aber 
leicht zu Aberglauben und Irrthum führten. 



*) Von Herzen wohlwollend, gerecht und gütig sein ist die 
höchste Religiosität. Wer dieses weiss, dem erscheinen alle äusseren 
Gebräuche und Dogmen nur als Krücken für die Gebrechlichen, die 
nicht auf eigenen Füssen gehen können. Leider bedürfen die meisten 



— 67 — 

145. Warum legen die Buddhisten denn aber Blumen 
vor den Bildsäulen des Buddha nieder und 
zünden Weihrauch davor an? 

Die weltlichen Anhänger thun dies, um durch ein 
sichtbares äusseres Zeichen ihrer Verehrung und Dankbar- 
keit gegen den Weiterleuchter Ausdruck zu geben. Ein 
solcher Brauch ist nicht zu verwerfen; wer jedoch meint, 
sich dadurch ein besonderes Verdienst zu erwerben oder gar 
der Erlösung näher zu kommen, befindet sich im Irrthume. 

146. Giebt es Wunder? 

Nein. Ein Wunder im strengen Sinne des Wortes 
wäre eine willkürliche Durchbrechung der Naturgesetze durch 
irgend ein übermenschliches Wesen. Dergleichen kann nicht 
vorkommen. Der Buddhismus lehrt die ausnahmslose Gesetz- 
mässigkeit alles Geschehens. Dieser Gesetzmässigkeit, sind 
selbst die höchsten Götter unterworfen. 

147. Allein es giebt doch Erscheinungen und Vor- 
gänge, die uns erklärlich sind? 

Deren giebt es Viele. Sie erfolgen nach Naturge- 
setzen, die uns noch verborgen sind, von dem Buddha aber 
in ihrer vollen Gesetzmässigkeit erkannt wurden*). Man 
darf solche Erscheinungen und Vorgänge daher nur bildlich 
als Wunder bezeichnen**). 



Menschen solcher geistigen und moralischen Krücken. Der geistig 
Freie aber wirft sie weg, sobald er die Kraft in sich fühlt, ohne 
äussere Hülfsmittel seinen Weg verfolgen zu können. 

*) Als Kewatto, ein Anhänger ans Nalanda, den Buddha bat, 
er möge doch seine Jünger ein Wunder der magischen Macht thun 
lassen zur Bekehrung der Nalander, wie das bei Religionsstiftern 
üblich sei, antwortete der Erhabene: Die Wunder der magischen 
Macht und der Wahrsagung verachte und verwerfe ich. Ich und 
meine Jünger, wir gewinnen nur Anhänger durch das Wunder der 
Belehrung. 

**) Für den afrikanischen Neger oder den amerikanischen In- 
dianer ist z. B. die Telegraphie ein Wunder, während wir die 
Naturkräfte und Naturgesetze kennen, auf denen sie beruht. In 
derselben Lage aber, wie der Wilde gegenüber der Telegraphie, be- 
findet sich der unwissende Inder und Europäer angesichts von Vor- 



— 68 — 

148. Welches ist der hauptsächlichste Unterschied 
zwischen der Lehre des Buddha und andern 
Religionen ? 

Der Buddhismus lehrt die höchste Güte und Weis- 
heit ohne einen persönlichen Gott ; eine höchste Erkenntniss 
ohne Offenbarung; eine sittliche Weltordnung und ge- 
rechte Ausgleichung , die sich auf Grund der Gesetze der 
Natur und unseres eigenen Wesens mit Notwendigkeit voll- 
zieht; eine Fortdauer der Individualität ohne eine unsterb- 
liche Seele; eine ewige Seligkeit ohne einen örtlichen Him- 
mel; eine Möglichkeit der Heiligung ohne einen stellvertre- 
tenden Heiland; eine Erlösung, bei der Jeder sein eigener 
Erlöser ist, und welche ohne Gebete, Opfer, Bussübungen 
und äussere Gebräuche, ohne geweihte Priester, ohne Ver- 
mittelung der Heiligen und ohne göttliche Gnadenwirkung 
aus eigener Kraft errungen und schon in diesem Leben und 
auf dieser Erde erreicht werden kann. 

149. Was ist der Geist und Kern der ganzen Lehre 
in wenige Worte gefasst? 

Drang nach Befreiung von den Fesseln der Indivi- 
dualität, von geistigen, moralischen und physischen Banden ; 
Drang nach Erlösung von der Nichtigkeit und den Leiden 
des materiellen Daseins, und die rechte Anweisung, dieses 
Ziel zu erreichen*). 

150. Ist dieser Geist und Kern der Lehre nicht ein 
pessimistischer? 

Weder ein pessimistischer noch optimistischer. Pessi- 
mismus wie Optimismus sind Extreme , daher einseitig und 

gangen und Erscheinungen, die ihm unerklärlich sind. Er glaubt 
da leicht an ein Wunder. Pflegt doch der Grad der Gläubigkeit 
eines Menschen fast durchgängig in umgekehrtem Verhältnisse zu 
seiner Einsicht zu stehen. Je geringer diese, um so grösser jene. 

*) Wie das Weltmeer, Ihr Jünger, überall durchdrungen ist 
von dem Geschmack des Salzes, so ist diese Lehre und Satzung an 
jeder Stelle durchdrungen vom Geiste der Erlösung. (Tschulläwagga.) 

Der Wille zum Leben ist die ärgste aller Krankheiten, die In- 
dividualität das grösste Uebel. Wer von dieser Erkenntniss durch- 
drungen ist, der sieht in Nirwana die höchste Glückseligkeit. 



— 69 — 

gleich weit von der Wahrheit entfernt. Der Buddha lehrte 
die Wahrheit, die in der Mitte liegt. Das individuelle Leben 
ist nichtig, leidvoll, reich an Irrthümern, Enttäuschungen, 
körperlichen und geistigen Schmerzen, schon durch die 
Geburt dem Tode anheimgefallen. Dies ist die pessimistische 
Seite der Wahrheit. Aber wir sind nicht gezwungen, dies 
Dasein für alle Zeit fortzuführen, wenn es " uns nicht mehr 
gefällt. Wir können aus eigener Kraft die Befreiung und 
Erlösung erringen. Dies — aber auch nur dies allein — 
rechtfertigt eine optimistische Auffassung. 

Die Stimmung des Buddhisten, vor allem aber die 
des Bhikschu, ist keineswegs eine trübselige; Klagen über 
das Erdenleid und weltschmerzlichen Anwandlungen giebt 
er sich nicht hin. Ernst in diesem ernsten Leben, aber 
voll innerer Heiterkeit und Zuversicht, verfolgt er unbeirrt 
den Weg des Heils, der ihn zu jenem Ziele führt , wo alles 
Leiden und aller Irrthum endet. Mag sein Leben dem welt- 
lich Gesinnten, dem Verblendeten, voll von Entbehrungen 
und freudeleer erscheinen , er selbst geniesst in dem Be- 
wusstsein, auf dem Wege zur Vollendung und Erlösung zu 
sein, in der wachsenden Begierdelosigkeit und in der reinen 
Erkenntniss der Wahrheit eine Seligkeit, die alle sinnlichen 
Genüsse weit übersteigt*). 



Diesen heilsamen Rath gebe ich Euch Allen, die Ihr hier ver- 
sammelt seid: rottet den Lebenstrieb mit der Wurzel ans, dass der 
Gott des Todes (Maro) Euch nicht wieder und wieder zerbreche, 
wie der Sturm die Schilfrohre. 

Wen der Lebenstrieb erfüllt, der ist wie ein Wild in der 
Schlinge. Darum überwinde der Bhikschu die Lebenslust und trachte 
nur nach Leidenschaftslosigkeit. 

Der Weise betrachtet weder Ketten noch Stricke als Fesseln, 
sondern Beichthümer, kostbare Steine, Weib und Kind, Alles was 
ihn in's Weltleben niederzieht. Darum lässt er Alles das mit seinen 
Leiden und Freuden hinter sich. 

Gieb auf, was hinter Dir liegt, gieb auf, was Dir die Zukunft 
verspricht, verzichte auf den Genuss der Gegenwart, wenn Du das 
jenseitige Ufer (des Lebensmeeres) erreichen willst. Hast Du Dich 
geistig ganz frei gemacht, wirst Du nicht wieder der Geburt und dem 
Tode anheimfallen. (Dhammapadam.) 

*) Wer den Werth ernsten Nachdenkens erkannt hat, findet 
sein wahres Glück darin. Er freut sich des Wissens der Erlesenen. 



— 70 — 

151. Sind alle diese Lehren in den t 
(den drei Pitakas) aufgezeichne 

Diese und noch viele andere, die 
verkündet hat. 

152. Wurden die heiligen Bücher von 
verfasst oder niedergeschrieben 

Weder von dem Buddha selbst noch 
welche des Buddha unmittelbare Jünger g 
war damals in Indien nicht der Brauch, rel 
sophische Wahrheiten niederzuschreiben. " 
vom Lehrer dem Schüler mündlich überliefe 
unablässige Wiederholung auf das genai 
Wort für Wort und Satz für Satz. Auf dies 



Strebe nicht nach den Eitelkeiten der Welt 
Leben voll Liebe und Lust. Der denkende Mens 
die Fülle. 

In der Einsamkeit des Waldes ist gut sein. . ~ ua weitling, 
der den Sinnengenüssen nachjagt, keine Freude findet, da blüht sie 
dem, der seine Leidenschaften überwunden hat. 

Der ßhikschu, der die rechte Erkenntniss hat, verlangt selbst 
nach den Freuden des Himmels nicht. Nur in der Ueberwindung 
aller Begierden und Neigungen findet er wahre Glückseligkeit. 

Selig sind, die nicht hassen. Darum laset uns unter denen, 
die uns hassen, leben frei von Hass. 

Selig sind die Reinen, darum lasst uns unter den Unreinen in 
Reinheit leben. 

Selig sind, die frei von Begierden sind. Darum lasst uns unter 
den Gierigen leben frei von Begier. 

Selig sind, die nichts ihr eigen nennen. Sie sind den lichten 
Göttern gleich, die von Glückseligkeit leben. 

Gesundheit ist der kostbarste Besitz, Zufriedenheit der grösste 
Reichthum, ein treuer Freund der nächste Verwandte, Nirwana die 
höchste Glückseligkeit. 

Süss ist die Einsamkeit und der Friede des Herzens; süss ist 
es, frei zu sein von Furcht und Begier ; süss ist der Trunk aus dem 
Becher der heiligen Lehre. 

Der Anblick der Erlesenen gewährt Freude, mit ihnen zusammen 
zu leben Glückseligkeit. Darum schliesse Dich den Weisen, den 
geistig H ochsteh enden, den Wissenden, den Geduldigen, den Leiden- 
schaftelQMpp^B Erlesenen an. In ihrer Gemeinschaft lebe immer- 
dar, wjp^^ ~ M in der Gesellschaft der Sterne. (Dhammapadam.) 



— 71 — 

sie sich von Geschlecht zu Geschlecht fort*). So geschah 
es auch mit den Lehren des Buddha. Erst mehrere hundert 
Jahre nach des Buddha Tode wurden die heiligen Schriften 
in der Fassung, in der sie jetzt vor uns liegen, auf Palm- 
hlättern niedergeschrieben, nach der dritten grossen Ver- 
sammlung der fünfhundert Theros (Aeltesten der Brüder- 
schaft) zu Pataliputta unter der Regierung des Königs 
Astfko. 

153. Wer war König Asoko? 

Einer der mächtigsten Monarchen Indiens. Er re- 
gierte von 259 — 222 vor unserer Zeitrechnung, bekehrte 
sich selbst zur Lehre des Erleuchteten und suchte den 
Buddhismus über die ganze Erde auszubreiten. Noch heute 
zeugen die Steintafeln, auf denen er die moralischen Vor- 
schriften des Buddha eingraben Hess, für König Asöko's 
Wirken, und sein Name steht bei allen Buddhisten in höch- 
stem Ansehen. 

154. Giebt es einen esoterischen Buddhismuss, d. h. 
eine buddhistische Geheimlehre, die nicht nieder- 
geschrieben worden ist, sondern sich allein durch 
Ueberlieferung unter den Arahäs erhalten 
hat? 

Nein. Der Buddha hat keine Geheimlehre verkündet, 
sondern „den Weg der Befreiung für Alle"; und brahmanische 
Geheimnisskrämerei, Mystizismus, Okkultismus und Esoteris- 
mus, diese Schlupfwinkel des Aberglaubens und der Täu- 
schung, wurden von ihm verworfen. Erst als der Buddhis- 



*) Von der erstaunlichen Gedächtnisskraft der indischen Brahe 
manen berichten alle europäischen Gelehrten, welche indische Sprach- 
und Philosophie treiben, übereinstimmend. Max Müller, einer der 
grössten, jetzt lebenden Autoritäten auf diesem Gebiete behauptet, 
dass wenn alle geschriebenen und gedruckten brahmanischen Bücher 
plötzlich vernichtet würden, die heiligen Schriften trotzdem Wort 
für Wort, und Silbe für Silbe leicht wieder hergestellt werden 
könnten mit Hülfe der Brahmanen, welche sie auswendig wissen, 
da es noch heute bei den Brahmanen üblich ist, dass der Lehrer 
sein Wissen dem Schüler mündlich überliefert. 




— 72 — 

mus sich über ganz Indien ausgebreitet hatte und nach China 
und Tibet vordrang, entstanden neben der reinen Lehre 
nnter der Einwirkung brahmanischer Spekulationen auch 
mystisch -phantastische Welt- und Lehrsysteme, die als 
eine Entartung des ursprünglichen Buddhismus zu betrach- 
ten sind*). 

155. Ist in den heiligen Büchern nur reine Wahrheit 
enthalten ? 

Alles was die heiligen Schriften über die Religion, 
über das Leiden des Lebens, über die sittliche Welt- 
ordnung und den Weg zur Erlösung lehren, ist die reine 
Wahrheit. Daneben aber enthalten sie auch manches Irr- 
thümliche. 

156. Hat denn der Buddha auch Irrthümliehes ge- 
lehrt? 

Nein, ein Buddha lehrt nichts Irrthümliehes, Un- 
wahres oder Falsches. Aber im Laufe der verflossenen 
Jahrtausende sind in die Pitakas einige Bücher und Stellen, 
welche nicht hineingehören, aufgenommen worden, und in 
diesen befinden sich manche Irrthümer. 



*) Als Anando den sterbenden Buddha frag, ob er vor seinem 
Hinscheiden den Jüngern nicht noch einige letzte Offenbarungen zu 
geben habe, antwortete der Vollendete: 

„Wie meinst du das, Anando? Erwartet das die Brüderschaft 
von mir? Ich habe euch die Wahrheit verkündet, ohne einen 
Unterschied zwischen exoterischer und esoterischer Lehre (Allgemein- 
und Geheimlehre) zu machen. Ich gleiche nicht jenen Lehrern mit 
der geschlossenen Hand (den Brahmanen), die das Beste zurück- 
behalten". 

Zur Erklärung muss hier hinzugefügt werden, dass die Leiter 
der zahlreichen brah manischen Sekten ihre höchsten Erkenntnisse 
nicht allen ihren Jüngern preiszugeben pflegten, sondern nur wenigen 
bevorzugten, oft erst in der Todesstunde demjenigen, den sie zu 
ihrem Nachfolger als Leiter der Sekte bestimmt hatten. Aus der 
scharfen Abweisung, welche Anando in diesem Punkte von dem 
Buddha empfangt, geht mit unzweifelhafter Klarheit hervor, dass 
der Vollendete keine Geheimlehre verkündet hat, und dass Alles, 
was angebliche Adepten dieser Richtung unter dem Namen des eso- 
terischen oder Geheimbuddhismus in Umlauf setzen, eine Erfindung 
späterer Zeiten ist. 



— 73 — 

157. Was sind das für Bücher oder für Stellen? 

Solche, welche von der Entstehung der Welt, der 
Form und Beschaffenheit der Erde, kurz, von der Natur- 
wissenschaft handeln*). Danehen solche mystischen und 
okkultistischen Inhalts. Diese Stellen sind leicht als spätere 
Einschiebungen zu erkennen, da sie mit den Grundwahr- 
heiten der Lehre in Widerspruch stehen. 

Sie enthalten nicht die Worte des Buddha, und kein 
Buddhist ist verpflichtet, daran zu glauben. 

158. Da alles Entstandene vergänglich ist: wird auch 
des Buddha Lehre vergehen? 

Des Buddha Lehre wird nie vergehn, solange die 
Welt besteht, denn ihr Geist ist die ewige Wahrheit selbst, 



*) Der Buddhismus -will keine Naturwissenschaft lehren, er hat 
es nicht mit der äusseren Erscheinung der Dinge, sondern mit ihrem 
innerea Wesen zu thun, und steht daher zur Wissenschaft weder 
in einem feindlichen noch in einem abhängigen Verhältnisse. 

Der gebildete Buddhist steht der Naturwissenschaft völlig vor- 
urteilsfrei gegenüber, prüft deren Ergebnisse und nimmt, unbeein- 
flusst durch religiöse Bedenken, diejenigen ihrer Lehren an, die ihm 
am richtigsten erscheinen. Europäische Gelehrte haben daher auch 
in buddhistischen Landen stets freundliche Aufnahme und williges 
Gehör gefunden. 

Der Buddhist weiss, dass die Wissenschaft, wie alles Irdische, 
ein Wandelbares ist, stetig fortschreitet und heutzutage vieles Nütz- 
liche und Grosse lehren kann, was man zu des Buddha Zeiten nicht 
wusste ; dass aber andererseits, so weit auch immer wissenschaftliche 
Forschung fortschreiten mag, Nichts entdeckt werden kann, was 
den Worten des Buddha widerspräche. Nach buddhistischen An- 
sichten ist die Wissenschaft die irdische Schwester der ewigen 
Wahrheit. Die Wissenschaft klärt unsern Verstand auf und macht 
ihn empfänglich für höhere Erkenntniss; die ewige Wahrheit 
aber, die der Buddha verkündet hat, führt zur Erleuchtung und 
Erlösung. 

Wer die vier Heilswahrheiten völlig erkannt und erfasst hat, 
kann freilich die Wissenschaft entbehren, während das umfassendste 
gelehrte Wissen vom Standpunkte der höheren Erkenntniss aus noch 
immer zum Nichtwissen (awidschä) gehört, da es nicht zur Er- 
lösung vom Leiden und von der Wiedergeburt fuhrt. 




— 74 — 

eingegangen in die irdische Form von Wort und Begriff u 
lebendig geworden in der Person des Welterleachters. 

Ihre äussere Form und Einkleidung aber 
wandelbar; in jedem der nach Jahrtausenden zählenc 
Menschenzeitalter wird ein neuer Buddha geboren, welcl 
die Lehre vom Leiden und von der Erlösung in der seil 
Zeit angemessenen Einkleidung verkündet. 



* 




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Die Brüderschaft der Erlesenen 

(Sangho).*) 



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150. Was versteht man unter der Brüderschaft der 
Erlesenen? 

Unter der Brüderschaft der Erlesenen (Sdngho) ver- 
steht man die Vereinigung aller Derer, welche als wahre 
Jünger und Nachfolger des Buddha die Welt verlassen und 
den erhabenen achtheiligen Pfad der Befreiung und Er- 
lösung betreten haben. 

*) Das Wort „Sangho" ist hier mit Brüderschaft der Erlesenen 
übersetzt worden, obgleich diese Uebersetzung dem damit bezeich- 
neten Begriff nur unvollkommen entspricht. Der Sangho ist die 
brüderliche Vereinigung aller Bhikschu und Samanen, der wahren 
Jünger und Nachfolger des Buddha. Für Bhikschn aber wie für 
Samane giebt es keine treffende deutsche Uebersetzung. Bhikschn 
heisst wörtlich „Bettler". Die Bhikschn sind aber keine Bettler im 
modernen europäischen Sinne, wo das Wort eine erniedriegende und 
entehrende Bedeutung hat Sämano dagegen bezeichnet einen 
Menschen, der sich zum Zwecke geistiger Entwickelung aller welt- 
lichen Genüsse enthält, also einen Asketen im höheren Sinne. 
Bhikschn durchgängig mit Bettelmönch zu übersetzen, wie hier und 
da im Texte geschehen ist, wäre vielleicht am einfachsten und 
zweckentsprechendsten gewesen, doch auch dabei ist ein Missver- 
ständniss zu befürchten, denn die Bhikschu sind keine Bettelmönche 
im christlichen Sinne, da sie das Gelübde des Gehorsams gegen 
ihre Oberen nicht ablegen. Bhikschu nun gar mit »Priester" wieder- 
zugeben, wie manche europäische Gelehrte gethan haben, geht gar 
nicht an, denn die buddhistischen Bhikschu haben keinerlei Weihen 
noch priesterliche Vorrechte. Es blieb also nichts übrig, als sich 
auf die Weise zu helfen, wie es hier geschehen ist, da in den 
heiligen Büchern die Bhikschu und Samanen häufig auch die 




— 76 — 

160. Wer ist zum Eintritt in die Brüderschaft be- 
rechtigt? 

Jedermann, ohne Ansehen der Rasse oder Farbe, des 
Ranges, Standes und Geschlechtes, sofern er nur den festen 
Entschluss bekundet, fortan allein der Erlösung nachzu- 
streben, und frei von den in der Satzung angeführten Auf- 
nahmehindernissen ist. 

161. Wen schliesst die Satzung von der Aufnahme 
aus? 

Alle mit ansteckenden oder unheilbaren Krankheiten 
Behaftete; Kinder unter 15 Jahren; Sklaven und Leibeigene, 
so lange sie nicht ihre Freiheit auf rechtliche Weise erlangt 
haben; alle von den Behörden Verfolgte, so lange sie nicht 
ausser Anklage gesetzt sind, oder ihre Strafe verbüsst 
haben; Schuldner, so lange sie nicht ihre Verpflichtungen 
erfüllt haben ; Soldaten und Beamte jeder Art, so lange sie 
im Dienste sind, und Unmündige, welche die Erlaubniss 
ihrer Eltern oder Vormünder nicht besitzen. 

162. In welcher Weise erfolgt die Aufnahme in die 
Brüderschaft der Erlesenen? 

Durch die Bekleidung mit dem gelben Gewände der 
Bhikschu. Dieses „Hinausgehen" (Pabbadschd) aus der Hei- 
math in die Heimathlosigkeit, aus dem Weltleben in die 
Zurückgezogenheit des Klosters oder der Einsiedelei bildet 
den ersten vorbereitenden Schritt. Der Novize (Saman^ro) 
hat dann unter der Aufsicht eines geistlichen Lehrers 
(Upadschhdyo) oder Leiters (Ätscharyo), den er sich unter 
den Brüdern selbst wählen darf, eine Probezeit durchzu- 
machen, ehe er als gleichberechtigtes Mitglied der Brüder- 
schaft aufgenommen wird. 



„Ariyos", die Edlen oder Erlesenen genannt werden, was allerdings 
ihrem Wesen und ihrer Stellung zu der grossen Masse der Welt- 
menschen noch am besten entspricht. Denn der erhabene acht- 
theilige Weg ist nicht für die Armen im Geiste, sondern für die 
Edlen, die Hochstrebenden, die des Daseins Freuden verachten und 
allein nach Erkenntniss und Befreiung verlangen, für die geistig 
Starken, welche die Wahrheit ertragen und ihr nachleben können. 




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163. Welche Pflichten hat der Samanero während 
seiner Probezeit zu erfüllen? 

Der Saman6ro übernimmt vom Tage der Einkleidung 
an alle Verpflichtungen der Brüder. Er muss allem welt- 
lichen Treiben gänzlich entsagen, die zehn Gelübde 
streng beobachten, sich eifrig dem Studium der heiligen 
Schriften, der Selbstbetrachtung und dem ernsten Nach- 
denken hingeben, die Satzungen undVorschriften 
reinen Wandels und moralich er Selbstzucht 
getreulich erfüllen und nur noch dem einen Ziele nach- 
streben, durch entschlossenes Fortschreiten auf dem er- 
habenen achttheiligen Pfade zur Befreiung, zur 
Erlösung, zum Nirwana zu gelangen. 

Nachdem der Samanäro in richtiger Ausübung aller 
Gelübde, Satzungen und Vorschriften unterrichtet ist und 
seine Probezeit vorwurfsfrei beendet hat, erfolgt in feier- 
licher Versammlung der Brüder durch den Aeltesten oder 
Oberen (Thero) seine Aufnahme (Upasampada) als Bhikschu. 

164. Wie lauten die zehn Gelübde für die Brüder- 
schaft? 

1. Ich gelobe, kein lebendes Wesen zu tödten oder 
zu verletzen. 

2. Ich gelobe, nichts zu nehmen, was mir nicht ge- 
hört oder mir nicht freiwillig gegeben wird. 

3. Ich gelobe, in völliger Keuschheit zu leben*). 

4. Ich gelobe, stets die Wahrheit zu sprechen, 
Niemand zu belügen, zu betrügen oder zu ver- 
läumden. 



*) Für den Bhikschu ist die Beobachtung gänzlicher Keuschheit 
unerlässlich, jedoch nicht, weil der intime Verkehr mit dem anderen 
Geschlechte etwa ein Unrecht oder eine Sünde wäre. Der Mensch, 
welcher den natürlichen Trieben nachgiebt, begeht, solange er da- 
durch Niemand verletzt oder schädigt, kein Unrecht. Allein jeder 
Sinnesgenuss entspringt dem selbstsüchtigen Willen zum Leben, und 
der Geschlechtsgenuss ist der stärkste Ausdruck des Lebenswillens. 
Kein anderer schwächt wie er die geistigen und moralischen Kräfte, 
deren der Bhikschu in vollem Maasse bedarf, um die Erlösung zu 
erringen. 



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5. Ich gelobe, keine berauschenden Getränke zu 
gemessen. 

6. Ich gelobe, nur zu den vorgeschriebenen Zeiten 
zu essen*). 

7. Ich gelobe, mich des Tanzens, des Singens 
weltlicher Lieder, des Besuches der öffentlichen 
Schauspiele und Musikaufführungen, sowie aller 
sonstigen weltlichen Vergnügungen zu enthalten. 

8. Ich gelobe, der Eitelkeit zu entsagen, den 
Gebrauch von Schmuck jeder Art, der wohl- 
riechenden Wässer, Salben und Oele aufzu- 
geben. 

9. Ich gelobe, die Benutzung üppiger Betten zu 
meiden und auf einem harten, niedrigen Lager 
zu schlafen. 

10. Ich gelobe, immerdar in freiwilliger Armuth zu 
leben. 

165. Worin bestehen die Satzungen für die Brüder- 
schaft? 

In den von dem Buddha gegebenen Vorschriften reinen 
und heiligen Wandels, welche im Vinäyo enthalten sind. 
Dieselben zerfallen im Wesentlichen in vier Abtheilungen. 

1. Vorschriften, welche sich auf äussere Zucht und 
Ordnung beziehen. 

2. Anleitung zur richtigen Beschaffung und Ver- 
wendung von Nahrungsmitteln, Kleidern und 
andern notwendigen Lebensbedürfnissen. 

3. Verhaltungsmaassregeln zur Ueberwindung der 
sinnlichen Begierden und Leidenschaften. 

4. Hülfsmittel zur Erlangung höherer geistiger Er- 
kenntniss und Selbstvervollkommnung. 

166. Welches sind die acht Theile des erhabenen 
Pfades? 

1. Rechte Erkenntniss; frei von Vorur- 
theilen, Aberglauben und Wahn. 



*) Nach Mittag sollen die Bhikschu keine feste Nahrung mehr 
zu sich nehmen. 




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2. Rechtes Wollen; würdig des edlen und er- 
leuchteten Menschen. 

3. Rechtes Wort; gütig, einfach, wahrhaftig. 

4. Rechte That; friedfertig, rechtschaffen, wohl- 
wollend und rein. 

5. Rechtes Leben; ein solches, das keinem 
lebenden Wesen Nachtheil oder Schaden bringt. 

6. Rechtes Streben; unablässig und unter An- 
spannung aller Kräfte auf Ueberwindung der 
Unwissenheit, der Begierden und des Willens 
zum Leben gerichtet, allein dem höchsten Ziele 
zugewendet. 

7. Rechtes Gedenken;, rechte Geistesgegen- 
wart, rechte Erinnerung aller gefassten Vorsätze 
und gemachten Erfahrungen im Augenblicke der 
Schwäche oder Versuchung. 

8. Rechtes Sichversenken; völliges Zurück- 
ziehen der Sinne, des Wahrnehmens und Denkens 
von den Aussendingen, und Aufgehen des Selbst- 
bewusstseins und des Willens in der reinen Er- 
kenntniss. 

167. Ist nach erfolgter Aufnahme noch der Austritt 
aus der Brüderschaft möglich ? 

Jederzeit. Die buddhistische Lehre und die Satzung 
der Brüderschaft kennen weder „ewige" Gelübde noch 
Zwang. Wer sich nach den Freuden der Welt zurücksehnt, 
mag seine Schwäche dem Oberen eingestehen. Die Brüder- 
schaft hält ihn nicht, und der Austritt steht ihm dann auf 
rechtliche Weise frei, ohne dass dadurch eine Schmach oder 
ein Schimpf auf ihn fiele. 

Der Bhikschu oder Samane aber, welcher das Gewand, 
das er trägt, und die heilige Gemeinschaft, der er angehört, 
schändet, indem er sich schwerer Übertretungen der 
Gelübde schuldig macht, verfällt der härtesten Strafe, 
welche die Satzung kennt: der Ausstossung aus der 
Brüderschaft.