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Buddhistischer Kalecliismus
A 817,487
Einführung in die Lehre des Buddha fitötamo
heiligen Schriften der südlichen Buddhisten
zum Gebrauche für Europäer zusammengestellt
und mit Anmerkungen versehen
Subh&lra Bliikschu.
BRAGNSCHWKIG
HWETSCHKE UN» SOHN
i IPPl i.u\.\ t i'i EBSUrOBTURFT)
i
/M
Buddhistischer Katechismus
zur
Einführung in die Lehre des Buddha Götamo.
Nach den
heiligen Schriften .der südlichen Buddhisten
zum Gebrauche für Europäer zusammengestellt
und mit Anmerkungen versehen
von
L -• . . .
Subhädra. Bhikschu.
< i - »
Dritte Auflage.
BRAUNSCHWEIG
C. A. SCHWETSCHKE UND SOHN
(APPELHANS & PFENNINGSTORFF)
1892.
"BL
Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort zur ersten Auflage,
Obwohl an umfangreichen, wissenschaftlichen Wer-
ken aber den Buddhismus kein Mangel mehr ist, fehlte
es doch bisher gänzlich an einer im besten Sinne volks-
tümlichen und allgemeinverständlichen Darlegung, welche
die erhabene Lehre des Buddha Gtftamo nicht als
todten Wissensgegenstand behandelt, sondern sie als
die lebendige, noch heute klar und lauter fliessende
Quelle der Wahrheit den weitesten Kreisen zugänglich
machen will.
Als erster Versuch in dieser Richtung erschien vor
Jahresfrist*) die deutsche Uebersetzung eines „buddhistischen
Katechismus" von Henry S. Oleott. Dieser Versuch ist
über Erwarten gelungen. Denn obgleich der Olcott'sche
Katechismus ursprünglich nur für den Unterricht singha-
lesischer und birmanischer Kinder bestimmt war und daher
naturgemäss den Ansprüchen gebildeter europäischer Leser
nicht ganz gerecht werden konnte, wurde die Auflage doch
schnell vergriffen, und dadurch der Beweis geliefert, dass
auch im Abendlande sich das Interesse für die buddhistische
Religion zu regen beginnt.
Daraus aber erwuchs den Anhängern des Buddha
zugleich die Verpflichtung, für Herausgabe eines buddhis-
tischen Katechismus in deutscher Sprache Sorge zu tragen,
•) 1887.
- tv -
welcher für das gereifte Verständniss erwachsener Leser
berechnet ist und die ganzen Grundzüge der Lehre in
gedrängter Kürze enthält, unter Weglassung alles Bei-
werkes, mit welchem der Aberglaube und die kindliche
Phantasie der Völker sie im Laufe der Jahrtausende aus-
geschmückt hat.
Diesem Zwecke dient das vorliegende Werkchen.
Es wendet sich an alle diejenigen, welche nicht im ma-
teriellen Fortschritt und gesteigerten Wohlleben das höchste
Ziel des Daseins suchen, sondern, abgestossen von dem
wilden Kampfe um irdische Güter, den die Selbstsucht
täglich erbarmungsloser führt, und unbefriedigt von den
Lehren der herrschenden Religionen, nach jenem inneren
Frieden und jener gesicherten Erkenntnis verlangen, die
allein das Leben werth machen, und die ihnen weder todte
Dogmen noch die Ergebnisse der' gegenwärtig so sieges-
gewiss auftretenden Wissenschaft zu gewähren vermögen.
Für diese ist der buddhistische Katechismus verfasst.
Wenn sie ihn recht lesen und verstehen, so werden sie
darin finden, was sie suchen: eine Lehre, welche frei von
Dogmen und Formenwesen, im Einklang mit der Natur und
ihren Gesetzen, die höchsten, Geist und Herz gleicher-
maassen befriedigenden Wahrheiten in so einfachem Ge-
wände enthält, dass sie selbst dem bescheidenen Verstände
fassbar sind, und dabei doch von einer Tiefe, die auch von
dem philosophisch und wissenschaftlich gebildeten, mit
allen geistigen Errungenschaften einer hochgesteigerten
Kultur ausgerüsteten Europäer nicht leicht ergründet
werden dürfte.
Indessen ist hier die Einschränkung hinzuzufügen,
dass ein Katechismus für den Schüler und Anfänger be-
stimmt ist und daher nicht Alles enthalten, noch das,
was er enthält, bis zu seinen letzten Konsequenzen ver-
_- V —
folgen und darlegen kann. Wer also nach höchster, all-
seitiger Erkenntniss verlangt, wer die Lehre nicht nur ver-
stehen, sondern ihr auch nachleben will, der sei aufsein
eigenes Nachdenken und auf den persönlichen Verkehr
mit denen verwiesen, welche ihm auf dem hier vor-
gezeichneten Wege schon vorangeschritten sind.
Und so möge denn das Licht der welterleuchtenden
Wahrheit, das aus dem fernen Osten, woher ja alles Licht
stammt, jetzt seine Strahlen in das Abendland hinüber-
sendet, sich siegreich ausbreiten, zum Wohle, zum Heile,
zur Erlösung für Jedermann.
Vorwort zur dritten Auflage.
Bei Bearbeitung der vorliegenden, vermehrten und
verbesserten Auflage hat der Verfasser sich bemüht, über-
all da, wo erfahrungsgemäss die Hauptschwierigkeiten der
buddhistischen Lehre liegen, durch noch schärfere und
klarere Fassung des Textes und grössere Ausführlichkeit
in den Anmerkungen die Gefahr einer missverständlichen
Auffassung nach Möglichkeit auszuschliessen. Ebenso ist
bei allen jenen Stellen in der Lebensgeschichte des Buddha,
wo die Wahrheit in symbolisch-allegorischer Einkleidung
auftritt — eine Darstellungsart, die dem Inder so natürlich
und vertraut ist, wie sie dem modern europäischen Geiste zu
widerstreben scheint — ausdrücklich auf die richtige Aus-
legung aufmerksam gemacht worden.
Da die über den Buddhismus schreibenden europäischen
Gelehrten fast durchgängig die buddhistischen Termini und
Eigennamen in der Sanskrit-Form wiedergeben, so hatte
es der Verfasser in den früheren Auflagen des Katechismus
für zweckmässig gehalten, ebenso zu verfahren. Diesmal
sind jedoch an Stelle der Sanskrit-Bezeichnungen die ent-
sprechenden, bei den südlichen Buddhisten allein gebräuch-
lichen Pali -Worte getreten, mit Ausnahme von Earma,
Buddha, Nirwana und Bhikschu, die sich bereits zu sehr
eingebürgert haben, um durch Eammam, Buddho, Nibbanam
— VII —
und Bhikkhu ohne Weiteres ersetzt werden zn können. Einer
späteren Zeit mnss es vorbehalten bleiben, auch in diesen
Nebendingen Einheitlichkeit und Uebereinstimmung herbei-
zuführen, ein Bestreben, das gegenwärtig gänzlich hinter
der wichtigeren Aufgabe zurücktritt, den Geist des Buddhis-
mus im Abendlande zu verbreiten. Denn die Form und das
Wort, so ehrwürdig sie auch sein mögen, sind in Sachen der
Erkenntniss nichts, der Geist Alles. Und den Geist der er-
habenen Lehre des indischen Weisen wird der verständniss-
volle und wahrheitsdurstige Leser in diesem kleinen, aber
inhaltsreichen Buche überall antreffen. Möge er die be-
freiende Kraft desselben im eigenen Innern verspüren. —
Wer dem Buddhismus ein eingehenderes Stadium wid-
men will, dem seien folgende vortreffliche Werke empfohlen:
Oldenberg, „Buddha"; Neumann, „Buddhistische
Anthologie", „Ueber die Verwandtschaft buddhistischer
und christlicher Lehren"; Rhys Davids, „Buddhism",
„Buddhist Birth Stör i es"; Alabaster, „Wheel of the
Law"; Max Müller, „SacredBooks of theEast," BandX
und XL
Im Jahre 2435 nach dem Nirwana des Vollendeten.
Subhadra Bhikschu.
*
1. Zu welcher Religion*) bekennst du dich?
Ich bin ein Buddhist.
2. Was versteht man unter einem Buddhisten?
Einen Menschen, welcher den Buddha als den Weit-
erleuchter, den höchsten Führer und Meister aller lebenden
Wesen verehrt, in der von ihm verkündeten Lehre die
Wahrheit erkennt und sich ernstlich bestrebt, die Vor-
schriften derselben zu befolgen.
3. Wie wird man ein Buddhist?
Durch freie Erschliessung. Nicht durch die Geburt,
nicht durch Nationalität, noch Rasse; nicht durch eine
Weihe, Taufe oder sonst eine rechtsverbindliche Ceremonie,
*) Es ist eine von europäischen Gelehrten öfters aufgeworfene
Frage, ob der Buddhismus mehr den Namen einer Religion oder
einer Philosophie verdiene. Er ist in der That beides — die er-
habendsten moralisch-religiösen Lehren verbinden sich in ihm mit
den tiefsten philosophischen Erkenntnissen zu einem untrennbaren
Ganzen. Der Buddhismus klärt seine Anhänger über die Natur
des Weltalls und der darin herrschenden Gesetze und Kräfte auf,
er erschliesst dem Menschen den Kern seines Innern, zeigt ihm
seine wahre über dieses flüchtige Erdenleben hinausliegende höhere
Bestimmung, erleuchtet seinen Geist, erweckt die in ihm schlum-
mernden moralischen Kräfte und Fähigkeiten, entzündet in ihm
den Trieb zum Guten und Edeln und setzt ihn in den Stand, durch
ernstes Streben und gewissenhafte Anwendung der Vorschriften das
höchste Ziel jedes lebenden Wesens, die Seligkeit, die Erlösung,
das Nirwana zu erreichen. Daher ist also der Buddhismus eine
Religion.
Er ist aber zugleich eine Philosophie, denn er verlangt
von seinen Anhängern nicht blinden Glauben, sondern eine durch
eigenes Forschen, eigene Prüfung und ernstes Nachdenken gewonnene
und befestigte Ueberzeugung. Er stützt seine Lehrsätze nicht auf
1
— 2 —
denn der Buddhismus besitzt weder die Gewalt einer Staats-
religion noch eine Hierarchie. Wer den Lehren des Buddha
nachlebt, ist ein Buddhist, mag er einer Buddhistengemeinde
angehören oder nicht. Der Beitritt zu einer solchen erfolgt
durch einfache Willenserklärung und Aussprechen der Zu-
fluchtsformel.
4. Wie lautet die Zufluchtsformel?
Die Zufluchtsformel (Tisäranam) lautet:
Ich nehme meine Zuflucht zum Buddha.
Ich nehme meine Zuflucht zur Lehre (Dhammo).
Ich nehme meine Zuflucht zur Brüderschaft der Erlesenen
(Sangho).
5. Was soll durch das feierliche Aussprechen die-
ser Zufluchtsformel ausgedrückt werden?
Der, welcher diese Formel ausspricht, will dadurch
vor aller Welt bezeugen, dass er den Buddha fortan zu
seinem Lehrer und Vorbild erwählt; dass er in der Lehre
den Inbegriff und die Grundprinzipien der Wahrheit und
Gerechtigkeit, sowie den Weg zur Selbstvervollkommnung und
Erlösung erblickt; dass er die Brüderschaft der Erlesenen
als die verehrungswürdigen Nachfolger des Buddha, als
die wahren Ausüber, Verkünder und Ausleger der Lehre
betrachtet.
6. Ist diese Zufluchtsformel für alle Buddhisten
bindend?
Für alle ohne Ausnahme, mögen sie nun der Brüder-
schaft der Erlesenen angehören und damit das Leben eines
den Willen eines unbegreiflichen Gott -Schöpfers oder eine über-
natürliche Offenbarung, sondern auf die Alienvorliegende natür-
liche Beschaffenheit der Welt und des Lebens. Er sucht nicht
durch die Androhung ewiger Strafen dem Uebeltbäter Furcht ein-
zujagen, sondern das vom irdischen Wahne getrübte Auge des Irren-
den aufzuhellen, damit er die Wahrheit zu schauen vermöge, und
bringt den redlich Strebenden auf dem Wege geistiger Entwickelung
und moralischer Selbstvervollkommnung auf einen Standpunkt, wo
alles Vergängliche als wesenloser Schein hinter ihm liegt und Vor-
urtheil, Zweifel und Wahn dahinschwinden im Lichte der Erkenntniss.
— 3 —
Bettelmönches (Bhikschu, Sämano) erwählt haben, oder
weltliche Anhänger (Upäsakos) sein. Doch ist das Aus-
sprechen der Zufluchtsformel ein freies Gelübde und hat
nur moralische Gültigkeit. Rechtliche Verpflichtungen irgend
welcher Art knüpfen sich daran nicht,
7. Wie nennt man die heilige Dreiheit, deren
Führung sich der Buddhist durch das Aus-
sprechen der Zufluchtsformel anvertraut?
Die drei Leitsterne; denn diese heilige Dreiheit
leuchtet uns in der Finsterniss unseres Erdenlebens, wie
die Sterne dem Schiffer auf nächtlichem sturmbewegten
Meere, und leitet denjenigen, der sich nach ihr getreulich
richtet, durch den wüsten Ozean der Unwissenheit, der
Begierde und des Leidens in den Hafen des ewigen Friedens.
Darum blickt der Buddhist voll Vertrauen, voll Dank-
barkeit und voll Ehrfurcht auf die drei Leitsterne hin und
spricht mit andächtigem Gemüthe:
Verehrung dem Heiligen, dem Weltüberwinder, dem
Buddha.
Verehrung der heiligen, der reinen, der erlösenden
Lehre.
Verehrung der Brüderschaft der Erlesenen.
*
rf
Der Buddha.
8. Wer ist der Buddha ?
Der aus eigener Kraft zur Vollendung und Erleuchtung
gelangte, schon in diesem Leben erlöste, höchst gütige
heilige und weise Verkünder der Wahrheit und Stifter der
buddhistischen Religion.
9. Ist der Buddha ein Gott, welcher sich den
Menschen geoffenbart hat?
Nein.
10. Oder war er ein Gottgesandter, der zur Erde
herabgestiegen ist, um den Menschen das Heil
zu bringen?
Nein.
11. So war er also ein Mensch?
Ja, er war ein Mensch. Aber ein Mensch, wie er
in vielen Jahrtausenden nur einmal geboren wird, einer
jener erhabenen Weltüberwinder und Weiterleuchter, die
geistig und moralisch die irrende und leidende Menschheit
so hoch überragen, dass sie der kindlichen Anschauung des
Volkes als „Götter" oder „Gottgesandte" erscheinen.
12. Ist Buddha ein Eigenname?
Nein, Buddha ist die Bezeichnung eines inneren
Zustandes oder einer Geistesverfassung.
— 5 —
13. Was bedeutet denn das Wort?
Der Erleachtete ; es bezeichnet einen Menschen, der
ans eigener Kraft die höchste, einem lebenden Wesen er-
reichbare Erkenntniss und moralische Vollkommenheit er-
langt hat.
14. Wie war des Buddha wirklicher Name?
Siddhättho wurde er bei seiner Geburt genannt.
15. Wer waren seine Eltern?
König Suddhödano und Königin Mayä.
16. Ueber welches Volk herrschte König Suddhö-
dano?
Ueber den indischen Volkstamm der Sakyos *).
17. Wann wurde Prinz Siddhättho geboren?
An einem Freitage des Jahres 623 vor Beginn der
christlichen Zeitrechnung.
18. Wissen wir etwas Näheres über die Geburt des
Buddha und seine Jugendzeit?
Sehr wenig geschichtlich Beglaubigtes. Aber die
Legende berichtet uns darüber ausführlich; sie hat, wie bei
allen grossen Religionsstiftern, die Geburt und die Jugend-
zeit des Buddha mit allerlei wunderbaren Ereignissen und
poetischen Zuthaten ausgeschmückt.
19. Was erzählt uns die Legende?
Schon bei der Geburt des Prinzen Siddhättho sagten
die Brahmanen, welche als Priester und Astrologen am
Hofe des Königs Suddhödano lebten, die künftige erhabene
Bestimmung des Kindes voraus. Sie prophezeiten : „Wenn
Prinz Siddhättho den Thron besteigt, so wird er ein König
*) Die Sakyos gehörten der grossen arischen Völkerfamilie
an, von der auch die europäischen Nationen — Germanen, Romanen
und Slawen — Glieder sind. Der von ihnen bewohnte Landstrich
lag im nordöstlichen Indien, am Fasse des Himalaja, und die
Hauptstadt Kapilawatthu etwa 150 Kilometer nördlich von der Stadt
Benares am Flusse Röhini.
I
— 6 —
der Könige, ein Weltbeherrscher werden; wenn er aber
dem Throne entsagt, und das Leben eines Asketen erwählt,
so wird er ein Weltüberwinder, ein vollendeter Buddha
werden". Und der Büsser Kaladäwalo eilte aus der Wild-
niss des Himälaya herbei, warf sich vor dem Kinde zur
Erde nieder und sprach: „Wahrlich, dieses Kind wird einst
ein höchster vollendeter Buddha werden und den Menschen
den Weg zur Erlösung weisen". Und er weinte, da er
wusste, dass er bei seinem hohen Alter diesen Zeitpunkt
nicht mehr erleben könne*).
20. Freute sich König Suddhödano über Kalade-
walo's Weissagung?
Nein. Er suchte im Gegentheile durch alle ihm zu
Gebote stehenden Mittel ihre Erfüllung zu verhindern, denn
er wünschte, dass Prinz Siddhättho einst ein weltbeherr-
schender Monarch werde.
2L Welche Mittel wandte er an, um diesen Zweck
zu erreichen?
Die Brahmanen hatten ihm gesagt, dass der Anblick
des menschlichen Leidens und der irdischen Vergänglichkeit
den Prinzen zur Weltflucht veranlassen würde. Der König
hielt daher aus der Nähe seines Sohnes Alles fern, was
diesem Kenntniss vom menschlichen Leiden und vom Tode
hätte geben können. Er umgab ihn mit allen Genüssen
und allem königlichen Luxus und Glanz, um ihn recht fest
an das Weltleben zu fesseln. Die ausgezeichnetsten Lehrer
mussten ihn in den Künsten und Wissenschaften und den-
*) Brahmanische Büsser, Einsiedler und Asketen gab es be-
reits Jahrhunderte vor der Geburt des Buddha in Indien. Die-
selben lebten entweder in kleinen Bambushütten im Walde bei-
sammen, dem Studium der heiligen, mystischen Schriften (der
Upanischaden) der Weden hingegeben, oder in Höhlen und unter
Bäumen als Einsiedler. Viele zogen auch als heimathslose Asketen
von Ort zu Ort, erbettelten ihre Nahrung vor den Thüren und
gaben sich den qualvollsten Selbstpeinigungen hin, um alle sinn-
lichen Regungen gewaltsam in sich zu ertödten, die Seele von allen
irdischen Banden frei zu machen und zur Vereinigung mit dem
Ewigen, dem Brahman, zu gelangen.
— 7 —
jen igen ritterlichen Fertigkeiten unterrichten, welche einem
Königssohne zukommen. Als Prinz Siddhättho zum Jüng-
ling heranwuchs, Hess ihm sein Vater drei Paläste erbauen,
für jede der drei indischen Jahreszeiten — die heisse, die
kalte und die Kegenzeit — je einen. Alle waren ausge-
stattet mit der grössten Pracht, rings umher breiteten
sich weite Gärten und Haine aus, mit klaren, von Lotos-
blumen umkränzten Teichen, kühlen Grotten, plätschernden
Quellen und Beeten voll der schönsten Blumen. In diesen
Gärten und Hainen verlebte der Prinz seine Jugend, aber
er durfte sie nicht verlassen, und allen Armen, Kranken
und Greisen war der Zutritt auf das strengste verwehrt.
Söhne aus den edelsten Familien des Landes bildeten seine
Umgebung. In seinem 16ten Jahre vermählte ihn sein
Vater mit der Prinzessin Yasodharä und ausserdem umgab
ihn ein ganzer Harem von schönen, im Tanze und in der
Musik geschulten Mädchen, wie es damals bei den indischen
Fürsten der Brauch war.
22. Wie war es möglich, dass der Prinz inmitten
all' dieser Herrlichkeiten und Freuden den Ge-
danken der Weltflucht fassen konnte?
Bei seinen Ausfahrten in den Schlossgärten und
Parks hatte er vier bedeutsame Erscheinungen, welche ihn
über die wahre Natur des Daseins aufklärten.
23. Was für Erscheinungen waren das?
Die eines gebrechlichen, von der Last des Alters
gebeugten Greises, die eines mit Geschwüren bedeckten
Kranken, die eines verwesenden Leichnams und die eines
ehrwürdigen Bettelmönches.
24. Welchen Eindruck machten diese Erscheinun-
gen auf Prinz Siddhatto?
Sie erschütterten ihn auf das Tiefste. Die ganze
Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Lebens wurde ihm da-
durch klar*). Die trügerischen und kurzen Freuden, welche
*) Als Prinz Siddhättho eines Tages im Parke spazieren fuhr,
bemerkte er plötzlich einen gebrechlichen alten Mann, mit von der
— 8 —
Alter, Krankheit, Schmerzen und Tod im Gefolge haben,
verloren ihren Reiz für ihn. Fortan mied er alle Lustbar-
keiten ; es reifte in ihm die Einsicht, dass das Dasein kein
wünschenswerthes Gut, sondern vielmehr ein Uebei ist, und
Last der Jahre gekrümmtem Bücken, der, auf einen Stab gestützt,
mühsam dahinschlich. Siddhättho fragte verwundert seinen Wagen-
lenker Tschanno, was für ein seltsames Wesen das sei, und Tschanno
antwortete, es sei ein Greis. — «Wurde er in diesem Zustande ge-
boren?" fragte der Prinz weiter. — „Nein, Herr, er war einst jung
und blühend, wie Du". — „Giebt es mehr solcher Greise? - forschte
der Prinz immer erstaunter. — „Sehr viele, Herr!" — «Und wie
gerieth er in diesen beklagenswerthen Zustand? — „Es ist der
Lauf der Natur, dass alle Menschen alt und gebrechlich werden
müssen, sofern sie nicht in jungen Jahren sterben". — „Auch ich
Tschanno?" — „Auch Du, Herr!"
Dieser Vorfall stimmte den jungen Prinzen so nachdenklich,
dass er befahl, nach Hause zurückzufahren, da er alle Freude an
der schönen Umgebung verloren hatte. Einige Zeit darnach er-
blickte er bei einer abermaligen Ausfahrt einen Aussätzigen, und
als ihn auf seine Fragen Tschanno auch über diese Erscheinung
aufklärte, wurde er so tief ergriffen, dass er fortan alle Lustbar-
keiten mied und über die Leiden des Menschen nachzugrübeln be-
gann. Nach Verlauf einer längeren Zeit wurde ihm die dritte
Erscheinung zu Theil. Er sah einen bereits in Verwesung befind-
lichen Leichnam am Wege liegen. Auf das heftigste erschüttert
kehrte er sofort nach Hause zurück, indem er ausrief: „Weh mir,
was nützt aller königlicher Glanz, alle Pracht und aller Genuss,
wenn sie mich nicht vor dem Greisenalter, der Krankheit und dem
Tode bewahren können! Wie unglücklich sind die Menschen! Giebt
es denn kein Mittel, dem Leiden und dem Tode, die sich mit jeder
Geburt erneuern, auf immer ein Ende zu machen?* 1
Diese Frage beschäftigte ihn fortan unausgesetzt. Die Antwort
darauf wurde ihm bei einer späteren Ausfahrt. Es erschien ihm
ein Asket im gelben Gewände, wie es die buddhistischen Brüder
tragen, dessen ehrwürdige Züge den tiefen Frieden seines Innern
deutlich wiederspiegelten. Diese Erscheinung wies dem von den
Räthselfragen des Seins gequälten Prinzen den Weg, auf dem er
ihre Lösung zu suchen hatte. Von jetzt an reifte in ihm der Ent-
schluss heran, die Welt zu verlassen und die Bahn zu beschreiten,
die Jeder, der nach der Vollendung strebt, beschreiten muss. —
Diese allegorische Erzählung ist ja offenbar eine spätere Erfindung,
aber voll tiefer innerer Wahrheit, denn sie lehrt uns, dass es allein
die Erkenntniss der Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Lebens ist,
die in empfänglichen Gemüthern zur Weltflucht und Entsagung
führt, zu jener gänzlichen Sinnesänderung, welche alle Heiligen und
Weltüberwind er durchgemacht haben, und die der Weltlich gesinnte
nicht begreift.
— 9 —
dass es thöricht und edler Naturen nicht würdig ist, den
Genüssen nachzutrachten. AIP sein Streben war von jetzt
an auf ein höheres Ziel gerichtet.
25. Auf was für ein Ziel?
Er wollte die Ursachen des menschlichen Elends:
der Geburt, des Leidens, des Alterns, des Todes und der
Wiedergeburt*) ergründen und das Mittel finden, ihnen ein
Ende zu machen. Er beschioss, gleich jenem ehrwürdigen
Bettelmönche, der ihm erschienen war, die Welt zu verlassen
und in die Wildniss zu gehen.
*) Die Lehre yon der Wiedergeburt, das heisst der wiederholten
Verkörperung der Individualität, der innere Wesenheit des Menschen,
ist die älteste und ehrwürdigste Erkenntniss des Men schengeschlechtes,
jene Urweisheit oder Urreligion, die sich dem unbefangenen, nicht
von früh eingeimpften Irrlehren und Vorurtheilen getrübten Ver-
stände fast von selbst aufdrängt. In den Religionen aller Kultur-
völker, mit Ausnahme der jüdisch-christlichen, bildet sie den Grund-
pfeiler, auf dem alle übrigen Lehren ruhen. Und selbst in christ-
lichen Landen haben ihr trotz des kirchlichen Druckes und der
drohenden Verfolgung zu allen Zeiten heimlich viele grossen Geister
angehangen. Sie allein vermag uns von dem Wahne zu befreien,
dass der Mensch ein Geschöpf sei, welches die Willkür eines Gottes
ans dem Nichts ins Dasein gerufen, und das für ein solch' zweifel-
haftes Geschenk, wie das Leben ist, auch noch dankbar sein muss.
Die Lehre von der Wiedergeburt allein giebt dem Menschen seine
wahre Freiheit und Selbstbestimmung zurück, die bei einem all-
mächtigen Gott-Schöpfer nimmermehr bestehen kann, sie allein ruht
auf wahrer Gerechtigkeit, und nur in ihr wird das schöne Wort
des edlen Jesus von Nazareth zur Wahrheit: „Was der Mensch
säet, das wird er erndten". Die Lehre von der Wiedergeburt allein
löst uns das Räthsel unseres Daseins, erklärt uns befriedigend,
warum der Gerechte oft arm und verachtet ist, während der Uebel-
thäter Reich th um und Ehre geniesst, und beantwortet uns die ver-
zweifelte, aus Millionen gequälter Menschenherzen vergebens zum
Himmel dringende Frage, warum wir so viel leiden müssen. Sie
klärt uns darüber auf, dass unzerstörbar, wie die Materie und die
Naturkräfte, auch unser inneres Wesen ist. Mit eigenem Willen,
vom Drang nach Dasein bethört, haben wir uns in dieses Leben
begeben und es unter ewig wechselnden Gestalten fortgeführt seit
Anbeginn der Dinge bis auf den heutigen Tag. Der Tod ist keine
Vernichtung, noch weniger eine Befreiung oder Vollendung, sondern
nur der Ueb ergang aus einer hinfälligen Form in eine andere.
Wer am Leben Genüge findet, der sei getrost: kein Gott und kein
— 10 —
26. Wurde ihm dieser Entschluss leicht?
Nein ; denn er musste ja auf alles verzichten, was
den Menschen sonst als das höchste Glück erscheint: auf
den Königsthron, auf Macht, Ehre, Reichthum und alle da-
mit verbundenen Genüsse und selbst auf das Zusammenleben
mit seinem geliebten Weibe und seinem Sohne Rahulo, den
ihm Prinzessin Yasodharä kurz vorher geboren hatte.
27. Suchte ihn sein Vater und Prinzessin Yasodharä
nicht von seinem Vorhaben abzubringen?
Er theilte ihnen dasselbe nicht mit, sondern zog
es vor, heimlich zu fliehen, denn er fürchtete, das Flehen
seines betagten Vaters und die Thränen seines Weibes
könnten ihn in seinem Entschlüsse wankend machen*).
Eines Nachts, als Alles schlief, stand er leise auf, warf
noch einen letzten Abschiedsblick auf sein ahnungslos
schlummerndes Weib und auf seinen kleinen Sohn, weckte
Tschanno, damit er ihm sein Lieblingsross Känthako sattele,
und ritt davon. Unbemerkt kam er an den Thorwachen
vorüber und sprengte hinaus in die Finsterniss, so schnell
ihn sein Ross davon tragen wollte. Als er, auf dem Gipfel
eines Hügels angekommen, noch einmal den Blick nach
seiner Vaterstadt zurückwandte, trat Maro, der Versucher,
zu ihm. Er zeigte ihm die rings ausgebreiteten Reiche dieser
Erde, führte ihm alle Lockungen der Macht und des könig-
lichen Glanzes noch einmal vor Augen und versprach ihm
Teufel kann es ihm rauben. Des Menschen Schicksal beruht allein
auf seinem inneren Wesen, auf seinem eigenen Willen, dem noch
zahllose Wiedergeburten in Aussicht stehen, in denen er die Früchte
seiner guten wie bösen Thaten erndten wird. Wer aber des stets
erneuerten Daseins mit seinen Leiden und Freuden ernstlich über-
drüssig ist, dem steht der Weg zur Befreiung offen. Er gehe ihn
nur mit festem Entschluss und er wird aus eigener Kraft jenes er-
habene Ziel erreichen, wo die ihrer Natur nach noth wendigerweise
beschränkte, leidvolle und schuldvolle Individualität sich gänzlich
im Nirwana auflöst. Dies ist die Seligkeit, der ewige Friede, nach
dem alle lebenden Wesen bewusst oder unbewusst verlangen und
welchen sie, vom Wahne getäuscht, nicht finden können.
*) Königin Mayä lebte nicht mehr, sie starb sieben Tage nach
des Prinzen Geburt.
— 11 —
die Weltherrschaft, wenn er von seinem Vorhaben abstehen
wolle*). Der Buddha wies den Versucher mit Verachtung
zurück. Sein Entschluss war unerschütterlich. „Von da an
aber", heisst es in der Legende, „folgte Maro den Spuren
des Vollendeten, in der Hoffnung, dass er doch noch eine
Gelegenheit fände, ihn zu Falle zu bringen".
28. Wie alt war Prinz Siddhattho, als er in die
Wildniss ging?
29 Jahre.
29. Wohin wandte er sich zunächst?
Nach dem Flusse Anomä. Dort schnitt er sich mit
dem Schwerte sein schönes langes Haar ab, übergab dem
treuen Tschanno seine Waffen, seine Schmucksachen und
sein Pferd und befahl ihm, damit nach Kapilawatthu zurück-
zukehren und den König und die Prinzessin Yasodharä
über sein Schicksal zu beruhigen. Nachdem Tschanno ihn
verlassen hatte, brachte er noch sieben Tage am Ufer des
Anomä, in der Einsamkeit zu, ganz seinen Betrachtungen
hingegeben, erfüllt von der hohen Freude, den ersten wich-
tigsten Schritt zur Erreichung seines Zieles gethan und
dte Fesseln des Weltiebens abgestreift zu haben. Dann
wechselte er mit einem vorüber gehenden Bettler die
Kleider und wanderte nach Radschagaham, der Hauptstadt
des Königreiches Magadhä,**).
*) Maro, der Versucher und Fürst dieser Welt, spielt in der
buddhistischen Legende ungefähr dieselbe Rolle, wie in der christ-
lichen Satanas, der Fürst der Finsterniss. Auch Christus wurde ja
nach der evangelischen Legende in der Wüste vom Teufel versucht,
wie hier der Buddha von Maro. Ueberhaupt stimmt die Lebens-
geschichte Jesu, wie sie in den Evangelien erzählt wird, in den
wesentlichsten Funkten so auffällig mit der hier im kurzen Auszug
wiedergebenen Lebensgeschichte des Buddha überein, dass man un-
willkürlich zu der Annahme gedrängt wird, die Buddhalegende habe
den Verfassern der Evangelien als Vorbild für ihre Lebensgeschichte
des Jesu von Nazareth gedient.
**) Mit diesem bedeutungsvollen Schritte hört die legenden-
hafte Vorgeschichte des Prinzen Siddhättho auf, und es beginnt die
weltgeschichtliche Laufbahn des Asketen Gotamo, den seine Zeit-
genossen den Erleuchteten, den Buddha genannt haben.
— 12 —
30. Warum ging er dorthin?
In der Nähe von Radschagaham lebten zwei Brah-
manen, Alaro Kalamo und Uddako, die im Rufe hoher
Weisheit standen. Bei diesen trat er unter dem Namen
Götamo als Schüler ein.
31. Was lehrten diese Brahmanen?
Der eine lehrte, dass man durch Gebete, Opfer und
religiöse Gebräuche mannigfacher Art die Seele läutern
Der Vollendete selbst hat sich seinen Jüngern gegenüber nur
gelegentlich und in kurzen, schlichten Worten über die Gründe ge-
äussert, die ihn zu dem Entschlüsse der Weltflucht gebracht haben.
Aus diesen Stellen geht klar hervor, dass die Legende keine Er-
dichtung, sondern nur poetische Ausgestaltung des thatsächlichen
Herganges ist.
So lesen wir im Madschima Nikayo:
„Zwei Ziele giebt es, Ihr Jünger: Das heilige Ziel und das
unheilige Ziel. Was aber ist das unheilige Ziel? Da sucht, Ihr
Jünger, Einer, der selbst der Geburt, dem Altern, der Krankheit,
dem Tode, dem Leiden und der Sünde unterworfen ist, was auch
der Geburt, dem Altern, der Krankheit, dem Tode, dem Leiden und
der Sünde unterworfen ist, nämlich: Weib und Kind, Knecht und
Magd, Haus und Hof, Gold und Silber. Das, Ihr Jünger, ist das
unheilige Ziel".
Auch ich, Ihr Jünger, handelte so, als ich noch nach der
Wahrheit forschte, als ich noch nicht ein Erleuchteter, ein Buädha
geworden war. Da kam mir der Gedanke, statt des Vergänglichen
und Leidvollen, das ich als Unheil erkannt hatte, die Befreiung von
Geburt, Altern, Krankheit, Tod, Leiden und Sünde, die unvergleich-
liche Sicherheit, das Nirwana, zu suchen. Das ist das heilige Ziel.
Und ich zog nach einiger Zeit, jung, kräftig, dunkelhaarig, in
der ersten Blüthe des Mannesalters, gegen den Willen meiner wei-
nenden und klagenden Eltern, mit geschorenem Haar und Bart und
mit dem gelben Gewand bekleidet aus dem Hause in die Heimath-
losigkeit hinaus ". — Und an einer andern Stelle, nachdem er den
Jüngern von dem Glanz und Ueberflusse erzählt hat, der ihn in
seinen Palästen umgab, fährt er fort:
„Solcher Beichthum, Ihr Jünger, umgab mich, in solcher
Herrlichkeit lebte ich. Da erwachte in mir dieser Gedanke: Ein
thörichter Alltagsmensch, ob er gleich selbst dem Altern, der
Krankheit und dem Tode unterworfen ist, fühlt Widerwillen, Ab-
scheu und Ekel, wenn er einen Greis, einen Kranken, einen Leich-
nam erblickt. Dieser Abscheu aber kehrt sich gegen ihn selbst.
Auch ich bin ja dem Altern, der Krankheit und dem Tode unter-
worfen. — Als ich so dachte, Ihr Jünger, ging in mir aller Jugend-
muth unter".
— 13 —
und durch göttliche Gnade zur Erlösung gelangen könne.
Der Andere, dass mystische Versenkung und unmittelbare
Anschauung des Ewigen der Weg zum Heile sei.
32. Fand Götamo, dass diese Lehre die richtige
sei?
Nein. Er eignete sich all' das Wissen der Brah-
manen an und machte alle ihre religiösen Uebungen eifrig
mit, ohne seinem Ziele dadurch näher zu kommen. Bald
erkannte er, dass das Wissen dieser Brahmanen eitel sei
und nicht zur Erlösung vom Leiden, vom Tode und von
der Wiedergeburt führe.
33. Was begann er nach diesem Fehlschlag?
Es gab noch andere Brahmanen, welche glaubten,
dass die Askese, die völlige, gewaltsame Ertödtung aller
sinnlichen Regungen, des Willens und der Leidenschaften,
der wahre Weg zur Erlösung sei. Götamo beschloss jetzt,
deren Vorschriften nachzuleben. Zu dem Zwecke zog er sich
in einen dichten Wald bei Uruwela zurück und lag in der
Einsamkeit desselben den härtesten Bussübungen und Selbst-
peinigungen ob*). Bald verbreitete sich der Kuf seines
heiligen Wandels und führte ihm fünf Genossen zu, die das
gleiche Ziel verfolgten. In Bewunderung der Geistesstärke
und Ausdauer, mit welcher Götamo sich seinen Kasteinngen
hingab, harrten sie bei ihm aus in der Erwartung, dass
er sicher eines Tages die Erlösung erringen würde. Dann
wollten sie seine Schüler werden.
34. Wie hiessen diese fünf Asketen ?
Kondanyo, Bhäddiyo, Wappo, Mahanämo und
Assadschi.
*) Dieser Ort, wo der Buddha lange Jahre der Askese oblag
und wo er auch die Erleuchtung erlangte, wurde später Buddha-
Gaya, d. h. die Einsiedelei des Buddha genannt. Tempel und
Klöster entstanden daselbst, die tausend Jahre später, als sich der
Buddhismus über ganz Mittel- und Ostasien verbreitet hatte, von
zahlreichen Mönchen bewohnt waren und einen Hauptwallfahrtsort
für Pilger ans allen buddhistischen Ländern bildeten. Noch heute
bezeichnet ein verfallener Tempel, der jetzt wieder hergestellt werden
soll, die geweihte Stätte.
— 14 —
35. Wie lange weilte Gotamo im Walde bei Uru-
wela?
Nahezu sechs Jahre. Die Kräfte seines Körpers
schwanden unter unausgesetzten Selbstpeinigungen, Fasten
und Wachen dahin, aber er Hess in seinem Streben nicht nach.
Als er eines Nachts in tiefe Betrachtungen versunken auf
und ab schritt, brach er plötzlich vor gänzlicher Erschöpfung
bewusstlos zusammen, sodass ihn seine Gefährten für todt
hielten. Nach einiger Zeit jedoch kam er wieder zu sich.
36. Setzte er seine asketischen Uebungen weiter
fort?
Nein. Er sah ein, dass die Askese nimmermehr
zur Vollendung und Erlösung fuhrt. Er hatte sich beinahe
getödtet und das Ziel, die geistige und moralische Selbst-
vervollkommnung, doch nicht erreicht*). Er gab daher
alle eigentlichen Kasteiungen auf und nahm wieder regel-
mässig Nahrung zu sich. Als dies seine Genossen sahen,
wurden sie an ihm irre; sie glaubten, er sei seinem Ent-
schlüsse untreu geworden und verliessen ihn.
37. Verzweifelte auch Gotamo daran, das Ziel zu
erreichen?
Nicht einen Augenblick. Von allen verlassen sah
er ein, dass auf den von Andern gelehrten Wegen das Heil
nicht zu erlangen sei, und er beschloss, fortan nur den Ein-
*) Nicht nur der erhabene Stifter der buddhistischen Lehre,
sondern auch viele christliche Heilige früherer Jahrhunderte mussten
aus eigener Erfahrung zu der Erkenntniss gelangen, dass Askese
nicht zum Heile führt. „Durch blosse Abtödtung", sagt Nagaseno,
der grosse Buddhistenapostel, „erlangt man nicht einmal eine glück-
liche Wiedergeburt, viel weniger Erlösung 4 *.
Die buddhistische Lehre verwirft daher auch jede Selbst-
peinigung und gewaltsame „Abtödtung des Fleisches" als unnütz-
lich und verderblich und richtet ihr* Augenmerk allein auf Läu-
terung des Herzens und Willens von allen Leidenschaften und
bösen Trieben, sowie auf Entwickelung der Erkenntniss und der
inneren geistigen Kräfte des Menschen. Als nothwendige Vorbe-
dingung dazu wird das Aufgeben jedes Besitzes, der sinnlichen
Freuden, alles weltlichen Treibens, und freiwillige Armuth und
Keuschheit gefordert.
— 15 —
gebnngen seines Innern zu folgen. Die Selbstpeinigung
hatte er aufgegeben und beschränkte sich fortan auf strenge
Enthaltung von aller Sinnlichkeit; zugleich strebte er in
völliger Einsamkeit nach Erschliessung seines Innern, nach
völliger Entfaltung der höheren geistigen Kräfte. Eines
Nachts hatte er sich unter einem Nigrödho-Baume, welcher
nicht weit vom Ufer des Nerandscharä-Flusses stand, nieder-
gelassen*). Unter diesem Baume war es, wo er den letzten
schwersten Kampf siegreich bestand.
38. Was für ein Kampf war das?
Der Kampf gegen die irdischen Neigungen und Be-
gierden, welche im Menschenherzen wohnen, und die sich
nochmals, obwohl er sie schon völlig überwunden zu haben
glaubte, in ihm erhoben; der Kampf mit dem Wahn, mit
der Weitlust und jenem Trachten nach Dasein und Genuss,
jenem Willen zum Leben, welcher die Wurzel und der
Grundtrieb unseres Wesens, sowie die Quelle aller unserer
beiden, ist. Noch einmal stellten sich ihm Ehre, Kuhm,
Ma.cht, Keichthum, die irdische Liebe, das Glück des
Faisiüienlebens und alle Genüsse und Freuden, welche die
^^It dem Begünstigten darbietet, in verlockendster Gestalt
da** • noch einmal erhob der nagende Zweifel sein Schlangen-
fla Opt. Aber unerschütterlich entschlossen, lieber zu sterben,
a * s auf die Erreichung seines Zieles zu verzichten, rang
"^fcamo mit den furchtbaren Gewalten und gewann den
°^<g**). Und nun, da die letzten Anwandlungen mensch-
*) Dieser Baum wird von den Buddhisten Bodhi- odevlfio-
Ba '5^ : * n > d. h. Baum der Erkenntniss, von den Naturforschern Ficus
™**€£]08a genannt Ein Schössling desselben grünt noch jetzt an
aetr Tempelruine von Buddha-Gayä. Ein anderer Schössling wurde
V01: * der Prinzessin Sanghamitta, der Tochter des König Asöko,
^"^i* Ceylon gebracht und bei der alten Hauptstadt dieser Insel,
Al *"**.*adhapüram, eingepflanzt. Er steht noch in vollem Wachsthum
nn *l ist der älteste historische Baum der Erde.
**) Die heiligen Bücher stellen diesen innern Kampf des ein-
SN*x^n Asketen in einer farbenprächtigen grossartigen Allegorie als
der* Kampf Gotamo's mit Maro dar. Maro erkennt, dass der ent-
scheidende Augenblick gekommen ist. Er tritt zu dem unter dem
Boclhibaume in tiefer Betrachtung sitzenden Götamo hin und
— 16 —
licher Schwäche überwunden, und der tiefe Friede des Nir-
wana in sein Herz eingezogen war, erhob sich sein Geist
durch alle Stufen inneren Schauens bis zu jener erhabenen
Höhe, wo dem Strebenden volle Erleuchtung zu Theil wird.
Er hatte das Ziel erreicht: der Schleier war von seinen
Augen gefallen, die höchste universelle Erkenntniss gewon-
nen. Er war ein Vollendeter, ein Buddha geworden*).
39. Hatte er nun die Ursachen des menschlichen
Elends, der Geburt, des Leidens, des Alters,
des Todes und der Wiedergeburt erkannt?
Ja. Ihm • that sich, wie es in den heiligen Büchern
heisst, das reine ungetrübte Auge der Wahrheit auf, und
er erkannte die Ursache des Entstehens und Vergehens
bietet ihm nochmals die Weltherrschaft an. Gdtamo weist ihn mit
Verachtung zurück, er ist den Lockungen des Ehrgeizes nicht mehr
zugänglich. Jetzt ergrimmt Maro, und ruft seine Heerschaaren, die
vernichtenden Naturgewalten, zum Angriff gegen den Verwegenen
auf, der im Begriff ist, ihm die Herrschaft über die Menschenherzen
zu entwinden. Alle Elemente gerathen in Aufruhr. Der Donner
kracht, Blitze zucken herab, ein Erdbeben erschüttert den Konti-
nent, Regen fluthen strömen hernieder und drohen Alles zu er-
säufen, ein Orkan entwurzelt rings umher die stärksten Bäume, und
von den Bergen herabrollende Felsstücke drohen den Weisen zu
zerschmettern, der gelassen inmitten dieser Schrecknisse und unbe-
kümmert um die Gefahr seinen Gedankengang verfolgt. Auch
Furcht vermag ihn nicht mehr zu erschüttern. Da greift Maro zu
seiner letzten und gefahrlichsten Waffe. Er sendet seine zauber-
schönen Töchter Radscha, Arati und Tanhä (Wollust, Hass und
Lebenstrieb). Diese bieten, während sich die Umgebung in einen
Feenhain verwandelt, alle ihre Künste auf, den weltflüchtigen As-
ketffi zu umgarnen und in ihre Netze zu verstricken. Doch Gd-
tamo durchschaut ihre wahre Natur, er wendet sich mit Ekel von
den lockenden Gestalten ab. Damit ist der Kampf entschieden.
Maro flieht voller Verzweiflung; er fühlt seinen Thron wanken.
Der Weltüberwinder hat ihm die Herrschaft über die Menschen-
herzen entrissen.
*) Unter Erleuchtung im buddhistischen Sinne ist kein wunder-
barer oder mystischer, durch Einfluss ausser weltlicher, göttlicher
Mächte herbeigeführter Vorgang zu verstehen, sondern jene un-
mittelbare Erfassung der Wahrheit, jener intuitive Tiefblick in die
Natur der Dinge, der sich von der Intuition des künstlerischen
Genius nur dem Grade, nicht dem Wesen nach unterscheidet, nur
eine höhere Stufe derselben darstellt.
— 17 —
der Wesen, die Ursache des Leidens, des Todes und der
Wiedergebart, aber auch das Mittel, allem Leiden ein
Ende zu machen, dem unablässigen Kreislauf von Geburt
und Tod zu entgehen und die Erlösung, das Nirwana, zu
erreichen.
40. Wie lange weilte er unter dem Bodhi-Baum?
Sieben Tage weilte er am Fusse des Baumes in
tiefer Versenkung. Dann erhob er sich und ging zu dem
Adschapälo- Feigenbäume (Baum der .Ziegenhirten). Dort
kam ihm dieser Gedanke: „Erkannt habe ich die be-
seligende, aber schwer zu erringende Wahrheit, die allein
dem vollendeten Weisen zu Theil wird. Soll ich sie ver-
künden? In irdischen Trieben bewegt sich die Menschheit,
auf Erden hat sie ihre Stätte und findet sie ihre Lust. Die
ewige Weltordnung, das Gesetz der Verkettung von Ur-
sache und Wirkung wird sie nicht fassen, die Lehre von
dem Aufgeben des Willens zum Leben, von der Ueber-
windung des Verlangens und der Begierden und vom Wege
zur Erlösung wird sie nicht hören wollen. Wenn ich die
Lehre verkünde, wird es mir nur Pein, nur Verachtung, nur
Enttäuschung bringen*).
4L Gab der Buddha diesem Bedenken Gehör?
Nein. Er wies es als eine seiner unwürdige
Schwäche zurück. Das Mitleid mit den irrenden und lei-
denden Menschen bestimmte ihn, noch die Last einer langen
Erdenlaufbahn und die schwere Aufgabe eines Verkündigers
der Wahrheit auf sich zu nehmen.
42. Was geschah nun?
Der Buddha verweilte noch drei Wochen unter dem
Baume der Ziegenhirten, die Seligkeit der errungenen Er-
*) Diese natürliche Regung im Gemüthe des Buddha wird
von der Legende wieder als eine Versuchung Maro's dargestellt.
Der Volksgeist hat eben überall und jederzeit das Bestreben, sich
solche inneren Vorgänge und Kämpfe unter dem Bilde einer
äusseren, dramatischen Begebenheit zu veranschaulichen. Die bud-
dhistische Legende ist aber stets sehr durchsichtig.
1
lösnng geniessend und seine Lehre im Geiste in allen ihren
Theilen ausgestaltend. Während dieser 28 Tage seit E r '
langung der Buddhaschaft blieb er ganz allein und nah** 1
weder Speise noch Trank zu sich. Dann aber erhob e *
sich und sprach.' „Geöffnet sei Allen die Pforte des Heft 6 '
wer Ohren hat, höre die Lehre und lebe ihr nach !
48. Wem verkündete er die Lehre zuerst?
Den fünf Asketen, welche so lange bei ihm gewei"
und ihn verlassen hatten, als er die Selbstpeinigunge***
aufgab.
44. Wo fand er sie wieder?
In einem Haine bei der Stadt Benares, im Wild— ~
parke Isipätanam, in der Migadäyo-Einsiedelei.
45. Hörten die fünf Asketen ihn bereitwillig an?
Sie hatten die Absicht, dies nicht zu thun, da sie
ihn als einen Abtrünnigen betrachteten, aber die Hoheit
seiner Erscheinung, der erhabene Ausdruck seines Ant-
litzes machten einen so gewaltigen Eindruck auf sie, dass sie
sich wider Willen vor ihm beugten und voller Ehrfurcht
seinen Worten lauschten.
46. Wie nennt man diese erste Predigt des Buddha?
Die „Verkündigung der sittlichen Weltordnung",
oder die „Gründung des Reiches der ewigen Gerechtigkeit".
Diese Predigt enthält die Grundzüge der ganzen Lehre:
die vier Heilswahrheiten*).
47. Welche Wirkung hatte diese Fredigt auf die
fünf Asketen?
Sie erkannten den Buddha als den Welterleuchter
an und begehrten, seine Jünger zu werden. Und der Er-
habene nahm sie als die ersten in die Brüderschaft der Er-
lesenen (Sangho) auf mit den Worten: „Seid mir gegrüsst,
Ihr Brüder. Wohl verkündet ist die Lehre. Wandelt hin-
fort in Heiligkeit, allem Leiden ein Ende zu machen".
*) Die vier Heilswahrheiten siehe unter „Lehre".
— 19 —
48. Wer war der erste von den fünf Jüngern , der
zur vollen Erkenntniss gelangte?
Der bejahrte Kondänyo. Ihm ging das reine, un-
getrübte Ange der Wahrheit auf, und er erreichte die Stufe
eines Arahä*). Bald folgten auch die vier Andern.
49. Gewann der Buddha in Benares noch andere
Jünger?
Noch viele. Der nächste, welcher bekehrt wurde,
war Yaso, ein Jüngling aus edlem Geschlechte. Aber
nicht nur Brahmanen, Edle und Vornehme lauschten den
Worten des Erhabenen, sondern auch das Volk, denn er
machte keinen Unterschied der Kaste, des Ranges oder
Standes, wie es die brahmanischen Priester thaten, sondern
predigte Allen, die willig waren, ihn zu hören. Nach fünf
Monaten betrug die Zahl der Jünger bereits sechzig, ohne
die weltlichen Anhänger. Es fand darauf die Aussendung
der Brüder statt.
50. Was versteht man unter der Aussendung der
Brüder?
Der Buddha versammelte die Brüder um sich, und
befahl ihnen, einzeln hinaus zu wandern in die Welt und
dl© erlösende Lehre überall zu verbreiten**).
61. Mit welchen Worten geschah dies?
Der Buddha sprach zu den Brüdern: „Ihr seid von
allen Banden frei, von göttlichen und menschlichen. So
ziehet denn aus, Ihr Brüder, wandert umher und predigt
die Lehre zum Heile und zur Errettung für alle lebenden
^esen, aus Mitleid für die Welt, zur Freude, zum Segen,
*) Ein Arahä ist derjenige, welcher die vierte und höchste
Stnf^ der Heiligkeit und damit das Nirwana erreicht hat.
**) Nur dadurch, dass der Buddha selbst die Jünger in der
Ltslire unterwies, und dass diese Jünger Brahmanen waren, also
dünner, welche schon ihr ganzes Leben in Selbstverläugnung,
^^ehdenken und heiligem Streben nach der Erlösung hingebracht
hatten, war es möglich, dass dieselben bereits nach fünf Monaten
die Lehre so vollständig inne hatten, um selbst als Wander-
prediger auftreten zu können.
2*
zum Heile für Götter*) und Menschen. Es giebt Viele,
die lauteren Herzens und guten Willens sind, aber wenn
sie die erlösende Lehre nicht hören, gehen sie zu Grunde.
Diese werden Eure Anhänger und der Wahrheit Be-
kenner sein".
52. Blieb der Buddha allein in Benares?
Nein; er wandte sich zurück nach Uruwela. Dort
lebten in Waldhütten zahlreiche Brahmanen, welche die
heiligen Feuer unterhielten und die im Weda vorgeschrie-
benen Opferbräuche verrichteten. Denen predigte er von
dem Feuer der Sinnenlust, der Leidenschaften nnd der
Begier und gewann viele von ihnen zu Jüngern nnd An-
hängern.
Dann wanderte er weiter nach Radschagäham, wo er den
König Bimbisaro und eine grosse Anzahl von Edellenten
bekehrte. So breitete sich die heilbringende Lehre immer
weiter aus.
53. Kehrte er nie wieder nach seiner Heimath, nach
Kapilawatthu zurück?
Von Radschagäham wanderte er nach Kapilawatthu,
und der Ruf seines Wirkens ging vor ihm her. Aber er kehrte
nicht im Königspalaste ein, sondern weilte mit den Brüdern,
die bei ihm waren, in einem Haine vor der Stadt, wie es
die Ordnung der Brüderschaft vorschreibt. Da kam König
Suddhödano und alle seine männlichen Verwandten hinaus,
ihn zu begrüssen. Als sie ihn aber erblickten im schlechten
*) Götter leugnet der Buddhismus weder, noch erkennt er sie
besonders an : er bedarf ihrer einfach nicht, weder zur Stütze seiner
Moral noch zur Erlangung der Erlösung. Wer an Götter glauben
will, mag es thun, nur darf er nicht vergessen, dass die Götter, wie
alle lebenden Wesen, vergänglich und der Wiedergeburt unterworfen
sind, mag ihr Leben auch nach Millionen Erdenjahren zählen, und
dass der zur Erlösung gelangte Heilige, vor Allem aber der Buddha,
weit über alle Götter erhaben ist. — Bei obiger Anführung sind
unter „Göttern" die Brahmanengötter gemeint, die allerdings, wie
alle übrigen Götter, die in den fünf Erdtheilen angebetet werden,
der Erlösung durch die fortschreitende Vernunft des Menschenge-
schlechtes dringend bedürfen.
— 21 —
Gewände eines Bhikschu (Bettelmönchs), mit kurzgescho-
renem Barte und Haupthaar, schämten sie sich seiner.
Am andern Morgen nahm der Buddha seine Almosen-
schale*), und ging, dem Brauche der Brüderschaft gemäss,
in die Stadt, um an den Hausthüren seine Nahrung einzu-
sammeln. Als der König, sein Vater, davon hörte, kam er
herbeigeeilt und sprach mit Worten des Vorwurfs zu ihm :
„Mein Sohn, warum thust du mir eine solche Schmach an,
gleich einem Bettler nach Gaben zu heischen?"
Der Buddha antwortete: „Grosser König, dies war
von jeher der Brauch Aller aus meinem Geschlechte".
König Suddhödano aber verstand ihn nicht und rief:
„Wir stammen aus einem Geschlechte von Königen und
Kriegern, und Keiner von diesen hat sich je so weit er-
niedrigt, sein Brod vor den Thüren zu erbetteln !"
Da lächelte der Erhabene und sprach : „Du und die
Deinen, Ihr rühmt Euch mit Recht, aus einem Geschlechte
von Königen abzustammen. Meine Ahnen aber sind die
Buddhas vergangener Jahrtausende und diese hielten es,
wie ich"**).
Da schwieg König Suddhödano, fasste ihn bei der Hand
lind führte ihn nach dem Palaste.
*) Die Almosenschale der buddhistischen Bettel mönche ist
«ine irdene oder metallene Schüssel mit geradem Stiel, welche
jedes Mitglied der Brüderschaft stets bei sich trägt und worin die
tägliche Nahrung von ihnen eingesammelt wird. Auch der Buddha
wich von dieser Regel nur dann ab, wenn er von einem welt-
lichen Anhänger (Upäsako) in dessen Haus eingeladen war, um
dort zu speisen.
**) In den fernen Zeitaltern der Vergangenheit, in deren
Dunkel keine Geschichtsforschung mehr zu dringen vermag, traten
ebenfalls welterleuchtende Buddhas auf, welche die erlösende Lehre
verkündeten, denn das Heil ist, wie Irrthum, Schuld und
Leiden, immer da. Nie fehlt es dem Menschen, der ernstlich
nach Erkenntnis und Erlösung strebt, an den Mitteln dazu. Jedes-
mal, wenn die reine Lehre völlig in Verfall zu gerathen, und die
Menschheit in sinnlichen Begierden und geistiger Finsterniss zu
versinken droht, wird auch ein neuer Buddha geboren. Der letzte
dieser Buddhas, die Leuchte unseres Zeitalters, war eben der
Buddha Götamo, dessen Lehre wir folgen.
22
54. Begehrte der Buddha nicht sein Weib und sei-
nen Sohn Bahulo wiederzusehen?
. Noch am selbigen Tage begab er sich zu der Prin-
zessin Yasödhara, begleitet von zweien seiner Jünger*).
Und als Yasödhara ihn vor sich stehen sah im Gewände
des Bettelmönches, vermochte sie kein Wort hervorzu-
bringen, sondern sank vor ihm nieder, umfasste seine Knie
und weinte bitterlich.
Da hob sie der Buddha auf, tröstete sie und unterwies
sie mit liebevollen Worten in der Lehre. Und seine Worte
fanden eine gute Stätte in ihrem Herzen.
Und als der Buddha gegangen war, kleidete Yasödhara
ihren Sohn Rähulo in seine besten Gewänder, und sandte
ihn zu dem Erhabenen**), damit der Prinz seinen Vater um
sein Erbe bitte. Der Knabe trat vor den Buddha hin und
sprach: „Mein Yater, ich werde einst König sein und den
Thron der Säkya einnehmen. Drum gieb mir mein Erbe".
Da fasste ihn der Erleuchtete bei der Hand, führte
ihn hinaus vor die Stadt nach dem Nigrödho - Haine, wo er
mit den Jüngern seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, und
dort sprach er zu Rähulo: „Mein Sohn, du begehrst von
mir ein Erbe , das der Vergänglichkeit unterworfen ist nnd
Leiden im Gefolge hat. Ein solches habe ich nicht mehr
zu vergeben. Aber die Schätze, welche ich unter dem
*) Kein Mitglied der Brüderschaft darf allein in die Behau-
sung eines Weibes gehen, ausser in Nothfällen.
**) Der „Erhabene" ist eine oft angewandte Bezeichnung des
Buddha. Es kommen deren in den heiligen Büchern des Buddhis-
mus noch eine ganze Anzahl ähnlicher vor, die alle eine Eigen-
schaft des Buddha ausdrücken. So heisst er: Sakyamuni, der
Weise aus dem Stamme der Sakyas; der „Heilige*, weil er frei
von allem Willen zum Leben , allen Leidenschaften und Begierden
ist; der „Vollendete", weil er nach langem Kampfe mit dem
Irrthum und den irdischen Trieben die Vollendung erreicht hat; der
„Erleuchtete**, weil ihm unter dem Baume der Erkenntniss
die höchste Erleuchtung zu Theil ward; der „Weltüberwinder",
weil er Maro, den Fürsten dieser Welt, der sinnlichen Liebe, des
Todes und der Finsterniss, den Versucher der Wesen, überwunden
hat; und endlich der „Welterleuchte r", weil er nicht nur sich
selbst erlöst, sondern die heilbringende Lehre gepredigt und das
Licht der Wahrheit über die ganze Welt hat leuchten lassen.
— 23 —
Baume der Erkenntniss gewonnen habe, seien Dein. Dies
ist das geistige Erbe, das ich dir vermache ; dies kann dir
Niemand entreissen".
Und daranf befahl er dem Sariputto, Rahulo in die
Brüderschaft der Erlesenen aufzunehmen.
Ausser Rahulo aber erlangten noch viele von des
Buddha Verwandten Aufnahme in die Brüderschaft, unter
diesen Anando, Dewadätta, (Jpäli und Anurüdho.
66. Welches waren — ausser den zuletztgenannten —
die hervorragendsten Jünger des Erleuchteten?
Sariputto, Moggallano und Kässapo.
66. Wie lange weilte der Buddha in Kapilawatthu?
Er verbrachte dort die vier Monate der Regenzeit
des zweiten Jahres seiner Lebrthätigkeit. Dann schied er,
um an andern Orten sein Werk fortzusetzen.
67. Wie lange predigte der Buddha die Lehre?
Bis zu seinem Tode, im Ganzen 45 Jahre. Wäh-
rend dieser Zeit zog er acht Monate des Jahres von Dorf
zu Dorf, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land, stets
begleitet von einer Scbaar von Jüngern und überall das
Volk durch Predigt, Ermahnung und Gleichniss unter-
weisend. Die vier Monate der Regenzeit aber brachte er
stets an einem und demselben Orte zu, entweder im Hause
eines Anhängers, oder in den Gärten und Hainen, welche
von reichen Anhängern der Brüderschaft zum Geschenk ge-
macht worden waren*).
*) Die Regenzeit ist in Indien die Zeit des erwachenden Thier-
und Pflanzenlebens. Der Nordländer kann sich schwerlich einen
Begriff davon machen, in welcher ungeheuren Fülle sich nach den
ersten Regentagen schon die Thier- und Pflanzenkeime entwickeln,
welche während der ertödtenden Trockenheit der heissen Zeit in
einer Art Todesschlaf, dem Winterschlaf der nördlichen Länder
vergleichbar, gelegen haben. Es ist dann thatsächlich unmöglich,
auf Wald- und Feldwegen nur einen Schritt zu thun, ohne pflanz-
liches und thierisches Leben zu vernichten. Daher wanderte der
Buddha während der Regenzeit nicht und verbot auch seinen
Jüngern, dies zu thun, ausser in Fällen dringender Noth.
— 24 —
68. Wo weilte der Buddha am häufigsten und am
liebsten?
Im Bambuswalde (Weluwänam) bei Radschagdham,
einem ehemaligen Parke des Königs Bimbisäro, welchen die-
ser der Brüderschaft geschenkt hatte, und im Dschetahaine
(Dschetawänam) bei Savatthi, einer Gabe des reichen Kauf-
mannes Anathapindiko. In beiden waren Klöster (Wihäros)
für die Bhikschu erbaut worden. Diese Statten sind be-
rühmt geworden in der Geschichte des Buddhismus, denn
hier war es, wo der Erhabene die meisten der in den heiligen
Büchern aufgezeichneten Wahrheiten verkündete.
59. Wurde während dieser 45 Jahre die Iiehre des
Buddhismus fest begründet?
Ja. Der Ruhm des Buddha und die heilbringende
Wahrheit breiteten sich mächtig aus, Tausende von Per-
sonen aus allen Ständen, Männer und Frauen, nahmen die
höheren Gelübde auf sich und traten der Brüderschaft bei
als Bettelmönche (Bhikschu, Samdnen) oder Nonnen (Bhik-
schuni) und Unzählige erklärten sich für weltliche Anhänger
des Erleuchteten.*)
*) Der Buddhismus zählt noch jetzt, obgleich seit 1500 Jahren
ein Stillstand in der Ausbreitung der Lehre eingetreten ist, mehr
Anhänger, als das Christenthum aller Konfessionen zusammenge-
nommen, nämlich 450 Millionen, also ein volles Drittel des ge-
sammten Menschengeschlechtes. Ein Jahrhundert vor Christi Ge-
burt waren die Jünger des Weiterleuchters bereits nach Westen und
Osten weit über die Grenzen Indiens vorgedrungen, und in der
Stadt Alexandria in Baktrien lebten viele Brüder und weltliche An-
hänger. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Jesus von Nazareth,
dessen Lehren mit denen des Buddhismus ja so viel innerliche
Uebereinstimmung haben, von seinem zwölften bis zu seinem
dreissigsten Jahre, während welcher Zeit die Evangelien nichts von
ihm zu berichten wissen, ein Schüler der Buddhistenmönche war
und unter ihrer Leitung die Arahäschaft erreichte. Dann £ehrte
er in sein Heimathland zurück, um seinem Volke die erlösende
Lehre zu verkünden.
Diese Lehre Jesu ist später verstümmelt und mit Irrthümern
aus dem Gesetzbuche der Juden vermischt worden. Die Grund-
lehren des Christenthums aber, wie das ganze Auftreten des Stifters
sind offenbar buddhistischen Ursprungs, und der liebevolle Na-
zarener, dem auch jeder Buddhist seine Verehrung zollen wird,
— 25 —
60. Hatte der Buddha während seiner Lehrthätig-
keit keine Verfolgungen und Anfeindungen von
Seiten der herrschenden brahmanischen Beli-
gion zu erdulden?
Nein; denn wie dem Buddhismus, so ist auch dem
echten Brahmanismus alle Unduldsamkeit gegen Anders-
gläubige, aller religiöse Fanatismus fremd. Aber einer
seiner eigenen Jünger erhob sich gegen fhn.
61. Welcher von den Jüngern war das?
Dewadätto. Dieser wurde vom Ehrgeiz verblendet,
er wollte an Stelle des bejahrten Meisters die Leitung
der Brüderschaft an sich reissen, und als ihm dies nicht
gelang, trachtete er dem Buddha sogar nach dem Leben.
Alle Anschläge aber, die er gegen den Erhabenen unter-
nahm, scheiterten.
62. Wissen wir etwas über des Buddha letzte Le-
benstage und seinen Tod?
Ja. Das Maha-Parinibbäna-Suttam, oder das Buch
von dem Eingehen des Erleuchteten zum ewigen Frieden
(Parinirwäna) berichtet ausführlich darüber.
68. Was berichtet uns dieses Buch?
Als der Weiterleuchter im achtzigsten Lebensjahre
8tand, fühlte er seine Kräfte schwinden. Und er sprach zu
Anando, der stets um ihn war*): „Anando, ich bin hoch
war ein Arahä, der das Nirwana erreicht hatte. Jetzt aber ist
in Europa die Zeit wieder reif geworden , wo die westlichen Ab-
kömmlinge der Arier die reine unverfälschte Lehre des Buddha
hören und erkennen können. Diese wird in Europa die Religion
der Zukunft sein, denn sie allein ist nicht eine Glaubenssache, wie
alle andern r geoffenbarten " Religionen, sondern Erkenntniss- und
Ueberzeugungslehre, die Religion des freien, edlen, sich selbst ver-
trauenden Menschenthums , das keine göttliche Gnade begehrt und
keinen göttlichen Zorn fürchtet, und den Richter seiner Thaten
allein im eigenen Herzen, in der eigenen besseren Erkenntniss sieht.
*) Anando war der persönliche Begleiter des Buddha ge-
wesen von dem Augenblicke an, da er in die Brüderschaft ein-
getreten war. Er war derjenige unter den Jüngern, den der Meister
wegen seines kindlichen Gemüthes, seines weichen liebevollen Herzens
und seiner Anhänglichkeit vor Allen lieb hatte.
— 26 —
bei Jahren, bin ein Greis, das Maass meiner Tage ist voll,
und meine Erdenreise nähert sich ihrem Ende". Da ward
Anando von grosser Trauer ergriffen und bat den Meister,
noch länger auf Erden iu verweilen. Der Bnddha aber
verwies ihm solche Reden und sprach: „Habe ich dich
nicht oft gelehrt, Anando, dass es in der innersten Natur
aller Dinge, wie lieb und theuer auch immer sie uns seien,
begründet liegt, dass wir uns von ihnen trennen, sie ver-
lassen, von ihnen scheiden müssen ? Alles was geboren, ge-
worden oder entstanden ist, trägt in sich selbst die Not-
wendigkeit des Vergehens; wie also könnte es möglich
sein, dass ein menschliches Wesen, wäre es selbst ein
Buddha, nicht verginge? Keinen Zustand ewiger Dauer
kann es geben. — Heute über drei Monate wird der Vollen-
dete zum ewigen Frieden eingehen.
Darum, Ihr Bruder, denen ich die von mir erkannte
Wahrheit verkündigt habe, macht sie Euch völlig zu eigen,
lebt im Geiste derselben täglich und stündlich, versenkt
Euch darein und verbreitet sie an meiner Statt, auf dass
die reine Lehre lange bestehe und erhalten bleibe. Wer
treu auf dem Pfade der Heiligkeit verharrt, der wird sicher
dieses Meer des Lebens kreuzen und an jenes erhabene
Ziel gelangen, wo alles Leiden endet".
Und obgleich der Erleuchtete hinfallig war und von
Schmerzen geplagt, wanderte er doch noch von Ort zu Ort,
überall die Brüder und weltlichen Anhänger um sich ver-
sammelnd und zu unerschütterlichem Ausharren auf dem
Pfade des Heiles ermahnend.
In Pavä rastete er im Mangohaine Tschundo's, eines
Mannes aus der Kaste der Schmiede. Und als Tschundo
dies hörte, eilte er voller Freude herbei und lud den Voll-
endeten in sein Haus ein.
Nachdem der Buddha mit den Brüdern das Mahl bei
Tschundo eingenommen und den Schmied durch seine Worte
erfreut und erbaut hatte, wanderte er weiter nach Kusinard.
Unterwegs überfiel ihn eine schwere Krankheit und heftige
Schmerzen peinigten ihn, doch der Erhabene, starken
Geistes und voller Selbstbeherrschung, ertrug sie ohne
Klage. Bald aber wurde seine Schwäche so gross, dass
— 27 —
er sich am Wege unter einem Baume niederlassen musste.
Und er sprach zu Anando: „Hole mir etwas Wasser, Anando,
mich dürstet".
Anando that nach des Erhabenen Wunsch, und der
Buddha trank und erquickte sich.
Nun begab es sich, dass der junge Pükkuso, ein Kauf-
mann vom Stamme der Mallas, mit einer Wagenkarawane
die Strasse daherkam. Und als er den Vollendeten unter
dem Baume sitzen sah, näherte er sich ihm voller Ehr-
furcht, grüsste ihn und neigte sich vor ihm. Darauf befahl
er einem seiner Diener, ein paar kostbare Gewänder von
geglättetem Goldstoff herbeizubringen und sprach: „Meister,
erweise mir die Gunst, diese Gewänder aus meinen Händen
anzunehmen".
Der Buddha antwortete: „So gieb mir eines der Ge-
wänder, Pükkuso, und Anando das andere".
Da legte Anando dem Buddha das eine der goldenen
Gewänder an, und als dies geschehen war, schien es seinen
Glanz völlig verloren zu haben. Voller Erstaunen rief
Anando: „Herr, so strahlend ist dein Angesicht und so
klar, dass dieses Gewand aus geglättetem Goldstoff ganz
»einen Glanz verloren zu haben scheint".
Und der Erleuchtete antwortete: „Es ist so, wie du
sagst, Anando. Zweimal während seiner Erdenlaufbabn
erscheint das Antlitz des Vollendeten so hell und klar: in
jener Nacht, in welcher er die höchste Erkenntniss erlangt
und in der Nacht, in welcher er zum ewigen Frieden ein-
geht*). Und heute noch, Anando, in der dritten Nacht-
wache, wird das Parinirwäna des Vollendeten sein".
Darauf erhob sich der Erleuchtete neu gekräftigt und
wanderte mit den Jüngern, die bei ihm waren, nach dem
Salhaine der Mallas bei Kusinarä, am Ufer des Hiran-
yavdti. Und er sprach zu Anando :
*) Aus diesem Erlebnis« hat die Legende eine „Verklärung"
gemacht, während der einfache Sinn dieser Erzählung doch auf der
Hand liegt. Vor dem geistigen Lichte, das aus dem Antlitz eines
Buddha strahlt, erbleicht natürlich aller Goldesglanz dieser Erde.
Die grosse Menge aber hascht stets nach dem Wunderbaren.
— 28 —
„Ich bitte dich, Anando, breite mir ein Gewand übei
den Ruhesitz zwischen den beiden Salbäumen. Dort will
ich mich niederlegen".
„Wie du es wünschest, Meister", versetzte Anando,
und er bereitete dem Vollendeten ein Lager auf dem Ruhe-
sitze zwischen den Zwillings- Salbäumen, mit dem Haupte
nach Norden. Und der Buddha legt sich darauf nieder.
Und siehe da! Die beiden Salbäume waren über und
über voller Blüthen, obwohl es nicht die Jahreszeit dazu
war; gleich einem Regen schütteten sie ihre Blüthen über
den Erleuchteten aus, und himmlische Weisen ertönten in
den Lüften.
Da sprach der Buddha:
„Seht, welch 9 ein Schauspiel! Himmel und Erd<
streben, den Vollendeten zu ehren. Doch dies ist nicht di
rechte Verehrung , der rechte Preis , die rechte Verhef
lichung, die dem Vollendeten gebührt. Diejenigen mein«
Jünger und Anhänger, die immerdar im Geist und in d<
Wahrheit leben und getreulich die Vorschriften recb
schaffenen Wandels befolgen, diese allein geben dem Vol
endeten die rechte Ehre, den rechten Preis, die rech<
Verherrlichung" *).
Und der Erhabene wandte sich abermals zu den Jünger
und sprach : „Vielleicht werden nach meinem Dahinscheide
einige von Euch denken: Der Mund des Meisters ist ve
stummt, wir haben keinen Führer mehr! Aber so dürft II
nicht denken, Ihr Brüder. Die Lehre, die ich Euch ve:
kündet, und die Vorschriften fleckenlosen Wandels, welct
ich für Euch festgesetzt habe, diese sollen, wenn ich nie]
mehr unter Euch weile, Eure Führer und Meister sein".
*) Das Wunderbare des Vorganges ist offenbar nebensächlic
ist nur die sinnbildliche Form, um den Anhängern auf das ei
dringlichste zum Bewnsstsein zu bringen, dass der Buddha seit
göttliche Ehren, die seiner Person dargebracht werden, gerii
schätzt, dass man ihn nicht dnreh Lob, Preis und Dank, dun
eitles Wort- und Schaugepränge ehrt, sondern allein durch treue B
folgung seiner Lehren. Freilich zieht, wie überall und immerdf
auch in buddhistischen Landen der grosse Haufe das erstere v<
da den Meister preisen leicht, ihm nachahmen aber schwer ist.
— 29 —
nach einer Weile erhob der Buddha nochmals
lme und sprach:
Brüder, seid stets eingedenk meiner Ermahnung :
itandene ist vergänglich ; strebt nach der Erlösung
irlass !"
waren die letzten Worte des Erleuchteten. Dann
jin Geist hinab in die Tiefen innerer Versenkung,
r jene Stufe erreicht hatte, wo alles Vorstellen
ten, und das Bewusstsein des Ich völlig erloschen
er in das höchste Nirwana ein.
dem östlichen Thore von Kusinarä verbrannten
i der Mallas den Leib des Welterleuchters mit den
ie man sie einem Könige erweist.
Pd
*
Die Lehre (Dhammo).
64. Was ist die Lehre?
Die Lehre ist die von dem Buddha geschaute und
verkündete, durch die Ueberlieferung der Arahats uns er-
haltene und in den heiligen Schriften aufgezeichnete Wahr-
heit und Weltordnung.
65. Wie nennt man die heiligen Schriften der Bud-
dhisten?
Die drei Pitakas oder Büchersammlungen: Sutta-
Pitakam, Vinaya-Pitakam und Abidhamma-Pitakam.
66. Was ist der Inhalt der drei Pitakas?
Das Sutta-Pitakam enthält die Lehrreden, Pre-
digten und Ausspräche des Buddha, welche sowohl für die
Bhikschu als für die weltlichen Anhänger (Up&sakos) bestimmt
sind, sowie eine Anzahl von Gleichnissen und Sprüchen zur
näheren Erläuterung der Lehre.
Das Vinaya-Pitakam enthält die Satzungen und
Verhaltungsvorschriften für die Brüderschaft der Erlesenen,
die Bhikschu und Samanen.
Das Abidhamma-Pitakam enthält religiös-philo-
sophische, psychologische und metaphysische Abhandlungen
aus jüngerer Zeit. Es ist eine zum Theil scholastische
Ueberarbeitung älterer Texte und nur dem Gelehrten recht
verständlich.
67. Enthalten diese drei Büchersammlungen gött-
liche Offenbarungen?
Nein, es giebt keine göttlichen Offenbarungen. Dass
die Wahrheit dem Begünstigten oder Begnadigten durch
einen Gott oder Engel eingegeben oder geoffenbart wird,
ist eine Annahme , die der Buddhismus ganz und gar ver-
wirft. Nie Aaben die Menschen andere Offenbarungen
empfangen, als aus dem Munde jener erhabenen Lehrer des
Menschengeschlechtes , die sich aus eigener Kraft zur
höchsten geistigen und moralischen Vollendung emporge-
rungen haben, und die man daher welterleuchtende Buddbas
nennt. Der letzte dieser Weiterleuchter ist der Buddha Oö-
tamo; was dieser geschaut und verkündet bat, enthalten die
drei Pitakas.
68. Weshalb bedürfen wir solcher welterleuchtender
Buddhas ?
Wegen unserer Leiden und unserer Unwissenheit*).
Denn das Leiden und die Nichtigkeit des Lebens erweckt
*) Weil wir die wahre Natur der Welt und des Menschen
nicht erkennen, weil wir in Unwissenheit über das Walten der mo-
dischen Weltordnung befangen sind , verstricken wir nns immer
aufs neue in Schuld, welche zn ihrer Abbüssung die Leiden einer
neuen Geburt erfordert.
Weil wir vom irdischen Wahn verblendet sind, trachten wir
nach Dingen, die ihren Werth nur in unserer Einbildung haben
und mehr Schmerz als Genuas gewähren, schätzen das hoch, was
nichtig und eitel ist, betrüben uns über Vorkommnisse, die unsere
Teilnahme nicht verdienen und freuen uns über das, was uns
whädigt, und wohl gar die Ursache zu unserm Verderben wird.
Weil wir die rechte Erkenntniss nicht haben, hängen wir unser
H*n an irdische, vergängliche Güter, verwickeln uns in Streit und
Ungemach im Kampfe ums Dasein, und lassen unser wahres Heil
8*nz aus den Augen. So ist denn unser ganzes Dasein eine unab-
sehbare Kette von unerfüllten Wünschen, Täuschungen und Ent-
täuschungen , die sehr schmerzlich sind , von Leidenschaften und
Begierden, die ihr Ziel verfehlen, oder, wenn für kurze Zeit ge-
stillt, gleich schlecht geheilten Wunden immer aufs neue auf-
brechen, unsere körperlichen und geistigen Kräfte untergraben und
Q Q8 in einem immerwährenden Zustande des Leidens erhalten, aus
welchem es für den Unwissenden, den Verblendeten keinen Aus-
sig giebt.
— 32 —
in edleren Naturen zwar die Sehnsucht nach Erlösung, die
Unwissenheit aber verhindert uns, aus eigenen Kräften den
Weg aus diesem Samsäro zu finden. Darum bedarf es
des Meisters, der ihn uns zeigt.
69. Was ist Samsäro?
Der Samsäro ist die Welt, in der w leben, die
Welt des Irrthums, der Schuld, der Geburt, des Leidens
und des Todes; die Welt des Entstehens und Vergehens,
des ewigen Wechsels, der Enttäuschungen und Schmerzen,
des unaufhörlichen, nimmer endenden Kreislaufes der Wieder-
geburten.
70. Welches ist die Ursache der Geburt, des Lei-
dens, des Todes und der Wiedergeburt?
Es ist der uns alle erfüllende Wille zum Leben*),
das Trachten nach individuellem Dasein in dieser oder in
einer jenseitigen Welt (Himmel oder Paradies).
71. Und wodurch kann man dem Leiden, dem Tode
und der Wiedergeburt ein Ende machen?
Durch das Aufgeben des Willens zum Leben, durch
die Ueberwindung des Trachtens nach individuellem Dasein
in dieser oder einer andern Weit. Dies ist die Befreiung,
die Erlösung, der Weg zum ewigen Frieden.
72. Was verhindert uns denn, den Willen zum Le-
ben aufzugeben und die Erlösung zu erlangen?
Unsere Unwissenheit (Awidscbä)**), unsere Verblen-
dung, unser Mangel an rechter Erkenntniss.
*) Der Ausdruck „Wille zum Leben** (tanhä) bedeutet im
buddhistischen Sinne nicht nur dasjenige, was der Europäer unter
dem bewussten Willen versteht, sondern den allen Wesen (auch
Thieren und Pflanzen) innewohnenden, theils bewussten, theils nn-
bewussten „Lebenstrieb", die Gesammtheit aller auf die Er-
haltung des Daseins und die Erlangung von Wohlsein und Genuas
gerichteten selbstsüchtigen Bestrebungen, Regungen, Begierden, Nei-
gungen und Abneigungen.
Diese Bedeutung des Wortes sollte der europäische Leser sich
stets gegenwärtig halten.
**) Unwissenheit (Awidschä) ist jene uns Allen angeborene ver-
— 33 —
73. Welche Erkenntniss ist es, die zur Ueberwin-
dung des Lebenswillens und zur Erlösung fuhrt ?
Die Erkenntniss der vier Heilswahrheiten, die uns
der Buddha verkündet hat.
74. Nenne mir die vier Heilswahrheiten!
Es sind: Die Wahrheit vom Leiden; von der Ur-
sache des Leidens; von der Aufhebung des Leidens; vom
Wege, der zur Aufhebung des Leidens führt.
75. Erkläre mir diese vier Heilswahrheiten näher!
So höre die eigenen Worte des Buddha.
„Weil wir vier Heilswahrheiten nicht erkennen und
erfassen, Ihr Brüder, müssen wir so lange den traurigen
öden Weg der Wiedergeburten durchwandern. Und welches
sind die vier Heilswahrheiten? Die Wahrheit vom Leiden,
die Wahrheit von der Ursache des Leidens, die Wahrheit
von der Aufhebung des Leidens und die Wahrheit vom
Wege, der zur Aufhebung des Leidens führt.
Aber wenn diese vier Wahrheiten einmal völlig er-
kannt und erfasst sind, so schwindet der Wille znm Leben,
jenes Trachten, das zu erneuertem Dasein führt, erlischt,
und der Kreislauf der Wiedergeburten hört auf*).
Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit vom
Leiden : Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist
Leiden, Tod ist Leiden ; von Liebem getrennt sein ist Leiden,
mit Unliebem vereint sein ist Leiden, nicht erlangen, was
man begehrt, ist Leiden. Kurz, das Dasein als Einzelwesen
(als Individualität, als Ichheit) ist seiner ganzen Natur nach
leidvoll.
kehrte Betrachtungsweise der Dinge, vermöge welcher wir die flüch-
tige, nichtige, ewig entstehende und vergehende Erscheinungswelt
als das wahrhaft Seiende betrachten und uns daher begierig an sie
anklammern, während wir das Ewige, Unvergängliche , nie Werdende
noch Vergehende als blosses Hirngespinnst ansehen. Der aber, dem
die rechte Erkenntniss anfgegangen ist, weiss : dies Leben ist gar kein
wahres Sein, sondern ein unaufhörliches Werden und Vergehen und
Neuwerden, ein unaufhaltsamer Wechsel aller materiellen, moralischen
und geistigen Zustände unter beständigem Kampf und Leiden.
*) Maha-Parinibbäna-Suttam.
— 34 —
Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit von der
Ursache des Leidens: Es ist der Wille zum Leben, das
Trachten nach Dasein und Genuss, welches von Wieder-
geburt zu Wiedergeburt führt und bald in dieser, bald in
jener Gestalt seine Befriedigung sucht. Es ist das Trachten
nach Befriedigung der Leidenschaften, das Trachten nach
individueller Glückseligkeit im gegenwärtigen oder in einem
jenseitigen Leben.
Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit von der
Aufhebung des Leidens : Es ist die völlige Vernichtung des
Willens zum Leben, des Trachtens nach Dasein und Genuss.
Man muss ihn überwinden, sich seiner entäussern , * sich
davon lösen, ihm länger keine Stätte gewähren.
Dies, Ihr Brüder, ist die erhabene Wahrheit vom
Wege, der zur Aufhebung des Leidens führt. Es ist der
von mir gefundene, erhabene Pfad, dessen acht Theile
heissen: „Rechte Erkenntniss, rechtes Wollen, rechtes
Wort, rechte That, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes
Gedenken, rechtes Sichversenken".
Zwei Irrwege sind es, Ihr Brüder, die derjenige,
welcher nach der Erlösung strebt, nicht gehen darf. Der
eine, das Trachten nach der Befriedigung der Leiden-
schaften und der sinnlichen Genüsse, ist niedrig, gemein,
entwürdigend und verderblich ; es ist der Weg der Welt-
kinder. Der andere, die Selbstpeinigung und Askese, ist
trübselig, peinvoll und nutzlos. Der Mittelweg allein, den
der Vollendete gefunden hat, vermeidet diese beiden Irr-
wege, öffnet die Augen, verleiht Einsicht und führt zur Be-
freiung, zur Weisheit, zur Vollendung, zum Nirwana*).
*) Der nichtbuddhistische europäische Leser wird nicht leicht
inne werden, welche Summe von tiefen Erkenntnissen und religiös-
philosophischen Wahrheiten in diesen wenigen Sätzen des Dhamma-
Tschakka-Pawattäna-Suttam enthalten ist. Wiederholtes, ernstes Nach-
denken darüber ist daher nicht genug zu empfehlen. Niemand darf
hoffen, die wahre Natur des Daseins und die erhabene Lehre des
Buddha recht zu verstehen, ehe er nicht völlig in den Sinn und
die Bedeutung der vier Heilswahrheiten eiugedrungen ist, ehe er
nicht ihre ganze Tragweite erkannt hat.
35 —
76. Was ist Nirwana?
Ein Zustand des Gemüthes und Geistes, in dem
aller Wille zum Leben, alles Trachten nach Dasein und
Genusa erloschen ist, und damit jede Leidenschaft, jedes
Verlangen, jede Begier, jede Furcht, jedes Uebelwollen und
jeder Schmerz. Es ist ein Zustand vollkommenen inneren
Friedens, begleitet von der unerschütterlichen Gewissheit
der erlangten Erlösung, ein Zustand, den Worte nicht be-
schreiben können, und den die Phantasie des weltlich Ge-
sinnten sich vergebens auszumalen sucht. Nur wer es an
sich selbst erfahren hat, weiss, was Nirwana ist*).
*) Ueber Nirwana herrschen bei den meisten Europäern, trotz
der von hervorragenden Gelehrten längst gegebenen richtigen Er-
klärung, noch immer wunderliche Begriffe. Nirwana heisst wörtlich
übersetzt: Erloschensein, Ausgew eh tsein, — gleich einer Flamme,
die der Wind ausweht, oder die aus Mangel an Nahrung erlischt.
Daraus hat man nun schliessen zu müssen geglaubt, dass Nirwana
das Nichts bedeute. Dies ist eine irrige Meinung; vielmehr ist Nir-
wana ein Zustand höchster Vergeistigung, von dem freilich Keiner,
der noch von irdischen Banden gefesselt wird, eine zureichende
Vorstellung haben kann.
Was ist denn aber im Nirwana erloschen oder ausgeweht? —
Der Wille zum Leben ist erloschen, das Trachten nach Dasein und
Genuss in dieser oder einer andern Welt; erloschen ist der Wahn,
dass materielle Güter irgend einen innern Werth haben oder dauernd
sein könnten. Ausgeweht ist die Flamme der Sinnlichkeit und Begier,
auf immer ausgeweht das flackernde Irrlicht der „Ichheit". Zwar
lebt der vollendete Heilige, der Arahä (nur ein solcher kann Nirwana
schon in diesem Leben erreichen) noch im Körper fort, denn die
Wrkung des Irrthums und der Schuld früherer Geburten, die schon
zu wirken angefangen hat und sich eben daher als belebter Leib in
der Zeitlichkeit darstellt, kann nicht zu nichte gemacht werden;
ftber der Körper ist vergänglich, bald kommt die Stunde, wo er
dahinschwindet. Dann ist nichts mehr übrig, was eine neue Wieder-
geburt veranlassen könnte, und der Arahä geht zum ewigen Frieden,
in das Farinirwäna, das jenseitige Nirwana ein.
Parinirwäna ist im Sinne anderer lleligionslehren und des
"Wissenschaftlichen Materialismus allerdings gänzliche Vernichtung,
vollständige Auflösung der Individualität, denn Nichts bleibt im
farinirwäna übrig, was irgendwie dem menschlichen Begriffe vom
Dasein entspräche. Vom Standpunkte dessen aber, der die Arahä-
schaft erreicht hat, ist die Welt mit allen ihren Erscheinungen viel-
mehr „Nichts*, ein Spiegelbild, eine schillernde Seifenblase, und
3*
— 36 —
77. Ist Nirwana gleichbedeutend mit Erlösung?
Ja. Es ist die Erlösung, die schon in diesem Leben
erreichbar ist, die restlose Vernichtung von Begier, Uebel-
wollen und Wahn.
78. Kann jeder Mensch schon in der gegenwärtigen
Geburt zum Nirwana gelangen?
Nur die Wenigsten können es. Die meisten Menschen
sind durch die Wirkung ihrer Thaten in früheren Geburten
von einer so mangelhaften geistigen und moralischen Be-
schaffenheit, dass es noch vieler Wiedergeburten bedarf,
ehe sie sich soweit geläutert haben, um die Erlösung zu er-
langen. Aber eine Wiedergeburt unter günstigen Um-
ständen kann Jeder erreichen, der ernstlich danach strebt.
79. Hängt denn unsere Wiedergeburt allein von uns
selbst ab?
Allein von unserm Willen. Dieser Wille zum Leben
(tanhä), der uns Alle erfüllt und den Kern unseres Wesens
bildet, ist die eigentliche weltschöpferische Kraft*), er ist
^^pjfe?""*
Parinirwäna das Eingehen ins wahre Sein, ins Ewige, Unvergäng-
liche, wo keine Unterschiedlichkeit, kein Kampf nnd kein Leiden
mehr ist.
*) Es muss hier nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen
werden, dass der europäische Schüler des Buddhismus nicht den
„Willen zum Leben", d. h. die uns angeborene Lebenslust, den
Lebenstrieb oder die Anhänglichkeit an das Dasein mit dem be-
wussten Willen verwechselt. Der bewusste Wille bildet nur
einen kleinen Theil des ganzen „Willens zum Leben* 4 , nämlich
denjenigen, welcher in unser Gehirn-Bewusstsein fällt, der grössere
Theil aber des „Willens zum Leben" kommt den Pflanzen und
Thieren gar nicht, den meisten Menschen nur sehr unvollkommen
zum Bewusstsein, und äussert sich allein als blinder instinktiver
Trieb, als hartnäckige Liebe zum Dasein, als Bestreben, Alles auf-
zusuchen, was das Dasein schmerzlos und angenehm macht, und
Alles zu fliehen, was es bedroht und schädigt. Viele sogenannte
Pessimisten z. B. , welche das Leben verachten, und deren b e -
w u s s t e r Wille sich thatsächlich von dem gegenwärtigen
Leben abwendet, sind oft in dem Wahne befangen, dass sie den
„Willen zum Leben" überwunden haben. Dem ist aber nicht so,
denn ihre Selbstsucht, ihre Anhänglichkeit an die Freuden und
~ , ihr Mangel an Selbstverleugnung, beweisst, dass der un-
— 37 —
das, was andere Religionen sich als Qott personifizirt denken,
er ist die Ursache unseres Dasein und unserer Wiedergeburt
und in Wahrheit der Schöpfer, Erhalter und zugleich
Zerstörer aller Dinge — die wahre Dreieinigkeit.
80. Ist die Art und Beschaffenheit, in der wir
wiedergeboren werden, ebenfalls von uns ab-
hängig?
Ja. Die Art und Beschaffenheit unserer Wieder-
geburt ist durch unser Earma bedingt.
8L Was ist Karma?
Karma ist unser Thun; unser Verdienst und unsere
Schuld im moralischen Sinne. Wenn unser Verdienst über-
wiegt, so werden wir in einer höheren Wesenreihe, oder als
Mensch unter günstigen Verhältnissen wiedergeboren, haben
wir aber schwere Schuld auf uns geladen, so ist die not-
wendige Folge eine Wiedergeburt in niedrigerer Form und
reich an Leiden.
82. Sind nicht unsere Thaten die natürliche Folge
unseres angeborenen individuellen Charakters?
Ganz recht. Aber dieser angeborene Charakter
selbst ist nichts weiter als das Produkt unseres Earma —
d. h. aller unserer Gedanken, Worte und Thaten in früheren
Lebensläufen*). Wir sind in jedem Augenblicke unseres
bewusste Lebenstrieb noch in ihnen thätig ist und sie sicher zu einer
neuen Wiedergeburt führen wird. Dasselbe gilt zum Theil für die
frommen und Gläubigen aller Religionen. Diese verachten zwar das
irdische Leben, weil es ihr Glaube so verlangt, trachten aber um so
befcser nach einer individuellen Fortdauer im Himmel oder Para-
diese. — Das wirkliche Erlöschen des Willens zum Leben zeigt sich
10 völliger Selbstlosigkeit und Entsagung, Geduld im Leiden, der
Abwesenheit aller Begierden (Zorn, Hass, Neid, Uebelwollen, Streben
nach Besitz, Wollust, Hochmuth, Geiz, Eitelkeit), vollkommenem
Gleichmuth, aufrichtigem Wohlwollen gegen alle lebenden Wesen
nnd dem Verzicht auf Lohn für gute Thaten in dieser oder einer
jenseitigen Welt (Himmel oder Paradies).
*) Unser ganzes Sein und Wesen ist die Folge dessen, was
Jflr gethan haben: unsere Thaten haben es erzeugt, unsere Thaten
haben ihm Gestalt gegeben. Wer aus bösem Willen spricht oder
— 38 —
Daseins genau das, was wir selbst aus uns gemacht haben
und gemessen und leiden stets nur das, was wir verdienen.
83. Auf welchem Gesetze beruht das?
Auf dem Gesetze der Kausalität, dem Grundgesetze
alles Geschehens. Gleichwie im Physischen und Materiellen,
so führt auch im Geistigen und Moralischen jede Ursache
mit Nothwendigkeit die ihr genau entsprechende Wirkung
herbei. Diesem Naturgesetze vermag sich kein lebendes
Wesen zu entziehen, selbst die höchsten Götter sind ihm
unterworfen. Auf diesem Naturgesetze beruht, wie die
physische, so auch die sittliche Weltordnung, die
ausgleichende Gerechtigkeit im Menschenleben und im
Weltganzen *).
handelt, dem folgt Leiden, wie das Bad dem Fusse des Zugthieres.
Wer aus gutem Willen spricht oder handelt, dem folgt Glückselig-
keit, wie sein Schatten. (Dhammapadam.) — Meine That ist mein Be-
sitz, meine That mein Erbe, meine That der Mutterschoss, der mich
gebar. Meine That ist das Geschlecht, dem ich verwandt bin,
meine That ist meine Zuflucht. (Anguttara Nikayo.)
*) Strenge, unwandelbare Gerechtigkeit herrscht im ganzen
Reiche der belebten und unbelebten Natur. Mit Nothwendigkeit
trägt jede böse und jede gute That ihre Frucht. Keine Gnade
eines persönlichen Gottes vermag den von Gewissensangst gequälten
Missethäter vor den Folgen seiner bösen That zu erretten, keine
Willkür eines Herrschers Himmels und der Erden dem guten
Menschen den Lohn seiner Verdienste zu schmälern. Daher heisst
es im Dhammapadam: Nicht in den Fernen des unermesslichen
Weltraumes, nicht in des Meeres Mitte, nicht in den Tiefen der
Bergesklüfte findest du eine Stätte, wo du der Frucht deiner bösen
Thaten entrinnen könntest.
Freilich hat es, entgegen den Lehren aller grossen morgen- und
abendländischen Denker, immer Menschen gegeben, welche das Wirken
einer ausgleichenden Gerechtigkeit, also einer sittlichen Weltordnung
läugneten. Es zeugt dies von grossem Mangel an Nachdenken.
Die blosse Thatsache, das sich das Streben nach gerechter Aus-
gleichung von Schuld und Leiden, Verdienst und Lohn in jedem
Menschenherzen unausrottbar vorfindet, und in so höherem Grade,
je edler der Mensch ist, entscheidet die Streitfrage schon. Wir
sind ja nur ein kleiner Theil der Welt, ein Produkt der Natur,
und es kann sich offenbar im Produkt nichts vorfinden, was
nicht schon in der hervorbringenden Ursache wäre; in den
Thfli]tftfl|fc|L was das Ganze nicht in viel höherem Grade besässe.
— 39 —
84. Welcher Unterschied ist zwischen Tanhä und
Karma?
Tanhä oder der Wille zum Leben ist die wirkende
Ursache unseres Daseins und unserer Wiedergeburt über-
haupt; Karma ist dasjenige, welches die Art und Be-
schaffenheit unseres Daseins und unserer Wiedergeburt be-
stimmt, also unsere Gestalt, unsere Anlagen, die Welt, in
der wir leben, unsere Leiden und Freuden. Karma ist
unsere That, unser individueller Charakter und zugleich das,
was andere Religionen Gottes Fügung, Vorsehung oder
Schicksal nennen*).
85. Wird der Mensch nur auf dieser Erde wieder-
geboren?
Nein. Es giebt unzählige, bewohnte Weltkörper im
uner messlichen Raum, auf denen theils niedriger stehende,
theils höher entwickelte Wesen, als der Mensch ist, leben.
In allen diesen Welten kann eine Wiedergeburt stattfinden.
86. Sind die Weltkörper unveränderlich?
Alle sind, wie unsere Erde, beständigen Verän-
derungen unterworfen. Ein stetiger Wechsel herrscht in der
Andererseits jedoch — dies sei für die gesagt, die es zu fassen
vermögen — ist die Natur unser Produkt, das Spiegelbild unseres
eigenen Wesens. Sie kann daher stets nur unserer inneren Be-
schaffenheit gemäss ausfallen, und der Eine wird dort schon das
Walten der ausgleichenden Gerechtigkeit und einer höheren Harmonie
gewahren, wo der Andere nichts als ein wirres Chaos, ein Spiel
des blinden Zufalls und schreiende Disharmonie erblickt. So hängt
im Grunde auch hier wieder Alles von dem Grade unserer Erkennt-
niss und moralischen Entwickelung ab.
*) Dem in ganz anderen Anschauungen aufgewachsenen Euro-
päer einen richtigen Begriff vom Karma zu geben, ist eine der
schwierigsten Aufgaben und in wenigen Worten kaum möglich, denn
es gilt hier, in eine der tiefsten und weittragendsten Grundlehren
des Buddhismus einzudringen. Viel wird schon gewonnen sein,
wenn der Schüler sich stets gegenwärtig hält, dass das Karma keine
von aussen (etwa wie ein Gott) wirkende, sondern eine innere, im
Herzen jedes Lebewesens selbst befindliche Kraft ist. Wer tief ge-
nug zu denken vermag, wird schliesslich auf den Punkt gelangen,
wo für ihn unser Thun, unser Karma, unser individueller Charakter,
unser Schicksal und die sittliche Weltordnung in eins zusammenfallen.
— 40 —
ganzen belebten und unbelebten Natur. Weltkörper ent-
stehen, entwickeln sich und vergehen wieder — so ist es
die Ordnung von Ewigkeit her.
87. Ist die Welt aus dem Nichts entstanden?
Nein. Aus dem Nichts kann nie etwas werden
oder entstehen.
88. Hat sie ein Gott-Schöpfer durch seinen Willen
ins Dasein gerufen?
Es giebt keinen Gott-Schöpfer, von dessen Gnade
oder dessen Willen der Bestand der Welt abhinge. Alles
entsteht und entwickelt sich durch und aus sich selbst, kraft
seines eigenen Willens und gemäss seiner inneren Natur
und Beschaffenheit (seinem Earma). Einen persönlichen
Gott-Schöpfer hat nur die Unwissenheit der Menschen er-
funden. Die Buddhisten aber verwerfen durchaus den
Glauben an einen persönlichen Gott und halten die Lehre
von einer Schöpfung aus Nichts für einen Irrwahn*).
89. Hat der Buddha Nichts über den ersten Anfang
und über das Ende des Weltalls gelehrt?
Nein.
90. Warum nicht?
Weil dieses Wissen die Kräfte des menschlichen Ver-
standes übersteigt (transcendent ist), und, selbst wenn es er-
langt und in Worten gelehrt werden könnte, die Menschen
*) Die „Schöpfung" ist für den Buddhisten nur die Erneue-
rung eines untergegangenen Weltkörpers oder Weltsystems. Die
Weltzerstörungen werden durch Naturkräfte und Katastrophen ver-
schiedener Art veranlasst, immer aber bleiben sie zu einer Zeit auf
einen kleinen Theil des Universums beschränkt. Die eigentliche
innere Ursache dieser Zerstörungen ist die aufgehäufte, sehr hoch
angewachsene Schuld der lebenden Wesen, ihr ungünstiges Karma.
Die Wiedererneuerung der zerstörten Welten hat seine Ursache
im günstigen Earma. Solche Zerstörungen und Erneuerungen von
Weltkörpern finden im unermesslichen Baume beständig statt. Die
neuere europäische Naturwissenschaft steht in dieser Hinsicht —
soweit der äussere Hergang in Frage kommt — ganz auf dem
Standpunkte, auf dem sieh die Buddhisten schon seit 2400 «Jahren
befinden.
— 41 —
in ihrer geistigen und moralischen Entwicklung doch nicht
fordern würde, weil es nicht zur Aufhebung des Leidens,
nicht zum Heil, zur Erlösung, zum Nirwana fuhrt. Phantasie,
Verstand und abstrakte Vernunft werden sich stets vergeb-
lich abmühen, einen Beginn der Zeit, eine Grenze des Rau-
mes, eine Entstehung des Seins, der Welt und der Indivi-
dualität vorzustellen oder zu denken.
91. So ist also eine Erklärung der letzten Geheim-
nisse des Seins unmöglich?
Ja, weil keine Formen der Endlichkeit, wozu auch
Gedanken und Sprache gehören, das Unendliche, keine zeit-
lichen Bestimmungen das Zeitlose, das Ewige auszudrücken
vermögen; kein in der Kette der Ursächlichkeit erfolgendes
Denken das Ursachlose, an sich selbst Seiende erfassen kann.
Und wo man dies in anderen Religionen dennoch versucht
hat, da hat solches Beginnen stets nur zu nichtigen Spekula-
tionen, leeren Behauptungen, phantastischen Erdichtungen
und zu Streit, Missverständniss, ja sogar oft zu Krieg, Mord
und Gräueln aller Art geführt, also statt Wahrheit, Heil und
Frieden nur Irrthum, Unheil und Leiden zur Folge gehabt.
Darum wies der Buddha alle solche Fragen ab und verbot
auch seinen Jüngern, sich damit zu beschäftigen*).
*) ,Ihr Jünger, denkt nicht Gedanken, wie der Weltlichgesinnte
sie denkt: die Welt ist ewig, oder die Welt ist nicht ewig; die Welt
ist endlich, oder die Welt ist unendlich. Richtet euer Nachdenken
-vielmehr auf das Leiden, die Entstehung des Leidens, die Aufhebung
des Leidens und den Weg, der zur Aufhebung des Leidens führt".
(Samyutta Nikayo.)
„Die Entwickelung der Wesen, Ihr Jünger, hat ihren Beginn
in der Ewigkeit. Kein Anfang laset sich erkennen, seitdem die
Wesen, in Unwissenheit befangen und vom Lebenswillen getrieben,
von Geburt zu Geburt umherirren und wandern. Was meint Ihr,
ist mehr : das Wasser in den vier grossen Meeren, oder die Thränen,
die geflossen und von Euch vergossen sind , seit Ihr -auf diesem
weiten Wege umherirrtet und jammertet und klagtet, weil Euch zu
Theil wurde, was Ihr hasstet, und nicht zu Theil wurde, was Ihr
liebtet? Des Vaters, der Mutter, des Bruders, der Schwester, der
Kinder Tod, Verlust der Verwandten, der Güter — das Alles
habt Ihr seit undenklichen Zeiten erlitten, und darüber sind von
Buch mehr Thränen vergossen worden, als Wasser in den vier
grossen Meeren ist. (Samyutta Nikayo.)
— 42 —
92. Wir werden demnach diese Räthsel nie lösen?
Nie, so lange wir Individualitäten und vom Lebens-
trieb gefesselt sind. Aber Jeder, der die Lehre des Buddha
erfasst hat und ihr nachlebt, kann zur Befreiung von den
Fesseln der Endlichkeit, zur Erleuchtung und Erlösung ge-
langen, wo dann im Lichte universeller Erkenntniss das
innere Wesen der Dinge sich ihm entschleiern wird, und alle
jene Räthselfragen schwinden, an denen sich jetzt sein durch
den individuellen Lebenstrieb beschränkter Verstand ver-
geblich abmüht. Er muss nur redliches Erkenntnissstreben
haben und mit festem Entschluss den erhabenen, acht-
theiligen Pfad der Erlesenen betreten*).
93. Wie geschieht dies auf die rechte Weise ?
Indem man das Weltleben aufgiebt, der Brüderschaft
Wie aus diesen und vielen ähnlichen Stellen in den Lehrreden
des Buddha hervorgeht, hat der Erhabene nichts von einer Weltent-
stehung, Weltschöpfung, einem ersten Anfang und dergleichen verkündet.
Er verschmäht es, seine Moral und Erkenntnisslehre auf Träumereien
und Märchen aufzubauen. Er nimmt das Dasein der Welt und der leben-
den Wesen als eine Thatsache, er fragt nicht : wie entstand die Welt
oder das Sein? sondern allein: was ist dieses so räthsel hafte Leben,
welchen Zweck hat es, wohin führt es? Und da er erkannt hat,
dass es stets nur zu Leiden, Kampf, Alter, Tod und neuer Gebart
führt, dass es ein unaufhörliches Werden und Vergehen, ein end-
loser schmerzlicher Kreislauf ist, so weist er den Weg zur Befreiung.
Den Schülern aber, denen dies nicht genug ist, sondern die nicht
eher Vertrauen zum Wege der Befreiung, den der Buddha lehrt,
fassen wollen, ehe ihnen nicht das Geheimniss der Weltentstehung
verrathen worden ist, antwortet der Meister durch folgendes Gleichniss :
„Ein Mann wurde von einem vergifteten Pfeile getroffen, da
riefen seine Freunde und Verwandten einen kundigen Arzt. Wie
wenn der Kranke nun sagte : ich will meine Wunde nicht behandeln
lassen, ehe ich nicht weiss, wer der Mann ist, von dem ich ver-
wundet worden bin, wie er heisst, ob er gross oder klein ist, was
für einer Familie er angehört, und wie die Waffe beschaffen war,
mit der er mich getroffen hat. — Was würde das Ende solch*
thörichten Verhaltens sein? Der Mann würde an seiner Wunde
sterben*. (Madschima Nikayo.)
*) „Stemme dich muthig dem Strome der Leidenschaften ent-
gegen, treibe von dir die Begierden, o Samane. Hast du des Ent-
standenen Nichtigkeit erkannt, so bist du auch Erkenner des Ewigen
geworden!" heisst es im Dhammapadam.
■*
— 43 —
der Erlesenen beitritt, und, dem Beispiele des Erhabenen
nacheifernd, alle seine Kräfte auf Erreichung des höchsten
Zieles verwendet.
94. Vermag dies ein Jeder?
Jeder vermag es, der ernstlich will*), aber die
meisten wollen die Welt und ihre trügerischen Genüsse
nicht aufgeben.
95. Kann nicht auch der, welcher im Welttreiben
verharrt, die Erleuchtung und Erlösung er-
reichen? ♦
Nein, das ist unmöglich. Schon in diesem Leben
das Nirwana zu erreichen bleibt denen vorbehalten, welche
den erhabenen achttheiligen Pfad eingeschlagen haben **),
also den Bhikschu. Die Upasakos können nur eine günstige
Wiedergeburt erlangen.
*) Mancher wird beim besten Willen in der gegenwärtigen
Gebart keine sichtbaren Fortschritte machen, weil ihm zu viel
übles Karma aus früheren Lebensläufen im Wege steht. Statt aber
muthlos den Kampf aufzugeben , sollte er um so eifriger nach
innerer Läuterung streben und, aller Misserfolge ungeachtet, sich
nicht in seinem Entschlüsse, die moralische Vollkommenheit zu er-
ringen, erschüttern lassen. Nur auf solche Weise kann er das jetzt
noch übermächtige ungünstige Karma so weit überwinden, um, wenn
nicht in dieser, doch in der nächsten Geburt unter besseren äusseren
und inneren Verhältnissen seinem Ziele nahe zu kommen. Wie im
Physischen uud Materiellen so sind auch im Geistigen und Mora-
lischen ernste Entschlossenheit, Muth, Geduld und nie ermüdende
Ausdauer die alleinigen Bürgen des Erfolges. Man vergesse nicht:
selbst ein Buddha brauchte noch sechs Jahre unausgesetzter An-
strengung, um die Erkenntniss und Befreiung zu erringen.
**) Die im Welttreiben verharrenden Upasakos können im gün-
stigsten Falle die dritte Stufe der Vollendung erreichen, d. h.
Anägamin werden. Sie sind in Folge ihres moralischen Verdienstes
keiner üblen Wiedergeburt mehr ausgesetzt, sondern werden in
einer der höchsten Lichtwelten wiedergeboren und gehen von dort
ans nach Erlangung der erlösenden Erkenntniss in das Nirwana ein.
Doch ist es sehr schwierig für den in der Welt lebenden ein Anä-
gamin zu werden, da der Hindernisse und Versuchungen zu viele
sind. Uebrigens ist es nicht das gelbe Ordensgewand , nicht die
äusserli che Befolgung der Satzungen, was den Bhikschu vor dem
Upasakos auszeichnet, sondern allein die Gesinnung, die Reinheit,
die Erkenntniss. Und daher kann man, ohne durch förmlichen
— 44 —
06. Wodurch unterscheiden sich die Upasakos vo**
den Bhiksohu?
Pie Upasakos oder Anhänger der Lehre legen nur
die fünf allgemeinen Gelübde ab und suchen den im Sigalo-
wada-Suttam enthaltenen Vorschriften des rechtschaffenen
Wandels und des Wohlwollens nach besten Kräften nach-
zuleben, bleiben aber in der Welt und erfüllen getreulich
ihre Pflichten als Familienmitglied und Staatsbürger. Die
Bhikschu jedoch, die eigentlichen Jünger des Buddha, ent-
sagen vollständig der Welt, treten der Brüderschaft der
Erlesenen bei, legen die zehn Gelübde ab und richten ihr
Leben ganz nach den im Vinayo enthaltenen Satzungen ein.
07. Wie lauten die fünf Gelübde der Upasakos?
Die fünf Gelübde oder Päntscha-Silam lauten :
Ich gelobe —
1. Kein lebendes Wesen zu tödten oder zu ver-
letzen *).
2. Nicht zu stehlen, d. h. Nichts zu nehmen, was
mir nicht gehört oder mir nicht freiwillig ge-
geben wird.
3. Mich aller geschlechtlichen Ausschweifung und
allen unerlaubten geschlechtlichen Umgangs zu
enthalten, weder die Weiber, Töchter, Mündel
noch Schutzbefohlenen meiner Mitmenschen zu
verfuhren.
\
Aufnahmeakt der Brüderschaft der Erlesenen beigetreten zu sein,
doch das Leben eines Bhikschu führen und der heiligen Bruder-
schaft angehören. Denn im Dhammapadam heisst es:
„Wer sein Herz beruhigt und seine Sinne gezügelt hat, in
Keuschheit und Friedfertigkeit mit allen Wesen lebt nnd nachsichtig
gegen Jedermann ist, der ist in Wahrheit ein Bhikschu, mag er
gleich nicht im Gewände eines solchen einhergehen ".
*) Dieses erste und vornehmste der Gelübde umfasst „alle
lebenden Wesen", also nicht nur die Menschen. Wer Thiere
muthwillig tödtet, verletzt oder quält, ist kein Anhänger des Er-
leuchteten und kann nicht zu einer günstigeren Wiedergeburt ge-
langen.
— 45 —
4. Nicht zu lügen, zu betrügen oder zu verläumden.
5. Keine berauschenden Getränke zu gemessen*).
98. Welches sind die Vorschriften der Rechtschaffen-
heit und des Wohlwollens, die das Sigalowada-
Suttam giebt?
Die Eltern sollen ihre Kinder zum Guten erziehen,
sie vom Bösen zurückhalten, sie etwas Ordentliches lernen
lassen, ihnen mit Rath und That beistehen, ihnen ihr Erbe
nicht vorenthalten.
Die Kinder sollen den Eltern gehorsam sein, getreu-
lich alle kindlichen Pflichten erfüllen, der Eltern Habe nicht
verschwenden, sie im Alter und in der Gebrechlichkeit
unterstützen, sich in allen Stücken würdig machen, ihre
Erben zu sein, und nach der Eltern Tode deren Andenken
in Ehren halten.
Der Schüler soll den Lehrer achten, ihm folgen, ihm
seine Ehrerbietung durch Wort und That bezeugen, seinen
Lehren mit Aufmerksamkeit zuhören.
Der Lehrer soll den Schüler zum Guten und Wahren
anleiten, ihn nach bestem Können in den Wissenschaften
unterrichten, über ihn wachen.
Der Gatte soll sein Weib mit Liebe und Achtung be-
handeln, ihr treu sein, sie allen andern gegenüber hoch-
halten und es ihr auch an standesgemässer Kleidung und
Schmuck nicht fehlen lassen.
Die Frau soll ihren Hausstand in guter Ordnung
halten, Freunde und Verwandten gastfreundlich empfangen,
ihrem Manne die Treue bewahren, sein Gut zusammenhalten
und mit Fleiss und Eifer allen Pflichten als Hausfrau nach-
kommen.
Der Freund soll den Freund und Genossen so be-
handeln, wie er selbst von ihm behandelt zu werden wünscht,
ihm stets freundlich und zuvorkommend begegnen, seine
*) Dies Gelübde wird im vollen Umfange nur von der
Brüderschaft abgelegt. Für den weltlichen Anhänger bedeutet es
Enthaltsamkeit von jeder Art gebrannter Wässer, ausser in Krank-
heitsfällen, gegen den massigen Genuss von Bier und Wein dürfte
wohl nichts einzuwenden sein.
— 46 —
Interessen wahrnehmen, die Habe mit ihm theilen, ihn voa
unklugen Schritten zurückhalten, ihm, wenn er in Noth
oder Gefahr ist, eine Zuflucht bieten, und im Unglück trß ü
zu ihm stehen.
Der Herr soll für die Wohlfahrt seiner Diener od er
Gehülfen sorgen, indem er ihnen keine Arbeit zumuthe*^
welche ihre Kräfte übersteigt; es soll ihnen angemesset* e
Nahrung und Lohn geben, sie auch in Krankheitsfall^!
unterhalten, von ungewöhnlichem Gewinn ihnen einen The i-
zukommen lassen, ihnen genügende Feiertage gewähren.
Die Diener und G e h ü 1 f e n sollen jederzeit freudig^
und eifrig ihre Arbeit thun, zufrieden mit dem seiiy
was sie dafür erhalten und nie Uebles über ihren Herrn
reden.
Der rechte Anhänger des Buddhismus soll den
Bhikschu seine freundliche Gesinnung in Gedanken, Worten
und Thaten beweisen, sie stets in seinem Hause willkom-
men hcissen, und sie mit dem versehen, was sie zur Erhal-
tung ihres Körpers bedürfen.
Die Bhikschu und Samanen sollen die Anhänger
vom Unrechtthun zurückzuhalten suchen, sie zum Guten er-
mahnen, wahres Wohlwollen gegen sie hegen, sie in der
Lehre unterrichten, ihre Zweifel zerstreuen und ihnen den
Weg zu einer glücklichen Wiedergeburt weisen.
99. Welche Frucht trägt die Befolgung der fünf
Gelübde und der Vorschriften der R-echtschaffen-
heit und des Wohlwollens?
Derjenige, welcher sie getreulich erfüllt, wird auf
Erden geachtet sein, von vielen Leiden und Schmerzen frei
bleiben, ein gutes Gewissen haben und in Frieden mit
seinen Nachbarn leben. Seine Erkenntniss wird wachsen,
und er wird in günstigeren Umständen wiedergeboren
werden.
Noch höheres Verdienst erwirbt sich, wer auf längere
oder kürzere Zeit, mindestens aber an den wöchentlichen
Feiertagen (üpösatho) die acht Gelübde (Atthänga-Silam)
beobachte]
— 47 —
100. Welches sind die acht Gelübde?
Es sind die ersten fünf nebst diesen dreien :
Ich gelobe —
6. Nicht zu ungehöriger Zeit zu essen, d. h. nach
der Mittagsmahlzeit keine Speise mehr zu mir zu
nehmen.
7. Mich des Tanzens, des Singens weltlicher Lieder,
des Besuches der öffentlichen Schauspiele und
Musikaufführungen, kurz aller weltlichen und zer-
streuenden Vergnügungen zu enthalten.
8. Den Gebrauch von Schmuck jeder Art, der wohl-
riechenden Wässer, Oele und Salben, kurz Alles,
was der Eitelkeit dient, zu meiden*).
An Stelle des Gelübdes, alle Ausschweifung zu meiden,
tritt während der Beobachtung der Atthanga-Silam vollkom-
mene Keuschheit, auch bei verheiratheten Leuten.
101. Welches sind die zehn Gelübde der Bhikschu?
Es sind die Dasa-Silam, d. h. ausser den genannten
acht noch diese zwei.
Ich gelobe:
9. Die Benutzung üppiger Betten aufzugeben, auf
einem harten, niedrigen Lager zu schlafen, so-
wie alle und jede Weltlichkeit zu meiden.
10. Immerdar in freiwilliger Armuth zu leben.
102. Auf wie vielerlei Art kann gegen diese Gelübde
gefehlt werden?
Auf dreierlei Art: mit Gedanken, Worten und
Werken.
103. Warum muss man ein Bhikschu werden, um
das Nirwana zu erreichen?
Weil im Weltleben die allseitige Erfüllung der zehn
*) Die Beobachtung der acht Gelübde dient als eine sehr
heilsame Uebung für den weltlichen Anhänger. Wer sich nie selbst
eine Entbehrung und Beschränkung auferlegt hat, wird freilich
nicht ermessen können, wie sehr unsere geistigen und sittlichen
Kräfte durch solche freiwillige Entsagung gestärkt und nach und
nach zu immer Höherem befähigt werden,.
— 48 —
Gelübde, die Abstreifang der zehn Fesseln nnd die El
langung der höchsten Erkenntniss nicht möglich ist. Alle
weltliche Treiben beruht im Grunde auf Selbstsucht unc
Unwissenheit.
104. So müssen wir also, um zur Erlösung zu ge-
langen, den Weg völliger Entsagung gehen?
Nicht den Weg der Entsagung, sondern den Weg
der Befreiung. Wer die Verzichtleistung auf irdische
Güter, Genüsse und Freuden für eine schmerzliche Ent-
sagung hält, der ist noch weit von der rechten Erkennt-
niss entfernt. Wer diese Verzichtleistung aber als eine
Befreiung von wertlosen, nichtigen und lästigen Dingen,
von drückenden Fesseln ansieht, der sieht es recht an *).
*) Es ist ein Wahn, den der sinnliche, vom Willen zum
Leben, vom Trachten nach Dasein nnd Genuas erfüllte Mensch
zu seiner eigenen Qual hegt, dass die Befriedigung der Begierden
und Neigungen Glück gewähre. Alle Begierden werden durch Er-
reichung des Begehrten nur auf kurze Zeit gestillt, erwachen aber
immer aufs Neue nnd zwar um so stärker, je mehr man ihnen
nachgiebt. Jeder erfüllte Wunsch erzeugt einen neuen, und keine
endliche Befriedigung ist auf diesem Wege auch nur denkbar.
Dazu kommt noch, dass alle die unvermeidlichen Enttäuschungen
und Fehlschläge, der Streit, Kampf und Hader mit unsern Mit-
menschen, die das gleiche Ziel verfolgen, mit in den Kauf ge-
nommen werden müssen. Dieser ewige Kampf aber kann nur auf
Kosten unserer leiblichen und geistigen Kräfte durchgeführt werden.
Je mehr wir also den Begierden und Neigungen die Zügel schieasen
lassen, desto mehr nehmen sie zu, und desto mehr nehmen zugleich
unsere Kräfte, welche doch das einzige Mittel des Genusses sind,
ab. Zunahme der Begierden und gleichzeitige Abnahme der Mittel
zur Befriedigung derselben — dies ist das unerbittliche Naturgesetz,
dem solch' verkehrtes Streben unterliegt Es muss daher Jedem,
der ernstlich darüber nachdenkt, einleuchten, wie thöricht es ist,
den sinnlichen Genüssen nachzujagen, da das so sehnsuchtig er-
strebte Glück ja nimmermehr zu erreichen ist. — Darum heisst es
im Dhaminapadam:
Wie mögt Ihr lachen, wie Euch freu'n in dieser Welt,
Die nur die Flamme niedriger Begier erhält?
In Finsterniss geht ihr dahin, die nimmer weicht,
Ihr das Licht nicht sucht, das sie verscheucht.
— 49 —
105. Kann uns nicht der Buddha durch sein eigenes
Verdienst von den Folgen unserer Schuld er-
lösen ?
Nein. Kein Mensch kann durch einen andern er-
löst werden. Kein Gott und kein Heiliger, so lehren die
heiligen Bücher, vermag einen Menschen vor den Folgen
seiner bösen Thaten zu schützen. Ein Jeder nmss sich
selbst erlösen. Der Buddha hat uns nur den Weg gezeigt,
wie Jeder sein eigener Erlöser werden kann. .
106. Warum ist keine stellvertretende Erlösung mög-
lich?
Weil Gerechtigkeit das Grundprinzip alles Ge-
schehens ist, weil keine Willkür eines Gottes, sondern
strenge Gesetzmässigkeit im Weltganzen herrscht. Dass der
Schuldlose die Sünden des Schuldigen auf sich nehmen, und
der Uebelthäter aus Gnade von den Folgen seines Thuns
befreit werden könne, ist eine thörichte Annahme*), die auf
einer gänzlichen Verkennung der sittlichen Weltordnung be-
ruht. Schuld und Leiden, Verdienst und Lohn halten ein-
ander stets die Wage.
107. Wodurch erwirbt man sich Verdienst im mo-
ralischen Sinne?
Durch treue Befolgung der Gelübde in Gedanken,
Worten und Thaten, durch eifriges Streben nach Erkennt-
niss, vor allem aber durch Gerechtigkeit und Wohlwollen
gegen alle lebenden Wesen.
108. Ist es vornehmlich die sichtbare That, welche
das Verdienst bestimmt?
Keineswegs. Keine äussere Handlung ist an sich
selbst verdienstlich, das Verdienst hängt hauptsächlich von
dem inneren Beweggrunde, von der Lauterkeit des Willens
ab. Die That ist nur deshalb so wichtig, weil sie das
*) Dn selbst bist es, der das Böse that, da selbst bist es, der
dafür leidet. Durch eigene Anstrengung erwirbst du Verdienst,
durch eigene Anstrengung wirst du der Schuld ledig. Verschuldung
wie Heiligung hängen von deinem eigenen Thun ab. Niemand kann
einen andern entlasten. (Dhammapadam.)
4
— 50 —
äussere sichtbare Zeichen der inneren Gemüthsbeschaffei
heit, der Willensrichtung und Erkenntniss des Thäters is
109. Erläutere dies durch ein Beispiel!
Ein Mensch kann viel Geld zur Unterstützung dei
Brüderschaft, zur Linderung der Armuth oder für gemein-
nützige Stiftungen aufwenden und dadurch doch für sein
Heil wenig oder Nichts gewinnen, wenn er nämlich das
Alles nur aus dem Grunde thut, um Ansehen und Ehre bei den
Leuten zu erlangen. Ein Solcher hat seinen Lohn durch
die Ehre, die ihm dadurch wird, schon in dieser Geburt
empfangen und kein Verdienst erworben. Wer dagegen
gut und mildthätig handelt, in der Absicht, seine Selbstver-
vollkommnung zu fördern und eine günstige Wiedergeburt zu
erlangen, erwirbt Verdienst, dessen Frucht er in der nächsten
Geburt gemessen wird. Das höchste Verdienst aber er-
wirbt derjenige, welcher ohne Erwartung des Lohnes in
dieser oder in einer späteren Geburt seinen Mitwesen Gutes
thut, aus reinem Mitleid, aus lauterem, von keiner selbst-
süchtigen Regung getrübtem Wohlwollen. Ein solcher ist
dem Nirwana nahe und der Wiedergeburt in einer der
höchsten Lichtwelten gewiss.
110. Was müssen wir also thun, um uns wahres
Verdienst zu erwerben?
Die Selbstsucht überwinden, das Böse meiden, das
Gute vollbringen.
111. Warum muss die Selbstsucht überwunden wer-
den?
Weil die Selbstsucht (der Egoismus) die Hauptur-
sache aller unserer Irrthümer, Thorheiten und bösen Thaten,
und das Haupthinderniss zur Vollbringung der guten ist.
112. Was ist eine gute Handlung?
Eine jede, welche in der lauteren Absicht geschieht,
das Wohl anderer lebenden Wesen zu befördern und ihre
Leiden zu lindern.
— Ol-
lis. Was ist eine böse Handlung?
Eine jede, welche in der Absicht begangen wird,
andere lebende Wesen zu verletzen, zu schädigen oder den-
selben Leid zuzufügen.
Sodann jede selbstsüchtige Handlung, welche nur das
eigene Wohl im Auge hat, unbekümmert, ob dadurch Andern
Leiden verursacht wird.
114. Es giebt doch aber auch selbstsüchtige Hand-
lungen, die keinem Andern schaden?
Solche Handlungen sind weder gut noch böse zu
nennen. Befördern sie des Handelnden materielles Wohl,
so sind sie klug, dienen sie seiner Selbstvervollkommnung,
so sind sie weise. Schädigen sie ihn an Körper oder Geist,
so sind sie thöricht.
Im Grunde aber entspringt jede selbstsüchtige Hand-
lung, mag sie auch Niemand Schaden bringen, dem Haften
an der Individualität und steht daher der Erreichung des
höchsten Zieles entgegen.
115. Giebt es Pflichten gegen sich selbst?
Nein. Die Lehre von den Pflichten gegen sich selbst
oder von der „Pflicht der Selbsterhaltung" ist nur eine Be-
schönigung der Selbstsucht.
116. Ist es Unrecht, dem Feinde, der uns Schaden
und Leid zufügt, mit gleichem zu vergelten?
Ja, es ist Unrecht, Böses mit Bösem zu vergelten*),
und unwürdig des edlen, nach Vollendung strebenden Men-
schen. Der weltliche Anhänger (Upasako) mag sein Recht
auf dem gesetzlichen Wege suchen; doch geschehe es ohne
Hass, ohne Bitterkeit gegen den Gegner. Dem Bhikschu
*) Er hat mich betrogen, geschlagen, zu Grande gerichtet. Wer
solche Gedanken im Herzen nährt, bei dem wird der Hass nimmer
aufhören. Denn Hass wird nicht durch Hass überwunden; durch
Nichthassen wird Hass überwunden, so ist es die Ordnung von
Ewigkeit her. (Dhammapadam.)
Ueberwinde den Zornigen durch Sanftmuth, den Bösen durch
Güte, den Geizigen durch Freigebigkeit, den Lügner durch Wahr-
heit. (Dhammapadam.)
4*
— 52 —
aber, welcher der Welt entsagt hat, steht solches nicht zu.
Er überlässt den Beleidiger der ewigen Gerechtigkeit und
verzeiht nnd bemitleidet ihn, denn jener wird sein Unrecht
infolge der Wirkung des Karma in dieser oder der nächsten
Geburt büssen müssen, und zwar um so schwerer, je mehr er
jetzt frohlockt und je hartnäckiger er sich gegen die bessere
Erkenntniss verschliesst.
117. Muss der verstockte Uebelthäter ewig für seine
bösen Thaten büssen?
Nein, Keine zeitliche Schuld, so schwer sie auch
sei, kann ewige Strafe zur Folge haben*). Das wäre eine
ungerechte, ja grausame Weltordnung, die solches zuliesse.
Die sittliche Weltordnung aber, die uns der Buddha ver-
kündet hat, beruht auf der ewigen Gerechtigkeit, und
daher findet jede böse That auch nur die ihr entsprechende
zeitliche Vergeltung in dieser oder den folgenden Geburten.
118. Giebt es ein radikales oder absolutes Böses?
Nein. Alles irdische ist relativ, Alles ist eine Ver-
hältnissgrösse, auch das moralisch Gute und Böse. Beide
Ausdrücke bezeichnen nur den stärkeren oder geringeren
Grad des Egoismus eines lebenden Wesens, dessen Wurzeln
Lebenswille und Unwissenheit sind.
Kein lebendes Wesen, mag es auch noch so tief in
Selbstsucht und Unwissenheit versunken sein, ist von der
Erlösung ausgeschlossen. Ein jedes vermag — wenn viel-
leicht auch erst durch eine lange Reihe von Wiedergeburten
*) Lohn und Strafe, Verdienst und Schuld sind eigentlich bildliche
Ausdrücke, unserer beschränkten, menschlichen Auffassung angepasst.
Die Weltordnung kennt im Grunde weder Lohn noch Strafe, Ver-
dienst noch Schuld, Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit. Alles ist
nothwendige und natürliche Folge des eigenen rechten oder verkehrten
Erkennens, Wollens und Thuns. Rechte Erkenntniss der Gesetze
unserer eigenen Natur und des Weltalls, und Gehorsam gegen diese
physischen, moralischen und geistigen Gesetze ist daher der einzige
Weg zur Befreiung vom Leiden und zur Erreichung des ewigen
Friedens, des Nirwana, jenes erhabenen Zieles, das jenseits von Gut
und BÖs i , Schuld und Leiden liegt, jenseits alles Denkens und Dar-
stellens und entrückt allen Gesetzen und Formen der Endlichkeit.
— 53 —
— zur Erkenntniss und zur Vollendung zu gelangen, wenn
es nur will. Andererseits ist kein Wesen, sei es noch so
gut und edel, der Erlösung sicher, ehe es nicht Nirwana
erreicht hat. So lange noch der kleinste Rest von Lebens-
willen und Unwissenheit vorhanden ist, kann stets noch ein
Rückfall eintreten.
Denn alles T h u n , das gute wie das böse, bleibt in der
Sphäre der Endlichkeit befangen und führt nicht darüber
hinaus. Zum Nirwana führt allein das sich Lösen vom
Thun, und die völlige Ueberwindung und restlose Vernich-
tung des Lebenswillens durch die Erkenntniss*).
119. Also giebt es auch keine Hölle und keinen
Himmel?
Nicht im Sinne der Christen, Juden und Moham-
medaner. Wohl aber giebt es dunkle Welten der Pein und
Verzweiflung, in die kein Strahl erlösender Erkenntniss
hineindringt. Dort muss der mit schwerer Schuld Beladene
so lange weilen, bis er die Frucht seiner bösen That ge-
nossen hat. Dann führt ihn sein gutes Earma (sein Ver-
dienst) zu einer Wiedergeburt als Mensch, wo ihm aufs Neue
die Möglichkeit geboten ist, zur Erkenntniss, und durch
rechtschaffenen Wandel auf den Pfad des" Heiles zu ge-
langen. — Ebenso giebt es lichte Welten der Freude, wo
der gute, aber noch nicht zur Erlösung gereifte Mensch die
Frucht seines Tugendverdienstes geniesst. Ist aber die
Frucht des Tugendverdienstes verzehrt, so muss auch er,
da noch Wille zum Leben und ungetilgtes Earma vorhanden
ist, als Mensch zur Erde zurück**).
*) Erkenntniss im buddhistischen Sinne bedeutet nicht äussere
Verstandeserkenntniss, die ohne Ein Aus s auf den Charakter
des Menschen bleibt, sondern jene geniale Durchschauung,
jenes tiefe Erfassen des Welt- und Menschenräthsels,
auf Grund äusserer und innerer Erfahrung, wodurch eine vollständige
Veränderung der Denk und Em pfindungs weise, eine gänzliche innere
Umwandlung herbeigeführt wird.
**) Derjenige, welcher die vier Heils Wahrheiten erkannt hat, wird
daher auch weder nach irdischem Glück noch nach einem Dasein
in den lichten Himmelswelten verlangen, sondern allein nach der
Befreiung, der Erlösung. Denn so lange die Individualität nicht aufge-
— 54 —
* 120. Wird die Missethat der Eltern an den Kindern
heimgesucht?
Nein. Dies würde der ewigen Gerechtigkeit wider-
sprechen. Für fremde Schuld braucht Niemand zu leiden.
Die abergläubische Annahme, dass ein Gott die Sünden der
Väter an den schuldlosen Kindern räche, beruht auf gänz-
licher Verkennung der sittlichen Weltordnung.
121. Aber wir sehen doch, dass die Kinder den El-
tern durchgängig ähnlich sind in körperlichen
und geistigen Eigenschaften, dass sie gute und
böse Triebe, Gesundheit und Krankheit, Beich-
thum und Armuth von ihnen erben. Scheint
dies nicht der Lehre vom Karma zu wider-
sprechen ?
Nein, es bestätigt sie. Denn eben weil unser inne-
res Wesen, unser individueller Charakter dem unserer
Eltern ähnlich ist, sind wir ihre Kinder geworden. Weil
wir im Augenblicke unserer Wiederverkörperung zu keinen
andern lebenden Wesen so grosse Wahlverwandtschaft
hatten, als zu unsern Eltern, darum haben wir uns gerade
bei ihnen verkörpert. Gleiche Ursachen aber erzeugen
gleiche Wirkungen ; die innere Uebereinstimmung im Wesen
der Eltern und Kinder prägt sich notwendigerweise in
ihrem Aeussern, ihren Neigungen und Schicksalen aus.
Keineswegs aber findet eine „Vererbung", d. h. .eine
Uebertragung von körperlichen und geistigen Eigen-
schaften, von Gutem und Bösem, Glück oder Unglück, von
den Eltern auf die Kinder in der Art statt, wie der Materia-
lismus es sich vorstellt. Vererbung ist im Grunde ein
blosser Name für die der Wissenschaft unerklärliche That-
sache, dass viele Eigenschaften Eltern, und Kindern gemein-
hoben ist, so lange ist auch Leiden, Geburt und Tod nicht aufgehoben.
Selbst die Engel und Götter (so kann man die in den höheren
Welten lebenden Wesen nennen) sind dem Entstehen, Vergehen und
Wiedergeborenwerden unterworfen. Alles Wandelbare aber ist leid-
voll. Daher heisst es im Dhammapadam:
„Besser, als alle Reiche der Erde beherrschen, besser als die
Himmelswelten bewohnen, besser selbst, als Herr dieses ganzen Welt-
alls (Gott) zu werden ist es, den ersten Schritt auf dem Wege zur
BefreiuiULAJhun 4 '.
}freiun|^LUH
— 55 —
sam sind. Die richtige Erklärung dafür giebt uns allein
die Lehre vom Karma und von der Wiedergeburt.
122. Wie erklärt sich die häufig hervortretende Ver-
schiedenheit zwischen Eltern und Kindern?
Durch eben dasselbe Gesetz, denn die Kinder sind ja,
trotz aller Wahlverwandtschaft mit den Eltern, selbstständige
Individualitäten, sie haben ihr eigenes Karma und müssen
daher neben den mit den Eltern übereinstimmenden Eigen-
schaften auch viele andere besitzen, die ihnen allein ange-
hören. Kommen nun gerade letztere im gegenwärtigen
Leben zur Entfaltung, so scheinen die Kinder ihren Eltern
ganz unähnlich zu sein.
Die stärkste Wahlverwandtschaft zwischen Eltern und
Kindern besteht überhaupt nur im Augenblicke der Zeugung;
von der Geburt an geht jedes Lebewesen seinen besonderen
Entwickelungsgang, der von demjenigen der Eltern oft weit
abfährt.
123. Wie ist es mit dem Walten der ewigen Ge-
rechtigkeit zu vereinen, dass der Gute und
Rechtschaffene so oft auf Erden leiden muss ?
Er büsst die noch ungetilgte Schuld, welche er in
früheren Lebensläufen auf sich geladen hat. Es ist die
Folge seines ungünstigen Karma, das gerade jetzt zur Reife
kommt.
124. Und wie erklärt es sich, dass der Böse und Un-
gerechte oft in hohem Ansehen steht und alle
Freuden der Erde geniesst?
Dies ist die Folge seines Verdienstes in früheren
Geburten, sein günstiges Karma. Wenn er aber die Frucht
seiner Verdienste genossen hat, so wird er auch in dieser
oder den folgenden Wiedergeburten die bittere Frucht seiner
Uebelthaten kosten müssen*).
*) „Die böse That ist nicht wie frische Milch, die schnell ge-
rinnt, sondern wie ein schwelendes Feuer unter der Asche. Unge-
sehen glimmt es fort und bricht dann plötzlich aus, um das trügerische
Gebäude des Glückes, in dem der Uebelthäter sich sicher wähnt,
zu zerstören", sagt das Dhammapadam.
— 56 —
125. Wohin führt uns diese Ueberaeugung ?
Den Unglücklichen fährt sie zu der Erkenntniss,
dass er wegen seiner Leiden nicht Götter noch Menschen,
nicht die Welt noch den Zufall, oder gar Teufel und Dämo-
nen anzuklagen hat, sondern allein sich selbst; sie führt ihn
zu der Einsicht, dass die Quelle aller seiner Leiden das
eigene verkehrte Thun, die eigene Verblendung ist, und
dass eine gründliche, dauernde Abhülfe nicht durch
äussere Mittel, durch Besserung der Lebensbedingungen,
sondern allein durch innere Umkehr und Streben nach Er-
kenntniss erreicht werden kann.
Den Glücklichen aber führt diese Ueberzeugung zu
wahrer Bescheidenheit, zu gerechtem und wohlwollendem Ge-
brauche seiner Stellung und seines Reichthums. Denn wenn
er nicht stetig strebt, sein Verdienst zu vermehren, wenn
er in Hochmuth und Selbstüberschätzung, Habgier und
Hartherzigkeit verfällt, so wird, wenn die Frucht des frühe-
ren Tugendverdienstes verzehrt ist, schon in diesem Leben
Die Ungleichheit der äussern Lebensschicksale auf dieser Erde,
die scheinbare Ungerechtigkeit, die darin liegt, dass gute Menschen
oft von schwerem Leiden heimgesucht werden, während die Bösen
in Herrlichkeit und Freuden dahinleben, ist für jeden Denkenden
ein Beweis für die moralische Notwendigkeit der Wiedergeburt.
Dass dieses unermessliche und bewunderungswürdige Weltgebäudc
nicht das Spiel eines blinden Zufalls sein kann, sondern nur das
Resultat gesetzmässig wirkender Kräfte; Gesetzmässigkeit aber und
ausgleichende Gerechtigkeit sich zu einander verhalten, wie physisches
und geistiges Geschehen, also im Grunde eins und dasselbe sind,
einmal von Innen, einmal von Aussen betrachtet — dies ist eine
Wahrheit, deren sich bei ernstem Nachdenken und gereifter Einsicht
Niemand verschliessen wird. Wer diese Wahrheit leugnet, mit dem
streiten wir nicht. Wer sie anerkennt, für den folgt mit Not-
wendigkeit daraus, dass Schuld und Leiden, Verdienst und Glück
einander genau entsprechen müssen. Wenn wir also die Guten
leiden sehen, und die Ursache dieses Leidens kann nicht in den
Thaten des gegenwärtigen Lebens gefunden werden, so muss sie in
der Schuld einer früheren Geburt begründet sein. Wo Wohlsein
und Freuden herrschen bei übler Gesinnungsart, da muss Verdienst
aus einer früheren Geburt vorhanden sein. Es giebt hier eben
keinen Ausweg: wer eine sittliche Weltordnung anerkennt, wird,
wenn er folgerichtig zu denken vermag, auch zu der Ueberzeugung
von der Wahrheit und Wirklichkeit der Wiedergeburt gezwungen.
oder in der nächsten Geburt Elend und Leiden die Folge
davon sein, während der von ihm verachtete Arme und
Niedrige vielleicht einer freudevollen Geburt entgegengeht.
126. Kann man sich nicht durch Selbstmord den
Folgen seiner Missethaten entziehen?
Nein. Der ewigen Gerechtigkeit kann sich Niemand
entziehen, ihr Walten ist unerbittlich und allmächtig und
ihr entrinnt Niemand. Daher heisst es im Dhammäpadam:
„Nicht in den Fernen des unermesslichen Weltraumes, nicht
in des Meeres Mitte, nicht in den Tiefen der Bergesklüfte
findest du eine Stätte, wo du den Folgen deiner bösen
Thaten entrinnen könntest".
127. Ist der Selbstmord ein Unrecht oder eine Sünde ?
Der Selbstmord ist, falls dadurch nicht übernommene
Pflichten gegen andere Menschen verletzt werden, kein Un-
recht, denn jedes lebende Wesen hat ein unveräusserliches
und unanfechtbares Recht auf sein eigenes Leben. Aber
Selbstmord ist eine thörichte Handlung, da er einen Lebens-
faden gewaltsam abzuschneiden sucht, der mit Notwendig-
keit sofort wieder angeknüpft wird und zwar meist unter
noch ungünstigeren Umständen als diejenigen sind, denen
der Selbstmörder in seiner Verblendung zu entfliehen
trachtete.
128. Warum unter ungünstigeren Umständen?
Weil unser Leiden allein die Folge unseres eigenen
Irrthums und unserer eigenen Schuld ist. Solange daher
der Irrthum nicht verscheucht, und die Schuld nicht getilgt
ist, kann man zu keiner günstigeren Geburt gelangen. Wer
dies erkennt, wird alle Leiden geduldig ertragen und sich
bemühen, durch rechtschaffenen Wandel, aufrichtige Selbst-
erkenntniss und gute Thaten soviel Verdienst als möglich
zu erwerben, damit er einer günstigeren Wiedergeburt
würdig werde. Wer sich aber dem Leiden, das zu seiner
Läuterung dient, thörichterweise durch Selbstmord zu ent-
ziehen sucht, der beweist dadurch, dass er von Selbsterkennt-
niss noch weit entfernt ist, und dass er nicht den Willen
— 58 —
hat, gut und weise zu werden. In blindem Wahn zerstört er
den Körper, diese flüchtige, vergängliche Erscheinung, die
er für sein wahres Wesen hält, nnd beschreitet dadurch den
abwärts führenden Pfad*), der ihn, wenn weiter verfolgt,
schliesslich zur Wiedergeburt in einer der Welten der Qual
und Verzweiflung führt.
129. Was in uns ist es denn eigentlich, das wieder-
geboren wird ?
Unser individueller Wille zum Leben, also unser mora-
lischer Charakter, unsere Individualität. Diese bildet den
Kern unseres Wesens und schafft sich nach dem Zerfall des
gegenwärtigen materiellen Körpers auf Grund des vorhan-
denen Tanhä und Karma einen neuen, der ihrer Beschaffen-
heit genau entspricht.
130. Ist nicht dieser individuelle Lebenswille oder die
Individualitat dasselbe, was man „Seele 41 nennt?
Nein, es ist nicht dasselbe. Den Glauben an eine „un-
sterbliche Seele", d. h. eine einheitliche, ewige und unzer-
*) Letzteres gilt nicht in gleichem Maasse von jedem Selbst-
mörder, sondern nur von solchen, welche sich tödten, um der
Schande nnd Bestrafung für begangene Missethaten zu entgehen,
oder ans Verzweiflung darüber, dass ihre leidenschaftlichen Wünsche
nicht erfüllt werden. Es giebt aber auch Selbstmorde, die edlen
Motiven entspringen, z. B. der Absicht, ein Leben zu enden, das
nur noch eine Last, ein Hinderniss für dem Selbstmörder nahe-
stehende und geliebte Personen ist, oder um den Fall seines Vater-
landes nicht mit ansehen zu müssen. Bei denen, die aus diesen
und ähnlichen Gründen freiwillig aus dem Leben scheiden, findet
ein Beschreiten des abwärts führenden Pfades nicht statt. Doch
liegt dem Selbstmorde stets ein Irrthum zu Grunde, ein Ver-
kennen der sittlichen Weltordnung, und die Folgen können daher
nie günstige sein. Nur derjenige, welcher in diesem Leben bereits
das Nirwana erreicht hat, also ein Arahä, kann, da sein Karma
völlig erschöpft ist, jederzeit freiwillig aus der Welt gehen. Ein
solcher aber wird es in den seltensten Fällen thun, sondern denken
wie Sariputto: „Ich verlange nicht nach Tod, ich verlange nicht
nach Leben ; ich warte, bis die Stunde kommt, wie ein Knecht, der
seinen Lohn erwartet. Ich verlange nicht nach Tod, ich verlange
nicht nach Leben; ich warte, bis die Stunde kommt, bewusst und
wachen Geistes. (Milinda-Panha.)
- 59 —
störbare Wesenheit, welche im Körper nur ihre zeitweilige
Wohnstätte aufgeschlagen hat, hält der Buddhismus für einen
auf Unkenntniss der wahren Beschaffenheit des Seins und
_ der Lebewesen beruhenden Irrthum*). Der Buddhismus lehrt
keine „Seelenwanderung", sondern die Neubildung des In-
dividuums in der materiellen Erscheinungswelt auf Grund
seines Lebenswillens (Tanhä) und seines moralischen Cha-
rakters (Karma).
131. Ist vielleicht das „Ich" identisch mit der Seele ?
Nein. Das „Ich" ist ebenfalls keine bleibende We-
senheit, keine immaterielle Substanz, sondern ein Zu-
stand, hervorgegangen aus der Verbindung der fünf
Khandhos.
132. Was sind die fünf Khandhos ?
Die fünf, theils höheren, theils niederen Bestandteile
und Kräfte eines lebenden Wesens, nämlich : die körperlichen
Eigenschaften; die durch die Sinnesempfindungen vermit-
telten Vorstellungen; die Begriffe; die Saukhäros, d. h. die
geistigen und moralischen angeborenen Anlagen, die Nei-
gungen, Abneigungen u. s. w.; das Bewusstsein. Kein einziger
*) Der so weit verbreitete Glauben an eine unsterbliche Seele,
in uns, d. h. einer individuellen, mit Erkenntniss begabten, von
andern verschiedenen, erschaffenen oder gewordenen und dabei doch
ewigen Wesenheit entspringt hauptsächlich dem egoistischen Ver-
langen nach persönlicher ewiger Fortdauer. Dieser Aberglaube ist
also ein Ausfluss des verblendeten Willens zum Leben und gehört
zu den „zehn Fesseln", welche den Menschen an das Dasein ketten
und die Erlösung verhindern.
Einsehen, dass im Grunde die Individualität mit ihren den
andern Individualitäten feindlichen Bedürfnissen und Wünschen es
ist, welche das ganze Leiden der Welt verursacht, dass daher in-
dividuelles Wollen und Streben seiner ganzen Natur nach verkehrt
und unselig, und es das Beste ist, die Individualität willig aufzu-
gehen — das heisst einen grossen, ja, den grössten Schritt auf dem
Wege der Erkenntniss gemacht haben.
Die Menschen wollen aber ihre Individualität um jeden Preis
erhalten, daher das Ansehen der Religionen, welche den ewigen
Fortbestand der Individualität versprechen; daher der nimmer endende
Kampf um's Dasein, daher alles Leid, aller Jammer, von denen das
lieben voll ist, daher die Schwierigkeit der Erlösung.
— 60 —
dieser fünf, noch alle fünf zusammen, sind eine Seele; wohl
aber erzeugen sie, sobald sie durch Tanhä und Earma zu
einem lebenden, individuellen Wesen vereinigt werden, die
Vorstellung des „Ich", d. h. jedes Wesen fasst in seinem
Bewusstsein sich als ein von der Welt und andern Wesen
verschiedenes auf.
Dieses persönliche „Ich" geht jedesmal im Tode unter
und ist in jeder Geburt ein anderes.
133. So ist also das Wesen, welches wiedergeboren
wird, ein anderes, als das, welches gestorben
ist?
Dem noch im Zustande der Unwissenheit befindlichen
Menschen, der das persönliche „Ich"bewusstsein als sein
wahres Wesen auffasst, mag es so scheinen. Der zur Er-
kenntniss gelangte weiss, dass sein wahres, über diese flüch-
tige Erscheinung hinausreichendes inneres Wesen sein Tanhä
und Karma ist, das jedesmalige „Ich "bewusstsein aber der
Fackel zu vergleichen, die ein Wanderer in nächtlicher Ge-
gend anzündet, um seinen Weg zu finden. Wenn er sie nicht
mehr braucht, bläst er sie aus, um sich bei einer späteren,
neuen Wanderung eine andere Fackel anzuzünden.
So ist, mag auch das Bewusstsein des „Ich" wechseln,
es doch dieselbe individuelle Wesenheit, welches in der
einen Geburt die gute oder böse That thut und in der
Wiedergeburt die Früchte dieses Thuns geniesst.
134. Wie lange lebt die Individualität in immer
neuen Verkörperungen fort?
So lange bis die volle Erkenntniss und moralische
Läuterung, das diesseitige Nirwana, erreicht ist. Dann er-
lischt sie nacli dem Tode des letzten Leibes restlos im jen-
seitigen Nirwana (Parinirwäna).
135. Was ist Parinirwana?
Vom Parinirwäna kann man sich keine Vorstellung
machen*, es liegt jenseits aller Erkenntniss, jenseits aller
Begriffe. Man kann weder sagen, dass es ist, noch dass es
nicht ist, weil keine Formen des Seins auf Parinirwäna
anwendbar sind.
— 61 —
„Es giebt, Ihr Jünger, eine Stätte, wo nicht Erde, noch
Wasser ist, nicht Luft noch Licht, nicht Raumunendlichkeit
noch Zeitunendlichkeit, nicht irgend ein Dasein, nicht Vor-
stellen noch Nichtvorstellen, nicht diese Welt noch jene
Welt. Dort ist nicht Entstehen noch Vergehen, nicht Sterben,
nicht Geburt, nicht Ursache noch Wirkung, nicht Verände-
rung noch Stillstand. —
Es giebt, Ihr Jünger, ein Ungeborenes, Unentstandenes,
nicht Gewordenes, nicht Gestaltetes. Gäbe es dies nicht, so
würde es auch keinen Ausweg geben aus der Welt des Ge-
wordenen, Entstandenen, Gestalteten". So spricht der Meister
im Udana. Wer es zu fassen vermag, d$r fasse es.
136, Wie kommt es, dass wir uns unserer früheren
Lebensläufe nicht erinnern?
Weil wir vom irdischen Wahne verblendet sind, weil
der Schleier der Unwissenheit unser Auge bedeckt, weil wir
f est an der Individualität haften und uns unserer höheren
Natur daher gar nicht, oder nur sehr unvollkommen bewusst
werden*). Wir leben im Körper im Zustande der Gebunden-
* ) Das Gedächtniss gehört zu dem phänomenalen Theile unseres
Wesen, zu den Khandhos, die im Tode ihre Verbindung lösen.
Es kann also nicht in die folgende Geburt mit hinübergenommen
werden, ebenso wenig, wie unsere erworbenen wissenschaftlichen
Kenntnisse oder künstlerischen Fertigkeiten. Haben nicht oft Greise,
bei denen das Gehirn schwach wird, den grössten Theil ihrer Er-
lebnisse schon vor dem Tode vergessen? Wie sollte da die Er-
innerung erhalten bleiben, nachdem im Tode das Gehirn völlig
zerfallen und in der folgenden Geburt ein neues an seine Stelle
getreten ist? Die Fackel des beschränkten, individuellen Bewusst-
seins beleuchtet stets nur den gegenwärtigen Weg (in der jeweiligen
Verkörperung): sie ist keine Sonne, die ihre Strahlen über ein
Weltsystem aussendet. Trotzdem ist, was wir erstrebt, erlitten,
erfahren und im höheren Sinne gelernt haben, nicht verloren, denn
die Summe unserer Erfahrung und unseres Wissens schlägt sich
nieder als Willensrichtung, als gesteigerte Bewusstseins- und Er-
kenntnissfähigkeit und kommt in der nächsten Geburt als an-
geborene Anlage zum Ausdruck.
Wer aber einwenden wollte, dass der Mangel der Rückeri nnerung
ein Beweis für das Nichtbestehen der Wiedergeburt sei, der bedenke:
von der Empfängniss bis zur Geburt hat Niemand ein ttewusstsein,
und doch wird kein Mensch leugnen wollen, dass er während dieser
Zeit bereits ein individuelles Leben führte. Die bewusste Erinnerung
— 62 —
heit oder Fesselung, von welcher diejenigen, welche nach
der Erlösung streben, eben frei zu werden suchen. Unser
Dasein gleicht dem Traume.
137. Erläutere dies durch ein Gleichniss.
Wir haben des Nachts Träume. In diesen sind wir
bald ein Bettler, bald ein König; in dem einen Traume ge-
fangen, arm, von Leiden und Gefahren bedroht, in dem an-
dern vom Glück begünstigt und voller Freude. Und dennoch
ist es dasselbe „Ich", welches alle diese Gestalten im Traume
annimmt.
Ferner: in dem Traume einer Nacht erinnern wir uns
nicht daran, dass wir schon früher geträumt haben. Der
Erwachte aber erinnert sich der Träume vieler Nächte.
Genau so verhält es sich mit unsern verschiedenen Lebens-
läufen. Es ist stets dieselbe Individualität, welche in ver-
änderter Gestalt wiedergeboren wird; jede Geburt ist ein
Traum dieses individuellen Lebenswillens, bald schrecklich,
bald freudevoll. Solange wir uns in einem dieser Träume
des Lebens befinden, erinnern wir uns nicht der früheren
Lebensträume. Der geistig und moralisch Vollendete aber,
ein Buddha oder Arahä, hat ausgeträumt. Er ist der Er-
wachte und erinnert sich seiner früheren Geburten*).
Diese Erkenntniss tritt aber erst dann ein, wenn die
„zehn Fesseln" vollständig abgestreift sind und die end-
gültige Befreiung vom Dasein erlangt ist.
der meisten Menschen hebt überhaupt erst mit dem dritten oder
vierten Jahre an, wenige wissen sich vorher eines einzelnen Ereig-
nisses schattenhaft zu erinnern. Und wie wichtig für unser späteres
Leben, für unsere Geistes- und Charakterrichtung sind gerade diese
vollständig vergessenen Ereignisse und Eindrücke der ersten Kindheit !
*) Es ist buddhistische Lehre, dass das Selbstbewusstsein stets
nur diejenigen Seiten der Individualität beleuchtet, welche gerade
in der jeweiligen Geburt zur Entfaltung kommen, also keineswegs
die Tiefe der Individualität erschöpft; dass es dagegen neben dem
beschränkten „Ich u bewusstsein der gerade erreichten Eutwickelungs-
form noch ein Individualbewusstsein giebt, welches die ganze
Reihe der durchlaufenen Entwickelungsstufen umfasst, aber gleich-
sam latent bleibt und erst nach Erlangung des Nirwana in Thätig-
keit tritt, nachdem Begier, Uebelwollen und Wahn, die seine Ent-
faltung verhinderten, restlos vernichtet sind.
— 63 —
138. Welches sind die zehn Fesseln?
1. Der Wahn, dass das Ich, die Individualität oder
die Seele unsterblich sei.
2. Der Zweifel, dass es eine sittliche Weltordnung
und einen Weg zur Erlösung giebt.
3. Der Aberglaube, dass äussere religiöse Gebräuche,
Gebete, Opfer, Hören der Predigt, Reliquienver-
ehrung, Wallfahrten und sonstige Riten und Ce-
remonien zur Erlösung führen.
4. Die sinnlichen Leidenschaften und Begierden.
5. Hass, Uebel wollen gegen seine Mitwesen.
6. Liebe zum irdischen Leben.
7. Verlangen nach einem künftigen Leben im Himmel
oder Paradiese.
8. Stolz.
9. Geistiger Hochmuth.
10. Unwissenheit (Awidschä).
139. Trägt nicht Reue und Busse ebenfalls zur Selbst-
vervollkommnung und Erlösung bei?
Ja, aber durch Reue und Busse allein lässt sich
Nichts ausrichten, denn die ewige Gerechtigkeit lässt sich
Nichts abhandeln, abbitten oder abzwingen.
Die Reue ist nur insofern von Werth, als sie die leb-
haft gefühlte Erkenntniss unserer Schuld in sich schliesst
und uns anspornt, das Unrecht und Leiden, welches wir
Andern zugefügt haben, nach besten Kräften wieder gut zu
machen, und uns fernerhin Verdienst zu erwerben. T h a t e n -
lose Reue aber und jammernde Zerknirschung sind ganz
nutzlos.
Ebenso nutzlos ist jede äusserliche Busse*), d. h. die
Uebernahme irgend einer Strafe, Selbstpeinigung u. dergl.
Die wahre Reue des Buddhisten zeigt sich in muthigem Bc-
*) Nicht Kasteinngen, nicht das Scheeren des Hauptes, nicht
beten, fasten, büssen und ein Leben in Armut reinigt den, der die
Begierden nicht überwanden hat.
Was nützt dein geschorenes Haupt, du Thor, was dein Gewand
aus Lumpen ? In deinem Innern wohnt Bosheit, aber dein Aeusseres
heuchelt Heiligkeit. (Dhammapadam.)
treten des Weges zum Heil, und die wahre Busse in der
Unterdrückung der Selbstsucht, der Leidenschaften und Be-
gierden.
140. Lehrte der Buddha, dass nur Anhänger seiner
Religion zur Erlösung gelangen können?
Nein. Der Buddha verkündigte die Herrschaft der
sittlichen Weltordnung, der ewigen Gerech-
tigkeit, und diese fragt nicht darnach, was Einer glaubt
oder nicht glaubt. Auf die That, auf die innere Gesinnung,
auf den guten oder bösen Willen kommt es an! Jedes
Wesen erhält den Lohn, den es verdient, ob es Buddhist ist
oder nicht. Auch Andersgläubige können daher zur Er-
lösung gelangen, nur ist es für sie viel schwieriger, und die
Gefahr, das Ziel zu verfehlen, sehr gross.
Es ist, wie wenn Jemand einem falschen Wegweiser
folgt. Nach langem Umherirren kreuz und quer, durch
Sümpfe, Wüsten, Wälder, über Berge und Flüsse, wird er
vielleicht endlich doch ans Ziel gelangen. Wer aber dem
richtigen Wegweiser folgt, der braucht nur gerade ans zu
gehen und nicht vom Pfade abzuweichen, um schnell und
sicher das Ziel zu erreichen. Der richtige Wegweiser aber
ist allein der Buddha.
141. Wie verhält sich der Buddhismus Anders-
gläubigen gegenüber?
Er gebietet uns, alle Menschen, welcher Rasse, Natio-
nalität oder welchen Glaubens sie auch sein mögen, als
unsere Brüder anzusehen, die Ueberzeugung jedes Anders-
gläubigen zu achten und selbst alle Wortstreitigkeiten über
religiöse Dinge zu vermeiden. Die buddhistische Lehre ist
vom Geiste reinster Duldung durchweht;*) niemals und
*) Als vor etwa vierzig Jahren die französische (katholische)
Mission bei dem Könige von Siam um die Erlanbniss bat, sich im
Lande niederlassen zu dürfen, gewährte sie dieser mit der grössten
Hereitwilligkeit und über Hess den Missionaren sogar ein Grundstück,
indem er ihnen den besten Erfolg wünschte. Dieser Erfolg blieb
aus, dagegen suchten die Missionare auf andere Weise ihren christ-
lichen Glaubenseifer zu bethätigen, indem sie die Bilder in einem
nahegelegenen Buddhistcntemnel besudelten. Als die Bewohner des
— 65 —
nirgendwo ist für ihre Ausbreitung Blut geflossen, nie hat
sie, wo sie zur Herrschaft gelangte, Andersgläubige verfolgt
oder unterdrückt. Wer die Wahrheit nicht erkennt oder
nicht hören will, schadet nur sich selbst und erregt daher
das Mitleid des Buddhisten, nicht seinen Hass.
142. Viele sehen in der milden Sinnesart der Bud-
histen nur Schwäche. Ist es wahr, dass der
Buddhismus die Thatkraft lähmt?
Dem Verblendeten mag es so scheinen, denn der
Buddhismus lähmt allerdings die rohe, thierische Thatkraft,
die sich in dem leidenschaftlichen Ringen nach Besitz und
Genuss, im wilden, erbarmungslosen Kampfe ums Dasein
äussert, indem er lehrt, dass auf dem Wege materiellen Fort-
schritts und äusserer Verfeinerung das Heil nicht zu erreichen
ist, sondern allein durch geistige und moralische Entwicke-
lung. Aber trotzdem geht der Buddhist nicht kampflos durchs
Leben. Nur gewechselt ist der Kampfplatz — statt der
äussern Welt, ist er jetzt die eigene Brust ; und obwohl mit
der Welt in Frieden und daher anscheinend thatenlos, ringt
der Buddhist unablässig und mit Aufbietung aller höheren
und edleren Kräfte gegen die selbstsüchtigen Triebe seines
Herzens und die Reizungen der Sinne. Das ist die That-
Dorfes, denen der Tempel zugehörte, darüber beim Könige Klage
fährten, rieth ihnen dieser, als die Klügeren nachzugeben, die Bild-
nisse des Buddha anderswo hinzustellen, da dieselben ja doch nur
Erinnerungszeichen seien, und allem Streit aus dem Wege zu gehen,
denn in der Religion handele es sich um wichtigere Dinge, als um
solche elende Zänkereien mit Barbaren.
Als der englische Protestantenmissionar Edkins in neuester
Zeit in China ein berühmtes Buddhistenkloster besuchte, nahm ihn
der Abt freundlich auf und erbot sich sogar, ihm unentgeltlich ein
Stück von den Klosterländereien zum Bau einer christlichen Kirche
zu überlassen.
Aehnliche Beispiele Hessen sich aus alter und neuer Zeit hunderte
anführen. Christliche Prediger nennen ein solches edles und vor-
urtheilsfreies Verhalten „tadelnswerthe Lauheit" in Religionsange-
legenheiten, Buddhisten dagegen sind überzeugt, dass so zu handeln
dem Wohlwollen entspricht, das gegen jedes lebende Wesen in
Worten und Werken zu bethätigen, der erhabene Stifter ihrer Reli-
gion ihnen zur Pflicht gemacht hat.
5
— 66 —
kraft des wahren Buddhisten — und dieser Kampf ist
schwieriger, edler, höher und für die Menschheit frucht-
bringender als die Kämpfe und Siege aller Eroberer und
Könige, von denen die Weltgeschichte meldet.
„Grösser als wer tausend mal tausend Feinde in der
Schlacht besiegt, ist der Mann, der sich selbst besiegt.
Wahrlich, er ist der grosseste der Sieger u . (Dhammapadam.)
143. Sind Gebete, Opfer und die Beobachtung reli-
giöser Gebräuche zur Erreichung des Nirwana
nöthig?
Nein, Gebete und Opfer im eigentlichen Sinne giebt
es nicht in der buddhistischen Religion. Das Hersagen von
Sprüchen aber oder das Lesen der heiligen Schriften, das
Anhören von Predigten und dergl. ist, wenn es mit wahrer
Andacht geschieht, von hohem Werthe, da es den Muth des
Anhängers in Stunden der Versuchung aufrichtet und stärkt,
sein Vertrauen zu der eigenen Kraft und der Lehre befestigt
und die innere Sammlung befördert. Alle äusseren religiö-
sen Gebräuche verfolgen denselben Zweck. Sie sind für
den weltlichen Anhänger wichtig und unentbehrlich, um ihn
au die wahre Bedeutung des Lebens zu erinnern, seinen
Sinn von den Lockungen der Welt abzulenken und ihm stets
das höchste Ziel vor Augen zu stellen.
Wer aber bereits den Weg zur Erlösung beschritten
hat, und als Bhikschu nur noch der geistigen Entwickelung
und moralischen Selbstvervollkommnung lebt, bedarf solcher
Hüifsmittel nicht mehr*).
144. Wird die Verehrung von Bildern, Bildsäulen
oder Reliquien des Buddha und seiner Jünger
von der Lehre gefordert?
Nein. Der Buddha lehrte, dass dergleichen Bräuche
zur Erreichung der Erlösung nichts beitrügen, wohl aber
leicht zu Aberglauben und Irrthum führten.
*) Von Herzen wohlwollend, gerecht und gütig sein ist die
höchste Religiosität. Wer dieses weiss, dem erscheinen alle äusseren
Gebräuche und Dogmen nur als Krücken für die Gebrechlichen, die
nicht auf eigenen Füssen gehen können. Leider bedürfen die meisten
— 67 —
145. Warum legen die Buddhisten denn aber Blumen
vor den Bildsäulen des Buddha nieder und
zünden Weihrauch davor an?
Die weltlichen Anhänger thun dies, um durch ein
sichtbares äusseres Zeichen ihrer Verehrung und Dankbar-
keit gegen den Weiterleuchter Ausdruck zu geben. Ein
solcher Brauch ist nicht zu verwerfen; wer jedoch meint,
sich dadurch ein besonderes Verdienst zu erwerben oder gar
der Erlösung näher zu kommen, befindet sich im Irrthume.
146. Giebt es Wunder?
Nein. Ein Wunder im strengen Sinne des Wortes
wäre eine willkürliche Durchbrechung der Naturgesetze durch
irgend ein übermenschliches Wesen. Dergleichen kann nicht
vorkommen. Der Buddhismus lehrt die ausnahmslose Gesetz-
mässigkeit alles Geschehens. Dieser Gesetzmässigkeit, sind
selbst die höchsten Götter unterworfen.
147. Allein es giebt doch Erscheinungen und Vor-
gänge, die uns erklärlich sind?
Deren giebt es Viele. Sie erfolgen nach Naturge-
setzen, die uns noch verborgen sind, von dem Buddha aber
in ihrer vollen Gesetzmässigkeit erkannt wurden*). Man
darf solche Erscheinungen und Vorgänge daher nur bildlich
als Wunder bezeichnen**).
Menschen solcher geistigen und moralischen Krücken. Der geistig
Freie aber wirft sie weg, sobald er die Kraft in sich fühlt, ohne
äussere Hülfsmittel seinen Weg verfolgen zu können.
*) Als Kewatto, ein Anhänger ans Nalanda, den Buddha bat,
er möge doch seine Jünger ein Wunder der magischen Macht thun
lassen zur Bekehrung der Nalander, wie das bei Religionsstiftern
üblich sei, antwortete der Erhabene: Die Wunder der magischen
Macht und der Wahrsagung verachte und verwerfe ich. Ich und
meine Jünger, wir gewinnen nur Anhänger durch das Wunder der
Belehrung.
**) Für den afrikanischen Neger oder den amerikanischen In-
dianer ist z. B. die Telegraphie ein Wunder, während wir die
Naturkräfte und Naturgesetze kennen, auf denen sie beruht. In
derselben Lage aber, wie der Wilde gegenüber der Telegraphie, be-
findet sich der unwissende Inder und Europäer angesichts von Vor-
— 68 —
148. Welches ist der hauptsächlichste Unterschied
zwischen der Lehre des Buddha und andern
Religionen ?
Der Buddhismus lehrt die höchste Güte und Weis-
heit ohne einen persönlichen Gott ; eine höchste Erkenntniss
ohne Offenbarung; eine sittliche Weltordnung und ge-
rechte Ausgleichung , die sich auf Grund der Gesetze der
Natur und unseres eigenen Wesens mit Notwendigkeit voll-
zieht; eine Fortdauer der Individualität ohne eine unsterb-
liche Seele; eine ewige Seligkeit ohne einen örtlichen Him-
mel; eine Möglichkeit der Heiligung ohne einen stellvertre-
tenden Heiland; eine Erlösung, bei der Jeder sein eigener
Erlöser ist, und welche ohne Gebete, Opfer, Bussübungen
und äussere Gebräuche, ohne geweihte Priester, ohne Ver-
mittelung der Heiligen und ohne göttliche Gnadenwirkung
aus eigener Kraft errungen und schon in diesem Leben und
auf dieser Erde erreicht werden kann.
149. Was ist der Geist und Kern der ganzen Lehre
in wenige Worte gefasst?
Drang nach Befreiung von den Fesseln der Indivi-
dualität, von geistigen, moralischen und physischen Banden ;
Drang nach Erlösung von der Nichtigkeit und den Leiden
des materiellen Daseins, und die rechte Anweisung, dieses
Ziel zu erreichen*).
150. Ist dieser Geist und Kern der Lehre nicht ein
pessimistischer?
Weder ein pessimistischer noch optimistischer. Pessi-
mismus wie Optimismus sind Extreme , daher einseitig und
gangen und Erscheinungen, die ihm unerklärlich sind. Er glaubt
da leicht an ein Wunder. Pflegt doch der Grad der Gläubigkeit
eines Menschen fast durchgängig in umgekehrtem Verhältnisse zu
seiner Einsicht zu stehen. Je geringer diese, um so grösser jene.
*) Wie das Weltmeer, Ihr Jünger, überall durchdrungen ist
von dem Geschmack des Salzes, so ist diese Lehre und Satzung an
jeder Stelle durchdrungen vom Geiste der Erlösung. (Tschulläwagga.)
Der Wille zum Leben ist die ärgste aller Krankheiten, die In-
dividualität das grösste Uebel. Wer von dieser Erkenntniss durch-
drungen ist, der sieht in Nirwana die höchste Glückseligkeit.
— 69 —
gleich weit von der Wahrheit entfernt. Der Buddha lehrte
die Wahrheit, die in der Mitte liegt. Das individuelle Leben
ist nichtig, leidvoll, reich an Irrthümern, Enttäuschungen,
körperlichen und geistigen Schmerzen, schon durch die
Geburt dem Tode anheimgefallen. Dies ist die pessimistische
Seite der Wahrheit. Aber wir sind nicht gezwungen, dies
Dasein für alle Zeit fortzuführen, wenn es " uns nicht mehr
gefällt. Wir können aus eigener Kraft die Befreiung und
Erlösung erringen. Dies — aber auch nur dies allein —
rechtfertigt eine optimistische Auffassung.
Die Stimmung des Buddhisten, vor allem aber die
des Bhikschu, ist keineswegs eine trübselige; Klagen über
das Erdenleid und weltschmerzlichen Anwandlungen giebt
er sich nicht hin. Ernst in diesem ernsten Leben, aber
voll innerer Heiterkeit und Zuversicht, verfolgt er unbeirrt
den Weg des Heils, der ihn zu jenem Ziele führt , wo alles
Leiden und aller Irrthum endet. Mag sein Leben dem welt-
lich Gesinnten, dem Verblendeten, voll von Entbehrungen
und freudeleer erscheinen , er selbst geniesst in dem Be-
wusstsein, auf dem Wege zur Vollendung und Erlösung zu
sein, in der wachsenden Begierdelosigkeit und in der reinen
Erkenntniss der Wahrheit eine Seligkeit, die alle sinnlichen
Genüsse weit übersteigt*).
Diesen heilsamen Rath gebe ich Euch Allen, die Ihr hier ver-
sammelt seid: rottet den Lebenstrieb mit der Wurzel ans, dass der
Gott des Todes (Maro) Euch nicht wieder und wieder zerbreche,
wie der Sturm die Schilfrohre.
Wen der Lebenstrieb erfüllt, der ist wie ein Wild in der
Schlinge. Darum überwinde der Bhikschu die Lebenslust und trachte
nur nach Leidenschaftslosigkeit.
Der Weise betrachtet weder Ketten noch Stricke als Fesseln,
sondern Beichthümer, kostbare Steine, Weib und Kind, Alles was
ihn in's Weltleben niederzieht. Darum lässt er Alles das mit seinen
Leiden und Freuden hinter sich.
Gieb auf, was hinter Dir liegt, gieb auf, was Dir die Zukunft
verspricht, verzichte auf den Genuss der Gegenwart, wenn Du das
jenseitige Ufer (des Lebensmeeres) erreichen willst. Hast Du Dich
geistig ganz frei gemacht, wirst Du nicht wieder der Geburt und dem
Tode anheimfallen. (Dhammapadam.)
*) Wer den Werth ernsten Nachdenkens erkannt hat, findet
sein wahres Glück darin. Er freut sich des Wissens der Erlesenen.
— 70 —
151. Sind alle diese Lehren in den t
(den drei Pitakas) aufgezeichne
Diese und noch viele andere, die
verkündet hat.
152. Wurden die heiligen Bücher von
verfasst oder niedergeschrieben
Weder von dem Buddha selbst noch
welche des Buddha unmittelbare Jünger g
war damals in Indien nicht der Brauch, rel
sophische Wahrheiten niederzuschreiben. "
vom Lehrer dem Schüler mündlich überliefe
unablässige Wiederholung auf das genai
Wort für Wort und Satz für Satz. Auf dies
Strebe nicht nach den Eitelkeiten der Welt
Leben voll Liebe und Lust. Der denkende Mens
die Fülle.
In der Einsamkeit des Waldes ist gut sein. . ~ ua weitling,
der den Sinnengenüssen nachjagt, keine Freude findet, da blüht sie
dem, der seine Leidenschaften überwunden hat.
Der ßhikschu, der die rechte Erkenntniss hat, verlangt selbst
nach den Freuden des Himmels nicht. Nur in der Ueberwindung
aller Begierden und Neigungen findet er wahre Glückseligkeit.
Selig sind, die nicht hassen. Darum laset uns unter denen,
die uns hassen, leben frei von Hass.
Selig sind die Reinen, darum lasst uns unter den Unreinen in
Reinheit leben.
Selig sind, die frei von Begierden sind. Darum lasst uns unter
den Gierigen leben frei von Begier.
Selig sind, die nichts ihr eigen nennen. Sie sind den lichten
Göttern gleich, die von Glückseligkeit leben.
Gesundheit ist der kostbarste Besitz, Zufriedenheit der grösste
Reichthum, ein treuer Freund der nächste Verwandte, Nirwana die
höchste Glückseligkeit.
Süss ist die Einsamkeit und der Friede des Herzens; süss ist
es, frei zu sein von Furcht und Begier ; süss ist der Trunk aus dem
Becher der heiligen Lehre.
Der Anblick der Erlesenen gewährt Freude, mit ihnen zusammen
zu leben Glückseligkeit. Darum schliesse Dich den Weisen, den
geistig H ochsteh enden, den Wissenden, den Geduldigen, den Leiden-
schaftelQMpp^B Erlesenen an. In ihrer Gemeinschaft lebe immer-
dar, wjp^^ ~ M in der Gesellschaft der Sterne. (Dhammapadam.)
— 71 —
sie sich von Geschlecht zu Geschlecht fort*). So geschah
es auch mit den Lehren des Buddha. Erst mehrere hundert
Jahre nach des Buddha Tode wurden die heiligen Schriften
in der Fassung, in der sie jetzt vor uns liegen, auf Palm-
hlättern niedergeschrieben, nach der dritten grossen Ver-
sammlung der fünfhundert Theros (Aeltesten der Brüder-
schaft) zu Pataliputta unter der Regierung des Königs
Astfko.
153. Wer war König Asoko?
Einer der mächtigsten Monarchen Indiens. Er re-
gierte von 259 — 222 vor unserer Zeitrechnung, bekehrte
sich selbst zur Lehre des Erleuchteten und suchte den
Buddhismus über die ganze Erde auszubreiten. Noch heute
zeugen die Steintafeln, auf denen er die moralischen Vor-
schriften des Buddha eingraben Hess, für König Asöko's
Wirken, und sein Name steht bei allen Buddhisten in höch-
stem Ansehen.
154. Giebt es einen esoterischen Buddhismuss, d. h.
eine buddhistische Geheimlehre, die nicht nieder-
geschrieben worden ist, sondern sich allein durch
Ueberlieferung unter den Arahäs erhalten
hat?
Nein. Der Buddha hat keine Geheimlehre verkündet,
sondern „den Weg der Befreiung für Alle"; und brahmanische
Geheimnisskrämerei, Mystizismus, Okkultismus und Esoteris-
mus, diese Schlupfwinkel des Aberglaubens und der Täu-
schung, wurden von ihm verworfen. Erst als der Buddhis-
*) Von der erstaunlichen Gedächtnisskraft der indischen Brahe
manen berichten alle europäischen Gelehrten, welche indische Sprach-
und Philosophie treiben, übereinstimmend. Max Müller, einer der
grössten, jetzt lebenden Autoritäten auf diesem Gebiete behauptet,
dass wenn alle geschriebenen und gedruckten brahmanischen Bücher
plötzlich vernichtet würden, die heiligen Schriften trotzdem Wort
für Wort, und Silbe für Silbe leicht wieder hergestellt werden
könnten mit Hülfe der Brahmanen, welche sie auswendig wissen,
da es noch heute bei den Brahmanen üblich ist, dass der Lehrer
sein Wissen dem Schüler mündlich überliefert.
— 72 —
mus sich über ganz Indien ausgebreitet hatte und nach China
und Tibet vordrang, entstanden neben der reinen Lehre
nnter der Einwirkung brahmanischer Spekulationen auch
mystisch -phantastische Welt- und Lehrsysteme, die als
eine Entartung des ursprünglichen Buddhismus zu betrach-
ten sind*).
155. Ist in den heiligen Büchern nur reine Wahrheit
enthalten ?
Alles was die heiligen Schriften über die Religion,
über das Leiden des Lebens, über die sittliche Welt-
ordnung und den Weg zur Erlösung lehren, ist die reine
Wahrheit. Daneben aber enthalten sie auch manches Irr-
thümliche.
156. Hat denn der Buddha auch Irrthümliehes ge-
lehrt?
Nein, ein Buddha lehrt nichts Irrthümliehes, Un-
wahres oder Falsches. Aber im Laufe der verflossenen
Jahrtausende sind in die Pitakas einige Bücher und Stellen,
welche nicht hineingehören, aufgenommen worden, und in
diesen befinden sich manche Irrthümer.
*) Als Anando den sterbenden Buddha frag, ob er vor seinem
Hinscheiden den Jüngern nicht noch einige letzte Offenbarungen zu
geben habe, antwortete der Vollendete:
„Wie meinst du das, Anando? Erwartet das die Brüderschaft
von mir? Ich habe euch die Wahrheit verkündet, ohne einen
Unterschied zwischen exoterischer und esoterischer Lehre (Allgemein-
und Geheimlehre) zu machen. Ich gleiche nicht jenen Lehrern mit
der geschlossenen Hand (den Brahmanen), die das Beste zurück-
behalten".
Zur Erklärung muss hier hinzugefügt werden, dass die Leiter
der zahlreichen brah manischen Sekten ihre höchsten Erkenntnisse
nicht allen ihren Jüngern preiszugeben pflegten, sondern nur wenigen
bevorzugten, oft erst in der Todesstunde demjenigen, den sie zu
ihrem Nachfolger als Leiter der Sekte bestimmt hatten. Aus der
scharfen Abweisung, welche Anando in diesem Punkte von dem
Buddha empfangt, geht mit unzweifelhafter Klarheit hervor, dass
der Vollendete keine Geheimlehre verkündet hat, und dass Alles,
was angebliche Adepten dieser Richtung unter dem Namen des eso-
terischen oder Geheimbuddhismus in Umlauf setzen, eine Erfindung
späterer Zeiten ist.
— 73 —
157. Was sind das für Bücher oder für Stellen?
Solche, welche von der Entstehung der Welt, der
Form und Beschaffenheit der Erde, kurz, von der Natur-
wissenschaft handeln*). Danehen solche mystischen und
okkultistischen Inhalts. Diese Stellen sind leicht als spätere
Einschiebungen zu erkennen, da sie mit den Grundwahr-
heiten der Lehre in Widerspruch stehen.
Sie enthalten nicht die Worte des Buddha, und kein
Buddhist ist verpflichtet, daran zu glauben.
158. Da alles Entstandene vergänglich ist: wird auch
des Buddha Lehre vergehen?
Des Buddha Lehre wird nie vergehn, solange die
Welt besteht, denn ihr Geist ist die ewige Wahrheit selbst,
*) Der Buddhismus -will keine Naturwissenschaft lehren, er hat
es nicht mit der äusseren Erscheinung der Dinge, sondern mit ihrem
innerea Wesen zu thun, und steht daher zur Wissenschaft weder
in einem feindlichen noch in einem abhängigen Verhältnisse.
Der gebildete Buddhist steht der Naturwissenschaft völlig vor-
urteilsfrei gegenüber, prüft deren Ergebnisse und nimmt, unbeein-
flusst durch religiöse Bedenken, diejenigen ihrer Lehren an, die ihm
am richtigsten erscheinen. Europäische Gelehrte haben daher auch
in buddhistischen Landen stets freundliche Aufnahme und williges
Gehör gefunden.
Der Buddhist weiss, dass die Wissenschaft, wie alles Irdische,
ein Wandelbares ist, stetig fortschreitet und heutzutage vieles Nütz-
liche und Grosse lehren kann, was man zu des Buddha Zeiten nicht
wusste ; dass aber andererseits, so weit auch immer wissenschaftliche
Forschung fortschreiten mag, Nichts entdeckt werden kann, was
den Worten des Buddha widerspräche. Nach buddhistischen An-
sichten ist die Wissenschaft die irdische Schwester der ewigen
Wahrheit. Die Wissenschaft klärt unsern Verstand auf und macht
ihn empfänglich für höhere Erkenntniss; die ewige Wahrheit
aber, die der Buddha verkündet hat, führt zur Erleuchtung und
Erlösung.
Wer die vier Heilswahrheiten völlig erkannt und erfasst hat,
kann freilich die Wissenschaft entbehren, während das umfassendste
gelehrte Wissen vom Standpunkte der höheren Erkenntniss aus noch
immer zum Nichtwissen (awidschä) gehört, da es nicht zur Er-
lösung vom Leiden und von der Wiedergeburt fuhrt.
— 74 —
eingegangen in die irdische Form von Wort und Begriff u
lebendig geworden in der Person des Welterleachters.
Ihre äussere Form und Einkleidung aber
wandelbar; in jedem der nach Jahrtausenden zählenc
Menschenzeitalter wird ein neuer Buddha geboren, welcl
die Lehre vom Leiden und von der Erlösung in der seil
Zeit angemessenen Einkleidung verkündet.
*
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Die Brüderschaft der Erlesenen
(Sangho).*)
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150. Was versteht man unter der Brüderschaft der
Erlesenen?
Unter der Brüderschaft der Erlesenen (Sdngho) ver-
steht man die Vereinigung aller Derer, welche als wahre
Jünger und Nachfolger des Buddha die Welt verlassen und
den erhabenen achtheiligen Pfad der Befreiung und Er-
lösung betreten haben.
*) Das Wort „Sangho" ist hier mit Brüderschaft der Erlesenen
übersetzt worden, obgleich diese Uebersetzung dem damit bezeich-
neten Begriff nur unvollkommen entspricht. Der Sangho ist die
brüderliche Vereinigung aller Bhikschu und Samanen, der wahren
Jünger und Nachfolger des Buddha. Für Bhikschn aber wie für
Samane giebt es keine treffende deutsche Uebersetzung. Bhikschn
heisst wörtlich „Bettler". Die Bhikschn sind aber keine Bettler im
modernen europäischen Sinne, wo das Wort eine erniedriegende und
entehrende Bedeutung hat Sämano dagegen bezeichnet einen
Menschen, der sich zum Zwecke geistiger Entwickelung aller welt-
lichen Genüsse enthält, also einen Asketen im höheren Sinne.
Bhikschn durchgängig mit Bettelmönch zu übersetzen, wie hier und
da im Texte geschehen ist, wäre vielleicht am einfachsten und
zweckentsprechendsten gewesen, doch auch dabei ist ein Missver-
ständniss zu befürchten, denn die Bhikschu sind keine Bettelmönche
im christlichen Sinne, da sie das Gelübde des Gehorsams gegen
ihre Oberen nicht ablegen. Bhikschu nun gar mit »Priester" wieder-
zugeben, wie manche europäische Gelehrte gethan haben, geht gar
nicht an, denn die buddhistischen Bhikschu haben keinerlei Weihen
noch priesterliche Vorrechte. Es blieb also nichts übrig, als sich
auf die Weise zu helfen, wie es hier geschehen ist, da in den
heiligen Büchern die Bhikschu und Samanen häufig auch die
— 76 —
160. Wer ist zum Eintritt in die Brüderschaft be-
rechtigt?
Jedermann, ohne Ansehen der Rasse oder Farbe, des
Ranges, Standes und Geschlechtes, sofern er nur den festen
Entschluss bekundet, fortan allein der Erlösung nachzu-
streben, und frei von den in der Satzung angeführten Auf-
nahmehindernissen ist.
161. Wen schliesst die Satzung von der Aufnahme
aus?
Alle mit ansteckenden oder unheilbaren Krankheiten
Behaftete; Kinder unter 15 Jahren; Sklaven und Leibeigene,
so lange sie nicht ihre Freiheit auf rechtliche Weise erlangt
haben; alle von den Behörden Verfolgte, so lange sie nicht
ausser Anklage gesetzt sind, oder ihre Strafe verbüsst
haben; Schuldner, so lange sie nicht ihre Verpflichtungen
erfüllt haben ; Soldaten und Beamte jeder Art, so lange sie
im Dienste sind, und Unmündige, welche die Erlaubniss
ihrer Eltern oder Vormünder nicht besitzen.
162. In welcher Weise erfolgt die Aufnahme in die
Brüderschaft der Erlesenen?
Durch die Bekleidung mit dem gelben Gewände der
Bhikschu. Dieses „Hinausgehen" (Pabbadschd) aus der Hei-
math in die Heimathlosigkeit, aus dem Weltleben in die
Zurückgezogenheit des Klosters oder der Einsiedelei bildet
den ersten vorbereitenden Schritt. Der Novize (Saman^ro)
hat dann unter der Aufsicht eines geistlichen Lehrers
(Upadschhdyo) oder Leiters (Ätscharyo), den er sich unter
den Brüdern selbst wählen darf, eine Probezeit durchzu-
machen, ehe er als gleichberechtigtes Mitglied der Brüder-
schaft aufgenommen wird.
„Ariyos", die Edlen oder Erlesenen genannt werden, was allerdings
ihrem Wesen und ihrer Stellung zu der grossen Masse der Welt-
menschen noch am besten entspricht. Denn der erhabene acht-
theilige Weg ist nicht für die Armen im Geiste, sondern für die
Edlen, die Hochstrebenden, die des Daseins Freuden verachten und
allein nach Erkenntniss und Befreiung verlangen, für die geistig
Starken, welche die Wahrheit ertragen und ihr nachleben können.
— 77 ~
163. Welche Pflichten hat der Samanero während
seiner Probezeit zu erfüllen?
Der Saman6ro übernimmt vom Tage der Einkleidung
an alle Verpflichtungen der Brüder. Er muss allem welt-
lichen Treiben gänzlich entsagen, die zehn Gelübde
streng beobachten, sich eifrig dem Studium der heiligen
Schriften, der Selbstbetrachtung und dem ernsten Nach-
denken hingeben, die Satzungen undVorschriften
reinen Wandels und moralich er Selbstzucht
getreulich erfüllen und nur noch dem einen Ziele nach-
streben, durch entschlossenes Fortschreiten auf dem er-
habenen achttheiligen Pfade zur Befreiung, zur
Erlösung, zum Nirwana zu gelangen.
Nachdem der Samanäro in richtiger Ausübung aller
Gelübde, Satzungen und Vorschriften unterrichtet ist und
seine Probezeit vorwurfsfrei beendet hat, erfolgt in feier-
licher Versammlung der Brüder durch den Aeltesten oder
Oberen (Thero) seine Aufnahme (Upasampada) als Bhikschu.
164. Wie lauten die zehn Gelübde für die Brüder-
schaft?
1. Ich gelobe, kein lebendes Wesen zu tödten oder
zu verletzen.
2. Ich gelobe, nichts zu nehmen, was mir nicht ge-
hört oder mir nicht freiwillig gegeben wird.
3. Ich gelobe, in völliger Keuschheit zu leben*).
4. Ich gelobe, stets die Wahrheit zu sprechen,
Niemand zu belügen, zu betrügen oder zu ver-
läumden.
*) Für den Bhikschu ist die Beobachtung gänzlicher Keuschheit
unerlässlich, jedoch nicht, weil der intime Verkehr mit dem anderen
Geschlechte etwa ein Unrecht oder eine Sünde wäre. Der Mensch,
welcher den natürlichen Trieben nachgiebt, begeht, solange er da-
durch Niemand verletzt oder schädigt, kein Unrecht. Allein jeder
Sinnesgenuss entspringt dem selbstsüchtigen Willen zum Leben, und
der Geschlechtsgenuss ist der stärkste Ausdruck des Lebenswillens.
Kein anderer schwächt wie er die geistigen und moralischen Kräfte,
deren der Bhikschu in vollem Maasse bedarf, um die Erlösung zu
erringen.
— 78 —
5. Ich gelobe, keine berauschenden Getränke zu
gemessen.
6. Ich gelobe, nur zu den vorgeschriebenen Zeiten
zu essen*).
7. Ich gelobe, mich des Tanzens, des Singens
weltlicher Lieder, des Besuches der öffentlichen
Schauspiele und Musikaufführungen, sowie aller
sonstigen weltlichen Vergnügungen zu enthalten.
8. Ich gelobe, der Eitelkeit zu entsagen, den
Gebrauch von Schmuck jeder Art, der wohl-
riechenden Wässer, Salben und Oele aufzu-
geben.
9. Ich gelobe, die Benutzung üppiger Betten zu
meiden und auf einem harten, niedrigen Lager
zu schlafen.
10. Ich gelobe, immerdar in freiwilliger Armuth zu
leben.
165. Worin bestehen die Satzungen für die Brüder-
schaft?
In den von dem Buddha gegebenen Vorschriften reinen
und heiligen Wandels, welche im Vinäyo enthalten sind.
Dieselben zerfallen im Wesentlichen in vier Abtheilungen.
1. Vorschriften, welche sich auf äussere Zucht und
Ordnung beziehen.
2. Anleitung zur richtigen Beschaffung und Ver-
wendung von Nahrungsmitteln, Kleidern und
andern notwendigen Lebensbedürfnissen.
3. Verhaltungsmaassregeln zur Ueberwindung der
sinnlichen Begierden und Leidenschaften.
4. Hülfsmittel zur Erlangung höherer geistiger Er-
kenntniss und Selbstvervollkommnung.
166. Welches sind die acht Theile des erhabenen
Pfades?
1. Rechte Erkenntniss; frei von Vorur-
theilen, Aberglauben und Wahn.
*) Nach Mittag sollen die Bhikschu keine feste Nahrung mehr
zu sich nehmen.
— 79 —
2. Rechtes Wollen; würdig des edlen und er-
leuchteten Menschen.
3. Rechtes Wort; gütig, einfach, wahrhaftig.
4. Rechte That; friedfertig, rechtschaffen, wohl-
wollend und rein.
5. Rechtes Leben; ein solches, das keinem
lebenden Wesen Nachtheil oder Schaden bringt.
6. Rechtes Streben; unablässig und unter An-
spannung aller Kräfte auf Ueberwindung der
Unwissenheit, der Begierden und des Willens
zum Leben gerichtet, allein dem höchsten Ziele
zugewendet.
7. Rechtes Gedenken;, rechte Geistesgegen-
wart, rechte Erinnerung aller gefassten Vorsätze
und gemachten Erfahrungen im Augenblicke der
Schwäche oder Versuchung.
8. Rechtes Sichversenken; völliges Zurück-
ziehen der Sinne, des Wahrnehmens und Denkens
von den Aussendingen, und Aufgehen des Selbst-
bewusstseins und des Willens in der reinen Er-
kenntniss.
167. Ist nach erfolgter Aufnahme noch der Austritt
aus der Brüderschaft möglich ?
Jederzeit. Die buddhistische Lehre und die Satzung
der Brüderschaft kennen weder „ewige" Gelübde noch
Zwang. Wer sich nach den Freuden der Welt zurücksehnt,
mag seine Schwäche dem Oberen eingestehen. Die Brüder-
schaft hält ihn nicht, und der Austritt steht ihm dann auf
rechtliche Weise frei, ohne dass dadurch eine Schmach oder
ein Schimpf auf ihn fiele.
Der Bhikschu oder Samane aber, welcher das Gewand,
das er trägt, und die heilige Gemeinschaft, der er angehört,
schändet, indem er sich schwerer Übertretungen der
Gelübde schuldig macht, verfällt der härtesten Strafe,
welche die Satzung kennt: der Ausstossung aus der
Brüderschaft.