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THE LIBRARY
OF
THE UNIVERSITY
OF CALIFORNIA
PRESENTED BY
PROF. CHARLES A. KOFOID AND
MKS. PRUDENCE W. KOFOID
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Bunte Bläftett.
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aus
Sdfvoahen
-H6 1866 fti« 1884 Sj^
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tPUt^elm ÜnbU
Berlin ixnb Sh\tt(iatt
9t Viag, ir0n m «jremann
1885
2)tttd bcr {^offmann'f^en Bttd^brutfcrei in Clttitgoct
l6
II tt I| a l t
Seite
»ormort VII
3)ie l^eutige Jhtnft unb bie Slunftotffenfd^aft 1
@m Xobtentait) su IBabenroeUet 21
$and SRafart unb 9iic^arb SBagner 31
S)ie jtuttft0ef(^c^te unb bie Unberfltäten 42
UeBer @tege8ben!mare 50
©übwepbeutfc^e gb^tten 60
^ie ^armpftbtet SRabonna $and $o(beind unb bad 2)redbener ©semplor 80
Ucber Äunflpfleßc 88
^ie ftunftgooerbe unb bie SKrd^iteltur 106
^ie fürftrid^en Sammlungen in @igmatingen 120
äBütttemberg unb bie 9lenaiffance 127
3ur Itunftpflege in äBürttemaerg 147
Die JtaulBa^'StudPeQung m ^unftgebftube 156
Die Sieber^erfteOung ber Sierungdhippel am äRünßec ju Strasburg . . 164
Bleue« »on ?etet »if^cr 170
3u9 ©efd^id^te bet ^olUlnbifd^en e^üten« unb 9iegentenbUbec 179
Die funflgenerblic^en 8eftrebungen ber ^egenmart 211
Die pergamenifd^'en $unbe 231
SKuSbau ber @tra(burger 9Rtlnfterfaffabe 257
VI an^olt.
®dte
3ur ©inmei^ung bed JtöCner IDomed 261
Xai ^abinet äRütter in Stuttgart 268
@c^n)ä5if4e SBanbemngen 274
»apreut^er Stac^Kdnge 287
3ur franaöftfd^en Slcnoiffoncc 298
^ai^ Süngfle ©etid^t im äRünfter au Urm B36
2)ie äRünfier )u Ulm unb au @trag5urg 349
^otticeSi'S ^ante<3eid^nungen 858
SBittcnberfl unb Äom 383
3)te Srauenürd^e au ®f lingen 399
SRotionale Äunji 408
B0rtir0rt
<4u8 einer beträd^tlid^en änjal^l Heinerer Slrbeiten, Sieben,
aSortrfige unb Slufffi^e, weld^e wäl^renb meine« lOjal^rigen äufcnt=
l^alteiS in Stuttgart entftanben finb^ l^abe id^ l^ier eine t(eine StuiS-
n)a]^l }ufamntengefleQt^ um bamit bem Sanbe^ in weld^em x^ fo
lange flewirft, bei meinem ©d^eiben ein Slnbenlcn }u ^interlajfcn.
^eite ifl in biefen 33Iättern mand^eS £otalfd^n)äbifc^e bel^anbelt,
inbem \(fy fowol^l bie alten 3)enfmäler bei^ ißanbe« ju crforfd&en unb
}u fd^ilbern fud^te, als aud^ ba« moberne Aunflleben beSfelben ju
förbem bemül^t war. 3n le^terer ^infxd^t war nid^t bloö bie att«
gemeine Äunjlpflege, fonbern namentlid^ bie ©orgc um bie Sauten
für Jtunflfd^ule unb Sammlungen mein 9lugenmert^ n)ie ei^ mir
benn vergönnt mar^ nid^t blöd an ben litterarifd^eU/ fonbern aud^
an ben parlamentarifd^en kämpfen um biefe wid^tige Slngelegenl^eit
t^eiliune^men. 3ßenn in ber ^auptfad^e bai^ @en)ünfd^te erreid^t
mürbe, fo bleibt barum bod^ ein giyircn biefer 3)inge nid^t wertlos
lo2, meil ftd^ barin ein ©tüd( ©efd^id&te ber mobernen Äunfibeflrc^
bungen obfpielt.
VIII «omort.
SRcben biefctn fpcjififd^ fd^roäbifd^cn ^l^cil cntl^ält bic Samm-
lung aber aud^ eine SReil^e t)on »ctträgcn, rocld^e au^ bcm SRal^mcn
beS lofal Scgrcnjten in bie SBeite bcö allgemeinen lunfll^iftorifd^en
Sebeni^ Ilinau^greifen. Slud^ I|ler bin id& beftrebt geroefen, in ftrenger
Sluöwal^I nur bai^icnige aufjunel^men, roaS mir Sered&tigung für
bfeibenbei^ gefll^alten ju Iiaben fd^ien. ^n biefe SReil^e gel^ören
namentlid^ bie SBerid^te über bie pergamenifd^en ^unbe unb über
Sotticettiö ^ank'^tx6)n\i\\Qtn, SBenn über beibe ©enimäler aud)
umfaffenbe ofpjiette S^eröffentUd^ungen beoorftel^en, fo werben biefe
il^rer SRatur nad^ bod^ nur SBenigen jugänglid^ fein, unb meine
©d^ilberungen, in benen fid^ ber unmittelbare ©inbrudf jener glän=
jenben ©rwerbungen fpiegclt, bürften aud^ jefet nod^ SWand^em nid^t
unwidfornmen fein. S)er übrige Snl^alt wirb feiner lüeitern (Sr-
ffärung ober Sled^tfertigung bebflrfen.
;^tuff0arf, im 3Warj 1885.
(„3ttfr*rtft pJr hiVbtxCbt »im|i" 1866.)
^n ber ©d^äftung bet l^cutigen Äunftleiftungen begegnen wir
f ttjibetfpred^enbcn Urtlieilcn, ba§ felbft au8 bent aJhinbe woJ^tootten*
ber aWänner gerabeju entgegengefefete SBerbifte ju rernel^men finb.
35ie einen l^aben au^ ber Setrad^tung ber großen ©<i^öpfungen rer«
gangener (gpod^cn ein tiefe» aRitletb gegen atte«, wo» l^eut in ber
Äunfl ba8 ßid^t ber SBelt erblidt, bat)ongctragen unb vermögen nur
augnal^mSweife einmal ein neuere^ SBerf anjuerlennen. @^ finb
bai^ bie fein angelegten ®ei|ler, benen in ber fd^arfen Suft ber
©egenroart ber Stirem auSgel^t, unb bie fid^ beSl^alb lieber in bie
SSergangen^eit wie auf ein frieblid^e« ©ilanb jurüdfjiel^en, um bort
in mül^elofer anfd^auung bcsJ einmal gefid&erten Sejifec« Don ©d&ön*
l^eit ju fd^Toelgen. ©ie mod^en fid&'8 in biefer fublimfien Srt t)on
geiftigem ©pTboritii^mug bequem, unb ol^ne auf bie Ädmpfe ju Jblidfen,
ol^ne bie SBel^en mitjufül^len, unter benen nod^ ju atten Seiten ba^
ma^rl^aft ©rofee geboren würbe, erfreuen fie fid^ an ber l^armonifd^en
aSirfung ber SRefultote.
3tnbre finb biefer peffimiftifd&en SSetrad^tung biametral entgegen^
gefegt, ©ie empfangen jebe neue flunftblüt^e bi^ l^erab ju ben
toinjigfien Änöfpd^en l^eutigen ©d&affen^ mit SSegeifterung, liegen
unb l^ätfd^eln fie mit Eingebung unb fefeen gefunbe 5ßflanjen, bie
nur beS fUllen Sßad^iSt^um^ bebürfen, um ju gebeil^en, in eine fold^e
SCreib^augl^ifee von unüerftänbigem ©ntl^ufia^mu», ba§ ilire 5ßfleg=
linge üor ber ^cxt l^inroelfen unb abfterben. 3)iefe ed^auffirten
1
2 ^ie heutige ^unft unb bie jtunfttoiffenfc^aft.
Cptimificn finb nod^ gcfäl^rltd^er für bie I)cutige Äunji, afe jene
el^rlid^en ©egncr; benn jene laRen fic^ bod^ butd^ loal^rtiaft 85c=
bcutenbcg einmal aus il^ter Slpatl^ie jur anerlcnnung aufrütteln;
biefe bagegen l^aben fein Äriterium für bie Unterfd^eibung beS Oro^en
unb ödsten ron bcm ©cringen ober gar Uned&ten. aKit 5Rtd^tS ift
unfrer ÄunflentwidEcIung fo fd^led&t gebient, aU mit übertriebenen
Sobpreifungen. SBenn jemanb j. SB. von ber aWalerei ber ®egen=
wart bel^auptete, „bafe bie Seiftungen ber ^Palette in ben l^öd^ften
Sbealbilbungen unfrer 3eit faum ben SBergleid^ mit ben ©d^öpfungen
aiafaels ju f dienen braud^en, wälirenb fie in Slnfel^ung beö realen
ÄunftoermögenS (?), ber garbentec^nif unb ber aWannigfaltigfeit ber
3)arftettung jene gro^e SBergangenl^eit reid^Iid^ überboten l^aben", fo
toürben mx einem foId[ien ratl^en^ fid^ bod^ baS reale jtunftoermögen
unb bie garbented^nil Don a)leiflern wie SRafael, Sionarbo unb
3Wid^elangeIo, ßorreggio, Slnbrea bei ©arto, S^ijian, ^ßaolo SBeronefe
unb nod^ mand^er anbem SDlaler beS 16. Sctl^r^unbertö etmai^ grünbs
lid^er anjufel^en. SRur bie größere SKannigfattigleit, baS umfaffenbere
©treben ber l^eutigen Äunji würben mir il^m jugeben.
aber freilid^: o^ne marme S^l^eilnal^me, ol^ne Slnfpomung burd^
©eifatt unb ^abel wirb ber Äünfller nur in feltenen fallen ®ro§eS
leiften. ©inb eS bod& immer SluSnalimen, jene gewaltigen ®enien,
bie wie SKid^elangelo unbefümmert um bie ganje ©elt, um SRul^m
ober fiol^n, fid^ einfc^liefeen mit il^rer Slrbeit unb bann mit titanen«
l^aften SBerlen l^eroortreten, meldte eine alte S^xt begraben, einer
neuen jum ©ieg Derl^elfen unb allem ©treben 3ißlc oon ungeal^nter
SBeite unb ©rl^abenl^eit ftedten. ©elbft ein Slafael fonnte fid^ gern
in ber ©unft bei^ 5ßapfieg unb nod^ lieber in ber Slnerfennung, ber
Siebe feiner SRitbürger. SBenn ber Äünfiler aud^, wie oon jenem
l^olben SBal^nfinn ergriffen, mit bem bie ©ötter il^re fiieblinge ju
unfterblid^en ©d^öpfungen begeijlern, auS innerem Strange feine
SBerle fd^afft, fo bebarf er bod^ beS SJßieberl^all« auS Derftänbnißs
oollen ©eelen, um i^m ben ©eiji elafiifd^ ju erl^alten. S)enn baS
©d^öne ift fd^wer, fagten bie ©ried^en, bie fid^ bod^ wol^l barauf
oerftanben, unb jebeS 2BerI ber Iio^en Äunft muß ben SBebingungen
ber Iiarten ®irllid^feit mit ber ®lut^ einer JJeuerfeele abgerungen
werben.
2)ie heutige ^unjt unb bie jtunfbotffenfc^aft. 3
Unb bicfe SScbingungcn finb in unfrct 3«it bcfonber» fd^mictige.
2)er ©eifl ber moberncn Äutturentoidlung bctul^t auf bcm ^rinjip
bcr freien ©elbftbejlimmung, in ber Äunft auf ber Döffigen Q^nU
feffelung ber fubjeftioen ^^ontajie. ©eitbcm fein allgemein ge^
glaubter SWptl^og bie SWenfd^en mel^r Derbinbet, ift jeber Äünftter
auf fid^ felbji gefiettt. SBo er SBerle fd^afft, bie nur an bie ein=
fad^e Slaturentpfinbung ober an 3wjiänbe beö tfiglid^en Sebeng an^
fnüpfcn, ba mag er leidet Serftänbnife finben, wenn er nur feinem
©egenjlanbe fein inneres ®e^eimni§ ju entlodfen weiß, aber rotnn
er 3beale üerförpern, ^ol^e ©ebanfenrei^en bilbnerifd^ beleben roid,
ba ifi jeber SKangel eines Iräftigen ©emeingefü^IS eine Älippe, an
ber er troft aller 3Kä]^e oft fd^eitern wirb, an bie ©teile ber naircn
©idder^eit, mit roeld^er bie alten SKeifier fd^ufen, inbem fie ben att^
gemeinen ©ebanfen unb ©mpfinbungen il^rer Seit jum pd^ften SuS^
brudf rerl^alfen, ift baS ungeroijfe SCaflen ber SRefleEion getreten, bie
Icid&t auf abliege fül^rt unb felbft im beften gaUe t)iel Don ber
freubig pd^eren Äraft ber ©eele jernagt, S)a}u fommt ber materielle
unb ejatte ©inn ber ©egenroart, bie mit einer fold^en Ueberlaft
politifd^er unb fojialer ^Probleme bepadEt ift, bafe feiten jene freie
Stimmung gefunben wirb, roeld&e jur reinen aufnal^me beS ©d^önen
unerläßlich ift. Unb bod^ l^at inmitten biefer ^emmniffe bie mobeme
Äunft feit einem l^alben S^^tliunbert SRefultate errungen, bie itir
im Saufe ber gefd^id&tlid^en ©ntmidfelung einen ©l^renplaft fidlem.
©ud^en mir, frei von Uebertreibung, unS ein SBilb t)on bem
©eioonnenen in feinen mefentlid&en QüQm Dorjufiellen. SBBenn mir
oor attem nac^ bem ©runbgepräge fragen, ba§ bie mobernen Äunft=
beftrebungen d^arafterifiert, fo ifi cS bie unoerfennbare 2;enbenj,
bem gefammten Seben beS SBolfeS jum auSbrudt ju bienen, feine fitt=
lid^en Sufd^auungen, feine ©mpfinbungSTOelt, fein 3lingen unb hoffen,
felbp feine SBebürfniffe unb »ejiefiungen äußerer ©Eiftenj in lünft^
lerifd^en ©d^öpfungen ju Derllären. ©d^on bie ard^iteftur gibt bas
oon einen beutlid^en SBeroeiS. SBaS war fie im vorigen ^fal^rl^unbert
anbreS, als bie bienftfertige Helferin einer entarteten Sriftofratie,
bereu fd^welgerifd^em Seben, beren üppigen geflen unb marfoer^^
geubenben Liebhabereien fie ben fofett aufgepufeten ©d^auplafe fd^uf.
®ie ganj anbre 3i^l« verfolgt fie in unfrer 3eit! SBä^renb fte
4 ^ie Igieuttge jlunft unb bie ilunftmiffenfc^aft
bamate ©d&löffer unb Suftl^äufcr t)on raffinirtcm fiujuä wie ^U}e
auö bcm ©umpfbobcn ber frbolcn 3^it l^crDorroad^fen liefe, bient
fie f)tut ate aiu^brud cincg ßcbcn«, ba^ in mannldafter Arbeit, in
ctnftcm ©rfaffcn feiner materietten unb geiftigen grocde ben ©d^rocr-
punft ber entroidelung lieber in bie natürlid^e 3Witte, in ben Sürger-
ftanb, geworfen l^at. SBäl^renb im vorigen Sa^rl^unbert alle ibealen
unb realen SBebürfniffe beö SBolfeö eine ard^iteftonifd^e gaftcnjeit
au^ftanben, jeugen l^eute bie gewaltigen Sauten für ben SBetoerfc^r
üon ber SWad^tftufe be8 S3ürgert](ium3, jeugen bie SDlufeen, ©d&ulen,
l^ö^eren Silbung^anflalten , bie Äird^en unb 2:^eater Don bem aß-
gemeinen »ebürfniffe nad& geiftiger ©rl^ebung. Unb felbft für bie
SJenhnäler einer großen SBergangenl^eit, weld&e bie frül^ere Oeneration
fiumpf finnig mifead^tete unb ©erfaUen liefe, ifl im gefteigerten ge^
fd^id^tUd^en 93en)ufetfein unb im ermad^ten 9lationalgefül^le fo Diel
2i^eilnal^me erwad^fen, bafe biefe lange gefd^mal^ten SmQtn einer
funftfinnigen aSorjeit allerorten burd^ forgfältige SReftauration, felbft
burd^ üerfpdteten Slu^bau eine SQBiebergeburt erleben. SBag nun bie
fünfilerifd^e gorm ber l^eutigen Slrd^iteftur betrifft, fo fe^t il^r allere
bingg meiftentl^eitö bie rul^ige ©id^erl^eit eines unbeirrten ©tilgefül^leS;
aber fo ©iel aud^ in neuen aSerfud&en fel^lgegriffen unb geirrt wirb,
— „eiS irrt ber aWenfd^, fo lang er fhrebt", — fo verbürgt bod^ bie
©nergie biefe« SftingenS trofe aller Unflarl^eit, bie il^m nod^ anl^aftet,
einen guten ©rfolg. 35enn überall ift bie SKbftd&t, namentlid^ bei
un« in 2)eutfd^lanb, bie mir e« emftl^after, alfo aud& fd^roerfättiger
mit fold^en S5ingen nel^men, ol« unfre unrul^igen meftlid^en SWad^^
haxn unb als bie mit einer äufeerlid^en ^ra^iS leidet abgefunbenen
©nglänber, — bie Slbfid^t ifl eine inS SBefen ber ©ad^e bringenbe,
auf SBal^rl^eit unb ©d^önl^eit jielenbe. SBir werben fd^on bal^in
lommen, nid&t wie anbre Sölfer in einem beliebigen ©til ber 5Ber=
gangenl^eit abgetl^ane ißenfa ber ©efd^id^te nad^juejerjiren, fonbern
für ben ed^t ibealen J)rang in bie ^iefe, ber trofe allebem ein mu
Deräufeerlid^eS ßrbtl^eil germanifd^en ©eifteS ift, ben fd^önen unb
maleren äluSbrud ju finben.
äud^ unfre ^piaflif barf fid^ l^od^ über bie SQBerle be« 17. unb
18. 3al^r](iunberts fleHen, fo bebeutenbe Sialente aud^ in jenen
©pod^en aufgetreten ftnb, um ben Sftuin ber ©fulptur mit mrtuofen-
i^ie heutige jtunft unb bte llunfhDiffenfc^afi. 5
l^after SBracour ju befd^Icunigen. ®a« ©tubtum ber gticd^ifd^en
»ilbroctle l^at un§ ju einem plaftifd&en ^bealftil toieber ©erl^olfen,
ber mand^eÄ eble SQäerf gefd^affen unb felbjl auf bte Oefldten be8
d&riftlid^en S^eenfretfe« einen äbglanj ed^ter ©d^önl^eit geworfen l^at.
SBer beult nid^t babei an SRietfd^efe tief empfunbene ?pietä! gu^
gleid^ l^at bie ^laftif toieber einen feften »unb mit ber ärd^iteltur
gefd^Ioffen unb an bem ©lieberbau il^rer alteren ©d^roefier ein
neuc^ aWonumentalgefül^l gewonnen. SQBir erinnern an bie Sauten
©d&infetö unb ©emperÄ, namentlid^ an ba^ aWufeum ju ©reiben,
ba^ ©d^aufpiel^au« ju 83erUn unb aud^ an ba« burd^ SRietfd^ete
^errlid^eg SRelief gefd^müdEte Opernhaus bafelbfl. 35aneben ^at bie
aSere^rung, toeld^e ba^ aSoII feinen großen SWannern, feinen aSor=
tamif^txn in ben ©d&Iad^ten be« ©d^werteS unb beö ©eifieg joHt,
}u einer monumentalen ?porträtfunfl geführt, ber wir SWeifterroerfe
»Ott fünfilerifd^en SlRetattgel^alteÄ t)erbanlen. Unb wenn aud^ ge^
legentlid^ bieiS ©treben in eine ju meit getriebene S)enfmälerfud^t
ausartet, bie oor ber Säd&erlid&feit nid^t jurüdEbebt, bem ©ntbedfer
ber Äartoffel oljjr bem (Srfinber ber l^cutigen SRotenfd^rift Silbfäulen
}u errid&ten, fo ftnb bod^ bem ©runbe biefe« Äultu^ beS ©rofeen
25enfmäler wie bie SRaud^fd^en ju Sertin unb bie von Stietfd^el
aufgeführten ©tanbbilber Seffing«, Sut^er« unb baS 35oppelbiIb
©dritter« unb ©oetl^eÄ entfprojfen.
Unb enblid^ bie SKalerei, bie einflufereid^fte unter ben bilbenben
Äünfien unb neben ber 3Kufif bie jüngfie unb bie Stebling^tod&tcr
beg mobernen ©eifteg, roeld^en Umfang ^at il^r ©ebiet eneid^t! 3«
gebanfent}oBen Äompofitionen entfaltet fie bie Sbeen beö Hafftfd^en
aitertl^umg unb ber d^rifllid^en ©pod&e; in ©jenen voH realer Se^
fiimmtl^eit unb liiftorifd^er ©l^arafterifiif fül^rt fie bebeutenbe aWo-
mente an^ ben entfd^eibenben ©pod^en ber ©efd^id^te uns t)or äugen;
babei oerfenft fie fid^ liebeoott in bie Sluffaffung be« gefammten
3Renfd^enbafeinÄ, ba« fie in ben naio gemütl^lid^en QüQtn be« ein^
fad^en aSolteteben« wie in ben fomplijirteren Äonfliften l^od^ ent*
midfelter Äutturoer^ältniffe mit fd^arfer SBeobad^tung ju fd^ilbern
meiB; enblid^ gibt fie fid^, einem gefieigerten SJrange nad^ ber SRatur
folgenb, toie er überfultioirten epod^en eigen ju fein pffegt, ber
ajarftettung beS fianbfd^aftlid^en l^in, baS fie enttoeber in großen
6 ^ie heutige ^unft unb bie jlunftioiffenfc^aft.
ibealcn SH^^ ober in genaucrem ©inbringen auf jebe d^arafteriflifd^e
SBefonberl^eit, balb mel^r im Haffifd^en ^vdiban ber Sinien, balb
me^r in ber unenblid^en aRannigfattigteit ber Suftppnomene unb
Sid^tjlimmungen mit ^inrei^enber ©eroalt auf bie Seinroanb wirft,
ßäuft babei anä) Diel äu^erlid^e^ ©ebaren, vkl feelenlofe Sioutine,
Diel blo^eiS SBirtuofentum mit unter^ fo ^ebt bad toal^rl^aft (Sd^öne
unb innerlid^ ©mpfunbene fid^ bod^ flet« au« ber SWaffe fd^nett^
fertiger ?ßrobuftionen ftegreic^ l^eröor.
aiber nod^ in einem anbem ©ebiete, ba« unter ber Sotmäfeig^
leit ber 9lrd^iteltur fielet unb bie ä3unbe«genojfenfd^aft aud^ ber
©d^roeperfüniie in Snfprud^ nimmt, im Sereid^e beö funjlgen)erb=
lid^en ©d^affen« feigen toir mel^r unb me^r eine SQäenbung an&
d^arafterlofem glittenoefen ju funfigeroei^ter gormenroelt ftd^ doH*
jiel^en. SJie oerlel^rte anfd^auung einer jeftt glüdlid^ überrounbenen
©pod^e l^atte, unter bem SBonoanbe be« au^fd^liefelid^ ibealen SerufeS,
bie Äunjl fo weit Dom roirflid^en Seben entfernt, ba§ fie biefe« öbe
unb entfeelt jurüdEtiefe, bafür aber felbfi jur ©träfe in i^rer SBolfens
l^öl^e jum geiftlofen ©d^emen fid& »erflüd^tigte. 3n aHen großen
Jtunfiepod^en ift bie bilbenbe jtunft mit bem ^anbroer! erroad^fen,
l^at ftd^ neben unb mit bemfelben auf ber gleid^en @runblage eines
natürlid^en ©efül^leS für ©d^mudf beS 2tben& entfaltet. SBäl^renb
bad ^anbroerl burd^ biefen Säunb einen l^ö^eren ©d^roung, ein
feinere« ©tilgefül^l gewann, beroal^rte bie Äunjl fid^ burd^ benfelben
bie unmittelbare SSesie^ung jum Seben unb bie ©runblage einer
foliben SJed^nif. SWad^bem bie« SBerl^ältni^ fid^ aHmSl^lid^, unter bem
einfluB einer abfiraften SBilbung, gelodert unb julefet jum Unl^cil
beiber Xl^eile gelöfl ^atte, ifl neuerbing« rid^tig erfannt toorben, ba§
beibe, unter tonangebenber Leitung ber 3lrd^iteftur, loieber jufammen-
gelten mfiffen, um bie Äunft auf« neue roal^rl^aft mit bem Seben ju
oerbinben. ©injelne einfid^tt)oIle 3Ränner l^aben feit geraumer S^it
©ammlungen angelegt, in benen fie bie funjigeroerblid^en ©rjeug-
niffe früherer ©pod^en, SBebereien unb ©tidereien, 3Kobiliar aUer
Slrt, ®la«5 unb Si^onroaren, SBaffen unb SWftungen, ©d&mudfad^en
unb toa« fonft bem fieben einen $aud^ t)on ©d^önl^eit gab, al«
aWufterbilber oor Slugen fleHten. SJa« aWufeum SKinutoli in Siegnife
mar eine ber erflen ©ammlungen biefer ärt, meldte alle jene ©egen^
S)ie Igieutige ^unft unb bte jtunftioiffenyc^aft. 7
ilänbc, bie bcm t)ortgen Sö^tl^unbcrt l^öd^ftcn^ aU Äutiofitdtcn er-
fd^ienen, unter bem ©efid^tSpunftc bcS emflen ©tubiumg georbnet
^attc. Sßon entfd^eibenber SEBid^tigfeit waren bann bie SBelt-Sn^
bujkie^^Slu^jlenungen in Sonbon unb 5ßari^, auf toeld&en faft fämmfc
lid^e mobernen ftuIturDölfer fid^ mit il^ren befien erjeugniffen ein=
gefunben l^atten, unb wo ba^ äbenblanb in feinem SilbungSbünfel
bie l^erbe @nttäufd^ung erfuhr ^ ba^ eS in mand^en ber toid^tigften
^ed^nifen, namentUd^ in ber aSBeberei unb feinen fiadfroaren, bei ben
Deraddteten SBöIfern beS Oriente in bie ©d^ule ge^en müjfe.
©eitbem ^at ßnglanb unb granfreid^ Sebeutenbe« für bie
Hebung bed ^unftgeifteiS in ben gen^erblid^en @d^öpfungen getrau;
neuerbingg ift SBien nad^gefolgt; Stuttgart l^at fd^on längere geit
bie üorjüglid^e aWufterfammlung feiner Qtnttamtilt für ©eroerbe,
unb fo fd^Iiefeen ftd^ bie einjelnen ©lieber, atö beren erfteä in
5E)eutfc^lanb man bie unter Seutl^^ äegibe t>on ©d^inlcl l^erauS-
gegebenen „SBorbilber für gabrifanten unb fianbroerfcr" bejeid^nen
mu§, ju einer Äette jufammen, in roeld^er feine ßpod^e unb lein
SBolf ber fünfilerifd^en ÄuIturentroidEelung mel^r fel^tt. %üx bie miffens
fd^aftUd^e 83egrünbung ber ©tilgefefte l^at in bem ©efammtbereid^
biefeö funfigeroerblid^en ©d^affenS aber erfi ©ottfrieb ©emper in
ben beiben erften Sanben feinet SBerfe«: „S)er ©til in ben ted^^
nifd^en unb teltonifd^en Äünften", bie breite ©runbtage gefd^affen,
unb fd^on beginnt bie epod^emad^enbe Slrbeit trofe einer geroiffen
©pröbigfeit ber 35arfiettung unb mand^en ard^äologifd^en SBaHafte^,
ber beifer an anbre Orte ju üerroeifcn geroefen märe, überall in
3)eutfd^lanb grüd^te ju tragen, ©obann ift bie t)on Säumer unb
©dEinorr in ©tuttgart l^erau^gegebene ,,®en)erbel^atte" auä biefem
©treben l^erDorgegangen unb fd^lägt, menn aud^ nod^ nid^t frei t)on
Strtl^ümem, bie Dielleid^t an^ einem ju ftarlen Äompromife mit
^errfd^enben fogenannten „Oefd^madEörid^tungen" entfpringen, einen
gefunben SBeg fünfilerifd^er Belebung ber (Semerbe mit (Sifer unb
gutem (Srfollje ein*). 2lud^ l^ier finb mir nod^ meit baoon entfernt,
JU jener flilooHen ©id^erl^eit gelangt ju fein, meldte mand^em 5Bolfe
*) ©ettbem in ftetigem f^ortfc^reiten begriffen unb neuerbingd burc^ (^ifen^
to^ unb äßeigle Üinftlerifc^ bebeutenb geförbert.
8 IDie l^eutige 5tunft unb bie j^unfttoiffenf^aft.
tinb mand^er @pod^e me eine 9latutgabe angeboren ju fein fd^int;
au^ l^ier xoexhm namentlid^ bie {Utiflifd^en Sebtngungen^ loeld^e
auö ben üerfd^iebenen Stoffen unb il^rer »eatbeitung ftd^ mit SRot^-
toenbigfeit ergeben, lange nod& nid^t immer erlannt: aber ber rid^tige
SBeg iji eingefd^Iagen, unb eine lünfllerifd^e SBerebelung beÄ gefammten
äußeren 2)afeind fann auf il^m lieber euti^t loerben.
Unfre fnappe ©Kjje, fo ungenügenb fie fonft fein mag, reid&t
bod^ oieHeid^t l^in, um ein Silb oon ber Slid^tung unb bem SBefen
ber l^eutigen Äunfl ju gerodl^ren. SBir üerfennen bie ©d^roierigfeit
nid^t, ein rid^tiged, boi^ l^ei^t möglid^fl objieltiDeiS Urtl^eil über bie
©d^öpfungen ber gcitgenoffen ju fätten. SBir werben von ben SBetten
beSfclben ©trome« baliingetragen, auf bejfen Sftüdten pd^ aud^ bie
Äunft balb rul^ig fd^aufeln lä^t, unb mit beffen aufgeregten SBogen
fie balb auf ßeben unb Slob ringen mu§. S)agfelbe allgemeine
3eitberou&tfein, biefelben Strömungen be^ ÄuIturlebenÄ, ber politi^
fd^en unb fojialen B^ftanbe l^alten unä mit befangen unb werben
aud^ auf unfer Urtl^eil ©influfe l^aben. SJennod^ miffen wir un« ju
fid&er im SBefife einer burd^ bie l^iftorifd^en unb fritifd^en ©tubien
eine« l^alben S^^rl^unbertg voU emfier ©ebanfenarbeit gewonnenen
äfl^etifd&en ©runbanfd^auung, afö bafe wir befürd^ten müßten, unfre
äuffaffung mobemer Äunftleiftungen würbe einem fpateren Sal^r^
l^unbert in bem Sid^te erfd^einen, in weld^em un« l^eute j. .83. ©oetl^eÄ
Urteile über bie SBerfe ^adEertö unb Xifd&bein^ entgegentreten, eben^
fowenig aber l^offen wir burd^ unfre SQBürbigung ber l^eutigen Äunjl
bem aSorurtl^eile jener Äünftler SSorfd^ub ju leiften, weld^e ber fd^önen
Ueberjeugung leben, il^ren SBerfen fel^le nid^t« ate ein paar l^unbert
3al^re, um bem Äunfifritifer ebenfo oorjfiglid^ ju erfd^einen, wie bie
aReifterfiüdfe eine« 3lafael ober SJijian. aSergeffen wir bal^er nid&t,
ba§, wenn bie fünftlerifd^en Seiftungen ber ©egenwart benen be8
vorigen Qal^rl^unbertS in mand^en ^ßunften überlegen ftnb, i^nen
bod^ im SJergleid^ mit ben l^öd^ften ©d^öpfungen bc8 16. unb jum
%i)t\i be8 17. gjal^rl^unbert^ l^äufig nod^ mand^eiS mangÄt, el^e fie ju
jenem toHfommenen einHang oon 3bee unb.äu^fülirung fid^ er^^
(leben, ber ba« Äriterium Itaffifd^er aWeiflerwerfe auSmad^t.
©oBen wir nun ba^ Oemälbe beÄ mobernen Äunftlebeng ab-
fd^lie^n, fo oermiffen wir nod^ ein wid^tige« ©tement beÄfelben:
iDie heutige j^unft unb bie ^unftn)if{enf($aft. 9
bie a:i^cilna^me bcS 5ßubUfum^. Stein Äünpler, unb fiel|c et nod^
fo ^od^^ loirb biefe allgemeine S^lieilnal^me be^ ^olUS ober bod^ bet
gebilbeten Älaffen beiSfelben an ben SBerfen ber Äunjl für unxot)mU
U^ I^Qtten. S)iefelbe ifi Dtetmel^r ein n^id^tiger ^attor im nationalen
Äunfileben, "Sitnn ba« ©d^öne iji jwar bie fd^öpferifd^e X^at be§
elnjelnen 3Weifler§; aber fein ganjei^ SJoIl arbeitet mit an beriger^
torbringung beöfelben, unb ber Äünftler ift nur ber l^od^begabte
©eniu^, ber baiS im gefammten SSolfögeifte gleid^fam latente @d^öne
au^ bem SRarmor befreit, ober auf bie ßeinwanb mit garben l^in^
jaubert D^ne innigen äntl^eU feiner 3«it0^«öff^" ift '^in 35id^ter,
fein aWufifer, fein Silbl^auer ober SRaler in erfolgreid^er 2;i^ätigfeit
ju benfen. ©ein tJ^eilnel^menbe^ ?ßublifum verlangte ©op^ofCe^ fo
gut wie ©l^afefpeare, ^pi^ibiaÄ unb Slpelleg fo gut wie aWid^elangelo
unb Stofaei, fiagbn unb aRojart fo gut wie Seet^ooen, SKenbete^
fol^n unb ©d^umann. ^enn jene ^l^eilnal^me ift stoar junäd^ft eine
blofe empfangenbe; aber inbem fie mit i^rer SBärme eleftrifirenb
auf ben Äünfiler jurüdEtoirft unb i^n ju neuen ©d^öpfungen be^
geifiert, greift fie unmittelbar förbemb in bie probuftioe 2^I)ätigfeit
ein. Unb biefe gefteigerte $:^eilnal^me beS 5publifumö fommt in ber
2^^at in fortbauernb june^menbem ®rabe aud^ bem mobernen
©c^affen ber bilbenben Äünfte entgegen. SBir fönnen ha^ an^
mand^erlei Slnjeid^en ermejfen. SJon ber freubigen Aufregung, meWjc
bie aSoHenbung eine« aneifiermerfe« ber ^piaftit, wie SRaud^g grieb-
rid^^benfmal ober SRietfd^etö ©d^iller= unb ®oet^e'©tanbbilb fiertjor^
ruft, oon ber lebl^aften 2;^eilna]^me, roeld^e bie 3lu«fteßung einer
bebeutenben ©d^öpfung ber aJlalerei, mie' etwa 3R. oon ©d^roinbö
3Wärd^en oon ben fieben Siaben ober Änau«' Slaufbitb erregt, braud^en
mir faum ju fpred^en. SJenn man fönnte l^ier oieHeid^t aJlotioe
nicberen SRangeS, mie bie ©d&auluft einer müfeigen, ftd^ langweilen^
ben iBeoöHerung unterfd^ieben. Slber ba§ überall greube an monu=
mentalen ©d^öpfungen fid^ regt unb oor mieberl^olten Opfern nid^t
jurüdffd&eut, fold^e in« ßebcn }U rufen, bafe felbft bie ärd^iteftur
ftd^ micber mad^fenben Sntereffe« bei ben (Sebilbeten rül^men fann,
unb bafe jeber banad^ ftrebt, feiner äußeren ejiflenj nad^ Äräften
ben au«brud! fünftlerifd^er SBeil^e }u geben: ba« finb bod^ mol^I
unoerfennbare 3^i<ä^c« june^menber a;i^eilna^me an ben ©d^äpfungen
10 3)ic heutige Äunft unb bie Äunfttoiffcnfcftaft
unb ©d^idfalen bcr Äunft. ©clbft bic toicbcrerroad^te Suft an fünfi^
Icrifd^cr SHufiration beliebter Xid^ttx- ober ber ®efd^id^töroer!e mufe
baf)in flcred^net werben, obrool^l leiber bieg fd^öne (Streben burd^
gefd^äftlid^e SluSbeutung unb toeil^elofe aWaffenprobuftion oielfad^ auf
Stbroege gefül^rt TOtrb unb Sttujlrationen roie bie Don SKenjel ju
Äuglerg (Sefd^iiä^te griebrid^S beS ©rofeen, wie bie föftlid^en ^di)-
nungen t)on 33autier ju Srnmermann« Dber^of au« bem 3Wünd^=
Raufen unb bie tiefen flemütDotten Sttufhationen t)on Subroig SÄid^ter
einfam au« ber a)iaife be« ©eroöl^nlid^en aufragen.
©nblid^ ift ein für unfre 3^tt d^arafteriftifd^e« ©pmptom be«
aflgemeinen äntl^eifö an ben SBerfen ber Äunft nid^t au§er ad^t jn
Caifen: bag Sebürfni^ ber Derfd^iebenartigften 3^itfdE|tiften, ja felbfi
ber a;ageiSbIätter, i^ren Sefem burd^ SÄeferate über neu entftel^enbe
Aunftwerfe ftd^ angenel^m ju mad^en. SSaerbing« ift mit wenigen
ef|rent)otten Sluönal^men bie fogenannte „ftunftfriti!" in unfähigen
fiänben: man pffegt fie Sitteraten ju überantworten, bie etwa wie
ber 2)id^ter öeßmau« in gre^tag« 3oumaUften „für 2:i|eater, ffliufif,
bilbenbe Äunft unb allerlei" angejleBt finb, unb bei benen e§ nod^
aU Olüdt betrad^tet werben muß, wenn fie wenigftenä ebenfo gut^
mutig finb wie jener l^rifd^e S)id^ter. aber bie funftfritifc^en SBell^
mäufe finb nid^t immer fo l^armlo«, unb e§ fel^lt nid^t an SSei^
fpielen, bafe fie ben probujirenben Äünftlern burc^ bösartige S^üdte
nad^ftetten.
3lud& jene 2i^eilnal^me an ben SBerlen ber Äunft ift alfo nic^t
frei Don Slugwüd^fen geblieben, unb wir bürfen nid^t oergeffen l^in^
jujufügen, bafe fid^ Diel leereS ©d^önttjun, oiel Unwa^rl^eit unb
^^rafentl^um in biefelbe ju mifd^en pflegt. 2)ennod^ ift eine ge^
biegenere äftl^etifd^e Silbung unfrem 33olIe bringenb ju wünfd^en,
unb bie 83efdi>äftigung mit ben SBerfen ber Slrc^iteftur, ^piaftif unb
aWalerei wirb bem gar ju fiar! überwiegenben, ben aSotfögeift leidet
üerweid^lid^enben muftfalifd^en ©ilettanti^mu« ein fräftige« ©egen-
gewid^t bilben. 6« fommt oor allem barauf an, ber ibealen ©runb^
ftimmung, mit weld^er ber beutfd^e SBolfögeift glüdfUd^erweife ge-
fegnet ift, bie gefunbe Slid^tung ju geben unb il^m ju feiner ©r-
ftarfung bie redete Slal^rung ju bieten. SQBie tief jener Sbeali^mu«
in unfrem nationalen ©emüte SEBurjcl gefd^lagen l^at, erlennen wir
^ie l^euttge jtunfl unb bte ^unftmiffenfc^aft. 11
baraui^, bafe fclbfi in einer geit, n)o ein mel^r praftifd^er ©inn er*
toad^t ifi unb ba^ SBolf bie ^itU feiner politifd^en ®nl^eit,.gtei^eit
unb 3Rad^t, bie ?ßrobleme feine« fojialen fieben« inS 3luge gefaxt
^at, bennod^ für bie greube am ©d^önen immer ber ©inn offen
geblieben, ber ©enufe ebler Äunftmerfe ju einem tiefen attgemeinen
»ebürfni^ erftarft ifl. SDafe [xä) biefe« nid^t in enblofem aKufif=
fd^roelgen unb etoa leidstem l^rifd^en ©etänbel erfd^öpfe, ba§ fotd^e
in i^rer ©infeitigfeit erfd^Iaffenbe Slid^tungen nid^t au^fc^Uefelid^i bie
^errfd^aft bel^alten, bafür ift bie Sefd^aftigung mit ben ©d^öpfungen
ber bilbenben Äünfte baö junäd^ftliegenbe Heilmittel. 3n biefcm
©inne betrad^ten n)ir bie Äunftroerfe gerabeju. aU eine nid^t ju
unterfd^äfeenbe fiilfe bei ber etl^ifd^en ®urd&bilbung unfrei^ natio-
nalen ®eifle«, atö Elemente einer umfid^tigen SSolföpäbagogif.
greilid^ mufe eine Äarbinalforberung babei als unerläfelid^e
Sebingung aufgefteHt werben: bafe biefe Sefd^äftigung mit ben
ÄunPwerfen nic^t au« friuoler ©enu^ud&t auffd^ie^e, fonbern auf
bem ©runbe einer emfien toiffenfd^aftlid^en SBelrad^tung rul^e. SQBir
fommen alfo auf bie SRotl^wenbigfeit einer ed^ten Äunftroiffenfd^aft.
SDiefe ift einer ber jüngften ©pröfelinge be« mobernen ©eifte«, eine
lefetgeborene 2;od^ter ber SBiffenfd^aft. 3n i^rer uniüerfeUen ®nt=
faltung gel^ört fie erft ben beiben jüngften Sejennien an. Slber
i^re gunbamente teid^en in eine frühere 3^i^ hinauf, unb il^rc ge=
wältigen edffteine pnb bie Flamen SBindfelmann unb Seffing. ©erabe
t)or tiunbert Sauren trat ber ,;8aofoon" aniS Sid^t, beffen Untere
fud^ungen über bie ©renjen ber SDid^tlunft unb ber bilbenben Äünfle
eine nod^ je^t ni(^t überholte ©runblage aEeS öftl^etifd^en Urtl^eitö
abgeben. SEBa« ßefpng mit ber ©d&ärfe feine« fritifd^en ©eifle« für
bie Segrünbung ber Äunfifrittf geleiftet, ba« erl^ielt um biefelbe
3eit burd& SBindEelmann« t)on bid^terifd^em ©d^rounge befeelte ©ar^
ftettung antifer Äunftbcnimäler eine ©rgänjung. ©o erroud^« au«
jToei benad^barten ©tämmen ber Saum einer l^iflorifd^slritifd&en
Äunftforfd^ung, um roeld^en fid^ bie aefll^etif mit i^ren pl^ilofop^i^
f^en Segriff«bejiimmungen be« ©d^önen immer üppiger wud^ernb
raufte. 6« gab bann eine Qdt, too unter ber §errfd^aft be« fiegel^
fd^en ©t)fiem« bie pl^ilofopl^ifd^e ©d^lingpflanje ben ©tamm fo über=
mäd^tig umflammerte, bafe fte i^n erftidft l^ätte, menn er nid^t oon
12 2)tc l(iculige ilunft unb bic Äunftaiffcnfdjoft.
jenen gefäl^rlid^en Umarmungen fxd^ jur reiä^ten 3eit befreit l^ättc.
3)enn bie 2lefl^ettJ war nal^e baran, burd^ tl|r Kll^ne^ ©piet mit
bialeftifd^en gormein aUe natürlid&e ©mpfinbung beg ©d&önen, aUe
f)ifiorifd^e SBejlimmtl^ett feinet jeitlid^en ©rfd^einen^ ju einem leeren
SBortgeIHnget ju Derflüd^tigen, l^dtte nid^t bie Äunftroiffenf(|iaft, un^
befümmert um biefe üomel^men ?pi^rafen, fid^ auf ftd^ felbp gefteHt
unb t)or attem burd^ l^iftorifd^e Unterfud^ung ftd^ eine fejle ©runb::
läge gefd^affen. SBieber waren eiS in erfler Sinie beutfd^e ©elel^rte,
roeld^e biefe Strbeit DoHbrad^t unb baburd^ bie aUgemeine Äunfl::
gefd^id^te jum Stange einer roijfenfd^aftlid^en SDiSjipUn erlauben l^aben.
es lam Dorjüglid^ barauf an, bie hi^ ha^in auf bie Setrad^^
tung ber flaffifd^en 35enfmäler befd^ränfte gorfd^ung über jene engen
jeitlid^en unb räumlid^en ©renjen ju erweitern unb i^r jene Uni?
üerfalität beö ©tanbpunfteS ju geben, meldte ber gefd^id^tlid^en &xU
TOidfelung allein geredet werben fonnte. SBir motten ^ier nur baran
erinnern, maiS für bie italienifd^e Äunftgefd^id^te, für meldte SBafari
in feinen SebenSbefd^reibungen eine fo mid^tige ©runblage gefd^affen
l^atte, neuerbingg getrau mürbe. Sie bei ber SBefd^ränft^eit feiner
Hilfsmittel unoermeiblid^en aWängel unb 3rrtf)ümer erl^ielten il^re
Serid^tigung, wie man etwa an einem ©ebäube bie einzelnen fd&ab=
^aften ©teine burd^ gute Duaber auStöft unb baburd^ baS ©anje
erft JU bem mad^t, roaS in ber Qbee beS SaumeifterS gelegen tfi
3lumof)r l^at turd& feine italienifd^en gorfd^ungen SBebeutenbeS ba::
für getl^an, inbem er ard^ioalifd^e Unterfud^ungen mit ben 83eob=
ad^tungen, meldte fein feines äuge an ben SJenfmälem felbft ge-
mad^t l^atte, in 83erbinbung fefete. S^^Ui^ leifiete ©ape in feinem
ßarteggio ©rl^eblid&eS für bie urfunblid^e Äufl^effung bunfler ©pod^en
ber italienifd&en Äunftgefd^id^te. Sie ©umme biefer Semül^ungen
unb eigner ä^nlid^er Sefirebungen jog fobann eine ©efcttfd^aft toS?
fanifd^er ©etel^rten in ber feit 1846 erfd^ienenen Semonnierfd^en
ausgäbe beS SBafari. SQBaS enblid^ in neuerer 3^^ 3afob SBurdt?
(larbt burc^ feinen „Sicerone" für bie feinitnnige Auslegung ber
Äutijimerfe Italiens geleiftet l^at, barf cbenfatts nid^t übergangen
werben.
Snjwifd^en blieb au(§ baS beutfd^e unb überl^aupt baS norbifd^e
3)Uttelalter nid^t lange mel^r unbead^tet- ©d^on bie SBrüber Soijferee
2)te heutige ^unft unb bte ^unfttoiffenfc^aft. 13
^tten butd^ il^r aßerf über bcn Äölner S)om unb bie 35cnfmäler
ber Saufunfl am SRicberrl^cin wie burd& il^rc ©ammlung attbcutfd^er
»aber, bic bei Slufl^ebung ber Älöfier l^errenlo« geworben waren,
einen bead^ten^wertl^en 9lnfang gemad^t, ber freiließ nod^ arg mit
bilettantiftifd^er Unjulänglid^feit üerfefet war, wie fie benn in bie
©efd^id^te ber altbeutfd^en SRaterfd^uIen nid^t wenig äSerwirrung
brad^ten unb il^re wertl^tJoBen ©emalbe — bie jefet ber ^pinafotl^ef
}u aRünd&en angel^ören — burd^ Uebermalung mit biden glänjen^
ben ßadCfarben gröfetenteite ruinirten. SKlid^t minber frül^jeitig traten
grid unb ©iDp mit il^rer äufnal^me eine^ ber gro^artigflen beutfd^en
S)enfmäter beö SKittelalter^, ber SWorienburg in ?ßreu&en, l^erDor.
Unter benen, weld^e bann in gebiegener SBeife bie i^erauiSgabe ber
3Wonumente mittelalterlid^er »aufunft förberten, ifl in erfter Steige
ber Derbienftootte SKoHer ju nennen, gür bie SBerle ber 2)ialerei
finb eÄ vor allem ber unermüblid^e SReftor unfrer l^eutigen Äunft
forfd^er, ®. g. SBaagen, unb ber Hlrjlid^ üerflorbene 3. 2). 5ßaffat)ant
gewefen, benen wir eine Steige wid^tiger Unterfud^ungen verbauten.
SBaä burd^ bieje unb eine Slnjal^l anbrer gorfd^er für bie uer-
fd^iebenen (Spod^en ber Äunji an aWaterial an^ Dielen ©teinbrüd^en
}u $:age geförbert war, ba^ fa^te g. Äugler mit fidlerem ©riffe ju^
fammen unb errid^tete barau« ben erften Slufbau einer allgemeinen
Äunflgefd^id^te. Äaum war fein »ud^ erfd^ienen (1841), fo trat
6. ©d^naafe (1843) mit feinem umfangreid^er angelegten SBerle ber
„©efd^id^te ber bilbenbcn Äünfte" l^ervor, bie in ftetigem gort-
fd^reiten fürjlid^ mit bem ftebenten Sanbe jum Slbfd^lufe be^ aWittel*
alter« gelangt ift*). Äugler« SBerf gab in gebrängter 3lnorbnung
einen rafd^en UeberblidC über aUe @pod[)en ber ^unfientwidCelung, in^
bem cö bie gefammten SJenfmäler an ben gaben gefd^id^tlid^er SBe^
trad^tung anreil^te unb ben Suf^i^^^^'^^^S nad^wie«, in weld^em
bie einjelnen ©lieber biefer unenblid^en Äette oon ben älteflen Seiten
bis auf unfre Slage untereinanber oerbunben finb. S)iefe wijfen-
fd^afHid^e S;i|at war nid^t bloß für bie Orientierung in bem un=
gel^euren ©ebiete oon SBid^tigleit, fonbern fie führte aud^ in glänjen^
*) 3)er fpätet ^in^u gefomntene ac^te Sanb bel^anbelt bann bad 15. ^a^t-
^ttnbcrt.
14 2)ie heutige Äunft unb bic Hunftroiffenfc^aft.
bcfälrt ben SBeiDei«. bafe nur aug einer unioerf eilen JBetrad^tung
bie SBebeutung eine^ jeben einjelnen SBerle« in ilirem motten Um^
fange ju gewinnen tfl, bafe felbfi bai l^öd^jie aReiflerroerf au^er
feinem abfoluten eroigen ©e^alt feine präjifere ©rflärung unb SBür::
bigung au« ber l^iflorifd^en »eftimmtl^eit feine« ©rfd^einen« ju ge^
roinnen ^at. aWit biefem gleid^fam au« ber SBogelfd^au' untemom*
menen SRunbblid über bie Äunftfd^öpfungen aBer 3eiten unb fiänber
ergänjte fid^ auf« glüdEHcä&fle bie SDarftellung Sd^naafe«. 3nbem
biefer feinem meijlerl^aften SBerfe in forgfältig tiefer gunbamen^
tirung bie breitete ©runblage gab unb fein SSaugefpann \)oä^ in
bie Suft erl^ob, gewann er 3laum, au« umfaffenber S)arlegung ber
Äulturoerl^ältniffe jebe« SSolfe«, feiner 9ieIigion, ©prad^e unb ©itte,
ja felbft ber 5RaturanIage be« Sanbe« bie Äunfl al« feinfle Stute
unb ©pifee biefer gefammten Söerl^ältniffe fid^ vox unfern Singen ent«
wideln ju laffen. 3n plajiifd&er änfd&aulid^leit fülirt er un« in
längft Derfd^oIIene 3^ite"/ J« aSöHern be« l^öd^ften Slttert^um« unb
flettt un« gleid^fam mitten in if|r 2eUn hinein, la^t un« ben 5pul«s
fd^tag if)re8 (Srnpfinben« unb S)enfen« fül^len unb lel^rt un« fold&er-
geftalt ben feinen feelentoHen i^aud^ erfennen, ber au« i^ren Äunfi^
werfen un« anwelkt.
SJeutfd^Ianb barf fiolj auf biefe beiben fiauptwerfe ber Äunft:
gefd^id^te fein, bie, burc^ bie inbiDibueHe SBerfd^iebenl^eit il^rer Urs
lieber bebingt, fi^ }u einer erfd^öpfenben, in bie ©reite fowol^l wie
in bie S;iefe gel^enben wiffenfd^aftlid^en SBel^anblung be« Iiod&wid^tigen
@egenftanbe« ergänjen. Augter« ^anbbud^ ifl in Dier nad^einanber
folgenben' auflagen mit ber weiteren Slu«bilbung ber aOäiffenfd^aft
im gleid^en ©d^ritt geblieben; ©d^naafe« aßerl wirb burd^ bie eben
erfd^einenbe jweite Sluflage ebenfad« auf ben ledigen @tanbpun!t
ber gorfd^ung gerüdft. 2ln biefe beiben aWittelpunfte ^at fid^ feit«
bem in 35eutfd^lanb eine über aUe ©pod^en fid& t)erbreitenbe Äunfl::
forfd^ung angefd^loffen, unb eine 9leil^e von jüngeren Äräften fud^t
in ben gufefiapfen ber beiben SKeifter ba« äßerf weiterjufül^ren unb
bie nod^ Dorlianbenen Süden ber g^rfc^ung au«jufüllen-
SBäl^renb biefe arbeiten in Seutfc^Ianb au«gefü]^rt würben, be=
reiteten fid^ im Orient an ben älteften Äulturftften, t)on benen wir
Äunbe ^aben, eine Steige von (gntbedungen vox, weld^e unfre Äennt^
2)ie heutige ^unft unb bie J^unftiDiffenfc^aft. 15
nx^t von ben frül^eftcn Scifiungcn bcö fünfllerifd^cn ©eiflcö in tjor^
malg laum geahnter SBcifc crtocitern foßtcn. äu^ ben ©d^utt^ügcln
üon Äl^orfabab, SWimrub unb Äuiunbfc^if jiieg juetfi burd^ Sotta^,
bann butd^ Sa^arb^*) SBemfil^ungen bie ^enlid^feit ber uralten
^aldfie von 3linm mit i^ren bilbioerfbebcdten SBanben roieber an^
Sid^t. Stinen folgten weitere Ausgrabungen in ben unteren (£up]^rat=
gegenben, unb fafl gleid&jeitig rourben burd^ bie preu^ifd^e ©xpebition
unter ScpfiuS unb bie gorfd^ungen beS ©erbienftootten aWariette unb
be« berliner ©ele^rten »rugfd^ bie »ufd^auungen über bie älteflen
3?enftnäfer 2legt)ptenö aufS übenafd^enbftc enoettert unb in tielen
5ßunlten berid^tigt. aber aud^ auf bem Soben ber altgried^ifd^en
Äunft tarn burd^ bie ®ntbedfungen in Älein^afien, namentUd^ burd(>
©ir ei^arleS gettoioiS in Speien, neuerbing« burd^ Sßeroton in ^ali*
laxna^, burd^ bie engtifd^en äluSgrabungen auf bem 93oben bed
alten Ägrene, bie franjöfifd^en Unterfud^ungen auf 6t)pern, in ©prien
unb 5ßaläjlina, neuerbingö burd^ Sftenan unb Oraf be SBogue au^-
geführt, eine gütte bebeutenber a;^atfad^en jum SBorfd^ein. 3^nen
Derbanlen roir bie befiimmtere änfnüpfung ber gried^ifd^en ffunft,
bie man frül^er ate eine fertig an& bem Raupte beS Qm^ geborene
Jaffas }u betrad^ten pff^gte, an il^re orientalifd^en aSorgängerinnen,
ben auc^ für ba« l^o^e 2lltertf)um ermöglid^ten Siad^roeiS oon bem un=
unterbrod^enen gufammenl^ange ber jtultur beS aRenfd^engef(^ted^teS.
Unb audd bie S9rüd(e auS ber älntile iniS äJlittelatter raurbe burd^
bie Unterfud^ungen be SRofft« über bie altd^riflU^en SJenlmäler ber
Äatafomben, foroie burd& baS oon $übfd^ herausgegebene SBerl über
bie Slrd^iteftur beS erften d^riftUd^en 3fÄl[irtaufenbS in juoerläfftger
93aufül^rung neu ^ergefteüt.
fragen wir, roa« biefe großartige ©ntfaltung ber Äunflgefd^i(§te,
bie wir feit einem aSiertelja^rl^unbert Dor unfern Slugen fid^ oott-
jie^en fallen, für bie ©egenwart ju bebeuten f)abe, fo bürfen wir
tool^l iunäd^fl baran erinnern, baß jioei miffenfd^aftlid^e 2)iS}ipIinen,
bie aefil^etif unb bie ©efd^id^tsforfd&ung, unenblid^e SBefru^tung
bur^ fie erl^alten l^aben. S)ie Sleft^etif, »eld^e in fd^olaftifd^em
gormaliämuS ju ^erfnöd^ern brol^te, gewann eine güBe fonfreten
*) !Reuerbinö« huxd) ^lace.
16 S)ie heutige 5lunft unb bie 5lunftniffenfc^aft.
©toffe^, ber il^r geftattetc, il^re abfttaftc JBegriff^cnttotcfdung mit bcr
änfd^auung lebcnbigcr Äunfiroctfc aufjufrifd^en. 2)ie ®efd^id&tl=
forfd^u^g aber empfing nid^t minber roid^tigc »uffd^Iüffe über ben
G^arafter ber Dcrfd^iebenen 3citen unb SBöHer, bie in ben Äunft=
werfen il^r SBefen mit unjnjeibeutiger SBefiimmt^eit auögefprod^en
l^aben. ©o gewife wir l^eute eine blofee 35arlegung ber §aupt= unb
©taatiS-aitionen, ber Äriege unb ber biplomatifd^en aSerl^anblungen
nid^t mel^r atö wal^rl^afte ©efd^id&t^barfieHung un^ bieten laffen, fo
geroife «erlangen mix t)om fiijlorilcr, wenn er un« ben eigenttid^en
Äem be^ gefd^id()tlid^en SebenS au^ ben äußeren X^atfad^cn l^erauS^
fd^ält, bafe er an feine aufgäbe mit einem ließen fÖM für bie
fünfilerifd^en ©d^öpfungen l^erantrete; benn bie fogenannten (Srofe-
tl^aten unb ©icge einer Station üerfd^winben in il^rer Sebeutung
Ilinter ben unt)ergfinglid^n ©eijle^gätern, roeld^e ein SSoIl in 5ßoefte,
bilbenben Äünflen unb aWufif bem ®eniu^ ber fortfd^reitenben aWenfd^s
I;eit barjubringen I|at.
3iid^t minber toid^tig ift bie Äunftroijfenfd^aft für bie fünjilerifd&e
S:f|ätigteit felbft geworben. Seber Suffd^wung ber gorfd^ung l^at
in unfern 3^it«« ^i«^ Belebung ber fd^öpferifd^en Äraft jur golge
gel^abt Ober muffen wir erft baran erinnern, wie burd^ ©tuart^
unb SRetettg 3Iufnal^me ber attifd^en SWonumente bie ärd^iteftur
Toieber baö 58erftänbni§ ber gried^ifd^en gormen unb au^ il^nen eine
roa^rl^afte 35Biebergeburt erlebt l^at, fo gut mie im 15. Sal^rl^unbert
an* bie roijfenf d^aftlid^e Sleubelebung be3 Slltertl^umg fid^ bie l^errlid^e
Äunfi ber SRenaiffance anft^^loB? mie bag ©tubium ber burd^ Sorb
eiginS Äunftraub nad^ ©nglanb gelangten ^part^enonfhilpturen aud^
ber 5ßtajiif eine Sleugeflaltung brad^te, fo bafe ein eingeborener
^ellene, ^^orroalbfen, ber SSilbnerei ben eckten plafHfd^en ©til ju-
rüdterobern lonnte? mie bann ba^ tiefere (Singe^en auf bie SBerfe
aui^ ben t)erfd^iebenen @pod^en ber d^rifttid^en Aunft unfrer l^eutigen
aRalerei jene üielfad^en 3mpulfe gab, Iraft beren fte fid^ ben SbeaU
ftU ber großen Staliener beö ßinquecento, bie UebeooIIe S^i^igf^it
unfrer altbeutfd&en SWeifter, bie gebiegene garbenbel^anblung ber
großen Äoloriftenfd^ulen aU 3iel il^re^ ebenfo umfaffenben wie euer*
gifd^en ©trebenS gefefet l^at? S)er ©eijl ber gefammten mobernen
entmidfelung beruht nun einmal feit ben klagen ber ^Reformation unb
S)te heutige ^unft unb bte Üunftmiffenfc^aft 17
ber Sicnaiffancc auf bem gunbamente TOiffcnfd^aftlid&er ©tlenntnife.
S)atin eben unterfd^eibct ftd& bic SRcujeit t)on ber ®pod^e bcÄ aWittels
alter«. Salier ift feine SReubilbung au^ be« fünftlerif(^n ©d^affcn«
o^ne bie SBorauSfefeunfl roiffcnfd^aftlid^er ©tubien ju benfen.
aber au^ mittelbar greift bie ftunftroijfenfd^aft ber fd[|öpferifd^en
Äunft förbernb unter bie arme, inbem fie ben ftünftlern ein ^ßubli*
tum ^eranbilbet, ba« il^re SBerfe in fid^ aufnel^wic« ^^'^ ^^^^ ttr^
lieber mit bem l^öddften ßo^n für att i^r SRü^en, mit ber Snerfennung
toal^ren Sebürfnijfe« erquiden !ann. SBir rooHen ja nid^t leugnen,
bag ber ®enu^ bei» ©d^önen ein @emeingut aller fein foU; aber ber
roa\)xt ©enufe reift nur au^ ernfiem ©tubium ^ert)or. 2)ie Äunft*
gefd^id^te ifi e«, bie un« au« ber JBetrad^tung ber ^öd^flen SKeifter*
werte ben ibealen SRa^fiab für jebe neue ©d^öpfung l^erleitet; bie
für ba« einjelne SEBerf au« feiner gefd^id^tUd^en ©tettung ben ©d^lüffel
be« tieferen aSerftänbniffe« gewinnt; bie t)or allem ben ®runb=
gebanfen ju befefligen fud^t, bafe aUe Äunft aller Qtittn eine unb
biefelbe i{l, nad^ ewigen ©efet^en fortfd^reitenb unb nad^ innerer
Slotl^wenbigleit ben Sw^^Ö^ff be« ®eifie«leben« ber aWenfd^l^ett ju
fd^önen ®eftaltungen Derflärenb, SQBa« in unfern ÄünfWem jum
au«bruä ringt, ba« l^at aud^ bie alten 9J2eifter ^u il^ren ©d^öpfungen
befeelt, nur ba| in ben SBerlen ber »erfd^iebenen ßpod^en bie ©m^
pftnbungen unb ®ebanfen jeberjeit gu i^rem befonberen ibealen ®e::
präge lommen. ©a« gilt für alle ®attungen be« ©d^affen«, ba«
erfennt man j. SB. auf« beutlid^fte an ben 3Beifterwerfen ber 2;ons
fünft. 3ie^t ftd^ nid^t eine unauflö«lid^e Äette üon fiapbn, ®tudt
unb ^adj burd^ 9Ro)art unb iBeetl^ODen bi« ju aRenbe(«fo^n unb
©d&umann? 3ft ba« gewaltige 3lingen mit erhabenen ®ebanfen,
burd^ weld^e eine mäd^tig anflürmenbe (Smpfinbung ftegreid^ J^eruor^
brid^t, ni^t in mobernen ©d[|öpfungen wie bem Jtlaoiertoniert, ber
großen ©erenabe unb ben Quartetten von 93ral|m«, wie in ben
©pmplionien, ber aKanfreb'Dut)ertüre, ben Äammermujifjiüdfen ©d&us
mann« ebenfogut jur ^ö^e DoQenbeter äJleifterwerte gelangt, wie in
ben a;onwerfen eine« 8ad& unb SBeet^otjen? SRur bie gfirbung be«
®an}en, bie fub)eftit)e ©timmung, bie @ntfaltung unb SSerwenbung
ber mufifalifd^en SWittet unb g^rmen üariiren; bie fünfilerifd^e
9Kd&tung aber ifi biefelbe. S)arum fagen wir: wer ba« ©d^te in
18 2)ie heutige Äimft unb bie ÄunftTOiffenfdJaft.
ben ticutiflen Äunfinjetlcn nx^t crfcnnt, ber tdufd^t fid^, toenn er bie
alten SWeifter ju tcrftc^en tjotgibt. 3lnx fd^Hefet bieg leine^ioegi^
au«, bafe Toir nn^ beS nod^ SWangell^aften aud^ in ben wobernen
Seiftungen bewußt ju werben fud&en.
fiat bie Äunjigefd^id^te biefe Sebeutung für ba« moberne 2tbtn,
fuc^t fie eine Duette ber ebelfien (grquidEung, ber geiftigen ©r^ebung
unb ber etl^if^en Säuterung tlax ju erl^alten unb bur^ üorRc^tige
gaffung vor 2;rübungen ju beroal^ren, fo barf man fie rool^l atö
eine ber roid^tigjien ©iSjiplincn im ^öl^eren ©eifte^Ieben ber Station
bejeid^nen. Unb bennod^ entfprid^t bie ©tellung^ weld^e man i^r big
jeftt im Äreife ber übrigen aBiffenfd^aften einjuräumen für gut be=
funben l^at^ leinegroegg jener l^o^en Sebeutung. 9(uf ben erften
roiffenfd^aftlid^en Sel^ranftalten, ben Unioerfitäten, ifl in ber SRegel,
wenn überhaupt Äunftgefd&id^te geleiert wirb, biefe aU augfd^Iiefelid^e
ärd^äologie beö flaffifd^en 3tttertl^umg meift in ber ©anb üon 5ßl^iIos
logen, ober fie wirb etwa ate fünfte« Slab am SQäagen ber SKeft^etil
mitgefd^leppt, wenn man e« nid^t irgenb einem ber ^profefforen ber
Oefd^id^te überlädt, fie nebenbei, üieHeid^t altemirenb mit ber ßit*
teraturgefd^id^te, abjut^un, ober e8 einem lül^nen ^prioatbojenten
freiftellt, aufS Ungemiffe l^in pd^ ei»e Sebengaufgabe aug biefem
wenig begünjiigten Sel^rgegenfianbe ju fd^affen*). Unb bod& follten
nid^t btofe an ben fiod^fd&ulen orbentlid^ befolbete 5ßrofejfuren für
ein gad^ beftel^en, bag in feiner heutigen äluÄbel^nung bie Äraft
eine« ganzen Stanneg verlangt unb in feiner etljifd^en iBebeutung
nid^t unterfd^ä^t werben barf; fonbern ed foQte felbft an ben ©t^m^
nafien unb SRealfd^ulen bafür geforgt werben, ba§ bie ^cranwad^fenbe
Sugenb frü^ an bie 2Infd&auung beg ©d^önen ftd^ gewöline unb j. 8.
bie formen ber gried^ifd^en 9lrd^iteftur alg lebengpoOe (Erläuterung
beg l^eQenifd^en SSolfggeifleg neben il^rem isomer, S^^ufpbibeS unb
©opl^ofleg lennen lerne. SDen pabagogifd^en SBert^ ber Äunfigefd^id^te,
als einer ©tetoertreterin ber l^umanijiifd^en ©tubien, l^at man ju*
erft in einem Sanbe begriffen, weld^eg leine^wegg burd^ befonbere
SBegünftigüng fünfiterifd^en ©inneg fid^ auÄjeid^net: in ber ©d^weij,
*3 3ft feitbcm faft ü6eraa beffct geworben; nur bie Unicerfttät gRüiM^en
beft^t immer noc^ feine orbentüc^e ^rofeffur ber 5(unftgefc^i($te.
^ie heutige ^unft unb bie j^unfi»iffenfci^aft. 19
unb c« mu§ atö ein btcibenbc« Sßctbicnft bcr ©taatömänncr bcr
Stbßcnoffcnf^aft betrachtet werben, bafe fie an il^rem ^polpted^nilum
afö ®e0engen)id^t gegen bie übertoiegenb prattifd^e unb te^nifd^e
SRid^tung fold^er anftalten, ntien ber äeftl^etil, ber allgemeinen ®e^
fc^i^te, ber beutfd^en, franjöfifc^en, englifd^en unb italienifd^en Sit::
teratur auc^ ber ftunfigefd^ic^te ben SRang eine^ Hauptfaches Der^
Uelzen l^aben. SßeuerbingS ift bie württembergtfd^e ^Regierung biefem
SBeifpiele gefolgt, tnbem fie an ber polpted^nifd^en ©d^ule ju ©tutt«
gart einen orbentKd^en Sel^rftul^l für Äunfigefd^id&te errid^tet l^at*).
®g ifl aber eine gorberung beS unitjerfeffen ©eifieS unfrer 3^^*/
bafe an allen Isolieren Sel^ranfialten, alfo an ben Unit)erfitäten wie
an ben ted^nifd^en ^od^fd^ulen, ber Äunfigefd^id^te bie i^r gebü^renbe
Stellung eingeräumt werbe, ^enn fie ift Dor allem baju berufen,
in reger SBed^felbejiel^ung forool^I mit bem fd^affenben Üthen afö
mit bem Äreife ber übrigen SBiffenfd^aften ' an i^ren aufgaben
meiterjuarbeiten.
Unb biefe Aufgaben finb unenblid^ reid^^altig. UeberaH gibt
eS nod^ fiüdten auSjufüHen, Qrrtpmcr ju berid^tigen; überall gilt eS,
bie Äunjigefd^id^te auf eine fefiere urfunblid^e SafiS ju Retten unb
ben toeiten ÄreiS ber S)enlmäler genauer ju bur(§forf(|en. SQBo bie
Unterfuc^ung ernftl^aft ^anb anS SEBerl legt, ba !ann eS i^x an
ausbeute nid^t fel^len. SBaS l^aben unS neuerbingS bie Slac^forfd^um
gen in ben Slrd^iDen von SnnSbrudt an wertl^üotten ©ntbedfungen über
bie fafl ganj rerfd^ottene Äunftblüt^e, roeld^e baS 16. Qalirl^unbert
bort gefeiten l^at, gebrad^t! SBeld^e unerwartete äuffd^lüRe l^at man
aber erft in Safel über ^anS ^olbein auS ben bortigen ^rd^iüen
gewonnen! 2Bie mand^e wid^tige 9lot^ ermittelte SBaaber auS ben
Slümberger Slrd^iioen! SEBeld^eS SBerbienfl l^aben ©rowe unb (S^avaU
cafette für bie Stufl^ettung ber altflanbrifd^en unb altitalienifd^en
SWalerfd^ulen, unb neuerbingS ^ame^ SBeale für urfunblid^e Se^
fefiigung ber Äünfilemamen ber @gdtf(^en ©c^ule! SBaS aber mitten
in ^od^gepriefenen Äunfimetropolen an Derfd^ottenen ©d^äfeen nod§
ans fiid^t gejogen werben fann, wenn intettigente 3Känner an bie
rid^tige ©tette gefegt werben, baS ^at oor furjem ^efner oon Slltenedt
*) ©eitbem fmb fämmtlit^c tc(^nif(^e $0(§f(§ulcn biefem »eifpicl gefolgt.
20 SDic heutige Äunft unb bic Äunfttoiffcnfc^aft.
in ber pnatotl^ef p 3Slün6)tn betpiefen^ ds er^ ;um SSorftanb ber
Äupfctftid^fantmhmg ernannt, in bidEen ate au^fi^ufe bcifcite ge-
legten ©töfeen Don g^^t^wngen eine Slnjal^I ber l^errli(ä&ften @nt^
würfe für SRüftungen auä bem 16. gal^rl^unbert unb unter anberm
fogar eine grofee ©tubie von Qan^ ^olbein für ba^ gJorträt igein^:
rid^g VIII. l^erüorjog. S5aö ift benn aud^ nod^, roenn bie Äunfi=
gefd^id^te gebeil^Iid^ ftd^ entfalten fott, ein wid^tige^ ©rforbernife, bafe
an bie ©pifte ber bebeutenben ©ammlungen aWfinner gefteHt werben,
weld^e eine grünbüd^e lunfiwiffenfd^aftlic^e Silbung befiften.
Sie Äunftroiffenfd^aft fott alfo nid&t ermatten, bie SBergangen^
l^eit ju erforfd^en, aber ber 33ttdE in bie SBorjeit fott il^r baS 3lugc
für bag frifdiie Seben ber (Segenwart nid^t abftumpfen. ©ie fott ber
l^eutigen ftunft förbemb, ermutl^igenb, l^elfenb jur ©eite ftel^en, i^r
bie SBege ebnen, bie ewigen ©runbgefefte beS ©c^önen wal^ren; aber
neben bem unbefiec^Iid^en ®rnft ber Äritif ftd^ bie warme ßiebe für
atte^ aSerbenbe unb SBad^fenbe, ba§ a\x^ ed^tem ®eifte geboren wirb,
in ungefd^wäd^ter Äraft erl^alten. aSor attem fott fie bie Älippe Der=^
meiben, bie unS 35eutfd&en leidet gefäl^rlic^ wirb : bafe wir über bem
ibeetten Sn^alt ba8 eigentüd^ Äünftlerifd^e, bie eble, ben ©ebanlen
jur ©d^önl^eit DerMdrenbe gorm Dergeffen, ba bod^ erft bie l^armo^
nifd^e Sättigung beiS einen burd^ bag anbre ba^ wal^re aWeifterwerl
aui^mad^t.
©0 bleiben unfrer SBijfenfd^aft bie QitU immer nod^ weit genug
geftedft, unb wir bürfen baö SBort au(§ auf unfre Slrbeit anwenben,
weld^eS Äugler t)or fünfunbjwanjig Sahiren feinem ^anbbud^ ber
Äunftgefd^id^te mit auf ben SBeg gegeben l^at: „©el^en wir frifd^
in^ Seben l^inein, fo lange wir leben! 2)ie SBed^felwirfung ber
Ärafte fdjiafft oiel l^öl^eren ©ewinn, afö wenn wir in Domel^mer
Stbgefd^Ioffenl^eit über einer aSottenbung brüten, ber wir unS nur
burd^ gemeinsame 2;^ätigleit anjunä^ern oermögen. 3ft ber ©tein,
ben wir jum SBaue tragen, bod& nid^t ber S3au felbft!"
(„Xagtnatnt BtHnng" 1866.)
U).
'er »abcnwcilcr« fd^attigc SBdlbet, fafttgfltünc SMatten unb
Iteblid^e SBeingelänbe lennt^ bet xotx^^ ba^ biei^ einer ber fd^önfi^n
5ßunfte auf beutfd^er 6rbe ifi. Sluf toeitoorgeftredtem arme fanft
über ben ^l^atgrunb emporgel^oben, umfaßt Don ben fd^ügenben
aSergrüdfen be« »lauen unb feiner S^rabanten, fd^aut e& weit in bie
l^errlid^e SRI^einebene big ju ber TOeid^gefd^roungenen Äette ber aSo*
gefen, biefer natürlid^en aBeflmar! be« beutfd^en Sanbe«. fiier finbet
ba« äuge ben SBed^fel eine» reid^ abgefluften SWittelgrunbe», ben
freien gemblidE über bie lad^enbe eben« unb i^re prad^tootte ge^
birgige (Srenjlinie, unb enblid^ fülle« aSerfenfen in bie fd^attenbe
9lad^t ber ©id^en*, aSud^en* unb ^^annentoÄlber. @« ifl ein Drt,
wo man im piHen ^eben ber SRatur l^aufen unb ba» unrul^ige
2;reiben ber anenfd^enwelt auf eine 3^itf<^"8 t)ergeffen mag.
Unb bod^ foKte bem Äunfl^ifiorifer ^ier eine Uebenafd^ung
aufgefpart fein, unb e§ brängte fid^ il^m eine ©ntbedfung entgegen,
an bie er am allenoenigflen l^ier gebadet l^atte. S)enn nad^ aSe-
fid&tigung ber intereffanten, au» Seibni|en» forgfältiger ?publifation
genflgenb befannten SRömerbaber, auf beutfd^er (Srbe wol^I ba»
umfangreid^fie berartige aitertl^um, glaubte er fid^ mit ben lunffc
gefd^id^tltd^en SWerfroürbigfeiten a3abenweiler» abgefunben ju l^aben,
inbem er bie Unterfud^ung über ba» älter ber, ol^ne aUe Äunfl*
formen, lebiglid^ burd^ i^re gemaltigen ep^euumlränjten 3Raffen an^
22 (Sin Sobtentana in Sabenmeilet.
jlcl^enbcn Söurgmine gctrofi anbem an^etmfieKte. 2lm wenigflcn
liefe fi(§ vom Snnetcn bct Äitd^c etfpticfelid^ciS ctiDarten; bcnn ein
unwütbigerer ©taH, el^cr für nleberc trbifd^c grocdc ate für eine
ibeale ©rl^ebung be^ ®emfit^i5 beftitrihtt, ifl in ben nüd^ternften Xagen
ber älufllatungSepod^e n)ol^t nirgenb^ ettid^tet n)orben.
Unb bod^ foB ein geroiffen^aftet %ox^(^tx fid^ burd^ baS trorfenfie
Sleufeere nid^t abmatten laffen, einen SUdE in boÄ Snnere ju werfen.
9Ber würbe im 5)om ju Söerlin ober in ber Äird^e ju ^ed^ingen
eble SBronjeroerfe eines ^eter SSifd^er unb feiner ©d^ule tjemtutl^en?
ein S3Kdf in bie Äird^e ju »abenweiler, o^ne atte Hoffnung auf
irgenbtoeld^e ausbeute Derfud^t, befiätigte biefen ©rfalirungSfaft. S)ie
unteren ^^eile beS 2;i^urmeg, fo wenig man eS t)on aufeen al^nen
lann, pnb nod^ auS bem 3JlitteIaIter, unb jwar allem Slnfd^eine nac^
aus romanifd^er S^xt ©o barf man wenigftenS nad^ bem ßl^aralter
beS fd^Iic^ten ^Tonnengewölbes oermutl^en^ weld^eS ben 9taum ber
ail^urml^alle bebedtt. SBie freubig aber war bie Ueberrafd^ung, als
einjelne ©puren menfd[)Ud^er ©eftalten, abwed^felnb mit ©erippen,
fid^tbar würben, weld^e fofort baS SBorl^anbenfein eines bis jefet, wie
eS fd^eint, ganj unbekannt gebliebenen aiobtentanjeS uerrietl^en. ©S
war baS bie britte ©ntbedfung auf biefem fpejietten, für bie Äunft
beS aWittelalterS fo intereffanten SReoier, weld^e mir auf meinen
lunfil^iflorifd^en Sagb^ unb ©treifjügen ju tlieil würbe: bie erfie war
ber juerft burd^ ben oerfiorbenen ©tüler entbedEte, burd^ mid& fo::
bann umjlänblid^ unterf uc^te unb peröffentlid^te ^obtentanj ber aJlariens
fird^e ju Serlin, ein vor 1490 entfianbeneS SEBanbgemalbe; fobann
t)or einigen Satiren ein umfangreid^eS ^obtentanjbilb in einer Äapette
beS fpäter burd^ oerl^eerenben 83ranb l^eimgefud^ten oberbaprifd^en
gledEenS Dberflborf, oom Qal^re 1640, über weld^en id& bei anbrer
©elegenl^eit ju berid^ten mir x)orbel^aIte. SJiefem jweiten, als einem
ber jüngfien beutfc^en Xobtentänje, reil^t fid^ nun ber ju SBabenweiler
als einer ber wii^tigften an; benn feiner ganjen Äunftweife, bem
Äoftüm, bem ß^arafter ber Snfd^riften, felbfl ber ©efammtanlage ber
ilompofttion nad^, mufe id^ il^n nid^t blofe als ben altefien ber
beutfd^en, fonbem überl^aupt aUer nod^ irgenb t)orl^anbenen bis je^t
)u S^age getretenen Xobtentänje bejeid^nen. SBenn nämlid^ mid^ nid^t
atteS täufd&t, fo geprt biefeS merfwürbige »itb ber erfien fiälfte beS
Gin ^obtentana in Sabenmeirer. 23
14. Sal^rl^unbcrW an. Slbcr nod& rostiger wirb cS burd^ einen
onbetn Umflanb, bafe t^ unÄ auf beutfti^em Soben eine gotm be«
2;obtentanjeÄ nad^weiji, weld^e bi^ jeftt in S)eutf(ä^Ianb nirgenbg ge=
funben, au^fd^liefelid^ in granfreic^ unb Statten ge^errfd^t ju l^aben
fd^ien unb n)eld^e iä) aU bie urfprünglic^e ober bod^ atö eine ältere^
getDifferma^en ald ben erflen £eim be^ nad^mals fo üppig in bie
Ärone gefd^offenen Saume« bcr Xobtentänje bejeid^nen möd^te. 6«
ifl bie alte ©age ber breiftönige unb ber brei 2;obten, ober, wie
fte im aitfranjöfifd^en l^eifet: „li trois vifs et li trois morts."
S)rei Äönige jiel^en frol^gemutl^ auf bie 3^8^^/ We g^Hen auf ber
§auft. S)a begegnen i^nen brei @erippe, bie i^nen ein grauftge«
memento mori jurufen: „SBaö il^r feib, toaren wir einft; waöroir
(inb, toerbet i^r balb fein." 35iefe ©age würbe oftmafe in S3Ub::
werfen aller Slrt bargejiettt; ein ®raf oon ©aoopen liefe fte fid^ im
14. Sa^rl^unbert in Sonbon auf jroei ^^afeln malen; in franjöfifd^en
tolorirten ^oljfd^nitten be« 16. gal^r^unbert« lommt fie me^rfad^
cor; in einem neuerbing« ju Glufone bei Sergamo nad^geioiefenen
SEBanbbilbe wirb fte ebenfaDiS bel^anbelt; am tieffinnigflen unb grofe?
artigften aber, tritt Re un« entgegen in bem berül^mten, bi« oor
lurjem Drcagna jugefd^riebenen fJteiSco be« 6ampo ©anto ju 5pifa,
bem 2;riumpl^ bei5 Siobe«, unb man lann fagen, bafe bie )u ©runbe
Regenbe 3bee in biefem erfd^ütternben ©etnälbe einen äl^nlid^ ooHs
«nbeten Slbfd^Iufe gefunben l^abe, xok bie beutfd^en 2;obtentänje fpäter
in bem unübertreffUd^en SBerte ißolbein«.
3n jener ©age oon ben brei ßebenben unb ben brei lobten ift
lebiglic^ ber 5Rad&brudt auf ben ©ebanfen ber irbifd^en aSergfinglid^*
teit gelegt. S3em beutfd^en 9lorben mit feiner feit bem 14. ^af)x^
l^unbert unauf^altfam aufftrebenben ftäbtifd^sbürgerlid^en Äultur,
feinem bemofratifd^en ©cmeingeifte toar eg oorbel^alten, aii^ jeiter
3bee eine weitere ^^olgenreil^e }u jiel^en. 2)ie beutfd^en Xobten^
tänje, foweit wir Re big jefet lannten, beginnen gleid^ mit einem
Steigen oon 24 5ßaaren. SSom 5ßapft unb Äaifer bis l^erab jum
Settier, oom ©reife bi8 jum unmünbigen ftinbe, ba« im alten
Sübedfer Silbe fo rfi^renb lum 2:obe fagt:
„ü 3>ot, n)0 f($a( tf bat oetfian;
3? f<^ttl banjen unb fonn m6^ %an," —
24 €in Xobtentans in Sabentoeiret.
alle ©tonbe, ©efd^Ied^tet, Scben^alter muffen mit l^inein in ben
graufigen SReigen* 35er Sob erfd^eint l^ier ate ber ©leid^mad^er,
unb biefen ©ebanfen fül^rt bie benu)fratif(|e ©eftnnung be« SiorbenÄ
in ia^ alte 2:i^ema ein, wä^renb im tomanifd^n ©üben, roo ber
Unterfd^ieb ber ©tcnbe nid^t fo fd^neibenb empfunben toirb, biefe
entwidEelung be» 2:obtentanjei5 leine ©tätte ju pnben fd^eint
älui^ biefen älnbeutungen voixh man ermeffen, mit meld^er Stuf^
merffamfeit id& in bem plöfelid^ oor mic^ tretenben 2:obtentanj von
aSabentoeirer bie erfte ©pur jener einfacheren, alteren, me^r bem
©üben eigentl^ümlid^en Oattung ber 2;obtenlänje auf beutfd^em S3oben
begrüßte. 3d^ wenbete einige Kage auf bie t)5ttige Befreiung be^
»ilbeS von ber fpäter über ba&felbe geworfenen 2;ünd^bedfe; id^
jeid^nete ba» ©anje, paufte bie toid^tigPen ftdpfe, fud^te bie 3m
fd^riften ju entjiffern, unb witt nun in furjen SBorten bie wefent«
lid^en eiemente biefer merfioürbigen Äompofition allgemeiner be^^
fannt machen.
S5ie ^l^urml^aHe bittet ein 9?ed^tedf von etwa 14 gufe Sänge
unb 11 gufe »reite, an ber SSSefifeite öffnet pe pd^ nad^ außen burd^
eine SRunbbogenpforte; an ber Dftfeite fül^rt eine äl^nlid^e 5ßforte
ing 3nnere ber Äird^e. @^ ßettte pd^ nun fofort l^erau^, bafe bie
ganje Heine fialle urfprünglid^ mit ©emolben bebedEt mar. Sieben
ber julefet gebadeten gjforte pnb bie ©ePalten ber SlpoPelfürPen
5petrug unb 5paulu^ ju 2;age gefommen, jener mit feinem riepgen
^immlifd^en ^augfd^Iüffel, biefer mit bem ©d^wert in ber SRed^ten,
beibe eigentlid^ ate QüUx be^ eingangs inÄ fieiligtl^um, tjietteid^t
^ier in fpejleBer gunftion ate ehemalige gJatrone ber Äird^e. Sieben
bem wepiid^en Eingang l^aben p(^ Xl^(ile einer tnieenben weibtid^en
gigur mit geffod^tenem turbanartigen Äopfpufe, ein ©albgefäfe in
ber ^anb l^a(tenb, gejeigt; walirfd^eintid^ SRagbalena, ate beren
gegenüber bann @^ripui^ anjunel^men märe, von meld^em inbeß nur
geringe UeberrePe jü entbeden pnb. äud^ bie füblid^e SBanb ber
^aOe l^atte il^en »ilbfd^mudt: am öftUd^en @nbe, bid^t beim l^eiligen
^aulus, ip ein üeblid^eÄ Äöpfd^en, ein linier 3lrm mit bem Siabe,
eine redete ^anb mit bem ©d^merte ju SJage getreten; alfo grag«^
mente einer anmutl^igen l^eil. Äat^arina. aud^ ba» S^onnengemölbe
l((at feinen ©d&mud: eine SReil^e rotl^er ad^tprapger ©teme, bar«
(Sin ^obtentana in SobentDeifor. 25
übet bct anfang einer eben fold^en Steige In ©d^toarj fmb von ber
S^find^e (o8gef(i^&tt n)otben. @o mag ber ganje 9laum el^emafö
einen l^eiteren unb würbigen ©inbrud gemad^t ^aben — biö auf
bie 3^orbfette, n^eld^e ber Stimmung bai^ Clement eines l^eilfamen
©rauenÄ l^injuffigen foHte.
9ln biefer Sßorbroanb finbet fid^ nämlid^ baS $:obtentan}bilb.
SHe ©eite be« Untergang^, ber SRad^t, ba« SReid^ beö ewig ßid^t-
lofen war getoöl^nlid^ biefen S)arfieffungen gewibmet. ©o in Sübedf,
fo in Serlin^ fo^ n)ie id^ nad^gen)iefen ^ahe, an mand^en anbern
Orten. S)ie Slnorbnung ber ©eftalten ffil^rt biefen ©ebanfen fonfe-
quent burd^; benn ble brei ©erippe lommen von SBefien l^er, bie
brei Äönige treten i^nen von Djien entgegen. 3ebe gigur ift, nad^
ber naiven teppid^artigen Snorbnung jener älteren Äunfl, bie von
ber aWuttermild^ ber ard^iteftur allein ftd^ nährte, abgefonbert für
fid^ J^ingefieKt, atte in ruhigem ©d^reiten, mit mafeDoBen »eroegun^
gen unb fd^üd^ternen ©ebärben. a)ie ©erippe l^aben ba« SJanjen,
ba« auf ben fpäteren 35arfieIIungen immer leb^a^er wirb, nod^ nid&t
gelernt, ©ie treten mit berfelben ru^ig abmal^nenben ©ebärbe
il^ren nod^ in ber füfeen »ürbe be« gleifd^eÄ roanbelnben Äottegen
entgegen; nur Heine ©d^attirungen unterfd&eiben bie ®eflen ber
burren Änod^en^änbe. a)ai^ üorbere ©efpenfl l^ebt beibe ^änbe
wamenb empor afe tjerfiänblid^en Äommentar ju ber auf einem
©prud&banb babei angebrad^ten freunblid^en änrebe: „(Was) er-
schrik du ab mir, der wir sint das werdent ir.** ©old^e ©prüdes
bänber fieigen bogenförmig über jeber ©efialt auf unb geben eine
fefie rl^ptl^mlfd^sard^iteltonifd^e ©lieberung. 35ie »ud^flaben jeigen
ben ei^arafter ber got^ifd^en aWajuSfelfd^rift, bie fd^on im Saufe bzi
14. Sa^rl^unbertÄ burd^ bie fpfitere aWinuSlel oerbrdngt wirb. SBon
bem jweiten ©erippe ftnb nur bie oberen 2;i^eile erl^alten, unb oon
ber Snfd^rift, beren 83anb e» mit ber redeten Änod^enl^anb empor=
^ebt lieft man nur : „Es vervah . . (m)ich als klein, die würme
nag(ent in)in bein.** 35er britte biefer unl^eimlid^en Äameraben
l^ebt mieber beibe fianbe mamenb empor, unb fagt baju: „ das
rat ich dir wol, die weit ist aller boshet (voll).''
SMe brei ftönige fd^einen ftd^ biefen bebenllid^en 3(nreben gegen^^
über fanft able^nenb ju oerl^atten. 2lm meiften »eroegung oerrätl^
26 Gilt ^obientanj in S3abentDeiler.
ber Dotbete^ bet aUerbingS ber unl^eiml^en @rf(^einung am näd^ften
fielet. ®r toenbet boiS gclrönte ioaupt cntfd^ieben jurüd, unb fud^t
mit bet emporgcJ^jobencn Siedeten fid^ bcn unliebfamen anblid Dom
£eibe }u l^alten. @ax }u unangenel^m ift er aber aud^ unterbrod^en
toorben; benn eben l^atte er feinen galfen fleigen laffen, unb man
Tiel^t ben jierlid^ unb gefd^tdtt gejeid^neten 3Sogel, Don feiner ftappe
befreit, an ber loi^gelaflenen furjen Seine, bie il^m nad^flattert,
emporfd^weben, fo bafe er ben offenen oberen SRaum jroifc^en ben
beiben Snfd^riftbänbern auffüllt. S)er Äönig l^at gleid^ feinen 3agb=
gefäl^rten eine fc^önc gadtenfrone auf; ein roo^Igepflegter in jroei
3ipfel gefräuf elter S3art umral^mt fein ©cfid&t, ein äl^nlid^er be-
fd^attet bie Oberlippe, unb lodige^ blonbe^ ^aar ringelt fid^ in ber
bem gotl^ifd^en ©til eignen Äabenj auf bie ©d^ultem l^erab. ©eine
Äleibung ift elegant, nad^ neuefter 3Robe; fie jeigt ba« Mi-parti,
roeld^eg bamate eine große SWotte ju fpielen anpng; jur iodlfte ift
fein enge« SQBamS mit ben fnapp über bie ißüften faHenben ©d^öfeen
blaugrün, jur ißdlfte jeigt e§ fd^roarje unb roeifee ©treifen. S)ie
überaus engen SeinMeiber — bie brei Ferren finb nad^ ber ba^
maligen ©itte fd^Ianl biiS jum fpinnebeinartig Unglaublid&en —
l^aben linU ein rotl^e^, red^td ein gelbem ^ud^. S)ie ©d^u^e oer^
ratzen bereite bie Unptte ber langen ©piften, au^ benen fpäter bie
tolle Slu^geburt ber ©d^nabelfd^u^e mit il^ren ©d^ellen unb fonfiigem
Unfug ^eroorgel^en foHte. S5ie lebhafte abroe^renbe ®efle beS ftönigg
finbet i^re (Srflärung in ber Snf^tift be^ ©prud^banbe«: ^Hilf
got von himelrich, wie sint ir uns so ungelich!"
a)er fd^Iid&te Äünftler Don »abenroeiler ^at pd^ in löblid^Per
SBeife 3)lül^e gegeben, feine breiÄönige nid^t über einen Seiften ju
fd^lagen, fonbern nad^ befd^eibenen Äräften ju inbioibualiftren.
S)ie jroeite gigur jeigt bemnad^ ein ernftereö Oefid^t, einen eblen
Äopf oon männlid^em Su^brndt, mit gebogener Slafe, SSottbart unb
lodtigem fiaar. SBd^renb er bie SRed^te mit bem befannten ©eftuiJ,
ber fo taufenbmal auf alten Silbern ha& gefprod&ene SBort begleiten
unb iHuflriren foH, offen au^ftredtt, plt er mit ber ßinlen feinen
gallen an ber Seine feft, ber aufjufteigen fud^t, obwohl er nod& mit
ber fiaube Derfel^en ifl. 3m übrigen fd^reitet fein Präger ftill üor
fid^ ^inblidtenb einher, unb von feinem ©prud^banb lieft man nur
@in 2:obtentana in iBabeniv eilet. 27
bie SBBortc: „Für kein herschaft gewalt oder guotes . . .", offene
bat Srud^flüdEc einet negatitjen Setl^euetung. 3)et lefete in bet SReilie
enblidö ift ein nod^ battlofet Sönßling, unb blonbe SodEen umtoatten
fein jatte^ Stntlifc. @t ifi wo^I nod^ bünnet unb fd^lanlet afe feine
SBotgänget, l^at einen fd^wäi^Iid^en engen diod unb fd^teitet in einem
blougtänen unb einem gelblid^en Beinling eintet. 9lud^ bei bem
mittleten jeigt pd^ biefe gatbentl^eilung, ba §u einem blaugtünen
©ewanb ein töt^lid&e^ unb ein fd^wätjlid^btaune^ »ein ftd^ gefeHen.
aSon bet Snfd^tift beö lefeten Äönig« lieji man nut: „(Ach got
(wa)s (fl)igent ir wor nach se ns.'' S)ie eingeftammetten
SBotte „Ach got was" fanb id& ju meinet Uebettafd^ung untet bet
Xünd^e oon einem ftül^eten aufmetffamen »ettad^tet in Stotl^fiift ge-
tteulid^ beigefd^tieben. 2Kfo l^aben bamatö fd^on'bie jefet ganj ©et-
blatten Sud^ftaben ein balbige^ SSetfd^roinben gebto^t unb einen
fotgfamen SBefd^üftet gefunben. S)ag übtige von mit in Älammetn*
©egebene bettijft gänjlid^ jetftötte obet etlofd^ene ©teKen, bie id&
butd& aSetmutl((ungen inbefe mit jiemlid^et ©id&et^eit etgänjen fonnte.
S5ie ©efammtetfd^einung beiS »übe« ifi fd^lid^t, anfptud^^lo« ;
bie eJcitben, ol^nel^in ftatf üetblid^en, boten von Anbeginn fein Ieb=
l^aftete^ folotifiifd^e« ©piel, feine befonbetö teid^e SBitfung. @in
Slaugtün obet gtünüd^eiS »lau bilbet mit bem SBtaun, bem (Selb
unb bem ©d^toatj eine ©fala einfädlet Äonttafte oon milbet ©tunb*
ftimmung, n)ie pe einem fold^en aOäetfe am befien entfptid^t. S)ie
giguten ftel^en auf einigen in tot^taunet gatbe angelegten ©ttid^en,
bie nad^ unten bie ©tunblage bilben. 3tt>^i äl^nlid^e betbe ©ttid^e
geben nad^ oben ben Slbfd^lug. SSon Slnbeutung bei^ 2;ettain^^ bet
Umgebung feine ©put. SBit pnb in einet 3«it. w^l<^« betgleid^en
Sineinjie^en bet umgebenben Sßatut in bie figütUd^e 35atfieIIung
nod^ nid^t fannte. 35et Äunjid^ataftet ifi bet, meldtet bie ftül^=
got^ifd^e ©pod^e bejeid^net; milbe Äöpfe mit jugenblid^ fd^üd&tetnet
©timmung, fanfte »ewegungen, teid^ ^inflielsenbet galtentoutf, bet
fteilid^ nut an ben beiben 3lpoftelgeflalten jut ©eltung gelangt.
Dl^ne ^o^e fünfttetifd^e SBebeutung, ftnb biefe anjie^enben SBilbet
immetl^tn ein bemetfenÄroettl^eS Seugnife bet Äunfi jenet gtü^jeit,
um fo wett^ooKet, ate beutf d^e aBanbgemätbe ftü^got^if c^et 3eit äufeetft
feiten finb, unb ate bie l^iet gegebene S)atfieIIung meines 2Biffen«
28 (Sin 2:obtentans in ä9abentoeUet.
bi^ jefet auf beutfd^em 83obcn nod^ nirgcnb^ angetroffen worben ifl.
f^ür bte länfllerifd^e S^arafterifiil lommt aber ber n)Ol^l )U bead^tenbe
Umfianb l^inju^ ba^ bte f^iguren nod^ leine Spur von jenen mame^
rirten ©teffungen unb gejterten Bewegungen barbieten, in weld^en
fd^on um bie 9Ritte bei» 14. 3a^r^unberti» bie gotl^ifd^e ^lafUf unb
a)lalerei il^ren frül^en Untergang fanb, big bann ber SRaturaliÄmu*
tarn unb ber feelenloS geworbenen ftunfl einen neuen Iräftigen
Seben«^au(i^ Derliel^* SBag enblid^ bie ©felette betrifft, fo Ttub fte,
wenn aud^ nid^t mit grünblid^em anatomifd^en 5ßer|ianbni§, fo bod^
mit einem im allgemeinen rid^tigen unb für biefen ^xotd auÄreid^en*
ben »lidt aufgefaßt, gflgen wir ^inju, ba§ bie giguren fid& oon
bem glatten, forgfam bereiteten, aber farblofen, nur burd^ ba« alter
}u einem angenel^hten matten Xon vergilbten @tud( ablieben, fo ifl
alled äßefenttid^e eno&^nt.
S)ie (Sr^altung bed 93Ubei» ifl eine mittelgute; nur bie unteren
^Partien pnb teiltoeife jerfiört, meil bie oon ber (Srbe aufbringenbe
geud^tigfeit toieberl^olt SReparaturen ber SBanb nötl^ig gemad^t unb
namentlid^ bie @inffigung neuer, burd^ gröbere 9(u8fü^rung leicht
}u erlennenber ©tudtfläd^en oeranlafet l^at. SJaburd^ ftnb befonberiJ
bie anfange unb SluÄgänge ber Srtfc^riften leiber meipen^ unter«
gegangen. 9(Ded äbrige ift iroax n)oI|t etioai» auiSgeblid^en, aber bod^
fo gut erhalten, ba§ eine fd^onenbe unb forgfältige SRefiauration be^
Silben wo^I am $Ia| wäre.
SSei biefer ©elegenl^eit fei eÄ gemattet, auf einen burd^ Äunji«
werti) ^eroorragenben ©d^aft l^injuweifen, toeld^en ebenfatt^ bie ®t^
meinbe Sabenweiler bepfet. Sä ifl ein ^^aufbedfen fammt baju ge:=
priger Äanne, jwar nur oon Qxnn, aber auÄ einer S^it, weld^e e^
oerfianb, burd^ ^o^e ©d^önl^eit ber ©eflaltung allen i^ren ©ebilben
einen unoergänglid^en SRei) }u leiten. S)urd^ 9lbel ber ©efammtform,
burd^ trefflid^en ©til ber ©lieberungen unb Ornamente, oor allem
bur(^ reid^en ftgfirlid^en ©d^mudf in getriebener Arbeit nel^men beibe
©efäfee atö aReijierjiüdfe ber befien SRenaiifancejeit eine nid^t geringe
©teile ein. 3|re Drnamentif atl^met benfelben feinen ®eifl, ber fürj«
lid^ in ben ©on fiefnersältenedE entbedften ^ti^mmQtn ju franjdfU
fd^en ^rad^trüfiungen ein fo fd^öne« S^"8"i6 föt bie Äunftfertigleit
beutfd^er SWeifler beÄ 16. Sa^rl^unbert» abgelegt ^at. Slud^ biefe
@in 2:obtentan3 in )6abenroeiler. 29
beiben ©tüdc ftnb offenbar t)on bcutfd^cn ftünftlem mtS) bcr aWittc
jene» Sal^rl^unbettö gearbeitet worben. 3luf ber ©d^üffel fanb td§
ba» SWonograntm J. F. unb babei eine Keine Sitte; auf ber Äanne
fie^t man ein F. B. — fo toenigfien» fd&ienen wir bie S^i^^^, ble
fel^r Mein finb unb beiji flüd^tiflen a3etrad^ter leidet entgelten werben,
auf ber Äanne finb bie brei Äarbinaltugenben mit entfpred^enben
Emblemen in fd^ön umrahmten aWebaillon» angebrad^t; auf ber
©d^üRel erbttdt man in ber aWitte bie SJemperantia, umgeben Don
ben giguren ber t)ier ©lemente; am 9tanbe bie fieben freien Äünfte,
}u benen im ad^ten gelbe aWinen)a afe ßl^orfttl^rerin ^injutritt.
äiae übrigen f^Iäd^en finb mit ^ermen^ 3Jla^Un, @mblemen unb
jierttd^en Ornamenten t^eife üegetabiler, tlicitö mel^r fouDentionetter
ärt (in fogenannten cartocci) gefc^madfeoU aufgefüllt, ißoffentttd^
wirb bie ©emeinbe biefen ©d^afe, ben fte bi» jeftt in e^ren gehalten
l^at, aud^ ferner afe ein SSermad^tni^ funflfinniger geiten ju ^üten
miflen.
Unb nun }um ©d^luffe nod^ einmal ber Xobtentan}! @d ifl bod^
eigen, baft ber Hafpfd^e »oben biefer Äunfierjeugniffe, ber im benad^^
barten »afel jroei fold^er monumentalen SBerle unb aud& rool^I ben
Äeim ju bem berül^mten ^olbeinfd^en fioljfd^nittctiKug entfielen fal^,
un» nod^ ein SJentmal biefer Slrt geliefert ^at. 6» bürfte ber 3eit
nad& ungefähr bem el^emate in Älein=S3afeI, im Älofter Älingentl^al,
befinblid^ gewefenen entfpred^en. 2lber e« ^at, toie gefagt, mit feinem
ber bi» ie|t belannten beutfd^en Sobtentänje irgenbtoeld^e SSerwanbt-
fd^aft, unb eg bürfte einftmeilen nid^t mögUd& fein, bie unmittelbare
Duelle nad&juroeifen, auS meld^er ber ^^obtentanj in »abenioeiler ge-
floffen ift. Slber il^re gemeinfame Anregung fanbcn jene eigentl^üm-
lid^en Memento-mori in ben furd&tbaren ©eud^en, weld^e unter bem
SRamen be» fd^ioarjen Xobe» bamate bie SBelt erfd^ütterten. ®leid^-
jeitig mit ber ©ntfie^ung be» Älingent^aler Silbe» in Älein^Safel
TOütl^ete bie 5ßefi in Safel unb loielen anbern ©täbten be» SReid^e».
©old^e (Sreigniife, oline^in fd^on geeignet, bie leben^tuftige SßJelt
findig ju mad^en, mürben bann t)on ber @eiftlid^Ieit }u einbringli(^en
Su^prebigten benu^t. @» ifl nid^t {uföUig, ba^ gerabe berjenige
aWönc^^orben, ber fi(§ bie 5ßrebigt in ben Dollreic^en ©täbten DOiqügs
lid^ angelegen fein lie^, bie S)ominitaner, l^iäuftg fold^e ^obtentän}e
30 Gin Xobtentan^ in IBabentoeUet.
an il^ren Ärcujgangömauern ober in i^tcn Ätrd^en malen Hefe.
©0 in Äleins unb ©rofe^Safel; fo in Sem, ©trafeburg unb SanbiJ^
^ut. @g waren eben gemalte ^rebigten über ha& populärfle 2;i^ema,
bem a\x^ ber SReij eineiS bemolratifd^en Seigefd^madE^ nid^t fel^Ue.
S5ie berül^mte Florentiner ?pefi fül^It man auö ber furd^tbaren ©d&it
berung im Xriump^ be^ 2;obeÄ am ©ampo ©anto ju 5ßifa l^erau^.
3)ie erfd^ütterungen ber 9?ef ormation^jeit unb ber S3auemlriege geben
bem öolbeinfd^en 3:obtentan} feine ganj befonbere Stimmung. Unb
aU im Saläre 1848 mieber ein gen^altfameB Srbbeben burd^ bie
europäifc^en Staaten }0g, toedfte ber @eift ber 3^it in bem genialen
frül^ t)o(Ienbeten 9tet^el bad alte S^obtentanjt^ema ju neuen SSaria^
tionen.
@rft Iür}Ud^ ifi abermatö ber 3Bärgenget mit ben Sd^n^ertem
be^ ÄriegiS unb ber gJeftilenj über bie beutfd^en ßanbe ba^ingeraufd&t.
3n fold^en 3^*^^ t^*tt ber ©ebanfe ber aSergänglid^feit an aUt^
2ehtn f^neibenber l^eran, unb wir füllen unö empfänglid^er für
bie Spuren einer finblid^ fd[)Iid^ten Äunft, bie in ber SSBeife ber
aSorjeit mit ber einbringlid^en ©prad^e ber SQBanbmalerei ber SKenfd^?
I^eit ein memento mori juruft.
(Im tauta Bttt^ 1871.)
r^eit lutietn mad^en siDei neue Ȇber mtam bie 9lunbe but<$
a)eutfd^Ianb unb erteßen überall auffeilen, begeiperte ^ulbigung fo-
tDO^l tote fd^arfe Slbtoe^r. ©ö ifl bamit toie mit einer neuen Dper
9ii(i^arb SBagneriS: beibe Äünfiler roiffen felbfi in einer 3^^/ wo ge^
TOaltigfte aSeltbegeben^eiten mi in Spannung erl^alten, bie SÄuf*
merffamleit beö ^ublifum« bo(§ für fic^ ju gewinnen. 2)arin liegt
ol^ne ^age ber 93en)ei^ einer entfd^iebenen ©enialität; unbebeutenbe
Äünftler oermöti^ten tro| aller litterarifd^en SReflame, bie wenigftenS
SBagner nid^t gefehlt ^at, fold^e SBirfungen nid^t au^juüBen. Sber
nod^ me^r: e« muffen in unfrer S^it SKd^tungen enthalten fein,
meldten biefe ÄünfWer entfprungen finb unb benen i^re SSSerfe jum
2lu^brudE oerl^elfen, fonfi würben fetbft nod^ genialere ©d^öpfungen
unbead^tet bleiben ober bod^ nur eine Heine ©emeinbe ftiller SBer^
el^rer um fid^ fammetn. ©el^en mir ja ju aßen Reiten einfame
©eifier SBerfe fd^affen, meldten bie SWaffe ber S^itfl^noffen femflel^t,
unb bie erfl im weiteren SSerlauf ber @ntmidFe(ung, mand^mal lange
nad^ bem 2;obe il^irer Urheber, ju attgemeiner ©eltung gelangen,
©old^e ©d^öpfungen, bie nid^t fofort im ©türm bie SKaffen mit ftd^
fortreiten, pflegen l^od^ über ben realen gielen beiS ^ageö in einem
reineren Stetiger ju entfielen unb eine ibeale SBelt jur ainfd^auung
}u bringen, ©old^er Slrt maren in ber bilbenben Äunft ber neueren
3eit bie ©d[)öpfungen eines ©enetti; fold^er 2lrt finb in ber aWupf
bie äSßerte eines äSral^mS, bie }um größeren S^l^eil meber burc^ leidet-
32 $and Wlaiaxi unb äüi^arb äßagner.
gcfattigc 2Bcifcn nod^ burd^ effeftl^iafd^enbe aWaffenroirfungen, tücbcr
burc^ O^renfi^el nod^ burd^ äSetaubung bad groge ^ublitum mit
fortreiten, tdoI^I aber bei aUen mufifalifdö ©ebilbeten fd^on je|t jene
Segeifterunfl werfen, weld^e im weiteren SBerlauf fi($ vertiefen unb
allgemeiner verbreiten wirb. S)enn ba^jenige ©d^öne, toeld^eiS burd^
f old^e ernfiere (Seifier gef d^affen wirb, ^at nid^ts mit ber SKobe bed ^ageg
gemein. @i^ trägt bie 99ürgfd^aft ber Unfterblid^Ieit in fic^, luä^renb
l^äuftg bie von ber Saune ber 3«tt ^^^ emporgetragenen ©d^opfun^
gen mit ben wed^felnben ©timmungen rafd§ ju perfd^roinben pflegen.
Sei SBetrad^tung ber neueflen 3BerIe SDlalart^ fiel unö nod^
fd^lagenber afe frü^r bie merfioürbige SBenoanbtfc^aft auf, weld^e
jn)if(^en il^m unb SRid^arb SQBagner befielet. 5ßid^t btofe in ber äufeeren
SBirlung il^rer arbeiten, fonbem in il^rem ganjen fünftlerifd^en
SaSefen, aWalart ifi in ber 2:^at gemalte gufunftSmufif, mie SBagner
ung mujtlalifd^er SKafart fd^eint. öeibe werben oon benfelben
©trBmungen ber Qtxt geförbert unb emporgetragen; beibe finb ber
fd^ftrfpe äuSbrudE beffen, wa« — wenn man bie ©timmen ber ^zü?
genoffen }äl^It unb nic^t wägt — bie SRajorität bed je^t lebenben
®efd(|led^te^ ©erlangt. 6^ lo^nt mol^l ber 2Rü^e, bie^ etwas nä^er
nad&juweifen, tiefer ju begrünben. SBir oerfennen babei freitid^ ni^t,
ba^ aBagner nod^ eine anbre, unfrei @rad^tend l^ö^ere Sebeutung
gewonnen f)at burd^ bie ebenfo einfd^neibenbe wie gered^tfertigte
Äritif ber fünfllerifd^en 3uftänbe unfrer heutigen SBül^ne. aber t)on
biefen tl^eoretifd^en ßeiftungen ift l^ier nic^t bie 3lebe, oielmel^r nur
Don feiner eignen pra{tif^en ^unftflbung, in ber wir ju unfrem
Sebauem nid^t anberS ate bei aWafart einigen ber fd&limmfien äjl=
l^etifd^en ©ünberi be« S^it^IterS begegnen.
SKafart fd^ilbert in feinen beiben neuen Silbern bie abunbantia,
ben Ueberflufe ber SRaturgaben, wie Sanb unb aWeer pe l^eroorbringt.
S)en ^rüd^ten beS fianbei^ auf bem einen Silbe ftnb bie be& 9Reered
auf bem anbern gegenübergefleQt. S)ie ganje Ueppigleit bed Slotur-
leben« fottte fxd^ ^ier entfalten, beSl^alb gab ber Äünfiler eine ©d&ar
pl^antaftifc^ unbeflimmter unb unbeftimmbarer ©eflalten |in}u, bie
ungefähr wie SBeiber, aWänner unb Äinber auiSfe^en. 9iod^ rid^tiger
lönnte man fagen: wie bie unllaren unb wüflen Xraumbilber menfd^-
lid^er ©eftalten, weld^e au« bem ©el^irn eineiS neroöS überreijten
^and Tlatatt unb dix^axh SBagner. 33
S:räuinerÄ auftaud^en. Unb jroar eine« S:räumerg, bcr feine an^
fd^auungen roeiblid^et ©d^önl^eit in Sofalen wie 5Wabile, Sloferie
be« SilaiJ, in ©piel^ötten roie »aben^Saben unb Homburg, ober
üielmelir in ben entfpted^enben Snfiituten SEBien« au^fd^liefelid^ ge^
Wonnen l^at. SBa« atte biefe giguren jufammengefü^tt, wag fte
mit einanbet treiben, fein aWenfd^ lann eö fagen, am allenoenigfien
üietteid^t ber 5WaIer felbft. ©ie tjerbanlen nur ber SBilltür ilire
entfie^ung, i^re ganje ejifien} bient einjig unb allein bem garbenreij.
aber biefer garbenreij an fi(§ ifi etroag SBunberfame«, bem
fein äuge ftd^ wirb entjiel^en fönnen, beffen 3lefel^aut irgenb empfängt
U(^ ift für folorifiifd^e ©efammtflimmung. SBie ber ÄünfHer feine
2:öne ^infd^Ieubert, auÄ ben ^errltd^fien ©egenfäfeen bie reid^flen
^arbenaff orbe jufammenfügt, wie er ben golbenen fiintergrunb burd^
alle« ^inburd^fpielen läfet unb feine ^Palette mit einer genialen SSir^
tuofitcit ^anbl^abt, bie in fold^em (Srabe üieDeid^t bei feinem Seben?
ben wieber gefunben wirb, ba» atte« ifi in ber 2;i^at fiaunen^wertl^.
aber ifi e^ aud^ bewunbemSwertl^? 3fi W^ in ber S^^at eine fünfl^
lerifd^e ©rfd&einung, ber man bie oolle Sered^tigung jufpred^en
mufe? ©n berliner Äritifer, ben wir ben „2Rafart ber 2:inte"
nennen möd^ten, gel^t in feinem überfirömenben ®nt^ufta8mu« fo
weit, ba§ er aufruft: l^ler fei ber „fouoerSne Sbealidmu^ ber garbe",
bem man fein SRed^t ju ejifiiren ebenf owenig befireiten bürfe, wie
man e& bem ber Sinie beritten l^abe. — 3a, wenn ber St^^ßU^*
muÄ ber Sinie nic^ti^ anbre« geboten |ätte, ate einen SBirrwarr
p^antafiifd^er ßinien, benen jebe Sßatur fern geblieben wäre, bann
fdnnte man mit fold^en aSergleid^en etwa« beweifen. a)enn SRafart^
garbe fprid^t, wie ber Äritifer jugibt, jeber Sßaturwal^rl^eit fiol^n,
unb bie Äompofition im ganjen wie bie einjelnen (Sefialten bejeid^^
net biefer fein glül^enbfter Sewunberer afe „gänjUd^ unreal, finnlo«,
aberwifeig". Unb bod^ fommt berfelbe SBortfül^rer ber ?ßreffe ju
bem ©d^tuffe, bafs äRafart^ Slid^tung gleid^wol^I in i^rer art }u
bewunbern fei, ba^ man in ber 5tunfi wie in ber Sleligion nad^
fe^r oerfd^iebenen ga^oniS feiig werben fönne, unb er beruft ftd^ auf
@oetl((eÄ antwort auf bie g^age: „SBie aber fann fxd^ fian^ mn
(gi|(f mit 5ßl^ibia8 nur meffen", um ju beweifen, bofe aWafart ebenfo
bered^tigt fei, wie jeber anbre große ftünfiler.
3
34 $and äRalart unb 9tic^arb 9Bagner.
2Benn wir fold^e »eariff^ücrioitrung bei einem bet Äunfl fel^t
na^eftel^enben SDlanne, bet ben ©tift wie bie gebet mit QUi6)em
©efd^ide fül^tt, anlteffen, fo Knnen wit fie un^ nut jum Xl^eil au^
bet lei^t en^ünblid^en ftünftletnatut etMäten; bet tiefete ©tunb
liegt in bet fifl^etifd^en g^^f^^^tenl^eit unftet Qtit unb in gewiffen,
bad gan}e Seben mel^t unb mel^t bel^ettfd^enben allgemeinen Sttö^
mungen. 6ö ftnb biefelben ©tünbe, au^ weld^en aud^ SBagnet^
3Kuftl ft^ il^ten 5ßla6 unb il^te fanatifd&en SBerounbetet gewonnen
]^at. Sßit loollen und ni^t etma auf bie }a]^Itei^en 93etftöge 3!la'
lattd gegen SRid^tigleit bet S^x6)nnni, SBal^ti^eit unb aRöglid&leit
bet einjelnen ©liebet unb bet ganjen ©efialten betufen. Sllle biefe
geißlet fönnten juffiBige SDlängel fein, fo gut wie unfte ßotneliuS,
®enelli unb anbte 3Reiflet bet Sinie beten genug batbieten. 9lbet
bad ©tunbübel liegt tjiel tiefet. aWalatt wiB feine SBal^tl^eit bet
Sflatut, weil feine Äunftanfd^auung eine !tan!l^afte äuÄgebutt un«
natütlid^et ©efettfd&aftdjuftänbe, tjetfd&tobenet Wnjlletifd^et SBet^ält=
niffe ift. Unb l^iet l^iaben wit ben ^jJunlt, wo et ftd^ ebenfo f^toff
T)on 3<*n Dan ©pd wie x)on ?ßl^ibiad, t)on ÄJijian wie ©otteggio,
Don SRuben« wie SRembtanbt fonbett. 9iut fold^e ©infeitigleiten,
wie unfte beutfd^e Äunftentroidelung fie feit bem Slnfang bicfed
3a]^tf|unbett§ bietet, !onnten eine fo ejtteme SHd&tung wie bie
90la!attd et}eugen. Jlein gtan^ofe ift je fo n)eit gegangen obet mätbe
ie fo weit gelten. 2ltö bott bie Siomantifet gegen S)aüib unb bie
Ilaffifd^e ©d^ule aufttaten, wollten fie ted^t eigentlid^ butd& SWcHel^t
jut 9iatut bie pfeubollaffifd^e Äunft auiJ ben angeln ^eben, unb
felbft il^te e^ttemflen SDlännet bed paysage intime unb ein ßoutbet
mit feinem „le laid c'est le beau" wollten oot allem bie fd&lid&te,
ungefd^minlte, unoetfälfd^te 9latut, ja fogat biefe liebet l^fifelid^ abet
wal^t, ftatt in lonoentioneHet ©c^önl^eitÄlüge. SKbet weil unfte
Qbealiften ebenfalls jut ®infeitig!eit gefommen finb, weil fie baS
eigentliche Clement aQei^ 9Raleni$, bie gatbe, nid^t oetfianben unb
beSl^alb als etwas ©ünb^afteS oetpönten, foKen wit nun eine 9Hd^^
tung etleben, bie nid^ts atö gatbe will, unb jwat auf Äoflcn nid^t
etwa blog bet ibealen gotm, bet £inie, beS tl^ptl^mifd^en 9[ufbaueS,
bet plafäfd^en SDutd^bilbung, fonbetn auf jtoflen aQet Sßal^tl^eit unb
SRatut. S^tx\t l^aben unfte S^ealiften bie Statut üetpönt, fo bafe
^and 3kataxt unb füx^ath 9Bagner. 36
pc fddUclU^ ha^ SRalcn faft afe eine moraltfd^e »efledung be«
reinen ÄflnftlerÄ l^infieHten ; biefe ©eneration iji nod^ nid^t au^ge^^
fiorben, wirft nod^ auf jal^lreid&en aiabemien tjerberblid^ fort. ®ie
,,9Ranbarinen ber Semalunfl^Haffe", weld^e 6. Äoffaf fo wiftig in
feiner fiumoreÄle über bie berliner äuSftettung be« S^^teÄ 1846
Derfpottete, pe leben grofeenteiU nod^ unb ^aben in biefem SSierteU
jal^r^unbert jtoar nid^liS gelernt, aber vieU^ üergejfen. S)iefe 9Ran=
barinen l^aben ein 3^^^1>tti> ^^n SbealiiJmuÄ gefd^affen, wie t^ nie
in ben grofeen 3^it^w ^^^ ^""ft Ö^^^^t '^^t> ^^ ^ft ^^^ Si^^^KSrnuÄ
ber Smpotenj. äßenn ntan i^nen fagt: bad l^öd^fle in ber fiunfl
ifl bie SRatur, 5ß]^ibia^ ift in feinen ©iebelpguren am ?ßartl^enon
ein ebenfo großer SRaturalijt wie S^n tjan &)d, fo rufen Re ba^
ftreujiget il^n! Unb bod^ pnb an jenen l^errlid^en aRarmorbilbern
nid^t bloB bie nadten 2:eile bi8 ju ben gältd^en ber $out, fonbern
aud^ bie @en)anber in i^rem t)erfd^iebenen @toff unb ben baburd^
bebingten galten mit einer SBal^rl^eit roiebergegeben, bie nur ein
unmittelbareis 9lad^bilben ber 92atur Derleil^en fann. Unb bedl^alb
Pelzen bie aWeifter beiS ®enter ältare« bem alten aWeifter t)om ^par^
tl^enon n&^er atö mand^er beult; unb beiSl^alb ifl biefelbe Siefe beS
SWaturaliÄmuä aud^ in aßen anbem großen SReiftern aller ^dtm.
3Ran tjergleid^e in ben »raunfd^en ?ßl^otograpl^ien bie ©ejlalten
aWid^elangeloiS an ber S)ede ber ©ifHna, ober bie ®ruppen t)on
Seitgenoifen in 3*afaefe ^eliobor, SWeffe oon SBolfena unb Sfttila,
unb man n)irb finben: l^ier ift berfelbe grofee SlaturaliSmug, wie
bei Siiian, Stembranbt, aSelaiSque}. SBad aQe jene großen ^ünftler
unterf (Reibet, ift nid^t il^r mel^r ober minber nal^e^ SBerl^filtniB jur
Slatur — benn fie alle fiel^en il^r gleid^ nal^e — fonbern bie tjer^
fd^iebenen formen ber SRatur, bie fie oor Stugen l^atten, unb ber oer^
fd^iebene ©ebraud^, ben fie oon i^rem SRaturfiubium mad^en. ^tm
abftrafte, in be« SBorteS üoBer »ebeutung ,,abge}ogene" gormenwelt,
loeld^e ber mobeme ^feubo-^bealiSmuS und ate bad allein SBa^re
bietet, ijl Don ber fpfiten römifd^en ©hilptur ber Äaiferjeit, nament^
lid^ ber l^abrianifd^en (Spod^e entlel^nt, bie unfern Sllabemitern atö
bie einzig tanonifd^e Slntite gilt, n)&^renb fie burd^n)eg ein eHeltifd^
lonoentioneße» SBefen ifl unb t)on ber Slaturfrifd^e ber großen gried&i*
fd^en Äunft nid^td me^r beftftt.
36 $and "Statatt unb 9{i(^atb 9ßagner.
©ol^c einfcttifl!citcn jic^cn not^tocnbig neue ©ytreme naä) fid^,
unb nur afö eine geniale, aber tjer^ängnifeüotte ginfeitigfeit !önnen
wir 3)lataxt bejeid^nen. aRüffen benn aber notl^toenbig auf bie 5puri*
taner ber Sinie bie SJerroriflen beÄ^ßinfete folgen? SJenn roirHid^,
nid^tö anbreiS aliS ein SerroridmuiS ifl bai^, niaS man unS atö ,,fous
tjeränen ^bealigmu^ ber garbe" anpreifen voiU. aRu^ fxd^ unfre
neuere ^unfi benn abfolut in äu^erfien ©egenfä^en ben)egen? aide
gefunben ©pod^en ber Äunfl jeigen un» nid^W bergleid^en; erft unfrer
3eit war e8 torbel^aften, au^ ber Stbflraftion bed S)enlerd gleid^fam
bie Äonfequenjen für bie Äunfl }u jiel^en. Slber unfer moberne^
geben ifl eben fein gefunbeiS, unb fo l^aben wir benn nad^ ben
SBurjeln }U fud^en, au^ n)eld^en bie Jtunftrid^tung eined 3natatt xf)xe
Slatirung fangt.
ißier n)irb un§ bie parallele mit ber SBagnerfd^en aRufil mand^en
Sluffd^lufe bringen. SSergleid^en wir bie jefeigen Silber SRatartö mit
jenem erflen, roeld^e^ feinen SRamen fo fd^nell überall belannt ge=
mad&t, ben fogenannten ^^obfünben, fo fällt eine gereifte SDlonotonie
ber ©timmung auf, bie pd^ in ber garbenbel^anblung nid^t blojs,
fonbern aud^ in ber ftompofttion unb in ben einjelnen giguren ju
erlennen gibt. 3Bir l^aben e« nirgenb mit inbioibueH ausgeprägten
©epalten ju tl^un; alleÄ bewegt fid^ wie im 2;raum, tummelt fid^
auf einer gl&d^e, bie unS nid^t bad ©efül^l räumlid^er 3Wöglid)feit
gibt; beSl&alb fel^lt aß biefen SBefen bie ejifienjfa^igfeit. ®anj
baSfelbe bei SBBagneri^ ©eftalten. 3" ^ß f^in^« Dpern biefelbe pl^an«
taftifd^e ftlangroirhmg, biefelbe Unbefiimmtl^eit ber 3^i^*^w"S/ ^^^
felbe Unfä^igfeit im ©eftalten roirMid^er ß^araftere. SBielleid^t er«
flärt f\6) barau», bafe afl biefe „ibcalen" SBefen, mögen Re felbfl
e^ebrud^ unb baneben (wie in ben SWibelungen) nod) etmag JBlut^
fd^anbe treiben, ben 3w^örer unb Qn^6)amt ni^t einmal empören,
weil man i^nen loirllid^eS fi^nbeln ebenfomenig jutraut, wie ben ®e^
ftalten ÜWafartS. 9Bie bei biefem atleS auS bemfetben garbentopfe
geflogen fd^cint, fo burd^jiel^t alle SBagnerfd^en Sd^öpfungen bie
gleid^e mufifalifd^e Stimmung, roä^renb bei einem fo weit hinter
ber ©ntioidfelung jurüdtgebliebenen SWeifter, mie SDlojart, ber „t)cr^
altete" ©tanbpunft ^errfd^t, bafe er nid^t blofe in jebem SBerfe anbrc
©runbtöne anfd^lägt, fonbern jebe einzelne ©eftalt in feinfier 2Beife
$Qnd Wlataxt unb 9iicl^arb 9Bagner. 37
ntufifalifd^ d^araftctifirt unb inncrl^alb fold^er inbiptbuellcr gärbung
für iebe ©timmung bcS ©cmütl^SlcbcnS bcn ergreifcnbcn unb be«
^eid^nenben Slu^brud finbet.
9Bad bei iDla{art bie absolute %axbtf haS ift bei SBagner bad
fouüeräne Drd^eftet. 3^m tl^eilt er aße SRoKen ju, fo bafe baneben
bie ©efangäparlien, in benen bod^ bie bramatifd^e ß^aralterifli!
gipfeln foEte, nur afe untergeorbnete Segleitung in »etraii^t lommen.
3n ber ,,unenblid^en 9Relobie", weld^e bei SBagner fid^ ate unbe^
jHmmteg SDBogen t)on 2;önen ju erlennen gibt, finben wir bie wagen,
t)on aller SRaturroa^rl&eit entbunbenen garbenalforbe aJlalartiS wieber.
3)ie Stimmung ift bei beiben eine trauml^aft pl^antaftifd&e; eS ift
ein Xaumel, ber bie ©inne ergreift, wie ber entl^ufiaftifd^e berliner
Äritiler ganj rid^tig fögt; ein Opiumrauf d^, bort burd^ ba^ D^r,
^ier burd^ bad ^uge empfangen, ileine ^rage, bag barin ein poe-
tifd^e^ Clement jum SluSbrudC {ommt. @iS werben Situationen oon
einer märd^enl^aften @runb{}immung gefd^ilbert, bie bad ©emütl^ n)o^l
JU ergreifen oermögen; aber fobalb man !lare ©efialten tjerlangt,
aRenfd^en t)on t^leifd^ unb 93tut, fo jerrinnt aOed loie ©d^emen.
3)ie mufilalifd^en 5Wittel bei SBagner berufen in einer beftimmten
Steige Don Rlanflioirfungen, t^eitö burd^ ftet^ roieberfe^renbe gormen,
toie j. 93. ba^ bid jum Ueberbrug gebraud^te 3)^otio d^romatifd^er
®änge, tl^eite burd^ finnreid^e Äombination ber 3"fi^i*niente l^eroor^
gebrad^t; bie malerifd^en bei aJlafart bewegen pd^ in ganj analogen,
ebenfo fiereotpp roieberfelirenben ©lementen, befonberiJ in ben mit be-
wunbern^roert^er grei^eit juf ammengeftellten , fontraftirenben war«
men unb lalten ^önen, — eine S^onleiter, auf weld&er biefer Rünftler
mit unnad^al^mlid^er Sßirtuofität fpielt. Unb fo entfielet beim SDlaler
ein ©lanj ber garbe, ein 3^"^^^ glutooßer unb babei ^armonifd^
geflimmter SBirfungen, bem bie ^i^antafie mo^l einen älugenblidf
erliegen tann; beim aRuftler eine innerlid^ Denoirrenbe berauf (^enbe
^rad[|t, ein SWeer oon flingenben ^^onroellen, in Äeld^em bie ©inne
woljl einmal tjerfinfen mögen.
Cl^ne grage finb ba^ ganj entfd^iebene, felbft ^inrei^enbe ©ffefte,
bie um fo me^r ein entjfldftei^ ^ublitum finben, atö ber $ang nad^
bem Sleufeerlid&en, SBirtuofen^aften unfrer geit in ^eroorragenbem
®rabe eignet. S)enfen wir un^ ein äubitorium t)on ©efd^äft^?
38 $and aRalort unb 9ii(^arb äBagner.
tnSnnetn imb äSßeltbamen aller 3lxt, ganse unb l^olbe SSelt, t)on
aSörfenfpehilanten unb 3nbu{iriettnigen^ bie lui^ eisomoiitmeiiem
®tncr an üppiger 2;afcl mit ©l^ampagner unb attem ©rlefenen aui^
Aüd^e unb JleUer ben 9ie{i beiS älbenbi^ be^agUd^ Derbauen xooUtn,
o^ne babei einjufd^Iafen. S)ie ©efellfd^aft fragt nad^ bem 21^eater:=
jettel. SRatürlid^ nur na^ ber Dper, benn ba8 ©d^aufpiel mit
feinen feineren ßeiftigen (Senüffen ifi für fol^e Äreife nid^t vox^
Rauben. ®ibt t^ in ber Dper gibelio, 3auberflöte, felbfl ©on 3uan^
gibt t^ gar ein ©ludfd^eÄ 9Berf, — fort bamit, ba« ift nid^t^ für
fie: veraltete SBBaare. aber JJannl^aufer, Sol^engrin, SDleifierfänger^
ba finb fie gefeffelt* S)aiJ ifi 9Kufil, roeld^e bie flumpfen ©inne auf^
regt, bie 3ltxx>m pridelt unb mit ben loloffaljien 2;onmaffen bem
blafirteften ^Trommelfell no($ beijulommen roeife. SSor aBem aber
bie Stu^flattung! 9)ds ift benn bod^ bie ^auptfad^e bei einer Oper,
bie mel^r mit ben Slugen afe mit ben D^ren gel^ört fein will. Unb
xok gut !ennt ber fd^laue äßeifler feine fieute! Sßad fielet man a\it&
an ©jenericn unb ©ruppcn in feinen Dpem: aSenuöberge unb
glufebetten, SRegenbogen unb geuergarbcn; ma» irgenb bie ©d^au^
luft tjerlangt.
©icfclbe ©efellfd^aft lommt aber üießeid^t auS bem ©pcifefaale,
in weld^em aJlalartS SBilber parabiren; benn in ber 21^at finb fie
für einen fold^en $Ia^ afö S)etoration beflimmt. @ine gonj unoer^
gleid^Iid^e bebratioe SBirlung l^aben fie aüerbingd, unübertrefftid^
für il^ren S^td geeignet aJlan benfe fid& bie eben gefd&ilberte ©e^
feUfd^aft beim 3)iner. S)a^ erregte Sluge fd^roeift bi^TOeilen über
bie Äöpfe ber @d^ioe(genben l^inauiS. 9)a trifft ti an ber Sßanb
auf jwei bunte ©treifen von föfilid^em ©d^immer. SWan erfennt
nid^t, roaS e^ ift; man glaubt nur einige leud^tenbe grauenleiber
au8 einem ®emifd& oon ©eetl&ieren, (Semüfen, ©übfrüd&ten aller Srt
— ben föfilid^fien Sngrebienjien eine^ SKa^le^ auftaud^en ju feigen.
,/3)er S^^^^^ *>i^f^i^ Silber, — um nod^ einmal unfern »erlinet
Äritifer reben ju laffen, — ber 85ann, in weld^em fxe bie ^ßl^antape,
baS entjüdfen, in meld^em pe ba8 ©efül^l gefangen l^alten," ifi um
fo mäd^tiger, je unflarer, je unmöglid^er ba8 ©anje afe malerifd^e
Äompofttion ifi. SWan ^at einen präd^tigen 3:^eppid^ t)or Slugen,
bei toeld^em ed gleid^gültig bleibt, ob bie einzelnen Steile, bie v^^
S^M» 9Ra!art unb ffii^oxh SBagner. 39
f(|tebenen garbenficde au8 einem grauentüdfen, einem Kummet ober
einer SBeintraube befleißen. aRan ift roicber bei bem Slnfang aller
Xeppid^beforation angelangt, unb für ben SBertl^ bed JtunflroerleS
fd^eint ei» unerl^eblid^, ob man ben S^eppid^ in ber gegebenen ober
in ber umgele^rten SBeife aufl^ängt. SteOt man bie 9Ra{artfd^en
93i[ber auf ben Jlopf, fo vtxlitttn fte nid^tö oon i^rem äBert^e, il^rer
fünfUerifd^en SBirtung. SBir finb toal^rlid^ weit entfernt, ber foge-
nannten ©ebanfenmalerei ba^ äßort }u reben, bie meiflend i^re
mangelhafte ®efialtung8lraft, il^re ©d^toäd^e in Sluffaffung ber SRatur
l^inter f d^einbarem ^icffinn be8 Si^'&ött^ i^ t)erbergen fud&t unb barin
an bie ^programmmufxf eine« Sifjt unb feiner ©d^ule erinnert. Slud^
wir verlangen von bem Äunfhoerfe ein rein lünfilerifd^e, t)om ®e^
mölbe alfo eine rein malerifd^e SBirfung; n)ir n)olIen von jener
äiJlefe beg pnfete nid^t^ wiffen, weld^e nur eine SKaSfe für fünfte
lerifd^e Snitpotenj ifi. aber wann l^at man in ber Äunft gefeiten,
bog ein SKeifler mit fo c^nifd^em Uebermutl^ bie Slatur tjer^öl^nte
unb bai» ebelfle ©ebilbe ber ©d^öpfung, bie menfd^lid^e ©eflalt, „ba^
@benbilb ®ottei»'^ ju einem bIo|en ^arbenmertl^e, ja }u einem betos:
ratiüen ^palettenlles l^erabfefete? Setrad^ten wir Slijian^ //irbifd^e
unb l&immlifd^e ßiebe", fo bleibt un« ber fogenannte ©ebanfe (b. 1^.
ba^, xoa& bie äRänner ber litterarifd^en jtriti{ meijlend fo nennen)
oerborgen; aber bie tünftlerifd^e ^btt bei» SBerfeÄ, ber ©egenfaft
peier l^errlid^er ^auengeftalten oon biametral Derfd^iebenem Sl^a-
rafter, beibe t)on ^inreifeenber ©d^ön^eit im wonnigen a)afein«gefil]&l
in eine blü^enbe Sanbfd&aft l^ineingejiellt, wirb un8 im erften SRo-
mente Mar. 2Ba« l^at nun gar Gorreggio in feiner ßeba, 3o, mai»
oan ©gdf in feiner S)anae gewagt! aber wenn biefe aReifter ba^
Sntjfidfen liebenber Eingebung fd^ilbern, fo abeln fie ed burd^
ben Derfl&renben $aud^ reiner ©d^ön^eit, ber uni» mit ber @ewalt
eine^ Slaturgefefte« umfängt. SBenn wir fold^e SBerfe bewunbem,
fo wirb man uni» nid^t tjorwerfen lönnen, bafe wir t)om SWaler ^ßrüberie
erlangen. Stber ba^ muffen wir tjerlangen, bafe er SRefpeft vox ber
3latur ^abe unb bie aWenfd^engefialt nid&t mit bewußtem $o^n jur
Äaritatur t)er]^unje. ©onfl tönt un§ auS fold^en SBerlen ba« fred^e
©ewie^er Dffenbad^fd^er ©atprn entgegen. SBenn biefe aWalartfd^en
©efialten fid^ bewegen lönnten, fie würben fofort ben dancan tanjen.
40 $an$ äRa!ari unb 9li(^arb äBagner.
Segreifti^ alletbingÄ, bafe eine fold^e Äunft bem großen S^uh-
tüum unfrer ^auptfläbte am meiften jufagt. äRittogi^ SRalort^ abenbi»
SBagnet^ baiS ift bte befle @peifefarte. 2Bie aber äRafart feine ftunfl
ju ben Anfängen gleid^fam juräd fäl^rt, fo SBagnet bie feinige. S)enn
xotx er!ennt nid^t, ba^ ba^ @emifd^ von SRufil^ Jtoftümen, S)eIorQ-
tionen unb 9(uiS{leDungiSeffeIten aüet 9lrt bie Oper bei aSem äußeren
5pomp mufilalifd^ toicber auf ben ©tanbpunit jurüdfd^raubt, auf
njel(]^cm fie im 17. Sa^rl^unbert angefangen ^at. Unb fo, wie
fie eÄ bamatö toar, ift fie l^eute wieber jum Siebling^fiüd ber in
allen Oenüjfen blafirten ,,]^ö^eren" ©efellfd^aft l^erabgefunlen.
©oßen wir uniJ nun barüber ereifern? ©eroife nid^t, e^ wäre
unnüft; loir toottten nur eine S^l^atfad^e fonflatiren, nur nad^toeifen,
baß in ben tjerfd^iebenen Äünfien jTOei l^eroorragenbe @rf(^einungen
innerlid^ penoanbt unb im SBefen unfrer 3^it begrünbet finb. ©o=
lange unfre mobeme ©cfettfd^aft biejenige bleibt, bie fie im Saufe be^
legten SSiertelial^rl^unbert^ aUmä^lid^ gen)orben ift, merben aud^ il^re
Klnfilerifd&en Sbeale, ober, fagen mir beffer, Sieb^abereien biefelben
fein. SBa^ foH biefe ©efettfd^aft mit einer ernfien, gebanlen^aften,
fd^Iid^ten unb roabren Äunft? ©ie oerlangt eine fpielcnbe, üppige
erregenbe, bie ©innlid&leit pridEelnbe, ba^ Sluge beraufd^enbe, baiS
O^x betäubenbe. Unb man glaube nid^t, baß bie babplonifd^en
©efd^idfe, bie eben*) über ben $erb biefer 2lrt oon moberner eioili:^
fation l^creingebrod^en finb, eine SBenbung für uni^ bringen merben.
S)ie entmidtelungen ber SWenfd&l^eit gelten einmal unauf^altfam i^ren
©ang unb muffen ben eroigen ÄreiSlauf erfüllen. S)ie heutige ©tro^
mung l^at il^r @nbe nod^ nid^t erreid^t.
aber bag @ine bürfen unb müfjen roir rool^l: SSerroa^rung ba^
gegen einlegen, baß man un^ bie geniale SBiUtür einei^ 3Jla{art
al$ eine mit ieber anbern gleid^bered^tigte ^^agon, nad^ ber man in
ber Äunjt feiig werben lönne, anpreifi. S)ieö roeifen roir um fo
ernfter jurüdE, ate roir ftetä ju bcnen gcl^ört l^aben, bie ben aJlangel
an foloriflifd^er SluiSbilbung bei unfern meiften SDlalern beflagten.
£ange genug l^at unfre Runft fid^ mit bem STianieridmud ber $feubo^
llafpler l^erumgefd^leppt. ©oH fie jeftt in einen oiel ärgeren 3»anie«
*) ©cfd^ricben am ^finQftfonntag 1871.
§and ajlafort unb dii^axh Sßagner. 41
ri^mu^ üerfinfcn, in einen S^pf, bem gegenüber bie fd^limmften
iWaler ber SRofolojeil nod^ naturroal^r etfd^einen? Slber e^ bebarf
fold^et ©Etreme wirflid^ nid^t, um uns weiter ju förbem. S)ie ge*
funben eiemente in ben ©d^öpfungen ber franjSftfd^en Äolorifien
^aUn aud^ auf unfrc Äunft fd^on überall einjuroirlen begonnen.
J3n a)iänd^en, in Scriin, in Süffeiborf befifeen wir genug SDJeifter
in ?ßorträt, ©eure unb Sanbfd^aft, bie an ßebenÄwa^rl^eit unb
garbenreii leinem granjofen weid^cn. S)ie garbe ift aber nun ein-
für aUemal bie fpejififd^e ©rfd^einungSform, in weld^er bie aiufeen^
weit üom 3Jfaler gefaxt fein toiH, mögen bagegen aud^ bie 3Wan*
barinen ber tjerjopften Slfabemien fagen roaS fie motten, mögen fie
eS nod^ fo fe^r afe unbeutfd^ unb und^rifHid^ benunjiren, menn je-
manb gut ftatt fd^led^t ju malen mcife unb fid^ auf Harmonie, Sufts
perfpeftiüe unb malerifd^e SBirlung t)er|ie^t. Sßir l^offen, bafe bie
<gEj^f!^ ^i«^^ nod^ fo genialen ÄünfileriS unfre SKalerei nid^t tjon
il^rem gefunben SBege abbringen werben. S)afe gut ju malen aud^
dnen beutfd&en Äfinfiter nid^t fd^änbet, l^at ja fd^on ^olbein be«
miefen; unb üon S)ürer miffen mir, ba§ er barüber geflagt, mie er
in jungen Salären ba« SBunte in garben, baiJ ^^antaftifd^e in gormen
«rfirebt ^aU unb erft fpäter jur einfid^t gcfommen fei, bafe bie
l^öd^fte Slufgabe beS ÄünjileriS barin befiele, treu ber Slatur ju
folgen. a)ie pd^fie ©enialitat mitt aber nid^t in 3JlafartS Sffieife
mit ber 5Ratur il^ren friüolcn ©pott treiben, fonbern nad^ SJürer«
SSorfd^rift reblid& i^r nad^gel^en.
(„»KßWttrine Bttfuna" 1871.)
.^tc Äuttflgefd^id^te ijt bie iüngfte unter ben 3Biffenfd^aften.
©ie ^at fxd^ etfl neuerbingÄ etnerfeitö au^ ber ©efd^id^te, anbcrfcit§
au8 bet acfl^etif loögclöfi, um für fxd^ eine felbfiänbige ©sifienä ju
begtünben. auf ben fiod^fd^ulen freili^ ifi biefe^ Sßerpitntfe laum
irgenbwo anettonnt, benn bort wirb bie neue 3Biffenf(^aft meifieng
nod^ als nebenfäd^lid^e S3eigabe jur Slefll^etit^ ®efd^id^te ober &\U
teratur betrad^tet. @i$ gel^ört aber nid^t Diel 9lad^benlen baju^ um
JU begreifen, bafe bie Äunjigefd^ii^te in i^rer l^eutigen aSertiefung unb
äCu^be^nung bie 93ebeutung eined felbftänbigen %a(!^t^ unb bie ganje
Äraft eine« tüd^tigen ©elel^rten in SCnfprud^ nimmt.
S)ie 83efd^aftigung mit ber Äunft unb i^ren ©d^öpfungen war
lange 3^^^ auSf$Iie^li(]^ ©ad^e be^ 3)iIettantiMuS, ein bloßer ©e-
nn^, ein flüd^tige^ ©piel für beüorjugte Äreife. Sei fjürften unb
Dornel&men Ferren begann man juerfl mit bem ©ammeln t)on allers
lei fturiofitäten unb ftojibarfeiten au« ben ©ebieten ber Äunft unb
Slatur. 3luiJ biefer toinen ©ammelrout^ ging allmäl^li(| bei fleigen«
ber S3ilbung bie fiufl am ©d^önen, bie ^eube an ben ©d^öpfungen
ber ftunft, befonbcr« ber SKalerei, l^erDor. gürjilid^e ©d^Iöjfer
waren e«, wo bie ©emälbegalerien fid^ juerft entwidelten; in SBien
ift bie ©alerie beiJ Sefoebere in ?ßala^räumen untergebrad^t, in
Äaffcl tjer^ielt e« fid^ ebenfo mit ber Ijfilid^en ©ammlung, bie fogar
bi« jur preu^ifd^en Eroberung bem ^ublifum fär freien ®enu| unb
©tubium fo gut wie rerfd^Ioffen war. ©eitbem l^öl^ere Silbung in
3)ie ^unftgefc^tc^te unb bie Unioerfüäten. 43
bie SOtaffen ßebtungen, l^at man freilid^ jene ©d^äfte atten Ätcifen
jugöttglid^ gemad^t, aber nod^ immer ifl nid^t überall bie baraug
mit SRotl^roenblgfeit l^en)or8el^enbe gorberung erfüllt, für biefe ©amm^
lungen eigne ©ebäube ju errid^ten, in roeld^en biefelben nad^ fünfte
gefd^id^tlid^en ©efid^tiSpuntten georbnet bem ®enug unb ©tubium
allgemein bargeboten werben. SDie 3nitiatit)e baju ergriff im 3^^^^
1824 bie bamalige l^od^erleud^tete Slegierung $reu|end, inbem fte
burd^ ©d^inlete SWeifierl&anb bag berliner SKufeum erbauen lie^.
3n)ei ^a:^u barauf crl^ielt Älenje üon Äönig Subwig ben Auftrag
jum ^an ber ^ßinafotl^el in aWünd^en, nad(|bem t)or^er für bie
antilen ©tulpturen in ber ©Ipptotl^et ein mürbiged Stufeum ge^
fd^affen war. liefen SSorgfingen folgte bann ©reiben mit bem
präd^tigcn SRufeum be« genialen ©emper; aber aud^ Heinere ©amm^
tungen, n)ie bie ju ©tuttgart, ftarterul^e, Dor allen bie getoä^lte
©alerie beiS ©tdbelfd^en SWufeumd in granffurt, unb neucrbingS
nod^ SBeimar fd^lo^en ftd^ an. 9lad^ bem äSorgange t)on ^antfurt
erbauten bann anbre ©tfibte^ wie Seipjig, Hamburg, Bremen, jtöln
(biefe8 leiber in wenig glüdtlid^er äu«fül^rung), ^aläfie für il^re
©ammlungen, fo ba§ ba« Sürgertl^um mit ben gürflen einen eblen
SBetteifer belunbet.
3Wit ber ©rbauung biefer SKufeen unb mit ber miffenfd^aftUd^en
älnorbnung unb äluffteUung il^red ^nl^altiS l^at bie moberne jtunfl-
gefd^id^te eine entfd^eibenbe X^at DoQbrad^t, bie auf bie @ntn)id(elung
biefer SJiSjiplin mäd&tigen ©influB geroinnen mufe. 3"ß^ft ^«tte fid^
au^ ber aKajfe ber lünftlerifd&en SDentmSler ber betrad^tenbe ®eift
bie äBerfe it^ Ilaffifd^en 9lltert^umS audgeroä^lt unb aQmSl^lid^ bie
SBiffenfd^aft ber ttaffifd^en SrdSiäologie barauf fntroidfett. aber e^
beburfte langer 3Rü^tn unb kämpfe, bis biefe ^ii^iplin ftd^ neben
ber ?ß]^itologie ben il^r gebü^renben SRang unter ben Unitjerfitatgs
fäd^em errungen l^atte. ^nhe^ mit »egrünbung ber ättert^umÄ=
roiffenfd&aft mar nur ein erfier ©d^ritt getl^an. »alb rourbe flar,
bafe bie Slntife, für p<ä^ attein betrad^tet, nid^t jum t)oflen a3erftönb=
niB il^rer ©ntroidfelungSgefefte auSreid^t. S)ie alte Äunfi be8 Orient»,
aeggpten», affgrienS, ÄleinarienS mu^te erfd^Iojfen werben, el&e man
bie SBuiqetn ber gried^ifd^en Äunft bloßlegen fonnte. SBäl^renb fid^
fo nad^ rüdfroärtS ba« gelb ber SBetrad^tung t)ertiefte, brängte
44 2)ie ^unftgefd^id^te unb bie UnipetTttäten.
ber gorfd^ertrieb juglcid^ cd aud^ nad; t)orn)ärt« ju eriöeitcrn, bie
SBclt bcg 3)UttelaltctS unb ber SRcnaiffance bem ©tubium ju er-
fd^liefeen. 5Ral^m bei ber Slntife felbftDetftänblid^ bie ^piaflif ben
erften ^piaft ein, fo trat in ber d^riftlid^en (gpod^e bie aJlalerei als
bie eminent d^riftUd^e unb moberne ftunfi in biefe beüorjugte ©tet
lung ein, unb bie ©rforfd&ung i^rer ©efd^id^te bilbet fortan bai^
flöd^fte Ski ber Unterfud^ung. SRumol^r, 2Baagcn unb 5ßaffaDant
fd^ufen l^auptffid^Iid^ bei unS bie ©runblage für biefe ©tubien, unb
gegen 3luögang ber breifeiger Saläre tonnte Äugler ben mit 33eifafl
aufgenommenen 5ßerfud^ mad^en, ein großes ©efammtbilb oon ber ®e=
fd^id^te ber d^riftlid^cn 2WaIerei ju entwerfen. SBenige Saläre barauf
(1841) trat er fogar mit bem roeit umfangreid^eren Unternehmen
l^ertjor, in feinem fianbbud^ ber Äunftgefd^id^te alles jufammenju-
faffen, maS bis ba^in in ©njelforfd^ungen jerfplittert unb jerftreut
mar. 3Jlan lann fagen, bafe von biefer epod&emad^enben Slrbeit bie
ejiftenj ber allgemeinen Äunftgefd^id^te beginnt. S)ie l^eutige ©e-
neration, meldte mühelos bie ©rgebniffe ber aufeerorbentlid^en Slrbeit
beS trefflid^en aJlanneS fid^ aneignen lann, beginnt ^ie unb ba fd^on
mit fuperflugem äd^feljudEen auf ©d&ranfen unb SWängel beS 933erfeS
j^injumeifen. 2Wit großem Unred^t. 2BaS Äugler gab, war baS ron
ber 3^tt Oeforberte. Snbem er concis, fnapp unb ftar baS mit
Iritifd^em SlidE »on i^m gefid^tete 3Jfaterial auS taufenb SBinfeln
jufammentrug unb in überfic^tlid^er @lieberung ben gemaltigen S3au
ber allgemeinen Äunftgefd^id^te aufführte, leiftete er oor aBen Singen
baS, maS bie SBijfenfd^aft beburfte, um fid& juerft i^rer felbft inne
}u werben, ftd^ über baS bereits ©emonnene unb baS nod^ ju ©r^
ftrebenbe ju Dergeroiffern unb baburd^ bie Sal^n ju weiterem gort-
fd^ritt JU ebnen, ^n bem SBegrünber ber allgemeinen Äunftgefd^id^te
aber fanben fid^ alle ©igenfd^aften vereint, meld&e ju fold^er Seiftung
notl^menbig waren: raftlofer gleife, elaftifd^e ärbeitsfraft, frifd^er SBlidE
für aUeS fünftlerifd^ SBebeutenbe, Iritif^e ©d^ärfe unb SSebürfnife
nad^ überfid&tlid[ier Älarl^eit. SCllerbingS mußte barauS junäd^ft eine
mel^r formale Setrad^tung ber ^unftwerfe lierDorgel^en; aber was
Äugler feiner 2lnlage unb feiner aufgäbe nad^ fehlte, baS tiefe SSer*
fenfen in baS gefammte ©eifteSleben ber SBölfer unb 3^ite«^ ^^^ foHte
wenige ^df)xt barauf ein anbrer bebeutenber 3Keifter ber SBiffen*
3)ie llunftgef(^i(^te unb bie Unioerrttäten. 45
fd^aft ergänjenb Iiwjufügen. ©d^naafe ftctttc in fcittei? ©cfd&id^tc
ber bilbenbcn Rünfte, beten erfter SBanb 1846 erfd^ien unb bie jefet
in ruhigem f^ortfd^reiten bis jum @nbe beS 9RitteIalterS Dorgebrungen
ift, pd^ bie aufgäbe: nid^t blofe ben äußeren fieib, fonbetn gleid^^^
fam bie 5Pfpd^e ber Runft in i^rem l^iftorifd^en 3Berbcn unb SBad^fcn
}u etfotfd^en. 6r l^at biefe aufgäbe in einer SQSeife gelöfi, bafe fein
a3ud& mit SRed^t ju ben Haffifd^en'Sd^öpfungen ber beutfd^en Sffiiffens
fd^aft jd^lt unb fein SSorgang für bie weitere äusbilbung ber lunft*
gefd&id^tlid^en S)i§jiplin von mafegebenber SBebeutung würbe.
®ine ©d^ilberung beS weiteren gortfd&reitenS unfrer SBiffen^
fd^aft im einjelnen liegt nid^t im 5piane biefer S^ikn. @ö genügt,
auf bie Sitteratur ber legten jwanjig Qal^re ju tjerweifen, um bar=
auf ^injubeuten, weld^en Sluffd^wung biefeS junge §ad^ in wai^rl^aft
jugenblid^er ©pannfeaft unb ©d^öpferiuft nad^ Umfang unb S^i^alt,
nad^ aSertiefung unb SSerbreitung erfaliren l^at. S)te ©ebilbeten ber
Station nehmen in mad^tig wad^fenber S^eitnal^me an ben @rgebniffen
ber gorfd^ung 33^eil unb gewinnen infolgebejfen mit iebem 2;age eine
lebenbigere SSejicI^ung jum fünftlerifd^cn ©d^affen ber ©egenwart;
baburd) aber ift leftterem, in ganj anbrer SBeife aU früher, bie
^Pforte SU allgemeinem aSerfiänbniffe geöffnet. Unb ba bie Äunft
nun in frifd^er SJBed^felwirlung mit bem ganjcn Seben fid^ gefunb,
fräftig unb frei entfalten !ann, fo liegt auf ber fianb, weld^e SBer*
bienfte bie Äunflforfd^ung burd^ SBcdfung be3 allgemeinen S^tereffeS
unb Vertiefung beS SBerflänbniffeS aud^ für fte gewonnen l^at.
Sei biefer l^ert)onagenben ©teHung, weld^e bie ftunfigefd^id^te
für baS ®eiftei5leben ber SRation errungen, mufe e§ tief befremben,
wenn wir nad^ ber ©tcllung fragen, weld^e fie bis jefet auf ben
^öd^ften SBilbungSanftalten 2)eutfd^lanbS einnimmt Rann eS eine
35iS}iplin geben, bie in p^crem ©rabe geeignet wfire, auf bie et^ifd^e
®ntwidEelung unfrer 3ugenb eiujuwirfen? SBaS junäd^ft bie aftl^etifd^e
»ilbung betrifft, wie l^olil unb pl^rafenl^aft mufe fie bleiben ol^ne
tiefes betaittirteS ©ingel^en auf bie bilbenben fünfte unb il^re
©d^öpfungen, alfo auf ben gefammten ©toff ber ftunftgefd^id^te- Unb
wer wirb üollenbs eine grünblid^e Äenntnife ber ©efd^id^te, ein
tebenbigeS Sewufetfein Don ber ©ntwidfelung beS ©eifteSlebenS ber
aSölfer bem jufpred^en, weld^er feine Sl^nung baoon befiftt, wie fid^
46 S)ie 5tunftgef($i(!^te unb bie Unioerfttäten.
ba^felbe in ben fiinftlerifd^en ©d^öpfungen geoffcnbatt ^at S^^^P
unb }umeift ift bai^ $Berftänbni| für bie Säebeutung bet jlunfl^
gefd^id^te an benjenigen l^öl^eren Sel^tanftalten aufgegangen^ toeld^e
aU bie ntobernften ©d^öpfungen aus bem Oeifte unfter j^it (ler*
t)otgetoad^fen {xnb, an ben ted^nifd^en ^od^fi^ulen. S)er ftamntDer-
TOanbten ©d^weij gebührt baS SBerbienft, mit frifd^em Slidfe l^ier
juerft baS aWd^tige erlannt ju ^aben- S)aS eibgenöfpfd^e ^ßolpted^^
nifum in Sütid^ erl^ob bie Äunftgefd^id^te jum SRang eines fiaupt^
lel^rfad^eS^ inbem eS baburd^ nid^t blog feinen fämmtlid^en Bög^i^S^^
bie Duellen l^umaniftifd^er 93ilbung erfd^lo^/ fonbem ber ^ad^fd^ule
ber äCrd^itetten baS ^ad^ fogat ju einem obligatorifd^en mad^te.
SBalb barauf folgte Stuttgart nad^, unb biefem lieber Äarterul^e,
neuerbingS aud^ 93raunfd^toeig unb 9Ränd^en, obn)o]^l l^ier^ xoxt eS
fd^eint, nid^t genug SRad^brudf auf bie Stellung ber Äunflgefc^id^te
gelegt toorben ifl. 9)a^ an anbern polpted^nifd^en ^od^fd^ulen^ vok
Serlin, ©reiben, SBien, funflgefd^id^tlid^e SBorlefungen gel^alten
werben, wenngleid^ bem %aä) nid^t bie Doffe i^m gebü^renbe Slangs
fiellung eingeräumt ift, wiffen wir red^t ujol^l. Qmmer^in mad^t
baS fiereinjiel^en ber Äunftgefd^id^te gerabe ben ted^nifd&en änftalten
um fo mel^r ß^re, afe fie aus ber realiflifd^en 9K(|tung unfrer 3ett
l^erDorgeroad^fen pnb, t)on weld^er man eine fold^e Serüdfid^tigung
ibealer Sntereffen fonfl nid^t ju erwarten pflegt;
©an; anberS ifl baS SBilb, meld^eS jene Slnftalten barbieten, in
benen man t)on alters l^er ben ©i^ aQer geleierten 93ilbung, aller
l^ö^eren aBiffenfd^aft ju erlennen gewol^nt ijl, bie UniDerfxtaten.
SBol^l l^at aud^ l^iier ber Dorbringenbe ®eijt beS ^a'fftffunbtxti ^in
unb wieber feinem jüngjien Äinbe, ber Äunjlgefd^id^te, ein be=
fd^eibeneS ^tS^i^en erobert, aber faft wie ein 9lfc^enbröbel fielet
trofebem bie Äunfigefd^id^te unter ben älteren ©d^meftern ba* 3"
ber Siegel fiberlägt man eS einem lü^nen ^rioatbojenten, ob er
ben aWutl^ unb bie aWittel l^at, fid^ ju hinftgefd^id^tlidden Vorträgen
JU entfd^liegen, bis nad^ langläl^rigem ^fl^en i^m bafflr bie auger^
orbentlid^e 5profejfur juerfannt wirb. 2Bo bie Runflgefd^id^te in bie
Sleii^e ber orbentlid^en ^äd^er aufgenommen ifl, gefd^iel^t eS in ber
Siegel fo, bag pe bei ber Slefi^etil, ©efd^id&te ober Sitteratur eins
gefd^muggelt wirb. 9llS ob baS fid^ immer mel^r auSbreitenbe unb
S)ie Slunltgefd^id^te unb bie Unberfttäten. 47
Dcrtiefenbe gad^ ^eutjutagc nid^t bic 3^it unb Äraft cineS ganjen
aRannc« tjerlangtc! Slfe man vor bteifeiß S^^ten anfing, fuä^ mit
lunjigcfd^ld^tlid^er gorf^ung ju befd^äftigen, gef(^al^ bieg überwiegenb
in leidstem bilettantifd^em ©piele, von bcr Orunblage einer mel^t
Uttetarifd&^äfll^etifd^en Silbung au^. fieute gel^ftten ganj anbte
aSoraujJfeftungen baju, in unftet SDBtffenfd^aft $ett)orragenbeS ju
leiften. SBo nid^t fünfllerifd^e unb TOiffenfd^aftKd^e Segabung in
einer gJerfönlid^Ieit jufammentreffen, too nid^t lebl^aft nad^empfin^
benbe, big ju einem getoiffen ®rabe fd^öpferifd^e gJ^antarie mit
Iritifd^er ©d^arfe beg aSerftanbeg fid& paart, ba fel< oon poml^erein
bie Orunblage für bebeutenbere Seifiungen auf biefem ©ebiete. 3lber
ber angeborene fünftlerifd^e SBlid mu§ von Sugenb auf burd^ vkU
fad^eg, immer n)ieberl^ofteg SBetrad^ten ber Rnn^tvottk, unb jmar im
größten Umfange burd^ aUe Sänber unb @pod^en, burd^ alle ®at-
tungen ber Äunft l^inburd^, geübt werben, benn nur fo lernt man
feigen unb rergleid^en. 3n bemfelben SRafee ifl aber aud^ bie fritifd^
miffenfd^aftlid^e SBegabung ju entwidfeln, benn ol^ne gebiegene pl^ilo*
fopl^ifd^e, namentlid^ äftl^etifd^e ©runblage, o^ne umfa^enbe pl^ilo^
logifd^e äSUbung unb gränblid^e jtenntnig beg Ilafftfd^en älltert^umg,
vor allem feiner Sitteratur unb Äunft, ol&ne t)ielfeitige l^ifiorifd^e
©tubien ift ben lieutigen änforberungen an htnjt^ifiorifd^e gorfd^ung
nid^t mel^r }u genfigen, bie faft fd^on unabfel^bar getoorbene Sit-
teratur beg ^ad^eg nid^t ju betoältigen, am aUemienigften aber eine
felbftänbige Seiftung von bleibenbem SBert^e ]^ert)or}ubringen.
9Kan fielet: l^ier finb SInforberungen, beren ®rfflllung roolil
eine 3lntoartfd^aft auf ebenbürtige ©teffung unter ben Sßertretern
anbrer wiffenfd^aftlid^en S)ig}iplinen eröffnet. SRur burd^ gtcid^s
bered^tigteg ©infügen ber Äunftgefd^id^te unter bie übrigen Unioers
fitätgfad^er oermag biefe SBiffenfd^aft jene SBcd^fetoirlung ju ge=
»innen, weld^e aug ber SBerül^rung ber üerfd^iebenartigen SRid^tungen
menfd^lid^er gorfd^ung für jebe einjclne fid^ ergibt, unb für weld^e
ein« ^r aKemal bie UniDerfttäten bie einzig möglid^en SRittelpunfte
ftnb. 9lur bort loirb eg ben 93ertretern ber ßunflgefd^id^te möglid^
fein, jüngere fträfte afe ©d^üler ^eraniujie^en unb für ben gort^
bau ber SBiffenfd^aft augjubilben. ©aneben aber ift pd&erlid^ bie
©umme t)on allgemein menfd^Iid^er öilbung unb ^öl^ercr ciftl^etifd^er
48 2)ic Äunftgcft^id^te unb bic UnioerTttäten.
©rjiel^ung nid&t gering anjufd^Iagen, toeld^c au^ geiftoollcn fünft?
I^iftorifd^cn aSotträgen ben ©tubitenben aller pd^er, ben 2:^eoIogen
wie ben aWebijinem, ben ^pi^ilologen, Slaturforfd^ern wie ben Surijien
unb Äameralijien juftrönien roitb. alle SBelt fhebt l^eute, einem
rid^tigen Snfiinft ber 3^^ folgenb, nad^ einer tiefer begrfinbeten
äft^etifd^en Silbung. S^bermann xoxü bod^ auf ben jefet fo er=
leichterten unb Dermel^rten 3fieifen über bie Äunftwerle in 3Kufeen,
Äird^en unb ^paläfien ortentirt fein, ©ettft in bie l^ö^eren xotih
li6)tn »ilbungöinftilute tfi ba§ »ebfirfnife mt!^ lunfigefd^id&tlid^er
erfenntnife gebrungen. ©öden bie 3üngKnge, roeld^e i^re Sluöbit
bung auf ben Uniüerfitäten erl^alten, allein baju Derurtl^eilt fein, fid^
mit einer banaufifd^en gad^bilbung im blofeen Srotftubium ju be?
gnügen unb in aßgemein menfd^Iid^er Äultur t)on 5polptedöntIem
unb gar von jungen aRäbd^en überffügelt ju werben?
SBenn irgenbroo, fo ifi eine ausgiebige, aUfeitige, gidnjenbe
Sßertretung ber Äunfigefd^id^te an jenen großen Uniüerfitöten notl^?
wenbig, roeld^e an ben fiöuptorten ber großen ftunfifammlungen in
Seutfd^Ianb gelegen finb, alfo, ba in ©reiben leine Unitjerfität vox^
l^anben, in Serlin, SBien unb aRünd^en. 2Bie fielet e§ nun in biefen
brei Drten um bie Äunfigefd^id^te an ben fiod^fd^ulen? 3n SBerlin
ift feit 3Baagen§ %o\> bie Äunflgefd^id^te an ber Uniüerfitöt fo gut
wie au^geftorben, wenn nid^t üielleid^t ein ^ßriDatbojent fid^ berfelben
annimmt*). 3n SBien fel^lt eS an ber Unicerfität nid^t an einem
fenntnifereid^en SSertreter bedgad^eS; allein ba berfelbe jugleid^ auf
feinen ©d^ultern bie ganjc Safl ber Seitung beS öflerreid^ifd^en
SWufeumS für Äunft unb Snbuftrie trägt, ate beffen 83egrünber er
Txd) ein unoergängUd^eS aSerbienft erworben l^at, fo ift e« beim beften
aOBillen unb bei ber größten SlrbeitSfraft für ben trefflid^en 3Rann
unmöglid^, bag Sel&ramt an ber fiod^fd^ule fo burd^jufü^ren, wie
bie aßiffenfd^aft e^ »erlangen mufe**). 2Ba» enblid^ aWünd^en be?
trifft, fo ift jwar bort feit a3runn§ Berufung für bie Slrd^äologie
in auSgejeid^neter SEeife geforgt, aber bie allgemeine Äunfigefd^id&te
wirb burd^ feine orbenttid^e ^ßrofeffur unb be^l^alb aud^ burd^ feinen
ber Sod^fd^ule au^fd^liefeli^ ange^örenben S)ojenten wahrgenommen.
*) ©citbcm bur(^ §. @rimm Dcttrcten.
*♦) iRcucrbing« bur^ X^aufinQ vertreten.
S5ic Äunfl9cf(§ic^tc unb bic Uniocrfttäten. • 49
35iefe 3«ftäni^^ finb in bcr ^^at auf bie Xantx unhaltbar.
©0 lange ftc nid^t gcänbcrt werben, ftnb bie föftlid^en ftunftfamm-
lungen, roeld^e fid^ in biefen brei beutfd^en ö^uptftäbten befinben,
mit äu^nal^me bcr antifen, für bie t)orne]^mftcn Silbung^anftalten
fo gut toie nid^t tjorl^anben. Unb bod^ wäre bort gcrabe wie nirgenb
anber^TOO ber Ort, burd^ ©rHärung ber Äunftroerle bie Sugenb in
ba§ tiefere SBerftänbnife fold^er ©d^öpfungen einjufü^ren unb ben fünfte
gefd^id^tlid^en ©tubien einen SRad^roud^^ von frifd^en Äräften ju fid^ern,
jugleid^ aber oud^ bie bei un^ in 35eutfd^lanb immer nod^ mangel-
hafte äftl^etifd^e »ilbung benjenigen Äreifen jugänglid^ ju mad^en,
au^ meldten bie SBertreter ber ^öd^ften Silbung, ber ©taat^permat
tung, (Sefeftgebung u. f. m. l^erDorge^en. SBie mid^tig e^ roieberum
für bie gebeil^lid^e ©ntwidEelung ber Äunfl unb il^rer ängelegenl^eiten
ift, bafe gerabe biefe Sreife fid^ gegen biefelbe nid^t t^eilnol^mlo^,
fonbem üerftänbnifeDoff unb förbernb beroeifen, liegt auf ber $anb.
©0 motten mir benn unfre gorberung, bie in SBal^rl^eit eine gor^
berung ber etl(|ifd^en unb äft^etifd^en SRationalfultur ift, l^iermit ben
SRännem, meldten bie l^öd^ften Silbung^interejfen in ©eutfd^lanb
ant)ertraut finb, anö Ser§ legen, unb t)on ber erleud^teten ©infid^t
ber Äultu^minifter ^ßreufeenS, Defieneid^g unb »atiem^ bie äbl^ilfe
biefci^ Uebelftanbeö ermarten.
-gtac^fc^riff 1884.
3n Deflerreid^ unb ^ßreufeen ift feitbem ben oben auSgefpro^
dienen SBünfd^en roifffal^rt morben ; nur in Sapern fielet äUe^ nod^
beim SKten, namenttid^ in SBünd^en fel^lt immer nod^ an ber Uni*
t)ctfttät eine vollgültige Vertretung ber Äunflgefd^id^te.
(„^d^njäfilfri^w mnrkut" 1871.)
X/er geted^tcfic Äricg, ben je ein SBoH jum ©d^ufte feiner l^eilig:^
ften ®üter gefül^rt. Regt leintet un«, gefrönt burd^ einen ©ieg, fo
gtansDoK unb glorreid^^ loie bie SBeltgefd^id^te noä) leinen t)er}eid^net
S)eutf(]^lQnbd @ö]^ne ftnb nad^ f$n)erer jtampfe^arbeit grögtentl^eil^
}u il^ren l^eimifci^en gerben jurädgetel^rt^ unb Bä)mtxt unb 93äd^fe
werben ru^ig Dertoufd^t mit ^ßflugfd^ar unb geber. 2)a8 SBaterlanb
})at ben l^eimgetel^rten Siegern^ ben Siettern unb @d^ü^ern feiner
Sntegritat unb ©id^erl^eit, feiner ©itte unb Äultur, einen ebenfo
^erjUd^en al« glänjenben empfang bereitet. 2)ie Xage feftlid^en
Qubetö ftnb vorbei, bie Xriump^ögen abgetragen, bie für bie ©n^
}ug^tage errichteten Statuen Derfd^n)unben, bie ©emcilbe unb trans-
parente befeitigt. 2)a ifl e8 benn begreiflid^, bafe üon allen ©eiten
bai^ aSerlangen laut wirb, bie ©rinnerung an fold^e 3^it ber ©r^
Hebung in bauemben a)en!mälem ber Äunft a\x^ für bie SZad^welt
Deretoigt ju feigen, ben S^ttö^^^ff^« J^r ftoljen greube, ben nad^::
fotgenben ©efd^Ied^tem ju tief einbringlid^er aWal^nung. ©d^on ftnb
SBorfd^Iäge laut geworben, bie l^ier unb ba felbft bie gorm beftimmter
tünfilerifd^er ?ßläne angenommen l^aben. ©o bürfen wir benn aud^
unfrerfeitS wol^l fragen: wie läfet fid^ am würbigfien baS änbenten
biefeS gewaltigen Sal^reS in ©enfmälem angprägen?
äße aSorfd^läge, bie big jefet ju ^age getreten finb, fnüpfen
an bie formen frül^erer Jsenfmäler an, bewegen fid^ im Äreife
längfl befannter änfd^auungen. am l^oufigfien l^ört man ben
Ueber 6icgc«ben!male. 51
SButtfd^, c8 mögen Sriumpl^tl^ore errid^tet roerbcn, wobei man
barouf J^ittweift, wie fd^ön ei8 fein würbe, wenn bie für ben ©njug
ber Gruppen l^ier unb bo aufgebauten epl^emeren ©iegeSpforten
bauernb in Stein übertragen würben, gür Stuttgart im be^
fonberen ifl biefer ©ebanfe laut geworben, wal^renb frül^er fd^on
ein ä^nlid^er aSorfd^lag bal^in ging, am (gingong ber Siedtarjirafee
ein fold^ei^ 2)enfmal ju errid^ten. S)a^ pnb Spione, bie fd^on von
praftifd^er ©eite »ebenlen erregen* 3n einer 3^it, wo ber platte
Jlüfelid^feitgbetrieb nur ju oft bal^in brängt, unter bem JBorwanbe
oon SSerlel^röRörungen ^anb an bie alten SKonumente ju legen, wo
fid^ bie l^eutigen SRürnberger nid^t entblöben, il^re l^errlid^en ©tabt«
mauern ju f(§leifen, wo man in SDIünd^en j. 39. aWiene mad^t, ein^
ber wenigen SDenfmäler be8 SKittelalter^, ba§ Sfartl^or famt ben
trefflid^en greiSfen SRel^er^ nieberjureifeen, wo man fogar in greuben-
fiabt, um bem bort gewife fel^r heftigen SSerlel^r freie »al^n ju
fd^affen, baiJ lefete Xl^or ber ©tabt, ein gebiegeneö SBerf ©d^idP^artä,
ab^ubred^en begonnen l^at, in einer fold^en 3^it fd^eint eiS nid^t ge«
ratl^en, neue wirllid^e §emmniffe be§ SSerfel^rS aufjurid^ten.
aber nod^ ganj anbre ®rünbe fpred^en, wie mir fd^einen will,
gegen fol(§e ©iegeSpforten. SBol^er flammt benn biefe 2lrt oon
2)enhnälem? S)ie 3lömer belanntlid^ l^aben jte erfunben, juerfl
}ur freier fiegreid^er gelbjüge unb gelbl^erren, bann alg ®^ren=
bejeugung für il^re Smperatoren. SDer Xriump^ogen, juerfi bie
aSerl^errlic^ung fotbatifd^en SRul^me«, fan! juleftt ju einer in ©tein
gel^auenen ©d^meid^lerpl^rafe l^erab. 3mmer aber foHte er ber
nationalen ©itelfeit fröl^nen, ben überwunbenen SBölfem i^re
©d^mad^, ben Ueberwinbern il^re ©lorie in ©tein Derewigt üor
äugen l^alten. SBol^l jiemte fid^ bag für ein SSoH, baö fd^on in
ber SSBiege auf 9taub ausging, bem bie ©ud^t nad^ Eroberungen
im Slute ftedtte, beffen treibenber ©ebante nid^t^ anbre^ war, atö
bie SBeltl^errfd^aft, jene pje 3bee, an weld^er bie ©iebenl^ügelflabt
Iranit big jur l^eutigen ©tunbe. »egreiflid^ ba^er, bafe bie mobernen
©rben biefer 3bee, unfre liebenöwürbigen Jlad^barn, aud^ ben ard^i-
teftonifd^en Slu^brud berfelben mit ©ifer aufgenommen l^aben. 3n
^ari^ beweifen ba« fd^on bie beiben a;riumpPögen Subwigö XIV.,
mel^r nod^ au8 ben 2:agen be8 erfien SRapoleon ber 2^riumpPogen
52 UeBer 8iegedbenfma(e.
beö ßarouifelplaftei^ unb ber foloffale 83au bc« Are de TEtoile,
in roAä)zm bie Sroberung^Iufl unb ber ®lottefd^n)inbeI einen voa^fx^
l^aft brutalen SCuSbrud gefunben l^aben.
©ollen toir SDeutfd&e nnn fold^en SSorgängen folgen, fold^e
3been aufnehmen? 3^^^ Äönig Subroig l^at t» einmal getrau;
aber ber Xriumpl^bogen ber SubwigöfhaBe ifl feinet jener blut^
bürftigen SiegeSmale, gel^ört Dielmel^r nur in bie 9leil^e jener
j^armlofen ejerjitien, mit weldöen man ju feiner 3^^ in aJHind&en
monumentale 3ttuiirationen jur (Sefd^id^te ber Slrd^iteftur l^injufteHen
liebte. SEenn bie wunberbare SBerfettung ber ©reigniffe erfl iüngfl
biefem Xriumpl^t^or feine SBeil^e gegeben l^at, fo mag man etma^
^propl^etifd^eS in feiner ©rrid^tung erlennen, aber wir wollen bod^
bem Fimmel bauten, loenn un$ ni^t loieber bie 92otl^n)enbig{eit
friegerifd^er Slriumpl^e auferlegt toirb. 3n ganj anbrem ©inne l^at
man baö SBranbenburger 2:i^or in »erlin errid^tet, ate SRad&s
bilb, wenn aud& nid^t ganj gelungene«, jener ?ßroppläen, roeld^e bie
l^öd&fien fieiligtl^ümer unb bie l^öd^ften Äunftbentmoler beiS peritteifd^en
Sltl^eniS umfd^loffen. SDaiS toar fein brutaler ©iegeSgebanfe, er*
mad^fen aui^ ben blutigen Sl^aten eine« Unterjod^ungi^IriegeiS; ti
war Dielmel^r bie reine ötwmeteflamme eblen greil^eitSgefül^te, ge=
läutert unb erflarft in ben glüdHidjien ftämpfen gegen bie „Grande
Nation** ber bamaligen 3eit, jene« ebeljle SBaterlanbögefül^l, meld^cS
in ben 2)enfmälern ber Slropoli« ben rettenben (Söttem feinen a)anf
ate aSeil^gefd^ent l^infiellte. Unb fragen mir meiter: mie l^aben bie
Oried^en ber ^eube über bie ©rrettung üom 3od& ber Sarbaren,
über jene Siege von 3Raxat^on, Halamid unb ^latää monumen-
talen Slu^brudt üerliel^en? 3n ©tatuengruppen allerbing« junäd^fl,
in SBei^gefd^enfen nad^ SDelpl^i, in jener foloffalen eisernen ^r^
tl^eno« auf bem 83urgfelfen ber Sllropoli«, bie bem l^eimlel^renben
©d^iffer fd^on t)on fern ate SBal^rjeid^en alleS (Srofeen unb ©d^önen,
ba« fein l^eimatlid^e« Sltl^en umfd^lo^, entgegenbli^te. Slber abge-
feigen Don plafUfd^en Sßerlen, bie il^re rein ibeale Sebeutung unb
SBered^tigung in fid^ tragen, meldte ard^iteftonifd^en S)enfmfiler finbcn
mir bei ben ©ried^en atö ©iegedjeid^en errid^tct? SWerlwürbig:
mäl^renb bie prattifd^en 9tömer abflraft ibeale ^riumpl^monumente
erbauen, begegnet uni^ nid^ti^ bergleid^en bei ben ©ried^en. ©ie
UeBer @iege$benlmale. 53
fprcd^ctt il^rctt ©iegeajubcl ard^itcftonifd^ nur baburd^ au^, ba§ ftc
bie ©ebäube, loeld^e bag gcfatnmte Seben bc3 SBoßei^ crforbcrtc, nun?
mel^t in l^d#er fünftlerifd^er aSoUcnbung erftcl^en laj^cn: beit
^efttcmpel il^tcr jungfräulid^en ©tabtßöttin fammt bcm ©olbelfcnbeius
bilbe berfelbctt unb ba^ ^ßrad^ttl^or bcr 5ßroppIäen.
©ottcn xoxx nun bcn ©ried^en ober bcn SRßmem folgen? 3d^
benle, voix überlaffen baS Slod^al^men ber SRömer mit il^rer ÄriegiSs
luft unb ßrobcrungSfud^t unb allem, voc^ baraug folgt, ben graus
jofen, bie in jebet fiinfid^t mit ben SRömern gleid^e ©eifleiJanlage
{eigen, Ȋl^renb loir bod^ mel^t SBal^Ioertoanbtfd^aft mit ben
©tied^en l^aben. SBie jene finb aud^ wir fein erobembe^ SSotf,
wollen nur bie ^eiligteit unfrei fierbe^ burd^ ©id^erung unfrer
©renjen gegen rauberifd^en ©nfaH fd(>ü6en. SWögen bie großen
aWdnner bei^ ©eifle« unb beS ©d^roetteS, bie uniJ jum ©iege geführt,
in mürbigen ©tanbbilbern tjerl^enlid^t werben; mögen aud^ ibeale
plafiifd^e SBerfe, wie jene loloffale ©ermania mit ben beiben iüngfl
^eimgetel^rten Xöd^tem, bie man am Slage be« ©injug« oor bem
Äönigöfd^toffe ju SSerlin ftd^ erl^eben fal^, in bauember %oxm afe
SJenImdler biefer unoergefelid^en ^dt erl^olten werben: ha^ werben
finnt)oIle, tief fid^ einprägenbe 3)enfjeid^en fein, an benen bie aWit*
weit wie bie Slad^fommen pd^ erbauen fönnen. 5Rur nid&t burd^
bie Slrd^iteftur abftratte ©iege^monumente errid^ten lajfen, bie feine
aSejiel^ung jum wirflid^en Zthtn l^aben, unb an benen bag 5Bolf
t^eilnal^mloiS, l^öd^fleniS mitblöbem©taunen oorübergel^t. 3Bad barauS
wirb, wenn man fold^en 9lid^tungen nad^gibt, beweift eine gange
aieil^e Don »auten be« Äönigg ßubwig. SBie abftraft, wie öbe unb
oer{af[en {teilen bie SBall^alla, bie 93efreiungdl^aIIe bei Ael^ll^eim,
bie Snünd^ner Siul^me^l^alle, bie ^Ibl^erm^aUe ba! ©o fd^ön jum
a^^eil bie ^hte unb bie au^fül^rung ifi, fein oerbinbenber gaben
»erfnüpft biefe SBerfe mit ben Sntereffen beiS fieben^, feine gemein^
fame 83afig Peilt pe auf ben 83oben ber SBirflid^feit, ein fü^Ier
Stetiger fd^eint pe mit fropiger fiuft ju umfpielen. Subwig Sänge
^atte SRed^t, wenn er fagte, bie Srd^iteftur l^abe nid^t bie Aufgabe,
Sbealc ju tealipren, fonbern baä SReale ju ibealipren.
aSon biefem ©ebanfen ip aud^ ber geiPooHe SBerfajfer eine«
auffa^e« in ber S^itfd^rift für bilbenbe ÄunP ausgegangen, ber
54 Ue(et @iegedben!male.
einen ©ttuationdplan ber beutfd^en 5tunft nad^ bent jtriege }e^net
unb maniSft» »el^ei^igeniSwert^e, 2:reffenbe Dorbringt. ©r |xe^t red^t
gut, woran a ber beutf<i^en Jtunfl gebrid^t, worin fie t)on ben ^an-
jofen lernen barf itnb !ann« älber er rfidCt )um @d^lug mit einem
äSorfd^lag l^eraud, ber, fo großartig unb poetif^i er Itingt, bod^
nid^t bIo§ ini^ 3(benteuerlid^e l^inouiSfd^roeift, fonbem auf eine ed^t
franjöjifd^e 3bee gepfropft x% 3n ber sil^at ^at e« etroa^ ttn=
gel^euerlid^eS, in 2)eutfd^lanb uniS einen S)om ber ^noaliben ju
beuten, oerbunben mit einem 9teid^dinDattbenl^aufe, gigantifd^ im
$(an unb glädKid^enoeife fo gut wie unmöglid^ in ber äludfttl^rung.
SßaS man Dom praltifd^en ©efid^tSpunlt gegen fold^ed Sßaffen-
faferniren ber 3«^^^^^^ vorbringen wirb, braud^e id^ l^ier nid^t
^u erörtern, benn eS liegt ol^nel^in auf ber $anb. 2)od^ barauf
wenigfteni^ barf id^ wo^l l^inweifen, bafe fold^e^ Senttaii^xm in
allen älnfialten Derwanbter 9lrt mel^r unb me^r in Ungunft tommt.
Sei uniS 2>eutfd^en würbe ed am wenigflen am $la^ fein. 2)aiS
bantbare Sßaterlanb wirb l^offentlid^ in würbiger unb rei^^er äBeife
für feine Sn^^liben forgen unb nid^t mel^r, wie in $reu§en bie
3nt)aliben ber 93efreiungdfriege, fte jum Seierlafien Derbammen,
älber ein 3ttt)alibenbom nad^ bem angebeuteten ^lane wärbe jteinem
f^eube mad^en, atö l^öd^flenS bem mit feiner Erbauung betrauten
aird&iteften. Unb aud^ biefem faum. Unfre Seit l^at h\& jefet feinen
aOgemein gültigen SSauflil l^eroorgebrad^t, weld^er Stnfprud^ barauf
]^&tte, ber unzweifelhafte StudbrudE unfrei Sebeni^ ^u fein. Sei ben
83auten, weld^e ber ^ag oerlangt, Reifen fxd^ bie Slrd^iteften mit
irgenb* einem ©tilrejept ber SSergangenl^eit, fo gut fte fönnen, burd&.
®ilt ed einmal, weit über bad gewö^nlid^e SebürfniB l^inaui^^ugreifen,
fo entfiel^en fofort Streit unb SBerwirrung. Am fd^lagenbjlen trat
bied bei ber Äonfurrens um ben Serliner 2)om l^eroor, bie belannt^
1x6} bii» jlegt nur bai^ eine @rgebnig ^atte, Ilar l^eraui^ufleKen, wie
wenig unfre Stit ju fold^en ©d^öpfungen bie 3»fpitation befiftt
e« lle^t JU Dermutl^en, bafe bei ber Äonhirrenj um einen beutfd&en
3nt)alibenbom eine nod^ größere fünfilerifd^e dlatl^lofigteit aui^bred^en
würbe. SBarum alfo unfre ard^iteften auf bie« ©latteii^ fül^ren,
wo fie notwenbig ßraud^eln muffen? Sßarum überl^aupt unfre
Saulunfl }u Seif^ungen anfiad^eln, benen fte beS^alb nid^t gewad^fen
Ue5et @iegedben{ma(e. 55
iji, weil fte babei nid^t t)om aUgemeinen »ewufetfein bcr Qtit gc^
tragen wirb. aRag ber einjelne anä) l^eutc noi) fo tiefe Steligiofitfit
beft^en^ bie @efammtl^eit ber äRenfd^en toirb l^eute nid^t Don jener
mä(3^tigen glutl^ religiBfer Stimmung bewegt, roeld^e in ber beften
gried^ifd^en 3cit bie eblen borifd^en unb ionifd^en Xempel, im d^rift^
lid^en 9RitteIaIter bie unDergleid^Kd^en jtatl^ebralen beiS romanifd^en
«nb frül^gotl^ifd^en ©tife l^erDorrief- SRögen jal^lreid^e ärd^iteften bem
fird^Ud^en »ebürfnife aud^ unferer SJage burd^ würbige »auten in
btefem ober jenem @tile genügen: bad ift bad ^öd^fle, xoa^ man
auf fotd^em @ebiet von unferer ^tit verlangen tann. @in 9Ronu::
mentalbau erften Stanged von au^gefprod^en tird^Kd^em S^aralter
wirb nn^ nid^t gelingen. SBie fel^r bie Sbeen beö geifireid^en aSer^
fafferd babei in ber £uft fd^weben, gel^t fd^on aud ben Slnbeutungen
über bie parit&tifd^e 93enu|ung beS @otteiSl^aufed l^eroor. @r beult
babei nur an Svangelifd^e unb jtatl^oUten. 93ei le^teren bürfte er
bann meSeid^t für SufalTtbilifien unb sattat^olilen befonbere äSor^:
lel^rungen treffen muffen, wenn biefe feinbKd^en ©ruber überl^aupt
fid^ l^erbeilaffen foHten, in bemfelben geweil^ten Drte il^rem ©otte
pi bienen. 9lber aud^ unfre ifraelitifd^en SRitbürger l^ätten bod^
wo^l gegrünbeten änfprud^, eine Äultugfifttte in bem neuen Sn^
Dalibenbom }u finben; Jtonfequenjen, bie benn bod^ wol^I einiget
Unoerträglid^e l^aben möd^ten.
3d^ glaube, wir müjfen un« auf eine einfad^ere, gefunbere,
natürlid^ere 83aflg fieHen. a3or allem nid^t» von biefen Äofoffafc
projeften, in benen. bie erl^ifete (ginbilbungi^fraft jentralifirter roma«
nifd^er SBölfer fd^welgen mag, bie ober bem 2)eutfd^en frembartig
finb unb bleiben. 2lu(3^ in biefem gaUe fottte bei un^ in erfier
£inie bad inbioibueQe ©efül^l ber einzelnen Stämme, @tdbte, ©e-
meinben jum 3luSbrudE lommen. @ud^en wir namentlid^ unfre
älrd^iteftur nid^t lünfllid^ ju l^ppermonumentalen Seifiungen l^inauf-
^ufd^rauben; erleid^tem wir il^r lieber ben SBeg, baiS SRotl^wenbige
in freier ©d^önl^eit ju geflalten. SBie id^ bieö für ben »orliegenben
§all meine, will id^ an einem fonlreten 83eifpiele erläutern.
S)ie ärd^iteltur l^ot biÄ jeftt bei un3 in 2)eutfd^lanb nur auS^
nal^miSweife il^re l^öc^ften Slufgaben erfüllen Unnen. Xvoii bed
SBirlen« einjelner großer aWeifler, troft bebeutfamer aWonumente in
56 Ue5er 6iegeiSben!maIe.
SBcrIin, J)rc«bcn, 3Slixnö)tr\, SBien unb anberrofirt^ wirb bie »au«*
lunP faft übcratt nod^ in büreaufeatifd^e gcffcln ßefd^Iagen, unb e^
fe^It mct baran, bafe bie ju crrid^tcnben Bffcntltd^en ©ebfiubc fletö
ben ißänbcn roirflid&cr SKeiftet ber Runp anvertraut würben, ^ax^
au« ergeben fid^ ©rfd^einungen, weld^e be« l^o^en Äulturjujianbg,
beffen wir un§ rül^wen, unnjürbig ftnb. $ier gilt e«, umgejlaltenbe
fianb anjutegen. SBoHen wir in SBa^rl^eit ber ©iege unfreS tapferen
fieere« njürbig fein, fo beweifen wir, bafe wir aud^ in ber ©d^dftung
be« fünfUerifd^en ©d^affen« unfern geinben minbefien» ebenbürtig
feien. Slnftatt jener ahflraften ©enftnäler mBge man aller Orten in
S)eutfd^Ianb bie grofee 3^** baburd^ üer^errlid^en, bafe man, waiJ
irgenb ba« geiftige unb materielle »ebürfnife unfre« 5BoIfeiS an »auten
erl^eifd^t, in roal^rl^aft lünfilerifd^er SBeife jur Sugfül^rung bringe.
3eber Ort wirb barin fein »efonbere« l^aben, unb an jebem
einjelnen fünfte wirb man roiffen, xoo ber ©d^ul^ brüdCt. 2)a§ wir
in unfrer neuen SReid&i^l&auptftabt ein würbige« SReid^Ätaggl^auö be^
fifien muffen, in roeld^em ftd^ bie ©inl^eit unb SKad^t be« JBater-
lanbeg ard^iteftonifd^ t)erWrpern, in meld^em burd^ ?ßtaftif unb
SWaferei unfern großen 2Rfinnern unb ben großen ©reigniffen ber
3eit ©enfmäler g^fliftet werben, ift felbftoerfionblid^ bie näd^fle %ou
berung. aber bamit ift lofalen SBünfd^en unb »ebürfnijfen nid^t
vorgegriffen. 2)a« inbivibucHe 2ebm ber einseinen Staaten, ber
großen ©tobte verlangt fein befonbereiJ ©eprdge, unb gerabe l^ierin
fann unb mufe SJeutfd^Ianb eine Slütl^e erreid(>en, bie ber reid^en
2RannigfaItig!eit feine« SBefen« entfprid^t. 3n Stuttgart j. 83. ^aben
bie lefeten Saläre eine SRei^e von öffentlid^en Sauten, wie ba« ^polij«
ted^nilum unb bie aSaugeroerbefd^ute, ben SSal^nl^of unb ba« gJoft^
gebfiubc l^ervorgebrad^t, unb bemnäd^ft werben fid^ baju bie SotianniS*
ürd^e unb bie neu ju errid^tenbe {weite fatl^olifd^e jtird^e gefeOen.
3Ran braud&t nid^t mit allem in biefen 83auten einverfianben ju
fein, wirb aber gleid^wol^l ba« Urtl^eil abgeben bürfen, ba§ im
@an)en fd^on burd^ Snwenbung burd^gängigen IQuaberbaue« eine
gebiegene SWonumentalrid^tung fid& au«fprid^t, bie, im ©egenfaft jur
frül^eren 5ßrajri«, erfreulid^e gortfd^rittc belunbet. allein grofe ijl
bie Steige ber aufgaben, bie un« ju löfen bleiben. 35ie reid^en
©d^% ber öffentlid^en S3ibliotl^et finb in einem ®ebaube auf^^
UeBer @ie$edbenTtna(e. 57
gefieHt, püdf^ nid^t blog an @(enbig!eit ber ^orm ade^ älel^nlid^e
überbietet^ toad man in beutfd^en unb anbetn Sanben feigen tann,
fonbem au(i& bnxäf feine fd^nöben gad^ioertoänbc bem foflbaren
3nl^alt um fo größere Oefal^t brol^t, aö bie gemütl^Iid^e SRaiüetät
unfred 93augefeged rul^ig gebulbet l^at^ bag in ber unmittelbaren
Mf)t Gabrilen mit ungel^euren SoIjt)orratl^en ftd& afe feuergeffil^t^
lid^fle SRad^bam eingeniftet unb immer weiter ausgebreitet l^aben*).
gafl nod^ ärger ift eS um bie öffentlid^en Sammlungen x)on Älter*
tl^ümern ber Äunfl unb ©efd^id^te befleHt. an brei ober gar
t)ier iDrte x)erjettelt, in tl^eite unmürbigen, jebenfato ungenügenben
3läumlid^!eiten aufgehellt, bieten fxe bem ©tubium grofee ©d^wierig*
feiten unb fönnen in biefer S^^plttterung bem fiaienpublihim nur
einen abjlogenben @inbrud mad^en, flatt bag fie burd^ toürbige 9luf*
fteHung ©inn unb äSerii&nbnig für bie älteren Aunfiepod^en loeden
mürben- SHe biefe ©ammlungen wollte man längfl Dereinigen unb
in einem neu ju errid^tenben ©ebäube angemeffen aufhellen. 2)aS
3al^r 1866 l^at bie äludfül^rung biefeiS ^laneis unterbrod^en. jtönnte
man nun bie fJolje ^eube über bie neueften großen X^aten unfrei
äSolfeS ebler )um äludbrudE bringen ate burd^ ma^rl^aft lünfllerifd^e
älui^fäl^rung jenes PaneS? @S l^anbelt ftd^ babei aber nid^t um
eine Seiftung ber Saubüreaufratie, fonbem um Seranjiel^ung eines
3BeifierS ber Äunfl, bejfen SBer! nid^t blofe praftifd^, fonbem aud^
äfil^etifd^ t)oIIe SSefriebigung geroäl^ren mürbe. 3n ben Sauptrdumen
biefeS S3aueS fönnte bann bie ^piafii! burd^ SBüflen unb ©tatuen
unfrer großen äRänner il^ren ^Beitrag jur Serl^errlid^ung beS natio««
nalen ©eiftes liefern, unb ber SWalerei mürbe bie aufgäbe jufallen,
an bie gro§e 3«tt in lebenbigen Silbem ju erinnern, bie S^bem Dcr*
ftanblid^, Sebem ein Oenufe unb ein ©pom fein mürben, Ueber*
l^aupt Inüpfe man bod^ fold^e S)ar|teIIungen an biejjenigen ®ebäube,
meldte ben mannigfaltigen Ö^tdtn beS £ebenS bienen, bem 93er!e]^r
beS ganzen Zolles offenftel^en, bann mirb bie ©prad^e ber 3Slonn^
mente mit nod^l^altiger Äraft in atte Äreife bringen.
ebenfo bebürfen mir in ©tuttgart burd(>greifenbe 6rmeitemng^=
bauten fomol^l am ^ßolpted^nüum wie an ber Äunflfc^ule*).
*) Seitbem burd^ einen monumentalen 9leu(au etfe^t.
**) 92euetbingS 91» Sludfü^rung ge^rac^t.
58 Uebet @iegedbenfmale.
83eibe änfialten muffen bei längerem gortbeftel^en beö jefeigen em«
pfxnbliii^en Staummangel^ in xf)xtt ©nttoidelung gel^emmt n)erben
unb burd^ etoige Anaufetei, n)eld^e bie bauHd^e Umgeflaltung l^intan-
l^alten mdd^te^ jebenfall^ eine SSerfammerung erleiben^ beten f^olgen
ti^ balb in fd^toerfter Steife bemerlbat mad^en muffen. S3eim ^olq-
ted^nilum ifi fold^er 3laä)ti)eH um fo mel^r ju färd^ten^ ba bie gtog^
artige Opulenj^ mit vod^et bie ripalifirenben Sd^roefteranflolten }u
3ürid^, JtarlSrul^e, aRänd[fen, Slad^en auSgeftottet ftnb, jebe emftere
Serf&umni§ bei un^ leidet ju einem nid^t n^ieber gut }u mad^enben
Uebel geftalten tann. Sei ber ftunftfd^ule leibet nid^t blog bie Sin::
ftalt, fDnbem aud^ bie Sammlungen merben aufis äugerfle gefd^&bigt.
SBir ^aben ). 99. eine trefflid^e Sammlung t)on ©ipSabgüjfen^ in
meldten bie gried^ifd^e ^lafUf in i^rer ]^iflorifd(fen (Sntmidfelung nad^
ben ^auptmomenten unb ben Dor)äglid^flen @d(föpfungen iebermann
ju @tnn^ unb S3elel^rung vertreten ift; aber mie. foQ man biefer
aßerte fro^ werben, ba fie an^ aWangel an 3laum in einer SBeife
aufgefteUt {inb, bie laum bem SDlagajin eines SSert&uferS, gefd^nieige
benn einer Äunftfammlung be8 ©taatei^ roürbig iji! Unter ben mo-
bernen ©tulpturen gibt bie nur in ftopeitl^agen übertroffcne ab=
t^eilung ber SBerfe 2;i(|orn)alt)feniS unb ba^ S)annedEer«Jtabinet
unfrem aWufeum einen ganj befonberen SBertl^; aber mie unroürbig
finb, wieberum aus ^Raummangel, bie arbeiten beS trefflid^en fd^rod-
bifd^en Silbl^auer« in einen fleinen fd^led^tbeleud^teten SBinfel ju-
fammengepferd^t, alS ob man fid^ il^rer fd^&men mfiffe. SBenn Sd^iDer
fe^en fönnte, wie unmürbig feine weltberühmte Äoloffalbüfie l^ier
aufgefteHt ift, er würbe ein jornigeS ©pigramm auf bie Häupter
feiner (Spigonen fd^leubem, bie fein SSerfiänbniB üon bem Unwür=
bigen biefer äluffteQung )U l^aben fd^einen. Sßie ganj anberS l^at
Äopen^agen feinen Sl^orwalbfen , 83erlin feinen SRaud^, aWünd^en
feinen @d^wantl^aler, S)reSben feinen SHietfd^el burd^ würbige äRufeen
geehrt! Sllfo fort mit biefer iSd^mad^, unb enblid^ einmal unfern
Äunftfammlungen burd^ ©ewäl^rung beS nöt^igen SRaumeS Suft ge-
mad^t.
@o fe^lt eS uns überall nid^t an älufgaben für würbige ®nU
faltung ber Srd^iteftur, unb fo wirb jebe ©tabt i^re befonberen
aBünfd^e unb 93ebürfniife l^aben. awöge man biefe in wal^rl(iaft
Ue(er @iegedbenhnate. 59
fünfilerifd^et SQScifc erfüllen, unb möge bann ben ©d^weftetfiinften
SWoIerei unb ©fulptur SSetanlaifung geboten werben, in 9latl^^&ufem
itnb ^arlamentdgebäuben, SRnfeen unb SBibßotl^elen, bie groge 3^t
unb bie fül^renben SRänner, bie gelben bed ©eifled n)ie bei^ ©d^ioerted
)u t)er]^errlid^en, bog will mir bie unfrem SBefen entfpred^enbfle art
Don ard^iteftonifd^en ©iegc^benfmälem fd^einen* 2)cr aSorfd^Iag Hingt
freiKd^ 3Rand^em DieUeid^t im erflen älugenblid nfid^tem. @r l^at
nid^ti^ Don bem Ueberfd^n^englid^en römifd^er ober fransöftfd^er
^riumpl^bögen unb SRul^medfäulen. 9(ber vok unfre Jtriegfül^rung
aller ^^rafen enttleibet xoax, n^ie bie ©iege^berid^te fogar ftd^ bürd^
anfprud^Slofe SBefd^eibenl^eit aui^seid^neten, fo fd^eint mir aud^ bie
Jtunfl biefem Vorgänge folgen ju foHen. 2>ai» ©d^öne Hegt l^ier
Dor allem auf bem 93oben bt& Sßal^ren unb ©efunben. 2>iefed in
gebiegenen äBerten jur SrfäUung unfrer geifiigen unb materiellen
»ebürfniffe auöjuprfigen, fei fortan Qid eine« eblen SBetteifer^.
(„3in0tmsin< l^tüang** 1871.)
^ä^ l^atte immer geglaubt, langfamer afe von Stuttgart nad^
griebrid^^l^afen lönne man auf ber ganjen SBelt mit ber ©ifenbal^n
nid^t fahren. Sefet bin id^ von biefem SBal^n jurüdtgef ommen : im
SBettfal^ren um l^öd^fimöglid^fie Sangfamleit übertrifft bie obere
SRedtarbal&n felbft nod^ bie roürttembergifd^e fiauptUnie. SBenn man
befonbcre« ©lud ^at, gelangt man in 13 ©tunben b\& ©ingen,
S8on aiottweil prt überl^aupt jebe SRötl^igung auf, fogar nur bie
fal^rplanmctfeigen 3^^^^ einjul^alten ; benn roa& nüftt aUe ^ünft*
Ud^lfeit, wenn bei SSillingen bie babifd^e Sal^n und jum minbefien
brei aSiertelfhinben auf ben Slnfd^lu^ märten läfet? aWan l^at in
biefer Jtunflpaufe l^errlid^e äRuge, über ben SBertl^ beS felbftänbigen
©ifenbal^nbetriebeiS ber beutfd^en ®injelfiaaten nad^jubenfen* Tlan
jiel^t feinen ^enbfd^el l^ert^or unb überjeugt fid^, bag von Berlin
bis Äöln gerabe bie tjierfad^e ©ntfernung tjon ©tuttgart=©ingen
nid^t ganj in berfelben 3^^ jurüdfgelegt mirb. SBie ungemüt^lid^
finb bod^ unfre norbbeutfd^en Srüber, mie roenig ©erfdjimenberifd^
miffen fie mit ber S^tt umjugel^en. Sei un8 im ©üben bient bie
(Sifenbal^n meit mel^r jur Seförberung ber @emütl^lid^Ieit als ber
©d^neHigteit SRüd^teme SRaturen motten auS allebem bie SRotl^s
menbigfeit eines einl^eitlid^en beutfd^en SSertel^rS^^SReid^SminifteriumS
^übtoeftbeutfd^e S^pl^^n. I. 2)onQuef (fingen. 61
l^crlcitcn. SBic fd^obe! 2)a^ l^iefee ja einer unfrer fd^önjlen beted^=
tigten @igent]^ümltd^Ietten ben ®axau& ma^m. SBol^I ift eiS tid^tig^
ba^ man mit ©d^nettjügen auf ber oberen SRedtarbal^n, mäfeig 8^=
red^net, in fed^Ä iStunben von Stuttgart nad^ 3ö^^i<ä^ fahren mfifete,
aber njoju ba^? 3" ^^^ „ungemütl^lid^en" ©d^TOeijern fommen
wir aud^i in jwölf ©tunben immer nod^ mel }u rafd^. Unb bann
l^örte ja ein ^auptreij unfrer jeftigen @ifenba]^n=®nrid^tungen auf :
bie l^armlofen Sßedtereien ber einjelnen Staaten unter einanber burd^
SBenoeigerung prompter anfd^lüffe- SBaö fid& nedft, ba^ liebt fid^;
warum alfo biefe jarten Seroeife Don gegenfeitiger Siebe ftören?
SBir l^aben ja 3cit genug*)!
S)ie tropifd^e ^i^e ber legten Sage l^atte mid^ aud unfrem
Stuttgarter Reffel oertrieben, unb nad^ elfftünbiger ©iferiba^nfal^rt
langte id^ in 2)onauefd^ingen an. SBie grofe lönnen bei fo oor^
pd^tiger gal^rgefd^winbigfeit felbft bie Heinfien Staaten erfd^einen.
Sogar SBüdEeburg müßte faji ben ®inbrudt eine* anfe^nüd^en SDWtteU
ftaateS mad^en. ^eig fanb id^ e* nun jtoar aud^ in SDonauefd^ingen^
ober u)ie ganj anberö rein unb frifd^ ftrid^ bod^ bie Suft übet bie
anmutl^igen ^iefenfläd^en unb 3BaIb{h:ed(en ber JQod^ebene bal^er!
Unb nun bie Maren SBajferarme ber Srigad^ unb »rege, a\i^ beren
aSereinigung l^ier bie 2)onau entfpringt, unb beren glutl^en ben
fd^Bnen SQBeil^em be« Sd^lofeparfö il^ren 3i*P"6 fpenben. SSBeitl^in
bel^nt ftd^ biefer auS mit präd^tigen 93aumgruppen, bie balb oer^
einjelt auS bem SBiefenpIan auffleigen, balb in bid^teren fd^attigen
9Raf[en töfllid()e Spaziergänge unb ftide Tlul^efi^e bieten. S)ad
Sd^lofe bei^ Surften oon "^üx^ttribtxQ, be* SeftfeerS biefer unb mand^
anbrer ^errlid^teiten, ifl ein »au ol^ne ard^iteftonifd^en SBertl^, Diele
Stodtoerle oon mäßiger ^öl^e mit il^ren jal^Ireid^en genfterrei^en
fafl fafemenartig umfd^lie^enb. Um fo reid^er finb bie Sammlungen,
weld^e fürPlid^er Äunftftnn unb roiffenfc^aftlid^er ©fer l^ier tjer^
einigt l^at. SßeuerbingiS l^at fogar ber »efifter ein anfel^nlid^eö ©e-
b&ube für bie naturwiffenfd^aftlid^en Sammlungen, bie ©emälbe^
galerie unb bie Oipgabgüife burd^ 83auratl^ S)iebolb auffül^ren
*) Sft fettbem 5cffer gerootben, ba wir ben ©(^ncttjug Stuttgart ^Süric^
62 eübioeftbeutf^e Sb^SeiL L S)oiMuef(|mgen.
laffen, ©in bcfonbercr Meinetcr SReubau enthalt bie SBaffcnfamms
lung, loä^xtnb bie !oPate Sibliot^et unb bie meUeidlt ttoci^ toixt^^
voMt Äupfcrfti^fantmlung »lebet anbetweitig untcrgebrad&t ftnb.
3n ber ^l^at finbet man f)m in bem fliUen ©täbtd^n $ilf«mittcl
für geleierte unb lünfllerifd^e ©tubien^ bie man in m<mä)tt weit
gtöBeren ©tabt f(i^merjKd^ Dermifet Ober wenn anbetÄmo, mie
3. SB. bei und in ©tuttgart, anfel^nlid^e ©ammlungen x^otl^anben
ftnb^ in toie unn)ätbiger ober bo^ ungenügenber SBeife l^at man
fte bann oft untergebrad^t äßan befuge bie öffentli(i^e SBibliot^et
in ©tuttgart, ba« SKufeum ber oaterlänbifd^en Stttcrtl^amer, bie
reid^en (Sip^fammlungen ber Äunflfd&ule, unb man wirb ftaunen.
SBie treffttd^ ijl in bem Deinen ©onauefd^ingen für bie ©amnt:?
lungen geforgt! Unndtl^iger Su^d ber 9luffteQung ifl vevmieben,
aber allein ift mürbig aufgeteilt, rool^l üertl^eilt in fd^önen Sldumen,
bei treffUd^er »eleud^tung. 3^^^ ^auptfäle mit gutem Dberlid&t
entl^alten einerfeit« bie gut gemäl^Iten Stbgüife nad^ ben mid^tigfien
SBerfen antifer Äunjl, anberfeit« ben mertl^oottflen Xl^eil ber ©e^
mdlbegalerie, bie altbeutfd^cn Silber, SSBaö biefer ©ammlung ben
befonberen SBertfi ©erteilet, ifl bie reid^l^altige SBertretung, meldte
bie oberbeutfd^en, fpejiett bie oberfd^rodbifd^en ©d^ulen barin ge^
funben l^aben. aBiH man biefe anjiel^enbe ©d^ule flubiren, fo l^at
man neben ©tuttgart, äug^burg unb SKünd^en aud^ a)onauefd^ingen
aufjufud^en. Unb in ed^t »iücufd^aftlid^em ©inne l^at ber »eftfcer
bafür neuerbing« geforgt, ba§ burd^ einen rdfonnirenben Äatalog
bie ©ammlüng bem allgemeinen SBerfidnbnife ndl^er gebrad^t merbe,
SBoltmann mn^k in biefem vor lurjem erfd^ienenen SBerjeid&nife
einen toertl^oollen 93eitrag jur ©efd^id^te ber alten 9Ralerfd^len
2)eutfd^lanb« ju geben, ^rd^ten ©ie inbefe nid^t, bafe id^ —
voUtnh^ bei biefer Qiiit — bie Sefer mit ©injetl^eiten ju lange aufs
l^alten n)erbe. 3^ n)ill nur menige«, unb aud^ bie« nur anbeutenb,
l^erDorl^eben. 35al^in geprt vor allem eine ganje 9leil^enfolge —
nid^t weniger ate ein Sufienb — von Xa^tln be« älteren $an«
fiolbein, be« trefflid^en aWeifter«, ber burd^ bie jüngfi erfolgte ©nts
bedtung ber Uned^tl^eit einer Dielbefprod^enen 2lug«burger ^nfd^rift
in ein neue«, unb jmar in ein vid bebeutenbere« Sid^t al« Dormal«
gefeftt roorben ifl. kleben S^itblom unb SBo^lgemutl^ fielet er jefet
eübroeflbeutfc^e ^b^Qen. I. ^onauefc^ingen. 63
unter ben bcutfd^icn SKeifictn bc« 15. Sal^rl^unbcrtö ate ber l^ewots
tagcnbftc ba; an ©d^önl^eittfinn ben erfieren nid^t immer erreid^enb,
aber an Seben8fälle unb »etocglid^teit il^n übertrcffenb, an freiem
@trom ber @rftnbung, an Sleid^tl^um ber @eban!en beibe toeit äber^:
ragenb. ©obann Meten mel^rere Xafeln tom „aWeifier ber Sirfd^er=
fd^en ©ammlung", wie il^n SBoItmann nennt, troft flarfer mobemcr
Uebermalung anjiel^enben ©toff ju Dergleid^cnben ©tubien; vox
aOem aber gel^ ort. eine 9ln}a]^I }um %^til UebeiooII audgefül^rter
aOBerfe r>on Sartl^el S3e^am jum Seften, roaS wir t)on biefem äweifler
befi^en. S)a^ n)ertl^DoIlfle barunter ifl für ben ©rafen ©ottfrieb
SBerner Don 3iwinem auSgefül^rt, von beffen ftunjttiebe bie ffirjU(]^
Deröffentlid^te, für baiS Äulturleben be8 16. 3al^r]^unbertÄ fo reid^«
l^altige Simmm^dit ©l^roni! mel^rfad^ S^^gnife ablegt. 2lud^ ein
meifterlid^eiS Heinei^ 83ilb t)on 3logier Don ber SQSepben ifi öorl^onben,
ferner ein männlid^e» ^ßortrot oberbeutfd^er ©d^ule, eines ^olbein
tDürbig unb ioä) toieber von einer anbern nod^ unbetannten ^anb.
ein befonbere«, freilid(> mel^r hilturgefci^id&tlid^eÄ Sntereffe l^at
enblid^ ein ganzes ftabinet jener fleinen Silber von 3. SB. ©eele,
in roeldjien jwar mit ben aWittetn einer funüentioneßen ^Palette, aber
bod^ in 3ci^^ii*wg, ftompofition unb SuSbrudt mit großer SebenS«
loa^rl^eit bie privaten ^elbentl^aten gefd^ilbert merben, n)eld^e bie
ärmeen ber grande nation ju ben S^^en beS erfien 5Wapoleon in
S)eutfd^lanb ju verüben liebten. 35aS junge SWäbd^en jum »eifpiel,
ba« fplittemadft auf bem 5ßferb eines fte berfolgenben franjöjifd^en
SReiterS entfliel^t, liefert auS ber SBergangenl^eit einen ftommentar
JU ben brutalen Srol^ungen, mit n)el(i^en bie f^red^^eit eineS ^er-
jogS V. ©rammont gerabe vor einem Qal^r baS babifd^e ßanb ju
fd&redfen wagte. SWit weld^ erleid^tertem ^erjen fönnen wir jefct
fold^e 9lädEblidte tl^un!
Xoä) eingel^enbe ©tubien ju mad^en war bieSmal nid^t meine
abftd^t SRur nod^ ein flüd^tiger SBlidf auf baS faubere freunblid^e
©täbtd^en, baS neuerbingS aud^ ard^iteltonifd^ fid^ verfd^önert. ^aS
jtunflgebäube, mel^r nod^ ein ebenfalls vor turjem aufgefül^rteS
opulenteres 93auivert ju äJermaltungSjtveden, ebenfalls von 2)iebolb
errid^tet, fiat lünfilerifd^en SBert]^. 2)aju fommt enblid^. ein eben
fertig geworbenes »abl^auS, benn feit SInfang biefcS ©ommerS ge^
64 ©übmeftbeutfc^e 3^9^^^. I. 2)onauef(^ingen.
l^ört 2)0 nauef dringen ju bcn Söbcrn SJeutfd^Ianb^, unb jroar ju
ben ©oolbäbcm, unb fd^on bcrocift ein jiemlid^ flarfer 3wfP^w^ ^"^
bcn benad^barten ©egcnben SBürttemberfl«, Sabeng unb ber ©d^rocij,
bafe bie änjlalt eine 3ulunft |)at. aßieberl^olt l^örte ii) bie SBirt
famfeit ber SBäber rül^men, nid^t minber bie annel^mlid^leiten be^
äufentl^altö in bem freunblid&cn ©täbtd^en, ba§ burt^ bie präd^tigen
^artanlaßen bem SBebürfnife nad^ SRaturgenufe, burd^ feine gefetts
fd^aftlid&en ©lemente, feine fünftlerifd^en unb roiffenfd^iaftttd^en ©amm*
lungen bem SBerlangen nad^ fleiftiget Jtal^rung entgegenlommt. SBBie
flünfüg jeigt fid& l^ier einmal toieber ba« SBoIten einer ed^ten Srifio^
!ratie^ bie il^re Stellung im £eben begreift unb bad noblesse oblige
ju i^rem SBal^Ifprud^i mad^t. SBa^ wäre 3)onauefd^ingen ol^ne ben
Sißaxl unb bie Sammlungen! Unb — ba8 «offen wir l^ier an-
tnüpfen — loag mären äffe unfre größeren unb Heineren beutfd^en
jftefibenjen ol^ne bie gürftengefd^le^ter, meldte fie gefd^imüdft unb
mit ben ©d^äftcn ber Äunft unb ber SBijfenfd^aft bereid^ert l^aben:
in erfter Sinie SWünd&en unb SDreöben, in jmeiter Äajfel, »raun-
fd^meig, Stuttgart, Äarteru^e, SJarmftabt, ©otl^a unb — last, not
least — SBcimar. 5Der ^artifuIari^muÄ f)at unfre politifd&e ent=
roidtlung aufgel^alten, uerlangfamt, im ©injelnen mannigfad^ geptört,
rool^I aud^ t)orübergel^enb gefd^äbigt Sefet aber, nad&bem bie ©ins
l^eit 'bei^ ^txd)^ mäd^tig aufgerid^tet ift, nad^bem ba^ gürflentl^um
ber ©injelftaaten jroar VDoi)l bie gäl^igleit ju fd^aben, nid^t aber bie
}u nü%tn aufgegeben l^at, bürfen mir unbebenHid^ lieroorl^eben, mo^
biefe fürjUid^en ©efd^led&ter für unfer l^öl^ere^ Äulturleben geleiptet
l^aben. SBol^l fel^lt nod^ ©njelneS im SBau unfrei neuen 3leid&«,
mol^l finb nod& mand^e Ueberrefte unbered^tigter ©elbftänbigleit {u
tilgen; aber baS bürfen mir getroji ber weiteren entwidtlung über^
lajfen. ©in ungefunbe^ Uebermiegen ber 3^ntralifation fürd^ten
mir barum nid^t, unb mir werben e^ um fo weniger ju fürd^ten
l^aben, je rüdf^altlofer unb treuer bie einjelnen gürften beiS Sfteid^^
ber neuen 3^it W llingeben.
S)ag ungefähr waren meine ©ebanlen, wä^renb id^ im ,,©döü|en"
wol(|laufgel^oben beim „ledfer bereiteten" 3Ra^le fa§. %xo% biefe«
irbifd^en aSe^iagen« trieb e« mid^ weiter. SSon »abem l^atte id^ in
ben lefeten Salären mel^r atö genug lennen gelernt, unb fo frieblid^
©übtoeftbeutfd^e SbpUen. U. @tein am SR§ein. 65
unb ftill biefeiJ iüngfte aßet bcutfd^en Sfiber ftd^ in feinen Äinber-
fd&ul^en liält, bie eÄ nod^ nid^t ausgetreten l^at, fo trieb e« mid^
bo^ weiter in länblid^ere abgefd^iebenl^eit. 33er SRad^mittagSjug
nal^m mid^ auf, filierte mid& juerfi über bie etioag einförmige, roiefem
bebedte, f)ic unb ba mit SSoIb befe^te nieOenaritige i5o(3^ebene, burd^i
xotl^t bie junge 2)onau in t)ielen {dgernben SSinbungen fid^ ben
9Beg fud^t, bann in jene romantifd^ere Partie, n)o bie 93al^n ge^^
maltfam ftd^ auS bem 2)onaugebiete ben SDurd^brud^ bur($ bie SBajfer::
fd^eibe jwifd^en bem ©d^roarjen aWeer unb ber SRorbfee iniS SH^ein«
t^al erju)ingt, in bie fagengefeierten , neuerbingg burd^ ©d^effefe
^oefte Derllärten anmut^igen @ebiete beS ^egaueS. S)ort ber iool^e-
träl^en, loeiterl^in bie jadEigen Umrijfe beS ^ol^entniiel, n)äl^renb
feittoärtS bie jtuppen beiS ^ol^enfloffeln unb ^o1)tn^'6wen aufragen,
©totion ©ingen war baS ©nbe ber g^^rt; uon ||ier wollte id& mit
bem 5ßofiomnibu8 nad^ ©tein am SRI^ein. 3d& roar. ber einjige
5ßaff agier, benn wer befud^t fonfl baS Heine abgelegene ©tein?
3um jungen ©d^wei}erburfd^en, ber ben ^ofliKon mad^te, mi(^
auf ben SodE fefeenb, fu^r id^ beim Untergang ber ©onne bem
SR^eine ju.
n.
^texn am ^^exn.
äBenn einiS ober ba^ anbre jener liebendwflrbigen Sagei^blätter,
meldte in ber ©d^weij feit ^ai)x unb 2:ag gegen S)eutfd^lanb tieften,
bemerten foffte, bafe itS) bag ©täbtd^en ©tein unter meine ffibbeuts
fd^en ^\>r)üen einjurei^ien im Segriff {leide, bann wirb wol(|I ein
mue^ ©ejeter lo^ge^ien. Um bem jebod^ oon Dom^ierein bie ©pi^e
abjubred^en, erfläre id^ feierlid^, ba| 35eutfddlanb nid^t im entfernte«
ften baran benft, bie ©d^weij im ganjen ober ©tein im befonbem
JU anneftiren; bafe id^ nic^t ju ben 3lgenten beS gürjlen »i^mardE
ge^dre, gu bemfelben überhaupt in gar {einer SSesiel^ung ftel^e; bag
id^ enblid^ ebenfowenig einer jener saJ^Ireid^en ©pione bei^ @rafen
9KoItIe bin, weld^e biefcr fd^laue Äopf, nad^ ber SReinung be§ „geifi-
reid^fien" SSolfe« ber 6rbe, fogar unter ©affenlc^rem unb 3läf)t^
5
66 eüboeftbeuifc^e 3b9aen. II. Stein am 9l^ein.
rinnen belanntlid^ unterhält 2)eutfd^Ianb toixb bet Bü^votii ntd^it
blo^ il^re @een unb ®Ietfd^er unb äBafferfäUe^ fonbern fogat auü^
baS ©tüdi^en Sanb, mit weli^em il^r ©ebtct bei Stein unb ©d^aff«
Idaufen in ba^ beutfd^e 2;erntDtium t^otfpringt^ ftd^rlid^ unange^
taflet laffen. 3<^ teil^ blo^ bei&l^alb @tein unter meine ^armlofen
Silber ein^ loeil eiS mir bort fo gut gefallen l^at^ unb toeil id^ bort
jene ibpHifd^e SRul^e fanb, toeld^e in ber ©(i^weij nur nod^ ba an^
jutreffen ift, wol^in 33&beler nid^t gebrungen. SBie banfbar war
id^ bem braoen umjtd^tigen Planne bafür, ba§ er in feinem ©d^roeijer^
fü^rer ba« ©tdbtd^en in Heinjier SRonpareiffe-Sd^rift mit roenig
3eUen abtl^ut unb nid^tiS anbreS baoon ju berid^ten mei^^ afö bag
t^ 1863 burc^ eine ^uer^brunft einen 2:^eil feiner alten ^dufer
eingebaut @o ifi tö büs je^t benn oon ber Sanbplage bed großen
2:ourijlent)erfeldrÄ oerfd^ont geblieben.
älber npd^ me|ir. S)a eS feitab oon ben fd[in)eiierifdden unb
babifd^en Sifenbal^nen liegt ^ fo l^at ed feinen alten &)axüttzt treu
beroal^rt, unberül^rt uon bem fe^ir ad^tung^wertl^en, aber jebem
greunbe ber 9latur unb ftunji für Stuge unb SRafe gleid& entfefe^
lid^en gabriftoefen ber „^t%titiV'. SBie mutl^ete mid^ biefe nod[i
unentToeil^te frifd^e Suft beö SH^eintl^ate löfllid^ an, afe mir unter
Obftbäumen unb Stebengel^ängen balb ben fd^önen ©trom erreid^ten
unb bie le^te ©tredCe bed SSßegeiS uferentlang ful^ren. ©eine mäd^tig
ba^jin^iel^enben SBajfer bli^ten im ®(an} einer l^eKen älbenbrötl^e
fo frieblid^ burd^ ba« üppige Saub ber SReben unb ber Säume; bie
feine SRonbfid^el erl^ob ftd^ am lid^iten mefUid^en ^immel^ unb unter
i|ir funfeite ber Sttbenbftem. Seife raufd^ten bie SBeffen unb ge^
mal^nten mid^ an längftoergangene 3ugenb}eiten^ mo id^ meiter ab«
märtd in ber rl^einifd^en 3Rufenfiabt bemfelben Alange fo oft gelaufd^t
S)a§ mir injwifd^ien auf fddmeijerifd^en Soben gelangt maren,
gab ^xd) beutlid^ }u erfennen. S)ie Areuje unb ^eiligenbilber, bie
mid^ überaU im fatl^olifd^en Oberlanbe SBabeniS begleitet l^atten,
prten plöfelid^i auf; mir maren auf reformirtem ©oben, »n ©auber^
feit, ©orgfalt, »el^fibigfeit ber länblid^en SBol^nungen erfannte ein
funbigeiS äluge ebenfalls fofort bie betriebfame beutfd^e Ofifd^mei).
SDWt einbred^enber Jlad^t ful^ren mir in ba8 ©tdbtd^en ein. SRod^
mar ei^ l^eO genug, um an ben altertpmlid^en ^lol^en ^dufern ber
eübweftbctttfc^c Sb^aen. II. ©tein am 5l§cin. 67
©auptfiragc, votlä^t bcm gtuf?c paraM läuft, an il^ren bemalten
gagaben, ben toeit porfpringenben SJäd^ern, bet jtoanglofcn tnaleri'
fd^en ©ruppirung ben ungetrübten ßl^atafter jener oberrJ^einif^en
©täbte ju erfennen, ber fi(5 in feinem 6influ| big nad^ SRottioeit
perfolgen läfet. SBon »afel bi« Äonftanj lä^t fid^ ba§ ©eprdge in
mannigfad^er Slbflufung verfolgen. 3)od^ junäd^ft galt eä bie $er=
berge auftufud^en; id^ fanb fte jenfeit^ be§ 9tl^einS, ber l^ier eine
fiattlid^e pl}crne SBrüdEe trägt, im „©d^roanen". ©infad^ unb gut,
nod^ in jener treul^erjigen altoäterifd&en ©inrid^tung, wo 3Birt^ unb
SBirtl^in, unterfiüfet etroa Don einer freunblid^en Äeffnerin, ben ®ajt
felber bebienen, ber gottlob l^ier nid^t über eine ©d^ar fd^roarj^
befradftcr fteUner ju ftolpern brandet. SDie SBirtl^gfiube mit getäfelter
iQoljbedfe unb bem großen, übrigens funjllofen Dfen in ber ®dfe
entfprid^t bem gemüt^lid^en 6^arafter beS ©anjen. SDer SBirt^ fefet
fid^ beim 2lbenbejfen bem ®afte gegenüber unb erweift ftd^ in einem
©efpräd^, ba§ aud^ bie ^olitif berül^rt, ate uerpänbiger, üorurt^ieitös
lofer 3)iann. S)a§ man fo feitab uon ben mobernen aSerleJ^rSwegen
liege, wirb inbe^ bod^ bellagt, bie SSerbinbung burd^ @ifenbal^nen
mit 2)eutfd^lanb unb ber ©d^weij geroünfd^t, unb baran bie Se«
merfung gelnüpft, bafe baS Heine ©tein für fid^ allein 700,000 %x.
für bie Sifenbal^n bewilligt l^abe. SDad ifl Dtel unb ift jugleid^ ein
Beweis von bem ^ßrinjip ber ©elbjil^ilfe, weld^eS in ber ©d&weij
baS ©emeinbeleben unb baburd^ aud^ baS ©taatsleben burd^bringt.
aSBie ganj anberS bei un^, wo man alles oon ber SHegierung vtt=
langt, wo ber „©taat" wo möglid^ jeber ©emeinbe, jebem Dberamt
ein befonbereS „eifenbäl^nle" bauen foll! SBie wenig wiffcn unfre
fübbeutfd[ien SJemofraten, ber SWel^rjal^l nad^, worauf eS in jebem
gefunben ©taatsleben, namentlid^ in ber t)on i^nen fo liod^gepriefe-
nen Slepublil anfommt!
Sttm anbern SWorgen wedEte mid^ ber golbenfte ©onnenfd[iein
unb \6) eilte fd^on Dor bem grül^jlüdE — benn ber XaQ Derfprad^
fe|ir ]^ci§ JU werben — l^inauS, um baS ©täbtd^en genauer fennen
JU lernen. SBie malerifd^ baut eS jid^ mit feinen meift altert]^üm=
lid^en ©ebäuben am Ufer beS präd^tig bal^injiel^enben ©tromeS auf.
£ints toon ber SBrüde baS el^emalige ©aljlager^auS ber ©tabt, ein
33au in ben d^araltcrDoIlen gormen beS fpäten SRittelalterS, red^ts
68 eübaeftbeutWe ^bpUen. II. etcin am 3l^ein.
bie unregcitnäfeiflcn ©ebäube be« e^cmaliflen Älofler^, jeftt ju ©d&uU
TDO^inunflen eingerid^tet, jum ^^eil ber 3wnft „jum Äleeblatt" ein-
geräumt. 3)ie abgetreppten ©tebel, bie üorfpringenben (Srler geben
ber ©ruppe ein f)6^^t malerifd^e« ©epräge. SJod^ l^inein in bie
©tabt! S^fet im Haren SRorgenlid^t erfennt man beffer bie jum
^l^eil no(| lool^Ier^altenen äRalereien ber ^a^aben. SBie l^eiter unb
be^aglid^, wie anl(ieimelnb ijl foI(i^ eine alte ©trafee, wenn man fie
mit ben nüd^temen ©trafen unferer mobernen ©täbte oergleici^t.
SJamafe belebte no6) frä^lid^er garbenfinn unb ,,Suft am gabuUren"
bie aSelt. S)ie ©emdlbe in ©tein finb von geringen Solallünfilern
au^gefül^rt, baiS ergibt fid^ auf ben erflen Slid; aber wie fidler
be^ianbeln alle il^re befonbere Slufgabe^ mie gut Derfiel^en fie in ben
Seimerlen unb in ben ^auptfad^en ben ard[|iteftonifd^en Sl^arafter
JU maleren; mie l^armonifd^ mirtt bal^er adeiS bei großem Sieid^tl^um
ber garben! ©ine ber befler^altenen g^gaben ift bie am ,,mei6en
äbler", ben formen nad^ etma auf bie SRitte be^ fed^jel^nten gal^r-
l^unberti^ beutcnb, im gigürlid^en äußerft ungefd^idtt, in ber ©efammt-
mirfung uortrefflid^. SKfferlei 2:ugenben unb foujiige ättegorien;
bann bie ©efd^id^te von bem SSater, ber feinen ©ö^nen ein »ünbel
$fei(e }um S^xhttäftn Dorlegt^ bai^ i^ren SBemä^ungen miberftel^i,
bi^ er an bem einjelnen l^erauögejogenen 5ßfeil beweift, wie leidet
atte ju jerbred^en pnb, fobalb man Re au« bem feflen SSerbanbe
I8fl: eine SieblingSgefd^id^te ber bamaligen S^xt, öfter auf ®IaÄ-
gemälben unb gemalten Defen anjutreffen, übrigen« aud^ jefet nod^
ju bel^erjigen. 2)aneben bie anbre ©rjäl^lung von ben brei ?Prd»
tenbenten um einen ertebigten Äönig^tl^ron, meldte ber 3lid^ter nad^
ber ßeid^e be« Derftorbenen gürfien fd^iefeen lafet, um ben ed^ten
©o^n t)on ben üorgeblid^en ju unterfd^eiben. 3)iefe unb anbrc
©efd^id^ten fielen nod[i in frifd^en garben ba unb erfreuen aiui^
Iieute ba« SBoH ebenfo wie vox breil(|unbert Salden, al« fie entfianben.
SBäl^renb id^ meine SRotijen mad^te, gefeilten fid& mehrere Seute ju
mir, aufmerffam ol^ne 3ubringlid^feit, unb ein bel^äbiger angel^enber
gunfjiger, ben man al« ben iQerrn ^ßräfibenten bejeid^nete, eröfirtc
mir mit gutem SJerfiänbnife einige«, ba« anfang« bunlel wor, unb
ffil^rte mid^ nod^ ju anbem fd^ä6en«n)ert^en Slntiquitäten, befonber«
}u einem Si^^er im „rotten Cd[ifen", in roeld^em id) bie ganje
eübioeftbeutfc^e ^b^IIen. IL BUin am 9i§etn. 69
atd^e 3loa\) mit tl^rem SJ^iergcroimmcI auf einer SBanb gefd^ilbert
fanb. @ö war eine Slrbeit uom Slnfang be« fiebje^nten 3al^rl^un=
bertö^ &f)nli(S) ben äbrigen äßanbgemälben^ mit xod^tn aud^ l^ier
bie fjagabe beiS ipaufeiS gefd&müdt ift ©ie Aufgabe bei allen biefen
arbeiten roar: bie Unregelmäfeigfeit ber gagaben ju uerbeden unb
burd^ oöllige »emalung benfelben ard^iteftonifd^e ipaltung unb fünjl^
(erifd^e iQarmonie ju Derleil^en, unb biefe ^auptfad^e ifl ben alten
befd^eibenen gagabenmalern t)Ott Stein treffUd^ gelungen.
@ine l^öl^ere Sebeutung bürfen nun aber bie äBanbgemälbe
anfpred&en, mit toeld^en in bem fd^on erroäl^nten el^emaügen ftlofier
ein ©aal völlig au^gejlattet ift. »is jefet rourbe biefe« abfeit«
liegenbe ftunftraerl nod^ nirgenbiS gebül^renb getoürbigt^ unb felbft
bie Derbienftlid^e pl^otogropl^ifd^e ^ublilation^ n)eld^e bie @d^affl^aufer
i^iptorifd^e ©efefffd^aft fürjlic^ bemfelben gemibmet l^at, genügt nod^
ttid[|t^ um bem SBertl^ ber älrbeit geredet ju merben. @d l^anbelt
^x6) ^ier um einen jener feltenen %&üt, wo wir ein 5ßrofanroerI lünft-
Ierif(!iier S)etoration au« bem äinfang be« fed^je^inten Sal^rl^unbert«
nod^ unangetaftet aU @an}e« vov un« l^aben unb barin jugleid^
bie 3lrbeit eine« ber naml^afteften Äfinftler jener 3«it. Unb bod^
ujifien mir biefen SWamen nid^t mit 39eftimmtl^eit ju nennen; aber
eine ©pur l^at ber Äünftler bod^ bafür ^intertaffen, benn über ber
(Singang«tl^ür l^alten {mei aUerliebfte Ainber eine ©d^iefertafel, auf
meld&er in großen lateinifd^en Sl^arafteren bie Sud^jlaben T unb S unb
bie S^lirial^I 1516 ju lefen finb. 3d& DermutJ^e nun, ba§ fid^ barunter
ein aWaler au« ber bekannten ©d[iaff^aufer Äünftlerfamilie ©timmer
Derbergen mag, unb e« lönnte bann red&t xdo\)1 ein älterer ^obia«
©timmer fid^ ergeben, ber »ietteid^t ber ©ro^oater be« gegen Gnbe
be« fed^jel^nten ^al^rl^unbert« mirfenben gleid^namigen a){eifter« mar.
e« ift ja nid^t« ©eltene«, bafe bie Sßamen ber ©rofeüäter fid^ bei ben
(gnfeln mieberl^olen. 2)ie« alle« ift freilid^ nur aSermut^ung, meldte
fo lange in ber Suft fd^mebt, bi« urlunblid^e gorfd^ung fie entmeber
bcftätigt ober miberlegt l^at. 3" fold^er gorfd&ung in ben Sürger=
büd^em, Sm\txtQx^ttxn , ©teuenollen Don ©d^aff Raufen möd^te iä)
mit biefen 3^^^« «i"«« bortigen ^iflorifer üeranlaifen.
3)er 3Wü|ie mertld ift bie ©ad^e in l^o^em ©rabe. SBir l^aben
e8 iebenfall« mit einem ber erften aJieifter ju tl^un, meldte bie SRe=
70 ©übTOcftbeutfd^c ^bpßen. II. 6tein am 3i§cin.
naiffance in 35eutfd^lanb mit überlegener lünfllerifd^er Äraft jur
©eltunfl brad^ten. SBetonntlid^ ftnb e« bie 3Berle ber SKaler, Silb^
Iiauer unb ftleinlünftler, in weld^en jtd^ bie neue SBeife juerft ^a^n
ix\ä)t a)ie ©türme unb Äämpfe ber Sieformation liefen erfl gegen
3)Utte beg Sö^^^unbertS bann au(§ ard^iteftonifd^e Unternel^mungen
in bem neuen ©til hervortreten. 3lthtn 89urg!mair, ^olbein, 33ürer
ift nun ber SWeifter t)on ©tein einer ber frül^cften Sefenner ber
SRenaiffance in SJeutfd^Ianb* S)er ganje ©aal ift Don i^m au§=
gemalt worben, unb jn)ar mit brei ©emälben a\x& ber ©efd^id^te
diom^, ebenfooielen aug ber lartl^agifd^en ©efd^id^te, unb enblid^
jmei grofeen 3)arftellungen, roelcj^e baS 2then in einer fübbeutfd^en
ober einer [d[in)eijerifd&en ©tabt ju Anfang be^ fed^je^ntcn SaJ^r^
l^unbertg fd&ilbern. 2)ag reid^fte Äulturintereffe liegt in biefen leben^^:
frifd^en Silbern, um fo me^r ate ber fiünftler nad^ ber naioen ©itte
ber 3ctt tt"$ ^i^ antifen aSorgänge in ben SebenSformen feiner
3;age be^anbelt 2)ie Silber finb grau in grau auggefü^rt, nur
bie ^aare Iiaben einen bräunlid^en, gelblid^en S^on erhalten, unb
bie jal^lreid^en SSerjierungen an Äleibern, SBaffen, ©erätl^en finb in
@olb aufgefegt. äu(^ ben 2)ä(|em ber ©ebäube f)at ber Äünftler
einen rotl^en 2:on gegeben. Site ©infajfung aber für biefe äufeerfl
intcrefjanten Silber l^at er eine gJilaftersSlrd^iteftur gefd^affen, mit
prad^tigen ©olbornamenten auf weitem ©runbe, in loeld^en toie in
ben bcforatiüen 3^**^^^« ber Silber ber fid^erftc Slenaiffance-Öe^s
fd^madf jum 2luSbrudEe lommt. 2lllerbing0 ift ba§ Serftänbnife ber
menfd^lid^en ©eftalt nid^t überatt grünblid^ genug entmidfelt, um ben
ajJeifter auf bie DoHe ^o^t eine^ 35ürer unb ^olbein ju Rieben; aber
an SebenSfüHe, ^^^ifd^e unb ßeid^tigfeit ber ©d^ilberung, an feiner,
liebevoller S)urd^fül^rung fielet er in feiner 3^it unter ben erften ba.
SBä^renb biefer 3Keifter nun mit t)oIIen 309^^^ ^i^ Äunfttoeife
ber 9?enaiffance entfaltet, fe^en mir um biefelbe 3^^* i« bemfelben
9laum einen anbern 3Keifter fid^ nod^ unbeirrt in ben ©eleifen ber
mittelalterlid^en Slnfd&auung" bewegen, ©ie S)edfe be« ©aafe, ein
aReifterroerf ber ^oljfd^nifeerei, nad^ infd^riftlid^em 3^ugnife 1515
entftanben, jeigt fid^, ol^ne bie leifeften 3lnflänge an bie neuejie
Äunft, nod^ auSfd^lie^lid^ in fpätgotl^ifd&en fjormen. ©ed^ö breite
^araßelftreifen, burdEi fd^malc Sertiefungen in gorm Don SJonnen^
6übrocflbcutfc^c Sbpflcn. II. 6tctn am 5l§cin. 71
geroölben getrennt, bilben bie S)e(Ie, an bciben ©eiten unb in bei
aWittc burd^ breite Sänber üerbunben. S5iefe fämmtlid^en gläd^en
l^aben, im ©egenfa^ {u ben Xonnengen)ölben^ toeld^e gan; leer ge^
blieben ftnb, gefd^niftte gltt^ö^tt«*ente üon ebenfo reid^er ©rfins
bung aU meijlertid^er Slu^fü^rung. SBir begegnen l^ier roo^I ber
3;fiatigfeit berfelben ©d^ule, weld^er bie prad^tDotten ©d^niferoerle
beg Slatl^^au^faaleS in Ueberlingen ju üerbanlen finb, berfelben
geijireid^en unb freien SSerroenbung gotl^ifd^er SWotiDe, bie l^ier in
feinburd^bad^tem rl^ptl^mifd&en SBed^fel fid^ jwifd^en geometrifd^en
aWaferoerten unb präd^tig belianbelten ^Pflanjen^^ unb Slumenranfen
beioegt. S)a}u ift allein xtiä) bemalt, unb audEi barin betoäl^rt ftd^
ber fidlere Saft jener geit für l^armonifd^en SBed^fel unb toirifamen
Äontraft ber 2^öne. Qd^ mufe mir ||ier perfagen, naiver auf ©njelneS
einjugelien ; ba8 ®anje aber in feinem originellen ©egenfafe ifl eine«
ber le^rreid^fien »eifpiele, mie fd^arf in jener ©pod^e gewaltigen
Umfd^mungeS nid^t blo§ im äufeern 2tUn, nid&t blofe in Staat,
SReligion unb SBijfenfc^aft, fonbern aud^ in ber fiunft bie alte unb
bie neue Qtxt aneinanberpo^en. fiier l^aben beibe SSuffajfungen in
feltenjier Srt jtd^ ju einer gemeinfamen 2trbeit von l^ol^em fünjls
lerifd^en SBertl^ jufammengefunben.
2Kit biefen bebeutenben SBerten finb aber bie fünjilerifd^en
©d^äfte, roeld^e ba« Heine ©tein birgt, nod^ nid^t erfd^öpft 3<5
Witt nur lurj ^errlid^er @la«gemalbe be§ fe^jel^nten 3al^rl^unbertÄ
gebenfen, toetd^e man nod^ an il)xm urfprünglid^en ©tetten, im
3unft^aufe jum Äleeblatt unb im ©d^üftenl^aufe vor ber ©tabt
antrifft, ©ie finb eine« ber nod^ immer in einzelnen »eifpielen
üorl^anbenen 35enfmäler eibgenöffifd^en Sufammenl^alteni^ unb freunbs
nad^barlid^er ©efinnung; benn e« mar bamatö Qxüt, fid& gegenfeitig
fold^e ©d^eiben ju perel^ren, fo oft eine Hm^t pd^ il^r aSerfamm«
lungggebäube, eine ©tabt i^r 5latl^|iau8, eine ©efellfd^aft il)r ©djiäften^
^auj^ neu errid^tete. Sic ©d^eiben tragen bann ftet« in ber SWitte
ba« äBappen beS @efd^enlgeberi$, motu in ben (Mtn Heine ^ax^
Peilungen aui^ ber biblifd^en ober ber gried^ifd^nrömifd^en ®efd^id^te,
mand^mal oud^ fd^on au« ben ipelbentl^aten be« fd^toeijerifd^en SBolfö,
l^injugefügt pnb. ©o aud^ l^ier, too bie ©d^eiben bie ©ntmidEelung
Derfd^iebener ©pod^en be« fed^jel^nten 3al(irl^unbertg in üorjüglid^en
72 eübioeflbeutfc^e Sbpffcn. II. Stein am Ä^cln.
»cifpielen vertreten. @nbli(i^ todte no(i^ eine« rieflgcn filberüergol^
beten $ra($tpoIafö auf bem dtat^^aufe ju gebenlen, ia» ©efd^enl
eineiS »ürgetÄ ber ©tabt, ber unter ben btet Äaifem ^erbinanb II.
unb III. unb Seopolb I. am SBiener $ofe biente, jom %v^xn. v.
©(i^warjen^iom erl(|oben würbe unb ©efanbtcr bei ber Jßforte toar.
SDer 5ßo!aI, ber bie 3a|ire«sa]^I 1668 trfigt, tft ein trefflid^e» SBerl
ber ©olbfd^miebefunft, freilid^ in ben wittfürUd^en formen be« ©tite
Don fioui» XIV. S)er @ef(i^enffleber, ber unter bem Flamen be«
,,aSerbienenben" aRitglieb ber frud^tbringenben ©efeUfd^aft mar, l^ot
feine ®abe mit einer »njal^I longat^miger eingrooirter JBerfe ge*
fd^müdt, bie minbeften« ebenfo barocf, aber lange nid^t fo erfreulid^
fmb mie ba« SBerf felbfl.
3<$ bred^e ab, obmol^I ftd^ nod^ mand^ei^ von ben ©e^iend-
mfirbigfeiten ©teind ei^&I^Ien lie^e. SOtan befommt bort ba^ voo\)U
t^iuenbe @efäl[|l, bo^ bie Semo^iner in pietätooUem ©inne bad Sn-
benfen unb bie S^^fl^iff^ ^W^ aSergangenl^eit liegen unb pflegen.
S)iefe SBal^rneldmung ift um fo erquidtenber, je feltener fie l^eutju?
tage mirb, je mel^r bie alten ©täbte beS 9leid^ed gegen il^re alten
SRonumente ju mätl^en fud^en. f^anb x6) bie £eute in ^eubenftabt
bod^ eben befd^äftigt, ba« lefete tl^rer fd^iönen alten ©tabtt^ore ab^
}ubre(^en, meil eä ben S^erle^ir l^inbere, mie bie abgefd^madEte Siebend^
art lautet. Sßod^ fd^mad^ooffer ge^en bie SRürnberger il^ren alten
©tabtmauern neuerbingiS }u Seibe, o^ne ju al^nen, mie fte baburd^
ber l^errlid^en ©tabt gleid^fam bie ^aut abjiel^en, um fte bann in
l(|äBlid^er 93lö^e bem ©efpött preüSgugeben. Ungern oerliejg id^ gegen
äbenb ba« ftiffe faubere ©täbtd&en, mo mir fo mo^l gemefen mar.
Sern l^atte id&, menn aud& nur einige ©tunben, mieber auf ©d&meijer
S3oben gelebt, mo ftd^, trog bei^ mflflen härmend jener fd^mei^erifd^en
aSolföfd^id^ten, bie man al8 ben oomcl^men unb nieberen 5ßöbel bcs
jeid^nen mug, bod^ no(^ gefunber ©inn unb @ered^tig!eit gegen
S)euitfd[|lanb er^ialten l^at. ©ud^en mir aCe Äeime ber SBößerfreunb^
fd^aft forglid^ ju pflegen unb ju förbem. 3^ ^i«« 3^t/ wo bie
geinbfd^aft ber äJölfer, mo ber blinbe 5laffenl^a§ ju fo furd^tbaren
Äataftrop^en gefül^rt l^at, ift bie^ eine um fo not^menbigere aMal^-
nung, je leidster felbp »efonnene fid^ jum g^natidmu« l^inreifeen
laffen.
©übrocftbcutfd^c gbpacn. III. ^ciligcnbcrö. 73
ni.
3d^ Detliefe boS liebe Stein fpat Siad^mittagS, um mit bem
S)ampff(i^iff naä) Äonftanj ju gelten. SBie banfte id^ loiebet bem
brauen SBäbeler, bafe er fo t)orforflIi<i^ feine Sefet vox biefer 2)ampf-
fd^ifftout gewarnt l^at, ba man ja öiel rafd^et mit ber ©ifenbal^n
von @d^affl^aufen büS Jtonflans fal^re unb untenoegiS trog ber lieb-
.lid^en Ufer nid^t t)iel ju feigen fei. SBie rid^tig fennt ber ®ute fein
^ublilum! SBad foK ber ©letfd^er- unb ©iePad^pl^ilifter mit ben
feineren Sleijen einer anfprud^Äloferen gufelanbfd^aft, wo eiS nur
SBiefen unb ©aaten, SBalber unb SBeinberge, SJörfd^en, Älöfter,
Sanbl^äufer, l^alb uerfledt ||inter Dbftbäumen, Sinben unb Äafianicn
gibt — moÄ fott er mit fold^en fingen anfangen! @r mu^ ben
berül^mtcn ©egenben nad^jiel^en, fid& bort im ^od^fommer mit
^unberten, S^aufenben feineSgleid^en burd^ bie @d^ön|)eiten einer
faft JU Sd^anben gereiften ^od^gebirg^nielt burd^fd^lagen, im Sd^roei^e
feineö aingefid^tÄ uon ^otel ju $6tel fämpfen, um enblid^ am
©d[ilujfe be« 2:agei5 in bem mü^fam burd^ telegrapl^ifd^e SSorau^-
befleHung ergatterten bumpfen ©d^laffämmerlein einem fel^r jweifel*
l^aften ©d^lummer nad^gulagen. SBo^l i^nen! unb n)ol^I betomm'd
il^nen! aber $eit bem manberfunbigen 3Kanne, ber fold^en aSer-
fud^ungen entronnen iji unb nod^ unentroei^te Drte aufjufinben roeife,
an benen ber aWenfd^ im einfadjien ©enufe eine^ menfd^entoürbigen
©afein^ ber Sflatur fid^ l^ingeben barf. So mol^I marb e§ mir fd&on
auf bem SDampffd^iff, beffen erfter ^lafe, banl bem guten Säbefer,
von bem eigentlid^ bebenllid[ien SBolfe ber Sd^TOeijerreifenben fein
<gjemptar aufwies. ,,9laum für atte l^at bie ©rbe." S^rofe ber ^ifee
beä 2:age^ welkte erfrifd^enber fiaud^ be« SBafferä um Stirn unb
Sd^läfen, unb mit innigem Se^agen meilte bag Sluge auf ber lad^enben
anmutig, bem fonntäglid^en ^rieben biefer ibpIKfd^ien ©eftabe.
aber xozlö) ein Äontraft in Äonftanj! a;ro6 ber Sage am
See, meld^ fd^roüle, erftidtenbe Suft ! S5aS geräumige 3i»imer, ha^
id^ erl^ielt, gab bei allem Süften bod[i feine SKöglid^feit, mit freiem
SBe^agen }U atl(imen. S)en Sd^Iaf erfd^toerten aber mufifalifd^e ©e*
74 eübiDeftbeutfc^e Sb^Qen. lU. $eUigen5erg.
nüffe befonbercr 3lrt. 83i§ tief in bie 3laö)t liefe eine frol^e ©efctts
fd^aft in ber SRä^e bie nid^t mel^r ganj unbefannten Älänge ber
„aaSad^t am SR^ein" erfd^aHen, unb jwar in einet SBeife bei^ SSortragS,
bei toeld^er bie muftlalifd^e SBegabung im umgelel^rten äSerl^ältnife
jur ©röfee ber patriotifd^en Segeiflerung ftanb^ 3)a allein einmal
ein ®nbe nimmt/ fo J^ötte^ obfd^on etfl lange nad^ 9Rittemad[it, aud^
biefer böiSattige @efang auf; aber taum platte bai ®emätl^ ftd^ be^
fänftigt unb ju t)erfpätetet Slad^trul^e fid^ bereitet, fo t)erfünbete
fd^on ben frü^ien 3Rorgen eine anbre ärt uon SRufif, werd^e an @nU
fefilid^feit jene übertraf, ol^ne bod^ bie ©ntfd^ulbigung be^ 5ßatriotii^5
muS für fid^ ju l^aben. 3Ran fing auf ber @ifenbal^n an bie SBagen
}U orbnen unb begleitete biefeS nüftlid^e ©efd^äft mit ben %'6nm
einei^ ©ignali^orniJ, 2)ominante unb ©runbton in fd^önem SBed^fel
Derbinbenb — ein ftonjert, ba^ in feiner l^artnädtigen äuöbauer an
bie fd^Iimmften Seiftungen ber Äinbertrompeten um SBeil^nad^ten er-
innerte. 3d^ merfte: id^ mar mitten im Strome beä grofeen ©d^meijer=
fommeroerlel^rg. 9Iur fd^neff mieber l^eraug! 3c^ jlanb auf unb be^
fal^ mir bis jur äbfal^rt bc8 SJampfer^ bie mo^Ibefannte freunblid^e
©tabt. 5ßeu waren mir nur bie ^e^fen am ©ebäube ber ftanjlei,
einem interejfanten 3)enlmal ber beutfd^en Slenaijfance. S)iefe gte^fen
(unb äfinlid^ bie am gugger^iauS in ÄugÄburg), mie weit ftel^en fie
an fünftlerifd^em SBermögen, aSerftänbnife ber gorm, SJurd^bilbung
ber @efla(ten über ben Seiflungen ber befd^eibenen alten 3Reifler
oon ©tein! SKber wie werben fie oon jenen, wieber übertroffen
burd^ ben rid^tigen ard^iteftonifd^en ©inn, bie ©id^erl^eit ber Drna^
tnentation, baS glüdflid^e ©leid^igewid^t in SluStl^eilung ber 9Kaffen,
in garbenwirhing vox aüzn 3)ingen! S)er mobeme SKaler l^at
offenbar nid^t gewußt, bafe beforatipe Elemente, bie in aWanuftripten
am ^ßlafte finb, nid^t an eine f?affabe gel^ören. SBie oiel Knnen
wir nod^ oon ben alten lernen, bie wir fo weit überflügelt ju
^aben glauben!
%xo\), mit erleid^tertem ^erjen, liefe id^ mid^ t)om grül^bampf::
fd^iff nad^ SWeer^burg l^inüberfü^ren. SBon bort ging ei^ mit bem
^oftomnibu^ weiter ini^ fd^ön angebaute Uferlanb ffintxn. Salb
lagen bie pompöfen ©ebaube ber 9lbtei ©alem Dor uni^, prad^tt)oB[,
wie fie nur ber ?prälatenübermut^ be^ oorigen Qal^rl^unbertg fd^affen
@übme{lbeutfd§e ^bpUen. III. ^eia^enberg. 75
fountc. 3n ifirer SRittc bie fd^tanfe flotl^tfd&e ©ijietcicnferfird^c,
cineg her fd^önfien, cinl^eitlid^ftcn SBerfc, tocl^e ha» 14. Qal^rl^unbert,
bei un8 bic »lütl^cjeit bct ©otl^ü, in 3)eutfd^tanb gefd^affcn f)Qt,
viü ju loentg bi» je^t getuärbigt. @ie l[iat bie retd^en sierUd^en
formen/ loeld^e juerft bei @. Urbaiit in Xxo^t» jur Entfaltung ge«
lommen finb, ju einem großartigen ©pfiem ber 35cforation au^^
geführt. S)ag gewaltige ^nfler, raeld^e« bie nörblid^e Duerfd^iff*
loanb burd^brid^t, in ber SRitte ftatt einei^ Stabes eine SRanborla
bilbenb, fielet üieHcidjt in 2)eutfd^Ianb ol^negleid^en ba. SDie 3EBirfung
ht» Snnern mit ben fd^lanfen brei ©d^iffen, bie fid^ im G^or fogar
in fünf ©d^iffe jerlegen, ge^iört jum änmnt^igften biefeö ©tile§,
itnb n)irb nid^t einmal burd^ bie unermeglid^ reid^e äJIarmorflutptur
beeinträd^tigt, mit toeld^er ha» porige Qa^rl^unbert im t^ränenreid^en
aSafens unb Urnenftil oon SouiiS XVI. ben gangen 33au gefüllt ^at.
e« mar ein tcftte« üppige« Sluffladfern ber Seben^Iuft jenes oer^
fd&menberifd^en ^rälatentl^um«, furj el^e bie SReoolutiou eS oom
33oben I)inmegfegte.
SDod^ weiter ging'S burd^ bie reidfi gefegneten gluren, meldte
juerft in ber grü^jeit beS SKittelalterS ber gleife beS bamalS nod^
einfad^en, fulturförbernben aWönd^S bebaut l^aben mag, hinauf burd^
baS l^ö^er emporjleigenbe ^ügellanb, bis enblid^ auf mel^rfad&en
SBenbungen ber ©trage bie fieile malbbefränjte ^if)t erreid^t mar,
meldte baS ©d(|loß ^eiligenberg frönt« äBeitl[|in glänzen feine meinen
SKauern über ben ganjen Sobenfee; oicl ^atte id^ fd&on oon Äunbigen
bie ^errlid^e auSfid^t rühmen gel^ört, bie man oon oben genieße,
aber ade Erwartungen foDten no^i übertroffen werben oon ber
SBirllid^feit. '
es ift einer jener ^mttz auf beutfc^er 6rbe, wie fie namentlid^
baS fd^öne babifd^e ßanb in reid^er S^i^t fein eigen nennt, wobei
man unwifffürtid^ in ben 2tuSruf beS S)id^terS einftimmt: „SBie
]6)'6n bift bu, mein SBaterlanb, bu beutfd^e 6rbe reid^ unb blfll^enb."
auf feiner be^errfd^enben Qii)t breitet fid^ baS ©d^Ioß, ein 83au
beS 16. 3a^rl^unbertS, mit feinem gewaltigen SSieredE einen großen
iQof umfd^ließenb, auS, im ganjen ein anfprud^IofeS 3Berf, bennod;
wenigftenS in ber l^übfd^en 93runnenl^aQe beS ^ofes ein SOterfmat
guter beutfd^er 9lenaif[ance jeigenb. ^m Snrtern aber ifi ber große
76 eübn>eftbeutf(^e ^bpUen. III. ^eiKgenberg.
§€ftfaal, bcr ben gattjen fübl^cn glüßel in jwci ©todroericn tm
nimmt, uicBcid^t ba8 J^öd^flc 5ßtad^tftü(f, ba» jener ©til |ien)ot=
gebtad^t |iat ^ie SS&nbe jeigen auf gelbem @tud jal^Ireid^e SBilb^
nijfe beg fürftlid^en ®ef<i[|Icd^tö t)on gürflenberg, bem biefe« ©ben
geiiört; aber bie ^auptfaiä^e bilbet bie ©edte, bei 108 gufe Sdnge
unb 34 f^uB SSreile gan} aud ^ol}- gef(i^ni^t unb in @oIb unb
garben ftral^lenb, mit figürlichem unb ornamentalem SRelieffd^mud,
bei aQem S^eii^tl^um voU Harmonie, {ur$ ein äßerl von l^ol^em
fünftlerifd^en SBertl^e. SBa« aber aOe biefe 5ßra<i^t in ©d^atten jiettt,
ift ber SBlid, ben man aui^ ben ^nftem ba ©aalei» geniejst S^^^
^d)rüt\\t ba^ Sluge über bie malbigen ^öl^en fort auf ein reid^i ge^^
gliebertei^ Sorlanb, meOige SBalblinien, bad ^tUt ®rün ber ääud^en
mit bem tief bun!eln ber Pannen toed^felnb. S)a)n)ifd^n faftige
aßiefengrünbe unb ©aatf eiber, lefetere jefet aber vom ©olbgelb big
in^ 9loftbraun gefärbt, ©injelne ^äu^d^en, SBeiler, freunblid^e
S5örfer mitten l(|ineingefireut, unb fo red^t ber lieblid^en Sanbfd^aft
im ©d^ofee bie präd^tige äbtei ©alem. 25ann aber trifft bai^ äuge
auf baS ftlberne ^anb be^ Sobenfee^, ber fammt bem Ueberlinger
unb bem Unterfee ftd^ faft in ganjer 9luebe|inung bem 93lide bietet.
Senfeit« ba« reid^ angebaute ©d^mjeijer Ufer, unb barüber l^inge*
gelagert bie majeftätifd^e Sllpenlette Don ben Sergen Siro(d unb
aSorarlbergÄ ju benen ©raubünben«, vox attem bie ©cefaplana,
bann Aamor, ^ol^elaften, Slltmann unb bad sadKge ^aupt bed
©änti^, bie fd^roffen ©pifeen ber Äurfirjlen, bie gewaltige gelfen^
bürg beö ©Ifirnifd^, ber breite 2:öbi fammt SBinbgeHe unb 2:itliÄ,
enblid^ maieftätifd[i gerabe in ber SRitte be8 Silben aufragenb bie
SRiefen be« Serner Dberlanbe«, ginjleraar^orn, ©d^redf^ömer unb
SBetter^orn, 6iger, SWönd^ unb bie fd^neeigen fjimen ber Sungfrau.
äßeiter }ur Siedeten bad^t ftd^ ba^ Silb ju ben $ö|ieniflgen be^ 3ura
ob, bii^ es mit ben originellen 93afatttuppen htS ^egaueS, vox allem
bem ^o^entmiel unb ben Häuptern beS ©d^imartmalbeS, ^Ibberg
unb »eichen, enbet. SJiefeiJ ©cbirg^panorama gcl^ört ju ben grofe-
artigften unb fd^önfien, bie id^ {enne. fieine ber gewaltigen ällpen-
auSftd^ten ber ©d^toei} }. 93. lann ftd^ einei^ fo wunberbar anmutl^igen
unb fd^önen S^^orber- unb äRittelgrunbeS rül^men. Um biefer äluSftd^t
aQein wiUen tol^nt eS fid^, ben ^ißgenberg ju befieigen; aud^
Sübmcflbcutfc^c Sb^ttcn. III. $ciligcn5erg. 77
bringt jcber fd^öne Xa% jal^lreid^e SBanbeter üon allen Seiten, bie
jtd^ an biefen iperrlid^leiten toeiben.
älber t^ ifl iool(|I ber 3Rü\)t metti), niä)t ald ^^outifl i)m rafd^
}U fommen unb j« gelten, fonbern afe greunb ber SRatur, afe roalb*
burfiiger ©ommerfrifd^Iing auf längere 3^it ^^r Slnfer ju gelten.
„iQier iji gut fein, ][|ier lafet un8 ^ütten bauen." fiefetereS ift jum
®lüd nid^t erft nötl^ig; im ©afll&of jum abfer (^oft^ unb Sele^^
grap^enftation) finb toir gut aufgel^oben, ftnben freunblid^e 93e^
wirtliung, reid^Iid^e „femerroeite SBerföftigung", wie Äarl Sutteroogel
fagen würbe, fel^r mäßige ^fSenfiongpreife unb baju nod^ ein gut
auggefiatteteg ßefelabinet, fo ba§ wir mit ben ®reignijfen ber S^it
auf bem Saufenben bleiben unb bod^ fern von i^rem unrul^igen
2:reiben unö l^atten fönnen. SBaS aber ben feffelnben SReij biefe^
töfUid^en ©rbenwinfete audmad^t, ftnb, neben bem ©d^log unb ber
großartigen Sluöfid^t, bie frifc^e reine Suft auf biefem taufenb guj5
über bem Sobenfee ftd^ erl^ebenben ^unft unb bie unoergleid^tid^en
©pajiergänge, bie jtd& nad^ ollen ©eiten bieten. 3)er gJarl be§
©d^Ioffe«, ber bie ganje Serghippe umfaßt, ge|)ört ju ben fd^önften
anlogen biefer art SBon fonft ouf^ unb objleigenben Äiei^wegen
burd^fd^nitten, gewäl^rt er tiefften ©d^iotten unter bem Soubbod^ feiner
Sud^en, in weld^e fid^ l^ie unb bo ©d^en, 5ßlatanen, Ulmen unb
9labell^öl}er in reid^er abwed^fetung mifd^en. Si^weilen tritt man
plöglid^ in eine Sid^tung l^erouS, weld^e ben S3lidE auf ben SSoben-
fee unb bie alpenfette gemottet, ailit unbebingter ®aittid(>feit fielet
jebem SSSonberer au biefe 9Balbei$pra(^t uneingefd^ränft geöffnet, otö
ob man im eignen »efifttl^um weilte, an ben 5ßarl ober fd^Ueßen
fid^ nod^ ollen ©eiten »ud^enwfitber, in benen man jwifd^en ben
fd^lonfen l^o^ien ©t&mmen wie in einem weiten S)ome, nur in einem
oiel erl^obeneren, feierlid^eren afe irgenbwo in ©tein errid^tet iji,
wonbelt, auf trefflid^ gegoltenen gut gebol^nten äBegen. Siefe SOSolb^:
einfomfeit umfängt ung; felbfi eine fel^r große anjol^l oon ©ommer^
goften wfirbe in biefen weitgebel^nten 9Balbret)ieren einonber toum
begegnen, an biefe SBälber fioßen wieber ^ßorjellen t)on 9labet
^otj, bie mit il^rem fräftigen arom bie fiuft würjen. Dft fielet
man lonbfddoftlid^e Silber oon trauter ^oefie. ©o fließ id^ l^eute
frü^, ouÄ bem SBolb l^erouiStretenb, auf ein l^olb oerfoßene« SBlodt*
78 eübwcftbcutfc^c Jb^Ecn. III. ^cUigenbcrg.
i)avL^, ba$ am Ütanb einer ^annenfd^onung einfam ftanb. 9(uf bem
l^alb jerftörten SDad^e ^atte \id) ^umu« gebilbet, oon frifd^em SRoo^^
teppi(]^ fiberjogen, unb barau^ loar eine ganje ^amilie präd^tiger
epilobien mit i^ren tiefrotl^en Slütl^en onfgefd^oRen, bie l^ier faft
in bet SBiIbni§ il^re ©d^önl^cit füll für fid^ entfalteten, aber aud^
im SBalbe flibt'g genug ju fd^auen. SRiefige gamfrautcr crl^eben
fid^ aud bem mooftgen @runbe; an anbem ©teilen bebedt üppiger
epl^eu ben Soben, ober bie ©rbbeere unb ber SBalbmeifter roedi^feln
mit ben jierlid^en Slättem be§ ©auerttee^. Sin einer fd^roff auf^
fteigenben ^el^wanb l^at bie Statur iQö^ilen in baS lofe (Semifdg bei^
tonglomeratifd^en (Sefteini^ gemafdgen^ unb bie Snenfd^enl^anb l^ot
nad&gel^olfen, bie SluSl^öl^Iung pertieft, jur ©id^erung ©tüften fielen
lajfen, jum SBel^agen be^ aßanbereriS — wie überatt im ?ßarf unb
in ben SBBälbern — Sbil^ebänle angebrad^t unb bem ^ßlafte ben
5Ramen ^greunbfd^aft^^öl^le" gegeben. SKud^ t)on l^ier l^at man ba^
DoHe ^Panorama ber Sllpenfette. SBenn man gegen ©onnenunter^
gang biefen 5ßunft ober aud^ bie atten juganglid^e S^errajfe bei5
©d^loffeS auffud^t, bann l^at man eines jener unüergefelid^en Silber,
bie fid^ um fo tiefer ber ©eele einprägen ju bauernbem Sefife, ate
feine Äunft jematö mit ©rfolg wagen lann, fold^e ^errlid^feit nad^^^
jufd^affen.
Äel^ren mir ju unfrem freunblid^cn ,,3lbler" jurüdf. S)ie ©onne
finft; ©d&atten breiten fid^ über ben weiten ^piaft t)or bem Oajll^of,
aber mit il^nen füttt füfeer 2)uft ben weiten Sejirt ©er prad^t-
Doffe uralte Sinbenbaum, ein ©igant auS längft oerfc^oHenen Seiten,
ftreut biefe Sßol^lgerüd^e t)erfd^menberifd^ auS; wie fo oft fd^müät
er aud^ l^ier ben ^auptplag beS S)örfd^en$, ringS um feinen mo^il
ad^t gu6 im SJurd^mejfer ^altenben ©tamm Don einfad^en 9lu^e=:
bänfen umgeben. SJon ^ier fönnen mir mit Seliagen ba« abenblid^e
Seben beS ©orfe« betrad^ten.
3d^ bin JU @nbe mit meiner ^hi^Ut. aber ift eS nid^t uns
tjorfid^tig, fold^e ©el^eimniffe auSjuplaubern unb bie parabiefifd^e
©d^önl^eit oon fieiligenberg an bie grofee ©lodfe ber Deffentlid^feit
JU pngen? ^ä) benfe bod^ nid^t. gfir jene aKenfd^enKaffe, bie ben
berül^mten ®egenben nad^ijiel^t, bie in bie ©ommerfrifd^e ben elenben
SujuS beS oermöl^nten ftäbtifd^en fiebernd mitfd&leppt, für jene SJamen^
©übroeftbeutfc^e Sb^ttcn. III. i&eiligcnbcrg. 79
Toelt, bic im Stngcfxd^t ber Sllpcn nur baran bcnft, cinanbcr mit
üppigen Sloilettcn ju überfd^reicn, unb von beten ungel^euerlid&en
grifuren ein fd^elmifii^er greunb fagt: ,,aBcr nid^t lang l^at, Idfet
lang l^ängen", unb: „SBer l^at bic^, bu fd^nBber SBalb, aufgebaut
fo l^od^ ba broben" — für fold^e ©pifeen bet 3it>ittfation ift ^eiligen=
bcrg nid^t gefd^affen. aWögcn fte fortfal^ren auf Sftigi Äaltbab, in
3f<ä^I unb an anbern berül^mten Orten ftd^ Äonfurrenj ju mad^en.
S)et befd^eibene Oelel^rte unb Äünftler aber, ber t)on anftrengenber
©eifieSatbeit in fd^öner Jlatur bei freunblid^er ^Pflege auSrul^en will
— biefe unb bie i^nen Derroanbten Seben^Ireife bürfen rul^ig auf
biefe walbumfränjten ^öl^en pilgern unb auf ein löjllid^e^ ©ommer^
ibgll red^nen.
(„«dUBäMfi^rr mtrhar" 1871.)
Di
/ic t)om 15. auguft big 15. Dftobcr in S)rc^ben anberaumte
ÖoIbein^Sluöftellung würbe fd^on lange Don ben greunben ber beut:^
fd^en Äunfl unb fpejiell fioIbeiniS mit Spannung erwartet, loeil bei
biefer ©etegen^eit jum erfienmal bie beiben ©jemplare jeneä be«
rühmten Silben, auf weld^em ber Sürgermeifter aWeier von SSafel
mit feiner gamilie, Dor ber SKabonna Iniecnb, bargefiettt ifi, jur
aSergleid^ung einanber gegenübertreten foBten, es liegt mir fem,
an biefem Orte eine ©d^ilberung ber ganjen Slugfießung mit au
ben xtxdi)tn ©d^äfeen ^olbeinfd^er Äunjl ju geben, fo fel^r ber ©egen^^
ftanb eg aud^ Derbienen würbe: wol^I aber barf id& ben 9iaum be^
©d^wäbifd^en SKerlurÄ für einen furjen 33erid^t über ba« ^aupt:
werf beiS größten ÄünftlerS, weld^en bie alten aWalerfd^ulen ©d^wa^
benö l^erDorgebrad^t l^aben, in Slnfprud^ nel^men. fiolbein« SRa-
bonna in S)re^ben gel^örte lange 3^^^ i^ ^^^, ^öd^ftbewunberten
©d^äfeen ber bortigen weltberühmten ©alerie. 3n biefem Silbe
glaubte Sebermann ben einjigen 9iit)alen ju erfennen, weld^en bie
beutfd^e Äunft auf ber fiöbe il^rer SBottenbung bem entfpre^enben
fiauptwerfe ber italienifd^en Äunft, SRafael^ fiftinifd^er aWabonna,
gegenüberjufteflen l^atte. 3loä) ber jüngfte Siograp^ ^olbeing, Sllfreb
SBoltmann, prie^ bie S5rc^bener SWabonna ate bag 3beal beutfd^er
SBeibliddfeit, t)ott unau^fpred^lid^er SDHlbe unb fiolbfeligleit. 3)ie
neuere ilunftlitteratur ift voü von ä()nlid^en äleugerungen unbebingter
2)ic 2)atinpäbtcr 3Rabonna §an3 §oI6cmg u. ba§ 2)rc§bcncr ^lemplav, 81
Setounberuttg. S5a taud^tc ju Anfang bcr jwanjiger ^al^rc ein
jtocite^ ejemplar bicfet aWabonna auf, wcld^e^ burd^ einen ^ßarifer
Äunft^änbler nad^ SBerlin gebrad^t würbe unb bort in ben SBefife
beS ^prinjen SBUl^elm Don ^preufeen gelangte, afe beffen Slod^ter
1852 bie ©emal^Iin beS ^ßrinjen Äarl von Qt^cn würbe, fxebelte
bag Silb mit feiner nunntel^rigen gtüdflid^en Sejtfeerin nad^ 3)arm=
ftabt über, wo e^ feitbem in einem ber SBol^njimmer be^ prinjlid^en
?PalaiÄ jebem lunfifinnigen Sefud^er mit l^ol^er Liberalität jugäng^
lid^ geblieben ift-
S5iefe^ neue ©jemplar fonnte nid&t üerfel^Ien, bie Slufmertfams
feit ber Äenner ju erregen unb ju fefieln. $irt war eg, ber juerfi
1830 barauf l^inwieö, inbem er beibe Silber für felbftänbige SBarias
tioncn beSfelben 2;i^ema^ t)on ber ^anb bei^ aWeifter^ erfidrte.
aOBeld^em ber SBorjug gebühre, fei fd&wer ju entfd^eiben; bod^ fd^eine
bag berliner (jefet SJarmfiabter) e^emplar freier bel^anbelt unb in
einigen Äöpfen, befonberS ber SBeibergruppe, Iräftiger. SBeit ein=
gel^enber, üiel fd^ärfer beobad^tenb unb tiefer einbringenb beurtl^eilte
aber fd^on im S^l^te 1845 granj Äugler bie beiben Silber, unb
feit il^m war unter benen, weld^e beibe ©Eemplare roieberl^olt ju
prüfen Oelegenl^eit fanben, bie fafi übereinjHmmenbe Slnfxd^t auf^
gefieHt roorben, boÄ S)armfidbter Silb fei jebenfattö bie urfprüng=
lid^e ©d^öpfung beS großen TOeifteri^, ba» 35rei5bener aber eine von
il^m unternommene SQBieberl^olung, bei weld^er jebod^ in untergeorb=
neten ^Partien bie $ilfe t)on ©dualem ober fonftigen geringeren
Ärdften in Stnfprud^ genommen roorben fei.
S)en erflen ©tofe erl^ielt biefe Sluffaffung erfi fürjlid^ burd^
5Kr. aSSornum, ben S)ireItor ber Slationalgalerie ju Sonbon, ber
frani unb frifd^ ba« ©reöbener Silb eine beträd^tlid^ fpätere Äopie
nannte, mit wetd^er ©olbein nid^t^ me^r ju tl^un l^abe. Äaum war
biefer Kil^ne, alle bi^^erigen SBerounberer ber S)rei5bnerin empörenbe
älu^fprud^ gefallen, fo trat biefe SRabonnen^cage in bai^ ©tabium
mtbeper ©äl^rung. ©^ war plöfelid^, ate fei ein politifd^eö ^artei^
mort aui^gerufen worben, bag bie Äunftfreunbe in jwei l^eftig ftrei=
tenbe Sager trennen follte. S)er ©d^lad^truf „fiic SBelf, ^ie SBaib-
lingen" ifi laum grimmiger erllungen, al^ ber neue „§ie ©arm*
fiabt, ^ie ©reiben''. aiOe SBelt, fo weit Re ftd^ für unfre alte
6
82 ^ie ^armflöbter äRabonna $ang $olbeind u. hcS ^redbener Qitmpiat.
Äunfl intercfftrt, nal^m Icbl^aft Sntl^eU, unb ate im 3al^rc 1869 bic
S)armflabter SRabonna in SRünii^en auf ber SludfieQung alter ©e-
mälbc erfd&ien, entbrannte ber Äampf auf« neue nur nod^ l^eftiger.
Sel^rreid^ unb für ben tieferen Äenner ber aRenfd^ennatur nid^t be^
frentbenb n)ar bie SBal^mel^mung, ba^ le^t mand^e von benen,
weld^e el^entafö in S3er^errli(^ung ber S)rei^bnerin lein 9Rag finben
tonnten, nunmehr plöftUd^ iu einer »ewunberung ber ©armfiäbter
umfprangen, xotlift an il^rer JtoKegin lein guted ^aar mel^r laffen
wollte. Sia^er ^atte man wenigfien^ allgemein anerfannt, bafe im
S)re^bener SSilbe bie aSerl^filtniffe be^ ©anjen glüdlid^er, bie 3»a=
bonna freier in bie 5Rifd^e lomponirt fei, ba§ oud^ ber Äopf ber
aWabonna einen anmutl^igeren, fd^öneren äui^brutf jeige: SBeränberun=
gen, bie einen benfenben ÄünjUer, am erfien ben \iä) felbfl ni<i^t
genügenben SKeifter }u üerrat^en fii^ienen. ftein fpäterer Äopift, fo
fügte man l^inju, würbe ft<i^ fo burd^greifenbe Slenberungen erlaubt,
teiner im jtopf ber SRabonna eine l^öl^ere SSoDenbung erreid^t l^aben.
Seftt aber fd^Iug ber SBinb um, fd&lug fo in fein ©egentl^eil
um, ba§ man mit l^aarfpaltenbem ©d^arffinn glüdtid^ l^erau^brad^te:
aUe jene SSerSnberungen feien leine SScrbeiferungen, fonbem nid^tiS
als SBerfd^led^terungen, oon einem gleid&gültigen Äopiften, ber babei
baS Original fogar mel^rfad^ mi6t)erflanben l^abe, in fpoterer Stü
angebrad^t. ®erabc ba« eng S^fammenpadtte im 9iaum, mo bie
htieenben TOegerfd^en ber SWabonna fafl auf ben gü^en l^odEen, wo
ber wadere SBürgermeifier fafi im Soben ju ©erfinfen ober unnatür=
lid^ }ufammengelauert fd^eint, fei bai^ äBal^re, ja fei baS ed^te 3^t<$^n
^olbeinfd^er Äunfl. 3tun fud^te man ber beiben Silber ^erhinft
ju erforfd^en. S5aä S5re«bener warb 1743 in aJenebig, roo^in e§
1690 aus Slmftcrbam gefommen fein follte, für bie S5reiJbener ®a-
lerie erworben. S)aÄ ©armfiäbter läfet fid^ burd^ ein SBappen auf
bem alten 9)al^men, weld^eiS ber l^oQänbifd^en Familie Groml^out
angel^ört, ebenfalls nad^ ämfierbam l^in ocrfolgen. 3iun lommt in
einem bortigen SluftionSfataloge ber Ferren (Sroml^out unb ßoslart
1709 eine fiolbeinfd^e SKabonna oor, roeld^e nur bie S>armflfibter
fein fann. SBeiter berid^tet ©anbrart, bafe um bie SWitte beS ficb=
jel^nten 3a^r^unbertS ber Äunftl^finbler fieblon eine ^olbeinfd^e SKos
bonna um 3000 ©ulben an ben Sud^l^alter fiöfeert (rool^l jtdj^erlid^
^ie S)armftäbter 9J2abonna $an$ $o(5einS u. bad IDre^benet (S^emptar. 83
ibcntifd^ mit bcm 9lamcn SoiJfart) perfauft l^abc. Scblon aber crl^iclt
bcA Silb nad^ einer Slufjeid^nung beS Sanier SRed^tögelel^rten SRemi-
giuÄ gefd& in bcn ©reifeigerjal^ren beSfelben Sal^rl^unbert^ auS Safel
um 1000 Oulben, wobei nod^ bemertt mirb, ber Äunftl^änbler l^abe
bag SBerf um ba^ S)reifa<i^e mieber Derfauft. ©er Orojsüatcr jenes
^fd^ enblic!^^ um bie Jtette }u f daliegen ^ ^atte eine ©nfelin beS im
Silbe bargefteHten SürgermeifterS SReper jur %xa\x, unb fo märe
alfo ber Stammbaum be« SJarmftäbter Silbe« biiJ auf bie gamilie
be« Stifter« jurüdfgefül^rt. 9iun fielet aber in berfelben Saöler Slotij,
ba« 33ilb fei t)on ßebton an bie Äönigin 3naria t)on aWebici, bie
jid^ bamate, flüd^tig t)or i^rem ©ol^ne, in ben Jlieberlanben auf^
^ielt unb in »rüffel lebte, üerfauft morben; ja eine 9lanbbemerfunfl
jur Sagler Sßottj miH fogar mijfen, ba« Silb fei fd^on 1606 au«
ber ©tifterfamilie an ben franjöfifd^en ©efanbten gelangt. 3«
meld^em a^ummelplafe ber Slu«tegcfunft bie SBiberfprüd^e biefer Siad^^
Tid^ten gcmorben finb, miH id^ l^ier nid^t be« Sreiteren barlegen.
e« genüge ju fagen, bafe SBoltmann unb änbere mit if)m geneigt
finb, anjunel^men, unter ben §anben be« Äunft^änbler« Seblon
feien in Slmflerbam au« bem einen aRabonnenbilbe jmei geworben;
ba« ed^te §abe fio«Iart, ba« uned^te bie Königin erl^alten. ^Dagegen
ift freilid^ ber gemid^tige ©inmanb erl^oben morben, e« gel^e au«
Derbürgten 9tad^rid&ten l^eroor, bafe bie ÄiJnigin bamal« nid^t im
©tanbe gemefen fei, loflfpielige Äunfieinfäufe ju mad^en. Slufeerbem
barf man mol^l fragen, roeld&er Äunftl^anbler fo tl^örid^t fein mürbe,
ein Silb in betrügerifd^er Sttbfid^t mit fo bebeutenben, auf ben erflen
SlidE auffattenben SSeränberungen fopiren ju tajfen, 3^ glaube,
in ber ganjen SBelt feiner!
3)od^ taffen mir bie« unb treten mir t)or bie beiben SWabonnen
felbji, bie jum erftenmal in ben SRaumen be« S)re«bener S^inger«
nebeneinanber aufgehellt finb. 3d^ barf l^ier mol^l oon meinen
perfönlid^en @inbrüdfen berid^ten unb miU be«]^alb x)orau«fd^id(en,
ba^ id^ bi« }um legten StugenblidCe }U benen gel^örte, meldte eine
eigenl^änbige SBleberl^olung ^olbein« mit ftarfer Seil^ilfe geringerer
jtr&fte annal^men. 2)aj3 eine fold^e SBieber^olung niemal« j|ene Un«
mittelbarleit unb grifd^e ^ben lann, meldte ber aWeifler nur ba«
erfle 3Wal, nad^ ber Sflatur fd^affenb, ju erreid^en t)ermag, mar ja fo
84 2)ie S)armftäbter HRabonna $and ^olbeinS u. baS 2)regbener (S^emplar.
cinlcud&tcnb unb gcnügcnb, um bic abtocid^ungen im S)reöbcncr
©scmplar ju crflären. SJafe aber bei fold^cr SBBicberl^oIung bcr
a)ieificr bie SKfingel ber Äompojttion Derbcffere, namcntlid^ bie 3?er^
^ältniffe bc^ ©anjcn fd^öncr cntroidflc, ja bafe i^m aud^ ein ibealerer
3RabottnenIopf gelingen lönne, fd^ien nid&t. minber begreiflid^. aber
wie würbe beim erfien Dergteid^enben Slidf auf bie beiben Silber
biefe Slnfid^t erfd^üttert! 3n ber SJarmftäbterin jeber B^^eifel fofort
befeitigt, bafe l^ier nid&t tttoa ba^ urfprünglid^e, burd&auS eigen*
^änbige SSBer! be^ großen 3ReiflerS vorliege; in ber 2)rc§benerin
aber ein Slbpanb in ber Sel^anblung, in ber ©efammtenhoidflung,
in ber ©inselauSfül^rung, in 3ci<^nwng wie in Äolorit, ber nirgenbiS
mel^r auf bie SBetl^eiligung §oIbein8 ju fd^liefeen geftattete. SBäl^renb
bag Original überall bie SebenSwärme, bie erftaunlid&e ©id^erl^eit
unb ^eil^eit be^ aWeifierg atl^met, fo jeigt fid^ bagegen im S)reS=
bener 33ilbe nid&ts afe bie Peinige aber geifilofe arbeit eines Äopiften.
3Jlan muS nur ;. 33. loergleid^en^ wie ed bem jtopiften unmöglich
gewefen ift, ben l^albgeöffneten aJlunb beS Inieenben 3ünglingS, ber
auf bem Sarmfiäbter S3ilbe fo unubertreffüd^ wai^r in freier Se-
wegung bem Seben nad^gebilbet ifi, anberS ate fieif unb ^öljern
wieberjugeben ! Slel^nlid^e Unterfd^iebe gemalert man in ber ganjen
©ruppe ber Änieenben auf aßen ^ßunfteu. SSBie unt)ergleid^lid^,
ganj eines §olbein würbig, finb fobann im Original aUe Sieben^
binge bel^anbelt: bie ©olbfrone ber aWabonna, il^re golbbrofatenen
aiermel, baS fiaar an fämmtlid^en Äöpfen, baS mit feftem, feinem
5ßinfelflrid^ in paftofer garbe aufgefegt ift, ganj wie man eS an
allen SSilbniffen beS SJJeijierS }u feigen pflegt, wä^renb äße biefe
3:inge in bem SJreSbener Silbe jwar forglid^ unb gewiffenl^aft, aber
mit einem bünneren garbenauftrage unb in geiftlofer Slad^al^mung
wiebergegeben finb. gerner, wie wunberbar fein unb ftd&er finb bic
fd^warjen Sinien beS ©tidfmujierS auf bem weisen Äleibe beS fnie^
enben 9}iäbd(ienS auf bem Original ge}eid^net, unb wie weit ftel^t
bie 92ad^a]^mung bal^inter jurüd; enblid^ wie rol^ ift ber S)reSbener
2;eppid^, }um %\)til fogar ol^ne SBerfiänbnife ber 3^i^wwng bel^an^
belt, wä^renb ber beS Originals ein 9»eifterfHldE ift, baS man nur
fiolbein jufd^reiben fann. Unb wä^renb äße biefe SJinge flauer
finb, l^at ber Äopift überaß bie Sofaltöne beS Originals in il^rcr
^ie S^armftäbter SRabonna $and $oI5ein$ u. ba§ ^re^bener 6j:emp(ar. 85
Älar^eit nid^t ju errcid&en Dermod^t, roie bcnn ba§ Ociüanb bcr
aRabonna weit bunficr ift, afö im Original, unb fogar cntfd^icben
grün, roäl^renb c3 auf bem SJarmftäbtcr SBilbc nur burd^ ben ftarfcn
gelben gimife grün erfd^eint. S)a^ ®en)anb beö 53ürgemteifler^ in
S)re§ben ift ein ganj ftumpfe^ ©d^roarj, loä^renb ba^felbe auf bem
Original jene^ lid&terfüttte Sd^ioarj jeigt, weld^eÄ man auf fiolbein-
f^en Silbnijfen überatt mieberfinbet. Sie Slnfid^t SBBoltmannS, bafe
ber Äopift baS ©eioanb ber SWabonna irrtl^ümlid^, burd^ ben girntfe
getäufd^t, für grün genommen l^abe, gewinnt alfo an SBeftanb. Unb
enblid^: aud^ jene lül^lrötl^lid^en gleifd^töne fammt ben grünlid^en
©d^atten im 9tadEten, roeld^e Äugler fd^on Derbäd&tig maren, fie ftim=
men in ber %f)at nid^t mit ber Äamation, mie mir fte auf aßen
ed^ten fiolbeinfd^en SBerfen finben. 2)a3 JRefultat unfrer SBergleid^un^
gen mar bemnad^ bei allen, meldte feigen fonnten unb mottten, bafe
bie meltberü^mte S5re^bener 9»abonna t)on il^rem 2;^rone ^erab*
fteigen* mufe ; bafe fie nur al^ eine mefentlid^ fpätere Äopie ber SDarm*
fiäbterin anjufel^en ift; bafe biefe bagegen baS malere unb einjige
G^emplar t)on fiolbeing -fianb ift.
SRun blieb aber immer nod^ ©injelneö rät^fell^aft; t)or allem
ber Äopf ber 35re^bener aßabonna unb il^reS Äinbe^, meldte beibe
bem Originale überlegen finb. S)ie 35reöbener 3)labonna ^at nid^t
blofe bie größere ©d^önl^eit unb SReinl^eit für fid^ tjorauö, fie meidet
axiä) in mefentlid^en ^ßunften ah. S)e^ Äopfeö 3?er^altniffe jur
ganjen ©efialt finb Derbeffert; er \jat ein Untertinn, meld^e^ bem
Driginallopfe ju fehlen fd^eint, bagegen aber fel^len i^m bie bunflen
Slugenbrauen beö lefeteren. S)ag Äinb in S5reiSben fiel)t nid^t fränflid^
ober meinerlid^ au8, mie oft gefagt morben ift, fonbern e^ fenft
mübe baS Äöpfd^en an bie Sruft ber 3JJutter unb bie 3lcuglein
f d[)einen fid^ fd^lummerbebürftig fd^liefeen ju mollen. ©emife : fo fal^
ißölbein baS Äinb, unb oline »ebürfnife ber Sbealifirung gab er e^
genau fo mieber. dagegen oerjielit ba« Äinb ju ©armftabt ba^
SRünbd^en jum fiäd^eln. Stber biefe auffaHenben fünfte finben i^re
©rflärung burd^ bie (Sntbedfung, ba§ gerabe ber aRabonnenfopf im
Criginalbilbe, foroie ber be^ Äinbe^ t)on einer fpateren Stusbellerung
fiarf mitgenommen morben finb; beutlid^ erfennt man getupfte
5ßunlte, meldte ben ganjen Äopf be« Äinbe« bi^ inö ^aar hinein
86 ^ie fCarmftäbter SRabonna S^ani $o(5eind u. bad fCredbener Gs^mplar.
ä6et}iel^cn iinb iS)n, in ber älbfid^t il^n lieblid^er ju maii^en^ tx^tbiiäf
Dcrborbcn l^abcn. ©bcnfo im Äopf bcr aWabonna; nur ba§ bcr
bidfc girnife bic Untctfud^ung, loic weit ^i^ bic 3lctoud^en erftredfcn,
beträd^tliii^ erfd^toert. @ot)teI aber erfennt man: bie bunllen Stugen-
brauen f^einen ein 3wf^6r toäl^rcnb bagcgen bag Unterfinn xoa1)x^
fddeinlid^ burd^ eine parle ©d^attenlage, bie man bort bemerlt, per^
bedt wirb. S)aiJ Unterfinn unb bie l^eHen, faft unmerfbaren Slugcns
brauen ftnb fo fel^r im ßl^aralter ber älteren beutfd&en Äunfl, ba§
ein fpäterer Äopift fxe geroi^ nid^t in feine Arbeit J^ineingetragen
l^at. Sllfo bürfcn n)ir fd^lie^en: ber Äopift fal^ in allen biefen 2;^eilen
baö ^olbeinfdde Original nod^ unDerfel^rt, unb fo ift cÄ gefommen,
bafe ba^ 2)regbener Silb in biefen wid^tigen ^partl^ien uniJ ben ur^
fprünglid^en (ginbrudt ber fiolbeinfd^en ©d^öpfung reiner loiebergibt,
ate bai^ CriginaL Sud^ bie unteren ^Partien im Äopf be« Sürger^
meifierÄ tragen, beiläufig bemerlt, im S)armfläbter Silb bie ©puren
berfelben retoud^irenben ^anb. 9lad^ aKebem braud^en xoit un$
nid^t ju iDunbem über ben mäd^tigen (Sinhtnd, ben baiS S)re$bener
33i(b fo lange gefibt l^at: bietet ed bod^'im Äopfe ber SRabonna
unb be^ Kinbed aller äßal^rfd^einlid^leit nad^ bie urfprfinglid^en Sn-
tentionen be^ SWeifieri^. SKufeerbem, fo lange baiJ S5armfläbter Silb
nid^t jum SSorfd^ein gefommen war unb man nid^t oergleid^en lonnte,
mirlte bag S5reSbener als ^olbeinfd^e Äompofttion mit bem ooHen
Sauber einer fold^en aWeifterfd&öpfung.
®ne fd^ioierige grage bleibt nun freilid^ nod^ immer ungelöft:
wer mar biefer Äopift, unb in meld^er 3^it ifi bai^ S)re8bener Silb
entftanben? S)a§ oon einer in betrfigerifd^er Slbftd^t gemachten
Äopie nid^t niol^l bie 91ebe fein lann, fallen mir fd^on. 9ßai^
foUte aud^ einen jtunßl^änbler loeranlaffen, alle ©efal^r ber (SnU
bedtung ^eraufjubefd^mören, blofe um feinem Äopiflen bie arbeit ju
erfd^Toeren unb fid^ bie SQBaare ju Dert^euem? SBa^rfd^einlid^er i|l^
ba§ ein ßiebl^aber eine SBieberl^oluftg be8 SilbeiS verlangte unb
babei bie SSeränberungen oorfd^rieb, meldte l^auptfäd^lid^ bie SSer-
§ältniffe betreffen, auS bem gebrüdften Slufbau einen eblen, fd^lanfcn
mad^ten. 9lun lönnte mol^l, menn baS eine @£emplar bei bem
roeiblid^en S'o^ifl^ ^^"^ ©tifterfamilie blieb, ber männlid^e ben 2Bunfd^
nad^ einer itopie gel^abt ^aben; merfmürbigermeife ftnb aud^ bie
Xit ^armfiäbter 9Rabonna $and i^olBeind u. baS ^regbenet ©^emplar. 87
iQotbeinfd^en (Sinjelbilbniffe ber beiben Stifter in einer alten Jtopie
Toieberl^olt worben, bie man mit ben Originalen im Safeler SWufeum
fielet. 2tn fiolbeinfd^e ©d^üler unb ©enoffen ifl babei nid^t ju ben^
fen. 9Bir n)i{fen aud^ t)on fold^en nid^tiS^ unb ber äReißer l^at aEe
feine arbeiten in aUen S^l^eilen eigenpnbig auj^gefül^rt. ©r war
ein fär ftd^ allein arbeitenber MnfUer unb flanb nie an ber @pi^e
einer SBerlflatt, wie ein SBol^Igemutl^, 2)ärer, ßranad^ unb anbre
3eitgenoffen. 2luf etwaig fpätere 3^it btnttt bie ganje Sled^nif be^
S)reSbener SBilbei^, unb fd^on Äugler l^at im SBefentttd^en ba« SHc^s
tige erlannt. (giniiweilen müjfen wir un« mit bem SRefuItate be«
gnügen, bafe üon einer Qoib ^xn^6)m aWabonna in SJreSben nid^t
me^r bie SRebe fein lann.
gcflrebc am 6. aWärj 187
(«luöflarf. XHOefr«. 1872.)
21.
lü loir im Dcrfloffcnen Saläre baS ©cburtöfeft unfrcÄ allgc-
liebten Äönißi^ begingen, war unfer ©emütl^ noä) ju tief erfd^üttert
t)on ben getöoltigcn ©reigniffen beiJ laum beenbeten RriegeiS, um
ftd^ uneingefd^ränft bem Slu^brud einer reinen greube ju überlaffen.
^eute begrüben loir biefen S^ag in gan; anberd gel^obener ©tim^
mung. Äeine bange ©orge belaftet mel^r unfer Oemütl^. 3la6) Sal^r^
l^unberten ber Bßtrijfenl^eit unb Dl^nmad^t fielet unfer tl^eure« SBater^
lanb, fielet ©efammtbeutfd^Ianb ba, in gefd^Ioffener ^ßl^alanj mäd^tig
na^ außen, ein fiort bed grieben^, eine Sürgfd^aft gebeil^Iid^er
jtulturentfaltung. 2)a }iemt ed ftd^ an bem l^eutigen S^age für uniS
aQe, bie xoxx t)on ganzem ^erjen ^um SSaterlanbe ßel^en, unfrem er-
l^abenen aJlonard^en, bejfen l^od^^erjigen entfd^lüffen ein DoBer an»
tl^eil an ber SBegrünbung bei neuen beutfd^en 9ieid^i^ gebfil^rt, aM
bewegtem ©emüt^e ben S5anf einei^ treuen SSoßeiJ auÄjufpred^cn.
SBie Mnnten mir aber biefen fd^önen 2;ag mürbiger begeben,
afe inbem mir uni^ bie Äulturaufgaben lebenbig Dor äugen ftetten,
meldte bem großen, mfid&tigen, einigen ©eutfd^Ianb nunmel^r in
l^öl^erem ®rabe al^ je iut)or obliegen. 3ft \<^ baiS in ber neuen
SSerfaffung be$ Steid^eS ba^ mal^rl^aft £ebenSt)oQe, baß biefelbe aU
tl^atfäd^Iid^er äu^brudf unfrer aSerl^ältniffe unb Sn^t&nbt, inbem fie
ber poUtifd^en unb militärifd^en ^ül^rung, fomie ben ba^ SHIgemeine
UcBcr Äunftpflege. 89
umfaffenben ^l^cilen bcr ©efefegebung bic notJ^rocnbigc Äonjcntration
gewäl^rt, für aUc aufgaben bcS l^ö^ercn Kulturleben«, für bie
blül^enbe ©ntfaltung t)on ^anbel unb ©eroerbe, t>on SBiffenfd&aft
unb Äunji iebent einjelfiaate bie DoHe ©elbfiänbigteit, bie freiefte
»eroegung oerbürgt. Um uniJ ober bie äußeren Sebingungen einer
fold^en Äulturblütl^e auf bem ©ebietc, beffen ^Pflege biefe SRäume ge-
wibmet finb, bem ber bilbenben Äünfte, Har ju mad^en, barf \6)
mir rool^l einen gefd^id^tlid&en SRüdblid geftatten.
aSBo ber SWenfd^ nod) im Swftonbe geifiiger S)umpf ^eit lebt, ba
liat bie Äunft feinen %f)t\l an il^m; erft in il^ren feelenüoHen
©d^öpfungen lernt er fein ©emütl^ t)om S)rudf ber SBi^Ilid^feit be=
freien, fid^ in ben Stetiger ber reinen ©d^önl^eit ergeben, ©o fpiegelt
fie benn, unb jtoar fie allein Dollfiänbig, fein S^were», bie SBelt
ber ©ebanfen unb ©mpfinbungen. aber fie wirb jugleid^ jum au2^
brudf be« gefammten SebenS einer 3cit, il^rer politifd^en unb gefeilt
fd[)aftlid^en, il^rer moralifd^en unb materiellen 3"ftä"t^^- 5Denn ber
Äünjiler fielet mit feinem ©d^affen nid&t Dereinjelt. SQBenri ber ©ott
im 33ufen il^n antreibt, fein 3nnerei^ ju offenbaren, fo bebürfen feine
©eftalten bod& beö ©onnenfd^einS, be« erquidEenben S^l^aue«, um ju
reifen unb üoll ju erblül^en. 2)ie förbernbe 2:^eilnal^me feiner Seit-
genoffen, bie in feinem SBerfe ba« al^nen unb erfennen, vocS al«
^emeinfameö ©efül^l in aßen lebt, ift biefer ertoärmenbe ©onnen-
fc^ein, biefer erfrifd^enbe ^^au. Sliden wir nun jurfidE, foroeit bie
©efd^id^te reid^t, fo finb e« jroei fieben«mdd^te, roeld^e bie Äunft ge=
förbert unb fid^ felbft in il^r jum Slu^brudE gebrad^t l^aben: ba«
gürftent^um unb ba« S8olf«tI)um. S)ie Äird^e nennen voix an biefem
Drte nid^t, benn entroeber ift fie mit bem gürjientl^um ibentifd^, ober
fie l^at, bie SBoltefeele mäd&tig erregenb, au« biefer l^erau« unb burd^
biefelbe bie Äünfle gepflegt, ^m Seben ber Stationen roed^feln aber
jene beiben Strömungen, bie oom gürftentl^um unb bie oom SSolfe
au«gel^enben, in l^in^^ unb l^erftutenber SBeroegung. Qn 3^^^"/ ^^
bie aSolföfraft nod^ fd^lummert ober in bumpfer UnterbrüdEung ge=
l^alten mirb, tritt mit unumfd^ränltcr SKad^t ber 2)efpoti«mu« be-
ftimmenb im Äulturleben auf. SQßie er felbft al« 2llp auf bem
aSolfögeifte lafiet, fo bebedfen aud^ feine riefigen »auten mit il^ren
aWaffen ba« Sanb. SBie ift in jenen labprint^ifd^en ^paläfien oon
90 lieber ^un^pftcfle.
Sab^loit unb 9linit)c, in ben fligantifd^en ©teinloloffcn bcr ^pra^
miben Don SRempl^tö unb ben S^empelpaläßen bei^ l^unberttl^otigen
2;^eben bie oricntalifd&e fierrfd^ermad^t in il^rer unumfd^ränften ®c:=
xoalt Dcriörpcrt!
SBcld^' leud^tenbcg ©cgcnbilb baju bic Ilaffifd^e SBelt bcr
@rie($en! 93on ben fonnigen ^öl^en ber 9lIropoliiS 3ltf)tn& glanjen
nod^ immer troft fd^auriger 3^fiörung bie eblen ©äulenl^allen be*
J^empefö, meld&e ein freiet 5Boß auf ber fiöl^e menfd&lid^er Äultur
feinen ©Ottern errid^tet. §ier tritt ba^ Stumpfe, Siaffenl^afte ber
orientaKfd^en Sluffajfung jurüdt unb löfi fid^ in l^eitere menfd^Iid^e
3lnmut]^ auf. Unb wenn ein ?ßl^ibia« bie bemunberten Silber ber
?PaßaS Silibene unb be§ Dlpmpifd^en 3^^ iin fofibarflen SKaterial
erriddten barf, fo bringt er in biefen ©öttergefialten bie ibealen ans
fd^auungen beS SSotle^^ bie loerllärte SSöIföfeele felbfl jum 9(ui^brudF.
SBie fpiegeln bagegen bie orientalifd^en ©ötterfiguren mit il^ren
monftröfen formen, il^ren S^l^ierföpfen ben S^ft^m*^ V^^^ i^ ^^^
gejfeln biimpfer fialbtl^ierl^eit gefangenen SBölfermoffen! aber fd^on
mit aiejanber beginnt bei ben Oried^en ber 9iü(!faB[ in orientalifd^e
anfd^auungen; unb roa& er unb feine Slad^folger, bie ©iabod^en, be-
gonnen, erreid^t bann im SBeltreid^ ber SRömer feine SSottenbung.
35ie menfd^Ud^ fd^öne Äunfl bei^ ^ettenentl^um« tritt in ben S)ienfl
befpotifd^er fierrfd^aft. ^cilid^ prägt fie biefelbe in aßen Sänbem
beö römifd^en ©rblreifeS burd& unjal^üge glonpotte ©enfmälcr au§;
aber toenn aud^ gried^ifd^e älnmut^ bie SRaffen l^olb umfpielt unb
geiftüott glicl)ert, ber 2luSbru(f bel^ält bod^ etwaig ©emaltfame^,
§errifd^e8, unb bie ©eele fül^It nid&t wie in jenen ebelfien ©d^öpfun«
gen ät^enS fid^ auf bie ^öl^e freiet aJJenfd^l^eit gel^oben, fonbem fie
fpürt nur baS fd^roffe SSerl^ältni^ t)on ©iegern unb Seftegten, von
©ebietern unb Untertl^anen. SBol^I fud^t ha& ßl^rijientl^um mit
feiner erlöfenben Seigre bie aWenfd^l^eit t)om SJrudte ju befreien, aber
in ben flarren bogmatifd^en geffeln unb bem bpjantinifd^en ^prunl
beS ofirömifd&en SReid^e^ erftidft roieber ber $aud^ ber greil^eit; ba*
für aber errid^tet bie S^^eolratie in ber lül^nen Äuppel ber ^agia
@op^ia unb unjal^ligen il^r nad^fotgenben 3entralbauten bed Oriente
fid^ ein glSnjenbe^ !J^enfmaL
3n Tounberbarem 3ieid()t]^um entfaltet erft baö d^rijttid^e 3)UtteI-
Ucöcr ÄunftpPegc. 91
alter wicbcr ein Äunflleben t)on mannigfad^etn ©epräge. S)cr tiefe
greil^eitÄbtang beiJ germonifd^en Solfögeijie^ Ireujt fid^ mit ben
flarren gorberungen römifd^er ^priefterl^errfd^aft; au« bem Sex^aH
be« farolingifd^en SSSeltreid^eiS erl^eben ftd^ jugenbfräftig bie ein::
jelnen SSölfergruppen; biefe aber fd^einen roieber in unabfel^bare
Heinere Äreife, inbit)ibueBe ©emeinioefen ju jerfallen, bie mit raft^
lofer SBerbelufi il^r etgenfie« felbjiänbigeS 2)afein«red^t üerfed^ten unb
in fül^nen Äämpfen bel^aupten. ©taaten ringen gegen Staaten,
gürpen gegen SSafaßen, bie ftaifer gegen ba8 ^papfttl^um, bie ©täbte
gegen ben Slbel, unb in ben ©tdbten wieber bie Sänfte unb ba«
niebere 93oIt gegen ba& ^atrijiat. @« fd^eint ein ^ampf aQer gegen
alle, unb bod^ gibt eS grofee gemeinfame ©ebanlen unb ©efill^U^
firomungen, weld^e ber ganjen Stit i^re l^od^ibeale ©ignatur aufs
prägen. SBieber ifi e« bie Äunfi, meldte biefem tief jien 2)range ber
3eit jum 9(uSbrudt t)erl^ilft unb ber gan}en @pod^e einen $aud^
iugenblid^er ©rregung Derleil^t. 3m SBetteifer errid^ften bie ©täbte
il^re ftat^ebralen, ©tift«« unb ^ßfarrlird^en , il^re JRat^l^äufer, il^re
Äaufs unb ©ilbenl^aHen unb geben felbfi ben SBefejligungSwerlen,
ben fd^üftenben SKauem unb 2;i^oren, bie SQBeil^e Kinftlerifd^er gorm.
Slm Harpen erlennt man biefe Slrt be« SBettfireite« au« ben
annalen ber ©täbte Stalien«. 5pifa errid^teffd^on im Sluögange be«
11. 3al^rl^unbert« jur ^eier eine« glänjenben ©eefiege« über bie
fijilianijd^e glotte ben l^errlid^en Warmorbou feine« 2)ome« unb
fügt baju fpäter fein 6ampo fanto, jene feierlid^fte aller griebl^of«=
Italien ber SBelt, ju ber e« bie ©rbe au« bem ^eiligen ßanbe i)tx^
bei^olen läßt, bamit feine au«em)ä]^Iten ©ö^ne in geroeil^tem Soben
rul^en. aSenebig in gejid^erter aKeere«Iage erbaut feinem ©d^ufis
l^eiligen ben von ©olbmofaifen fd^immernben S)om Don ©. 3Karco.
glorenj, bo« gewaltig emporjlrebenbe, beauftragt ben lübnfien feiner
93aumeifter, eine jtatl^ebrale au^ufül^ren, bie an 9ieid^tl^um unb ©d^ön-
l^eit aQe anbern SBerte 2;o«Iana« übertreffe. Später toirb ber große
©iotto unter ben e^reuDottfien 2lu«brüd[en mit ber gortfül^rung be«
Saue« betraut. 93alb barauf enoad^t ber äßetteifer von ©iena, unb
e« befd^ließt, an feinen S5om mit ber fha^Ienben aRarmorfagabe,
für fid^ fd^on eine« ber ^errlid^jien SBerfe italienifd^er ©otl^if, einen
gewaltigen Sleubau ju fügen, meld^em bie Äat§ebrale nur at« !Duer=
92 Heber Äunftpfleöc.
fd^iff biencn follte. ©d^tocrc ©ddidfalc licfecn bcn Sau roit fo
manddc Untctnel^mung bcS aKittcIaltcr^ nid^tjuraJoHenbuttglommen;
aber nod^ jeugcn bic riefigen ^Pfeiler unb SBogenl^allen auf bem
füllen SDompIafee t)on ber ©rofeartigfeit ber ©ntoürfe. S5ann fommt
bie 91ei]^e an Sologna^ unb es baut nid^t b(og feine beiben fd^iefen
S^l^ürme, jum ^rofe gleid^fam gegen $ßifa, baö bod^ nur ein fold^
ard^iteltonifd&eä Äuriofunt aufjuweifen vermag, fonbern eS beginnt
aud^ mit fü^nem SWutl^ feinen gigantifd^en SJom üon ©. ?petronio
unb rei^t, um für baS l^errlid^e SBerf ?piaft ju fd^affen, ein ganjeS
©tabtüiertel mit ad^t Keinen iiird^en nieber. 3n ben gewölbten
iQaQen biefeS eblen Tempels empfinbet man nod^ ben ©inbrudf be^
ftoljen fiod^gefü^te feiner ©rbauer.
Ueberaß tritt in ben Ur!unbcn ber 3^it, in ben pergamentnen
ber ärd^iDe mie in ben fteinernen ber S5enhndler, bie l^ol^e Sld^tung
I)ert)or, roeld^e bie ftdbtifd^en ©emeinioefcn t)or i^ren berül^mten
Äünjilem l^aben. 9Wan weife, bafe biefelben ber ^eimat^ ju l^ol^er
ß^re, jii unfterblid^em SHul^me gereid&en; man preift in marmornen
Qnfd^riften il^re ©efd^idflid^feit; man oerglei^t pe rül^menb mit ben
meltbelannten Äünftlem beö Sttltert^umS; aber man empfängt fie nid^t
blofe mit auSgefud^ten @l^renbe}eugungen, fonbern ebnet il^nen aud^
ben raul^en fiebens^roej, befretirt für fie bie grei^eit oon aßen 9Ib=
gaben unb meift i^nen auf Äoften ber ©tabt i^re SBol^nung an.
Sonnen wir, bie wir un« fo l^o^er S3ilbung rül^men, in aßebem
mit jenen mittelalterlid^en ©tobten unö irgenbwie oergleid^en? SJürfen
mir bel^aupten, bafe bei unfern ftäbtifd^en SWagiftraten bie Äunft unb
bie Äünftler in ä^nlid^em Slnfel^en ftel^en? ©afe unfre bürgerlid^en
jlorporationen eine ebenfo ftarfe unb (ebenbige SSorfteßung oon bem
Sffiert^ unb ber Sebeutung lünftterifdder ßeiftungen befunben? bafe
unö gleid&er SBetteifer befeele wie jene alte aWunijipien? 3^ fürd^te,
bie äntmort auf biefe fragen mirb felir ju unfern Unguniien aus»
faßen! — 3lber nod^) mel^r! 3m SBetteifer mit ben ©täbten fud^en
nun aud^ jene fienfd^er, meldte fid^ oft mit ^interlifl unb SBerbredJen
jeber 3lrt ber ©eroalt bemäd&tigt ^ben, burd^ fünftterifd^c Unter?
nel^mungen gleid^fam ®ott ein Opfer barjubringen unb bie 3Renfd^en
mit bem 2)efpoti^muS auöjuföl^nen. ®ian ©aleajjo aSiöconti er-
baut nid^t blofe bie geroaltigfte aßer italienifd^ gotl^ifd^en Äatl^ebralen,
lieber ^unftpflege. 93
ben 25om ju SWatlanb, fonbcrn aud^ bic cblc ßertofa t)on ^ama,
beten gagabe ate ein SBunberroerf t)on ?prad)tbeforation nitgenbö
i^rc^gletd^en l^at. aber fofott reijen biefe Seifpiele ganj in ber
9taf)e toiebet eine ftobtifd^e Sel^örbe jum SBetteifer an, unb bie
©ürgerfd^aft Don ©orno läfet burd^ 2:ommafo SRobari ben »au il^rer
Jtatl^ebrale beginnen, ber bei ma^DoQeTer unb bodb immer nod^
äufeerfl reidjer 2)eforation burd^ ©d&önl^eit ber SBerl^ältniffe alle ä^n::
Ud^e SBauten übertrifft. 3lud^ l^ier wirb bem 83aumeifier in einer
Snfd^rifttafel am SBauroerfe felbfl ein ©l^rengebäd^tnife gcftiftet.
aber nid^t blofe in Stauen ^errfd^t fold^ ein SBetteifer: aud^
bei ung in SJeutfd^Ianb befunbet eine SReil^e großartiger S)enfmäler
nod^ je^t ben l^o^en @inn, mit meld^em bie bamaligen ©efd^Ied^ter
fid^ fünfilerifd^en Untemel^mungen l^ingaben. 3wei ber foloffalfien
S)ome, bie @tepl^ans!ird^e in äßien unb bai^ !tRün{ler ju Ulm, finb
burd^ bie Äraft bürgerlid^er ©emeinroefen entfianben. ©benfo be«
jeugen bie maffiüen S3adEfteinbauten im SRorben unb ©üben a5eutfd&=
lanbg, bie aWarienfird^en in S)anjig, ©tralfunb, ©reifSwalb, 3loftoct,
aSiSmar unb ißübedt, bie grauenlird^e in SKünd^en, ©. aWartin in
SanbS^ut, wie rege baS !ünfilerifd&e ®efü^, mit bem religiöfen ge^
mifd^t, bie SBürgerfd^aften unfrer ©täbte befeelte. 35a^ 2)erbc,
aWaffiüe, ber oft bei großer ©d^mudflofigleit cnergifd^ ^erüortretenbe
ernft, weld^er pd^ in biefen 33auten auöbrüctt, ifi fo red^t ber ©piegel
ber ©ejxnnung, am roeld^er biefelben hervorgegangen finb. aber
a\\(!^ bie l^errlid^en Äatl^ebralen, mit meldten fid^ bamafö S5eutfd^lanb
fd^mücfte, mären o^ne bie Dpferfreubigfeit beiJ ganjen SSoIfe^ nid^t
}ußanbegeIommen, unb oor aDem [xnb ed bie Siiefentl^ürme mit
i^ren burd^brod^enen ©pifien, bie SBerfe von ©traßburg, greiburg,
Ulm, aSien, in meldten ber ©ntl^ufia^mug jener Seiten feinen fü^ns
ften auöbrudf fanb, Qmmer bleibt e^ inbeß bejeid^nenb für ben
bürgerlid^en ®eiji 35eutfd^lanbg, baß e^ l^auptfäd^lid^ flöbtifd&e ^farr^
fird^en pnb, in meldten bie Saugefxnnung ber 3cit fi<ä& geltenb mad^t.
3a bisweilen fpornt ber SBetteifer t)erfd^iebene ©emeinben berfelben
©tabt, il^re ^ßfarrfird^en immer großartiger anjulegen unb reid^er
ju fd^mücfen. ©o fielet man zi beutlid^ in Jlümberg, mo im 13.
Sal^r^unbert bie ©emeinbe Don ©. ©cbalb beginnt, ben energifd^en
Sau il^rei^ ©d^iffe^ in ben formen be^ romanifd^en Uebergange«
94 Ucbcr Äunftpflcgc.
ju erraten. Äaum ift bie^ SEBerl Dottcnbet, fo fül^lt bic Ocmcinbc
ron.©. Sorenj fid^ getrieben, burd^ einen nod^ grofeartigeren Sau
eS jenem }ut)otiut]^un; ed ergeben ftd^ bie eblen gotl^ifd^en ©en^ölbe
be§ Sangl^aufeS unb bie gaffabe mit il^rem ^ßtad^tpottal fammt ber
glänjenben SRofe barflber. SBieber nimmt ©. ©ebalb ben ©anbs
fd^ul^ auf unb fud^t burd^ bie lül^nen Kd^tburd^floffenen fallen feinet
©^oreiS mit bem l^ol^en polpgonen Umgang bag Qnnerc t)on ©. fiorenj
ju überbieten, bis enblid^ biefeS butd^ einen in a^nlid^en SSerplt^
niffen unb fafl gleid^er Einlage auiSgeflil^rten Sl^orbau ben 3lbf(i^(u§
mad^t. SBill man bann aber feigen, mit meld^er %ü\it Don ftunft-
merlen bie wetteifetnbe »egeiftcrung t)on ©njelnen, gamttien unb
Korporationen bie Sauten jener S^tt auiJgeftattet l^at, fo mufe man
burd^ bie ^aUen fold^er Aird^en manbeln, toeld^e ben alten Seftanb
il^rer ©enfmäler nod^ unt)erfe^rt beioal^ren; mie bie SKarienfird^en ju
S5anjig unb Sübed, ba« aWünfter ju Ulm, ror allem aber bie Äird^en
beS unt)ergleid^(id^en Siümberg, mo in ©. ©ebalb bed äBunbetroerf
5ßeter Sifd^er«, in ©. Sorenj baS 2;abernalel Slbam Ärafftö bie
©pifeen be^en bcjcid^nen, maS bürgerlid^er Äunjlfinn bamalö \)tvx>ox'
jubringen t)ermo(^te. —
6in anbereiS fieben bringt ber Slnbrud^ ber neuen S^it, bie in
Statten burd^ bie SRenaiffance, in SDeutfd^lanb burd^ bie Sieformation
eingeleitet wirb. 35er alte Äunftfinn bleibt, bie Äunftübung erl^ebt
fid^ burd^ tiefere^ (Sinbringen in bie Statur unb bie Slntife, burd&
miffenfd^aftttd^e Segrünbung jur l^öd^ften Slütl^e. S)er (Seift ber
größten SRcifier bewirft t)or allem in Statten einen Sluffd^ioung
fämmtlid^er Äünße, ber ju einem ma^r^aft Haffifd^en SluSbrudf fic^
fteigert. S)ie Seioegung gel^t junäd^ft an^ ben literarifd^en unb
lünftlerifd^en Äreifen l^erDor; glorenj, fd&on feit lange bie SBiege
ber £unft, bel^auptet aud^ jegt ben Siul^m, bis in ben 3luSgang beS
15. Sal^rl^unbertS an ber ©pifee ju ftel^en. ©eine ftolje Sürger^
Iraft ifi eS, meldte biefe gemaltige SCI^at ber Befreiung öoUjogen.
aWit l^inreifeenber aWad^t oerbreitet ftd^ ber ©trom ber neuen (Se-
banlen unb formen fofort überatt^in, unb mel^r als je wetteifern
ftäbtifd^e ©emeinben, metteifem Sürger mit bem äbel unb bem
Prftentl^um in ©tiftung monumentaler SBerle. SBaS in ©rj, SfRar*
mor unb ^olj, maS in ®olb unb garben, in greSten unb 3;afel=
Ucber ÄunPpflcgc. 95
bilbcnt bamafe taufcnbfältig gefd^affen worben, bejcugt eine SReg^
famleit be« fd^öpferifd^en Xxitbt^, wie fie laum in irgenb einer
anbem 3^^ gefunben wirb, aber wie bie Äunjl beginnt, fid^ bem
@ipfel ber äSoQenbung ju näl^ern, jiel^t bie alte ^auptftabt ber
aSelt bie erften SWeifier in il^re Äreife, unb bo^ gJapfltl^unt, bamate
an ber ©pifie ber »ilbung feiner 3eit, unter 3uliu§ Tl. unb £eo X.
bem ^umani^mud ebenfo feurig sugetl^an toie ed il^m je^t feinblid^
abgeroenbet ifi, gibt il^nen ©elegenl^eit, bie 3been ber 3rit in eroig
gültiger gorm jum Kaffifd^en äui^brud ju bringen. 6« ifi ber
Stugenblidt, too bie freigeroorbenc Äunft, bie SBerfd^meljung d^rifi=
lid^er Oebanfen mit antiler gormfd^iJnl^eit t)oII}ic]^enb, ben religiöfcn
Stnfd^auungen ba^ ebelfle IflnfUerifd^e ©eroanb bereitet unb }ug(etd^
bem gefammten profanen Seben feine ibealc aSerflSrung gibt.
^ie fal^ ed bamatö bei uni^ im Siorben aud? 3^ Anfang ber
Spod^e l^atte bad l^anbeldmäd^tige ^anbem in ben Srfibern Dan
©pdf jroei jener großen »al^nbred^er in bie SReil^e ber SBorfämpfer
einer neuen 3^^* geftellt. S)er prad^tliebenbe burgunbifd^e gürften^
]^of l^atte im SBetteifer mit ben xeid^ien ȟrgerfd^iaften ber flanbrifd^en
©täbte bie munberbare neue Äunft ber Delmalerei burd^ anfel^nlid^e
auftrage gefötbert. S)a« ©auptmerl ber van ©pdf, jener berül^mte
aUtarfd^rein von ®cnt, mit roeld^em bie neue Äunfi fiegreid^ in bie
SBelt tritt, ift bie ©ttftung cineö nn» fonfi unbefannten Sürger^
ber ©tabt. Äein Oefd^id^tSbud^ melbet feinen Slamen, aber burd^
jenen aitar l^at 3obocui8 JBpt« fid^ unb feiner ©ema^Iin Sidbetta
ein 3)enfmal gejliftet, ba^ für alle Qnttn feinen Sfiamen mit einem
ber größten ÜBomente ber Äunfientroidtlung oerfnüpft. ©old^e Un=
fierblid^Ieit wrleil^en bie SBerfe ber Äunft!
3)ie (gpdtfd^e ®rfinbung unb mit il^r eine neue Äunfiroeife t)er=
breitet ftd^ rafd^ über bie angrenjenben Sänber, unb balb gibt e§
aud^ in 2)eutfd^lanb eine anjal^I 2Weifier, meldten bie 3^i*9^nöffen
nad^rül^men, ba§ fie in flanbrifd^er Äunftmeife erfal^ren feien. Slber
all' biefe Äünftler, ein SRartin ©d^ön, Berlin, 3citbIom, ber alte
£and ^olbein, SRid^ael äßo^lgemutl^ unb fo mand^e anbre fül^ren
ein befd^eibened ©tiQleben, unb bie @efammtleiftungen ber beutfd^en
5lunfit laffen fid^ mit ben gleid^jeitigen ber Italiener nid^t t)on ferne
in aSergleid^ ftellen. 2)er Aufgang beö aRittelalteriS bringt gerabe in
96 Ueber ^unftpflege.
©cutfd^Ianb bic uncrfrculid^ftcn S^ftänbc l^croor. S)ie fpiritualiftifd^c
auffaffung bcr frül^crcn 3^^ ijl üerHungcn unb f)ai überaß einer
rollen, berben SBeltlufi Pafe gemad^t, bie ftd^ um fo l^anbgreifHd^er
äufeert, je toeniger il^r ber §aud^ ber ©d^önl^eit eigen ifi, roeld^er
biefelbe 3^itfirömung in Italien t)erKdrt. ^anbraerttid^e ^lumpl^eit
gewinnt felbft in ber Äunfi bie Dberl^anb, unb obwohl immer nod)
einjelne SH^ eifriger Äunflpflege aud^ in bürgerlid^en Äreifen t)or=
fommen, fetilt e§ bod^ aud^ nid^t an bitteren Älagen, wie jene be«
roadEeren aWeifter« Sufa§ aWofer t)on SBeil. $art im l^anbroerflid^en
S5ienfie toar bag ©d^affen felbfl ber auSgejeid^netfien Äünftler, benen
bic änfd^auung ber S^itö^^^ff^»^ i" ^^^ "^W ^"^ ^^^ niebere ©teU
lung anbrer ^anbwerfer anwies, ©elbft ein SDürer bettagt fxd^ über
bie geringe görberung, bie i^m feine eigne SSaterftabt angebei^en
liefe, roä^renb aSenebig unb antroerpen ifin mit anfeftnlid^cn 3a^r=
gel^alten ju feffeln fud^ten. 3n weld^ harter 3lot\) ber ältere ^ol*
bein trofe allen gleifeeö fein &thtn jugebrad&t, l^aben wir erfi fürj-
lidE) erfal^ren, unb bafe fein ©o^n, ber grofee fian^ fiolbein, reid^-
lid^eren ©noerb im SKuSlanbe fud^en mufete, obn)o|I Safel i^m
cl^renDoIIe auftrage gab unb il^n ju feffeln fid^ bcmül^te, ift nid[|t
minber befannt. 6^ mag bamafe freilid^ änbre« bie Oemüt^er ju
lebhaft erregt ^aben, um bie freie ©timmung ju RlnfHerifd^en
©d^öpfungen auf fommen ju lajfen: bie Krd^lid^cn SBirren, ber Säuern-
fricg, bie ^Reformation mit il^ren Äämpfen, ba« alle^ mag bie ^eube
am ©d^önen längere S^xt berfümmert l^aben.
©obalb aber burd^ ben 3fleligion^frieben rul^igere 3"ftänbe
verbürgt merben, fielet man bie lebl^aftefte SJI^ätigfeit in ben bilben^
ben Äünften erroad^en, afe gelte e^, ba« SBerfäumte rafd^ nad^ju=
^olen. Sefet gewinnt jum erfienmal bei un« ba« moberne gürflen*
t^um ben Slnlafe, feine Sauluft im SDienfte weltlid&er ^ßrunttiebe ju
entfalten. @d entflel^en jene l^eiter präd^tigen unb bod^ }ugleid^ nod^
mittelalterlid^ ernflen ©^lofebauten, beren oietteid^t jlattlidEifieÄ Sefc
fpiel mir ^ier im alten ©d^loffe mit feinen troftigen Sl^ürmen unb
feinen malerifd^en fiofarlaben beftfeen. 2lnbre fielet man in Sanb^^
^ut, SWünd^en, a)re«ben, 3;orgau, in ber großartigen 5ßlaffenburg
mit il^ren reid^en ?Bfeilerl^aIlen, in bem jierlid[ien (Sotte^au bei
Äarterul^e, bem neuen ©d^loffe ju SBaben, bem ©d^loffe ju ^eiligen?
Uebcr Äunftpflcöc. 97
berg mit feinem prad^tooQen SRitterfaale^ unb enblid^ bem eblen
aWeifietbaue be^ ^eibelbetger ©d^loffe^. aber ber SBürger bleibt
l^inter ben gürften nid^t jurüd. SDie ©täbte fd^müdfen itd& mit
SBol^nl^äufern, beten gaffaben, wie el^emafe in Ulm unb SKugöburg,
in ^eiteret Farbenpracht ftral^len unb frembe SReifenbe jur Se^^
rounberung Iiinreifeen. Qn Safel unb Äujern mibmete felbfl ein
ioani5 ^olbein feine Äunft fold^en SBerfen malerifd^er S)eIoration.
3m Snnern aber prangten bie SBol^nungen von jeber Art föftlid^en
^aui^rat^^^ beffen l^öd^fler SBertl^ barin beftanb^ ba^ bie Aunft ber
beflen SWeifter iebe« ©tüd geabelt. Serfd^mdl^ten ja fogar 2)ürer
unb jQoIbein ei8 nid^t, für Sec^er, ^ßofale, ©c^ttffeln unb anbre
@erat^e bie 6ntn)ärfe }u mad^en. 9lid^t^ ^armonifd^ereiS^ afö bie
farbenreid^en 3inimer jener SBürgerl^äufer mit il^ren getäfelten ober
teppid^bel^angenen SBänben^ il^ren mit bunten ^ol^mofaüen aui^-
gelegten S)edfen, il^ren mit Silbern unb ©prild^en gefd^müdften
glafirten Cefen, mit ben jierlid^en ©efd^irren auf ben gefd^nifiten
Ärebenjen, mit ben reid^ flulpirten ©d^ränfen unb 2;ru^en, eublid^
ben leuc^tenben @la^gemälben^ toeld^e über aQeS bad ein bunt-
ftra^lenbei^ £id^t au^giegen ! 3)em Sürger^aud tritt bann al^ Slu^::
brudE ^öc^fter ftäbtifd^er SWad^t ba« SRatl^liau^ impofant gegenüber,
unb nod^ jeftt erfennen mir in ben großartigen SRatl^l^äufem von
auggburg, SRürnberg, 5Äot^enburg, ©d^meinfurt, »remen, Sübedf,
2)an}ig unb fo mand^en anbern bai^ blül^enbe £eben, loeld^eiS ba^
mal» bie beutfd^en ©täbte erfüttte.
SEBäl^renb fo bei un^ bag Sürgertl^um bie Äünfte im mannig=
foltigen Sufönttttenmirfen pflegte, nimmt in (Jranfceid^ bie löniglid^e
3Ra6)t bie Jtunft faft auSfd^ließlic^ in il^ren SDienfl. S)er $of unb
bie ©rogen beiB £anbeiS ftnb eS, meldte in jal^lreid^en l^eiteren unb
pröd^tigen ©d^löffern jene SKd^tung auf üppigen fiebeniSgenuß jum
äludbrud bringen, meldte fortan bie franjöftfc^e jlultur bel^errfd^t.
2)ie ganje Äunft wirb bort l^öfifd^, unb biefe 2^enbenj fleigert fid^
nod^ unter ber Siegierung be^ t)ier}e^nten £ubioig, loo älrd^itettur,
$laflil unb 3)talerei ben Sl^aratter tl^eatralifd^en $ompi^ annel^men,
bi8 fte unter fiubtolg XV. bann mel^r unb mel^r ini^ Äofette,
Sul^lerifd^e umfd^lagen. S)ie fd^meid^lerifd^e Vergötterung ber gürften*
gen)alt ge^t fo n)eit, baß bie ^aftit ft^ l^erablaffen muß, eine ©e«
7
98 lieber itunftpflege.
fta(t toie bie jened auSfd^ioeifenben itönig^ unter ber äRa^fe bed
Supiter t)orjufül^rcn!
SnjtoifdSien l^at ber unl^eiloolle brei^tgi&l^rige ^neg bie Slütl^e
2)eutfd^IanbiS Qttniit, bie Jtraft bed Silrgertl^umd gebrod^en^ unb ein
^^maä)r>oVitx 3)efpoti$muS breitet nad^ bem äJhifter f^anfreid^S feine
fierrfd^aft über ein SBolf wittenlofer ©Haoen au«. SRit ber felbfl^
ftdnbigen ftttlid^en Jtraft fd^toinbet aUe §reubig{eit auS bem fieben
ber beutfd^en Station. 3n jenen unfeligen 3«ite" fli'&t ^^ feine
beutfd^e Aunft; nur bie italienifd^-fransöfifd^e ^alaftard^itettur mirb
^erangejogen, um in üppigen SReftbenifd^löjfern ben ©d^auplaft für
bie auÄgelaifenen gefle entarteter $öfe l^erjuftetten. 3)a« erfte Äuf^
atl^men ber tief In« Snnerfte jurüdEgejogenen SBolföfeele oolliie^t ^xä)
in ber 9RuftI. 3n ben {raftt)oQen äßeifen eine« Sad^ unb $&nbel ,
fd^öpft ba« ©emütl^ be« beutfd^en äiolte« S^roft unb n)enbet fid^ )u
einer vertieften äteligiofttät^ um bem irbifd^en Sammer }u entfliel^en.
©leid^ barauf folgt bie SBiebergeburt unfrer S)id&ttunft, unb in
einer flafftfd^en 6pod^e ber Sitteratur feiert ber freie ©ebanfe feine
9luferftel^ung. S)ann erft fc^Iiegt ftd^ eine neue 93Iüt^e ber bilbenben
Jtünfte an^ benen mit ben ä3efreiung«{rtegen Staum unb £uft )u
felbftänbigem &tbtn gefd^affen toirb. S)ie langgebulbete Ueber-
mad^t ber franjöfifd^en Si^^iKf^tion, bie fid^ julefet brutal in ber
napoleonifd^en ^^rannei jugefpi^t l^atte^ ift bamit gebrod^en^ unb
feitbem ^aben wir wieber eine eigne beutfd^e Äunft. fragen mir
nun, loeld^e görberung biefelbe erfal^ren, meldten SBibcr^att fie in
ber Station gefunben ^at.
3tt)ei ©lanjpunfte treten un« babei fofort entgegen: SBerlin unb
aWünd^en, jene« unter ©d^infel unb SRaud^ in einer 3lei^e ard^itct
tonifd^er unb plaftifd&er ©d^öpfungen eine roal^rl^aft flaffifd^e Sera
lünftlerifd^er SRcnaijfance entfaltenb; biefe« unter ben äufpijien eine«
fttrftlid^en 9Bäcen« eine äu^erlid^ mannigfaltigere, reid^ere ©nt«
roidtelung bietenb, beren bleibenbe SBerfe inbefe mel^r ber a)}alerei
al« ben beiben ©d^mefterfünften angel^ören. 35ie aWalerei aber wirb
freilid[i in ben monumentalen ©d^öpfungen eine« ©omeliu«, ©d^norr,
fieinrid^ Qe^, Sieger, SRottmann in ibealcm ©inne gepflegt. $ier
tritt ber SSortl^eil, aber jugleid^ aud^ ba« SBebenflic^e rein perfön^
lid^er jlunftpflege beutlid^ ju Xage. S)enn burd^ ben feurigen, je-
lieber Äunfipflege. 99
bod^ x)ie(fad^ unKaren @nt^ufia^muS 5tdnig £ubn)ig^ erl^alten gerabe
jene Äünfie, roeld^e jlrenger, fiilDoHer ©inl^eit bebürfen, um ju ge^
bellten, ärd^iteltur unb 5ßlafit!, eine buntfd^ittetnbe SBielfeitigfeit,
vDtlä)tx man ben ajorroutf beS S)ilettanti^mu^ nid^t erfparen fann.
aber im SSergleid^c mit ben fürfilid^en Siebl^abereien ber SRotolo^
unb Böpfjeit, meld^ ein Unterfd^ieb! S)ort oft grofee Klnftlerifd&e
a)ieifierfd^aft au^fd^IiefeUd& t)enDenbet ju üppigen Sauten, beten öe-
beutung in ber griüolität ber bamaligen ©efettfd^aft wurjelt; ba=
gegen alle ibealen unb materiellen 33ebürfniffe be^ SSolfölebcn^ ftief=
mütterlid^ bel^anbelt, ja mit gü^en getreten, ^ier eine 2:^ätigfeit;
beren lünftlerifd^e SRefultate Dielfad^ mit ben SWängeln einer unrul^ig
fud^enbcn ®poc^e behaftet finb, aber in allebem bie reblid^e 3lbfid^t,
nid^t fürftlid^er fiufi, fonbern ben ®rforberniffen bei8 nationalen
Seben^, feinen Qbeen unb (Smpfinbungen jum äu^brud ju biencn.
S)a^cr a)lufeen, Äird^en, Slugftettung^gebäube, Sel^ranftatten, milbe
Stiftungen, enblid^ SRonumente jur SBer^errlid^ung beutfd^en Slulfeme^
unb ®eifiei5lebeng. 3n ^ßrcu^en mar jene nac^ ben »efreiung^^
friegen beglnnenbe 2:^ätigteit weniger ber Spiegel perfönlid^ier fürft
lid^er aSünfd^e, afö Dielmel^r einer flaatUd^en Slotl^roenbigfeit/ gemäfe
meld^er burc^ erleud^tete Oeifier mie SBill^elm Don §umboIbt bie
Pflege ber Äunfi ate eine ber ^öd^ften aufgaben nationaler Äultur
erfaßt rourbe. ©noagt man, wie ba^ bamalg f leine unb arme
$reu§en, burd^ bie napoleonifd^en Äriege aufg tieffle erfd^öpft, bod^
bie aKittel aufjubringen roufete, um SEßerfe mie Sd^infefö aWufeum,
baS ©d^aufpiel^au^, bie Saualabemie, bie eblen ©tanbbilber SRaud^^
l^injufteHen, fo mu§ man jene 3^^ ma^r^aft berounbern.
aSie ^aben fid^ nun feitbem bie Oefd^idfe ber Äunfl bei uns
gefialtet? iffiaiS ^at namentlid^ baS beutfd^e SBürgert^um, neuerbingS
fo mäd^tig burd^ Sleid^t^um unb Silbung, für biefelbe getl^an? 3)ie
epod^emad^enben monumentalen Sd^öpfungen finb, baS !ann nid^t
abgeleugnet werben, fürfllid^er ißulb ju banfen. Unb aud^ roaS
burd^ biefe nid^t für öffenttid^e 3^^*^/ fonbern für ben eignen
5prit)atgenu§ l^erDorgerufen würbe, wie bie SDtalereien in ber 9lefibenj
JU SRünd^en, biejcnigen im ©d^loffe ju SBeimar unb in ben fönig=
lid^en ©d^löffern ju 2)reSben unb Stuttgart, gel^ört berfelben ibealen
©attung an. 35ie ©täbte l^aben burd^ eigne ^nitiatioe bi« jeftt Rd^
100 Ucbcr Äunftppcgc.
nur t)crcinicU, bei locitcm nid&t in bem i^rcr tnobcrnen ©tcHung
entfprcd^cnben 2Rafec babci betJ^ciligt. 9lm meiftcn frcüid^ in 91orbs
bcutfd^lanb, roäl^renb ber ©üben bi^ jcfet nod& auffaHcnb jurädt
fic^t. ©täbtc wie Scipjlg, Hamburg, SBrcmen l^abcn il^rc eignen
SRufeen gegtflnbet^ gtö^tenteifö aUerbingd burd^ bie ^eigebigfeit
l^od^l^erjiger ©tiftcr Deranla^t ober unteriiüfet. granffurt ^at in
ä^nlid^er SBcife fein ©tabelfd^eiJ Snfiitut, Äöln fein SBattrafffd^e^
aJlufeum. Stbln unb Seipjig l^aben au^gebe^nte greifen in il^ren
SRufeen auSfül^ren lajfen. ®in ©leid^e^ ifl in ben Siat^äufem von
eiberfelb unb Stadien gefd&el^en, l^ier burd^ SKitroirfung be« r^einifd^^
roefifälifd^en ÄunftoereinS in S5üffeIborf, ber überl^aupt fid^ babur^
von anbern Sßereinen biefer ärt unterfd^eibet, bafe er bie ^ol^e
monumentale Jtunft pflegt^ xok mir il^m aud^ ben l^errlid^en ©ti^
^ofep]^ JteQer^ nad^ Stafaetö S)i^puta oerbanfen. äBaS tonnen mir
bem in ©übbeutfd^Ianb gegenüberfteHen? SBol^l \)at neuerbingg baS
Keine ftrebfame Jtonftan} fein Siatl^^auiS unb ben StonjiliumSfaal mit
greifen auögeftateet: aber ©tiftungen mie bie eines Äonful ©d&Ietter
in Äeipjig, Äonful JEBagner in Serlin, JEBallraff unb Slid^arft in
Äötn, ©täbel in granffurt l^aben mir bei un§ nod^ ju ermarten.
S)ürfen mir nun bel^aupten, bafe eS in unfern engeren fd^mfc
bifd^en ©renjen mefentlid^ beffer beftettt fei? greilid^ in bie neue
3eit trat unfer Sanb mit einer ©tiftung ein, meld&er bie SBelt eine
9lei^e bebeutenber ©cifter oerbanit. 3d^ meine bie Slfabemie
^erjog Äartö, au§ mcld^er ein ©dritter, S^^P^^Ö/ S)annedfer, ein
©d^effauer, fietfd^, ^eibeloff, 3o^. ©ott^arb aWüHer hervorgegangen
finb. aber bie S^ittn beS SlbfolutiSmuS gingen t)orüber unb nal^men
mand^e i^rer ©d^öpfungen mit inö ®rab. 3n il^rer mobemen
fonfiitutionetten Umgrenzung fann bie fürfUid^e 9Rad^t nur im ©in^
Mang mit bem SBolfSmiHen bie allgemeinen ^xotdt fdrbcm. ©o
finben fid^ alfo im l^eutigen ©taatsleben beibe galtoren, gfirftent^um
unb SBoltetl^um, ju gemeinfamer fulturförbernber 2;^ätigfeit Der*
bunben unb vermögen in lünftlerifd^en ©d^öpfungen fold^em SBer=
^filtniffe feinen monumentalen Sttui^brudt ju fd^affen. SEBir in SBürttem^
berg oerbanfen biefem Bwf^tnmenmirlen mertl^oolle ©ammlungen für
Äunft, SBijfenfd^aft unb Oemerbe, oerbanfen il^m oor attem bie
anftalt, in beren Wäumen mir l^eute oerfammelt finb. SRic^t minber
lieber Äunftpflcgc. 101
tül^müd^ l^abcn ftet^ ^Regierung unb ©tänbc für baS ©rjie^ungiJ'
toefen gcfotgt, unb bc^^alb genießen bic ©deuten aBürttcmbcrgS auä)
brausen cinc^ töO^tDcrbicntcn SRufciJ. 3ft nun für Hebung großer,
monumentaler Äunfi bfö jefet nid^t auiJrcid^enb geforgt roorben, fo
l^at ftd^erlid^ bie Ungunft ber S^ttoerl^ältniffe bie« grdfetenteil^ rer*
fd^ulbet SBaren bod^ lange genug bie politifd^en Suftänbe ©uropa^
in fieberl^after ©pannung unb ®rregung! ©rft feitbem ©eutfd^lanb
in einer neuen jlaatlid^en gorm feine ©inl^eit unb baburd^ in fid^
feinen ©d^roerpunft roiebergefunben l^at, bürfen wir mit SSertrauen
in bie 3"tw«ft Midfen. SBenn in jener (gpod^e unrul^ig banger ©r^
Wartung, bie wir feit 1840 burd^gemad^t, überall bie l^o^e Äunft
ungebü^rlid^ pernad^läffigt rourbe, fo bürfen wir l^ier bei un§ bod^
auf mand^e« 2;üd^tige l^inrocifen unb unS be^ (gelungenen freuen.
2Rit ©enugt^uung tonnen wir an eine Steil^e neuerer ©taatsbauten
erinnern, bie in monumentaler ©ebiegenl^eit unb fünftlerifd^er
Dpulenj ausgeführt finb. ißier unb ba fommt aud^ bie ^laftif
lool^l babei jur SSerroenbung, aber mir bürfen bod^ ben SBunfdd auS^
fpred^en, bafe bie« in burd^greifenberer Sffieife gefd^e^e, unb bafe aud^
ber eblen monumentalen $Kalerei gebadet werbe, bie l^ier faft gänj^
lid^ feiert*). S)enn maS un« oon ben 2ßfinben biefeS ©aaleö an=
blidtt, werben mir nid^t als ©egenbemei« auffteHen wollen, wie wir
eö aud^ gewife nid^t aU 3^^cn lebl^aften Äunftgefü^te betrad^ten
bürfen, bafe wir ben Suft^nb biefer SRaume fo lange rul^ig ertragen
^aben. Unb t)er^ält fid^'S nid^t faft ebenfo bei bem ftattUd^en Sau
bee ^ßolpted^nifumg? Tmb nid^t im Snnern unb am Sfeufeern feine
^ifd^en immer nod^ leer? müfien bie 2;reppenpufer unb ber geft=
faal nid^t immer noä) auf i^ren malerifd^en unb plaftifd^en ©d^mudE
warten?**) Unb wie fielet e« um unfre ©lulptur? SBo^l bürfen
wir \im beö eblen ©d^iHerbenfmate rül^men; baiii Rnb neuerbing«
ba« Äeplermonument in SBeil, ba« oerunglüdfte Sijlbenfmal in SReut^
lingen, ba« wenig oerfpred^enbe U^lanbftanbbilb für Slübingen ge=
fommen. Sud^ ber 3ubiläum«fäule mit i^ren tüd^tigen SJilbwerfen
mögen wir wol^l gebenfen. 5Kan brandet aber ber heutigen SWo-
♦) Sft ^cute no4 fo armfeliö bamit beftcttt, wie 1872.
*♦) 2)er geftfaal ^at feitöem burc^ bie aRunipaena %. 3». ber Äönigin feinen
plajHfc^en B^mud erhalten.
102 Ucbcr Äunftpflegc.
numenteniDUt^ nid^t }U l^ulbigen unb lann bod^ tDünfd^en^ bag in
bcr Deffentüd^fcit, bcm SBoIfc jugängtid^, gute Süften feiner großen
aRännet aufgehellt feien; ba§ bie §auptfiabt be« Sanbe^ einmal
jeige, in roeld^er SBeife man einem ©anger roie Ul^tanb ein S)enfc
mat errid^ten muß; Dor allem aber, ba§ man enblid^ anflalt treffe,
ein ©ebäd^tniftmal beö großen Äriege« t)on 1870 ju grünben. "üimn
wä^renb man überall im SSaterlanbe metteifemb aWonumente jener
gewaltigen 3«it errid&tet, ifl bei uniJ aUeö t)erfiummt, unb feine
©timme erl^ebt fid^, ein roürbigcg S)enfmal für bie gefattenen ©ol^ne
beö 3SoIfeS ju f orbern*).
aber fd^auen roir un« loeiter um! ©eufit nic^t feit Sauren
unfre Äunftfd^ute unter ber unerträglid^en ©nge bcr SRäumlid^feit,
Toeld^e i^re (Sntroidfelung t)erfämmert unb beren Sefeitigung burc^
einen Slnbau eine ber bringenbften gorberungen bilbet? Sin S^n-
lid^en ^emmniffen leibet baS ^ßolpted^nifum; bod^ bereitet man bort
eben bcn Slntrag eineiS ©trociterungSbaue^ Dor, ber ^offentlid^ ©e-
ne^migung pnben wirb, ©od id^ ferner baran erinnern, ba§ bie
fopbaren ©d^äfee ber öffentlid^en Sibliotl^ef in einem feuergefäl^r-
lid^en elenben gad^merfbau untergebrad^t finb; bafe ©ammtungen
unb ©d^ulen ber ßcntralftelle für ©eroerbe unb §anbel in roal^rl^aft
abfd^redfenben SRäumlid^feiten l^aufen; bafe bie ältert^umSfammlungen
in brei ober mer ungenügenbe Sofale oerjettelt finb, ©tubium unb
©enufe überall erfd^merenb?**) ©o brangen fid^ unÄ jal^lreid^e Sluf^
gaben für monumentale SBaufunfl entgegen, beren Söfung wir in
einer ©pod^e frieblid^er ©ntroidfelung oertrauenSooIl entgegenfel^en.
erinnern mir unS bann aber aud^, bafe bi^ jeftt fein einjige^ SBerf
monumentaler 2Ralerei in unfrem Sanbe burd^ eine ©emeinbe ober
burd^ ben ©taat auSgefül^rt roorben ift, obrool^l bie greifen im
föniglid^en ©d^lojfe bemeifen, bafe SBSürttemberg« ©efd^id^te reid^ an
feffetnben SH^^ ift fö^ fünftlerifd^e ©eftaltung, unb obiool^l trofe
ber überroiegenb realiftifd^en ©trömung ber heutigen Jtunfl eS unS
nid^t an erprobten aWeiftern beiS ibealen ©tile^ fel^lt, in beren
*) 3ft feitbcm, aUerbing« in wenig Bcfticbigcnbcr aOBcife, au^gefü^rt roorbcn.
**) %vit ^ol^tec^nilum, ^unft((^u(e unb IBibltot^el ift feitbem in rofirbigfter
SBeife geforgt morben, mit ber ^ntroIfteUe unb ber 9C(tert^umdfamm(ung fte§t
ed immer noc^ auf bem alten ^M.
UcBer Äunflpflege. 103
$änbe man mit SSertraucn bie Sttuöfül^rung fold^cr ©d^öpfungen
legen fönnte.
©elbft bie frül^eren Sffiortfül^rer be« SReali^mu« Hagen ^eut
wegen beS Ueberwud^emiS einer trimalen Sftid^tung, roeld^e freilid^
bie naturalifHfd^en SIenbenjen ber S^^t fpiegelt. Slber mie foll bie
•fiunft fxd^ auf ber Q'6})t Italien, loie foH pe bie Sbeale be« Sßolfö::
geifie« jum Slugbrud bringen, wenn man fte be« lieben SBroteiS
wegen jtoingt, um bie ®unfi ber SReid^en fid^ ju bemül^cn? SJa
muß fie fid^ jum Äleinlid^en, älltägtid^en, wenn nidfit gar }u
©d&Iimmerem emiebrigen. S5ic grpfeen ©d^öpfungen ber Äunft
fönnen nur burd^ Korporationen, burd^ eingreifen be§ Staate^ ober
burd^ fürplid^e« SWäcenatentl^um l^erDorgerufen werben. ©oHen mir
nun eroig ben fjürften in ber ^ßfliege einer ibealen Äunfi ben aSor=
tritt lajfen unb bamit uns ba« armut^S§eugni§ aui^jleHen, bafe eine
edE)te erhabene Äunfl ju l^od^ für unfern banaufifd^en ©inn ijl? 3d^
fürchte, mir Iiaben uniS ju fe^r baran geroöl^nt, auf baS eingreifen
t)on oben ju warten unb injwifd^en bie $anbe in ben ©d^oofi ju
legen; erfolgt aber ntd^t, wa8 wir erwarteten, unferm Unmuts in
tabelnben SBorten Suft ju mad^en.
SBol^l weife id^, bafe überall in ©eutfd^lanb bie ^Pflege ber
l^ol^en Äunji bamieberliegt, bafe f elbft in bem mäd^tigen fül^renben
©taatc, bem wir bie nationale SBiebergeburt rerbanlen, biefe 9ln^
gelegenl^citen feit langer S^it t)erwa^rlofi worben ftnb *). Unb bod^
ift bem beutfd^en SSolfe ber ibeate ©runbton nid^t abl^anben ge^
!ommen, unb am wenigften fel^lt ber ibeale ©inn bem fd^wäbifd^en
©tamme. ©in Sanb, baS in alten S^ittn bie ©prlin, S^^^lom,
^olbetn ]^ert)orgebrad^t, baS in unfern S^agen einen ©d^idf, SBäd^ter,
S)annedFer unb anbre geboren, baiS Dor aQem einen ©d^i&er erzeugt
]^at, fold^ ein Sanb ifl gewife aud^ jefet nid^t abgefiotben für bie
©d^dpfungen ibealer Aunft. Slud^ fel^lt eS nid^t gan} an SBeweifen
bafür; ic^ will nur an bie fd^öne 5ßriüatiiiftung ber fünf gemalten
©laSfenfter im ©l^or unfrer ©tiftSRrd^e, unb aus ben jüngften
2;agen an bie SBeftrebungen ber Äird^enbauüereine für bie So^anneS^
*) ^tefe 3uf^nbe ^a5en fu$ feitbem in glönsenbfter äßeife geönbert:
^reugeti n>irb ^mte in erleuchteter Jiunftpflege t)on wenigen Staaten erreicht,
von feinem ü6ertroffen.
104 Uebcr Äunftpficgc.
fird^c unb für bie neue fatl^ottfc^e Äird^e erinnern. SDennod^ fielet
bie^ aDed nod^ }u fe^r Derein^elt ba.
Sttö bag Heine SBoIf ber ©ried&en bie SBeltmad^t ber ?perfer
jurüdgeworfen l^atte, jeugtcn bie aBunbenoerfe eine^ ?ß^ibiag, bie
©iJtterfoloife In ©olbelfenbein unb (grj, bie aRamtorbauten ber
Slfropoli«, bie SDramen einci^ Sefd^ploS, ©opl^ofle«, (guripibei^ ron
ber l^ol^en Jtulturblüt^e^ toeld^e bie Sarbaren ju pernid^ten ge^
!ommen waren. Sug ber aWaratl^onifd^en ©iegeÄbeute ftiftete ätl^en
allein jene^ SBeil^egefd^enl Don breijel^n Sronjeflatuen nad^ ©elpl^i,
unb errid^tete ba^ fiebaig ^ug l^ol^e eiserne @tanbbilb ber ältl^ena
auf ber afropoli^. %üx ben ?ßart]^enon aber liefe biefelbe ©tabt
burd^ ^^ibiad au^ ber ©alaminifd^en ^tnte jenes ©olbelfenbeinbilb
ber ©öttin arbeiten, beffen ®olb allein bie ungel^eure ©umme oon
Dierunbmerjtg Slalenten, nad^ unferem Selbe beinal^e anbertl^alb
aWillionen ©ulben betrug. Unb al« in neuerer S^it ^reufeen au§
ben napoleonifd^en Äriegen erfd^öpft l^erüorgegangen ju fein fd^ien,
l^atte es bie Äraft, unter bem fparfamen SRegiment ^iebrid^ SBil^
l^elmS beS ^Dritten jene eblen S)enfmä[er su errid^ten, nield^e id^
fd^on erroäl^nt l^abe. — Qefet liegt ber gtorreid^fte Ärieg l^inter unS,
ben Seutfd^lanb je burd^fod&ten; ber erfte, in roeld^em ©efammt::
beutfd^Ianb gegen ben ©rbfeinb Dereint gefämpft unb gefiegt \)at
3)a jeugt eS oon bem töblid^en ©inn befonnener aWäfeigung beS
beutfd^en SßoIfeS, rotnn roxi in unfren ftänbifd^en SBertretungen
überatt ben SRuf nad^ ©parfamfeit erfd^allen l^ören. Slber unroürbig
unfrer SRation unb unfrer großen Seit wäre eS, wenn man auf ben
(Sebieten fparen tuollte, mo bie ibealen Sntereffen beS SBolfeS liegen.
Älopft nid^t ber 3RaterialiSmuS brutal genug fd^on an unfre 5ßf orten?
2)rol^t er nid^t auc^ bei unS burd^ üppiges SEBo^lleben ber 9leid)en
aUeS ibeale Seben ju erftidfen, um bann mit ber SBranbfadel ber
rol^n aWaffen bie ©d^afee unfrer Äultur ju jerfiören? aRufe nid^t
ieber tiefer blidfenbe ©taatSmann barauS bie aRal^nung fd^öpfen,
ben ibealen ^ort unfereS ©eifieS ju lauten, bie SBolföfeele burd^
Silbung JU rerebeln unb ju befreien? ©ibt eS aber einen mäd^^
tigeren $ebel ber ©ittigung, als SEBerle wahrer Äunft ju förbern?
aiur }u lange ^at eine falfd^e ©taatSn)eiSI|eit baburc^ bie ©e-
feUfd^aft }u retten gemeint, bafe fte fxd^ mit ben freil^eit^ unb fultur-
Ucbcr Äunftppcgc. " 105
fcinblid^en 2;cnben}en fanatifd^cr lonfcfFionetter SRüdfd^rttt^parteien
Dcrbanb. ©ic ^at ba« roa^re religtöfc Scben babutd^ nur gcfd^fibigt
unb crft jcfet, roo e3 fafl ju fpät geworben, fielet jie ein, bafe fie
eine ©d^Iange im »ufen genährt. 3Kel^r aU je gilt e« nun, gront
JU mad^en unb ben ©taat t)or feinbfeligen Uebergriffen §u retten,
aber möge man nimmermel^r mahnen, mit btofeen poUjeilid^en
SDiaferegeln unb juribifc^en Sejlimmungen ba duSjureid^en. ©g gilt
ben (Seift bei^ aSoHe« für fid^ ju geroinnen, inbem man i^m ftatt
ber vergifteten 5Ral^rung, roeld^e jene ^Parteien il^m bieten, ed^te
l^umane ©efittung unb Silbung geroäl^rt. 3n feiner ©eftalt aber
gewinnt biefelbe eine fold^e allgeroaltige aWad^t auf bie (Semütl^er,
afe in aSerten ber l^ol^en Äunfi. SBol^lan, möge ber ©taat, mögen
bie ©emeinben, möge bad ganje Sürgert^um bie 33ebeutung biefer
aufgäbe erlennen. 2Ran rufe nur unfre burd^ bie Ungunft ber
SSer^attttiife T)erlümmerte Äunjl in bie ©d^ranlen! aRan gebe i^r
freie 93a]^n unb SebeniSluft jur Entfaltung: fte roirb i^re aRiffton
mit e^ren erfüllen, ©inb bod^ bie SBerfe be^ menfd^lic^en ©eifteS,
bie ©d^öpfungen ber Äünfte bog ©njige, rooburd^ Stationen roie
Snbiüibuen unfierblid^ werben. 3ltte^ anbre rei^t ber ©trom ber
3eiten unauf^altfam in ben älbgrunb. ^at bie 9tegierung unfered
lunfifinnigen Äönig^ Äarl fid^ biSl^er fd^on burc^ monumentale
©d^öpfungen, wie bie Saugeroerlfd^ule, ber Sal^nl^of, ba^ 5ßoft=:
gebäube bleibenbe SDenfmfiter gefefet, fo bürfen wir fortan in ber
neubeginnenben @pod^e frieblic^er jtulturentfaltung mit ^nux^xtl^t
^offen, baB aud^ bie nod^ vorliegenben 9luf gaben rül^mlid^ gelöft
unb bafe babei Slrd^iteltur, 5ßlaftil unb SWalerei ben il^nen gebü^ren^
ben Slntl^eil ermatten werben. 2Rögen bie ©d^wefterlünfte r>exdnt
berufen fein, ba« SHnbenfen einer wol^lmeinenben, freifinnigen, r>olU^
tl^ümlid^en ^Regierung für bie fernften Q^ittn ju verewigen!
3it "Jkvmft^fttftvht unt» irfe jlri^tfelttut.
(„»«Ott fBr SunpBtnittfi»" 1871.)
(f.
rincS bcr loid^tigficn ©rgcbniffc, roeld^c wir bcr neueren Äunfl=
gefd^id^te uerbanfen, ift ber Umfi^^roung, ber ftdji im funfigetoerb^
(id^en Sd^offen 93al^n }u bred^en begonnen ^at. 3Btr bürfen bie^
in bet 'X^at atö einen ©rfolg ber roifyenfd^afttid^en ©rfenntnife be^
jeid^nen, obfd^on berfelbe nid^t ol^ne Umwege jufianbegefommen ifl.
3uerft war bie Äunftforfd^ung weit entfernt bat)on, auf fo praftifd^e
Sahnen ju gelangen. 3lug einer 3^it Iierüorgeroad^fen, roeld^e bie
Äunfi als eine t)om roirftid^en 2thtn faft loSgeriffene, im abfhaften
SKet^er ber 3bee fd^roebenbe (Srfd^einung ju betrad^ten pflegte, blieb
auf ben erfien ©tabien ber entroidtelung bie Slnfd^auung^roeife ber
jungen SBiffenfd^aft eine gar ju einfeitig ibealiftifd^e, wenn nid^t
gar fpirituatiftifd^e. 3lber beim weiteren SBerlaufe, beim tieferen
einbringen in bie ©efd^id^te aud^ nur einer Äunfl fieDte ftd^ balb
l^erau«, ba§ alle Äünfte burd^ ein fefte« SBanb auf« innigfie mit
einanber Derfnüpft finb, unb ba§ erft in (Spod^en be§ einfeitig auf
bie ©pifee getriebenen 3nbit)ibualiömug jener notl^wenbige 3"-
fammenl^ang pd^ gelodfert ^at. S5urd^ biefe ©rienntnife war fd^on
T)iel, aber nod^ nid^t alle« gewonnen, nod^ nid^t genug erreid^t.
9Ran ^atte freilid^ einfel^en gelernt, bafe bie monumentale ©efammt-
fünft, meldte an ber $anb ber 9lrd^iteftur aud& bie Silbnerei unb
Walerei umfaßt, bie eigentli-d^e lebenfpenbenbe Duelle ade« großen,
auf Unfterblid^feit änfprud^ mad^enben ©d^affen« fei, unb man be^
gann juerft in taftenbem ©ud^en, in unbefiimmtem Sinnen, bann
Ueber Äunftpficgc. 107
in Ilarcrem ©rfenncn, cnblid^in fc^arf beflimmtem ©d^aucn bic
ard^itettonifd^en ©runbgefe^e ju entbecfen^ toeld^e in aQen großen
fünftlcrifd^cn Dffenbatunöen fic^ na^voti^en lafjen.
SS^ar bamit bie Sinjetfunft aud il^rer ^folitung erlöfl unb ber
organifd^c S^fammenl^ang atter crfannt, fo beburftc c^ bod^ nod^
eines legten Sd^ritted^ um auf ben $unft }u gelangen^ too ber
©d^tu^ring ber Äette fxd^ jufammenfügt, roo eS jum Ilaren SeTOu6t=
fein fommt, bafe atte Äünfle auö bcm Sehen felbft l^erDorgel^en unb
ins Seben unmittelbar jurüdroirfen muffen, ba§ feine i>ai äuge
angenehm erregenbe Sleugerung beS JlulturtreibenS ber 3Renfd^l^eit
auger^alb beS ©efe^eS unb beiS B^f^^^^^^^^nfl^^ ^^^ {ünfllerifc^en
©d^affenS fielet. 2BaS jur inneren unb äußeren SluSfd^müdfung ber
menfd^tid^en SBotinung, roaS jur SÄuSftattung beS aJienfd^en felbjl
gel^ört, bieS unabfetjbare ©ebiet, roeld^eS fid^ t)om einfad^ften aU^
täglid^ften SBebttrfniffe bis ju ben $ö^en ber erl^abenflen ©ebanfen
unb ©mpfinbungen ausbreitet, fd^eint auf ben erfien Slidf großen-
t^eilS ber rein l^anbtoerflid^en 2;^ätigfeit jujufallen; aber eine tiefere
aSctrad^tung ber gefammten Äulturerjeugnijfe ber 9Renfd^l^eit Iä§t
balb erfennen, ba§ ber Äunfi ein mäd^tiger, ja ber eigenttid^ be=
fiimmenbe Slnt^eil baran gebül^rt. 35iefe ©rfenntnife war nic^it fo
leidet ju gewinnen, benn fie ^atte juerfi tie eingerourjelten SBop
urtl^eite einer 3^it 8" übcrroinben, in roeld^er bieS natürlid^e SBer^:
l^ältnife bis jur Unfennttid^Ieit entfteHt, Ja üernid^tet war. 35a§
jebeS ^anbwerf burd^ ben §aud^ beS ©d^önen jur ^ö^e beS Äunft=
gewerbeS ftd^ erl^eben follte, bafe jebe §en)orbringung beSfelben,
mag fte aud^ nur baS einfad^fie SSebürfnife beS aUtaglebenS erfütten,
ben ©tempel ber Äunfl an Rd^ tragen milffe, havon war felbft bie
a^nung tangft Derloren. ©rfi als man aufmerffamer felbft bie un«
fd^einbaren @erätl^e beS gen)()l^nlid^en S)afeinS betrad^tete, n)eld^e
uns aus (Spod^en einer aQgemeinen, baS gan}e 2ebtn umfpannenben
Äunftblüt^e geblieben finb, ertannte man, waS jene 3^^^" f^ ^od^
flellt, unb was ber unfrigen in fo befd^ämenbem Orabe fe^lt. S?on
biefem äugenblidfe an begann baS ©tubium ber Äunfl erfi fid^ ber
ganjen breiten SBapS, metd^er eS bebarf, §u bemäd^tijjcn unb be*
frud^tenb auf baS praftifd^e &tbm jurüdEjuwirlen. ©o affgemein,
fo tief ^at man feitbem empfunben, wie unfünftlerifc^ unfer Seben
108 2)ic Äunftgcroerbc unb bic SCrc^iteftur.
trofe ber ißöl^e roiffenfd^aftHd^et gortfd&ritte, fiaunen^roert^er Gr-
fitibungen unb entbedungen im SBereid^c ber Slaturforfc^ung unb
ber baraug gefd^öpften gortfd^rtttc bc§ tcd^nifd^cn ©d^affen^ geblieben
ifl. Snnerl^alb ber energifd^ geförberten SBeprebungcn, ba^ ^anb*
roerf roieber in umfaffenbfier SBeife jum Äunflgeroerbe §u erl^eben,
wirb es aber ftetö notl^roenbig fein, ftd^ über geroiffe ©runbgefefee
ju üerftänbigen, um baSgi^t Harer inS Sluge ju f äffen unb fidlerer
}u verfolgen.
(Siner ber entfd^eibenbften fünfte liegt o^ne S^^^f^l i" ^^^
33eftimmung beS SBer^ältniffeö ber Äunftgeroerbe jum ard^iteftonifd^en
gd^affen. S)ie ©efefte, weld^e in allem fünfilerifd^en Seben gleid^=
fam bag fefte gunbament bilben, roirfen faft nod^ entfd^eibenber im
geroerblid^en ^ertjorbringen. 3)enn ^ier mie in ber ärd^iteftur
l^anbelt e§ fid^ um ©rjeugniffe ber SRotl^toenbigleit, um ©rfüHung
praftifd^er 33ebürfntffe, * um Söfung ber mannigfad^en Aufgaben,
roeld^e baS roirfUd^e Seben fiellt ©er 9RaIer unb ber Silbl^auer,
obrool^I aud^ i^re Xl^ätigfeit ber S9e}iel^ungen ju ben ard^iteftonifd^en
©efeften nid^t cntratl^en lann, finb bod^ ungleid^ freier gefteüt, weit
il^re ©d^öpfungen weit mcl^r bie ©ingebungen ber unumfd^ränften
5p^antafie aU bie 5ßrobufte praftifd^er gorberungen finb, mofern fie
ni^t im 3«f^witnen^ange mit ber 3lrd^iteftur i^re SBirlfamfeit ent=
falten, dagegen tl^eilt baS meite 9leid^ ber ©rjeugniffe funftgemerb^
lid^er 2;^ätigfeit mit ber Slrd^iteftur bie ©runbeigenfd^aft, bafe l^ier
baS SRotl^roenbige fid^ in bie gorm beS ©d^önen fleiben foH. ©omit
ftellt fid& fd^on etnfad^ burd^ biefe ©emeinfamfeit ber ©ninbbegriffe
bie innige 3"ftttti»i^«8^^örigfeit beibcr l^erauS.
S5iefer Slnfd^auung fd^eint aber eine gütte Don gefd&id^tlid^en
a;i^atfad^en au§ ben befien ©pod^en ber Äunftgefd^id^te ju roiber-
fpred^en. aWan l^at l^erDorgel^oben, bafe gerabe in ben Briten ber
^öd^ftcn Stütze in erfter Sinie aWaler unb SBilbl^auer eS geroefen
feien, metd^e für bie Äunftgeroerbe tonangebenben (Sinflufe geübt
l^aben. 9lud biefer äESal^me^mung miD man bie ^orberung red^t::
fertigen, bafe aud^ l^eute ben 5inalern unb 93Ubl^auem bie Seitung
be§ funftgeroerblidien Unterrid^tS t)or allen anbern gebül^re. SBir
Ratten nid^ts bagegen einjutoenben, wenn biefe Äünftter im ©tanbe
mären, einer fold^cn Aufgabe ju genügen, allein mit ben feltenfien
IDic Äunftjjciücrbe unb bic SCrc^iteftur. 109
2liiöna^men wifb bicö faum irgenbroo bcr gall fein, wie bcnn au^
jenen Äunftfreifen faft nirgenbs eine felbftänbige Snitiatioe ju fold^em
eingreifen l^erporgegangen ift, wä^renb bagegen SCrd^iteften eg
überaß finb, meldte I)eutjutage bie Hebung beö Äunftgeroerbe^ fid)
jur aufgäbe gefteHt l^aben. geragt man nad^ ben tieferen ©rünben
biefer ©rfd^einung, fo ift t)or allem baä (Sine ju betonen: 3)ie
heutigen 2Rater unb SBilbliauer finb eben nid^t ntelir, wa^ bie beö
15. unb 16., ja felbjl be^ 13. unb 14. ^a^r^unbert^ waren, a)ie§
fott nid^t ber äuibrud üon ®eringfd^ä|ung, fonbern nur bie fjefts
ftettung eine^ faftifd^en aSer^ältnifieö fein. SBorin berutit biefe totale
a?erfd^ieben^eit ber l^eutigen ftünftler von ben frütieren?
Sie liegt geroife nic|t in einer geringeren SBegabung, fonbern
lebigli(^ in ber t)5llig geänberten Sludbilbung, in bem gänjtid^ um-
geroanbelten SBerpttniffe ber einjelnen Äünfte. ©eit fid^ bie loer^
fd^iebenen ftünfte unabhängig t)on einanber unb t)on ber Slrd^iteftur
gemadt)t l^aben, ijl jebe nid^t blofe i^re befonberen SBege gegangen,
fonbern ^at fld^ aud^ in eine Unjal^l einzelner S^^iß^ ^^'^ 2lbarten
jerfplittert, fo bafe eine ©pejialijirung eingetreten ijl, roeld^e man
in frül^eren ^tittn nie gefannt ^at. Unfer 3«italte^ ^^^ ©pe}ialiS=
mu« ^at nid^t blofe in ber SBiffcufd^aft, fonbern aud^ in ber ftunft
fid^ geltenb gemad^t. aWit einer fold^en 3"fpi6it"ß i>^^ fünfilerifd^en
2:^atigfeit t)erglei(^e man nun bie Uniioerfalität ber alten ftünftler !
©d^on im 3Mittelalter lag Slrd^iteftur unb SBilbnerei jum minbeften
in berfetben fianb; manchmal fam baju no(^ bie aWalerei. Unfre
alten SBilbfd^nifeer waren gro^ent^eitö in einer ^JJerfon au(^ aWaler
unb loufeten ilire gef(^ni|ten Slltdre unb giguren treffli(^ ju foloriren.
3u feinem ^öl^epunfte gipfelte fid^ bieä SBerl^ältnife aber in ben
bcften Seiten ber SRenaiffance. 3n Italien waren fd^on bie ftünftler
be§ 13. unb 14. Qal^r^unbertö wa^re Unioerfalnaturen. 9liccolo
?ßifano, ber ©rneuerer ber italienifd^en ©fulptur, mar jugleid^ ein
gepriefener 2lr(^iteft. ©ein ©oI|n ©iooanni erbte bie SBielfeitigleit
be^ aSater^. 3)ie beiben größten aWeifter ber italienifd^en ©otl^if,
©iotto unb Drcagna, waren nid^t bloß bie erften SKaler il^rer S^%
fonbern faum minber bebeutenbe 9lrd^iteften unb 99ilbl^auer.
»ei ben SKeifiern ber SRenaiffance bleibt bie^ SBer^ältnife in
alter ftraft, obwohl bie einzelnen Seijiungen ber Derfd&iebenen ftünfte
110 2)ie 5{unftgeioer5e unb bte 9(r(l()tte!tur.
fid^ auf eine t)iet l^ö^ere ©tufe ergeben unb weit umfaffenbere, er=
fd^öpfenbere ©tubien etforbem. 2Bie DOttreffüd^ jei'gt fid^ ber grofee
SBal^nbred^er ber SRenaiifance , SruneHe^co, oud^ ate Silbl^auer
in bem berül^mten SRetief, mit roeld^em er gegen einen @I|iberti
in bie ©d^ranfen trat! 3Beld^e SO'ieifterfd^aft betuä^ren Dodenbd bie
Äünjller be« 16. Sal^r^unbertS in allen Runftgebieten. Sionarbo
ba aSinci ift SWater, Slrd^iteft unb Sngenteur, jugleid^ aber aud^
^:piafitfer von ^o^em SRange. 3n aWid&elangeto gar Dereinen jid^
SKalerei, fflilbnerei unb Saufunft ju einer fiölie, ba§ er in jeber
ber brei Äünfie SBBerfe t)on epod^emad^enber Sebeutung hervorbringt,
©eine ©edengematbe ber ©ijtina, fein 3Rofe«, feine ftuppet beg
^eter^bomeiS [teilen auf ber gteid^en ©tufe ber SKeifterfd^öpfungen
erften Stange^. 3lud^ SRafael ift älaler unb ärd^iteft, ebenfo fein
bebeutenbfter ©d^üler ©iutio SRomano. Sttel^nlid&en S)oppelru^m
liat fid^ ber treffUd^e 5ßeru}jt errungen. Sei biefen unb ben meiften
gleid^jeitigen ftünftlern fann man fagen: 3)ie J^l^eilung ber (Sefammt^
fünft in einjelne Rünfte ift aufgeljoben; fie repräfentiren in pd^ jene
grofee aWonumentaHunft, beren Safi^ bag ard^iteftonifd^e ©d&affen ift.
aja^felbe gewal^ren wir gleid^jeitig bei ben größten aWeiftern
SDeutfd^lanb^. Sltbred^t SDürer ift nid^t blofe aWaler, 3eid^ner,
Äupferfted^er: aud^ ate 3lrd^iteft, Ingenieur unb geftung^baumeifter
ftel^t er ben ©rften feiner 3^it ebenbürtig, ©benfo jeugen t)on feinem
plaftifd^cn S^atente mehrere trefflid^e in ©pedEftein gefd^nittene ©ruppen.
SeJ^niid^c^ gilt t)on ^olbein. ©r jeid^net für ben öoljfd^nitt, matt
in Del 5ßortrat^, Slnbad^tj^bilber, ^iftorifd^e ©jenen, be^errfd^t in
berfelben SBeife bie gre^foted^nif, gilt aber jugleid^ al^^ tüd^tiger
33aut)erftänbiger. S)a^ ©d^reiben, mit roeld^em ber 9latl^ ber ©tabt
aSafel fid^ felbft unb bem Äünftler ein untjergänglid^e^ ©l^renjeugni^
au^gefteUt I|at, rül^mt in il^m nid^t blofe ben aJialer, fonbern legt
in erfter fiinie SBertl^ auf feinen SRat^ in ard^iteftonifd^en 3)ingcn.
3Bäre bem nid^t fo geroefen, fo I|ätte fiolbein nid^t bie üorjüglid^en
gaffabenmalereien fd^affen lönnen, roeld^e man in ©Rijen t)on feiner
ißanb im Sülufeum ju Safel bemunbert. 3)iefelbe tjottfommene Äennt=
nife ber 2lrd^ite!tur befunbet er in ben ja^lreid^en entwürfen ju
©la^gemälben, benen er ftetg in rid^tiger SBürbigung i^rer 35e-
beutung einen ard^ite!tonifd^en SHalimen gegeben l|at.
S)ie jlunftgeioerbe unb bie 9[rd^tte!tur. 111
Sei ^olbein aber tritt nun befonber^ bcutlid^ nad^roei^bar bie
innige SSerbinbung ber bamaligen Äünfttcr mit bem ftunfitianbroer!
ju 2;age. S)a§ eine fold^e im ganjen 15. unb 16. 3al^rl|unbert in
Statten wie in 2)eutfd^tanb unb ben Slieberlanben beftanben l^at,
lann ber nid^t ableugnen, roeld^er bie pielfad^en Oerat^e unb ®e=
fäfee, bie SBaffen, SRüftungen, ^otaU, Rannen, ©d^üffeln, bie Xäfet
werfe ber $ßaläfte, Äird^en, ©afrifteien unb Ätöfter, furj bie unab^
fel^bare Steil^e trefflid^er arbeiten be^ ^ö^eren ^anbwerfe^ fennt,
roeld^e jene S^it un0 l^intertaffen l^at. SBon §oIbein aber befifeen
wir in ©nglanb wie in SBafel ©üjjenbüci^er, in wetd^en ßntroürfe
atter Slrt t)on feiner fiartb auf^ geiftreid^fte fKjjirt finb. S)a fie^t
man Sedier unb Äeld^e, S)old&fd&eiben unb ©d^roertgriffe, felbft ©nt^
Toürfe JU ägraffen unb reid^en ©tidEereien für ^ßrad^tanjüge. SBenn
man biefe SBlätter aufmerffam muftert, fo ift e^ nid^t blofe bie gütte
t)on 3i>^^tt/ i>i^ leidet unb geifireid^ fliefeenbe ©rfinbung, fonbern
vox attem ba^ feine Oefül^l für SSer^ättnijfe, ber au^gebilbete ©inn
für ben SRl^^t^mu^ ber Sinien, bie fd^öne, leben^DoIIe Bewegung
be^ Umriffeö, mit einem SQ8orte, ba^ rotte SBerftänbni^ ber Se-
beutung unb ber Slnforberungen jeglid^er Aufgabe, roa^ un^ mit
Serounberung erfüttt. S)aS finb bie teftonifd^en Oefefte, n)ie man
fte treffenb nennt, toeld^e ftd^ I|ier fd^einbar ate leidstes ©piel ber
^^antafie t)oHjiel^en; e^ finb bie ©runbfäfee ber Srd^iteftur, an=
gen)enbet auf bie beioeglid^en @erät^e unb @efäge bed täg(id^en
ßebenö. SSon biefen ^ßrinjipien !ann nur SDer burd^brungen. fein,
weld^er fid^ Dofffommen mit ben Oefefeen ard^iteftonifd^en ©d^affenö
pertraut gemad^t l^at. 3ebe3 ©erätli, jebe^ ©efäfe ift ein Meinet
Sauioert, au^ ben Slnforberungen eine^ beftimmten 3n)edfe^ l^erüor=
gegangen, burd^ bie SBilbungögefefee beö SWateriale^, in roeld^em e^
l^ergeftettt werben foff, bebingt. äSer nid^t au^ ber Strd^iteltur ges
feftmä^ige^ ©d^affen, SR^ptl^mu^ ber Sinien unb ber SBerl^dltniffe
grünblid^ fid^ angeeignet I|at, wirb Dergeblid^ auf biefem ©ebiete
nad^ tcbenöüottem Sffiirfen ringen.
aSßag für biefe wii^tigen S^^^Q^ ^^^ gewerblichen ^eroorbringen^
gilt, ba^ gewinnt faft nod^ l^ö^ere Sebeutung auf bem unioerfalen
©ebiete be^ Ornamente^, weld^e^ fxd^ nid^t blofe über bie 3Berfe ber
aird^iteltur, fonbern über äffe funftgewerblid^en Seiftungen in ooffer
112 2)te ^unftgemerbe unb bie älrc^iteftur.
aiugbc^uung crftredt. SWan weift tool^l barauf l^in, bafe bie be^^
rül)mten Dtitamentiften beö 16. unb felbft beg 17. Sal^r^unbertö
Seidener unb aWaler waren, ©ewife! aber ard^iteftonifd^ burc^-
gcbilbete. S)ag erfennt man au^ allen i^ren fd^einbar fo oft leicht
Eingeworfenen ©rfinbungen. 2)ag Ornament ifl ia nid^t ein ©ing
an fid^, nid^t ein lofe« ©piet ber müfeig träumenben ^p^antaFie.
©ö ift ftctö mit aWldffld^t auf einen beftimmten Qroed erfunben, unb
felbft wo biefer nid^t au^gefprod^en wirb, briidEt er fid^ fofort burd^
bie 2lrt be^ SBerfe« felbft au«. aWan wirb fogteid^ erfennen, ob
baöfelbe afe l^orijontaler grie^ ober ate fenlred^ter plafterftreifen,
ob c§ für innere ober äufeere Slugftattung, ob eö für irgenb eine
beftimmte gerät^lid^e SBerwenbung entworfen würbe, gafi unbewußt
l^at ber fd^affenbe Dmamentifi an eine fpejiette Sejiel^ung ithad^t
aSie foU aber auf biefem gelbe ol^ne Äenntnife ber ärd^iteftur irgenb
©titootte«, aingemeffene^, ©d^öne^ Iieroorgebrad^t werben? SRid^t
btofe im einjetnen ift bie grünblid^e ftenntnife ber oerfd^iebenen ^n^^
brudEöweifen, wie jte in ben mannigfad^en ard&iteltonifd^en ©tilen
Ttd^ }u einem ©pftem entwidfelt ^aben, not^wenbig; aud^ gan§ im
SKHgemeinen ift Sßertrautlieit mit ben großen ®runbgefe|en ber
ard^iteftur erforberlid^, weld^e in ben oerfd^iebenen l^iftorifd^en
gormen fid^ nur ein oerfd^iebeneiS ftleib gefd^affen ^aben.
Sn bewunberungSwürbiger SBeife finb biefe ©igenfd&aften vtt^
bunben bei einem beutfd^en Äünftler beö 16. Sa^r^unbert», auf
welchen id^ bie allgemeine Slufmerffamfeit l^inlenfen möd^te, weil er
biSl^er }u wenig 93ead^tung gefunben |iat @d ift $aniS ^Ruelid^
üon aWünd^en, ber alö Hofmaler am baririfd^en $ofe eine oielfeitige
St^ätigfeit entfaltet ^at SKan fann i^n einen SRad^folger $an«
^olbeiniS nennen^ obwohl er nid^t eigentlid^ ©d^üler beiS großen
aWeifter^ war. Slber eine in mand^er fiinfid^t oerwanbte @eifte«=
anläge, bie SBietfeitigfeit feiner ^Begabung, bie geniale »e^anbtung
ber SRenaiffanceformen, ba« ^eroorragenbe Xalent für funftgewerb*
lid^e 3)inge, enblid^ ein in ber beutfd^en Äunfi immer jiemlid^
feltener garbenfinn oon l^o^er SSottenbung lajfen feine Äunfi al8
bie gortfeftung beffen erfd^einen, wa« $olbein angebal^nt ^at. (Sr
iji nid^t bloß $ßortrfitmaler, fonbern namentlid^ einer ber trefflid^jien
aWiniaturiften feiner 3^^, wie man in ben beiben goliobänben ber
2)ie Äunflgcroetbc unb bic 2lrc§tte!tut. 113
SBufepfalmen bc« Drianbo bi Saffo auf bet 3Ränd^ncr SBibliotl^ef
ftel^t, roeld^e er auf^ reid^fie mit Silbern gefd^müdft ^at. 3n ber
erfinbung unb aiuÄfül^rung ber Ornamente, in ben ard^iteftonifd&en
§intergrftnben ber SBilber, in bem reid^en Stpparat t)on ®efä§en
unb ©erätl^en, mit roeld^en er feine ©arfieHungen augfiattet, jeigt
fid& ein uniioerfell gebUbeter ftünfiter. 2lfö SKeifter im teftonifd^en
%aä)e lernt man il^n in ben ©ntroürfen für ®efä^e unb ©d^mudf«
fad^en fennen, weld^e fiefner von Stltened t)on feiner fianb beftfet,
foioie in geroiffen 3^^"w"ß^" fö^ 5ßrad^träftungen, weld^e ©efner
pliotograpl^ifd^ publijirt ^at unb in benen er mit SRed^t jum Sll^eil
bie fianb biefe^ aReijierS erfennen ju bürfen glaubt. 2Wit einem
SBorte: ^anS SWuelid^ (5Kielid^) ifi eine t)on jenen t)ielfeitig entroidtelten
Äünftlematuren beö 16. Sa^rl^unbert«, burd^ bereu SBirfen bie
Äunftgeroerbe jener 3^^* ^^ S3eutfd^lanb il^re SBeltftettung erworben
^aben.
treten wir nun nad^ biefen SBemerlungen in eine 5ßrüfung
bejfen, roa^ bie üerfd^iebenen Rünfie in unfrer 3eit für funfigewerb^
lid&e 3w«de ju leifien vermögen, fo wirb bie Unterfud^ung, nament-
lid^ bei SKalern unb SBilb^auern, einen auffaüenben Unterfd^icb
gegen bie Seifiungen jener großen ßpod^en jeigen. 35er SWaler ifl
^eutjutage fafl nur an ber Staffelei ju $aufe. 35ort fd^afft er
jene burd^ fjeinl^eit bei5 SRaturfinne«, burd^ gemüt^ooffe Qnnigfeit
ber aSeobad^tung anjiel^ienben ©enrebilber unb fianbfd^aften , in
meldten ber ©d^roerpunft be« mobernen malerifd^en ©d^affen« liegt.
3n biefen SBerfen, bie ganj auf ftd^ felbjl rul^en, fann uni5 fein
SRangel ard^iteftonifd^en ©inne« entgegentreten. 2lber fobalb ber
l^eutige 3Waler monumentale SBerfe fd^affen foll, mad^t fid^ biefer
SJlanget oft empfinblid^ bemerlbar. 63 fel^lt an SRaumgefül^l, an ber
^äi^igfeit, eine gegebene fjläd^e ju gliebem, in i^rer S)e!oration
angemeffen abjufiufen, fotool^l in ben aSerl^ältniffen, ben aWaffen unb
Sinien, aö in ben garben bie entfprec^enbe Slbmed^felung burd^
Äontrafte, Ueberleitungen, Stbfd^lüffe, ©inralimungen l^erDorjubringen.
©d^on bie erften greifen, mit meldten bie neue beutfd^e Äunfi einen
fo fd^önen ainfang na|im, biejenigen ber 6afa »artl^olW, me^r aber
nod& ber »itta SKafftmi ju SRom, jeigen in auffällenber SBeife biefen
3Wangel. Unb bod^ entftanben biefe SQSerfe in einer ©tabt, roo
8
114 ^ie Runftgeroetbe unb bie SCrdjfiteftur.
SRafacI feine Staitien unb fioggien, feine Sitta garnefina, feine
Gapeüa (S^igi, roo SRid^elangeto bie 3)e(Ie ber ©i^tina^ n)0 Xnnibale
(Sartacci bie ©alerie gamefe gefd^affen Iiatten! aBitt man in jängfier
3eit abet baö 3Ronftröfefte feigen, roitt man erfennen, bafe unfre
aRalerei feit fünfjiß Salären auf biefem ©ebiete nid^t« gelernt l^at,
fo burd^n)anbere man bie @ale bed SktionalmufeumS ju 9nünd^en
mit bem unglädtid^en ^redfen^^Slagout axi^ ber ba^rifd^en @efd^id^te!
S)iefelbe SRatl^Iofigfeit unb ©titoibrigfeit offenbart fw^ überaß, roo
mobernen SKalern bie aufgäbe jufiel, ®la«gemälbe ju entwerfen.
aWan fielet SRad^al^mungen naturalifHfd^ burd^gefü^rter Delgemälbe,
eingefpannt in ard^itettonifd^e dlal^men, meldte im beften ^aOe tdovx
JU ^ilfe gerufenen Saumeifler !omponirt ftnb. 9Bo ber ^aUr
fetbft fid^ an biefem Xl^eile ber Slufgabe verfud^t l^gt, ifl in ber
SRegel abfurbed ju a;age gelommen. Unter aHm Umiiänben follte
aber ha^ ©la^gemalbe eine in [x^ organifd^ erroad^fenbe, einl^eitlid^e
c<lon}eption fein, beren einzelne S^l^eile mit bem ard^iteftonifd^en
Oefüge in l^armonifd^ empfunbener aSed^felroirfung fielen.
9lid^t roefenttid^ anberd geftaltet fid^'^ bei bem l^eutigen SSilb-
Iraner. Sßeld^er unter i^ren 9Reiflern ift im ©tanbe, nur ein ard^itet^
tonifd^ rool^lgefällige^ 5ßoftament für feine ©tatue ju fd^affen? SBo
lebt l;eute ein 93ilbl^auer, roie %nbrea^ ©d^Iüter, ber {ugleid^ voU^
gültiger SBaumeifter roar, unb an beffen SReiterbilbe beö großen Äur*
fürften man ben ^armonifc^en 3^f^^tnen!lang t)on älrd^iteftur unb
5piaftif in bem l^errlid^ fül^nen Slufbau bei8 ©anjen, bem leben-
fprü^enben QwQt ber Umrifelinicn berounbert! Dber roo iji ber
Silb^auer, ber, roie Slbam ftrafft, ein SBerf, roie ba^ berül^mte
©aframent^ge^äufe in ©t. Sorenj ju SRümberg, ju errid^ten Der-
möd^te! SRod^ bebeutenber ift ba« Seifpiel ^peter aSifd^er^, ber in
bem rounberbar reid^ burd^gebilbeten @rabmale bei^ ^rgbifd^ofiS @mft
im SDom ju aWagbeburg fid^ afe ebenfo großer aWeifler be^ gotl^ifd^en
©tile^ erroeift, roie er fpäter in bem ißauptroerfe feines &tbm^, bem
©ebalbui^grabe, bie formen ber grül^renaijfance mit genialem
©d&rounge ber 5p^antafie belierrfd^te. SBie fetten erfd^eint Iieutju^
tage ein plaftifd^eS 3)enlmal fammt ©odEel, Unterbau unb Ornament
atö ein SBerl auS einem @uB!
Sei fold^em aWangel ard^iteftonifd&er ©runblage ifi eS nun nid^t
2)te itunftgeioerbe unb bie S(rc^itelhit. 115
}u DeriDunbem^ toenn ha^, voa^ 3Ilakx unb 93t(b^auer fpe}iell fttt
{unftgetoerblid^e Qmtdt gefd^affen l^aben^ an ©tiHofigleit indgemein
feinei^gleid^en fud^t. SDa^er bie ^errfd^aft einer ungeregelten Saune
unb SBißtür, ba^ ©piel mit fogenannten „geiftreid^en" ßinfätten,
bad Uebermud^ern eined gerabeju unertrfigUd^en 9{aturaIüSnmi^.
Unfre 2:eppid^e unb Tapeten, unfre ©efäfee unb ©erätl^e, felbft
unfre Stöbet^ furj aSed^ n)ad und im t&glid^en Seben umgibt^ trägt
^unbert ©puren bei^ SBiberfinned. 3loi^ lütfjLiä) lata nni eine
Butterbfid^fe ju ®eftd^t^ n)e[d^e bie $orm einer foloffalen ^*liege
nac^a^mte: ba^ienige ^ix\t% meld^ed man btötoeilen^ aber bod^ ftetd
^öd^ft ungern in ber SSutter finbet^ niirb l^ier afö bergenbed ®efäg
bem 9(uge in peinlid^er SBeife jur flänbigen @rinnerung aufgenötl^igt.
@S tonn, nad^ aUebem nid^t jioeifel^aft fein^ bag unfre 9Ra(er
unb Sitbl^auer erji bann für bie Jtunfigen^erbe ettoai^ ßrfpriegUd^eiS
leiften, erft bann aud^ in i^rer eignen jtunfl bie l^dd^flen Aufgaben
TOürbig löfen ttnneu, wenn jie eine grünblid^e ard&iteftonifd(>e Sit
bung gen)onnen l^aben. 99id bal^in n)irb ber Strd^itelt bie einjige
aufludet für-^ebung be« funftgeroerblid^en ©d^affen« fein. 3Wit SBe^
friebigung feigen wir von SCag ju SJag bie erften SReifter biefer
jtunfi immer mel^r ftd^ ben Aufgaben ber JtunfUnbuftrie )umenben.
2)iefe @inn)irfung xoith um fo fegendreid^er fein^ je me^r fie aud
bem ftarren ©efefte ber ärd^iteftonit bie erforberlid^en UmgeftaU
tungen für bad (eid^tere, bemegltd^ere @ebiet bed jtunftgen)erbed 5u
entroidCetn roiffen. S)enn eine abfolute ard^iteltonifd&e äffein^err-
fd^aft lönnte aud^ l^ier getoiffe ®efa^ren mit fid^ bringen. @in
93eifpiel bafür bietet uniS bie ©efd^id^te bed gotl^ifd^en @tiled. 3n
^ranlreid^^ wo berfelbe {td^ admöIiUd^ auiS bem ^omanifd(^en l^eraud^
bilbete, bewal^rte er jene geiftüolle ^^ifd^e unb SRatürlid^feit, meldte
bad ©pftem in lebenbigem ^(uffe erl^ielt unb ben übrigen Jtünften,
nament(id^ ber ^laftif^ freie Sntfattung innerl^alb bed ard^iteftoni^
fd^en DrganiÄmud t)erbürgte. Qn Italien Iiatte baS fiarle Ueber=
gen)id^t ber 9RaIerei eine ä^n(id^e Sßirlung unb l^ie(t foioolil bie
Srd^iteftur mie bie begleitenben jtünfte t)or einfeitiger Srftarrung
jurüdC. 9lnber^ in 3)eut[d^Ianb. S)ie @ot^i{ nal^m l^ier feit bem
14. Sal^rl^unbert ben unfrem SBefen anl^aftenben 3^9 ^^^ ^^^^
©oftrinfiren in einer SBeife an, bafe jie Slled bem ard^iteftonifd^en
116 ^ie 5lunftgen)erbe unb bie Slrt^iteftur.
gormali^mu^ unterwarf unb in baä Slefe il^rer gcfünftelten aWafe*
rocrffpicle bic freie 5p^antafie unentrinnbor t)erftri(Ite. SDieS übte
bann fofort einen SHüdfd&Iag auf atte funfigetoerblid^en erjeugniffe.
©efäfee unb ©erätl^e, ftatt au« i^rem S^tä eine naturgemäße gorm
ju geroinnen, erl^ielten bie ©eftalt Meiner ©ebäube, unb jebe 2;rul^c,
jebcr ©darauf, jeber M^, SBed&er, iebc^ Sietiquiar, Ciborium ober
aWonfhanj rourbe mit ben müßigen ©pietereien be^ aWaferoerfeÄ
überfd^roemmt. SKan t)erg(eid^e bamit bie eblen SBerle romanif(^er
fiunft, namentUd^ bie ©olbfd^miebearbeit, roie l^od^ fxe burd^ ixotä^
entfpred^enbe ©efammtform, eble @lieberung, reid^en plafiifd^eu unb
malerifc^en ©d^mud in getriebenen SReliefg, fließen, giligran= unb
farbigem ©d&meljroerl über jenen monotonen ©rjeugniffen einer oer«
fnöd^erten ard^iteftonifd^en SDoftrin fielen!
älud^ in unfern Xagen ftnb fol^e @efal^ren nod^ nid^t über-
rounben. ©ie nalien ftd^ und oon jroei entgegengefegten ©eiten:
oon ben mobemen (Sotl^ilem unb oon ben Sßertretern einer geroiffen,
gar ju puritanifd^ jugefiuftten „l^eHenifd^en" auffaffung.
SSon ben ©ot^ifem unb il^ren SBerfud^en, moberne Scbend^
bebürfnijfe in bod 5ßrofruftedbett mittelatterlid^er formen ju jroängen,
roitt id) nid^t fpred^en, fonft Keße fid^ mand^e« t)on ftonjertflügeln
mit got^ifd&en SRaßroerfen unb gialen unb bergleid^en „originetten"
©rfinbungen erjäl^Ien. 2tber oon einigen S3eobad^tungen in ben
9iegionen bed mobernen JtlafftiidmuS, bie ic^ fflr}Iid^ ju mad^en
(Selegenlieit l^atte, barf id^ rooI|l aud^ liier 3^i^8"iß ablegen. 3d^
lernte bei meinem iüngften aufentl^alte in SKünd^en jum erfienmol
in umfaifenbcr SBeife jene älteren ^^eife ber SRefiben} fennen, roeld^e
unter ajiajimiliand I. 3^it/ 1612, auf gefül^rt roorben finb, unb bie
bem größeren ^ubUfum in ber Siegel unjugänglic^ bleiben. S)ie
beiben prad^tootten 5ßortale foroie bie SKabonna an ber ga^abe, ben
jierlid^en ©rottenl^of, auc^ ba§ Slntiquarium mit feinen geifireid^
beforirenben grellen im ©til pompejanifd^er aSanbgemälbe, enblid^
ben genial tomponirten SSrunnen in bem größeren ^ofe tennt aQe
aSelt. aßeniger beachtet finb aber bie ©puren oon gagabemaleret,
meldte fid^ an ber ganzen äußeren f^ont foroie an ben inneren
ga^aben ber ©d^loßljöfe, namentUd^ bci5 fogenannten ftaiferl^ofed,
erfcnnen laffen; faft unbefannt cnblid^ ift bie l^errlid^e audflattung
2)ic Äiinftgctoerbc unb bic Är($itcflur. 117
ber inneren Mume, bei weld^et 2Ralerei unb $ßlaftif. a»etattarbeit
unb J'eppid^wirferei, ©d^miebe= unb Slifd^lerlunji in feltener ^ar^
monie iufammengen)ir{t Iiaben. @d^on bie langen jtorribore unb
bie 2;reppen jeigen eine äberauiS teid^e S)etoration, tl^eild btog in
®Uxd, tlieild in ^KaUxti, tl^eild in glfidtid^er SSerbinbung unb SSet^
fd^meljung beibet S)e!oration«mitteL ©eiftreid^ erfunbene^ fRanttn^
rotxt, n)eld^e^ bie ar<i^iteItonif<i(^en ©tunbtinien ^t^<, aber in
freier ^^antafte feine @ebilbe baräber auiSbreitet^ bidroeilen unter-
ftüftt burd^ figärlid^e ßlemente, enblid^ in ben reid^eren ?ßartien
nod^ mel^r gel^oben burd^ farbige giguren^ ba^ ftnb bie aWittet, burd^
loeld^e l^ier eine n)0^t abgen)ogene Steigerung t)om Sinfad^en }um
^rad^tigen ben)ir!t ifl. 9lm grogartigfien gefiattet ftd^ ba§ jtaifer^
pefHbül mit ber von bort auffieigenben Haupttreppe; baö SBefiibül,
an feinen auf t)ier foloffalen ©Sulen von rotl^em Xiroler SKarmor
rul^enben jtreu}gen)dlben mit einer beforatioen SRalerei gefd^mädEt^
bie an geiftreid^er Sebenbigfeit ben fd^önften pompejanifd^en @ad^en
gleid&fommt. SRid^t minber impofant ift bie Äaifertreppe mit ifirer
ebenfo reid^ gefd^müdEten SDedfe unb ben loloffafen ©tudfiguren
baprifd^er ©erjoge in elegant beforirten SRifd^en auf jebem ipobeft.
Unb enblid^ bie ©file unb ©emftd^er felbfl, an ben SBänben mit
alten S^eppid^en bebedft, barüber ein grieS von ©tudCarabe^fen, jum
^^eil Dergolbet^ auf farbigem @runbe; enbtid^ bie S)eden mit fd^önen
t^eilroeife t)ergotbeten ^oljra^men, in roeld^e tüd^tig gemalte DeU
bilber eingelaffen fmb. Slber bamit nid^t genug: aud& bie ftamine
finb in jebem ©emad^e mit befonberer Äunft au^gebilbet, jeber in
anbrer SBeife unb in einer mit ber ©nfaffung ber 2:^ären jebedmal
l^armonirenben Se^anblung; ma« an alten aWöbefn ba ift, jeigt
biefelbe SReifierl^anb in (Snttourf unb Slu^fäl^rung, unb enb(id^ ^at
felbft ha^ ©ifenmerf ber Spüren, bid auf bieienigen ^fieile ber
SSfinber, meldte nur im aWomente beS Deffneng jid^tbar werben,
reid^e in @oIb eingegrabene taufd^irte Ornamente.
3l\xn mug man mit biegen l^armonifd^en SKäumen jene %l)t\U
ber Steftben} oergteid^en, metd^e JUenje i^injugefügt l^at. Gin ä)UdF
genfigt, um inne ju merben, bag l^ier gerabeju 9lDed fe^tt, roa^ in
ben alten Steilen jene marm anl^eimelnbe 2Birtung mad^t. 9lm
beflen ift nod& ba« Seufeere, obrool^I feine Slrd^iteftur jum ^^eil einen
118 2)ie ^unflgeioerbe unb bie Slr^iteftur.
näd^ternen (SinbrudE mad^t (3)ie alten Xl^eile, bie jeftt freilid^
unenblid^ tal^l erfd^einen^ borf man nur nad^ Sßiebet^erftedung bei^
materifd^en @d^mudtei^ i^ret ^I&d^enbetotation^ nid^t nad^ il^rem
ieftigen üetioüfteten 3uftanbe beurtl^eilen!) — 3^ 3nnem aber grofee
@ä(e mit ^ei^fen^ n)0 bod 9tuge mit ibeater ^iftorifd^er Jlunft Aber-
fättigt toirb^ bei aDem jlebod^ ba^ @efül^I einer talten Oebe unb
SWüd(>tern^eit nid^t überwinbet. ©g fel^It l^ier jlebeg anl^eimelnbe,
SriDärmenbe^ unb ^mar (ebtglid(^ beiSl^alb^ meit ieber^ ber Strd^iteft
wie ber aRaler, feine eignen SBBege unbefümmert um ben anbem
gegangen ifi^ n)ei( feiner oon beiben ed ber 9Rü^e mertl^ gel^atten
^at ober aud^ im ©tanbe gewefen ifl, bie SRftume burd^ ttnftlerifd^e
3(u^bilbung aOe^ Sinjelnen bi^ ini^ le^te @täd bed ^au^ratl^S
l^armonifd^ }u geftalten. @d fe^It eben jebe burd^greifenbe Sin-
n)ir!ung auf bad @d^affen ber bei Sui^rttflung eine^ fold^en Saued
betl^eiligten jtunftgeroerbe unb bal^er biefe Oebe beS @inbrudte^.
3<$ "^^^bt l^ier an einem augenfälligen S3ei)pie(e nad^}un)eifen
Derfud^t^ mag unfrer heutigen jtunftentn)idte[ung Dielfad^ nod^ mangelt.
Um fo mel(ir ifl e^ notliroenbig, t)or allem bie 3lrd^iteftur freier
}u t)crftel|en, fie in i^rem SufÄtt^wi^n^öttS^ ^^^ ^^^ übrigen Äüniien
unb bem Äunftgeioerbe tiefer ju erfaffen. ©emper ^at in feinem
bebeutenben 93ud^e Aber ben ©til bie gen)id^tigften ^ingerjeige bafttr
gegeben. 6« gilt biefe ju befolgen^ fte in« Seben, in bie ^ßraji^
einiufäl^ren. Slid^t b(og bie Slrd^itettur^ t)or aQem aud^ bad ge-
fammte funftgeroerblid^e ©d^affen muj5 baraud entfd^eibenben ©es
minn jiel^en.
3n ber SSergangenl^cit finb eö Iiauptfäd^Ud^ jroei ©pod^en, beren
aSorbilber befonberiS für bie Äunftgeroerbe immer von neuem mit
junel^menbcr SBertiefung ju ftubiren finb. SBir meinen bie gried^ifd^e
9tntife unb bie go(bene 3^it ber 9lenaiffance. SBaiS lägt fid^ allein
für ©efäfe- unb ©erät^bilbung au3 ben SKuflern ber 3lntife er^
lernen! Slber gerabe l^ier gilt t^ nid^t fflamfd^eiS ftopiren, fonbern
bentenbe Slneignung unb Umgeftaltung jum Qwtd unfred in feinem
ganjen Umfange fo unenblid^ tjerfd^iebenen unb mannigfaltig be-
reid^erten ißeben^. SBeld^e ©d^ief^eiten ^at man fid^ j. 93. allein im
SRadjbilben antifer Safen für ganj anbre moberne Sebflrfniffe unb
für ganj anbrei^ a)Jateria[ ju ©d^ulben fommen laffen! SDer ©ried^e
Xit ^unftgeioerbe unb bte Strd^iteftur. 119
bilbctc bogfclbc Octätl^ anber^ in 2:^on, anberS in aßarmor,
a3ronje, ©ilber. SDo» fott man vox allem bead^ten. ©bcnfo foffcn
wir für ilriflatt ober ®la« anber« fomponiren, atö bic ©ried&cn
für ii^rc ganj loerfd^iebcncn ©toffe.
©obann bie Slcnaiffance. SBir braud^en l^ier auf einjcIneiS
nid^t l^in}un)eifen. S)ie ganje Sßelt il^rer ©d^ön^eit liegt nod^ fo
jiemlid^ unangetaflet vox und. Sßir fennen bie Sdesiel^ungen aS
il^rer ©rjeugniffe jum Seben. Unfer moberner Äulturjuftanb fielet
bem bed 16. S^^^^^^^i^^^ immer nod^ fo nal^e^ ba^ eine t)iel
genauere SRad^bilbung, ein üiet innigeres Slnfd^Uefeen möglid^ ift.
Unb auf biefem ©ebiete^ n)ofern mir nn^ nur t)or ben fpäteren 3luS-
artungen lauten unb ben @eift ed^ter antiler jtunft immer x>on neuem
iu SRatl^e sieben, fliegt mel^r ate irgenbmo für unfre ftunflgeroerbe
bie duelle ber ©d^önl^eit, auÄ meld^er pe gefunbeS Seben, freie,
eble Sntmidelung }u fd^öpfen l^aben. 9lid^tö aber fielet in ber ®e^
fammtfunfi ber 9ienaiffance p^er, atö ber ard^itettonifd^e ©inn,
ber iebeö SBBerf burd^bringt unb bod^ jebem feine inbit)ibuene grei-
^eit lägt.
Mt fSix^ix^tn Sammlungen in Stgmarlngen^
(„1fttt0<nttinf Stituna'* 1873«)
^eit anbert^olb S^l^^^n ctoa gibt Dr. Äelincr, ber unermüb;
lid^e SibUotl^etot unb ßonferoatot ber fätflUd^ ||o]^en}oIIemfd^en
©ammlungcn, eine SReil^enfolgc von Katalogen über bog bortige
aRufeum l^eraud^ t)on benen btö ie^t nid^t Toeniger atö ad^t t)or::
liegen, ol^ne bafe bamit ber reid^e ftunflbefife beiS fürftlid^en fiaufeö
bereits erfd^öpft wäre. S)ie fettiger erfd^ienenen befpred^en bie ©amm::
lang ber ©emälbe, ber ©d^nifewerle, 2:i^on^ unb aWetaltarbeiten,
ber (Smaite, ®läfer, Äleinobien unb ^anbfd&riften. SWit roijfenfd^aft-
lid^er ©enauigfeit unb ©rflnblid^Ielt abgefegt, mögen biefe SSergeid^-
niffe mand^en größeren aWufeen, bie in biefer fiinfid^t oft fel^r un=
jureid^enb aui^geftattet ftnb, als nad^a^mendniertlieS 93eifpiel bienen.
aSer biefelben nod^ o^ne ftenntnife ber in i^nen gefd^ilberten ©amm«
lungen burc^ftel^t, bem muß not^menbig baS SSerlangen nad^ eigner
Snfd^auung fid^ lebl^aft regen, t)onenbd roenn man aa^ bem ^rad^t^
votxl t)on $efner«9lltenef fd^on eine SuiSn^a^I ber n)ert]^oolIflen Kunft-
werfe biefeS 3KufeumS fennen gelernt ^ unb aus ben bei 6. ©bner
in ©tuttgart erfd^ienenen ^^otograpl^ien aud^ x>on ben @emä(ben
eine ungefäl^re SSorfiettung gewonnen ^at. aWan fielet auÄ all biefen
^ublilationen, benen bie von Sinbenfd^mit über bie meifl auS ©rab^
funben l^errü^renben SHtertl^ümer nod^ an}ufd^Ueßen wfiren, toie l^od^
bie roiffenfd^aftlid&e unb fünftlerifd^e ©nfid^t be« treffUd^en gürflen
fielet, ber feine f(^önen ©ammlungen nid^t für fid^ aDein genießen,
fonbern burd^ jroedtmäßige unb würbige StuffieBung, fowie burd^
2)ie fürfllic^en Sammlungen in Sigmaringen. 121
gcbicgenc 5ßublifationcn an^ rociteficn Ärcifcn jiigängUci^ mad^en
iDiU. 3fl bod^ nid^t mtnber ba^ burd^ Unterftfi^ung biefeS tunfi«
liebenben l^ol^en $enn jufianbegefotnmene toid^ttge 9Bet! t)on Sod
über bic Uturgifd^en Octoänber bcS aRittclaltcrS ein S^wgnife oon
ber warmen götberung, rocld^c berfelbe bcr Äunft unb SBi^cnfd^aft
ju %\^txl toerben lä§t.
2)er lang gel^egte Sßunfd^^ biefe Sammlungen in ©igmaringen
au« eigner änfd^auung fennen ju lernen, lorfte mid^ an einem ber
erften 2^age blefeS trügerifd^en manfelmütl^igen g-rü^lingg l^inau«.
S)ie ©ifenba^n fül^rt von Ulm aufroärtö im oberen 2)onau=2l^al biiS
©c^eer, wirb aber nod^ in biefem ©ommer bis ©igmaringen unb
barüber l^inau^ eröffnet werben. ®ie lanbfd^aftlid^en ©d&ön^eiten
jener ?ßartie, bie man bei ungemein kngfamer gal^rt l^inreid^enb
}u prüfen vermag, finb }iemlid^ befd^eiben. ^übfd^ ift bie @egenb
t)on SBlaubeuren mit il^ren freilid^ nid^t fel^r d^arafteroollen gete*
gruppen; ba^ S)onaut^al felbfl ergebt ftd^ nur in ber @egenb t)on
gwiefattenborf ju einiger malerifd^en Stnmutl^i- Slber bei ©d^eer
änbert fid^ ber ©l^arafter ber bis bal^in monotonen ©egenb. S)ie
^ügelrei^en werben bebeutenber, fd^liegen {id^ mel^r jufammen, ge-
währen mannigfad[) wed^felnbe SSilber. ©d^eer felbft mit feinem
ölten ©d^loffe, einem bx^ auf ben jierlid^en got^iifd^en ßrfer unan^
fel^nlid^en Sau, bietet» ftd^, wenn man auf ber Sanbftrafee, e§ im
weitgespannten SBogen umf&l^rt, red^t malerifc^. ^e mel^r man aber
fid^ ©igmaringen näl^ert, befto anjiel^enber wirb bie fianbfd^aft;
fd^on oor bem eintritt in bie Heine freunblid^e ©tabt entfaltet pd^
ein SBlidf, ber baS auf fteiler gelsluppe mäd^tig aufgetl^ärmte fürft=
lid^e ©d^log jum bominirenben Snittelpuntte l^at. ®erabe bem
©d&loffe gegenüber oerengt pd^ plöfelid^ baS X^al. ©d^roffe gelfen,
Don fd^önem Sud^enwalb überragt, treten aud^ am redeten Ufer l^art
$egen ben %lu^ l^eran unb laffen ber 5Donau unb ber bid^t an fte
gebrängten Sanbftrafee nur eben SRaum, fid& burd^juwinben. SJafe
biefer 5punlt ber ©d^lüjfel be« oberen S)onau=2;^aled ift, erfennt
man fofort; bafe fd^on bie Siömer bieS eingefe^en, beweift ber folof=
fale auä gigantifd^en SBerfftüdEen erbaute oieredEige SRömert^urm,
um wcld^en pd^ im Saufe ber ßeiten baS ©d^lofe in malerifd^ un=
regelmäßiger älnorbnung frpftaQijtrt l^at. ©o unfd^einbar t)on äugen
122 2)ie fürftCidjien Sammlungen in ©tgmattngen.
bcr ganje 83au ifi, fo malerifd^ toirlen bod^ feine breit ^inflelagerteu
üWaffen, bie fid^ in bem auf ber l^öd&flen Äuppe beS gelfeniS auf^^
ragenben l^ertfd^oftlid^en fiauptl^oufe gipfeln. ^aS) btid^t l^iet bet
getöab^ang ab, in faji fenlred^tem SÄbfiut} feinen ^ufe in ben ©trom
feftenb. SRur ein ganj Meiner ^edE bleibt auf l^alber fiöl^e ate
Surggärtlein übrig, immerl^in breit genug um einer gewaltigen
gid^te unb einer tJoHbelaubten alten Sinbe SRaum ju getodl^ren.
Sinfö fd^liejst fid^ ber JtaDalierbau, in niebrigerer Sage, aber eben-
fattiS breijlödfig unb langgeftredtt, an, in ganjer SluÄbel^nung von
einer ^erraffe auf feinem flad^en S)ad^ gefrönt, bie in ber fiöl^e bt&
oberen ©d^lofel^ofeS l^errlid^e au^blidCe in bie Sanbfd^aft bietet. SDor-
aber fielet man bie üorberen %\)^xk beS ©d^loffeiS aufragen, bie in
admälilid^em älnfleigen bed ^errain^ fid^ aufwärts J^injie^en unb in
il)rer eigent^ifimlid^en SSerbinbung mit bem ^auptbau bem ©anjen
einen l^öd^fi originellen ßl^aralter geben.
SDiefe Unregclmäfeigteit ber anläge, bebingt burd^ ba8 SIerrain
unb bie aSm&Iilid^e @ntflel^ung ber einzelnen ^l^eile, üerleil^t bem
Sau feinen Sieij. 3n fünfllerifd^er fiinjtd^t bagegen feffelt nur ber
§aupteingang, ein alg 5ßropugnaculum mit jroei l^albrunb t)orfprin:=
genben 2;i^ürmen ahgeorbneteS SBerf. lieber bem 5ßortal fielet man
ein intereffanteS 3telief, ben ©rafen gelij ju SBerbenberg unb ju
bem ^eiligenberg barftettenb, wie er t)or ber ©d^merjeniSmutter fniet.
35ie formen seigen jierlid&e ©lemente ber grülirenaiffance, unb bie
Sa^rjal^l 1526 fiempelt baS SBerf ju einem ber frü^eflen 3)enfc
mäler beutfd^er SRenaijfance. 3e weniger inbefe ba& ©d6toj5 von
auj5en an lünftlerifd^em Qntereffe bietet, befto überrafd^enber wirft
ha^ Qnnere. aWan barf fagen, ba§ faum irgenb ein nod^ fo unter*
georbneter SRaum o^ne fünfllerifd&en ©d^mudf geblieben ifi. Site
®la«gemalbe, Sobelin«, gefd^niftte aRöbel ber SRenaiffancejeit, ge-
malte Defen, SBaffen unb SRüfhingen — baS atteS ijl neben ©e«
mfilben unb plaftifd^en SBerfen oerfd^iebenfier Srt für bie SuÄ-
fd^müdEung überaff uerwenbet, fo ba§ man felbfi in ben Äorriboren
unb 2;rcppenl^aufem ftetiS oon fünfilerifd^en ©nbrüdfen begleitet ifi.
Unb wie malerifd^ wirfen an fid& fd^on bie t)erfd^iebenen SRäume
burd^ il^re mannigfaltige gorm unb SBerbinbung! SBie präd^tig ift
j, 33. ber Slidt in bie lange, gewölbte SBaffentialle, wenn burd^ bie
IDie fürftlic^en Sammlungen in Sigmartnßen. 123
mit ©to^gcmfilben t)erfe^cncn gcnftcr bic aRorgcnfonne l^incinföllt
unb mit bliftenbcn Sid^tcm auf ben alten SRüfiungen unb SBBaffcn
fpielt! UcberauÄ anl^cimelnb wirft fd^on bic ^auptcingang^l^allc,
bie fid^ in parier ©teigung J^inaufwirtbet unb bann erfl ju bem auf
ber oberften geföplatte [xä) erl^ebenben ^auptbau fül^rt. SBä^renb
in mittelattertid^er SBeife fiberaQ burd^ Sßenbeltreppen SSerbinbungen
^ergefteUt ftnb^ gelangt man ju ber ^auptfUege burd^ einen mit
bunfler ^oljbede auf tunflDoQ gefd^ni^ten alten Pfeilern gefd^loffenen
9laum, bie ftanonenl^atte genannt, weil bort einige ©efd^flfce auf=
gcftetlt jinb. Sin ben Pfeilern fanb iä) in mel^reren fd^önen gotl^ifc^en
9)7ef{ingleud^tern alte 99etannte wieber, bie id^ t)or smeiunbiwanjig
Sauren in meiner ^eimatl^ gefeiten unb gejeid^net Iiatte. 5Bon l^ier
fommt man ju einer jmeiten unregelmäßig geformten $alle, rieffeid^t
eliemafö einem Sid^t^of, an weld^en red^ts bie unbebeutenbe Jtapede
ßögt. 9lber l^art neben berfelben gelangt man, eine Slnjal^l in ben
gete gel^auener ©tufen nieberfteigenb, ju einem 3laume x>on ganj
befonberiS bel^aglid^em @epräge, ber fog. S^onau-jtafematte. (SS ifl
ein in ben ^Ifen gefprengtei^ gemölbteiS ©emad^^ bad neuerbingS
mit großem ©efd^madt )u einer Srinl^aHe umgeflattet mürbe. 3ln ber
einen ©d^malfeite bilbet ein großer Äamin für bie faltere S^i^teäjeit
ben anjielienben SRittelpunft; an ber entgegengefeftten filiert bie
einjige fiid^t=, jugleid^ 2;^ürsDeffnung ins greie auf ein wenige guß
breitet gefeplateau, in welche« l^ier mit fd^arfer Äante ber §ügel
aui^läuft. Sin paar 9Renfd^en fönnen hinaustreten unb tief unter
bem fieilen Sbl^angc bic S)onau braufenb über ein breite« SBe^r
ftd^ flürjen fe^en. jtel^rcn wir in bie $aQc iurüdt, fo finben wir
genug JU betrad^ten; benn an ben aBänben ringsum finb ©effiße
oller 2lrt, Ärfige auS ©teingut, ©läfer, aKajolifen, jinncrne Äannen
unb ©d&üffeln, ©dualen unb pumpen in malerifd^er Slnorbnung auf^
geftcDt. 2)aiu jicl^en ftd^ an ben £angfeiten l^ölseme 99fin!e mit
fd&önen im SRenaijfance^Stil gearbeiteten Siüdfle^nen ^in, fo baß ber
Äaum burd^ bie ganje ßinrid^tung etwas poetifd^ änl^eimelnbeS be^
lommt
3n ganj anbrer 3Seife unb bod^ nid^t minbcr anjiel^enb ifl im
öorberen 2:^eitc beS SSaueS ber fogenannte ftupferftid^faal. Ueber
einer mäd^tigen gewölbten fialle beS ©rbgefd^offeS liegenb, bie jeftt
124 S)ie fürftlic^en Sammlungen in ©igmotingen.
Icibcr §u untcrfleorbncten Qxotätn bicnt, nimmt bcr ©aal eine üor=
fpringenbe @de ein unb läuft naii^ ber Xiefe in iroti burd^ eine
SBanb gefd^iebene 5tabinete an^, niad bem 9taume n)ieber ein ebenfo
origineKeiS atö be^aglid^eS @epräge gibt. Sßie benn aUt Totalitäten
l^ier aufs wol^nlid^fle eingerid^tet finb unb jum SBerroeilen einlaben,
fo l^at aud^ biefer @aal ein d^aralterDoOed altertl^ümßd^eiS 9)tobiUar,
barunter ftd^ ein prad^tDoQer (anger Xifd^ aui^ bem 17. ^al^tl^unbert,
mit reid^ gefd^ni|ten gülsen unb jwei ber fd^önjien Äenaiffance*
fd^ränfe Don ebler plaftifd^er 3)ef oration auS^eid^nen. 9[n ben SSßanben
aber fielet man eingeral^mt unter @lad Dorjfiglid^e Slbbräde von
ÄupferfHd^en Sfraete xjon aWedfenem, ©üreris, aRartin ©d^önö unb
bcr Äleinmeiper, einige roertl^PoHe Silber t)on ©arofalo, SBincenjo
€atena u. a., befonberS aber swei 3leil^enfoIgen föfttid^er ©eiben-
ftidfereien auiJ bem Anfang unb bem ©nbe beiS 15. Qal^r^unberts,
}u ben feinften SBerlen biefer Art ge^örenb. äud^ bie fd^öngeglie-
berte SaltenbedEe be§ ©aaleiJ ifl bead^teni^roertl^ unb t)onenbet ben
anl^eimelnben S^aratter beS ©anjen.
3)en ©d^merpunlt ber reid^en ©ammlung finben wir aber in
ber ftattlid^en Äunjil^atte, mel^e erft fürjUd^ burd^ »auratl^ Saut
bem ©d^loJ5 angefügt unb mit greifen t)on ^nbreaiS 3)JüIIer ge=
fcfimüdEt TOorben ift. aWan tritt juerft in ein »efHbül, ba« burd^
feine ©präd^e unb SRalereien würbig auf bie äSeflimmung bei^ SaueS
torbereitet. 35ic ^aUe felbft ijl ein anfel^nlid^er breifd&iffiger SRaum
mit einer gegUeberten fioljbedfe auf fd^lanfen ^Pfeilern unb mit reid^=
lid^ einfaUenbem feitlid^en Dberlid^t. S)ie farbige ©timmung beS
©anjen ijl tjortrefflid^, bie an ben oberen SBänben t)on SlnbreoiS
anäQer gemalten S3ruftbilber ber ^ünftler fügen fid^ l^armonifd^
ber gefammten S)eIoration ein. Sie Äunftioer!e finb ^ter fo ter^
t^eilt, ba^ an ben unteren 9Banbf(äd^en ^olifd^ni^eren unb präd^tige
alte 2;eppid^e, barüber aber an ben igauptfläd^en ber SBänbe, bem
2luge nal^e genug unb in treff lid^er Seleud^tung , bie ©emälbe an^
georbnet finb. Sie Heineren Äunftmerfe in SWetaH, bie Slrbeiten in
aSronje unb in ©fen, bie ©olbfd^miebefad^en, bie SBerfe in eifen-
bein, ^olj unb Seber, bie aKajolifen unb bie 2;öpfe finben fid^ auf
^ifd^en mit ftufcnförmigen auffä|cn jwifd^en ben gjfeilern ber ^alle
tertl^eilt. S)er ganjen Slnorbnung liegt ein fpftematifd^eiJ ^tinjip
13)te furfidc^en Sammlungen in Sigmaringen. 125
}u @runbe, aber baiSfelbe Dcrbinbet ftd^ in Qlüdlx^tt äBeife mit ber
SRüdfid^t auf l^armonifd^e lünjilerif^c (Sefammtwirfung. Sn« ein-
jclnc ber (Scgenjiänbc ^ier einjuge^en fann nid^t meine abftd^t fein;
aber auf einigelt iQcrt)orra8enbe möd^te id^ bod^ aufmerlfam mad^en.
Unter ben ©emälben, bie l^auptfäd^ilid^ ber attbeutfd^en unb
flanbrifd^en ©d^ule angel^ören, nenne id^ junäd^jl eine SRei^efolge
von a^t 3)arftellungen aud bem Seben 3Rariä^ bie ju ben anjiel^enbs
fien arbeiten 3«itt>IomS gel^ören. aJlartin ©d^affner ift burd^ bie
t)icr gtügel eine« großen SBanbefoltarg , d^aralterüolle, menn aud^
etroa^ berbe arbeiten, xjertreten. Sin ben Slieberr^ein fü^rt un^ ein
trefflid^e^ Xxxptt)ä)on beiJ SWeiflerÄ Dom 2:obe aWariä, fowie mel^rere
2:afeln be^ aJleifierS ber fit)t)ergbergfd^en ^ßafpon. äud^ auö ber
Spdtfd^en ©d^ule finb einige l^fibfd^e S3i(bd^en oerl^anben, benen man
mol^I etroad ju fanguinifd^ bie Flamen SiogieriS unb 3)!emling^ bei:;
gelegt l^at. SBortrefflid^ ijl eine in jroei J^afeln gemalte SSerKln^
bigung aWariä, bie auf ©erl^arb 35amb l^injuweifen • f d&eint. ©in
Heiner mannlid^eiJ ?ßorträt ifl Don fold^er ©d^arfe ber S^^^^^H
unb fold&er Älarl^eit be^ 2;ong, bafe id^ nid^t abgeneigt märe, e3
S)ürer jujufd^reiben. SHod^ mand^eö mertl^üoUe SQBerf für ba§ ©tu^
bium ber alten ©d^ulen von Ohex- unb 3tieberbeutfd^lanb entl^ält
bie ©ammlung, obrool^l leiber biöroeilen ju jlarfe SReflaurationen
barfiber ergangen finb. S)agegen lajfen bie von älnbread ÜRüüer
auiSgefäl^rten ^erfteOungen bie biefem jtünftler eigne gemijfenl^afte
»el^utfamfeit nirgenbs t)ermijfen.
älugerorbentlid^ mertl^DoH finb bie ©ammlungen ber Derfd^ie^
benften SBerfe ber Äleinfunfi, in meldten befonber^ für bie ©efd^id^te
be^ Äunftgemerbe* reid^e Slnfd^auungen geboten merben. ©ie um=
fajfen ben 3«toöum üom frül^eften SHittelalter bi« jum ©d^luffe ber
SRenaiffance. Unter ben ©olbfd^miebefad^en finben fid^ ßiborien,
SWonftranjen, Dfienforien, SReliquienbel^älter terfd^iebener Slrt; unter
ben ä9roniemerIen ift eine ganje ©ammlung von Slquamaniled,
Seud^tem unb ÄrujifiEen l^ertjoriulieben. Sefttere pnb fo reid^l^altig
Tjertreten, bafe fie aDe Slbflufungen uom frül^en aWittelalter bis jum
Xudgang ber gotl^ifd^en @pod^e barfleDen. @benfo finben mir unter
ben @mails äBerfe ber rl^einifd^en ©d^ule an& ber romanifd^en @pod^e
unb arbeiten ber fünfilerifd^ burd^gebilbeten Simoufiner SWeifter ber
126 S)ie fürftlic^en @ammlungen in ©igmaringen.
Slcnaiffanccjeit. 2ln bcn ©aal f^Uefecn fid^ jroei Heinere Äabinete,
ebenfaUd mit Aunflroerten angefüllt: boS eine ifl l^auptföii^Ud^ ben
3RaioIiIen gen)ibmet tinb augerbem mit fd^önen alten S^eppid^en aud^:
geflattet^ bad anbre entl^alt Slfenbeinarbeiten^ Denejianifc^e unb
beutfd^e ©läfer, emaitoerte, SJeppid^e, aWaiolifen Derf^iiebener 3lrt,
barunter aud^ fpanifd^^arabtf^e, enblid^ einen Äleinobienfd^ranf mit
!öftKd^en Slrbeiten ber @o(bfd^miebe{unft. SSßod enbUd^ nod(; bie
93ibIiotl^eI an ^anbfd^riften mit 3){iniaturen unb an 5tupfer{lid(;en
befiftt, fann l^ier nur angebeutet werben. 35ie äbfid^t biefer QtUtn
ift überl^aupt nur: auf bie reid^en Sd^äfte ber Äunft unb beö Äunft=
f)anbrotxU l^injun^eifen^ nield^e bort ju ®enug unb S3elel^rung nid^t
b(o^ aufgefpeid^ert^ fonbern gefd^madtooD angeorbnet, mit groger
Liberalität allgemein jugängUd^ gemad^t unb burd^ gebiegene 5tatas
löge Sel^nerd bem SSerftänbnig naiver gebrad^t ftnb.
@in weiterer Slnreij }um Sefud^ bei^ oberen ^onautl^aleS (iegt
o^ne f^age in ben lanbfc^aftlid^en Sd^önl^eiten^ meldte ba^felbe in
ununterbrod^ener äieil^enfolge von ©igmaringen bid Neuron bietet,
aßir warb teiber biefer ©enufe üerfümmert, benn nad^ fonnigen
aRar}tagen fd^idte ber ^immel ^agel unb @d^neeftürme ind Sanb^
bie ben Sufentl^alt im freien erfd^werten unb bie @d^önl^eit bei^
S^l^aleÄ oerfd^leierten. 35od^ gewährte eine gal^rt nad^ Swjiß'föfen
unb ein Spaziergang burd^ bie bortigen präd^tigen Einlagen mit
ben flbenafd^enben äSliden auf bie tief unten Dorbeifliegenbe 3)onau
roenigfien^ einen aSorfd^madE Don ben Oenüffen, weld^e bie SRatur
l^ier in bejferer Sa^reiJjeit bem SBanberer bereitet.
Wiivfttmhtv$ Witt» tife ItBttailJatitB.
gefirebe om 6. aRfirj 1873.
(jffaSaaxt. ». »ftaumn. 1878.)
2t.
Ibermafö ifl mir ber el^renDoHe 9luftrag geworben^ am l^eutigen
feftti^en Sage bie @eftnnung el^tfurd^töDoIIer ätnl^änglid^Iett unb
treuer Siebe jum SuSbrudf ju bringen, toeld&e ein banibareg SJoH
an ben erlaud^ten ÜRonard^en fnüpft, beffen Ianbei^t)ftterUd^eiS SBo^I^
moKen unaudgefe^t über unfrem fd^önen Sanbe xoa^t unb aud^
biefer ä(n{latt in reger S^eilnal^me fi<^ fletö fdrbemb ern)iefen l^at.
3Röge e8 nun mir, ber i^ feit g^i^ten an biefer ©tätte in be*
glüdenber SBirIfamfeit ^eimifd^ geworben bin, gemattet fein, jur
roürbigen geier biefe« gefie« eine ©eite au^ bem reid^en Kultur-
leben beS @(i^n>abenlanbei$ t)or ^^mn auf}ufd^[agen.
^ä) fül^re ©ie in eine 3eit, roeld^e glcid^ ber unfrigen tief er=
regt n^ar t)on ben Jtäntpfen um SBiebergeburt unb geiflige @rlöfung:
in Jene S^age, wo un^ ©eroijfendfrei^eit, wo un« ba« SRcd^t beö
l^orfd^eni^ auf allen @ebieten be^ beutend, bie S^eilnal[ime aKer
an ber @eißeiSarbeit ber üßenfd^l^eit enungen roaxh, äBö^renb mit
ben lauen ©fibn>inben aud ^efperien bie 5tunbe t)om Ilaffifd^en
SUtert^um, t)on feiner äBeii^l^eit unb ©d^önl^eit uni» herüber ge^
tragen mürbe, erl^ob fid^ au0 bem innerften SSoltegemütl^e ber SJrang
nad^ religiöfer äSertiefung: SRenaiffance unb Sieformation im äSunbe
prägen jener 3«^ i^'^wi gemaltigen ©tempel auf. aber mäl^renb
Stauen, granfreid^ unb ©panien, furj bie romanifd^en San ber \xö)
128 3Bürttemberg unb bie 9leiiaiffance.
auf eine aBiebergeburt ber Äünfte bcfd^rönfen, ifl SJeutfd^lanb vor
aütn berufen, beiben (Strömungen ftd^ onjuioertrauen unb baburd^
eine uniDerfeÜe @rneuerung beiS £ebeniS }u getoinnen. 2Bie biefer
Untfddroung fid^ in ber Sletigion unb ben SBiflenfii^aften DoUjogen
f)at, ift jebermann üertraut; bajs ober eine nid^t minber ttefe Um-
gefialtung int Sieid^e bed ©d^önen aud^ bei un^ errungen n)urbe,
ift big jefet weniger bead^tet roorben. SSon biefer beutfd^en SRenaiffance
XDXÜ i^ ^\)mn l^eute reben, unb par t)or}ugdn)eife fonieit äBärttem^
berg babei betl^eiligt ift.
2)ie SBieberentbedfung unb $ReubeIebung beö Kaffifd^en 3llter=
tl^umS \)at fidt) in jebem Sanbe auf felbftänbige SBeife DoIIjogen,
Sn SJeulfd^lanb tritt bei ber Äraft inbimbueüen Sebeng fogar bei
jebem ©tamme, in jebem ®an eine befonbere gorm biefer »ewegung
auf; burd^roeg aber leud^tet bei unS baiS Seftreben t)or, bie neuen
formen unfrem nationalen fieben, unfren ©eroo^nl^eiten unb ©itten
anjupaffen, ja fte mit mand^en ©lementen ber überlieferten l^eimi^
fd^en Äunfi beö 3WittelalteriS in 3luggleid^ ju fefeen. ^af)tx antife
3)etailbilbung, aber mittelaltcrlid^er ®runbri§ unb Sufbau: t)or-
tretenbe 2!reppent^ärme mit funfireid^ gefügten SBenbeljiiegen; l^erau*-
gefragte ober auf freie ©tüfeen geftettte ©rfer, bie burd^ il^ren StuiS'
blidt bie SBol^nung nad^ aßen ©eiten mit ber Umgebung ber Sanb^:
fd^aft ober ber ©tra|e in SBed^felbejug fefeen; ^od^bouten mit fteil
aufragenben ©iebeln, bie rieftgen SJäd^er burd^ befonbere ^aä)^
erfer belebt; an ben ©d^löjfern ber 3^it obenbrein bie mittelalter-
lidtie anläge mit SBaH unb ©raben unb maffig oorfpringenbeu
X^ürmen. 3)ie8 atte^ aber mirb umfleibet mit ben eblen gönnen,
welche gried^ifd^er Äunftgeift oor Salirtaufenben gefd^affen l^at, unb
bie feitbem in ber mannigfad^ roed^felnben 2luffaffung ber einjelnen
Seiten unb SBößer big auf ben l^eutigen ^ag unfer ard^iteftonifd^eS
©d^affen bel^errfd^en. $ßiafter= unb ©äulenfieHungen gliebern bie
Sßänbe, umrahmen bie g^nfter, fd^müdfen bie ^Portale; baju gefeilt
ftd^ an ©ti)Iobaten, Kapitalen, griejen, SBogeniwidfeln unb Srü^
ftungen bie ganje anmuti^ooHe Drnamentit mit £aub unb äSlumen^
nedif^en @enien unb anbrem gigürlid^en aug S^^ier^ unb aßenfd^en-
leben in bem l^eiteren ©piel, loeld^eg alle ©d^öpfungen jener ^od^c
mie mit grül^Ungg^aud^e burd^bringt.
3Bürttem6erg unb bie Stenaiffance. 129
Unb ifi'S nid^t in ber %^at ein JBöIfctlcnj, ber mit feinen
©türmen unb ©eTOittem, aber au^ mit ber attbelebenben ftraft
einer neuen ©onne jugenblid^ jene S^it burii^jittert? SJaiJ fpüren
mir in jebem IfinjMerifc^en SBerfe jener XaQt, unb ba§ ifi eiJ, wo«
uni^ biefelben tro^ mancher formalen 3Jlanid menfd^Iid^ nal^e bringt,
ajenn ©trenge, forrelte Äeinl^eit ber gorm, organifd^e SWotl^menbig::
feit bürfen wir Don jenen SBerfen nt(|t verlangen. 3Jltf)x nod^ aU
bie geifiigen ©d^ranfen ber S^it l^emmt bie SSermifd^ung ber neuen
formen mit ben alten 9lnfc^auungen^ bed 3RitteIa(teri$ mit ber
SRenaiffance; nic^t feiten wirb Aufbau unb Äonfiruftion ju einem
ißrolrufiei^bett für bie gefammte Cmamentif. aber etwa« ©rofee«
ift gerabe baburd^ biefen »auten eigen: fie pnb ber erfie aSerfud^,
bie ©d^ön^eit beg Kafpfd^en aitert^um« mit ber SBelt germanifd^en
3)enfen« unb ©mpfinben^ ju xjermäl^len, ein SSerfud^, mit un}u=
reid&enber 6rfenntni§ unb auö lüdtenl^after Slnf d^auung unternommen,
unb bod^ Don unoergänglid^er Sebeutung für unfer ftulturleben.
iJenn unabweisbar wirb fid^ biefe gorberung un« immer t)on neuem
ftetlen, unb maS unfer großer 3)id^ter in ber SBermä^lung t)on gaufl
unb igelena fo tiefjinnig auSgefprod^en l^at, mufe feine erfüHung
im Kulturleben beö beutfd^en aSolfe« finben. 9lid^t baiJ einfeitige
@ried^entl^um, nod^ oiet weniger ber einfeitige 5tuttud beS 9Ritte(-
altera fann unö frommen; nur eine p^ere S)urd^bringung unb
aSerfd^meljung be« fd^einbar ©egenfäfeUd^en.
a)ie beutfd^e SRenaijfance, jioifd&en ba§ abfierbenbe 9RittelaIter
unb bie aufblül^enbe neue 3^it gejlettt, anl^fingUd^ bem SKtüber^
lieferten unb bod^ mit Segeifterung einer mieberentbedften SBelt oon
©d^önl^eit jugetoenbet, l^at bieiS 3)oppefoer]^ältnig in aOen il^ren
©d^dpfungen auSgefprod^en. 2)ie burd^ ^anbel unb SSerfel^r, burd^
Aunft unb ©emerbe blül^enben Steid^i^fläbte, aDen ooran 92ärnberg
unb aiugSburg, finb ber ©erb biefer Bewegung, bie großen SWetfler
ber aWalerei unb a3Ubliauerei, ein S5ürer unb 5ßeter aSifd^er, bie
beibeu ^olbein, JQand 93urgfmaier unb fo mand^e anbre bred^en
i^r 93al^n; il^re ©emfilbe unb Silbwerte, nod^ melir ilire iQoljfdbnitte
unb Äupferftid^e tragen bie Sufl an ben neuen formen in meitefie
fireife. ©o erwäd^fi benn balb ein ©efd^Ied^t üon SSaumeifiern,
ba« }u ben überlieferten formen ber fpätgotl^ifd^en Äunji bie eie^
130 äBürttemberg unb bte 9lenaiffance.
mente antiler S)etoration fid^ mel^r unb nte^r jü eigen ntad^t. fttuitn
1)1 biefer Umfd^roung in ben tünftlerifd^en Areifen DoEjogen^ fo bt^
mad^tigt fid^ bai beutfii^e ^tfientl^um, bod an ben Sen)egungen
ber Qtit lebenbtgen Xntl^eU nimmt^ ber boxt eixungenen Slefuttote,
um feiner neuen 9ßfirbe einen funfUerifd^en SuSbrud )u geben.
e« ijl bejeid^nenb, bofe eine SReil^e tüd^tiget, rool^Igefinnter gürfien
überatt ju jener Qtit in S)eutfd^lanb afö görberer be^ geiftigen unb
materiellen fiebcn^, befonber^ aber alö eifrige ®önner ber SRenaijfance^
funfl auftreten.
SBir muffen ba» beutfd&e gürftent^um jener Seit njo^I unter--
fd^eiben Don bem entarteten he& 17. 3al[ir^unbertö. STOit bem ©nbe
be« breifeigiäl^rigen Äriege§, ber 2)eutfd^Ianb erfd^opft unb jerrüttet
l^interUefe, fommt faft ol^ne au^nal^me an ben ^öfen jene au3=
länberei jur ^errfd^aft, bie in ber SRad^äffung ber ©ittenloftgfeit
beg fiofeg t)on SSerfaiKe^ i^re auÄfd^Ue^Iid^e Äutturmifpan, in jugeU
lofer aSergnügungiJfud^t bie einjige SRegentenpflid^t erfennt.
aSie ber fränjöjifd^e 3^i^90" feitbem ald allein bered^tigter
ausbrudf t)on SSomel^m^eit galt, fo mar bie gefammte Äunft ber
3eit, fei e^ in ben pral)lerifd^ aufgebaufd&ten formen Subwig^ XIV.
ober in ben foquett oerbul^Iten ©d^nörfeln fiubioigS XV., nur
bem raffinirten fieben^genufe einer ejimirten ©efellfd^aft^flaffe ge-
mibmet.
Slu^Iänbifd^e, meift franjöfifd^e Äünftler bauten jene riefigen
^prad^tfd^UJjfer, roeld^e ba^ lefete SKarf beiJ au^gefogenen fianbeS
t)erie^rten, jene fieifen ©arten mit il^ren Springbrunnen unb ©ta^
tuen, jene ^l^eater, in weld^en italienifd^e unb franjöfifd^e Opern
unb SBaüette mit il^ren SluSftattungöfilnften bie abgeflumpften 3fler=
oen erregten, ffiine affeftirte ©hilptur mit il^ren fü^lid^en ättitüben,
eine manierirte 9}2alerei, äugerlid^ unb innerlid^ gefd^minft, gefeDte
fic^ baju. @^ märe ungered^t, }u leugnen, baB aud^i bamal^ mand^
]^ert)orragenbeg aSBerl ber Slrd^iteftur gefd^affen würbe; aber e« mar
bod^ eine ungefunbe Slütl^e, nur oon friooler aBittfür l^eroorgelodft,
bem geifiigen fieben, ben materiellen Sebürfniffen be^ SBoIfeS tnU
frembet. 2)ag SBürgertl^um felbft aber, ja bie ganje Station lag in
geifliger Cl^nmad^t, unfäl^ig fid^ fflnftlerifd^ ju ergeben, unb erft in
ber SRuftt unb ber ^oefte ertoad^te bie SSolföfeele aud langem
2ßürttem6erg unb bie SRenatffance. 131
©d^lummcr. SBol^I burftc einet unfrer ebelften 3)id^ter am ßnbe
iener ©pod^e bcm beutfd^en ©eniuS jurufen:
Slingc, 2)eutWer, nacj römitc^cr Äraft, ncu^ gttecjifc^er ©cjönljeit!
»eibed gelang bir; boc^ nie gläctte ber gaaif^e @prung. —
@ani anbete bad fed^jel^nte S^^^^tl^unbert. Xa& 93ürgertl^um,
nod& im aSoDbefiö feiner Äraft unb ©clbftanbigfeit, bie gütte lünfts
lerijii^en ©eifie^ unb l^anbipetflid^er 2;ü^tigfeit in ©d^öpfungen
jufammenfaffenb, roeld^e ben ©tolj reid^^ftäbtifd^er Unab^dngigfcit
mad^tDoQ unb ebe( auiSfpred^en. ^urd^ ganj S)eutfd^Ianb ein SBett-
eifer in Umgeftaltung ober im SReubau ber Slatl^l^äufer, fei t&, bafe
man bie alten ®ebäube mit 3lrtaben^ £auben unb SBorl^aaen präd^tig
fd^müdft, mie ju 33remen, fiübed, Äöln, Semgo, igalberfiabt, ober
bafe man in großem ©inn neue ©ebäube errid^tet, wie in SRotl^en--
bürg, Slürnberg, äugSburg, ©d^weinfurt, SWünben, aitenburg,
5ßaberborn, ober enblid^ bafe man baS ^tintte im ©inn ber 3«^*
mit jierlid^em ©etäfel, fd^önen 35edEen unb pr&d^tigem Oerät^ im
@tU ber ^enaiffance auiSftattet.
3li(i)t minber reid^ entfaltet ftd^ ber bfirgerlid^e ^rioatbau.
S)a^ SBol^nl^auS mit feinem l^ol^en, meift gegen bie ©tra&e ge-
menbeten ©iebel unb feinen luftig gefd^müdften ©rlern Derlünbet
nad^ äugen ben gebiegenen 3Bo^(flanb feineiS SBefigeriS, tuäl^renb im
3nnem ber l^ol^e l^ette glur. Der arfabenumgebene iQof, bie fiattUd^
betorirten ßi^n^er unb ©äle anl^eimelnbed 93e]^agen n)eden. 3to(S)
cr^öl^t wirb bagfelbe burd^ bie güHe föflli^er 2luÄfiattung in ge-
täfelten S)edEen unb aSBänben, in buntbemalten ^nfiem unb Defen,
in jeber 9lrt tion ^audratli, burd^ n)eld^en ba^ gefammte jtunfl^anb^
wert ber 3eit/ ber ©totj unfrer geroerbfleij^igen ©tobte, ftd^ auf
nie wieber erreid^ter jQö^e }eigt
"Sloäf mel^r verrat^ ba^ f^ürftentl^um biefer Spod^e ein anbred
©eprage. ^auptfäd^lid^ burd^ görberung ber Sieformation, in ein*
}elnen gäDen, mie bei ben baperifd^en ^ei^ogen, aud^ hux6) ^^
tampfung berfelben ju isolier Unab^ängigteit gelangt, ermad^fen i^m
aus ber neuen äRad^t eine f^üUe mid^tiger älufgaben. gafi überall
finben nrir täd^tige, burd^ Ginftd^t unb X^attraft l^eroorragenbe
gürflen, bie bo* trligiöfe Seben neu orbnen, baS ©d^ulroefen pflegen
132 SSürttemberg unb bie SRenaiffonce.
unb bcn ©runb ju einer beffcren SBoIföbilbung fegen, bie SBiffen?
fd^aftcn burd^ Slcugrünbung t)on Uniüerfitötcn ober jeitgemäfee Um^
geftaltung ber beftel^enben förbern, baö ftaatUd^e fieben monard^ifd^
organifiren, aSertoaltung unb 3led^tiJpflege auf neuer ©runblage aufs
bauen. Unb überall finben mx biefelben gürfien eifrig bemüht,
burd^ fflnfllerifd^e Untemel^mungen i^re ^Regierung }u Dereioigen.
Stid^t blofe neue wol^nlid^e ©d^löffer errid^ten fle, bie mit il^ren
3iergärten, ©ewäd^^« unb ßuftl^äufern ben Olanj eine^ in ebler
Sitbung fortfd^reitenbenfierrfd&ergefd^led^ö t)erfünben; fonbern auc^
in äuffiil^rung t)on SlegierungS- unb aSerwaltungggebäuben, von
Sd^ulen unb Äird^en, von ®t)mnafien unb Uniueriitäten, in ber
Einlage t)on ©trafen unb jtanälen, in ber Sd^iffbarmad^ung von
glüjfen, ja enblic^ in ber ©rünbung ganjer ©täbte forgen fie lanbe«*
Däterlid^ für baiS geiftige unb materieSe äßo^I il^reS SSoUei^.
35ie ©d^Iöjfer vox allen S)ingen finb ein fprcd^enber Slu^brudf
bamaliger ©eftttung. S)ie ^^eater, weld^e in ber folgenben @pod^e
eine fo ]^erx)orragenbe 9floIIe im ©d^logbau fpielen, finben l^ier no($
feinen ?ßlaft. SRiemal^ bagegen fel^It eine geräumige f^ön bieponirte
©djIofefapeUe, mit einer Gmpore für bie fürftlid^en ^errfd^aften
unb mit ©alerien für ba^ (Sefolge unb bie S)ienerfd^aft. S:ag alte
©d^lofe in ©tuttgart, bie ©d^löffer ju fieiligenberg, SBeifer^l^eim,
©d^mallalben, ©eile unb nod^ mand^ anbre Sauten bieten fd^öne
Seifpiele fold^er anlagen.
3lü>tn ber Jtapelle ifl ber 93anfettfaal ein ni^t minber mid^tiged
@rforbernife bamaliger ©d&löffcr. 3)ie 3^it w)ar nid^t bloß ftarf
im aSeten, fonbern aud^ im @ffen unb S^rinfen. £e|tere§, in arge
Unmä^igfeit au^artenb, t)on altera l^er ein beutfd^eS 9lationallafter,
ftanb bamafe in üppigjier S3lüt^e. Slod^ t)erbanb ein SRefl patri^
qrd&alifd^cr ©itte ben gürfien mit fei?ier ganjcn ©efolgfd^aft; an
ja^lreid[ien langen S^afeln mürben aHtäglid^ in ben ©d^löffern
^unbcrte t)on ^ofleuten, Beamten unb SDienern gefpeifi. ©o be^
greift man mo^l bie Unentbel^rlid^feit riefiger Sanfettfäle. ©nblid^
in ben ©d^lo^pfen mit i^ren älrfaben tummelte ftd^ bad gan}e bunte
fieben jener S^age, unb nid^t feiten fanben l^ier jene ritterlid^en
Äampfipiele ftatt, meldte fid^ ebenfaDtö afe SReft einer früheren ©e^
fittung in bie neue S^it oererbt l^atten.
SBürttem&erg unb bic Sflcnaiffance. 133
3)ic fc^önftcn SRcndffanccfd^Iöffcr S)cutfc^Ianb«, foroeit ftc nod^
erhalten geblieben, finb mit ben SRamen ber auiSgejeid^netften ^iirflen
jener S^ii perfnüpft. 3ln ben trefftid^en Otto ^einrid^ von ber
fßfal} erinnert nid^t blo§ ber nad^ i^m benannte ebelftc 2:^eil be«
iöeibelberger ©d^Ioffeö, fonbern auc^ baö gewaltige ©d^lofe ju SReu=
bürg an ber S)onau. griebrid^ IL t)on fiiegnift, einer ber tüd^tigfien
gürften ber 3^**/ ebenfo mannl^aft ate einfid&tiStJoII, erbaute ba^
©d^lo§ in fiiegnift mit bem fd^ön erhaltenen, frafttjoll gefd^müdften
^portal. S)a^ SBirfen feinet nid^t minber gebiegenen ©o^ne§
®eorg II. erfennt man trofe aller 3^tftörung in ben großartigen
Srtaben unb bem äberreid^ betorirten ^ortalbau bed ^iaflenfd^loffeiS
ju Srieg; ber pra^tliebenbe Soad^im n. t)on Sranbenburg erneuert
baÄ ©d&lofe in »erlin, ba^ nod^ im fpäteren Umbau fd^öne SRefte
jener 3eit entl^alt. SSon Sol^ann griebrid^ bem Orofemfit^igen jeugt
ber impofante 83au be§ ©d^lofleiJ von J^orgau mit ber präd^tigen
greitreppe, ben ©rfem, bem SRitterfaal unb ber menige 3a^re Dor
ber t)erl(ängnifet)ollen ©d^lad^t bei SRül^lberg eingeioeil^ten Äapelle;
t)on feinem unglüdtlid^en ©ol^ne Qol^ann griebrid^ bem aWittleren
rül^ren bie fd^önjien 2;^eile ber fielbburg mit iliren feinbeforirten
erfern. S)ie Äurfürften ÜRorife unb SHugufi von ©ad^fen finb burd^
ben ©d^lofebau in SJre^ben mit feiner Soggia unb ben oier eleganten
SBenbettreppen xjertreten.
SBeiter im SRorben wirb bie 3lenaiffance burd^ ben treffli^en
fierjog Sol^ann Sllbred^t von aWedtlenburg in ben originellen öadt^
fteinbauten beS gürftenl^ofeg ju SBi^mar unb beg ©d^lojfeiS ju
©d^werin eingeführt, mäl^renb fein Sruber Ulrid^ ben im SBefent^
lid^en nod^ mol^ler^altenen ^rad^tbau be^ ©d^loffe^ ju ©üfirom
€rrid[|tet. 35er eble ißerjog Sutiu^ t)on Sraunfd^meig unb fein lioc^-
gebilbeter ©ol^n fieinrid^ S^liwS ftiften bagegen in bem Unioerfität^^
bau }u ißelmftäbt unb ber SWarienürd^e ju SBolfcnbüttel prad^tüoHc
S)enfmäler für bie ibealen Sebürfniffe beiS SebenS. aUe biefe
gürften unb nod^ mand^' anbrc, mie SBil^elm ber SBeife t)on Reffen,
üon meld^em bie l^alb jerftörte ^rad^t bed ©d^loffeg ju ©d^mal=
falben jeugt, ftnb jugleid^ görberer ber SReformation, wie benn in
biefen Äreifen bamatö in erfier fiinie bie 5ßflcge be« geiftigen SebenS
ber SRation rul^t.
134 SBürttemberg unb bie Slenaiffance.
Sßon bcn totJ^oIifd^en gurjlcn fielet bcr Äarbinal erjbifd^of
Sllbred^t von »ranbcnburg burd^ feine »autcn in 2Rainj unb i&alle
mit unter ben erftcn görberern ber 3lenaiffance. SRic^t niinber
^aben bie bapctifd^en fierjoge SBU^elm IV., aibred^t V. unb am
©d^lu§ ber ßpoi^e Äurfürji aKajimiüan I. burd^ bie glänjenben
SBauten in aWünd^cn, Sanbgl^ut unb auf ber 2;raugni6 fi(§ atö
greunbe ber neuen Äunfi enoiefen. SJon ben ^absburgern ifl eiS
im Anfang ber @pod&e aUajimilian L, fpäter gerbinanb L, bie burd^
fünfilerifd^e Unternehmungen, wie ba^ ©rabmal ju Snn^brudf unb
ba§ 93elt)ebere }U $rag, fid^ an ber @infä^rung ber SRenaiffance
bet^ei(igen, unb nod^ am Sd^Iug ber @po^e n)irft über bie Der::
büfierten 9Cage SRuboIp^S IL bie greube an ©d^öpfungcn ber Äunfl
mie ein uerflärenbeS abenblid^t einen tröjilid^en ©d^ein.
• galten mir nun in unfren engeren mürttembergifd&en ©renjen
Umfd^au, fo ^aben n^ir Dormeg ju !onfiatiren, bag bamalS in
ftäbtif^en, bürgerlid^en Greifen bie Äunft ber 3lenaijfance liier nur
mäßige ^örberung erfal^ren })at SBol^I gehören gemijfe 2;^eile be^
9lat^^aufei^ }u Ulm, mo^l ge^Srt ber impofante ^^urm ber ^aupt-
fir^e JU igeilbronn mit feinen feltfamen formen ju ben frül^eften
SBerfcn beutfd^er SRenaiffance; roo^l jeigen in ^eilbronn bie jüngeren
2:i^eile be§ 3iat^l^aufe§ unb in Ulm mand^e ftattlid^e SBürgerfiäufer
mit fd^ön erl^altenen 3:afetungen unb J)e(Ien lebenbigen Sinn für
fünfWerifd^en ©d^mudE be^ S)afcin§; rool^l läßt Tid^ aud^ in aubern
©täbten be§ SanbeiS mand^e^ an loereinjelten ©puren nad^roeifen.
SBoQte id^ mid^ l^ier nid^t auf ällt-SSürttemberg befd^ränlen, fo tuären
namentlid^ in ben fränüfd^en SanbeSt^eilen bie anfel^nlid^en ]^o^en=
lol^ifd^en ©d^löjfer ju SWeuenftein mit feinen !raftx)oIlen ber ©pätjeit
angeprigen gormen, ju SEBeiferi^l^eim mit bem impofanten reid^
beforirten »anfettfaal, ber intereffanten Äapette unb ben nod() im
falben SBerfall präd^tigen ©artenanlagen l^erporjul^eben. 3lid^t
minber baS ehemalige S)eutf^orben§fd^lo6 ju SDlergent^eim, beffeit
beibe ^errlid^ gefd^müdftc SBcnbeltreppen faum il^reiJgleid^en in
SJeutfd^lanb finben. Sber namentlid^ bie jefeige ^auptftabt be»
SanbciS Derrätl^ burd^ bie Slermlid^feit i^rer ftdbtifd^en Sauten auS
jener (Spod^e ben untergeorbneten B^ftö^i^ i^^^^ bamatigen Sürger=
t^umg, unb befonberS in bcr auSfd^liefelid^en 5ßflege eineg bürftigen
äBürttemberg unb bie SHenaiffance. 135
gad^wer!bauci8, bcr weit entfernt ijl tjon bet prac^tDoHen fünji=
tcrifii^en Slu^bilbung ber fioljbauten am 3l^ein, in SBeftfalen unb
{Riebetfad^fen, offenbart jid^ eine gewijfe 3lrmfeltflfeit beö bamaliflen
Sebenö. SBenn wir gleid^rool^l bel^aupten bürfen, ha% aSürttemberg
in ber 3lu3bilbung ber beutfd^en Sflenaiffance ju ben roid^tigflen
^roDinjen SJeutfd&lanb^ gel^ört, fo ifl bamit gegeben, bafe wir auf
bag SBirfen ber gürjlen ^ingeroiefen pnb. 3n ber 2;i^at t)erbanft
ni^t blofe bie ^auptfiabt, fonbem baS ganje Sanb ber Äunfiliebe
unb bem SKonumentalftnn feiner ipenfd^er eine SRei^e DorjügUd^er
S)enlmdler,
S)er änfang biefer Seroegung fnüpft fid^ an bie leiben^üotte
^Regierung be^ trefflid^ begabten ^erjogiS Ulrid^, ber fd^on 1507
mit bem großartigen Umbau bed @d^Io{fed )u Tübingen begann,
bann aber jene lange Sieil^e fd^werer Saläre über pd^ unb ba8 Sanb
brad^te, bie, burd^ feinen leibenfd^aftUd^en Ungefltlm l^erbeigefiil^rt,
mit ber aSertreibung beiJ $er}og§ unb einer öjlerreid^ifd^en Stbrnini?
flration beS fianbe^ enbeten. itaum aber war ber burd^ fd^were
©d^idtfale geprüfte unb geläuterte gürft in« ßanb jurüdfgefel^rt, fo
brad^te er bie ^Reformation jur 3)urd^fül^rung, gab ber Uniuerfität
eine zeitgemäße Umgeflaltung unb verwenbete bie eingezogenen
Äloftergüter ju Äird^em unb ©d^uljwedfen. S^qUx^ griff er aud^
ju erneuter Saut^atigfeit. aJlit feinem Saumeifiea^ ^einj T)on Sutl^er
unb einem Don S)armfiabt berufenen ÜReifier Saltl^afar fam er felbft
nad^ Tübingen unb (ieß ben unterbrod^enen @d^Ioßbau wieber auf^
nel^men. 9lod^ jeugen im innem ^ofe bie l^übfd^en portale, bie
{leineme äßenbetfiiege unb ber mäd^tige @aal mit feinem groß-
artigen (grferbau, ber weitl^in ba§ fd^öne %f)al bel^errfd^t, oon ioer=
jog Ulrid^iJ Saut^atigfeit; aber jugleid^ erfennt man in ber pljernen
aSerbinbungiSgalerie bie 3?ad^wirlung ber befd^eibenen Slnfd^auungen
einer früheren 3cit. SSon ber inneren Sugflattung gel^ören oieffeid^t
einige fioljtäfelungen unb 2:^ären in biefelbe ©pod^e. gür bie
9flegierungi5be^örben erbaute ber $erjog in Stuttgart bie alte Äanjs
lei, unb jwar ben öfilid^en gegen bag alte ©d^loß gewenbeten 2!]^eil,
in fd^Iid^tem »rudöfieingemouer aufgefül^rt, aber burd^ ein elegante«
portal, fteineme SBenbeltreppe unb fd&öne SRippengewölbe im Innern
bemerlendwertl^.
136 9Bütttem6erg unb bie S^enaiffonce.
Sieg bie t)ielfad^ jerriffene 9iegierung<S}eit ^erjog Ulriii^d teine
burd^flteifenbere ^Pflege ber Äünfle ju, fo entfaltete pd^ unter bem
ntilben^ frieblid^en ioerjog (El^riftopl^^ $anb in ^anb mit ber ^är^:
forge für bie materieUe unb geiflige äBol^Ifal^rt bed £anbei^^ für
äluiSbilbung bed fiaatlid^en DrganüSntuiS^ für feflere Drbnung ber
lird&Iid^en SBerl^&Itniffe, für umfaffenbe SBegrünbung be« aSolföfd^u^
tiefend, au^ boS tünfUerifd^e Seben ju l^ol^er SSebeutung. SBai^
unter feinem SSater t)ie(fad^ nod^ bad @eprage ber blojsen Slotl^burft
trägt^ getDinnt unter ber Pflege biefeS eblen ^rflen bie Sßei^e ber
©d^önl^eit, ben Sl^arafter eines feftttd^en ®lan)ed. @eit 1553 er-
baute er'burd^ 2ttbred^t ober Slberlin SJretfd^ bie brei neuen glügel
beS alten @d^Io{fei& )u Stuttgart^ n^etd^e fic^ an ben nad^ Cften
getDenbeten l^od^ragenben älteren 93au bei^ SnittelalterS anfd^liegen.
3to^ je^t gel^Sren bie ftattlid^en 3lr{aben bed ^ofed mit il^ren traft-
DoKen Säulen / bie beiben Sreppentl^ürme mit il^ren fd^ön ton-
firuirten SBenbelfiiegen, enblid^ bie breite unb bequeme SReitfd^nedfe,
n^eld^e SSlaftüs SBermart auf Sefel^l be» ^erjogiS nad^ bem ^fter
einer im bifd^öflid^en @d^Iog ju ^iQingen Dorl^anbenen audgefül^rt
l^at/ 2U ben fd^önften äBerten unfrer ?ienaiffance. 3lud^ bie neuer-
bingiJ »iebcrl^ergefiellte Äapette bilbet einen 2;^eil biefer anläge.
3!)aÄ ©d^lol jeigt ben SRenaijfancejHl fd^on in freier felbftänbiger
®ntfaltung, in gebiegener, ted^nifd^ fidlerer SluSfül^rung; aber über
ben fünftlerifd^en formen liegt nod^ eine gewiffe Strenge, bie bem
(Sanjen baS ©cpräge ebcl gel^altener männlid^er Äraft Derlei^t.
©eltfam bijarr bagegen fprid^t fid^ bie SRenaiffance am ^portale beS
©d^loffeö ju Oöppingen au«, mä^renb bie großartige 3Benbeltreppe,
oöttig mit plaftifd^en Silbroerfen bebedft, bie erfte $ßrobe einer ju
üppiger ^rad^t {id^ entfaltenben jtunft geroäl^rt.
3n ber 2^^at fd^eint bamalS ein SBenbepunft in ber ©ntfaltung
ber mürttembergifd^en Slrd^itettur eingetreten }u fein. S)ie ad^tje^n
ruhigen SRegierung^ja^re ^erjog E^riftopl^iJ waren unter einer roo^U
rooHenben, geiftig regfamen fierrfd^aft ganj geeignet, bie ©aaten
einer fd^on lange gepflegten Äultur jur reid^eren Slüt^e ju bringen,
©d^on feit bem iUlittelalter l^atte fid^ im ganzen £anbe an jal^l-
reid^en Aird^enbauten eine tüd^tige ©d^ule oon ©teinme^en unb
Silb^auern entroidteln lönnen. 2)er plajiifd^e ©d^mudt ber graucn=
SBürtiemberg unb bie Stenaiffance. 137
txxäfz ju efelingen, ber ftrcuifitd^c ju ©rnünb, bcr ©tift^fird^c ju
©tuttgart, bed aWfinfterö )u Ulm unb fo mand^er anbcm SBerfe,
aber auä) einjclne beforattec 5ßra(i^tjiü(fc, wie ber aWarftbrunnen
unb ber eble 2:aufftein ju Urad^, ba« großartige ©aframentögel^äufe
int SDWlnfier ju Ulm, baS l^eiKge ®rab unb ber 2:aufftein in ber
SRarienfird^e ju ^Reutlingen, beibe uon einer geiflreid^en grifd^e ber
anläge unb einer gein^eit ber auSfül^rung, wie wenige gleid^jeitige
Slrbeiten in 3)eutfd^lanb; bie trefflid^e Äanjel in ber ©tiftäfird^e
ju ©tuttgart, bie auiSgeseid^neten e^iguren be^ Delberged bei ber
£eon^arbSlird^e : bad aKed unb fo oiele anbre ä^nlid^e ©d^öpfungen
fte&en bie bamalige fd^wäbifd^e ^lafHI in bie erfle 9tei^e unter ben
©d^ulen ^eutfd^lanbi». SEBetd^e 3Reifterfd^aft ber jtompofttion, meldte
@en)anbtl^eit bei» SReijsete, meld^ feinet ©d^önl^eitdgefül^l in biefen
aSerfen! 2Bie fprid^t fid& barin eine lang gepflegte, im ganjen Sanb
verbreitete etnl^eimifd^e ©d^ule lebeniSooU aui^!
3u biefer 2;rabition war nun in ber erfien $älfte be§ fed^^^
jel^nten Sal^rl^unbert« bie »etanntfd^aft mit ben flafpfd^en gormen
gefommen; anfangt Dereinjelt, unfld^er unb fd^üd^tern, bann in
freierer 2lufnal^me unb fidlerer Selianblung, bid enblid^ unter ber
©unft frieblid^er 3^ih)W^fittniffc ^i^ 83lüt^e ber SRenaiffance pd^ in
t^oOer ^rad^t erfd^liegen lonnte. ©o ftnben wir benn im £aufe
ber Siegierung S^rjog C^jciftop^S eine reid^e Sautl^ätigfeit entfaltet.
3n 2;übingen wirb ber ©d^loftbau weiter fortgefe|t; anbre Sauten
im Sanbe reil^en ftd^ baran; in ©tuttgart erl^ält bie Äanjlei i^re
aSergrö&erung mit einem jweiten portal unb S^reppenl^aufe. S)er
2Bürttembergifd^e $of fängt an, neben bem 5ßfäl}ifd^en eine ä^nlid^e
©tettung cinjunel^men, wie in SRorbbeutfd^lanb ber ©äd^pfd&e. ©o=
gar nad^ ^eibelberg werben für bie Sauten, mit weld^en ^Jriebrid^ IL
bag ©d^toß fd^müdfte, ©tudatoren („Spf^t") erbeten, weil man fold^c
in ber ^ßfatj ni^t jur Verfügung l^abe. 3)er 3Warfgraf ©eorg
griebrid^ oon Sranbenburg*6ulmbad& erbittet fid^ für feine Sauten
auf ber ?ßlaffenburg ben aJleifler äberlin ^retfd^ oon $erjog 6^ri=
flopl^, um für feine angefangenen SBerfe i^m 3iat^ ju geben unb
Sifirungen ju entwerfen. 2)a aber ^erjog ß^rifiop^ feinen Sau=
meifter nid^t auf bie S)auer entbehren fann, fo fenbet er auf ben
SBunfd^ be« 3)iarfgrafen ben Slafiuö Serroart auf jwei 3a^re, um
138 Württemberg unb bte 9lenaiffance.
tl^m bei feinem ©d^Io^au ju l^elfen. 3"8l^i<ä^ ermangelt ber fierjog
nid^t, bem SRarfgrafen ein ejemplar feiner Sauorbnung mitjufd^idfen.
iUeHeid^t ^aben bie Stuttgarter 9Reifier ^^l^eil an ben ^errlid^en
^pfeilerl^aHen, meldte ben innern fiof ber 5ßlaifenburg umgeben.
3ur t)otten ©ntfaltung fommt nun biefer ©til unter bem from=
men, leutfetigen S^OÖ Subroig, ber in feiner ffinfunbjmanäigid^rv=
gen SRegierung bie SRenaiffance in 2Bürttemberg jur l^öd^fien SBoDt
enbung führte. Unter il^m erreicht fie il^re ganje beforatiue $ßrad^t,
eine ^^ttli^Uit unb Slnmutl^ ber Drnamentif, bie auf oirtuofen?
^after Sel^anblung beiJ feinfömigen ©anbfteineiJ, anberfeitS auf
ber pd^cren Äenntnife unb freien aSermenbung ber gormenroelt biefe^
©tile§ berul^t. SBol^l at^mcn biefe SBerfc nid^t me^r bie feine
®rajie ber grü^renaiffance, mol^I pulji in il^nen fd^on baS Slut
einer ilppigeren, berbercn S^it; »ol^t mifd^en fic^ in bie flaffifd^cn
formen bie Elemente be^ beginnenben SarodEfiifö mit il^ren fraufen
©d^nör!eln, bem aiaJ^men- unb Äartufd^enmerf, ben jerfd^nittenen
unb auf gero Uten Säubern. Slber für bie mangelnbe Sieinl^eit, bie
bamate überaß au^ ber 3lrd^iteftur gefd^munben mar, entfd^äbigen
fie burd^ S^f^^ ^^^ ©rfinbung unb leben^iootte SBärme ber 3lug=
fül^rung. ©0 fprid^t fid^ biefer ©til in bem prad^tDoHen Sllabafter-
farlopl^ag ^erjog Subroigg im 6^or ber ©tiftsfird^e ju 2;übingen,
nid^t minber in bem faft ebenfo reid^en ©rabmal feiner ©emal^Kn
JDorot^ea Urfula auiJ. Seibe flnb von einem ein^eimifd^en aJleifler
e^riflopl^ ^tlxn von Tübingen gearbeitet, mie früher unter ^erjog
©^rijlopl^ bie eblen ©rabm&ler beÄ ©rafen Submig unb feiner ®e=
mal^Iin aJled^tl^ilbiS von SKeifier S^fepl^ von Urad^ gefertigt morben
maren. Sefonberg elegant aber offenbart fid^ biefer ©tU in ber
auSgejeid^neten SReil^enfolge üon gürftenbilbern feineö ^aufe^, mit
meldten ^erjog fiubmig ben G^or ber ©tiftiSfird^e in ©tuttgart
fd^müdten lie^.
3lber aud^ eine anfel^nlid^e 3^^! i>on Sauten tjerbanft ilim i^rc
©ntfiel^ung. 2tn ba^ ©d^Io§ ju ©tuttgart fügte er in trefflid&em
Duaberbau bie beiben gemaltigen SRunbtl^ürme, meldte nad^ Siorb:^
often gegen bie ^lanie unb nad^ ©übmeften gegen bie ©tift^ürd^e
ben 33au flanfiren. 3n Tübingen tragen bie beiben ©ingang^portale
beS innern ©d^lofe^ofe« ba§ SJatum unb bie reid^en formen feinet
9Bürttem6erg unb bie Sfienaiffance. 139
3eit. ©urd^ feinen 33aumeifter ©eorg SBe^r liefe er ebenbott ba^
ßolleflium iffufire, baS jeftige lat^olifd&e ÄontJift, errid^ten, ein fd^Iid^^
te« SBerl, nur burd^ bie elegante Snfd^rifttafel unb bag SBai)pen
über bem 5ßortal unb efiemate burd^ bie ärlaben be« ^ofe^ be=
merlenSroert]^. SHe SRuinen beS t)on ben franjöfifd^en aKorbbrenner=
f(^aren eingeäfd^erten Sagbfd^lojfe^ ju ^irfau jeigen ebenfalls bie
formen feiner 3^it/ wnb in Stuttgart gel^ört bag elegante, leiber
ber 3ctftörung anl^eimfaHenbe ?ßortaI in ber Äanjieifirafee ju ben
SBauten, rotl^t unter feiner aiegierung am Sanbfd^aftSl^aug au§=
geführt würben.
58on ber inneren äuiSfiattung aller biefer fürftlid^en Sauten x\t
bx^ auf jene oben erwähnten geringen 3lefie im ©d^lofe ju Tübingen
fo gut roie nid^tiS erhalten. 2)ennod^ mufe biefelbe fel^r reld^ geroefen
fein. SBom alten ©d^Iofe ju Stuttgart töijfen wir, bafe e^ mit figu=
rirten fieinemen gufeböben, fd^ön getäfelten unb gcfd^niftten ©etfen,
föfttid^en Tapeten in ©eibe unb SBotte gefd^müdft war. fierjog
G^rijiop]^ liefe t)ier 3al^re vox feinem 3^obe ben „S)appijierer unb
.^atronenmaler" Salob von GarmiS auö Äöln fommen, ber nad^
entwürfen eines nieberlänbifd^en 9JlalerS SlifolauS t)on Orlep jroeis
unbjroanjig ©emäd^er beiS ©d^loffe« mit ^eppid^en auöftattete, roeld^e
biblifd&e ©efd^id^ten barfteHten. aWufete man für biefe SBerle eine«
pl^eren SujuiS aui^roärtige Äünfiler l^eranjiel^en, fo fel^lte e§ ba^
gegen für bie in SDeutfd^lanb fo beliebte fioljoertäfelung ber SBanbe
unb S)e(fen nid^t an einl^eimifd^en ÜReifiem. Satte bie ©d^nifthinft
ja fd^on frül^er in unfrem Sanbe OlanjDoIleÄ geleiftet: ben Setjlul^l
fierjog (Sberl^arbg im 33art ju Urad^, über alleS ^inauS bie grofe^
artigen, nirgenbg roieber erreid^ten Gl^orftü^le beiS älteren ^örg
©prlin im Ulmer aRünfter, bann bie 2lltare in ber Älofterfird^e ju
83laubeuren, ber 3o^anniiSfird&e ju ®münb, ber Äilianöfird^e ju
iQeilbronn, unb fo mand^ anbreS S33erf, aUeS nod^ in ben formen
be« SWittelalterS. S)afe aber aud^ bie 9lenai<fance in biefer S^ed^nit
aSorjüglid^eS bei unS leifiete, beroeifen bie 6^orjlül^le unb ©mporen^
brüftungen in ber ©pitalHrd^e ju Ulm, bie präd^tig gefd^niftten
portale beiJ bortigen aRünficriS unb mel^r nod^ bie eleganten S)edfen
itnb ^^üren beS ei^inger §ofeg bafelbft. SDlit fold^en SBerfen muffen
wxx im ®eifie unfre alten SRenaiffancebauten burd^roeg au^fiatten.
140 SQßürttcmberg unb bic Äcnaiffttnce.
älDe äbrigen @d^öpfungen ^etiog SubiDigiB überbot aber ber
»au beö neuen ßuftl^aufe^, weld^en SReifter ©eorg SSe^r 1593 nad^
fiebjel^niäl^rtger Saufü^rung tjoffenbete. 9Bir bürfen bieg SEBerf
nid^t blofe afe bie Ärone ber Stenaiffancebauten 9Bürttemberg§/
fonbern ate eines ber ebelften ^uroele ber gefammten beutfd^en
SRenaijfance bejeid^nen; ja wag ©enialität ber Äonjeption unb 9ieid^=
tl^um ber S)urd&bilbung betrifft, mag fid^ fd^roerlid^ ein jweiteS SBert
ber ganjen @pod^e bie«feiti8 ber aipen mit il^m meffen, wenn e§
aud^ an einfad^em 9lbel ber formen von mand^em überboten n)irb.
Seiber ^at unfer S^^^^^wni^crt in unbegreiflid^em SBanbaKSmuS ben
33au öemid^tet; attein burd^ bie begeifterte Eingabe eine« roadferen
ftünftler« (85ei«bart^) ift er unö wenigften« in erfd^öpfenben 9luf=
nal^men erhalten.
SBelanntlid^ bilbete baS Grbgefd^ofe eine gewölbte ißaHe, au^
beren ©äulen fid^ SBafferflral^len in brei quabratifd^e SedEen ergoffen,
um weld&e fd^öngepflajterte ©änge in ber ganjen Sdnge unb Sreite
beS SaueiJ pd^ erftredften. SBeld^ erfrifd^enbe Sabung für bie ^eifeen
©ommertage in ber ©tidEluft unfrei eingefd^Iojfenen a;i^alfejfete!
Sfufeen aber jogen fid^ um ben ganjen SBau auf fd^Ianten ©aufen«
ftettungen Slrtaben, über roeld^en im obern ©efd&ofe eine offene, oon
fflalufiraben eingefaßte ©alerie einen ä^nlid&en freien Umgang bot.
Sttuf ben oier ßdfen fprangen paoillonartig runbe X^ürme por mit
großen geroölbten 3ininiern, xmten unb oben mit ben Umgängen,
burd^ biefe mit bem Innern in SBerbinbung ftel^enb, burd^ breite
genfler nad^ allen ©eiten StuSblidfe inis ®rüne, auf ben anfioßenben
Sufigarten unb bie benad^barten Saugruppen gewäl^renb. 3n ber
a)iitte ber Sangfeiten fül^rteu boppelte greitreppen auf luftigen
©äulenfieHungen jum oberen ©efd^oß empor, bai8 in feiner ganjen
SKuSbel^nung oon einem einjigen geftfaale, 200 guß lang, bei 30
guß SBreite, eingenommen rourbe. SRidEit bloß ba& funftootte $änge=
rocrl ber frei über bem SRaume in gorm eineiJ J^onnengeroolbeS
fd^roebenbcn S)e(fe, fonbern aud^ bie reid^e äugftattung mit SBilb^
werfen unb ©emälben enegte bie geredete Serounberung ber ^tiU
genoffen, ginbet fid^ bod^ unter ben nod& oorl^anbenen ©tubien=
blättern einei^ bamaligen SRürnberger Saumeifter« eine bis in bie
einjell^eiten ber S)ad^fonfiruftion burd^gefül^rte 3«i^nung beS groß=
SBürttemberg unb bte 9lenaiffance. 141
artigen »auc«. ^n6) im Slcufectn bot bcrfelbc burd^ feine l^o^en,
fraftx)ott gegUeberten ©iebel, feine mit fürfllid^en SBruftbilbetn ge-
fd^müdten Erlaben, bie fiattlid^en grcitreppen unb bie auf bcn
©(fen Dotfpringenben 2;^ürme ein ©anjeg, in bejfen malerifd^
reid^em äufbau ber E^araftet ber beutfdjen SRenaijfance unüber::
trefflid^ auiJgefpro<|en war. SBiH man il^n nad& biefer ©eite roür^
bigen, fo mufe man i^n mit bem ju dl^nlid^en Sieden von 3ta«
lienetn erbauten Setoebere iu 5prag tjergleici^en, ba^ mit feinen
ebten Säulenhallen unb ber geinl^eit feiner Ornamente i^m ebenjo
fe^r überlegen ift, roie e^ an Originalität ber anläge, an maleri^
feiger grei^eit unb fonflruItit)em SEBert^ roeit l^inter i^m jurüdEftel^t.
3Rit biefem SBau l^atte bte SBBfirttembergifd^e 3lenaiffance il^ren
Ööfiepunlt erreid^t. S)er prad^tliebenbe ^erjog griebrid^ I. ful^r
inbefe mit 6ifer in lünfilerifd&en Unternehmungen fort unb fud^te
bie auf feinen Steifen burd^ @nglanb unb S^^^^i^n gen)onnenen 9ln-
fd^auungen auä) ard^iteftonifd^ ju Derroert^en. Stttö er ben SHitter
Sräunig öon SBud^enbad^ an ben ißof ber Äönigin ©lifabet^ fanbte,
um x)on il^r bie aufnähme in ben ^ofenbanborben ju erlangen,
mufe i^m biefer aufeer Slutl^unben, 5pf erben, ^anbfd^u^en unb
©trumpfen „ettid^e Stbriffe t)on Äaminen" mitbringen. 2)en ^ofens
banborben, ben ber Ser}og nad^ n)ieber]^oltem be^arrlid^en SBemä^en
enblid^ erlangt, lä^t er bann bei allen feinen 93aut«n in plafiifdier
ober malerifd&er Slbbilbung anbringen, ©o an bem prad^tooKen
äußeren ^portale be^ ©d^loffe^ ju 3;übingen, ba« in feinen berben
ptunfpotten formen ben immer entfd^iebener ^ereinbringenben SSa«
rodfftil oenätl^. 9lm alten ©d^lo^ ju ©tuttgart fd^eint bad mefilid^e
Äapettenportal im oberen Umgang aug feiner S^xt ^erjurül^ren. ©ein
^aupttoerl mar aber ber fogenannte 92eue S9au, {ugleid^ bie ^aupt=
f4l5pfung feines madteren SBaumeifterS fieinrid^ ©ddidfl^arbt ©üb«
öftlid^ oom alten ©d^loffe, in ber ©egenb ber jeftigen 2RarIt^alIe,
er^ob ftd^ bad in gefd^liffenen Duabern errid^tete @ebäube in oier
©efd^oifen, auf ben ßdPen mit paoillonartig oorfpringenben S^l^ürmen
eingefaßt, in ber SWitte ber fiauptfront mit einem ebenfalls ^eraugs
tretenben 2;reppen^aud. Unten entl^ielt er bie gewölbten ©tallungen,
in ben oberen Oefd^offen jmei große ©äle, mit ©emälben gefd^müdft,
mit ältertl^ümern unb Äunpmerfen, fd^önen 9Mlfiungen unb SBaffen
142 9Bürttem6erg unb bie Stenatffance.
au^geßattet. 3(te ber 93au 1757 im Innern aufbrannte/ trug man
nad^mafö mit grojser 3Rü^e unb fd^iüeren jtoften bad im Sieugeren
upd() n)o]^I erl^altene ©ebäube t)5Sig ab unb mad^te ben ^la^ bem
Grbboben glcid^. ©o md roir auS alten abbilbungen urt^eilcn
lönnen, trug ber Sau ba« freie ©epräge ber bcutfd^en SlenaiRance,
fern t)on fttaoifd^er 9lad^bi(bung ber gleidflieitigen ttalienifd^en SRonu=
mente, votl^t Sd^id^arbt auf feinen Steifen lennen gelernt ^atte.
5Rod^ großartiger fottte ein jroeitcS SBerf »erben, beffen SBoHenbung
iebod^ bie Ungunft ber ^txkn vereitelte , unb auiS roeld^em bann
fpäter ber jeftige ^rinjenbau entftanb.
aSon ber rafttofen S:i^ätigfeit, roeldie ber ö^i^jog burd^ ©c(iid-
^arbt im gan}en Sanbe entfaltete^ t)on ben sal^lreid^en Sauten Don
^farr^s unb ©d&ul^äufem, ben SBü^Ien, Äandlen, Sabanlagen, fjlufe^
loneftionen, »rüden unb SBegebauten foll ^ier nid^t bie SRebe fein,
dagegen cerbient eine ber umfajfenbfien baulid&en Unternehmungen
um fo mel^r unfre Slufmerffamfeit, ate e^ pc^i babei um eine ber
frül^eßen planmäßig burd&gefü^rten ©tabtanlagen l^anbelt. 3^ "^^ine
bie ©rünbung von greubenftabt, roeld^eis bet Serjog für bie ou«
Cefterreid^ vertriebenen ^ßroteftanten burd^ ©d^idtl^arbt in menigen
Salären erbauen ließ. S)ie Slu^fü^rung begann 1599, unb ber
ißerjog betrieb ben Sou mit fold^em ©fer, baß er oftmate auf einem
SBaumflamme fiftenb bie Arbeiter jum gleiß anfpornte. 3n regele
mäßigem Duabrat mit red^tminfUg pd^ freusenben ©traßen würbe
bie ©tabt angelegt. 3m 3^ntrum erhielt fie einen großen freien
^la^, auf rodä)zm fiä) ein nid^t jur Sludfül^rung getommeneiS ©d^Ioß
erl^eben foHte. 2)ie ißäufer, weld^e ben ^laft fäumen, l^aben im
Grbgefd&oß arfaben. Qn bie vier ©dfen be« ^ßlafee« würben bie
^auptgebäube gefteEt, jebei^ aud jwei red^twintlig jufammenftoßenben
glügeln befte^enb, weld^c ben ^ßlaft begrenjen. 3^^ i>icfßt feltfamen
©runbrißform ifi benn aud^ bie ßird^e erbaut, an ben @nben jebe^
glügete mit einem Xl^urm oerfel^en, gegen ben ^piaft burd^ arfaben
abgegrcnjt, in meldten iroci §aupteingänge liegen. S^ie rounberlid^e,
Don aQer ^rabition abroeid^enbe ©runbrißform, weld^e fid^ inbeß
auf bem erften ©ntrourf ©d^id^arbtiS nid^t finbet unb i^m wol^I
burd^ ben ißerjog aufgenöt^igt würbe, verrät)^ ebenfo wie bie übrige
anläge ber ©tabt ben fd^on in^ Sßüd^terne geroenbeten ©inn ber 3«t.
3Bürttem5etg unb bie 9lenaiffance. 143
3n bet fünftlerifd^en SluÄftattung ber Äirci^c mifd&cn fid^ nab SKittet
alter unb Slenaiffance. S)ad l^enU<$e 3tt%imbibt mit feinen vtt^
golbeten unb gemalten @d^btj|fieinen^ bei benen toieber bet ^ofen^^
bonbotben feine SRoIIe fpielt, gehört gleid^ ben genflem unb ben
^^ürmen ber fpatgotl^ifd^en Jtunfi; bie portale bagegen mit il^ren
teid^en @lulpturen^ bie ^an}el^ ber SUtar unb bie SBrfiftung ber
@mpore mit il^ren bemalten biblifd^en SieliefiS gel^ören ber Stenaiffance.
2)iefe äBerte ftnb aud^ bedl^alb t)on 3ntere{fe^ n)eil fte d^nlid^ n)ie
bie nod^ reid^ere aui^fiattung ber ©d^logfapelle ju gelle unb bie
Sfulpturen an ben ©arlopl^agen ^erjog Subioig^ unb feiner ©e-
mal^lin ju Tübingen SSeifpiele x)on Silbercpflen gewähren, bie fid^
ftreng innerl^alb ber protefkantifd^en Sluffaffung betoegen unb babei
ben mittelalterlid^en ^araQeli^mud alt- unb neutefiamentlidder S)ars
ftedungen nod^ einmal )ur 9lnn)enbung bringen. @ie betoeifen neben
fo mand^en anbem SH^^f namentlid^i neben ben großartigen ältar-
bilbern Sranad^^ in SBittenberg unb äBeimar, baß bie Steformation
teinedmegS eine Stt^xmn ber tird^lid^en Jtunft n)ar^ ba^ t& vkU
me^r in tieferen allgemeineren Strömungen ber 3«it lag, wenn fo=
n)0^l bie tatl^olifd^e mie bie evangelifd^e ftunft ber @patrenai{fance
unrettbar bem aWanieri^muiS t)erfiel.
S)er lejte roürttembergifd^e gfirfi, beffen SBirlen nod^ in bie
epod&e ber Sienaijfance fdttt, ifl ^erjog Sodann griebrid^. 3n feine
3eit gel^ört bie präd^tige Slu^fltattung beiS golbenen @aale^ im @d^loß
ju Urad^ unb bie jefet längft jerftörte el^emate berül^mte ©rotte im
Sujtgarten )u Stuttgart mit il^rer prad^tigen 9lrd^ite!tur unb i^ren
SBaffertünflen. @d mar bad leftte Su^udnierl, ba^ l^ier oor bem
au8brud& be« breifeigjäl^rigen Äriege« entftanb. ©iJ mar aber ju=
gleid^ ber erfte Sau, }u meld^em man jum nid^t geringen älerger
bed braoen Sd^idf^arbt au^ioärtige, unb jioar nieberlanbifd^e äßeifler
berief. SJie Slot^ ber 3^it liefe leinen freien auffd^roung be^ ©t--
mutige», feine lünjilerifd&e X^ätigfeit me^r ju. SJie einl^eimifd^en
SMeifter, »eld^e baö fianb unb befonberd bie SReftbenj mit i^ren
S3auten gefddmüdft Ratten, roaren nid&t me^r am fieben. aberlin
STretfdd fiarb, mie id^ gütiger aWitt^eilung be^ ißerm ^ßrofeRor SBint^
tcrlin oerbanfe, ben 29. Januar 1591, ®eorg »e^r ben 17. 3uli
1600; imanfong beg^al^re« 1634 folgte i^nen ber fed^öunbfieb§ig=
144 SBürttemberg unb bie dienaiffance.
lästige Sd^idl^atbt nad^^ ein Opfer ber Stutalität jene^ entfe^Ud^en
Äriefle«.
Ue6erbli(ft man nun bie Summe be^ l^iet im Sanbe feit 1535
big etma 1620 ©efd^affenen, fo ifi bie gütte unb SKannigfaltigfeu
ber 3)enfmä(er mal^r^aft erßaunlid^. Unb bod^ mug man juge:^
fielen, ba& fie nid^t, wie bie ©erfd^roenberifd^en Sauten ber nad^=
folgenbcn ®pod&e, in einem 3Ri§x)erl^äItnijfe, fonbern in mol^l abge^
wogener Harmonie }u ber @rö^e^ ben materiellen unb geiftigen
Äräften, ber gefammten Äultur be§ Sanbe« jiel^en. 35ie fürftlid^e
^rad^tüebe ^ä(t ftd^ im @eifl ber Slenaiffance innerhalb ber @d^ran=
fen, roeld^e eine eble Klnftlerifd^e äugprägung beS ju feinerer S3il=
bung \i6f entfaltenben Sebend erl^eifd^t 3)aneben wirb unaudgefe^t
bie Pflege ber materiellen unb geifiigen ^ntereffen bed Sottet än^
lafe JU ard^itcftonifd^en ©d^8pfungen. 6« ift ber gemeinfame 3"a
ber SRenaiffance im ®egenfa|e ju bem t^eolratifd&en 3WitteIaIter, bafe
fie eine fünftlerifd^e SßerMärung, in erper fiinie beiS profanen Seben^,
. anflrebt. 9lIIein felbft j|e^t ge^t bie tird^Ud^e Aunft nid^t leer au^^
unb neben fo mand^en il^rer @d^öpfungen bürfen mir aud^ ber AapeQe
oon Siebenftein I)ier geben!en. SlDe biefe SBerle tragen aber bai^
©eprage beutfd^en ©cifteiS, benn fte ocrfd^mä^en bie flrengßaffifd^e
gorm beö italicnifdöen Äird^enbaueö ber Sienaiffance mit feinen
^feiler^atten, feinen Äuppeln unb 2;onnengemöIben, mie il^n j. S-
in großartiger SBeife bie ÜRid^aetö^oflird^e ju aRflnd^en aufnimmt.
Sie fmb oielme^r fd^on burd^ bie unbefangene SBerfd^meljung oon
gormen be§ SKittelalteriS unb ber SRenaiffance ed^t beutfd^, unb fo
^aben mir in il^nen cbcnfomol^t bie SBorboten einer neuen 3^^ mic
bie legten oerl^aDenben Stad^tlänge bed Snittelalterd ju erlennen.
So ftart mar bamals bei und bad germanifd^e fiebenlSgeffi^I/
bafe felbft in Sefuitenfird^en roie ju Äöln unb Äoblenj, ebenfo in
ben ja^Ireid^en ^Bauten bei^ Sifd^ofiS 3wK"J^ ^ö" SBBürjburg, mie ber
Unioerfität unb ber ju i^r gehörigen Äird^e bafelbfl, biefer origi-
nelle SKifd^fiil fid^ geltcnb mad^t. ©ö ift biefelbc munberfamc
©äl^rung, biefelbe SBerfd&meljung Maffifd^-romanifd^er änfd^auung
unb mittelalterüd^sgermanifd^er ©mpfinbung, mie mir fie in bem gröfes
tcn S)id^tergeniug ber gcrmanifd&en SEBelt, in S^alefpeorc, erfennen.
SBic ftd^ in feinem aHumfajfenben ©eifte ba» Mafjxfd^e Sltertl^um
SGßürttemberg imb bic Slenaiffancc. 145
burd^ germanifd^e ©efü^lSioeifc mobifijirt, wie er bcr JDid^tcr bcS
freigcroorbcncn Scroufetfcing unb jugleid^ ntittelaltcriidjer ßebcn^s
formen tfi, roie fid^ SRcnaiffancc, 5KttteIaIter unb SReforination bei
il^m burd^bringen, fo bilbet er bie ©pifec bcr grofeen Äultiirberoegung,
bie aud^ in unfrer beutfd^en SRenaiRance 3lu8brudf gewonnen l^at.
©teilen toir feine lebenSroamten farbenreid^en 2)ramen gegen bie
aWeifterfd^Spfungen ber romanifd^en SBelt, gegen bie 2^ragöbien eineä
^Racine unb ©omeille, fo erlialten wir einen äl^nlid^en ©inbrudE toie
beim SBergleid^en ber 2Wonumente unfrer einl^eimifdEien SRenaiifance
mit ben fireng flaffifd^en S)enfmälem ber italienifdEien iood^renaiffance.
Selbft bei SRubenS fommt nod^ einmal bieg germanifd^e Slaturett in
feiner freien aiuffaffung ber Slntife auf eine bireft an ben großen
britifd^en S)idE)ter anflingenbe SEBeife jur (grfd^einung.
3flid^t fiberall aber \)at fid^ in 2)eutfd&Ianb bie SRenaijfance fo
frei von fremben ©inflüffen beroal^rt, n)ie in jenen ^od^d^arafterifti=
fd^en SKonumenten. 8BaS bie barierifdEien ipßtjoge erbaut l^aben,
roaö in Deflerreid^ burd^ bie ^ab^burger gefdEiaffen mürbe, gel^ört
faft augfddlic^lidE) Stalienern an. (Sin ©ruppe melfd^er aWeifier lä^t
fid^ fd^on jeitig beim ©d^Iofebau in 83rieg nad^meifen; aud^ in Sre^s
ben beruft man in ber jroeiten Hälfte be« fed^jel^nten Qal^rl^unbertg
italienifd^e Äünftler. Xk§ atteä finb jiebod& nur frembe entladen
im beutfd^en Äunftgebiet; bie aRel^rjal^I ber SBerfe unfrer SRenaiffance
ift t)on beutfd&en 3Weifiern in beutfd^em ©inne au^geffil^rt. aber
DieHeid^t nirgenbg tritt biefer nationale ßl^arafter fo ungetrübt unb
unbeirrt burd& frembe ©inflüffe l^erDor, roie l^ier im ©d^roabenlanbe,
mo aug einem fembeutfd^en Sßolföftamm atte jene SJleifter ^ertjor^
ge^en, unter benen mir Sttberlin ^retfd^, ®eorg SBe^r unb ^einrid^
©d^idf^arbt ate ^eroorragenbe Äünftler bejeid^nen bürfen. 2)a]^er
prägt gerabe l^ier bie SRenaiffance ba^ beutfd&e Zthm jener S^it fo
farbenfrifd^ unb formenfreubig aui^.
Unb nun jum ©d^Iufe nod^ einmal: mir leben in einer 3^it/
bie ä^nlid^ mie jene großen Sage t)on kämpfen um Erneuerung
be^ nationalen Seben^ beroegt ift, bie in nid^t geringerem 9Ra§e l^ol^e
Äulturaufgaben ju löfen ^at. Qe mäd^tiger in unfern plagen ber
SRaterialiÄmuö nid&t bloß in ber ^ra^« be^ Seben«, fonbern aud^
in ben l^errfd^enben anfd^auungen fid^ breit mad&t, befto Derne^m*
10
146 9Bürttem6erg unb bte Sienaiffance.
lid^et mufe bei jcbcr ©elcgcnl^eit barauf l^ingcroicfen tocrbcn, bafe
xmfcr SBolf bic voUt 2^icfc ber il^m loorgcieid^nctcn Äulturmiffion
nur bann erfüllen fann, wenn e« fein l^euerfte^ ©rbt^eil, ben
Sbealidmu^, roalirt unb fd&üfit Dl^ne umfaffenbe ^Pflege von aBtffen=
fd^aft unb Äunft ifl bieiS l^ol^e Qkl nx6)t ju erreid^en. eine Station,
bie für fold&e« Streben nid^t i^re bepen Äräfte, i^re reid^ften aJlittel
einfeftt, rerbient nid^t ju esiftiren. SDiögen bie nad^folgenben 3a^t=
^unberte, wenn fie unfre Qtxt betrad^ten, auf eine 3?eil^e ^enlid^er
©d^öpfungen ber Äunft, unioergänglid^er SBerfe be^ ©eifte^ jurüdf=
blidfen Knnen!
(„»Oimilb. mttftnt" 1874.)
<£,
ift bie ^ö(i)fie 3^*/ öffentlich cinmol barjulcgen, wie fticf=
mütterlid& ba^ £anb SBürttembcrg bie Äunfl unb feine Ättnfiler U^
l^anbelt. S)ie Älage ift alt, aber fxe erneuert fid^ immer toieber:
bafe für eine forgfame ^pflege ber ebeljlen fünftlerifd^en Äultur ^ier
aud^ jefet nod^ ba^ SSerftänbni^ mangelt. 93ebeutenbe SRetfler ^aben
bei un^ immer nod^ nur bie 3Ba^l: entn)eber fort}U}iel^en unb aui^::
toäxt^ bie 9tnerlennung unb ^örberung )u fud^en, n)eld^e i^nen
ba^eim Derfagt ift; ober im eignen Sanbe ju oerfümmern. SEBie oft
nod^ foll man an ba§ ©d^idfal SBäd^ter«, ©d^idfg, S)anne(fer§ er-
innern? aSaiS wäre aug ©dritter geworben, wenn er im fianbe
geblieben toäre? äßan fage nid^t, ba^ feien alte (Sefd^id^ten; um
nad^juweifen, roie im äugenblidf bie ^Pflege ber Äunfl befiellt ift,
TOotten wir oon ber erfien unfrer Äunftanftalten reben.
SDieÄunflfd^ule ^at feit ben breifeig 3a^ren i^reS SBcftel^en^
bei farglid^er S)otation i^rer Sel^rlrdfte unb il^rer Sammlungen
unleugbar einen fegendreid^en Sinflufe auf bie f^örberung eined
l^öl^eren JtunflfinneiS im fianbe au^geäbt. ^er fd^toäbifd^e @tamm
ift oon jel^er in l^ol^em ®rabe tünftlerifd^ begabt gewefen. Unfre
Seitblom, ©d^affner, ©prlin, unfre ärler, SBöblinger, (Snfinger,
©d^idf^arbt jäl^len ju ben trefflid^ften SWeifiem il^rer 3^^- 2Bie
wenig gleid^bebeutenbe fünftterifd^e Äräfte l^at bagegen im SRittels
alter ber baprifd^e ©tamm auf juroeifen ! Unb bod^ ift neuerbingd
148 3"^ Äunftppegc in 2Bürttcm6erg.
burd^ cncrgifii^e Äunfipflcgc fcitenä einc^ cinjigcn aWonard^en
äRünd^en ju einem äSororte beutfd^er iitunft geworben, an meldten
wir ftetö imfre tüd^tigften Äräfte abjugeben ^aben, fobalb bie^^ j
fclben flügge geworben finb unb ber ©terilität i^reS ^eimat^oben^ l
}u entffiefien üermögen. Stn unfrer Äunftfd^ule aber l^aben alle i^re I
erfie Slu^bilbung gewonnen. SRid^t minber f)at unfre 9tnftalt burd^ |
eine Slnja^l gefd^idfter 3^i^«^^/ ^i^ ^"^ ^^^ l^eroorgegangen, einen i
®runb }u bem bebeutenben Uebergeroid^te gelegt, roeld^e^ bie ©tiitts j
garter Sttuflration^sßitteratur ^eutjutage bel^auptet. SL:f)m fold^c i
Äräfte wäre ber l^iefige SßertagS^anbel nid^t auf bie Dotte ^ö^e
feiner ©ntroidfelung nad^ ber lünfHerifd^en ©eite gelangt, ©nblid^
ftnb auö ber Äunftfd^ule Diele ber tüd^tigfien S^\ä)tnU^xtt \)exvox^
gegangen, n)eld^e in ben ^^ortbilbung^fd^ulen be§ Sanbed n)irfen unb
befonber« auf bie fiebung unfrer Äunftinbuftrie förbernben ©influfe
gen)onnen l^aben.
©ine änflalt, bie in fold^er SBeife fegen8reid^ loirtt, bepnbet
fid& nun mit ben i^r tjerbunbenen Sammlungen in SRäumlid&feitcn
eingeengt, roeld^e feit mel^r ate jel^n Sauren t)on ben SBel^örben felbft
ate unjulänglid^ bejeid^net worben ftnb. ©d^on 1862 ^at ba« ba::
malige eJinanjminifterium auSbrüdtlid^ ben 9iotl^ftanb anerlannt unb
für bie näd^ftfolgenbe 6tat8periobe einen auSreid^enben (Srraeiterunggs
bau jugefagt; aber bid auf ben l^eutigen ^ag ift e§ unmöglid^ ge-
blieben, bie enblid^e ©rfüttung biefeö SSerfpred^en^ ju erlangen. Um
e« turj }u fagen: in aßen Sofalitäten ber ©d^utc unb ber Samm:^
lungen mad^t fid^ bie empfinblid^fte Sefd^ränfung ber SRäume geltenb.
S)ie SöflKnge ber Silbl^auerfd^ule Rnb jum 2;i^eil in fd^led^ten, un^
gefäl^r n)ie ^ol^fd^uppen auiSfel^enben ^ad^merlbauten auf bem ^ofe
untergebrad^t, toeld&e 1863 notl^bürftig jur Sluöl^ilfe errid&tet würben,
^^roftbem ^at man fo wenig SRaum, bafe Klrjlid^ jmei Dorgerüdtten
@d^älern, obfd^on fie nod^ ein älnred^t auf Sltelierd im Sd^ulgebäube
Ratten, ber 9ludtritt aus ber älnftalt jugemut^et werben mu^te.
Slid^t minber ungenügenb finb alle übrigen Sd^ullolalitäten. gür
bie fo roid^tigen tl^eoretifd^en gad^er ber ^Perfpeftioe, Äofiümfunbe
unb 9Rt)t^ologie ift überl^aupt fein ißörfaal t)or^anben. ©noagt
man, bafe bie ©d^ülerjal^l, meld&e fid^ im 3a^re 1842 auf 29 belicf,
im aOBinter 1872—73 auf 84 geftiegen mar, fo wirb man begreifen.
3ur ÄunftpfTege in SDBürttcmberg. 149
bafe ha§> SBad^^t^um bcr Slnftatt not^rocnbig }urüdEgcl)cn mu§, wenn
itid^t beu bringenbftcn 33ebürfniffen äb^ilfc gefd^afft tüirb.
3l\^t tninbcr bebentüd^ fic^t e« in ben ©ammluugen au§.
3)ic Oemälbcgalerie bebarf ber ©rrocitcrung, ba e^ nid^t mel^r mög«
Ii(ä^ ift, il^ren Silbern eine für ©tubium unb ©enufe auSreid^enbe
aufftettung ju geben. Sttufeerbem fel^lt eiS an jebem 9taum für bie
not^roenbigen ted^nifd^en SSorbereitungen unb arbeiten, foroie aud^
ein aJfagajin bem ©ebäube mangelt, roe^^alb Äiften unb Äaften
©önge, SBeftibül unb 3;reppenräume in unfd^idflid^er SQBeife anfüllen.
2)ie plaftifd^e ©ammlung ift wegen SRaummangel fo aufgeftellt, wie
€3 aUenfattS bem Speicher eine^ Oip^giefeer^, nimmermel^r einer
Äffentlid^cn Sammlung gejiemt. S)aS ©tubium ber in i^r befinb^
Hd^en mid^tigen Sbgüffe wirb baburd^ in ben meiften gätten faft
unmöglid^ gemad&t. S)ag Äupferftid&fabinet enblid^ ift mit feinen
Toertl^Dollen ©d^äften, bie ein Äapital von ^unberttaufenben repräfen^
tiren, in einem fd^maten Äorribor untergebrad^t, a\x^ roeld^em bei
au^bredfienber geuer^gefa^r wegen ber (gnge beiJ SRaume^ eine 3let=
tung bcr gefäl^rbeten ©ammlung t)öttig unmöglid^ fein mürbe, gür
ba^ ©tubium ber SBlätter ifl ein befd^rantte^ einfenfterigeS 3i»ttwi«t
Dor^anben, metdjeS nod^ obenbrein an ftörenbem SRefleElid^t leibet,
©nblid; üerurfad^t ber SJlangel einer ißeijungSanlage ben Slättern
burd^ ben S^emperaturmed^fel ebenfo großen ©d^aben mie ben ®e=
mälben ber ©alerie. SBenn man bie überpüffige $ifee, roeldEie im
ganjen Sanbe in ben meiften Äanjleien ju ^errfd&en pflegt, unfern
Äunftfammlungen juroenben fönnte, fo mürben biefelben beffer fon=
ferpirt fein, unb ba§ ^ßublitum tjermöd^te, mie in SBerlin unb
©rei^ben, aud^ mäl^renb ber falten Qa^reöjeit bem Dcrebelnben
©tubium ber Äunftmerfe fid^ l^injugeben. 9Bir Ratten bann oor
bem mit ©d^äfeen oiel reid^er gefegneten 9Jlünd^en ben SSorfprung
DorauS, unfre befd^eibenen Sammlungen für bie Äullur be^ S^olfeä
t)iel frud^tbarer gemad&t ju feigen. Sitte biefe ermögungen finb
mieber^olt bem Äultuöminifierium t)orgetragen morben unb l;aben
geneigte aufnähme gcfunben; aber baS ginanjminifterium l^at, mie
es fd^eint, bi« jefet bie SRittel nidöt fltiffig ju mad^en rermod^t,
meldte jur Slbl^ilfe erforberlid^ finb. 311^ nun fürjlid^ bie 9lad^=
tragSfrebite eingebrad^t mürben, meldte auf SSermenbung ber aus ber
150 Svit Äunfl|)fle9c in aOBürttcmacrö.
franjöfifd^en Äricgötontribution an aBürttetnbcrg gcfattencn ©ummcn
tauten^ xoax bie Hoffnung hotl^ idoI^I nid^t }u unbefd^eiben^ einen
Meinen ant^eil an^ auf ö^bung ber Äunft unb i^rer Sntereffen
fallen ju fe^en. ©ad^fen, nid^t an ©töfee, rool^l aber rote e§ fd^eint,
an Äultur unfrem Sanbe überlegen, l^at au^ ä^nltd^en Duellen
folgenbe 3[uSgaben für fünftlerifd^e S"'^*^ Derroenbet: ^nx SBer=
fiärfung be§ Sleferoefonbö ber ©ammlungen für Äunfl unb SBiffen*
fd^aft 150000 SCI^aler; jum Sudbau ber Sflbred^tSburg ju 5DJeifeen
167 300 2;^aler; jur SBerroenbung für 3wedEe ber heutigen Äunfl
100000 S^^aler; für ben Umbau unb bie innere §erflellung einiger
föniglid^er ©d^Iöffer 350000 X^aler. 3m ©anjen für rein fünft
lerifd^e Sroedfe 767 300 S^aler!
gragt man nun, roaiS in SBürttemberg für äl^nlid^e S^cdte au§
benfelben aufeergeroö^nlid^en SWittetn x)ern)enbet toerben foll, fo lautet
bie Slntroort: SRid^tö! S)ie Äunjifd^ulbireftion unb bie SBorftänbe
ber Sammlungen ^aben angeftd^td biefer betrübenben X^atfad^e für}-
lid^ eine 2)enffd^rift eingereid^t, in meld^er ber SRotl^flanb nod^mafe
bargelegt unb für bie laufenbe ginanjperiobe roenigfieng ber 3lnbau
eineö ber beiben atö unerläfelidj) projeftirten ^Wgel erbeten mirb.
2)a^ wäre eine SKuSgabe Don etma 120000 ©ulben! aber felbjl
für biefe äufeerft befd^eibene ©umme fd^eint baS ginanjminifterium,
meld^eS fd^on Dor breijel^n Sauren ben ©rweiterung^bau in näd^fie
auöftd^t gefiettt fiat, nid^t SRat^ fd&affen ju fönnen. SJie^ ifl um fo
peinlidfier, rotnn wir nad^ Meineren Staaten roie Saben unb SBeimar
blidfen, mo nid^t bloß für bie Sammlungen, fonbem aud^ für bie
Äunftfd^ulen in au^reid[;enber, ja jum X^dl glanjenber SE>eife ge^
forgt ift.
$eigt ed }U meit gegangen, menn man in fold^er S3e]^anblung
ein ©pmptom jener DerpngnifeiooIIen ©teid^gültigteit gegen aUe^
^ö^ere ibeale &thtn erfennt, bie in ©eringfd^dfeung ber Äunft gipfelt?
3ft e^ bcnn aber felbfl l^eute nod& möglid^, bei J^eruorragenben,
leitenben ^erfönlid^!eiten fold^e ÜBerfennung bed geifligen unb mate-
rietten SBert^e^ ber Äunft ju finben? SBegreift man benn ni6)t, bafe
unfre SWittelfiaaten bie Dotte SBered^tigung il^rer ©Eiftenj nur bnrc^
umfaffenbe Pflege ber l^öd^ften Äulturinterejfen beroeifen lönnen?
9lun ^at SBürttemberg ol^ne grage für ©d^ule unb Unterrid^t, für
3ur Äunftpflcgc in SQöürttcmbcrg. 151
görbcrunfl ber SBiffenfd^aft an feinen beiben ^od^fd^ulcn, an ber
afabemifd^en ju Tübingen unb ber pottjtedjnifd^en in ©tultgart, fe^r
33ebeutcnbc^ geleiflet, unb biefeö SBerbienft bilbet aud^ in ber gerne
ein glänjenbe^ 33Iatt im aiu^me^lranje be^ Sanbe^. Slber fott benn
bie Äunft aud^ femer fo gut wie leer auSgel^en unb fietö baö äfd^en*
bröbel bei unS fein? 5Dafe felbfl ein ginanjminiper gelegentlich
i^re Sebeutung für balS geifHge unb materiette Seben eine^ SBolfeS
begreifen fann, ^at nid^t blofe, wie oben gejeigt würbe, ber fäd^fifd^e,
fonbem neuerbing« aud^ ber preufeifd^e beroiefen, ate er fofort für
ben lüneburger ©ilberfd^aft 220 000 2:^aler beroilligte. 5Rur bei
nn^ in SBürttemberg ^at bie Äunft feiten^ be^ ©taateiS bis ieftt
nid^t bie 5ßflege erhalten, roeldEie jiebeS ÄuIturDolf il^r ju wibmen
perpffid^tet ift. Sttufeer ber SubiläumiSfäuIe wüßten wir lein Äunfts
Werl JU nennen, roeld^eS auf ©taatsfoften bei unS auSgefül^rt roorben
wäre. aOBaS f)at ©ad^fen in biefer §infid^t ©d^öned unb ®rofee§
geleifiet! 2Bir wollen nur an bie SluSftattung beö ©emperfd^en
2;i^eaterö unb SRufeumg mit ©fulpturen unb ©emälben, an bie
Slu^fd^müdfung ber SBrü^Ifd^en ^^errajfe erinnern, hätten SWeifter
wie SRietfd^el, fiä^nel, ©d^itting bei uns gelebt, fie l^ätten entroeber
ouSroanbern ober im fianbe Derfümmern muffen. SBie l^ier bie
Äunft gead^tet roirb, beroeift genugfam baö ©d^idffal eines 2)anned(er.
9iic(lt bloß, ba§ ber ©taat leine einjige große aufgäbe für i^n
roä^renb feines langen fiebenS ^atte: aud^ nad^ feinem S^ob.e ftnb
feine SEBerle in einem unmürbigen SBinfel beS ÄunftgebäubeS ju«
fammengepferd^t, unb bie berühmte Äoloifalbüfie ©d^iHerS, um
berentroitten bie Äunflfreunbe auS ber ganjen SBelt ju uns fommen,
finbet jxd^ in einer für baS SBaterlanb biefer beiben großen 3Ranner
mal^rl^aft befd^ämenben SBeife aufgehellt. Äein SEBunber balier, wenn
man unfre öffentlid^en ©ebäube, wie ^olt)ted^nifum unb Äunftfd^ule,
ol^ne ben für fie befiimmten fünftlerifd^en ©d^mud erblidfen muß.
gür baS 5ßoli|ted^nihim l^atte feiner 3^it bie SRegierung eine ©umme
geforbert, um bie für bie 9iifd^en beftimmten ©tatuen auSfüliren ju
laffen; allein bie ©tänbe bewilligten bie ©figenj nid^t, unb baS
^auS würbe wol^l nod^ lange auf feine lünftterifd^e 9luSftattung
warten muffen, wenn nid&t bie 9Jlunifi}enj 3. SK. ber Äönigin in
^od^ftnniger SBeife ins SKittel getreten wäre, inbem fie junäd^ft für
152 3ut Hunftpflege in Württemberg.
bic äula ben plaftifii^en ©d^mudf, bie ©tatucn t)on Seibnift, ©oet^e,
©dritter, aiejanber von ißumbolbt, auf il^re Äoftcn au^fü^rcn läfet.
3lud^ bcr fo notl^njenbigcn malcrifd^eu Slu^ftattung entbehren bic
abfd^retfenb tDcifeen SBdnbc bcS geftfaal^ nod^ immer, toal^renb baö
fc^rocijcrifd^c ^ßolptcd^nifum burd^ gemeinfameS aSorgcl^en ber ©ib^
genoffcnfd^aft unb bc3 Äantond 3öi^^ fö^ f^i^^ Slula einen prad^t^
DoQen ©d^mud t)on ©emälben an SBänben unb S)edte erl^alten l^at.
8ei aKebem betragen bie 33aufoflen beS fd^roeiierifd^en ^ßolpted^nifum^
mel^r ate ba« 5Dreifad^e be8 unfrigen (1390000 ©ulben bort,
442 000 @ulben ^ter), n)ie benn aud^ bie polpted^nifd^en ©d^ulen
ju SKünd^en, Sannox)er unb S)reiSben mit 1291000 ©ulben,
1645000 ©ulben, 1312 500 ©ulben barin ju un« ein ä^nlid^e«
aSerl^ältni^ l^aben, roäl^renb in ber ©d&ülerja^I unfre anflalt nur
benen t)on aWünd&en unb Qüvi^ ju weid^en ^at. 2)anf rerbient
be^l^alb unfre SRegierung, bafe fie für ben fo not^tocnbigen Umbau
unfrei ^ßolpted^nifum^ bei ben ©täuben eine entfpred^enbe ©umme
geforbert l^at; aber warum foll lieber unb roieber bie Äunftfd^ule,
bei roeld^er ein nid&t minber bringenbeiJ SBebürfnife mit einer oicl
befd^eibeneren ©umme ju befriebigen ift, leer au^gel^en? SGBir
glauben nid^t, bafe bie ©tänbe eine oon ber ^Regierung ju biefcm
Broedte geforberte ©Eigenj üenoeigem werben, e^ fei benn, bafe fie
fi($ gerabeju al^ funflfeinblid^ proUamiren moUten!
SRun aber, nai^bem mir offen bargelegt ^aben, wie fd^wac^ e§
bis ieftt bei unö um bie flaatlid^e Äunftpflege befteHt getoefen ift,
bürfen mir nid^t oerfd^meigen, bafe aud^ Don ©eiten ber befiftenben
Älaffen bei meitem nid^t bie görberung ber ©ad^e ju bemer!en
ift, meld&e man in einem l^od^gebilbeten Sanbe erwarten foBte.
Seipjig, granffurt unb Äöln l^aben burd^ bie großartigen ©tiftungen
einjelner SBürger l^errlid^c Äunftfammlungen erhalten; in SBerlin ift
ber ©runbftodf jur SRationalgalerie auf äl^nlid^e SBBeife gelegt morben.
3n ber ©d^meij l^aben Safel unb ®enf ebenfalls anfel^nlid^e 3Kufeen
ium %^txl huxä) gSrioatfd&enlungen erl^alten. könnten nid^t aud&
bei uns bie oermögenberen Sürger wetteifern, ber plafiifd&en ©amm-
lung, bie mit 600 ©ulben jd^rlid^ auöfommen mufe, ber ©emälbe^
galerie, bie nur 6000 Oulben jur SBerfügung l^at, ober ber Äupfer«
ftid^fammlung, bie fi^ «lit 1200 ©ulben begnügen muß, biiSmeilen
3ur Hunftpffege in SOBürttcmberg. 153
TOcrtljüottc Äunftwerfc ober ©uininen jur Slnfd^affimg fold^cr ju
übcnocifcn? 3n Sixxii^ würben burd^ einen ^rioatmann 20000
^anfen jur ßrtoerbung einer Äupferfticiifammlung bem 5poIi;ted&nifunx
flefd^enft, unb afö von oerfd^iebenen ©eiten nod^ anfel^nlid^e Seträge
baju gefügt würben, fal^ man fid^ im ©tanbe, bie roertl^oolle SBü^U
mannfd^e ©ammlung ju erwerben, ©benfo t)ermod^te man bort eine
{(eine, aber le^rreid^e ÄoBeftion antifer gematter SBafen ju befd&affen,
mag bei unö bis jeftt troft aller änftrengungen nid^t möglid^ geroefen
ift. gür bie äuiSftattung be^ ^polpted^nüum^ in S^i^i^ n^it ©tatuen
l^at ebenfalls ein ^rioatmann geforgt; bag bei un^ aud ben 5lreifen
beg bürgerlid^en SefifteiS ä^nlid&e Stiftungen l^eroorgegangen wären,
ift und nid^t befannt. SBBir l^aben und bid jefet begnügt, ben Staat
allein forgen }u laffen, l^aben au^erbem gar mand^e (öniglid^e
©d^enfung mit aSergnügen regifirirt: aber felbft einjugreifen, an ber
©ntwidfelung unfrer Äunftanftalt und tl^ätig ju betl^eiligen, bie
profane Äunft burd^ monumentale auftrage ju fiJrbern (benn t)on
cinjelnen lird^Ud&en Äunftwerfen fott ^ier nid^t bie SRebe fein): bad
aUed ift und nid^t eingefallen. 5Dod^ wir bred^en l^ier ab, fo oiel
aud^ nod^ }U fagen wäre. SBiQ man und l^ören, fo ift bereitd
genug gefagt; wo nid^t, fo ift bad SBenige fd^on ju x)iel. SBieHeid^t
aber fallen unfre aWal^nungen bod^ l^ie unb ba in ein geneigted
Dlir: möd^te benn bie %i)at ber ©rfenntnife auf bem gwfec folgen!
^ac^fc^riff 1884.
^a^ in oorftel^enben S^xUn über bie Äunftfd^ule gefagt ift,
l^at feitbem günftige äenberung erfal^ren. 9iad^ langen Äämpfen
ftel^t bie anftalt jeftt fammt ben mit i^r oerbunbenen Sammlungen
im Segriff, banf bem freigebigen (Sntgegenlommen ber ©tänbe, in
audreid^enber unb würbiger 3Beife räumlid^ untergebrad&t ju werben.
aWand^e anbre Ätagen bleiben bagegen aud^ jeftt in Äraft. So
entbehrt j. S. bie SHula bed 5ßoIt)ted^nifumd immer nod^ ber un-
erläfelid^en malerifd^cn Sludftattung, wäl^renb man nid^t blofe in
154 3"^ jlunftpflege in äßürttemberg.
5prcu§cn, fonbcru aud^ in ©ad^fcn bcu gcftfätcn bcr l^öl^cren Se^r^
auftauen neucrbingS ftetS bcn fo notl^rocnbigcn fünftlerifd^en ©d^mud
ju X\)dl werben läfet. Site im Slnfang biefe§ ^al^reg ber Sßerein
}ur görberung ber Äunft nid^t unbeträd^tlid^e SKittel aufgebrad^t
§atte, um monumentale Äunfiroerfe au^fül^ren ju lajfen, war e§
nid^t möglid^, bie (Srfaubnife }u erhalten, einem ©taatSgebäube biefe
gürforge juroenben ju bürfen.
SRod^ übler fielet e^ um bie Ätagen, toeld^e oben über bie S^l^eiU
nal^mlofigfeit ber befifeenben Älaffen geäußert finb. ©ine leb?
fiafte unb großartige private Äunftpflege ift nur am l^öd^ften Crte
JU t)erjeid^nen, inbem S^re aJIajeftät bie Königin nid^t blofe aufeer
ben oben enoäl^nten ©tatuen im 5ßolt|ted^nifum noc^ mand^ee anbre
Äunftioerl in§ &ebm gerufen unb eben erfi Stuttgart mit einem
monumentalen S3runnen ju fd^müdten im Segriffe fielet, fonbern
aud^ fonft bei jeber ©elegenl^eit baS fünfilerifd^e ©d^affen förbert
unb bie öffentlid&en Sammlungen burd^ toertl^ootte ©efd^enfe ju
bereid^ern nid^t ermübet.
3m Uebrigen finb eS im 2lDgemeinen nur bie gebilbeten bürgere
(id^en SDUttelflaffen, roeld^e ein fierj für bie ©d^öpfungen ber Äunjl
fiaben. S)agegen t)erl|arren bie l^öc^fibegüterten Äreife, wenige 2tu«-
nal^men abgerechnet, in ifirer bebauerlid^en Slpatl^ie gegen bie hiU
benbe Äunft. @g gibt feine Slrt von fiujuS, bie man fid^ nid^t ge=
ftattete: nur bie ebelfien ausgaben für Hebung ber Äunft t)em)eigert
man. ®er Äunftoerein unb ber Äunftgen)erbet)erein «li^ffen fort=
roäl^renb mül^fam um il^re ©Eifienj fämpfen. gafl ift e^ nid^t me^r
möglid^, von an^waxt^ jur SBefd^idfung ber SluiSftellungen Äunftioerfe
JU erlangen, weit l^ier bie Silber allenfalls angefel^en, aber nid^t
gefauft werben. ®a§ für bie wid^tigen gwede ber funfigetoerblid^en
©ntwidEelung Cpfer gebrad^t würben wie an anbem Orten, j. 33. in
9?ürnberg, wo ^unberttaufenbe burd^ bie greigebigfeit l^od^fxnniger
^rit)atleute für biefe gwedfe aufgebrad^t würben, baran ift ebenfalls
nid^t JU benfen.
es ift nid^t angenel^m, foldfie SBal^rl^eiten auSjufpred^en, bennod^
ifi es ^flid^t, fie immer aufS neue ju wieberl^olen.
(„»1^11086. BltrJmr" 1874.)
t)i
m eben im geftfaal ber Stuttgarter Äunftfd^ule beginnenbe
Slu^ftettung gehört ol^ne grage ju ben intereffanteflen, roeld^e wir
^ier gefeiten l^aben. ©ie bietet in feltenem Sleid^tl^um ein fafi voU^
ftanbigeS Silb Don ber ©ntioidelung unb bem SQBirlen be8 bebeuten^
ben aJleifier^, burd^ beRen plöfeU^en Eingang bie beutfd^e Äunft
einen fd^toeren SBerlufl erlitten l^at. aJleiften« in ©tid^en, jum 3;^eil
aud^ in ^l^otograpl^ien jtnb alle roid^tigeren ©d^öpfungen Äaulbad^g
in impofanter SReifienfoIge Dereinigt, fo ba§ fein wefentlid^eS ©lieb
in ber Äctte biefe» glänjenben Äünfilerleben^ fel^It. ©elbft ber Um-
fianb wirft l^ier günftig, bafe bei »eurtl^eilung gerabe biefeiJ SReifterS
baö eiement ber garbe feine SRoHe fpielt, ba folorifiifd^e ©timmun=
gen feiner fonft fo reid^en 83egabung üerfagt waren. SSon ber Se=
f onberl^eit Äaulbad^fd^er ^Jatbengebung vermag ber Sefud^er übrigen^
an ber in ber R. ©alerie beflnbüd^en großen garbenffijje ju bem
©emälbe t)on ber ©d^Iad^t bei ©alamiS fid& eine SBorfteffung ju
bilben, unb baburd^ bie SinbrudEe ber Slugflettung ju t)en)onilän=
bigen. SBenn im SRad^foIgenben tjerfud^t werben foH, an ber ^anb
be^ unÄ l^ier ©ebotenen baS SBefen bc3 l^er^orragenben aWanneS
JU d^arafteriftren, fo fann Rd^'^ felbjiDerfiänblid^ babei nur um furje
SBinfe unb Slnbeutungen l^anbeln, ba be« ©toffe» fJüHe eine weitere
StttSfü^rung an biefer ©teile rerbietet ♦
3m (gntwidfelung^gange ÄauIbad^S wirb e« ben. Setrad^tenben
fietÄ auf^ SReue frappiren, bafe ber jugenblid^e Äünftler feine felbft=
156 ^ie 5^aulba(^'9(u^ftel(ung im ^unftgebäube.
ftänbige ßaufbal^n mit fo l^crb cinfd^ncibenben Äomporitioncn xok
bag 3taxxen\)au& unb bcr Sßerbred^cr aug verlorener Gl^re
beginnt. SBeld^e äbgrünbe be« Seben« mu§ ein jugenblid^eg* @e=
müt^ fennen gelernt l^aben, um in fo erfd^üttemben, l^art biö an
bie Äarrilatur fheifenben SüQtn bie SRad^tfeiten menfd^Iid^en 2)afeing
mit grellen Slifeen ju beleud^ten. Qn ber 2;i^at l^aben graufanie
Sugenbgcfd^ide Äaulbad^g ©emütl^ mit äfeenber »itterfeit erfüttt, bie
erft fpäter bei reifenber ©rfenntnife fid^ ju jener überlegenen Ironie
geläutert l^at, weld^e nad^mate in feinem SReinedEe gu^S ©eifeel
unb 5ßritfd^e mit fouoeränem ^umor über bag ganje aWenfd^enbafein,
über ^od^ unb SRiebrig, 2llt unb Sii^g, 3lrm unb 9leid^, fd^wingt.
S)iefe geifireid^en Äompofttionen, unter allen SBerfen Äaulbad^^ mU
leidet biejenigen, weld^e ben fiär!flen änfprud^ auf Unoergänglid^feit
in fid^ tragen, jtnb freilid^ weit entfernt Don ber ed^t nicberbeutfd^en
Skioetät be^ alten SJolföepoiS ober t)on ber anmutl^ooDen ©d^all^eit
be« ©oetl^efd^en (Sebid^tÄ; aber pe tragen in ber fJüHe püanter
©injeljüge bie ganje ©d^ärfe be^ Äaulbad^fd^en ©eifieS, jenen mut^=
willigen, alle menfd^Iid^en ©d|n)äd^en üerfpottenben fiumor, ber
unfern SReifter ju einem fieinric^ ^eine ber bilbenben Äunft ge^
mad^t ^at.
3mmerl|in finb biefe arbeiten, an bie fld^ fpäter in einzelnen
Stättern mand^eö ©eifteöoernjanbte reil^t, nur (Spifoben im ©d^affen
be^ 3J?eifierS, t)erglid^en mit jenen großartigen ©d^öpfungen, roeld&e
bie mittlere 3cit feinet Seben« auffüllen. 2)ie Äunfiliebe Äönig
griebrid^ SBill^elmS IV. fteHte Äaulbad^ bie l^od^bebeutfame aufgäbe,
im Sreppenl^aufe be« mnm SKufeum^ ju 83erlin bie SBeltgefd^id^te
in einem GpMu« t)on SBaubbilbern barjufietten. 2)en Slnftofe baju
gab bie Äompofttion ber ^unnenfd^lad^t, für ben Orafen SWac::
}t)n§!i auSgefül^rt, eine in Sfßa^rl^eit epod^emad^enbe ©d^öpfung, mit
meld^er ^aulbad^ fd^nell bie ©onncnl^öl^e feine« 3lufeg erflieg, fiier
t)ereinigte ^x6) poetifd^er ©d^toung ber ©rfinbung mit großartiger
greil^eit ber Äompofition unb anmutl^Dotter ©d^önl^eit ber gorm.
9Zod^ roanbelte l^ier ber junge Äünftler auf ben oon feinem 3Reiftcr
Gomeliu« eingefd^lagenen Sahnen; aber im Maren gluß berfiinien,
in roeid^er unb bod^ fraftiooHer 3^i^"i^^9 ^^^ Oeftalten, in einer
big jur eieganj gefteigerten ©efd^meibigfeit be« SBortragö fd^Iug er
2)ic KQuI6ac^:3rußfteaung im 5lunftgcbäube. 157
SBcifen an, roeld^e mit einem ©daläge biefem neuen Sbeali^muS bie
üoUe ^Popularität errangen, beren ®unft ber fpröbe 6orneIianif(if)e
etil in feiner l^erben ©röfee üerfd^mäl^t l^atte. 2Ran fann ba^er
nid^t bel^aupten, wie e« too^I gefd^el^en ift, Äaulbad^ ^ahe pd^ feinen
eignen ©tU gebilbet. ©d^on in ber fiunnenfd^Iad^t rielmel^r tritt
bie »efonberl^eit feiner Sluffaffung glänjenb ]^en)or, nad^bem er in
ben ?ßf^d^ebilbern für ben 5palaft beg fierjog^ SRaj:, Don benen
unfre Slu^SfleHung ebenfalls groben bringt, nod^ t)öllig in ben l^erben
formen be^ ßornelianifd&en ©tileiS fid^ bewegt \)atk. ^n ben rein^
ften unb ebelfien SKanifeftationen beö Äaulbad^fd^en ©eniug gel^ören
bagegen bie in ben Ärfaben beS fiofgartenS ju SWünd^en au«gefü]^r=
ten ©njelgefialten ber baprifd^en ?5Iöff^ (leiber in unfrer Slu^s
Pellung nid^t vertreten), unter benen bie 3)onau gerabeju atö Haffifd^
bejeid^net werben mu§. fiter ifi bie ©d^önl^eit ber gorm nod^ t)oD=
auf geföttigt von ebelfter SRaturwal^rl^eit unb einer bewunberung«=
würbigen gein^eit d^aralteriftifd^en 2lu«brudt3. SBar in bem ©treben
naö) anmutig unb ©d^ön^eit unt)erfennbar ein nid^t ju unterfd^ä^en*
ber SBorjug enthalten, fo lag bod& barin aud^ ber gefä^rlid^e Äeim
jener ©efattfud^t, weld^e im weiteren SSerlaufe ben SKeifier mel^r unb
mel^r auf 2lbwege bringen mufete. ^m 3;i^urmbau ju Sabel ift
nur erft wenig bat)on ju fpüren. ^ie einjelnen aSölfergruppen,
roeld^e l^ier, plöftlid^ il^re^ ©egenfafeeS inne geworben, feinbfelig au^=
einanberjlieben, finb doH geifireid^er ß^arafterifiif, fo bafe man in
ein Äompenbium ber SOößerpfpd^oIogie ju blidfen glaubt. Stritt l^ier
irgenbwo fd^on bie ©d^ranfe be« aWeifierS entgegen, fo ifl e^ in ber
t^eatraüfd^en ©eflalt be« Äönigg unb in ben giguren ber l^imm^
lifd^en aWäd^te, bie in i^rer äußeren eieganj bie innere ©röfee be^
©inne§ oermiffen laffen. SBie ganj anberS weife ein ßorneliu^ bag
im l^öd^jien ©inn S)amonifd^e fold^er ©eftalten mad^toott l^inju=
fietten !
e^ folgt bie SBlütl^e ©ried^enlanbs. Offenbar wollte l^ier
ber 3Weifler Don feiner fd^önen »egeifierung für ba» ftaffifd^e ältere
t^um red^t nad^brüdtlid^ S^ugnife ablegen. aSott ®eifl ifi wteber bie
erfinbung: mit genialem ©riff wirb fiomer afe ©änger in ben
3RitteIpunIt gepeilt, an ben ringsum alle l^ö^ere Äultur anfnüpft.
aWan pel&t, wie ber SBilbliauer aug ben SBorten be« ©ängerö bie
158 2)ie 5laulbac^'^udfteaung im jlunftgebäube.
Snfpiration ju feinen ibealen ©eftalten f(3^öpft. aber bie Kompo-
fition erftidft in ber UeberfüDe ber geiftreid^en aWolioe. SBorn %\)tt\^
mit i^rem ©efolge, afe Sfnbeutung, ba§ ber SBerl^errlid^ung il^reä
©ol^ne^ bie ©efänge beS S)id^ter^ gelten; im ^intergrunbe bie
Süngltnge, um ben Dpferaltar tanjenb, an^ beffen SHaud^woHen jtd^
bie luftige SBrüde gehaltet, auf tüeld^er bie olpmpifd^en ©ötter in
feftlid^eni SReigen ju bem tbtw erbauten Stempel nieberfd^roeben: ba^
ifl be^ ©Uten unb (Sd^önen }u Diel, fo l^errlid^ aud^ im Sinjelnen
9Kand^e§ fein mag. SS>äf)renb bei ©ornetiu^ in ben reid^ften Äom=
pofitionen allein gleid^fam fn;ftallinifd^ an einen Äernpunft anfd^iefet,
tritt l^ier bei 5taulbad^ }um erften Tlal bie Derl^ängnigvolle Steigung
auf, feine Äompofitionen wie eine 5ßerlenfd^nur aufjufaffen, an meldte
er in lofet Stnfügung immer neue ©lieber rei^t, bie bei aDer ©injet
fd^önl^eit ba^ SodEere be^ ©anjcn bod^ nid^t t)ergeffen laffen. Slud^
ift nid^t JU oerfennen, bafe fein fiomer unfre erl^abene SSorfieEung
Don bem göttlichen Sänger toenig bedK, melmel^r bebenflic^e 9le^n=
lid^Ieit mit einem Dperbar^ton l^at, mie benn bai^ Sl^eatralifd^e,
ja Salletmdfeige ber tanjenben Sünglinge nid^t minber fiörenb wirft.
SRod^ entfd^iebener treten biefe aWängel bei ber 3«tfiörung
Serufalem« auf. 3)ieS gef d^idEt arrangirte, mit allen Seleud^tungg«
effeften in ©jene gefefete S)rama lommt über ben (SinbrudE einer bei
bengalifd^em geuer abgefpielten ©d^lufefjene in ber großen Dper
taum l^inauiS. 2)ie ©ruppe bed einigen 3uben unb gegenüber bie^
jenige ber abjiel^enben Gl^riften, fo geiftreid^ erfunben, fo meifterlid^
fomponirt unb gejeic^net fie finb, in biefem 3uf<^nimenl^ange werben
fie ber einl^eit beg ÄunftroerK el^er f(^äblid& als förberlid^. 3fl
aber l^ier bie Äompofttion im ©anjen unleugbar ooE Äraft unb
SBirfung, fo lal^mt biefelbe bei bem Silbe ber Äreujfal^rer in
auffaEenbfier SBeife. 35iefe auS ber Sil^eatergarberobe foftümirten
Slitter, biefe loquetten 2)amen mit bem gallen auf ber ^anb unb ber
finnlid^ften SBeltluft im äuge, biefer ganje bunte Slpparat, ber nur
friooler ©d^auluft frö^nt, fte^t in fd^neibenbem Äontrajl ju bem
©ruft beS ©egenftanbeS. Unb mie fd^emenl^aft leer ijl ber auf
SBolfen erfd^einenbe ©rlöfer. Äaulbad^ l^at l^ier wie in ben übrigen
Silbern bie l^immlifd^en SUJäd^te aU Steflej ber änfd^auungen ber
oerfd&iebenen 3^itepod^en in feine SJarfteEung ^ineingejogen, unb
2)ie Äaul5ac^=2ru8fteffung im Äunftgebäube. 159
ixoax mit üoUcm SRed^t, bcnn nur burd^ fold^e ©pmbolif ift bie ganje
Siefc be« geiftigcn fiorijontö jur Slnfd^auung ju bringen, aber
eine flepitfd^ ironifd&e SRatur wie bie feinige t)emiod;te gerabe für
biefe ©eite ben überjeugenben unb ergretfenben Sion nid^t ju finben.
Sei adem 9(ufgebot t)on Stnmutl^ unb ®roBartigIeit bleibt batier
bie gorm burd^roeg leer unb fd^aut un^ gleid^fam a\x^ \)oi)k\\ 3tu=
gen an.
hieben biefen fiauptbilbern tourben bie einjelnen beioegenben
$KädE|te ber ©efd^id^te in großen ©onbergeftalten oerförpcrt: ©age
unb ©efd^id^te, S)eutfd^Ianb unb St^K^n, bie großen ©efeftgeber unb
fiecrfül^rer, enblid^ bie Äünfte mit ©infd^Iujs ber ilupferfted^erei,
meld^er ein befonbere« 2)enfmal ju fefeen ber 3Jleifter mol^I SKnIafe
liatte. §eute mürbe er, aug &\)nlx^em SBcweggrunb, mMi)t bie
^^otograpl^ie liinjugefügt l^aben. 2)iefe Oeftalten geben intereffante
3luffd^Iüffe über Jtaulbad^S ©d^önl^eit^ibeal, aber aud^ über bie jäl^
eingetretene SSerffac^ung bejfelben. aSon ben großen aWalern beg
©inquccento l|at fid^ unfer aWeifler fietS femgel^alten; bie Slntifc aber
l^at er eifrig ftubirt unb jur gül^rerin gemad^t. aWan crfennt e^
befonber« an bem feinentmidtelten galtenmurf ber ©emänber, ben
er flet» mit großer Sorgfalt, aber nid^t feiten auf Äoften ber bat)on
umfd^lojfenen Äörperform burd^gebilbet l^at. Slud^ feine Sbealföpfe
fxnb nad^ ben antifen Sppen geformt, ol^ne ba§ eS il^m jebod^ an^
gelegen geroefen märe, biefelben burd^ fiet^ erneutei^ Qutüdixti^tn
jur 9iatur oor lonoentioneHer fieere ju bemal^ren. ©aneben fommt
bei grauen unb Äinbcrn l^äufig ein femitifd^cr Äopft^puÄ oor, ber
mit feinen buntel glül^enben Slugen, ber gebogenen 9{afe unb ben
ßppig gefd^mellten Sippen jid^ nid^t minber monoton mieber^olt. ^n
ben eben befprod^enen Ginjetgefialten ift aujserbem bie übertriebene
Sänge ber ÄörperDer^ältniffe ein auffattenb manierifiifd^er 3wg. S)en
t)otten ®lanj feinet l^enlid&en 2;alenteS aber bewährte er in ber
unabfel^baren gütte ornamentaler ©ebilbe, mit meld[ien er in ^ilaftern,
?ßrebetten unb griefen, in Äanbelabern unb freiem SRanfenmer! bie
^auptbitber einfaßte. 3)ie munberbare Seid^tigleit be« ©d^affen«,
bie grud^tbarfeit ber ^l^antafie rermäl^len fid^ l^ier auf« glüdtlid&fte
mit ber geiflreid^en »emeglid[|Ieit, meld&e ben gefammtcn SOerlauf ber
aSettgefd^id^te, bie t)erfd[iiebenften »eufeerungen be3 ftulturleben« fid^
160 Xit jlaulbac^'^lueftettung im Munftgebäube.
gegcnioärlig ju nta^cn unb fünfllcrifd^ barjulegen weife. 6« ifl eine
erftaunlid^e aWnffe gcfdjiid^tlid^en, pl^ilofopl^ifd^en, Uteratifd^en unb
poetifd^cn ©toffeiS l^ier mit einer »al^rl^aft genialett Seid^tigfeit be^
roältigt unb in» freie Sfteid^ fünfWerifd^er ©d^ön^eit erl^oben. Sm
meiften gilt bieg von bem ben ganjen Sreppenraum ate frönenbe^
©tirnbanb abfd^liefeenben großen fjriefe, weld^er in föjilid^er ara=
beSle bie SBeltgefi^id^te afö ^eitere» Äinberfpiel Dor äugen pellt.
SBie baiJ ©attirfpiel ber antilen 2;ragöbie, fo folgt biefer Äinber=
frieö mit feinem grajiöfen SWutl^roillen bem ^atl^oS ber ^aupt*
bilber auf bem gufee. 6» xfi, ate ob ber aWeifier, ,,be» emften
Itone^ fatt", nun toieber red^t ben — Äaulbad^ fpiele. 3)lxt magrem
ßntjüdfen l^at er pd^ bem tJoDen ©trome feines ^umorS überlaffen
unb ein Sffierl gefd^affcn, ba» an l^eiterer ©rajie unb nedfifd[iem
Uebcrmutl^, unter toeld^em ftd^ bod^ überall reic^eiS ®eban!enleben
birgt, fd&toerlid^ feineSgleid^en ^at. aWan betrad^te, um au« l^un-
berten tjon 3üßen nur einen fierDor^ul^eben, ben Keinen SpoH, meld^em
jmei ed^te SRufifentl^ufiaften, eiepfiant unb @fel, mit fo rül^renber
Eingabe l^ulbigen. Xtx erftere, offenbar nad^ reid^ befefttem 2)iner
bie Slufif ate mol^IgefäHigeS ®effert ju fid^ nel^menb, ber anbre mit
unnad^al^mlid^er ©^alltieit ate ilunpentl^uflafl ber l^öl^eren ibealeren
©attung d^arafteriprt. 3Ran mirb nid^t mübe, biefe ^eiteren Äom=
pojitionen ju fiubiren, unb man mirb in jeber fjigur einen fein
oerftedten ©inn entbedfen.
©0 allgemein unb fo geredet gleid^ bei il^rer @ntfle^ung bad
entjüdfen über biefe Äompofitionen mar, fo fd^nell ber aWeijler burd^
fie felbft in bem fpröben »erlin ber Abgott be« 2;age» geworben
mar, fo fehlte e» bod^ ni(§t an ernfieren ©timmen, meldte bie aRängel
ber großen SBilber gleid^jeitig betonten unb bie bebenHid^eSSerflac^ung,
ben SRangel an ftttUd^er ^ol^eit, an @röj3e unb @mfl be§ ©tileS
aufbedften. ©n fo geiftooHer SWann mie Äaulbad[i mufete felbfl
fül^Ien, bafe eiJ auf biefem SBege nid^t weiter gelten bürfe, bafe er
mit jufammengefafeter Äraft einen legten Trumpf auSfpielen muffe,
um bie 5ßartie }u feinen ©unften mieber^erjuftetten. 3eit warb il^m
ol^nefiin burd^ ben Äampf ber ©trömungen in be« ÄönigÄ Umgebung
gelaffeu, ba man bie romantifd^cn SReigungen be« gürflen benufete,
um i^m ate ©d^lufebitb bie Sieformation auSjureben unb bafür —
!!)ie ^au(5ac^:3(u0fteirung im jtunftgeböube. * 161
unglaublid^ aber wal^r! — bie burd^ bcn Äönig üoHiogcne (Srunb-
fteittlcgung jum Su^bau bcd Äöincr 35om^ anjucmpfc^Ien. erfl
mit bem SRegierunggantritt bc^ ^prinjrcgcntcn, icfeigen Äönigg unb
Äaiferg SBill^cIm würbe bicfcn rcaftionörcn Scnbcnjcn ein 6nbe ge^
tnad^t unb bic äui^fü^ruug bcÄ SJeformation^bilbeg beftnitit)
bef(!^loffcn, S)a6 Äaulbad^ bcn ©egenfianb aber in umfaffenbRem
Sinn erweiterte unb bie Äompofition ju einer großartigen ©efammt::
fc^ilberung be^ B^i^Iter^ ber 3lenaiffa«ce unb ber 3leformation ge=
ftaltete, war in biefem Siiföntmen^ange ebenfo begreiflid^ atö ge=
rechtfertigt. 2Kan jie^t be^l^alb im 6^or ber Äird^e niöjt bloß Sut^er,
bie Sibel empor^altenb , bie anbern Sleformatoren bag äbenbmal^I
au^tl^eilenb, fobann in ben ©eitend^Sren bie aWeifter ber italienifd^en
unb ber beutfd^en Äunft, wobei ftaulbad^ fid^ felbji auf ber ßeiter
al^ befd&eibenen ©el^ilfen 3)ärer« angebrad^t l^at, fonbcrn man er^
fennt in ben l^enlid^cn ©nippen be^ aSorbergrunbe^ einerfeitg bie
fiumaniPen, 2)id^ter unb ©elel^rte bis auf Sl^afefpeareunb ©alberon,
anberfeitiJ bie SRaturforfd^er, SKatfiematifer, SBeltumfegler, unter
biefen bie impofante ©efialt beS 6olumbu3. S)er 3Reifter l^at ^ier
in wal^rer Segeifterung fein SBefteS gegeben unb biefe faft unabfel^s
bare Sleil^e erlaud^ter (SeijieS^elben in fd^arfer inbioibueßer ©es
tlimmtl^eit unb bod^ jugleid^ in ^iflorifd^ monumentaler Sebeutfam-
leit auÄjubilben gefud^t. 3Wd^t ju leugnen iji aud^ bie bewunberungö*
roürbige aWeifterfd^aft, mit weld^er ein fafi überreid^e« ©anje ge«
gtiebert unb in wirtfamen ©nippen aufgebaut würbe. 3)enno(^ barf
nid^t oerfd^wiegen werben, baß bei biefem in bie Sreite gel^enben
äfleid^t^um bie Xiefe beeinträd^tigt wurbe^ baß bie ßinl^eit beS ©anjen
nur eine äußerlid^e ift, baß ein jwingenber, baS ©anje belierrfd^en*
ber SWittelpunft fel^lt, unb baß am allerwenigfien ber unbebeutenbe,
in ben ^mtergnmb gerüdte. Sutl&er, um beff en »ibel fid^ lein SWenf d^
im gonjen Silbe fümmert, ber Äompofition afe geiflige« Stntxuvx
bienen lann. 3)iei^ muß gefagt werben, fold^en gegenüber, weld^e
baS ^aulbad^fdde Silb ätafaete @d^ule t)on Sltl^en ebenbürtig jur
©eite fteHen wollen. 3m übrigen enthält bieiJ große SBerl fo oiel
freie menfd^Kd^e ©d(|önl^eit unb 9lbe( ber Sl^aralterifiif, wie wenige
©d^öpfungen ber heutigen 3^it- — S^fet ^^^ ^^^^ jufammen,
fü wirb man biefen großartigen SplluiS im ©anjen ju ben bebeut-
11
162 * S)ie S^aulbac^ Slu^fteUung im ^unftgeBäube.
famficn ©d^öpfungcn bcr neueren Äunftgefd^id^te red^ncn muffen,
wenn aud& im ©injelnen ©d^roäd^en unb aiiängel mand^erlei 2lrt
mit unterlaufen. Äaulbad^ ift fo ganj, fo auSfd^Iiefelid^ ©o^n feiner
3eit, bafe er in ^ol^em ©rabe, wie il^re SBorjügc, fo anä) i^re
iSd^mäd^en tl^eilt. Sedieren l^at er fogar mel^r aU notl^wenbig nadj)=
gegeben, me^r atö ein wa^rl^aft großer Äünftler follte, bcn ©tim=
mungen unb bem Urtl^eil ber öffentlid^en aWeinung SRe^nung ge=
tragen. SBenn il^m barau^ oon geroiifer Seite ^er ein SRul^meälitel
gefd^öpft wirb, jugleid^ unter bem fiinroei^, bafe GorneliuS ba^ ber
3eit auiberfirebenbe gegeben l^abe, fo mirb man bie^ Urtl^eil ftar!
mobifijiren muffen. 35enn ber wa^re Äünftler fott roeber burd^ ©toff
nod^ burd^ gorm um bie ®unft ber 3Jienge buhlen, eingeben!, bafe
ba« leidste Oefallen jur ©efattfud^t, biefe aber notl^roenbig auf Stb^
mege fü^rt.
SQBäre e^ nötl^ig, bie^ im ©ntroidelung^gange Äaulbad^g weiter
nati^juroeifen, fo mürben baju feine Äompofitionen nad^ ©l^afe=
fpeare unb ©oeti^e genügenbe »eifpiele liefern. SRamentUd^ in
©oetl^e« grauengeftalten tritt ba$ ©latte, ©üfee, Ueberjierlid^e, nid&t
feiten mit einem 3"f^6^ ^^^ fiüfternl^eit Sufgepufete in einer SQBeife
^eroor, meldte beutli^ an t^eatermägige« effettl^afd^en erinnert.
3n ben ©jenen nad^ ©l^afefpeare bagegen ift ber Äünftler meift
iener Uebertreibung be3 äuSbrudfeS oerfaDen, meldte ebenfalls ben
©erool^nl^eiten ber mobernen SBül^ne angehört. Sejeic^nenb für ba«
83anale biefer SRid^tung be^ aWeifter^ ift jene Sleu^erung eine§
materialiflifd^ gefinnten Äunftfritifer«, meld^er ben SBertl^ fünfts
lerifd^er ©d^öpfungen nad^ ben oon il^rem Slutor oerjel^rten ober
nid^t oerjel^rten ©änfeleberpafteten unb Sufteni mit Champagner
abfd^äfet, unb ber bemnad^ ÄauIbad^S SBerfe „genießbarer" finbct
ate bie angeblid^ „unglaublid^ l^arten unb l^äfelid^en" S)ürer8. SJarauf
ift einfad^ ju ermibern, ba§ bie fogenannte ^äßlid^feit 2)ürerfd^er
arbeiten nod^ jeftt nad^ brei Sal^rl^unberten jeben nid^t ganj banau=
ftfd& gefinnten aWenfd^en mit Siebe unb »ewunberung erfüttt, mä^renb
mit SBeftimmtfieit ju bel^aupten ift, baß Don ben fo mobem ge^
fälligen SBerfen itaulbad[i^ gar Wlan^e^ in furjer 3^it oeraltet
fein mirb.
Sffiar bie^ ia fd^on )u Sebjeiten be« aWeifteriS mit ben merf=
^le J^autOac^ Slu^SfteUung im ^unftgeBäube. " 163
TOürbigcn aBanbgcmälbcn ber gall, in roeld^cn er an bcn Slu^cn^
roanbcn ber neuen ^inafottiel bie (Sefd^id^te ber ntobcrnen Äunft
barjufieHen l^atte. 3)kn fie^t biefe intereffanten Äompojitionen eben=
fallg in unfrer SluSfteüung, wirb jtd^ aber fagcn muffen, bafe bieS
rool^I ber ©til für ein Sffiifeblatt, nid&t aber für ein monumentale^
©ebäube fei. Ueberblidt man fd^liefelid^ bie erfiaunlid^e Sleil^e ber
Äompofitionen unfre« SKeifler», ben SReid^tl^um unb bie Seid^tigfeit
beg @eflalten§, bie grud^tbarleit ber 5pf|antafie, bie %Mt oon
©d^önl^eit, GJeift unb Sffii^, fo roirb man fid^ Qt^it^en, bafe er eine
ber l^errorragenbften ©rf Meinungen ber mobernen Äunft war unb
bafe felbft feine gel^ler unb ©d^attcnfeiten mit baju beitrugen, il^m
feine cinflufereid^c unb epod^emad^enbe ©tellung in ber l^eutigen
Äunftentroidelung anjuroeifen. ®r ift, um e« furj jufammenjufajfen,
berjenige 3Keifier, in meld^em ber Sbeali^mu^ ber Sornelianifd^cn
©d^ule feine ©elbftauflöfung DoDjietit, inbem er wie bei ben SRos
mantifern in ber Sitteratur fid^ jur S^onie tjerflüd^tigt, bie bann
naturnot^roenbig felbft ba il^r nedifd&eS ©piel treibt, wo ber feier=
lid&fte ernft beabfid^tigt wirb, fiöd^fter abel unb jtrenge Steinzeit
müjfen unter fold^en SJerpltnijfen leiben, aber bejaubemb ift unb
bleibt immer nod^ bie ©umme t)on Slnmutl^, Äraft, ©d^önl^eit unb
©d^alf^aftigleit, meldte baS oerfd^menberifd^e fjütt^orn be^ l^od[i-
begabten Äünftlerö über unS auSfd^flttet.
am Uttöttper |u Strasburg,
(„Änjtinxin« Seilunfl" 1875.)
^u bcn toid^tiöften ^crfieUung^bauten am ©tra^burgcr SRünfler
gehört btc »cbad^ung bcr auf bcr SKitte (ber „aSicrung") be3 Ducr-
fd^iffciJ fid^ er^ebenben Äuppel. SBcnn bic Söfung bicfcr fd^roierigen
grage in fünfilcttfd^ genügcnbcr SBcife erfolgt, fo fann man c» afe
ein ©lud preifen, bafe ba« Sombarbement von 1870 bie J^ä^Kd&e,
t)on 83lonbeI na(§ bem Sranbe t)on 1759 errid^tete, abgeftumpftc
^tiramibe jerfiört l|at. 211« fürjüdö beim S)om }u 3Ratnj bie grage
nad^ bem SReubau beS bortigeh öftlid^en ihippeltl^urmeö jur 6nfe
fd^eibung lam, lag bie 6ad(ie tjicl einfad^er al« beim ©tra^burger
ÜWünfier. Sort, in aWainj, l^anbefte t& jid^ um einen ganj im
romanifd^en ©tile burd^gcfül^rten S3au, bejfen fpätcfte roejilid^e S:^eile
fogar nod^ bie ©runblage jener SBauroeife erfennen laffen; ^ier,
beim ©trafeburger aWünfler, flellt ftd^ bie Slngelegen^eit weit ©er-
loidEelter bar. 3)a§ im ßrnft t)on SBieberauffttl^rung beiS Slonbelfd^en
2)ad^e3 nid^t bie SRebe fein lann, liegt auf ber ^anb. SQBo^I aber
erfiebt fxd^ bie Sllternatioe: foH bie ^crfleHung im romanifd^en ober
im gotl^ifd^en ©tile erfolgen? 35er befanntKd^ fe^r fd^Iid&te, rer-
j^altni^mäfeig unbebeutenbe ßl^or jeigt bie romanifd^e Sauweife;
bag Duerfd^iff läfet ben Uebergang^ftil be« 13. 3^'^^^unbertS er*
fennen, im füblid^en glügel bereit« mit Hinneigung jum %xü^-
got^ifd^en; bie übrigen 2;^eile, fiangl^au« unb gajfabe, finb ba«
Sie 2Biebcr§erftcEung ber SicrungSfuppel am SKünfter ju ©trapurg. 165
gro^artigflc unb eigentl^ümUd^fte SBerf roHenbcter ©otl^il in S)cutfd^=
lanb. 3la^ aUcbem ift cS bcgrcifUd^ bafe bie gragc forool^I ju
©unPcn beÄ romanifd^cn al^ bc§ gotl^ifd^en @ttle§ beantwortet
werben fann.
S)ie aSerwaltung be« 3Wünfterbaue§ l^at ble SBid^tiflfeit ber
Slufgabe in Dollem Umfange gerottrbigt, unb ber tiod^üerbiente
3Wünfterbaumeifter fierr Älofe bietet in einer lürjlid^ publijirten,
burd^ fed^« ^l^otograpl^ien erläuterten, furjen ©d^rift bie SRefuItate
feiner ©tubien über biefe grage. S)iefe geroijfenl^afte, an bie S)i§'
fuffion ber gad^männer appeDirenbe Sel^anblung^roeife rerbient
um fo wärmere Slnerlennung, afe fie wol^Itl^uenb abftid^t von ber
faft allgemein beliebten Sttuffaffung, meldte oft bie wid^tigfien fünft=
lerifd^en gragen lebiglid^ au^ ber SlllroeiSl^eit unb aHmäd^tigfeit ber
SBüreaufcatie entfd^eibet. 3e l^öl^ere Sebeutung aber ba^ l^errlid^e
S3aun)cr! atö ein eben erft miebergeroonneneg ?ßallabium beutfd^er
Äunft unb beutfd^en fianbe^ beanfprud^t, um fo weniger bürfen wir
un^ einer offcntlid^en Darlegung ber ©ad^e entjiel^en. SJer ^er*
fteUungöentwurf, wetd^en ber SSaumeifter jur Slnnal^me empfiel^lt,
ift nad^ einem in ©traftburg gegenwärtig au^gefteEten SRobell in
jwei pl^otögrapl^ifd^en aiufnal^men mitgetl^eilt ; bie übrigen ber
©d^ri^ beigegebenen 33Iätter fteHen bie tjerfd^iebencn frül^eren Se-
badl^ungen bar. 35ie wid^tigfte unter biefen ift ol^ne grage bie fo-
genannte Sifd^of^müße bei8 14. ^a^rl^unbert^, ein ad^tfeitige^ gotl^i-
fd^e§ 3)ad^, au§ ad^t mit SDlafewerf burc^brod^enen ©iebeln ober
SBimpergen jufammengefügt, in ber aJIitte uon einem fd^Ianfen
©ad^reiter überragt.
S)er neue ©ntwurf l^ält in ftrenger SBeife bie formen be^
romanifd^en ©tileS feft unb feßt auf bie ehemalige Meine ©äulen=
galerie, weld^e ben ad^tedfigen 33au abfd^Io^, ein oerjüngteS mit
einem SÄunbbogenfrieS beforirteS ©todtwerl, gleid^fam eine 3lttifa,
über weld^er bann erft ba§ ad^tfeitige 3«ftbad^, tjon f leinen S>ad^=
lufen unterbrod^en, auffteigt. 35er 2lrd&ite!t l^at atte SKül^c auf=
gewenbet, um bem ©anjen eine ^öl^e ju geben, weld^e wirffam fid^
über bie beS mäd^tigen aWittelfd^iffbad^e^ ergebe. Um ber Äuppel
nod^ mel^r Slad^brudC ju geben, wiH er fogar bie SJäd^er ber Duer=
fd^iffarme beträd^tlid^ niebriger gehalten, woburd^ jugfeid^ bie Meinen
1 66 Xit SQiebet^erfteUung ber Stetung^fuppel am SRünfler }u Strasburg.
«
^enfter in ben ©eitenroänbcn ber Äuppel wicbcr frei lofirbcn. SBa^
}unä(^ft bicfe« (entere SDUttel betrifft, fo roitb'man fid^ mit bem^
felben fd(in)crlid^ befreunben fSnncn, weil baburd^ bic ©iebciroänbe
ber Cuerflügcl ju einer bloßen 3)eforation l^erabfinfen. S?er ©ewinn
an i^id^t roiegt biefen äfll^etifd^en SRad^t^eil um fo loeniger auf, afe
berfelbe ein fe^r mäfeiger fein toirb, unb um fo leidster gu ©er«
fdimerjen, aii baS feierlid&e fialbbunlel biefer 2:^eilc ju bem grofe^
artigen (Sinbrudfe beö Snnem mefentlid^ beiträgt.
aber abgefel^en von biefer SRebenfrage, fd^eint un^ antS) für
bie $auptfad[)e, tro^ aller aufgemanbten SRul^e unb trog ber 9lm
ertennung, bie man ber gemiffenl^aften unb roo^lburd^bad^ten Äoms
pofition jotten mufe, nid^t baS SBünfd^en^mert^e erreid^t ju fein.
Xtnn obxoo\)l ber 'Jlrd^iteft feine jtuppel auf bad möglid^ ^öd^fle
9Ma6 ber ©rfiebung gebrad^t ^at, wirb Re im Umriffe be^ gangen
JBaued fidi bod^ nid^t lebenbig unb loirffam genug l^eraugl^eben ; fic
mirb Dielmetir toie eine unfd^öne a)?affe, fd^ier toie ein §ödter, auf
bem anittelfd^iffe ju taften fd^einen.
SBill man burd^auS eine Söfung im romanifd^en ©tUe, fo
wirb man, unfrei ®radf)tenS, ju roirffameren formen greifen muffen,
bie fid^ lebenbiger fül^ouettiren unb fd^on au^ ber gerne eine ge-
fäfligere ©Ueberung erfennen laffen. 5J^a eö in fold^en ^agen ftet^
ba^ gerat^enfte ift, jtd^ bei ben alten SJlonumenten umjufd^auen, fo
fönnen wir aud^ für biefen gaU bort bad geeignetfie auffinben. SBir
würben jroei oerfd^iebene Söfungen jur 5ßrüfung empfcl^Ien: eiitroeber
man täfet auS bem ad^tfeitigen 5ßpramibenbad^ eine obere ßateme
mit ftiliftifd^ entfpred^enber Ärönung l^eroorgel^en, unb erl^ält bann
jeneö aWotio, roeld^e^ an ber Äuppel oon ©t. Slpofieln in Äöln fo
fd&öne aSirfung mad^t; ober man oerjid^tct auf biefe Sel^anblung,
bleibt beim einfad^cn ad^tfeitigen ©pifebad^, gliebert bagfelbe bann
aber euergifc^er, inbem man bie bürftigen genfterlufen ju ooIU
ftänbigen ©iebeln ober SBimpergen au^bilbet. aWan erhält fo jene
freiere ootlfommenere SJad^löfung, mie fie j. 83. am Gl^ore ju ©eln^
l^aufen, am Äuppettl^urmc }u ©injig unb an anbem mittelrl^einifd&en
aWonumenten baS 2luge fo angenel^m befdEiaftigt. 3Barum foHte
man biefe mittelrl^einifd^e gorm nid^t an ben Dberrl^ein übertragen?
Unb warum foüte fie nid^t audEi in ben grofeen SSerl^öltniffen be^
3)ie aBieberrjerfteHunö ber SBicrunggrupper am 2Rünfier ju ©tra65urg. 167
ettajsburger 3Künftcr3 burd^fü^rbar fein? 3n bciben pllcn roäre
ein aKittcl gewonnen, burc^ roeld^eS ber Äuppclbau einen bebeut^
fameten, lebenbigeren, für bie ©efammterfd^einung beS SKünfterS
günfitgeren abfd^Iu§ erl^ielte. ^proben müßten balb ergeben, weld^eS
t)on beiben Dorgefd^Iagenen SRotben ba§ beffere für biefen gaU
fein wirb.
Silber roit gelten einen ©d^ritt weiter, inbem wir bel^aupten,
baß aud^ barin bie paffenbfte Söfung ber fd^roierigen Aufgabe nod^
nid^t }u erfennen ift. 3Kir felbft wirb fein Äunbigcr einfeitige ^ox^
liebe für bie ©otl^if nad^fagen; id^ l^abe im ©egentl^eil fietg bie
l^o^e felbftänbige S3cbeutung ber romanifd^en Äunft tjerf ödsten, wo
biefelbe oon ganatifern ber (Sot^il geleugnet würbe. Slber im oor*
liegenben gaUe ftel^e id^ nid;t an ju befennen, bafe mir bie SQBiebers
^erfiellung einer ber fogenannten SBifd&of^müfec be^ 14. Sal^rl^unbert^
möglid^ft nal^e fommenben Sebad^ung^form ba^ paffenbfte unb fd^önfle
JU fein fd^eint.
a)Zad^en wir unS bie ©ad^lage flar. ßö l^anbelt fid^ im ©inne
be^ romanifd^en ©tile^ ja nid^t um eine SBieberEicrftellung in in-
tegrum. 58on romanifd^en gormen bemerft man am ganjen Sleufeeren
fo wenig, baß ein SBetonen biefe^ ©tileS, au§ bem ©runbe weil
berfelbe im 3nnern ber Slpfi^, in ber Ärppta unb jum S^l^eil im
^reujfd^iff fid^ uerrät^, im§ eine antiquarifd^e Ueberlreibung fd^eint.
©tatt beg romanifd^en ©tileS tritt Dielmel^r am ganjen ^a\x ber
got^ifd^e fo pegreid^ auf, bafe er nid^t blofe jum größten S^^eile
au^fd^liefelid^ ^errfd^t, fonbern fogar ben älteren Partien feine
gormen aufgebrungen ^at. 9lun foHen fid^ über ben got^ifd^en
SRaßwertfenftem unb ©dfialen ber Äreujarme bie fd^weren gormen
eines ftreng romanifd^en Äuppeltl^urmeS ergeben, ber troß aller
Slnftrengung fid^ bod^ laum über bie fiinien be« fiangl^aufeS auf^
jufd^wingen vermag. SZBeld^ aJIeifterftüdE ard^itettonifd^er Äompofition
war bagegen baS S5ad^ beS 14. Qa^r^unbertS, bie fogenannte
Sifd^ofSmü^e! SBic ein reid& gefd^müdEteS S)iabem honte eS mit
feinen ad^t aWafewerfgiebeln ben ganjen Sau, in unübertrefflid^er
aSeife bie ©teile be§ Eluerfd&iffe« bejeid^nenb. 3nit SRed^t l^at bie
DoBenbete ©otl^if in iliren SJleifterfd^öpfungen bie fd^weren Äuppel-
t^ürme auf ber SSierung befeitigt, wie fie aud^ im Innern ber
168 ^ie SBieber^erftedung bet SBtetungdhtppel am ä^ünfler ju @tra^burg.
©eioölbc bicfc^ X^tiU^ nid^t tnel^r, nad^ bcm SBorgang ber romani^
fd&en 3^it, eine bominirenbe unb z^tl\x[xvt ©efialt gab, fonbcm c§
atö intcgrirenbcn S^cil ber gefatnmten ©etoölbanlaße be^ SRittel-
fd^iffe^ au^bilbete. SBar in jenen ftuppeltl^ürmen ber früheren
©pod^e ber 6inf[u§ b^jantintfd^er 3entralbauten ju fpüren, fo jiemte
e§ beut gotl^ifd^en Stil, mit biefen lefeten bpjantinifd^en anftdngen
}u bred^en. 2)ennod^ ©erlangte bie wid^ttge ©teDe be« ard^iteftonifd[ien
Organismus, wo baS Sangl^auS Dom iQuerfd^iff burd^fd^nitten wirb,
eine SBetonung aud^ im aeufeeren, 9Wit feinem fünftlerifd^en 2:afte
roäl^Ite bafür bie ©ot^if bie fd^Iante jierlid^e gorm beS ©ad^reitcrS,
unb es ift j. S. bei ber neuen ^erjlettung beS Kölner 35omeS einer
ber fd^roerften gel^Ier, ba§ man biefen ©ad^reiter in oiel ju breiter
unb anfprud^SDolIer SBeife auSgefül^rt l^at. S)er ©trafeburger aWeifter
beS 14. Sa^rl^unbertS, war eS Grroin felbft ober ein anbrer, bc=
möl^rte fein l^ol^eS ©efd^idC für Äompojition baburd^, bafe er auf
baS ad^tfad^e 2)ad& ber Sßierung jene fd^lanfe ©pi|e fefete, bie burd^
baS SBilb ber SJlabonna im ©inne jener 3eit eine ebcnfo poetifd^e
mie fünftlerifd^e Ärönung erl^ielt. ©o ergab fld^ eine ©ill^ouette
für ben ganjen Sau, weld^e, mie man leidet an^ aiierian fi(^ über=
jeugen fann, aud^ in bie gerne bebeutenb genug wirfte, ol^ne bod^
biefe ^Partie ju fel^r ju betonen, jugleid^ in überaus fd^öner rl^i)t^=
mifd^er SBed^felbejiel^ung mit bem 2;]^urmbaue ber gaffabe.
SluS biefen anmutl^ig reid^en gotljifd^en formen, bie in t)otter
Harmonie mit bem ©anjen beS SBaueS erbad^t waren, barf man,
unfreS ®rad^tenS, nid^t in bie gar ju toud^tigen fd^ioeren gormen
beS SRomaniSmuS jurüdEfaDen. ©oH eS bennod^ gefc^el^en, fo mirb
man ju ben jierlid^ften unb lebenbigften aWotix)en greifen muffen,
mie wir pc oben bargelegt l^aben. S)aS befte ift aber, fofern unS
Uid^t unfer fünftlerifd^eS ©efül^I t)öttig im ©tid^e Idfet, eine SBieber«
l^erftellung in möglid^ft treuem Slnfd^Iujfe an bie Äompofition beS
14. Sa^r^unbertS. SBenn biefelbe mit ber romanifd^en ©dulcns
galerie am gu^e ber Äuppel im SBiberfprud^c jlanb, fo wog fold^e
unbebeutenbe S)iffonanj ma^rlid^ gegenüber aßen anbem SSorjügen
leidet genug. SBir unferfeitS mürben an ifir aud^ jcßt feinen 2lnftofe
nehmen, meil ftd^ barin bie SRüdEfid^t auf baS l^iftorifd^e aSer^ältnife
bicfer SBautlieile auSfpröd^e. allein menn man an fold^em Äontrafie
^ie SBieber^erfteUung ber Sieruitg^fuppet am 3Rünfter au Strasburg. 1G9
^nftojs nelimen foKte, ba man Iieutjutage ha^ jlorrelte pl^er ju
fteKen fd^eint a(d a0e anbern t)ie( tDid^tigeren Elemente einei^ Jtunft-
wtxU^, fo lönntc man ja aud^ bicfen %^txl in gotliifd^cr UmgcftaU
tung, bem übrigen entfpred^enb/ burd^ffil^ren.
ScbenfattiJ meinen toir, bafe biefe roid^tigc grage nod^ nid^t
fprud^teif ift, unb bafe ber I|od^t)erel^rte Saumeifter beiJ 3Rünfter^
ju feinen übrigen großen SBerbienften nod^ ein weitere^ fügen würbe,
wenn er feinem romanifd^en ^ßrojefte nun aud^ ein gotl^ifd^e^, auf
©runblage jener Slnlage be« 14. ^affx^mbevt^, gegenüberfteHen
n^oQte.
^ac^fc^riff 1884.
3?ie oben au^gefprod^enen Sebenlen l^aben an entfd^eibenber
@teDe feine 93ead^tung gefunben ; man l^at ard^öologifd^e 9iüdEfid^ten
ben fünftlerifd^en t)orangcjleIIt, unb ba^ ©rgebnijs tjl jener fd^njerc
SSierunggtl^urm, roeld^er ben Umrife beiS aJIünfteri? auf immer ent=
fiefft, unb an bem felbft feine Urlieber jefet rt)of)l fd^roerlid^ greubc
l^aben werben.
(„ÄHflimttne Btffune" 1876.)
D.
^or einiger 3eit erf)ielt id^ Don 3Kr. gortnum, ©tanmorc ^iU^
3Ribblefe]r, bie brieflid^e SüJittl^eilung, bafe fid^ in feinem Seftfte jroei
Sronjeroerfe Don 5peter SBifd^er befinben, übet roeld^e ber Sepfeer
bie ©efälligleit l^alte, mir genauere auiJhinft ju geben. Gr fügte
^apierabbrüde ber ÄünfilersSKonogramme unb ^pi^otograp^ien beiber
SBerfe l^inju, fo bafe id^ im ©tanbe bin, über biefe biSl^er unbefannt
gebliebenen SKrbeiten beS großen SRürnberger aWeifterö naivere S[uS=
fünft JU ertlieilen.
eg finb jroei 2;intenfäflier von faji gleid^er ©röße, baö eine 19,
bag anbre 16 cm l^od^, bie Safi^ bei bem erftern 11, bei bem anbern
10^2 cm im öuabrat. ®er Orunbgebanfe in beiben berfelbe, aber
in t)erfd^iebener ©urd^fül^rung, SBariationen über bai^felbe S^l^ema,
beibe von jener Driginalität unb f^ifd^e, raie fie nur ben SBerfen
bcg fd^öpferifd^en ©eniuö eigen finb. Sie Äompofition ift ganj eins
fad^. ein nadCte^ roeiblid^e^ gigürd^en fielet neben einer Sßafe, bie
ben SBe^älter für bie glüffigfeit barfiettt. ©ie legt bie linfe fianb
leidet auf ben oberen ^anb be^ ©efäfee^ unb mad^t mit ber redeten
eine bemonftrati^e ©ebärbe, beren ^nl^alt mir auiJ einem beige-
gebenen 2;äfeld^en, mit ber Snfd^rift „vitam non mortem recogita",
errat^en bürfen. ©in am SBoben liegenber 2;obtenlopf gibt eine
weitere Erläuterung biefeiJ ©prud^e^.
^ä) fomme nun ju ben SBerfd^iebenl^eiten ber beiben SBerfe.
S)aS eine, unb imar ba^jenige, meld^eö id^ für baiJ frühere ^alte,
jeigt in ber Se^anblung ber ard^iteltonifd^en formen ben 6l;arafter
ber jierlid^ fpielenben grü^renaiffance, gemifd^t mit mittelalterlid^en
3fieucö oon ?etcr Sifc^er. 171
©fcmcntcn. 3?ie SBafc ift nämlid^ üicrcdfig unb mit einem ©ectet
üerfe^en, beRen fiä^arfe ^profilirung ö^t^ifd^e gormbilbung etlennen
läj5t. 3?ag ©efäfe ift ftatf auögcbaud^t unb jerfällt in eine untere
Iont)ere unb in eine obere tonlaDc ^älfte, bie njed^f elf eilig fo in=
einanber Derf darauf t finb, baß bie oberen gelber naä) unten, bie
unteren naä) oben breiedig jugefpifct fmb. SBolutenartig aufgerollte
SBlätter auf ben @<fen ber oberen ^ätfte, ein männÜd^eS 5porträt=:
aRebaillon in gerippter UmfaRung, auf ben t)ier ©eiten njieberl^olt,
große, etroaiS tappig gebilbete SlfantJ^uö-Slatter auf ben unteren
glasen, jnjifd^en benen man ba0 befannte S^i^^n SBifd^erö, bie
mit bem SRüden t)erbunbenen gifd^e an einem Pfeile ober Speere
erblidEt, enblid^ üier Sötuenfüße aU Unterfaft bilben bie reid^e orna::
mentale Su^fiattung be^ jierK(^en, aber in feiner ©efammtform
etioaS barodfen ©efäfee^. ®er ornamentafe 3)rang be^ 3Reifter^ mar
fo grofe, bafe er bie oberen gelber nod^ ring« mit feinen Slattfriefen
einfaßte unb felbfl bie quabratifd^e ^platte, auf roeld^er baS ©anje
ru^t, mit einer gerippten (Sinfel^fung oerfa^. 3Kan wirb nid^t fel)t-
ge^en, toenn man fd^on toegen biefer beforatioen gormen baö SiNerf
in bie Qext be« Seba(bu«:=@rabeg rerfefet.
3?ie Sauptfad^e ift aber bie roeibli^e gigur. 2)ie linfe fianb
feid^t auf ben SJedtet ber SBafe legenb, ruljt fie ganj auf bem linfen
©tanbbein, roäl^renb ba« redete Sein baburd^ beträd^tlid^ üerfürjt
erfd^eint, baß ber guß fid^ auf einen am 33oben liegenben 2;obten!opf
feftt, in einer Seroegung, afe wolle fie benfelben njegfd^ieben. Snbem
fte nun ben redeten Slrm ftarf einbiegt unb mit bem ^tiQ^^n^n
eine ^inbeutenbe Seioegung mad^t, üollenbet fid) baburd^ bie fd^öne
unb leben^DoIIe rl^gttimifd^e Seroegung, roeld^e biefe Heine gigur
auäjeid^net.
EaiJ anmut^ige Äöpfd^en, über bie linle ©d^ulter etroag feit-
wart« geroenbet, trägt einen gfügelfielm unb fi|t auf einem lurjen
ißalfe, ber burd^ jroei über bie S3ruft l^erabfaHenbe ^aarfled^teu
fd^einbar nod^ bidCer wirb. 2)ie gormen ber ganjen ©eflalt finb
etioa« lurj unb gebrungen, xok man fie bei beutf(|en SBerfen ber
grül^renaiffance genjol^nt ift; aber fd^roerlid^ wirb man fid^ in unfrer
gefammten grül^renaif[ance nad^ einer jweiten nadEt^n ©eflalt um«
fd^auen, bie eine ä^nlid^e SSoIIenbung in ber gormbel^anblung, bem
172 9leiic$ oon ^cter SSifc^er.
fiebcn^gcfül^l, ben fraftoott pulfircnben Umrifeltnien jcigt. Unb
bod^ rerrätl^ fid^ bie ©cftalt auf ben erficn 83li(f burd^ bcn 33au
bcr ©lieber unb bie nam Slnmutl^ be« Äöpfd^eniS afe beutfd^. S)a§
ftarfe SBeloneu beg Äontrapofto, ber fd^arfe ©egenfaft jwifd^en ©tanb^
bein unb Spielbein beutet auf jene fünftlerifd^e SIenbenj, toie fie in
ber italienifd^en SRenaiffance um 1500 befonber^ burd^ 2lnbrea
©anfopino jur ^errfd^aft gebrad^t wirb. 3d^ möd^te aud^ au§ biefen
©rünben bie SKu^fül^rung beiJ SBerleö jroifd^en 1510 unb 1515 fefeen.
3n bem ©inne für elegante^ Ornament, in ber jierlid^en Surd^-
fü^rung unb ber ted^nifd^en SWeifterfd^aft entfprid^t e^ burd^auö bem
©ebalbui?s®rabe. Slud^ ber »epfter brüdCt gegen mid^ biefe anftd^t
avL^, inbem er bemerft, bafe bie Sronje roeber Sßatina nod^ SJer^
golbung ^at unb in garbe mie gefammter Sefd^affen^eit jenem
^auptroerle üerroanbt erfd^eint.
3d^ Iiabe ber Sefd^reibung nur nod^ baSjenige l^injujufügen,
roaö bie mir Dorliegenbe ^pi^otograpl^ie nid^t pöllig erfenncn läfet.
2luf bem Soben liegt nämlic^ eine Äeule, bie an bem einen Gnbe
in jierlid^ ornamentaler ©infaffung ein gelb mit einem aölebufen-
fopf in SHelief jeigt. 9lud^ ^ier bleibt ftd^ alfo ber aWeifter in feiner
Sleigung für jierlid^e 2)urd^bilbung treu, ©nblid^ liegt am SBoben
ein Xäfeld^en in gorm antiler Snf^rift^Safeln mit ben belannten
Ctiren jum Sefeftigen- ®§ trägt in fd^önen römifd^en Sud^ftaben
bie bereits ermalinte Snfd^rift. Sßon einem 2Ronogramm ober 9Jamen§=
juge beS SWeifterg finbet jid^ leine ©pur; aber fein Äenner ber Äunft
jener S^it wirb über bie Url^eberfd^aft 5peter SBifd^erS im S^eifel fein.
3d^ lomme nun ju ber anbern SSronje. ^ier ift bie meiblid^e
gigur jroar cbenfattiJ etmaS unterfefet, aber bod^ in merflid^ fd^lanferen
gormen burd^gefülirt. SBefonberg intereffant aber ifi, mie ber a)}eifter
baSfelbe örunbmotio ber ©teHung fo frei oariirt unb umgebilbet
i)at. aiHeS ift weniger angefpannt, weniger fd^arf accentuirt, mitber
im gluffe ber Sinien, roeid^er in ber Se^anblung. 3lud^ ^ier rul^t
bie gigur auf bem linfen gufee tjorne^mlid^, aber ber redete ifi
ebenfalls auf ben SBoben gefefet unb ber ©egenfafe jroifd^en ©tanb*
unb ©pielbein minber lebl^aft betont. 3)amit ftimmt eS fel^r rool^l
überein, bafe ber linle 9lrm, beffen fianb fic!^ roieber auf ben 9ianb
beS ©efäfeeS legt, nid^t auSgepredCt, fonbern üxoa^ eingejogcn ift.
!Rcue« Don ^etcr SJifc^er. 173
a^agcgen wcifl aber bic SRcd^tc mit crl^obcncm 3lrme nad^ oben, unb
baS Äöpfd^cn folgt mit cntfd^iebcncm SKufblidc bicfer Scroegung,
roo^rcnb auf bcm anbcrn ©jrcmplare bcr Äopf etwas geneigt ift.
^QeS in aQem l^aben mx t)ier eine ©eftalt pon l^öl^erer @(eganj
unb geinl^eit auä einer reiferen entroidEelungöepod^e beS aWeifterS,
roäl^renb baiJ frül^ere SBerl metteid^t einen etroaiS [tarieren ^aud^
von ^iaioetät befifet. Slud^ ber Seim fe^lt ^ier ber pöllig unbeHeibeten
aileS 83eiu)erf unterliegt in biefem jroeiten ©jemplare einer
ä^nlid^en aSereinfad^ung ber 9KotiDe. SefonberiJ gel^ört bie freies
runb geformte SSafe, mit il^rem einfad^en flüffigen ^Profil ju jenen
SBerfen unferer SRenaiffance, roeld^e ein reines ©efül^l für Aufbau unb
Umrife Denat^en. @S ifi eine SBafe von elliptifd^en ?ßrofil, nad^ oben
meiter geöffnet, bcr SRanb burd^ eine fiol^llelile oorbereitet, nad^
unten burd^ einen feinen SRunbflab abgefd^loRen. &n breites thm^
falls oon SRunbftäben eingefajsteS SBanb, mit fed^Sblätterigen SRofetten
befeftt, umjiel^t ben S3aud^ beS ©efäfe^S. ©ne 9lei^e gejadfter Slätter
fc^müdt ben §atS, Heinere »lätter fd^einen ben unteren SSefafe beS
breiten DrnamentbanbeS ju bilben. hinter ber gigur liegt liier
ein Sd^roert unb ein Meiner runber ©d^ilb am SBoben, Sßor il^r
liegt ber 2;obtenIopf mit ber Siid^tung gegen ben Sefd^auer; neben
i^m le^nt eine me|r ^ol^e als breite Slafel gegen baS ©efafe, auf
meld^er man in fd^önen lateinifd^en Sud^ftaben benfelben 2)enffprud^
lieji. Unter bemfelben erfennt man foglei^l baS 9Konogramm ber
beiben gifd^e mit ber §arpune; baneben in lateinifd^en Sud^ftaben
baS P. V. enblid^ ift unter ber »aRS bie Sa^reSja^l 1525 unb
eine ÄünfllersSWarle angebrad^t, biefe beiben aber eingegraben,
roa^renb jene 3^^^^^ ^i* ^^^ ©d^rift erl^aben gegoffen finb,
(Gegenüber ber jierlid^ fpielenben ©eforation beS erfteren SBerfeS
ift in biefer jnjeiten freien SEBieberl^olung fo burd^gfingig baS Streben
nad^ SBereinfad^ung ju erlennen, bafe felbft bie S3afiS l^ier auS einer
gerabe abgefd^nittenen ^ßlintl^e oline alle ©lieberung unb Drnamentif
befte^t; Dergleid^t man beibe SBerfe, fo erlennt man aud^ o^ne
gal^reSjal^l in bem jroeiten ein Srjeugnife auS ber reifften, t)offs
enbetflen S^tt beS SReifierS, wo er nad^ abfireifen ber pl^antaflifd^en
9J?ifd^ung antifer unb mittelalterlid^er formen fid^ einem parieren
174 9?euc« oon $eter SBifc^cr.
©influffe bcr italienifd^cn SJenaijfancc l^ingibt unb ju Sd^öpfungcn
von lauterer ©c^önl^eit burd^bringt. 3!" i>icfc^ ^infid^t Der^ält ficä^
ba« jroeite SBer! jum erften wie ba§ berül^mte SRatl^^auSgitter jum
@ebalbui^5@rab. SBir Iiaben fomit in biefen beiben Keinen aJleifter-
werlen weitere Selege für jene fünftlerifd^en SBanblungen, burd^
rocld^e gerabe 5peter Sßifd^er al^ ^rototi)p für bie gefammte bamalige
beutfd^e Äunftftrömung bafteljt.
S)iefe3 jroeite SBerf ift offenbar balfetbe, roeld^e^ laut ©etter
fid^ einjl in ber ©ilberrabfd^en Sammlung befanb unb al^ „Allegorie,
bie Erinnerung beS fünftigen Sebenä" bejeid^net mirb. 9lod^ be^
beutfamer werben beibe Sronjen baburd^, baß ber ©rabftein ^ßeter
Sßifd^er^ auf bem ©anft 3lod^u§=Äird^^of ju Slümberg benfelben
©prud^ trägt, ber alfo offenbar ate ein oon bem 3Jieifter ange-
nommener ©innfprud^ aufjufaffen ift. SBa^renb nun bie ^inroeifung
auf bag ewige 2^bm in ed^t d^riftlid^em ©eifte gebadet ift, gel^ört
eg in biefen beiben anmutliigen Äunftwerfen red^t eigentlid; jur
Signatur ber 3lenaiffance-3cit, bafe eine roeiblid^e gigur in unoep
l^üDter ©d^ön^eit unb 3ugenbtraft jugleid^ afö ©t)mboI be^ irbifd^en
Seben^ gewählt wirb.
Ueber bie ted^nifd^e Sel^anblung ber jweiten S3ronje oerbanle
id^ bem Sefifter nod^ folgenbe SBemerfungen: SDie öronje ift mit
einer bunflen, beinalje fd^raarjen fünftlid^en ^Patina gefärbt, berfelben,
bie man juweilen an italienifd^en Sronjen jener Qtxi pnbet. 3ln
einigen ©tetten ift fie abgeblättert; an anbern bemerft man eine
aSergolbung, bereu 9lefte namentlid^ an bem fiaubwerle, ben SRofetten'
unb bem gufee bcr SBafe, an ber gtäd^e ber Snfd^rifttafel, bem $aare
ber roeiblid^en gigur, bem ©d^mert unb ©d^ilb unb, wie e^ fd^eint,
aud^ bem ©d^äbel ftd^tbar finb. 3Rit jener uned^ten ?patina ftnb
bie feineren ^Partien be§ gigürd^eng, ^änbe, %ü^t unb ©efid^t,
aufgefüllt. Seibe SBronjen finb oon oortrefflid^er ©rl^altung.
an biefe wertl^oollen ©ntbedfungen reil^t fid^ feit furjem nod^
eine anbre. g^artci^ ©pl^ruffi bringt in feinem fd^öncn Sluffafce
über S^copo be' Sarbari in ber „Gazette des beaux Arts", lürjlidd
in befonberem Slbbrudfe crfd^ienen, eine meifterlid^e Slad^bilbung nad^
einem 83ronje=9lelief, im Sefifee be^ fierm SDreifufe in 5pari^, mit
ber SDarftellung üon Drpl^euiS unb eurpbife. (Sr glaubt ba^felbe
9icuc« oon ^ctcr SBifd^er. 175
bcm üenetianifd^en a)leiftcr juf^rcibcn ju bürfen, tdcü ba« barauf
bcfinblid^e a)ionogramm atterbinö^ auf bcn erftcn SBlid aiel^nlid^fcit
mit bem ©abuccuS ju l^abcn fc^eint. 93ci genauerer SBetrad^tung
erl^ebt fid^ jebod^ bie grage: ob nid^t rielme^r l^ier bie beiben ge=
fpicfeten gifd^e unfrei SRürnberger aWeifter« ju erfennen feien. 3tun
erlialte id^ eine gefällige S^^f^^ft von STOr. gortnum, loeld^e biefe
SBermut^ung jur ©eroilä^eit ergebt. SBir l^aben alfo in bem ^arifer
aSerfe einen neuen Senjei^ von ber fd^öpferifd^en Sll^ätigleit ^ßeter
aJifd^erS, unb jroar offenbar au§ jener fpäteren g^it feinet Seben«/
in roeld^er er mit befonberer 5Reigung fid^ bem Ilafrifd^en Slltert^um
juwanbte. 2lud^ biefen ©egenfianb l^at ber 3Reifter, roie wir nun
feigen, jroeimal bel^anbelt, benn ein jmeiteö ©jemplar befinbet fid^
feit längerer 3eit in ber ÄunjWammer, iefet roal^rfd^einlid^ im beutfd^en
©eioerbemufeum ju Serlin.
Slel^nlid^ \enen beiben ^intenfäffern bel^anbelt aud& in biefen
beiben ^elief^ ber Äünjller benfelben ©ebanfen, inbem er ba^ Sll^ema
t)öHig frei oariirt. ®a3 5ßarifer ©jemplar möd^te id^ für bie früliere,
ba^ Serliner für bie fpätere SRebaftion l^alten. Drpl^eug wirb bar-
gejlettt in bem 9Komente, ba er fid^ mitten im ©piele nad^ ber ge*
liebten @urt)bi!e ummenbet. @r ftel^t red^td unb menbet ftd^ nad;
linfö, pe il^m gegenüber linfö unb roenbet fid^ jur SRed^ten nad^ il^m
l^in. Sluf bem meiner anftd^t nad^ frül^eren ©jemplare ift biei^ fo
gcjialtet, bafe Dtpl^euö ftiUfte^t, auf bem redeten oortretenben gufee
ru^enb, ben linfen rüdteärtö fe|enb in ftarler Siegung unb SBer^
fürjung. Sabei njenbet er fid^ über bie redete ©d^ulter ju ber ©e^
fä^rtin, bie il^m fd^üd^tem folgt unb in l^olber Snnigfeit il^m un=
Dertoanbt in^ Sluge blidEt. 3lud^ fein 93UdC bol^rt fid^^ n)ie um fie
feftju|alten, in ben übrigen Iiinein. SDa fie nun auf bem linfen
tjortretenben gufee rul^t unb baiJ redete Sein afö Spielbein wie im
SSonoärtiSfd^reiten etma^ l^ebt, fo fommt burd^ ben SßaratteliSmuiS
ber beiben fjiguren eine geroiffe Särte in bie Äompojition. ©d^ön
ifl wie fie mit ber Siedeten ben leichten ©d^leier I|ält, ber t)om linfen
arm über ben SRüdEen au^gefpannt ift, mäl^renb il^re Sinfe einen
@eftug beiJ 8*8^^^ wnb SebauemS mad^t; fd^ön ifl aud^ wie ba^
lange lodKge ^aar ben lieblid^en ftopf umflattert, xoit benn aud^
ber ©d^leier vovx SBinbe beniegt erfc^eint. Orpl^eu^ flemmt gegen
176 92eued oon $eter Sifc^er.
ben linlcn Dbcrfd^enlcl eine Sratfd^e, übet bercn ©aiten er wie !
verloren ben Sogen gleiten lägt, ©eine f^igur ^at etwa^ ^arted^
©dige^, nad^ oben ©ütftige«, lofil^renb bie Seine fe^ lang finb.
9lu($ ber ftopf ifl entfd^ieben beutfd^ unb nici^t italienifd^. äSiet
loeid^er gebilbet unb beifer bewegt ifi bie ©ur^bile, bod^ beuten ber
etwa^ fd^were ® lieberbau, ber lurje fiate unb ber mel^r runbe atö
ODale Äopf ebenfalls auf beutfd^en Urfprung. SDer Äünfller ^at
hinter il^r burd^ fd^roffe Reifen offenbar bie ©renjen ber Unterwelt
anbeuten wollen.
2)ag berliner Sielief ftettt beibe ^5^"^^^ äl^nlid^ gegenüber, aber
in oöttig t)eränberter Bewegung. Drp^euiJ fd^reitet nod^ nad^ linfö
l|in, mit bem Unten guge fefl auftretenb, ben gel^obcnen redeten
nad^jie^enb. 3n fil^ner Bewegung l^at er bie ®eige an bie ©d^ulter
gefcftt unb Ireujt mit bem redeten Arme, ber ben Sogen fülirt, in
trefflid^er aSerfürjung ben Dberleib, wäl^renb ber Äopf in fd^arfer
Siegung, nad^ ber ©ctiebten fid^ umwenbenb, uniJ im ^Profil er=
fd^eint. SSä^renb alfo bie gan}e Sewegung ber f^igur nad^ linfö
gcwenbet ifi, bilbet ber nad^ red^t^ l^erumgeworfene Äopf einen fd^arfen
Äontrajl gegen ba^ übrige. 3m Oegenfafce mit bem gerben unb
©digcn in ber fjigur bei^ ^ßarifer Crp^euö ifi l^ier attei^ ffüfjiger,
rt|ijtf|mifd^er, fd^wungt)oIler.
älud^ in Sur^bile l^at ber 5tün{ller eine S)oppelbewegung au9-
}ubrüdfen gewußt, benn wä^renb bad jlöpf d^en in we^mütl^iger Steigung
nad^ bem geliebten Sänger ftd^ umfd^aut, mad^t fie bereite bie Don
bem ed^idEfal gebotene SBenbung jur Umlel^r, inbem fie ben redeten
gufe etwa« Dorfeftt, -bem bann ber Knie jögernb nad^folgt. 3)en
rüdEwärt« flattemben ©d^leier l^at ber SWeifier ju einem neuen fd^önen
aWotioe benuftt, inbem bie Sinfe, mit bem ©d^leier umwidCelt, ft(^
gegen ba« @efid^t wenbet, als wollte fie im Sd^mer} bod $aupt
üerl^üllen. aud^ biefe fjigur ifi, foweit ber Sergleid^ jwifd^en ©ipiS-
abgug unb Slabirung ein Urtl^eil erlaubt, jarter in ben formen,
feiner unb flüffiger in ben ßinien. Slttei^ bie« läßt mid^ l^ierin eine
jweite SRebaftion tjermut^en, in weld^er ber SWeifter bie Äompoption
}u ^öl^erer SoOenbung gefül^rt l^at. Siamentli^i fle^t bai^ 9Rotio
mit ber ®eige an fd^wungDoDem 9tl^t)tl|muiS weit über bem mit ber
Sratfd^e. S)ie änwenbung fold^er mobernen Snfirumente bei Figuren
Sflcuc« von $eter SBifc^cr. 177
beg antilcn 3Rr)Ü)0^ faun nid^t bcfrcmben, wenn man an ben Slpotto
in 3flafactö ^parnafe fid^ erinnert. Sßietteid^t l^at fogar biefe gigur
auf SStf^ieriJ neue SBeatbeitung beä SJI^emaS eingerolrlt. S)en lanb-
fd&aftUd^en Sintergrunb l^at ber aWeifter in ber jroelten Stebaftion
unterbrüift unb fid^ auf änbeutung eines geuerS jur SReiä^ten ber
(Surribile, aU ©pmbofö ber Unterwelt, befd^ränft.
aSenn auf eine aSerwanbtfd^aft ber SBifd^erfd^en Äompofition mit
SJürerB SKbam unb ©oa t)on 1604 l^ingewiefen wirb, fo bleibt biefe
»ejiel^ung bo^l eine fel^r äufeerlid^e. SBo^l mag SDüreriS ©tid^ auf
SSifd^er cingeroirlt l^aben (benn baiJ Umgelel^rte iji gewiß nid^t an=
june^men); aber man barf nid^t pergejfen, bafe geroiffe SWotiDe von
Stellungen unb Sewegungen in ber SRenaiffanceieit Allgemeingut
waren unb balb fo, balb fo geroenbet mürben, fjür un« |aben biefe
Pier Meinen SBerle ?ßeter SBifd^erS ben befonberen SBert^, ba§ fie
iin§, nad^bem bie größte ©d^öpfung feiner fpäteren ©pod^e, ba«
giürnberger Sflatl^^auSgitter, fpurloi^ Derfd^munben ju fein fd^eint,
mid^tigc 3luffd^lüffe -über fein 5ßer|ältni§ jur Slntile gewähren. SJer^
felbe ^projefe einer junel^menben Läuterung unb Älärung im ©inne
ber SRenaijfance, meld^er t)om ©ebalbuÄ^Srabe jum SRatl^l^auSgitter
ftd^ bemerflid^ mad^t, läßt fid^ aud^ in bicfen SBerfen verfolgen. Unb
geroife ijl eS anjiel^enb, ju beobad^ten, wie berfelbe rafilofe 3)rang
nad^ aSoHenbung unb Befreiung, ben bie beiben ^Jintenf äffer er^
Icnnen laffen, ben 3Rcifter aud^ ju einer wieberl^olten Sel^anblung
beS Drpl^euS=9fleliefS rerantafet l^at. gügen wir ^inju, ba§ bie ]^err=
lid&en 3lpoftel beS ©ebalbu3=®rabeS, jene lauterften ©ebilbe unfrer
bamaligen fird^lid^en ftunjl, im erften Äeime fd^on 1495 am ®rab=
male beö (Srjbifd^ofS ©rnfi ju aJlagbeburg auftaud^en, fo erweitert
unb Dertieft fid^ ber ©inblidt in bie ©ntwidfelungggefd^id^te eine«
unfrer größten aWeifier, ber neben SDürer am erften geeignet ijl, un«
t>on bem UmwanblungSprojeRe, ben bie bamalige beutfd^e Äunfl er^
ful^r, ein Silb ju gewäl^ren.
auf weld&en SBegen bamate bie SRenaiffance bei uniJ einbrang,
bafür bietet unS eine anbre SBifd^erfd^e Äompojition nod^ weiteren
Slnlialt. es ijl ber f leine nadfte Sogenfd^üfte, nod^ jefet im SBefiße
ber ©tabt SRürnberg, urfprünglid^ im ©d^iefegraben bafelbft auf=
fleftettt. S)a er bie Sal^reSja^t 1532 trägt, fo gcl^ört er freilid^
12
178 IReued oott $eter Sßtfc^er.
nid^t ttic^t ^tcr SHfd^er, fonbetn einem feiner ©öl^ne an, romn
iDir aud^ nid^t ju fagen Dermögen^ rodöjem t)on il^nen. 2)aiS 9Rotit)
ber gigut ifl aber t)on einem ©tid^e Sacopo be' »arbatii^ gefd^öpft,
Toeld^en Jener Äuffaft ber „Gazette des beaux Arts" neuerbingi^
reprobujirt l^at. 3nbeS ifl ha& Wlotxo, obwol^l im mefentlid^en über-
einfümmenb, infofem umgejialtet, atö bie redete 'fianb, toeld^e bie
angefpannte Seltne be8 Sogeng mit bem Pfeile ^dlt, energifd^er
jurüdCgegogen unb natunoal^rer, loenn aud^ nid^t f^iöner, bel^anbelt
ifl. älu^i ber 5topf |at, ftatt ber lang l^inflattemben SodCen, fur}eiS
Saar. Suffattenb ifl bie fd^malfd^ulterige unb engbrüflige Snlagc
beg ÄörperS, bie abermalige ©d^roere ber $änbe unb güfee, bie
äbertriebene Sftnge ber Slrme: lauter 3^^<$^n einer me|r beutfd^en
ate italienifd^en Sluffaffung, t)on roeld^er, mie mir fallen, 5ßeter
aSifd^er fid^ immer me^r ju befreien unb ju ebleren SJer^ältniffen
unb lauterer ©d^Sn^eit burd^jubringen gemußt.
(Bjpjrfortum 1876.)
.^ic aWalctei be§ SJlittclalter«, fafi au^nai^mgloö ftrd^lid^ wie
ftc ift, lennt baÄ profane 3«i>it)ibuum nid^t Sei i^r ift attc^
tppifd^, unb felbfi roo fte einmal ein Silbnife wagen ntufe, gewinnt
bieg il^r unter ben ißänben unToiDfürlid^ einen font)entiortett ibeali^
ftrenben Bufd^nitt. ©elbfl bie 5ßlafiif, trofe ber l^äufig ton i^r
tjerlangten Orabfiguren, erliegt biefem Sann, innerl^alb beffen fic^
Sa^rl^unberte lang wie in einem Söuberfrei« bie ©efammtlunfl bc^
üKittelalteriJ bewegte. SBenn man in ©t. S^eniS bie im 13, Qa^r^
l^unbert maffen^aft ju ©tanbe gelommenen ©tatuen ber franjöfifci^en
Äönige betrad^tet, fo erlennt man, wie wenig bamafe bie Äunft fid^
jur 5ßorträtauffaffung }u ergeben t)ermod^te. ©ie lonnte nid^t,
weil fie nid^t wottte; fic wollte nid^t, weil fte nid^t fonnte. 2)ie
Slatur war il^r oer|üttt, fxe fa^ biefelbe nur burd^ einen bid^ten
©4ileler.
aitö bie große Bewegung ber SRenaiffance, weld^e bie neue S^it
bal^nbred^enb einleitet, biefen ©d^leier jerriffen ^atte, ftieg plöftlid^
im 2then wie in ber Äunfl mäd^tig ber SBertl^ beiJ SnbiDibuumg.
2)er ©njelne, au8 ben geffeln üerjäl^rter anfd^auungen befreit, tritt
mit gebieterifd^er SWad^t geftaltenb inS Sehen unb wirb nun fofort
ber Äunft ein ©egenjlanb liöd^flen Snterejfe^. SQBenn aud^ ber
180 Q\xx (S)e[c^i(^te ber ^ottönbifc^en ec^ü^en- unb Sdegentenbilber.
Krd^Ud^e Stofftreid nod^ über ein S^^^^^nbert l^inburci^ bie ftunft
ju bc^etrfd^en tjermaß — erfüHen fann er fte nid^t mel^r. S)ie
Statut unb ber einzelne 3Ren)ö) nel^men bad äluge bed jtünftler^
gefangen; fortan ifi e« i^m eine iQerjenöfad^e, bie (i^arafteriflifd^e
©rfd^ieinung be^ inbiDibuetten Sebeng mit aller SBeftimmtl^eit anju?
ftreben. ©o lommt eg, bafe ein SDomenico ©^irlanbajo, Senojjo
®oj}oli, 5ßietro ^perugino unb alle bie anbern ©rofeen be« 15. 3a^r-
^unbertö, wo e^ irgenb angelet, in i^re biblifd^en ober legenbarifd^cn
Silber bie 3^it9^»^^ff^J^ i« bid^ten ©d^aaren ju S^wgen ber l^eitigen
^anblung aufnel^men. @d ftnb @ruppen^ bie mit ber Sl^or ber
antilen SIragöbie bie fianblung tl^eilne^menb begleiten, biSroeilen
fogar mit ber SBud^t il^rer 83ebeutung ba^ 3«tereffe am @egen=
fianbe felbfi faft erfliden unb bie Slufmerlfamleit com eigentlid^en
aSorgange ablenlen.
©he anbre, t)ietteid&t mel^r bered^tigte, aber mcifi minber fünjl^
lerifd^e Art, baiJ Silbnife in bie Krd^lid^e 3Balerei einjufül^ren, ifi,
wo bie ©tifter einer Slltartafel fid^ mit il^rer gamilie anbetenb oor
bem Seilanb ober t)ere^renb Dor ber SWabonna barftetten laffen.
®ie Wnbeneid^en gamilien ber Äug^burger, Ulmer, SRümberger
^ßatrijier finben wir, fold^ergejlatt unter bcn ©d^ufc ber ^immlifd^en
gcftelli, oft in SSotiogemälben angebrad^t. §olbein^ berü^mteftcö
2BerI, bie SRe^erfd^e aWabonna, ijl baö 5ßrad^tflädt biefer ©attung.
®g warb nun bie aufgäbe beiS proteftantifd^i geworbenen 9]or-
benö, biefe mcl^r ober minber lofe aSerbinbung be« 5ßrofanen unb
Äird^lid^en ju trennen unb ju einer roirftid^en Sßrofanmalerei fort=
jufd^ireiten, in weld^er augfd^liefelid^i bie SDarftellung be^ SnWoibuumS
}ur ©eltung lommt. SBie man aber t)om 9Kittelalter l^er 3""ft=
oerbänbe, genoffen fd^aftlid^e unb gef ellige ^Bereinigungen aller Srt
gerool^nt mar, fo gewann bie Äunft atebalb bie Slufgabe, folc^e
Älolleftioerfd^einungen im Silbe }u fijiren. SQSir finben biefe 9tid^s
tung bemerfen^mert^er SBeife in ben beiben ftaatlid^en Oemeinmefen
republifanifd^er unb protefiantifd^er Drbnung, meldte bie germanifc^e
S33elt Iieroorgebrad^t: in ber ©d^meij unb in ^ollanb. 3« ber
©d^meij, eigentl^ümlid^ genug, ift e^ bie bort mit »egeiflerung
lultitjirte ©ta^malcrei, meldte bie meiften ©puren biefer ärt be=
njal^rt l^at. SRod^ ju Snfang beS 17. Sal^rl^unbert« werben ge=
Snx ®cfc^i(§tc ber ^ottänbifc^cn ©(^ü^cn* unb Äegcntenbilbcr. 181
malte ©d^eibcn in bic 3wnftjiubcn gejliftct, auf roeld^en man bie
Bunflgcnoffcn beim ftöl^Hd^cn ©d^mauö t)crcini9t ftc^t*).
Ungleid^ bebeutfatnete ©ejlalt gctoannen blcfe ©arftcllungen in
Sollanb. ©ic bilbcten bort rcd^t ctgcntlid^ bcn aJlittelpuuft für bic
großartige, burd^auä felbftänbige ©ntfaltung ber SDklerei, ja feit
bem aSegfaff ber gefammten Krd^Iiiä^en ftunjl, weld^e ber fatoinifii::
f^ien Seigre bed SanbeiS ein l^eibnifd^er @reuel n)ar, n)urben fte
bie eigentliche monumentale SWalerei ber Sollänber. Unb bie^ um
fo entf^iiebener, als bie alten nieberlänbifd^en ftünftler in i^rer
äft^etifd^en Äerngefunbl^eit nichts t)on ber ©c^nfud^t nad^ ber fo«
genannten ®ef(§i(i^tSmalerei fannten, roeld^e unfrer 3^it fo t)iele
unnüfte ©(i^merjen oerurfa(§t 3Rir ijl nur ein Silb aui^ jener
©d^ule betannt, njeld^eiJ ein großeiJ Iiifiorifd^eS ©reignife ju oer^
^errlid^en fu(§t: bie merftoürbige geniale ©lijje SRembranbti? t)om
3a^re 1648, jefet im aJlufeum ju Siotterbam, roeld^e bie einigung
ber oerbünbeten ^Prooinjen (>de eendracht van het land«) f^lilbert.
Sejei^inenb genug ifl auf biefem fül^n Eingeworfenen Silbe ein
emblematifd^eS attegoriftren ber ©runbjug; alfo felbfi ^ier feine
©pur oon realifii[(ä^er §iftorienmalerei**). %u6) bei ben oft roieber^
l^olten SarfieHungen oon ©eefci^lad^ten liegt ber Slccent weit weniger
auf bem fiifiorifd^en, aU auf ber fünftlerif^ien ©d^ilberung be«
elementaren in 2uft, Sid^t unb SOBaffer. an ©tette ber ^iftorie
treten nun bie „©d^üften* unb SHegentenftüde" (schutters en regen-
ten-stukken)***), mit roeld^en bie ©äle ber SRatl^^äufer, ber milbeu
Stiftungen unb ber ©d^üfeenl^aufer (2)oelen) ft^i füllen. 2)ie manm
*) 30^«'« 3alJjf6. f. Äunfhö., I, ©. 31.
*♦) Notice des tableaux du Musee Boymans (1872) Nr. 181. SinI« im
Silbe ein ni^enber SBtoe, oon aioei 5tetten gefeffelt, baoon bie eine in eine iRauer
fejigef(^miebet ift, auf n^eld^er man bad SEßappen oon Slmfterbam fte^t, mit ber
IDeoife: Soli Deo Gloria, wftjtenb bie anbere Äette am S^^ron ber ®ere(^tigfcit
6efeftigt ift. 2)en Sdmen umge6en bie SBappen ber vereinigten ^rooinjen. 3m
Sßorber* unb SRittelgrunb ilrieger su 9U)B unb }u %ui, xotl^t jtc^ dum Unab«
^ängighitdfompfe oorBereiten; im $intergrunbe tobt bie @c^(ad^t, unb ber ^einb
beginnt }u f[ie§en.
***) 9legentenftü(fe nennt man befonntlic^ in $oÖanb bie Silber, auf welchen
bie Sorfte^er (äRegenten) ber im fianbe fo sa^Ireic^en 9Bo^lt^ötig!eitdanftalten,
Äranfen«, »rmen» unb SBaifenJäufer u. bgt. bargeftelTt finb.
182 3ur ©efd^ic^te ber l^oaänbtfc^en Sc^ü^en- unb Stegentenbilber.
I^aftc Slüd^tigfett, bic gefunbe Sebcn^Iufi beö femigcn SBürgettl^um^
toirb in biefcn SBcrfen p^ felbji Ocgenftanb bcr SBer^crrlid^ung ;
bie Sßer^errlid^ung befielet aber nid^t in einem fiineinjiel^en t)on
allerlei „l^öl^eren'' SIenbenjen politifd^er ober fonjHger Srt, fonbem
lebigUd^ in ber unpergleid^lid^en ©d^lid^tl^eit unb (Sebiegenl^eit, mit
roeld^er bie aJlalerei l^ier ba« 2thm auffaßt unb t)om burd^auÄ
realijlifd^en ©tanbpunft au« ju fünftlerifd^er Unfierblid^feit ergebt.
Slirgenb« ein äufecrli^ie« Oeba^ren, nirgenbg aud^ nur ber Icifeftc
Slnflug t>on bewußter, etwa bülinenmäjsiger ©d^auftettung, wie Re
in unferer l^eutigen Äunft gar ju leidet bei üenoanbten Aufgaben
fid^ einfd^leid^t. ätber in bie reattfiifd^e Slüd^teml^eit mirb fd^Iiefelid^
burd^ bie Äunft großer 3Jieifter eine $oefie ber §arbe, be« Sid^te«,
bes 3;oneS eingeführt, roeld^e ber ganjen (Sattung bie 2Beil^e l^öc^fter
ÄunftDottenbung tjerleil^t.
SBenn SBoSmaer in feiner wert^rollen arbeit über bie SBorlSufer
31embranbti? bie frü^eften ©d^üfcenbilber in bie Seit um 1560—80
ju fefeen f d^eint *), fo bejiel^t er ftd^ babei offenbar auf bie SBerfe
t)on bereit« ftarl entroidfeltem Äunjlgepräge, ba er ol^ne S^^^f^l ^i^
t)iel älteren ©tüdfe biefer (Sattung, meldte ba« Sanb nod^ jefet be::
fl|t, red^t gut lennt. 5ßon 1530 an lafjen fte ftd^ in großer Slnjalil
burd^ ba« ganje 16. Sal^rl^unbert ©erfolgen. S^^^ft fi^i> ^^ jiemlid^
lunftlofe 3«fttttintenfteIIungen oon Sllbnijfen nad^ bem Seben. SP
bie Slnja^l ber Slbjufonterfeienben ju grofe für eine SReil^e, fo
werben fie in mehreren Steigen über einanber oorgefü^rt, fo bafe
Äopf an Äopf fid^ brängt unb bie oberen ©efid^ter burd^ bie Süden
jwifd^en unb über ben unteren ftd^tbar werben. 2)en übrigen
Äörper, bei ben frü^eften immer nur im Sruftbilb, jeigt bann
natürlid^er SBeife nur bie tjorbere 3flei^e. ®« ift nod^ biefelbe naioe
mittelalterlid^e Slnorbnung, roelt^e wir j. 33. bei pgurenreid^en S)ar=
ftettungen be« ^ßarabiefe« (id^ roitt nur an ba« S3ilb Drcagna'« in
@t. aWaria 9iooelIa ju glorenj erinnern) fo oft bemerfen. SBon
Äompofition nod^ feine ©pur; aEe« nur Knblid^e 3uj:tapo|ition.
3n fold^er Slrt oerful^r fogar nod^ ber große §olbein, al« er am
^) @. SBo«maer, Rembrandt Harmens van Rijn, ses precurseurs etc. (la
Haye 1863) I. 79.
3ur ©efd^id^te bet ^oOänbifc^en ^c^ü^en^ unb 9tegenten6i(ber. 183
©nbc fcincö ßcbcnS (um 1542) für SBarbcr^ fiaH in Sonbon j|cnc^
Silb bet SBatbicts unb Gl^irurgcnjunft ju malen ^atte. ©o mono-
ton toic bie ätnorbnung ift nun in jenen Silbern auä) bie malerifd^e
SBel^anblunfl. 58on inbtüibueHer Äarnation leine SRebe; alle Äöpfe
ftnb wie in biefelbe gleid^mä^ifle braune, etroa^ jä^e ©auce ge^
tau^it.
aber mit biefcn einfad^en Silbern fonnte man ftd^ nid^t lange
begnügen. SWan ftrebte balb nad^ gröjserer Sebenbigfeit beg 3lu3=
brudEeö, größerer grei^eit ber SKnorbnung, größerer 3Rannigfaltig=
feit in ber e^arafterifiil unb ber malerifd^en S)arftellung be^ Qnbis
DibueDen. 3^ biefem }n)eiten ©tabium, n)eld^eS etnia um 1670 be-
ginnen mag, fd^einen parle ©inflüffe ber ©d^ule von Srabant auf
bie l^oSänbifd^e ftattgefunben ju l^aben. Siamentlid^ gilt bie^ t)on
ber foloriftijd^en Sel^anblung. ®er frül^ere monotone leberfarbene
2:on beö gleifd^e^ weidet einer blü^enberen, frifd^eren Se^anblung,
bie ber Äarnation jebeö einjelnen Äopfeg il^re befonberen Sofaltöne
abjulaufd^en fud^t. 2luö ber fWonod^romie mirb jeftt ^polpd^romie,
felbft auf bie nid^t immer ganj tjermiebene ©efa^r ^in, bie ein^eit-
Hd^e Haltung be^ ©anjen, bie ruhige Orunbfiimmung einjubüßen
unb gelegentlid^ ettoa^ bunt ju werben.
Ö[n biefer foloriflifd^en SBenbung ifi, wie id^ glaube, ber ©in^
fluß ber brabantifd^en ©d^ule ju erlennen. SBi^^er l^at man bem=
felben für bie ©ntroidEelung ber l^otlänbifd^en SWalerei üieDeid^t nid&t
genug SWed^nung getragen unb ben italienifd^en ©inmirfungen ju
piel, ben flanbrifd^en ju menig jugemutl^et. ©elbft SBoömaer fd^eint
mir barin nid^t burd^greifenb genug oorgegangen }u fein, obrool^l
er an mand^en ©teilen feinet Sud^eö aUetbingg barauf l^inbeutet.
(S^ muffen aber bereitiJ t)or bem auftreten von aiubenö mand^e
berartige ©inftüffe fid^ geltenb gemad^t l^aben, unb wer bie 3citt)er-'
pltnijfe erroagt, mirb biefe %^at\a(i)t erllärlid^ finben. ©d(|on im
15. gal^rl^unbert maren eö bie fübli(^en ^rooinjen ber 5Rieberlanbe,
meldte burd^ bie Srüber üan &)d ber ©ntroidelung ber 3)talerei
mäd^tige 83al^n brad^en unb ber flanbrifd^ien ©d^ule ben SBorrang
im ganjen germanifd^en Slorben cerfd^afften. SBir roifjen ja, wie
t)iele ^ollanber bei il^nen lernten unb bie gewonnene Äunft bann
in ilire ^eimat^ t)erpflanjten. Sl* aber nad^^er im 16. Sa^r^un-
184 Suv ©efd^ic^te ber ^oQänbifc^en 6cl^ü(en< unb 9iegenten6itber.
bett jene gewaltigen 5tämpfe begannen, toeld^e fd^Ueglid^ ben nörb::
Ud^en $rot)in}en bie fio^rei^ung oom fpanifd^en ^o^, bie poUtifd^e
unb religiöfe ^eil^eit bringen foQten, oermod^te bie ftunfl in biefen
ba^ ganje £eben erfd^fittemben Ärifen nid^t in gleid^er SBeife fort
jufd^reiten, roie in SBrabant, wo nad^ l^eftigen 3wdw«8^w ^«^ 3tuf=
fianb blutig niebergef dalagen, ^rieben unb bie alte politifd^e Cxh^
nung l^etgefteßt würbe, unb bie neubelebte fatl&olifd^e ftird^e, ge^
tragen t)on ber ®unft eine^ bigotten gürjtent^ume^, ber Äunfi in
t) ollem aJJafee il^re (Sunft juroanbte. ©o lam abermate bie STOalerei
ber füblid^en ^ßrooinjen ju einer rafd^eren Slütl^e, bie bann auf
bie etwag jurüdEgel^altene ©ntroidfelung ber l^ottanbifd^en ©d^ule ein«
TOirfte. S)iefen ^rojefe im einjelnen genauer ju verfolgen unb nad^^
juroeifen bleibt immerl^in eine banfbare aufgäbe für bie auf bem
^elbe ber l^ottänbif d^en Äunft nod^ jiemlid^ junge ©p^ialforfd^ung ;
im Oanjen unb (Srofecn aber lafet fi(^ bie 2;^atfad^e nid&t cerfennen.
SKit biefcm malerifd^en gortfd^ritt ging bei ben l^ier ju be^
fpred^enben SBerlen aud^ bie lompofitioneEe Sludbilbung ^anb in
fianb. 3)ag fteife 3lneinanberrei^en gleid^artig getoenbeter, wie auf
Äommanbo nad^ berfelben Seite blidenber Äöpfe mad^t freierer Se»
roegung ^lafi. SKan firebt nad^ fünjMerifd^er ©ruppenbitbung, in^:
bem man bie monotonen SReil^en in rl^tit^mifd^ geglieberte ©injet
gruppen auflöfi. Tlan wagt fd^on flatt be« SBruftbilbe^ ba^ Änie-
ftüdt, ia felbft bie ganje leben^grofee gigur ju geben, unb bamit
tritt eine nod^ jiärlere Slöt^igung ein, biefe ©eftalten nun aud^ in
.3lftion }u fefeen. Qn bag paffiue 3"litt"i^^tJÜt> ^^^^ ^i" S^ropfen
bramatifd^cn SluteS eingefül^rt; man fießt bie (Senoffenfd^aft beim
aWa^Ie bar, beffen Steuben im germanifd^en SSoIteleben eine fo
grofee Stoße fpielen. anfangt ge^t eS nod^ etwag jleif unb ge-
meffen babei ju ; aßmä^lid& wirb mit ber änorbnung aud^ ber SluiS-
brudE freier, unb ba^ l^eitere, berbe Seben jener 3^it lommt ju feiner
frifd^eften ©ntfaltung.
^njroifd^en I)at fid^ in ber ©efd^id^te be^ SanbeiS ber entfd^ei^
benbe Umfd^roung üoBjogen. ©eit ber Unab^ängigfeiti^erllärung
(1581) rourbe in einer SReil^e fiegreid^er Kämpfe ber SanbeiSfeinb
auf aßen fünften jurüdfgeroorfen, fo bafe ber jroölfjlal^rige SBaffen-
ftiflftanb (1609—21) bie vereinigten ^rooinjen in i^rer grei^eit
3uc (9efc^i(^te bet ^oQänbtfc^en 6(^üten$ unb 9legentenbUber. 185
gcfid^ctt fal^. 3n ber fampfburd^tobtcn 3^^ ^»^^ V^^^ ©efd^Icd^t
fraftoottcr, rocttergcldärtctcr aMänner ^crangcroad^fcn, xo^^^^^ un§
bie aWalcr nunmclir in feiner voüm bäftigen ®rfd^einung üorfül^ren.
SBie ba« Sanb ber fiort unb bie S^^^^^ ^^^ ^^ ^W^ proteftans
tifd^en ©laubeniS roiHen aSerfoIgten würbe, flofe ein unglaublid^er
SReid^t^um an Kapital, Slrbeiti^fraft, Untemeldmungggeift ^ier äu=
fammen. 3e^t erfi beginnt ber gldnjenbe materielle Sluffd^toung ber
l^oUänbifd^en ©tdbte, amfterbam an ber ©pifee. S)er Ueberfd^ufe
ber aSolfölraft jirebt in bie gerne; überfeeif(i^e ftolonien werben
gegrünbet, bie oftinbifd^e Äompagnie (feit 1602) erobert in Slfien
auggebel^nte Sänberftreden; ^ollanb wirb bie erfte ^anbefe^ unb
Seemad^t, unb feine ©ee^elben 2:romp unb Slu^tcr (biefer in SRems
branbt^ ©eburtöjal^r geboren) mad^en bie ^ottönbifd^e glotte in
aütn 3Keeren gefürd^tet. 3" ^^^ materiellen Sluffd^roung gefeilt fid)
eine uniuerfelle Slütl^e bei^ geiftigen fiebeni^. 3n jeber SBiffenfd^aft
erftel^en bebeutenbe SKänner; bie ?ß^ilofopl^ie wirb burd^ S)ei8carte^,
fpoter burd^ ©pinoja, bie flaffifd^e 5ß^iIologie burd^ ©caliger,
SReurjiug, SBoffiu«, $einfiu8, ©rotiuö, (SronoüiuiS ju ^öd^ftem ©lanje
erhoben; in SKatl^ematif, 5ß^t)iif, G^emie, in ber SKnatomie unb ben
gefammtcn 9laturn)iifenfd&aften erl^eben fid^ ^ert)orragenbc ©elel^rte;
mid^tige ©rfinbungen, wie bag gernro^r, bag ÜKüroffop, ba^ ^^er=
mometer begleiten ben gortfd^ritt ber gorfd^er. ©nblid^ gewinnt,
unter bem begeifternben eintrieb patriotifd^er ©efinnung, ber nieber-
länbifd^e SBoltebialeft feine Slu^bilbung jur ©c^riftfprad^e; 6oorn=
^ert unb ajlamij beginnen nod^ im 16. Salir^unbert bie 9?ei£re*
auögejeid^neter 3)id^ter unb ©d^riftpeHer; Sooft, aSonbel, $ut)gfien§
unb 6atÄ fül^ren bie l^ollanbifd^e S)id^tung ju i^rem fiöl^enpunfte.
Xai ftraftgefü^l einer großen 3^it, bie Segeifierung ber grei{|citö=
fämpfe befeelt bie SBerfe biefer golbenen ©pod^e; ©efc^id^t^fd^reiber
wie Sooft unb Ubbo ©mmiu«, ber gricfe, geben bem nationalen
©eifle in il^ren ^arfleüungen lebenbigen Slu^brud, unb bie ©efed^
fd^aft ber „Rederykerkamer in liefde bloeyende" wirb jum för^
bemben SHittelpunft biefer litterarifd^en Sejlrebungen.
SRan brandet nur im gluge aUe biefe SSer^ftltniffe ju berüfiren,
nur anbeutenb biefe eble SRei^e fioljer SRamen fid^ ju oergegen^
wärtigen, um bie ä^orfteSung )u weden, waiS auiS ber fd^on bi^
186 3ur ®eft^t(^te ber ^oQänbtfc^en @(^üten« unb Siegentenbtlbei:.
bal^in tafiloiS Dorfirebenben a^ialerei fid^ unter bem getDaltigen ^aud^
cincg fo erregten nationalen Seben«, einer fo Dielfeitigcn ©eific^^
ftrömung entwideln mufete. 3^ ber 2;^at, balb na^ bem »eginn
bc^ 17. Qa^r^unbertS fd^idtt fie fid^ an, ju l^öd^fier SBottenbung auf=
jufteigen. 2)er f(anbrifd^e @inf{ug l^atte il^r eine reid[^ere Palette,
eine blül^enbere foloriftifd^e Stimmung jugefül^rt. 3w«ä^ft W^ fi^
biefe größere SWannigfaltigfeit ber 2;öne feft unb fud&t nur, unter
ftets feinerer äluSbilbung be^ ^eUbunlelS, bie voQe ^olpd^romie }u
rul^iger ©efammtlialtung abjuftimmen. S)en glanpoUfien Grfolg
biefer SRiddtung jeigen un^ bie frü^eften unter ben ©c^üfeenbilbern
beg großen fiaarlemer aWeifter^; aber fie bilben in ber ©ntroidflung
oon ^rand $ald unb fomit aud^ in bem ber gefammten tioHän-
bifd^en SRalerei nur ein ^urd^gangi^ftabium. 9lnbre bleiben raeit
länger ber SBorliebe für bie reid^e Suf^tti^^nfiettung fcftlid^ l^eiterer
garbentöne treu; fo npd^ 83. Dan ber fielft in bem berül^mten fiaupt^
merf feinei^ Seben^.
2luf gleid^er ©tufe mit biefer foloriftifd^en a3en)egung fie^t bie
2:enben}, aud^ fompofitionett bie legten Äonfequenjen ju jieben, ben
leifen SRad^^aH ber alten (Sebunben^eit oerflingen ju laffen. 2Benn
berfelbe bisweilen in ber 2lnorbnung felbft bei ben größten aWeiftem
un^ l^ie unb ba nod^ fühlbar mirb, fo ift bod^ im ©anjen bie jroang^
lofefte grcil^eit in ber räumlid^en ©ruppirung jeftt ein fiauptaugem
merf. SEBir feigen bie ©d^ü^cn entweber beim äu^marfd^ wie in
SRembranbt^ berühmter Slad^tioad^c , ober in freier SBerfammlung
unter ben ßaubfronen i^re« ©d^üftengarten^, mie mel^rmate bei granS
$ate, ober beim frö^tid^en ©elage, mie fo oft unb namentlid^ in
bem erwähnten fiauptroerfe ijan ber ^elftg. S)ie meifterlid^e grei=
I)ett, mit roeld^er eine große SJtnja^l von ©eftalten in üoller gigur
jufammengebrad^t unb in SUftion gcfeftt ift, bie Dofle Unbefangenl^eit,
2lbfid^tj?tofigfeit, SRaioetät, bie babei l^enfd^t, ergebt biefe 2Berfe ju
Äapitalfd^öpfungen erften SRange« im weiten 83ereid^e ber aMalerei.
Unb mie weit eine im ©runbe burd^aui^ realiftifd^e ftunfl burd^ be^
fonbere 2luffaffung ber bloßen SEBirKid&Ieit, burd^ geniale grei^eit
ber anorbnung, burd^ foloriftifd^en SReij, t)or allem aber burd; ben
Sauber be^ ißid^teä fi^ bi« ju ma^r^aft poetifd^er SBirfung ergeben
lann, bag jeigt roieberum 9iembranbtg Skd^troad^e.
Svix ©efc^ic^te ber ^oSanbifd^en 6($ütens unb SRegentenbUber. 187
Unb bod^ gibt c^ barüber l^inau^ nod^ einen ©d^ritt, ber ges
t\)an werben fonnte, unb ben bie nicberldnbifd^e Äunft gewagt l^at.
ei finb bie beibcn ©röfeten, bie i^n fafl gleid^jeitig ausgeführt ^aben:
©afe unb 9iembranbt ©n Sd^ritt, ben niemals bie Qugenb in
il^rer ungebrochenen Sebenö^ unb garbenfreube, ben immer erft baS
emfiere SHter finbet. S)aÄ Slbtl^un nämlid^ jener befied^enben fjarben*
prad^t, bag 3wrfldffü](iren att ber im fröl^lid^en Sid^te be« SJageS
glänjenben folorijiifd^en Suji ju fd^Ud^ter, entfagungSöoHer ©infad^-
l^eit: mit einem SBorte ber Uebergang, menn man ba« SBort geftatten
toiE, von $olt)d^romie }ur 3Ronod^romie. Sold^e 3Ber!e mutzen \xn^
an, Toie bie SRejignation be« ernjien, in ht& fiebeng ©d^ule fc^roer ge^
prüften SKanneS. 9lod^ ift er fräftig genug, um bie SBett ber ©rfd^ei-
nungen fd^arf unb fidler ju erfajfen, \a mit wud^tigerer (Seroalt fic ju
fd^ilbern afö je juüor. aber bie bunte güHe beS ißebeni^, bie i^n in
Jüngeren ^agen fejfelte unb mit beren farbenfrifc^er ©arfieHung er
uns entjüdfte, pe l^at für i^n ben SReij verloren. SWit bem ©alo=
monifd^en „SHIeS ift eitel" roenbet er pd^ con bem Reitern 2;anb
l^inroeg ju einer fafi aSjetifd^en, puritanifd^ ernften, felbft büfteren
Sluffaffung. 3« fiöffe fommt biefer SRid^tung baS ©d^roarj ber ba-
maiigen SRannertrad^t/ auS meld^em nur baS SBei^ beS breiten
Fragens ^erDorleud^tet^ bieS mieber als Sinfaffung beS AopfeS, beffen
berbe, oft unfd^öne, aber ftets d^aratterooHe Qü%t in einem Maren,
golbig glü^enben 2;one oor unS Eintreten. Dft fd^eint auS biefem
unenblid^ einfad^en, aber mannen unb intenfioen gleifd^ton eS toie
oon innerlidl) mü^fam oerl^altener Seibenfd^aft l^eroorjuleud^ten. 35aS
tiefe ©d^marj ber ©emänber läfet biefe Äarnation nod^ bominirenber
erfd^einen.
9Kit fold^er dufeerften SBereinfad^ung ber garbenffala gel^t eine
nid^t minber grofee SRebuftion in ber barfteHenben 2:ed^nil fianb in
fianb. 3)er früher bei atter greil^eit bod^ forgfaltig betaiDlirenbe
5ßinfel fegt jefet, oon einer oerioegenen aWeifterfauft geführt, mie ein
<Sturm über bie Seinmanb unb fd^leubert in unglaublid^ paftofem
Auftrag mit wenigen breiten SBürfen ctroaS ](|in, baS in ber SRäl^e
betrad^tct mie ein ©d^neegeftöber oon toilben Äledtfen ausfielet, in
ber rid^tigen ©ntfernung aber baS antlife mit feinen d^arafteriftifd^en
3ügen oott unnad^al^mlid^er fiebenSgemalt unS ent^üKt. S)ie Äunft
188 3^^ ©efc^id^te bet ^oUänbifc^en @c^ü4en^ unb 9iegentenbUber.
ift l^icr auf bem 5ßunftc angelangt, njo fic ol^ne Umfd^TOcif, mit
fouocräncr aSetad^tung jcbeS ncbenfäd^lid^cn S)etaife, bireft aufS
SBefen bet ®ad^e lo^gel^t, biefed bann aber mit ungel^eurer SBud^t
in§ fierj trifft, ©in unglaublid^er SReij l^öii^jter malerifd^et SBoHen^
bung, bie flimmungöDoHe Äraft ein^eitli(|en 2;one§, bie 5ßoefte be^
t)ottenbcten ^ettbunfelS liegt mit magifd^er Slnjiel^ung auf biefen
granbiofen ©d^öpfungen.
SKeifteng finb bie aSerfe biefer Äategorie mäßigen Umfanget,
unb in bet Siegel fd^ilbern fte un8 bie SSorftel^er ber Silbe, ober
aud^ bie „3legenten" einer aOBol^lt^ätigfeitganftalt, in emjier Se-
ratl^ung. 6« ifl un^ vox biefen Silbern, aU fei bie 3^^ f^^bfi
anberS geworben. 2)ie tapferen aWänner, bie e^ebem auf ben
Sd^üfienftüdfen fid^ un^ in frifd^er Sugenblraft, al« Selben t^aU
fräftigen fianbelnö unb (Seniefeeng jeigten, pe pnb älter unb emfier
geworben, ©ie oerfammeln pd^ je^t, fd^on etroa^ gebeugt üon ber
Safl mel^r ber (Srfal^rung als ber Saläre, nid^t mel^r jum fröl^lid^en
äluSjug, }u l^eiterem (Selage, fonbern ju fiiHem Sat^fd^lagen. S)a}u
ftimmt bann aud^ baS el^rbare ©d^warj ber (Semfinber, ber ernfie
2^on beS ©anjen. aber in ben Äöpfen bliftt oft etwas auf, baS
uns baran gemal^nt, baß wir in biefer SBanblung oietteid^t einen
ftinftlerifd^en SRüdffd^lag jener l^eftigen politifd^en unb religiöfen
^ßarteifämpfe ju erlennen l^aben, weld^e fd^on in ber Slütl^ejeit
feiner aWad^t baS Sanb jerrijfen unb beut jtarren caloiniflifd^en (Seifl
auf lange ben ©ieg über bie milberen Sluffaffungen oerfd^afften.
n.
^tnn id^ nun oerfud^e, biefe in furjen Süfl^n ffijjirte ©nt-
widfelungSgefc^id^te im ©injelnen mit Seifpielen ju belegen, fo weife
id^ fe^r woI)l, baß id^ bamit nid^tS ©rfd^öpfenbeS ju bieten wr^
mag. 3lber oieHeid^t wirb meine Slrbeit ju weiteren ©pejialflubieii
anregen, bie um fo erwünfd^ter pnb, je me^r für bie ©efd&td^te ber
fiottänbifd^cn aWaterei nod^ }u tl^un ifl. •
3ut ©ef^i^te bet ^oaänbifc^en ec^ü^en« unb 9legenten6ilber. 189
gragt man nad^ bcn filtcftcn SBcifpielen ber in Siebe ftc^cnben
©attung, fo barf bei etioa^ elaftifd^er Raffung be^ ^^ema^ rool^l auf
ienei5 intereffante Stlb ©coreld im SRat^l^auS ju ^aatlem ^inge=
TDiefen werben, bai^ „be SRibberiiile ©roeberfd^ap oan ben ^eiligen
lanbe te ^aarlem" DorPeUt, bejeid^net mit bem 9lamcn be« SWeijier^
unb bet S^^tja^l 1553*). 63 finb jwölf ^albfiguren, barunter
ber ÄünjMer felbjl unb ein 2)iener, l^art unb troden gemalt, wie
auö Solj gefd^nifit, in einer Steil^e leintet einanber angeorbnet, mit
^almiioeigen in ben ^änben. 3loä) fe^lt }eber tiefere inbiDibueHe
äu^brud; nur inbem jroifd^en 5ßrofiIfielIung unb SBorberanfid^t ber
jlöpfe abgeioed^fett wirb, fud^t ber 3Jlaln bie SRonotonie etwad ju
burd^bred^en.
Um nun ju ben frül^eften ©d^üftenjtüdEen überjugel^en, I)aben
wir un3 in« SRat^l^aud ber ©tabt Slmflerbam ju begeben, meld^e^
eine überaus anfel^nlid^e Qo^l con SBerlen ber alteren, noc^ jiemlid^
funftlofen, wie ber fpdteren l^od^ entwidfelten Wct aufbewal^rt. S)urd^
oHe ©todtwerfe unb glilgel be« unanfel^nlid^en Saue^, ber nid^t
mit bem alten prad^tüotten, je^t al8 föniglid^er 5ßalaft bienenben
©tabt^au^ Derwed^felt 'werben barf, mufe man wanbem: treppauf,
treppab in Äorriboren, 33orjimmem, ©d^reibfiuben, Äanjleilolalen
jeben Äaliberö bei fd^led^tejter Seleud^tung feine ©tubien mü^fam
genug verfolgen unb feine Slotijen mad^en. ©in grünblid^ereS SBe^
trad^ten wirb baburd^ fel^r erfd^wert unb fann erfi bann in genü^
genber SSJeife betrieben werben, wenn bie reid^e ©tabt bie brennenbe
grage eine« anftänbigen aRufenm^baueS gelöft ^at. ©ereid^t e3
bod^ in ber X^at ben l^eutigen ^oSanbern nid^t }um fRu^mt, wenn
man fold^e SKiftfiänbe fd^on fo lange anbauern fie^t; wenn man
ferner bie l^errlid^en ©d^ötje ber beiben ißauptfammlungen be«
£anbeiS im Srippenl^uid }u 9lmfterbam unb im 3Rauritd^ui3 im
»i^aag tl^eild ganj unwürbig, tl^eitö pd^fl unjulänglid^ untergebrad^t
finbet. S)a}u (am nod^ in ber lefttgenannten ©ammlung ein über
alle 83efd&reibung erbärmlid^er Äatalog, ber erft fürjlid^ burd^ bie
tüd^tige Arbeit aSictor be ©tuer^' befeitigt worben ift.
*) CataloguB van de Bchilderijen op bet inuseum der Stad Haarlem.
Nr. 98: „Johan van Scorel bin ik een scildere Canonic tutrecht tut Sinte
Marien" etc.
190 Qux ©efc^tc^te ber ^oaänbtf^en 64üten< unb SfiegentenbU^et.
Unter ungünftigen SBerpItniffen alf o fu(j^en loir und äted^enfd^aft
über bie 138 9lummem ber ©emalbefammluns im 9tatl^l^aud ju Stm-
fierbam ju geben; mand^eg SBertl^üoIIe mag babei unfrer äufmerf-
fam!eit entgangen ober burd^ Ungunft ber SuffteEung unb Seleud^tung
nid^t genägenb erfannt n)orben fein. @ined ber ältefien ©d^fi^enbilber
iji SRr. 96 be« ftatalog«*) batirt von 1531, mit bem SWonogramm »•
®d jeigt fiebenjel^n ^erfonen, jteif l^inter einanber aufmarfd^irt, in
ftrengcr, reijlofer aRalerei, umgeben t)on einem lanbfd^aftlid^en hinter-
grunbe oon fe^r primitiver ärt. @anj äl^nlid^ ifi ebenbort ein »üb
ton 1532 (Sir 3), mft^renb ein britte« (SRr. 1) oon 6omeliud änt^oni^^
joon, gejeid^net mit bem SRonogramm 6. SC., com Sal^r 1533, unS
bereit« ein ©d^üftenma^l jeigt, belannt unter bem 3iamen ber „83ra«^
penningSmaaltijb''. 3« ^^^ bräunlid^en 2;on ber SRalerei l^at e«
eine gemiffe SBenoanbtfd^aft mit frül^eren SBerlen fiolbeinö; bod^ ifi
bie« eine fafl aQen alteren @d^ä^nftudten gemeinfame f^rbe. S)er
aWeifier l^at bereit« nid^t o^ne Erfolg nad^ größerer Selebung, nad^
mannigfaltigerem äu8brudf gefirebt. SBeit befangener unb fleifer
ifi ein ©d^üfeenbilb t)on fed^jel^n Äöpfen (SRr. 69), ba« man bem-
felben Äflnfiler jufd^reibt. •
äSoUe itoanjig ^a\)xe vergelten bi« ju bem näd^flen SBilbe, meldte«
1554 Don 2)ir! Sö'objoon gemalt mürbe (3lt. 2). & fü^rt in
ftrengcr, rei^enroeifer änorbnung jmeiunbjwanjig 5ßerfonen oor.
Äompofition, äuffaffung unb SWalerei lajfen faum einen gortfd^ritt
erfennen. 6« iji berfelbe gleid^mäfeige braune 5Con, biefelbe ein-
förmige Se^anblung, obenbrein in jiemlid^ berber ißinfelfül^rung.
S)en gleid^en SWeifter finben mir nodd einmal unter 3lt. 66, in einem
@ilben{iäd von 1559, meldte« einunbimanjig ^erfonen in }iemlid^
jieifer Sänorbnung unb l^arter SWalerei oorfül^rt. S)od^ finb einjelne
Äöpfe bereit« leben«t)otter gelungen, ©in anbere« 89ilb äJ^nlicJer
SHrt mit fiebenje^n giguren (3h. 91) oom Sa^re 1557 fd^eint oon
ber fianb beSfelben aWeifier«.
SWan fie^t immer nod^, wie mü^fam bie Äünjiler mit ber fd^micr
rigen aufgäbe ringen, eine fo grofee Slnja^l Don ©efialten, bie bei
*) AanwijziDg der Schilderijen, oudheden, inodellen, ens, zieh bevm-
dende op bei Raadhuis der Stadt Amsterdam. 1864.
3ur ©efd^idjte ber ^ottänbifc^cn Sc^iü^en^ unb SRcgcntcnbilber. 191
i^tcr ©Icid^bcrcd^ttgung ben 2lnfprud^ crl^cbcn mod^tcn, im Silbe ju
gletd^er ober bod^ äl)nli<]^er @e[tung )u {ommen^ auf einem ^lane
ju oereinigen. • Smmer nod^ l^ertfii^t in biefen SBerfen baö primitiue
^Prinjip eines fd^ematifd^en 3lneinanberrei^en«. 9lud^ in ben nun
folgcnben SBUbem ift ber S^rtfd^ritt nod^ fein'grofeer, bie 3lnorb=
nung nod^ jiemlid^ ungefd^idEt, aber baS ftolorit jeigt einen lieber^
gang }u größerer grifd^e unb mannigfaltigerer SBetonung beS Sn^
biüibuellen. Unter 9lr. 16 finben mir ein SBilb t)om ^a^x 1562,
beffcn SWeifier 3)ir! 83arentSjoon feinen oierjel^n 5ßerfonen leben§=
DoQe jtöpfe unb ein träftigeS Kolorit in blü^enb frifd^en Xöntn
}u geben roufete. ®S ift eineö 'jener Silber, mit roeld^n, roie mir
fd^eint, ber !oloriftifd(ie (ginflufe ber flanbrifd^en ©d^ule beginnt,
äe^nlid^er art ifl ein ©d^ü^enftüdt mit jroölf giguren Dom 3afir
1563 (gir. 94). Slud^ bag Heinere S3itb mit fteben giguren (9lr. 8)
gel^ört l^ierl^er. @3 erinnert an bie SBerfe beS älteren ^ourbui^.
3lo6i fteif aufmarfd^irt, aber in ganjer ^igur neben einanber bar^
gepellt finb bie neun Sd^üften auf bem »Übe SRr. 74, toeld^eS inbe§
burd^ ein feäftig blül^enbeS, ber Harmonie iebo(^ nod^ entbel^renbeS
Kolorit bemerfenSroertl^ iji. •
SDie legten beiben SDcjennien be« 16. 3a]()r](iunbert« jeigen auf
aüen 5ßunften ha& energifd^e ©trebcn nad^ freier Slnorbnung unb
nad^ ^ö^erer folorifiifd^er SluSbilbung. fiier tritt un§ junäd^ft
6orneli§ ßomeligjoon in einem Silbe beiS SWufeumg ju ^aarlem
(3lr- 22) entgegen. 6^ ift ein ©d^üfienmaldl vom Sal^r 1583, ein
tüd^tige» SBerl in einfad^ tlarer Haltung unb hfiftig braunem SCon,
einjelne Ädpfe^ befonberS ber junge SRann vom jur Sinfen, lebenö^
DoQ toie VW $olbein. Slud^ bie älnorbnung burd^brid^t fd^on
glüdflid^ bie alte fteife ©ebunbenlieit, obrool^l biefelbe nod^ nid^t
Dößig überrounben ifi. ©d^roarj, weife unb braungelb finb bie bomis
nirenben 2:öne. 2)ie 3Kalerei ifi paftoS aufgetragen unb weid^
vertrieben; aber e§ fel^lt bie Suftperfpeftitje, unb bie giguren lUbm
ttufeinanber. $errfd^t l^ier nod^ bie öftere folorijiifd^e Se^anblung,
fo gel^t berfelbe aWeifter in einem Silbe t)on 1599, bejeid^net 6. Q.
(SacneliuS van fiarlem, 5ßr. 26) beSfelben TOufeum«, ju bem
Wü^enberen, reid^er abgejiuflen Äolorit über, ba« um biefe 3eit
allgemein fid^ Sa^n brid^t.
192 3*"^ ®cf(^|ic^tc bet ^ottänbifd^en ©c^ü^en* unb 9legentcnbi(bcr.
ißierl^cr gcprt fobann ein umfangreid&c^ ©d^üftenftfid im diatf)^
^au« ju S)elft t)om Sal^r 1592, infd^riftUii^ ate SBerf einei^ ein=
^eimifd^en aKeiftcrS, bcÄ Safob SBill^elm SDcIff bcjci(ä^net*). es
entl^ält ni^t weniger atö einunbbreifeig giguren, fämmtlid^ »ruP^
bilbcr, in jwei aufgelöflen Siei^en bid^t an einanber gebrängt. 2>cr
analer ^at bie ftöpfe nod^ ftrfiften au«- nnb übeteinanber t)crfd^oben
unb lägt bie übrigen^ gut gejeid^neten ^änbe {iemlid^ ftati gefti^
tuliren, um nur ja £ebenbigEeit )u jeigen. 3Slan wixb an bad }u
ftarle ©eftifuliren ange^enber ©d^aufpieler erinnert, bag ebenfaDfö
ein S^i6)tn üon SBefangenl^eit. SlBe« fe^t fid^ in fd^warjer 2;rad^t
t)on grünem fiintergrunbe ah, unb bag bläulid^e SBei§ ber großen
faltenreid^en ^al^lragen fontrafiirt fd^arf mit bem braunen 2:on
ber ©efid^ter unb ben tiefen, etmoÄ fd^roeren ©d^atten ber gleifd^-
tfieile- S)a§ ßid^t ifl ju gleid^mäfeig perflreut, t& fe^lt überhaupt
nod^ an ber feineren tolorifiifd^en 2)urd^bilbung; am meipen fommt
ber Äünftler bem SKiereDelb nal^e, von weld^em ebenbort mel^rere
bebeutenbe äßerfe fid^ finben. @in}elne £5pfe lönnten t)on ^ourbu^
fein, roa* foloriftijd^e Se^anblung anlangt. Sud^ im 9iat^l^aug ju
aimfierbam finben wir biefe Uebergang^jeit burd^ mehrere Silber
vertreten, ©o SRr. 68, ein Silb von fünfjel^n giguren, etmo« fteif
unb geiftlo« be^anbelt, ein fleinereS t)on fed^^ giguren (9ir. 89)
ebenfato nod^ etwaig l^art in ber 9Ralerei. 2)agegen ungleid^ lebens
biger in ber Äompofition, freier in ber Sel&anblung baö grofee
©ilbenftüdf oom Qa^r 1584 mit nid^t weniger afe fed^äunbjroanjig
giguren (SRr. 93). SßoH frifd^er Slüd^tigfeit fobann in überaus in?
tenfioer fjärbung, bie auf itatienifd^e ©inflüffe beutet unb an Stns
tl^onig 3Roro erinnert, ein gro^eiS ©d^üftenfiüdf t)on jweiunbiroanjig
5ßerfonen, aui^ bem ^al^r 1596 (3lx. 98); fteifer in ber Slnorbnung,
aber toeid^ unb luftig in ber SKalerei ein anbereö mit neunjetin
giguren t)om Sa^r 1699, gejeid^net 31. % (SRr. 90).
SlUe biefe Silber unb baju nod^ uiele anbere, gel^örten e^ematö
JU ber reid^en Slui^fiattung, meldte ba« frül^ere 9lat^^auö, ba«
aWeifterwcr! Safob t)an ßampenS, ju einem ber prad^tooHflen
*) Bez.: Opus Jacob! Guilielmi Delphy anno post Christum natum
MDXCII.
3ur (Befc^ic^te bet ^oMnh\\^cn ©deuten« unb 9iegenten6i(ber. 193
^Paldfte jioljen SBürgcrtl^umS mad^te. aßol^l ermangelt ein Ueber-
bM über biefe jal^Ireic^en gleid^artigen SBerle nid^t einer geroiffen
3Wonotonie, aber jener tüd^tige genoRenfd^aftlid^e Sürgerfinn, roeld^er
immer roieber fold^e Stuf gaben ben ftünjttern fteHte, fül^rte nun
ju einer immer größeren greil^eit in Sel^errfd^ung ber aufgaben
unb ju ber glanjüoflen ©ntroidelung, roeld^e mit bem 17. ^atir*
l^unbert anl^ebt unb in fietigem f^ortfd^reiten jur l^öii^flen SSoQen-
bung fü^rt.
3unäd^ft ifi l^ier grang ^ieterjoon (Srebber mit ben t)ier
©d^üftenjMldfen ju nennen, weld^e bag Slat^l^auiS feiner SBaterfiabt
^aarlem t)on i^m befiftt. 2)iefe arbeiten erinnern nod^, befonberS
baS »ilb oom 3Jal^r 1600 (SRr. 43), an bie SBerfe beg 6omeIi«
6omeli^}oon. S)er röt^lid^e gleifd^ton mit bräunlid^en ©d^atten gibt
ben Äöpfen eine etroaö ju monotone Sffiirfung. SaÄfelbe gilt von
bem ©d^üfeenmalil beö Saläre« 1610 (SRr. 44), ba« in ber makxti
cttoa^ glatt unb einförmig erfd&eint. %n\^tx, farbiger finb bie beiben
©aftmäljler von 1619 (9lr. 45 unb 46), bie mel^r an bie Se^anb-
lung^roeife ber Sfaibeni^'fd^en ©d^ule erinnern. 2)a ber Äünfiler in
ber 2;^at bei S^cob ©aijerp gelernt; ]()at, fo ifi l^ier ber ©d^ul^
jufammen^ang befonberd beutlid^. Stalle SSerioanbtfd^aft mit biefen
arbeiten oerratl^ in berfelben ©ammlung (5h:. 107) ein Silb t)on
ßomelig ©ngetejoon SßerfpronI vom Sal^r 1618, roeld^e^ ein ©d^üften^
ma^l ber ©luDeniergsSJoelen fd^ilbert.
Slel^nlid^e UebergangdfleSung jeigt ein groged ©emälbe im
aWufeum t)on 31 otterb am t)om Salire 1604 (Str. 262), meld^eS
ttte Änieftüd fieben SBilbniffe in reid^er 5Crad^t mit farbigen ©d^arpen
neben einanber Dorffil^rt, moitx bie ©teKungen glfldflid^ abn)ed^feln.
S)ie Äöpfe in leberbraunem 2^on mit fd^roärjlid^en ©d^atten finb
cnergifd^ belianbelt, aber im ©treben nad^ aWobellirung ift eine t)oDe
l^armonifd^e SHJirhmg nod^ nid^t erreid^t. Ungefäl^r auf berfelben
©tufe fielen ebenbort brei grofee Silber t)on 6. SB. ©oeri^biidf,
weld^e ©d^üfeengefettfd^aften ber ©tabt ®oe« barfteHen. a)a« frfi^efte
Dom Sa^re 1616 (SRr. 60) jeigt jmanjig ^erfonen be« SWagifkat^
in SBeratl^ung um einen Sauplan, ben einer in ber $anb ^ält.
©ie ftel^en in brei aufgelöflen SReil^en l^inter einanber, fämmtlid^ in
fd^roarjem Äojiüm, bie Äöpfe in fraftigem gleifd^ton etroaS mül^fam
13
194 gut @(efc^i($te ber ^oUänbifd^en e^üfen' unb iRegentenbilber.
mobcttirt, äße in bctfelbcn Haltung unb augentocnbung, fo bafe
tro^ beS glfldlid^en ÜRotbd ber nid^t eben geifireid^e Sneifter boc^
giemlid^ unlebenbig bleibt. 9lur einige Äöpfe lajfen eine toeid^ere
aWalerei mit burd^fid^tigen ©d^attentönen erfennen. Se^nlid^ in ber
Sel^anblung/ aber fr&ftiger^ frifd^er im S^on^ biStoeilen freilid^ aud^
l^ärter i{l 9tr. 61 von bemfelben Jtünftler^ meld^eiS einunbpanjig
giguren entpit. aud^ ^ler l^at ber aJleifier nod^ freierer 3lnorb:=
nung geftrebt; einige fielen, anbere fifeen um einen ^ifd^, mit
(Selbjäl^Ien befd^äftigt, m&l^renb ein ©iener ein jinneme« (Sefäfe in
ber ^<i^^i> '^ölt. e^ ift bejeid^nenb für biefe ©pod^e, wie man immer
me^r bemul^t ifl^ biefen früher fo monotonen B^fammenfteUungen
ton giguren burd^ irgenb eine gemeinfame ißanblung, fei e«
®d^maufen unb ^^rinlen ober 93eratl^en unb Sted^nen, ein mel^r
bramotifd^e« Qntereffe ju geben. S)erfelben art ifl ein fpätere^
»ilb beg nämlid^en SWeifiterS oom Saläre 1624, meld^ei^ eilf aßit::
glieber ber SBürgergarbe t)on ®oe^ barfleHt. S5ie Dffijiere tiaben
an einem 2;ifd^ 5ßlafe genommen, unb ber eine Don il^nen bietet in
einem golbenen ^ofal ben (S^renmein bar. 9lud^ l^ier finb geroiffe
garten in ber aRobettirung nod^ nid^t überwunben unb ber Haltung
fel^lt nod^ bie coHe f^ei^eit beiJ ißeben«; ober ein häftige« Streben
nad6 aWannigfaltigteit ber ßl^arafterifHf ifl nid^t ju uerfennen.
aSon ungleid^ grünerer Sebeutnng erfd^eint nun aber ba« um^
fangreid^e 99ilb im Statl^l^aui^ ju S)elft, meld^ed 9Rid^ae( Siliere::
t)elb im Saläre 1611 malte*). SRid^t weniger ote fed^gunbbreifeig
giguren finb im SSPefentlid^en in jroei Sleil^en um ben in ber 9)Jitte
befinblid^en 2;ifd^ gruppirt, bod^ fo, bafe red^ti^ brei Steigen über
einanber fid^ bilben. 2)ie Slnorbnung I|at nod^ etmad SRül^fame^;
l^ie unb ba fielet man einen unbebeutenben Äopf jmifd^en jmei
fräftiger be^anbelten eingefd^oben. SWan erfennt beutlid^ ba§ SRingen
mit ber früheren gebunbenen Snorbnung, bie ber Äünftler ju burd^^:
bred^en unb ju beleben befliffen ift, inbem er j. 89. bie ^interfte
SReil^e in eine ©ruppe oon je brei, mer ober fünf Äöpfen auflöfl.
ebcnfo ift bie rorbere, pftenbe SRei^e in uier ©nippen jerlegt. S)ie
garbe, meift fd^marj mit gebämpftem aCeife in ben Äragen unh
♦) Bez.: Michael a Miereveld delineavit ac perfectorie pinxit A. 1611.
3ur ®efd|i(§te ber ^oQänbifd^en 6c^ü^en; unb äüegentenbilber. 195
©(ä^ärpen, ift tief unb fräftig, aDe^ l^cbt fid^ gwt t)om bunfclgraucn
©runbe ab, aber bai^ &xä)t ift faji ganj glcii^^mäfeig ücrt^eilt. S)ic
Äöpfc ftnb mit roenig Setonung inbioibuctter ftarnation braunrot]^
gemalt, jiemlid^ l^art mobellirt, mit fett aufgefegten Sid^tem unb
etmaä ju unburd^fid^tig fd^roeren ©d^atten. ®S fe^lt nod^ an ber
feineren Slu^bilbung be^ ^ettbunlefe unb ber ißuftperfpeftitje , roo^
burd^ bie %axbt ju materiell erfd^eint. aber gleid^wol^l uerrat^en
bie ©efid^ter voUt Äraft unb SKannigfaltigfeit bei^ Seben«; einfad^
tüd^tige 5WännKd^Ieit liegt mit gefunber, nüd^terner ©ebiegenl^eit
über bem ©anjen. 2tud^ bie fiänbe finb fe^r gut unb d^arafteriftifd^
gejeid^net, babei auöbrudESDoH bewegt. 2luf ber S^afel fie^t man
93utter, Äümmetbrob, grofee Hummern, bie mie baS übrige SJetail
breit unb foUb be^anbclt finb. ©a^felbe gilt von bem Ileinen
SBad^tel^ünbd^en unb bem Äopf eines großen l^ereinfd^auenben Sagb^
l^unbeS. 5Kit einem SBorte: affeS jeigt gefunbe 5Cüd^tigfeit, aber
nod) feinen ^ö^eren, feiner entroidfelten, fpejififd^ malerifd^en aietj.
3Bie biefer t)erftänbige aJfeijier in einem weit fpäteren Silbe
jtd^ auf beträd^tlid^ pl^erer ©tufe ber ©ntmidfetung* jeigt, werben
roir unten ju betrad^ten ^aben; l^ier ^anbclt eS fid^ junäd^ft um
ein onbereä aScrl an bemfelben Drte, baS man bort ebenfalls
aWiereüelb jufd^reibt unb nod^ baju in feine fpätere ^tit fefet.
fiefitereS ift !aum anjunel^men, benn bie berbe braunrotl^e Aar*
nation, bie melen bunten garben ber ©d^ärpen, gal^nen 2c. meifen
bie arbeit in bie frühere Gpod^e, mo fold^e unruhigere Haltung
el^er ju begreifen ift. UebrigenS ein Silb von anjiel^enber £ebenbig=
feit: Dier ©d^üfienoffljiere in reid^er S^rad^t, neben i^nen ber
2^rommIer, rüftig wie im 3luSjug begriffen, ^intergrunb SluSblidf
ins S^eie; roieberum nur Änieftüdt.
SBie jebe ©tabt bamals il^ren eigenen 3Weifier für fold^e SDar=
fteKungen befafe, fo finben wir nun im $aag ben trefflid^en Qol^ann
Dan 9lat)ePepn. 3Kan ^at neuerbingS bie bebeutenbften Silber beS
ftäbtifd^en SefifteS bort auS bem SRat^IiauS entfernt unb in einer
felbjlänbigen ©ammlung untergebrad^t *). S5aS frül^ejie t)on ben
Silbern SRaüeftepnS (SRr. 13) oom Sa^re 1616 jeigt auf einer
*) Katalogus der schilderijen op het Raadhuis te S'Qravenhage. 1879.
196 Qvix ©efd^ic^te ber ^oUänbifd^en ©^ü^en- unb SlegentenbiCber.
grogen^ ungefähr quabtatifd^en 93ilbf[äd^e ungefal^r fünfunb}n)aniig
lebensgroße giguren im Änieftüd. (gs ift ber äugenblid geroä^It,
wo ble Dffijiere in^ greie treten, bid^t neben= unb l^interetnanbcr
gebrdngt, fo bafe bie alte reil^enweife Slnorbnung nad^Hingt, obwohl
mit f^ei^eit umgefialtet unb belebt. SSietteid^t jum erften aWate
begegnet unS l^ier baS glüdlid^ erfunbene aKotiu, einen X^til ber
2)arjufiellcnben von ber greitreppe beö ©d^ufeenl^aufeg l^ctabfd^reiten
ju laffen. Sie SDialerei ifi fräftig unb frifd^ in braunem Xon, bie
Äöpfe blül^enb in männtid^er ©efunbl^eit, roarmröt^tid^ mit auf-
gefegten &i^ttxn, aEeS !tar unb einfad^ in siemtid^ gleid^mdgigem
£id^t, bie SBel^anblung ber flanbrifd^en oenoanbt ; bod^ ifl aud^ l^ier
nod^ feine t)oIle foloriftifd^e g^eil^^it. 3loö) fräftiger im 2;on ifi
ba« jroeite »ilb bciS aWeifter« t)om Sa^re 1618 (SRr. 18). ©g jtettt
in fed^i^unbjroanjig lebenSgrofeen giguren bcn 9Kagiftrat ber ©tabt
oor, wie er ben Dffijieren ber ©d^üfeengilbe ben SBillfomm bringt.
3n freier, leben^DoHer 2lnorbnung fielet man in ber aMitte an einem
mit tiefrot^em 2;eppid^ bebedften 2;ifd^ bie jnjölf 3WagiftratSperfonen
fiften, Don benen ber 5Borfiel^er ben »on beiben Seiten ^ereintreten^
ben ©(^üften ben SBiüfomm in fd^immernbem 9tömer bringt. aWan-
nigfaltigfeit beS SluSbrudEd, greil^eit ber Slnorbnung, Sebenbigteit
ber aJeroegungen, fpred^enbe Sffial^r^eit ber ftöpfe unb ber trefflich
gejeid^neten $änbe, baS alles ftempelt bieS große ä3ilb }u einem
SHJerle erfien SRangeS. S)ie foloriftifd^e SBirfung ift üoH gefdttigter
Äraft unb ^icfe; bie fd^marjen ©eroänber auf buntlem ©runbe, bie
bräunlid^ rotten Äöpfe, baS tief leud^tenbe SRotl^ ber 2:ifd^bede
geben eine (Sefammtroirfung t)on nobler ©nergie, bie burd^ ben
berben paftofen garbenauftrag unb bie refolute ?ßinfelfül^rung nod[)
gefteigert mirb. SReben granS ^ate ift SRacefte^n ber erfte, welcher
in ben ©d^ütjenjlüdEcn bie ^öd^fte a)Jcifterfd^aft einer ju ooHer grei^
l^eit herangereiften Äunft entfaltet. 1 3)agegen treten bie fed^S ©d^üfeen=
ftüdfe, meldte SoriS t)an ©d^ooten 1626 unb 1628 für bie ©tabt
Serben malte, jefet in ber 2:ud&l^aae bafetbft unter 3lx. 77 bis 82
aufgefteHt, er^ebli^ jurüdf, obfd&on pe burd^ folibe SWalerei, tüd^tige
Stuffajfung unb einzelne lebcnSooHe Äöpfe eine immerhin erfreu^
lid&e SBirhing mad^en. ©ie gel^ören eben jum anflänbigen SWittel-
gut ber Qtit
3ur ©cfc^ic^tc bct ^oHönbifc^cn @c^ü|en* unb SRcgcntcnbilbcr. 197
(Sani anbcrer 2lrt finb bic ©d^öpfungcn bcS großen ißaarlcmct
3Kcifterö, bcr in feinen einzelnen SBerfen x>on 1616 biö 1664 bie
entroidelung eineö l^albcn ^alirl^unbertö repräfentirt unb bie cer«
fdE)iebenen ©tabien betfelbcn big jur legten SBoUenbung burd^Iäuft.
grang $aK fnüpft in feinen frül^ercn SBerfen an jene blütienbe
Dielfatbige Sel^anblung an, toeld^e wir bereits fennen gelernt l^aben;
aber fd^on in feinen erften l^ierl^er gcl^örigen 2lrbeiten jeigt er fid^
aU ein fold^er 9Weifter ber SuftperfpeftiDe unb beS fieHbunfelS, bafe
er, roa§ nid^t jebem gelang, in aflent Sleid^tl^um ber ^Palette bie
ooHe Harmonie einl^citlid^en 2^oneS unb ruhiger ©runbftimmung ju
erreid^en weife. S)amit Derbinbet fid^ geniale grei^eit ber Stnorb*
nung, fedfe ©reite ber SKalerei unb pd^fte Sebenbigfeit mannig^
faltig abgeftuften StuöbrudfS. Ratten bie frülieren Äünftler faft
au^naJ^mSloS mit bcn ©d^roterigfeiten ber änorbnung ju fdmpfen,
fo bafe i^re Silber unö l)äufig gemal^nen wie bie mül^fanien ©rup*
penaufnal^men moberner.^pi^otograpl^en, fo wirb bei i^m iebeS SBerf
bcr aiuSbrudf einer fünftlerifd^en (Senialität, roeld^e ungejroungen,
frei unb ebel wie bie Sßatur felber ifl.
Unoergefelid^ bleibt roo^l jebem Sefud^er fiaarlemS ber ©in-
brudE beS Dorberen galerieartigen ©aale§ im altertl^ümlid^en Statins
^auS, meld^er in gut abgewogenem Dberlid^t bie ad^t großen Silber
beS SKeifterö uereinigt. (SS ift ein ®en\x^ feltenfter 2lrt, unabläffig
öon einem jum anbern ju ge^en, ju prüfen, ju »ergleid^en unb
ber ©röfee biefeS ftünfilerS mit ficts wad^fenber Serounberung inne
}u werben. S5aS frül^efte SBerf Dom ^al^re 1616 (SRr. 51) fd&ilbert
ein 3)?a]^l von Dffijieren ber ©t. QoriS = S)oelen. SBeld^e ^ei^eit,
Äraft unb SebenSfüHe! SBie unbefangen finb bie jel^n lebenS=
großen giguren gruppirt unb in SBerocgung gefegt! 2Beld^ frifd^e
©enußfä^igfeit lad^t in ferniger ©efunb^eit au^ il^ren (Sepd^tern
uns an! 35ie garbe ifi Don unglaublicher ^iefe unb ftraft; bie
rotl^en ©d^ärpen unb bie rot^roeißen gal^nen geben bem (Sanjen
einen frö^lid^en (S^arafter; bie Äöpfe mit i^rem energifd^en braunen
3:on unb ber tiefen, in- ben ©d^atten bisweilen nod^ fd^weren aRo^
beHirung pnb wie aus SBronje geformt unb leud^ten von unbänbiger
jßebenSfraft. es ift, als wäre atteS, was oon (S^arafter in il^nen
lebt, l^erauSgel^olt unb ans Sid^t gebradfit. 2)er ^intergrunb mit
198 3ut ©efc^i^te bet l^oKönbif^en .©c^üt^en^ unb 9legentenbiloer.
einem offenen 33U(f in ben ©arten unb auf bie bräunlid^en Saum-
gtuppen fd^liefet bie ftompofition l^atmonifd^ ab. äHeö ©etail, ber
2)amaft be^ Xx^^tu^e^ unb bie auf ber Xafel ftd^tbar toerbenben
©peifen ift ol^ne ^einlid^feit, bod^ mit großer Siebe bcl^anbelt.
2)0^ ber 3^tt nad^ folgenbe Silb, elf Qal^re fpäter entftanben,
iji ba« ©d^üfienmal^l berfclben ©enoffenfd^aft öon 1627 (31. 52).
S)iefelbe ißerfonenja^I, tooju nod^ ein S)iener fommt, ift ^ier auf
etwas Reinerem 5Raum enger jufammengebrängt, bie Äompofitton
roieber mit großem ®ef(i^i(f in jmei ©ruppen jerlegt. S)ie SKalerei
nod^ fel^r forgfältig mit fettem garbenauftrag bei l^öd^ft refoluter
?ßinfelfü^rung, ber ©efammtton ungemein tief unb fträftig. äuS
bemfelben Qa^re rül^rt baö britte biefer Silber, eine 3Ka||I}eit von
Dffijieren ber 6lut)enierS=2)oeIen (Sir. 53). SBieber ftnb bie jmöif
lebenggrofeen giguren in jmei ©ruppen uertl^eilt. S)ag ®elb, »lau
unb SRotl) ber ©d^ärpen unb gal^nen, menngleid^ nid^t ganj fo l^ar-
monifd^ mie in bem Silbe t)on 1616, gibt bem ©anjen einen unge=
mein l^eiteren ß^arafter, bie garben ftnb überl^aupt l^eDer, ba ein
t)0lle2 2;ageölid^t ben Dtaum erfüllt. Sei aller Sreite jeigt aud^
l^ier bie Se^anblung nod^ große Sorgfalt im S)etail.
gieren ^ö^epunft eneid^t aber bie Äunft beS aWeifterS in einem
ber größten biefer Silber oom 3<i^^« 1^33, meld^eö oierjel^n 3RxU
glieber berfelben,©enoffenfd^aft barfteHt (9lr. 54). ^ier ifl Don
©d^ilberung eineiS 3Raf)U^ Slbfianb genommen. SDie flattlid^en
3Känner fmb im greien bargefteHt, einige wie in Serat^ung an einem
SCifd^ fifienb, anbere banebenjie^enb, mit fjal^nen, fiettcbarben unb
Dottem SBaffenfd^mudf mie jum äufbrud^ gerüftet. SDie ftompoption
ift oon munberbarer Sebenbigleit, ber äuSbrudE ber Äöpfe rul^iger
ate bei ben luftigen SDla^ljeiten, baburd[i oomel^mer unb bodd ton
unoergleid^lid^er Sebenbig!cit. 2)ie ^Palette ift aud^ l^ier nod^ oon
großem SJeic^t^um, baS ^ettblau ber ©d[|ärpen unb fja^nen, bae
lid^te 3Beiß ber Äragen oerbinbet fid^ mit ben fd^warjen ©eroänbcni
unb ben bid^ten braunen Saubmaffen ju einer Haren, fein abge-
wogenen ©efammtftimmung, meldte gegen ben {räftig glfll^enben
2!on ber früheren Silber abfliegt unb eine SBenbung in ber fünfte
lerifd^en äuffaffung beS SBeifierS anbal^nt. äud^ baS ift l^ier U-
jeiddnenb, baß er, auf ber fiö^e feiner Gntwidlung angelangt, bie
3ur (^ef(^i(|te ber l^oUänbifc^en 8c^ü(ens unb 9legenten^i(ber. 199
2)arftcIIun0 eine« 3Wa^Ieg entbehren lann unb bod^ um SKotioe freier
Seioegung m<]^t vtxkQtn iji.
aSier 3a^re fpäter (1637) fd^uf ber SWeifter ba« grofee ©d^üfeen^
bilb, Toeld^e« man unter $Rr. 6 im 9latl[i^au^ ju Stmflerbam fie^t,
breije^n lebeniSgrofee ©eftalten in ganjer gigur barftellenb, in un-
gemein breiter, freier, haftootter SDlalerei. ©obann fommt roieber
eins ber großen Silber im 3fiat^l[iaug ju ^aarlem, unb jroar ba§
umfangreid^fte t)on allen, 1639 ausgeführt. (3lx. 55.) (SS fd&ilbert
bie Cffijiere ber ©t. 3oriS=2)oeIen, neunjel^n giguren, barunter ber
5D?aIer felbft. Qm Segriff beS SluSmarfd^eS finb fie im greien üer^
fammelt, jwölf in ber oorberen JRei^e, bie übrigen hinter if)nm
bie S:reppe beS ©d^üftenl^aufeS l^erabfteigenb. 3)urd^ bieS fdjion bei
9iat)efte9n tjorgefommene aWotiD gewinnt ber Äflnftler eine glüdttid^e
Belebung für feine Äompofition, roeld^e mel^r als fonft auf bie alte
rei^enroeife 2lnorbnung jurüdgreift, aber freilid^ in üoIIeS freies
Seben übertragen. Ungemein l^armonifd^ ijl ju bem ©d^roarj ber
©eroänber baS Stau unb (Selb ber ©d^ärpen unb gal^uen unb baS
SBeiB ber großen Äragen geftimmt, unb ber Slidf in bie Sanb[d&aft
mit itiren frifd^en S^önen gibt ber reid^en garbenprad^t feinen 3lb=
fiä^lufe. 3n ber Se^anblung merft man I)ier ben Uebergang ju
einer oiel breiteren ^pinfclfü^rung, bie namentlid^ in ben ^änben
mit erftaunlid^er Äedf^eit i^re berben ©trid^e unüertrieben neben-
einanber fteßt.
Ueberblidft man biefe fünf grofeen Söerfe beS 3)leiflerS, fo be-
fommt man einen ©inbrudf, toie ä^nlid^er 2lrt bie Äunft i^n nur
nod) in geroiffen ÄoDeftiobilbniffen ber üenetianifd^en @d()ule geroä^rt,
aelinlid^, unb bod^ fo oerfd^ieben. S)ort eine alte Sriftolratie ber
^iad;t unb Silbung, üome^me italienifd^e ©eftalten in rul)iger 2Ib^
gefd^lojfenl^eit; l^ier baS berbere lebenSfrol^e ©efd^Ied^t beS bemo-
fratijd^en 9iorbenS, a)fänner einer neuen SBeltorbnung, einer felbft=
erfämpften politifc^en unb religiöfen greilieit, in trofiigem ©elbft^
gefüt)l unb fräftigem, nid^t feiten überfd^äumenbem fiebenSgenufe,
offen unb fedf i^r äBefen auSfpred^enb.
2)aran rei^t fid^ als Slbfd^Iufe ber mittleren enttoidflung beS
ajJeifterS baS frü^efte ber brei Siegentenftüdfe, fünf Sorfte^er beS
et. eiifabet]^--®aft^uiS, oom Sa^re 1641 (91r. 56). SDie einfädle
200 8ur ®ef(^t(^te bcr ^oUönbiWen ©c^ü^cn* unb Slegentenbilber.
aiufgabe ifl I|ier untjcrglcid^lid^ IcbenSroal^r, breit unb cncrgifd^
gclöft. %xoi^ aßcr 5lül[in^cit unb ©d^Iid^tl^cit bcr »el^anblung ijl
bic Seid^nung nod^ ungemein burd^gcbilbet, bie %atht tief unb
mäd^tig in jener ftreng Dereinfad^ten Palette, roeld^e fortan in ben
SBerfen beS aWeifteri^ tjor^errfd^t.
III.
Äeine f^rage: grang QaU ift e^, ber bie l^oßänbifd^e 3)lalerei
jur l^öd^ften grei^cit gefül^rt, ber il^r bie t)oIIftanbige ^errfd^aft über
aUc ÜKittel foloriflifd&er SBirfung errungen l^at. S)ie S5ur(^bilbung
von Suftperfpeftioe unb ©ettbunfel, wie er fie erreid[|t, toar bcr lefete
Sd^ritt }ur iJöttigen Befreiung, äße frül^eren Äünftler, bie fid^ an
ber fiöfung ber in 3lebe ftel^enben Stuf gaben oerfud^t, rermoc^ten
über eine geroiffe jiofflid^e ©^roere ber garben nid^t l^inau0ju!oms
Uten, bie 2^öne jianben trofe aßen SßertreibenÄ immer nod^ etwas
unvermittelt auf ber Seinroanb; ein gar ju gleid^mäfeigeg, gemiffer«
ma^en mit ju großer bemoftratifd&er Unparteilid[|feit über 3lße tjer^
jireuteS fiid^t liefe eine gefd^loffene toirfungi^ooBc Seleud^tung nid[|t
auffommen. Stud^ ein SReft üon ©ebunbenl^eit ber 3lnorbnung, ben
jene frül^cren aWaler nid^t loSmerben fonnten, l^ing mit jener lolo-
riftifd^en ©d^ranfe innig jufammen. ®em gegenüber war eS ber
grofee ^aarlemer SHeifter, ber burd^ bie fein abgeftufte ßuftfd^id&t,
roeld^e feine ©eftalten umjlut^et, ba§ SWateriette ber ^axbz tjergeiftigte,
bie ®in^eit ber SBirfung burd^ gefd^Ioffene, trefflid^ abgewogene
»eleudbtung, burd^ meifterlid^e ainroenbung beS fießbunfefö l^erfießte
unb bamit aud^ in ber Äpmpofition ju l^öd^fter 3latürlid^feit unb
ungejiDungener Sebenbigfeit burd^brang. SBo^I feiner oon ben SanbeS=
unb 3^itgenoffen ift unberührt oon feinem mäd^tigen (Sinflufe ge=
blieben, ©d^on in bem ^errlid&en SRavefte^ufd^en 83ilbe oon 1618
glaubt man i^n ju erfennen; aber nod^ weiter läfet er fidd t)er=
folgen.
Sunäd^ft ift l^ier X^otna^ be Äepjer (früher irrt^ümlid^ 2:^e0'
3ur (5Jcfc§i(§te bcr ^oUänbifc^en ©c^üjcn^ unb SlcgcntcnbUbcr. 201
bor genannt) anjufül^rcn, ber in bent großen ©d^ülenjiäd auf bem
5Rat^f|au§ ju 3lmfierbam vom Sa^r 1633 (5«r. 38) eine aSerfamm^
lung üon breiunbjwanjig ^perfonen in ßebengfüUe unb grei^eit bar=
ftcHt, xotnn aud^ in äuiSbrud unb Haltung bcr Äöpfe etroa^ ju
©leid^mäfeigeö ni(]&t ganj überrounben ift. (Sin ganj treffü(]&eS flei*
nereä »ilb bc^felben 2Weifter§ com Safir 1638 im ^aagcr 3)iu=:
feum fd^itbert ben Slmfterbamer SKagiftrat, toie er in einem großen
©emad^e beä Siatl^^aufe^ bie 2lnlunft ber 3)lana üon 3Webici er-
wartet.
©obann aber geliört SRaoeftetin mit ben beiben fpäteren Silbern
be^ Öaager 9iatl^l[iaufe^ in biefc 9tei^e. SJa^jenige t)om ^a^x
1636*) ifi ein« ber ^auptroerfe be^ 2Keifterj8 (9lr. 22). günfje^n
giguren in ganjer Oeftalt — e^ ift eing ber frü{)cften Silber, roel^e
fid^ üom ÄnieftüdE ber bi^^erigen S)arjiellungen lo^fagen — fe^en
TOir um einen mit grünem S^ud^ begangenen a;ifd^ oerfammelt, um
über ben Sauplan be^ neuen ©d^üfeen^aufe^ ju beratl^en. Slufeer
bem Saiflif, ben Sürgermeiftem unb ©d^öffen fammt bem ©efretär
finb ber 2lrd^iteft unb ber ©tabtjimmermeifter, ber SRentmeifter ber
©d^üfeengilbe unb ber Sote be^ 9Hagijirat§ in bie SJarftellung mit
aufgenommen. 2)ie Äompoption ift frei unb ungejioungen, bag Ser::
galten ber ©inielnen lebenbig, foroeit e« bie Aufgabe juliefe. Un=
gemein d^arafteriftifd^ gejeid^net unb au^brudE^ooII bewegt fxnb bie
iQdnbe: ber ©ine faltet fie, ber Rubere legt fie bel^aglid^i übereinanber,
ein SJritter legt fie auf ben S^ifd^, ein Vierter jeigt auf ben Sau^
plan, ein fünfter ^ält ermartenb einen ©tift jum ©d^reiben. SBenn
aud^ an genialer Äraft in 2lnorbnung unb ÜRad^e einen granS fiafe
nid^t erreic^enb, lommen biefe Silber be§ ^aager aJleifter^ ilinen
bod[i fe^r na^e. Semerfen^roertl^ ift bei ber großen ©nergie bie
Sereinfad^ung ber 5ßalette. Su^ ©d^roarj, SBeife unb Orün ift eine
unoergleid^lid^ noble SBirfung gewonnen. 3)ie Äöpfe jeigen t)oIIe^
Seben in blü^enber Äarnation, bie überall inbioibuefl abgejiuft ift.
a)aö ®rün be^ ^ifd^eg unb be^ ^intergrunbeö gibt ben ©d^atten
ber gleifd^partien feine ^etle Siefleje; überhaupt wirb an ©teile be^
marmbraunen %onc^ in ben früheren Silbern be§ SWeifter^ ^itx eine
*) Bez.: Pinxit Joannes a Ravesteyn 1636.
202 3ur ©efc^ic^te bet ^oQänbifd^en @(^ü(en« unb 9legentenbi(ber.
füllte ©runbftimmung feftgel^alten. S)ie SDlalcrei ifl faftig, paftog
mit jatt vertriebenen Safuren.
3toei Salire fpdter (1638) Ijatte ber 3WaIer ba^ ©d^üfeenftüd
au^jufül&ren, toeld^e^ in berfelbcn ©ammlung unter 9lr. 31 aufgefteDt
ift. 9)Jan fielet jwei ©ruppen von je brei Dffijieren, bie einanber
jugefcfirt (tnb, wie in gegenfeitigem aiufmarfd^ begriffen: ber Ginc
in ber a)Htte legt bem Slnbern bie ©anb auf bie ©ci^ulter unb bringt
baburd^ Slbroed^felung in ba§ fonft gar ju einfädle 9)lotit). Qu ber
malerifdjen Slu^fütirung jeigt fi^ grofee SBeriDanbtjd^aft mit bem
oben befprod^enen Silbe: audj ^ier eine lül)le ©efammtl^altung,
SllleS l^ebt fid^i in frifd^em, Harem ^on üon bem l^eßgrauen ©nmbe;
bie in ©efunb^eit blülienben Äöpfe jeigen in ben ©d^atten mieber
jene perlgrauen Steflejc. 3)Iit einem äöorte: aud^ l^ier ift jeber SHcft
früfierer garbenfd^mere unb S)unfell|eit burd^ bie aWad^t einee fein
abgeftuften ^eHbunfelö überrounben.
©et)en wir alfo bie nmt SBeroegung fogar bie älteren SReifter
ergreifen (9tat)efiet|n ift 1572 geboren, grang QaU ma^rfd^einli^
1584), um fo natürlid^er wirb e^ unö oorfommen, bafe bie jüngere
©eneration fid^ i^r mit S3egeifterung Eingibt. 3" berfelben 3^it
aU ber ^aarlemer 9)Jeifter feine beiben grofecn ©d^üfeenbilber uon
1627 malte, mfll^te fid^ ber breiunbjroanjig S^^te iüngere 3tembranbt
in feinem ©emälbe bce l^eiligen 5ßaulu^, el^emate ju ?ßommer§felben,
jefet in ber ©alerie ju Stuttgart, nod^ in ber SBeife eine^ Sln^
fängerg mit einem Seleud^tungöproblem ab, roeld^e^ fd^on bamal^
oor ber ©eele be§ jugenblid^en Äünftler^ jlanb. günf Qal^re fpäter
(1632) fd^afft er fein erfte^ grofees a)Jeiftern)crI, bie Slnatomie be»
^aager aJlufeumö. SBar in ben ©d^üfeen^ unb Stegen tenftüdten
ba^ mannl;afte aSotf ber Siieberlanbe, gerüftet ju frifd^er SBaffens
tl)at, }u frohem ßeben^genu^, ju mürbeooHer SBerat^ung erfd[>ienen,
fo tritt e^ l^icr in feinem miffenfd^aftlidSicn Seben oor un^5 f)in.
©d^lagenber lonnte aber ber jugenblid^e a)ieiper, ber fld^ in biefem
3öerfe ben ©rösten ebenbürtig, ja überlegen erwies, biefe bebeutenbc
©eite im ßeben feiner Slation nid^t ju fünftlerifd^er ®rfd^einung
bringen, aU inbem er einen berül^mten Slnatomen im Äreife feiner
3ul|örer an einem fieid^nam bemonftrirenb barfteßte. S5a^ Silb
gehört bemnad^ alö berül^mtefter SBertreter einer gan5en ©attung
äur ®efc^i(^te ber ^oUanbifc^en ©c^ü^en« unb 9legentenbi(ber. 203
mit SHcd^t in ben SRal^mcn unfrcr Sctrad^tung. SBic l^icr ber feinftc
3leij tnbitjibueßcn Scben^ erfaßt unb roicbcrgcgcben ifl, wie bie
emflen aRännerföpfe im aWoment gefpanntcr Slufmerffamfeit il^r
SBefen d^araltcriftifd^ aui^fpred^en, toie atte» in l^öd^fter Sorgfalt
unb bod^ iugleid^ in unübertroffener grifd^e butd^gebilbet ift, wie
enblid^ bie Äöpfe mit fouoeräner SlReifterf(]&aft im Sid^t abgeftuft
pnb, bag braud^e id^ nur furj anjubeutcn. S^^^^^^^^ ©emätbe
ä^nltdjcn OegenftanbeiS tjom Stnfang be§ 17. bi§ jum ©nbe bcö
18. Söl^rl^unbertö bejeugen nod& je|t baä S^tereffe, roeld^ie^ aud^
bicfe ©eite be^ Seben^ erregte. ®a biefe SBerfe burd^ eine ber
fompetenteften gebem bereite ilire Sffiürbigung erfal^ren ^aben*),
fo Witt id^ ^ier nur auf eine fiomporition rerwanbter 2lrt t)enoeifen,
TOcId^e benfelben ©egenjianb in größerer auäfü^rlid^Ieit bel^anbelt.
e^ ift jene geniale geberjeid^nung, weld^e ba^ SWufeum in Stotter-
bam befifet; bort bem gr. QaU jugefd^rieben, in SBirfUd^feit jebod^
ba^ SBerf be§ äBiffem »uptewcd^. aUit breiten ©trid^en unb roeni=
gen getufd^ten ©d^atten ift l^ier ber ißörfaal eine§ SInatomen ge^
jeidjinet. Unten in ber 3Kitte an einem 2:ifd& bemonftrirt ber
^rofejfor an einem Seid^nam; ringö auf ampl^itl^catralifd^ anfteigen-
bcn Sänfen eine aWenge oon ^u\)öxexn in gefpannter Slufmerljamleit,
ein mannigfad^ bewegtet Scben mit roenigen fedEen geberftrid^en
l[ltngemorfen.
Um biefelbe 3«it tritt ein anbrer großer aWeifter in bie ©d^ranfen,
ber mit SRembranbt unb fj^an^ ^ate ba^ ©reigeftim ber großen
Äunft bei ben i^ollänbern t)offiäI|lig mad^t, a3art{)oIomäu^ oan ber
fielft. ©ein früliefieg SBerl ift ba« grofee ©d^üftenftüdt im SRat^^
l^au« ju amfterbam (5Rr. 13) t)om Saläre 1639. eg entl^ält nid^t
weniger aU jmeiunbbreifeig lebensgroße fjiguren in ganjer ©eftalt
unb von einer Sraft, grifdjie unb ßebenbigfeit ber SBel^anblung, baß
man einen ©influß feinet fianbSmanneS granS QaU mol^I anju«
nel^men bered^tigt ift. S)rei ^a^xe barauf (1642) fd^uf Sftembranbt
jenes roeltberül^mte ^auptroer!, toeld^eS ben ©lanjpunlt beS 3WufeumS
Don 3lmftcrbam bilbet unb unter bem unpaffenben 9kmen ber
,,9iad^tujad^e" befannt ift. 3n aBal^r^eit ift eS, mie ber Äatalog unb
•) a)ut(^ ®. SBo«moer in v. Sütoro'ö 3eitfc§rift 1873, p. 13 ff.
204 Qux ®ef(^i{^te ber ^oUänbifc^en ©c^ü^en^ unb Sdegentenbilber.
^crr aSoSmaer rid^tig bemerfcn, ber Slui^marfd^ bcr Äompagnic be^
Äapitäng »anning 6ocf. (Sin Dotte^ ^age^Iid^t, baö fclbfi b\& in bie
bunfelften SBinfcI ber l^ol[|cn $alle feine leud^tenben dtt^t^cz wirft,
ergießt ftd^ ntad&tooß über bie Dorberen ®ruppen. 9iur ber tief-
golbige ^on biefer Seleud^tung, wie er aiembranbt eigen ifi, l^at
ben ©ebanfen an eine näd^tlid^e ©jene tjerfd^ulbet. aSon ber un«
gelieuren SUtad^t ber SBirfung biefeS wunberbaren aOSerfeS ^at nur
S5er eine SBorjleßung, xotlä)tx baö Original gefeiten. 3n ganjer
gigur marfd^iren bie ©d^üften, gefülirt oon il^rem Hauptmann, in
fü^ner SSenjegung auS bem 93Ube l^erauiS gerabe bem 93efd[)auer ent^^
gegen, unb ba baiS ©emälbe in bem niebrigen ©aale bie ganje Qb^t
unb aSreite ber aCBanb einnimmt unb unmittelbar big auf ben %vi^
boben reid^t, fo wirb ber ©inbrud big jur Slaufd^ung gefieigert
J)a}u bieg fajl bämontfd^ glül^enbe fiid^t, bag frappant SKomentane
ber S3en)egungen, bie lonjentrirte ©eroalt ber gefammten ©rfd^einung,
— eg ift mit einem SBorte eine SBirfung, roie fie lein Slnbrer fold^em
©egenftanbe ju entloden Dermod^te, unb jroar einfad^ befei^alb, roeil
f)ier ein großer 5poet, ein Sauberer im SReid^e begfiid^teg, ber nid^t
blofe roie feine SBorgänger unb ©enojfen im engen Greife beg ein«
fad^ Suflänblid^en fid^ beroegt, fonbern im roeiten ©ebiete beg alten
unb neuen ^eflamentg, in ßanbfd^aft unb aWenfd&enleben fid^ um*
getrau, ^ier bie ganje ^iefe feiner 3lnfd&auung, ben Sleid^tl^um
feineg ©eifleg in bag einfad^fte 3lIItaggt|iema ergojfen l^at. 3)ie
malerifd^e »e^anblung jeigt jene l^öd^fie SSoIIenbung, roeld^e jebeg
©njelne mit feiner fpejififd^en Solalfärbung aufgellen lägt in ben
aüt^ überflut^enben ©efammtton. ©ine l^ol^ere SBerflärung beg rein
©tofftid^en ber garbe läßt pd^ nid^t benfen.
SBie nun bag SSeifpiel von aWeifiem roie $alg unb SHembranbt
felbft auf Äünftler ber älteren ©eneration mäd^tig förbemb eingeroirft
l^at, bag jeigt üielleid&t feiner fo beutlid^, roie 3)Md^ael SHiereoelb,
roenn nämlid^ il^m mit SRed^t bag ©d^üfeenftüdf beg »latl^l^aufeg ju
3)elft jugef daneben roirb, roeld&eg einen bebeutenben gortfd^ritt gegen
bie früheren ber bortigen SSilber jeigt. aber freilid^, faDg bie Sa^r^
}al)l 1G48 rid^tig roäre, müfete man t)on biefer 3lnna|ime abfte^en,
ba ber 3Reifter 1641 alg SBierunbfiebjigia|iriger geßorben ifl. S)ag
33ilb trägt bag ©epräge einer ju DoDer SReife entroidfelten Runft,
Sur ®cf(§i(^tc bcr §oDänbif(^en ©(|ü^en» unb 9lcgcntcnbilber. 205
forool^l in Äompofttion toie im Äolorit. ®ic ^auptgruppe bilben
fünf Dffijicre, rocld^e in ganjcr gigur, reid^ gcfCcibet, mit %al)m
nnb ^ettcbatbcn, auf einer ^erraffe x>ox bem ©ci^üßenl^aufe [teilen,
wä^renb weitet jurüd ein Tambour unb tiefer im ^intergrunb noä)
meliirere ©d^üfeen fi(]^tbar werben, geine Suftperfpeftitje unb treff-
1x6) bel^anbelteS ^eHbunfel erl^öl^t ben malerifd^en SReij beö fetir
votxä) unb buftig bel^anbelten S3ilbeg. S)a§ Äompafte ber garben
in ben frü|ieren SBerfen be§ aWeifierö ift l^ier tjöttig abgeftreift ; bie
©efid^ter l^alten nod^ an bem röt^Iid^en %on feft, aber berfelbe ift
iii(]^t mel^r fo fd^mer, nid^t mel^r fo maffig in ben ©d^atten. S)abei
jeugt bie au^fül^rung Don größter SRul^e unb ©olibität. SBefonber^
ber Äopf be^ bidten ^auptmanni^, ber bie 3Witte einnimmt, ift meifter=
l^aft fein mobeDirt. SDag tiefe ©d^marj ber ©eroänber, baä ge-
brod^ene SBeijj ber ©d^ärpen unb Äragen, ba^ gelbe Seberfotter be^
ga^nenträgerg fiimmen l^armonifd^ jufammen.
2)ie oierjiger Saläre jeigen einen aufeerorbentUd^en 9ieid^tl[ium
an ©d^üfeenbilbem. S)ai^ Sanb mar auf ber ^ölie feiner poHtifd^en
©röfee unb aWad^t. 3Wan fpürt ben Iräftigen fiaud^ ber gel^obcnen
patriotifd^en ©timmung au^ aK biefen mäd^tigen Silbern. 5ßon ben
bebeutenbften faßen nid^t weniger ate merje^n in bie§ SJejennium.
gnnäd^ft finben mir mel^rere im fiaarlemer Slatl^l^aug Don bor^
tigen aWeipern, bie glei^jeitig mit %. QaU tptig waren, ©o von
Bieter Älaa^joon ©outman jwei grofee ©d^üfcenbilber (3tr. 101 unb
102); ba8 frül^ere, von 1642, fießt eine SSerfammlung t)on Offizieren
ber €luT)enier^*SDoelen bar, fel^r tüd^tig unb frifd^, in fraftoottem
%on gemalt, aber beim naiven SBergleid^ mit ber eminenten Ztitn^^
fuße eine^ iQafö bod& jurüdfte^enb, babei im garbenüortag etma^
}u glatt, beinal^e ju flau. Slel^nlid^ bag anbere SBilb tjon 1644,
ba^ in ben ©d^atten ber Äöpfe etwaö ju fd^werc 2;öne jeigt, im
übrigen ebenfaß^ eine ad^tbare 2lrbeit. ©benbort au^ berfelben ^dt
ein ©d^üftenma^l unb ein SRegentenftüdE t)on Sol^anneS aSer^prondf
(lefetereg Don 1642), lebenbig unb frifd^ gemalt, befonberi^ bie a3or=
ftel^erinnen be« l^eiligen ®eift|iaufeg unb bie beiben Äinber auf
biefem »ilbe, bod^ in ber gefäldrlid&en Slad^barfd^aft von %x. fiate
faft p^ilifter^aft.
3m §aag befifet ba^ 9latI|^auS ein t)ortrefflid^e§ grogeS »ilb
206 3ut @ef{^ic^te ber ^oUänbifc^en Sd^ü^en« unb 9legenten5trber.
t)om Qa^rc 1647, in roeld^cm 6omeli8 Qanffcn^ in fcd^jel^n lebend
großen ßanjen gigurcn ben aWagiflrat ber ©tabt bargepent ^at e§
ift einiS jener ru^ig Dome|imcn SSBerfe Don großer Äraft unb ©n^
fad^^eit beö Äoloritö, ntd^t^ ate ©d^roarj unb SBeiß, baju bic feinen
flaren Äöpfe mit.il^ren energifd^en ©d^atten in ntäd^tiger ßid^tnjirfung
^erau^tretenb; eine aSereinfad^ung beS ^ong, loie fie juerfl bei fiate
unb aiembranbt auftritt, bie aber ||ier in il^rer befonberen 9iobIcffe
}ugleid^ an Dan 3)9d( erinnert. Se|tered ertlärt fid^ leidet aud bem
längeren Slufentl^alt be^ SKeifler^ in englanb.
aWe^rere SBerfe berfelben S^tt finben wir im 3tat^^auS ju
aimjierbant. ©o ein großes tüd^tigeS ©d^iüßenbilb tjon ftebenunb^
jroanjig giguren in ganjer ©cftalt, wie t& jeftt immer me^r Ablief
Toirb, 1642 oon ^atob »adter gemalt (3ir, 34). $ier ip mieber
baS aUotio oerwenbet, baß eine änja^I ber ©d^üfien oon ber grei::
treppe fierabpeigt. ©in anbereS 33ilb ebenbort (9lr. 33) ron äbriaan
SadEer ift weit fteifer in ber SKnorbnung, aber breit unb trefflid^ in
ber aJlalerei. Ueberau^ energifd^, faft an fpanifd^e SReifter erinnernb,
ebenbort ein 3legentenftü(I oon 1643, roeld^e« man bem S5irf ©ant-
ooort jufd&reibt (3ir. 117).
Ungleid^ größere Sebeutung l^aben bie beiben SReifterfiädte oon
©ooert glindf. S)aS frül^ere 1642 (9?r. 18), el^ematö im großen
©d^üfeenfaal ber 6Iooenierg*2)oeIen , jeigt mer Offigiere in ganjer
gigur, breit unb frei gemalt, in fraftooUer SBirlung, bie Äöpfe oofl
Scben. SRod^ bebeutenber ift ba« größere ©tüdt oon 1645 (9ir. 72),
roeld^eiS jwölf (Seftalten in meifterlid^ breiter großartiger auffajfung
unb trefflid^er Snorbnung oorfü^rt. 68 ift einS ber fd^önfien SBerfe
ber ©attung, SDaran fc^ließt fid^ baS ^enlid&e große SRegentenftudE,
roeld^eS gerbinanb a3ol 1649 für baS Seprojenl&uiS gemalt l^at
(SRr. 115), ein SBerf erften SRange«, cbel unb oornel^m aufgefaßt,
ba« ©d&toarj ber ©emänber mit bem prad^toollen ^eppid^ be« 2;ifd^eÄ
JU TOunberbarer Harmonie oerbunben. ^ier^er geprt aud^ ba*
trefflid^e »ilb oon Soad&im ©anbrart (9Jr. 71), baS jmar in ber
Äompofition einige« ju roünfd^en läßt, aber bafür burd^ freie unb
füline malerifd^e ©e^anblung entfd^äbigt.
aßä^renb aUe biefe Äünjller in ber aSereinfad^ung be« 2:on8
unb ber ^öd^ften greifieit malerifd^er aSe^anblung bem Ginfluß SRem-
3ur G)e{c^i(^te ber ^oUänbtfc^en 6c^ü(en« unb 9{egenten6ilbet. 207
branbtö fid& Eingegeben jetgen, tritt 33. x>an ber ^elfl, ben toir fd^on
in einem a3ilbe von 1639 fennen lernten, mit feinem ^auptroerfe
Don 1648 im SKufeum ju amflerbam nod^ einmal mit jener naiDen
objefliüen äuffaffung ber früheren Qtit vox uni^ l)in. ^a& berühmte
^ejima^l, roeld^eö bie Säürgergarbc jur geier be^ SBeftfälifd^en
^iebenö am 18. Suni 1648 peranflaltete, ifi l^ier in einem SBerfe
be« größten Umfange« unb ber l^öd^fien aWeifterfd^aft gefd^ilbert.
aber man fann feinen fd^ärferen (Segenfafe benfen, afö er jroifd^en
biefem SBerle unb ber in bemfetben 9iaume il)m gegenüberl^ängenben
'Ola^troaü^t waltet. 9Md^t ber minbefte einflujj 9lembranbti^ iji ^ier
}u fpüren. S5aS unfäglid^e 2)etail bei x>an ber ^elfi, mit fiaunen^^
mert^er Eingabe unb tjoffenbeter 5I»eiftcrfd^aft gemalt, fie^t im
näcj^tern flaren 2;agc«lid^t jiemlid^ unvermittelt, j|ebe Sofalfarbe un=
gebrod^en für fi(^ ba; alle bie reid^en garben, befonber« baö l^elle
aSlau ber Sd^ärpen 2C., gelien nid^t in eine rul^ige ©efammtwirfung
auf. e« fe^lt bie beroaltigenbe unb fiimmenbe Äraft eine« Ear=
monifd^en ©runbtonS, e« fel^lt in bem gar ju gleid^mSfeig uerfkeuten
Sid^t bie fonjentrirte 9Wad^t einer bominirenben SBeleud^tung. Un^
crfd^föpflid^ reid^ frcilid^ ift baS Qntereffe amginjelnen; unoergleid^s
lid^ bie Äraft ber 3ci^nw«9 ""^ i>ö* ß^arafteriftifd^e inbit)ibuellen
3(u«brud(d, ma^r^aft großartig bie männlid^e SBud^t unb Snergie
ber ©eftalten, unb ba« aHeS in einer bem aSoltegeiji entfpred^enben
Derftanbe^l^ellen SQüd^tern^eit gefd^ilbert.
3n feinen fpäteren SBerlen jeigt nun aber aud^ Dan ber ^elft
ben einflufe SRembranbt« in jener aSercinfad^ung ber malerifd^en
üKittcl, jenem SSorl^errfd^en eine« a\i^ wenigen ^axitn jufammen*
geftimmten Sttfforbe« doU ruhiger SBürbe unb geierlid^feit, ber fortan
ben ©runbiug ber ^ollänbifd^en 9JJalerei bilbet. S)iefe SBerfe fallen
fämmtlid^ in bie fünfjiger Sa^re, bie neben ifinen nod^ einige von
anbern aWeiftern aufweifcn. SJa« früfiefte ift jene« fleine, faft
miniaturartig jierlid^e Silbd^en be« Souüre von 1653, Don be^
n)unbern«n)ürbiger geinl^eit malerifd^cr aSel^anblung, weld^ie« bann
mit gepiffen abweid^ungen in bem aWeiftermerf be« aWufeum« ju
amfterbam oom Qal^r 1657 in großem SWa^ftab roieberfel^rt. $ier
ifi alle« ©injelne in feiner felbftänbigen Bebcutung abgebämpft unb
ber ^errfd^aft einer ruliig flaren ©efammtflimmung untergeorbnet.
208 3^^ &e\d)^tt ber ^oHänbifc^eu Sc^ü^en^ unb Slegentenbilber.
3lo^ jroct biefer fpätercn Silber bepfct baS SRatl^^auö ju ämftetbam.
(3lr. 30 unb 31), ba^ eine t)on 1655, baö anbete au^ bem folgen^
ben Sttidte, beibe üon ru^ig t)omcl[imer Haltung, t)on größter ein-
fad^l^eit, Älarl^eit unb ^Ciefe beö SConö. 3m Slat^Iiau^ ju Söarlem
cnblid^ wirb bem 3JJeifter ein gro^e^ leben^üoBeö ©d^ü^enftürf
(3lr. 68), Toeld^eS ftatt rul^iger Seratl^ung ben bewegteren 3Woment
be^ auömarfd^e^ barfteHt, jugefd^rieben; in ber %i)at ein trefflid^e^
aOSerl, ba^ fid^ neben ben ©d^öpfungen eine^ gr. ^al^ feigen laffen
fann, obiool^l e^ roeid^er, in glatterem garbenauftrag unb milberer
©runbftimmung gemalt ift.
S5er ©nflufe t)an ber fielft'« ift in bem großen mdd^tigen
©d^ä|enmal[|I t)on jTOeiunbjroanjig ^ßerfonen ju erfennen, meld^e^
1653 Sol^ann ©pilberg gemalt l^at, jefet unter 9k. 19 im 91at^=
l^au^ JU aimfterbam, üoB Seben unb Sludbrudt in fräftiger garbem
mirlung bur(^geffll^rt. 3n biefe 9leil^e ge||ören nod^ bie beiben
einfad^ tüd^tigen 9legentenftüdfe 9ir. 80 unb 81 im ^aarlemer 91at^'
l^au^, meldte 3. tjan Soo 1658 unb 1659 gemalt l^at, in ber SBeife
oan ber fielft'^ bei aller SebenSfüHe nad^ l^ö^erer (Sleganj ftrebenb.
@nblid^ erfennt man äl^nlid^e Senbenj an einem fd^önen großen
©d^üfeenma^l be^ 9)lufeumg ju 9iotterbam, üon SBiffem ©oeröbpdt
um bie a)Htte beö Sal^rl^unbert^ für bie ©tabt ®oe^ gemalt.
Slud^ bie fed^jiger ^a'^xt finb nod^ burd^ eine Slnja^l tüd^tiger
SBerle t)enüanbter Slrt au^gejeid^net. Sin ber ©pifee fte^t 9lembranbt
mit feinem tounberbaren Silbe ber ©taalmeifter Dom ^af)x 1661
im 5Dlufeum ju 2lmfterbam. SBieber ein ru^ige^ Seifammenfein
roürbiger a)Mnner ju gefd^äftlid^er Seratl^ung ; aber eine ®ro§artig=
feit ber (E^aralteriftif, ein fd^lid^ter ©ruft be^ Slu^brudfe^, bafe man
auf bie roid^tigften ©taatöüerfianblungen fd^liefeen mödjite. 3lße§ in
größter Sreite, marfiger Äraft unb genialer greil^eit l^ingefteßt, bie
©eftalten wie t)on ßid^t umflutl^et, wie in Suft getaud^t; bie fd^toar-
jen ©eroönber, bie roeiBen Äragen, bie Karen Äöpfe voU inbiT>i=
buellen Seben^, baju ber tiefrotlie J^eppid^, ba^ ift ein ©anje« ooU
marfiger 2:iefe, Don fouoeräner 3Sla6)t feft gefd^loffener Sffiirfung.
Sin bie^ aWeifterroerf reil^en pd^ ber 3^i^ ^^"^ ^^^ Sebeutung
nad^ bie beiben 9legentenftüdEe t)om Saläre 1664 tjon %t. ^als im
^aarlemer 9iatl^^au«. $ier ift eine nod& breitere unb fü^nere »c=
3ur (5Jcf(§i(|te bcr ^ottänbifd^cn ©(§ü^cn* unb SiegentcnBirber. 209
l^anblung, etwa ben fpfitcften SBerfen 9tcmbranbfS cntfprcd^enb.
SDer ad^tjigiä^rige 3Weiflcr ^at in ben bciben »ilbem bic SBorjic^er
unb bie SSorftcl^erinnen be^ Dubemanncn^ui« mit einer SJertoegen^
l^cit ber ^infetfül^rung auf bie Seinroanb geworfen, ber man jroar
nid^t bieSSd&roäd^en be« Sllter«, wo^I aber bie ©reici&güWgfeit beg=
felben gegen affe^, toaS bCofe 2lnmut^ imb äußerer ©d^ein ifi, am
merft. SDie« fd^ier üeräd^tUdSie Einwerfen gewaltiger garbenfieje,
bie fo wie fie liingeioorfen würben , rüdfid^t^iog fielen geblieben
finb, ifi bei bem grauenbilbe minber erfreuHd^, ate bei bem aȊn=
nerbilbe, wo augerbem bie mittlere gigur au6) im Äopfe feiner
bel^anbelt unb burd^ gefteigerte« Sid^t jur fiauptperfon gemad^t ift.
©taunen^wertl^ bleibt immerl^in bie ungel^eure ©ewalt bcr SBirfung,
mit weld^er bie Äöpfe ftd^ im T)oaen, fü^Igrauen fiid^t t)on bem'
©d^warj ber ©ewänber unb bem bunflen (Srunbe ablieben. ®s ifi
eine Äunft, bie im energifd^en ©treben, nur bag SBefentlid^e ju er^:
faffen, Iiart biä an bie ©renje beS erlaubten oorge^t.
aSon einem gteid^jeitigen, aber jüngeren ^aarlemer aWeifter,
San be »rap, befifet ba^ bortige SRat^^auä oier red^t bebeutenbe
!Regentenftüdte, weld^e ben ßinPufe üon QaU auf einen fel^r begabten
3Keifter ju erfennen geben. Sie SSorftel^er be§ SBaifenl^aufe« finb
baö frül^efte biefer »über (1663), breit unb paflo^ gemalt, ^änbe
unb ftöpfe doU Seben, bie ©efialten Iräftig, T)on l^eHgrauem ©runbe
fid^ abl^ebenb. 9lid^t minber T)ortreffIid^ bie SBorftel^erinnen beg
SBaifenl^aufe«, t)on 1664, in feinem l^eKen fiuftton gei^alten, ba8
©d^warj unb SBeife ber Äleiber burd^ ben violetten 5Cifd^teppid^
meifterlid^ jufammengeftimmt. 2)aS folgenbe S3ilb Don 1667, bie
a?orftel^er be« ©ied^enl^aufe«, ift oietteid^t baS bebeutenbfte t)on atten,
in grei^eit unb Seben, aWad^t ber ß^arafteriftif unb ^Joffenbung
be« ^ettbunlel« !aum f)xntex fiatö jurüdffte^enb. 3liä)i ganj fo
bebeutenb, aber bod^ aud^ voU ^Cüd^tigfeit, finb bie aSorftcl^erinnen
be« ©ied^en^aufe« au« bemfelben Saläre. SDie fpäteren 2BerIe be«
Äünftler«, weld^e biefelbe ©ammlung bewahrt, SJarftellungen atte^
gorifd^er unb antififirenber Srt, jeigen il^n nidit me^r auf gleid^er
^öl^e, fonbem bei atter ©ebiegen^eit be« aWad^werf« fd^on jum
2:i^eil bunt, jum Sl^eit font)entioneIl unb beloratio.
ein tüd^tige« Slegentenftüdf t)on 1668, tjon äbra^am oan ben
14
210 Sux ®ef(^i(^te ber ^oUänbifc^en Bd^ü^m unb Slegentenbilber.
Stempel, einem ©d^fller SoriS tjan ©d^ooten«, beftfet bie jiäbtifd^e
©alerie ju ßerjben. äuS etwa« fpäterer 3^tt (1675) fielet man
ebenbort eine ber befferen arbeiten von Qo^ann bc Saan in ein-
fad^ ernftem Son, fraftooH gemalt auf bunffem ©runb mit äu^blid
in^ greie. ©erfelbe SWeijler l^at 1682 in einem großen »Übe be^
fiaager 3lat||l^aufeS ben bortigen aWagiflrat borgeflefft. SBic l^ier
bie aUongeperüde i|irc ^errfd^aft anfängt, ifi eS mit ber unge-
jTDungenen greil^eit ber frül^eren 3eit tjorbei, unb bie fieife ©ratjität
ber Haltung ift ebenfo unerfreulid^, wie baö Streben nad^ ©leganj,
ba^ ber SRalerei i^re afte Äraft perlümmert. SSom ^al^re 1674
befigt baS ^aarlemer 9(iatt|^auiS nod^ ein täd^tigei^ 9iegentenftfid( von
5ßieter t)an anraabt. 6^ [teilt bie SBorjielierinnen bei^ ^eiligengeifis
l^aufe« in berber, breiter SBe^ianblung bar, ifi aber in ben ©d^atten
ettoag JU fd^roarj unb fd^mufeig.
auö bem 18. Qal^rl^unbert ifi bie ausbeute gering. SSon ben
bemerlen^roertl^eren SBerfen nenne id& nur bie große ©arfiellung im
^aager 9lat||l^aug, in toeld^er ©arel be aRoor 1717 ben bortigen
ajiagiftrat in jiemKd^ lontjentioneller unb flauer SBeife tjorgefül^rt
f)at. ©nblid^ t)on fJ^anS S)edEer ein Slegentenftüdf be§ ^aarlemcr
Slat^l^aufeö oon 1737, jieif in ber Haltung mit bem füffifantcn
au^brudt ber Äöpfe unb bem fatalen l^od^mütl^igen 3wg ber Sippen,
weld^er jtd^ fo gern mit ber ailongeperüdfe Derbinbet, babei im
Äolorit leer unb bunt. SRan fie^t ein ©efd^led^t, baö in SBo^U
leben unb SQäeid^lid^feit bie alte Äraft verloren l^at. (So cerfiegt
immer auffaßenber jened fräftige Oemeingefüf^l, toeld^eö in früheren
Seiten bie greube an fold^en ®efammtbarftellungen bürgcrlid^cr
2;üd^tigfeit geioedEt unb genäl^rt l^atte. 2Bie e^ einfi mit ber gric^
ö)\\d)tn ^piaftil ju (Snbe ging, ate man aufl^örte, ©iegerftatuen in
Olympia }u errid&ten, fo fd&manb bie tioHänbifd^e 3Kalerei, einft fo
groß unb mad^ttjoß, jur armfeligfeit l^erab, feitbem bie greube an
ben ©d^üfeenftädten erlofd^en toar.
{JdDxfttig. im IDürSsinb. TSivaiflspnonhzotttin 1876.)
Di
/tc funjigcrocrblid^c SRcform ift eine ber btennenbften unb bc^
fonbetiS für S)eutfd^Ianb ujid^tigjien fragen ber Qtit, benn eg l^anbctt
ftd^ babei nid^t blofe um äftl^etifd^^tl^eotetifdEie Qntereffen, fonbern
um ctninent praltifd^e t)oIfön)irt](ifd^aftHd^e aSerl^altnifle, um SBo]^I=
flanb, aRad^t unb Slütl^e ber SRation. S)ie funfigeroerblid^en
©d^öpfungen bel^errfd^en unb bejiimmen bie gefammte äufeere ßr^
fd&einung bei^ 2tbtr\^. Serfelbe ©egenftanb be^ täglid^en ©ebraud^g,
fei e^ ein ÄleibungiSftüdf, ein (Serätl^, ein ®efä§, ein SWöbel, fann
ro^, funftto^ unb gefd^madtoibrig, ober ebel, fd^ön unb gefd^mad^
voil fein. unb bod^ ijl in beiben gaffen t)ieffeid&t berfelbe matericffe
älufroanb an aRitteln gemad^t worben; baburd^ aber bafe ein fein
gebilbeter ©inn für baiS ©d^öne bei ber ^erPeffung gewaltet l^at,
gelangt baö anfd^einenb Unbebeuteube ju einer bleibenben @efc
tung, ja über bie Qal^rl^unberte l^inauS ju bauembem SBertl^. 3ebei5
2Berf ber menfd^Iid^en ^anb nu|t ftd^ einmal ab, wirb wertl^log;
nur infofern bie fd^öne gorm eö abett, gewinnt eS einen nad^l^altigen
SBertl^, 3Ran fielet ha& am bejlen an ben ©d^öpfungen ber reinen
Äunfl. Gin SKaler fd^afft au0 einem ©tüdfe ßeinwanb ober au^
einer ^oljtafel mit etroag garbe, mit ?ßinfel unb 5ßalette, alfo mit
SRaterial von einem geringen ©elbwertl^e t)ieffeid^t ein SBilb, baö
mit Slaufenben beja||It wirb unb, wenn e^ ein ed^te^ aReiftermerf
212 ^ie funftgemerblic^en SBeftcebungen bec ©egentoart.
ijl, t)on Sal^rjcl^nt ju Sal^rje^nt, Don Sal^rl^unbcrt ju Sal^r^unbcrt
an SBertld gcroinnt. 3fi bod^ vor nid^t langer 3^it ^i« Heiner
SRabonncnbUbd^en r>on SRafacl um 300000 granc^ ©erfauft roorbcn.
®anj baäfelbe lönnen wir nun fagen Don bcn ©d^iöpfungen hinft-
l^anbroerflid^cr Slrt. SBcr wirb für bie Waffen unb Setter, bereu
wir un^ ^mtt meifien^ bebieneu, nad^ wenigen S)ejennien nod^ irgenb
einen nenneni8n)ert^en 5ßreiS erjieleu? dagegen irgenb ein fd^ön
gefd^müdtter jinnerner j^etter be^ 16. Sal^rl^unbertö, ein fd^Iid^ter
©teingutlrug au« jener Qtxt ober gar eine SKaioIifafd^üffel wirb
jefet mit ®oIb aufgewogen. Unb ebenfo: wer wirb bie aWöbel uon
3Wa^agoni= ober SRuPaum^oIj, wie wir fie in ben mittleren bürger-
lid^en Käufern feigen, nad^ furjer 3^it ^^^ i^ erträglid^em ?ßreife
tjerfaufen lönnen? ©agegen werben bie gefd^nifiten 5Cru^en, bie
©d^ränfe, bie SBanbtjertäfelungen be« 16. unb 17. Sal^r^unbertö
mit l^ol^en greifen bejal^It. Unb wag jal^It man an biefen SBerlen
fo l^od^? 3lid^t etwa blo§ ba^ ältcrtl^um, fonbem bie (^arafterüotte,
fierj unb äuge erfreuenbe ©d^önl^eit.
2Bir feigen alfo, bafe bie Äunft unb ba^ Äunftgewerbe e§ finb,
weld^e au^ geringen SWitteln bie l^öd^ften SBertl^e ju fd^affen vtt-
mögen unb bafe in ber Äunft alfo ein ©lement gegeben ift, boi^ im
national'öfonomifd^en fiau^^alte eines 5ßol!eS t)on ber größten SBe-
beutung ift. aWan l^at lange 3^^ ber Äunft biefe ©tettung nid^t
jugeftelien wotten, attein fie l^at im nationalen Seben il^re ootte
©leid^bered^tigung mit ber aSiffenfd^aft; benn fie fd^afft nid^t attein
l^ol^e ibeale ®üter für bie Station, fonbem fie oermel^rt il^rcn natio^
nalen Sleid^tl^um in unabfe^barer SBeife. SBaö wäre l^eute 2)re«ben
unb aWünd^en für uns, wenn fie nid^t jene reid^en Äunflfd^äfee au5
ber aSergangen^eit erl^alten l^ätten, an bie pd^ bann eine mad^tige
Äunftblütl^e ber ©egenwart angefd^loffen l^at? S)ort werben fiunbcrt*
taufenbe unb aWittionen jalirauS jal^rein für Äunftjwedte eingenommen,
unb was tragen außerbem bie taufenbe oon gremben bort^in, bie
bloß ber Äunftwerfe wegen jene ©täbte auffud^en! Slber wenn man
nod^ jweifeln woHte, weld^e SBebeutung bie Äunft für bie öfonomifd^en
aSerpltniffe eines SanbeS l^at, fo müjfen wir naö) granfreid^ l^in=
überblidten. S)ie ^anjofen pnb o^ne grage in funftgewerblid^en
S)ingen immer nod^ trofe atter Semü^ungen ber ©egenwart bie
a)ie funftgcwerbltd^cn SBcftrebungen bcr ©egentoort. 213
tonangebenbe Station. ÜKan l^at auf manü^en Ocbictcn, namentlid^
von Beiten (Snglanb« unb Ceftcrrcid^S fi(ä^ i^nen gut ©cite ju fiellcn
tjcrfud^t burd^ gewaltige anfttengungen ber neueften S^it/,^^^^ im
©aujen unb ©rofeen jiel^t fjtaufteid^ immer nod^ an ber ©pifee. 2)ie
granjofen l^aben un^ jene aWiffiarben bejal^lt, butd^ bie toir nid^t
reici^ unb burc^ bic pe nid^t arm geworben finb. 35er gewaltige
nationale SBol^Ifianb, beffen größter ober wenigfteug fel^r anfel^nUd^er
X^eil auf ber ungemein reid^l^altigen 5ßrobuftion i^re^ Äunft^anb^
merfä berul^t, tooburd^ il^nen atte SBöIfer tributpflid^tig geworben
finb, ba^ ift e^, was fie fo rafd^ ^at biefe tiefen SBunben beö
Äriege^ oerwinben laffen. 3n granfreid^ aber war biefer 3wpö"t>
fd^on feit langer 3^^ herbeigeführt worben burd^ eine fonfequente
^f[ege ber Äunft oon ©eiten beg ©taate^ unb ber fjöi^ft^«- ^^^
fann fagen, baß mit granj I. eine Äunjipflege im mobemen ©inne
beginnt. 2)amatö brang bie SRenaiffance oon S^^Ken nad^ ^anf-
xüä) ein, bebeutenbe Äünfller würben an ben ^of berufen unb fo
entwidfclte fid^ jene eigentl^ümlid^e a3Iütl[ie ber franjöfifdöen Sienaiffance,
bie bann eigentlid^ o^ne Unterbred^ung burd^ bie SRegierung fiub-
wigg XIV. ^inburd^ bi8 in ba^ S^itotter be^ jierlid^en 9lofofo fid^
oerfolgen läßt, U& in fo fpate 3^it hinein immer nod^ eine be^
beutenbe SRad^blfit^e jeigt.
aiber nid^t immer war granlreid^ an ber ©pi|e gewefen; erfi
Don jener B^it ^"/ ^^^ ^^^ f<ig^«/ nimmt e^ bie gül^rung. SRod^
in ber golbenen ©pod^e ber 9lenaifiance fielet ©eutfd^Ianb eben^
bärtig, nein granfreid^ überlegen ba; benn waiS bie granjofen aud^
in einjelnen S^^^iß^^^ bamate gcfd^affen l^aben in jenen ajfeijierwerfen
be^ fiimoufiner ©maite unb ber gapencen, in ber 2;eppid^fabriIation,
bie in ben ©obelin« gipfelt, atte« baö jufammcn fommt bod^ nid^t
in SSergleid^ mit ber ungemein fraftooffen unb mannigfaltigen Äunft^
unb Äunfigewerbepflege, weld^e wir bamatS in SDeutfd^Ianb l^atten.
Unfere großen öanbetefifibte, SRümberg an ber ©pifee, bann 2lug^=
bürg unb Ulm, aud^ fo oiele anbere Heine SReid^iSfiäbte, wie Slotl^en^
bürg an ber SCauber, bag big l^eute ba^ Oepräge jener 3eit unoer^
fe^rt crl^alten l^at, weld^e gütte oon SBerlen trofe aller SBerfd^Iep^
pungen unb 3etftörungen trifft man bort nod^ auf ©d^ritt unb
2;ritt! Unb nid^t minber war e^ in $Rorbbeutfd^Ianb }u einer ge^
214 S)ie hinflgetoerd^en IBeftrebungen ber ©egentDart.
toaltigcn Slütl^e ber Äenaiffancc gefommcn. SBenn toir jefet nod^
bic Äird^cn unb SRotl^l^äufcr, bie ^ßwatl^äufcr t)on SübedE unb cor
attcm Don S)an}i9 burd^wanbern, fo werben wir finbcn, weld^ un=
abfe^bare %nUt be« flebiegenjlen lunftl^anbioerHid^en ©d^affen« ba-
mafe bort geblül^t l^at aber bie 3^^ ^^^ breiBigjal^rigen Äriege§
][iat biefe Slütl^e graufam gefnidt, ja fajl Dottftänbig jerflört, unb
von jener 3^it an feigen wir in S)eutfd^Ianb ein immer tiefere^
©inlen bei^ Slationalmol^IjlanbeS, von meld^em ©to§e mir un8 bi^
auf unfere 2;age nod^ nid^t ganj erl^olt l^aben. 3u gleid^er 3eit fan!
bie fünftlerifd^e unb funftgemerblid^e 5ßrobuItion auf ein aWinimum
l^erab.
S5agegen mar in granfreid^ unter ber prad^tliebenben 9legierung
eineg Submig XIV. bie 3eit gefommen, bie nun gemiff ermaßen bie
erbfd^aft t)on S)eutfd^Ianb unb Statten antreten fottte, unb fo ent^
mideft fid^ jener bominirenbe ©til, ben bann ^anfreid^ ber ganjen
SBelt aufprägt. 3«e^fi l^ner ftrengere, Maffifd^e SarodEfHl ber 3^**
Submigg XIV. unb bann jener jierttd^e, feine, anmutl^ige, ben mir
afe SRofolo bejeid^nen unb ber bie SRegierung Submig« XV. fo
eigentl^ümKd^ d^aralterifirt. SBenn man bamatö in S)eutfd^lanb
Äünftlerifd^eiJ unb ÄunftgemerbUd^e« l^aben mottte, fo Uefe man an^
granfreid^ unb Statten bie Äünftler fommen. Sin ben jal^Ircid&en
gürftenl^öfen mar alfo nod& immer eine gemiffe Slad^blütl^e jener
großen 3^it/ ^^^ f*^ beftanb nid^t mel^r mit ber atten Äraft ber
frül^eren ©pod^e unb vor allem, fie mar nid^t mel^r au^ eigenem
aSoben l^eroorgemad^fen, fie mar frembl^er entlel^nt. S)ie jal^lreid^cn
Slefibenjen S)eutfd^Ianbi^ maren ein grofeeS S^reibl^aug, in meld^em
biefe fremben ?Pflanjen gepflegt mürben.
2)iefer 3Mp^"i> ^i^lt P^ ^^^ pm Sluägang be^ vorigen 3a]^r=
l^unbertg. 2)a lam bie franjöfifd^e SReoolution unb mad^te aud^ in
biefen SDingen völlig tabula rasa. aWit Stumpf unb Stiel mürbe
atteg, xoa& an eine l^öl^ere, feinere 83ilbung gemal^nte, auiJgerottct
unb fo üollftdnbig cernid^tet unb l^inmeggefd^memmt, ma^ bie früheren
3eiten an Äunftmerlen l^eroorgebrad^t l^atten, bafe man nid^t blo§
bie aWonumente in fanatifd^em aSanbali^mui^ jerfiörte, fonbern ba|
aud^ ba« fieben einen ganj anbern 3iifd^«itt erful^r. 6^ mar bie
3eit einer ^ßfeuboflaffijität; ein menig Derftanbeneö, üielfad^ fogat
S)ie funftgeiverblic^en 93eftrebungen ber ©egenroart. 215
mifeDcrftanbene^ flaffifd^ei^ Slltcrtl^um mad^te fid^ breit unb man
glaubte mit ben republifanifd^en SJugenben be^ Sttltettl^um^ aud;
feine gormen übertragen ju fönnen.
2)iefer ©til fanb bann feinen 2lbfd^lu§ in ber ^errfd^aft be^
(gmpire unter bem erften Slapoleon, unb jeftt nod& feigen wir nament*
1x6) in fürjllid^en ©d^Iöffern jene falten nüd^ternen Ginrid^tungen,
in benen Äunfi« unb Äunftl^ianbroerl ju DoHer Slrmfeligleit l^erab?
gefunfen finb. 3^"^ ®äle unb 3^"^"^^^^/ wo ba^ SBeifee l^öc^ften^
mit etwag Oolb verbrämt l^enfd^t, mo ber garbenreid^t^um ber
Sflenaiffancejeit, ber bis in^ 3lofofo l^inein eine fold^e S3Itttl^e erlebt
l^atte, au^gelöfd^t ift }U Ounjlen einer angeblid^en Imitation be^
ftrengen aWarmorftitö ber Sllten. SBir roiffen l^eutjutage, ba§ biefer
lefttere bei ben ©ried^en ebenfalls reid^en garbenfd^mudf ^atte, ol^ne
loetd^en aud& bie antife ärd^iteltur unb ©lulptur nid^t auStommen
fonnte. Slber fo entfießt, wie bie antilen SWonumente auf unfre
3eit gelommen finb, glaubte man in il^nen ben reinen abftraften
Segriff einer farblofen ©d^önl^eit ju finben. SBaS am aHerfd^Iimmften
babei roegfam, ba« toaren aUe bie ©ebiete be^ funftgeroerblidtjen
©d&affen^. SBenn wir bie aWöbel j. 83. in ben fürftlid^en ©d^Iöffem
jener 3«^ betrad&ten, mie gering finb fie an 2BateriaI, wie bürftig
in ber ©rfinbung! 2)a werben ein paar SRofetten ober ein paar
fteife aSoIuten aufgeheftet, man l^ilft ftd^ etroa nod^ burd^ einen
2;empelgiebel unb fd^Uefetid^ fud^t eine bürftige, gleid^fam im SKu^^
fierben begriffene JRanfe bann nod^ bie leeren ©teDen ju füDen.
SDie gormen finb fteif unb in biefer ©teifl^eit glaubte man ben SWeij
flaffifd&er Ginfad&^eit, republifanifd^er ©trenge gefunben ju l^aben.
3)lit ber 3Jeftauration jog ein neuer ©efd^madE ein. 2Wan griff
}ur alten 3^tt JurüdE, unb mie man bie verrotteten 3wftänbe poli-
tifd^en unb fojialen ßeben^ roieber l^erjufieHen trad^tete, fo niftete
fid^ aud^ bad alte abgelebte 9lo!olo nod^ einmal ein; aber e^ !am
nid^t me^r mit bem grajiöfen Qanbtv feiner 3^8^^^^ fonbern e^
war melf unb alter^fd^road^ getoorben. aWan cerjlanb bie formen
md^t mel^r; bie mutl^roillige Gaprice, bie gra^iöfe Setoeglid^Ieit toar
verloren gegangen. SBer l^atte nad^ ben eingetretenen SBeltlata=
flrop^en nod^ ben aWut^, mieber ju tänjeln unb }u fd^erjen? ©o
erbte man alfo nur bie fd^road^en ©eiten be^ ©tite.
216 2)ic funftgen)cr6(i(^en Seftrcbungcn bet ©cgcntoart.
%xanhtx6) war cS nun aber, xot^t^ fofort mit bcr größten
Energie an bie @pi^e ber 93en)egung trat unb von ba ab einen
neuen ©til fd^uf, ber im funftgewerblid^en ®ebiete — man fann
jagen ein l^albeS Sal^rl^unbert l^inburd^ — ol^ne SBiberfprud^ ge==
^errfd^t l^at. 3"^ ©eleite biefer ©ntroidfelung nijlete ft$ eine auf-
faffung in ba3 Äunftgewerbe ein, bie wir befonber^ nad^ i^ren ^er^
Dortretenben SWängetn \)m d&arafterifiren muffen. 2)ie pofitiDe ©eite
war bei ben granjofen immer nod^ eine geinl^eit ber formalen ©es
lianblung, eine große ©ebiegenl^eit ber ted^nifd&en SDurd^fü^rung,
aud^ ein geroiffeS SWaßl^alten felbft in ben abfurben SDingen. S)a^
©efäl^rlid^e aber xoax: bie gtanjofen finb ein unabläfRg fortftreben^
beö, ein unl^emmbar beroeglid^ed SSolf, fie rooHen immer mieber
etn)ag 5Reue^, ber Oeifi ber aWobe, ber unerfd^öpflid^en Umgeftaltung
Iierrfd^t bei il^nen, unb fo galt eä nun nid^t etwa nad^ SSorbilbem
ber flaffifd^en S^it etroa^ aKufiergültigeS ju fd^affen, fonbern immer
lieber burd^ neue Kombinationen ju überrafd^en.
35arauS entftanb eine rounberlid^e ©ntroidfelung beö Äunftl^anb^
merfö, bie fel^r d^arafteriftifd^ für jene ©pod^e mar, unb beren Ucbet
ftänbe mir bis auf bie l^eutige 3^tt nod^ nid^t loÄ werben lönnen*
2)enn, mo bie granjofen nod^ 9)iaß l^ielten, ba maren bie 3!)eutfd(ien
unb englänber, ja aUe anbern Stationen, meldte oerfud^ten, il^nen
nad^jueifern, nid^t allein i^re fllaoifd^en SRad^beter, fonbern fte über^
trieben imb ba il^nen ber feine, SRaß l^altenbe ©efd^madf ber %xan:
jofen fel^Ite, fo T)erfd^Ied^terten fie bie ^orm.
3J}an fann bie roefentlid^en aWängel biefer SntioidEelung in
fofgenben 5punften jufammenf äffen: B^näd^ft l^anbelt e8 fic^ barum,
baß bie formen ber ©efäße, ber ©erätl^e, ber SKöbel unb atteS
beffen, maS man Äunfigemerblid^eS gefd^affen l^at, mit ber größten
SBiHfür gel^anb^abt mürben. 3febeS ©efäß unb ®erät^ fott aber
junäd^ft aus feinem 3^^*/ f^ii^^^ S3efiimmung ^erauS, bann aber
aud^ mit Sejug auf fein SWalerial unb bie ^Bearbeitung beSfelben
geftaltet merben. gragen mir auf biefem ©ebiete nad^ bem Clucll,
aus bem mir ©enefung fd^öpfen tonnen, fo muffen mir baS flaffifd^e
Slltertl^um nennen. aWit meld^er geinl^eit l^aben bie ©ried&en unb
SRömer j. SB. bie SBronje im ©egenfafte jum ajJarmor bel^anbelt
SSetrad^ten mir einen antifen SBronjefanbetaber, fo ifi ber fd^lanfe
^ie funftgeroerblic^en a3eftre5ungen ber ©egenmort. 217
Slufbau, bie grajiöfe »croegüd^feit unb bie f(j^arfc ptaflij(j^e 3lu^=
Mlbung ber gorm rcd^t ciöcntlid^ au§ bem SKatcrial l^etporgegangcn.
SBenn toir nun, etwa in ber ©alerte ber Äanbelaber be« aSatilanö,
einen fold&en von aJlarmor baneben Italien, fo fe^en wir, bafe l^ier
ber ftünfiler benfelben ©egenftanb, weil er il^n in einem anbern
3Rateriale lerjieDen mu^te, üöllig anberö aufgefaßt l^at. 35er SWarmor
verlangt eine Dottere ©eftalt unb vox allem eine vid reid^ere plafHfcä&e
Belebung, ba^er biefe üppigen, mäd^tigen, mit gewaltigen afantl^u^::
blättern gefd^müdCten xinb mit reid^en 3leliefg gejierten 3Karmor=:
fanbelaber. ©benfo ifi e^, wenn n)ir roieberum eine SWarmoroafe
mit einer Xf)onva]t Dergleichen. 3)er X^on Derlangt eine ganj anbre
Se^anblung, ate ber aJlarmor. 2)ie S^^onrafe erl^ält rul^ige, glatte
gläd^en, unb auf bie[en jeid^net ber Äunftl^anbroerfer mit rounber^
barem ©efd^idfe ©efialten, bie ftd^ juerft fd^roarj t)on bem J^eHrotl^en,
fpater aber l^ellrotl^ von bem tief teud^tenben, fd^warjen ©runbe abs
lieben. aWan fann nid^t^ ®eifit)oIIere^ fe^en, afe bie unenblidEie
SWannigfaltigfeit biefer SBerle unb e§ ijl fel^r ju bellagen, bafe wir
^ier in Stuttgart gar leine ©ammlung biefer ärt befifeen, bie fo
aufeerorbentlid^ belel^renb fein würbe, daneben ift nun aber wieber
eine SDiarmorcafe ober ein großer marmorner SKifd^Irug ganj anberS
bel^anbelt, mel ooHer in ber gorm unb vox aßen 3)ingen bered^net
auf ein güHe plaftifd^en S)etaitö, in Ornamenten unb figürlid&en
Slelief^, weld^e^ ber aWarmor in fo oorjüglid&er SBeife ^ergibt.
Sei ung, in unfrer mobernen ßntwidftung waren alle biefe
ewig gültigen, allein gefunben ®efe|e be§ teftonifd^en, b. |. gerätl^s
bilbenben ©d^affen^, ber Oerätl^e- unb OefäBbilbnerei, üöttig oer-
gejfen. aUan fd^uf biefe SBerfe nad^ reiner SBißfür unb ber eigent=
lid^e unb fd^limmfle SluSfluB biefer aSillfür, an bem wir nod^ Iranfen,
ift, wenn man biefe ©efäfee, anftatt fte aui^ il^rem ^xvtd mit finni=
gern Äunfteerftanb gleid^fam l^eroorwad^fen ju lajfen, in irgenb eine
abenteuerlid^e gorm umprägt, ©o ifi eö namentlid^ .beliebt, ©efäfee,
fei e^ eine S^affe, eine 38afe, ein ^ßofal, ein Ärug, atö eine unge^
l^eure Slume barjufiellen. Ober, wo man fein SWotio üon ber
Slume finben lann, ba gruppirt man Derfd^iebene Slätter, etwa
grofee ftraut^ ober Ko||lblätter, jufammen unb läfet in ber wiber^
finnigften unb unfd^önften SBeife ein ©erät| l^eroorgel^en , an bem
218 S)ie !unftgen)er5(i(^en SeftreBungen ber ©egenioort.
in bcr X^at fein aWenfd^ x)on gefunbcn (Sinnen eine g^cube
l^aben tann.
S)a§ ifi bie erfte ©pur einci^ roibertnartigen SiaturalüJmu^, ber
fidd in bag ©ebict bej^ Äunfil^anbroerte eingebrängt l^af ©o gibt
eS eine ganje aWenge t)on Xaffen, 2)ofen, ©d^aalen, Ärügen, Hannen,
bie wir j. SB. in ben ©d()aufenfiem unb SDlagajinen unferer ^änbler
finben, unb bei benen man immer barauf red^nen fann, ba^ ber
Sßerfäufer einem fagen mirb: ,,biefe S)inge finb ganj befonber^ be?
liebt." Sllfo ba^ öefd^madlofe, Slbfurbe l^at no$ immer bie gröfete
Oeltung; man glaubt, e^ fei befonber^ finnüoH, nid^t in ber eim
fa<J()en, fd^önen gorm be^ Umriffeö, wie bie Statur, mie ba§ SBe^
bürfni§ e^ Verlangt, ein ©efäfe l^erjuftellen, fonbern man glaubt
gerabe l^ier befonber^ geiftreid^ ju fein, wenn man auf irgenb eine
p^antaftifd^e SBeife bie ^^orm entfteOt. Unb ba gibt ed nun eine
ganje aWenge üon 2lbfurbitäten, bie überall auf ©d^ritt unb Stritt
un^ Derieften: fiunbe^ütten, bie, menn man fie naiver betrad^tet,
geuerjeuge finb, ober, mie e^ aud^ uorfommt, ein ^ufeifen aU U^r^
gefteD, ein 6igarrenabftreid()bedEen, bejfen Sugel au^ jroei ©poren
beftelien, afö ob man etroa^ SBiberfinnigereö erfinben fönnte. S)ann
miebcrum eine foloffale fliege, in ^porjeßan naturgetreu J^ergeftcHt,
ats ä3utterbofe, eine ^utfd^ad^tel al^ 3)l^eetaf[e! 5iann man f[d() Slb-
furbere^ beulen?
eine nid&t minbcr gefal^rlid&e 2tbirrung be^ ftunfH^anbwerfö
finbet ftd^ aber auf bem ©ebiet ber gläd^enbetoration. SBir l^aben
junäd^fi unfere gufebobenteppid^e, Xifd^teppid^e, Ueberjüge, bie mir
auf unfern ©ejfeln unb ©op^aS l^abcn, enblid^ bie 2;apeten an
unfern SBfinben. 3Bag jeigen unS biefe? Unter ber ^errfd^aft jener
rerfel^rten SWobe Dor atten 2)ingcn ein ganj naturaüftifd^e« 83lumem
Ornament, ba^ man gefd^madElofer jid^ nid^t benfen !ann. ©teßen
mir un^ einen Sleppid^ t)or, mie il^n bie granjofen am meifien liebten
unb mie fie bann in S)eutfd&lanb nod^ weit mel^r übertrieben mürben:
ringsum eingefaßt mit ber 3la^ai)mnnQ eines l^öljcrnen, gerounbenen,
j^äfelid^ Derfd^nörfelten Sarodtral^menS, aU ob eS gälte, einen monu-
mentalen 5J5lafonb auf ben gufeboben l^injumerfcn. 9?un werben in
bie ©den unb in bie 3JJitte gro^e SlumenftüdEe gefeftt, biefe Slumen-
ftüdfe in ganj naturaliftifd^er 23eife bel^anbelt, aber, ba bie grobe
2)ie funftgcrocrblii^cn ^cftrcbungcn bcr ©cgenwart. 219
%t6)nil bcnn boä) feine jatte formen iiid&t julä^t, fo muB bie 3lofe
e^ ft$ gefallen lajfen, fo grofe wie ein Äo^Ifopf aufjutreten. 3n
SBal^rl^eit, wer wirb über alle biefe Singe loirfKd^ roanbern wollen ?
Heber SRofen, bie alfo gigantifd^ grofe au^ bem fJuPoben empor*
fieigen, unb über aKe biefe l^öljernen Slal^men? SBenn unfere ^ßl^an*
tafte nid[>t t)öttig erfd^öpft unb abgefhimpft loäre, fo müfete fie er*
fci^reden, auf einem fold^en S;eppid^ ju toanbeln.
SBeiterl^in ijl e8 fobann ni$t feiten, ba§ befonber^ unter ben
funftreid^en fiänben unferer S)amen fel^r feltfame ©tidereien l^croor:^
gelten. S5ie ©effelrüdlel^nen unb bie ©ifee muffen e^ fxä) gefatten
laifen, afö ganj naturalifiifd[>e »lumenlränje bargeftellt ju werben.
aSie gefd^madlo», fid^ auf einen n)irflid^en Slumen!ränj ju fefeen
ober mit bem diixätn baran ju lel^nen! Unb rotnn bann nod^ etwa
ein paar ©enien l^injulommen, fo wirb bie ©ad^e baburd^ feinet*
wegö bejfer.
S)ie ©efd^madloftgfeit biefer gläd^enbeforation erfiredt ftd^ auf
aUe^, rocS wir irgenb t)on gläd^enornamenten l^aben. 3d^ erinnere
j. 83. an jene ©amafttifd^tüd^er, bie nid^t allein mit ooDftänbigen
großen 93Iumen bebedt ftnb, fonbem bei benen aud^ lanbfd^aftlid^e
unb Sürd^itefturbarfieHungen in ber gröbften unb plumpften SBeife
angebracht ftnb; ebenfo an unfere genfieroorl^änge, bei benen wir
ebenfalli^ aud^ bie attergröbften lanbfd^aftlid^en unb aird&iteftur*
barfteHungen, SBälber, SBajferfäße u. f. m. finben. 3d& will baran
gar nid^t einmal erinnern, ba^ man e^ fertig gebrad^t l^at, bie
©d^nupftüd^er mit ben 83ilbniffen berül^mter a)Mnner, in frül^eren
3eiten ©d^ifler unb Ooetl^e, jefet Si^mard unb ajloltfe, ju fd^müden:
roaf)xl\6) eine feltfame art, einem großen SKann feine §ulbigung
barjubringen.
aSo^in wir bliden, auf biefem ganjen Oebiet ift nid^ts afe
odilige Äonfufion; unb warum? 9iur be^l^alb, weil man bie eins
fad^en, ewig gefunben ^rinjipien ber gläi^enbeforation oöHig oer:^
gejfen l^at. S)er Orient l^at fie oon alten Qdtm l^er bewal^rt unb
bie gewaltigfte einwirfung, bie l^eutjutage auf funftgewerblid^em @e=
biete ju finben ifl, gel^t oom Orient au§. S)ie SCeppid^^ xoit über*
l^aupt jebe gläd^enbetoration foll niemals ben (S^arafter ber gläd^e
t)erleugnen. Xa^ 2luge foH ben (Sinbrud einer reid^en garben*
220 ^ie funftgemerblic^en Seftrebungen ber ©egentoart
l)armonic empfinbcn, aber biefe garbe fott irgenb einen bejHmmten
Wrunbafforb anfd^Iagcn, nid^t aber in ber ftnnlofejien SBeife ©egcn^
[äfee biefer grob naturalijiifd^en art betonen. a)ie gläd^enbeforation
^at aU ©runbelement ein ungemein reid^e^ ©ebiet, fie brauet gar
ni$t }U biefem 9iaturaIi5muS l^erabjuftnfen. ©ie umfaßt }und(]^fl
bie gefammte lineare ftompofition. Xa ift in ber aSerbinbung ge=
rabliniger, t)ielfad^ Derfd&Iungener formen ein unerfd[>8pfKd^er ©d^aft
und geboten. 2)aran fcj^lie^t ftd^ bad reid^e @ebiet ber gen)unbenen
linearen SSerbinbungen. S)iefe beiben ©lemente finb gerabeju um
crfd^öpf Ud|. 2)ie Kombinationen, roeld^e bie menfd&Iid^e ^l^antafte
itinen ju entlodEen oermag, nel^men gar fein ©nbe. ©aneben ip
aud^ bad ©ebiet bed SBegetatioen nid^t audgefd^Ioffen, aber bie
SSegetation mu§, wenn ber gläd^enornamentift fie oenoenben roiff,
ju biefem ^mtd l^ergerid^tet, ftilifirt werben. SBie fann bie SBebcrei
ober ©tidterei irgenbroie aud& nur mit einiger äudfid^t auf ©rfolg
wetteifern motten mit ben jauberl^aften , burd^ munberbar feine
formen, burc^ ben reid^fien garbenfd^melj entjüdEenben ©ebUben
ber SRatur! SEßie fann fie mit ben jarten Äinbern ber glora irgenb::
wie fonfurriren ! ©ie mu§ fie auf bie gröbfte SBeife farifiren, rotnn
fie naturgetreu fie nad^bilben mitt.
2)ad l^at ber Orient oon jel^er fel^r mol^l empfunben. 6i8 nimmt
alfo bie Stume, bie ^flanje, aber er fül^rt fie gleid[>fam auf il^re
Urform jurüdE, er gibt pe in einer abbreoirten Slnbeutung. S)iefe
3lnbeutung ifi oöttig genügenb, um bem Sluge einen gcmiffen 9ieij
JU bieten. Er gel^t aufeerbem fel^r genau auf bie Slaturgefefte be8
SBad^dtl^umS, ber Silbung ber betreff enben Slume ein. SBie ein
©tengel ftd^ oerjroeigt, mie fid^ aujS ben S^^iß^« ^^^ Slätter, bann
roieberum and ben befonberen SCnfäfcen bie »lütl^en entmidEeln, ba^
ift munberbar fein in ber orientalifd^en Crnamentif empfunben, aber
man |at barauf oerjid^tet, bie Slume fo ju geben, mie fie bie
SJatur jeigt, mit oottcr plaftifd^er SBirfung unb ©d^attirung. S^ie
83Iumen finb üroa fo gejeid^net, mie ein forgfamer Slumenfreunb,
ein aSotanifer ein fd^öncd ©femplar mit nad^ $au8 nimmt, forglid^
entfaltet, l^inbreitet auf bie glad^e unb t^ affmäl^Hd^ burd^ 5Preffung
gleid^fam jum Sbeal einer in bie glöd^e l^inein ftiliftrten a3lume
umgeftaltet. 2lIfo aud^ biefe« ©ebiet l^at feine ootte 83ered^tigung
^ie hinfigeroerblic^en ^eftrebungen ber ©egenroait. 221
in bcr gläd^enbcforation; nur ntufe cö ftilooff T)crn)cnbet werben.
S)aneben l^at bie orientalifd^e a^epptd^fabrifatiou felbft ba0 fRtiä)
beS organifd^en fieben^ feinen SSIumengeroinben einjufled^ten gewußt.
S5ie f)'66)ft eigentl^fimlid^en ©eftattungen, foiool^I einfad^er Statur-
roefen, aWenfd^en unb a;i|iere, atö aud^ von gSJ^antafiegebilben, finb
ebenfatt^ in bemfelben ©inn im ©til ber gläd^enornamentif benufet
unb Derfd^mäl^en e§ in ganj rid^tigem Oefü^I aud& ha roieber, un§
bie S^äufd^ung ber SBirflid^feit ju geben.
©ine weitere aSerirrung ift bann bie SBerroed^^Iung ber (Stoffe.
Seber ©toff, jebeS aWaterial, ba§ von bem Äunftl^anbroerf oer^
roenbet wirb, foll feinen ©l^arafter beibel^alten, unb jebc^ aJiatcrial
i^at burd^ feine ßigentl^üntlid^feit geioijfe S8oi^äge, bie in§ Sid^t
gefleßt werben muffen. ®§ fott bann aber aud^ mit bem ganjen
SReij feiner @rfd^einung auftreten. S)arin ift bie Slntife wieber fo
gro^. S)a wirb niemafe ein aWarmorgefäfe bie Slmbition l^aben,
wie ein S^l^onfrug au^ufel^en. »ei un§ ift ba^ umgefel^rt: S)ag
^oxitUan wiU burd^au^ ben Sinbrud mad^en^ t)on ^olj ober fieber
JU fein. SBir feigen gelegentlid^ an ©d&aufenftern ?porjeDan= unb
aKajolifafad^en, 83lument)afen ober Blumentöpfe, bie junäd^fl fd^on
bie ganj unfinnige rieredEige gorm l^aben, bie fowol^I für ba« ^or^
jeDan afe aud^ für bie SKajoUta ungewöl^nlid^ unb unnatürlid^ ift.
aber warum ift bie meredEige gorm gewäl^It? S)arum, weil ber
Äünfller auf bie grote^le 3bee gefommen ift, bem S5ing einen Stn^
fbrid^ JU geben, atö ob eS auS lauter Keinen leidsten ^oljplöttd^en
jufÄmmengefefet wäre, unb nun l^aben wir in bem ebleren aJiaterial
bie 5Rad()a]()mung einer ganj notl^bürftigen $ol}!onflrultion ! ©erabe fo
finbet man l^äufig, bafe ^ßorjeHanrafen bie Imitationen oon wirflid^
gePo(^tenen florben finb. 3<ä& fann nid^t finben, ba§ baS fd^ön
unb geiftoott ift; ei^ finb amifelige (SinfäHe, armfelige attrapen,
bie man ba fd^afft. Unb ebenfo ift e« j. 83. mit ben ^oljgerätl^en,
bie man fel^r ^aufig fo barftettt, aU ob eö fieber wäre.
am allerfd^Iimmfien mufe ba^ ebelfte aller SDJateriale, baö ®olb,
mit fid& umgel^en laffen. 3Bie ^äufig fommt t§ vor, bafe ba^ ®oIb
aU Seber bargefiettt wirb. a3Bie oft feigen wir an ben »rod^en ober
armfpangen unfrer S)amen mit großer ^ünftlid&fcit einen fieber*
riemen mit ©d^naUe in ®oIb nad^geal^mt! 3Ba« für eine traurige
222 ^ie funjtgeiperblit^en Seflrebungen ber ^egennxtrt.
^fiantafic! Cber man fielet irgenb eine Heine, jarte, feibenc Sii^Ieife
n)ieberum in ©olb nad^gebilbet, als ob bai^ @otb nid^t feine eigenen
formen |ätte. S)ie antite Ornamentit ift barin lounberbar teid^;
gerabe bie l^errlid^en ©olbfd^ntiebatbeiten ber alten SBelt finb in
biefer SBe}iel^ung en)ig muflergültig. älber überhaupt mmmelt eS
gerabe auf biefem ©ebiet von Qtiflxei^ fein foDenben ßinfaSen*
2Bie oft fie^it man SBufennabeln ate fiufeifen geflaltet ober ate Sd^iff^
anler, ald Aanonenfugeln, oIS gtinten ober voa» fonfl nod^ berortige
grfinbungen finb. ttnfer ®oIbf<ä^miebgen)erbe leibet am attermeifien
bur$ biefe SSerfommen^eit ber funftgeroerblid^en ?ßrinjipien. ®cs
n)öl^n(i(]^ n)irb gerabe oon benjenigen ^abritanten, bie SBortreffli^ed
leiften fdnnen, baneben aud^ eine aWajfe oon fel^r geringer 3)u$enb-
tt^aare l^eroorgebrad^t, unb roenn man fid^ ertunbigt, fo wirb man
immer iörcn, bafe jene gebiegeneren, fd^öneren arbeiten nid^t für
SJeutfd^tanb beftimmt fmb, fonbern für ben ©Eport, unb bafe fte
meift nad^ ben füblid^en £änbem, namentlid^ nad^ €übamerita
gctien, ba§ aber für ben 2)eutfd^en eben immer baS ©d^led^teftc,
aSBofilfeilfte unb ©cringfte gerabe gut genug ift.
2)aS ][|ängt nun freilid^ mit allerlei anbern ^agen jufammcn.
S^ad Jtunftgen?erbe unb namenttid^ biefei^ ebelfte lann fid^ nur bei
einem gen)i{fen Stationatool^Iftanb entfalten, aber eS tommt bod^
aud^ fel^r oiel barauf an, ba§ ber ©inn ix& jefet bei un« nod^ fel&r
toenig gepflegt ift, ber baS mirflid^ ©tUooQe oon bem Slbfurben ju
unterfd^eiben oermag. 2)iefe mibenoartig gefialteten ©ad(ien, biefe
©rod^en mit ben fd^Icd^ten SRofofo^^ unb SarodtSd^nörfeln, mit ben
fel^r geringen, naturaliftifd^en Slumen unb »lättem, man fann
nid&ts aSermitbcrtereS benfcn. Stud^ fonft loo imfer ©olbfd^mieb^
geioerbe ju größeren arbeiten fid& auffd^mingt, ba fel^It a nid^t an
einjelnen ganj l^eroorragenben Slrbeiten, unb wir l^aben überall in
2)eutfd^Ianb eine SReil^e oon tüd^tigen Äünfttem, bie SBorjüglid^e«
entwerfen, unb oon fel^r tüd(|tigen Arbeitern, bie e§ aud^ gebiegen
auiSfül^ren lönnen. aber mie oft wirb ba eine gan| abfurbe 3bee
bei fold^en SDingen, wie j. S. bei ©^rengabcn ju ©runbe gelegt
unb nun lommt nod^ ]^in}u ber l^a^Hd^e talte @dgimmer beiS blan!en
©ilberS, ber ja fo fein abgetönt werben fönnte tl^eitö burd^ Cr?*
bation, burd^ feine ©raoirung uub nameutlid^ aud^ burd^ Qin^f
^ie funftgetoerblic^en 9eftoe6ungen ber (Segentoart. 22^
fügung üon SBergoIbung. Slbcr bic grojsc SWel^rjal^l bei un^ unb
namentUd^ von ad betten^ bie länftlerifd^e 93Ubung nid^t befigen,
greift gleid^fam wie bie Äinber nad^ bem, xoa^ am meifien bliftt
unb blinlt, unb ba fann e^ fommen, bafe großartige ^rad^tjiüdc in
ben gemeinfien 99aro(ifomien unb mit btefem talten ©(an; bei^
©ilberS, iugleid^ überlaben mit einer Unmaffe von berben gruc^t^
unb Slumenfd^nüren, afö befonber« feierlid^e 2)inge angeftaunt
loerben. 3(ud^ babei ift bann ber 9laturaIiiSmud ganj befonberd
uertreten. SBie oft fommt e^ nod^ vox^ bafe ein Xafelauffafi in ber
©eftalt einer ^Pflanje, einer Äala ober fonft einer großblätterigen
aälume bargefteUt n>irb^ unb n)ad ifl bamit gen)onnen? SSie toeit
bleibt felbfi bie feinfte SRad^bilbung l^inter bem SReij ber Statur jurüdt
unb gerabe ba, n)o bie lünftlerifd^e ^l^antafte burd^ gefd^idte 93es
nüfiung unb burd^ fierDorl^ebung be§ eigentlid^en 3wedE^ etwa» roal^r-
^aft ©d^oneö, aWufiergültige» fdfiaffen fonnte!
2)a§ bringt mi<j^ auf ben lefeten 5ßun!t in biefen aSerirrungen,
ba8 ifi flberl^aupt ba3 aWißDerl^ältniß jioifd^en ber ©efammtform,
bem ©efammtaufbau unb jmifd^en ber S)eforation. UeberaD ba,
TOO man etmaö Steid^eS barftellen mill, fommt eine Slrt üon profti^
gem, roibcnoärtigem (Stil ju Xage, ber burd& Ueberlabung mit
allen ntöglid^en Crnamcnten bem SBerf einen geioiffen SReij ju geben
Dermeint. S)a ge^t nun ber ganje feine Slufbau, bie ©itl^ouette,
bie fo mirfungöDoIl ift unb in ber ftd^ ba« ganje SBBefen *be« ®e«
fäße« unb be« Oerätl^ei^ au^brüdEen foH, verloren, fle mirb burd^
Ueberlabung mit allerlei Ornamenten, mit 83lumen, ^d^ten unb
gigurd^en. völlig uernid^tet. ®ö ifi bann freilid^ meifientl^eite bei
biefen 3Ber!en nid^t viel bamit verloren ; benn bie ©runblage alleiS
©d^affen« biefer Art, ein fd^öner Slufbau, eine eble, jroedfeoHe
©lieberung be« ©anjen, eine feine rl^ptl^mifd&e Belebung burd& bie
einjelnen ^^eile unb Slbfd^nitte, ba« aQe« mirb gar nid^t beobad^tet.
Sffienn wir in eine fogcnannte gute ©tube ober, mie man e«
aud^ TOOl^l nennt, in einen ©alon treten in unfern mittleren ge?
bilbeten SÖürgerfiänben, ma« feigen mir ba? SJiefe beoorjugte ©tube
beS ©aufe«, bie, beiläufig gefagt, faft nie gel^eijt wirb, l^at in ber
Siegel jene gretten blauen 2;apeten, bie man für ben SluSbrudf l^öd[>fter
feierlid^er 5ßrad[>t ^ält, mit l^aßlid^en naturaliftifd^en 83lumen über«
224 S)ie funftgcn}er6Iic|)cn »eftrebungen bcr ©cgcnroart.
laben. — SDkn toäl^lt fie n)al^rf(ä&cinHd^ aus Sefd^eibenl^eit, roetl
allcS, SRenfd^ unb SDing ftd^ abf(JE|culi(i^ barauf auiSnitnmt. Sluf bctn
Xi^6) l^aben roit natärlid^ ben üblid^en %tipTpx6), an^ tDeld^em ein
grofeeä »lumenbouquet in naturaliftifd^er SBeife l^eraugfdEireit i^or
bem ©opl^a liegt ein anberer 2:eppi(ä&, ber jenen gtofeen, l^äfelid^en,
ard^iteftonifd^en SRal^men unb in ber SKitte bann TOomöglici^ nid^t
blofe biefelben 33Iumen, fonbern aud^ nod^ eine ©d^ioeijer Sanb-
fc^aft mit ©letfd^ern unb mit Sllpenfjenen, aber in ben gröbften
gormen unb in ber plumpftcn Slugfü^rung jeigt. 2lm genfter fc^It
natürlid^ nid^t baS „SRouleau", roetd&eä irgenb eine ibpCifd^e fianbs
fd^aft in plumper SluSfü^rung entl^ält. Sie SBorl^ange ^aben im
günftigften gaU eine reid^e Dmamentit mit jenen burd^au« ftillofen
naturaliftifc^en Slumen, wie fie unS namentlid^ bie ©d^meiicr
gabrilen fo üielfad^ liefern; unb enblid^, wenn mir weiter um^
fd^auen, fo finben toir überall in ben Meinen ©erätl^en, roeld^e bem
3immer als SüuSftattung unb ©d^mudE bienen, benfelben munber-
lid^en ©inn. 2)a erblidfen ©ie üießeid^t in jener berben ©d^nifterei
ber ©d^roeij ein paar ©emfen mit einer Keinen aipen^üttc als
geuerjeug; ©ie finben namcntüd^ auf bem ©d^reibtifd^ beS §erni
ober ber S)ame beS ^aufeS jene unoergleid^lid^en fleinen Stäl^md^cn
für 5ß^otograpl^ien, in benen ber SlaturaliSmuS baS Sleu^erfte leiflet:
übertrieben gro^e ©infajfungen, bie ausfegen, als ob man etwa
Sroeige abgebrod^en l^ätte, mit großem, berb gcfd&nittenem Saubrnerl.
— 3Wan tann fidi ©tilroibrigereS, als biefe SRä^md^en finb, nid^t
benfen. — Ober eS fommen bie 5ßl^otograp^ien an ben SBänben
nod^ l^inju, bie bann meiftenS aud^ in fel^r ungefd^idEten barodfen
ober JRofofora^men eingefaßt fmb; unb enblid^ bie 6öuptfad[ie in
einem gemütl^lid^en 3immer, ber Dfen. SBenn man unfern äfl=
fietifd^en »anferott beutlid^ feigen will, fo mufe man unfere Defen
betrad^ten — id^ miH baron gar nid^t fpred^en, bafe fie oft bie aUer^
fd^Ummfie Äonftruftion l^aben unb bei weitem nid^t als bie mirt
lid^en treuen fyreunbe beS ^aufeS anjufe^en finb, bie bie SBarme
lange bei fidi; behalten unb mol^ltl^uenb oerbr^iten — nein! eS ift
gerabe bei ben Defen bie flaffifd^e ©pod^e mit ber Sflad^al^mung bcS
weisen SRarmorS immer nod^ bei unS gäng unb gäbe. aJlan ^at
neuerbingS oerfud^t, burd^ einjelne ornamentale Xl^eile in gebrann-
S)te hmftgemerblti^en Säeftrebungen ber ©egenmart. 225
tcm ^l^on bcrSac^e abjul^clfen; allein ba^ ift nur eine l^albe SWjxfes
rcgel. SBir muffen bie Defen wieber farbig gehalten wie ba§
aJltttelalter unb bie Menaijfance. SBenn ©ie jefet in einer (Stube
ctte^ in fd^önem garbenafforb jufammenftimmen feigen, fo wirb ber
n)eiBe Ofen fletö ein Sod^ in biefe ganje Srfd^einung reiben; er
proteflirt in aQem gegen biefe f^arbenl^armonie. — Unb bod^ l^at
man an manci^en Drten, j. S. bei gleifd^mann in SRümberg fd^on
begonnen^ red^t fd^öne Oefen loieber nad^ alten 9)7uftern l^er^ufteKen.
S)er Dfen foHte biefeö abfd&eulid&e SBeife enblid^ aufgeben; er wirb
barum bod^ nid^t flaffifd^ unb wirb barum bod^ nid^t roeifeer SKarmor.
2)ad ift ungef&l^r eine fui^e ©fijje von aS ben SBerirrungen^
bie ftd^ aSmäl^Ud^ in bai^ Jtunftl^anbiDerl eingefd^Hd^en J^aben. 3Slan
ift juerfi bei ber erfien großen SBeltauj^ftellung in Sonbon 1851
<iuf alle biefe Smoege aufmerffam roorben, unb Don jener 3^it ^n
batirt bann ber Stuffd^toung^ ben bie {unftgen)erbtid^en 99effarebungen
genommen l^oben. aWan fam plöfclid^ jur (Srfenntnife, bafe t^ fo
nid^t fortgel^en Unne, unb nun fing man an, ba^ alte Äunftgeioerbe
)u fiubiren. SRan legte ;aller iOrten hmjigetoerblid^e aWufeen an,
unb namentlid^ gingen bie ©ngldnber mit il^ren bebeutenben 3Witteln
hnxö) ba§ ftenftngtonsSHufeum voxan. ©el^r balb barauf folgte
bann Defierreid^ mit feinem SWufeum für Äunft unb 3nbujirie.
SSergeifen bürfen wir nid^t, bafe gleid^ nad^ 1851 aud^ unfere SRe-
gierung in ber richtigen ©rfenntnife ber ©ad&lage jene gen)erblid[>en
gortbilbung^anftalten gefd^affen l^at, bie im aSerftänbnife ber tiefen
99ebeutung, n)eld^e ba^ Iunflgetoerblid(ie ©d^affen für ein ganjeiS
ßanb l^at, fortgefd^ritten finb bii^ auf bie ©egentoart, unb bie bie
befte Safte bilben für jebe weitere enttoidfelung auf biefcm ©ebiet.
SBenn man inbefe betrad^tet, wie auf ben legten großen au^fteHungen
fid^ ba« beutfd^e Äunftgeroerbe in ber SRajfe gegenüber ben anbern
Sänbem jeigte, fo fann man gleid^mol^l bie ftrengen Urteile, bie
felbft im oergangenen Sal^r nod^ auggefprod()en morben finb, burd^s
au^ nid[>t übertrieben finben. SefanntUd^ l^at SReuleauj ba^ SBort
gefprod^en, bafe bie beutfd[>en 5ßrobu!te „billig unb fd&led^t" feien.
SDieS Urtl^eil ift oielfad^ angefod^ten morben, aber e^ fielet mit fel^r
fd^arfen Äu^fprüd^en anberer auf bem funflgeroerblid^en ©ebiet aU
Autoritäten anjufel^enber SWänner im ©inflang. ©o fagt nament-
15
226 Xxe funfigetuerblii^en iS^ftrebungen ber ©egentoart.
lid^ 3afob %altt bei ©clcgcn^cit ber aSiener au^flettung: ,,S)ie
beutfd^e.3nbufirie ift e^ üorjug^roeife, welche immer nod^ für ben
Ungefd^mad ber SKenge unb für ba^ äfil^etifd^e SBerberben be« fiaufe^
arbeitet," unb berfelbe ©(i^riftfleller fagt in ber Anleitung ju biefer
SJarfteßung, wo er 3Rand[>e« anerfennt, xoa& in aJeutfd^Ianb ate
gortf(ä&ritt auf bem funftgeioerblid^en ©ebiet ju t)erjei(]^nen ift: „S)ie
®rajien finb ausgeblieben/' 2)aÄ ifi aber fe^rfd^limm; im Äunfl»
l^anbroerf fmb bie (Srajien ein fe^r not^roenbige« ©rforbernife.
9lun ijl nid^t ju leugnen, baß in ben rerfd^iebenften 5ßunften
mit einer au^erorbentlid^en @nergie unb mit einem loBen^toert^en
©ifer gefirebt wirb fd^on feit einer SReil^e üon Salären, aui^ biefen
3ufiönben l^eraui^jufommen. 3!)a§ auÄlanb, namcntlid^ bie ©upe-
riorität ber granjofen ifi für uni^ geroife ber mi^tigfte (Sporn. &
lianbelt ftd^ in ^anfreid^ nid^t blog barum, ba^ man bort fd^on
feit langer 3^^ ben grojsen SBeltmarft befifet, fonbem ba§ man
aud^ auf alle äBeife ftd^ il^n )u erl^alten fu^t. 2)ie f^anjofen
l^aben feit S^^^^i^^i^^i^l«^ ^^"^ Äunftpflege, für bie ber ©taat
äufeerorbentlid^eS getl^an f)at unb bie jefet in einer lebenSfräftigen
Äunftinbufirie reid^lid^ baS loieber jurüdEjal^lt, loaS für fte auÄge^
geben roorben ift. anbererfeits aber finb bie granjofen unabläfftg
im erpnben unb Slntoenben. SBenn irgenb eine neue S^ed^nit auf^
taud^t, menn man irgenbioie wieber ettoa^SllteS nad^jubitben unb
roieber einjufül^ren l^at, fofort ftnb fie an ber ©pifce, bie SSerfud^e
}u mad^en unb fie pnb bie erflen, meldte bamit bebeutenbe ®rfoIge
erjielen. 2;]^atfad^e ift folgenbeS:
Sütö ber ^ilbeäl^eimer ©ilberfd^afi gefunben mürbe, jene
föftlid^e ®abe, meldte ber norbifd^e ©anbboben un« au& antifer
3^it gefpenbet, ba mar e^ ein ^arifer gabrifant, meld^er fofort
einen Äünftler l^infd^idfte, fid^ ©ip^abbrüde oerfd[>affte unb
SReprobuftionen l^erfteffte, bie er bann nod^ am Original butd^*
forrigiren lie§. Unb aU baiS 83erliner aWufeum ber ©tabt
^ilbei^l^eim eine 3?eprobuftion oon biefen SBerfen fd^enfen
mottte, ba fanb e8 in ganj S)eutfd^lanb feine Wad^bitbung, bie
irgenbmie l^öl^eren älnfprüd^en genügte, unb jur @d^mad[^ für
unfer Äunftgemerbe mufete 83erlin biefe SBerfe, beren Originale
mir befifeen, oon einem ^arifer fiänbler in Slad^bilbungen laufen.
^ie funflgetoevBIic^en SBeftrebungen ber ©egenmatt. 227
^a& fagt me^r ate ganje Sänbc, wie weit unfrc Snbuftrie
hinter bct ber fjranjofen nod^ jurüdfftel^t.
3lnn tooSen toir aber nid^t leugnen ^ bag na(!^ allen Seiten
^in, }. 33. In ber gIö(]^enbetoration, in ben 3;apetenmu{lem, in ber
S^eppid^fabrifation, aud^ im ©olbfci^miebegeroerbe, genug in ben
Derfd^iebenften 9tt$tungen bebeutenbe gortf($ritte ju Derjeid^nen finb.
@d fel^lt aud^ nid^t an ^abrüanten, bie baiS SUd^tige einfel^en, ed
fel^lt nid^t an lünfHerifd^en Gräften, um (Sd^öneS ju erpnben unb
aui^iuffil^ren/ aDein bamit ifl nod^ nid^t genug getl^an. S)ie grojse
aWaffe ber ^probultion fielet nod^ auf einem tiefen ©tanbpunft unb
toal^rl^aft lebenbig ift bei uni^ erfl bann bad AunflgetDerbe, rotnn
eS nid^t blofe einige ^ßrad^tfiüdEe mujlergültig l^erfiellt, fonbern wenn
bo« ganje Seben in allen feinen Sebürfnijfen von bem Äunftgewerbe
geabelt wirb. 6^ gilt nid^t, ganj befonberS opulente einjelne SBerle
^erjuflellen^ fonbern baS einfad^fle unb fd^Iid^tefle ©erätl^ burd^ f^orm
unb garbe, burd^ bie ©efammterfd^einung fo fünftterifd^ burd^ju^
bilben, ba§ eS roieber eine greube ift, ftd^ beSfelben ju bebienen.
SBie üiel man ba oft au^ ben einfad^flen Dingen lernen fann,
ba^ f)albt\\ wxx erfl in ben neuefien Seiten gefeiten. aWan ifi aufs
merifam geworben auf bie Saudinbujtrien, bie befonber§ bei fold^en
aSölfern, bie von ber Äultnr nod& nid^t fo fiarf beledft ftnb, fid^
erhalten l^aben, fo in ben unteren 3)onaulänbern.
Sleuerbingi^ finb SBerfe publijirt roorben, loeld^e un« mit ben
©tidEereien biefer aSölfer befannt mad^n. ©a^ Sleuefte auf biefent
©ebiet ijl ein fd^öneö SBerf be« l^od^Derbienten gifd^bad^, bai^ er
über bie ungarifd^e ^au^inbujtrie l^ierauögegeben l^at.
aber wir mü^m t)or attem ein 5ßublifum l^aben, weld^e^ aK-
mäl^lid^ {flnftlerif^e S3ilbung in fo l^ol^em SRage befi^t^ bag eS t)om
gabrifanten aud^ nur ba§ ©ute unb ©d^öne oerlangt. Der g^bri^
{ant lann gegenüber einem ^ublitum^ ba§ übertoiegenb nur baS
Unfd^öne, Sarodte liebt, unmöglid^ mit reinen fjormen burd^greifen.
es ift bal^er eine Hauptaufgabe, unb biefe Aufgabe l^at fid^ ber
SBürttembergifd^e Äunfigcwerbe^^aSerein geftellt, auf baS 5ßublilum
fclbfi iu roirfen tl^eite burd^ SSorträge, tl^eife namentlid^ aud^ l^in^
jutoeifen auf bie ©d^ä^e ber öffentlid^en ©ammlungen. @i^ gibt
in unfrer raterlanbifd^en Slltertl^ümerfammlung eine SWenge oon fe^r
228 ^ie !unftgeiDer5U(^en ^eftrebungen ber ©egenmart.
TOcrtJ^ooHen S)ingcn, bie freilid^ eitic^ anbctn Sofaleö bcbürfcn, um
ted^t gcroürbigt unb fiubirt ju iDcrben; ebcnfo finben fi(]^ in bcn
©ammlungcn ber 3^ntraljleffc t)ortrcffUd^c ©egenfl&nbe unb namcnfc
Ix^ in ber »ibliot^ef eine gütte von ©toff für ba8 ©tubium ber
Äunftgeioerbe.
atteiJ boS muß mit ber 3^^ <^^^ bei un[rem großen 5ßubli=
fum in fjleifd^ unb 83Iut einbringen, erft bann fann e8 beffer
»erben.
SBir ^abtn überatt in ben lefeten S^^^^en einen SBetteifer erlebt
in ber Slnlage t)on funfigewerblid^en SRufeen, in ber SSeranflaltung
t)on aiuiSfieffungen, in ber fierauJgabe von ^ublifationen. ©erabe
in* ©tuttgart ftnb eine Sleil^e ber trefftid^ftcn Qoumale entjlanben,
ödein e« fprid^t nid[>t fel^r für bie gnteUigenj unb lebenbige Äunfi=
liebe ber 83et)ölferung, wenn eine ber beflen Unternel^mungen nad&
wenigen Salären wegen 2;^eilna]^mlojtgfeit bei^ 5ßublifumiS einge=
gangen ift. 2Bir ^aben femer in ben auÄfieUungen ju ©reiben/
granffurt, aWünc^en, Äöfn hirj na(]^ einanber eine güUe t)on SBerfen
ber alten 3^^* ö^fel^ßn; wir |aben namentlid^ in aWünii^en aud^
wal^rgenommen, wie bie ©egenwart mäd^tig ringt, um wieber auf
gleidfie ©öl^e ju fommen. Stber befonberg wenn man in 9)lflnd&en
in jene Slbtl^eilung trat, weld^e ben SBerfen imfrer SSäter gewibmet
war, weld^e ©rl^ebung, weld^e Sewunberung, wie blidft baS alle§
^armonifd^ unb gebicgen, wie war ba garbe unb fjorm wol^l üer*
Panben, weld&e güße t)on SBelel^rung unb Anregung war ba ju
gewinnen. S)iefem allem wieber nad&jueifem ijl eine Hauptaufgabe,
bie außerorbentlid^en ©d^äfee ber alten Szxt flüfftg ju mad^en, bem
Seben wieberjugewinnen, ift eine ber wid&tigfien unfrer Seftrebungen.
3n Derfd^iebenen ©tfibten ift neben bem, wag bie SRegierung ge-
tl^an l^at, burd^ bie 2:|at!raft von 5ßritjatperfonen üiele« geleifiet
Würben. 3d^ erinnere nur an SRürnberg, wo ba« germanifd[>c SRu^
feum, wo neuerbingg ba« ba^rifd^e ©ewerbemufeum nur auiS ber
Snitiatioe reid^er unb lunftfinniger 5ßrit)aten l^ertjorgegangen finb,
Stnftalten, bie jeftt fd^on bebeutenbe S5ienjie leiften für baS ©tubium
ber aSergangen^eit, für bie »efrud^tung ber ©egenwart.
SBir bürfen ba^er aud^ unfrerfeit« bie §anbe nid^t in ben
©d^ofe legen, wir bürfen nn^ nid^t bamit berul^igen, baß bie Stegie^
2)ie htnflgen)er5ti(^en SSeftre^ungen ber Oegentoatt. 229
tung bte älngelegenl^eit ebenfaUi» ind äluge gefajst l^at^ unb bag aud^
bic etänbc fictö in ber libetalfien SBcife erböttg jinb, für fol(|c StDcdc
beisufieuern. 3ltxnl (£& mujs jeber einzelne an biefer großen notio^
naien aufgäbe mitioirfen, mitarbeiten. 3eber, ber ein gute»
unb f(i&3ne« SBerl lauft unb bcflellt, ^ebt unb pflegt unfre
Äunfiinbufirie, unb jeber, ber ein gef(|madIofe« nimmt,
ber begrabirt fie. @S mu^ alfo bafür geforgt toerben, ba^ in
bie toeiteflen jlreife be» $ub(ilumd bie Srlenntni^ über baS, toaiS
fd^5n unb ni^t \^bn ifl, immer mel^r einbringe. Unfre beut)(|e
jlultur ifi feit ber 3^^t ^^^ ^Reformation eine gar {u abftralte, ge^^
lehrte unb einfeitige gemorben, toir ^aben i\x menig ^ül^Iung mit
bem SSirllid^en, wir ^aben ju loenig 9iefpeft Dor all bem, n)ad
Sd^önl^eit i^, mai» bie Jlunft, baS Aunftgetoerbe für baS'fieben
aSerebelnbed leiften lann. S)ad mu^ anberi^ toerben. Sßir muffen
neben biefer abfteaften, rein geleierten jlultur }u einer lebenSDoUen,
!änfllerifd^en Aultur surfidtel^ren.
3n 2)eutf(i&lanb ftnb bie Äunftafabemien unb Äunftf(i&ulen ju
einer Qtit entflanben, toeld^e no(| oon ber gan} abfiratten 3luf?
faffung einer t)om Seben lo^gelöfien Äunft be^errfd^t toar. 6«
lann ni(|t fehlen — unb überatt finb fd^on bie anfange gemad{|t,
bafe aud^ biefe änfialten einer SReorganifation, einer SReform im
mobernen ©inn unterjogen toerben. Slud^ ba mu§ ber Äünftler
mieber vor allem baiS ard^iteltonifd^e ©tilgefül^l, ben ©inn für bad
au»brudtÄt)oIle, fiiloolle Ornament tDiebergeioinnen. Unfre alten
großen SReifler, ein ^olbein unb S)ürer unb fo Diele anbete, fie
maren'ooll SBerftänbni^ biefer ard^itettonifd^en formen; be^l^alb
tonnten pe aud& fo mannigfaltig nad^ ber ©eite be» Äunfigemerbe»
^in pflegenb unb förbemb eingreifen.
©erabe baiS fd^mäbifd^e fianb fielet nid^t )urüd, menn man bie
gülle feiner SKonumente au8 ber alten 3^it betrad^tet, l^inter ben
übrigen beutfd^en fiänbern. ©o oiel aud^ oerfd^leppt unb jerflört
roorben ifl, meldten SReid^tl^um oon ©d^öpfungen bep^t unfer fianb
nod^ oon ber iganb trefflid^er SWeiPer. Sd^ roiH an bie großen
SaumeiPer be» aWittelalteriJ erinnern, an bie ®nPnger unb SBöbs
linger, weld^e unfre Äird^en unb 3Wänper aufgetl^ürmt l^aben; fo*
bann fpdter an bie 2:retfd&, SBäfir, ©d^idf^arbt, meldte jur SRenaif*
230 ^te !unftgen)er51i(i^en IBefbrehingen ber ©egenmart.
fance^eit bie pTa(|tooSen ©d^löffer gebaut l^aben^ bie bad Sanb nod^
befi|t. 3d^ toiU enblid^ bctan erinnern^ xotl^t f^üQe Don ptafli^
fd^en arbeiten aller art atteüi j. 8. eine Äird^e toie bie l^eilige
ÄreujRrd&e ju ©rnünb aufjuweifen ^at. ael^nH(|e SBerfe beitfet
@^lingen^ too)u bann no(| bie l^errlid^en ©lai^gem&Ibe in ber 3)i0'
npftu^tird^e lommen. 3BeI(i^er ©d^a^ von (unfboDen Sd^Spfungen
finbet fid^ int aWünjier ju Ulm, in ben Äird^en ju Stuttgart, SReut^
lingen, Urad^ u. f, t». ©o meleö, roa» biefer art nod^ im ßanbe
x% lann id^ nur fläd^tig anbeuten. aber, roenn wir aud^ nur bie
£eiflungen eined 9RanneiS wie ber ältere ©prlin Don Ulm nennen, fo
fprid^t baiS beutlid^ genug bafar, ba^ ber IflnfUerifd^e ©inn in bem
fd^to&bifd^en SBoIföfiamm ftet^ ein ungemein intenfiDer gewefen ift.
SBenn'berfelbe, toie in ganj 2)eutfd^Ianb, in ben neueren Stitm burd^
jene auj^fd^Heglid^ tl^eoretifd^e, wijfenfd^aftlid^e, abflrafte Silbung }us
rädCgebrängt werben ifl, fo lann voo\)l leine ^rage fein, bag unter
ber rid^tigen Pflege aud^ biefer ©inn mad^tig wieber aufleben, bie
^errlid^Ieit be^ Äunftgewerbe« ber alten 3^^*/ ^^^ P^ ©d^waben
jefet nod^ in atten 2;i^eilen aufweifl, auf« SReue erwedft wirb, ^efen
alten ®lanj wieber in^ Seben jurüd^urufen, baburd^ eine ^De
Don anregung ber ebelften art, aber aud^ ju gleid^er 3^^ eine
immer größere Bereid^erung bed nationalen SSSol^lftanbed l^eroor»
jurufen, ba« ifl gewife eine ber wid^tigflen, eine ber patriotifd^fien
aufgaben unfrer 3eit. ^thtt unb iebe üon Ql^nen ifi berufen, baran
mitjuwirfen.
(BoTb unb «an 18S0.)
Di
/ie entbedungen, weld^e un« ba« lefetoetftoffene Sal^rjel^nt
über bie SBelt be« Ilafftfd^en Slltertl^um« gebrad^t l^at, Rnb fo um^
faffenber unb tief eingteifenber 2lrt, bafe fie unfer lüdfenl^afte^ SHBiffen
in bet antilen 5lunft unb jtultur n)unberfam umgeflaltet unb be-
teid(iett ^aben. 2Bäl^renb @d^Iiemann auf ben ^ö^en Don $iffar(i{
unb aWpfenä 3^"8"iff^ ^^^ älteften, gröfetentl^eiU nod^ jenfeitö ber
orientalifd^en Äunfteinflüffe liegenben eioitifation ©ried&enlanb^ an«
Sid&t jog, gelang eiS bem nid^t minber energtf(i&en gorfd^ertriebe be§
©enerafe bi ©e^nota, amexilanifd^en Äonfute ju Satnafa, auiS ben
©räbcrn unb S^empeltrümmern 6ijpem§ Denfmäfet ber Töpferei
unb Steinflulptux, ber ©otb^ unb ©ilberarbeit unb bet (grjbUbnerel
ju geminnen, toeld^e jener mertoürbigen @pod^e angel^ören, ba burd^
bie Äreujung affijrifd^er unb ägpptifd^er Äultur, unter bem raftlofen
Setriebe ber ^pi^ömjicr, ©ried&enlanb einen neuen Smpulö jur Um-
fleftaltung feine« Äunflftile« empfing. 3lo^ burd^tönte bie Äunbe
Don biefen erflaunlid^en @ntbedungen bie gebilbete Sßelt, ba legte
ba« neu erftanbene beutfd^e Sieid^ ^anb an« SBerl, um ben }uerft
von ®mfi ßurtiu« angeregten, fd&on ju ben 3^ite" griebrid[) SBiU
^elm« IV. tielfad^ erörterten 5ßlan ber au«grabung ber berül^mteften
Äultu«fiätte ber gried&ifd^en Slüt^ejeit, ber atti« von Dlpmpia, ju
perroirllid^en unb baburd^ für bie Äunji, Siopograpl^ie, Stttertl^um«^
funbe jener ©lan^epod^e bie n)id^tigften 9luffd^iaffe }u gen)innen.
aWit roeld&er fjreube mag ber perel^rte SWann jefet ben S^raum feiner
232 2)ie pergamenifd^en ^unbe.
3u9cnb crfüttt feigen! grcUi(i& finb bic DriginolTocrfc, banf bcr
felbfllofen Cpferroittigfiit 2)cutfd^Ianbg, jenem »oben unb bem Se-
fifte ber ©ried^en petblieben, aber bie ©unji ber alten ©öttet ^at
bafür einen ©tfa^ gefpenbet, wie i^n fo f oftbar bic fü^njie ^ß^antafie
nid^t ^ätte träumen lonnen, burd& bie äuffinbung jener pergameni::
fd^en SBunberroerfe, roeld^e je^t gröfetent^eits geborgen in jroei Sälen
be^ berliner SRufeumd untergebracht finb. S)ie plö^Iid^e 5lunbe
biefer großartigen, ton atten Set^eiligten forgfältig gel^eim ge^aU
tenen (Sntbedung rief überall (Staunen, brausen aber, an mannen
Orten, roo man un3 nid^t eben roo^Igefinnt ift, 9leu§erungen t)on
©dieelfud^t unb SReib ^eroor, bie barin gipfelten, biefen (Srtrag
unfrer Arbeit unb aRül^en nod^ unbefel^en J^ierabiufeften. 2)en
©d^reiber biefer Stxlm trieb e« bal^er, bei erfier @elegen|eit bie
pergamenifd6en ©Mpturen, foweit ber jefeige Bwft^nb e« geftattet,
einer möglid^fl eingel^enben ^Prüfung ju unterroerfen, um felbft ein
Urtl^il }u gewinnen, gu §ilfe fam babei ber tbtn erfd^ienene Vor-
trag über 5ßergamon von bem bafür berufenften SKanne ber aBiffen«
fd^aft, Sttlejanber 6onje, bem S)ireftor ber ©fulpturabtl^eilung be^
^Berliner SRufeum«, ber aufeerbem in jeber 3Beife bie ©tubien an
ben Originalen förberte unb erleid^tertei Die ©rgebnijfe biefer ©e«
obad^tungen fotten. bie nad^folgenben S^iltn einem größeren ftrcife
vermitteln,
ailerbing« ifi ber S^P^^i^/ i" toeld^em fid& gegenwärtig nod^
biefe SBerfe befinben, einer tief einbringenben Unterfud^ung feinc^^
wegg günfiig. S)ie ungel^eure SRaffe ber aufgefundenen ©fulpturen
Uegt nod^ iiemlid^ ungeorbnet in pei ©älen bed 9Rufeumi^ am
®oben, anbereg befinbet pd^ in einem prooiforifd&en SSerfd[|lag ber
äußeren ©äuIenl^aQe, weld^e ha^ neue 3Rufeum um^iel^t ^n jenen
©älen ^at man junäd^ft eine älnjal^l oon @ruppen beiS großen
griefc^, meld^er ben pergamenifdjien Stltar umjog, fo weit e§ bie
oorl^anbenen ©tüdfe gematteten, jufammengefefit S)aß eS babei an
oielerlei Süden nid^t fel^Ien fann, begreift fid^ leidet, wenn man er?
wägt, baß faft alle^ ate Baumaterial für eine fpäter um bie a3urg
oon 5ßergamon aufgeführte ©d^u^mauer t)erwenbet worben ifi. ©o
}og man bie einjelnen, oft foloffalen ©fuIpturblödEe au^ ber SDiauer
lierüor, üielfad^ mit SWörtet bebedft, aud^ ftarl befd^äbigt. 2)iefe jer*
S)te pergamenifc^en gunbe. 233
tiffencn ©lieber eines einfl ate SBelttounber befiaunten ©anjen t)et*
mod^te man ba^er einproeilen nur ju größeren ober Heineren
©ruppen lieber ju Derbinben, beren innerer S^fammenl^ang nur
in einjelnen gätten — üorberl^anb — fefijuftetten tfi. aber ieber
%aQ bringt auS bem übrigen, nod^ maffen^aften SBorratl^ Heinere
ober größere ©rgänjungen, bie oft fo glüdlid^ finb, ba^ j. ». ein
oöSig abgefd^IageneS ©efid^t in ber Stl^enagruppe burd^ mel^rere,
genau ineinanber paffenbe aRarmorfpIitter üöttig l^ergeftettt würbe.
3TOif<^en bcn am »oben Uegenben fiauptgruppen fie^t man näm-
K(i& auf jal^lreid^en a;ifd^en eine aWenge Heinerer unb Hcinfter ^ag=
mente ausgebreitet, Don benen o^ne ^age oieleS no(i^ jur ©rgän^
jung beS äSorl^anbenen ftd^ einfügen laufen wirb. @nbli(^ finb oon
einem jweiten, Heineren ejriefe, ber etwa vkx gufe igö^e l^at, wä^^
renb ber grofee boppelt fo l^od^ ift, eine bebeutenbe änjal^l oon
©nippen, meiftentideits red^t gut erl^atten, wenn aud^ me^rfad^ be«
fd^äbigt ober oerjMlmmelt, in ja^lreid^en ton i^ren SJedfeln befreiten
Äifien auf ben »oben niebergelegt, olfo ebenfalls nur fel^r unüoffc
flänbig ju genießen unb no^l weniger ju ftubiren. SBaS enblid^
bie SBürbigung beS großen griefeS wefentlid^ erfd^wert, ifi bie fd^on
erwdl^nte »erunfialtung beSfelben burd^ ben in bie feineren fjalten
eingebrungenen SKörtel, ber nur baburd^ entfernt werben tann, ba§
man il^n burd^ gefd&idfte »ilbl^auer forgfditig f ortmeifeeln Idfet : eine
unenblid^ mül^felige Operation, aber im gegebenen gaße bie einjig
möglid&e, bie übrigens, wie id^ mid^ burd^ längere »eobad&tung über«
jeugte, mit »el^utfamfeit unb ©ewiffenl^aftigfeit auSgefül^rt wirb.
aSerfud^en wir nun, eine »orfieffung oon biefem großartigen
SBerle ju geben, unb jwar jundd^fi oon bem igauptfriefe. »elanut*
lid^ war eS ber beutfd^e Sns^^ii^«^ $wr igumann auS (gffen, ber
bei einem längeren Aufenthalte in Äleinafien juerft auf ber afropolis
Don gSergamon »rud^flüdfe eines Sielief^griefeS ton größtem aJJaß-
ftabe entbedfte, bie er bem Äöniglid^en aWufeum ju »erlin fd^enfte,
inbem er jugleid^ auf weitere grünblid^e Unterfu(|ung biefer ^unb^
ftdtte brang. Diefe brei gewaltigen ^agmente, bie man feit Salären
im erflen @aale ber @(ulpturengalerie jur Sinlen oom ^auptein^
gange fa^, waren offenbar a;^eile eines ©igantenfampfeS. 9tun
fanb man in einem ber obffurfien unb fiümperl^aftellen Tutoren aus
234 2)ie petgamenifti^en gunbe.
bem @nbe be^ Haffifd^en 9(Itertl^umd, ^mpdxn^, eine ©teile, toorin
er eine« Dterjta gufe Idolen foloffalen aitarö in gkrgamon mit ber
S)arfleIIung einer ©igcntomad^ie in großen 93iIbtDerfen „cum ma-
ximis sculpturis" ithmtt Diefe ©teile, unterfiüfet von ben $umann=
fd^en ©ntbedungen, bilbete bie ©runblage für bie weitere Unter=
fud^ung, n)eldde t)or ivoti Salären in aller ©tiUe burd^ $erm ^umann
im äluftrage ber preu^ifd^en ^Regierung begonnen mürbe. 3)er fo»
fortige ©rfolg mar ein über aDe @rroartung glanjenber. ®ie Untere
ne^mnng mürbe fobann mit Umfid^t unb @nergie }u 6nbe gefül^rt,
unterflü^t burd^ bie miffenfd^aftHd^ erprobte Sad^tunbe 6on)ed unb
burd^ mel^rere tüd^tige 9lr^itelten, meldte ben bautünfilerifd^en Sl^^eil
ber aufgäbe, SBermeffung, aufnähme, Stefonfirultion be^ ©ebäube«,
in bie iganb nahmen.
®a8 ©ebäube ragte auf einem terraf jtrten abfange be^ Surg-
l^ügete von ^ergamon empor, meit in bie fianbfd^aft l^inau^fd^auenb.
e§ bilbete ein quabratifd^e« SSieredf oon pierunbbreifeig ju fxebenunb-
breifeig SReter. 3tn einer ber fd^maleren ©eiten, mie eö fd^eint,
fül^rte eine in ben jtertt bed Unterbauet eingefd^nittene Freitreppe
empor, ju einem Don einer ionifd^en ©Sulenl^alle attilenartig um^
fäumten oberen ©efd^ofe. igier er^ob fid& in ber Ttiüt ber eigent*
(id^e älltar; l^ier mu^ man fid^ aud^ ben jmeiten, erl^eblid^ Heineren
^ied, oielleid^t nad^ innen angebrad^t, beulen; l^ier ftanben maJ^r^
fd^einlid^ aud& jal^Ireid^e, überlebeni^groge roeiblid^e ©tatuen, bereu
man ebenfato eine ganje SRci^e aufgefunben l^at. S)er grofee fJrieiS
aber bilbete ol^ne ^rage, nad^ au^en gemenbet, mie ein toßborei^
©timbanb, ben oberen abfd^lufe be3 Unterbauet, ber fid^ auf brei
©tufen erl^ob. an ben in ben Äern beö Saue« eingefd^nittenen
S^reppenmangen fefete ftd^ ber grie^ fort, benn man ^at ein oon
ber redeten SBange Iderrül^renbe^ ©tüdf aufgefunben.
©egenftanb ber S)arfieIIung ifl alfo ber Äampf ber ©ötter mit
ben ©iganten. Äönnte barüber nod& ein S^^^W f^i«/ fo toüxbt
berfelbe baburd^ oollenb« aufgel^oben, baß an ber oberen ®epm8*
platte bie Sflamen oon ©öttern, an ber unteren bie von ©iganten
eingefd^rieben fid^ finben. aWerfmürbig ift, bafe pd^ babei jugleid^,
etma« unterl^alb ber übrigen Snfd^riften, ber 9lame eine« Äünftler«,
aber leiber ftarf oerflümmelt, erhalten l^at. 3nan liejl: JI
2)ie |)ergamentf4en gunbe. 235
nOH2, Don bcm barauffolgcnbcn E nur ein SBruti^ftüdf. SBic nun
bicfer ,,Di " gcl^cifecn, toeld^er fi(i& per at« Url^eber be« aBerle«
anfflnbigt, tDerben t)ieSeid^t toettete Sntbedungen uniS leieren.
©0 fragmentarifd^ bi« je^t alle biefe ierriffenen ©lieber einei^
ber größten plafHfd^en SBerfe beS tlaffifd^en Stttertl^umö finb — ton
i)en ettoa 446 ^u^ £änge ifl tieDeid^t im ganjen bie ^älfte^ aber
tDa^rf($einIid^ nid^t eine }ufantmenl^&ngenbe JQälfte erhalten! — fo
9en)iB eine aud^ nur ann&fiembe ^oQflänbigfeit in ber @rlenntnig
be« ©anjen nie erreicht werben wirb, fo genügt bod& fd^on ba« 5Bor-
i^anbene in bem jefiigen trümmerldaften 3wft<^iii>«^ «w eine SSorftel-
lung Don (Sl^arafter, Äunftfiil, SBert^ unb Sebeutung biefer ge-
waltigen ©d^öpfung ju gewinnen. SBir fe^en überatt ©jenen doH
jeneiS bramatifd^en, l^od^patl^etifd^en SludbrudCd, wie er und aui^ bem
Jßaoloon, bem famefifc^en ©ticr, bem fterbenben ©allier entgegen*
fprüp. SSBir feigen biefe leibenfd^aftUd^e Jtunft in einem ©tile oon
mad^tDoSer nod^ burd^aud ibealer gormengröge, jugleid^ aber ver*
fd^moljen mit einem !Ratura(idmuiS, ber bid ind einzelne fid^ geltenb
mad^t, nirgenb« inbefe ben großen glufe beö 63anjen, ben frei l(|in-
flrömenben SRl^ptl^muiS unterbrid^t. 3^^^ i^^b 9(tl^ena waren bie
-ÖÄuptgötter ber pergamenifd^en SBurg unb il^nen beiben gebül^rt ba^
%tx bie ßl^re, SSorfämpfer in bem Äampfe ju fein. Unb fo gel^ören
benn bie beiben ©nippen, weld^e biefe fiauptgötter enthalten, ju
ben bebeutenbften bed bis ie|t @rfannten. $od^ aufgerid^tet, ge-
waltig auSfd^reitenb wenbet fid^ ber SBater ber ©ötter gegen brei
©iganten, bie il^n ju gleid^er 3^^* angefatten l^aben. 3euiJ' Ober-
lörper, üon bem ber Äopf leiber terfd^wunben ifl, erfd^eint nadtt,
nur üon ber fiüfte fliegt in grofeen 9Raf[en ber SRantel ^erab. S)ie
mäd^tige äRudhilatur, bie angefd^woKenen Slbern laffen bie 9luf-
tegung be« ÄampfeS erlennen. 3" i»^^ ßinlen l^dlt er bie 2legi3
ate atpotropaion auSgefiredft gegen einen ©iganten, ber fid^ auf
feinen ©d^langenbcinen l^od^ aufrid^tet, bem SBefd^auer ben prad^tDOtt
audgebilbeten SHldten jeigenb, ben mit einem 2^l^ierfette umwidelten
arm mit gebattter gaufl gegen 3eud er^cbenb. a)iefer redeten ©eite
ber ©ruppe fiettt ftd^ linfö ein anbrc« SRoment bc3 Kampfe« ent-
gegen: bort ift ein ©igant, beffen ©eftalt rein menfd^lid^e SBilbung
befifet, ton einem furd^tbaren 33lifte beö 3^"^ i« SBoben gefd^mettert.
236 IDie ))ergamenif(!^en ^unbe.
in bie Äniec jufamtnenBcbrod^en. S)ag Ocfd^o^ be^ ©ottcS l^at mit
brei 3i«fen feinen ©d^enfel burd^bol^rt, ba^ bie Spifeen beiJfelben
n)ieber (leraudbringen. 3lebtn if)m, in ber aRitte ber @ruppe ifl
ein britter ©igant, ebenfalte ton ganj menfd^Ii(i^er »Übung, in^
linle Änie jufammengefunlen unb fd^eint im ©efü^le feiner Dl^n*
mad^t ben SSlifeftral^l be^ ©otte^ ju enoorten, ©o Tmb, dl^nli^
mt beim Saofoon, brei 2Romente einer ^anblung in eine ©jene
jufammengefafet, bie an bramatifd^er SBud^t jenem berül^mten SReifter^
werfe in nid^tS nad^fte^t. S)er große Äünftler ton ^ergamon ^at
nun aber, jur mannigfaltigen »elebung feiner Äompojttion, ben
©Ottern i^re begleitenben a;^iere beigegeben, bie am Äampfe t^eit
nel^men. ©o feigen wir benn auf einem Meineren ^agmente ben
abier be« ^m^ mit einem SBIi^e in ben gdngen J^erbeifd^ioeben;
TOeiterl^in auf einem größeren Srud^fiüdfe aber einen anbem Slbler
ergrimmt gegen einen fid^ emporbäumenben ®iganten=©d^langenIopf
auftürmen unb ber »eftie bie fd^arfe Äratte in ben Unterfiefer be^
weit geöffneten SRad^en« l[imeinfd&lagen: ein 2Wotio ton fo padenbem
9ieali«muÄ, baß mir unwittlürlid^, ate fül^lten mir felbji ben ©d^merj,
jufammenjudfen. SRid^t minber energifd^ ift ber ju biefem ©d^Iangeu;:
förper gel(|örenbe ©igant, ber fld^ leibenfd&aftlii^ aufrid^tet unb eine
aRu^IuIatur jeigt, bie an ©emalt ber be8 Saofoon ni^t« nad^gibt,
mäl^renb fie berfelben an einfad^erer SRatuntal^rl^eit überlegen ifl.
3)ie« gragment bel^auptet aud^ beöl^alb einen l^ol^en SBertl^ für bie
erfenntniß beS SlufbaueS be§ S)enlmate, weil an feinem guße bie
2:reppenftufen eingefd^nitten jtnb, fo baß man e« an bie redete
Sireppenrampe fefeen muß. S)aß eS aber tieHeid^t in ber 3lä^t ber
3eu«gruppe anjunel^men ifl, bürfte fid^ auÄ bem Slbler ergeben, ber
bod^ rooi)l ber Umgebung be8 l^ödjiflen Sottet angel^ört Idat.
Sefäßen mir nid^t« ton bem ©aujen, afe jene einjelne geu^
©ruppe, fo mürben wir nid&t im gmeifel barüber fein lönnen, baß
mir e« mit einem Äunftmerfe erflen SRange^ ju tl^un l^aben, ba« im
SHl^tit^muiJ ber 2lnorbnung, in fd&mungtoHer Jtül^n^eit ber »e«
megungen, in großartiger ton tiefem SJerftänbniffe be« organifd^en
ßeben^ getragener gormbe^anblung unter ben antuen SBerfen feinet*
gteid^en fud^t. Silber faft ebenfo toUftänbig ifl uniJ gfüdflid^ermeife
bie ©ruppe ber Slt^ena erl^alten, meldte in 3lufbau unb an=
SDie ^)crgamentf(i^cn gwnbe. 237
orbnung fid& aU ia^ ©egenüber ber 3^w^Ö>^uppe ju erfcnnen gibt,
an lünpierifd^cr »cbcutung il^t ebenbürtig. & wäre nid^t unbent
bar, bafe bie 3euiJgruppe an ber gront be« ©ebäubed bie ^aupt^
ftelle red^tg von ber Ireppe, bie atl^enagruppe bann ben entfpred^en=
ben ^piaft jur Sinfen eingenommen ^otte. a)0(| bemerle i^ auS=
hxüdli^, bofe bie^ einfttoeUen nid^t« anbre« ifl ate eine SBermutl^ung.
atl^ena, beren »ruft bie Segid bebe*, eilt in Kil^nem 3luS:=
fd^reiten l^eran, bie l^ol^e ©eflalt von baufd^enben @en)anbfalten um-
raufd^t, unb padtt mit ber gauft einen von i^r ju »oben geworfenen
©iganten am ©d^opfe, ber mit ber Siedeten il^re fianb loöjumad^en
ftd^ abmül^t ältl^enaS Aopf ifl }erft5rt, aber ber jugenblid^e bartlofe
il^reÄ ®egner^, beffen fd^merjburd&judCteiS antlife oon roilber Sodfen-
fülle umral^mt wirb, l^at fid& au» tjerfd^iebenen Splittern glüdflid^
jufammenfelen laf(en. & liefert ben Sen^eiS oon bem ergreifenben
tragifd^en ^atl^oö, beffen ber Äünfiler biefeö SBerle« fällig mar. Um
biefe ©eftalt nod^ ganj befonber» l^eroorjul^eben, l^at er i^r ein
boppelteiS ^lügelpaar gegeben, bad an bie p^antafüfd^en ^lügelmefen
ber affprifd^en Ännft erinnert, l^ier aber mit bem l^ol^ien ©tilgefül^le
ber gried&ifd^en 5ßlaftil fid^ organifd^ bem l^errlid&en aRenfd^enförper
anfd^miegt. SBäl^renb bie ^auptgefialten alfo ben @d^lugmoment
eine» Qmxtanap^t^ barftetten, fieigt fd^merjoott flagenb bie ^albfigur
ber SKutter ber ©iganten, 0äa, burd^ bie beigefd^riebene »ejeid^nung
FH über allen 3w>^if«t erl^aben, aus bem »oben empor, bog ©efid^t
leiber jerjiort, ber Äopf aber T)on einer ^lutf) löftlid&er SRingellorfen
umfpielt. ©ie l^ält in ber JQanb ein f^üDl^orn mit f^üd^ten; über
il^r aber eilt bie Jugenblid^e SRile l^eran, ber fiegreid^en ätl^ena ben
Äranj ju bringen, aud^ l^ier nimmt ba« a;i^ier ber ©öttin am
Äampfe tl^eil, benn mir feigen if)xt ©d^lange pd^ um baS Sein beS
©iganten ringeln.
SSBeld^er Steid^t^um an AompofttionSmotiDen unb äluSbrudEd-
mittein bem großen pergamenifd^en Äünfiler ju ©ebote fianb, er=
tennen mir mieberum an einer brittcn §auptgruppe, meldte bie
^efate jum SRittelpunft l^at. ^Diefe ift fd^on beSl^alb oon ^ol^em
Sntereffe, meil Re uns bie fonft faum auf gried^ifd^en aWonumental^
merfen uorlommenbe ©efialt ber mel^rlöpfigen unb fed^Sarmigcn
©öttin ber Untermelt torfü^rt. ©n ncucS 3^^^^" ^^^ ^^^ ®i^'
238 Xie pergamenifc^en ^unbe.
flufe ber pl^antaftifd^cn ©öttetflejiaüen bc^ Drientö ttuf bie fpä^
gtied^ifd^e jlunft. 3&a^ fte in il^rer ^ugenbieit in mül^famem 9Kngen
abgesteift ^atte^ nimmt fte am (Snbe i^rer Selbflänbigfeit nod^ ein-
mal toiebex auf^ fteilid^ in bem ftegteid^en Semit^tfein, bo^ il^r
übetlegened Sd^ön^eitSgefü^I aud^ biefe monfhöfen Silbungen }u
bejroingen im ©tanbe fei. SBir fetien bie ^o^e, reid^ befleibetc,
x>on mäd^tigem ^altenfd^Iag umtaufd^te @eflalt ber ®ottin Don ber
9lädffeite^ in ber einen j^anb eine ^adel Aber il^rem Raupte fd^rotn-
genb, mit ber }n)eiten redeten ^anb ein ©d^mert {fidenb^ »al^renb
ber britte redete arm in fjlad^relief nur angebeutet i|l. ßbenfo er^
blidten mir neben il^rem iniS $roft( gefteDten Aopf einen {meiten
jtopf von befonberd l^erben formen. S^ro^ aOer fiunftooDenbung
mutl^et un« bod^ biefe an inbifd^e Dielarmige ©otterfiguren er-
innernbe @eflalt fel^r munberlid^ an. ©(eid^mo^I la^t ftd^ nid^t
leugnen, bag bad S)äflre, ^ämonifd^e einer ^etate baburd^ ergreifenb
unÄ tor saugen tritt.
3ltbtn il^r eilt Slrei^, ben mattcnben igelmbufd^ auf bem flarf
befd^äbigten Raupte, jur ^ilfe l^eran. S^enn e« gilt einen l^orten
Äampf, ber inbefe fid& feinem ©nbe juneigt. 3"^^ SRed^ten ifi ein
®igant üon mäd^tigen formen ju »oben geftürjt; crgreifcnber
©d^mcrjenaaui^brud burd&mül^lt bie 3^8^ f^i«^* breiten ÄopfeiS, in
beffen ton jlruppigem $aar umborfieten Sladfen ber treue Begleiter
fielateö, ein grimmiger moloffifd^er SBolfgl^unb, eben fein furd^t=
bare^ @ebij3 f dalägt. @d ifl bie S^obedmunbe, benn fd^on oerlä^t
bie Äraft ben §ingcfunfenen, unb in feiner meijierlid^ bel^anbelten
$anb erfennt man bie ©rfd^laffung beginnenber ägonie. auf ber
linten Seite beifet ein anberer SBoIfi5l|unb tbm in ben Seib eine«
jmeiten @iganten, ber fid^ ebenfalls nid^t lange mel^r miberfe^en
toirb. 3$on ber SButl^ beiS 5lampfei^ gibt aber nid^tS einen fd^lagem
beren SBemeiiS, aU bie beiben @iganten::@d^langen, meldte ftd^ em-
porrtngetn unb mit grimmigen Siffen einerfeit« in ben ©d^ilbranb
ber ©öttin, anbererfcitö l^eftig jerrenb in i^r ©etoanb einbauen.
9Wan lann nid&t« frappantere« feigen, al« bie bösartige SButl^ biefer
Seftien. Unb ^ier vor attem mirb e« flar, meldten äSort^eil ber
Äünftler für mannigfaltige Belebung feiner Äompoption au« ber
fabelliaften 2)oppelnatur ber ©iganten fd^öpfte. "S^mn obwohl
^ie |>ergamentfc^en ^unbe. 239
einjelnc, mc wir f($on fallen, rein menfd^Iid&c ©eftalt jeigcn, l^at
bo^ bie Wlt^xiaf)l jene p^antafiifclie Ȇbung, weldjie bie menfd^Iid^
geformten Seine in ©d^langenleiber auslaufen lägt, bie aber i]^rer=
feitö TOieber in ©d&langenlöpfen enben; bal^er fmb benn aud^ bie
©d^uppen, weld^e in forgfältigfier augfü^rung bie ©d^langenteiber
bebeden, in il^rer SRid^tung burd^ bie ÄSpfe ber 2;^iere, nid^t burd^
bie )u i^nen ge^örenben SRenfd^enleiber bebingt.
9tod& eine »emerlung ijl l^ier am ^piafee. Son ber ununter-
bio^mm fortfd^reitenben S3en)egung bed ^riefed gibt red^tiS am
(Snbe biefer ©ruppe ein in bie platte ^ineinragenbeg »ein einer
nad& red^t« auSfd^reitenben (Söttin 3«w9«i6- ®ßt gufe i|l mit bem
reid^ unb jierlidji üerfd^lungenen SRiemenwerl eineiJ ©anbalenfiiefel^
d^end betleibet, wie beten auf ben übrigen S^l^eilen beS großen
aSerlei^ nod^ eine gute ainja^I in immer neuen Varianten mit bc^
fonberer Vorliebe auiSgefül^rt finb. SBBir erinnern unS nid(|t, ber=
gleid(ien fonfl an ben 9Reifiem)ertett ber älntile gefeiten ^u l^aben.
®g fd^eint eine ©pejialität beg pergamenifd^en aReifterS, ber fein
aBerf fo reid^ unb glänjenb wie möglid^ augfiatten tooKte unb in
ber ©orgfalt ber arbeit fid^ nid(|t genug tl^un lonnte.
3n einer anberen ®ruppe fielet man eine ©öttin in reid^ be^
Baubeiten ©eradnbern bal^inflürmen unb nad^ red^tiS geraenbet einen
©iganten verfolgen, nad^ toeld^em fte mit aSer SRad^it ein von einer
©d^lange umrounbene^ ©efäfe fd&leubert a)a8 befonberS reid& be:=
l^anbelte JQaar, ha» ein}elne Södtd^en an ber Sßange, bie toeid^en
3ügc beS jiemlid^ too^Ierl^altenen Äntlifte«, ba& von einem ©d^Ieier
umwallt wirb, bie in ber ^ifee beg Äampfe« losgegangene, in einer
33lume enbenbe ^erlenfd^nur, baS fpiralförmige Ärmbanb, enblid^
baS prad^tige @ewanb, beffen Bewegung an bie 9liobibe beS SSatitanS
erinnert, aOeS bieS fd^eint mir auf apl^robite ju beuten. 3)aS ©e^
fä§ in il^rer^anb ifl freilidd nod^ nid&t erflärt; aber warum foHte
bie ©öttin ber ©d^önl^eit, rozldjtx fonfi feine ÄriegSwaffen ju ©e^
böte flel^en, nid^t ein töftlid^eS ©efä^ ergreifen, um bamit ben
©egner ju »oben ju firedfen? ^\)x am erften unter ben ©öttinnen
wate fold^ ein Slot^bel^elf in ber 5Rotl^wel^r jujutrauen. kleben ll^r
fd^reitet ein jugenblid^er ©Ott über ben Äörper eines niebergcfiürjten
©iganten bal^in^ beffen fd^merjerföttteS ©eftd^t mit ben bcrben
240 2)ie pergamenifc^en ^unbe.
3üßcn unb bcm fituppigen §aar an ben fierbenben ©aHicr gcs
ma^nt.
3u ben befietl^altenen ©ruppen gel[|ört fobann bte, lueld^e auf
feinem feurigen 93iergefpann ben ^elioiS bcrfleUt ©ein lodKgeS
^aupt ift t)on einer @tirnbinbe umtDunben; bie fd^lanle @efialt,
von lang flie^enben galten au^brud^DoS l^eroorgel^oben^ rotnhtt
[\^, tni^ Profit gefiettt, nad^ linte, wä^renb ein Söngting üon
freieren gormen bem ©efpann oorau^fd^reltet unb bie auf einem
feurigen SHoffc rüdUngi^ fifeenbe (Soö ben ßug eröffnet. 6^ ift etma^
@ntl^ufiaftifd^ed^ bod biefe fd^mungDoUe @ruppe burd^l^aud^t. %id^t
fern bacon feigen mir eine anbere ®öttin, beren üppig meid&c
formen ton einem }ierli($en ®emanbe oerl^fiOt merben^ meld^eS,
ton ber Hnlen ©d^ulter ^erabgleitenb , Sßaden unb ©d^ulter frei^
gibt. 3lud^ ber Äopf mit bem reid&en ßodten^aar jeigt tolle, runbe
formen. Sie fifet bequem l^ingegoffen auf einem Stoffe, beffen
dtüätn ein ^ant^erfeü bebest. 9Bir l^aben in il^r moldt ©elene ju
erfennen.
SRod^ eine britte Sfteiterin jeigt fid^, auf einem Sömen fifeenb;
ol^ne 3w^if^I ^^^ afiatif(i&e Slrtemi«. Sieben il^r fd^reitet jut Siedeten
eine fämpfenbe ©ötlin über einen jufammenbred^enben älteren ©i-
ganten bal^in.
S)ie Äpbele fobann glaubt man in einer fd^Ianfen ©ejialt ju
erfennen, bie man tom Slüdfen jtel^t, mäl^renb il^r Äopf nad& linfe
in^ ^rofil gefieDt ift. Ueppige SUngelloden flutl^en über ben Sladten
bis auf ben Siüdten l^erab; befonbers fein ifl baS ©ettanb bel^anbelt,
fo bafe man unter bem bünnen aWantel bie galten beS Unterge^
manbeS burd^fd^immern fielet. 3n ber l^od^erl^obenen Siedeten fd^mingt
fie eine fianje, ein Söwe fd^reitet ate treuer SBegleiter neben i^r.
9Jod^ mel^rere tereinjelte ^platten mit ßömen gel^ören tielleid&t in
bie Umgebung biefer ©ruppe. ©o ein fragmentirter Söme, in
beffen SBcid^ie mit gewaltigem Stritt fid^ ein aWannerfufe fefit. Stament^
tid^ aber ein anbereS größeres SBrud^ftüdf, tteld^eS tietteid^t nod^ mel^r
afö jenes ben änfprud^ barauf ergeben lann, bie Äpbele ju cnt-
Italien. S)enn mir fe^en l^ier eine großartige meiblid^e ©eflalt,
meldte in ber erhobenen SRed^ten bie gadfel fd^mingt, d^nlid^ wie
wir eS bei firfate gefunben l^aben. Sieben il&r fd^reitet ein Söite
^ie pergamenift^en gfunbe. 241
bal^in, (ober ifl'« ein aßolf^l^unb ? bie platte jetgt ftarfe 3«^tö^w"fl)/
ber grimmig in ben @d^(angenfd^iDeif eine^ lämpfenben @iganten
beigt. "Sit^t^ eine Begleiterin^ bie xa\^ ba^infd^reitet, in ber SSe-
n>egung nid^t unä^nli(i^ ber ^elate; linfd ebenfalls eine tämpfenbe
tJrauengeftalt.
SetDunbemi^würbig finb aOe jene Sötoenfiguren bel^anbelt^ be-
fonber^ roeid^, mit malerifd^er SEBirfung bie SWäl^nen burd^gefü^rt.
Slid^t minber auiJgejeid^net ift bie ©d^ilberung be^ ^pferbe^, in
beRen Äopf unb ©lieberbau nod^ ettoai^ t)on bem großen ©til ber
ißcrtl^enonroffe nad^tlingt, toäl^renb in Sin^ell^eiten^ im hervorheben
ber albern unb ber Keinen ^autfalten ftd^ ein flär!erer ^au(|i be^
5Raturali^mud bemerllid^ mad^t. älber fämmtlid^e Stoffe flel^en an
flilooQer Sel^anblung ben n^eit realifUfd^eren ber römifd^en @poä)e
voran, ©o finben wir auf einer jd^önen platte ein ^eranfprengen^
be^ 9ioffepaar, unter beffen §ufen ein jufammengebrod^ener ©igant,
beffen Äopf \id) in ben ©oben )u oergraben fd^eint, eben T)erenbet.
aCBeiter fielet man eine ®öttin mit reid^ ffiefienben ©ewanbem auf
einem 9lo§gefpann, ton beffen SBagen fie eben l^erabfd^reitet, um
il^ren Knien gujs mit jierliddem ©anbalenfd^u^ auf ben Äopf eineiS
lugenblid^ fd^önen ©iganten }u fe^en^ ber entfeelt am 93oben liegt.
Sieben il^m ift ein ©effil^rte ebenfalfö jufammengebrod^en, beffen
lodfige« §aupt mit bem ©eftd^t fid& in bie (Srbe einbol[irt. SRod^
ein anbereÄ B^^fl^fP^^^ tf* brud^Rüdfioeife erl[|alten; babei eine
geflügelte Sünglingi^geftalt mit lodtigem §aar, ba^ ton einer ©tim-
binbe jufammengeldalten wirb; ein ©emanb um^üttt bie faft roeib-
lid^en formen beÄ Äörper^, beffen ©ruft ein breitet 33anb umjiel^t.
3n l^eftiger Setoegung l^olt ber 3"«9Kng/ bie Sied&te l^od^ über ben
Äopf jurütfwerf enb , ju einem fiieb mit bem ©djiroerte gegen eine
unbeutlid^e^ in ein ^^ierfed gel^üHte ©igantengeftalt aud. ®d ift
ein Snotio^ bad al^nlid^ axjx %xu& ton ^^igaleia und begegnet.
Slud^ bad ^agment eine« ^egafud ^at ftd^ erl^alten. 3^ 3«-
fammenl^ang bamit bürfcn wir bie ^platte mit ber leiber beö Äopfe;^
beraubten ^igur bei^ SlpoSo ^eroorl^eben, ben man an ben eblen
jugenblid^en formen bed nadften ÄörpcriJ, eine« ber fd^önfien unter
attcn, unb an bem über bie »ruft fid^ l^injie^enben ftöd^erbanb er-
lennt. Ueber ben ^od& audgejhedften linfen Slrm fällt in breiten
16
242 X\e |>ergamenif<^en g^uttbe.
SWaffcn bcr 3)kntel l^erab, burd^ bie lebenbige SRcIobte feinet %aU
teniDitrfi^ bie iDetd^e Sd^önl^eit bed nacften Jtörper^ nod^ me^t l^er^
Dor^ebenb. SBie loirffam fold^er ©egenfaft ift, Ifi^t ft(| fd&on an
bcn aWctopen bc^ ^ßart^enon ctlenncn. SBeitcr vermögen wir,
aUent anfd&cine nad^, §eralle^ nad^juioeifcn in einem fraftoollcn,
bärtigen $ero8, bcr mit ber Äeule ju einem ©d^Iag au«l^oIt. 35a=
neben fielet man eine @öttin einen jugenblid^en ju 8oben geftäriten
©iganten am ©d^opfe faffen, ber fid^ mit ber §anb t)on ber Unu
tlammerung ju befreien fitd^t: ein &l^nlid^ fd^on bei ber atl^ene
angetroffenes aRotiu. ©in anberer mit ber fteule Ifimpfenbcr ®ott
ifl in ben fd^on frä^er bem SRufeum jugetommenen Srud^fhiden
erl^alten. 6r fd^toingt feine SBaffe über einen ju »oben gefunlenen
©iganten, beffen bärtiger Äopf in gorm unb patl^etifd^em SluSbrudt
ein aSenoanbter be« Saofoon iji,
©afe in einer ©igantomad^ie aud& ber aWeereögott mit ben
fjabetoefen ber ©aljPutl^ eine SioHe fpielen muffe, unb bafe ein
gried^ifd^er Äünfiler bie« banfbare 3;^ema mit SSorliebe ausbeuten
loerbe, liefe ftd^ im porauö benfen. 3n ber ^at finben n)ir Sßo=
feibon in einem Smd^fifld, ba« {mar weiter nid^ti» bietet als bie
©efialt be« ©otteS, aber bafür gel^ört biefe ju ben.l^errlid^fien
unter aKem äSorl^anbenen unb ift aufeerbem burd^ ooQfiänbige Sr-
Haltung be« JlopfeS auj^geseid^net Unb meld^ ein jlopf ifi bte$!
im aOBefentlid^en bie formen unb ber %yp\x& beS Qtn», aber burd^
einen leibenfd^aftlid^en äuSbrudt, burd^ bie milbflutl^enben SWaffen
ber ^aupt:: unb Sartl^aare )um gl^arafter ht» ©otte« ber fiärmifd^
bemegten 3ReereiSflut]^ umgetoanbelt. Sßäl^renb bie unmittelbar ba}u
gel^örenben a;i^eile ber Äompoption nod^ nid^t gefunben pnb, fe^lt
t& jebod^ nid^t an 99rud^flüdlen, meldte offenbar ber Umgebung ^o»
feibotiö jujutoeifen finb. ©o junäd&fi eine grofee ^platte mit bem
aSorbertl^eil eine« ©ee - Äentauren, beffen menfd^lid^er Dberldrper
burd^ aSermittelung t)on jadRgen ^^if^P^ff«« i" ^in^n 5Pferbeleib
übergel^t. an ben ©d^ultem bemerft man ben änfaj eine« glüget
paare«, ba« burd^ einen ftomm borfiiger gifd^floffen etwa« 5p^ans
tafiifd^e« erl^ält. ®r fämpft mit einem fd^on ju »oben geworfenen
©iganten, weld&em ber Äünfiler in meifer Sered^nung ber Äontrafie
t)oae aWenfd^enbilbung oerlicl^en l^at. S)a^in gel^ört femer unter
3)ie pergQinenif(^en f^unbe. 243
ben frül^cten »cjt^ßüdcn bc^ aWufeumä eine Xa^d mit bem grag?
ment einci^ dl^nlid^ gcfienten ©ee^Äentauten, bet fid^ in fü^nex
Äampfbeweflunfl ^od^ emporbäumt. Unter i^m ringelt ftd^ ein
©igantensSd^langenfd^meif, ber ebenfaDte in pl^antaftifd^er 3Beife mit
gifd^floffen auggejiattet i|i.
3u einer anberen ®mppe mu§ bagegen ein fernere« 8ru(i&Püd
jened älteren, au« ber ißumannifd^en Sd^enlung ftammeuben SBeft^e«
gejault merben, auf meld^em man einen fragmentirten ©iganten
fie^t, ber ben mit einem S^^ierfeQ umtoidelten redeten 9lrm loie jur
aibioe^r emporftredt, toäl^renb unter i^m ber DoKflänbig erl)altene
Äopf unb Dberförper eine« om »oben fnieenben jugenblid^en, bart=
lofen ©igonten mit flruppig emporgeflräubtem ^aar fid^tbar toirb.
e« ifl mieber eine« ber l^errlid^fien ©tüdfe biefer Äompofition, fprü^
tienb von fieben«(raft
aSon ben übrigen Srud^ftüden fei junäd^ft nod^ einer fel^r
fc^dnen, aber flart Derflfimmelten platte gebadet, meldte bie üppig
toeid^e ©efialt be« S)ion9fo«/ von {toei jugenblid^en ©atpm be-
gleitet, in rafd^em a3om)ärt«eiIen barfiettt. S5en)unbern«n)flrbig er-
fd^eint bie Klnfilerifd^e geinl^eit, mit toeld^er ba« »ein be« ©otte«
bel^anbelt unb von bem jarten Sein be« paraBel mit i^m geseilten
©att)r« unterfd^ieben ift: eine Änorbnung, bie wie ber leife Slad^l^all
einer Iräftigen SRelobie wirft. 2)er Dbertörper be« ©otte« ifl mit
bem feingerippten Sffiottend&iton befleibet, ben wir an ber ärtemi«
oon. SSerfaiHe« tennen unb ben wir mel^rmal« bei ben pergamenifd^en
arbeilen antreffen. SBeiter ifi eine l^enlid^e toeiblid^e ©emanbfigur
^etoorjul^eben, beren übergefd^Iagener SKantel jwifd^en bem linfen
Cberarm unb ber Srufi präd^tige fjaltenmotioe ergibt Qa ben
gemaltigften ©jenen gel^ört fobann eine grofee ^platte, meldte einen
{iarf au«fd&reitenben ©Ott, leiber nur in ben unteren S^l^eilen er^
galten, barfieDt, wie beibe Seine oon mäd^tigen ©d^Iangenleibem
ummunben toerben: toieberum an ben fiaoloon erinnemb, aber
DieHeid^t nod& mäd^tiger al« biefer. Dann loieber jeigt ftd^ auf
einem anberen Srud^ftüdf ein jufammenbred^enber ©igant, bem eine
goup ba« ©d^toert eben bi« an ba« igeft in bie »ruft bol^rt, fo
ba^ ba« Ungetl^üm, jum 2:obe getroffen, ba« toilbe fiaupt fenft, ba«
auf einem roulfüg l^omartigen ©tiernadfen fifet. ©iefer unb ber
244 S)ie pergamenifd^en g^unbe.
eine ©igant in bet ^efategtuppe ftnb am meiflen t^ietö^nlid^ voiü
bargefieUt. Sin anbetet ©igant, beffen Sd^Iangenfd^ioeif ftd^ ^od^
empottingelt, gt^if* P^ tnit bet gauft, wie x)on plöfelid^em ©d&metj
gepadft, in» bufd^ige ^auptl^aat, wäl^tenb eine ®öttin mit lofc x)et=
plltem Sufen i^n belämpft. ®iefe ®tuppe fielet in ©ebiegen^eit
bet SBel^anblung nod^ etwaig jutüdE; ba^felbe gilt aud^ von einem
anbeten S3tu(%fiüdf, auf roeld^em man eine männlid^e unb eine roeib-
lid^e @eftalt bid^t neben einanbet fd^teiten fielet : im f^altenftil etwaig
gleid^gültig unb lonoentionell. 3m Uebttgen mufe e» atö fel^t be::
ad^tendn)ett]^ l^ett^otl^oben wetben^ ba^ weitaus bie SRel^tja^I biefet
au^gebel^nten Sltbeiten von nal^eju gleid^et äSoUenbung unb S)utd^^
fäl^tung finb. S)ad beutet auf eine @d^ule, n)eld^e butd^ langen
3ufammen]^alt untet einem tonangebenben 9Reiftet ftd^ ju gteid^-
mäßiget fiöl^e Klnftletifd^et ©ebiegenl^eit l^etangebilbet §atte.
3m aSotflel^enben l^abe id^ eine futje Sefd^teibung bet Steile
be» fjrtefe» ju geben x)etfud^t, bie bi« jefet in mel^t obet minbet ju^
fammenl^ängenben SBtud^ftüdfen fid^ etlennen lajfen. SJie» SBenige
bütfte fd^on ^inteid^en, auf bie ©tofeattigfeit be» ©anjen ju fdjilie^en,
SBte Diel aud^ unn)iebetbtingUd^ vetloten fein mag^ ba» @tl^altene
genilgt iut (Stlenntni^/ ba^ n^it Ijiet^ mit aSeiniget 9[u»na§me be»
^attljenon, ba» umfangteid^fte unb et^abenfie aßonumentaltoet! bet
gtied^ifd^en ^laflil DOt 9(ugen ^aben. 9)em JtfinfUet tt)utbe eine
älufgabe gefteUt^ mie fie gtö^et fflt einen ©tied^en nid^t )u beuten
mat. 9lod^ einmal, el^e bie ^ettlid^Ieit bet l^eDenifd^en Sßelt fat
immet jufammenbtad^, butfte et bie ganje ©öttetfd^aat batfieOen;
nid^t in feiiget SRu^e, wie 5pi^ibia» in glüdflid^eten SJagen bie Dlpm^
piet auf bet Dftfeite be» ^attl^enon l^atle fd^ilbetn bütfen, bem 5efi=
juge eine» eblen, fteien äSolfe» jufd^auenb, fonbetn wie e» Rdö füt
bie fpäteten, von Äämpfen aUet Sltt butd^tobten 3^i^^» jiemte, im
gewaltigen ©tteit gegen ein übetmüt^ige», etbentfptoifene» ©efd^led^t.
S)ie ganje Soweit unb ©d^ön^eit, bie üolle Ätaft unb Stnmutl^ bet
©öttet butfte bet Äünftlet üon ißetgamon entfalten, in gefieigettem
affelt, in leibenfd^aftlid^et »eroegung be» Äampfe». ät» ©egnet
abet boten fid^ i^m bie p^antajlifd^en ©eftalten bet ©age, in rotU
d^en et alle ©d^attitungen oom einfad^ menfd^lid^ at^letifd^en bi»
in» SBunbetfame, Ungel^euetlid^e, ja »eftialifd^-SBilbe jut ©tfd^einung
^ie pergamenifc^en gunbe. 245
bringen burftc. Unb mit wcldjer güllc von ^^antafic ^at er biefer
Aufgabe genügt ! 2Bie ^at er feine ©iganten burd^ bie ©(i^Iangen:?
fü^e, bie wieberum felbfl ju mitldmpfenben Unget^ümen werben,
beren SJrad^cnlöpfc äffen ©ximrn einer bämonifd^en 5Raturfraft aug=
^aud^en, in^ ungel^euerlid^ ©ro^artige gefleigert! Unb xoie \)at er
ferner (Sinjelne no(i^ bQ}u burci^ ^ügel, ben ^auptgegner ber Sltl^ene
fogar burd^ ein boppelte« ^aax, anbere roieber burd^ ein fiinein=
}ie§en von ©lementen mariner SBilbung, t)on glojfen unb ©d^uppen
ber Ungeheuer ber 2;iefe, nod^ p^antaflifd^er geftaltet! Ueberblidft
man biefe ©d^aar, in roeld&er äffe bämonifd^en Oeroalten fid^ ju
Derlörpern fd^einen, fo mufe man gefielen, bafe eö teine geringen
©egner finb, benen bie ®ötter entgegenjutreten l^aben, Unb bod^
^at ber Äünflter auf feine SBeife t)erftanben, un8 leinen äugenblid
barüber im S^^if^^ J" toff^"/ bafe bie jtegreid^e 9Kad^t auf ©eiten
ber fiimmlifd^en ift. SBir feigen nirgenbÄ einen ©iganten $anb
an einen ®ott legen; nur bie beiben ©d^Iangenföpfe ber ^elate«
gruppe gelten in unbfinbigem ®rimm über äffe anberen l^inauÄ;
aber aud^ fie wagen pd^ nur baran, in ben ©d^ilbranb ber ®öttin
JU beiden unb an il^rem ©etoanb ju jerren. ©o ift bie unnahbare
Ueberlegen^eit ber ®8tter gewal^rt.
Sieben biefen ibealen unb p^antafHfd^en ©lementen roufete ber
Äünfiler aber aud^ bie S^^ienoelt in mannigfaltigfler SBeife feiner
5lompoFition einjui[)erleiben. Söroen, ^ßant^er, aWoIoifer^unbe, 9toife
von ebler 33ilbung med^feln mit Slblem, ©d^Iangen unb anberem
®et^ier, tl^eitö attributiv, tl^eite in lebhafter Äampfbetl^eiligung,
tl^eils enblid^, wie bie SBagenpferbe ber S^Jei- unb SSiergefpanne,
im 2)ienfle ber ®ötter. ©o ergibt fid^ ein Sieid^tl^um unb eine
üRannigfaltigfeit ber gormenroelt, bie ein unerfd^öpflid^ malerifd^e^
Seben in bcS große ®an}e bringt, ©d^on an^ bem SJorl^anbenen
läfet fid^ erfennen, ba§ in biefer ^infid^t ber pergamenifd^e grie«
affe^ anbere, ba§ bie Süntife barbietet, übertrifft.
S5ieÄ materifd^e Clement üerbinbet fid& mit bem l^od^gejieigerten
bramatifd^en, ja pat^etifd^eu S^aralter be^ ©anjen ju lebenbiger
SBed^felroirfung. 6^ l^enfd^t eine Äü^nl^eit unb greil^eit in ben
Seroegungen, bie iebcö leibenfd&aftlid^e ^anbeln meifter^aft jum
auSbrudf bringt. 3luf ©eiten ber ®ötter, foroeit wir urtl^eilen
246 S)ie pergomenifc^en ^unbe.
lönncn, feigen wir ficgc^gcmfee ©rl^abcnl^eit, bie aber in einjelncn
gällen fid^ mit ungcjlümer Äampfeölufl x)erbtnbet. SDabei ifi eine
lebenbige Sbfhtfung nad^ bem Sl^arafter ber t)erfd^iebenen ®ott-
l^eiten bem AünfUet gelungen* !6ie teid^ere Slata bed SuSbrucf^
freilid^ ftnbet ftd^ natutgem&| bei ben @iganten: 2^ro^ unb iomige
äButl^^ bflftetet ©rimm^ unb&nbige SBilbl^eit^ bie im bunflen @efül^[
i^ter O^nmad^t gegen bie l^öd^flen ®malUn ftd^ aufbäumt^ aber
aud^ bie gan}e älbßufung bitterer @mpftnbungen^ von bem ibealen
®d^mer)en^au8brudt in ben jugenblid^en jtöpfen biiS ju bem S^obed-
judfen unb erjlarren in ben älteren, ift l^ier ju Dollenbeter 2)ttr-
pellung gebrad^t. SBir erlennen einen ÄünfHer, ber bie ©eelen^
regungen in ä^ntid^ t)olllommener äBeife bel^errfd^t, wie bie SReifter
beS Saoloon, ber 9tiobegruppe, bei^ fterbenben ©adier^.
Unb bieiS aUe^ i|l in einer ^^ormenfprad^e gegeben, bie birett
Don bem großen 3i>^<^Ii^i^i<^ ^^^ attifd^en Sd^ule abflammt, in ber
@rö^e unb SBreite ber nadten S^l^eile wie in ber unerfd^öpflid[ien
^in^eit unb SRannigfattigleit ber ©ewanbbel^anblung gleid^ t>o(I=
lommen baflel^t. 9)abei ift 3(IIei^ ed^ter 3Rarmorflil, Don einem
©d^mel} unb einer buftigen SBeid^l^eit ber 93el^anblung,.bie burd^
ben golbigen Xon ber Oberf(ad^en nod^ gefteigert wirb; aber bie$
aSeid^e ift nid^t auf Äoften einer firengen goVmgebung erfauft, Diel-
mel^r l^errfd^t jene^ tiefe SSerflanbnife beiS Äörper^, baS in ber innern
äri^iteltonil bes Drgani^mu^ x)oIItonimen ju ©aufe i|l. S5er
Anod^enbau unb baS @piel ber SRui^Ieln lommen ju DoUer ©eltung,
werben aber burd^ j[ene SBeid^l^eit in ber S3el^anblung ber Dberflfic^e
bem Sluge i[)ermittelt, weld^e ber SBorjug ber aRarmorted^nil ift.
@o l^aben wir eine Sd^ule t)or SKugen, bie burd^ lange ©ewöl^nung
in ber SRarmorarbeit fo DöQig ju ^aufe war, wie t^ einft bie
attifd^e ©d^ule unter ^l^ibiaiS, ©lopaÄ, ^ajitele^ gewefen. 3Slan
erlennt bieS namentHd^ an ber reid^ abgeftuften Sl^arafterifUI beS
^aareö, ba« in fürjcren Sodfen ober längerem ©eringel, in ftruppiger
SBilbl^eit ober breitem f^lujs ftetd in großen SRaffen angelegt unb
mit wenigen eingreifenben SHeiBell^ieben ju malerifd^ wirfenben
©ruppen l^erauögearbeitet ifi. SKan finbet benfelben ©til aber aud^
in ber meifterlid^ weid^en SBe^anblung beS ©efieber^ an ben ^^Ifigeln
ber ©iganten, ber ©ötter, ber Slbler, an ben Sl^ieroliej^en, mit
9)ie pergamenifc^en $unbe. 247
iDeld^en bie @tganten fid^ fd^ü^en, an ben SRäl^nen ber £ön)en^ bet
SRoffe unb bcr SBolf^l^unbe, enbltd^ an ben gloRcn unb ©d^uppcns
lammen ber %x\^t, 3;)rad^en unb fonfUgen f$abeln)efen. ^iti aUt&
lann nid^t fd^önet/ ni(i^t malerif(i^ mirifamet unb jugleid^ ptaflifd^
DoDenbeter gegeben metben^ atö eS l^iet gefd^e^en.
@benfo ifl aud^ an ben ®en)änbetn bod StoffUd^e fein l^eroot^
gel^oben: gegenüber bem in breiten^ tiefau^ge^ö^tten ^^altenmaffen
ba^inraufd^enben Sd^wung bei^ ißeplo^^ ber fo oft an bie (ül^ne
Bewegung ber SJiobibe beS SBatifan erinnert unb im SaSefentlid^en
auf bie fd^njungooU leibenfd^aftHd^e itunfl eines @topaS iurudCiu-
führen ifl, fommt baiS feine Sinnen ober bie gerippte SBoHe ber
Uebergemänber ebenfaHiS ju il^rem died^t^ fo ba^ aud^ l^ier ber
^ünfiler alle Sludbrudfömittel einer ini» SRalerifd^e gefleigerten gilaftit
)ur ©eltung bringt, ^n aUm biefen S)ingen beruht bie gried^ifd^e
Äunfl felbfi biefer ©pätjeit nod^ auf bem SBorgange beS Jß^ibia«,
ber }um erftenmal an ben ©iebeljiguren beS 5ßart^enon baS malerifd^e
Clement burd& feine ß^arafteriftil ber ©eroänber in bie ^laftif ein-
flefü^rt ^at. SRur ba^ baSfelbe in biefer nad^ effeltootterer 3)ar«
fiellung ftrebenben fpäteren ©pod^e fid^ nod^ reid^erer 3WitteI bebient.
3)amit Derbinbet fid^ bie Stnroenbung mand^er naturaliftifc^er SJe*
taitö: bie angefd^n)0 Denen Slbern am Körper beS ^tu^, bie fd^on
beim ^JJofeibon beS ^JJart^enon fid^ jeigen, bie fd^ärfere ß^arafterifti!
ber berberen ©iganten, bie j. 33. bei bem l^ingeftürjten alten in ber
^efategruppe felbfl bie S3ejeid^nung ber Qaaxt in ben äd^fel^ö^len
nid^t oerfd^mä^t, — übrigen« ba« einjige »eifpiel in ber ganjen
^Reihenfolge, fomeit id^ beobad^ten tonnte.
2)Ht bem malerifd&en ©tU l^fingt nun aud^ bie aufeerorbentlid^e
S;iefe be« SRelief« jufammen, bie in i^ren einjelnen Sl^eilen, ben
Äöpfen, Slrmen, SSeinen, [i^ t)öllig frei oom ©runbe Wfen, toä^renb
ber "ißlan fo oertieft ifi, ba^ man in ben ©ewanbfalten ben ganjen
Slrm bergen fann, unb ba§ ber fiintergrunb überaß für bie Sieben^
fxguren im jmeiten ^lan, für bie JBinbungen ber ©d^langenleiber,
biöioeilen aud^ für bie änbeutung be« Serraind burd^ ©d^ilf,
5ßflan}en ober bgl. auf« glüdlid^fte oerroenbet werben lonnte. SJa?
neben ift bann mieber auffallenb bie munberbare Sorgfalt ber 2lu«?
fü^rung bi« inä Äleinjle, bie befonber» in beit jterlid^en ©anbalen=
248 2)ie pergomcnifc^en gunbe.
fticfcfn uiib ben auf^ faubcrfte bargcfielltcn Sd^uppcn bcr Sd^fangen
jur ©citung fommt. Uni[)ct9lcid^It(i^ fürwal^t ifl bie SSirtuojitat
biefet %e6)nxt, bie ben flarren äRarmor beiDättigt aU xo&tt t^ toeid^
SBad^g, bie ben jarteften glufe her gormen, bie reijenbften ©piele
be3 ^altenn)urf^ jum 9ludbru<! bringt, unb in ber tiefen 9Iud]^ö§Iung
bcr ®rünbe, namentlid^ in ben Oeroänbern unb ben fid^ frei lo^^
löfcnben Äörpertl^eilen, eine SBraDOur befunbet, bie unfern größten
ÄünjWern ein Staunen abnöt^igt Unb babei biefe ©eroiffenJ^aftig^
feit, bie fid^ nimmer genügt, bie fefbft jene ganj t)erborgenen "^x^
im, bie fid^ bei ber äuffieUung bem Slidfe t)öllig entjiel^en mußten,
mit unerfd^öpflid^er Sorgfalt burd^bilbet : in bcr Sl^at ein SBerfa^ren
t)om ^öd^fien fünftterifd^cn SBert^, baö bei allem Streben nad^
5®irlung bod^ niemals in beloratiDC« ©d^einmefen pd^ Dcrirrt. Sud^
barin finben mir ben SWeifler t)on ^ergamon in ben Salinen be*
$^ibia^, ber äl^nlid^e ©emiffcnl^aftigleit am ^art^enon bemö^rt.
Stimmt man aUeiS bied jufammen, ben malerifd^en StiC, bie
pat^etifd^sleibenfd^aftlid^e Se^anblung, bie Äü^n^eit unb ©emalt
ber 3Rotii[)e, fo ift rafd^ ein SBergleid^ mit ber ©lulptur ber ©pal«
renaiffance unb beS Sarocco jur ^anb. ©icl^t man aber genauer
ju, fo bemerft man balb, roeld^ l^immelroeiter Unterfd^ieb, troft
fd^einbarer 93erül^rung$pun!te, beibe 5tunflrid|tungen Don einanber
trennt. SWid^t bloß in bem pra^Ierifd^en Sw^^fc^^wP^ß^n einer über«
tricbcnen 3Ru«fuIatur, fonbern me§r nod^ in bem bloß auf beforatio
malerifd^cn ©ffeft l^inarbeitcnben <Seu)anbftil ift jene SBarodfbilbnerei
weit Don ber pergamcnifd^en Äunjl entfernt, ©elbft ber Saofoon
jeigt in ber etroag gefd^mollencn aWu^IuIatur unb in ber manierifH«
fd&en §aarbe]^anblung bem SBarodtftil ftd^ x)iel näl^er tjcrmanbt, alÄ
biefe pergamenifd^en arbeiten, bie im firengen aSerjiänbniß beiJ
Äörperbaueö, in ber cinfad^eren, unbefangeneren, gefunberen S)ar-
(egung feiner ©d^ön^eit, anmutig unb Äraft, fid& weit mel^r atö
Grben ber Äunft eineö 5p^ibiai5 ermeifen. SWan brandet banim ben
Saofoon nid^t in eine wefentHd^ fp&tere 3^^^ i^ rüden; aber man
muß eö auöbrüdftid^ betonen, baß mir in ber ganjen antilen ?piajHI
gar nid^t^ lennen, maiS ben großen @iebelflulpturen bed ^artl^enon,
trofe einer weit me^r auf^ SUfalerifd^e gerid^teten Se^anblung, nod^
fo na^e ftänbe, fo Dcrmanbt, ja in gemijfem ©inne faft ebenbürtig
^ie ^ergamenifc^en ^^unbe. 249
Toäre, aWan bctrad^te j. SB. bcn S^w^t^^fo, ben ?pofeibon, bcn
3lpotto ober S)ionpfo§, unb man totrb finben, bafe l^icr bie ebclfte
SWaturempfinbung ft(ä^ in feinen d^arafterijlifd^en Unterfd^ieben aug«
fprid^t. 3lid{|t minbet lebenbig ift bag S^aturgefül^l in ber SBel^anb^
lung ber ©erodnber, bie auf ber SBafiS beffen, xoa^ ein 5ßl^ibiag,
5prajrftele§, ©lopa^ flefiä^affen, in i^rem ^alknxonx^ aufg feinfte
t)erfianben finb unb bur(J^auS bie gorm unb »eroegung be« ÄörperS
}um äludbrud bringen, bieiS aber aiiä) bid in bie jarteften Sieben-
motivt Deriüirflid^en, fo ba§ fie, wie alle gute antife Oeroanbung
eg t^ut, einer eblen Snftrumentalbegleitung äl^nlid^, bie HWelobie
bed ©lieberbaued au^flingen laffen. 3)ad aUed ifl t)on ber 93aro(f^
flulptur fo n)eit wie möglid^ entfernt. 3(ud^ barauf ifl nod^ ^in^
juweifen, ba§ bie ©eroänber ^M bei jenen (Seflalten, weld^e in
äl^nlic^er SBeroegung fämpfenb, bal^ineilenb, abwel^renb gefd^Ubert
finb, burd^ tool^Igerod^lte Unterfd^iebe jur ß^arafteriftil ber einjelnen
©ott^eiten beitragen : ba^ Swfl^^blid^e einer äpl^robite, baS ÜRatro=
naie einer ^etate, ba« Ueppige einer ©elene ift in ber SBel^anblung
ber ®en)änber mit fil^nlid^er ^einffll^tigfeit )um ätuSbrud gebrad^t,
wie e^ 5ß^ibiaS bei ben ©iebelgruppen be« ^art^enon burd^gefül^rt
^at SJabei pnb getoiife fül^ne 83en)egunggmotit)e, bie einer leiben^
fd^aftlid^eren Äunfi entfpred&en, bei mel^reren in gewaltigem ©türm
bal^inraufd^enben ©ejialten in ber fd^mungtjofferen Slrt burd&gefül^rt,
wie wir fte afö Slu^brud ber Äunft eines ©fopaS in giguren, wie
bie rafenbe SBacd^antin, ber fd^on ermähnten SKobibe be§ SBatilan
unb anberen fennen. ^ier wirft bie ©ewanbung wie ein reid^ be^
fefete« Crd^efler, baiS mit allen 2KitteIn einer l^od^ entwidfelten 3"=
flrumentation bramatifd^^patl^etifd^e Stimmungen fd^ilbert.
Unb fo werben wir benn bei genauerer Unterfud^ung be§ ©tils
biefer SBerfe immer wieber auf bie aSorbilber eines ^pi^ibiaS ober
©fopaS gurüdtgefül^rt, beren ©d^öpfungen biefe arbeiten l^ellenifd^er
©pätjeit fid^ afö unmittelbare geijltge 5Rad^foIger anfd^Uefeen. 2)enn
bie einjelnen, mel^r malerifd^en unb (man barf baS SBort nur nid^t
im attermobempen ©inne auffaffen) naturaliftifd^en (Slemente fmb
bie notl^wenbigen ©rgebnijfe einer mel^r auf baS ©ffeltoolle unb
^Patl^etifd^e gerid^teten ^ortentwidCclung ; bie ©runblage ber Stuf::
faffung unb beS ©tite aber ift unb bleibt eine burd^auS ibeale. SUfan
250 ^ie pergamenifc^en gunbe.
barf bie pergamcntfd^cn ©d^öpfungen bcncn ber attifd^en Slüt^ejeit
ungefähr fo gegcnüberftcUcn , wie bic S:ragöbieu cinc^ euripibe^
bcncn eine« ©op^oflc« unb Slcfd^^Iod. SBäl^rcnb aber bcr 3Wctflcr
t>on ^ctganton bcn alten ibealen ^rabitioncn ber attifd^cn Jtunfl
treu bleibt, fann nid^t genug betont werben, mit roeld^ fclbftänbiger
@enia(itat er babei oerfä^rt. SBo^I tann man einiclne SRottDe Don
©tcEungcn unb Semegungen herausgreifen, bie an filtere, an gewifie
aWetopen be« ißart^enon, an bcn grie« t)on 5p^igaleia, an bie
©lulpturen beS 3RaufoIeioniS erinnern, xotnn aud^ nid^t in ftärferem
©rabc, ali^ e8 bei Dcrroanbten Äampff jenen fid& immer wiebcr auS
ber Statur ber aufgäbe x)on fclbfl ergeben wirb. S)agegen fhrömt
baö ganje SBerf über t)on freien, lebenfiDotten, babei burd^auS ori-
ginellen unb padtenben 3Rotit>en. 9Bic bie beiben ©d^Iangen bie
^clate anfatten, wie ber abier bc« 3^«« feine %&nQt in ben Unter-
tiefer einer ©d^Iangc f dalägt, mie baS Qn^ammtnbxt^tn unb ber
5tobeStampf ber @iganten mannigfad^ gefd^ilbert wirb, boS aQeS ifl
ebenfo cigent^ümlid^ wie ergreifenb in (Sr^nbung unb äluSfü^rung.
Unb babei nod^ bieS bewegte, mannigfaltige Sl^icrleben, baS ade
@ebiete beS ^^ierreid^eS in ftd^ jufammenfa^t unb aud^ von ben
pl^antaflifd^cn äSerbinbungen menfd^Iid^er unb t^ierifd^er formen
einen ftärferen ©ebraud^ mad^t, als irgenb ein anbereS SBert ber
antiten jtunfl. ©prid^t fid^ barin ol^ne Qrotx^d ber Sinflug beS
Drtent» auS, bcm bie fpätgried^ifd^c Äunft fid^ wieber auSgefeftt fal^,
nad^bem fie in ber ^öd^jlcn SBIüt^cjeit bie gabelwcfen beS DftenS
aUmäl^Iid^ auSgemei^t ^atte, fo fönnen wir bod^ nid^t uml^in ju ge^
(teilen, bafe biefe Slufna^me frember formen ftd^ mit bem l^o^en
©inn für organifd^eS Seben unb für ©d^önl^eit tJoUjog, weld^er boS
erbtl^eil l^cKcnifd^en ©eifteiS tft. Unb wer möd^te biefeS p^antaftifc^
poetifd^c eicment miffen, weld^cS biefer ©d^öpfung einen foldjjen
ditii t>erlcil^t! 93ei aEem ^eft^alten an trabitioneUen ©runbiägen
ift e« ba^er ein SBcrl, baS burd^ Originalität unb grifd^e wunber=
fam feffett unb ju bcn größten aWeiflerfd^öpfungcn ber antifen 9Belt
gered^net werben mufe. SBir flellen eS entfd^ieben über bie f^efe
beS ÜRaufoIeioniJ unb oermögen, um bieg nod^ einmal auf baS »e^
ftimmtefte ju betonen, nur bie ?part^enon:©fulpturcn i^m an bic
©eite JU fefeen. Unb wenn man fd^on am ßaofoon bie funftpotte
S)te pergamemjd^en fyunbe. 251
SBerfd^Ungimg breier menfd^lid^er Äörper mit ben beiben ©d^fan8en==
leibern fo l^od^ rül^mt^ toie fteigt ba bie SBetDunberung bei biefem
pergamenifd^en griefe, »o ein &i)nli^t& 2;^enia in unenblid^ rei-
ö)txtn, immer neuen unb überrafd^enben aWotioen fid^ abmidelt!
Unb aud^ barin enblid^ mu§ man bem ÜReifter x)on 5ßergamon eine
l^erDorragenbe Stellung einräumen, bafe er fid^ in ber Sewältigung
einer fo bebeutenben 9lufgabe fletd in l^o^er ^eil^eit aU ftomponifi
großen ©tile^ betofil^rt. SJenn ba§ erl^eüt fd^on jur ©enüge au^ bem
SBorl^anbenen : man bead^te nur, weld^ rl^pt^mifd^er ©d^roung, toeld^
n)o^lbered^neteiS ©egenfireben, n)eld^e äSenu^ung t)on jtontraflen aUer
älrt ftd^ burd[)gangig geltenb mad^t. @d^on bie SSergleid^ung ber
beiben Hauptfiguren beS S^n^ ^^^ ^^^ Sltl^ena gibt bafär einen g(an^
jenben SBeroeiS; benn fie entfpred^en einanber in ber ©efammtmaffe,
fmb aber fo t)erfd^iebenartig aufgebaut unb entmidCelt, bag fte burd^
biefe a)lannigfaltigfeit, bie jugleid^ für bie beiden ©ötterd^araftere fo
bejeid^nenb unb leineiSn^egi^ blo| fo obenl^in aud malerifd^en ©efid^td-
punften gefd^öpft x% Sluge unb @inn entjädten. 9Rit einem SBort
alfo: Don n)eld^er @eite man biefe niunberooKen SBerle betrad^ten
mag, fte gel^ören ol^ne ^age ju bem ^errlid^ften, toad bie 9lntife
un^ l^interlaffen l^at.
Unb bod^ ifl biefer eine %m^, ben wir bi^^er erörterten, nur
ein 2;^eil, wenn aud^ ber mid^tigfie, biefer erftaunlid^ reid^en äu^-
ftattung. aSon jenem jweiten, nur ettba l^alb fo ^o^en griefe, ber
ol^ne 3^^^f^^ ^^^ innere 3;)e!oration ber oberen attitenartigen ^ade
gebilbet J)at, finb ebenfalls }a^lreid^e Srud^ftüdte erl^alten. S)a bie-
felben meift nod^ l^alboerpadt in ben ftiften ftel^en, fo laffen fie eine
einge^enbere ^Prüfung fflr^ ©rfte nid^t ju. 3Hau ^at aber mel^rere
©jenen aul^ ber Sage beö %tltp^o&, be^ mpt^ifd^en ©tammoater^
ber 5ßergamener, erfannt unb wirb bal^er aud^ bei weiterer gorfd^ung
@egen{länbe a^nlid^er ©agenfreife nad^toeifen lönnen. S)iefe Ilei^
neren SBerle, ebenfatt^ in einem fein burd^gebilbeten aWarmorftil
bel^anbelt, toeid^ ffiefeenb in ben ©eroänbern, ru^ig in ber ©efammt-
l&altung, erfd^einen gegenüber ber gewaltigen SJramatit be^ ®iganto=
mad^ies@poiS mie ©d^öpfungen einer ibpUifd^-lprifd^en ^oefie. @d
mufe and^ l^ier mieber ]^erx)orgeI)oben werben, bafe atte biefe für bie
au^fd&müdtung eines ^ßrad^tbaucS beftimmtcn SBerfe feineSroegS ober^
252 ^ie pergamenifc^en gunbe.
flöd^Iid^ beforatiD^ iDte }. 93. bte Sfulpturen an ben @äulenfd^äften
bc^ artcmiriona ju ©p^cfoiJ ober fclbfl inm 2:i^cil bic gricfe bc^
SKaufoIeionö, fonbem in ä^nlidfict ©orgfalt bcr Shird^fül^tung be--
l^anbclt finb wie bcr große grie^. S5a§felbe gilt oon ben ard^itet
tonifd[)en XiftiUn be« SBaueÄ, befonber« oon ben ©aulen biefer
oberen QaHe, loeld^e in feinen SSarianten ben ionifd^en @til ^lein^
aficn« in befonber« eleganter auffaffung barfleHen. Son biefen
Partien ifi fo t)tel aufgefunben worben, bafe bie Slrci^iteften brei
ooUftanbige ^nterlolumnien n)ieber aufrid^ten unb bem 9Rufeum
einverleiben fönnen. @nblid^ ftnb aud^ ja^lreid^e oon ben über=
feben^grogen^ nteift weiblid^en ©eftalten vox\fanbm, n)eld^e n^al^r»
fd^einlid^ bie obere Plattform fd^müden. @« ftnb ©etoanbftguren
oon befonberg loeid^er Se^anblung unb einer fjeinl^eit ber galten-
motioe^ bie aud^ i^nen eine felbftänbige ä3ebeutung oerlei^en. 9$on
ganj oorjflglid^er Sd^ön^eit enblid^ ifl ein ibealer TOeiblid^er SWarmor^
fopf, beffen 9?afe freilid^ jerfiört ift, ber aber burd^ bie föfilidde
grifd^e ber gomten, ben jarten 3teij jugenblid^er Stnmutl^ ju ben
^crrlid^ften 3*>^<iWäpf^« ^^^ flaffifd^en aitcrtl^um« gehört unb balb
in (SipiSabbrüdfen überatt verbreitet fein wirb, 6« ift fein ®runb
anjunel^men, baß biefer n)unben)oIle 5topf nid^t bem großen äKtare
gfeid^jeitig fei.
^agen toir nun aber nad^ ber genauen 3^itbeftimniung beiS
lefeteren, fo wirb eine aufgefunbene Snfd^rift oon SBebeutung, loeld^e
eg nid^t jroeifell^aft läßt, baß eumeneS IL, ber in ber erflen $&lfte
be« jweiten ^ai^r^unbert« oor Gl^rifto regierte (197—159), ber
Stifter biefeö großartigen aßerfcS ift. @Uxä) feinem SBater Sttalo«
^atte er bie oenoüflenben 9{aub}üge ber ©aUier, n)eld^e voriger fd^on
S^orbgried^enlanb, bann aber Äleinafien bebrol^ten, in fiegrei(^en
Äömpfen jurädtgef dalagen unb für. lange 3^1* «^d^ einmal bie grie-
d^ifd^e Äultur gerettet. SBie aber nad^ ben 5ßerferfriegen bie atl^encr
i^ren ^artl^enon al§ glSnjenbe« ©iege«benlmal ^infleHten, fo tag
e« aud^ je^t nod^' in ber fd^önen @itte ber Hellenen, ben @öttern
für äl^nlid^e ®unft in gleid^er SBeife monumentale ftunftroerfe aU
äBeii^gefd^enle ju errid^ten. @o n)ar ba« Urbilb be« äSeloeberifd^en
apoHo furj vorder entftanben, al« banfbare« ©iege«jeid^en für bie
aSertreibung ber ©attier oon bem fieiligtl^um be« Ootte« ju 3)elp^i.
2)ie pergamcnifd^cn gunbc. 253
^enn in ber toilben ®d)la6)t iDaren bie leud^tenben 93tlber be^
aipollo, ber Slrlcmil^ unb at^cna plöftfid^ erfd^icnen, l^attcn mit
©croitterftutm «nb fiagclfd^loffen bic gcinbe erfd^rcdt unb ben
©ricd^cn bcn ©ieg t)erUcl^en. 3n bcrfclben ©cftnnung ^otte Slttalo^
für feine ©iege über bie ©aHier ©tatuengruppen nid^t blofe in feiner
fiauptftabt aufgeftellt, ju roeld^en ol^ne S^t\\tl ber fterbenbe ©allicr
unb bie fogenannte 9(rria^ unb $ätu$'@ruppe gehörten, fonbern
au^ auf bie ällropoliS von Sltl^en xoax burd^ il^n ein SBei^gefd^enf
gejiiftet worben, t>on weld^em man in jüngjler 3^tt mand^e einjel-
figur, jerjireut in ben Derfd^iebenften 5IRufeen, namentlid^ in SBenebig
unb Sleapel, l^at nad^weifen tonnen. 9lun erl^alten wir ein neue^,
unb jwar ol^ne grage be« groj^artigfte S^wö^tfe ^on ber Äunflpflcge
ber ^ttatiben ; benn in ber ©d^lad^t ber @dtter gegen bie ©igauten
foBte, atten x)erflänbKd^, ber fxegreid&e Äampf l^effenifd^er Äultur
gegen bie jerflörenbe ®malt ber SBarbaren gefd^itbert werben.
@d brandet taum angebeutet p werben^ n^eld^e 99ereid^erung,
ja roeld^e cöBige Umgeftaltung unfere änfd^auung t)on ber fpätgrie-
d^ifd^en Jtunfl burd^ biefe grogartige @ntbed(ung erfahren l^at. SBo^l
TOuglen voxx aus ben SRad^rid^ten ber Stlten Don ben glänjenben
5ßrad^tbauten ber SDiabod^enrefibenjen, t)on ben SBunberroerlen 3Ke=
janbrieniS, Slntiod^ien«, 5ßergamonö. SKber bie jerfiörenbe SBad^t
ber ©efd^id^te ift gerabe gegen bie Sßerte biefer @pod^e befonberS
Derl^eerenb gewefen; faft lein ©tein ift t)on aO ber ^rad^t auf bem
anbem geblieben. S)od^ l^at ftd^ längft bie SBermut^uug immer
unabmeisbarer l^eraui^gefteUt^ bag meteS t)on ben ä3augeban{en^
Äonjirultionen unb anlagen ber römifd^en 3^tt auf untergegangenen
SBorbilbem berl^ettenifiifd^en (Spod^e berul^e. Slber aud^ Don plaftifd[)en
SEßerlen ber S)iabod^enieit war und bis je^t SBeniged belannt. 9EBot)l
wußten mir auS ben ©d^riftquetten t)on ber fabelhaften ?ßrad^t jener
StugenblidtSbeforationen, ju meldten aOeS, xoa& an ffinftterifd^en
Straften t)or]^anben mar^ aufgeboten mürbe: von jenem ©d^eiter-
l^aufen, meldten aiejanber ber ®ro|e feinem fiiebting fiep^äjlion
errid^tete, von bem ßeid^enroagen älesanberS, t)on bem ?ßrunffd&iff
^ieronS t)on ©prafuS; aber mir oermoc^ten un^ oon attebem faum
eine aSorftettung ju mad^en. SBie mirb bie« alles aufs glänjenbfie
erläutert burd^ biefeS im grofeartigften 3Ka§jlabe angelegte unb mit
254 ^xt pergamenif(^en fjfunbe.
bet betounbemStDürbtgften 5tunfit)0llenbung burd^geffil^tte 9Berf^ ba^
in ber S^at wätbig tuat, gleid^ bem äRauf oleton }u ^Ulamag
unter bie äBeltounber geted^net ju n)erben!
S9tö le^t glaubten n)it in ben jganbbuci^em bie ftunß ber J^eSe-
niftifd^en ©pfitjeit bamit genügenb d^arafterifirt, wenn wir eine
r^obifd^e unb eine pergamenif<i^e ®d^ule auffieOten^ bie erflere burd^
3Berfe xoxe ben fiaoloon unb ben fameftfd^en @tier^ bie anbere burd^
bie ©aDierflguren (i^aratteriftrten. Sßeldji ungeal^nte neue $erfpet
tivtn tl^un ^x^ je^t Dor uniS auf! Sßir gewinnen ben gerabe}u über-
roältigenben ©InbrudE einer Äunftfdjiule biefer Spfitjeit,.bie in groß-
artigen ^od^ibealen ftonjeptionen^ xoxt in n^unbenoärbiger Slueffi^«
rung ben ©d^öpfungen be« fünften unb merten 3ö^i^^w«bert« faft
ebenbürtig baßel^t; einer Sd^ule^ n)eld^e flilooKe ^onngebung mit
feineren Slaturflubien^ malerifd^e SBel^anblung mit leibenfd[iaftHd^
3)ramatil^ mit fd^n)ungDoOer felbft bad ^^antaftifd^e nid^t i>er^
fd^mäl^enber äuffaffung t)erbinbet SJie pergamenifd^en SSBerle werben
fortan ben feften ^unft bilben^ t>on weld^em über man^e fHl= unb
geifteÄocrwanbte ©injelroerle antifer 5ßlaflil ein neue« ßidjt pd^ Der«
breiten wirb. 9)a$ ©d^Iußfapitel ber gried^ifd^en Jtunfi wirb ooQig
umgefialtet werben unb eine ganj anbere ^ßl^pftognomie gewinnen.
Unfer Staunen über eine Äunfi, bie felbfi in ber S^it ber Sluf^
löfung unb be« Untergang« gried^ifd^er Selbfl&nbigleit nod^ foU§e
aSunberwerfe ju fd^affen oermod^te, wirb nod& um ein Sebeutenbe«
wad^fen.
Unb nun bürfen wir benn aud^ ber SBefriebigung äuSbrudf
geben^ bag S)eutfd^Ianb« ^auptfiabt mit einem ©daläge in ben 93e{i6
eine« ber größten SRetflerwerle antüer ^tafiil getommen ift unb
barin felbjl l^inter fionbon laum me^r jurüdfjufiel^en l^at. a)eutfd[f^
laub« ©elel^rte l^aben in erjier Sinie feit mehreren ©enerationen,
man barf fagen feit SBindfelmann, am 2lu«bau ber SBiffenfd^aft wn
ber Äunft unb ber Äultur be« Maffifd^en SKÜcrtl^um« mitgearbeitet
ai« bie politifd^en 3ufl&nbe unfere« SSaterlanbe« nod^ umnad^tet
waren, liefe bod^ griebrid^ SBil^elm IV. ftd^ nid^t abl^alten, auf bem
tarpejifd^en Reifen jene« römifd^e ^nftitut }u grünben, wtl^tm
fürjlid^ burd^ ben Uebergang an ba« beutfd^e SReid^ eine neue SIera
be« SEBirfen« fid^ aufgetl^an ^at. 3)ie jefeigen großen errungen«
2)ie pergamenifc^en (^unbe. 265
fd^aften in ^etgamon loären a6er nici^t möglid^ geioefen ol^ne bie
geftctgcrte polttifd^e 3Wa(i^tfiettung, toeld^e S)cutfci^Ianb unter bcm
glorreid^en @}epter 5tQtfer äBil^elm^ genionnen l^at. Unb feit t)oIIenb^
unter bem 5ßroteftorate be^ beutfd&en Äronprinjen bie SSenoaltung
bcr berliner 3JJufeen t)on ben bureauftratifd^en g^ffeln befreit TOorben
ifi, ujeld^e il^re ©ntroidelung lange 3^it gehemmt ^aben, ip eiS eine
uja^re greube, bei wieberl^olten SBefuc^en in ber SReid^Äl^auptfiabt in
aütn S^^eilen ber loftbaren ©ammlungen gebei^Iid^eiJ gortfd^reiten,
glücfli(i^e3 aSermel^ren, wiifenfd^aftlid^eS aSerroert^en unter ber Seitung
ron burd^roeg auögejeid^neten gad^männern ju geroal^ren* SRid^t
minber l^od^erfreuUd^ ift e§, ju bead^ten, wie eifrig biefe ©amm-
lungen benufet toerben, unb mit loeld^ jux)orfommenber Siberalität
3eber bort in ©tubium unb ®enu§ geförbert wirb.
SRur eine ber rotd^tigften fragen, von aMx bie fd^ioierigfte,
l^arrt immer nod^ einer befinitiüen £öfung: bie SRaumfrage. ^ux6)
bie pergamenifd^en @rn)erbungen toirb biefelbe aber fo brennenb^
ba% eine enbgültige SBeanttuortung nic^t länger l^inaui^gefd^oben
merben fann, ©oll man bie pergamenifd^en gunbe in einem eignen
©ebäube unterbringen, ober fott man fie mit ben bereite tjorl^am
benen antifen Originalen t)erbinben? 3d^ glaube, man barf bie
aintroort nur in lefeterem ©inne geben, wenn man nid^t bie mert^^
Dotte Sufammengel^örigfeit be^ Oleid^artigen jerreifeen will. QnU
fd&Iiefee man fld^ bod^ enblid^, bem ewigen ©Eperimentiren mit ben
SRäumen ber ©emälbegalerie ein S^zl ju feften, unb bag ganje Sllte
SRufeum fammt bem 9Ieuen audfd^Iie^tid^ ber 9lnttle }u mibmen.
^üx bie pergamenifd^en ©fulpturen mürbe fld^ meffeid^t ber ben
Oftflügel einnel^menbe ©aal am beflen eignen; bie ^auptgruppen
be« großen griefe^ mürben bort aufg fd^önfle jur ©eltung lommen.
gär bie Oemälbe unb bie mett^oolle ©ammlung ber SRenaiffance-
werfe muß man fid^ entfd^liefeen, enblid^ einen 5Reubau ju errid^ten,
bei meld^em bann bie SHldffid^t auf baö SBorl^anbene unb bie 8ln=
itjenbung ber burd^ neuere ©tubien gewonnenen ©runbfäfee über bie
äluffleOung unb 99eleud^tung jur t>oIIen @ettung fommen fönnten.
SKan fänbe bann im SRufeum, menn man bie bort nun einmal
nid^t mel^r befriebigenb unterjubringenbe ©emälbegalerie in ein
paffenbe^ ßolal übergeführt ^ätte, genügenben SRaum, nm anä) ben
256 ^ie pergatnenif(^en gunbe.
SlbgüRen t)on DIpmplo in SBcrbinbung mit ben übrigen abgüffen
}u einer }ufammenl^&ngenben SuffieDung ju Derl^elfen. ätegierung
unb aSolföi[)ertretung, xBel^t in neueren 3^^*^^ ^it anertennen-g^
wertl^er Liberalität in 5preu§en bie Sntereffen ber Äunfi gepflegt
l^aben, werben geroife baö S^nge beitragen, um bie fieben^frage ber
aWufeen, bie Slaumfrage, ber SBürbe unb Sebeutung beiS ©egem
ftanbeÄ entfpred^enb, ju löfen.
(„Ha^emtitt« 3etfu]t0*' 1880.)
^tt bicfcn klagen ging eine 9lotij burci^ bie Slätter, xoüd^t
batauf ]^lnn)ie8, bafe e« geeignet fein bürfte, ben jweiten gaffaben=
tl^utm beS anünfteri^ )u ©traPurg auiSjubauen, baburä^ ba& SBetf
9Rei{ier Snoin^ )u DoQenben unb jugleici^ bie @t)mpat^ien ber ä3e-
wohnet beiS SReid^dlanbed )u geioinnen. 3Bit möd^ten^ e^e biefe
3bee ftd^ ber @eifter }u bemäd^tigen pemtag^ in nad^btüd((id^ftet
äBeife boiS 3benteuer(id^e unb Unangemeffene berfelben bart^ttn.
SBer jenen $Ian aufi^ ^apet gebrad^t l^at^ bebad^te n^ol^I nid^t,
ba^ ^Reiftet @tn>ind SBert burd^ bie baulid^en Sn^&iit, n)eld^e bad-
felbe im fpäteren STOittelalter erbnlbet ^at, feiner urfprüngUd^en
SHbfid^t für immer entfrembet n)orben ifl. 3!)enn belanntUd^ ^aben
bie fpäteren 3)teifler^ l^at namentlid^ S^l^^nn ^äl^ t)on jtöln als
©rbauer ber nörblid^en ^Jl^urm^^ßpramibe, in ber Slbftd^t, alles 83or=
l^anbene an Aü^nl^eit )U überbieten^ ber e^affabe @m)inS nod^ ein
©todtroer! aufgefegt nnb barüber jenen luftigen SRiefen^elm empor^
gefül^rt, ber jwar ein SBunber ber Äonftrultion unb S^ed^nil ifi,
aber in biefer übermäßig emporgeredtten ©eftalt weber nad^ Sorm,
nod^ ißerl^ältnig mit bem unteren 3;^eil ber ^affabe in jgarmonie
fielet. Sßer alfo ^eute ben SluSbau beS }n)eiten 3;^urmeS Dorfd^lögt,
loürbe bie S)iffonani {mifd^en ben oberen unb ben unteren ^^eiten
nur nod^ vermehren unb etmaS gerabeju Unerträglid^eS probujiren.
Ser eine X^^urm^ fo roie er je^t ift^ mu^ aud^ ferner an jtül^nl^eit
feineSgleid[ien nid^t l^aben ; ein Bti'iUingStl^urm würbe i^n um feine
17
258 Sludbau ber etta|5urger SRünfierfafTabe.
ganje eigent^ütnltd^c SBirfung bringen: benn biefc beruht im xot^
fentlid^en auf bem Aonttaft be^ )u fd^tuinbelnbet ^ö^e emporge-
führten SRiefen mit bct ungel^curcn ^Plattform, Don roeld^et er fid&
n)ie von einer neuen SBajt^ erl^ebt. Unb wer möd^te biefe ^lott^
form felbft, bte ein el^rroürbige« aSa^rjeid^en ©trafeburgiS ift, von
xotl^tx Saufenbe ben ent^üdten Mxd über bad l^errlid^e 91^einlanb
bi^ 3U ben SSogefen unb bem @(i^n)ar)n)a[b l^aben fd^weifen laffen^
burd^ einen jweiten X^uxm beelnträii^tigen ?
älber Dielleid^t möd^te man^ um ba^ Sßert SnoinS in feinem
®eift abjufiä^Iiefeen, bie ungel^euerlid^e Qbee empfel^Ien, ben ganjen
^l^urm^elm abzutragen ^ ben SRittelbau smifd^en beiben S^ärmen
}u befeitigen unb nun auf neugen)onnener SBaftd bie beiben ^^urm-
l^elme im ©tile be^ brei}e|nten Qa^r^unberö ju DoIIenben, ©ollte
in ber %^at biefe Sbee in ben ÄÖpfen einiger ganatifer ber grü^-
gotl^if leben^ fo l^alten n)ir eS faum für nötl^ig^ emftl^aft bagegen
}u tämpfen." S)enn bie 2;]^urmp9ramibe be^ Sol^anneiJ Qül^, fo
wenig fie mit ben unteren S^^eilen ber gaffabe ftimmt, ift bod&
eine ©d^öpfung von l^erüonagenber ©enialität, au8 einer 3«it/ bie
nod^ x)öllig felbftänbig ju entwerfen unb au^iufül^ren mu^te, bie
ein eigene^ ©tilgefü^I befaß unb pd^ in jioljem SBelteifer mit ben
SBorfa^ren ju meffen unternal^m, SEBeld^er unter ben heutigen 3;ed^'
nifern t)ermöd^te e^, an Originalität unb ftül^nl^eit auf biefem ®e=
biete mit bem alten SReifler in bie ©darauf en ju treten?
Unb xoa^ nun enblid^ ben SBunfd^ betrifft, mit einem fold^en
Sau bie fierjen ber ©Ifäffer für bag neue beutfd^e 3teid^ ju ge^
minnen, fo mufe jeber, ber ba§ Sleid^iSlanb lennt, barüber läd^etn.
GS fc^eint unS überl^aupt, afö ob pd^ bie beutfd&e 5ßreife etraaij ju
Diel mit ben ©pmpatl^ien unb atntipat^ien ber Ferren eifäffer be*
fd^öftige. 3)ie granjofen, atö pe baS Sanb wiberred^tlid^ in Sepft
nal^men, ^aben nie nad^ ben ©pmpat^ien beöfelben gefragt, i^m
Dtetmel^r }uerP bie eifeme f^auP gejeigt unb eS bann rüdpd^ti&IoS
bis auf bie ©prad^e }u gaUipren gefud^t 3&a& fd^liegUd^ bie QU
fäPer fo feP an granfreid^ gefettet })at, roax bie Sl^eifna^me an
einem mäd^tigen, einl^eitlid^en unb glänjenben ©taat, in toeld^em
eS feit Sttliir^unberten feinen ?ßartifuIariiSmug mel^r gab unb äffe
Parteien o^ne Unterfd^ieb bem auswärtigen geinbe gegenüber wie
9Iud0au ber ^tragburger äRünfterfafjabe. 259
ein aRann jur gal^nc bc^Sanbc^ l^iclten. ®in foId^cS.ßanb lonntc
trofe aller erfdE^üttetnben Äatafttopl^en ftetig fortfd^reiten auf ber
SSal^n beiJ SRul^m«, ber ®röfee unb be§ materiellen ©ebei^eni?, unb
fo tarn t^, bai anä) bie Slfäffer^ i^reS ^eutfd^t^umS immer mel^r
üergeifenb, [xä) eing mit bem mäd^tigen granfreidE^ füllten.
3Ran gtaübe bod^ nid^t^ bajs man burd^ 33u^Ien um bie äSotfiS-
9unft unb burd^ allerlei fiiebendtofirbigleit, bie uns ^eutfd^en ol^ne-
l^in fd^Ied^t ju ©efid^te fte^t, ben ©inn biefe« tüd^tigen, aber ftör=
rißen ©tammeS gewinnen werbe. Ober gar burd^ ben Ausbau ber
©tra^burger 3Rünfterfaffabe unb äl^nlid^e ar^äologifdE^e ^rojelte!
2Wan regiere bie eifäffer mit ©ered^tigfeit, wie alle anberen beut=
f^en ©tämme, o^ne Diel geberlefen« ju mad^en, man lafle fte t^eil=
nel^men an ben ©egnungen beS beutfd^en ©eifiei^IebenS, an ben
aSortl^eilen eines mäd^tigen einl^eitlid^en SHeid^eS, ba» fid^ ftarl genug
enoeife, um ben unbered^tigten 33eftrebungen beS ^artituIariSmuS
ben Suaden ju beugen, unb bann erwarte man rul^ig von ben fänf=
tigen ©enerationen, waS Don ber ieftigen völlig Derfranjöfelten nid^t
}u ©erlangen ift: ba§ fie fid^ roieber mit ©tolj afe ©eutfd^e füllen
unb mit g^reube bem ©efammtDaterlanb angehören.
Um nod^ einmal auf baS ©traPurger 9Rünfier }uräd^uIom^
men, fo fei bie Semerbtng erlaubt, bajs ©d^reiber biefer 3^ilen,
als eS fid^ Dor einigen 3a^ren um bie SBieberl^erfteQung beS jtuppel-
t^urmeS auf bem Äreujfd^iffe ^anbelte, öffentlid^ bie änfid^t vtx^
trat, man foHe, um nid^t ju weit l^inter bem gewaltigen got^ifdE^en
©dE^iffbau unb ber gaffabe jurüdjubleiben, ben eleganten got^ifd^en
Äuppelt^urm beS 3RittelalterS, bie fogenannte „Sifd^ofSmüfee",
mieber^erfieHen. SDaS SKünfier ^ätte baburd^ an einer fo wid^tigen
©teile jenen lebenSDoIlen, e^t lünfllerijd^en Umrijs erl^alten, ben bie
©efammtfill^ouette beS Sleujseren ju forbern fd^ien. Slber in ben
ma^gebenben air^iteftenfreifen ^errfd^te ber ^eutjutage in Slütl^c
ftel^enbe ard^äologifd^e ^uriSmuS, ber eS benn glüdlid^ burd^fegte,
bai baS äRünfter mit jenem Jtameell^öder gejiert tourbe, an weld^em
vooi)l niemanb jeftt fjreube l^at.
3le^nlidf)eS erlebte man furj juüor in 3Rainj, mo eS ebenfalls
galt, auf bem öftlid&en 6^or beS a)omS bie Äuppel roieber l^erju^
ftetten. äud^ bamals gaben mir uns SKü^e, bie entfd^eibenben
260 9Cud(au bet 6tra((urger SRünfierfaffabe.
jtreife bat)on ju ü6er}eugen, ba^ eine fci^lanlere^ in ben formen
bed tl^einifii^en Uebergang^fiileiS , äl^nlid^ ben ftuppeltl^ätmen pon
©einkaufen, ©injiß u. a., belebte ©eftalt bem S)om am bejlcn ju-
fagen nürbe. ©tatt beffen feftte man bem ^errlid^en Sau bie fo-
loffale ©d^lafmüfte auf, roeld&e jeftt inm (Sntfefeen iebeö funflfinnigen
S(ugeS baS großartige S)entmal Derunflaltet. SSir noOen an biefe
aSorgänge erinnern, um vox ä^nlid^en SRiggriffen ju loamen.
3Bie n)enig man im @tanbe ifi, n)ibem)illige Serben but$
fromme Sauten }U oerfö^nen, bemeifi am fd^Iogenbßen ber Aölner
2)om. Sßenn ber @taat etma geglaubt l^aben foOte, burd^ beffen
9(uSbau bie ©emittier ber Jtatl^oKfen für [xä) }u gewinnen, fo fte^t
man l^eute, mie bitter er ftci^ getdufd^t l^at. 3)ie Ultramontanen
in SDeutfd^Ianb folgen mel^r afe je nur ber oon SRom ausgegebenen
^arole unb betra(]^ten ed einfad^ at« ©d^ulbigleit, bag ber ^9tader
t)on Staat" il^nen il^re ©otteö^Sufer ausbaut. Sie finb feft über=
jeugt, baß ber 3^ag lommen mirb, 100 ber preußifd^e @taat oor
ber jäi^en fiartnädtigteit ber rdmifd^en Äurie fid^ ate »efiegter in
ben @taub wirft.
2ßil[ man bie burd^ äSoDenbung beS jtölner S)omei^ oerffigbor
geioorbenen Jlräfte einem anberen großen Unternehmen loibmen, fo
lann ed leine ^age fein, baß baS Ulmer ÜRünfier ben erften 9ln=
fpru$ barauf ^at. (S^ roätt xoo\)l ein patriotifd^eS Untemel^men,
biefer größten proteftantifd^en jtird^e 9)eutfd^lanbS bie gemaltig ge=
plante ^affabe auszubauen. 3Ran märbe baburd^ ein Stunfhoer!
erften 9tangeS )u rul^mooUem älbfd^luß bringen, unb obenbrein
mürbe auf ben ®an! ber ?Proteftanten, bie mit 33egeifterung ba8
SBerl beS Äölner S)omS förbem l^alfen, mit ©id^erl^eit ju red^neit
fein.
(„»noTOöii« Jettuna" 1880.)
27 ifl benn enbli^ ber tangerfel^nte ^^ag gelomtnen^ ba S)eutfd^::
lanb« gürftcn unb SBöIfer, um il^ten el^OTürbigen Äaifet ßcfd^aart,
bie äSoOenbung beS größten unb erl^abenfien S)enfmate beutfc^er
Sauhtnfi fefUid^ begel^en. @S tfl feine lonfefftoneQ^fit^Iid^e^ ed i{l
eine nationale geier in be« SBorteiJ voller Sebeutung, um bie e«
ftd^ l^anbelt; boiS b^eugt fd^on ber toid^tige Xag nationaler Grinne^
rung^ an niel^em ft$ baS ^efi ooUjie^t. S)aS bezeugen bie SBorte
be« eblen gürfien, loeld^er bie SBottenbung be« SDome« in reinfter
Segeijierung geplant unb ini^ SBerf gefegt ^at. ,,®ieiJ ift/' fo lau^
tete bie änrebe griebrid^ SBill^elmi^ IV., „fein gemö^nlid^er ^ßra^t*
bau: er ifl baiS SBerf be^ SSruberfinne^ aOer ^eutfd^en, aller Se^
fenntniffe." Unb ate benno^ bamate oon gewiffer ©eite ber Äölner
3)ombau als ein fpejififd^e^ S)enfmal bed ^atl^olijidmuS l^ingefleUt
würbe, trat Äugler biefer Sluffaffung mit ben SBorten entgegen:
,,a8or allen Singen ift ber S)om ein ®enfmal be« beutfd^en ©eifle«,
ift er baS S^^Ö^^i^ ^^^ er^abenften SBottenbung, weld^e bie Slrci^i^
teftur, unb jroar burd^ biefen beutfd^en ®eifi, erfunben l^at, folange
überhaupt bie SRenfd^en gejircbt l^aben, burd^ finnlid^e gormen baS
Ueberftnnlid^e aui^jubrfiden. ©in fatl^olifd^eS SBerf iji ber ®om nur,
weil er jugleid^ ein d^rifilid&e« ifl unb weil er in jener Seit begrün^
bet loarb, ba im ©^riftentl^um oerfdE^iebenartige äuffaffungSweife
nod^ nid^t äufeerlid^ au^einanbergetreten war. Ober oerleugnen wir,
bie mir ^roteflanten genannt merben, bieSBorjeit unfererSefd^id^te?
262 Sut (Simoei^ung bed Kölner 3)om€«.
Ober wiegt unfer ®efü^l für ben crl^abencn (Sinn unfetcr aSätcr
unb für bai^ ßanb wnfcrcr SBätcr, wenn il^r e« auf bie Jffiagfd^ate
legt, aud& nur um einen ®ran weniger? SRein, ber SDom t)onÄöIn
ift ein beutfd^ed SBerl, ed ifl baS ^öd^fie aQer 9BerIe, weld^e 9)eutfd^::
ianb im Sereid^e fid^tbarer formen gefd^affen l^at, eS ifi bad Sßerl,
weld^eiS ben ©tolj S)eutfd^lanb^ Dor allen Stationen ber @rbe aud^
mad^t; eS ifl baS Sunbei^jetd^en, um weld^ei» aOe äSölIer beutfd^er
3unge fid^ t)ereinigen muffen, unb ganj 9)eutfd^lanb l^at bie !ßf[id^t,
biefed SBerl, wie e^ feinem SReifler offenbart warb, ber ^oOenbung
entgegenjufül^ren/'
S)er Äölner S)om ift aber aud^ ein SBerl Don f^rooibentieller
fflebeutung, wie lein anbere« S)enfmal Dertnüpft mit ben wei^feln^
ben ©efd^idten unfereÄ aSaterlanbei?. ©o mag benn ein SWdfblid
auf bie igauptmomente feiner ©efd^id^te l^eute t)or adem am ^la^e
fein. S5eutfdE>lanb8 3«trüttung unb SRiebergang, bie 3«**^" f^^^^er
©d^mad^ unb feinei^ SBerfatte«, aber aud^ bie Slage freubiger auf-
erftel^ung unb fraftooHen äufftreben« ju einl^eit unb 9Kad^t fpiegeln
fid^ in biefem erl^abenften unferer S)enhnale.
3(1^ am 14. äluguft 1248 ber l^od^gemutl^e @r}bifd^of Aonrab
V. ^od^fiaben ben ©runbflein jum 9leubau bei^ 6;]^oreS legte, unter
ber 9tegierung, wenn aud^ nid^t im S9eifein be^ beutfd^en jtönig^
SBill^elm oon ^oOanb, trieb unfer 93aterlanb, ieber mad^tPoDen unb
ein^eitlid&en Senfung beraubt, ber trofllofen Qtit entgegen, bie unter
bem SJamen be« Snterregnumi? oerrufen ift. 3ebermann weife, meldte
feinblid^en @ewalten ed waren, bie S)eutfd^Ianb burd^ @d^flrung Don
3wietrad^t unb »ruber^afe unter baö ^oS) ber römifd^en ^ierard^ie
JU beugen fugten. SWitten unter biefen SBirren erl^ebt ftd^ in ben
bur^ ©anbei unb ©ewerbffeife glanjenb erblühten ©täbten ber
beutfd^e ®eniud, unb ein fd^lic^ter 3ßeifier, wal^rfd^einlid^ ©erl^arb
t). 9{ite, entwirft ben $lan ju bem ^errlid^fien ©otte^l^aui^ auf beut^
fd^er erbe. Dl^ne ©ngl^erjigfeit, mit freiem Umblidt, wäl^lte er jene
Dottfommenfte gorm bed ©runbriffe^ unb Aufbaue«, weld^e unfere
rafd^ Doranfd^reitenben wefUid^en Stad^barn für} oor^er burd^ bie
Slrbeit eine« 9nenfd^enalter8 für bifd^öflid^e igauptfird^en entwidelt
l^atten. aber obgleidE) franjdftfd^er abtunft in ber reid^en jentralen
@ntfaltung bed Sl^or^auptei^ mit feinen Umgängen unb bem ^peSen^
3ur ©mmei^ung bed R'oin^t 2)omeg. 263
franj, erhält bcr ©runbplan burci^ bcn überlegenen ®eiji be8 beut^
fd^en SWeifletö jene pd^fie Älarl^eit, Äonfequcnj unb Harmonie, in
weld^er DicHeid^t unfere Sleigung ju abflraftem SDenfen, aber anä)
unfer ©inn für gefeftmäfeige golgerid&tigfeit fid& glänjenb offenbart,
ßangfam fd^reitet unter ben fiemmniffen, loeld&e bie SBtrren ber 3eit,
namentüd^ bie geloben ber erjbifd^öfe mit ber SBürgerfd^aft Äöln«,
üeranlaifen, ba« SRiefenroerf vor; nad^ be« erften »aumeifter^ ©er^
l^arb 2:obe tritt 1279 ein SDIeifier Slrnolb an bie ©pifte ber »au?
fül^rung; il^m folgt 1308 fein ©o^n Sol^anne», ber bi« 1330 lebt
unb ben SBau be$ S^ore^ (1322) ooQenbet.
SDantit l^atten pd^ bie 3Rittel für längere Seit erfd^öpft. äfö
man bann an ben SBeiterbau be§ ©d^iffe« unb ber beiben folojfalen
SßJejitl^ürme ging, traten bie roilben Kämpfe jmfd^en ber »ürger?
fd&aft unb ben ^atrijiern läl^menb bajroifd^en, unb nad^bem ber füb?
lid^e S:i^urm bii^ jum britten ©todhoerf gefül^rt, ber nörblid^e nur
eben fammt ben Seitenfd^iffen begonnen war, brad^ bie neue 3«it
mit t)öQig oerönberten älnfdE^auungen l^erein, unb baS riefige 3BerI,
nid^t einmal jur Hälfte DoIIenbet, fam afe Sftuine, bie unaufl(ialtfam
bem T)öIIigen SSerfatt anheimgegeben fd^icn, auf unfere S:age. S)ie
SIelteren unter ber heutigen ©eneration l^aben jenen trofilofen 3"'
. ftanb nod^ erlebt, ber ein fd^mer^lid^ed ©pmbol für ben gleid^mägig
fortfd^reitenben 3^f ^0 ^^^ beutfd^en äSaterlanbeiS toar. 2Ber bamatö
fiö) bem alten „l^eiligen Äöln" nal^erte, fal^ meilenweit fd^on auf bem
loloffaten 2;]^urmftumpf ben feit Sal^rl^unberten aufeer S)ienft gefe^?
ten Jtral^nen, ber jum SBa]^r}eid^en Kölns gemorben loar unb fo
fd^on auf 2WemlingS Urfulabilbern im Sol^annedfpital ju »rügge
t)orfommt, gleid^fam atö 3^i<^^n {tummer Sße^Hagen beS oerlaffenen
Saue« in bie fiüfte ragen. S)ie S^^^^^ ^^^ tieffteu SSerfaHö 2)eutfd&s
lanbs waren aud^ bie ber bitterften ©dE^ma^ für ben S)om. 2lt§
bie granjofen am 6. Dftober 1794 bie ©tabt einnal^men, würben
bie weiten fallen bcS eblen Ootte^^aufeS jum ^eumagajin ^erab?
gewürbigt.
aber ber ©eift, ber in ben S3efreiung§!riegen „unfere Äetten
brad^, bie ©d^mad^ beS SSaterlanbeS, bie (Sntfrembung biefeS UferS
wanbte", erwies ft(§ aud^ als ©rlöfer für baS fd^impflic^ mifel^anbelte
SBauwerf. Äaum l^atte ^reufeen SBefife von ber 9i^einprot>inj ge^
264 3"^ (ginioei^img bed ^5(ner XomH.
nonttnen^ a($ ed ^anb an bie SSieber^erflelbing bed Sot^anbenen
(egte. 9lienta(d batf e^ ben bamoligen Senlem btö pteu^ifd^
@taQte£ t)ergeffen toerben, bag, nad[i ben ouiSfaugenben ^tapoltonU
fd^en Jtriegen^ fte leinen älugenblid säuberten, nxift Mog aOe^ für
bad materielle SBol^t ber neuermorbenen £&nber auf}uiDenben, fon-
bern aud^ für ibeale aufgaben, wie bie Siejiauration be^ Äolner
2)ome^, umfaffenbe SRittel ju bemiDigen.
Sd^inlel narb mit ber Unterfud^ung bed 99aue8 beauftragt unb
auf feine SSorfd^Iäge begann man 1822 mit planmäßigen Werftet
lungdarbeiten, filr toeld^e Aönig ^riebrid^ SBil^elm III. betröd^tlid^
3a]^re5fummen anroieiJ. äfe bann 1831 ßwimer jum S)ombaus
meifier ernannt n)urbe, war ber ^J'^ann gefunben, ber me^r atö
Crganifator benn a(^ genial fd[iaffenber AunfUer bie iQerfiellungd::
bauten mit n^armer Eingebung förberte unb eine @d^ule von @tein^
me^en l^eranbilbete, aud welcher eine 9leil^e ber tad^tigjien got^ifd^en
aWeifier unferer 2;age l^enjorgegangen ift. 9Ud[|t gering bürfen wir
bei adebem bie ^^ätigteit ber ä9rflber SReld^ior unb ©ulpice 93oifs
feree anfd^lagen, bie burd^ il^r begeiflembed Eintreten fttr bie @ad^e
be£ ^omed, n)ie burd^ il^r befonnted ^rad^twerl ben @inn fär ^ör-
berung ber grojsen Sad^e in weiten Areifen ju wedten wußten.
©0 würbe ber S5om ju Äötn ba^ ^dd^fle ©ijmbol für jene
93ewegung beS nationalen @ei{le^, bie, feit ben ä9efreiung§friegen
in mäd^tigem SBad^fen, immer tiefer imfer SBotl ergriff unb i^m,
nad^ ber langen, trüben unb fd^mad^DoIlen 3^^^ 9Iapoleonifd^er
3wingl^errfd&aft, bie ©el^nfud^t nad^ einem ftarfen, in greil^eit ge^^
einten SBaterlanb immer leibenfc^aftlid^er anfaßte. Unb aU nun
ber geiftreid^e, ^od^finnige, romantifd^ gefiimmte griebrid^ SÖill^elm IV.
ben preußifd^en ^^l^ron beftieg, ba fd^ien ein t)erl^eißungdt)oller ^^rü^-
ling für ©eutfd^lanb unb feinen ^errlid^fien Som aufjugel^en. gortan
bleibt ber Äölncr SDom nur nod^ inniger mit ber nationalen Qbee
oerbunben. am 4. September 1842 legt ber Äönig, feji entfd^loffen,
ben erhabenen 93au nad^ ben urfprünglid^en planen jur SoSenbung
iu füf)ren, umgeben oon jal^lreid^en ^Jürften, ?ßrälaten imb Don
a:aufcnben, bie an» atten beutfdf)en (Sauen ^erbeigefirömt waren,
ben ©runbftein jum fjortbau be§ SJome^. „^ict, wo ber ©runb«
ftein liegt," fo fagte er mit weithin tönenber Stimme, „bort mit
3ur (Sinwei^ung bed Kölner S)omed. 265
jenen Stürmen jugleid^, foHen fid^ bte fd^önflen X^ou her ganjen
SBelt- ergeben. 5)eutf^Ionb baut fie — fo mögen Re für S)eutfd^?
tanb^ burd^ @otled @nabe, %f)OXt einer neuen, großen, guten 3^^t
n)erben. 9lie flnbe biefen 9ßeg ber @^re bad el^rlofe Untergraben
ber einigfeit beutfd^er gürften unb SSöIfer, ba8 Stütteln an bem
fjrieben ber Äonfeffionen unb ber ©tanbe, nie jicl^e jematö wieber
ber ®eifi l^ier ein, ber einji ben 83au biefe« ©otte^l^aufe«, ja —
ben SBau beS SSaterlanbed l^emmte!'^
aSeit über aOe beutfci^en @auen ^in }finbeten bie Sßorte be»
JtSnigi^ unb fanben taufenbfad^en SBiber^aQ. (Sin yit% wn 2)om'
bauoereinen fpannte fiä) über bad ganje £anb; SRiQionen auiS ber
l^eutigen unb ber früheren ©eneration l^aben, o^ne änfe^en ber
Äonfefpon, il^r ©d&erflein freubig beigetragen jur SBottenbung eine^
aSBerfe«, in Tüel^em wir feitbem bod ©ijmbol ber beutfd^en ©nigleit
erblidften. Unb mit bem langfam, aber fletig emporfteigenben SBerfe
f(i(|ien aud^ ber SKudbau eine^ einl^eitKd^en 9teid^ed unaufl^altfam
feiner ä3em)irttid^ung }U}uftreben. @^ tarn bad ga^r äld^tunbDierjig
mit feinen glänjenben älnlöufen, feiner leibenfd^aftUd^en Erregung,
feinen ftürmifd^en SDlärj*$offnungen; am 18. Stugufl beging man in
©egentoort bc^ ei^]^erjOg-SReid^8Dem)efer^ unb vieler SRitglieber beÄ
erjien beutfd^en ^Parlament« ba« fed^öl^unbertift^rige Subiläum ber
©runbjieinlegung. 68 waren für lange bie legten fefilid^en 3;age,
meld&e ber S)om fe^cn fottte. ©ine finftere Siealtion erl^ob fid^ unb
breitete Rd^, alle« ©treben nad^ ©in^eit unb grei^eit erftidenb, weit::
^in über ba« beutfd^e fianb. 9lber toäl^renb auf« neue bie ©d^mad^
unfre« SSaterlanbe« befiegelt fd^ien, mar ber grofee ©taat«baumeifier
erflanben, ber in fül^nem SBagen unb glänjenben ©iegen unter bem
fielbenbanner Äönig aBill^elm« bie eble ©ermania loon ben geffeln,
in bie man fie auf« neue gef dalagen, befreite unb ba« S)eutfd^e
Sleid^ mit neu begrünbeter Äaifermad^t ^errlid^ mieber aufrid^tete.
3Ba« bem l^o^ftnnigen ^iebrid^ äBUI^etm IV. ba« feinblid^e ©efd^idC
unb bie meid^e äSeftimmbarteit be« ©emütl^e« ju erreid^en t^enoel^rten,
baij l^at bie mannl^afte ^elbentl^at feine« erlaud^ten 99ruber« glor-
reid^ jum ^eile be« äSaterlanbe« ju @nbe geführt. Unb n^enn ftd^
nun bem gottgeliebten SSoUenber aud^ barin ber ^immel J^uIbroQ
eriDeifl, bag e« i^m gegeben loirb, bie SioKenbung be« Jtölner S)ome«
266 3ut ©intoei^ung bed 5lö(nec ^omed.
burd^ bie feierlid^e Sintoeil^ung ju beftegeln, fo ettennen wir toieber
bai tieffmmge SBalten ptot)ibentieSer äßä^te.
3n einem fold^en Slugenblide siemt ed ft<i^ nid^t für un^, aud^
an biefem großen SBerte auf biejenigen $un!te ^injumeifen^ in
weld^en fid^, me bei aüm irbifd^en ©d^öpfungen, menfd&lic^e Un^^
DoQfommen^eit ju erlennen gibt, galten toir uni t}ielmel^r vox
älugen, ba^ l^ier ein ^öd^ftei^ mit bem älufioanbe ber t)ereinigten
Äraft tjieler ©enerationen ju ©tanbe gelommen ift. ®enn ein
SBunber fafl mug man e» nennen^ im SSergleid^e ju ben meiflen
großen SBerfen ber 9lrdE)ite{tur^ ba^ l^ier einer ber gro^artigfien Sau-
gebanfen, an beffen auÄfül^rung fed^^ g^^r^unberte gearbeitet ^aben,
mit einer ©nl^eitlid^teit, ©efd^Ioflen^eit unb Harmonie perroirfKd^t
mürbe, bie laum irgenbmo i^re^gleid^en finbet. SBie ein 3^wber
t)on r^^tl^mifd^er Jllar^eit breitet ftd^ ber ©runbrig be^ ©anjen Dor
und aui^, von einer ©efe^m&gigteit ber SSerl^ältniffe, bie fafl über
bie ©renje bed in ber freien Aunfl SBünfd^endmert^en ^inaudgel^t.
Unb mie ein taufenbflimmiger ^pmnu«, fo fieigen bie jal^IIofen
ißfeiler mit il^iren gialen, SSIumen unb l^unbertf altigen 3i«tformen
!ü^n unb in ftetd luftigerer ©ipfelung jum ^immel empor, in ben
beiben Areujblumen ber riefigflen Xl^urmjmiQinge auf @rben i^ren
Stbfd^IuB finbenb. SBer aber brinnen unter ben ^ol^en Sogengängen
aus ber mäd^tigen SBor^alle in hcS fünffd^lffigc Sangl^auÄ üorfd&reitet,
ba8 in ben breifd^iffigen Duerflügeln bei^ Äreujarme« fid^ iniJ Un-
abfel^bare ausbreitet, um bann mit mieber jufammengefdöloffener
jtraft in baiS SlSerl^eitigfle bed Sl^ord mit feinen Umgängen unb
fiebenfad^em Äapettenfranj auöjumünben, ber mirb erfüllt tjon äl^nun-
gen beg Unenblid^en, ben mufe mie eine überirbifd^e 9Ruftl bad ^ax^
monifd^e 3«fÄmmenIlingen biefer unjal^ligen formen berül^ren. ^ier
ifi tJoHenbete ©d^önl^eit, ^ier 3Waieftät unb ©röfee ber SBerl^ältniffe
bei unerfd^öpflid^ reid^em fieben ber SJaufenbe jartefter ®in§elformen.
^ie burd^ bie ®la«gemälbe gebämpften gtutl^en ber gemaltigen 2id(>t-
ftröme, bie von allen ©eiten bie el^rroürbigen ©allen beteben, ftnb
mie bie S3oten unb ältJ^em^üge beS ^immeld, bie baiS erhabene SBerf
t)erflären.
Stber nod^ weniger fei l^eute gebadf)t ber feinblid^en (Semalten,
bie ba8 neu gefd&affene SReid^ bebro^en: be« überaß t)erftedtt unb
3ut ©intoei^ung bed Kölner S!)omed. 267
offen TOtcber auftaud^enbcn ?ßartilularii^mu§; bcr im ginftern fd^Icid^ens
ben Umftur}partei; bei^ fanatifd^en ßelotiMu^^ ber bie l^eud^Ierifd^e
^a^fc ber SRcIigiofttSt annimmt; vox attem jenei^ ©rjfeinbc^, ber
mit unabtäffiger %üde unb ^artnädigteit bie alte beutfd^e fiaifer-
tnad^t unb baiS 9teid^ jerrflttet l^at unb auf ben Untergang be^ neuen
ftnnt. Slber an fol^em fefUid^en 2;age l^at ber ^effimi^mud fein
iRed^t; vertrauen von bem ©eniui» bed beutfd^en SSoIIe^/ ber fd^on
fo SßieleÄ überrounben unb eben wieber fo fierrUd^e^ t)ottbrad^t ^at.
^öge ber Äölner ®om, wie er in feiner t)oIIenbeten ©d^önl^eit fic^
in Seutfd^IanbiJ mäd^tigflem ©trome fpiegeft, nn^ fortan eine SKa^=
nung beffen fein, wag burd^ (Sintrad^t ju erringen ift. SKöge er
un^ bie bunlelften Seiten unfrei^ SBerfadiS, aber aud^ bie glänjenbflen
3;age unfreÄ aBieberauferjlel^en« fietd Dor äugen galten. 9»öge er,
um mit ben eblen SBorten griebrid^ SBil^elm^ IV, ju fdE^liefeen,
^,ben fpäteften ©efd^Ied^tem t)erfflnben von einem burd^ bie einigfeit
feiner ^üx^cn unb Sölfer großen, mäd^tigen. Ja ben Rieben ber
SBelt unblutig erjn^ingenben S)eutf$Ianb, von einem burd^ bie ^err::
lid^feit bed großen SSaterlanbeS unb bur$ eigene^ ©ebei^en glädC-
lid^en 5ßreu§en, t)on bem »ruberflnne cerfd^iebencr Sefenntnijfe, ber
inne geworben, ba§ fie ©ne« finb in bem ewigen göttlid^en Raupte!"
3m KaWnef MMtv m Sfuögart
(.^DotuttilB 3iUung" 1888.)
Tk
Jte jdE^iüäbifd^c ^auptftabt jeici^net fid^ bclanntlid^ nid^t gerabe
bux^ l^erDortagenbe lünftlerifd^e ©ammlungen au^^ aber feit !ur)em
befi^t fte hoäf einen @d^a^, um xodä)m mand^e größeren unb {unf!-
reid^eren ©täbte fie beneiben fdnnen. -©« ifi ba8 bei beut fönigl.
Äupferfitd^fabinet butd^ ben gegenioättiöen Snfpeftor betfelben, ^rof.
Äräutle, eingerid^tete unb gefd^madtoott aui^gefiattete Äobinet aWüHer-
SoÄfelbe ift eine Stiftung beiS in ^anlfurt a. aw. Detflorbcnen
^ifiorienmaleri^ Äarl v. SRütter, (Snlelö unb ©o^ne« bet berühmten
Äupferfied^er Sodann ©ottl^arb unb griebrid^ SRüHet. ©iefer fd^enfte
neun}eliin ber prad^tDoQflen ^anbjei^nungen feinet ©tojs^ateri^ unb
Sßaterö bem lönigl. Äupfetßid^fabinet in Stuttgart unter ber Se^
bingung, bafe biefelben in einem eigenen fiofale aufgefiettt würben
unb bafe biefe« ben SRamen „Äabinet 3RüIIer" erhalten folle. Ob=
wol^l bie räumlid^en SBerl^ältnijfe ber gefammten Stuttgarter Äunfl«
anftalt nod^ immer in l^ol^em @rabe ungenägenb ftnb unb ber S3au
be^ bringenb notl^menbigen neuen f^ügetö für bie Sammlungen
mit erfd^redfenber ßangfamfeit ftd^ üottjiel^t, ^at fid^ bod^ ein einiger^
mafeen geeigneter SRaum für baö Äabinet SRütter gewinnen lajfen^
fo bafe nunmel^r ^ier eine Heine, gefd^madtooll arrangirte eiite^
Sammlung aufgefiettt iji, t)on ber freilid^ mand^er funfibegeijlerte
Stuttgarter nod^ feine ä^nung ju l^aben fd^eint.
e« gel^ört gewife ju ben feinften ©enüjfen, bie Criginaljeid^
nungcn großer Äupferftcd^er ju jtubiren, t)onenbÄ xotnn babei ®e=
®a8 Äabinct Snüttcr in ©tuttgatt.- 269
legenl^eit geboten n)irb, biefelben mit ben au^gefäl^tten @ttd^en in
befonberd fd^önen älbbrüden ju t^etgleid^en. 2)afat ift ^iet aufd
beiie geforgt roorben, benn man l^at ben S^ä)nnnQtn jugleid^ bie
betreffenben ©tid^e l&injwgefügt. SDo^ Äabinet ifl baburd^ auf
66 9{umntem angen^ad^fen unb gel^ött nunmel^r ol^ne f^age }unt
erlefenjien unb Äojibatfien, xoa& trgenb auf biefem fünfilerifd^en
©ebiete ber Slnfd^auung geiDal^tt toerben tann. @in Iür}Ud^ au^-
gegebener ftatalog ent^&It nid^t blo^ eine 33efd^teibung ber ein}elnen
Slatter, foiool^I ber B^^wungen atö ber ©tid^e, fonbem aud^ einen
lurjen fiebenÄabrife ber beiben berül^mten Äupferfted^er, be« Sodann
©ottl&arb (1747 bi« 1830) unb feine« ©o^ne« Sol^ann griebrid^
(1782 big 1816).
3)en 9RitteIpun!t unb bie jtrone be« gan}en JtabinetS bilbet
felbftoerjldnblid^ ber berül^mte ©tid^ be« lefeteren nad^ SRafaefe ^\p
ttnifd&er aWabonna in einem ber fd^önfien äbbrüdEe. 3loä) immer
behauptet ber aRfiOerfd^e ©tid^ feinen alten 9tuf^ unb an ©lanj,
ftraft unb ^öd^fler ted^nifd^er SSoIIenbung, wie an gein^eit be« SBer-
iiänbniffe« unb S;reue ber SluffaRung gehört er ol^ne grage ju ben
^öd^ften SReijierfd^öpfungen be« ©rabftid&el«. »elanntUd^ ^atte SKütter
ben ©tid^ na^ einer Qdäinun% ber grau äpottonia ©eibelmann
begonnen; ba il^m aber bie Vorlage auf bie SJauer nid^t genügte,
fo fertigte er felbfi nad^ bem Original eine Slnjal^t loon Siniel-
fhibien in Aretbe, loeld^e unfre ©ammlung ooQflänbig beft^t. @«
ifl eine öanbjiubie jur SKabonna, §änbe- unb ©emanbftubie jum
^apß ©ijtu«, bie Äöpfe ber beiben ©ngel auf ber SBrüfiung, bie
Äopffiubien ber SKabonna mit bem ©l^riftuäRnbe, jum ?papft ©ijtuö
unb }ur ^eiligen SBarbara, femer ©emanb^ fianb- unb gnfejlubien
jur SRabonna unb ju bem ©l^rifiuöfinbe. 9Wan wirb nid^it leidet
Sottenbetere» fe^en, atö biefe ^errlid^en S^i^nwnß^"/ votl^ ben
JBeweiÄ liefern, wie tief ber Äünftter in bie Seifte unb gormenmelt
feines SSorbilbe« eingebrungen ift. Slid^t minber trefflid^ ift ber
präd^tige ©tid^ beiS (Soangeliflen ^o^anneS naä) bem beräumten
©emalbe ®ominid&inoÄ, näd^ft ber ftjtinifd^en aWabonna ba« fiaupt*
blatt be« 9»eifierÄ, fammt ber ebenfaBtö T)orjügIid^en ftreibejeid^nung.
au^rbem finben pd^ nod^ fein ©tid^ „La jeunesse", fowie bie
Äreibejeid^nung für biefe anmut^ige gigur, ferner bie aSenu« oon
270 S)ad ^abtnet aRüUer in ©tuttgott
arlc«, eine 3»otl^ftiftjeid^nung ju bem ?ßotträt feine« SSater«, femer
bie ^ortrate fiufelahb« unb 3Kartin SRotterf , foioie feine Sugenb^
arbeiten, bie »ier 3a^re«jeiten unb ba& ?ßortrdt t)on SJe^iarbinS,
fettete beibe Kopien na$ ben Stid^en loon äRarcet unb @belind.
an« übrige gel^ört bem älteren SKeifier S^l^ann ©ott^arb
3Rüller an. 3u ben größten ^prad^tflüden i&m l^ier bie untoer^
QUxä)lxä) fd^one 3eid^nung ju bem ?ßorträt Subujigg XVI., nad^ bem
@emälbe von bu ^leffii?, iDeld^em aud^ ein t)0t2üglid^er Slbbrudt be«
©tid^eiJ felbfi beigegeben ifl. ^ier fte^t ber Äünfiler ganj auf ber
33afi8 jener burdE> bie großen franjöftfd^en ©ted^er beiJ 17, unb
18. Sa^rl^unbertS begrftnbeten Suffaffung, bie burd^ feine unb geip*
reid^e Sl^aratteriflil, fon)ie burd^ bie ben)unberung«n)flrbige äSel^anb-*
lung ber überaui^ reid^en Setmetle ben materifd^en ^orträtftid^ }ur
l^öd^flen aSottenbung erlauben ^at, etwas SBotjüglid^ere« in biefer
Gattung ifl gerabe^u nid^t ju benlen. S)aran rei^t fld^ nod^ man^
t^e« anbete fd^öne Slott, fo namentlid^ ba« feincmpfunbene unb
malerifd^ üoDenbete ^Porträt ber etifabet^ 85ig6e ßebrun, roeld^
foiDol^l in ber prö^tigen S^xd)n\xnQ a(« in einem fd^önen Slbbrud
beö ©tid^eS üor^anben ifi, SRid^t minber geißreid^ ift baS SUbnil
be« 3Rater« 9(nton ©raff, ebenfaSd in ©tidE) unb 3^^>iung Dor^
Rauben. SBeiterl^in nenne id& baä fd^öne Porträt ©dritter« nad^
bem ©emftibe von ©raff, SJalbergS nad^ Slifd^bein, S^l&ann ©eorg
aSBiUe«, be« berühmten Äupferfied^er«, nad^ ©reuje, SRofeS SWenbct
fo^nS nad^ Stifd^, Serome SlapoIeonS nad^ Äinfon. SBon ibealen
jtompofiäonen nenne id^ bie SRabonna bella ©ebia nad^ SRafael,
bie fieilige Jtatl^arina (in S^^^^^^H ^^^ ®tid^)/ angeblid^ nad^
fieonarbo baSBtnci, in SBirfli^Ieit nad^ £uini; ferner bieSRabonna
mit bem Äinbe nad^ Sionetto Spaba, Sot unb feine S^dd^ter
nad^ ^ont^orfi, bie ©elbfiflbenoinbung äde^anber« nad^ ©ODaert
%lind, biefe fämmtlid^ in geid^nung unb ©tid^ vox^anhtn. Slu^er-
bem finbet fid^ eine ^errlid^e Äreibejeid^nung beS SKmp^ion, beren
©tid^ inbeB nid^t jur SKuSfü^rung gelangte, fo bag bie Jlompofition
faft t)öllig unbelannt iji. äud^ eine bebeutenbe l^ifiorifd^e Äompo«
fition, bie ©d^Iat)on 83unferg^iII, in bem fd&önen d^©tid^ nai^
2:rumbuII, liefert uon ber SSielfeitigfeit be« auSgejeid^neten aReifier«
TOettcren aSewei«. S)a enblid^ aud^ bie Sugenbarbeitcn beSfelben
^ai itabinet aRüaet in @tuttgari. 27 L
Dorl^anbcn ftnb, fo löfet fid^ bcr fänjtlcrifd^e ©ntoidelung^gang aufS
Morfte Dcrfolgen,
©g bebarf feiner tpeiteten SBorte, unt atten bcnen, rotl^t BtnlU
gart befuci^en, ben (Senujs na^e ju legen, weld^en biefe fd^öne unb
bi« ie^t felbft in ben näd^ftcn Äreifen no(i^ wenig befannte ©amm-
tung barbietet, ^ä) will aber biefe ©elcgenl^eit ni(ä^t unbenufet
lajfen, unt auf einen in ben ,,aBürttemb. SBierteljal^reÄl^eften für
ßanbeggefd^id^te" t)om Sa^re 1881 erfd^ienenen Sluffa^ Don SBer*
t^olb ^Pfeiffer l^injuroeifen, ber baS »efte entl^alt, roa« über biefe
beibcn berülimten Äupferfted^er big jefit gefd^rieben worben ifl. S)er
aSerfaffer bringt eine forgfältige »iograpl^ie ber beiben 2Weifier, bie
in quettenmäjsiger Arbeit nid^t blofe über i^r &tbtn unb il^re SBerfe
bcrid^tet, fonbern aud^ intereffante ©d^ilberungen ber bamaligen
lünfilepfd^en 3uftänbe Stuttgart« bamit ©erbinbet. 83eIanntKd& war
3oI|ann ©ott^arb SWüHer in »entlaufen a./g, afö ©o^n be« an^
gefel^enen ßanbmanneä unb ©d&ultl^eifeen Qo^anne« aWüffer geboren.
aSon ben eitern für bie 3;^eoIogie beftimmt, befud^te er in Stuttgart
ba« ©pmnaftum, benüftte aber jugfeid^ bie burd^ $eiqog Äarl auf
feiner afabemie eingerid^tete Stx^tn^ä)nU, wo er rafi^ burd^ feine
gortfd^ritte bie aufmerffamfeit feine« Sanbe«^errn in foldfient aWafec
ouf pd^ jog, bafe ber fierjog il^n ,,bei feiner befannten Steigung,
ein wenig SBorfel^ung ju fpielen/' für bie SRalerei beftimmte. 2)er
geiüanbte Sot^ringer ®uiba( würbe fein- fielirer ; aber nad^bent er
fed^« Sa^re mit ßrfolg flubirt ^atte, mufete er fid^ wieberum einem
neuen Slnfinnen be« ^eriog« fügen, ber ben SBunfd^ liegte, einen
tüd^tigen Äupferfied^er an feinem $ofe p befiften. Slid^t o^ne
SBiberftreben änberte aWüIIer abermal« feine Saufbal^n unb eignete
fid^ in 5pari« unter SBille im Saufe t)on fed^« Salären eine foIdE^e
©emanbtl^eit in ber gü^rung be« ©rabfii^efe an, bafe man il^n
fd^on bamatö ju ben erften Äupferfie^ern ber 3^it jä^Ke unb er
oom franjöfifd^en $of unter glänjenben »ebingungen ben Antrag
erhielt, bort ju bleiben. 2)ennod^ feierte ber treue ?ßatriot nad^
Stuttgart jurüdt, wo burd^ i^n balb bie Äupferfie^erei einen glän=
jenben 3(uffd^wung nal^m.
3)ie Heine Sleftbenj, biebamaf« 16000 ©inwol^ner jaulte, ^atte
burd^ bie energifd^e 3nitiatioe be« Serjog» Äarl ein wiffenfd^aft=
272 2)ad Aabinet mifitx in etuttgart.
Ixcj^t^ unb lünftlerifd^ed £eben getoonnen^ beffen fpätere (Sntfattung
leintet bem augetotbentlid^en SBad^dt^utn ber Stabt erl^eblid^ jurfid^
Hieb. SBaiJ unfercn aWüIIet betrifft, fo toat fein SRul^m fd^cm ba-
matö fo loeit gebrungen, ba% er abermald gl&nsenbe Berufungen
mHi ^ariÄ, nad^ SRailanb, fpäter nad& SBien, Serlin unb ©reiben
erl^ielt. Stetd fd^Iug ber bef(^eibene 3Rann in treuer 9(n^dngKd^feit
an feine Heimat biefe SSerufungen an^; bagegen iDurbe ii^m erlaubt
nad^ $arid }u reifen unb im 9luftrage SubnigiS XYL ieneiS n)unbers
voüt Porträt ht& Aönigd ju fted^en, t)on bem ein treffUd^er abbrud
fammt ber unt^ergleid^tid^en 3^^ttung' in bem Stuttgarter Aabinet
aufgefteOt ift. 9Bie bama(^ @oetl^e über bie Stuttgarter jtunfloer-
l^ältniffe unb unferen berühmten ©ted^er geurtl^eilt ^at, afe er 1779
mit Jtart 9lugu{l bie fc^n)&bifd^e dieftben} befud^te, ifl aObefannt.
S)er erfte fd^tuere Sd^Iag traf äRüKer unb bad gefammte.^^ere
£eben StuttgartiS, atö nad^ bem Xobe ^erjog ftarte bie älfabemie
aufgelöfl würbe, ©ogar bie Äupferjiid^- unb ÄupferbrudE^änftalt,
obwohl fie fid^ felbft ju erl^alten t)ermod^te unb in günjiigen Sauren
bem ©taat @rtrftgniffe einbrad^te, lourbe mit ber 9(ufldfung bebrol^t.
3n ber Eingabe, meldte SRüUer bamald um (Sr^altung bei^ Se-
ftel^enben ©erfaßte, fagter unter anberem: „^n einem Orte, wo
ber größte X^txi be^ ^ublilumiS unb nid^t blog bie
niebere Älaffe jo wenig ©efd^madt für bie freien Äünftc
^at unb mirtlii^e Aünftler t)on bem gen)d^nlid[ien ^anb-
merfer nid^t ju unterfd^eiben loei^, muffen jene offenbar
mutl^IoS werben, wenn fie fid^ felbji überlaffen finb." 3;ro6bem
blieb bie ä9ureaulratie, bie bid auf ben heutigen 3;ag in S)eutfd^:^
lanb nur in feltenen Slu^na^möfätten bie ^o^e Sebeutung ber Äunfl
ju würbigen weijs, unbewegt. 2)a „fd^Ieuberte er in gered[|ter ent=
rüftung il^r jene« benfwürbige ^romemoria entgegen, ba^ bei aller
3urüd(^attung im 9(uiSbrudE bie innere Erregung Derrötl^ unb ©d^lag
auf ©d&Iag bie Argumente l^fiuft, beren ©umme feine abbanfung
al^ eine X^at ber fd^reienbften äSiOtür erfd^einen lägt.'' @d ^atf
aUeiS nid^td, unb obwohl ber treffli^e 9nann felbfl lurj juDor einen
glfinjenben Stuf nad^ S3erlin aui^gef dalagen l^iatte, würbe i^m bie
unbebingte ©ntjiel^ung feinet ©e^alteiS eröffnet mit bem etenben
Xrojl, bafe ,,bei lünftigen ©elegenl^eiten auf i^n befonbere SWldffld^t
2)aS 5lQ5inet SDJüflcr in Stuttgart. 273
werbe genommen werben". Site nun SDiüHer Balb barauf einen
9luf nad^ SDreöben erl^ielt, routbe er glüdtid^erroeife burd^ ben 9te=
gierung^antritt beä ^erjog«, fpäteren Äönig^ griebrid^ tjerl^inbert,
feinem unbanfbaren Sßaterlanbe ben 3tüden jujufel^ren.
SSon ba ab blieb Sol^ann ©ottl^arb aWüHer in ©tultgart unb
roiberftarib aud^ allen fpäteren SBerfud^ungen be^ Slu^Ianbeö. SJÖie
i|od^ er t)on feinen 3^itß^^öffen ate Äünfller unb aWenfd^ gead&tet
mürbe, meldte innigen Sejiel^ungen er ju ben auögeieid^netfien ber=
felben tiatte, ift allgemein befannt. einer ber fd^önften SKomente
feinet fieben« mar e^ iebenfaffg, ate er im grül^jatir 1801, mit
©otta von ber fieipiiger a)leffe jurüdtfefirenb, mit biefem unb ©oetl^e
in SBeimar ju einem SWittageffen bei ©dritter jufammentraf. 3toä)
in bemfelben Sa^re überfanbte er burd^ ©otta einen auiJgejeid^neten
äbbrud ber ©d^Iad^t von Sunfer^l^iH ate 3^^^^ ^dmx SBerel^rung
an ©dritter unb eri^ielt ate (Segengabe Don biefem ein ©jemplar
ber fo eben erfd^ienenen „3Jiaria ©tuart" mit einigen 2Bibmungö=
jeilen unb einem marmen 2)anffd^reiben be^ S)id^terg. gür alle§
SBeitere permeife id^ auf ben treffUd^en 2luffafe ?ßfeifferS, ber ate bie
befte ©rflfirung ber im Äabinet a)Zütter vereinigten Äunftfd^äfte
gelten fann.
18
3^\sfabx^tiit Wantftvnn^tn.
^eUbevftabi xtnb ^gtefenßronn.
(^J5ti}XDm>mtc BOirftur" 1882.)
^'ic gütte funfigefd^id^tUd^cr S)cnfmälcr im fd^toäbifd^cn fianbc
ifl fo grofe, bafe cg fi(^ t)on 3eit ju geit lol^nen bürfte, auf baiS eine
ober anbete l^injuroeifen unb ben mertl^en SanbeägenoRen immer
roieber bie SKal^nung beS S)id&ter8 jujurufen: „SBillft bu immer
weiter fd^roeifen, fiel^^ ba^ ®ute liegt fo nal^'/' Seute motten mir
Don einem Meinen, iüngft unternommenen SttuÄflug berid^ten, ber uni^
altbefannte S)enfmäler mieber vox Slugen fül^rte, bie bei einem X\)txi
unferer Sefer weniger befannt fein bürften, als fie e« ju fein oer=
bienen. ®er erfte 5punft mar bie alte 3leid^8fiabt SBeilberflabt.
aSir moDen nid^t an bie grofeen gefd^id^ttid^en ©rinnerungen rühren,
bie ol^nel^in 3|ebermann geläufig finb unb beten bebeutenbfie in bcm
2)en!mql ÄepIerS monumentale ©eftalt gewonnen l^at Slber bie
©tabt befifet in il^rer alten ^Pfarrfird^e nid^t blofe eine d^araftets
t)oDe ©d^öpfung beS fpäten aWittelalterS, fonbern aud^ einen @d^a(
T)on älrbeiten ber Äleinfunft ober beS Äunftlianbmerfö, ber immer
roieber Don neuem Sead^tung t^erbient. ©d^reiten mir bie boppcltc
Freitreppe l^inauf burd^ bie l^übfd^en blü^enben Anlagen an ber
©übfeite ber Äird^e, oorbei an bem alten l^enlid^en Sinbenbaum, fo
gelangen mir ju ber ftattlid^en, in gebiegenem Duaberbau mit reid^^^
ftdbtifd^er Dpulenj burd^gefü]^rten,ben 2lpoftelf ürften ^petruiJ unb^auIuS
geroibmeten Äird^e. ©d^on burd^ feine breitl^ürmige Slnlage wirft ber
©c^iDöbifc^e äBanberungen. 275
Sau ebenfo malerifd^ ate anfcl^nlid^, unb c^ ifi l^ier foglcid^ bie Sc^
mertung t)orauiSjufd^i(fen, bajs bic fd^roäbifd^c »aufd^ule fold^e reid&cte
anlagen, bic neben bem SBejitl^unn nod^ jroei 2^l^ümte am &)ox
jeigen, öfter aufroeift. ©o an ber eblen SRarienfird^e ju ^Reutlingen
unb t)or allem am aKünfter ju Ulm, beffen ßl^ort^ürme neuerbing«
in lünfilerifd^ gebiegener SBeife DoBenbet roorben flnb. Säufig beuten
fold^e reid^ere 2;]^urmanlagen auf baS SBor^anbenfein eine^ älteren
Saue« ber romanifd^en ©pod^e, fo an ber ©tift^fird^e ju Stuttgart
unb fo aud^ an ber Äird^e ju SBeilberiiabt, wo bie (Sl^ort^ürme
offenbar alg SRefte einer fpätromanifd^en 2tnlage aufjufaffen finb.
®afür jeugen bie SRunbbogenfriefe unb bie fd^malen ©pifibogenfenfter.
3m übrigen fpred^en fämmtlid^e formen ber Äird^e, namentlid^ bie
mand^fad^ fomponirten fjifd^blafenmafewerfe ber genfter für bie ©d^lufe«
epod^e ber ©ot^il. 3)er 83au ifi aber mit befonberer Sorgfalt unb
fünftlerifd^er geinl^eit burd^gefü^rt loorben, wie man namentlid^ an
ben ©trebepfeilern erfennt, bie burd^roeg nid^t etwa bie in jener 3ett
bei beutfd^en 83auten rorl^errfd^enbe Döttig fd^lid^te gorm jeigen, fon?
bem eine reid^ere ©ntroidfelung Derrat^en unb mit jierlid^en gialen
befrönt finb. 3lm Sangl^au«, u)o bie ©treben mit geringem SRelief
Dortreten, ba fie faft ganj nad^ innen l^ineingejogen unb ju Äapetten?
anlagen üenoenbct finb, jeigen biefe gialen eine einfädle gorm,
mätirenb fie am (Sl^or in ber bered^tigten Slbfid^t, biefen mid^tigften
2:^eil angemeffen }u betonen, eine reid^ere ©urd^bilbung erfal^ren
t)aben. Heber bie ©ntpel^ung ber Äird^e geben jroei an ber ©übfeite
aufeen angebrad^te SBauinfd^riften Slu^funft; bie eine berid^tet, bafe
ber Sau im Sal^r 1492 neu begonnen roorben fei, bie anbere, bajs
Öenfetin t)on ^eim^l^eim mit feinem ©ol^n fie gegrünbet l^abe. ®ie«
bürfte rool^l xmfer roürttembergifd^eg, bei Seonberg gelegene« §eim«=
^eim fein. SDie erfte ^nf^ä^^ft beftnbet fid^ neben bem fübtid^en
portal, ba« in einer ^übfd^en gewölbten SBorl^aHe liegt, erroäl^nen
mir nod^, bafe ber SBefttfiurm mit einer burd^brod^enen äKafemerf-
galerie befrönt ift unb ron ba in« Sld^tedE übergebt, fo finb bie
n>efentli(^en S^l^eile be« 3lu^enbaue« bamit erfd^öpft. — Seim ©in*
tritt in bie Äird^e, bie neuerbing« eine roürbige Siefiauration er?
faf^ren l^at, empfangt un« ein überau« ^armonifd^er ©inbrudE, ber
burd^ bie nod^ vom gronleid^nam«fefte l^errü^renben ja^lreid^en
276 ©c§n>ä5i)c^c SGBanbetungen.
•
a^anncnbäutne an poctifd^cr SBirfung nod^ gewinnt. SBir befinben
uns in einem breifd^iffigen ^attenbau, ber bm^ bie iroifd^en bic
©trebepfeiler eingebauten ÄopeUen fid^ ju einer fünffd^iffigen Slnlage
erweitert. S)er &)0x ift aus bem äd^tedt gefd^Ioffen unb mit l^übfc^en
©terngeroölben bebedtt, wäl^renb baS Sang^auS Slefigetpölbe jeigt.
S)ie flippen finb burd^roeg fräftig bel^anbelt unb bei ©elegcn^eit ber
neueren Steftauration farbig beforirt roorben. S)aS ganje ^uncxt
maä)t burd^ bie anfpred^enben SBerJ^altniffe, glüdtlid^e Slaumoert^eilung
unb S3eleud^tung einen äberauS mol^ltl^uenben unb l^armonif^en ©in-
brudt. — Unter ben älteren S)enfmälem }ei(^net fid^ baS an ber 9lorb^
feite neben bem Slltar errid^tete S^abernafel burd^ impofanteam
läge unb reid^e SluSfü^rung auS, SRad^ infd^riftlid^em 3^"9"i6 ift
eS im Sal^r 1611 bur^ einen (Stuttgarter Äünftler ®eorg aWußer
auSgefül^rt roorben. ©S ift ein in ben formen unferer ©pätrenaijfance
nid^t ol^ne barode Elemente entn)idtelter ^od^bau, ber in brei Stb-
tl^eilungen bis jum ©eroölbe emporfteigt. Unten fielet man bie Iang=
bärtige ©eftalt beS @UaS rulienb auSgeftredft^ bem ein @ngel boS
SBrot bringt, eine f^mbolifd^e fiinbeutung auf bie gemeinte ^oftie
beS 2lltar|a!ramenteS. S)iefe %\inxm finb mie überl^aupt baS gigür-
Hd^e an biefem 2)cnfmal fd^on ftarf manierirt, in ben lonoentionencn
gornien burd^gefül^rt, mie fie bie SRad^folger aWid^elangeloS in jener
Seit überall jeigen. SefonberS reid^e ©d^äfee an lunftgewerblidjien
arbeiten birgt aber bie ©afriftei, oor attem jene prad^tDoffe SDJon*
ftranj, bie im rorigcn Sci^i^ ^uf unferer äuSfteHung allgemeiner
beJannt geworben ift. 2lufS jierlid^fte in ©über ausgeführt unb
reid^ t)ergolbet, gel^ört fie ju ben frü^eften unb fd^önftcn, bie wir
fennen, unb barf unbebingt bem Slnfang beS 15. 3a^rl^unbertS ju^
gefd^rieben werben. ®enn fie jeigt burd^roeg nod^ einen ftreng ar^i^
teftonifd^en älufbau, namentlid^ eine fel^r eble @eftaltung ber ad^t-
edfigen, burd^brod^en gearbeiteten ©pifee, bie eine Ueberfefeung ber
burd^brod^enen got^ifd^en S:£|urm]^elme in bie formen ber Oolb-
fd^miebefunft erfennen läfet. »eftfet ja baS fd^roäbifd^e Sanb in bem
2:^urm ber grauenlird^e }U ©fetingen baS weitaus grajiöfefte SDhifter
fold^er burd^brod^enen ^^ürme. 9[^ieQeid^t nod^ l^d^er an jtunftmert^
ftel^t baS prad^tDoUe filberne ^reu), baS in feinen überaus fein
jifelirten gigürd^en bereits ben ßinftufe ber flanbrifd^en Äunfl Der-
©c§iöä5if(§c SBanbcrungcn. 277
tät^ unb ba!)er in ben aiu^gang bcö 15. Qal^rl^unbcrtg ju fefeen ift.
5ln fjcinl^eit ber airbeit fowol^l in ben ornamentalen ate figürlid^cn
2;i^eilen gel^ört eö ol^ne gtage ju ben bt^tn SBerfen ber geit. Slufeer=
bem finb no(i^ jraei gotl^ifd^e Äeld^e t)on fd^öner flarer gormbilbung,
aber jiemlid^ einfad^er Sc^anblung ju feigen, ©in roal^re^ 5ßrad^fe
ftüdE fpäterer 3^it ift fobann bie glänjenbe filberüergolbete unb mit
Dielen bunten Steinen gefd^mädte äRonflran}^ bie alg ein üppigeiS
SSerf beä befien Sarodftife immerl^in SBead^tung t)erbient. ©ie l^at
bie in jener fpäteren S^it allgemein beliebte gorm ber ©onnenmon*
ftranjen, bei roeld^en bie l^eilige §oftie gteid^fam afe eine mirafulöfe
Sonne aufgefaßt iji, bie nad^ allen ©eiten i^re ©tral^Ien entfenbet
®iefe ganje Sluffajfung fddmedft nad^ jener tl^eatralifd^en Sefuiten^
fünft, mit roetd^er biefer finge Drben in Strd^iteftur, 5ßlafiif, aWalerei
unb Äunftgeroerbe aDeS auSjufül^ren liebte, roa« für fird^lid^e S^edEe
erforberlid^ war. S)ie ©pefulation auf bie finnlid^e ©rregbarfeit ber
3)laften fprid^t fid^ beutlid^ barin auS. SBir l^aben oielfad^ bie (Sr*
fal^rung gemad^t, bag aud^ l^eute nod^ baiS äjolf mit äSorliebe an
biefen Sarodtfd^öpfungen l^ängt. Um fo mel^r freute e^ uni^, auf
unfere ©rfunbigung ron bem madteren 3Jlefener bie Sßerjid^erung ju
befommen, bafe e§ ftd^ in SBeilberftabt anberö t)erl|alte, inbcm man
allgemein ber gotl^ifd^en SKonftranj ben SSorjug gebe. SBir regift=
riren ba^ gern ate ein S^^^^^ erteud^teten ^unftfinnS unb aU SBe=
roei^g von ber t)erebelnben SBirfung, meldte ein ed^te^ Äunftmerf auf
alle Äreife ausübt* 2lm @nbe ber ©tabt liegt bie §ofpitaIfird^e,
ein ^öd^ft einfad^er fpätgotl^ifd^er 33au, ber aber einen tJortreffUd^en
©d^nifealtar auÄ ber 3eit um 1500 enthält. 9Kan fie^t in einem
großen, ftarf vertieften ©darein bie ^eilige Jungfrau mit bem £inbe,
umgeben oon ^eiligen, namentlid^ ben t)ier ©oangeliften, tüd^tigc
3(rbeiten voü Sluöbrudt, inbioibueHer ßl^arafteriftif unb befonberS
feiner ©emanbbel^anblung, burd^ ©olb^ unb garbenfd^mudE, ber aller=
bingS eine (Srneuerung erfaliren Iiat, audgejeid^net. SBitt man ben
aSertf) biefer alten Äunfi red^t erfennen, fo mufe man biefe arbeiten
mit ben auf beiben ©eiten fammt einer l^äfelid^ barodfen Umrahmung
^injugefügten t^eatralifd^ aufgebaufd^ten giguren »ergleid^en. 3Kan
fann nid^t leidet einen größeren ©egenfafe beuten, aU jmifd^en jener
ernften, tief empfinbenben Äunft unb biefer flunfernben affeftation.
278 @cl^n)ö5i[c^e SBanberungen.
3lo^ jmei l^oljgcfd^niftte Stelieffiguren fielet man an bcr »rüftung
ber oberen ©alerie, Dietteid^t e^emate ju bemfelben aitar gel^örig.
SBon biefer ©eite bietet bie ©tabt mit ben no(5 mol^Ierl^altenen ehe-
maligen »efeftigungÄtl^ürmen einen befonber« malerifc^en änblidt,
— Sttuf ben SRarftpIaft jurütfgefel^rt, wollen wir nod^ be« ölten
aWarftbrunnenS tjom gal^r 1537 gebenlen, ber bie ge^ornifd^te
©tatue eine« aiitter« mit faltenreid^em SBaffenrodE unb geber^ut
in ettoa« fieifer gefpreijter ©teffung entl^ält. — 5Rad^ einigen genu^^
reid^en ©tunben t)erliefeen wir SBeilberftabt, um bem im Sabifd^en
gelegenen 2;iefenbronn unferen Sefud^ }u mad^en. S)ie ga^rt
ging auf gut gel^altener Sanbftrafee immer bem SBörmtl^al entlang,
in beffen faftige SBiefengrflnbe, in ber gerne umfäumt Don ben Su«^
läufem be« ©d^warsmalbed, ftd^ genugreid^e Slui^blidfe boten. S)ie
Heuernte mar in t)oQem ©ange unb gab mit il^ren belebten @ruppen
ber Sanbfd^aft eine onfpred^enbe ©taffage. ©rquidfenber 2)uft brang
JU und l^erauf, in melden bie üppig am Sßege blül^enben ätofen
il^ren mürjigen $aud^ mifd^ten. Qn einer ©tunbe -mar ba« freunb=
lid^e 5ßfarrborf erreid^t, bag troft feine« Slamen« jiemlid^ l^od^ an^
einem fiflgel über bem Xl^al fid^ l^inftredft. Unfer erfier ©ang galt
ber Äird^e. 6« ift ebenfatt« ein fpätgot^ifd^er Sau oon ber fd^lid^^^
teilen gorm unb 3lu«fül^rung, in »rud^fieinmauermerl errid^tet, ben
befd^eibenen SSerl^ältntffen einer ßanblird^e entfpre(^enb unb infofern
alfo meit abflel^enb oon ber gebiegenen Opulen) ber Aird^e in SBeil-
berjlabt. Stber biefer aufeen fo unbebeutenb unb fd^mudtlo« er*
fd^einenbe 93au entl^Slt einen feltenen ©d^ag an alten Aunftmerten^
oor aUtn fingen nid^t weniger ate fünf 3lltare, oon benen jwei für
bie ©efd^id^te ber fd^wäbif(^en ^unft augerorbentlid^e S3ebeutung
l^aben. SBa« junäd^ft bie Slrd^iteftur be« Snnem betrifft, fo läfet
pd^ laum ©infad^ere« beulen: ein breifd^iffige« ßang^au«, flad^ ab*
gebedEt auf fd&lid^ten ad^tedfigen 5ßfeilern, baran anftofeenb ein polpgon
gefd^lojfener 6^or mit got^ifd^en Äreujgewölben. S)ie Äird^e bürfte
bemnad& ber erften fiälfte be« 15. gal^rl^unbert« angetiören. an ben
e^or lel^nt fid& lin!«, wie e« fo oft in ©übbeutfd^lanb unb ber
©d^wei} üorfommt, ein einfad^er ©lodtentl^urm. »lidtt man au« bem
©d^iff in ben 6^or, fo ift ber ©inbrudE ein überrafd^enb präd^tiger.
3)er mit ©d^nifewer! unb ©emätben gefd^müdEte, in ®olb unb garben
©c^mäbifc^e äBanberungen. 279
ftrafitenbe ^od^oltar^ aber tDeld^em ätefle t)on trefftid^en ©ladgemälben
au^ bcn J)oi)tn (Sl^orfenftem l^crableud^tcn, bie vm anbeten, bie Dft=
wanb ber ©eitenfd^iffe fafi gfinjUd^ au^füttenben Slebenaltdre ge?
vo&^xtn iufammen ein überaus l^armonifd^eiS unb glänjenbed SBiCb.
beginnen wir unfere »etrad^tung mit bem fiod^altar, fo finben wir
in i|^m bo« infd^riftli(5 bejeugte unb batirte fiauptoeti eines ber be^
beutenbften SKeifter ber Ulmer ©d^ule airö ber jroeiten fialfte beö 15.
J^ol^rl^unbertö. SBäl^renb nämlid^ ber Slltarfd^rein an ber tjorberen
<Seite bie Sa^reSjal^l 1469 trägt, entl^alt er an ber SRücIfeite fol^
genbe augfül^rlid^e Snfd^rift : Anno domini im MCCCCLXMII gare
loarb biffi baffel uff gefefe unb ganft uff gemalt uff fant fiefanStag
beg 99apfi unb ift gemad^t ju ulm t)0 l^annge fd^fld^Iin malern. SBir
i^aben alfo l^ier ein fidler beglaubigte« Sau|)tToerf Jene« tüd^tigen
3ReifterÄ, Qan& ©d^ü^Iein, ber neben S^itblom an ber ©pifee ber
bamaligen Ulmer ©d^ule ftanb. SBie an ben meifien Slltären jener
3eit t)erbinbet ftd^ aud^ l^ier ©d^nifterei unb SKalerei ju glänjenber
^ufammenwirfung. 2)er SKittelfd^rein entl^ält in einer prad^tigen
ard^iteftur fpätgotl^ifd^en ©tile« oben im fiauptfelbe bie Äreuj«
abnal^me, barunter bie 99en)einung bei^ Seid^namiS Sl^rifti, baneben
in Heineren gelbern oben bie l^eilige Äat^arina unb ©lifabet^, unten
Sol^anne« ben S^äufer unb ben ©oangelifien. S)iefe SBerle, reid^
bemalt unb uergolbet, unb jroar burd^ neuere fierjieHung ettoaS ju
glänjenb, finb tüd^tige ©ddnifearbeiten in bem realiflif d^en auS glan-
bem eingebrungenen ©til beiJ t)orgefd^rittenen 15. Sal^rl^unbert«.
Ungleid^ bebeutenber aber pnb bie ©emälbe, meldte bie ^^lügel innen
unb aufeen bebcdEen. Stuf ber inneren ©eite fielet man Dier weitere
©jenen ber 5ßaffion, meldte mit ben beiben in ©d^niferoerl auSge^
fülirten einen tjottflänbigen 89^"^ bilben, linte oben Gl^rijiu« unb
^Pilatus, unten bie Äreujtragung, red^t« unten bie ©rablegung unb
barüber bie äuferfie^ung.
®iefe SBBerfe gel^ören unbebingt ju ben trefflid^jien ©d^öpfungen
ber beutfd^en Äunft jener ^zxt auf ben erjlen »lidt erlennt man
einen SKeifler, ber feine ©tubien in glanbern an ben gro&en
©d^öpfungen ber ©pdE'fd^en ©d^ule gemad^t I^at. Sefonber« iji eö
ber @inf(u^ ätogerS x>m ber SBe^ben, ber bei il^m mie bei ben
meiften 3^i*9^*^^ff^" i^^ ©eltung fommt. 2)ie mannigfa(^e 2ln=
280 @c^tpö5if(^e SBanberungen.
rocnbung bcö S^it'f^Püm^, namcntlid^ prad^tPoEcr 'SßxotaU unb ^el^-
mantcl, bcr ©d^nabclfd^u^c, be^ cigcntl^ümlidfien Äopfpufec^, tDcitcr-
f)m bie rcid^ burd^ßcbilbetcn lanbfd^aftlid^cn ©rünbc unb ard^itcfto^
nifd^en ^crfpelttt)cn, leitete bcfonbcr« bei bcr Äreujtragung, wo
offenbar eine ©tubie beS bamaligen Ulm mit feinen ©tabtmauem
unb %i)üvratn ju ©runbe liegt, atteö bieg läfet bcn begabten ©d&xUer
ber glanberer erlennen. SBag il^m aber Dorjuggweife eignet, baS
ift bie ergreifenbe S^iefe be^ StuSbrudt^, bie in bcm ron SBe^mut^
unb ©dömerj umflorten Slntlift 6I)rifti, aber aud^, t)orsügUd& bei ber
©rablegung, in ben fein empfunbenen grauenföpfen jur ©citung
fommt. 3ft unfer Äünftler nid^t fo feierlid^ gro&artig unb monu=
mental wie 3^itl>löm, fo jeid^net er fid^ bagegen oor biefem burd^
größere bramatif(^e Sebenbigfeit unb freiere Seroegung au:?. ©r
weife feine ©eftalten unmittelbarer ju befeelen unb in äftion ju
fefeen. ^u freier Sieblid^feit unb l^olbfelig ibriHifd^er ©d^ilberung
erl^ebt er [x^ in ben Silbern auf ben 3lufecnfeiten ber glügel,
roeld^e 4 ©jenen au^ ber ^ugenbgcfd^id^te ©^rifli, bie aSerfünbigung,
fieimfud^ung, ©eburt unb Anbetung ber Könige, entl^alten. fiier
ifi befonber^ bie 9)labonna t)on einer in ber bamaligen beutfd&en
Äunft feiten erreid^ten ainmutl^ ber ^üQt unb §olbfeligfeit be§ 9lug^
brudfg, namentlid^ aber gewinnen bie ©eroänber eine eigentliümlid^e
©rofeartigfeit im galtenwurf, ber von bem bamatö fo beliebten
fnittrigen SBefen fid^ merlmürbig freil^ält unb burdbroeg treffli^c
3J?otit)e jeigt. Sefonberö fein finb aud^ l^ier mieber bie lanbfd^aft^
lid^en §intcrgrünbe, in benen mir ©inbrüdfe ber Ulmer Umgebungen
annehmen bürfen. Qn ber 3lltarftaffel pe^t man bie freiberoegten
©ruppen ber 12 apoftel in 83ruftbilbern unb jmifd^en il^nen 6^ri-
ftug, merlmürbiger 2ßeife in ber ©efialt ©Ott SSaterg in langem
Sart unb ^auptl^aar mit ber Äaifer!rone unb bem Steid^^apfel.
aSaiS bie gärbung aller biefer SBilber betrifft, fo ifi biefelbe, foroeit
bie mobeme SRefiauration ein Urtljeil juläfet, oon fräftigem 2:on
in einem warmen ©runbatlorb, nid^t fo glänjenb unb prad^tüotl,
wie bie flanbrifd^en SJleifter, aber aud^ nid^t fo lid^t unb Mar, wie
3eitblom, fonbem etwa jwifd^en beiben ©egenfäfeen bie SJtitte eim
nel^menb. SKud^ bie SRüdtfeite besJ älltarfd^reing entl^ält ©emalbc,
iebod^ oon geringerer ©efeUentianb unb jwar in jwei Sleil^en, je Dier
6c^ioö5ifc^e SBanbetungen. 281
©cfialtcn, oben ©ebaftian, bcn erjengct SDUd^acl, ß^riftop^ unb
Antonius, unten ju beiben ©eiten ^Diargaret^a unb Slpottonia,
roäfirenb bie beiben mittleren ©eftatten oerbedEt finb. S)ie fd^malen
©eitenfelber beä ©d^reine^ fmb burc^ auffteigenbe SRanfen, ä^nlid^
benen an ber SHidfeite be^ Stxibtom')6)en Slltarfd&reing vom Verberge
in unterer Slltert^ümerfammhmg, gefd^müdt. ©ogar bie ©taffei
enthält in bem ©d^roei^tud^ ber S>eronifa mit bem Slntlifi S^rifti
unb ben t)ier Äird^entjätern entfpred^enbe aiu^flattung. 2)iefe^ eine
bebeutenbe SBerf mürbe genügen, ber Meinen Äird^e von 2;iefenbronn
einen roid^tigen ^piaft unter unfern alten S)enlm6lem ju fidlem;
aber bie Äird^e enthält nod^ einen anbern Slftar, an ©rofeartigteit
groar jenem untergeorbnet, aber an lünftlerifd^er unb namentlid^
hinfi^iftorifd^er SBid^itigfeit if|m in nid^tS nad^fie^enb. S)ie« ijl ber
a)JagbalenenaItar an ber Cftmanb be« füblid^en ©eitenfd^iffeS. ©d^on
bie gorm biefe^ SBerfei^ meidet ron Slttem ab , mag mir fonft von
berartigen ©d^öpfungen fennen. ©g füllt nämlid^ als gemalte 2^afel
eine grofee ©piftbogennifd^e auS, in beren SKitte aber ein eigentlid^er
9lltarf(^rein red^tminflig eingelaffen ift, 3)iefer entl^ält unter einer
33efrönung von fel^r fd(|ön auSgefüIjrtem gotl^ifd^en Saubmerf eine
grofee in §oIj gefc^nifetc unb bemalte ©tatue ber l^eil. SRagbalena,
wie fie pon jteben reijenben ©ngeln jum Simmel emporgetragen
mirb. 3^^^ fd^roeben ju ifiren ^^üjsen, fie mit auSgeftredften fiänben
umfaffenb, jroei anbere galten fie ebenfo an ben ©d^ultern, mä^renb
ein britter liebeooll mit ausgebreiteten Strmen if)ren Äopf umfängt
unb bie legten beiben ifiren ©d^ofe mit einem Xuci) rer^üffen.
S)ieS erfd^eint um fo notl^roenbiger, ba bie fieilige nad^ ber Segenbe
ganj nadtt bargefieUt ift, nur burc^ ein jarteS SBliefe bebedEt, roeld^eS
inbejs bie güjse, Äniee, ^änbe, ftopf unb i&afe frei läfet. 2)er Kopf
ifl t)om ^olbeflen Siebreij, ber burd^ baS lang l^erabflie^enbe, golbige
Sodenl^aar nod^ erpl^t wirb. S)ie glügel, meldte biefen ©darein
fd^Iiefeen, Rnb auf ben inneren ©eiten unter einem präd^tig ge=
fd^ni^ten SBalba^inbogen mit ben giguren ber ^eiligen a)tart^a unb
beS ^eiligen SajaruS gefd^müdEt. ©in munberfamer garbenfd^melj,
Derbunben mit fd^lid^ter Slnmutl^ in SKuSbrudE unb Haltung, befom
berS in ber roeiblid^en ©eftalt, jeid^net biefe Silber aus. SBenn
man bie SJ^üren fd^liefet, fo fie^t man auf ber Slufeenfeite legem
282 B^xt>ixbi\6)e äßanberungen.
barifd^c ©jenen, bie ftd^ auf bie ©efd^id^te ber Seiligen unb ber
mit il^r t)erbunbenen ©efäl^rten bejiel^en. ©ie Segenbe ei^ä^It näm-
lid^, bafe aWagbalena, bie ©d^roefter ber SRattl^a unb be*3 Sajaru^,
frül^er befanntlid^ ein arged äBeltfinb, bann eine fromme 93ügerin,
nad^ ber ^immelfal^rt bed ^errn aü treue Slnl^ängerin S^rifti ron
ben fanatifd^en Quben l^eftig t)erfol8t mürbe, ^iefe fefeten bal^er
bie brei ©efd^mifier in ein ©d^iff, baS meber ©egel nod^ Stuber l^atte,
unb gaben fie fo bem aJleere prei^. Slber bie fianb ®otte8 'geleitete
fie fi^er nad^ äRarfeiOe, mo SJIagbatena ftd^ in bie @infamfeit be-
gab unb in einer fiöl^te ein gottfeligeg Seben fül^rte,. mfi^renb i^r
33ruber Sajarui^ ber crfte SBifd^of t)on aWarfeiHe mürbe unb bort
unter ben Reiben ha^ ßl^riftentlium prebigte. 3lud^ ber ^eilige
ÜWajiminug l^atte fid^ mit i^nen gerettet unb afö Sifd^of t)on Slij
jur Slu^breitung beS ©l^ripentl^umS mitgemirft. SBir feigen ba^er
auf einer biefer 2)arjlteDungen bie gtüd^tigen im fieuerlofen ©d^iff
fifeen, mä^renb ber obere S^l^eil unS bie @rfd^einung ber ^eiligen
im ©d^lafgemad^ beS l^eibnifc^en dürften jeigt, bejfen (Semal^lin fie
ermal^nt, i^ren @atten oon ber äSerfoIgung ber S^riflten abjulialten.
S)er Äünfiler l^at bie ©jene gemflt^lid^ unb nair genug gcftaltet,
benn er Ifijst uniS burd^ ein riertl^eilige^, bie ganje 5ßorberroanb bc^
^aufei^ einnel^menbe^ genfter in bag ©d^tafgemad^ blidfen, mo ber
gürfl, feitmärt« in bie Äiffen gebrüdEt, ru^ig weiter fd^Iaft, mäl^renb
feine ©emal^Iin — unbeMeibet, mie e« bamal^ ©itte mar, jtd^ ju
Sette ju legen — fid^ aufrid^tet, um ben Ermahnungen ber ^eiligen
ju laufd^en. SBeiter oben enthält ber baS ®anje abfi^liefeenbe ©pi^^
bogen eine frül^ere ©jene auS bem Zthtn ber SDZagbalena. ©^ ifi
ba^ ©aflmal^t bei ©imon bem äluSfägigen bargeftetlt, mo a){agbalena
bem ißerrn mit il^ren 2:^ränen bie güfee mäfd^t unb mit il^rem $aor
abtrodfnet. S)ie ©jene ift voU ibi)IIifd^en SReijeg, benn mir fe^en
bie Safel im greien unter einer Saube aufgefd^fagen unb 6^riftu!&
mit brei ^Perfonen bei Safel fifeen, mäfirenb eine forglid^ aufgefd^ürjte
Wienerin ba« ©ffen l^erbeiträgt. 2luf ber einen ©eite in einer e<fe
ftelien SBeinflafd^en in einem Äüfiler, mä^renb bie anbere ed(e ein
aSinbfpiel auffaßt. 2)er alte SWater ^at, mie eö fo oft gefd^e^en,
feiner Siebe jur S^ierroelt baburd^ SluiSbrudE gegeben, bafe er bem
treuen Begleiter beS 9Renfd^en fogar in ber SMl^e beg göttlid^eii
@4n)&6ifc^e äßanberungen. 283
Scl^tctg ein befd^eibencg ^läftd^cn gönnt. Site frönenber Slbfd^Iujs
erl^cbt ^xä) übet ber 3l\\6)t eine i^oljgefd^nifete, reid^bemalte unb t)er=
golbete SWabonna mit bem Äinbe in ben flüf jtgen formen be« au^s
flebilbeten got^ifd^en ©tite. 2ln ber Stttarfiaffel enblici^ fielet man
in ^albfiguren ©^riiiuiS atö »räutigam jroifd^en ben fingen unb
tl^örid^ten Swngfrauen. SSon l^ol^er SBebeutung ift nun eine boppelte
3nf d^rift an ben ©ertifalen ©eiten beiS gefd^loffenen B6)teint^, roeld^e
in einer merhoörbig, fajl an bag fiebräifd^e erinnernben »ud^ftaben::
form alfo lautet: ,,fd^rie, funfl fd^rie unb Mag bid^ fer, bin begert
jecj niemer mel^r. ©o o we! 1431", unb auf ber anbem ©eite:
,,SuIa« aJiofer maier meifter be^ roerj, bitt got fir in". 3)iefer roadtere
aWeifler t)on SBeilberftabt, ber un« l^ier burd^ feinen ©d^merjen«-
f d^rei an« i^era greift, ifi nid^t blo& ein Äünftler, ber burd^ geinl^eit
ber empfinbung, anmutig ber ©eftalten unb SBeroegungen, feltenen
©d^Snl^eit^finn unb ein warm t)erfd^mol}ene« Äolorit fel^r bead^ten«--
mertl^ erfd^eint, fonbem ber pd^ aud^ ate einer ber ^auptüertreter
jene« Uebergange« au8 ber alten in bie neue 3eit ju ertennen gibt,
metd^er pd^ gerabe gegen bie aRitte be« 15. ^a^r^unbert« bei un«
oolljog. S)enn in ber Sieblid^Ieit ber raeiblid^en Äöpfd^en, wie im
weid^en galtenwurf unb ber fd(|lan!en gein^eit ber ©eftalt Hingt
bei i^m nod^ ber alte S^pu« ber Äölner ©d^ule eine« aReifter
SBit^elm nad^, roäl^renb in geroiffen realiftifd^en ©injel^eiten, in bem
©treben nad^ 5ßerfpeftit)e, in ber Aufnahme lanbfd^afttid^er unb
ard^iteltonifd^er ©rünbe, fowie einjelner ©lemente be« S^i^oftüm«
fid^ ©puren be« beginnenben, befonber» in glanbem jum SluÄbrudt
lommenben 9leali«mu2 erfennen laffen. S)ie» gilt namentlid^ r>on
ber l^erjig namn ©afimal^tefjene. SWan barf bal^er fagen, ba§
Sula« tWofer in ber fd^roabifd^en ©d^ule eine ä^nlid^e ©tettung ein::
nimmt, xok ©tepl^an Sod^ner in ber Mlnifd^en, nur mit bem Untere
fd^iebe, bafe ber Äölner SReifter großartiger unb aud^ burd^gebilbeter
ift, fein ©ombilb aber aud^ roal^rfd^einlid^ etwa« fpäter batirt, ate
1426, roie man gewöl^nlid^ annimmt. — Sonnen biefe beiben aitare
allein einen »efud^ in 2:iefenbronn, fo flnb aud^ bie übrigen ältar=
fd^reine, obgleid^ über fle eine flarfe Stefiauration. ergangen ift,
immerl^in von SBertl^, aufeerbem burd^ fefte S)atirung roid^tig. S)er
anuttergotte«altar, linfö t)om Sriumpl^bogen, t)om Sal^r 1517, jeigt
284 @c^n)ä5ifc^e äBanberungen.
jTQifd^en $etru^ unb ^au(ud bie von @ngeln gehrönte ^Diabonna^
barübcr ben ©cfreujigten mit 2)kria unb Qo^annc^, fobann auf
feinen gtflgeln bie tüd^tig bur^gebi(beten @efia(ten ber l^eiUgen
Urfula unb Stpottonia. ©ie pelzen auf einem gemujierten ©olb»
grunbe, ber t)on jierfid^en ^ü^renai^fance-^ilafiem eingefaßt wirb,
TD&l^renb ben obetn älbfd^Iug eine reid^ gefd^m^te got^if^e "äiante
bilbet. 3loä) ein anbetet aBerl, ber Äreujaltar rom Qal^r 1524^
rcd^tS vom S^riumpl^bogen, entl^ält ©arftettungen and bem Seben
^o^anneg be^ 2!äufetg, foroie auf ben klügeln bie ©efialten von
©anft 3litolaug unb Hatl^arina, ferner bie beiben ^^eftl^eiligen
JRodfiuS unb ©ebaftian. 2lDe biefe SBerfe fmb bead^tenöroertl^e Seiftun^
gen ber fd^wäbifi^cn ©d^ule. S)er leftte biefer Slltäre ift fein glügel=
attar, fonbem bilbet eine einjige 2^afel, auf weld^er bie Himmelfahrt
bed auferftel^enben ß^riftuS in einer äuffaffung bargefteEt ifi, ber man
bag ©tubium ber Staliener be^ 16. ^al^r^unbert^ beutUd^ onmerft»
2)a^ SBerf bürfte ber 3^it nad^ 1550 angel^ören. 3n ber ©toffel
fielet man jc^n SRitglieber ber ©tifterfamitie im ®ebet fnteenb, na<^
ber bamaligen ©itte bie fünf grauen auf ber einen, bie 3)Mnner
auf ber anberen ©eite. 3m Äird^enfd^afi enblid^ t)enoa^rt man eine
ber gro^artigften unb fd^önften fpätgot^ifd^en aWonftranjen. ©ie
ift üppiger unb fraufer in fjormgebung, al^ bie eblere unb flrengere
oon SBeilberftabt, bie ol^ne grage einen etwaig frül^eren SIppug tjer^
tritt. 3^r SReij berul^t auf einer mel^r malerifd^en ©eloration, unb
bie realiftifd^en ©trömungen ber ©pätjeit beiS 15, Sa^rl^unberti^
fpred^en fid^ namentlich in ben figürlid^en 2^l^eilen au«. Sead^teng^
roert^ in biefer fiinfid^t ijl befonberd bie miniaturl^aft jierlid^e ©ar-
fteUung beS ^eiligen Slbenbma^te auf ber mittleren ^Plattform, mo
ed an ben ätequiftten einer tool^lbefteUten ^^afel bid }u bem mit ^ox^
liebe be^anbelten SEBeinfül^ler ^erob nid^t fel^lt. ©nblid^ fielet man
bort nod^ ein filbeme^ SBei^raud^fafe au8 ber befien ^dt ber SRes
naiffance, burdd ©d^önlieit ber ©efammtform unb Slnmut^ ber aui^:^
gefd^nittenen Ornamente eine« ber uorjügtid^fien SBerfe biefer Slrt.
gügen mir noc^ l^inju, bafe bie ßl^orftü^le von tüd^tiger, wenngleich
einfad^er mittelalterlid^er älrbeit finb unb bafe bie ©afetftei einen
meifterl^aft burd^gebilbeten ©darauf vom ^af)x 1464 enthält, ber
befonberg wegen beg oberen griefeö unb 3innenfranjei^ ate mufter-
@(^n)ö5if(^e Sßonberungen. 285
flültig für ben ©til bejcid^nct werben barf, fo ift ba^ SBid^tigfte bc=
rül^rt, xoa^ btefe Heine ftird^e umfd^liefet. 2)er aufeerorbentlid^e SReid^-
ti)um an Äunfibenimftlern würbe in einer einfad^en fianbfird^c ge-
rabeju unDerftänblid^ fein, wenn e^ fid^ nid^t um ©tiftungen ber
alten gamilie ©emmingen l^anbelte. 9]od^ jefet jeugt eine anfe^n=
lid^e S^^ figürlid^ bel^anbelter ©rabfieine t)on biefem Sßerl^ältnife,
bod^ erl^eben fi(^ biefelben nid^t über bag 9lioeau einer jiemtid^
mittelmdfeigen fiolalfuuft, Qmmertiin aber ift ilinen l^iftorifd^er
SEBert^ nid^t abjufpred^en. — SBerfen wir einen SRüdblidE auf bie
beiben ^auptwerfe ber Rix^t, ben ^od^attar @d^ül^Iein^ unb ben
5IWagbatenenaltar SuIaiJ 9Bofer2, fo feigen wir fofort, wel^e Um-
wanblungen bie fd^wäbifc^e Äunft in ber furjen grift eine§
aJienfd^enalteri^, jwifd^en 1431 unb 1469 erfahren l^atte. SBfi^renb
ber ältere aJieifter in feiner Sluffaffung nod() auf bem Soben ber
ibealen Slufd^auung be« SWittelalterö fte^t unb nur in einjelnen leifen
3ügen bie erften fd^üd^ternen Siegungen einer auf tiefere« 9latur=
Derftänbnife unb energif(^en SHeali^mu« au^gel^enben neuen ^txt er*
lennen läfet, ift biefe neue SJenbenj bei bem jüngeren SReifter jum
t)oIIen 3)urd^brud^ gelangt. Offenbar l^at er, ä^nlid^ wie fein S^xU
genoffe grife perlen t)on SRörbUngen, in glanbern in ber ©d^ule
be« großen Stoger tjan ber SBetiben feine Stubien gemad^t unb von
bort jene lebendoolle burd^gebilbete Äunft l)cimgebrad^t, bie fortan
bie fierrfd^aft in 3)eutfd^Ianb erlangen fottte. SBäl^renb aber bie
meiften bamaligen ©d^ulen bei un^, namentlid^ bie nieberr^einifd^e
unb bie frantifd^e (man tjergl. ben a)ieifter ber fipoeriSbergfd&en
5ßaffion unb aWid^ael aBo^lgemutl^), ben flanbrifd^en SRealiömu« in
äufeerjier ©d^ärfe aufnal^men unb nur nad^ Seftimmtl^eit ber 6(ia=
rafteriftif unb bramatifd^em Slu^brudf um jeben ?preiö ftrebten, ift
eö eine gemeinfame ©genfd^aft ber meiften fd^wäbifd^en Äünftler,
Dor allem 3Wartin ©d^ongauer«, 3«ttblom« unb au^, wie wir ge-
fe^en ^aben, unfere« $ang ©^ül^lein, bafe fie bie realiftifd^e 3:en5
benj mit einer weid^en älnmutl^ unb jarten Qnnigteit, ja mand^mal
felbft mit einem eblen ©d^ön^eitögefül^l ju t)erfd^mel}en wiffen, fo
bafe bei i^nen trofi aller naturaliftifd^en SBal^rlieit ba« ibeale ©lement
treu feflge^atten wirb. 2)arauf berul^t ber ^ol^e äSorjug ber fd^wä-
bifd^en aWalerei jener 3eit, ba« ift il^r d^arafteriftif d^e« SBefen. SBeniger
286 e^ioöbifc^e SSanberungen.
fiart unb mannlid^ afe bie nieberrl^cinifd^e unb fränlifd^e ©d^ule,
ifi i^r eine fajl roetblicä^c SKilbc eigen, bie il^ren ©d^öpfungen jus
meift ben ^and^ einer ib^Kifd^en Stimmung Detleil^t @ie ftnb bie
Sprifer bet bamaligen ^unfl, ro&f)xmb jjene nörblid^eren ©deuten
einen me^r plafiifd^'en ©inn üerratl^en.
(„9\t OStatnnmtt" 1882.)
«.
Leber SBaönerg ,,5parfifal" ifi feiner 3cit fö t)iet unb jum
%^t\l fo S^refflid^eS gefd^rieben toorben, bafe e^ überflüf jxg erfd^einen
fann, nad^trägUd^ nod^ einmal auf ba§ SBerl jurfldjufommen. Unb
bod^ wirb metteid^t bem Äunft^iftoriler gefiattet fein, über eine
©d^öpfung, bie iebcnfaUg ju ben merhoürbigPten unb eigenartigften
unferer 3ßit gel^ärt, aud^ ron feinem ©tanbpunft an^ ein Urtl^eil
abiugeben, ibren 3ufammenl^ang mit anberen mobemen Äunfierfd^ei-
nungen nad^jutDeifen. äJieUeid^t lägt [x6) aus fotd^en 93etrad^tungen
ein neues fiid^t für baS SBerftänbnife beS SBerfeS geroinnen.
3J?an lann über ,,?ßarfifal" nid^t fd^reiben, o^ne mit einer
SRetjerenj t)or ber eifernen SBillenSlraft, ber unbeugfamen Äonfequenj
feines Url^eberS ju beginnen. S)aS foH aber t)on meiner ©eite
leinen Uebergang in baS SBagnerlager bebeuten. Qm ©egentl^eit:
,,^arfifal" l^at mid^ ebcnfo unbefel^rt gelajfen, wie bie früheren
©d^öpfungen beS ,,9WeifterS". aJian fann eine ^of)^ 3J?einung von
ber SBegabung eines ÄünftIcrS l^abcn, o^ne barum mit feiner SRid^^
tung cinperftanben ju fein. SBir berounbern bie ©eniatität eines
Sernini, ol^ne barum ju Derfenncn, bafe feine t^eatralifd^ gefpreijten,
manierirten, unnatürlich übertriebenen Oeftalten einer grunboerfel^rten
Sluffaffung il^re ejiftenj perbanfcn. 2lel^nlidö wie bei jenem $aupt=
meifter ber SBarodfffuIptur erfennen wir bei SBagner eine Sluflöfung
ber gefunben Äunftprinjipien; aber wir fönnen barum bod^ bie
^oi)t Segabung, mit ber biefelbe in ©jene gefefet wirb, nid^t leugnen.
288 »apreutl^er Dkc^flönge.
erroägt man t)otlenbS bae ©rcifcnaltcr bed Äomponiftcn, fo fteigcrt
fid^ biefe aincrfcnnung ju einer fiutbigung poi >em ©eniuö unb
ber ©nergie eines ÄünftlerS, bct nun fd^on feit mehreren ©ejcnnicn
bie SEBelt mit feinen ©d^öpfungen erfüDt unb feine 3^it9C"öffcn
ebenfo felir ju nta^Iofet SBergötterung wie ju einfeitiget SBerbammung
entjünbet. §at man bod; jur Qdt ber ?parftfalauffül^rungen in
einem angefelienen Statte gelefen: bieg SBerl bejeid&ne ben §ö^en=
punft in ber fünftlerifd^en unb geiftigen ©ntroidflung beS 3)?eifterÄ;
e« Hinge aug il^m ber tief im ^erjen ber mobernen 2Wenf4i^eit,
il^r ium %\)exl unbewußt fd^Iummernbe ©runbton l^erauö, ja e«
fei in il^m ber ginger in bie SBunbe beÄ l^eutigen ©efd^le^teS
gelegt!
SEBir finb beS bombaftifd^en ^ßl^rafenfd^roaUeg in jenem Säger
längft ju fe^r geioo^nt^ um unS nod^ über irgenb ®tn)ad^ n)aS von
bortl^er ora!eIt wirb, ju renounbern. 3ft bo^ neuerbingiS SBagner
gerabeju al§ ©rlöfer ber 9)ienfdöl^eit proHamirt roorben, eine SRoHe,
JU ber er nid^t blofe burd^ feine aJiufif, fonbem aud^ burd^ fein
aSegctarianert^um, feine (fd^on minber l^armlofen) ^efien gegen
bie aSirifeftton unb gegen bie Suben befähigt erf^eint. SlHen bicfen
fd^roinbel^aften Uebertreibungen gegenüber wirb jeber Unbefangene,
ber R(^ mit bem ,,5Parfifal" vertraut gcmad^t unb eine ber
mufHerl^aften, ja gerabeju t^oQenbeten äluffä^rungen beS SBerfed
erlebt l^at, gern gefte^en, bafe in biefer, wie in jeber anberen
©^öpfung beS aufeerorbentlid^en 3WanneS, eine Sleil^e großer fjenifd^er
unb felbft mufifalifd^er ©d^önl^eiten äluge unb O^r beraufd^en, ba|
aber im ©anjen unb (Srofecn bie Äraft unb grifd^e ber ©rfinbung
beträd^tlid^ nad^gelaffen ^at, n)ä^renb baS ©efd^idt ber 2)urc^fü^rung
fid^ mo möglid^ no^ gefteigert unb }um ^öd^ften Staffinement ent-
roidfelt jeigt.
3^ will Donoeg bemerfen, bafe eS bie fünfte aSorficEung bcS
,,83ül^nenn)ei^fcftfpiefö" am 8. Suguft mar, meld^er id^ beijumo^nen
©etegen^eit fanb, unb bafe biefe SBorftettung eine ganj t)or}ügUd^e
mar. S8 fehlte in ber 2:^at aud^ nid^t an bebeutfam mirfenben
SDiomenten. 2lber mie l^at aud^ SJBagner fi^'iS angelegen fein laifen,
mit bem l^ö(^ften SRaffinement alle« }u einem padEenben ©efammteffeh
8u fteigern. S^^^äd^ft, inbem er bie ßufd^auer jmingt, ju il^m nacft
SBapreut^cr «Rac^frängc. 289
33at)rcutt| ju fommcn, ein B^itopfer von mctircrcn ^agen ju bringen,
ft(^ aug bcm ^ageStreibcn, au^ allen Sejicl^ungen be^ SKtttagtebcng
l^erauSjureifeen, t)erfe6t er fie in ntufeetjotte (Stimmung, in roeld^er
ba^ ©emütl^ befonberS empfängli(3^ mirb für bie ©inbrüdfe ber
Äunft. ©r gibt baburd^ fold^cn Sluffül^rungen, im ©egenfafec ju
iinferen geroöl^nlii^en S^^eaterabenben, etwa« SBeitieüode^, äufeer::
geroö^nlid^eg. ©obann, inbem er Sllle« entfernt, waS bie Sttufmert^
famleit jerftreuen fönnte, jroingt er alle Sufd^auer, i^re lonjentrirtc
aiufmertfamleit auf bie glänjenben Silber ju rid^ten, voüä)^ feine
»ü^ne barbietet, unb bie um fo intenfioer roirfen, afö man t)on
bem fonjl fo ftörenben äußeren aipparat beö Drd^efterg ni(3^tö erblidt.
Äe^rt man t)on SBa^reut^ in unfere gemö^nlid^en S:^eater jurüd, fo
ift biefe Störung bie aUerempfinbUd^fte, unb eS läfet fxd^ fd^toer
begreifen , warum unfere Sntenbanten unb 3)ireftionen nic^t längft
biefen unleugbar großen gortfd^ritt fid^ angeeignet l^aben, roal^renb
eö bod) SDireltoren gibt, bie bie Sßerbunlelung be§ S^^f^^uerraume^
acceptirt liaben, freilid^ oft nur auS elenben ©parfamleit^rüdfid^ten.
UebrigenS mV, x6) nid^t oerl^el^Ien, bafe mir biefe Sßerbunfelung in
aSapreut^ Diel ju weit getrieben erfd^ien. SKan ^atte ben un^eim^
lid^en ©inbrud, in einem Äetter eingefperrt ju fein, wo man au^
2iö)U unb Suftmangel erftiden ju muffen meinte. ®al|er fam e^
benn voo% bafe — für mid^ wenigften^ — baS ÄöftUd^fte im 5parftfal
bod^ ber 2lugenblid war, roo man im erften 3w)if<ä^enafle ^erau^trat
unb bie lieblid^e Sanbfd^aft brausen im milben 2lbenblid^te liegen
fa^. — Slßie unnatürlid^ gefd^raubt erfd^ien bagegen ber raffinirte
^olu^pohiS ba brinnen!
5Rimmt man inbefe bieö aiHeg jufammen, erwägt man bie aug=
gejeid^neten fünfilerifd^en Äräfte, bie l^ier — jum S^Iieit fogar
in boppelter ober breifad^cr Sefefeung — mitwirften, bie ^jJrad^t
ber fjenifd^en Slu^ftattung, bie Sorgfalt in ber (Sinftubirung be^
mufifalifd^en unb bramatifd^::mimifd^en %\)txU, fo müfete eS oer-
iDunbem, menn nid^t, felbft bei t)iel geringerer SBegabung be^ Äom^
ponifien, ein beraufd^enber ©inbrud erhielt mürbe, ©rinnert man
ftd^ bann aber, wie mittelmäßig unb mie gleid^gültig auf ben meiften
a3fl]^nen a)Iciftermerfe mie 3)on Quan, Söuberftöte, gigarog iQod^jeit,
gibclio, greifd^üfc 2C. jur ©arftellung tommen, fo liegt ber SBunfd^
19
290 «Jaijreut^er ^ad^tlan^e.
nafic, cg einmal ju erleben, bafe biefen unfterblid^cn ©d&öpfunßen
biefelbe ©orgfalt ber aiuffü^rung ju SC^eil würbe, wie fie SGBagner
für feine SBerfe ju erjroingen weife. Unb wie gefd^icft bmä)net ber
flufle aJlann bie Strömungen ber 3eit, rote fein fpefulirt er auf
bie ©d^roSd^en ber SKenfd^en! ©r roeife fefir gut, bafe unter feinen
leibenfd^aftlid^en anl^ängem bie grofee aWe^rjal^l oon fierjen un^
mufifalifd^ ift, unb bafe nur eine cerfd^roinbenb Keine 3^^^ ^^^
ftürmifd^ fomplijirten ©fingen feiner Drd^efterpaffagen ju folgen
t)ermag. 3)ie 3Raffe roill vox aUen ©ingen burd^ eine bie Sinne
in Slufrutir feßenbe, adeiJ 3)ageroefene an elementarer ©eroalt ber
SBirfung überbietenbe aWufif betfiubt roerben. 2)aju aber fügt ber
menfd^enfunbige Äünftler no(i& ben erbenflid^Pen 5pomp ber Sjenc^
rien, bie ^öd^fte $rad^t fjenifd^er SBerroanblungen , fünfttid^er Se^
leud^tunggeffefte, fontrafiirenber Äoflüme, unb fo bringt er jene
Sül^nenroerfe }u ©tanbe, bei benen bie aWufif, fo red^t im ©inne
beS großen Opernpublifumd unferer 3^it, mel^r mit ben Slugen ali^
mit ben D^ren genoffen roirb. ©o entfielet im 2\i]^antv ein ©innen-
raufd^, bei bem e^ itim felbft nid^t tlar roirb, rote uicl baoon auf
SRec^nung ber einen ober ber anbern Äunfl ju fefcen ifl. a)a^er
fommt e«, bafe, roäfirenb ber unfterblid&e mufifalifd^e ©e^alt eine^
9)2o}art, äSeet^ooen, SBeber in jebem Xonftüdf, aud^ aufeerl^alb bed
2:i|eaterS, entjüdfenb fortflingt, bei SBagner umgelegt nur bie
gefammte SBütinenroirfung bem SWufifftüdf eine Slrt von 33ered^tigung
JU geben oermag.*
3m ^ßarpfal nun tjoffenbö fiel|t, roie gefagt, aud^ bie eigentlid^e
mufifalifd^e ®rfinbung nid^t melir auf ber früheren SBagner'fd^en
$öf|e. 3)ie Seitmotioe — von biefen mufifalifd^en ©tedfbriefen ifl
t|ier ber augfd^roeifenbfte ©ebraud^ gemad&t — ermangeln meijlenttieite
ber ^ßrägnanj, ber d^arafteriftifd^en Slu^pragung. 3n ber funjiooHen
SBerroebung berfelben leiftet berÄomponift erfiaunlid^eö; aber biefe
ganje 3lrt ber ÄompoRtion ift ber fd^lagenbfie SeroeüS tjon bem
Ueberroiegen beä 3lefleftirten, SBerfianbeSmäfeigen in biefer aWufif. ©ie
ftrömt nid^t batiin mit bem natürlid^en SBo^llaut, ben bie $^antafle
unferer großen 5IJleifter ftetö über un3 auögiefet; fonbem jie arbeitet
fid^ mü^fam burd^ iginberniffe l^inroeg, ftetö gepeitfd^t von ber rüdt^
fid^tÄlofen Energie beä Äomponiften, ber, roa« i^m an freigeftaltenber
Sat^reut^er 3laä)liänQi, 291
^^antaftc abgebt, burd^ crtünftcite Kombinationen §u erfcßen fud^t.
2Ber ^xö) ballet nid^t bcr blofecn elementaren SBtrtung biefer un-
getieuren S^onmaffen willenlos gefangen gibt unb in jener Setäu^
bung bajiftt, bie baS Kriterium beö aOBagnerfd^TOärmerS ift, wer vkU
mti)x biefe aWufif tiefer }u erfajfen fud^t, ber empfinbet balb, bafe
eS ein fompIijirteS SRed^enesempel ift, ba§ feinem SBerfianbe aufs
gegeben wirb,
aSon ber aWeificrfd^aft, mit toeld^er SBagner baS Drd^ejler be^
^anbelt, brandet nic^t weiter gerebet ju werben; wo er rein
ord&eftrale ©teilen gibt, wie bei ber SBanbelbeforation im erften
9l!t, jie^t er atö Äünftler am ^öd;fien. Slber wo feine ©eftatten
fingen, ba erlennt man fafi immer, bafe i^m jene Oenialität nur
in SluSnalimefällen ju ©ebote fie^t, bie burd^ fpontane ©rfinbung
bcr einfad^ften volaUn 2;^emen, ©äfce, SKotiue mit wunberbarer
aWad^t an ba^ ©enlnim unfereS mupfalifd^en ©mpfinbenS anpod^t.
3ene l^enlid^en SWclobien, bie bei unferen großen aWeiftern unS
immer wieber mit ©ntjücfen überriefeln, fie finb bem Äomponifien
be§ „5ßarfifal" fafl gänjHd& oerfagt. SBo er teibenfd^aftlid&er 3lccente
bebarf, wie bei ber aSerfül^rungSfjene ber Äunbrt) im jweiten Slft,
ba fteigert er fid^ fo gewattfam, baj5 er eine SReilie loon aWifeflängen
barbietet. Ueber^aupt tritt bie S)if[onanj fo maffen^aft in biefem
SBerfe tiertjor, bafe man SBagner — ber bem ernpen Sra^mi^ ben
3)oltortitel fo fe^r mißgönnt — füglic^ jum S5oftor ber Äafoplionie
ernennen Wnnte. @ine wunberbare SluSnal^me mad^t ber in feinem
©reifenalter fo a^jetifd^ geworbene Äomponift in bem 6^or ber
SBlumenmäbd^en. 2)iefe leidet be!(eibeten jungen 2)amen, wetd^e
bem armen $arfifal mit einer polijeiwibrigen 3)eutlid^feit jufeßen,
finb mufilalifd^ fo reid^ auSgefiattet, baß i^ier eine ber löftlid^ften
5ßerlen ber Dper anjuerfennen ift. aWan bemerft mit SBergnügen,
bag ber a(te 9lbam in SBagner bisweilen aufwacht unb if|m gelegent-
lid^ eine üppige aWelobi! eingibt.
3m übrigen aber ift bie enblofe Oebe biefeS trojilofen pfalmo:=
bifd^en 3lecitiren§, ber man fajl ben ganjen 2lbenb auiSgefefet ift,
eine jener SBunberlid^feiten, an benen SBagner mit merfwürbigem
eigenfinne feft^ält. 3n ber ©efettfd^aft gel^ört eS fid^erlid^ jum guten
2;on, 3ebermann auSreben ju laffen unb nid^t burd^einanber ju
292 SSapreut^er 92a(^rränge.
fd^reien. aber bie^ parlamentarifd^e ^Prinjip, roenn e^ in fold^cr
Säuäbel^nunö auf bie 3Wufif angcroanbt wirb, ift nur baju angctl^an,
biefe Äunfl um einen großen S^^eil il^rer jauberüottften SBirfungen
ju bringen. 3)ie lel^rl^aften Äatl^ebertjortrage beö biebern ©urnemans
erinnern bebenflid^ an bie weitläufigen ®i-peftorationen be« feiigen
SBotan. aWan fd^mad^tet ben ganjen abenb förmlich nad^ einem
SDuett ober S:erjett. SRid^tö t)on aUebem: e^ ift eine eigent^ümlid^e
Slrt t)on agjefe, ju ber boiS Dtir t)erbammt wirb. Unb bamit l^dngt
no6) etwas 2lnbereiJ jufammen : ber SKangel an roirflid^er S)ramatif .
S)ie enblog l^inauSgefponnenen ©jenen, bie mütifam ^lö) ^infd^lep-
penben (Srjätilungen, bie in biefer Oper nod^ läl^menber finb ate
in allen frül^eren SBagnerS, finb fie nid^t bie abfolute $»egation
alleg 2)ramatifd^en? Unb ba«, bei einem Äomponiften, ber ba^
SDramatifd^e um jeben 5preiS auf feine ga^ne gef daneben l^at, unb
an ber älteren Dpernform gerabe am meiften baS ,,Unbramatifd^e"
rügt! Sllfo für ben SSerluft beiS uollen aRelobicnjauber« erhalten
mir nid^t einmal eine mirttid^ bramatifd^e SUhipf. ©elbft bie großen
©jenen im erften nnb britten Sft, in meldten bie igauptmomente
beiS d^riftlid^en ÄultuiS, ha» abenbmal^l, bie gufemafd^ung, a^aufe
unb ^rieflenoeil^e, ,,meit|eoott" parobirt werben, finb ja fd^on burd&
i^re ©nblofigfeit erfd^öpfenb. 9Ran bered^ne einmal, wie lange ber
„reine Sll^or" ate angenagelter ©tummer bem ©ralgotteSbienft ju«
fd^auen, wie lange bie ^ßfeubo-aJlagbalena t)or bem 5Pfeubo=6^rifiui8
^ßarfifal auf ben Änieen liegen muß! ©S ift bie alte Älage, bafe
3Bagner nie ein ©nbe ju finben weife unb burd^ iginauöfd^leppen
jebeiJ SDiotio tobt mad^t. Oem fei bagegen bie mriftifd^e SBirfung
ber 6t|öre bei ber ©ralfeier, fei bie DoHenbete ©d^önl&eit ber fjeni-
fd^en änorbnung, fei aud^ bie mufifalifd^e ©timmung im Anfang
beä britten afteS unb nod^ mand^eä walirl^aft lünftlerifd^ ©elungene
anerfannt.
aber man mufe nun üor aßem fragen: in weffen 3)ienft ifl
biefer ganje aufwanb fjenifd^er unb mufilalifd^er SBirlungen gefiellt?
9lad^ ber abfid^t beS „aReifterS", wie fie von feinen fanattfd^en Sn^
gangem gebeutet wirb, fott l^ier ein SBerf beS pd^fien „äfilietifd^-
fittlid^en" Oel^alteS vorliegen, ein „abbilb be« wunberbaren ®^
webeS beS pfpd^ifd^en ©eclenleben«" (bie SEBagnerianer werfen mit
Sapreut^er 9la(^!(önge. 293
SBorteu wie ctljifd^, Pf9(ä^if<^/ Rttlid^ in unglaublid^er SBeifc nm ftd^,
wie j. S. aud^ btc SRoHc bcr Äunbrp atö ^.pfpc^ifd^setl^ifd&cr 6^a::
rafter" — ©pcd in Sutter gebraten! — bcjcid^net wirb, womit
nur ber SBewei^ geliefert ift, bajs bie guten Scute roa^rfd^einlid^
ebenfo wenig t)on etl^oö unb ^f^d^e wiffen, wie i^r ^err unb
ÜKeifter!). aifo berfelbe aWann, ber t)on gel^äffigem Sieib gegen bie
^ünftlergröjse eines Sral^md erfüSt ift^ berfelbe $amp^Ietiil, ber }u
fagen wagt, niematö l^abe SWenbetefo^n burd^ feine SWufif eine ©eete
loa^r^aft }u ergreifen t)ennod&t, tüirb nun gerabeju atö SBelterlöfer
auSpofaunt, unb fein „SüJ^nenwei^fefifpiel" fott ben Äern biefer
SrlöfungiStl^at entl^alten. Unb berfelbe äBagner^ ber in jüngeren
3al^ren nid^tiJ fo fel^r oerl^errlid^te atö bie ©innlid^feit, nid^ts fo
leibenfd^aftlid^ angriff atö ba« 6t|rijlentl^um, bag er atö funfifeinblid^
branbmarfte, tüill uniJ \t%t in bie aWpftif beiJ aWittelalterS Derfenfen
unb eine d^riflUd^e SlSjefe prebigen^ bie in biefer ®eflalt felbft bem
aRittelalter fremb war. an bie Sefirebungen ber 3lomanttfer, wie
fie etwa in Sö^^^ria« SEBernerö ,,S!Beil^e ber Unlraft" oorliegen, will
er Don neuem anhtüpfen, fo ba§ man^unwißfilrlid^ anba« ©ifti«
d^on 21. SB. t). ©d^legetö erinnert wirb: ,,aSiele SBerwanblungen gibt'«"
u. f. w. SBaö tiat SBagner au8 SBolfram« „^ßarcitjal", einer ber
liebenSwfirbigflen unb frifd^eften @eftalten ber mittelalterlid^en S)id^'
tung, gemad^t? SBie er feinen Slamen wittfürlid^ oer^unjt l^at, fo
ifl er ä^nlid^ mit bem Sl^aralter umgefpnmgen^ inbem er i^n }u
einem jammerfeligen D^nmdd&tling, einer fd^lottemben SBetfc^nxfter
umgefd^affen l^at. Xznn wa« tl^ut biefer ^^^ßarfifal", um unfer
tiefere« 3nterejfe ju erregen? ©eine einjige pofitit)e Seifiung ijl
ba« erfd&ie^en eineiJ ©d^wane«, wal^rlid^ ein äft, ber un8 weber
atö ein SSerbred^en nod^ atö eine igelbentl^at erfd^einen will. 3m
übrigen Der^arrt er wäl^renb ber ganjen breiattigen Oper in
ftumpfer $afftt)ität, atö ein SBerfjeug ge^eimnifeooHer 3ctubermäd(|te,
beren SBalten ganj im ©inne ber unflarften SRomantif an bie ©teile
freier fittlid&er ©elbftbefiimmung tritt. SBaiJ mad^t un8 ©^afefpeare
fo grofe unb el^rwürbig? S)od^ wofil t)or allem biefe«, bafe feine
©efialten ein ©ewiffen fiaben, bafe fie au« freier ©elbftbefiimmung
^anbeln unb ein 93ewugtfein t)on jenen ftttlid^en @efegen ^aben,
benen bie SBelt be« ©eijie« unterworfen ift. 3)ei5^alb erregen pe
294 IBopreutl^er SHac^üänge.
unfrc tieffte ©pinpat^ic, bic i^nen felbfl ba nod^ mit 3;^etlna^mc
folgt, wo fie, t)on Seibcnfd^aft rcrblcnbet, gegen bie göttlid^e aBeIt=
orbnung t)erfto6en. Unb roa« ifi bagegen ber ©runbjug aller Iatt|o=
lifirenben SRomantif? Safe wir nid^tS t)on jener freien ©ittlid^feit
finben, bajs loielmel^r ber SWenfc]^ ein ©pielbaH überirbifd&er aRäd^te,
gaufeinber gauberfünfte ifl. Unb fo Derl^ält eS fid^ mit ^arfifal.
aWan fdge nid^t, burd^ feinen SBiberflanb gegen bie SSerfü^rung be-
mSl^re er fid^ al& Su^erroä^lter. 2)iefer SBiberftanb §ätte nur bann
SBert^, wenn wir il^n ate äuSflujs eine« feaftigen SBiUen«, einer
männlid^en ^elbennatur erffinnten. ©o wie bie ©ad^e aber liegt,
tonnen mir barin nur ben Slu^brudf ber ©d^wäd^ erblidfen, benn
mir erl^alten bie Ueberjeugung, bafe biefer Äümmerling t)on ^an^
au8 ein impotenter Setbruber ift.
3nbe§: mir motten jebe pfpd^ologifd^e SBanbfung jugeben;
marum fottte bei 2Bagner nid^t im ©reifenalter jene fprüd^mörtlid^e
Umgejialtung Dor fid^ gelten fönnen, bie ijon ber ©innlid^feit jur
asjefe fid^ menbet? unb marum fottte er il^r nid^t mit Dotter Uebcr=
jeugung in einem Äunftmerfe Sttuöbrudf geben fönnen? Aber man
fel^e fid^ einmal baS ß^rijlentl^um im 5ßarfifal nä^er barauf an, ob
eis wol^I ftid^^allig ift. SBaiS fott un« ber „®ral", roa& unÄ bie
l^eilige fianje? ©inb bie« roirflid^ ©pmbole eine« geläuterten e^rifien^
t^um«, ober finb e« nid^t oielmel^r 3lu«Püjfe eine« mpfiifd^en aBunber*
glauben«, ben bie l^eutige SWenfd^^eit unmöglid^ mel^r t^eilen fann?
eine religiöfe 3lnfdf)auung, meldte ben SWenf^en jum ©picl oon
3aubermäd^ten mad^t unb feine freie ©elbftbeftimmung , ben Duett
atter ©ittüd^feit, aufgebt, ift ein Attentat auf ba« l^eutige Seroufet^
fein. ®« ift ein raffinirte« 5ßfeubo::6f|riftentt|um, meldte« bie l^eiligen
©eftalten unb ^anblungen jn einer ana«ferabe oermenbet unb mit
attem ©innenpomp unb beraufd^enber aRtiftif eine SReligiofität bars
bietet, beren ^aumelmirfungen etma auf ^gflerifd^e ©amen unb
blafirte SBeltmänner bered^net finb. Oanj fo machte e« neuerbing«
©abriel aRaj, ol« er un« einen 6I|riftu« am Äreuje malte, ju ben
Süfeen be« ©rlöfer« aber bie burd^ ben SRatimen be« Silbe« ab^
gefd^nittenen ^anbe ber unter bem Äreuje ju bentenben Stngel^örigen
barftettte, mie fie betenb, oerjmeifelnb, l)änberingenb au«geftredtt finb.
SJiefelbe Unnatur, ba«felbe 3laffinement mie im ^ßarfifal. SBenn
Sapreut^ev SZa^fCänge. 295
man bic§ alleS erwägt, tft e§ ba ein SBunber, wenn unä ber anmutfiige
^ügel, auf weld^em ba« SBagnertl^eater weit in bie licblid^e Sanbfd;aft
fd^aut, wie ein Äatoarienberg voxtam, auf weld^em ber „SWeifter" bie ge^
funbe äSemunft unb bie natürlid^e Smpfinbung anS ^reu) gef^lagen ^at ?
SBarum fottten wir nid&t ben 5parfifal afe eine ber t)iclen
3auberopern gelten laffen, beren unerreid^te« SBorbilb bie Sauber^
Pöte ift; roarum fottten wir bem Slejtbid^ter SBagner nid^t einen
5pia6 neben bem biebern alten ©d^ifaneber einräumen? 5piattl|eiten
unb 2;rit)iaUtäten gibt eö ja aud^ im $arftfal genug. — SBarum?
SBeil SBagner felbfi mit atter ©mp^afe fein „83ü^nenmeit|feftfpiel"
fd^on burd^ biefe bombaftifd^ie JBejeid^nung al^ ettoad au^er aOer
Sinie ftel&enbeö ©rl^abene« un^ aufbrängen, meil ber 6^or feiner
pofaunenben äln^änger ed ate eine pd^fte gSttUd^e Offenbarung,
afe eine Srt neuer SReligion un^ anpreifen mitt. 3lo^ nie, fo lange
bie Sffielt fielet, ift bie ©elbfitjergötterung ju einem ©öfcenbienfte wie
biefer aufgebaufd^t roorben. SBer nod^ nid^t ganj t)on ber Siarfofe
biefeS fd^roinbel^aften 3;reibenS betäubt ift, mirb ftd^ mit SBiber-
mitten t)on einer ©rfd^einung abroenben, meldte baö SBerf fiinftleri-
fd^er ©d^öpferfraft in bie tiefe ©p^äre inbujlrlettcr SReflame l^erab^
jie^t. 2)en atterfatalflen ©nbrudt aber erl&alten mir, menn meü^e^^
DOtte öanblungen, lieilige ©eftalten beö d^rifllid^en Äultuö in einer
ledten S^raueftie ber SJül^ne bienfibar gemad^t merben. S)ie großen
erfolge beiJ Dberammergauer 5ßaffion8fpieleö mögen ben fingen
aRann, ber bag a3ege^ren feiner S^xt fo gut uerftetit, auf biefen
2Beg l^ingebrängt ^aben, unb fo bietet er un^ ein ©tüdt mifetjer*
ftanbenen aJlittelalterS, in welchem moberne lattiolirirenbe a)Zt|ftiI
fid^ mit üppiger ©innlid^feit ju einem für fd^ma^e ©eifter berau=:
fddenben ©anjen t)erbunben ^at. SBir l^aben t|ier eine Äunft, bie
ber 3lefuitentunft ber aSarodtjeit innerlich matifoerroanbt ift; benn
aud^ bort merben bie pnnlid^flen SReijmittel eine^ gefteigerten SRatu^
rali^mug baju t)ermenbet, trunfene meltoergejfene asjefe, ^pfterifd^
gefteigerte (Sfftafen in finnbetäubenben ©ffeften ju Dertierrlid^en. SDer
gefunbe aWenfd^ent)erftanb mirb unter SBeifiraud^qualm ju Orabc
getragen, unb bie Unoernunft aU getifd^ auf ben 2;^ron ertioben.
gßenn nun ber 6t|or ber SBagnerbacd^anten bieg alg l^öd^fte d(irift'
lid^e ftunftt^at anpreift, fo erl^eben mir feierlid^en ©infprud^ gegen
296 »apreut^er !Ra(^!Iänge.
biefe aufgebrungcne ^ßfcubo-'SReltgiofität. SBoUcn roir bic Slcin^eit
unb 2)iefc t6)t d(|riftlid^cn ©mpfinbeng in bcr aWuftf au^gcbrücit, fo
fc^Iagen toir bie unftctblid^cn ©ddöpfungcn unfrei^ fltojsen ©ebaftian
93Qd^ auf ; ^anbelt eiS ftd^ aber um ben SluiSbrud ed^t lat^olifd^et
SBcIlanfd^auung, fo greifen wir ju 5paleflrina unb feinen 3^^** «nb
Äunftgenojfen, wo jene mittelalterlid^e 9Jlr)ftif in u)unberbarer ©rl^aben::
^eit ung entgegentönt, wäl^renb bie aWufif be^ ißarfifal in ber raffi^
nirten Unnia^r^eit i^rer älffette nid^tS aU i)of)k Sl^eftation gen)ä^rt.
aOBir hoffen injroifd^en, bafe alle gefunben etemente ber ©egen^
wart fid^ nid^t in biefen ©ößenbienfi einfangen laffen werben, ber
fc^liefeliii^ nid^tö anbere^ bebeuten fann, afe ben mufifallfd^en äug-
brudf einer rüdläufigen ©ejxnnung, bie aUerbingö von allen ©eiten
mit DoQen @egeln ^eranjie^t. ©teilt fid^ nid^t baS mobeme ©taatiS^
unb ©efeÜfd^aftiSleben in bebenflid^fler äBeife unter bie 3^^^^ ^^^
Sieaftion? f ollen mir an bie unfer S^xtalttx ente^renben 3uben=
Verfolgungen, an baiS immer bro^enber anfd^weQenbe SSogen ultro^
montaner ©trömungen erinnern? an jene fedEen SSerfud^e, bie grofte
%f)at ber Sieformation mit ©d()mad^ }u überhäufen, bie lid^ten ©e-
ftirne unfrer flafRfd&en Sitteraturepod^e in ben Siebein be« finfterften
ganati^mu» ju erftidten? SEBaiJ mürben Seffing unb Berber, ©oet^e
unb ©d^iOer fagen, menn fte i^r SSolf oon fold^er ©eifledumnad^^
tung bebrol^t fä^en? SBie mürben fie, bie unfrer Station einen
©d^aft lid(|ter ©ebanfen in frpftaHreinen ©dualen l^interlaffen, bar=
über urt^eilen, bag man ber l^eutigen SRenfd^^eit bie abgefianbenen
©pmbole mittelalterlid^er SKpfiif at» ©egenfiänbe ber aSere^rung
auftifd^ien mill! hoffen mir, bafe bie SWe^rjal^l ber SSernünftigen am
©ral unb ber l^eiligen Sanje nid^t bie audpofaunten ©d^ibolet^e
einer „l^eilig tiel^ren ^eiteorbnung", fonbern nur bie ^armlofen
©piele einer neuen 3öuberoper erfennen!
Unb nun nod^ eine Setrad^tung inra ©d^lug! 3d^ |iabe fd^on
an Sernini unb feine SarodEflulptur erinnert, ©o genial jener
aWeifter mar, ber mit feiner Äunfi bie ganje 3^tt ein Qal&r^unbert
lang be^errfd^te, ^eute miffen mir alle, bag er bie @efe|e beiS plafK-
fd^en ©(Raffen« jur Sluflöfung gebrad&t unb in feinen malerifd^ über=
labenen SReliefS fomie ben affeftirten fttltofen, bie natürlid&e gorm
aufg roillKlrlid^fte entfteHenben ©tatuen unb ©ruppen bie ©runb^
9at)reut^er 92ac^tlänge. 297
pTinjipicn ber $(aftil jerrüttet unb betn wilbeficn 3Ramerü8tnu^ bie
X^oxe geöffnet f|at. aber wir toxffen aud&, bafe 2;^orn)albfen unb
Sc^aboro enbltd^ auftraten, um bie reinen ©tifgefefte ber Äunfi roieber
}u ß^ren ju bringen unb im ©tubium ber ©ried^en unb ber SRatur
bie ^piajiif ju erneuern, ©o wirb e« aud^ mit biefer SBagnerfi^en
Äunft ge^en. 3)er geniale Sauberer, ber ben ^popanj ber unenb^
liefen SWelobie gefd&affen l^at, n)eil il^m bie roirttid^e, bie enblic^e
SRetobie abgel^t, ber au« biefer 3loti) eine S^ugenb mad^t unb feine
SKelobienarmutl^ mit ber reid^en $rad&t feiner Qnfirumentation ju
bemänteln fud^t, er ^at ebenfo bie innerften ©efefte ber 3Wufif auf»
gelöft. S)enn ber wa^re mufifalifd^e iQerjfd^Iag liegt vox allem in
ber bejaubemben SWelobil ber menfd&Iid^en Stimme, bie in iliren
einfad^en SSJeifen atte« au^jubrüdfen l^at, voa^ bie menfd^Iid^e ©eele
in £uft unb £eib bemegt. 2)ad tiefe Sntjüden, bad un^ bei ben
SBeifen einei^ aWojart, Seet^ooen, SBeber überfirömt, e& bleibt au§
bei ben enbloS unb mü^fam l^ingefponnenen iiben ^falmobien SBag-
ner^, unb felbjl feine raffinirten Drd&efiereffelte vermögen biefe 3lr=
mut^ niddt ju tjerbedfen. ©o ^at er bie ©efefce mufifalifd^en ©d^af=
fen§ auf ben Äopf geftellt unb einen SKanierlgmuiS entfeffelt, auf
beffen Salinen feine 3ünger, uerlaffen von feinem @enie, bie Äunft
cottenbiS in ben Slbgrunb jie^en muffen. Slber mir jmeifeln nid^t,
bafe einft mieber ed^te SKeifter auftreten werben, bie un8 au8 SBuft,
©c^mulft unb Unnatur befreien unb ber SBelt roieber eine ed^te
SKufff an ©teße biefe« feltfamen ßwitterbingiS bringen werben. Sltö
SBemini mit feinen gleijsenben ©d(|öpfungen bie SBelt erfüllte unb
ganje ©enerationen in ben Taumel feiner patl&etifd^ ^o^len after=
funjl l^inabri^, war SRafael fo gut wie au^gelöfd^t au8 bem ©es
bäd^tnife ber 3Wenfd^en. ©o ^at ^eute bie Äunfi SBagnerö im Se=
mufetfein ber SWe^rjal^I unfrer 3^ttgenoffen aRojart ju einem „fiber^
munbenen ©tanbpunft" gemad^t, auf beffen ©d^öpfungen mele fd^on
mit geringfd^&feenbem ßäd^eln blidfen ju bürfen meinen, aber wie
nad^ bem Seminifd^en gntermejjo SRafael mieber auferflanben ift,
um für alle 3^iten ben ^öd^ften ^la^ am jtunft^immel }u bel^aupten,
fo wirb aud^ nad& ben SBagnerfd^en Srrlid^tem ber ©tern SKojart«
mieber auftaud&en unb mit feinem befeligenben fiid^t bie Qa^r^uns
berte burd^ftra^Ien.
(Bori) nnb «fib 1888.)
De
I.
^ex 8Bunf(3^, baö fübUd&c granfrcid^ cnblid^ aM eigener Stn^
fd&auuttfl fennen ju lernen, fül^rte mid^ in ben erpen fJrül^Hnggs
monaten vor lurjem bortl^tn. ©ie nörblid^en unb mittleren 5ßro=
pinjen be^ an Äunftbenfmälern einer alten Äulturentroidelung fo
überaus reichen ßanbeö l^atte id^ fd^on vox S)e}ennien auf wieber^
l^olten SBanberungen oon längerer 3)auer fennen gelernt. 3lu§
jenen @tubienreifen n^aren mir aud^ bie @runblagen }um Slufbau
einer ©efd^id^te ber franjöfifd^en SRenaiffance enoad^fen; au« il^ren
SRefultaten namentlid^ war mein Sud^ über ben ©egenftanb ^eroor^
gegangen. Dbroo^l id& babei mit ben eigenen 3lnfd^auungen bie
ergebniffe frember ^ßublifationen t)erfd^meljen fonnte, blieben immer-
l)in nod^ mand^e ßüdfen übrig, ©leid^wol^l aber war e8 ber erfle
SSerfud^, bie gefammte Seroegung ber franjöftfd^en SRenaiffance, fo^
Tüeit fie bie Slrd&iteftur betrifft, in ein fefteS funjil^ifiorifd^eiJ 83ilb
jufammenjufaffen, unb foroo^l t)on berufenen ©timmen ber beutfd^en
gorfd^ung, mie ber franjöfifd^en Äritil würbe bieö bamate al« ein
Sßerbienft bejeid^net. aWan fanb übereinftimmenb, bafe id& eine an-
felinlid^e Slei^e neuer, t^eiK unbelannter, t^eitö nid^t gebü^renb ge-
mürbigter ^^atfad^en bem Iun{lgef4)id^tlid^en 9Rateriale ^in}ugebrad^t
unb burd^ bie Einfügung in eine feftgefd^loffene Äette beö entroidfe-
lung^gange« ben einzelnen ©liebem eine neue Seleud^tung ge?
geben liabe.
Qut franjöfift^en Slcnaiffancc. 299
3Reine grunblegenbc Aufgabe war oor aUcm geioefen, ba« 8Scr=
^ältnife bcr franjöftfc^en SRcnaiffance jur Äunfl 3ta(ienS fefijuficncn.
älQgetnein ^atte man fräßet angenommen, i>^l ^^ ^taUenet gemefen
feien, roeld&e ben neuen ©til nad^ granlreid^ übertragen l^ätten.
©efiüfct auf bie oon SJeDide oeröffentlid^ten SBaured^nungen beS
®d^loRe§ ©atllan, forote auf bie burd^ ben ©rafen be Saborbe
publi^irten Urlunben t)on f^ontainebleau, gelang ed mir nad^}U'
meifen, ba^ bie gefammten Sauten in ^(nlage unb Slui^fü^rung burd^-
au3 von einl^eimifd^en SWeiflern ^errül^rten, wie pe benn aud^ überall
ba8 ©eprage fran}öfif(3^er Ueberlieferungen tragen. Unb ba« gilt
fomol^l von ©aiQon mie t)on ^ontainebleau, unb fefbfi bei Unterem
Saue roar bie§ fo fel^r ber gaU, bajs ©erlio fxd^ me^rfad^ mife^
billigenb über bie gorm ber Slrd&iteftur auöfprid^t. ©troa« Snbre^
mar eiS mit ber inneren SluiSfiattung biefeiS 5prad^tfd^Ioffeg, beffen
©tudaturen unb SWalereien befanntlid^ burd^ l^erbeigerufene 3taliener
ausgeführt n)urben, mei( in biefen Jtunftgattungen bie einl^eimifd^en
3Reifter nid^t l^inlänglidd erfal^ren maren unb entfernt nid^t ben
SBergleid^ felbfl mit ben Stalienern jmeiten unb brltten SRangeS an^^
galten {onnten.
Slad^bem id^ in eingel^enber SBcife bie« SBerl^altnijs feftgeftettt,
bie entfiel^ung t)on gontainebleau an ber iQanb ber Urfunben aufS
genauefle bargelegt unb enblid^ an aQen übrigen fran}ö{tfd^en 3Ronu::
menten jener ßpod^e bie gleid^en nationalen ©runbjüge nad^geroiefen
l^atte, glaubte id^, bag in S)eutf($lanb n)enig{lend unter benen, n^eld^e
pd^ um lunftgefd^id^tlid^e ©inge fümmem, bieg ©rgebnife ber fjorfd^ung
ate ein allgemein befannteS anjunel^men fei.
3u meinem ©rfiaunen fanb i^ wenige Saläre nad^ bem ©r-
fd^einen meine« 93ud^e« einen etlatanten 93en)ei« oom ©egent^eil.
ai« nämlid^ 9Krg. SHarf ^atiffon i^r ^übfd^e« »ud^ über bie Äunft
ber franjöfifd^en SRenaiffance oeröffentlid^te unb 5profeffor 2;^aufing
bagfelbe in Süftow« Seitfd^rift befprad^ (Sa^trgang 1880 ©. 84 ff.),
dufeerte er fid^ u. 31. f olgenbermafeen : „SSlan ifl bei un« ge=
meiniglid^ ber anfid^t, ba| erft bie Berufung italienifd^er Äünftler
an ben $of ber franjöftfd^en Äönige bie SRenaiffance in granfreid^
eingeleitet unb auf- i^ren (S^arafter beflimmenb eingeroirlt l&abe, unb
man pffegt ba meift bie Flamen Seonarbo ba SBinci, ^primaticcio tc.
300 Sux fransöfifc^cn 3lcnaiffance.
ju nennen. SBie muß nun ber fiefer crftaunen, roenn et
finbet, bafe in ben jroei ftarfen Sänben, roeld^e l^ier baä aufblühen
ber ftanjöfifd^en SRenaiffance in fo berebten SBortcn fd^Ubem, uon
jenen Stalienern unb i^ren ein^eimifd^en ©c^ülem faji gar nid^t bie
Siebe ift." — ©rflaunen fonnten barüber, naä) ber naiuen SBer^
fid^erung be^ Ärttifer«, bod^ nur bieienigen, roeld^e nie einen SBlidf
in meine jetin Saläre frül^er erfd^ienene Sarfiellung geworfen l^atten.
2)a id^ nid^t annehmen barf, bafe ein SKann wie ^ßrofeffor 3^auftng
etroa« tüiffentlid^ perfd^roeigen roiH, fo mn% xä) bei i^m für ben
3RiIberung^grunb plaibiren^ ba| aud^ er mein S3ud^ nid^t gelaunt
f)abe, ate er jene SBorte fd^rieb. 3n biefem gaUe freilid^ mxx^ e^
einem Äritifer übel anfielen, fid^ über einen ©egenftanb öffentltd^
auSiulaffen, in weld^em er pd^ fo wenig litterarifd^ beroanbert er-
roeift. aJieS gilt boppelt bei einem autor wie ^err 2;^auflng, ber
feine eigenen 3Serbienfie aU eifriger Sionömäd^ter ftetö ju ^üten be^
fliffen ift unb fd^on in franl^afte gudtungen geröt^, wenn ein gad^:^
genojfe nur ben Flamen 3)ürerä auöfprid^t. iQat bieiJ bod^ }u wieber-
fiolten SWafen befonberiJ 6^. ©pl^ruffi erfal^ren, ber ben ®rimm be^
SSBiener Äritifer^ baburd^ l^erauöforberte, ba§ er fid^'ä beigel^en liefe,
Derfd(|iebene arbeiten über ben beutfd^en aWeijler ju ocröffentlid&en,
in benen er ba8 Unerl^örte magte, SJenfmäler anö Sid^t ju jiel^en,
bie fogar ber Äunbe feineiJ Sftioolen entgangen waren.
3d^ erwähne bieS SlDe^ nur, um ju jeigen, bofe man oon
?ßtofeffor ^^aufing, ber fo eiferfüd^tig auf feinen eigenen SRul^m ift,
offenbar nid^t verlangen barf, bafe aud^ er bie SBerbienfte Slnbrer
unparteiifd^ anerfenne. Unb bod^ gibt eS nid^t^ ärmfeligereö im
wiffenfd^aftlid^en ßeben, ate biefe ©ng^erjigfelt beS ©inneiJ, bie ben
^orijont abfd^liefet gegen bie freubige 2;i^eilnalöme an allem, roaS in
frifd^em 9iingen unb ijielfeitigem ©d^affen bie @r!enntnife ju meieren,
bie geiftigen ®üter ber SKenfdd^eit ju i)ert)oIIIommnen beftrebt ift.
@elbft bei einem erKärten ®egner ober ^inbe foQte man bod^ ba^
^ßerfönlid^e abtrennen unb ju einer aufrichtigen SBürbigung feiner
pofitioen Seiftungen fid^ ergeben lönnen. aber ba^ fd^eint freilid^
nid^t Sebermann^ ©ad&e ju fein. Sleiblofe 3lnerfennung wirb in
unfern 2^agen immer feftener.
SRad^ jenem SSorgange fonnte mid^'S nid^t weiter SBunber nel^men.
Qux franaöfifc^eii ^cnaiffancc. 301
bafe lürjUd^ in ben ©rop^ifd&cn Äünftcn (Sal^tg. IV, igcft 2, ©. 43 ff.)
bei einer SBefpced^ung t)on Seon ^aluftre^ SBer! über bie franjöftfdöe
SRenaiffance ebenfalls mein "S&uö) aU gat nid^t t)orl^anben tobtge^
fd^toiegen roirb. Slud^ biefer Äritifer ^at bie finblid^e greube, erft
jefet aus bem ^prad^twerfe beS franjöfifd^cn autorS aUeö baS ju
lernen, roaS er bereite üor jroölf So^i^^n auS bem SBud^e beö beutfd^en
©d^riftftellerS l^ätte erfahren fönnen. SRed^t bejeid^nenb finb biefe
SBorgänge für unfre beutfd^e 2lrt, baS ©intieimifd^e ju ©unften beS
fjremben jurüdtjufefcen. 3c^ tüürbe inbefe biefe S)in8e mit feinem
SBorte berütirt tiaben, wenn nid^t eben bei ©elegen^eit beS SBerfeS
Don ?ßaluftre in beutfd^en Slattern meinet Sud^eiS nad^ anbrcr Seite
l^in gebadet roorben wäre. S)er franjöfifd^e 2lutor \)at nämlid^ bei
S3efpred^ung ber fogenannten Maison de Fran^ois I. ju 5pariS $Bers
anlaffung genommen, auSfütirlid^ gegen meine Sefd^reibung unb
Sarfiettung biefeS 2)enlmal3 ju polemifiren unb ben Sflad^töei« ju
fütiren, bafe id^ bie urfprünglid&en ^l^eile tjon ben bei ber mobernen
SReftauralion unb Umgeftaltung l^injugefefeten nid^t unterfd^ieben
l^ätte. SKuf biefe ©teile l^aben einige, offenbar um meinen Utterarifd^^
TOiffenfd^aftlid^en SKuf järtlid^ beforgte beutfd^e Sournaliften fofort in
etlid^en S^itungSartileln l^ingewiefen unb babei bie ©rroartung auS^
gefprod^en, ba| id^ biefe Sefd^ulbigung nid^t auf mir fißen laffen
mürbe.
SJiefen liebevollen Grmartungen t)ermag iä) leiber nid^t ju ent^
fpred^en, erfläre oielmel^r ol^ne Umfd^meif unb gögern, bafe $err
?ßaluftre, menigfteniJ jum 2:^eil, Siedet l^at, unb bafe id^ mid^ in ber
S:^at geirrt \)abt. es ift mir nie eingefallen, für mid^ Unfel|Ibar=
feit in anfprud^ ju nel^men, t)ielmel|r menbe id^ ol^ne 3^9^" ^"^
auf mid^ baS SBort beS ©id^terS an: „Q^ irrt ber SDfenfd^, fo lang
er ftrebt." SBer nie geftrebt, mer nie etmaS fd^affenb l^ingeftellt l^at,
ber mag fid^ in bie Unfe^IbarfeitStoga jener ^pi^arifäer l^üHen, bie
eben beS^alb aud^ nie geirrt l^aben. SBer aber eine fotd^e SKenge
neuer S:^atfad^en für bie SBiffeufd^aft anS Sid^t ju jielien bemüht
mar, mie fie j. SB, in meiner ©efdöid^te ber franjöfifd^en unb melir
nod^ ber beutfd^en SRenaiffance oorliegen, ber brandet nid^t ju er-
rotten/ menn er aud^ einmal bem allgemeinen 3Renfd^cnIooS beS
SrrenS feinen 2:ribut gejottt ^at. 9iur ein frampf^aft feftgel^altener.
302 3«^ fran5öfii($en Slcnaiffancc.
nid^t ein frcitnüt^tg cingejlanbener Srrt^um entehrt bcn gorfd^cr.
3n jenem befonberen gaUe war td& no(^ nid^t in bec Sage, eine
jroei Sö^re nad^ abfaffung meineiS SBud^e^ in bcr Revue de Tarchi-
tecture oon 1870 erfc^ienene arbeit über bie urfprüngHd^e gorm
jenes igaufeS granj beS ©rften benüfeen ju lönnen. ©leid^roo^I loar
mir (©. 164 meineiJ Sud^e«) baS äuffallenbe nid^t entgangen, bafe
fid^ bie gaffabe beiS Meinen SaueS „üon allen übrigen jener Seit
roejentlid^ unterfd^eibe", aber id& war nid^t fd^arfblidfenb genug, aus
biefer rid^tigen SBal^rnel^mung bie not^roenbigen Folgerungen ju
jie^en. 3^ meiner entfd^ulbigung mufe id& fagen, ba§ id^ bamate
im Seginn meiner ©tubien über bie franjöfifd^e SRenaijfance ftanb,
unb bafe ic^ bei gemeffener 3^1^ meines äufentl^alteS mid^ nid^t in
ber günftigen Sage.beS eintieimifd^en gorfd^erS befanb, ber in atter
©emäd^lid^Ieit baS 3Wonument oftmaligen Unterfud^ungen unterwerfen
unb fi($ babei beS ganjen ijorliegenben ^ifiorifd^=fritifd&en SKateriate
bebienen fonnte.
aber ganj fo fd^ulbig roie fierr ^aluflre in feiner greube,
einem beutfd^en Autor etroaS anhängen ju fönnen, mid^ barftcttt,
bin id^ nid^t einmal. ®S ift mir feineSmegS entgangen, bag baS
fragliche ^auS mand^e moberne ^n^äliz aufrceifl. auSbrüdElid^ l^abe
id^ (®. 165 meines SBud^eS) als fold^e j. S. mel^rere ber Sruft
bilber, namentlid^ ©iana loon $oitierS, ^^inrid^ II. unb granj IL
bejeic^net, inbem id^ fage: ,,3)ie beiben ©eitenfaffßben ftnb mober:?
nifirt, uub aud^ an ben Silbmerfen ber igauptfront bemerlt man
moberne 3ufä6ß-" 3Rein ganjer Srrt^um befd^ränlt pd^ alfo bar=
auf, bafe \6) ben Umfang biefer neueren 3«*^^*^« «^t ooßfiänbig
erfannt ^abe. Unb barum all biefer Särm meiner igerren Splitter^
rid&ter !
^abt id& alfo meinen Srrt^um eingeftanben, fo barf id& too^l
barauf tiinmeifcn, mie biefer Sßorgang abermals ungemein bejeid^*
nenb für bie bei unS lierrfd^enben litterarifd^cn Swpänbe ift. ®n
franjöfifd^er Autor barf auf unfre SWad^fid^t red&nen, menn er eine
beutfd^e arbeit über ein ffcanjöfifd^eS 2;^ema in bem, toaS fie etwa
SSerbienftlid^eS enthält, ignorirt unb nur ba il^rcr ermöl^nt, mo er
bem beutfd^en aSerfajfer einen gefiler nac^meifen lann. aber oon
unferen einlieimifd^en Ärititern bürfte man boö) wo^l fo mel Un=
3"^^ franjöfif(^cn Slcnaiffance. 303
partcUid^feit erwarten, bafe fie betn Sanb^mann ©ered^tigfeit roibers
fal^ren liefen, nid&t au^fd^Iiefelidö einen Srrt^um betonten unb ba^
von i^m pofxtiD ©eleiftete mit ©tillfd^roeigen übergingen.
2)ürfte man? SWein, ba« barf man offenbar nid^t —
n.
2)od^ biefe 2)in0e finb uner^eblid^ gegenüber ber erfreulid^en
2;^atfad^e, bafe feit einigen 3a^ren bie SBcfd^äftigung mit ber fran=
jöfifd^en SRenaiffance einen glänjenben 9luff(i^u)ung genommen l^at.
5palujire§ SBerf, t)on welchem big jeftt jel^n reid^^altige Sieferungen
ijorliegen, ifl fo umfaffenb geplant unb nad^ wiffenfcidaftlii^er wie
fünftlerifd^er ©eite fo gebiegen be^anbelt, bafe ^ier bie ^öd^ften
anforberungen erfüttt werben. SDie ?ßra(^t ber äu^ftattung, bei
roeldder ber molerifd^e SReij ber jal^lreid^en SRabirungen bie erfte
SRoIIe fpielt, ift eine fold^e, wie nur granfreid^ fie berartigen SBerfen
geben fann. 35ie ©inl^eit unb ®ef(^Ioffenl^eit, bie Äonjentration,
meldte allen franjöfifd^en Sffierlen ju ®ute fommt, wirb wie immer
burd^ ben Umfianb aufö ^öd^fte gefieigert, bafe bie franjöfifd^e
£itteratur i^r 3lbfaggebiet in ber gan}en äBelt ^at, toa^ bei ber
beutfd^en niematö aud& nur annä^ernb in ä^ntid^em aWafee ber gall
fein mirb. aRan fann in biefer ^infid^t feinen f(^lagenberen, feinen
bejeid^nenberen ©egenfafc benfen, aU baS Drttoein'fd^e Sammelwerf
über bie beutfd^e SRenaiffance, bag bei ungleid^ größerem SReid^t^um,
ungleid^ t)ielfeitigerer gülle be^ ^n^alt^, in ber gormgebung, ©ar^
ftellung, gefammten ©rfd^einung fo tief unter bem fjranjofen ftel|t,
wie ber iganbtoerfgburfd^e unter bem feinen ©alon^errn. Slber mag
l^at ber ^anbroerfgburfd^e affeg in feinem 2)ornifter! Slnbererfeitg
barf benn aud^ nic^t rerfd^miegen merben, bafe ^aluflreg präd^tigeg
SBerf mel^r bag malerifd^e äRoment betont unb ftrenge ard^iteftonifd^e
3lufnaf(men in ©runbriffen, ©urd^fd^nitten, tonftruftioen unb befo^^
ratioen ©injell^eiten oermiffen läßt.
angefid^tg biefer gefieigerten 3lnt^eUna^me, meldte bie franjöfifd^e
SRenaiffance feit einiger 3«it alfo erfährt, oermod^te id^ bem 3)range
304 3"^^ fransöfifdSicn Slcnoiffancc.
ttid^t ju roiberfiel^ctt, meine Slnfd^auungen von ben S)enlmälern
^anfreid^^ }u ertoeitem unb namentUd^ btejientgen Steile bed Sanbed
tennen ju lernen, mit roelti^en id^ burd^ autopfte nod^ ntd^t Dertraut
geworben war. ©al^er jene Dor furjem unternommene SReife burd^
ben ©üben. SDiefe %af)xt bewegte fid^ auf ber Sinie einerfeit«
jroifd^en 3KarfeilIe unb iCpon, anbcrerfeit« jioifd&en 3WontpeIIier,
2;ouIoufe, eiermont^gerranb, St)on mit ber SiüdEjugölinie Sourg,
SBefangon, Seifort. 9lug biefem roeitgebel^nten ®ebiete waren mir
bebeutenbere S)entm&Ier ber Slenaiffance nur in 2;ouloufe (unb cttoa
3iarbonne) burd^ ältere franjöpfd^e ^ublüationen betannt geworben,
e« galt nid^t attein, biefe nun felbft in Stugenfd^ein ju nehmen,
fonbem aud^ ju unterfud^en, roa« etwa fonfi nod^ ber ©üben an
berartigen Seiftungen befifee.
SDie Slntwort auf biefe ^age ifi nun afferbing« jiemlid^ bürftig
aufgefallen, unb wenn bie Steife mir nid^t bie reid^ften Slnfd^auungen
jugleid^ über bie antifen unb mittelalterlid^en S>enfmäler, bie beibe
in jenen ©egenben fo l^od^bebcutenb fmb, geroäl^rt l^dtte, fo bürfte •
ba« pofitioe ©rgebni^ für jenen befonberen ©tubienjwed! ate ein
nid^t aßju wertl^DoHeg bejeid^net werben. StUein ber ?Jorfd^er mufe
fel^r pufig bei berartigen ©ntbedtung^reifen — wenn ber SKu^brudf
geftattet ift — aud^ mit einem negativen SRefuItat Rd^ begnügen,
ba aud^ ein fold^e« für bie l^iflorifd^e SBetrad^tung mit üoHem SRed^t
feine SSerwertl^ung Derlangt. 3m Dorliegenben gaUe wirb burd^
baöfelbe erl^ftrtet unb erweitert, wag fid6 mir ate ©rgebnife ber Se-
trad&tung fd^on frül^er bei ber ©efd^id^te ber franjöfifd^en Slenaiffance
l^erauögefient l^atte: bafe biefe burd^au«, ja faft au^fd^Uefelid^ ^of*
fünft ifi, bie il^r Oepräge burd^ bie dürften unb ben l^ol^en äbel
erliielt, wäl^renb in SJeutfd^lanb ber neue ©til ate äuöbrud ber
©efinnungen beiS ganzen SSolIed au« ben bürgerlid^en Jtreifen ber
Äünftler l^erau^wäd^ft unb in furjer S^it bie mäd^tige Signatur
einer üolfötl^ümlid^en Runftweife gewinnt. 3|i bal^er in granfreid^
bie 3tenaiffance eine ariftofratifd^e ©d^öpfung, fo Iiaftet il^r bagegen
in SDeutfd^lanb ein bemofratifd^er 3^9 ^"- S&ö^ßt finben mir bie
formale S)urd&bilbung bort ungleid^ i^ö^er, feiner, anmut^iger,
wa^renb bei uniS in 2)eutfd^Ianb, wie fafi immer in unferer @nt^
widflung, eine gewiffe Ungefd^lad^tl^eit ber Slaturanlage un« gor ju
3ur franaöfi)"(^en 9lcnaiffance. 305
oft bie Icftte SßoUenbung, bcn l[|ödöftcn gorntenreij Derfagt 3lbcr
rocnn man ba^ Slugcnmcrf auf bie angebornc fJüHc fd^öpferifd^cr
©cbanfen, origineller, eigent^ümUd^er Äonjeptionen wenbet, wie ^od&
fte^t bann bie beutfd^e Slenaiffance an gülle unb 3;ieffinn über ben
©ebilben ber franjöfifd^en ©d^rocfterlunft! Unb fo war eS immer,
feit bcn Xa^tn ber alten glanbrer bii^ auf bie l^eutige 3^it, bei
uns in ©eutfd^tanb. SBer wirb nid^t bie ted^nifd^e Ueberlegenl^eit
ber oan ©ridPfd^en 3KaIerfd^uIe über bie gleid^jeitigen beutfd^en
©d^ulen bereitwillig anerfennen! 3lber wer wirb nid^t jugleid^ ju-
gefielen, bafe bie größere S^iefe, Äraft, gäHe unb Snnigfeit tro|
beS geringeren ted^nifd^cn (Sefd^idS bei unfern 3neiftern beS 15. Qal^r-
l^unbertg ju finben ifi! SßoHenb« für bie eigentlid^e 9lenaiifance beS
16. 3a]^rl^unbertd, toie l^od^ fte^t ba, felbft wenn wir unfre großen
analer unb Silb^auer, unfere SDürer, fiolbein, Surgfmaier, aSifd^er,
Äraft, ©prlin unb wie fie aße l^ei^en, ganj au§ bem ©piele taffen,
wenn wir nur bie Slrd^iteftur fammt ben beforatioen fünften ing
äuge faffen, bie beutfd^e Äunji über i^rer franjöfifd^en SWioalin!
®cn)i§ ift unfre SRenaiffance nid^t fo reid^ an großen glänjenben
5ßrad&tbauten erfien ^Ranges mie bie franjöfifd^e; geroi^ ift eS i^r
nur in bebingtem 3Wafee ju S;^eil geworben, il^re ©d^öpfungen mit
jener geinl^eit burd^jubilben, wie e8 jener oon ber ^ofgunft beS
mäd^tigften ÄönigttiumiJ getragenen Äunft gelang: aber bafür oer^
fümmert bie franjöfifd^e SRenaiffance überatt ba fofort, wo i^r jene
Ounft ber oornel^men ©efeUfd^aftgfreife fel^lt, unb felbft wo fie für
bürgerlid^e aufgaben in Sttnfprud^ genommen wirb, ift ed nur ein
abglanj ber l^öfifd^en Äunft, ber unS entgegenftral^lt.
SDiit weld^cr fiuft bagegen l^at 35eutfd&tanb gerabe in ben bürgere
lid^en SebenSfreifen bie SRenaiffance gel^egt unb gepflegt! SBar bie
neue Äunft bod^, genäl^rt burd^ bie l^umanifiifd&en ©tubien, mäd^tig
geförbert burd^ ben großen reformatorifd^en 3"g/ ber auf ©rneuerung
beS ganjen &thzn^ l^inbrängte, auS il^rem ©d^o^e ^eroorgegangen ;
mie l^atte man nic^t mit ootter Eingebung unb mit allen Äräften
fid^ i^r wibmen foUen! Unb babei oerfc^lo^ man fid^ feineöwegS
ben oielfad^ften Anregungen, bie überallher bei un« einbrangen,
liefe italienifd^e, franjöfifd^e, Panbrifd^e unb l^oUänbifd^e Formgebung
auf fid^ einwirfen, berief fogar oielfad^ frembe Äünftler au« bem
20
306 Qnv franjörtWcn Slenaiffancc.
@üben rate aud bem Storbtoeften, ober Qdb itinen anfel^nlid^e Sluf^
träge, ol^ne bafe biefe Dielfad^en ©inroirfungen ben nationalen
ei^arafter unferer SRenaiffance irgenb gefd^äbigt l^atten. 2)enn wenn
Toir aud^, namentlid^ im 9(nfang, einzelne @ebilbe frember Jtunfl
auf unferem S3oben entftel^en feigen, wie bie Sleftbenj in SanbS^ut
ober bag »efoebere in 5prag : fd^lie^lid^ ifl bod^ ber nationale ®eift
fo mäd^tig, bafe int freubigen SBetteifet aller Äräfte, atter Seben^^
treife, aller ©tämme eine Döttig eigenartige Äunft aug att bem ge^
maltigen klingen fid^ entfaltet. Unb toa^ nod^ me^r ifl: biefe Jtunft
bleibt nid^t auf einjelne beüorjugte ?pun!te befdfiränft, tjielmefir vex-
breitet fie fid^ mit merfioürbiger ©jpanfion^fraft über alle ©ebiete
gleid^mäfeig, bringt oom gufe ber Sllpen big ju ben entlegenften
Ocftaben ber Siorbfee, Don ben wefllid^ften ©renjlönbern big ju ben
Äüften beg baltifd^en aJleere« unb bringt ^aufenbe von SBerfen
l^ert)or,.bie, wenn man j. S. nur bie ©pitap^ien jäl^len wollte,
eine ganje grofec Äunftroelt für ftd^ barflellen.
aSie ganj anberg in granlreid^! S)ort ift eg nur bie ©onne
ber §ofgunfi, in meld^er bie SRenaiifance mit i^rer ganjen Ueppig^
feit, geifireid[ien gein^eit unb Orajie ftd^ entmidfelt. SRit Siedet
grenjen bal^er bie granjofen bie einjelnen ©pod^en in ber ©efd^id^te
biefer Äunft nad^ ben 9tegierunggjeiten il^rer Äönige ab. ajorne^m^
lidt) ift eg, mie aUbefannt, bie 3«it granj I., meldte il^re fd^önfte
©ntfaltung fielet, unb bie jal^lreid^en löniglid^en ©d^löffer ftnb eg,
in bencn fie jur ^errfd^aft f ommt. S>a]^er l^at man ben ©ifi biefer
Äunft in ben mittleren ©egenben bc« Sanbe« aufiufud^en, unb bie
Ufer ber Soire unb i^re 5Rebenflüffe ftnb nod& jefet mit ben f öftlid^flen
perlen ber franjöfifd^en ^ül^renaiffance gefd^tnüdEt. äufeerbem ifl
bann ber SBetteifer ber Orofeen bcg $ofeg, be« l^ol^en abefö unb
ber Äird^enfürften, ein treibenbeg ©lement in ber SntmidEelung biefer
Äunft geworben. Q^re eigentlid^e ©d^öpfertraft entfaltet fie bemnad^
in ben jal^lreid^en unb mannigfad^en ©d^lo^auteit, bei meldten man
mit 3ntereffe mal^rnimmt, wie bie fojialen S^ftänbe beg Sanbeg fid^
in einer ard^ite!tur fpiegeln, beren ©runblage nod^ bie etemente
beg mittelalterlid^en geubalfc^loffe« bilben, mit toeld^en fid^ juerfl
bie formen beg neuen ©tilg äußerlid^ rerbinben, um aHmä^jltd^
tiefer einzubringen unb in ben baraug fid^ geftattenben 83auten ben
3ur franaöftfdjen »cnaiffancc. 307
äu^brud cincg neuen Seben^juftanbeg, einer auf 5ßra(i^t, ®enu§ unb
fünftlerifd&e^ Sel^agen au^ge^enben ejiflenj ju erreid^en.
Sieben ben ©cölöffern pnb eiJ bann x^ereinjelte, meifl Keinere
fird^Ud^e SBerfe, ÄapeUen ober aud^ Äird(>enfaffaben, ^portale unb
bergleid^en, an benen bie neue Äunft befonbere ^ßrunfjMldfe l^inftettt,
bie freiUd^ burd^ 3letj unb güBe ber gormen bie meiften früheren
aSBerfe, namentUd^ bie arbeiten ber fpatefien Ootl^il, ju überbieten
fud^en. S>od^ fü^lt ftd& biefe gerabe im lefiten ©tabium ber @nU
toidfelung nid^t fetten aufgelegt^ ben il^r von ber 9{enaif[ance l^in-
geworfenen gel^bel^anbfd^u^ aufjunel^nten, unb loenn man SWonu«
mente toie bie Äird^e von 35rou mit i^ren l^errlid^en, im wefcnttid^en
nod^ ber ®ot^i! angel^örenben (Srabbenimälem ing Sluge fa|t, fo
mu^ man geftel^en^ ba| il^re überftrömenbe ^raft unb Ueppigleit
feine ©pur Don einer ^^abfierbenben", bem Untergange getoei^ten
Äunft erfennen lä^t.
3ie^t man nun aber bie ©umme biefer SBerfe, fo fann man
fid^ ber Ueberjeugung nid^t t)erfd[)Iiegen^ bag fie mol^t für einjetne
©egenben, ju benen aud^ bie SRormanbie unb bie norböftlid^en
ftanbrifd^en ^rooinjen gel^ören, eine geroiffe 3ntenfität ber Äunft^
blutige barfieffen, ba| aber neben biefen bod^ immer fporabifd^en
»lütten einer arijtofratifd^en Äunftpflege bie grofte SWaffe beS aSolteS,
bie breiten unb tiefen ©d^id^ten be^ SBürgertl^umd, bie in Deutfd^*
lanb einen fo aui^brud«x)otten Slntl^eil an ber Semegung nal^men,
nirgenb« in biefer Äunfl ju einem einigermaßen entfpred^enben 2lui8s
brud tommen. 6« ift, al§ l^örten wir nur ein Äonjert oon einjelnen,
aflerbing« oorjüglid^en, ||od^ ^erDorragenben Äammermufifern, jum
©rgöfien für eine eEflufioe, im Äunftft)bariti^muj8 fd^melgenbe ©e-
fettfd^aft oeranfialtet: aber bie großen, mäd^tigen 3Waffen be§ Solfö^
gefangen, bie getoaltigen, auf bem ©trom einc^ großen Drd^efter«
bal^inbraufenben 6pre, in benen fid^ bie tiefe ©rregung ber gefamm^s
ten aSoltefeele jum au^brudf brdngt — alle« ba«, roaiS in ber beuts
fd^cn SRenaiffance taufenbfiimmig emporfleigt, ba« fel^It in ber fran*
jöfifd^en SRenaiffance. 3n granfrcid^ l^atte ber SBoIfögeifl in ber
Äunft be« gotl^ifd^en ©tils fid^ mit ganjer ÜWad^t unb 3nnerlid6feit
audgefprod^en: bie 9)enaif[ance ließ er im mefentUd^en tl^eilnam(oS
über ftd^ ergel^en.
308 3"f fraitjöfifc^en 3flenaiffance.
III.
©old^c SBal^rncl^mungcn fanbcn, wie ßefagt, auf meiner Sieifc
burd^ ben ©üben nid^t bloB SBefiätigung, fonbern fogot SSerfd^ärfung.
Um fo auffattenber mu§ biefe X^atfad^e erfd^einen, wenn man ftc
mit ber rcid^en Äunfiblütl^e oergleid^t, meldte in jenen Oegenben
fd^on in antifer Seit, bann aber burd^ baiS ganje ©Httelalter oon
ber altd^rifMid^en ©pod^e bxS> in bie fpätgot^if(^e gel^errfd^t l^at,
©d^on bie weltbelannten antifen ®en!mäler von StrleiS, 9time§,
Drange, ©. 3lemp bi^ nad^ aSefangon l^in fteHen nn^ eine erftaun*
lid^e Sntenfität unb Xriebfraft ber Maffifd^en Äunft in jenen fiän=
bem Dor Singen. S^tP^fantere aWonumente ate bag 2;^eater »on
Drange, bie Sirenen von 5Rimeg unb ärle«, fü^nere ate ber Pont
du Gard, reid^ere unb elegantere ate ba^ X^eater t)on Slrle^, bie
Maison quarrte x)on 9limeS, bie Xriumpl^bögen von Drange unb
©. 9i6mp weift felbft Stalien nid^t auf. Unb meldte güKe ptafti^
fd^er SBerle überrafd^t unö in ben aWufeen ju ÜWarfeitte unb ärleiS
unb an fo mand^en anberen 5ßunften! 3Kit meld^em (gifer unb ©r^
folg tritt bann in altd^riftlid^er 3eit bie ©!ulptur in bie guftftapfen
ber antifen! SQBeld^e SReil^e prad^tooHer ©arfopl^age aui^ ben erflen
d^riftlid^en Sa^rl^unberten, an SReid^tl^um unb SWannigfaltigfeit bc5
bilbnerifd^en ©d^mudEeö felbft mit benen beö lateranifd^en 9ßufeumd
metteifernb, begegnen un« l^ier auf ©d^ritt unb Xritt. Unb enblid^
lann man nirgenbs baS ^eraudtoad^fen ber mittelatterlic^-romanifd^en
Äunft aug ber antifen burd^ SBermittelung ber altd^riftlid^en fo beut^
lid^ verfolgen, mie gerabe in jenen ©egenben, ba befanntlid^ in SRom
biefe ©tufe ber ©ntmidfelung Dollftänbig fe^lt. 3)ie bilberreid^en
^ffaben von ©t. 2;rop]^ime in Strien unb Don ©. ®ille« geigen
birefte ©tubien nad^ jenen ©arfop^agreliefö, bie mir jeftt nod^ bort
im SWufeum antreffen ; bie f annetirten plafter an ber SBor^atte beÄ
SDome^ ju Slüignon, in ben Äreujgängen oon ©. S^ropl^ime unb
oon 9Kontmajour (um nur einige wenige l^erau^ju^eben) finb ge^
treue SJad^al^mungen flaffifd^er aSorbilber; aber am fd^lagenbften
Dietteid^t bejeugt bie gaifabe ber wenig bead^teten Äat^ebrale oon
aiime^ ben tiefen ©inbrudE, weld^en ba§ elegante Oiebelfelb ber
Qvx fransöftfd^en Süenaiffonce. 309
Maison quarree auf einen Äünfller be^ jTOöIften Sal^rl^unbertiJ ge-
mad^t f)at ^enn an biefem Sau, über ben iä) nirgenbö eine Slotij
gefunben, fielet man einen bem antifen aJJonumente nad^gebilbeten
Xempelgiebet, ber bei aUer Sßad^a^mung bod^ bie origineUften älb^
n)ei(i^ungen aufweift. (Sin mftd^tige« Äonfolengeftm^ begleitet bie
©iebellinie, beffen Äonfolen ben antifen Slfant^u^ jeigen, bajioifd^en
präd^tige StofetteU/ bied aüt^ ber Slntile getreulid^ unb mit nid^t
geringet SWei^efgewaubt^eit nad^ffulpirt. Stei^nlid^e SRofetten wieber«
fiofen fid^ unter bem (Seftmfe, beffen ganje gläd^e mit einem x)on
©lumen burd^wirften Sanbornament — biefeiJ fd^on ganj eigenartig
— gefd^müdft ifi. ^a« fiorijontalgefxm« jeigt bat)on lieber ganj
anbere Sel^anblung: lauter präd^tige Söroenföpfe, ben antifen SJraufs
rinnen nad^geal^mt, roed^feln mit einjelnen fd^ön gejeid^neten atan^
t^u^blättem, frei im ßl^arafter einer antifen ©ima, S)arunter jiel^t
fid^ ein ^ie« von altteflamentlid^en ©jenen l^in, mit ber ©d^öpfung««
gefd^id^te beginnenb, in ber SBe^anblung burd[)au^ ben attd^riftlid^en
©arfopl^agrelief^ entfpred^enb, Sflirgenb^ fiel[|t man fo üoßftänbig
mie an biefem merfwürbigen SDenfmale bag fierauSroad^fen ber
romanifd^^ittelalterlid^en Äunft aug ber 2lntite.
9lid^t minber glänjenb ^at bann bai^ fp&tere 3nittelalter ftd^
^ier in Äunftfd^öpfungen betl^ätigt; nid^t bloB baft bie ©otl^it auf
ber fiöl^e i^reiS ©iege^juge^ felbfl ben wiberjhebenben ©üben be=
jmungen unb fo glanjDoHe SWonumente erflen 9lange^ wie bie Äatl^e^
bralen von Slarbonne unb ßlermont-gerranb, fo originelle wie ben
6^or ber Äatl^ebrale ron ßarcaffonne, fo burd^auS eigenartige wie
bie ^atl^ebrale oon ällbi l^eroorgebrad^t l^at, fonbern ba| namentUd^
ber »urgent unb SefefligungiJbau in einer Steige gewaltigfter S)enfs
maier, wie ber ^apfiburg ju Soignon, bem ©d^Io^ Äönig SRene»
ju a^aragcon, ben riefigen, nod^ unoerfe^rt bafiel^enben 3Kauern oon
ÄDignon, ßarcaifonne, le« Sauj unb aigue« SWorte«, für ba« ©tu^
btum ber mittelalterlid^en ÄriegSard^iteftur unt)ergleid^Ud^e Seifpiele
bieten.
©egenüber biefem unerfd^öpflid^en 9teid^t^um ifi t^ bann fafl
Derblüffenb , wie nun bie ©pod^e ber SRenaiffance fid^ auf biefem
weiten ©ebiete barfteßt. SefonberiS mad^t biefe Debe einen nieber«
fd^lagenben ©inbrudf, wenn man etwa au^ Italien fommt, wo t)on
310 8w franjapfc^cn Äenaiffancc.
jc^er ber ftunfigcifl fo tief bcm ganjen SBolte eingeboren war, bafe
btö in bie Derfiecfteften unb entlegenften SBinlel l^inein aUed Don
tünjllerifd^en ©d^öpfungen angefüBt ift. SKan Dergleid^e bod^ bie
brei mad^tigen ©eel^anbetepldfte be« ©übenS, SSenebig, ©enua unb
SRarfeiEe! äBal[irenb in SSenebig von älnbeginn feines @ntftel^enS
bi^ ju feinem poUtifd^en Untergange eine felbfiänbige ftunfl unab=
läfpg mit jauber^after ©d^öpferlraft i^re aßunberblütl^en ^tvoox-
getrieben l^at, mäl^renb in ©enua menigflenS in ber Spod^e ber
SRenaiifance eine l^errlid^e Slrd^iteftur ber ©tabt il^r oornel^mc« ®es
präge auftubrüden raupte, irrt ber gufe be§ gorfd^er« üergeblid^
burd^ bad ©eioirr ber ©trafen unb ©äffen beiS alten SRarfeille, um
irgenb eine ©pur felbflänbiger Äunftübung auS jener ®pod&e ju
erfaffen. 9lid^t8, tein fird^Ud^e«, tein profane^ SDenfmal, nid^t ein^
mal ein befd^eibened ^auSportal ber dtenaiffance, mie id^ beren bod^
fogar in bem armfeligen aJlonaco nid^t weniger ate brei, wenn oud^
JEeineSwegö bebeutenbe, gefimben l^abe! ©eroife, bem l^eutigen aWat=
feiHe fel^lt e« nid^t an großartigen Anlagen unb ftatttid^en »auten;
fein $afen allein ift ein SBunber geroaltigjienUnterne^mungögeijiei^;
unter feinen monumentalen Sauten barf bie Notre Dame de la
garde mit il^rer fül^nen ©ill^ouette, nod^ mel^r aber baS impofante
Palais de Longchamps mit feinen prfid^tigen ÄaSfaben unb feinen
fd^önen ©älen für bie lünftlerifd^en unb naturl^iftorifd^en ©amm^
lungen mit SRul^m genannt werben; aber baö fann uniS büd^ nid^t
ben Dößigen SJJangel an 9Konumenten ber SHenaiffance (unb mit
äluSnal^me ber unbebeutenben Jtird^e ©t. SJictor aud^ he& SRittel-
altera!) üergeffcn mad^en. SBie foH man fid^ biefe Slrmutl^ ber Don
je^er reid^en unb mäd^tigen ©tabt erflären? SBBar eS ber Umfianb,
baß fie feit bem ©nbe beö 15. Qal^rl^unbert« granheid^ eint)erleibt
mürbe unb !eine ©elbftänbigfcit be^ ÄulturlebeniJ ju entroidEeln ücr-
mod^te? ober mar ed bie au^fd^liefelid^e fierrfd^aft beiJ !aufmfinnifd^en
©eifteS? — aber biefer l^atte bod^ bie italienifd^en ©d&mefterftäbte
niemals abgel^alten, ftd^ ju einer l^ol^en Äunftpflege }u ergeben!
SBie bem nun aud^ fei : X^atfad^e ift, baß biefelbe befrembenbc
SBal^rne^mung im ganjen ©üben granlreid^S fid^ in allen größeren
urtb Heineren ©täbten mieber^olt. ^tnn man beim 35urd^jlreifen
jebeS unbebeutenben italienifd^en 9ZefteS burd^ fieugniffe eines felb^
3ur franabfifc^en Stcnaiffance. 311
flänbigcn ÄunjWcbeni» erfreut unb erfrifd^t roirb, fo l^at e« für ben
993anberer etoad StieberbrüdenbeiS^ burd^ anbertl^alb SDufienb fratt::
jöfifd^e ©täbte freuj unb quer uml^erjuinen, ba« entfeftlidj^e Äiefel=
pflafler namentlid^ ber Heineren fübfranjöfifd^en ©täbte ju erbutoen
unb für att biefe ©trapcjen fo wenig belol^nt ju toerben. SDie
bürgerlid^e 9lr4)iteftur biefer ©täbte, foweit fie nid^t etwa prunt
Doden mobernen (Erneuerungen angehört, ifi von einer SRonotonie,
9Wd&ternl^eit unb ß^aralterloftgfeit, bie fid^ an ©tragen, ©äfed^en unb
öffentlid^en ^Ififeen überall gleid^ bleibt. SBie würbe man erquidEt
aufatl^men, wenn wenigfleniS bann unb wann ein flattUd^eiS ^an^
be^ Sarodto ober ein jiertid^ei^ ber ?lototo}eit ftd^ bem enttäufd^ten
Sluge barböte, älber aud^ bat)on iß laum irgenbwo bie Siebe. S)ie
einjige 9lu«nal^me mad^t Xouloufe. fiier l^at bie SRenaiffance ©puren
einer felbflänbigen Slütl[ie ^interlajfen. 6« ifi ba^er nid^t me^r
aU billig, wenn id^ mit biefer ^od^bebeutenben ^auptftabt bed
Sangueboc beginne.
^ouloufe gel^ört fd^on hnx^ bie ©d^ön^eit feiner Sage ju ben
anjie^enbfien ©tfibten granfreid^«. S)er Äem ber ©tabt fd^miegt
fid^ in einem großen fialbfrei^ an ben breiten ©trom ber ©aronne,
bie, in prod^tiger »iegung t)on ©üben nad^ SRorbwefl ftrömenb, in
rafd^em ßauf il^r flareg 3Wpengewäffer ba^inwätjt. ©tel;t man auf
einer ber beiben Srüdfen, weld^e bie ©tabt mit ber SBorfiabt ©t.
(Spprien oerbinben, fo fd^liefeen bie fd^neebebedCten ©pifien ber ^pre^
näen bag reid^e lanbfd^aftlid^e SBilb auf^ präd^tigfte ab. ®in Äranj
breiter aileen, Souleoarbö unb öffentlid^er ^läfie, wie überatt,
felbft in ben fleinften ©täbten ©übfranlreid^ö, mit ^errlid^en ^la*
tanen bepftanjt, trennt bie mittelalterlid^e ©tabt oon ben SSorftäbtcn.
ä(n}iei)enber für und wirb aber ^ouloufe burd^ eine anfel^nlic^e
3a^I mittelalterlid^er 3Konumente, bie mit i^ren rotten S^tQtU
maffen überall bie ©il^ouette be^errfd^en. 6^ ifl ber SBadtftein, ber
l^ier weithin in bem frud^tbaren glad^lanbe, baS fid^ am gu| ber
^i;renaen ausbreitet, ben 6^ara!ter beS mittelalterlid^en Äird^en^
baued beftimmt. Sejeid^nenb finb namentlich bie mäd^tigen Olodfen-
t^ürme, wie fie bei ben Rird&en x)on*©t. ©ernin, ber SDalbabe, ber
Safobiner unb bem ehemaligen Sluguftiner^Älojier in überaus ori=
ginetter SBeife fid^ geftalten. S)enn bie Slrd^iteften ^aben l^ier fd^on
312 3^ fran)örtf($en Slenaiffance.
frü^ in refolutcr SBcifc bei ben ©d^aHöffnungen auf jcbe SBogen?
form ücrjid&tct unb bic Ceffnungen burd^ glctd^fd^cnMige ©reiedc
abgefd^lojfcn, tooburc^ fic ber SRot^roenbigteit entgingen, ftd^ auf bic
fierfteffung von gotmjieinen einjulaffen. aWan tann nid^t ratio*
netter, fparfamer unb ^TOedmäfeiger bie formen be8 fiaufleiniS in
Sadfiein überfefeen. 2)abei ifl e^ namentlich bei bem riefigen 6en:=
tralt^urm Don ©t. ©ernin interejfant ju beobad^ten, mie in ben
unteren ©efd^offen ber romanifd^e 3iunbbogen nod^ ^errfd^t unb
erft in ben oberen biefe fpätere SBereinfad^ung ber Äonflruftion jur
©eltung fommt. aße biefe ^^^ürme ^aben etwa« geftunggartige«
unb finb offenbar ate SBarten unb jur 8Sertl[ieibigung errid^tet.
S)ie« gefiungiJartige tritt nod^ entfd^iebener bei ber Äompofttion
mehrerer gajfaben, fo bei ber Salobinerfird^e unb ber S)albabe, aber
a\x6) bei ber Äird^e ©. 5RicoIa« in ber Sßorftabt ©t ©gprien mar*
!ant ]^ert)or. 9lud^ in ällbi n^erben n)ir biefelbe Xenbenj foroo^t
an ber Äat^ebrale wie an ©. ©aloi fennen lernen. 3n biefem
merlroürbigen 3n>ittem)efen, ba8 bie ürd^lid^en SDentmäler jugleid^
afe militärifd^e erfd^einen lä|t, ifl ein ^Rad^^aH ber furd^tbaren
Äataftrop^en ber älbigenferfriege ju fpüren. gafl alle nad^ jenen
Seiten bort enid^teten Äird^en tragen baöfelbe ©eprftge friegerifd^en
3:ro6e«. Stber aud^ fonft bieten bie Äird^en ber ©tabt mand^e*
aWerlroürbige. SSor allem tritt fd^on in bem ©d^iff ber Äatl[iebrale,
roeld^eö ber fpätromanifd^en ^dt ange||ört, bie bem ©üben eigen»
t^ümlid^e Senbenj nad^ mftd^tigen einfd^ifpgen SRfiumen l^ervor.
e« ift ein SRaum von etwa fed^jig gufe »reite, mit niebrigen ftreuj=
gemölben in ^orm fd^merer ©pi^bogen bei^ Uebergang^ftild auf
breiten ©urten überbedtt. S)er SRaum wirft baburd^ nod& auffaHen«
ber, bafe man an il^n fpäter, etwa feit bem 14. Qa^r^unbert, einen
rieRgen got^ifd^en 6^or mit Umgang unb einem Äranj von 17 Äa*
pellen anfügte, ber aber norbwärtS fo meit auS ber Sld^fe be« alten
Saue« l^erauiSgerüät ifl, ba^ ba« ®en)ölbe beS ungeheuer ^o^en
SRittelfd^iffS burd^ bie nörbtid^e Sang^au^manb l[ialbirt wirb. 91(8
man in l^od^fliegenbem @ifer biefen gigantifd^en S^orbau begann,
§atte man leine äll^nung, bag baS Untemel^men fpäter burd^ bie
JtriegiSunrul^en jum ©tiOftanb lommen unb baburd^ für bie fpateren
Seiten ein S^ft^nb t)on fafl unerträglid^er SRifegeflalt l^erbeigefü^rt
3ur franjöfifdjcn 3flcnaiffancc. 313
roerbcn roürbe. Um biefcr grotcöfcn Unregelmäfeigfcit bic Ärone
aufjufcficn, tourbe fd^IicBIid^ bic gaffabc mit einem fd^ief angelegten
?portal an^geftattet unb erl^ielt in bem einjigen ausgebauten ^^urm
ein foloffale» gragejetd^en, xod6)z^ mitten jroifci^en bem alten ©d^iff=
bau unb bem gotl^ifd^en Sl^or feine faft brutalen 3ila^tn vüd^x(l^t&lo&
gen ^immel flredt.
SDet Idier im SangJ^auS ber Äatl^ebrale üießeid^t juerft in be^
beutenberen SBeri^ältnijfen aufgetretene einfd^iffige ©au würbe fo-
bann fpater in biefen ©egenben öfter mit SBorliebe angeroanbt. ©o
junäc^ft in ber Äird^e du Taur, einem gotl^ifd^en Oewölbebau,
äl^nlid^ ber Jtat^ebrate no6) ol^ne begleitenbe 5tapeaen angelegt;
nur am Duerfd^iff (fo barf man bie beiben bem ß^or angrenjenben
breiten ®mblb\o(f)e bejeid^nen) fxnb niebrige Äapetten angebrad^t;
ber &^or felbfl aber befielet TDunberlid^enoeife aus jn^ei poltigonen
BwittingSapfiben, bie burd^ einen 3toifc^enbau ^erbunben finb; eine
l^öd^ft originelle Slnorbnung. ©o femer in ber eleganten got^ifd&en
Äird^e ber granjtSfaner (Cordeliers) mit burd^gebilbetem ftapetten«
fpfleme. ©o enblid^ in ber präd^tigen Äird^e ber SJalbabe, einem
^öd^ft gewaltig wirtenben SRaum von etwa 60 gu^ ©pannroeite, in
ber anläge nod^ frül^gotl^ifd^, aber im 15. gal^r^unbert mit ele^:
ganten ©terngemölben auSgefiattet, bie ftd^ aud^ über ben fflnffeitigen
e^or fortjiel^en. Qto\]^tn bie Strebepfeiler ftnb Äapellen einge^
baut, über roeld^en an ber ©übfeite fid^ ein emporengefd^oß liin^
jiel^t, es ift biefelbe Slnorbnung, weld^e in ber ftat^ebrale von
W)x \f)u l^öd^fie äluSbilbung erreid^en foEte. SDie ^affabe ber
S)albabe erl^ielt jur Qtxt granj I. eines ber präd^tigpen ^portale in
ben üppigen formen ber grü^renaiffance, von weld^em id& in mei*
nem Sud^e bereits berid(>tet l^abe. S)aS ungeheure SBogenfelb, el^e^
mals leer unb burd^ }n)ei Keine ODale ^enfler ^&^lx6) burd^brod^en,
l^at in jüngjler S^i^ ^^^^ «i^^" ein^eimifd^en Äünftler ein großes
farbiges Serracottarelief ber Ärönung ber SWabonna erl^atten, wel-
d^eS in trefflid^er SBeife ben ©tit ber 3lobbia nad^al^mt.
^Beiläufig mag erioäl^nt werben, bafe biefe ftird^e ber äuS«
gangSpunlt beS entfeftlid^en aibigenferfriegeS war, benn ^ier fal^
jur aSefperjeit baS fanatifirte SBolI an ben SBfinben roeifee Äreuje,
beren größtes jum portal l^inauSfd^iDebte, um ben blutigen ©d^läd^ter
314 3"^ franjöfijc^ett 9lenaiffance.
©imon x)on ÜWontfort atö ben gü^rcr bc« Ärcuj^cere^ ju bc^
}eid^nen.
S)a i(i^ einmal oon eigcntl^ämlid^cn ©runbrilbilbungen fprc(!^c,
fo möge nod^ ber 3afobinerfird^e gebadet fein, afe eine^ ber be-
beutenbfien jtoeifd^if^gen ©ebäube be« 3Kittelalter«. 6^ ifi ein
f)o\)n, mfid^tig wirtenber SRaum, burd^ fteben fd^Ianfe SRunbpfciler
in jtoci gleid^ l^ol^e unb gleid^ breite ©d^iffe get^eitt, t)on je 30 gug
©pannn^eite. ©d^lanle gotl^ifd^e ßreuigemölbe auf fräftig gebitbeten
9Hppen bebedten ben impofanten 3laum; ber polpgone ß^orfd^lufe
aber entfaltet [xä) mit einem reid^en ©terngeroölbe, beffen 9Jippen
von ber lefiten SHittelfaule auffteigen, unb in i^rem fc^lan!en Suf^
fd^iefeen jenen präd^tigen ©inbrud l^eroorrufen, ben bie polmen^
artigen ©etoölbe englifd^er ^apitell^äufer, ober um nä^erliegenbe
Seifpiele ju erwähnen, bie l^errlid^en ©eroölbe ber Stemter in a)ia'
rienburg unb bcö StrtuS^ofe^ in SDanjig geroatiren. Slud^ ^ier
TOaren el^emate Äapeüen jwifd^en ben ©trebepfeilem eingebaut, bie
nur noä) am gl^or erl^alten pnb. ©er ad^tedEige S;^urm biefer
Äird^e, ebenfalls in SBadEftein auggefü^rt, gehört ju ben fd^önften
ber ©tabt
©egenüber biefen Dereinfad^ten @runbri|anlagen bietet fobann
©t. ©emin befannttid^ eineÄ ber groftartigften SBeifpiele me^rfd^if-
figer romanifd^er anlagen, benn neben bem SDom ju ^ifa unb ber
in bei SReDolution jerftörten abteitird^e oon ßtun^ ift eiJ ber ein-
zige fünffd^iffige 93au, ben bie romanif^e epod^e ^ercorgebrad^t
^at, nod(> bereid^ert burd^ ein breifd^ifflge^ Ducrl^auS mit oier apfi=
ben, moju nod^ am 6^or ein Umgang mit fynf weiteren Slpftben
fid& gefettt. ©in gewaltig aufftrebenber ßentraltl^urm fd^lie|t biefe
mäd^tige JKnlage aufö roirfung^DOÜfie ab. 3m Innern fommt be-
fanntlid^ ba^ fübfranjörif^Je S^onnengeroölbf^ftem ju feiner grofes
artigften (gntfaltung. auffattcnb aber ift befonberiS ba« au^eror^
bentlid^ !ü^ne fiö^enüer^ältniB be« Innern, ba« in mand^er öe?
jiel^ung an ben faum minber gewaltigen S)om ju 3)iainj erinnert,
an biefer Äird^e ^at nun bie grü^renaiffance, ä^nlid^ wie an ber
2)albabe, ein befonbere^ gSrad^tftüd in bem eleganten portal ffin^
gefteHt, weld^eö in einigem aibftanbe bem älteren ^portal be« füb=
Ud^en ©eitenfd^iff« Dorgefefet ift. 3n marmorartigem Äalfftein auS*
3ur ftangöfifc^en Slcnaiffance. 316
gefül^rt, ift c8 eine bcr jierlic^iien Äomporitionen au§ her ^txt
%xani I. 6ine l^o^e SBogenpforte x\xf)t auf fein geglieberten ^af)mtn'
pilafiem unb wirb von einem ©pftem t)orfprin9enbet Pfeiler mit
Dortretenben fd^Ianfen ©finden eingefaßt, beren ©d^aft gegürtet
unb in bcn oberen 3;^eiten mit ben fubtilften Ornamenten gleid^-
fam überl^aud^t ift. 3n ben Sogenjroideln pel^t man SKebaitton^
mit jerftörten güttungen, in bem griefe unb bem l^ol^en Sogcn^
felbe^ vDtl6)t& unter einem einfaci^en ©iebet bad ©anje abfd^Iie^t^
breiten fid^ bie jarteften Saubranten aud. S)iefed fd^öne portal
toirb gleich atten übrigen bortigen arbeiten au^ jener ©pod^e einem
trefflid^en einl^eimifd^en ÄünfMer, Slitola« »ad^elier, jugefd^ricben.
9latürli(i^ loirb aud^ bad portal ber S)albabe auf itin jurüdgeffll^rt.
Sllle biefe unb nod^ mand^e anbere mittelalterlid^e Äird^cn üer=
leiten bcr präd^tigen ©tabt ein ftoljeö, l^iftorifd^ monumentale^ ©e-
präge. SJaju !ommen aber nod^ jal^Ireid^e ?profanbauten , meldte
fämmttid^ ben oerfd^iebenen ©pod^en ber SRenaijfance x)on i^rem erfien
»eginn bis ju i^rer üppigften, fd^on jum »arodten neigenben aui8=
bilbung angepren. SSaS id^ von biefen SBerfen nad^ frülieren
^ublifationen in meinem SBud^e bereits bcfprod^en l^abe, loiff id&
l^ier nur flüd^tig berühren; anbcreS aber i|i aU ©rgebnife neuerer
©tubien auSfüi^rlid^er l^eroorju^eben. 3" ben frül^eften biefer Sau*
len gehört baS ehemalige ^efuitenfoüegium in ber Rue des Ba-
lances, SDie gaffabe, gleid^ ben meiften alteren Sauten bort in
SSadEfiein auSgefül^rt, trägt im toefentlid^en nod^ mittelalterlid^eS ©e^
präge. SDaS gilt namentlid^ oon bcn genflern mit il^ren Äreuj=
ftäben unb beren fpatgotl^ifd^en ?ßrofi(irungen unb SDurd^fd^neibun^
gen. S)aS gilt aud^ x)om ^portal, beffen flad^er SWunbbogen fammt
ber pd^ft wunberlid^en SBcIrönung von %iaUn unb l^äfelid^ gefd^roeif^
ter SBogeneinfajfung ben Sanferott beS got^ifd^en ©til« ju x)erfün=
ben fd^eint. S)ie SRenaijfance magt pd^ benn aud^ in ben beiben
loappenl^altenben ^Putten unb in ben SKebaittonS mit l^übfd^en
männlid^ien unb weiblid^cn »üfien bereits l^crDor. 2)er Meine innere
jQof ift oon reijenber Slnlage, aber nur an ber ©ingangSfeite^unb
bem redeten glügel alt, bieS freilid^ atterliebft in einem nod^ un-
ftd^er tafienben ©tile be^anbelt. S)aS portal in ber 3Kitte ^at
^übfd^e SRofetten in ber faffetirten SEBölbung. S)arüber erl^ebt fid^
316 3"«? franjöftfc^en 9flenaiffance.
auf fcl^r flaci^ gcfpanntcn Sögen eine breifad^e obere ärlabe mit
jierlid^ burd^brod^ener SBalufiergalerie. an bem redeten glügel fpannt
fid^ ein einziger, fpäter ausgemauerter glad^bogen über bie ganje
Sänge ber SBanb, in ben ©den x)on ben grajiöfefien Äanbelaber-
fäuld^en eingefaßt. 3m oberen ©efd^ofe entroidtelt fid^ bie Strd^itet
tur in ausgeprägteren gormen, mit gegürteten forintl^ifd^en ©öulen^
beren oberer 2^^eil tannelirt ifi. 3)ie genjier mit il^ren Äreujftäben
finb nod^ mittelalterlid^, im übrigen alleS fel^r originell unb pitont
unb burd^toeg in ^auftein auSgefül^rt. SKan fte||t aud^ l^ier, mie
an ben meijien anbercn Drten, bo^ bie SRenaiffance ben »adflein*
bau ju Derbrängen fud^t, weil er für il^r SBebürfnife nad^ feineren,
reid^eren ?Jormen ungenügenb erfd^einen mufete. SBergeffen barf
man übrigens babei nid^t, ba§ ^ier im SWittelalter niemals, wie
etroa in SRorbbeutfd^lanb unb Dberitalien, ber SSerfud^ gemad^t wor^
ben war, einen fünftlerifd^en 2^erracottaflil ju begrünben. SRan
^at ^ier üielmel^r ben SBadEflein immer nur für bie 3Waffen unb
bie großen glöd^en Derroenbet, alle S)etailformen bagegen an gen^
ftem, ^portalen, ©efimfen u. bergt, bem fiauftein überlaffen.
2)ieS SBerl^ättnife tritt nun aud^ toäl^renb ber ©ntroidttung ber
JRenaijfance balb mieber in fein altes ditä)t ©o fte^t man eS
fd^on an bem originellen $otet SRepnier, meld^eS aud^ als Maison
Lasbordes bejeid^net wirb, malerifd^ an ber Rue du vieux raisin
gelegen. SKan erfennt fofort jioei ©pod^en ber »aufflidrung, unb
jujar einen älteren X^eil auS ber 3^^ granj I., etwa um 1515
entftanben, bem bann um 1550 eine ©noeiterung in üppigen, jum
2:^eil fd^on barodten formen ^injugefügt würbe. S)er erjicn epod&e
gehört ber ^auptbau an, mit bem in ber linlen Qdt beS ^ofeS
nod^ nad^ mittelalterlid^er Sßeife angeorbneten Xreppentl^urm, ber
ben fiaupteingang entplt. S)aju fommt red^tS ein fleinerer nur
wenig Dortrctenber. fiöd^jl mertoürbig ifi, ba§ bie (Sdtfenfier fammt
i^rer Umrahmung um bie @dEe l^erum gebrod^en finb, toaS mel^t
oon ber !eden 9toioetät, als oom Stilgefühl beS aWeifierS jeugt.
©äntmtllc^e genfer biefer alteren 2;^eile finb mit feinen forint^i^
f c^en ?pilaftem eingefaßt, bie gteid^ ben griefen ber »efrdnung mit
ben jierlid^ften Ornamenten bebedft fxnb. Stud^ bie jal^lreid^en aRe=
baiHonbüften über ben ^enjiern beS Sreppen^aufeS, fomie bie rei^
Qux franjöftfc^cn SRenaiffance. 317
jcnben ^JJuttcn über bcm 5ßortal gcl^ören bctfclbcn anmut^igcn grül^=
Sftenaiffancc.
2ln biefcn Äern baute man etwa breifeig Qal^re fpäter eine
aSetlängerung ber betben gtügel mit größeren, berber bel^anbelten
genflern, bei roeld^en Sltlanten unb Äarpatiben, namentlid^ a\xä)
^ermen mit fpiralförmig gerounbenen fiä^tangenartigen Seinen an
bie TOunberlid^en äu^fd^ipeifungen beS beginnenben Sarodo erinnern,
aber n)ie biefer ©til aud^ mit feinem effeftooDleren Drd&efter ben
frül^eren ju überbieten fud^t: gegen bie feine 3lnmut^ beSfelben
x)ermag er bod^ nid^t aufjufommen. SDiefelbe Formgebung l[ierr)"d^t
aud^ an ber ©trafeenfaffabe. S)er innere $of wirb burd^ einen
g(eid^}eitigen niebrigen SSerbinbung^bau mit 9lr!aben auf elegant
be^anbelten ?pfeilern unb ^albfäulen von ber ©trafee getrennt. SDie
5Borl[iatte l^at ein pbfd^ geglieberte^ fleineme^ 3;onnengen)ölbe.
®ie llafftfd^e ©d^öpfung ber bortigen 3lenaijfance ift aber bad
iQütel b'Sljfejat. §ier ift uuDerlennbar bie ©inroirfung von Se^cot^
eblem Souore^of ju fpüren; bie fpielenbe fieiterteit ber '^xüfj^
renaiffance weidet einem größeren ßrnft ber Formgebung unb ber
aSer^attnijfe; ja, roa^ lefetere betrifft, fo geprt ber $of be^ fiotel
b'Slifejat mit feinen brei Drbnungen fd^Ian!er gefuppetter ©äulen
— unten borifd^, in ben beiben oberen ©efd^offen forintl^ifdö —
JU ben ebelften Sauten feiner Sttrt. Slud^ bie SSerbinbung ber
genfterard^iteftur mit bem ^auptfpftem ber ©tieberung ifl gerabeju
muftergültig jü nennen. 2lud^ l^ter beftel^en alle gläd^en aug einem
forgfältig bezauberten 31^8^^^^"^^^^^'^/ w^ä^renb bie ftruftioen
S^^eile auö fiauftein gebilbet finb. 3"^ materifd^en SBBirlung trägt
in l^o^em ®rabe ber ftattlid^e 2;reppentl^urm bei, in beffen fd^Ianfem
ad^tedEigem äufbau ba^ ©anje gipfelt. 3lte erbauung^jeit ifi ba^
3al^r 1555 angegeben.
2Ba^ fonft nod^ in ^ouloufe an SBauten ber ^lenaiffance x)ors
fommt, bewegt fid^ in ben formen einer üppig jum SarodCen au^^
artenben ©pdtjeit. ©0 junöd^ft ba^ $6tel ßatelan, baS befonber^
buxä) ein prad^tDoHe^ 5|Jortal an ber ©trafee bie Stufmerffamfeit
enegt. (Seluppelte torintl^ifd^e ©äulen mit fannelirten ©d^äften
fafien tfi ein, oon Aarpatiben unb pl^antaftifd^ barodEen 9(uffägen
überragt. S)er ®inbrudE ift im ©anjen fd^on fel^r überlaben. SDa^
318 3^^ franjöftfc^en 9lenatffance.
i^nnere bietet nid^t t)iel, ba ju einer {lattUd^eren ^ofantage mU
Toeber ber Siaum ober bie SUttel fel^Iten. 3Ran tritt juerft in einen
engen SDuriJ^ganggl^of, ber eine befd^eibene ^pilafierard^iteftur jeiflt.
S)em ixotiim grö^ren $ofe fel^It jebe l^öl^ere ard^iteftonifd^e Su^^
bilbung ; ^übf d^ ifi nur ein Keiner, runb l^erauiStretenber treppen-
tl^umt, ouf elegantem 2^ragpein mit Äonfolen unb gefton^ rui^enb,
t)on ^utten gel^alten. ^ad größte ^rad^tfMd biefeiS @tiled ifl aber
bie Sogenannte >Maison de pierre« in berfelben Strafte unweit ber
35albabe5Äird^e gelegen. $ier ifl fd^on bie gajfabe ein SBerf tjon
bebeutenbem, ja man barf fagen faft unerl^örtem Slufioanb, prunt::
ooS unb überlaben, aber atö Jtompofttion fd^merfoQig unb faft un-
erfreulidf). $ier tritt hai pral^lerifd^e ©pfiem ber fpäteren SRenaiffance
auf, burd^ eine einjige !oIojfale ©äulen^ ober ^ilafierfiettung —
{)ier ftnb e§ riefige forintl^ifd^e ^ßilafier mit fannelirten ©d^äften —
ber gajfabe eine gewiffe ©röfte beiS ©nbrudfg ju oerlei^en. SBfi^renb
aber über ben Kapitalen burd& bag oerfröpfte ©ebdlf unb einen
mädC)tigen 5tonfoIenfrie^ Staum für ein oberem @efd^o| geioonnen
wirb, oermiftt man um fo empfinblid^er einen genügenben Unterbau,
unb menn ed aud^ tein Geringerer al6 ^allabio gemefen ifl, ber
ba« Seifpiel für biefe Slnorbnung gegeben l^at, fo bleibt fie barum
nid^t minbcr t)erroerfli^. @ine golge bapon mar bann bie unor*
ganifd^e 9(norbnung beS großen S)oppeIportafö, baiS mit feinen oor-
gefegten Säulen unb meit l^erauSfpringenbem tjerfröpften @eftmd
unf^ön bie grofte ?ßiIafterorbnung burd^fd&neibet. Uebrigen« ift
aQe« an biefer pompöfen ^affabe getrau, voa^ ba« Urtl^eil befled^ett
fönnte, benn atte gläd^en finb in oerfd^menberifd^er Ueppigfcit mit
einer ftarf in« Äraut gefd^offenen Drnamentif überlaben unb felbft
bie großen ^ilafter l^aben in ber ^öl^e be« @rbgefd^offe« eine äSe^
fleibung oon Slumen unb grud^tfefton«, ^ropl^äen, ©mblemen unb
'JÖfa^fen ert)atten, bie im ftärfflen gortiffimo biefe« ©til« fomponirt
ift. ©elbft bie ftcinernen genfterpfofien, im ö^uptgefd^oft freuj=
förmig angeorbnet, Rnb in Ornamente aufgelöfl. SBefonber« prod^t*
ooD finb bie Sßappen über ben beiben portalen, meldte paarmeife
oon eleganten meib(id^en giguren gel^alten merben: bie« aQe« gletd^
ber ganjen Crnamentif mit großer SBirtuofttot au«gefü^rt. ^afe
aber ber 9lrd^itelt biefer fjaffabe me^r ein blenbcnber 3)eforatcur
3ur franjöfif^en Sflcnaiffance. 319
afö firenger Äomponift war, bcrocift aud^ bic fd^rocrfälltgc ärt, wie
er über bem loeit tjorfpringenben ^auptgefim« ba§ ®anje burd^
eine Steige geraber unb gebogener ©iebet abfd^Iie^t. (Snblid^ nod^
eine »emerlung über bte fjorm ber 5ßortaIe: anfiatt mit einem
Sogen fd^Iiefeen fie mit einer polpgon gebrod^enen Ceffnung, ein
»eroei«, wie fe^r man bamafe auf SReue^, Ungeroö^nlici^e« erpid^t
war.
3m Snnern gefialtet fid^ ber ungefäl^r quabratifd^e igof mit
breiten ärfaben vom unb jur fiinlen ungemein flattlid^; aber bie
SBer^fittniffe leiben unter einer geroiffen ©d^roere unb bie formen
ber ionifd^en plafier fowie ber reiben Crnamenti! an barodter
Weberfd^roänglid^feit. SDie fjläd^en finb aud^ ^ier in SBadfjlein auÄ*
geführt 3n bem rüdtoärt« liegenben glügel öffnet fid^ in ber aRitte
ein prad^tt)oIIe^ SBarodtportal, von mäd^tigen §ermen eingefaßt,
beren Seine bi^ auf bie güfee in jenen rounberlid^en Äaflen jledten,
weld^e in ber bamaligen franjöfifd^en ä(rd^ite{tur beliebt waren. SIU
erbauungSjeit beS immerl()in impofanten 5ßalafteö wirb ba^ 3a^r
1612 angegeben.
3n biefe Stit fällt nun aud^ ber prad^tüolle fiofbau be^ Äa::
pitol-^alafie^. fiier wed&felt nad^ einer in ber 3^it fieinrid^g IV.
beliebten SBeife 3i^fl«t ""^ fiauftein in ber gefammten Slrd^iteftur,
bie burd^ ben SBed^fel biefer bunten Sd^id^ten ein neue^ malerifd^e^
ßlement gewinnt. SefanntUd^ war e^ bie 9iegierung jene« wol^l=
woDenben gürfien, in weld^er befonberä feit bem 6bift t)on 9lante«
nad^ ben bangen ©türmen fanatifd^er Steligioni^triege ha^ fianb
enblid^ wieber aufat^mete. aber ber öffent(id&e 3"ft<J«i> ^<^^ fö
tief jerrüttet, bie ginanjnotl^ fo brüdtenb, ^anbel unb Sßerfel^r fo
gelähmt, bag ed ftrenger 92üd^ternl^eit unb audbauernber Energie
beburfte, um fo fd^were ©d^äben ju l^eilen. ©old^e S^ittn finb,
wie id^ fd^on frül^er auggefü^rt fiabe, nid^t baju angetl^an, jene freie
Stimmung ju f^affen, au« weld^er bie eble 33lütt|e ber Äunft ^tx^
oorfeimt. SBergleid^t man bafier bie ^Regierung ^einrid^^ IV. mit
ben 3ßtt«n granj' I. unb felbft nod^ fieinrid^^ IL, fo befommt man
ben (Sinbrudt ernfter SWanneiSial^re t)off Slrbeit unb SRül^en, bie auf
fröl^li4ie 3iig^nbtage mit ifirer fiujl an ben bunten (Spielen ber
^^antafte gefolgt finb. a5er Sßerftanb, bie Sefonnen^eit fiaben jefet
320 Snx franjöfift^cn SHcnoiffancc.
bic ficrrfd^aft, unb toäl^rcnb ©uHi) bic fjinanjcn wicberl^erftcttt,
tuä^renb ber Jtönig mit a&em (Sifer ben 93ürgerflanb }u i)tbtn,
ioanbcl unb Ocwerbc ju förbcrn bcmül^t ijl, mufe ba^ ©d^önc hinter
bcm SRüftlid^cn jurüdtrcten.
QöÜ man bicfcn ©efid^t^punft im Slugc, fo toirb man ©d^ö-
pfungen toie bie in 9iebe ftel^enben nid^t ttnterfd^ä^en. S)ie älnlage
bcä Äapitotfiofeö l^at in ber 2^]^at in bcn SScrl^ältniffen unb in bcr
©eftaltung bc« ©injelnen etwa» Snipofante«. S)ic bciben 5ßortatc,
namcntüd^ ba« fiauptportal mit bem reid^cn Slufbau, bcr bic ©tatue
bei^ jlönig^ trägt ^ gel^örcn }u bcn ftattlid^flcn itompofttionen ber
Seit, wenn aud& bcr auSgcbaud&tc ^rie«, ber jerfd^nittenc ©icbel
unb mand^c anbcre formen fddon ftarf barodt ftnb. Sebenfalfö
^abcn wir ei8 f)\tv mit einem Äünftter ju tl^un, bcr ein ^öl^creS
JtompofitioniStatent unb einen bebeutenberen ©inn fär äScr^ältniffe
befag, atö ber bc^ oben befpro(^enen 93aueiS. ^amit ifl nun aber
fo jiemlid^ erfd^öpft, loa« Souloufe an aSBcrfen ber SRenaiffance
bietet.
IV.
aSBa« mir fonjl auf meinen ©treifjügen afö. arbeiten ber 9ie=
naijfance bort t)orgeIommcn ift, trägt burd^au« ba« ©epräge Dcr^
einjdter jufättiger Smpulfe unb nid^t einer jufammenl^ängenben,
mit 5Rot]^rocnbigfeit ^xS) cntroidfeinben Äunflblttt^e. ©in .merfmflrbige«
SBerl inbe§, metd^cd bx^ je^t bei und }u n)cnig ^ead^tung gefunben
l^at, bietet bie Äatl^c brate üon Sil bi. 2)ie Meine ftiHe ©tabt,
einft bcr 9ludgangiSpunIt ber unglädtlid^en 9t(bigenfer, n)irb oon
^ouloufc burd^ eine ©eitenba^n in lurjer Seit erreid^t. SBon weitem
fd^on fcffctt ben Slidt beö fieranfa^renben bie gigantifd^e SSadtfleim
maffe ber an^ ber grünen frud^tbaren ebene aufragenben Rat^ebrale.
ajer 85au mürbe gegen ©nbe beä 13. Safir^unbert« red^t eigentli^
afe ©iegcÄjeid^cn ber ^errfd^enben Stxx6)t über bie niebergeroorfene
^e^erei errid^tet, bod^ mäl^rte bie 3(udfü^rung beiS riefig angelegten
äBcrlcd bid in ben 3ludgang beiS änittelalteriS, benn bie prad^tt)ofle
3ur franaöftft^en Slenoiffance. 321
^eitrcppe mit bem offenen ^ßortitug, weld^et an ber ©übfeite ben
fiauptjugang bilbet, foiöie bie ^errlid^en ©teinf(|ranfen be« 6§oreg,
gehören ber üppigen @otf)xt x)om änfang beÄ 16, Sa^rl^unbert«, bie
au^malung beö ganjen Snnenraume« aber, t)on ber iä) l^ier ju
reben l^abe, ift erji wä^renb ber Stütze ber 9lenaiffance erfolgt, ©te^t
man unten am gluffe, fo baut fid^ ein ungemein reid^eö unb pilante^
Ianbf(j^aftlid&e^ SSilb auf. 2)en SBorbergrunb beiS fanft anjieigenben
S^errainö bel^auptet mit feinen auiSgebe^nten ©arten unb feinen
büfter aufragenben mittelalterlid^en 9Kaffen ber bifd^öfüd^e ^ßalaft,
ein Döttig erl^altene^ SBerf ber gotl^ifd^en ©pod^e. SBeiter red^t^,
^od^ barüber l^inau^, ertiebt fid^ mit il^ren riefigen ©trebepfeilem
unb il()rem mad^tigen SBeftt^urme, emft unb ftreng wie eine ?Jeftung,
bie ber ^eiligen ©äciUe geioibmete Jtatl^ebrale.
©eit id^ jum erftenmal einen ©runbri^ biefer gigantifd^en Äird^e
in abbitbung gefe^en, m\l fagen feit mel^r ate brei ©ejennien, lebte
in mir ber SEßunfd^, au^ eigener anfd^auung bie SBirfung einer
fold^en Slnlage fennen ju lernen. aWit ungcroöl^nlid^er ©pannung
bal^er fd^ritt id& burd^ bie fd^malcn ©trafen ber Ileinen ©tabt bem
3Konumente entgegen, auf einem freien ^ßtafte am @nbe b^r ^aupt-
ftrafee, t|od^ über bem flarf abfallenben Ufer be« Xatix gelegen,
ragten plöfeüd^, t)om ©lorienfd^eine einer Itaren Slbenbfonne über^
gojfen, bie rotl^en SBadtfteinmaffen mir entgegen. 3ßon lann bie
©infad^l^eit unb ©d^mudttofigfeit nid^t weiter treiben, aU f)xtx ge=
fd^e^en. 2)er 2lrd^itelt l^at ben got^ifd^en ©til mit feinen fül^nen
SEBöIbungen unb feinen ©trebetoerlen aufgenommen, aber er l^at il^n
in bie ©prad^e be« ©üben^ unb be8 fd^Iid^teften »adtfleinbaueö über-
fefet. 3n ungeglieberter SRunbung, man möd^te fagen eleplianten=
mäfeig primitio, ragen bie loloffalen ©trebepfeiler bid^t gebrängt
auf, !aum für bie fd^malen jroeitl^eiKgen ©pifebogenfenfter, bie
jioifd^en i^nen bie ^(äd^en burd^bred^en, Staum geioäl^renb. S)ie
gialenfrönungen ber ©trebepfeiler ^at man ncuerbing^ ju ergänjen
angefangen, ©anj in berfelben SBeife ift aud^ ber rieftge SBefltl^urm
angelegt unb gegliebert. ®in faft brutaler SCroft — afe wtnn fid^
barin bie rol^e ©iegeöfreube über bie SRieberroerfung ber Äefeer
fpiegelte — d^arafterifirt ben ganjen Sau.
Um fo tDunberfamer mirft nun ber an ber ©übfeite angebaute
21
322 S^^ fronaöfifc^en Kcnaiffance.
offene ?ßortifu3, ju roeld^em man auf einer greitreppe von fünfjig
©tufen emporfteigt. 2)ieg ifl ein SBerf be3 üppigflen gtambopant^
ftitö t)om aiuiSgange be§ aWittetalter^, in einem feinen marmorartigen
Äalffteine mit ber pd^ften SBirtuofitdt be« aReifeefe auggefül^rt. 3)1x1
©taunen betrad^tet man biefe burd^bro(ä&enen Sögen, bie reid^^
gefd^müdten ^Pfeiler unb gialen, biefe in ©tein mit fpielenber Seid^-
tigfett t)eriauberten Slumen, ben ganjen fd^mudboUen Apparat einer
Äunft, bie ben pd^ften SBirhingen einer genial entfeffelten ©eforation
nad^jagt. ^6) lenne ©benbürtigeiS Don biefer Strt nur in bem Settner
von ©t. 3JlabeIeine ju 2^rorieg unb in ber Äird^e Don Srou mit
il^ren ©rabmälern. ätu^gefül^rt würbe bie^ ^errlid^e SBerf unter
bem »ifd^of SouiiS oon aimboife (1473—1502), einem SWitglicbe
jener burd^ il^ren Äunftfinn berütimten gamilie, roeld^e namentlid^
unter ©eorg t)on Slmboife burd^ bie Grbauung beg ©d^loffe^ ©aitton
unb burd^ bad nod^ erl^altene prad^tDoQe (Srabbenfmat in ber Jtattie^
brale ju Slouen in ber Äunftgefd^id^te unuergefelid^ ift. SDen größten
einbrudE aber mad^t baS Snnere ber Äird^e. aWan benfe fid^ einen
SRaum oon über 97 3Weter ßänge unb einer »reite t)on 20 aReter,
ia^ ©anje afe einfd^iffige ^aUe tjon ben riefen^afteften ©imenfioncn
big ju einer ^öl^e oon 30 9Meter emporgefül^rt, bebedtt mit fpi$=
bogigen £reu}getoölben, )n}ö[f in ber ganjen Sänge bed ^am&, benen
nur bie nad^ innen gejogenen ©trebepfeiler afö SBiberlager bienen.
Sroifd^en biefe ©trebepfeiler l^at ber 9(rd()iteft quabratifd^e Raptfltn
eingefügt, roeld^e ben ganjen Sau umjtel^en', am polpgonen 6^or=
fd^luffe aber fid^ ju fünf polpgonen Äapetten geftalten. Ueber biefen
Äapellen ift ein jioeite^ ©todtoerf angelegt, bae einen oberen Um^
gang um ben 'Sdan bilbet, unb ht^m Äreujgeroölbe jur i&o^e be§
mittleren ©eroölbeS emporgefül^rt finb. SJtefe änorbnung ift oon
au^erorbentlid^er SBirfung, benn erft burd^ ben ©egenfaft aU biefer
fd^malen Äapellen gewinnt bie ungel^eure SBeite bed 3Wittelraumcg
itire bominirenbe Sebeutung. Diefe einfd^iffigen, mit Äapellen be=
festen Äird^en fd^einen xtd)t eigentlid^ bem SRaumgefül^le it& ©übenä
}u ehtfpred^en, benn wir finben pe befonberö in Italien, aber aud^
in Äatalonien, wo bie Äatl^ebrale oon ©erona rool^l ba^ getoaltigfie
Seifpiet biefer Strt ift, ma^rfd^einlid^ unter bem ©influffe oon 9llbi
unb anbern fübfranjöfifd()en Sauten entftanben. J)iefe 3lnlage ^at
Sur franaöfifc^cn SRcnaiffance. 323
bann ju bcm feflung^artiöcn ©l^araltcr, bcn bcr SBau nad^ au^m
bietet, beigetrogen, benn über ben flad^en S)äd^em ber ÄapeUen fteigt
bie ^o^t burd^brod^ene Sruftroel^r auf, roeld^e ben ganjen SBau um-
jiel^t unb am S;f|urme fogar uierfad^ fid^ roieberl^olt. Seiläufig gc=
jagt, trägt aud^ eine ältere Äird^e von 3llbi, bie in ber Sßäfie ber
Äatl^ebrale gelegene Äird^e ©t. ©alt)i, ebenfalls einen feftung^artigen
6l^ara!ter.
3um ©d^önften, roaS nun ba^ innere biefer gewaltigen Rat^e-
brale bietet, gel^ört ber unter bemfelben fiouis von ämboife au^^
gefül^rte 6I|orbau. 3ßan mu§te nämlid^ bei ber einfd^iffigen 9lnlage
be^ ©anjen bem ©otte^bienft beg Jllcrug baburd^ einen gefd^loffenen
SRaum fd^affen, ba^ man bie öftlid^e Hälfte be§ ganjen SRaume^
burd^ fteinerne ©d^ranlen abtrennte, roeld^e ring^ um^er nod^ einen
Umgang geftatten. ®egen baS ©d^iff ift biefer Umgang fammt bem
gl^ore burd^ ein prad^ttJoHe^, burd^brod^en gearbeitete^ ©itterroerf
abgefd^loifen. 2)iefe ganje auögebel^nte Stnlage, bie ungefähr 50
SKeter Sänge bei 12 aWeter SBreite mifet, ift in bemfelben üppigen
gtambopantftile ber fpätgotl^ifd^cn 3^it wie ber äufecrc ^ortifuS
auSgefül^rt, überbietet biefen aber nod^ an geinl^eit unb t)irtuofer
5prad^t. 3loä) glanjt)oIIer aber gejlaltet fxd^ baö ^nntxz burd^ bie
©emälbe, roeld^e aUe Sffianbfläc^en unb ©eroölbe biefeS ungel^euren
Siaumeg im ©d^iffe mie in ben Äapetlen unb ben oberen Umgängen
bebedfen. S5er Slu^bel^nung nad^ ifl e^ wol^l ol^ne Steifet bie größte
^eölomalerei ber SBelt. S)er ©l^arafter beö ©anjen bemegt fld^ im
Ornamentalen wie im gigürlid^en burd^au^ im ©tile ber italienifd^en
SRenaiffance, unb e§ tann fein S^^if^I f^i"/ ^^6 ^^^ italienifd^e
Äünftler für bie Slugfül^rung berufen l^at. »ifd^of Souiä üon ämboife
(1602—1510), ber 5Reffe feines gleichnamigen JBorgängerS, fiat bieiS
SBerl gefiiftet, roeld^eS burd^ feine 5Rad^folger ßl^arleS unb ^aqueS
bc Stöbertet jroifd^en 1510—1520 t)oIIenbet würbe. 2)aS 2^obe§jal^r
atafaetö bürfte ungefäl^r ha^ $BolIenbungSj|al^r biefer greifen fein.
SBo^t fielet man fofort, baß eö nur Äünftler jroeiten unb britten
Klanges waren, weld^e biefem SBerfe il^re Äräfte loibmeten ; aber ber
bcforatioe (gffeft ift ron aufeerorbentlid^er ^rad^t unb ©d^önl^eit.
aSefonber^ fefet bie ftral^lenbe grifd^e ber garben, oorjüglid^ an ben
großen ©ewölben beö ©d^iffeS, ben Sefd^auer in ©rftaunen. 35ie
324 3"^ fran^öftfc^en Slenaiffance.
garbcn finb von fo leud^tcnber 5ßrad^t, bafe man jucrft an neuere
äteflaurationen glauben möd^te^ bi^ man ftd^ äbet}eugt^ bag baoon
ni(§t bie SRebe fein lann, bafe alle^ fo jlral^Ienb unb frifd^ tft, ale
Ratten bie Äünpler gejletn il^re 2lrbeit DoHenbet.
Sei genauerer ^Prüfung erfennt man aud^ l^ier balb baö cr^
jlaunlid^e beforatiüe Oefd^idE, wü6)iS felbft ber lefete bamalige 3ta=
liener afö gemeinfame^ ©rbtl^cil befa§. 5Rid^t wenig trägt ju ber
l^armonifd^n SBirlung bie reid^e Slbflufung unb 3(bn)edgdtung bei^
weld^e in ber gefammten Slnorbnung meiflerl^aft burd&gefül^rt ift.
©ämmttid^e ®mblht in ben jlapellen^ ben @mporen unb bem
3Kittelraum finb auf blauem Orunb meifienö mit 9lanlen t)on föft^
Ud^em SReid^tl^um unb ©efd^madt ber ®rfinbung gejiert, toS^renb
bie SRippen eine Dmamentif t)on golbigem ©efammtton jeigen. ©o
wirft ha& ©anje wie ein ^leftwerl von l^immelblauen SBilbfelbem,
bie burd^ ©olbral^men prad^tDoII jufammenge^alten werben. 3«
biefem omamentalen ©runbalforb, ber wie ein l^armonifd^e« Dr*
d^efter ba^ ©anje umfpielt, gefettt fid^ aU %cict gleid^fam eine SReil^e
^eiliger ©eftalten in befonberö gemalten Siifd^en, im aWittelfd^iff
^atriard^en unb ^ßropl^eten, beren Sieigen mit ber ©eflalt 6l[irifli,
ba§ offene ©üangelium in ben Qanien, enbet; aufeerbem ^eilige
unb 9)iärtgrer, fpmbolifd&e giguren t)on Xugenben, unb jwifd^en
all bem SReid^t^um laufd^t auö ben äfantl^Äranfen eine ©d^aar
fpielenber ?ßutten, untermifd^t mit ber ganjen ^eiteren gabelwett
ber SRenaiffance. ®S ift ein Sauber in biefem garben- unb gormen=
raufd^, ein unerfd^öpflid^er SReid^tl^um ber ©rfinbung, eine fpielenbe
fieid^tigfeit ber 9(u^fäl^rung unb babei ein ©lanj unb eine fieud^t-
feaft ber garbe, bafe man gerabeju wie geblenbet ift. Setrad^tet
man bie 3^8^^^^ ^^ ©injelnen, fo fielet man balb, bafe man e^
burd^weg mit tianbfertigen Äünftlem jweiten 9iangeg ju tl^un l^at,
benen eine tiefere SBefeelung ber ©eftatten ni4|t am fierjen lag.
2)ag obere ©ewölbe, weld^e^ natürlid^erweife juerfi auÄgefü^rt
würbe, tjerrätl^ bie tüd^tigeren Äräfte unb bie forgfSitigere »el^anb::
tung. 3n ben übrigen 2:^eilen jeigt mand^e« üon geringerer ^anb,
aber aud^ l^icr ift bie bcloratiüe 9Birfung fo DortreffKd^, baft man
ben ^lan jum ©anjen einer tüd^tigen leitenben Äraft jufd&reiben
mn% 2)abei bleibt eö immer erftaunlid^, wie biefe bcifpieltoö aM-
3ur fransöftfc^en SÜenaiffance. 3^5
gcbel^ntc älrbcit bei aller aKannigfaltlgfett eine fo wol^l burd^bad^te
Harmonie erfennen lä^t.
SBäl^renb fämmtlid^e ©eroölbe in ber oben gefd^ilberten SBeife
be^anbelt ftnb, i{l fär bie SBänbe ber oberen unb unteren ftapeOen
eine blofee S)eloration farbiger 3Kufter aufgefpart, anH^ biefe wieber
oon größter aKannigfaltigfeit: S^d^ad unb anbere lineare Drna=
mente, quabratifd^e fjelber mit atten erben!lid^en SSerjierungen,
barüber folgt bann ein Sßantl^ugfrie« mit ^utten unb anberem
gigürlid^en, enblid^ eine gemalte »alujlrabe ate Slbfd&Iufe. Uebris
gen« fe^tt e8 aud^ ^ier niddt an einjelnen figürlid^en Äompofitionen,
wie benn in ber l^eiligen Jlreuilapede bie 3)arfleDungen au^ bem
Seben ÄonflantinÄ unb ber l^eiltgen §elena burd^ gro§e Sebenbig^
feit fxd^ au^eid^nen. Sefonber^ anjie^enb ftnb biefe SBerle burd^
bie ben jlänfitem be^ 15. ^dffx^nnhtttö eigene Staioetät^ wetd^e
bie alten ©efd^id^ten in hcS Äofiüm ber eigenen 3^^ 8^ Meiben
liebte, tooburd^ benn aud^ biefe SBilber ein lulturgefd^id^tlid^e« 3n=
tereffe loedten. Unb jioar erinnern il^re formen an biejenigen,
weld^e man auf ben ©emdlben beö ©entile ba gabriano antrifft,
eine ganj befonbere Stellung nimmt bie gro§e ©d^ilberung be8
jüngfien ©erid^tÄ ein, roeld&e bie weftlid^e ©d^luferoanb be« SKitteU
fd&ift« bebedft, offenbar no(^ ein SBerf be« 15. gal^r^unbert»-
lieber bie lünfHerifd^en Urheber biefer großartigen 2)e!oration
fd^eint urfunblid^ nid^t« fejljufte^en. S)em ©tile nad^ erinnern bie
SSBerle balb an Florentiner au^ ber ©d^ule ©l^irtanbajoS, batb an
Cberitaliener, bann lieber an bie öolognefen ber ©d^ule gran^
cia^. einige 2luÄ!unft gewähren bie Silber fetbjl in il^iren »ei-
fd^riften. 3Slan lieft me^rfad^ an ben ©eioölben ber oberen Um
gange bie Sa^reÄjal^len 1511 unb 1512. äujserbem eine Slnjal^l
Toon AfinfUernamen, loeld^e bie aui^ bem ©til ber ©emälbe gefd^öpf-
tcn aSermut^ungen beftätigen. ©o unter Slnberem: Slmbrofio So«
tenjio bi SRobena, SSe . . . be »olonia, SSiolano 3utio italiano,
2)io • . . äntonio be Sobi, Urfilio, 6arpo, ^fSurd^io, ^ßaulo S^lio.
SKud^ ein Äünjiler x)on ßarpi nennt ftd^ mit einer augfü^rlid^en 3n=
fc^rift in ber erften füblic^en C^orlapelle: „loia Franciscus Do-
nela, pictor italus, de Carpa, fecit anno 1513". 2ln einer an«
beren ©teile, red^t^ neben bem ^auptportal, lieft man ben Spanien
326 gur franjöftfc^cn Äenaiffoncc.
einer ^au; fei eö, bafe l^ier ein Äünftler eine il^m wertl^e ^crfön=
lid^Icit üereroigen rooHte, fei e^, ba§ toit barin eine 3JIalerin ju er-
lennen l^abcn: ,,Sucrejia ©antora Sologneia".
3lo(S) eine Semerlung fei l^ier am ^lafee. 3" ber urfprung-
Ii(§en 3lugfiattung gel^örten in fämmtlid^en genftern ©togemälbe,
von bcnen inbe§ nur wenige erl^alten finb. 3)iefe wenigen aber
beroeifen ben richtigen fünftlerifd^en Snftinft, ber in aßen biefen
SBerlen bamal« mafegebenb war. ©ie ftnb nämtid^ in ganj lid^ten,
jarten Xönen gehalten, um ber farbigen ^rad^t ber greifen feinen
©ntrag ju tl^un. Um fo tl^öric^ter ift man bei ber mobernen 9ie=
ftauration uerfal^ren, inbem man ©la^gemälbe von fel^r tiefen unb
fatten garben l^at einfefeen laffen. SWan l^ätte nid^tö erfinnen fönnen,
roa^ bie SBirfung ber ©emälbe melir ju beeinträd^tigen geeignet
TDäre, Ueberl^aupt fd^Iiefeen ©fa^malerei unb SBaubmaferei einan=
ber eigentlid^ auö, unb e§ ifl nid^t« SufaHige^, bafe ber SRorben mit
feiner ©otl^if unb feiner prad^tooüen ©la^malerei ba^ fjreäfo ücmad^-
läfftgte, TOäl^renb 3>t<iHcn ben ©lai^gemälben nur untergeorbneten
SBertl^ beimaß unb bafür eine große gre^!otunjl au^bitbete, bie
il^re fiöl^enpunfte in ben ©d^öpfungen aJJid^elangeto^ unb SRafaelÄ
erreid^te.
Unb nod^ ju einer anbern allgemeinen funftl^ifiorifd^en öe-
trad^tung gibt bie Äatl^ebrale t)on Sllbi Slnlafe : ju ber 2Ba^rne]^=
mung, mie bie 9ienaiffance aufeerl^alb Stauen — unb ba^ gilt fo-
tool^l oon granfreid^ wie oon ©eutfd^lanb — oft mit ber ein=
l^eimifd^ gotl^ifd^en Äunfi frieblid^ ^anb in $anb gel()t. SBä^renb
bie großen Äonftruftionen nod^ mittelalterlid^ finb, mäl^irenb bie
©teinarbeit, mie ^ier am 6I|or unb bem äußeren ^ortifu^, nod^ in
ben fiänben einer einl^eimifd^en ©d^ule ift, bie ben ganjen ©lanj
be^ gIambox;antftifö aufbietet, um mit ber neuen oom ©üben ^er
eingebrungenen Äunft ju wetteifern, l^ält biefe lefetere in ben 9Ber=
fen ber aRalerei ungel^inbert i^ren ßinjug. ©in älinlid^eg SSeifpiel
liegt uni5 aud^ in S5eutfd&Ianb üor, wo bie ©tabtfird^e ju ?ßima
oon got^ifd^ gefd^ulten aReiftem afe fpätmittelalterlid^e fiatten^
fird^e errid^tet würbe, wäl^renb bie malerifd^e Slu^fd^müdEung ber
©ewölbe au^ berfelben Qext bie üppigen gormen ber SRenaijfance
vtxxäH).
Sur franjöfifc^en 3flenaiffance. 327
2)a^ Heine Sllbi, von beffen Äatl^ebrale td^ mid^ nur fd^roer ju
trennen uermod^te, follte mir nod^ eine ganj unerwartete ausbeute
für meine ©tubien geiöäl^ren. Qn ber Rue Timbal fanb \^ ein
befd^eibeneg SadEfteinl^aug mit d^arafterootter 5Ruftifa an ben ein=
faffungen ber genfter unb Sll^üren, offenbar etwa ber 9)Jitte beö
16. Sal^rl^unbertS angel()örenb : bie Xlreujftäbe ber genfter mit ber=
ben Slttanten, ©ngeWöpfen unb anberem gigürlid^en belorirt, wie
€ö biefer ©til unter ber aiegierung ^einrid^g IL liebt. Ueberaug
malerifd^ wirft ber Meine fiof, ber freilid^ jefet fel^r Demad^Iäffigt
ift. Sinfö eine l^albDermauerte 2lrfabe von jwei fel^r flad^ gefpann^
ten SBögen auf einer to^fanifd^en aRittelfäuIe, barüber im obern
@efd^o§ eine nod^ gebrüdftere Slrlabe, In ber ®dEe ein runber SJrep^
pentl^urm mit einfad^er SBenbelftiege, am redeten glügel jwifd^en
ben jiemlid^ berb bel^anbelten genftem in einer SRifd^e bie fel^r
lebenbig gearbeiteten SBüften granj L unb feiner ®emal|lin, S)ag
©anje, trofe unbebeutenber Sierl^ältnijfe, d^aralterDott unb originell.
3n berfelben ©trafee fielet man nod^ ein Ileineö gad^merf^au^ au§
berfelben ®pod^e, bie genfter in ein ©pftem üon ionifd^en 5pitaftern
gefaxt, an meldten jene unmittelbare Uebertragung be^ ©teinftite
in ben ^oljbau ftattfinbet, bie wir überall in ber SRenaiffance wa^r-
itel^men, unb bie ftet^ ben Untergang ber felbftänbigen ^oljard^is
teftur bejeid^net.
SBo wir fonft un^ im ©üben granfreid^g umfd^auen, wirb
unfer fünftlcrifd^eö Sntereffe meiftenä jwifd^en ben Ueberreften be^
flaffifd^en Slltertl^umd unb ben SBerfen ber gotI|ifd()en ®pod^e ge-
tl^eilt. 3)ie lefttere ifi^^, weld^e ber alten bifd^öflid^en ©tabt 3lax^
bonne i^r ©epräge gibt. ®ie Sage ber ©tabt erplt einerfeit^
burd^ bie jadfigen ßinien ber ßeoennen, anbererfeitö burd^ bie
fd^neeigen Oipfel ber ^ßprenaenfette einen großartigen 6^ara!ter;
enblid^ erinnert ein SBlidE bon bem t|o^en Xl^urme ber Äatl^ebrale
an bie unmittelbare 3läf|e be§ mittellänbifd^en aReere^. 5Die Äat^e=
brale felbfi, faft glcid^jeitig mit bem Kölner S)om entftanben, fte^t
328 S^T^ franjöfiMcn Slcnatffance.
an (Srofeartigfcit ber Slnlagc, ©d^önl^eit ber aScrl^filtniffc*, SReinl^eit
be^ @titö leintet jenem taum jurüd. 9iur ftnb bie %otmm etmo^
bannet unb vdoJ)1 aud^ fpäter. (Sin ganzer 5tran) polqgonet fta^
peUen begleitet ben Umgang, ber ftd^ um ben ju {ül^nfier ^öl^e ge-
jleigerten ©l^or l^injie^t SBie wenig weijs man bei uniS t)on fold^en
aMonumenten etilen SRange^, bie laum minber erroäl^nen^wert^ finb,
aU x^x Äölnet fRxvaU. SBer fennt j. 83. bie ilatl^ebrale von (Eltt^
monts^rtanb, einen »au, ber auf etroag frül^ercr ©tufe ben Sppu^
einer reid^ auiSgebilbeten frül^got^ifd^en SifiJ^ofiJfird^e in einer @xo^^
artigfeit, Äonfequenj unb ©d^ön^eit vertritt, ha^ fte unfrem Äölner
S)om an bie ©eite ju ftellen ifi.
3n)ifd^en bie nörblid^en (S^orpfeiler ju 9larbonne ifl ein !Uinei^
bifd^öflid^e^ ©rabmal ber grül^renaiffance eingebaut, boÄ in feiner
bef^eibenen 3i^tlid^teit fel^r an^iel^enb ftd^ barfteOt. Xtö Sßanbgrab
angelegt, lel^nt e« fid^ mit ber SRfldEfeite an bie Umfaffungömauer
* be^ ©l^ore^, Qmti fd^lanle gegürtete ©äulen mit lorint^ifd^en Äa^
pitälen, jroifd&en il^nen in ber SKitte ein belorirter 5ßfeUer mit äl^n-
Kd^em Äapitftl, erl^eben pd^ auf einem reid^gefd^müdften Unterbau
unb tragen ein ©ebälf, beffen grie» jroifd^en Meinen ©äuIenfteHungen
abwed^felnb mit geflügelten ©ngelföpfen unb 2^obtenfd^dbeln beforirt
ijl. Site l^ätte ber ©egenfafe biefer TOunberlid^en Dmamenti! nod^
fd^ärfer betont werben follen, ftnb bie engettöpfe möglid[ifl pauS^
bädtig bargefiettt. Slud^ am ?pofiament beö Unterbauet ifi mit lobten-
fd^äbeln, ^anbffeletten unb ä^nlid^em Änod^enroerf eine unliebfame
Crnamentif in ©jene gefeftt. ©efattiger ifi ber ©arlop^ag beforirt,
ber pifd^en gra^iöfen ä3aluflerfäuld^en ©tatuetten oon Atagenben
entl^ält, wie fte unter ber Sejcid^nung „11 plourans" fo oft an
franjöftfd^en 3Ronumenten oorfommen. S)ie gigur beÄ Serfiorbenen,
weld^e ber ©arfopl^ag o§ne 3»^^^^ t«*g, ifi toa^rfd^einlid^ in ber
SReoolution jerflört worben, ßbenfo wie biefe» 9Ronument ifi ein
anbered an ber ©übfeite bt& Sl^orumgangiS in weitem SRarmor
au8gefül^rt, aber im elegantefien gotl^ifd^en ©til be« 14. 3a]^r^un=
bert^. @d ift feine ^age, bafs ei^ an tünftlerifd^er äSoQenbung \tntm
erfigenannten entfd^ieben ooranftel^t: wieber ein öewei^, bafe bie
franjöfifd^e Runfl in ben gormen be« SKittelalter^ fid^ mit befon-
berem ©efd^idt unb mit nationaler SBorliebe au8gefprod^en ^at
3ur ftanaöftfc^cn Slcnoiffance. 329
aufecxbem iDöre l^ier nur noä) bie T)on tnir früher fd^on be=
[prod^enc fogcnannte „Maison des nourrices" }u cnoö^ncn. SiS ifi
etnö bcr wunberlid^ftcn S3etfptelc fübfranjöfif^cr Ucppigtcit unb
bürfte füglid^ als ipettigtl^um ber ^unbettbrilftigcn ärtetni^ t)on
©pl^efxi^ bcjcid^nct werben. ®& x% n)ie id^ fd&on gefagt l^obe, ein^
ber feltenen aSeifpiele, too bie Slrd^iteftur Ing SBi^ige unb Äomlfd^e
fäat.
@ine ganj anbere äBelt t^ut ftd^ t)or uni^ auf, n)enn toir in
SRlme^ unb ärieS ben Soben ber Haffifd^en Äunft betreten. 83e^
fonber« Srle^ iji burd^ bie gcinl^eit unb ben SReij feiner Slömer^
werfe wal^rl^aft bejaubemb. SWan barf fagen, \>c^ eine grted^ifd^e
änmut^ auÄ feinen ©enlmälem jlral^It, wie bis auf ben l^eutigen
aJag feine grauenroelt burd^ eine geinl^eit unb ©d^önl^eit ^enjor-
ragt, weld^e von beut befannten XypixS ber ^ranjöfxnnen, nament^
lid^ ber 5ßariferinncn, fo weit abweidet, wie eine 5ßrajitelifd^e aSenuS
von einer nad(ten f^auengeftalt Sabanete. SBie ftarl gerabe l^ier
bie antile gewirft unb bi^ in bie altd&rifilid^e, ja big in bie roma=
nifd^e @pod^e nod^ gel^errfd^t l^at, erfennt man an ben reid^en Uebep
reften ard^iteftonifd^er unb plajlifd^er Äunft, weld[)e bag bortige
SKufeum ju einem ber intereffantefien in feiner ärt mad^en, erlennt
man fogar nod^ an ber gaifabe unb am Äreujgang von ©t. %xo^
p^ime, wo fetbfi im 12. Sal^r^unbert nod^ bie Slntife fid^ lebenbig
erweift.
S)od^ nid^t von biefen SBerten f)abt id^ }u reben, fonbem nur
von einigen S)en(mälem ber ^tenaijfance, bie freitid^ in abgelegenem
SBerfledt aufjufud^en finb. 3)ie SBanberung aber ifl eine ber reij=
oonften unb lol^nenbjlen. SBir fd^eiten an bem antuen 2:i^eater
vorbei, tJDn beffen el^emaligcr ©d^nl^cit bie beiben nod& aufredet
jle^enben forintl^ifd^en Säulen ht& SBü^nengebäube^ eine lebenbige
SßorfteBung crwedten. (Sine prad^tDoIIe ?promenabe nimmt nn^ auf,
unb wir wanbcin unter bem ©d&atten l^errlid^er alter ^ßlatanen,
wie fie aliS wa^re^ fiabfat in allen biefen fäbfran}öftfd^en @täbten
an ben $aupt{h:a§en unb ^(ä^en angetroffen werben, oflwärt^
l^inauS, wo ba^ groge antite ©räberfelb ber 9UüScampiS (Elysii
campi, Champs Elysees) un^ aufnimmt ©in breiter, rafenüber-
wad^fener SBeg, x)on (Spprejfen umgeben, bejeid^net bie SKd^tung ber
330 3"^^ fronjofifc^n SUcnaiffance.
alten OräberftraBc ju bclbcn ©citcn eingefaßt mit einer Unja^I
riefiger ©teinfarfopl^age , einige no6) mit i^ren Siedeln uerfel^en.
©mfie l^ifiorifd^e Stimmung ergreift un^, benn mir manbeln auf
ber ©tätte, mo bie alten römlf^en gamilien von SrleS unb neben
i^nen bie ©l^riften ber erfien Qa^r^unberte il^re lefete SRul^e gefun^
ben l^aben. S5ie f^önfien bilbmerfgefd^müdten ©rabbenlmäler l^at
man von l^ier in ba§ aRufeum ber ©tabt gerettet; üon ^ier fiammen
bie eleganten antuen ©rabfteine, j. 83. jener reijenbe einer gefeierten
Äünftlerin, ber mit Derfdbiebenen mujifalifd^en Snjlrumenten gefd^mütft
ift; t)on l^ier ftammen aud^ bie jal^lreid^ett präd^tigen altd^rifllid^en
@ar!opl^age, auf meldten bie junge d^riftlid^e Äunft fo gern bie
SBunbertl^aten be^ ©rlöferä bargeftellt l^at, um ben Hinterbliebenen
ben a;roft unb bie Hoffnung auf feine tobbejmingenbe aWad^t ^u
medfen. SEßeitberü^mt mar feit alten Otiten biefeS 5£obtengefilbe,
benn fd^on S5ante in feinem „Inferno" fagt:
Si come ad Arli ove U Rodano stagna,
Fanni i sepolcri tutto M loco varo,
unb äl^nlid^ l^eißt eS bei Srioft:
Presso ad Arli ov' PRodano stagna,
Piena di sepolture e la campagna,
S)iefe fd^lid^ten, loloffalen ©teinfärge, beren mand^e burd^ eine
3mifd^enmanb ju boppelten SRul^ebetten geftaltet finb, bilben eine
riefige 3inee, meldte ung jum ©ingang eine^ mittelalterlid^en Rlofter^
mit l^albjerftörter Rird^e auö romanifd^er ©pod^e filiert. S)ai5 aJHttel=
fd&iff ift gleid^ ben ©eitenfd^iffen nad^ 2lrt ber meiflen fübfranjöfi=
fd^en Äird^en jener 8«it mit 2;onnengemölben bebedtt, aber ber Dorbere
2^l()eil fammt ber iJajfabe ift, mol^l in ben ©d^redtenötagen ber 9ie=
Solution, niebergerijfen morben, unb jefet liegt bie el^ematö gemeinte
©tätte mit it)ren l^albüermüfteten 3Kauern offen unb tjeröbet ba.
ei^or unb Äreujfd^iff finb am beften erl^alten, unb über lefeterem
ergebt fid& auf fräftigen SHunbpf eilern ein Olodtentl^urm, ber mit
feinen runbbogigen ©d^aHöffnungen in jroei ©efd^offen bag ©anje
malerifd^ befrönt.
2lm füblid^en fireujarm nun l^at fid^ eine Siaipeüt erl^alten, bie
ein elegatite^ 2Ber! ber beften SRenaiffancejeit iji. ©in quabratifd^er
gur franjöftfc^en Sflcnaiffance. 331
5laum, in ben ©dEcn burd^ elegante lorint^ifcä^e ©äulen mit prad^t^
t)ott belorirten ©d^äften gcgiiebert, wirb burd^ einen ebenfalls reid^
ßefd^müdften, mit ^errlid^er Slfantl^uSranfe befleibeten grieS nnb
präd^tigeS ÄonfolengefimS abgefd^lojfen. SJarüber enttoidEelt fid^ ein
f)of)t^ @en)ölbe auS vkx auffteigenben Jlappen^ bie noä) in mittel-
alterlid^er SBeife burd^ ©urte uerbunben werben, ©ie tjereinigen
fxd^ ju einem quabratifd^en Dberlid^t, ba§ t)on einer Keinen Äuppel
befeönt wirb. S5aiS ©anje, etwa um 1560 entfianben, fel^r elegant
unb fein.
6ine anbere al^nlid^ be^anbelte Äapetle neben jener erfteren ift
nid^t t)iel fpäter. ©ie unterfdieibet fid^ nur baburd^, ba§ fte eine
ad^tedfige ©runbform, ad^tedfigeS ©emölbe unb Dberlid^t l^at, bieS
aUeö von üerroanbter Sluöfül^rung, aber mit einem borifd^en a;ri=^
glt)pl^enfrieS auägeftattet. S)ie ad^t ®dffäulen, bie wa^rfd^einlid^ ber-
felben antilen Drbnung angehören, finb bis auf bie ^ßoftamente
ijerfd^rounben.
3um ©d^lufe begeben wir unS nad^ bem benad^barten SJaraS^
con, wo ein bis jefet, wie eS fd^eint, gänjlid^ unbeachtet gebliebenes
SJenfmal ber SRenaijfance unS erwartet. S)er öbe, armfelige Drt,
ber bem SBorbeifa^renben nur b\xx6) bie gigantifd^en SWaRen feines
am 9tf|oneufer aufragenben alten ©d^loffeS bemerfbar wirb, war
einfl bie SReftbenj beS „guten" Königs SRene. älber von bem Iiei?
teren Seben an feinem mufenfreunblid^en ^ofe geben bie finfteren
3Jiauem unb 2;^ürme beS burd^ il^n erbauten ©d^loffeS leine Sll^nung.
SiirgenbS gefiatten bie fenfterlofen gläd^en, bie gleid^fam blinb in
ber l^eiterfien Sanbfd^aft liegen, einen SBlidE in bie ^errlid^feit ber
umgebenben Sßatur, unb bie ^xnmntx&nit mit i^ren bro^enben
SRad^icouliS üotlenben ben SinbrudE einer 3^^*/ ^^^ "^^ tt^f iwi
geubaliSmuS beS aRittelalterS mit feiner ©efefeloftgleit unb gelobe-
luft »ergraben war. ©rfi im engen $ofe beS jefit als ©efängnife
bienenben SaueS fprid^t fid^ in ber weiten 3tunbbogenl^atle unb ber
jierlid^en äBenbeltreppe bie ©timmung mol^nlid^en SBel^agenS auS,
unb von ber ^Plattform beS SJad^eS fd^meift baS 2luge entjüdft über
bie lieblid^e Sanbfd^aft, toeld^e ber fiolje g^lufe weitl^in burd^ftrömt.
Siegt l^ier 2llleS nod^ im ftrengen SBann beS aWittelalterS , fo
bietet bie benad^barte Äatl^ebrale, ein nid^t gerabe bebeutenber ^au
332 3ut franjörifc^en ^tenaiffonce.
ber romanifd^en ©pod^e, eine jener Ueberraf drangen, wie fte bem
fjorfd^er juioeilen jum erfaft fflr tnand^erlei ©nttaufd^ungen ge^
boten werben. 9lm äBeftenbe bed @d^iffeS fleigt man nämUd^ )u
einer Untertird^e l^erab^ toetd^e baS @rab ber bort ^od^oerel^rten
^eiligen SRarti^a entl^alt 9lm Eingang biefer fir^pta ergebt ftd^
red^tÄ ein prad^tooBeÄ SJiarmorgrab ber SRenaiffance. ®ne 3ttf<3&rift
mit [d^önen Uncialen belehrt unÄ, ba§ im Sa^re 1476 Äönig 9icn6
feinem wert^gefd^&^ten treuen SHener So^anneiS be Soffa^ ber auf
ben SBunfd^ beiS fiönig^ fein SSaterlanb verlaffen l^abe, um i^m ju
folgen, biefe« S)enfmal l^abe errid^ten lajfen, griebcooB rul^t bie
eble ®eftalt beiS ©enefd^alB im ©ebet mit gefalteten ^änben auf
einer einfad^en 3;umba. S)ie ^üj^e feftt er auf einen ^unb, bai^
©innbilb ber Streue, meldte« fonfi auf mittelalterlid^en a)enlm&leni
weniger ben 3Kännem aU ben grauen beigegeben ift. geine lorin-
t^ifd^e ?pilafier, mit jierlid^en Ornamenten bebedtt, umfd^Iießen ba^
©anje, oben f Sweben jwei ©enien mit äSlumengemiitben, loä^renb
jmei anbere ben ©d^ilb bei^ SRitterÄ galten, auf ben fte ftd& wel^'
mütl^ig ftfl^en. S)a^ eble 3Ronument ifl DöQig über^aud^t oom
feinen ©eifte ber grül^renaiffance, unb ba eS mol^l bad frill^efie
9Ronument bei^ neuen @tifö auf franjöfifd^em SBoben ifl unb in
eine 3^it l^inaufreid^t, wo fd^werlid^ fd^on ein einl^eimifd^er Äfinfller
bie !Iaf{tf(^e f^ormenwelt }u bel^errfd^en wu^te, fo mug man e^
unbebingt einem Staliener jufd^reiben. SBir erl^alten fomit einen
neuen wertl^ooSen SBeweii^ t)on ben bamatö gleid[i}eitig ^errfd^enben
oerfd^iebenartigen HinfUerifd^en Strömungen, benn w&l^renb man
ben ©d^Iofebau nod& in ber SBeife be« SKittelalter« aufffll^rte,
w&^Ite man für baiS ©rabbenhnal bie eleganten formen beiS neuen
©tife.
aWit biefen fpärlid^en ©enhnfilem erfd^öpft pd^ bie ausbeute
an Slenaiifance, weld^e fid^ mir im ©üben granfreid^iS geboten ^at
3d& fann nid^t uml^in, bie 2)ürftigfeit berfelben nod[)mate ju be*
tonen unb bie grage anzuwerfen, wie ftd^ biefe Sl^atfad^e lultur*
gefd^id^tlid^ erHaren lä§t ©abei ifi junäd^ft an jenen, fd^on in
ben aSorbergrunb gefiettten ©afe anjulnüpfen, ba$ bie franjöfxfd^c
aienaiffance fo gut wie au^fd^Iie^lid^ fioflunjl ift. aber warum,
au8 weld^en tieferen ©rünben brang fte nid^t in bcS »olteleben
3ur franaöftfc^en SRenaiffance. 333
ein^ TDurbe fte tttd^t ber unmitte(bare Sludbrud bed franiöftf^en
aSoltegcifie«?
3Wan barf wol^l bic SBcl^auptung aufftetten, bafe granlrcid^ in
bcm t)on il^m gcfd^affcnen gotl^ifd^cn ©til bcn ciitjigcn, DöHig cnt-
fpxcd^cnben Stu^brud bciJ nationalen Senium gefunben l^at. SScr*
gejfen n}iT nid^t^ bag jener ©til ^anb in ^anb gel^t mit ber glän-
jenben Srl^ebung be^ franjöftfd^en 5tönigtl^umiS^ ba^ burd^ ^^ilipp
aiugufi feine ftegreid^en Äämpfe gegen bie ntäd^ttgen SSafallen he-
gann unb unter Subwig VIII. unb feinem Sßad^folger jur weiteren
^onfolibirung ber töniglid^en ®en)alt fddritt^ bü^ enblid^ unter ^^t^
lipp III. unb IV. bie äußere Slbrunbung unb innere SefefHgung
einer ftar!en ÜRonard^ie jum Stbfd^lujs fam. @8 ift bad ^eroifd^e
3citalter be^ franjöfifd^en Äönigtl^umö, baö nun auü^, feiner anderen
3Serbreitung entfpred^ienb, baö ganje ßanb bi^ in ben fernen ©üben
mit jenen gtanjDoHen S)enfmälern ber gotl()ifd^n ard^iteltur bebedEte,
bie man atö ©iegedmonumente ber SRonard^ie bejeid^nen tann. 3"-
gleid^ aU ©iege^benfmale ber l^errfd^enben ftird^e, afö beren SBun-
beggenoffe unb Äämpfer befonber^ im SRieberroerfen ber albigenpfd^en
Äefterei fid^ bie franjöftfd^en Äönigc bewährt l^atten. Sered^nenbe
?ßolitiI unb ©lauben^fd^roarmerei gingen babei fianb in fianb, unb
©tröme be^ tjergoffenen Äefterblute^ bilbeten ben feften Äitt.
S)eutfd^lanb ^at nid^t annäl^emb Sle^nlid^eö aufjuweifen. 3n
berfelben 3^^/ ^fe fjranfreid^ burd^ feine Äönige fid^ jur ©röfee
unb nationalen Sinl^eit er^ob^ trat in Seutfd^lanb ber S^rfaU ber
Jtaifermad^t unb beiS Steid^eiB unauf^altfam l^eroor. SBir l^aben ba-
l^er aud^ in unferen 3Ronumenten biefe 3^^fpKtterung, ben 3)tangel
an ®rö§e unb Äraft iu beobad^ten. 5Rur bie ©täbte finb eiS, bie
jebe für fid^ ein ©ouberleben in ?ßolitif unb ftultur fül^ren, bem
aber ber Sluöbrurf l^ol^er gemeinfamer ^itU immer mel^r ab^anben
fommt. Unfere ©ot^il vermag fid& mit ber franjöfifd^en nid^t ent^
fernt ju meffen.
©anj anberg würbe eö, ate bie neue 3ßit i^craufjog, atö burd^
ben ^umaniiSmug bei unö bie »egeifterung für ba^ Haffifd^e 3llter=
tl^um entfad^t warb, bie Slenaiffance i§re ©d^wingen ausbreitete, bie
Steformation jur völligen emeuerung be2 Sebenö ron innen l^erauS
ben 3lnfio§ gab. 3)a brang aud& bie Äunft, roeld&e man bie „an^
334 ^VLX franjöfifc^cn Slenaiffancc.
tififd^c" nannte, aU uralte^ (grbtl^eit bcr 3)lm\ä)f)ext bei uns ein,
TOiirbe ron unfercn Äünftlern, S)ärer unb ^olbein an ber ©pifee,
frei aufgenommen unb felbfttl^ätig auSgebilbet unb entfaltete fid^ in
TOunberbarem Sleid^t^um, in t)oIIem grill^linggglanje ju einem roa^r^
^aft nationalen ©tile, in roeld^em äße Äreife ber Station ben aus?
brud ifircö SBoßenS unb SRingenS erfannten. SRun l^abe id^ aber
in meiner „©efd^id^te ber beutf<^en SRcnaiffance" bie merhoürbige
2:f)atfadöe ju Derjeid^nen gel^abt, bafe überall, roo baS geiftige äthcn
feine ©rneuerung burd^ bie ^Reformation fanb, aud^ biefe neue Äunft
fid^ am Iraftoottften enttDictelte', roa^renb bort, too baS geiftige Sehen
burd^ bigotte^ fj^ftl^alten an ber alten Äird^e ober gar burd^ geroaltfame
aiuörottung ber eoangelifd&en Se^re oerfümmerte, aud^ bie SRenaiffance
nur bürftige SBIütl^en trieb, ober, wie am baprifd^en $ofe, burd^ öerbei=
jiel^ung oon Italienern unb JJieberlänbern einen frembartigenGliaraftcr
empfing. SQBol^l gibt eS einzelne fatl^olifd^e dürften, wie Stlbred^t von
53ranbenburg unb SBifd^of äfwliuS oon 3Bürjburg, roeld^c als eifrige
Pfleger ber ätenaiff ance auftraten : aber i^re voUt ©tärfe unb ©igen-
art entfaltet fie bod^ erft an ben proteftantifd^en §öfen in ber ^falj,
in SEBürttemberg, Reifen, ©ad^fen, Sranbenburg, Slnl^alt, 9Kedflen^
bürg, aSraunfd^roeig unb roie fie alle l^eifeen. älit il^nen aber töett«
eifert bie ganje 5Reil)e ber ebenfalls ber eoangelifd^en Seigre juget^anen
$Reid^Sftäbte, oon SlugSburg, Ulm, 9tot^enburg unb SRümberg bi^
igalberftabt, ^ilbeSlieim, Hameln, SBraunfd^roeig, SBremen, SJanjig in
einer roalirliaft unerfd^öpflid^en gülle unb gteubigfcit beS Sd^affenS.
3d^ l^abe biefe SBeobad^tung einfad^ aus bem ©tubium ber XtnU
mdler gefd^öpft, alfo nid)ts babei erfunben ober loilllürlid^ gebeutet;
unb loir TOoHen biefe S^l^atfad^en um fo l^eHer unb lauter betonen,
als gerabe neuerbingS ultramontane Sügengefd^id^tSfd^reibung fid^
nid^t entblöbet l^at, ein gcrrbilb jener grojsen 3^^ ju entwerfen
unb bie Iicrrlid^e ©eifteSt^at ber 3leformation inS grafeenl^afte ju
entftellen.
SBenben wir nun biefe SBeobad^tungen auf bie franjöfifd^e 3lc-
naiffance an, fo werben mir auS il^nen loid^tige SKuffd^lüffe fd^öpfen.
3in Statten warf ber ©eniuS ber SJation fid^ auSfd^liejslid^ auf
bie lünftterifdfie SBiebergeburt unb fd^lofe fid^ oon ber firdjilid^en
ober fagen wir lieber oon ber religiöfen ©rneuerung beS SebenS
3ur franjöftfc^en 9lenaiffance. 335
au^. 2)en norbifd^en Stationen toat ein ixf)nlx(S)tx entroidHungg^
projcfe nid^t geftattet; fie lonnten )id) ber fird^Iid^en SReform ntd^t
entstellen. aSir wiffen aber, mit roeld^cr ©Vaufantfeit in %xanfxtxö)
bie Äe^erei t)erfol9t unb blutig ausgerottet tourbe. S)amit war auf
lange 3^tt ^^^ gcifiiflcn Sehen aller tiöl^ere Stuffd^roung gefnidft
unb jugleid^ bem lünftlerifd^en ©d^affen bie t)olIe grifd^e unb
g^reubigfeit geraubt, ©o tarn cS benn, ba§ bie neue Äunft- nirgenbs
jene l^ol^en ©eiper l^erDorbrad&te, bie toie bei uni8 oor Slllem Dürer
unb iQolbein auä bem tieften Seelenleben beg aSolfeS bie ®eban!en
ber ganjen Station üerlörperten, bafe T)ielmel^r biefe Äunft, glänjenb,
formt)onenbet roi? fie war, bod^ eine äufeerlid^e blieb unb nur at§
Dienerin beS l^öpfd^en SebenS fid^ bet^ätigte. SJal^er roarb unfere
beutfd^e SRenaijfance SBolfölunft, aßerbingg meift mit jenen formalen
aWdngeln, bie einer fold^en leidet anl^aften; aber bie franjöfifd^e war
unb blieb auf ^al^rl^unberte ^offunft, arifiofratifd^ gefd&liffen, brillant
unb elegant, aber o^ne jene gewaltige SebenSfüHe unb ®ebanfen=
tiefe, meldte ben ©tolj ber beutfd^en auSmadjit.
^a» JüttgpB (Btvxäj^ xm Üiünffer $u Mim,
(3rär*riff m Mttwlit S«n(l 1888.)
U.
Lnter allen SBorftcKungen bc« SWittelalterg ^at feine bie $^an=
tafte ber bamaligen SWenfi^en fo tief enegt, toie bie t)om 3üngften
©erid^t. ©ine Sfteil^e Don litterarifd^en 3^ii8"iff^" ^^^ poetifd&cn Gr=
güffen, bie mit bem berül^mten aWuSpiUi Beginnen unb in bcm er-
habenen dies irae gipfeln, liefert ben Sewei^ biefer ungen)öl^nli<l&cn
(Srregung, bie freilid^ in ben SBerfen ber bilbenben Jtunfi nod& atl^
gemeiner ^ertjortritt. Sebermann weife, wie befonberÄ in ben 5ßor=
talffulpturen franjöfifd^er Äird^en fd^on frül^ biei^ SJl^ema mit ©tfer
aufgefaßt unb bel^anbelt wirb. SBäl^rcnb aber an biefer ©tctte,
burd^ bie ard^iteftonifd^en Sebingungen ^erbeigefül^rt, eine Serfplitte-
rung be^ umfaffenben SJI^ema^ unt)ermeiblid^ mar, f onnte bie SBanb^
maierei auf jufammenl^ängenben gläd^en fd^on in romanifd^er ^tit
ben ©egenftanb erfd^öpfenber bel^anbeln. Äein anberer ©toff bot
eine fo günftige (Selegen^eit, baS SJalent für großräumige Äompo=
fxtionen au^jubilben. ©inS ber frül^efien SBeifpiele in S)eutf4)lanb
ift ba^ SBanbgemälbe an ber Slußenmauer ber loefllid^en äpfü ber
Äird^e }u D ber je II auf ber SReid^enau *). S5aÄ ftarf jerftörte 8ilb
jeigt immer noc^ bie ^auptelemente ber Äompofition, ben in ber
SWanborla tl^ronenben ©^riftu^, fammt ben ju beiben Seiten fiften^
ben unb ftel^enben Slpofteln unb einigen fd^roebenben ©ngeln, atte^
in berben Umriffen mit wenig gorben auf grünlid^blauem ©runb
*) »eröffentac^t burc^ 3lbrer in bct Setter, für öaurocfen, 1869, Zof. 63.
a)a3 Süngfte Oeric^t im SDlünftcr au Ulm. 337
flcmalt SBunberüd^ roirfcn bic burd^ eine d^emifd^e SBeränbcrung
ber gatbcn fd&waiq getoorbenen nadten S;^eile. S)ie Slrbeit üertdtl^
noä) antife SieminiÄjenjen, ip aber rol^ auiSgefül^tt.
S)er fpätercn 3^it ber romanifd^en ©pod^e gel^ört fobann ba^
aBaubgentätbe, tDeld^ciJ man in ber Äird^e ©t. ^^itibert juSJournu«
fie(|t. Sin ber aBeftroanb einer nörblid&en ÄapeUe, bag ganje ©pife^
bogenfelb auSfüHenb, fd&immern in berben, fd&wai^en Umriffen bie
jiemlid^ Derblit^enen Oefialten eine« SBeltgerid^W ]^en)or. ®n bunfter,
^orijontaler ©trid^ trennt bie ©d^aaren ber SluferPel^enben, bie in
naipen ©ruppen ben ©räbern entjieigen unb im ©ebet fnieenb i^r
©d^idffal erwarten, Don ben oberen, jiarf jerftörten X^eilen. 3n
lebcnbiger SBeroegung [teilen ftd^ jwei ©ngel mit ben ^ofaunen be«
©erid^t« bar. 3)er SBeltridöter, Don beffen ©eftalt wenig mel^r ju
ernennen, tl^ront in einem uon ©ngeln gehaltenen SKebaiHon; neben
il^m ifi bie SKabonna als gürbitterin ju erlennen. S)a§ ©anje
trägt ben ß^aralter ber ^ortalilulpturen be« 13. ^al^rl^unbert«,
ol^ne btefelben jebod^ an fünftlerifd^em SBertl^ ju erreidöen. Ungleid^
bebeutenber erfd^eint ba« SBanbgemSlbe, weld^eiJ el^emafö in ber
S)eutfdSiorben0fird^e ju 9lamergborf bei SSonn ju fe^en war*).
3)er ©toff erfd^eint bort jum erftenmal reid^er gegliebert, inbem ftd^
bie S)arfieIIung über bie uicr Äappen beS roeftlid^en SWittelfd^iff^
geroölbc« ausbreitet. 3n ben fd^lanfen, flüf jtgen formen ber ©pfit^
jeit beS 13. 3al[irl[|unbertS burdjigefül^rt, bieten biefe ©emälbe einen
entf<^iebenen gortfd^ritt in ber inbicibueHen Belebung beS SJl^emaS.
3)enn unter ben SBerbammten, bie uon einem ®ngel mit bem ©d^roerte
jurüdgetrieben unb von einem teufUfd^en Ungetl[|üm angefaHen werben,
fa^ man einen Äönig mit feiner ©emal[|lin, einen 3Wönd^ unb jwei
können, wäl^renb unter ben ©eligen ftd^ ein SSifd^of, im übrigen
niebrige Scute, ^anbwerler mit i^ren SBerfjeugen, mit »eil unb
iQammcr, unb SBauern mit ©id^el, ©enfe unb S)refd^flegel jeigten.
3n Stalien war eS bie Äunp ©iottoS, weld^e biefem S;i[iema
eine großartige SluSbilbung gab. 6in ^auptwerf fd^uf ber SWeifter
felbft in ber S)arfleIIung, weld^e bie ganje SBefiwanb ber SWabonna
*) herausgegeben in (g. aud'm SS^ert^S 9Banbgemä(ben beS 9Rttte(alterS in
ben 9l^einlanben 3;af. 47 ff.
338 2)aS 3üngfte ©eric^t im 3)lünfter ju Ulm.
bell' Slrena ju 5|3abua bcbcdt. $icr tft namcntlid^ ba§ 9lcid^ Su^
jifcr^ unb bie unl^eimlid^e SRiefcngcftalt bc§ ^öUcnfütflen mit einer
an S)ante etinnernbcn bämonifd^en Tlaöjt gefd&ilbert, roä^tcnb bie
©d^aaren ber Seligen in jiemlid^ gleid^artigem ©eptäge bel^anbclt
ftnb. 3lo6) rei($er entn^idett unb im 9lufbau burd^gebilbeter ifl ba^
SBanbgemalbe Stnbrea Drcagna^ in ber ßoppeUa ©trojji, befonberS
feffelnb burd^ bie bramatifd^e Steigerung be8 auSbrudE« in ben Äöpfen
ber aSerbammten. 3)od^ i|l t^ meine äbfid^t nid^t, ^ier auöfü^r*^
lid^er auf alle frül^eren ©arfieHungen be« ^üngfien ©erid^ts einju=
gelten; einem jüngeren gad&genoffen möge bie monograpl^ifd^e SJer-
folgung biefe^ bebeutenben 2;^emag empfol^len werben.
Um nun ju meiner eigentlid^en Slufgabe, ber ©d^ilberung be^
Süngften ©erid^tiS im SKünjler ju Ulm, überjugel^en, gilt e« junäd^fl
ben ^piafe ju bejeid^nen, meldten bagfelbe im Sauioerfe einnimmt.
aSelanntlidö ifi ba^ Ulmer SWünfter eine^ ber grofeartigfien ^tnh
mäler be^ mittelalterlid^en Äird^enbaue«. Site man im Saläre 1377
ben ©runbfiein ju biefer ^farrürd^e legte, gefd^al^ e« in bem Äraft=
gefall, roeld^e^ bie mäd^tig aufftrebenben fd^roäbifd^en ©tabte ba^
mate befeelte*). aRand&e ©puren beuten barauf l^in, bajs man juerfl
ben ?ßlan einer breifd^iffigen igallenfird^e im äuge l^atte. Äaum
war aber ber 6^or uoKenbet, atö eine Sttenberung ber SBaufü^rung
eintrat, bie wir rool^l auf bie ^erfönlid^feit be^ großen Ulrid^ von
©nfingen jurüdEfül^ren bfirfen. 2)iefer bebeutenbe 3Reifier, ben mir
au<^ in ©klingen, ©trafeburg unb fogar in 9Wailanb**) antreffen,
rourbe 1392 mit ber Saufül^rung bei^ aWünfterä betraut, ©ofort
jeigt fid^ baiJ ©ingreifen einer neuen Äraft an ben aufS fü^nftc
gejieigerten aSer^ältniffen beä Sangl^aufe^. (Sin in« 9iiefige empors
gefiil[irteö 3Kittelfd^iff, ba« an Q'6\)t bem beö Äölner 33om8 nur um
jwei SKeter meidet, roäl^renb bie »reite bemfelben überlegen ifl, follte
t)on jroei ebenfo breiten, aber ungefähr ^alb fo l^ol^en ©eitenfd^iffcn
begleitet werben. Sei biefer Slnlage ergab fid^ aber ein Uebelflanb,
*) 2)ie ®ef($t(^te bed aJ2ünj)et$ finbet man in ber Subilaumdfc^rift oon
griebrii ?5reifel, Ulm unb fein 3ȟnfter. Ulm 1877.
**) a)et bei @(§naafe, ®. b. b. Äfte. II V, @. 193, au8 ben itolicnifc^cn
Duetten gefc^öpfte 9?ame Urri(^ oon giftngen ober gurmgcn beruht offenbar auf
einem Sefefe^Ier
2)aS Süngfte (Scrtc^t im 3Wünfter ju Ulm. 339
ba bic aCßanb über bem S;riunipl[|bogen in einer ^ö^e von fafi 60
gfufe unb einer ©reite von 50 gufe eine unerfreutid^ leere gläd^e
barbot Um biefe ju gliebern unb ju beleben, ^alf man ftd^ in ber
oberen fiälfte ber SBanb mit jroei großen aSIenbfenftern, neben weld^en
jroei Heinere genfier aU bunfle fiöd^er auf ben SJad^raum beS G^orÄ
münben. ©Ä blieb nun aber eine immerhin nod& gewaltige glätte,
bie nur burd^ bie SWalerei belebt werben fonnte. 2Wan entfdjilofe fid^
baju, biefe mit einer 2)arfieIIung be« Süngpen ©erid&tö ju beberfen,
obrool^I man in ber SRegel für biefe§ Sll^ema in Äird^en unb Äapetten
bie loejilid^e SBanb aU bie Seite beö Untergang« mäl^Ite. 2»an
^ätte leinen günjiigeren Sftaum für biefe SJarflettung finben Wnnen,
benn in ber ungetl^eilten oberen ^älffe tonnten in ganger SBreite unb
güHe fid^ bie l^immüfci^en ^eerfd^aaren entfalten, roäl^renb bie untere
Öälfte }U betben ©eiten beiB großen SJriump^bogenS auf natürlid^e
2Beife bie ©d^eibung ber Seligen oon ben SBerbammten, wie ber
©toff fie Dorfd^rieb, an bie $anb gab. S)ie Sal^rja^l 1471, meldte
unten in Uncialbud^ftaben unb oben am @etoölbe in arabifd^en
giffern angebrad^t ift, bejeid^net u)0^l bie SBottenbung be§ SBerfeiJ.
Um biefelbe 3^it würbe aud^ ba« großartige ©aframent^gel^äufe unb
ba« ^enlid^e ß^orgeilül^l t)ot[enbet. SBie biefe meiflerl^afte ©d^öpfung
bee älteren ©ürlin nid^t il^re^gleid^en in S)eutfd^lanb ^at, fo lann
man mit gutem gug ba«felbe von bem SBanbbilb be« SAuflften @e=
rid^t« fagen. 3n ber gefammten norbifd^en SWalerei jener 3cit finbet
e« nid^t feine«gleid&en; e« offenbart ©eijl unb ^anb eine« Äünfiter«,
ber JU ben l^erDonagenbften beutfd^en aWeiftern be« 15. Sa^rl^unbert«
gehört.
gaft üiertl^alb ^al^r^unberte l^atte ba« impofante SBerf feinen
^laft behauptet, al« man im 3a^re 1817 in SSorbereitung auf ba«
britte ^ubelfefl ber ^Reformation von ©eiten be« eoangel. Äonftfio^
rium« ben Scfd^lufe fafete, bie „alten, oft Aberglauben na^renben
©emälbe" an ben Pfeilern unb SBänben be« SKünfier« „gefd^madf^
voü unb für ba« äuge gefällig mit einer angenel^men altertl^ümlid^en
grauen garbe ju übertünd^en". ©o fd^ien ba« Silb benn für
immer unter ber Seid^enbecte ber SJünd^e begraben; aber forttoäfirenb
fd^immerten bie Umriffe t)on Äöpfen unb ganjen giguren ^inburd^^
unb al« Ulm fid^ im 3al)re'1877 ju feinem aKünfterjubiläum uor*
340 2)a3 Süngfte OJend^t im SKünftcr ju Ulm.
bereitete unb ba« aßünfterbaufomite ben lunfifinnigen ?ßralaten
D. aRetj, Dbetbaurat^ o. ©gle unb S)ireftor effentDein von 3lüvn^
berg mit betn ©ntwurf eine« ?ßlane8 jur SBieber^erftettung be§
3nnem betraute, tDurbe bie aufbedung unb aSieberl^erjlettung beS
Süngflen 0eri(i^t« bcfd^loffen. 3)er ^ifiorienmaler Seop. JBeinmaper
t)on SUlünd^en, in Sfteftaurirung alter SBanbgematbe geübt, erl^ielt
ben Sluftrag, mit mögltd^fi treuem äufd^Iul an ba« SSorl^anbene,
baS überatt bei genauerem ©ingel^en red^t wo^I nod^ ju erfennen
war, bai8 riepge SBerl roieber ^erjufteHen. aWit erftaunlid&em gteifec
l^at ber Äünpier biei^ müJ^eDoHe SBerf in faum 4 SKouaten burd^*
gefül^rt. ®ne SBorftellung uon bem Umfange ber Slrbeit befommt
man erft, toenn man erioägt, bafe baS ©emälbe 1666 Cluabratfu|
auffällt, ba§ e& im ©anjen 213 Äöpfe entl^att unb bafe ber tl^ronenbe
SBeltrid^ter über 10 gufe fifeenb mifet*). SBeinmaper l^at offenbar
mit großer Sorgfalt gearbeitet, unb wenn in bie Äöpfe rool^l ein
moberner 3ug gefommen fein mag, fo gewährt bod^ baj^ ©anje nid^t
bloJ5 in aßen ©injell^eiten ber Äompojition, fonbem aud^ in ber
Sluj^prägung ber ©eftalten, bem 3^9^ ber SBemegung unb bem
ßl^aralter ber ©eroänber ben ©inbrudt ber Streue. 3)er Ulmer
©ürgerfd^aft, bie burd^ forgfame pflege unb aufioanbreid^en gort^
bau i^reg SWünfleri^ fid^ ber Sinnen mert^ gejeigt \)at, gereid^t aud^
biefe SBieberl^erftellung ju ^o^er e^re.
SBetrad^ten mir nun junäd^ft bie obere Hälfte bciJ SBilbeS, btc
bem iöimmel unb feinen ^eiligen geroibmet ifl. Dben tl^ront in
manbelförmigem SWebaitton auf bem SRegenbogen, bie %ü%t auf bie
(Srblugel feftenb, in trabitionetter SBeife bie foloffale ©eftalt bcg
2Beltrid^terg. ©in 3WanteI, ber auf ber SBruft burd^ eine präd^tigc
©daließe jufammenge^alten wirb, bebedEt ben nadtten Dberförper unb
fättt in reid^en glatten über bem ©d^ofe jufammen. ©er SJppu^ be«
ÄopfeiJ erinnert an ben in ber ©pdC'fd^en ©d^ule üblid^en. aWit ber
gefeniten Unfen $anb weift er bie SBerbammten jurfidf, wäl^renb er
bie erhobene Sfted^te fegnenb über bie ©ered^ten au^ftredtt. Suf einem
©prud^banb liefl man bie SBorte: Venite benedicti patris mei.
*) 3(^ entnehme biefe unb einige anbete Slnga^en bem fc^dnen )(uffate
von J. 2Rera im (^riftC. 5lunft6latt 1880, fix. 9.
XcS Sünfifte ©cric^t im SWünfter ju Ulm. 341
3u feinen g^ü^en Inicen mit bittenb erl^obenen $änben bie ebten
©efialten ber SWabonna red^ti^ unb be^ Sufeprebigeri^ 3ol[ianneS
linfö. ©rfiere trägt auf bent fd^önen Raupte eine Ärone, von weld^er
ein ©d^Ieier auf bie reid^ brapirten ©eroänber l^erabroaUt; (efeterer
tft über bent härenen Äleibe mit einem trefflid^ flUifirten SKantel
uml^üHt. S)er SBurf ber ©ewänber erinnert burd^auiS an bie flan^
brifdde ©(|ule, unb jtoar junäd^ft an SRogier Dan ber SBei^ben.
3u beiben ©eiten fielet man fobann auf einer fd^räggefteUten
San! mit gotl^iifd^en ©eitentel^nen bie Slpoftel als »eififeer be« ®e?
ric^teS jiften, gleid^fam perfpeftiüifd^ bargefteUt jum Slbfd^lufe beö
weiten SRaumeS: fämmtlid^ d^aralteröotte ©eftalten mit lebenbigen
Seroegungen in reid&en (Seroänbern, bod^ doH milber SSBürbe, aufeer-
bem burd^ i^xt Attribute nod& beutlid^er bejeid^net 9led^ti5 junäd^ft
betrug mit bem fiimmetefc^Iüffel unb bem ©prud^: Justa sunt
Judicia sua; bann aWattl^äug in einem SBud^e lefenb unb, ate frül^erer
3öIIner, einen SBeutel l^altenb; weiter ©imon mit ber ©äge, ^p^i*
lippuÄ mit bem Tförmigen Äreuj, X^oma^ mit ber Sänge, S^tobuS
ber SKeltere mit bem ©d^ioert. 3^^^ ßinfen eröffnet ben Steigen
Slnbreaä, beS ^ßetruS SBruber, mit bem fd^rSgen Äreuj; bann folgt
bie iugenblid^e @eftalt bed SiebtingSjängerS mit offenem SBud^ unb
Äeld^; weiter ^ßaului^, ber ftnnenb ben Äopf auf bie redete iganb
ftüfet unb in ber Sinfen bai8 ©d^wert l[|ä(t; SBart^olomäuiJ mit bem
3Reffer, mit roeld^em er gefd^unben mürbe; ber jüngere SafobuS mit
ber SBalferjiange unb aRatt^iaS mit ber gJartifane.
ißinter ben Sttpofieln brängen fid^ in bid^ten ©d^aaren bie Sßa^
triard^en unb ^rop^eten bei8 alten SunbeS, burd^ pl^antapifd&e Slm
jüge, namentlid^ jene munbertid^en Jtopfbebectungen auägejeid^net,
meldte i^nen im aWittelalter Derliel^en mürben unb bie man nament*
ii6) in ganj äl^nlid^en gormen auf ber Anbetung beS ßammeS im
©enter Slltarbilbe ber SBrüber van ©pdf bemerft. 3wr Siedeten mad^t
ber gel&ömte SRofe^, ber bie je^n ©ebote an ben Ringern ^erjätilt,
ben Slnfang ; i^m fd^tie^en pd^ Staron, SWetd^ifebel, Sofua, ©ibeon,
bie oier großen ^ßropl^eten u. a. mürbig an, lauter marKge, d^arafter*
üoße ©eflalten. 3^^ Sinfen fe^en mir 5Roal^, Slbral^am, ^\aat,
Salob, 3ofep]^, I)at)ib, 3ad^aria§ u, a., ebenfaHi^ in mand^erlei
bunten ©emfinbem unb Äopfbebedfungen. ^kx lieft man bie SBorte:
342 S)ad Süngfte ©ertd^t im SRünfter au lUm.
Salus Deo nostro. 58ottrefflid^ l^at bcr Äünftlcr aug bem bid^ten
©cbränge biefcr ©eftalten bic größeren gigurcn ber Stpoftcl bcbeut=
fam l^eraudju^eben Derflanben.
^a& nod^ übrig bleibenbe S^reied füllte er nun mit 3 ©ruppen
t)on SJlärtpTcrn au8, unb in finniger SEBeife gab er ben mittleren
e^renplafe einer anmutl^SDoHen ®ruppe oon fieben l^eiligen 3wttS==
frauen, bie in ftiller Slnbad^t beifammen fifeen unb fnieen- S)en
oberpen ^lafe in ber aRitte nimmt bie l^eilige agnei^ ein, anbäd^tig
in einem Sud^e lefenb unb mit ber SRed^ten auf baiJ ju i^ren %ü^m
ftel^enbe Samm l^inmeifenb, weld^eiJ baburd^ eine feiner fpmbolifd^en
Sebeutung entfpred^enbe bominirenbe ©teKung erlangt, an fie
fd^lie^en pd^ jur SRed^ten bie 1^. 3)orot^ea mit bem SBIumenKrbd&en
unb Jtatl^arina mit bem @d^n)ert, linl^ bie ^. S3arbara mit Aeld^
unb fioftie unb bie 1^. Urfula mit bem ^feil. S^ei anbere jroifd^en
if)ntn pnb nid^t nä^er bejeid^net. Äat^arina unb Urfula in fürP:=
lid^er Haltung pnb mit Äronen gefd^müdft, mäl^irenb bie anbem auf
tl^ren lieblid^en Äöpfd^en SRofenIränje tragen. 3« ber ganjen beut=
fd^en ÄunP ber bamaligen Seit bürfte e^ !aum eine ä^nlid^ l^olb-
feiige ©ruppe geben, ^n glüdlid^fter äBeife pnb fobann bie beiben
breiedfigen ©eitenfelber mit mdnnlid^en ißeiligen gefüllt. SRed^tö
einer ber erften 5ßäppe mit bem ©d^roerte unb einem offenen »ud^e
auf bem ©d^ofee, bann ©tepl^anu^, ber in ben fianben ©teine tragt,
bal^inter ßaurentiu^, weiter bie poetifd^e ©eftalt beS 1^. ©eorg mit
©d^mert unb ©d^ilb, ©ebaftian mit bem 5pfeil unb nod^ anbete
SRärtprer. S5er ?ßapfl ift pfeenb bargefteHt, bie anbern fnieenb, t)ier
anbetenbe ©ngel fd^lie^en feitmfirtiS bie ©ruppe ab.
Sluf ber linfen ©eite beginnt mieber ein 5papP mit ©jepter
unb breifad^er Ärone, bann folgt ein SBifd^of, mehrere Drben^geift=
lid^e unb ber f). SRifolau« oon aRpra in bifd^öflid^em Drnat, in ben
^önben bie 3 golbenen Jtugeln l^altenb. $ier bilben 6 @ngel ben
Slbfd^lufe, oon benen 2 mitleibooH auf bie Sßerbammten l^inabblidfen.
©0 mirb ber obere S;^eil mit bem unteren cerbunben. 3n ber
barauffolgenben 3one eröffnen fobann 7 l^erabfd^roebenbe (Sngel,
4 jur Sinfen, 3 red^t^, mit 5pofaunenfd^aB ben 2;ag beS ©erid^tÄ.
§ier lieft man auf ©prud^bänbem linte: Justum Judicium —
Surgite mortui, venite ad Judicium — Separate vos impii —
2)0« Süngfte ©eric^t im 3»ünpcr au Ulm. 343
Tempus moritur; rcd^tö: Ecce dominus venit — Filius venit —
Omnes sancti cum eo. 93eim @d^aD ber ^ofaunen öffnen ftd^ bie
©räbcr unb bie melfl nadten, nur l^in unb wieber noä) mit bem
Seid^entud^ umJ^äDten Selber ber SSerflorbenen ergeben fid^ in ben
mannigfaltißfien Seroegungen auÄ il^ren ©ruften, red^tö mit bem
äluSbrud innigen glel^eni^, üertraueni^Dotten emporblidenö, linte
mit aßen Qtx^tn ber Slngft.
Setrad^ten wir junäd^fl bie ©eite ber aSerbammten. fiier f)at
ber ÄünfÜer in bid^t Derfd^lungenem ©eroimmel bie ©d^aaren ber
Unfeligen bargeftettt, roeld^e Don wilben SJeufetefrafeen gepadtt unb
in ben unterften 9lbgrunb ber $öDe gefd^Ieppt n)erben. guoberft
wirb ein in ber Umarmung begriffene^ ^ßaar von einem flebermau^»
geflügeUen S)ämon aus bem ©rabe ]^erx)orge§errt ; entfefeenSoott
fd^fägt fid^ baS SBeib mit ber gebattten gaufi gegen bie ©tim.
SDiit bem anberen, unl^eimlid^ verlängerten arme greift berfelbe
S:eufel nad^ einem Setrüger, ber mit ber SBSage, bem aSerljeug
feines 2;rugeS in ber $anb bargeftettt ijl. ©(eid^ barunter patft
ein greutid&er 3;eufel, mit ©feföol^ren am brutalen Äopfe, ben ßliars
latan, ber baS UringlaS in ber ^anb l^ält, am »eine, fo fel&r pd^
biefer fträuben mag. ©eitroärtS fielet man in feuriger ©lut^ ben
offenen ^öttenofen, vor meld^em ein fd^warjer Sleufef fifet unb auf
einem gefrümmten ^orn eine entfefelid^e aWuril üottfü^rt, roä^renb
ein anberer ©enoffe einen föpflingS l^erabjiürjenben SSerbammten
(offenbar ein ©d&Iemmer, benn er ^ält hampf^aft in ben armen
eine ©d^üffel mit einem ©d^roeinSfopf) grimmig mit beiben armen
um ben ßcib fafet, um il^n in bie ^ötte ju fd^lept)en. au« bem
bid^ten ©eioimmel ber nun folgenben ©ruppen, bie ein 2^eufel mit
ber 6«tpune in ben unterften ©d^tunb J^inabjufioBen fud^t, l^ebt
ftd[) Hnte ein ^aar in mottüftiger Umarmung l^erauS, nad& toeld^em
ein Äarbinal lüfiem feitwärtS fd&ielt. Sann fommen 5ßapfi, Äaifer
unb Äaiferin, bie nadji ber anfd^auung jener 3^^^" i« ^^^ ^ötte
nid^t fel^Ien bürfen. @in öföpfigeS ©d^eufal t)on 2;eufel ftredCt bie
Äratten nad^ i^nen auS, fo bafe ber ^apft entfet}t p^ nad& bem
Äopfe greift. UeberauS l^olb inmitten biefer ©reuel mirft bas
lieblid^e antlife ber Äaiferin. ®leid& baneben linte umllammert
ein eitles SBeib ben ©d^minftopf, ben fte felbfl jefet nid^t aufgeben
344 S)aS jünßftc ©cric^t im 2Künftcr gu Ulm.
mag. S)ämonifd^ gttnfi r>on ber attbern Seite ein foloffaler teufet
f)en)or unb ting^ um i^n fperrt bie ^öUe gierige ©d^langenrad^en
auf, bie nad^ ben armen ©eelen fd^nappen. Oleid^ baneben ^ebt
fxd^ mit angftT)ottem Slui^btud aU SSertteter ber ^abfud^t ein TlönÜ^
^eraug, ber Don bem fd^eren, il^m am $alfe l^ängenben ©elbbcutet
l^inabgejogen wirb. Unter i^m ein bid^ter Jtnäuel anberer Unglüd^
lid^er, unter benen man bie falfd^en ©pieler mit SBrettfpiel, Äarten
unb SBürfeln erfennt. (Sicrig fperrt jtd^ mit feinen fd^arfen Säuern
ber riefige ^öttenrad^en auf, in roeld^en fie atte l^inabftürscn. 91a-
mentlid^ erbtidEt man fd^on \)alb oerfd^lungen einen 3Wönd& in einem
»udde lefenb, meld^e^ geroi^ lein ©rbauung^bud^ ifi. SDen 3lbfd^Iu§
biefe^ milben ©eroimmete bilbet ein fid^ janfenbeö 5ßaar, ba§ böfe
3Beib unb ber faule SKann, neben roeld^em man baS oerroftete Seil
erbtidEt, ba^ er im Seben Dernad^Iäfftgt l^at.
SBufete ber Äünftler l^ier im S)ämonifd^en, entfefeenSüoffen eine
feltene Jtraft ber 5pi[iantafie ju entfalten, fo maltet auf ber anbem
Seite, wo bie grommen auö i^ren ©rabem auferfiel^en, bie ganje
SBonne l^immlifd^er Seligfeit. Qn bid^ten Sd^aren feigen mir bie
eben ©rftanbenen, Don ®ngeln geleitet unb t)om 9tefee ^etri um^
faJ5t, einer präd^tigcn Pforte jufd^reiten, meldte ben ©ingang be^
^parabiefe« DorfteHt. SleJ^nlid^ l^iat e« SKemling (ober men man
fonft afö aWeifter beS SBerfeg anerfennen will) in bem mer ^a^re
früher entjianbenen glügelattar ber 3Karienfird^e ju S)anjig ange-
orbnet. Ueber bem portal, meldte« burd^ ben 5ßapfl mit bem
^immetefd^lüffel geöffnet mirb, baut fid^ in jmei oberen StodEmcrfen
ein jierlidö burd^brod^ener ^reppent^urm empor, auf beffen SBenbeU
ftiege, wie man burd^ bie offenen Strfaben beutlid^ fielet, bie Sd^aren
ber Seligen jum Fimmel empormallen. Sluf unferer Slbbilbung,
bie nad^ einer ^^otograp^ie auggefü^rt ifi, wirb ein S:^eil biefer
Äompofition burd^ bai^ l^od^ aufragenbe 2;|ärmd^en be« Sahamentg«
gel^äufe« oerbedEt. So fielet man benn aud^ nid^t baiS ju unterft
angebrad^te ^aar be^ fleißigen SWanne^ unb bei8 braoen SBeibeS,
meld&e ebenfalls oon einem (gngel ber Seligfeit entgegengefahrt
merben. Sie bilben in ftnnt)oIIer 2tnorbnung baiSi ©egenfiüdE ju
bem 5paar ber linfen Seite.
S)iefcr ganj bebeutenbe Sl^eil ber Äompofition ift t)on einem
2)aiS jüngftc öcridjt im 3)hinfter ju Ulm. 345
Qa\x6) feiigen griebenö unb tiolber ätnmutl^ erfüllt. Ueberaß fie^t
man Ueblid^e Äöpfd^en, fttal^lenb t)on ber SBorfreube parabiefif(^er
SBonne. S)er Äünfller ^at aud& ^icr in umfajfenbfter aSeife fein
SSerftänbnife ber nadten ©eflatt jur ©eltung 8ebra(ä^t, l^ie unb ba
fogar mit einem geroiffen ©elbftbeu)uj5tfein, njie namentlid^ in ber
Sänglingggeftalt, bie ganj t)orn eben ben Knfen gufe auf bie erfte
©tufe feftt unb fid^ üon bet SRüdfeite jeigt. 2Bie weit bie 3)urd^s
bilbung be« SKadtcn gelungen toar, ift jeftt niddt rat^x ju beur^
t^eilen ; über bie fiinie beffen, wag baS Qüngfte ©erid^t in SJanjig
bietet, ift unfer Äünfiler wo^I ni(^t ^inau^gef ommen ; fo t)iel aber
erfennt man aud^ jefet nod^, ba§ er in ber mannigfaltigen Seroe-
gung nactter ©eftalten eine ni(|t geringe greil^eit unb Äül[in^eit
befajs, wie fie unter ben beutfd^cn 9Ralem jener ^tit fonft faum
angetroffen wirb.
gafit man alleö jufammen, fo mufe man geftel^en, bafe in ber
großartigen Slnorbnung beS ©anjen, bem feierli(|en Slufbau unb
ber glüdlid^en Slaumau^füIIung, ber n)ol[|leru)ogenen Slbfiufung aller
einjelnen ©efialten nad& ©rö|e, gorm unb 2lu8brudE eine Seiftung
vorliegt, bie für jene S^xt afe eine ©d^öpfung erflen SRange^ ju
bejeid^nen ifi. Um nur einö ^eroorju^eben, fo mirb man in ber
grofeen Slnjal^l ber Seitigengeftalten , loeld^e bie obere Hälfte auf-
füllen, einen SReid^t^um fd^öner unb großartiger, babei überaus fein
burd^gefül^rter ©eroanbmotioe finben, wie fie fein jroeite^ beutfd^e^
SQBerl jener 3^it ht^iiit S)er gefammte G^arafter be« Silben
weift auf bie fd^njSbifd^e ©d^ule, genauer auf bie Ulmer l^in; alle§
©tilijlifd^e toirb beftimmt burd^ ben Einfluß ber glanbrer, nament*
lid^ ^logier«. Qm ©eprage ber ÄSpfe, im 3Burf ber ©eioänber,
befonberä aud^ in ben pl^antaftifd^en ©lementen bei ber ©^arafteriftil
ber altteftamentlid^en ©eftalten ifl biefer ©d^uljufammen^ang fofort
}u fpüren. Dagegen jeugt bie Sieblid^leit ber jugenblid^en unb
weiblid^en Äöpfe oon einem aiteifter, ber in feiner ©eifte^art Diel
SBerroanbtfd^aft mit aWemling Derrätl^. SBir ^aben offenbar einen
ilünfiler t)or uni8, ber wal^rfd^einlid^, wie bie meiften bamaligen
©eutfd^en, wie namentlich ©d^ongauer unb felbft nod^ 3^i*6lom, bie
©d&ule atogierä burd^gcmad^t ober roenigfleng feine ©inwirlung er-
fahren t|at. 3)ennod^ fel^lt e^ it|m nid^t an einer burd^greifenben
346 ^a» Süngfte (S)ert(^t im SRünfter ju nim.
eiftcnart, bie befonbet^ in bcr ntilbcn anmut^ unb gcinl^cit bcr
oberen ©efialten l^eroortritt.
aber aud^ in ber Äontpofttion be« ©anjen erfd^eint ber ÄünjMer
burd&au« originett. SBergleid^t man fein SQBerf mit Slogier^ Süngftem
(Sendet in SSeaune unb mit bem fd^on erroäl^nten in S)an jig, fo
\)at man bort jroei glügelbilber, bie oermSge i^rer SCnlage eine
me^r ins Sreite gejogene Slnorbnung verlangten, roä^renb l^ier ein
^od^bilb geforbert mürbe. S5er Utmer SJleifier geftaltete feinen ©tojf
in ^o^er grei^eit, ben SRaumbebürfniifen entfpred&enb, mit einer
Seid^tigfeit, bafe man ben S^^H ^^^ SWaumeS nirgenb« empfinbet,
Dielmel^r ben ©inbrndt empfängt, afe ob atteS gar nid^t anberS ^ätte
fein fönnen. Um einjelneS nod^ ^enjorjul^eben, fo Derjidjitet er auf
bie @ngel mit ben SWartermerfjeugen unb ben ©eelenmäger ©t.
aWid^ael (ber namentUdd in SJanjig fo prad^toott mirft), aber er
ftuft bafür bie ^immlifd^en fieerfd^aren ciel mannigfaltiger ab, in-
bem er ben Slpoftelgruppen bie ^atriard^en unb ^ropl^eten be8
alten SBunbei^ unb biefen allen loieber bie fd^ön entioidfelten ©ruppen
ber SWärtprer unb 5Wärt^rerinnen entgegenfieHt. (Snblid^ aber —
unb bieiS ift ein ©^araftei^ug, in meld^em fldji ber naturalijlifd^e
©inn jener 3^^ ^^ meiften vtxx&t^ — meife er in ben ©ruppen
ber aSerbammten alle ©tänbe unb SSefd^äftigungen, atte Safier in
il^ren üornel^mfien SBertretem fo lebenbig unb einbringlid^ ju
d^arafterifiren, wie eS n)ol[|l faum in einem anberen ä^nlid^en SBerle
}u finben ift §ier ergebt pd^ ber Äünftter auf bie ^ö^e eine» er^
fd^ütternben aSujseprebigerS, unb fein SDBerf wirb ju einem jener
bramatifd^en ©ebid^te, wie fie bie Sitteratur feiner Seit fo Dielfad^
l[ierüorgebrad^t l^at.
Ueber ben Url^eber biefeS großartigen SBerfei^ fd^meigen merfc
mürbigermeife bie Ulmer Urfunben. Äeine ©pur Don feinem SRamen,
feiner SeftaHung. S)ie annähme, baß eö von Seffe Berlin, angeb-
iid^ bem ©o^ne beiB griebrid^ Berlin*), l^errü^re, ifl burd^ ben
Umfianb miberlegt, baß Seffe nid^t ber ©ol^n, fonbem ber (Snifet
jene« älteren aWeifterS mar unb baß er fafl ein S^i^t^unbert fpätcr
'I') 9)ie ©d^reibart „perlen" ift babur(^ entftanben, hai bie f(^n>&6if(!^e
SOlunbort biiS ouf ben l^eutigen Xa% bad i in ber ©nbrtl^e Itn (lein) o(d e aud»
fpric^t, n)oaei oft fogar bad n audf&Kt; a(fo 3. S. j^öftlin, üöfUen, üöftle.
a)a8 Süngfte ©eric^t im aJHinftcr ju Urm. 347
(1668) ben Slltar in ber Äird^c ju SRicbermemmingen bei Slörb^
lingen tnalte*). Slber au6) an ben älteren griebrid^ Berlin ifi
nid^t JU benfen, ba er jroar ebenfaHi^ unter bem ©influjs ber gt^ns
berer fielet, aber ein Äünfller geringeren ©d^Iage^ ifi. Unb wie
l^ätten bie Ulmer barauf tommen foHen, einen auswärtigen (SRörb^
Knger) 3JJeifter }u berufen, ba fte in il^ren 2Wauern einen Diel be^
beutenberen Äünfller befafeen? Xa§> war fein anberer aU iganS
<Bd^ül^lein ober, wie er fid^ felbfi fd^reibt, ©d^üd^lin, ber ung burd^
fein bejeid^netei^ ^auptwer!, ben ^od^altar ber Äird^e ju SJiefen^
bronn, genugfam befannt ifi. $. SKerj gebührt bai^ SBerbienft,
biefem 3Reifler juerft in bem fd^on erroSl^nten Sluffafee beS d&rift=
tid&en ÄunfiblatteS (1880, ©. 137) ba« Süngftc ®erid[)t jugefd^rieben
}u ^aben, unb nad^bem id^ jene« wid^tige SBerl n)ieberl^olt aufmerl-
fam geprüft l^abe, mu§ id^ feiner JBermut^ung tnfofem juftimmen,
als namentlid^ bie ©emälbe an ber Snnenfeite ber ^ügel, ß^rifluS
Dor 5ßilatuÄ, Äreujtragung , (Srablegung unb Suferfle^ung, aber
au6i bie Slufeenbilber, SBerlünbigung, ^eimfud^ung, ®eburt ß^rifti
unb Anbetung ber Äönige, foroie enblid^ an ber ©taffei bie SBruft^
bilber beS §eilanbs unb ber Slpoftel benfelben ©inn für SBürbe
unb Slnmutl^, baSfelbe ©efd&idt ber Äompofition üerratl^en. ®S ift
ein SKeifler, ber juerfi ben ber Ulmer ©d^ule bis auf B^tblom unb
©d^affner eigenen ©inn für ©d^ön^eit unb milbe SBürbe in auS^^
gejeid^neter SBeife befunbet.
SDer Slltar würbe, wie bie gleid^jeitige 3«f^nft angibt, 1469
t^ottenbet. aSietteid&t befanb fid^ bamals fd^on Seitblom, ber 1483
©(^ü^leinS S!od^termann würbe, unter ben £el[irlingen ber SBerf-
fiatt. SBeld^eS Slnfel^en ©d&ül^lein in Ulm genofe, erfel^en wir an^
bem Umflanbe, ba§ er Slttjunftmeifier ber 1473 gegrünbeten ©e*
noffenfd6aft ber aWaler, S3ilb^auer, ©lafer unb SBud^brudfer, fobann
von 1497—1502 fogar Pfleger beS SWünfterbai^S war. 9lad& ber
©benbürtigleit ber malerifd^en fieiftung bürften wir il^n bal^er wol^l
als ben 3Reifter beS Süngfien ©erid^ts bejeid^nen, Slber in ein=
jelnen fünften, unb jwar in ben wid^tigflen, fann man bod^ eine
unbebingte Uebereinflimmung nid^t erfennen. Slm meifien fättt auf.
*) 6tg^art, 8i(benbe fünfte in Sofern.
348 X<a Süngfte ©erid^t im aRünftec au Ulm.
ba§ bcr galtcnrourf in 2;iefenbronn gröfeerc unb cinfad^ere 2Wotioe
auftocift, ali^ in Ulm, wo bie ©ctDfinber mit größter ©orgfaft bi^
ind Ileinfle betaiQirt ftnb. Unb \>o6) l^atte in biefem großräumigen
SBerle eine großartigere unb einfad^ere SSel^anblung ftd^ t)on felbft
aufbringen foHen. S)ajJ jweite ift, baß aud^ bie SJppen ber Äöpfe
in 2;iefenbronn pd^ anberÄ gepalten afö in Ulm, roaÄ am Harjien
ba l^eroortritt, too man biefelben ©epalten wie Sol^anneiJ, bie
älpoPel, bie äßabonna u. a. in SSergleid^ung jiel^t. ^m ®arnm
unb im ßinjelnen jeigt pd& ba« flanbrifd^e ©lement in ^Jiefenbronn
fd^ärfer ausgeprägt aU in Ulm. Dbwol^l nun gewiß bie SBa^r^:
fd^einlid^feit für ©d^ülein fprid^t, fo fönnen wir bod& nod^ nid^t t)on
@en)iß^eit reben. SSefd^ränlen n)ir uniS alfo einfhoeilen borauf, bod
Ulmer Qüngfte ©erid^t ate baS toeitaui^ bebeutenbfte beutfd^e SBanb::
bilb jener @pod^e unb überl^aupt ate eine ^errorragenbe ©d^öpfung
ber Snalerei nad^gemiefen ju ^aben.
(Klmwc BlüttflfjrBIäßer, 8. l^tft 1888.)
.^ie beiben größten bcutfiä^en ©tröme, 3l^ein unb 3)onau,
fpicgcin in il^rcn glut^cn bie vm größten aWünfier, xodö)t auf
beutfd^er ©rbe in gotl^ifd^em ©tile erbaut toorben finb, ben 3)om
ju Äöln unb ba^ 3Rünfter ju Strasburg, ben ©tepl^ani^bom ju
SBien unb bog SWünfier ju Ulm. Unb biefe t)ier t)ertreten ebenfo-
t)iele t)öttig t)erf(ä^iebene Sippen mittelalterliiä^en Äird^enbaue^. 3n
Äöln l^aben wir ben oollfiänbig entwidelten franjöfifiä^en Äatl^ebralen*
grunbriß mit ©l^orumgang unb ÄapeUenfranj, mit breifd^iffigem
Cuerl^aug unb fünffd^iffigem Sangfiau^, fotoie gewaltiger, jroei-
tl^ürmiger gaffabe, baju bie l^öd^fie »lütl^e ber in ^anfreid^ ent=
TüidEelten Formgebung be^ ©tite in feiner reid^ften unb ebelfien
gaffung. ©tmag ftrenger geftaltet fld^ ©trafeburg, bem ol^nel^in ber
entfpred^enbe Stui^bau bei5 (S^oreS unb Duerfd^iffe^ Derroe^irt blieb,
ba» fid^ ferner mit bem breifd^iffigen ßangl^aufe begnügte, bafür
aber in ber 2lui^bilbung ber gaffabe bie grofeartigfie auffaffung in
glüdflid^er SBerfd^meljung franjöfifd^er unb beutfd^er Eigenart ju t)er=
wirllid^en fud^te. S)ag völlige SBerlaffen be^ franjöfifd^en ©d^emaä
bejeid^net ber ©tep^iani^bom ju SBien, ber mit feinen brei fafl gleid^
l^ol^en ©d^iffen unb entfpred^enben polpgonen (Stören ben gemaltigften
^t)pu^ einer beutfd^en ^attenfird^e barbietet, ©ine mittlere ©teHung
enblid^ nimmt ba8 aWünfter ju Ulm ein, inbem eiJ an bem ton ben
granjofen angebal^nten ^od^bau b^^ SWittelfd^iffei^ fefi^ält, aber im
übrigen eine SRei^e t)on Umbilbungen eintreten läßt, bie im wefent^
350 3)ie 90iünfter }u Ulm unb gu Strasburg.
liöftn auf SSereinfad^ung bet ^lanform unb be^ 9luf6aue^ abfielen;,
barin cbenfaffö eine ed^t bcutfd^e ©ejtnnung t)ertat§enb. SJal^in ge*
^ört bcr fd^lid^te Q^^tn ol^ne Umgang unb ÄapeÜienfranj, bo^in ba^
gelten be^ Duerfd^iff«, ba^in ferner ber 3Kangel eines Slriforiumö
unb bie auf einen einjigcn 2;^umt befd^ränlte gajfabe. 3)iefe gaffabe
aber, mit il^rem unauSgebauten 2^urme, tritt in einen eigentl^üm^
(id^en @egenfa^ {u ber gleid^faOd unDoIIenbeten f^affabe beS ©tra^
burger aWünßerS, unb ba nad^ ber aSoDenbung beS Äälner 3)om»
roerft^ätige Gräfte unb materiette SWittel frei werben bürften, fo ^at
man beibe aWfinfter mieberl^olt einanber gegenüber gefieDt, um balb
bie eine, balb bie anbre ^affobe für ben SluSbau }u empfehlen. @d
mag basier geftattet fein, aud^ an biefer, bem Ulmer aWünfier ge^
ujibmeten ©tette bie beiben mäd^tigen Sauten einer t)ergleid[ienben
»etrad^tung }u unterwerfen. Seibe SEBerfe l^aben ol^ne^in in i^rer
@efd^id^te mand^e äBed^felbeiie^ungen, fo bag aud^ nad^ biefer Seite
eine jufammenfaffenbe SDarfiellung gered^tfertigt erfd^eint.
SBeitauS baS ältere t)on beiben @ebäuben ift baS 9Ränfler ju
Strasburg. SBir miffen, bafe fd^on im Anfang bei^ 9. 3a|ir^unbertS
^ier ein SKünfier Dorl^anben war, weld^eS 873 nad^ einem »raube
wieber l^ergefiellt, 1002 burd^ bie Siruppen ißerjog ^ermann« von
©d[iwaben abermals niebergebrannt unb Derwüfiet würbe. Sifd^of
aSerinl^er begann balb barauf ben SReubau, ben jebod^ im Saufe
beS 12. 3a|ir^unberti^ eine Sleil^e t)on Sränben trafen, t)on weld^en
ber beS ^ai)xt^ 1176 ber er^ieblid^fte gewefen ju fein fd^eint. 9tad^
bemfelben würbe ein umfajfenber SReubau begonnen, ber im wefents
lid^en nod^ jefet ben gl^arafter ber öftlid^en a;§eile beftimmt. S)od^
finb in ben SWauern be§ gerablinig fd^Uefeenben, nur im 3nnem
^alblreiSförmigen ß^oreS, fowie ben öjiUd^en 3Kauem beS Quer«
fd^iffö 5Refte älterer 2lnlagen ju fonftatiren. SDaSfelbe gilt t)on bcr
Är^pta, bie in il^ren öftlid[ien unb weftlid^en SC^ieilen jwei ©er-
fd^iebene SBauperioben innerhalb ber romanifd^en ©pod^e oertritt.
es fann inbefe l^ier meine Aufgabe nid^t fein, bie SBaugefd^id&te be«
aWünfterS burd^ ade i|ire ^p^afen ju oerfolgen; eS genügt, barauf
l^injuweifen, bafe im 13. Qal^rl^unbert mit bem 3leubau beS Duer^
fd^iffeS, unb jwar juerft mit bem nörblid^en, bann mit bem füblid^en
arme, foitgefd^ritten würbe, fierrfd^t t|ier nod^ bie fd^were gorm
^ie 9J2ünfter ju Ulm unb 3u etra(6urg. 351
beg Uebcrgang^ftilcS, fo tritt in bem wa^rfiä^cinlid^ unter 3Rciftcr
Äonrab Clepman begonnenen unb im Sa^re 1275 DoUcnbeten Sang=
^ufe ber got^ifd^e ©til in ebler SRein^eit unb Strenge fiegreid^
auf. 2)ie mächtigen SBerpltniffe, befonberö bie bominirenbe SBreite
beg Snittelfd^iffi^ bei mQ§t)oII abgewogener ißd^ienentioidtelung, bie
ttare SDurd^bilbung ber 2;riforien unb ber genfter t)errat|ien einen
aWciper, ber ben in granlreid^ au^gebilbeten ©til mit tiefem SBer=
ftänbni^; aber aud^ mit felbftänbiger ^eil^eit }u l^anb^aben lou^te.
ÜKit bem Qal^re 1277 beginnt fobann ber SBau ber ^Jaffabe unb ba=
mit bie 2;^ätigfeit SKeifter (SrroiniJ, ber inbefe urfunblid^ erfi 1284
nad^juroeifen ifi. (SSgl. Iiierflber bie SRegefien be^ 3Wünfler8 in g. X.
Äraufe ftunft unb Slltertl^um in eifa§=Sot^ringen 83b. I.) aWit biefem
X^eUe beS SBaued ^ebt eine reid^ere^ üppigere Sntfaltung ber ard)!-
teltonifd^en formen an, bie jt(^ nid^t blofe in bem prad^tDoIIften
aller Dor^anbenen 3labfenfter, fonbern aud^ in bem filigranartig
über bie gaffabe au^gefponnenen ©tab= unb SKaferoerl auSfprid^t.
@d genügt l^ier, für; auf biefe iQauptpunfte l^injuroeifen. 91U @noin
1318 jiarb, folgte i^m roa^rfd^einlid^ fein ©ol^n Sol^annei^, nad^
beffen 2;obe, im ^a^re 1339, ein SReifter ©erlad^ bi§ 1371 ben
»au fortführte. Unter i^m würbe 1365 bie gajfabe bis jur 5ßlatt=
form Doüenbet.
SBenben wir uniJ nun jur Setrad^tung beS Ulmer ^WünfterS.
3lud^ \)\tx befianb Dielleid^t fd^on in farolingifd^er 3^it ^in ®otteS=
^auS, Toeld^eiJ jebod^, nad^bem bie ©tabt bebeutenb angetoad^fen war,
um 1286 einen 5Reubau erfu^ir. S)iefc ältere 5ßfarrfird^e, aufeer^alb
ber ©tabt gelegen unb bem Älofier Sieid^enau untergeben, genügte,
nad^bem laum ein ^[al^rl^unbert abgelaufen toar, ber mäd^tig empöre
ftrebenben ©tabt nid^t mc^r, fo ba^ fie i^r SBerl^ältnife ju ben
bebten Don SHeid^enau löfte unb im Qal^re 1377, genau ^unbert
3al^re nad^ bem S3eginn ber SKünfterfront ju ©trafeburg, ben ©runb«
fiein ju bem jefcigen gewaltigen SRünfter legte. 3lad^ ber gebiegenen,
im Subiläum^ja^re 1877 erfd^ienenen geftfd^rift griebrid^ ^ßreffetö
fann eS §ier meine 2lufgabe nid^t fein, in bie bort aufS Itarfte bar=
gelegte »augefd^id^te biefeS impofanten S5cnfmalS nä^er einjutreten.
3d^ liebe nur ^eroor, ba^ wir eS l^ier mit ber grofeartigften fird^-
lid^en ©d^öpfung be§ beutfd^-mittelalterlid^en »ürgertlium« ju tt|un
352 ^ie 9)2ünfter au U(m unb ju ^tragburg.
^aben, bem tüeit unb breit in bcutfd^cn fianben fein anbre^ cben=
bürtifl jur ©eite tritt. 2Rit rid^tiger einjl(ä^t unb befonnener ©clbft=
befd^ränfung l^aben bie Utmer »au^ierrcn butd^ SRebuftion beS ®runb=
planet ^ namentlid^ buri^ fd^Ud^te ®efta(tung beiS Q^^ott^ unb 3>er-
jid^tcn auf ein Cluerfd^iff, burd^ fparfame SBereinfad^ung ber gönnen,
burd^ abroeifunfl alle^ unnötl^igen SReid^t^umö ber 3)etaUbilbung fld^
bie Snöglid^Ieit betoa^irt, ein @oiit^a\x& )u fd^affen, bad burd^ feine
gigontifd^en 3)imenfionen baiJ jiolje aWad^tgefü^I bamaligen »ärger=
t§umg, unb burd[i ben fd^Ud^ten @rnft feiner gormgebung bie an-
fprud^Slofe ©ebiegenl^eit biefer SebenSfreife au^fprid^t. SBenn ba^er,
bem ©lanje bifd^öflid^er Äird^en gegenüber, eine an^ SIrodfene, felbft
Slüd^terne grenjenbe 2luffaffung t)or^errfd^t, bie nid^t frei von ]^anb=
roerflid^er SDerb^eit ift, fo l^aben wir barin bie d^ara!tert)otte ©igen=
art beutfd^en Sürgert^um« ju roürbigen.
9Ba^ ung t)orjugi^roeife ^ier ju befd^äftigen l^at, ift wieberum
bie gaffabe mit i^rem 3;^urme, eine« ber lü^inften unb geroaltigfien
SBerfe mittelalterlid^er 3;ed^nif. ©tüftt fie fid^ in ber änorbnung
eine« einjigen %f)\ixmeS^ mit gewaltiger SBor^aDe auf bo« Sßorbilb
beS aWünfter« ju greiburg, meld^ei^ aber burd^ bie beiben felbfiänbigen
SWeben^iattei^ mefentlid^ überboten mirb, fo iji ha^ fü^n burc^brod^ene
SWefcmerf, meldte« fid^ gitterartig über bie ganje gaffabe breitet, ein
unoerlennbarei^ 3^"9"i6 ^^^ ^^^ ©influjfe ber ©trafeburger gaffabc.
aSer ber Ur^ieber biefer aufeerorbentlid^ großartigen flonjeption ifl,
wirb fid^ fd^mer ermitteln lajfen; bo^ barf man too^il baran tx-
innem, ba| ber 9lame unb bie 3;^ätigfeit eineiS ber bebeulenbficn
Ulmer SWünfterbaumeifter jugleid^ mit bem ©trafeburger S^^urmbau
rerfnüpft ift: id^ meine ben großen Ulrid^ oon ©nfingen. 3n biefem
aJJeifter tritt un« eine ^leroorragenbe fünftlerifd^e ^ßerfönlid^feit ent^
gegen. SBeld^e Sebeutung i^m fd^on bie S^itgenoffen beimaßen, ge^t
barau« ^eroor, baß man i^n bei ben größten unb fc^roierigflcn
Unteme^imungen }u fiilfe rief. ®^e er (am 17. 3uni 1392) afö
3Wünfterbaumeifter in Ulmifd^e SJienfte trat, l^atte er fd^on mit 3ilau
lanb megen bed bortigen ^ombaued in Unterl^anblung geftanben.
Slad^ einigen S^^ten, 1394, beriefen bie 9)iailänber i^n abermals
JU fid^, um feinen SHat^ ju erbitten. Äurj por^er, im SDejember
1391, mar ein anbrer fd^roäbifd^er aWeifter, ^einrid^ oon ®münb.
2)ie 3)Umftcic ju Uim unb ju ©tra^burg. 353
nad^ 2Wailanb berufen toorben, um roegen beö 3)ombaue^ feinen
3flatl| ju ert^eilen. S5a er aber ba§ bi^l^er bort ©eleiftete t)om
©tanbpunfte ber geftigfeit, wie ber ©d^önljeit einer fo ftrengen Äritil
unterwarf, bafe er nteinte, man tpte am beften, aüie^ roieber nieber-
jureifeen unb neu ju bauen, fo würbe er burd^ baS Urtl^eU ber
Italiener überftimmt unb mußte 3Kailanb t)erlaj|en. 3^^" Saläre
barauf aDerbingö, alö man über einen 5ßlan be^ aii^ ^ari^ be=
rufenen S^an aWignotl^ beriet)^, fanb ber fiä^mäbifd^e aWeifler eine
oerfpätete Stnertennung burd^ ben italienifd^en Ingenieur ©uibolo
betta Groce, roeld^er ben Stu^fprud^ tl^at, ber '?ßlan tonne nid^t beffer
fein, meil a)Zignot]^ fid^ barin ate ma^iren ©eometer jeige, beffen
Slnorbnungen ganj benen be^ aIIert)ortrefftid&ften SWeifter^ ^einrid^
glid^en, ben bie 2Raitänber mie einen tjon Sott gefanbten befejfen
ptten unb nod^ befifeen würben,, menn fie il^n nid^t vertrieben l^ätten.
Slud^ Ulrid^ oon ©nfingen (nid^t t)on „tJufingen", mie bei Äraufe a. a. D.
unb bei ©d^naafe @ef^. b. b. Ä. VII ©. 193 burd^ irrt^ümlid^e
Sefung ber 2Wailanber Urfunben ber 9lame forrumpirt ifi) Dermod^te
in a)tailanb mit feinen änfid^ten nid^t burd^jubringen, ba er ein=
menbungen gegen bie gorm beS großen mittleren genfier^ unb gegen
bie fiapitäle ber Pfeiler erl^ob, bie atterbingS mit il^ren ^abernafel-
nifd^en unb ©tatuen fid^ t)on ber ©efeftmdßigfeit got^iifd^er ftapität
bilbungen auf« bebenflid^fte entfernen, ©benfo mie Dor ber ©infid^t
müjfen wir t)or ber ß^arafterfefligfeit be« beutfdtien SWeifter^ ^od^-
ad^tung empfinben, ber Heber unverrid^teter ©ad^e l^eimfe^irte, aU
baß er feinen Ueberjeugungen untreu geworben roftre. @S mögen un^
bel^agüd^e fünf SKonate geroefen fein, meldte Utrid^ im ©treite mit
ben italienifd^en Strd^iteften in aJlailanb }ubra(^te. ®rft am 13. äpril
1395 er^iielt er ben erbetenen 3lbfd^ieb unb t)ermod^te fid^ nun mit
unget^ieilter Äraft bem Utmer SKünfterbau ju toibmen. 2lber fd^on
1399 berief 'i^n ba« SBertrauen ber ©traßburger Saubel^örbe
bort^in, um bai^ fül^ne SBerf be« X^urmbaueö in bie fianb ju
nel^men.
S)ie grage nad^ ber Sebeutung beS SWeifier« für ba« Utmer
2Rünfter ift nid^t leidet ju beantworten. S)a er fein aWeifterjeid^en
jweimal am aWünfler angebrad^t |iat, unb iwar außen unb innen
am füblid^en ©eitent^urm be« G^ore«, fo barf man au« biefem Um-
23
354 ^ie ^lünfter }u Ulm unb ju ©tragburg.
ftanbe t)tcncid^t jiä^Iicfecn, bofe ba^ pWfelid^c 33crlaffcn bcr bcfd&cibencn
iOö^cnt)cr]^ältniffc bc^ G^orc« unb bie ungcl^eure ©tcigerung beö
Sangl^au^baucS eine ba^nbrcd^enbe Steuerung Ulrid^« fei. Stber aud^
bie Orunbform be^ mäd^ittgen ^auptt^urme« ift roa^irfd^einlid^ auf
Vilxi^^ ^lan iurfidiufä^ren. äSefanntUd^ beflißt bie Saul^atte beS
SWünfter^ bett großen Originalplan bei5 igaupttl^urmeS, toeld^er bcm
aWatt^äu^ Söblinger jugefd^rieben wirb. S)iefer 5ßlan t)errät^ jroci
perfd^iebenc fianbe. 2)ie unteren 5ßartieen, bie beiben großen genfler^
gefd^ofee big jur heutigen Slugfü|irung umfajfenb, finb auf roeigem,
bie oberen auf gelblid^em ^Pergament gejeid^net. ©ie finb ferner
mit einer btafferen SJutd^e unb einer feineren, fpifteren ^eber au§^
gefül^rt, roä^renb bie oberen fräftigcr gejeid^net finb. SiamentUd^
jeigen aud^ bie Ärabben unten eine anbere, etroag fd^arfere gomi,
roäl^renb bie oberen runblid&er unb toeidöer im ©trid^ finb. 9tun
ftel^t an jener ©teile, neben bem 3^^^^« ^^^ Sauoermaltung bie
Slngabe: 147 §s, unb barüber: ,,ba l^at angefangen ju mai^en an
bem burm ju Ulm 3D?at^eS 33öblinger." Slm Anfang beö eigent::
lid^en ^elme« lieft man fobann: ,,240 ^^ ^o6). ba l^at t)ffge^e]^rt
5e buroen an bem burm aKatl^e^ SBöblinger." 2lffeg Obere fd^eint
von berfelben ^anb ju fein, unb e^ fragt fid^ nun, ob nid^t oteüeid^t
bie älteren S^^eile ber ^tx6)n\ini nod^ auf einen ber SBorgänger
Söblingerö jurlidfge^en. S)en älteften ber crl^altenen 5ßläne, meldten
iOafeler (Ulm^ Äunflleben im aWittelalter ©.17 3lnm. 18) mit A
bejeid^net unb auf Ulrid^ oon ©nfingen jurüdffü^rt, möd^te id^ tbtxu
fallg bem großen aWeifier jufd^reiben, ber babur(^ afö ber eigentlid^e
©d^öpfer beS ganjen Sauplane^ ^eroortreten würbe. 3)ie toid^tige
Unterfud^ung ber ©teinmefeieid^en , meldte wir bem unermüblid&cn
SDiafonu« Älemm t)erbanfen (SUJünfterblätter II ©. 33 ff.), fd^eint
ber älnnatjme nid^t ju toiberfpred^en, bag Ulrid^ in ber 3^^at biefe
burd^greifenbe Sebeutung für bie ©ntroidfelung be^ 3RünfieriJ gel^abt
unb ben ©runbrife be^ gewaltigen Saueö im SBefentlid^en fo fefl^
gefteüt ^abe, mie er jefet t)or ung erfd^eint. S)a6 ber 3Weifier in
ber a^l^at ju benjenigen gehörte, roeld^en man ha^ ©röfete jutraute,
ge||t fc^on aug bem Umftanbe ^eroor, bafe er ju gleid^er 3^it für
ben Sau ber grauenfird^e in (Solingen wie für ben %i)\xxm beiJ
©trofeburger aWünfter« berufen tourbe.
^ie flünfter su Ulm unb au Strasburg. 355
3n ©trafeburg l^attc man tnjroifiä^cn, nod^bcm bic tJ^Rabc bi^
jur ®alcrie t)oIlcnbet voax, pd^ reranlafet gefeiten, im SBctteifer mit
bcn überall mäd^tiger emporfleigenben 2;^urmriefcn aud^ bie g^ont
bcg 3Künfierg fü^ncr empor ju fül^ren. 3"^^ft ^^tte «tön bal^er ben
3TOif(ä^enbau errid^tet, tueld^er beibe S^^ürme terbinbet unb ber S^jfabe
jene unuerl^altnifemäfeige fiö^enentoidElung gibt, bie t)on ben mafes
t)oU eblen planen ber früheren Saumeifter fo empftnblid^ abioeid^t.
21K man foroeit gefommen war unb e3 nun galt, über bie alfo ent»
ftanbene gewaltige Plattform l^inau» ben S^l^urmbau empor ju fü^iren,
berief man Ulrid^ t)on ©nfingen, @r ift bal^er ber ©rbauer be^
munberbar Mienen nörblid^en S^l^urme», beffen fd^lanle^ iOouptgefd[lo§
mit feinen luftigen ad^t Pfeilern unb ber Don i^inen umfd^loffenen,
ungemein fd^lanfen, gemölbten SBogen^ialle von ber genialen Äü^n^cit
beS ard^iteften S^ugnife ablegt. S^anjig Qal^re mährte, big jum
SCobe beg 3Keifierg im Sal^r 1419, feine 2;^ätig!eit am aWünfier,
bem er feinen fiarnifd^ unb SRodE Dermad^te. 3)ie SBoUenbung be^
2;^urmeg unb bie Srrid^tung bei^ überaus !ünftlid[ien, burd^brod^enen
^elme« gefd^al^ bann burd^ Qo^ann ^ülfe au^ Äöln, roeld^er von
1419—1449 bem a3au tjorfianb.
aOBälirenb in biefer SBeife mit großartiger Äü^nl^eit, aber in
DoHem ©egenfaft gegen bie Slbftd^ten ber urfprünglid^en ©rbauer,
ber nörblid^e 2;^urm t)otlenbet warb, fd^ritt ber »au be« Ulmer
3Känftert]^urmS ftetig unb fonfequent oor, inbem man offenbar an
bem urfprünglid^en ?piane treu fejil^ielt ober bod^ nur fold^e 3Jlohu
fifationen juliefe, bie ben einl^eitlid^en 6^ara!ter unb bie ©runbibee
nid^t gefäl^rbeten. 2lud^ jefet bleibt bejeid^nenb für ben Sufammen^
^ang mit Strasburg nid^t bloß ba« fonfequent burd^gefül^rte, über
bie gläd^en l^ingefponnene, gitterartige ©tab^ unb aWafetoerf, fonbem
ebenfo bie 83et|anblung ber fd^lanlen Xreppent^ürmd^en an ben ©dEen
be^ Saue«. 3)ie Hauptarbeit pel.babei mieber einem |iert)oragenben
fd&TOäbifd^en aWeifter, 3Katt]^äuiJ Söblinger, ju. &ant S^ugnife be«
fd^on erwähnten ^ßergamentrijfe« begann ^er in einer Qö^t t)on 147
ulmifd^en SBBcrlfd^ul^en unb fül^rte ben Sau bi« ju einer §ö^e Don
240 SBerlfd^ul^en, b. f). bi« jum Anfang be« ad^tedEigen auffa|e5
hinauf. 35ie Unruhen ber auS bem SWittelalter gemaltfam fid^ ^er«
Dorringenben Jieujeit jtoangen bann ju einem prooiforifd^en ab*
356 a)ic SWünftcr gu Ulm unb au Strasburg.
brcd^en bei^ Sauc^, ber atö vorläufigen Slbfd^tufe ba3 bcfanntc
fd^mudlofe @d^u^bad^ erhielt.
SRad^bem in unferem Qa^rl^unbcrt bie roiebct cnoad^te Segcifte-
rung für bie großen ©d^öpfungen be« SWittetalterö aud^ am Ulmer
aWünfler fid^ in l^o^ier Cpferfreubigfeit bet^ätigt unb bie 2Bieber^er=
ftettung be^ lange t)erroa^rloften S)enfmafe burd^ ben flilgered^ten
älu^bau ber beiben gl^ortl^ärme unb burd^ bie äSoQenbung ber @trebe=
werfe be^ Sangl^aufeS, ber fül^nfien unter allen torl^anbenen, gefül^rt
l^at, ift man in freubigem SBertrauen ju bem legten ©d^ritt biefei^
gewaltigen 2Ber!e^ übergangen, inbem man ben äugbau beiS ©aupt-
t^urmeg in Singriff genommen ^at. %üx biefei^ grofee Unternehmen
möd^ten wir bie Dpferroittigfeit beS ganjen SBaterlanbe^ aufrufen, ba
mir ber Ueberjeugung finb, bafe eine mürbigere 2lufgabe im ganjen
Sereid^ monumentaler ^erfteUungäarbeiten für ung nid^t gefunben
werben fann. 9kmentlid^ aber möd^ten mir jugleid^ t)or jenem Äon=
furrenjgebanfen einbringlid^ warnen, ber nod^ dox turjem ben aug=
bau ber ©trafeburger 3Rünftcrfaffabe in ben aSorbergrunb ju fd^ieben
fud^te. SBJir würben bie SBerfolgung biefe^ 5ßlaneg für ein in ^ol^em
©rabe bebenlid^e«, jn uerfel^lteS ^Beginnen l^alten. S5enn in ©trafen
bürg ift bie feit bem ©nbe be^ 14. Sal^r^unbert^ in angriff ge-
nommene Umgeftaltung ber gaffabe in ein fo unlösbare^ aJiifeüerl^ältmfe
JU bem urfprünglid^en 85au getreten, ba§ ein weitere^ gortf abreiten
auf biefer Sal^n bie SJifJonanj nur nod^ fd^ärfer ju Xage bringen
Dermöd^te. 2)er eine aufgeführte SJ^urm, fo unl^armonifd^ er fid^
ben älteren 2^l^eilen anfd^^liefet, ifi immerl^in ein 3?"8"ife fonfiruftit)er
Äü^in^eit unb t)irtuofen]^aft gefieigerter SCed^nif. ®r fönnte wal^rlid^
nid^t gewinnen, fonbern in feiner einjigartigen Sebeutung nur vtt^
Heren, wenn il^m ein anad^roniftifd^er S^iHingi^bruber }ur ©eite
gegeben würbe, ©eine mad^tige SBirfung beru||t eben auf bem Slon*
traft biefer big jur fd^winbelnben ^öl^e emporgefü^rten ©pifte ju
ber mäd^tigen 5ßlattform, von ber fid^ biefelbe in unoergleid^lid^ier
Äül^nl^eit auffd^wingt. SDif SBerboppelung be« 9Kottt)g wfire gleid^-
bebeutenb mit einer SBernid^tung begfelben.
®anj anber« beim Ulmer a)fünfter. ^ier gilt e8 einen »au
DoDenben , ber, in ftetiger folgerid[|tiger (gnfwidflung vom ©oben auf«
fteigenb, in großartiger ©efefcmägigfeit fid^ entfaltenb, immer reid^er.
3)ie 2Rünftcr au Viim unb ju ©tta^urg. 357
jicrlid^er unb luftiger cmporftcigcnb, nur in jenem fd^lanfen Dftogon
unb ber burd)brod^enen ©pifce feinen befrtebigenben Slbfd^Iu^ erreid^en
fann, toetd^e ber alte SDicifier in feinem SBaurig mit Harem (Seifte
unb fefier ^anb xjoröejeid^net l^at. 3n organifiä^er entmidlung ben
2:^ärmen beö Äälner 2)omi^ unb beg greiburger 3Künfter^ nad^eifernb,
entfaltet bie ©pifee be^ Ulmer S^l^urmeö jene reid^eren, grajidferen
^ormenfpiele ber ©pdtjeit, toeld^e mit il^rem üppigen &eUn bie ftren=
geren ©trufturformen auf^ geifit)oIIfte umfpielen. @^ ifi feine fj^age,
bafe ber Ulmer 3;i|urm in feiner SluSfül^rung nid^t blo& einen ber
fü^nfien, gro^artigfien unb einl^eitlid^fien SBaugebanfen beS 3Kittet
altera, fonbem aud^ eine ber fd^önjien Umrifelinien ber an l^errlid^en
2:^urmfxI||ouetten fo überaus reid^en gotl^ifd^en gpod^e üerroirKid^cn
mürbe. 3«^ ©rreid^ung eine^ folc^en S^tU^ mitjulielfen, ift eine ber
mürbigfien aufgaben für beutfd^en ^Patriotismus unb 9)ionumentaI=
finn. 3Bir jmeifcln nid^t, ba§ biefe ©rfcnntnife immer weitere Greife
unfereS aSolfeS ergreifen unb ju lebenbiger »et^eiligung an bem großen
aSerfe anfpornen merbe.
(Botti un)> Süi 1888.)
m
'enn t)on einem ber grofeen üalienifd^en aWeifter be^ Duattro=
cento Irgenb ein bebcutenbe^ SBerl ber SJafefc ober SBanbmalerei
:plö6lid^ entbedt wirb, fo barf man ein fold^e« ©reigni^ immer ate
ein tunftl^iftorifd^ n)id^tige^ be^eid^nen. kommen aber mit einem
©d^toge gange SRei^enfolgen fünfiterifd^er ©ntoürfe anö ä\6)t, bie
auf bie Sebeutung unb ©eifteiSart eine^ jener ^erüorragenben Äünfb
ler ein t)öttig neueiS Sid^t werfen, fo ifl eine berartige ©ntberfung
gerabeju als epod^emad^enb für bie gorfd^ung anjuerlennen. ©old^eS
ift in l^o^em SRafee ber gaff mit ben 84 S)ante'3c^»wngen Sotti*
cettiS, roeld^e mit ber Sammlung ber fiamilton^SKanuflripte fflrjlid^i
in baS berliner ÄupferjHd^fabinet gelangt fmb. Dl^ne 3w>^ifrf wi^^
eine 5ßubIifation biefer loftbaren ©d^äfte feitenj^ ber aKufeumS^Scr-
waltung ju ertoarten fein*); e^e aber eine fold^e erfc^einen fann,
mirb man oieffeid^t eine furje Sefpred^ung biefer merhoürbigen
©(ä^öpfungen nid^t unjeitgemä^ finben.
©anbro SSotticetti, ober wie er mit feinem eigentlid^en 9iamen
^ei§t: Slleffanbro bi aWariano gitipepi, nimmt unter ben großen
Florentiner aWalern beS fünfjel^nten 3<^^i^^"ni^ßrtS ^"^^^ e^renplaft
ein. 3n S^orenj im 3a^re 1447 geboren, traf er mit feiner Sugenb?
entmidEelung in jene 3^^/ wo bie Äunft ber SWalerei, burd^ aRa=
*) ®5en ift bie erfte Slbt^eilung bed t)on gr. fiippmann |eraudgege5enen
SGBerfe« er^tenen.
S6otticeai'd ^ante«3ei(l^nungen. 359
faccto ju einem neuen gtofeartigen ©til emporgel^oben, nad^ langem
©tittpanb )td^ ju fül^nem gortfd^reiten auffS^roang. 3)er bebeutenbfte
9?ad^foIger jene« großen ^af)nhxtä)tx^ xoax %xa ^lippo Sippt ge:=
wefen, beffen ©d^üler unfer ©anbto würbe, nad^bem er roibertoillig
eine S^itlang, wie fpäter ^ancia unb SJürer, fid^ bem ©olbfd^mieb^
geroerbe geroibmet l^atte. aSon feinem Sel^rmeifter in biefer ftunfi
erl^ielt er ben Seinamen bei Sotticetto. Seid^t begreift man, ba§
ein ®eift wie ber ©anbroiS bei ber angftlid^ jierlid^en Slrbeit bei?
©olbfc^miebeg fid^ nid^t beru^iigen fonnte. SBenn irgenb einem
unter ben Florentinern jener 3^it, fo gebül^rt it|m ber Slitel eine^
^oeten; benn er jumeifl unb xjor allen begnügt fxd^ nid^t mit ben
aufgaben ber Krd^Iid^en Äunft; vitlmtf)x firebt er bie ©renjen ber
3Walerei ju erweitern, inbem er bie aWpt^ologie unb Sltlegorie eifrig
anbaut unb in einer SReil^e t)on ©4iöpfungen xjott Slnmut^i unb voü
fieibenfd^aft feinem tieffinnigen, poetifd^ angelegten ®emüt|i jum
au^brud t)er]^ilft. Sltlen biefen SBerlen ifl eine oft l^od^poetifd^e
©timmung eigen.
erwägt man bie jugenblid^e SBegeifterung, weld^e bag bamalige
©efd^led^t bem llaffifd^en ältert^um entgegenbrad^te, fo wirb bie
geringe Saf)l Don ©d^öpfungen ber bilbenben Äunfi, in toeld^en biefe
©eifte^ric^tung jur ©rfd^einung fommt, ftetiS »efremben erregen.
SWögen aud^ in bem burd^ ©aüonarola^ geuereifer ueranlafeten 2luto=:
bafe mand^e biefer SBerfe untergegangen fein, fo foUte bod^ eine
weit größere S^\)i fid^ erhalten ^aben, atö wir in ber 2:^at beren
nad[iweifen fönnen. Um fo wid^tiger finb un» bie arbeiten a3otti=
cettiö, ber mel^r aU irgenb einer feiner 3^^= ^^^ Sanb^genoffen
bie^ anmutl^ige gelb mit aSorliebe gepflegt ^at. an ber ©pifte biefer
arbeiten fielet bie für ßopmo aKebiciiS SBiOa ju ©aftetto gemalte
aUegorie beg ^l^Iing^, jefet in ber afabemie ju glorenj. 6^ ift
ein »reitbilb, beffen ganjer 3laum t)on einem ißain bid^tbelaubter
SBäume angefüllt wirb. Unter il^ren SBaumtroneu in wonnigem
©d^atten wanbelt in ber SWitte beS Silben eine l^o^ie weiblid^e @e=
flalt, mit reid^en ©ewänbern anget^ian, in ftitlej^ ©innen verloren.
Sieben il^r linfö fd^lingen brei fd[|lanfe Sw^gfrauen, offenbar bie
©rajien, oon burd^jid^tigen ©ewänbern uml^ütlt unb mit Slumen
gefd^müdft, ben fröl^lid^en SReigen, wälirenb amor mit brennenber
360 »otticcüi'd a)ante»3ci(l^nun9ett.
gatfcl ju il^ncn ||inabfd^n)cbt. Sieben i^inen fielet man einen Icid^t=
befleibeten jungen 3Kann mit geflügeltem $elm nad^ Art be^ aWer*
für, ber mit bem ©d^roert golbige Drangen von ben Säumen ju
fd^lagen terfud^t. 3n bie redete igätfte beS Silben ftnb ebcnfalfö
brei giguren Dert^eilt unb jmar ein l^eranfd^mebenber ®eniu§, ber
eine eilig bewegte weiblid^e ©eftalt in burd^fid^tigen Oemänbern
unb mit einem Sogen in ber fianb ju umfaffen fud^t, inbem er fie
anliaud^t. C|ine B^^U^I ^^ben mir in i^m S^V^V^ i^ erlennen.
35äl|renb ba8 fd^öne Äntlife ber 3l\)mpf)t in l^olber ©rregung jxd^
i^m juroenbet, fielet man neben il^r eine reid^gefleibete, mit blumigen
©eroänbern gefd^müdCte Sw^öf^^u ^"^ift wnb unbefümmert ein^er^
fd^reiten, inbefe ein Slumenregen fid^ um fte ergie&t. SBir oerfte^en
nid^t allein in biefem SBilbe, aber foüiel ift Ilar, ba| e« ftc^ um eine
poetifd^e SBerl^errlid^ung beS gril^ilingg ^lanbelt, unb jmar, maS bi^^
^er unbemerft geblieben, im Slnfd^lufe an bie ^orajifd^e Obe „Sol-
vitur acris hiems grata vice veris et Favoni". ^ener ©eniu^
alfo ift ber gaDoniuS (©übminb, göl^n), ber ben grül^ling bringt
gür bie übrigen ©efiatten jinb bie SBerfe mafegebenb:
„lam Cylherea cl^oros ducit Venus imminente luna,
lanctaeque Nymphis Gratiae decentes
Alterno terram quatiunt pede . , ."
35ie mittlere Hauptfigur ifi alfo, mie fd^on au3 bem über i^r
fd^roebenben Slmor ju fd^liefeen, SBenu^; unb i^re Segleiterinnen finb
bie ©rajien unb S^mpl^en.
©nfad^er unb flarer, bal^er ton unmittelbarer SSBirlung ift baö
ate 5ßenbant ju biefem Silbe aui^gefül^rte jmeite ©emdlbe, jeftt in
ben Uffiiien. S)er ©eburt be^ grül^lingä folgt bie ©eburt ber Senu«-
2Bir fe^en bie tl^aufrifd^e jugenblid^e ©efialt ber ©ottin in einer
a)luf^el fte^ienb auf bem teid^tbemegten SWeere l^eranfd^meben, 9Bd^5
renb jmei pauöbädEige ©eftalten ber SBinbe mit fräftigem glüget
fd^lag bal^ereilen, einanber umfd^lungen l^alten, unb fie mit il^rem
ioaud^ gegen ba8 fianb l^intreibcn, bie fiuft aber mit einem Slofen-
regen angefüllt ift, eilt red^t^ au8 einem bid^ten Sorbeer^ain eine
reid^gefleibete S)ienerin ber ©öttin entgegen, um fie mit einem
präd^tigen Wlanttl ju umtiütlen. 2)ie ganje ©jene at^met ^olbcjie
^oefie, bie in bem tröumerifd^^füfe^« 3lugbrudt ber ©öttin gipfelt-
©otticetti'« 3)antc»Sci(§nungen. 361
35ic roeiblid^cn Äöpfe ©anbro« galten fxd^ noc^ DöUig Jrei von ber
aiufnal^me antifer Sbealbilbungen; mit it)rcn breiten ©tirnen, ber
langen, aber ftuntpfen 3lafe unb bem fd^malen Äinn mad^en fie vkU
mel^r einen burd[iau8 inbiDibuetten (Sinbrud, beffen SReij beim aWangel
fiilDoIIer ©d^ön^eit in einer träumerifd^en, nid^t feiten wel^mütig
angefiaud^ten Stimmung berul;t.
liefen beiben Sauptroerfcn mpt^ologifd^en Snl^att« fd^Iiefeen
ftd^ einige. anbere an, unter weld^ien ba^ merfroürbige S3ilb ber aSer*
leumbung bei^ SHpelleg, nad^ Suciang »efd^reibung, jefet in ben Ufft=
jien, baö bebeutenbfte ift. Sefannttid^ mar bet berühmte SDtaler
t)on feinem neibifd^en 9lit)alen Slntipl^iloS bei il^rem gemeinfamen
©önner, Äönig 5ßtoIemäo«, üerleumberifd^ermeife ber a;^eilna^me
an einer SSerfd^roörung bejid^tigt morben. SRad^bem er jebod^ glüdf::
Iid& ber ©efo^r entronnen mar, malte er ein attegorifd^e^ SSilb,
mel(^ei^ nad^ Sudans ©d^ilberung bie 3Weifter ber SRenaiff ance öfter
äur S)arfteIIung gereijt |iat. 3n einer prad^tDoDen, mit SRelief« unb
©tatuen gcfd^müdtten ^alle, meldte von be§ ÄünftteriS aSerftänbni^
ber antifen Slrd^iteftur S^wfl^ife ablegt, malte S3otticetti einen tl^ro^
nenben, mit ber Ärone gefd^müdften Sttd^ter, in beffen riepge Dliren
}mei fid^ an i^n brängenbe SBeiber, Unmiffenl^eit unb aSerbäd^tigung,
eifrig flüftern. 58or bem Slld^ter fielet ate Sünfldger in fd^äbigem,
jerlumptem Slnjug ber 9?eib unb ||inter bicfem bie üppige ©eftalt
ber aSerleumbung, meldte, t)on ber 3lrglift unb ber 3;dufd^ung mit
33Iumen unb Sänbem aufgepufet, il^r unfd[|ulbigeiS Opfer, einen
nadften SünsKng, on ben paaren l^erbcifd^teift. Sangfam folgt hinter
biefer ®ruppe bie abfd^redfenb garfUge ©eftalt ber SReue, einen böfen
SSlidf auf bie eble, töllig unbeHeibete ©efialt ber SBatirl^eit merfenb,
bie mit bet^euemb emporgel^obener SRed^ten ben 3^8 fd&Hefet. S)ic
ergreifenbe ©jene ifi t)on einer ptiantaftifd^smilben ^oejie erfaßt.
5Die f orgfältigc unb fd^arfe SWobeDirung beutet auf jene mittlere 3«it
bei5 ÄfinftlerÄ, mo er unter bem ©nPufe ber plajiifd^en ©(^ulen ber
aSerrocd^io unb ber ^pottajuoli ftanb.
3Jod^ mand^e anbere, menngteid^ minber bebeutenbe 83ilber
jeugen von ber Eingabe an bie SBelt beS Ilaffifd^en 3lltert|iumg,
meld^er aSotticetli in feinen früheren ^tittn ^ulbigte. Sal^in gehört
bie aSenud in ber ©alerie ju SBerlin, offenbar ein ©tubium nad^
362 93otttceai'd 2)ante«3etc^mtnden.
ber mcbicäifiä^cn unb wol^l für bog oben enoäl^ntc gtofee SäUb au^=
gcfül^rt. ©nc anbcre, auf blumcnreid^em SBiefcngrunb lagcrnbc
unb t)on 2lmotettcn umfpielte SBenu« ftc^t man in ber Sammlung
be^ fiouDte unb eine ä^nlid^e in ber ©alerie Sarfer ju Sonbon.
S5iefe SBerfe finb freilid^ nod^ weit entfernt t)on bem monnigen
fiebcnögefül^t ber üppigen SBenui^geftalten eine« SJijian; fie l^abcn
einen füiileren, befd^eibeneren G^aralter, ber ftd^ inbefe ju finnig
poetifd^er Stimmung fieigert. 3wei anbere SBenuiSbilber befifct fiorb
SlfPurton; aud^ eine grofee aUegorifd&e ^gur in ber Sammlung
Steifet }u 5ßarig, fomie bie ®alatea ber ©alerie }u 3)redben, biefe
aber nur ein fd^road^e« ©d^ulbilb, gehören berfelben SHid^tung an.
^öd^jl mcrfroürbig ift fobann ein DöUig unbefteibete« meiblid^eS
Sruftbilb in ber ©ammtung 9ieifet. S5aö jierlid^ georbnete fiaar
ber S)ame unb il^r mit 5ßerlen unb Sutoelen gefd^müdfter §afö er^:
Ilöl^en bag aSerfül^rerifc^e ber ©rfd^einung, wie man eö t)on einer
©etiebten beg fiorenjo be' SKebici mol^l erwartet. ©S ift bie be-
rül^mte „SBeDa ©imonetta". aWan fielit au« allebem, ba| SBotticelli
bamate ber Siebling^maler ber 9Rebici war, wie er benn unter ben
gleid^jeitigen ftünftlem am meijien fröl^lid^en SBeltfinn ^atte unb
nad^ bem 2;obe %x(x gilippo^ überhaupt für ben beften Wiakx in
glorenj galt.
21K ed^ter ^ßoet ermeift er fid^ aud^ in einer Steige noDettiftifd^
aufgefaßter, geiftreid^ bel^anbelter 33ilber, bereu a;^emata bem tlaf^^
■ fifd^en attert^um, bem alten Xeftament ober ben profanen 2)id^'tern
ber SRenaiffanceieit angel^ören. 3n btefen ©d^ilberungen mad^t fidd
oft ein energifd^ bramatifd^er 3^9 geltenb, wie mir il^n fo leben*
fprül^cnb bei feinem anbern ber gleid^ijeitigen Florentiner fxnben,
eine toa^ire ?ßerle biefer SKrt ift bad 33ilb bei Senator STOorefli in
SKailanb, meld^e^ in fed^^ ungemein belebten ©jenen, bie fid^ in
einer prad^tooHen lorintliifd^en ^atte abfpielen, bie ©efd^id^te ber
SBirginia bel^anbelt. 9tid^t minber lebenbig unb Don äl^nlid^ nooel-
lijlifd^em SReij finb bie Keinen Silber an^ ber ©efd^id^te ber Subit^i,
meldte man in ben Uffijien fielet SBefonber^ ba^ jmeite, wo ba^
^elbentoeib nad^ oottbrad^ter 2;^at ju ben S^tigen ^eimfe^rt, in
ber SRed^ten ba« btofee ©d^mert, in ber fiin!en einen Deljroeig
l^altenb, mä^renb bie ooranfd^reitenbe aJtagb in einem Sünbel auf
93ott(cetti*d S)antes3ei(^nun0en. 363
bem Äopf ba^ §aiipt bc^ §olofcrne§ trägt, ift von mcrtiDürbigcr
Äraft ber ©timmung. Äeiner Don bcn bomaligen Äünfticrn toärc
im ©tanbc geiocfen, bie ©cjialt ber ^elbin, wie fic träumcrifd^,
fafl mtlanä)ol\]ä) jurüdblttft, mit fotcJ^er pfpd^ologifd^cn gein^cit ju
jcid^ncn. SBcitcr befifct bie ©derie ju S^urin ein anjiel^enbeS S3ilb
mit ber S)arfte(Iung bed jungen Xobiad unb bed ©rjengeU @abriel.
Slud^ eine ^ßrebella mit ben SBunbert^aten beiS l^eiligen ^enobiu^,
auÄ ber von Duanbtfd^en ©ammlung in bie SDre^bener ®aterie
gelangt, enthält 3äge voU not)eai{Ufd^en SteijeiS.
5Rid^t minber weife ©anbro bie bei ben italienifd^en ©id^tern
«nt^ialtenen 3nfpirationen ju malerif(^en 3KotiDen ju Dermertl^en.
©0 fielet man, naiä^ ben SJriumpl^en 5ßetrarca^, rier Silber im Dra*
torium t)on ©t. Slnfano, meldte ben SCriump^ ber Siebe, ber Äeufd^-
^eit, ber S^xt unb ber ©ottl^eit fd^ilbern. S)en 2^riump|i ber Äeufd^s
^eit pnben wir bann mieberl^olt in einem «einen, jierlid^en Silbe
ber ©alerie ju S^urin. Stuf einem von ©inl^örnern gejogenen
©iege^toagen thront bie Aeufd^^eit, }u beren ^^üfeen ber gefeffelte
Slmor ftfet. eine Sungfrau mit brei Sammern, ©^mbolen ber Un::
f(^ulb (ober ißermeline?), ge^t vorauf; aUerliebfl aber iji bie ©d^aar
junger SRäbd^en, meldte bem SBagen ber Jteufd^l^eit folgt. S)ad
©anje oon töjilid^em SReij, ooD Siaioetät unb ?ßoefie! ©inem minber
leufd^en Siid^ter ifi fobann ber t)ietfeitige Jlänjller ein anbere^ 3ilal
gefolgt, inbem er in einer 3lovtUt Soccaccioi^ Oelegenl^eit ju einer
anjiel^enben ©d^ilberung gefunben l^at. ©g ift bie £iebeiJgefd[|id^te
beg Siaftagio begli Dnefti, toeld^e SotticeUi im 3a^re 1487 jur 5Ber-
mä^ilung bei^ 3Jier granceSco Sini mit Sucrejia ^ucci auf eine
^od^jeittrul^e malte. @r{i tär}lid^ auS ber Safa ^ucci in bie ©amm^
lung Sarfer nad^ Sonbon gefommen, geben bie vitx Keinen Silber
in lebenbig nooetliftifd^er ©d^ilberung bie 2!rauer be^ Don feiner
©eliebten faltl^erjig jurüdfgeroiefenen Siaftagio unb bie SBenbung
feinei^ ©efd^idf^ burd^ bie ©rjä^lung jener Sipon, in weld^er ein
JRitter eine nadEte ©probe t)erfolgt unb il^r baö ißerj au^ bem ßeibe
reifet, um ei5 feinen ^unben Dorjumerfen. 3)er p^antaflifd^e ißer^
gang mit feinen Äonfequenjen ift ^om SRaler mit grofeer Siaioetät
gefd^ilbert morben.
3lu« aUebem erlennen wir in Sotticeffi einen Äünftler von
364 SotticeUi'd S)ante«3eicl^nungen.
poctifd^er ©innciSart unb üon Dicifcitigcr JKnlage, bcr feine ©toffe
bcn mannigfad^ften ©ebieten ju entnehmen toeife. S)enfelben poe-
tifd^en 3"Ö ftnben wir in ben g^o^en greiSfen, weld^e er in ber
UEtinifd^en ÄapeUe augjufül^ren l^atte, 3n ber aSernid^tung ber
9totte flora, in ben ©jenen aus bem Seben 3DlofiÄ in aieg^pten,
enbli^ in ber SSerfud^ung S^rifti finb eS vox attem bie f<]^önen
lanbfdiaftlid^en ©rünbe, ifl eS bie tl^eifö ibtittifd^e, tl^cife leiben-
f^aftlid^ bewegte ©timmung, weld^e uns feffeln unb unS »ergeffen
mad^cn, ba§ bie feierlid^e ®ro§artigIeit unb bie feine Sli^pt^mif
eines ©l^irlanbajo unb ^ßerugino il^m »erfagt ift.
3Sor aUent aber fommt ber ganje 5ßoet in i^m jur (Entfaltung
in feinen föftlid^en SKabonnen. gra gilippo toar ber ©rfte ge^
wefen, ber bie öimmelsfönigin ron il^rem erl^abenen X^rone erloft
unb auf bie 6rbe oerpflanjt l^atte. ©eine aWabonnen, ber tranS=
fcenbenten geierlidE|!eit entlleibet, finb einfädle irbifd^e, ja bürgere
lid^e grauen, im fröl^lid^en 9Rutterglüdt ftral^lenb; fein Quq in il^nen
beutet auf eine m^ftifd^e, rounberbare ©enbung. S)aS ©öttlid^e ift
^ier ganj inS grbifd^e umgcfel^rt. 3ln bicfe Sluffaifung tnüpft
©anbro an; fogar baS von feinem Seigrer eingefül^rte, fortan bei
ben Florentinern fo beliebte S^onbo (9tunbbilb) l^ält er mit Se*
oorjugung feft; aber er fd^üttet ein ganjeS güHl^orn tjon 5ßoefic
über biefe jtompofttionen auS. Aann man etmaS ©innigeres feigen,
als jenes SRunbbilb in ben Uffijien, wo bie STOabonna, in frü^::
lingSllarer Sanbfd^aft pftenb, liebevoll auf il^r Äinb nieberblidt,
mä^renb fie ^btn im Segriff ifl, bie geber einjutaud^en, um in ein
großes 9Wiffale baS „3Ragnificat" ju fd^reiben. »ud^ unb Stinten-
fa§ werben il^r üon jwei pagenartigen Änäblein bargereid&t, unb
baS ei^riftlinb felbjl fül^rt mie im ©piel bie $anb ber aKutter.
(Sin fd^öner Engel fielet fd^üfeenb hinter bem Änaben, unb jmei
anbcre feften ber aWabonna bie Älrone auf. ©o ijl bie fonft fo
feicrlid^e ©jene ber Ärönung aWariä ins 3bt|Uifd^e eines intimen
gamilient)organgS umgeroanbelt. Ober gibt eS etroaS 5ßoetifd^ercS,
als baS fd^öne SRunbbilb in ber ©alcrie ju »erlin, mo eine ©d^aar
rofenbelränjter Gngel, in ben Rauben brennenbe, ebenfalls mit
SRofen umtounbene SBad^Sferjen l^altenb, fid^ in liebet)otter aSerel^rung
um bie ^eilige Jungfrau mit bem ß^riftuSfinbe brängen? Ober
Sotticeüi'« 2)autcs3ei(^nungen. 365
jene anbete SKabonna in ben Uffijien, weld^e i^r Äinb auf bem
©d^ofee ^äÜ, TDä^renb J^olbfelige ©ngel mit ßilien unb ©ebetbüd^ern
bie lieblid^e ©tuppcn umgeben, ©anbroä grauen ^aben niemals
ein ©epräge ibealer gormfd^önl^eit, aber feine SKabonncn erl^alten
bur(^ einen 3w8 fütt^n, faft roel^mütl^igen SSerfunfenfein« einen be=
fonberen Slu^brud t)on Snnigfeit unb bamit einen poetifd^en 9iei}.
äud^ ba bleibt iljm biefe bidEiterifd^e Äunft ber 2luffajfung treu, reo
er in großen 3lliarbilbern, mie in jener für ©. ^iero a)Jaggiore
auggefül^rten Himmelfahrt SDIaria, ben ganjen l^immlifd^en ^offtaat
in ftra^lenben Stören von (Sngeln unb ©rjengeln aufzubieten l^at,
beren älnprbnung bie unermefelid^en 9täume beS 5ßarabiefe^ al^nen
läfet. 3)a^ l^ier genannte SSilb erl^ält baburd^ eine fulturgefdEiid^t-
lid^e SBebeutung, ba§ e§ ber ®eiftlid^!eit , bie fonft ju jener Qtit
ma^rlid^ nid^t fanatifd^ geflimmt mar, einen Slnftofe gab, meil man
in ber ©d^ilberung ber ©ngeld^öre eine fefeerifd^e Slnfid^t it^ Oxu
gineg ju erfennen glaubte, bal^er ba^ SBilb mit SBefd^Iag belegte
unb auf längere ^tit ber Deffentlid^feit entjog!
UebrigenS lag bamafe burd^ ©at)onarola^ Stuftreten etma^ t)on
biefer mön(^if(^ büfteren ©efinnung in ber ßuft. 33ie ftrenge ©itten-
reinl)eit unb ber ®rnft beS Su^eprebiger^ gemannen il^m felbft unter
ben Äünfilern ftarfen Sln^ang. 3tud^ ber fonft fo l^eitere ©anbro
lonnte biefem 3^8^ ^^'^ 3^it «i^t roiberftel^en, unb 58afari beridEitet
uns, ba^ er ju ben 5ßiagnoni (Älagebrübem, fo nannte man bie
Stnl^änger ©at)onarolaS) gehört l^abc. S)er el^emate ber meltlid^en
^oefie unb bem flaffifd^en Slltertl^um l^ingegebene SJleifter rerfiel
nun einem mpftifd^en S^ieffinn, von meld^em ein no^ txor^anbeneS,
jefet in ©nglanb (Sammlung guUer 5IKaitlanb in ßonbon) befinb^
lic^eS SBilb 3^i^9"i6 ablegt. ©iS trägt eine gried^ifd^e Snfd^rift, meldte
unter a3ejiel)ungen auf bie Offenbarung ^ol^anni^ bie Slngabe ent=
l^ält, ba§ SBotticelli baSfelbe im Qa^re 1500 gemalt ^abe, „mäl^renb
ber breieinl^albjäl^rigen ißoglajfuug beS S^eufete". 6g ift eine Sin»
betung ber Wirten, unb in ber X^l^at fie^t man, roäl^renb jubelnbe
(gngel an^ greube über bie ©eburt beS (grlöferS bie Wirten umarmen,
mehrere Xeufel ju beiben ©eiten fid^ üerlried^en. Slud^ ^ier alfo
l^at ©anbro ba« Sebürfnife, au« eigener poetife^er Intention allerlei
felbftänbige 3^9^ in f^tn SBerf auftune^men.
366 öotticcUi'd a)antes3ci4nungcn.
^oä) genug; baS ©egcbcnc wirb ^intcidSicit, um bic befonbcre
©ciftc^art unb SRid^tung bicfe« auggcjciddnctctt ÄünftIcriJ jum a3cr=
ftänbni^ ju bringen. Sernten wir i^n afö einen üielfad^ belefenen
3Ketfter fennen, ber feine Anregungen ni(^t blo^ aug antuen Slu?
toreri, fonbern aud^ aug ajidEitem wie ^Petrarca unb Soccaccio fdSiöpfte,
fo wirb eiJ un^ nid^t befremben, njenn toir nun erfal^rcn, ba§ er
bem größten italienifd^en S)idf|ter nid^t fem geblieben ift. Unb wie
^ätte ni^t bie S)it)ina ßornntebia il^n mäd^tig ergreifen unb jur
5Wad^bilbung reijen follen, ba feinem grüblerifc^en SBefen gerabe ber
2:ieffinn eines S)ante innertid^ Derroanbt war. 3n ber %f)at fe^lt
eS nid^t an 9tad^rid^ten, roeld^e bieS bejeugen. SSafari in feinem
Seben beS aWeifterS berid^tet, ba§ er nad^ SBoIIenbung feiner arbeiten
in SWom nad& glorenj jurüdgefel^rt fei unb fid^ bort ,,ald ein a)iann
von griiblerifd^er ©innegart" bamit befd^äftigt l^abe, einen S^^cil
üon ©ante ju lommentircn unb bie fiöHe ju iHuflriren, bie er bonn
in ©rudt f)ab^ ausgeben laffen: eine Slrbeit, auf toeld^e er üiel 3^^*
üerroenbet ^abe, fo bafe er nid^ts anbere« unternehmen lonnte, roo^
burd() Diel Unorbnung in fein Seben gefommen fei. S)iefe etmaS
unflare SJotij wirb burd^ eine fürjlid^ in ber neuefien ausgäbe beS
aSafari t)on 9Jli(anefi (III, 317) auS einem a)lanuffript ber Biblio-
teca nazionale in glorenj mitgetl^eilte SRad^rid^t bal^in ergänjt, bafe
»otticeUi eine ?pergament^anbfd^rift beS S5ante für fiorenjo bi $icr=
franceSco be' 9JIebici iHuftrirte, wobei ber aSerid^terjtatter J^injuffigt:
„xoa^ für ein bewunberngwürbigcö 2BerI gehalten tourbe" (11 che
fu cosa meravigliosa tenuto).
älHerbingiS befielt ein SSerl^ältni^ jicifd^en ben je^t and £id^t
gc!ommencn Santejeid^nungen ©otticelliÄ ju ber 1481 in fjlorenj
erfd^ienenen 9ludgabe ber S)it)ina ßommebia. ©iefelbe ift nämlid(> in
ber erfien bad 3«f^^«o umfaffenben 3tbt^eilung mit einer änjal^l
Heiner ©ti^e gefdjimüctt, weld^e man too^I mit Siecht bem Saccio
Salbini jufd^reibt. S)ie Slnjal^l ber Silber ift in ben einjelnen
ejemplaren üerfd^ieben. S)ie reid^ften fd^einen 19 biÄ 21 ju ent-
fialten; bad ©jemplar ber Stuttgarter »ibliotl^ef befiftt nur jtoei,
JU ben beiben erften ©efftngen ber fiötte ge^örenbe, bie aber bemalt
finb. 3m a;ext finb jebod^ bei jebem (Sjemplar ?ßtft6e für bie fot
genben etwa nod() einjutlebenben Silber aui^gefpart. 3){an erifennt
»otticeUi'g Xantt geic^niingen. 367
fofort, bafe bicfc SHufttationcn auf bcn enlroütfcn aSotticctti^ be^
ru^cn, nur finb fte mit SRüdfxd^t auf ben befd^ränften SRaum Dcr^
einfaßt unb auf eine weit geringere gigurcnsal^l jurüdgefül^rt. Q^
fann alfo fein 3«^^^?^^^ f^i"/ ^^6 SotticeUi bcm ©ted^er feine S^iä)-
nungen jur 3Serfügung gefteUt l^at, wie benn in ber ^^at mel^rere
SBWtter bie einwirfung biefer SBenufeung t)crrat^en. S)a nun felbft
in ben reid^ften ß^emplaren nur bie QöHt ittuftrirt ift, fo begreift
man bie ©ntftel^ung ber aSafarifd^en SRotij.
S5a§ aber bie 3^i<ä^*^w*^9^ f^l^ft "i^t einem müßigen ©picl
beö Äünftlcr^, fonbern ber SBefteHung eineö üornel^men ißieb^aberg
i^re ©ntftel^ung üerbanfen, bejeugt ber e^arafter biefeg prad^tDoHen
a)fanuffript«. S)a^felbe befielet nämlid^ auö 86 ^ßergamentblättern
in goUo, 32 Zentimeter ^oä) unb ca. 47 gentimeter breit. 2luf
ber 5Porberfeite ift in t)ier ©palten ©on je 38 Seilen (bejügl. etroa«
mel^r ober weniger, je nad^ ber 2luSbel^nung beÄ ©efange^) in
fd^öner flarer äntiquafd^rift jebe^mal ein ©efang gef daneben, auf
ber aiüdfeite ftnb bie 3tt"fttationcn gejeid^net, unb jwar fo, ba§
ber ^ejt mit bem baju gcl^örigen SBUb gemeinfam ror 3tugen fam.
gür bie Initialen iebe^ ©efangcö ift ber erforberlid^e 9taum auiSs
gefpart, aber nie auiSgefüHt worben. ©d^on barauS erfennt man,
bafe ba§ foftbare SUlanuffript nidjit DoHcnbct worben ifl. 9lod& beut«
lid^er erfennt man bie^ a\x^ bem 3uftonbe ber lefeten SBlätter, weld^e
t^eifö leer geblieben finb, tl^eite nur in aWetallfHft bie aSorjcid^-
nungen ber Äompofitionen enthalten. SBurbe burd^ ben ^ob be§
Sorenjo be' SKebici (1503) bie Arbeit unterbrod^en, ober war eiJ
ein anberer ®runb, ber ben Äünfiler ron feinem 9Berfe abjog?
SBir wijfen eiS nid^t. SBid^tig aber ifi bie SBejie^ung ber 3^^=^
nungen ju ben ©tid^en be^ S)rudEe^ ron 1481, weil barau^S uns
jweifell^aft l^erDorgel^t, bafe SotticeHi in jenem Saläre bereite eine
Steige feiner Äompofitionen oottenbet liaben mußte. S)aß er in ber
S^^at längere 3cit "lit biefer SKrbeit befd^äftigt war, erfennt man
t)or allem aud bem oerfd^iebenen (El^arafter ber 'einzelnen 93lätter.
SKand^e berfelben finb nod^ unbel^ilflid^ unb ungefd^i(ft in ber SttuS?
fü^rung unb beuten offenbar auf eine frühere 3^it ^^^ ÄünfilerS,
ber erft aHmäl^Iid^ me^r in bie aufgäbe ^ineinwud^iS unb ju immer
größerer gteii^eit fid^ emporfd^wang. 2)iefe Ungleid^l^eit ber SBlättcr
368 »otticcUi'iJ 2Jantc^3cic§nungcn.
entging bcm ©d^arfblide SBaagcn^ nid^t, bct aU bet cinjige unter
allen Äunftforfd^etn SBerii^t t)on biefem merfroürbigen SBBerfe gegeben
\)at unb bie nal^eliegenbe SBermut^ung (in feinem Treasures of art
in Great Britain) au^fptid^t, bafe jroei $änbe in ber Sugfü^rung
ber 3ci(^nung ju erfennen feien. SBir, benen bie glüdlid^e ®elegen=
l^eit ju genauer Untcrfud^ung geboten ift, erfennen leidet, ba§ e^
fid^ um ©ntwidfelung^ftufen in ber Äunft be^felben 3Reifter8 l^anbelt,
beffen ^anb unpeifel^aft auS aßen ©lottern unö entgegenleud^tet.
3um Ueberfluft ^at er fogar, waS l^öd^ft feiten bei i^m üorlommt,
feinen 5Ramen l^injugefiigt, aber, frcilid^ in fe^r rerftedter SBeife.
2luf ber 3^i<^nwng, meldte bem 28. ©efang beö 5ßarabiefeö gilt,
fie^t man bie neun (S^öre ber Sngelfd^aaren fd^n?eben; manci^e Don
biefcn lieblid&en Oefialten tragen S^afeld^en in ©änben; auf einem
berfelben lieft man innjinjigen SBud^ftaben: Sandro di Mariano.
eg ift rool^I unjwcifetl^aft, bafe ber Äünftler in biefer grofe^
artigen Sßwft^^tion eine ßiebtingSarbeit gefe^en ^at, an ber er
Diele ^af)xt tl^ätig njar, inbem er jroifd^en feinen großen dffentUd^en
arbeiten — benn er war mit Seftettungen überhäuft — bie aRu&e=
ftunben auf bie görberung biefer intimen ©d^öpfung üermcnbet ^at
©0 erflärt fid^ aud^ leidet unb ungejwungen ber lange 3cittaum,
ber offenbar mit ber 2lu8fü^rung beiJ SBerfe^ Eingegangen ift. 3lo6)
einS: toir befifeen leiber biefe großartige Siei^enfolge nid^t me^r
Dottftänbig. SRad^ ber 3^^^ ^^^ GJefänge ber S)ioina ©ommebia
müifen urfprüngUd^ ^unbert SBlätter üorl^anben geroefen fein. ©^
feilten aber bie erften fed^^S ©efänge foroie ber äd^te biö fünfje^nte
(einfd&Uefelid^) ber^öHe: bleiben alfo fed^SunbadEitjig. Db jene fe^*
lenben fid^ nod^ einmal finben werben; ob fortgefeftte gorfd^ung etma«
ron ber ©efd^id^te biefer Gobej ermitteln wirb, fo bafe mir oon feiner
früheren ©jriften} unb feinen fpäteren ©d^idffalen Äunbe erhalten,
ba« aUeÄ muß einftmeilen ba^ingefteHt bleiben.
a;reten mir nun an bie SBetrad^tung ber 3ßi<'&«u"flC" f^^t^f*
l^eran. Ueber bie Slrt i^rer ©ntftel^ung gibt unS ber unfertige 3"=
ftanb mand^er Slätter ermünfd^ten Sluffd^luß; mir blidfen unmittel=
bar in bie ©e^eimniffe beS fünftlerifd^en ©d^affenä l^inein unb
glauben bem S^x6)mx über bie ©dEiulter ju fd^auen, mie er juerfi
mit bem SKetattflift in genialer ©fijjirung feine Äompofitionen auf
aSotttceUi'd S)ante>3ei($nungen. 369
ba§ 33Iatt l^inwitft unb bann, balb mit fpifecrcr, balb mit breiterer
geber, bie er in eine bräunlid^e SJufd^e tau(i(|t, baÄ Stngebeutete in
leidsten Umriffen fijirt. Sei biefer SKrbeit ift er nid^t immer mit
ben Sinien beg erften ®ntmurfeÄ jufrieben: mand^mal ftnbert er,
flibt befonberiS ben Äöpfen unb ^anben neue SBenbungen, ben S3e=
wegungen üeränberte 2Rotit)e, ben ©cwanbern lebenbigeren galten^
TOurf. aWan erfettnt bann beutUd^ bie flel^engebliebene erfte SSor-
jeid^nung unb fann fid^ SRed^enfd^aft geben über bie Seweggrünbe,
weld^e ben Äünftler geleitet l^aben. 3n ber Slrt, mie bie geberjeid^=
nung gel^anbl^abt wirb, bemerft man balb ein gortfd^reiten t)on einer
nod^ befangenen, faft ängjilid^en unb ungelenlen Sel^anblung , bie
namentlidd in ber 3«i^nung ber fiänbe unb §ü§e fid^ üerrätl^, ju
einer immer fül^neren unb freieren 2;ed&nif, in meld^er bann erfl
bie Sntentionen ber genial fd^öpferifd^en ?ßi^antafie jum sollen äuö=
brudt lommen. S)iefe SBerfd^iebenl^eiten werben bei genauerem ©tus
bium ber ganjen ^Reihenfolge, ate fie mir bei befd^ränlter 3eit ge=
ftattet war, mo^l ju bead^ten fein, benn fie bürften für bie ©nt*
ftel^ung^jeit ber einjelnen 3«i^"wngen ma^gebenb werben.
SWod^ ein anberer, ebenfalls roid^tiger ?ßunft mufe l^ier ^eroor*
gel^oben werben: bie SSerfd^ieben^eit in ber äuffaffung beS ©ante-
fopfei». auf fielen »lottern l^at Sotticelli bem S)id^ter einen ganj
aßgemein gel^altenen ©efid^tiStppu« gegeben, unb man barf in biefer
©leid^gültigfeit gegen ba« 3nbioibueIIe wo^l eine SRad^wirlung mit=
telalterlid^er anfd^auungÄweife erfennen. aber — üietteid^t t)on be==
freunbeter ©eite hierauf l^ingewiefen — plö^tid^ önbert ber Äünjller
fein SBerfal^ren unb greift }u bem befannten gleid^fam tppifc^en,
mad^tüotten SJantefopf, wie i^n bis auf ben l^eutigen 2:ag baS auf
©iotto jurüdtgefü^rte SBanbbilb in ber Äapetle beS Sargetto jeigt.
Unb l^ierin ^aben wir einen gortfd^ritt jum Streben nad^ inbiüi-
bueflcr Sugpragung ber ß^araftere ju begrü§en, wie e« bem tiefen
Sflaturfinn ber SRenaiifancejeit eigen war. 9Wan barf ba^er wol^l
aud^ auÄ biefen Unterfd^ieben ber »el^anblung ©d^lüffe auf bie gnt=
fie^ungdjeit ber einjelnen SBlätter mad^en.
@o leidet anbeutenb nun atte biefe 3^i<6nungen ftnb, fo gibt
i^ncn bie warme braune gfirbung in SSerbinbung mit bem feinen
S^on be« ?ßergamenti& einen befonberen 3fiei}, ben man nid^t mit
24
370 ^otiiceUr^ 2)ante«3et(^nungen.
fatbenreid^et SBirfung Dertaufc^en modele. Unb bod^ ^at Sanbro
einen SSerfud^ gentad^t^ ob et nid^t DieOeid^t mit ben fatbenfltal^len'
ben SWiniaturen ber beliebten ^ßtad^tcobice« wetteifern folle, (gr
n)ä^lte fid^ ba}u bie SQuftration jum 18. @efange ber ^öSe^ wo
man bie SBetrüger unb Jtuppler, bie @d^meid^ler unb äSerfäl^rer in
i^rem @d^lammpfu]^I maten fte^t. @S ift eine ber reid^flen Rotttpo:^
fitionen, fed^^mal gewal^rt man a)ante unb aSirgil an ben fd^roffen
älb^ängen beiS ^öOenpfu^IS in Derfd^iebenen @tabien il^rer äßanber^
fd^aft, benn nad^ ber naiven Äunfitüeife jener 3^tt/ We »otticetti
auä) in feinen greifen ber ©iftina befolgt, pflegt ber STOoler burd^^
ha& 9lebeneinanber im Slaume bad ^iad^einanber in ber ^tit qu^
jubräden. Um aQe bie ©d^aaren ber Unglüdf(id^en unterjubringen^
oert^eilt er fte in jtoei burd^ fieile gelfen getrennte ^ful^le, in meldten
bie t)erbammten unter ben fäl^nflen 93emegungen unb geroagteflen 93er::
tür}ungen mit bem Sui^brudC leibenfc^aftlid^en ^^n^iit^^ uml^er-
fddwimmen. günf !upferrotl^e S^eufel mit ©berttpfen unb Stiere
l^örnem, p^antaftifdd grauenhafte Un^olbe, plagen in milber fiufl
bie 3lrmen, inbem fie mit i^ren iQarpunen nad^ il^nen flogen. S)ie8
aBeS ifl in fräftigen bräunlid^ büjieren garbentönen gehalten, um
ber 2^rübfal be§ Drte^ geredet ju merben. 2)aoon fled^en bie tcb=
l)aften jtoftüme ber beiben äBanberer merflid^ ab: S)ante in hell-
grünem ©eroanb unb fd^arlod&rot^em aWantel, SSirgil in oiolettem
SRantel, blauem ©emanb unb eigent^ümlid^er tiarenartiger 9Rü^,
mie fie äl^nlid^ 93otticelIi aud^ feinen ©eflalten beS alten S^eflament^
in ber ©ijiina oerleil^t. ©o interejfant biefe in fräftigen ^dtfarben
au^gefül^rte SWalerei ift, fo bürfen mir bod^ fro^ fein, bafe fie ber
ein}ige SSerfud^ blieb, ^er 9teali^mud ber §arbe entfprid^t ju menig
ben SBorfieDungen beS Ueberftnnlic^en, ate bafe er nid^t ber ^ß^an«
tafie S^axiQ antl^äte. %üx fold^e ^^emata lann nur bie leidet an«
beutenbe 3ßid^"wnö ben entfpreddenben SuÄbrudf bieten, ba pe ben
93e[d^auer anregt, ba^ ©egebene weiter }u filieren, ©o entfielt eine
aSirtung, bie meit über bie engen ©renjen ber Stealität l^inaudge^t
83etrad6ten mir nun im Sufantmenl^ange junad^ft bie 3eid^nungen
jum Snferno. S5a ^ier oierjel^n ©efänge im aWanufftripte fe^len^
fo pnb nur neunjei^n oor^anben. ©ie beginnen mit bem ftebenten
®efange, um fofort jum fed^je^nten überjufpringen. SBir tommen
9otticeai*d 2)antesSei4nunden. 371
^iet ju bemjcnigcn %\)txl bet ©atficffungcn, ber am mciflcn bem
©ebanfcnfteife be8 SWittelalteti» angcl^ört. SDie mittclaÖerKd^ ^pi^an^^
tafte 1)at in nxö)U fo fel^r gefd^ioelgt, loie in ben SSorfitellungen von
ber 6&De unb tl^reti Strafen, ^ai gei^eimnigvoSe, mit ®rauen ge^
mif(]^te Sntereffe am Ungel^ieuerlid^en unb fjurd^tbaren, bad ber
9Wcnfd^ennotur tief eingepflanjt iji, mufete wol^I in einer 3^it, »eld^e
bie ^^antafte ind äßa^tofe tmpotwnil^tn He^^ ftd^ aufj» ^öd^fle
fteigem. Jtein SSunber ba^er^ bajs bie Jtunfl beiS 3Ritte(alteriK aber::
fliegt Don ©d^ilbemngen bed fd^redenDoDen SReid^S bed ^öKenfärften.
aiamentlid^ in granfreid^ beginnen fd^on mit bem 12. 3a^r^unbert
bie figurenreid^en ©futpturen ber Äird^enportale bieiJ Xl^iema ju
bel^anbeln. S)ie Jtatl^ebralen t)on 99ourgei^ unb Se ^SlanS, bie Aird^e
}u SSejelo? unb üiele anbere liefern Seifpiele. Dl^ne S^^if^i^ ^otte
ajante fold^e SBerfe auf feinen 3leifen lennen gelernt. 3n St^Iien
war bü auf feine 3«^* l^t^od^ biefe ärt t)on SJarftellungen laum in
ber monumentalen itunjl aufgetreten. a)a tam ber groge S)id^ter,
fafete bie anfd^auungen feiner 3^tt in feiner S)iDina ©ommebia
jufammen unb brad^te ©p^em in biefe a5inge, inbem er im S^fctno
gleid^fam einen poetifd^en Ariminalcobe; ber ^öSenfhafen ^infleSte.
99egreiflid^^ bag feine S)id^tung gemaltig auf bie ®etfter einwirlte
unb fortan ber bilbenben Äunji mäd^tige Swpwlfe gab. SGBir er*
fennen biefen (Sinflufe befonber« bei bem SSßanbgemälbe ber ^öUe
im ©ampofanto t)on ^ifa, too bie (Sintl^eilung in »erfd^iebene Äreife
(„bolge") unb mand^er (Sinjeljug, namentlid^ bie ©rauengefialt
Suciferö, ber bie brei ^aupttjerrätl^er frißt, auf ©ante jurüdhoeifen.
aber ber Äünfiler l^at in ber aui&malung ber ^öUenflrafen in berb
ooffötl^ümlid^cr SBeife mand^en efell^aften 3«ß l»injugeffigt, für roe^
d^en ber S)i(^ter riid^t üerantroortUd^ ift. ^ö^er fte^t bie S)arfleffung
beiJ Snferno in ber Sappella ©trojji in ©t. SWaria Slooella; l^ier
finb aud^ bie Slnllänge an S)ante npd^ prägnanter. Aber bie mit*
telalterlid^en itünftler mußten fd^on beß^alb an fold^en Aufgaben
fd^eitem, weil il^rer Äunfl ber 33egriff bei» vertieften SRaumeiS fel^Ite.
@rfl bie @pod^e ber dtenaiffance mit ber mijfenfd^aftHd^ begrflnbeten
^^Jerfpeltioe Dermod^te il^nen geredet ju werben, namentlid^ ba, wo
e« fid^ nid^t um ein fafl unmäglid^eS S^fammenbrängen ber ganjen
Ödtte 2)ante^ in ein einjigeö 33ilb, fonbem um 3^ttl&citwns berfelben
372 8otttceIli*d 3)ante<3ei(^nungen.
in ctnjcine felbilänbige 2)arftettun8en ^anbcltc. StUerbtngÄ greifen
biefe juweilen in einanber über, fnüpfen an ba& JBorl^ergel^enbe an,
inbem fte ein}elne 3Rotioe wol^I n)ieberl^oIen ober bod^ an fte ftd^
anf daliegen, gan) tote t^ ber S)id^ter get^an; allein ed ftnb bod^ im
SBefentlid^en lauter @in}elbi(ber, wetd^e bie ^l^antafte bed jtfinfllerd
und vox Slugen }aubert
@d t)erfte^t ftd^ oon felbfl, bag bie ^öQe fowie bad ^gefeuer
einer bitblid^en S)arfleDung am meiften 9(n^altöpuntte bieten. 9lud^
bie SBorliebe ber aJlenfd^en wanbte fid^ mit jenem allgemeinen 3wgc
nad^ bem ©d^auerlid^en oorjüglid^ biefen 2^l^cilen ju. ginben mir
ja felbfl in mand^en S)ante*ÄuÄgaben ber 3^^^ wie eben in ber
frfll^er ertoäl^nten Florentiner oon 1481 unb ben oon il^r abge=
leiteten, nur baiS Snfemo ittuftrirt. 3n anberen, toie in ber 1487
in Srei^cia oon Sonino be »onini aud SRagufa („di Ragusci'')
gebrudtten, ift bie Sttufhation mit auf baö ^purgatorio au«gebel^nt,
aber bad ^arabiei^ entbel^rt ber figflrlid^en S)ar{lellungen. 9ßo je=
bod^ fold^e oorl^anben ftnb, mle j. S. in ber reid^ mit fioljfd^nitten
audgejiatteten SJenejianer ausgäbe oon 1491, oon 8emarbino
Senali unb SKatteo be 5ßarma gebrudft, erftredft jid^ jtoar bie SKu*
ftration aud^ über alle X^eile bed 5ßarabiefe8, aber biefe ftnb aud&
in iljrer linblid^en Slaioetät bie ungenügenbflen. Unb nod^ in ber
jungten ®egenmart lieg ftd^ 9Ie^nlid^ed beobad^ten. S)ore'd ^^an-
tafie ^at in Sötte unb gegefeuer mit grogartiger bramatifd^er Äraft
in tül^nen Ston^eptionen oft ^od^bebeutenbed gefd^affen, m&^renb
beim ^ßarabiefe fein ©riffel erlahmt unb nur fd^roinbfüd^tige ©d^emen
oon ©eftalten l^eroorjubringen meig. S)a nun SRid^elangelod 3eid^'
nungen }u S)ante (eiber oom 3Reere oerfd^lungen mürben, fo if^ unb
bleibt 93otticeQid S^flud baiS umfangreid^fle unb grogartigfle von
äffen SBerfen, toeld^e in alter 3cit eine fünfilerifd^e SJarfieffung ber
S)ioina ßommebia oerfud^ten.
aBo][|in mir blidfen mögen in ber Sieil^enfolge biefer Slätter,
mit wunberbarer Äraft, mit ber ganjen milben SJramatif, bie il^m
eigen ift, fü^rt @anbro und mitten in bie Sjenen l^inein. @o
gletd^ in bem erfien, ben 8. ©efang bed Snfemo iffuflrirenben
SBilbe. SDante unb SBirgil ftnb eben am %\)ox ber fiöffenfiabt S5id
angelangt. 3n ber »arte, bie oon bem bämonifd^en gäl^rmann
SotticeUVd 2)ante.'3etc^nun$en. 373
gcfieucrt wirb, faucrt eine ©d^aar armer ©eclcn mit bem Slu^brud
entfelen^DoDer Slngft. 3n ©artopl^agen ^ auS loeld^en f^Iammen
jüngcln, pcl^t man btc a^rfigcn unb S^tnigcn fid^ loilb gcbärben.
au8 bem ©d^Iammpful^l taud^t gtlippo ärgenti auf, um bie 2Ban*
berer gcmaltfam ju l^emmen; aber aSirgil ftöfet il^n jurfld: „dicendo,
via costä con gli altri cani.*' Unb fagte: „^ad S)i(3^ mit ben
anbem $unben". S)ann fpringt bie SJarftettung jum 16. ©efang
über. S5ante unb SBirgil werben t)on ©erpon ][|inabgetragen. ^n
ber S)ariieIIung beiS breileibigen Ungel^eueriS, baS unter fd^änblid^em
SSenatl^ bie ©afifreunbe feinen ©tieren üorroarf, bis fierlule« il^m
ben %oh gab, — l^ier al8 ©innbilb be8 2^ruge8 mit el^rlid^em
üKanneÄantüft, aber mit ÄafeenfraHen, buntem jiruppigem ©d^Iangen-
leib unb ©forpionenfd^manj — fommt bie ganje bämonifd^e ^ßj^an^
taftif }u wunberbarem äluiSbrud. 9lid^t weniger als brei Ttai ftnb
bie feltfamen SReiter bargefleßt. SWingS fielet man brennenbe SSer^
bammte, bie fd^merjl^aft nad^ ben ©tetten greifen, wo bie glammen
an il^nen l^erauSjfinge(n«
S5aS aSilb jum 18. ©efang ifl baS fd^on oben gefd^ilberte, in
färben ausgeführte. Seim folgenben ©efang treffen bie SBanberer
bie in brennenbe Söd^er umgelel^rt l^ineingePürjten SBerrät^er unb
©imoniftcn. 3Jlan fielet an ben ][ierauSgejiredften ^feen bie glam«
mtn l^erDorjflngetn. ?ßapjl JiilolauS III. ifi unter i^nen. SRid^t
minber erfd^üttemb pnb bie folgenben Slätter, wo bie ©etrüger
bargefieUt ftnb, benen ber $als umgebrel^t ifi, fo bag ber Aopf auf
bem Stüdfen fielet; prad^tooß gejeid^nete nadfte ©eftalten (20); femer
bie oon ©d^Iangen ummunbenen S)iebe (24), leibenfd^aftlid^ bewegte
©ruppen; fobann (28) bie jerfeftten unb oerflümmeltcn Seiber berer,
bie B^iefpalt gefüftet ][iabcn, barunter SSertram oon SSomio, ber
fein abgel^aueneS $aupt in ber fianb trögt, ^rner in ben .folgern
ben beiben ©efängen bie gälfd^er, bie in unreiner Suft, mit efeU
^aften Äranll^eiten bel^aftet, fid^ trafen unb einanber beiden unb
jerfleifd^en, SBilber einer im S)ämonifd&en fd^welgenben ?ß^antafie.
a)er Äünfller fielet überall auf ber oollen ißftl^e feines ©egen::
flanbeS, ben er in feiner ganjen Unl^ieimlid^teit unb f^urd^tbarleit
uns anfd^aulid^ )u mad^en wei^. @r bel^errfd^t bie nadte menfd^^
tid^e ©eflatt mit einer SKeifierfdEiaft, wie man fie biSl^er unter ben
374 SotticeSi'd 2)ante»3eic^nungen.
Quattrocentiflen nur bent SignoteQi jugetraut l^at. SQe erbent?
lii^tn ©teOungen unb äSetoegungen in ben ffi^nften Skrfftcsungen,
lebet 9udbrud( leibenfd^aftlid^er Qual fielet il^m ju ®ebote. 3^ ben
etgteifenbflen ftompofttionen ge][|ört bie }um 21. ®efang^ too bie im
$ed^fee fd^ioimmenben 99e{led^Iid^n bargefleEt jtnb. @rf<|ättemb ift
ber fiampf mit ber futd^tboren j&l^en ^tutl^ t)eranfd^autt<|t. ®x&^
tici^e S^eufet paden fte unb flogen fie mit il^ren $alen; ein S)änton
f<|leppt l^udepadC bie @eele eineiS 9tatl^d]^erm aud £ucca^ bie er an
ben ääeinen gefaxt l^at^ ][ierbei; granbioiS ifl gefci^itbert, toie berUn=
glfldlid^e fi^ t)er}n>eiflungiS))oa aber ben fiopf bt» Xen^eÜ ^npU
HngS ^inauj$b&umt. Sud^ bie ^eud^Ier in i^ren oergolbeten Stei-
lutten^ bie j[ammemb über ben am ä3oben liegenben Stavp^a^ l^in-
f d^reiten, finb mit erfd^üttember SBal^rl^eit üorgefül^rt 9lo<| meistere
®etreu}igte fte^t man am Soben. Oben in ber Suft tr> äSirgil
ben ol^nm&d^gen 2)ante l^inioeg^ um il^n Dor ber SSerfoIgung einer
6d^aar mät^enber S)Smonen^ bie mit il^ren Harpunen il^nen nad^-
fe^en, }u retten. (S^ ifl eine ©jene von granbiofer ^l^antafUI.
3mmer gewaltiger fteigert fid^ in ungel^euerlid^er SDramatit bie
entfeffette ^][iantafte beS 5tünft(eri», ba bie SSanberer ftd^ bem SRittek
punfte ber ^öße na^en. ©d^on auf bem 30. Statt fie^t man oon
oben bie »eine ber brei ©iganten in ba« Silb l^ineinragen. S)ann
folgt eine ber lül^nflen Äompofitionen, weld^e bie üerrfit^erifd^n,
mit Jtetten gefeffelten @igauten felbfi barfleüt: einige ragen nur jur
$ftlfte au8 bem abgrunb empor; einer (Slimrob) ftd|t in ein rief!-
geiS ^om; ein anberer^ ebenfalls blafenb^ loirb von berSeite ftd^t^
bar; n)ieber einer^ ber in ber ©teKung auffaSenb an SRid^elangeloS
a)at)ib erinnert, jeigt fid^ t)on leinten, wäl^renb ein anberer (SntSu»)
ftd^ bfldt, in prad^tooDer 93erlfir}ung nad^ unten greifenb, um beibe
SSJanberer in ben Slbgrunb ^inabjuftürien. ^ier ifl Äül^nl^eit ber
©tcttungen unb aSerWrjungcn, meifterlid^e ©id^erl^eit in ber Se^anb^
lung bed SladCten, b&monifd^e ©etoalt bed Sludbrudi» oerbunben.
älud^ ber ©l^aratter ber ^öpfe ift burd^auS inbioibueQ. 9lid^t minber
un^eimlid^ ergreifenb wirft ba§ le^te »latt ber $ölle, ßujifer felbfl,
eine grauenhafte, bel^aarte a)ti6geftalt t)on foloffaler ©rflße, ti^pnenb
Dorgef ü^rt, mie er bie brei fiauptDerrätt^er 3uba8 Qfd^ariot^, 89rutu*
unb eaffiug, in feinem breifad^en Siad^en jermalmt.
^otticeat'd l£)ante«3ei(^nungen. 375
2)amit f daliegt baiS Snfetno a6^ unb toir betreten nun baS
©ebiet be^ gegefeuer«. SBortrefflid^ l^at ber Äünftler in ben folgen^
ben »ilbetn bie reinere ©timmung, bie in biefen Siegionen l^errfd&t,
ium äludbrud gebrad^t. äBenn aud^ biiSweilen nod^ leibenfd^aftUd^e
SKccente vernommen n)erben, fo äbenoiegen bodd in ber @diii(berung
(Sram unb ©eelenqual. Smx^ feigen wir ©ante unb aSirgil am
%n^t bei» n)ilb}erri{fenen unb sertlfifteten gegefeuerbergeiS anlommen.
<Sine l^errlid^ ge}eid^nete ©ruppe 9(bgefd^iebener nal^t ftd^ i^nen^ um
mit il^nen )u reben. Xief empfunben ifl ber 3[uiSbrud( ber (Srgebung,
aber aud^ ber abwel^r unb be« ©ntfefeenÄ. 3m ißintergrunbe pe^t
man ben (Sngel atö gä^rmann in feiner eigentl^ämlid^ geformten
Sarfe, bie burd^ feinen glügelfd^Iag bewegt wirb. 3)ie ©efialten
ber beiben 98anberer finb Diermal mieberl^ott. 9lud^ ha^ folgenbe
93latt bringt lounberooll gejeid^nete nadEte ®efta(ten bal^infd^reitenber
©eelen^ mit eblem Sudbrudf ber Trauer ^ bie Srme auf ber 93ruft
Ireu}enb ober gegen SDante au^flredCenb. S)ann wieber fniet S)ante
vox bem @ngel mit bem ©d^mert^ ber ben 2)rad^en rerfd^eud^t.
SBeiter unten im äSorbergrunbe trägt ein mäd^tiger 9lbler bie beiben
SBanberer empor; babei ebel em))funbene ®ruppen träumertfdd baf
ft^enber Seelen. 9)}el^rfad^ miebet^olen fid^ auf ben einjelnen 93Iättern
leibenfd^aftlid^ bewegte @ruppen nadter ©eftatten^ mit l^aftigen
fragen auf bie äBanberer {uftfirjenb^ ober aud^ bfifler in i^r @e-
fd^idC verloren bafi|enb. einmal fte^t eine foI(^e t^igur^ mit bem
Sluöbrudt tieffter SBerjioeiflung p^ l^od^ emporredfenb unb entfeften«-
DoK bie ^änbe iurüdjiredfenb , gan} ä^nlid^ wie man eine fo(d^e
©eftalt auf ©ignoreDi« „3fl"ßfi^tn Oerid^t" in Droieto erbtidft.
ein ©emeii^ t)on naiven Sejie^ungen jroifd^en beiben Äünjilern.
S)ann mieber umflammert eine ber leibenben ©eelen bie Äniee
aSirgite.
SRand^e biefer SStätter finb nur mit bem ^etaEftift Dorge}eid^:=
net/ fo bag fd^on l^ier fid^ ber unooKenbete S^fl^nb bed ©anjen
erlennen Idfet, S)ie meifien Äompofttionen jelgen ben Äünftler auf
ber $dl^e ber SSoHenbung, in genialer ßeii^tigfeit unb fül^ner grei=
l^it ber 3eid^nung. auf einem SSlatte, mo S)ante unb aSirgil unter
trauemb bafifeenben ©eelen l^infd^reiten (©efang 13), erinnern bie
l^errtid^ aufgebauten ©ruppen mit i^rem ergreifenben 3lu8brudt wn
376 »otticem'd IDante^Seic^nungen.
9Be^ an SWid^elangcIoS ©ruppcn her S^orfal^ren ßl^rifti in bcr ©ij-
tinifd^cn ÄapcBc. 2)ie fjortfcftung bapon bringt ba^ folgenbe 83Iatt,
TDO augerbent bie f^igur \>t& mäd^ttg nad^ oben loeifenben Sngeld
oon gtofter ©d^dnl^cit ift. 3Dlel^rcre bcr folgcnben »lätter oariircn
bicfe 2;^cmata in unetfd^öpflid^et gflUc bcr ©rflnbung; befonbei^
fcflcinb finb iebeämal bie ©d^aaren ber leibenben ©eelen, roic fie
in angflDoOen ©ruppen bie SBanberer umbr&ngen ober leibenfd^aft-
lid^ il^nen nad^ftarjen. ^ier ifl namentlid^ bie jtfil^nl^eit unb SRonnig::
faltigleit/ baiS getoaltfont 9Romentane ber ^Bewegungen eined SRid^eU
angelo n)ürbig. 3lx^t ntinber bebeutenb ftnb bie gefeffetten^ am
»oben liegenben ©eelen in hx^ntn SSerlürjungen bargejießt; aber
aud^ in ber ©d^Uberung bed t)on tiefem SRitleib beilegten S)ante
ifl ber jtttnfller unflbertrefflid^.
S)agegen gibt t^ aud^ mitten in ber ^Reihenfolge einzelne Slätter^
bie offenbar ju ben fräl^efien gel^ören, wo ber JtfinfUer nodd fd^n)an^
fenb, ja felbft ungefd^idft erfd^eint: ein ©eroei», bafe »otticelli ber
SJid^tung nid^t ©d^ritt für ©d^ritt gefolgt ijl, fonbern balb ^ier,
batb ba, wie bie ©timmung i^n trieb, eine ©jene I^erau8gegriffen
^at. 2)iefer ärt ift j. ©. bie S^d^nung ju ?ßurgatorio 23, mo ber
umgelel^rt n)ad^fenbe Saum ber @rlenntni^ bargefleSt ifl; eine ber
fc^toäd^^en unb geringflen in ber SluSffi^rung. dagegen gel^ört
n)ieber }u ben fd^önflen ^Blättern bie bewegte ©jene, in weld^er eine
©d^aar pr&d^tig gejeid^neter unb munberooS gruppirter @eftalten
eitenb auf bie beiben äBanberer jufUlrjt^.wa^renb oben in gebieten^
ber ^o{)eit ein ^errlid^r (Sngel fi^t. knö) be^^alb einei» ber mert
roürbigfien Slätter, weil bie ©ruppen jur Siedeten erfl mit bcm
3Retaffftift angebeutet fmb unb am beften bie art be« enttoerfeniJ
oeranfd^aulid^en. 3^* ^^^ l^errlid^fteu Äompofitionen j&l^It femer
bie )u ^urgatorio 18, too prad^tooDe nadtte ©efialten in jeber äCrt
beS ©d^reiten^, ©tärmeni^, SßorwärtdbrängenS, aber aud^ bei^ bäftern
aSrüten^ bargeftettt fmb. 3Rit gleid^er Sebenbigfeit werben bie Sieibi^
fd^en gefd^ilbert ($urg. 13), bie in trüben ©d^aaren mit jugenäl^ten
3tugen jufammentauem, erfd^ütternbe Silber bei^ S^ntmeriS. Sei
ber 2)arfteffung ber ^od^müt^igen (5Purg. 10), bie oon gefetoflen
JU Soben gebrüdtt werben, la§t ber Künftler nad^ be8 35id^ter8 SBor*
fd^rift Silber ber 2)emut^ an ber gel8wanb erfd^einen: bie Serfün^
»otticeüi'« a)antcj3ci(§nunöcn. 377
^^i^^if ferner S)at)ib mit bem a^amburin vox ber ©unbeälabc tan^
jenb^ bie nid^t gan) fertig ge^eid^net ift^ unb enblid^^ nad^ ber
belannten mittelatterlid^en Segenbe, bie ©ered^tigfeit beÄ 2;rajian, ber
beim äu^juge in ben Ärieg von einer SRutter um SRad^e für i^ren
ermorbeten ©ol^n angefleht wirb. Sie le^tere ©jene l^at ber Äünjtter
fid^tlid^ mit befonberer SSorliebe bel^anbelt unb ein fiabinet^ftfldC
miniaturartig feiner 3eid^nung gefc^affen, weld^e« fowol^I in ben
Meinen menfd^lid^en giguren ate namentlid^ in ben feurig d^arafteri^
firten 5ßferben an ben (Sinflufe SSerrocd^io^ gemal^nt, unb felbjl eine^
Sionarbo mfirbig ro&xt. ^od^bebeutenb ifl femer boS Slatt ju ^ur^
gatorio 12, mo man bie SBonberer fünfmal in oerfd^iebenen ©ta-
bien be« aSorbringeniS jie^t Auf ben »oben l^ingejiredtt liegen bie
gefallenen ^od^mfltl^igen, ©oliat^ unb mit breifad^em glügelpaar
Sujifer; ©ante unb 85irgil jleigen mül^fam bie fd^roffe gelfentreppe
^inan, nad^bem ber (gngel mit fül^nem glflgelf daläge an Sante«
©tirn bag P getilgt l^at. 3loö) einmal fielet man S)ante, »om ©ngel
umarmt, mit munberbarem Su^brudf »on (Sfjlafe unb leibenfd^aft^
lid^em SSerlangen.
©taunen^mertl^ iji bie faft immer auf gleid^er Qi^t ftel^enbe
^raft ber (Smpfinbung, ber SReid^tl^um an mannigfaltig aufgebauten
unb geglieberten ©ruppen; man mu| geftel^en, ba§ ber gewaltige
©id^ter l^ier einen Slbiftrator gefunben l^at, ber ftd^ il^m ebenbärtig
ermeift an S^ieffinn unb granbiofer Äü^nl^eit 3m 21. ©efange
tritt eine neue ©eftalt auf: ©tatiuiS gefeilt ftd^ ju ben SBanberem.
ajer Äünjiler d^arafterifirt i^n burd^ bie antife SJoga, unb fpejießer
nod^ burd^ einen eigentl^fimlid^ geformten $ut, beffen breite Jtrempe
jerfd^nitten unb nad^ oben umgefd^lagen ift. @8 tommt nun eine
Sieil^e von ©jenen tiefftnnig fpmbolifd^er Äonjeption. S)ante betritt
mit feinen 93egleitem einen bid^ten ^ain (©efang 28) unb erblidft
an bem 93ad^ eine fd^öne f^au, meldte äSlumen pflüdft unb baju
fingt (aWat^ilbe); aber erji nad^bem »eatrice, bie i^m plöftlid^ er-
f d^eint, il^n in bie Setl^ie getaud^t ^at, fommt i^m baÄ SSergeffen unb
ber reine ®tnni ber ^ßarabiefeÄfreuben. aSier eble meiblid^e ©e-
ftalten (bie Äarbinaltugenben) bringen i^n nun oor ben ©reifen,
ber ben Slriumpl^wagen ber Äird^e jie^t. 68 ifi eine ber grofe*
artigüen £ompofttionen : ber SBagen mirb von ben t)ier ©oangeliften-
378 IBotticeUi'« ^antoSett^nungen.
f^mbolen begleitet unb t)on ben Häuptern ber jtird^e, Sßtttu^, Den
^äpflen unb anbeten ^eiligen umringt, lo&l^tenb im jtreife bie 24
älelteften ber älpotal^pfe, il^re Sudler fdj^toingenb, il^n umgeben. Xuf
ben f olgenben Sl&ttern tritt ber SBagen mit feinen Begleitern vo\ü>tt'
l^olt auf, balb in biefer, balb in jener 993enbung, unb überaD l^at
ber Jtfinftler ben l^öd^flen ©lanj von Sd^ön^eit über aV biefe
t)ernärten ©efialten ouÄgegoffcn. »efonberg l^errlid^ pnb bie fieben
grauen, loeld^e brennenbe iterjen tragen, bie ®aben bei» ^eiligen
©eifle« t)erftnnlid^enb. „Xa fal& id^ ©d^aaren, bie al2 il^ren gü^rem
ben Sid^tern folgten, ganj in ffieife gelleibet. Unb nimmer fa^ man
biei^feitiJ fold^e SRein^eit." 3n biefem glanjt)oDen ©efolge ifl \>a&
3beal ber jtird^e G^rifli ge^eid^net. 3tm ftflrst ber räuberifd^e f^ud^iS
fid^ l^erab, unb ber 3)rad^e entfleigt ber @rbe, um ben SBagen ju
jerflören: Silber tiefer ©pmbolif, au» meldten berÄünftler ba& für
bie 2)arfteaung 2;auglid^e mit gefd^id(ter iQanb l^erauiSgel^oben ^oL
Silben bie legten Sl&tter ben Uebergang jut^Sd^ilberung einer
^öl^eren, reineren ©p^äre, fo beginnt nun mit bem ^ßarabiefe eine
ganj neue aufgäbe für ben Sttuftrator. ©anbro l^atte in ben »b^
t^eilungen ber ^iUe unb be» gegefeuer» feine ^pi^antafie jumeifl
nad^ ber ©eite be» 3)ramatifd^en, leibenfd^aftlid^ ©ewaltigen ergeben
laffen, n)ie eS bie Aufgabe l^eifd^te. SRit bem ißarabiefe betritt er bad
Sleid^ ^immlifd^er SSerHärung, ftral^lenber Snmutl^ unb ©djön^eit.
aSenn in einjelnen feiner ältarbilber, mie in ber Ärönung ber
SRaria (aiabemie }u glorens) bie Sl^öre von jubilirenben, blumen-
ftreuenben (Sngeln ha» @efül^l parabiefifd^er äßonne unb bie Sor^
ftellung Don ber Unermeglid^feit ber ^immeldr&ume in und toeden,
tommt biefe ©timmung nod^ t)oaiommener }um Xui^brud in ben
3eid^nungen jum ißarabiefe. ^ier berührt uni^ mit munberbarem
3auber bie @(ftafe bed älnl^&ngeri^ ©aoonarolad, unb mir füllten,
bajs biefe l^errlid^en Jtompofttionen auiS jener tiefen religiöfen @e^
ftnnung l^ertoorgemad^fen ftnb, meldte ber feurige Su^eprebiger feiner
Umgebung einjuftögen mugte. ©anbro berührt ftc^ ^ier mit f^ra
3lngelico, nur bafe feine l^immlifd(ien ©efialten ©on einer tieferen
unb reid^eren gülle mannigfad^en inbiDibueüen Sebeni» burdj^brungen
fuib. SBal^rl^aft bemunbemiSmürbig ift bie Äraft ber @mpftnbung^
mit meld^er er bie au^erorbentUd^e @infad^^eit ber ©ituation feelen^
«otttccUi'« a)antc*3eic^nungcn. 379
Dott ju Mtiircn weife. SJenn jumeift ^anbclt ciJ fid^ ^ier barum,
a)ante an bet ©anb »eatrice« in ben tjerfd^iefeenen Scufecrungcn
be« Staunend, 3weifclnÄ, »etroffenfeiniJ, glüi^enben aSerlangeniJ unb
i^ingebenber Stflafe ju fd^tlDem. 2)iefe beiben ®eflalten^ bie fortan
im aRitteI))unIt ber ©d^ilberung flel^en^ äberragen aQeS SSergangene
fd^on an @röfee bt& SRagflabed; aber Seatrice wäd^ft barin nod^
über ben ^id^ter l^inauS^ fo bajs fie wie eine gottgefanbte ^ropl^etin^
wie eine SRufe ober Sibylle il^m jur @eite fielet, ^n bem erflen
S3ilbe feigen wir, wie bie »eiben ju ben ©ternen emporfliegen. SDaiJ
mäd^tige äBeib l^ebt il^n mit fid^ l^inauf, unb wunberooH ifl in
^ante ber SuSbrud ber Sel^nfud^t, wie er mit i^r burd^ bie jarten
Sorbeerl^aine unauf^attfam emporfd^webt. 3nteref[ant ifl l^ier bie
93eobad[^tung einei» ^entimento, benn man bemertt beutlid^, bog bie
Äompo^tion urfprungUd^ im SSerl^Ältnife ju ber Xejtfd^rift auf
bem Jlopfe ftanb, bi^ ber JlünfUer bann feinen Srrtl^um mertte.
2)ie» ifl einer bei ©eweife bafür, bafe bie ©d[>rift juerft audgeffil^rt
worben.
auf bem folgenben »latt fielet man S)ante an SBeatrice» Seite
einl^erfd^reiten in ber (Smpfinbung be^ @taunend unb bangen
3agenS, w&l^renb feine ^^l^rerin mit ber Siedeten emporweifl. ^ier
finben ftd^ nun mel^rere Statter, weld^e offenbar ju ben frfil^eften
gel^ören, ba man eine unfreie unb ungefd^idfte Srt ber gfeberfü^s
rung an il^nen bemerft. ©old[>er ärt j. 33. bie 3^i<ä&nung ju ^ara^
bied 7, wo iwar bie ©eftatten t)omel^m unb ebel aufgefaßt finb,
ißänbe unb f^fifee aber mertwfirbig ungelenl erfd^einen. @benfo
fßarabie^ 9, obwol^I aud^ l[|ier bie Jtompofition ooD ©d^önl^eit ifi,
namentlid^ ber älui^brud oon 2)emutl^, mit weld^em 2)ante bie 9lrme
Aber ber Sruft treujt, w&l^renb Seatrice mit ber ^anb nad^ oben
weift. S)aiSfeIbe gilt von ^arabied 11, wo bei großartiger Sewegung
bie f^ormgebung auffaOenbe ©d^wac^en oerr&tl^. älud^ ^arabied 16
jeigt ä^nlid^e SRängel, wäl^renb bie ©d^önl^eit ber jlompofttion fid^
immer auf gleid^er ^ö^e l^<.
^a l^ier eine ganje Steige fd^w&d^erer 3^i<$nungen vorliegt, bie
€rfinbung aber, wie gefagt, auf ber trotten fiö^e flel[|t, fo erl[iebt
fid[^ bie gtage, ob nid^t SBaagen bod^ äted^t bel^<, unb man für
biefe in ber Slu^fai^rung geringeren Slätter bie ^anb eineiS ©el^ilfen
380 93olticcai'8 a^ante^gcic^nungen.
annt\)mtn mu§, ber mehrere bcr t)on SotticcHi mit bem SKetaUfÜfte
cnttoorfcnen Äompofttioncn mit ber gebet auÄgefü^rt unb babei bann
eine ungeübte ^anb üenatl^en \)at (B^ lä^t ftd^ {aum annel^men,
bafe ber SWeifter felbfi fo fd^road^ ba« t)on il^m felbfi fo genial ©nt^
roorfene in geberjeid^nung umgefefet \)aht. Bt\)x wid^tig atterbing»
ift biefe grage nid^t, ba bie entwürfe ol^ne S^eifel fämmtlid^ tjon
feiner anbern fianb atö ber feinigen l^errü^ren. Um fo me^r ijl
bie^ ju betonen, als bie ®rö§e unb @rl^abenl^eit feiner ?pi^antafie,
bie feierlid^e Sd^önl^eit unb ber wunberbare @eelenaui^brud feiner
©ejialten nirgenbiJ in l^etterem ©lanje erfd^einen. S)aS eine 3Jlal
(?parab. 6) * jiel^t S)ante gefaxt unb in fid^ gefeiert üor »eatricc,
roeld^e il[in ju fegnen fd^eint; bann wieber (?parab. 8) fd^reitcn fie
nebeneinanber ^in, n)obei fte i^n Iiebet)oD belehrt; ober 93eatrice
ftredft (?parab. 10) in feierlid^er ©negung bie Siedete auÄ, wobei
man in 83lei nod^ jroei anbre aKotioe ber ärmbewegung üorgejeid^net
{iel[|t; bann toieber (?parab. 12) bringen fie ftürmifd^ oor, Seatrice
in lü^ner Seioegung Doraufeilenb unb il^ren ^eunb mit fort}iel^enb.
S)iefe unauf^attfame »eioegung lommt n)ieberl[|oIt (?parab. 13 u. f. xo.)
aufiJ ^errlid^fie unb mit immer neuen SWotioen jum SluSbrudE. ®xo^
artig unb feierlid^ wie eine 9Kufe fd[>n)ebt Seatrice i^m t)oran; un=
enb(id[^ mannigfaltig ifl bei SDante bie älbfhtfung ber @mpftnbungen
oon bangem Qtoti^eln unb Staunen, üon Seftürjung, erfd^rodfenem
3ufammenfal[iren, feJ^nfud&tSüolIem äuffd^auen, glutl^tJoEem ©nt-
jüdten. es ifl nid^t ju t)iel gefagt, rotnn man bel^ouptet, bafe im
gan}en UmtreiS beS Quattrocento lein jtünft(er angetroffen toirb,
ber über biefe mannigfad^en SRegifler pfpd&ologifd^er fjeinl^eiten fo ju
gebieten mei^. SDabei ift ber jtopf SeatriceS leineSioegS üon ibealer
Sd^ön^eit, trägt Dielmel^r ben belannten, bei @anbro ftetS miebet::
polten XppuS; aber bie feeleuüoQe empfinbung, loeld^e bie 3&d^
burd^geiftigt, abelt felbfi bie minber fd^öne gorm. ebenfo d^arafc
terifiifd^ für »otticetti ifl ber ©til i^rer ©eioänber in il^rer groJ5=
artigen oft ftürmifd^en »eroegung, bie in ^enlid^em Änntrafie fle^t
}u bem meifl ruhigen galtenrourfe, in meld^em S)ante fid& jeigt
es fann nidjt bie äbfid^t biefer flüd^tigen 3^^^^ fwn, ben un«
ermegUd^en 9leid^t^um biefeS mäd^tigen SßerteS aud^ nur anbeutenb
erfd^öpfen ju rootten, nur auf einige ber l[ierrlid^fien Äompofltionen
Sotticeai'd ^ante«3ei(^nungen. 381
möd^tc id^ nod^ aufmerffam mad^en. ©ic gehören bcn fpätcren ®c^
fangen beiJ 5parabiefei^ an. 3m einunbjwanjigften ©cfange gelangen
bie SBanbetet jur fiebenten fiimmefepforte unb jur SafobiSleiter,
auf Toeld^er bie Seligen auf unb nieber fd^rocben. @& ifi ein töft^
lid^eö ©eroimmel nieblid&er ßngellnirpfe, bie in entjüdenben SBe-
roegungen bie ©tufen ber Seiter unb bie fiuft ringsum etfüttcn.
^eiteret unb iubelootter ift bie« feiige SBölflein roeber t)on ßorreggio
nod^ t)on irgenb einem grofeen aWeifier ber S^lgejeit gefd^ilbert
TOorben. Slm gufee ber Seiter fie^t Seatrice, t)on ftürmif(| bewegten
©eroänbem umwallt, unb forbert ben wie geblenbet emporftaunen^
ben S)ante auf, bie Seiter mit i^r ju befieigen; eine ®ruppe t)on
fü^ner ©rofeartigfeit. »otticeHi l^atte aber, bem Seyte üorgreifenb,
beibe Oeflalten fd^on oben auf ber Seiter ^inauftlimmenb gejeid^net;
ate er feinen S^rtl^um getoal^irte, rabirte er beibe fjiguren au«, bod^
nid^t fo, bafe man fie nid^t red^t roo^l erlennen fönnte. 6rji auf
bem folgenben Statte }eigt er fte un« in biefer ©teQung, aber }U'
gleid^ in einem frül^eren aWomente am fjufee ber Seiter, too »eatrice
il^ren greunb liebet)ott mit ben Slrmen umfafet, um i^m ba» 2luf=
flcigen }u erleid^tern. aSon beiben Silbern bringt ba« tjierte fieft
ber „S^ttfd^nft für bilbenbe Äunjt" üerHeinerte Äopien. 9lod^ reid^er
unb l[ierrlld^er ift bie 3^i<^nung jum britten ©efange be« ^arabiefe«,
wo SJante mit feiner gül^rerin in bie ©pl[|äre be« 9Wonbe« eintritt
unb aud bem Sid^tmeere bie ©eelen berer auftaud^en fte^t, weld^e
il^r ©elübbe nid^t ganj erfüttt l^aben. SBott ®rofearti!eit ift bie
mad^tige ©eftalt SBeatrice«, bie bem flaunenb ^inauffdE^auenben SDante
bie erfd^einungen erflärt; biefe felbfi aber in bem föftlid^ leidsten
©mporfd^roeben unb bem mannigfaltigen äu^brudfe inniger ©e^n^
fud^t finb üon unt)ergleid^lid^er ©d^ön^eit. SDer oierte Sal^rgang
be« „Sa^rbud^S ber f. preufeifd^en Äunftfammlungen" entl[|ält in feinem
erfien fiefte eine Slad^bilbung biefer fd^önen Äompofition, nebfl einem
eingel^enben äuffafee von %. Sippmann. Slid^t minber ^errlid^ finb
anbre »Ifitter, j. 33. ?parabie« 28, wo bie ©d^aaren auffd^roebenber
enget, Heine iäfeld^en l[iattenb ober bie Srme fel^nfud^t^oott au«^
breitenb, einen reid^en SlHorb jubetnber Suft unb ©d^önl[ieit bitben.
Son entjüdtenber ^oefie ift au^ ba« »ilb ju ^arabie« 30.
382 »otticeUi'd 2)ante'3eic^nungen.
„S^tfüEe fa$ tc^, glSnaenb nie von Q(t^,
©eftaltet wie ein glug, ba( beibe Ufer
IDie wunbetbotfte ^rad^t bed ^(Ungd malte.
(59 fpnl^ten <aa bem 9(u| leBenb'ge grunfen,
S)ie in bie SBtumen tingd ft<^ meberlie^en,
9ht5inen gleich, gefa|t in go(b*ne Steifen.
S)ann t(m<^ten fte, »ie von ben S)fiften intnien,
6i<^ n)ieber unter in ben SShtnberftrom,
Snbeffen anbre fi<^ axA x^m erhoben."
S)ie glanjDoEe SBifton bei^ S)id^teriS l^ot bet Qtiäfmx mit ben
äWitteln feiner Äunfi in ein nid^t minber i)tnli6)ti 33Ub umgefefet,
in n)eld^em bie ^tad^t bet SBlumen unb bog jubelnbe Sntjüden ber
fü^n bewegten engelgcfialten fid^ ju einem Sßforbe betaufd^enber
Sufi Derbinbet. @iS ifl eini^ ber (e^ten^ aber aud^ einiS ber fd^önften
Slätter, benn bie folgenben jtnb leer geblieben unb nur auf bem
jum einunbbreiftigften ©efange ge^örenben fiel[|t man brei Meine
^guren, ß^riftu« unb bie aWabonna ti)xomnb, nebfl einem ®ngel
ate älnfang einer nid^t me^r jur äludfä^rung gelommenen Storni
pofttion.
3d^ fd^liefee meinen »erid^t. er ift arm unb bürftig, gegenüber
bem unerfd^öpflid^en 9leid^tl[|ume biefed munberbaren SBerteiS, aber
er tDirb einftoeilen, bis eine DoQflänbige ^ubtilation üorliegt^ ^im
reid^en, um bie SSorfiettung ju ermedten, bafe in biefer unoergleid^«
lid^en SSilberfolge nid^t blo^ bie ©eifie^art SotticeHi^^ fonbem bie
Äunft beg gefammten Duattrocento ju einer ungeal^nten ©roftartig^
feit, ©ebanfentiefe unb fjormenfd^ön^eit fid^ auffd^wingt
Wrütnbtvg. unlr Mom.
(„Bational-Jtlfttng" 1888.)
§T
I.
)u)eimal i)at bie SEEJeltgefd^id^te ein ttetne§ unfd^einbared 9left
gegen ^a» ftolje weltbel^etrfd^enbe SRom auSgefpielt, unb beibe SRale
^at ba^ Unf(i^einbare bie ptunlenbe SBeltl^auptjiabt big in bie ©runb*
feften erfd^flttert. 93on S et 1^ leidem ging bie l^ol^e ©eifleiSmad^t au^^
totlä)t bag üd({erlne(|tenbe 9Iom ber antifen G&fQten fUlt}te unb
bem ^eibent^um mit feinem @öttertult ben Xobe^fiog verfemte; von
SBittenberg ging bie 3;i[iat beis furi^tlofen beutfd^en 9Ranneg aud^
bie erfd^üttemb an bie ?Pforten be« SBatilang pod^te unb bem päpft=
lid^en Stom einen guten X^eil feiner nid^t minber üölterlned^tenben
SBelt^ettfd^aft entriß. SDie propl^etifd^en SBorte/ weld^e bie Sibel
über bai^ niinjige Setl^Iel^em au^fptid^t, Iaf[en ftd^ ba^er au6) auf
bog Heine SBittenbetg anroenben, unb getabe in biefen S^agen bürfcn
n)it n)o^[ )u einer SBaDfa^rt nad^ bem unfd^einbaren unb bo(|
meltgefd^id^tlid^ bebeutfamen Stäbtd^en in ber 9lieberung ber @lbe
einlaben.
@d fd^eint, ba^ fold^e SKufforberung nid^t Uberflüfftg fei; benn
wie SBenige — felbfl au^ ber näd^fien SRä^e, an^ bem SBannIreife
ber neuen SReid^^l^auptftabt — mögen jemate an einen 83efud^ in
ber lanbfd^aftlid^ unb ard^iteftonifd^ reijlofen Sut^erflabt gebadet
l^aben; mie SSiele mag ei^ loieberl^olt nad^ ben Qanhtxn ber ge^
toaltigen Xiberflabt gelodft l^aben^ ol^ne bag tf^ il^nen jemals ein::
384 äBittenberg unb 9lom.
gcfatten wäre, aud^ in aBittenbetg einmal einen wenn aud^ nur
!urjen 91ufentl[|alt )u nehmen. Unb bod^: o^ne äBittenberg gäbe
eS tein SBetßn: o^ne bie mannl^afte ^l^at fiutl^erd \)Sttt ftd^ nid^t
bie proteflantifd^e ^o^en^oQernmad^t, nad^bem baiS üerrottete alte
SReid^ morfd^ in fid^ jufammengebrod^en roax, atö ©ort be« frei
aufftrebenben S)eutfd^lanb« unb ali^ Äempunft für feine SBieberge^
burt erroeifen fönnen.
SDen ©d^reiber biefer 3«^^" jog eS vox üielen S^^ren, nad^=
bem er )um erften SRale bie ^errlid^teit dlom^ einen ganjen 9Binter
lang ^atte in fid^ aufnehmen bürfen, nad^ bem Keinen SBittenberg.
^f)m voax in 3JlvA^e, atö ^abe er ein fd^mereS 93erfäumni§ nadE^=
}u^olen, eine l^eilige ^flid^t }u erfflEen. 3li>6) mar feine @eele
trunten üon ben Sinbräden ber e^rmürbigen @ieben^ügelftabt^ Don
ber @röge il^rer l^iftorifd[^en SDentmaler^ in benen ftd^ bie ©efd^idfe
t)on S^l^^^tuf^nben^ bie Srinnerungen an bie )metmalige SBeltJ^err^
fd^aft fpiegeln. SBie f)ob fid^ al^nungi^DoE bie Srufl^ menn ju jener
3eit, als bie (Sifenbt^n nod^ nid[^t bie einfamen $ägel)fige ber
Sampagna burd^fd^nitt, bei ber legten XageSfal[|rt bed äSetturin bie
Sliefenfuppel ©anft ^eterS übet ben ©orijont ftd^ erl[|ob unb aRid^el«
angeloS @eifl ben SBanberer meil^et)oD begrüßte! 3Stxt ber ©timmung
eines anbäd^tigen ^ilgerS betrat man an ber $orta bei ^opolo bie
emige ©tabt^ bie fortan auf äRonate l^in mit il^ren SDentmalem ber
antifen unb ber pöpfilid^en 3^it wit il^ren antifen Slrümmem unb
ber marmornen ©tatuenprad^t, mit ben el^rmurbigen SeuffxVütn alt?
d^rifllid^erÄunft, mit benooDenbeten ©d^öpfungen jener fiod^renaiffance,
bie eine SSermäl^lung beS antiten ©d^önl^eitsibeals mit bem d^rift=
lid^en Si^^^n'^^^f^ barfteOt^ bie ©eele ganj gefangen nal^m. Unb
nid^t minber bejaubemb mirfte ber SReij ber umgebenben fianb^
fd^aft, in ber bie Ueppigfeit füblid^er Statur oon bem (gmft eines
großen ]^ifiorifd[>en ©d^auplafeeS gleid^fam gebämpft erfd&eint.
Slid^tS t)on attebem bei SBittenberg. an einer ber reijlofeflen
©tetten ber „©anbbüd^fe beS ^eiligen römifd^en SRcid^eS" gelegen,
bietet bie ©tabt, tjon meld^er ©eite man i^r naiven mag, ben (gin^
brudt einer oon ber SRatur fiiefmfltterlid^ bebad^ten Umgebung. Unb
ber Ort felbft, oon ben geftungSroätten oerbedft, oermag aud^ bann
feine l^öl^ere ©timmung }u er}eugen, menn feine }iemlid^ d^aratter^
äBittenberg unb S^om. 385
lofc unb armfelifle ärd^iteftonif crtblid^ t)or unfcrcn Slugen auf-
ftcigt. SEBol^t mag ha^ Oanje einen originelleren Stempel getragen
l^aben, aU bie ©tabt (bi§ 1542) nod^ bie SReftbenj ber [äd^fifd^cn
Äurfürften war, bie befanntlid^, wie nod^ jefet bie ©(ä^löRer ju
3Kei§en, S^orgau unb ©reiben beroeifen, ju ben bauluftigften Ferren
bed 15. unb 16. 3^^^^^"^^^^^ i^ S)eutfd^lanb gel[|örten; aber ba^
»ombarbement ber Defterreid^er (10. big 14. Dftober 1760) ^at
me^r aU jroei S)rittel ber alten ©tabt eingeäfd^ert, unb xoa^ nad^=
l)er roieber erftanb, trägt baS ®epräge ber armfeligften unb bürf=
tigften 3^^ten unfereö SBatertanbe^ an ber fümmerlid^en ©tirn.
2Benn 3tom bie monumentalfte ©tabt ber SBelt ift, fo barf man
9Bittenberg ol^ne Uebertreibung eine ber unmonumentalften nennen.
Unb bod^ roel^t ung aud^ l^ier auf ©d^ritt unb JTritt l^ijiorifd^er
®eijt entgegen. 35ort t)or bem ©Iflertl^or bejeid^net eine ©id^e auf
einem ^ügel bie ©teDe, roo fintier am 10. ©ejember 1520 bie
päpftlid^e SBannbutte verbrannte unb bem 5)JapiiSmuiS ben Ärieg big
jum 2leu§erften erflärte. 3m el^ematigen äuguftinerHofter aber be^
fud^en wir bie mit einem X^^eil i^rer alten ©inrid^tung, mit 2;ifd^,
©tul^l unb Äad^elofen nod^ xdo\)1 erl^altene S^Ht, meldte einft fiutl^er
bewol^nte, unb in ber unter fd^roeren ©eelenfämpfen bie lül^ne S^^at
ber Sieformation unb ber unbebingten ißogrei^ung oon ber römifd^en
^riefter^errfd^aft unb ©emiffengfned^tung geboren warb. Sin folc^er
©teile mögen wir rool^l im ®eifte ben SBeg erwägen, ben jene
größte SBeioegung ber beutfd^en ©efd^id^te genommen l^at, unb ben
Sutl^erfd^en 3otn gegen jene pfäffifd^en Slad^folger beg großen 3le=
formatorg entfad^en, bie immer lieber bag freie beutfd^e ©eioiffen
in bogmatifd^e geffeln einfd^nüren motten.
Unb weiter! 2ln ber ©d^loßfird^e betrad^ten mir mit (S^rfurd^t
ba§ portal, an meld^eg ber lül^ne ^önä) am 31. Dftober 1517
feine fünfunbneunjig S^^efen alg erfte ^rieggerftärung gegen 3lom
anfd^lug. 35ie ^öljeme Xfiur fclbft ift freilid^ 1760 bei ber SBe^
lageruug burd^ bie Defteneid^er jerftört morben ; aber Äönig grieb-
tid^ aSil^elm IV. I^at biefelbe 1858 burd^ eine jel^n gu& l^o^e
Sronjet^ilr erfefeen laffen, in meldte ber lateinifd^e 2;ef t ber 2^^efen
unaustilgbar eingraoirt mürbe. 3n ber ©d^lofefird^e felbft aber
I)aben fintier unb SReland^tl^on, „ber Se^rer 35eutfd^lanbg", unb
25
386 a55itten6erg unb »om.
cbenfo bic bcibcn cifrigften görbctcr bcr SRcfortnation, ^ricbrid^ bcr
SBcife unb So'&önn ber Scftänbigc, i^re ©rabftattc gcfunbcn. Sn
bed milben SReland^tl^oni^ Saufe finben toir eine lofirbige ©ebenf^
tafcl; auf bem 2Karfte enblid^ befinben fid^ bie ©tanbbUber Sut^erd
(t)om alten Sd^abon)) unb äReland^t^oniS (uon 3)ra!e) in foloffalen
Stiftguren. @o ifl baffir geforgt, ba^ mix übetaQ an bie größte
2:^at, bie üon l[|ier ausging, erinnert werben*
92un aber ifi äBittenberg aud^' feinei^wegiS ganj leer üon @d^ägen
alter Äunfi. fiat e^ feinen SSatifan, feine fijtinifd^e ÄopeDe, feinen
Sanct ?peter mit ben unermejslid^n ©d^öpfungen l^ödiifler Äunft::
t^ätigfeit, fo fe^lt e^ bod^ nid^t an eblen SBerfen au^ ber ®lanj-
epod^e unfrer beutfd^en ^unft. 9Bir ^aben in erfter £inie bie
©d^Iofefird^e roieber aufjufud^en. 35er Sau felbft, im 3Cu^gange
beS 15. Qa^r^unbert« aufgefül^rt, ift ard^iteftonifd^ wenig bebeu^
tenb, obenbrein im ftebenja^rigen Äriege jiarf mitgenommen, S)ie
fd^tid^te einfd[)iffige Anlage wirb burd^ einen polpgonen ©l^or auS
bem ad^tedt abgefd&Iojfen. S)ied atte^ Don geringer ©rl^eblid^teit.
aSon bem überaus reid^en ©d^aft an flieinobien, SRcliquiarien,
SRonftranien unb SRe^gefä^en aller 2lrt, roeld^e bie Äird^e nod^ bi3
ju ben 3^it«n ^^^ ^Reformation afö S^^S^iff^ ^^^ frommen ©inne«
il^rer fürftlid^en ©tifter unb @rbauer befafe, ijt feine ©pur me^r
oorl^anben. aber baS berül^mte ©ranad^fd^e ^oIjfd^nittToerf „SBit*
tenberger ^eiligt^umSbud^", baÄ eben in neuem äbbrudt bei @. fiirt^
in 3Ründ^en erfd^eint^ gibt genfigenbe Slnfd^auung üon jener ^ra^t.
3Beiter gel^örten el^ematö }um 3nt)entar ber ©d^Iogfird^e bie SiafaeU
fd^en S^apeten au^ ber Slpoflelgefd^id^te in bem je^t in ber S)reS'
bener Oalerie bepnblid&en ©jemplare. 3lud^ werben brei ©emälbe
^ürerd ald el^emate in ber jtird^e Dor^anben be^eid^net^ nid^t b(o^
bie berühmte ,,aRarter ber S^^i^taufenb", jefet in ber faiferlid&en
Sebeberegalerie ju SBien, fonbern aud^ bie jefet in ©reiben be-
finbtid^e S^afel bcr SKabonna mit bem Äinbe, fowie bad figuren=
reid^e ÄreujigungSbilb, jeftt in Dbers©t. SBeit bei SBien. aWan Re^t
alfo, meld^ regen Jlunftjinn bie fäd^ftfd^en ^ärflen fd^on bamald be-
t^ätigt ^aben.
a:reten wir nun ein, fo ^aben wir gleid^ jur Sinfen SReland^-
tl^oniS SUb unb barunter fein ®rab, mit einer Sronjeplatte beberft;
SGßittenbcrg «nb 9lom. 387
gegenüber in ä§nli(]^er Slnorbnung Sut!)er§ S3tlb unb ®rab. Seibe
^otträtc ftnb Sirbetten be^ jüngeren 6ranad^, Sßeben bem ©rabmal
befanb ftd^ e^ebem bie Äanjel, auf roeld^er Sut^er ju prebigen
pflegte, ©o ftettte i^n ein »Üb, angeblid^ t)on Granad^, bar, baS
jeftt nid^t me^r t)or^anben ifl. aWan fal^ barauf ben SReformator,
TDon ber Äanjet l^erab mit ber dit^tm auf ben ©efreujigten jeigenb,
roä^renb bie ißinfe auf ben ?papfl ^inroie^, ber fammt feinen Äar^
binälen in ben offenen ^öDenraci^en l^ineinful[ir. Sie bamaligeSeit
war, wie man n)ei§, reid^ an fold^en polemifd^en 3)arfteIIungen,
unb felbft in ben Äirci^en nal^m man baran leinen Slnfiofe. Unfre
SBoreltern im 16. gal^r^unbert wußten fel^r gut, bafe mit SRom fein
^a!t ju mad^en, bafe bem aSatilan gegenüber nur unbebingte Untere
roerfung ober ftrieg auf fieben unb %ob am 5ßlafte ifi; ein S)ritte^
gab unb gibt eiS nid^t.
©el^en mir nun weiter jur Setrad^tung ber 2)enlmäler ber
Äird^e über, fo finben mir nad^ allen ben fd^meren 33eraubungen
bod^ nod^ jmei Serfe erfien SRangeS au« ber Slütl^ejeit unfrer
alten Aunfl, @d^öpfuhgen oon fo l^o^em Sßertl^e, ba^ fie lül^n bem
Seften, mag gtalien in biefer SRid^tung !)ert)orgebrad^t, an bie ©eite
treten. 3a, fiänben biefe aWeifiermerfe irgenbmo in Statten, fo
mürbe jeber beutfd^e Äunftfreunb fie längfi aufgefud^t unb gebü^renb
bemunbert l^aben. SBir meinen bie l^errlid^en ©rabbenfmaler ber
beiben großen görberer ber Sfteformation, g^ebrid^S beiJ SBeifen unb
Sodann« bed »efiänbigen, %üx^m, bie jebem freigefinnten S)eutfd;en
e^rmürbig fein muffen. 83eibe SDenfmäler finb ©rjeugniffe ber
aSifd^erfd^en $ütte in $Rürnberg; ba« eine ifi afö SBerf ?peter 83i^
fd^riJ burd^ infd^riftlid^e« 3^iiß«ife erroiefen, ba^ anbere mirb burd^
ba§ 3Ronogramm H. V. aU ©d^öpfung §an^ aSifd^erg, nid^t, mie
man früher annahm, beS (bamafö längft oerftorbenen) ©ermann
aSifd^er beglaubigt. a3etrad^ten mir juerft bad Denfmal ^iebrid^g
beiJ SBeifen.
an ber Sßorbfeite be§ ©d^iffeö aufgefiettt, ergebt ftd^ ba8 3no^
nument atö glad^nifd^e nad^ ärt italienifd^er ©rabbenfmäler mit
einer ©nfaffung im einfad^ eblen ©tile ber grül[irenaiffance. Unb
jmar finb e§ nid^t bie formen jener überreid^en fpielenben SJelo*
ration, wie fte bamate auiS Cberitalien in bie beutfd^e Äunft ein^
388 SBittenberg unb ^om.
brang, [onbcrn c^ ifl bie mafeooDere, Matere Se^anblung, bie bcn
Porentinifd^en unb römifd^en SBcrlcn eißcn. S5ie SBifd^erfd^e SBcrf=
jlatt war mit bicfcr gormgcbung burd^ bcn erftgcborencn ©o^n bc^
alten aWcifterg, ^ermann, ücrtraut geraorben, ber nad^ SRcubörfcrö
SBcrid^t, „aU t^m feine fiaui^frau mit 5tob obging, funfi^alben auf
feine eigenen Äoften gen SRom jog' unb vxd fünftUd^e S5ing mit^:
brad^te, baS et aufgerijfen l^at, roeld^eä feinem alten aSatter xoo\)U
gefiel unb feinen »rübern ju großer Uebung !am". aSon einem
teliefgefd^müdften 5ßoftament fteigen jierlid^ ornamentirte, freiforin=
tl^ifirenbe 5pilafter auf, burd^ ein antififirenbed ©ebälf üerbunbcn.
Snnerl^alb berfelben ral[imen jwei fd^lanfe fannelirte ©äuld^en mit
fein profilirtem Sogen bie SRifd^e ein, roeld&e auf cifelirtem ^eppid^:=
grunbe in ^od^relief bie ©eftatt be^ Äurfürfien geigt. 6^ ifl eine
ber ^etrlid^ften ^orträtflguren ber beutfd^en Äunfi, burd^ großartige
aSürbe unb freiet Seben au^gejeid^net. 3)er furfürfilid^e SDIantcl
fließt in IlarentroidEeltem galtenrourf bi§ auf bie guße l^erab ; beibe
^änbe galten fd^räg aufwärts baS furfürftlid^e ©d^mcrt; ber mar=
Kge, t)om Äurfürfien^ut bebedEte Äopf mit ben bliftenben Sugen,
ben trcul^eriigen, d^aralteroollen SH^^f ^^^ f raufen 5ßolIbart gibt
ba§ Silb lerniger aRannl^aftigfeit unb geifiooHer fiebenSfraft. 6^a=
ralterootte SBal^r^eit Derbinbet fid^ mit ftilooller aWeijlerfd^aft ber
Sel^anblung ju ^öd^fier Sßottenbung. Daju !ommt bie in atten
2;]^eilen fd^mudfüoD bel^anbette Umral^mung, im ©eift lautcrfter
3tenaijfance, bie fxd^ befonberS in ben pl^antaftifd^en giguren ber
Sogenjroidel unb ben auf ©eejiieren reitenben ©enien am ?ßofia=
ment gciftooH auSfprid^t. 3tn ber 2Witte beiS Sogeng ifi bag lur^
fürftlid^e SBappen angebrad^t, t)on brei Reimen mit reid&er 3^^^
überragt. 2)arüber tl^ronen auf einem fd^maleren Sluffaft ^roei
berbe nadtte @ngel, ein lorbeerumtounbeneS 9RebaiIIon l)altenb mit
bem 9Bal[|lfprud^ ber ^Reformation : Verbum domini manet in aeter-
num. Qn beiben Seiten enblid^ fd^ließen ?pilafter mit je ad^t ^err-
fd^aftUd^en SBappen baS ftolje SDenlmal ab. Unten liefl man in
fd^öner anajuSfel bie Snfd^rift: Opus M. (Magistri) Peter Fischer
Norimbergensis anno 1527.
ajieS rounberootte SBerf, meldte« ©d^aboro in feinen ©enfmfilem
SBittenbergi^ abbilbet unb l^öd^lid^ pteift, toeld^ei^ bann jtugler bei
aßittenbcrg unb Slom. 389
einem a3efu($ im ^al^re 1837 (fileine ©d^riften I, 457) nid^t minber
rü^mt, fott nun nad& einer neueren Sßotij »on Saaber (Seiträge
jur Äunflgefd^id^te SWümbergö I, 25) nid^t com älteren ^eter $Pifd^er,
fonbem üon feinem gleid^namigen ©ol^ne ^errü^ren. SJBenn nun
aud^ ber alte fiunj Siö^ner fn feiner ^anbfd^riftlid^en El^ronif von
^iümberg fagt: ,,biefer ^eter l^abe in Äünften ben SBatcr über=
troffen," fo bleibt bod^ \t\)x fd^roer oniunel^men, bafe ein 3luftrag
oon fold^er Sebcutung nodl^ ju Sebjeiten beS berühmten i>aterg an
ben Bo\)n gelommen fei unb bafe biefer in ber S^^f^ä^tift nid^t augs
brüdlid^ t)on feinem aSater fid^ unterfd^ieben l^abe. ©o t)iet jie^t
feft, ba§ bie ©rjbilbnerei in S)eutfd^lanb fein üollfommenere^ SJBer!
fieroorgebrad^t ^at. SSergleid^t man e^ mit ben beiben frül^eren
fiauptfd^öpfungen 58ifd&er«, bem SKonument be^ ßrjbifd^of« ©ruft
im 25om ju SKagbeburg unb bem ©ebalbuSgrabe in SRümberg, fo
f)at man bie brei fiauptftufen feiner ©ntmidtelung t)on ber nod^
pöttig gotl[|ifd^en Formgebung, ber bunten aKifd^ung oon SKtttelalter
unb aienaiffance unb ber rein ausgeprägten 9lenaiffance in ben
mid^tigfien SBeifpielen vox Äugen. Äeiner unter allen bamaligen
beutfd^en SKeiftern ^at in ä^nlid^er ©tetigfeit ber enttoidfelung fold^e
^ö^e beö lauterfien ©tife erreid^t, feiner aus ben fraufen SBunber-
lid^feiten ber bamaligen beutfd^en fiunfl ftd^ ju fold^er ^ei^eit
aufgcfd^mungen.
9(n ber gegenüberliegenben ©eite ergebt fid^ in DöSig gleid^::
artiger Einlage mit genauer äBieberl^olung berfelben 3lrd^itettur bie
©eftalt So^ann'S bcS »eftänbigen »om ^a\)xt 1534, burd^ baS
aWonogramm H. V. als SBerf beS ^anS SBifd^er beglaubigt, ber
aud^ fd^led^troeg „ber (Sieger" genannt mirb unb nad^ bem S^obe
beS SBaterS 1529 bie SEBerfftatt übernahm. S)ie gigur \tt\)t in Äraft
ber eiiarafterifiif unb Steinzeit beS ©tils nid^t ganj auf ber Qü^t
beS frül^eren SBerfeS, fommt bemfelben inbefe an Sebeutung jiem^
lic^ na^e.
3u biefen SDenfmälern gehören nod^ jtoei grofee Sronjeplatten,
auf meldten Qnfd^riften unb SBappen ber 3?erfiorbenen graoirt finb.
3tufeerbem fielet man vor bem Slltar ju beiben ©eiten in betenber
©tettung bie beiben Äurfürften in lebenSgro&en bemalten aKarmor-
ftatuen fnieen, SBerfe von tüd^tiger, menngleid^ feineSroegS fienjor^
390 äSittenberg unb 9lom.
tagenber Arbeit, intereffant burd^ bic fonfcquent burd^gefü^rtc 5ßoIi;::
d^romic.
?lod^ ein britte^ SBcrf SSifd^erd t)on l^ol^er Scbcutung finbct
ftd& in ber ©d^Io^fird^e ; eine SRelief tafel mit ber Äronung SRariä,
1521 bem 9(nbenten bt2 Henning ©oben gen)ibmet^ ber ol^ einer
ber berül^mteflen 3uriften ber Stxt 1502 au^ ©rfurt l^ie^er an bie
neu geftiftete Uniüerfität aU 5ßrofef[or ber Sun^Ptubenj, jugteid^
al^ 5ßrobft an biefe Äird^e berufen würbe. 3)ie eblen ©eflalten
@ottt)ateriS unb (Sl^rifti fe^en ber }tt)ifd^en il^nen ehüai^ unterl^alb
!nieenben SRabonna bie jtrone auf^ n^ö^renb bie Saube bed l^eiUgen
Seiftet über i^r fd^roebt unb ber SBerftorbene in Heiner ®eftalt,
Don feinem ©d^u^patron^ bem ©Dangeliften Sol^anne^^ empfohlen,
ju i^ren %ü^tn fniet unb ein G^or Don @nge(n bie @ruppe um=
ringt. SJieg SBerf, von bem eine SBieberl^olung im 3)om ju @rfurt
fid^ befinbet, vtvtatf) huxä) Slbel be^ Slu^brudEö, großartige grei^eit
ber Formgebung unb Ilafftfd^e ©nfad^^eit be^ SÄeliefftiU bie §anb
be^ großen SRümberger aWeifter^.
II.
3Bie bie Sienaiffance, l^at aud^ ba^ frühere a)Jittelalter ^ier, in
SBittenberg, einige fe^r bemerfen^wert^e S)enfmäler l^interlaffen, in
ben ©rabfiatuen beS 1356 üerfiorbenen ©erjog^ 9luboIp]^ I. pon
©ad^fen unb feiner beiben ©ema^Knnen ägneg unb Äunigunbe.
Unter got^ifd^en Salbad^inen auf Söioen fte^enb gehören biefe gi=
guren ju ben wert^oottfien 3)enlmälern jener S^it/ ^^^ Ö^tjog felbft
im SEBaffenrodE, aDerbing^ t)on etroa^ fteifer Haltung, ^elm unb ©d^ilb
in ben §önben tragenb, aber t)on entfd^iebenem ^orträtaui^brud;
feine ©emal^lin Signet ebenfaltö nod^ befangen, wie bie meiftcn ba-
maUgen SBerfe, Eunigunbe bagegen eine ber fd^önften ^bealgeftalten
jener S^i^ f^^t bewegt, mit einfad^ großartigem galtenwurf, ber
lieblid^e fd^merjumflorte Äopf t)om ©d^Ieier umgeben. An bem
unteren ©odEel fielet man neun gigürd^en von roeiblid^en ^eiligen,
von anmutl^iger Sebenbigfeit in SBeroegung unb ©eroanbmurf, pon
Söittenberg uttb 9{om. 391
naroem SRcij bcr ©rfd^einung. 3Wan gewahrt au^ attcbcm, bafe ba^
fäd^fxfd^c fjürftcn^aug ju jeber 3^it fö^ f^inc fünftlerifd^en Unter-
nel^mungen tfld^tige jlräfte }u getoinnen tuu^te.
6inc anberc SRei^c t)on S)cnf malern ^aben wir in ber ©tabt=
tird^e aufjufud^en. 2)er 93au ift in feinen ^auptt^eilen ein nid^t
eben l^eroorragenbed äBerl beiS [pftteren Snittetalteri^^ eine ^aUenKrd^e
mit gerabe gef(J^loffenem S^or, über beffen ©iebelmanb fi($ ein ad^t-
edfiger ausgesagter 35ad&reitcr erl^ebt, iDä^renb jroei üieretfige Il^ärme
bie gaffabe einfd^liefeen, 2)rei ftattlid^e 5ßortaIe mit Silbroerfen ge-
hören JU ber urfprünglid^en Slueftattung. S)er 93au l^at }u Der-
fd^iebenen ^tittn Umgeftaltungen unb SRefiaurationen erfal[iren. 3*«
Snnent ift junäd^ft ein el[iemcS 2^auf bedien ju enoäl^nen, Toeld^es^
ben a3eTt)eid liefert, ba§ bai8 fäd^fifd^e fierrfd^er^auS fd^on mit einer
früheren ©eneration ber gamilie aSifd^er in SBerbinbung ftanb. 3laä)
bem S^wfl^ife ^^ Snfd^rift mürbe namlid^ bieS SBerf im 3tal^re 1457
„aw aWid^aeliStag" burd^ SWeifter ^ermann SBifd^er ju Slürnberg
toHenbet. SJie gorm biefeiS X^aufbedteni^ ifl fe^r originell, benn eS
ru^t nid^t blafe auf einer mittleren ©äule, fonbern aufeerbem auf
einem ©efiell t)on t)ier gotl[|ifd^en ^Pfeilern, bie burd^ Strebebögen
mit bem mittleren 2:^eile in SBerbinbung gefefet finb. (Sin reid&er
ptaftifd^er ©d^mudt ift über baS ©anje auiJgegoffen ; ben gufe be-
mad^en üier roappenl^altenbe Sömen, t)ier Heinere Sömen umgeben
bie »afiiS ber mittleren ©äule, mäl^renb anbere S^^iere, jum %f)z\l
pl^antaftifd^er Slrt, auf Strebebögen unb ©efimfen ^odten. a)iefe
aSorliebe für baS S^^ierreid^ lt\)xt an ben mciften ©d^öpfungen ber
aSifd^erfd^en SBcrfftatt, namcntlid^ aud^ am ©ebalbu«s®rabe mieber.
etibtid^ finb bie ©tatuctten ber jroölf Sttpoftel, unb jroar ad^t an
bem Sedten felbp, mer meiter unten auf ©äuld^en angebrad^t, lurj-
leibige gigürd^en in bem fonüentionellen fd^on jiemlid^ aufgelebten
got^ifd^en (Sewanbftil.
SBid^tiger finb ^ier bie SBerfe ber SKalerei. 3n erfter Sinie
fie^t ber fiauptaltar, ein ^riptpd^on, roeld^eS bie ^eiligen $anb=
lungen ber proteftantifd^en Äird&e barpeDt, unb jroar im a)Uttelbilbe
baö 2lbenbmal[|l, auf ben beiben glügeln bie S^aufe unb bie SBeid^te,
auf ber ^ßrebeßa bie 5|5rebigt. a3eim abenbmal^l fifet E^riftuS mit
ben apofteln an einem runben 2:ifd^, ber ©rlöfer felbft an ber
392 äBiUenberg unb 9flom.
©eitc linfö, ben Sicbling^jünger an fein fierj brüdenb, toa^reub er
mit ber 3ted&lcn bcm roiberroärtig d^arafterifxrten 3tubag ben cin^
gctaud^tcn »iffen in ben SRunb fledt. auf ber anbem ©exte tritt
ein aRunbfd^enf in ber 2:rad^t ber ßeit l^eron, um ble Sipofiel ju
bebienen. SDiefe te^teren ftnb gut d^aralteriftrt unb lebenbig beioegt^
bie garbe beg ®anjen ifi tief, roarm, ^armomfd^; bennoci^ wirb
man n)ol[|l ©d^ud^arbt beifiimmen müifen, ber ba« »üb n^t atö
9Berl be§ älteren ©ranod^ anerlennen roiU. SBenn wir aber ben
^anbroertemä&igen Setrieb in ben bamaligen beutfd^en flünftterroert
ftätten erwägen, toobci ein SBleifter wie 6ranad^ fogar auftrage ber
untergeorbnetften 3lrt annahm, fo werben wir gewiß SBBerfe biefer
2lrt wenigfteni^ atö ©rjeugniffe ber 8Ber!jiatt betrad^ten burfen, bie
roal^rfd^einlid^ fogar unter beö aWeifterg SRamen gingen. SBei ben
glügelbilbern weife ber Äünftler unfer Snterejfe baburd^ ju erregen,
bafe er bie ©efiatten ber SReformatoren ju S^rägern ber ^eiligen
^anblungen mad^t; fo fungirt bei ber 2;aufe aWeland^t^on, bei ber
Seid^te 83ugenl[|agen, unb bei ber ^rebigt erblidfen wir Sut^er felbjl
auf ber Äanjel, wie er auf ben in ber aRitle be« Silbe« bargeftellten
Oefreujigten ^inweift, wä^renb eine ©ruppe ernfter SRänner, an:=
mutl^iger 'grauen unb Jungfrauen mit ^erjigen Äinbern in baä
anl^ören »erfunfen finb.
3loä^ oier anbere ©emälbe ftnb hinter bem ^od^altar aufgefteUt,
oerfi^ieben in ©röfae, gorm unb äu^fü^rung, wo^l meifien^ SSerte
aus ßranad^fd^er ©(ä^ule. SJag eine ftellt bie Slnbetung Der Wirten
bar, in bem UebeniJwürblg gemütl^lid^en S^arafter, ben bie bamalige
beutfd^e Äunft biefer gamilienfjene ju geben pflegte. SlKerliebft finb
bie in ber ißuft fd^webenben, ooll Knblid^en SRut^willen« jubiliren*
ben ©ngel, weld^ie 2;afeln mit ben Snfd^riften: „ei^re fei ®ott in
ber Q'6\)t unb griebe auf ®rben unb ben aWenfd^cn ein SBo^lgefallen",
l^alten. Unten fnieen ju beiben ©eiten bie ©tifter bei5 Silbe« unb
am Soben fle^t ber geflügelte ^rad^e be« jfingeren €ranad^ unb bie
3a^re«ja^l 1564.
äluf bem {weiten Silbe fielet man S^rifluS }wifd^en ben beiben
©d^äd^ern am Äreuj, 3>ie ©efialt be« ßrlöfer« jeigt fein burd^ge-
bilbete Äörperformen, ber 2lu«brudt be« Äopfe« ift ebel, bie SRalerei
flar unb fein mit bünnem leidstem garbenauftrag. 3lm gufe be«
2öittcn6erg unb 3liom. 393
ÄreujeS fnict ber Dr. ©rafoiD mit feiner (Satlin unb fieben ftinbern,
ben ^intergrunb bilbet eine Sanbfd^aft mit tljärmcteid^er ©tabt, bie
üon einem ÄafteH auf fteilem gelfen überragt wirb. ^\iä) biefc^
aSilb, roeld^eg um 1563 gemalt mürbe, wirb man bem jüngeren
Granad^ jufd^reiben bürfen.
Seträd^tlid^ ro^er unb fd^on in etmag üerroilbertem ©tile ift
baö @emälbe mit ber SBefel^rung be^ ?paulug, meld^eö inbefe bur^
bie ©rabfd^rift beS jüngeren ©ranad^ aU ba« leftte 3BerI beiSfelbcn
(1586) 6e}ei($net mirb. ^oä) ftnb aud^ l^ier noä) bie Äöpfe ber
Stifter red^t tüd^tig be^anbelt. S)aS vierte Silb enblid^, t)om Qal^re
1569, jeigt in einer gefd^idtt gemalten flird^enperfpeftit)e, mie SKaria
bem So^enpriefter ein ^aubenpaar barbringt, mäl^renb ein 2llter
im ^^peljrod ba§ Qefu^Iinb l^ält. S)iefe Arbeit entfernt fid^ weit üon
bem loloriftifd^en ©d^melj ber ßranad^fd^en ©d^ule unb erinnert in
ber garten trodenen SRalerei el^er an bie l[|erbfien Florentiner be§
15. 3a^r^unbertg.
(Sani originett enblid^ unb fo red^t im reformatorifd^en ©eift
jener Qdt ifi ein Silb be^ jüngeren (Sranad^, roeld^eS ben SBeinberg
be^ Serrn barftettt. 55ie polemifd^e 2^enbenj tritt in naiüfier SEBeife
ju 2^age, aber fie mirb burd^ bie geiftreid^e Sebenbigfeit ber B^iU
berung in eine l^ö^ere fünftlerifd^e ©p^äre gel^oben. aWan fielet in
reid^er perfpeftioifdfier 2)arfieDung ben mit einem fefien S^un um-
fd^loffenen SBcinberg ben größten S^l^eil beiJ Silben auiBfüHen. ®r
mirb burdö eine tiefe gurd^e in imei ^^eile jerlegt, um barjufteUen,
mie jenfeit^ ber ^apft mit feinen Äarbinälen, SBifd^öfen, 3Rönd^en, furj
ber ganjen Älerifei eifrig bemütjt ift, ben SBeinberg ju jerfiören,
iDäl^renb bie8feit§ bie SRef ormatoren mit i^ren anl[|ängern i^ren Xf)tH
aufiS liebepoDfte pflegen. Drüben fielet man bie römifd^e Älerifei in
mütl^enbem Orimm bie SBeinftödfe au^roben, bai^ ©ärtnergerätl^ oers
brennen, ben SBrunnen mit ©teinen oerfd^ütten, hirj jeglid^en Unfug
üben, ber einen ©arten »erberben unb termüften tonn. Sa ber
^apft felbft in ber breifad^en aiiara fd^Iägt ergrimmt mit feinem
ÄreujeiSftabe bie Strauben von ben ©tödfen ^erab. fiier bagegen
fie^t man Sutl^er, 3Weland^tI|on unb anbere ^Reformatoren ben SEBein^
ftodt pflegen, befd&neiben unb aufbinben, baS ßrbreid^ ebnen, oon
©teinen fäubern unb an^ bem mo^Igepflegten Srunnen fleißig tränfen.
394' äBittenberg unt> 9Flom.
änan lann aQe biefe mannigfaltigen S^ätigfeiten nid^t lebenbiger
fd^itbcrn.
SBäl^rcnb nun im SBorbcrgrunbe xt6)i^ eine jal^trciiä^e ©tifter=
familie Iniet, fielit man linfö aud bem X^oxe be§ SBcinberg^ bcn
^apji, gefolgt von feiner Älerifei unb einem großen, mit ©(ä^aufeln,
^aden, Seilen unb anberem ©erfit^e bewel^rten Raufen, ben 2Bein=
berg T)erlaf[en. ©^riftu« aber mit feinen Sängern, in ber fiinlen
einen Seutel l^altenb, tritt il^m entgegen, um ben ungetreuen aßein^
gärtner mit einem ©elbftüd abjulol^nen. S)ag 83ilb, welches ol^ne
Sroeifet oom jüngeren 6rana(ä^ l^etrül^rt unb bie Sal^re^jal^l 1669
trägt, l^at burd& eine barunter angebrad&te gereimte Snf^^if^ i"
Kluften unb grommen ber guten ©l^riflen eine au8fül^rlid&e ©rttärung
erl)alten*).
35ie Äird^c bcfiftt ferner einige ©pitapl^ien ber ©pätrenaiifance.
Sundd^ft ba^jenige be^ jüngeren fiuca^ ©ranad^ oom Saläre 1586
mit einem 3)larmorrelief ber ©rablegung ßl^rifti im G^aralter ita=
lienifd^er Äunft, Kar unb oortrefflid^ fomponirt, fein au^gefü^rt,
ooH Seben unb äuSbrud, babei feine^roegö überfüllt, ba« ©anje
oielmel^r ebler unb maßooHer als bie meiften arbeiten jener 3«i*-
©obann ba§ (Spitapl) be« aWatl^iaiS oon ©d^ulenburg, 1571 oon
©eorg ©d^röter au« S^orgau gearbeitet, ein SBerf üppiger ©pät=
rcnaiffance.
3lu(ä^ fonft fel^lt e^ in SBittenberg nid^t an Äunftroerfen jener
epod^c. 3n ber Meinen Äapelle neben ber ©tabtürd^e fielet man ein
gute« Silb ber 2:aufe (S^rifti oom Sa^re 1560 mit bem aWono--
gramm be« jüngeren ßranad^, fobann eine etwa« geringere 9Bieber=
Rötung beö SBeinberg«, ber aud^ an anbern Orten oorfommt; ein
S3etoeiö, mie beliebt biefe S)arftettung bamate mar. SBeiter finbet
man auf bem SRat^l^auö eine l^öd^ft mertoürbige S^afel mit ber
naioen 2)arfteIIung ber je^n Oebote, oom 3^^^^ 1516, bie man
übrigeng mit Unred^t ©ranad^ (bem alteren) jufd^reibt. SBejeid&nenb
für ben ©l^aralter ber ^ext ift, baß bie Uebertreter geroö^nlid^ in
ber ©eftalt oon Äriegern erfd^einen, unb baß eine barodfe SJcufetJ-
frafie meiften« mit i^ren böfen ©inflüftcrungen l^inter i^nen fie^t
*) Sc^t fammt anbeten Äunftroerfcn in ber neugeftiftcten Sut^ev^aÜe aufgefteUt.
Sßittenberg unb 9lom. 395
2)ic Äompofitionen fxttb rcd^t Icbcnbig, bie äui^füfiTung inbcfe tft
nid&t von großer gcinl^cit. ®nhlx6) möge no6) eine ^Reihenfolge
t)on »ttbniffen ber 9leformatoren, ber fä(ä^ftfd^en Äurfürften unb ber
5ßTofefforen ber Unioerfxtat in bem el^emaligen 2luguftiner=Älofter
enoäl^nt roetben. S)ad ift fo {iemtid^ aUt^, xoa^ von bem alten reid^en
Äunftbefifi aSSittenbergö nod^ angetroffen wirb.
Unb fo wären mir am ©nbe mit unferer Umfd^au. 3ft bie
ausbeute immerl^in befd^eiDen, — befonberS menn mir an unferen
au^gang^punft, bie parallele mit 9lom, jurüdffe^ren t- fo erfd^eint
fie hoä) feine^meg^ roert^loi^. SBittenberg fü^rt uns mitten in bie
©eifteSarbeit unb bie kämpfe ber SReformationSjeit hinein, unb man
barf rool^l jum ©d^lufe bie grage aufmerfen, ob roirflid^ jene ge-
maltige Seroegung, bie ben nationalen ®eift in SJeutfd^lanb oom
langen ©d^laf erroedfte unb baS beutfd^e ©eroiffen oon frembem
5Drud befreite, ber Äunft fo feinblid^ gemefen fei, mie oftmals be-
hauptet morben ift. SBir fönnen nad^ tieferer 5ßrüfung ber 33er=
Ijdltniffe nid^t finben, bafe bem fo fei. SBenn aud^ in ben anberen
Sanbern, in ber ©d^ipeij unb fioHanb, jene puritanifd^e Strenge
pd^ jur fierrfd^aft aufmarf, bie in il^rer Silbfeinblid^leit ber Äunft
in ber Äird^e ben Ärieg erflarte, fo l^aben bagegen bie beutfd^en
^Reformatoren bie Äunft geliebt. 5Bon ßut^er, beffen ©emütl^Sgrunb-
lage baS ©epräge ed^t beutfd^er unbefangener gröl^lid^feit trug,
fiaben mir ja^lreid^e SKuSfprüd^e, bie nid^t blofe feine fjreube an
©id^tlunft unb SKufxf, fonbem aud^ an ben ©d^öpfungen ber bil=
benben Äünjie bejeugen. S)aS ©leid^e gilt oon aWeland^t^on, ber
mit 25ürer unb anberen auSgejeid^neten Äünfilem befreunbet mar.
ein inniges greimbfdöaftSoer^ältnife oerbanb bcibe ^Reformatoren
mit SufaS ßranad^. S)ie brei fiauptmeifier unfrer bamaligen Äunft,
S5ürer, ^olbein unb Sranad^ pnb in i^rem SBefen unb SBirfen ber
^Reformation juget^an. SDlan brandet nur an bie ergreifenbe ©teile
in S5ürerS SJieberlänbifd^em Stagebud^ ju erinnern, wo bie SRad^s
rid^t oon ßutl^erS angeblid^er ©efangenna^me ben trefflid^en beutfd^en
aWeifter im fernen Sanbe mitten in feinem fünftlerifd^en ^treiben
mit leibenfd^aftlid^er S^^eilnal^me erfüllt.
3lber wie oerl^ielt eS fid^ mit bem lünftlerifd^en ©d^affen felbft?
mürbe biefem nid^t burd^ bie SReformation ber 2;obeSftofe oerfeftt?
396 SBittenberg unb 9lom.
3l\i^ bic^ fann man fcine^rücg^ iugcben. ©clbji bie protcflantifd^e
ilir^e l^at toeit mc^r üon ber Äunft ©ebraud^ gemacht afö man an-
annehmen geneigt ift. aHan betrad^te, um nur einiget ^erüoriu^
l)ibzn, bie ©d^Iofefapellen ju SJreiSben, Morgan, ©d^malfalben, 6eBc,
©ottorp, bie Äird^en ju greubenjiabt, $anau, SBoIfenbüttel, ?ßima
unb man füge im ©eifle bie urfprünglid^e Su^fiattung biefet ©otteS«
fjäufer l^inju^ um barüber Kar ju merben^ ba^ bei und bad Soan-
gelium bie Äunft ni$t jum Stempel l^inaudgetrieben l^at. 3lun aber
barf man einen großen S^^eil Dom ©d^affen jener bebeutenbften
3J{eijier auf SRed^nung ber 3leformation [teilen, unb namentlid^ ge^
^ört bal^in ba§ groftartigfte ßranad^'fd^e SHtarroerf in ber ©tobt^
fird^e }u SBeimar, foroie in ber Äird^e ju ©d^neeberg unb bad oben
befprod^ene in SBittenberg. S5ieg aßed finb ma^rlid^ bebeutfome Rnn^U
werfe bed ^protefiantiSmud.
Unb babei bürfen mir nid^t »ergeffen, ba^ ein unermefeHd^er
Sd^afe t)on bilbnerifd^er Äraft in ben Sttujirationen ber SibelauSs
gaben unb anberer reformatorifd^er ©d^riften fld^ birgt 3a, bie
überall in 3)eutfd^Ianb ermad^te fiufi an ben,@rjeugnif[en berfiitte^
ratur, fowol^I ber miffcnfd^aftUd^en, religiöfen wie Dottet^ümlid&en,
bie faji immer in lünftUrifd^em ©d^mudE bargeboten würben, ermud^«
auö ben geiftigen Duetten ber ^Reformation, ©o ift benn bie
©umme ber fünftlerifd^en ©d^öpfungen, meld&e jener großen ©trö^
mnng ju- Derbanfen jinb, feinedmegd gering anjufd^Iagen, Slu(^
ba§ barf man biefer Umioanblung bed beutfd^en Sebeni^ jufd&reiben,
bag ber ©inn für bie bel^aglid^e fd^mudhreid^e ©eftaltung ber
?Prit)atejijienj erroad^t unb in einer unglaublid^ reidjien (gntwidflung
atted beffen, mad mir Iieute ate SBerfe ber Äleinlünjie ober beiJ
Äunftgewerbed bejeid^nen, feinen gl&njenben StudbrudE finbet.
atterbingS Derfiegten gegen Sludgang bed 16. Qa^rl^unbertd,
unb mel^r nod^ mit bem SBeginn bed SOjal^rigen Ärieged bie Cueflen
fünlilerifd^en ©d^affen«, unb ber entfeftlid^e Ärieg mit feinen ©reuein,
bie mir am lebenbigfien im ©impliciffimug gefd^ilbert finben, läfet
2)eutfd^lanb in Döttiger Ol^nmad^t jurüdf. S)ennod^ barf man bie
ölüt^e, roeld^e Doranging unb etwa Don 1480 biiJ über 1560 \xd)
ju reid^er ?prad^t entfaltete, nid^t gering anfd&lagen. Unb vtXQt^en
n)ir nid^t, ba§ bie italienifd^e Äunft, roeld^e um biefelbe 3rit i^ren
ffiittenbers imb SRom. 397
^ö^cnpunft ctreid^tc, ebenfattö gegen 1550 benfelben fd^on äber=
fd^ritten l^attc unb mit fd^netlen ©d&ritten bem 2Kanieri^muö üer=
fiel. SBenn unfere beutfd^en SDleifter nur feiten fxd^ ju SBerfen
f)'66)^tx Sauterleit unb DoQenbeten Stbeld auffd^n)tngen unb bie beutfd^e
Äunft im ®onjen getoife formal (nid^t ber geiftigen SBud^t nad^!)
nieit ^inter ber italienifd^en be§ Cinquecento jurüdEblieb, fo tag ber
®runb baT)on nid^t in ber ^Reformation, fonbern in ben ßwPäJ^t^^^i
beS 15. Sal^r^unbertÄ, bejfen Äultur einer SBlütfie, wie Stauen —
unb gleid^jeitig glönbern burd^ bie Srüber van ©pdf unb ilire ©d^ule
erlebte, bei unö in 2)eutfd^lanb burd^auö roiberfprad^.
©benfotoenig war eö ber ?proteftanti§mu8, ber bie manierifti-
fd^en Slbmege ber gefammten europäifd^en Äunft Derfd^ulbete; vkh
me^r bürfen wir bafür biejenige ©eiftedfirömung in 3lnfprud& nehmen,
meldte im SefuitiSmug jur fierrfd^aft gelangte unb mit bem pra^le^
rifd^en »arodftil atte Rrd^lid^e Äunfi Don ber Slrd^iteftur bi« jur
aWalerei auf t)öllig tl^eatralifd^e au^bnidtömeife oerpflidjitete. ©afe
biefer ©til fogar in proteftantifd^e Äreife einbrang, bezeugen bei
ung in ©eutfd^lanb 2;aufenbe t)on ©pitapl^ien jener Qüi — um nur
biei^ ^erüorju^eben — , loeld^e in il^rer prunlootten Ueberlabung
(bei oft großer fünftlerifd^er Äraft) mit ben ©d^öpfungen biefe^
aitioeiberfommer« be^ Äatl^olijigmuS wetteifern.
Unb roieberum mar ed, all' biefen aufgebonnerten Ueberfd^roäng-
lid^feiten gegenüber, ba^ ejtrem proteftantifd^e §oIlanb, mo fid^ eine
frifd^e, gefunbe Dieubllbung ber Jlunft DoBjiel^en foHte. Sie nieber-
länbifd^en 9Waler finb e^, meldte juerft mieber unbefangen bie SBirf-
lid^feit ins äuge faffen unb bie greube am eigenen 5BolI unb ßanb
jum SKuggangSpunft il^rer SarfteDungen machen. S)aS roetter^ unb
fd^lad^tengeljärtete ©efd^led^t, ba^ t)on ber fpanifd^en S^ijrannei ba«
SBatertanb befreit unb }u ^ol^er Äulturblüt^e gefül^rt ^atte, wirb
Don ben SKiereoelt, Slaoeflepn, be Äepjer, van ber §elft, granS
$ate, Slembranbt in lebenöooHen ÄoHeftiobilbern , ©d^fifteus unb
SRegentenftüdEen jur SBürbe l^iftorifd^en 3)afeinS erl^oben; anbere
fd^ilbern baS SBolf in feinen berben SSergnügungen , bie mittleren
unb l^öl^eren Älaffen in i^ren fomplijirten Äulturjuftfinben, mieber
anbere geben bie ganje ?J5oefie ber einfad^ften 5Raturfjenerien, wie
bie 3)larfd^en ber SUeberlanbe fie bieten, in ßanbfd^aften, ©eeftüden.
398 mtUnbexQ unb 9lom.
©täbtcprofpcftcn unb tränfcn il^re fd^Iid^tcn ©d^Ubcrungen mit bem
x>oUtn 3aubcr tnalcrif(ä^er SSottcnbung, roäl^tcnb bct größte von allen,
SRembranbt, ju attebem nod^ bie intime SJarftcIIung ber l^eiligen
®efd^i(ä^te fügt, bie er ol^ne Slnfprud^ auf gormenfd^ön^eit mit ber
ergreifenben SBa^rl^eit unb Snnigfett germanifd^er ©mpfinbung befeelt.
aaSä^renb fomit ber ^rotejiantii^mug in ben SWeberlanben bem
Äünfiler bie ganje SBelt ber ©rfd^einungen jur SBerfügung ftettte
unb baö Oöttlid^e, nid&t unäl^nlid^ bem fpinojifiifd^en ?ßantl^eü8muS,
in§ allgemein aWenfd^lid^e feftte unb in« Unix)erfum au^gegoffen
barfteUte, rang in ©eutfd^lanb bie aSoItefeele nad^ langem S)ru(I
ftd^ juerfi in ber 3Kufxf mit befreienber Äraft empor, unb roieber
mar eö ber ^protefiantiSmu^, ber in feinen tieffinnigften unb mad^t-
T)oIIften aSertretem, in Sad^ unb S^&xibtl, ba^ nad^ ©rlöfung ringenbe
beutfd^e ©emütl^ aufg l^errlid^fie offenbarte. SBie barauf unfere
große flafjtfd^e Sitteraturepod^e emporfiieg, von bem Sefreier Seffiug
bii^ }u ben SBoBenbern ©oetl^e unb ©dritter, in beren SBerfen nur
bie ^öd^lien ^htak ber aWenfd^l^eit , freiet 2)en!en unb freie« em=
pfinben, un« entgegenleud^ten, alleö ®nge, SBiebere t)erfd^munben
unb auggelöfd&t erfd^eint, ba« brandet liier nid^t auSgefül^rt ju mer^
ben. es fd^Iingt fid^ aber eine Äette ebelfter geiftiger Sefirebungen
oon Sut^er ix» }u ben fiöl&epunften unferer ©ntroidtelung unb baran
motten mir aU an einer Äonfeffion feft^alten, in beren aSefenntnife
mir un« mit atten ebel unb frei 3)enfenben ber Station ju begegnen
hoffen. Unb mem unter ben Äat^olifen SJeutfd^lanb« $erj unb
©inn für beutfd^e OeifteSiraft offen fte^t, mer nid^t ju ben SRöm-
lingen ftd^ jälilt, beren ©ebanfen jenfeit« ber »erge weiten, bem
nationalen Seben entfrembet, ber wirb un« beifiimmen unb unfere
ftreng l^iftorifd^e auffaffung t^eilen.
(„Si^niSi. BUifittt" 1884.)
2t.
IIS bic ©otl^il juerft in Scutfd^Ianb cinbrang, war t^ o^nc
Sroeifcl eine iüngere aSaumcificrsScncration, roeld^c il^re ©tubicn
in %xanltti6) gcmad^t unb bort bcn eben in ber entioidelung be-
griffenen neuen ©til lennen gelernt l^atte. 3n einem einjelnen
gatte ift ung bie^ fogar litterarifd^ bejeugt: bei ber ©tiftöfird^e ju
aSimpfen im S^^al, einem eblen frü^got^ifd^en 85au, über roeld^en
ein ßl^ronift beriditet, ber S5ed^ant be^ ©tifteS, SRid^arb Don Siten:^
ftein, l^abe bie vor SKter baufällige Äird^e einreiben unb burd^ einen
fürjlid^ au^ granlreid^ unb jmar auS ?ßarig gcfommenen, überaus
erfahrenen Saumeijier in franjöjifd^er Slrbeit. (opere Francigeno)
neu errid^ten laffen. Sei biefer fünftlerifd^en ©trömung, bie balb
ganj 3)eutfd^lanb ergreifen foQte^ voax ed leidet {u t)erfle^en^ bajs
mandEie Slrd^itelten ber neuen ©d^ule einen @l^rgei} barein festen,
gegebenen galleS nid^t blofe in (Sröfee unb ^ßrad^t, fonbern auä) in
ber @runbanlage^ bem Slufbou uub ber reid^en Entfaltung ben
glänjenbften franjöftfd^en ^atl^ebralen nad^jueifern^ namentlid^ bie
imgel^eure Äü^n^eit i^rer fiö^enentroidtelung unb bie reid^e 6^or=
anläge mit ^ol^gonfd^lujS/ Umgang unb AopeQenlran} ftd^ anjueig-
nen, 3)aÄ rollfommenfte Seifpiel biefer ärt ift befanntlid^ ber
Äölner S)om, bem roteberum ber (Sl^or be^S 5ßrager S5omS unb ber
Dfid^orbeS 3)omS ju SlugiSburg nad^gebilbet fmb. — Sieben biefer
SRid^tung mad^t jtd^ aber fofort eine anbere S^enbenj geltenb, meldte
jmar bie wefentlid^en (Slemente ber neuen Äonftrultion aufnimmt^
400 2)ie graucnürd^e ju (r&Iingcn.
aber bie extreme ^öl^cnrid^tung bcr franjöfifd&eu SBautcn auf ein
befc^eibene^ aWafe ^crabminbert unb ftatt ber fomplijirtcn 6^or--
bilbung bie cinfad^crc in S)cutfd^lanb üblid^e mit brci 5ßarallclmfd^cn
ober a\iä) nur mit einem ^ßolpgonfd^lufe jur ©citung bringt. 3n
biefem ©inne rourbe ber eble S5om ju SRegeni^burg gefd^affen, in
ä^nlici^er »el^anbtung ba^ Ijenlid^e Sangl^auS be« aJtünfter^ ju
Strasburg aufgeführt. 2)a}n)ifd^en freilid^ gab e« eine Dermitteinbe
SRid^tung, meldte bie ungel^euren fiö^enrer^ältniffe franjöpfd&er
Äat^ebralen mit ber fc^lid^ten gorm be^ beutfd^en ®runbriffeÄ ju
üerbinben fuc^te. S)ag impofantefte SBeifpiel biefer ©attung beRfeen
mir im 9Rünfter }u Ulm. Sieben allen biefen Strömungen, beren
©emeinfame^ baS me^r ober minber über bie ©eitenfd^iffe empor=
porragenbe SWittelfd^iff ift, bemerfen mir aber fofort beim erften
auftreten ber ®otI)if in S)eutfd^tanb bie l^öd^ji bebeutfame ^^at=
fad^e, bafe e§ unter ben bamaligen aWeiftern eine ©ruppe gab,
meldte bie neue ftonflruftionSroeife in einem gönjlid^ oerfd^iebenen,
ja gegenfäfelid^en ©inne jur Slnmenbung brad^te, inbem fte bie
gotl^ifd^e ©altenfird^e fd^ufen. »elanntlid^ nennen mir fo bie^
jenige gorm be^ ©otte^l^aufeS, bei meld^er alle brei ©d^iffe gleid^c
ißöl^e erhalten unb unter bemfelben S)ad^e liegen. S5ic« ift eine
gorm, meldte man nur in 2)eutfd^Ianb finbet, benn in gtanfreid^
trifft man fxe nur au^nal^m^roeife an ber Äatl^ebrale ron ^oitier^J,
unb in Statten fennen mir fie allein an bem SRenaiffancebom Don
^ienja, meld^em Slenea« ©pfoiui^ ^piccolomini bie ^attenform be8=
l^alb geben ttefe, meil il^m biefelbe beim ©tepIjanSbom ju SBien fo
mo^I gefallen ^atte. 3Bir bürfen in biefer einfad^eren, ftareren,
überrtd^tUd^eren anläge mol^I ben SReflej jener fd^Iid^ten bürgerlid^en
©efinnung erfennen, bie ein ©runbjug beutfd^en G^arafter« ift.
aBä^renb jene fiil^n auffteigenben, fid^ mannigfad^ abftufenben, })o6)
empor gipfelnben Äatl^ebralen mit ben fompHjirten ©runbriffen
unb benüielfad^ geglieberten genfterf^ftemen ein ariftofratifd&e^ ©eprfige
}eigen, laffen bie ^aUenfird^en mit il^ren gleid^^o^en einfad^ ange-
orbneten unb gleid^mfifeig beleud^teteten SRäumen einen minber poe=
tifd^en ober romantifd^en, baffir mel^r bürgerUd^ üerftanbigen, gleid[>=
fambemofratifd^en (Sinbrudf empfinben. S)ie frül^efie SuÄbilbung biefer
bem beutfd^en SBefen offenbar in l^o^em SJfajse jufagenben gorm ift
a)tc grauenfir(^c gu (gelingen. 401
fd^on roä^rcnb bet romanifd^cn ©pod&e in einer JReil^e weftfälifd^er
Äitd^en nad^gctüiefen rootben, wobei e« bemerfen^TOert]^ ift, bafe biefe
SRid^tung fid^ in einem fo grunbbeutfd^en ßanbe entoidelt l^at.
3n ber got^tfd^en ©pod^e war eS bet nal^e t)ern)anbte l^effifd^e ©tamm,
ber in ber ftrengen unb eblen frül^got^ifd^en ©lifabet^ürd^e ju SfWars
bürg bie^attenürd^e jum erfienmal bebeutfam l^inftellte. Salb folgten
anbere, namentüd^ bie Some von SIBefelar unb oon SKinben. SBBenn
pd^ aber bi^ ba^in bie ^aüenfird^e in einem engeren geograpl^ifd^en
Äreife gehalten l^atte, fo beginnt fie im Sauf beS 14. Sa^rl^unbertg
einen förmlid^en ©roberungiSjug, wirb namentlid^ bei ber im SSürger^^
t^um überatt mäd^tig emporflammenben SBauluft unb fj^eube an
fird^lid^en ©dtiöpfungen fafi überall bei jläbtifd^en ^farrlird^en auf-
genommen unb jur eigentlid^en Signatur unferer fpäteren gotl^ifd^en
Sauroeife. gaft alle bamaligen ?pfarr!ird^en be^ ©d&mabenlanbe^
folgen biefer gorm; ja eS mirb ju bem franjöfifd^en ©l^ormotit) ju^
rüdfgegriffen unb bie impofante Anlage eine^ gleid^l^ol^en polpgonen
Umgang^ mit AapeQentran) ber ^aOenürd^e eint)erleibt. So finben
wir e^ bei ©t. ©ebalb unb ©t. ßorenj ju 9lümberg, an ber Oberen
5ßfarr!ird^e ju Samberg (l^ier jebod^ mit nieberem Umgang), vor
aQem an ber l^errlid^en ^eiligenfreusfird^e ju ®mänb, ebenfo an ber
3Rtd^aeIi^tird^e ju ^all. dagegen jeigt bie Äilian^Ürd^e ju §eit
bronn ben breifd^iffigen ßl^or mit breifad^en 5Rifd^en; nod^ einfad^er
enblid^ finb bie alten Äird^en ©tuttgarts, bie ©tift^fird^e, ©t. Seon^
l^arb unb bie fiofpitattird^e in biefem ©d^ema burd^gefül^rt. ©clbfi
beim Ulmer SKünfter fdtieint, nad^ geroiffen Slnjeid^en ju fd^Iie^en,
anfangt eine fiaUenfird^e beabpd^tigt Sorben ju fein. SBie [xä)*^
nun aud^ bamit üerl^alte, gemife ift, ba§ wir beft DoUfommenfien
2;t)pug einer beutfd^en ^allenfird^e in ber 2rtauenfird^e ju @6=
lingen, einem ber föfilid^fien Sumele beutfd^er SBaufunfl, ju erfen-
nen l^aben. 9lid^t leidet mirb man ein anmut^igere^ Slrd^itefturbilb
feigen, als biefer feine 83au eS bietet, beffen erften ©inbrudt id^ Dor
28 Qal^ren einem größeren Seferfreife alfo gefd^ilbert l^abe: „S)en
S^urm ber grauenfird^e fallen mir nad& einigen ©d^ritten oom
fdbönften ©tanbpunft aug. Ueber ben abfd^üffigen, mol^lgepftafterten
aSeg, ber jmifd^en SBeinpffanjungen l^inabfül^rt, wölbt ein alter
5t^ort]^urm feinen weiten ©pifebogen. 3n feiner Ceffnung fte^enb,
26
402 3)ie grauenür^e 3U @g(ingen.
flcnoffcn wir bcn rcijcnbflen Slnblid, bcnn getabc mitten ^incin
jetc^nete fid^ ber }ierU(^ burd^brod^ene ^elm be^ Xf^nxmt^, (SglingeniS
föftlid^ficr ©d^mud, fammt ben umgebenbcn Käufern unb einem 3?eft
ber alten ©tabtmauet. 3)ieg jufammen, babei gtünenbe Sieben unb
ein ©tüd( vom fonnigblauen ^immel gab ein bejaubernbed SSilb in
engem, fteinernem SRa^men.C — 6« war bie 3^it/ ba baS beutfd^e
SBürgertl^um aud^ in ©d&mabeu mdd^tig emporftrebte unb im ©inne
be^ Sntttelalterd feinem Jlraftgefäl^t in glän^enben fünftlerifc^en
Unternel^mungen Suft ju mad^en ftrebte. 3n bem Saläre, roeld^eö
bie ©runbfteinlegung be8 Ulmer aWünfler^ fal^, l^atte bie Sleutlinger
©d^lad&t bie Äül^n^eit ber ©täbter aufg ^öd^fle gefteigert. ©0 war
eÄ benn fein Sffiunber, bafe bie Äraft ber fd^roäbifd^en Saumeifter
fcifi iu gleid^er Qtxt unternal^m, im Ulmer 2Künfter ba^ foloffalfte
unb in ber ©feUnger grauenfird^e ba^ anmut^oollfie SBerf bürgere
lid^en jtird^enbaued l^injufteden. 3Bie ed in Solingen mit bem ^au
ging, ^aben uniJ bie gotfc^ungen Dr. Äarl ^pfaffs unb bie neueren
Unterfud&ungen be8 S)iafonug Älemm in feinen mürttembergifd^en
»aumeiftem unb Silbl^auern jur ©enüge bargelegt. SBir roiffen,
bafe fd^on in ber erfien ^dlfte be^ 13. Sal^r^unbert^ in (Sfelingen
am norbroeftlid^en ®nbe ber ©tabt, nal^e ber ©tabtmauer, eine ber
Sungfrau ajlaria geweifte SWauerlopette rorl^anben mar. Qm 3^^^^
1321 befd^lofe ber $Wat^, biefe in eine Äird^e umjumanbeln, me^^alb
mieber^olt bie gefammte Sürgerfd^aft ju Seiträgen aufgeforbert würbe.
S)ie aSeiträge floffen jebod^ fpärlid^ unb ber a3au rüdfte wäl^renb beiS
14. 3a^rl^unbertö nur langfam ror. ©eine erften Saumeijier, ttlin
(biiS 1359) unb ^einrid^ (big 1397), Ratten bie Aufgabe, an bie einft^
meilen nod^ fortroäl^renb für ben ©otte^bienft oerroenbete alte 5lapette
junäd^fl ein neues Sangl^auS ju fägeh, unb jmar inbem man von
Dften nad^ SBeften fortfd^ritt. ©röfeere Semegung fd^eint in bie Sau-
tt)ätigfeit erft bann gefommen ju fein, als man einen ber be=
beutenbften Sleifter, ben berül^mten Utrid^ von ©nfingen, für bie
Oberleitung (etwa feit 1398) gewann, ©eit 1392 al« aJlünfter^
baumeifter in Ulm, mar er rorl^er fd^on t)on ben 2Kailänbern wegen
il^reS 3)ombaueS berufen worben, was fid^ 1394 wieberl^olte. Slber
fd^on 1399 würbe er nad^ ©trafeburg berufen unb mit ber Dber^
leitung beS aWttnfierbaueS betraut. S)ort ift ber Ifl^ne äufbau be8
^ie f^rauenürc^e ^u @ftUngen. 403
gewaltigen nörblid^en gaffabenttiurmeg fein SBerf. 3)a aud^ in Ulm
bie grofearlige Äonjeption be8 Xf)uxme^ aller SBaJ^rfd^einlid^feit nad^
von i^m l^errü^rt, unb ba et ben SRuf nad^ (Sfelingen befam, afö
e« ftd^ bort ebenfattiS um ben Sl^urmbau ^anbeüe, fo barf man i^m
11)0^1 aud^ ben erflen 5ptan ju biefem ebenfo tonnen wie anmutl^igen
SBerfe jufd^reiben. S)ie Sel^anblung ber burd^brod^enen 3)?aferoerfe,
namentUd^ aber Einlage unb Jlonftruftion bed Sreppent^ürmd^en^
fd^etnt biefe aSermut^ung ju beftättgen. 9lod^ !urj fei barauf l^in^
gen)iefen, bafe nad^ feinem 2:obe fein ©o^n aWatt^duö, ber beim
aWünfier ju Sern bie Oberleitung l^atte, au(^ ben (Sfelinger Sau
übernahm, bafe bann ^an^ »öblinger biö jum 3. 1482 ^auptfäd^lid^
ben SBeiterbau beö S^^urme^ förberte, ber 1494 unter feinem ©o^ne
9)Jatt^äug t)onenbet würbe. Sefanntlid^ ^at SKeifter $anS unter
bem fd^önen von i^m gearbeiteten Salba^in im füblid^en Seiten^
fd^iffe ber Äiri^e feine Slu^eftätte gefunben. — Slreten toir junddöft
in bie Äird^e ein, fo werben wir burd^ bie gein^eit ber Serl^ältniffe,
burd^ ben freien fül^nen ©inbrudf biefer lid^ten fallen, ber ^aupt-
fäd^lid^ bur(^ bie au^erorbentüd^ eleganten Pfeiler bebingt wirb,
aug benen bie ©ewölbrippen ol^ne Äämpfen)ermittlung fid^ nad^
allen Seiten oerjweigen, fofort gefeffelt. 3)ie ©d^eibbögen l^aben
eine breite ^rofilirung, entfpred^enb bem baju gel^örigen 2^l^eile ber
5ßfeiler. 3)ie genfter mit il^ren aJiafewerfen, in weld^en ftd^ ber
S^aralter ber ©pätjeit nod^ in mafeooller SBeife auöfprii^t, geben
bem Snnern eine reid^e gülle oon fiidtjt. a)er ©l^or, burd^ ein (Se?
wölbquabrat vorbereitet, fd^liefet mit fünf ©eiten au^ bem Sld^tedt.
a)ie a?ert)ältniffe von »reite, ßänge unb ^ö^e pnb aufg glüdtlid^fte
abgemeffen unb atö muftergültig für eine ^attenürd^e mittleren
SWafteg JU bejeid^nen. Sllö eine fiauptfd^önl^eit erfd^eint, bafe an bie
fünf ©ewölbjod^e be^ ©d^iffe^ pd^ ein fed^fte« ate breitl^eilige 2:^urme
^atte anfd^Ue^t, inbem bie öjHid^e 5C^urmmauer in fü^ner SBeif«
auf ben beiben ©d&lufepfeifern be3 9JlitteIfd^iffeö auffe|t. 35iefe
gidnjenbe Äonjcptiou ftammt, freilid^ bort in weit lü^neren SWafeen,
Dom 9)Jünfter ju Ulm, unb ifl auf einen britten ©nftnger^Sau, bag
aRünfter ju Sern, ebenfaBfe übergegangen, 3n Sem finbet man
aud^ biefelbe änja^l ber ©ewölbjod^e unb nur einen etwad weiter
öorgefd^obenen 6^or, worin wieber bag Sorbilb beö Ulmer SWünfier^
404 S)ie grauenfir^e ju Solingen.
ftd^ }u erfennen gibt. SRcd^nct man aber im Ulmer 3JJönficr je jroei
von ben fel^r eng gefpannten 3lr!abcn beS ©d^iffe^ jufammen, fo
erl^ält man aud^ bort bie ©nmbja^l ber Sljen t)on e§Kngcn unb
Sem. — SBerfen n)ir nun nod^ einen Slid auf bai^ Steufeere be«
SaueS. SDie mittelalterlid&e Slrd^iteftur ©(ä^roaben« l^at von je^er
fid^ burd^ eine befonbere geinl^eit plaftifd^er Surd^bilbung augge:=
jeid^net. SBä^renb ber romanijd^en ©pod^e fonnte jie an ®xo^^
artigfeit ber ®efammtanlagen ed nid^t mit anbern Gebieten 3)eutj'd^-
lanb^ aufnel^men; fte fd^uf feine SDome wie bie ju aWainj, ©peier
unb SBormiS, ju ßimburg, Bamberg unb 9iaumburg, feine aWonu-
mente wie bie Äird&en ©t. aWaria im Äapitol, ©t. ©ereon ober bie
2lpo|ietfirc^e ju Äöln; aber fie fd^müdfte i^re fleineren Sauten mit
ganj befonberer geinl^eit, wie wir nod^ jefit an ben Äird^en ju
gaumbau, an ber Sö^önni^firdtie ju ©mflnb, befonberS aber an
ber prächtigen Sffialberid^SfapeDe ju SMurrl^arbt erfennen. ®3 ift aU
ob bie ganje geinl^eit ber ©münber ©olbfd^miebearbeit l^ier in ©tein
überfeftt n)äre. aHan fann fagen, e^ fei ein Iprifd^er 3w9/ '^^^ fi<ä^
in biefen SBerfen au^fpred^e, unb fo l^ätten wir fd^on in ber öol^en=
flaufenjeit eine in ©tein gehauene fd^raäbifd^e St)rif. S)iefe SKd^tung
bleibt aud^ roäl^renb ber gotl^ifd^en ©pod^e in ber fd^roäbifd&en ©d^ule
unreränbert unb bringt im Saufe be« 14. unb 15. Qa^r^unbert^
eine l^ol^e Stütze ber ©teinbilbnerei ^erDor. 3)?an betrad^te ben
reid^en ^ortalfd^mudf ber ©tuttgarter ©tiftöfird^e, bed aRünfterjJ ju
Ulm, T)or allem ber l^eiligen Äreujfird^e ju ©münb, unb man n)irb
t)on ber ßebenöfüHe unb fräftigen ©d&önl^eit biefer ^piaftif burd^=
brungen werben. SSon biefem reid^en Sehen ber ©fulptur gibt nun
bie G^linger grauenfird^e ben fd^önften Seroeig. SDa^ ganje 3leu§ere
ift in allen 2!l^eilen mit ber ©orgfalt unb bem ©d^mudte bel^anbelt^
ben ein reid^ geworbene« ©emeinwefen bajumal feinem ftäbtifd^en
§auptbenfmale unfel^Ibar jufommen liefe. S)ie ©übfeite als bie ber
©tabt jugcfel^rt liegenbe ift als ©d^aufeite glänjenber bei^anbelt,
namentUd^ mit jierlid^ fialengefrönten ©trebepfeilern befeftt. 8lm
ei^ore laufen biefelben in SBalbad^ine auS, roeld^e bie paanoeife
aufgefteüten ©tatuen ber jwölf SKpoftel cntl^alten. 2Bie eine ©d^aar
l^immlifd^er SBad^ter umgeben fie baS ^eiligt^um. 3ln ber füböjl=
lid^en (SdEe beS Sangl^aufeS fielet auf einer Äonfole bie riefige, leiber
^it (Jrauenfirc^e au ©jungen. 405
ftarl jerftörte ©cftalt be8 ^eiligen ©l^riftop^oruS mit bcm Gl^riftfinb
auf ber ©(ä^ulter. 5Wan pffcgtc ba« Silb be^ bxavtn e^riftugträgcrö
au bcu Äird^cu aufeeu ober iuneu aujubringeu, rocil ber ©laube
^errfc^tc, bafe wer i^n gefel^eu l^abe, au bemfclbeu a;a9e vox eiuem
jä^eu 3;obe fidler fei. lieber bcm 6^or aber ragt an ber öftlid&cu
Öicbelfpifte be^ ©d^iffe« uuter eiuem jierlid^eu SBalbad^iut^ürmd^eu
eiu eble^ ©taubbttb ber ^immeteföuigiu mit bem ß^riftfiub auf
beu airmeu empor. SBlit forglid^em »lidte fd^aut fie roeitl^iu über
©tabt uub £aub. ©ublid^ fe^lt uid^t eiue elegaut burd&brod^eue
3nagn)er!ga[erie^ loeld^e ba^ ^aä) iu feiuer ganjeu älu^bel^nung be-
gleitet. — SReid^erer gigurenfd^mudt tourbe bauu felbftoerftänblid^
beu 5ßortaleu juget^eilt. 2lm uubebeuteubfteu ift ba^ SBe|iportal
bebad^t, weil bie gaffabe ber ©tabt abgeroeubet liegt uub bal^er auf
reid^ereu ©d^mudt feiueu Slufprud^ mad^te. S)oc^ fie^t mau im
©iebelfelbe eiu lebeubig bewegtet Slelief be« ^eiligcu ©eorg, ber
beu 3)rad^eu tobtet. S)er ®ottei5ftreiter plt am ©iugauge be^
2;empete äßad^t uub wirft baS Söfe mit ritterlid^em Saujeuftofee ju
SSobeu. 3ltö ^Äuptportal würbe bad loeftlid^ gelegeue au ber ©üb^
fette mit eiuer reid^ geglieberteu 2)arfteIIuug be« jüugfteu ©erid&t^
gefd&müdlt, roeld^e mau fouft bem SBeftportale jut^eilte. ^öd^ft
origiueH ift bie auorbuuug biefe^ ^ortale^, beuu eiu fe^r uiebrig
gefpauuter glad^bogeu mirb oou eiuem giebelförmigeu 2luffafee über*
ragt, uub mit großem ©efd^idfe ift bie Slelieflompofitiou iu beibe
gelber oert^eilt. S)ie ©ruppe ber SBerbammteu iu ber uutereu Slb^
t^eiluug bietet ©temeute ^umoriftifd^er S)ramatif, iu roeld^eu mau
uufd^roer bie ©iuroirfuug ber bamaligeu aWpfterieufpiele erfeuut. ©iu
poffirlid^er Teufel l^alt beu fiößeurad^eu mit eiuem SBalfeu, au
meld^eu er fid^ feftflammcrt, weit aufgefperrt. 5ßetru§ bagegeu mit
rtefigem Siwmetefd^lüffel, beu er tbtn in« ©d^tüffcUod^ fledft, em::
pfäugt oor ber 5ßforte bie grommeu, mäl^reub au§ beu geufieru
ueugierige ^immetdbetool^uer auf bie 9lnfömmliuge blidteu. Ueber
bem ^portale pe^t man bie beibeu fifeeubeu ©eftalteu ber ^rop^etcu
S)at)ib uub 3efaia§, d^aralteroott bebeuteube Slrbciteu, bie ©eroäuber
iu großen aWajfeu bewegt, ©aö öftlid^e 5ßorta( berfelbeu ©eite eut=
l^ält im aSogenfelbe SRelieffjeuen aug bem ßebeu ber SDlaria: unten
bie Anbetung ber Äönige, iu ber aWitte beu 2^ob uub oben bie
406 3)ie ^auenfirc^e au ©^(ingen.
Ärönung bet Surtgfrau, naio Icbcnbige Äompofitioncn, fein unb
Q^^6)madvoU im ©etDanbtourf^ UebKd^e äRäbd^enlöpfd^en, xoit man
fie no(ä^ jeftt l^äufig in efelingcng ©trafen fielet, fiatte man l^icr
überaß fein SBcfteS getl^an, fo fd^roang fid& bie ftunfl be« a3au=
meifter« bei ber ©rrid^tung be^ ^^urmc^ ju einer bcr glüdUd^ften
©d^öpfungen auf. S)iefer mit 9ied^t melberounberte ©tolj ©felingenS
ifi in ber %f)at ein bejaubernbeS SBerf ber 3lrd^itcftur unb roirb
an @ra}ie bed Umrif[e$ unb ^^ein^eit ber &ntn)idelung fd^n)er(i<]^
t)on einem • anberen gotl^ifd^en 2:^urme erreid^t, gefd&roeige benn
übertroffen, ©er Xl^urm ju greiburg ift größer, bie beiben fürjlid^
ooHenbeten ^^ürme }u Äöln finb gar folojfal, aber fie atte l^aben
nid^t bag elaflifd^e 5ßrofil be« eglinger X^urme^. 2lm ndd^ften
fommt i^m ber Äird^t^urm ju S^^ann im ©Ifafe, aber il^m fe^It bie
©d^lanll^eit ber ©pifee unb bie föftlid^e ©alerie. SBor allem ifi ju
fagen, bafe ber ©felinger Xl^urm gerabe bie rid^tigen ^Proportionen
^at, in benen bie SJurd^bred^ung ber ^ßpramibe nod^ mie ein gra=
jiöfeö n)ol|langemeffened ©piel erfd^eint. SDie Äonflruftion ifi be=
wunbern^roürbig, SSequemtid^feit, ©id^er^eit unb ©d^ön^eit finb
gleid^mäfeig berüdtfid^tigt, bie ©injelformen für biefe ©pätjeit von
bemerfenSroertl^er SReinl^eit urib anmutig, ©inen befonberen SReij
bietet bie obere ©alerie, bie mie ein fü^ner fleingemeifeelter Äronj
bag luftige Oebäube umgibt. S)er S3Iidf oon bort über bai^ wonnige
Xl^al, in bem bie malerifd^e alte ©tabt fo n)eid^ gebettet liegt, über
bie roalbreid^en SBergrüdten bi« ju ben blauen fiinien ber 9Wb ift
Don unoetgleid^lid^em 3leij. S)ie Sttnlage be^ 2^l^urme^ aber ifi
berart, bafe ein ad^tedfigeö ^reppent^ürmd^en oom 83oben aus neben
if)m auffteigt, unb too biefeiS enbet, am Seginn beö ad^tedtigen Cber^
gefd^offeS, ein fed^SedEigeiS ^^reppentl^ürmd^en ftd^ ergebt. S)er Um-
rife beS ©anjen wirb baburd^ l&efonberS pifant unb malerifd^, benn
bie alten SBerfmeifier ftrebten nic^t nad^ ©ijmmetric, fonbem nad^
fd^lid^ter SBa^r^eit. SDieS Dbergeft^ofe ^at im Innern ein präd^tigeS
©terngemölbe, beffen Slippen auf ©dffäuld^en mit munberooBen fiaub^
f apitälen rul^en ; einige berfelben tragen baS ©teinmeftjeid^en $anÄ
SBöblinger«. Ueber bem ßeroölbe ergebt fid^, im burd^brod^enen
$elm aüffieigenb, eine offene SBenbelftiege, bie ju ber frei l^erauÄ«
gefragten ©alerie emporfül^rt. S^afe biefe lefttere bie auffieigenben
2)ie f^tauenfirc^e au ©jungen. 407
ßinicn bcS §clmc§ fo Icbenbig untcrbrtd^t, gcl^ört toie gcfagt ju
ben großen ©d^ön^citcn bicfc^ 2'l^unnciS. Uin)ergteid^lid^ cnblt(ä^ ift
bie fd^n)un8t)otIe Scroeßung, mit toctd^er bic grofec fireujbluntc bag
©anje abfd^Uefet ©o ift bcnn bic efelingcr graucnfird^c fammt
itircm ^J^urm eine bcr l^errlid&ftcn ard^iteftonifd^cn 5ßctlcn bc« fd^roä^
bifd^en Sanbc^, beten roürbige SBieberl^erftenung ber ©tabt unb bem
gartien Sanbe jum 3lul^m gerei^en toirb. ©eroife werben alle, bie
ein ^erj für bie ^errUd^teit unfeter alten Äunjl l^aben, gern il^r
©d^erflein ju biefem eblen SBerfe beifteuern.
(3rör*ri|I m bitttiüi« mnnü 1884.)
^eit burd^ ben gtogen Aanjier unb ben greifen ^elbenlaifer
ein mäd^tige^ beutf(ä^c^ SReid^ erjianben ift, beffen äußerer ®ianj
urib innerer Su^bau trofi aller angriffe feinblid^er eiemente un=
auf^altfam fortj^reitet, wirb t)on allen SBaterlanbgfreunben bie (St^
^ö^ung beg gefammten ÄulturIcbenS ate eine ber loid^tigften Auf-
gaben angestrebt. 9tul^t bod^ feit ben 3eiten ber @ried^en ber ^öd^fie
Shil^m eineg SBoIfeS in ben ebeljien ©eiiiedgütem, roeld^e eS afe
unt)eräu^erHd^ed ©rbtl^eil ber gefammten SRenfd^l^eit t)ermad^t.
itein 3Bunber ba^er^ bag ber 9luf nad^ einer nationalen Jtun{l
lauter unb allgemeiner afe je erfd^attt. aber fogleid^ ergebt fid^
aud^ für jeben 3)enlenbcn bie grage: SBa^ ift 5RationalIunji? 3war
fottte barüber fein Sw^Urf befielen für benjenigen, roeld^er ben
®eifi unb bie gefd^id^tlid^e ©ntroidfetung unfrei^ SBoIfeiS erfannt l^at.
aber xoenn man bie l^eutigen Strömungen ber bcutfd^en Äunft in^
Sluge fa§t unb bamit bie äeufeerungen geroiffer einflufereid^er 3;age«^
fritiler rerglcid^t, bie auiS ben fünftlerifd^en Äreifen felbji ^en)or=
gegangen pnb unb me^r Don ben fi^roanlenben Stimmungen
be8 2:age8 afe von fejien dftl^etifd^en ®unbfä|en geleitet werben,
fo fann e« nid^t überflüfitg erfd^einen, bie fjrage nad^ ber natio=
naien Äunfi einmal öffentlid^ ju erörtern, ©ie ©efefte, bie ftd^
^ier ergeben werben, muffen einerfeits au8 bem SBefen aller Äunfl,
anbererfeitd au^ bem ©eifle unfrei SSolteiS ftd^ ableiten. S)er bo«
bi)lonifd^e SBirrwarr fonfufer aJieinungen, wie er un^ in mU
flimmiger SJiffonanj fo oft auÄ ber Sagegprejfe entgegenfd^afft, ifl
gflationalc Äunft. 409
fii^on be^l^alb mit allem ©rnft jurüdjutoeifen, rocil er meiften^ mit
getoiffen (Strömungen be^ fd^affenben Äunftleben^ auf^ rerl^ängnife^
TjoUfte TJerfd^Iungen ift unb niiä^t feiten jenen SRid^tungen aU ©tüfce
bient.
Um gleid^ ein SBeifptel l^erauSjul^eben, fo l^aben wir tütiliä)
lieber an ^eroorragenber ©tette ben alten, fo oft jurüdgeroiefenen
unb bod^ immer oon 9icuem auftaud^enben SBa^n rerfünben l^ören,
ber S)eutfd^e bürfe nur in feinem nationalen ©til, b. ^. bem got^i-
fc^en, bauen, bürfe nur reben, fo ^ie§ e^, wie itim ber ©d^nabel
geroad^fen fei. SKU ob ber beutfd^e ©d^nabel nur aufS ©ot^ifd^e
jugefpifet fei, ate ob nid^t bie ©ot^if in granfreid^ entftanben unb
Tjon unfren SBorfa^ren afe frembe ©d^öpfung, al^ Opus Franci-
genum, aufgenommen morben wäre. Ratten unfre alten SKeifter be^
13. Sal^r^unbertg pd^ auf ben einfeitig nationalen ©tanbpunft geftettt,
fo würben fie nie ben got^ifd^en ©til angenommen l^aben, unb bie
l^eutigen Sifcrer für bie aKein feligmad^enbe ©otl^if müßten auf ba§
Vergnügen rerjid^ten, biefc SSautoeife al^ bie nationale anjupreifen.
Serul^te ber Segriff be« ^Rationalen auf fo einfeitigen 3lnfd^auungen,
fo bürfte man rool^l fragen, weld^en ©til ^aben mir benn über-
l^aupt ate einen in 3)eutfd^lanb entftanbenen, alfo in biefem engen
©inne nationalen ju bejeid^nen? etwa ben romanifd^en, ber ung
belanntlid^ aug Italien fam unb, wie aDe SBelt weife, nid&t blofe
Seutfd^tanb , fonbern baS ganje Slbenblanb be^errfd^te? Unb vtx-
l^ält eiS fid^ anber^ mit unfrer SRenaiffance, welc|ie üon jenen gana=
tifern ber ©otl^if atö frembe, bem 35eutfd^en nid^t gejiemenbe Slu^^
brudt^weife jurüdfgewiefen wirb? 3ft fie un^ nid^t ebenfo wie bie
©ot^if unb ber romanifd^e ©til oon au|en gefommen unb l^at fid&
in i^r nid^t gerabe fo wie in jenen mittelalterlid^en SBauwefen auf
ber ©runblage ber allgemeinen 3^itftimmung eine eigenartige gor^^
menfprad^e entwidtelt, in weld^er wir ben ©eifl unb ©l^arafter
unfrei 5ßolfe^ unoerfennbar ausgeprägt finben? ©inb nid^t bie
©d^löffer ju ^cibelberg, ©tuttgart, 2)re§ben, a^orgau unb fo riele
anbere, jinb nid^t bie jal^lreid^en SRat^l^äufer, wie ju SRotl^enburg,
3Rümberg, 9lltenburg u. f. w., unb bie oielcn origineDen Sürger^
l^äufer ebenfo oottgültige S3eweife beutfd^en ÄunftgefütilS wie bie
l^errlid^en romanifd^en unb got^ifd^en S)ome unfrei SBaterlanbe«?
410 92aiionare l^unft.
Sßer möd^te ettoaS booon aud unferem nationalen 9lul^medlranie
l^erauötcifecn? ©o lange l^iftorifd^e ©nhoidclung befielet, f)at bie
eine SRation t)on ber anbeten gelernt, unb felbji ba« ^od^begabte
aSoIf ber ©ried^en l^at an ben 2Iegpptem unb aiffijrem feine £e^r=
meifter gehabt. Sie nationale ©igenart befielet nid^t barin, bafe man
fidd gegen bie« ©efefe ber entroidelung auflel^nt — benn bann fledtten
roir nod^ tief in ber Äultur ber 5Pfat|lbauten, — fonbern bafe ber
eigent^ümlid^e nationale (Seift ftdd in bie frembe gormenroelt ergiefet
unb fie in eigenartigem ©inne umgeftaltet.
SRid^t minber einfeitig mufe jene 2luffaf|ung genannt werben,
Toeld^e in ber augfd^liejjlid^en ©trömung jur bcutfd^en SRenaijfance
bie allein bered(|tigte nationale 9lid^tung ber Slrd^iteftur l^infteHen
möd^te. SBir finb geroife bie ßefeten, toeld^e ber beutfd^en 9ienaif-
fance i^re große SBered^tigung abfpred^en möd^ten, benn wir |iaben
wa^rlid^ eine ©umme oon ^tit, ftraft unb 2Wü^e baran gefegt,
um unfer ©d^erflein jur SBieberentbedfung unb Sleubelebung biefer
fraft' unb audbrudSooQen SBaumeife beijutragen. 9Bir ftnb aud^
ber aWeinung, bajs unfre SRenaiffance burd^ bie ledfe a)Ufd^ung mit
-italienifd^en, franjöfifd^en unb nieberlänbifd^en ©lementen nic^t« oon
i^rer Originalität eingebüßt, oieltnel^r gcrabe burd^ bie freie a3er=
TOertl^ung atter biefer Äulturmomente unb Äunftformen einen be^
neiben^toertl^en SBeroei« urroüd^figer Äraft, grifdjie unb Unmittelbarfeit
geliefert l^at. 3n biefem ©inne foDen unfre heutigen 3Weiper mit
unfren SBorfa^ren roetteifern, nid^t in einfeitiger Seoorjugung einer
befonberen ©tilform, oielme^r in freier Aneignung unb aSenocn^
bung be« ©efammtfd^aßeiJ ber 2;rabitton bie SSeubelebung ber ärd^i-
teftur fud&en. Slm roenigften vermögen mir ba ba« Seil ber
Slrd^iteftur ju erlennen, roo in faft barbarifd^er ^lump^eit toa^Uo«
bie berbften unb flberlabenften alten ajJonumente nad^geal^mt toerben,
wobei eine« ber wid^tigften ©efefce ade« ard^iteltonifd^en ©ddaffen«,
bie StüdEfid^t auf ben ajJaßftab unb bie SBejie^ung be« Ornament«
unb ber ©lieberungen auf bie ©efammtanlage, mit güfeen getreten
wirb, aßenn man un« gerabe biefe 9lu«geburten einer wenig ge^:
faulten ard^iteltonifd^en ^robultion al« 5Wufter beutfd^en Äunfifinn«
anpreifen miU, fo muffen mir barüber ebenfo mitleibig läd^eln, wie
wenn un« oon berfelben ©eite bie au^fd&liefelid^e pflege SBagnerfd^er
SWationare Hunft. 411
aWujtfbramcn afe bcfonbcre nationale %^at gcpticfcn toirb, loäl^rcnb
man j. SB. bie jum minbeftcn ebcnfo beutf<i^e aRufif cine§ SBral^mg
boxt t)öSig Dernad^Iäfftgt.
SKber roir ftel^cn \6)on faft nicj^t me^r im Scid^en ber Sie»
naiffance. S8on t)erfd^icbcncn ©eitcn mad^t fid^ feit Äutjem eine
©trömung bemerflid^, bie man aU eine fe^r bebenflid^e bejeid^nen
mufe. 9Ud^t jwfrieben mit ber materifd^en greil^eit unserer »lenaifs
fance, greifen mandde Äünftler roieber ju ben tottften äu^geburten
beg Sarodfo unb be« Slofolo, aU ob in biefen überlabenen unb
bobei innerlici^ l^ol^Ien ©ebilben ba« ^eil unferer Äunft läge. SEBir
möd^ten n)aldr(idd nid^t Dertennen^ raetd^e grogartigen Jlonie))tionen
in jenen ©tilformen namentlid^ ba^ Dorige ^a^r^unbert l^eroor^
gebrad^t l^at. Seutfd^Ianb ftroßt jefet nod^ von jenen granbioö an^
gelegten unb t)erfddn)enberifdd au^geftatteten gürflenfd^löffern, in
meldten ber fd^ranfenlofe abfolutigmu^ ber bamaligen 3cit nad^ bem
SSorbilbe Subtoig« XIV. unb nid^t minber ber jügelloje fiebeniSge^
nufe fiubroigö XV. feinen Sttu^brudf gefunben ^at. aud^ motten mir
nid^t oerlennen, auf mie l^o^er ©tufe baS gefammte Äunftgemerbe
in ber SluSfd^mädEung biefer ^rad^tbauten fid^ bewährt ^at. aber
ift e^ mögliiS, in bem Uebermutl^ biefer prunfiootten 3lefibenjen
(mir motten nur an baiS glänjenbfte Seifpiel, bie SRefibenj t)on
SBürjburg erinnern), mo ber rüdffid&t^Iofe ©goiSmug ber l^errfd^en-
ben Älaffen fid^ in jeber Sinie offenbart, ben Slu^bnidf für unfer
l^eutige« nationaleiJ fieben ju finben? ©ottten mir nid^t ben ©influfe
jener üppigen franjöfifd^en ^offunft energifd^ jurüdmetfen unb un^
lieber auf bie SEBerle jener großen ©pod^e ftüfcen, meld&e burd^ bie
^Reformation unb ben ^umani^muS für atte ^eiien ate leuddtenbe^
SBeifpiel baftel^t unb unferem gefammten nationalen Seben bie geiftige
ggSiebergeburt bereitet l^at? Site im 3a^re 1883 bie aJJünd^ener
Slugftettung ein fo glänjenbeö ©efammtbilb ber beutfd^en Äunft ent=
faltete, mar eg unö tief fd^merjlid^, gleid^ beim ©intritt in bie grofee
aJiitteli^atte eine ebenfo abgefd^madtte unb geijllofe alg in ber gorm
fümmerlid^e SRofofobeforation ju finben. Um fo nieberbrüdfenber
mar bieS SBilb, als eS ftd^ von ben meift impofanten Äompofitionen
beS vorigen ^a^ri^unbertg burd^ bie Srnifeligfeit beS SKaterial« unD
ber auSfülirung fd^neibenb unterfd^ieb. S)a« alfo mar in einer
412 «Rationale Äunfl.
©tabt, weld^c bcu äJorjug einer ed(|t nationalen Äunft für [lü^ in
Slnfprud^ nimmt, ba§ 2:itelblatt unb bie DuDertüre für eine k\x^^
ftettung ber lebenben Äunft!
31x6)1 minber unerfreulid^e ©rfii^einungen Dottiiel^en ^iä) auf
bem ®ebiete bcr l^eutiflen ^laftif. 3)er jügcllofe SlaturaÜMu^,
ber biefe eble Äunft ju einem SEBettrennen mit ber im tiefften
SReali^muä loerfunfenen 3JiaIerei anfpornt, ^at angefangen bie ton=
angebenben beutfd^en ©d^ulen ju t)ergiften unb jeDeö l^ö^ere ©tiU
gefüllt ju tobten. fiauptfäc^Iid^ gilt bie^ t)on ber jüngeren berliner
©eneration, aber aud^ von ben snünd^nern, wo bie geniale aber
fiiliftifci^ ungefd^ulte Äraft eine^ ®ebon ein Tjerl^ängnifeuoIIe^ Sei=
fpiel wie für bie ätrd^iteftur fo aud^ für bie ^lajlif gegeben ^at.
2)ie aJlel^rial^l feiner ©d^öpfungen betoegt fid^ in jenem wilben
gortiffimo ber Sttffefte, roeld&e^ fd^on ben SBerfen be^ SRofofo bei
innerlid^er Äälte ben ©tempel t^eatralifd^er ©efpreijt^eit aufprägte.
SBaä bleibt nun ben mobernen SRad^al^mem übrig, ate bie SKotiüe
nod^ JU überbieten ! ©o f ann man benn faum etmai^ Unerfreulid^ere^
feigen ald biefe Slu^geburten einer jügellofen ^l^antafie, in n)eld^en
bie SRatur oft big jur Äarifatur entftellt toirb unb namentlid^ jeber
reinere ©eroanbftil in bem unmotiüirten Saufd^en, SQSogen unb
glattem problematifd^er ftleiberfefeen erftidft mirb. Oeioife motten
mir nid^t jene abftralte ©emanbbe^anblung mie fie S^^ormalbfen
unb feine 3^it ben fpätern römifd^cn aintifen abgefe^en l^at. SUid^
in ber ^piaftil t)erlangen mir für bie ©emanbung jene feinem ftoff*
lid^en Unterfd^iebe, mie jie in unt)ergleid^lid^er Jlaturroa^rl^eit fd^on
bie ^partl^enonffulpturen jeigen. ^aben aber nid(|t 9laud^ unb
Slietfd^el biefen SBeg mit bem fd^önfien ©rfolge betreten, o^ne barum
bod^ bie großen ©tilgefefce monumentaler ©fulptur aufjugebcn?
Slber leiber fd^eint bie ©egenmart fid^ überaß nur in fd^roffer
Ginfeitigfeit ber SRid^tungen ju bemegen. am attenoenigfien in-
befe t)ermögen mir in fold^em ©treben etmag SRationale« ju er^
fennen.
9lod& fd^&rfer tJietteid^t tritt bie ©nfeitigfeit im öegriff bed
9lationalen bei ber mobernflen unb beliebtefien unter ben bilbenben
Äünfien, ber 3Jlalerei, ^ert)or. aWan foDte eg nid^t für möglid^
galten, bafe gemiffe Äird^tl^urmgäftl^etifer unferen Äünfilern bie
SRationatc Äunft. 413
SKa^nung jurufcn, nur bcutfci^e^ Sanb unb SSol! ju fd^ilbcrn, bcnn
nur barin jcifle ftd^ nationale ftunft; allc§ grembc fei abjuTOeifen,
wie benn überhaupt bet Äünftler nur ba^ mit ©rfolg fd^ilbern
fönne, voa^ er felbft gefeiten. Unter ©el^en uerftcl^en aber biefe
tieffinnißen Seute lebigliii^ jenen pfi9fif<i^en äft, ben jebe« S^l^ier mit
bem SKenfd^en gemein l^at. SBon einem geiftigen ©d^iauen, von bem
a3li(f ber ^l^antafie, ber bie ^tittn burd^bringt unb im Unenblid^en
ju Saufe ift, l^aben biefe SSlöbfid^tigen feine Sl^nung. SBo bliebe
aber bie ganje grofee Äunft ber Sßergangen^eit t)on 5p^ibia§ bi§ auf
aWid^elangelo , wenn bie« engfierjige ©efefe bie Äünftler gefejfelt
l^ätte! 9iur ba« ^Porträt unb etwa ba« ©enrebilb blieben beftel^en,
alle ©ötterbilber würben jerfd^lagen, unb in ben »eröbeten Stempeln
brüftete fid^ in fallier Xriuialität bie SBirflid^feit. S)enn auf nid^t«
anbere« läuft biefe Slpot^eofe bed StealiSmu« l^inauiS^ aU bie plumpe
2:^atfäd^lid^feit ber S)inge auf ben 2;^ron }u erl^eben, bie l^öd^ften
3been aber, toeld^e in ^Ri^iffo^ unb ©efd^id^te, in ©age unb SRärd^en
ben ®eift ber 2)id(|ter unb ber Äünftler ju unfterblid^cn ©ebilben
entjünbet, in bie SRumpelfammer abgeftanbener ©ddemen ju werfen.
S3a§ im Äated^iömuö biefer Äunftle^re bie erl^abenen SSBerte eine«
ßomeliu«, bie ^od^poetifd^en ©ebilbe eine« ©eneHi, bie marfigen
Oeftalten eine« SRetl^el, bie jauberDoHen 3Kärd^en eine« ©d^roinb,
bie eblen ©d^öpfungen geuerbad^«, bie pl^antafiereid^en SSödtlin« —
um nur einige au« ber 3^^^ unferer Qbealiften ^erau«jugreifen —
feine ©tätte finben, ift felbftrerftänblid^. 'S:itnn biefe ganje S)oftrin
jie^t i^re SRatirung au« bem Uebermiegen, mit toetd^em bie aWaffe
ber l^eutigen Äünftler unb Kunftfreunbe ber realiftifd&en ©trömung
folgt, ipöben wir bod^ fürjlid^ lefen muffen, mit toeld^er SSerad^tung
eine banale 2;age«fritif auf ßarften« tierabblidten ju bürfen meint,
wie fie nid^t genug SBorte Der ©eringfd^äfeung für ben eblen SBatm*
bred^er einer neuen Äunft ju finben oermag; unb bod^ jiedEt in
einer Äompofition jene« großen Sbealiften, wie bem fiomer, bem
9)Jegapent]^e«, ben ^arjen, me^r ewiger ©e^alt al« in ben ganjen
realiftifd^en ^errlid^feiten irgenb einer unferer mobemen aöeltau«^
ftellungen. Unb ebenfo mufe ©d^infel fid^'« gefallen laffen, in fd^nöber
SHBeife abgefanjelt ju werben, ba bie neuefte ©pod^e feine äl^nung
t)on bem ed^ten ®eifte«abel, ber ftiHen SBornelim^eit feiner aWeiftft^
414 92ationare 5tunft
werfe beflißt. @^ fd^eint, bafe wir immer me^r ba^in gerat^en, von
ber Äunft nur Sanitfd^arenmufif ju rerlangen, wa^renb jebe Qm^
pfänglid^feit für bcn feufd^en Slbel einer in ben fd^Ud^teften ^rmen
unb mit ben befd^cibenften 3Witteln fd^affenben ^l^antajie un« afc
^anben }u tommen brol^t.
SBer möd^te ben SBertl^ eineö gebiegcnen oon tiefer 9laturan=
f d^auung getränften Sleali^mui^ irgenb beftreiten ? toer fid^ nid^t bem
uneingefd^ränften ®enu§ ber SBerfe fo meler tüd^tiger 9iealijien
l^ingeben? aber fold^en ©d&öpfungen eine au^fd^lieftUd^e »ered^s
tigung jufpred&en, jebe ibeale ©eflaltung aug bem SBereid^ unferet
Aunft Derbannen unb fie fogar atö antinational Derpönen^ baiS ifl
eine ©d^roff^eit unb ®inf eiligfeit, an roeldder jebe Äunfl balb »er^
fümmern mufe. 3)ie ,,8Solf8t^ümlid^feit" be<^ SteaK^muÄ in geroiffem
©inne wollen mir jugeben; ein laddenbe« ©d^enfmöbd^en mirb ber
großen SRaffe weit befler gefallen, ate eine trauernbe Sp^iß^nie.
2lber roel^e ber Äunfi, meldte nur biefer ärt oon Popularität nad^^
ftrebt. 2Bag barau3 werben fann, wenn man biefe S^enbenj flet^
au^fd^tteBlid^ auf ben ©d^üb erl^ebt, jeigt un« in bebenflid^er SBeife
bie fürjtid^ erfd^ienene „SKünd^ener SBunte 3Kappe" mit bem fred^en
ßpni^mujS ber ^ßigll^eimfd^en ©fijjen, (fd^on ba« 3;itelblatt biejeS
Künftlerg ifi von böfefter SBorbebeutung !) ber plumpen Slo^eit oon
fiorftigg „Siomeo unb Sulie" auf bem 35orfe, bie fd^on burd^ bie
fd^nöbe (Erinnerung an eine ber ^errtid^ften S)td&tungen ©ottfrteb
Äetter^ (ganj abgefel^en ron ©l^afcfpeare!) jebe feinere ®mpfinbung
.empören mufe, femer mit ben nid^t minber frajfen „aSerliabte Seut"
Don ^ugo Jtauffmann gerabeju abftogenb wirft. 3(ud^ fonfl ma^t
Ttd^ überall in unferer neuefien flunft bie bebenftidde Sleigung geU
tenb, nad^ bem eblen aSorbilbe B^la^^ auÄ bem SSolfiJleben bie reifes
ften unb ftumpfften %x)pen jur erfd^einung ju bringen, bie aufgäbe
ber ftunft in ber S)arflellung be^ moralifdd unb p^i|fifd(i öäBli*«« S«
fe^en. 2)ag alfo muffen wir mit gewijfen Äritifem ate nationale,
oolf^tJ^ümlid^e flunft bewunbern. aber in wetd^en ©umpf gelangen
wir bamit!
Un« fel^lt wa^rlid^ nid^t ber ©inn für ben 3leij, mit roeld^em
eine anjal^l au^gejeid^neter Rflnftler, ein SRenjel, 5tnau«, SBalb*
müSer, aSautier, SJefregger unb fo tjiele anberc, bai^ fieben unfcrc«
9{ationaIe ^unft. 415
aSoIfcS in fieib unb £uft, in Sttrbcit unb ©t^olung, bal^eim unb
braujscn )u fci^Ubcrn roiffcn, unb toir crfennen in bicfer ganjen ffti^=
tung ein« bcr gefunbefien unb t)oltetl^ämli(i)ftcn eiemente unfcrer
Äunji. aber e^ wäre einfeitige aSerblenbung, in biefen engen flrei«
ber äluffaffung aQe« ffinftlerifdde Sd^affen einzuhängen ju rooQen,
benn pon einer großen ibealen aKonumentaKunfl wäre bann feine
3lebe mel^r. 5Rur eine einjige &po6)t unb ein einjige« S80II im
weiten aSerlaufe ber Äunftgefd&id^te l^at fid& auf biefe« ©ebiet mit
aSorliebe befd&ränlt: bie fioDänber be« 17. 3a^rl^unbert«. 3lber felbft
ba burd^briii^t toenigften« ein groger $oet^ 9iembranbt^ ben S3ann
ber ätUtägUd^feit. Unfere Jlunft in ä^nlic^er äBeife einengen ju
wollen, ^iefee ben ®eift unfere« SBoHe« in bie eng gejogenen ©ci^rans
!en jener ^alb bäuerlid^en, ^alb merfantilifd^en äbjroeigung be«
beutfd^en @tamm« einpferd^en unb unfer unermejjUc^ reiche«, an
{eine @nbli^teit Don ^tit unb Ort gebunbene« ®eifte«teben oer-
fümmern. Cber wollen wir fo weit ge^en wie jener 2^age«friti!er,
ber bei ©elegen^eit ber leftten 3Ründ^ener 3lu«ftettung fogar ben
SBertiner fianbfd^aftern vorwarf, bafe fie nid^t allein ^elmifd^e, fonbern
aud& frembe, fogar orientalifd^e ©jenerien jur S)arflellung brdd^ten,
inbem er barin einen ©eroei« Don ber in Serlin mangcinben natio^
na{Ä ©efinnung fanb?! Unb berfelbe Äritifer rühmte jüngft in
einem 5Refrologe ^an« aWalart«, ber gefeierte SBiener Äünftler ^abe
„unfre nationale ©elbfta(|)tung erl^ö^t unb unfre aSaterlanb«liebe
geftSrft, inbem er ben beutfd^en grauen, fpejiett ben ^errlid&en
SBienerinnen in unfrer 3Katerei erft wieber ju i^rem SRec^te Der*
Rolfen, ganj fo wie e» ©oetl^e in ber ajid^tung t^at,
wäl^renb geuerbad^ unb SBinter^alter (wunberbare S^fcttnmenftet
lung!) nur grembe, StaKenerinnen unb granjöfinnen ner^errlid^t
l^aben unb bamit, traurig genug, nid^t nur bart^aten, wie ent?
frembet fie unfrem SBolfe waren, fonbern in biefem aud^, ba« o^ne?
^in jur Ueberfd^äfcung be« gremben fo geneigt ift, bem Aberglauben
an bie überlegene ©d^ön^eit ber Stalienerinnen ober gar ber gran^
jöfinnen erfl red^t 5Ral^rung ju geben." 3unäd&ft mufe man bodd ^^'
gegen proteftiren, bafe ein Äünfiler t)on fo ^ol^er Sbealität, Don fold^
feelenüoHer ©rofel^eit unb anmut^ wie geuerbac^ in einem ätl^em
genannt wirb mit aWatern wie SBinter^alter unb a)iafart, bie beibe
416 Stationäre Äunft.
— nur bcr Icfetcrc mit ungfeid^ größerer ©cntalität — blog bcm
äufecrcn finnlid^cn SRciäc l^ulbigen. ®cn)i^ ^at aud^ bicfe, jtöar bic
©ce(c unb ben ®cift falt lajfcnbe, ober ba^ Sluge entjüdenbc Äunft
il^re t)ottc SBcrcd^ttgwng; aber man fx)!! fte nid^t mit ber l^o^cn Äunft
eineg gcucrbad^ jufammenroerfen! ©afe rjoücnb^ 2)?afart burd^ feine
üppigen, bij^ jur B^^^^fpife^ befottetirten SBienerinnen fid^ aU beut=
f<^er ^Patriot beroäl^rt ^abe, bag ift offenbar eine ganj neue @nts
bedung. Unb xotnn bann berfelbe ©nlomiafl be« ncucften SRealig^
mu^ triumpfiirenb aufruft: „SBag gingen bie aWüncliener ber tro=
janifd^e Ärieg unb bie gried^ifd^e ©ötterm^tl^e an/' fo l^offen mir,
bafe biefer ®rab von SBarbarei meber in SRünd^en nod^ fonftmo ju
Saufe ift.
SBie oft mufe e^ benn betont werben, ba§ ba^ SBefen ber Äunft
nid^t am ©toffe liaftet, bafe fid^ in ber Sluffaffung unb 35arftellung,
nid^t im ©egenftanbe ber nationale ®eift befunbet. SBa^ mürben
bie fieroen unferer flaffifd^en fiitteratur baju fagen, menn man eine
ganjc 9?eil|e il^rer erl^abenften 3KeiPermerIe, menn man Sp^igenie
unb Xaffo, SRaria ©tuart unb bie Sungfrau üon Orleans auiS bem
ß^rentempel unferer nationalen ^ßoefie auSmeifen mottte? Unb ifi
e^ ttwa^ ainbere^ um bie 2Ber!e ber bilbenben Äunjl: möd^ten mir
gorneliug' ©ötter^* unb S^roianer^Saal, ®eneKiö geniale ^^antajffen
au8 ber gried&ifd()en ©agenmelt, geucrbad^ö Spl^igenien, 3)iebea, ®aft=
matil u. f. m. miffen? Saffen mir bie Äorpbanten beö SRealigmuS
i^re ent^ufiaftifd^en 2^änjc um bag tjon i^nen loergötterte Runftibol
rul^ig weiter fül^ren! SRur bafe fie unö nid^t unfere eigenfte ®ötter5
melt antaften unb aDe^ ba§ jerftören foßen, morin ber ®cift unferer
größten 3)id^ter unb Äünftler un0 feine l^errti^ften Offenbarungen
gefpenbet 'l^at! SBergeffen mir nie, bafe für un^ ber SBegriff be^
SRationalen niemals in ber engl^crjigen Sefd^ränfung auf ben eigenen
S3oben beftel^en fann, bafe alle^, ma^ mir auö ber 9latur unb Äunfi,
auö bem Scben unb ber ®efd^id^te frember Sänber unS anjucignen
vermögen, unfer eigenfte^ Sleifd^ unb Slut mirb, bafe t)or aßem bie
ßaubermelt be^ ©üben^, bie gormen^ unb garbenprad^t Qtalien^, bie
ibealen ®ebilbe ®ried^enlanbS SBürgerred^t in unferer ?ß^antafte er*
langt tiaben, bafe unfere ganje ®röfee in ber ßitteratur unb Äunft
auf ber Unioerfalität berulit, mit meld^er ber beutfd&e ®eiji ißeimat
9lationaIe ^m% 417
unb grembe, ©cgcntoart unb SScrgangentieit burc^bringt unb ju un=
ftcrblid^en ©cbilben ücrflärt.
®a§ allcg finb ©cbanfcn fo felbftücrftänblid^er 2ltt, bafe man
glauben foDte, c^ fei übcrftüffig fic au^jufpred^en. 2lber gegenüber
bem immer ftär!er anbrängenben trioialen treiben, toeld^e^ eine ftet^
plebejifd^er njerbenbe GJeifteSrid^tung über nn^ t)er^ängt, t^ut e^ im=
mer von neuem roieber 3lot, t)on 3cit ju 3^it ^roteft ju erl^eben
unb baS SWed&t ibealen ©^affeng al§ unt)eräu6erlid^en Sorjug unferer
nationalen Äunft ju prottamiren.
YCJ 13581
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