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Cornell Muiversity Library
BOUGHT WITH THE INCOME
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SAGE ENDOWMENT FUND
THE GIFT OF
Henry W. Sage
1891
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ERGANZUNGSHEFTE ZUM
DEUTSCHEN STATISTISCHEN ZENTRALBLATT - HEFT 1
STATISTIK DER
ZIVILRECHTSPFLEGE
VON
DR. IUR. ET PHIL., GERICHTSASSESSOR
z. ZT. IM KÖNIGL. SÄCHSISCHEN STATISTISCHEN LANDESAMT
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DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER LEIPZIG 1912
V.
Die „Ergänzungshefte“ bringen geeignete Arbeiten auf
dem Gebiete der Statistik, die wegen ihres Umfanges im
Rahmen des „Deutschen Statistischen Zentralblattes“ nicht
untergebracht werden können.
Verlag und Redaktion.
ALLE RECHTE, EINSCHLIESZLICH DES ÜBERSETZUNGSRECH!TS, VORBEHALTEN.
Inhaltsübersicht.
Seite
Einleitung. Abgrenzung und Umschreibung des Themas .... . äer, $
I. Abschnitt: Theoretische Statistik der Zivilrechtspflege .... 9
1. Aufgabe und Bedeutung der Rechtsstatistik . . . . . 2 2 222200. 9
2. Sachliche Abgrenzung des Beobachtungsfeldes ............. 13
3. Das Beobachtungsobjekt . . e ee ee ee 20
4. Stoffgewinnung und Verarbeitung im allgemeinen `... 22
5. Systematische Stellung in der Statistik . . . . . 2 2 2 2 2 eaaa. 27
II. Abschnitt: Praktische Statistik der Zivilrechtspflege ..... 31
A. Geschichtlicher Überblick `... 31
B. Die amtliche Zivilrechtsstatistik im allgemeinen .........2... 35
C. Der gegenwärtige Stand der Statistik der Zivilrechtspflege ....... 38
a) Die Zivilrechtsstatistik als Bevölkerungsstatistik i. w. S. . . ..... 38
1. Entmündigungen, Volljährigkeitserklärungen . . . 2... 222.0. 38
2. Vormundschaftswesen . . 2 2 2 2 2 6 2 ee nenn 40
3. Fürsorgeerziehung `... ee ee ee ee 47
4. BtatUBPrOZESBe . . . ec er es we eG AG BO, ae eS 50
5. Ehescheidungsprozesse . 2. 2 1 2 2 2 nn nn re 50
6. Vereinswesen s „wu un ae SG ee a eh 53
b) Zivilrechtsstatistik als Wirtschaftsstatistik `. a ať 55
1. Die wirtschaftlichen Vereinigungen (Handels- und Genossenschafts-
FERISTEF)!. eet a, EE gr ee 55
2.:Güterrechtsregister te. we aa a ee a ee 67
3. Zivilprozesse ssh Sve Ss Sh ee ee EE 69
4. Gewerbe-, Kaufmannsgerichte. . . . 2. 2 2 2 2 nr nenne ne 80
5. Sonstige Organe der Rechtspflege (Gemeindegerichte, Schiedsmänner,
Rechtsauskunftsstellen) . . . 2 220 m Er nr +050 2 ee eee 81
6. Zwangsvollstreckungen `, . ...... 2... ee ee ee ee we 88
1: IRON KUISC E 2 ee e RE e bE we 86
So SEER wu... u. a ok ee Pw CHE 88
9: APUG DUCK s.a Sin eG Ee A Gs Ge 88
10. Schifisregister: s 8 Ae A = wu wl eG, ee Se WR A ee E 97
SchluBbetrachtung. ............. 208.86 +. ee eee . 98
1*
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t
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Heft 4. S. 360—377. 1908. 1, S. 308—311.
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Heilgenstadt, Die Gesellschaften mit beschränkter Haftung i. J. 1892, in Conrads
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Kühnert, Die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in Preußen. Preuß. Stat.
L.A.Z. 1909. S. 261.
Liebmann, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht in der Praxis. Deutsche
Juristenzeitung 1902. 8. 327.
Crüger, Jahrbuch des allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deut-
schen Wirtschaftsgenossenschaften.
Wimpfheimer, Der Rechtsunterricht an technischen und Fachhochschulen in Bü-
chers Zeitschr. f. ges. Staatsw. 1910. S. 734.
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Nr. 10.
Evert, Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes in einigen Amtsgerichtsbe-
zirken Preußens 1883—1896. Preuß. Stat. L.A.Z. 1898. S. 93.
Evert, Über die wirtschaftliche Bedeutung landwirtschaftlicher Zwangsversteige-
rungen. Preuß. Stat. L.A.Z. Bd. 27 (1887), S. 226.
Cohen, Die Statistik der Zwangsvollstreckungen landwirtschaftlicher Anwesen, im
Allg. Stat. Archiv 1891/92. Bd. 2, S. 56ff.
Flesch, Artikel Zwangsvollstreckung im Handwörterbuch.
— Die Ursachen der Zwangsversteigerungen vorwiegend land- und forstwirtschaft-
lich benutzter Grundstücke in Preußen. 1886/87. Preuß. Stat. L.A.Z. Bd. 27
(1887), 8. 205.
Wirminghaus, Konkursstatistik in Conrads Jahrbüchern. 3. F. Bd. 2 (1891), S. 2.
Wirminghaus, im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Artikel Konkurs-
statistik und Statistik der Hypothekenschulden.
Lindenberg, Statistik der vom 1. Oktober 1879 bis 31. Dezember 1883 in Deutsch-
land eröffneten Konkurse, Conrads Jahrbücher. N. F. Bd. 9, 10, 11.
— Grundeigentum und Gebäude, im Preuß. Staat vom Jahre 1878. Preuß. Stat.
Bd. 103.
Rodbertus-Jagetzow, Zur Erklirung einer Abhilfe der heutigen Kreditnot des
Grundbesitzes. Berlin 1868.
— Grundeigentum im Preuß. Staat. 1893. Preuß. Stat. Bd. 146.
— Die Gebäude im Preuß. Staat. Berlin 1871.
C. Zeitschriften usw.:
Bulletins de l'institut internationale de statistique (zitiert: Bulletin).
Die verschiedenen Berichte der staatlichen wie städtischen Statistischen Ämter, das
Preußische Justizministerialblatt (J.M.Bl.), das Reichsarbeitsblatt, die soziale
Praxis, die Deutsche Juristenzeitung.
Aus der nach Fertigstellung der Arbeit erschienenen Festgabe für v. Mayr: Die
Statistik in Deutschland, herausgegeben von Zahn, München und Berlin 1911,
kommen hier in Betracht: |
Wadler, Moralstatistik. Bd. 1, S. 601—672.
Wolff, Die Statistik in der Wissenschaft. Bd. 1, S. 66—111.
Rusch, Zivilrechtsstatistik. Bd. 1, S. 559—599.
Moll, Private Unternehmungsformen. Bd. 2, S. 428—467.
Einleitung.
Die Arbeit behandelt ausschließlich die Statistik der Zivilrechts-
pflege. Es bleibt demnach das gesamte Strafrecht und die dieses Gebiet
behandelnde Kriminalstatistik und Gefingnisstatistik außer Betracht.
Gegenstand der Abhandlung sind nicht die Ergebnisse der Zivilrechts-
statistik, sondern es soll die Art und Weise der Stoffgewinnung, die an-
gewandte Methode zur Darstellung gebracht werden. Das Zivilrecht in
seiner Gesamtheit hat so vielseitige und verschiedenartige Aufgaben zu
erfüllen, und die einzelnen Gebiete weisen dementsprechend in ihrem
Aufbau, ihrer Handhabung und der Möglichkeit der statistischen Er-
fassung so große Abweichungen auf, daß eine für alle Materien gleich-
mäßig angewandte Methode der statistischen Beobachtung nicht durch-
führbar oder wenigstens nicht zweckentsprechend wäre. Daher erscheint
es berechtigt, das Methodenmoment für das Gebiet der Zivilrechtsstatistik
zum Gegenstande einer besonderen Untersuchung zu machen. Dazu
kommt noch ein Weiteres. Die heutige amtliche Justizstatistik dient fast
ausschließlich den eigentlichen Verwaltungszwecken und trägt zum
größten Teil den Charakter der Geschäftsstatistik an sich, so daß ihre
Ergebnisse zur Lösung anderer Aufgaben, namentlich auf wissenschaft-
lichem Gebiete, keinen oder nur geringen Anhalt zu bieten vermögen.
Dabei birgt die Fülle der Erscheinungen des Rechtslebens so wertvolles
Material in sich, daß die Erschließung dieser Quellen und die genauere
Kenntnis des den Gerichten unterbreiteten Tatsachenmaterials in wel-
terem Umfange als bisher sowohl für die Aufgaben des Staates außerhalb
der eigentlichen Verwaltung als auch für die Wissenschaft von großer
Bedeutung wäre. Gerade die Erörterung der Methodenfrage gewährt
die Möglichkeit, zu zeigen, wie bei den einzelnen Materien durch eine
bessere Gestaltung der Stoffgewinnung das vorhandene Tatsachenmaterial
ohne Hintansetzung der Verwaltungsinteressen gleichzeitig weiteren
Zwecken dienstbar gemacht werden kann.
Um für diese weitere Aufgabe die nötigen Unterlagen zu gewinnen,
müssen wir jedoch eine Reihe von Vorfragen erledigen, deren Lösung uns
die Richtschnur für unsere Abhandlung geben wird. Wir müssen uns zu-
nächst über Aufgabe und Bedeutung der Rechtsstatistik klar werden,
müssen das Arbeitsfeld der Zivilrechtsstatistik im einzelnen begrenzen,
ferner die Unterlage einer jeden Statistik, das Beobachtungsobjekt, be-
leuchten, uns des weiteren über die Möglichkeiten der Stoffgewinnung im
allgemeinen unterrichten, und schließlich die systematische Stellung der
8 Einleitung.
Zivilrechtsstatistik in der wissenschaftlichen Statistik darlegen. Diesen _
Fragenkomplex fassen wir unter der. Bezeichnung der theoretischen
Zivilrechtsstatistik im ersten Abschnitt zusammen. Damit besitzen wir
dann die nötigen Anhaltspunkte, um bei der Darstellung des gegenwär-
tigen Standes | der Zivilrechtsstatistik die wünschenswerten Änderungen
darzulegen. Dieser Gegenstand wird dann im zweiten Abschnitt als prak-
tische Zivilrechtsstatistik behandelt. Bei den einzelnen Rechtsmaterien
werden wir zunächst ihre besondere Bedeutung für die Statistik darlegen
und in der Regel einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung
geben. Im Rahmen dieser Arbeit sollen die einzelnen Gebiete nicht er-
schöpfend behandelt, sondern nur die grundlegenden Gesichtspunkte
hervorgehoben werden.
Da die Untersuchung sich auf das gesamte Zivilrecht erstreckt, so
wird damit gleichzeitig eine Zusammenfassung geboten, die bisher für
dieses Gebiet nicht vorhanden war. Die Bearbeitung einzelner Materien
findet sich in den verschiedensten amtlichen und nichtamtlichen Zeit-
schriften und Sammlungen verstreut, so daß selbst für den Fachmann
eine Orientierung außerordentlich erschwert ist. Freilich soll kein er-
schöpfender Quellennachweis geliefert werden; sondern es werden im
wesentlichen nur die für unsere besonderen Zwecke geeigneten und wich-
tigen Veröffentlichungen herangezogen. Aber durch Hinweise auf die
einschlägige Literatur hoffen wir die Weiterarbeit auf dem Gebiete der
Zivilrechtsstatistik zu erleichtern.
Die Anregung zu dieser Arbeit gab die Aufforderung zur Bearbeitung
der ,,Zivilrechtss‘atistik” für die Ehrengabe für v. Mayr: „Die Statistik
in Deu schland“. Die Vorarbeit dazu brachte einen so reichhaltigen Stoff,
daß der zur Verfügung gestellte Raum für eine Behandlung der Materie,
wie sie wünschenswert gewesen wäre, nicht ausreichte. Andrerseits er-
schien es angebracht, das einmal gesammelte Material nicht ungenützt
zu lassen, da es vielleicht etwas Interesse für dieses bisher zu wenig be-
ach ete Gebiet erwecken kann. So entstand vorliegende Arbeit, aus wel-
cher der genannte Abschnitt in der „Statistik in Deutschland“ einen
Auszug bildet. Abgesehen von der größeren Berücksichtigung des histo-
rischen Moments wird hier eine genauere Erörterung der theoretischen
Grundlagen geboten (Abschnitt I), und die einzelnen Abschnitte sind viel-
fach weiter ausgebaut. Das gilt vor allem für die dringendste Frage:
die Stat.stık der Zivilprozesse.
I. Abschnitt.
Theoretische Zivilrechtsstatistik.
1. Aufgabe und Bedeutung der Rechtsstatistik.
Die Aufgabe und Bedeutung der Rechtsstatistik erkennen wir am
besten, wenn wir das Wesen des Rechts fiir sich betrachten und daraus
die Beziehungen zwischen diesen Gebieten herleiten.
Es liegt in der menschlichen Natur begründet, daß ein jedes Indivi-
duum die eigenen Interessen durchzusetzen sucht. Bei diesem Vorgehen
kann es auf widerstrebende Interessen seiner Mitmenschen stoßen, und
wollte ein jeder rücksichtslos seinem Egoismus nachgehen, so wäre die
Folgeerscheinung ein Zustand, den man als bellum omnium contra omnes
zu bezeichnen pflegt. Der Widerstreit der Interessen kann sich einmal auf
wirtschaftlichem Gebiet abspielen, entspringend aus der Notwendig-
keit des Güterverbrauchs, oder in rein persönlichen Verhältnissen sei-
nen Grund finden. Für ein geordnetes Gesellschaftsleben bedarf es daher
eines Faktors, der die sich widerstreitenden wirtschaftlichen und per-
sönlichen Interessen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder untereinander
ausgleicht und die Wechselbeziehungen regelt. „Soziales Leben heißt
Inbegriff geregelter Wechselbeziehungen unter Menschen!“
und den Inbegriff dieser Regeln bietet das Recht. Das gesamte Wirt-
schaftsleben und darüber hinaus auch die persönlichen Beziehungen der
Gesellschaftsmitglieder stehen unter seiner Herrschaft. Jede Rechts-
norm stellt demnach inhaltlich eine bestimmte Regelung des Zusammen-
lebens der Menschen dar, und die Rechtsordunng als Ganzes bedeutet
die Regelung einer sozialen Wirtschaft.?)
Aus dieser Aufgabe des Rechts gewinnen wir bereits Beziehungen
zur Statistik. Wenn letztere ihren Zweck in der sozialen Massenbeobach-
tung mittels Zahl und Maß erblickt, so wird die Fülle der Erscheinungen,
welche im Rechtsleben zutage treten, zweifellos zur Lösung dieser Auf-
gabe in hohem Maße beitragen können, da sie ja irgendeiner Kollision im
sozialen Leben entspringen oder aber eine Mitwirkung des Staates bei der
friedlichen Regelung sozialer Beziehungen darstellen. Die Statistik soll
die durch menschliche Schwächen und Leidenschaften oder durch äußere
Umstände verursachten Störungen des vom Recht erstrebten Gleich-
1) Stammler, Wirtschaft und Recht. S. 250.
2) ibidem, S. 220. Vgl. auch v. Oettingen, Moralstatistik. S. 362.
10 l. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
gewichts festhalten, den Grad dieser Störungen, ihre Bewegung und ihre
Wiederausgleichung veranschaulichen. Sie hat nicht nur alle im Rechts-
leben eintretenden Vorkommnisse des wirtschaftlichen wie gesellschaft-
lichen Lebens darzustellen, sondern diese auch zu untersuchen und mit
anderen Erscheinungen des Menschen- und Volkerlebens in Zusanımen-
hang zu bringen.!) Vermag sie dieser Aufgabe gerecht zu werden, so wird
sie ein Spiegelbild der wirtschaftlichen wie sozialen Kultur des Volkes
bieten, soweit dieses im Rechtsleben zum Ausdruck kommt. Sie ist als
„eine sozialeBuchführung auf diesem wichtigen Gebiet staat-
lichen Lebens‘“?) anzusehen. Ist das Recht die Summe der geregelten
Wechselbeziehungen zur positiven Beobachtung eines sozialen Seins, so
kann man die Rechtsstatistik als diein Zahl und Maß gegebene Ausdrucks-
formel für diese geregelten Wechselbeziehungen ansehen. Dient das Recht
der Regelung des sozialen Lebens, so dient die Statistik der Erkenntnis
des sozialen Lebens. Sie vermittelt uns damit die Kenntnis eines wich-
tigen Ausschnittes unseres Kulturlebens und darin liegt ihre Bedeutung. ?)
Hesse?) weist in bezug auf die Wichtigkeit der Zivilrechtsstatistik
für das Wirtschaftsleben noch darauf hin, daß sie ein wesentliches Hilfs-
mittel bietet, laufend die Symptome für die Bewegungen auf diesem Ge-
biete zu verfolgen, und daß sie wegen ihrer Vielgestaltigkeit ein ziemlich
umfassendes Bild gewährt. Dies ist um so bedeutungsvoller, als eine
Inventuraufnahme der Volkswirtschaft wegen der Fülle des Materials, der
Schwierigkeit der Durchführung und der Dauer der Verarbeitung nur ın
großen Zeiträumen möglich ist, und auch dann nur gewisse Ausschnitte
oder bestimmte Reihen von Erscheinungen erfaßt werden können.
Der Nutzen für die Wissenschaft erschöpft aber die Bedeutung der
Rechtsstatistik noch nicht, sie ist vielmehr auch von großem prakti-
schen Nutzen für den Staat.5) Die Statistik ist ein wesentliches Mittel
zur Orientierung, da sie durch die Massenbeobachtung die Kenntnis von .
Tatsachen und Zuständen übermittelt. Um aber Länder wohl regieren
zu können, muß man sie nach einem Worte Josephs II. vor allem genau
kennen), und hierbei leistet die Statistik wesentliche, oft sogar unent-
behrliche Dienste.
1) Haushofer, Lehrbuch der Statistik. S. 444.
2) v. Mayr, im „Recht“, 1900. Nr. 19, Rechtspflege und Statistik, S. 413. Vgl.
auch „Mitteilungen“ in Hildebrands Jahrbüchern, 1865, S. 38. Internationaler Sta-
tistikerkongreß zu London, 1860. (Böhmert, Stat. d. Rechtspfl. in Sächs. Stat. B.Z.
1879, S. 51.)
3) Es liegt auf der Hand, daß man die Bedeutung der Zivilrechtsstatistik nicht
richtig erkennt, wenn man sie nur vom Standpunkt des Moralstatistikers betrachtet
wie Westergaard (Grundzüge zur Theorie der Statistik, S. 198).
4) Zivilprozeßstatistik in Conrads Jahrbüchern Bd. 34 (1907), S. 2.
5) Ivernes hierüber auf dem internationalen Statistikerkongreß 1878. Bulletin,
S. 255. Conrad, Grundriß, Bd. 4,Teill, S. 3.
6) Zitiert nach Mischler, Allg. Grundlagen der Verwaltungsstatistik, S. 40.
1. Aufgabe und Bedeutung der Rechtsstatistik. 11
Um diese Beziehungen klarzulegen, müssen wir die bekannten drei
Funktionen des Staates getrennt behandeln, da sie von der Rechtsstati-
stik sehr verschiedenen Nutzen ziehen.!)
Für die Rechtspflege selbst ist er ziemlich gering zu veranschla-
gen. Dem Richter sind in dieser Hinsicht durch die gesetzlichen Normen
die Wege gewiesen und ziemlich enge Schranken gezogen, innerhalb deren
er nur einen geringen Spielraum für seine Betätigung besitzt. Er ist so-
nach kaum in der Lage, die Ergebnisse der Statistik zu verwerten und
aus ihren Lehren Nutzen für sein Wirkungsfeld zu ziehen.?)
Anders liegen die Verhältnisse bereits bei der Verwaltung. Für
Fragen der Organisation und Geschäftsverteilung sind die zahlenmäßigen
Ausweise über die Geschäfte der einzelnen Gerichte und Bezirke in mög-
lichst eingehender Gliederung nach der Art der einzelnen Geschäfte, die
Zeitdauer der Prozesse, die Häufigkeit der Anwendung von Rechtsmitteln
usw. unentbehrliche Hilfsmittel. Sie gewähren der Justizverwaltung
gleichzeitig einen Überblick über die Rechtspflege und deren Gestaltung.
Bei zeitlicher, örtlicher und sachlicher Scheidung sind ferner Rückschlüsse
auf charakteristische Eigenschaften in Sitte und Gewohnheit der Bevölke-
rung oder auch auf eine bestimmte, von anderen Bezirken abweichende
Handhabung der Rechtssätze durch die Gerichte möglich. Daraus folgt,
daß die Verwaltung ein lebhaftes Interesse an einer möglichst vollkom-
menen Justizstatistik hat. Man kann das Verhältnis der Rechtsstatistik
zur Verwaltung als das der „funktionellen Gegenseitigkeit“ be-
zeichnen.?) 7
Dariiber hinaus geht aber noch die Bedeutung der Statistik fiir die
Gesetzgebung. An die statistischen Ergebnisse lassen sich Folgerun-
gen über die Zweckmäßigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen anknüpfen
und läßt sich darüber entscheiden, ob der den Gesetzgeber leitende Ge-
danke sich bewährt hat oder nicht. So bietet die Statistik gerade dem
Gesetzgeber ein notwendiges Korrektivmittel, das ihm che weiteren Wege
weist, und das ihm den Anlaß zu Reformen im Recht selbst oder in dessen
technischer Handhabung zu bieten vermag. Nur die statistische Massen-
beobachtung kann gewisse Erscheinungen als typisch ergeben, die sonst
1) Wenn Mischler a. a. O. S. 345 ausführt, daß die Justizstatistik ihren Ein-
fluß mehr oder minder fast ausschließlich in wissenschaftlicher Hinsicht äußere,
so gilt das nur für die Rechtsprechung. Den bedeutsamen Nutzen für die Verwal-
tung und Gesetzgebung läßt er dabei außer acht.
2) Zum Teil resultiert hieraus das geringe Interesse, das der Statistik in den be-
teiligten Kreisen entgegengebracht wird. Über diese Frage vgl. auch die Ausfüh-
rungen von v. Mayr in Allg. Stat. Arch. Bd. I, 1590, S. 50, ebenso Bertillon, La
stat. administrative, S. 286.
3) Mischler, Grundlagen der Verwaltungsstatistik, 8. 4. Vgl. auch ,,Mittei-
lungen“ in Hildebrands Jahrbüchern, 1865, S. 34. Hesse, Art. Justizstatistik im
Handwörterbuch, S. 745.
12 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik. \
als vereinzelte Fälle keine Beachtung fänden, und so kann die Rechtsstati-
stik von grundlegender Bedeutung für die Rechtspolitik sein.)
Dieser Erkenntnis wird sich heute kaum noch jemand verschließen
können, aber nicht immer besaßen die maßgebenden Organe die richtige
Schätzung für den Wert einer guten Rechtsstatistik. So klagt Bertillon,
daß in Frankreich ein kleinlicher Sparsamkeitssinn zwang, die ausge-
zeichnete, erprobte Rechtsstatistik einzuschränken, obwohl ihr eine
große Anzahl gemeinnütziger Gesetze, gesetzgeberischer und philosophi-
scher Arbeiten entsprungen seien.?)
Der Nutzen der Rechtsstatistik für die Verwaltung und Gesetz-
gebung ist auch für die Statistik als Wissenschaft bedeutsam.
Man darf nicht übersehen, daß es sich bei der staatlichen Statistik
in erster Linie um Aufgaben der Verwaltung handelt, während wissen-
schaftliche Gesichtspunkte zurücktreten.?) Die statistischen Zusammen-
stellungen werden bei Fragen der Organisation oder zum Vollzuge von
Gesetzen herangeholt, die auf statistische Verhältnisse Bezug nehmen.
Es kommt hier lediglich das einfache Zahlenmaterial in Frage. Erst bei
der Verwaltungs- und Rechtspolitik erlangen allgemeinere Gesichts-
punkte Bedeutung, wenn es sich für die maßgebenden Faktoren darum
handelt, unter Benutzung der Ergebnisse der Wissenschaft eine brauch-
bare Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen, namentlich auf sozi-
alem Gebiete zu gewinnen. Mit Recht hebt v. Mayr‘) hervor, daß die
Bedeutung der statistischen Gesamtergebnisse für die Orien-
tierung in der Verwaltungspolitik die Brücke bildet, über
welche das spezifisch wissenschaftliche Element der statisti-
schen ForschungseinenEinzugindieVerwaltungssphäre hält.
Kann die wissenschaftliche Statistik nicht vorherrschen, so kann sie doch
auf diesem Wege beim Ausbau der Verwaltungsstatistik wertvolle Dienste
leisten. Sie kann dafür sorgen, daß bei statistischen Erhebungen hinsicht-
lich der Methode, der Fragestellung und Zusammensetzungsarbeit ohne
Schädigung der Verwaltungsinteressen ihre Wünsche Berücksichtigung
1) Haushofer, Lehrbuch der Statistik, S.444; Fuld, Die deutsche ZivilprozeB-
statistik im Arch. für zivilistische Praxis, N. F. Bd. 21, S. 444, 1885; „Mitteilungen“
in Hildebrands Jahrbüchern 1865, S. 38. Ebenso der internationale Statistikerkon-
greß, London 1860 (Böhmert, Statistik der Rechtspflege, Sächs. Stat. B.Z. 1879,
S.51); Hesse, ZivilprozeBstatistik a. a. O. S. 3; im Handwörterbuch, Bd. 5, S. 745;
v. Mayr, im „Recht“ 1900, Nr. 19, S. 413. Dort wird zwischen einer mehr ,,elemen-
taren‘ und einer mehr ‚übergeordneten‘ Bedeutung der Justizstatistik unterschieden,
die den obigen Abschnitten über die Bedeutung für die Verwaltung und für die Gesetz-
gebung entsprechen. Vgl.auch v. Mayr, Statistik, Bd. 3, S. 442.
2) Bertillon, Statistique administrative. Paris 1895. S. 286.
3) Haushofer, Lehrbuch der Statistik, 8. 7374. Engel, Die Statistik im
Dienste der Verwaltung. Zeitschr. des Preuß. Stat. Landesamts. 1863, S.270. Seibt,
in der Festgabe für Schmoller, Statistik, S. 42.
4) Statistik und Gesellschaftslehre, Bd. 1, S. 127.
Verwaltung u. Wissenschaft. 2. Beobachtungsgebiet. 13
tinden, und für die Wissenschaft wertvolles Material gewonnen wird.!) Eine
Rechtsstatistik, welche diesen Gesichtspunkten genügend Rechnung trägt,
wird auchin der Lagesein,ihrerdoppelten AufgabealsunentbehrlichesHilfs-
mittel fiir die Verwaltung und Gesetzgebung und als wertvolles Erkenntnis-
mittel auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiete gerecht zu werden.
2. Sachliche Abgrenzung des Beobachtungsgebiets.
Die Zivilrechtsstatistik hat die Aufgabe, uns die Kenntnis der Vor-
gänge des Rechtslebens zu übermitteln, soweit sie auf dem Zivilrecht
basieren. Die Fundamente dieses Lebens ruhen in den Kodifikationen
des bürgerlichen Rechts und seiner Nebengebiete.?) Dieses sogenannte
„materielle“ Recht enthält die Normen, nach denen sich unser wirt-
schaftliches und gesellschaftliches Leben abspielt. Der Gedanke liegt
nahe, eine Zivilrechtsstatistik auf diesem Grunde aufzubauen. Aber es
bedarf nur einer kleinen Überlegung, um zu zeigen, daß ein solches Vor-
haben an der Unmöglichkeit, die in Gemäßheit der Rechtsregeln sich ab-
spielenden Vorgänge in ihrer Gesamtheit oder auch nur zu einem größe-
ren Teil mit den Mitteln der Statistik zu erfassen, scheitern muß. Es ist
zu bedenken, daß darunter alle die kleinen Rechtsgeschäfte des täglichen
Lebens fallen. Bei diesen alltäglich und selbstverständlich erscheinenden
Vorgängen haben wir schon gar nicht mehr das Bewußtsein, daß es sich
überhaupt um Rechtsgeschäfte handelt, geschweige denn, daß wir die
Möglichkeit besäßen, sie zu fixieren und so statistisch erfassen zu können.
Erst dann, wenn sich jemand mit den im materiellen Recht gegebenen
Regeln in Widerspruch setzt, und ein Streit die Entscheidung des Rich-
ters erfordert, oder durch positive Satzung die Mitwirkung des Gerichts
ausdrücklich vorgeschrieben ist, wird ein konkreter Tatbestand fixiert
und für die Statistik erfaßbar. Es erhellt daraus, daß die Zivilrechts-
statistik die Erscheinungen des Rechtslebens nur soweit dar-
stellen kann, als sie sich vor Gericht abspielen, oder soweit
sonst etwa durch besondere Vorschriften die Statistik inter-
essierende Tatbestände des Rechtslebens festgehalten wer-
den. Die eigentliche Grundlage für die Zivilrechtsstatistik bilden dem-
nach die dem Gericht unterbreiteten und von ihm festgehaltenen Tat-
bestände. Aber es ist zu beachten, daß wichtige Erscheinungen des
Rechtslebens auch noch durch die Tätigkeit anderer Behörden oder sogar
von Privatpersonen fixiert und damit der statistischen Erfassung zu-
gänglich gemacht werden. Es sei nur an die Tätigkeit der Standesämter
erinnert, welche uns die statistische Beobachtung der Begründung eines
so wichtigen Rechtsinstituts wie der Ehe gestattet. Auch die Legitima-
tionen vermögen wir nur durch sie zu erfassen. Ferner sei auf die Tätig-
1) v. Mayr, Statistik und Verwaltung im Allg. Stat. Archiv, Bd. 1, S. 48.
2) Z. B. Handelsrecht, Konkursrecht usw.
14 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
keit des Patentamts hingewiesen, wodurch uns die Kenntnis der wich-
tigen Materie des Patentrechts ermöglicht wird, ebenso sei das Kaiser-
liche Aufsichtsamt für Privatversicherungen genannt. Diese Beispiele
mögen genügen, um anzudeuten, in wie großem Umfange auch außer-
halb der Gerichte die Statistik interessierende Tatbestände des bürger-
lichen Rechts fixiert werden. Unter diesen Umständen kann die Zivil-
rechtsstatistik nicht eine Schilderung sämtlicher mit den Mitteln der
Statistik erfaßbaren Erscheinungen, welche auf dem bürgerlichen Recht
basieren, bieten. Da fast unser ganzes wissenschaftliches wie soziales
Leben seine Regelung im bürgerlichen Recht findet, so würde eine der-
artige Statistik den größten Teil dieser Seiten unserer Kultur umfassen.
Das Bedenkliche dabei wäre, daß sich schwer ein Gesichtspunkt finden
ließe, der für die Abgrenzung grundlegend und maßgebend wäre. Ohne
einen solchen ist aber keine feste Handhabe für die genauere Bestimmung
des Beobachtungsgebietes der Zivilrechtsstatistik gegeben. Wir möchten
als entscheidend für diese Frage zwei Momente ansehen: ein formelles
und ein materielles. In formeller Hinsicht möchten wir für die Ab-
grenzung des Beobachtungsgebietes die Frage entscheiden lassen, ob die
statistische Beobachtung der betreffenden Materie durch das
Tatsachenmaterial möglich ist, welches den speziell für die
Rechtspflege im eigentlichen Sinne bestehenden Organen
unterbreitet wird, oder ob wenigstens die Fixierung der Tat-
bestände auf die Tätigkeit dieser Organe zurückzuführen ist.
Diese Formulierung bedarf einer näheren Erklärung. Wir haben das Wort
Gerichte vermieden. Es könnten darunter vielleicht nur die ordentlichen
Gerichte verstanden werden, während die bestehenden Sondergerichte
(Kaufmanns-, Gewerbegerichte), wie wir später noch darlegen werden,
bei der statistischen Beobachtung besser nicht ausgeschaltet werden. Da-
zu gesellen sich dann noch Einrichtungen, welche, der modernen Sozial-
politik entsprungen, der Rechtspflege wesentliche Dienste leisten, wie die
„BRechtsauskunftsstellen‘“ und,,General- oder Berufsvormund-
schaften“. Auch die Tätigkeit der Schiedsmänner wird hier zu nen-
nen sein. Der letzte Teil unserer Formulierung will jene Fälle in das Be-
obachtungsgebiet der Zivilrechtsstatistik miteinbeziehen, in denen das
Urmaterial’ zwar nicht vom Gericht selbst berührt, die Fixierung an
anderer Stelle aber auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist. Es handelt
sich hier namentlich um die Notizen ın der Presse, welche zur Bekannt-
machung gerichtlicher Akte gesetzlich vorgeschrieben sind, ferner um die
Mitteilungen der Gerichte an die Steuerbehörden im Grundbuchsverkehr.
In der Formulierung unseres Themas „Statistik der Zivil-
rechtspflege‘ haben wir zum Ausdruck zu bringen versucht, daß wir
einerseits unser Beobachtungsgebiet auf das den Organen der Rechts-
pflege unterbreitete Material beschränken, daß wir aber anderseits alle
für die Rechtspflege im eigentlichen Sinne bestimmten Institutionen mit-
Beschränkung auf die Organe der Rechtspflege. 15
einbeziehen wollen. Bisweilen werden wir der Vollständigkeit halber
auch die Methode der statistischen Erfassung von solchen Gebieten be-
rühren, die zwar nach den obigen Ausführungen nicht im eigentlichen
Sinne zur Zivilrechtsstatistik gehören, wo aber der innere Zusammenhang
diese Darstellung als wünschenswert erscheinen läßt.
Zu diesem formellen Gesichtspunkte tritt noch ein materielles Mo-
ment für die Abgrenzung unseres Beobachtungsgebiets. Für die wissen-
schaftliche Statistik haben naturgemäß nur diejenigen Gebiete ein Inter-
esse, welche uns durch die statistische Beobachtung wertvolle Kenntnisse
über unser Gesellschafts- wie Wirtschaftsleben übermitteln können. Wir
werden demnach diejenigen Materien ausschalten, welche uns unter die-
sem Gesichtspunkte als weniger bedeutungsvoll erscheinen.
Soweit man sich bisher mit der Zivilrechtsstatistik befaßte, beschäf-
tigte man sich meist mit der Zivilprozeßstatistik und erst allmählich
gelang es einigen Materien, sich daneben Geltung zu verschaffen, wie der
Konkurs- oder der Immobilien-Zwangsvollstreckung. Am meisten ver-
nachlässigte man das Gebiet der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit,
die wir gleich näher umschreiben werden. Dabei bietet sich hier reiche
Ausbeute für den Statistiker und einzelne ihrer Materien sind weit wich-
tiger als die ProzeBstatistik. Mit Recht wies Macdonalt auf der jagung
des internationalen statistischen Instituts zu Petersburg (1897) darauf
hin, daß sich die Zivilrechtsstatistik nicht auf die Tätigkeit der Prozeß-
gerichte beschränken dürfe, sondern die gesamte Tätigkeit des Gerichts
in Berücksichtigung ziehen miisse.?)
Wie schon angedeutet wurde, stellt aber die Zivilrechtspflege kein
in sich geschlossenes, einheitliches Gebiet dar, und dementsprechend steht
auch die Zivilrechtsstatistik vor einer viel schwierigeren Aufgabe als die
Kriminalstatistik. Wir haben bei der richterlichen Tätigkeit auf dem Ge-
biete des Zivilrechts namentlich zwei Gebiete voneinander zu scheiden,
die streitige und die freiwillige Gerichtsbarkeit.
Begrifflich ist dieser Unterschied nicht scharf zu fassen, doch besagt
schon der Ausdruck, daß es sich bei der ersteren Art hauptsächlich um
die Mitwirkung des Gerichts bei Erledigung eines Streits, um die Auf-
rechterhaltung und Bewährung der Rechtsordnung durch Schutz gegen
Störung und Gefährdung handelt. Die freiwillige Gerichtsbarkeit hat da-
gegen die Schaffung von Rechten, durch Mitwirkung bei ihrer Begrün-
dung, Entwicklung und Beendigung zur Aufgabe.?) Es fallen darunter
dıe verschiedenartigsten richterlichen Funktionen, welche dem Staate die
Kontrolle oder die Mitwirkung bei besonders wichtigen Rechtsverhält-
nissen vorbehalten oder gewisse Vorgänge im Wirtschaftsleben durch Ein-
1) Bulletin de l'institut intern. de stat. 1899, S. 193; Bosco Stat. civile, S. 55;
Bohmert, Die Statistik der Rechtspflege, Sächs. Stat. B.Z. 1875, S. 49; „Mittei-
lungen“ in Hildebrands Jahrbüchern, 1865, S. 102.
2) Vgl. Gaupp-Stein, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd. 1, S. 11.
6 J. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
tragung in öffentliche Register der breiten Öffentlichkeit zugängig
machen sollen. Zur streitigen Gerichtsbarkeit gehört demnach vor allem
der Zivilprozeß als das gegebene Mittel zur Erledigung eines Streites mit
Hilfe des Gerichts, sodann die Zwangsvollstreckung als die zwangsweise
Durchführung des im Rechtsstreit erkämpften Urteils, und ferner rech-
nen wir hier dazu den Konkurs. Zur freiwilligen Gerichtsbarkeit gehört
das ganze Registerwesen (Grundbuch-, Schiffs-, Handels-, Genossen-
schafts-, Güterrechtsregister usw.), das Vormundschaftswesen, die ge-
samte beurkundende Tätigkeit der Gerichte (Aufnahme von Testamenten,
Erteilung von Erbschaftsscheinen usw.), das Aufgebots-, das Nachlaß-
und das Teilungsverfahren.
Entsprechend ihren sehr verschiedenen Aufgaben besitzen diese Ma-
terien natürlich einen völlig voneinander abweichenden Aufbau, und
ebenso mannigfaltig sind die Vorschriften über ihre Handhabung durch
den Richter. Dementsprechend ist auch ihr Verhältnis zur wissenschaft-
lichen Statistik sehr verschiedenartig. Während manche Gebiete von her-
vorragender Bedeutung für die Statistik sind, kann bei einigen das Inter-
esse zweifelhaft sein, und andere schließlich vermögen zur Beurteilung
des sozialen wie wirtschaftlichen Lebens wenig beizutragen.
Bei der geringen Beachtung, welche die Zivilrechtsstatistik bisher ge-
funden hat, ist es nicht leicht, namentlich auf dem Gebiete der freiwilligen
Gerichtsbarkeit die richtige Abgrenzung vorzunehmen.
Entsprechend der von uns vorgeschlagenen Formulierung über die
Aufgabe der Rechtsstatistik soll sie uns die Kenntnis des sozialen
undwirtschaftlichenLebensübermitteln,soweitesim Rechts-
leben zum Ausdruck kommt, so auch hier für unser spezielles Gebiet
der Zivilrechtsstatistik.
Die sozialen Verhältnisse im Sinne des Gesellschaftslebens be-
treffen einmal diejenigen Beziehungen, in denen der Mensch als Einzel-
mitglied der größeren Allgemeinheit auftritt oder aber seine Wechsel-
beziehungen zu dieser.
Alle Umstände und Ereignisse, welche die Stellung des Individuums
in der Gesamtheit beeinflussen, etwa seine Betätigungsmöglichkeit in Ge-
stalt seiner Rechtsfähigkeit beschränken, oder erweitern, z. B. Entmündi-
gung oder Volljährigkeitserklärung, oder die Stellung überhaupt erst be-
gründen bzw. näher umgrenzen, z. B. eheliche Geburt, Legitimation,
Adoption, sind für die Beurteilung des Gesellschaftslebens von Wichtig-
keit und daher auch von Interesse für die Statistik. Bei der letzteren
Kategorie von Ereignissen berühren wir schon Verhältnisse, welche den
einzelnen in Beziehung zu anderen Gesellschaftsmitgliedern setzen, und
gelangen zu dem Gebilde der menschlichen Gesellschaft, welches wir als
seine eigentliche Grundlage betrachten müssen, der Familie. Alle Vor-
gänge des Rechtslebens, welche das Familienleben in irgendeiner Weise
berühren, gehören daher in erster Linie zu dem Beobachtungsfeld der
“gr rs E., 7 Pe d wir
Bedeutung der éinzelnen Materien fiir die Statistik. 17
Zivilrechtsstatistik, so das gesamte Vormundschafts-, das Fiirsorgeerzie-
hungswesen und die sogenannten Statusprozesse.!) Anderseits fallen
darunter auch diejenigen Ereignisse, welche die Familienbeziehungen
lösen: die Ehescheidungsprozesse. Über den engeren Rahmen der Familie
hinaus gehen dann die Beziehungen zwischen den Menschen, die sich zur
Erreichung irgendwelcher Zwecke in größerer oder geringerer Zahl zu-
sammentun: das Korporationswesen. Die richterliche Tätigkeit befaßt
sich mit ihnen durch die Eintragungen in das Vereinsregister.
Diese Materie leitet uns zu den wirtschaftlichen Beziehungen
über, deren Kenntnis uns die Statistik der Rechtspflege zu übermitteln
vermag. Der Zusammenschluß auf wirtschaftlichem Gebiet hat gegen-
wärtig eine große Ausdehnung und mannigfache Formen angenommen,
deren Beobachtung von größter Bedeutung ist. Die statistische Erfassung
nach dieser Richtung ermöglicht namentlich das Handels- und Genossen-
schaftsregister.
Einen tiefen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse gestattet
uns die Prozeßstatistik?), da der Prozeß den vom Staate mit seiner Auto-
rität ausgestatteten Weg zum Ausgleich von Interessenkollisionen dar-
stellt. Handelt es sich beim Prozeß in der Hauptsache um den Streit über
ein wirtschaftliches Gut im weitesten Sinne, und vermögen wir aus einer
Statistik dieser Erscheinungen im Rechtsleben viel Bedeutsames zu ent-
nehmen, so werden wir aus den Vorgängen, welche die zwangsweise
Durchführung des rechtskräftigen Urteils darstellen, aus der Zwangsvoll-
streckung und dem Konkurs, noch wichtigere Aufschlüsse erhalten, da
bei einem solchen Eingriff in die Rechtssphäre des Einzelnen eine wirt-
schaftlich ungünstige Lage, eine Leistungsunfähigkeit vorliegen muß.
Damit fällt die streitige Gerichtsbarkeit nebst Zwangsvollstreckung und
Konkurs in ihrer ganzen Ausdehnung unter die für die Statistik wichtigen
Gebiete.
Betrifft der Prozeß im allgemeinen den Streit um ein wirtschaft-
liches Gut, so belehrt uns die Statistik des Grundbuchwesens und des
Schiffsregisters über die rechtsgeschäftlichen Schicksale der Sachgüter
Grundstück und Schiff. Dazu kommt dann noch die Beobachtung von
‚Vermögensmassen, deren Erträgnisse bestimmten Zwecken gewidmet
sind, die Stiftungen. Von Interesse ist schließlich auch die Kenntnis der
wirtschaftlichen Seite des Familienlebens, insoweit die Ehegatten in ver-
mögensrechtlicher Hinsicht eine vom Gesetze abweichende Regelung ge-
1) Sie betreffen die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens des Eltern-
bzw. Kindesverhältnisses.
2) Der Zivilprozeß dient mit seinen Abarten, dem Urkundenprozeß und Mahn:
verfahren, in so überwiegendem Maße zur Geltendmachung von Vermögensstreitig- .
keiten, daß er in seinem Wesen, namentlich als Massenbeobachtungsobjekt unter die-
sem Gesichtspunkt betrachtet werden kann. Vgl. Hesse, Zivilprozeßstatistik in Con-
rads Jahrbüchern 1907, S. 9.
Busch: Statistik der Zivilrechtspflege. 2
18 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
troffen haben. Die Grundlage fiir die Feststellungen bietet das Giiter-
rechtsregister.
Es verbleiben nun noch eine Reihe von Materien aus der freiwilligen
Gerichtsbarkeit, über deren Bedeutung für die Statistik Zweifel bestehen
können. Es handelt sich um die gesamte beurkundende Tätigkeit des
Gerichts, das Musterregister, das Aufgebots-, Nachlaß- und Teilungsver-
fahren. Allen diesen Materien mit Ausnahme des Nachlaßverfahrens
scheint das Eine gemeinsam, daß die Mitwirkung des Gerichts eine in der
Hauptsache formale Bedeutung hat. Die vom Gericht aufgenommenen
Urkunden tragen, sei es, daß die gerichtliche Mitwirkung gesetzlich nor-
miert ist, oder freiwillig herbeigeführt wird, einen besonders gewichtigen
Charakter an sich und genießen in rechtlicher Hinsicht als öffentliche
Urkunden mancherlei Vorzüge, aber für die Statistik bieten sie nur ge-
ringes Interesse. Das Gericht unterwirft nicht das betreffende Rechtsver-
haltnis oder Rechtsgeschäft seiner Kontrolle, die statistisch ausgebeutet
werden könnte, sondern bezeugt gewissermaßen nur, daß der fragliche
Willensakt vorgenommen worden ist. Dazu kommt noch, daß gewöhn-
lich neben dem Gericht der Notar für die Aufnahme der betreffenden Ur-
kunden zuständig ist, und in der Praxis zum weitaus überwiegenden Teile
aufgesucht wird. Damit entfällt dann die Möglichkeit der statistischen
Erfassung überhaupt. Die vom Gericht ausgestellten Urkunden, bei denen
es sich meist um Legitimationsurkunden handelt, wie Erbscheine usw.,
dienen in vollstem Maße nur formalen Zwecken, da sie im Interesse der
Rechtssicherheit den Nachweis der Legitimation zur Vornahme bestimm-
ter Rechtshandlungen erbringen sollen, und können ebenfalls über wirt-
schaftliche Momente keinen Aufschluß geben. Ähnlich liegt es u. E. bei
dem Musterregister, das gewisse Waren vor unberechtigter Nachahmung
schützen will. Auch hier handelt es sich nur darum, wer formell zur Pro-
duktion berechtigt ist. Das Aufgebotsverfahren, durch das Rechte oder
Verbindlichkeiten mangels Kenntnis der eigentlich Berechtigten oder
Verpflichteten für erloschen erklärt werden können, bietet vom Stand-
punkte des formalen Rechtsaktes aus vollends für die wissenschaftliche
Statistik wenig Interesse.!)
Auch das Nachlaß-?) und Teilungsverfahren halten wir für die Sta-
tistik von geringer Bedeutung. Ließe sich aus ihnen ein Überblick zum
Beispiel über die Verteilung wirtschaftlicher Güter durch Erbgang unter
die verschiedenen Bevölkerungsklassen oder ähnliche Gesichtspunkte von
allgemeiner Wichtigkeit herausschälen, dann wäre diesem Gebiete eher
eine Bedeutung für die Zivilrechtsstatistik beizumessen. Aber im Ver-
hältnis zu sämtlichen Erbfällen stellen die gerichtlichen Akte auf diesem
Gebiete einen zu geringen Bruchteil dar. Wenn Haushofer°) aus diesen
1) Wohl aber für die amtliche Geschäftsstatistik.
2) In Preußen im Jahre 1907 11 628 Fälle (JMBI. 1908, S. 282).
3) Haushofer, Lehrb. d. Statistik, S. 446.
Ausscheidung der formalen Rechtsakte. Internationale Statistik. 19
gerichtlichen Handlungen feststellen will, wie oft Testat- und wie oft In-
testaterbfolge eintritt, so ist zu bedenken, daß dieses Moment aus dem
Nachlaßverfahren nicht hinreichend erschöpfend erfaßt zu werden ver-
mag, da sich Nachlaßregulierungen in den weitaus meisten Fällen ohne
gerichtliche Mitwirkung vollziehen. Ferner glaubt Haushofer, dieses
Gebiet wäre von sittlicher Bedeutung, da man feststellen könne, wie oft
das Noterbrecht verletzt werde. Auch dieser Gesichtspunkt dürfte nicht
richtig sein, da sich Streitigkeiten über Verletzung des Noterbrechts
meist im Prozeßwege abspielen.
Bei der sachlichen Abgrenzung des Beobachtungsgebietes der Zivil-
rechtsstatistik kommen wir somit zu dem Resultat, daß für die Statistik
die gesamte streitige Gerichtsbarkeit nebst der Zwangsvollstreckung und
dem Konkurs von Bedeutung ist, und von der freiwiligen: das Vormund-
schaftswesen, die Fürsorgeerziehung, das Vereins-, das Handels-, das Ge-
nossenschafts-, das Grundbuch-, das Schiffs- und das Güterrechtsregister.
Allerdings werden wir bei einzelnen Materien mitunter feststellen
müssen, daß die theoretisch wünschenswerte statistische Erfassung an der
praktischen Durchführbarkeit scheitert, oder doch nur in geringerem
Umfange möglich ist. Es werden sich entweder aus der Beschaffenheit
des Beobachtungsobjektes oder aus der Art der gesetzlichen Regelung
noch mancherlei Modifikationen ergeben, so daß die bisherigen Ausfüh-
rungen nur einen Überblick über das Beobachtungsgebiet der Zivil-
rechtsstatistik im allgemeinen zu geben vermögen.
Eine historische Zivilrechtsstatistik wird den Wandel im Laufe
der Zeit, aber anderseits auch den Einfluß von gesetzgeberischen Maß-
nahmen deutlich erkennen lassen. Voraussetzung hierfür ist freilich eine
Statistik auf gleicher Grundlage für einen längeren Zeitraum.
Dagegen hätte eine internationale Zivilrechtsstatistik die be-
deutungsvolle Aufgabe durch einen Vergleich in den einzelnen Ländern
die Verschiedenheiten und Abweichungen im Rechtsleben der Völker dar-
zustellen und in ihren Ursachen zu ergründen. Hier stellen sich aller-
dings ziemlich erhebliche Schwierigkeiten in den Weg. Einmal ist der
Unterschied in der Organisation und Zuständigkeit zu beachten; sodann
bietet gerade die Zivilrechtsstatistik gegenüber der Kriminalstatistik die
Schwierigkeit, daß es sich nicht um so fest umschriebene Tatbestände wie
dort handelt, daß oft verschiedene Rechtsverhältnisse ineinander greifen,
die sich kaum voneinander trennen lassen. Sodann weist der Aufbau des
Zivilrechts in den einzelnen Ländern viel größere Abweichungen auf als
das Strafrecht. Es hedürfte ferner zur Vermeidung von Fehlschlüssen der
genaueren Kenntnis von Sitten und Gewohnheiten der einzelnen Völker,
sowie ihrer Wohlhabenheitsverhältnisse.!) Eine internationale Vergleich-
1) Ivernés, L’administration de la justice civile et commerciale en Europe,
S. 543. Über diese Arbeit sowie die Tätigkeit der internationalen Statistikerkongresse
nach dieser Richtung siehe unten S. 32ff.
ST
20 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
barkeit wiirde nicht allein von wissenschaftlichem, sondern auch von
politischem Interesse sein. Es würde dadurch die Möglichkeit geboten,
die Verhältnisse anderer Staaten namentlich in wirtschaftlicher Bezie-
hung näher kennen zu lernen, was z. B. in Anbetracht der immer größer
werdenden internationalen Handelsbeziehungen von Bedeutung wäre.)
3. Das Beobachtungsobjekt.
Die hauptsächlichste Grundlage für die Zivilrechtsstatistik bildet die
gerichtliche Tätigkeit und der dadurch festgehaltene Tatbestand. Die
richterliche Tätigkeit auf Grund der Rechtsordnung schafft überhaupt
erst durch die von ihr vorgenommene Klassifizierung und Subsumierung
der einzelnen Erscheinungen unter die verschiedenen Rechtssätze die
Unterlage zu deren genauer Erfassung. Indem das Gericht den Tatbe-
stand für die besonderen Zwecke der Rechtspflege fixiert, wird dadurch
gleichzeitig sekundär dessen Verwertung für die Statistik ermöglicht.?)
Die Eigenart der sekundären Statistik liegt gerade darin, daß sie erst in
zweiter Linie als Ausfluß einer Tätigkeit erscheint, die bereits vorher für
andere Zwecke und nicht um der Statistik willen ins Leben gerufen war.?)
Infolge dieser Fixierung des einzelnen Tatbestandes durch die Ge-
richte erscheint die Zivilrechtsstatistik auf den ersten Blick einfach,
leicht zu handhaben und sehr exakt. Man ist geneigt, jedes Urteil, jede
richterliche Handlung mit ihrer Vornahme auch gewissermaßen als rubri-
ziert zu erachten, da die Bezeichnungen der Statistik sich notwendiger-
weise denen des Gesetzes anpassen müssen. Diese wiederum sind fein
ausgearbeitet, stellen im allgemeinen feststehende, genau umschriebene
Begriffe dar, die auch bei den in Betracht kommenden Organen als be-
kannt vorausgesetzt werden diirfen.*) Indessen zeigt eine genauere Un-
tersuchung des Beohbachtungsobjektes der Zivilrechtsstatistik, daß es sich
wesentlich anders verhält.
Als Beobachtungsobjekt bietet sich zunächst, gerade wie bei der
Kriminalstatistik der einzelne „Fall“, die einzelne ‚Sache‘. Sobald aber
der Frage der statistischen Erfassung näher getreten wird, machen sich
die Verschiedenheiten der einzelnen Materien geltend. Bei der Krimi-
nalstatistik wird dadurch eine wesentliche Vereinfachung geboten, daB
sowohl Anklage wie Urteil auf eine ganz bestimmte Norm des Gesetzes
Bezug nehmen müssen. Dort ist eine im wesentlichen gleichartige Grund-
lage für die statistische Erfassung gegeben, die einzelne Verfehlung gegen
das Strafgesetz (das Delikt). Diese bildet denn auch das Einheitsmaß.
1) Bosco, La statistica civile, S. 7.
2) v. Mayr, Rechtspflege und Statistik im „Recht“, 1900, Nro. 19, S. 419; -
idem, Stat. u. Gesellschaftslehre, Bd. 3, S. 406. Hesse, ZivilprozeBstatistik,
a. a. O. S. 23.
3) v. Mayr, Stat. u. Verwaltung im Allg. Stat. Arch. Bd. 1, S. 37.
4) Bertillon, Stat. administrative, S. 286.
8. Beobachtungsobjekt: freie und streitige Gerichtsbarkeit 21
Für die Zivilrechtsstatistik besteht dagegen eine der wesentlichsten
Aufgaben darin, für jede einzelne Materie die am besten geeig-
nete Methode ausfindig zu machen und zu zeigen, wie unter Berück-
sichtigung der Eigenarten eines jeden Gebietes die bestmög-
liche statistische Ausbeute erzielt wird.!) Sowohl bezüglich des
Beobachtungsobjektes wie auch der Gewinnungsmöglichkeiten werden
sich dabei mannigfache Abweichungen ergeben. Daß mit der Zugrunde-
legung des einzelnen Falles noch nicht allzuviel gewonnen ist, zeigt die
Vergleichung der streitigen Gerichtsbarkeit, namentlich des Zivilpro-
zesses, mit der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Bei der streitigen Gerichtsbarkeit ist das Gericht nur auf Angehen
einer Partei mit irgendeinem aus einer Interessenkollision entspringen-
den Tatbestande und nur für eine gewisse Zeitdauer beschäftigt, wenn-
gleich sich diese im Einzelfall auf eine Reihe von Jahren erstrecken kann.
Ferner ist der Tatbestand durch das Begehren der Partei, den geltend ge-
machten Anspruch, den formulierten Antrag, in gewissen Grenzen fest
umschrieben. Bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt es sich dagegen
im allgemeinen um Rechtsverhältnisse oder Wirtschaftsgüter, die von
Rechts wegen in ihren Schicksalen dauernd der gerichtlichen Kontrolle
oder Mitwirkung unterstehen, und daher die Gerichte mit den verschie-
densten Rechtsgeschäften in den verschiedensten Zeiten beschäftigen
können. Daraus erhellt schon, daß der einzelne Fall nicht als Einheits-
maß, als Unterlage der statistischen Erhebung schlechthin benutzt wer-
den kann. Bei der streitigen Gerichtsbarkeit umfaßt immerhin die ein-
zelne Sache einen bestimmten Tatbestand, der zwar während des Ver-
fahrens der Möglichkeit der Abänderung unterliegt, aber nach Abschluß
feststeht. Man hat demnach in den erledigten Sachen einen begrenzten
Tatbestand, der sehr wohl als Einheitsmaß gewählt werden kann. Will
man das nicht, so bieten bei der streitigen Gerichtsbarkeit die im Gesetz
genau geregelten Verfahrensabschnitte geeignete Momente zu einer Fixie-
rung; es wären dann die einzelnen Verfahrensabschnitte der Erhebung
zugrunde zu legen. Unter Umständen lassen sich diese beiden Möglich-
keiten auch miteinander kombinieren.
Bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit dagegen läßt die große Verschie-
denartigkeit und sehr voneinander abweichende Erheblichkeit der ein-
zelnen Geschäfte, selbst innerhalb der einzelnen Materie und bei derselben
Sache, die Frage berechtigt erscheinen, ob die statistische Beobachtung
eines Jeden von ihnen überhaupt zweckmäßig und erforderlich ist. Man
muß bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich zwischen den für
die Zwecke der Statistik erheblichen und unerheblichen Momenten schei-
den, und die ersteren in den für die statistische Erhebung zu erlassenden
Vorschriften ausdrücklich hervorheben. Welche Gesichtspunkte für die
1) Bosco, La statistica civile, S. 5, weist ebenfalls auf die Notwendigkeit einer
solchen ‚speziellen‘ Methode für die einzelnen Gebiete hin.
99 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
Erhebung im einzelnen maßgebend sein sollen, und was als Einheitsmaß
angesehen werden soll, ergibt sich aus der Bedeutung und den speziellen
Aufgaben der verschiedenen Materien.
Ist man sich prinzipiell darüber einig, was rein äußerlich genommen
als Einheitsmaß der Erhebung dienen soll, ob die erledigte Sache, einzelne
Verfahrensabschnitte oder Rechtsakte, so muß man noch den Inhalt des
Beobachtungsobjekts in Betracht ziehen und danach die weiteren Einzel-
heiten der statistischen Beobachtung gestalten. Während die Kriminal-
statistik es bei ihrem bereits genannten Einheitsmaß schlechthin mit sitt-
lichen Verfehlungen zu tun hat, soll uns die Zivilrechtsstatistik die Kennt-
nis teils sozialer, teils wirtschaftlicher Verhältnisse übermitteln. Die
ersteren stellen uns den Menschen als Mitglied der menschlichen Gesell-
schaft, als soziales Individuum dar, während die letzteren uns den Men-
schen in seinen Beziehungen zum wirtschaftlichen Gut im weitesten
Sinne, d. h. einschließlich der Forderungen?) schildern. Der Unterschied
liegt darin, daß im ersten Falle der Mensch als solcher das eigentlich Be-
deutungsvolle ist, während er bei der Beobachtung wirtschaftlicher Ver-
hältnisse nur das sekundäre Moment bildet. Auch hier ist er im allge-
meinen nicht völlig ausgeschaltet, aber kommt doch erst in zweiter Linie
in Betracht.
Beim Zivilprozeß tritt der Mensch in der Rolle des Klägers oder Be-
klagten als Träger des fraglichen Gutes auf, und doch ist er nicht das
eigentlich Interessierende an dem Tatbestande, dieses liegt vielmehr
außerhalb des Menschen. Denn was zur Erkenntnis des wirtschaftlichen
Lebens beitragen kann, ist nicht das formale Verhalten des Menschen im
Prozeß, sondern die zugrunde liegende Interessenkollision, der geltend
gemachte Anspruch. Auch bei den menschlichen Vereinigungen zu wirt-
schaftlichen Zwecken interessiert uns nicht mehr der Mensch als solcher
in erster Linie, sondern das wirtschaftliche Moment ; namentlich tritt dies
bei den Kollektivunternehmungen in Erscheinung, bei denen der Mensch
sogar völlig im Hintergrund steht.
Je nach dem Grade des Interesses, das der Mensch bei den wirt-
schaftlichen Verhältnissen bietet, muß natürlich die Fragestellung bei
den einzelnen Materien bezüglich der persönlichen, der demographischen
Verhältnisse gestaltet werden. Jedenfalls muß der eigentliche Inhalt des
Beobachtungsobjekts bei der statistischen Erhebung ebenso berück-
sichtigt werden, wie das äußerlich bestimmte, formelle Einheitsmaß.
4. Die Stoffgewinnung und Verarbeitung im allgemeinen.
Die Feststellung des Tatbestandes erfolgt bei Gericht im allgemeinen
in „Akten“ oder „Blattsammlungen‘“, die für die einzelne Sache angelegt
werden. Für verschiedene Angelegenheiten werden jedoch ohne beson-
1) Conrad, Grundriß, Bd. 1, S. 9.
Gegenstand der Beobachtung. 4. Stoffgewinnung. 23
dere Faszikel für den einzelnen Fall Sammelregister geführt (Sühn-,
Mahnregister). Bei den öffentlichen Registern der freiwilligen Gerichts-
barkeit bestehen neben diesen selbst noch besondere Handakten für jede
einzelne der betreffenden Angelegenheiten, z. B. sogenannte Grundakten
für jedes ins Grundbuch eingetragene Grundstiick.1) Daneben sind bei
dem Gerichte noch Geschäftskalender oder besondere Register?) zur Kon-
trolle und besseren Übersicht über die Geschäftsführung vorhanden, die
je nach dem Umfang und der Bedeutung der betreffenden Materie auf
Grund amtlicher Muster eingerichtet sind. So enthält z. B. das Zivil-
prozeßregister in Preußen, abgesehen von der Bezeichnung der Parteien
und des Gegenstandes und Grundes des Anspruches in mehreren Spalten
die Angabe der Verfahrensart und der Dauer bis zur ersten mündlichen
Verhandlung. Der Kalender für mündliche Verhandlungen gibt dann
Auskunft über Anzahl und Ergebnis der mündlichen Verhandlungen, die
Dauer des Prozesses u. dgl. So gibt es dann noch ein Vollstreckungsregi-
ster, Beurkundungsregister usw.
Viele die Statistik interessierenden Erscheinungen des Rechtslebens
werden auch, abgesehen vom Akteninhalt durch Preßnotizen festgehal-
ten, da das Gesetz häufig, z. B. im Konkurs- wie Zwangsversteigerungs-
verfahren und bei gewissen Eintragungen in die öffentlichen Register
die Bekanntmachung in Zeitungen vorschreibt. Da auch der Inhalt dieser
Anzeigen gesetzlich normiert, sowie das Einrücken in den „Deutschen
Reichsanzeiger‘“ vorgeschrieben ist, so wird auch damit eine von den
Gerichten unabhängige und trotzdem authentische Unterlage zur regel-
mäßigen Beobachtung gewisser Vorgänge im Rechtsleben geschaffen.
Nach der Einrichtung und Beschaffenheit dieses Urmaterials muß
sich natürlich die Stoffgewinnung richten, und danach werden sich auch
verschiedene Ausbeutungsmöglichkeiten ergeben.
Einmal besteht die Möglichkeit?), den mit der Erhebung betrauten
Behörden nur das tabellarisch ausgegliederte Ausbeutungsformular an
die Hand zu geben und ihnen ohne nähere Anweisung über den einzu-
schlagenden Weg zu überlassen, wie sie sich das verlangte Material be-
schaffen wollen. Das Verfahren ist vom Standpunkte der statistischen
Technik aus sehr primitiv und birgt wegen der vollständigen Freiheit, mit
der die einzelnen Organe dabei vorgehen können, große Fehlerquellen in
sich. Nach Bertillon?) hat man trotzdem in Frankreich keine schlech-
ten Erfahrungen mit diesem Verfahren gemacht, und noch heute beruht
1) Mischler, Allgemeine Grundlagen der Verwaltungsstatistik, S. 19, hat für
die öffentlichen Register die Bezeichnung „Stammbücher‘“ vorgeschlagen, während
sie sonst nach ihrer Art bezeichnet werden. Es scheint aber für die gegenseitige Ver-
ständigung leichter und angebrachter, die in der Gerichtspraxis üblichen Benennungen
beizubehalten.
2) Vgl. die verschiedenen „Geschäftsanweisungen“ für die Gerichtsschreibereien.
3) v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre, Bd. 3, S. 433.
4) Bertillon, Stat. administrative, S. 285.
24 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
nach uns gewordener Mitteilung?) die französische Justizstatistik auf die-
ser Methode. (Listenverfahren.)
Eine gewisse Buchführung über die Erscheinungen des Rechtslebens
liegt schon in den genannten Kalendern und Registern, wie dem Zivil-
prozeßregister und Kalender für mündliche Verhandlungen. In die ver-
schiedenen Spalten dieser Verzeichnisse werden die einzelnen richterlichen
Verhandlungen eingestrichelt. Addiert man nun die verschiedenen Spalten
auf, so hat man eine Übersicht über die Geschäftsführung und die Häufig-
keit der einzelnen Geschäfte, über die Prozeßdauer usw. Die Kontrolle
über die einzelnen Geschäftsakte bringt gleichzeitig die Ausbeute für sta-
tistische Zwecke mit sich. Auf diesem Verfahren beruht zum großen Teil
die deutsche amtliche Justizstatistik im Reich wie bei den Einzelstaaten.?)
Auch in Italien und Rußland findet es weitgehende Anwendung.)
Diese Art der Stoffgewinnung stellt sich als eine Fortschreibung im
technischen Sinne dar. (Registerverfahren.)
Vom wissenschaftlichen Standpunkte aus sind dagegen schwerwie-
gende Bedenken geltend zu machen. Bei diesem Vorgehen werden die ein-
zelne richterliche Handlung, die verschiedenen Geschäfte der Gerichte der
Erhebung zugrunde gelegt, nicht die Sache, der Fall als solcher. Wir hat-
ten zwar oben gesehen, daß auch diese Beobachtungsobjekte als Einheits-
maß nicht schlechthin geeignet sind, aber bei den hier in Rede stehenden
Verfahren ist die zugrunde liegende Interessenkollision, der Rechtsakt,
welcher der Mitwirkung des Gerichtes bedarf, gar nicht Gegenstand der
Beobachtung. Es vermögen demnach auch bei den Ergebnissen dieses
Verfahrens nicht diejenigen Gesichtspunkte gehörig zum Ausdruck zu ge-
langen, die wir als Zweck der Zivilrechtsstatistik gefunden hatten. Statt
der Schilderung sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse ist das Resultat
nur eine Darstellung der richterlichen Geschäfte, eine reine Geschäftssta-
tistik. Den Zwecken der Justizverwaltung ist damit Genüge getan, sie
vermag sogar eine solche Statistik nach unseren früheren Darlegungen
nicht zu entbehren, aber für die Gesetzgebung und für die Wissenschaft
vermögen die Ergebnisse nicht die wünschenswerten Unterlagen zu
schaffen.
Sodann sprechen technische Momente gegen dieses Verfahren. Ab-
gesehen davon, daß das Strichelungsverfahren mühsam und zeitraubend
ist, gestattet es vor allem keine Kontrolle. Diese wäre aber hier um so
erwünschter, als Irrtümer leicht möglich sind und auch in der Tat häufig
unterlaufen.*)
1) Die wir der Statistique générale de la France verdanken.
2) Hesse, ZivilprozeBstatistik in Conrads Jahrbiichern, Bd. 34, 1907, S. 1ff.
3) v. Mayr, Stat., Bd. 3, S. 433; Bertillon, La stat. adm. S. 287. Bosco,
La stat. civ., 8. 54. In Italien ist jedoch in der Anlage der Register den wissenschaft-
lichen Anforderungen mehr Rechnung getragen.
4) In Halle a. S. hat dieser Umstand zur Einführung der Zählkarte bei dem
Kaufmanns- und Gewerbegericht veranlaßt.
Registerverfahren. Individualziihlkarte. 25
Lë
Schließlich ist bedenklich die Vereinigung von Erhebung und Ver-
arbeitung des Materials in einer Hand.!) Die Praxis lehrt, daß eine solche
Verbindung nicht immer zuverlässige Resultate zeitigt. Die Gewinnung
des Materials muß möglichst so gestaltet werden, daß die einzelnen
Tatsachen für einen anderen Bearbeiter in ihrer Individualität er-
kennbar bleiben. Infolgedessen kann bei der Verarbeitung eine ma-
terielle Prüfung vorgenommen, der Stoff nach einheitlichen Gesichts-
punkten geordnet und ausgezählt werden. Erst dann sind die Voraus-
setzungen für die erforderliche Einheitlichkeit der statistischen Auf-
arbeitung gegeben.
Das einzige Verfahren, das vom wissenschaftlichen Standpunkte aus
allen Anforderungen entspricht, ist die Anwendung der Individualzähl-
karte. Hierbei kann der statistischen Beobachtung die Gestaltung ge-
geben werden, welche für das einzelne Gebiet gerade erwünscht ist, und
vermögen die Bedürfnisse und Eigenarten jeder Materie berücksichtigt
zu werden. Sie allein gestattet auch für die Bearbeitung selbst die Be-
nutzung des Urmaterials, ermöglicht jede wünschenswerte Kombination
und wahrt vor allem die Einheit des Verfahrens bei der Erhebung.?)
Allmählich ist diese Erkenntnis immer mehr durchgedrungen, denn nach
und nach hat sich die Zählkarte, wie wir noch sehen werden, ein Rechts-
gebiet nach dem anderen erobert. Auch im Auslande, so in Österreich?)
und Italien, ist sie vielfach in Anwendung, während allerdings Frankreich
und Rußland sich ihrer gar nicht bedienen 3
Es wäre zu wünschen, daß die Zählkarte in möglichst weitgehendem
Maße eingeführt würde.) Auch da, wo zur Erfassung gewisser Erschei-
nungen das dem Gericht unterbreitete Material keine Unterlage bietet,
sondern auf andere Quellen zurückgegriffen werden muß, wie z. B. Preß-
notizen, Bekanntmachungen der Gerichte oder der Handelsgesellschaften,
legt man vielfach für jeden einzelnen Fal! bei der mit der Sammlung und
Verarbeitung betrauten Stelle Zählkarten an. Auf diese Weise benutzt
man die oben bezeichneten technischen Vorteile aus und trägt gleich-
zeitig weitere Veränderungen ein, um dadurch die Bewegung der be-
1) Hesse, Zivilprozeßstatistik, a. a. O. S. 3.
2) Bosco, Stat. civile, 8. 53.
3) Nach Mitteilung des k. k. Justizministeriums in der Zivilrechtspflege für Ehe-
scheidungen, Zwangsversteigerungen, beendete Konkurse und Zwangsverkäufe be-
weglicher körperlicher Sachen.
4) Mitteilung der Statistique generale de la France und des russischen Justiz-
departements. Wenn in manchen Ländern die Zählkarte bisher noch gar nicht oder
nur in geringem Umfange Eingang gefunden hat, so liegt das zum Teil an der
nicht genügenden Vorbildung der Subalternbeamten, denen ihre Ausfüllung obliegt
(Italien, Rußland). Für Frankreich würde allerdings dieser Gesichtspunkt nicht
zutreffen.
5) Ebenso Bosco, Stat: civile, S. 54, vgl. Tagung des Intern. Statist. Instituts
zu Budapest 1901, Bulletin 1903, S. 228.
26 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtsstatistik.
obachteten Verhältnisse fortlaufend kontrollieren und erfassen zu
können.!)
Ist sonach für die Methode und Technik der statistischen Erfassung
mit der Präzisierung der einzelnen persönlichen und sachlichen Daten das
Beobachtungsobjekt bestimmt und die Art der Stoffgewinnung geregelt,
so ist noch die Art der Zusammenfassung der einzelnen Daten anzugeben
und das Zeitmoment zu berücksichtigen. Bei der tabellarischen Zusam-
menstellung werden sich wiederum die Verschiedenheiten der einzelnen
Gebiete geltend machen, und die Kombinationen nach der mehr oder
minder großen Reichhaltigkeit der statistischen Erfassungsmöglichkeiten
zu gestalten sein. Zu beachten ist für die detailgeographische Darstellung,
daß die Gliederung möglichst der politischen Abgrenzung angepaßt wird,
um sie für die Zwecke der Vergleichung bevölkerungsstatistischer Daten
heranziehen zu können. Die Volkszählungsaufarbeitung gibt auch die
Bevölkerung nach Oberlandesgerichtsbezirken. Eine noch weitere
geographische Gliederung dürfte nur vereinzelt zu empfehlen sein.
Schließlich muß man sich darüber schlüssig werden, ob nur eine ein-
malige Aufnahme in einem bestimmten Zeitpunkte, vielleicht eine Wieder-
holung in gewissen Zwischenräumen vorgenommen, oder eine fortlau-
fende Kontrolle ausgeübt werden soll. Auch in dieser Hinsicht sind die
oben bei der Untersuchung des Beobachtungsobjektes hervorgehobenen
Unterschiede zwischen der freiwilligen und streitigen Gerichtsbarkeit zu
beachten.?) Bei der letzteren mit ihren relativ fest umgrenzten Tatbe-
ständen, die in sich geschlossen sind und eine gewisse Einheitlichkeit auf-
weisen, ist eine dauernde Beobachtung eher angebracht, als bei der frei-
willigen Gerichtsbarkeit. Soweit es sich hier um Rechtsverhältnisse han-
delt, die ständig der gerichtlichen Kontrolle unterstehen, besitzen sie
etwas derartig fluktuierendes, die einzelnen Rechtsakte bezüglich des-
selben Wirtschaftsgutes weichen oft derartig voneinander ab, daß man
sich hier im allgemeinen mit Bestandsaufnahmen begnügen wird, oder
nur bestimmte Rechtsakte dauernd statistisch erfaßt.
Bei der Verarbeitung der gewonnenen Ergebnisse ist darauf Wert zu
legen, daß sie sich nicht bloß auf die Herstellung großer Zahlenhaufen
1) Es sei darauf hingewiesen, daß Bosco (Statistica civile, S. 59ff.), abgesehen
von den eigentlichen Mitteln der Statistik, auch die Repräsentatirmethode und die
Monographie für die Zivilrechtsstatistik in Vorschlag bringt. Wir behandeln diese
Möglichkeiten, als aus dem eigentlichen Rahmen der Statistik heraustretend, nicht.
Die Gründe, welche Bosco für die Reprisentativmethode anführt, behandeln auch
nur andere Gebiete, aber nicht eigentlich die Zivilrechtsstatistik. Für diese sei auch
auf die ganz besonderen Schwierigkeiten der Auswahl typischer Gebiete für die Be-
obachtung aufmerksam gemacht. Die Monographie als Unterlage für allgemeine
Schlüsse zu benutzen, dürfte hier bedenklich sein. — Über die Repräsentativmethode
vgl. Kiär, Die repräsentative Untersuchungsmethode im Allg. Stat. Archiv, Bd. 5
(1899), S. 1ff.
2) Siehe S. 21.
Verarbeitung. 5. Systematische Stellung. 27
beschränkt, sondern das Material auch verarbeitet. Es müssen möglichst
relative Zahlen und, wie es auch meist geschieht, die Hauptergebnisse und
wichtigsten Gesichtspunkte in kurzer textlicher Bearbeitung beigegeben
werden. Denn ,,die Kunst und Aufgabe des Statistikers besteht ja ge-
rade darin, den Zahlen Geist und Leben einzuhauchen, sie sprechen zu
lassen‘*.!)
Zu empfehlen wäre es auch, daß der amtlichen Justizstatistik einige
kurze Angaben über die Organisation und Zuständigkeit der Gerichte
vorangeschickt würden. Sobald sie sich nicht ausschließlich an Juristen
wendet, wäre eine solche Ergänzung zum leichteren Verständnis wün-
schenswert und würde zur richtigen Einschätzung und Würdigung der
Ergebnisse erheblich beitragen. Für eventuelle internationale Vergleiche
wäre gleichzeitig damit die Grundlage geschaffen, um die Verschieden-
heiten in der Gerichtsorganisation erkennen zu können, und die äußerst
mühevolle Vorarbeit in dieser Richtung bedeutend gefördert.?)
Wünschenswert wäre endlich ein zusammenfassender Quellennach-
weis in der amtlichen Statistik auch über die Gebiete der Zivilrechtssstati-
stik, welche sie selbst nicht bearbeitet, um wenigstens in gewisser Hin-
sicht eine Zusammenfassung zu schaffen.
5. Systematische Stellung in der Statistik.
Zu den theoretischen Grundlagen der Zivilrechtsstatistik gehört auch
die Frage nach ihrer Stellung im größeren Rahmen der wissenschaftlichen
Statistik überhaupt. Da die Zivilrechtsstatistik als solche noch nicht
Gegenstand einer besonderen Untersuchung gewesen ist, konnte dieser
Gesichtspunkt bisher nicht behandelt werden. Bei den Einzelgebieten der
Rechtsstatistik, die bisher zur Darstellung gelangt sind, boten sich kaum
Schwierigkeiten nach dieser Richtung, oder man ging auf diese Frage
nicht ein. Die Kriminalstatistik, welche zuerst größere Beachtung ge-
funden hat, war wegen ihrer Geschlossenheit und ihres einheitlichen Auf-
baues auf sittlichen Verfehlungsmaßen leicht in die Moralstatistik einzu-
gliedern. Ebenso verhielt es sich mit der Ehescheidungsstatistik, die
ebenfalls hauptsächlich in dieses Gebiet gehört. Wollen wir nun aber den
Versuch machen, die gesamte Zivilrechtsstatistik oder besser gesagt ihre
einzelnen Materien sämtlich dem System der wissenschaftlichen Statistik
einzufügen, so stoßen wir auf große Schwierigkeiten, da es ein allgemein
anerkanntes System kaum gibt. Dazu kommt dann noch der Widerstreit
der Meinungen über Begriff und Wesen der Statistik an sich, über die
Statistik als Wissenschaft usw., Streitfragen, zu denen hier in diesem Zu-
1) Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, 8. 75.
2) So auch der internationale StatistikerkongreB zu Brüssel, 1853, Paris 1855,
Haag 1869. (Böhmert, Statistik der Rechtspflege. Sächs. Stat. B. Z. 1879, S. 50.)
Petersburg 1897 (Bulletin 1899, S. 135).
98 I. Abschnitt. ‘Theoretische Zivilrechtsstatistik.
sammenhange im einzelnen nicht Stellung genommen werden kann. Be.
züglich dieser allgemeinen theoretischen Grundlagen verweisen wir auf
die Ausführungen von Wolff in der Festgabe für v. Mayr.!)
Darin herrscht ziemlich Übereinstimmung, daß das eigentliche Be-
tätigungsfeld der Statistik die Beobachtung der menschlichen Gesell-
schaft ist.?2) Soweit uns daher die Statistik der Zivilrechtspflege soziale
Verhältnisse schildert, den Menschen als Beobachtungsobjekt aufweist,
gehört sie zweifellos in das System der Statistik, selbst wenn man in dem
Menschen den einzigen Untersuchungsgegenstand der Statistik erblickt,
oder hier die Grenze der ‚Statistik als Wissenschaft‘‘ ziehen will.
Welche Gebiete der Zivilrechtsstatistik uns soziale Zustände schil-
dern, hatten wir bei der sachlichen Abgrenzung des Beobachtungsfeldes
bereits dargelegt.?) Danach kommen hier in Betracht die Entmündi-
gungen, Volljährigkeitserklärungen, überhaupt das ganze Vormund-
schafts- und Fürsorgeerziehungswesen. Dazu gesellen sich noch die Sta-
tus- und Ehescheidungsprozesse sowie in gewisser Hinsicht das Vereins-
wesen. Soweit die Statistik dieser Gebiete nur rein äußerlich bestimmte
Zustände oder Bewegungen in der menschlichen Gesellschaft verzeichnet,
sind sie der Bevölkerungsstatistik zuzurechnen, soweit aber auf die tie-
fer liegenden Ursachen eingegangen wird, greifen sie ins Gebiet der
Moralstatistik i. e. S. über. Die Zahl der Ehescheidungen oder Entmün-
digungen bietet lediglich bevölkerungsstatistisches Interesse, während
die Ursachen dieser Erscheinungen uns in das Gebiet des Sittlichen führen,
daher den Moralstatistiker angehen. Fassen wir die Bevölkerungsstati-
stik und die Moralstatistik unter dem Begriff der Bevölkerungsstatistik
im weiteren Sinne zusammen, so können wir demnach alle Gebiete der
Zivilrechtsstatistik, welche den Menschen als Beobachtungsobjekt haben,
darunter eingliedern und in diesem Sinne von der Zivilrechtsstatistik
als Bevölkerungsstatistik im weiteren Sinne sprechen.
Größere Schwierigkeiten bereiten die angedeuteten Meinungsver-
schiedenheiten für die Eingliederung derjenigen Gebiete der Zivilrechts-
statistik, welche uns wirtschaftliche Verhältnisse schildern, sei es, daß es
sich um Bestands- oder Bewegungsmassen handelt. Einerseits erscheint
es ohne weiteres gegeben, sie der Wirtschaftsstatistik zuzurechnen, da
deren Forschungsgebiet das gesamte wirtschaftliche Leben der Mensch-
heit umfaßt.) Anderseits wird sich der Kampf der Statistik um ihre
Existenzberechtigung als selbständige Wissenschaft bei der Wirtschafts-
statistik darum drehen, ob sie, soweit sie nicht mehr den Menschen als
1) Die Statistik in der Wissenschaft, Festgabe für v. Mayr. Bd.1S.66—111.
2) Conrad, Grundriß, IV 1, S.5. Rümelin, Zur Theorie der Statistik in den
„Reden und Aufsätzen“, S. 224. Block-Scheel, Handbuch der Statistik, S. 68.
3) Siehe S. 16/17.
4) v. Mayr, Begr. u. Gliederung d. Staatswissenschaften, S.106; Conrad,
Grundriß, IV, 2, S. 1.
Zivilrechtsstatistik als Bevölkerungs- und Wirtschaftsstatistik. 29
solchen behandelt, überhaupt der wissenschaftlichen Statistik angehört,
oder ob sıe nicht vielmehr, nur auf der statistischen Methode fußend, eine
Hilfswissenschaft der Wirtschaftswissenschaft (Volkswirtschaftslehre)
darstellt. Unbedingtes Erfordernis einer jeden selbständigen Wissen-
schaft ist ein ıhr eigenes Arbeitsfeld. Das wirtschaftliche Gut, welches
die Wirtschaftsstatistik behandelt, ist das charakteristische Objekt für
die Wirtschaftslehre, prägt somit schon dieser Sparte den Stempel der
Wissenschaft auf und kann als ein nur der Wirtschaftsstatistik eigen-
artiges Beobachtungsobjekt nicht mehr in Anspruch genommen werden.
Der vergesellschaftete Mensch, welcher für die Statistik als Wissenschaft
den besonderen Beobachtungsgegenstand bedeutet, kommt bei den
Materien der Rechtspflege, welche uns wirtschaftliche Verhältnisse schil-
dern, nicht in Betracht, wenigstens bietet er nach unseren früheren Aus-
führungen nur ein sekundäres Interesse. Wir besitzen demnach einerseits
kein eigenes Arbeitsfeld für die Zivilrechtsstatistik, anderseits sind Ge-
biete mit dem Menschen als Beobachtungsobjekt, welche zur wissen-
schaftlichen Statistik in Analogie der Berufsstatistik zu rechnen wären,
nicht vorhanden, so daß wir zu dem Schluß kommen, daß es sich bei den
in Frage stehenden Materien der Zivilrechtsstatistik nur um die Anwen-
dung der statistischen Methode handelt, wie etwa bei der Geographie,
Meteorologie, Medizin usw. Dadurch, daß man diesen Materien den Cha-
rakter als einer eigenen Wissenschaft abspricht, verlieren sie um nichts an
Bedeutung, nur daß sie systematisch keine selbständige Stellung ein-
nehmen. Es handelt sich bei ihnen nicht mehr um Statistik als Wissen-
schaft, sondern sıe stehen im Dienste der Wissenschaft. Ihr Ziel und ihre
Aufgabe geht dahin, die Wirtschaftswissenschaft zu unterstützen und
ihnen als Unterlage zu dienen. Die statistische Methode ist hierbei von
solcher Wichtigkeit, daß sie vielfach überhaupt nicht entbehrt werden
kann. Im Sinne dieser Ausführungen bezeichnen wir die Gebiete der
Zivilrechtsstatistik, welche uns wirtschaftliche Verhältnisse schildern, die
Zivilrechtsstatistik als Wirtschaftsstatistik.
_ Die Frage nach der systematischen Eingliederung ist weniger von
praktischer Bedeutung, als daß wir damit die Richtschnur für den weite-
ren Gang unserer Untersuchung bei der Darstellung der praktischen Zivil-
rechtsstatistik gewonnen haben. Wir werden zunächst einen Überblick
über die geschichtliche Entwicklung der Zivilrechtsstatistik geben, dann
die gegenwärtige amtliche Justizstatistik im allgemeinen behandeln und
daran die Zivilrechtsstatistik als Bevölkerungsstatistik anschließen. Da-
bei gehen wir vom Menschen als Individuum aus, behandeln dann die Ge-
biete, welche die engste Gemeinschaftsform, die Familie, betreffen, und
reihen schließlich die weiteren Formen des Zusammenschlusses an, die
Vereine, soweit sie nicht zum wirtschaftlichen Gebiete gehören. Es er-
gibt sich daraus im Anschluß an die Abgrenzung des Beobachtungs-
gebietes folgende Gliederung:
30 I. Abschnitt. Theoretische Zivilrechtestatistik.
. Entmündigungen, Volljährigkeitserklärungen?),
. Vormundschaftswesen,
. Fürsorgeerziehung,
. Statusprozesse,
. Ehescheidungsprozesse,
. Vereinswesen.
Bei der Zivilrechtsstatistik als Wirtschaftsstatistik gehen wir von
den menschlichen Zusammenschlüssen aus, bei denen der wirtschaftliche
Zweck das hauptsächlichste Interesse bietet, und knüpfen daran die Rege-
lung wirtschaftlicher Beziehungen innerhalb der Familie. Sodann kommt
der Streit um wirtschaftliche Interessen, der Zivilprozess, und die zwangs-
weise Durchführung des Urteils, die Zwangsvollstreckung, und der inner-
lich damit verwandte Konkurs zur Darstellung. Den Abschluß bildet
dann das wirtschaftliche Gut selbst. Einmal ist das gewissen Zwecken
gewidmete Vermögen, die Stiftung, zu berücksichtigen, dann das Grund-
stück und das Schiff. Daraus entspringt folgende Anordnung:
1. Kollektivunternehmungen (Vereins-, Handels-, Genossenschafts-
register),
2. Güterrechtsregister,
3. Zivilprozesse,
4. Zwangsvollstreckungen,
5. Konkurse,
6. Stiftungen,
7. Grundbuchwesen,
8. Schiffsregister.
DO CO N kA
1) v. Mayr, Begr. u. Gliederung der Staatsw,. S. 111, rechnet dieses Gebiet der
Wirtschaftsstatistik zu. Wir glauben es der Bevölkerungsstatistik zurechnen zu
sollen. Wie dort Alter, Gesundheit und sonstige individuelle Momente behandelt wer-
den, so sind unseres Erachtens auch die Rechtefähigkeit und die sie beeinflussenden
Faktoren, wie z. B. Volljährigkeitserklärung und Entmündigung dort darzustellen,
denn sie sind Voraussetzungen für die wirtschaftliche Aktionsfähigkeit, nicht eigent-
lich Erscheinungen des Wirtschaftslebens selbst (dies im Gegensatz zu den wirtschaft-
lichen Unternehmungsformen).
II. Abschnitt.
Praktische Zivilrechtsstatistik.
A. Geschichtlicher Überblick.')
Bei der erheblichen Bedeutung, welche eine gut ausgebaute Rechts-
statistik nach unseren obigen Ausführungen für den Staat besitzt, sollte
man meinen, die Verwaltungen hätten diesem Zweige der Statistik schon
frühzeitig ihr Augenmerk zugewendet. Aber sowohl Theorie?) als Praxis
zogen ihn nur ganz allmählich in ihr Arbeitsgebiet ein. Zunächst erregte
die Kriminalstatistik größere Aufmerksamkeit, 1. weil mehr den Nei-
gungen der Zeit entsprechend mit ihren sittlichen Problemen und der
Sozialpolitik, 2. vielleicht weil das Ineinanderfallen von ,,Fall‘‘ und ,,MaB-
stab“ die Beobachtung erleichterte, und fand einen verhältnismäßig guten
Ausbau und wurde auch wissenschaftlich ausgebeutet. Die Zivilrechts-
pflege dagegen wurde erst viel später berücksichtigt. Sie ist bezüglich
ihrer Ausgestaltung noch heute nicht der Kriminalstatistik gleichzu-
stellen und hat in der Wissenschaft ebenfalls nicht die gleiche Beachtung
gefunden. Namentlich das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist
lange Zeit vernachlässigt worden, obwohl seine statistische Beobachtung
fast noch wichtiger ist als die der streitigen Gerichtsbarkeit.?)
Den ersten beachtenswerten Versuch einer justizstatistischen Auf-
nahme finden wir schon 1697 unter Ludwig XIV. in Frankreich. Er
forderte von den Intendanten einen genauen Bericht über den Zustand
der Provinzen nach einer eingehenden Instruktion. Betreffs der Justiz
sollte ermittelt werden, ob die Gerichte ihrer Aufgabe gerecht würden,
die Schwachen gegen die Mächtigen zu schützen, insbesondere wurde nach
der Dauer der Prozesse und der Höhe der Prozeßkosten gefragt. Durch
die Unfähigkeit der unteren Behörden scheiterte indes dieses Unterneh-
men. In England veranlaßten Parlamentskomitees, welche Unterlagen
für gesetzgeberische Maßnahmen verlangten, die ersten statistischen Er-
1) Vgl. Böhmert, Statistik der Rechtspflege, Sächs. Stat. B. Z. 1879, S. 49ff.
2) Über die ältere Literatur vgl. Böhmert a. a. O. Als ersten deutschen Sta-
tistiker, welcher der Rechtastatistik die gebührende Stellung im System einräumte,
wird dort August Niemann genannt (Abriß der Statistik und Staatenkunde 1807),
ferner wird auf v. Schlieben hingewiesen (Grundzüge einer allgem. Statistik 1834
und Statistische Aphorismen). Mit Recht wird schließlich die vorzügliche Arbeit des
Herausgebers in den Hildebrandschen Jahrbüchern Bd. 4, 1865 (Die Organisation der
Statistik der Rechtspflege) hervorgehoben.
3) Haushofer, Lehrb. d. Statistik, S. 446.
32 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
hebungen auf dem Gebiete des Justizwesens (1696 über den Zustand von
Gefängnissen, 1770 über die Verbrechen in der Hauptstadt). Eine gedeih-
liche Entwicklung war indessen erst möglich, nachdem durch die Ein-
richtung statistischer Bureaus in den einzelnen Ländern Zentralstellen
für eine einheitliche, fortdauernde statistische Beobachtung geschaffen
waren. Zunächst wurde die Kriminalstatistik in Angriff genommen,
nachdem Quetelet die Blicke auf die Moralstatistik gelenkt und damit
einen ganz wesentlichen Anstoß für die Justizstatistik gegeben hatte.
Namentlich war es Frankreich, das im Anschluß an die Forschungen
Quetelets zunächst seine Kriminalstatistik ausbaute und damit viel-
fach vorbildlich gewirkt hat. Jedoch auch auf dem Gebiete der Zivil-
rechtsstatistik hat die französische Statistik bahnbrechend gewirkt.
Seine Versuche auf diesem Gebiete gehen bis 1825 zurück. I vernés hat
durch seine praktischen wie theoretischen Arbeiten nach dieser Richtung
so Bedeutsames geleistet, daß man ihn als ,, Vater der Justizstatistik‘ be-
zeichnen darf.) Seine größte Arbeit: ,,l’administration de la justice civile
et commerciale en Europe‘ (Paris 1876), die er im Auftrage des inter-
nationalen Statistikerkongresses anfertigte, gibt ein umfassendes Bild
über die Grundzüge der Rechtspflege in Europa zur damaligen Zeit und
eine Zusammenstellung der Hauptergebnisse.
Wie der internationale Statistikerkongreß den Anstoß zu dieser
grundlegenden Arbeit gegeben hat, so hat er auch sonst fruchtbare An-
regungen gegeben, wenn er auch die Frage einer internationalen Rechts-
statistik bisher nicht zu lösen vermocht hat.?) Freilich steht auch hier
wiederum völlig das Strafrecht und die Kriminalstatistik im Vorder-
grunde. Diese Tatsache findet ihre Erklärung einmal in den erwähnten
Arbeiten Quetelets, sodann vor allem darin, daß sich hier ungleich ge-
ringere Schwierigkeiten boten, wie auf dem Gebiete des bürgerlichen
Rechts. Abgesehen von den großen Verschiedenheiten in der Organisation
und Zuständigkeit der Gerichte, liegen hier viel größere Abweichungen in
der Regelung des materiellen Rechts selbst vor. Dazu kommen die völlig
verschiedenen Aufgaben der einzelnen Zweige der Zivilrechtspflege im
Gegensatz zum Strafrecht, das ein in sich geschlossenes Gebiet darstellt,
und die komplizierteren, vielseitiger gestalteten Tatbestände, die ungleich
schwerer zu rubrizieren sind. So kann es denn nicht Wunder nehmen,
wenn die Ausbeute für die Statistik der Zivilrechtspflege aus den Ver-
handlungen der internationalen Kongresse nicht allzu groß ist und na-
mentlich Einzelgebiete betrifft.
Bereits der Kongreß zu Paris (1855) beschäftigte sich mit der Zivil-
rechtsstatistik. Er sprach den Wunsch aus, daß die einzelnen Staaten ın
ihren statistischen Erhebungen auf dem Gebiete der Zivilrechtspflege die
in Frankreich, Belgien, Sardinien und Neapel übliche Form sich zu eigen
1) Böhmert aa O.; v. Oettingen, Moralstatistik, S. 362, Anm. 2.
2) Bertillon, Statist. administrative, S. 294.
A. Geschichtlicher Überblick. 33
machen möchten. Bezüglich der ZivilprozeBstatistik wurden einige
Hauptgesichtspunkte hervorgehoben. Außerdem wurde auf die Not-
wendigkeit statistischer Erhebungen über Expropriationen hingewiesen.
Nur noch historisches Interesse und gleichzeitig einen Beweis für den
schnellen Wandel der Zeit sowie der Rechtsanschauungen bietet die
gleiche Forderung bezüglich der Schuldhaft.!) Auch das Gebiet der frei-
willigen Gerichtsbarkeit wurde damals bereits berührt, indem die Be-
deutung einer Statistik des Grundbesitzwechsels und der Eheverträge be-
tont wurde, und die Beobachtung der Konkurse wurde als wünschens-
wert hingestellt.
Die folgenden Kongresse zu Wien (1857) und London (1860) be-
handelten nur die Frage der Vorarbeiten für eine internationale Zivil-
rechtsstatistik. In Berlin (1863) wurden einige Fragen der Statistik des
Grundeigentums berührt.
Eine eingehendere Behandlung fand die Statistik der Zivilrechts-
pflege dann wieder im Haag (1869). Zunächst wurden die Regierungen
um die Anfertigung von tabellarischen Übersichten über die Lage der
„toten Hand“ gebeten. Sodann beschäftigte der Kongreß sich eingehend
mit der Konkursstatistik, indem er eine ganze Reihe von Gesichtspunkten
aufstellte, die er berücksichtigt wissen wollte, ebenso bezüglich der Ak-
tiengesellschaften.
Das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit beschäftigte dann auch
den Kongreß zu Budapest (1876), der die Statistik der Grund- und Hypo-
thekenbücher und der erwerbstätigen juristischen Personen, vor allem
der Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien be-
handelte.
Auch das Internationale Statistische Institut behielt die
Frage der Zivilrechtsstatistik im Auge, beschäftigte sich aber meist mit
Einzelgebieten, so mit der Statistik des Grundeigentums?) oder der Ehe-
scheidungsstatistik.?)
Von größerer Bedeutung für die Zivilrechtsstatistik ist erst wieder
die Tagung dieses Institutsin Petersburg(1897), wo Macdonald sehr rich-
tig darauf hinwies, daß zunächst einmal das Arbeitsfeld genauer um-
schrieben werden müsse. Er ging dabei von dem Standpunkt aus, daß
man sich nicht auf den Zivilprozeß beschränken dürfe, sondern auch das
Vormundschaftswesen, die Legitimationen, die Hypothekenbewegung,
die Fideikommisse usw. berücksichtigt werden müßten. Auch machte
er auf die Sondergerichte aufmerksam. Für eine internationale Zivil-
rechtsstatistik schlug er die Wiederaufnahme der Arbeit von Ivernes
vor, die infolge der vielfachen Veränderungen der Gesetzgebung in den
1) Die gleiche Forderung findet sich in den ,, Mitteilungen“ in Hildebrands Jahr-
büchern 1865, S. 39 und bei Haushofer, Lehrb. d. Statistik, S. 445.
2) Bulletin, 1886. Rom. S. 31.
3) Bulletin, 1895. Rom. S. 222.
Busch: Statistik der Zivilrechtspflege. 3
34 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
einzelnen Staaten notwendig wäre. Schließlich wurde ein Komitee für
die Zivilrechtsstatistik eingesetzt mit der Aufgabe, die beste Methode für
die Zivilrechtsstatistik ausfindig zu machen.)
Beachtenswerte Ergebnisse zeitigte auch die Tagung in Budapest
(1901), auf dem als Grundsatz aufgestellt wurde:
1. Trennung der Gesichtspunkte der Verwaltung und des Verfahrens
von den wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Momenten in
der Zivilrechtsstatistik wie bei der Kriminalstatistik,
2. Ersatz des Listenverfahrens durch die Individualzählkarte, soweit
es nach den Verfahrensvorschriften der einzelnen Länder möglich ist.
Außerdem sollte das Komitee für die Zivilrechtsstatistik mit dem
Aufsuchen des besten statistischen Einheitsmaßes für den Zivilprozeß
betraut werden.?)
Die weiteren Tagungen behandelten wiederum nur Einzelgebiete,
wie in Kopenhagen (1907) die Statistik der Grundbesitzverteilung?), in
Paris (1909) die Hypothekenstatistik.*)
Die von den internationalen Statistikerkongressen und dem Inter-
nationalen Statistischen Institut aufgestellten Grundsätze sind noch
längst nicht überall zur Einführung gelangt.
Bei den deutschen Bundsstaaten liegen die Versuche einer Zivil-
rechtsstatistik teilweise ziemlich weit zurück. In Bayern wurden schon
1806 ,,Geschaftsanzeigen der Untergerichte über die Resultate der Zivil-
und Strafrechtspflege‘“ eingeführt. Eine weitere Ausgestaltung fand die
Justizstatistik in den dreißiger Jahren in der Pfalz und im Anschluß
daran später im übrigen Bayern, 1875 wurde sie dann für ganz Bayern
vereinheitlicht.?) In Sachsen erschienen schon 1834 Mitteilungen der
im Jahre 1832 vorgekommenen Zivil- und Kriminalprozesse und be-
merkenswerterweise auch Zusammenstellungen über Konkurs-, Vor-
mundschafts- und Ehesachen.°) Nach verschiedenen Unterbrechungen
erscheinen seit 1865 regelmäßig Veröffentlichungen über die Zivil-
rechtspflege. Württemberg bringt Mitteilungen über die gesamte Tä-
tigkeit der Gerichte seit 1831‘), Preußen seit 1856°%). In den thü-
1) Bulletin, 1899. S. 136. 2) Bulletin, 1903. 8. 228.
3) Bulletin, 1908. Tome XVII, S. 154—168.
4) Bulletin, 1909. Tome XVIII, S. 107.
5) Wadler, Moralstatistik in der Festgabe fiir v. Mayr. Bd.1, S. 614.
6) Heft 5 der Mitteilungen des Statistischen Vereins. Uber die weitere Entwick-
lung vgl. Böhmert, Statistik der Rechtspflege. Zeitschr. des Sächs. Stat. Bureaus
1879, 8.54.
7) Von 1823—1830 nur für die höheren Gerichte. Die Veröffentlichung geschah
bis 1849 im „Regierungsamtsblatt für das Königreich Württemberg“, seitdem im
„Staatsanzeiger für Württemberg“.
8) JMBl. 1856, S. 291. Eine umfassende Darstellung der von den Gerichten
einzureichenden Tabellen findet sich in der Arbeit von Engel, Die Statistik im Dienste
der Verwaltung, Zeitschr. des Preuß. Stat. B. 1863, S. 302, auf Grund der Arbeit von
Trödel, Der Justizbureaudienst. Berlin 1860.
Geschichtlicher Überblick. B. Die amtliche Zivilrechtsstatistik. 35:
ringischen Staaten finden wir die erste Statistik der Rechtspflege
für die Staaten des Appellationsgerichtes Eisenach im Jahre 1863.1)
Für eine einheitliche deutsche Justizstatistik wurde die Grundlage
durch die sogenannte Reichsjustizgesetzgebung 1879 geschaffen (Zivil-
prozeB-, StrafprozeB-, Konkursordnung, Gerichtsverfassungsgesetz), wo-
durch für das ganze Reich ein einheitliches Verfahren, einheitliche Glie-
derung und Zuständigkeit der Gerichte für den Prozeß eingeführt wurde.
Nachdem diese notwendige Voraussetzung gegeben war, ließ auch die ein-
heitliche Rechtsstatistik nicht lange auf sich warten. Bereits 1883 er-
schien die erste „Deutsche Justizstatistik‘“.
B. Die amtliche Zivilrechtsstatistik im allgemeinen.’)
Die heutige Zivilrechtsstatistik als Teil der amtlichen deutschen
Justizstatistik trägt fast durchgängig den Charakter der Geschäftsstati-
stik.3) Sie beruht auf der zweiten der von uns oben behandelten Gewin-
nungsmöglichkeiten, nämlich der Ausbeutung der Geschäftskalender und
Register für statistische Zwecke durch Aufaddierung der in den einzelnen
Spalten eingestrichelten richterlichen Geschäfte. Gemeinsame Vorschrif-
ten für das Reich bestehen über die Materialgewinnung nicht. Jedoch ist
das Verfahren in den einzelnen Bundesstaaten demjenigen in Preußen
ziemlich entsprechend. Hier sollen die Amts- und Landgerichte am
Schluß des Kalenderjahres die Eintragungen in ihren Registern und
Kalendern aufaddieren und die so gewonnenen Zahlenergebnisse in so-
genannte „Hauptübersichten‘“ übertragen. Die Oberlandesgerichte fügen
das Verzeichnis über die eigene Tätigkeit hinzu, und so werden die „Über-
sichten‘ der Geschäfte der ordentlichen streitigen Gerichtsbarbeit bei den
Oberlandesgerichten und bei den Gerichten im Bezirk derselben gewon-
nen. Sämtliche während des Geschäftsjahres vorgenommenen Geschäfte
werden unausgeschieden aneinandergereiht, die Geschäfte sämtlicher
Amtsgerichte und Landgerichte des Oberlandesgerichtsbezirks zusam-
mengezogen und gemeinschaftlich dargestellt. Die weitere Verarbeitung
findet dann im Reichsjustizamt statt. Die Ergebnisse werden in der Art
zusammengestellt, daß für jeden Posten die Ziffern für die einzelnen Ober-
1) Statistik der gesamten Rechtspflege im Jahre 1863 für das Großherzogtum
Sachsen-Weimar usw. Jena 1864.
2) Quellennachweis über die ausländische Justizstatistik bei Hesse, Artikel:
Justizstatistik im Handwörterbuch, Bd. 5.
3) Vgl. Ivernés, La justice civile, pag. XXX. Bosco, Statistica civile, S. 46.
Hesse, a. a. O., im Handwörterbuch, Bd. 5, S. 744, weist ganz richtig darauf hin, daß
der Sprachgebrauch die ‚‚Justizstatistik‘‘ in diesem Sinne anwendet und darunter die
Geschäftstätigkeit der Gerichte, im besonderen der Rechtsprechung in ihren prozes-
sualen Eigentümlichkeiten versteht.
3*
36 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
landesgerichtsbezirke und für das Reich gebracht werden. Veröffentlicht
werden die Ergebnisse dann in der ‚Deutschen Justizstatistik‘, die seit
1883 alle zwei Jahre erscheint. Sie behandelt, abgesehen von der Sta-
tistik der Gerichtsverfassung und Rechtsanwaltschaft, die Prozeßstati-
stik für je zwei Jahre, gegliedert in bürgerliche Rechtsstreitigkeiten,
Strafsachen und Konkursverfahren, bringt demnach die freiwillige Ge-
richtsbarkeit nicht zur Darstellung.
Auch die Einzelstaaten, soweit sie über die Tätigkeit ihrer Gerichte
Mitteilungen bringen, gewinnen ihr Material in ähnlicher oder gleicher
Art.!)
Die bereits oben erhobenen Einwände gegen diese Verfahrensart
gelten auch gegenüber der amtlichen Justizstatistik. Sie stellt die ein-
zelnen richterlichen Geschäfte dar, bietet dagegen im allgemeinen nicht
ein Spiegelbild der Rechtspflege. Wir hatten bereits darauf hingewiesen?),
daß diese Statistik wohl den Aufgaben der Verwaltung genügen kann,
nicht aber der Rechtspolitik und wissenschaftlichen Statistik die wün-
schenswerten Grundlagen zu schaffen vermag. Die amtliche Justizstati-
stik spricht sich auch selbst nur als Geschäftsstatistik an. In der Vorbe-
merkung zum zweiten Teil wird besonders hervorgehoben, daß die Ge-
schäfte der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit behandelt werden.
Noch schärfer tritt dies beim Abschnitt über Strafsachen hervor, wo aus-
drücklich betont wird, daß es eine Strafprozeß-, nicht eine Kriminal-
statistik sei.?) Da die Verwaltung für ihre besonderen Zwecke eine Ge-
schäftsstatistik nicht entbehren kann, so wäre es verfehlt, gegen ihre
Existenz anzukämpfen. Aber sehr wohl kann ihre Verfeinerung und ihr
weiterer Ausbau dahin angestrebt werden, daß sie, soweit es vom Stand-
punkt der Rechtspolitik und wissenschaftlichen Statistik aus erstrebens-
wert ist, durch Anwendung einer wissenschaftlich einwandfreien und
bestmöglichen Methode auch diesen Aufgaben dienstbar gemacht werde.
Soweit die Statistik einzelner Reehtsmaterien oder bestimmte Angaben
der verschiedenen Materien nur für die Geschäftsstatistik Interesse bieten,
wären sie gewissermaßen als Einleitung voranzuschicken. Dorthin wären
die Anzahl der Registernummern, die Angaben über die einzelnen richter-
lichen Geschäfte, die erledigten bzw. unerledigten Sachen usw. zu ver-
weisen.*) Gibt die amtliche Justizstatistik dem wissenschaftlich-statisti-
schen Moment insoweit Raum, als es sich mit ihren besonderen Zwecken
vereinen läßt, so wird sie imstande sein, ihren Aufgaben im vollen Um-
fange gerecht zu werden, wie wir sie eingangs dargelegt haben.?) Seute-
1) Hesse, Zivilprozeßstatistik in Conrads Jahrbüchern, Bd. 34, S. 1.
2) Siehe S. 24.
3) Deutsche Justizstatistik 1909, S. 88 bzw. S. 171.
4) „Mitteilungen“ in Hildebrands Jahrb. 1865, S. 34,
5) Siehe S. 10—12.
Geschäftsstatistik. Freiwillige Gerichtsbarkeit. 37
mann!) ist nur beizustimmen, wenn er sagt: „Wir werden eine neue Blüte
der Verwaltungsstatistik erleben, wenn wir aufhören, darunter Etat-
abdrücke, Geschäftsergebnisse, summarische Personalnachweise und In-
ventarien zu verstehen, wenn wir vielmehr die Verwaltungsvorgänge und
Einrichtungen sorgsam in den Beziehungen aufsuchen, in denen sie zu
Funktionen und Merkmalen des Gesellschaftslebens werden.“ Die aus-
schließliche Bearbeitung der streitigen Gerichtsbarkeit wurde bei der Ein-
führung der deutschen Justizstatistik damit begründet, daß auf dem Ge-
biete der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Verfahren und die Zuständig-
keit in den Einzelstaaten zu verschieden geregelt seien. Daher lasse sich
selbst dort, wo die betreffende gerichtliche Tätigkeit, wie z.B. bezüglich
der Führung des Handelsregisters, auf Reichsgesetz beruhe, eine einheit-
liche statistische Erhebung nicht herbeifiihren.?) Diese Gründe dürften
jetzt nicht mehr stichhaltig sein. Infolge der Vereinheitlichung des bür-
gerlichen Rechts zur Jahrhundertwende war auch eine übereinstimmende
Regelung des Verfahrens im Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit not-
wendig. Stellt auch das Gesetz über „die freiwillige Gerichtsbarkeit**’)
keine Kodifikation dar, enthält es demnach keine erschöpfende Regelung
der Materie, so werden doch die Grundprinzipien darin für das Reich ge-
meinschaftlich festgelegt. Zwar verbleibt der landesgesetzlichen Rege-
lung noch ein ziemlich weiter Spielraum, aber weite Gebiete zeigen doch
soviel Einheitlichkeit, daß ihre gemeinsame statistische Bearbeitung für
das Reich sich ermöglichen ließe, so z. B. das Vormundschaftswesen ge-
rade in den hauptsächlich interessierenden Fragen und in gewissem Um-
fange das Grundbuchwesen.
Die Einzelstaaten bringen dagegen meist auch Mitteilungen über die
freiwillige Gerichtsbarkeit, die in Umfang und Gliederung freilich sehr
voneinander abweichen. Während Preußen (im Justizministerialblatt)
und Sachsen summarische Mitteilungen für die ganze Monarchie bringt,
bietet Bayern in seiner Justizstatistik eine reichhaltige Gliederung nebst
örtlicher Differenzierung, ebenso Hessen. Auch Baden bringt eine Dar-
stellung der wichtigeren Geschäftszweige, so namentlich über den Grund-
stücksverkehr im Statistischen Jahrbuch.
Wenn auch die eigenen statistischen Veröffentlichungen der Justiz-
behörden meist als Geschäftsstatistik zu betrachten sind, so muß doch
hervorgehoben werden, daß die Justizverwaltung das in ihren Händen be-
findliche Tatsachenmaterial einer weiteren statistischen Verarbeitung
nicht verschlossen hat, sondern sogar durch ihre Organe in den meisten
Fällen das Urmaterial für die Bearbeitung liefert. Nur diese selbst und
1) Seutemann, Die Ziele der statistischen Vorgangs- und Zustandsbeobachtung
in Conrads Jahrb., Bd. 38 (1909), S. 26.
2) Deutsche Justizstatistik 1883, 8. 55.
3) Vom 17./20. Mai 1898. (RGBI. S. 189—771.)
38 IJ. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
die Publikation erfolgt dann in der Regel von einer anderen Stelle aus.
Daher finden wir auf einzelnen Rechtsgebieten vielfach auch amtliches
statistisches Material, das den Charakter der Geschiftsstatistik abge-
streift hat und den weitergehenden Anforderungen der wissenschaftlichen
Statistik geniigt.
C. Der gegenwärtige Stand der Statistik
der Zivilrechtspflege.
a) Zivilrechtsstatistik als Bevölkerungsstatistik
im weiteren Sinne.
Bei der Untersuchung über die systematische Stellung der Zivil-
rechtsstatistik in der Statistik überhaupt hatten wir gesehen, daß wir die-
jenigen Gebiete, welche den Menschen als solchen zum Beobachtungs-
objekt haben, in die Bevölkerungsstatistik i. w. S., d.h. einschließlich der
Moralstatistik, eingliedern können. Bei der Anordnung der einzelnen hier-
unter fallenden Rechtsmaterien sollte der Gesichtspunkt maßgebend sein,
daß wir vom Menschen als Glied in der Gesellschaft (Individuum) aus-
gehen und über die Familie zu den weiteren Gemeinschaftsformen der
menschlichen Gesellschaft gelangen.
1. Entmündigungen, Volljährigkeitserklärungen.
Die Stellung des Individuums in der menschlichen Gesellschaft wird
im wesentlichen in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht durch die
Rechtsfähigkeit bedingt. Das Gesetz stuft diese in verschiedener Weise
ab, indem es mit der Erreichung bestimmter Altersgrenzen automatisch
gewisse Befugnisse und schließlich die volle Rechtsfähigkeit eintreten
läßt. Durch die richterliche Tätigkeit wird diese nach zwei Richtungen
beeinflußt: entweder werden Volljährige in der Rechtsfähigkeit be-
schränkt, oder Minderjährige für volljährig erklärt. Den letzteren Fall
müssen wir aus unserer Untersuchung ausscheiden, da er so selten vor-
kommt, daß für eine Massenbeobachtung keine ausreichende Grundlage
geboten ist.) Die Beschränkung der Rechtsfähigkeit bei Volljährigen
ist allein durch die statistische Beobachtung der richterlichen Tätigkeit
nach dieser Richtung erfaßbar. Die Verminderung der vollen Betäti-
gungsmöglichkeit in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutet für den einzelnen,
zumal wenn sie in den Jahren voller Schaffenskraft erfolgt, einen schwe-
ren Nachteil, aber auch für die Gesamtheit. Denn für eine entwicklungs-
fähige Volkswirtschaft ist jede einzelne Arbeitskraft von Wert. Daher ist
1) Zahlenangaben liegen nicht vor. Die natürliche Erlangung der Rechts-
fähigkeit und damit der vollen wirtschaftlichen Aktionsfreiheit tritt bekanntlich mit
der Vollendung des 21. Lebensjahres ein. Dieses Moment vermögen wir aus der Fest-
stellung des Lebensalters nach Jahresklassen an der Hand der Ergebnisse der Volks.
zählungen statistisch zu erfassen.
1, Entmündigungen. Volljiihrigkeitserkliirungen. 39
die Kenntnis des Umfangs und der Ursachen dieser Erscheinungen von
großem Interesse. Der letzte Gesichtspunkt führt bereits in das Gebiet
der Moralstatistik.
Als rechtliche Unterlage kommen hier die Entmündigungen wegen
Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Verschwendung und Trunksucht in
Betracht), die durch Beschluß des Amtsgerichts ausgesprochen werden.
Nach dem gegenwärtigen Stande der Rechtsstatistik sind wir auf die An-
gaben der amtlichen Geschäftsstatistik angewiesen. Die deutsche Justiz-
statistik?) führt die verschiedenen Entmündigungsgründe auf, so daß dar-
aus zum Teil die verschiedenartige Wirkung betreffs der Minderung der
Rechtsfähigkeit ziffernmäßig erfaßt werden kann. Denn je nach dem
Grunde der Entmündigung ist die rechtliche Wirkung anders gestaltet
(§§ 104, 114 BGB.). Außerdem wird die Entwicklung bis 1881 zurück ge-
boten. Zur Vervollständigung des Bildes werden auch die Beschlüsse auf
Wiederaufhebung der Entmündigungen veröffentlicht, und schließlich
die einzelnen Oberlandesgerichtsbezirke ausgesondert. Auch Preußen
bringt ähnliche Mitteilungen.?) Nicht glücklich ist bei diesen Veröffent-
lichungen die Zusammenfassung von Geisteskrankheit und Geistes-
schwäche, da gerade sie in ihren Wirkungen vom Gesetz insofern unter-
schiedlich behandelt worden sind, als durch die Entmündigung wegen
ersterer völlige Vernichtung der Rechtsfähigkeit, bei der letzteren nur
eine Gleichstellung mit den Minderjährigen herbeigeführt wird.*) Andere
Staaten, wie z. B. Bayern, differenzieren überhaupt nicht, sondern
geben nur summarisch die Anzahl der Vormundschaftssachen über Voll-
jährige an.) Jedoch wird bisweilen örtliche Differenzierung geboten.
Dazu treten dann noch die Prozesse in Entmündigungssachen vor
den Landgerichten, die entweder die Aufhebung des vom Amtsgericht
erlassenen Entmündigungsbeschlusses®) oder die Wiederaufhebung der
Entmündigung betreffen.) Auch sie enthalten wertvolles Material, bie-
ten aber in Anbetracht ihrer geringen Anzahl kein geeignetes Massen-
beobachtungsobjekt.
Die Entmündigungen würden bei Anwendung einer geeigneteren
Gewinnungsmethode eine viel reichere Ausbeute ergeben.
1) In gewisser Hinsicht kann man auch die Gebrechlichkeitspflegschaft hierfür
rechnen, wir behandeln sie aber wegen ihres engen Zusammenhanges mit der Vormund-
schaft bei dieser.
2) Deutsche Justizstatistik 1909, S. 132ff. Eine Bearbeitung der Ergebnisse
findet sich bei Hesse, Zivilprozeßstatistik in Conrads Jahrb., Bd. 34 (1907), S. 39ff.
3) JMBI. 1908, S. 278.
4) Ebenso auch z.B. Hessen, Beiträge zur Statistik des GroBherzogtums,
Hessen 1910, Bd. 61, Heft 1, S. 17.
5) Bayern, Justizstatistik 1908, S. 48, in Bayern 1908: 675.
6) In Preußen 1907: 67 (JMBl. 1908, S. 283).
7) In Preußen 1907: 55; in Bayern 1908 insgesamt 6 (Bayer. Just. Stat. 1908,
S.58). Im Reich waren 1907 insgesamt bei den Landgerichten 227 Entmündigungs-
sachen anhängig (Deutsche Justizstatistik 1909, S. 134).
40 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Das Gericht hat in weitgehendem Maße für die Erforschung des
Sachverhaltes, namentlich durch Anhörung medizinischer Sachverstän-
diger, Sorge zu tragen; gewöhnlich finden sich längere Gutachten vor, so
daß, abgesehen von dem bevölkerungsstatistischen Moment der Vermin-
derung der wirtschaftlichen Aktionsfähigkeit, hier bedeutungsvollere Ein-
blicke für die Moralstatistik zu gewinnen wären. Es sei nur auf die Frage
der Vererbung bei Alkoholikern sowie den Geisteskranken hingewiesen.
Eine große Rolle spielen hierbei auch die näheren Familienverhältnisse,
das Alter wie das Geschlecht. Demnach wäre die Einführung von Zähl-
karten für jeden einzelnen Fall der Entmündigung anzustreben.
2. Das Vormundschaftswesen.
In die Bevölkerungsstatistik i. w. S. gehören ferner die Gebiete,
welche uns den Menschen in seinen Beziehungen zur engsten Gemein-
schaftsform, der Familie, schildern. Vor allem kommt hier das Vormund-
schaftswesen in Betracht. Wir fassen darunter alle Maßnahmen staat-
licher Fürsorge zum Schutz und zur Vertretung von Personen zusammen,
die selbst zur Wahrnehmung ihrer Interessen nichtimstandesind. Esgehört
dazu sowohl die Vormundschaft über Minderjährige wie entmündigte
Volljährige, die Pflegschaften, welche grundsätzlich nur eine Fürsorge für
einzelne Angelegenheiten bezwecken, sowie schließlich die Beistandschaf-
ten, welche zur Unterstützung der Mutter bei der Ausübung der elter-
lichen Gewalt dienen.
Materielle wie persönliche Interessenkollisionen unterbreitenhierdem
Richter Tatsachenmaterial, dessen Kenntnis für die Beurteilung unserer
sozialen Verhältnisse um so größere Bedeutung haben muß, als sie in den
meisten Fällen anormalen Zuständen im Familienleben entspringen. Es
braucht nur an die große Anzahl der Unehelichen erinnert zu werden, die
der Kontrolle des Vormundschaftsrichters unterstehen. So betrafen in
Bayern im Jahre 1908 von 41 635 neu eingeleiteten Vormundschaften
28 9701) = 69,8 Prozent Uneheliche. Die mannigfachen Schäden und
Bedenken, welche die uneheliche Geburt für den Betreffenden wie für die
Allgemeinheit mit sich bringt, sind so allgemein bekannt und Gegenstand
so zahlreicher Bestrebungen, daß das Interesse an der Kenntnis der ge-
nauen Verhältnisse, wie sie eine statistische Beobachtung zu liefern ver-
mag, nicht weiter dargelegt zu werden braucht. Bedeutsam ist weiter
die Frage der Legitimation?) der unehelichen Kinder durch den Erzeuger.
Denn darin liegt einmal der Ausdruck des den Sittengesetzen entspre-
chenden Verhaltens gegenüber der ursprünglichen Verfehlung, und so-
dann ein wesentliches Moment für die Bestandsbeobachtung der unehe-
1) Justizstatistik f. Bayern 1908, S. 49.
2) Des inneren Zusammenhanges wegen ist die Legitimation und Adoption an
dieser Stelle einzufügen, obwohl sie nicht ohne weiteres zum Vormundschaftswesen
gehören.
2. Vormundschaftswesen. 41
lich Geborenen. Aber die wenigsten unehelichen Kinder gelangen in die-
sen unserem Gesellschaftsleben entsprechenden Normalzustand, und hier
versucht man vorbeugend zu wirken durch Besserung der Lebenshaltung,
Kontrolle der Plfegemutter usw. Ein wesentliches Mittel hierzu bildet
die Berufsvormundschaft, bei welcher einem meist städtischen Be-
amten an Stelle des sonst üblichen ehrenamtlichen Vormundes die Für-
sorge für den Unehelichen obliegt. Eine derartige Zentralisierung muß
naturgemäß auch für die statistische Beobachtung wertvolles Mäterial
zutage fördern.
Auch die Adoption als ein Mittel zur künstlichen Fortsetzung steriler
Ehen würde an sich das Interesse des Moralstatistikers in Anspruch neh-
men, aber hier ermangelt es der hinreichenden Anzahl von Fällen für
eine Massenbeobachtung?), die einen wertvollen Aufschluß über Zustände
oder besser gesagt Mißstände im Familienleben zu geben vermögen.
Gerade beim Vormundschaftswesen stellen sich nun aber der stati-
stischen Beobachtung Schwierigkeiten entgegen, welche ihren Grund in
der Art der gesetzlichen Regelung haben. Der Vormundschaftsrichter
ist nicht der gesetzliche Vertreter des Mündels bzw. Pfleglings, sondern er
führt nur die Aufsicht über den Vormund oder den Pfleger. Bei diesen
liegt der Schwerpunkt der Fürsorge für die zu verwahrenden Personen.
Dem Gericht wird daher in der Regel auch nur durch Berichte seitens
der Vormünder oder Pfleger soviel Material unterbreitet, als zur Kon-
trolle innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzen notwendig ist.
Diese gestalten sich in der Praxis oft außerordentlich dürftig, soweit nicht
die Rechenschaftslegung über anvertrautes Vermögen genauere Bericht-
erstattung erfordert. Die Vormundschaften ohne Rechnungslegung ma-
chen aber den bei weitem größten Teil aus.?) Soweit anderseits Rech-
nungslegung erforderlich ist, handelt es sich um Tatsachen, welche gerade
für die soziale Erkenntnis von geringerer Bedeutung sind. Daher bieten
die Vormundschaftsakten höchstens in betreff der bei der Einleitung be-
kannt gewordenen persönlichen Verhältnisse des Mündels oder Pfleg-
lings Material für eine statistische Ausbeutung, während dies im weiteren
Verlauf der gerichtlichen Tätigkeit im allgemeinen nicht der Fall ist, oder
aber andere Quellen besseres Material zu liefern vermögen. Aus dieser
Sachlage ergeben sich für die statistische Beobachtung bestimmte Gren-
zen. Namentlich wird sich, wie bereits bei der Stoffgewinnung im all-
gemeinen erörtert worden ist, eine fortdauernde Beobachtung schlecht-
hin nicht empfehlen, vielmehr wird die Benutzung des gerichtlichen
Aktenmaterials nur in der Weise angebracht sein, daß bestimmte Rechts-
akte der statistischen Kontrolle unterworfen werden.
1) Z. B. in Bayern 1908: 71 Fälle (Bayer. Just. Stat. 1908, S. 49). Für Preußen
sind diese Fälle nicht ausgesondert.
2) In Preußen 1907: Von 1007187 schwebenden Vormundschaften waren
313 713 ohne Rechnungslegung (JMBI. 1908, S. 283).
49 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Die Tätigkeit des Vormundschaftsrichters beschränkt sich aber nicht
allein auf die eigentliche Bevormundungstätigkeit, sondern es liegen ihm
noch eine ganze Reihe von Verrichtungen ob, die ihm vom Gesetz zuge-
wiesen sind. Sehen wir von der bereits behandelten Volljährigkeitserklä-
rung ab, so handelt es sich dabei um
1. Maßnahmen, welche das Vormundschaftsgericht in persönlichen
oder vermögensrechtlichen Angelegenheiten der Ehegatten vorzu-
nehmen hat!);
2. die Ersetzung der elterlichen und vormundschaftlichen Einwilligung
zur Eheschließung in den zulässigen Fällen (§§ 1304, 1308, 1337);
3. die Mitwirkung des Vormundschaftsrichters bei der Vornahme be-
stimmter Rechtsgeschäfte seitens eines nicht voll Geschäftsfähigen
in vermögensrechtlicher Hinsicht?);
1) a) Entscheidung unter Eheleuten bei Streitigkeiten wegen Beschränkung oder
Aufhebung der Schlüsselgewalt ($ 1357 BGB.);
b) Ermächtigung für den Ehemann zur Kündigung von Verträgen über per-
sönliche Leistungen der Frau und Ersetzung der Zustimmung des Mannes
zu solchen Verträgen ($ 1358);
c) die Ersetzung der Zustimmung des Mannes oder der Frau bei Rechtsge-
schäften über das eingebrachte Gut (§§ 1397, 1402, 1525, 1550) im Falle
der Gütergemeinschaft bei Rechtsgeschäften über das Gesamtgut (§§ 1447,
1451, 1519, 1549), sowie die entsprechenden Geschäfte bei der fortgesetzten
Gütergemeinschaft (§ 1487);
d) die Genehmigung für den Vertreter eines geschäftsunfähigen Ehemannes
zur Erhebung der Klage wegen Scheidung oder Anfechtung einer Ehe
(§ 612 ZPO.).
2) a) die Genehmigung für den gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen
(diese selbst stehen unter Vormundschaft oder elterlicher Gewalt), den Min-
derjährigen zum selbständigen Geschäftsbetrieb zu ermächtigen, sowie die
erteilte Genehmigung zurückzunehmen ($ 112);
b) bei bevormundeten Personen auch die Ersetzung einer vom Vormund ver-
weigerten Ermächtigung zur Eingehung von Dienst- und Arbeitsverhält-
nissen seitens des Mündels ($ 113 Abs. 3);
c) die Genehmigung für den Vormund zum Abschluß eines Vertrages über
allgemeine Gütergemeinschaft oder Fahrnisgemeinschaft für den Mündel
(88 1437, 1549), sowie zum Abschluß eines Erbvertrags des Mündels mit
dem Ehegatten oder Verlobten ($ 2275);
d) die Genehmigung zur Ablehnung oder Aufhebung der fortgesetzten Güter-
gemeinschaft seitens eines überlebenden Ehegatten, welcher unter elter-
licher Gewalt oder Vormundschaft steht (§§ 1484, 1492), sowie die Mit-
wirkung bei der Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft infolge
der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten ($ 1493);
e) die Genehmigung zum Verzicht eines unter elterlicher Gewalt oder Vor-
mundschaft stehenden Abkömmlings auf seinen Anteil am Gesamtgut
(§ 1491);
f) Mitwirkung bei der Verwaltung des Vermögens eines Angenommenen nach
8 1760;
g) Genehmigung zur Anfechtung eines Erbvertrages für einen geschäfts-
unfähigen Erblasser ($ 2252) und
h) zur Aufhebung eines Erbvertrages und zum Erbverzicht in den Fällen der
§§ 2290 und 2347.
Tatigkeit des Vormundschaftsrichters. 43
4. die Mitwirkung bei Rechtshandlungen, welche die eheliche Stellung
eines Minderjährigen betreffen?);
5. die Entscheidung bei Regelung der Unterhaltsgewährung für ehe-
liche wie uneheliche Kinder (§§ 1612, 1714);
6. die Mitwirkung bei der Vermögensverwaltung der Eltern?) ;
7. die Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts in der Erziehung der
Kinder, wie überhaupt die Regelung des Verhältnisses zwischen El-
tern und Kindern, wo ein Eingreifen seitens des Staates notwendig
erscheint?) ;
8. die Genehmigung zum Antrage auf Entlassung eines Kindes oder
Mündels aus der Staatsangehörigkeit nach Maßgabe des Art. 14a
des Gesetzes vom 1. Juni 1870 (E.G. z. B.G.B. Art. 41).
Die Mitteilungen der Einzelstaaten über die Vormundschaftsstati-
stik tragen wiederum den Charakter der Geschäftsstatistik, so daß auch
hier für die wissenschaftliche Statistik die Ausbeute sehr gering ist.*) Zu
1) a) Die Genehmigung für den Vertreter eines geschäftsunfähigen Ehemannes
zur Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes (§ 1595 und § 641 ZPO.).
b) die Ersetzung der mütterlichen Einwilligung bei der Ehelichkeitserklärung
(§ 1727);
c) die Genehmigung zum Antrage auf Ehelichkeitserklärung für den Vater
oder zur Einwilligung in die Ehelichkeitserklärung für das Kind, falls der
Vater oder das Kind in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist ($ 1729);
d) die Genehmigung zum Abschluß eines Vertrages über die Annahme an
Kindesstatt in den Fällen der §§ 1750, 1751 sowie zur Aufhebung eines
solchen Vertrages in den gleichen Fällen ($ 1770).
2) a) In den gesetzlich bestimmten Fällen der $$ 1639, 1640, 1642—1645, 1653,
1686, 1692;
b) die Entgegennahme einer Erklärung des Vaters oder der Mutter über den
Verzicht auf die elterliche Nutznießung ($$ 1662, 1686).
3) a) Unterstützung der Eltern bei Anwendung von Zuchtmitteln gegen ein Kind
(§§ 1631, 1634, 1686, 1696, 1697, 1707);
b) die Entziehung der Vertretung des Kindes bei der elterlichen Gewalt
(88 1630, 1686);
c) das Einschreiten im Falle einer Verhinderung der Eltern bei Ausübung der
elterlichen Gewalt, sowie im Falle der Gefährdung der Person oder des Ver-
mögens des Kindes und die Mitwirkung bei Eingehung einer neuen Ehe
seitens des Vaters oder der Mutter (§§ 1665—1673, 1686, 1838, 1845 und
1314);
d) bei der Pflegschaft über ein Kind in elterlicher Gewalt die Entscheidung
von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern und dem Pfleger
(§§ 1629, 1686);
e) Feststellung des Ruhens der elterlichen Gewalt und des Wiederaufhörens
dieses Zustandes in den Fällen der $$ 1677, 1686;
f) die Regelung der Kindererziehung und des persönlichen Verkehrs mit dem
Kinde bei geschiedenen Eheleuten ($$ 1635, 1636).
4) In Preußen blieben 1907 anhängig (JMBI. 1908, S. 283:
Vormundschaften . ....... 931 030
Pflegschaften . . . 222.2... 133 157
Beistandschaften . . . . 2... 32 948.
A4 Il. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
erwähnen wäre vielleicht, daf Bremen den Gesamtbetrag des Ver-
mögens mitteilt, das der Kontrolle der Vormundschaftsgerichte unter-
steht.)
Für die Frage der unehelichen Kinder muß nach den obigen Aus-
führungen das amtliche Material größtenteils für statistische Erhebungen
entfallen. Dieses Gebiet rechnet daher nach unseren Ausführungen über
die Abgrenzung des Beobachtungsgebietes nicht zur Statistik der Rechts-
pflege, und wir behandeln es nur kurz der Vollständigkeit halber. Bei
der Wichtigkeit des Problems hat man sich aber schon lange mit diesem
Gegenstande befaßt. Als Material standen vor allem die Geburts- und
Sterberegister zur Verfügung, aus denen die Geburts- bzw. Sterblichkeits-
quote der Unehelichen, ihr Verhältnis zur allgemeinen Geburts- bzw.
Sterblichkeitsziffer, Stand und Beruf der Mutter, die Verteilung auf Stadt
und Land, die Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte, der Einfluß der ver-
schiedenen Eheschließungsgesetzgebung und des Religionsbekenntnisses,
sowie schließlich die Unterschiede in den einzelnen Ländern ermittelt
wurden. Bezüglich der einzelnen Arbeiten in dieser Richtung sei auf die
Ausführungen bei v. Mayr in seiner Moralstatistik?) sowie auf die dorti-
gen Literaturangaben verwiesen. Hervorgehoben sei nur noch eine Unter-
suchung Broesickes?), der in einem Rückblick auf die Entwicklung der
preußischen Bevölkerung auch den Unehelichen eingehende Beachtung
schenkt.
Unbefriedigend waren die genannten Quellen insofern, als sie über
die weitere Gestaltung der Lebensverhältnisse der Unehelichen keinerlei
Auskunft zu geben vermochten, aber gerade hierüber unterrichtet zu
werden mußte von besonderem Werte sein. Eine Gelegenheit zu Fest-
stellungen nach dieser Richtung bietet sich da, wo der Staat eine größere
Kontrollmacht über den einzelnen besitzt, ohne daß die Nachforschung
wie wohl sonst als indiskret aufgefaßt wird. Es kommen hier in Betracht
Schüler, Zöglinge von Erziehungs- bzw. Zwangserziehungsanstalten,
Wehrpflichtige, Soldaten, Gefangene, Prostituierte.*) Bemerkenswert sind
nach dieser Richtung Arbeiten von Neumann?), der die zum Zwecke der
Aushebung gebildeten Stammrollen der in den Jahren 1868—1870 in Ber-
lin Geborenen benutzte, und von Spann für Frankfurt a. MP Einen
kühnen Schritt vorwärts ist dann noch die Zentrale für private Fürsorge
1) Stat. Jahrb. f. Bremen 1910, S. 230/231.
2) v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre, Bd. 3, S. 53—59, 127—150.
3) Broesicke, Rückblick auf die Entwicklung der preußischen Bevölkerung
von 1875—1900. Preuß. Stat. LAZ., 1904, Bd.188. Die unehelich Geborenen,
S. 29ff.
4) v. Mayr, Stat. u. Ges. Bd. 3, S. 54.
5) „Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft‘ in Conrads Jahrbüchern.
3. F., Bd. 8, S. 536—549.
6) „Die Stiefvaterfamilie unehelichen Ursprungs.“ Zugleich eine Studie zur
Methodologie der Unchelichkeitsstatistik. Berlin 1904.
Uneheliche. Legitimationen. 45
in Frankfurt a. M. gegangen!), welche mit Erlaubnis der Regierung in den
Volksschulen die Adressen der Unehelichen ermitteln und durch private
Zähler in den Wohnungen der Kinder Zählkarten ausfüllen ließ, die bei
sehr eingehender Differenzierung in 26 Fragen fast alle irgendwie in Be-
tracht kommenden Verhältnisse festzustellen suchten.?)
Auch die Legitimationsstatistik gehört nicht zur Statistik der
Rechtspflege, da gerichtliches Material nicht in Frage kommt. Denn die
Legitimation erfolgt durch Erklärung vor dem Standesbeamten. Die
Standesregister bieten demnach auch hier das Urmaterial. Die Über-
mittlung an die statistischen Ämter erfolgt in der Regel durch Zusatz-
bemerkungen zu den Anzeigen über die Eheschließungen, nur selten
durch Ausfüllung einer besonderen Zählkarte.?) Eine allgemeine amt-
liche Legitimationsstatistik gibt es nicht.
Bahnbrechend auf diesem Gebiete waren die Arbeiten Boeckhs für
Berlin®), der als erster diejenigen Elemente in seine Beobachtung mit ein-
bezog, welche für eine moralstatistische Bewertung der Legitimation not-
wendig sind, und durch Verfolgung bestimmter Jahresklassen eine Ab-
nahmeordnung der Unehelichen durch Legitimation aufstellte. Die nicht
umfangreichen Ausweise für Bayern hat Lindner) verwertet.
Wesentlich ausgebaut ist die österreichische Statistik, die nament-
lich die Berufsgliederung berücksichtigt. Die Ergebnisse werden in der
„Österreichischen Statistik‘ veröffentlicht‘) und sind für die ersten bei-
den Jahrgänge von Seutemann bearbeitet worden’), der auch die Me-
thodenfrage der Legitimationsstatistik berührt. Für Dresden sind Be- -
rechnungen von Würzburger?) aufgestellt worden. Sachsen hat das
Verdienst, auf diesem Gebiete den Weg gewiesen zu haben, indem es 1903
für jeden Fall der Legitimation die Ausstellung einer besonderen Zähl-
karte durch das Standesamt des Geburtsortes anordnete.?) Die Ergeb-
nisse dieser Erhebung hat Würzburger für die Jahre 1904—1907 be-
arbeitet, ist bei dieser Gelegenheit auch auf die Grundlagen der Legiti-
1) Vgl. O. Spann, Untersuchungen über die uneheliche Bevölkerung in Frank-
furt a. M. Dresden 1905.
2) O. Spann, Untersuchungen über die uneheliche Bevölkerung in Frankfurt
a. M. Dresden 1905. Zählkarte S. 126/127 dort, auch bei v. Mayr, Stat u. Ges. Bd. 3,
S. 57.
3) v. Mayr, Stat. u. Ges. Bd. 3, S. 144. Ihm folgen wir hier im wesentlichen.
4) Statist. Jahrb. d. Stadt Berlin 1889/90, S. 95.
5) Lindner, Die unehelichen Geburten als Sozialphänomen. (Wirtsch.- und
Verwaltungsstudien von Schanz VII.) Leipzig 1900.
6) Zum erstenmal Bd. 49, Heft 2, 1898.
7) Seutemann, Die Legitimationen unehelicher Kinder nach dem Beruf und
Berufsstellung der Eltern in Österreich. (Statist. Monatsschrift, n. F., 5. Jahrgang,
1900, S. 13.)
8) Wiirzburger, Zur Stat. d. Legitimation unehelicher Kinder, in Conrads
Jahrb. Bd. 18 (1899), S. 94.
9) Sachs. Stat. LAZ..1903, S. 129.
46 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
mationsstatistik eingegangen und hat auch die verschiedenen rechtlichen
Möglichkeiten beleuchtet. Uber den Stand der gegenwärtigen Publika-
tionen kann auf die Zusammenstellung desselben Autors in der ,, Bearbei-
tung der Statistik der Bevölkerungsbewegung durch die statistischen Äm-
ter im Deutschen Reiche“ (Ergänzungsheft z. Bd. 7 des Allgem. Stat.
Archivs von v. Mayr, Tübingen 1907, S. 74) verwiesen werden.
Wünschenswerter für den weiteren Ausbau ist hier vor allem eine
erweiterte Anwendung der Individualkarte wie in Sachsen.
Über die einzelnen Geschäfte, welche dem Vormundschaftsgericht
neben der eigentlichen Bevormundungstätigkeit obliegen, besitzen wir im
allgemeinen keine Angaben.
Einen bemerkenswerten Versuch hat aber Preußen in den letzten
Jahren unternommen. Um eine Kontrolle über die neben der Fürsorge-
erziehung notwendigen Maßnahmen gegen gefährdete oder verwahrloste
Kinder zu gewinnen, wurde 1906 die Ausfüllung von Zählkarten über
derartige Anordnungen vorgeschrieben.) Die Karte enthält neben der
Altersangabe den Wohnort, die Frage nach ehelicher oder unehelicher
Geburt, nach etwaiger Legitimation, dem Vorhandensein der Eltern
und nach der Person, welcher die Sorge für die Person des Kindes zu-
steht. Sodann wird unter Angabe der gesetzlichen Bestimmung ($ 1631
Abs. 28.2, § 1666 Abs. 1, § 1800, $ 1838 BGB.) nach der angeordneten
Maßnahme gefragt, ob Unterbringung in eine geeignete Familie oder An-
stalt, ferner wer mit der Ausführung betraut ist, und wer die Kosten
deckt. Nach den Mitteilungen des Justizministeriums wurden in der Zeit
vom 1. April 1906 bis 31. März 1907 auf Grund der genannten Bestim-
mungen bei 4566 Minderjährigen bis zum 18. Lebensjahr Anordnungen ge-
troffen, und zwar bei 2525 Unterbringung in eine geeignete Familie (2141
waren bei Abschluß der Erhebung tatsächlich untergebracht).?) Die Er-
hebung, die ursprünglich nur für ein Jahr vorgesehen war, ist dann ver-
längert worden.
Die anderen Obliegenheiten des Vormundschaftsrichters ebenfalls
schlechthin der statistischen Beobachtung zu unterwerfen, erscheint nicht
ohne weiteres notwendig. Man wird vielmehr die Bedeutung der einzel-
nen Maßnahmen sorgsam abzuwägen und darzutun haben, inwieweit ein
Interesse an ihrer genauen Kenntnis besteht, das sich je nach den Zeit-
strömungen verschieden gestalten wird. Die Maßnahmen in den ver-
mögensrechtlichen Angelegenheiten der Ehegatten würden sich, wie wir
noch sehen werden, durch eine bessere Ausgestaltung des Güterrechts-
registers leicht statistisch erfassen lassen. Vor allem dürfte im Hinblick
auf die weitgehenden und notwendigen Bestrebungen auf dem Gebiete
1) Allg. Verfg. v. 16. April 1906 (JMBI. S. 105), v.14. April 1908 (JMBI. 8.197),
v. 14. April 1909.
2) JMBl. 1908 8.197. Eingehendere Mitteilungen in der „Statistik der Für-
sorgeerziehung Minderjihriger 1908“, S. 41 ff.
Vormundschaftswesen. 3. Fiirsorgeerziehung. 47
der Jugendfiirsorge ein dringendes Interesse an der statistischen Be-
obachtung der Maßnahmen vorliegen, welche Material für die Beant-
wortung der einschlägigen Fragen liefern könnten (vgl. namentlich Nr. 7
Anm. a, b, ©).
Als eine wesentliche Errungenschaft der neueren Zeit in der Fürsorge
für die Unehelichen ist die Berufsvormundschaft anzusehen. Sie
ist entweder eine kommunale Einrichtung, oder liegt in den Händen von
Wohltätigkeitsvereinen oder eines Anstaltsvorstandes für seine Zöglinge.
Das Material findet sich daher zerstreut in den Veröffentlichungen der
verschiedenen Organe und weist nichts weniger als Einheitlichkeit und
Ubersichtlichkeit auf. Eine Übersicht gibt die „Berufsvormundschaft“
von Petersen und Klumcker (82. Heft der Schriften des deutschen
Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit, Leipzig 1907). Erwünscht
wäre es, daß die statistischen Ämter in den Kommunen, die eine Berufs-
vormundschaft aufweisen, dieses Gebiet in den Bereich ihrer regelmäßigen
Beobachtungen einbezögen, wie z. B. in Halle, da sich so am leichtesten
wertvolles Material zugänglich machen ließe.t) Diese Materie ist der
Zivilrechtsstatistik einzugliedern, da die Berufsvormundschaft als ein be-
deutsames Organ der Rechtspflege anzusehen ist.
3. Fürsorgeerziehung.
Im engen Zusammenhange mit dem Vormundschaftswesen steht die
Fürsorgeerziehung. Die fortschreitende Industrialisierung und das
sprunghafte Vorwärtsschreiten unseres Wirtschaftslebens, das Zusam-
mendrängen der Bevölkerung in den Städten haben Mißstände gezeitigt,
welche dem Familienleben namentlich der unteren Bevölkerungsschich-
ten großen Abbruch tun, und vor allem auch für das heranwachsende Ge-
schlecht erhebliche Gefahren in sich bergen. Die Zahlen der Kriminal-
statistik haben gerade in dieser Hinsicht die klaffende Wunde am Volks-
körper gezeigt. Trotzdem wäre es übertrieben, daraus auf den sittlichen
Verfall unserer Jugend zu schließen und den Niedergang der deutschen
‘Kultur zu folgern. Aber es sind dadurch Schäden aufgedeckt worden,
zu deren Beseitigung das Strafrecht nicht imstande war.?) Die Erkennt-
nis, daß Kinder, welche unter dem Einfluß der großen wirtschaftlichen
und sozialen Umwälzungen der Gegenwart auf die Bahn des Verbrechens
geführt sind, nicht in das Gefängnis oder das Arbeitshaus gehören, wurde
bald allgemein. Es entwickelte sich ein ganzes System der Jugendfür-
sorge, und man setzte anStelle des Vergeltungsgedankens den Erziehungs-
1) Vgl. die Berufsvormundschaft in Halle a. S. Beilage z. Stat. Monatsbericht,
Januar 1910. Gemeindewaisenamt und Generalvormundschaft in Straßburg, Bei-
lage 11 z. d. Stat. Monatsberichten.
2) So mit Recht Loening, Die Zwangserziehung Minderjähriger nach den
deutschen Reichs- und Landesgesetzen in Conrads Jahrb. 3. F., Bd. 22 (1901), S. 11.
48 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
gedanken.!) Man verband damit den Gedanken des vorbeugenden Ein-
greifens. Auch da, wo es zu einem Konflikt mit dem Strafgesetzbuch
noch nicht gekommen ist, wo aber der sittliche Verderb eines Kindes zu
befürchten steht, soll die Öffentlichkeit eingreifen.
Der Stand der Gesetzgebung ist folgender: Das Strafgesetzbuch
(§ 56) schreibt für den Fall, daß ein Jugendlicher zwischen 12 bis 18 Jah-
ren wegen mangelnder Einsicht beim Vorliegen einer strafbaren Hand-
lung nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, eine Bestimmung
im Urteil darüber vor, ob er seiner Familie oder einer Erziehungs- oder
Besserungsanstalt überwiesen werden soll. Voraussetzung ist also hier
eine objektive strafbare Handlung, die Anordnung geht vom Strafrichter
aus, und der Aufenthalt in der Anstalt darf nur bis zur Vollendung des
20. Lebensjahres andauern. Bei Kindern ($ 55) bis zu 12 Jahren, die nicht
strafrechtlich verfolgt werden können, können die nach Landesrecht zu-
lässıgen Maßnahmen getroffen werden, jedoch kann die Unterbringung
in eine Familie, Erziehungs- oder Besserungsanstalt erst erfolgen, wenn
durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts die Begehung der strafbaren
Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt wor-
den ist.
Das Bürgerliche Gesetzbuch hat die Zwangserziehung nicht ein-
gehend geregelt. Es gestattet bei Gefährdung des Kindes durch den Vater
infolge Mißbrauchs der elterlichen Gewalt, infolge Vernachlässigung oder
unsittlichen sowie ehrlosen Verhaltens, Maßnahmen seitens des Vor-
mundschaftsgerichts, insbesondere auch die Unterbringung in einer Fa-
milie oder Anstalt ($ 1666 Abs. 1). Während hier noch ein Verschulden
vorliegen muß, kann bei bevormundeten Minderjährigen das Eingreifen
des Vormundschaftsgerichtes schlechthin erfolgen. Diese Normen be-
rührten wir schon beim Vormundschaftsrecht und wiesen auch auf ihre
statistische Beobachtung in Preußen hin.
Im übrigen ist die Regelung dem Landesrecht überlassen, nur schreibt
Artikel 135 des EG. BGB. vor, daß, abgesehen von den Vorschriften
des Strafgesetzbuches, die Anordnung vom Vormundschaftsgerichte aus-
gehen muß, und läßt eine Erweiterung im Verhältnis zum Bürgerlichen
Gesetzbuch insoweit zu, als die Zwangserziehung auch zur Verhütung
des völligen sittlichen Verderbens des Minderjährigen zulässig ist. Es ist
somit hier von jedem Verschulden abgesehen.
Im Anschluß hieran haben die Einzelstaaten entweder ihre ältere
Gesetzgebung in Einklang mit diesen Bestimmungen gebracht oder aber
neue Gesetze erlassen?), in denen dem Vormundschaftsrichter bei Straf-
1) Bayer. Stat. LAZ. 1909, S. 428.
2) Über die Gesetzgebung orientiert am besten der bereits zitierte Aufsatz von
Loening in Conrads Jahrb. Bd. 22, S.4. Nur ist zu beachten, daß für Bayern unter
dem 10. Mai 1902 ein neues Gesetz ergangen ist (Bayer. Stat. L. A. Z. 1909. S. 428),
für Sachsen unter dem 1. Februar 1909.
Fürsorgeerziehung. 49
fällen und darüber hinaus im Sinne des Einführungsgesetzes zum Bür-
gerlichen Gesetzbuch die Befugnis zum Einschreiten gegeben ist.
Trotz des vielfach kriminellen Einschlages ist das Gebiet der Für-
sorgeerziehung mehr zur Moral- als zur Kriminalstatistik zu rech-
nen, da die eigentlich interessierenden Momente weniger die Verfehlungen
gegen das Strafgesetz als die ihr zugrunde liegenden Schäden im Familien-
leben sind, ferner auch mit der Möglichkeit des Eingreifens ohne krimi-
nelles Unrecht der Boden des Strafrechts bereits verlassen (at. 1)
Die Statistik muß naturgemäß den von der Gesetzgebung gewiesenen
Bahnen folgen. Da die Materie in der Hauptsache landesgesetzlich
geregelt ist, sind wir auf die Statistik der Einzelstaaten angewiesen, die
dann auch meist Veröffentlichungen darüber bringen. Eine sehr gut ge-
gliederte Statistik hat Preußen aufzuweisen, wo in der „Statistik über
die Fürsorgeerziehung Minderjähriger und Zwangserziehung Jugend-
licher‘‘?) vom Ministerium des Innern jährlich”ein genauer Bericht her-
ausgegeben wird, und zwar in der Zweiteilung der Fürsorgeerziehung im
eigentlichen Sinne, d. h. der Maßnahmen im Anschluß an das Fürsorge-
erziehungsgesetz und der Zwangserziehung im Anschluß an das Straf-
gesetzbuch. Da das Material durch Ausfüllung von Individualzählkarten
bei Anordnung der Zwangs- bzw. Fürsorgeerziehung gewonnen und durch
Nachrichten während der Dauer der Erziehung sowie von der Entlassung
ergänzt wird, vermag hier ein genauer Einblick in alle einschlägigen Fra-
gen geboten zu werden.?)
Die außerpreußischen Bundesstaaten haben für ihre Spezialgesetz-
gebung meist den Ausdruck ‚„Zwangserziehung‘ beibehalten und bezeich-
nen demgemäß auch ihre Statistik danach. Der Wichtigkeit der Materie
entsprechend haben sie fast alle Einzelstaaten der statistischen Beobach-
tung unterstellt. Bis 1887 reicht diese in Baden zuriick.*) Ebenso finden
wir eine gut ausgebaute Zwangserziehungsstatistik inWürttemberg, ElsaB-
Lothringen?) und Bayern.) Auch dort sind Zählkarten eingeführt,
welche die persönlichen Verhältnisse der Zöglinge und ihrer Eltern be-
rücksichtigen, in Bayern und Württemberg haben außerdem die Land-
armenbehörden jährlich Übersichten über die geschäftliche Erledigung
einzureichen. Für Sachsen ist eine eingehende Fürsorgeerziehungsstati-
stik in Bearbeitung.
—
i) Ebenso v. Mayr, Stat. u. Ges, Bd. 3, S. 429.
2) Dort findet sich auch die Gesetzgebung abgedruckt.
3) 1907 wurden der Fürsorgeerziehung 6921 Zöglinge, der Zwangserziehung 265
Zöglinge überwiesen. Vgl. auch Pupke, Fürsorgeerziehung Minderjähriger in
Preußen 1906, in Conrads Jahrb. Bd. 36 (1908), S. 671.
4) Statistische Mitteilungen über das Großherzogtum Baden 1888, 8. 139.
5) Schott, Statistik über die (Zwangs-) Fürsorgeerziehung Minderjähriger in
Württemberg. Württemberg. Jahrbuch 1905, I, S. 38.
6) Seit 1904. Bayer. Stat. L. A. Z. 1909, S. 428, Zwangserziehung in Bayern
1904—1908.
Rusch: Statistik der Zivilrechtspflege. 4
50 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Hingewiesen sei noch auf die Statistik der Fürsorgezöglinge Berlins,
eine besondere statistische Untersuchung auf Grund eines Fragebogens,
der die persönlichen Verhältnisse des Zöglings, seine bisherige Umgebung,
seine Unterbringung und den Wechsel in der Unterbringung eingehend
behandelt.)
4. Statusprozesse.
Hatten wir bisher die statistische Erfassung der Erscheinungen des
Rechtslebens ins Auge gefaßt, bei denen sich Schlüsse auf das Familien-
leben ergeben, so führt uns der sogenannte StatusprozeB zu den Fällen,
welche die Erkämpfung der Stellung innerhalb der Familie oder aber die
Ausscheidung eines bisher dazu gehörigen Mitgliedes bezwecken. Gegen-
stand des Prozesses ist die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbe-
stehens des Eltern- bzw. Kindesverhältnisses. In der Regel handelt es
sich darum, daß ein Fehltritt der Frau den Ehegatten veranlaßt, ein von
ihr erzeugtes Kind nicht als das seinige anzuerkennen ; hier geht der Pro-
zeB gewöhnlich mit einem Ehescheidungsprozeß Hand in Hand. Doch
auch umgekehrt kann sich ein Kind veranlaßt sehen, in Zweifelsfällen
die Anerkennung seiner rechtlichen Stellung in familiärer Beziehung fest-
zustellen. Die tieferen Ursachen zu diesen Tatbeständen werden dem
Moralstatistiker interessantes Material an die Hand geben. Allerdings
sind diese Fälle nicht allzu häufig.?2) Die Mitteilungen der amtlichen Sta-
tistik halten sich im Rahmen der Geschäftsstatistik, so daß bisher für
die Wissenschaft keine Ergebnisse erzielt werden konnten. Bei einer et-
waigen Einführung der Individualzählkarte beim Prozeß schlechthin
würde sich auch für die Statusprozesse reichere Ausbeute ergeben.
5. Ehescheidungsprozesse.
Das letzte Gebiet des Familienlebens, das durch diefrichterliche Tä-
tigkeit für die Statistik erfaßbar wird, ist die Auflösung der Ehe, soweit
sie nicht durch den Tod gelöst wird. Die Ehescheidungsstatistik bietet
einmal bevölkerungsstatistisches Interesse, insofern sie die Möglichkeit
ergibt, durch den Vergleich mit der Bevölkerungszahl im ganzen, oder
nach dem Geschlecht getrennt, oder der Zahl der vorhandenen Ehen
wichtige Schlüsse über die Bestandsfähigkeit dieser Institution zu ziehen.
Ungleich bedeutsamer ist sie aber für die Moralstatistik. Die Ehe wird
als lebenslängliche Gemeinschaft geschlossen und stellt die eigentliche
Grundlage unseres gesellschaftlichen und staatlichen Lebens dar. Wenn
es trotzdem menschliche Schwäche mit sich bringt, daß ein für das Leben
geknüpfes Band vor dem Lebensziel wieder gelöst werden muß, so hat
1) Vgl. 31. Jahrg. des Stat. Jahrb. d. Stadt Berlin, ausführlich veröffentlicht im
Verwaltungsbericht der Berliner Waisendeputation.
2) In Preußen wurden 1907 anhängig gemacht 364 (JMBI. 1908, S. 283), im
Reich 711.
4. Statusprozesse, 5. Ehescheidungsprozesse. 51
die Gesellschaft wie der Staat ein bedeutsames Interesse daran, diese Er-
scheinung im Auge zu behalten und möglichst ihren Ursachen nachzu-
gehen. Dabei werden sich Einblicke in das sittliche Leben des Volkes und
seine Verfehlungen zeigen und diejenigen Gesichtspunkte zutage treten,
welche dem Bestande unserer wichtigsten Gemeinschaftsform Abbruch
tun. Daraus wird sich dann auch bis zu einem gewissen Grade erkennen
lassen, welche Maßnahmen zur Abstellung der aufgedeckten Schäden zu
ergreifen sind, und damit ist ein weiterer Vorteil gewonnen, denn ein ge-
sundes, sittliches Familienleben ist eine wesentliche Grundlage für eine
wirtschaftliche wie politische Entfaltung.*)
Voraussetzung hierfiir ist aber eine Statistik, welche nicht bei den
äußeren Momenten des Ehescheidungsprozesses stehen bleibt, sondern
sich mit den Einzelheiten befaßt und diejenigen Momente berücksichtigt,
welche die Ehescheidungen gerade für den Moralstatistiker bedeutungs-
voll erscheinen lassen. Die persönlichen Verhältnisse: Alter, und zwar
zur Zeit der Eheschließung wie Ehescheidung, Konfession, Beruf, Natio-
nalıtät sind ebenso in Betracht zu ziehen, wie die Dauer der Ehe, das
Vorhandensein von Kindern unter Hervorhebung der Unmündigen, der
Unterschied von Stadt und Land, die Frage, wer von den beiden Ehe-
gatten der klagende Teil ist, ob Widerklage erhoben, ob Armenrecht be-
willigt wurde, und namentlich die Ehescheidungsgründe.?) Bei der Be-
urteilung der letzteren ist freilich zu bedenken, daß sie nur nach den Fest-
stellungen des Gerichts erfaßt werden können, wie sie sich diesem an der
Hand der Beweisaufnahme mit den ihm gesetzlich vorgeschriebenen Mit-
teln ergeben haben. Es sind demnach dort für die Verteilung des Schuld-
moments mehr äußerliche, sinnfällige Momente maßgebend, während das
unter Umständen viel schwerere, moralische Verschulden kaum erfaB-
bar ist, und daher auch in den Resultaten der statistischen Beobachtung
nicht zum Ausdruck gelangt.?)
Ein Gesichtspunkt, der bisher in diesem Zusammenhange noch
nicht berücksichtigt worden ist, sei hier erwähnt, der Einfluß der Woh-
nungsnot auf die Zerrüttung des Familienlebens und damit auf die Ehe-
scheidung. Auch aus dieser Kombination, die statistisch durch eine Er-
weiterung der Zählkarte wohl möglich wäre, müßten sich wertvolle Er-
gebnisse gewinnen lassen.
Seitens des Internationalen Statistischen Instituts sind folgende An-
gaben als notwendig für eine Ehescheidungsstatistik erklärt worden:
1) Kollmann, Die Ehescheidungen in Sachsen, Sächs. Stat. L. Z. A. 1909, S. 179.
v. Mayr, Stat. u. Ges. Bd. 3, S. 10. Wernicke, Stat. der Ehescheidungen, in Conrads
Jahrbüchern, N. F. Bd. 6 (1893), S. 260; „Mitteilungen“ in Hildebrands Jahrb. Bd. 4,
1865, S. 40. Wadler, Moralstatistik in der Festgabe für v. Mayr Bd. 1, S. 649—659.
2) v. Mayr, Stat. u. Ges, Bd. 3, S. 193/94; Conrad, Grundriß Bd. 4, S. 124.
Kollmann a. a. O. S. 179.
3) Die Arbeit des Verfassers über: Ehescheidungen in Halle a. S. 1906—1908.
Beilage zu den Stat. Monatsberichten der Stadt Halle. Februar 1910.
4*
52 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
poh
. Die Anzahl der angestrengten Ehescheidungsklagen und ihr Ergeb-
nis (Urteil auf Scheidung, Abweisung, Zurücknahme usw.),
. Bezeichnung des Klägers (Mann, Frau, beide),
. Familienverhältnisse (Vorhandensein von Kindern),
. Beruf,
. Dauer der Ehe zur Zeit der'Einreichung der Klage (weniger als
1 Jahr, 1—4, 5—9, 10—19, 20—29 . . . Jahre),
6. Ehescheidungsgründe.!)
Die Ehescheidungsstatistik ist, namentlich in ihrem wissenschaftlich-
methodischen Ausbau, ziemlich jungen Datums. Während wirin Frank-
reich Notizen über Ehescheidungen schon 1820 vorfinden?), haben die
deutschen Bundesstaaten ihre Aufmerksamkeit erst viel später diesem
Gebiete zugewandt. Soweit sie es taten, geschah es zunächst im Rahmen
der üblichen Geschäftsstatistik®?), welche der wissenschaftlichen Statistik,
vor allem der Moralstatistik nur wenig Anhalt bieten konnte.) In Preu-
Ben treffen wir derartige Angaben seit 1880 im Justizministerialblatt ;
man bemühte sich dort, die statistischen Erhebungen namentlich durch
bessere Anpassung an die Verwaltungsbezirke zu fördern und zu ver-
bessern (seit 1895)°), aber wirklich wesentliche Fortschritte brachte auch
für die Ehescheidungsstatistik erst die Einführung der Zählkarte.
In Österreich geschah dies bereits 1885. In Deutschland wandte sie
zuerst Boeckh für Berlin an.*) Durch Übereinkunft mit den Berliner Ge-
richtsbehörden führte er dort die Zählkarte ein, verschaffte sich so das
notwendige Material und baute diesen Zweig der Statistik mustergültig
aus. Dresden’) bringt ähnliche Sondernachweise auf Grund besonderer
Mitteilungen des dortigen Landgerichts.
Von den deutschen Bundesstaaten hat Sachsen zuerst die Zählkarte
eingeführt. Diese werden von den Standesämtern ausgefüllt, von den Ge-
richten nur bei den Ehen, die von einem außersächsischen Standesamt
geschlossen worden sind. Die sächsische Ehescheidungsstatistik weist
auch insofern einen weiteren Fortschritt auf, als sie die Ehescheidungs-
Cum U bi
1) Bulletin 1899, Petersburg, S. 132; vgl. auch Bulletin 1895, Rom, S. 222;
1896, S. 146.
2) Conrad, GrundriB IV, 1, S. 125.
3) v. Mayr, Stat. u. Ges. Bd. 3, S. 193. Die ältere Literatur findet sich bei
Wernicke, Stat. d. un, in Conrads Jahrbüchern. N.F. Bd.6 (1893),
S. 259. vk WÉI DA "ek
4) Summarische Mitteilungen 2 rechtskräftigen Ehescheidungsurteile liefern
auch die Jahresausweise des Kaiserl. Statistischen Amts über die Bewegung der Be-
völkerung im Deutschen Reich, jeweils im 1. Heft der Vierteljahreshefte z. Stat. des
Deutschen Reiches.
5) Kühnert, Die Ehescheidungen in Preußen. Preuß. Stat. L. A.Z. 1902, S. 298.
6) Boeckh, Stat. d. Ehescheidungen in der Stadt Berlin 1885—1894. Veröffent-
lichungen d. Stat. Amts der Stadt Berlin. 1901. Supplement I, ebenso 1902. Berlin
1903. Stat. Jahrb. d. Stadt Berlin.
7) Seit 1898 Stat. Jahrb. für die Stadt Dresden.
Ehescheidungsprozesse. 6. Vereinswesen. 53
gründe nicht nur fiir sich allein betrachtet, sondern möglichst mit den
anderen oben genannten Faktoren kombiniert hat.!) Preußen folgte mit
Einführung der Zählkarte 1905?), ebenso Baden und Oldenburg und 1908
Bayern.?) Bei diesen Staaten erfolgt jedoch die Ausfüllung der Zählkarte
durch die Gerichte, welche sie dann an die Statistische Landeszentral-
stelle zur Verarbeitung weitergeben. Damit ist die für die wissenschaft-
liche Statistik nötige Grundlage für die Bearbeitung dieser Materie gegeben.
Auf dem Gebiete der Ehescheidungsstatistik sind auch grundlegende
Arbeiten für eine internationale Statistik geschaffen worden, so von Bo-
dio*), Bertillon’), de Wright) und neuerdings von Bosco’), welche
die Anstellung von Vergleichen über die Verhältnisse in den verschiede-
nen Ländern bis zu einem gewissen Grade gestatten.
6. Vereinswesen.
Von jeher haben sich die Menschen zu größeren Gemeinschaften zur
Erreichung irgendwelcher Zwecke zusammengeschlossen. Gegenwärtig
verdient dieses Gebiet insofern besondere Beachtung, als wir nach einem
Zeitalter des Individualismus, welches für die einzelne Person weitest-
gehenden Spielraum forderte und in der Entfaltung der freien Kräfte die
beste Möglichkeit für die Entwicklung des sozialen und wirtschaftlichen
Lebens erblickte, augenblicklich im Zeitalter der Organisationen stehen.
Auf allen Seiten erfolgt der Zusammenschluß der Individuen zu größeren
Gesamtheiten, um durch gemeinsames Vorgehen gemeinschaftliche Ziele
zu erreichen. Der Gedanke der Organisation gewinnt immer mehr an
Boden und findet sich heute bereits in Berufskreisen, die noch vor Jahren
nicht daran gedacht haben. Wollen wir diese Zeitströmung verstehen
und ein richtiges Bild von ihr gewinnen, so bedürfen wir einer genaueren
Kenntnis dieser Bewegung, die uns am besten durch die statistische Be-
obachtung übermittelt werden kann.
Die Gestaltung des Vereinswesens wird naturgemäß von der jeweili-
gen Gesetzgebung stark beeinflußt, die im Laufe der Zeit großen Wech-
1) Kollmann a. a. O. S. 179.
2) Kühnert, Die Ehescheidungsbewegung in Preußen 1895—1905. Preuß.
Stat. L. A. Z. 1907, S. 63. Die Zählkarte findet sich dort abgedruckt.
3) Vgl. Würzburger, Die Bearbeitung der Statistik der Bevölkerungsbewegung
durch die statistischen Ämter im Deutschen Reich im Allg. Stat. Arch. Bd. 7, Er-
gänzungsheft S. XV. Dort (S. 70ff.) finden sich auch die Bearbeitungen der einzelnen
statistischen Ämter eingehend und erschöpfend dargestellt.
4) In den Annali di Statistica 1882, vol. 1, S. 39—115.
5) Etude démographique du divorces et de la séparation de corps in den Annales
de démographie internationale. Berlin 1882.
6) A report on mariage and divorce in the United States. Washington 1889.
7) Divorzi e separazioni personali di coniugi in den Annali di Statistica. Roma
1908. Ivernès, Les divorces et les séparations de Corps en Europe. Journ. de la Soc.
de Stat. de Paris, 1901, p. 91—94.
54 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
seln unterworfen gewesen ist.1) Der wichtigste Gesichtspunkt bei dieser
Regelung ist die Frage, ob und auf welche Weise die Personengesamt-
heiten eigene Rechtspersönlichkeit erlangen, eine juristische Person
darstellen; denn nur dann verfügen sie über die nötige Entfaltungsmög-
lichkeit im Rechtsleben und damit im wesentlichen auch im Wirtschafts-
leben. Das Bürgerliche Gesetzbuch unterscheidet zwischen sogenannten
idealen und wirtschaftlichen Vereinen. Letztere erlangen die Rechts-
fähigkeit, falls ihre Regelung auf besonderem Reichsgesetz beruht (z. B.
die Gesellschaften des Handelsgesetzbuchs, die Genossenschaften), nach
dem System der Normativbestimmungen, d. h. sie müssen gewissen vom
Gesetz normierten Voraussetzungen genügen, sonst durch besondere Ver-
leihung, die den einzelnen Bundesstaaten zusteht ($ 22 BGB.). Die so-
genannten idealen Vereine, d. h. solche, deren Zweck nicht auf einen wirt-
schaftlichen Betrieb gerichtet ist, werden rechtsfähig durch Eintragung
ins Vereinsregister. Voraussetzung ist auch hier die Erfüllung gewisser
normativer Bestimmungen. Das Gesetz hat demnach die Entscheidung
bei den wirtschaftlichen Vereinen in die Hand der Verwaltungsbehörde
gelegt und gewisse Kautelen bei politischen und sozialpolitischen Ver-
einen getroffen.
Auf Grund dieser gesetzlichen Regelung kommt für eine statistische
Erfassung des Vereinswesens durch das dem Gericht unterbreitete Tat-
sachenmaterial nur das Vereinsregister in Frage. Die Ausbeute kann aber
nicht größer sein, als nach dem genau umschriebenen Inhalt des Regi-
sters möglich ist. In Preußen enthält das Vereinsregister, abgesehen
vom Namen und Sitz des Vereins, sowie Bezeichnung des Vorstandes, aus
den Satzungen nur solche Bestimmungen, welche den Umfang der Ver-
tretungsmacht des Vorstandes beschränken oder aber die Beschlußfas-
sung des Vorstandes abweichend von den gesetzlichen Vorschriften regeln.
Satzungsänderungen werden inhaltlich auch nur vermerkt, wenn sie die-
sen Punkt betreffen.*) Ferner wird die Auflösung des Vereins, die Ent-
ziehung der Rechtsfähigkeit, Konkurs, die Liquidatoren in einer Rubrik
zusammen vermerkt.
Da diejenigen Eintragungen, welche allein zur Sicherung des Rechts-
verkehrs bezüglich der Vertretungs- oder Verfügungsbefugnisse verlangt
werden, also mehr formale Gesichtspunkte zu regeln bestimmt sind, zur
Erkenntnis des sozialen Lebens durch die Statistik wenig beitragen kön-
nen, so verbleibt eigentlich nur die Tatsache der Begründung und Auf-
lösung. Dazu kommt, daß das Vereinsregister nur die idealen Vereine
enthält. Zwar finden wir auch bei ihnen eine große Vielseitigkeit der Ver-
einsziele. Denn es gehören zu ihnen, abgesehen von den unwichtigen ge-
1) Elster, im Wörterbuch der Volkswirtschaft, Art.: Vereins- und Versamm-
lungsrecht, Bd. 2, S. 1156.
2) Allg. Verf. des Justizm. über die Führung des Vereins- und Güterrechtsregi-
sters vom 6. November 1899 (JMBl.S. 299), § 9.
Vereinswesen. 55
selligen Vereinigungen, sowie den hier wenig interessierenden Sportver-
einen, wissenschaftliche, religiöse, berufliche, politische und sozialpoli-
tische Vereine, aber es bleiben hier vollständig außer Betracht die wirt-
schaftlichen Vereine und Unternehmungsformen.
Die amtliche Statistik bringt auch für das Vereinswesen nur die An-
gaben der Geschäftsstatistik, die sich in der Hauptsache auf die Anzahl der
Eintragungen und Löschungen beschränken 7) Die statistische Erfassung
der idealen Vereine ist zwar nicht von solcher Bedeutung wie die der wirt-
schaftlichen Gebilde, so daß hier eine dauernde Kontrolle oder auch nur
eine wiederholte Bestandsaufnahme kaum ein dringendes Erfordernis ist.
Aber eine Ausgestaltung dahin wäre erwünscht, daß in dem Vereinsregi-
ster für die in Betracht kommenden Vereinszwecke besondere Rubriken
vorgesehen würden und eine dementsprechende Ausscheidung der Ver-
eine stattfinden könnte. Ebenso ließe sich leicht eine Scheidung der ein-
zelnen Beendigungstatsachen, Auflösung durch Vereinsbeschluß, Ent-
ziehung der Rechtsfähigkeit und Konkurs durchführen. Auch diese Än-
derungen wären im Rahmen der Geschäftsstatistik ohne Änderung der
Gewinnungsmethode zu erzielen, die ein allgemeineres Interesse bieten
würden.
Die Frage der Statistik der wirtschaftlichen Vereine führt uns zur
Zivilrechtsstatistik als Wirtschaftsstatistik.
b) Zivilrechtsstatistik als Wirtschaftsstatistik.?)
1. Statistik der wirtschaftlichen Vereinigungen.
Bei der Zivilrechtsstatistik als Wirtschaftsstatistik gehen wir von
den Vereinigungen der Menschen zu wirtschaftlichen Zwecken aus. Die
Ergänzung zu den oben behandelten idealen Vereinen bilden zunächst
die wirtschaftlichen Vereine. Unter der Herrschaft des Kapitalismus ver-
mag der einzelne besonders bei der Produktion und im Handel den Auf-
gaben des Wirtschaftslebens leicht nicht mehr gerecht zu werden, und
daher schließen sich Individuen zu Erwerbsgruppen zwecks gemeinschaft-
licher Betätigung zusammen.
Eine zusammenfassende Statistik der wirtschaftlichen Vereine be-
sitzen wir nicht. Da sie in das Vereinsrsgister nicht eingetragen werden,
so vermag das Gericht insofern kein Material für eine statistische Be-
arbeitung zu liefern. Es sei nur darauf hingewiesen, daß das Reich eine
Reihe von Unternehmungen ohne Rücksicht auf die Rechtsform be-
handelt, so namentlich die Notenbanken, die Hypothekenbanken, die
1) In Bayern waren 1908 eingetragen: am Anfange des Jahres 4136 Vereine, am
Schlusse des Jahres 4460 Vereine (Bayer. Justizstat. 1908, S. 49). In Preußen waren
Ende 1907 7250 Vereine eingetragen (JMBI. 1908, S. 281).
2) Uber diesen Begriff vgl. oben S. 28/29.
56 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Versicherungsgesellschaften, die privaten Eisenbahnen, Klein- und Stra-
ßBenbahnen.!) Zu erwähnen ist auch die einmalige Bearbeitung der Kar-
telle?) sowie die Veröffentlichung über die Arbeitgeberverbände im Deut-
schen Reich.?) Über ihr Gegenstück, die Gewerkschaften, finden sich
fortlaufende Mitteilungen im,,Correspondenzblatt der Generalkommission
der Gewerkschaften Deutschlands‘.*)
Das eigentlich Charakteristische für die Entwicklung der wirtschaft-
lichen Unternehmungsformen in den letzten Jahrzehnten liegt darin, daß
sich gewisse Typen herausgebildet haben, welche sich von der einzelnen
Person möglichst unabhängig zu gestalten suchen und sie schließlich völ-
ligin den Hintergrund drängen. Die größere Möglichkeit der Ausnutzung
des Kredits, die Anhäufung von Kapital durch Zusammenlegen kleinerer
Kapitalien, die Erhaltung eines Unternehmens mit seinen Einrichtungen
und Beziehungen über die Wirkungszeit des einzelnen hinaus sind die
Hauptfaktoren, welche zur Schaffung solcher Unternehmungsformen
drängen. Dazu gestatten diese Vereinigungen dem Kapitalisten, sich am
Erwerb bei geringerem Risiko zu beteiligen und die Ausführung von
Unternehmungen, bei denen die Kräfte des einzelnen hinsichtlich des
notwendigen Kapitals wie des Risikos nicht ausreichen würden. P) Je mehr
die Erkenntnis dieser Vorteile um sich griff, um so mehr mußte die Aus-
dehnung dieser Gebilde zunehmen, und heute sind die von dem Indivi-
duum unabhängig gestalteten Unternehmungen, die sogenannten Kol-
lektivunternehmungen, die recht eigentlichen Repräsentanten der kapi-
talistischen Wirtschaftsform.
Für die sehr mannigfachen Aufgaben des Wirtschaftslebens haben
sich allmählich bestimmte Unternehmungsformen herausgebildet. Be-
trachten wir sie unter diesem Gesichtspunkt, so gewinnen wir damit
gleichzeitig ihre Behandlungsmöglichkeit in der Zivilrechtsstatistik. Cha-
rakteristisch für das Großunternehmen ist die Aktiengesellschaft, die
wir daher auch auf allen Gebieten antreffen, wo Großbetrieb möglich und
rentabel erscheint. Nahe verwandt mit ihr ist die Aktienkommandit-
gesellschaft. Für Betriebe und Unternehmungen von kleinerem Umfange,
die sich namentlich auf eine kleinere Personenzahl, aber möglichst unter
Ausschaltung eines zu weit gehenden Risikos beschränken sollen, dient
die Gesellschaft mit beschränker Haftung. Auf ganz anderer Basis be-
ruhen die verschiedenen Formen der Genossenschaften. Diese sind nicht
Unternehmen als Selbstzweck, sondern sie sind dazu bestimmt, die wirt-
1) Vgl. Feig, Statistik des Bestandes der Aktiengesellschaften in den Viertel-
jahresheften 1907, IV, S. 360 und dort Quellenangaben Anm. 1—5.
2) Denkschrift über das Kartellwesen, Amtliche Drucksachen des Reichstages.
XI. Leg.-Per. II. Sess. 4. Nov. 1906.
3) Arbeitgeberverbände im Deutschen Reich. 1909. RABI. 1909, Nr.8 S. 585.
4) Herausgegeben von der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands.
5) Elster, Handwörterbuch, Bd. 2, S. 24.
Kollektivunternehmungen. 57
schaftliche Position ihrer Mitglieder durch gemeinsamen Betrieb nach
irgendeiner Richtung zu stärken, sind also geeignet, gerade dem Klein-
betrieb ein Gegengewicht gegen den Großbetrieb zu gewähren, indem der
Kleinbetrieb sich die Vorteile des Großbetriebs zu eigen macht. Soweit
diese Formen für ein Unternehmen nicht geeignet erscheinen oder in-
folge gesetzlicher Vorschriften nicht zulässig sind, verbleibt der wirt-
schaftliche Verein des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Da diese verschiede-
nen Unternehmungsformen einander ergänzen oder den notwendigen
Ausgleich ermöglichen, so liegt das Interesse an ihrer Kenntnis klar zu-
tage. Dazu kommt, daß sich ein großer Teil des Nationalvermögens in
ihren Händen befindet. Daher ist nicht nur ihre Zahl, sondern auch die
in Betracht kommende Kapitalienmenge und die Rentabilität von Bedeu-
tung. Verfolgt man die Bewegung des Bestandes der verschiedenen Un-
ternehmungen sowie der darin investierten Kapitalien, so ergibt sich ein
Anhalt für die bald geringere, bald stärkere Unternehmungsbereitschaft
und ein Bild von der Inanspruchnahme des Kapitalmarktes.!) Im Ver-
hältnis zu den Kollektivunternehmungen tritt die Bedeutung der offenen
Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft für die Zivilrechts-
statistik zurück.?) Sie weisen keine Merkmale auf, welche sie in beson-
derem Maße von Einzelunternehmungen abheben. So wünschenswert
und bedeutungsvoll die Erkenntnis der wirtschaftlichen Ergebnisse auch
bei der Einzelunternehmung wäre, so bietet doch das dem Gericht unter-
breitete Tatsachenmaterial keine geeignete Unterlage für eine statisti-
sche Erfassung. Zwar unterliegt auch die Einzelfirma im allgemeinen, die
offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft stets dem Re-
gisterzwang, aber die Eintragungen betreffen mehr die Frage der Ge-
schäftsführung und der Vertretungsmacht und lassen die wirtschaftliche
` Seite außer Betracht. Da nun auch keine Verpflichtung zur Veröffent-
lichung einer Bilanz besteht, entfällt auch diese Möglichkeit der stati-
stischen Erfassung, welche bei den Kollektivunternehmungen sehr ins Ge-
wicht fällt. Die Einzelfirma, die offene Handelsgesellschaft und die Kom-
manditgesellschaft sind für die Zivilrechtsstatistik daher nur insofern von
Interesse, als es sich darum handelt, den Anteil der einzelnen Unterneh-
mungsformen namentlich im Gegensatz zu den Kollektivunternehmun-
gen an den einzelnen Gewerben zu ermitteln.?) Zu diesem Zwecke be-
dürfte es aber einer Ausscheidung auch der Einzelfirmen, der offenen
Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft nach der in der Ge-
1) Vierteljahrshefte, Ergänzungsheft II, 1909, S. 4.
2) Der Gegensatz zeigt sich auch in der juristischen Konstruktion. Während die
Kollektivunternehmungen sämtlich juristische Personen darstellen, spricht die herr-
schende Meinung der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft die
eigene Rechtspersönlichkeit ab.
3) Ebenso der internationale Statistikerkongreß zu Budapest 1876; siehe
S. 60.
58 IJ. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
werbe- bzw. Betriebsstatistik üblichen Einteilung in Gewerbegruppen.?)
An der Hand des Handelsregisters ließe sich diese Differenzierung wohl
vornehmen. Für unsere weitere Untersuchung schalten wir die eben ge-
nannten Unternehmungsformen aus und behandeln im einzelnen nur die
Kollektivunternehmungen.?)
Die Möglichkeit der statistischen Erfassung des dem Gericht vor-
liegenden Tatsachenmaterials bieten das Handels- und das Genossen-
schaftsregister, nach deren Einrichtung sich natürlich auch die Aus-
beutungsmöglichkeit richtet. In Preußen zerfällt das Handelsregister in
zwei Abteilungen (A und B).| In die Abteilung A werden eingetragen die
Einzelfirmen, die offenen Handelsgesellschaften und die Kommandit-
gesellschaften, in die Abteilung B gehören die Aktiengesellschaften, Kom-
manditgesellschaften auf Aktien, die Gesellschaften mit beschränkter
Haftung und die in den §§ 33, 36 HGB. bezeichneten juristischen Per-
sonen.?) Die Ausscheidung der Unternehmungsformen entspricht genau
der Differenzierung, die wir oben bezüglich ihrer Bedeutung für die Zivil-
rechtsstatistik vorgenommen haben. Die Abteilung A gibt hauptsäch-
lich Auskunft über die Firma, gegebenenfalls die Art der Gesellschaft, den
Ort der Niederlassung, Sitz der Gesellschaft und über Zweigniederlassungen,
enthält ferner persönliche Angaben und gibt Auskunft über das Erlöschen
der Firma bzw. Konkurseröffnung. Die übrigen Eintragungen sind im
wesentlichen rechtlich-formaler Natur. Bei der Abteilung B kommt vor
allem der Gegenstand und die juristische Form des Unternehmens in Be-
tracht, und ferner wird das Grund- oder Stammkapital eingetragen. Ab-
gesehen von den Vermerken über Auflösung, Konkurs, Liquidation,
Nichtigkeit, Erlöschen der Firma, die für die statistische Erfassung noch
von Interesse sind, handelt es sich um die Eintragung von Bestimmungen,
welche die Vertretungsmacht und die Geschäftsführung oder die Haf-
tungsfrage regeln. Das Genossenschaftsregister weichthauptsächlich darin
1) Auf die Bedeutung der statistischen Erfassung der eingetragenen Handels-
firmen, namentlich der Handelsgesellschaften, weisen schon die „Mitteilungen“ in
Hildebrands Jahrb. 1865, S. 103 hin, und im Anschluß an sie Haushofer, Lehrbuch
der Statistik, S. 446. Naturgemäß konnte die Besonderheit der Kollektivunterneh-
mungen damals noch nicht mit gleicher Schäfre hervorgehoben werden, da sie noch
in den Anfangsstadien ihrer Entwicklung waren. In Preußen waren im Handelsregi-
ster (Abt. A) eingetragen: Ende 1906 = 167 783 Firmen, es wurden neu eingetragen
= 9 723, gelöscht = 6 957, so daß Ende 1907 eingetragen waren = 170 549 (JMBI.
1908. S. 281). In Bayern waren im Handelsregister eingetragen: Anfang 1907 22 785
Firmen und 6 076 Gesellschaften, Ende 1907 23 222 Firmen und 6 247 Gesellschaften
(Bayer. Justizstat. 1908, S. 49).
2) S. a. Moll, Private Unternehmungsformen in der v. Mayrschen Festgabe
Bd. 2, 8. 436ff. Diese Arbeit, welche nach Abschluß der vorliegenden Arbeit er-
schien, geht mehr ins historische Detail, als es im Rahmen der vorliegenden Abhand-
lung möglich war.
3) Allgemeine Verfügung des Justizministers vom 7. November 1899 über die
Führung des Handelsregisters (JMBl. S. 313), $ 16.
Handels-, Genossenschaftsregister. 59
von den bisher genannten ab, daß die Betriebsmittel nicht verzeichnet,
sondern nur bei den Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht die
Höhe der Haftsummen und die höchste Anzahl der Geschäftsanteile ver-
merkt wird.
Diejenigen Eintragungen, welche rechtlich-formale Gesichts-
punkte betreffen, besitzen, wie früher schon hervorgehoben wurde, für die
Erfassung des Wirtschaftslebens durch die Statistik wenig Interesse. Es
beschränkt sich demnach die Möglichkeit der Erfassung durch die stati-
stische Beobachtung auf Grund der Register im wesentlichen auf die
Unternehmungsformen, deren örtliche Verteilung, den Gegenstand des
Unternehmens, zum Teil das investierte Kapital, die Änderungen dieser
Faktoren, sowie die Auflösung. Das wirtschaftlich besonders interessie-
rende und wichtige Moment der Rentabilität vermag demnach auf diesem
Wege nicht erfaßt zu werden, und namentlich hier müssen andere Quellen
zur Ergänzung herangezogen werden, wenn die für die Volkswirtschaft
wünschenswerten Ergebnisse erzielt werden sollen.
Bereits gelegentlich der Gewerbezählungen von 1875, 1882 und 1895
suchte man die Kollektivunternehmungen zu erfassen, allerdings in von-
einander abweichender Fragestellung. Zu beachten ist, daß bei diesen
Zählungen vom Betriebe als der Basis ausgegangen wird und daher z. B.
die Unternehmungskapitalien nicht miterfaßt werden, und ferner die-
jenigen Gesellschaften ausscheiden, welche nicht ein Gewerbe betreiben.!)
Auch die Betriebszählung von 1907 erstreckte sich auf diese Frage.
Die einzelnen Unternehmungsformen weisen in ihrer statistischen
Bearbeitung eine sehr verschiedene Entwicklung auf.
a) Aktiengesellschaften.
Der Gedanke einer Aktiengesellschaftsstatistik beschäftigte, wie be-
reits erwähnt, auch die internationalen Statistikerkongresse.?)
Im Haag (1869) formulierte man die Erfordernisse über den Inhalt
einer Aktiengesellschaftsstatistik, welche damals fast allein in Betracht
kam, dahin:
Gründungsjahr.
. Betrag des Aktienkapitals.
. Nominalbetrag jeder Aktie.
. Betrag der geleisteten und noch zu leistenden Einlagen.
. Betrag des Reingewinnes (mit Angabe der Dividende und der in den
Reservefond abgeführten Beträge).
6. Zahl der aufgelösten Gesellschaften (mit Unterscheidung der Auf-
lösungsgründe).
Cu oo béi to
1) Feig, Statistik des Bestandes der Aktiengesellschaften am 31. Dezember
1906, in den Vierteljahrsheften 1907, IV, 360, dort auch die betreffenden Publika-
tionen.
2) S. S. 33/34.
60 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Eine eingehende Behandlung fand dieser Gegenstand dann noch in
Budapest (1876) auf Grund eines Referats von Engel. Die gefaßten Be-
schlüsse lauteten:
1. Sämtliche Staaten müssen eine Statistik der Aktiengesellschaften
aufstellen.
2. Für die darauf bezüglichen Erhebungen werden die Formulare von
Engel als Muster empfohlen.
3. Die statistischen Aufnahmen sind von 5 zu 5 Jahren zu wieder-
holen.
4. Damit die statistischen Zentralstellen stets informiert seien, ist es
nötig, daß die Gesellschaften verpflichtet werden, der Zentralstelle
ihres Landes von allen öffentlichen Bekanntmachungen und Kund-
gebungen je 2 Exemplare sofort nach dem Erscheinen zu über-
senden.
5. Die statistischen Zentralstellen haben gleichzeitig die Bewegung der
Kurse der von den Gesellschaften emittierten Stammaktien, Stamm-
prioritätsaktien, Obligationen usw. zu verfolgen und hiervon die höch-
sten und niedrigsten Monatskurse mit Angabe des Tages, an dem sie
notiert wurden, sowie den Kurs vom 31. Dezember jeden Jahres in
gedrängten Übersichten zu veröffentlichen.
6. Bei Gelegenheit der Veröffentliehung der Resultate der periodischen
Gewerbezählungen ist von der statistischen Zentralstelle gleichzeitig
der Nachweis darüber zu führen, in welchem aliquoten Verhältnis
zueinander die Einzelunternehmungen und die Kollektivunter-
nehmungen stehen.’)
Eine amtliche Statistik der Aktiengesellschaften und Kommandit-
gesellschaften auf Aktien besitzen wir noch nicht lange und eine Reichs-
statistik erst ganz neuerdings. Für die frühere Zeit sind wir daher auf
Privatarbeiten angewiesen. Als Quellen für statistische Bearbeitungen die-
nen hier, abgesehen vom Handelsregister, die gesetzlich vorgeschriebenen
Veröffentlichungen der Bilanzen, und auch die Kurszettel der Börsen bie-
ten einen gewissen Anualt. Auf diesen Hilfsmitteln bauen sich dann auch
hauptsächlich die grundlegenden und bahnbrechenden Arbeiten der Ak-
tiengesellschaftsstatistik auf. Vor allem ist hier Engel mit seiner Arbeit
über „Die erwerbstätigen juristischen Personen im Preußischen Staate,
insbesondere die Aktiengesellschaften‘‘?) aus dem Jahre 1876 zu nennen,
welche zum erstenmal auf statistischer Grundlage für die Jahre 1869
bis 1875 die Frage der Kollektivunternehmungen behandelt. Als Fort-
setzung dazu kann die Arbeit von van der Borght „Statistische Studien
über die Bewährung der Aktiengesellschaften‘“?) von 1883 bezeichnet wer-
1) Nach Böhmert, Statistik der Rechtspflege im Sachs. Stat. B. Z. 1879, S. 52.
2) Zeitschrift des Königl. Preuß. Stat. Bureaus. Bd. 15/16.
3) Conrads Sammlungen nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen.
Bd. 3, Heft 1.
Aktiengesellschaften. 61
den, welche die Frage vertieft und weiter ausbaut, und schlieBlich Chri-
stians in den Drucksachen der Börsenenquete 1893.1) Seit 1897 er-
scheint ein Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften.?)
Auch die einzelstaatlichen Erhebungen fußen auf den angegebenen
Quellen und dem Handbuch seit seinem Erscheinen, so z. B. in Preußen?),
das seit 1905 eine Aktiengesellschaftsstatistik bringt. Bemerkenswert ist,
daß hier bereits eine Rentabilitätsstatistik geboten ist. In Sachsen liegen
die ersten Arbeiten auf diesem Gebiete bis ins Jahr 1864 zurück®), eine
weitere Erhebung fand in den siebziger Jahren statt’) und seit 1902 wird
fortlaufend unter Ausscheidung der Gesellschafter nach Gewerbegruppen
und Angabe der Höhe des Aktienkapitals berichtet.*) Auch Bayern’)
pflegt die Aktiengesellschaftsstatistik seit 1882 und ebenso bearbeiten
Baden, Hamburg und Bremen dieses Gebiet.) Allen diesen Verarbei-
tungen haften naturgemäß in Anbetracht des zugrunde liegenden
Materials erhebliche Fehlerquellen an, die sich nicht vollständig vermei-
den lassen.
In neue Bahnen wurde die Statistik der genannten Gesellschaften ge-
lenkt, als sich das Reich entschloß, dieses Gebiet in den Kreis seiner regel-
mäßigen Beobachtung einzubeziehen. Grundsätze und Ziele seiner Be-
arbeitung sind im Ergänzungsheft II der Vierteljahrshefte zur Statistik
des Deutschen Reichs 1909 niedergelegt.*) Es waren hierbei drei Ziele ins
Auge zu fassen: eine Bestands-, eine Bewegungs- und eine Rentabilitäts-
statistik herzustellen. Die Bestandsstatistik wurde zum erstenmal in den
Vierteljahrsheften 1907'°) zur Darstellung gebracht. Die Grundlage bildete
auch hier im wesentlichen das ‚Handbuch‘, und zwar wurde an der Hand
1) Stat. Anlagen, S. 276.
2) Jahrbuch der deutschen Börsen. Berlin u. Leipzig. Verlag für Börsen- und
Finanzliteratur A.-G. Private Verarbeitungen erscheinen fortlaufend im „Deutschen
Okonomisten“, in der „Frankfurter Zeitung“, in der „Bank“, im „Internationalen
Volkswirt“ und in den ,,Wirtschaftsstatistischen Monatsberichten“ von Calwer,
vgl. auch Somary, im Bulletin Bd. 14, 4. L. 8. 15 für das Jahr 1902; eine ein-
gehendere Darstellung bei Moll, Private Unternehmungsformen a. a. O. Bd. 2,
S. 439—444.
3) Preuß. Stat. L. A. Z. 1905, S. LIII für 1902; vgl. das Stat. Jahrbuch für
PreuBen.
4) Statistische Nachweise über die im Ausbringen stehenden Steinkohlenbau-
aktiengesellschaften in Sachsen im Jahre 1863. Sachs. Stat. B. Z. 1864, S. 130.
5) Über die Aktiengesellschaften in Sachsen. Sächs. Stat. B. Z. 1876, S. 333.
6) Stat. Jahrb. f. Sachsen 1904 S. 106; 1906 8.77; 1907 S. 127.
1) Bayer. Stat. L. A. Z. 1882 S. 191—227; 1884 8. 285—294.
8) Vgl. Stat. Jahrbuch für das Großherzogtum Baden, 1908, S. 306; für Ham-
burg Jahresbericht des Stat. Bureaus d. Steuerdeputat. 1906, S. 14; Jahrbuch der
Bremischen Statist. 1906, S. 44.
9) Vgl. auch Moll, Die Aktiengesellschaftsstatistik des Kaiserl. Stat. Amts in
Berlin in Conrads Jahrbüchern, Bd. 39, Heft 1, S. 79.
10) Heft 4, S. 360—377: „Statistik des Bestandes der Aktiengesellschaften und
Kommanditgesellschaften auf Aktien im Deutschen Reich am 31. Dezember 1906.“
62 If. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
dieses für jede Gesellschaft eine Zählkarte ausgefüllt, wobei besonders der
Zweck und die Höhe des Aktienkapitals berücksichtigt wurden. Zur Er-
gänzung wurden Anfragen an die Gesellschaften oder die Registergerichte
gestellt. Für Bayern sowie die Hansestädte Hamburg und Bremen wur-
den durch Vermittlung der Landeszentralbehörde die Handelsregister be-
nutzt. Aus technischen Gründen beschränkte sich die erste Bearbeitung
nur auf die „tätigen‘“ Gesellschaften, d. h. auf diejenigen, welche nicht
in Liquidation oder Konkurs waren. Im Jahre 1908 wurde diese Ver-
öffentlichung durch Mitteilung der Bestandsstatistik der nichttätigen Ge-
sellschaften ergänzt.!) Festgestellt wurde neben dem Sitz und Haupt-
zweck der Gesellschaft die Gewerbezugehörigkeit, das Kapital nach
Stamm- und Vorzugsaktien, Dauer und Gründungsjahr. So sehr der in
dieser Arbeit liegende Fortschritt allgemein anerkannt wurde, machte
sich doch das Verlangen geltend, die Statistik auf die einzig völlig zuver-
lässige Quelle, die Handelsregister, zu basieren. Auf Grund eines Berichts
des Kaiserl. Statistischen Amts ordnete der Bundesrat am 15. Juli 1909
eine einmalige |Bestandserhebung durch die Registergerichte des ganzen
Reiches an, die sich auf die Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaf-
ten auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, bergbauliche
Gewerkschaften, Kolonialgesellschaften, Versicherungsvereine auf Ge-
genseitigkeit, sowie alle übrigen eintragungspflichtigen juristischen Per-
sonen (§§ 33, 36 HGB.) erstrecken sollte. Als Stichtag wurde der 30. Sep-
tember 1909 festgesetzt. g
Die auf Grund dieses Materials gewonnenen Ergebnisse sind in den
Vierteljahrsheften (Ergänzungsheft II 1910 S. 34) veröffentlicht.?) Die
am 30. September 1909 vorhandenen Aktiengesellschaften, Kommandit-
gesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung
sind vollzählig aufgeführt, weil bei diesen Gesellschaften die Eintragung
bzw. Löschung im Handelsregister ihre Existenz bedingt. Bei den Kolo-
nialgesellschaften, bergbaulichen Gewerkschaften und sonstigen juristi-
schen Personen ließ sich die Vollzähligkeit deshalb nicht im gleichen Maße
erzielen, weil bei ihnen das Bestehen nicht von der Eintragung ins Han-
delsregister abhängt. Eine Pflicht zur Eintragung liegt bei ihnen nur
dann vor, wenn sie im Sinne des § 2 HGB. ein gewerbliches Unternehmen
betreiben, die Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerich-
teten Geschäftsbetrieb erfordern.?) Damit ist eine Zusammenstellung ge-
wonnen, die auf der augenblicklich vollkommensten Gewinnungsmög-
lichkeit basiert. Für die Zukunft freilich wäre die Wiederholung einer
solchen Bestandsaufnahme in größeren Zwischenriumen — etwa 5 Jahre,
wie schon Engel auf dem internationalen Statistikerkongreß in Budapest
1) Vierteljahrshefte z. St. d. D. R. 1908. I. S.308—311.
2) Dort finden sich auch die Zählkarten abgedruckt.
3) Vierteljahrshefte, Ergänzungsheft II, 1910, S. 37.
Aktiengesellschaften. Ges. m. b. Haftung. 63
1876 vorschlug — erwünscht, um die Ergebnisse der Bewegungsstatistik
einer zuverlässigen Kontrolle zu unterwerfen.
Die Bewegungsstatistik stützt sich in der Hauptsache auf die Be-
kanntmachungen der Registerbehörden im Reichsanzeiger, die alle für
diesen Zweck wesentlichen Angaben enthalten. Es handelt sich hier um
dae Veränderungen des einmal ermittelten Bestandes, sei es infolge von
Neubegründungen, Fusionen, Verstaatlichungen, Konkurse,Liquidationen,
Firmenänderung. Für die Konkurseröffnungen und -beendigungen sind
die Zählkarten der Konkursstatistik herangezogen worden. Die Verände-
rungen werden bei bereits bestehenden Gesellschaften auf die durch die
Bestandsaufnahme gewonnenen Bestandsblätter vermerkt, bei Neu-
begründungen besondere Karten angelegt. Auf Grund dieses Verfahrens
werden die Veränderungen in den Vierteljahrsheften siet 1908 bekannt-
gegeben.!)'
Den Schlußstein dieser Erhebungen des Kaiserl. Statistischen Amts
bildet die Rentabilitätsstatistik.?) Bei ihr sollen die Geschäftsergebnisse,
der Reingewinn, und zwar für die Gesellschaft wie für den einzelnen Aktı-
onär, der Verlust, die Reserven, die Verschuldung und schließlich die Di-
videndenhöhe erfaßt werden. Die Verarbeitung stützt sich auch hier auf
die Veröffentlichungen der Bilanzen im Reichsanzeiger; zur Ergänzung
dienen Anfragen bei den Gesellschaften selbst.
B) Gesellschaft mit beschrankter Haftung.
Eine Statistik fiir die Gesellschaften mit beschränkter Haftung gab
es bisher nur in sehr geringem Umfang. Da bei dieser Form des Kollek-
tivunternehmens ein gesetzlicher Zwang zur Veröffentlichung von Ge-
schäftsberichten nur insoweit besteht, als sie Bankgeschäfte betreiben,
so fehlt hier für die Gesamtheit der Gesellschaften die Möglichkeit, auf
Grund dieses Materials wie bei den Aktiengesellschaften eine Rentabili-
tätsstatistik herzustellen, und diese wichtige wirtschaftliche Seite entzieht
sich somit zum großen Teil der statistischen Beobachtung. Die erste sta-
tistische Zusammenfassung stammt aus dem Jahre 1893, sieben Monate
nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung (20. April 1892), von Heiligenstadt.?) Es sind da-
zu die Veröffentlichungen im Reichsanzeiger und die der Bayerischen
Handelszeitung benutzt und das Material durch private Ermittlungen er-
1) Zum erstenmal für 1907 im 2. Vierteljahrsheft 1908, S. 243—249.
2) Die ersten Ergebnisse veröffentlicht als: „Die Geschäftsergebnisse der deut-
schen Aktiengesellschaften im Jahre 1907/08. 2. Ergänzungsheft zu den Vierteljahrs-
heften 1909. Vgl. auch Moll, Die Rentabilität der Aktiengesellschaften. Ihre Fest-
stellung in amtlichen und privaten Statistiken in Conrads Jahrbüchern, Bd. 38, S. 4.
3) „Die Gesellschaften m. b. H. im Jahre 1892“ in Conrads Jahrbüchern. AF
Bd. 8 (1893).
64 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
gänzt. Die Gesellschaften sind für eine zu kurze Zeitdauer zusammen-
gefaßt, als daß sich hiermit ein Urteil über die Bewährung der Wirt-
schaftsform ableiten ließe. Es ist zu bedauern, daß die Arbeit nicht fort-
geführt worden ist. Auf Grund privater Ermittlungen findet sich im
Handwörterbuch der Staatswissenschaften!) noch ein Vergleich zwischen
dem Stande von 1893 und 1907, sowie der Stand vom 30. März 1909, beide
Male nach der Anzahl der Gesellschaften mit dem Stammkapital geglie-
dert nach Bundesstaaten. Für 1902 hat Wendt eine Bestandsstatistik
der Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Conrads Jahrb. Bd. 24
S. 70£f.) verfaßt. Greulich brachte eine Statistik für 1904 (Gesellschaf-
ten mit beschränkter Haftung, G. m. b. H. Zeitschrift vom 8. September
1905).?)
Die amtliche Statistik setzt zuerst in Preußen mit einer Veröffent-
lichung über den Stand des Jahres 1904 ein.?) Die Bearbeitung stützt
sich auf das ,, Lexikon der Gesellschaften mit beschränkter Haftung“, ein
reines Firmenverzeichnis ohne andere statistisch verwertbare Angaben,
die Veröffentlichungen im Reichsanzeiger und auf Anfragen bei den Re-
gistergerichten. Sie erscheint seitdem fortlaufend und gibt Auskunft über
Zahl, Gründungszeit und Stammkapital in verschiedenen Gruppierungen,
sowie über die Geschäftsergebnisse der zur Veröffentlichung einer Bilanz
verpflichteten Gesellschaften, welche Bankgeschäfte betreiben. Soweit
die Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Bilanz nicht besteht, ist eine
Rentabilitätsstatistik auf Grund der Preußischen Einkommensteuer her-
gestellt worden. Außer Preußen bringt auch Baden Zusammenstellun-
gen über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung auf Grund von
Mitteilungen der Amtsgerichte; es ist aber dort nur nach Amtsbezirken
und Gewerbegruppen unterschieden, während jede Angabe über die Höhe
des Kapitals fehlt.*) Bayern beschränkt sich ebenfalls auf diese An-
gaben. P l
Auch hier bedeutet die bereits oben erwähnte einmalige‘ Bestands-
erhebung der privaten Unternehmungen an der Hand der Handelsregi-
ster für den 30. September 1909, die auch die Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung umfaßt, einen wesentlichen Fortschritt.®)
1) 3. Aufl. Bd. 4, S. 715 Angaben über den Gegenstand des Unternehmens und
des Kapitals finden sich in der Arbeit von Stopier, Die Gesellschaft m. b. H. aus-
gangs 1901. 1898 veranstaltete der Zentralverein der deutschen Gesellschaften m. b.H.
eine private Erhebung (Liebmann, Die Ges. m. b. H. in der Praxis. Deutsche Juristen-
zeitung 1902, S. 322).
2) Moll, Priv. Unt.-Formen a. a. O. Bd. 2, S. 445.
3) Preuß. Stat. L. A. Z. 1906, S. XXX; Kühnert, Die Gesellschaften m. b. H.
in Preußen. Preuß. Stat. L. A. Z. 1909, S. 261.
4) Vgl. Stat. Jahrb. f. Baden, 1908/09, S. 360.
5) Stat. Jahrb. f. Bayern, 1909, S. 227.
6) Für Preußen vgl. Allgem. Verfg. v. 10. Aug. 1909 (JMBI. S. 298). Die Er-
gebnisse sind mitgeteilt in den Vierteljahrsheften 1910, Ergänzungsheft II,
Genossenschaften. 65
y) Genossenschaften.
Über das Genossenschaftswesen hat dessen Begründer, Schulze-
Delitzsch, selbst die ersten statistischen Mitteilungen an der Hand der
Geschäftsberichte der einzelnen Genossenschaften für die Jahre 1854
bis 1858 in der „Deutschen Gewerbezeitung‘‘' von 1855—1860 veröffent-
licht. 1860 erschienen diese Mitteilungen als selbständiger Jahresbericht
für 1859. Dieser ist dann nach mehrfacher Titeländerung bis 1896 als
„Jahresbericht über die auf Selbsthilfe gegründeten Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenossenschaften‘ und seit 1897 als „Jahrbuch des allgemeinen
Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenossenschaften‘“ vom Anwalt des Verbandes, H. Crüger, her-
ausgegeben worden.!) Die ganze Anlage sowie die umfassende Darstel-
lung lassen diese Arbeiten geradezu als mustergültig erscheinen. Da sich
aber neben dem allgemeinen Verbande Sondergruppen bildeten, ver-
mochte ein statistisches Gesamtbild des deutschen Genossenschafts-
wesens schließlich nicht mehr geboten zu werden, und die amtliche Sta-
tistik mußte zu diesem Behufe eingreifen. 1896 wurde für Preußen eine
allgemeine Genossenschaftsstatistik in die Wege geleitet?), und zwar
wurde auf die in den Genossenschaftsregistern enthaltenen Eintragungen
zurückgegriffen. Die Amtsgerichte haben Zählkarten bei jeder Neuein-
tragung, jeder Satzungsänderung und bei der Auflösung einer Genossen-
schaft auszufüllen und alle Vierteljahre an die Zentralgenossenschafts-
kasse in Berlin einzusenden, welche neben ihren sonstigen Aufgaben auclı
die statistische Bearbeitung des Genossenschaftswesens erledigt. Außer-
dem haben die Registergerichte alljährlich eine Liste der an einem be-
stimmten Stichtage in das Genossenschaftsregister eingetragenen Genos-
senschaften einzureichen. Auf Grund dieses Materials wurde zunächst
ein Genossensehaftskataster für Preußen nach dem Stande vom 28. Fe-
bruar 1897 angelegt und veröffentlicht.?) Diese Angaben sind verarbeitet
in den Mitteilungen der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse.*) Er-
gänzt sind die Veröffentlichungen sodann in der Zeitschrift des Preußi-
schen Statistischen Bureaus von 1901 nach dem Stande vom 30. Juni
1899 bzw. 1900.°)
1) Vgl. Jahrbuch f. 1897, Vorwort S. III.
2) Allgem. Verfg. vom 1. Mai 1896, abgedruckt in der Zeitschrift des Preuß.
Stat. Bureaus 1901, S. 248.
3) Kataster der im Königreich Preußen vorhandenen eingetragenen Genossen-
schaften. Berlin 1898. Heymanns Verlag; Nachtrag L Berlin 1898. Verzeichnis
sämtlicher am 30. Juni 1898 im Königreich Preußen vorhandener eingetragener Ge-
nossenschaften. Berlin 1898.
4) Statistische Ergebnisse des Katasters der im Königreich Preußen vorhande-
nen eingetragenen Genossenschaften. 1. Heft. Berlin 1898. 2. Heft 1899. Heymanns
Verlag.
5) Zeitschrift 1901, S. 247.
Rusch: Statistik der Zivilrechtspflege. 5
66 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Eine wesentliche Erweiterung fand die Genossenschaftsstatistik da-
durch, daß es gelang, durch Vereinbarung mit den anderen Bundesstaaten
im Jahre 1902 die Bearbeitung auf das ganze Reich auszudehnen. Das
preußische Verfahren wurde von den Einzelstaaten übernommen, und
die Verarbeitung ebenfalls der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse
übertragen, nur Bayern, Württemberg, Hessen behielten sich die eigene
Bearbeitung vor.!) Das Ergebnis erleidet, da überall das gleiche Zähl-
verfahren angewendet wird, nicht unter dieser territorialen Sonderbe-
arbeitung. Das erste Resultat der gemeinschaftlichen Arbeit war ein
„Genossenschaftsregister für das Reich‘ nach dem Stande vom 1. Januar
1903.2) Die weiteren Ergebnisse der statistischen Erhebung werden fort-
laufend in der Zeitschrift des Preußischen statistischen Landesamts als
„Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik‘‘ veröffentlicht.
Außerdem wurde seit 1904 von der Preußischen Zentralgenossenschafts-
kasse alljährlich seit 1904 ein ,,AdreBbuch der Erwerbs- und Wirtschafts-
genossenschaften im Deutschen Reich“ herausgegeben?), das indessen
vom Jahre 1909 ab nicht mehr erscheint.*) Auf diesen Arbeiten beruhen
auch im wesentlichen die Publikationen der Einzelstaaten, sowie die Ver-
öffentlichungen des Kaiserl. Statistischen Amts im Reichsarbeitsblatt.°)
Sachsen®) und Bayern’) pflegten die Genossenschaftsstatistik bereits
vor der Einführung der Statistik für das ganze Reich, und zwar seit 1898
bzw. 1894, auch in Württemberg, Baden und Hessen wurde sie be-
arbeitet.
Da sich die amtliche Statistik auf die Genossenschaftsregister stützt,
so ist ihr leider die wirtschaftliche Bearbeitung der Genossenschaften fast
gänzlich entzogen und mangels gesetzlicher Vorschriften über gleichartige
und ausgiebige Berichterstattung auch kaum zu erreichen. Neuerdings
1) RABI. 1906, S. 231; Preuß. Stat. I. A. Z. Ergänzungsheft 21. Berlin 1904.
Vorbem. 8.1.
2) Heymanns Verlag. Berlin 1904. Die weiteren Veröffentlichungen sind in
den „Mitteilungen z. d. Genossenschaftsstatistik für 1908“, Preuß. Stat. L. A. Z. 1910.
Ergänzungsheft XXIII. Vorbem. aufgezählt.
3) Über den Inhalt vgl. Preuß. Stat. L. A. Z. Ergänzungsheft 27. 1908. Vor-
bemerkung.
4) RABI. 1910, S. 447.
5) Dort werden vor allem die Konsumvereine, die Bau- und Produktivgenossen-
schaften berücksichtigt, dagegen die landwirtschaftlichen und gewerblichen Genossen-
schaften nicht naher behandelt; vgl. RABI. 1905 Nr. 11; 1907 Nr. 8; 1909 Nr. 213;
1910 Nr. 6.
6) Die Genossenschaften Sachsens, Jahrb. 1904, S. 130; 1905 S. 213; 1906
S. 256; 1907 S. 283.
7) Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern. München 1906: Die einge-
tragenen Genossenschaften im Königreich Bayern nach dem Stande von 1902, 1903,
1905. Dort auch eingehende Darstellung der Entwicklung in Bayern unter Hervor-
hebung des methodischen Moments. Seit 1895 finden sich fortlaufende Mitteilungen
im Stat. Jahrbuch für Bayern.
Genossenschaften. 2. Giiterrechtsregister. 67
wird ein weiterer Ausbau der Genossenschaftsstatistik namentlich nach
der wirtschaftlichen Seite angestrebt.?)
2. Giiterrechtsregister.
Die enge Lebensgemeinschaft unter Ehegatten führt naturgemäß
auch zu einer innigen Verknüpfung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen.?)
Diesem Umstande hat die Gesetzgebung von Jeher durch ein Sonderrecht
für die vermögensrechtlichen Verhältnisse unter Ehegatten Rechnung ge-
tragen. In Deutschland waren zwar einige Systeme des ehelichen Güter-
rechts zur allgemeineren Geltung gelangt, wiesen aber einerseits in den
verschiedenen Gegenden eine Fülle von Modifikationen auf, anderseits
hatte die Vielstaaterei in Deutschland eine Zersplitterung dieses Rechts-
gebiets außerordentlich begünstigt. Daher fand der Gesetzgeber bei
Schaffung des bürgerlichen Rechts ein Bild vor, das an Buntscheckigkeit
nichts zu wünschen übrig ließ. Es ist verständlich, daß unter diesen Um-
ständen in den Mitteilungen des Statistischen Bureaus vereinigter thü-
ringischer Staaten über die Organisation der Statistik der Rechtspflege?)
schon 1865 der Ruf nach einer Statistik der Eheverträge erscholl.
Das Bürgerliche Gesetzbuch hat einen gesetzlichen Güterstand ge-
schaffen, den sogenannten Güterstand der Nutznießung und Verwaltung,
bei welchem die Frau zwar Eigentümerin des von ihr eingebrachten Gutes
ist, dem Mann aber prinzipiell die Verwaltung und Nutznießung zusteht.
Dieser Zustand gilt schlechthin bei allen nach dem 1. Januar 1900 ge-
schlossenen Ehen, falls die Ehegatten nicht etwas anderes vereinbaren
und diese Vereinbarung in das Güterrechtsregister eintragen lassen. Als
Vertragstypen für eine anderweitige Regelung hat das Gesetz noch die
Gütertrennung, die Fahrnis- und die Errungenschaftsgemeinschaft ge-
regelt, von denen die erstere grundsätzlich völlige Trennung der beider-
seitigen Vermögensmassen vorsieht, während bei den anderen gemein-
schaftliches Eigentum an den zur Zeit der Eheschließung vorhandenen
Mobilien oder an den während der Ehe erworbenen Gütern vorgesehen
ist. Doch sind auch anderweitige Regelungen zulässig. Bei den vor 1900
geschlossenen Ehen sind durch Landesgesetzgebung die bestehenden
Güterstände in der Regel mm die des Bürgerlichen Gesetzbuches überge-
leitet worden.
1) Vgl. die Vorschläge dazu in den Mitteilungen zur deutschen Genossenschafts-
statistik 1909. Berlin 1911. S. 129ff.
2) Um die Statistik der wirtschaftlichen Vereinigungen unmittelbar an die ide-
alen Vereine anzuschlieBen, haben wir sie an erster Stelle unter der Wirtschaftsstati-
stik behandelt. Eigentlich hätten wir hierbei von der Regelung der wirtschaftlichen
Beziehungen innerhalb der Familie, als dem engeren Gebilde ausgehen und dann erst
die Vereinigungen behandeln müssen. Die angegebenen praktischen Rücksichten wer-
den aber die Umstellung rechtfertigen.
3) Hildebrands Jahrb. 1865, S. 105.
5*
68 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Es ist immerhin von Interesse, darüber unterrichtet zu sein, welchem
Rechtssystem bei Abmachungen über den ehelichen Güterstand seitens
der Eheschließenden der Vorzug gegeben wird. Auch der internationale
Statistikerkongreß zu Paris (1855) wies schon auf die Bedeutung einer
solchen Statistik hin.!) Daraus läßt sich deutlich erkennen, ob sich die
gesetzliche Regelung den praktischen Bedürfnissen angepaßt hat.
Wertvolle Aufschlüsse nach dieser Richtung würde auch die Kennt-
nis der Ausschließung der Schlüsselgewalt der Frau durch den Mann bie-
ten. Die Frau kann innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die
Rechtsgeschäfte des Mannes für ihn vornehmen und ihn vertreten, und
diese Rechtsgeschäfte gelten als in seinem Namen vorgenommen, d. h.
sie lassen unmittelbar gegen den Mann eine rechtliche Verbindlichkeit
entstehen. Dieses Recht der Frau, die sogenannte Schlüsselgewalt, kann
der Mann durch Eintragung in das Güterrechtsregister beschränken oder
ausschließen lassen (§§ 1357, 1435 BGB.).
Nicht nur im häuslichen Wirkungskreis hat das Gesetz der Ehefrau
eine gewisse Selbständigkeit eingeräumt, sondern ihr auch die Möglichkeit
gewährt, selbständig im Erwerbsleben tätig zu sein, ja sogar selbständig
ein Geschäft zu betreiben. Die Entwicklung des Wirtschaftslebens in den
letzten Jahrzehnten hat die Frau immer mehr ins Erwerbsleben gezogen
und sie in weiten Bevölkerungsschichten genötigt, für den Unterhalt der
Familie mit tätig zu sein. Um aber das Familienleben nicht allzu sehr
dadurch zu gefährden und die Ehefrau dort, wo es die Umstände nicht
erfordern, ihren eigentlichen Wirkungskreis erhalten zu können, ist die
Einwilligung des Mannes zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsge-
schäftes erforderlich. Er kann diese jederzeit widerrufen, muß aber den
Widerruf ins Güterrechtsregister eintragen lassen ($ 1405 BGB.).
Die statistische Beobachtung dieser Verhältnisse wäre ein bedeut-
samer Beitrag zu der Frage, inwieweit das Familienleben durch die Er-
werbstätigkeit der Frau in Mitleidenschaft gezogen wird, und für die Be-
obachtung der Konflikte, welche sich für das Eheleben daraus ergeben.
Die Unterlage für die Erfassung aller dieser Fragen böte das Güter-
rechtsregister. In dieses wird in Preußen nur kurz der Inhalt des betref-
fenden Rechtsverhältnisses eingetragen?), und zwar sind ausdrücklich
hervorgehoben die Beschränkung oder Ausschließung der Schlüsselgewalt,
die Ausschließung der Änderung der Verwaltung und Nutznießung des
Mannes, sowie die Aufhebung oder Änderung einer in dem Güterrechts-
register eingetragenen Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse und
schließlich der Einspruch des Mannes gegen den selbständigen Betrieb
eines Erwerbsgeschäftes der Frau oder der Widerruf einer hierzu erteilten
Einwilligung.
1) Böhmert, a.a. O. Sachs. Stat. B. Z. 1879, S. 51.
2) Allgem. Vefg. vom 6. November 1899 über die Führung des Vereins- und Güter-
rechtsregisters (JMBI. S. 299, § 13).
Giiterrechtsregister. 3. Zivilprozesse. 69
Die amtliche Statistik hält sich hier wiederum im Rahmen der Ge-
schäftsstatistik. Die Mitteilungen in Preußen bringen nur die Anzahl
der Eintragungen, welche für Ehegatten insgesamt im Güterrechtsregi-
ster erfolgt sind, unter Ausscheidung der Neueintragungen und Löschun-
gen!), Bayern bringt nur die Anzahl der Eintragungen.?)
Ist diesem Teile der Zivilrechtsstatistik auch kaum so viel Gewicht
beizulegen, daB etwa die Einführung von Zählkarten in Vorschlag ge-
bracht werden soll, so ließe sich doch wohl ähnlich wie beim Vereins-
register durch Einrichtung besonderer Rubriken eine genauere Differen-
zierung bezüglich der einzelnen Güterstände, der Angaben über die Aus-
schlieBung der Schlüsselgewalt und sonst noch interessierender Tatbe-
stände erzielen.
3. Zivilprozesse.
Wir hatten bereits darauf hingewiesen, daß der Zivilprozeß im we-
sentlichen den gegebenen Weg zur Austragung wirtschaftlicher Streitig-
keiten darstellt.?) Daher wird uns die Zivilprozeßstatistik auch vor allem
die Kenntnis wirtschaftlicher Verhältnisse übermitteln, und zur Lösung
wirtschaftlicher Probleme beizutragen vermögen.
Wir gelangen damit zu einem Gebiet, welches seit fünf Jahrzehnten
auf den Statistikerkongressen wiederholt behandelt wurde, und zum Gegen-
stande eingehender Vorarbeiten gemacht worden ist (Ivernés), aber
trotzdem in Deutschland heute noch nicht über den Rahmen der Ge-
schäftsstatistik hinausgelangt ist. Der Nutzen einer gut ausgebauten Sta-
tistik auf diesem Gebiete ist des öfteren betont worden, und wenn den-
noch die Entwicklung nicht den wünschenswerten Verlauf genommen hat,
so darf nicht verkannt werden, daß gerade bei diesem Gebiete größere
Schwierigkeiten vorhanden sind als bei vielen anderen Materien. In-
dessen halten wir sie doch nicht für unüberwindlich. Da der weitere Aus-
bau gerade der Zivilprozeßstatistik das dringendste Bedürfnis auf dem
Gebiete der Zivilrechtsstatistik ist, so wollen wir diese Materie etwas ein-
gehender behandeln.
Bei der Frage der Bedeutung des Zivilprozeßstatistik wird im all-
gemeinen auf das Erkennen der Konjunkturen im Wirtschaftsleben hin-
gewiesen, welche aus der Zu- und Abnahme der Anzahl der Prozesse zu
folgern wäre. In dieser Hinsicht wird von Hesse mit Recht darauf hin-
gewiesen, daß sich dies auf Grund des heutigen Materials nicht mit Sicher-
heit nachweisen l4Bt.*) In der deutschen Justizstatistik®) wird treffend
1) Ende 1906 waren Eintragungen vorhanden 133 245, 1907 wurden neu ein-
getragen 21 894, 1907 wurden gelöscht 54, Ende 1907 waren vorhanden 155 085
(J.M.Bl. S. 281, 1908).
2) 1907: 3889 (Bayer. Justizstatistik 1908, S. 49).
3) S. S. 17 Anm. 2.
4) Art.: Justizstatistik im Handwörterbuch, Bd. 5, S. 744.
5) 1909, S. 89/90.
70 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
ausgeführt, daß eine Vermehrung der Prozesse, namentlich der Schuld-
klagen, sowohl in einer günstigen Konjunktur, als auch in einer Ver-
schlechterung der wirtschaftlichen Lage ihren Grund haben kann. Die
erstere gibt leicht Anlaß zu einer verstärkten Inanspruchnahme des Kre-
dits wie auch zu übermäßigen Anschaffungen für den persönlichen Bedarf
auf Kredit, anderseits steigert sie das Vertrauen der Gläubiger und führt
dadurch zur Erleichterung der Kreditgewährung, die letztere erschwert
durch Entziehung der Mittel die Erfüllung der früher eingegangenen Ver-
bindlichkeiten und hat eine unerfreuliche Ausdehnung des Konsumtions-
kredits ım Gefolge. Infolgedessen können die Verhältnisse, welche den
Grund für die Zu- und Abnahme der Prozesse bewirken, weiter zurück-
liegen und brauchen diesen keineswegs unmittelbar vorausgegangen zu
sein. Sodann wird hinsichtlich des Wachsens der Zahl der Prozesse auf
den Einfluß der Bevölkerungszunahme hingewiesen, auch die mehr oder
minder große Streitsucht der Bevölkerung wird hervorgehoben!) und
Bosco?) betont den Einfluß, welchen eine Änderung in der Gesetzgebung
2. B. bezüglich der Zuständigkeit oder Prozeßkosten ausüben kann. In
diesem Zusammenhang berichtet Bosco?) über England, daß dort die
großen Prozessein Zeiten guter wirtschaftlicher Entwicklungzugenommen,
dagegen die Prozesse in den niederen Instanzen sich bei schlechter Kon-
Junktur vermehrt haben. Trotzdem stellt er in Europa als Entwicklungs-
linie hin: eine Abnahme oder wenigstens Stillstand bei den größeren Prozes-
sen, trotzdem die geschäftlichen Beziehungen wachsen. Die Gründe dieser
Erscheinung erblickt er in der zunehmenden Neigung, sich zur Vermei-
dung der Prozeßkosten und der Weitschweifigkeit des gerichtlichen Ver-
fahrens zu vergleichen, sowie in der besseren und genaueren Fassung der
Verträge.
Alle diese Gesichtspunkte sind zweifellos auf die Bewegung
der Prozeßanzahl von Einfluß, so daß auf die wirtschaftliche Konjunktur
nicht so ohne weiteres daraus geschlossen werden kann; diese bildet viel-
mehr nur im Verhältnis zu den anderen genannten Gesichtspunkten einen
Faktor, der auf die Zu- und Abnahme der Prozesse von Einfluß ist. Aber
dadurch wird der Bedeutung der Zivilprozeßstatistik nicht im geringsten
Abbruch getan, denn deren Wert allein in der Möglichkeit der Erkenntnis
der Konjunktur zu erblicken, hieße sie ziemlich gering einschätzen. So-
weit ein Erkennen der Konjunktur aus der Statistik möglich ist, würden
die betreffenden Prozesse doch nur Folgeerscheinungen darstellen, welche
nur bedingten Wert besitzen. Denn die wirtschaftlich viel größere Not-
wendigkeit des Vorauserkennens der Weiterentwicklung läßt sich auf die-
seın Wege nie erreichen, und der Nutzen läge nur darin, daß man beı
Kenntnis der genaueren Verhältnisse, namentlich von schädlichen Zu-
1) Haushofer, Lehrb. d. Stat. S. 444.
2) Stat. civile S. 47.
3) Stat. civile S. 48/49; vgl. auch die Ausführungen S. 55/56.
Zivilprozesse. 41
ständen in Zukunft vorbeugend MaBregeln zur Verhiitung gleicher Um-
stände treffen könnte.
Unter diesem einen Gesichtspunkte gelangen wir demnach nicht zur
Erkenntnis des Nutzens der ZivilprozeBstatistik. Zu diesem Zwecke müs-
sen wir uns vielmehr vor Augen halten, daß der Zivilprozeß, abgesehen
von einigen besonderen Verfahrensarten, den bereits behandelten Ehe-
scheidungs- und Statusprozessen, sowie den Prozessen, die vor Sonder-
gerichte wie Kaufmanns- und Gewerbegerichte gehören, der Kampf-
platz sämtlicher aus dem bürgerlichen Recht entspringenden Interessen-
kollisionen bildet. Zwar nehmen die wirtschaftlichen Interessen den
weitaus breitesten Raum ein, aber diese treten in einer Vielgestaltigkeit
auf und entspringen so mannigfachen Lebensverhältnissen, daß ja ge-
rade ihre Einpassung in ein Schema, ihre Zusammenfassung für die sta-
tistische Bearbeitung die hauptsächlichste Schwierigkeit bietet. Die Tat-
bestände sind in ihrem Wesen so verschieden, daß eben eine zusammen-
fassende Darstellung über die Bedeutung der Zivilprozeßstatistik kaum
gegeben werden kann, oder man sich auf die ganz allgemeine Bemerkung
beschränken muß, daß sie ein wertvolles Erkenntnismittel für die Beur-
teilung wirtschaftlicher Zustände ist. Hinzufügen ließe sich noch, daß
die Zivilprozeßstatistik gewissermaßen die Ergänzung zur Kriminalsta-
tistik bildet und daher die Kenntnis beider notwendig ist, um ein er-
schöpfendes Bild von den Erscheinungen des Rechtslebens zu gewinnen.
Dies ıst insofern von Bedeutung, als die Abgrenzung von Straf- und Zivil-
recht nicht überall gleich ist.)
Da eine zusammenfassende Würdigung der Zivilrechtsstatistik ein
befriedigendes Ergebnis nicht mit sich bringt, so muß dahin gestrebt
werden, das große Gebiet des Zivilrechts in möglichst wesensgleiche Ab-
schnitte zu zerlegen, die in ihrem Aufbau und ihren Zielen so homogen
sind, daß sich aus ihrer Besonderheit die Bedeutung einer statistischen
Erfassung ergibt. Mit anderen Worten: es muß der Zivilprozeß nach dem
Gegenstande?) ausgeschieden und getrennt dargestellt werden. Hier
setzen aber die eigentlichen Schwierigkeiten ein, die nicht nur für die
theoretische Untersuchung nach der Bedeutung der Zivilprozeßstatistik
sondern in gleicher Weise für die praktische Gestaltung gelten.
Die Forderung der Trennung der Zivilprozesse nach dem Gegenstande
ist bereits auf dem internationalen Statistikerkongreß zu Paris 18553)
1) Bulletin 1899, S. 135. (In England gehören Beleidigungssachen z. B. vor die
Zivilgerichte.)
2) Es findet sich auch der Ausdruck: Trennung nach dem Objekt. Damit kann
leicht Verwirrung angerichtet werden, weil man darunter in der Praxis den Wert des
Streitgegenstandes versteht. „Gegenstand“ ist die treffendste Bezeichnung, denn
darunter versteht die juristische Theorie das, was zu leisten ist.
3) Böhmert, Sachs. Stat. B. Z. 1879, S. 51, man verlangte Trennung in Ehe-
scheidungs-, Alimentations-, Erbrechts- usw. Klagen.
72 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
aufgestellt und letzthin in Petersburg 18971) wiederholt worden; auch
in der Theorie ist wiederholt auf dieses Erfordernis hingewiesen
worden.?)
In der Praxis ist diese Scheidung bereits teilweise durchgeführt, die
französische Statistik nennt die Gesetzbücher und die einzelnen Ab-
schnitte, deren Normen angezogen worden sind. Auch in Österreich
unterscheidet man nach dem Gegenstande des Prozesses. Der Kanton
Bern scheidet in seiner Statistik der Rechtspflege zwischen Streitig-
keiten aus Personenrecht, Immobiliarsachenrecht, Mobiliarsachen- und
Obligationenrecht, die Erbschafts- und Testamentsstreitigkeiten.?) Aber
gerade bei der Differenzierung der Rechtsstreitigkeiten nach dem Gegen-
stande macht sich die Eigenart des Zivilrechts geltend, wie auch stets an-
erkannt worden ist.
Während beim Strafrecht, wie bereits erwähnt®), die Anklage wie das
Urteil auf eine ganz bestimmte Norm des Gesetzes Bezug nehmen müssen,
und damit die Handhabe für die Ausscheidung geboten ist, braucht eine
Zivilklage sich nicht ausdrücklich auf eine gesetzliche Bestimmung zu
stützen. Vorgeschrieben ist für den Inhalt der Klageschrift, abgesehen
von gewissen äußerlichen Erfordernissen die bestimmte Angabe des Ge-
genstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie ein betimm-
ter Antrag (§ 253 ZPO.). Entsprechend dem alten Satze: „da mihi fac-
tum, dabo tibi ius“ ist es dann Sache des Richters, den ihm unterbreiteten
Tatbestand unter die für seine Entscheidung maßgebenden Rechtssätze
zu subsumieren. Der Kläger ist auch für den Lauf des Prozesses nicht
ohne weiteres an die in der Klageschrift enthaltenen Angaben gebunden,
sondern kann innerhalb gewisser Grenzen noch Abänderungen vorneh-
men (§§ 264, 268 ZPO.). Hieraus werden sich Schwierigkeiten nicht er-
geben, da ja der Tatbestand nur in der Gestaltung in Betracht kommt,
wie er zur Zeit der Urteilsfällung vorlag. Nun bietet aber ein zivilistischer
Tatbestand insofern Besonderheiten, als Anspruch wie Urteil auf den ver-
schiedensten Normen beruhen können. Schon die einfache, alltägliche
Kaufklage stützt sich fast regelmäßig einmal auf den Vertrag und ferner
auf den Anspruch aus der ungerechtfertigten Bereicherung. Die Verbin-
dung kontraktlicher Klagen mit der Kondiktion, d. h. der Klage aus un-
gerechtfertigter Bereicherung, oder dem Anspruch aus unerlaubter Hand-
1) Bulletin 1899, 8.134. Als Mindesterfordernis einer Zivilprozeßstatistik
wurde dort bezeichnet:
a) le nombre des procès suivant la nature de l’object controversé,
b) le montant des sommes en litige,
c) les résultats de la contestation et des appels pour les parties en litige.
2) „Mitteilungen“ in Hildebrands Jahrb. 1865, S. 35. Hesse, Zivilprozeßstati-
stik a. a. O. 14/63; Bosco, Stat. civile S. 56; Haushofer, Lehrb. d. Stat. S. 445;
Bulletin 1899. S. 136.
3) Hesse, Zivilprozeßstatistik a. a. O. S. 63.
4) S. S. 20.
Zivilprozesse. 73
lung ist so häufig, daß daraus noch nicht einmal unüberwindliche Schwie-
rigkeiten entspringen werden, da man diese Kombination in der statisti-
schen Bearbeitung von vornherein berücksichtigen könnte. Ebenso liegt
es bei der sogenannten objektiven Klagehäufung, d. h. der Verbindung
mehrerer Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten (§ 260 ZPO.).
Diese Fälle würden an sich, soweit sie auf nur einfachem Sachverhalt
beruhen, für die statistische Erfassung keine Hindernisse bieten. Zu über-
legen wäre nur, ob man sie für die statistische Darstellung trennen oder
in ihrer Kombination darstellen will.
Bedenken ergeben sich erst aus den oft sehr komplizierten Tatbe-
ständen und vor allem in den Fällen, die sich unter eine bestimmte Ver-
tragstype nicht bringen lassen, und eine condictio oder unerlaubte Hand-
lung nicht darstellen, sondern nach Art der römischen unbenannten Real-
kontrakte (Innominatkontrakte) unter die allgemeinen Vertragsregeln
fallen bzw. nach Analogie des ihnen am meisten verwandten Vertrages
entschieden werden müssen. Gerade das moderne Recht begünstigt mit
seiner freieren Gestaltung und seiner leichteren Anpassungsfähigkeit an
die täglich wechselnden Anforderungen des Wirtschaftslebens diese Ent-
wicklung. Je mehr der Richter sich der ihm vom Gesetzgeber gestatteten
Bewegungsfreiheit bewußt wird, destomehr wird er diese Bahn betreten,
wie sie vom höchsten Gerichtshof in mustergültiger Art immer wieder
gewiesen wird. Daraus allein schon erhellt, daß eine noch so weitgehende
Spezialisierung der im Zivilprozeß zutage tretenden Erscheinungen des
Rechtslebens an der Hand der im Gesetz normierten und fixierten Tat-
bestände keine erschöpfende Beachtung gestatten würde. Eine Beobach-
tung im Anschluß etwa an die einzelnen Normen des Privatrechts (Bür-
gerliches Gesetzbuch, Handelsgesetzbuch,- Konkurs-, Wechselordnung
usw.) verbietet sich aus praktischen Gründen von selbst, da es sich um
Tausende von einzelnen Bestimmungen handelt. Eine Beobachtung in
der Art, daß Gruppen von Normen zusammengefaßt werden, wie die-
jenigen über Kauf, Tausch, Miete, Pacht, Eigentum, Hypothek, Pfand-
recht, Unterhaltsansprüche würde die oben bezeichneten Tatbestände,
welche sich nicht unter bestimmte Normen einreihen lassen und bei der
angegebenen Entwicklungstendenz beständig zunehmen werden, nicht
mit erfassen und ein großes Kontingent für die Spalte „Sonstiges“ er-
geben. Damit wären sie aber für die Verarbeitung des gesammelten Mate-
rials so gut wie verloren, und würden irgendwelche Kenntnis über wirt-
schaftliche Verhältnisse kaum übermitteln können.
Eine Ausscheidung nach dem Gegenstande des Prozesses, die auch
nur einen größeren Bruchteil des gesammelten Materials der Verarbeitung
doch nicht zugänglich macht, muß natürlich als verfehlt betrachtet wer-
den. In dieser Hinsicht sind die Erfahrungen der Belgischen Statistik
aus den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu beachten, über
welche in den Mitteilungen des Thüring. Statistischen Bureaus über
74 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
die „Organisation der Statistik der Rechtspflege“ berichtet wird.1) Bei
der Ausscheidung der Rechtsstreitigkeiten nach dem Gegenstande er-
gaben sich dort bis zu drei Vierteilen sämtlicher Fälle für die Spalte
„autres matières‘“‘. Daraus braucht aber auch anderseits noch nicht der
Schluß gezogen zu werden, daß ein besseres Ergebnis auch in der Gegen-
wart nicht zu erzielen wäre. Die Stoffgewinnung der belgischen Statistik
beruhte damals auf dem Listenverfahren. Es liegt auf der Hand, daß bei
der verhältnismäßig geringen Anzahl von Möglichkeiten, welche dieses
Verfahren für die Rubrizierung und damit für die statistische Erfassung
gestattet, infolge der oft groBen Kompliziertheit der Tatbestände des
Zivilprozesses die Zahl der nicht unterzubringenden Fälle leicht sehr
groß ist.
Diese Schwierigkeit läßt sich jedoch durch Anwendung der Indivi-
dualzählkarte überwinden. Hier ist die Möglichkeit geboten, je nach der
Lage des Falles sich entweder auf die für die Entscheidung angezogenen
Normen zu beziehen, oder den Tatbestand kurz anzudeuten, wodurch
dann gleichzeitig auch die Innominatkontrakte spezialisiert würden. An
der Hand dieses Urmaterials wäre es dann Sache der Verarbeitungsstelle,
in welcher Weise sie die Zusammenfassung nach dem Gegenstande vor-
nehmen will. Dieses Verfahren hat sich nach der Praxis des Statistischen
Amtes in Halle a. S. bei den Zählkarten für das Kaufmanns- und Ge-
werbegericht durchaus bewährt.
Nun könnte man einwenden, daß die verhältnismäßig einfachen Tat-
bestände der Kaufmanns- und Gewerbegerichte nicht mit dem häufig sehr
verwickelten Sachverhalt bei den gewöhnlichen Zivilprozessen verglichen
werden könnten. Gelingt es uns, auch diesem Bedenken zu begegnen,
so dürften wir den hauptsächlichsten Einwand gegen eine Ausscheidung
der bürgerlichen Rectsstreitigkeiten nach dem Gegenstande zurückge-
schlagen haben. Wir glauben auch hier einen gangbaren Weg in Vorschlag
bringen zu können.
Die komplizierten Tatbestände sind oft nicht leicht für eine statisti-
sche Erfassung auf eine einfache Juristische Formel zu bringen. Dieses
Hindernis könnte vielleicht dadurch beseitigt oder doch wesentlich ge-
mindert werden, daß man in allen Fällen, wo eine präzise Angabe unter
Bezugnahme auf eine gesetzliche Norm nicht möglich ist, den Streit-
gegenstand nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten qualifiziert.
Die Rechtssätze, welche im allgemeinen Abstraktionen aus den kon-
kreten Tatbeständen des sozialen Lebens darstellen, sind im Rechts-
system zu einem logischen Aufbau zusammengefaßt und aneinander-
1) Hildebrands Jahrb. 1865 (Bd. 4) S. 36/37. Die Hindernisse, welche aus der
Zersplitterung des bürgerlichen Rechts hergeleitet werden, haben jetzt unter der Herr-
schaft des BGB. nur noch historisches Interesse, oder gelten nur für die internatio-
nale Rechtsstatistik.
Zivilprozesse. = 45
Lebensverhältnisse diesem Gedankengange anzupassen und unterzuord-
nen. Bei der unendlichen Fülle der Lebenserscheinungen, ihrem immer-
währenden Wechsel und ihrer fortwährenden Neugestaltung liegt es auf der
Hand, daß die Abstraktionen nicht immer ausreichen werden, und oft
Schwierigkeiten entstehen, um die konkrete Wirklichkeit damit zu mei-
stern. Da erscheint nun nichts natürlicher als die Vorgänge, welche uns
durch die statistische Beobachtung die Kenntnis wirtschaftlicher Ver-
hältnisse übermitteln sollen, auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten
auszuscheiden. Die Eingliederung unter die gesetzliche Norm hat ja doch
nur den Zweck, dem Richter die Handhabe für seine Entscheidung zu
bieten, während der statistischen wissenschaftlichen Beobachtung nicht
daran gelegen ist, zu erfahren, wie oft der einzelne Rechtssatz zur Anwen-
dung gelangt ist, sondern umgekehrt aus der Bezeichnung der gesetz-
lichen Bestimmung in Verbindung mit anderen Faktoren tatsächliche
Vorgänge des menschlichen Lebens erfassen will. Wo nun die Einreihung
unter das Gesetz wegen der Kompliziertheit in rechtlicher Beziehung
Schwierigkeiten bietet, dürfte es das Gegebene sein, den direkten Weg
einzuschlagen und die Tatbestände nach wirtschaftlichen Momenten zu
charakterisieren. Zu diesem Zwecke müßte das ganze bürgerliche Recht
nach wirtschaftlich-systematischen Gesichtspunkten aufgeteilt werden.
Als Unterlage könnten hierzu die Studienpläne für den Rechtsunterricht
an Handelshochschulen genommen werden. Wir entnehmen dem von
Wimpfheimer der Handelshochschule in Mannheim unterbreiteten
Plan folgende Aufteilung, die nur den Plan andeuten soll, aber keines-
wegs eine erschöpfende Aufteilung bietet; sie soll auch weniger als Muster
dienen, als vielmehr das Prinzip dartun’):
1. Recht des Güteraustausches (Kauf, Vorkaufsrecht, Differenzge-
schäft, Spiel, Wette, Patentlizenzvertrag, Eigentum, kaufähnlicher
Eigentumserwerb);
2. Recht der Güterüberlassung (Miete, Pacht, Leihe, Lager, Erbbau,
Nießbrauch, Dienstbarkeitenauszugsrecht) ;
3. Recht der Arbeitsleistung (Dienst-, Werkvertrag, Agent, Prokurist,
Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag);
4. Kreditgeschäft (Darlehen, Wechsel, Scheck, Anweisung, Bürg-
schaft, Pfand, Hypothekenrecht, Zession, Schuldiibernahme) ;
5. Gemeinschaftsform (Gesamtgläubiger, Gesamtschuldner, Giiterge-
meinschaft, Gesellschaft) ;
6. Unrechte Tat (unerlaubte Handlung, unlauterer Wettbewerb, Haft-
pflichtgesetz, Automobilgesetz usw.).
Unter den Hauptgruppen nach wirtschaftlichen Momenten könnten
dann die einzelnen Rechtsgeschäfte in besonderen Abteilungen unter-
1) Wimpfheimer, Der Rechtsunterricht an technischen und Fachhochschulen,
in Büchers Zeitschr. f. ges. St. W. 1910, S. 734.
76 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtastatistik.
gebracht werden, soweit ihre Bezeichnung nach Gesetzesnormen zwei-
felsfrei ist, und in einer besonderen Spalte wären die Innominatkontrakte
und die Tatbestände einzugliedern, die sich auf eine einfache rechtliche
Formel nicht bringen lassen. Bei diesem Vorgehen ist es kaum möglich,
daß, wie bei dem angezogenen Beispiel aus der belgischen Statistik, die
Spalte „Sonstiges“ bis zu drei Viertel sämtlicher Tatbestände umfaßt.
Diese Fälle verteilen sich zum größten Teil auf die Hauptgruppen und
werden für die statistische Bearbeitung zugänglich, da sie ja in ihren wirt-
schaftlichen Grundzügen erkennbar sind. Die Aufteilung in die wirt-
schaftlichen Hauptgruppen wird die Möglichkeit bieten, auch die kom-
pliziertesten Tatbestände unterzubringen. Bei der alleinigen Ausschei-
dung nach rechtlichen Gesichtspunkten konnte für die Rubrizierung unter
10, 12 Rechtsfragen nur die Hauptfrage als entsprechend angesehen wer-
den, und es entstand die neue Frage, welches ist die Hauptfrage.!) Aber
so kompliziert wird kaum ein Sachverhalt sein, daß er sich nicht wirt-
schaftlich irgendwie bezeichnen ließe. Die objektiven Klagkumulationen
müßten natürlich in diesem Falle nach den einzelnen Ansprüchen ge-
trennt werden.
Der Einwurf könnte noch erhoben werden, daß bei diesem Verfahren
in ihrem Wesen so verschiedene Ansprüche wie etwa die persönliche Dar-
lehnsklage und die dingliche Hypothekenklage zusammengefaßt würden.
Aber einmal ist diese Unterscheidung wiederum eine hauptsächlich juri-
stische, während vom wirtschaftlichen Standpunkt das Wesentliche das
Kreditgeschäft ist, und anderseits bliebe die Unterscheidung durch die
Trennung in Untergruppen gewahrt und kenntlich.
Den mit der Herstellung des Urmaterials betrauten Beamten würde
für die Fälle, bei denen Bezeichnung nach bestimmten Paragraphen nicht
möglich ist, ein Schema über die Einteilung nach den Hauptgruppen an
die Hand gegeben, unter Umständen wäre in diesen Fällen die Mitwir-
kung des Richters erwünscht, die um so wertvoller wäre, als mit der fort-
schreitenden volkswirtschaftlichen Schulung auch der Richter eine Ga-
rantie für eine zuverlässige Rubrizierung geboten wäre. Diese wirtschaft-
lichen Hauptgruppen wären aber nicht nur für die Herstellung des Ur-
materials in Betracht zu ziehen, sondern müssen gleichzeitig die Grund-
lage für die Aufbereitung und Verarbeitung des gesammelten Materials
bilden. Für die praktische Durchführung würde es sich empfehlen, eine
Vorerhebung in kleinerem Umfange darüber zu veranstalten, welche Fälle
den Gerichten etwa im Laufe eines Jahres tatsächlich vorgelegen haben,
die Erhebung würde für einige Landgerichtsbezirke genügen, darunter
müßten solche mit ausgesprochen ländlichem bzw. städtischem Charakter
sich befinden.
1) „Mitteilungen“ in Hildebrands Jahrb. 1865, S. 36.
Zivilprozesse. Vi
Damit glauben wir dargetan zu haben, daB eine Ausscheidung der
Zivilrechtsstreitigkeiten nach dem Gegenstande möglich und bis zu einem
gewissen Grade erschöpfend durchführbar ist.
Bei einer Ausscheidung der Rechtsstreitigkeiten etwa nach dem an-
gedeuteten Prinzip in wirtschaftliche Hauptgruppen ergäbe sich die Be-
deutung der Zivilprozeßstatistik faßt vonselbst. Hier treten die verschiede-
nen Beziehungen, welche beim Güteraustausch entweder unter den Men-
schen oder zwischen dem Menschen und dem Sachgut unmittelbar ge-
kniipft sind, soweit sie dem Gericht vorgelegen haben, deutlich hervor,
und lassen sich in ihrer Wichtigkeit fiir Konsumtion und Produktion klar
erkennen. Um nur einiges herauszugreifen. Wie bedeutsam wäre es, im
Zeitalter des Kredits über die Ausdehnung und Gestaltung dieser wirt-
schaftlichen Verkehrsform, namentlich über die daraus entspringenden
Interessenkollisionen, näheres zu erfahren, zumal die besonderen For-
men aus den nach rechtlichen Gesichtspunkten ausgeschiedenen Unter-
abteilungen ersichtlich wären. Ferner wäre die Kenntnis der Streitig-
keiten aus den verschiedenen Gestaltungen wirtschaftlicher Unterneh-
mungsformen, welche wir oben bereits zum Teil kennen gelernt haben,
interessant, wie überhaupt die Rechtsstreite aus den verschiedenen Ge-
meinschaftsformen der menschlichen Gesellschaft. Schließlich sei noch
auf die Prozesse aus dem Arbeitsverhältnis im weitesten Sinne hinge-
wiesen. Während für die Beurteilung der Verhältnisse bei den gewerb-
lichen Arbeitern und kaufmännischen Angestellten die Statistik der Ge-
werbe- und Kaufmannsgerichte in Betracht kommt, böte unsere Diffe-
renzierung den wichtigsten Beitrag zur Kenntnis des Arbeitsrechts, der
in Anbetracht der Bestrebungen nach der Umgestaltung dieser gesamten
Materie besonders wertvoll wäre. Diese Hinweise mögen genügen.
Der Einwurf, daß diese Ausscheidungalleinim wissenschaftlichen
Interesse erfolgen würde, greift nicht durch, denn auch die Gesetzgebung
und Rechtspolitik hätte durch die Unterabteilungen nach rechtlichen Ge-
sichtspunkten einen wichtigen Anhalt und eine bedeutende Erleichterung
in der Verwendung der Zivilrechtsstatistik für ihre besonderen Zwecke.
Der Gegenstand des Rechtsstreites ist aber nur ein Faktor, der zur
Erkenntnis wirtschaftlicher Verhältnisse mit beitragen kann. Dazu tre-
ten noch eine ganze Reihe von Momenten, welche ebenfalls bedeutsam
sind, und erst durch ihre gegenseitige Kombination erreichen wir den-
jenigen Stand der statistischen Bearbeitung, welcher uns wirklich wert-
volle Aufschlüsse über die einschlägigen Fragen verschaffen kann. Na-
mentlich ist der Beruf der Prozeßparteien zu berücksichtigen. Gerade
die Berücksichtigung dieses Momentes vermag in Verbindung mit der
Frage nach dem Gegenstande und ferner der Höhe des Streitgegenstandes,
dem Objekt), interessante Aufschlüsse zu geben. Die Scheidung nach
1) Vgl. 8.71 Anm. 2.
78 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
dem Objekt ist erforderlich, um auch den Anteil und die Verteilung der
kleinen Prozesse auf die einzelnen Gruppen verfolgen zu können. Das
ıst insofern von Bedeutung, als die kleineren Prozesse von der großen
Masse des Volkes zur Wahrung seiner Interessen anhängig gemacht wer-
den, und daher für die Beurteilung wirtschaftlicher Vorgänge gerade der
unteren Schichten besonders zu berücksichtigen sind.!) Die Höhe des
Objektes aus der verschiedenen Zuständigkeit zu folgern, ist bei dem ziem-
lich bedeutenden Spielraum, den die Gesetzgebung zumal in der neuesten
Entwicklung auch in der untersten Instanz bereits bietet, nicht einmal
annäherungsweise möglich. Die deutsche Justizstatistik enthält in dieser
Richtung nichts, während die ausländische Statistik (z. B. die franzö-
sische) einiges darüber bringt. Aus dem Umstande, daß oft nur ein Teil-
betrag zur Vermeidung höherer Kosten eingeklagt wird, läßt sich gegen
die Wichtigkeit dieser Differenzierung kein Grund herleiten. Hesse?)
weist mit Recht darauf hin, daß sich darüber leicht Klarheit durch einen
Vermerk auf der Zählkarte verschaffen ließe.
Festzustellen wäre dann noch die ProzeBart (Urkunden, Wechsel-
prozeß), die Erledigung (Urteil, Vergleich) und die Dauer der Prozesse.
Auch der Zahlungsbefehl verdient in hohem Grade Beachtung. Es ge-
nügt aber nicht nur die Zahl der erlassenen Befehle, man müßte auch
etwas über die Zahl der Summen und Berufe der beteiligten Personen er-
fahren. Daraus werden sich u.a. Mißstände erkennen lassen, die ein Ein-
greifen am rechten Orte ermöglichen.°) Dazu kämen dann noch die
Kosten, und zwar nicht die vom Staate für die Rechtspflege veraus-
gabten Summen, sondern die von den Parteien für die Inanspruchnahme
des Gerichts geleisteten Beträge, namentlich im Verhältnis zur Größe des
Objekts, um erkennen zu können, wie teuer das Recht sich für die Par-
teien gestaltet, und welche Streitigkeiten die meisten Kosten verur-
Sachen 7) Wünschenswert wäre diese Feststellung nicht allein für den
Prozeß, sondern für alle Materien. In engem Zusammenhang damit steht
die Frage des Armenrechts. Auch nach dieser Richtung orientiert zu
werden, würde volkswirtschaftlich von Interesse sein.
Schon bei geringer Änderung der heute geübten Aufzeichnungen und
Eintragungen in den Registern und Kalendern würde sich eine viel rei-
chere statistische Ausbeute ergeben. Gesichtspunkte, wie der Streit-
gegenstand, der Streitwert, Prozeßkosten und die Frage des Armenrechts
ließen sich feststellen und damit für die Beantwortung wirtschaftlicher
Fragen dienstbar machen P Ä
1) Bosco, Stat. civile, S. 51.
2) Zivilprozeßstatistik a. a. O. S. 64.
3) Vgl. die trefflichen Ausführungen in den „Mitteilungen“, Hildebrands Jahrb.
Bd. 4 (1865), S. 38/39.
4) Vgl. „Mitteilungen“ in Hildebrands Jahrb. Bd. 4 (1865), S. 107; Haushofer,
Lehrb. d. Statistik, S. 445; Hesse, Zivilprozeßstat. a. a. O. S. 63.
5) Hesse, a. a. O. S. 6/7.
Zivilprozesse. 79
Die ,,Deutsche Justizstatistik‘ ist in ihrer heutigen Gestaltung der
Geschäftsstatistik weit entfernt, den Anforderungen zu genügen, welche
wir als wünschenswert bezeichnet haben, wenn sie weiteren Aufgaben
genügen soll, als nur der Justizverwaltung zur Unterlage für ihre Zwecke
zu dienen. Daß sie in ihrer heutigen Aufmachung nicht dazu imstande
ist, zeigt die wiederholt genannte Arbeit von Hesse.!) Auf dessen Aus-
führungen kann auch bezüglich der Kritik im einzelnen verwiesen werden.
Nur einige Angaben seien noch über den Inhalt der „Deutschen Justiz-
statistik‘ gemacht.
Im ersten Abschnitt der ProzeBstatistik, welche die bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten umfaßt, werden zunächst die Mahnsachen, ordent-
lichen und Urkundenprozesse dargestellt. Hinsichtlich der vermögens-
rechtlichen Streitigkeiten werden die drei genannten Verfahrensarten zu-
nächst nach ihrer Zahl für die einzelnen Oberlandesgerichte behandelt,
das Verhältnis der einzelnen ProzeBarten zueinander untersucht, die Er-
gebnisse des Mahnverfahrens geschildert, der Anteil der Landgerichte so-
wie der Kammern für Handelssachen an den erstinstanzlichen Prozessen
festgestellt und schließlich die verhältnismäßige Häufigkeit des Gebrauchs
der Rechtsmittel bei den verschiedenen Verfahrensarten berücksichtigt.
Der zweite Abschnitt enthält die Ehe- und Entmündigungssachen. Im
dritten Abschnitt wird für alle Prozesse das Verhältnis der mündlichen
Verhandlungen zu den anhängig gewordenen Prozessen, dasjenige der
kontradiktorischen Verhandlungen zu den Verhandlungen überhaupt be-
rechnet, und schließlich eine Übersicht über das Verhältnis der verschie-
denen Arten von Ergebnissen der mündlichen Verhandlungen in erster
wie in den Rechtsmittelinstanzen gegeben. Zum Schluß (IV. Abschnitt)
wird die Dauer der Prozesse betrachtet und zwar die Dauer von der Ein-
reichung der Klage bzw. Rechtsmittelschrift bis zum ersten Verhand-
lungstermin und bis zum Endurteil bei den verschiedenen Gerichten und
in den verschiedenen Instanzen.
Die amtliche Statistik bietet somit in reichlicher Gliederung ein Bild
der einzelnen richterlichen Geschäfte, aber nicht der einzelnen Rechts-
streitigkeiten, vor allem wäre nach unseren früheren Ausführungen die
Ausscheidung nach dem Gegenstand, der Höhe des Streitwertes und dem
Beruf der Prozeßparteien anzustreben. Voraussetzung dazu wäre aller-
dings eine Änderung in der Art der Stoffgewinnung durch Einführung der
Individualzählkarte. Da es sich um sekundäre Statistik handelt, d. h.
um Ausbeutung von Aktenmaterial, so kann ohne Belästigung des großen
Publikums die Ausstellung einer Zählkarte den in Betracht kommenden
Beamten zugemutet werden.?)
Auch einige Städte bringen in ihren Jahresberichten Mitteilungen
über die Tätigkeit der in ihrem Gebiete belegenen Gerichte, so Char-
1) Zivilprozeßstatistik in Conrads Jahrb. Bd. 34 (1907), S. 1ff.
2) v. Mayr, Stat. u. Ges. Bd. 3, S. 21.
SO II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
lottenburg, Frankfurt a. M., Elberfeld, Liibeck, Miinchen, Wiesbaden,
Dresden. Frankfurt a. M., München und Elberfeld liefern auch die Er-
gebnisse der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
4. Kaufmanns- und Gewerbegerichte.
Die Statistik der Kaufmanns- und Gewerbegerichte verdient inso-
fern Interesse, als aus den dort geführten Prozessen ein Beitrag für die
Beurteilung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
im weiteren Sinne, und damit Material für das Gebiet der sozialen Klas-
sengegensitze und Klassenüberbrückung gewonnen wird. Beachtenswert
in dieser Hinsicht ist die Funktion der Gewerbegerichte als Einigungs-
ämter bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und -nehmern über Fort-
setzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses auf Anrufen
beider Teile. Die Miteinbeziehung dieser Gerichte in die Statistik der
Zivilrechtspflege wurde auch vom Internationalen Statist. Institut in
Petersburg gefordert.!) Nach unserer Formulierung des Begriffs der Sta-
tıstik der Zivilrechtspflege gehören die Sondergerichte in ihr Arbeitsbe-
reich, da sie wichtige Organe der Rechtspflege darstellen und eine be-
deutsame Ergänzung und einen wichtigen Ausbau der ordentlichen Zivil-
gerichte bilden.
Das Material über die Tätigkeit der Gewerbe- und Kaufmannsge-
richte erlangen wir aus den verschiedensten Quellen. Aber auch hier
haben wir es, abgesehen von wenigen Ausnahmen, mit einer reinen Ge-
schäftsstatistik zu tun. Das Material für die amtlichen Publikationen
wird in der Weise gewonnen, daß die einzelnen Gerichte für das Kalender-
Jahr Berichte nach vorgeschriebenem Muster an die Zentralbehörde ihres
Bundesstaates (Preußen: Ministerium für Handel und Gewerbe) einrei-
chen. Diese machen dann das Material gleich für sich nutzbar, während
die Bearbeitung für das Reich im Reichsamt des Innern vorgenommen
wird. Die Veröffentlichung erfolgt im Reichsarbeitsblatt?), sie bringt die
Organisation und Geschäftstätigkeit der beiden Gerichte. Gegenüber der
ZivilprozeBstatistik ist die Gliederung insofern etwas weitgehender, als
der Wert des Streitgegenstandes berücksichtigt, und bei den Gewerbe-
gerichten die Klagen danach gesondert werden, ob sie zwischen Arbeit-
geber und Arbeitnehmer unter Kennzeichnung der Parteirolle oder zwi-
schen Arbeitnehmern desselben Arbeitgebers geschwebt haben. Ent-
sprechend ist die Scheidung bei den Kaufmannsgerichten, außerdem ist
hier auch noch der Gegenstand der Klage angegeben.
Auf dieser Unterlage beruhen im wesentlichen alle amtlichen Mit-
teilungen*), sowohl der Einzelstaaten als auch der Kommunen.
1) S. S. 15.
2) Für 1908 im RABI. 1909, Nr. 8, S. 611 ff.
3) Vgl. z. B. Stat. Jahrb. d. Deutschen Reichs 1909, 296/97 für 1907, Stat. Jahrb.
f. Preußen 1908, S. 215/16, Stat. Jahrb. f. Sachsen 1907, S. 240.
Kaufmanns-, Gewerbe-Gerichte. 5. Sonstige Organe der Rechtspflege. 81
Da die Kaufmanns- und Gewerbegerichte meist städtische Einrich-
Longen sind, so bieten die Berichte der kommunalstatistischen Ämter reich-
liches Material. Einige von diesen berücksichtigen auch bei den Gewerbe-
gerichten den Streitgegenstand!), wie überhaupt die kommunalstatisti-
schen Ämter recht oft über den Rahmen der Geschäftsstatistik hinaus-
gehen, insofern sie mehr oder minder eingehend die an den gewerbege-
richtlichen Rechtsstreitigkeiten beteiligten Parteien nach Berufsarten
und Gewerbegruppen aussondern.?) Naturgemäß findet auch die Tätig-
keit der Gewerbegerichte als Einigungsämter Berücksichtigung. Eine zu-
sammenfassende Darstellung bietet auch das statistische Jahrbuch deut-
scher Städte. Hier wird auch ein neues Moment beleuchtet, indem die
Kosten und die Einnahmen der beiden Gerichte dargestellt werden.?) Zu-.
weilen ist hier auch bereits die Benutzung von Zählkarten eingeführt,
z. B. in Halle a. S., wodurch jede gewünschte Differenzierung ermöglicht
wird.
5. Sonstige Organe der Rechtspflege.
Neben den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten kommen noch weitere
Organe in Betracht, die neben den erforderlichen Gerichten eine mehr oder
minder wichtige Rolle in der Rechtspflege spielen.
Zunächst seien die Gemeindegerichte genannt. Es sind dies Ge-
richte, welche für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis 60 M. neben
den ordentlichen Gerichten zulässig sind ($ 14 Nr. 3 Ger.Verf.Ges.),
und namentlich in Süddeutschland bestehen. Daher finden wir auch
Berichte über ihre Tätigkeit in Mannheim und Stuttgart.
Ein Organ, welches nach der augenblicklichen Gerichtsverfassung
für das bürgerliche Recht eine ziemlich untergeordnete Bedeutung be-
sitzt, das aber gleichwohl hier genannt werden muß, sind die Schieds-
männer. In der Praxis liegt gegenwärtig ihre hauptsächlichste Bedeutung
auf strafrechtlichem Gebiet als obligatorische Sühneinstanz bei Beleidi-
gungen und Körperverletzung.*) Auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts
liegt das Interesse der Schiedsmänner in ihrer Tätigkeit als Vergleichs-
organe, da sie z. B. für Preußen die gesetzliche Instanz für die gütliche
Schlichtung vermögensrechtlicher Streitigkeiten bilden, falls die Par-
teien dies beantragen P) Volkswirtschaftlich ist das insofern von Be-
1) z. B. Breslau, Dresden, Elberfeld, Halle a. S., München, Straßburg.
2) z. B. Charlottenburg, Coblenz, Elberfeld, Halle a. S., München, Deutsch-
Wilmersdorf, Dresden und Breslau. Reichhaltiges Material enthalten auch gerade
nach dieser Richtung hin oft die Berichte der Kaufmanns- und Gewerbegerichte, vgl.
z. B. für Halle a. S. Bericht für 1909, S. 4.
3) Stat. Jahrb. deutscher Städte 1909, 8. 221.
4) StPO. $420. 1905 wurden in Preußen die Schiedsmänner angerufen in
Strafsachen in 201 610 Fällen, in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten in 6944 Fällen,
davon wurden durch Vergleich erledigt 3240 Fälle (JMBl. 1906, S. 137).
5) Schiedsmanns-Ordn. v. 29. März 1879 (Ges. S. S. 321).
Rusch: Statistik der Zivilrechtspflege. 6
déi
82 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
i
deutung, als sich hieraus in Verbindung mit der Tätigkeit der Prozeß-
gerichte feststellen läßt, wieviel Interessenkollisionen im Wege gütlicher
Einigung beigelegt worden sind.
Berichte über die Tätigkeit der Schiedsmänner finden sich teilweise
in Berichten der Einzelstaaten, so z. B. Preußen im Justizministerial-
blatt1), das unter den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten den Vergleich ge-
sondert aufführt. Von Städten berichtet Schöneberg?), das ebenfalls
die Erledigung durch Vergleich aussondert.
Von größerer Wichtigkeit für die statistische Beobachtung sind die
Rechtsauskunftsstellen. Die Kompliziertheit des modernen Rechts in
seiner Vielgestaltigkeit einerseits, sowie die verhältnismäßig hohen Kosten
der Inanspruchnahme eines Anwaltes anderseits ließen es erwünscht er-
scheinen, den minderbemittelten Kreisen der Bevölkerung, welche in-
folge ihrer geringeren Bildungsstufe erst recht des Rates und der Zurecht-
weisung bedarf, eine unentgeltliche Gelegenheit dazu zu schaffen. Zur
Ausknnftserteilung gesellt sich vielfach der Rechtsschutz selbst, der um
so notwendiger erscheint, als der kleine Mann vielfach zu unbeholfen und
zu wenig rechtskundig ist, um seine Angelegenheit in richtiger Weise zu
vertreten.?) Infolgedessen gingen der Staat, die Kommunen oder gemein-
nützige Vereine daran, Rechtsauskunftsstellen zu diesem Zwecke einzu-
richten‘), die entweder für jeden Unbemittelten offen stehen, oder sich
auf den Rechtsschutz für Frauen beschränken, um diesen einen Rückhalt
in ihrem Kampfe um die Stellung im Erwerbsleben zu gewähren. So-
mit bilden diese Institute ein Ergebnis moderner Sozialpolitik im besten
Sinne des Wortes, und sind ein Erzeugnis aufrichtigen Wohlwollens gegen
das Volk. In den kleinen Sachen, welche dıe Rechtsauskunftsstellen be-
schäftigen, treten die letzten Wirkungen unserer Gesetze und Verord-
nungen zutage und lassen sich leicht die Bedürfnisse der unteren Bevöl-
kerungsschichten erkennen; sie zeigen damit, auf welchem Gebiet diese
Kreise in wirtschaftlicher wie sozialer Hinsicht am meisten des Beistan-
des bedürfen.) Daraus folgt, daß die statistische Beobachtung der Tätig-
keit dieser Einrichtung von allgemeiner Bedeutung ist.‘
Soweit die Auskunftsstellen städtisch sınd, enthalten teilweise die
Berichte der kommunalstatistischen Ämter Mitteilungen über sie, oder
diese befinden sich in den Berichten der betreffenden Vereine. Berichte
1) 1906, S. 136.
2) Vierteljahrsberichte der Stadt Schöneberg, 1910, Heft 1, S. 37.
3) Thissen-Trimborn, Die soziale Tätigkeit der Stadtgemeinden, 1910, S. 76.
4) 1910 bestanden: 101 staatliche und städtische Auskunftsstellen, 28 von ge-
meinnützigen Vereinen, 79 für Frauen (RABI. 1910, Nr. 10, S. 776).
5) Soziale Praxis 1910, Nr. 4, S. 118; Bericht des Instituts für Gemeindewohl
zu Frankfurt a. M. für 1909/10.
6) Noch bedeutsamer als die statistische Beobachtung der Tätigkeit der Rechts-
auskunftsstellen wäre an sich die der Tätigkeit der Rechtsanwälte. Jedoch ermangelt
es hier jeder Möglichkeit der statistischen Erfassung.
Sonstige Organe der Rechtspflege. 6. Zwangsvollstreckungen. 83
über sämtliche Auskunftsstellen im Reich bringt das Reichsarbeitsblatt
seit 1905 auf Grund von Vereins- und Einzelberichten.!) Für 1909 sind
zum erstenmal einheitliche Fragebogen verwandt, die sich aber auf all-
gemeine Fragen beschränken.?) Die Erhebung soll alle drei Jahre wieder-
holt werden.
6. Zwangsvollstreckungen.
Die Zwangsvollstreckung bedeutet einen so tiefen Eingriff in die
Tätigkeit, insbesondere in das Erwerbsleben des Einzelnen wie der Ge-
samtheit, daß ihre genaue Kenntnis und eingehende Würdigung von
großer Bedeutung für die Volkswirtschaft ist. Dieses Gebiet verdient das
Interesse der Statistik in noch höherem Maße als der Prozeß selbst; ge-
rade aus dem Ergebnis der Zwangsmaßnahmen wird auf die materielle
Lage ganzer Bevölkerungskreise, auf wirtschaftliche Krisen, auf die Fol-
gen gesetzlicher Maßnahmen in wirtschaftlicher Beziehung geschlossen
werden können. Um freilich Fehlschlüsse zu vermeiden, bedarf es einer
Berücksichtigung der gesamten Zwangsvollstreckung, sowohl der Mobi-
liar-, wie Immobiliarzwangsvollstreckung, als auch des Konkurses. Eine
solche Betrachtungsweise wird auch Material für die Beantwortung der
Frage beschaffen, ob das Interesse der Gläubiger oder des Staates oder
auch wohl der Schuldner ausschlaggebend für die Art und Weise der
Zwangsvollstreckung sein soll.
Gerade auch die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen
müßte mit in den Bereich der Ziviljustizstatistik hineingezogen werden,
wenn ein vollständiges Bild gewonnen werden soll.?) Die Tatsache, daß
z. B. im Jahre 1905 im Deutschen Reiche über 589 000 Anträge auf
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen neben 45 000 Zwangsvollstreckungen
in das unbewegliche Vermögen, 10 000 Zwangsverwaltungen und 21 000
Konkurse schwebten, weist schon darauf hin. Indessen werden wir
später sehen, daß praktische Schwierigkeiten der theoretisch wünschens-
werten eingehenden Statistik auf diesem Gebiete entgegenstehen.
Die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, die rein
zahlenmäßig betrachtet die Vollstreckung in die Mobilien bei weitem nicht
erreicht, ist trotzdem für sich genommen von hinreichendem Interesse,
da durch sie der volkswirtschaftlich so bedeutsame Teil des Volksver-
mögens, der Grund und Boden, in Mitleidenschaft gezogen wird. Eine
zu große oder plötzliche Zunahme der Zwangsmaßnahmen in städtische
Grundstücke läßt auf eine verfehlte, oder ungesunde Bodenspekulation
schließen, die vielleicht dem Bodenreformer Material an die Hand gibt,
1) RABI. 1905, Nr. 7, 9; 1906, Nr. 9, 10; 1907, Nr. 9, 10; 1908, Nr. 9, 10; 1909,
Nr. 11.
2) Die Ergebnisse sind im RABI. 1910, Nr. 10 mitgeteilt: „Die Rechtsberatung
der minderbemittelten Volkskreise 1909.“
3) Ebenso Hesse, Konkursstatistik in Conrads Jahrb. Bd. 35 (1908), S. 92.
6°
SA II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
und bei ländlichen Grundstücken dürfte sie oft auf eine Unterbilanz
aus falscher Bewirtschaftung zu schließen sein.)
Für die statistische Erfassung der Mobiliarzwangsvollstreckung?) be-
stehen insofern Schwierigkeiten, als gerade der häufigste Fall, die Zwangs-
vollstreckung wegen Geldforderungen in Sachen, von besonderen Orga-
nen, den Gerichtsvollziehern, vorgenommen werden. Wo diese, wie z. B.
in Preußen, in ihrer Tätigkeit nicht der unmittelbaren Kontrolle der Ge-
richte unterstehen, vermögen letztere auch kein Material für eine sta-
tistische Beobachtung zu liefern. Zu diesem Zwecke müßten die Listen
und Dienstregister der Gerichtsvollzieher herangezogen werden, wie
das z. B. in Bayern geschieht.?) Vereinfacht und erleichtert ist dieses Ver-
fahren beim Vorhandensein eines Gerichtsvollzieheramts, dem die sämt-
lichen Obliegenheiten des Gerichtsvollziehers nach der Zivilprozeßord-
nung übertragen sind, wie z. B. in Hamburg oder in Stuttgart bis 1910.
Die statistischen Nachweisungen, welche aus dem in solchen Instituten
zusammenfließenden Material als Grundlage gewonnen werden, vermögen
einen wirklichen Einblick in die einschlägigen Fragen zu gewähren und
u. a. auch Auskunft über das wichtige Moment der ausgefallenen Beträge
bei der Mobiliarzwangsvollstreckung zu geben, wie auch durch eine
Gliederung nach Berufen bei den Schuldnern hervorzuheben, welchen
Berufsarten die Verluste hauptsächlich zuzuschreiben sind. Welche Be--
deutung den Maßnahmen beizumessen ist, welche die Gerichtsvollzieher
vorzunehmen haben, geht aus folgenden Ergebnissen für Bayern aus
dem Jahre 1908 hervor:
Es betrugen: Fälle Proz.
die Vollstreckungshandlungen der Gerichtsvollzieher 205 199 = 78,06
die bei Gericht gestellten Vollstreckungsanträge . . 48816 = 18,57
die Zwangsversteigerungen . e. . 2 2 2 220.0. 7 372 = 2,80
die Zwangsverwaltungen ............ 587 = 0,22
Konkurse wurden eröffnet ....... esso 906 = 0,35
Erhellt aus dieser Zusammenstellung rein zahlenmäßig der Anteil der
fraglichen Vollstreckungsmaßnahmen, so ist natürlich erst eine eingehen-
dere Gliederung im oben angedeuteten Sinne von wirklichem Nutzen und
daher allgemein wünschenswert.
Die Mitteilungen der amtlichen deutschen Justizstatistik über die
Tätigkeit der Gerichte als Vollstreckungsorgane tragen bezüglich der Mo-
biharzwangsvollstreckung den Charakter bloßer Geschäftsnotizen und
1) Evert, Über die wirtschaftliche Bedeutung landwirtschaftlicher Zwangs-
versteigerungen, Pr. Zeitschrift Bd. 21 (87), S. 226. Cohen, Die Statistik der Zwangs-
vollstreckungen landwirtschaftlicher Anwesen. Im Allg. Stat. Archiv 1891/92, Bd. 2,
S. 56ff. i
2) Flesch, Art.: Zwangsvollstreckung im Handwörterbuch der Staatswissen-
schaften.
3) Justizstatistik für Bayern, 1908, S. XX.
Zwangsvollstreckungen. 85
interessieren daher hier nicht weiter. Die österreichische Statistik be-
dient sich auch auf diesem Gebiete der Zählkarte und vermag daher auch
Auskunft über wünschenswerte Einzelheiten zu geben.?)
Besser unterrichtetsind wir über die Immobiliarzwangsvollstreckung,
namentlich die Zwangsversteigerungen. Eine Reichsstatistik besteht
zwar ebensowenig wie für die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Ver-
mögen. Bei den Einzelstaaten finden wir aber bereits seit Jahrzehnten
das Bemühen, eine möglichst reich gegliederte Statistik zu liefern. Preu-
Ben berichtet schon seit den siebziger Jahren im Justizministerialblatt
unter Ausscheidung der ländlichen von den städtischen Grundstücken
und Berücksichtigung des Grundsteuerreinertrages nebst Gebäude-
nutzungssteuerwertes sowie der Angabe der Größenverhältnisse. Seit
1885 wurde für land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke eine
Zählkarte eingeführt, und das so gewonnene Material vom Preußischen
Statistischen Landesamt bearbeitet. Die daraufhin erfolgten Veröffent-
lichungen in der „Zeitschrift des Preußisch Statistischen Landesamts“
gelten nicht für das Kalenderjahr wie die Mitteilungen im Justizmini-
sterialblatt, sondern für das Geschäftsjahr vom 1. April bis 31. März.?)
Bemerkenswert ist ein Versuch, die Ursachen der Zwangsversteigerung
statistisch zu behandeln, indem durch die Verwaltungsbehörden die ent-
sprechenden Ermittlungen angestellt wurden.?) Aber schon 1889 wurde
der Versuch aufgegeben, da sich die Angaben als zu unzuverlässig und
unzulänglich erwiesen.*) Im Jahre 1907 wurden die Erhebungen dadurch
erweitert, daß die gesamten in Abteilung III des Grundbuchs eingetra-
genen Lasten, die zurzeit der Beschlagnahme auf dem zwangsweise ver-
steigerten Grundstück ruhen, bei der Erhebung miterfaBt werden P)
Über die Ergebnisse wird fortlaufend in den Veröffentlichungen des Preu-
Bischen Statistischen Landesamts berichtet. Die Mitteilungen im Justiz-
ministerialblatt sind dafür seit 1907 eingestellt worden Pi . |
Andere Bundesstaaten haben ebenfalls seit langem diesem Gebiete
ihre Aufmerksamkeit gewidmet. So bringt Sachsen Mitteilungen seit
1864, Bayern seit 1880, Baden seit 1882, Hessen seit 1890, Württemberg
seit 1895; hier erfolgt die Bearbeitung unmittelbar auf Grund der Zwangs-
versteigerungsakten, welche dem Statistischen Landesamt eingesandt
werden.”)
1) Österr. Stat. 89. Bd., Heft 1, Abt. 1, Die Ergebnisse der Zivilrechtspflege.
1908, S. XXXV.
2) „Zeitschrift“ 1895, S. 1.
3) „Die Ursachen der Zwangsversteigerung in vorwiegend land- und forstwirt-
schaftlich benutzten Grundstücken in Preußen 1886/87.“ Pr. Zeitschrift Bd. 27 (1887).
5) Kühnert, im deutschen Statistischen Zentralblatt 1910, S. 139.
4) JMBI. 1907. Allgem. Verfg. vom 15. Januar 1907.
6) JMBI. 1906, S. 567..
7) Die Zwangsversteigerungen von unbew. Vermögen in Württemberg 1906/08.
Württemb. Jahrb. f. Stat. 1910, Heft 1, S. 1—18.
86 II, Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Die Mitteilungen der statistischen Ämter der Städte wie auch das
Statistische Jahrbuch Deutscher Städte beschränken sich zum größten
Teil darauf, die Zwangsversteigerung als einen Rechtsgrund beim Grund-
besitzwechsel zu behandeln, so daßirgendwelchenäheren Daten, diegerade
unter dem Gesichtspunkte des zwangsweisen Eingriffs interessieren wür-
den, nicht ersichtlich sind. Gesonderte Angaben bringen z. B. Bremen, Bar-
men, Karlsruhe und Kiel. Hervorzuheben sind zwei Arbeiten für Dres-
den und Elberfeld über die Zwangsversteigerungen in diesen Städten
für die Jahre 1904/05 bzw. 1906—1908.1) Da die amtliche Statistik in
Preußen nur die landwirtschaftlichen Grundstücke behandelt, und seit
Fortfall der Mitteilungen im Justizministerialblatt eine andere Quelle für
die Zwangsversteigerungen städtischer Grundstücke nicht vorhanden ist,
wäre es erwünscht, wenn die kommunalstatistischen Ämter sich dieses
Gebietes mehr als bisher annähmen und zur Ermöglichung des Verglei-
ches der statistischen Beobachtung ein ausreichend gegliedertes, einheit-
liches Schema zugrunde legten.
7. Konkurse.
Trifft die Immobiliarzwangsvollstreckung ihrem Wesen nach haupt-
sächlich den städtischen und ländlichen Grundbesitz, so berührt der Kon-
kurs das mobile Kapital, namentlich also Handel und Industrie.?) Die
Massenverkehrsmittel und das Kreditwesen haben eine so ungeahnte Ent-
wicklung im letzten halben Jahrhundert erfahren, der Grund und Boden
ist in einer Weise mobilisiert worden, daß die genannten Erwerbszweige
eine fast staunenswerte Ausbreitung fanden, in gleichem Maße aber auch
die Gefahr des Zusammenbruchs erhöht wurde. Handel und Industrie
haben sich zu so wichtigen Zweigen der Volkswirtschaft ausgebildet, daß
ein Eingriff wie der Konkurs von großem sozialen Interesse ist; denn
durch die Eröffnung des Konkurses wird nicht nur dem Gemeinschuldner
die Verfügung über sein Vermögen entzogen, sondern sie greift in die
gegenseitigen Beziehungen der Erwerbskreise überhaupt ein. Unter die-
sen Umständen ist es für die Gesamtheit von Bedeutung, über die Häufig-
keit der Konkurse, die hauptsächlich daran beteiligten Berufsgruppen
und Gewerbezweige und die finanziellen Ergebnisse unterrichtet zu sein, aus
der Vergleichung der einzelnen Jahre Schlüsse auf die Bewegung im Wirt-
schaftsleben und vielleicht sogar die tieferliegenden Ursachen erkennen
zu können. Wenn hierbei stets die Bedeutung der Konkursstatistik
für die Beurteilung wirtschaftlicher Krisen, namentlich auch in bezug auf
die Kollektivunternehmungen hervorgehoben wird, so wird dabei leicht
übersehen, daß die Konkursstatistik ihre Aufgabe nicht voll erfüllt, wenn
1) Mitteilungen des Stat. Amts der Stadt Dresden, Heft 15, Beiträge zur Stat.
der Stadt Elberfeld, Heft 5.
2) Deutsche Justizstatistik, 1907, S. 230.
Konkurse. 87
nicht eine entsprechende Bestandsstatistik fiir diese Unternehmungsfor-
men vorhanden ist, wie wir sie nach unseren obigen Ausführungen neuer-
dings erhalten haben.
Über die Konkursstatistik besitzen wir zwei ausgezeichnete Arbeiten,
eine ältere von Wirminghaus (1891)") und eine neuere von Hesse
(1908)*), so daß wir uns hier auf das Hauptsächlichste beschränken
können. “
Bezüglich der älteren Geschichte der Konkursstatistik verweisen wir
ebenfalls auf die Arbeit von Wirminghaus. Im Reich ermöglichte die
Einführung eines einheitlichen Konkursrechts mit der Konkursordnung
von 1879 eine einheitliche Konkursstatistik. Die Zahlenergebnisse wur-
den in der gleichen Weise gewonnen wie bei der Zivilrechtsstatistik und
seit 1883 in der „Deutschen Justizstatistik“ veröffentlicht. Die Mittei-
lungen tragen den Charakter reiner Geschäftsstatistik.
Den Versuch einer Statistik, welche einen tieferen Einblick in die ein-
schlägigen Verhältnisse gewähren sollte, unternahm das Kaiserl. Stati-
stische Amt erstmalig für das Jahr 1891 für das ganze Reich. Als Material
wurden die gesetzlich vorgeschriebenen Mitteilungen der Gerichtsschrei-
ber über die Eröffnung, Aufhebung und Einstellung’ des Konkursverfah-
rens im Deutschen Reichsanzeiger benutzt. Daraus wurden die Angaben
über den Beruf des Gemeinschuldners, die Zeit der Eröffnung, Zeit und
Art der Beendigung des Konkursverfahrens auf Zahiblattchen übertragen
und so eine Art neues Urmaterial gewonnen. Die Dauer des Verfahrens
wurde ermittelt, indem zu der Karte über die Beendigung die über die
Eröffnung desselben Konkurses ausgefertigte Zählkarte herausgesucht
wurde. In dieser Weise hat das Kaiserl. Statistische Amt die Konkurs-
statistik für die Jahre 1891—1894 untersucht.?) Man gab aber das Ver-
fahren wieder auf, da es mit zu großen Mängeln behaftet war; denn gerade
die wichtigen Gesichtspunkte der finanziellen Verhältnisse und Ergeb-
nisse der Konkurse konnten mangels jeglicher Unterlage nicht berück-
sichtigt werden. An demselben Mangel leidet dieArbeit von Lindenberg
über die „Statistik der vom 1. Oktober 1879 bis 31. Dezember 1883 in
Deutschland eröffneten Konkurse‘‘, der ebenfalls die Bekanntmachungen
im Deutschen Reichsanzeiger benutzte.?)
Das Bedürfnis nach einer zuverlässigen Konkursstatistik wurde all-
mählich so dringend, daß der Bundesrat infolge einer Resolution des
Reichstags 1894 zwecks Veröffentlichung einer eingehenden Konkurs-
statistik die Mitwirkung der Konkursgerichte durch Ausfüllung zweier
Zählkarten anordnete. Die eine Zählkarte betrifft die Zeit bis zum Be-
1) Vgl. Wirminghaus, Konkursstatistik in Conrads Jahrb. 1891, S. 2; idem
im Handwörterbuch, 2. Aufl. Bd. 5, S. 305ff. Hesse, Konkursstatistik in Conrads
Jahrb., Bd. 33, S. 65/66.
2) Hesse a.a. O. S. 66.
3) Conrads Jahrb. N.F. Bd. 9, 10, 11.
88 IJ. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
schluß über die Eröffnung des Konkursverfahrens, und enthält neben den
persönlichen Verhältnissen des Gemeinschuldners die für die Eröffnung
selbst erheblichen Tatsachen, die andere dient für das Verfahren nach
der Eröffnung bis zur Aufhebung oder Einstellung und bringt alle dies-
bezüglichen Angaben.
Die Zählkarten werden dem Kaiserl. Statistischen Amte in bestimm-
ten Zeitabschnitten eingereicht und von diesem verarbeitet. Die Ergeb-
nisse werden vierteljährlich als vorläufige, später als endgültige in den
Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs veröffentlicht. Auf
diesen Mitteilungen beruhen hauptsächlich die Veröffentlichungen der
einzelnen Bundesstaaten. Auch einige Städte!) berichten in ihren sta-
tistischen Jahres- oder Monatsübersichten über die Konkursstatistik,
über die finanziellen Ergebnisse freilich nur Lübeck und Mannheim.
8. Stiftungen.
Stiftungen sind Vermögen, deren Erträge bestimmten Zwecken ge-
widmet werden, deren Grundstock demnach dem Umlauf im Wirtschafts-
leben entzogen ist. Es liegt daher auf der Hand, daß für die Gesamtheit
ein großes Interesse daran besteht, über Umfang und Zweck der Stif-
tungen unterrichtet zu sein. Welche Wichtigkeit der Staat dem Stif-
tungswesen beilegt, geht daraus hervor, daß jede Stiftung zur Rechts-
gültigkeit der staatlichen Genehmigung bedarf ($ 80 BGB.).
Die statistische Beobachtung dieses Gebietes fällt nach den von uns
aufgestellten Grundsätzen nicht in das Arbeitsgebiet der Zivilrechtssta-
tistik, da dem Gericht irgendwelches Tatsachenmaterial für die Geneh-
migung der Stiftungen nicht unterbreitet wird. Diese Materie fällt viel-
mehr in das Ressort der Verwaltungsbehörden. Wir begnügen uns daher
auf den Hinweis, daß eine wirklich gut ausgearbeitete Statistik dieser
Materie Bayern aufzuweisen hat, wo seit 1870 eine jährliche Aufnahme
der neubegründeten Stiftungen stattfindet. Seit 1887 ist dieses Gebiet
auf eine breitere Basis durch die Erfassung des gesamten Standes der
Stiftungen gebracht worden?), und in dieser Form finden fortlaufende
Beobachtungen statt. Als Grundlage dient das den Verwaltungsbehörden
unterbreitete Material.’)
9. Grundbuch.
Die Bedeutung der Gestaltung des Grundeigentums für die sozialen
und wirtschaftlichen Verhältnisse braucht kaum besonders hervorgehoben
zu werden. Einmal setzt der Staat nicht nur das Volk, sondern Volk und
1) z.B. Dresden, Lübeck, München, Frankfurt a. M.
2) Bayer. Zeitschr. 1895. 8.197. Über die einzelnen Momente, welche bei der
statistischen Beobachtung der Stiftungen zu beobachten sind, hat sich Mone bereits
1824 eingehend ausgelassen (Theorie der Statistik, S. 24).
3) Während der Drucklegung erschien die Arbeit von M. Meyer, Statistik der
Stiftungen im In- und Auslande, Conrads Jahrb. Bd. 42, S. 666.
8. Stiftungen. 9. Grundbuch. 89
Land voraus, so daß die Notwendigkeit der Kenntnis beider ach von
selbst ergibt. Sodann bildet der Grund und Boden für die Volkswirtschaft
neben Arbeit und Kapital den dritten Produktionsfaktor, so daß auch
sie ein dringendes Interesse an der Feststellung der tatsächlichen Ver-
hältnisse bezüglich des Grundbesitzes hat. Dazu kommt, daß die im An-
fang des 19. Jahrhunderts einsetzende Agrargesetzgebung, das Freizügig-
keitsgesetz und die Mobilisierung des Grund und Bodens einerseits, die
groBen Umwälzungen im Wirtschaftsleben und die Landflucht der Be-
völkerung in Verbindung mit dem Anwachsen der Großstädte anderseits
wichtige Fragen bezüglich der Bodenpolitik heraufbeschworen und den
Staat vor ganz neue Probleme gestellt haben. Es sei nur bezüglich der
ländlichen Verhältnisse an die Frage „Großgrundbesitz‘‘ oder ,,Klein-
besitz“, an die Festlegung des Bodens durch die „tote Hand‘ oder durch
Fideikommisse, an die gegenwärtig völlig veränderten Anschauungen
über die Aufteilung des früheren Gemeindebesitzes erinnert, und auf die
immer mehr hervortretende Bedeutung des Grundbesitzes in den Händen
der Städte in Anbetracht der Wohnungsnot hingewiesen. Die Beant-
wortung dieses Fragenkomplexes setzt natürlich die möglichst genaue
Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse voraus und erfordert namentlich
eine Übersicht über die V er teilung des Grundbesitzes, des Besitzstandes,
mittels der Statistik. Das Grundeigentum der Krone und die Fideikom-
misse, der Anteil des Staates, der öffentlichen Verbände (Kirchen, Schulen)
und der Kommunen am Grundeigentum bedarfebenso der Feststellung, wie
der Anteil der Fideikommißherrschaften, der städtischen und ländlichen
Bevölkerung. Ist erst einmal der Besitzstand ermittelt, so ist die Be-
obachtung der weiteren Bewegung die notwendige Konsequenz.!) Denn
erst daraus kann man auf den Grad der Beweglichkeit oder Ständigkeit
schließen, und ferner läßt sich erkennen, wohin die Entwicklung geht, ob
die Umstände die Bildung von Latifundien oder Zwergwirtschaften begün-
stigen oder den mittleren Besitz im notwendigen Umfange erhalten. Der
Einfluß der Gesetzgebung wird sich deutlich nach der einen oder der
anderen Richtung bemerkbar machen.?) Für die Gegenwart hat die Sta-
tistik der Grundbesitzbewegung ein äußerst wichtiges Moment zutage
gefördert, die Zunahme des mittleren Besitzes. Damit ist die soziali-
stische Theorie von der Vereinigung des Kapitals in wenigen Händen be-
züglich der ländlichen Grundstücke widerlegt.
Neben dem Grund und Boden interessiert dann ferner das, was sich
darüber befindet: die Gebäude, nach Art, Anzahl, Zweck, Beschaffenheit
und Lage, als Bestands-, wie als Bewegungsmasse.
1) In Preußen wurden 1907 Eigentumsveränderungen in das Grundbuch ein-
getragen (JMBI. 1908, S. 280): a) auf Grund einer Auflassung «) vor dem Grundbuch-
amt 399 810, f) vor einem anderen Amtsgericht oder einem Notar 139 074; b) auf
Grund eines anderen Erwerbsgrundes oder Verzichts 85 920.
2) „Mitteilungen“ in Hildebrands Jahrb. 1865, S. 104; Haushofer, S. 446.
90 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Dazu gesellt sich das Erfordernis, über den Stand der Regulierung
des ländlichen Besitzes und der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse
durch die Statistik unterrichtet zu sein (Parzellierung, Regulierung der
Feldmarken, Gemeinheitsteilungen, Zusammenlegungen, Umfang der
Realberechtigungen, Ablösungen, Tätigkeit der Rentenbanken).
Das wichtigste und mit das schwierigste Problem ist wohl das der
Verschuldung des Grund und Bodens.!) Zwar hat die Agrargesetz-
gebung des vorigen Jahrhunderts die prinzipielle Befreiung des Grund-
eigentums von persönlichen Diensten gebracht und die Reste der alten
Grund- oder Gutsherrschaft zu beseitigen gesucht, aber an ihre Stelle ist
ein vielleicht viel unerbittlicherer Fronherr getreten: das Kapital. Die
Notwendigkeit intensiverer Bewirtschaftung durch die Landwirtschaft
und die allgemein steigende Grundrente, zum Teil in Verbindung mit den
eingangs erwähnten Faktoren, brachte eine Verschuldung mit sich, welche
bald die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenkte und das Bedürfnis
einer genaueren statistischen Beobachtung ergab. Es ist nicht zu viel
gesagt, wenn man behauptet, daß ohne eine solche Statistik kein Bild von
der wirtschaftlichen Lage und den Verhältnissen des Grundbesitzes ge-
wonnen werden kann. Die Frage nach der Höhe der Verschuldung, dem
Zinsfuß, der Schuldentilgung, die Scheidung nach Stadt und Land sind
die wichtigsten Feststellungsmerkmale, welche nach der Bestandermitt-
lung in ihrer weiteren Bewegung fortlaufend beobachtet werden müssen.
Hervorgehoben sei hierbei, daß ein wirklich zutreffendes Urteil über das
Maß der Verschuldung nur dann möglich ist, wenn auch der Wert des
Grundbesitzes feststeht.?)
Für die Kommunalpolitik der Großstädte ist gegenwärtig die Be-
seitigung der Wohnungsnot eine Aufgabe von großer Wichtigkeit. Da-
her bietet die statistische Beobachtung der zu diesem Zwecke angewand-
ten Mittel, des Erbbaurechts und des Ulmer Wiederkaufs, besonderes
Interesse, das namentlich in Zukunft bei größerer Verbreitung dieser In-
stitute noch an Bedeutung gewinnen wird. Für Preußen tritt dazu noch
das besondere Interesse an der Gestaltung des Grundbesitzes im Osten
infolge der nationalen Gegensätze und der daraus entsprungenen An-
siedelungspolitik.
Im Zusammenhange unserer Untersuchung interessieren diese Fra-
gen, weil das Grundbuch die wesentlichste Grundlage zu ihrer statisti-
schen Erfassung bietet.
Entsprechend der Wichtigkeit der Grundstücksstatistik haben sich
auch schon die ersten internationalen Statistikerkongresse mit dieser Ma-
1) Conrad, Grundriß, Bd. 2, S. 104; Haushofer a.a. O. S. 446.
2) Eine erschöpfende Gliederung und Gruppierung der Erfordernisse einer Grund-
stücksstatistik gibt Engel (der internationale Statistikerkongreß in Berlin, 1863),
S. 46/47; vgl. auch Wirminghaus, Art.: Hypothekenschulden im Handwörterbuch,
1. Aufl., Bd. 4, 8. 512.
Grundbuch. 91
terie beschäftigt (1853, 1857, 1860, 1863)!), und auch das Internationale
Statistische Institut widmete sich diesem Gegenstande.?) Uber die Frage
der Grundbesitzverteilung wurde 1907 in Kopenhagen?) ausgeführt, daß
es wichtig sei, ob die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Lande wohne
und eine genügende Grundfläche besitze: ein Zustand, der die sicherste
ökonomische, nationale, politische und militärische Grundlage eines
Landes bilde.
Die ältesten Erhebungen über den Grundbesitz finden wir im An-
schluß an Volkszählungen, so z. B. in Preußen für die ländlichen Grund-
stücke bei den damals alle drei Jahre stattfindenden Zählungen von 1849
bis 1858. Aber diesem Verfahren hafteten doch zu große Mängel an, als
daß man es hätte beibehalten können. Eine wirklich geeignete Basıs war
erst mit der Durchführung der Katastrierung des Landes gegeben. Auf
dieser Grundlage beruht das Werk von A. Meitzen „Über den Boden
und die landwirtschaftlichen Verhältnisse in Preußen‘ (1871), das eine
Fülle von Material liefert.‘) Die amtliche Statistik veranstaltete eine
große Bestandsaufnahme für die ganze preußische Monarchie im An-
schluß an die Gebäudesteuerrevision nach Fertigstellung des Grundsteuer-
katasters mittels Zählkarten und veröffentlichten das Ergebnis 1883.°)
Hier wurden aber die Gebäude mit einbegriffen. Diese Arbeit ist bei der
Revision 1893 fortgeführt und 1898 veröffentlicht worden.®) Es steht zu
hoffen, daß diese Arbeit auf Grund der letzten Revision der Gebäude-
steuer wiederholt wird. In den anderen Bundesstaaten ist der Stand der
Grundstücksstatistik ein sehr verschiedener, je nach dem Stande der
Katastrierung. Weiter zurück geht sie in Württemberg, wo bereits 1857
an Hand der Grundbücher eine Bearbeitung des landwirtschaftlichen
1) Engel, Der internationale Statistikerkongreß in Berlin, 1863, S. 43ff.
2) z. B. Bulletin, 1886 (Rom), S. 81, 94, 1893, I. livraison S. 33; vgl. auch
die Beschlüsse des Kongresses zu Budapest 1876 (S.93 Anm. 2 dieser Ab-
handlung).
3) Bulletin 1908, Tome XVII, S. 154—168. Namentlich wurde folgendes her-
vorgehoben: 1. Ein zerstückelter Grundbesitz in industriellen Ländern ist ein weit
kleineres Übel als in landwirtschaftlichen, nach Roscher sogar ein Zeichen hoher
Zivilisation. 2. Der Begriff des Großgrundbesitzes wechselt nach der allgemeinen
Kultur, Entwicklung der Technik, nach intensiver oder extensiver Bebauung, der
Qualität des Bodens, dem Klima, der Art der Bodenverteilung, der geschichtlichen
Vergangenheit. 3. Für die Verteilung des Grundbesitzes ist es wichtig, ob die Zahl
der ländlichen Bewohner eine größere oder kleinere gegenüber der bestellten
Bodenfläche ist, und ob das Verhältnis zur industriellen Bevölkerung größer oder
kleiner ist.
4) Preuß. Stat. Bd. 103. Grundeigentum und Gebäude im preußischen Staat
vom Jahre 1878.
5) Vgl. Wirminghaus im Handwörterbuch 1892, Bd. 4, Art.: Grundbesitz
(Statistik).
6) Preuß. Stat. Bd. 146. I. Das Grundeigentum im preuß. Staat von 1893.
Preuß. Stat. Bd. 146. II. Die Gebäude.
92 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Grundbesitzes vorgenommen wurde. In Sachsen finden wir die Grund-
stiicksstatistik nach verschiedener Richtung bearbeitet.!)
Für die städtischen Grundstücke boten die Vorarbeiten zur Einfüh-
rung der Gebäudesteuer von 1861 geeignetes Material, das seitens des
preußischen Statistischen Landesamts zu einer umfassenden Gebäude-
statistik für die Monarchie ausgenutzt wurde. In der Verarbeitung wird
auch ein interessanter geschichtlicher Überblick über die Geschichte der
Gebäudestatistik geboten.?)
Über die Statistik des Eigentumswechsels wäre die Arbeit von
Rodbertus-Jagetzow über die Kreditnot zu nennen?), die uns über
die Rittergüter für die Zeit von 1835—1864 unterrichtet. Auf Grund der
Matrikeln über die in jedem Dorfe vorhandenen Grundstücke wurden im
Jahre 1860 für Westfalen und die sechs östlichen Provinzen Erhebungen
über den Grundbesitzwechsel von 1816—1859 angestellt, die in einer
Denkschrift des landwirtschaftlichen Ministeriums statistisch verarbeitet
sind.‘) Die Beobachtungen wurden bis 1867 fortgesetzt.5) Als Fort-
setzung hierzu sind die oben bezeichneten großen Erhebungen für die
ganze Monarchie anzusehen. Den größten Fortschritt bezeichnete die Er-
öffnung der Grundbücher seitens der Justizverwaltung für die statistische
Beobachtung. In Preußen wird seit 1896 bei jedem Eigentumswechsel
eines land- und forstwirtschaftlichen Grundstücks eine Zählkarte ausge-
füllt. Die Bearbeitung erfolgt im Landwirtschaftsministerium und die
Veröffentlichung im Statistischen Jahrbuch, sowie in der „Zeitschrift‘‘.®)
Auch andere Bundesstaaten berichten über den Besitzwechsel.
Neben den im Anschluß an die Grundbucheintragungen ausgefüllten
Zählkarten werden auch die vom Grundbuchamt wegen der Umsatz-
steuer über jeden Besitzwechsel an die Steuerbehörde ergangenen Be-
nachrichtigungen als Grundlage für die statistische Beobachtung benutzt,
so z. B. in Württemberg, das eine umfassende, fortlaufende Statistik über
den Besitzwechsel der land- und forstwirtschaftlich genutzten Grund-
stücke seit 1879 aufweist.‘)
1) Immobiliarbesitz sachs. Städte nach Art und Verteilung 1859, Zeitschr. 1863,
S. 9. Verteilung des Grundbesitzes nach Grundsteuereinheiten. Zeitschr. 1880, S. 182.
Intraden-Domänenverwaltung Sachsens, seit 1872 fortlaufend. Beiträge zur Statistik
des Grundeigentums, Zeitschr. 1892, S. 66; 1893, S. 150. Wert des Grund- und Ge-
bäudebesitzes, Zeitschr. 1892, S. 75.
2) Preuß. Stat. Bd. 18: Die Gebäude im preuß. Staate. Berlin 1871. Zur Ge-
bäudestatistik vgl. Bulletin 1892, S. 109. Sachsen berichtet seit 1832 im Anschluß an
die Volkszählungen hierüber. Zusammenfassung von 1834—1900. Jahrb. 1903, S. 60,
für 1905 Jahrb. 1906, S. 218.
3) Rodbertus-Jagetzow „Zur Erklärung einer Abhilfe der heutigen Kredit-
not des Grundbesitzes.“‘“ Berlin 1868. S. 18.
4) Mitgeteilt im Jahrg.V der „Zeitschrift“ S. 1ff.
5) Vgl. Preuß. Stat. Bd. 103, S. 1.
6) Vgl. Zeitschrift des Preuß. Stat. Landesamts 1899, S. 7; JMBI. 1896, S. 16;
1903, S. 63.
7) Die näheren Angaben: Stat. Jahrb. f. Württemberg 1901. I. S. 40.
Grandbesitzwechsel. 93
Während sich die amtliche Statistik der Einzelstaaten aus Gründen,
die mit der Entwicklung unseres Wirtschaftslebens zusammenhängen,
mehr die Pflege der Beobachtung des Eigentumswechsels bei land- und
forstwirtschaftlichen Grundstücken zur Aufgabe gestellt haben, erhalten
wir das entsprechende Material für den städtischen Grund und Boden
durch die Städtestatistik, da diese Fragen für die Kommunen von ein-
schneidender Bedeutung sind. Die amtliche Statistik in Preußen hat die
Gebäude auch anläßlich der Vorarbeiten zur Gebäudesteuer bei den gro-
Ben Erhebungen für die Grundsteuer von 1878 und 1893 mitbearbeitet.
Eine zusammenfassende Darstellung der einschlägigen Fragen bringt
Neefe im Statistischen Jahrbuch deutscher Städte seit Anfang der neun-
ziger Jahre anfänglich unter dem Titel: „Grundstücke und Gebäude‘,
später als „Gebiet, Bodenbenutzung, Grundbesitz‘. Sodann berichten
eine ganze Reihe von Städten regelmäßig über dieses Gebiet, so z. B.
Berlin, Dresden, Wiesbaden, Leipzig, Cöln, Halle a. S., Düsseldorf. Als
Unterlage dienen der Kommunalstatistik die Mitteilungen der Grund-
buchämter bei jedem Eigentumswechsel.
So ermöglicht das Vorhandensein der kommunalen statistischen Äm-
ter eine auf diesem Gebiete naturgemäße und erfreuliche Arbeitsteilung,
die außerdem den Vorteil bietet, lokale Bedürfnisse besser berücksich-
tigen zu kënnen, 1
Bei der Statistik des Grundbesitzwechsels wird mit Recht namentlich
seitens der Kommunalstatistischen Ämter nach dem Rechtsgrunde (Kauf,
Tausch, Erbgang) differenziert. Wenn darunter auch die Zwangsverstei-
gerung aufgeführt wird, so ist dagegen an sich nichts zu erinnern, weil
sie ein Rechtsgrund für einen Besitzwechsel darstellt, und zwar im Gegen-
satz zu den genannten einen unfreiwilligen. Aber aus dieser Eigenart er-
geben sich solche Sonderfragen (Hypothekenverlust, beteiligte Berufs-
stände usw.), daß eine gesonderte Behandlung erwünscht erscheint, wie
wir schon bei der Statistik der Immobiliarzwangsvollstreckung betonten.
Die Statistik der hypothekarischen Verschuldung hat auch
die internationalen Statistikerkongresse beschäftigt, so namentlich in
Budapest (1876)?) und das Internationale Statistische Institut neuer-
dings in Paris (1909).?)
1) Von neueren Privatarbeiten von dieser Materie sei genannt: Croner, Der
Grundbesitzwechsel in Berlin und seinen Vororten (1895—1904), der auf Material der
Ältesten der Kaufmannschaft in Berlin beruht.
Pd Böhmert, Sachs. Stat. B. Z. 1879, 8. 52. Dort wurden folgende Beschlüsse
getabt:
a) Es sollen jährlich Listen angefertigt werden über Zahl und Wert der Grund-
stücke; über Zahl und Betrag der Grundbucheintragungen (mit Berück-
sichtigung des Rechtstitels).
b) Die Gesamtziffer der Hypothekenbelastung ist festzustellen.
ol Es sollen jährliche Übersichten gegeben werden, welche erkennen lassen,
wieviel Hypotheken im Jahre bestellt wurden, wieviel auf dritte Erwerber
94 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
In Deutschland gehen die Bestrebungen einer statistischen Beobach-
tung des Standes und der Bewegung der hypothekarischen Verschuldung
bis auf den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. In Preußen finden wir
die ersten Ansätze 1805, aber die einsetzenden Kriegswirren hinderten
eine gedeihliche Entwicklung und später kam es über vereinzelte Ver-
suche nicht hinaus. Erst im Jahre 1883 fand wieder eine Schuldenermitt-
lung größeren Umfangs statt, welche die hypothekarische Verschuldung
des ländlichen Grundbesitzes nach der Höhe des Betrages und nach dem
Verhältnis zum Grundsteuerreinertrage von 50 Amtsgerichtsbezirken zum
Gegenstande hatte. Die Bearbeitung erfolgte durch Meitzen, der die
Ergebnisse in den landwirtschaftlichen Jahrbüchern (Bd. XIII, Supple-
ment I, Bd. XIV, Supplement II) veröffentlichte. Zu einer Beurteilung
des Schuldenstandes in der ganzen Monarchie reichte das Aufnahme-
gebiet jedoch nicht aus.
Bei dem dürftigen Stand einerseits und dem dringenden Bedürfnis
einer Verschuldungsstatistik anderseits bemühte sich das Kaiserl. Sta-
tistische Amt Anfang der neunziger Jahre um den Ausbau dieses Gebiets,
aber leider ohne Erfolg. Erst 1896 gelang es, eine Wiederholung der Er-
hebung von 1883 durchzusetzen. Eine wesentliche Verbesserung weist
diese Erhebung insofern auf, als durch Einsehen der Schätzungsbogen der
Ergänzungssteuerveranlagung der sich daraus ergebende Grundstücks-
wert zu den Schuldbeträgen in Beziehung gesetzt werden konnte. Die
Bearbeitung erfolgte durch das Preußisch Statistische Landesamt.) Auf
Antrag des Königl. Landesökonomiekollegiums wurde bereits für den
Zeitraum vom 1. April 1886—1887 eine Ermittlung der Hypothekenbe-
wegung für das gesamte Staatsgebiet vorgenommen und auf Veranlas-
sung des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten fort-
laufend weiter geführt. Das Material wird durch Nachweisungen der
Amtsgerichte über die alljährlich in ihren Bezirken eingetragenen und
gelöschten hypothekarischen Schulden getrennt nach ländlichen und städ-
tischen Bezirken gewonnen. Die Veröffentlichung erfolgt in der ,,Zeit-
schrift‘‘.2) Die hervorragendste Leistung auf diesem Gebiete ist das Monu-
übergingen, wieviel gelöscht wurden, alles unter Berücksichtigung des Be-
trages.
d) Die Grundbuchschulden müssen nach dem Zinsfuß rubriziert werden und
e) nach der Höhe des Betrages.
3) Bulletin, Paris 1909, Tome XVIII. I. livr. Dort wurden folgende Leitsätze
angenommen (S. 107):
a) Il serait utile qu'une statistique internationale des prêts hypothécaires
fat entreprise ...
b) Cette statistique devra indiquer ... importance des prêts ...
Vgl. ferner Bulletin 1909. 2. livr. La statistique hypothécaire par France; Bulletin
1894, S. 376.
1) „Zeitschrift‘‘ 1898, S. 93: Evert, Die Verschuldung des ländlichen Grund-
besitzes in einer Anzahl von Amtsgerichtsbezirken in Preußen‘‘ 1883—1896.
2) Zuletzt „Zeitschrift“ 1908. LIV. Die Hypothekenbewegung in Preußen 1905.
Verschuldung deg Grundbesitzes. 95
mentalwerk des PreuBischen Statistischen Landesamts tiber ,,Die land-
liche Verschuldung in Preußen‘, 1902.1) Hier ist nicht nur der Schul-
denstand berücksichtigt, sondern es sind auch die Vermögens- und Ein-
kommensverhältnisse gegenübergestellt und die wirtschaftliche Lage der
Landwirtschaft ist im ganzen veranschaulicht. Bei dieser Erhebung ist
die denkbar sicherste und zuverlässigste Grundlage benutzt worden, in-
dem die Materialien der Einkommen- und Ergänzungssteuerveranlagung
herangezogen wurden.?)?)
Beachtenswerte Mitteilungen enthalten auch die Halbjahrsausweise
der Hypothekenbanken in den „Vierteljahrsheften‘“.
Ist auch in der Arbeit des Preußischen Statistischen Landesamts über
die „ländliche Verschuldung‘ in Preußen annähernd ein Gesamtbild über
die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft gegeben worden, so haftet
der periodischen Statistik der Hypothekenbewegung der Mangel an, daß
sie nur die passive Seite berücksichtigt und die Aktiva nicht in Betracht
zieht. Damit fehlt aber, wie bereits hervorgehoben, der eigentliche Maß-
stab zur Beurteilung des jeweiligen Standes der Verschuldung. Hier
kann nicht näher darauf eingegangen werden, da die Unterlagen dazu
durch das den Gerichten zur Verfügung stehende Tatsachenmaterial nicht
beschafft werden können, diese Frage demnach über den eigentlichen
Rahmen der Zivilrechtsstatistik hinausgeht.
Neben diesen wichtigsten Gebieten der Grundstücksstatistik behan-
delt die amtliche Statistik noch die Art der Bodenbenutzung, das
Grundeigentum an Domänen, die Fideikommisse®), die Rentengutsbil-
dung, die Ablösungen, Regulierungen, Gemeinheitsteilungen und schließ-
lich die speziell für Preußen wichtige Tätigkeit der Ansiedelungskommis-
sion. In diesem Zusammenhange können wir nicht näher darauf ein-
gehen, weil bei diesen Materien das Grundbuch im allgemeinen nicht als
Unterlage für die statistische Beobachtung angesehen werden kann.
Auch andere Bundesstaaten beuten den Inhalt der Grundbücher für
statistische Betrachtungen aus. Sie bringen freilich Mitteilungen von sehr
verschiedenem Umfange, die auch sehr mannigfache Zeiträume um-
fassen. Während in Braunschweig die \Veröffentlichungen bis auf das
1) Preuß. Stat. Bd. 191. 3 Teile (1905—1908).
2) Preuß. Stat. Bd. 191, S. 1ff., enthält eine eingehende geschichtliche Übersicht,
vgl. auch Wirminghaus im Handwörterbuch, 3. Auflage, Bd. 3, S. 981.
3) In Preußen betrug die Anzahl der Eintragungen 1907 in Abt. II und III des
Grundbuchs (Hypotheken und sonstige Belastung) mit Ausschluß der Übertragungs-
und Löschungsvermerke a) einmalige 858 494, b) gleichzeitig auf mehreren Blättern
207 535, Löschungen in Abt. II und III 747 420 (JMBI. 1908, 8. 281).
4) In Preußen seit 1895. Preuß. Stat. L. A. Z. 37 Jahrg. 1895, S. 1—22. Dort
eingehende Darstellung und auch (Anm. 1) Übersicht über die ältere Literatur; Bayer.
Stat. L. A. Z. 1910, S. 1—20. Der fideikommissarisch gebundene Grundbesitz in
Bayern 1099, gleichzeitig eine Geschichte der Statistik der Fideikommisse in Bayern.
96 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
Jahr 1853 zurückreichen!), haben andere Staaten dieses Gebiet viel später
in Angriff genommen, so Baden 18842), Sachsen 18853), Württemberg in
speziellen Untersuchungen 1884, generell 18954), Bayern 1894.5) Be-
merkenswert ist die Bearbeitung durch Hessen, das auch die Entstehungs-
ursachen der Schuld und den Grund der Löschung berücksichtigt.
Von den Berichten der Städte sind namentlich zu nennen München,
Berlin und Mannheim. Das Statistische Jahrbuch deutscher Städte ent-
hält im 2., 5., 8. und 12. Jahrgang Mitteilungen über die Verschuldung
des städtischen Grundbesitzes.
Von großer Bedeutung ist auch im Zusammenhang mit den Bestre-
bungen der Bodenreformer, der im wesentlichen darauf zurückzuführen-
den Wertzuwachssteuer, und der Wohnungsnot in den Großstädten die
Frage nach der Entwicklung der Grundstückspreise. Die Grund-
bücher enthalten darüber Angaben, welche aber oft als sehr veraltet für
die Gegenwart nur einen zweifelhaften Wert besitzen und in solchem Falle
höchstens für die Entwicklung herangezogen werden können. Für die
Gegenwart bieten die bei Besitzänderungen angegebenen Übernahme-
preise einen Anhalt, die aus den Mitteilungen an die Steuerbehörde er-
sichtlich sind. Daher finden sich da, wo diese als Unterlage der statisti-
schen Beobachtung benutzt werden, auch meist Angaben über die Grund-
stückspreise, so namentlich in den Berichten der kommunalstatistischen
Ämter. Von amtlichen Untersuchungen auf diesem Gebiete seien die für
Mecklenburg‘), welche bis 1770 zurückgehen, Sachsen‘) und Oldenburg?)
genannt. Für Preußen liegt eine Arbeit über die Kaufpreise der länd-
lichen Besitzungen für 1895—1906 vor" Sie beruht auf Listen der Ka-
tasterämter, welche diese auf Grund der Mitteilungen der Grundbuch-
1) Vgl. Wirminghaus a.a. O.
2) Stat. Mitteilungen f. Baden 1892, S. 10 Bericht über die Jahre 1884—1891;
vgl. Stat. Jahrb. f. Baden 1908/09, S. 509 Eintragung und Löschungen von Pfand-
rechten 1901—1907. Anhang: Der pfandrechtliche gesicherte Schuldenstand am
1. Januar 1905, 1906, 1907, 1908.
3) „Verschuldung des Grundbesitzes“ 1885—1896 Sächs. Stat. L. A. Z. 1892,
S. 97; „Wert und Schulden des Grundbesitzes in Sachsen.‘‘ Stat. Jahrb. f. Sachsen
1895, S. 252; „Hypothekarische Belastung des ländlichen Grundbesitzes‘“ Jahrb. 1907,
S. 136.
4) Württemberg. Jahrb. 1909, S. 13, durch Einführung des BGB. von 1899 bis
1904 unterbrochen.
5) Stat. d. Königr. Bayerns Bd. 66 (1905). Hypothekenverkehr, Zwangsver-
äußerung, Güterzertrümmerungen, Forsten und Holzungen, 1894—1904.
6) Beiträge zur Stat. Mecklenburgs, Bd.1, Heft 2, 1859. Bd.9, Heft 3, 4, 1880.
7) Zeitschr. d. Sachs. Stat. Bureaus: Beiträge zur Statistik des Grundeigentums.
1892, S. 66—144; 1893, S. 150—238.
8) Kollmann, Die Kaufpreise des Grundeigentums im Großherzogtum Olden-
burg von 1866—1593.
9) v. Rothkegel, Heft 146 der staats- u. sozialw. Forschungen, herausg. von
Schmoller u. Sering. Leipzig 1910.
Grundstückspreise. 10. Schiffsregister. 97
ämter über Grundbesitzverkäufe führen. \on privaten Untersuchungen
seien hier hervorgehoben die Arbeiten von Paul Voigt über die ,,Grund-
rente und Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vororten‘ (Jena 1901),
die Untersuchung von Steinbrück über „Die Entwicklung der Preise
des städtischen und ländlichen Immobiliarbesitzes zu Halle a. S. und im
Saalkreis‘‘ (Halle 1900), sowie Paasche über die „Entwicklung der
Preise und der Rente des Immobiliarbesitzes‘‘ (Halle 1877).
Eine Statistik über das Erbbaurecht besteht bisher noch nicht in
größerem Umfange. Mit der zunehmenden Bedeutung dieses Instituts
wird die Statistik auch diesem Gebiete ihre Aufmerksamkeit zuwenden.
Die Versuche einer einheitlichen Grundeigentums-, Besitzwechsel-,
Hypotheken- und Bodenwertsstatistik sind bisher gescheitert. Auf dem
Statistikertag zu Konstanz 1903 wurde mitgeteilt, daß schon die bloße
Umfrage bei den Zentralstellen kaum zu überwindende Schwierigkeiten
ergeben habe.!) Trotzdem werden die Bemühungen nach dieser Richtung
fortgesetzt. Auf der Konferenz der Vertreter der Reichs- und Landes-
statistik in Nürnberg 1908 ist ein Ausschuß für die Prüfung einer vom
Reichstag angeregten Grundbesitzstatistik eingesetzt worden, der in-
dessen zu bestimmten Ergebnissen noch nicht gelangt ist.
10. Schiffsregister.
Der Kontrolle des Staates unterstehen ferner die Rechtsgeschäfte
an gewissen Arten von Schiffen?) durch die Eintragung ins Schiffsregister.
Die Bedeutung des Überseehandels sowie das Interesse der Industrie an
billigen Transportmitteln lassen die Beobachtung des Schiffsbestandes
erwünscht erscheinen; die Höhe und Entwicklung der Verschuldung der
Schiffe ließe ein Urteil über den Stand dieses Wirtschaftszweiges zu.
Die amtliche Justizstatistik bringt nur Mitteilungen innerhalb der
Geschäftsstatistik. Über den Bestand der Binnen- wie Seeschiffe werden
wir indessen bereits seit Jahrzehnten durch die Reichsstatistik orientiert.
Im Zusammenhang mit dem Verkehr ‚auf den deutschen Wasserstraßen“
führt sie seit 1872 fortlaufend alle 5 Jahre ein Bestandsverzeichnis der
Binnenschiffe auf?), der Bestand der Kauffahrteischiffe wird jährlich fest-
gestellt.) Das Material wird durch die Kontrolle des Verkehrs an be-
stimmten Knotenpunkten der Flüsse bzw. bestimmten Häfen gewonnen.
Diese Statistik ist entsprungen und dient im wesentlichen zur Orien-
tierung über den Umfang des Schiffsverkehrs, geht aber auf das Schiffs-
1) Statistisches Zentralblatt 1910, Nr. 2, S. 36.
2) Seeschiffe, Binnenschiffe von mehr als 15 000, Segelschiffe von mehr als
20 000 kg Tragfähigkeit.
3) Zuerst in der Stat. des Reiches, 1. Reihe, Bd. 7 für 1872.
4) Zuerst in der Stat. des Reiches, 1. Reihe, Bd. 13 für 1873. Über die Geschichte
und Organisation dieser Erhebungen vgl. Stat. des Deutschen Reichs, Bd. 1, S. 288,
bzw. Bd. 8, S. III, 1.
Rusch: Statistik der Zivilrechtspfleve. 7
98 II. Abschnitt. Praktische Zivilrechtsstatistik.
gewerbe, z. B. den diesem gewährten Realkredit in Gestalt von Verpfän-
dungen der Transportmittel nicht ein, und doch wäre gerade diese Frage
von Interesse insofern, als daraus Schlüsse über die wirtschaftliche Lage
der Schiffahrt zumal beim Vorhandensein einer Bestandsstatistik ge-
zogen werden könnten.
Eine genauere Übersicht in historischer Entwicklung von 1847 bis
1908 bietet das Jahrbuch der bremischen Statistik (1909 S. 357) über den
Schiffsbestand auf der Unterweser.
Schlußbetrachtung.
Unsere Ausführungen dürften den eingangs aufgestellten Satz be-
stätigt haben, daß die Statistik der Zivilrechtspflege bei richtiger Aus-
gestaltung uns ein Spiegelbild der wirtschaftlichen wie sozialen Kultur
des Volkes zu bieten vermag, soweit es im Rechtsleben zum Ausdruck
kommt. Allerdings mußten wir wiederholt feststellen, daß wir gegen-
wärtig diesen Standpunkt der Ausgestaltung noch nicht bei allen Materien
erreicht haben. Wir wiesen darauf hin, daß die Entmündigungen stati-
stisch besser ausgebaut werden könnten, daß die Zwangsvollstreckungs-
statistik durch allgemeine Heranziehung der Dienstregister der Gerichts-
vollzieher eine wertvolle Ergänzung finden würde, und in gewissen Zwi-
schenräumen die Wiederholung der Bestandsaufnahme bei den privaten
Unternehmungen empfehlenswert wäre. Für die Tätigkeit der kommu-
nalen statistischen Ämter haben wir besonders die Berufsvormundschaft
als in höherem Maße beachtenswert bezeichnet.
Das dringendste Bedürfnis ist jedoch eine Verbesserung der Zivil-
prozeßstatistik. Hier namentlich macht sich das Bedürfnis einer genaue-
ren Kenntnis und einer besseren Beobachtungsmöglichkeit außerordentlich
geltend, und wie vor Jahrzehnten der immer wieder erhobene Ruf nach
einer den Bedürfnissen entsprechenden Konkurs- und Ehescheidungs-
statistik schließlich Gehör fand, so steht zu hoffen, daß der bei diesen
Materien eingeschlagene Weg auch beim Zivilprozeß betreten werden
wird. Die Zählkarte hat, wie wır sahen, sich auf so vielen Gebieten be-
reits Eingang verschafft, daß sich ihr die Zivilprozeßpflege auch nicht auf
die Dauer verschließen wird.
Darüber hinaus geht freilich noch ein weiteres Ziel, das sich dahin
formulieren läßt: Soweit einheitliches Recht, soweit einheit-
liche Statistik. Es ist heute selbst für den Fachmann schwer, einen
Überblick über die in vieler Hinsicht wichtigen Ergebnisse der Tätigkeit
der einzelstaatlichen und städtischen Statistik auf dem Gebiete des Zivil-
rechts zu gewinnen. Wie seinerzeit die Reichsjustizgesetzgebung 1879
den Anlaß und die Unterlage für eine einheitliche deutsche Justizstati-
stik geboten hat, so hätte die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches,
SchluBbetrachtung. 99
die Vereinheitlichung des Privatrechts fiir das gesamte Reich auch fiir
die Zivilrechtsstatistik die Veranlassung dazu sein können.!) Die Ver-
einheitlichung fände ihre naturgemäße Grenze an den Materien, welche
der landesrechtlichen Regelung vorbehalten sind, wie z. B. der Fürsorge-
erziehung. Es wäre auch nicht notwendig, die statistische Zentralstelle
des Reiches, der ja im wesentlichen die Aufgabe der sozialen Statistik
zufällt, mit der vollständigen Bearbeitung der Zivilrechtsstatistik zu über-
bürden. Es würde eine Art „föderierte‘“ Statistik genügen, d. h. es müß-
ten die Erhebungen in den Bundesstaaten nach einem einheitlichen Sche-
ma vorgenommen werden, die erste Aufarbeitung könnte in den Landes-
ämtern erfolgen, und nur die zusammenfassende Tätigkeit sowie die text-
liche Bearbeitung müßte seitens der Zentralstelle des Reiches geschehen.
Auch hier ist ja das Vorbild bereits in der Bevölkerungsstatistik gegeben.
1) v. Mayr, Stat. Bd. 3, 8.193; Bosco, Stat. civ. 8. 47.
Berichtigung.
Seite 21 Seitenüberschrift lies freiw. statt freie.
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Druck von B. G. Teubner in Dresden.
eg, nn m
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
DeutschesStatistisches Zentralblatt
Herausgegeben yon
Regierungsrat Geh. Regierungsrat Professor
Dr. Joh. Feig Dr. Eug. Würzburger Dr. Friedr. Schäfer
Direktor i Direktor
des Kgl. Sachs. Statistischen des Städtischen Statistischen
Amtes in Berlin Landesamies in Dresden Amtes in Dresden
5. Jahrgang. 1913. Jährlich 10 Hefte. Preis für
‚ den Jahrgang M. 10.— Einzelne Hefte je M. 1,30.
Das Deutsche Statistische Zentralblatt hat es sich zur Aufgabe gemacht,
über die wissenschaftlich-statistischen Leistungen auf allen Gebieten, auf
denen die Statistik heute zu einer gewissen Bedeutung gelangt ist, durch
Besprechung der einschlägigen Neuerscheinungen und durch eine ein-
gehende Bibliographie, sowie durch Aufsätze zu unterrichten. So kommen
als Hauptgegenstände zur Behandlung u. a.:
Mitglied
des Kaiserl. Statist,
Bevolkerungsstand.
Berulsstatistik
Bewegung der Bevölkerung.
Todesursachensiatistik, ` `
Bau- und Wohnunysstatistik.
Preis- und Konsumstiatistik.
Vermögen und Einkommen.
Grundbesiizstatistik,
Land- und Forstwirischafts-
statistik (einschl.Viehzähl.).
Gewerbestatistik (einschließ-
lich rs e
Statistik der öffentlichen Ge-
Handels- u, Verkehrsstalistik.
Statistik des Bank-, Geld- und
Kreditwesens.
Arbeiterstatistik (einschließt.
Sozialversicherung).
Versicherungsstatistik,
Statistik von Arbeilgeberorga-
nisalionen, Gesellschaften
und Genossenschafien.
Kirchen- und Konfessions-
statistik,
Wahlstatistik.
Statistik der Gesundheitsver-
Polizeistatistik (einschließlich
Sicherheilsdienst).
Armenstatistik.
Statistik des Unterrichts- und
Bildungswesens,
Justizgtatistik.
Finanzstatistik.
Statistische Sammelwerke,
Sonstige statistische Quellen-
veröftentlichungen,
Organisation, Geschichte,
eorie, Technik d. Statistik,
werbebetriebe. hälln. u. d. Krankenpflege.
Das dürften alle diejenigen Gebiete sein, deren statistische Bearbeitung für
die Behandlung der zur Diskussion stehenden wichtigsten Fragen der Volks-
wirtschaft und Politik notwendig und wünschenswert erscheint. Die Heraus-
eber bemühen sich dabei, nicht statistische Tabellen zu geben, sondern die
esultate derselben bis zu einem gewissen Grade sogleich zuverarbeiten,
so daß die an die Statistiken zu knüpfenden Urteile und Folgerungen dem
Leser zum Teil schon in einer Form dargeboten werden, die eine prak-
tische Verwendung derstatistischen Untersuchungen ohneweiteresgestatten. -
Ergänzungshefte zum Deutschen Statistischen Zentralblatt - Heft 1.
Statistik der Zivilrechtspflege
Dr. jur. et phil. Max Rusch
[99 S.] gr. 8 1912. Geh. M. 3.60, Vorzugspreis fair die
Abonnenten des Deutschen Statistischen Zentralblattes M. 2.40.
Die Arbeit gibt eine erstmalige eingehende Darstellung der wissenschaft-
lichen Grundlagen der Zivilrechtsstatistik, ihres gegenwärtigen Standes im
allgemeinen und in den einzelnen Gebieten unter Berücksichtigung der
historischen Entwicklung sowie Vorschläge für ihren weiteren Ausbau unter
besonderer Berücksichtigung der Zivilprozeßstatistik, und zugleich eine
Zusammenfassung der hauptsächlichsten für dieses Gebiet in Frage kom-
menden Veröffentlichungen. |
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| ERGÄNZUNGSHEFTE ZUM
DEUTSCHEN STATISTISCHEN ZENTRALBLATT - HEFT 2
HANDELSBETRIEBSSTATISTIK
MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG
DER WARENHANDELSBETRIEBE
VON
Dr. PHIL. ALFRED SIGERUS
Ee
DRUCK UND VERLAG VON BO TEUBNER IN LEIPZIG 1913
S
Die „Ergänzungshefte“ bringen geeignete Arbeiten auf
dem Gebiete der Statistik, die wegen ihres Umfanges im
Rahmen des „Deutschen Statistischen Zentralblattes“ nicht
untergebracht werden können.
Verlag und Redaktion.
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSBECHTS, VORBEHALTEN.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung.
Begriffabestimmungen . . . 2 . no nn ne
Das Material
Vergleichbarkeit der Betsiebszählunpen:
Ereter Teil.
Die Ergebnisse der gewerblichen Betriebsstatistik für den Warenhandel.
I.
II.
UL
Die Warenhandelshauptbetriebe nach der Zählung vom
12. Juni 1907 im Deutschen Reiche in den 28 Großstädten, so-
wie in 7 einzelnen Großstädten, in 31 Mittelstädten, 35 Klein-
städten und 100 Kreisen .
Die absoluten Zahlen der Haupthetriebe : ‘
Die relativen Zahlen der Hauptbetriebe nach Gawsrheatten :
Die Zahl der Hauptbetriebe im Vergleich zur re bzw.
Einwohnerzahl
Die Zahl der im Warenhandel beschäftigten Personen im Vergleich
zu der Gesamtzahl der Erwerbstätigen i
Die Hauptbetriebe nach der Zahl der beschäftigten erschien
Die Hauptbetriebe nach Personengrößenklassen ;
Zusammenfassung
Überblick über die Entwicklung der Warenhandelshaupt-
betriebe seit 1882 im Deutschen Reich, den 28 Großstädten,
7 einzelnen Großstädten, 31 Mittelstädten, 35 Kleinstadten
und 100 Kreisen
Stand des Warenhandels bzw. Handelsgewerbes nach den
Ergebnissen der gewerblichen Betriebszählung. .
Die Nebenbetriebe . ee er
Die Teilbetriebe . 2 22 2 2 2 2 2 8 k oaen ;
Die Gesamtbetriebe ........ a e e e . e
Das Personal . T ;
Die Rechtsform der Unternehmungen = a
Die offenen Verkaufsstellen . . . . . . nr nr ws 0
Die Zweiggeschifte . . . . ..
Die Vereinigung größerer Gewerbebetriebe in rder Hand: eines Inhabers
15
15
17
26
29
81
33
40
41
42
43
44
45
46
62
63
54
56
IN Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil.
Zum Ausbau der Handelsbetriebsstatistik.
Seite
I. Die Handelsbetriebsstatistik im Rahmen der allgemeinen
gewerblichen Betriebsstatistik. . . ......... . 59
Begrenzung.
Die Schilderungsobjekte . . . . . 2... 1... ee eee 69
Begriindung
a) Die Grenzen der gewerblichen Betriebsstatistik . . . . . . 60
b) Die Grenzen der Handelsbetriebsstatistik . . . . . 2 .. . 68
Gliederung.
Gewerbeliste . . 2. . 2. 1. 1. 1 ee ew BI
, Erhebungsobjekte . . ....... 2.2.2.2... 68
Die Gliederung nach dem Erhebungsbereich . . ....... MI
Die Formulierung der Fragestellung ..... 78
II. Die Handelsbetriebsstatistik als Ergänzung der im Rahmen
derallgemeinen gewerblichen Betriebsstatistik vorhandenen
Angaben: wc. 00. lee ee ee e TA
Begrenzung.
Die Schilderungsobjekte. e, 16
Begründung . . 4% a & Ae Be E Se ťa T6
Schlubergebnis. «4.66 4% un we we ee er e e 82
T =R ___ —
| ——
Einleitung.
Der Grundgedanke des ersten Teiles der Untersuchung geht von
zwei Gesichtspunkten aus. Erstens soll versucht werden, positive An-
gaben über den Warenhandel zu gewinnen, zweitens ein möglichst voll-
ständiges Bild darüber zu geben, wovon die gewerbliche Betriebsstatistik
in bezug auf das Handelsgewerbe unterrichtet. Von diesen beiden Punk-
ten ausgehend, sollen im zweiten Teil Richtlinien zu einem Ausbau der
Handelsbetriebsstatistik gegeben werden.
Begriffsbestimmungen.
Die Betriebszählung vom 12. Juni 1907 bezweckte die Feststellung
der Landwirtschafts-, Forstwirtschafts- und Gewerbebetriebe. Die Er-
hebung der letzteren beschränkt sich nicht auf das Gewerbe im engsten
Sinne (Handwerk, Industrie), vielmehr ist auch das Handels-, Verkehrs-
gewerbe, Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe, das Versicherungsge-
werbe und der Bergbau mit einbegriffen.
Bei Aufzählung der Objekte der gewerblichen Betriebszählung teilt
die „Ordnung der Gewerbearten‘ (Drucksachen Nr. Xa zur Berufs- und
Betriebszählung 1907) das Gewerbe ein in drei Abteilungen:
A. Gärtnerei, Tierzucht und Fischerei.
B. Industrie, einschließlich Bergbau und Baugewerbe.
C. Handel und Verkehr, einschließlich Gast- und Schankwirtschaft.
Diese zerfallen im Jahre 1907 in 23 Gewerbegruppen (im Jahre
1895 in 21). Die Gewerbegruppen zerfallen wieder in Gewerbeklassen
(1907 zusammen 128, 1895: 110) und diese endlich in Gewerbearten
(1907: 396, 1895: 320).
Die Zähleinheit einer gewerblichen Betriebsstatistik kann sein die
Unternehmung oder der Betrieb. Unter Unternehmung versteht
die Statistik zumeist eine Gesamtheit mehrerer Betriebe, die eine wirt-
schaftliche Einheit darstellt. Den Betrieb würde man hiernach als
technische Einheit der gewerblichen Produktion bezeichnen. Während
die Unternehmung ihre Einheit in der Gemeinsamkeit des Leiters, des
Risikos und der Buchführung findet, ist unter Einheit beim Betrieb der
gewerbliche oder kommerzielle selbständige Teil jeder Unternehmung zu
verstehen.
Die „Anleitung zur Ausfüllung des Gewerbebogens (Drucksachen III
der Zählung 1907) bestimmte: in der Regel ist für jeden Betrieb!) ein Ge-
1) Die Bezeichnung „Betrieb“ ist gemäß der oben angeführten Definition nicht
richtig, vielmehr müßte es „Unternehmung“ heißen.
Sigerus: Handelsbetriebsstatistik 1
2 Einleitung
werbebogen auszufüllen. Für verschiedenartige Gewerbe sind, auch wenn
sie zu einem Betriebe vereinigt sind, unter gemeinsamer Leitung stehen
und für sie eine gemeinsame Buchführung stattfindet, getrennte Angaben
zu machen. Je ein besonderer Gewerbebogen ist auch auszufüllen:
a) Für jede in sich abgeschlossene und zu einer besonderen Betriebs-
abteilung vereinigte Stufe des technischen Produktionsprozesses,
die so gestaltet ist, daß sie auch als selbständiger Gewerbebetrieb
vorkommt;
- b) für Jede zur Durchführung des Gesamtbetriebes bestimmte tech-
nische, in sich abgeschlossene und zu einer besonderen Betriebs-
einheit vereinigte, ergänzende, vorbereitende, abschließende Arbeit.
Bei Handels-, Verkehrs-, Bank- und anderen kaufmän-
nischen Betrieben ist je ein besonderer Gewerbebogen aus-
zufüllen für jeden in sich abgeschlossenen und zu einer be-
sonderen Abteilung vereinigten Geschäftszweig, z. B. Hypo-
theken-Abteilung einer Bank, die Personenbeförderung einer Dampf-
schiffahrtsgesellschaft, die Möbelabteilung eines Warenhauses.
Es ist also eine Statistik der Betriebe in dem Sinne, daß jeder selb-
ständige oder vom Unternehmer als solcher angegebene Teilbetrieb einer
gewerblichen Unternehmung als Betrieb gezählt worden ist. Dies ge-
schieht zum Zwecke der Vergleichung mit der Vergangenheit, die diesen
Grundsatz in die Gewerbestatistik eingeführt hat, ist aber auch deshalb
notwendig, weil nur so die vollständige gewerbestatistische Schilderung
der einzelnen sehr ausführlich gegliederten Gewerbearten möglich ist.
Durch gewisse Vorschriften ist jedoch Fürsorge getroffen, daß die gewerb-
liche Konzentration, d. h. die Verbindung der verschiedenen gewerb-
lichen Tätigkeiten zu einer Unternehmung erkannt werden kann. Die
Summe der einzelnen Gewerbebetriebe ein und derselben Unternehmung
heißt „Gesamtbetrieb“, der einzelne Teil „Teilbetrieb“. Ein
Teilbetrieb liegt vor, wenn verschiedene Gewerbe von demselben Unter-
nehmer unter einheitlicher Leitung ausgeübt werden, ganz gleich, ob sie
sich am Sitze des Hauptbetriebes oder an anderen Orten befinden. Meh-
rere Betriebe können als Teilbetriebe einen Gesamtbetrieb bilden, wenn
sie unter gemeinsamer Leitung stehen und für sie eine gemeinsame Buch-
führung stattfindet. Zu Gesamtbetrieben werden nur Teilbetriebe,
nicht auch Zweiggeschäfte zusammengefaßt. ,,Zweigbetrieb“ (-ge-
schäft) ist eine örtlich getrennt gelegene, von der übrigen Betriebsleitung
abgetrennte, aber nicht ganz selbständige Betriebsabteilung, in der
in der Regel der gleiche Gegenstand wie im Hauptunternehmen her-
gestellt oder gehandelt wird. Nebenverkaufsstellen und Betriebe, die
vom Hauptgeschäft unmittelbar geleitet werden, sind keine Zweigge-
schafte. „Hauptbetriebe‘ sind Gewerbebetriebe, in denen in der
Regel mindestens eine Person mit ihrer alleinigen oder Hauptbeschäf-
tigung tätig ist. „Nebenbetriebe‘ sind solche, in denen keine in die
Begritfsbestimmungen 3
sem Betriebe zu zählende Person tätig ist. Nach dem Hauptgrundsatze
sind nur die hauptberuflich in einem Betrieb tätigen Personen zu zählen,
so daß Nebenbetriebe solche ohne Personenangabe sind.
Zur Erfassung der Größe der Betriebe unterscheidet man zunächst
zwischen ‚„Alleinbetrieben‘‘ und ‚„Gehilfenbetrieben“. Alleinbetriebe |
sind Gewerbebetriebe, in denen ein einzelner Inhaber allein ohne Mit- —
arbeit von Mitinhabern, Gehilfen, mithelfenden Familienangehörigen
und ohne Motoren arbeitet. Gehilfenbetriebe sind Betriebe mit Mit-
inhabern, Gehilfen oder Motoren. Zu ihnen gehören auch Teilbetriebe, in
denen nur eine Person hauptberuflich arbeitet, wenn sie nicht gleichzeitig `
der Inhaber ist. Die Gehilfenbetriebe werden in folgende Größenklassen
zerlegt, die nach der Anzahl der am Zählungstage beschäftigten Personen
einschließlich der mithelfenden Familienangehörigen gebildet sind:
1. Kleinbetrieb (1—5 beschäftigte Personen).
2. Mittelbetrieb (6—50 beschäftigte Personen).
3. Großbetrieb (mehr als 50 beschäftigte Personen).
Es erscheint notwendig, die Ausdehnung dieser Begriffe, insbeson-
dere desjenigen der „Unternehmung“, näher ins Auge zu fassen. Diese
kann nämlich in verschiedenem Umfange als statistisch-technischer Be-
griff gefaßt und verwendet werden. Unter die „Gesamtheit mehrerer
Betriebe“ kann einerseits lediglich der Gesamtbetrieb fallen, dann ist
Unternehmung und Gesamtbetrieb identisch und wir haben es mit einer
wirtschaftlichen Einheit zu tun, oder es fallen unter diesen Begriff
sowohl Teilbetriebe, bzw. Gesamtbetriebe als auch Einzelbetriebe, dann
haben wir es mit einem privatrechtlichen Ausdruck zu tun, der das Be-
sitzverhältnis charakterisiert.
In welcher Weise mit Hilfe dieser Mehrzahl von Begriffen die Sta-
tistik die gerade im Handelsgewerbe oft sehr verzweigten Verbindungen
verschiedener gewerblicher Tätigkeiten erfaßt, sei kurz an einigen Bei-
spielen erläutert: Wenn in einer Stadt 6 Papierhandlungen sind, von
denen eine einem Buchhändler gehört, eine einem kleinen Buchbinder,
der neben dem Laden seine Werkstatt hat und sonst keine Personen
hauptberuflich beschäftigt, eine einem Buchbinder, der im Laden eine
Person hauptberuflich beschäftigt, eine einem Papierfabrikanten und
-händler von außerhalb gehört, ferner eine, die die einzige Erwerbsquelle
eines Händlers ist, und die letzte, von der Frau des Angestellten einer
Fabrik geführt wird, so unterscheidet die Statistik 1 Teilbetrieb, 1 Ge-
samt-Nebenbetrieb, 1 Gesamt-Hauptbetrieb'), 1 Zweiggeschäft, 1 Haupt-
betrieb und 1 Nebenbetrieb.
1) Der Gesamt-Nebenbetrieb und Gesamt-Hauptbetrieb wiirde als Teil-Neben-
betrieb und Teil-Hauptbetrieb gezählt, wenn, unter den sonst gleichen Bedingungen,
ein anderer als der Warenhandelsbetrieb den hauptsächlichsten Teilbetrieb bildet, da
die Statistik den Gesamtbetrieb jeweilig zu derjenigen Gewerbegruppe (-klasse oder
-art) rechnet, welcher ihr hauptsächlichster Teilbetrieb angehört.
1°
A Einleitung
Hieraus ergibt sich, daß eine große Fülle von Kombinationsmöglich-
keiten des von der Statistik gebotenen Zahlenmaterials möglich ist. In
vorliegender Arbeit wurde danach getrachtet, lediglich die für die Er-
kenntnis des Bestandes und der Entwicklung des Warenhandelsgewerbes
zweckmäßigsten Verbindungen zu untersuchen.
Der weitaus größte Teil!) der Betriebsstatistik bringt den Haupt-
betrieb zur Darstellung, d. i. den Betrieb, in dem mindestens eine Per-
son hauptberuflich tätig ist. Hierdurch wird das Übergewicht der durch
die Betriebszählung gewonnenen Ergebnisse auf die Zahl der nach diesem
Begriffe ausgeübten, gewerbsmäßigen Tätigkeiten, also auf die technische
Einheit des Betriebs gelegt. Die wirtschaftliche Abhängigkeit wird hier-
durch nicht beleuchtet. Ihr dient nur ein verhältnismäßig geringer Teil
der Statistik. Die Schlüsse, die sich aus den Ergebnissen der Zahlen für
den Hauptbetrieb ziehen lassen, sowie die Beurteilung des Standes und
der Entwicklung eines Gewerbezweiges, stützen sich somit auf diese sta-
tistische Zähleinheit. Sie gewinnen eine andere Bedeutung, sobald die
Unternehmung, bzw. der Gesamtbetrieb hinzutritt und gestatten dann
erst einen tieferen Einblick in den wirtschaftlichen Bestand und die
Entwicklung des betreffenden Gewerbes. Die Angaben betreffend die
Gesamtbetriebe erstrecken sich indes nur auf einen geringen Teil der
Statistik (1907 Ergänzung zu Tab. I), diejenigen betreffend die Unter-
nehmungen (im weiteren Sinne des Wortes) beschränken sich in der Sta-
tistik 1907 auf die „Vereinigung größerer selbständiger Gewerbebetriebe
in der Hand eines Inhabers“ (Tab. XIV). Die meisten Angaben wurden
nur für das Reich, bzw. Bundesstaaten, nıcht aber für die Großstädte und
kleineren Verwaltungsbezirke geboten.)
Das Material.
Die Unterlage für die Untersuchung bildete das Quellenmaterial der
Berufs- und Gewerbezählung vom 5. Juni 1882, 14. Juni 1895, sowie
der Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907, enthalten in der
„Statistik des Deutschen Reiches“, N. F. Bd. 2, 3, 6!, 6°, 7, 102/03,
107/08, 109, 113, 116, 117/18, 202, 207, 209, 213, 217, 218/19. Von den
` in dem Tabellenwerke für 1907 enthaltenen 16 Tabellen und einer ent-
sprechenden Zahl für die früheren Jahre wurden für die gewerbliche Be-
triebsstatistik in der Hauptsache verwendet: Tab. I „Zahl der Gewerbe-
betriebe und der darin beschäftigten Personen“ a) Deutsches Reich,
b) Großstädte. Ergänzung zu Tab. I „Gewerbebetriebe unter Zählung der
Gesamtbetriebe als Betriebseinheiten‘“ a) Reich, Tab. II „Die Gewerbe-
betriebe und ihr Personal nach Größenklassen der Betriebe‘ a) Reich,
b) Großstädte, Tab. III ,,Gewerbepersonal nach Stellung und Ge-
schlecht“ a) Reich, Tab. VI „Gewerbebetriebe, mit welchen offene Ver-
1) S. S. 5.
Quellenmaterial 5
kaufsstellen verbunden sind“ a) Reich, b) Großstädte, ferner Tab. XI
„Unternehmungsform der Gewerbebetriebe“ a) Reich, Tab. XIII
„Hauptgeschäfte und Zweiggeschäfte‘“ a) Reich, Tab. XIV ‚Vereinigung
größerer Gewerbebetriebe“ a) Reich, Tab. XVI „Kleinere Verwaltungs-
bezirke“, dann Tab. V ,,Hausgewerbe", Tab. VII „Benutzung von Mo-
toren‘, Tab. XV ,,Die öffentlichen Betriebe“, Tab. VII (1895) ,, Betriebs-
dauer“.
Untersucht wurde lediglich die Gewerbeklasse ,,Wa-
renhandel‘‘ der Gewerbegruppe XIX „Handelsgewerbe“
(„Ordnung der Gewerbearten von 1907“), ferner die 48 Gewerbearten
(XIX a 1—48). Auf die Darstellung der Verhältnisse innerhalb des Wa-
renhandels wurde somit der Hauptwert gelegt.')
Den „Warenhandel“ als gesondertes Betrachtungsgebiet von der
Gewerbeklasse „Handelsgewerbe‘ loszulösen, erschien bei dem großen
Prozentsatz seiner Betriebe an den Betrieben des Handelsgewerbes, wie
auch seiner sonstigen gesonderten Stellung im Wirtschaftsleben wegen
berechtigt.
Hauptbetriebe im Reich im Jahre 1907.
| en ect 1 Gewerbeklassen We Ré
|
| A. Gärtnerei, Tierzucht | |
| u. Fischerei . . . .ı) 53316 1,5 del ..... 709 231 | 84,7
| B. Industrie, einschl. b. Geld- und
Ä Bergbau und Bau- Kredithandel || 9918| 1,1
| gewerbe. ..... 2 086 368! 60,6] oe Buch-, Kunst-
C. Handel und Verkehr | u. Musikalien-
einschl. Gast- und handel .. A 14249! 1,6
Schankwirtechaft .|11283951 | 37,2) d Hausierhandel
| Musik-, Theater, Schau- (einschl. Stra-
! stellergewerbe . . 24 763 0,7 Benhandel). .|| 41 801 4,9
e. Handelsver-
mittlung. . .|| 45 736 5,4
f. Hilfsgewerbe
des Handels . 3 264 0,3
g. Versteigerung.! 17 941 2,0
Gesamtsumme 3 448 398
| XIX. Handelsgewerbe .|| 842 140
XX. Versicherungsge-
were 2.2... 2394| 1,8
XXI. Verkehrsgewerbe 88310! 6,9
XXII. Gast- u. Schank-
| wirtschaft. . . .| 329577 | 25,7
100,0
65,6
| 842 140 | 100,0
m m U eee
|
XIXa. en
| 1 283 951 | 100,0
1) Der Warenhandel nimmt als Gewerbezweig eine Sonderstellung ein und kann
daher nicht im selben Maße mit den anderen Gewerbeklassen des Handelsgewerbes ver-
glichen werden, wie die Klassen anderer Gewerbegruppen untereinander zweckmäßig
zu vergleichen sind.
6 Einleitung
Die Untersuchungen erstrecken sich ferner auf den Reichsdurch-
schnitt, auf den Durchschnitt der 28, nach der Berufsstatistik von
1895 vorhandenen Großstädte!) und der 7 Großstädte Berlin, Ham-
burg, München, Breslau, Straßburg, Leipzig und Cöln, die vermöge
ihrer Stellung, wie auch ihrer geographischen Verteilung über das Reich
gesondert betrachtet zu werden verdienen. Die Betriebsstatistik enthält
außer dem Reichsdurchschnitt, dem Durchschnitt der erwähnten 28
Großstädte und den einzelnen 28, bzw. ım Jahre 1907 42 Großstädten
noch die Bundesstaaten und die kleineren Verwaltungsbezirke. Während
von einer Bearbeitung der Zahlen für die Bundesstaaten abgesehen wurde,
wurden diejenigen der kleineren Verwaltungsbezirke verwendet. Die
Statistik von 1895?) (Bd. 117, 118) und von 1907 (Bd. 218, 219) be-
schränkt sich hierbei auf die Zahl der Hauptbetriebe, der Nebenbetriebe
und gewerbtätigen Personen (die Statistik von 1907 unterscheidet noch
die Arbeiter unter den Personen). Es wurden hiervon nur die Haupt-
betriebe und gewerbtätigen Personen bearbeitet, und zwar wurden
Mittelstädte, Kleinstädte und Kreise herausgegriffen.?) Von
den im Jahre 1895 aufgezählten 92 preußischen Stadtkreisen, bayerischen
unmittelbaren Städten, königlich sächsischen Städten usw.*) wurden
31°) Städte zusammengefaßt, die bei der Berufszählung 1895 (Bd. 109)
rund zwischen 35- und 75 000 ortsanwesende Personen hatten, mit zu-
sammen einer Bevölkerung von 1572 971 Köpfen, ferner 35 Städte®)
mit einer Zahl von rund 5—25 000 ortsanwesenden Personen und einer
Gesamtbevölkerung von 421 557 Köpfen. Es wurden somit nur die An-
gaben für 26 Städte nicht verwertet. Diese liegen z. T. dicht an der
Grenze der Großstädte und gehören nach der Berufszählung von 1907
zu ihnen. Ferner schieden die Städte, deren Einwohnerzahl zwischen
1) Städte mit mehr als 100 000 Einw. am Zählungstage. Diese sind: Konigs-
berg, Danzig, Berlin, Charlottenburg, Stettin, Breslau, Magdeburg, Halle a. S., Altona,
Hannover, Dortmund, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Elberfeld, Barmen, Crefeld, Cöln,
Aachen, München, Nürnberg, Dresden, Leipzig, Chemnitz, Stuttgart, Braunschweig,
Bremen, Hamburg, Straßburg.
2) Die Statistik von 1882 führt nur die „Staaten und größeren Verwaltungs-
bezirke“ auf.
3) Soweit sie in beiden Zählwerken enthalten sind (also keine Änderungen in der
politischen Einteilung vorgenommen wurden).
4) Ausschl. der 28 Großstädte, die in diesem Bande auch aufgezählt sind.
5) Bamberg, Beuthen, Bonn, Bochum, Brandenburg, Bromberg, Duisburg, El-
bing, Flensburg, Frankfurt a. O., Fürth, Görlitz, Hagen, Halberstadt, Harburg, Hil-
desheim, Koblenz, Kottbus, Liegnitz, Metz, München-Gladbach, Münster, Osnabrück,
Potsdam, Posen, Regensburg, Remscheidt, Spandau, Trier, Wiesbaden, Würzburg.
6) Amberg, Ansbach, Aschaffenburg, Celle, Deggendorf, Dillingen, Eichstädt,
Emden, Erlangen, Forchheim, Freising, Ingolstadt, Jever, Kaufbeuern, Kempten,
Kitzingen, Kulmbach, Landsberg, Landshut, Lindau, Lüneburg, Memmingen, Neu-
burg a. D., Neu-Ulm, Nördlingen, Oldenburg, Passau, Rosenheim, Rothenburg o. T..
Schwabach, Schweinfurt, Straubing, Traunstein, Varel, Weißenburg.
Untersuchungsbereich 7
25- und 35 000 hegt, zu dem Zwecke aus, in den Resultaten der Bearbei-
tung scharfer ausgeprigte Unterschiede zu erzielen.
Was die preußischen Kreise, bayerischen Bezirksämter, württem-
bergischen Oberämter usw. betrifft, wurden 100 zusammengefaßt mit
insgesamt 7764 Gemeindeeinheiten und einer Gesamtbevölkerung im
Jahre 1895 von 3 410 234 Kopfen.') Hierbei wurden solche Verwaltungs-
bezirke ausgewählt, die keine oder selten mehr als zwei Städte mit fast
durchweg unter 5000 Einwohnern enthielten. Die Gesamtzahl dieser
Städte (173) bilden nur 2,2 % aller Gemeindeeinheiten.?)
Es wurde somit bei der Wahl der zur Untersuchung gelangenden
Städte und Gebiete (Wohnplätze) nicht auf eine gleichmäßige geogra-
phische Verteilung derselben innerhalb des Deutschen Reichs gesehen,
was bei den Städten wenigstens infolge der verhältnismäßig geringen
Zahl der in der Statistik aufgeführten Städte von vornherein unmög-
lich schien, sondern die Größenkategorie der menschlichen An-
siedelungen in den Vordergrund gestellt. Es wurde getrachtet, in bezug
auf diese Gleichartiges zusammenzufassen, um sodann die drei Gruppen
Mittelstädte, Kleinstädte und Land ihrerseits voneinander scharf ge-
trennt der Gruppe der Großstädte gegenüberstellen zu können.
1) Es ist nur eine beschränkte Zahl von Landgemeinden erfaßt worden, um die
Zahl der Gesamtbevölkerung nicht zu weit von derjenigen der Mittel- und Kleinstädte
zu entfernen.
2) Da die Berufsstatistik. die für die Größe der Verwaltungsbezirke in Frage
kam, nur die Verwaltungsbezirke im ganzen enthält und die Größe der einzelnen Ort-
schaften nicht erkennen läßt, also auch nicht ob Städte innerhalb der Verwaltungs-
bezirke sind und ferner unsere Untersuchung von den Ortsgrößenklassen nach Mög-
lichkeit ausgeht, so mußte auf die politische Einteilung dieser Verwaltungsbezirke
zurückgegriffen werden und mußten solche ausgewählt werden, die in der Haupt-
sache Landgemeinden enthalten. Hierbei wurden benutzt: Gemeindelexikon
für das Königreich Preußen 1908, Bd. 2. 7. 9—12, Ortschaftsverzeichnis des König-
reichs Bayern, herausgegeben vom königl. bayer. Stat. Bureau, München 1904, Stat.
Handbuch für das Königreich Württemberg, Jahrgang 1906 und 1907, herausgegeben
vom Stat. Landesamt, Stuttgart 1908. Die untersuchten Verwaltungsbezirke ver-
teilten sich wie nachstehend (die Zahlen betreffend die politische Einteilung konnten
für die drei Bundesstaaten auch nicht für dasselbe Jahr gegeben werden. Der Grund
liegt darin, daß die politische Einteilung nur für die genannten Jahre bekannt ist.
Auch die Zahlen der Gesamtbevölkerung beziehen sich hier nicht auf ein und dasselbe
Jahr). Preußen: 53 Kreise mit 5481 Landgemeinden und Gutsbezirken und 109 Städ-
ten (& ca. 2000 Einw.), Bevölkerung 2 031 009. Bayern: 27 Bezirksämter mit 1500
Landgemeinden und Märkten und 41 Städten, Bevölkerung 882579. Württemberg:
20 Oberämter mit 610 Gemeinden und 23 Städten (à 2000 bis unt. 5000 Einw.), Bevölke-
rung 496 646. Während bei Preußen und Württemberg die Zahlen betreffend die
politische Einteilung (Kreise bzw. Oberämter, Landgemeinden und Gutsbezirke, bzw.
Gemeinden, Städte) sich auf die Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1905
beziehen und diejenigen der Bevölkerung auf die Volkszählung vom 2. Dezember
1895, beruhen für Bayern die ersteren auf den Ergebnissen der Volkszählung vom
1. Dezember 1900, die letzteren auf den Ergebnissen der Berufsstatistik von 1895
(Bd. 109).
8 Einleitung
Vergleichbarkeit der Betriebszählungen.
Werden die Gewerbearten der Gewerbeklasse ‚Warenhandel‘ der
drei Zählungswerke gegenübergestellt, so ergeben sich für die Statistik
von 1882: 13 Gewerbearten. Es sind dies: „H. m. Tieren‘“'), „H. m. land-
wirtschaftlichen und verwandten Produkten‘, „H. m. Brennmateria-
lien“, „H. m. Baumaterialien“, ,,H. m. Metallen und Metallwaren‘, „H.
m. Kolonial-, EB- und Trinkwaren‘“, „H. m. Wein und Spirituosen‘,
„H. m. Tabak“, „H. m. Leder“, H. m. Manufaktur- und Schnittwaren‘‘,
„H. m. Galanterie- und Kurzwaren‘“, „H. m. verschiedenen Waren" und
„Trödelhandel“. In der Statistik 1895 dagegen sind 15 Gewerbearten
aufgezählt. Es kamen noch die Gewerbearten „H. m. Drogen, Chemi-
kalien und Farbwaren“ und „H. m. Maschinen und Apparaten (Näh-
maschinen, Fahrräder)‘ dazu. In der Statistik 1907 kamen noch 33 Ge-
werbearten dazu.?) Es mußten daher diese 48 Gewerbearten in 15 Grup-
pen zusammengezogen werden, um mit den Gewerbearten von 1895 ver-
glichen werden zu können. Von den 13 Gewerbearten 1882 konnten nur
10 den 15 Gewerbearten von 1895 gegenübergestellt werden. — Dieser
Zusammenfassung stellten sich erhebliche Schwierigkeiten in den Weg,
die dadurch entstanden sind, daß in der Gruppierung der Waren, die
in den einzelnen Gewerbearten zusammengefaßt sind, in den Gewerbe-
listen für die 3 Zähljahre teilweise erhebliche Änderungen vorgenommen
worden sind. Es mußte daher zuerst festgestellt werden, inwieweit die
Gewerbearten in den drei Gewerbelisten dieselben Waren, bzw. die
gleichen ,,Gewerbebenennungen“ aufweisen. Es zeigte sich, daß in den
beiden letzten Gewerbelisten viele Waren bei einer anderen Gewerbeart
als früher eingestellt worden sind, so daß die Gewerbearten der drei
Listen erst dadurch vergleichbar gemacht werden mußten, daß die, ihrer
Waren (Gewerbebenennungen) wegen zusammengehörigen Gewerbe-
arten, auch wenn sie verschieden bezeichnet waren, zusammengefaßt
werden mußten, um sie einander gegenüberstellen zu können. Dabei war
ausschlaggebend, ob in der einen oder anderen Gewerbeart die Zahl der
aus der Gewerbeart der früheren Listen neu eingeteilten Waren oder die
1) H. m. = Handel mit.
2) Es’ wurden insbesondere geteilt die Gewerbearten: Kolonialwarenhandel
Von 200 367 Betrieben entfielen 1907 in die neu unterschiedenen Gewerbearten z. B.
auf Kolonialwaren- Leder und Wolle.
handel ..... 197 131 = 81,30 % auf Leder. ...... = 51,5%
„ Bierhandel . . . . 16371 = 827% Manufaktur- u. Schnittwaren
„ Back- u. Konditorei- auf Manufakturwaren. . = 60,6 %
waren ..... 8734 = 439% Verschiedene Waren.
„ Fische. ..... 6 850 auf Papier ...... = 7,8%
„ Schokoladen . . . 5327 : , Porzellan ..... = 71%
„ Fleisch und Fleisch- „ Knochen ..... =10,0%
waren .... . 4 949 „ verschied. Waren. . = 48,3 %
Vel. S. 9.
Vergleichbarkeit
9
(schätzungsweise) angenommene Wichtigkeit dieser Waren überwog.
Die Gewerbearten, bzw. die Gruppen der Gewerbearten, die zum Ver-
gleich kamen, enthalten daher auch nicht vollkommen übereinstimmend
dieselben Waren, weshalb die so gewonnenen Zahlen nur Annäherungs-
werte darstellen. Im folgenden sollen die Veränderungen in der Ein-
teilung der Gewerbeliste und die Zusammenfassung der Gewerbearten
im einzelnen dargelegt werden, um für den Einzelfall die Brauchbarkeit
der gewonnenen Zahlen festzustellen.
Die EE der drei Ogee penser war nach De ewerbearten:
1. H. m. Tieren
verw.) Produkten
|
|
| | 3. H. m. Brenn-
materialien
4. H m. Baumaterial.
5. H. m. Metall u. |
Metallwaren
|
|
|
|
6. H. m. Kolonial-, EB-
| und Trinkwaren
7. H. m. Wein
.8. H. m. Tabak u.
Zigarren |B
— — ————$—_— `
1. H. m. Tieren 1
verw.) Produkten
3. H. m. Brennmateri- | 6
alien
4.H.m. Baumaterialien) 7.
5. H. m. Metallu. Me- | 9
tallwaren
10.
11.
6. H. m. Maschinen u. | 12
Apparaten (Nähma-
schinen, Fahrräder
usw.)
7. H. m. Drogen, Che- | 13
mikalien u. Farb-
waren 14
8. H. m. Kolonial-, EB- | 15
und Trinkwaren
16
17
19
20
E
22
9. H. m. Wein u. Spi- ' 18.
rituosen
10. Se m. et Zi- | 23.
|
. H. m. Schlachtvieh
. H. m. anderen Tieren
2 H. m. landw. (und | 2. H. m. landw. (und | 3.
. H.m. anderen landw. Produk.
.H. m. Blumen und Samen
.H. m. Brennmaterialien
.H. m. Maschinen u. Appa-
. H. m. Drogen,
. H. m. Seifen und Parfümerien
. H. m. Kolonial-,
. H. m. Delikatessen
. H. m. Bier
. H. m. Schokoladen, Zucker-
H. m. Getreide, Mühlenfabri-
katen und Hülsenfrüchten
Ze er en er e — gn Beer M
H. m. Bau- und Nutzholz |
H. m. anderenBaumaterialien |
. H. m. Edelmetall und Edel-
metallwaren
H. m. Eisen u. Eisenwaren
H. m. anderen Metallen und
Metallwaren
raten (Nähmaschinen, Fahr-
räder usw.)
Chemikalien
und Farbwaren
EB- und
Trinkwaren (soweit nicht unt.
16—23 aufgeführt)
SS nn an re a ce
waren, Naschwerk
. H. m. Back u. Konditorwaren
. H. m. Fleisch u. Fleischwaren
. H.m. rohen, geräucherten und
gepökelten Fischen
H. m. Wein und Spirituosen
H. m. Tabak, Zigarren, Ziga-
retten
10 Einleitung
DEREN Bu
1882 | 18% | 1907
| 9. Hm Leder (Wolle,| 11. H. m. Leder (Wolle, |24. H. m. Häuten, Fetten, Leder, |
Baumwolle) Baumwolle) Tierhaaren
25. Rauchwaren
26. H. m. roher Wolle und roher
| | Baumwolle i
10. H. m. Manufaktur-| 12. H m. Manufaktur- 27. H m. Manufaktur- (Schnitt-)
(Schnitt-)waren (Schnitt-)waren | waren
ES H. m. Männer-, Frauen- und
Kinderkleidern
30. H. m. Hüten und Mützen
‚32. H. m. Posamenten
35. H. m. Korsetts
13. H. m. Kurz-, Galan- 31. H. m. Strümpfen, Trikotagen,
teriewaren ! teriewaren Kurz- und Galanteriewaren
| 40. H. m. Uhren
42. . Pinseln und Bürsten
. Putzwaren
. Schuhwaren
. Bettfedern und Betten
. Schirmen u. Stöcken
. Möbeln
. Tapeten, Teppichen,
oleum u. Möbelstoffen
41. H. m. Papier, Pappe u. dgl.
| Waren
43. H. m. Porzellan, Steingut,
Glaswaren
| 4a, H. m. Ölen und Fetten
45. H. m. Antiquitäten.
46. H. m. Lumpen und Knochen
‚47. H.m. verschied. u. anderen als
| 29. H. m. Wäsche
11. H. m.Kurz-,Galan-
H
H
14. H.m.versch.u. and. ‚33. H
als vorst.benannten 34. H.
Waren 36. H.
H
H
H.
Lin
Waren
‚37.
‚38.
39.
BEBEESBS
12. H. m.verschiedenen
|
| vorstehend benannten Waren
| 13. Trödelhandel | 15. Trödelhandel |48. Trödelhandel.
Die Einteilung der Waren (Gewerbebenennungen) innerhalb der
Gewerbearten unterschied sich in den drei Gewerbelisten in folgenden
Punkten:
(Die in () gesetzten Zahlen geben die Nummern der Gewerbearten von 1882, bzw. in der zweiten
Spalte für 1895 an.)
EE
| | Gewerbeliste von 1895 |Gewerbeliste von1907
| EECHER , neu eingeteilte Waren | neu eingeteilte Waren
| 1. H. m. Tieren — | —
E H. m. landw. u. ver- | Kalmus (12) —
| wandten Produkten
| 3. H.m.Brennmaterialien ges | =
4. H. m. Baumateri- Schnittholz (3), Steinhan- |
alien del (12), Trottoirplatten |
(12), Tuffsteinhandel (12) ,
| Gewerbearten |
: 5. H. m. Metall u. Me-
| tallwaren
| 6. H. m. Maschinen u.
Apparaten |
. H. m. Drogen, Che-
mikalien und Farb-
waren
|
|
|
| 8. H m. Kolonial-, EB-
und Trinkwaren
|
|
9. H. m. Wein u. Spiri-
tuosen
|
. H. m. Tabak u. Zi- |
garren
H. m. Leder (Wolle,
Baumwolle)
H. m. Manufaktur-
(Schnitt-)waren
11.
12,
Vergleichbarkeit
neu eingeteilte Waren
selarmaturen (12), Ma-
schinen (12), Nähmaschi-
nen (12), Werkzeugma-
schinen (12)
Aschen (12), Balsam (12),
Blaufarblager (12), Chemi-
kalien (12), Drogen (6),
Farben (12), Farberde (12),
Farbwaren (12), Farbholz
(12). Firnis (12),
(Weinstein) (6), Geist (6),
Gerbstoff (12), Graphit
(12). Holzaschen (12),
Holzteer (12), Indigo (6),
Kienruß (12), Knochen-
mehl (12), Kunstdünger
(12), Lack (12), Lebertran
(6), Leim (12), Malerei-
material (12), Ölfarben
(12), Parfümeriewaren(12),
Pech (12), Schellack (12),
Schwefel (12), Sprengma-
terialien (12), Teer (12),
Gewerbeliste von 1895 Gewerbeliste von 1907
_heu eingeteilte Waren
Dreschmaschinen (12), Kes- |
Flotz `
Waschkristall (12), Wein- `
stein (6)
Branntwein (6), Kognak (6),
Rosoglio (6), |
Likör (6),
Schnaps (6), Spirituosen
(6)
!
Tabakeinkäufer (2)
11
Seifen (14), Licht (14)
Saibling (2)
Scherhaar (14), Pelz(14),:
Pelzw. (14), Rauch- |
waren (14), Rauh- |
waren (14), Borsten
(2), Fett (8), Fett-
waren (8), Kürsch-
nerwaren (14), Fell
(14), Roßhaar (14), `
Hut (14), Bändelkrä- |
mer (14), Schnur (14) |
12 Einleitung
Gewerbeliste von 1895 'Gewerbeliste von 1907
o GENSEDERTLER | reu eingeteilte Waren Ä neu eingeteilte Waren
| 13. H. m. Kurz- und = Strumpfwaren (12), Tri-
Galanteriewaren kotagen (12), Trikot-
waren (12), Socken |
(12), Seidenband (12),
|
Handschuhe (12),
Kunstblumen (12),
Achatwaren (14), Be-
sen (14)
14. H. m. versch. und | Blut (6), Eis (6), Roheis (6) | Federn (2), Produkten
and. als vorstehend (2), Betten (12), Mö-
benannten Waren belstoff (12), Papier
(13), Pappe (13), Pa-
peterie (13), Putz-
waren (12)
15. Trödelhandel — —
Se Zë E
Außerdem wurde in den beiden neuen Gewerbelisten die Zahl der Waren-
benennungen bedeutend vermehrt und besonders in der Gewerbe-
liste von 1907 eine Reihe neuer Warenspezialitäten und Artikel neu an-
geführt, die früher teils nicht existierten'), teils aber nur unter einem
Sammelnamen aufgezählt waren.?) Ebenso fielen aus den alten Ge-
werbelisten gewisse Waren- und Händlerbezeichnungen aus.?)
Aus obiger Aufstellung ergibt sich, daß die wichtigste Änderung
zunächst für die Gewerbeliste von 1895 die Neubildung der Gewerbe-
art 6 H. m. Maschinen und 7 H. m. Drogen ist. Dadurch wurde ein Ver-
gleich der Gewerbeart 14 H. m. verschiedenen Waren mit der Gewerbe-
art 12 von 1882 von vornherein unmöglich, da die beiden neuen Gruppen
fast ausschließlich von Waren zusammengesetzt wurden, die früher in
der Gewerbeart H. m. verschiedenen Waren enthalten waren. Ähnlich
liegen die Verhältnisse bei der Gewerbeart 9 H. m. Wein. Hierzu kamen
die Spirituosen, welche früher zur Gewerbeart H. m. Kolonial-, Eß- und
Trinkwaren zählten, wodurch beide Gewerbearten 8 und 9 unvergleichbar
wurden. Was die Gewerbeart 4 H. m. Baumaterialien betrifft, so ist zu
bemerken, daß diese Gruppe durch die Neuzurechnung des Steinhandels,
wenn damit auch nicht der Baustein oder Pflastersteint) gemeint ist,
1) Wie z. B. in der Gewerbeliste von 1907 Automobilwagen, Motorwagen, Motor-
räder usw.
2) Z. B. in der Gewerbeliste von 1895 wurde nur „Wein“ angegeben, während
1907 daneben noch Dalmatiner-, Palästiner-, Rosinen-, Obstwein, Punsch, Destil-
lationen (Schnaps).
3) Z. B. aus der Gewerbeliste von 1882 schied aus Bernstein, Zichorien, Melissen-
geist, Zwetschgendörrer, Resterhändler, Kuttelfleckwäscher.
4) Bau-, Pflaster-, Ziegel- und Sandstein wurden ohnehin zu dieser Gewerbeart
gezählt. .
Vergleichbarkeit 13
sondern lediglich der H. m. Waren aus ,,verarbeiteter Steinmasse‘‘')
eine gewisse Vergrößerung erfahren hat, die bei dem Vergleich der beiden
Zahlen in Anschlag gebracht werden muß. Alle anderen Gewerbearten
dagegen gestatten eine direkte Gegenüberstellung. — Was die Gewerbe-
liste von 1907 betrifft, ist anzuführen, daß durch die Neubildung von
33 Gewerbearten teilweise eine Neugruppierung der Waren vorgenom-
men wurde, so daß hierdurch ein Vergleich gewisser Gewerbearten
mangelhaft wird. Namentlich sind es die Zalılen für die Gewerbeart 14
H. m. verschiedenen Waren, die dadurch an Brauchbarkeit eingebüßt
haben. Insbesondere der Umstand, daß so wichtige Artikel wie Seifen
und Licht, Hüte, Rauchwaren, die früher Bestandteile dieser Sammel-
gruppe waren, durch Aufstellung neuer Gewerbearten?) hier ausfielen
und daß andere Waren, Papier, Möbelstoffe, Betten, neueingereiht wur-
den, beeinträchtigt den Wert der Zahlen dieser Gewerbeart
sehr bedeutend. Diese stehen allerdings, was ihre Brauchbarkeit be-
trifft, infolge des Charakters?) dieser Gewerbeart, weit hinter den-
1) Jedoch nicht Grabsteine, die, sowie auch die Mineralien in der Gewerbeliste
von 1895, zur Gewerbeart 14 H. m. verschiedenen Waren zählen.
2) „Seifen und Parfümerien“ wurden in der Gewerbeliste von 1907 zu einer be-
sonderen Gewerbeart zusammengefaßt. Da in der Gewerbeliste von 1895 „Parfü-
merien“ zu der Gewerbeart 7 H. m. Drogen gehört, mußten „Seifen und Licht“, die
bis dahin zu 14 H. m. verschiedenen Waren gehörten, nun ebenfalls zu 7 H. m. Drogen
gezählt werden, oder umgekehrt „Parfümerien“ zu 14 H. m. verschiedenen Waren. —
Ausschlaggebend für die Entscheidung hierfür wie auch für drei folgende Fälle wurde
die Aufeinanderfolge der Gewerbearten in der Statistik, um damit die Bearbeitung der
Zahlenmaterialien nicht ohne entsprechenden Grund zu erschweren. — „Hüte und
Mützen“ wurden ebenfalls zu einer Gewerbeart zusammengefaßt. Während „Hüte“
in der Gewerbeliste von 1895 zu 14 H. m. verschiedenen Waren gehörte, waren
„Mützen“ bei 12 H. m. Manufakturwaren zugeteilt. Die neue Gewerbeart wurde, auch
hier entsprechend der Einreihung in der Statistik, zu 12 H. m. Manufakturwaren
gezählt. — „Häute, Fette, Leder“ wurden desgleichen zu einer Gewerbeart zusammen-
gefaßt, da „Leder“ nur der Gewerbeart 11 H. m. Leder, Wolle, Baumwolle gegenüber-
gestellt werden konnte, mußte „Fett“ aus 8 H m. Kolonial-, EB- und Trinkwaren
ausscheiden. — Die ferner neugebildete Gewerbeart „Putzwaren“ enthält Putz-
waren, die früher zu 12 H. m. Manufakturwaren zählten und Putzfedern, die in der
Gewerbeliste von 1895 zu 14 H. m. verschiedenen Waren gerechnet wurden; aus
diesem und obigem Grund wurde diese Gewerbeart zu H. m. verschiedenen Waren
gezählt. — Dieselben Verhältnisse liegen vor bei den 1907 gebildeten Gewerbearten
„Strümpfe, Trikotagen, Kurz- und Galanteriewaren“, „Bettfedern und Betten“,
„Tapeten, Teppichen, Linoleum und Möbelstoffe“ und „Papier, Pappe u. dergleichen
Waren“. Bei diesen Gewerbearten entschied darüber, ob die Einteilung nach den
einen oder anderen in der Gewerbeart enthaltenen Waren stattfinden muß, die Wich-
tigkeit oder Anzahl dieser Waren.
3) Die Gewerbeart H. mit verschiedenen und anderen als vorstehend benannten
Waren enthält nicht, wie leicht angenommen werden könnte, nur Geschäfte für den
Handel mit verschiedenen Waren, also Basaren usw. Sie enthält zwar auch diese,
mit Ausnahme der Warenhäuser, es zählen jedoch dazu u. a. „Kaufleute (ohne
nähere Angabe)“, „Krämer“, „Handelsleute“, „Würfelbuden“, „Konsumvereine”
(diese auch zu „Kolonial-, EB- und Trinkwaren“). Diese Gewerbeart bildet indes
14 Einleitung
jenigen der anderen Gewerbearten zurück. — Eine wesentliche Ver-
änderung erfuhr ferner die Gewerbeart 7 H. m. Drogen und 11 H. m.
Leder. Die hierfür gewonnenen Zahlen stellen sich in den Ergebnissen
der Zählung von 1907 etwas zu hoch, da hierzu noch Seifen und
Licht!), bzw. Fett und Fettwaren und Rauchwaren?) dazu kommen. Et-
was mehr ausgleichend auf die Zahlenergebnisse dürften die Verände-
rungen der Gewerbeart 12 H. m. Manufakturwaren und 13 H. m. Galan-
teriewaren gewirkt haben. Während aus Gewerbeart 12 Strumpfwaren,
Möbelstoffe, Betten!) und aus Gewerbeart 13 Papier ausschied, kamen
zu ersterem Hüte, zu letzterem Strumpfwaren dazu.
Alle übrigen oben enthaltenen Änderungen jedoch dürften die Ge-
samtzahlen für die jeweiligen Gewerbearten nur unwesentlich beein-
flussen.
Weiter ist noch zu nennen, daß betreffend den Personenhöchststand
ein Vergleich nieht möglich ist, da die Statistik von 1907 neben dem
Stande am Zählungstage die „Höchstzahl der beschäftigten Personen“
angibt, während die Statistik von 1895 die Personen neben dem Be-
stand am Zählungstage noch ,,im Durchschnitt des Jahres oder der
Betriebszeit überhaupt“ aufzählt. Die gerade für das Handelsgewerbe ın
gewissen Zweigen charakteristische Zunahme der beschäftigten Per-
sonen, die Einstellung von Saisonangestellten, die zu Zeiten regen Ge-
schäftsverkehrs stattzufinden pflegt, kann somit im Vergleiche der bei-
den Zählungen nicht untersucht werden. Der Durchschnitt der be-
schäftigten Personen kommt weniger in Frage, da er 1895 nicht, wie in
anderen Gewerbezweigen, z. B. der Industrie*), stark über den Stand am
Zählungstage hinausging, sondern der Stand am Zählungstage im Han-
delsgewerbe mit dem Durchschnitt fast übereinstimmte. Als Beispiel
möge hier angeführt werden, daß im Warenhandel im Reiche 1895 auf
1 103 220 Personen, die am Zählungstage ermittelt wurden, nur 1 105 423
für den Durchschnitt des Jahres ermittelte Personen kamen, was also
für das ganze Reich bloß eine Differenz von 2103 = 0,3 % Personen
machte. Das Verhältnis vom ermittelten Stande zu der Personen-
daneben auch eine große, zusammenfassende Sammelgruppe aller der Waren-
handelsgewerbe, die in die übrigen 14 Gewerbearten nicht aufgenommen werden
konnten.
1) S. Anm. 2 vorige Seite.
2) „Rauchwaren“ wurde zu 11 H. m. Leder gezählt, da sie ihrer Natur nach,
wie auch der Einreihung in die Statistik hisrher gehört. — Es bildet z. B. 1907
„Rauchwaren“ 12,5 der Hauptbetrieb der gesamten, aus den drei Gewerbearten
24, 25 und 26 gebildeten Gruppen.
3) So betrug der im Durchschnitt beschäftigte Personenstand im Jahre 1895
für die „Industrie der Nahrungs- und Genußmittel“ 1 021 490 Personen, der Stand
am Zählungstage dagegen um 72 593 = 7,6 % Personen weniger; dagegen der durch-
schnittliche Personenstand im „Handelsgewerbe“ 1 332 993 Personen und nur 6 065
= 0,4 % Personen am Zählungstage weniger.
Vergleichbarkeit 15
höchstzahl für das Reich 1907 stellt sich im Warenhandel bei 1723 499
Personen am Zählungstage und 1762193 Personen der Höchstzahl nach
auf 38 694 = 1,3 % Personen Differenz. Es wurde in der Untersuchung
von der Darstellung der Höchstzahl — wenigstens ım Vergleich des
Reichs mit den Großstädten — abgesehen und diese nur anhangsweise
für Berlin gegeben.
Es sei noch erwähnt, daß, während 1895 die gelegentliche Mitarbeit
von Familienangehörigen ausdrücklich ausgeschlossen war, 1907 auch
die nur helfend tätigen Familienangehörigen anzugeben waren.
Aus der Methode der Zählungen geht somit hervor, daß die Ergeb-
nisse in einigen Punkten nicht, in anderen schwer vergleichbar sind. In-
dessen ist bei den meisten und wichtigsten Fällen ein Vergleich sehr wohl
möglich.
Zum Schluß sei noch kurz auf zwei Umstände hingewiesen, welche
die Verwendung der Zählwerke außerordentlich erschwerten. Diese sind
1. die sehr ins Detail gehende Unterscheidung nach Größenklassen und
2. die Jeweils verschieden große Zahl von Großstädten für die zusammen-
fassende Angabe aller Großstädte, welche für den ın der vorliegenden
Untersuchung eingeschlagenen Weg deshalb ohne Verwendung bleiben
mußte.
Erster Teil.
Die Ergebnisse der gewerblichen Betriebsstatistik
für den Warenhandel.
L Die Warenhandelshauptbetriebe nach der Zählung vom 12. Juni 1907
im Deutschen Reiche in den 28 Großstädten sowie in 7 einzelnen Groß-
städten, in 31 Mittelstädten, 35 Kleinstädten und 100 Kreisen.
Die absoluten Zahlen der Hauptbetriebe.
Die Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907 ergab nach den
Ermittelungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes 709 231 Haupt-
betriebe der Gewerbeklasse XIXa ‚Warenhandel‘ im Deutschen Reiche.
Unter den 15 Gewerbearten!) nimmt an Zahl der Hauptbetriebe die
(rewerbeart „H. m. Kolonial-, EB- und Trinkwaren“?) mit 245 367 Be-
trieben die erste Stelle ein. Ihr folgt die Gewerbeart ,,H. m. landwirt-
1) Die Gewerbearten stellen hier die 15 zusammengezogenen Gruppen dar, der in
der Statistik von 1907 unterschiedenen 48 Gewerbearten, s. Einleitung. Sie tragen
die in der Gewerbeliste von 1895 für die Gewerbearten der Gewerbeklasse XVIIIa
„Warenhandel“ enthaltenen Bezeichnungen.
2) Innerhalb der Gewerbeart „Handel mit Kolonial-, EB- und Trinkwaren“
entfielen 197 931 Betriebe auf den Kolonialwarenhandel (81,3 %), 16 371 entfielen
auf den Bierhandel (8,3 %), 5 327 auf den Schokoladenhandel, 8 734 auf Backwerk-
und Konditoreiwarenhandel, 4 949 auf Fleisch und Fleischwarenhandel, 6 850 auf den
H. von rohen, geräucherten und gepökelten Fischen.
16 Erster Teil
schaftlichen und verwandten Produkten‘ mit 124 219 Betrieben und die
Gewerbeart ,,H. m. verschiedenen Waren‘) mit 107 037 Betrieben.?)
Hierauf folgt in großem Abstande die Gewerbeart „H. m. Manufaktur-
(Schnitt-)waren‘ mit 62 364 Betrieben.?) Und in einem weiteren Abstand
„H. m. Tieren‘ mit 32 583 Betrieben. Von den noch verbleibenden 10
Gewerbearten haben 6 zwischen 25000 und 10000 Hauptbetriebe, nämlich
die Gewerbeart H m. Kurz- und Galanteriewaren 24 304, „H. m.
Tabak und Zigarren‘ 22 612, „H. m. Brenninaterialien‘ 19 281, „H. m.
Metall und Metallwaren‘ 15 769, „H.m. Drogen, Chemikalien und Farb-
waren” 14 514, „H. m. Wein und Spirituosen‘ 10 659 und 4 weniger als |
9000 Hauptbetriebe, nämlich „H. m. Baumaterialien‘ 8634, „H. m.
Leder, Wolle, Baumwolle‘ 7962°), „H. m. Maschinen und Apparaten
(Nähmaschinen und Fahrräder usw.) 7024 und ‚„Trödelhandel‘ 6902.
In den 28 Großstädten wurden?) in der Gewerbeklasse ‚‚Waren-
handel‘ ermittelt: 182 056 Hauptbetriebe. Auf die 15 Gewerbearten
entfielen davon der Zahl der Hauptbetriebe nach in der Gewerbeart
„H. m. Kolonial-, EB- und Trinkwaren“ 45 273 und H m. landwirt-
schaftlichen und verwandten Produkten‘ 42 575. Ihnen folgt die Ge-
werbeart „H. m. verschiedenen Waren‘ mit 30 697 Hauptbetrieben.
Hierauf folgt die Gewerbeart ,,H. m. Manufaktur-(Schnitt-)waren‘“ mit
14 910 und ,,H. m. Tabak und Zigarren‘ mit 11 476 Hauptbetrieben.
Alle übrigen Gewerbearten haben weniger als 7000 Hauptbetriebe, näm-
lich die Gewerbeart „H. m. Kurz- und Galanteriewaren‘“ 6582, „H. m.
Brennmaterialien‘‘ 6081, „H. m. Drogen, Chemikalien und Farbwaren“
6043, die noch verbleibenden weniger als 4000 Hauptbetriebe, und zwar
die Gewerbeart „H. m. Metallen und Metallwaren‘‘ mit 3535, „H. m.
Wein und Spirituosen‘ mit 3248, ‚Trödelhandel‘ mit 2884, „H. m. Tieren“
mit 2664, H m. Maschinen und Apparaten (Nähmaschinen und Fahr-
1) „Handel mit verschiedenen und anderen als vorstehend benannten Waren.“
2) Innerhalb dieser Sammelgruppe ragen von den in der Gewerbeliste von 1907
unterschiedenen Gewerbearten besonders hervor: XIXa 34. „H. m. Schuhwaren“ mit
14 409 Hauptbetrieben (13,8 %); 46 „H. m. Lumpen und Knochen“ mit 10 699
Hauptbetrieben (10,0 %); 41. „H. m. Papier und Pappe“ 8378 Hauptbetriebe
(7,8 90): 43. „H. m. Porzellan und Steingut“ 7 627 Hauptbetriebe (7,1 %); 38. „H. m.
Möbeln“ 5 569 Hauptbetriebe (dagegen bleiben „H. m. Putzwaren“, „H. m. Tapeten,
Teppichen“ mit unter 3000, „H. m. Olen und Fetten“, ferner „Schirmen und Stöcken“
mit zwischen 2000 und 1000, und „H. m. Betten“, „Antiquitäten“ mit unter 1000
Hauptbetrieben zurück). — Auf den eigentlichen „H. m. verschiedenen Waren“ ent-
fallen 51 581 Betriebe (48,3 %). l
3) Hier entfallen 43 628 Betriebe auf den eigentlichen Manufakturwarenhandel
(66,6 %).
4) Hier entfallen auf den Lederhandel 6150 Betriebe (77,5 %).
5) Von den in der Statistik 1907 enthaltenen 42 Großstädten konnten zum
Zwecke des Vergleichs der beiden Zählungen 1895 und 1907 nur die in der Statistik
von 1895 enthaltenen 28 Großstädte (s. S. 6) herausgegriffen werden. Der Ein-
heitlichkeit wegen wurden auch in diesem Abschnitt die Zahlen für den Durchschnitt
der 28 Großstädte verwertet.
Absolute Zahl 17
rider) mit 2233, „H. m. Leder, Wolle, Baumwolle‘ mit 2219 und ,,H. m.
Baumaterialien‘ mit 1636 Hauptbetrieben.
Von den einzelnen zur Untersuchung gelangten Großstädten
wurden Hauptbetriebe in der Gewerbeklasse ‚Warenhandel‘ gezählt in
Berlin 42 517, Hamburg 20 794, München 11 116, Leipzig 10 121, Cöln
7720, Breslau 7615 und Straßburg 2 334. Die absolut meisten Haupt-
betriebe wurden gezählt zu der Gewerbeart „H. m. Kolonial-, EB- und
Trinkwaren“ in den Städten Hamburg, Breslau, Cöln und Straßburg
(6345, 2156, 2023 und 704). Dagegen wurden zur Gewerbeart ,,H. m.
landwirtschaftlichen Produkten‘ in Berlin, München und Leipzig die
absolut meisten Hauptbetriebe gezählt (11362, 3383, 2697). Die Gewerbe-
art „H. m. verschiedenen Waren“ steht an Zahl der Hauptbetriebe in
allen Städten, entsprechend dem Durchschnitt der Großstädte, an drit-
ter Stelle, außer ın Berlin und Leipzig, wo sie an zweiter folgt. Mehr als
1000 Hauptbetriebe umfassen ferner 6 Gewerbearten in Berlin, und zwar
„H. m. Kolonialwaren‘ (6869), Manufakturwaren (3871), Tabak (3313),
Drogen (2331), Brennmaterialien (1677) und Galanterie- und Kurz-
waren (1433). Ferner 3 Gewerbearten in Hamburg, landwirtschaftliche
Produkte (4426), Tabak (1871) und Manufakturwaren (1402) und zwei
Gewerbearten in Leipzig, ebenfalls Kolonialwarenhandel und Manu-
fakturwarenhandel (1851, 1049) und je 1 Gewerbeart in München, Kolo-
nialwaren (3115), Breslau und Cöln, landwirtschaftliche Produkte (1579,
1530). Alle übrigen Gewerbearten heben in diesen Städten weniger als
1000 Hauptbetriebe. Mehr als 600 Hauptbetriebe haben davon in Ber-
lin 3 Gewerbearten, in Leipzig. Cöln, Breslau je 1 Gewerbeart. Zwischen
600 und 300 Hauptbetriebe hatten Gewerbearten in Berlin 3, in Ham-
burg 4, in München 4, in Leipzig, Breslau und Cöln je 2. Die Zahl der
Hauptbetriebe betrug weniger als 100 in 9 Gewerbearten in Straßburg,
je 3 in Breslau und Cöln und je 2 in Leipzig und München.
Auf die 31 untersuchten Mittelstädte (35—75 000 Einw.) ent-
fielen 33 018 Hauptbetriebe auf die Gewerbeklasse ‚Warenhandel‘, wo-
von 7809 auf den Kolonialwarenhandel kamen und 5496 auf landwirt-
schaftliche Produkte. Auf die 35 Kleinstädte (5—25 000 Einw.) kamen
8966 Hauptbetriebe, wobei 2020 bzw. 1225 Hauptbetriebe auf die ge-
nannten Gewerbearten entfielen. In den 100 Kreisen!) wurden 29 558
Hauptbetriebe und 10 933 bzw. 3030 in obigen Gewerbearten gezählt.
Die relativen Zahlen der Hauptbetriebe der Gewerbearten.
Das Verhältnis des Anteils der 15 Gewerbearten an der Gewerbe-
klasse „Warenhandel“ stellt sich somit im Reich abzüglich der 28
Großstädte wie folgt dar. Mehr als ein Drittel aller Hauptbetriebe im
Warenhandel, nämlich 38,0 % gehören zu dem Kolonialwarenhandel.
Mehr als ein Fünftel, nämlich 21,2 % (15,5 und 5,7) gehören zuın H. m.
1) bzw. Landbezirken s. 8. 7.
Sigerus: Handelsbetriebsstatistik 9
18 Erster Teil
landwirtschaftlichen Produkten und dem Tierhandel zusammenge-
nommen. Der Größe des Anteils der Hauptbetriebe nach folgt dann
ferner der H. m. verschiedenen Waren mit 14,5 %.') Hierauf folgt der
Manufakturwarenhandel mit 9,0 % und in größerem Abstand mit 3,3 %
der Galanterie- und Kurzwarenhandel, dann mit 2,5 bzw. 2,3 und 2,1 %
Brennmaterialienhandel, Metall- und Metallwarenhandel und Tabak-
handel. Den geringsten Prozentsatz haben die Gewerbearten H. m.
Maschinen und Trödelhandel mit nur 0,9 bzw. 0,8 %.
In den 28 Großstädten weist nun die auffallendsten Unterschiede
auf einerseits: H. m. landwirtschaftlichen Produkten mit 23,5 % (gegen
15,5), stärker vertreten als im Reich und zwar um das Dreifache ist
noch der Tabakhandel mit 6,3 % (gegen 2,1), mit dem doppelten Anteil
Drogenhandel mit 3,3 % (gegen 1,6) und Trödelhandel mit 1,6 % (gegen
0,8). Andererseits aber geringer vertreten Tierhandel mit nur 1,5 %
(gegen 5,7) und Kolonialwarenhandel mit nur 24,9 % (gegen 38,0) und
Manufakturwarenhandel mit 8,2 % (gegen 9,0). Die übrigen Gewerbe-
arten dagegen zeigen z. T. sehr geringe Abweichungen vom Reichsdurch-
schnitt; die geringste Kurz- und Galanteriewaren (3,6 : 3,3) und H. m.
Leder, Wolle, Baumwolle (1,2 : 1,1).
Um ein deutlicheres Bild des Bestandes im Reich abzüglich der 28
Großstädte zu erlangen, seien folgende Zahlen der Hauptbetriebe für
einige Gewerbearten gegenübergestellt:
FRE E) 1035 wie |
Gewerbeklasse fades ais | Mittelstädte || Kleinstädte || 100 Kreise `
Gewerbearten (35 ~ 75000 K.) || (5—25000 E.) | ` Ee a
absolut | % absolut ' %, |i absolut! °% ‚absolut © Si |
XIXa. Warenhandel .|182 056 |100,0 || 33 018 |100,0 || 8 966 |100,0|! 29 558 j100,0
a. 2. H. m. Tieren . .| 2664| 1,5] 756] 2,3 525! 5,8) 2649| 90
(a. 1. H. m. Schlacht- |
vieh)
a.4.H. m. and. landw. |
Produkten . . . ju 42575 | 23,5|| 5496 | 16,6) 1225 | 13,7 || 3030 | 10,2.
(a. 3. H. m. Getreide, |
a. 5. H. m. Blumen
u. Samen)
a. 15. H. m. Kolonial-,
EB- u. Trinkwaren .| 45273 | 24,9|| 9761 | 29,6 | 2 449 | 27,3 || 1:
(a. 16. 17. 19—22)?)
a. 27. H. m. Manufak- | :
tur- u. Schnittwaren || 14 910| 115 || 2728) Bäi 752] 84) 2467| 83|
(a. 28—30. 32. 35) |
| a. 48. Trödelhandel .| 2884| 1,61 477| 1,41 106 | 12l 156] 05
|
a. |
a. 1—48. abziigl. obiger|| 60 218 | 36,0 | 13 060 | 41,9|| 3 777 | 43,6 | 17 125 | 28,6
1) Innerhalb dieser Gewerbeart bildeten die Gewerbearten XIXa 34. „H. m.
Schuhwaren“ 13,4 %, 46. „H. m. Lumpen und Knochen“ 10,0 %, 41. „H. m. Papier
und Pappe“ 7, 8%, 43. „H. m. Porzellan, Steingut“ 7,1%, 38. „H. m. Möbeln“
5,2 %o- 2) Vgl. S. 9.
Relative Zahl 19
Bevor wir daran gehen wollen, die Gründe für die obige Erscheinung
zu untersuchen, muß auf den schon erwähnten MiBstand der Statistik
hingewiesen werden. Er besteht darin, daß diese keine Unterschei-
dung zwischen Engros- und Endetail-Handelsbetrieben macht. Unsere
Zahlen stellen also die Betriebe des gesamten Warenbandels dar (auch
der Engroshandelsbetriebe), während uns für eine Beobachtung der
Verhältnisse im Warenhandel aus oben erörterten Gründen nur die En-
detailhandelsbetriebe zur Verfügung stehen. Die Engroshandelsbetriebe
dagegen, die in der Regel nicht mit offnen Verkaufsstellen verbunden
sind, entziehen sich aus diesem Grunde einer rein äußerlichen Beobach-
tung, die sich auf Erfahrungen stützen muß. Ebenso entziehen sich die
Kleinhandelsbetriebe, die nicht zu ebener Erde ihre Verkaufsstelle
halten, bzw. keinen offenen Laden haben, der Beobachtung. Die auf
diese Weise gewonnenen Schlüsse können daher über die tatsächlichen
Verhältnisse nicht mit voller Gültigkeit ein klaresBild geben. Sie würden
wesentlichen Wert gewinnen, wenn durch bisherige Untersuchungen
Zahlen über das Verhältnis der Zahl der Engros- zu den Endetailhandels-
betrieben in den einzelnen Gewerbearten ermittelt worden wären. Es
sind hierüber jedoch keinerlei Verhältniszahlen bekannt!) ; auch ist nicht
bekannt, in welchem Grade der Großhandel im allgemeinen in den GroB-
städten vertreten ist. Es kann jedoch die Vermutung ausgesprochen
werden, daß der Engroshandel in den Großstädten gegenüber dem
Reichsdurchschnitt dominiert. Es darf indes auch nicht verkannt
werden, daß die Engroshandelsbetriebe nur einen geringen Prozentsatz
aller Warenhandelsbetriebe bilden dürften.
Der bemerkenswerteste Unterschied hier im Vergleich der Groß-
städte mit dem Reich, bzw. den Mittel- und Kleinstädten und den Kreisen
besteht in dem relativ großen Anteil der Betriebe von Handel mit land-
wirtschaftlichen Produkten und in dem relativ geringen des Kolonial-
warenhandels. In dieser Tatsache macht sich die verschiedene Gestal-
tung der Verhältnisse in den Großstädten gegenüber dem Reich recht
deutlich bemerkbar. Die Aufgabe des Warenhandels im allgemeinen,
die Güterverteilung, erfordert in den Großstädten eine andere Lösung
als im Reichsdurchschnitt. Die Stellung der Großstädte als Wirtschafts-
Zentren, ihre Bevölkerungsanhäufungen, ihre Wohnungsverhältnisse, die
riesenhafte Ausdehnung ihrer Stadtbezirke, die großen Unterschiede in
der sozialen Stellung ihrer Bewohner, deren Gewohnheiten wie auch das
ganze öffentliche Leben in den Großstädten bedingen ein Anpassen des
Warenhandels. Nur von solchen allgemeinen Gesichtspunkten ausgehend,
dürften sich auch einzelne Erscheinungen des Hervor- oder Zurücktretens
bestimmter Gewerbearten in den Großstädten erklären lassen — was die
relativ hohe Zahl von Hauptbetrieben im Handel mit landwirtschaft-
1) Das Verhältnis von GroB- und Kleinhandel kann auf Grund der Betriebs-
statistik nicht ermittelt werden. Vgl. S. 68 ff.
9 ke
20 Erster Teil
lichen Produkten inden Großstädten betrifft und das stete Abnehmen
dieser Zahl mit dem Kleinerwerden der Wohnstätte, so muß angenommen
werden, daß diese Betriebe, infolge der großen Entfernungen in den GroB-
städten von Markthallen und dergl. Plätzen, zahlreicher, vielleicht in
allen Straßen ın größerem oder kleinerem Umfange vertreten sein müssen,
um den täglichen Bedarf bequem zu decken. Auch die Bedeutung der
öffentlichen Märkte im allgemeinen scheint im Sinken begriffen zu sein.
Gemüse-, Produkten-, Grünkramhändler, Kräutler, Milch-, Butter-,
Käse- und Eierhandlungen müssen überall leicht zu erreichen sein, um
die Stelle der Märkte auszufüllen. In kleineren Städten, besonders in
Kleinstädten, ist es dagegen noch vielfach üblich, direkt von bäuerlichen
Lieferanten oder auf periodischen Märkten (Wochen- oder Jahrmärkten)
dielandwirtschaftlichen Produkte zu beziehen und somit oft einständiges
Gemüselager im eigenen Haushalt zu unterhalten. Auf dem Lande wird
diese Gewerbeart durch die Befriedigung des Bedarfs aus dem Eigenbau
fast ganz verdrängt. Andererseits dürfte auch auf die relativ große Zahl
dieser Betriebe in den Großstädten, auch ein in der Gewerbeliste liegen-
der Umstand von Einfluß sein, daß nämlich zu dieser Gewerbeart auch
die Südfrüchtehandlungen!) mitgezählt wurden, deren Produkte ihrer-
seits mehr in der Stadt als auf dem Lande konsumiert werden dürften.
Bevor der Kolonialwarenhandel nach solchen Gesichtspunkten
betrachtet wird, sei ein kurzer Überblick davon gegeben, was die Ge-
werbeliste unter ‚Kolonialwarenhandel“ aufzählt. Zur Gewerbeart
XIXa 15 wurde u. a. gezählt: „Eßwaren, Lebensmittel, Zucker, Salz,
Kaffee, Tee, Materialwaren, Viktualien, Vorkost, Mineral-, Selter-, Soda-
wasser, alkoholfreie Getränke, Gewürz-, Spezereikrämer, Konsumver-
eine (sofern lediglich für Kolonial-, EB- und Trinkwaren)‘. Wird diese
Gewerbeart allein (ohne die 5 anderen zum Zwecke des Vergleichs mit
1895 dazugezählten Gewerbearten) ins Auge gefaßt und verglichen mit der
Summe aller 6 zusammengehörigen Gewerbearten
28 31 35
Großstädte Mittelstädte Kleinstädte 100 Kreise
XIXa 15. H. m. Kolonialwaren . 15,6 23,6 22,6 37,0
XIXa 15—17., 19—22. H. m. Ko-
lonial-, EB- und Trinkwaren . 24,9 29,6 27,3 43,4
so ergibt sich, daß in den Mittel-, Kleinstädten wie auch in den Krei-
sen die Gewerbearten XIXa16 (Delikatessenhandel), 17 (Bierhandel),
19—22 (H. m. Schokoladen etc., Back- und Konditorwaren, Fleisch-
und Fleischwarenhandel, H. m. rohen, geräucherten und gepökelten
Fischen) einen größeren Anteil am gesamten Warenhandel haben als in
den Großstädten, und daß die Anteile für den Kolonialwarenhandel allein
1) Diese gehören also nicht zur Gewerbeart H. m. Kolonial-, EB- und Trink-
waren.
Gewerbearten in Stadt und Land 21
dies Überwiegen außerhalb der Großstädte, besonders aber auf dem
Lande noch ausgeprägter erkennen lassen. Diese Erscheinung beruht
auf dem Umstande, daß Lebensmittel, wie die aufgezählten, ähnlich wie
die landwirtschaftlichen Produkte, weil sie zu den ersten menschlichen
Bedürfnissen gehören, auch naturgemäß einer allgemeinen Verteilung
und zwar erfahrungsgemäß fast ausschließlich einer durch die Händler-
tätigkeit bewirkten bedürfen. Während also diese Branche in jeder
kleinen Landgemeinde zu finden sein wird, fehlen oft fast alle übrigen
Gewerbearten des Warenhandels ganz oder sind nur wenig vertreten.
In den Kleinstädten und Mittelstädten dürfte diese Gewerbeart, auch
infolge des größeren oder geringeren Mangels anderer Gewerbearten, im
Vergleich zu andern stärker im Vordergrund stehen.
Der Anteil der Gewerbeart H.m. Tieren am gesamten Warenhandel,
der auch mit dem Kleinerwerden der Wohnplätze auffallend größer
wird, scheint sich aus dem (agrarischen) Charakter dieser Gewerbeart
leicht zu ergeben. Dazu kommt, daß die Tierhaltungen in den Städten
infolge von höherer Miete für Stallungen usw. teuerer kommen. Wird
der H. m. Manufakturwaren allein (ohne die 5 anderen zu Vergleichs-
zwecken zusammengezogenen Gewerbearten) ins Auge gefaßt, zeigt
sich dieselbe Erscheinung,
28 31 35 l
Großstädte Mittelstädte Kleinstädte 100 Kreise
XIXa 27. H. m. Manufaktur-
(Schnitt) waren . . . . .. 4,3 4,8 5,8 7,1
XIXa 27. 28—30. 32. 35. H. m.
Manufaktur- (Schnitt-)waren . 11,5 8,2 8,4 8,3
wie für die vorher genannte Gewerbeart H m. Tieren. Die Zahlen wachsen
mit dem Kleinerwerden der Wohnplätze. Es ergibt sich weiter, daß die
Gewerbearten XIXa 28—30 (H. m. Männer-, Frauen-, Kinderkleidern,
Wäsche, Hüten und Mützen), 32 (H. m. Posamenten, Manufakturwaren),
35 (H. m. Korsetts) in den Großstädten relativ stark überwiegen. Sie
gehören denjenigen Gewerbearten an, deren Betriebszahl in den Groß-
städten relativ klein ist, deren Umfang!) aber — wie zu zeigen sein wird
— in den Großstädten entsprechend groß ist. Gerade bei dieser Gewerbe-
art handelt es sich in den Großstädten meist um große leistungsfähige
Betriebe. Gerade hier scheinen kleine Betriebe in den Großstädten nicht
recht Schritt halten zu können mit den Riesenetablissements und -lagern
der Warenhäuser und großen Spezialgeschäfte. — Den drei letztge-
genannten Gewerbearten steht nun gegenüber die Gewerbeart Trödel-
handel. Der relativ größere Anteil dieser Gewerbeart bei Größerwerden
der Wobnplatze scheint sich auf Grund folgender zwei Erwägungen zu
ergeben. Die großstädtische Wohnungsweise und Haushaltung, wie
auch der moderne Güterumlauf in den Großstädten und die Qualität
1) Soweit dieser aus der Zahl der beschäftigten Personen entnommen werden kann.
22 Erster Teil
vieler Gebrauchs- und Haushaltungsgegenstände bedingen das schnelle
und verhältnismäßig einfache Wegschaffen unbrauchbar gewordener
Gegenstände, was durch eine Mittelsperson, den Händler, am bequemsten
bewirkt werden kann. Die großen sozialen Unterschiede in der groß-
städtischen Bevölkerung bewirken andererseits, daß hier vielleicht in
stärkerem Maße als in den kleinen Städten eine breite Schicht der unter-
sten Bevölkerung als Abnehmer für diese unbrauchbar gewordenen Ge-
genstände auftritt, so daß sich das Geschäft des Trödlers hier besser ren-
tieren dürfte und daher an Bedeutung gewinnt. Auch muß ferner in Be-
tracht gezogen werden, daß der Handel mit unbrauchbar gewordenen
Materialien, die, um wieder gebrauchsfertig zu werden, einer vollstän-
digen Umarbeitung unterliegen müssen (Alteisen), der nahegelegenen
eroßstädtischen Industrie Warenabfälle aller Art zur Verarbeitung zu-
führen dürfte.) Auch der Gebrauch der Versteigerung scheint das Auf-
kommen dieser Gewerbeart in den Großstädten zu begünstigen.
Bei Betrachtung der einzelnen Großstädte zeigt sich in großen
Zügen dasselbe Bild wie bei dem Total der 28 Großstädte. Fast in allen
Städten kehren die 5 Gewerbearten, deren Betriebszahl den größten An-
teil an der Betriebszahl des Warenhandels ausmachen, in derselben
Reihenfolge wieder (1. H. m. Kolonialwaren, 2. landwirtschaftlichen
Produkten, 3. verschiedenen Waren, 4. Manufakturwaren, 5. Tabak).
Die 10 anderen Gewerbearten dagegen schließen sich den einzelnen
Städten in ungleicher Reihenfolge einanderan. Da jedoch die Größender
Anteile gewisser Gewerbearten von denjenigen des Großstadtdurch-
schnittes in jeder Stadt mehr oder weniger abweichen — auch diejenigen
der 5 genannten Gewerbearten —, so ergibt sich, wie nachfolgende Über-
sicht zeigt, fast für Jede Stadt ein auffallender Unterschied in der Zu-
sammensetzung der 15 Gewerbearten.
Verhältnismäßig am stärksten weicht von dem Gesamtbilde der
Großstädte Berlin ab. Hier hat die Gewerbeart H. m. landwirtschaft-
lichen Produkten 26,7 % (gegen 23,5) und steht damit an erster Stelle,
an zweiter steht H. m. verschiedenen Waren mit 18,2 % (gegen 16,9),
an dritter Stelle folgt erst Kolonialwarenhandel mit 16,1 % (gegen 24,9).
Größere Abweichungen weisen noch auf der Tabakhandel und Drogen-
handel. In bezug auf die beiden Gewerbearten, die die größten relativen
Anteile am Warenhandel haben, schwanken — wie angedeutet — auch
in den übrigen Städten die Zahlen recht erheblich (nämlich zwischen
21,3 und 32,8, bzw. 18,3 und 30,6). Am nächststärksten weicht von
dem Gesamtbild der Städte ferner Hamburg ab. In ihm überragt der
Kolonialwarenhandel und Tabakhandel, wodurch sich Hamburgs Ein-
fuhrhafen erkennbar macht; sehr geringen Anteil hat hier der 'Tierhandel
1) Conrad, Grundriß I, 1900 S. 29: „Es ist ein wesentlicher Fortschritt unserer
Zeit, daB man mit besonderer Sorgfalt die Abfälle aller Art zu sammeln trachtet und
sie in der Volkswirtschaft nutzbar macht.“
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24 Erster Teil
und H m. Brennmaterialien. Es folgt München, wo der Handel
m. landwirtschaftlichen Produkten überwiegt, ferner der Trödelhandel
und H m. Tieren. Auffallend gering ist hier u.a. der Manufaktur-
warenhandel vertreten, wie auch der H. m. verschiedenen Waren.
In Straßburg tritt der H m. Wein und mit Kolonialwaren am stärk-
sten hervor, während landwirtschaftliche Produkte zurückstehen. In
Leipzig ist der geringe Anteil von Kolonialwaren und der größere
von Leder und Manufakturwaren bemerkenswert. Breslau dagegen
stimmt mit dem Durchschnitt der 28 Großstädte sogar auffallend über-
ein. Nur die Unterschiede der Anteile des Brennmaterialienhandels,
Tierhandels und Tabakhandels seien hervorgehoben — diese Zahlen
scheinen uns schon z. T. bekannte Erscheinungen zu bestätigen. (Ham-
burgs Tabak- und Kolonialwaren, Zuckerimport, Leipzigs Rauchwaren,
Textilindustrie, Wolle, Baumwolle, Breslaus Nähe von der schlesischen
Textilindustrie.) Das Überwiegen von Tabakläden in Berlin scheint sich
daraus zu erklären, daß die Stadt Berlin gewissermaßen das Zentrum
von Groß-Berlin bildet, dadurch den regsten (Fremden-) Verkehr auf-
weist und aus diesem Grunde vielleicht eine entsprechend größere Zahl
von Tabakläden zeigt. Andererseits zeigt gerade Berlin auch die relativ
kleinsten Tabakläden. Die Fabrikation von Tabak ist auch hier sehr be-
deutend. Leipzigs geringe Zahl von Kolonialwarenhandlungen dürfte
vielleicht mit dem Konsumverein (,,Leipzig, Plagwitz und Umgebung‘) in
Zusammenhang stehen.
Die Einzelheiten der Ergebnisse bei einer einzelnen Stadt, in der
sehr viele unbekannte Komponenten auch auf die Gewerbebetriebszahl
Einfluß ausüben können, auf Grund äußerlicher Anschauungen zu er-
klären, erscheint nicht ratsam. Eine Inbeziehungsetzung der Lage, des
Charakters, der Gewerbtätigkeit der betreffenden Stadt kann wohl
manche Aufschlüsse bringen, doch dürfte der Wert dieser Erklärung
nicht zu überschätzen sein. Zusammenhänge zwischen den relativen Be-
tnebszahlen des Warenhandelsgewerbes und denen anderer Gewerbe-
zweige (Verkehr, Industrie) festzustellen, liegt indes außerhalb des
Rahmens dieser Untersuchung (hierzu Tabelle II).
Anschließend sei erwähnt, daß auch in bezug auf die 4 anderen Ge-
werbeklassen der Gruppe ‚„Handelsgewerbe‘‘ im Vergleich der genannten
Großstädte untereinander große Schwankungen der Anteilszahlen am
gesamten Handelsgewerbe zu verzeichnen sind. So betragen diese, be-
rechnet für das Handelsgewerbe, abzüglich des Warenhandels, für Ge-
werbeart XIXe 1 „Buch-, Kunst- und Musikalienhandel“ ein-
schließlich ,, Verlag und Antiquariatshandel, Leihbibliotheken‘ in Leipzig
16,02 % (730 Hauptbetriebe bei 4557 im Handelsgewerbe abzüglich des
Warenhandels), Berlin 12,13 % (1445 Hauptbetriebe und 11 918) und
Hamburg nur 3,49 % (307 Hauptbetriebe und 8795). Ferner für die (re-
werbeart XIXb „Geld- und Kredithandel‘ in Berlin 7,05 % (841
Stellung der Gewerbegruppe „Handelsgewerbe‘
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26 Erster Teil
Hauptbetriebe), Hamburg 5,29 9. (466 Hauptbetriebe), Leipzig 3,53 %
(161 Hauptbetriebe). Gewerbeart XIXg 4 „Lagerhäuser, Aufbewah-
rungsanstalten“ in Hamburg 1,67 °% (147 Hauptbetriebe), in Berlin 0,55%
(66Hauptbetriebe) und in Leipzig nur 0,21 % (10 Hauptbetriebe).
Die Zahl der Hauptbetriebe im Vergleich zur Bevölkerungs-
bzw. Einwohnerzahl.
So wichtig die eingangs mitgeteilten absoluten Zahlen als Grund-
lage für jede weitere Untersuchung sind, vermögen sie für sich allein kein
anschauliches Bild vom Warenhandel im Reich und in den Großstädten zu
geben. Dazu bedarf es einer Inbeziehungsetzung der Zahl der Betriebe
mit der Bevölkerungs- bzw. Einwohnerzahl. Die für das Reich und für
die Städte so gewonnenen Zahlen sind dann auch untereinander ver-
gleichbar.
Nach diesen Verhältniszahlen entfallen im Reich (61 720 529 Ein-
wohner)) auf 10 000 Bevölkerungspersonen 114 Warenhandelsbetriebe,
in den 28 Großstädten (9 677 670 Einwohner) dagegen 188. In Berlin
(2500 146 Einwohner), Hamburg (826 724 Einwohner), München
(533 253 Einwohner), Leipzig (505 026 Einwohner) kamen 200 und mehr
Warenhandelsbetriebe auf 10 000 Einwohner, in Hamburg sogar 251.
Diese höchste Quote erklärt sich aus Hamburgs Stellung zum Welt-
handel. In den etwas kleineren Städten Cöln (436 524 Einwohner),
Breslau (472 842 Einwohner) und Straßburg (152 836 Einwohner) kom-
men weniger Betriebe als im Durchschnitt der Großstädte auf dieselbe
Einwohnerzahl (176, 161, 144).
In den Mittelstädten betrug diese Zahl 152, in den Kleinstädten
172, und in den Kreisen nur 82.
Hieraus geht mit Deutlichkeit hervor, in wieviel größerem Maße der
Warenhandel, was die Dichte seiner Hauptbetriebe betrifft, in den
Städten, speziell Großstädten vertreten ist, als außerhalb dieser, vor-
nehmlich auf dem Lande. Es folgt hieraus weiter, daß, wenigstens soviel
die Verteilung der Arbeitsstätten des Warenhandelsgewerbes im stehen-
den Betrieb erkennen läßt, die distributive Tätigkeit desselben sich zum
größeren Teil nur auf die Städte ansdelhnt, und daß sie das Land im
größeren oder geringern Umfange, was bestimmte Warensorten betrifft,
unversorgt läßt. Dasselbe ist genötigt, sofern es seinen Bedarf nicht
durch Vermittelung ambulanter Händler deckt, sich einen großen Teil
seines Warenbedarfs aus den nahegelegenen Städten zu beschaffen. Ein
Beleg hierfür scheint der Umstand zu sein, daß die Betriebsdichte m den
Kleinstädten, die ja vielfach in ländlichen Bezirken liegen, verhältnis-
mäßig auffallend groß ist, was neben anderen Ursachen (geringere Zahl
1) Die Bevölkerungszahlen zeigen den Stand am Zählungstage nach der Berufs-
statistik, Bd. 202 bzw. 207, 209.
Betriebsdichte 97
beschäftigter Personen pro Betrieb als in den Mittel- und Großstädten),
wohl auch eine Folge der ländlichen Konsumtion ist. Die Kleinstädte,
an Zahl die anderen Städte weit überragend, über das Reich mehr oder
weniger gleichmäßig verteilt, dürften relativ mehr Konsumenten von
dem Lande zu der Kundschaft ihrer Handelsbetriebe zählen, als die spär-
licher verteilten Mittel- und Großstädte. Allerdings muß berücksichtigt
werden, daß die Landbevölkerung gewisse Warengattungen — wie es in der
Natur der Sache liegt —in weit geringerem Maße als die städtische, und
oft gar nicht, konsumiert und weiter, daß die Eigenproduktion auf dem
Lande den Detailhandel mit landwirtschaftlichen Produkten fast aus-
schaltet. Diese Tatsachen machen sich — wie gezeigt — darın geltend,
daß die Betriebe gewisser Gewerbearten auf dem Lande nur sehr geringe
Anteilsquoten am Warenhandel bilden.
Fassen wir die einzelnen (rewerbearten ins Auge, so ergibt sich
für das Reich abzüglich der 28 Großstädte, daß auf 10 000 Einwohner
Betriebe kommen ım Kolonialwarenhandel 38,4, H. m. landwirtschaft-
lichen Produkten 15,6, H. m. verschiedenen Waren 14,6, Manufaktur-
warenhandel 9,1, Tierhandel 5,7; ferner in 4 Gewerbearten unter 4 (bis 2)
und in den 6 weiteren unter 2Hauptbetrieben, davon am wenigsten in
den Gewerbearten Trodelhandel und Masehinenhandel, nämlich nur 0,7
bzw. 0,9 Hauptbetriebe.
In dem Durchschnitt der Großstädte kommen dagegen ım H.
m. landwirtschaftlichen Produkten auf 10 000 Einwohner 43,9 Betriebe
(gegen 15,6), also fast dreimal soviel Betriebe als im Reich. Im Tabak-
handel kommen 11,8 (gegen 2,1), das sind mehr als fünfmal soviel Be-
triebe. Mehr als viermal soviel Betriebe kommen hier auf 10 000 Ein-
wohner im Trödelhandel, fast vierinal soviel im Drogenhandel, fast drel-
ınal soviel in einer, mehr als doppelt und doppelt soviel in 5 weiteren Ge-
werbearten, mehr als 115 mal soviel im Manufakturwarenhandel. Her-
vorzuheben ist ferner, daß im Kolonialwarenhandel 46,7 Betriebe (gegen
38,4), ferner daß ım Tierhandel in den Großstädten nur 2,7 (gegen 5,2)
Betriebe entfallen. Die Quoten, die im Reich und den Großstädten ver-
hältnismäßig einander am nächsten kommen, weisen außer dem Kolo-
malwarenhandel die 2 noch verbleibenden Gewerbearten Baumateri-
alien und Metallwarenhandel auf.
Werden diese Verhältniszahlen mit den früher besprochenen An-
teilszahlen verglichen, so ergibt sich, daß im allgemeinen die Gewerbe-
arten, die in den Großstädten am stärksten hervortreten, auch die rela-
tiv stärkste Betriebsdichte aufweisen, da die hier mitgeteilten Zahlen nur
einen anderen Ausdruck für die schon bekannten Erscheinungen be-
deuten.
Wie sich diese Verhältniszahlen bei genauerer Betrachtung des Be-
standes außerhalb der Großstädte gestalten, sei an nachstehenden Bei-
spielen dargelegt.
28 Erster Teil
Auf 10 000 Einwohner kamen Hauptbetriebe:
Gewerbeart 31 Mittelstadte 35 Kleinstadte 100 Kreise
H. m. Tieren . . .. 2 2 2 2 202.0 3,5 10,1 7,4
H. m. landwirtschaftlichen Produkten 25,4 23,5 8,5
H. m. Kolonial-, EB. u. Trinkwaren . 45,2 47,1 34,5
H. m. Manufaktur- u. Schnittwaren . 12,6 14,4 6,9
Trödelhandel . . . . 2 2 2 2 2.0. 2,2 2,0 0,4
Auch bier ist die Betriebsdichte bei einzelnen Gewerbearten sehr
verschieden, vier- und fünfmal größer in den Mittelstädten als in den
Kreisen. Am wenigsten abweichend sind die Zahlen für den Kolonial-
warenhandel. Auffallend ist in den Kleinstädten die größere Betriebsdichte
im Tierhandel, Manufakturwarenhandel und Kolonialwarenhandel.
Bei Vergleich dereinzelnen Großstädte untereinander differieren
diese Verhältniszahlen bei nachfolgenden Gewerbearten am stärksten.
Es kamen auf 10 000 Einwohner Hauptbetriebe:
E E Ze") Berlin Ham- | Mün- | Bres- Straß- SES Cöln |
e burg | chen | lau en | lau | burg
zig
H m. Tieren . . . .
H. m. Drogen, Che-
mikalien, Farb- .
H. m. Tabak, Zigar-
ren, Zigaretten .
H. m. Häuten, Fetten,
Leder, Tierhaaren
Trödelhandel . . . .
Hieraus folgt, daß in einzelnen Großstädten gewisse Gewerbearten sehr
verschieden große Betriebsdichten aufweisen. Auch fällt die große Zahl
der Betriebe im Drogenhandel ın Berlin in die Augen, ferner die des
Tabakhandels in Hamburg, des Trödelhandels und Tierhandels in Mün-
chen und des Lederhandels in Leipzig, sowie die geringe Zahl der Ge-
werbeart Tierhandel in Hamburg.
Ferner sei noch erwähnt, daß im H m. landwirtschaftlichen Pro-
dukten die meisten Betriebe in München, die wenigsten in Leipzig (63,4;
28,6) zu finden sind, dann im Kolonialwarenhandel die meisten in Ham-
burg, die wenigsten i in Berlin (76,8; 34,2) und im Manufakturwarenhandel
die meisten in Leipzig, die wenigsten in München (20,7; 10,3).
Die geringsten Unterschiede zeigen 3 Gewerbearten, darunter auch
hier wieder die beiden Gewerbearten Baumaterialien und Metallwaren-
handel (2,6; 1,4 und 4,7; 2,7). Diese Tatsache erscheint in Anbetracht
dessen, daB auch zwischen den Zahlen für das Reich und die 28 Groß-
städte für diese beiden Gewerbearten der relativ geringste Unterschied
besteht, die Annahme zu rechtfertigen, daß es der Charakter dieser beiden
Gewerbearten ist, der diese konstante Betriebsdichte für alle Wohnplätze
Beschäftigte Personen und Erwerbstätige 29
bedingt. Der Konsumtionsmöglichkeit von Waren dieser Gewerbearten
ist in höherem Maße, als dies bei den anderen Gewerbearten zutrifft,
eine natürliche Grenze vorgeschoben.
Die Zahl der im Warenhandel beschäftigten Personen im
Vergleich zur Zahl der Erwerbstätigen.
Noch deutlicher wird der Überblick der Bedeutung des Waren-
handels im ganzen und in dessen einzelnen Teilen durch Heranziehung
der dieses Gewerbe ausübenden Personen und Inbeziehungsetzung der-
selben zu der Zahl der Erwerbstätigen.
Im Reich wurden am Zähltage ermittelt 1 723 499 Personen, davon
in den 28 Großstädten 618133 Personen, die im Warenhandel tätig
waren. Während auf 1000 Erwerbstätige in den 28 Großstädten 130,18
im Warenhandel beschäftigte Personen entfielen, waren es im Reich ab-
züglich der 28 Großstädte nur 43,37 . Und zwar kamen in den 31 Mittel-
städten (100 974 beschäftigte Personen) 100,67, in den 35 Kleinstädten
(21 360 beschäftigte Personen) 77,96 und in den 100 Kreisen (51 744 be-
schäftigte Personen) 27,44 beschäftigte Personen auf die gleiche Zahl
Erwerbstätiger. Hier zeigt sich die oben festgestellte Erscheinung des
relativen Uberwiegens der Bedeutung des Warenhandels in den GroB-
städten gegenüber dem Reich in ausgeprägter Weise. Ebenso geht die
geringere Bedeutung desselben in den kleineren Städten und vornehmlich
auf dem Lande deutlich hervor.
Für die einzelnen Großstädte stellt sich diese Zahl in Hamburg
(77 513 beschäftigte Personen) am größten mit 195,2, in Straßburg (8520
beschäftigte Personen) am niedrigsten mit 100,2. Außer in Straßburg steht
diese Zahl noch in Breslau und München unter dem Durchschnitt der
Großstädte (115,2, 111,7 gegen 130, 18). Da in München relativ mehr
Warenhandelsbetriebe als im Durchschnitt der Großstädte vorhanden
sind, so kommt hier eine besonders kleine Zahl beschäftigter Personen
auf einen Betrieb.')
Bei Betrachtung der einzelnen Gewerbearten
Zahl der beschäftigen |] Es kamen beschäft. Personen
Personen auf 1000 Erwerbstätige
Groß- td A Mittel | Klein- e GroB- | der 28 Mittel- | Klein- ER
städte | städte) | #tädte | städte städte cs städte städte
städte
H. m. Tieren .. -| 5054| 42 900| 1193| 755 | 3 601 | 1,06/ 1,68! 1,18| 2,75| 1,89
H. m. landw.Produkt, || 91 774 1143 955 |11 628 2 GE 4 846l 19,32 | 5,64 111,59 | 8,51| 2,55
H. m. Kolonial-, EB-
u. Trinkwaren . . |112 292 358 935 22 437 |5 000 119 394 || 23,65 114,08 22,36 18,24 |10,22
H. m. Manufaktur- | | l
u. Schnittwaren .! 99 178 |142 781 |15 584 |2 585 | 5 761 120,88 5,60 15,53! 9,43} 3,03
|Trödelhandel . . -|| 5504| 6592) 887| 154| 241 1,15! 0,25! 0,88| 0,56 | 0,12
1) Vgl. 8. 32.
30 Erster Teil
ergibt sich fiir H m. landwirtschaftlichen Produkten, Manufaktur-
warenhandel und Trédelhandel, daß so wie die Betriebsdichte auch
die Personenzahl in den Großstädten überwiegt, ein weiteres Zeichen fiir
die größere Bedeutung, die diesen Gewerbearten hier zukommt. Bei
dem Vergleich der Kleinstädte mit dem Reichsdurchschnitt ergibt sich,
daß der H. m. Tieren, dessen Betriebsdichte größer ist als im Reichs-
durchschnitt bzw. den Mittelstädten und Kreisen, auch eine größere Per-
sonenzahl aufweist, woraus sich dessen größere Bedeutung für die Klein-
städte ableiten läßt.
Bei den Gewerbearten in den einzelnen Großstädten lassen sich
fast dieselben Erscheinungen, die sich für die Betriebsdichte ergaben,
wiedererkennen:
Zahl der beschäftigten Personen |
Gewerbearten l EN Gg E i RW KE ! e
Groß- | Berli Hum- | Mün- | Bres- | Straß- | Leip- Chl
städte Sen burg | chen | lau | burg | zig =
| |
Fre wen ae
H. m. Tieren ...... | 5054/1199, 240; 466, 315 81, 225 187,
H. m. Baumaterialien. . .|| 14410, 202112094 1152| 765 | 247° 363 440 |
H. m. Metallen u. Metallw. || 24850 | 6 308 2 343 ' 928 1183 291.129 | 1185 |
H. m. Drogen, Chemika- |
l | l
lien u. Farbw. . . . . |21530|5812|2741| 680] 976 236 1038 989
H. m. Tabak, Zigarren u. | | | | |
Zigaretten . ... . 19663|5155:3452 883| 562 187 1110) 668
H. m. Häuten, Fetten, Le- | | |
Trödelhandel . . . . . . 5504] 823 | 549 734| 206 70 293, 26
| | : |
der, Tierhaaren . . . .|10286|2308 1126. 351| 377 79:1699 =
3
|
Es kamen beschäftigte Personen auf 1000 Erwerbstätige
H. m. Tieren . . .... 1,06 | 1.13 | 0,60 | 1,67 | 1,36 | 0,95 | 0,90 | 0,94
H m. Baumaterialien . . || 3,03 | 1,90 | 5,26 | 4,14 | 3,32 | 2,90 | 1,45
H. m. Metallen u. Metallw. || 5,23 | 5,94 | 5,88 3,33 | 5,14 | 3,42 5,20 5,98
H. m. Drogen, Chemika- |
lien u. Farbw. . . . . || 4,53 | 5,47 | 6,88 : 2,44 | 4,24 | 2,77 4,16 | 4,99
H. m. Tabak, Zigarren u. |
Zigaretten . 2.2... 4,14 | 4,85 | 8,67 | 3,17 | 2,44 | 2,20 : 4,45 3,25 |
H. m. Häuten, Fetten, Le-
| der, Tierhaaren . . . . || 2,16 | 2,17 | 2,82 | 1,26
|Trédelhandel . . . . . 1,15 | 0,77 | 1,37 | 2.64
In Hamburg ist im Tabakhandel diese Zahl auch unter den untersuchten
Städten wie auch gegenüber dem Großstadtdurchschnitt, ebenso wie die
Zahl für die Betriebsdichte, am größten. Die Zahl der im Tierhandel
Tätigen dagegen ist ebenfalls entsprechend der Betriebsdichte hier am
geringsten. In München ist sie für den Tierhandel wie auch für den
Trödelhandel am größten von den untersuchten Städten. In Leipzig für
am Š
Zeg
Beschäftigte Personen und Erwerbstätige 31
den H. mit Leder. Da in diesen Gewerbearten Betriebe wie auch Personen
in den genannten Großstädten z. T. bedeutend hervorragen, ergibt
sich hieraus zweifellos die überwiegende Bedeutung, die diesen Branchen
zukommt. — Eine geringe Abweichung in der Übereinstimmung der
Verhältniszahlen für Betrieb und Personen besteht z. B. für den Drogen-
handel in Berlin. Hier kommt der Personenzahl im allgemeinen nicht
dieselbe Bedeutung zu, wie es für die Betriebsdichte in einigen Gewerbe-
arten der Fall ist, indessen erlangen hier — wie zu zeigen sein wird —
einzelne Betriebe in bezug auf die Zahl der beschäftigten Personen
einen überragend großen Umfang. Hierher gehört u. a. die Gewerbeart
Manufakturwarenhandel.
Was die beiden Gewerbearten Baumaterialien- und Metallwaren-
handel betrifft, deren Betriebsdichte sowohl außerhalb des Großstadt-
durchschnitts wie innerhalb der einzelnen Großstädte einander verhält-
nismäßig nahekommt, so zeigt sich hier, daß die Personenverhältnis-
zahlen erheblich voneinander abweichen. Diese Schwankungen dürften
wohl in der Hauptsache zurückzuführen sein auf die in dieser Branche
nicht selten vorkommenden, sehr leistungsfähigen Betriebe mit einer
großen Zahl beschäftigter Personen (Stein-, Ziegel-, Bau- und Nutzholz-
Engroshandlungen. Eisen-, Träger-, Schienen- usw. -Baulieferanten).
Die Hauptbetriebe nach der Zahl der beschäftigten Per-
sonen.
Bisher hatte uns nur die Zahl der Hauptbetriebe und die der darın
beschäftigten Personen in der Gewerbeklasse ‚Warenhandel‘ und in deren
14 Gewerbearten gesondert voneinander beschäftigt. Zur Verschaffung
eines Einblicks in das Warenhandelsgewerbe müssen wir auch die Zahl
der in einem Betrieb beschäftigten Personen einerseits 1m gesamten
Warenhandel und andererseits in den einzelnen Gewerbearten fest-
stellen.!) Im Reich abzüglich der 28 Großstädte kamen am Zähltage
auf 100 Betriebe 209,6 Personen. Die entsprechende Zahl für den Durch-
schnitt der 28 Großstädte beträgt 339,5, es kommen somit auf die
gleiche Anzahl Menschen in den Großstädten nicht nur, wie wir früher
sahen, über die Hälfte mehr Warenhandelsbetriebe als im Reich, son-
dern die Betriebe beschäftigten hier auch fast zwei Drittel mehr Per-
sonen als die Betriebe im Reichsdurchschnitt abzüglich der 28 Groß-
städte. Sie beschäftigen in den Kreisen und den Kleinstädten auch ent-
sprechend weniger Personen als ın den Mittelstädten. Am auffallendsten
ist der Unterschied in den Kreisen, wo nur 175,0 in 100 Betrieben be-
schäftigt sind, während es in den Kleinstädten 238,2 und in den Mittel-
1) Die Alleinbetriebe wurden hier mitgezählt, da infolge des verschieden großen
Prozentsatzes derselben an der Gesamtzahl der Betriebe ihre Abrechnung das Ge-
samtbild beeinträchtigt. Dagegen wurden die Gehilfenbetriebe gesondert an anderer
Stelle betrachtet.
39 Erster Teil
stiidten 305,8 Personen sind. Uber den Durchschnitt in den 28 GroB-
stadten erheben sich diese Zahlen in den einzelnen untersuchten GroB-
städten außer in München überall. Die meisten beschäftigten Personen
weist pro Betrieb Hamburg mit 3,67 Personen auf, die wenigsten Mün-
chen mit 2,79 Personen. Auch hier macht sich wieder der Handels-
charakter Hamburgs geltend, da hier fast auf einen jeden Handelsbetrieb
eine Person mehr kommt als z. B. in München.
Die Gewerbearten, die in den 28 Großstädten pro Betrieb die
meisten Personen zählten, sind:
ich 5
en GroBet.) 28 Großstädte
H. m. Baumaterialien . . . 2 2 2 2 2 2 2 2 eo 4,77 8,81
H. m. Metallen und Metallwaren . . . 2... 3,22 7,02
H. m. Manufaktur- und Schnittwaren ...... 3,01 6,65
H. m. Maschinen, Apparaten .......... 2,51 5,89
H. m. Häuten, Fetten, Leder, Tierhaaren ... . 2,07 4,63
(Die entsprechenden Zahlen z. B. für den Manufakturwarenhandel be-
tragen in den 31 Mittelstädten 5,71, in den 35 Kleinstädten 3,43, den
100 Kreisen 2,33). Durch Vergleich der Zahlen für das Reich ergibt sich,
daß die Zahl der beschäftigten Personen im Reich und in den Großstädten
sehr verschieden ist. Ähnliches gilt auch für die einzelnen Groß-
städte im Vergleich derselben untereinander für gewisse, nicht alle
Gewerbearten. Insbesondere sind es zwei der oben genannten, für welche
die Zahlen stark differieren,
- Mün- Bres- Straß-
. Ham bts u:
Berlin burg chen lau burg Leipzig Cöln
H. m. Baumaterialien . . . . 7,46 9,73 13,71 7,42 8,51 5,18 6,98
H. m. Maschinen u. Apparaten 7,75 5,07 6,40 826 831 341 7,43
H. m. Brennmaterialien . . . 314 528 2,98 2,35 7,21 3,26 2,91
während bei anderen in allen Städten sogar auffallende Ähnlichkeit der
Zahlen besteht, z. B.
. Ham- Mün- Bres- Straß-
Berlin burg chen lau burg
H. m. Tabak, Zigarren u. Ziga-
retten .... 2... eas 1,55 1,84 1,65 1,82 1,80 1,72 1,57
Es hängt von der Natur jeder Gewerbeart ab, wieweit die Zahlen über-
einstimmen oder voneinander abweichen. Um die schon hervorgehobene
größere Bedeutung, die bestimmten Gewerbearten in einzelnen Städten
zukommt, auch auf Grund der pro Betrieb beschäftigten Personenzahl
näher zu beleuchten, sei angeführt, daß dieselbe in Berlin im Tabak-
handel 1,55 gegen 1,71 im Durchschnitt der Großstädte beträgt. Das
starke Hervortreten der Betriebsdichte dieser Gewerbeart in Berlin
steht somit im Zusammenhang mit der relativ geringen Zahl der be-
schäftigten Personen. Die Erscheinung, daß sich Betriebe dieser Branche
in den Großstädten wie ein Netz über die Straßen der ganzen Stadt ver-
teilen, zur bequemeren Bedienung der Passanten — wobei es sich meist
Leipzig Cöln
Sr" H
Beschäftigte Personen pro Hauptbetrieb 33
um ganz kleine Läden handelt — tritt somit in Berlin in ausgeprägtester
Weise hervor.!) Dagegen ergibt sich für den früher festgestellten großen
Anteil dieser Gewerbeart am gesamten Warenhandel in Hamburg, daß
diese Betriebe relativ auch die größte Zahl beschäftigter Personen be-
sitzt, nämlich 1,84. Ähnlich dürfte das stärkere Hervortreten der An-
teilszahl für den Drogenhandel in Berlin zu erklären sein, wo diese
Zahl nur 2,49 (gegen 3,56 im Durchschnitt der Großstädte und 5,90 in
Straßburg) beträgt. Ferner sei erwähnt, daß der H. m. landwirt-
schaftlichen Produkten, der in München am stärksten hervortrat,
hier die relativ niedrigsten Zahlen zeigt und daß Ähnliches hier auch für
den Trödelhandel gilt. Hervorgehoben sei weiter noch, daß der Manu-
fakturwarenhandel, der in Leipzig und in Berlin hervortrat, in Ber-
lin auch relativ mehr beschäftigte Personen pro Betrieb zeigt (7,58 gegen
6,65 im Durchschnitt der Großstädte und 5,82 in Hamburg), daß in
Leipzig dagegen diese Zahl dem Großstadtdurchschnitt fast gleichkommt
(6,62). Aber in München, wo diese Gewerbeart etwas zurücktrat, kommt
die Zahl der beschäftigten Personen dem Großstadtdurchschnitt nahe
(0,26). Dagegen überragt sie bei weitem in Céln (8,93). Auch die Be-
triebe des Weinhandels, dessen Zahl in Straßburg stark überwog, zei-
gen hier eine dem Durchschnitt der Großstädte nahekommende Zahl
(4,27 gegen 4,18). Diese ist jedoch größer in Breslau und Hamburg (5,43
und 5,36), am geringsten in München (2,49). Die Gewerbeart H. m.
Leder, die in Leipzig auffallend hervortrat, zeigt pro Betrieb auch die
relativ meisten beschäftigten Personen (5,41 gegen 4,63 im Durchschnitt
der Großstädte und 3,61 in München), woraus die größere Bedeutung,
die dieser Gewerbeart in Leipzig zweifellos zukommt, scharf ausgedrückt
wird.
Die Hauptbetriebe nach Personengrößenklassen.
Bisher haben wir von der Zahl der Betriebe und der der beschäf-
tigten Personen im allgemeinen gesprochen. Im folgenden soll die Glie-
derung der Betriebe nach den von der Statistik gebildeten Größen-
klassen erörtert werden. Bezüglich der Größe wurden folgende 5 Klas-
sen unterschieden:
Alleinbetriebe,
Zwergbetriebe?) mit bis 3 gewerbtätigen Personen,
Kleinbetriebe mit 4 und 5 gewerbtätigen Personen,
Mittelbetriebe mit 6 bis 50 gewerbtätigen Personen,
Großbetriebe mit mehr als 50 gewerbtätigen Personen.
1) Hierbei dürfte in Berlin auch ein weiteres Moment mitwirken, die bekannte
Erfahrung, daß die kleinen und kleinsten Berliner Zigarrenläden vielfach einen Deck-
mantel für Unternehmungen anderer Art bilden (Verkauf von Losen, Vermittlung von
Rennwetten, Spekulationen aller Art).
2) Diese Bezeichnung „Zwergbetrieb“ und „Kleinbetrieb“ weicht von der üb-
lichen ab, da diese Bezeichnungen bisher nur für Betriebe mit „1 beschäftigten
Sigerus: Handelsbetricbsstatistik 8
Erster Teil
es
neg
Die Zahlen betrugen am Zähltage im Warenhandel:
Be gar te C Gs — ` SC See ee A
Zwerg- | Klein- Mittel, . Gro8-
| Allein- | betriebe |betriebe betriebe Petr- Ins-
Reich (bis 3 (und 8 (6—50 | (91 und
e betriebe gewerbt. | gewerbt. | gewerbt. ` T' gesamt |
Großstädte | Pers.) | Pers.) | Pers.) ‚gewer di |
SCH Së i Pers.) `
SC HU _ absolut BR
Reich, abzügl. d. 28 Groß- | i
| städte . 2... 22.0. 232 780 | 396 250 | 36 982 | 42 073 1146 | 709 231
| 28 Großstädte ..... 61514 | 87716 | 13223 | 18 829 : 174| 182 056
| ` relati v
_ Reich, abzügl. d. 28 Groß- | | |
städte... nn... | 32,57 , 56,17 6.79 4,40 , 0,07 || 100,00
| 28 Großstädte ..... | 33,89 7,03 | 10,35 , 0.42 || 100,00
48,31 |
Der Zwergbetrieb war demnach 1907 die vorwiegende Betriebsform im
Reich abzüglich der Großstädte, 56,17 °% aller Betriebe waren Zwerg-
betriebe. Diese Betriebe betrugen somit an Zahl mehr als 11, mal soviel
als die Alleinbetriebe, mehr als 8 mal soviel als die Kleinbetriebe. Auf-
fallend erscheint es, daß demgegenüber diese Betriebe in den 28 GroB-
städten relativ weniger, die der Alleinbetriebe stärker vertreten sind.
Auf dieses Überwiegen der kleinsten Betriebsform in den Großstädten
soll an anderer Stelle eingegangen werden. Eine Erscheinung, die we-
niger auffallend ist, besteht darin, daß es hier mehr als doppelt soviel
Mittelbetriebe gibt als im Reich und daß die Großbetriebe mit einem
6 mal so großen Prozentsatz vertreten sind.
In den einzelnen Großstädten zeigen sich nun außerordentlich
große Schwankungen. Während in Hamburg der Alleinbetrieb nur 20 %,,
die Mittelbetriebe dagegen 12,11 9, ausmachen {in Straßburg 12,82 °%),
bilden in München erstere 44,07, also doppelt soviel und letztere 6,6 %,
nur halb soviel. Zwischen diesen beiden äußeren Grenzen schwanken
die Zahlen für die einzelnen Städte. Der größte Prozentsatz der Zwerg-
betriebe und Kleinbetriebe ist auch in Hamburg zu finden mit 58,13 und
9,89 %, der größte Prozentsatz der GroBbetriebe in Berlin mit 0,57 %,
der geringste in München mit 0,32 25.
Was die einzelnen Gewerbearten betrifft (s. Tab. III), so treten
im Reich abzüglich der 28 Großstädte im Tierhandel und Trödelhandel
bei weitem die meisten Alleinbetriebe auf. In diesen beiden Gewerbe-
Person“ (Alleinbetriebe und Gehilfenbetriebe mit einer Person zusammengenommen)
bzw. „2—5 beschäftigten Personen“ verwendet wurden. Da diese letztgenannte
Einteilung für die Großstädte (Bd. 217) nicht durchführbar ist, eine detailiertere
Unterscheidung der Betriebe von 2—5 beschäftigten Personen aber gerade für den
Warenhandel nötig erscheint, so wurden obige Bezeichnungen mit dieser geänderten
Bedeutung beibehalten.
Hauptbetriebe nach Größenklassen 39
Tabelle III.
| on Großstädte —
Von den Hauptbetrieben waren Betriebe mit .... beschäf-
_tigten Personen
Gewerbeurten Allein- bis 3 4-5 WI 6—50 | ú T
betriebe besch. Pers. besch. Pers. besch. Perse.: besch. GEREEST
| nz: | „Pers. | nn
: ETE absolut ti fb EM l absol, 9 o/a Ja abs. | S/o [absolut] ei X
ij T |
Hm. Tieren .. ) 154558,1: 898 34.1 123 4,1 —|— 2011100.
H. m. landw. Prod. 16 715 39, 4: 22 068:52,0 2 195) 5,01 572 3, 6 25 0,042 573/100, 0
H. m. Brennmaterial 1 784129, A 3279 d4, 0, 432: 7, 0 565 9, 3 10, 3 6 0811100,0 |
H. m. Baumaterial . | 266.16,3' 402 25.0) 246144 691 42.4 31 1,9} 1 636!100,0
| H. m. Metallen. . . | 616 124 GE 475 13,4) 992 28,1 64 |1,8| 3535, 100,0
| H. m. Maschinen . | 537,24 Li 557 25,0| 24' 2 233/100. 0
H. m. Drogen .. . 1656 27,4 2971 49.2. 662 11 MM 12712, 27 0,4 6 043 Re
| H. m. Kolonial-,EB- | N | | |
| u. Trinkwaren . . 15 31033, 824 862.54,9 2 351 5,32 686 5, 64 5 Un
H. m. Wein. .. . 1 608 49,7 | 359, 2 Ge 633 19, al 5 A ele 0
Ha Tabak . . | 5075 D 5 820 50,7) 290 287 25) 4 176
H. m. Leder. . . ..| 521235 802 36,2 2| 339 Sr > 552 24, 5 0,2! 2 219) 100.0
| H. m. Manufakturw. || 3 571 24, 0 5693 38, 32 445 16,2 2 962 19 9239 1,614 910 100,0
H. m. Galanteriew. . | 1 705126, el 2 627 40,0; 1 234 18, 6 SR 14, sl al UI e 6 585,100,0
| H. m. versch. Waren | 9 858 32,113 ike 18, d 1 70231, 15 221 0,7 430 6971100,0 :
| Trödelhandel . . . / 1712\59,5 A L7! 87 Au 30.1) 2 884|100.0 |
Reich (abz (abzügl. der 28 8 Großstädte)
Von den Hauptbetrieben waren Betriebe mit . . beschäftigten
Personen
Gewerbearten Dre an) , TI, TE — |
Allein- bis 3 4—5 6—50 ‘lu mehr
| betriebe bezch. Pers. 'besch. Pers. Ge Pers. besch, HEES
= GER Pers. = .
ER _. abrolnt Ki | absolut ` °/, labsol. | EA aber, ` Si labs. KA absolut fe,
|
H. m. Tieren .. 19 250 64, ; 10 001'33,4 468 DN 199 0,6 gi 0 29 919 100, al
H. m. landw.Prod. (35 462143,5 41 799 51,212 508 3,0 1 867 2,3 go) 81 644 100,0
H. m. Brennmater.|| 3668 13,5) 782859,5 805 20,21 885° 6,7] 140,1 13 200 100,0
H. m. Baumaterial | 1603 22,9] 3 228 46,3) 753 10,611 370 19,6), 44.0. 6 6998 un
H. m. Metallen . fr 2 005/16, 3 7 450 60.0111 161 9,6/1 589 13, 29 0,2 d 12 234, 100,0
| H. m. Maschinen . | 1828138,2] 2219 46,5] 331' 6,7) 407 85| 60.1 4 791 100.0
| H. m. Drogen . co 5 008 59,1] 790, 94) 581 6,8) 20,0. 8471 100.0)
H. m. Kolonial:
'
$455 3,04 622 2,: 240.4200 094 1000
796 10,6), 930.12,5| 50,1 7 411'100,0
150 1,3) 126, 1,1 3 0,0, 11 136 100,0
361 6, 269) 4.6 2 0.0 dee age
|
10,81 94.0.2. 47 454100,0.
Sc
EB- u. Trinkw. . e 252 op 2 136 731 68,5 5
H. m. Wein... 1 972 26,6
| H. m. Tabak . . | 4568'41, 1!
| H. m. Leder... 2 402:41,8
H. m. Manufak- | |
turwaren . . . |13 382 28,2' 20 312 58, 4
H. m. Galanterie- | |
2 EE 1
512 7,415 154
| |
' waren .. 2 6 639. et 6 9 546 54,0| 287 1,41 225 6,9) 2
|H. m. “erschied: i |
Waren . . 21649, a i 45 323 59,515 328 104 0. a 76 340100.0
Trödelhandel 1 383 34, di 54 1. 4 10 21] 100, 4 ae 181100, d
dh
36 Erster Teil
arten stehen dagegen am relativ stärksten die Zwergbetriebe zurück.
Hierauf folgen H. m. landwirtschaftlichen Produkten und Tabakhandel,
die die nächstmeisten Alleinbetriebe zeigen. In letzterer Gewerbeart sind
auch die Zwergbetriebe stark vertreten. Diese sind indes am stärksten
vorhanden u. a. im Kolonialwarenhandel, Metallwarenhandel und Brenn-
materialienhandel. Insbesondere sind zu unterscheiden einerseits die
Gewerbearten H. m. Tieren, Trödelhandel, H. m. Tabak und
H m. Kolonialwaren, deren Betriebe in den kleineren Größenklassen,
und andererseits H. m. Baumaterialien, H m. Wein und H. m.
Manufakturwaren, deren Betriebe in den beiden höheren Größen-
klassen am meisten vertreten sind.
Mit Hilfe der Betriebsgrößenklassen kann man in die Entstehung
der bei einigen Branchen früher hervorgehobenen durchschnittlichen Per-
sonenzahl einen tieferen Einblick gewinnen. Oft ist das Überwiegen einer
einzelnen Betriebsgrößenklasse ausschlaggebend für die durchschnitt-
liche Personenzahl. So ist die größere Personenzahl in den 28 Groß-
städten zurückzuführen im Trödelhandel, Weinhandel und z. T. Tier-
handel auf die Mittelbetriebe, die kleinere im Tabakhandel und Kolonial-
warenhandel auf die Alleinbetriebe.
In der Struktur der Betriebsgrößen zeigt den größten Unterschied
in den Großstädten gegenüber dem Reich der Baumaterialienhandel,
worin die höheren Größenklassen — der Natur der großstädtischen Bau-
tätigkeit entsprechend — bei weitem überwiegen. Ähnlich stark sind
die höheren Größenklassen auch vertreten im Manufakturwarenhandel,
woselbst (neben Baumaterialienhandel und Metallwarenhandel) die mei-
sten Großbetriebe zu finden sind. Auffallend ıst ferner, daß im Reich
im Brennmaterialienhandel die Kleinbetriebe weit stärker vertreten sind
als ın den Großstädten, hier dagegen die Alleinbetriebe stark überwiegen.
Auch auf diese Erscheinung soll noch an anderer Stelle eingegangen wer-
den. In den übrigen Gewerbearten tritt mehr oder weniger stark die
schon für den Warenhandel im ganzen hervorgehobene Erscheinung her-
vor, daß die Betriebe in den beiden höchsten Größenklassen einerseits
und die Alleinbetriebe andererseits in den 28 Großstädten überwiegen.
Bei 5 Gewerbearten (Brennmaterialien-, Drogen-, Kolonialwaren-, Tabak-
handel und H. m. verschiedenen Waren) sind hier mehr Alleinbetriebe als
im Reich.
Bei Untersuchung der Größenklassen in den einzelnen GroB-
städten soll zunächst die Frage nach der Zusammensetzung der Größen-
klassen in einer Gewerbeart in verschiedenen Großstädten beantwortet
werden. Es betrugen die Zahlen für die Gewerbeart H. m. Baumate-
rialien in den 5 Größenklassen in
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. GroBbetr.
Leipzig .... 13 186 26 71 12 172 19 271 — —
Strabburg ... 2 68 7 241 5 173 15 518 — —
Hauptbetriebe nach Größenklassen 37
während hier die Zahlen für die Kleinbetriebe gleich groß sind, stehen
sich diejenigen für die Alleinbetriebe und die Mittelbetriebe scharf gegen-
über. Ähnliche Gegensätze bestehen in den Städten:
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. Großbetr.
München. ... 20 233 25 29,7 6 7,8 26 30,9 7 8.3
Breslau .... 3 17,4 24 233 #26 254 33 32,0 2 1,9
Hier stehen sich die Kleinbetriebe und Großbetriebe in ähnlicher Weise
gegenüber. In der Zusammensetzung der Größenklassen in dieser
Branche ergeben sich somit große Unterschiede in den verschiedenen
Städten.
Ähnlich liegen die Verhältnisse in der Gewerbeart H. m. Ma-
schinen:
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. Großbetr.
Hamburg ... 49 185 130 492 28 10,8 55 20,8 2 0,7
Breslau .... 15 19,7 17 23 11 146 32 42,1 1 1,3
Straßburg ... 3 103 8 27,6 7 24,3 10 34,4 1 3,4
Cöln. ..... 30 31,2 22 22,9 11 11,6 32 33,3 1 1,0
und H. m. Brennmaterialien:
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. Großbetr.
Straßburg ... 26 40,0 22 33,9 2 31 14 21,5 1 1,5
leipzig .... 53 181 170 581 37 26 3 12 — —
Auch hier sollen ferner die besprochenen Ergebnisse, betreffend die
durchschnittliche Personenzahl, die auf einen Betrieb entfällt, näher be-
leuchtet werden.
Für Berlin ergibt sich im Gegensatz zu Hamburg für die Gewerbeart
H. m. Tabak:
Berlin ..... 1566 47,3 1630 49,1 64 1,9 50 1,5 3 0,0
Hamburg ... 545 29,1 1226 65,7 46 2,4 654 28 — =
28 Großstädte . 5075 44,2 5820 50,7 290 2,6 287 2,5 4 0,0
Die relativ kleine durchschnittliche Personenzahl ist hier also auf das
starke Überwiegen der Alleinbetriebe zurückzuführen, während die grö-
Bere Personenzahl in Hamburg vom Überwiegen der Klein- und Mittel-
betriebe herrührt. Im H. m. Drogen
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. GroBbetr.
Berlin ..... 879 37,7 1180 50,7 128 5,5 136 5,8 8 0,3
28 Großstädte . 1656 27,4 2971 49,2 662 11,0 727 12,0 27 0,4
muß die in Berlin relativ niedrige Personenzahl ebenfalls auf die Zahl der
Alleinbetriebe zurückgeführt werden. Für den H. m. Manufaktur-
waren, dessen hohe Personenzahl u. a. in Berlin, München und Cöln
hervortritt,
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. Großbetr.
Berlin ..... 1168 30,2 1358 35,0 454 11,9 811 20,9 80 2,0
München. . . . 129 23,6 201 36,7 68 12,4 143 26,1 7 1,2
Cols ge rer 138 21,7 241 38,0 66 10,4 167 263 23 3,6
28 Großstädte . 3571 24,0 5693 38,3 2445 16,2 2962 19,9 239 1,6
38 Erster Teil
ergibt sich, daß dies in Berlin und Cöln auf die Mittel- und Großbetriebe,
in München auf die Mittelbetriebe zurückzuführen ist. Für Leipzigs grö-
Bere durchschnittliche Personenzahl im H. m. Leder zeigt sich,
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. Großbetr.
Leipzig . ... 62 19% 86 27,4 58 185 108 344 — —
28 Großstädte . 521 235 802 36,2 339 15,2 552 24,9 5 0,2
daß diese in der Hauptsache ebenfalls auf den Zahlen für die Mittel-
hetriebe beruht, während sich für Straßburgs H. m. Wein
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. GroBbetr.
Straßburg . . . 8 13,5 29 49,2 11 18,7 11 1836 — —
28 Großstädte . 643 19,8 1608 49,7 359 10,9 633 19,5 5 0,1
ergibt, daß dessen größere Personenzahl eine Folge des höheren Prozent-
satzes der Kleinbetriebe ist. Was die relativ geringe Personenzahl in
München im H m. landwirtschaftlichen Produkten betrifft, so
zeigt sich, l ,
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. Großbetr.
München. . . . 1750 51,8 1459 43,3 % 2,6 78 23 — —
28 Großstädte . 16715 39,4 22068 52,0 2195 5,0 1572 3,6 25 00
daß diese in der Hauptsache von den Alleinbetrieben herrührt, während
sie im Trödelhandel
Alleinbetr. Zwergbetr. Kleinbetr. Mittelbetr. GroBbetr.
München. . . . 262 57,8 182 40,0 7 1,4 4 08 — —
28 Großstädte . 1712 59,5 1028 35,7 54 17 87 3,0 3 01
von Zwergbetrieben wie auch von der geringeren Zahl der Betriebe in
den höheren Größenklassen herrührt.
Wie sich das Verhältnis der Betriebszahlen bei weitergehender Ein-
teilung in Größenklassen gestaltet, sei anschließend für eine einzelne
Stadt, Berlin?), nachgewiesen. Es kamen hiernach innerhalb der Zwerg-
betriebe im ganzen weit mehr Betriebe auf die Größenklasse ,,andere
Betriebe“ (s. Tab. IV) und ‚zwei beschäftigte Personen“ als auf die
Größenklasse ‚drei beschäftigte Personen“; ebenso ergibt sich, daß
innerhalb der Kleinbetriebe wie auch der Großbetriebe die Zahl der
Betriebe an der unteren Grenze überwiegt. Doch schwanken für die
einzelnen Gewerbearten auch hierin die Zahlen stark. Auffallend ist
die Schwankung besonders bei der Größenklasse ‚andere Betriebe‘ für
einzelne Gewerbearten. Diese Betriebsform (Betriebsleiter im Neben-
beruf tätig, eine gewerbtätige Person hauptberuflich) scheint bei einigen
Gewerbearten überhaupt keine Bedeutung erlangen zu können. Es be-
trugen z. B. die prozentualen Anteilszahlen in den Gewerbearten (s. 5.40):
1) Während die Statistik (Bd. 217) nur 8 Größenklassen für die Großstädte unter-
scheidet, wurde die Einteilung hier in 13 Größenklassen, auf Grund handschriftlichen
Materials des „Königlich Preußischen Statistischen Landesamt“ durchgeführt.
Hauptbetriebe nach Größenklassen 39
Tab.IV. Die Zahl der Hauptbetriebe Berlins nach Größenklassen.
| l Zahl der Hauptbetriebe in der Größenklasse der Betriebe mit bg abe Personen |
i - — e —— Se - ~ — = — = -
| Gewerbearten || Alleinbetrieb || andere Betriebe !) 3 | 3 4 und 5 pE 6 bis 10° |
absolut | Kë absolut | 9, ` TJ absolut % | absolut | 9, “absolnt wë absolut! Kë
346 5494| 28 4,43, 172|27,24| A8.
Ee
H. m. Tieren .
H. m. landw.
~ 19: ve ul 1,74.
| | |
| |
Produkten || 4209. 37,17, 735 6,46 4 208 137,031 293 11.29 GC 4, 12 237 2,08
|H. m. Brenn- | | | | |
materialien 476 | 28,40|| 86 5,12) 716 42,73 | 201 11,99) d 4,72 o 2 A4
' H. m. Baumat. 51! 18.83 ' 5: Läit 34 12,54 25/9, 22 | 38 114.05 | 63 ,23 E
H. m. Metallen] 137/17.76 | 81 10,49) 116 15,03] 72 | 9,32 126 16,29, 98 12, 70 |
| H. m. Maschin. 90, 18,18) 57 11,52 | 83/16,77] 44| 8.88, 69 13,86 ' 74 14,95 |
| H. m. Drogen | 879 37,73, 429 18.41 603 25,90, 148| 6,37 128, 5.44 76 , 3.26
' H.m.Kolonial-, | | | | | |
O EB-u.Trink| | Gë |
waren. .|| 1 969/ 28,72 1014 14.772291 33.44] 710 10,34 442! 6,31/275, 4,00
| 139° 15, 31 89. 9,791 84, 8,60) 70 7,70
H. m. Tabak .| 1566: 47.39| 759 22,93) 763 23,04 108 | 3,26 | 64) 1,79) 34) 1,02
H. m. Leder .| 108); 23,20 29' 6,09, 72/15,12)| 68 142 ‚28, 86 116,57 63 13,24
H m. Manu- | | | | | |
fakturw. . ./ 1 168 | 20.211 182| 4,70)| 780 120.16 | 396 10,23) 454 11,69 363 | 9,38
H. om. Wein . 123 | 13,53 348 38,31
H. m. Galan-
teriewaren .|| 479| 33,59|| 127! 8,86
|
253 117,66 u 8,02 175 112,06 = 10,33 |
|
| H. m. versch.
Waren . 2 702 : 35,33 ele 10,52 | 1 578 20, 36 | wé 9,09 | 756 | 9,13 59217 1,63
'Trödelhandel || 312 | 68,49 93 20,36 23| 5,04) 7| 1386| 7| 1.53
nz Zahl der Hauptbetrie! e in der t:rößenklasse der Betriebe mit... . Personen
Gewerbearten 11 bis 20 || 31 bis so u m u Ge | 0 Insgesamt
BEE RER absol. ! L Lo absol. | "ie (aka, ` Sie |, abs. SC abs. | 2% a x HES 2 | absolat ee SCH)
H. m. Tieren . | soz) 300 m a T E zb e 100,00,
' H. m. landw. | | | | \ | GC | !
Produkten || 69, 0,60! 37 oai 8 0.07, — — j —; — | — 111.362 par
HH. m. Brenn- | | | KR tag 3a =
materialien || 39) 2,32) 34 d 4 200 1 001 — Së eg <a 100,00
H. m. Baumat.| 38.14,02| 15 5,53! 1 D 1 ug — Se SS LI 271]100,00
|H. m. Metallen‘ 72| 9,32| 46 5,9915 11,94) 9 [1.16 — — | —i — |— — || 772/100.00
H.m.Maschinen | 39) 7,88| 28 5,74] 511,01, 6 1.21] — 1 4951100.00
H. m. Drogen || 43: 1.84) 17 0,72! 6 025 2 0.08 WI Sé See — — || 2 331]100,00
' H.m.Kolonial-, | ! ee ` | | | |
EB- u. Trink-' d It St kK
waren 1,61) 44 0,64} 7 0,11! 4.0.05 1 0, 01. — |— || 68681100.00'
H. m. Wein (39 3,52! 20 2,20, 2 .0,22 1 KU 0,11; — —|i—' — || 909}100,00'
H. m. Tabak | 13 0,39) 3 0,09] 30,09 — —, — — | — — | — H 3.313]100,00
| H. m. Leder . | 35) 7,35! 13 2,73 2 '0,42 = 1 | — || — || 476)100,00
H. m. Manu- | | | | | | | d |
` fakturw.. . 269! 6,94 1179 4 6453 1, 36 18 0,46| 7 7 0,18; — — || 2 0,05| 3 871|100,00
H. m. Galan- | | | | | |
| _teriewaren || 83) 5,79) 37. 2.60 14 0,97) 1 0,06) 1 0,06 | — —! —||— — || 1 433/100,00
H. m. versch. 359| 4,631173 2,42 50 0,64 15, 0,19} 5 0,06, —| — || 1 0,01} 7 750,100,00
Waren .. u | |
| Trödelhandel. || 8 1,75 2 0,431 — — A lh —||— — Îl 457/100, Di.
1) Betriebe, in denen eine Person hauptberuflich arbeitet, wahrend der Betriebs-
leiter das Geschäft lediglich nebenher betreibt.
40 Erster Teil
Alleinbetr. and. Betr. 2 besch. Pers.
“ TyGdelhandel : ......... 68,49 1,09 20,36
H. m. Baumaterialien . ..... 18,83 1,83 12,54
H. m. Tieren .......2... 54,94 4,43 27,24
H. m. Manufaktur- u. Schnittw.. . 30,21 4,70 20,16
dagegen bei anderen;
Alleinbetr. and. Betr. 2 besch. Pers.
H. m. Wein u. Spirituosen . . . . 13,53 38,31 15,31
H. m. Tabak . . .. 2.2... 47,39 22,93 23,04
H. m. Drogen ......... 37,73 18,41 25,90
Während ein Wein-, Zigarren-, Drogengeschäft leichter nebenher be-
trieben werden kann, scheint dieses bei Geschäften wie Baumaterialien-,
und Manufakturwarenhandlungen untunlich zu sein.’)
Auffallend ist ferner die scharfe Grenze, welche die Betriebszahlen
der Größenklasse „zwei beschäftigte Personen“ der folgenden gegenüber
bei gewissen Gewerbearten bilden:
H m. Brennmaterialien . . . . 2 222 202.0 42,73 11,99
H. m. landw. Produkten . . . . 2.22 2 2.2. 37,03 11,39
H. m. Tieren `, . . . . 2: 2 2 2 2 2 2 2 2 0. 27,24 7,59
H. m. Tabak i. soc Sak Soe SSS KS 23,04 3,26
H. m. Kolonial-, EB- u. Trinkwaren. ..... 33,44 10,34
Was die GroBbetriebe betrifft, so sei auf Tabelle III verwiesen, woraus
sich u. a. die Betriebe der Manufakturwarenbranche als die größten er-
geben.
Zusammenfassung.
Neben den Ergebnissen im einzelnen ist hervorzuheben: was den
Bestand des Warenhandels am letzten Zählungstage betrifft, so ergeben
sıch in den Großstädten gegenüber dem Reich große Unterschiede. Es
entfallen im Vergleich zur Bevölkerung viel mehr Warenhandelsbetriebe
auf die Großstädte als auf das Reich. Die Betriebsdichte ist in den klei-
neren Städten viel größer als auf dem Lande (auf 10000 Einw. entfallen
Betriebe; Großstädte: 188, Reich abzgl. der 28 Großstädte: 114, Mittel-
städte 152, Kleinstädte: 172, Kreise: 82). Für die Zahl der beschäftigten
Personen ergeben sich fast die nämlichen Erscheinungen oft noch schärfer
ausgeprägt (auf 10000 Erwerbstätige entfallen beschäftigte Personen;
Großstädte: 130,18, Reich abzgl. der Großstädte 43,37, Mittelstädte:
100,67, Kleinstädte: 77,96, Kreise: 27,44). Auch die Größe schwankt
stark (auf 100 Betriebe entfallen beschäftigte Personen; Großstädte:
339,5, Reich abzgl. der 28 Großstädte: 209,6, Mittelstädte: 305,8, Klein-
städte: 238,2. Kreise: 175,0). Es entfallen also in den Großstädten nicht
nur über die Hälfte mehr Betriebe auf die gleiche Zahl Einw. als auBer-
1) Betreffend den Baumaterialienhandel vgl. S. 43ff. Das hier Gesagte betrifft
nicht die Nebenbetriebe.
Zusammenfassung 41
halb derselben im Reich, sondern die Betriebe sind auch fast zwei Drittel
mal größer. Die Größenklassen zeigen in den Großstädten gegenüber
dem Reich vornehmlich mehr ‚‚Alleinbetriebe‘‘ und mehr ‚Großbetriebe‘‘,
Letztere haben hier einen sechsmal so großen Prozentsatz. Innerhalb des
Warenhandels sind die Unterschiede zwischen Großstadt und Reich
gleichfalls sehr groß. Der Charakter der Gewerbearten macht sich stark
geltend. Manche überwiegen, was die Betriebsdichte betrifft, bei weitem
in den Großstädten (Tabakhandel, Trödelhandel, H. m. landwirtschaft-
. lichen Produkten, Drogenhandel, Manufaktur - Schnittwarenhandel),
andere in kleineren Orten (Kolonialwarenhandel, H.m. Tieren). Die größ-
ten Betriebe sowohl im Reich als auch in den Großstädten haben die
Gewerbearten Baumaterialienhandel, Metallwarenhandel, Manufaktur-
und Schnittwarenhandel. Die Alleinbetriebe in den Großstädten über-
treffen diejenigen im Reich in 5 Gewerbearten (H. m. Brennmaterialien,
Drogenhandel, Kolonialwarenhandel, Tabakhandel und H. m. verschie-
denen Waren). Für die 7 einzelnen untersuchten Großstädte ergeben sich
untereinander fiir den Warenhandel nicht unerhebliche Abweichungen.
In Hamburg ist die Betriebsdichte am größten, in Straßburg am gering-
sten. Desgleichen auch die beschäftigte Personenzahl (auf 10000 Er-
werbstätige entfielen beschäftigte Personen ; Hamburg: 195,2, Straßburg:
100,2). Auch die Größe überwiegt in Hamburg (367 Personen pro 100
Betriebe) und ist am geringsten in München (279). Die ,,GroBbetriebe“
überwiegen indes ihrem Anteil nach in Berlin. Jede Stadt zeigt in bezug
auf die Gewerbearten eine eigenartige Zusammensetzung, wenn auch in
großen Zügen das Bild vom Großstadtdurchschnitt nicht abweicht. So
ıst für Berlin die größere Zahl der Betriebe des Tabakhandels, Drogen-
handels mit gleichzeitig kleineren Betrieben, ferner die geringere Zahl
der Betriebe des Kolonialwarenhandels charakteristisch. In ähnlicher
Weise für Hamburg der Tabakhandel, Kolonialwarenhandel mit größeren
Betrieben, für München die Betriebszahl im Tierhandel, Trödelhandel,
und H. m. landwirtschaftlichen Produkten, Leipzig im Lederhandel,
Straßburg im Weinhandel usw., Erscheinungen, die sich stets wieder-
holen und von der größeren oder geringeren Bedeutung der betreffenden
Gewerbeart zeugen.
ll. Überblick über die Entwicklung der Warenhandelshauptbetriebe seit
1882 im Deutschen Reich, den 28 Großstädten, 7 einzelnen Großstädten
31 Mittelstädten, 35 Kleinstädten und 100 Kreisen.')
Was die Entwicklung seit 1882 betrifft, so war im Reich die Zunahme
der Betriebe doppelt so groß wie die der Bevölkerung, und die der be-
schäftigten Personen viermal so groß. Allerdings haben sich einige andere
1) Nachstehend seien nur die Hauptergebnisse der ursprünglichen Bearbeitung
der Entwicklung seit 1882 gegeben.
42 Erster Teil
(rewerbezweige noch stärker entwickelt (Versicherungsgewerbe). Diese
Zunahmen zeigen in den zwei Zeitabschnitten bis und seit 1895 geringe
Abweichungen. Der größte Unterschied zwischen Großstadt und Reich
liegt in der Bevölkerungszunahme, der der Betriebszunahme ist geringer,
am geringsten derjenige der Personen. Auch in den Großstädten war,
trotz der großen Zunahme ihrer Einwohnerzahlen, die Betriebs-
zunahme noch größer. Essind hier in stärkerem Maße als im Reich
die kleineren Betriebe, die eine Zunahme zeigen. Während der zwei
Zählperioden ergeben sich hier sehr starke Abweichungen in der Ent- `
wicklung. Während erst eine starke Zunahme stattfand, folgt in der
zweiten Periode eine langsamere Entwicklung. Auch Ab- und Zunahme
wechselt öfters bei einer Gewerbeart in den zwei Perioden innerhalb
einer Stadt. Auffallend ist, daß es außerhalb der Großstädte die Kreise
sind, welche die stärkste Betriebs- als auch Personenzunahme in der
zweiten Periode haben (Betriebszunahme 58,4:35,2 %6 im Reich abzgl.
der Großstädte). Wenn die Betriebszahl in den Großstädten auch größer
war, so ist die Betriebsdichte im Reich doch schneller gewachsen. Der
Grund liegt in der stärkeren Zunahme der Bevölkerung in den GroB-
städten, bzw. in der Landflucht. In den Kreisen ist die Betriebsdichte
am schnellsten fortgeschritten. Was die Größe der Betriebe betrifft, so
ist im Reich die Zahl der „Alleinbetriebe‘ gesunken, hingegen insbeson-
dere die der „Großbetriebe‘ gestiegen. Für die Großstädte ergibt
sich, daß die ,,Alleinbetriebe“ bedeutend weniger abgenommen
haben (der Drogenhandel, H. m. landwirtschaftlichen Produkten, Ta-
bakhandel findet hier mehr als früher Boden). Daß die ‚„Großbetriebe“
außerhalb der Großstädte stärker gestiegen sind, ergibt sich aus deren
geringem früheren Stand. Die stärksten Zunahmen der Betriebe haben
sowohl ım Reich als in den Großstädten die Gewerbearten Tabakhandel,
H. m. Baumaterialien und H. m. Metallwaren. Von allen Betrieben
haben in der zweiten Periode der Drogenhandel und H. m. Maschinen
die stärkste Entwicklung erfahren. Die stärkste Entwicklung zum ,,GroB-
betrieb‘ zeigt der Manufaktur- und Schnittwarenhandel, H. m. Galan-
terie- und Kurzwaren. Von den einzelnen Städten zeigen die Tendenz
zum Großbetrieb am meisten Berlin, Breslau und z. T. Leipzig.
II. Stand des Warenhandels bzw. Handelsgewerbes nach Ergebnissen der
gewerblichen Beiriebszählungen.
Während die bisherige Darstellung auf die Gliederung des zur Unter-
suchung gestandenen Materials hinsichtlich der Wohnplätze nach Reich,
Großstädten, Mittelstädten usw. einen Hauptwert gelegt hatte, sollen in
der nachstehenden Darstellung die im Quellenwerk nur einen geringeren
Teil bildenden Zahlenangaben untersucht werden ohne Unterscheidung
nach dem Wohnplatz, für eine Großstadt, Berlin, soweit div Angaben
Überblick — Nebenbetriebe 43
der Hauptsache nach reichen, ferner für das Reich, soweit dies erforder-
lich erscheint. Die folgende Untersuchung mußte sich daher mehr oder:
weniger auf die Hauptergebnisse beschränken.
Die Nebenbetriebe.
Nachdem bisher die Darstellung der Verhältnisse in den Hauptbe-
trieben gegeben wurde, liegt zunächst die Frage nach der Zahl und Ent-
wicklung der Nebenbetriebe vor, also derjenigen Gewerbebetriebe, die
keine Person hauptberuflich beschäftigen (bzw. keine Motoren benutzen).
Die Reichsstatistik weist für das Jahr 1907 mit den bisher zur Dar-
stellung gelangten Hauptbetrieben im ganzen 925117 Gewerbebetriebe
im Warenhandel im Reiche auf, wovon 215886 Nebenbetriebe gezählt
wurden, d. s. 23,3 % aller Gewerbebetriebe.
Werden die einzelnen Gewerbearten betrachtet, s. untenstehende
Übersicht! so ergibt sich, daß der Drogenhandel die meisten Nebenbetriebe
aufweist. Es folgen ferner der Maschinenhandel, Baumaterialien-, Metall-
waren- und Galanteriewarenhandel. Für den Drogenhandel dürfte sich
dieser Mehrprozentsatz erklären aus dem Umstand, daß diese Gewerbe-
art erfahrungsgemäß vielfach in Verbindung mit anderen (Kolonialwaren
usw.) vorkommt, wobei die Teilung, auch wenn die Waren in einem Laden
gehandelt werden, doch in solcher Weise durchgeführt ist, daß die Sta-
tistik zwei oder mehrere Betriebe unterscheidet.') In vielen dieser Fälle
dürfte der Drogenhandel nur nebenbei betrieben werden. Bei den übrigen
2 lr | Von 100 Gewerbe- |
Gewerbeklasse Nebenbetriebe betrieben |
| waren Nebenbetriebe
| Gewerbearten “|
1907 | 1895 | 1882 || 1907 | 1895 | 1882 |
; EE EE a =
| Warenhandel | 215 886 | 118 253 145 474 | 23,3 | 18,3 | 27,4
Tieren... | 12013] 8493 8869| 269 | 24.9
| H. m | | 28,6 |
| H. m. landw. Produkten . . || 24366 | 21996 23487! 16,3 | 19,7 | 26.9 |
H. m. Brennmaterialien . , 7257 6142 7656 | 27,3: 25,6 | 36.6
H. m. Baumaterialien . . .| 5371| 1657. 1954|] 38,3 ı 28,6 40,8
H. m. Metallen . . . . . . 9469| 2625 3191 | 37,5 ` 22,7 36.5
H. m. Maschinen .... . 5 561 887 — 44,1 34,3 —-
H. m. Drogen ...... 12619] mp — | 46,5 | 173: —
H. m. Kolonialwaren . | 48381 | 32 795 u. = 16,4 | 17,8 —
H. m. Wein ....... 3704| 2027; — || 25,7 205° —
H. m. Tabak... 1... . 6875| 2480! 2400|) 23,3 19,8 | 29,5
H. m. Leder ....... 3093| 1006 1 278| 27,9 16,9 | 24,4
' H. m. Manufakturwaren . . || 13019] 6438| 7240/1172 99 14,4
| H. m. Galanteriewaren . .|| 14238| 3386| 3871) 36.9 16,7 | 26.1
H. m. verschiedenen Waren || 48232 | 26 752 — 53,0 177; —
| Trödelhandel . 2.2.2... 688| 482| 1152 | 9,0 11,2 | 166 |
1) Vgl. Einleitung S. 2.
44 Erster Teil
genannten Branchen spielt die Ausübung mehrerer dem betreffenden Ge-
werbe praktisch naheliegender Berufstätigkeiten eines und desselben
Betriebsinhabers im wesentlichen für die große Zahl von Nebenbetrieben
mit (z. B. Baumaterialienhandel und Bauunternehmung u. dgl.). Im
Galanteriewarenhandel wohl auch die Vereinigung zweier oder mehrerer
Warenhandelsbetriebe in der Hand einer Person. Bei einigen der ge-
nannten Branchen wirkt vielleicht auch der relativ geringe Warenumsatz
bei der Möglichkeit eines hohen erzielbaren Nutzens, bzw. die geringere
persönliche Inanspruchnahme bei Ausübung der Handelstätigkeit für den
hohen Prozentsatz von Nebenbetrieben mit (Maschinenhandel). Am ge-
ringsten ist die Zahl der Nebenbetriebe in dem Trödelhandel, H. m. land-
wirtschaftlichen Produkten, Kolonialwaren- und Manufakturwarenhan-
del. Bei diesen Branchen entsprechend scheint dem Obigen die Menge
des Umsatzes und der geringere im einzelnen erzielbare Nutzen die neben-
berufliche Tätigkeit in höherem Maße auszuschließen.
Die Teilbetriebe.
Unter Teilbetrieb werden diejenigen Gewerbebetriebe (Haupt-
und Nebenbetriebe) verstanden, die nicht selbständige Betriebe darstel-
len, sondern nur ineinandergreifende, aber in sich abgeschlossene Teile
eines Gesamtbetriebes bilden. — Während sich die bisherigen Unter-
suchungen lediglich auf den ‚Betrieb‘ ohne Unterscheidung ob selb-
ständiger oder Teilbetrieb beschäftigen, soll im folgenden von der Zahl
der untersuchten Betriebe diejenige der Teilbetriebe gesondert werden.
Es waren unter den im Reich!) 1907 gezählten 925117 Gewerbe-
betrieben im Warenhandel 308687 Teilbetriebe, d.1.33,3 %2) und 616430
selbständige oder „Einzelbetriebe“. Und zwar gehörten von den Teil-
betrieben 162344 zu den Hauptbetrieben und 146343 zu den Nebenbe-
trieben, so daß fast die Hälfte (47,4 %) aller anderen Betrieben (Waren-
handels- oder sonstigen) angegliederten Warenhandelsbetriebe solche
mit nur nebenberuflich beschäftigten Personen ist.
Auf 100 Teilbetriebe waren Nebenbetriebe:
Warenhandel 47,4 H. m. Tieren . 56,1 landw. Prod. . 43,2 Brennmat. . . . 47,5
Baumat. . . 53,9 Metallw. . . .55,7 Maschinen . . 65,7 Drogen . . . . 72,7
Kolonialw. . 30,3 Weinhandel . 51,3 Tabakhandel . 59,7 Manufakturw. . 41,3
Lederw. . . 55,6 Galanteriew. . 66.7 versch. Waren. 56,8 Trödelhandel . . 41,0
Der Warenhandel wird nebenberuflich, gleichzeitig verbunden mit an-
deren (Warenhandels- oder sonstigen) Gewerbebetrieben, relativ am mei-
sten betrieben im Drogenhandel, Maschinenhandel, Galanteriewaren-
handel. Während bei ersterer Branche die Verknüpfung mit einem oder
1) Diese Angaben wurden nur für das Reich (Bd. 213) gegeben.
2) Die Auflösung eines Betriebes in mehrere Teilbetriebe ist oft unterblieben,
besonders wenn neben Hauptartikeln verschiedene Waren gehandelt wurden. Beitr.
Z. Stat. d St. Halle, H. 11.
Teilbetriebe — Gesamtbetriebe 45
mehreren Warenhandelsbetrieben vorherrschen wird, werden bei den
anderen (Maschinen- und Galanteriewarenhandel) andere Gewerbebe-
triebe (vornehmlich Werkstätten) überwiegen. In jenen weiteren Ge-
werbearten, worin wie im vorigen Kapitel festgestellt wurde, ebenfalls
die Nebenbetriebe überwiegen, worin jedoch die Zahl der Teilbetriebe
etwas zurücksteht (Handel mit Metallen, Baumaterialien), handelt es
sich somit mehr um eine anders geartete hauptberufliche Tätigkeit (z. B.
Bauunternehmung) des Inhabers.
Die Gesamtbetriebe.
Neben dem in dem vorigen Kapitel zur Darstellung gebrachten ,,Be-
trieb‘ als Zähleinheit wurde von der Reichsstatistik der Gesamtbetrieb
unterschieden, d. h. — um das in der Einleitung Ausgeführte kurz wieder-
zugeben —, die Summe derjenigen Teilbetriebe, die unter gemeinsamer
Leitung stehen, wobei dieser (der Gesamtbetrieb) bei der Klassifizierung
zu derjenigen Gewerbeart (bzw. Klasse) gerechnet wurde, welcher der
hauptsächlichste Betriebszweig angehört.
Solche Gesamtbetriebe wurden 1907 im Reich’) 696299 im Waren-
handel gezählt. Auf die 925117 Gewerbebetriebe in Summa entfielen
demnach 75,2 % Gesamtbetriebe.
Die Zahl der Gesamtbetriebe schwankt in den einzelnen Gewerbe-
arten stark, nämlich zwischen 93,2 (Trödelhandel) und 51,8 % (Metall-
warenbandel) aller Gewerbebetriebe.
Auch bei den Gesamtbetrieben wurden Haupt- und Nebenbetriebe
unterschieden. Letztere (10,1 %) kommen wohl in der Hauptsache bei
Ladenwerkstätten vor. Bei diesen dürfte der Fall praktisch am haufig-
sten eintreten, daß ein einem anderen Gewerbebetrieb angegliederter
Warenhandelsbetrieb nur nebenberuflich unterhalten wird und den haupt-
sächlichsten Gewerbezweig bildet, während der Fall, daß ein Händler
zwei Handelsbetrieben allein vorsteht, bzw. in dem hauptsächlichsten
Geschäftszweig nebenberuflich tätig ist, seltener zutreffen wird. Diese
Zahlen geben somit einige Anhaltspunkte über das Vorkommen der
Ladenwerkstätten:
Warenhandel H. m. Tieren landw. Prod. Brennmaterial.
Gesamtbetr. überhaupt 696 299 39 458 131 857 19 910
Gesamtnebenbetriebe . 70417 7704 13 356 3 000
Baumaterial. Metallwaren Maschinen Drogenhandel
Gesamtbetr. überhaupt. 9 286 13077 | 8 204 15 018
Gesamtnebenbetriebe . 2 146 1491 1 911 2 433
Kolonialwaren Weinhandel Tabakhandel Lederhandel
Gesamtbetr. überhaupt 230 069 10 867 23 121 8 000
Gesamtnebenbetriebe . 18 444 1 258 1 995 725
1) Diese Zahlen wurden nur fiir das Reich geboten.
46 ° Erster Teil
Manufakturw. Kurz-,Galantw. versch. Waren Trödelhandel
Gesamtbetr. überhaupt 59699 22 497 98 146 7 081
Gesamtnebenbetriebe . 3 038 1 859 10 668 339
Auf 100 Gesamtbetriebe kamen die meisten Gesamtnebenbetriebe
im Handel mit Maschinen (23,2), Baumaterialien (23,1), ferner Tieren
(19,5), Drogen (16,2) und Brennmaterialien (15,0). Hierbei dürften sich
insbesondere geltend machen im Maschinenhandel Ladenwerkstätten wie
mechanische Werkstätten, Installations-, Technikerwerkstätten (Fahr
räder, Nähmaschinen), Instrumenten- u. dgl. Werkstätten. Ferner im
Baumaterialien- und Viehhandel die Handelstatigkeit von Angehörigen
verwandter Berufe. Im Drogenhandel dürfte sich der schon erwähnte
Umstand der Verbindung zweier oder mehrerer Warenhandelsbetriebe
geltend machen.
Das Personal.
Das Persanal der Gewerbehauptbetriebe wurde von der Reichs-
statistik 1907 gegliedert in
1. Betriebsleiter, die wieder geteilt wurden in Eigentümer, Pächter
und sonstige Betriebsleiter (Direktoren u. dgl.).
2. Verwaltungs-, Kontor- und Bureaupersonal (kaufmännische Pro-
kuristen, Buchhalter, Rechnungsführer, Kassierer, Volontäre,
Schreiber, Lehrlinge, dann Handlungsreisende, sowie sonstige
kaufmännische Beamte und Lagerhalter in Fabrikbetrieben).
3. Technisches Betriebs- und Aufsichtspersonal (Techniker, In-
genieure, Chemiker, Werkführer, Betriebsbeamte).
4. Anderes Personal (Gehilfen, Arbeiter, Fuhrleute, Packer, Maschi-
nenpersonal, sowie Verkäufer und andere Handlungsgehilfen und
Lehrlinge dieser Art).
5. Mithelfende Familienangehörige.
Danach entfielen auf die 1723499 im Warenhandel im Reich!) be-
schäftigten Personen 575796 = 33,4 % Betriebsleiter. Wird diese Zahl
derjenigen der Hauptbetriebe (709231) gegenübergestellt, so ergibt sich,
daß ım Durchschnitt auf 100 Hauptbetriebe 81,1 Betriebsleiter entfallen.
Wird hierbei die Zahl der Betriebe mit einem Betriebsleiter, soweit sie
durch diejenige der Alleinbetriebe gegeben ist, abgezogen, so fallen 71,9
Leiter (Mitinhaber, Direktoren) auf 100 Gehilfenbetriebe. Diese Zahl
zeigt für den Durchschnitt, daß die Leitung mehrerer Betriebe von einer
physischen Person bewirkt wird, was der großen Zahl der Teilbetriebe
(33,3 %) bzw. der Zahl derGesamtbetriebe nach erklärlich erscheint. Diese
Durchschnittszahlen geben, abgesehen von ihrem nur relativen Wert,
dadurch von den tatsächlichen Verhältnissen ein wenig klares Bild, als
oft zwei oder mehrere Leiter an der Spitze eines Hauptbetriebes stehen "
1) Die Zahlen wurden nur für das Reich geboten.
2) Wie z. B. bei den Kompagniegeschäften.
Das Personal 47
Neben den Betriebsleitern bildet ein zweites Drittel die Klasse der Ge-
hilfen (Verkäufer, Packer, Lehrlinge usw.), die zugleich die größte Klasse
bildet (627577). Neben dieser überwiegen ferner die Familienangehörigen
mit ein Fünftel (331717) des Personals.
Für die Größenklassen der Betriebe verschiebt sich das Verhältnis
der sozialen Stellung des Personals sehr bedeutend:
= g =e | 3 KC loa t Mith.
| Betriebsleiter | Kontor- | Gehilfen- |! Familien-
D ange- `
Größenklassen Eigentüm. Pächter, Sonst. ES | personal peraonel, hore
- =- - — - —- !
absolut |
SCH AEA Aa ees ee . SE
{ }
| !
| bis 3 besch. Pers. 244533 2471 6104| 9723 1227 164341 299 883 |
dt 5 „ » , 30485, 237 1784517140" 824! 87757; 19222
|
b— 10 ,, ei | 28 543 156 | 1888 1, 40 627 : 1460 116 269 9 617.
j4l— 50 ,„ 5 17 866 61 1894| 82 891 | 3 492 176 239 2816
| d1— 200 , Se | 1 367 A 402) 23 565 || 1 463 | 64 954 118°
201—1000 n ys 0| — 4377, 361} 1462) e
‘mehr als 1000 besch. | |
l Pers. .. 2 2 6 8 6 — 1 i 1 163 | 9) 335 — |
relativ
; 1 `
| bis 3 besch. Pers. 34,7 13,3 0,1 | 10,8 41,1
CG da ët e 23,1 | 105 | o5 | Au | 11,8
Ke 10 n e 18,1 241 È 08
| mu mm, 6,9 | 29,0 | Lë:
'201—1000 __,, ei 0,5 22,3
Si. 200, i, 1,9 95.6
|
|
mehr als 1000 besch. e
| EE d vah @ 0,1 2
In den kleinsten Betrieben herrschen die Betriebsleiter, wie es in
der Natur der Sache liegt, und noch mehr die mithelfenden Familien-
angehörigen vor. Mit dem Größerwerden der Betriebe sinken diese Zah-
len besonders für die mithelfenden Familienangehörigen rasch, dagegen
steigen sie für die drei anderen Personenklassen, und zwar, wie dies er-
klärlich erscheint, am gleichmäßigsten für das Aufsichtspersonal, während
das Gehilfenpersonal besonders stark von der niedrigsten Größenklasse
zur nächstfolgenden (4 und 5 beschäftigte Personen) zunimmt, nämlich
um das Fünffache. Diese starken Unterschiede der niedrigsten Größen-
klasse gegenüber der folgenden erklären sich daraus, daß die Allein-
betriebe hier mit enthalten sind und den Prozentsatz der Betriebsleiter
stark beeinflussen.
Im Jabre 1907 wurden die Betriebsleiter auch danach unterschieden,
ob sie Eigentümer oder Pächter waren oder die Betriebe in beamteter
Eigenschaft leiteten.
48 Erster Teil
Eigentümer Pächter Sonstige Eigentümer Pächter Sonstige
absolut relativ
Warenhandel. ...... 556056 5079 14 661 96,58 0,88 2,54
Handelsgew. abzgl.W.-H. . 116968 335 9140 92,52 0,26 7,22
Gewerbe insgesamt. . . . 2960829 63760 81578 95,33 2,05 2,62
Die Pachtung war demnach im Handel geringer als im Gesamtgewerbe,
im Warenhandel stärker als in den übrigen Klassen des Handelsgewerbes.
Die Zahl der beamteten Betriebsleiter steht im Warenhandel stark zurück
hinter der in den übrigen Klassen des Handelsgewerbes.
=- Für die Größenklasse der Betriebe ergibt sich, daß die beamteten
Betriebsleiter mit dem Größerwerden der Betriebe im Vergleich zu den
Eigentümern relativ stärker hervortreten; dies beruht auf der bekannten
Tatsache, daß die wirtschaftliche Gesellschaft, je größer, desto häu-
figer besoldete Leiter (Direktoren) an der Spitze ihrer Unterneh-
mung hat.
Von den Branchen treten die Pächter mit 2662 (1,5 %) im Kolonial-
warenhandel am meisten hervor, während die beamteten Leiter mit 729
(11,8 %,) im Maschinenhandel, ferner mit 492 (4,9 %) im Weinhandel und
mit 355 (4,9 %) im Baumaterialienhandel stark überwiegen. Es scheint
sich be letzteren drei Gewerbearten um solche Branchen zu handeln,
die ausgebildete Fachkenntnisse für die Leiter ihrer Betriebe fordern,
weshalb hier mehr besoldete leitende Angestellte als in anderen Branchen
zu finden sind.
Von den einzelnen Gewerbearten überwiegt die Zahl der
Betriebsleiter vornehmlich in denjenigen Gewerbearten, in welchen
| Mith.
. Auf- :
. Betriebs- N aia sichts- a Familien:
Handel mit er samm. enger e personal re _angehörige
m. weibl.
männl. | weibl. enn), wibi. mi jw. ‘mana. | weibl.
|
I
1 943
er a ee ee
97 11105941 4672 763
490 47,34 995/19 186,7 530
49 418
l
31 629) 408 52
110 329 12178, 1526
Tieren . . . || 30 204| 1 425
landw. Prod. || 68 957 41 372
Brennmat. . | 14106, 1690, 15 796] 5677| 704, 440: 522393) 126111 776) 5 095
Baumaterial. | 6933 256| 7189) 7639; 726) 903| 229624) 365) 784| 592
Metallen . . || 10 $36) 1222) 12 058 13 545| 2133| 310) 9/26 491) 2858| 612, 6 260
Maschinen . || 5777; 350) 6127| 5192, 1806| 668, 20, 8706| 1143) 266, 1 267
Drogen . .|| 9910 2254) 12164) 6 363, 1110 193| 1315 091| 2723| 322) 4037
138 363
1 686
1873
1615
55 809 175 75418 502| 3215 802/178 82 762142 538 9 123
Kolonialwar. |119 945 |
Wein . ..|| 8794 1102; 9896. 6671] 672| 611 4114 464 1715 500
Tabak . . . || 14 565: 3528; 18 093 2411! 350| 86| 3] 5437 2215| 539
j
Leder... den 722| 7608, 3963' 561! 87} 6l 6292| 1748! 325
Manufaktur- |
waren . .'|| 41 94916 410 58 359 23079) 6613; 848 649/55 156/70 467.2 318) 24 475
Kurz- u. Ga- | | |
lanteriew.. || 13 553, 6 807; 20 360, 7291) 2528| 161| 48/10 569/18 797, 649} 9 253
verschieden. |
4 163| 46 357
417, 1411
19 ei 83 u 33 737 10 sos 768 418.69 971166 657
1954) 6816| 438 62) 47| 3 2225| 677
Waren. . | 64 457
|
Trodelhandel| 4 862 |
|
Das Personal 49
die kleineren Betriebe im allgemeinen vorherrschen (wie im Tier-
handel 66,2 % gegen 33,4 im Warenhandel, Trödelhandel 56,5, Tabak-
handel 49,0, landwirtschaftliche Produkte 46,9 usw.). Das Kontorper-
sonal in denjenigen Gewerbearten, wo die verwaltungsmäßige Tätigkeit
im Vergleich zur Tätigkeit der Verkäufer schon infolge des geringeren
Umsatzes und des höheren Nutzens sowie des Charakters der gehandelten
Waren vorherrschen wird (wie im H. m. Maschinen 27,8%, gegen 10,4
im Warenhandel, Metallwarenhandel 24,4, Weinhandel 20,3, auch Leder-
handel 20,4). Die im Warenhandelsbetrieb verwendeten Aufsichtsorgane
bzw. technischen Hilfspersonen überwiegen in den Branchen H. m. Ma-
schinen mit 2,7 °4 gegen 0,5 im Warenhandel, Baumaterialienhandel 2,0,
Weinhandel 1,7. und H. m. verschiedenen Waren 6,9. Es dürfte sich
hierbei um Gewerbearten handeln, die z. T. infolge des schwereren
Transportes von Waren im großen wie im kleinen, der Beschaffenheit
der Waren selbst, beim Verladen, Packen derselben auf derartige Organe
angewiesen sind (Versand von Maschinen, Bauholz und -stein, Wein-
fässern usw.). Andererseits dürften aber diese Personen, wie beim H. m.
verschiedenen Waren (in Bazaren u. dgl.) zur Beaufsichtigung des kauf-
männischen Personals (der Verkäufer) in größeren Betrieben auch der
Kunden (zur Verhütung von Diebstählen) vielfach Verwendung finden.
Die letzte Klasse der mithelfenden Familienangehörigen zeigt sehr ver-
schieden große Anteile. Sie ist dort am stärksten vertreten, wo die ge-
ringsten Fachkenntnisse — wenigstens soweit der Detailhandel in Frage
kommt — verlangt werden, vornehmlich dem Handel mit Nahrungs-
mitteln (Kolonialwarenhandel 31,2 °% gegen 19,2 im Warenhandel, land-
wirtschaftlichen Produkten 24,1) und Tabakhandel 22,7 (es folgt ferner
Trödelhandel mit 15,0 und Galanteriewarenhandel mit 14,2 %). Bei
letzterer Gewerbeart dürfte auch stark die geringe Größe dieser Betriebe
dazu beitragen, daß auch ein weniger geschultes Personal ausreicht. Es
zeigt sich weiter, daß entsprechend die Branchen, die meist hohe Fach-
kenntnisse verlangen (bzw. die Kenntnis der Bedürfnisse der Konsu-
menten voraussetzen), auch den niedrigsten Prozentsatz der mithelfenden
Familienangehörigen aufweisen, wie der Baumaterialienhandel 2,5 %,
Weinhandel 5,9, Maschinenhandel 6,0.
Die Gliederung dermännlichen gewerbtätigen Personen im Waren-
handel 1907 weicht von der der Gesamtheit nicht unbedeutend ab, da
diese nur 58,2 % des Gesamtpersonals ausmachen, während sie im ganzen
Handelsgewerbe 61,5 % und im gesamten Gewerbe 77,0 % bilden. Ins-
besondere überwiegt im Warenhandel die Klasse der männlichen Leiter
(42,2 %, gegen 33,4 von allen gewerbtätigen Personen im Warenhandel)
und tritt zurück diejenige der mithelfenden Familienangehörigen (3,0
gegen 19,2 %). Starker noch weicht die Schichtung des weiblichen
Personals von der Gesamtheit ab. Hier überwiegen die Familienange-
hörigen und treten neben den Leitern (21,4 gegen 33,4) insbesondere die
Sigerus: Handelsbetriebsstatistik 4
50 Erster Teil
Kontorangestellten stark zurück (4,5 gegen 10,4). Am gleichmäßigsten
verteilt sich das kaufmännische Gehilfenpersonal auf die beiden Ge-
schlechter(männliche: 39,4, weibliche: 32,3, zusammen : 36,5). Trotzdem
entfallen auch hier prozentual ausgedrückt vom ganzen Gehilfenpersonal
sehr ungleiche Anteile auf die Geschlechter, nämlich 62,9 %, auf das
männliche und 37,1 % auf das weibliche Personal.
Werden diese Zahlen insbesondere für die Gliederung des weiblichen
Geschlechts denjenigen für das Gesamtgewerbe im Reich gegenüberge-
stellt,
Betriebsl. Kontorpers. Aufs.-Pers. Gehilfpers. mith. Fam.
Warenhandel . . 21,4 4,5 0,2 32,3 41,6
Ges.-Gewerbe . . 21,4 2,7 0,3 53,5 22,1
so ergibt sich, daß im Warenhandel die Betriebsleiter dieselbe Bedeutung
haben, wie im gesamten Gewerbe, daß hingegen die Klasse der mit-
helfenden Familienangehörigen im Warenhandel weit überragt, wie dies
aus naheliegenden Gründen erklärlich wird, und daß ferner die Kontor-
angestellten gleichfalls hier eine weit größere Bedeutung haben, was auch
auf dem Charakter der Handelstätigkeit beruht.
Von den Gewerbearten treten am stärksten bei der Klasse der
Betriebsleiter die weiblichen Personen in der Schichtung zurück im
Maschinenhandel. Beim Aufsichtspersonal sind es Branchen mit Waren,
deren Transport, das Auf- und Abladen umständlicher vor sich geht,
bzw. der Überwachung durch männliches Personal eher bedürfen wird
(Baumaterialien m. 1,9 gegen w. 0,1 und 0,7 gegen 0,2 im Warenhandel,
Maschinen m. 3,2 gegen w.0,4, Wein m.2,0 gegen w.0,1). Bei den Kontor-
angestellten treten die weiblichen Angestellten am meisten hervor im
Baumaterialienhandel (m. 16,6 gegen w. 37,4 und 14,7 gegen 4,5 im
Warenhandel), Maschinenhandel (m. 25,2 gegen w. 39,5) und Tierhandel
(m. 0,9 gegen w. 1,3). Bei den Gehilfen gewinnen die weiblichen Per-
sonen größere Bedeutung im Manufakturwarenhandel (m. 44,8 gegen
59,5 und 39,4 gegen 32,3 im Warenhandel), Kurz- und Galanterie-
warenhandel (m. 32,9 gegen w. 50,2), H. m. verschiedenen Waren (40,0
gegen 46,7), wie dies mit der Natur dieser Branchen zusammenhängt.
Am stärksten stehen die weiblichen Gehilfen zurück in Branchen wie
Baumaterialienhandel (m. 64,2 gegenw. 18,8), Brennmaterialienhandel
(50,5 gegen 14,4), Metallwarenhandel (51,3 gegen 23,0).
Wird für Berlin für das Jahr 1907 der Höchststand der be-
schäftigten Personen innerhalb eines Jahres verglichen mit dem Stand
am Zählungstage (8. nebenstehende Übersicht), so ergibt sich für den
Warenhandel im Höchststande ein plus von 3,9 %,. Ausschlaggebend
hierfür sind vornehmlich die Gewerbearten Baumaterialien-, Leder-
und z. T. Brennmaterialienhandel und H. m. verschiedenen Waren.
Personenhöchststand 51
Personenstand am Zählungstage und Höchststand in Berlin.
Personenstand am Zahlungstag
Gewerbeklasse und Höchststand
Gewerbearten Zählungs- Höchst-
mehr
tag stand
Warenhandel 149 405 155 270 5 865
m. Tieren 1 199 1 237 38
landwirtsch. Produkten . 24 035 24 422 387
Brennmaterialien .. . 5 273 5 653 380
Baumaterialien 2 021 2 420 399
Metallwaren 6 308 6 552 244
3838 ` 3933 95
5 812 5 920 108
17 679 18 320 641
3 418 3 472 54
5 155 5 190 35
2 308 2 569 261
Manufakturwaren .. . 29 346 30 117 771
Galanteriewaren . . . . 7206 7 392 186
verschiedenen Waren. . | 34 984 37 240 2256
ödelhandel Dë | 823 | 833 10
nn
H.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
H. m.
Für den Lederhandel ist diese Erscheinung z. T. zurückzuführen auf
die laut Gewerbeliste hier mit enthaltenen Woll- und Baumwollwaren.
Für die diesbezüglich in Betracht kommenden Branchen ergibt sich
für 1907 ein Unterschied von 130 beschäftigten Personen; zum weiteren
Teil ist die Erscheinung zurückzuführen auf den Unterschied im
Rauchwarenhandel, woselbst eine Differenz von 87 Personen in der
Stadt Berlin besteht, was in Summa bei einem an sich geringen Per-
sonenstand von 2308 immerhin 11,3 % bildet. Beim H. m. verschiedenen
Waren rührt der Unterschied der Zahl der Angestellten in der Haupt-
sache von den hier mitenthaltenen Bazaren, kleinen Kaufhäusern usw.
her, welche einen Unterschied von 1780 Personen aufweisen, weniger
indes infolge der Schwankung der Personenzahl anderer hier zugerech-
neter Gewerbearten. Etwas stärker als für die übrigen Gewerbearten
ist der Personenhöchststand auch im Metall- und Kolonialwarenhandel.
Bei ersteren überwiegt der Edelmetallwarenbandel am stärksten mit 167
Personen Unterschied. Im Kolonialwarenhandel ist es auf den wechseln-
den Umsatz von Kolonialwaren im eigentlichen Sinne mit 278 Personen
Unterschied und vom H. m. Schokoladen mit 186 Personen Unterschied
zurückzuführen, was auf den Mehrbedarf der Waren dieser Branchen an
gewissen Festen (Weihnachten usw.) hindeutet. Die Zahl der Saison-
angestellten in dem Manufaktur- und Galanteriewarenhandel erscheint
neben den obigen Gewerbearten etwas kleiner. Die geringsten Abwei-
chungen haben der Tabak-, Trödel-, Weinhandel und H. m. landwirt-
schaftlichen Produkten.
4*
52 Erster Teil
Die Rechtsform der Unternehmungen.
Was die Rechtsform der Unternehmungen!) (Gesamtbetriebe)
des Handelsgewerbes?) betrifft, so zeigt sich für das Reich 1907 für die
Gehilfenhauptbetriebe innerhalb der Gesamtbetriebe — diese allein wur-
den gezählt — ‚daß die Einzelunternehmung, d. h. die nur von einer ein-
zelnen Person betriebene den Kollektivunternehmungen gegenüber, die
weitaus größte Mehrzahl 395225 = 90,0 % sämtlicher in Frage kommen-
den Gesamtbetriebe bildet, während die letzteren nur 44095 = 10,0 %
ausmachen. Die Zahlen für die beschäftigten Personen dagegen betrugen
1239311 = 71,9 % für erstere Unternehmungen, 486788 = 28,1 % für
letztere. Dieser Unterschied rührt daher, daß die letzteren Unterneh-
mungsformen umfangreicher als die ersteren sind. Eine Einzelunterneh-
mung beschäftigt durchschnittlich 3,1 Personen, eine Kollektivunter-
nehmung 11,0.
Vor 100 Gehilfengesamtbetrieben wurden geführt von:
Meh- Kom- Akt.- Ein-
Ein- and.- Ge- Kom- t In- Ge- and. Ge- Zu-
zel- Kee Ver- Zoe Sg mand,- 2 on G.m. nun- werk- Un- mein- sam-
sell- eine sell- schaf- Get. nossen- P. H- SES schaf- nn den men
haber schaft. schaft. ten MAkt. schaft. ten Mehm. etc,
1907: 90,09 6,14 0,28 0,15 0,63 0,03 1,12 0,87 0,00 0,01 0,01 — 100,0
Von je 100 in Gehilfenunternehmungen beschäftigten Personen waren tätig in '
Unternehmungen geführt von:
1907: 71,94 17,36 0,42 0,76 3,92 0,23 1,19 2,67 0,00 0,01 0,03 — 100,0
Von den 44095 Kollektivunternehmungen wurden 27026 = 6,14 % von
mehreren Gesellschaftern geführt, waren also sog. Kompaniegeschäfte.
An zweiter Stelle standen die eingetragenen Genossenschaften mit
4958 = 1,12 %, an dritter die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
mit 3809 = 0,87 % und an vierter die Aktiengesellschaften mit 2768
= 0,63 %. Die übrigen Unternehmungsformen waren, außer den Ver-
einen (1230) wenig vertreten. Die Reihenfolge nach der Zahl des Per-
sonals ist hingegen eine wesentlich andere. Es folgen die Aktiengesell-
schaften an zweiter, die Gesellschaften m. b. H. an dritter, während die
eingetragenen Genossenschaften erst an vierter, die Vereine an sechster
Stelle stehen. Es kamen im Durchschnitt:
Unternehmg. mit mehreren Gesellschaftern . 11,1 beschäftigte Personen
Eingetragene Genossenschaften ..... 41 ji D9
Gesellschaften m. b. H. . ....... 20 3 e
Aktiengesellschaften . ........ . 24,4 3 1
Vereine .. A AE e e e re EE Aë d, A 5 Se e
1) Die Bezeichnung Unternehmung wird hier in einem etwas anderen Sinne ge-
braucht als in der Einleitung (vgl. S. 1), sie bildet indes die übliche. Vielmehr müßte es
„Gesamtbetrieb‘ heißen.
2) Die Zahlen für 1907 beziehen sich nur auf Gewerbegruppen und wurden nur
für das Reich geboten.
Rechtsform — Offene Verkaufsstellen 53
Von diesen vier Unternehmungsformen, die am meisten im Handels-
gewerbe vertreten sind, ragt somit an Umfang die Aktiengesellschaft am
weitaus starksten hervor, wie dieses dem Charakter dieser Unterneh-
mungsform entspricht, welche die Zusammenfassung groBer Kapi-
talien zum Zwecke hat. An nächster Stelle steht das Kompaniegeschäft,
das seiner Natur nach Beweglichkeit in den Dispositionen des Leiters
gewährt und gleichzeitiges Verfolgen verschiedenartiger Aufgaben in
höherem Grade möglich macht), sich also in besonderem Maße zur Han-
delstätigkeit geeignet zeigt. Hierbei kommen zumeist sowohl tatkräf-
tige wie wirtschaftlich starke Inhaber zusammen?), weshalb auch relativ
umfangreiche Betriebe hier zu finden sind, im Gegensatze zu den Ver-
einen oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Letztere Form
zeigt die kleinsten Betriebe von sämtlichen elf Unternehmungsformen.
(Ihr kommen am nächsten die Innungen und Einzelunternehmungen mit
3,0 bzw. 3,1 beschäftigten Personen.) Sie eignet sich auch infolge ihrer
elastischen Form, welche auf jede Art von GeschäftenAnwendung finden!)
und schon mit zwei Mitgliedern ins Leben gerufen werden kann,
mehr für kleinere Betriebe. Bei der eingetragenen Genossenschaft, die
größere Betriebe als die Gesellschaft m. b. H. zeigt, dürfte sich im Han-
delsgewerbe vielleicht geltend machen, daß die Betriebe dieser Rechts-
form, auch wenn mit relativ geringem Kapital fundiert, infolge des grö-
Beren Wirkungskreises (Konsumverein mit geringen Spesen und großer
Mitgliederzahl), für den sie oft bestimmt sein dürfte, auch relativ mehr
Personen zu beschäftigen genötigt sein kann als etwa on gleich stark
fundiertes Einzelunternehmen mit entsprechend geringerem Umsatz.
Die offenen Verkaufsstellen.
Die Zahl der offenen Verkaufsstellen wurde, soweit sie zu den Ge-
samtbetrieben gebören, von der Reichsstatistik 1907 ermittelt. Auf die
696299 Gesamtbetriebe, die im Reich im Warenhandel gezählt wurden,
entfallen 453841 = 65,3 % Gesamtbetriebe, die offene Verkaufsstellen
unterhielten. Die Zahl der offenen Verkaufsstellen betrug 470511. Als
offene Verkaufsstellen galten auch die Verkaufsstände jedes Teilbetriebs
eines Gesamtbetriebes, so daß z. B. auf ein Warenhaus mehrere offene
Verkaufsstellen entfallen. Die Zahl der Gesamtbetriebe mit offenen Ver-
kaufsstellen schwankt bei den einzelnen Gewerbearten sehr stark.
Während sie im Kolonialwarenhandel (84,2 %), Tabakhandel (83,5 %)
über vier Fünftel aller Gesamtbetriebe bilden, machen sie im Baumate-
rialienhandel, wie dies natürlich erscheint, nur ein Fünftel und im Tier-
handel nicht ein Zehntel aller Gesamtbetriebe aus. Diese Unterschiede er-
geben sich leicht aus dem Charakter der verschiedenen Gewerbearten.
1) Roscher, System der Volkswirtschaft, 99. III. Bd. S. 188, 189.
2) Stat. d. Deutschen Reiches, Bd. 193, S. 173.
54 Erster Teil
In Berlin betrug die Zahl der offenen Verkaufsstellen 1907 im
Warenhandel 31464, die der Gesamtbetriebe mit offenen Verkaufsstellen
30471. Danach entfallen auf 100 solcher Gesamtbetriebe 103,2 offene
Verkaufsstellen. Und zwar die relativ meisten auf die größten Betriebe.
Größenklasse der Betriebe mit ..... beschäftigten Personen.
1 bis 3 4 und 5 6 bis 10 11bis50 51u.mehr
9 668 16 712 2171 1 320 1 066 338
relativ, auf 100 Gesamtbetriebe
100,6 101,6 100,5 112,5 121,4 262,0
Die Gesamtbetriebe, zu welchen zwei offene Verkaufsstellen gehörten,
bilden 1,46 %, die mit drei und mehr 0,31 % aller Gesamtbetriebe mit
offenen Verkaufsstellen. Was die Gewerbearten betrifft, so zeigen
pro Gesamtbetrieb mit offenen Verkaufsstellen die meisten Verkaufs-
stellen die Gewerbearten Baumaterialienhandel, H. m. verschiedenen
Waren und Maschinenhandel. Hier kommen auf 100 Gesamtbetriebe mit
offenen Verkaufsstellen 120,8, 107,6 und 10,63 offene Verkaufsstellen.
Diese Erscheinung beruht, insbesondere was Baumaterialien- und Ma-
schinenhandel betrifft, auf dem Umstand, daß diese Gewerbearten ım
Vergleich zu der Zahl aller Betriebe wenig Gesamtbetriebe haben und
daß es sich hier wohl um die Absatzstellen von Großindustrieunterneh-
mungen handelt, die ihre Produkte in einer Reihe von offenen Läden
selbst absetzen dürften. So wurden zwei Gesamtbetriebe mit mehr als
50 beschäftigten Personen gezählt, von denen jeder durchschnittlich vier
offene Verkaufsstellen in Berlin unterhielt. Ähnliches dürfte auch für
die Gewerbearten Metallwaren-, Brennmaterialien- und Tabakhandel gel-
ten, welche die nächstgrößte Zahl offener Verkaufsstellen auf 100 Ge-
samtbetriebe aufweisen (je 104). Bei der letztgenannten mag die Ursache
gleichzeitig auch in der früher erwähnten Tatsache der Verteilung ganz
kleiner Läden über die ganze Stadt zu finden sein, wobei es sich oft um
wenige große Unternehmer handelt.!) Gesamtbetriebe mit 11—50 be-
schäftigten Personen wurden im Tabakhandel 9 gezählt, von denen jeder
durchschnittlich 8,3 offene Verkaufsstellen zählte. Des weiteren sel, was
die relative Zahl der zu einem Betrieb gehörigen offenen Verkaufsstellen
betrifft, auf nebenstehende Übersicht verwiesen.
Die Zweiggeschäfte.
Unter „Zweiggeschäfte‘‘ oder Filialen werden von der Statistik die-
jenigen Einzelbetriebe verstanden, die als unselbständige, aber in sich
abgeschlossene Betriebe zu einem „Hauptgeschäft‘‘ (Betrieb oder Ge-
samtbetrieb) in wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen, wobei dieselben
Waren gehandelt werden (bzw. die gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird)
wie im Hauptgeschäft.
1) Es mögen hier die bekannten Zigarrenläden von Löser & Wolff genannt sein.
Zweiggeschäfte 55
BR... Betriebe mit offenen Verkaufsstellen nach deren Zahl.
Die Betriebe mit ... off. || Die Betriebe mit .. . off. Verkaufsstellen bildeten °,
Gewerbeklasse aller Betriebe mit off. Verkaufsstellen
Gewerbearten o | 2 Lois | zusammen | 8 und mehr | zusammen
| |
98,23 1,46 0,31 100,0
97,84 1,80 0,36 100,0
99,13 0,73 0,14 100,0
H. m. Brennmaterialien .. . 98,31 1,46 0,23 100,0
H. m. Baumaterialien .... 89,59 6,25 4,16 100,0
H. m. Metallwaren . ..... 96,84 2,92 0,24 100,0
H. m. Maschinen ...... 94,98 3,68 1,34 100,0
H m. Drogen `, ....... 98,30 1,60 0,10 100,0
H m. Kolonialwaren . . .. . 97,66 1,97 0,37 100,0
H. m. Wein... ... 2.0. 98,18 1,40 0,42 100,0
H. m. Tabak ........ 98,42 1,28 0,30 100,0
H. m. Leder. ........ 98,05 1,46 0,49 100,0
H. m. Manufakturwaren .. . 98,29 1,47 0,24 100,0
H. m. Galanteriewaren ... . 97,45 2,28 0,27 100,0
H. m. verschiedenen Waren. . 97,43 1,94 0,63 100,0
Tr
eet
Odelhandel. ........ 100, 0 — — 100,0
Die Zahl der Hauptgeschäfte, die solche Zweiggeschäfte hatten, be-
trug im Warenhandel im Reich 1907 5499. Auf jedes dieser Hauptge-
schäfte kamen durchschnittlich 2,2 Filialen. Deren Zahl betrug 12498,
die Zahl aller Einzelbetriebe 616430, so daß die Filialen 2,0 % aller Ein-
zelbetriebe bilden. Von den Hauptgeschäften, die Filialen haben, sind
mehr als die Hälfte, nämlich 3118 solche, deren Zweiggeschäfte sich nicht
ausschließlich am Orte des Hauptgeschaftes befinden, sondern auch an
anderen Orten. Die Zahl der Filialen dieser Hauptgeschäfte betrug dop-
pelt so viel als die Zahl derjenigen, die sich am Orte des Hauptgeschäftes
befinden (8331 gegen 4167). Die Zahl der auswärtigen Filialen betrug
6413 = 51,5 % aller Filialen im Warenhandel.!)
Von den 5499 Hauptgeschäften, die Zweiggeschäfte haben, hatten
4011 nur eins. Wie stark das Unterhalten einer größeren Zahl von Filialen
im Warenhandel verbreitet ist, gebt aus den nachfolgenden Zablen hervor.
Es gab 17 Hauptgeschäfte im Warenhandel mit 51—100 und drei Haupt-
geschäfte, die mehr als 100 Filialen unterhielten: ein Zeichen für die starke
Konzentration der Betriebe im Handelsgewerbe zu Großunternehmungen.
Die Zahlen für die übrigen Gewerbeklassen des Handelsgewerbes weichen
von denjenigen für den Warenhandel insoweit ab, als hier relativ viel
mehr Filialen sind mit, wie es natürlich erscheint, weniger offenen Ver-
kaufsstellen und einer überwiegenden Zahl von Filialen, die sich außerhalb
des Sitzes des Hauptgeschäftes befinden (Bankfilialen usw.).?)
1) Mehrere der Zweiggeschäfte bilden für sich wieder Gesamtbetriebe, da die Zahl
der offenen Verkaufsstellen (also auch der Teilbetriebe) größer ist als die Zahl der Zweig-
geschäfte (16 295 gegen 12 498). 2) Die Angaben für Gewerbearten fehlen.
56 Erster Teil
Die Vereinigung größerer Gewerbebetriebe in der Hand
eınes Inhabers.
Es sei bemerkt, daß nachfolgende Übersicht nach den Angaben der
Reichsstatistik ,,liickenhaft und nicht vollkommen einwandfrei“ ist. Aus
diesem Grunde erscheinen auch die nachfolgenden Ergebnisse im Werte
stark beeinträchtigt.
Die Reichsstatistik von 1907 gibt eine Zusammenfassung größerer
Gewerbebetriebe (nicht Gesamtbetriebe), die sich in der Hand eines In-
habers befinden. In der Gewerbegruppe Handelsgewerbe kommen da-
nach im Reich!)
brigen
eee @ o
Betriebe
Betriebe
ungs-
E
3
=
D
ba
©
ao]
E
s
ok
XIX. Han- |
delsgew. . || 36 7125 68 35 3170| — |—
Personen: Ä
51—100. .|| 15] 941 19 2i 92: 2} 426)
101—200 .||1411924| 18 || 56 21 10) 719, —
Zahl der ü
gl
falle
sw! Zah! ihr. Personen
fälle
Verei ni gungs-
Vereinig
Betriebe
Personen
Vereinigungs-
fälle
Betriebe
Betriebe
Personen
201—500 .|| 41119 1011496 —
501—1000 .|| UI 509! |
mehr als1000|| 212553 2114334
Von den in Spalte 3 und 4 autgetührten Betrieben und Personen entfielen auf
die Grüßenklasse der Betriebe mit .... Personen
| iden i, d vor
bis 50 || 51 bis 100 || 101 bis 200 || 201 bis 500 anderen
Betriebe
Porsoneu
Personen '
Bctriebe
Personen
Betriebe
Betriebe
Personen
XIX. Handels- |
gewerbe. . .
Personen: | |
51—100 . . . 1/18 3553| 1 bäi. | — - eeh P Gees
|
41 | 4927) 27
H
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4
9 194/10 214
101—200 . . . 113 203] 5 362/—| — |—| — || — || 9) 232} 9. 333
201—500 . . . |] 4 1421 3; 218]/—} — || 2] 211 l—| — || 3) 177) 5, 394
BOL 10005. sell 2802| el el ee eg" a "20
mehr als 1000 .|| 5 ı72|| 2! 164 71 106 | 5} 1416 21 481/20 4324| 1| 15
in 36 Fällen Vereinigungen von Betrieben mit über 50 beschäftigten
Personen in der Hand eines Inhabers vor, wobei jeweilig der größte der
vereinigten Betriebe ein Handelsbetrieb war.
1) Die Zahlen wurden nur für das Reich geboten.
Vereinigung größerer Gewerbebetriebe 57
Die Zahl der diesen 36 jeweilig größten Handelsbetrieben angeglie-
derten Betriebe betrug 68 (die auch über 50 Personen beschäftigten).
Die Gesamtzalıl der in diesen 104 Betrieben beschäftigten Personen be-
trug 13028, so daß im Durchschnitt jeder Unternehmer (Inhaber) 125
Personen beschäftigte. (Dieselbe Ziffer beträgt für das gesamte Ge-
werbe 534.) Von den 36 Vereinigungsfällen sind zwei Fälle, in denen
1 Inhaber durchschnittlich 3446 Personen beschäftigt. Es waren ferner
von den 36 Fällen 23 solche, wo ein Inhaber nur 2 Betriebe, 11, wo er
3—5 Betriebe und 2, wo er 11—20 Betriebe in seiner Hand vereinigte.
Die beiden letztgenannten Fälle sind diejenigen mit der höchsten ge-
nannten Personenzahl und beziehen sich auf 23 Betriebe, so daß die 3446
Personen, die je 1 Inhaber durchschnittlich beschäftigt, sich im Durch-
schnitt auf 11 Betriebe in dessen Hand verteilen. Von den den 36 größten
Handelsbetrieben angegliederten 68 Betrieben entfielen fast zwei Drittel
auf kleinere Betriebe, d. h. auf Betriebe mit bis 50 Personen. Von den
den erwähnten zwei größten Handelsbetrieben angegliederten 21 (son-
stigen) Betrieben gehörten ihrerseits eine relativ große Zahl ebenfalls
sehr hohen Größenklassen an, nämlich 14 solche mit über 100 beschäf-
tigten Personen.
Es bleibt nun noch die Frage offen, welchen Gewerbezweigen die 68,
den 36 größten angegliederten Betriebe angehörten. Es entfielen davon
fast zwei Drittel, nämlich 41 Betriebe, auch auf das Handelsgewerbe,
und zwar die Hälfte davon auf Betriebe in der Größenklasse mit über
1000 beschäftigten Personen, der Rest auf andere Gewerbezweige, und
zwar entfielen 10 Betriebe auf die Gewerbegruppe XIII „Industrie der
Nahrungs- und Genußmittel“, je drei auf IX „Textilindustrie“ und X ,,Pa-
pierindustrie‘, je zwei auf V „Metallverarbeitung‘“ und VI ,,Maschinen-
industrie“, die übrigen je einer auf I ,,Kunst- und Handelsgärtnerei‘“, IV
„Industrie der Steine und Erden‘, VIII der „Leuchtstoffe, Seifen usw.“,
XI,,Lederindustrie“, XII ‚Industrie der Holz- und Schnitzstoffe“, XIV
„Bekleidungsgewerbe“, X VII,,Polygraphisches Gewerbe“. Nach Art der
genannten Gewerbezweige bestebt die Verkniipfung dieser Betriebe mit
den Handelsbetrieben, in der Hauptsache mit Warenhandelsbetrieben.
Die übrigen Gewerbeklassen des Handelsgewerbes (Geld- und Kredit-
handel, Versteigerung usw.) dürften nur in sehr geringem Maße in Be-
tracht kommen, abgesehen vom Buchhandel, der in Verbindung mit dem
polygraphischen Gewerbe häufig vorkommt. Der Schluß liegt nahe, daß
es sich in allen diesen Fällen um den gewerbsmäßigen Vertrieb selbst-
erzeugter Produkte handelt. Daß also der hier mit anderen größeren
Gewerbebetrieben verknüpfte Warenhandelsbetrieb teils der Ausgangs-
punkt zur Gesamtunternehmung wurde, indem der Händler zur Pro-
duktion der Waren überging (wie es gelegentlich in der Manufaktur-
warenbranche der Fall ist), teils aber der Warenhandelsbetrieb die Folge
des industriellen Verfertigens einer oder mehrerer Waren wurde, indem
58 Zweiter Teil
der Produzent zum Vertriebe überging. Wieweit das eine und das andere
der Fall ist, läßt sich nicht feststellen, wenn auch der zweite Fall im all-
gemeinen der weitaus häufigere ist. Was die Größe dieser Betriebe an-
langt, so gehörte ein Betrieb im polygraphischen Gewerbe der höchsten
Größenklasse an, je einer in der Maschinenindustrie und dem Bekleidungs-
gewerbe der Größenklasse mit 501—1000 Personen. Sonst alle niedrige-
ren Größenklassen, davon 10 der niedrigsten genannten mit 51—100
Personen. Hieraus folgt, daß, wenn auch in der Hauptsache die relativ
kleineren Betriebe der Industrie vorherrschen, es auch Betriebe der Groß-
industrie gibt, die einem der Größe nach an der Spitze stehenden Han-
dels-, meist Warenhandelsbetrieb wirtschaftlich angegliedert sind und
unter einem Einzelinhaber stehen.
Außer den besprochenen Erhebungsobjekten, die die gewerbliche
Betriebsstatistik von 1907 enthält, seien noch genannt „die gewerb-
liche Benutzung von Motoren“, „die Heimarbeit“ und ‚die
öffentlichen Betriebe“, von denjenigen der Statistik von 1895 „die
Betriebsdauer‘ und „Hausierer“. Sämtliche Angaben sind wenig
ergiebig und teils auch liickenhaft.
A
Zweiter Teil.
Zum Ausbau der Handelsbetriebsstatistik.
Die vorstehenden Ergebnisse der Handelsbetriebsstatistik im Rah-
men der allgemeinen Betriebsstatistik zeigen, daß Anhaltspunkte für den
Bestand und die Entwicklung des Handelsgewerbes in nicht unbedeuten-
dem Maße gewonnen werden können. Sie zeigen weiter, daß diese jedoch
nur wenig Aufschluß geben über gewisse dem Handel charakteristische
Dinge, über die neuzeitliche Veränderung, insbesondere die des Waren-
kleinhandels, welch letztere für die Beurteilung der inneren Verhältnisse
und damit der gesamten volkswirtschaftlichen Beziehungen desselben
zum Produktionsprozeß von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Es wird daher die Aufgabe sein, im Nachfolgenden die Richtlinien
festzustellen, nach welchen die Handelsbetriebsstatistik zweckmäßig aus-
gebaut werden kann, bzw. Anhaltspunkte für die statistische
Erhebung und zum Teil Aufbereitung zu gewinnen, die den oben
angedeuteten Erfordernissen in höherem Grade gerecht werden können.
Dabei soll ausgegangen werden von zwei Gesichtspunkten, die sich
aus nachfolgender Erwägung ergeben. Die Systematik einer Handels-
betriebsstatistik zu geben erscheint praktisch unvorteilhaft. Der Grund
hierfür liegt in dem Stand der amtlichen Statistik. Zu einer Systematik
müßten alle jene Schilderungsobjekte herangezogen werden, für die keine
anderen Grenzen der Hinzurechnung gezogen sınd als die der sachlichen
Zum Ausbau der Handelsbetriebsstatistik 59
Dazugehörigkeit. Da indes heute der Umfang des Begriffes ,,Betrieb‘‘
aus praktischer Notwendigkeit heraus ein bestimmter, an gewisse — aus
technischen Erhebungsrücksichten und Erfahrungen!) gezogenen —
Grenzen gebundener ist, erscheint es unzweckmäßig, über diese Grenzen
hinweg den Begriff auszudehnen. Die Betrachtung der Statistik der
Handelsbetriebe wird daher notwendig praktischen Gesichtspunkten
unterstellt, indem sie sich zuerst auf die Statistik der Betriebe des Han-
dels im Rahmen der allgemeinen gewerblichen Betriebsstatistik beschränkt
und hierauf übergeht zur Handelsbetriebsstatistik als Ergänzung der im
Rahmen der allgemeinen Betriebsstatistik vorhandenen Statistik.
I. Die Handelsbetriebsstatistik im Rahmen der allgemeinen gewerblichen
Betriebsstatistik.
Begrenzung.
Die Schilderungsobjekte,
Die gewerbliche Betriebsstatistik von 1907 erstreckt sich auf folgende
Schilderungsobjekte:
Betrieb nach wirtschaftlicher Einheit und wirtschaftl. Zugehörigkeit.
Personen nach Geschlecht, Alter und sozialer Stellung.
Motoren und Kraftleistung derselben.
Arbeitsmaschinen.
Heimarbeit.
Unternehmungs- (Rechts-) form.
Offene Verkaufsstellen.
Offentliche Betriebe.
Diese Objekte werden in gleicher Weise fiir alle Gewerbe festge-
stellt.
Wenn auch eins der Hauptprinzipien der gewerblichen Betriebs-
statistik dahin geht, einheitliches Material zu schaffen, ware es doch im
Interesse der einzelnen Gewerbeabteilungen gelegen, wenn gewisse Riick-
sichten auf deren Eigentiimlichkeiten genommen wiirden. Gerade die
dritte Abteilung der von der gewerblichen Betriebsstatistik unterschiede-
nen drei Abteilungen „Handel und Verkehr“ erfährt trotz des relativ
hohen Anteils ihrer Betriebszahl an der Zahl aller Gewerbebetriebe
(37,2 %) nicht entsprechende Berücksichtigung. Das Schwergewicht der
Bedeutung der gewerblichen Betriebsstatistik liegt auf dem Gewerbe im
engsten Sinne, auf Industrieund Handwerk. Die meisten Untersuchungen,
die die gewerbliche Betriebsstatistik zum Gegenstand nehmen, wie
auch die Besprechungen der Ergebnisse gehen daher in der Hauptsache
1) Hierher gehören: Einheitlichkeit des Schilderungsobjektes für alle Gewerbe,
Mängel der Beantwortung bestimmter Fragen bei einer großen Erhebung (Steuerfurcht
u. dgl.).
60 Zweiter Teil
von Industrie und Handwerk aus.!) Begründet erscheint dies durch
die überwiegende Bedeutung, die diesen beiden Zweigen im Produktions- `
prozeß zukommt. Handel und Verkehr sind in die Betriebsstatistik mehr
aus Gründen der Vollständigkeit, sowie zu Vergleichszwecken auf-
genommen. Die Betriebsstatistik trachtet vornehmlich Industrie und
Handwerk gerecht zu werden. Gewisse Berücksichtigungen gelten zu
lassen und damit das Zahlenmaterial, soweit es sich mit dem Handels-
gewerbe befaßt, für dieses fruchtbarer auszugestalten, scheint erreich-
bar zu sein, ohne obigen Grundsatz der Einheitlichkeit erheblich zu
verletzen.
Aus diesem Grunde seien folgende Schilderungsobjekte genannt, die
in Gemeinschaft mit den oben aufgezählten der gewerblichen Betriebs-
statistik geeignet erscheinen, die für das Handelsgewerbe aus dem Zahlen-
material zu gewinnenden Ergebnisse farbvoller zu gestalten. Es sind dies:
1. Außerhalb der Betriebsstätten beschäftigte Personen, die sich
hauptberuflich auf Geschäftsreisen befinden — Handlungs-
reisende.
. Schaufenster.
. Eigenproduktionsabsatz im kleinen.
CO DO
Begründung.
a) Die Grenzen der gewerblichen Betriebsstatistik.
Unter Gewerbe in dem von der Statistik verstandenen Sinne wird
nicht nur die auf ,,Stoffveredelung, Bearbeitung, Umwandlung zum
Zwecke der Schaffung von Tauschwerten‘‘ gerichtete Tätigkeit verstan-
den, sondern Gewerbe im weiteren Sinne, wozu auch Landwirtschaft,
Handel.und Verkehr zählen.
Die gewerbliche Betriebsstatistik bildet zusammen mit der Produk-
tionsstatistik einen Hauptbestandteil der Gewerbestatistik. Während
die gewerbliche Betriebsstatistik die Vorbedingungen zur gewerblichen
Tätigkeit erfaßt, faßt die Produktionsstatistik die Leistungen der Pro-
duktion ins Auge.
Der Inhalt des Begriffes gewerbliche Betriebsstatistik ist nicht fest-
stehend und nicht sicher begrenzt. Eine wissenschaftliche Begrenzung
der Aufgabe und des Umfanges derselben gibt es nicht. Die Grundlagen,
die für die heutige gewerbliche Betriebsstatistik gelten, sind von Engel
1871 aufgestellt und wurden bei sämtlichen deutschen Betriebszählungen
in der Hauptsache beobachtet. Engel hat aber bei seinen Unter-
suchungen über die Reform der wirtschaftlichen Statistik, speziell der
Gewerbestatistik, in der Zeitschrift des Königlich Preußischen Statisti-
1) Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, 1882, S. 280—286. Conrad,
Grundriß, vierter Teil, 1904, Berufsstat. S. 3.
Begrenzung und Begriindung 61
schen Bureaus!) nur untersucht, was zunächst die Aufgabe der allge-
meinen deutschen Gewerbestatistik zu sein hätte. Eine theoretische Un-
tersuchung über die Aufgaben einer gewerblichen Betriebsstatistik an
sich, die systematische Darstellung der Schilderungsobjekte wurde damit
nicht gegeben. Der immerhin grundlegenden Feststellung Engels liegt
die Dreiteilung der Schilderungsobjekte der deutschen gewerblichen Be-
triebsstatistik in die drei Produktionsfaktoren Natur, Arbeit und Kapital
zugrunde. Dem Produktionsfaktor Natur trägt Engel insoweit Rechnung,
als er die Darstellung der Ergebnisse auf nicht allzu große räumliche Ter-
ritorien, das sind die Regierungsbezirke, aufgemacht wissen will, da die
physiographische Beschaffenheit der Regierungsbezirke bekannt ist.
Dem Produktionsfaktor Arbeit wird durch die menschliche Arbeitskraft
(Arbeitgeber, -nehmer, nach Geschlecht und Alter) Rechnung getragen.
Dem Produktionsfaktor Kapital, dessen Erfassung sehr schwierig ist,
kann nur durch einen Rückschluß von den Ziffern der vorhandenen
Kraft- und Arbeitsmaschinen sowie Arbeitsvorrichtungen genügt werden.
In derselben Weise äußert sich Hesse*), indem er ausführt, daß die Ge-
werbestatistik ein Bild der Produktionsfähigkeit geben und die Kräfte
nachweisen will, die der Volkswirtschaft für gewerbliche Zwecke zur Ver-
fügung stehen. Ihr Zweck sei, die Zahl der Betriebe und ihre Eigenart
nachzuweisen, ferner den Umfang der Betriebe, der aus den Produktions-
mitteln erkannt werden soll, wie sie Natur, menschliche Arbeitskraft und
Kapital bieten. Die Natur entzieht sich der Gewerbestatistik fast völlig.
Nur in einzelnen Fällen kann sie erfaßt werden (wie z. B. die Pferde-
kräfte des Wassers einer Mühle). Die Arbeitskräfte sind greifbar und
sehr maßgebend. Sie könnten vorwiegend als Maßstab der Größen-
bestimmung der Betriebe verwendet werden. Auf das Kapital kann nur
nach der von Engel angeführten Weise ein Schluß gezogen werden. —
Versteht man unter dem Gebiet der gewerblichen Betriebsstatistik den
Kreis ihrer Schilderungsobjekte, so hat die Gewerbestatistik die Auf-
gabe, die Hilfsmittel der Produktion oder aber in weiterem Sinne die
der gewerblichen Tätigkeit zu erfassen.
Wenden wir uns den Schilderungsobjekten der Betriebsstatistik
selbst zu. Die drei Produktionsfaktoren zu erfassen, gibt es eine Fülle
von Möglichkeiten, wenn auch nicht für alle drei Faktoren in gleicher
Weise. Theoretisch gehört eine große Zahl solcher Schilderungsobjekte zu
den Objekten der Betriebsstatistik ; sie sind teilweise auch zu ermitteln und
werden daher in der Literatur eingehend besprochen. So ist die Zahl, der
1) 10. Jahrgang, Berlin 1870, S. 143—232. Die Notwendigkeit einer Reform d.
volksw. Stat., insbesondere d. Gewerbestat. im Gebiete des Zollvereins, sowie in allen
übrigen Staaten Europas.
2) Conrad, Grundriß zum Studium d. politischen Ökonomie, Vierter Teil. Statistik,
Il. Teil: Die Statistik der wirtschaftlichen Kultur, II. Hälfte, 1. Bd.: Gewerbestati-
stik 8. 3,
62 Zweiter Teil
Umfang der Betriebe, die darin wirkenden menschlichen Arbeitskräfte, ihre
Stellung im Produktionsprozeß und ihre sonstigen Verhältnisse, die in
den Betrieben wirkenden Kapitalkräfte, die mechanischen Triebkräfte,
die Maschinen, die natürlichen Hilfskräfte der Produktion usw.!) Bei
weniger enger Fassung der Aufgaben der Betriebsstatistik wurde noch
dazu gerecbnet die Menge, der Wert des Betriebs- und Anlagekapitals,
Wert des Materials, Wert der Erzeugnisse?), Menge der gebrauchten
Rohstoffe, Bezugsländer, Verbrauch von Brennmaterial und Durch-
schnittsmenge der jährlichen Erzeugnisse.*) Dann Einrichtungen zum
Besten der Arbeiter, ‚Beträge, welche in einem Betriebsjahr durch Lohn-
arbeit dem Nationalvermögen zufließen‘“ (Engel). Eine sehr ins Detail
gehende Aufstellung gibt Farr*), in der er alle technischen, wirtschaft-
lichen und sozialen Beziehungen verfolgt.
Dieser Fülle von theoretischen zur Betriebsstatistik zählenden Beob-
achtungsgegenständen steht nun aber eine relativ sehr kleine Zahl von
tatsächlich zugänglichen und erwünschten Objekten gegenüber. Voll-
ständig zugänglich nur die Zahl der Betriebe und Arbeitskräfte. Abge-
sehen von den nur z. T. erfaßbaren Produktionsfaktoren Natur und Kapi-
tal wurden mit den meisten der übrigen genannten Objekte bei Aufnahme
derselben vielfach schlechte Erfahrungen gemacht. Engel lehnt es daher
schon 1871 ab, die Leistungen der Produktion zur Betriebsstatistik hinzu-
zuzählen. Von den Erhebungen über Wert, Menge, Verbrauch führt
Hesse an, daß ‚diese Versuche als durchaus mißglückt zu bezeichnen
sind ; man hat in den betreffenden Ländern (Vereinigte Staaten von Nord-
amerika und Frankreich) selbst rückhaltlos zugestanden, daß die Zahlen
willkürliche Angaben darstellen (infolge der Furcht vor dem Steuer-
fiskus), welche für die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse keinen
brauchbaren Anhalt gewähren“. Nur für die Aktiengesellschaften, die
gesetzlich verpflichtet sind, in Jahresberichten Angaben zu veröffent-
lichen, kann mit einwandfreien Angaben gerechnet werden; diese bilden
indes einen sehr geringen Teil. Betreffs der Feststellung der Löhne, die
ebenfalls versucht wurde, um sowohl über die Produktionskosten wie
die Lage der beschäftigten Arbeiter ein Urteil zu gewinnen, führt Hesse
aus, daß „solche allgemeine Erhebung schon 1846 in Belgien mit großer
Sorgfalt durchgeführt wurde. Aber auch hierdurch ist der Statistik eine
Aufgabe gestellt, die weit über ihre Kräfte hinausgeht. Die allgemeine
Statistik vermag nur große Durchschnitte aufzustellen. Bei der großen
Mannigfaltigkeit der Löhne und der Verschiedenartigkeit der Lohnbe-
messungen können diese Feststellungen wiederum nur unzureichende
1) Morgenroth, Gewerbestatistik v. Mayr-Zahn, Die Statistik in Deutschland,
1911, S. 188. l
2) Vereinigte Staaten von Nordamerika.
3) Die vier letzten Fragen wurden 1860 von Frankreich gestellt.
4) S. Anm. 1. S. 61.
Begriindung 63
sein, und die Durchschnittszahlen werden stets das Charakteristische
vollständig verwischen. Dasselbe ist zu sagen von Fragen, die in anderer
Weise die Lage der Arbeiter treffen, z. B. die Zeitdauer der Beschaftigung,
die Wohlfahrtseinrichtungen, welche vom Staate, vom Arbeitgeber und
von den Arbeitern selbst ins Leben gerufen sind.“ Ferner führt Engel
aus, „es können nur die Schilderungsobjekte ms Auge gefaßt werden,
welche allen oder doch der großen Mehrzahl der Gewerbe eigentümlich
sind,‘‘ und führt als solche nur Betriebsform, Personen und Maschinen-
kräfte an. Das ‚„Wert‘‘moment ist damit von Engel aus der Betriebs-
statistik vorsätzlich ausgeschaltet.
Es ist Aufgabe der die gewerbliche Betriebsstatistik ergänzenden
statistischen Erhebungen, die übrigen wünschenswerten Bestandteile
der Betriebe ins Auge zu fassen.
b) Die Grenzen der Handelsbetriebsstatistik.
Einleitend soll der Begriff Handel in dem hier gebrauchten Sinne
des Wortes gedeutet werden. „Unter Handel verstehen wir das gewerbs-
mäßig betriebene Kaufen zum Wiederverkauf: also scharf unterschieden
sowohl von den Veräußerungsgeschäften der bloßen Produzenten, wie
von den Erwerbsgeschäften der bloßen Konsumenten‘ (Roscher). In
diesem Sinne spricht auch die Statistik vom Handelsgewerbe.
Das Handelsgewerbe ist ein distributives Gewerbe, es kommt ihm
die Rolle der Güterverteilung in der Volkswirtschaft zu.
Da in der allgemeinen gewerblichen Betriebsstatistik von den drei
genannten Produktionsfaktoren ausgegangen wird, muß zunächst die
Frage aufgeworfen werden, wieweit diese Dreiteilung in gleicher Weise
und mit den gleichen Schilderungsobjekten für alle Zweige der in dem
Begriff Gewerbe enthaltenen Tätigkeiten als Maßstab dienen kann.
Hesse deutet die Unterschiedlichkeit der einzelnen Gewerbezweige in-
soweit an!), als er ausführt: „die besonderen Verhältnisse von Handel und
Verkehr verlangen auch die statistische Behandlung in einem eigenen
Abschnitt.“
Der Handel bildet das Schlußglied in der Kette der Produktion.?)
Es sei zunächst untersucht, inwieweit bei ihm dieselben Produktionsfak-
toren in der gleichen Weise wie bei den übrigen produktiven Gewerben
vorzufinden sind. Die Betriebsstatistik soll aufklären über die Produk-
tionsstätten, worsus für Industrie, Handwerk und andere Gewerbe-
zweige ein Schluß gezogen werden soll auf die Art der Entstehung der
Güter. Für das Handelsgewerbe hingegen soll auf die Art der Verteilung
derselben geschlossen werden. Bei den meisten Gewerben zeigt sich nun,
daß die Entstehung der Güter, als auch deren Produktionsstätten, zwar
von der Natur, aber nicht vom Standort in gleicher Weise abhängen,
1) a. a. O. S. 3.
2) Conrad, GrundriB I, 1900, S. 27.
64 Zweiter Teil
wie das bei der Verteilung der Güter der Fall ist, wenn man unter Stand-
ort das Verhältnis der Produktionsstätten zur Bevölkerung versteht. Die
Bevölkerungsverhältnisse haben in bezug auf die Wahl des Standortes
wenig entscheidenden Einfluß in der Industrie, die auf Absatzmöglich-
keit ihrer Erzeugnisse im weiteren Umkreis, also Land, eventuell Aus-
land, rechnet, in der Landwirtschaft, die in ihrer Abhängigkeit vom Boden,
Momente wie die Bevölkerungsdichte noch weniger berücksichtigen
kann, noch im Verkehr, für den Bevölkerungskomplexe (also mehrere
zugleich in meist großer Entfernung) das Ausschlaggebende sein werden.
Sieht man vom Großhandel ab, dessen Tätigkeitsgebiet, so wie bei der
Industrie, gleichfalls im weiteren Umkreis liegt, so zeigt sich, daß für den
Handel, den Detailhandel (der den größten Prozentsatz der Handelstätig-
keit bildet) die Absatzmöglichkeit sich zumeist im nächsten Um-
kreis des Standortes befindet. Bei der Entstehung der Güter
ist im allgemeinen neben den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital der
Produktionsfaktor Natur das Entscheidende, bei der Verteilung der Gü-
ter indessen tritt an die Stelle der Natur zum großen Teil der Standort
in obigem Sinne. Allerdings spielt auch der Faktor Natur im Handels-
gewerbe eine bedeutende Rolle, insbesondere im Großhandel. Die Ver-
kehrswege, natürliche wie auch künstliche (Wasserstraßen, Eisenbahnen),
wirken auf ihn wesentlich ein, und Küstenstädte verdanken ihm ihre
Entstehung und bekommen durch ihn ihr Gepräge, auf ganze Länder
hat er entscheidenden Einfluß infolge der natürlichen Beschaffenheit des
Bodens und seiner Schätze. „Die Umgebung des Meeres und die das
Land durchziehenden Wasserstraßen haben England zur Handelsmacht
prädestiniert.‘‘!) Viel stärker als die Natur an sich tritt zweifellos der
Standort in den Vordergrund. „Von dem Gesetz der Teilung der
Arbeit wird die Fabrikindustrie beherrscht, gleichviel ob sie an einem
kleinen oder an einem großen Ort sich niedergelassen habe. Keineswegs
das nämliche gilt von den Handelsgewerben. Deren Spezialisierung wird
von dem Absatz bedingt; sie ist größer auf einem großen, geringer auf
einem beschränkteren Markt, .... der Markt (ist) wesentlich von der
Dichtigkeit der Bevölkerung, von der Ansiedlungsweise der Menschen
in Städten oder in Dörfern usw. bedingt ..... “ (Engel). In noch schärferer
Weise bringt Conrad?) das Charakteristikum des Handels zum Ausdruck,
indem er diesem nur dort Produktivität zuspricht, wo er Waren an einen
Ort bringt, an dem dieselben einen höheren Wert haben, wobei die Wert-
erhöhung durch die stärkere Nachfrage entsteht, also das Schwergewicht
u.a.aufUnterschieden in der nachfragenden Bevélkerungsdichte liegt.
Hingegen muß von produktiver Tätigkeit z. B. in der Industrie lediglich
auf Grund von Werterhöhung vorhandener Stoffe infolge Veredelung der-
selben gesprochen werden, ohne daß hier das Bevölkerungsmoment aus-.
1) Conrad, Grundriß I, 1905, S. 30.
2) Grundriß I, 1900, S. 27.
Produktionsfaktoren 65
schlaggebend mitwirkt. Ahnliches gilt auch fiir andere Gewerbezweige.
Es muß somit der Unterschied des Produktionsfaktors Natur (Stand-
ort) im Handelsgewerbe gegenüber den andern Gewerben bei Beurteilung
der Statistik der Handelsbetriebe in entsprechendes Licht gerückt werden.
Wenden wir uns dem zweiten Produktionsfaktor, der Arbeit, zu,
so muß gesagt werden, daß menschliche Tätigkeit hier wie dort ın Indu-
strie, Handwerk und Handel einen nahezu gleichwiegenden Faktor bildet.
Dem Produktionsfaktor Kapital kommt jedoch im Handelsgewerbe
eine wesentlich andere Stelle zu, wenn auch nicht entschieden werden
soll, ob er hier oder dort eine größere Bedeutung fiir die produktive
Tätigkeit hat. Das Kapital bildet im Handelsgewerbe in höherem
Grade mobiles Kapital, während immobiles in weit geringerem Maße
als ın den andern Gewerben vorhanden ist. Die Form, in welcher dieser
Produktionsfaktor für die Handelstätigkeit Bedeutung gewinnt, weicht
von der der übrigen ab.
Gemäß der andern Bedeutung, die den Produktionsfaktoren im
Handelsgewerbe zukommt, seien im folgenden die abweichenden
Schilderungsobjekte, die der Handelsbetriebsstatistik zukommen werden,
ins Auge gefaßt. Es wird sich zunächst darum handeln, dem Pro-
duktionsfaktor Standort zu genügen. Schilderungsobjekte, die diesen
Produktionsfaktor kennzeichnen, gibt es indes im Handelsgewerbe eben-
sowenig wie in den meisten übrigen Gewerbezweigen ; man muß versuchen,
ihm auf andere Weise Rechnung zu tragen. Dies geschieht für das Han-
delsgewerbe durch die Gliederung des Zahlenmaterials nach Groß-, Mit-
tel-, Kleinstadt und Landkreisen und soll daher weiter unten besprochen
werden. Engel entspricht dem Produktionsfaktor Arbeit, indem er Arbeit-
geber und Arbeitnehmer und damit in rohen Zügen geistige und physische
Arbeit trennt. Weiter mißt er die physische Kraft durch Alter und Ge-
schlecht. Bei dem Handelsgewerbe kann diese Trennung von Arbeit-
geber und Arbeitnehmer nur in weit geringerem Maße über geistige und
physische Arbeit unterrichten. Vielmehr werden sich hier auch kleinere
Unterschiede bei der Gliederung des Personals nach der Stellung im Be-
triebe als sinngemäß erweisen. Dem Produktionsfaktor Arbeit kann näm-
lich in der Weise im Handelsgewerbe in höherem Grade entsprochen
werden, daß neben der Zahl der in den Betrieben für Rechnung der In-
haber tätigen Personen diejenige der außerhalb derselben auf Rei-
sen für die Geschäfte des Betriebes wirkenden Personen (Handlungs-
reisende)!) erfaßt wird. Wenn dieser Zug der Entwicklung, die Konsu-
menten selbst aufzusuchen, nicht allein beim Handelsgewerbe, sondern
auch bei den Absatzgeschäften der Fabriken vielfach anzutreffen ist, so
1) Die Zahl der „Agenten“ ist zusammen mit der der Makler und Kommissionäre
bei XIXe „Handelsvermittlung“ mit enthalten. Sie ist jedoch nicht bekannt für den
Warenhandel und bezieht sich außerdem auf die selbständig dieses Gewerbe Ausüben-
den und nicht auf die in Warenhandelsbetrieben angestellten Personen.
Sigerus: Handelsbetriebsstatistik 5
66 Zweiter Teil
haben wir es doch mit einer Entwicklung zu tun, die in weitem Maße
gerade dem Großhandelsbetrieb eigen ist und für ihn große Bedeutung
gewonnen hat. Die Tendenz, das Absatzgebiet auszudehnen, macht sich
hierin besonders deutlich erkennbar. Die innerhalb der Betriebe geleistete
Arbeit bzw. die Bedingungen zur Arbeitsleistung werden durch Erfas-
sung dieser Personengruppen im Handelsgewerbe in weit vollkommenerer
Weise erfaßt.
Dem Produktionsfaktor Ka pital wird im Handelsgewerbe zurzeit
von der allgemeinen Betriebsstatistik keinerlei Rechnung getragen. Wäh-
rend die allgemeine Betriebsstatistik ihn für Industrie und Handwerk
durch Rückschluß von Kraft, Arbeitsmaschinen und -vorrichtungen
erlangt, erhält sie ihn nicht für den Handel und einige andere Gewerbe-
zweige (Versicherungswesen, Transport, Verkehrswesen usw.). In der
Betriebsstätte des Handels ist nicht in gleicher Weise wie in derjenigen
der Industrie und des Handwerks ein statistisch faßbarer Ausdruck vor-
handen in einheitlich begrenzten, spezifisch hohen Wertmaßen. Das im-
mobile Kapital als Bestandteil des Betriebes fehlt hier fast ganz, und wenn
es vorhanden ist, so repräsentiert es sich als eine Vielheit von statistisch
kaum erfaßbaren Objekten. Es muß somit getrachtet werden, einen den
Arbeitsmaschinen gleichkommenden Maßstab für das Kapital zu ge-
winnen. Engel hat nach dem Anlage- oder Betriebskapital nicht ge-
fragt — trotzdem es der beste Ausdruck für den Produktionsfaktor Kapi-
tal wäre —, da dieses schon mehr zur Produktion selbst gehört, also
streng genommen abseits der Grenzen der Statistik der Betriebe (Sta-
tistik der Produktionsstätten) steht. Andererseits wohl auch darum,
weil eine Angabe über Werte nicht losgelöst von eingehenden diesbezüg-
lichen Bestimmungen, statistisch technischen Vorkehrungen und Er-
wägungen im Rahmen der Betriebsstatistik tunlich ist. Es wird sich also
um ein Äquivalent der Arbeitsmaschinen in der Handelsbetriebsstatistik
handeln, das möglichst abseits emer Wertangabe einen körperlichen Be-
standteil der Betriebe als Schilderungsobjekt herausgreift. Hierbei stel-
len sich große Schwierigkeiten in den Weg, da der Handelsbetrieb seiner
- Natur nach über Bestandteile, die hohe Werte repräsentieren und der
Zahl nach leicht erfaßbar sind, nicht verfügt. Ja, nicht einmal der erste
Anfang der Maschine, das Werkzeug, ist hier vorhanden. Angaben über den
Raum, den Verkaufsraum, der an sich oft — äußerlich zum mindesten —
einen Maßstab für die verwendeten Kapitalien geben kann, können nur
dem Werte nach (Miete usw.) gemacht werden. Es bleibt somit die Ein-
richtung der Räume, speziell Verkaufs- und Bureauräume. Auch diese
kann kaum der Zahl nach, sondern wiederum nach dem Werte, eventuell
der Größe angegeben werden. In Betracht käme hierbei lediglich —
anlehnend an die von der französischen Fenstersteuer als Wertmesser
benutzte Fensterzahl — die Zahl der Schaufenster. Ladentische,
Rauminhalt der Verkaufsräume u. dgl. wären zu ungenaue Schilderungs-
Produktionsfuktoren 67
objekte. Die Schaufenster, die auch von Farr!) vorgeschlagen sind, geben
allerdings nur im Detailhandel und nur in geringem Maße Anhaltspunkte
über das investierte Kapital.?) Sie versagen z. B. auch im Detailhandel,
wo es sich um Waren mit hohem spezifischem Wert handelt, z. B. Ju-
welenläden usw., weil hier der Kleinheit der Waren wegen wenige Schau-
fenster genügen, während der Wert des Anlagekapitals ein relativ sehr
hoher sein kann. Den Schaufenstern als Schilderungsobjekt fast gleich-
wertig wäre z. B. die Erhebung der mit der Angabe der Kraftleistung der
verwendeten Motoren nicht ganz auf eine Stufe zu stellenden Beleuch-
tungskörperzahl nach Kerzenstärke. Sie ist indes technisch, bei der Ver-
schiedenartigkeit der Beleuchtungen kaum durehfiihrbar und bleibt als
Maßstab für das verwendete Kapital infolge der verschiedenartigen Ge-
bräuche, Intensität, Kosten usw. ein sehr wenig brauchbarer Anhalts-
punkt. Auch die Zahl der verwendeten Schreibmaschinen in den Kontor-
räumen oder der Telephonapparate würde aus Gründen ihrer verschie-
denen Gebrauchsmöglichkeit in den verschiedenen Gewerbearten und
aus mehrfachen anderen Gründen keinen rechten Maßstab abzugeben
imstande sein. Es würden sich somit für den Kleinhandel in gewissen
Gewerbearten als am meisten geeignete und einzig erfaßbare Objekte die
Schaufenster (Ausstellungsfenster) ergeben.
Gliederung.
Gewerbeliste.
Wiewohl eine Einteilung der Gewerbeliste, die der sachlichen Zu-
sammengehörigkeit von Waren innerhalb einer Gewerbeart in höherem
Grade als die Gewerbeliste von 1907 entspricht, berechtigt erscheint
(S. 12£.), so ist doch aus Gründen der Vergleichbarkeit mit früheren
Zählungen jede Änderung der Gewerbeliste, die die Vergleichbarkeit
aufhebt, als unzulässig zu bezeichnen. (Obgleich eine Einteilung, die
das Gebrauchsmoment bei Gruppierung der gehandelten Waren in
den Vordergrund rückte, dem heute im Warenhandel herrschenden
Grundsatz in höherem Grade Rechnung tragen würde.) Dieses Ver-
gleichsmoment wurde schon von der Statistik von 1895 und 1907 bei Auf-
stellung der Gewerbeliste nicht genügend beachtet (vgl. S. 10£.).
Es sei bemerkt, daß eine Reduzierung der Zahl der Gewerbearten
des Warenhandels auf 15 empfehlenswert erscheint, wenn gleichzeitig der
Inhalt der Gewerbearten bzw. die Gewerbebenennungen dieselben blei-
ben. Aus Gründen der Ubersichtlichkeit muß diese Einteilung, die von
der Gewerbeliste von 1895 durchgeführt ist und in der vorliegenden
Untersuchung aus Vergleichsgründen beibehalten werden mußte, jeden-
falls als zweckentsprechender bezeichnet werden.
1) Vgl. S. 62.
2) In Fällen von abnorm hohen Bodenpreisen sinkt der Wert dieser Er-
hebung noch bedeutend.
5*
68 Zweiter Teil
Erhebungsobjekte.
Auf Grund einer entsprechenden Gliederung der bisherigen sowie
der neu aufzunehmenden Erhebungsubjekte soll getrachtet werden, ge-
wisse Anhaltspunkte zu gewinnen über Dinge, die aus der heutigen Be-
triebsstatistik nicht oder nur wenig genau entnommen werden können.
Am wichtigsten erscheint zunächst, das Verhältnis von Groß- und Klein-
handel zu erfassen, ferner die Unternehmungen, die Zahl der Warenhäuser
und endlich die Ladenwerkstätten. Letztere sınd z. T. schon erkennbar,
jedoch scheint es, daß durch Aufnalıme relativ leicht zu berücksich-
tigender Erhebungsobjekte die Angaben an Brauchbarkeit nicht oner.
heblich gewinnen könnten.
Was den Groß- und Kleinhandel betrifft, so führt die Vorbe-
merkung !) zu Tabelle VI (1907) Bd. 214 aus: „Für das Handelsgewerbe
ist ein Schluß auf das Verhältnis von Groß- und Kleinhandel durch
Gegenüberstellung der Betriebe mit offenen Verkaufsstellen und der
ohne solche zulässig.“ Soll dieses Verhältnis mit größerer Genauigkeit
erfaßt werden, so ist dem gegenüberzuhalten:
1. ist nur ein Teil aller Betriebe mit den Gesamtbetrieben erfaßt, da
die zu Gesamtbetrieben vereinigten Teilbetriebe nur 75,2 % aller
Betriebe (im Reich 1907) bildeten.
2. ist nur ein Teil der Betriebe mit offenen Verkaufsstellen nur einem
anderen Teile der Betreibe ohne offene Verkaufsstellen gegen-
übergehalten, denn das Merkmal der offenen Verkaufsstelle ist
innerhalb eines Gesamtbetriebes nur einmal registriert, und zwar
bei dem hauptsächlichsten Teilbetriebe, während es bei allen an-
deren Teilbetrieben verschwindet (z. B. wird ein Gesamtbetrieb,
der 3 Warenhandelsteilbetriebe umfaßt, als[Gesamt-] Betrieb mit
offenen Verkaufsstellen registriert, wenn sein hauptsächlichster
Teilbetrieb ein Metallwarengeschiift [-laden| ist, trotzdem dagegen
noch 2 Großhandelsbetriebe mit Gußeisen und mit Stahlwaren zu
diesem Gesamtbetriebe gehören).
3. trıfft das Merkmal des offenen Verkaufsstandes nicht für jeden
Detailhandelsbetrieb zu, da es auch Betriebe ım Sinne der Sta-
tistik gibt, die Detailhandelsbetriebe sind und keine offene Ver-
kaufsstelle unterhalten (z. B. der Kleinhandelsbetrieb eines Pferde-
handlers, Viehhändlers usw.).
Aus der Zahl der offenen Verkaufsstellen und der Zabl aller Betriebe
kann weiter noch weniger ein Anhaltspunkt gewonnen werden, da offene
Verkaufsstellen nicht notwendig zum Warenhandelsbetrieb im Sinne der
Statistik gehören müssen (z. B. bei Buch-, Kunsthandlungen, Bank-,
1) „Für das Handelsgewerbe ist ein Schluß auf das Verhältnis von GroB- und
Kleinhandel durch Gegenüberstellung der Betriebe mit offenen Verkaufsstellen und der
ohne solche zulässig.“
Erhebungsobjekte 69
Geldgeschiften, Hilfsgewerben des Handels usw.) und daB ferner — wie
anzunehmen ist — zu offenen Verkaufsstellen auch offene Läden gezählt
wurden, die zu anderen Gewerbearten, nicht dem Warenhandel, gehören
(z. B. chemische Waschanstaltsverkehrsstellen, Plättanstalten usw., die
offene Läden unterhalten).')
Wenn durch Kombination der Erhebungsobjekte das Verhältnis
von Groß- und Kleinhandel gewonnen werden soll und nicht durch die
entsprechende Zusatzfrage im Gewerbebogen (bzw. Formular), so er-
scheint es notwendig, sicherere Anhaltspunkte zu gewinnen, als es auf dem
von der Statistik angegebenen Wege möglich ist. — Die unter Punkt 1
und 2 angegebenen Mängel werden behoben, sobald die Zahl der offenen
Verkaufsstellen nachgewiesen wird unter Zählung der Betriebe (nicht
Gesamtbetriebe) als Betriebseinheiten. Hierdurch kann die Zahl der
Warenhandelsbetriebe nut und ohne offene Verkaufsstellen voneinander
getrennt werden. Dem unter Punkt 3 angeführten Umstand indes kann
durch entsprechende Präzisierung des Begriffs „offene Verkaufsstelle‘
leicht Rechnung getragen werden und hierdurch die Brauchbarkeit der
so gewonnenen Anhaltspunkte über Groß- und Kleinhandel wesentlich
erhöht werden.
Die Frage nach der Vereinigung mehrerer Unternehmungen m
der Hand einer Person erscheint am wesentlichsten zu sem?), weil durch
deren Erfassung dem Problem der Kapitalskonzentration 1m Handels-
gewerbe näher gekommen werden würde. Die Zahl der Unternehmungen
ergibt sich aus der Zahl der Gesamtbetriebe und der Einzelbetriebe.?)
Es ist nun aber eine Verknüpfung mehrerer Gesamtbetriebe, ferner meh-
rerer Einzelbetriebe oder eine Verknüpfung von Gesamtbetrieben und
Einzelbetrieben in der Hand einer Person sehr wohl denkbar. Man denke
an den Inhaber eines Warenhauses, das mehrere Filialen unterhält. Es
fragt sich daher, wieweit diese Vereinigung mehrerer Betriebe in der
Hand einer Person von der allgemeinen Betriebsstatistik erfaßt wırd ?
Die Betriebsstatistik zählt die Unternehmungen nicht auf, sie bietet nur
die Zahl der Einzelbetriebe, die zusammen mit den Gesamtbetrieben die
Zahl der Unternehmungen ergibt. Auch die Zahl der Einzelbetriebe ist
nicht unmittelbar von der Statistik gegeben, läßt sich aber leicht berech-
nen, indem die bekannte Zahl der Teilbetriebe von derjenigen der Ge-
werbebetriebe überhaupt abgezogen wird. Somit wäre die Zahl der Unter-
nehmungen zu berechnen, jedoch nur, wenn es sich um das Gesamtge-
werbe handelt. Wird eine einzelne Gruppe, Klasse oder Art herausge-
1) Der Gewerbebogen fragt nach den „offenen Verkaufsstellen (Läden)“, weshalb
vielfach auch die oben angegebenen Läden bei diesem Punkte des Gewerbebogens an-
geführt worden sein dürften. Vgl. S. 73.
2) Ermittelt wurden die größeren Gesamtbetriebe, die in der Hand eines In-
habers vereinigt sind. Diese Angaben sind jedoch lückenhaft und wurden nur für das
Reich gegeben.
3) Selbständige und unselbständige Einzelbetriebe (Filialen).
70 Zweiter Teil
griffen, so ist diese Berechnungsweise nicht mehr anwendbar. Der Grund
hegt darin, daß dann die Zahl der Gesamtbetriebe nicht mehr in gleichem
Umfange bekannt ist. Als Gesamtbetriebe wurden solche Teilbetriebs-
vereinigungen in einer Gewerbegruppe (usw.) aufgezählt, deren haupt-
sichlichster Betriebszweig dieser betreffenden Gewerbegruppe (usw.) an-
gehört. Für den Warenhandel angewandt, würde somit die Zahl solcher
Vereinigungen von Teilbetrieben, deren hauptsächlichster Betriebszweig
einer anderen (rewerbegruppe (usw.) angehört, von der Statistik unter
Warenhandel nicht registriert. Um die Zahl der Unternehmungen zu er-
halten, müßte daher die Zahl dieser bei anderen Gewerbezweigen
(innerhalb der Gesamtbetriebe) vorhandenen Warenhandels-
Teilbetriebe ermittelt werden, damit die gesamte Zahl der Unter-
nehmungen des Warenhandels in der Statistik erscheint. Dies wird am
zweckmäßigsten erreicht, wenn auch die Zahl der Teilbetriebe regi-
striert wird, die außerhalb der — zu der betreffenden Gewerbe-
gruppe (usw.) gehörigen — Gesamtbetriebe liegen und derselben Ge-
werbegruppe (usw.) angehören bzw. erstens die Zahl aller Teilbetriebe
der Gesamtbetriebe einer Gewerbegruppe (usw.) aufgezählt wird und ge-
schieden nach ihrer Zugehörigkeit zur selben und zu anderen Gewerbe-
gruppen (usw.)?) und zweitens aufgezählt wird die Zahl der zu einer Ge-
werbegruppe (usw.) gehörigen Teilbetriebe, wie dies von der Statistik 1907
geschah (z. B. Warenhäuser: Teilbetriebe 550; Gesamtbetriebe 300, Zahl
deren Teilbetriebe 1000, davon zum Warenhandel gehörig 250, zu anderen
Gewerbearten gehörig 750. Die Zahl der bei anderen Gesamtbetrieben
zugezählten Warenhandelsbetriebe daher 550—250 = 300). Die oben ge-
nannte Vereinigung mehrerer Unternehmungen könnte nur auf dem
Wege der diesbezüglichen Erhebung erfaßt werden.
Die Warenhäuser zu erfassen, könnte des weiteren zu den Haupt-
aufgaben der Handelsbetriebsstatistik gerechnet werden, infolge der gro-
Ben Verbreitung dieser Betriebsform heutigentages und der Bedeutung,
die ihr zweifellos zufällt.
Die Warenhausform wird von der Statistik nicht erfaßt. Diese Be-
triebsform liegt meist vor, wenn wir es mit einem Gesamtbetriebe zu
tun haben, der mehrere dem Warenhandel gehörige Teilbetriebe umfaßt
und eine ebenso große oder annähernd so große Zahl von offenen Ver-
kaufsstellen besitzt.2) Während die Zahl der offenen Verkaufsstellen für
die Gesamtbetriebe bekannt ıst, ist dieZahl der Warenhandelsteilbetriebe,
die zu den Gesamtbetrieben gehören (wie oben erwähnt), "nicht gegeben.
1) Ähnlich wurde in Tab. XIV (1907) verfahren, betreffend die größeren Ge-
werbebetriebe in der Hand eines Inhabers.
2) Aus der Zahl der Gesamtbetriebe allein ergeben sich die Warenhäuser nicht.
Vielmehr gibt es schon Gesamtbetriebe, die 2 Nebenbetriebe als Teilbetriebe enthalten
(vgl. S. 3).
Erhebungsobjekte — Erhebungsbereich 71
Es wird somit darauf ankommen, um die Zahl der Warenhäuser in-
nerhalb des Warenhandels!) annähernd zu erfassen, die Zahl der zu den
Gesamtbetrieben gehörigen Warenhandelsteilbetriebe zu kennen. Auch
hier werden diese bei den Unternehmungen genannten Angaben erfor-
derlich sein.
Die Zahl der Ladenwerkstätten zu erfassen, erscheint in An-
betracht der Erfahrung, daß vielfach Handwerker in die Reihen der
Händler eintreten, indem sie neben den eigenen Erzeugnissen Waren ver-
wandter Art feilbieten (vgl. 5. 3), erforderlich zu dem Zwecke, die Lage
des Kleinhandels, die zurzeit fast allgemein hervorgehobene Überfüllung
desselben, zu beleuchten. Ladenwerkstätten können mit einiger Genauig-
keit auf Grund der ın der Statistik erhaltenen Erhebungsobjekte in kei-
ner Weise festgestellt werden. Weder in der Zahl der Gesamtnebenbetriebe
noch in der der Nebenbetriebe kommt diejenige der Ladenwerkstätten
voll zum Ausdruck. In beiden Fällen kann es sich hierbei vielfach um
Angehörige anderer Berufe handeln. Im ersten Falle z. B. liegt ein Ge-
samtnebenbetrieb vor, wenn ein kleiner Viehhandler gleichzeitig Schläch-
ter ıst, während der zweite Fall zutrifft, wenn ein Arbeiter einen Gemüse-
laden von seiner Frau unterhalten läßt. Die Ladenwerkstitten können
somit nur auf dem Wege der Erhebung ermittelt werden, was indes, wie
unten zu zeigen ist, ohne erschwerende Zusatzfrage lediglich durch ent-
sprechende Weiterführung der Fragestellung leicht gewonnen werden
kann.
Die Gliederung nach dem Erhebungsbereich.
Für die Gliederung des statistischen Materials der allgemeinen Be-
triebsstatistik ist nach Engel vornehmlich die Gliederung nach dem Reich
und nach Bundesstaaten ausschlaggebend. Es ist von der Statistik aller
drei Zählungsjahre obiger Grundsatz insoweit eingehalten worden, als
die Statistik von 1907, bei Gliederung des Materials in 16 Tabellen, nur
in 6 Tabellen für mehr als das Reich?), nämlich auch für die Großstädte
das Material bringt, während 9 Tabellen ausschließlich für das Reich
und eine für die kleineren Verwaltungsbezirke gegeben wurde.*) So sind
z. B. für die Großstädte nicht gegeben: die Angaben, betreffend die Ge-
samtbetriebe, Teilbetriebe, Filialen u. a. m. (vgl. Erster Teil, III). Diese
bevorzugte Stellung des Reichs ist mit Rücksicht der Aufgaben einer all-
gemeinen Betriebsstatistik leicht erklärlich. Es fragt sich indes, welche
Gliederung das statistische Material, betreffend die Handelsbetriebe
zweckmäßig zu erfahren haben wird, infolge der eigentümlichen Stellung,
1) Warenhäuser kommen nur für den gesamten Warenhandel in Betracht, weil
die dazu gehörigen Teilbetriebe verschiedenen Gewerbearten angehören.
2) Abgesehen von den Angaben für die Bundesstaaten und größeren Verwaltungs-
bezirke.
3) Betreffend die genauere Gliederung des Materials der Betriebsstat. vg!. Fin-
leitung S. 4 u. b.
12 Zweiter Teil
die dem Handel in bezug auf den Produktionsfaktor Natur notwendig
zukommt. Diesem Produktionsfaktor Natur, oder Standort, wie er rich-
tiger genannt wird, wird erst entsprochen, wenn die den Handel umgebende
3evölkerungsdichte zum Vergleich herangezogen werden kann. Es er-
gibt sich sonach als eine der Hauptforderungen für den Ausbau der
Handelsbetriebsstatistik im Rahmen der allgemeinen Betriebsstatistik
die Gliederung der wichtigsten Erhebungsobjekte durchzuführen (wie
Haupt-, Neben-, Teil-, Allein-, Gehilfenbetriebe, Gesamtbetriebe und
deren Teilbetriebe [unterschieden nach Teilbetrieben, die zur selben und
solchen, die zu anderen Gewerbezweigen gehören], offene Verkaufsstelle
[Betriebe als Betriebseinheit gezählt), Zweiggeschäft, Betriebe nach
Größenklassen, Personen nach Geschlecht), und zwar sowohl nach Groß-
städten, als nach ‚kleineren Verwaltungsbezirken“, also Mittel-,
Kleinstadten und Landorten. Eine Zusammenfassung mehrerer
dieser Ortsgrößenklassen und tabellarısche Anordnung derselben, wie sie
3d. 110 der Statistik des Deutschen Reichs, betreffend die Berufsstati-
stik der Orte unter 2000 Einwohnern bietet, dürfte den praktischen Ge-
brauch des Quellenwerkes nach dieser Richtung hin erheblich fördern.
— Wenn ferner die — weiter unten festzustellenden — Änderungen, be-
treffend die Ladenwerkstätten, sowie diejenigen, betreffend die offenen
Verkaufsstellen und die der außerhalb der Betriebe beschäftigten Per-
sonen, Berücksichtigung finden, sind durch obige Erhebungsobjekte An-
haltspunkte gewonnen über: Betriebszahl und -größe, Groß- und Kiein-
handel, Unternehmungen, Warenhäuser, Ladenwerkstätten, Zweigge-
schäfte und beschäftigte Personen nach dem Geschlecht. Es wären
somit durchErmittlung obiger Erhebungsobjekte und durch
Gliederung derselben nach Ortsgrößenklassen die wichtig-
sten Momente zur tiefergehenden Erfassung der Verhält-
nisse im Handelsgewerbe gegeben.
Es kann hier nicht unternommen werden, die praktische Gliederung
der genannten Erhebungsobjekte des näheren zu untersuchen. Es sei
indes kurz auf folgendes verwiesen: Die Aufbereitung würde allgemeiner
Schätzung nach nicht mehr als 3 Tabellen erfordern; und zwar würden
hiervon 2 Tabellen (1907, Tab. I u. II) lediglich ausgestaltet und auf die
Mittel-, Kleinstädte (eventuell Landorte) ausgedehnt werden, und nur
die Angaben, betreffend die Gesamtbetriebe und Teilbetriebe, dürften
eine besondere Tabellierung benötigen. Im ganzen würde sonach eine
Tabelle das Handelsgewerbe allein innerhalb der allge-
meinen Betriebsstatistik in Anspruch nehmen), während
1) Hierbei sei bemerkt, daß die Gliederung der Gewerbeabteilungen bei Auf-
bereitung in besonderen Tabellen 1861 von der Gewerbestatistik durchgeführt ist, die
in den Zollvereinsstaaten in Verbindung mit der allgemeinen Volkszählung vorgenom-
men wurde. Diese unterscheidet die drei Tabellen: 1. Tab. der Handwerker und vor-
herrschend für den örtlichen Bedarf beschäftigten Gewerbetreibenden und Künstler;
Erhebungsbereich — Fragestellung 13
zwei auszugestalten seien, alle drei aber auszudehnen wären
auf Mittel-, Kleinstädte und teilweise Landorte. Auch sei be-
merkt, daß bei Berücksichtigung der gesamten Erhebungsobjekte und
Gliederung die Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit denen früherer Zäh-
lungen keineswegs beeinträchtigt werden muß. Weiter sei auf den Um-
stand hingewiesen, daß eine Reihe von Tabellen für das Handels-
gewerbe wenig ergiebig ist und darum leicht entbehrt werden könnte.
Insbesondere betrifft dies die Erbebung der Arbeitsmaschinen nach ihrer
Verwendung (1907, Tab. VIID, der wichtigeren Arbeitsmaschinen (Tab.
IX), Kraftleistung der verwendeten Motoren (Tab. X), die öffentlichen
Betriebe (Tab. XV) und endlich die Benutzung von Motoren (Tab. VII).
Bezüglich anderer Änderungen, die vorteilhaft erscheinen dürften,
sei kurz bemerkt, daß eine Einteilung der Betriebe nach Größenklassen,
auch wenn sie weniger Klassen aufzählt, als die Statistik von 1907 dies
tut, den Anforderungen zumeist genügen dürfte, wenigstens was die Auf-
bereitung für die Mittel-, Kleinstädte und Landkreise betrifft, wodurch
die Verarbeitung des Zahlenmaterials wesentlich erleichtert wird.
Die Formulierung der Fragestellung.
Auf Grund der vorstehenden Ergebnisse würden die Fragen des Ge-
werbebogens bzw. -formulars, betreffend die neu aufzunehmenden Er-
hebungsobjekte, wie folgt lauten :!)
Gewerbebogen?) der Berufs- und Betriebszihlung
vom 12. Juni 1907.
(Die neu hinzukommenden Fragen bzw. Anderungen sind hervorgehoben.)
g „offene Verkaufsstellen bzw.
Läden‘). Sind mit Ihrem Gewerbe usw. offene Verkaufsstellen
(Läden, in denen Waren feilgeboten werden?)) verbunden ?
(Ja oder Nein!) — Wenn Ja, wie viele?.... Kurze Bezeichnung
der 1m Laden verkauften Gegenstände: ...... (Ladenwerkstätten)
Verkaufen Sie im Laden eigene Erzeugnisse?.....
Frage 9B (Handlungsreisende). Außerhalb der Betriebsstätten, aber
für Rechnung des Geschäfts werden in dem bei 6*) genannten Ge-
werbe beschaftigt: .... Von den unter 9b®)genanntenPersonen
Frage 6b (Präzisierung der Bezeichnung
2. Tab. der Fabriken und vorherrschend für den Großhandel beschäftigten Gewerbe-
anstalten; 3. Tab. der Handels- und Transportgewerbe, Gast- und Schankwirtschaft,
Anstalten und Unternehmungen für den literarischen Verkehr.
1) Die Änderungen erstrecken sich auf eine Ergänzung der Fragen des Gewerbe-
bogens 1907, um die Vergleichbarkeit mit früheren Zählungen, die hier feste Grenzen zieht,
nicht zu beeinträchtigen.
2) Für das Gewerbeformular würden sich bei Pt. 6, 10 u. 11 entsprechende Er-
gänzungen ergeben.
3) Oder „(Läden)“ ausstreichen, weil zweifelhaft. Vgl. Anm. S. 68.
4) „Genaue Angabe der Art des Gewerbes.“ (Geschäfts, Unternehmens.)
74 Zweiter Teil
solche, die hauptberuflich auf Geschäftsreisen tätig
sind (Handlungsreisende, Agenten) m..... w...... Höchst-
zahl.... m.... w..... Personen, in deren eigener Wohnung oder
Werkstatt (Hausgewerbetreibende, Heimarbeiter, Platzgesellen)
und deren Gehilfen oder Mitarbeiter (wenn nötig, nach Schätzung
anzugeben) m..... , w..... Höchstzahl .... m..... w...
Frage 10 (Schaufenster). Benutzen Sie in Ihrem bei 6 genannten Ge-
werbe (Geschäft, Unternehmen) Umtriebs- oder Kraftmaschinen,
welche durch elementare oder motorische Kraft, nämlich ,, Wind“,
„Wasser“, bewegt werden, oder benutzen Sie „Elektrizität“ .....
„Segelschiffe‘‘, „Barkassen‘‘? Oder welche sonstigen Kräfte (z. B.
Gichtgas) verwenden Sie? Namentlich zu bezeichnen.... Ge-
hören zu Ihrem bei 6!) genannten Gewerbe (Geschäft)
Schaufenster? (die zur Ausstellung von Waren dienen)
SEN Wenn ja, wieviele? .....
Il. Die Handelsbetriebsstatistik als Ergänzung der im Rahmen der allge-
meinen gewerblichen Betriebsstatistik vorhandenen Angaben.
Die Handelsbetriebsstatistik, wie sie im vorigen Kapitel besprochen
wurde, bedarf einer Ergänzung, denn nicht nur im Rahmen einer allge-
meinen Betriebsstatistik ist das Handelsgewerbe gegenüber den anderen
Gewerbezweigen vernachlässigt, sondern auch in bezug auf sonstige
zahlenmäßige Erhebungen steht es, soweit der Handel, das Handels-
gewerbe im Inland und nicht die Warenverkehrsstastitik (Handelsstati-
stik) in Betracht kommt, hinter anderen Gewerbezweigen zurück. Die
Konsumtionsstatistik, soweit sie besteht, befaßt sich mit der konsumier-
ten Warenmenge, wie sie aus Produktion, Einfuhr und Ausfuhr, also in
Summa für ein Land zu berechnen ist. Sie bildet, da sie wenig Anwendung
gefunden hat, nur eine ungenügende Ergänzung zur Handelsbetriebs-
statistik.
Der Handelsbetriebsstatistik im Rahmen der allgemeinen Betriebs-
statistik sind, wie gezeigt wurde, starke Grenzen gezogen, sie kann nur
über gewisse äußere Tatsachen des Handelsgewerbes unterrichten. Da
auch die Konsumtionsstatistik über die Leistungen des Handels ım
Inland keinen Aufschluß gibt, fehlen Angaben über den Verteilungspro-
zeß (die Distribution) vollkommen. Mit dergleichen Angaben wird sich
die Ergänzung zur Handelsbetriebsstatistik im Rahmen der allgemeinen
Betriebsstatistik vornehmlich zu beschäftigen haben.
1) Personen nach der Stellung. Gruppe b. „Verwaltungs-, Kontor- und Bureau-
personal“, wozu auch die Handlungsreisenden zählen.
Ergänzung zur Betriebsstatistik 15
Begrenzung.
Die Schilderungsobjekte.
Für die ergänzende Handelsbetriebsstatistik, die als fortschreibende
Statistik, und zwar als kommunale angenommen werden muß, erscheinen
die nachfolgenden Schilderungsobjekte am wünschenswertesten.
Zunächst der Warenumsatz. Dieser wäre, soweit möglich, nach
dem Werte pro Kalender- oder Wirtschaftsjahr zu erfassen (wobei vor-
nehmlich die zur Bilanz und Inventur verpflichteten Kaufleute heranzu-
ziehen wären). Ferner der Warenbezug und Warenabsatz. Der
Warenbezug wird erfaßt durch weitere Unterscheidungen, und zwar des
Bezuges von:
a) Fabriken.
b) Handwerkern.
c) Großhandlungen (Engrosbandlungen).
d) Großsortimenten.!)
e) Heimarbeitern (Hausindnstriellen).
D Kleinen Händlern.
g) Bänerlichen Lieferanten.
h) RegelmaBigen Lieferanten oder durch Gelegenheitseinkäufe (Auf-
käufe).
Der Warenabsatz durch Unterscheidungen des Absatzes an:
a) GroBsortimenten.
b) Kleine Händler.
c) Regelmäßige Kundschaft (nur letzte Konsumenten).
d) Käufer.
Beiderlei Angaben sind nach dem Werte zu machen; für den Bezug?)
gleichzeitig nach (z. B. vier) Teilen des Umsatzes.
Die Geschäftsform nach
Abzahlungsgeschäft, Versandgeschäft, Auktionsgeschäft, Bazar und
Spezialgeschäft.
Die Betriebsdauer nach
a) Gründung.
b) Wechsel des Geschäftslokales, bzw. des Inhabers.
c) Wechsel der Firma.
d) Auflösung.
Begründung.
Während im vorigen Teil das Schwergewicht der Änderungsvor-
schläge darauf lag, zu versuchen, den Eigentümlichkeiten des Handels-
gewerbes gegenüber den anderen Gewerben nach Möglichkeit gerecht zu
werden und gewisse, über den Rahmen der allgemeinen Betriebsstatistik
1) Detailbetriebe mit großem Warenlager und Absatz an kleine Detailgeschäfte.
2) Die Angaben über den Absatz werden zumeist aus den Handelsbüchern nicht
in der gleichen Weise zu entnehmen sein wie diejenigen über den Bezug.
16 Zweiter Teil
nicht hinausreichende praktische Fragen zu stellen, konnen bei der nach-
folgenden Betrachtung höherstehende Momente, die die volkswirtschaft-
liche Stellung und das Wesen des Handels betreffen und in der zeit-
lichen Lage des Handelsgewerbes zu suchen sind, betrachtet werden.
Dabei wird ausgegangen von den Wandlungen, die das Handelsgewerbe,
insbesondere der Kleinhandel, ın den letzten Jahrzehnten zu verzeichnen
hatte. Zunächst sollen die hauptsächlichsten, in bezug auf den Klein-
handel, die Warenhäuser usw. am meisten angeführten und stets wieder-
kehrenden Erscheinungen aufgestellt werden. Diese sind:
1. Die Neugruppierung der Waren innerhalb eines La-
dens. Sie besteht in der Hauptsache darin, daß statt des Rohstoffes der
Gebrauchswert der Waren einerseits und das Moment der Anpassung an
bestimmte Konsumentengruppen andererseits als Grundlage für die
Gruppierung gewählt wird. So führt Sombart!) aus, daß ,,auf dem Lande
und in den kleinen Städten in früherer Zeit noch der ‚Laden‘ vorherrscht,
die Gemischwarenhandlung, wie sie auch heißt, der Laden, in dem das
feil ist, was überhaupt an genußreifen Waren in den Handel gelangt, ent-
sprechend der extensiven Verkehrswirtschaft überhaupt‘. In größeren
Städten entstand durch Differenzierung des ursprünglichen Ladens das
Branchengeschäft, in dem die Waren nach der Herkunft gruppiert wer-
den; die Rohstoffe wurden darnach gruppiert, ob sie von weither kamen,
dann mündeten sie ins Kolonialwarengeschäft, oder von der Umgebung,
dann kamen sie in die Viktualienhandlung (oder zum Gräupner, Beutler,
Budiker usw.). Die gewerblichen Erzeugnisse wurden nach der Produk-
tionssphare, aus der sie kamen, im Laden gruppiert. In Breslau sollen
in den 1840er Jahren nur 4 Kategorien von Läden mit gewerblichen
Erzeugnissen gewesen sein, und zwar 1. Textilwaren (Manufakturwaren-
geschäft), 2. Metallgeschäfte, 3. Glas-, Porzellan- und Steinguthandlun-
gen und 4. eine Sammelwarenhandlung (Galanterie-, Kurz- und Nürn-
berger Waren). Dagegen wird heute die Entwicklung neuer Typen von
Warenhandelsbetrieben vorgefunden in dem Bedarfsartikelgeschäft,
Spezialgeschäft, Qualitätswarengeschäft und Massenartikelgeschaft.
Es wird die Tendenz zur Kombinierung verschiedener, ursprünglich ge-
trennter Warengattungen zunächst unterschieden.?2) „Es entwickeln
sich aus den früheren Branchengeschäften traditionell ausgestattete ‘Be-
darfsartikelgeschafte’. So entsteht aus dem alten Manufakturwaren-
geschäft entweder das Modewaren- und Konfektionsgeschäft oder bei
noch weiterer Ausdehnung des Bedarfsgebietes das Ausstattungsge-
schäft; aus dem alten Eisenkram erwächst das moderne Kücheneinrich-
tungs- und allgemein das Hausgerätegeschäft; aus der Kolonialwaren-
1) „Entwicklungstendenzen im modernen Kleinhandel“, Verhandlg. d. Ver. f.
Sozial-Pol. Breslau 1899.
2) Sombart, Die Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert. 1909, S. 254.
Kleinbandel 77
handlung geht das Delikateßwarengeschäft hervor, die alte Sattlerwerk-
statt wandelt sich in den Reisebedarfsladen um, es entsteht das Herren-
artikelgeschäft usw.“ Es wird weiter unterschieden die Spezialisierung
der Waren in einem Geschäfte, was u. a. zur Voraussetzung einen ent-
sprechend starken Kundenverkchr hat, damit der Umsatz dieser be-
stimmten Warenart einen noch genügenden Profit abwirft. Diese Spe-
zialgeschäfte sind in größerem Maßstab als früher berufen, feinere in-
dividuelle Bedürfnisse zu befriedigen (kunstgewerbliche Erzeugnisse
usw.)!). — „In dem Maße, wie mit wachsendem Reichtum sich der sog.
Luxus verallgemeinert, d. h. nach Form oder Stoff kostbare Gegenstände
in größeren Massen nachgefragt werden, so ist es ganz selbstverständlich,
daß eine Vereinigung dieser Luxusgegenstände in dementsprechend ele-
gant hergerichteten Verkaufsräumen für die dementsprechend verwöhnte
Kundschaft unter Ausscheidung aller minderwertigen Waren erfolgt.‘“?)
2. Die Ausdehnung der gehandelten Warensorten in
der Richtung zum Großbetrieb, wobei im Vordergrunde das
Warenhaus sowie große Spezialgeschäfte stehen. Die Entwicklung der
Warenhäuser ist in den letzten Jalıren in einer solchen Weise fortge-
schritten, daß sie als ein Hauptmerkmal der Entwicklung des gesamten
Kleinhandels anzusehen ist. Wernicke?) nennt es ein ,,Gemischwaren-
system mit eigenartiger Organisation“ im großen Stil. Eine ähnliche
Ausweitung des Geschäftskreises ist auch zu finden bei anderen Betriebs-
arten durch Hinzunahme neuer Branchen.
3. Überfüllung des Kleinhandels. Die kleinen Ladengeschäfte
haben sich in den letzten Jahrzehnten nach den übereinstimmenden Mei-
nungen in der Literatur weit über den Bedarf vermehrt, trotzdem gleich-
zeitig auch die Großbetriebe, Warenhäuser, ferner Konsumvereine usw.
eine starke Vermehrung zeigten. Charakteristisch für diese Entwicklung
ist, daß es meist Zwerggeschäfte vermögensloser Leute sind, die sich nach
Borgius?) selbständig machen, um heiraten zu können. Durch den Nieder-
gang des Handwerks tritt eine große Zahl von Handwerkern in die Reihen
der Händler.) Jedoch auch auf unselbständige, insbesondere ungelernte
Hilfspersonen, wie Verkäufer, die sich selbständig machen, usw. ist die
Überfüllung im Kleinhandel zum großen Teil zurückzuführen.
4. Mißstände, die im Gewerbe selbst liegen. Hierbei sind
zunächst bestimmte Geschäftsprinzipien zu nennen, die besonders in der
neueren Zeit im Warenhandel beobachtet werden und Anlaß zu Klagen
gegeben haben. Es handelt sich hierbei vielfach um unlauteren Wett-
1) Wernicke, Wandlungen und neue Interessenvertretungen, S. 46, 56. Schwied-
land, Einführung in die Volkswirtschaftslehre. 1910, S. 297.
2) Sombart, a.a. O. S. 252. 3) A. a. O. Berlin 1908, S. 55.
4) Wandlungen im modernen Detailhandel, Brauns Archiv f. soz. Gesetzgebung
u. Stat. 1898, Bd. XII, H. 1 u. 2, S. 73.
5) Sombart, Kapitalismus. 2. Bd., S. 348.
78 Zweiter Teil
bewerb, unsolides Gebaren, marktschreierische Angebote u. dgl. m. Zu
nennen ist u. a. insbesondere das Ausverkaufswesen, das sich bei
größeren Betrieben häufig zeigt und darin besteht, daß gewisse Waren-
partien, die billig erstanden, bei Fallıssementen oder sonstigen Gelegen-
heiten eingekauft und zu Schleuderpreisen abgegeben werden.!) Die
Borgunsitte, die sich in der Hauptsache bei kleineren Betrieben in
weitem Umfange verbreitet hat, bietet einen weiteren Punkt zu Klagen
aller Art.?2) Auch die materielle Abhängigkeit, in der sich oft die klei-
nen Handelsleute zu ihren Lieferanten befinden, ist zu betonen.) Diese
werden vielfach von den Lieferanten veranlaßt, infolge größerer Kredit-
gewähr, wodurch die Existenz dieser kleinen Handelsbetriebe begünstigt
wird, oft minderwertige Waren zu führen. Auch durch die Anlockung
der Hauswirte, insbesondere ın großen Städten, die ihre Räume durch
Einrichtung von Läden besser ausnutzen wollen und dureh Einräumung
günstigerer Bedingungen kleine Leute zur Miete des Ladens veranlassen,
wird die Existenz gewisser kleiner, leistungsunfähiger Ladentypen be-
günstigt (Gemüseladen, Kramladen, Vorkostgeschäft usw.)?).
5. Tendenz zur Ausschaltung des Detailhandels. Hierbei
ist vor allen Dingen auf die Ausdehnung der Konsumvereme hinzu-
weisen.
Auf Grund dieser Unterlagen sollen zuerst von den verschiedenen
Richtungen, nach welchen hin statistische Erhebungen wünschenswert
erscheinen, oder in welchen ach ein Bedürfnis nach statistischem Material
bemerkbar macht, insbesondere zwei besprochen werden. Aus den her-
vorgehobenen Veränderungen und Erscheinungen im Warenhandel er-
gibt sich das Problem der Produktivität des Handels.
Am wesentlichsten scheint die Frage zu sein, ob die Veränderungen der
Geschäftsprinzipien und die Folgen daraus, die neuen Betriebsformen,
einen Fortschritt, eine Erhöhung der Produktivität des Handels
bedeuten, und ob andererseits die Mißstände nicht auch die produk-
tiven Kräfte des Handels lalım legen und daher vom volkswirtschaft-
lichen Standpunkt aus zu bekämpfen sind. Es wird somit getrachtet
werden müssen, festzustellen
1. welches ist die rationellste, volkswirtschaftlich leistungsfähigste
Betriebsform?
1) Schwiedland, Einführung in die Volkswirtschaftslehre 1910, 8.297. „Eine eigene
moderne Geschäftsart widmet sich dem möglichst raschen Absatz von Ladenhütern,
von schadhaft gewordenen, bei Konkursen wohlfeil erstandenen Waren. Das sind
Schnellverkäufer, Ausverkäufer, Schleuderhändler, Partiewarenhändler oder Auktions-
geschäfte: dauernde oder den Standort wie die Geschäftsbezeichnung wechselnde Be-
triebe, die unausgesetzt größere Warenbestände erwerben und in einfachen Lokalen,
mitunter versteigernd, zum Verkauf bringen.“
2) Wernicke, aa 0O. S. 11.
3) Borgius, a a O. S. 73.
4) Wernicke, 2.8.0. S. 11.
Produktivität des Handels 19
2. welches ist der Weg, den die Ware bis zur Verteilung geht ?
Die Antworten auf beide Fragen können nur indirekt, durch Schlüsse,
gewonnen werden. Sie finden ihren statistischen Niederschlag vornehm-
lich in der Frage nach dem Warenumsatz, ferner Warenbezug
und Warenabsatz.
Die Frage nach dem Warenumsatz gestattet bei Gegenüberhaltung
des hierzu erforderlichen Personals gewisse, wenn auch nicht überall
gleiche Schlüsse. Besonders zu beobachten ist hierbei, daß die Personen-
zahl von anderen Faktoren als dem Warenumsatz allerdings stark be-
einflußt wird. Oft haben große Betriebe eine große Zahl Angestellter zu
anderen Zwecken als den des Warenumsatzes, aus Gründen der größe-
ren Bequemlichkeit für die Konsumenten (Austräger, Packer, Portiers,
auch Verkäufer u. a. m.). Hierbei handelt es sich um Luxusgeschäfte,
die infolge ihrer Ausstattung, ihrer Anpassung an die Bedürfnisse be-
stimmter Konsumentenschichten, endlich auch der Qualität ihrer Waren
einen relativ geringen Umsatz, hingegen größeren Nutzen und größere
Personenzahl haben.
Der Warenbezug und Warenabsatz soll Anhaltspunkte geben für
die Stufen, die die Ware bis zur Verteilung an den letzten Konsumenten
überschreitet. Insbesondere über den die Preise belastenden Zwischen-
handel, soweit er als unproduktiv zu bezeichnen ist, sollen hierdurch An-
haltspunkte gewonnen werden.
Neben den beiden genannten Schilderungsobjekten sind als weitere
wichtige Punkte vornehmlich zu nennen: die genaue Erhebung bestimm-
ter Geschiftsformen, Geschäftsprinzipien, insbesondere das Abzah-
lungsgeschäft, Versandgeschaft!), Bazar, Auktionsgeschäft und Spezial-
geschäft. Diese sind meist fest umschriebene Begriffe, die nach Art der
Branchen oft genauere Erfassung der eigentiimlichen Gewerbeart ge-
statten dürften und gleichzeitig einen tieferen Einblick in die geltenden
Geschiftsprinzipien zu gewähren geeignet sind. Besonders wichtig er-
scheint ferner die Erfassung der Betriebsdauer. Gerade im Handels-
gewerbe mit seinem raschen Wechsel der Betriebe, dem schnellen Zu- und
Abnehmen gewisser Betriebsarten, dem mobilen Anlage- und Betriebs-
kapital scheint eine Registrierung der Dauer und Intensität der Arbeit
von weittragender Bedeutung für die Beurteilung der tatsächlichen Be-
triebsverhältnisse zu sein. Was die Zahl seiner Betriebe wie auch die
verwendeten Arbeitskräfte betrifft, paßt sich der Handel oft schneller als
Industrie oder Handwerk dem Bedarf in allen Gegenden der Stadt an (z.B.
Läden in neuen Stadtteilen, Straßen; die Filialen großer Unternehmer,
die Zahl der Saisonangestellten zur Weihnachtszeit usw.). Die Dauer des
Betriebes wird vornehmlich zu erfassen sein durch die Fragen nach:
1) Die beiden Bezeichnungen „Abzahlungsgeschäft“ und „Versandgeschäft" wur-
den schon 1907 von Gewerbetreibenden in die Gewerbebogen eingetragen, wie aus Ab-
schriften der Halleschen Zählpapiere ersichtlich ist.
SO Zweiter Teil
a) Gründung, unterschieden nach der Gewerbeart und Geschifts-
form (Abzahlungsgeschafte usw.),
b) Wechsel des Geschaftslokals,
c) Wechsel der Firma bzw. des Inhabers,
d) Auflösung, Ursache der Auflösung.!)
Ein Schluß auf die Arbeitsintensität, der ein genaueres Bild von den
starken Unterschieden der Zahl der beschäftigten Personen (Saison-
angestellten) gibt, als es die Statistik von 1907 durch Angabe der Personen
dem Höchststande nach gestattet, ist nur durch periodische (z. B. monat-
liche) Erfassung der Zahl der beschäftigten Personen möglich. Dies ist je-
doch kaum durchführbar und bedeutet eine große Belastung des Gewerbes.
Hierbei wäre vor allen Dingen die Bedeutung, die der Warenumsatz in
gewissen Zeiten für den Gesamtumsatz in einem Jahre in den verschie-
denen Branchen haben kann, zu beachten. — Die Erfassung der Heim-
arbeiter lediglich auf Grund der bestehenden reichsgesetzlichen Bestim-
mungen und im Ralımen der allgemeinen Betriebsstatistik durchzu-
führen, hat sich als unzureichend erwiesen.?) Die Angaben der Unter-
nehmer weichen von denjenigen der Heimarbeiter selbst außerordentlich
ab und geben nur einen geringen Prozentsatz der Zahl aller tatsächlichen
Heimarbeiter.*) So wurden von der Betriebsstatistik in der Stadt Halle
a. 5. am 12. Juni 1907 1226 Heimarbeiter gezählt, während diese Zahl
daselbst auf „mehrere Tausend‘ geschätzt wird.
Neben diesen Schilderungsobjekten, die von den Eigentümlich-
keiten des Handelsgewerbes gegenüber anderen Gewerben ausgehen und
in den Rahmen einer fortschreitenden Handelsbetriebsstatistik gehören,
stehen solche, die mehr abseits der Aufgaben einer Betriebsstatistik und
auch außerhalb der Möglichkeit fortschreibender Statistik liegen, also
els Aufgaben einer kommunalen Bestandszählung zu bezeichnen
wären. Dies sind Fragen, wie die nach dem Anlagekapital, Betriebs-
kapital, Spesen und Unkosten aller Art, Gehältern, Löhnen, Miete usw.
Die Gliederung sowie auch Formulierung der Fragestellung
der Schilderungsobjekte soll hier ihrer Erhebungsart wegen (fortschrei-
bende kommunale Statistik) nicht untersucht werden.
1) Die Betriebsdauer während eines Jahres wurde 1895 ermittelt; vgl. S. 58.
Sie bildet ein wichtiges Schilderungsgebiet der Betriebsstatistik, das jedoch einwandfrei
schwer erfaßt werden kann.
2) Eine eingehende Kritik findet sich bei Hesse, Gewerbestatistik 1909, S. 18
und 185.
3) Beiträge zur Statistik der Stadt Halle a. S. 1910, Heft 11, S. 63. „Aber auch
die Angaben der Arbeitgeber sind offenbar nicht ganz zuverlässig, weil diese nur die
von ihnen direkt beauftragten als Heimarbeiter genauer, dagegen die von den letzteren
wiederum beschäftigten Gehilfen und Mitarbeiter meist nur nach Schätzungen angeben
können. Ferner laufen bei den Unternehmerzahlen Doppelzählungen unter, da manche
Heimarbeiter für mehrere Unternehmer arbeiten. Endlich spricht noch mit, daß häufig
Hallesche Unternehmer auswärtige Heimarbeiter beschäftigen und daß anderseits in
Hille wohnende Heimarbeiter für auswärtige Unternehmer arbeiten.“
Erhebungsart 81
Nur in bezug auf die Gewerbeliste sei folgendes bemerkt. Eine
Ergänzung der Einteilung nach Gewerbearten des Warenhandels er-
scheint für die fortschreibende Statistik wünschenswert, um dem er-
wähnten Gebrauchsmoment, bei Gruppierung der Waren innerhalb eines
Ladens, zu genügen. Sie besteht darin, daß neben die genannten Ge-
werbearten eine Anzahl von Bezeichnungen gesetzt werden, die einen
erfahrungsgemäß stark verbreiteten Geschäftstyp erkennen lassen, z. B.
neben Gewerbeart 14 (1907) Handel mit Seife und Parfümerien tritt
„darunter sog. Toilettewarengeschäfte‘‘ (diese enthalten eine Reihe von
Artikeln, Spiegel, Bürsten, Kämme usw., die zu anderen Gewerbearten
gehören), neben 27 H. m. Manufakturwaren tritt „darunter sog. Aus-
stattungsgeschäfte‘, ferner ,,Herrenartikelgeschafte‘‘, neben 31 H m.
Galanteriewaren tritt „darunter sog. Luxuswarengeschäfte‘, neben 47
H. m. verschiedenen Waren tritt „darunter sog. Spielwarengeschafte",
ferner „Reisebedarfsartikelgeschäfte‘“, ,,Schreibwaren- und Bureauar-
tikelgeschäfte‘‘, „Haushaltungswarengeschäfte‘‘ usw.
Was die Erhebungsart betrifft, so sprechen verschiedene Gründe
bei dem Ausbau der Handelsbetriebsstatistik als Ergänzung zur allge-
meinen Betriebsstatistik für die fortschreibende Statistik. Schon
die vorstehend genannten wünschenswerten Schilderungsobjekte sprechen
für diese Erhebungsart. Sowohl das Wertmoment, Umsatzmenge, Be-
zug und Absatz als auch einzelne der übrigen genannten Schilderungs-
objekte (Betriebsdauer) können zweifellos durch fortlaufende Zählung
besser ergriffen werden. Es sind dies, im Gegensatze zu den früher bei
der allgemeinen Betriebsstatistik genannten Schilderungsobjekten, solche,
die nicht lediglich in Massenerscheinungen und in der Masse interessieren,
sondern die für räumlich begrenzte Gebiete in gleicher Weise das
Wesentliche erfassen und erkennen lassen. Es handelt sich hierbei, wie
bekannt, um Betriebsformen, die im Reich und den einzelnen Städten
unwesentlich voneinander abweichen dürften, und ferner um den Weg,
den die Ware bis zur Verteilung durchläuft, der seinerseits am Einzel-
falle nachgewiesen werden kann und einer Darstellung der Masse nach
leichter entbehrt. Hier wird die kommunale Statistik vor allem am
Platze sein. Ihre Ergebnisse sind imstande, Einzelheiten aufzudecken;
und ihre Erhebung ist auch in bezug auf Einzelheiten zuverlässiger als die
größere — auf Massenerscheinungen eingestellte — Landes- oder Reichs-
statistik, bei der Rückfragen vielfach unmöglich sind, und die hier auch
als fortschreibende Statistik kaum in Frage kommen kann. Es ist leich-
ter möglich, bei Erhebungen in einem enger begrenzten Bezirke gewisse
einzelne Zweige zu verfolgen. So ist z. B. auch die Frage nach dem Wert
speziell für die kommunale Erhebung, wie angenommen werden muß,
mit weniger Schwierigkeiten verbunden, weil die Furcht vor dem Steuer-
fiskus vielleicht in geringerem Maße besteht oder leichter zerstreut wer-
den kann.
Sigerus: Handelsbetriebestatistik 6
82 Zweiter Teil
Schlußergebnis.
Auf Grund der Ergebnisse der allgemeinen Betriebszählungen von
1882, 1895 und 1907 für den Warenhandel erscheint ein Ausbau der
Handelsbetriebsstatistik als wünschenswert. Dieser ist nach zwei Rich-
tungen hin möglich bzw. zweckentsprechend. Einerseits durch den Aus-
bau der bestehenden allgemeinen Betriebsstatistik, welche den Eigen-
tümlichkeiten des Handels noch nicht voll entsprechende Berücksich-
tigung zukommen läßt. Durch Aufnahme neuer Erhebungsobjekte kann
die allgemeine Betriebsstatistik ihnen in höherem Maße gerecht wer-
den. Die Handelsbetriebsstatistik als allgemeine Bestandsstatistik, also
im Rahmen der allgemeinen Betriebsstatistik durchzuführen, ist infolge
der Natur des Handelsgewerbes dringend erwünscht. Dieses ist infolge
seiner eigenartigen Stellung zum Produktionsfaktor Natur bzw. Standort
auf Darstellung von Massenerscheinungen, auf den Vergleich mit der Be-
völkerung in höherem Grade angewiesen als andere Gewerbezweige. Es
müssen daher für das Handelsgewerbe geringe Änderungen des Gewerbe-
bogens (bzw. Formulars) und der Gliederung des erhobenen Zahlenmate-
rials vorgenommen werden. Hierbei muß eine Tabelle neu aufgestellt
werden (vgl. S. 72), während andere einer geringen Änderung bedürfen.
Auf die Gliederung des Materials nach Größenklassen muß ein Haupt-
wert gelegt werden. Durch entsprechende Berücksichtigung des Handels
würde der Wert aller bisher gewonnenen Angaben über das Handels-
gewerbe wesentlich erhöht. — Andererseits ist die Handelsbetriebssta-
tistik auszubauen durch eine Ergänzung zur allgemeinen Betriebsstati-
stik. Dies ist erforderlich, da das Handelsgewerbe im Gegensatz zu an-
deren Gewerben keinerlei Ergänzung von zahlenmäßigen Feststellungen
besitzt. Über die Güterverteilung fehlen fast alle Angaben. Der Waren-
kleinhandel hat in den letzten Jahrzehnten große Veränderungen er-
fahren, und vielfach zeigen sich Mißstände in diesem Gewerbe. Vom
volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte erscheint die Frage nach der Pro-
duktivität des Handels am wichtigsten. Diese zu erfassen, wird das
Hauptbestreben der Ergänzungsstatistik sein müssen. Gewisse Schlüsse
auf die Produktivität können gewonnen werden, insbesondere durch ge-
wisse Feststellungen über die Leistungen der verschiedenen Betriebs-
formen (Umsatz), sowie über den Weg, den die Ware bis zurVerteilung geht
(Warenbezug, Warenabsatz). Beide Momente können lediglich von einer
fortschreibenden Statistik erfaßt werden, und zwar vornehmlich im Rah-
men der kommunalen Statistik, die gleichfalls über andere Punkte Auf-
schluß zu geben berufen ist. Die Handelsbetriebsstatistik wird grund-
sätzlich sich aus Bestandsstatistik und fortschreibender Statistik auf-
bauen müssen, will sie ihren divergierenden Aufgaben entsprechen ; neben
die Bestandszählungen des Reiches müssen fortschreibende Erbebungen
der Gemeinden treten.
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Das dürften alle diejenigen Gebiete sein, deren statistische Bearbeitung für
die ee der zur Diskussion stehenden wichtigsten Fragen der Volks-
wirtschaft und Politik notwendig und wünschenswert erscheint. Die Heraus-
KE bemühen sich dabei, nicht statistische Tabellen zu geben, sondern die
esultate derselben bis zu einem gewissen Grade sogleich zu verarbeiten,
so daß die an die Statistiken zu knüpfenden Urteile und Folgerungen dem
Leser zum Teil schon in einer Form dargeboten werden, die eine prak-
tischeVerwendung derstatistischen Untersuchungen ohne weiteres gestatten.
Ergänzungshefte
zum Deutschen Statistischen Zentralblatt
Heft 1: Statistik der Zivilrechtspflege. von Dr. jur. et phil.
Max Rusch. [99 S.J] 1912. Geh... . ee de et I AD
Vorzugspreis für die Abonnenten des Deutschen Statist, Zentralblattes M. 2.40.
Die Arbeit gibt eine ersimalige eingehende Darstellung der wissenschaftlichen Grundlagen
der Zivilrechissialistiik, ihres gegenwärligen Standes im allgemeinen und in den einzelnen
Gebieien unter hen, wei der historischen Entwicklung sowie Vors für ihren
weiteren Ausbau unter besonderer a rg der Zivilprozeßstatistik, und zugleich eine Za-
sammenfassung der hauptsächlichsten für dieses Gebiet in Frage kommenden Verð entlichungen,
Heft 2: Handelsbetriebsstatistik mit besonderer Berücksichtigung
der Warenhandelsbetriebe. Von Dr. phil. Alfred Sigerus. [82 S.] 1913,
D pO ep ee RF Kugw 2 .6.6.¢," 3.00,
Vorzugspreis für die Abonnenten des Deutschen Statist. Zentralblattes M. 2.40.
Der erste Teil ist eine Darstellung der Warenhandelsbetriebe nach den neuesten Fest-
stellungen der allgemeinen gewerblichen Betriebsstatistik, der zweite Teil zieht neue Richt-
linien zum Ausbau der Statistik des Handelsbeiriebs, a
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ERGANZUNGSHEFTE ZUM
DEUTSCHEN STATISTISCHEN ZENTRALBLATT ` HEFT 3
i re A nn nen A EEN En
STATISTIK DES SELBSTMORDES
IM KONIGREICH SACHSEN
VON
DR. PHIL. O. KURTEN
MIT ZWEI SCHEMATISCHEN DARSTELLUNGEN
UND EINER ÜBERSICHTSKARTE
Se
VERLAG VON B.G.TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN 1913
A
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
Inhaltsverzeichnis.
Kapitel Seite
1% CREMER 3. 0 a a alte ae ee Ge, GE ete, Be a MO Ge 1
2. Begriff des Selbstmordes; Stellung der Selbstmordstatistik im System der
wissenschaftlichen Statistik und ihre Aufgabe. . . . 2. 2 2 2 2 202.0 2
3. Stoffgewinnung und Veröffentlichung der Selbstmordstatistik im König-
FEICH DACIE: d ue Get A Sere “ho SE he ee de rae. ar SR E a 5
4. Der Selbstmord im allgemeinen und seine zeitliche Entwicklung ... 10
5. Das Geschlecht der Selbstmörder. ............2...4.. 15
6. Der Selbstmord nach abstrakt zeitlicher Ausgliederung ....... 18
7. Der Selbstmord in räumlicher Ausgliederung .......4.2.2... 24
a) Der Selbstmord in den kleineren Verwaltungsbezirken. ...... 24
b) Der Selbstmord in Stadt und Land ............... 27
c) Der Einfluß der Städte auf die umliegenden Gebiete hinsichtlich der
Selbstmordhäufigkeit . . 22: Cr rn rn nn 35
8. Der Selbstmord nach dem Alter der Selbstmörder . . . . 2 2 2 2... 87
9. Der Selbstmord nach den Familienverhältnissen der Selbstmörder. . . 45
10. Der Selbstmord nach dem Beruf der Selbstmörder. . .. . er DO
11. Der Selbstmord nach der Religion der Selbstmörder . ........ 60
12. Die Technik des Selbstmordes . . . 2 2 2 vor 2 ee eee ewes 61
13. Die Beweggründe zum Selbstmord . . . 2. 2 2 2 Ken rennen. 68
14. Die Veründerungen der Selbstmordlichkeit im Königreich Sachsen und
Ire Ursachen s u ur et ne ee ee 13
a) Die Zunahme der Selbstmordlichkeit im allgemeinen ....... 73
b) Die Selbstmordlichkeit in ihren Beziehungen zu allgemeinen natür-
lichen und sozialen Erscheinungen und Tatsachen. ........ 76
c) Veränderungen in der Selbstmördermasse in einzelnen Jahren . . . 81
15. Regelmüäßigkeiten in der Selbstmordstatistik. . . . 2 2 2 2220. 84
Be SCHI UD ae a An ae a Shs SO dt E ee ee SE Ne, ee oe Ea 86
Verzeichnis der "Tabellen,
Tabelle
1. Selbstmord und Sterblichkeit in einigen europäischen Ländern.
2. Die Bedeutung des Selbstmordes für den Lebensabgang der Bevölkerung
des Königreichs Sachsen . . .. 2 2 2 nn rn nr rn.
3. Der Selbstmord im Königreich Sachsen in den Jahren 1830—1909 . .
4. Der Selbstmord im Königreich Sachsen 1834—45 nach Kirchenbüchern
und Polizeianzeigen . .. 2 2 En mern
5. Der Selbstmord im Königreich Sachsen 1831—1909 in fünfjährigem
Durchschnitt. i. 5 2:4 6 ds we SS ENEE
6. Die Selbstmordziffer einiger europäischer Länder im Jahresdurchschnitt
7. Die Selbstmordhiufigkeit im Königreich Sachsen im Vergleich zu der
einiger benachbarter Gebiete . . . 2. 2: 0 eee ee ren
8. Die Selbstmordlichkeit nach dem Geschlecht . een e ar 0
9. Der Selbstmord nach Monaten. 1884—1908. .........4...
10. Der Selbstmord nach Monaten. 1899—1908. ............
11. Verbrechen und Vergehen nach der Jahreszeit 1885. . .......
12. Verteilung der Selbstmorde nach Todesart und Jahreszeit 1848—67. .
18. Verteilung der Selbstmorde nach Monaten in den Städten Dresden und
Leipzig 2 i ce taut eee a, ee ea a EEN
14. Der Selbstmorde nach Alter und Jahreszeit in der Stadt Dresden . .
15. Der Selbstmord in den Kreishauptmannschaften des Königr. Sachsen .
16. Die Selbstmordziffer in den Kreishauptmannschaften ........
17. Die Zahl der Selbstmörder in den Amtshauptmannschaften .... .
18. Die Selbstmordziffer in den Amtshauptmannschaften ........
19. Die Selbstmordlichkeit der beiden Geschlechter in den Amtshauptmann-
BEHBILEN .. cr. en ie en aa EE ren
20. Die Selbstmordhäufigkeit im Vergleich mit einigen anderen Erschei-
nungen und Tatsachen in den Amtshauptmannschaften .......
21. Die Häufigkeit der Selbstmorde und Unglücksfälle mit tötlichem Aus-
gang in den Amtshauptmannschaften . . . 2.2.2 2 2 2 0 2 nn
22. Der Selbstmord in Stadt und Land 1860—63 und 1864—67 .....
23. Der Selbstmord in Ortschaften verschiedener Größenklassen . . . . .
24. Die Zahl der Selbstmorde in den größeren Städten. ........
25. Die Selbstmordziffer in den größeren Städten . . . . 22 222...
26. Die Reihenfolge der Städte mit mehr als 15000 Einwohnern nach ihrer
Größe und Selbstmordlichkeit. . . 2 2 2 2: 2 2 m re ren
27. Der Selbstmord in der Stadt Dresden . . . .. 2 2 2 2200.
28. Der Selbstmord in der Stadt Leipzig ...............
29. Die Zunahme der Zahl der Selbstmorde und der Einwohnerschaft in
den Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz . ... . 2. 2:2 2.0.
30. Der Selbstmord in einigen Amtshauptmannschaften mit und ohne größere
EEGENEN
81. Der Selbstmord nach dem Alter 1901—1909 ............
32. Die Altersverteilung der Selbstmörder 1848—1909 .........
102
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle
83. Die Gliederung der jährlichen Zahl der Selbstmörder nach dem Alter
1848—1889 zo 33.2 Sa 2 a 2 Bl he Et ee e ee A NG d
34. Der Selbstmord nach dem Alter 1892—1905 ............
85. Die Selbstmordziffer einiger Altersklassen 1847—1907. .......
36. Der Selbstmord nach dem Alter in den Kreishauptmannschaften 1892
37.
38.
39.
40.
41.
42.
48.
44.
45.
46.
47.
48,
49.
50.
51.
52.
58.
54.
56.
66.
57.
58.
59.
60.
61.
62.
63.
64.
65.
66.
67.
68.
69.
70.
11:
72.
ION Se KEE EE a EE
Der Selbstmord nach Alter und Geschlecht in den Kreishauptmann-
schaften 1905—06 .. 2: 2m 0 Cr e e e e re.
Der Selbstmord nach dem Alter in den beiden Städten Dresden und
Leipzig und im Königreich Sachsen . . .. 2. 2.2 2 2 2 2 000 ..
Die Selbstmordziffern einiger Altersgruppen in den Städten Dresden
Und. Leipzig. a0. 00 ae Sb 5 a a er e
Die Selbstmordziffern in den Städten Dresden und Leipzig und im
ganzen Königreich je auf 1 Mill. der Bevölkerung .........
Der Selbstmord in der Stadt Leipzig nach Alter und Todesart 1891
Sg AAL SECHER ENEE EE ee Gee ee ve 8
Der Selbstmord nach Geschlecht und Familienstand 1847—1909 . . .
Die Gliederung der Selbstmördermasse nach dem Familienstand . . .
Die Selbstmordziffern nach dem Familienstand . .......2.2..
Die Selbstmordziffer nach Familienstand und Alter 1908—09
Die Zahl der Selbstmörder mit und ohne Angehörige. .......
Die Selbstmörder nach dem Familienstand mit Angabe der hinterlassenen
Angehörigen... E ees leer a Ir er rt et Ge Se
Der Selbstmord nach dem Beruf 1850—51 (nach E. Engel). . ...
Approximative Selbstmordfrequenz der Berufsstiinde (nach A. Wagner)
Der Selbstmord nach dem Beruf 1872—81.............
Der Selbstmord nach dem Beruf 1883, 1884, 1886, 1887. ......
Die soziale Stellung der Selbstmörder 1888, 1884, 1886, 1887 .. . .
Beruf und soziale Stellung der Selbstmörder 1905—08 .......
Der Selbstmord in der sächsischen Armee 1899/1900—1908/09.
Der Selbstmord nach der Religion der Selbstmörder 1905—09 . . .
Die Häufigkeit des Selbstmords und der Anteil der Katholiken in der
Bevölkerung der Amtshauptmannschaften 1905 . ..........
Der Selbstmord in den Ephorien der ev.-luth. Landeskirche 1880—1910
Der Selbstmord in der Landeskirche und im ganzen Königreich . . .
Der Selbstmord nach der Wahl der Todesart im Königreich Sachsen
38471908 2... EEE are ei ern ee Be
Die Geschlechtsrelation in der Wahl der Todesart .........
Die Wahl der Todesart in den Kreishauptmannschaften 1901—04. . .
Die Wahl der Todesart in den Städten Leipzig und Chemnitz. . . .
Der Selbstmord nach Familienstand und Todesart im Königreich Sachsen
3900— 1904 +3 5. Sa ee Nr
Der Selbstmord in der Stadt Leipzig nach Todesart und Jahreszeit
Der Selbstmord nach Alter, Familienstand und Todesart in der Stadt
Chemnitz 1891—1902. . . . sasse Er nenne.
Der Selbstmord nach Todesart und Alter in der Stadt Leipzig 1891
SL IOS wae eo, Ze e A ee Rs e ee ee na
Der Selbstmord nach Religion und Todesart in der Stadt Chemnitz
Der Selbstmord nach Zeit und Todesart 1908—1909 ........
Der Selbstmord nach Beruf und Todesart in der Stadt Leipzig
Der Selbstmord nach Beruf und Todesart in der Stadt Leipzig j
Todesart und Zeit des Ablebens der Selbstmörder 1909... ....
Die Beweggründe zum Selbstmord 1905—09 ............
v
Seite
112
118
114
115
116
117
118
VI
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle
78. Die Beweggründe zum Selbstmord 1868—95 .........2.2.-.
74. Der Selbstmord nach Geschlecht, Lebensalter und Beweggriinden 1848
EGE p-s 2. te ee, Ae Gar eS Bae Se es et GP ir es oe, Ya ee ee ee
75. Der Selbstmord nach Geschlecht, Beruf und Beweggriinden 1848—67.
76. Der Selbstmord nach Geschlecht, Todesart und Beweggründen 1848—67
77. Selbstmordlichkeit, Kriminalität und Getreidepreise 1860—1903 . . .
78. Selbstmordlichkeit und Kriminalität nach Alter und Geschlecht 1882
SEN, A ër ce er ER EEE re er
79. Die Häufigkeit der Ehescheidungen, der unehelichen Geburten und der
Selbstmorde 1833—1909 . 2m s e ren.
Seite
238
139
130
141
142
144
I. Graphische Darstellung: Die zeitliche Gestaltung der Selbstmordziffer im König-
reich Sachsen 1834—1909.
II. Graphische Darstellung: Selbstmordlichkeit, Kriminalität und Getreidepreise
im Königreich Sachsen 1860—1903.
1 Kartogramm: Die Selbstmordhäufigkeit in den Amtshauptmannschaften des
Königreichs Sachsen.
Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur.
Als Quelle kamen naturgemäß in erster Linie die amtlichen Veröffent-
lichungen in Betracht (außerdem zwei Arbeiten von E. Engel, die ebenfalls auf
amtlicher Grundlage beruhen):
Zeitschrift des König]. Sachs. Statistischen Landesamtes (bez. Bureaus);
erschienen seit 1855.
Statistisches Jahrbuch fiir das Kénigreich Sachsen; seit 1873.
Mitteilungen des Statistischen Vereins für das Königreich Sachsen;
1851—1856.
Jahresbericht des König]. Sächs. Landesmedizinalkollegiums; seit
1871.
Verordnungsblatt des ev.-luth. Landeskonsistoriums für das König-
reich Sachsen; seit 1879.
Medizinalstatistische Mitteilungen des Kaiserl. Gesundheitsamtes;
seit 1893.
E. Engel, Das Königreich Sachsen, 1853.
Derselbe in Hübners Jahrbuch für Volkswirtschaft und Statistik, Bd. 2, 1854.
Die ganze übrige Literatur über den Selbstmord und die Moralstatistik im
allgemeinen wurde, soweit sie mir erreichbar war, durchgesehen; in der vor-
liegenden Arbeit besonders angeführt sind:
Aschaffenburg, Das Verbrechen und seine Bekämpfung, 2. Aufl., Heidelberg 1906
Bleicher, H., Die Bedeutung der Statistik in der Praxis. In „Statistik in
Deutschland“, Ehrengabe tür G. v. Mayr; herausgegeben von F. Zahn,
München 1911.
Buckle, H. Th., Die Geschichte der Zivilisation in England; übersetzt von
I. A. Ritter (ohne Jahr).
Durkheim, E., Le suicide, étude de Sociologie, Paris 1897.
Eulenburg, Naturgesetze und soziale Gesetze. Archiv fiir Sozialwissenschaft
und Sozialpolitik, Bd. XXXI und XXXII.
Ferri, Das Verbrechen und seine Abhängigkeit von dem jährlichen Temperatur-
wechsel. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft II.
Froberger, Moralstatistik und Konfession, Halle 1911.
Inama-Sternegg, K. Th. v., in der Statistischen Monatsschrift, Jahrg. 1906,
S. 369.
Krose, H A., Der Selbstmord im 19. Jahrhundert, Freiburg 1. Br. 1906.
Derselbe, Die Ursachen der Selbstmordhäufigkeit, Freiburg i. Br. 1906.
Legoyt, A., Le suicide, ancien et moderne Paris 1781.
Mayr, G.v., Statistik und Gesellschaftslehre, 3. Band Sozialstatistik,
1. Lieferung Tübingen 1909; 2. Lieferung Tübingen 1910.
Oettingen, A. v., Über akuten und chronischen Selbstmord, Dorpat 1881.
Derselbe, Die Moralstatistik, Erlangen 1882.
VU Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur
Prinzing, A., Trunksucht und Selbstmord, Leipzig 1895.
Quetelet, A., Sur l’homme etc., Paris 1835; Physique sociale, Brüssel 1869.
Rahts, Die Häufigkeit der Selbstmorde in den größeren Orten Deutschlands
(Medizinal-Statistische Mittel, des Kaiserl. Gesundheitsamtes, 1895, S. 175 ff.).
Rehfisch, E., Der Selbstmord, Berlin 1893, S. 90 ff. (zitiert nach G. v. Mayr,
Sozialstatistik, S. 329).
Rost, Der Selbstmord in den Städten (Allgem. Stat. Archiv VI 2, 1904, S. 1001),
Schmoller, ZurLiteraturgeschichte d Staats- u. Sozialwissenschaften, Leipzig 1888,
Schnapper-Arndt, Sozialatatistik, Leipzig 1908.
Siegert, Das Problem der Kinderselbstmorde, Leipzig 1893.
Süßmilch, I. P., Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen
Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortptlanzung desselben er-
wiesen, Berlin 1741.
Wagner, A., Die Gesetzmäßigkeit in den scheinbar willktirlichen menschlichen
Handlungen vom Standpunkte der Statistik, Hamburg 1864.
Westergaard, H., Die Grundzüge der Theorie der Statistik, Jena 1890.
Zusammenfassende Literaturangaben über den Selbstmord enthalten:
Motta, Bibliographia del suicidio, Bellinzona 1890.
Boehn, M. v., Selbstmord und Selbstmörder, Charlottenburg 1907.
Erstes Kapitel
Einleitung.
Obwohl der Selbstmord schon oft Gegenstand eingehender, auch
statistischer Forschungen gewesen ist, dürfte es nicht ohne Interesse
sein, den Selbstmord als statistische Erscheinung für ein einzelnes klei-
neres Gebiet gesondert zu betrachten. Es läßt sich dabei einmal er-
proben, inwieweit die bei dem heutigen Stande der Wissenschaft als
allgemein gültig angesehenen Regelmäßigkeiten in der Gestaltung der
Selbstmordhäufigkeit — oder, wie G. v. Mayr!) vorschlägt, Selbstmord-
lichkeit — bei der Anwendung auf ein herausgegriffenes kleineres Ge-
biet standhalten. Zweitens aber werden sich bei der Beschränkung auf
ein einzelnes kleineres Land vielfache Einzelheiten ergeben, die bei der
Ausdehnung der Untersuchung auf ein großes Gebiet oder gar auf die
gesamten Kulturstaaten notwendig sich verwischen und verschwinden
müssen.
Das Interesse wird noch erhöht, wenn man ein Gebiet, wie das
Königreich Sachsen, als Gegenstand der Untersuchung heraushebt, das
seit langem als ein Herd hoher und höchster Selbstmordlichkeit nicht
nur innerhalb des Deutschen Reiches, sondern unter allen Staaten gilt.
Es wird sich hier also in erster Linie darum handeln, die speziell
für das Königreich Sachsen gültige Gestaltung der Häufigkeit des Selbst-
mords festzustellen, soweit das vorhandene Material es erlaubt, und diese
Gestaltung mit den für andere Länder gewonnenen und als allgemein
geltend angenommenen Ergebnissen zu vergleichen. Damit ist auch
schon eine Grenze gezogen dahin, daß die vorliegende Arbeit keine er-
schöpfende Abhandlung über den Selbstmord sein kann und will. Auf
der andern Seite muß, wiederum soweit es das Material gestattet, mög-
lichst tief in alle Einzelheiten eingedrungen werden, um die Möglichkeit
zu schaffen, die Ergebnisse mit ähnlichen Untersuchungen für andere
kleine Gebiete zu vergleichen und einen tieferen Einblick in die räum-
liche Gestaltung der Selbstmordlichkeit zu gewinnen.
—
1) G. v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre, 8. Band: Sozialstatistik
2. Lieferung, S. 262. Tübingen 1910.
Karten: Statistik des Selbstmordes, 1
2 Zweites Kapitel. Begriff des Selbstmordes usw.
Zweites Kapitel.
Begriff des Selbstmordes;
Stellung der Selbstmordstatistik im System der
wissenschaftlichen Statistik und ihre Aufgabe.
Bevor wir auf die Einzelheiten der sächsischen Selbstmordstatistik
eingehen, bleibt noch ein kurzer Blick zu werfen auf die Definition des
Begriffs „Selbstmord“, auf die Stellung der Selbstmordstatistik im
System der wissenschaftlichen Statistik sowie auf Ziel und Aufgaben
derselben. Bezüglich des ersteren Punktes sei auf die allgemeine, sehr
umfangreiche Literatur über den Selbstmord verwiesen, und wir wollen
hier nur wiederholen, was neuerdings G. v. Mayr!) in seiner umfassen-
den Arbeit tiber den Begriff des Selbstmords sagt. „Unter Selbstmord“,
so heißt es hier, „begreift man die akuten Einzelfälle des beabsichtigten
vorzeitigen Scheidens von Menschen aus dem Kreise der Lebenden,
möge diese Absicht vom Täter in geistesgesundem oder geisteskrankem
Zustande verwirklicht worden sein.“ Ausgeschlossen sind also die Fälle,
in denen „lebensgefährdende Genußübertreibungen“ auch ohne Absicht
zum Tode führen (A. v. Oettingen?) führte hierfür die Bezeichnung
„chronischer Selbstmord“ ein, die aber mit Recht vielfach beanstandet
worden ist); ebenso sind ausgeschlossen die Fälle der „ethisch hochzu-
wertenden Selbstaufopferung zur Erreichung eines höheren Zieles“.
Auch über die Schwierigkeit der Stoffgewinnung für die Selbst-
mordstatistik ist schon an anderer Stelle genug geschrieben worden.
Immerhin scheint R. Böckh mit seiner in dem „Statistischen Jahrbuch
der Stadt Berlin“ ausgesprochenen Meinung, daß die Zahlen der Selbst-
mordstatistik infolge ihrer Mangelhaftigkeit gänzlich wertlos seien, doch
ziemlich allein zu stehen.
Die Statistik des Selbstmordes schien in Verbindung mit der
Kriminalstatistik und der Statistik der Ehescheidungen von jeher be-
sonders geeignet, Rückschlüsse auf die sittlichen Zustände der Bevölke-
rungsmasse zu gestatten. So hat man denn diese und ähnliche Tat-
sachen und Erscheinungen des sozialen Lebens in einem besonderen
Teilgebiet des gesamten Systems der wissenschaftlichen Statistik unter
dem Namen der „Moralstatistik“ zusammengefaßt, deren Aufgabe
es sein sollte, „die numerische Massenbeobachtung auf das Gebiet der
Moral oder der sittlich bedeutsamen menschlichen Handlungen anzu-
wenden.“ (A. v. Oettingen.)*)
1) G. v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslebre, 8. Band: Sozialstatistik,
2. Lieferung. Tübingen 1910. S. 258 ff.
2) A.v.Oettingen, Über akuten und chronischen Selbstmord. Dorpat etc.
1881. Moralstatistik. Erlangen 1882. 3. Aufl, S. 737 ff.
3) A. v. Oettingen, Moralstatistik. S. 11.
oe
Begriff des Selbstmordes; Moralstatistik 3
Gegen eine solche „Moralstatistik“ sind aber viele und bedeutsame
Einwendungen gemacht worden. Man kann, hat man gesagt, immer
nur die einzelnen äußeren Handlungen, und auch diese nur sehr unvoll-
kommen und unvollständig, zählen, nicht aber die verschiedenartigen
inneren Beweggründe, die allein eine sittliche Wertung der Tat er-
lauben. Weiter mißt man zumeist nur die schlechten, die unmoralischen
Handlungen, nicht aber die vielerlei guten, so daß die Moral eines Volkes
immer nur einseitig beleuchtet wird. Vor allem aber, heißt es weiter,
ist die Moral wie die Sitte nichts unabänderlich Feststehendes, sondern
wechselt mit den Zeiten und mit den Völkern; es gibt demnach nichts
absolut Moralisches oder Unmoralisches, die sittliche Wertung einer
Handlung hängt immer von dem jeweiligen subjektiven Standpunkt
des Beurteilers ab. Und schließlich, sagt K. Th. v. Inama-Sternegg’),
kann die Klarlegung der Volksmoral nicht Aufgabe der Statistik sein.
Gegenüber all diesen Einwendungen hat aber besonders G.v. Mayr?)
entschieden an der „Statistik der Zustände und Erscheinungen des Sitten-
lebens“ als einem Teilgebiet der wissenschaftlichen Statistik festgehalten.
Er geht aber weiter und definiert die „Moralstatistik“ als die „Statistik
der Handlungen, der Ereignisse und der Folgewirkungen von Hand-
lungen und Ereignissen, welche Rückschlüsse auf die Gestaltung des
Sittenlebens der Menschen gestatten und der Massenbeobachtung in
Zahl und Maß zugänglich sind.“ Also nicht nur die menschlichen Hand-
lungen, sondern auch Ereignisse und die Folgewirkungen beider werden
in das Gebiet der Moralstatistik einbezogen; und in der praktischen
Ausgestaltung der „Moralstatistik“, wie sie G. v. Mayr in dem dritten
Bande seiner „Statistik und Gesellschaftslehre“ gibt, werden die Abnor-
mitäten von Zuständen und Erscheinungen im allgemeinen Bevölke-
rungsstand und -gang, besonders auffallende Gestaltungen der intellek-
tuellen und politischen sowie der wirtschaftlichen sozialen Erscheinungen
in gleicher Weise wie die Tatsachen der Kriminal-, Selbstmord- und
Ehescheidungsstatistik einer sozial-ethischen Würdigung unterzogen.
Auf diese Weise wird aber die „Moralstatistik“ zu einer Statistik der
Abnormitäten, der Abweichungen von der Regel. Es ist unzweifelhaft,
daß eine solche Zusammenfassung des Irregulären, des Nichtgewöhn-
lichen von großem Interesse und auch von Wert ist für die Erkenntnis
der gesamten sozialen Zustände und Verhältnisse, sowie daß einer großen
Zahl dieser Erscheinungen eine große sittliche Bedeutsamkeit innewohnt;
aber bedenklich muß es erscheinen, eine solche Zusammenfassung als
selbständigen Abschnitt neben die anderen Teilgebiete der Statistik, die
Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Bildungs- und politische Statistik zu stellen,
abgesehen davon, daß manche der hierhergezählten Tatsachen, wie die
1) K. Th.v. Inama-Sternegg, Statist. Monatsschrift, N. F.VI (1906), S. 369.
2) G. v. Mayr, Sozialstatistik, 1. Lieferung. Tübingen 1909. S. 2.
1°
A Zweites Kapitel. Begriff des Selbstmordes usw.
Mehrlingsgeburten, die Totgeburten, die Alters- und Geschlechtsver-
teilung der Bevölkerung u. a. m. nur einen untergeordneten Wert für
die Erkenntnis des Sittenlebens haben. In gewissem Grade ist schlechter-
dings jede Tatsache moralstatistisch bedeutsam, und in der Tat ist eine
solche „Moralstatistik“ nichts anderes, als die Betrachtung der gesamten
statistischen Ergebnisse unter einem bestimmten, nämlich dem sozial-
ethischen Gesichtspunkt.')
Wenn wir somit einer „Moralstatistik“ keinen Platz in einem System
der wissenschaftlichen Statistik einräumen können, so müssen wir die
Statistik des Selbstmords in den bevölkerungsstatistischen Teil einreihen.
Und zwar wird sie hier bei dem Abschnitt über die gewaltsamen Todes-
arten abzuhandeln sein. Durch eine solche systematische Auffassung des
Selbstmords als einer besonderen Art des natürlichen Lebensabgangs
verliert diese Erscheinung nichts von ihrer auBerordentlichen Bedeut-
samkeit für eine Sozialethik.
Als Ziel und Aufgabe der Selbstmordstatistik ergibt sich dem-
zufolge zunächst die Feststellung der Zahl der durch Selbstmord aus
dem Leben Geschiedenen, des zu- oder abnehmenden Anteils dieser
Todesart am Lebensabgang einer Bevölkerung überhaupt, sowie des
Grades der Selbstmordhäufigkeit innerhalb eines gegebenen Gebiets. Im
Anschluß daran ist dann die zeitliche und räumliche Gestaltung der
Selbstmordhäufigkeit zu untersuchen und die Ausgliederung der Selbst-
mördermasse nach persönlichen und sachlichen Unterscheidungsmerk-
malen vorzunehmen. Auf diese Weise wird man zu erkennen suchen,
welche Alters-, Berufs- usw.-Klassen der Bevölkerung in der Masse der
Selbstmörder am meisten vertreten sind, sowie ob und in welchem Grade
die Selbstmordhäufigkeit durch natürliche Faktoren, wie Klima, Jahres-
zeit, beeinflußt werden kann. Dadurch wird man auf die verschiedenen
selbstmordfördernden oder die Selbstmordneigung begünstigenden Mo-
mente hingeleitet, welche ihrerseits wieder das Material bieten zu einer
weitergehenden Motivierung des Selbstmords im Einzelfalle und als
Massenerscheinung. Hierbei wird auch der Fall eintreten können, daß
eine besonders auffallende Gestaltung der Selbstmordhäufigkeit einer
Bevölkerungsklasse oder einer ganzen Bevölkerung Rückschlüsse auf
die herrschenden sittlichen und moralischen Zustände zuläßt. Dies wird
aber im allgemeinen schon deshalb über den Rahmen der Statistik hin-
ausgehen, weil hierzu eine Menge einzel-, sozial- und völkerpsycholo-
gischer Erwägungen nötig ist, deren Beobachtung sich der Statistik
entzieht. Die Statistik kann nur die äußerlich erkennbaren, in Zahl
und Maß erfaßbaren Tatsachen feststellen; für weitergehende Unter-
1) In ähnlicher Weise spricht sich H. Bleicher gegen die Moralstatistik
aus. Vgl. Die Statistik in Deutschland. Ehrengabe für G. v. Mayr, heraus-
gegeben von F. Zahn. München 1911. Bd. 1, S. 118.
Aufgabe und Stoffgewinnung der Selbstmordstatistik 5
suchungen kann sie héchstens noch insofern das Material bieten, indem sie
die derartig festgestellten Tatsachen anderweitig gewonnenen statistischen
Ergebnissen gegeniiberstellt und so bestehende Zusammenhänge zwischen
verschiedenen Erscheinungsreihen aufzudecken sucht. Auf die Grenzen
einer derartigen Verwertung statistischer Ergebnisse wird am Schluß
der Arbeit zurückzukommen sich Gelegenheit bieten.
Drittes Kapitel.
Stoffgewinnung und Veröffentlichung der Selbstmord-
statistik im Königreich Sachsen.
Die Stoffgewinnung für die Selbstmordstatistik ist in verschie-
dener Weise möglich. Welcher Weg im einzelnen eingeschlagen wird,
das richtet sich nach den verschiedenen staatlichen Verwaltungseinrich-
tungen. Ein für allemal zu erstreben bleibt 1. die Verzeichnung eines
jeden Selbstmordfalles mit all seinen Begleitumständen auf besonderen,
von einer statistischen Stelle ausgearbeiteten Zählkarten, und 2. die
zentralisierte Aufbereitung dieses Zählkartenmaterials durch das stati-
stische Landesamt. Die Ausfüllung der Zählkarten geschieht nun in
der Regel entweder durch eine Medizinalperson, den Standesbeamten
oder die Polizeibehörde. Die Medizinalpersonen, in Sachsen beispiels-
weise die Bezirksärzte, sind nun am geeignetsten dafür, die Todesursache
zu erkennen. Das ist aber auch in der Regel alles. Für die Feststellung
aller anderen persönlichen und sachlichen Momente bedarf der Arzt
wohl ausnahmslos der Mitwirkung der Polizeibehörde. Oft auch kann
erst eine genaue polizeiliche Untersuchung Aufklärung darüber bringen,
ob Selbstmord oder Unglücksfall vorliegt. In gleicher Weise ist der
Standesbeamte auf die Mitwirkung der Polizei angewiesen, besonders
wenn die Personalien und Angehörigen des Selbstmörders erst polizei-
lich ermittelt werden müssen. Da somit die Feststellung der persön-
lichen und sachlichen Momente in jedem Selbstmordfalle in der Haupt-
sache von der Polizeibehörde ausgeführt wird, ist es auch am einfachsten,
wenn ihr zugleich die Ausfüllung der statistischen Zählkarten übertragen
wird, zumal wenn eine Verordnung besteht, jeden Fall einer gewalt-
samen Todesart zur Anzeige zu bringen.
Im Königreich Sachsen reichen die Nachrichten über den Selbst-
mord zurück bis auf das Jahr 1830. Ursprünglich wurden diese Nach-
richten auf zweifache Weise gesammelt, einmal durch die sog. Kirchen-
zettel!), die aber nur eine summarische Rubrik für Selbstmörder und
Verunglückte nach Alter und Geschlecht getrennt enthielten, ohne weitere
Angaben der Ursachen und besonderen Umstände. Außerdem waren die
1) Zeitschrift des Kgl. Sächs. Stat. Landesamts, Jahrgang 1860, S. 61.
6 Drittes Kapitel. Stoffgewinnung und Veröffentlichung der Selbstmordstatistik
Polizeibehörden verpflichtet, über jeden Fall von Selbstmord oder Ver-
unglückung Bericht zu erstatten, und möglichst außer Geschlecht, Alter
und Beruf auch die Todesart und die nähere Veranlassung der Tat an-
zugeben. Diese polizeilichen Nachrichten wurden besonders seit 1847
mit besonderer Sorgfalt und Vollständigkeit gegeben. Doch sind beide
Erhebungsarten für die ältere Zeit sehr unzuverlässig, was sich schon
daraus ergibt, daB bis zum Jahre 1840 die Zahl der polizeilich gemel-
deten Selbstmordfälle hinter der auf den Kirchenzetteln vermerkten zu-
rückbleibt, sie dann aber erheblich übersteigt (vgl. Tab.4). Im Jahre 1865
fiel dann bei einer Neueinrichtung der Kirchenzettel die Frage nach Selbst-
mord und Verunglückungen fort'), so daß für die nächsten Jahre nur
die polizeilichen Nachrichten das Material für die Selbstmordstatistik
lieferten, bis seit 1871 die standesamtlichen Nachrichten zur Kontrolle
und Ergänzung mit hinzugezogen wurden. Seit 1876 verbürgt dann
eine Neuorganisation der sächsischen Verwaltungsbehörden eine größere
Zuverlässigkeit des Materials’).
Doch wurde die Verarbeitung der polizeilichen Nachrichten, die
von den Kreisdirektionen, später von den Kreishauptmannschaften ge-
sammelt wurden und nach SchluB eines jeden Jahres durch das Mini-
sterium des Innern an das statistische Landesamt gelangten, dadurch
erheblich erschwert, daB die Berichterstattung durch drei Formulare
geschah, von denen das erste 11, das zweite nur 5 und das dritte 12
Fragen aufwies. Der amtliche Berichterstatter fiir die Selbstmordstatistik
empfahl daher in der „Zeitschrift des Kgl. Sachs. Stat. Landesamts“ 1877
dringend eine Neuorganisation nach dem Vorbilde Preußens, die dann
auch bald darauf, noch in demselben Jahre, durch eine Verordnung des
Ministeriums des Innern vom 25. August 1377?) erfolgte. Fortan wurde
nur noch ein Formular benutzt, das durch eine Verordnung vom 18. April
1894*) durch einige für die Statistik unwesentliche Fragen erweitert
wurde. Das Schema dieses Formulars lasse ich nebenstehend folgen’).
Bei Frage 14 des Formulars wird in letzter Zeit außerdem noch Ort
und Zeit der Eheschließung angegeben, und bei Frage 15, wieviele Kin-
der minderjährig sind. Durch eine Dienstanweisung vom 1. Januar 1905
ist den Leichenfrauen neuerdings aufgegeben, mit besonderer Gründ-
lichkeit nach dem Vorliegen von gewaltsamem Tod (Selbstmord, Un-
glücksfall, Verbrechen) zu forschen und einen derartigen Todesfail sofort
der Ortsbehörde anzuzeigen.
1) Zeitschrift ete., Jahrg. 1870, 8.111. 2) Zeitschrift etc., Jahrg. 1877, S.29.
3) Zeitschrift etc., Jahrg. 1877, S. 108.
4) Gesetzverordnungsblatt für das Königreich Sachsen, Nr. 34, S. 108.
5) Krose (Der Selbstmord im 19. Jahrhundert, Freiburg 1906) irrt also in
der Annahme, daß bis 1902 die sächsische Selbstmordstatistik durch die Bezirks-
ärzte auf Grund der Leichenscheine ausgearbeitet sei; die Veranlassung zu diesem
Mißverständnis gab eine Notiz in der Zeitschrift etc. 1903, S. 129, die sich auf
die Statistik der Todesursachen bezieht.
Stoffgewinnung im Königreich Sachsen 7
C. Anzeige
über nachbemerkten Unglücksfall bzw. Selbstmord.
1. Ort der Auffindung (mit Angabe des Gemeindebezirkes oder Gutsbezirkes):
2) Jahr, Tag und Stunde der Auffindung:
(Diese Zahlen sind mit Buchstaben zu schreiben.)
3. Ort (mit Hinzufügung des Gemeindebezirkes oder Gutsbezirkes), WO sich der Ungliicks-
fall oder die Entleibungshandlung zugetragen hat:
4) Jahr, Tag und Stunde des Ungliicksfalls oder der Entleibungshandlung:
(Diese Zahlen sind mit Buchstaben zu schreiben.)
5. Ort des Ablebens des Verstorbenen:
6. Jahr, Tag und Stunde des Ablebens:
7. Vor- und Familienname des Verunglückten oder Selbstmérders:
8. Geburtsjahr und Geburtstag:
(Ist weder Tag noch Jahr der Geburt bekannt, so ist das ungefähre Alter anzugeben.)
9. Stand, Beruf, Gewerbe, Arbeits- oder Dienstverhältnis:
10. Religion:
11. Wohnort:
12. Geburtsort:
13. Ob ledig? verheiratet? verwitwet? geschieden?
14. Vor- und Familienname des Ehegatten:
15. Ob Kinder und wieviele?
16. Der Eltern des Verunglückten oder Selbstmörders
a) Vor- und Familienname:
b) Stand, Beruf, Gewerbe, Arbeits- oder Dienstverhältnis:
c) Wohnort:
17. a) Art und Weise der Verunglückung oder des Selbstmordes (ob ertrunken,
erhängt, erschossen, erstickt, verbrannt usw.):
b) Gelegenheit, bei der der Unfall sich ereignete (ob bei der Ausübung des
eigenen Berufes, beim Spiel oder Sport, beim Gehen in verkehrsreichen Straßen; er-
wiesenermaßen in der Trunkenkeit, vermutlich in der Trunkenheit usw.):
(Nur bei Unglücksfällen zu beantworten.)
18. a) Angebliche oder mutmaßliche Ursache der Verunglückung:
b) Angeblicher oder mutmaßlicher Beweggrund des Selbstmordes:
19. a) Ist der Selbstmord unzweifelhaft?
b) Oder liegt die Möglichkeit einer Verunglückung vor?
c) Oder liegt der Verdacht einer fahrlässigen Tötung durch fremde Hand vor?
d) Oder liegt der Verdacht einer absichtlichen Tötung durch fremde
Hand vor?
20. Ob der Leichnam der Anatomie abgeliefert worden, oder aus welchem Grunde
dies nicht geschehen:
21. Zeit der amtlichen Aufhebung nach Jahr, Tag und Stunde:
(Die Zahlen sind in Buchstaben zu schreiben.)
(Sitz der Behörde.) (Unterschrift der Behörde.)
Een COIN et ke E
am
Anmerkungen:
. Soweit einzelne der unter Nr. 3 bis 20 anzuzeigenden Verhältnisse unbekannt sind, ist dies
an der betreffenden Stelle anzumerken.
Entleibungsversuche und Verunglückungen, durch welche die betreffende Person nicht auf
der Stelle, jedoch späterhin verstorben ist, sind ebenfalls anzugeben.
Auf der Außenseite ist die Behörde anzugeben, an welche die Anzeige gerichtet ist.
8 Drittes Kapitel. Stoffgewinnung und Veröffentlichung der Selbstmordstatistik
Das Anzeigeformular ist, wie man sieht, ziemlich reichhaltig; aber
es sind viele Fragen darunter, die die Selbstmordstatistik nur wenig
oder gar nicht interessieren. Das erklärt sich daraus, daß die Formulare
zugleich noch anderen Zwecken nutzbar gemacht werden; so dienen sie
beispielsweise auch zur Benachrichtigung des Standesamts, des Pfarr-
amts und des Amtsgerichts.
Veröffentlicht wurden die gewonnenen Angaben in der ältesten
Zeit in der „Zeitschrift des Königlich Sächsischen Statistischen Landes-
amts“, und zwar in einer höchst detaillierten und auch textlich sehr
sorgfältig ausgearbeiteten Weise, so daß der Bearbeiter eines Berichts
über den Selbstmord in der „Zeitschrift des Preuß. Stat. Bureaus“ sagen
konnte: „Sachsen hätte, wofern die Rangordnung nach der Reichhaltig-
keit und den Vorzügen der Nachrichten getroffen wäre, der erste Platz
jedenfalls in Deutschland, vielleicht unter allen Staaten, gebührt.!) Im
Jahre 1877 erschien jedoch die letzte ausführliche Zusammenfassung
des Materials, ohne Berechnung von Gliederungszahlen, nur in einfacher
Zusammenstellung der absoluten Zahlen. Seit 1872 enthält dann das
„Statistische Jahrbuch für das Königreich Sachsen“ Ausweise über den
Selbstmord, die aber oft recht dürftig gehalten sind. Erst in den letzten
Jahren sind entsprechend dem jetzigen Stande der Selbstmordstatistik
die Ausweise wieder ausführlicher geworden. Von der Reichhaltigkeit
der Veröffentlichungen mag nachstehende Übersicht ein Bild geben.
Doch muß für manche Ausweise erst das Ergebnis einer längeren Reihe
von Jahren abgewartet werden, bevor sie wissenschaftlich verwertet wer-
den können.
Im „Statistischen Jahrbuch für das Königreich Sachsen“ 1912 ist
bezüglich des Selbstmords im Königreich Sachsen nachgewiesen:
1. Geschlecht. '15. Art der Begehung und Geschlecht.
2. Beruf und Geschlecht. 16. Art der Begehung, Geschlecht und
3. Beruf, Geschlecht und Stellung im Monat.
Beruf. ;17: Art der Begehung,
Tageszeit der Verübung.
Geschlecht und
4. Altersklassen und Geschlecht. |
5. Familienstand und Geschlecht. ı18. Art der Begehung, Geschlecht und
6. Familienstand und Alter. | zeitlicher Eintritt des Todes.
7. Beweggrund. 19. Art des etwa verwandten Giftes.
8. Beweggrund, Geschlecht und Alter. 20. Anwendung mehrerer Mittel zur Ent-
9. Beweggrund, Geschlecht, Beruf und leibung.
Stellung im Beruf. 21. Ort der Begehung.
10. Glaubensbekenntnis. 22. Ort und Tageszeit der Begehung.
11. Kalendermonat und Geschlecht. 23. Stadt und Land.
12. Kalendermonat, Beruf und Stellung 24. Größenklassen der Ortschaften, Ge-
im Beruf. schlecht und Prozente der weib-
13. Zahl der hinterlassenen Kinder. lichen Selbstmörder.
14. Familienstand, Alter, Geschlecht und 25. Größenklassen der Ortschaften, Kin-
Zahl der hinterlassenen Kinder.
1) a. a. O. Jahrgang 1871, S. 56.
der und Erwachsene.
a=
Veröffentlichung des Materials 9
26. Größenklassen der Ortschaften und ; 30. Militärpersonen nach Art der Be-
"hooo der Bewohner. gehung, Beweggrund und Monat.
27. Kreishauptmannschaften. 31. Zweifelhafte Fälle.
28. Amtshauptmannschaften. |32. Unter 100 Todesursachen überhaupt.
29. Militärpersonen. 83. %,000 der Bevölkerung.
Neben dieser Selbstmordstatistik auf Grund der Anzeigen von seiten
der Polizeibehörden, von der bisher allein die Rede war, kommt noch
besonders in Betracht die Selbstmordstatistik im Rahmen der allge-
meinen Todesursachenstatistik, welche auf Grund der Leichenscheine
aufgestellt wird. Die Verarbeitung und Veröffentlichung dieser Nach-
weise geschieht teils durch das „Kaiserliche Gesundheitsamt“ in Berlin
in dessen „Medizinalstatistischen Mitteilungen“, teils durch das „Landes-
Medizinalkollegium für das Königreich Sachsen“ in dessen „Jahres-
berichten“ und im „Statistischen Jahrbuch für das Königreich Sachsen“.
Diese Angaben sind deshalb von Wert, weil sie die Ergebnisse für die
einzelnen Amtshauptmannschaften bringen, die in den Veröffentlichun-
gen der amtlichen Selbstmordstatistik auf Grund der Polizeianzeigen
nicht berücksichtigt sind. Im übrigen ist aber in der Todesursachen-
statistik die Masse der Selbstmörder gewöhnlich nicht einmal nach dem
Geschlecht getrennt, was den Wert der Zahlen erheblich beeinträchtigt.
Die Resultate der Todesursachenstatistik und der amtlichen Selbst-
mordstatistik weichen in manchen Jahren wesentlich voneinander ab.
Es betrug die Zahl der Selbstmörder:
im Jahre:
nach der 1892 1893 1894 1895 1896 1897
Todesursachenstatistik 1105 1190 1193 1026 1161 1220 +
amtl. Selbstmordstatistik 1179 + 1200- 1265+ 1036- 1182 + 1213
im Jahre:
nach der 1898 1899 1900 1901 1902 1903
Todesursachenstatistik 1245 + 1210 1320 + 1384 1379 1416 +
amtl. Selbstmordstatistik 1205 12214 1282 1388+ 1427 -+ 1408
im Jahre:
nach der 1904 1905 1906 1907 1908 1909
Todesursachenstatistik 1392+ 1482 1469+ 1403+ 1807+ 1588+
amtl. Selbstmordstatistik 1387 1483 + 1465 1361 1462 1521
Während in den früheren Jahren die von der amtlichen Selbstmord-
statistik angegebene Zahl der Selbstmorde meist größer ist, bleibt sie
in den neueren Jahren fast stets hinter der Todesursachenstatistik zu-
rück. Welche von beiden Erhebungsarten den Anspruch auf größere
Genauigkeit machen kann, läßt sich nicht entscheiden.
Ferner ist die Zahl der bei den ev.-luth. Pfarrämtern zur Anzeige
gebrachten Selbstmordfälle alljährlich in dem letzten Stück des „Verord-
nungsblattes des ev.-luth. Landeskonsistoriums des Königreichs Sachsen“
unter „Statistik des kirchlichen Lebens“ angegeben. Diese Zahlen sind
dann alle 5 Jahre für die ordentliche Landessynode in einem „Bericht
10 Viertes Kapitel. Der Selbstm. im allgemeinen und seine zeitl. Entwicklung
über den Zustand der ev.-luth. Landeskirche im Königreich Sachsen“
noch einmal besonders zusammengestellt. Die Angaben beziehen sich
nur auf die Selbstmörder evangelisch-lutherischer Konfession.
Die Angaben über Selbstmordfälle in der Armee finden sich in
dem „Sanitätsbericht der Kgl. Preuß. und Kgl. Sächs. und Kgl. Wiirtt.
Armee“, bearbeitet von der Medizinalabteilung des Kgl. PreuB. Kriegs-
ministeriums. Die wichtigsten Angaben daraus werden in dem „Stat. Jahr-
buch für das Königreich Sachsen“ veröffentlicht, ebenso wie Angaben
über Selbstmordfälle in den Straf- und Korrektionsanstalten des König-
reichs Sachsen, die vom Landes-Medizinalkollegium gesammelt und nur
teilweise in dessen „Jahresberichten“ veröffentlicht werden.
Die in der Literatur vorhandenen Angaben über den Selbstmord
im Königreich Sachsen beruhen, soweit sie mir bekannt geworden sind,
alle auf den angeführten Quellen, mit Ausnahme einiger auf privaten
Mitteilungen beruhender Übersichten, die G. v. Mayr in seiner schon er-
wähnten Arbeit über den Selbstmord gibt.?)
Für die ältere Zeit finden sich dann noch einige Angaben in den
„Mitteilungen des statistischen Vereins für das Königreich Sachsen“,
sowie in E. Engels „Das Königreich Sachsen“ 1853 und in Hübners
„Jahrbuch für Volkswirtschaft und Statistik“ Bd. 2,1854. Da in früheren
Jahren die Beihilfe zum Selbstmord in Sachsen strafbar war, enthalten
auch die älteren „Übersichten der Zivil- und Strafrechtspflege“, die im
Justizministerium zusammengestellt sind, einige Fälle von Selbstmord,
die aber für eine Selbstmordstatistik kaum in Betracht kommen.
Endlich wurden mir noch durch die Güte des Herrn Direktors
Weigel, des Vorstandes des städtischen statistischen Amtes von Leipzig,
die Polizeiamtsanzeigen für Selbstmordfälle in der Stadt Leipzig
während der Jahre 1890—1910 zur Verfügung gestellt, aus denen ich
einige weitere Angaben entnehmen konnte, die sich auf 3037 Selbst-
mörder, und zwar 2238 männliche und 799 weibliche, bezogen.
Viertes Kapitel.
Der Selbstmord im allgemeinen und seine
zeitliche Entwicklung.
Die zeitliche Gestaltung der Selbstmordhäufigkeit gibt in Sachsen
wie im gesamten Europa das Bild einer stark steigenden Kurve. Das
ist auch ganz natürlich, und man möchte sich fast wundern, wenn dem
nicht so wäre. Das verflossene Jahrhundert ist eine Zeit der geistigen
und politischen Reife, man könnte fast sagen, Überreife. Als sein Be-
1) G.v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre. 3. Band: Sozialstatistik,
2. Lieferung. Tübingen 1910.
Allgemeine Ursachen der Zunahme der Selbstmordhäufigkeit 11
ginn so viele althergebrachte Schranken fallen ließ, und so viele neue,
ungewohnte Freiheiten brachte, mußte sich allmählich mehr und mehr
eine andere Auffassung des Lebens und des Daseins Bahn brechen.
Bisher hatten es nur wenige gewagt, aus den von Sitten und Gewohn-
heiten, staatlichen Vorschriften und religiösen Regeln vorgezeichneten
Lebensbahnen herauszutreten. Die vielen geistigen und politischen
Freiheiten legten es nahe, auch über das Leben selbst und über seinen
Inhalt eigenmächtig und unbeschränkt zu verfügen. Man wollte sich
nicht mehr als ein gebundenes Glied einer Gesellschaft, als willenloses
Werkzeug eines Gottes ansehen.
Hand in Hand mit diesen Anschauungen ging das entkräftende,
nervenaufregende Hasten nach Gewinn und Erwerb und die immer
mehr um sich greifende Genußsucht. „— überall, wohin man sieht,“
sagt F. Prinzing'), „ist alles in fieberhafter Tätigkeit und unausge-
setzter Arbeit, um vom Gegner nicht überflügelt zu werden. Wie die
Arbeit, so wird auch der Genuß übertrieben. Dieses Treiben schafft
jene neuropathische Grundlage, auf welcher die Psychose und der Selbst-
mord gedeihen und die sich zu allem Unheil hin so leicht auf die
Nachkommen vererbt.“ Ging nicht alles nach Wunsch, schlugen die
zu hoch gespannten Hoffnungen und Erwartungen fehl, so wurde leicht
alles aufgegeben und das Leben fortgeworfen, zumal nicht nur den Ge-
bildeten, sondern auch der Masse des Volkes das religiöse Gefühl ab-
handen gekommen und nichts an dessen Stelle getreten war, das dem
einzelnen einen sittlichen Halt in allen Lebenslagen geben konnte.
Auch dem Einfluß der Presse, des Theaterbesuchs, der Romanlektüre
und dem schlechten Beispiel gibt Prinzing einen großen Teil der Schuld.
Inmitten dieser allgemeinen Bewegung tritt der selbstmordfördernde
Einfluß anderer Momente, wie wirtschaflicher Krisen, Kriegsjahre,
geistiger und literarischer Strömungen zurück. Zwar ist ein solcher
zweifellos vorhanden; doch ist es nicht leicht, ihn im einzelnen nach-
zuweisen, da der Einfluß, den diese Momente auf eine Steigerung der
Selbstmordhäufigkeit ausüben, bei den einzelnen natürlichen und sozialen
Volksschichten sehr verschieden erkennbar wird. Während beispiels-
weise wirtschaftliche Kalamitäten in erster Linie Unternehmer, Kauf-
leute und Arbeiter, weniger dagegen die Beamten und Angehörigen der
freien Berufe in Mitleidenschaft ziehen, finden geistige und literarische
Strömungen insbesondere bei den jüngeren Altersklassen der Gebildeten
eher Anklang. Immerhin muß dabei zunächst festgestellt werden, in
welchem Grade derartige Momente überhaupt geeignet sind, auf die
Selbstmordneigung einer ganzen Bevölkerung oder einzelner Bevölke-
rungskreise wesentlich einzuwirken. Zu diesem Zweck ist eine Diffe-
renzierung der gesamten Selbstmördermasse der einzelnen Jahre nach
1) F. Prinzing, Trunksucht und Selbstmord. Leipzig 1895. S. 33.
12 Viertes Kapitel. Der Selbstm. im allgemeinen und seine zeit]. Entwicklung
natiirlichen und sozialen Gesichtspunkten notwendig, fiir welche es
jedoch noch meist an den nötigen Unterlagen fehlt. Wir werden im
letzten Kapitel noch hierauf zurückkommen.
Die Zahl der Selbstmörder im Königreich Sachsen betrug im
Durchschnitt der Jahre 1900—1909 pro Jahr 1424, das ergibt eine
„Selbstmordziffer“ von 319,4 Selbstmorden auf 1 Million der lebenden
Bevölkerung. Im ganzen Deutschen Reich betrug 1900—1909 die
absolute Zahl der Selbstmorde durchschnittlich jährlich 12684 und
die Selbstmordziffer 122,7. Von den Selbstmorden im Deutschen Reich
entfielen auf das Königreich Sachsen 11,2%,, während die sächsische
Bevölkerung 1905 nur 7,4°, der Reichsbevölkerung ausmachte. Diesen
Zahlen der durch Selbstmord aus dem Leben Geschiedenen stehen
gegenüber die Zahlen der Gestorbenen überhaupt: im Durchschnitt der
Jahre 1900—1909 im Königreich Sachsen 84639 und im ganzen
Deutschen Reich 1152098. In Sachsen hatten sich demnach 1,68%,
im Reich 1,1°/, aller Gestorbenen selbst das Leben genommen. Höher
ist natürlich der Prozentsatz, wenn man die jugendlichen Personen
unter 15 Jahren, unter denen die Sterblichkeit groß, die Selbstmord-
häufigkeit aber gering ist, ausscheidet. Im Jahre 1909 waren in Sachsen
für die über 15 Jahre alten Personen 3,714% aller Todesfälle auf Selbst-
mord zurückzuführen. Der prozentuale Anteil des Selbstmords als
Todesursache am Bevölkerungsabgang überhaupt ist also in Sachsen
um ein betrüchtliches höher als im ganzen Deutschen Reich und, wie
sich aus Tab. 1 ergibt, in den übrigen größeren europäischen Staats-
gebieten; von den angeführten Ländern ist nur in Dänemark die Zahl
der Selbstmorde auf 100 Todesfälle höher als im Königreich Sachsen.
Der Anteil des Selbstmords am Bevölkerungsabgang ist aber kein
konstanter. Tab. 2 gibt die Gestaltung für das Königreich Sachsen
während der Jahre 1865—1909 wieder. Innerhalb dieser 45 Jahre
ist die Bedeutung des Selbstmords verhältnismäßig stark gestiegen:
im Jahre 1865 trafen auf 100 Todesfälle 0,87 Selbstmorde, im Jahre
1909 dagegen 2,10. Diese starke Steigerung ist einmal die Folge der
von Jahr zu Jahr wachsenden Zahl der Selbstmorde; zugleich aber ist
die allgemeine Sterblichkeit entsprechend den Fortschritten der Me-
dizin und Hygiene sehr zurückgegangen. Bei den andern in Tab. 1
angeführten Ländern zeigt sich im ganzen die gleiche Erscheinung:
Zunahme der Bedeutung des Selbstmords als Todesursache, Rückgang
der allgemeinen Sterblichkeit und Wachsen der Selbstmordziffer in den
meisten Ländern, während sie in einigen auch zurückgeht oder sich
wenig ändert.
Das Ergebnis ist also für Sachsen und auch für die meisten
anderen Länder: Obwohl der Selbstmord als Todesursache im ganzen
nur eine geringe Bedeutung für den Lebensabgang einer Bevölkerung
hat, so ist die Zahl der Selbstmorde im Verhältnis zur Zahl der Ge-
Der Selbstmord in Gegenwart und Vergangenheit 13
storbenen doch in Anbetracht der Außergewöhnlichkeit dieser Todes-
ursache immerhin beträchtlich; und sie nimmt stetig zu infolge des
Wachsens der Zahl der Selbstmordfälle und des Rückgangs der Sterb-
lichkeit im allgemeinen.
Die Einzelheiten der zeitlichen Gestaltung der Selbstmord-
häufigkeit im Königreich Sachsen sind aus Tab. 3 sowie aus der
graphischen Darstellung I zu ersehen. Wir finden nicht nur in den
absoluten Zahlen, sondern auch in den Selbstmordziffern eine stete
. Zunahme; nur in den letzten 30 Jahren geht die Selbstmordziffer zurück.
Zwar ist zu beachten, daß in der ersten Zeit die Aufzeichnungen sicher-
lich nicht ganz vollständig gewesen sind. Das geht auch daraus hervor,
daß für das Jahr 1834—40 die Angaben nach den Kirchenbüchern die
polizeilichen übertreffen (vgl. Tab. 4). Es ist nun wohl kaum anzu-
nehmen, daß die Kirchenbücher mehr Selbstmordfälle aufgezeichnet
haben als wirklich vorgefallen sind; viel wahrscheinlicher ist es, daß
auch die Kirchenbuchaufzeichnungen noch hinter den wirklichen Zahlen
zurückbleiben. Wenn alle Selbstmordfälle zur Kenntnis der Behörden
gekommen wären, so wäre die Zunahme vielleicht doch nicht ganz so
stark gewesen, wie es scheint; denn wenn auch jetzt noch viele Selbst-
morde verheimlicht werden, so geschieht das unter heutigen Verhält-
nissen doch bei weitem nicht in dem Maße wie früher.
Die Zahl der Selbstmorde nimmt von Anfang an rasch zu bis zum
Jahre 1843, welches bereits eine Selbstmordziffer von 239,9 aufweist,
die dann im folgenden Jahre wieder um 50 zurückgeht. Bald aber
steigt sie wieder über die Ziffer des Jahres 1843 hinaus und mit einer
raschen Aufeinanderfolge von Steigen und Fallen, oft um beträchtliche
Größen, aber stets mit einer stark steigenden Tendenz nähert sich die
Kurve ihrem Höchststand im Jahre 1881 mit 416 Selbstmorden auf
1 Million Lebender, einem Stande, den sie bereits im Jahre 1878 mit
408 auf 1 Million Einwohner beinahe erreicht hatte. Von nun an oft
unterbrochenes Fallen der Kurve bis wenig unter 300 nach einem kurzen
Aufschwung 1890—94 und mit der Selbstmordziffer von 320,2 schließt
sie im Jahre 1909 ab.
Im allgemeinen kann man also sagen, daß die Entwicklung der
Selbstmordziffern bis zum Jahre 1881 eine stark steigende Tendenz
zeigt, mit besonderem Hochstand in den Jahren 1843—52, 1855, 1861
und 1868 und einem Tiefstand in den Jahren 1870—75. Seit dem
Jahre 1881 dagegen nimmt die Selbstmordhäufigkeit ab.
Die Zufälligkeiten in den einzelnen Jahren schwinden und die
charakteristischen Neigungen der einzelnen Zeitabschnitte treten mehr
hervor, wenn man den Durchschnitt aus den Selbstmordziffern von je
fünf Jahren betrachtet (Tab.5). Auch hier finden wir im allgemeinen
denselben Gang wie bei den Selbstmordziffern der einzelnen Jahre, nur
daß die großen Schwankungen ausgeglichen sind. Deutlich tritt auch
14 Viertes Kapitel. Der Selbstm. im allgemeinen und seine zeitl. Entwicklung
die vorübergehende Zunahme der relativen Zahlen der Selbstmordfälle
in den Jahren 1900—05 hervor. Die absoluten Zahlen zeigen im Gegen-
satz zu den relativen Selbstmordziffern eine immerfort steigende Zu-
nahme, die nur selten von kurzen Rückschlägen unterbrochen ist. Die
höchste absolute Zahl wird 1905 erreicht mit 1488 Selbstmordfällen.
Für die fünfjährigen Durchschnittszahlen zeigt sich ein Rückgang nur
in den Jahren 1871—75 mit 706 Selbstmorden gegen 725 der vorher-
gehenden Periode.
Zum Vergleich der Selbstmordhäufigkeit des Königreichs Sachsen
mit der einiger anderer europäischer Staaten dient Tab.6. Es zeigt sich,
daß die Selbstmordziffer sämtlicher anderen Staatsgebiete weit hinter
derjenigen Sachsens zurückbleibt. Nun darf man aber nicht die Bevöl-
kerung des Königreichs Sachsen hinsichtlich der Rasseneigenschaften,
der wirtschaftlichen und sozialen Zustände als ein für sich abgeschlossenes
Ganzes der Bevölkerung der anderen großen Ländergebiete gegenüber-
stellen. Vielmehr ist Sachsen in diesem Falle als ein Teilgebiet des
ganzen Deutschen Reiches mit besonders gesteigerter Selbstmordlichkeit
aufzufassen. Ebenso weisen auch andere Länder mit durchschnittlich
geringer Selbstmordhäufigkeit in einzelnen Teilgebieten eine wesentlich
erhöhte Selbstmordziffer auf. Wir entnehmen dafür einige Beispiele
dem Werke von A. Krose!), wobei die Selbstmordziffer auf 1 Million
berechnet ist.
Schweden (1861—70). | Dänemark (1886—95).
Stockholm Stadt. ....... 372,1 Kopenhagen Stadt ...... 359
Stockholm Land. ....... 137,9| Kopenhagen Land ...... 402
Upsala. A age See a S 119,4! Frederiksburg ........ 381
Schweden im ganzen. ..... 80,5 | Dänemark im ganzen. ... . 255
D
Belgien (1870—76). Frankreich (1872—76).
Brabant... ......... 124 Flandern-Artois-Picardie. . . . 236,2
Belgien im ganzen. ...... 70 | Isle-de-France-Orleanais . . . . 330,6
. | Champagne. ......... 237,8
Schweiz (1876—1901). ‚Frankreich im ganzen... . . 152,0
Waadt oo. u ed ce © 2 2 Ge
Neuenburg .......... 396 | Italien (1894—1900).
Gent u ee re 336 Ligurien . . 2.22 20000. 101,89
Zürich . 2. 28.2220. 00% 281 Latium ........ `, . . 101,84
Schweiz im ganzen. ...... 225 Italien im ganzen. ...... 61,74
Man sieht, in manchen Verwaltungsbezirken anderer Länder wird
die Selbstmordziffer Sachsens sogar noch übertroffen.
Die exorbitante Häufung der Selbstmordfälle innerhalb Deutsch-
lands teilt das Königreich Sachsen aber mit seinen benachbarten Ge-
bieten, den thüringischen Kleinstaaten, Mittelschlesien, wie überhaupt
dem Gebiet zwischen Elbe und Oder. Tab. 7 gibt einige Selbstmord-
ziffern für die dem Königreich Sachsen benachbarten Gebiete wieder.
1) A. Krose, Der Selbstmord im 19. Jahrh. Freiburg 1906.
Der Selbstmord in Sachsen und in anderen Ländern 15
Die hohe Selbstmordziffer der beiden preußischen Provinzen Sachsen
und Schlesien wird noch besonders gesteigert in den beiden Regierungs-
bezirken Merseburg und Liegnitz, so daß in diesen Bezirken die Häufig-
keit der Selbstmorde noch größer ist als in dem benachbarten König-
reich Sachsen (1891—1900). Dagegen bleibt die Selbstmordhäufigkeit
in Böhmen wie auch in Oberfranken weit hinter derjenigen des König-
reichs Sachsen zurück. Auch die Mehrzalıl der kleinen Fiirstentiimer
und Herzogtümer, die dem Königreich Sachsen benachbart liegen, weist
eine noch höhere Selbstmordziffer als dieses auf. Das Königreich
Sachsen nimmt zu Anfang der ausgewiesenen Zeit unter ihnen eine
mittlere Stellung ein, tritt aber in der jüngsten Zeit weiter zurück. Eine
ähnlich hohe Selbstmordhäufigkeit finden wir in Deutschland, wenn wir
von den Stadtgebieten Berlin, Bremen und Hamburg absehen, nur noch
in Braunschweig, das wohl noch mit Mitteldeutschland zusammenhängt,
und Schleswig- Holstein; auch die stark bevölkerten Industriegebiete in
den Rheinlanden und in Westfalen weisen beispielsweise 1905 nur eine
Selbstmordziffer von 144 bzw. 130 auf.!)
Aus alledem geht hervor, daß es doch ganz besondere Umstände
sein müssen, welche hier seit langer Zeit einen solchen intensiven Grad
der Selbstmordhäufigkeit geschaffen haben. Welches diese Ursachen
sind, läßt sich nach dem heutigen Stande der Forschung noch nicht
angeben, zumal es noch an vielen wünschenswerten Einzelheiten in der
Selbstmordstatistik fehlt. Vielleicht trägt die Durchsetzung und Be-
rührung der ganzen Bevölkerung mit fremden wie wendischen und
tschechischen Elementen, das vielfach ruhelose Leben eines Teils der
Bewohner in neuerer Zeit einen Teil der Schuld, vielleicht auch die
Lage des Gebiets im Herzen des deutschen Volkes, wo es von allen
politischen Bewegungen und Stockungen in Mitleidenschaft gezogen
wird. Erfreulich ist es nur zu sehen, wie gerade die Länder mit sehr
hohen Selbstmordziffern in den letzten 20 Jahren eine, wenn auch mit-
unter langsame und von Rückfällen unterbrochene, so doch merkliche
Abnahme zeigen. Dagegen ist in den anderen benachbarten selbstmord-
ärmeren Gebieten noch immerfort eine Steigerung zu konstatieren, eine
„Nivellierungserscheinung“ (G.v.Mayr?), die sich aus der zunehmenden
Verkehrserleichterung und der wachsenden Bedeutungslosigkeit der
politischen Landesgrenzen erklärt.
Fünftes Kapitel.
Das Geschlecht der Selbstmörder.
In Anbetracht der durchgreifenden Verschiedenheit, welche die
beiden Geschlechter in ihrem Verhalten hinsichtlich des Selbstmords
1) Nach G. v. Mayr und A. Krose.
2) G. v. Mayr a. a. O. S. 267.
16 Fiinftes Kapitel. Das Geschlecht der Selbstmörder
zeigen, soll hier eine zusammenfassende Übersicht über die Beteiligung
der Männer und Frauen am Selbstmord im allgemeinen gegeben werden.
Bei den weiter folgenden Unterscheidungen der Selbstmördermasse wird
im einzelnen ebenfalls auf das Geschlechtsverhältnis zuriickzukommen sein.
Es ist also zu untersuchen die Häufigkeit des Selbstmords für das
männliche und für das weibliche Geschlecht und im Zusammenhang da-
mit das Verhältnis der Zahl der männlichen zu den weiblichen Selbst-
mördern. Bezüglich der ersten Frage muß die Selbstmordziffer für jedes
Gechlecht gesondert berechnet werden. Da die mittlere Bevölkerung
Sachsens nach dem Geschlecht getrennt nicht für alle Jahre vorlag,
wurde in Tab. 8 das Ergebnis für die Perioden zwischen den ein-
zelnen Volkszählungsjahren berechnet. Das Verhältnis der beiden Ge-
schlechter zueinander kann in verschiedener Weise ausgedrückt werden:
entweder man berechnet, wieviel männliche und weibliche auf 100 oder
1000 Selbstmörder im ganzen kommen. Diese Berechnung, die beson-
ders Westergaard’) empfiehlt, ist sehr vorteilhaft, aber in der Selbst-
mordstatistik weniger gebräuchlich. Ebenso findet sich die Berechnung,
wieviel männliche Selbstmörder auf 1 bzw. 100 weibliche kommen, nur
in älteren Darstellungen vereinzelt vor. Allgemein üblich ist die Be-
rechnung, wieviel weibliche Selbstmörder auf 100 männliche treffen;
dabei kann man entweder von den absoluten Zahlen ausgehen oder, was
wegen der ungleich starken Vertretung der beiden Geschlechter auch
in zeitlicher Gestaltung richtiger ist, von den Selbstmordziffern jedes
Geschlechts. G. v. Mayr?) nennt die Berechnung der ersten Art die
„einfache“, die der zweiten Art die „bereinigte“ Geschlechtsrelation.
Der Unterschied zwischen beiden Berechnungsarten ist aber nicht sehr
bedeutend, besonders für ein großes Gebiet.
Während der Jahre 1831—1908 wurden im Königreich Sachsen
60490 Selbstmörder nachgewiesen, und zwar 47474 männliche und
13016 weibliche. Das ergibt auf 1000 männliche Selbstmörder 274 weib-
liche, oder auf 1000 weibliche 3647 männliche, oder von 1000 Selbst-
mördern waren 785 männlich und 215 weiblich. Es gab also mehr als
3'/,mal soviel männliche als weibliche Selbstmörder, während in der
Bevölkerung die Zahl der weiblichen Personen die der männlichen noch
um einiges übersteigt.
Aus den in Tab. 8 berechneten Selbstmordziffern wie auch aus der
Kurve in der graphischen Darstellung I ergibt sich, daß die Entwick-
lung der weiblichen Selbstmordlichkeit bis zum Jahre 1890 genau die
Gestaltung der männlichen widerspiegelt, nur in bedeutend abgeschwäch-
tem Maße. Für die einzelnen Jahre werden sich natürlich kleinere
Schwankungen ergeben; wenigstens deuten die absoluten Zahlen darauf
1) Westergaard, Grundzüge der Theorie der Statistik, Jena 1890, S. 146.
2) G. v. Mayr a. a. O. S. 297.
Das Geschlecht der Selbstmörder 17
hin. Bei dem starken Überwiegen der Zahl der männlichen Selbstmörder
ist die Kurve der allgemeinen Selbstmordlichkeit von der des männlichen
Geschlechts abhängig. — Von 1890 ab dagegen gehen beide Geschlechter
auseinander; während die männliche Selbstmordziffer in den nächsten
Jahren schwankt, zeigt die weibliche von 1890—1905 ein merkliches
Steigen, das nur 1900 unterbrochen wird. Ob die in den letzten Jahren
so energisch einsetzende Frauenbewegung die Schuld daran trägt, daß
die Frauen nunmehr auch in der Gestaltung ihrer Selbstmordlichkeit
ihre eigenen Wege gehen und sich vom männlichen Geschlecht eman-
zipieren wollen?! Jedenfalls deutet diese Entwicklung auf eine stärkere
Beteiligung der Frauen hin. Der Höchststand der männlichen Selbst-
mordziffer war schon im Jahre 1880 erreicht mit 642 Selbstmördern
auf 1 Mill. lebender Männer; die höchste weibliche Selbstmordziffer er-
gibt sich dagegen erst für 1905. Die relative Zunahme der weiblichen
Selbstmordziffer bleibt nicht hinter der der Männer zurück: diese war
von 1832 bis 1905 um 335,4°, gestiegen und wies in ihrem Höchst-
stand 1880 eine Zunahme von 468,1%, auf; die weibliche Selbstmord-
ziffer ist von 1832 bis zu ihrem Höchststand 1905 um 432,1% ge-
stiegen.
Die Geschlechtsrelation, d.h. die Zahl der weiblichen Selbstmörder
auf 100 männliche, schwankt für die ältere Zeit zwischen 24 und 27
(vgl. Tab. 8). In den Jahren 1866 bis 1882 zeigt sich eine geringere
Weiberbeteiligung; die niedrigste finden wir in den Jahren 1869—73.
Von diesem Tiefstande an ergibt sich dann aber ein schnelles, nur ein-
mal, 1898—1902, unterbrochenes Steigen des Anteils der Frauen am
Selbstmord, um in den Jahren 1903—07 den überhaupt höchsten Stand
von 30,3 auf 100 Männer zu erreichen.
Der Gründe für die geringe Beteiligung des weiblichen Geschlechts
gegenüber dem männlichen werden viele angegeben, so die gesteigerten
Beziehungen des Mannes zu den Mitmenschen, tiefere Religiösität der
Frauen, sowie ein größerer Selbsterhaltungstrieb, größere Anhänglich-
keit an die Familie, gesteigerte Widerstandsfähigkeit gegen körperliche
Leiden und Schmerzen u.a.m. Es ist klar, daß in der neueren Zeit, wo
die Frauen mehr als früher in das öffentliche Leben hineingezogen und
dem wirtschaftlichen Kampfe und der sozialen Reibung mehr ausge-
setzt sind, sie auch den selbstmordfördernden Einflüssen, soweit sie in
diesen Verhältnissen begründet erscheinen, in größerem Maße preisge-
geben sind.
Eine Beziehung zwischen der Höhe der Selbstmordlichkeit im all-
gemeinen und dem Anteil der Weiberbeteiligung läßt sich auch für
Sachsen nicht erkennen, ebensowenig wie dies für andere Länder ge-
lungen ist. Gegenüber anderen Ländern nimmt das Königreich Sachsen
hinsichtlich der Geschlechtsrelation der Selbstmörder eine mittlere Stel-
. lung ein. In der Neuzeit bewegt sich für die europäischen Länder die
Kürten: Statistik des Selbstmordos. 2
18 Sechstes Kapitel. Der Selbstmord nach abstrakt zeitlicher Ausgliederung
Geschlechtsrelation etwa zwischen 20 und 34; ın Deutschland trafen
1893—1904 26,6 weibliche Selbstmörder auf 100 männliche.?)
Sechstes Kapitel.
Der Selbstmord nach abstrakt zeitlicher Ausgliederung.
Die Stellung der Erde im Planetensystem und die dadurch be-
dingten natürlichen Erscheinungen haben es dem Menschen nahegelegt,
die unabsehbar entrinnende Zeit in bestimmte Abschnitte einzuteilen.
Solche von der Natur dem Menschen aufgedrängte Zeiteinteilungen
sind Tag und Nacht, Woche, Monat und Jahr. Infolge des steten Wech-
sels und der steten Wiederkehr dieser Zeitabschnitte mit ihren natür-
lichen Verschiedenheiten — Tag und Nacht, Sommer und Winter —,
sind sie mit dem menschlichen Leben aufs innigste verbunden. Das
Leben fließt, wie die Zeit, unaufhaltsam dahin, aber innerhalb dieses
Laufes bildet jeder Tag, jede Woche, jedes Jahr ein in sich abgeschlos-
senes Ganzes, das sich stets erneut, in den meisten seiner Erscheinungen
aber sich stets wiederholt. Wie nun alle menschlichen Handlungen in
irgendeinem Zusammenhange mit dieser zeitlichen Gestaltung stehen,
so liegt es nahe, eine solche engere Beziehung auch für den Selbstmord
zu vermuten. Ist ein solcher Zusammenhang vorhanden, dann ist zu
untersuchen, ob er seinen letzten Grund in denselben Momenten hat,
die auch die natürliche Zeiteinteilung bedingen („klimatische Einflüsse“
nach G. v. Mayr) oder, ob er als eine Folgeerscheinung von indivi-
duellen und sozialen Momenten anzusehen ist, die selbst wieder ihren
Grund in jenen Naturverhältnissen haben.
Untersuchungen über die Verteilung der Masse der Selbst-
mordfälle innerhalb eines Jahres liegen schon seit langer Zeit
und für eine große Zahl von Ländern vor, und es hat sich mit einer
erstaunlichen Regelmäßigkeit ergeben, daß die warmen Monate Mai und
Juni die selbstmordreichsten und die kalten Monate Dezember und Ja-
nuar die selbstmordärmsten sind.
Eine entsprechende jahreszeitliche Gestaltung der Selbstmordhäufig-
keit läßt Tab. 9 auch für das Königreich Sachsen erkennen. Da die
Zahl der Tage in den einzelnen Monaten nicht immer die gleiche ist,
so muß die hierdurch bedingte Verschiedenheit in der monatlichen Zahl
der Selbstmorde beseitigt werden, indem man die verschiedenen Monats-
längen ausgleicht und die Zahl der Selbstmordfälle berechnet, welche
auf jeden Monat fallen würde, wenn er 31 Tage zählte.
Wir sehen auch hier, wie die Verteilung der Selbstmorde im ganzen
sich mit einer außerordentlichen Regelmäßigkeit vollzieht. In den bei-
1) G. v. Mayr a. a. O. S. 297 ff.
Der Selbstmord nach Kalendermonaten 19
den ersten Jahresperioden fällt das Maximum auf den Mai, später dann
auf den Juni. Die niedrigste Zahl von Selbstmorden weist stets der De-
zember auf, nur 1872—80 tritt der Januar an seine Stelle. Dieses Bild
wiederholt sich, wenn wir die Verteilung des Selbstmordes nach dem
Geschlecht betrachten, beim männlichen Geschlecht. Die Frauen dagegen
zeigen nicht eine solche genaue Regelmäßigkeit. Während bei den Män-
nern das Aufsteigen im Frühjahr und das Sinken im Herbst nur in den
Jahren 1872—80 eine Unterbrechung erleidet, finden wir eine solche
bei den Frauen in jeder Periode. Das Maximum der Selbstmordfälle
fiel bei den Frauen 1834—51 auf den Mai — der Juli kam ihm außer-
ordentlich nahe —, 1859—67 auf den Juni, in der folgenden Periode
auf den Juli, um dann beim Juni zu verbleiben. Das Minimum schwankt
zwischen Dezember und Januar. — Es ergibt sich also, daß für Sachsen
die weibliche Selbstmordlichkeit nicht eine so große Regelmäßigkeit in
der Verteilung auf die einzelnen Monate aufweist wie das männliche
Geschlecht, was auch aus den von G. v.Mayr mitgeteilten schweizeri-
schen und dänischen Zahlen hervorgeht.!) Allerdings ist die Unregel-
mäßigkeit nicht sehr bedeutend und läßt die Grundtendenz ın der Ver-
teilung der Selbstmordfälle auf die einzelnen Monate noch sehr gut
hervortreten. DaB diese gleiche jahreszeitliche Gestaltung der Selbst-
mordhäufigkeit sich nicht nur in längeren Perioden, sondern auch in
jedem einzelnen Jahre wenigstens annähernd zeigt, geht aus Tab. 10
hervor. Die in den sächsischen Zahlen schwach angedeutete Unter-
brechung des Rückganges in den Monaten August bis Oktober kommt
in den Ergebnissen für einige andere Länder, die G. v. Mayr?) nach
einer Zusammenstellung von L. Bodio mitteilt, deutlicher zum Ausdruck.
Eine Erklärung für diese Erscheinung der jahreszeitlichen Ver-
teilung der Selbstmordfälle hat man in verschiedener Weise versucht.
Vereinzelt meint man, im Sommer würden mehr und leichter Selbst-
mordfälle entdeckt als im Winter. Eine solche Annahme mag vielleicht
in früherer Zeit, in der die Statistik noch weniger sorgfältig ausgebildet
war, nahegelegen haben; aber schon A. Wagner’) weist in seiner Mono-
graphie über den Selbstmord 1864 auf ihre Unhaltbarkeit hin. —
Durkheim‘), Krose°) u. a. sehen den Grund der Selbstmordlichkeit
überhaupt in der „sozialen Reibung“, in dem „Unbefriedigtsein mit der
Umgebung“ und finden es dementsprechend natürlich, daß in den Sommer-
monaten infolge der größeren Tageslänge die soziale Reibung größer
als an den kürzeren Wintertagen und somit auch die Selbstmordlich-
1) G. v. Mayr a. a. O. S. 287. 2) G. v. Mayr a. a. O. S. 283.
3) A. Wagner, Die Gesetzmäßigkeit in den scheinbar willkürlichen mensch-
lichen Handlungen vom Standpunkte der Statistik. I. Teil: Statistik willkürlicher
Handlungen. I. Statistik der Selbstmorde, Hamburg 1864.
4) E. Durkheim, Le suicide, étude de Sociologie, Paris 1897.
5) Krose, Die Ursachen der Selbstmordhäufigkeit, Freiburg i. Br. 1906.
dh
20 Sechstes Kapitel. Der Selbstmord nach abstrakt zeitlicher Ausgliederung
keit größer ist. — Endlich macht man auch im Sommer die erhöhte
Temperatur für die Zunahme der Selbstmordfälle verantwortlich. „Die
Sommerhitze“, sagt F. Prinzing'), „namentlich solange der Organis-
mus noch nicht an dieselbe gewöhnt ist, hat Kongestionen zur Folge,
die den Menschen leichter erregbar machen, und im Zustande der Er-
regung werden ungünstige Fälle schwerer ertragen und können ein ge-
waltsames Ende herbeiführen.“ — G. v. Mayr will „ebensowenig die
gesteigerte soziale Reibung als die Temperatur an sich für die Zunahme
der Selbstmorde im Sommer verantwortlich machen, sondern die Ge-
samtheit der in ihrem vollen Detail nach dieser Richtung noch gar
nicht erschöpfend geprüften Natureinflüsse.‘“?)
Immerhin handelt es sich hier um unbewiesene Hypothesen. Wenn
es auch heute noch unmöglich erscheint, eine kausale Beziehung zwi-
schen Jahreszeit und Selbstmordhäufigkeit klar nachweisen zu können,
so wird man doch bei tieferem Eindringen in diese Verhältnisse man-
chen beachtenswerten Aufschluß erhalten, der auf kausale Zusammen-
hänge hinzuweisen geeignet ist. Dabei sind drei Wege zu verfolgen:
Erstens muß festgestellt werden, ob diese Regelmäßigkeiten nur für die
klimatischen Verhältnisse der europäischen Länder, insbesondere auch
der kleineren, Geltung haben, ob sich innerhalb dieser bereits Unter-
schiede bemerkbar machen, oder ob eine gleiche abstrakt zeitliche Ge-
staltung für alle Länder der Erde verfolgt werden kann. Zweitens ist
zu untersuchen, ob sich eine gleichartige jahreszeitliche Gestaltung auch
für andere Handlungen konstatieren läßt, die, ähnlich wie der Selbst-
mord, in letzter Linie als eine rein willkürliche Äußerung des mensch-
lichen Willens gelten dürfen. Drittens endlich sind die Menschenmassen,
welche an dem Selbstmord oder an den unter 2) festgestellten Hand-
lungen beteiligt sind, nach natürlichen, sozialen und sachlichen Gesichts-
punkten zu differenzieren.
Es kann an dieser Stelle nicht erschöpfend auf diese drei Punkte
eingegangen werden, weil es an den nötigen Unterlagen für das König-
reich Sachsen fehlt und bei Heranziehung anderweitiger Ergebnisse die
Untersuchung zu sehr aus dem Rahmen der vorliegenden Arbeit fallen
würde. Es seien daher nur einige Andeutungen gestattet. Bezüglich der
ersten Frage liegt es nahe, die Schwankungen der mittleren Temperatur
in den einzelnen Monaten mit den Kurven der jahreszeitlichen Gestal-
tung der Selbstmordhäufigkeit zu vergleichen. Doch ist zu dem Zweck un-
bedingt nötig, wenigstens bis auf die größeren Verwaltungsbezirke hinab-
zugehen, da die klimatischen Verhältnisse innerhalb der meisten Länder
für verschiedene Gegenden oft sehr verschiedenartig sind. Weiterhin
müßten, da für diese Teilgebiete oft nur kleinere Beobachtungszahlen
in Betracht kommen, die Ergebnisse von einer langen Reihe von Jahren
1) F. Prinzing a. a. O. S. 23. 2) G. v. Mayr a. a. O. S. 285.
Ursachen der jabreszeitlichen Verteilung 21
zusammengefaßt werden. Dann ließe sich ersehen, ob plötzliche und
starke Veränderungen in der Temperatur von ebensolchen in der Selbst-
mordhäufigkeit begleitet würden.
Auch bezüglich des zweiten Punktes sind mir Belege, die für das
Königreich Sachsen gelten, nicht bekannt geworden. Nur einmal fand
ich einen diesbezüglichen Nachweis aus der sächsischen Kriminalstati-
stik, der sich aber leider nur über ein Jahr erstreckt (1885) und außer-
dem die einzelnen Monate zu vier Jahreszeiten zusammenzieht (vgl.
Tab. 11). Immerhin erkennt man, wie manche Arten von Verbrechen
und Vergehen im Sommer weit häufiger sind als im Winter, und zwar
in erster Linie alle gegen die Person gerichteten. Bei den Sittlichkeits-
delikten greift dabei die erhöhte Frequenz schon auf die Frühjahrs-
monate über. Im Gegensatz zu dieser Gruppe von Verbrechen stehen
die gegen das Vermögen gerichteten, die fast ausnahmslos in den Herbst-
und Wintermonaten am häufigsten sind. Daß das Delikt der Sachbe-
schädigung hiervon eine Ausnahme macht, bestätigt die Regel. Denn
bei diesem Delikt handelt es sich meist um mut- oder böswilliges Tun,
das nicht die direkte Erlangung eines Vermögensvorteils bezweckt.
Das gleiche Resultat geht auch aus den bekannten Untersuchungen
von Aschaffenburg, Ferri u.a. hervor‘), welche eine Kulmination
der Häufigkeit dieser Deliktsarten im Juni oder Juli erkennen lassen.
Ebenso ist bekannt, daß die Zahl der Schwängerungen bei den unver-
heirateten Frauen in den Sommermonaten am größten ist. Bei den Ver-
heirateten prägt sich diese jahreszeitliche Gestaltung nicht so deutlich
aus, ein Beweis dafür, daß die Annäherung der Geschlechter unter den
Nichtverheirateten aus irgendeinem Grunde in der wärmeren Jahreszeit
begünstigt sein muß.
Betrachten wir endlich die jahreszeitliche Gestaltung der Selbst-
mordhäufigkeit in Verbindung mit anderen Unterscheidungen, so bietet
zunächst die Wahl der Todesart besonderes Interesse. Man ist von vorn-
herein geneigt zu vermuten, daß insbesondere der Tod durch Ertränken
im Winter seltener und in der warmen Jahreszeit häufiger sein muß;
und man könnte vielleicht meinen, die hohe Zahl der Selbstmorde im
Sommer beruhe vielleicht nur auf der im Sommer gesteigerten Zahl der
Selbstmorde durch Ertränken.
In der Tat ist, wie man aus Tab. 12 ersieht, bei beiden Geschlech-
tern der Tod durch Ertränken besonders häufig in den Sommermonaten
und nur ganz geringfügig in der kalten Jahreszeit. Dabei scheinen die
Frauen weniger empfindlich gegen das kalte Wasser zu sein als die
Männer. Aber der Tod durch Ertränken beträgt, wie sich in einem spä-
1) Aschaffenburg, Das Verbrechen und seine Bekämpfung 1906. Ferri,
Das Verbrechen und seine Abhängigkeit vom jährlichen Temperaturwechsel, Zeit-
schrift f. d. ges. Strafrechtew. II.
22 Sechstes Kapitel. Der Selbstmord nach abstrakt zeitlicher Ausgliederung
teren Kapitel zeigen wird, bei den Männern nur ungefähr 14°), und bei
den Frauen 40%, aller Selbstmorde. Gerade bei den Frauen, die sich
durch Ertränken das Leben nahmen, ist aber der Unterschied zwischen
Sommer und Winter nicht so auffallend groß wie bei den Männern.
Weiter finden wir die gleiche jahreszeitliche Gestaltung der Selbstmord-
häufigkeit auch bei anderen Todesarten, die von Witterung und Tem-
peratur unabhängig sind; bei den Männern besonders beim Tod durch
Erhängen und Erschießen, bei den Frauen beim Tod durch Erhängen.
Für die übrigen Todesarten sind die absoluten Zahlen nur klein und
muß die jahreszeitliche Gestaltung bei ihnen vielleicht als Zufallsergeb-
nis angesehen werden. Jedenfalls erkennt man, daß der Tod des Ertrin-
kens nicht allein die Häufung der Selbstmordfälle im Sommer bedingt.
Aus den in Tab. 13 zusammengestellten Zahlen läßt sich erkennen,
daß die Abhängigkeit von der Jahreszeit bei den Selbstmorden in den
beiden großen Städten Sachsens nicht so sehr zum Ausdruck kommt wie
bei dem Durchschnitt des ganzen Landes. Nur die Zahlen der männlichen
Selbstmörder in der Stadt Leipzig zeigen ein regelmäßiges Auf- und
Absteigen entsprechend der Jahreszeit. Noch mehr als in dieser mögen
aber in der folgenden Tab. 14, welche die Selbstmörder in der Stadt
Dresden nach Altersklassen und Zeit der Handlung unterscheidet, in-
folge der Kleinheit der Beobachtungszahlen unzuverlässig sein. Seit 1908
erlaubt die sächsische Selbstmordstatistik auch, die jahreszeitliche Selbst-
mordgestaltung in den einzelnen Berufsabteilungen zu unterscheiden.
In den beiden Jahren 1908 und 1909, einer allerdings zu kurzen Be-
obachtungszeit, ist eine Abhängigkeit der Selbstmordhäufigkeit beson-
ders bei den Angehörigen der gewerblichen Berufe zu erkennen. Ich
lasse die absoluten Zahlen für beide Jahre zusammen hier folgen:
Handel ölleanderen
Landwirtschaft. | Gewerbliche |
liche Berufe | Berufe und Verkehr ` Berufe
ee E DE BE
Januar ..... 16 | 96 37 | 58 |
‚ Februar..... 19 96 33 Ä 56
März u... 28 107 40 81 |
April....... ) 20 | 129 37 74 |
“Mai an: | 23 ! 145 48 | 92
Juni: sa oe 24 154 41 81
RT: VENEN | 30 146 | 41 85
August ..... | 19 150 24 | 74
| September .. | 19 | 148 | 40 | 70
Oktober .... 14 124 52 | 71
November... | 18 109 | 29 | 65
‚ Dezember... | 14 | 84 26 76
Für die Ausgliederung der Selbstmorde nach Wochentagen finden
sich in der sächsischen Selbstmordstatistik keinerlei Angaben; aber auch
für andere Ländergebiete liegen nur sehr spärliche und meist nur für
ältere Zeiten Ausweise vor, so daß diese Frage noch wenig geklärt ist.
Der Selbstmord nach Tageszeiten 23
Hinsichtlich der Unterscheidung nach Tageszeiten bringt das
„Statistische Jahrbuch“ für Sachsen einige Zahlen aus den beiden Jah-
ren 1908 und 1909:
1908 1909
männl. weibl. zus. männl. weibl. zus.
Früh 6 Uhr bis abends 6 Uhr: 526 168 694 590 181 771
Abends 6 Uhr bis früh 6 Uhr: 358 121 479 412 137 549
Stunde unbekannt: 218 75 293 161 40 201
Zusammen: 1102 364 1466 1163 358 1521
Diese Ausgliederung kann natürlich nicht genügen, da man die
Stunden nach 6 Uhr abends im Sommer noch nicht zur Nacht rechnen
kann. Es müssen die Ausweise möglichst für je einige Tagesstunden
im einzelnen gegeben werden. Dem steht aber wieder die groBe Schwie-
rigkeit gegenüber, daß sich sehr häufig die genaue Zeit der Entleibungs-
handlung nicht feststellen läßt. Aus den angeführten Zahlen ergibt sich,
daß der Selbstmord am Tage häufiger ist als in der Nacht. Nach Aus-
scheidung der unbekannten Fälle nehmen im Durchschnitt der beiden
Jahre 59,2°, der Männer und 58,1°, der Frauen sich in der Zeit von
6 Uhr früh bis 6 Uhr abends das Leben.
Aus den erwähnten Polizeiamtsanzeigen für die Stadt Leipzig ließ
sich bei 18,9°, der männlichen und bei 22,7°,, der weiblichen Selbst-
mörder die Zeit der Selbstmordhandlung nicht feststellen. Daß der Pro-
zentsatz der unbekannten Fälle beim weiblichen Geschlecht etwas höher
ist, erklärt sich z. T. daher, daß der Selbstmord durch Ertränken bei
den Frauen häufiger ist; und gerade bei dieser Todesart ist eine Zeit-
bestimmung meist nicht möglich.
Nach Ausscheidung der unbekannten Fälle blieben noch 1843 Selbst-
mordfälle von Männern und 635 von Frauen. Diese verteilen sich fol-
gendermaßen: |
männlich weiblich
Vormittags früh 6 Uhr bia 12 Uhr mittags) . . . 2... 30,0 33,2
Nachmittags (12 Uhr mittags bis 6 Uhr abends). . . . . . 25,8 24,6
Abends 6 Uhr abends bis 12 Uhr mitternachts). . . .. . 20,1 21,6
Nachts (12 Uhr mitternachts bis 6 Uhr früh) . ...... 24,1 20,6
Zusammen: 100,0 100,0
Also auch hier überwiegt bei beiden Geschlechtern die Zahl der
am Tage begangenen Selbstmorde: 55,8°/, bei den Männern und 57,8°,
bei den Frauen. Bei beiden Geschlechtern war der Selbstmord am häufig-
sten in den Vormittags- und Nachmittagsstunden; während aber bei den
Männern die Zahl der in der Nacht verübten Selbstmorde größer ist als
in den Abendstunden, ist es beim weiblichen Geschlecht umgekehrt.
Für weitere 1551 männliche und 497 weibliche Selbstmörder konnte
die Zeit der Begehung der Tat noch genauer festgestellt werden, wobei
allerdings die Nachtstunden von 12 Uhr mitternachts bis 6 Uhr früh
zusammengefaßt werden mußten. Demnach entleibten sıch
24 Siebentes Kapitel. Der Selbstmord in räumlicher Ausgliederung
ın den Stunden
yon 12 bis 6 Uhr vormittags
8
' 99 6 99 99 99
8 „10 e
10 ,, 12
12
Die höchste Zahl von Entleibungshandlungen fiel also beim männ-
lichen Geschlecht in die Zeit von 8 bis 10 Uhr vormittags und beim
weiblichen Geschlecht in die Zeit von 10 bis 12 Uhr mittags, die
niedrigste dagegen bei beiden Geschlechtern in die Zeit von 10 bis
12 Uhr abends.
Siebentes Kapitel.
Der Selbstmord in räumlicher Ausgliederung.
a) Der Selbstmord in den kleineren Verwaltungsbezirken:
Kreishauptmannschaften und Amtshauptmannschaften.
Wenn man die Entwicklung statistischer Ergebnisse für eine län-
gere Zeit betrachtet, dann machen sich vor allem zwei Momente störend
bemerkbar: das sind die Gebietsveränderungen in den politischen Ver-
waltungsbezirken und die Eingemeindungen, durch welche Großstädte
die umliegenden Vororte sich einverleiben.
Veränderungen der ersten Art kommen nun allerdings nicht so
häufig, wenigstens in ruhigeren Zeiten, vor, und man kann ihnen daher
meist Rechnung tragen, zumal auch in den amtlichen statistischen
Nachweisungen Rücksicht darauf genommen wird. Solche Veränderungen
haben für Sachsen seit 1817 nur ın den Jahren 1835, 1855, 1873 und
1900 stattgefunden. Für die Nachweise für das Königreich im ganzen
sind sie bedeutungslos, da dessen Umfang nur 1849 eine kleine Er-
weiterung erfahren hat. Angaben über die Zahl der Selbstmörder in
kleineren Verwaltungsbezirken liegen aber nur für die Jahre 1860—67
und 1890—1909 vor. — Am 1. Oktober 1900 wurde der bisherige Regie-
rungsbezirk Zwickau in die beiden Kreishauptmannschaften Chemnitz
und Zwickau geteilt. Da aber Zahl und Umfang der Amtshauptmann-
schaften, in welche jede Kreishauptmannschaft zerfällt, nicht wesent-
lich geändert wurden, so konnten diese auch für die Jahre vor 1900
entsprechend dem Umfang der Kreishauptmannschaften nach 1900 zu-
Der Selbstmord in den Kreishauptmannechaften 25
sammengestellt werden. Eine unmittelbare Vergleichung der Angaben
für 1860—67 und derjenigen für die neueste Zeit ist dagegen nicht
möglich.
Anders dagegen die Gebietsveränderungen der zweiten Art, die
Eingemeindungen der größeren Städte. Sie lassen sich nicht immer fest-
stellen und in ihren Wirkungen eliminieren. So mußten auch bei den
vorliegenden Untersuchungen die vielfachen Einverleibungen von Vor-
orten, wie sie im Lauf der letzten 20 Jahre allerorten vorgekommen
sind, unberücksichtigt bleiben. Sie machen sich häufig in den absoluten
Selbstmordzahlen bemerkbar, in den berechneten Selbstmordziffern da-
gegen weniger, da die Vorstädte schon lange vorher denselben groB-
städtischen Charakter tragen, wie die Großstädte selbst, und daher auch
in ihrer Selbstmordlichkeit kaum hinter diesen zurückbleiben, wenn sie
sie nicht noch gar übertreffen.
Das Material für die Untersuchung der Selbstmordhäufigkeit in den
Verwaltungsbezirken des Königreichs Sachsen ist für die neuere Zeit für
die Jahre 1901—05 der „Zeitschrift ete.“, Jahrgang 1907 und für 1906
bis 1909 dem „Stat. Jahrbuch“ entnommen. Für die Jahre 1892—1900
lieferten die „Medizinalstatistischen Mitteilungen des Kaiserl. Gesund-
heitsamtes“ die Angaben. Da in diesen „Mitteilungen“ einige Anstalten
und Städte gesonderte Medizinalbezirke bilden, mußten diese den ent-
sprechenden anderen Bezirken zugerechnet werden.
Bei der verhältnismäßig geringen räumlichen Ausdehnung des
Königreichs Sachsen wird man sehr große territoriale Verschiedenheiten
in der Selbstmordlichkeit, wie sie sich etwa unter den preußischen Pro-
vinzen Zeigen, von vornherein nicht erwarten. Zwar ist die Gesamtzahl
der Selbstmörder in den einzelnen Kreishauptmannschaften entsprechend
der Gesamtstärke der Einwohnerschaft sehr ungleich; die Selbstmord-
ziffern dagegen bewegen sich für die größeren Verwaltungsbezirke inner-
halb eines kleineren Spannrahmens (vgl. Tab. 15 und 16). In dem Jahr-
fünft 1905/09 betrug die höchste Zahl der Selbstmörder auf 1 Mill. der
Bewohnerschaft 354 in der Kreishauptmannschaft Dresden und die ge-
ringste 252 in der Kreishauptmannschaft Bautzen. Von 1892/95 bis
1905,09 läßt sich im ganzen in den Selbstmordziffern der Kreishaupt-
mannschaften eine geringe Zunahme erkennen; nur die Selbstmordziffer
der Kreishauptmannschaft Zwickau ist während dieser Zeit zurück-
gegangen. |
Die räumlichen Verschiedenheiten werden aber bedeutend größer,
wenn wir zu den kleineren Verwaltungsbezirken, den Amtshauptmann-
schaften hinabsteigen (Tab. 17 u. 18). Hier stehen 1905,09 den höchsten
Selbstmordziffern von 468,4 in der Amtshauptmannschaft Dresden-Neu-
stadt, 425,0 ın Grimma und 406,8 in Meißen die niedrigsten in den Amts
hauptmannschaften Bautzen (171,2) und Schwarzenberg (190,8) gegen-
über. Entsprechend der niedrigen Selbstmordziffer in der ganzen Kreis-
26 Siebentes Kapitel. Der Selbstmord in räumlicher Ausgliederung
hauptmannschaft Bautzen halten sich auch die Selbstmordziffern der
einzelnen Amtshauptmannschaften dieses Bezirks in niedrigen Grenzen:
nur in der Amtshauptmannschaft Zwickau kommen über 300 Selbst-
mörder auf 1 Mill. Lebender. Andererseits ist die Selbstmordlichkeit in
den Amtshauptmannschaften der Kreishauptmannschaften Dresden und
Leipzig durchweg hoch. Die Gestaltung der Selbstmordhäufigkeit von
1892/95 bis 1905,09 ist wie die des ganzen Landes schwankend; be-
sonders sprunghaft bewegt sie sich in der Amtshauptmannschaft Dip-
poldiswalde. Eine ausgesprochene Zunahme zeigen Annaberg, Freiberg
und Grimma, teilweise auch Löbau, Rochlitz und Plauen. Bemerkens-
wert ist auch, daß keineswegs die drei exempten Städte Dresden, Leip-
zig und Chemnitz die höchste Selbstmordlichkeit aufweisen.
Über die Verhältnisse der einzelnen Amtshauptmannschaften be-
lehrt uns das Kartogramm. Eine durchweg niedrige Selbstmordziffer
zeigen die erzgebirgischen Bezirke Annaberg, Schwarzenberg, Marien-
berg und Dippoldiswalde sowie die Bezirke des Lausitzer Hügellandes:
Kamenz, Bautzen und Löbau. In der Amtshauptmannschaft Zittau, die
ebenfalls noch zum Lausitzer Hügelland gehört, macht sich bereits der
Einfluß der hohen Selbstmordlichkeit des schlesischen Regierungsbezirkes
Liegnitz (vgl. Tab. 7) bemerkbar. Desgleichen erinnert die Selbstmord-
häufigkeit der Amtshauptmannschaften Borna, Glauchau und Plauen an
die hohen Selbstmordziffern der benachbarten thüringischen Kleinstaaten
(vgl. Tab. 7).
Die Selbstmörder sind nach dem Geschlecht getrennt für die bei-
den Jahre 1905 und 1906 ausgewiesen (vgl. Tab. 19). Darnach zeigt
sich bei den Männern die höchste Selbstmordziffer in den Arhtshaupt-
mannschaften Dresden-Neustadt (837,0), Meißen (689,6) und Plauen
(626,8). Während in den beiden ersten Bezirken die Selbstmordfrequenz
der Frauen ebenfalls hoch ist, tritt sie in der Amtshauptmannschaft
Plauen weniger hervor. Die höchste weibliche Selbstmordziffer weisen
die Amtshauptmannschaften Grimma (334,7), Großenhain (301,9) und
Kamenz (245,0) auf, die niedrigste Schwarzenberg (43,3) und Marien-
berg (60,1). Die Geschlechtsrelation der Selbstmörder in den einzelnen
Amtshauptmannschaften bewegt sich zwischen 60,3 (Grimma) und 15,3
(Marienberg). Die höchste Geschlechtsrelation findet sich also bei einer
hohen allgemeinen Selbstmordlichkeit und umgekehrt; auch ist in den
beiden selbstmordreichsten Kreishauptmannschaften Dresden und Leip-
zig die Geschlechtsrelation höher als in den übrigen. Doch finden sich
auch viele Abweichungen, so daß von einer konstanten Beziehung zwi-
schen der Höhe der Geschlechtsrelation und der allgemeinen Selbst-
mordintensität nicht gesprochen werden kann.
In Tab. 20 ist für die einzelnen Amtshauptmannschaften die Selbst-
mordziffer einigen anderen sozialen und natürlichen Tatsachen und Er-
scheinungen gegeniibergestellt. Wenn wir dabei von den drei großen
Der Selbstmord in den Amtshauptmannschaften 27
Städten absehen, so können wir, ohne auf alle Einzellieiten einzugehen,
den Gesamteindruck dahin zusammenfassen, daß eine konstante Über-
einstimmung zwischen der Selbstmordlichkeit einerseits und der rela-
tiven Zahl der Ehescheidungen, der unehelichen Geburten, der Verurteilten
und der in der Landwirtschaft hauptberuflich Erwerbstätigen anderer-
seits sich nicht erkennen läßt. Etwas mehr scheint eine größere Dichtig-
keit und geringere Höhenlage mit zunehmender Selbstmordlichkeit Hand
in Hand zu gehen; doch finden sich auch in dieser Hinsicht noch viele
Abweichungen. Die eine durchweg niedrige Selbstmordlichkeit zeigen-
den Amtshauptmannschaften Bautzen, Kamenz und Löbau gehören zum
hauptsächlichen Verbreitungsgebiet der Wenden.
An dieser Stelle möge auch an eine Hypothese erinnert werden,
die Rahts in den „Med.-stat. Mitteilungen“ aussprach!), daß nämlich
die Zahlen der Verunglückungen und Selbstmorde ein entgegengesetztes
Verhalten zeigten, woraus zu vermuten sei, daß in Gegenden mit nie-
drigen Selbstmordziffern statt des Selbstmordes häufig ein Unglücksfall
angegeben wird. Die in Tab. 21 für Sachsen beigebrachten Ausweise
lassen eine Bestätigung dieser Vermutung nicht erkennen. In allen Amts-
hauptmannschaften, mit Ausnahme von Marienberg, in denen die rela-
tive Zahl der Unglücksfälle hoch ist, ist auch die Zahl der Selbst-
morde hoch.
b) Der Selbstmord in Stadt und Land.
Die Unterscheidung von Stadt und Land hat in der statistischen
Literatur von jeher Berücksichtigung und hohe Beachtung gefunden.
Als feststehend hinsichtlich der Selbstmordlichkeit kann gelten, daß im
allgemeinen die Stadtbevölkerung eine höhere Selbstmordhäufigkeit auf-
weist als die Landbevölkerung. Für die ältere Zeit faßte Ad. Wagner’)
das Ergebnis seiner Untersuchungen dahin zusammen, daß „der Selbst-
mord in der Stadt regelmäßig häufiger ist als auf dem platten Lande,
und in den großen Weltstädten ... noch häufiger als in den kleineren
Städten.“ Neuerdings hat Rost?) darauf hingewiesen, daß die Selbst-
mordziffer abnimmt bei starker Bevölkerungszunahme, daß also mit der
Zunahme der Stadtgröße im allgemeinen die Zunahme der Selbstmord-
lichkeit nicht Hand in Hand geht.
Der Grund für die stärkere Beteiligung der Stadtbevölkerung am
Selbstmord wird in verschiedenen Momenten gesucht. Wagner“) macht
besonders auf den Einfluß der Verschiedenheiten zwischen den städti-
schen und ländlichen Berufsarten aufmerksam; Krose°) weist auf den
1) Rahts, Die Häufigkeit der Selbstmorde in den größeren Orten des Deut-
schen Reiches (Medizinalstat. Mitt. des K. Gesundheitsamtes 1895 LU, S. 175 ff.
2) Wagner, Gesetzmäßigkeit S. 274.
3) Rost, Der Selbstmord in den Städten (Allg. Stat. Archiv VI 2, 1904,
S. 1001) (nach G. v. Mayr a. a. O. S. 274).
4) Wagner a. a. O. S. 196. 5) Krose, Die Ursachen etc. S. 83.
98 Siebentes Kapitel. Der Selbstmord in räumlicher Ausgliederung
in dichter Bevölkerung verstärkten wirtschaftlichen Kampf hin, bei
dem der einzelne leichter unterliegt und ın den Tod getrieben wird;
G. v. Mayr’) auf die „weitgehende Differenzierung der Elemente der
Bevölkerung“, die mit den starken Menschenansammlungen in den Stiidten
und Großstädten sich verbindet.
Treten wir nun der Frage für das Königreich Sachsen näher. Da-
bei muß gleich im voraus bemerkt werden, daß bei dem gegenwärtigen
Stande der statistischen Ausweise über die Bevölkerungsanhäufung einer-
seits und die Selbstmördermasse nach ihrem Wohnsitz andererseits eine
erschöpfende Darlegung der Verhältnisse noch nicht gegeben werden
kann. Es können nur einige besonders typische Erscheinungen nach-
gewiesen werden, die zu weiteren Vermutungen anregen, die aber bei
der geringen zeitlichen Ausdehnung der Untersuchung und zumal für
ein verhältnismäßig kleines Gebiet, wie das Königreich Sachsen, nur mit
Vorsicht verallgemeinert werden dürfen.
Zunächst möge für die ältere Zeit eine kleine Übersicht folgen,
welche über einen Zeitraum von 17 Jahren sich erstreckt und die Selbst-
mordziffern, getrennt nach dem Geschlecht, für je dreijährige Perioden
anführt.?)
Zahl der Selbstmörder auf Auf100 ländliche Auf 100 männl.
1 Mill. Lebender: Selbstmörder Selbstmörder
Stadt Land kommen städt. kommen weibl.
männl. weibl. männl. weibl. männl. weibl. Stadt Land
Zeit: a b c d e f g h
1847—49 369 104 270. 80 137 130 28,2 29,6
1850— 52 433 105 327 74 132 142 24,2 22,6
1853— 55 512 137 858 79 143 173 26,7 22,0
1856—58 41i 130 358 95 115 137 81,5 26,5
1859—63 535 126 358 95 151 132 23,5 27,0
Was hier zunächst in die Augen fällt, das ist für die männliche
Selbstmördermasse nach dem für Stadt und Land gemeinsamen starken
Steigen von 1847—52 die Konstanz in der Höhe der Selbstmordziffer
der Landbevölkerung von 1853—63, während die der Stadtbevölkerung
in den Jahren 1856—58 von 512 auf 411 sinkt, um dann wieder auf
535 zu steigen. Die Entwicklung der weiblichen Selbstmordziffer ist
dabei der der männlichen durchaus nicht gleich geartet, mitunter sogar
entgegengesetzt. Im allgemeinen zeigt sie nicht so sprunghafte Be-
wegungen. Für beide Geschlechter tritt eine stärkere Beteiligung der
Stadtbevélkerung hervor, und zwar im allgemeinen bei den Frauen in
noch etwas höherem Maße. Dabei erweckt es für das weibliche Ge-
schlecht den Eindruck, als ob die Momente, welche die Selbstmordlich-
keit in den Städten bereits in den Jahren 1853—55 stark hoben, sich
auf dem Lande erst in den späteren Jahren 1856—58 bemerkbar mach-
ten, um dann hier bis zum Schluß der ganzen Periode, bis 1863, nach-
—
1) G. v. Mayr a. a. O. S. 275. 2) Nach Zeitschrift ete. 1864, S. 155.
Der Selbstmord in Stadt und Land 29
zuwirken, während in der städtischen Selbstmordlichkeit der Frauen
sich nach dem Höchststande 1853—55 ein Rückgang zeigt. Für das
männliche Geschlecht auf dem Lande läßt sich ähnliches zeigen, nur ist
die männliche Bevölkerung für die selbstmordfördernden Einflüsse emp-
fänglicher und paßt sich schneller der städtischen Bewegung an; viel-
leicht, weil der Mann durch seinen Beruf, seine Interessen und durch
seinen militärischen Dienst dem städtischen Leben näher steht als die
Frau. Die nachhaltige Wirkung des Einflusses ist aber beiden Geschlech-
tern wieder gemeinsam. Es ergibt sich also aus dieser kurzen Übersicht,
daß die Selbstmordlichkeit in den Städten weit größer ist als auf dem
Lande, sowie daß die Selbstmordziffern auf dem Lande eine größere
Gleichförmigkeit und Zähigkeit der Bewegung zeigen, während sie in
den Städten oft sprunghaft wechseln; und endlich, daB die Beteiligung
des weiblichen Geschlechts gegenüber dem männlichen in den Städten
größer ist als auf dem Lunde,
Eine Bestätigung der ausgesprochenen Vermutung, daß eine er-
höhte Selbstmordlichkeit in den Städten eine solche auf dem Lande im
Gefolge habe, kann auch in den absoluten Zahlen für die Jahre 1858—67
gefunden werden:
Selbstmorde im Königreich Sachsen’)
im Jahre in den Städten in den Dörfern | im Jahre in den Städten in den Dörfern
1858 199 292 1863 288
1859 223 257 1864 206 295
1860 231 294 ` 1865 289 297
1861 273 346 | 1866 282 386
1862 248 272 ` 1867 294 413
Während die Zahl der Selbstmorde in den Städten von 1858—61 fort-
dauernd steigt, erleidet die ländliche Selbstmordhäufigkeit von 1858—59
einen Rückgang von 292 auf 257, um erst in den beiden folgenden Jahren
in eine starke Aufwärtsbewegung von 294 auf 346 Selbstmordfälle ein-
zutreten. Auch im Jahre 1864 sinkt die Zahl der Selbstmorde in den
Städten von 288 auf 206, um dann 1865 wieder auf 289 zu steigen,
während sie auf dem Lande 1863 nur um 27 fällt, um erst im über-
nächsten Jahre eine Steigerung entsprechend der städtischen Bewegung
im Jahre 1865 zu zeigen.
DaB die absolute Zahl der Selbstmorde in den Städten rascher
steigt als auf dem Lande, zeigt folgende Zusammenstellung’):
Es betrug die Zahl der Selbstmörder 1847/58 1858/67
in den Städten. ........ 2354 2533
auf dem Lande ........ 3143 3174
Zusammen 5497 5707
- Doch kann dies ebensowohl in einer stärkeren Zunahme der städtischen
Bevölkerung, als in einer Zunahme der städtischen Selbstmordhäufigkeit
1) Nach Zeitschrift etc. 1870, S. 148. 2) Nach Zeitschrift etc. ebenda.
30 Siebentes Kapitel. Der Selbstmord in räumlicher Ausgliederung
seinen Grund haben. Noch eine kleine Tabelle aus dieser Zeit sei an-
geführt, die zeigt, welchen prozentualen Anteil der Tod durch Selbst-
mord am Bevölkerungsabgang durch den Tod überhaupt hatte:
Unter 100 Todesfällen waren solche durch Selbstmord!)
in den Städten auf dem Lande
Zeit männl. weibl. zusammen männl. weibl. zusammen
1847—49 1,14 0,35 0,74 1,90 0,30 0,60
1850—52 1,32 0,35 0,85 1,09 0,29 0,71
1853—56 1,63 0,48 1,08 1,22 0,31 0,78
1856—58 1,27 0,43 0,86 1,19 0,35 0.78
1859—61 1,57 0,42 1,02 1,31 0,35 0,85
Hier tritt besonders hervor, wie die Bedeutung des Selbstmordes als
Todesursache bei der männlichen Bevölkerung in den Städten über-
ragt; auch hier zeigen sich die Schwankungen in den Städten stärker
als auf dem Lande.
Die Tab. 22 endlich umfaßt zwar nur zwei je vierjährige Perioden,
1860—63 und 1864—67, unterscheidet aber dafür mehr räumliche Ein-
zelheiten und sondert von den Städten überhaupt noch die drei großen
des Königreichs besonders ab. Bezüglich des zeitlichen Fortganges zeigt
sich zunächst, daß überall nur die ländliche Selbstmordzifter zugenom-
men hat, während die städtische zurückgegangen ist; nur der Regie-
rungsbezirk Zwickau zeigt genau das umgekehrte Verhältnis. Dieser
Entwicklung der allgemeinen Selbstmordlichkeit entspricht die der
Männer, während das weibliche Geschlecht sich oft abweichend verhält.
In beiden Perioden weisen die drei großen Städte eine höhere
Selbstmordfrequenz auf als die übrigen Städte; die Selbstmordziffer des
platten Landes bleibt hinter der der Städte zurück. Dabei nähern sich
für das männliche Geschlecht in der zweiten Periode die Selbstmord-
ziffern der Städte und des platten Landes, der Unterschied zwischen
beiden verkleinert sich, eine Folge der erwähnten Zunahme auf dem
Lande und Abnahme in den Städten. Das weibliche Geschlecht weicht
insofern ab, als statt dieser Annäherung eine weitere kleine Entfernung
zwischen den Selbstmordziffern in Stadt und Land eintritt und außer-
dem im Gegensatz zum männlichen Geschlecht die Selbstmordziffer der
kleinen Städte diejenige der großen überragt. Diese Verhältnisse er-
leiden jedoch z. T. eine bedeutende Verschiebung, wenn man die einzelnen
Regierungsbezirke ins Auge faßt. Doch würde es zu weit führen, auf
alle Einzelheiten einzugehen, zumal diese Zahlen zeitlich soweit zurück-
liegen, daß sie heute kein großes Interesse mehr beanspruchen können.
Für die neuere Zeit entnehmen wir zunächst Tab. 23 dem „Sta-
tistischen Jahrbuch“. Auch hier sind wieder die großen Städte in ihrer
Bewegung den kleineren und dem platten Lande stets etwas voraus.
Und ferner zeigt, ebenso wie nach den älteren Ausweisen, auch hier die
1) Nach Zeitschrift etc. 1870, S. 148.
Der Selbstmord in Stadt und Land 31
Bewegung der Selbstmordhäufigkeit der Frauen, besonders auf dem
Lande, eine größere Gleichmäßigkeit als die der Männer. Dies beweist
wieder, daB das weibliche Geschlecht den veränderten Einflüssen nicht
so leicht und so rasch zugänglich ist, wie das männliche. Die bei weitem
höchste Weiberbeteiligung zeigen auch hier wieder die Großstädte; be-
merkenswert ist aber, daB die Weiberbeteiligung auf dem Lande und
in den kleinen Städten im allgemeinen etwas größer ist, als in den
Mittelstädten, wie dies auch der Durchschnitt der Jahre 1903—09 zeigt.
Faßt man die Groß- und Mittelstädte zusammen, so ergibt sich für sie
ein Anteil der weiblichen Selbstmörder von 32,8 auf 100 männliche
gegenüber 31,4 im übrigen Lande.
G. v. Mayr gibt in seinem erwähnten Werke die bereinigte Ge-
schlechtsrelation für das Königreich Sachsen in den Jahren 1859—63
und 1903—07 wieder’):
Es kamen auf 100 männliche Selbstmörder weibliche
1859—63 1903—07
in den Großstädten (die drei bzw. für 1903—07 die fünf
größten Städte) . . . 2 22 2 Er ern ne 20,8 31,94
in den kleineren Städten. . . . 2 2 2 2 2 2 2 en. 25,7 27,27
in allen Städten zusammen. .......2.2.2.2.2.. 24,2 30,6
im übrigen Lande. . e. o 2 2 2 2 2 2 een. 28,4 29,8
Die älteren Nachweise bieten ein anderes Bild als die neueren; hier
übertrifft die Weiberbeteiligung der kleineren Städte die der großen
und die des platten Landes. Dies legt die Vermutung nahe, daß in der
Neuzeit eine völlig anders gestaltete Entwicklung Platz gegriffen hat,
wie sie auch G. v. Mayr ausspricht.
Über den Grad der Selbstmordhäufigkeit, abgestuft nach der Größe
der Städte, gibt zunächst folgende Tabelle Auskunft, in welcher die Zahl
der Selbstmordfälle der Jahre 1908 und 09 auf das Ergebnis der Volks-
zählung von 1905 bezogen ist. Die so gewonnenen Selbstmordziffern
entsprechen zwar nicht genau der Wirklichkeit, lassen aber immerhin
die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Gruppen von Menschen-
anhäufungen erkennen.
Es betrug die Zahl der Selbstmörder
1908 1909
in den männl. weibl. zus. männl. weibl. zus.
1. Städten mit über 50000 E. 374 138 512 897 128 525
ST Ze 25—50000 ,, 38 13 51 3 18 71
a H 8—25000 , 99 31 130 107 38 145
de y 5 unter 8000 ,, 81 23 104 93 36 129
5. Landgemeinden mit über 8000 ,, 40 4 44 36 8 44
6. = „ . unter 8000 „ 470 155 625 477 130 607
7. Im ganzen Königreich . .... . 1102 364 1466 1163 368 1525
2) G. v. Mayr, a. a. O. S. 304.
32 Siebentes Kapitel. Der Selbstmord in räumlicher Ausgliederung
Die Selbstmordziffer auf 1 Mill. Lebender betrug im Durchschnitt
a) . in den Städten mit über 50000 Einw. 360,2
| 25—50000 ,, 325,7
8—25000 „ 370,7
unter 8000 `, 316,4
Landgemeinden mit über 8000 „ 316,3
„ Unter 8000 „,
. im ganzen Königreich Sé ar a au 333,7
Die höchste Selbstmordziffer zeigt nicht die erste aa der Städte
mit mehr als 50000 Einwohnern, sondern die dritte Gruppe mit 8000
bis 25000 Einwohnern. Die geringe absolute Zahl von 44 Selbstmord-
fällen (1908) der fünften Gruppe gegenüber den 625 Selbstmordfällen der
sechsten Gruppe zeigt, daB die Landgemeinden mit mehr als 8000 Ein-
wohnern keine bemerkenswerte Rolle spielen. Man kann mithin die
4.—6. Gruppe zusammenfassen als „plattes Land“ im Gegensatz zur
Stadt. Allerdings darf den Selbstmordziffern keine zu große Bedeutung
beigemessen werden, da sie ungenau sind und sich zudem nur auf zwei
Jahre beziehen. Aber bei dem sehr dürftigen Material, das in dieser Hin-
sicht vorliegt, muß jeder Ausweis soviel wie möglich verwertet werden.
Die folgende Übersicht umfaßt die drei Jahre 1903—05. Es be-
trug die Zahl der Selbstmörder
29 39
SE
b) 1903 —05
durchschn. auf 1 Mill.
in den 1903 1904 1905 jährlich Lebender
1. Städten mit über 50000 Einw. 436 437 496 456,3 848
2. S » 20—50000 ` 93 84 72 83 378
3. „ 8—20000 „ 96 102 114 104 333
4. im übrigen Lande. .... 779 764 801 781,3 311
5. im ganzen Reich . . .... 1404 1387 1483 1424,6 327
Hier zeigt die zweite Gruppe, welche die Städte mit 20—50000 Ein-
wohnern umfaßt, ein anderes Verhalten, indem ihre Selbstmordziffer
die der ersten Gruppe weit übersteigt; dagegen bleibt die Selbstmord-
ziffer der dritten Gruppe von Städten mit 8— 20000 Einwohnern etwas
hinter der der ersten Gruppe zurück.
Diese Vergleichung beider Übersichten legt schon die Vermutung
nahe, daß sich irgendwo noch ein bedeutsamer Unterschied finden muß.
Diese Vermutung wird bestätigt durch die folgende Zusammenstellung
die sich auf die Jahre 1901—05 bezieht:
c)
; 1901—1905
E Ce eg 1901 1902 1903 1904 1905 durchschn. auf 1 Mill.
Jährlich Lebender
1. Stiidten mit mehr als
100000 Einw. 432 426 388 394 338 411,6 354
2 ,, ,60-100000 „ 47 53 48 43 68 51,8 341
3.» y 25-50000 , 52 59 73 61 56 60,2 350
4. „16-2500 , 66 78 58 72 656 65,8 386
5. übrigen Stiidt.u.Landgem. 787 790 849 822 975 827,0 293
6. im Königreich EEE 1384 1406 1416 1392 1482 1416,4 325
Der Selbstmord in den Städten 33
Es sind die Städte von 16—25000 Einwohnern, die in der Übersicht a)
S. 32 oben die dritte Gruppe und in der Übersicht b) S. 32 die zweite
Gruppe von verhältnismäßig hoher Selbstmordlichkeit ergeben hatten.
Das Bemerkenswerteste ist, daB in dieser Gruppe noch die Selbstmord-
lichkeit der ersten und zweiten Gruppe übertroffen wird. Die erste
Gruppe der vorhergehenden Zusammenstellungen ist noch einmal zer-
legt in die eigentlichen Großstädte mit mehr als 100000 Einwohnern
und die Städte von 50— 100000 Einwohnern; es zeigt sich, daß die Städte
von 25—50000 Einwohnern noch diejenigen mit 50—100000 Einwoh-
nern hinsichtlich der Selbstmordfrequenz übertreffen. Wir haben also
das bemerkenswerte Resultat zu verzeichnen, daß in Sachsen die höchste
Selbstmordlichkeit nicht bei den eigentlichen Großstädten,
wie man erwarten sollte und wie auch A. Wagner annahm, sondern
bei den Städten von etwa 16—25000 Einwohnern zu finden ist.
Dies wird bestätigt, wenn wir die Selbstmordziffern der einzelnen
Städte in den letzten Jahren ins Auge fassen (vgl. Tab. 24 25). Für die
Periode 1890—92 und 1901—05 ist die Selbstmordhäufigkeit für die
Städte mit jeweils mehr als 15000 Einwohnern ausgewiesen. Wir stellen
zunächst in Tab. 26 die Städte für jede Periode einmal in der Reihen-
folge ihrer Bevölkerungszahl und dann in der ihrer Selbstmordziffer
zusammen. Schon in der ersten ausgewiesenen Periode sind die Gegen-
sätze ziemlich groß: die vier großen Städte Leipzig, Dresden, Chemnitz,
Plauen stehen hinsichtlich ihrer Selbstmordfrequenz an 4. bzw. an 5.,
8. und 10. Stelle; Glauchau, der Größe nach an 8. Stelle, steht der
Selbstmordziffer nach an 1.; Crimmitschau rückt von der 12. an die
3. Stelle. Diese Gegensätze werden noch bedeutend in der zweiten
Periode verschärft, da hier sechs Städte mit nunmehr ebenfalls über
15000 Einwohnern hinzugekommen sind. Jetzt muß Leipzig gar mit
Meerane, das hinsichtlich der Bevölkerung an 12. Stelle steht, bezüglich
der Selbstmordfrequenz seinen Platz tauschen, und Dresden, Chemnitz,
Plauen und Zwickau rücken an die 10. bzw. 16., 14., 15. Stelle hinab.
Die Gegensätze sind etwas ausgeglichen in der dritten Periode, da diese
nur für die Städte mit mehr als 25000 Einwohnern Ausweise enthält
und gerade diejenigen fehien, die für die vorliegende Betrachtung am
wichtigsten sind.
In Tab. 25 weist 1901—05 Meerane mit seinen 24000 Einwohnern
die höchste Selbstmordziffer auf. Eine Selbstmordziffer von 4—500
weisen dann die fünf Städte mit 16000, 18000, 23000, 25000 und
30000 Einwohnern auf, und erst dann folgen die fünf größten Städte
von mehr als 50000 Einwohnern mit einer Selbstmordziffer, die sich
zwischen 300 und 400 bewegt.
Im Anschluß daran sei noch ein Blick auf die besondere Selbst-
mordlichkeit in deu beiden großen Städten Dresden und Leipzig ge-
worfen. Die Angaben sind aus den stadtamtlichen Veröffentlichungen
Kürten: Statistik des Selbstmordes. 3
34 Siebentes Kapitel. Der Selbstmord in räumlicher Angliederung
genommen und weichen oft um ein geringes von denen der landesamt-
lichen Mitteilungen ab. Man gewiunt aus Tab. 27/28 den Eindruck, daß
eine jede Stadt hinsichtlich der Gestaltung der Selbstmordlichkeit ihre
eigenen Wege geht, sowohl was die Selbstmordlichkeit im ganzen, als
die der beiden Geschlechter im einzelnen betrifft. Auch mit der Ent-
wicklung der Selbstmordhäufigkeit im ganzen Königreich geht die der
Städte nicht Hand in Hand. Eine Vergleichung ist übrigens durch die
erwähnten Einverleibungen sehr erschwert; auch sind die Nachrichten
nicht vollständig genug. Tab. 29 stellt für die Städte Dresden, Leipzig
und Chemnitz die Zunahme der Bevölkerung der Zunahme der Zahl
der Selbstmordfälle gegenüber. Setzt man für jede Stadt sowohl die
Zahl der Einwohner als auch die Zahl der Selbstmordfälle 1871—75
= 100, so erkennt man, daß während der folgenden 30 Jahre die Selbst-
mordhäufigkeit in allen drei Städten stärker zugenommen hat, als die
Einwohnerschaft. Die Bevölkerung stieg am meisten in der Stadt Leipzig,
die Zahl der Selbstmorde aber in der Stadt Chemnitz; dabei ist in der
Stadt Chemnitz die Selbstmordziffer stets geringer gewesen als in den
beiden anderen Städten.
Man hat versucht, die Schuld an der gesteigerten Selbstmordlich-
keit der Städte den Stadtfremden zu geben, die in die Städte reisen,
um sich dort das Leben zu nehmen. In der Stadt Dresden waren
unter den Selbstmördern Stadtfremde: 1896: 14,5 %,, 1897: 20,6 %,
1898: 17,8 %, 1899: 22,4 %,. Der Anteil der Stadtfremden war hier
also sehr groß. Bedeutend kleiner war dagegen nach den Polizei-
amtsanzeigen in der Stadt Leipzig während der Jahre 1890—1910 die
Zahl der Selbstmörder, die ihren Wohnsitz nicht in Leipzig hatten,
nämlich 11,0%, der Männer und 7,2°, der Frauen. Anders dagegen,
wenn man die Selbstmörder nach der Gebürtigkeit unterscheidet. Da-
bei ergab sich, daß in der angegebenen Zeit 75,7%, der Männer und
78,03%, der Frauen nicht in Leipzig geboren waren. Nach der Volks-
zählung von 1900 waren außerhalb Leipzigs geboren 57,17 °% der Männer
und 54,88 ° der Frauen. Unter den Selbstmördern ist also der Prozent-
satz der Nichtortsgebürtigen bedeutend größer als unter der Gesamt-
einwohnerschaft. Es scheinen also weniger die zugereisten Selbstmörder
zu sein, welche die Selbstmordziffer der Städte erhöhen, als vielmehr
solche Fremde, die sich bereits kürzere oder längere Zeit in der Stadt
aufgehalten hatten. Es bliebe in dieser Hinsicht festzustellen, seit wie
langer Zeit sich diese Selbstmörder in der Stadt aufhielten bzw. ihren
Wohnsitz hatten und von wo sie zugezogen waren, ob aus einer anderen
GroB-, Mittel- oder Kleinstadt oder vom Lande. Die Lebensbedingungen
in der Stadt und insbesondere in der Großstadt sind grundverschieden von
denen des Landes, und es ist wohl anzunehmen, daß die Landbewohner,
welche in die Städte übergesiedelt sind, den veränderten Verhältnissen
und den selbstmorüfördernden Einflüssen der Stadt leichter unterliegen
Der Selbstmord in der Umgebung der Städte 35
als die stadtgeborene Bevölkerung. Dies gilt besonders von den Frauen,
und wir werden Gelegenheit haben, im folgenden bei der Betrachtung
der Selbstmordfrequenz der Dienstboten hierauf zurückzukommen.
c) Der Einfluß der Städte aufdie umliegenden Gebiete hin-
sichtlich der Selbstmordhiufigkeit.
Wir sahen, daß von jeher in den Städten sich eine größere Selbst-
mordhäufigkeit vorfand als auf dem Lande. Sucht man nach den Ur-
sachen für diese Erscheinung, so fragt es sich zunächst, ob diese ge-
steigerte Selbstmordneigung mit lokalen Verhältnissen verknüpft ist
und sich somit nur innerhalb der Grenzen des Stadtgebietes zeigt, oder
ob hier Einwirkungen und Einflüsse mitspielen, die sich zwar zunächst
aus der gedrängten Menschenansammlung in den Städten ergeben, aber
doch so geschaffen sind, daß sich ihnen auch diejenigen nicht entziehen
können, die nur zeitweise und weniger stark mit den Städten und
städtischen Verhältnissen in Berührung kommen, d. h. die Landbewohner
der näheren und entfernteren Umgebung der Städte.
A. Wagner’) fand aus den älteren Zahlen, daß „die großen Städte,
namentlich die Weltstädte, häufig einen eigentlichen Einfluß über ihre
eigene Bewohnerschaft hinaus auf die Landbevölkerung der benach-
barten Distrikte ausüben, so daß die Unterschiede der Selbstmordfrequenz
unter den Großstädtern und Landbewohnern in ihrer Provinz geringer,
aber die Frequenz des ganzen Bezirkes höher wird“. Wenn es feststeht,
daß die Städte einen Einfluß auf die Selbstmordhäufigkeit des umliegen-
den Gebietes ausüben, so kann sich dieser in zweifacher Weise zeigen:
entweder ziehen die Städte aus der Umgegend alle diejenigen Elemente
an sich, die am leichtesten zum Selbstmord neigen. Dann müßte die
Selbstmordlichkeit der Städte sehr groß erscheinen auf Kosten des um-
liegenden platten Landes. Oder aber die Selbstmordneigung der Städte
teilt sich den Landbewohnern mit, und die Selbstmordfrequenz des zu-
nächst liegenden ländlichen Gebietes ist größer als die des weiter ent-
fernt liegenden. Dies genau festzustellen, ist mit dem vorliegenden
Material nicht möglich, denn die kleinsten Verwaltungsbezirke, für
welche Ausweise gegeben sind, die Amtshauptmannschaften, sind an Aus-
dehnung und Bevölkerungszahl sehr verschieden. Nun ist aber klar, daß
jeder Einfluß einer Stadt auf das benachbarte Land mit wachsender Ent-
fernung vom Mittelpunkt abnehmen muß; und ferner, daß eine solche
Einwirkung in einer dichter wohnenden ländlichen Bevölkerung sich
ganz anders gestalten muß, als in einer verstreut wohnenden. Es müßten
also um jede Stadt als Mittelpunkt konzentrische Ringe gebildet und
innerhalb der einzelnen Ringe die Selbstmordfrequenz bestimmt werden,
um eine etwa vorhandene und mit der Entfernung abnehmende Ein-
wirkung der Städte konstatieren zu können.
1) Wagner, Gesetzmäßigkeit etc., S. 201.
Eh
36 Siebentes Kapitel. Der Selbstmord in räumlicher Angliederung
Wir stellen nun zunächst für jede Kreishauptmannschaft die Amts-
hauptmannschaften, in denen größere Städte gelegen sind, den übrigen
Amtshauptmannschaften gegenüber.
Es betrug die Selbstmordziffer
1. in den Amtshauptmannschaften, in denen größere Stüdte gelegen sind:
1892—95 1896—1900 1901—05 1905—08
in der Kreishauptmannschaft Bautzen 255 231 240 243
ek? ® Chemnitz 234 273 306 313
Re x Dresden 344 341 363 351
de. es S Leipzig 334 331 336 337
WER s Zwickau 304 265 304 287
im Königreich .......... 316 315 327 323
2. in den Amtshauptmannschaften, in denen größere Städte nicht gelegen sind:
in der Kreishauptmannschaft Bautzen 236 217 278 279
e nas e Chemnitz 226 209 300 269
reer ie Dresden 366 365 390 349
Sr ung e Leipzig 295 407 852 355
Re Zwickau 295 328 276 292
im Königreich .......... 280 317 315 305
Während also im Durchschnitt des ganzen Landes im allgemeinen die
Selbstmordziffer der Amtshauptmannschaften mit größeren Städten höher
ist als die der übrigen, ist für die Kreishauptmannschaften Dresden und
Leipzig und in neuerer Zeit auch Bautzen das Umgekehrte der Fall.
Doch ist zu beachten, daB die Selbstmordziffer für einen Bezirk nicht
nur von dem Verhältnis der ländlichen und städtischen Selbstmord-
häufigkeit abhängt, sondern auch von dem Verhältnis der städtischen
und ländlichen Einwohnerzahl. Es sei daher für die Jahre 1901—05
für die Amtshauptmannschaften, in denen Städte mit mehr als 15000
Einwohnern vorkommen, die Selbstmordziffer unter Ausschluß dieser
Städte, also für die ländliche Bevölkerung allein berechnet. Dies ergibt
folgende Selbstmordlichkeit:
in der Kreishauptmannschaft Bautzen . . . . 150
e ay 2 Chemnitz . . . 263
n n ” Dresden E 333
n v ” Leipzig Scion en, SOLE
EE 3 Zwickau. . . . 292
Man sieht, daß diese Selbstmordziffern mit Ausnahme der der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau weit hinter denen der übrigen Amtshaupt-
mannschaften zurückbleiben. Mithin ist also die Selbstmordlichkeit der
ländlichen Bevölkerung in Bezirken mit größeren Städten geringer als
in den Bezirken ohne solche Städte, d. h. in den Städten häufen sich
die Selbstmordfälle auf Kosten des benachbarten ländlichen Gebietes.
Der Unterschied zwischen der ländlichen und der städtischen Selbst-
mordlichkeit gestaltet sich zunächst für die Kreishauptmannschaften
folgendermaßen:
Achten Kapitel. Der Selbstmord nach dem Alter der Selbstmörder 37
Es betrug die Selbstmordziffer auf 1 Million Lebender (1901—05)
Kreishauptmann- Städten mit über Kreishauptmannschaft Kreishauptmann-
schaft 15000 Einw. ohne die Städte schaft überhaupt
Bautzen . . . 330 242 256
Chemnitz . . 361 274 305
Dresden... 394 359 367
Leipzig ... 851 329 339
Zwickau. .. 321 286 299
Die größte Differenz zwischen den beiden Selbstmordziffern der Kreis-
hauptmannschaften ohne die Städte und der Städte allein findet sich in
den Kreishauptmannschaften Bautzen und Chemnitz, die geringste bei
Leipzig. Trennt man die Amtshauptmannschaften von den von ihnen
jeweilig umschlossenen Städten, wie es in Tab. 30 geschehen ist, so
wird das Bild mannigfaltiger. Wir bemerken dann sogar vier Fälle, in
denen die städtische Selbstmordlichkeit hinter der ländlichen zurück-
bleibt. Die aufgestellte Regel, daß die städtische Selbstmordlichkeit die
ländliche in ihrer nächsten Umgebung herabdrückt und übertrifft, gilt
also nicht ausnahmslos und noch viel weniger stets in gleichem Maße.
Bei einigen Amtshauptmannschaften konnten die entsprechenden Zahlen
für die Jahre 1905—08 angegeben werden. Diese scheinen auf eine
stärkere Beteiligung der ländlichen Bevölkerung an der allgemeinen
Selbstmordlichkeit in dieser Zeit hinzuweisen, da deren Selbstmordziffer
die der Städte mit Ausnahme von Zittau in allen Fällen übertrifft. Die
städtischen Selbstmordziffern sind durchweg gesunken und die länd-
lichen gestiegen.
Achtes Kapitel.
Der Selbstmord nach dem Alter der Selbstmörder.
Ebenso wie sich eine durchgreifende Verschiedenheit der Selbst-
mordhäufigkeit für die beiden Geschlechter ergab, läßt sich eine solche
auch für die verschiedenen Lebensalter erwarten. Die Bedeutung der
Unterscheidung der Selbstmörder nach verschiedenen Altersklassen hat
auch die Selbstmordstatistik im Königreich Sachsen stets erkannt und
ihr insofern Rechnung getragen, als sie für eine lange Reihe von Jahren
die Selbstmörder getrennt nach Geschlecht und Alter ausgewiesen hat.
Allerdings ist die Ausgliederung dabei nicht immer nach gleichen Alters-
klassen erfolgt und, was schlimmer ist, nicht in gleicher Abgrenzung
wie bei den Ergebnissen der Volkszählungen, so daß einer zeitlichen
Vergleichung der Selbstmordlichkeit nach dem Alter und einer Inbe-
ziehungsetzung der Selbstmörder und der Gesamtbevölkerung vielfache
Schwierigkeiten entgegenstehen.
Tab. 31 faBt zunächst fiir die Jahre 1901—09 die Selbstmörder
beider Geschlechter zusammen und gibt gleichzeitig die Gliederungs-
38 Achtes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Alter der Selbstmörder
zahlen, berechnet auf jährlich 1000 Selbstmörder. Der Gesamteindruck,
der aus dieser Tabelle gewonnen wird, ist folgender: rasches Anwachsen
der Zahl der jährlichen Selbstmörder vom jugendlichsten bis zum Alter
von 20—30 Jahren; in den folgenden Lebensjahren ein langsameres
Steigen der Zahlen bis zum 60. Jahre und dann wieder rasches Zurück-
gehen. Die meisten Selbstmörder gehören den Altersklassen vom 20.
bis zum 60. Lebensjahre an, und unter diesen wieder stehen die 50- bis
60 jährigen obenan. Ungefähr gleich viel Selbstmörder finden sich im
frühesten Alter bis zu 15 Jahren und im höchsten über 80 Jahre.
Diese Zahlen reden eine sehr deutliche Sprache, wenn man sich
gleichzeitig den Altersaufbau der Gesamtbevölkerung vor Augen hält:
in der gesamten Bevölkerungsmasse eine fast stetige Abnahme in der
Besetzung der Altersklassen, in der Selbstmördermasse eine Zunahme
bis zum 60. Lebensjahre und erst dann eine Abnahme. In der Gesamt-
bevölkerung ist die Zahl der unter löjührigen etwa 90mal so groß, wie
die der über 80 Jahre alten Personen; unter den Selbstmördern sind
die unter 15 und die über 80 Jahre alten ungefähr gleich stark ver-
treten. Nach der Volkszählung von 1905 gehörten den Altersklassen
vom 20. bis 70. Lebensjahre 55,66 °, der Gesamtheit an, demgegenüber
nehmen diese Altersklassen 1901—09 mit 82,84°,, an der gesamten
Selbstmördermasse teil. Die 50—60jahrigen stellten zur Gesamtbevölke-
rung 7,31%, zur Gesamtzahl der Selbstmörder 19,42 %,. Diese Bemer-
kungen mögen hier genügen, um die außerordentliche Verschiedenheit
der Teilnahme am Selbstmord in den einzelnen Lebensaltern und ins-
besondere die steigende Selbstmordhiiufigkeit mit zunehmendem Alter
erkennen zu lassen.
G. v. Mayr stellt nach den von Krose gesammelten Gliederungs-
zahlen für verschiedene Länder den Anteil der über 50 Jahre alten
Personen zusammen.’) Das Ergebnis ist ein sehr verschiedenes; am
niedrigsten ist der Prozentsatz der über SOjihrigen in England und
Wales (1889—93) mit 31,9%, am höchsten in Norwegen (1887—90)
mit 68,0%. „Die höheren Altersklassen, vom 50. Lebensjahre ab“, sagt
G. v. Mayr, „sind hiernach, international betrachtet, zu mindestens mit
Io in starkem Maße zu °/,, und vereinzelt, insbesondere in Frankreich
und den skandinavischen Ländern, sogar mit !/, bis über */, an der Ge-
sanıtmasse der Selbstmörder beteiligt“. Für das Königreich Sachsen,
das unter den Ländern nicht angeführt ist, stellt sich der Prozentsatz
der über 50 Jahre alten Personen 1872—89 auf 38,9%, beim männ-
lichen und auf 33,0 °% beim weiblichen Geschlecht. Der Anteil der alten
Personen ist also im Vergleich zu dem anderer Länder in Sachsen nicht
übermäßig hoch.
Die bereits früher festgestellten großen Unterschiede, die beide
2) G. v. Mayr, a. a. O. 310.
Altersgliederung der Selbstmörder 39
Geschlechter hinsichtlich ihrer Beteiligung am Selbstmord zeigen, lassen
es notwendig erscheinen, auch die Altersgliederung der Selbstmörder
nach dem Geschlecht getrennt durchzuführen. Tab. 32 gibt die dies-
bezüglichen Ausweise für die Jahre 1848—67 zusammen und für die
Zeit von 1869—89 und 1906—-09 für jedes Jahr. Die entsprechenden
Gliederungszahlen sind in Tab. 33 berechnet. Hier tritt uns sofort ein
großer Unterschied zwischen beiden Geschlechtern entgegen: während
das Maximum der Zahl der Selbstmörder bei den Männern sich gleich-
mäßig auf die beiden Altersgruppen von 40—50 und 50—60 Jahren
verteilt, schwankt es bei den Frauen in den einzelnen Jahren zwischen
den Altersgruppen von 14—50 Jahren. Am häufigsten fällt es beim
weiblichen Geschlecht auf die Altersklasse von 21—30 Jahren. Daraus
ergibt sich wieder die Forderung einer möglichst weitgehenden Diffe-
renzierung statistischer Massen, denn das in Tab. 31 konstatierte Maxi-
mum der Zahl der Selbstmörder für die Altersklasse von 40—50 und
50—60 Jahren ist nur auf die überwiegende Zahl der Männer zurück-
zuführen. Das weibliche Geschlecht zeigt, wie so oft, auch hier ein ab-
weichendes Verhalten.
Für die Jahre 1390—1900 gibt die amtliche Statistik keine Aus-
kunft über das Alter der Selbstmörder. Zur Ergänzung seien den „Me-
dizinalstat. Mitteilungen“ die Zahlen der Tab. 34 entnommen, die be-
sonders deutlich erkennen lassen, wie die Zahl der Selbstmörder im
Alter von mehr als 60 Jahren im Laufe der Zeit zugenommen hat.
Darauf wiesen auch bereits die Zahlen der Tab. 32,33 hin, nach welchen
besonders die Zahl der männlichen Selbstmörder im Alter von 60 bis
80 Jahren auf Kosten der 21—30jährigen zunahm.
Die Gliederungszahlen, wie sie im bisherigen gegeben wurden,
lassen nun zwar die Morphologie der Selbstmördermasse nach dem Alter
erkennen, geben aber keinen Einblick in die Beteiligung der verschie-
denen Altersklassen am Selbstmord im Vergleich zu ihrer Gesamtbe-
setzung, welche nach Ort und Zeit sehr verschiedenartig sein kann.
Dies ist nur möglich durch Berechnung von Beziehungszahlen zwischen
der Zahl der Selbstmörder und der Gesamtheit der Personen der ein-
zelnen Altersklassen. Die Berechnung solcher Selbstmordziffern der
einzelnen Altersgruppen ist aber, wie bereits erwähnt, für die sächsische
Selbstmordstatistik dadurch erschwert, daß die Selbstmördermasse und
die Bevölkerungsmasse hinsichtlich der Altersgliederung nicht homogen
behandelt ist. Während für die Selbstmörder Altersklassen bis zu 14,
14—21, 21—30 Jahren gebildet wurden, ist die Bevölkerung des
Landes im Alter von unter 15, 15—20, 20—30 Jahren ausgewiesen.
Zur Untersuchung der Selbstmordfrequenz der Jugendlichen müssen
daher zwei Übersichten herangezogen werden, welche G. v. Mayr
privaten Mitteilungen verdankt und in dem mehrfach erwähnten Werke
wiedergibt.
40 Achtes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Alter der Selbstmörder
Nach der ersten Übersicht betrug die Zahl der Selvstmörder im
Königreich Sachsen auf 1 Million Lebender?):
Altersklassen 1892—1902 1903—07 ! Altersklassen 1892—1902 1903 —07
10—15 Jahre 40 39 50—60 Jahre 764 875
15—20 ,, 288 264 60—70 ,, 820 859
20—30 ,, 308 312 ` 70—80 , 862 932
80—40 ,, 353 325 über 80 „ 981 1298
40—50 , 568 575 Ä
Daraus ergibt sich ein Wachsen der Selbstmordziffer mit zunehmendem
Alter und vor allem in der zweiten ausgewiesenen Periode gegenüber
der ersten ein Rückgang der Selbstmordlichkeit der jüngeren Alters-
klassen bis zum 40. Jahre und eine Zunahme in den höheren Alters-
klassen. Gegenüber anderen Ländern ist die Selbstmordlichkeit in Sachsen
in allen Lebensaltern höher.
Die zweite Übersicht G. v. Mayrs ist mit anderen für die Zwischen-
zeit berechneten Selbstmordziffern in Tab. 35 wiedergegeben. Die Zu-
nahme der Selbstmordlichkeit mit zunehmendem Alter ist hiernach
beiden Geschlechtern gemeinsam, ebenso wie die Zunahme in zeitlicher
Entwicklung besonders in den jüngsten und älteren Altersklassen. Der
Hochstand der allgemeinen Selbstmordlichkeit in den Jahren 1878—82
prägt sich besonders in den einzelnen Altersklassen des männlichen Ge-
schlechtes aus, weniger bei den Frauen. Deutlich ist auch die anhaltend
starke Zunahme der Beteiligung des weiblichen Geschlechtes, besonders
in der neueren Zeit erkennbar. Im Verhältnis der Selbstmordlichkeit
der einzelnen Jahresklassen zueinander treten einige charakteristische
Erscheinungen der weiblichen Selbstmordlichkeit hervor, so die beson-
ders hohe Selbstmordziffer für die 14—21 Jahre und die 40—50 Jahre
alten Frauen. Es sind also besonders die Übergangszeiten zur Geschlechts-
reife und zum Alter, welche das weibliche Geschlecht für den Selbst-
mord besonders disponiert erscheinen lassen. Von Interesse ist auch
die Gestaltung des Geschlechtsverhältnisses der Selbstmörder in den
einzelnen Altersklassen, wie es in Tab. 35c berechnet ist: eine in den
Jüngeren Altersklassen besonders hohe, mit zunehmendem Alter geringer
werdende Beteiligung des weiblichen Geschlechtes gegenüber dem männ-
lichen.
Bisher haben wir die Altersgliederung der Selbstmördermasse für
das Königreich Sachsen im ganzen betrachtet. Zur Untersuchung räum-
licher Verschiedenheiten ist nur wenig Material vorhanden. Tab. 36,
die, wie auch die folgende, den „Medizinalstat. Mitteilungen“ entnommen
ist, weist die Selbstmörder in den Kreishauptmannschaften aus in drei
Altersgruppen: unter 15, 15—60 und über 60 Jahre. Die jugendlichen
und alten Personen weisen die höchste Selbstmordzitfer in der Kreis-
hauptmannschaft Leipzig auf, die Jugendlichen außerdem im letzten
1) G. v. Mayr, a. a. O. S. 312.
Selbstmordhäufigkeit der Altersklassen 41
Jahrfünft noch in den Kreishauptmannschaften Dresden und Zwickau.
In der Kreishauptmannschaft Bautzen ist entsprechend der geringen all-
gemeinen Selbstmordlichkeit auch die Selbstmordziffer der drei Alters-
klassen niedriger als in den übrigen Bezirken. Die nächste Tab. 37
weist zwar eine etwas weiter gehende Altersgliederung auf, und trennt
außerdem die Selbstmörder nach dem Geschlecht, sie bezieht sich aber
leider nur auf due beiden Jahre 1905 und 1906, was den Wert der
Zahlen wieder sehr beeinträchtigt. Auf diese Kleinzahl der Beobach-
tungen mögen auch die meisten Eigentümlichkeiten zurückzuführen sein,
die sich hier zeigen; so z. B. die hohe weibliche Selbstmordziffer im
Alter von 30—60 Jahren in der Kreishauptmannschaft Bautzen oder
die hohe Zahl der Mädchen auf 100 Knaben unter 15 Jahren in der
Kreishauptmannschaft Dresden.
Auch die Untersuchung der Altersverhältnisse in den verschiedenen
Zentren der Bevölkerungsanhäufung läßt eine Bereicherung unserer
Kenntnisse von den Bedingungen der Selbstmordhäufigkeit erhoffen.
Doch ist auch hier eine Ausgliederung nach Altersklassen um so mehr
erschwert, als, wie wir bereits sahen, die Erfassung der gesamten Selbst-
mördermasse nach Agglomerationsverbältnissen nur erst ganz unvoll-
kommen durchgeführt werden kann. Nur für die beiden großen Städte
Dresden und Leipzig konnten einige Altersausweise beigebracht und
den Ergebnissen für das ganze Königreich gegenübergestellt werden.
Tab. 38 gibt zunächst die absoluten Zahlen für einige Perioden sowie
die entsprechenden Gliederungszahlen. Störend wirkt auch hier der Um-
stand, daß für die einzelnen Beobachtungsgebiete die Altersklassen nicht
dieselben sind. Immerhin läßt sich das eine mit Bestimmtheit erkennen,
daß in den beiden Städten die Personen in jüngerem Lebensalter unter
den Selbstmördern beiderlei Geschlechts weit mehr vertreten sind, als
im Durchschnitt des ganzen Landes, während umgekehrt die höheren
Altersklassen in den Städten weniger beteiligt sind. Von je 100 Selbst-
mördern standen im Alter von unter 30 Jahren
männlich weiblich
in der Stadt Dresden ` . .. . 34,7 43,1
Sait ges „ Leipzig (1872—90) . 36,8 56,1
e Je, ei » (1881—1908) 32,8 46,7
ie e i „ (1872—1908) 34,8 49,8
im Königreich ......... 24,9 36,4
In den Städten standen also ungefähr !/, aller männlichen und die
Hälfte aller weiblichen Selbstmörder in einem Alter von weniger als
30 Jahren.
Die Selbstmordziffern in Tab. 39 lassen eine besonders hohe Selbst-
mordlichkeit der Frauen im Alter von 20—25 und von 50—55 Jahren
erkennen. In fast allen Altersklassen ist die Selbstmordlichkeit in der
Stadt Leipzig höher als in der Stadt Dresden. (Wir sahen, daß sich in
4? Achtes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Alter der Selbstmörder
der neueren Zeit wenigstens für die allgemeine Selbstmordlichkeit das
Verhältnis umgekehrt hat.) Eine Vergleichung der Selbstmordziffern
der Städte mit denen des ganzen Landes läßt wieder ersehen, wie die
Selbstmordlichkeit in den Städten bei den Männern bis zum 60. Jahre,
bei den Frauen bis zum 40. Jahre höher ist als im ganzen Lande, in
den späteren Altersklassen dagegen niedriger (Tab. 40). Nur unter den
ganz jugendlichen Personen scheint, soweit sich das aus dieser Tabelle
entnehmen läßt, der Selbstmord im Durchschnitt des ganzen Landes
häufiger zu sein als in der Stadt Dresden. Auch der Höhepunkt der
weiblichen Selbstmordlichkeit im Alter von 20—30 und von 50 bis
60 Jahren in den Städten — genauer, wie wir sahen, im Alter von
20—25 und von 50—55 Jahren — tritt im Durchschnitt des ganzen
Landes nicht so hervor. Durch die Feststellung einer erhöhten städti-
schen Selbstmordlichkeit in allen Altersklassen wird auch die An-
nahme unhaltbar, daß die erhöhte allgemeine Selbstmordlichkeit der
Städte eine Folge der vorhandenen stärkeren Besetzung derjenigen Alters-
klassen in der Stadtbevölkerung sei, die am meisten zum Selbstmord
neigen.
Einen weiteren Einblick in die Beziehungen des Alters zur Selbst-
mordhäufigkeit kann man dadurch gewinnen, daß man die Altersgliede-
rung mit den verschiedenartigen anderen persönlichen und sachlichen
Verhältnissen der Selbstmörder zusammenfassend vergleicht. Insbe-
sondere ist dabei die Kombination von Alter und Familienstand wichtig,
auf die wir im folgenden Kapitel zu sprechen kommen. Hier soll nur
noch eine Verbindung des Alters der Selbstmörder in der Stadt Leipzig
mit der Wahl der Todesart in Tab. 41 beigebracht werden. Man sieht,
wie am Selbstmord durch Erschießen beı beiden Geschlechtern vorwie-
gend die jüngeren Altersklassen teilnehmen. Von den Frauen, die sich
durch eine Kugel das Leben nahmen, standen nur 2,8%% im Alter von
über 50 Jahren. Das gleiche Bild wiederholt sich bei der Todesart des
Vergiftens sowie für die Frauen auch bei der des Ertrinkens. Beim
Selbstmord durch Erhängen herrschen dagegen die höheren Alters-
klassen entschieden vor. Während also die Alterscliederung der Selbst-
mörder, die sich durch Erschießen, Vergiften und Ertränken das Leben
nahmen, der Altersgliederung der Gesamtzahl der Selbstmörder in Tab. 38
Spalte e ähnlich ist, weicht die der sich Erhängenden wesentlich von
der allgemeinen Gestaltung ab. Für die übrigen Todesarten ergab sich
eine zu geringe Zahl von Fällen, als daß man irgendwelche Regelmäßig-
keiten daraus hätte erkennen können. Des weiteren wird auf die Be-
ziehungen zwischen Todesart und Alter der Selbstmörder im Kapitel 12
über die Technik des Selbstmords zurückzukommen sein.
Zum Schluß dieses Abschnittes sei noch der Selbstmörder in kind-
lichem Lebensalter gedacht. „Sind für den Statistiker auf der einen
Seite die Großzahlen der Selbstmorde Erreger besonderen Interesses“,
Kinderselbstmorde 43
sagt G. v. Mayr’), „so gilt das gleiche nicht minder von den Klein-
zahlen der Abnormität des Kinderselbstmordes“. Für die Abgrenzung
des kindlichen Lebensalters läßt sich eine bestimmte Norm nicht auf-
stellen. Neuerdings faßt man allgemein die ersten 15 Jahre als die
Jahre der Kindheit zusammen. In der sächsischen Selbstmordstatistik
sind bis zum Jahre 1905 die kindlichen Selbstmorde im Alter von unter
14 Jahren ausgewiesen; erst von 1906 ab ist das 15. Lebensjahr als
Grenze angenommen. Doch ist dabei das Alter jedes einzelnen Selbst-
mörders unter 15 Jahren besonders ausgewiesen, so daß ın Tab. 3 die
Zahl der Selbstmörder unter 14 Jahren sich bis 1909 fortführen ließ.
Im ganzen nahmen sich in der Zeit von 1847—1909 386 Knaben
und 121 Mädchen unter 14 Jahren das Leben. Es kamen auf 100 Kna-
ben 31,35 Mädchen, während unter den Selbstmördern im ganzen 27,4
Frauen auf 100 Männer entfielen. Unter den jugendlichen Selbstmör-
dern ist also die Zahl der weiblichen im Verhältnis zu der der männ-
lichen größer als im allgemeinen. Dies ergibt sich auch aus der Selbst-
mordziffer in Tab. 35; hier beläuft sich die Geschlechtsrelation 1903 —07
auf 50,2, dagegen 1847—58 nur auf 25°,,. Sie ist also inzwischen auf
das Doppelte gestiegen. Im Durchschnitt der Jahre 1847—58 zählte
man 2,7 männliche und 0,6 weibliche jugendliche Selbstmörder; im
Durchschnitt der Jahre 1900—09 waren es 8,1 männliche und 3,6 weib-
liche. Die Zahl der männlichen Selbstmörder unter 14 Jahren hat sich
also inzwischen verdreifacht, die der weiblichen dagegen versechsfacht.
Seit 1906 ist, wie schon erwähnt, im „Stat. Jahrbuch“ das Alter
der jugendlichen Selbstmörder im einzelnen nachgewiesen. Es verübten
demnach in den vier Jahren 1906—09 Selbstmord im Alter von
Jahren. .... 9 10 11 12 13 14
Knaben .... 1 3 4 15 11 23
Mädchen. ... 1 1 2 8 4 13
Die meisten Selbstmörder standen demnach bei beiden Geschlechtern
im Alter von 12 und 14 Jahren. Bei 78 von Siegert?) gesammelten
Selbstmordfällen im Alter von unter 16 Jahren standen die meisten
Knaben im Alter von 11 und 12 Jahren, die meisten Mädchen im Alter
von 11 und 14 Jahren.
Bei der Fortsetzung der Einzelausweise der Selbstmörder in jugend-
lichem Lebensalter im Königreich Sachsen wird sich in einer Reihe von
Jahren bedeutsames Material aufsammeln. Es sei noch auf eine Bemer-
kung in der amtlichen sächsischen Selbstmordstatistik hingewiesen.?)
„Bei vier jugendlichen Selbstmördern“ (des Jahres 1907), heißt es da,
„deren Beweggrund zur Entleibung unbekannt blieb, war aus den Poli-
zeianzeigen zu ersehen, daB in demselben Ort bzw. Ortsteil vor nicht
1) G. v. Mayr, a. a. O. S. 317.
2) G. Siegert, Das Problem der Kinderselbstmorde, Leipzig 1893.
3) Stat. Jahrbuch für das Königreich Sachsen 1909.
44 Achtes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Alter der Selbstmörder
langer Zeit ein Selbstmord einer erwachsenen Person unter ganz ähn-
lichen Umständen (z.B. in demselben Teich usw.) vorgekommen
war“. Es ist somit nicht ausgeschlossen, daß in einzelnen Fällen das
Beispiel Erwachsener auf jugendliche Personen anreizend wirkt, beson-
ders wenn ein derartiges Vorkommnis bei erwachsenen Selbstmördern
in allen Einzelheiten in den Tageszeitungen geschildert und womöglich
noch mit einem gewissen Nimbus des Geheimnisvollen und Tragischen
umgeben wird.
Aus den Anzeigen über Selbstmordfälle in der Stadt Leipzig fand
ich während der Jahre 1890—1910 28 männliche und 9 weibliche
Selbstmörder unter 15 Jahren; und zwar standen im Alter von
10—11 1-12 12-13 13—14 14—15 Jahren
H 1 6 6 15 Knaben
2 _ = 2 5 Mädchen
Unter den Knaben befanden sich 10 Lehrlinge und 2 Arbeitsburschen
im Alter über 14 Jahren; 11 Schulknaben, darunter auch der 11jährige,
4 Besucher einer höheren Schule und 1 Seminarist. Von den Mädchen
waren 5 Dienstmädchen und 4 Schulmädchen. Unter den Knaben waren
2 (d.i. 7,10%) von unehelicher Geburt, in drei Fällen war die Mutter
verstorben. Unter den angegebenen Gründen steht die Furcht vor Strafe
obenan, vor allem bei den Knaben; in neun Fällen war sie Veranlassung
zum Selbstmord nnd wahrscheinlich wirkte sie auch in zwei weiteren
Fällen noch mit. Es ist aber nicht immer allein die Furcht vor Schul-
strafen oder Züchtigungen durch die Eltern, sondern nicht selten auch
wegen begangener geringfügiger Vergehen, Unredlichkeiten, Diebstahls,
in einem Falle die Furcht vor den Folgen einer unzüchtigen Handlung
an einem Kinde. Auf die hohe Selbstmordbeteiligung der Lehrlinge
und Dienstmädchen, die beide vorwiegend den jüngeren Altersklassen
angehören, kommen wir in dem Abschnitt über den Beruf der Selbst-
mörder zurück.
Für die Jahre 1908 und 09 sind die über 15 Jahre alten Selbst-
mörder in den sechs großen Städten des Königreiches, Dresden, Leipzig,
Chemnitz, Bautzen, Plauen und Zwickau, gesondert ausgewiesen. Es er-
gibt sich, wenn man auf die Ergebnisse der Volkszählung von 1905
zurückgeht, für die unter 15 Jahre alten Personen eine Selbstmord-
ziffer von
männlich weiblich
in den 6 großen Städten... . . 23,5 1,5
im übrigen Königreich. . ... . 7,6 2,8
Während also in den Städten die Selbstmordlichkeit der Knaben unter
15 Jahren größer ist als auf dem Lande, gilt für die Mädchen das Um-
gekehrte. Auch für die verschiedenen Ortsgrößenklassen sind die Selbst-
mörder im kindlichen Lebensalter ausgewiesen; leider ließ sich die Zahl
der Kinder in der Gesamtbevölkerung nicht ermitteln, so daß Selbst-
Neuntes Kapitel. Der Selbstmord nach den Familienverhältnissen 45
mordziffern nicht berechnet werden konnten. Es betrug in den beiden
Jahren 1908 und 1909 die Zahl der
Selbstmörder unter 15 Jahren
absolut in Proz. d Erwachsenen
in Städten mit über 50000 Einw.. . . 10 3 1,3 1,1
we ae „25-5000 , ... 1— 11 =
Se „ 8—25000 „ ... 5 3 25 4,5
a e » unter 8000 „ ... 4 1 2,4 1,7
» Landgemeinden „ über 8000 „ ... 1— 1,3 —
A S „ unter 8000 , ... 17 8 18 2,9
Demnach sind unter der Gesamtzahl der Selbstniörder die Knaben am
meisten in den Städten mit bis 25000 Einwohnern, die Mädchen am
meisten in den Städten mit 8—25000 und in den Landgemeinden mit
unter 8000 Einwohnern vertreten.
Neuntes Kapitel.
Der Selbstmord nach den Familienverhältnissen
der Selbstmörder.
In diesem Kapitel soll die Gesamtheit der Familienverhält-
nisse der Selbstmörder, soweit sie statistisch erfaBbar oder erfaßt sind,
zur Sprache kommen. Für gewöhnlich begnügt sich die amtliche Sta-
tistik damit, das Verhältnis der Selbstmörder zur Institution der Ehe
mitzuteilen, also ob sie ledig, verheiratet, verwitwet oder geschieden
sind. Dieses Moment ist ja nun wohl das wichtigste, aber doch nicht
das allein wichtige. Zunächst ist von großer Bedeutung die Herkunft
des Selbstmörders, d h. ob von ehelicher oder unehelicher Geburt. Die
Unterscheidung der Ehelichen und Unehelichen, die in anderen Zweigen
der Statistik, z. B. in der Kriminalstatistik, schon seit langem sehr
sorgfältig durchgeführt wird, ist in der Selbstmordstatistik bisher ganz
vernachlässigt worden. In der Stadt Leipzig fand ich während der Jahre
1890—1910 im ganzen 118 Selbstmörder unehelicher Geburt, d. i. 3,8%,
aller Selbstmörder. Ob aber die Zahl der unehelichen Selbstmörder
wirklich nicht größer ist, erscheint mir zweifelhaft, da bei einer sehr
großen Zahl von Fällen die Eltern unbekannt blieben und unter diesen
gewiß noch mehr unehelich Geborene sich befanden. Es dürfte sich
empfehlen, in dem Anzeigeformular die Frage nach der Ehelichkeit oder
Unehelichkeit der Geburt ausdrücklich einzufügen.
Weiterhin wäre wünschenswert, besonders für die jugendlichen
Selbstmörder, festzustellen, ob die Eltern beide oder nur der Vater oder
die Mutter noch lebten, sowie ob der Selbstmörder in seiner Familie
lebte oder nicht. Die Angaben der älteren sächsischen Statistik über
die Angehörigen genügen nicht, da nicht zu ersehen ist, um welche Art
von Angehörigen es sich handelt. Weniger für die Erkenntnis der
46 Neuntes Kapitel. Der Selbstmord nach den Familienverhältnissen
Ursachen als der sozialen Bedeutung des Selbstmordes wichtig ist die
Angabe der hinterlassenen Kinder, deren Zahl und Alter. Die sächsische
Selbstmordstatistik teilt die Zahl der von den Ledigen, Verheirateten
usw. hinterlassenen Kinder mit; es ist aber nicht dasselbe, ob in einer
kinderreichen Familie der Vater oder die Mutter Selbstmord begeht.
Auf alle diese und ähnliche Fragen gibt die heutige amtliche Selbtmord-
statistik noch keine oder keine befriedigende Antwort.
Am tiefsten eingreifend in das Leben des einzelnen wirkt die
Institution der Ehe mit ihren Begleit- und Folgeerscheinungen. Sie
gibt dem menschlichen Leben eine andere Richtung und einen neuen
Inhalt. Bisher nur ein einzelner ın einer nur lose zusammenhängenden
Gesamtheit, wird der Mensch jetzt zu einem wichtigsten Teil in einem
kleinen und kleinsten Kreise. Aus der großen Masse kann er sich fort-
stehlen, ohne daß sein Verschwinden viel bemerkt wird; die Familie
aber wird durch seinen Tod auseinandergerissen. Mit der Familie ist
der einzelne durch soviel Bande verknüpft, daB es schon ganz besondere
Gründe sein müssen, die ihn alle Verantwortung und alle Pflicht ver-
gessen und den Tod suchen lassen. So ist denn auch die Erfassung des
Familienstandes der Selbstmörder stets ein wichtiger Bestandteil der
.Selbstmordstatistik gewesen; die Ausweise wurden aber, auch in der
sächsischen Statistik, in der Weise gegeben, daß die Selbstmörder nach
dem Familienstande getrennt verzeichnet sind. Es ließ sich mit Hilfe
dieser Angaben dann feststellen, wie stark die einzelnen Familienstands-
gruppen unter einer bestimmten Zahl von Selbstmördern, etwa 100,
vertreten waren, sowie die Selbstmordziffern der einzelnen Familien-
standsgruppen. Beide Berechnungsarten zeigen aber den großen Mangel,
daß die mit dem Alter zusammenhängende große Abstufung der Selbst-
mordhäufigkeit nicht berücksichtigt werden kann. Zu den Ledigen
werden auch alle jugendlichen Personen gerechnet, während der Selbst-
mord im Alter von unter 15 Jahren verhältnismäßig selten und auch
im Alter von 15—20 Jahren noch nicht sehr häufig ist. Will man also
den Einfluß erkennen, den der Familienstand auf die Selbstmordneigung
ausübt, so muß man vor allem jene jugendlichen Personen ausscheiden.
Am besten ist es, wenn man Bevölkerung sowohl wie Selbstmörder nach
fünf- oder zehnjährigen Altersperioden ausgliedert und miteinander in
Beziehung bringt. Dies ist auch bedeutsam für die Verwitweten; denn
da die Auflösung der Ehe durch den Tod meist erst in höherem Lebens-
alter eintritt, zugleich aber die Selbstmordneigung mit zunehmendem
Alter bedeutend wächst, so ist die Mehrzahl der verwitweten Personen
schon unabhängig von diesem ihrem Familienstande einer größeren
Selbstmordgefahr ausgesetzt. Um diesen Einfluß des Alters zu eli-
minieren, ist es wieder notwendig, die Verwitweten den Ledigen und
Verheirateten des gleichen Alters gegenüberzustellen. Leider ist aber
diese Ausscheidung der Selbstmörder nach Familienstand und Alter,
Selbstmord und Ehe 47
obwohl schon von A. Wagner 1864 dringend befiirwortet'), bis in die
neueste Zeit hinein in den amtlichen Veröffentlichungen vergebens zu
suchen, und erst 1910 konnte G. v. Mayr reichhaltigeres Material
bieten, das aber noch zum großen Teil auf privaten Mitteilungen be-
ruht. Die sächsische Statistik hat erstmals 1908 und 1909 einen dies-
bezüglichen Versuch gemacht, der aber nicht befriedigen kann, da nur
fünf Altersperioden unterschieden sind, und zwar bis zu 15, 15—30,
30—60, 60—80 und über 80 Jahren. Dadurch werden die bedeutsam-
sten Unterschiede verwischt.
Tab. 42 gibt nun zunächst die absoluten Zahlen der Selbstmörder
jedes Jahres nach ihrem Familienstand seit 1868. Beim männlichen
Geschlecht ist die Zahl der verheirateten Selbstmörder stets bei weitem
am größten, dann folgen die Ledigen, die Verwitweten und mit geringen
Zahlen die Geschiedenen. Beim weiblichen Geschlecht finden sich aber
durchweg nur wenig Verheiratete mehr als Ledige, in manchen Jahren
ist sogar die Zahl der Ledigen um eine Kleinigkeit größer. Auch hier
ist die Zahl der Geschiedenen in jedem Jahre nur verschwindend klein.
Die zeitliche Entwicklung gestaltet sich kurz folgendermaßen: Es be-
gingen jährlich Selbstmord im Durchschnitt der Jahre
1869 — 1873 1903—1907
Manner Frauen Manner Frauen
hedipe 2.4. 2 PAR AS 177,6 60,6 295,0 124,4
Verheiratete. . . 2. 2 2 2 2 22 2. 274,0 52,6 586,4 145,0
Verwitwete............. 66,8 22,2 137,6 65,4
Geschiedene. ............ 6,2 1,2 13,4 5,0
Das bedeutet eine Zunahme von:
bei den Männern Frauen bei den Männern Frauen
Ledigen ...... 66,1°, 145,8°, Verwitweten. . . . 106,0°, 194,6%
Verheirateten. . . . 114,0°, 175,6°, Geschiedenen. . . . 116,1%, 316,7°,
Dagegen hat nach der Volkszählung von 1905 gegenüber der
Zählung von 1871 zugenommen um:
die Zahl der Männer Frauen: die Zahl der Männer Frauen
Ledigen ...... 68,3%, 71,4%, Verwitweten . . . . 89,0%, 76,3°,
Verheirateten. . . . 87,6%, 89,2°,,Geschiedenen. . . . 104,5%, 134,8%,
Die Zusammensetzung der Selbstmérdermasse nach dem Familien-
stande laBt sich aus den in Tab. 43 berechneten Gliederungszahlen er-
kennen. Uber die Hälfte der männlichen Selbstmörder war verheiratet,
während nur ca. 29%, der Selbstmörder ledig und ca. 13%, verwitwet
waren. Beim weiblichen Geschlecht überwiegt die Teilnahme der Ver-
heirateten gegenüber den Ledigen weniger; 1898—1908 waren ca. 42%,
der weiblichen Selbstmörder verheiratet und ca. 36% ledig. Wie wir
im vorhergehenden Kapitel sahen, gehört die Mehrzahl der männlichen
Selbstmörder den mittleren Altersklassen an; in diesem Alter sind aber
1) A. Wagner, Gesetzmäßigkeit etc. 8.171 ff.
48 Neuntes Kapitel. Der Selbstmord nach den Familienverhiltnissen
die meisten Männer verheiratet. Infolgedessen erscheint der prozentuale
Anteil der verheirateten Männer gegenüber den Ledigen größer. Um-
gekehrt ist es bei den Frauen; hier fällt das Maximum der Beteiligung
am Selbstmord in die jüngeren Jahre, in welchen die Frauen noch über-
wiegend ledig sind. Die zeitliche Gestaltung der Morphologie der Selbst-
mördermasse zeigt bei den Männern eine Zunahme des Anteils der Ver-
heirateten und Verwitweten auf Kosten der Ledigen, bei den Frauen
nur eine geringe Zunahme bei den Verwitweten und Geschiedenen.
In Tab. 44 sind dann die Selbstmordziffern für jede Familienstands-
gruppe berechnet. Das Ergebnis einer Volkszählung ist mit der Zahl
der Selbstmörder in den jeweilig fünf benachbarten Jahren in Beziehung
gesetzt. Die Unzulänglichkeit des Materials tritt uns sofort entgegen,
wenn wir die Ziffern der ledigen und verheirateten Selbstmörder mit-
einander vergleichen. Die der Ledigen ist offenbar viel zu klein, und
es läßt sich nicht erkennen, ob die Ehe einen Schutz gegen den Selbst-
mord ausübt oder nicht. Eine ganz außerordentlich hohe Selbstmord-
ziffer weisen bei beiden Geschlechtern die Verwitweten und Geschiedenen
auf. Während absolut weniger verwitwete Männer als Frauen Selbst-
mord begingen, ist die Selbstmordziffer der verwitweten Männer be-
deutend größer als die der Frauen.
Die zeitliche Gestaltung der Selbstmordziffer läßt erkennen, wie die
Selbstmordlichkeit der einzelnen Familienstandsgruppen, entsprechend
ihrer Teilnahme an dem Aufbau der Selbstmördermasse, mehr oder
weniger stark die Bewegung der allgemeinen Selbstmordlichkeit wider-
spiegelt. Die in Tab. 44 berechneten Beziehungszahlen zwischen beiden
Geschlechtern lassen eine starke, nur einmal unterbrochene Steigerung
des Anteils der weiblichen Ledigen erkennen. Wie aus den Selbstmord-
ziffern hervorgeht, ist die männliche Selbstmordziffer der Ledigen nur
unmerklich gestiegen. Die stets wachsende Teilnahme besonders der
ledigen Frauen am Erwerbsleben läßt ihre Schattenseiten hier deutlich
sichtbar werden. Geringer, besonders in der letzten Zeit, ist der An-
teil der weiblichen Selbstmörder gegenüber dem der männlichen unter
den Verheirateten; im Durchschnitt kommen etwa 20 weibliche Selbst-
mörder auf 100 männliche; nur im letzten Jahrfünft sind es 24,6. Noch
geringer ist die Geschlechtsrelation bei den Verwitweten.
Wenn wir die aus den Jahren 1908 und 1909 vorliegenden Nach-
weise über Familienstand und Alter zu den Ergebnissen der Volks-
zählung von 1905 in Beziehung setzen (Tab. 45), so erkennt man, wie
sehr die Selbstmordziffer der Ledigen durch die Zahl der jugendlichen
Personen beeinflußt wird und sich nicht mit den Selbstmordziffern der
übrigen Familienstandsgruppen vergleichen läßt. Die niedrigsten Selbst-
mordziffern weisen bei beiden Geschlechtern durchweg die Verheirateten
auf, während die Selbstmordhäufigkeit der Geschiedenen meist am
größten ist, wobei sich allerdings die Kleinheit der Beobachtungszahlen
Familienstand und Alter 49
von Einfluß zeigen mag. Das starke Anschwellen der Selbstmordfrequenz
mit zunehmendem Alter tritt bei allen Familienstandsgruppen deutlich
hervor. Eine detailliertere Altersgliederung würde in dieser Hinsicht
doch vielleicht weitere Besonderheiten erkennen lassen, wie sich aus
den von G. v. Mayr in seiner Sozialstatistik beigebrachten Nachweisen
für Schweden und die Schweiz!) zeigt.
Was uns die sächsische Selbstmordstatistik über den Einfluß der
Ehe auf die Selbstmordneigung lehrt, ist im Grunde nur wenig. Die
Familienstandsstatistik harrt noch eines weiteren Ausbaues, und zwar
nicht nur für Sachsen. Immerhin scheint sich das Eine mit Sicherheit
zu ergeben, daß der Ehe eine bedeutende selbstmordbeschränkende
Wirkung zugeschrieben werden muß. Die überall hohe Selbstmordlich-
keit der Geschiedenen deutet darauf hin, daß die Ehescheidungen trotz
ihrer stets wachsenden Zahl doch etwas dem sittlichen Empfinden noch
Ungewohntes sind und einen lästigen, bedrückenden Stachel hinter-
lassen. Im übrigen läßt sich nicht entscheiden, ob der Selbstmord als
Folgeerscheinung der Ehescheidung anzusehen ist oder dieselben Um-
stände, die zuerst zur Scheidung der Ehe geführt haben, nachher auch
den einen Ehegatten in den Tod treiben. Auch wäre zu untersuchen,
ob etwa derjenige Ehegatte Selbstmord begangen hat, der die Scheidung
der Ehe herbeigeführt hat oder der andere.
Für die Untersuchung der anderweitigen Familienverhältnisse der
Selbstinörder bringt die sächsische Statistik nur wenig Unterlagen. Für
die ältere Zeit liegen einige summarische Ausweise über die Selbst-
mörder mit und ohne Angehörige vor (vgl. Tab. 46). Es zeigt sich, daß
durchweg der Anteil der Selbstmörder, die Angehörige hinterlassen,
größer ist, sowie daß dieser Anteil in den ausgewiesenen Jahren um
einiges gestiegen ist. Weiter sind in Tab. 47 die Selbstmörder nach
dem Familienstande unterschieden; hinsichtlich der Zusammensetzung
der Selbstmördermasse ergibt sich, daß die Verheirateten mit Ange-
hörigen und die Ledigen ohne solche, also die ganz alleinstehenden
Personen, am meisten vertreten sind, und zwar beim männlichen Ge-
schlecht noch mehr als beim weiblichen. Bei alledem empfindet man es
als einen großen Mangel, daB man nicht weiß, was für Angehörige ge-
meint sind, ob Ehegatten, Kinder oder Eltern und Geschwister.
Für die Jahre 1907—1909 findet sich im „Stat. Jahrbuch“ ein
Ausweis über die Zahl der hinterlassenen Kinder.
1907 1908 1909
hinterl. hinterl. hinterl.
Selbstm. Kinder Selbstm. Kinder Selbstm. Kinder
Ledig ......... 415 12 446 18 498 14
Verheiratet. . . 2.2... 688 1989 150 2143 759 2211
Verwitwet ....... 209 568 292 570 225 GEN
Geschieden. ...... 22 37 23 54 13 12
1) G. v. Mayr, a. a. O. S. 321 ff.
Kürten: Statistik des Selbstmordes. 4
50 Zehntes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Beruf der Selbstmörder
Bei den von Ledigen hinterlassenen Kindern muB es sich jedenfalls
um unehelich geborene Kinder handeln. Es läßt sich bei diesen aber
ebensowenig wie bei den von Verwitweten und Geschiedenen hinter-
lassenen Kindern ersehen, ob es sich dabei um unversorgte oder bereits
erwachsene handelt. In den mir vorliegenden Anzeigen aus der Stadt
Leipzig war die Frage 15 des Anzeigeformulars in mannigfacher Weise
beantwortet, oft einfach mit „ja“ oder „nein“, oft auch war außer der
Zahl der Kinder das Geschlecht beigefügt, in manchen Fällen war das
Alter des ältesten und jüngsten Kindes angegeben; in wieder anderen
Fällen war gesagt, ob die Kinder minderjährig oder erwachsen waren,
oder es war gar das Alter jedes einzelnen Kindes besonders angegeben.
Aus diesen verschiedenartigen Angaben kann man keine befriedigende
Zusammenstellung machen, und es muß zunächst die Frage des Anzeige-
formulars anders und zwar klarer und genauer gefaßt werden.
Zehntes Kapitel.
Der Selbstmord nach dem Beruf der Selbstmörder.
Für die Fragen nach den Ursachen des Selbstmordes kommen
neben der natürlichen Veranlagung eines jeden Menschen und ihrer
weiteren Ausbildung durch die Erziehung vor allem die äußeren Ver-
hältnisse, die ihn umgeben und in denen er lebt, ın Betracht. Es sind
dies in der Hauptsache Familienstand, Wohnort — Stadt und Land —,
Woblstandsverhältnisse, vor allem aber und in erster Linie der Beruf.
G. v. Mayr faßt unter dem Begriff „Beruf“ alles zusammen, „was die
Differenzierung der Selbstmördermasse nach den verschiedenen Gruppen
der Lebens- und insbesondere der dabei maßgebenden Erwerbsaufgaben,
sowie der dabei weiter bestehenden sozialen Schichtungen ausdrückt.“!)
Der Beruf, dem jeder einzelne den größten Teil seiner Zeit, seiner
Arbeitstätigkeit und seines Denkens widmet, der auch in gewissem
Maße allein das Milieu bestimmt, das den Einzelnen wenigstens während
seiner Tätigkeit umgibt, vermag neben dem Familienstande wie keine
andere Tatsache auf das innere und äußere Verhalten des Menschen
einen Einfluß auszuüben. Und so wird auch hinsichtlich der Selbstmord-
ursachen die Frage von Bedeutung, inwieweit der Berufsstellung eine
selbstmordfördernde oder -hindernde Einwirkung zuzuschreiben ist.
Diese Einwirkung wird in den meisten Fällen nur eine indirekte und
mittelbare sein, inden die berufliche Tätigkeit nicht imstande ist, die
im Menschen durch andere Momente bedingten Unlustgefühle und da-
durch hervorgerufene Selbstmordneigung zu beheben und vergessen zu
machen. Die Einwirkung kann sich aber zu einer direkten und un-
1) G. v. Mayr a. a. O. S. 326.
Selbstmord und Beruf bi
mittelbaren steigern, wenn es der Beruf und seine Folgeerscheinungen
selbst sind, die die Widerstandskraft gegen andere Einflüsse lihmen
oder gar den Grund zum Selbstmord in sich tragen.
So wichtig somit die Frage nach dem Beruf für die Gestaltung
der Selbstmordlichkeit ist, so schwierig ist andererseits ihre genaue
Erfassung und Beantwortung. Umfaßt sie doch nach der obigen De-
finition nicht nur die allgemeine Erwerbstätigkeit — was gewöhnlich
allein unter Beruf verstanden wird, sondern auch die wirtschaftliche
und soziale Stellung, d. h. die Frage, ob der einzelne in dem Beruf
aktiv tätig ist oder nur als Angehöriger eines tätigen Fawmilienmit-
gliedes der Berufsgruppe zugegliedert wird; sowie die Frage nach der
„Tatsache und Ausgestaltung der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit
der Berufszugehörigen.“ Die Schwierigkeit, die schon in der exakten
Erfassung dieser drei Momente liegt, wird noch wesentlich erhöht,
wenn man bedenkt, welch großen Einfluß das Geschlecht, der Familien-
stand und besonders das Alter auf die Gestaltung der Selbstmordlich-
keit haben, so daB es grundsätzlich unerläßlich erscheint, auch diese
drei Unterscheidungen mit jener der Berufszugehörigkeit zu verbinden.
Besonders wichtig ıst die Unterscheidung des Alters, da viele Berufs-
arten in der Mehrzahl mit Angehörigen einer bestimmten Altersklasse
besetzt sind und somit die allgemeine Selbstmordlichkeit gerade dieser
Altersklasse in erster Linie ausschlaggebend wirkt.
Es ist also erforderlich vor allem die Unterscheidung der Selbst-
mördermasse nach der technischen Art des Berufes. Dabei ist es zu-
nächst ausreichend, wenn die größeren Berufsklassen zusammengefaßt
werden, während die Ausgliederung auch der einzelnen Unterarten eines
jeden Berufes für den Anfang den Stoff zu unübersichtlich machen
würde. Hinzu kommt hier auch, daß besonders in einem kleinen Ge-
biete, wie im Königreich Sachsen, auch wenn man die Untersuchung
auf einen größeren Zeitraum ausdehnen wollte, sich für viele Berufs-
arten Nullzahlen oder doch nur Minimalzahlen ergeben würden. Bei
einer großen Gruppe, die gewöhnlich hier zusammengezogen erscheint,
bei den liberalen Berufen, ist jedoch eine genauere Einteilung von vorn-
herein unerläßlich, da erfahrungsgemäß gerade die Angehörigen dieser
Gruppe besonders stark zum Selbstmord neigen; während dagegen die
Unterscheidung z. B. innerhalb der Holzbearbeitung zwischen Schreinern,
Zimmerern, Küfern usw. weniger wichtig ist. Hier kommt es vor allem
auf die soziale Stellung im Beruf an, vor allem, ob der Selbstmörder
als Selbständiger oder als Unselbständiger tätig war, im letzteren Fall,
ob als Lehrling, Geselle, Fabrikarbeiter usw. Von den Erwerbstätigen
innerhalb eines Berufes sind dann weiter ihre Angehörigen zu trennen,
je nachdem sie berufslos oder anderweitig tätig sind, sowie nach ihrer
Stellung innerhalb der Familie.
Will man aber einen tieferen Einblick in die berufliche Gestaltung
4*
52 Zehntes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Beruf der Selbstmörder
der Selbstmordlichkeit gewinnen, so genügt eine solche Ausgliederung
der Selbstmörder allein noch nicht, sondern es muß auch die Möglich-
keit geboten werden, sie zu der Gesamtzahl der dem Beruf Angehörenden
in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung innerhalb des Berufes
in Beziehung zu setzen, um so die eigentliche Selbstmordziffer für be-
ruflich geschiedene Bevölkerungsmassen zu erhalten. Dies ist aber bei
dem heutigen Stande der amtlichen Statistik nur in wenigen Länder-
gebieten und auch da nur in einzelnen Fällen möglich. Denn die be-
rufliche Ausgliederung der Selbstmördermasse, wo sie überhaupt ge-
geben ist, weicht fast immer von der beruflichen Ausgliederung der
gesamten Bevölkerung ab, so daß nur in seltenen Fällen eine exakte
Berechnung der Selbstmordziffern gegeben werden kann.
Daher hat man sich bisher meist mit prozentualen Gliederungs-
zahlen begnügen müssen. Doch hatte schon vor mehr als einem halben
Jahrhundert Ernst Engel die Notwendigkeit der Berechnung von
Beziehungszahlen erkannt. In seinem „Jahrbuch für Statistik und
Volkswirtschaft des Königreichs Sachsen“ berechnet er für einige Be-
rufsklassen in der damals üblichen Weise, wieviele Berufsangehörige
auf einen Selbstmörder in jeder Klasse kommen. Ich gebe die Zusam-
menstellung hier wieder (Tab. 4X) und zugleich die jetzt übliche Be-
rechnung der Zahl der Selbstmörder auf 1 Million der Lebenden, die
übersichtlicher und für uns verständlicher ist. Die Zahl der Selbst-
mörder ist den beiden Jahren 1850 und 51, die Gesamtzahl der Berufs-
angehörigen den Ergebnissen der Zählung von 1849 entnommen.
Bei dem männlichen Geschlecht fällt die außerordentlich hohe
Selbstmordziffer der Beamten und Angestellten auf; die hohe Selbst-
mordfrequenz der liberalen Berufsklassen ist also nicht ein Produkt erst
der neueren Zeit. Abnorm hoch erscheint jedoch die Selbstmordziffer
der Militarpersonen und niedrig im Vergleich zu den heutigen Verhält-
nissen die der männlichen Dienstboten. Die Selbstmordziffer der weib-
lichen Dienstboten steht zwar höher als die der anderen Gruppen mit
Ausnahme der Berufslosen, erhebt sich aber nicht besonders stark über
die der weiblichen Arbeiter und Gewerbetreibenden. — Die Zahlen
dieser Tabelle weichen in einigen Punkten ganz erheblich von den
Resultaten ab, die seinerzeit A. Wagner für Sachsen gefunden hatte.!)
Er vergleicht zunächst den Anteil der einzelnen Klassen an der Bevöl-
kerung und am Selbstmord miteinander und gibt dann eine Tabelle der
Selbstmordfrequenz der Berufsstände (vgl. Tab. 49). Er bemerkt jedoch
hierzu, daß „man bei der Berechnung fast in allen Fällen auf Schätzung
angewiesen ist und nur in sehr wenigen mit sich genau entsprechenden
Ziffern der Selbstmord- und Berufsstatistik operieren kann,“ sowie daß
„die Zahlen im ganzen nur den Wert durchaus approximativer Berech-
1) A. Wagner, Gesetzmäßigkeit etc. S. 223.
Berufliche Selbstmordlichkeit in Alterer Zeit 53
nungen haben.“ Insbesondere ist nach Wagners Berechnung die Selbst-
mordziffer der Dienstboten außerordentlich hoch im Vergleich zu der
von E. Engel gefundenen.
Für die Jahre 1872—81 ist die Zahl der Selbstmörder nach einigen
Berufsarten in Tab. 50 ausgewiesen. Es sind besonders die Hand- und
Tagearbeiter, sowie die Handwerker und selbständigen Hausindustriellen,
welche das Hauptkontingent zur Selbstmördermasse stellen. Beim weib-
Jichen Geschlecht stehen die Dienstboten an erster Stelle. Leider lassen
sich die Selbstmordziffern nicht berechnen; die Zahlen sind aber des-
halb von besonderem Interesse, weil sie sich auf die Periode des Höchst-
standes der Selbstmordhäufigkeit im Königreich Sachsen beziehen; wir
werden daher noch im vorletzten Kapitel auf sie zurückkommen. Für
die Jahre 1847—63 konnten dagegen einige Selbstmordziffern zusam-
mengestellt werden, indem die Zahl der Selbstmörder aus dieser Zeit
mit den Ergebnissen der Berufs- und Gewerbezählung des Jahres 1849
verglichen wurde Es ergab sich danach eine Selbstmordziffer auf
1 Million Lebender unter den
Männern Frauen
nicht etablierten Arbeitern und deren Angehörigen . . . 445,9 68,2
etablierten Handel- und Gewerbetreibenden und deren
Angehörigen . . :. 2 1 Er rn nen 313,5 71,4
persönliche Dienste Leistenden. ..........2.. 288,8 156,3
Beamten und deren Angehörigen. ........2.2.. 566,8 107,8
Gelehrten und deren Angehörigen ........... 264,2 77,2
Militärpersonen und deren Angehörigen. ........ 1171,2 84,8
Berufslosen und deren Angehörigen .......... 805,6 408,4
Diese Zahlen haben in mancher Hinsicht Ähnlichkeit mit den von
E. Engel berechneten, nur daß sich in fast allen eine gesteigerte Selbst-
mordhäufigkeit ausspricht. Besonders abweichend ist die hohe Selbst-
mordziffer der männlichen Dienstboten.
Für die Jahre 1883, 84, 86 und 87 sind die Selbstmörder in be-
sonders eingehender Weise nach Berufsarten unterschieden, und diese
Angaben konnten mit den Ergebnissen der Berufszählung von 1882 in
Beziehung gebracht werden. Eine exakte Messung der Selbstmord-
frequenz ist auch hier dadurch ausgeschlossen, daß die Erfassung der
Selbstmörder und der Bevölkerung zeitlich sich nicht deckt, doch lassen
die so berechneten Selbstmordziffern wenigstens annähernd die Gestal-
tung der Selbstmordlichkeit erkennen, besonders im Verhältnis der
Berufsarten untereinander .(vgl. Tab. 51),
Immerhin ist ein Zeitraum von vier Jahren noch zu klein, beson-
ders für ein Gebiet von geringem Umfang. So ist auch die sehr hohe
Selbstmordziffer des Fischereiberufes zu erklären, denn im allgemeinen
gilt gerade der Stand der Fischer als nur wenig von der Selbstmord-
gefahr bedroht. So findet Rehfisch!) für Preußen für das Jahr 1882
1) E. Rehfisch, Der Selbstmord. Berlin 1893. S. 90 u. ff. (zitiert nach
G. v. Mayr a. a. O. S. 329).
54 Zehntes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Beruf der Selbstmörder
bei den Angehörigen der Gruppe: Fischerei und Jagdwesen eine Selbst-
mordziffer von 30 auf 1 Million Lebender. — Die höchste Selbstmord-
frequenz zeigt bei beiden Geschlechtern die Gruppe der Berufslosen.
G. v. Mayr bemerkt dazu mit Recht, „daß die Angabe ‘ohne Beruf” sich
in der Selbstmordstatistik viel häufiger und unzutreffender findet, als
in der Berufsstatistik, wodurch die Selbstmordziffer künstlich an-
schwillt.“1) Andererseits ist die hohe Selbstmordzitfer dieser Berufs-
klasse doch wohl erklärlich, da ihr vorwiegend Personen von höherem
und höchstem Alter angehören, die schon aus diesem Grunde eine ge-
steigerte Selbstmordlichkeit aufweisen. Bedeutend ist auch die Selbst-
mordlichkeit der Gruppe der öffentlichen Beamten und der verwandten
Berufsarten, vor allem die des Handels- und Versicherungswesens; die
hohe Selbstmordziffer der Gruppe der Metallarbeiter mag z. T., wie die
der Fischer, ein Zufallsergebnis sein.
Beim weiblichen Geschlecht fällt die hohe Selbstmordfrequenz der
Gruppe für persönliche Dienstleistungen auf. Diese Gruppe kann man
aber nicht mit der der Dienenden der älteren Ausweise vergleichen, da
sie nur das Dienstpersonal umfaßt, soweit es nicht bei der Herrschaft
wohnt. Bei der ebenfalls hohen Selbstmordziffer der Gruppe der Ge-
sundheitspflege und des Krankendienstes denkt man unwillkürlich an
die Mißstände in diesen Erwerbszweigen, die in letzter Zeit vielfach die
Öffentlichkeit beschäftigt haben. Doch sind auch die weiblichen An-
gehörigen des gesamten Ärzte- und Pflegerpersonals darunter begriffen
worden, so daß diese Gruppe sich den liberalen Berufen nähert, ın
denen auch die Frauen eine hohe Selbstmordlichkeit zeigen. Die Aus-
weise würden weit wertvoller sein, wenn auch bei den Frauen zwischen
den Erwerbstätigen und den Angehörigen unterschieden wäre, wie dies
in neuerer Zeit geschieht. Die Trennung der Selbstmörder innerhalb
des Berufes ist ebenfalls für diese Periode gegeben (Tab. 52), aber eine
Ausgliederung der gesamten Bevölkerung nach sozialen Klassen ließ
sich nicht ermitteln.
Seit 1905 sind die Selbstmörder nach Berufsabteilungen, und
innerhalb dieser nach Selbständigen und Unselbständigen sowie nach
ihren Angehörigen unterschieden. Mit Hilfe der Ergebnisse der Be-
rufszählung vom Jahre 1907 ließen sich in Tab. 53 die Selbstmord-
ziffern berechnen, wenn auch leider nicht für alle Teilmassen der
Selbstmörder die entsprechenden Massen der ganzen Bevölkerung ge-
funden werden konnten. So war es leider nicht möglich, die Selbst-
mordziffern für Angehörige der Selbständigen und der Unselbständigen
getrennt zu berechnen. Im einzelnen weisen in der Gruppe der Land-
wirtschaft die Selbständigen bei beiden Geschlechtern eine sehr hohe
Selbstmordlichkeit auf. Weniger der Selbstmordgefahr ausgesetzt
1) G. v. Mayr a. a. O. S. 330.
Berufliche Selbstmordlichkeit in neuerer Zeit 55
scheinen in dieser Gruppe die Unselbständigen, besonders die Frauen.
Die weiblichen Angehörigen sämtlicher in der Landwirtschaft Tätigen
stehen hinsichtlich der Selbstmordneigung den weiblichen Unselbstän-
digen ungefähr gleich, während die Selbstmordziffer der männlichen
Angehörigen nur gering ist. — In der Gruppe für Gewerbe und In-
dustrie sind es besonders die Unselbständigen beider Geschlechter, in
den älteren Ausweisen auch als Arbeiter bezeichnet, welche eine hohe
Selbstmordziffer zeigen; ihnen nahe stehen die männlichen Selbstän-
digen, während die männlichen Angehörigen ganz minimal beteiligt
sind. Die Selbstmordziffer der weiblichen Angehörigen übertrifft die
der weiblichen Selbständigen, bleibt aber hinter der der Unselbstän-
digen zurück. — Die höchste Selbstmordlichkeit überhaupt außer den
Berufslosen zeigen die männlichen Erwerbstätigen in der Gruppe für
Handel und Verkehr; auch die der Frauen ist bedeutend, während die
der Angehörigen wieder geringer ist. Die Selbstmordziffern für die
drei letzten Gruppen sind mit großer Vorsicht aufzunehmen, da hin-
sichtlich der Gleichartigkeit der Gruppen in der Bevölkerungsmasse
und der Selbstmördermasse Zweifel bestehen. Daß sich die Selbst-
mordlichkeit der männlichen Angehörigen so außerordentlich niedrig
zeigt, erklärt sich daraus, daß es sich dabei fast ausschließlich um An-
gehörige der jüngsten Altersklasse handelt, die der Selbstmordgefahr
an sich weniger ausgesetzt sind. Nur sehr selten wird der junge Mann,
wenn er der Schule entwachsen ist, ohne jede berufliche Beschäftigung
im Elternhause bleiben, während dies beim weiblichen Geschlecht,
besonders in den besser situierten Schichten der Bevölkerung, die
Regel ist.
Nur wenige Ausweise konnten hinsichtlich der beruflichen Ge-
staltung der Selbstmordlichkeit für das Königreich Sachsen gegeben
werden, und auch diese sind noch dazu recht unsicher. Jedenfalls lassen
insbesondere die Zahlen der letzten Tabelle für 1905—08 erkennen,
wie außerordentlich wichtig es ist, die einzelnen Berufsgruppen weiter-
hin nach sozialen Unterschieden zu zerlegen. Das zeigt sich besonders,
wenn man die Selbstmordziffer für die drei ersten Gruppen zusammen
berechnet, und mehr noch, wenn man auch die Unterscheidung zwischen
dem Geschlecht unberücksichtigt läßt, wie das in den vorliegenden Aus-
weisen über die berufliche Zusammensetzung der Selbstmördermassen
noch vielfach geschieht:
Selbstmordziffer im ganzen (1905—08): männlich weiblich zusammen
1. Landwirtschaft. . . . 2 2 2 2 2 2 0 ne. 392 150 265
9 Gewerbes a Ze = Ae ie ee ee GS 432 95,4 264
3. Handel und Verkehr . .......... 570 89,6 321
Die Zahlen, die dem Leser erst exorbitant hoch erschienen sein
mögen, schrumpfen dann zu Selbstmordziffern zusammen, die sich kaum
über den Durchschnitt des ganzen Landes erheben.
56 Zehntes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Beruf der Selbstmörder
Im Anschluß hieran seien dann noch einige Mitteilungen über die
Selbstmordlichkeit unter den Militärpersonen und den Insassen
der Straf- und Korrektionsanstalten im ganzen Königreich ge-
geben, sowie über die Selbstmörder unter den Lehrlingen und
Dienstmädchen, für welche die Angaben den Polizeiamtsanzeigen
der Stadt Leipzig entnommen wurden.
Schon in den älteren Nachrichten über die Selbstmordlichkeit der
unterschiedlichen Berufsarten wurde unsere Aufmerksamkeit auf die
hohe Selbstmordziffer der männlichen Militärpersonen gelenkt. Eine
kleine Übersicht, die G. v. Mayr in seiner Sozialstatistik über den
Selbstmord in den Armeen einiger Staaten gibt!), läßt zweierlei er-
kennen, nämlich eine sehr große Verschiedenheit der Selbstmordinten-
sität unter den Angehörigen der verschiedenen Armeen und zweitens
das Fehlen eines Zusammenhanges zwischen dem Grad der allgemeinen
Selbstmordlichkeit und der Selbstmordfrequenz der Militärpersonen in
den einzelnen Ländern. Die Selbstmordziffer der deutschen Armee ist
in der Zusammenstellung eine der höchsten; sie betrug Mitte der Uer
bis Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts 67 pro 100000 Mann,
Mitte der 70er bis Anfang der 90er Jahre 63,3 und nach einer späteren
Zusammenstellung (vor 1903) 26; sie ist also sehr gefallen.
Die folgenden Angaben über den Selbstmord in der sächsischen
Armee sind entnommen teils dem „Stat. Jahrbuch“ für die Zeit vom
Berichtsjahr 1895/96 bis 1909/10, teils aus dem eingangs erwähnten
„nanitätsbericht“ für die zehn Berichtsjahre 1899/1900 bis 1908/09.
Während dieser zehn Jahre betrug die durchschnittlich jährliche Zahl
der Selbstmörder im 1. Kyl. Sächs. Armeekorps 13,1, im 2. Kgl. Sächs.
Armeekorps 10,5. Eine beständige größere Selbstmordlichkeit des einen
oder anderen der beiden Armeekorps läßt sich nicht feststellen. Im
allgemeinen scheint die Häufigkeit des Selbstmordes im 1. Armeekorps
etwas größer als im 2. Es betrug nämlich die Zahl der Selbstmörder
in °/,, der Jahres-Iststärke im
1. Kgl. Sachs. 2. Kgl. Sächs. 1. Kgl Sächs. 2. Kgl. Sachs.
Armeekorps Armeekorps Armeekorps Armeekorps
1899/1900 0,51 0,70 1904 05 0,81 0,43
1900/01 0,53 0,51 | 1905/06 0,35 0,39
1901/02 0,64 0,55 | 1906.07 0,82 0,91
1902.03 0,89 0,28 "1907/08 0,74 0,40
1903 04 0,76 0,38 | 1908/09 0,40 0,61
Die Selbstmordlichkeit in der sächsischen Armee ist größer als
die in der preuBischen und wiirttembergischen. Fiir die beiden Berichts-
jahre 1907/08 und 1908/09 ergab sich für die sächsische Armee eine
Selbstmordziffer von 565,9, fiir die gesamten 20 Armeekorps eine
solche von 422,3 auf 1 Million Lebender. Die gesteigerte allgemeine
1) G. v. Mayr a. a. O. S. 338.
Selbstmordlichkeit der Militiirpersonen 57
Selbstmordlichkeit im Königreich Sachsen teilt sich also den Ange-
hörigen der Armee mit, was der oben für größere Ländergebiete kon-
statierten Tatsache widerspricht. DaB in der sächsischen Armee der
Selbstmord eine erhöhte Bedeutung hat, zeigt sich auch, wenn man den
prozentualen Anteil des Selbstmordes an den Todesfällen überhaupt
feststellt. Es belief sich im Durchschnitt der zehn Jahre die Zahl der
Selbstmordfälle in Prozenten der gesamten Todesfälle: im 1. Kgl. Sächs.
Armeekorps auf 28,05, im 2. Kgl. Sächs. Armeekorps auf 27,25, in der
gesamten preußischen usw. Armee auf 20,05°,,.
Die Verteilung der Selbstmorde der Militärpersonen auf die ein-
zelnen Monate weicht von der im allgemeinen festgestellten Regel er-
heblich ab. Sie gestaltete sich während der 15 Jahre 1895/96 bis
1909/10 folgendermaßen:
Es betrug die Zahl der Selbstmorde im
absolut in °, ` absolut in °,
Januar ...... 50 18,95. ı Salto 2% & a Sa $ 32 8,9 ,,
Februar. ..... 36 10,0 ,, Ä August . 2.2.2.0. 34 9,5,,
März. . 222 20 29 8,0 „ ' September. .... 14 3,9 ,,
April. ...... 26 7,2 ,, Oktober ...... 24 6,7,,
MGA a op E AR a 35 DN, November ..... 29 8,0,,
Juni... 220. 27 7,5 „ | Dezember ..... 24 67,
zusammen 360 100,0
Der höchste Prozentsatz fällt auf die Monate Januar und Februar,
dann auf Mai und August. Es scheint, als ob die Tendenz der gestei-
gerten Selbstmordhaufigkeit im Sommer und der verringerten im Winter
zwar auch vorhanden ist, diese Gestaltung aber durch andere Einflüsse
gestört und verwischt wird. Dies wird ersichtlich, wenn man die Selbst-
mordhäufigkeit entsprechend dem Dienstalter der Leute betrachtet
(Tab. 54). Von allen Selbstmördern standen im ersten Dienstjahr 47,3%,
und von diesen wieder dienten im ersten Monat 6,7%, und im zweiten
bis sechsten Monat 24,5°/,. Fast ein Drittel aller Selbstmörder standen
also im ersten Halbjahr ihrer Dienstzeit. Da nun die Rekrutenein-
stellung im Herbst stattfindet, so liegt hierin vielleicht die Erklärung
der eigenartigen Verteilung der Selbstmorde auf die Jahreszeiten.
68,8%, aller Selbstmörder waren Gemeine; dementsprechend ist auch
der Anteil der 21—22jährigen besonders hoch, 47,3%, weil die meisten
Militärpersonen, nämlich die Gemeinen, vorwiegend in diesem Alter
stehen. Absolut gehörten die weitaus meisten Selbstmörder der Infan-
terie an, dann folgen die Kavallerie und Feldartillerie; die übrigen
Truppengattungen sind weniger häufig unter den Selbstmördern ver-
treten. Berechnen wir dagegen die Selbstmordziffern der einzelnen
Truppengattungen, so ergibt sich eine besonders hohe Selbstmordlich-
keit bei den Bezirkskommandos, beim Train und bei der Kavallerie.
Bei den Angehörigen der Bezirkskommandos handelt es sich z. T. um
58 Zehntes Kapitel. Der Selbstmord nach dem Beruf der Selbstmörder
Truppen, die mit dem Biiropersonal in der biirgerlichen Berufsgliederung
eine gewisse Ähnlichkeit haben, für die ja auch eine hohe Selbstmord.
lichkeit sich ergibt. Es kommt hinzu, daß unter diesen Truppen sich
sehr viel Unteroffiziere befinden, deren Selbstmordziffer die der Ge-
meinen weit überragt.
Was schließlich die Wahl der Todesart anbetrifft, so kann es
kaum überraschen, daß das Erschießen relativ sehr häufig vorkommt,
nämlich in 36 4, aller Fälle. Auch das Überfahrenlassen findet aich
häufiger als sonst bei den männlichen Selbstmördern. Über die Örtlich-
keit der Tat geben die Sanitätsberichte sebr detaillierte Angaben, die
in Tab. 54 wiedergegeben sind. Demnach verübten Selbstmord außer-
halb des Standquartiers 15,4°/,, in der Kaserne 48,5%. Im ganzen in
umschlossenen Räumen 76,4°, und im Freien 23,6°%. Unter den
Motiven, die zum Selbstmord führten, ist besonders bemerkenswert,
daß während der 15 Jahre von 360 Selbstmördern sich 140 das Leben
nahmen aus Furcht vor Strafe, d. i. 38,9%.
Auch über die Selbstmordversuche, die in der Landesstatistik nicht
berücksichtigt werden, enthalten die Sanitätsberichte einige Angaben,
aus denen sich zeigt, daß die Zahl der Versuche fast in jedem Jahre
hinter der der erfolgreichen Selbstmorde zurückbleibt.
Über die Häufigkeit des Selbstmordes in den Straf- und Kor-
rektionsanstalten des Königreichs Sachsen liegen nur wenige Zahlen
vor, die wegen ihrer Kleinheit geringe Bedeutung haben. Es betrug
die Zahl der Selbstmorde
im Jahre 1895 3 im Jahre 1901. 2
„o „n 1896 — „n p» 192 3
oo n» 1897 4 „o 120 1
„n n» 1898 2 "on. 1904 3
» „ 189 2 „o „» 1905 1
» „» 1900 3
Im jährlichen Durchschnitt waren 2,7 aller Todesfälle auf Selbst-
mord zurückzuführen, und es ergibt sich eine Selbstmordziffer von 232,9
auf eine Million des Bestandes.
Demnach ist die Zahl der Selbstmörder unter den genannten An-
staltsinsassen sowohl absolut als auch relativ nicht sehr bedeutend, was
sich vielleicht aus der besonders strengen Bewachung dieser Personen
erklären mag. Die Selbstmordziffer für den Durchschnitt der Jahre
bezieht sich auf den Gesamtbestand, der sich aus dem Anfangsbestand
und dem Zugang während eines Jahres ergibt.
Zum Schluß seien noch zwei Berufsgruppen hervorgehoben, für die
ich die Nachweise den Polizeiamtsanzeigen der Stadt Leipzig während
der Jahre 1890—1910 entnahm; es sind das die Lehrlinge und
Dienstmädchen, welche vorwiegend den jüngeren Altersklassen an-
gehören und schon aus diesem Grunde zu einer eingehenden Betrach-
tung anregen.
Selbstmordlichkeit der Lehrlinge und Dienstmädchen 59
Die Zahl der Lehrlinge, welche in den 21 Jahren Selbstmord ver-
übten, betrug im ganzen 73. Davon waren
Kaufmannslehrlinge. ....... 18 Kochlehrlinge .......... 2
Handlungslebrlinge . . ..... 11 Barbierlehrling. . .. 2.2... 1
Apotheker- u. Drogistenlehrlinge . . 3 Handwerkslehrlinge. ....... 38
Es standen im Alter von
14 Jahren. ..... 7'17 Jahren. ..... 17,20 Jahren. ..... 2
15 Re. ai, Se ae Hee te a 15/18 Fe a e 6.21 wee at gt eh AGS Gaal 1
16 P E ee 20 19 Wen E ER 4 28 ee oe ee 1
Also 72,6°, standen im Alter von 15—17 Jahren; ungefähr 1, aller
Selbstmörder unter 20 Jahren gehörten dem Lehrlingsstande an. 11%,
von ihnen hatten ihren Wohnort außerhalb Leipzigs, und 42,5%, waren
außerhalb Leipzigs geboren. Von unehelicher Geburt waren 4, d. i.
5,489. (Wir erinnern uns, daß unter allen Selbstmördern der Anteil
der Unehelichen nur 3,8% betrug.) Bei 21,9%, war Furcht vor Strafe,
meist wegen einer begangenen Unredlichkeit, als Beweggrund angegeben,
und in 13,7% aller Fälle gekränktes Ehrgefühl. Die Eltern der Lehr-
linge gehörten vorwiegend dem Handwerker- und Arbeiterstande an:
Handwerker 26, Arbeiter 11, Restaurateure 4, Beamte 9, Kaufleute 7,
sonstige 16. Als Todesart wurde von den Lehrlingen gewählt: Er-
hingen 26 mal, Ertrinken 11 mal, ErschieBen 18 mal, Herabstürzen 4 mal,
Vergiften 8mal, Überfahrenlassen 6 mal.
Noch größer als die Zahl der Lehrlinge ist die der Dienstmädchen;
sie betrug in den 21 Jahren im ganzen 124. Von diesen wohnten außer-
halb Leipzigs nur 5,6°,, geboren waren außerhalb Leipzigs aber nicht
weniger als 85,5%, und zwar vorwiegend in der nächstliegenden länd-
lichen Umgebung. Dem Alter nach verteilten sich die Dienstmädchen
wie folgt:
Es standen im Alter von
14 Jahren. ..... 4'19 Jahren. ..... 14 24 Jahren. ...2
Io ët ` ege ig well 12° 25 o, 6
Een 18,31. Lë ew e 6 26—30 „ . 8
10:00 rs aA 11.29 una 6 30—40 , . 3
1 oe. i et et 10.88. oe we Se Se Gp ae 9, 61 S o 2
Die meisten der Madchen standen also im Alter von 16—20 Jahren;
die Dienstmädchen machen über die Hälfte aller weiblichen Selbst-
mörder unter 20 Jahren aus. Unter den Todesarten steht das Ertränken
in 57,3%, aller Fälle obenan, dann folgt der Tod durch Erhängen in
16,1°,, und der durch Vergiften in 12,1%, aller Fille. Es töteten sich
nämlich durch Ertränken 71, durch Erhängen 20, durch Vergiften 15,
durch Herabstürzen 10, durch Erschießen 3, durch Uberfahrenlassen 3,
durch Erdrosseln 1, durch Schnittverletzungen 1 Dienstmädchen. In
13,8% aller Fälle war Furcht vor Strafe und in 8,9% Dienstaufkiindi-
60 Elftes Kapitel. Der Selbstmord nach der Religion der Selbstmörder
gung als Beweggrund angegeben. Schwangerschaft als Motiv war nur
in drei Fällen genannt. Unehelicher Geburt waren 7, d. i. 5,6%. Also
auch hier finden wir unter den jugendlichen Personen die unehelich
Geborenen häufiger als unter den erwachsenen Selbstmördern.
Elftes Kapitel.
Der Selbstmord nach der Religion der Selbstmörder.
Retreffs der Religion der Selbstmörder bietet die sächsische Selbst-
mordstatistik nur sehr spärliche Ausweise. Das Bedürfnis hiernach
macht sich auch für das Königreich Sachsen weniger bemerkbar, da
(1905) 93,30, der Bevölkerung der ev.-luth. Konfession angehören, die
Einwobnerschaft hinsichtlich der religiösen Verhältnisse also einen ziem-
lich einheitlichen Charakter trägt. Nachweise über die Religion der
Selbstmörder enthält das „Stat. Jahrbuch“ seit 1905; sie sind in Tab. 55
zusammengestellt. Der hohe Gegensatz zwischen der Zahl der ev.-refor-
mierten Selbstmörder in den Jahren 1905 und 1906 gegenüber den
folgenden Jahren kann nur darauf zurückgeführt werden, daß viele
Ev.-Lutherische sich als Ev.-Reformierte angegeben haben, und erst seit
1907 die Feststellungen in dieser Hinsicht mit besonderer Sorgfalt vor-
genommen werden.’) Es erscheint daher angebracht, bei der Berech-
nung von Selbstmordziffern die ev.-lutherischen und die ev.-reformierten
Selbstmörder zusammenzufassen.
Während nach den Ausweisen, die G.v. Mayr?) in seiner Sozial-
statistik für Preußen, Bayern, Württemberg und Baden bringt, die
Selbstmordziffern der Evangelischen durchweg höher sind als die der
Katholiken, ist es bei den Selbstmördern im Königreich Sachsen um-
gekehrt. Auch die Selbstmordziffer der Juden ist in Sachsen höher als
sonstwo. Bevor an diese Erscheinungen weitere Folgerungen geknüpft
werden, bleibt abzuwarten, wie sich diese Verhältnisse im Laufe einer
längeren Beobachtungsperiode gestalten. Übrigens ergab sich auch für
die Selbstmörder in der Stadt Leipzig 1890—1910 eine höhere Selbst-
mordziffer der Katholiken und Juden als für die Protestanten. Es kamen
auf je 1 Million Lebender
männlicher Protestanten 443,4 Selbstmörder
8 Katholiken. 446,3
SG Juden. . . 641,0
weiblicher Protestanten 144,7
e Katholiken . 214,7
si Juden ... 189,6
In der Stadt Chemnitz kamen 1891—1902 auf 1 Million Lebender
(nach der Zählung von 1895) Selbstmörder: unter den Protestanten
1) Stat. Jahrbuch für das Königreich Sachsen 1908,
2) G. v. Mayr, a. a. O. S. 245.
Religion der Selbstmörder 61
312,9, unter den Katholiken 396,3, unter den Angehörigen sonstiger
Religionsgemeinschaften 110,4.
In den einzelnen Amtshauptmannschaften macht sich ein Zusam-
menhang zwischen der Höhe der Selbstmordziffer und dem Prozentsatz
der Katholiken unter der Gesamtbevölkerung nicht bemerkbar (Tab.56).
Die sonst vielfach festgestellte Tatsache, daß die verschieden starke
Durchsetzung der Bevölkerung mit Katholiken auf den Grad der Selbst-
mordhäufigkeit einen Einfluß zeigt, scheint also für das Königreich
Sachsen nicht zuzutreffen.
In Tab. 57 ist dann noch die Zahl der Selbstmörder in den ev.-luth.
Ephorien, soweit sie bei den Pfarrämtern (und zwar durch die Polizei-
behörden) zur Anzeige gelangt sind, angegeben. Die Versgleichung der
Selbstmordlichkeit in den einzelnen Ephorien bietet nichts Besonderes;
sie entspricht im allgemeinen der Gestaltung der Selbstmordlichkeit in
den Amtshauptmannschaften, in denen die Ephorien jeweilig gelegen
sind. Aus Tab. 58 ist zu ersehen, daß in allen Jahren die Selbstmörder
im Königreich Sachsen ihrer absoluten Zahl nach zum weitaus größten
Teil der protestantischen Konfession angehören.
Zwölftes Kapitel.
Die Technik des Selbstmordes.
Von allen Umständen, die bei einem Selbstmord in Betracht kom-
men, läßt sich aın leichtesten die gewählte Todesart feststellen (nach
G. v. Mayr die „Technik“ des Selbstmordes); dies ist jedenfalls auch in
erster Linie der Grund gewesen, weshalb die amtliche Statistik seit
jeher Ausweise über die Art der Ausführung der Tat gegeben hat. Der
Wert dieser Angaben für die Frage nach den Ursachen und der sozialen
Bedeutung des Selbstmordes wird von einigen Schriftstellern, wie
A. Legoyt!), in Zweifel gezogen. Dies mag allerdings in gewissem
Maße zutreffen für die allgemeinen Angaben der Art des Selbstmordes
ohne weitere Unterschiede. Aber schon die außerordentliche Regel-
mäßigkeit in der zeitlichen und die typischen Erscheinungen in der
räumlichen Gestaltung der Art des Selbstmordes sollten darauf hin-
weisen, daB diese Zahlen doch eine tiefere Bedeutung für die Erkennt-
nis des Selbstmordproblems gewinnen können. So besteht in der Hin-
sicht ein bedeutungsvoller Unterschied zwischen den verschiedenen
Todesarten, als manche mit Bedacht und Überlegung gewählt und vor-
bereitet zu werden pflegen, andere dagegen den plötzlich gefaßten und
ausgeführten Entschluß erkennen lassen. Vor allen Dingen ist erforder-
lich, daß alle Angaben über die gewählte Todesart in reichhaltiger
1) A. Legoyt, Le suicide ancien et moderne, Paris 1831, S. 408—452.
62 Zwolftes Kapitel. Die Technik des Selbstmords
Kombination mit anderen Unterscheidungen gegeben werden. Solche
Angaben sind auch in neuerer Zeit noch nicht allgemein üblich.
Wie wichtig eine solche weitgehende Ausgliederung ist, läßt schon
die Gegenüberstellung der Tabellen a, b und c in Tab. 59 erkennen. Nur
um zu veranschaulichen, wie leicht die charakteristischen Unterschiede
der Technik des Selbstmordes bei den Männern und Frauen durch eine
beide Geschlechter zusammenfassende Tabelle verwischt werden, ist
Tab. 59c angegeben. Bei den Männern ist der bei weitem häufigste
Weg, sich das Leben zu nehmen, das Erhängen. Rund ?/, aller männ-
lichen Selbstmörder greifen zum Strick. Von großem Einfluß mag hier-
bei die Vorstellung sein, daß der Tod durch Erhängen gänzlich schmerz-
los und angenehm sei und durch einen schlaf- und traumähnlichen Zu-
stand in den Tod hinüberleitet. Auch ist diese Todesart die einfachste
und bedarf am wenigsten irgendwelcher Vorbereitung. Dann aber, wenn
sich die Schlinge einmal zugezogen hat, kann sich der Selbstmörder
nicht mehr selbst befreien — es sei denn, daß er sich vorher für alle
Eventualitäten mit einem Messer versehen hat, um sich abschneiden zu
können, — und auch nicht andere zu Hilfe rufen, wenn er in letzter
Minute seinen Entschluß ändert. Bei manchen anderen Todesarten ist
dies dagegen wohl möglich, wie beim Ertränken durch Schwimmen
oder Zuhilferufen, beim Vergiften durch Einnehmen rasch wirkender
Gegenmittel. Wenn man daher die Selbstmordversuche mit den aus-
geführten Selbstmorden zusammenstellte, würde der Anteil der Erhäng-
ten wohl etwas niedriger ausfallen. Schließlich ist auch ein Selbstmord
durch Erhängen kaum mit einem Unglücksfall zu verwechseln, während
bei anderen Todesarten immerhin die Möglichkeit vorliegt, daß absicht-
lich oder irrtümlich Unglücksfall angenommen wird und somit nicht
alle dahin gehörigen Fälle gezählt werden.
Nächst dem Strick kommen Wasser und Schußwaffen am meisten
als Mittel zum Selbstmord bei den Männern zur Anwendung, und inter-
essant ist es zu beobachten, wie im Laufe der Zeit beide Todesarten
einander verdrängen. Die Zunahme der Selbstmorde durch Erschießen
hat vor allem ihren Grund darin, daß in neuerer Zeit Schußwaffen aller
Art leichter zugänglich und mehr in Gebrauch sind. Ob der Umstand,
daB in weiteren Kreisen der Bevölkerung die Kunst des Schwimmens
immer mehr gepflegt wird, für die Abnahme des Todes durch das Wasser
von Bedeutung ist, wäre möglich, ist aber kaum anzunehmen. Weiter-
hin kommt dann noch beim männlichen Geschlecht der Tod durch
Öffnen der Schlagader am Halse, Überfahrenlassen und, besonders in
Jüngster Zeit, durch Vergiften vor. Die übrigen Todesarten, Herab-
stürzen, Ersticken, Erstechen und Öffnen der Pulsader sind bei den Män-
nern weniger gebräuchlich.
Ein ganz anderes Bild zeigt die Übersicht für das weibliche Ge-
schlecht. Hier halten sich der Tod durch Erhängen und Ertränken von
Die Wahl der Todesart 63
vornherein das Gleichgewicht, so daß das Erhängen verhältnismäßig
viel seltener und das Ertränken häufiger vorkommt als bei den Männern.
Einen Grund für diesen Unterschied anzugeben, ist wohl kaum möglich;
er liegt eben in dem verschiedenartigen Fühlen und Empfinden der bei-
den Geschlechter begründet. Übrigens läßt die Zahl der Todesfälle durch
Ertränken auch bei den Frauen in jüngster Zeit eine bedeutende Ab-
nahme erkennen. Erschießen sowohl wie Erstechen ist bei den Frauen
viel seltener als bei den Männern. Schußwaffen kommen den Frauen
weniger leicht in die Hände, bilden aber in den letzten Jahren in stei-
gendem Maße auch für sie das Mittel, sich das Leben zu nehmen. Sehr
gebräuchlich ist in neuerer Zeit bei den Frauen besonders das Herab-
stürzen und das Vergiften. Gift ist ja von altersher die typische Waffe
in der Hand der Frau.
Auf die Regelmäßigkeit in der zeitlichen Gestaltung der Technik
des Selbstmordes ist schon hingewiesen worden. Diese Regelmäßigkeit
ist um so bemerkenswerter, da es sich bei den weniger gebräuchlichen
Todesarten oft nur um sehr kleine Zahlen handelt. Daß Schwankungen
in älteren Jahren häufiger sind, liegt vielleicht an der Ungenauigkeit
der Ausweise. Bei den Münnern steht der schon erwähnten starken Ab-
nahme der Selbstmorde durch Erhängen und Ertränken eine Zunahme
durch Erschießen, Vergiften, Herabstürzen und Überfahrenlassen gegen
über. Bei den Frauen finden wir im ganzen dieselbe Entwicklung, nur
daß der Anteil der Todesfälle durch Erhängen keine Veränderung er-
leidet.
Das Verhältnis der beiden Geschlechter zueinander ist für einige
Todesarten in Tab. 60 berechnet. Für die drei gebräuchlicheren Todes-
arten ist die zeitliche Gestaltung von ziemlicher Regelmäßigkeit, für die
übrigen dagegen nicht, was vor allem an der erwähnten hleinheit der
Zahlen liegt. Die geringe Anteilnahme der Frauen am Tode durch Er-
schießen, sowie ihre große am Tode durch Ertränken, Vergiften und
Herabstürzen tritt hier auch sehr deutlich hervor.
Großes Interesse bietet auch die Untersuchung der Verschiedenheit
der Wahl der Todesmittel in räumlicher Differenzierung der Selbstmör-
der. Es sind besonders zwei Umstände, die in dieser Hinsicht bedeut-
sam werden: das sind die sich bietende Gelegenheit und die eingewur-
zelten Sitten und Gebräuche. Daß da, wo sich viel Wasser befindet, der
Tod durch Ertränken häufiger vorkommt, liegt auf der Hand. Und daß
die Sitte auf die Art des Selbstmordes von Einfluß sein muß, geht aus
den Zusammenstellungen für verschiedene Ländergebiete, wie sie u. a.
Krose!) bietet, deutlich hervor. G. v. Mayr macht besonders auf Japan
und Serbien aufmerksam); in jenem Lande überwiegt das Erhängen
und Ertränken bei weitem alle anderen Arten, und in Serbien ist das
1) Krose, Die Ursachen etc. S. 73.
2) G. v. Mayr, a. a. O. S. 874.
04 Zwölftes Kapitel. Die Technik des Selbstmords
besonders hiiufige ErschieBen auch unter den Frauen eine von der all-
gemeinen Gestaltung abweichende Erscheinung.
Auch innerhalb einzelner Ländergebiete werden sich zweifellos noch
große Verschiedenheiten in dieser Hinsicht ergeben, doch ist dabei un-
erläßlich, daß zu möglichst kleinen Gebietsteilen, am besten bis auf die
einzelnen Gemeinden, hinabgegangen werde, wobei allerdings wegen der
sich oft ergebenden kleinen Zahlen die Beobachtung auf eine lange
Reihe von Jahren ausgedehnt werden muß, denn jede räumliche Zu-
sammenfassung muB notwendigerweise die agbtileren Unterschiede ver-
wischen. Tab. “61 gibt die Verteilung der Wahl der Todesmittel auf die
Kreishauptmannschaften des Königreichs Sachsen wieder. Die Aus-
weise hierüber sind für die Jahre 1901—04 in dem „Stat. Jahrbuch“
gegeben, dann aber nicht fortgesetzt. Eine durchaus abweichende Posi-
tion nımmt für Männer und Frauen die Kreishauptmannschaft Bautzen
ein, die in ihrer Selbstmordlichkeit überhaupt von den anderen Kreis-
hauptmannschaften abweicht. Hier wurde der Tod durch den Strick be-
sonders häufig gewählt, nur wenig gebräuchlich ist dagegen das Wasser
und die SchuBwaffe. Dies gilt besonders für die Frauen. Der Anteil
des Erhängens ist ganz überraschend hoch mit TO% gegenüber 40 bis
45%, in den anderen Kreishauptmannschaften und im ganzen König-
reich. Auch das Überfahrenlassen dient hier den Frauen gern als Mittel,
sich das Leben zu nehmen, während das Herabstürzen, das sonst bei
den Frauen besonders beliebt ist, in der Kreishauptmannschaft Bautzen
von ihnen gar nicht angewandt wurde. Leider ist die beobachtete Periode
zu klein, um aus diesen Zahlen schon endgültige Schlüsse zu ziehen,
zumal gerade in der Kreishauptmannschaft Bautzen im ganzen nur
wenig Selbstmordfälle vorkommen.
Auch die Unterscheidung zwischen Stadt und Land bietet für die
Gestaltung der Technik des Selbstmordes Interesse, insbesondere die
Verteilung der Selbstmordmittel in den Großstädten. G. v. Mayr schließt
aus den Zahlen, die Morselli hierüber gesammelt bat, „daß gewisser-
maßen jede Großstadt ihren eigenen Weg geht, woraus man schließen
darf, daß das Gesetz der Nachahmung in der engeren Berührung der
Elemente des großstädtischen Milieus Besonderheiten in der Wahl der
Selbstmordmittel, die sich traditionell entwickelt haben, in ihrer Eigen-
art dauernd aufrecht erhilt.“') Tab. 62 bietet einige Zahlen für die bei-
den Städte Leipzig und Chemnitz. Für das männliche Geschlecht ist in
Leipzig das Erhängen seltener, häufig dagegen das Erschießen. Es sei
daran erinnert, daB in Tab. 61 sich der Prozentsatz des ErschieBens
auch für die ganze Kreishauptmannschaft Leipzig sehr hoch stellte;
auch die Frauen in Leipzig erhängen sich seltener, greifen aber um so
häufiger zur Pistole und ebenso wie in Chemnitz, zum Gift. G.v.Mayr
stellt ErschieBen und Vergiften überhaupt als charakteristischös Selbst-
1) G. v. Mayr, a. a. O. S. 376.
Todesart und Jahreszeit, Familienstand und Alter 65
mordmittel des Städters hin gegenüber dem Landbewohner'), was durch
die angeführten Zahlen für Leipzig und Chemnitz für beide Geschlechter
bestätigt wird. Zu erwähnen ist noch, wie gering der Anteil des Er-
tränkens in Chemnitz ist, sowohl gegenüber Leipzig als gegenüber dem
ganzen Königreich. Das hängt jedenfalls damit zusammen, daß Chemnitz
nicht an einem größeren Fluß gelegen ist.
Tab. 64 bringt für die Stadt Leipzig die Beziehung zwischen Selbst-
mordmittel und Jahreszeit zum Ausdruck, indem sie das Verhältnis der
gewählten Selbstmordmittel zueinander in jedem Monat erkennen läßt.
Wir bemerken, wie der Tod durch Ertränken in den Wintermonaten
zurücktritt, statt dessen scheint im Winter das Erschießen besonders
bei den Männern häufiger zu sein. Wir hatten über diese Verhältnisse
bereits in Kap. 6 des näheren gesprochen.
Ferner bietet die sächsische Statistik Ausweise über die von den
Angehörigen der verschiedenen Familienstandsgruppen gewählten Selbst-
mordmittel (Tab. 63). Großes Interesse werden diese Beziehungen wohl
kaum beanspruchen können, da ein Einfluß des Familienstandes auf die
Wahl der Todesart sich kaum denken läßt. Zudem erstrecken sich die
Ausweise nur auf die fünf Jahre 1900—04, so daß die Zahlen für die
weniger gebräuchlichen Todesarten auch hier unzuverlässig werden. Für
die Männer ist der Anteil des Erhängens bei den Verheirateten und
Geschiedenen und der des Erschießens sehr hoch. Von den Frauen be-
vorzugen die Ledigen das Gift, die Pistole und das Wasser, weniger da-
gegen den schimpflicheren Tod des Erhängens. Dieselben Besonder-
heiten sind auch aus Tab. 65 Spalte f—h noch gut zu erkennen, ob-
wohl hier beide Geschlechter zusammengefaßt sind.
- Bei diesen Erscheinungen wird mehr als der Familienstand das
Alter der Selbstmörder von Einfluß sein. Leider liegen für das ganze
Königreich Sachsen in dieser Hinsicht keine Ausweise vor, so daß
einige Angaben für die beiden Städte Leipzig und Chemnitz an die
Stelle treten müssen. Für Chemnitz ergibt sich für beide Geschlechter
zusammen, wenn man von der jüngsten Altersklasse bis zu 15 Jahren
absieht, daß das Erhängen mit dem Alter abnimmt; die Romantik ver-
liert sich, wie A. Wagner sagt (vgl. Tab. 65, 66 und 41).
Eingehender sind die Angaben für Leipzig. Bei den Männern findet
im jugendlichsten Alter das Erhängen noch mehr Anwendung neben
dem Erschießen; im Alter von 20—30 Jahren tritt aber das ErschieBen
in den Vordergrund. Doch schon vom 30. Jahre ab gewinnt der Strick
die Oberhand und spielt nun eine mit dem Alter zunehmende Rolle
unter den Todesmitteln. Auch das Gift ist in den jüngeren Jahren von
20—35 Jahren noch mehr in Gebrauch. Bei den Frauen nimmt die
Vorliebe für das Wasser, die sich in jungen Jahren zeigt, mit dem Alter
immer mehr und mehr ab, der Strick tritt an die Stelle, wie bei den
1) G. v. Mayr a. a. O. S. 876.
Kürten: Statistik des Selbstmordes. 6
66 Zwolftes Kapitel. Die Technik des Selbstmords
Männern an Stelle der Pistole. Das Gift hat immerhin noch bis zum
50. Jahre eine Bedeutung, die SchuBwaffen dagegen nur bei jüngeren
Frauen bis zum 35. Jahre. Dies geht auch hervor aus Tab. 66, welche die
Bedeutung einer jeden Todesart fiir die einzelnen Altersklassen besonders
veranschaulicht. Von je 100 Männern, die sich durch ErschieBen das
Leben nahmen, standen 63 im Alter von 15—35 Jahren, von 100 Frauen
77 ım Alter von 20—35 Jahren. Auch der Gebrauch des Giftes kon-
zentriert sich hauptsächlich auf dieselben Altersklassen wie das Er-
schießen. Es standen rund 61 von 100 Männern, die sich vergifteten,
im Alter von 15—35 Jahren. Der junge Mann von 15—20 Jahren
greift also schon zu ritterlichen Waffen, wie Pistole und Gift, während
das junge Mädchen in dem Alter das Wasser vorzieht. Aber schon im
Alter von 30—40 Jahren töten sich von den Frauen nur noch 5—7°,,
durch Ertränken, während bei den Männern der Tod im Wasser von
allen Altersklassen ungefähr gleich stark gesucht wird. Von 100 Männern,
die sich erhängten, standen mehr als 65 im Alter von 35—70 Jahren.
Einige Beachtung hat in den amtlichen Veröffentlichungen der
neueren Zeit die Verbindung des Selbstmordmittels mit Zeit und Ort
der Ausführung der Tat gefunden. Für Sachsen liegt in dieser Hinsicht
eine Zusammenstellung für die Jahre 1908 und 1909 vor (Tab. 68).
Da aber, wie schon erwähnt, die Zeit von 6 Uhr abends mit der ganzen
Nacht zusammengefaßt wird, so läßt sich kein klares Bild gewinnen.
Es müssen also weitere Angaben abgewartet werden, die genauere Unter-
scheidungen zwischen den einzelnen Stunden des Tages und der Nacht
geben, bevor man der Frage nach den Beziehungen zwischen Selbst-
mordmittel und Tageszeit näher treten kann. Auch für andere Lander
liegen solche Ausweise noch nicht vor.
Eine Verbindung der Wahl der Selbstmordmittel mit der Konfession
der Selbstmörder, wie sie für Chemnitz vorhanden ist, läßt ebensowenig
wie die Verbindung mit dem Familienstande Besonderheiten erwarten
(vgl. Tab. 67). Auf die Kombination mit den Motiven, die in der säch-
sischen Selbstmordstatistik sehr reichlich geboten ist, soll im folgenden
Kapitel kurz eingegangen werden. Der Einfluß des Motivs auf die Wahl
der Todesart ist sicherlich sehr groß; doch wird die Todesart weniger
davon abhängen, ob das Motiv ein ideales oder ein schimpfliches ist,
sondern mehr von dem Grade und der Art, wie es den Selbstmörder
erfaßt hat. Vor allem sprechen Berufs- und Standesvorurteile hier mit.
Um den Einfluß dieser letzteren Art, der Berufs- und Standes-
sitten, des näheren zu beleuchten, habe ich aus den mehrfach erwähnten
Polizeiamtsanzeigen für die Stadt Leipzig die gewählten Todesarten
nach einigen Berufsgruppen für die über 15 Jahre alten Personen zu-
sammengestellt. Das Ergebnis ist in den Tab. 69—70 wiedergegeben.
Bei den Männern ist der Tod durch Erhängen in allen Berufs-
klassen beträchtlich, am häufigsten aber doch bei den Handwerkern,
Todesart und Beruf; mehrere gleichzeitige Todesarten 67
Arbeitern, Dienstboten und Anstaltsinsassen. Bei den höheren Berufsarten,
den Kaufleuten, Handlungsgehilfen, Beamten und dem Bureaupersonal
tritt an die Stelle des Todes durch Erhängen schon öfter der Tod durch
Ertränken. Das ErschieBen findet sich vorzugsweise bei den Berufs-
arten, deren Angehörige in jüngerem Alter stehen, Handlungsgehilfen
und Bureaupersonal, dann bei Akademikern, Lehrern, Ingenieuren, Tech-
nikern und auch bei den Kaufleuten. Diesen Berufsarten dient auch
das Gift ziemlich häufig als Selbstmordmittel.
Bei den Frauen wurde von den Dienstmädchen, Kontoristinnen,
Näherinnen und Arbeiterinnen, also den jüngeren Frauen, der Tod in
ungefähr 50%, aller Fälle durch Ertränken gesucht; daneben spielte
das Gift noch eine Rolle. Bei den älteren Frauen, den Ehefrauen und
Witwen ohne besonderen Beruf, sowie bei den Geschäfts- usw. Inhabe-
rinnen tritt wieder der Tod durch Erhängen besonders hervor.
Wenn auch diese Angaben nur auf einer geringen Zahl von Nach-
weisungen beruhen (3037), und sich außerdem auf eine besonders ge-
artete, nämlich großstädtische Bevölkerung beziehen, so lassen sie doch
manche charakteristische Einzelheiten deutlich hervortreten. In man-
chen Fällen wirken zweifellos die Einflüsse des Berufes und des Alters
zusammen, in anderen dagegen tritt mehr der eine oder der andere von
ihnen hervor. Eine weitere Unterscheidung der Berufsangehörigen nach
Altersklassen könnte auch hierüber Klarheit bringen. Daß die sich bie-
tende Gelegenheit oft von Bedeutung werden kann, geht daraus hervor,
daß während der 21 Jahre von 13 Selbstmördern, die als Inhaber, Ge-
hilfe oder Lehrling in einer Apotheke oder Drogerie beschäftigt waren,
12 zum Gift griffen.
Interessant ist es schließlich noch zu verfolgen, wie von einzelnen
Selbstmördern mehrere Todesarten angewandt werden, um auf jeden
Fall zum Ziele zu gelangen. Meist wird das geschehen, wenn der eine
Tötungsversuch fehlgeschlagen ist oder zu langsam wirkt oder zu große
Schmerzen bereitet. Die sächsische Statistik weist solche Fälle seit
1906 nach; im ganzen wandten von 43 Männern und 7 Frauen an
Männer Frauen
20 mal Schuß und Strick 1 mal Ader öffnen und Erhängen
„ Schuß und Ertränken 1 „ Ader öffnen und Erschießen
„ Schuß und Ader öffnen 1 „ Ader öffnen und Ertränken
„ Schuß und Überfahren lassen 1 „ Ader öffnen und Herabstürzen
„ Schuß und Herabstürzen 2 , Vergiften und Ertränken
„ Ader öffnen und Erhängen 1 „ Schnittverletzungen u. Ertränken
Ader öffnen und ErschieBen 7 Frauen zusammen.
„ Ader öffnen und Ertränken
» Ader öffnen und Herabstürzen
„ Gift und Ertränken
» Gift und Erhängen
„ Gift, Erschießen und Erhängen
„ Kehle durchschneiden u. Erhängen
43 Männer zusammen
ba bh ba Fa kä bé RM GO kä ké pd p
3
5*
68 Dreizebntes Kapitel. Beweggründe zum Selbstmord
Am häufigsten greifen die Männer erst zur Kugel, dann zum Strick; in
vier Fällen gingen sie ins Wasser, nachdem sie sich Schußverletzungen
beigebracht hatten. Da Gift meist langsamer wirkt und große Schmer-
zen verursacht, sollte man erwarten, daB das Vergiften oft von einer
anderen Todesart begleitet würde. Es finden sich aber nur vier der-
artige Fälle. Bei den Frauen kommt es vor, daß das Öffnen der Ader
nicht oder nicht rasch genug zum Tode führte; da wird dann zu den
verschiedenartigsten anderen Mitteln gegriffen. Ein Mann erhängte sich
erst, nachdem er vorher Gift genommen und sich dann Schußrverletzun-
gen beigebracht hatte.
Nachrichten über von derselben Person wiederholte Selbstmord-
versuche mit den angewandten Mitteln liegen für Sachsen nicht vor;
soweit ich sehe, auch nicht für andere Länder. Aber auch die Wahl
der Mittel bei einfachem Selbstmordversuch ist noch wenig erfaßt, in
Sachsen überhaupt noch nicht. G. v. Mayr macht darauf aufmerksam,
daß gewiß viele Selbstmordversuche nur zum Schein unternommen wur-
den, und daß das Bestreben, den tötlichen Erfolg des Versuches zu ver-
eiteln, schon in der Wahl der Mittel zum Ausdruck kommt, indem bei
Selbstmordversuchen vorzüglich solche Mittel gewählt werden, bei denen
eine weitreichende Möglichkeit der Rettung noch vorliegt. Die von
ihm für Budapest beigebrachten Zahlen bestätigen dies. So findet sich
beispielsweise das Gift bei Selbstmordversuchen in 44 von 100 Fällen,
bei den vollendeten Selbstmorden in 16°...
Für das Jahr 1909 ist erstmals in Sachsen nachgewiesen, ob bei
den verschiedenen Todesarten das Ableben unmittelbar bei der Be-
gehung der Tat oder erst nach Verlauf einer längeren oder kürzeren
Zeit eingetreten war (Tab. 71). Das Interesse, das diese Zahlen erwecken
können, ist nur sehr gering. Bei den meisten Todesarten tritt der Tod
sofort ein oder doch innerhalb der nächsten Zeit. Nur einige SchuB-
und Schnittverletzungen hatten den Tod erst im Verlaufe einer längeren
Zeit zur Folge; ebenso einige Fälle von Vergiftungen.
Dreizehntes Kapitel.
Beweggründe zum Selbstmord.
Der Trieb zu leben ist so tief in der menschlichen Natur begründet
und etwas ihr so eigentümliches, daß man bei der Selbstentleibung noch
mehr als sonst die Frage nach den Beweggründen und Ursachen
stellt. Einem solchen Verlangen ist die süchsische Selbstmordstatistik,
besonders in älterer Zeit, in weitgehender Weise entgegengekommen und
hat viel sorgfältig bearbeitetes Material gebracht, von dem das Wich-
tigste in den Tab. 72—76 wiedergegeben ist. In der neueren Zeit sind
bei beiden Geschlechtern vor allem Geistes- und Nervenkrankheit, Schwer-
Selbstmord motive 69
mut und körperliche Leiden, wozu beim weiblichen Geschlecht noch
Liebesgram und bei den Männern Nahrungssorgen und Furcht vor Strafe
kommen, als Motiv des Selbstmordes angegeben. Ein Vergleich dieser
Ergebnisse mit den weiter zurückliegenden Zahlen bietet deshalb Schwie-
rigkeiten, weil diese nach einem anderen Schema zusammengestellt sind.
Gewachsen zu sein scheint die Bedeutung der körperlichen Leiden, des
häuslichen Kummers, der Nahrungssorgen (zerrüttetes Vermögen und
Subsistenzmangel) bei den Männern und Liebeskummer bei den Frauen.
Großes Interesse bietet die Zusammenstellung der Beweggründe mit dem
Lebensalter der Selbstmörder. Körperliche Leiden, häuslicher Kummer
und Nahrungssorgen machen sich besonders in höherem Lebensalter
bemerkbar, während unglückliche Liebe, unordentliches Leben und be-
sonders Alteration (Ärger, Streit, Aufregung) schon in jüngeren Jahren
oft zum Selbstmord führen. Gewachsen ist also die Bedeutung der-
jenigen Ursachen, welche vorwiegend im höheren Alter zum Selbst-
mord veranlassen, ebenso wie auch die Zahl der Selbstmörder in höherem
Alter gewachsen ist (vgl. S. 39 ff.). Bemerkenswerte Einzelheiten läßt
auch Tab. 77 erkennen: so den hohen Prozentsatz der Selbstmorde wegen
zerrütteter Vermögenslage unter den Handel- und Gewerbetreibenden
und den niedrigen unter den Arbeitern, während umgekehrt Subsistenz-
mangel bei den Arbeitern häufiger zum Tode führt als bei Kaufleuten
und Handwerkern. Unter weiblichen Dienstboten kommen besonders
Liebeskummer, Furcht vor Strafe und Alteration als Veranlassung zum
Selbstmord in Betracht, bei den Militärpersonen Furcht vor Strafe und
Liebesgram. Die sich in der folgenden Tab. 78, welche die Beweg-
gründe mit der Wahl der Todesart kombiniert, zeigenden Verschieden-
heiten begreift man leicht, wenn man sich der Verschiedenheiten der
Wahl der Todesart in den einzelnen Lebensaltern erinnert. Da bei-
spielsweise Liebesgranı vor allem in jüngeren Jahren häufig zum Tode
führt, andererseits in diesem Alter der Tod durch Erschießen verhältnis-
mäßig vorgezogen wird, so ist auch der Prozentsatz der männlichen
Selbstmörder, die sich wegen Liebeskummers erschossen haben, beson-
ders hoch. In gleicher Weise ist der hohe Prozentsatz der unglücklich
liebenden Frauen, die sich durch Ertränken das Leben nehmen, erklär-
lich, während sich nur wenige von diesen erbängten.
Obwohl in allen diesen Zahlenreihen eine gewisse Regelmäßigkeit
unverkennbar hervortritt und auch begründet erscheinen kann, so muß
man doch, wenn man die Ergebnisse kritisch betrachtet, zu der Über-
zeugung kommen, daß ihr Wert in keinem Verhältnis steht zu der
Mühe und dem Aufwand, den sie verursacht haben. Sie scheinen sogar
oft geeignet, zu ganz irreführenden Schlüssen zu verleiten.
Der Selbstmord ist eine Willensäußerung, die gewöhnlich in der
Folge irgendeines Ereignisses sich zu erkennen gibt. Derartige Ereig-
nisse wirken in manchen Fällen ganz plötzlich und unmittelbar, der
70 Dreizehntes Kapitel. Beweggriinde zum Selbstmord
Selbstmörder steht ganz unter dem Einfluß eines Vorganges und ist
keiner weiteren Überlegung fähig. So z. B., wenn eine Frau nach einem
voraufgegangenen Streit ans Fenster eilt und sich in den Hof hinab-
stürzt, wie das nicht selten vorkommt. In anderen Fällen, wie beim
Selbstmord aus Reue, Furcht, Liebesgram, wirkt ein Ereignis, eine Tat-
sache ganz allmählich, oft vergehen Tage und Wochen, während deren
sich in dem Selbstmörder die Idee, aus dem Leben zu scheiden, immer
mehr festsetzt, bis sie endlich ohne erkennbaren äußeren Anlaß zur Tat
wird, oder auch ein ganz anderes, oft nichtiges Vorkommnis, die Ent-
scheidung herbeiführt. Immer aber handelt es sich hier um äußere An-
lässe, die nur in manchen, vielleicht nur in den seltensten Fällen zum
Selbstmord führen. Denn die Wirkung ein und desselben Ereignisses
ist bei verschiedenen Menschen sehr verschieden; es kommt dabei vor
allem auf die natürliche Veranlagung, die „Natur“ des einzelnen schlecht-
weg, an, auf die Art und Intensität, wie er auf wirtschaftliche, sinn-
liche, ideelle usw. Einwirkungen reagiert, sowie auf seinen Lebenstrieb.
Weiterhin kann diese natürliche Veranlagung durch die Erziehung oder
auch durch äußere Verhältnisse, Gewohnheiten, Standesrücksichten, her-
gebrachte Sitten u. a. mehr oder weniger modifiziert werden. Wäre es
möglich, diese drei Momente, Veranlagung, Erziehung und Umgebung
bei jedem einzelnen der Selbstinörder exakt zu erfassen, dann wäre es
denkbar, die Wirkung eines Ereignisses zu verfolgen und wenigstens
einigermaßen den Beweggrund der Tat richtig zu erfassen.
Ferner muß man bei der Motivenstatistik beachten, daß jede In-
beziehungsetzung verschiedener sozialer Erscheinungen zwei Seiten hat;
und ebenso, wie die absolute Zahl der Selbstmörder nur bedingten Wert
hat, so lange nicht die Stärke der Gesamtbevölkerung bekannt ist, aus
der die Selbstmörder hervorgegangen sind, so müßte auch die Gesamt-
heit derjenigen Erscheinungen, die für die Selbstmordmotivation in Be-
tracht kommen können, bekannt sein, um die Bedeutung der einzelnen
Momente für den Selbstmord in ihrem wahren Umfang klarzulegen.
Ein Beispiel für viele: es sei festgestellt, daß in zwei Ländern, z. B.
Bayern und Irland, gleich oft im Verhältnis zur Größe der Gesamtbe-
völkerung außereheliche Schwangerschaft als Grund zum Selbstmord
angegeben wurde. Daraus darf man aber noch nicht schließen, daß
außereheliche Schwangerschaft die Frauen in beiden Ländern gleich häufig
in den Tod triebe. Denn da in Bayern die unehelichen Geburten be-
deutend zahlreicher sind, so würden sich beispielsweise zehn diesbezüg-
liche Selbstmordfälle in Bayern auf etwa 500 außereheliche Schwan-
gerschaften verteilen, in Irland dagegen nur auf 100. Mithin würde in
Irland jede zehnte außerehelich geschwängerte Frau Selbstmord begehen,
in Bayern dagegen erst jede fünfzigste. Das wäre ein gewaltiger Unter-
schied in der Bedeutung dieses Motivs für den Selbstmord. Eine solche
allgemeine Erfassung aller tatsächlichen Vorgänge und Erscheinungen,
Kritik der Motivenstatistik 71
welche möglicherweise zum Selbstmord führen könnten, um sie den
Fällen gegenüber zu stellen, in denen der Selbstmord wirklich die Folge
war, ist jedoch nicht möglich.
Vor allem ist der geringe Wert der Statistik der Selbstmordmotive
bedingt durch die Art der Feststellung und Registrierung. Was zu-
nächst den letzten Punkt angeht, so lehrt ein Blick auf jede Motivüber-
sicht, wieviel Verschiedenartiges in einer Bezeichnung verbunden und
wieviel Verwandtes getrennt aufgeführt werden kann. Was bedeutet
z. B. Lebensüberdruß? Seines Lebens überdrüssig ist schließlich jeder
Selbstmörder, der das Leben von sich wirft! Ist Eifersucht unter Ver-
lobten das Motiv zur Tat gewesen, so wird es unter Liebeskummer
registriert, bei Verheirateten dagegen unter „ehelicher Zwist“ und „häus-
licher Kummer“; unter dieser letzteren Rubrik finden wir aber auch
häuslichen Kummer, der durch Krankheit, Nahrungssorgen oder Schande
eines Familienmitgliedes veranlaßt sein kann. Nun ist es ja gewiß wün-
schenswert zu sehen, wie sich Verheiratete und Nichtverheiratete im
Fall der gestörten Eintracht verhalten. Aber wünschenswerter wäre es
vielleicht noch, den Einfluß der Sinnlichkeit und verletzten Selbstliebe
— um diese handelt es sich ja oft genug — von Einflüssen anderer
Art auf die Selbstmordneigung zu trennen. Selbst eine so reich ge-
gliederte Motivstatistik, wie die preußische, kann hier nicht befriedigen.
Und es ist auch ganz unmöglich, eine vollkommen genügende Zusam-
menstellung der Beweggründe zu geben, da die Anlässe und Ursachen
so mannigfaltig und verschieden sind, daß Zusammenfassungen nach
äußeren Gesichtspunkten stets unvermeidlich und dadurch die wichtig-
sten und charakteristischen Unterschiede verwischt werden. Zum min-
desten müßte das Schema der Selbstmordmotive eine Scheidung ent-
halten zwischen solchen konkreten Tatsachen und Ereignissen, die sich,
wenigstens in den meisten Fällen, einwandsfrei feststellen lassen, und
anderen Beweggründen, die insbesondere in körperlichen und geistigen
Zuständen bedingt sind. G. v. Mayr nennt die Beweggründe dieser letz-
teren Art „allgemeine Dispositionen“, die der ersten Art „konkrete
Störungsereignisse“.!)
Was nun die Feststellung des Beweggrundes im einzelnen Falle
betrifft, so wollen wir unter heutigen Verhältnissen das Vertrauen in
die in Betracht kommenden Behörden setzen, daß sie ihre Erkundigun-
gen mit der größtmöglichen Sorgfalt anstellen. Immer aber liegt die
Gefahr vor, daß eine Ausfüllung der Frage nach dem Beweggrunde
unter allen Umständen erstrebt wird, um nicht den Anschein zu er-
wecken, als habe es an Pflichteifer gefehlt, und daß andererseits man
sich bei der Feststellung mit dem ersten besten Erklärungsgrund be-
gnügt, der plausibel erscheint. Die Angaben über den Grund zum Selbst-
1) G. v. Mayr, a. a. O. S. 382.
12 Dreizehntes Kapitel. Beweggründe zum Selbmord
mord können nun aus drei Quellen stammen: von dem Selbstmörder
selbst aus hinterlassenen Briefen, von den Angehörigen oder von Ferner-
stehenden. Die Angaben der ersten Art möchten wohl als die zu-
verlässigsten gelten, wenn nicht die menschliche Eitelkeit oder auch
Rücksicht auf die Hinterbliebenen oder den Namen die Selbstmörder
oft veranlaßten, den wahren Beweggrund zu verschleiern. Außerdem
sind die Fälle, daß der Selbstmörder das Motiv zur Tat ausdrücklich
angibt, nicht sehr häufig. Die Angehürigen haben aber oft das größte
Interesse daran, den wirklichen Sachverhalt zu verbergen und falsche
Angaben zu machen; oft genug auch werden sie bei allem guten Willen
über den wirklichen Beweggrund im Irrtum sein. Muß sich der Beamte
aber an entferntere Personen, an Nachbarn und Arbeitsgenossen des
Selbstmörders wenden, dann sieht es meist noch schlimmer aus. Da
wird der Beamte die widersprechendsten Aussagen zu hören bekommen,
denn jeder will, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, sich wichtig
machen und etwas wissen. Unter all diesen Aussagen hat nun der Be-
amte zu wählen, und zwar in der Regel, ohne den Selbstmörder persön-
lich gekannt zu haben. Er wird also die Aussage annehmen, welche
ihm am wahrscheinlichsten gemacht wurde oder erschien. Steht er somit
hier noch mit unter dem Einfluß des Aussagenden, so muß er bei der
Unterbringung des Beweggrundes in dem Schema der Motive ganz
seinem subjektiven Ermessen folgen. Schnapper-Arndt gibt in seiner
„nozialstatistik“?) einige Angaben über die Beweggründe wieder, welche
Selbstmörder hinterlassen haben. Man kann da sehen, wie schwer es
oft ist, eine Tatsache in dem amtlichen Schema unterzubringen.
Aus alledem geht hervor, daß eine vollständige und erschöpfende
Erfassung der Beweggründe auf statistischem Wege nicht möglich ist.
Hier handelt es sich in der Mehrzahl um „nicht zahlenmäßig erfaßbare
Tatsachen“, die außerhalb des Bereiches der Statistik fallen; hier muß
die Einzelbeobachtung an die Stelle treten. Die Statistik kann nur da-
bei mitwirken, die äußerlich sichtbaren und erfaßbaren Verhältnisse klar
zu legen, die für die innere Prädisposition des Einzelnen zum Selbstmord
irgendwelche Bedeutung haben könnten. Es sind dies die allgemeinen
natürlichen und sozialen Unterscheidungen, vor allem aber die genaue
Unterscheidung der beruflichen und sozialen Stellung; aber auch die
Stellung in der Familie, die Bildungs- und Wohlstandsverhältnisse sowie
die etwaige Kriminalität gehören hierher. Dabei dürfte nur das aufge-
zeichnet werden, was wirklich genau und zuverlässig feststeht.
1) Schnapper-Arndt, Sozialstatistik, Leipzig 1908.
Vierzehntes Kapitel. Die Veränderungen der Selbstmordlichkeit 73
Vierzehntes Kapitel.
Die Veränderungen der Selbstmordlichkeit
im Königreich Sachsen und ihre Ursachen.
Die Selbstmordintensität der Bevölkerung des Königreichs Sachsen
ist in der langen Reihe von Jahren, die wir betrachtet haben, keine
gleichmäßige gewesen. Wenn auch der Höhepunkt der Selbstmord-
häufigkeit seit anfangs der 80er Jahre endgültig überschritten zu sein
scheint, so ist im ganzen für die Zeit von 1430 bis zur Gegenwart doch
eine starke Zunahme der Selbstmordlichkeit festzustellen. Es soll nun
zusammenfassend noch ein Blick auf diese Entwicklung geworfen und
dabei versucht werden, die Ursachen und Bedingungen dieser Verände-
rungen der Selbstmordlichkeit aufzudecken.
Es sind zu dem Zweck drei Wege einzuschlagen: zunächst soll zu-
sammenfassend die Veränderung festgestellt werden, welche in der Selbst-
mordfrequenz der einzelnen natürlich und sozial Seschiedenen Bevölke-
rungsschichten eingetreten sind, also Veränderungen in der Selbstmord-
häufigkeit der beiden Geschlechter, der Alters-, Familienstands- und
Berufsgruppen. Des weiteren ist dann die Entwicklung der Selbstmord-
häufigkeit der Gestaltung anderweitiger allgemein sozialer Vorgänge und
Erscheinungen gegenüberzustellen, um das Vorhandensein gemeinsam
wirkender Einflüsse und Strömungen aufzudecken. Und drittens endlich
ist besonders für die einzelnen Jahre und Jahresperioden, in denen sich
Störungen der regelmäßigen Entwicklung der Selbstmordlichkeit zeigen,
die gesamte absolute Selbstmördermasse eingehend nach der Beteiligung
der jeweiligen natürlichen und sozialen Bevölkerungsklassen zu unter-
suchen, um so festzustellen, welche Gruppen der Bevölkerung bei diesen
Störungen hauptsächlich ın Betracht kommen, und daraus dann wieder
auf die wirkenden Ursachen schließen zu können. Wenn man dabei kurz-
jährige Perioden beobachtet, so fällt die inzwischen eingetretene Ände-
rung in der Gesamtmasse der Bevölkerung kaum ins Gewicht.
a) Die Zunahme der Selbstmordlichkeit im allgemeinen
und in den einzelnen Bevölkerungsschichten.
Die Zunahme der Selbstmordlichkeit ist, wie wir sahen, im Laufe
der Zeit eine beträchtliche gewesen, wenn sie auch nicht bis in die
letzte Zeit hinein angehalten hat. Den Höhepunkt hat sie Ende der
70er und Anfang der 80er Jahre bereits überschritten und ist seitdem
in einer allmählichen Abnahme begriffen. Ein Teil der Zunahme
in der Zahl der Selbstmorde muß in älterer Zeit wohl zweifellos
auf die immer mehr vervollkommnete Erhebungstechnik zurückge-
führt werden. Wir wiesen schon darauf hin, wie anfänglich die Zahl
der von den Polizeibehörden gemeldeten Selbstmordfälle hinter der Zahl
der in den Kirchenzetteln gezählten zurückblieb, sie dann aber in
14 Vierzehntes Kapitel. Die Veränderungen der Selbstmordlichkeit
wenigen Jahren überholte. Ferner fällt die außerordentliche Steigerung
in der Selbstmordhäufigkeit in den Jahren 1876 und 1877 auf, nach-
dem im Jahre 1876 die Sächsischen Verwaltungsbehörden eine Neu-
organisation erfahren hatten. Ausschließlich auf diesen Umstand ist
die hohe Zahl der Selbstmordfälle in diesen Jahren aber nicht zurück-
zuführen, da die aufsteigende Bewegung bereits im Jahre 1875 einge-
setzt hatte und die Zahlen in den allerniichsten Jahren wieder zurück-
gingen.
Was nun die Zunahme in der ausgewiesenen Zeit im ganzen an-
geht, so betrug die jährliche Zahl der Selbstmörder im Durchschnitt
der Jahre 1831—40 im Königreich Sachsen 179, die Selbstmordziffer
ungefähr 112,3; im Durchschnitt der Jahre 1900—09 belief sich die
Zahl der Selbstmörder auf 1424, die Selbstmordziffer auf 319,4. Die
absolute Zahl der Selbstmörder hat während der Zeit also um 695,5 °%
zugenommen, die Selbstmordziffer um 184,4°/,; letztere hat sich also
beinahe verdreifacht. |
Wir wiesen bereits darauf hin, wie an dieser Zunahme der Selbst-
mordhäufigkeit die beiden Geschlechter nicht in gleichem Maße be-
teiligt sind. Während die Selbstmordziffer der Männer von 1832—1905
um 335,4%, gestiegen ist, nahm die der Frauen um 432,1°, zu. Aller-
dings ist die Zahl der weiblichen Selbstmörder im Verhältnis zur Zahl
der männlichen gering, so daß die stärkere Teilnahme der Frauen keinen
erheblichen Einfluß auf das Wachsen der allgemeinen Selbstmordziffer aus-
übt. Würde die Beteiligung der Frauen am Selbstmord in demselben Maße
wie die der Männer gestiegen sein, so würde sich für dasJahr 1905 etwa eine
Selbstmordziffer von 300 für beide Geschlechter zusammen ergeben.
Die Abweichung von dem Durchschnitt 1900—09 (319,4) ist nicht
sehr groß.
Eine Untersuchung der Zunahme der Selbstmordhäufigkeit in den
einzelnen Lebensaltern begegnet einer doppelten Schwierigkeit: ein-
mal läßt sich das Alter der Selbstmörder nicht weiter als bis 1847—58
zurückverfolgen; um diese Zeit ist die Selbstmordziffer aber schon
ziemlich hoch; die Zunahme von 1846—58 bis 1903—07 beträgt für
das männliche Geschlecht 32,3%, und für das weibliche 61,9%. Und
weiter sind die Spannrahmen der Altersklassen zu groß. Berechnet
man die Selbstmordziffern während der Periode 1903—07 für dieselben
Altersklassen, wie sie für 1847—58 gegeben sind, und stellt diese
beiden Zahlenreihen einander gegenüber, so sieht man, wie beim männ-
lichen Geschlecht die beiden jüngsten Altersklassen bis zum 21. Lebens-
jahre und dann wieder die über 50jährigen ein starkes Steigen der
Selbstmordziffern aufweisen. Beim weiblichen Geschlecht tritt nur die
Zunahme der beiden jüngsten Altersklassen besonders hervor, während
die der übrigen Altersgruppen ungefähr gleichförmig ist. Nun stehen
von den Männern ca. 10% aller Selbstmörder im Alter von unter
Veränderungen d. Selbstmordlichkeit nach Geschlecht, Alter u. Familienstand 75
21 Jahren und ca. 39°, im Alter von über 50 Jahren, so daß eine ver-
stärkte Zunahme der Selbstmordbeteiligung dieser Altersklassen für
die Gestaltung der Selbstmordziffer im ganzen ziemlich ins Gewicht
fällt. Bei den Frauen dagegen betrug der Anteil der unter 21 jährigen
nur 15—20°, der gesamten Masse der weiblichen Selbstmörder, so daB
Besonderheiten in der zeitlichen Gestaltung der Selbstmordlichkeit
dieser Altersklassen weniger schwerwiegend sind. Es folgt also: an der
Zunahme der Selbstmordlichkeit nahmen bei beiden Geschlechtern alle
Altersklassen teil; verhältnismäßig gering ist aber das Wachsen der
Selbstmordziffern bei den Männern im Alter von 21--50 Jahren gegen-
über denen der jugendlichen Personen unter 21 Jahren und den Alten
über 50 Jahren. Besonders trägt die erhöhte Selbstmordfrequenz der
letzteren, der über 50jährigen, zu dem Wachsen der männlichen Selbst-
mordziffer überhaupt bei. Bei den Frauen verteilt sich die Zunahme
der Selbstmordlichkeit gleichmäßiger auf alle Altersklassen mit Aus-
nahme der beiden jüngeren und besonders der jüngsten Altersklasse,
welche eine ganz außerordentlich gesteigerte Selbstmordziffer aufweisen.
Es betrug die Selbstmordziffer auf 1 Million Lebender
| die Zunahme der
|
im Alter von | 1847—58 | 1903—07
| a) bei den Miinnern
‘unter 14 Jahren | 9,6
14— 21 210
21—30 396
30—50 | 551
| 50—70 | 906 1400
über 70 917 | 1816,4
b) bei den Frauen
über 70
Ein ähnlicher Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern
findet sich, wenn man die Zunahme der Selbstmordlichkeit der einzelnen
Familienstandsgruppen betrachtet (vgl. die folgende Tabelle). Bei
den Frauen ist die Zunahme in allen vier Gruppen ziemlich hoch, am
beträchtlichsten bei den Geschiedenen (59,0°%,) und am geringsten bei
den Verheirateten. Bei den Männern ist dagegen die zeitliche Gestaltung
der Selbstmordhäufigkeit in den einzelnen Gruppen sehr verschieden.
Besonders groß ist die Zunahme der Selbstmordziffern der Verwitweten
(77,6); diese gehören vorwiegend den höheren Lebensaltern an, deren
Selbstmordziffer, wie wir sahen, ebenfalls sehr gestiegen war. Ver-
16 Vierzehntes Kapitel. Die Veränderungen der Selbstmordlichkeit
schwindend gering ist die Zunahme bei den ledigen Männern, und eine
Abnahme weisen gar die Geschiedenen auf.
Leider ist ein Vergleich der Selbstmordhiutigkeit der verschiedenen
Berufsklassen, so wertvoll er sein würde, nicht möglich, da die Aus-
gliederung der Berufsklassen in älterer und neuerer Zeit nicht gleich-
artig ist.
Es er die Selbstmordziffer auf 1 Million Lebende
|
bei den . 1848—67 | 1903—07
a) bei den Männern
_ Ledigen 22 i 231,6
' Verheirateten \ é 690
Verwitweten Di | 2679,5
| Geschiedenen ` 33% | 3121
| b) bei den Frauen
die Zunahme der
Selbstmordziffer
96,8
Verheirateten | 170
' Verwitweten 2.222200. 357
| Geschiedenen 3: 520
b) D Die Selbstmordlichkeit in ihren Beziehungen zu all-
gemeinen natürlichen und sozialen Erscheinungen und Tat-
sachen.
Ein weiterer Weg zu der Erkenntnis der Ursachen der Verände-
rungen der Selbstmordhäufigkeit und damit der Ursachen des Selbst-
mordes selbst ist in der Vergleichung der Ergebnisse der Selbstmord-
statistik mit anderen statistisch festgestellten Tatsachen und Erschei-
nungen geboten. Eine solche ist in verschiedener Weise möglich.
1. Eine Art der Inbeziehungsetzung verschiedener statistischer
Erscheinungsreihen ist bereits seit langer Zeit ein wesentlicher Bestand-
teil der statistischen Forschung geworden, das ist die Inbeziehung-
setzung bestimmter Teilmassen zur Grundmasse, der jene angehören.
So haben wir im Verlauf der Untersuchung die Zahl der männlichen
und weiblichen Selbstmörder in Beziehung gesetzt zur Gesamtzahl der
Männer und Frauen im ganzen Lande, ferner haben wir das Verhältnis
der Zahl der Selbstmörder in den einzelnen Altersklassen in der Be-
völkerung berechnet usw. Während die Gliederungszahlen, mit denen
die ältere Statistik vorwiegend operierte und mangels genauerer Aus-
weise operieren mußte, erkennen lassen, in welchem Maße die ein-
zelnen unterschiedlichen Bevölkerungsschichten in der Selbstmörder-
masse vertreten sind, stellen die Beziehungszahlen fest, wie stark die
unterschiedenen Klassen mit Rücksicht auf ihre Gesamtbesetzung am
Selbstmord beteiligt sind. Die Gliederungszahlen zeigen nur die tat-
sächliche Zusammensetzung der Selbstmördermasse, die Beziehungs-
Die Selbstmordlichkeit im Vergleich mit natürlichen und sozialen Zuständen 77
zahlen bahnen bereits die Ursachenforschung an, indem sie auf die ver-
schieden hohe Selbstmordfrequenz der einzelnen Bevölkerungsklassen
hinweisen. Die Genauigkeit der Feststellungen durch die Beziehungs-
zahlen läßt nichts zu wünschen übrig, wofern nur die Ausgliederung
der Teilmassen einerseits und der Grundmassen andererseits möglichst `
reichhaltig und übereinstimmend und dabei exakt erfolgt.
2. Es kann weiter die Selbstmördermasse im ganzen oder in ihren
Differenzierungen mit Erscheinungen und Tatsachen der Natur ver-
glichen werden. Auch diese Forschungsmethode wurde im Vorher-
gehenden wiederholt angewandt, so bei der Untersuchung der jahres-
zeitlichen wie überhaupt der abstrakt zeitlichen Gestaltung der Selbst-
mordhäufiskeit sowie ihrer territorialen Verschiedenheiten im Vergleich
mit der Höhenlage eines bestimmten Gebietes. Derartige Untersuchungen
können noch weiter ausgedehnt werden, aber die aus ihnen gewonnenen
Schlußfolgerungen sind mehr indirekter Natur; sie lassen zwar eine
vorhandene Übereinstimmung zwischen der Gestaltung der Selbstmord-
lichkeit und den Naturerscheinungen erkennen, es bleibt aber unent-
schieden, ob dieser Zusammenhang ein direkter und ursächlicher ist.
3. Noch mehr gilt das zuletzt Gesagte von den beiden übrigen
Arten der Inbeziehungsetzung verschiedenartiger Erscheinungsreihen,
zunächst von der Vergleichung der Selbstmordlichkeit mit allgemeinen
sozialen Erscheinungen und Tatsachen. Hierher gehört in erster Linie
die Untersuchung des Einflusses allgemeiner wirtschaftlicher Verhält-
nisse, insbesondere wirtschaftlicher Krisen, die an bestimmten, charak-
teristischen Symptomen (Lebensmittelpreise, industrielle Produktion
usw.) gemessen werden oder sonstwie erkennbar sind (allgemeine
Teuerung, Hungersnot, Uberschwemmung, Hitzeperioden, Kriegsjahre
usw.). Hierher gehört auch die Frage nach dem Einfluß der Dichtig-
keit der Wohnbevölkerung auf die Selbstmordintensität.
Untersuchungen dieser Art haben wir bereits bezüglich des ver-
schiedenen Grades der Selbstmordhäufigkeit in den einzelnen Amts-
hauptmannschaften angestellt. Hier soll nun eine Beziehung allge-
meiner sozialer Vorgänge und Erscheinungen zu der Entwicklung der
Selbstmordlichkeit im ganzen Königreich festgestellt werden.
Die inneren Wirren im Königreich Sachsen zur Erzwingung der
Einführung der Reichsverfassung, welche im Jahre 1849 zu einem Auf-
stand in Dresden führten, sind von einem Rückgang der Selbstmord-
ziffern in diesem Jahre gegenüber den beiden benachbarten 1X48 und
1850 begleitet. Es wäre denkbar, daß die allgemeine Erregung, die in
solcher Zeit alle Bevölkerungskreise erfaßt, den Gedanken an Selbst-
mord in den Hintergrund drängt. Doch bleibt dies naturgemäß eine
Vermutung. Für das Kriegsjahr 1866 und die beiden folgenden ist
zwar eine Zunahme der Zahl der Selbstmordfälle zu erkennen, doch
kann diese kaum auf den Einfluß des Krieges zurückgeführt werden,
78 Vierzehntes Kapitel. Die Veriinderungen der Selbstmordlichkeit
da die Steigung bereits 1864 einsetzte. Ebensowenig hat der Krieg
von 1870/71 die Kurve der Selbstmordziffer wesentlich beeinflußt; auf
einen kleinen Rückgang 187071 folgt eine etwas stärkere Zunahme
1871—73. Es läßt sich also ein feststehender Einfluß der Kriegs-
ereignisse auf die Selbstmordlichkeit nicht erkennen.
Des weiteren kommt ein Einfluß wirtschaftlicher Krisen auf die
Selbstmordhäufigkeit in Betracht. Bedeutende Erschütterungen des
Wirtschaftslebens in Deutschland fanden in den Jahren 1857, 1873,
1890 und 1900,01 statt. Aber auch hier gibt sich eine Wirkung in
der Bewegung der Selbstmordziffern nicht gleichartig zu erkennen.
Während die Jahre 1857 und 1873 einen Rückgang in den Selbstmord-
ziffern aufweisen, nimmt die Selbstmordlichkeit in den Jahren 1890/91
und 1900—02 zu. Wenn wir uns daran erinnern, daß insbesondere
bei den Männern Nahrungssorgen, zerrüttetes Vermögen und Subsistenz-
mangel in neuerer Zeit häufiger als Veranlassung zum Selbstmord an-
gegeben wurden, so ließe sich hier ein Einfluß wirtschaftlicher Kalami-
täten in jüngster Zeit, in der der wirtschaftliche Kampf wesentlich
schärfere Formen angenommen hat, als früher, vermuten. Aber auch
dieses bleibt eben eine bloße Vermutung, die nicht weiter beweisbar ist.
Neben diesen größeren Krisen machen sich geringere Störungen
im Wirtschaftsleben von Jahr zu Jahr bemerkbar. Sie auf statistischem
Wege festzustellen, kann in verschiedener Weise versucht werden, am
sichersten wohl an den Preisen der Lebensmittel, insbesondere den
Getreidepreisen. In Tab. 77 ist daher der Durchschnittspreis für Roggen
und Weizen von 1865—1903 der Sellstmordziffer jedes Jahres gegen-
übergestellt und die Kurve der Getreidepreise zugleich in der graphi-
schen Darstellung II eingezeichnet. Auch bei der Betrachtung dieser
Zahlen kommen wir zu demselben Ergebnis wie bei der Untersuchung
des Einflusses der Kriegs- und Wirtschaftsereignisse. In manchen
Jahren zeigt sich eine groBe Ubereinstimmung, so in der Zunahme der
Selbstmordziffer und der Getreidepreise in den Jahren 1865—67,
1890—91 und im Sinken der Kurven in den Jahren 1868—70, 1881—82
sowie im ganzen in der Zeit von 1881—86. In anderen Jahren aber
ist der Verlauf der Kurven ein gerade entgegengesetzter, so daB eine
konstante Beziehung zwischen der Gestaltung der Getreidepreise und
der Selbstmordlichkeit nicht festzustellen ist.
Es ergibt sich also, daB man von einem Zusammenhang zwischen
wirtschaftlichen und sozialen Erscheinungen der erwähnten Art einer-
seits und der Häufigkeit der Selbstmorde andererseits, so viel aus den
herangezogenen Nachweisen zu ersehen ist, nicht sicher sprechen kann.
Vielleicht würde sich ein anderes Resultat ergeben, wenn man auf die
kleineren Verwaltungsbezirke hinabginge. So wird in den „Berichten
über den Zustand der ev.-luth. Landeskirche“ auf den Einfluß der Uber-
schwemmungen im Jahre 1897 in den davon betroffenen Gebieten hin-
Wirtschaftliche Krisen und Kriminalität 79
gewiesen. Erste Voraussetzung der Feststellung solcher Beziehungen
ist aber, daß wirtschaftliche Einflüsse auf die Selbstmordneigung über-
haupt wesentlichen Einfluß ausüben. Im ganzen ist aber der Anteil
der Selbstmorde, als deren Grund wirtschaftliche Notlage angegeben
wurde, verhältnismäßig gering — vorbehältlich der Unzuverlässigkeit
dieser Angaben. — Klarer ist ein solcher Zusammenhang beispielsweise
zwischen Häufigkeit der Diebstahlsdelikte und Lebensmittelpreisen, wie
er auch fast stets und überall nachzuweisen ist. Aber auch, wenn ein
solcher Einfluß auf die Selbstmordlichkeit nachgewiesen ist, so bleibt
immer noch ungewiß, ob die Übereinstimmung zwischen verschiedenen
Erscheinungsreihen in Wirklichkeit auf einem kausalen und zwar einem
direkten Zusammenhang beruht. Hierin liegt die Gefahr der Anwen-
dung dieser Untersuchungsmethode, indem sie leicht zu voreiligen oder
tendenziösen Schlußfolgerungen verleiten kann, die in exakter Weise
nicht beweisbar sind.
4. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des „Experiments der
Parallelisierung isolierter Zahlenreihen“, wie K. Bücher es gelegentlich
nennt, ist endlich gegeben in der Gegenüberstellung der Häufigkeit der
Selbstmorde und anderer sozialer Vorgänge, Handlungen und Hand-
lungseffekte sozialer Massen, um aus der Gemeinsamkeit derartiger Er-
scheinungen auf das Vorhandensein von Einflüssen und Strömungen
allgemeiner Art zu schließen. So kann man, wie dies in den Tab. 77
und 78 und in der graphischen Darstellung II geschehen ist, die
Häufigkeit der Verbrechen im ganzen sowie einzelner Verbrechensarten,
ferner die Häufigkeit der Khescheidungen und der unehelichen Geburten
der Entwicklung der Selbstmordlichkeit gegenüberstellen. Hier handelt
es sich insbesondere um die Erkenntnis allgemein sittlicher oder reli-
giöser Strömungen, welche sich ın der zu- oder abnehmenden Zahl der
Selbstmorde, der Ehescheidungen, der Verbrechen usw. bemerkbar
machen. Und zwar kommen dabei weniger die Zahlen der einzelnen
Jahre in Betracht als die Häufigkeitsbewegungen im ganzen; schon aus
dem Grunde, weil manche Verbrechen erst später, oft erst nach Jahren
abgeurteilt werden, desgleichen Ehescheidungsprozesse sich oft lange
hinziehen, so daB man aus den Angaben über die Verurteilungen usw.
der einzelnen Jahre keine Schlüsse auf die Häufigkeit in diesen Jahren
ziehen kann.
Es sei zunächst ein Vergleich gezogen zwischen der Kriminalität
und der Selbstmordlichkeit im Königreich Sachsen, wobei bezüglich
der im Lauf der Zeit eingetretenen Änderungen des materiellen Straf-
rechts sowie bezüglich Besonderheiten der angeführten tabellarischen
Ausweise auf die Anmerkungen zu Tab. 77 verwiesen wird. Eine zeit-
weilige Übereinstimmung in der Entwicklung der Selbstmordziffern und
der relativen Zahl der Verurteilten läßt sich nicht verkennen. Nach-
dem in den ersten fünf ausgewiesenen Jahren die beiden Kurven einen
80 Vierzehntes Kapitel. Die Veränderungen der Selbstmordlichkeit
entgegengesetzten Verlauf genommen hatten, erreichten beide 1868
einen vorübergehenden Hochstand, dem dann 1871 ein gemeinsamer
Tiefstand folgte. Hiernach ein gewaltiges Anschwellen bis 1877, dem
noch eine kleine weitere Steigung 1878 folgt. Hier setzen leider die
Ausweise der Kriminalstastitik aus und beginnen erst 1881 wieder mit
der je erreichten höchsten Zahl von 1088 Verurteilten auf 100000 der
strafmiindigen Bevölkerung. Die nunmehr folgende Abnahme der Kri-
minalität ist eine stetige bis 1887, während die Abnahme der Selbst-
mordlichkeit oft unterbrochen wird und bis 1890 anhält. In der letzten
Zeit ist eine Übereinstimmung der beiden Erscheinungsreihen weniger
festzustellen, 1895—1900 zeigen sie sogar ein ganz entgegengesetztes
Verhalten. Noch etwas mehr als die Kurve der allgemeinen Kriminalität
stimmt die der wegen Verbrechens gegen die Person Verurteilten mit
der Entwicklung der Selbstmordziffern überein, aber auch nur bis 1895,
während auch hier für die Jahre 1895—1900 ein abweichendes Ver-
halten sich zeigt. Wenn wir also auch hier die Übereinstimmung
zwischen der Häufigkeit der Verbrechen und der Häufigkeit der Selbst-
morde als eine konstante Erscheinung nicht ansprechen können, so läßt
die Entwicklung beider Erscheinungen in den Jahren 1865—85 einen
gewissen Zusammenhang insofern erkennen, als dieselben Umstände,
welche die hohe Zahl der Selbstmorde in den Jahren 1868 und weiter-
hin 1877—81 zur Folge hatten, auch auf eine Zunahme der Kriminalität
im Königreich Sachsen eingewirkt haben dürften.
Noch weniger Übereinstimmung zwischen Selbstmordlichkeit und
Kriminalität finden wir aber, wenn wir die Teilnahme der Frauen und
Jugendlichen betrachten. Während wir hinsichtlich der Selbstmord-
häufigkeit festgestellt haben, daß die Beteiligung der Frauen besonders
in den letzten Jahren mehr als die der Männer gestiegen ist, müssen
wir hinsichtlich der Teilnahme der Frauen am Verbrechen das Gegen-
teil konstatieren. Während 1860 noch 27,9%, und 1861 28,2%, aller
Verurteilten weiblichen Geschlechtes waren, betrug der Prozentsatz der
Frauen 1877 20,8%, und 1378 21,4%, und diese rückläufige Bewegung
hielt auch in der Folgezeit noch an: 1852,83 wurden auf 100 männ-
liche Verurteilte noch 27,1 weibliche gezählt, 1902 nur noch 19,7 und
1903 20,7. Die Teilnahme der jugendlichen Personen ist zunächst von
1860—81 von 11,0%, aller Verurteilten auf 15,9%, gestiegen. Dabei
ist aber zu beachten, daß von 1871 ab die Bestrafung jugendlicher
Personen schon vom 12. Jahre ab stattfindet, während vordem eine
solche erst vom vollendeten 14. Lebensjahre ab eintrat. Daher erklärt
sich das Steigen des Prozentsatzes der Jugendlichen von 11,9%, 1871
auf 16,0°, 1872. Seit 1882 ıst dann die relative Kriminalität der
Jugendlichen wieder um 8,5°/, gesunken. Obwohl die eigentliche Selbst-
mordziffer der jugendlichen Personen sich im einzelnen nicht feststellen
ließ, so trat doch eine starke Zunahme der Beteiligung in jüngerem
Vergleich zwischen Kriminalität und Selbstmordlichkeit 81
und jüngstem Alter am Selbstmord bei beiden Geschlechtern im Ver-
lauf der Untersuchung deutlich hervor.
Das negative Resultat, das sich hinsichtlich der Beziehungen zwi-
schen Selbstmordlichkeit und Kriminalität aus Vorstebendem ergibt,
darf nicht befremden. Denn man mag den Selbstmord auffassen wie
man will, als einen Akt der Feigheit oder als einen heroischen Willens-
entschluß, immer ist die Selbstmordhandlung und das Verbrechen
etwas grundsätzlich verschiedenes: durch den Selbstmord entzieht man
sich, wenigstens vorwiegend und in den meisten Fällen, moralischen
Pflichten, durch das Verbrechen verletzt man materielle Rechte. Die
Grenzen des Rechts sind viel enger gezogen und schärfer bestimmt als
die Schranken, welche Sitte und Moral dem Menschen setzt. Eher
möchte man eine Übereinstimmung zwischen der Häufigkeit der Selbst-
morde und der Häufigkeit der Ehescheidungen und unehelichen Gebur-
ten erwarten. Daß auch eine solche aus den Angaben der Tab. 81 sich
nicht ergibt, deutet einmal darauf hin, daß wir es beim Selbstmord mit
einer sozialen Erscheinung zu tun haben, welche ihre ganz besonderen
Voraussetzungen und Bedingungen hat, dann aber auch, daß der Wert
solcher Inbeziehungsetzung verschiedenartiger Erscheinungsreihen immer-
hin ein zweifelhafter bleibt und man von dieser Forschungsmethode
nicht zuviel erwarten darf.
c) Veränderungen in der Selbstmordmasse in einzelnen
Jahren.
Mehr Erfolg verspricht demgegenüber die direkte Untersuchung
der absoluten Selbstmordmasse in Perioden großer Schwankungen.
Eine erschöpfende Klarlegung der sächsischen Verhältnisse in dieser
Hinsicht scheitert aber an dem Umstand, daß die absoluten Zahlen nur
für wenige Jahre und Jahresperioden in genügender Reichhaltigkeit
vorliegen. Wir müssen uns also darauf beschränken, einige Stichproben
einer derartigen Untersuchungsmethode durchzuführen, um zunächst
einmal festzustellen, ob sie zu brauchbaren Resultaten führt.
Ein starkes Anschwellen zeigt, wie wir sahen, die Selbstmordziffer
in den Jahren 1875—77. Für die Zeit 1872—81 liegen in Tab. 50 die
Angaben über die Beteiligung einiger Berufsklassen vor. Die allge-
meine Selbstmordziffer stieg 1875—77 um 48,2%,, die absolute Zahl
der Selbstmörder um 49,5%, und zwar die der Männer um 53,2%
und die der Frauen um 47,4%. Der Unterschied zwischen beiden Ge-
schlechtern ist also nicht erheblich. Unter den Angehörigen der ein-
zelnen Berufsklassen ist aber die Teilnahme am Selbstmord nicht
gleichmäßig gestiegen.
Bei den Männern weisen also die Fabrik-, die Berg- und Hütten-
arbeiter, die unselbständigen Handwerker und Hausindustriellen; sowie
die Personen ohne Beruf und Berufsangaben eine über 100% betragende
Zunahme in der Zahl der Selbstmörder auf; eine geringe die Hand-
Kürten: Statistik des Selbstmordes. 6
82 Vierzehntes Kapitel. Die Verinderungen der Selbstmordlichkeit
Es Eat die Zu- be Abnahme der Zahl dor Selbstmörder von 1875—1877 |
unter den | Männern Frauen
ga
ts
te
|
EN
©
Hand- und Tagearbeitern
Fabrikarbeitern . . . 2.2.22 2 2 2 2 ee | + 262,5 + 20,0
Berg- und Hiittenarbeitern. ...... e, 7+ 150,0 + 100,0
etablierten Handwerkern `, . . . 2.2 2 22.0. + 26 + 153,8
nicht etablierten Handwerkern . . . . . ... I 41092 + 550,0
etablierten Hausindustriellen `, ........ — 50 + 11,1
nicht etablierten Hausindustriellen . ..... + 200,0 — 60,0
in der Landwirtschaft Tätigen . . . 222.2. 26 | — 11,8
Dienenden 2 oo mon + 500 | + 435
Beamten. -. ae dE at e ln Ee + 110,0
Gelehrten... wë = 2 nu 25 @ a See + 8,8
Militärpersonen . . ..........2..-. + 14,3 .
Personen ohne Beruf ............ -+ 406,7 + 140,0
| Personen unbekannten Berufes ........: ı + 150,0 -+ 65,0
und Tagearbeiter und eine verschwindend kleine bzw. einen Rückgang
die selbständigen Handwerker und Hausindustriellen, sowie die in der
Landwirtschaft Tätigen. Eine starke Steigerung um 110% weist auch
die Klasse der Beamten auf. Beim weiblichen Geschlecht sind es be-
sonders die Angehörigen des Berg- und Hüttenarbeiterstandes, sowie
der Klasse der selbständigen und unselbständigen Handwerker, welche
neben den Frauen ohne Beruf eine Zunahme von mehr als 10% der
Zahl der Selbstmörder aufweisen. Ziehen wir auch die Ausweise über
die Zunahme der Selbstmorde in den verschiedenen Altersklassen heran,
so ergibt sich folgendes:
Es betrug die Zahl der Selbstmorde |
| | : : |
' d bei den Zu- bzw. bei den Zu- bzw.
im Alter von | Männern |Abnahme. Frauen
| | 1875 | 1877 % i| 1876 | 1877
unter 14 Jahren . .. . | 5 17 | 4. 240,0 | D
14—21 e... | 56 77 + 37,5 | 22 89
| 1-0 5 1... 116 | 126 |+ 86| 26 | 33
| 30-40, .... | 87 | 167 | + e 17 34
40—50 „ .... hans | 179 | + 543 || 22 24
o 50—60 es | 121 |186 |+ 587) | 3i
60—70 ,„ | 68 | u3 | + 79,4) 13 |
70—80 , 1...) 27 | 81 + 148| 7
‚ über 80 a RE Be | 2 5 | +150,0 | — u
‚ unbekannt ,, l 16 4 + 710 2
Wenn wir von den ganz jungen und den ganz alten Selbstmör-
dern absehen, deren Verhalten wegen der Kleinheit der Zahlen oft
schwankt, so können wir feststellen, daß die Zunahme der absoluten
Zahlen sich bei den Männern vorwiegend auf die mittleren Alters-
Verinderungen in der Selbstmordmasse 83
klassen, bei den Frauen dagegen auf die jüngeren und älteren Alters-
klassen konzentriert.
Nach dem Familenstande betrug die Zahl der Selbstmörder
;
| beiden |Zu- bzw. | beiden | Zu- bzw.
unter den © Männern Abnahme Frauen Abnahme
| 1875 | 1877 To | 1875 ` 1877 %
_Ledigen. ... . . . ` 163 251 | + 54,0 57 82 + 439 |
Verheirateten ..... | 298 | 479 | +60,7 | 61 74 | +4541 |
34 + 54,5
| Geschiedenen | 2 . |
|
|
| Verwitweten CES wee eh | a 98 ` + 27,3 22
|
Es ergibt sich also eine stärkere Zunahme bei den männlichen
Verheirateten und Ledigen, während bei den Frauen die Zunahme unter
den Verwitweten am größten ist. Zum Schluß sei noch die Veränderung
in den angegebenen Beweggründen zum Selbstmord festgestellt.
_— u — —
zZ Es betrug die Zahl der Selbstmorde |
| |
| | bei den | Zu- bzw. | bei den ` ` Zu- bzw.
Ursache Männern | Abnahme Frauen Abnahme
| | 1876 | 1877 fa | 1875 | 1877 | IP
| Körperliche Leiden. . . | 19 | 30 | 4 sai 10 3 | — 700
' Häuslicher Kummer . . 10 83 + 230,0 2 10 + 400,0
i Zerrüttetes Vermögen. . 14 34 | + 142,81) — 2 .
' Subsistenzmangel .. || 16 | 47 | +1937 1 ! 8 | +2000
Unordentliches Leben. . 41 | 7 + 731 1 1 | .
' Scham, Gewissensbisse . 39 | 59 | + 51,3 || 11 | 11 .
, Ungliickliche Liebe. . . 14 | 17 | + 21,4 3 | 8 | + 166,7
Melancholie ...... 121 185 | + 529 50 | 69 + 38,0
| Geistesstörung ..... 67 55 | — 17,9 |! 24 25 + 4,2
‘Alteration... 2... 4 15 | +2750) — 4
| Lebensüberdruß. . . . . 55 61 | + 10,0 6 14 -+ 133,3
Sonstiges u. Unbekanntes 198 307 | + 65,0 || 27 48 + 77,8
Bei den Männern sind es vorwiegend die materiellen Beweggründe,
die eine Zunahme erfahren haben; beim weiblichen Geschlecht kommen
diese Motive weniger in Betracht und ist die Zunahme nicht sehr groß.
Am häufigsten ist, abgesehen von den unbekannten Fällen, Melancholie
als Beweggrund angegeben, ein Begriff, mit dem sich nicht viel an-
fangen läßt.
In ähnlicher Weise ließe sich eine solche Untersuchung z. B. noch
für die Zeit von 1883—86 und von 1905—07 durchführen. Noch besser
wäre es, für eine lange Reihe von Jahren die von Jahr zu Jahr sich
zeigenden Veränderungen festsustellen. Aber die Ausweise sind teils
zu dürftig und teils auch zu ungleichartig, als daß ein solches Unter-
nehmen Aussicht auf großen Erfolg haben könnte. Immerhin aber
6*
84 Fünfzehntes Kapitel. Regelmüßigkeiten in der Selbstmordstatistik
scheint diese Methode mehr Beachtung zu verdienen, als ihr bisher zu-
teil geworden ist. Aus der besonders hinsichtlich der Teilnahme der
Alters- und Berufsklassen sich ergebenden Regelmäßigkeit in den Ab-
weichungen und Veränderungen würde man einen beachtenswerten
Hinweis auf die zum Selbstmord treibenden Momente gewinnen können.
Um eine soziale Erscheinung wie die Selbstmordhäufigkeit zu erkennen,
bedarf es der Feststellung von Regelmäßigkeiten, von typischen Gestal-
tungen, um sie aber zu verstehen, ist die Ermittlung von Unregel-
mäßigkeiten ebenso notwendig, wenn nicht noch wichtiger.
Fünfzehntes Kapitel.
Regelmäßigkeiten in der Selbstmordstatistik.
Seitdem I. P.Süßmilch!) erkannt hatte, daß nicht nur in den Ver-
änderungen des menschlichen Geschlechtes eine aus Geburt, Tod und
Fortpflanzung desselben erwiesene göttliche Ordnung herrsche, sondern
daß ebenso „alle freien Handlungen vernünftiger Geschöpfe unter Gottes
Aufsicht und Regierung stehen“, hat die immer mehr zutage tretende
Regelmäßigkeit in den statistischen Tatsachen und Erscheinungen, unter
anderem auch hinsichtlich des Selbstmordes, die Gemüter aufs leb-
hafteste beschäftigt. Mit der Vermehrung und Vertiefung der statisti-
schen Untersuchungen erschien diese Regelmäßigkeit in den scheinbar
rein willkürlichen Äußerungen des menschlichen Willens immer er-
staunlicher, und es war in dem Zeitalter der Aufklärung unausbleiblich,
daß man als ihren Urheber nicht mehr den weisen „Arithmeticus, der
alles Zeitliche und Natürliche nach Zahl, Maß und Gewicht bestimmt
habe')“, ansah, sondern nach anderen, mehr natürlichen Ursachen
forschte. So gelangte denn Quetelet*) angesichts der übereinstimmen-
den Regelmäßigkeiten sowohl bei den physischen als auch bei den
intellektuellen und moralischen Eigenschaften des Menschen zu seiner
rein physikalischen Auffassung auch des sozialen Lebens, die in dem
bekannten Ausspruch von Buckle), daß unter dem Walten eines all-
gemeinen Gesetzes in einem bestimmten Zustande der Gesellschaft eine
gewisse Anzahl von Menschen sich das Leben nehmen muß, ihren
Höhepunkt erreichte.
1) I. P. Süßmilch, Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des
menschlichen Geschlechtes, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung
desselben erwiesen. Berlin 1741.
2) A. Quetelet, Sur l'homme ..., Paris 1835; Physique sociale.
Brüssel 1869.
3) Henry Th. Buckle, History of civilisation in England. 5. Aufl. 1841.
(Übersetzt von I. A Ritter, S. 20; ohne Jahr.)
Ursachen der Regelmüßigkeiten 85
Wenn eine solche rein mechanische Auffassung des gesamten
geistigen und sozialen Lebens angesichts der unerklärlichen Regel-
mäßigkeit der Zahlen auch zunächst etwas Bestechendes an sich hat,
so daß eine Zeitlang auch bedeutende Statistiker sich ihrem Einflusse
nicht entziehen konnten, so hat sich die Statistik doch bald von ihr
losgemacht. „Niemals kann das Gesetz darin liegen,“ sagt Schmoller’),
„daß gleiche Zahlen sich wiederholen; gleiche Zahlen können nur auf
gleiche Ursachen hindeuten.“
Und so müssen wir die tatsächlich vorhandene, wenn auch nicht
genau konstante Regelmifigkeit in den statistischen Erscheinungen,
insbesondere in den statistisch erfaßten menschlichen Handlungen, auf-
fassen als den Ausdruck einer Tendenz, eines Überwiegens der Wirkung
bestimmter gleichbleibender Einflüsse in bestimmter Richtung, gemessen
an einer hinreichend großen Zahl von Beobachtungen. Sie zeigt sich
überall, wo mehrere Einflüsse in verschiedener Richtung wirksam wer-
den, also mehrere Möglichkeiten vorhanden sind. Dabei kommt das
endgültige Überwiegen des einen oder anderen Einflusses aber nur zum
Ausdruck, wenn man die Beobachtung auf eine größere Zahl von Fällen
ausdehnt; je größer die Zahl der Beobachtungen, desto besser kommt
die Wirkung der Faktoren zum Ausdruck (das sog. Gesetz der großen
Zahl). Die Eigenschaften des Gesetzes der großen Zahl geben sich in
kleinen Zahlen nicht kund, weil hier der in jedem einzelnen waltende
Impuls, dessen Ausdruck das aus den großen Zahlen abgeleitete Gesetz
ist, paralysiert oder latent gemacht wird durch störende accidentelle Ur-
sachen (A. Wagner’). DaB diese Tendenz, dieser überwiegende Einfluß
bestimmter allgemeiner Ursachen unter der Voraussetzung sich sonst
gleichbleibender Umstände sich in einer mehr oder weniger konstanten
Regelmäßigkeit kundgibt, ist eine Tatsache, die in der Eigenschaft einer
großen Zahl von Einzelfällen mit verschiedenen Möglichkeiten und in
den Regeln des Glücksspieles und der Wahrscheinlichkeitsrechnung ihre
Erklärung findet. *)
Die Ursachen des Selbstmordes sind uns nicht bekannt, und wir
werden sie in ihrem letzten Grunde auch wohl nie exakt erfassen
können. Aber die allgemeinen Bedingungen und Voraussetzungen lassen
sich statistisch erfassen und in ihren Veränderungen messen. Obwohl
es feststeht, daß ın der Masse der Menschen, und zwar im allgemeinen
in je höherem Grade, auf je niedrigerer Kulturstufe sie stehen, der
enge und Lebenstrieb bei weitem der stärkste ist, so
1) Schmoller, Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften.
1888. S. 185.
2) A. Wagner, Die Gesetzmüßigkeit etc. S. 63 ff.
8) Vgl. ferner Fr. Eulenburg, Naturgesetze und Soziale Gesetze (Archiv
für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, XXXI und XXXII; besonders XXXII,
S. 782 ff.
86 Sechzehntes Kapitel. Schluß
scheint doch der Selbstmord bei allen Völkern und zu allen Zeiten vor-
gekommen zu sein.) Nur die Häufigkeit des Vorkommens ist verschie-
den, und diese hängt ab von der Gesamtheit dessen, was man zusam-
menfassend als die geistige und materielle Kultur eines Volkes oder
einer Zeit bezeichnen kann. In ihr liegen die Voraussetzungen, welche
den Gedanken, sich das Leben zu nehmen, aufkommen lassen oder den
einzelnen direkt in den Tod treiben können. Es kann die religiöse
Auffassung sein, welche den Selbstmord als gut und heilsam in manchen
Lebenslagen empfiehlt, es kann eine philosophische Lehre sein, wie die
der Stoiker, welche beispielsweise in Rom sehr viele sich das Leben
nehmen ließ, es können auch wirtschaftliche und soziale Umstände und
Notlagen sein, welche den freiwilligen Tod als das Letzte und Beste
erscheinen lassen. Solange solche herrschende Anschauungen sich nicht
wesentlich ändern, wird auch der von ihnen ausgehende Einfluß auf
die Selbstmordneigung einer Zeit und eines Volkes derselbe bleiben.
Und diese gleichmäßige Wirkung kommt dann in Gestalt von Regel-
miBigkeiten in der Beteiligung der einzelnen Bevölkerungsschichten
am Selbstmord zum Ausdruck.
Dabei liegt jedoch die Auffassung fern, aus der Tatsache, daß sich
eine regelmäßige Beziehung zwischen der Selbstmordhäufigkeit einer-
seits und dem Alter, dem Familienstand, dem Beruf usw. andererseits
als feststehend ergibt, einen Schluß auf die unmittelbare ursäch-
liche Bedeutung dieser Verhältnisse für die Selbstmordlich-
keit zu ziehen. Die letzte Ursache des Selbstmordes ist eine zwei-
fache, eine innere und eine äußere. Der innere Grund ist in der Natur,
der Erziehung und der Umgebung, kurzum in der Persönlichkeit des
Menschen gegeben, der äußere in geistigen und wirtschaftlichen Zu-
ständen und Ereignissen. Da beide, sowohl die inneren, wie die äußeren
Ursachen sich nicht in Zahl und Maß erfassen lassen, muß die Statistik
sich an äußere Merkmale halten, die entweder, wie das Alter, das Ge-
schlecht, eine Verschiedenheit der inneren Ursachen, oder, wie der Be-
ruf, die Bildungs- und Wohlstandsverhältnisse, der Familienstand, eine
verschiedene Wirkung der äußeren Ursachen vermuten lassen.
Sechzehntes Kapitel.
Schluß.
Im vorhergehenden haben wir das Selbstmordproblem von allen
Seiten statistisch beleuchtet, soweit das für das Königreich Sachsen
vorliegende Material es erlaubte. Damit ist aber der Kreis der Mög-
1) Leo Frobenius (Im Schatten des Kongostaates, Berlin 1907, S. 430)
erzählt, wie eine Negerfrau, als sie von ıhrem Mann durchgeprügelt worden
war, sich erhängte, und bemerkt dazu: „Es ist geradezu unglaublich, mit
welcher Geschwindigkeit das erhitzte Negergemüt dem Selbstmorde zustrebt.‘*
Weitere Aufgaben der Selbstmordstatistik 87
lichkeiten einer statistischen Erfassung dieser bevölkerungs- und sozial-
statistisch gleich bedeutsamen Erscheinung keineswegs erschöpft. Zu-
nächst sind die vorhandenen Ausweise, wie wir des öftern erwähnten,
in der Folge noch weiter auszubauen; die Differenzierung der Masse der
Selbstmörder nach persönlichen und sachlichen Momenten muß noch
weiter ins einzelne gehen und vor allem mit der entsprechenden Aus-
gliederung der Gesamtbevölkerung in Übereinstimmung gebracht werden.
Dies gilt besonders für die Unterscheidung der Selbstmörder nach
Alters-, sowie nach beruflichen und sozialen Klassen. Auch ist eine
weitgehende Kombination besonders des Alters der Selbstmörder mit
anderen Verhältnissen anzustreben. Endlich wäre die Beobachtung auch
auf andere Momente zu erstrecken, die bisher noch wenig statistisch
erfaßt sind, so z. B. auf die wirtschaftliche Lage, die Bildungs- und
Wohlstandsverhältnisse, die Familienverhältnisse im weitesten Sinne,
auch auf die Körperbeschaffenheit, insbesondere auf die Morbiditäts-
verhältnisse; endlich dürfte auch die Herkunft der Selbstmörder Be-
achtung finden, sowohl in sozialer als auch in räumlicher, insbesondere
in abstrakt räumlicher Beziehung. Zu diesem Zweck müßte das Frage-
schema, das für die Anzeige über erfolgten Selbstmord dient, ent-
sprechend erweitert und vervollkommnet werden. Es müßte vor allem
eine spezifisch statistische Ziihlkarte über erfolgten Selbstmord dazu
benutzt werden, aus der alle für die Statistik überflüssigen Fragen
fortbleiben.
Was dann die Veröffentlichung betrifft, so wäre es vielleicht
empfehlenswerter, an Stelle der schon aus Raumrücksichten spärlichen,
jährlichen Mitteilungen in den Jahrbüchern die Ergebnisse längerer
Perioden, etwa alle fünf oder zehn Jahre zusammenzufassen und diese
Veröffentlichung um so reichhaltiger zu gestalten. Damit würde die
sächsische Statistik zu einem Veröffentlichungsmodus zurückkehren, wie
sie ihn früher gepflegt hat und ihn hinsichtlich anderer Zweige der
Statistik noch heute mit gutem Erfolg beobachtet.
Noch ein anderer Weg wäre möglich, die Ergebnisse, nicht nur
der Selbstmordstatistik, einer weiteren Bearbeitung und Verwertung
zugänglich zu machen. Die für die statistische Bearbeitung bestimmten
Zählkarten oder Anzeigeformulare für jeden Selbstmordfall werden
ohne Namen ausgefüllt, statt dessen mit einer Kontrollnummer ver-
sehen, auf die bei Rückfragen an die Polizeibehörden Bezug genommen
werden kann. Diese ausgefüllten Karten werden im statistischen
Landesamt für jedes Jahr und innerhalb jedes Jahrganges nach Ver-
waltungsbezirken usw. gebunden und so in leicht handlicher Weise
Interessenten in den Bibliotheksräumen des Amtes oder auch ın anderen
öffentlichen Bibliotheken zur Benutzung überlassen. Die Anforderungen
an die statistischen Ämter wachsen von Jahr zu Jahr ins Ungeheure,
und es ist ihnen unmöglich, allen laut werdenden Wünschen auf den
88 Sechzehntes Kapitel, Schluß
verschiedenen Gebieten der Statistik gerecht zu werden. Auch sind die
entstehenden Kosten und Mühen der Bearbeitung und Drucklegung
leicht zu groß im Verhältnis zu der teilweise geringen Nachfrage. Auf
der anderen Seite würde gewiß mancher Privatstatistiker auch einen
größeren Aufwand an Arbeit und Zeit nicht scheuen, um sich die ge-
wünschten Ausweise aus dem Urmaterial selbst herauszuziehen, wenn
ihm dieses leicht zugänglich gemacht wäre. In der vorgeschlagenen
Weise würden also einmal die statistischen Ämter entlastet, und auf
der anderen Seite würde dem privaten Forscher ein weites Feld der
Tätigkeit eröffnet, das sicherlich in kurzer Zeit die reichsten Früchte
tragen würde.
Tabellen.
Tab. 1.
Selbstmord und Sterblichkeit in einigen europäischen Ländern.
Zahl d. Selbstmorde
Es betrug durchschnittlich jährlich die
Zahl d. Selbstmorde | Zahl der Todesfälle
Ee See?
| Land auf 100 Todesfälle | auf 1 Mill. Einwohner | auf 10000Einwohner
| 1871 | 1881 | 1891 | 1871 | 1881 | 1891 1881 | 1891
Ä | —80 | —90 —1900 | —80 | —90 ! —1900 —90 | —1900
| Dänemark .. | 1,13 | 1,37 | 186 | 174
Sachsen..... 1,13 | 1,25 | 262 237
| Schweiz .... | — | 1,09 209 | 194
Frankreich... || 0,66 | 0,93 221 215
Deutschland. oe | 0,82 251 22
‚ Schweden... | 0,47 | 0,63 | 169 163
Belgien..... 0,36 | 0,55 | 206 | 191
Österreich .. || 0,43 | 0,55 | 295 | 266
England.... || 0,32 |0,4 | 0,49 214 192 | 182
Norwegen... || 0,43 0,39 | 0,37 170 | 170 | 162 |
"Schottland .. || 0,19 | 0,29) — 216 | 192 | 187 |
| Italien ER 0,13 ul 0,24 800 273 | 247 |
Irland ...... 0,15 | 0,12 | 0,16 182 | 180 | 182
| Spanien — | 0,08 | 0,07 — 314 330
Tab. 2. Die Bedeutung des Selbstmordes
für den Lebensabgang der Bevölkerung des Königreichs Sachsen.
| an Zahl der | | SE Zahl der
elbstm. Selbstm.
| Jahr auf 100 | Selbstm. | Gestorb. i Jahr | auf 100. | Selbstm. Gestorb.
mw.
| | Todesfälle | auf 100000 Einw. `
|
Todesfälle | auf 100000 E
1888 |
1889
1890
1891
1894
1895
1896
1898
1899
1900
1901
1,21 31,3 2682
1,23 32,3 2350
1,14 30,6 2409
1,31 33,1 2235
1,17 32,8 2641
1,22 82,8 2682
1,40 34,1 2350
1,13 32,7 2409
1,36 30,8 2235
1,32 30,9 2358
1,43 30,1 2182
1,28 29,9 2304
1,39 80,7 2278
: 2124
1943
1995
1981
1973
1751
1729
1705
90 Tab.3. Der Selbstmord im Königr. Sachsen in den Jahren 1880—1909.
Tab. 8.
Der Selbstmord im Kénigreich Sachsen in den Jahren 1830—1909.
Unmündige Selbstm. auf |
Jahr Erwachsene unter 14 Jahr. überhaupt 1 Mill der mittl.
männl.| weibl. [männl.| weibl.| männl. | weibl. | zusammen | Bevölkerung |
a) | b) | al @ | e | f) | @) h) i) |
1830 || 169 |
1831 115 33 148 |
1832 | 55 10 65 |
1833 | 86 25 | u 70,7
1834 109 30 139 87,5
1835 111 35 146 90,9
1836 127 35 162 99,7
1837 174 42 . 216 131,4 |
1838 175 51 226 185,9
1839 195 46 241 143,4
1840 268 68 336 138,9
1841 227 63 ; 290 150,6
1842 246 12 | 318 183,4
1848 329 91 420 239,9
1844 253 82 835 188,9 |
1845 258 80 | 388 187,9 |
1846 289 84 378 204,8
1847 || 295 79 2 1 297 80 377 204,1
1348 || 291 | 104 1 9 292 106 898 213
1849 || 255 70 2 1 257 71 328 174
1850 || 318 71 1 an 319 71 | 390 204
1851 || 813 87 2 ahs 315 87 402 207
1852 || 422 | 101 6 1 428 102 530 268
1853 || 839 92 | — es 339 92 431 215
1854 || 426 | 116 4 1 430 117 547 271
1855 || 460 | 108 5 ze 465 103 | 568 279
1856 || 429 | 117 4 2 433 117 550 267
1857 || 347 | 130 7 1 354 131 485 238
1858 || 386 . 101 2 2 388 103 491 283
1859 || 404 | 100 2 1 406 101 507 237
1860 || 448 99 8 8 446 102 548 252
1861 || 501 | 189 8 = p04 139 643 291
1862 || 426 129 1 1 427 130 557 248
1863 || 503 | 133 6 1 509 134 648 282
1864 || 420 | 120 4 1 424 121 545 235
1865 | 498 | 114 5 2 508 116 619 263
1866 || 556 | 143 4 1 560 144 702 296
1867 || 611 | 138 8 SA 614 188 752 312
1868 || 681 | 165 3 1 634 166 800 327
1869 || 574 | 130 5 1 579 181 710 287
1870 || 542 | 114 1 = 543 114 | 657 262
1871 || 633 | 114 6 = 539 114 | 658 257
1872 || 586 | 143 4 = 540 148 | 687 266
1873 || 680 | 188 6 = 585 138 723 274
1874 || 560 | 160 8 = 568 160 123 269
1875 || 593 | 188 5 2 598 135 745 272
Anmerkung: Die Selbstmörder unbekannten Geschlechts sind der Spalte h)
zugerechnet, so daß Spalte h) sich nicht immer mit der Summe der Spalten f)
und g) deckt.
Tab. 3 (Fortsetzung). Tab. 4. 91
Tab. 8 (Fortsetzung).
| | Unmündige i | Selbstm. auf
Jahr | Erwachsene | unter 14 Jahr. überhaupt 1 Mill. der mitt]
männl. weibl. |männl.| weibl. | männl.' weibl. ' zusammen | Bevölkerung
TE
|
} a) | o | |
1876 | 787| 178 | 18 | 2 | 800 | 180 | 981 352 `
1877 | 898 | 195 | 17 4 915 | 199 , 1114 403 |
1878 | 898 | 213 6 2 904 | 215 1126 408
| 1879 | 910; 199 | 9 | — | 919 | 190 | 1121 885
1880 | 983 | 226 9 zu 942 226 | 1171 896 |
1881 973 | 270 3 1 976 271 1248 416,4
1882 | 892 | 218 8 5 900 | 223 1128 371,2 |
1888 ' 933 | 247 | 13 4 946 | 251 1205 391,1 |
| 1884 | 855 | 242 6 4 861 | 246 1114 356,7 |
1885 | 878 | 248 7 8 886 251 1146 362,1
1886 | 885 | 222 5 = 842 | 222 1071 332,6
| 1887 . A 208 5 1 889 | 209 1104 336,2
| 1888 796 | 237 6 4 802 | 241 1050 313.6
1889 | 852 224 7 4 859 | 228 1102 323,0
1890 , 825, 215 | 10 6 836 | 221 1066 306,7
1891 , 891 | 260 | 11 2 902 | 262 1172 331,5
1892 | 981 | 219 | 14 8 945 | 222 1179 328,2
| 1893 | 918 | 265 6 3 924 | 268 1200 328,8
| 1894 || 965 | 273 | 12 4 977 | 277 1265 841,3
| 1896 | 787 | 242 5 2 792 | 244 1036 327,5
| 1896 || 878 | 296 6 3 883 | 299 1182 308,3
| 1897 || 942 | 262 9 = 951 | 262 1213 309,9
| 1898 || 902 | 292 8 3 910 | 295 1205 801,5
1899 | 951 | 259 9 2 960 | 261 1221 299.2
1900 | 1000 | 275 3 4 1003 | 279 1282 807,7
1901 || 1078 | 299 7 4 1085 | 303 1388 327,6 |
1902 | 1082 | 821 | 16 5 1098 | 326 1427 382.1
1903 || 1076 | 316 8 4 1084 | 320 1408 823.9
1904 || 1043 | 835 8 1 1051 | 386 1387 |
1905 || 1111 | 365 5 2 1116 | 367 1483
| 1906 || 1097 ` 842 | 10 6 1107 | 348 1455
| 1907 || 997 | 358 8 8 1000 | 361 1361
| 1908 | 1098 | 856 9 4 1102 | 360 1462
1909 | 1151 355 | 12 8 1168 | 368 1521
Tab. 4.
= Die Zahl der Selbstmörder im im Königreich ‘Sachsen
TA Jahre. nach polizeilicher Anmeldung nach den Kirchenbüchern
männlich ' weiblich ich | zusammen männlich ! weiblich | zusammen
1834 109 80 139
1835 111 35 146
, 1836 127 85 162
1887 174 42 216
1838 175 51 226
1839 196 46 241
1840 268 68 836
1841 227 63 290
1842 246 72 318
1843 329 91 420
1844 253 82 336
1845 | 258 | ep 338
92 Tab.5. Tab.6. Selbstm.-Ziffer einiger europ. Land. "Tab 7 Selbstmordhäufigkeit r
Tab. 5.
| Im Königreich Sachsen betrag durchschnittlich jährlich RW
in der |die Zahl der die Selbstmord-| in der || die Zahl der|die Selbstmord
Periode ||Selbstmérder ziffer(auf1Mill.,| Periode |Selbstmörder ziffer(auf 1 Mill.)
1836—40
1841—45 1881—85
1846—50 1886—90 j
1851—55 1891—95
1856—60 | 1896—1900
1861—65 1901—05 |
1866—70 {1906—09 `
Tab. 6. 6. `
“Die Selbstmordziffer (auf 1 Mill.) einiger europäischer Länder
im Jahresdurchschnitt.
Land 1871—75 76—80'81—85|86— 90,9195 96—1900|01—08
1876—80
1831—35 | 1871—75
|
268 883 | 379 325
| ? 227 | 233 232
144 168 | 194 228 |
Dänemark ...... | 243 267 | 248 | 227 |
Deutschland . ....., | ? j 2 211 | 214 |
Ungarn (Mutterland) ? 76 89 | 108 | 132 177 191 |
Ungarn (Königreich) . ? ? 84 | 102 | 128 163 176 |
Österreich . . . . . . 106 162 | 162 | 160 | 159 158 173 |
Belgien ....... 70 94 | 107 | 119 | 129 119 124
Schweden...... 81 92 97 | 118 | 144 119 122
England. ...... 66 74 15 79 89 89 108 |
Rumänien . ..... ? ? ? 52 55 70 ? |
Norwegen...... 75 72 67 67 65 55 64
Niederlande ..... 36 44 53 56 61 56 64
Italien... 85 41 49 50 57 63 68
Schottland. ..... 88 47 58 58 60 60 60 |
Serbien ....... ? ? 38 37 86 40 61
Finnland 29 88 89 40 48 47 56
Bosnien....... | 2? + 8 ? 6 | 19 37 40
Rußland. ......{ 27—30: ? ! 30 30 | 33 31 ?
Irland. ....... 18 18 22 24 29 29 33
Spanien. ...... ? , ? , 24 ? 18 22 ?
Aum.: Nach J. EE Moralatatntik und Konfession i Hal 1911), = 71.
Tab.?.
Die Selbstmordhäufigkeit im Königreich Sachsen im Vergleich
zu der einiger benachbarter Gebiete.
(Zusammengestellt nach Krose, Der Selbstm. im 19. Jahrh., Freiburg 1906.)
Es betrug die jährliche Selbstmordziffer auf 1 Mill. der Bewohner 7 -
im Gebiet ‘1849—58 1871—80/91—1900| im Gebiet ' 1849—58 1871—80/91—190
‘Konigr. Sachsen .| 236 | 828 | 318 | Prov. Sachsen...) 195 | 260 | 809 |
| Reg.- -Bez. Liegnitz| 222 | 286 | 389 | Bez. Oberfranken | 119%); 163>) 171°)
Prov. Schlesien ..! 152 | 189 | 249 | Böhmen........! 504) 209°)
R.-Bez. Merseburg| 191 | 261 | 330 |
Anm.: a) 1848—61; b) 1878—77; c) 1893—97; d) 1839— 47; ei 1879—88. |
Tab. 8. Selbstmord nach dem Geschlecht Tab.9. Selbstmord nach Monaten 93
Tab. 7 (Fortsetzung).
Es betrug die jährliche Selbstmordziffer auf 1 Mill der Bewohner |
| im Gebiet 1881-85 | 1886—90 | 1891—95 1896—1900
| Königreich Sachsen u TE! 379 | 323 321 | 305 |
| Herzogtum Sachsen- Altenburg e d 492 428 371 343
» Coburg-Gotha . 463 401 418 420
Fürst. Reuß jing. Linie . . . 428 404 | 327 325
4 Schwarzburg - Sondershausen | 381 359 419 317 |
| Herzogtum Sachsen-Meiningen . . | 336 301 | 314 289
Fürst. Reuß ältere Linie. . ; 303 266 199 232
e Schwarzburg-Rudolstadt . | 253 257 | 245 | 262 |
Deutsches Reich .... iK 211 205 ! 211 202
| Königreich Preußen... ....|| 202 200 | 205 | 195
er | oa a ee Zi |
Tab.8. Die Selbstmordlichkeit nach dem Geschlecht im K. Sachsen.
|| Die Zahl der Die männliche |, | Die Zahl der j Die männliche |
im Durch- Selbstmörder | Selbstmordziffer im Durch- Selbstmörder | Solbstmordziffer,
schnitt der auf 1 Mill. = 100 gesetzt, er-| schnitt der auf 1 Mill =100 gesetzt, er-
| Jahre | männl. | weibl. ‘gibt sich für die Jahre männl | weibl. | gibt sich für die:
| Snr betrug weibliche ' Lebender betrug weibliche
‚1831-1833 118 28 | 24,8 1863—1865 419 | 104 24,8
|1833-1835 || 132 36 27,3 1866-1868 | 508 | 121 23,8
11836—1838 | 197 50 25,4 1869-1873" 446 98 | 21,9
1839-1841), 277 67 24,2 1873-1877/ 512 | 115 225
1442-1844|| 323 90 27,9 ‘1878-1882, 642 | 147 | 22,8
1845-1847 | 314 | 86 27,4 1583—1887| 574 | 144 | 25,2
, 1848—1850]; 313 | 85 272 1888—1892] 511 | 133 | 26,0
i 1851—1853 || 372 : 92 24,7 1893-1897), 492 | 138 28,0
1854-1856 || 445 | 107 24,0 1898—1902'| 495 | 136 27,5
1857—1859" 369 | 103 27,0 1908-1907) 492 | 149 30,3
1860—1862|| 421 | 109 25,8 | | | |
Anm.: Die Selbstmordziffern wurden berechnet aus Ergebnissen der Volks- |
zählungen und aus dem jährlichen Durchschnitt der Zahl der Selbstmörder im
Jahr der GER und in den Deden e 1871 in den 4) benachbarten Jahren. |
Tab. 9. Der Selbstmord im Königreich Sachsen nach Monaten.
jeden Monat zu 31 Tagen gerechnet, im Durcbschnitt
Von jährlich 1200 Selbstmordfüllen enttielen auf die einzelnen Monate, u
Monat |l1834—51 | 1859—67 | 1872—80 | 1881—89 1894—1908 1872—1908
=
| a) für das männliche Geschlecht
| Januar...... 80 81 TL Du ai > 78
Februar..... 82 | 84 80 89 85 | 85
Miirz....... 96 86 91 | 100 100 97
April....... 116 120 116 114 16 | 116
Mai........ 131 131 108 | 128 123 | 12
Juni........ 131 125 135 | 138 131 | 188
Juli........ | 111 121 126 124 119 | 123 |
| August ..... | 103 113 113 105 104 | 108
September ..' 100 96 102 97 99 99
Oktober .... 96 91 | 8 92 95 91 !
November .. | 78 718 91 | 74 78 | 80 |
Dezember... 76 74 | 82 64 69 71 |
zusammen ; 1200 | 1200 | 1200 | 1200 | 1200 | 1200
94 Tab. 9 (Fortsetzung). Tab. 10.
Tab. 9 (Fortsetzung).
Von jährlich 1209 Selbstmordfällen entfielen auf die einzelnen Monate, |
jeden Monat zu 31 Tagen gerechnet, im Durchschnitt
Monat
b) für das weibliche Geschlecht
Januar...... | 65 74 81 64 85 77
Februar..... 87 91 101 75 98 | 89
März ....... | 89 88 95 103 101 100
April....... "113 109 106 129 124 122
Mai ........ 131 127 113 123 | 1% 122
Juni 113 132 122 126 122 128
Juli ........ | 130 123 130 119 3 108 118
August ..... | 106 103 111 108 98 104
‚ September .. || 104 112 112 e | 99 98
| Oktober..... 104 90 75 86 84
' November... 80 79 79 86 88
Dezember ... | 718 72 75 72 d
zusammen | 1200 | 1200 | 1200 | 1200 | 1200 | 1200
|
c) für beide Geschlechter. zusammen
Januar...... |! 75 80 | 13 (TT | 81 77
! Februar.....: 81 86 83 86 88 86
März ....... | 111 | 86 ' 92 101 102 99
April....... | 113 118 116 117 114 115
| Mai........ | 128 130 109 126 126 122
Juni........ | 125 126 134 132 128 181
Jali ..... ..| 128 122 127 123 118 122
August ..... | 101 111 113 106 105 107
September .. | og 100 103 95 101 100
' Oktober .... 95 90 81 91 | 91 88 |
| November... 75 78 | > 718 | 81 83
Dezember... | 75 733 | 68 ! 6 70
| zusammen ai 1200 | 2 1200 | 1200 = 1200 | 1200 | 1200
Tab. 10.
i Im Königreich Sachsen entfielen von jährlich 1200 Selbstmorden auf die e |
| einzelnen Monate, Aa Monat zu 31 Tagen gerechnet
Monat |1899 | 1900 1901 | 1902 ' 1903 | 1904 | 1905 1906 | 1907 | 1908;
EE |
a) für das männliche Geschlecht |
Januar.......... 85 | 691 68| 83 | 96 | 82 | 74! 96 | 77 | 84 |
Februar .......... 69 | 83 61: 76 | 102 | 107 | 87 | 9 | 81 | 101
Marz ae 87 | 96 | 89 | 99 ` 112 | 97 ! 108 | 103 | 105 | 107
April) un 115 | 108 | 133 | 113 ! 108 | 128 | 107 | 109 | 109 | 102 |
Ma nee 128 | 126 | 141 | 124 | 95 | 114 | 134 | 125 | 129 | 118 |
E ARE RER 145 | 118 | 117 | 134 | 145 | 133 | 108 , 114 | 119 | 116 ,
ES E 147 | 120 | 124 | 128 | 123 | 95 | 127 F 121 ; 189 | 107
August.......... 92 | 108 | 109 | 116 1 119 | 104 107 | 99
Bepiember 122 | 102 ' 105 | 100 ` 96 | 91 79 | 97
| Oktober........ 84 o 104, 89| 91 | 10 62 | 103 103 | 108
November ...... 67 | 81 | 87 | 69. 81 | 75 74 | 87
| Dezember ...... 59 |. a | 77 | 67 | He 86 | 83 | e 718 | 74 |
| Zusammen '1200 [1200 |1200 11200 1200 {1200 | 11200 P |1200 |1200 | |
Tab. 10 (Forts.). Tab.11. Verbrechen und Vergehen nach der Jahreszeit 95
Tab. 10 (Fortsetzung). S
Im Königreich Sachsen entfielen von jährlich 1200 Selbstmorden aut die
us Monate, jeden Monat zu 31 ‘Tagen gerechnet
| Monat "1899 | 1900 ' 1901 1902 | 1903 | 1904 | 1905 1905 | 1906 | 1907 | 1908
| b) ftir das weibliche Geschlecht
‚ Januar .......... ' 72 1103| 52 | 117) 66| 68| 87 75! 42 | 45
| Februar ......... I 105 | 95 | 84 | 98 | 118 | 108 82 75 | 112 | 121
März. 104 | 116 | 80| 64 183/115 | 87; 95 | 91 | 94
April ........... | 98 | 142 | 124 | 113 | 111 | 126 | 141 132 | 121 | 128
Mai............. "117 ; 188 | 116 | 162 | 152 | 108 | 119 142 | 147 | 113
Juni ............ 130 | 146 | 104 | 128 | 103 | 143 | 103 | 115 | 135 | 107
Vacs etter adeures 95 136 | 104 ` 107
August ......... | 99 ı 73 | 136 ı 106 74! 83 | 100 | 118 | 94); 9
September....... 144 62,112 106 89| 72| 96 | 81 | 114 | 130
|
93 | 68 | 101 oi
|
Oktober ......... ' 99 | 77 | 92 87 | 81 | 122
November ....... / 6: 72| 76| 71 89] 72! 99 ı 102 | 61] 97
Dezember ....... S 92, 731100) 57, 81! 72! 71| G1] 738| 81:
zusammen 1200 |1200 |1200 |1200 |1200 |1200 1200 |1200 |1200 |1200 |
Tab. 11. Verbrechen und Vergehen nach der Jahreszeit
im Königreich Sachsen für das Jahr 1885.
CORE etc. Jahrg. 1889 S. 159.)
| | Wenn das Tagesmittel fiir das Jahr!
1100 ist, so beträgt dasselbe für die
| Art der Verbrechen und Vergehen = reine Jehreneit
| Winter |Frübj ahr Sommer! Herbst
Verbrechen und Vergehen gegen Reichs- E a
| gesetze überhaupt. 95 104 103
| darunter: |
11. Verbrechen und Vergehen gegen Staat,
öffentliche Ordnung, Religion . . . . 94 98 106 103
insbesondere
Gewalt und Drohung gegen Beamte. . | 93 93 109 105
| Hausfriedensbruch. . . Si 94 99 105 102
4 2. Verbrechen gegen die Person. 80 97 121 102
insbesondere |
| Unzucht mit Gewalt, an Kindern. . . 61 103 141 95
| Ärgernis durch unzüchtige nn 62 108 142 88
Beleidigung . d ie Ee 84 97 118 101
Einfache Körperverletzung . ee S 77 97 125 101
Gefährliche Körperverletzung. . . . . 78 97 120 105
Nötigung und Bedrohung . . . . 79 97 120 104
8. Verbrechen und Macht gegen das
| Vermögen ..... 114 93 90 103
| insbesondere
Einfacher Diebstahl... . . 2... 119 89 |, 87 105
| Schwerer Diebstahl . ....... „i| 109 95 96 100
Hehlerei.; 604.44 a & 2 war... we A 129 95 81 95
| Betrug. ` saed ae ee, 93 88 104
| Sachbeschiidigung . I 98 108 | 1 102 97
96 Tab. 12. Verteilung des Selbstmordes nach Todesart und Jahreszeit
Tab. 12.
Verteilung des Selbstmordes nach Todesart und Jahreszeit im
Königreich Sachsen 1848—67.
(Zeitschrift etc. 1870, S. 162.)
August. .
Oktober .
November
März.
April...
Mai ..
Juni .
Juli
August...
September
Oktober .
November
Dezember
im Monat
zusammen | 100
$
N 10,80,
September.
sc a | FAR
el & cs 2a],
ds |< |j|aı a |. 2383.23
e a a z Oo o Ga bglgë u <
2 g së 2 KS gei de SIS GH
D & KS = un Gei Gei a BS m2
Ie _ ae lea i t|) e
a) männliche:
6,75! 7,43] 2,89 a. 6,52 9,14 16,67; 8,33
6,58 6,89) 4,48, 8,27] 6,67, 6,52) 6,30/16,67 8,33
7,76 7,82, 7,51! 7,18 6,67 8,69112,75° — 8,33,
9,34) 9,33 11,13) 6,21 13,33 15,22 10,29) — [13,89
. | 11,16]10,77/13,80;10,46 10,00; 6,52 8,00! — | 2,78
10,62/12,79 9,35/10,00 8,69! 9,71|33,33| 2,78
. || 10,78'10,43 13,30 10,83 6,67 10,87) 6,86[16,67)13,89
|| 9,04 8,98 8,96! 9,49 3,33 4,35 10,18 — 11,11)
7,65 7,29. 7,87| 8,15 16,67) 8,69 7,43) — | 8,33
. || 1,71 7,19! 8,24! 9,13! 3,38) 6,62 914 — | 8,33
. || 6,25. 6,67 5,13 5,35 13,33) 8,69) 6,71] — | 5,56
ı 6,58) 3,90, 7,42| — | 8,69) 4,57 — | 8,33
Dezember . | 6,19
zusammen | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 "on 100 | 100
Januar... |
Februar..
5,89" 6,54
7,10 8,27,
6,97! 6,54
9,26) 9,23
11,01/10,77
10,65 10,67
10,79 10.29
8,85 8,08
8,45) 8,46
8,09; 7,69.
6,47 6,54
6,47: 6,98)
b) weibliche:
— 116,67
5,13
6,00
7,74:
9,57,
11,41
10,35
11,12
9,28:
8,51!
8,70
6,58
5,
33,33
33,33
3
I
16,67
Von je 100 Selbstmördern töteten sich durch
6,25 4,16
3,12
4,16)
10,42.
8,33}
8,33
16,67 21,88 6,25
61) — | —
— 10,42/50,00 16,67
33,33,33,33| 9,38 e
16,67) 6,25 6,25
H
10,00
10,00
15,62:12,50 50,00! —
6,25
15,62
F
'
H
16,67
116
— 10,00;
Ersticken
25
50
|
— |
Uberfuhren
lassen
Ader öffnen
|
5,36) 7,02
al 3,50
1,78 10,53
7,15 10,68.
12,50 15,79.
1,78! 7,02
6,36] 7,02
10,71) 7,02
21,43) 8,77
17,86) 7,02,
3,76:12,28
8,93 5,26 |
11,76 18,18
9,09.
17,65
5.827,27
9,09 '
11,76)
5,88 18,18
5,88] 9,09
11,76
5,88
100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 ; 100 | 100 | 100 | 100 |
Tab. 13. Selbstm.n. Monaten in Leipzig u. Dresden. Tab. (4. Selbstm.nach Alter 97
Tab. 18.
Die Verteilung des Selbstmordes nach Monaten in den Städten
Dresden und Leipzig.
Von je 100 Selbstmördern starben in jedem Monat,
den Monat zu 31 Tagen gerechnet:
in der Stadt Dresden *) in der Stadt Leipzig >)
zu8.
1,5
7,7
8,5
9,6
9,7
10,2
10,7 10,4 10,6 8,9 8,7 8,8
August..... 7,4 7,8 7,4 7,9 74 7,8
| September. . . 7,5 7,9 | "A 1,7 6,7 7,4
‚Oktober .... 6.9 8,2 7,2 8,0 7,2 8,0
| November .. . 6,6 7,0 6,6 1,7 8,9 7,9
Dezember ... | 6,6 7,7 6,8 5,8 7,3 6,5
zusammen | 100 100 | 100 100 100 100
{
| a) Für die Jahre 1885—95; 1897—99; 1901—07.
Ä b) Für die Jahre 1872—1908 außer 1899.
Tab. 14.
Der Selbstmord nach Alter uud Jahreszeit in der Stadt Dresden
in den Jahren 1885—99; 1901—07.
Von je 100 Selbstmördern einer Altersklasse töteten sich
im Alter von
. © ò% je @
. > @ e# o »
. @ «© è 8 9
. > @ > @ ò o
. © @ 2 o o ©
os >è @ e ò> o 9%
. e @# @ 9
| zusammen | 100 | 100 | 100
Du men BEN a AE
Karten: Statistik des Selbstmordes. 7
98 Tab. 15. Selbstm.in d.Kreishauptmannsch. Tab. 16. Selbstmordziffer in den Kr.
Tab. 15.
Der Selbstmord in den Kreishauptmaunschaften des Königr. Sachsen.
Es] betrug die Zahl der Selbstmorde in der Kreishauptmannschaft |
Dresden Leipzig Bautzen Zwickau Chemnitz
ım Jahre:
1892
1898
1894
1895
| 1896
| 1897
| 1898
| 1899
1900
1901
1902
1908
1904
1905
| 1906
| 1907
1908
1909
1864—1867
1892—1895
1896—1900
1901—1905
| 1905—1909
Tab. 16.
Die Selbstmordziffer in den Kreishauptmannschaften.
Auf 1 Mill. Lebender trafen Selbstmorde in der Kreishaupt-
im Jahre: mannschaft
|
|
Dresden Leipzig Bautzen Zwickau Chemnitz
1896 344
1898 $42
1900 882
1902 371
1905 869
1906 845
1907 328
1908 362
1909 865
1860—1863 288
1 1884—1867 301
1892—1895 347
1896—1900 342
1901—1905 866
1905—1909 854
Tab (8 Die Selbstmordziffer in den Amtshauptmannschaften
Tab. 18.
99
(Tab. 17 folgt aus räumlichen Gründen erst Seite 100 u. 101.)
Die Seege in den EE des K. Sachsen.
Pe u
ın der
Amtshauptmann-
schaft
|
i
b
|
|»
| Kreish. Bautzen .
St. Chemnitz
Fldéha ...
Glauchau
Marienberg.
'Kreish. Chemnitz.
ISt, Dresden . .
A. Dippoldiswalde .
', Dreaden-Altatadt.
o ” Dresden-Neustadt
„Freiberg . . .
„ Großenhain . .
| Kreish. Dresden . .
h
|
|
St. Leipzig ...
A Boroa EA
Döbeln. .
Leipzig
| „ Oschatz
99
Kreish. Leipzig
A. Auerbach. .. .
„ Olsnits. .. . .
„ Plauen. .
= Schwarzenberg i
„Zwickau ....
|Kreish. Zwickau . .
Königreich Sachsen.
ee
A. Bautzen ....
Grimma e e e e
Rochlitz . . . .
| Die Zahl der Selbetmorde auf 1 Mill. dert en Bevölkerung | |
in den Amtshauptmannschaften des Königreiches Sachsen
175
324
200
306 | 400
243 | 267
330
274
:197
232
848
. || 290
277
387
301
ës
246
461
379
265
844
389
377
854
362
328
265
225
349
292
205
260
183
223 |
219
304 814 | 317 | 320
|
|
EL AL eh
|
|
|
167 | 165
217 311
177 | 213
354 | 286
231 | 236 | 280
|
164
243
257
310 | 268 | 400
183 | 211 | 208 | 342
241 | 251 | 220 264
217 | 412 | 258 | 259 |
830 320! 416 | 329 '
446 | 269 | 361 | 262
268 | 283 | 817 , 806
|
414 |
314
382 | 480
396 | 316
350 | 407
368 | 441 | 389 | 378
238 | 305 ; 267 | 346
842 | 382 | 871 | 369
819
300
432
310
386
357
353
395
378
528
360
306 |
Oe
402 : 503: 395 | 859
450 382 326
313 | 808 | 863
354 | 254 | 251
412 | 489 | 898
238 Ä 802 225
343 | 329 | 848
296
488
849
205
283
807
205
126
864
215
325
216 |
EE Eeer
194 | 169 | 161
414 | 383 270
228 | 274
338 393
|
338
432 i
| |
157 | 185
268 | 159
ee 251
314 | 254 | 300
242 | 215 229
l
294 |
ee
257 | 310 | 26313165
302 | 327 | 374 | 303
208 202 | 333 318
361 | 346 | 252 | 376
| 184 | 228 | 289 347
301 | 305 | 307 | 318
|
|
| |
340 eal as
802 2138 | 246
213 | 332 | 266
441 | 340
264 409
415 819 379
491 330 516
227 940 487
| 345 | 828 365
352
268
288
450
439
T
268
355
504
|341
381
363
257
482
372
322
880
872
277
328
407
205
283
304
o Co Gi OO
Anne
O Oo Oo m
| | | durchschnittl. jährlich |
1896/1898'1900 1902 1905 1906 1907 1908 1909 1898
1896 !1901 1905 |
-1895, -1900! -1905 -1909;
ı 174
272
212
245
272 | gue
219 |
183 SC
848 297,6
238 |242,4
301 |819,8
256 |252,0|
|
331 '308, 8
| 244 297,41
163
267
206
341
237
223
295 | 267 | 255 314.0
226
330 | 857
224 |
| 275
828 277
350 273
368 | 510
803
878
418
327 | 297
347 | 342
312
305
321
291
274
271
328
275 | 287
387
307 |
269 |
317.
302 |
308 m 321 334, ni 309 | 309 | 325 mm 822 |
328
380 | 831
285 294,2
376 |332 8
300 | 324 262,0
278 305 30% |
297 |
|
342 339,0
416 292, H
294 2|
447 468.4
339 1353 4
874 |3808
383 |4068
816 [350.4
866 3538,8
|
347 sis ch
411 | 359 1339,4
381 ' 803 '819,6
332 | 877 2 0
817 | 306 |345,4
400 ' 344 375.4
289 | 821 313,2]
318
402
880
274 Seet
279 1318,2!
366 361,2
207 |190,8|
809 |288,0 |
297 |289,6|
336
189
254
279
100 Tab.17. Der Selbstmord in den Amtshauptmannschaften
Tab. 17. Der Selbstmord in den Amtshauptmann
a Die absolute Zahl der Selbstmörder in den Amts-
in der
Amtshauptmannschaft
1892 | 1893 | 1894 | 1895 1896 1897 1898 | 1899 | 1900
A. Bautzen. . . š 13 23 19 23 20 | 22 19 14 20
„ Kamenz..... 17 15 24 13 21 19 16 15 16
„ Löbau. 23 18 25 17 20 20 26 20 18
ao LIED A E a 33 30 49 28 33 33 44 33 40 |
Kreish. Bautzen. . . . || 86 | 86 | 117 | 94 | 94 geg 82 | 98
|
| |
Stadt Chemnitz. . . . 45 44 43 42 54 50 37 43 52
A. Annaberg ..... 14; 26; 30| 18; 28! 24| 19 | 22] 22
„ Chemnitz ..... 66 50 59 44 37 61 64 33 48
„Flöhs. 2 sw Gs 19 21 19 14 19 27 18 26 86
„ Glauchau ..... 83 51 60 47 49 60 48 53 48
» Marienberg .... 17 8| 16; 15| 18| 18| 28| 18| 17
Kreish. Chemnitz . . . || 184 | 200 | 226 | 180 | 205 | 235 | 204 | 195 | 223
. |
Stadt Dresden . . . . || 105 | 127 | 112 | 105 | 132 | 112 | 121 | 111 | 140
A. Dippoldiswalde. . . | 29 | 16 | 18 | 11] 16] 11 16 | 11 | 19
„ Dresden-Altstadt. .
ne H eil eel 76| 83) 90|106| 98 | 114
„ Freiberg. ...if 27 | 80} 50) 35 | 29 | 82] 87 | 44] 44
„ Großenhain i 23 35 32 23 36 29 31 22 44
„ Meißen ..... ‘ 89 63 88 47 42 44 42 40 54
4. Pirna). 4-3, 0-8 08, 45 | 44 | 43 | 33 | 38 48] 32 | 49 | 45
Kreish. Dresden. . . . || 339 | 872 | 359 | 330 | 371 | 866 | 385 | 370 | 460
|
Stadt Leipzig. . . . . | 141 | 145 | 114 129 | 168 | 114 | 141 | 155 | 141
A.Borna...... .| 19| 20| 29 24| 28| 33| 30! 25| 88
„ Döbeln ; hä 39| 36, 32| 40) 48| 52) 40) 39
„ Grimma . 19| 41} 26' 834| 35] 33] al 35] 31
„ Leipzig . 32 | 45| 30| 37 | 33| 32| 38 | 51| 34
„ Oschatz 23 11 11 16 15 22 23 26 28
» Rochlitz. ..... 38 26 36 18 24 39 26 36 34
Kreish. Leipzig. . . . || 294 | 327 | 282 290 | 333 | 321 | 341 | 368 | 345
A. Auerbach ..... | 28 13 31 22 26 24 27 21 37
» Olsnitz . ..... 20 23 19 16 13 29 32 32 22
„ Plauen 36 59 40 43 40 60 66 63 51
” Schwarzenberg . 80 23 39 21 20 22 23 25 19
„ Zwickau. 89 | 87 | 80| 43) 59] 69 | 72 | 54 | 70
Kreish. Zwickau 202 | 205 | 209 | 145 | 158 | 204 | 210 | 195 | 199
Königreich Sachsen. . | 1105 | 1190 | 1193 | 1026 | 1161
1226 | 1245 | 1210 | 1320
Tab. 17. Der Selbstmord in den Amtshauptmannschaften 101
schaften des Königreichs Sachsen.
TER des Sr Sachsen betrug |
| 1901 u san baas 1902 a 1903 | 1904 S ie 1906 al 1907
durchschnittlich jährlich
1909 Ve ane 1901 1906
1895; —1900 0| —1905 —1909
| Ge
1908
922 | 212 | 230 | 225 | 247 | 218 | 232 | 244 | 257 | 190 | 194 | 227 | 240
|
|
1384 | 1379 | 1416 | 1392 | | 1482 | 1469 | 1403 15 1507 | 1588 | 1127 | 1235 | 1414 | 1491
102 Tab. 19. Die Selbstmordlichkeit der beiden Geschlechter
Tab. 19.
Die Selbstmordlichkeit der beiden Geschlechter in den Amtshaupt-
mannschaften des Königreichs Sachsen.
Sg Zahl der Selbstmörder | Selbstmord- en tea
in der | ziffer
Amtshauptmannschaft männlich weiblich ‘Selbstmérder|
1905 | 1906 | 1905 | 1906 |männl.! weibl. Itreffen weibl |
A. Bautzen. . ... 21 19 4 3 |333,8| 53,5 16,0
„ Kamenz..... 18 22 12 6 | 556,4 | 245,0 44,0
„ Löbau. ..... 21 22 8 7 |480,0 | 90,2 21,0 |
„ Zittau. ..... 29 | 86 11 11 | 578,0 | 177,0 80,9 |
Kreish. Bautzen. . . | 89 99 | 30 | 27 | 454,9 | 129,7 28,5
Stadt Chemnitz. . . 66 62 16 16 | 536,4 | 127,6 28,8
A. Annaberg .. || 27 26 10 3 506,7 | 1188 22.6
„ Chemnitz 41 45 9 18 | 464,0 | 112,5 24,2
„Föha...... 17 | 24 7 5 | 456.0 | 124,8 87.3
„ Glauchau ... . 40 42 9 12 574.6 185,2 23,5
” Marienberg DEES 14 11 3 1 893,0 60,1 15,8
Kreish. Chemnitz . . | 205 | 209 54 50 | 502,9 | 118,8 28,5
Stadt Dresden . . . | 129 | 118 | 56 | 41 | 505,2 | 177,9 85,2
A. Dippoldiswalde. . || 21 10 8 & | 571,1 | 189,9 24,6
„ Dresden-Altetadt . || 28 35 5 4 |5900] 81,8 18.8
„ Dresden-Neustadt | 41 | 49 | 14 | 10 |8370 | 195,1 283 |
„Freiberg. . .. . 22 81 15 9 | 460,9 | 197.6 42.9
„Großenhain . . . | 22 23 18 13 | 520,2 | 801,9 68,0
„Meißen ..... 39 | 46 9 17 | 689.6 | 198.2 28.7
„Pim...... 40 | 25 14 11 | 427.2 | 154.5 36,2
Kreish. Dresden. . . || 342 | 337 | 129 | 110 | 551,0 | 178,8 82,5 Fan Dei, - |e | sat |129 Lo | ont] ml me |
Stadt Leipzig. . . . | 128 | 182 | 48 | 47 | 684,1| 172,9 32,4 [staat Lech... Le Le | a | ar Ile) au
A. Borna. ..... 20 14 8 7 | 487,4 | 190,3 48,5
„Döbeln ..... 23 | 28 10 7 | 421,6 | 140,3 83,3 |
„Grimma. .... 30 28 16 20 654, ‚6 | 384,7 60, 8
» Leipzig... . . 40 | 65 | 12 | 18 |8789 | 187,7 827 |
„ Oschatz. . ... 9 | 21 9 8 | 638.8 | 201.0 3783
„ Rochlitz... .. 31 29 8 10 | 529.6 | 149,8 28.2 |
Kreish. Leipzig. . . || 281 | 307 | 106 | 112 | 522,8 | 187,5 35,9
|
TEE E 6 5 |542,8| 99,7 11 |
lenitz .... . 6 5 693,8 147,3 24,8
„Plauen ..... 15 15 626.8 189,1 22,2
„ Schwarzenberg. . 3 8 244.3 43,8 17,7
„ Zwickau... .. 18 | 21 |4344 | 135,8 31,1
Kreish. Zwickau. . . 48 | 49 | 481,29 | 116,1 24,1
Tab. 20. Selbstmordhäufigkeit im Vergleich mit anderen Erscheinungen 103
Tab. 20.
Die Selbstmordhäufigkeit im Vergleich mit einigen anderen Erschei-
nungen und Tatsachen in den Amtshauptmannschaften des K. Sachsen.
Stadt Dresden. . ji 339,0 | 129,5
A.Dippoldiswalde || 292,2 | 58,6
„ Dresden-Altst.. || 294,2 89.3
„ Dresden-Neust. || 468,4 ;
» Freiberg . 353,4 | 62,1
„Großenhain . . | 380,8 | 84,8
„Meißen. . . . | 406,8 | 100,9
„ Pirna. . . . . || 350,4 | 100,2
| Kreish. Dresden . || 353,8 | 104,6
| Stadt Leipzig . . | 342,2 | 121,2
A. Borna . . . . || 339,4 | 75,4
| „ Döbeln. . | 819,6 | 68,7
| „ Grimma | 425,0 | 79,8
| „ Leipzig. | 345,4 | 94,4
| „ Oschatz | 875,4 | 68,8
| „ Rochlitz .. . | 813,2 | 79,2
| Kreish. Leipzig 346,4
|
| Anm. Sp.
Stadt Chemhitz . || 808,8 | 126,9
A. Annaberg. . 297,4 | 68,8
„ Chemnitz. 814,0 | 80,8
„Flöba . 294,2 | 66,1
„ Glauchau. . 332,8 | 71,2
„ Marienberg . 262,0 :
Kreish. Chemnitz. |! 807,4
|
| A. Auerbach. . .
| „ Ölsnitz. 318,2 | 101,8
| ,, Plauen. 861,2 | 119,2
| Schwarzenberg || 190,8 | 74,7
| „ Zwickau . . 288,0 : 87,8
| Kreish. Zwickau . || 289,6 | 951 | 20,7 ! 12,0
| Königr. Sachsen . | 322,5 | 95,5 | 30,5 | 13,3
in der | Ehe- |unehel.! landwirtach.| Dichte |Höhen
Amtshauptmann- ea Verur- | schei- | Ge-
schaft i dungen! burten
| a b | c d
A. Bautzen 171,2 | 77,3
„ Kamenz 297,6 | 62,1
„ Löbau . . . . || 242,4 57,5
„ Zittau . . | 319,8 | 60,4
Kreish. Bautzen . | 252,0
279,4
die Selbstmordziffer auf 1 Mill der mittleren Bevölkerung 1905—09.
: die Zahl der wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetse Verurteilten
auf 10000 Strafmündige der Zivilbev. 1893—1902 (Zeitschrift, Jahrg. 1906, S. 166).
: die Zahl der Ehescheidungen auf 100000 der mittl. Bevölkerung 1904—06.
: die Zahl der unehelichen Geburten auf je 100 Geburten 1903—07.
: die Zahl der in der Landwirtschaft hauptberuflich Erwerbstätigen in Prosent der
Gesamtbevölkerung, nach der Zählung 1907.
: die Bevölkerungsdichte auf 1 qkm nach der Zählung 1905 (Stat. Jahrb.).
: die mittlere Höhenlage in Metern (Stat. Jahrb. 1876, 8. 2).
Es betrug die durchschnittlich jährliche relative Zahl der
| 800,7 | en
104 Tab. 21. Selbstm. u. Ungliicksfille. Tab.22. Selbstm. in Stadt u. Land
Tab. 21.
Die Häufigkeit der Selbstmorde nnd Unglücksfälle mit tödlichem Aus-
gang in den Amtshauptmannschaften des Königreichs Sachsen.
‘Im m Durchschnitt der Jahre 1905—1908 betrug
die Zahl der ' die Zahl der
in der Amtshaupt- || Selbst- Ungliicks-| in derAmtshaupt-|| Selbst- Ungliicks-
mannschaft mörder fälle mannschaft mörder fälle
i SS auf 100000 Einwohn. auf 100000 Einwohn. |
A. Bautzen ..... 16,8 31,1 | A. MeiBen....... | 37,9 45,8
„ Camenz...... 33,3 34,7 „ Pirna ........ 33,1 40,1
„ Löbau ....... 24,1 30,4 || Kreish. Dresden. | 35,1 29,8
„ Zittau ....... 32.4 82,7 |
i | St. Leipzig ...... | 333 26,9
Kreish. Bautzen. vu 25,7 32,0 Rama. 33.0 381
St. Chemnitz..... 31,4 29,2 n en u eo a.
A. Annaberg..... 29,3 27,5 ran : ;
. „ Leipzig....... 33,6 24,4
„ Chemnitz..... 81,7 28,6
„ Oschatz ...... 88,9 41,5
„Flöha........ 28.6 33,8 In Rochlitz See ari
„ Glauchau..... 32,6 28,4 Ä ae EE
„ Marienberg ...| 24,4 42,0 | Kreish. Leipzig ..|| 33,9 30,0
Kreish. Chemnitz.| 30,5 A Auerbach..... 27,9 21,8 |
„ Olanitz....... 81,2 22,3
St. Dresden...... 34,7 „ Plauen....... 35,0 32,6
A. Dippoldiswalde| 30,3 | „ Schwarzenberg} 18,8 29,6
| » Dresden-Altst..| 30,1 „ Zwickau...... 28,9 29,3 |
„ Dresden-Neust.| 50,1 Kreish. Zwickau .|| 28,8 29,7
„ Freiberg...... 29,0
„ Großenhain... 87,8 Königr. Sachsen. | 81,9 | 30,1
Tab. 22.
Die Selbstmörder im Königreich Sachsen in Stadt und Land
in den Jahren 1860—63 und 1864—67.°)
(Zeitschrift etc. 1870, S. 148.)
Es betrug die Selbstmordziffer auf 1 Mill. Lebender
1864—67
| 1860—63
|
Stadt Dresden. . .. . 2.2.2... 546 104 | 314 473 149 804
männl.| weibl. | zus. Imannt weist, zus.
„ Leipzig. ......... 569 | 121 | 344 | 509 | 131 | 820
ap Chemnitz. ........ 614 136 330 460 155 $13
Zusammen . . 2 2 2 2 222000. 548 114 326 481 145 311
die übrigen Städte des Reg.-Bezirks |
Dresden. . . 2. 2 2 2 2 2 20. 580 139 357 416 135 275 |
Leipzig EEN He RS 677 154 416 526 121 327 |
Zwickau . 2 2 2 2 2 2 2 2 0. 409 117 262 446 115 279 |
Bautzen. . . 2... 2 2 2 202. 397 107 247 351 108 231
Zusammen . . 2 2 2 2 2 2 2 0. 501 129 313 450 119 | 285
Anm.: a) Die Unterscheidung geschah nach dem Wohnsitze der Selbstmörder.
Tab. 22 (Forts.). Tab. 23. Der Selbstmord in Ortsch. verschied. Größen 105
Tab. 22 (Fortsetzung).
Es betrug « die Selbstmordziffer auf 1 Mill. Lebender
LV Sch 1864—67
ännl. weibl. | zus. männl.) weibl. | zus. `
| sämtliche Städte des Reg.- Bezirks
Dresden. SC oar
Leipzig .
Zwickau
Bautzen, .
; Zusammen
auf dem Lande des eech Bezirks | |
Dresden. . . . e . d 123 259 490 132 307
Leipzig... we 109 | 243 | 438 | 118 | 272
Zwickau . 2 2 2 2 2 2 2 02... 82 | 198 | 830 55 | 190 |
Bautzen. . . . 2 2 2 2 2 2. 82 182 328 61 188
Zusammen . . 222.222... 347 | 98 219 393 89 | 236
überhaupt im m -Bezirk | |
Dresden... . . . . . 462 | 123 | 288 | 472 | 187 | 301 |
Leipzig soe. 3 Moe eee ala 122 | 303 | 473 | 120 | 294 |
Zwickau .. 2 2 2 2 2 2 2. 97 | 227 | 379 82 | 229
Bautzen. . . . 2. 2 2 2 2 0. 86 191 332 69 196
ı Zusammen . .. 2 2 2 2 22.0.5410 108 255 419 108 258
im ganzen Königreich) . . . . .|| 433 | 111 | 269 | 449 | 107 | 275
Anm.: a) Einschließlich der Selbstmörder, deren Wohnsitz im Ausland
oder unbekannt war.
Tab. 28. Der Selbstmord in Ortschaften
verschiedener GréBenklassen im Königreich Sachsen.
(Stat. Jahrbuch 1910, S. 69.)
| Es betrug die P der Selbstmörder
| durch-
| 908 | 1908 1904 | 1905 | 1906 1907 | 1908 1909 [echnittl.,
Be jährlich
in Maden Städten EE 325 | 330 355
mit über weiblich 101) 107 121
50000 Einwohn. | zusammen || 426| 437 476
in den Städten
mit weiblich | 34| 47! 49) 39! 43| 44| 56| 45
8—50 000 Einw.
in den übrigen
186; 186! 219. 176; 181| 226] 195
582 | 606 579 | 527, 591 | 606] 585
zusammen | 189
männlich || 604
Städten und { weiblich | 1756| 182| 195| 190! 189 182| 174] 184
Landgemeinden | zusammen | 779| 764! 801 769 | 716; 773| 780| 769
EE 1051 | 1116 | 1107 | 1000 | 1102 | 1163 | 1089
im & Serge weiblich |, 320 336 | 367| 348 361| 364| 358| 351
& zusammen ‚1404 1387 | 1488 | 1455 1361 | 1466 | 1521 | 1440
Groß- |
34,3 | 37,9 | 37,0 | 32,2 | 34,0
Auf 100 männ- | städten ' 34,2 | 32,5 | 33,0 , e
liche Selbstmör- |} Mittel-
der kamen weib- städten || 21,9 | 33,8 | 35,8 | 21,7 | 32,8 | 32,1 | 35,0 | 30,0
im übri-
gen Land.
männlich 155 | 139! 137) 180! 133! 137| 160 149
liche in den kiss
|
|
|
E
28,9
32,9 | 35,9 | 80,7 | 28,7 | 31,4
106 Tab.24. Die Zahl der Selbstm. in d. größeren Städten. Tab. 26. Selbstmordziffer
Tab. 24.
Die Zahl der Selbstmorde in den größeren Städten des Königreichs Sachsen.
Es betrug die absolute Zahl der Selbstmörder
Idurchschn. jährlich]
1908 1890 '1901 |1905
|
NE AE |
| E DEE 1902 1903 19041905 iape igor
| EE BE i | | 92} —05 _—08
|
|
Bautzen...... 1| 6,31 82| 4 |
Zittau........ 3| 5 6, 12| 5,8| 12,0| 11,75]
| Chemnitz TEME 33| 49 77| 82| 42,3| 74,8 | 79,75}
Annaberg..... 6,4
Glauchau..... 11) 12 12,6: 11,2 |
Meerane ..... 8| ei 6| 16| 16 a ul al 6| 6,8; 18,0| 8,75l
Dresden...... 83 | 92/107| 180 168 156 | 163 | 185 /159|181!193| 94 170,4 179,5 |
Freiberg...... 7| 12| 10| 12 | 17; 6| 8| 11} 8, 8; 96| 12,2} 85
MeiBen....... el el 2| 10 el 11| 18; 9| 10| 46| 98 12
Pirna ........ 6| 10| 7; 10 7,6 i
Leipzig ...... 103 | 127 | 141 | 165 | 173 | 160 171 | 179 | 156 | 177 |123,6 1166,4 170,75}
Döbeln....... 5 | 7
12| 3 d 7,4
8| 18 6 5,8
sı| 29 39| 29| 84; 40) 12,6| 30,8| 35,5
9
3
14| 11 7 |
8 8 6
22| 19 19 21,2| 22,6
Tab. 25. Die Selbstmordziffer in den größeren Städten des K. Sachsen.
Es betrug die ES (auf 1 Mill. Einwohner)
|
durchschrititich un |
1904/1905 5 1908 1907/1908|1882 wl 8 1890 |1901 |1905 |
= d _—90} —92| —05 —08)
in der Stadt or Stadt Wenner eier 1892
Beatson aces Sigs 280 | 280 sn... aso | 2801160 463 = 330 | 129 | 360 | 830 | 243 | 296 | 188 |
Zittau........... 120 | 190 | 310 | 304 | 378 | 456 | 168 | 829 | 390 | 240 | 207 | 366 832 |
Chemnitz........ 240 | 340 | 300 | 290 | 338 | 312 | 301 , 308 | 350 | 310 | 297 | 331 | 813
Annaberg ....... 381
Glauchau ....... 470 | 510 | 680 | 642 350 | 400 | 534 | 446
Meerane ........ 360 | 270 | 220 861 | 438 | 355 | 236 | 310 | 280 | 278 | 582 | 847
Dresden ......... 300 | 330 | 360 | 327 | 360 | 806 | 340 ' 357 | 370 | 350 | 335 | 878 | 341
Freiberg......... 240 | 410 | 340 | 196 | 260 ' 355 | 286 | 228 | 450 | 430 | 329 | 400 Se
MeiBen ......... 340 | 330 | 118 | 234 | 340 | 551 | 271 | 290 380 | 253 | 374 862 |
Pirna sur. | 405 |
Leipzig ......... Je 350 ' 380 | 828 | 342 | 352 ! 301 ' 335| 420 | 890 | 343 | 347 | 332 |
Döbeln.......... | 382 |
Wurzen ......... | 437 |
Mittweida ....... 345
Plauen....... .. 340 | 280 | 230 | 221 | 379 | 270 | 806 ' 357 | 360 | 350 | 265 | 342 328 |
| Reichenbach ..... 140 | 230 | 180 | 273 180 | 160 | 166 | 229
| Aue esesenoe | 148
Crimmitschau .... | 350 | 250 | 420 290 | 820 | 861 | 441
Werdau......... || 310 | 240 | 420 822 | 309
Zwickau......... 340 | 680 | 240 | 312 | 279 | 318 | 299 394 | 360 | 310 | 402 | 341 | 828
Tab. 26. Selbstm. in d. größeren Städten. Tab. 27. S.in der Stadt Dresden 107
Tab. 26.
Reihenfolge der Städte mit mehr als 15000 Einwohnern im Königreich
Sachsen nach ihrer 6röße und Selbstmordlichkeit.
1890—-1892
nach der
1901—1905 1905—1908 {1901—1905
nach der nach der [| Finwohner-
Größe |S.-Ziffer} zahl
1 2 4 479898 |
2 1 8 456 571 |
8 3 7 225 920 |
4 4 5 89 684
5 6 6 62166 |
7 8 8 80 617 |
EEE 6 6 4 32820 |
EE 1 25 136
WESER 12 2 24 481
8 29723 |
ee 9 9 27 721
18 28 181 |
NEEN 10 1 26 230
eatin 14 19 417
ee 15 18 760
EE 16 18 824
gg 17 16913 |
Annaberg...... 19 16 898
Mittweida...... 18 16 808
ns 20
16 197
Tab. 27.
Die Zahl der Selbstmorde in der Stadt Dresden.
| Es betrug die Zahl der Selbstmorde ||| Es betrug die Zahl der Selbstmorde
| im Jahre | männl. | weibl. | zus. im Jahre | männl. | weibl. | zus.
1864 29 8 87 1894
1865 41 14 55 1895
| 1866 81 18 44 1896
| 1867 26 12 48 1897
| 1873 31 9 40 || 1898
| 1874 84 19 68 | 1899
| 1875 46 18 59 | 1900
| 1876 70 18 88 i; 1901
| 1885 62 25 87 | 1902
1886 15 25 100 1903
1887 80 28 108 1904
1888 68 28 81 1905
1889 76 19 95 1906
1890 67 15 82 | 1907
| 1891 62 26 88 || 1908
| 1892 15 25 100 ||| 1909
| 1893 88 87 125 |
eege E
108 Tab.27 (Forts.). "Tab 28. Die Zahl der Selbstmorde in der Stadt Leipzig
Tab. 27 (Fortsetzung).
Es betrug die Selbstmordziffer auf 1 Mill. Lebender
k | ;
männlich u. | männlich u.
weiblich zus.
weiblich zus. |
SER
im Jahre | männlich u. | im Jahre |
1860—63 | 314 1888 3100 || 1899 me
1864 253 | 1889 354,8 || 1900 848,2 |
1865 | 368 1890 2994 || 1901 | 441,5
1866 | 288 | 1891 313,7 1902 406,8
1867 | 308 | 1892 336,6 1903 | 311,8
1874 y 2798 | 1893 411,1 1904 324,8
1875 || 802,6 | 1894 351,5 | 1905 364,2
1876 414,9 || 1895 3229 | 1906 305,4
1885 | 366,8 | 1896 397,5 | 1907 341,2
1886 | 401,4 | 1897 336,8 1908 355,4
1887 j 4040 | 1898 335,3 | 1909 332,0
im Jahre | männlich | weiblich | im Jahre | männlich | weiblich
1860—63 || 546 104 || 1873-76 || ası,6 141,9
| 1864 | 412 jos || 1885—90 559,7 168,3
1265 672 180 || 1891-95 | :
1866 | 424 | 163 | 1896—1900 |
|
1901—05
Tab. 28.
Die Zahl der Selbstmorde in der Stadt Leipzig 1850—1909.
Es betrug die Zahl der Selbstmorde | | Es betrug die Zahl der Selbstmord |
im Jahre | männl. | weibl. | zus. | im Jahre || männl. | weibl. | zus. |
1850 | 10 a 10 || 1870 30 11 4 |
| 1851 18 2 20 1871 85 4 89 |
1852 | 16 2 18 | 1872 26 5 d
1853 16 5 21 1873 82 8 An |
1854 | 19 5 34 | 1874 29 13 A8
1855 17 4 21 | 1875 29 7 36
1856 | 16 4 20 1876 39 22 6 `|
1857 24 7 au | 1877 44 17 ei |
1858 20 2 22 1878 44 17 6l |
1859 15 3 18 1879 52 17 69 |
1860 | 10 1 11 | 1880 59 21 80
1861 20 1 21 1881 63 18 81
1862 21 4 25 1882 62 22 84
1863 25 2 27 1883 54 16 70
1864 17 5 22 1884 42 20 62 |
1865 26 3 29 1885 58 11 69 |
1866 26 3 29 1886 59 16 75 |
1867 20 4 24 1887 47 11 58 |
1868 | 25 7 32 1858 48 26 74
| 1869 | 6 35 Ä
1889 13 26 99
Tab. 28 (Forts). Tab.29. Zunahme der Selbstmorde u. der Einwohner 109
Tab. 28 (Fortsetzung).
Ee betrug die Zahl der Selbstmorde | Es betrug die Zahl der Selbstmorde
| im Jahre | männl. | weibl. | zus. "Jim Jahre \ männl. | weibl. | zus.
=] ' eg — a So er Be en EN SS,
Es betrug die Selbstmordziffer auf 1 Mill. Lebender
i auf 100 | | auf 100
| ut | |
im Jahre männl. | weibl. EE ' im Jahre Pant weibl.
| Frauen |
1850—68 | 508,7 | 113,0 | 19,7 |[1876—80 || 687,6
1859—61 | 394.5 43.3 | 110 ||1881—85 || 703.0
|
ti
1862—64 | 5144 | 89,0 | 17,3 ||'1886—90 || 458,7
1865—67 || 543,6 74,9 | 13,8 |[)1891—95 || 542,7
1868—71 | 596,2 | 142,7 | 23,9 |[/1896—1900| 481,2
| 1872—75 | 488,9 | 143,9 | 294 [1901—05 | 625,6
een Tue un a GA
Tab. 29.
Die Zunahme der Zahl der Selbstmorde und der Einwohnerschaft in
den Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz von 1871—75 bis 1901—05.
Setzen wir für 1871—75 die Zahl der Selbtmorde wie auch der Einwohner
in jeder Stadt — 100, so ergibt sich für die folgenden Jahrfünfte:
Dresden Leipzig Chemnitz |
Selbst- | Einwoh- | Selbst- | Einwoh- | Selbst- | Einwoh- |
morde nerschaft | morde nerschaft
1871—75
1876—80 198,7
1881—85
1886—90
1891—95 265,4
1896—1900 280,8
1901—05 445
110 "Tab, 30. Selbstm.in den Amtsh. Tab.31. Die Selbstm. nach Altersgruppen
Tab. 80.
Der Selbstmord in einigen Amtshauptmannschaften des Königreichs
Sachsen mit größeren Städten.
Es betrug die Selbstmordziffer (auf 1 Mill.) |
1901—1905 1905—1908 |
in der . in den | in den . in den | in den
Amtshaupt- Ee Amtsh. | Amtsh. | on den Amtsh. | Amtsh. |
mannschaft on ohne die | mit den | Städten ohne die | mit den |
Städte | Städten | Ben | Städte | Städten |
Annaberg ......
Glauchau .....
Schwarzenberg
Zwickau ......
Dresden.......
Leipzig .......
Chemnitz .....
Anmerkung. Die in den einzelnen Amtshauptmannschaften in Betracht
gezogenen Städte waren: A. Bautzen: St. Bautzen; A. Zittau: St. Zittau; A. Anna- |
berg: St. Annaberg; A. Glauchau: St. Glauchau, St. Meerane; A. Freiberg: St. |
Freiberg; A. Meißen: St. Meißen; A. Pirna: St. Pirna; A. Döbeln: St. Döbeln; |
A. Grimma: St. Wurzen; A. Rochlitz: St. Mittweida; A. Planen: St. Plauen, |
St. Reichenbach; A. Schwarzenberg: St. Aue; A. Zwickau: St. Zwickau, St. |
Crimmitschau, St. Werdau; A. Dresden: St. Dresden; A. Leipzig: St. Leipzig;
A. Chemnitz: St. Chemnitz. |
Tab. 81.
Die Selbstmörder im Königreich Sachsen in den Jahren 1901—1909
nach einigen Altersgruppen für beide Geschlechter.
Es betrug die Zahl der Selbstmörder
im Alter von | 1901 | 1902 | 1903 | 1904 | 1905 | 1906 | 1907 | 1908 | 1909
unter 15 Jahren! 20 | 33 | 20 | 17/1 21 | al 12 | ae 4
15—20 ,, 122 120 112 106 117 139 114 119 143
20—30 ,„ 234 220 236 253 245 241 142 231 276
80—40 „ 220 244 208 197 223 213 185 238 213
40—50 ,, 248 265 263 261 296 263 280 302 290
50—60 „ 263 286 801 283 300 294 205 273 317
60—70 , 173 | 146 | 175 | 165 | 182 | 176 | 174 | 197 | 188
70—80 ,„ 768 | 78 | 77| 7% | 783 | 93 | 85 | 88 | 109 |
über 80 ge 19 18 17 24 20 21 85 29 23 |
unbekannt 9 6 7 10 6 5 1 4 2
zusammen || 1384 | 1406 | 1416 | 1892 | 1488 | 1469 | 1881 | 1507 | 1588 |
Tab. 31 (Forts.). Tab. 32. Die Altersverteilung der Selbstmörder 111
Tab. 81 (Fortsetzung).
Von 1000 Selbstmördern jedes Jahres standen im Alter von
Ten = 1903 1903 | 1904 | 1908 | 1908 | | 1906 | 1907 | 1908
unter 15Jahren
15—20
20—30
30—40
40—50
60—60
60—70
70—80
über 80
unbekannt
Tab. 82.
Die Altersverteilung der Selbstmörder im Königreich Sachsen.
14 J.| 21 J.) 80J.| 40J.| 50 J.| 60 J.| 70 J.| 80 J.ImehrJ.| Alter
21,75 10,35 [420,66
1868 8
1869 6
1870 8
1871 6
1872 4 102; 76| 26) 6 | 47
1873 5 106 | 64| 33' 4 | 18
1874 8 1206! 61 | 28 | 2 | u
1875 5 121 | 63 | 27 e | 15
| 1876 || 13 1701 95| 298 | 9 | 49
1877 || 17 186 | 113 | 31 | 5 | 14
1878 6 199 | 103 | 34 | 3 8
1879 9 184 | 100| 48 | 6 | 10
1880 9 195 |113| 46 | 5 9
1881 3 216 |108 | 50| 7| 14
| 1882 8 205 | 104 | 56 | 10 7
1883 || 18 207 | 129 | 388 | 5 4
1884 6 166 | 108 | 34 | 5 8
1885 8 177 | 125 39 | 6 8
1886 7 1741115 | 86 | 6 8
1887 6 154 |105 | 50 | 9 7
1888 6 164 |126 44 | 6 | u
1889 7 165 | 112 | 61 | 10 8 | 857
1906 | 14°) 215 ı | — | 1107
1907 6 191 27 | — | 1000
| 1908 || 18 205 28 g | 1102
1909 || 20 216 11 4 | 1163
| a) bis zu 15 Jahren.
112 "Tab og (Fortsetz.). "Tab 833. Jährliche Zahl d Selbstm. nach dem Alter
Tab. 82 (Fortsetzung).
a a) =
Es betrug die Zahl der weiblichen Selbstmörder im Alter von
jim Jahre | nis bau. l21— |30— 140— 50— |60— |70— |80 undjunbek.| -zs
14 J.| 21J.| 30 J.! 40J. 60J.| 60J.| 70J.| 80 J.\mehrJ.| Alter
1848—67 || 0,9 Ke 20,2 86,65 30,7 6,56 2,15 | 113,5
1868 1 24 | 33 52 45 10 1 166 |
1869 1 20 | 32 44 28 5 1 131
1870 1 24 | 25 31 29 3 1 114
1871 — | 14 | 12 40 41 6 1 114
| 1872 — | 28 | 29 | 27 | 23 | 15 | 12 8 4 2 143
| 1873 — | 20 | 26 | 17 | 32 | 16 | 21 4 1 2 188
| 1874 || — | 21 | 32 | 10 | 36 | 32 | 16 | 18 | — | — | 160.
1875 2 22 | 26 | 17 | 22 ı 24 | 18 7 = 2 185
| 1876 2 85 | 34 | 25 | 29 | 24 | 28 6 2 =s zc
| 1877 A | 39 | 33 | 84 a, 81 | 20 | 10 8 1 199 |
| 1878 g 48 | 40 | 89 | 80 | 84 | 15 | 11 1 Ge 215 `
1879 — | 27 41 | 32 | 28 | 29 | 22 8 geg 8 190 |
1880 — | 31 | 48 | 28 | 38 | 88 | 37 | 18 2 1 226
1881 1 45 | 65 | 36 | 42 | 88 | 23 | 18 ec 3 271 |
1882 5 38 ı 43 | 89 | 28 | 85 | 20 | 13 2 = 223 |
1883 4 42 | 37 | 46 | 39 | 89 | 28 | 19 = 2 251
1884 4 46 | 50 | 20 | 87 | 46 | 28 | 17 3 = 246
1885 8 37 | 44 | 86 | 35 | 39 | 41 | 16 = — 251
1886 — | 32 | 41 | 33 | 87 | 26 | 31 | 18 8 1 222
1887 1 28 | 40 | 30 | 34 | 85 | 25 | 18 8 5 209
1888 4 | 48 | 46 | 33 | 42 | 31 | 25 | 14 2 1 241
1889 4 | 34 | 32 | 46 | 29 | 30 | 35 | 12 4 2 228
1906 Sei 121 162 52 | 5 — | 848
1907 7 118 162 67 7 en 361
1908 8 98 179 73 6 en 864
1909 7 119 156 167 9 sa
a) bis zu 15 Jahren.
Tab. 83.
Die Gliederung der jährlichen Zahl der Selbstmörder im Königreich
Sachsen nach dem Alter.
Von 1000 Selbstmördern jedes Jahres standen im Alter von
'40— |50— |60— |70— |80 undlunbek.
14J.| 21J.; 30 J.| 40J.; Soll 60J.| 70J.! 80 J.|mehrJ.| Alter
im Jabre
a) männlich.
184867 | 8 863 817
1868 5 364 818
1869 9 388 281
1870 6 374 326
1871 11 350 876
1872 7 209 | 189 | 141
1873 8 190 | 181 | 109
1874 5 192 | 224 | 108
1875 8 191 | 199 | 104
1876 16 190 | 218 | 119
1877 19 196 | 208 | 123
Tab. 38 (Forts.).
Tab. 83 (Fortsetzung).
Tab. 34. Der Selbstmord nach einigen Altersklassen 113
zus.
im Jahre
40— |50— '60— |70— |80 undlunbek.
40 J.
60 J.| 60J.| 70J.! 80 J.ImehrJ.| Alter
|
| 1878 e | 90 | 138 | 176 | 206 | 220 | 114 88 | 3 9 | 1000
| 1879 10 | 79 | 169 | 159 | 215 | 200 | 109 | 523 | 6 11 | 1000
1880 10 | 97 | 119 | 183 | 200 | 207 | 120 | 49 | 5 10 | 1000
1881 8 | 85 | 158 | 170 | 187 | 219 | 110 | 51 7 14 | 1000
1882 9 | 93 | 144 | 182 | 177 |228 | 116 | 62 | 11 8 | 1000
1883 18 | 116 | 175 | 189 | 268 | 175 | 51; 7 | — 6 | 1000
| 1884 7 | 110 | 147 | 158 | 204 | 193 | 126 | 40 6 9 | 1000
1885 9 | 90 | 186 | 188 | 178 | 201 | 141 | 44 6 9 | 1000
| 1886 8 | 78 | 137 | 185 | 189 | 207 | 187 | 43 7 9 | 1000
1887 6 | 114 | 188 | 179 | 198 | 173 | 118 | 56 | 10 8 1000
1888 8 | 81 | 140 | 152 | 198 | 192 | 157 | 55 8 14 | 1000 `
1889 s | ss | 157 | 164 |200 |181 | 181 | 60 | u 9 1000 |
b) weiblich.
1848—67 | 8 | 127 | 182 829 276 59 19 1000 |
1868 6 | 145 | 199 818 271 60 6 | 1000
1869 7 | 153 | 244 886 214 39 7 | 1000 |
1870 9 | 211 | 219 264 272 26 9 | 1000
| 1871 — | 198 | 105 361 859 52 9 | 1000
| 1872 || — | 161 ; 208 | 188 | 161 | 105 | 84 | 56 | 28 14 | 1000
1873 — | 145 | 181 | 128 | 282 | 116 | 152 | 29 7 15 | 1000
1874 — | 131 | 200 | 63 | 226 | 200 | 100 | 81 | — =
1875 15 | 163 | 192 | 126 | 163 | 178 | 96 | 52 | — 15
1876 11 | 194 | 189 | 189 | 161 | 184 | 128 | 83 | 11 =
1877 20 | 196 | 166 | 171 | 121 | 156 | 100 | 60 | 16 5
1878 9 |200 | 186 | 181 | 140 | 158 | 70 | 51 H Se
1879 — | 142 | 216 | 168 | 147 | 153 | 116 | 42 | — 16
1880 — | 137 |190 | 102 | 168 | 146 | 164 | 80 9 4
| 1881 4 | 166 | 240 | 138 | 165 | 140 | 86| 66 | — 11
1882 22 | 170 |198 | 176 | 125 | 157 | 90 | 58 9 ae
1883 18 | 198 | 174 | 217 | 184 | 108 | 89| — | — 9
1884 16 | 187 | 204 | 81 | 151 | 187 | 93| 69 | 12 | —
1885 12 | 147 |175 | 144 | 140 | 155 | 168 | 64 | — | —
1886 — |144 | 185 | 149 165 | 117 | 140 | 81 | 13 4
| 1887 6 | 134 | 191 | 144 | 168 | 167 | 120 | 62 | 14 | —
1888 17 | 178 | 191 | 187 | 174 | 129 | 104 | 58 8 4
1889 18 | 149 140 | 202 127 | 181 | 158 | 63 | 18 9
Tab. 34.
tf .
im Jahre | bis
Kürten: Statistik des Selbstmordes.
15—60| über
15 J. |Jahren| 60 J.
bis |15—60| über
15 J. |Jahren| 60 J.
SUR,
Der Selbstmord im K. Sachsen 1892—1905 nach einigen Altersklassen.
Es betrug die Zahl der Selbstmörder im Alter von
im Jahre |
114 Tab. 868. Die Selbstmordziffer auf 1 Mill. Lebender der betr. Altersklasse
Tab. 85.
Dic Selbstmordziffer auf 1 Mill. Lebender der betreffenden Altersklasse
im Königreich Sachsen.
LEE
en aw r
| (mo 1878—77 | 1878—82 | 1883—87 | 1903—07 |
a) für das männliche Geschlecht:
unter 14 Jahren 9,6 62,62 |
| 14-21 „ 210 210,4 288,6 202,9 Su |
21—380 „ 896 469
80—40 5 551 678 813 730 605
| 40—50 S 957 1277 1119 929
50—60 e 906 1349 1876 1481 1297
60—70 se 1407 1662 1402 1589
70—80 se ) 917 1845 2075 1841 1664
tiber 80 a 1418 1891 1835 2780
b) für das weibliche Geschlecht:
| unter 14 Jahren 2,4 26,41
14—21 ,„ 85 68,1 90,1 81,2 192
| 21—80 „ 108 166
| 80—40 „ er 111 167 158 149
40—50 „ 199 217 220 243
50—60 , Ss 220 280 278 338
60—70 ,„ 176 805 320 302
70—80 ,„ ) nr 282 448 878 487
über 80 ,, 278 206 291 551
ei Geschlechterelation: |
auf 100 männliche Selbstmörder treffen weibliche:
unter 14 Jahren 25 50,2
14—21 „ 40,5 56,2
21—380 „ 27,8 85,4 |
80—40 „ ) 2 19,2 20,6 21,0 29,6 |
40—50 ,, : 20,0 17,0 19,7 26,2 |
5650—60 , ) ep 16,5 14,9 18,9 261 |
60—70 ,„ 12,4 18,3 22,8 19,0 |
70—80 ,„ ) E 20,9 21,4 28,9 26,3 |
über 80 „ 14,4 10,9 21,5 19,8 |
Anmerkung. Die Angaben unter a) und b) für die Jahre 1847—58
und 1908—1907 sind entnommen von G. v. Mayr, Sozialstatistik, II. Liefe- |
rung, 8. 814.
Tab. 86. Die Zahl der Selbstm. und die Selbstmordziffer einiger Altersklassen 115
Tab. 86.
Die Zahl der Selbstmörder
und die Selbstmordziffer einiger Altersgruppen in den Kreishaupt-
mannschaften des Königreichs Sachsen.
| Es betrug die durchsch. jähr- | Es betrug die Selbstmord-
Alter liche Zahl der Selbstmörder | ziffer auf 1 Mill. Lebender
| 1892-95 |1896-1900| 1900-05 | 1892-95 |1896-1900| 1900-05
1. in der Kreishauptmannschaft Bautzen:
| unter 15 Jahren 2 1 1 18 6 | 6
| 16—60 ,„ 68 69 80 814 803 384
| über 600 „ 22 24 25 603 642 656
, zusammen 92 94 106 245 267 255
| 2. in der Kreishauptmannschaft Chemnitz:
| unter 16 Jahren | 8 11
| 15—60 ,, 194 409
i über 60 „ 54 958
zusammen 251 | 805
8. in der Kreishauptmannschaft Dresden:
unter 15 Jahren 8 4 7 8 12 17
15—60 „, 284 826 875 469 474 602
über 60 , 63 60 74 917 808 911
zusammen 850 390 457 847 342 365
|
| 4. in der Kreishauptmannschaft Leipzig:
| unter 15 Jahren 4 6 | 6 18 18 17
15—60 „ 250 266 , 299 469 446 449
über 60 „ 51 70 69 879 1122 1015
zusammen 305 842 374 336 841 889
unter 15 Jahren
15—60 „
i über 60 „
5. in der Kreishanptmannschaft Zwickau:
116 Tab. 87. Die Selbstmordlichkeit nach Alter und Geschlecht
Tab. 87.
Die Selbstmordlichkeit nach Alter und Geschlecht in den Kreishaupt-
mannschaften des Kénigreichs Sachsen.
=~ || Zahl der Selbstmorde
Alter männlich weiblich RR
1905 | 1906 | 1905 | 1906 | männlich | weiblich | weibliche)
Auf 100 |
Selbstmordziffer kon. 8.
1. in der Kreishauptmannschaft Bautzen:
unter 15 Jahren 1 — — — 7,2 — —
15—30 ,„ 18 | 21 5 1 313,1 55,2 17,6
80—60 , 49 | 55 19 | 18 788,6 | 255,5 82,4
60—70 , 20 | 17 32 8 | 17096 | 1744 10,2
über 70 „ 5 6 4 5 964,6 586,8 53,6
zusammen || 89 | 99 | 30 ag 454,9 | 129,7 28,5
2. in der Kreishauptmannschaft Chemnitz:
| unter 15 Jahren 6 8 1 1 27,2 6,7 24,6
15—30 , 87 | 42 | 17 | 14 870,3 | 129,8 85,1
80—60 ,„ 122 |116 | 26 | 27 905,3 | 192,9 21,3
60—70 „ 29 | 82 5 4 | 1688,8 | 311,7 12,5
über 70 „ 11 | 16 5 4 | 1687,1 | 407,0 25,6
zusammen || 205 | 209 | 54 | 50 602,9 | 118,3 28,5
| 8. in der Kreishauptmannschaft Dresden:
| unter 15 Jahren 2 8 2 8 11,7 11,5 98,8
15—30 ,, 82 | 77 | 41 | ae 4851 | 218,7 44,0
80—60 , 205 |189 | 62 | 53 979,7 | 261,6 26,7
60—70 „ 80 | 40 | 14 | 18 | 1505,1 | 401,8 26,7
über 0 „ 20 | 28 10 5 | 20140 | 413,6 20,5
zusammen || 342 | 887 | 129 | 110 551,0 | 178,8 33,4
4. in der Kreishauptmannschaft Leipzig:
unter 15 Jahren 4 6 3 2 23,9 13,2 55 2
15—30 ,, 66 86 87 46 463,0 250,0 64,0
30—60 S 152 154 51 45 853,0 256,8 30,2
60—70 ,, 39 86 9 11 1802,6 370,0 20,5
über 70 „ 19 26 7 8 2378,9 527,5 22,2 |
zusammen || 281 307 107 112 622,8 187,6 35,9
5. in der Kreishauptmannschaft Zwickau:
unter 15 Jahren 2 5 1 2 24,4 10,2 41,8
15—30 ,, 49 | 35 | 16 | 2 417,5 | 161,4 88,7
80—60 , 111 | 98 | 22 | 20 875,8 | 169,7 19,4
60—70 ep | 18 6 2 | 1543,0 | 212,3 13,8
über 0 „ 9 | 18 8 8 209,8 | 289,6 18,8
zusammen || 199 169 48 49 481,2 116,1 24,1
Tab. 88. Die Verteilung der Selbstmörder nach Altersgruppen 117
Tab. 88.
Die Verteilung der Selbstmörder nach Altersgruppen.
Es betrug die Zahl der Selbstmörder
weiblich
in Dresden | in Leipzig | im K.
1885 |1872 |1891 |1872 | Sachsen
-98! -90|-1908-1908| 1872-89
dlelal e
männlich
|
| im Alter ||” Dresden | in Hones an
| von 1885 |1872 |1891 ‘1872
| -98| -90.-1908-1908) 1872-89
| ae p|ela
| absolut:
bis 15 J1.| 4 | 26 |] 3 | ai
| 15—20 „ | 74 | -= | 177 ine , | 9 jr | 110 et | |
| 20—25 „ || 169 | 154 | 226 | 380 |{ 2627 | 61 | 68 |112 | 180 |; 1843
| 25—380 „ || 88 | 111 | 190 | 301 ag | 40 al 131 |
| 80—85 „ | 88 | 98 | 178 | 971 27 | 23 | 64| 77
‚36-40 „ || 92| 81 | 190 | 271 2838 | 32 | 30 | al 82 | Bes
t
! 40—45 „ || 88| 82 | 176 | 267 28 | 16 | 44| 60
2
| 45—50 „ || 82| 88 | 168 | 256 ) 886 | 23 | 10 | ele | N
| 50—55 „ || 100 | 69 | 166 | 224 28 | 2ı | 50| a
| 65—60 „ || an elle |j]??? | 16 | 9 ala SE?
60—70 ,, 66 | 168 | 224 | 1729 11 | 62| 63| 421
| 10—80 ,, $87 | 25 | 69| sa| 666 ftaa | 10 | 21| 31| 206
| über80 ,, 5| 5| 100 2| 4] 6 30
| unbekannt | 14 | 57 | 10| el 228 al 9| —| 9 20
zusammen || 956 | 968 |1876 2839 | 14540 | 325 | 321 | 687 11008 | 8689
| prozentual:
| bis 15 J. | 0,4 1,8 0,9 1,1
| 15—20 „ || 7,8 Ka 9,4 108 12,0 Pa 16.0 Nei
| 20—25 „ | 17,7| 16,0 | 12,0 | 13,4 |{ 29 | 19.8] 21,2 | 16,3 | 17,9 If 364
25—30 „ || 9,2] 11,5 | 10,1 | 10,6 11,4 | 12,5 | 18,8 | 18,0
| 80—86 „ || 8,7110,2| 9,2) 9,5 rea | 88| 72| 79] 76 cae
| 85—40 „ || 9,6] 84/101] 9,5 ' 98| 9,3| 7,6] BA ;
| 40—45 ,, 9,2] 85| 98| 9,0 ) wi 86| 50| 6,4] 6,0 See
| 45—50 „ || 86] 9,2] 9,0] 9,0 i 7,1| 3,1] 88| 6,6 '
| 50—55 „ || 10,5] 72| 88! 7,9 ) SÉ 7,1| 66| 7,8] 7,0 TE
| 56—60 „ || 7,8| 54| 88| 7,8 : 49| 28] 4,7| 4,1 !
| 60—70 ,, 58| 90| 79| 11,9 84| 76| 62| 11,4
70—80 ,, |$ 9,1] 26] 3,1) 3,0 46 |}10,2| 81| 80| 81 5,6
fiber80 ,, 0,3] 02 0,7 0,6} 46] 0,6 0,8 `
|
| unbekannt | 1,4/ 59| 06] aal 16 | 0,9
zusammen || 100; 100 | 100 | 100 100 | 100 | 100 1 100 100
118 Tab. ago A0. Selbstmordlichkeit einiger Altersgruppen in Dresden u. Leipzig
Tab. 89.
Die Selbstmordlichkeit einiger Altersgruppen in den Städten
Dresden und Leipzig.
Es betrug die Selbstmordziffer je auf 1 Million der Bevölkerung desselben
Alters und Geschlechts
in der Stadt Dresden
Altersklasse | männlich | weiblich
unter 15 Jahren
in der Stadt Leipzig |
Altersklasse | männlich | weiblich |
15—20 ,„ 10—20 Jahren 887,8
20—25 ,„ 20—25 D 691,3
26-30 „ 25—30 ,, 174,4
80—35 ,, 30—35 ,, |. 998,8
85—40 „n 85—40 „ | 772,7
40—46 ,, 40—45 5 1128,3
45—50 ,, 45—50 sy, 1524,7
50—55 i, 50—55 „5 1464,4
55—60 „ 55—60 „ 1366,0
über 60 „ 60—70 ,„ 1705,8
70-80 „ 1272,4
über 80 ,» d
Anm. Für die Stadt Dresden wurde die durchschnittlich jährliche Zahl |
der Selbstmörder aus den Jahren 1885—98 (außer 1896) in Beziehung gesetzt
zu den Ergebnissen der Volkszählung von 1890. — Desgleichen wurden für
die Stadt Leipzig die Selbstmorde der Jahre 1876—1885 und die Volkszäh-
lungsergebnisse von 1875, 1880 und 1885 benutzt.
Tab. 40.
Die Selbstmordziffer je auf 1 Mill. der Bevölkerung desselben Alters und
Geschlechts in den beiden Städten Dresden und Leipzig und im ganzen König-
reich Sachsen betrug:
a) für das männliche Geschlecht:
in der Stadt Dresden
| Altersklasse
in der Stadt Leipzig
Altersklasse | S.-Ziffer
im Königreich Sachsen |
Altersklasse | S.-Ziffer
unter 14 Jahren |
unter 15 Jahren 8,6 | 52,6
15—20 ,, 411,2 | 10—20 Jahren | 887,3 | 14—21 , | 341,0
20—30 ,, 678,3 |20—30 ,, 724,8 | 21-80 „ | 469,0
80—40 ,, 688,1 [30—40 , 898,0 | 30—40 , 505,0
40—50 ,, 938,0 [40—50 „, 1301,2 | 40—50 „ 929,0
50—60 „ 1631,1 |50—60 , 1420,8 | 50—60 „, 1297,0
über 60 „ 1040,6 {60—70 „ 1705,8 | 60—70 „ 15689,0
10—80 _,, 1272,4 | 70—80 „ 1664,0
über80 ,„ — über 80 ,„ 2780,0
Anm. Betreffs der Beobachtungsperiode für die beiden Städte Dresden
und Leipzig vgl. die Anm. zu Tab. 39; die Selbstmordziffern für das König-
reich Sachsen sind G. v. Mayr, Sozialstatistik, II. Lieferung, S. 314 entnommen |
und beziehen sich auf die Jahre 1903—1907. |
Tab. 40 (Forte) Tab.41. Selbstmord in Leipzig nach Alter und Todesart 119
Tab. 40 (Fortsetzung).
b) für das weibliche Geschlecht:
in der Stadt Dresden in der Stadt Leipzig im Königreich Sachsen
Altersklasse | S.-Ziffer | Altersklasse | 8.-Ziffer | Altersklasse | 8.-Ziffer
unter 15 Jahren unter 14 Jahren
15—20 10—20 Jahren 14—21
20—30 21—30
80—40 30—40
40—50 40—50
50—60 50—60
über 60 60—70
über 80
|
|
|
| 70—80
Tab. 41. Der Selbstmord in der Stadt Leipzig
in den Jahren 1891—1908 nach Alter und Todesart.
Von je 1000 Selbstmördern jedes Geschlechts starben
: ä durch durch
im Alter von durch Schuß | durch Gift Ertränken Erhängen
a) männlich:
unter 15 Jahren 4 9 18 16
15—20 ,, 183 105 95 72
20—25 ,„ 289 200 121 41
25—30 „ 147 162 121 65
30—35 „ 118 152 14 78
| 35-40 „ 75 67 99 123
| 40—45 „ 66 86 106 105
| 45—50 ,, 71 67 88 101
| 50—55 „ 58 77 74 102
| 55-60 „ 47 67 103 100
| 60-70 „ 89 19 67 137
| über 70 „ 6 9 24 58
unbekannt. . . 2 = 10 7
zusammen 1000 1000 1000 1000
| b) weiblich:
unter 15 Jahren — 10 21 4
15—20 „ 28 148 280 67
20—25 , 250 218 199 111
25—30 „n 362 248 128 17
80—385 „ 166 89 55 64
| 85—40 ,, 55 89 76 78
| 40-45 | 28 69 55 80
| 45—50 „ 83 79 51 102
| 50-56 „ = 10 51 141
55—60 „ == 10 26 98
60—70 ,„ 28 30 55 98
über 0 ,
— — 8 85
zusammen | 1000 | 1000 | 1m | 1 |
120
Tab. 42.
Tab. 42. Die Selbstmörder nach Geschlecht und Familienstand
Die Selbstmérder im Königreich Sachsen von 1847—1909,
unterschieden nach dem Geschlecht und dem Familienstande.
Von den Selbstmördern jedes Jahres waren
m ng — = = m
!
an 45 | fæ +
, ., 3 SI g
Pere = RT: 89 E
i 2 CR: | > oe ‘a > ze
B e =
Ai F| 2| 2
a) männlich:
1847—58 || 1496 | 1965 | 491 | 67 | 271
1859—63 | 810 1056 ı 256 | 24 | 142
1864—67 || 672 1012 243 | 29 | 145
1868 209 310. 77 | al 33
1869 173' 296° 53! 8| 48
1870 177, 259; 77° 7| 22
1871 160| 268: 68 6 37
1872 176| 269 63! 8 24
1873 192| 278! 73° 2 40
1874 194| 256: 76, 3j 34
1875 163! 298 77: 6 | 54
1876 231 | 376 | 116 | 11 | 66
1877 | 251| 479° 98 | 9| 78
1878 245 480 107 | 10 | 62
1879 265 487, 97 9| 61
1880 244 | 511: 117 12 | 58
1881 269 | 498) 118 12 | 79
1882 249 | 478| 117 D 46
1883 258| 519| 112 14 | 43
1884 269! 434| 94 | 7| 67
1885 238! 462| 126 | 18 | 48
1886 230! 448| 114 | 6 | 45
1887 266: 462/115: 9 | 37
1888 204: 442! 111 | 9 | 36
1889 243| 439 | 122 | 6| 49
1890 231| 446| 98 | 8 | 52
1891 263 471| 106 | 7| 50
1892 268 | 498| 132 ı 6 | 41
1893 959 483| 125 6| 51
1894 273 | 549 | 114 | 8 | 38
1895 201 436| 97 | 11 | 47
1846 271! 442| 115 | 12 | 43
1897 289 | 487| 130 | 14 | 31
1898 967 49 | 113 9| 27
1899 263| 518 124 | 13 | 42
1900 981: 538| 127 10 | 47
1901 302 | 873! 153 12 | 46
1902 293, 619 | 125 | 16 | 45
1903 286 | 616 | 135 12 | 35
1904 294 | 5667| 136 | 10 | 44
1905 307 | 597| 139 15 | 58
1906 804 | 621 | 132 | 17 | 33
1907 284 | 531| 146 | 18 | 26
1908 312 | 603| 143 | 14 | 30
368 | 623| 146 | 11
im Jahre
1847 —58
1859 — 63
1864—67
1868
1869
' 31,3 a| =
2 se |Se ge AS
2 Ps > x EH ger
| «A a Ei
b) weiblich:
404 ' 493 | 285 | 12 | 31
224 253! 101 | 5 | 28
201 SE 91 5 | 16
65 ' 7!) 31) 11 —
54: 63 20| 1, 3
56) 42 15| 1] —
41 47 23 | 2| 1
58 | 64: 28! 1| 2
ul ol 25/ 1| 1
49 | 75, 34; 2] —
57 | 51| 22|—1 6
72 | 66 | 40/ 2] 1
82, 74| 34| 2] 7
84i 93| 31| 2! 6
77] 8| 28] 2| 2!
68 | 9% | 5] al 4
99 | 112 | 42| 7 11
738 | 98| 40| 83| 4 |
85 | 111 | 51| 1] 8
o | 96| 62/ 1] 2
84 | 117 | 45| —| 6
7 | 82| 68| Il 6
so | 82) 43| 2| a
105 | 88| 43| 2| 8
74i 98| 50| 2| 4
I 92] 4| 21 6
86 | 106 | 61| 1| 8
88, 88! 44|/—] 7
97 | 114 | 51| 4| 2
115 | 101 | 55| 1! 5
81 | 104 | 51| | 8
123 | 113| 58| Al 6.
77/117) 61| 5| 2
114 | 121 | 55| 4| 1
89 | 111| 52| 4| &
91 | 119 | 64 | —]| 6
101 | 115| 75| 5| 4
116 | 132| 71| 3| 4
119 | 124 | 73| —| 4
1171149 | 60| 7| 3
124 | 150 | 65| 6 |22
131 | 145 | 6| 3| 8
131 | 167 | 63| 9| 1
128 1147| 79| 9| 1
140 | 136 | 79| 2| 1
Tab. 43 u.44. Die Selbstmörder nach dem Familienstande 121
Tab. 48.
Die Gliederung der Zahl der Selbstmörder im Königreich Sachsen
nach dem Familienstande.
| Von je 1000 männlichen Selbstmördern waren
| 1848—67 | 1868—77 | 1878—87 | 1888—97
1898—1908
ledig. .. .. . | 365,3 329 297 297 288 |
verheiratet 498,8 627 560 556 566
| verwitwet. . . . | 1221 133 131 137 133
| geschieden . . . | 143 | u 12 10 13
| zusammen | 1000 | 1000 | 1000 | 1000 | 1000
| 1
Von je 1000 weiblichen Selbstmördern waren
ledig. ..... | 372,9 | 388 | 365 | 371 | 361
| verheiratet 425,3 417 429 412 419
|
verwitwet. . . . | 192.0 186 | 206 206 206
geschieden 9,8 11
zusammen 1000
9
1000
10
Tab. 44.
Die Selbstmordlichkeit nach dem Familienstande im
Kénigreich Sachsen.
Die Selbstmordziffer auf je 1 Million Lebender desselben Geschlechts und
Familienstandes betrug:
im Durch-
schnitt
der Jahre
im Dirck:
schnitt
der Jahre |
ge-
schieden
ge-
schieden
a) für das männliche Geschlecht: || 1888—1892 |
1893—1897 |
1848— 1867 || 228 631 | 1509 8339 1898—1902 |
1869—1873 || 232 605 | 1808 2952 1903 — 1907
1873—1877 || 254 676 | 2287 2348 |
1878—1882 || 284 919 | 2811 3871 ,
1883—1887 ||373 | 813 |2648 | 3496 | c) Geschlechtsrelation:
1888— 1892 || 228 | 725 | 2594 | 2476 auf 100 männliche Selbstmörder
1893—1897 ||235 | 694 | 2538 | 8282 treffen weibliche:
1898—1902 || 282 701 | 2691 3488
A 1848—1867
1903—1907 || 231,6; 690 | 2679,5| 3121 1869—1873
S tad _ ||| 1873—1877
b) für das weibliche Geschlecht: 1878—1882
1848—1867 || 64 | 124 1883—1887
1869—1873 | 67 | 117 1888—1892
1873—1877 || 76 | 134 1893—1897
1878—1882 || 94 | 180 2 ||| 1898—1902
1883—1887 || 91 | 170 | 1903—1907
H
|
122 Tab.45. Selbstm.n. Familienst.u. Alter. Tab.46. Selbstmörd. mit u. ohne Angeh.
Tab. 45.
Der Selbstmord nach Familienstand und Alter im Königreich Sachsen
1908 und 1909.
ER Es betrug die Zahl der Selbstmörder auf je 1 Mill. Lebender®)
nun desselben Alters und Familienstandes
stan
bis 15J. | 15—30J. | 80—60J. | 60—80 J. | über 80 J. | zus. |
a) männlich:
ledig . .. 24,8 499,5 1424,4 2646,6 == 263,0
verheiratet. — 168,9 7157,9 1667,1 1445,8 721,2
verwitwet . Ss 1777,8 | 38034,8 | 2604,5 | 3506,1 | 2813,9
geschieden. = 2193,0 2764,0 | 4111,8 ge 2911,0
zusammen 24,8 423.0 881,8 1682,1 2685,2 607,0
b) weiblich:
ledig Se AS 9,7 213,5 424,1 ` 505,4 — 104,3
verheiratet. — 82,6 182,6 | 276,9 737,5 166,0
verwitwet . — — 338,6 489,1 775,7 704,9
geschieden. = ze | 479.1 1483,7 ES 672,2
zusammen 9,7 170,2 | 224,9 419,6 720,7 154,6
|
a) Nach der Volkszählung von 1905.
Tab. 46.
(Entnommen aus der „Zeitschrift etc., Jahrgang 1870, S. 154.)
Unter den Selbstmördern, deren Familienstand bekannt war, befanden sich
im Königreich Sachsen:
. männliche weibliche überhaupt solche
Sen mit ohne mit | ohne mit ohne
S Angehörige Angehörige Angehörige |
1848—1859 2152 1994 604 565 2756 2559
1860—1863 984 799 275 209 1254 1008
1864—1867 1127 829 278 225 1405 1054
1848—1867 4263 3622 1167 999 6420 4621
Von je 100 unter ihnen waren:
1848—1859 61,59 48,41
1860—1868 | 55,19 44,81
1864—1867 57,62 42,38
1848—1867 54,06 45,94
Tab. 47. Selbstm. mit hinterl. Angehörigen. Tab. 48. Selbstm. nach Beruf 123
Tab. 47.
Die Selbstmörder im Königreich Sachseu nach dem Familienstand
mit Angabe der hinterlassenen Angehörigen.
(Entnommen aus der Zeitschrift etc., Jahrg. 1870, S. 149.)
| | Zahl der Selbstmörder Prozentuale Verteilung |
1848 |1860 |1864 |1848 |1848 1860 1864 1848 |
| —59| —63 —67' —67| —59. —631 —67, —67|
| a) für das männliche Geschlecht:
Verheiratete mit Angehörigen | 1653 | 789 ` 874 | 3298 |38,07 39,18 41,60 39,20
ohne p | 863' 130 | 138 | 631] 8,20! 6,90: 6,57!
! ” 7,50
Verwitwete mit n | 882, 193 | 208 | 783] 8,63 10,23 9,90; 9,81
4 ohne S | 119, 26 | 35 | 180] 2,69; 1,38, 1,67: 2,14
| Geschiedene mit o i ts 17° 23 86] 1,04: 0,90: 1,09) 1,02!
> ohne A 18! 3| 6| 27| 0,41) 0,16] 0,28| 0,32
' Ledige mit . | 39| 35` 22 | 96] 0,88: 1,86! 1,06| 1,14
= ohne 8 1494 | 640 | 650 | 2784]33,75 33,93: 80,44 33,09
Familienstand unbekannt . . | 280 | 103 | 145 | 528 6,33) 6,46| 6,90| 6,28
|
zusammen | 44261886 |2101 |8413| 100 | 100 | 100 | 100 |
b) für das weibliche Geschlecht:
Verheiratete mit Angehörigen || 389 ' 178 | 174 | 741 [82,39 35,25 33,53 33,30
| R ohne „n 111) 83 | 32 | 176 | 9,24 6,53! 6,16! 7,90
Verwitwete mit v» 162; 68 , 76 | 306 |13,49 13,47|14,64 13,75
S ohne 2 80i 13 | 15 | 108 | 6,66 2,57) 2,89| 4,85
Geschiedene mit A 9 4 3 | 16] 0,75 0,79: 0,58} 0,72
A
Ledige mit e 44: 25
2 ohne E 871 | 163
Familienstand unbekannt . . || 32: 21
zusammen ||1201 | 606 | 519 |2225
710 |30,89 82,28 33,91 31,91
2,67 4,16| 3,08| 3,10
100 | 100 ' 100 | 100 |
Eist H J
25 94 | 3,66 4,95: 4,82| 4,23
i
|
ohne 8 d | 2 6] 025 — | 0,39| 0,23
|
Tab. 48.
Der Selbstmord nach dem Beruf im Königreich Sachsen 1850 und 1851.
(Nach E. Engel, Jahrbuch für Statistik und Volksw. 1858, S. 84.)
Auf 1 Mill.
Leb. kamen S.
| männl. | weibl. | zus. a e
1. Nicht etablierte Arbeiter . . . . || 2723,70|12349,82| 4366,48| 367 | 81,0
2. Etabl.Gewerbe-u. Handeltreibende || 3211,24 11847,78' 5070,32 | 311 | 84,4
8. Dienende u. pers. Dienste Leistende ||49396,00 10632,92 14641,52 20,2} 94,1
‚4. Beamte u. Angestellte mit festem
5
6
7
| Auf 1 Selbstmörder
l kamen Lebende
Berufsklassen
Gehalt... . 2. 2 2 2 2 2 2.
. Den Wissenschaften und Künsten
Obliegende ..........
. Militärpersonen ........
. Personen ohne Beruf u. Berufsang.
|
|
1311,86 1420,00 2233,86 | 762 | 70,8 |
!
2671,18 36280,00| 4538.38 | 374 | 27,5 |
873,31| — 954,17 |1145 | — |
1957,66| 6418,42) 3527,18| 511 | 162,0 |
2889,71/11425,60' 4683,39
In allen Klassen |
124 Tab.49. Approxim. Selbstmordfrequenz. Tab. 50. Selbstm. nach Berufsklassen
Tab. 49.
Approximative Selbstmordfrequenz der Berufsstände.
(A. Wagner, Gesetzmüßigkeit etc. II, S. 223.)
E ———<— een
Auf 1 Mill. Lebender trafen Selbstmörder im , Königreich Sachsen |
|männl.| weibl.| zus. = jmännl.| weibl. | zus. |
d Soldaten hc.
8. Höher gebil-
dete Klassen
9. Bedenkliche
Klassen.....
1. Arbeiter.. ..| 300 ı 49 | 186
2. Unternehmer 310
8. Landwirte ...| —
| 4. Gewerbetreib. | —
5. Handeltreib. || —
6. Dienstboten. .|| 2170
Tab. 50.
Der Selbstmord im Königreich Sachsen in den Jahren 1872—81
nach Berufsklassen.
EES
RR Ee
Es betrug die absolute Zahl der Selbstmörder |
Berufsklassen_ 11872/1873 : 1874 1875 1876 |1877|1878.18 1879! 11880 1881,
a) männlich
Hand. u. Tagearbeiter . . .!1113 |140 ' 125 : 142 | 201 | 202 | 210 | 205 | 186 | 222
Fabrikarbeiter. . . . . . . 17| 17; 16; 8| 14| 29; 19 SS 44 | 26
Berg- u. Hüttenarbeiter. . .| 16, 4! 18 6| 10| 15' 17| 23 20; 21
Etablierte Handwerker. . .|| 76| 65 72 | 154 142 | 158 | 226/179 181! 218]
Nicht etabl. Handwerker . . || 91| 85/100: 76/119/|159|129/191 148 | 152
Etabl. Hausindustrielle. . . | 42| 52| 46! 60| 76| 657; 57) 77) 99| 78
Nicht etabl. Hausindustrielle || 16| 14 23! 5 17| 16] 11 7; 15] 14
Landwirtschaft ..... 29! 84: 41 | 38| 32| 39| 44| 42, 42| 45,
Dienende ........ 33) 39| 26, 26| 22| 39| 465| 28! 46| 87
Beamte. ......... 20! 23! 18, 20! 36| 42! 51| 37' 87] 89
Gelehrte ......... Al 20' oi 12) 6| 18; 12| 12) 15| 17
Militär . . . 2. 2 2 2 2 0. 13; 19! 20! 14| 21 16 13|) 19| 18| 22
Ohne Beruf. .... : | 40| 32| 15| 58| 76; 89| 47| 58| 50
Beruf unbekannt. ..... 19| 33! 23| 22! 46| 55| 31| 30! 84| 40
zusammen ||540 | 585 | 563 | 598 | 800 | 916 | 904 | 919 | 942 | 976
b) weiblich
Hand- u. Tagearbeiter . . u 6 17; 18| 17| 19| 16| 20] 12| 20] 26
Fabrikarbeiter. . . .... 6 2 | 6; 5! 6; 6: 13. 7| 14] 14
Berg- u. Hüttenarbeiter. . .| 5 ı| 1/ 2| 2| 4| 7| 4] 4| —
Etablierte Handwerker. . . || 28 265! 25) 13| 21| 33{ 35| 24] 19| 40
Nicht etabl. Handwerker . . 3: 6| 12 2 b| 13 9 8 9 6
Etabl. Hausindustrielle. . . 9 6| 10 9 7| 10 8; 18| 15] 11
Nicht etabl. Hausindustrielle 1 8; 8! 10: 2: 6| 10; 5) 10| 6
Landwirtschaft ...... 14 8|] 11| 17) 10] 15 7| 17 6 7
Dienende......... 39 25, 32| 23, 44; 33, 51| 47| 47| 70
Beamte. ......... 4 4 7 5 2 5 5 5 9 7
Gelehrte ......... 1 2 1 2 1 Hl —| — 2 2
Militär . . . 2.2 2 2 2 2. — — 1; — 1! —| —| —| —| —
Ohne Beruf. . . ..... 15| 16| 28; 10| 60| 24| 17| 21| 29| 40
Beruf unbekannt ..... 17! 18} —| 20| —| 33 | 33| 27| 42| 82
| zusammen 1143 188 | 160 | 135 | 180 | 199 | 215 | 190 | 226 | 260
125
Tab. 61. Die Selbstmörder nach dem Beruf in den Jahren 1883, 84, 86, 87.
Se -
Tab. 51.
Die Selbstmörder im Königreich Sachsen nach dem Beruf in den Jahren 1883, 1884, 1886, 1887.
Jährl.Belbstm.-Z.
auf 1 Mill.Leben-
EES männlich Ee
1883 1884) 1886 1887|1883 1884 1886, 1887 |männl.| weibl.
1. Landwirtschaft, Viehzucht, Weinbau, Jagd- und Forstwirtschaft. `, . . i 70 84 87 | 33 | 27 | 29
2. Fischerei. . . . Ge éi E EE SE E -|—-ı - | —
8. Bergbau, Hütten- und Salinenwesen . SAWP a ee el NON), E — | 4| 8] 8
4. Industrie der Steine und Erden ..........2.2.2....../ 16| 16 1/ 2|— | 1
5. Metallverarbeitung ... Be nde tes Do She A Se a we aI |, Oe 4} 2| 4] 1
6. Fabrikation von Maschinen und Werkzeugen ar re Sos Be A Os ae 1; 1| 1) 1
7. Chemische Industrie. . . paige oie nor eave e AS LN 1; 5 —|—|—-|—-
8. Industrie der Heiz- und Leuchtstoffe . _ . ka ee ee ne ee > 1 -|—-|—-| —
9. Textilindustrie . g EE EE ie He i, Gh eh ode. econ te K E DT 14 | 16 | 14 | 18
10. Papier- und Lederindustrie . . EE en nee Sl CAE ı|— | 6] 2 |
11. Industrie der Holz- und Schnittstoffe . . . . 22... e er See e ENN BGs, -26 6|;—/ 4! 5
12. Industrie der Nahrungs- und Genußmittel. . . . : 2 2 22 2 2.2.2.1 84 | 28 6| 5| 4] 6
18. Gewerbe für Bekleidung und EE AR rier, Se ell OE BO 18 | 16 | 16 | 18
14. Baugewerbe .. . ern... | sel e gl 4| Al 4 |
15. Polygraphische Gewerbe. . . . Mr re alll A: 8; 8|—]| 2
16. Künstlerische Betriebe fiir gewerbliche Zwecke . . . EEE REF eee 1 — | —- —
17. Handels- und Versicherungswesen. . . . . 2 2 2 2 2 2 2 en... 85| 69 9/16; 8
18. Verkehrswesen |
a) Eisenbahnwesen . .. 2... 22 2 2... ee Léi 16 4}/—/ 1; 1 |
b) Post und Telegraphie. . . ee ere ee 1| 8 —-—|1|—-| 2 |
c) Schiffahrt, Spedition, Fracht- und Lohnfuhrwesen. . . . sae eet || 10] 9 1l—- | zl |
19. Beherbergung und Erquickung. .... . ee ee er slk DEI 12 4 4 4 8 |
20. Persönliche Dienstleistungen SE e en Ze Ge ee ee | 28 80 | 35 | 25 | 28 |
21. Gesundheitspflege und Krankendienst. . . . . . 2. 2 2 2 LI — —| LI 4/ 1
Se 2; 1 — | 1|; 1] 2
23. Künste, Literatur, Presse . . . . te, Brent Se ee ee 2| 2 LI vn | —- | —
24. Kirche, Gottesdienst, Totenbestattung . 5 2| — -|—-|ı—- | —
25. Hofstaat, Di ee ‘Staate-, Bezirks- u. Gemeindererwaltung, Rechtapflege 15| 21 5| 8; 1| 4
26. Stehendes Es d ; . -|| 26| 24 — lz a
27. Alle übrigen Bi Berufsarten (Hand- und Tagearbeiter) be ee ae, «| 198] 161 85 | 88 | 28 | 27
28. Personen ohne bestimmten oder bekannten Beruf En 62 | 61 | 68 | 52 |
el 77| 88
126 Tab. 52. Soz. Stellung d. Selbstm. Tab.53. Beruf u. soz. Stellung d. Selbstm.
Tab. 52. Soziale Stellung der Selbstmörder
im ae Sachsen in deu Jahren 1883, 1884, 1886, ur
Es betrag die absolute Zahl der Selbstmörder |
| männlich weiblich
unter den __|1888, a ae 1884/1886] 1887
1. Selbständigen in Erwerb, Besitz . . | 390 336 | 262 298
Deren Angehörigen. ....... 7| 2) 8) 8
2. Beamten . .. 2... 2 22020. 30| 33| 35 | 32
Deren Angehörigen. ....... — 1| 11 —
8. Mitgliedern des stehenden Heeres . || 26| 24| 16 | 18 |
Deren Angehörigen. ....... | -|1—-|— |
4. Gehilfen, Gesellen, Lehrl., Fabrikarb. || 200 | 198 | 259 | 229 |
Deren Angehörigen oe ar ee | —- | — |
5. Tagearbeit., Tagelöhn., Lohndienern 179 136 | 154 ' 164 i
Deren Angehörigen EE 1 2) — |
6. Dienstbot.,Knechten, Migden,Gesinde a5 1| 32| 44 |
Deren Angehörigen. ....... || —- | — |
7. Rentnern, Pensionären, Altenteilern | 42| 40| 40| 59
' 8, Almosenempfüngern, Anstalteinsassen ; 2; 6| 6, 12
9. Allen übrigen Personen ohne ne | |
und Berufsangabe ........ 34 | aa 43 | 32 | 30
Tab. 58. Beruf und soziale Stellung der Selbstmörder
im Königreich Sachsen in den Jahren 1905—08.
mn
| Es betrug die
. durchschn.-jährliche | Selbstmordziffer auf
Berufsabteilungen ‘Zahl derSelbstmörd.| 1 Mill. Lebender*)
männlich | weiblich männlich | weiblich
Landwirtschaft
a) Selbständige 657 685
b) deren Angehörige
c) Unselbständige `: 140
d) deren Angehörige ...... 142°)
Gewerbe
a) Selbständige 45,2
b) deren Angehörige |
c) Unselbständige 211
d) deren Angehörige | 4, 69,9) |
Handel und Verkehr |
a) Selbständige 1173 241
b) deren Angehörige
c) Unselbständige 756 195
d) deren Angehörige GAN
Häusliche Dienste
Beamte und Militär, freie Berufe. . 403 (?)
deren Angehörige 15,5 (?)
Berufslose 1678 (?)
Zusammen || 1065,5 | 351,25
b) Die EEN der Selbständigen und Unselbstindigen zusammen.
Anm.: a) nach der Berufszählung von 1907.
Tab. 54. Der Selbstmord im 1. u. 2. kgl. sächs. Armeekorps 127
Tab. 54.
Der Selbstmord im 1. und 2. königl. sächs. Armeekorps während der
Berichtsjahre 1899/1900—1908/09.
| 1. Die Häufigkeit des Selbstmords bei 5. Der Selbstmord nach der Todesart
| den verschied. Truppengattungen. (1896/96— 1909/1910).
! Es b die | Es betrug die
| | Es betrug die | Zahl |Prozent.
| Zahl d.| Selbstm.- der S. | Verteil.
| Selbst- Zıffer auf | — —
| morde| 1 Mill. || ErschieBen .... . 141 86,4
Erhängen. ..... 181 | 89,2
| Infanterie. ... . 131 | 468,2 ||| Ertränken. .. ... 86 | 10,0 |
Kavallerie. .... 45 862,1 Schnitt, De Stoß . 7 1,9 |
| Feldartillerie 38 | 694.0 | Yergi ren 10 | 2'8
| FuBartillerie. . . . 2 146,8 Large ..|| 27 7,5 |
| Pioniere ..... d SE Sturz in die Tiefe. . 8 2,2
| Bezirkskommando .| 5 | 1117,3 6. Die Zahl der Selbstmorde
| Unteroffziersschule | 8 und der SE
ige ..... 2 e Auf Selbst- | Selbstm.-
| Berichtsjahr morde | Versuche
| 2. Die Häufigkeit des Selbstmords re a8 A
) | nach dem Dienstgrad. 1901/02 86 11
| Feldwebel, Wachtm. | 7 1902/08 15 6
| Sergeanten .. . | 18 |} 943,6 | 1908/04 25 20
| Unteroffiziere . . . | 34 1904/05 23 12
| Gefreite. . . . . . 15 | 1905/06 24 12
| Gemeine 168 481,3 | 1906/07 25 20
| 1907 /08 22 22
| | 1908/09 26 26
| 8. Die Häufigkeit des Selbstmords || 7. Der Selbstmord nach dem Ort
| nach dem Lebensalter. der Begehung.
| | Zahl | Proz.
| Zahl |Prozent. der S., Vert.
| der 8. S. Verteil. EE a
rm im Walde. ....... 17 | 78
| bie zum voll. 20.Lebengj|; 20 Schieß- u. Exerzierplatz || 3 | 1,8
im 21. „ 54 in Sffentl.Gartenu.Anlagen|| 6 | 2,6
n 22. „ 58 auf dem Bahnkörper. . .| 14 | 6,0
| n 28. „ 39 im Gewässer ...... 12 | 52
| im 24—25. AU 84 auf Posten ....... 1 0,4
26—30. 25 im Feldgelinde..... 1| 04
über 80 Jahre alt 7 auf dem Friedhof. . | 1| 04
im ganzen im Freien. . .|| 56 | 28,6
| in der Kaserne ..... 48,5
| 4. Die Häufigkeit des Selbstmords im Fest.-Gefängnis, i. Arrest 1,3
| nach dem Dienstalter. im Lazarett. ...... 1,3
| im 1. Monat dienend |! 15 6,8 = Ee me
ah i S 29 48 inand.öff. oder priv. Gebäud. 4,8
| „ 2. Halbjahr „ 89 | 16,5 | h RE e
Ke 2. Dienstjahr ,, 60 25,3 | im ganzen in umsc um. 1,0
= A = 5 10 4,2 || im ganzen am Standort. . 84,6
Ko 18 5,5 außerhalb des Standorts . 15,4
| | inger als 4 Jahre dien.| 42 17,7 || Zusammen ....... 100
i
128 Tab. 55. Religion der Selbstm. Tab, be Anteil der Katholiken an d Selbstm.
Tab. 55.
Der Selbstmord nach der Religion der Selbstmörder
im Kanigreich: Sachsen 1905—1909.
Es betrug die
Zahl der Selbstmörder
Selbstm.-Ziff.
auf 1 Mill.
Religion
a) männlich
Evangelisch-lutherisch. | 924 | 927 892 | 983 | 1058 489.4
reformiert | 63 64 1 6 4 !
` Römisch- katholisch . . 60 60 70 72 68 663,1
Andere Christen ... — 1 8 2 3 138,7
'Ieraeliten ...... 4 4 7 4 4 683,3
Dissidenten ..... ) 1 8 1 1 1
Unbekannt. ..... | 64 43 26 34 26
b) weiblich
Evangelisch-lutherisch . | 315 802 327 343 | 881 150.6
reformiert 20 17 5 — 3 ;
| Römisch- katholisch . . | 11 22 25 16 19 184,5
| Andere Christen . . d — 1 1 — 1 48,5
Israeliten . ..... 1 — 1 2 — 117,5
| Dissidenten. .... . — — — — —
Unbekannt. ..... , 20 6 2 8 4
Anm.: a) nach der Volkszählung von 1905.
Tab. 56.
Die Häufigkeit der Selbstmorde und der Anteil der Katholiken in der
Bevölkerung der Amtshanptmannschaften des Königr. Sachsen 1905.
Ee betrug d. Zahl de „Es betrug d. Zahl der
in der Amts- || Selbstm. ! Katholik. in der Amts- Selbstm. | Katholik.
hauptmannschaft jauf 1 Mill. auf je 100 hauptmannschaft | auf 1 Mill. auf je 100:
| | Lebender d. Bevölk.| | Lebender | d. Bevölk.
A.Bautzen ... k A. Großenhain SC
„ Kamenz
„Löbau. . .. . A
„Zittau .... : St. Leipzig .
St.Chemnitz. . . ; A. Borna
A. Annaberg. . . „ Döbeln .
|„ Chemnitz. . . „ Grimma 3%
„Föha .... „Leipzig... .
„Glauchau. . . | „Oschatz. . . .
„ Marienberg . . „ Rochlitz
St. Dresden . . . ; „ Auerbach...
A. Dippoldiswalde : » Ölsnitz . . . .
| „ Dresd.-Altstadt „Plauen ....
„ Neustadt „ Schwarzenberg.
S ee GE „Zwickau ...
Tab.27. Tab. 58. 129
Tab. 57.
Die Zahl der von den evangelisch-Iutherischen Pfarrämtern zur Anzeige
gebrachten Selbstmorde betrug durchschnittlich jährlich
| absolut ee 1 Mill. Einwohner
in der Ephorie Re 1880 | 1890 ; 1901 KE | 1891 | 1901 | 1906
—89 —1906 — 1900: —06 | _—10 an —1900| —05! —10
eg: „e 214] 21,0) 244] 28,2 313 | 238 | 276
Auerbach. E, 83,0; 30,8) 31,6] — | 386 | 824 | 294
| Boma ..... . || 28,6| 24,3; 224] 240] 354 | 368 | 836 | 348
Chemnitz I . | 76.7, 412, 67,4) 71,6] o99 | 268 | 348 | 808 |
tl. ...| f| 39,0! 446] 56,6 268 | 802 | 364
Dippoldiswalde . . .|| 17,0! 16,6| 224| 16,4] 289 | 808 | 411 | 293 |
Dresden I. . ... j| 77,6| 94,1] 124,8| 139.4] 384 | 276 | 295 | 805 |
ee. SEE case 44,6| 46,0] 65,6] 58,2] 268 | 324 | 495 | 348 |
| Freiberg . . 41,7, 39,4| 89,2! 34,2] 851 | 346 | 352 | 342 |
| Glauchan . 36,1; 46,8! 60,8, 49,0] 297 | 833 418 | 334
Grimma . . 80,8| 34,4| 40,4) 89,6] 377 | 370 | 408 | 389
GroBenhain . 27,7| 29,0| 29,2) 22,6] 404 | 879 | 859 | 268
Leipzig I . 75,0! 128,8| 149,6 | 165,2] 353 | 353 | 862 | 352 |
= | 68,3; 38,3] 41,6; 46,8| 470 | 857 | 282 | 316 |
Leisnig. ... . . .| 41,0) 40,2) 34,8; 39,2] 347 | 365 | 300 | 330 -
Marienberg. . . . .|| 25,6| 26,1/ 27,8) 25,4] 277 | 289 | 302 | 269 |
MeiBen. . | 89,4) 36,2] 34,4] 39,8) 388 | 350 | 800 | 387 |
Olsnitz . 43,5, 29,3 "4 22,6| 325 | 479 | 284 | 326 |
| Oschatz 20,6! 18,2) 17,6; 17,8] 324 | 332 | 321 | 327
- Pirna 38,0; 40,9| 43,6; 46,0| 337 | 328 | 309 | 313 |
Plauen. . 43,3) 46,6) 62,2) 66,8] 302 | 390 | 380 | 347 |
Radeberg. . 244 244| 338! 38,4] 298 | 293 | 361 | 379 |
' Rochlitz . . 274! 318 820: 390| 274 | 285 | 275 | 324
Schneeberg . 221! 273| 26.2! 298| 246 | 243 | 214 | 266 |
Stollberg . 26,8| 19,2! 18,0) 23,6] 285 | 236 887 | 404
Werdau 25,7; 260| 296! 381.4] 326 | 356 | 230 | 275
|
Zwickau . . . . . Jh 31,8 356| 8394| 49,4] 236 | 225 | 205 | 400 |
| Parochie St. Afra . 42| 36| 20| 4.0) 460 | 386 | 245 | 267 |
© „_ Oberlausitz.|| 94,5| 795| 790| 86,0| 261 | 268 | 319 | 316
Tab. 58.
Es betrug die Zahl der ‘Selbstmérder,
Es betrug die Zahl der Selbstmörder,
i soweit sie vonden | im ganzen | soweitsievonden | im ganzen
im Jahre en Königreich ||| im Jahre | nn un Königreich |
| | | gebracht wurden _ Sachsen ` Lëtze wurden | Ša gebracht wurden Sachsen |
1870 | 930 1121 1895 fee | ose | 1051 1036 |
1880 1049 1171 1896 1035 1182
1881 1111 1248 1897 1101 1213
ı 1882 1035 1128 | 1898 1191 1205 |
| 1883 1068 1205 : 1899 1189 1221
1884 1043 1114 1900 1174 1282 |
| 1886 1078 1146 || 1901 1192 1888
| 1886 1007 1071 i 1902 1268 1427
| 1887 1042 1104 1903 1261 1408 `
| 1888 989 1050 1904 1262 1887 |
1889 1011 1102 1905 1331 1483 |
1890 948 1066 1906 1298 1455
1891 1039 1172 1907 1222 1361 `
| 1892 1094 1179 1908 1325 1462 |
| 1893 1095 1200 1909 1897 1621
| 1894 || 1159 1265 |
Kürten; Statistik des Selbstmordes. 9
|
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Tab. 60. Geschlechtsrelat. in d. Wahl d Todesart. Tab. 61. Wahl der Todesart 13]
Tab. 59 (Fortsetzung).
c) Für beide Geschlechter zusammen.
Von je 100 Selbstmördern starben durch
1854! 1872 | 1876 1x80:1884| 1838 | 1892 | 1896 | 1900 | 1004 |
— 178 | —75 STEE —91 | —95 | —99 | —03 | —08
| Todesart
t
Lesen, —
Erhänge ‚64,78 63,81 64,61, 62,8 | 65,1 614 (61,59 58,52 68, 07 67, 64
Ertränken "Ilso's2 19.28 1999 21,8 19.2 19,7 18592127 1916119214
ErschieBen. . . .|| 1,71: 8,77! 840| 81. 88 10, ‚2911,69 11,69 13,45 | 12,36
Erstechen . . . .|| 0,33| 0,42| 0,21, 0,4 0,2 | 0,2 | 028) — | — | — |
Vergiften . . 1,40; 1,81) 2,37 2,6) 2,6 3,66 | 3,33 3,72 3,23] 4,39
Kehledurchschneid. |, 1.66! 1,67| 1.16! 14| 1,3! 209! 152| 195! 1.68) 201
| Herabstürzen. . . || 0.62, 0,66| 0,77: 0,7, 0,7| 0,94! 1,83! 1,44! 1,63| 1,92
| Ersticken . . . ./| 0,07/ — | 0,09| 02; 2 — Is lo | - | —,
Überfahrenlassen . || 0,93; 1,11! 1,21. 1,1 1,3| 1,51) 1,42| 1,46; 2,14| 2,20
| Aderöffnen.. . . .!! 0,56 d 063l 0,8 0,0) e, eat gesteet es
Auf sonstige Weise|| 1,12| 2,12] 0,54) 0,2, 0,1] 0,32) 0,15] 0,77) 0,20; 0,24
| Zusammen | 100 100 | ı 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 |
i
4
Tab. 60.
Das Verhältnis der beiden Geschlechter zueinander bei der Wahl der
EOtesarten im Königreich Sachsen.
| Unter den Selbstmördern, welche die jeweilig an- `
gegebene Todesart gewählt hatten, trafen Frauen
Todesart auf je 100 Männer
1854 |1880 |1884 | 1888 |1892 | 1896 |1900 | 1904
—78| —83 | —87| —91, —95| —99 | —03 | —08
| Erhängen 16,8 | 18,8 12,2
| Ertränken : 73,0 |84,0 | 86,0
| | Erschießen . get ëch Se 1,8 | 2,08 3,45
Vergiften EE 77,6 | 69,8 | 81,3
Herabstürzen. ..... 60,0 | 93,6 | 52 ‘0
| Uberfahrenlassen. . . .| 1 25,0 | 12,8 | 16,4
Tab. 61.
Die prozent. Verteilung der von den Selbstmördern gewählten Todes-
arten in den ATEISRBRDIMANBECHAITEN des Benign: 5 Sachsen 1901—04.
| Erhingen . . JI 74,0 , 64,0/ 40,6 82,8. 59,2 | 70,4 |40,8/ 41,5! 45,0/ 49,0
_Ertrinken . . A 9,9 [15,1J11.2|11,3| 18,5 | 18,2 |46,0 34,1 | 36,8| 42,
61/11,0| 61] 3,
Vergiften. . . 18 | 2,2) 27| 30) 1,7 6,8
| Kehledurchschn. 26 | 1,4] 2,8; 1,5] 2,2 —
Herabstürzen. || — 0,6| 1,5; 1,4) 0,5 —
Überfahrenlasse 1,9 |
P Auf sonst. Weise|| —
Zusammen | 100 | 101 100 | ge | 500 28 06 100 | 100 | 100 | 100 | 100
dh
|
| ErachieBen. . .| 10,3 | 14,6 | 18,7 | 17,2| 16,0 | — | — | 2,8] 4,4] 1,1
2
2,2 ir = Se 4,6
132 Tab.62. Todesart in Leipzig u. Chemnitz. Tab.63. Selbstm. nach Familienstand
Tab. 62.
Die Wahl der Todesart in den Städten Leipzig und Chemnitz.
Von je 100 Selbstmördern jedes Geschlechts töteten sich
in der St. Leipzig | in der St.Chemnitz| im K. Sachsen
de | (1891—1908) (1891—1902) (1896—99)
männl. | weibl. | männl. | Fabi männl. | weibl.
Erhängen . .. 46,3
Ertranken. . . . 15,1
Erschießen . . . 25,3
j 5,6
<
fom
ba OO OF
: Schnitt .
| Herabstürzen
Überfahrenlassen .
Verbrennen . .
Ersticken . ,
‘Sonstige Art. .
EK
AURAMEN }
Tab. 63.
Die prozentuale Verteilung der Selbstmörder im Königreich Sachsen
1900—1904 nach Familienstand und Wahl der Todesart.
Von je 100 Selbstmördern des betreffenden Geschlechts und Familienstandes
starben durch:
Todesart l TI Ledige | Verheiratete | Verwitwete | Geschiedene
a) männlich:
| Ertränken. ..... ; | |
ErschieBen . .... 29,7 9,8 | 8,2 16,65
Vergiften . .. . 3,7 | 1,8 1,4 4,20
Kehledurchschneiden f 1,4 | 2,2 | 2,8 4,20
| Herabstürzen. . . . . 1,7 | 0,9 0,4 —
Überfahrenlassen. . . | 5,1 1,2 0,4 —
Auf sonstige Weise. . | 0,2 | 0,1 — —
zusammen | 100 | 100 | 100 | 100
| b) weiblich: |
Erhiingen...... | 24,8 56,6 63,3 60,0
Ertränken . SE | 52,3 29,5 25,0 | 20,0
‚ Erschießen ..... | 4,6 1,6 0,7 — |
‚ Vergiften . . 11,9 4,6 2,9 20,0 |
` Kehledurchschneiden à — 3,1 | 1,5 — |
| Herabstürzen . .. . 3,2 3,9 5,9 —
Uberfahrenlassen. . . 2,7 0,7 | 0,7 — |
Auf sonstige Weise. . 0,5 — | — —
|
zusammen d
Tab. 64. Selbstm. nach Todesart u. Jahreszeit. Tab.65. Selbstm. nach Alter usw. 133
Tab. 64. Der Selbstmord in der Stadt Leipzig
nach Todesart und Jahreszeit 1891—1908.
Von je 100 Selbstmérdern starben durch
a) männlich:
41 AL | 94 | BT — 2,0
1,5 62 | 11,2 | 43,3 _ 7,5
gg 7,1, 16,7 | 39,1 = 6,1
2,8 62 | 152 | 501 1,2 3,9
2,8 44 20,8 | 42,9 Si 3,8
1,5 7,9 | 19,38 | 43,6 = 5,5
1,7 41 21,4 | 45,0 0,6 4,6
August.... | 25,6 1,4 27 | 189 | 45,8 0,7 5,4
September. | 15,0 2,0 68 | 15,7 | 53,0 1,4 6,1
Oktober . 27,5 4,7 5,4 87 | 45,6 = 8,1
November . 26,8 2,8 7,8 10,5 44,3 — 7,8
Dezember . | 30,2 1,6 5,8 74 | 61,7 = 8,8
b) weiblich.
Januar....| 4,3 | 21 | 19,6 | 26,1 | 87,0
— | 181 | 455 | 818
ER 19,5 | 805 | 30,5
St 123 | 34,3 | 36,7
ee 99 | 36,5 | 268
DEER 11,1 | 468 | 26,0
SE 11,9 | 87,8 | 80,5
17,5 | 38,3 | 33,3
13,1 | 43,5 | 80,6
14,0 | 34,0 | 40,0
15,7 | 25,5 | 45,2
12,7 | 182 | 47,8
Tab, 65. Der Selbstmord in der Stadt Chemnitz
nach der Todesart in Verbindung mit Alter u. Familienstand 1891—1902.
(Monatl. Mitteilungen des Stat. Amtes der Stadt Chemnitz 1903, Nr. 3, S. 16.)
a) absolute Zahlen:
Alter der Selbstmörder Familienstand
=
if
bei
Vi
1
xN
pá
Oktober..
November . 3
Dezember .
| Ersticken . . .
| 15— |25— /40— tiber P Ver- | Verw.u.
Ä Todesart 15J.| 25J.| 40J. 60J. 603, Idi heiratet! Gesch.
| & b c d e f g h
"Brhitn en. 3 37 90 | 146 | 66 67 228 47 |
Ertranken. = 28 84 22 | 12 36 45 14
| Erschießen ... | — 27 16 31 5 36 36 7
| Vergiftn. ... | — 23 16 11 2 29 20 8
Erstechen. . . . — = 2 Ss = = 2 —
' Schnitt. .... = == 8 2 6 2 11 3
| Herabstürzen 1 8 5 4 1 5 7 2
berfahrenlassen. — 8 1 — 1 8 2 —
| Verbrennen . . . | — e Ke 1 5a Së l Kë =
| Ge = 1 SC E
sammen | 4 | 121 173 | 217 | 93 178 TB er 16 |
134 Tab.66. Der Selbstm. in der Stadt Leipzig nach Todesart u. Alter 1891—1908
Tab. 65 (Fortsetzung).
b) prozentuale Verteilung:
Alter der Selbstmörder Familienstand
bis |15— \25— 40— | über : Ver- |Verw.u.,
Todesart 16J. | 253.) 403.' 603. oni) Ledig |heiratet| Gesch. |
| & b c d | e f g h
Erhängen . . . . || 75,0 | 30,5 | 52,0 | 67,8 | 71,0 64,6 | 61,90
Ertrinken. . . . | — | 232] 19,7] 101 1129| 202 | 12,7 | 1840
ErschieBen . i — | 223 ! 9,38! 14,8 | 64 | 20,2 10,1 9,20 |
Vergiften. . . . | 19,0 | 93, 51| 21] 163 5,7 8,96
Erstechen . — — 11} — — — 0,6 —
Schnitt . — | — j 46| 09) 64] Li 8,1 8,95 |
Herabstürzen . . | 25,0 2,6 | 28| 18| 11] 2,9 2,0 2,60 |
Überfahrenlassen. | — 25; 06| — 1 1,7 0,6 |
Verbrennen . . . | — _- — 056; — — | 083 — |
Ersticken . = — | 0,6 | Ss | 0,3 —
100 | 100 | 100
| 100 | 100 | 100 |
Tab. 66.
Der Selbstmord in der Stadt Leipzig nach Todesart und Alter 1891—1908..
Von je 100 Selbstmördern starben durch
Schnitt : Er- Er- Er- Son-
| Schuß | Stich | Sf | trinken|hangen |sticken| stige | 7%
a) männlich:
bis 15 J.! 8,0 = 40 ! 200 | 560 | — 12,0 | 100
15—20 ,, 35,1 1,7 63 | 163 | 85,3 = 63 | 100
20—25 „ © 495 | 09 93 | 151 ' 17,7 | — 7,5 | 100
25—30,, 363 | 21 90 | 179 ` 300 | — 47 | 109
30—35 „ | 308 | 3,5 9,3 12,2 | 811 | 0,6 7,0 | 100
35—40 „ | 184 | 26 8,2 14,7 | 64,7 | — 6,4 | 100
40—45 „ | 178 | 28 61 17,1 | 526 | 11 4,0 | 100 |
45—50 „| 196 | 3,6 42 49 | 530 | — 4,7 | 100 |
50—565 ,, 17,4 2,6 5,2 8,6 58,0 — 3,2 100 |
55—60 „| 143 | 32 38 | 18,7 | 668 | — 8,2 | 100 |
60—70 , || 107 | 12 12 | 13 , 716 | — 41 | 100
70—80 „| 51 1,7 17 | 102 | 796 | — 17 | 100 |
über80 „| — = — | 200 I soo | — JL | 100°
b) weiblich: |
bis 15 J.) — = 12.5 | 625 | 125 | — 12,5 | 100 |
15—20 „|| 09 = 186 | coo | 146 | — | 10,9 | 100
20—25 „ | 83 = 195 | 41,7 | 22 | — 8,3 | 100 -
25—30 „ || 142 | 1,1 | 275 | 320 | — 6,6 | 100 |
30—36 „| 11,1 = 16,6 | 241 | 278 | — | 204 | 100 '
35—40 „ | 38 | 1,9 | 17,8 | 347 | 327 | — 9,6 | 100 |
40—45 „| 23 a 159 | 295 | 433 | 4,5 4,5 | 100 |
45—50 „| 53 | 36 | 141 | 21,0 | 420 | — | 141 | 100 |
50—55 | — = 20 | 240 | 660 | — 8,0 | 100 |
55—60 „ || — = 31 | 187 | 720 | — 6,2 | 100 |
60—70 ,, || 19 | 3,8 68 | 250 | 443 | — | 19,2 | 100
70—80 „ | — 4,7 = 94 | 811 | — 47 | 100
über80 „ | — = = = 750 | — 100
Tab.67. Todesart u. Relig. Tab.68. Zeit u. Todesart. Tab.69. Berufu.Todesart 135
Tab. 67.
Todesart und Religion der Selbstmörder in der Stadt Chemnitz 1891—1902.
i Religion | | = Religion `
| Todesart evan- | röm.- | ongtig | Lodesart | evan- | röm.- aate
| gesch, kath. e | 'gelisch | kath. =
l l | | | Übertrag | 536 30 |.
Erhängen . 326 15 1 Schnitt. . . 14 | 2
Ertränken . 9 3 — | Stürzen ‘ 14 —
Erschießen . 70 8 1 Uberfahrenl. | 4 1
| Vergiften. . 47 4 1 Verbrennen. ` 1 _
| Erstechen . 2 — — | Ersticken. . 1 —
| | Zusammen || 570 | 33
Tab. 68.
Der Selbstmord im K. Sachsen 1908—1909 nach Zeit und Todesart.
In den beiden Jahren 1908 und 1909 begingen Selbstmord
lin d. Zeit von in d. Zeit von
|
Hagen: Tagen:
durch | 6U. fr. 6 U.ab. stunde| zus. [6 U.fr. 6 U.ab. stunde) zus.
‘bis 6U.] bis unbek. bis6U.| bis |unbek.
|abendsi 6 U. fr. | | abends 6U fr. |
| | a) Männer: b) Frauen:
Erhängen . . ... 700 | 419 | 225 | 79 | 28 | 319
Ertränken. .... | 91! 78, 95 95 75 238
Erschießen . . . . | 194 158 46 7 1 11
Vergiften ..... | 53 ` 48 7 13 4 30
Kehledurchschn. . . 26 17 4 4 — 11
Überfahrenlassen. . | 31 ı 384 1 19 2 22
Herabstürzen. . . . | 17 | 12 1 16 1 28 |
Sonstigeu.unbek.Art | 4 4 — | 3 | 1 9 |
Zusammen |1116 | 770 | 379 | 2266 | 349 | 268 | 115 | 722 |
Tab. 69.
Beruf und Todesart der Selbstmörder in der Stadt Leipzig 1890—1910.
a) Für das männliche Geschlecht:
Von je100Angeh.der angeg. Berufskl. töteten sich durch
3 e
|
i
|
|
| e ,
Berufsklasse | A S A £ E 3 EK A =
| ea a Fi be O:3 og NH |
| ke cis me) 2D S
| Kaufleute DEREN 36,2 | 12,0 | 10,6 | 34,9 | 1,4 | 3,0 | 1,9 | 100
| Handlungsgehilfen . . . || 20,2 | 14,5 | 11,8 47,6 | 8,2 2,4 Ä 0,8 100
Bureaupersonal 26,2 | 12,5 | 8,8 | 47,5 | 8,8 | 1,2 — 100
Handwerker. ..... 49,2 | 16,4 | 4,5 ; 203] 3,6 | 31 | 2,9 | 100
Arbeiter... ....... 621 |161| 22|105| 44 | 22 | 25 | 100
' Akademiker, Lehrer . . 234 | 5,6 | 14,9 | 47,4 | — 2,8 | 5,6 100
Ingenieure, Techniker . | 20,9} 7,0| 7,0 | 65,9 a6 | — | 4,6 | 100
| Dienstleute, Markthelfer | 60,1 | 13,5 5,2 | 15,0 | 1,5 | 2,1 | 2,6 | 100
| Anstaltsins., Pensionäre. | 70,6 201 28| 99| — | 2,8 ' 70 į 100
|'Beamte........ 45,6 | 15,2 | 3,8 | 27,8 | 38 | 1,8
Sonstige, Unbekannt . . | 42,2 | 16,8 | 6,9 | 25,7 | — 3,5 | 54 | 100
Zusammen || 45,8 | 14,4 | 6,4 | 26,6 | 2,6 | 26
136 Tab.70. Der Selbstm. nach Beruf und Todesart in der Stadt Leipzig
Tab. 69 (Fortsetzung).
b) Für das weibliche Geschlecht:
|| Von je 100 Angehörigen der angegebenen Berufs-
klasse töteten sich durch
Berufsklasse = g
PAJETE:
Aa as| e |
SI £
ne a en Sr Fee SE = -
Dienstmädchen . . . . || 19,4 | 52,9 ' 13,0 , 2,9 | 1,8 8,8! 1, 100 |
Kontoristinnen. . . . . || 18,8 | 50,0 | 18,8 6,2 | 3,1 3,1 | — 100
Arbeiterinnen . . 25,6 | 47,4 11671 — | 1,3 | 7,7 | 1,8 | 100
Nüherinnen, Schneiderin. 12,7 | 52,7 23,7 7,3 | 1,8 18 | — 100
j
|
Selbständ. Geschäfte- usw. |
Inhaberinnen . . . . | 46,7 | 20,0 | 13,3 | 133 | — 6,7 | — 100
Ehefrauen | ohne besonde- || 46,8 | 20,6 |; 10,9 | 3,4 | 1,5 | 13,1 | 3,7 | 100
Witwen | ren Beruf || 62,1 | 22,5 | 64 | 1,1 | 1,1 | 14,9 | 2,1 | 100
Privata. Sonstige. . . | 29,6 | 21,8 | 26,7! 61 | 12 | 14,6 | — | 100
Zusammen ` 34,3 | 33,8 | 14,2 | 3,7 | 1
Tab. 70.
Beruf und Todesart der Selbstmörder iu der Stadt Leipzig 1890—1910.
Von je , 100 0 Selbstmördern, die sich auf die an- |
gegebene Weise das Leben genommen hatten,
gehörten der nebenstehenden Berufsart an
ae oe Gift | Schuß Überf.- | Herab-
ngen |tränken
lassen | stürzen
a) männlich:
|
= Berufsart
|
Kaufleute . . i 12,8 13,7 | 26,9 | 22,1 8,4 18,3
Handlungsgehilfen ` : 2,4 5,6 | 9,7 10,1 | 6,8 5,0
Bureaupersonal . 2,0 3,1 4,8 6,6 | 5,1 1,7
Handwerker . . 30,4 33,0 20,1 22,6 39,0 33,8 |
Arbeiter . š 21,5 18,1 5,5 6,6 | 27,1 13,3
Akademiker, Lehrer. 2,4 1,9 | 11,0 88 © — 5,0 |
Ingenieure, Techniker . | 0.9 0,9 2,1 4,1 | 3,4 —
Dienstleute, Markthelfer." 11,1 8,1 | 6,7 5,0 5,1 6,7
Anstaltsinsassen, Pension. 4,8 1,6 1,4 1,2 —_ 3,3
Beamte : 3,5 3,7 2,1 3,8 5,1 1,7
Sonstige, Unbekannt 8,2 10,8 9,7 9,1 11,7
Zusammen | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 |
Dienstmidchen. . . . .|| 11,8 | 82,7 19,1 16,7 | 25,1 | 17,2 |
Kontoristinnen . ... . 2,2 5,8 5,2 6,7 8,3 1,2
Arbeiterinnen. . . 7,1 13,5 11,4 — 8,5 6,9
Näherinnen, Schneiderinn. 2,5 10,6 11,4 13,3 8,3 1,2
Selbständ. Geschäfts- usw. |
Inhaberinnen. . . 2,5 1,1 1,7 6,7 — | 1,2
Ehetrauen ohne besonde- 44,8 20,0 25,2 29,0 33,4 40,1
Witwen ren Beruf 17,6 7,6 | 6,2 3,3 8,3 16,1 |
| Privata, Sonstige. . . H 11,5 8.8 . 20,8 23,4 8,3 16,2
Tab. 71. Todesart u. Zeit des Ablebens. Tab. 72. Beweggründe zum Selbstm. 137
Tab. 71.
Todesart und Zeit des Ablebens der Selbstmörder
im Kénigreich Sachsen 1909.
Todesart
ast | - E 2 AN > ie ER i
Eintritt des Todes A & | Lx E = E ik S Er
‚as as O CP S On 1. 2 28
| a) männlich:
motor. Sa ee Se | 672 | 122 | 163 | 838 | 17 | 8'41] 2
innerhalb des 1. Tages 5 2 28 | 13 6 4 | 1 2 |
n „ 2.—7. Tages. | — — 8 — — — — 1
e der 2.—4. Woche | — — 4 2 1 | — | — | — |
nach Ablauf der 4 „ | — — — | ~= || j; — | — |
unbekannt ....... | — — 22 5 1 — | — —
zusammen | 677 | 124 | 225 | 53 | 25 | 12 | 42 | 5 l
b) weiblich:
sofort. .. ee oe es 153 ° 104 2 i 231714 13 12 1
innerhalb des 1. Tages . . Bao g SE | 4 5 1 |; 4
i „ 2.—7. Tages. | — — 1 | 45 — 3 | — | —
| » der 2.—4. Woche | — 1 sees er ER | |
i nach Ablauf der A „ — — — | — 1 — | —
2 — — 1 —
‚unbekannt ....... — — 1 =
| zusammen | 1.107 | 4 | 44 | 6 | 22 | 14 | 6
Tab. 72.
Die Beweggründe zum Selbstmord im Königreich Sachsen während
der Jahre 1905—1909.
a) bei den Männern:
ee {| | 1906—09
| Beweggründe `: 1905 | 1906 | 1907 | 1908 | 1909 | zusammen
von je 100
H
1
Geistes- oder Nervenkrankheit | 117 126 113
Schwermut. ........
Körperliches Leiden. . .. . |
Nahrungssorgen ..... e
Ehelicher Zwist, Familienstreit
Furcht vor Strafe
Trunksucht.........
Gekränktes Ehrgefühl. . . .
Lebensüberdruß
Liebesgram
| Sonstige Ursachen ... . .
| Unbekannt
138 Tab. 72 (Forts.). Tab. 73. Prozentuale Verteilung der Beweggründe
Tab. 72 (Fortsetzung).
re: b) bei den Frauen:
1905—09 |
Beweggründe 1905 1906 | 1907 008 1909 | zusammen |
| von je 100 |
Gentes: oder Nervönkrankheit | 73 Bt 81 | 79 63 20,5
Schwermut. . . PE ee Se 106 93 118 90 28,9
Körperliches Leiden. 58 50 52 53 68 16,7
Nahrungssorgen 10 2 2 | — 6 1,1
Ehelicher Zwist, Familienstreit 8 10 12 16 11 3,2
Furcht vor Strafe. ..... 21 16 | 12 16 18 4,6
Trunksucht ; SE 1 1 | — | 1 3 0,8
Gekriinktes Khrgefühl. KE 1 5 5 2 10 1,8
Lebensüberdruß ...... 19 12 12 | 19 20 4,6 |
Liebeseram ......../ 26 27 | 45 | 21 | 20 7,8
Sonstige Ursachen . . . . | 4 5 8: Il 6 19 |
Unbekannt. Ss 39 41 39 | 29 33 10,1
Zusammen || 367 | 348 | B61 | 364 | 348 | o |
Tab. 73.
Die prozentuale Verteilung der Beweggriinde zum Selbstmord
im Königreich Sachsen.
Beete, | 1868 1872 |1876 1881 11891
SS | 1) — Sal —90*); —958)!
| Ge |
a) männlich:
Körperliche Leiden . . . si
Häuslicher Kummer, ehelicher Zwist j
Zerrüttetes Vermögen N
Subsistenzmangel . . Se
Unordentliches Leben, Trunksucht ;
Spielsucht, Lotterie?) . az
i Scham, Furcht vor Strafe, Gewissensbisse
` Unglückliche Liebe, Eifersucht .
| Melancholie. :
Wahnsinn, Geistesstörung . g
' Religiöse Schwirmerei .
Alteration
LebenstiberdruB .
Sonstige und unbekannte Ursachen .
Zusammen 7
b) weiblich:
Körperliches Leiden. . „fl
Häuslicher Kummer, ehelicher Zwist .
| Zerrüttetes Vermögen .
| Subsistenzmangel . . a
| Unordentliches Leben, Trunksucht
‚ Spielsucht, Lotterie?) . 2 ag
ger | 17,3 | 12,4
a) Entnommen von G. v. Mayr, Sozialstatistik, 2. Lieferung, S.
b) Seit 1883 weggefallen.
Tab. 74. Die proz. Verteil. nach Geschlecht, Lebensalter u. Beweggriinden 139
Tab. 78 (Fortsetzung).
‘ u Ise o la872 1876 11881 e |
Beweggründe | 71) a —79 —90
Maine) "47, ERR |
Scham, Furcht vor Strafe, Gewissensbisse
Ungliickliche Liebe, Eifersucht .
' Melancholie.
' Wahnsinn, Geistenstörung . 5. A
Religiöse Schwärmerei .
Alteration
Lebensüberdruß . :
Sonstige und unbekannte Ursachen .
| 100 | 100
Tab. 74.
Die prozentuale Verteilung der Selbstmörder im Königreich Sachsen
während der Jahre 1848—1867 nach Geschlecht, Lebensalter und Be-
wegvrinden.
(Zeitschrift etc. 1870 S. 150 ff.)
e Sack 14— 21— '30— |50— | über i
Beweggründe | 14J.| ai 305 mi moi 70). "7 lan
a) männlich: |
Körperliches Leiden . 1 0,19 5,20 | 10,02 | 41,02 ! 42,97 | 10,60 | 100
Häusl. Kummer, ehel. Zwist | — 2,32 , 15,12 | 52.91 | 26,74 | 2,91 | 100
Zerrüttetes Vermögen — 0,92 | 7,34 ! 52,60 | 37,30 | 1,84 | 100
Subsistenzmangel . . I — 1,26 | 849 41,20 | 42,45 | 6,60 | 100
Unordentl. Leben, Trunk- |
sucht. .. ... (| — © 8,23; 11,34 | 48,52 | 35,60 | 1,31 | 100
| Spielsucht, Lotterie . || 1 952 23,81 52,38 | 14,29 — | 100
Scham, Furcht vor Strafe. | 3,68 15,19 | 26,70 , 35,09 | 17,36 1,98 | 100
Unglückliche Liebe — | 20,83 , 68,33 18,06 2,78; — | 100
Geistesstörung, Wahnsinn . || 0,22 6,56 , 14,46 | 35,58 | 37,39 | 5,:9 | 100 |
Alteration DG l 3,60 | 27,93 | 19,37 | 25,68 | 21,62 | 1,80 | 100
Lebensüberdruß . . . . . | 0,14 | 4,42 | 9,67 27,49 | 39,36 | 18,92 | 100
Sonstige, Unbekannt . (| 1,16 | 15,19 : 23,09 35,17 | 23,27 | 2,13 | 100
b) weiblich:
Körperliches Leiden . . . || — | 8,08 | 8,70 | 34,78 | 37,26 | 11,18 | 100
Häusl. Kummer, ehel. Zwist | — ` 1,33 | 20,00 | 54,67 | 22,67 , 1,33 | 100
Zerrüttetes Vermögen. . . | — | — — 1100,00 — | — | 100
Subsistenzmangel . . — 9,46 | 8,11 | 36,49 | 39,19 | 6,75 | 100 |
| Unordentl. Leben, Trunk- | |
sucht. . . h d — , 4,00 | 12,00 | 40,00
|
Spielsucht, Lotterie. . . -— —
Scham, Furcht vor Strafe. 4,75 | 31,02
Unglückliche Liebe . || — | 84,54 | 52,73 | 12,73
Geistesstörung, Wahnsinn. || 0,26 | 6,25 | 14,41 | 38,89
Alteration. . © 2 22.2. (|| — | 35,44 | 32,91 | 18,99 | 10,13 | 2,53 | 100
LebensiiberdruB . . . . . || 0,95 | 4,76 | 11,43 | 29,52 | 28,57 | 24,77 | 100
Sonstige, Unbekannt. . . || 0,51 | 29,75 28,72 SE 18,46 | 2,56 100 |
29,93 | 20,80 | 12,78 0,73 | 100°.
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Tab. 76. Die prozent Verteilung nach Geschlecht, Todesart u. Beweggriinden 14]
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142 Tab. 77. Selbstmordlichkeit, Kriminalität und Getreidepreise
Tab. 77.
Selbstmordlichkeit, Kriminalität und Getreidepreise im Königreich
Sachsen 1860—1903.
‚Es betrug me Zahl der Durchschnittspreise in |
j ‚Verurteilten _. | Sachsen in Mark für |
en nn auf 100000; Frauen |Jugendlich. 1000 kg |
der strafm.
Lebender Bevölker unter 100 Verurteilten | Roggen Weizen
1860 | 252 638 | 279 11,0
1861 » 291 627 | 28,2 11,4
1862 248 650 28,1 12,5
1863 282 648 27,0 11,8
1864 235 656 28,2 11,8
1865 | 268 651 27,5 11,6 132,7 165,3
1866 296 682 24,8 12,8 157,0 194,9
1867 312 746 27,7 13,0 206,3 258,7
1868 | 827 768 27,2 12,6 201,6 249,6
1869 | 287 684 25,3 12,6 161,0 191,4
1870 | 262 619 25,5 11,9 163,6 2151 |
1871 252 587 26,1 13,6 176,1 223,8 |
1872 | 266 608 24.8 16,0 180.0 246,5
1873 || 274 617 22,0 16,3 199,3 268,6
1874 | 269 705 22.4 17,0 207,1 2437 |
1875 272 752 21,2 16,9 174,8 1981 |
1876 352 837 20,5 15,5 183,6 | 2083 |
1877 403 937 20,8 15,2 184,4 ` 281,4
1878 408 953 21,4 15,9 147,2 | 200,3
1879 885 ? ? ? 153,6 201,3 |
1880 396 ? ? ? 206,0 228,7
1881 416 1088 ? ? 2101 232,9 |
Anmerkungen zu Tab. 77—79 und der graphischen Darstellung IL
Die Durchschnittspreise für Roggen und Weizen sind entnommen für die
Zeit von 1865—81 der „Zeitschrift etc.‘ Jahrgang 1889, S. 138, für die Zeit von
1882—1908 der „Zeitschrift etc.“ Jahrgang 1906, 8.180. — 1865—81 sind die
für das Königreich Sachsen, 1882—1903 die für Leipzig geltenden Durchschnitts-
preise angegeben.
Desgleichen sind die Angaben über die Kriminalität im Königreich Sachsen
der „Zeitschrift etc.“ Jahrgang 1889, S. 133 ff. für 1860—81 und Jahrgang 1906,
S. 160 ff. für 1882—1903 entnommen. Bezüglich der Veränderungen des materiellen
Strafrechts ist folgendes zu sagen: das am 13. August 1855 veröffentlichte sächsische
Strafgesetzbuch lehnt sich an das preußische von 1851 an und enthält mit diesem
die Grundzüge des modernen Strafrechts; es galt von 1868—71 als „revidiertes
Strafgesetzbuch“ mit wenigen Änderungen, bis es durch das Deutsche Reichs-
strafgesetzbuch 1871 ersetzt wurde, in welchem manche Delikte des sächsischen
Strafgesetzbuches keine Aufnahme fanden, z. B. Arbeitseinstellung, Verspottung
wegen Ablehnung eines Zweikampfes, bösliches Verlassen seitens des Ehemanns,
Ansteckung usw. Statt dessen wurde nach der andern Seite der Kreis der Delikte
erweitert. Diese Verschiedenheiten machen sich in den Zahlen immerhin bemerk-
Tab. 77 (Forts.). Selbstmordlichkeit, Kriminalität und Getreidepreise 143
Tab. 77 (Fortsetzung).
Es betrug die Zahl der Auf je 100 Durchschnittspreise iD
im Selbstm, |verarteilten Erwachsene| Männer | Leipzig in Mark für
m auf 100000 1000 kg
oo re der strafm. kamen
Bevölker. |Jugendlichei Frauen Roggen | Weizen
891 1051,0 ; l 161,1 174,7
867 969,7 ; : 158,4 176,4
362 926,9 : 148,1 167,2
838 903,6 S À 139,9 162,6
836 880,1 : e 129,9 170,1
814 854,2 , i 144,1 180,9
823 904,3 ; : 166,8 186,5
307 893,5 ; ; 179,7 191,7
331 900,1 ; i 215,2 224,1
828 954,2 : : 181,2 188,3
329 927,3 , : 188,4 155,1
841 919,5 i ; 120,0 133,3
827 876,5 ; ; 126,5 139,8
308 903,3 : i 180,8 157,8
810 969,7 185,6 162,1
301 1011,6 S 154,7 189,6
299 985,1 : ; 154,5 154,6
308 946,8 146,8
828 981,8 165,4
832 9921 : j 164,1
323 984,8 : $ 153,1
ooo
|
|
|
871 1074,0 : 165,3 214,0
|
bar. Einschneidende Wichtigkeit hat besonders aber der Umstand, daß seit 1871
eine gerichtliche Bestrafung der jugendlichen Personen schon vom 12. Jahre an
stattfindet, während die sächsische Strafgesetzgebung eine solche erst vom er-
reichten 14. Lebensjahre an eintreten ließ.
Die in den Tabellen mitgeteilten Zahlen beziehen sich 1860—81 auf die
Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen, ausschließlich Beleidigung und
Gewerbekontravention, für 1882—1903 auf Verurteilungen wegen Verbrechen und
Vergehen gegen die Reichsgesetze resp. gegen die Person. — Die Zahl der Frauen
und der jugendlichen Personen ist für 1860—81 ausgedrückt in Prozent aller
Verurteilten überhaupt auf Grund der absoluten Zahlen. Der für 1882—1903
berechneten Zahl der Frauen auf 100 Männer, sowie der Zahl der Jugendlichen
auf 100 Erwachsene sind die jeweiligen Kriminalitätsziffern für 10000 der straf-
mündigen Zivilbevölkerung zugrunde gelegt.
Die Angaben über die Ehescheidungen sind entnommen der „Zeitschrift etc.“
Jahrgang 1907, 8. 198.
Die Angaben über die Häufigkeit der unehelichen Geburten sind entnommen
dem „Stat. Jahrbuch“ Jahrgang 1907, S. 71.
144 Tab.78. S. u. Krimin. pn Alter un Geschlecht Tab.79. S., Ehesch. u. unehel. Geb.
Tab. 78.
Selbstmordlichkeit und Kriminalität nach Alter und Geschlecht
im Gees Sachsen 1882—1903.
|Zabı derVer-
urteilt.wegen
Verbrechen |
u. Vergehen
auf
e Mill. Jugendliche | Erwachsene ‚gegen . Per-
| a son a. 100000|
Lebeng (12—18 Jahre alt), (über 18 Jahr) haupt aan
ERD | Auf 10000 strafmündige Zivilbewohner desselben
Selbst- | Alters und Geschlechts trafen wegen im König-
morde | reich Sachsen begangener Straftaten verurteilte
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122,4 170,3 46,1 290,1
118,3 160,1 | 39,8 281,5
108,6 153,5 , 37,6 269,5
104,5 150,9 | 35,8 261,3
99,3 l 148,3 | 33,5 264,2
100,8 Ä | 1432 | 832 245,9
105,8 Ä 150,3 251,2
124,3 | 152,8 245,8
110,4 150,0 244,0
117,9 | 167,8 ` 246,7
115,1 155,3 255,9
117,5 155,1
102,3 ; 150,0
110,3
112,7
124,8 |
114,2 | 185 173,1
121,2 164,4
112.6
116,3 5 | ' 171,7
118,6 5
125.4 | | 173,9 | 472 | 294,4
Tab. 79.
Die Häufigkeit der Selbstmorde, der Ehescheidungen und der unehe-
lichen Geburten im Königreich Sachsen 1833—1909.
Es betrug die Zahl der
Selbstm. | Eheschei- unehelich. || im | Selbstm. Eheschei- Geburten
Jahre |‘ auf 1 Mill. dungen a. Geburten |’ Jahre | auf 1 Mill.) dungen a. auf 100
Lebender | 1000 Ehen nee | 1 Lebender | 1000 Ehen Geburten
183,4 1,34 14,95
150,6 1,21 15,00
239,9
1,17 15,04
188,9 1,16 13,84
187,9 1,06 15,15
204,3 1,28 15,52
204,1 1,34 15,04
213 1,18 14,28
Tab. 79. Die Häufigkeit der Selbstmorde, Ehescheid. und unehel. Geburten 145
Tab. 79 (Fortsetzung).
| Es betrug die Zahl der | | Be betrug die Zahl der
| . .
im | Selbstm. | Ebeschei- unehelich. || im | Selbstm. | Eheschei- Wnehelich.
Jahre | auf 1 Mill. dungen a. nn | Jahre ‘auf 1 Mill. dungen a. oe
| eegent 1000Ehen Geburten 1 oe maa Carton
| 1849 | 174 109 ' 16,33 | 1880! 396 go! mi J mn = 12,71
| 1850 | 204 Wf 1526 | 1881, 416 1,20 1285 |
lıssı | 207 | 1,20 Ä 1482 |' ıss2 | 371 | 158 1317 |
| 1852 | 268 1,89 14,20 | 1883 | 391 > 1,9 1285 |
| 1853 | 214 1,34 13,71 || 1884 | 357 1,54 18,24
| 1854 | 271 1,25 14,34 | 1885 | 362 1,71 13,08
| 1866 | 279 1,31 14,53 1886 | 883 1,57 12,98
| 1856 267 112 | 14,96 |. 1887 836 1,53 12,89
| 1857 | 233 1,04 15,63 | 1888! 814 1,65 12,62
| 1858 | 288 = 16,98 | 1889 | 328 1,62 12,61
| 1859 | 237 = 15,73 1890 | 307 1,42 12,26
1860 | 282. 1,19 15,17 | 1891 381 1,38 12,38
1861 291 1,02 15,30 || 1892 | 828 1,27 12,38
1862 || 248 1,05 14,88 || 1893 329 1,40 12,48
| 1863 || 282 1,10 15,79 | 1894 ı 341 1,43 12,60
| 1864 235 1,05 15,07 |i 1895 | 397 1,41 12,54
11865 263 0,91 15,18 | 1896 308 1,43 13,02
| 1866 296 0,84 15,80 | 1897: 310 : 1,58 12,95
| 1867 | 312 0,94 14,67 | 1898 301 | 1,52 12,95
| 1868 327 0,97 14,06 | 1899 | 299 1,60 12,88
| 1869 287 1,13 18,71 | | 1900 308 1,49 12,64
| 1870 | 262 1.06 13.91 | 1901 |, 3828 ` 1,46 12.64
|1871 | 262 1,06 13,57 ||| 1902 | 382 1,68 12,66
| 1872 | 266 1,30 1318 | 1903 | 3823 1,66 12,51
| 1873 | 274 124 | 18,94 |, 1904 3814 1,86 18,01
| 1874 | 269 1,29 13,18 || 1905 380 1,75 13,37
| 1876 272 120 | 12,67 || 1906 , 820 | 13,41 `
| 1876 | 852 148 ` 12,57 | 1907 , 394 14.02 |
| 1877 | 408 1,31 12,43 1908 | 312 14.40
| 1878 | 408 1,50 12,37 ||| 1909 | 320 14,88
| 1879 | 385 1,72 12,69 | | |
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1841—46 | 198 | 1,19 | 14,80 || 1876-80 388 1,58 | 12,58
1846—50 | 200 , 1,21 | 16,08 |/1881—-85 | 379 1,52 | 13,04
1861—55 | 249 | 1,80 | 14,32 i| 1886—90 | 328 , 1,57 | 12,65 |
1856—60 | 244 | 1,12 | 15,49 1891—95 321 | 1,38 | 12,48
| 1861—65 | 263 | 1,08 | 15,28 || 1896—1900] 305 | 1,51 | 12,89
| 1866—70 | 296 | 1,98 | 14,43 1901 06 325 | 1,68 | 12,84
Kürten: Statistik des Selbstmordes. 10
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Graphische Darstellung I.
Zeitliche Gestaltung der Selbstmordziffer.
Selbstmord-
aifer:
656
600
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500] « 78 f
l \ l SCT "zs wm mämilıch (vgl. Tab. 8)
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40 45 50 AA 60 665 70 75 80 85 90 95 1900 05 10
Jahr: 1830 35
Kürten: Statistik des Selbstmordes.
1875
1880
1885
1890
1895
1900
1905
1909
Karten:
Graphische Darstellung I.
Zahl der Selbstinorde auf 1 Million Lebender
300 350 400
Roggenpreise pro 1000 kg in Mark
= dite gg SC me omen
Statistik des Selbstmordes.
420
300
300
1170
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Die Selbstmordhäufigkeit in
den Amtshauptmannschaften
des Königreichs Sachsen.
Statistik des Selbstmordes.
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Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Fehlerausgleichung,
Statistik und Lebensversicherung, Von Dr. Emanuel Czuber, o. ö. Professor an
der Technischen Hochschule in Wien. 2., sorgfältig durchgesehene und er-
weiterte Auflage. - In 2 Bänden.
L Band: Wahrscheinliohkeitstheorie, Fehlerausgleichung, Kollektivmaßlehre. Mit
18 Figuren, gr. 8. 1908. In Leinwand geb. #. 12.—
II. Band: Mathematische Statistik. Mathematische Grundlagen der Lebensversiche-
rung. Mit 34 Figuren. gr. 8. 1910. In Leinwand geb. e 14.—
Bei der Bearbeitung dieser Nenauflage sind mancherlei förderlich erscheinende Neuerungen im
einzelnen getroffen worden, so die Darstellung der Wahrscheinlichkeitssätzo in Form von Funk-
tionalgleichungen, die Hersnziehung des Begriffs der relativen Wabracheinlichkeit, der Mengen-
lelıre. Dos weiteren war der Verfasser darauf bedacht, die Grundfragen, welche die philosophische
Seite des Gegenstandes betreffen, Gefier zu fassen. Ein Kapitel über die Kollektivmaßlehre, die,
von G; Th. Fechner begründet, durch die neueren Arbeiten von G, F. Lipps und H Bianu
wesentlich gefördert wurde, durfte nicht mehr fehlen; die theoretischen Grundlagen dieses jüngsten
Zweiges wurden so knapp als möglich dargestellt, hingegen auf die praktische Anwendung durch
Vorführung mehrerer, darunter auch größerer Beispiele vorzubereiten gesucht.
Der zweite Band umfaßt die im Titel genaunten Kapitel in einer, wie schon der Umfang zeigt,
ziemlich eingreifenden Neubearbeitang. In der mathematischen Statistik wurde anf die Dar-
ee aa leitenden Godanken bei der Bildung und Beurteilung statistischer Maßeahlen größerer
Nac gelegt; die neueren, von englischen Statistikern ausgebildeten Methoden zur analy-
tischen Darstellung statistischer Reihen sind einbezogen worden. Eine erhebliche Erweiterung
erfahr die Behandlung der Sterblichkeitsmessung unter Heranziehung der zieueren großen Ar-
beiten auf diesem Gebiete, Ebenso sind die Tafelausgleichung und die Invalidität ausführlicher
behandelt. Noch eingreifender sind dio Änderungen in dem die mathematischen Grand-
lagen der Lebensversicherung betreffenden Teile, Den allgemeinen Erwägungen über die
- Voraussetzungen bei der Durchführung versicherungstschnischer Probleme ist ein breiterer Raum
Des weiteren sei insbesondere hingewiesen auf die Entwicklung der Versicherungawerte,
die von Invalidität abhängen; auf die Einbeziehung der Durchschnittsprimien der Sorialversiche-
rung; auf die Erörterung der umstrittenen Frage der Bemessung des Dockungakapitals: auf die
betreffend das Risikoproblem. SBelbstverständlich haben auch eweifach abgestufte
Sterbetafeln Berücksichtigung gefunden.
Versicherungsmathematik. Von Dr. Hugo Broggi, Professor an den Uni-
versitäten Buenos Aires und La Plata. 1911. Geb. # 7.—, in Leinw. geb. # 8.—
Das in erster Linie für Studierende der Mathematik, die sich mit Lebensversichorungsmathe-
matik beschäftigen wollen, bestimmte Buch versucht eins möglichst zusammenfassende Übersicht
über die Anwendung der Wahrscheinlichkeiterechnung suf dis Sterblichkeitstheorie, über die
fundamentalen Probleme der Versicherungsmathematik im allgemeinen sowie über die Technik
der Lebensversichorung zu geben. Vorausgesetzt werden nur die mathematischen Kenntnisse, die bei
- jedem Mathematik Studierenden vorhanden sind oder vorhanden sein sollten. Die deutsche Ausgabe
weist gegenüber der italienischen und französlechen mannigfache Zusätze und Erweiterungen auf.
Wahrscheinlichkeitsrechnung. Von A. A. Markoff, Professor an der
Universität St. Petersburg. Nach der zweiten Auflage des russischen Werkes
übersetzt von Heinrich Liebmann, Professor an der Techn, Hochschule München.
Mit 7 Figuren. 1912. Geh. # 12.—, in Leinwand geb. A 18.—
Markola Wahrschoinliehkeitsrechnung darf wohl ebenso wia. seine 1896 in deutscher Ober-
setenng erschienene jung das Intoresse einss größeren Losorkreises beanspruchen.
Der Verfasser logt besonderes Gewicht anf die axiomatische Begründung und eingehende Unter-
such über den Geltungsbereich der wichtigsten Bates, ohne die verschiedensten Gebicte der
og (Versicherung, Methode der kleinsten Quadrate, geometrische Wahrscheinlichkeiten
usw.) zu vernachlässigen,
Enzyklopädie der Elementar-Mathematik. Fin Handbuch für Lehrer
und Studierende von H. Weber und J. Wellstein, Professoren an der Universität
Straßburg. In drei Bänden, gr, 8, In Leinwand geb.
IU. Band: Angewandte Elementar-Mathematik. 2. Auflage. In 2 Teilen.
I. Teil: Darstellende Geometrie, graphische Statik, Wahrscheinlich-
keitsrechn politische Arithmetik und Astronomie. Bearbeitet von
3. Wellstein, H. Weber, H. Bleicher und J. Bauschinger. Mit 271 Figuren.
Das Werk ist für bestimmt, der noben fündamentalen Betrachtungen auch cine für `
‚den praktischen Gebrauch nQtallohe, wohlgsorduste Zusammenstellung der wichtigsten
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DIE KULTUR DER GEGENWART
IHRE ENTWICKLUNG UND IHRE ZIELE
HERAUSGEGEBEN VON PROF. PAUL HINNEBERG
„ll Allgemeine Volkswirtschaftslehre
Von Geh.-Rat Prof. Dr. Wilhelm Lexis.
Lex.-8. 1910, Geh. M. 7.-, in Leinw. geb. M. 9.—, in Halbfranz geb. M. 11.—
„Es ist mit besonderer Freude zu begrüßen, daß sich der Göttinger Gelehrte dazu ver-
standen hat, in einem zusammenhängenden erke eine Darstellung der Volkswirtschaftslehre,
der theoretischen Nationalökonomie‘, zu geben, die, weit entfernt von der Zerlassenheit d
historischen Schule, dem Leser ein festes efüge von den Grunderscheinungen und dem Kreis-
lauf der Volkswirtschaft bietet. Sorgsam durchdacht, stellt das Werk die gereifie Frucht eines
langen Gelehrienlebens dar. Ausgezeichnet durch Klarheit und Kürze der Definitionen, wird
die ‚Allgemeine Volkswirtschaftslehre’ von Lexis sicher zu einem der beliedlesten pt e éi
bücher in die Volkswirtschaftsiehre für Studenten, wie aber auch für Praktiker, Geschäftsleute,
Fabrikanten usw. werden, die, mitlen im wirtschaftlichen Gelriebe stehend, das Bedürfnis
empfinden, über die um sie herflutenden wirtschaftlichen Erscheinungen Klarheit zu erhalten.
Kein Einführungsbuch im Sinne von ‚Leitfaden‘, sondern eine zum selbständigen Studium der
Volkswirtschafistheorie völlig ausreichende, den Leser zum starken Nachdenken anregende
Schrift.... Das Werk können wir allen volkswirtschaftlich -theoretisch interessierten Lesern
warm empfehlen." (Zeitsohrift des Vereins der deutsohen Zuokerindustrie.)
Teil: Systematische Rechtswissenschaft
Bearbeitet von
R. Stammler, R. Sohm, K, Gareis, V. Ehrenberg, L. von Bar, L. von Seuffert,
F. von Liszt, W. Kahl, P. Laband, G. Anschütz, E. Bernatzik, F. von Martitz.
2, Auflage. [Unter der Presse.] Lex.-8. 1913.
Geh. ca. M. 14,—, in Leinw. geb. ca. M. 16,-, in Halbfranz geb. ca. M. 18.—
... Hierzu gehört nicht an letzter Stelle auch die Rechtswissenschafl, mit der sich dieser
Teil des Werkes befaßt. Alle Malerien des Rechts finden sich hier in anschaulicher Weise ora
in knapper Form systematisch dargestellt, wie sie sind und wie sie geworden sind, der A
be entsprechend naturgemäß nur in ihren allgemeinen Gran aber mit erschö er
ründlichkeit, so daß auch dem Fernerstehenden ein klarer und vollständiger Überblick 8
die das Rechtsleben beherrschenden Gedanken und seine Ziele ermöglicht wird. Die Namen
unserer ersten Rechtslehrer, welche die Stoffe bearbeitet haben, bieten Gewähr für eine
Vormagende Lösung der Aufgabe.“ (Conrads Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik.)
‚ Als Vorzug aller Verfasser kann knappe, dabei aber erschöpfende und Mlle «ns
leicht verständliche Darstellung des Sioffs hervorgehoben werden. Es ist daher j
bildeten, welcher das Bedürfnis emplindel, sich zusammenfassend über den gegen |
Stand unserer Rechtswissenschaft im Verhältnis zur gesamien Kultur zu en o
schaffung des Werkes warm zu empfehlen." (Blatter für Genossensoha
Til. Allgemeine Rechtsgeschichte und
Geschichte der Rechtswissenschaft
L Die Anfänge des Rechts und das | tums, Mittelalters und der Neuzeit.
Recht der primitiven Völker. Von | Von Prof. Dr. jur. LeopoldWenger.
ge
Geheim, Justizrat Professor Dr. jur. | Il. Das europäische Recht des Alter- kb
Josef Kohler. tums, Mittelalters und der Neuzeit.
IL Das orientalische Recht des Alter- | Von Prot, Dr.jur. Leopold Wenger.
[Unter der Presse.
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Ausführlicher Katalog auf Wunsch umsonst und postfrei vom’ |
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig, Poststr. 3/5 |
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a DIE UNEHELICHKEIT
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VON
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MIT5GRAPHISCHEN DARSTELLUNGEN
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Deutsches Statistisches Zentralblatt
Regierungsrat
Herausgegeben von
Geh. Regierungsrat
Professor
Dr. Joh. Feig Dr. Eug. Würzburger Dr. Friedr. Schäfer
Mitglied
des Kaiserl, Statist.
Amtes in Berlin
des Kgl. sacs, Statistischen
Lan
desamies in Dresden
Dire
des Städtischen, Stafistischen
Amies in Dresden
5. Jahrgang, 1913. Jährlich 10 Hefte. Preis M. 10.— - Einzelne Hefte je M. 1.30.
Bewegung der Bevölkerung.
Todesursachenstatistik.
Bau- und Wohnungsstatistik.
Preis- und Konsumstatistik.
Vermögen und Einkommen.
Grundbesitzsiatistik,
d- und Forstwirtschafts-
statistik (einschl. Viehzähl.).
d reng (einschließ-
lich Be
Statistik der “ttentlichen Ge-
werbebetriebe
Statistik des Bank-, Geld- und
Kreditwesens
Arbeiterstalistik (einschließl.
Sozialversicherung ng).
Versicherungsstatisti
Statistik von Arbeitgebero
nisalionen, Gesellsch fen
und Genossenschaften.
Kirchen- und Konfessions-
statistik.
Wahlstatistik.
D ` der ke hi
. u. d. Kranken
Polizeistatistik (einschließlich
Sicherheitsdienst).
Armenstatistik.
Statistik des Unterrichis- und
Bildungswesens.
Justizstatistik.
Finanzstafistik.
Statistische Sammelwerke.
Sonstige statistische Quellen -
veröffentlichungen,
dé rn n, Geschichte,
heorie, Technik d. Statistik,
hal pflege.
Das dürften alle diejenigen Gebiete sein, deren statistische Bearbeitung far
die Behandlung der zur Diskussion stehenden wichtigst
en Fragen der Volks-
wirtschaft und Politik notwendig und wünschenswert erscheint. Die Heraus-
geber bemühen sich dabei, nicht statistische Tabellen zu geben, sondern die
sultate derselben bis zu einem gewissen Grade sogleich zu verarbeiten,
so daß die an die Statistiken zu knüpfenden Urteile und Folgerungen dem
Leser zum Teil schon in einer Form dargeboten werden, die eine prak-
tischeVerwendung der statistischen Untersuchungen ohne weiteres gestatten.
Ergänzungsheitez.Dtsch.Stat.Zentralblatt
Heft 1: Statistik der Zivilrechtspilege. von Dr. jur. 3 phil.
Max Rusch, [99S.] 1912. Geh.
Die Arbeit gibt eine erstmalige eingehende Darstellung der wissenschaftlichen eren
der Zivilrechtsstatistik, ihres eg en Standes pay allgemeinen und in den einzelnen
Gebieten unter Berücksichtigung der schen Entwickl sowie Vorsch far ihren
weiteren Ausbau unter beson ee ee der Zivilpro tatistik, und eich eine Zu-
sammenfassung der hauptsachlichsten für KEE tin Frage kommenden Ver entlichungen.
Heft 2: Handelsbetriebsstatistik mit besona. Berücksichtigung der
Warenhandelsbetriebe. Von Dr. phil. Alfred Sigerus. [82 S.] 1913. Geh. M.3.60.
Der ersie Teil ist eine Darsiellung der Warenhandelsbetriebe nach den neuesten Fest-
stellungen der gewerblichen Betriebssiatistik, der zweite Teil zieht neue Richtlinien
zum Ausbau der Statistik des Handelsbetriebs.
Heft3: StatistikdesSelbstmordesimKönigreichSachsen.
hi Dr. phil. O. Kürten. Mit 2 Tafeln u. 1 Karte. [145 S.] 1913. Geh. M.5.—.
Verfasser behandell das sozialethisch so bedeuisame Problem des eier in
Ce seinen slalistisch. erlaßbaren Einzelheiten, Er untersucht die Häufigkeit der Selbstmorde
im leie a ee sowie in zeitlicher und räumlicher Entwicklung. Däran schließt sich die Dif-
erung der Masse der Selbstmörder- nach den verschiedenen persönlichen und sachlichen
Momenten und eine Untersuchung der kausalen Beziehungen des Selbsimordes zu anderweiligen
sozialen und wirtschaftlichen Tatsachen und Ereignissen. Eine Reihe von Tabellen, ein Karto-
deren ze über die ee S ur Seibsimordhäufigkeit und zwei graphische Darstellungen von
zeitlicher a lr beigegeben.
die ee Sch des Deutschen Statistischen Zentralblattes
lat 1 Ent T M24, Heft 3 M. 4—,
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ERGANZUNGSHEFTE ZUM
DEUTSCHEN STATISTISCHEN ZENTRALBLATT - HEFT 4
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DIE UNEHELICHKEIT
IM KONIGREICH SACHSEN
VON
DR. GEORG PRENGER
MIT 5 GRAPHISCHEN DARSTELLUNGEN
UND DREI KARTOGRAMMEN
So
VERLAG VON B.G.TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN 1913
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ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Einleitung. Allgemeines und Methodologisches.......... 1
1. Kapitel. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit..... 4
8 1. Unehelichkeitsquote und uneheliche Fruchtbarkeitsziffer des ganzen
Landes 3.020 Keen SM ee Bk ar 4
§ 2. Unehelichkeitaquote in den Kreishauptmannschaften seh Gee Oe es Oe 8
§ 3. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit nach Stadt und Land 10
§ 4. Kurzer Vergleich mit einigen anderen Bundesstaaten . ...... 15
2. Kapitel. DieUnehelichkeitin denkleinsten Verwaltungsbezirken 16
8 1. Unehelichkeitsquote und uneheliche Fruchtbarkeitszitfer für den
Jahresdurchschnitt der Periode 1890—99. . u a 2 2 2 2220. 16
§ 2. Scheidung der Quoten aus der Periode 1890—99 nach Stadt und
Land und Vergleich mit der Periode 1900—09. ...... ua 29
3. Kapitel. Die unehelichen Totgeburten.............. 31
§ 1. Einleitende Bemerkungen. ........ Nr ren 31
§ 2. Zeitliche Entwicklung der unehelichen Totgeburten. ....... 82.
§ 3. Die unehelichen Totgeburten in den Amtshauptmannschaften während
der Periode 1890—99 mit der Scheidung nach Stadt und Land . . 34
$ 4. Die unehelichen Totgeburten in den Amtshauptmannschaften in der
Periode 1900—09 und ein Vergleich der Jahrzehnte 1890—99 und
1900-092: 2 4 u a we ee cn Br a ... 87
4. Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit ........ 40
§ 1. Die zeitliche Entwicklung ........2.2.2.2.2..204.2. 40
§ 2. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit in den Amtshauptmannschaften
für die Perioden 1880—89 und 1891—1900. . ......2... 45
§ 8. Die Lebensbedrohung während des ersten Lebensjahres in seinen
verschiedenen Stadien . . . 2 2 0 0 em rn re ren 48.
$ 4. Die Sterblichkeit der unehelichen Kinder bis zum fünften Lebensjahre 52
6. Kapitel. Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe derEltern 53
§ 1. Kritik des Materials und gesetzliche Grundlagen der Legitimationen 53
§ 2. Die Legitimationen in der Periode 1865—70........... 56
§ 3. Die Legitimationen in der Periode 1904—10........... 60
6. Kapitel. Kommunalstatistik der Stadt Dresden über das Un-
ehelichkeitsproblem..........2.2...2+4+4+.46.4. 66
' § 1. Die Legitimationen in der Stadt Dresden .........2... 66
§ 2. Die Miitter der in der Stadt Dresden unehelich geborenen Kinder
nach Bernt und Alter so s NEEN 69
§ 3. Die vorehelichen Schwängerungen in der Stadt Dresden. . .... 72
7. Kapitel, Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlußfolge-
PUTS OM s boi es der sa re ie a ae er 77
8. Kapitel. Bestandesstatistik der Unehelichen.......... 89
Anhang: Tabellen........... SE ee ee 91
Graphische Darstellungen.
Kartogramme.
Literaturverzeichnis.
G. v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre. Bd. 2. Bevölkerungsstatistik. Bd. 3.
Sozialstatistik. Teil 1. Moralstatistik.
Schnapper-Arndt, Sozialstatistik. (Vorlesungen über Bevölkerungslehre, Wirt-
schafts- und Moralstatistik, herausg. von L. Zeitlin.) Leipzig 1908.
A.v. Öttingen, Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine Sozialethik.
8. Aufl. Erlangen 1882.
A. Frh. v. Fircks, Bevölkerungslehre und -politik.
Fr. Prinzing, Handbuch der medizinischen Statistik, Jena.
Horn, Bevölkerungswissenschaftliche Studien aus Belgien, Leipzig 1854.
O. v. Zwiedineck-Südenhorst, Die Illegitimität in Steiermark (Stat. Monats-
schrift, 21. Jahrg., 1895).
Fr. Lindner, Die unehelichen Geburten als Sozialphänomen. Ein Beitrag zur
Statistik der Bevölkerungsbewegung im Königreich Bayern. (Wirtschafts- und
Verwaltungsstudien, herausg. v. G. Schanz, 7. Bd.)
Rubin u. Westergaard, Statistik der Ehen, Jena 1891.
O. Spann, Die Stiefvaterfamilie unehelichen Ursprungs. Zugleich eine Studie
zur Methodologie der Unehelichkeits-Statistik. (Zeitschrift für Sozialwissen-
schaft 1904.)
O. Spann, Die geschlechtlich-sittlichen Verhältnisse im Dienstboten- und Ar-
beiterinnenstande. (Zeitschr. für Sozialwissenschaft 1904.)
H. Neumann, Die unehelichen Kinder in Berlin.
E. Mischler, Art., Uneheliche Geburten, im Wörterbuch der Volkswirtschaft,
Jena 1898.
K. Neumann, Die unekelichen Kinder in Berlin und ihr Schutz (Jahrb. f. Nat.
u. Stat., 3. F., 7. Bd., Jena 1894).
E. Würzburger, Zur Statistik der Legitimationen unehelicher Kinder (Jahrb. f.
Nat. u. Stat., 3. F., 18. Bd., Jena 1899).
Dr. Schneider, Voreheliche Schwängerung in Dresden (Jahrb. f. Nat. u. Stat.,
3. F., 10. Bd.).
M. Marcuse, Uneheliche Mütter (Großstadtdokumente, 27. B.).
J. Forberger, Moralstatistik des Königreichs Sachsen, Halle 1912.
F. Braedt, Das Sparkassenwesen im Königr. Sachsen. (Zeitschrift f. die Ges.
Staatsw. 44. Ergänzungsh.)
Zeitschrift des Königl. Siichs. Stat. Bureaus (alle Jahrgänge).
Statistisches Jahrbuch des Königreichs Sachsen (alle Jahrgänge).
Statistisches Jahrbuch der Stadt Dresden (Jahrg. 1900—10).
Einleitung.
Allgemeines und Methodologisches.
Die erste soziale Differenzierung, der die Masse der Geborenen
unterworfen wird, ist die Scheidung in eheliche und uneheliche Kinder.
Die Unehelichkeit der Geburt als Massenerscheinung ist schon frühzeitig
in ihrer Bedeutung erkannt und daher auch besonders statistisch aus-
gewiesen worden. Mit Recht sagt G. v. Mayr in seiner „Bevölkerungs-
statistik“, daß diese Unterscheidung der Geburtenmasse die bedeutsamste
soziale Differenzierung der Geborenen ist; denn nach der heute noch
überwiegenden Auffassung der Gesellschaft ist die Bevölkerungserneue-
rung nur dann als sittlich normal zu bezeichnen, wenn sie innerhalb
des Instituts der Ehe erfolgt. Nun ist es aber allgemein bekannt, daß
stets ein gewisser, zeitlich und räumlich unter Umständen sehr ver-
schiedener Prozentsatz der Geborenen nicht dem ehelichen Geschlechts-
verkehr das Leben verdankt. Und wenn auch das Vorurteil gegen die
schuldlosen Früchte des außerehelichen Geschlechtsverkehrs heutzutage
wohl in allen Bevölkerungsschichten ziemlich erheblich gegen früher
abgeschwächt ist, so ist es doch nach vielen Richtungen hin für den
einzelnen von nicht zu unterschätzender Bedeutung, ob er ehelich ge-
boren oder einer Verbindung entsprungen ist, die von der Gesellschaft
perhorresziert wird. Aber nicht nur für den einzelnen gewinnt die Ehe-
lichkeit oder Unehelichkeit seiner Geburt Bedeutung, sondern die Un-
ehelichkeit als Massenerscheinung ist auch ein Problem, das Staat und
Gesellschaft in sittlicher und volkswirtschaftlicher Hinsicht stark inter-
essieren muß. Levasseur weist in seinem Buche „La Population francaise“
darauf hin, daß durch einen größeren Bestand an Unehelichen die Quali-
tät der Gesellschaft herabgesetzt erscheint. O. Spann sagt zu dieser
Frage: „Die Unehelichkeit ist in funktioneller Hinsicht jene Art der
Bevölkerungserneuerung, mit der ihrem Begriffe nach eine Degeneration
im sozialen Körper verbunden ist.“
Ohne uns nun bereits jetzt auf eine Diskussion über die Beurtei-
lung dieser anormalen Bevölkerungserneuerung einlassen zu wollen,
möchten wir doch gleich an dieser Stelle noch darauf hinweisen, daß
die unehelichen Geburten in ethischer und sozialer Beziehung sehr ver-
schieden zu werten sind; es fällt sehr bedeutend ins Gewicht, was für
Prenger, Unehelichkeit 1
2 Einleitung. Allgemeines und Methodologisches
einer Art von auBerehelicher Verbindung die Kinder entstammen. In
Anlehnung an G. v. Mayr, der in seiner „Bevölkerungsstatistik“ 4, in
seiner „Moralstatistik“ dagegen 6 Gruppen bildet, möchten wir folgen-
dermaßen unterscheiden:
1. Die aus wilder Geschlechtsausschweifung herstammenden Früchte
unbekannter Väter.
2. Die aus zeitlich begrenzten Verbindungen herrührenden Kinder,
die auf irgendeine Weise — ob mit oder ohne Zwang — einiger väter-
licher Fürsorge sicher sind oder bei denen diese Fürsorge durch Stief-
vaterfamilie unehelichen Ursprungs ersetzt wird.
3. Die aus dauernden, zur Eheschließung führenden Verbindungen
herstammenden Kinder, deren Legitimation also in sicherer Aussicht steht.
Als besondere Gruppe der Geborenen sind dann die zu betrachten,
die zwar ehelich geboren, aber vorehelich konzipiert sind. Einer Aus-
sonderung nach diesem letzten Gesichtspunkte hin steht kein prinzi-
pielles Hindernis entgegen. Man braucht nur die erstgeborenen Kinder
aus der Geburtenmasse auszusondern und die Zeit ihrer Geburt mit dem
Zeitpunkt der Eheschließung der Eltern zu vergleichen. Diese vorehe-
lichen Schwängerungen werden hier in einem besonderen Abschnitt be-
handelt werden.
Was die drei anderen Gruppen anbetrifft, so ist es ohne weiteres
einleuchtend, daß es ganz unmöglich ist, nach diesen Gesichtspunkten
die gesamte uneheliche Geburtenmasse zu sondern. Jedenfalls aber ist
es nötig, sich dieser doch immerhin ganz bedeutsamen Unterscheidungen
bewußt zu sein und sie besonders bei der sittlichen Wertung des Un-
ehelichkeitsproblems heranzuziehen.
Über die Gewinnung des Urmaterials sei kurz folgendes bemerkt:
Auf die Statistik der Bestandesmassen, die leider noch sehr unvollkom-
men ist, kommen wir im Schlußkapitel zu sprechen; und dort werden
wir auch über die Gewinnung des Urmaterials hierzu die nötigen Unter-
lagen geben. Die Aufnahme der Bewegungsmassen geschah früher mit
Hilfe der Kirchenbücher. Diese Art der Erhebung konnte aber mit der
Zeit den Anforderungen, die an eine genaue Statistik gestellt werden
müssen, nicht mehr genügen. Wiederholt wurde auf die Mängel, die in
dem System der Kirchenzettel liegen, hingewiesen, und demzufolge wur-
den auch im Laufe der Zeit einige Verbesserungen und Vervollständi-
gungen vorgenommen. Aber erst mit dem Personenstandsgesetz vom
Jahre 1875 ist eine Öffentlich-rechtliche Personenstandsaufnahme ge-
schaffen worden, die wohl einen Anspruch auf vollständige Erfassung
der Geburten machen kann. Über das Material, das uns die amtliche
Statistik mit Hilfe der eben genannten Erhebungsarten liefert, schicken
wir jedesmal am Beginn des betreffenden Kapitels einige Bemerkungen
voraus, so daß sich hier eine allgemeine Besprechung und Kritik er-
übrigt.
Soziale Differenzierung der Unehelichen und Methodenfragen 3
Was nun die Methodenfrage zur Messung der Unehelichkeit anbe-
trifft, so haben wir zur Aufarbeitung des Materials über den zu behan-
delnden Gegenstand folgende Methoden:
1. Berechnung der unehelichen Geburtenziffer, wie G. v. Mayr sie
nennt; dies ist die Beziehung der unehelichen Geburten einer Jahres-
zeitstrecke auf den gesamten mittleren Bevölkerungsstand.
2. Die Berechnung der Unehelichkeitsquote; dies ist die Inbeziehung-
setzung der unehelichen Geburten zu den Geburten überhaupt.
3. Die Berechnung der unebelichen Fruchtbarkeitsziffer: Beziehung
der unehelichen Geburten auf die ledigen oder verheiratet gewesenen
gebärfähigen Frauen.
4. Eine Berechnungsweise von Dr. M. Ertl!), die G. v. Mayr „etwas
gekünstelt“ findet und die O. v. Zwiedineck-Siidenhorst als identisch
findet mit der unter 3. genannten Berechnungsmethode.
Die 1. Methode wird wohl heutzutage allgemein als zu roh und
als unzulänglich erkannt; wir werden deshalb auch keinen Gebrauch
davon machen, ebenso von der 4. nicht. Was die 2. Methode anbe-
trifft, so ist sie den folgenden Ausführungen allgemein zugrunde ge-
legt. Leider gestattet uns die Unzulänglichkeit des Materials nicht,
auch die 3. Methode allgemein zur Ergänzung der 2. heranziehen zu
können; von der 3. Methode sagt Conrad in dem 4. Teil seines Grund-
risses, daß erst sie höheren Ansprüchen genügen könne. Nur in zwei
Fällen bietet sich uns Gelegenheit zu ihrer ergänzenden Betrachtung.
Wir sind uns wohl bewußt, daß die Unehelichkeitsquote manchmal zur
Erkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse unzulänglich ist und leicht
zu Fehlschlüssen verführen kann. Dies liegt daran, daß ihre Höhe stets
abhängig ist von der Zahl der ehelichen Geburten. Bei der unehelichen
Fruchtbarkeitsziffer besteht dieser Mangel nicht, und wir halten sie in
der Tat in vielen Fällen für geeigneter zur Messung der Unehelichkeit.
Wo ihre Berechnung für uns unmöglich war, werden wir daher doppelte
Vorsicht im Urteil über die zutage tretenden Erscheinungen üben müs-
sen. Da wir ja aber hauptsächlich im folgenden Vergleiche der Unehe-
lichkeitsquoten der einzelnen Landesteile vornehmen und der gleiche
Mangel sich bei allen fühlbar macht, glauben wir doch, daß auch die
Unehelichkeitsquote allein zu Schlußfolgerungen aus den gewonnenen
Resultaten genügen wird.
Wir haben uns gleich, bevor wir in unsere Untersuchungen einge-
treten sind, über die Frage der Methode zur Messung der Unehelichkeit
auseinandergesetzt, da hier entsprechend den verschiedenen Methoden
noch große Meinungsverschiedenheiten herrschen. Die anderen Be-
ziehungszahlen, die wir im folgenden verwenden werden — Totgeburten-
quote, Säuglingssterblichkeitsziffer und Legitimationsziffer — sind aller-
1) Siehe Stat. Monatsschrift, 13. Jahrg.
2 Einleitung. Allgemeines und Methodologisches
einer Art von außerehelicher Verbindung die Kinder entstammen. In
Anlehnung an G. v. Mayr, der in seiner „Bevölkerungsstatistik“ 4, in
seiner „Moralstatistik“ dagegen 6 Gruppen bildet, möchten wir folgen-
dermaßen unterscheiden:
1. Die aus wilder Geschlechtsausschweifung herstammenden Früchte
unbekannter Vater.
2. Die aus zeitlich begrenzten Verbindungen herrührenden Kinder,
die auf irgendeine Weise — ob mit oder ohne Zwang — einiger väter-
licher Fürsorge sicher sind oder bei denen diese Fürsorge durch Stief-
vaterfamilie unehelichen Ursprungs ersetzt wird.
3. Die aus dauernden, zur Eheschließung führenden Verbindungen
herstammenden Kinder, deren Legitimation also in sicherer Aussicht steht.
Als besondere Gruppe der Geborenen sind dann die zu betrachten,
die zwar ehelich geboren, aber vorehelich konzipiert sind. Einer Aus-
sonderung nach diesem letzten Gesichtspunkte hin steht kein prinzi-
pielles Hindernis entgegen. Man braucht nur die erstgeborenen Kinder
aus der Geburtenmasse auszusondern und die Zeit ihrer Geburt mit dem
Zeitpunkt der Eheschließung der Eltern zu vergleichen. Diese vorehe-
lichen Schwängerungen werden hier in einem besonderen Abschnitt be-
handelt werden.
Was die drei anderen Gruppen anbetrifft, so ist es ohne weiteres
einleuchtend, daß es ganz unmöglich ist, nach diesen Gesichtspunkten
die gesamte uneheliche Geburtenmasse zu sondern. Jedenfalls aber ist
es nötig, sich dieser doch immerhin ganz bedeutsamen Unterscheidungen
bewußt zu sein und sie besonders bei der sittlichen Wertung des Un-
ehelichkeitsproblems heranzuziehen.
Über die Gewinnung des Urmaterials sei kurz folgendes bemerkt:
Auf die Statistik der Bestandesmassen, die leider noch sehr unvollkom-
men ist, kommen wir im Schlußkapitel zu sprechen; und dort werden
wir auch über die Gewinnung des Urmaterials hierzu die nötigen Unter-
lagen geben. Die Aufnahme der Bewegungsmassen geschah früher mit
Hilfe der Kirchenbücher. Diese Art der Erhebung konnte aber mit der
Zeit den Anforderungen, die an eine genaue Statistik gestellt werden
müssen, nicht mehr genügen. Wiederholt wurde auf die Mängel, die in
dem System der Kirchenzettel liegen, hingewiesen, und demzufolge wur-
den auch im Laufe der Zeit einige Verbesserungen und Vervollständi-
gungen vorgenommen. Aber erst mit dem Personenstandsgesetz vom
Jahre 1875 ist eine Öffentlich-rechtliche Personenstandsaufnahme ge-
schaffen worden, die wohl einen Anspruch auf vollständige Erfassung
der Geburten machen kann. Über das Material, das uns die amtliche
Statistik mit Hilfe der eben genannten Erhebungsarten liefert, schicken
wir jedesmal am Beginn des betreffenden Kapitels einige Bemerkungen
voraus, so daß sich hier eine allgemeine Besprechung und Kritik er-
übrigt.
Soziale Differenzierung der Unehelichen und Methodenfragen 3
= Was nun die Methodenfrage zur Messung der Unehelichkeit anbe-
trifft, so haben wir zur Aufarbeitung des Materials über den zu behan-
delnden Gegenstand folgende Methoden:
1. Berechnung der unehelichen Geburtenziffer, wie G. v. Mayr sie
nennt; dies ist die Beziehung der unehelichen Geburten einer Jahres-
zeitstrecke auf den gesamten mittleren Bevölkerungsstand.
2. Die Berechnung der Unehelichkeitsquote; dies ist die Inbeziehung-
setzung der unehelichen Geburten zu den (eburten überhaupt.
3. Die Berechnung der unebelichen Fruchtbarkeitsziffer: Beziehung
der unehelichen Geburten auf die ledigen oder verheiratet gewesenen
gebärfähigen Frauen.
4. Eine Berechnungsweise von Dr. M. Ertl’), die G. v. Mayr „etwas
gekünstelt“ findet und die O. v. Zwiedineck-Südenhorst als identisch
findet mit der unter 3. genannten Berechnungsmethode.
Die 1. Methode wird wohl heutzutage allgemein als zu roh und
als unzulänglich erkannt; wir werden deshalb auch keinen Gebrauch
davon machen, ebenso von der 4. nicht. Was die 2. Methode anbe-
trifft, so ist sie den folgenden Ausführungen allgemein zugrunde ge-
legt. Leider gestattet uns die Unzulänglichkeit des Materials nicht,
auch die 3. Methode allgemein zur Ergänzung der 2. heranziehen zu
können; von der 3. Methode sagt Conrad in dem 4. Teil seines Grund-
risses, daß erst sie höheren Ansprüchen genügen könne. Nur in zwei
Fällen bietet sich uns Gelegenheit zu ihrer ergänzenden Betrachtung.
Wir sind uns wohl bewußt, daß die Unehelichkeitsquote manchmal zur
Erkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse unzulänglich ist und leicht
zu Fehlschlüssen verführen kann. Dies liegt daran, daß ihre Höhe stets
abhängig ist von der Zahl der ehelichen Geburten. Bei der unehelichen
Fruchtbarkeitsziffer besteht dieser Mangel nicht, und wir halten sie in
der Tat in vielen Fällen für geeigneter zur Messung der Unehelichkeit.
Wo ihre Berechnung für uns unmöglich war, werden wir daher doppelte
Vorsicht im Urteil über die zutage tretenden Erscheinungen üben müs-
sen. Da wir ja aber hauptsächlich im folgenden Vergleiche der Unehe-
lichkeitsquoten der einzelnen Landesteile vornehmen und der gleiche
Mangel sich bei allen fühlbar macht, glauben wir doch, daß auch die
Unehelichkeitsquote allein zu Schlußfolgerungen aus den gewonnenen
Resultaten genügen wird.
Wir haben uns gleich, bevor wir in unsere Untersuchungen einge-
treten sind, über die Frage der Methode zur Messung der Unehelichkeit
auseinandergesetzt, da hier entsprechend den verschiedenen Methoden
noch große Meinungsverschiedenheiten herrschen. Die anderen Be-
ziehungszahlen, die wir im folgenden verwenden werden — Totgeburten-
quote, Säuglingssterblichkeitsziffer und Legitimationsziffer — sind aller-
1) Siehe Stat. Monatsschrift, 13. Jahrg.
A Erstes Kapitel. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit
seits anerkannt, und bei ihnen bedarf es auch keiner Auswahl aus ver-
schiedenen Methoden. Deshalb wollen wir sie hier auch nicht näher be-
sprechen und erläutern, sondern dies an der Stelle tun, wo sie erstmalig
zur Anwendung gelangen.
Erstes Kapitel.
Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit.
§ 1. Unehelichkeitsquote und uneheliche Frachtbarkeitsziffer
des ganzen Landes.
Im Königreich Sachsen sind die unehelichen Geburten bis zum
Jahre 1827 zurückzuverfolgen. Nur so weit geht die amtliche Statistik
zurück, und leider gibt es auch anderswo keine Nachweise über die Zahl
der unehelichen Geburten früherer Jahre. Es ist dies sehr zu bedauern
schon aus dem Grunde, weil eine möglichst lange Entwicklungsreihe
gerade bei unserer Untersuchung sehr wünschenswert wäre, um die Ten-
denzen in der Entwicklung der Unehelichkeit zu erkennen. Von beson-
derem Interesse wäre es bei unserem Problem zu erfahren, wie die Ver-
hältnisse ın früheren Zeiten, speziell im 18. Jahrhundert, gewesen sind.
Gerade das Königreich Sachsen mit seiner hohen Unehelichkeit!) regt
diese Frage besonders an. Doch halten wir uns angesichts dieses emp-
findlichen Mangels an das uns vorliegende Material.
Die Zahl der unehelichen Geburten betrug in den folgenden Jahr-
fünften:
1831—35 41722 1851—55 57205 1871-75 77329 1891—95 94055
1836—40 46735 1856—60 58672 1876—80 81505 1896—00 104082
1841—45 53505 1861—65 73471 1881—85 87293 1901—05 100078
1846—50 58504 1866--70 74830 1886—90 91702 1906—10 102514
Während also im Jahrfünft 1831—35 durchschnittlich jährlich
8344,4 uneheliche Kinder geboren wurden, wuchs diese Zahl bis zur
Zeit 1906—10 auf jährlich 20502,8; die Zahl der unehelichen Geburten
ist also innerhalb dieses Zeitraumes fast genau um das 21 foche ge-
stiegen. Wie sich die Entwicklung von Jahr zu Jahr gestaltet hat, zeigen
in aller Ausführlichkeit und in Differenzierung nach Lebend- und Tot-
geborenen, ehelich und unehelich Geborenen und nach dem Geschlecht
die Tabellen 1, 2 und 3 des Anhangs. Aus diesen Angaben ergibt sich
nun durch die Inbeziehungsetzung der unehelichen Geburten zu den Ge-
burten überhaupt die Unehelichkeitsquote. Ihre zeitliche Entwicklung
von 1827 an zeigt die Tabelle 4. Zu ihrer Veranschaulichung haben wir
die graphische Darstellung Nr.1 entworfen, die gleichzeitig noch Auf-
1) Vergleich mit den übrigen Bundesstaaten s. § 4 dieses Kapitels.
Unebelichkeitsquote des ganzen Landes 5
schluB gibt über die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeitsquoten der
Kreishauptmannschaften, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen.
Im einzelnen läßt sich folgende Schilderung vom Verlaufe der Unehe-
lichkeitsquote Sachsens geben.
Mit dem Jahre 1829 setzt ein nur durch 2 Ausnahmen unterbrochenes
Steigen der Quote von 11,57°, auf 15,52°/, im Jahre 1846 ein. Inner-
halb eines Zeitraums von 17 Jahren wächst also die Quote um rund 4°%
Die Jahre, die diese stetige Aufwärtsbewegung unterbrechen, sind 1834,
wo gegen das Vorjahr ein Sinken um 0,76°/ eintritt, und 1844, wo die
Quote gegen das Vorjahr sogar um 1,20°, nachgibt. Die absoluten
Zahlen zeigen 1834 einen Rückgang von 400, 1844 von 398 unehelichen
Geburten, während die ehelichen Geburten in beiden Fällen zugenommen
haben. Dem Tiefstande beider Jahre folgt ein um so rascheres An-
schwellen der Quote. Sucht man nach einer Erklärung für diese auf-
fällige Tatsache, so kann man sie vielleicht zum Teil darin finden, daß
die Vorjahre 1833 und 1843 ausgesprochene Krisen- resp. Teuerungs-
jahre waren. Die schon oft gehörte Behauptung, daß die uneheliche
Geburtenhäufigkeit auf solche wirtschaftlichen Notjahre besonders emp-
findlich reagiert, würde hierdurch einen neuen Beleg erfahren. Wie aus
der Geschichte der Krisen bekannt sein dürfte, waren auch die Jahre
1847 und 1852 Jahre mehr oder weniger anhaltenden wirtschaftlichen
Tiefstandes. Auch hier könnte man diesem einen Einfluß auf die darauf
folgenden Jahre 1848 und 1853, wo die Quote gegen die Vorjahre auf-
fällig nachläßt, zuschreiben, wenn auch in diesen Fällen das Sinken der
Quote nicht eine stetige Aufwärtsbewegung wie die oben geschilderte
unterbricht. Vielmehr scheint das Jahr 1846 mit 15,52°/, einen gewissen
Höchststand gebracht zu haben, von dem die Quote mit Ausnahme der
plötzlichen großen Rückschläge im allgemeinen langsam wieder herabsinkt.
Mit dem Jahre 1853, wo die Quote 13,71%, beträgt, setzt dann eine
neue Phase der Entwicklung ein: Ein sprunghaftes, rapides Steigen von
Jahr zu Jahr, bis im Jahre 1858 mit rund 16%, das Maximum der Lan-
desquote erreicht wird. Unter mehrfachen Oszillationen in den nächsten
Jahren werden dann noch zweimal sehr hohe Quoten erreicht, 1863 mit
15,79% und 1866 mit 15,80%.
Das Jahr 1866 bedeutet nun abermals einen Wendepunkt, und zwar
eine Umkehr zu dauernder, entschiedener Besserung der Verhältnisse.
Das Sinken der Quote im Jahre 1867 um 1,13% gegen das vorher-
gehende Jahr ist sicher wohl zum Teil den kriegerischen Ereignissen
des Jahres 1866 zuzuschreiben, die dem Lande viele junge unverheiratete
Männer entzogen haben. Auch der Rückgang der ehelichen Geburten im
Jahre 1867 deutet auf diese Erklärung hin. Der Rückgang der unehe-
lichen Geburten ist aber relativ viel stärker; und während nach Beendi-
gung des Krieges die Zahl der ehelichen Geburten so schnell steigt, daB
der alte Stand sogar 1868 bereits überholt wird, ist dies bei den unche-
6 Erstes Kapitel. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit
lichen Geburten keineswegs der Fall. Diese Tatsache legt die Frage nahe,
ob hier nicht noch ein anderer anhaltenderer Einfluß maßgebend ge-
wesen sein kann. Und in der Tat glauben wir auf Grund einer Bemer-
kung in der Zeitschrift des Königl. Sächs. Stat. Bureaus einen solchen
namhaft machen zu können. Es wurde danach zu dieser Zeit ein neues
Militärgesetz erlassen, das einerseits die Herabsetzung der Dienstzeit auf
die Hälfte verfügte, allerdings andrerseits die Effektivstärke des Heeres
verdoppelte. Es ist ja nun klar, daB diese beiden Maßnahmen in ge-
wisser Beziehung in entgegengesetzter Richtung zu wirken geeignet
waren. Auf der einen Seite wurden die zum Dienst eingezogenen Leute
auf viel kürzere Zeit einer Heiratsmöglichkeit entzogen, andrerseits aber
war die Zahl der zur vorläufigen Heiratsentsagung gezwungenen be-
trächtlich größer. Nun ist es aber wohl doch ein Unterschied, ob eine
geringere Anzahl unverheirateter Männer für längere Zeit von einer Ehe-
schlieBung ausgeschlossen sind, oder ob dies bei mehr, dabei aber bei
jüngeren Männern für kürzere Zeit der Fall ist. Außerdem haben wir
absichtlich gesagt, daB sich beide Maßnahmen nur in gewissem Maße
aufheben könnten. Denn die zum Militär eingezogenen jungen Leute
haben doch in der strengen militärischen Zucht oft nicht so leicht die
Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr als in dem ungebundenen Leben,
das sie sonst führen. Wägt man daher beide MaBnahmen in ihrem Ein-
fluß auf eine hohe Unehelichkeit gegeneinander ab, so neigt sich die
Schale doch wohl bedeutend zugunsten einer mindernden Tendenz der
neuen Militärgesetzgebung. Dieses Sinken der Quote, mag man es nun
ganz diesem Gesetz zuschreiben oder mögen auch noch andere Einflüsse
sich geltend machen, ist derart nachhaltig, daß vom Jahre 1869 an, ab-
gesehen von der neuesten Zeit, die 14%, gar nicht mehr und sogar die
13%, nur noch sehr selten überschritten werden. Von mehrfachen kleinen
Schwankungen abgesehen sinkt die Quote nämlich bis zum Minimum
von 12,26%, das im Jahre 1890 erreicht wird. Bis zum Jahre 1896
läßt sich hierauf ein leises Anschwellen der Quote feststellen, dem bis
zum Jahre 1903 wieder ein fast ebenso kleines Sinken folgt.
Dann aber setzt eine überraschende Entwicklung ein: Es beginnt
ein ganz stetiger, zum Teil sehr schneller Aufstieg der Quote derart,
daß 1904 nach langer Zeit wieder die 13°, überschritten werden und
bereits 1907 sogar die 14%. Im Jahre 1909 beträgt die Quote schon
14,83%, und 1910 gar 14,93°,,, so daß ihr jetziger Stand zwischen dem
der Jahre 1866 und 1867 liegt. Im letzten Jahre ist zwar die absolute
Zahl der unehelich Geborenen um 867 gegen das Vorjahr zurückgegangen,
und der höchste Stand fällt mit 21143 sogar bereits in das Jahr 1899,
aber man kann wohl trotzdem von einer steigenden Tendenz, wenigstens
aber von einer Konstanz der Zahlen auch bis in die jüngste Zeit hinein
sprechen. Das letzte schnelle Aufsteigen der Quote ist demnach das Re-
sultat einer Zunahme resp. Konstanz der unehelichen Geburten und eines
Unehelichkeitsquote des ganzen Landes 7
schon 1900 einsetzenden Riickganges der absoluten Zahl der ehelichen
Geburten; während nämlich 1900 noch 143351 eheliche Kinder geboren
wurden, beträgt diese Zahl im Jahre 1910 nur noch 114584.
Um noch einmal kurz die Haupttendenzen dieser Entwicklung der
Unehelichkeitsquote Sachsens zusammenzufassen, so lassen sich 4 Phasen
unterscheiden:
1. Anschwellen der Quote von 11,57% im Jahre 1829 bis zum
Jahre 1846 auf 15,52%.
2. Schwanken bis zum Maximum im Jahre 1858: 15,98%, und bis
zum wenig geringeren Höchststande vom Jahre 1866: 15,80%.
3. Erst mehr oszillierendes, dann immer mehr und mehr stetiges
Sinken bis zum Minimum von 12,26°%, im Jahre 1890 und bis zum
wenig höheren Stande von 12,51%, im Jahre 1903.
4. Schnelles Steigen bis zur Gegenwart: 14,93%, im Jahre 1910.
Ergänzend zu diesem Bilde der Unehelichkeitsquote betrachten wir
kurz die Entwicklung der unehelichen Fruchtbarkeitsziffer; sie steht uns
erst vom Jahre 1864 an zur Verfügung. Ein allerdings unzulänglicher
Ersatz ist uns in der allgemeinen Fruchtbarkeitsziffer gegeben, die da-
durch zustande kommt, daß man auf die gebärfähigen Frauen überhaupt,
ohne Unterschied des Familienstandes, die Geburten überhaupt bezieht.
Die graphische Darstellung Nr. 2, die die Ziffern der Tabelle 5 veran-
schaulicht, zeigt ihren Verlauf vom Jahre 1833 ab, ebenso den Verlauf
der ehelichen und den der unehelichen Fruchtbarkeitsziffer vom Jahre
1264 ab. Danach kommen im Jahre 1864 auf 1000 ledige oder ver-
heiratet gewesene (d. h. verwitwete und geschiedene) Frauen 50,5 un-
eheliche Geburten. Die Entwicklung dieser Ziffer ist von da ab nun
folgende: Sie steigt zunächst noch bis zu ihrem Maximum im Jahre
1866, das mit dem Stande von 54,9 %,, erreicht wird. Dann setzt
analog der Unehelichkeitsquote eine rückläufige Bewegung ein, für die
wir wohl dieselben Gründe wie bei der Unehelichkeitsquote geltend
machen können: Einwirkung des Krieges und der neuen Militärgesetz-
gebung. 1871 erreicht die Ziffer ein Minimum von 43,4 °,,. Das plötz-
liche Nachlassen um 5,3 %,, ist auf die Einwirkung des Deutsch-Fran-
zösischen Krieges zurückzuführen. Im Jahre 1873 wird dann mit
52,3 %,, nochmals ein Maximum erreicht; von da ab aber ist ein Stand
der Ziffer über 50 %,, nur noch selten. Vielmehr bewegt sie sich in den
nächsten Jahren bis 1889 ziemlich unregelmäßig auf und ab zwischen
47%) und 50 %,. Das Jahr 1890 bringt einen Rückgang von fast 3%,»
und nach einem kleinen Anschwellen der Ziffer im nächsten Jahre auf
46,1 °/,, bleibt sie vom Jahre 1892 bis 1896 zwischen 43 und 44 Ta,
Im Zeitraum 1896—99 steigt sie ein wenig, und vom Jahre 1900 an
beginnt dann ein langsames, fast stetiges Sinken der Ziffer bis auf rund
38° 9. Diesen Stand behält sie von 1905—09 im ganzen bei, bis im
letzten Jahre abermals ein Rückgang eintritt auf 35,8 °/,.
8 Erstes Kapitel. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit
Hiernach ergibt sich im groBen und ganzen, wie die graphische
Darstellung veranschaulicht, folgendes Bild der Entwicklung der unehe-
lichen Fruchtbarkeitsziffer:
1. Von 1864—73 unregelmäßiges Auf- und Niedersteigen.
2. Von 1874—98 langsames, fast stetiges Zurückgehen mit Perio-
den von fast konstantem Stande der Ziffer.
3. Schnelleres Sinken von 1898—1905 um fast 8 ^o-
4. Stationäres Verhalten bis 1909 und Nachlassen im Jahre 1910
um 1,7 %o-
Dies zeigt deutlich, daß die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer im Laufe
ihrer Entwicklung keinen großen Schwankungen unterworfen gewesen
ist, sondern daß sie all die Jahre hindurch eine kleine sinkende Tendenz
aufzuweisen hat. Eine ganz andere Entwicklung dagegen finden wir bei
der ehelichen Fruchtbarkeitsziffer, die wir zum Vergleich kurz heran-
ziehen wollen. Die graphische Darstellung spricht eigentlich für sich
selbst, daher wollen wir nur bemerken, daß die eheliche Fruchtbarkeits-
ziffer im Jahre 1876 ihren Höhepunkt erreicht hat und von da ab fast
stetig, zuerst langsam, dann immer schneller und schneller zurückgeht,
so daß sie im Zeitraum 1886-1910 um mehr als 100 %,, gefallen ist.!)
Berücksichtigen wir diesen Umstand, so können wir uns auch den
scheinbaren Widerspruch erklären, der darin gefunden werden könnte,
daß die Unehelichkeitsquote in den letzten Jahren stark gestiegen ist,
während sich die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer fast stationär verhält.
Es ist das starke Ansteigen der Quote darin zu suchen, daß ja hier die
sehr im Rückgang begriffenen ehelichen Geburten mit in Rechnung ge-
setzt werden, während die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer hiervon un-
abhängig ist. Letztere ist also wohl geeignet, das richtigere Bild von
der Unehelichkeit zu geben. Man hat sich bei der Unehelichkeitsquote
immer vor Augen zu halten, was sie besagen will, und dann zeigt ihre
zeitliche Entwicklung allerdings in der Neuzeit erheblich schlechtere
Verhältnisse als früher an.
§ 2. Unehelichkeitsquote in den Kreishauptmannschaften.
Wir wenden uns nun zur Betrachtung der Unehelichkeitsquote in
den einzelnen Landesteilen, den Kreishauptmannschaften. Damit die
Vergleichbarkeit der Zahlen nicht gestört werde, legen wir den folgen-
den Betrachtungen die Einteilung des Landes in die 4 Kreishauptmann-
schaften Bautzen, Dresden, Leipzig, Zwickau zugrunde, auch für die
Jahre, wo die Kreishauptmannschaft Zwickau schon in Zwickau und
1) Unsere Resultate, die starke rückläufige Bewegung der ehelichen Frucht-
barkeitsziffer und das stationäre Verhalten der unehelichen Fruchtbarkeitsziffer,
sind übrigens eine überwiegende europäische Erscheinung.
LU
Unehelichkeitsquote in den Kreishauptmannschaften 9
Chemnitz zerfallt. Leider miissen wir hier einige Liicken des Materials
mit in Kauf nehmen. Für die Jahre 1857—61 und 1871—75 waren
keine Daten zu erhalten; außerdem können wir bei dieser Betrachtung
nur bis auf das Jahr 1847 zurückgreifen, da für die frühere Zeit die
Verteilung der Geburten nach Kreishauptmannschaften fehlt.
Ein flüchtiger Blick auf die graphische Darstellung Nr. 1 zeigt
schon, daß unter den 4 Bezirken ganz erhebliche Unterschiede bestehen.
Beginnen wir mit der östlich gelegenen Kreishauptmannschaft Bautzen.
Soweit die Lückenhaftigkeit des Materials es gestattet, ist hier zu be-
obachten, daß die Unehelichkeitsquote bis zum Jahre 1851 unter der
Landesquote liegt. Von da ab aber ist sie bis zum Jahre 1907 immer
höher als die Landesquote, und zwar erreicht sie zeitweise eine Höhe,
wie wir sie für das ganze Land nicht entfernt konstatieren konnten. Ihr
Maximum fällt in das Jahr 1863 mit 18,25 %,, während doch die
Landesquote nur ein Maximum von 15,98 °/, im Jahre 1858 erreicht.
Im Jahre 1866 erlangt sie nach einem Sinken um 1 % nochmals fast
dieselbe Höhe: 18,23 %,. Abgesehen aber von diesen beiden Ausnahmen
bewegt sie sich doch in etwas mäßigeren Bahnen, wenn auch die Ex-
treme weiter auseinanderliegen als bei der Landesquote. Im allgemeinen
lassen sich dieselben Tendenzen verfolgen. Ja, es ist geradezu auffallend,
wie in dieselben Jahre die Maxima und Minima der beiden Kurven
fallen. Man vergleiche beispielsweise die Quoten der Jahre 1862—70.
In diese Periode fallen bei beiden zwei Maxima, und zwar bei beiden in
die Jahre 1863 und 1866. Bei beiden setzt nach dem Jahre 1866 ein
dauernder Rückgang ein. Was nun die Quote vom Jahre 1876 an be-
trifft — von da ab liegen die Zahlen lückenlos vor —, so setzt sie hier
mit einem langsamen Steigen ein und erreicht unter einigen Oszilla-
tionen ein Maximum in den Jahren 1884—85 mit 16,5 %,. Von dieser
Zeit an fällt sie dann bis zum Jahre 1891 auf 14,4 %, also in einem
6jährigen Zeitraum um mehr als 2. Nachdem im Jahre 1896 wieder
ein Stand von 15,90 °/, erreicht ist, setzt bis zum Jahre 1903 analog
der Landesquote ein Abstieg ein, bis hinunter zu 13,38 %,. Dies ist der
überhaupt je erreichte niedrigste Stand der Unehelichkeitsquote der Kreis-
hauptmannschaft Bautzen. Hiernach folgt ein erst langsames, dann
etwas schnelleres stetiges Steigen bis zum Jahre 1909, wo 14,55 °/, er-
reicht werden, während das neueste Jahr 1910 einen minimalen Abfall
von 0,21 % bringt. Der neueste Stand ist also 14,34 %,, das heißt
0,59 %, kleiner als die Landesquote. Daß in allerneuester Zeit die Quote
von Bautzen von der Landesquote überholt ist, mag wohl hauptsächlich
daran liegen, daB die Kreishauptmannschaft Bautzen keine großen Städte
aufzuweisen hat, die, wie wir später sehen werden, an dem rapiden
Steigen der Landesquote in den letzten Jahren Schuld haben.
Wie bei dieser Kreishauptmannschaft, so liegt auch bei den andern
eine der Landesquote im großen und ganzen parallel gehende Entwick-
10 Erstes Kapitel. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit
jung vor. Besonders auffällig ist dies bei der Kreishauptmannschaft
Zwickau; hier ist die Quote von 1847—56 größer als die Landesquote,
aber wenn der Unterschied im Jahre 1847 1,54% und 1849 sogar
1,70%, beträgt, so ist er 1856 auf 0,07 °, herabgegangen. Und vom
Jahre 1862 ab, von wo an uns wieder Daten zur Verfiigung stehen,
bleibt die Quote dauernd unter der des ganzen Landes. Fast immer in
dem gleichen Abstand von ihr macht sie getreulich alle ihre Schwan-
kungen mit. Auch setzt mit dem Jahre 1903 eine Aufwärtsbewegung
ein, die aber entgegen der Landesquote und analog der Quote Bautzens
mit dem Jahre 1909 vorläufig ihren Abschluß findet, denn das Jahr
1910 bringt einen Rückgang von 0,29 %.
Es bleiben uns nun noch die beiden Kreishauptmannschaften
Dresden und Leipzig mit den gleichnamigen, in den letzten Jahrzehnten
mächtig emporstrebenden Städten. Die erstere hat vom Jahre 1876 ab
stets eine höhere Quote als das ganze Land aufzuweisen. Im allgemeinen
zeigt sie dieselben Tendenzen des Auf- und Absteigens. Auch bei ihr
setzt 1903 eine rasche Aufwärtsbewegung ein, die auch im Jahre 1910
noch anhält.
Die höchste Quote aber zeigt in der neuesten Zeit die Kreishaupt-
mannschaft Leipzig vom Jahre 1903 an. Während im Jahre 1902 noch
Bautzen mit 14,07%, die höchste Quote hat, beginnt in der Kreishauptmann-
schaft Leipzig mit dem folgenden Jahre ein viel rascheres Steigen, so
daß bereits 1908 eine Quote von 15,66 %,, 1909 von 16,19%, und im
letzten Jahre 1910 von 16,72%, erreicht wird. Was die Quote der
früheren Jahre anbetrifft, so setzt auch bei ihr, wie bei allen anderen,
ein Abstieg im Jahre 1866 ein. Sehr bemerkenswert ist bei dieser Quote,
daß sie 20 Jahre lang einen fast gänzlich unveränderten Stand hat; es
ist dies die Periode 1876—95, wo die Quote durchschnittlich etwa
12,5%, beträgt. Dann aber steigt sie ganz plötzlich um mehr als 1 %
und nach einer kleinen Abschwächung setzt die oben geschilderte Auf-
wärtsbewegung ein.
So sehen wir denn aus dieser Betrachtung, daß sich die Landes-
quote aus 4 beträchtlich voneinander verschiedenen Quoten zusammen-
setzt, wenn auch bei allen 4 Teilquoten im allgemeinen dieselben Ten-
denzen in der zeitlichen Entwicklung wahrzunehmen sind.
8 3. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit nach Stadt und Land.
Auch für die interessante Frage, wie sich die Unehelichkeit, nach
Stadt und Land differenziert, zeitlich entwickelt hat, steht uns einiges
Material zur Verfügung. Vorauszuschicken ist die Erklärung, was hier
unter Stadt und Land zu verstehen ist. Die amtliche sächsische Statistik
teilt das ganze Land in Städte und Dörfer. Städte sind hier Gemeinden
mit der revidierten und der einfachen Städteordnung, Dörfer oder „Land“
Unehelichkeit nach Stadt und Land 11
alle übrigen Gemeinden. Diese Einteilung ist eine sehr verwaltungs-
mäßige und gerade für das Königreich Sachsen nicht ganz unbedenk-
liche. Unwillkürlich legt man ihr vielleicht einen anderen Sinn unter:
In den Dörfern vermutet man die Landwirtschaft und in den Städten
die Industrie als vorherrschend und denkt also bei dieser Einteilung an
den Gegensatz zwischen Agrar- und Industriegegend. Wie wenig dies
für das Königreich Sachsen zutreffend ist, werden wir im folgenden des
öftern sehen. Leider ist das Material lückenhaft: Wir haben nur die Da-
ten für die Jahre 1865— 70 und 1876 —1910. Seit dem Jahre 1901 wird
sogar die Unterscheidung nach Stadt und Land nur noch für das König-
reich veröffentlicht. Das Königl. Sächs. Stat. Landesamt hat mir aber
in dankenswerter Weise die Angaben auch für die Kreishauptmann-
schaften der Periode 1901—10 zu Gebote gestellt, so daß wir für diese
Betrachtung doch immerhin eine ununterbrochene Zahlenreihe von
35 Jahren zur Verfügung haben.
Wir beginnen mit der Einteilung des ganzen Landes in Städte und
Dörfer, um nachher dasselbe für die Kreishauptmannschaften durchzu-
führen. Ein Blick auf die Tabelle 6 zeigt, daß die Unehelichkeitsquote
in den Städten des Königreichs stets höher war als in den Dörfern.
Die Quote der Städte setzt im Jahre 1865, für das uns die ersten
Angaben dieser Art vorliegen, ein mit 15,57%,. Das Jahr 1866 bringt,
wie wir sahen, allgemein eine Steigerung, die sich auch in der Städte-
quote bemerkbar macht. Dann beginnt aber ein Abstieg; über die Jahre
1871—‘%6, für die uns Angaben fehlen, hinweg, wird 1877 und 1878
das Minimum erreicht mit 12,66%. Dann steigt die Quote langsam, aber
stetig bis zu den Jahren 1888—89, wo sie den Stand von 13,90%, er-
reicht. Das Jahr 1890 bringt analog der Landesquote ein Minimum mit
13,28°,. Nach einem abermaligen Maximum von 14,82°/, im Jahre 1898
folgt wieder ein Abstieg bis 14,21°, im Jahre 1903; hierauf setzt ein
schnelles Steigen ein: 1905 sind die 15%, überschritten und 1910 hat die
Quote bereits die Höhe von 17,17% erreicht. Eine Trennung der Quoten
der Städte in die der 3 exemten Städte Dresden, Leipzig, Chemnitz, zu
denen seit 1905 noch Plauen und Zwickau treten, und in die übrigen
Städte zeigt deutlich, woher die große Steigerung der Städtequote kommt.
Seit 1904 nämlich finden wir diese gesonderten Ausweise:
Unebelich Geborene in den | Unehelich Geborene in den
Jahr exemten übrigen Jahr exemten übrigen
Städten Städten : Städten Städten
1904 6796 4592 1908 8140 3794
1905 7837 3574 1909 8181 3855
1906 7962 3668 ; 1910 8062 3113
1907 7883 3856 |
Bezieht man sie auf die Geborenen überhaupt, so ergeben sich fol-
gende Unehelichkeitsquoten:
12 Erstes Kapitel. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit
Unehelichkeitsquote Unehelichkeitsquote
Jahr der exemten der übrigen Jahr der exemten der übrigen
Städte Städte Städte Städte
1904 17,20%, 12,31%, 1908 18,67%, 12.85%,
1905 17,47 11,97 1909 19,88 13,46
1906 17,68 12,13 1910 19,68 13,44
1907 18,00 13,11
Ein schnelles Ansteigen der Quote in den exemten Städten ist
hieraus deutlich ersichtlich, während die Quote der gewöhnlichen Städte
ein mehr oszillierendes Verhalten zeigt, allerdings wohl auch mit einer
steigenden Tendenz.
Die Entwicklung der Unehelichkeitsquote in den Dörfern!) zeigt
einen im großen und ganzen ähnlichen Verlauf: Zuerst eine Abnahme
von 14,93%, im Jahre 1865 bis 12,19%, im Jahre 1878. Ein Höchst-
stand wird 1882 mit 13,01°, erreicht. Hierauf folgt unter mehrfachen
Oszillationen ein Abstieg bis zum Minimum des Jahres 1903: 10,87%,
Ganz analog allen bisherigen Beobachtungen setzt auch hier von nun
ab ein Steigen ein, wenn auch etwas langsamer entsprechend dem über-
haupt niedrigeren Stand und den engeren Grenzen der Quote. 1910 hat
sie den Stand von 12,61%.
Vergleichen wir diese beiden Entwicklungsreihen untereinander,
so ist auffällig, daß sich der Gegensatz zwischen der Unehelichkeits-
quote der Städte und der der Dörfer verschärft hat. Betrug 1876 der
Unterschied nur 0,47°/, so hat er sich jetzt erhöht auf 4,56°%,! Er hat
sich also innerhalb dieses Zeitraumes fast verzehnfacht.
Für die Untersuchung, wie sich die Unehelichkeitsquoten der 4 Kreis-
hauptmannschaften nach Stadt und Land verteilen, können wir diese in
3 Gruppen zerlegen:
1. Überwiegen der Quote der Dörfer während der ganzen Entwick-
lungsreihe in der Kreishauptmannschaft Bautzen.
2. Überwiegen der Quote der Dörfer während der einen Hälfte,
Überwiegen der Quote der Städte während der anderen Hälfte der Ent-
wicklungsreihe in der Kreishauptmannschaft Zwickau.
3. Überwiegen der Quote der Städte wührend der ganzen Entwick-
lungsreihe in den Kreishauptmannschaften Dresden und Leipzig.
Bevor wir jedoch auf die Unterschiede zwischen Stadt und Land
näher eingehen, wollen wir kurz die einzelnen Entwicklungsreihen
selbst skizzieren.
Die Unehelichkeitsquote der Städte in der Kreishauptmannschaft
Bautzen weist einen recht unregelmäßigen Verlauf auf. Für die Periode
1865—70 läßt sich aus den Zahlen im allgemeinen eine sinkende Ten-
denz herauslesen und für die Periode 1871 —76 läßt sie sich vermuten,
ja sie läßt sich noch bis zum Jahre 1878 konstatieren, wo sie 10,91%
1) Siehe Tabelle 6, Spalte 15.
Unehelichkeit nach Stadt und Land 13
beträgt. Dann aber überschreitet die Quote bald die 11°/,, bald sogar die
12°/,, um wieder auf 10, ja auf unter 10%, zuriickzugehen. Das Minimum
wird jedenfalls 1902 erreicht mit 9,59%,. Im Jahre 1907 werden aber
schon wieder die 12%, überschritten; das nächste Jahr bringt dann
sofort wieder einen Abfall von 1,66°,. 1910 hat sie den Stand von
11,96%, .
Die Städtequote der Kreishauptmannschaft Dresden setzt von vorn-
herein mit einem um mehr als 5°, höheren Stand ein als die soeben
betrachtete. Sie überschreitet sogar 1866 die 20%, ein Stand, den sie
seitdem noch nicht wieder erreicht hat. Überhaupt macht sich auch
hier die schon so oft beobachtete sinkende Tendenz geltend, und zwar
bis zum Jahre 1880, wo die Quote 15,32%, beträgt. Dann aber steigt
sie unverkennbar, wenn sie auch starken Schwankungen unterworfen ist.
Erst vereinzelt, dann immer öfter wird der Stand von 17% überschritten,
1909 sogar der von 18%,, 1910 der von 19°%/,, so daß die Quote abge-
sehen vom Jahre 1876 den höchsten Stand im letzten Jahre erreicht:
19,51%.
Der Verlauf der Städtequote der Kreishauptmannschaft Leipzig ist
analog den eben vorgetragenen. Auch hier zeigen die letzten Jahre eine
ganz rasche Steigerung: 18,67°, ist der Stand von 1910.
In mäßigeren Grenzen bewegt sich schließlich die letzte der Städte-
quoten, die der Kreishauptmannschaft Zwickau. Jahrelang hat sie einen
fast konstanten Stand zwischen 11 und 12%. Aber auch hier finden
wir die bekannte Steigerung der letzten Jahre, so daß 1909 sogar den
Stand von 15,11%, bringt. Im Jahre 1910 sinkt sie auf 14,98%.
Mit dem enorm hohen Stand von 18,42°, setzt die Dörferquote
der Kreishauptmannschaft Bautzen im Jahre 1865 ein und überschreitet
im nächsten Jahre bereits noch die 19%,; gleichzeitig ist dies, 19,13%,
die höchste Quote, die hier erreicht wird. Der weitere Verlauf gestaltet
sich fast ebenso regellos wie bei der Städtequote. Jedenfalls ist eine
sinkende Tendenz im Laufe der Jahrzehnte nicht zu verkennen. Das
Minimum beträgt 14,22°/, im Jahre 1906, während das Jahr 1910 eine
Quote von 15,07%% aufzuweisen hat.
Die niedrigsten Quoten finden wir dagegen in der Kreishauptmann-
schaft Dresden; hier geht sie bis auf 9,18%), herab im Jahre 1902, steigt
dann allerdings stetig bis 1910 auf 11,99%. In der Kreishauptmann-
schaft Leipzig bewegt sie sich auch in mäßigen Bahnen und erreicht
erst in neuester Zeit wieder eine beträchtlichere Höhe: 13,42%, im
Jahre 1910. Im wesentlichen trifft endlich für Zwickau dasselbe zu:
Sinken bis 1903 auf 10,69%, Steigerung bis auf 12,30%, im Jahre 1909.
Bemerkenswert ist hier der Rückgang auf 11,83%, im Jahre 1910.
Diese kurze Schilderung der einzelnen Entwicklungsreihen war
nötig, um auf die Unterschiede zwischen Stadt und Land eingehen zu
können. Um noch einmal kurz zusammenzufassen: So groß die Unter-
14 Erstes Kapitel. Die zeitliche Entwicklung der Unehelichkeit
schiede der einzelnen Reihen auch waren, dieselben Tendenzen hatten
sie im allgemeinen mit einigen Variationen alle aufzuweisen.
Der Betrachtung der Unterschiede legen wir nun die oben gegebene
Gruppierung zugrunde. Danach ist in der Kreishauptmannschaft Bautzen
während der ganzen Entwicklung die Dörferquote größer als die Städte-
quote, und zwar ist dieser Unterschied ziemlich hoch; im Jahre 1885
beträgt er 6,01°/,! Im allgemeinen ist er allerdings nicht so hoch; in
dem Zeitraum 1901—10 schwankt er zwischen 5,82 und 2,11%, und
beträgt im Durchschnitt des letzten Jahrzehntes also 3,88%.
Eine ganz eigenartige Entwicklung zeigt in dieser Beziehung die
Kreishauptmannschaft Zwickau. Bis zum Jahre 1888 ist die Dörferquote
immer größer als die Stadtquote, allerdings mit sinkendem Unterschiede,
der 1865 noch 1,78°/, und 1888 nur noch 0,17°/, beträgt. Vom nächsten
Jahre ab überflügelt aber die Städtequote die der Dörfer und läßt sich
auch den ersten Platz im Laufe der weiteren Entwicklung nicht wieder
streitig machen, wenn auch der Unterschied manchmal nur ganz mini-
mal ist. Er wird aber ganz allmählich größer und größer, bis er 1910
bereits 3,15%, beträgt. Wir glauben, daß diese Entwicklung ein typisches.
Beispiel dafür ist, wie mit der wachsenden Industrialisierung einer Gegend
und mit der Konzentration der Industrie in einigen größeren Städten
Hand in Hand eine höhere Unehelichkeitsquote geht. Selbstverständlich
ist wohl nicht zu verkennen, daß die Stadt Chemnitz allein schon ziem-
lich viel zu diesem Resultate beiträgt, aber ganz möchten wir doch nicht
diese Entwicklung auf ihr alleiniges Konto setzen.
Ein und dieselbe Entwicklung haben dann schließlich die Kreis-
hauptmannschaften Dresden und Leipzig. Bei beiden ist von vornherein,
soweit wir es zurückverfolgen können, die Quote in den Städten höher
als auf dem Lande; in Dresden ist der Unterschied sogar ziemlich be-
trächtlich: 6,21%, im Jahre 1865; in Leipzig mäßiger: 2,10%, in dem-
selben Jahre. In Dresden bewegt er sich dann im allgemeinen zwischen
5 und 7%. Gleich hier aber möchten wir doch bemerken, daB man auf
diese Zahl, so hoch sie auch ist, kein allzu großes Gewicht legen darf.
Eine große Anzahl der unehelichen Geburten der Stadt Dresden ist
sicher der Umgebung zur Last zu schreiben; denn es ist ja allgemein
bekannt, daß die Entbindungsanstalten einer großen Stadt viele schwan-
gere Mädchen vom Lande an sich ziehen; und da die Geburten nun ein-
mal dort registriert werden, wo sie stattfinden, so muß sich natürlich
die Quote der Städte erhöhen. Für mildernde Umstände ist also hier
auf jeden Fall zu plädieren, wenn auch dieser Umstand durchaus nicht
zu hoch in Anschlag gebracht werden soll. Ähnlich liegen die Verhält-
nisse in der Kreishauptmannschaft Leipzig. Die Großstadt entlastet mit
ihren Entbindungsanstalten das umliegende platte Land etwas, daher ist
auch hier ein ziemlich großer Unterschied zwischen Städte- und Dörfer-
quote zu konstatieren. 1910 beträgt er bereits 5,25°,,, während er be-
Unehelichkeit in anderen Bundesstaaten 15
sonders früher geringer war. Als interessantestes Ergebnis können wir
wohl die Steigerung in den Jahren seit 1903 bei fast allen diskutierten
Quoten betrachten.
84. Kurzer Vergleich mit einigen anderen Bundesstaaten.
Im Vorhergehenden sprachen wir von der hohen Unehelichkeits-
quote des Königreichs Sachsen und meinten damit, daß sie sowohl an
und für sich mit einem Stande von über 14°, in den letzten Jahren als.
auch im Vergleich zu den anderen Bundesstaaten und zum Deutschen.
Reich im ganzen hoch zu nennen ist. Um dies kurz zu zeigen, sei fol-
gende kleine Übersicht angeführt:
_Unehelichkeitsquote
Staaten E 1901 1 190211903 1904 1906 1906 1907 1906'1907!1908 19091910
| Preußen 7,31 7,2 zılzolzıı 7,2) 72l 7,5 76 7,8 Se
i Bayern. 18,2 |12,9 12,8 12,5 12,6 12,6 |12,4 |12,1 12,3 12,3 '12,2
Sachsen ee 12,6 12,6 12,7 12,5 |13,0 18,4 13,4 /14,0 14,4 14,8 14,9 |}
| Wirttemberg . 97| 96| 93! 89| 85. 86 83/82!85 82 83]
| Baden. .. 7,6 | 7,7 GA T3 7,2| 7,2 7.2| 7,8, TT! EA
Hessen... . 7,9| 71; Al 7,1 7.3; 6,9' 7,0| 7,1) 7.5. 7,7, 7,6 4
| Meck. -Schwerin. 11.7 11,6 11,5 11.8 11,8 11,8 11,4 12.6 12,9 13.2 14,0
| Sachsen-Weimar . . || 9,6) 9,5: 9,6 | 9,6 | 9,8 10,6 10,3 110,8 10,6 11,6 11,6
| Meckl.-Strelitz . . . | 12.2 [12,3 11,8 13,8 12,3 123 124/123 14.2 13,4 145
Oldenburg . . . . . || 55| 4,8 4,9| 4,8| 5,3, 5,5 5,5| 5,4| 5,6, 5,4 ai
| Braunschweig. . || 10,0 110,6 | 9,8 110,4 10,3 10,2 10,4 |]11,3 11,7 11,5 11,8
| Anhalt... . 9,1| 9,7! 9,4| 9,7 10,1 10,7 10,4 111.2 12,8 12,2 12.4 |
Schwarzb.-Sondersh. . 9,1) 8,4! 9,5; 9,5) 9,4 101 10,1 9,5 10,0 11,2, 9,7
Waldeck . bes 70) 5,1) 6.3! 5.9! ai 64| 63) 49 53 55 |
Schaumb.-Lippe . a | 4,5| 2,91 3,4, 88 8,7] 4,1/ 81 41:42
| Elsaß-Lothringen 7,4! 71 6,9 | 6,9| 7,2 6,9) 71, 7,2 7,3) 71
‘ Deutsches Reich Së 8,5 8,8) | 8,4 8,5 8,5 8,71 8,9| 9,0 91
Für das ganze Deutsche Reich ergibt sich hiernach vom Jahre 1900
an eine Tendenz zur mäßigen Senkung, die bis zum Jahre 1906 anhält.
Von da an steigt die Quote konstant bis zum letzten Jahre. Die frühere
Zeit zeigt in größere Perioden zusammengefaßt folgende Entwicklung auf:
Unehelichkeitsquote des Deutschen Reiches:
1851—60 11,5”, 1871—80 8,9% 1891—00 9,1°,
1861—70 11,5%, 1881—90 93°, 1901—10 8,6%%
Im Laufe der Zeit ist also unverkennbar eine Besserung eingetreten.
Die obige Übersicht zeigt uns nun, welche großen Gegensätze in-
den einzelnen Teilen des Reiches bestehen. In der überwiegenden Mehr-
zahl der Staaten haben wir in den letzten 11 Jahren dieselbe Entwick-
lung: Erst fallende, dann im allgemeinen mäßig steigende Tendenz..
Außer im Königreich Sachsen ist nur noch in Mecklenburg-Schwerin
16 Zweites Kapitel. Die Unehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken
und Mecklenburg-Strelitz ein schnelles Steigen der Quote zu finden. In
einigen Bundesstaaten kann man mehr von einem Oszillieren resp. von
einer Konstanz der Quote sprechen. In Bayern und Baden hält die
sinkende Tendenz sogar bis in die letzten Jahre hinein an.
Sehr interessant ist nun noch in diesem Zusammenhang ein Ver-
gleich der Entwicklung der Quote Bayerns mit der Sachsens. Für die
frübere Zeit haben wir da folgende Angaben:
Unehelichkeitsquote Unehelichkeitsquote
Bayerns Sachsens Bayerns Sachsens
1861—70 21,08%, 14,81%, 1881—90 14,82%, 12,86%,
1871—80 13,33%, 12,89%, 1891—95 14,09%, 12,47%,
Für die letzten Jahre vergleiche man obige Tabelle Danach war
also stets die Unehelichkeitsquote Bayerns höher als die Sachsens. In
der letzten Zeit vollzieht sich hier aber ein merkwürdiger Umschwung.
Von Jahr zu Jahr findet eine größere Annäherung statt, bis im Jahre
1903 beide Länder dieselbe Quote haben: 12,5°,. Von da ab datiert
dann die bekannte steigende Tendenz in Sachsen, während in Bayern
die Quote langsam weiter fällt. Im Jahre 1910 steht die Quote Sachsens
bereits um 2,7%, über der von Bayern. G. v. Mayr nennt dies ein typi-
sches Beispiel dafür, daß der vordringende Industrialismus neuen ver-
mehrten Anreiz zur steigenden Unehelichkeit enthält. Deshalb ist die
zum größten Teil agrarische Quote Bayerns von der vorzugsweise in-
dustriellen Sachsens überholt worden.
Zweites Kapitel.
Die Unehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken.
8 1. Unehelichkeitsquote und uneheliche Fruchtbarkeitsziffer
für den Jahresdurchschnitt der Periode 1890—99.
Das Bild von der zeitlichen Entwicklung der Unehelichkeit Sachsens,
differenziert nach Kreishauptmannschaften und nach Stadt und Land,
hat uns große territoriale Gegensätze aufgezeigt, die sich zum großen
Teil im Laufe der Zeit nicht unbeträchtlich vergrößert haben. Deshalb
ist es wohl geboten, noch auf die kleinsten Verwaltungsbezirke —
27 Amtshauptmannschaften und 3 exemte Städte —- einzugehen. Un-
möglich können wir aber von jedem dieser Bezirke die Entwicklung der
Unehelichkeit von Jahr zu Jahr schildern. Dies würde kein allzu großes
Interesse erregen, und außerdem würde die Kleinheit der Zahlen keine
genauen Schlüsse zulassen, ja überhaupt zu Fehlschlüssen führen. Wir
schlagen deshalb einen anderen Weg ein, wie er von Fr. Lindner (Die
unehelichen Geburten als Sozialphänomen, Leipzig 1910 über die Un-
ehelichkeit in Bayern) in ähnlicher Weise beschritten ist. Danach greifen
Unehelichkeit in der Periode 1890—99 17
wir einen lOjährigen Durchschnitt heraus, um unregelmäßige und mehr
oder weniger zufällige Schwankungen auszuschalten. Wir wählen den
Durchschnitt eines Jahres aus der Periode 1890—99, einmal weil uns
nur bis 1899 Angaben nach Stadt und Land für die Amtshauptmann-
schaften gegliedert zur Verfügung stehen, dann auch weil in diesem
Jahrzehnt die Unehelichkeitsquote des ganzen Königreiches mit einer nur
ganz leisen Steigung fast konstant bleibt. Als dritter Grund zur Wahl
dieser Periode mag der gelten, daß wir bier die uneheliche Fruchtbar-
keitsziffer der einzelnen Bezirke zur ergänzenden Betrachtung heran-
ziehen können.
Iın ganzen Königreich wurden im Jahrzehntdurchschnitt 1890— 99
jährlich 19524,9 uneheliche Kinder geboren. Diese Zahl verteilt sich
wie folgt auf die 4 Kreishauptmannschaften: In der Kreishauptmann-
schaft Bautzen wurden 1977,3 uneheliche Kinder geboren, in Dresden
5199,5, in Leipzig 4950,6, in Zwickau 7397,5. Die Verteilung auf die
kleinsten Verwaltungsbezirke ist folgende:
A.’) Bautzen . ..... =... %576,2)A.Grimma.......... 360,1
A. Kamenz.......... 249,4 A. Leipzig ` s E ere 4 m % 614,1
A. Löbau. . 2220. 513,8 A.Oschatz.......... 263.8
AS LU are de ms oe Ge 637,9 | A. Rochlitz. ......4.4.. 586,1
St. Dresden. ......... 2211,8 St. Chemnitz ......... 838 4
A. Dippoldiswalde ...... 222,3 | A. Annaberg ......... 627,7
A. Dresden-Altstadt . ..... 505,9 | A. Auerbach, ........ 513,0
A. Dresden-Neustadt . . . . . 371,9 | A. Chemnitz ......... 1273,8
A. Freiberg. ......... 577,7 | A. Flöha . . 2. 2 2 2 2 2 2 2. 412,0
A. Großenhain ........ 307,6 | A. Glauchau ......2... 738,5
A. Meißen .......... 450,9 | A. Marienberg ........ 871,3
A. Pre . .. . 2 22220. 5514 | A. Olanitz . . . 2 2 2 220. 322,0
St. Leipzig . . ........ 2398,1 | A. Plauen . . 2.2.22 220. 828,6
A. Borna. .. ....... 356,1 | A. Schwarzenberg . ...... 535,9
A. Döbeln An. Brae ae ea & 472,3 A. Zwickau. . . 2. 222020. 1036,3
Diese absoluten Zahlen sagen uns sehr wenig. Wir setzen sie des-
halb zu den Geburten überhaupt (s. Tab. 7) in Beziehung und berechnen
so für jeden Bezirk die Unehelichkeitsquote (s. Tab. 9), deren räumliche
Verteilung auf das ganze Land wir im folgenden diskutieren wollen.
Zur besseren Übersicht bringen wir erst die Durchschnittswerte der
Quoten für die Kreishauptmannschaften:
Für den Jahrzehntdurchschnitt 1890—99 kommen auf 100 Ge-
burten überhaupt uneheliche:
In der Krhptmschft. Bautzen ........ 14,86
n ” „ Leipzig Sey tee ee Meg ee ie ee 13,35
w. ‘sas és Dresden ........ 12,76
e xi Zwickau ........ 11,71
Im ganzen Königreich Sachsen ....... 12,65
In 3 Kreishauptmannschaften liegt also die Quote über der Landes-
quote und nur in Zwickau fast 1%, darunter. Doch wenden wir uns
1) A. = Amtshauptmannschaft.
Prenger, Unehelichkeit 2
18 Zweites Kapitel. Die Unehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken
nun den kleineren Verwaltungsbezirken zu (vgl. Tab. 9 Spalte 2 und
Kartogramm Nr. 1).
Wir teilen die 30 Bezirke nach der Höhe ihrer Quoten in 2 Haupt-
gruppen:
Gruppe 1 enthält die Bezirke, deren Unehelichkeitsquote niedriger
ist als die Landesquote; dies sind die folgenden 19:
. Dresden-Neustadt ... . 803°%,]A. Glauchau. ........ 11,10°,
. Dresden-Altstadt ..... 8,52 A. Döbeln. . 2... . 2 2.0. 11,24
.Zwickau,........ 9,22 A. Dippoldiswalde. ..... 11,25
Grimma ......... 10,03 A.Fléba ....... 2... 11,87
Leipzig se wee es 10,08 |A. Annaberg ........ 12,06
Großenhain. ....... 10,23 A.Borna.......... 12,21
Schwarzenberg ...... 10,60 St. Chemnitz ........ 12,26
Kamenz......... 1068 (A.Freiberg......... 12,32
PIO ee wre 10,76 A. Chemnitz. ........ 12,46
Meißen ......... 10,78 |
PPP > bbb bhp
In Gruppe 2 fassen wir diejenigen Bezirke zusammen, in denen die
Quote höher ist als im ganzen Lande; dies sind die übrigen 11:
A. Oschatz . . 12,77°/, | A. Auerbach. . 13,60 °, | St. Leipzig . . 16,85 °%,
A. Rochlitz . . 12,91° | A. Marienberg . 18,82°, : A. Zittau . . . 17,11 °%
A. Deeg . . 18,17°/, | A. Bautzen . . 14,55°, | St. Dresden . . (9882.
A. Olsnitz. . . 18,40 °% | A. Löbau . . . 15,66°,
Wie aus dem Kartogramm Nr. 1 ersichtlich ist, bildet Gruppe 1
einen zusammenhängenden Komplex, an den angestückt oder in den an
den Rändern eingeschoben die Gebiete der Gruppe 2 liegen. Herauszu-
nehmen aus dem Komplex der Gruppe 1 sind nur die beiden exemten
Städte Dresden und Leipzig, die zur Gruppe 2 gehören. Innerhalb der
Gruppe 1 haben wir nun aber noch ziemlich große Unterschiede. Im
Herzen des Landes liegt das Gebiet mit der niedrigsten Quote; es wird
gebildet von den Amtshauptmannschaften Dresden-N. und Dresden A.
Zur teilweisen Erklärung der sehr niedrigen Quoten dieser Bezirke kann
die unmittelbare Nähe der Großstadt Dresden dienen; wird sie doch
ganz von ihnen eingeschlossen. Und auf die Tatsache, daß die Entbin-
dungsanstalten einer Großstadt sehr häufig von Mädchen aus der näheren
oder weiteren Umgebung frequentiert werden, die der Entbindung wegen
in die Großstadt kommen, haben wir bereits aufmerksam gemacht. Eine
Großstadt entlastet gewöhnlich ihre Umgebung zu ihrem eigenen Nach-
teil. Wenn man nun diesem Umstande auch gebührend Rechnung trägt,
so ist die Quote dieser beiden Bezirke dennoch niedrig zu nennen.
Die nächst niedrigste Quote — also bei genauer Berücksichtigung
des Einflusses der Großstadt auf die beiden umliegenden Bezirke viel-
leicht die niedrigste — hat dann die Amtshauptmannschaft Zwickau
aufzuweisen, die die südwestliche Grenze der Gruppe 1 bildet. Von
Osten nach Westen, die nördliche Grenze der Gruppe 1 entlang, mit
der A 11 Leipzig — 10,08 %, — beginnend, steigt dann die Quote ganz
1) A. = Amtshauptmannschaft.
Unehelichkeit in der Periode 1890—99 19
langsam bis 10,60, in der A. Kamenz. Auch Schwarzenberg im Süden,
Pirna im Südosten und Meißen in der Mitte der Gruppe 1 haben noch
Quoten unter 11%, aufzuweisen. Dann aber werden mit Glauchau die
11%, überschritten und bald mit der südlich gelegenen Amtshaupt-
mannschaft Annaberg auch die 12%,. Die höchsten Quoten der Gruppe 1
finden wir in St.und A. Chemnitz und in Freiberg im Süden der Gruppe.
Bei der Betrachtung, wie an der Gruppe 1 die einzelnen Kreis-
hauptmannschaften Anteil haben, fällt vor allem auf, daß die Kreis-
hauptmannschaft Dresden mit Ausnahme der Stadt Dresden ganz in
diese Gruppe fällt und zwar fast alle Bezirke mit Quoten unter 11%.
Daraus ist klar ersichtlich, daß die Kreishauptmannschaft Dresden als
Ganzes betrachtet ihre hohe Quote — 12,76%, — allein der Stadt
Dresden verdankt. Dies wird besonders deutlich, wenn wir einmal für
den Augenblick bei der Berechnung der Quote die Stadt Dresden aus-
schalten. Dann ergibt sich nämlich die sehr niedrige Quote von 10,45 %,
also eine sogar noch um mehr als 1 °,, niedrigere als die Quote der
Kreishauptmannschaft Zwickau, die doch als einzige beträchtlich unter
der Landesquote liegt. Jedoch ist diese Ausschaltung nicht angängig
bei einem Vergleich der Kreishauptmannschaften untereinander, da da-
durch die Entlastung der Umgebung durch die Großstadt unberück-
sichtigt bleiben würde. Wir wollen aber doch im Auge behalten, wie
sich die hohe Quote der Kreishauptmannschaft Dresden erklärt.
Zur Gruppe 1 geben dann noch die Kreishauptmannschaften Zwickau
und Leipzig einige Bezirke ab, wenn auch hier die Quoten meist schon
über 11°, betragen, ausgenommen an der südwestlichen Grenze der
Gruppe, Zwickau und Schwarzenberg, und in der Nordwestecke,
A. Leipzig und Grimma. In der Kreishauptmannschaft Leipzig liegen
übrigens die Verhältnisse ungefähr so wie in der Kreishauptmannschaft
Dresden. Auch hier läßt die Großstadt Leipzig die Quote höher er-
scheinen, als sie ohne diese sein würde. Bei ihrer Ausschaltung beträgt
die Quote nur 11,39 %/,, Leipzig eingerechnet dagegen 13,35 %,, also
fast 2 °% höher. Das oben Gesagte gilt aber auch hier. Der Unterschied
erscheint übrigens deshalb nicht ganz so groß, weil 2 der Bezirke eben-
falls hohe Quoten haben.
Das kleinste Gebiet gibt die Kreishauptmannschaft Bautzen an
Gruppe 1 ab, nämlich nur die nördlich gelegene Amtshauptmannschaft
Kamenz.
Gruppe 2 zerfällt in 2 größere Komplexe und 3 vereinzelt liegende
Amtshauptmannschaften; diese Bezirke fügen sich folgendermaßen in
das Gesamtbild ein: Im Südwesten sind die 3 Amtshauptmannschaften
Olsnitz, Plauen und Auerbach, das sog. Vogtland, und im Osten resp.
Südosten die 3 Bezirke Bautzen, Löbau und Zittau an Gruppe 1 an-
gestückt. Im Norden ist Oschatz zwischen Grimma und Großenhain
eingeschoben, im Westen zwischen Borna und Grimma einerseits und
dh
20 Zweites Kapitel. Die Uuehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken
Glauchau und Chemnitz andrerseits die Amtshauptmannschaft Rochlitz
und im Siiden zwischen Annaberg und Freiberg die Amtshauptmann-
schaft Marienberg. Dazu kommen noch die 2 exemten Städte Dresden
und Leipzig.
Während von der Gruppe 2 Oschatz und Rochlitz noch Quoten
unter 13 °/, aufzuweisen haben, wird diese Zahl im Vogtland und in
Marienberg bereits überschritten. Ganz besonders hoch ist sie dann aber
in der Lausitz. Von Nordosten nach Südwesten nimmt sie in der Reihen-
folge Bautzen, Löbau, Zittau sprunghaft immer um mehr als 1°, zu
und erreicht so die abnorme Höhe von 17,11 %, in Zittau.
Sehen wir nun zu, welches Bild sich ergibt, wenn wir die unehe-
liche Fruchtbarkeitsziffer') zur Ergänzung des soeben Entwickelten
heranziehen. Wir entwickeln erst ihre geographische Verteilung (vgl.
Kartogramm Nr. 2) und versuchen sodann die erhaltenen Resultate mit
den vorigen in Einklang zu bringen, in der Hoffnung ein vollstän-
digeres Bild zu erhalten, wenn wir beide Ziffern zusammen betrachten.
Es kommen auf 1000 ledige, verwitwete und geschiedene gebär-
fähige Frauen im Alter von 17—50 Jahren uneheliche Geburten:
In der Kreishauptmannschaft Bautzen. . . 64,52 °',,
n v IP Dresden os an a 46, OR jo
TT S Leipzig . . . 51,61 °,
am n ” Zwickau. .. 67 ‚94 d,
Im ganzen Kénigreiche 62,39 om
Die Verwaltungsbezirke teilen wir auch hier wieder in 2 Gruppen:
Gruppe 1: Unter der unehelichen Fruchtbarkeitsziffer des ganzen
Landes liegen die Ziffern von 14 Bezirken:
A. Dredsen-Neustadt . . . 32,88%, ı A. Pirna. ........ 48,07 °/,,
A. Grimma. ....... 43.06 E A. Dippoldiswalde . . . . 48,87 °%,,
A. MeiBen........ 44,40 °/,, | A. GroBenhain...... 48,52 ° so
St. Dresden ....... 44,43 %,, | A. Plauen . ....... 48,62 °, 0
A. Kamenz... ..... 44,48%, | St. Leipzig. ....... 48,67 ae
St. Chemnitz. ...... 46,04 an | A. Oschatz. ....... 48,78 so
A. Döbeln os. 4a) Je =. 47,09 Yo | A. Zwickau ....... 49,79 ° oo
Gruppe 2: Die Amtshauptmannschaften, deren Ziffern über der
Landesziffer liegen, sind die übrigen 16:
A. Olsnitz `... 52,62 %o | A. Freiberg ....... 60,70 D
A. Dresden-Altstadt. . . . 62.91 0” A. Rochlitz... 2... 61,01 °.,,
A. Bautzen. ....... 53,46 %so | A. Zittau ........ 61,29 °/,,
A. Löbau . 2.2.2220. 23°, | A. Auerbach. .... . «+ 61,73",
DN, LONE He Were 54,73 °,, | A. Glauchau....... 63,92 °
A. Schwarzenberg. .... 65,98 %,, | A. Leipzig. . . . 2 . 69,53 9%,
A. Annaberg....... 56,91%. | A. Marienberg ...... 78,92 9,0
A. Borna. .. 2.2.2.2. 59,37°,, | A. Chemnitz... .... 87,53,
1) Die Berechnung dieser Ziffer fiir die einzelnen Verwaltungsbezirke geschah
in folgender Weise: Aus den Volkszihlungsergebnissen vom Jahre 1895 ist uns
die Verteilung der gebärfähigen Frauen (vom vollendeten 17.—50. Lebensjahre)
nach den Verwaltungsbezirken bekannt; sie sind darin unterschieden in ledige,
Uneheliche Fruchtbarkeitsziffer 1890—99 921
Aus dem Kartogramm 2 ist die Verteilung der Bezirke auf diese
beiden Gruppen zu ersehen. Deshalb erübrigt sich wohl eine nähere
Besprechung der geographischen Verteilung der unehelichen Fruchtbar-
keitsziffer, zamal da hier noch weniger als bei der Unehelichkeitsquote
von einem geographischen Zug, in dem Sinne, daß sie nach einer be-
stimmten Richtung hin zu- oder abnimmt, die Rede sein kann. Wie ja
das Kartogramm zeigt, ist die Verteilung ganz unregelmäßig und ohne
bestimmte Tendenz. Nur soviel sei bemerkt, daß wir für Gruppel einen
großen zusammenhängenden Komplex erhalten, an dem mit Ausnahme
von Freiberg und Dresden-A. die Kreishauptmannschaft Dresden ganz par-
tizipiert, die Kreishauptmannschaft Leipzig mit Grimma, Döbeln, Oschatz
und die Kreishauptmannschaft Bautzen mit Kamenz. Zur Gruppe 1 ge-
hören dann noch die Amtshauptmannschaften Zwickau und Plauen und
die beiden exemten Städte Leipzig und Chemnitz. Die übrigen Bezirke
bilden die Gruppe 2, aus der wegen enorm hoher Ziffer die Amtshaupt-
mannschaften Leipzig, Marienberg und Chemnitz hervorzuheben sind.
Vergleicht man nun die Unehelichkeitsquote und die uneheliche
Fruchtbarkeitsziffer an der Hand der beiden Kartogramme, so fallen
doch große Unterschiede in der geographischen Verteilung auf. Keines-
wegs deckt sich stets hohe Unehelichkeitsquote mit hoher unehelicher
Fruchtbarkeitsziffer oder umgekehrt. Wir können hier vielmehr die
Verwaltungsbezirke nach folgenden 9 Gruppen unterscheiden:
1. Niedrige Quote und niedrige Ziffer: Dresden-N., Grimma, Kamenz,
Pirna, Meißen.
2. Niedrige Quote und mittlere Ziffer: Dresden-A., Zwickau, Großen-
hain, Schwarzenberg.
3. Niedrige Quote und hohe Ziffer: A. Leipzig.
4. Mittlere Quote und niedrige Ziffer: Döbeln, Dippoldiswalde,
St. Chemnitz.
5. Mittlere Quote und mittlere Ziffer: Flöha, Oschatz, Plauen,
Ölsnitz.
6. Mittlere Quote und hohe Ziffer: Glauchau, Annaberg, Borna,
Freiberg, Chemnitz, Rochlitz.
7. Hohe Quote und niedrige Ziffer: St. Leipzig, St. Dresden.
8. Hohe Quote und mittlere Ziffer: Bautzen, Löbau.
9. Hohe Quote und hohe Ziffer: Auerbach, Marienberg, Zittau.
Wir verstehen hier unter
Niedriger Unebelichkeitsquote ........4... Quoten v. 8,03—11,00 °%
Mittlerer SE DEE » aw 11,01 —13,50 °%
Hoher SS TECH „ über 18,50 %,
verheiratete und verheiratet gewesene Frauen. Wir haben nun die unehelichen
Geburten der Periode 1890—99 bezogen auf die im Jahre 1895 gezählten gebär-
fähigen ledigen und verheiratet gewesenen Frauen.
22 Zweites Kapitel. Die Unehelichkeit in den ‚kleinsten Verwaltungsbezirken
Niedriger unehelicher Fruchtbarkeitsziffer .. . . . . Ziffern v. 32,9 —48,50 ° o
Mittlerer ID 9 EE EE nm “ 48,51 — 56,00 "66
Hoher i ne De dë „ über 66,00 %,,
In nur 12 Bezirken fällt also eine niedrige resp. mittlere oder hohe
Unehelichkeitsquote mit einer entsprechenden unehelichen Fruchtbar-
keitsziffer zusammen (1, 5, 9); in 15 ergeben sich geringere Gegensätze
(2, 4, 6, 8) und in 3 Bezirken sind große Gegensätze vorhanden (3, 7).
Sehen wir nun zu, wie sich die scheinbaren Widersprüche erklären
lassen und wie sich die beiden Zahlen wirksam ergänzen können. Zu
diesem Zwecke ziehen wir noch die Verteilung der weiblichen gebär-
fähigen Bevölkerung auf die Bevölkerung überhaupt und die Prozent-
anteile der ledigen und verheiratet gewesenen und der verheirateten
Frauen an der Zahl sämtlicher gebärfähigen Frauen zur Erklärung
heran. Da eine Besprechung jeder einzelnen Amtshauptmannschaft wohl
zu weit und zu allzuvielen Wiederholungen führen würde, werden wir
hier einige typische Bezirke besprechen und jedesmal auf ähnliche Ver-
hältnisse in den anderen Bezirken hinweisen.
Am auffälligsten ist wohl der Gegensatz zwischen Quote und Ziffer
in den beiden Großstädten Dresden und Leipzig. Beide weisen sehr hohe
Unehelichkeitsquoten auf — Dresden sogar die höchste im Lande, Leipzig
wird nur noch von Zittau übertroffen —, während die uneheliche Frucht-
barkeitsziffer in Dresden nur 44,43°,,, und in Leipzig 48,67 °/,, beträgt,
also erheblich unter der Landesziffer liegt. Eine teilweise Erklärung für
die hohen Quoten haben wir schon in den privaten und Öffentlichen
Entbindungsanstalten beider Städte gefunden, wo viele auswärtige Mäd-
chen gebären. Dies ist aber unseres Erachtens noch keine zufrieden-
stellende Erklärung für den Widerspruch, der zwischen beiden Zahlen
klafft. Die Tabelle 10 zeigt uns nun, daß der Prozentanteil der gebär-
fähigen Frauen an der Bevölkerung überhaupt in den beiden Städten
der größte im ganzen Lande ist: 28,7 %, und 27,1 %,. Es sind also re-
lativ genommen sehr viele gebärfähige Frauen da. Von diesen ist nun
ein unverhältnismäßig großer Teil, in Dresden sogar über die Hälfte, ledig,
verwitwet und geschieden. Auf die Gesamtmasse dieser gebärfähigen
Frauen wird die Zahl der unehelichen Geburten bezogen, und so er-
halten wir eben eine so niedrige uneheliche Fruchtbarkeitsziffer als Aus-
druck der möglichen Fälle. Und die hohe Unehelichkeitsquote? Nun,
Spalte 3 der Tabelle 10 zeigt für Dresden die niedrigste und für Leipzig
auch eine sehr niedrige eheliche Fruchtbarkeitsziffer; es ist ja über-
haupt bekannt"), daß die Fruchtbarkeit, speziell die eheliche, in den
Großstädten sehr gering ist. Eine verbältnismäßig kleine Zahl ehelicher
und eine verhältnismäßig große Zahl unehelicher Geburten hat aber als
Resultat eine hohe Unehelichkeitsquote. Wenn man also die besonderen
1) Vgl. K. Oldenberg, Über den Rückgang der Geburten- und Sterbeziffer
Abschn. V, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Bd. 32. 1911.
Vergleich v. Unehelichkeitsquote u. unehelicher Fruchtbarkeitsziffer 1890—99 23
großstädtischen Verhältnisse, vor allem aber die Zusammensetzung der
weiblichen gebärfähigen Bevölkerung, berücksichtigt, so ist der Gegen-
satz zwischen der Unehelichkeitsquote und der unehelichen Fruchtbar-
keitsziffer in Dresden und Leipzig doch wohl nicht unüberbrückbar,
vielmehr ganz natürlich zu erklären. Ja, beide Zahlen zusammen geben
unseres Erachtens erst das richtige Bild. Auch in der Stadt Chemnitz
liegen die Verhältnisse ähnlich, wenn auch hier die Gegensätze nicht so
groß sind.
Gerade das umgekehrte Bild bietet uns die Amtshauptmannschaft
Leipzig. Ihre Unehelichkeitsquote ist sehr gering: 10,08%; dagegen hat
sie eine hohe uneheliche Fruchtbarkeitsziffer: 69,53%, ,. Der Prozent-
anteil der gebärfähigen Frauen an der Bevölkerung überhaupt ist hier
bemerkenswert klein, nur 21,9°%,. Von diesen im gebärfähigen Alter
stehenden Frauen ist ein sehr beträchtlicher Teil, 66,2%,, verheiratet,
wodurch sich die außerordentlich hohe eheliche Fruchtbarkeitsziffer,
316,35%,, — die höchste im ganzen Königreich — erklärt. Obgleich nun
aber ein geringer Prozentsatz der gebärfähigen Frauen unverheiratet ist,
ist die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer doch sehr hoch. Das deutet wohl
unzweifelhaft auf eine stärkere uneheliche Geburtenhäufigkeit hin als
von der niedrigen Unehelichkeitsquote zum Ausdruck gebracht wird.
Zieht man noch den Umstand in Betracht, daß die Nähe der Großstadt
entlastend wirkt, indem nicht alle unehelichen Geburten, die auf das
Konto der Amtshauptmannschaft Leipzig fallen, dort auch registriert
werden, sondern ein Teil in der Stadt Leipzig, so fällt dies für die
Amtshauptmannschaft Leipzig noch erschwerend ins Gewicht, und die
Unehelichkeitsquote allein — ihre geringe Höhe resultiert aus der
starken ehelichen Fruchtbarkeit — gibt uns ein ganz falsches und viel
zu günstiges Bild.
Ebenso entwirft die Quote ein zu günstiges Bild in den Amtshaupt-
mannschaften Zwickau, Schwarzenberg, Glauchau, Flöha und Borna, die
alle durch die Ziffer stärker belastet erscheinen. In allen liegen ähnliche
Verhältnisse vor wie in der soeben besprochenen Amtshauptmannschaft
Leipzig.
In mancher Hinsicht interessant ist dann noch die Amtshauptmann-
schaft Chemnitz, die die höchste uneheliche Fruchtbarkeitsziffer hat und
deren eheliche Fruchtbarkeitsziffer nur noch von der der Amtshaupt-
mannschaft Leipzig übertroffen wird. Ihre Quote, 12,46%, liegt nur
wenig unter der Landesquote. Diese gegensätzlichen Zahlen sind so zu
erklären: Der Prozentanteil der gebärfähigen Frauen an der Bevölkerung
überhaupt ist mit 23,6°/, gegenüber dem der meisten anderen Amts-
hauptmannschaften ziemlich hoch. Von diesen gebärfähigen Frauen ist
ein sehr großer Prozentsatz verheiratet, 66,9%. Diese Verheirateten
haben eine sehr große Fruchtbarkeit; aber auch die Ledigen und ver-
heiratet Gewesenen, die doch nur einen geringen Teil der gebärfähigen
24 Zweites Kapitel. Die Unehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken
Frauen ausmachen, sind an der Bevölkerungserneuerung sehr stark be-
teiligt. Es scheint, als ob in der Amtshauptmannschaft Chemnitz der
Bevölkerungswechsel außerordentlich schnell von statten geht. Hierauf
weist auch die große Säuglingssterblichkeit in dieser Gegend hin, auf
die wir später zu sprechen kommen werden. Aus der großen absoluten
Zahl sowohl der ehelich als auch der unehelich Geborenen folgt dann
nur eine mittlere Quote. Also auch hier bietet die Quote für sich allein
betrachtet ein zu günstiges Bild dar. Ganz ähnlich wie hier liegen die
Verhältnisse noch in den Amtshauptmannschaften Freiberg und Rochlitz.
Einer besonderen Betrachtung werden wir nun noch das Vogtland
und die Lausitz unterziehen, um zu sehen, ob sich das ungünstige Bild
dieser Bezirke, das die Quote entrollt hat, bestätigt.
Das Vogtland weist in seinen beiden Bezirken Plauen und Ölsnitz
mittlere Quoten und mittlere Ziffern und in dem Bezirk Auerbach hohe
Quote und hohe Ziffer auf. In Plauen sind die gebärfähigen Frauen
prozentuell in der Bevölkerung stark vertreten mit 25,3°/, und auch in
Auerbach und Ölsnitz ziemlich stark mit 23,2 resp. 23,3%. In Plauen
sind von diesen Frauen 44,2%, ledig, verwitwet und göchieden, also
fast 4%, mehr als im ganzen Lande, während Auerbach mit 40,5% den
Landesanteil nur um 0,1%, unterbietet und Olsnitz ihn um 1,2%, über-
trifft. Auch die Heranziehung der ehelichen und anehelichen Frucht-
barkeitsziffer ergibt für die 3 Amtshauptmannschaften nichts Neues; sie
bestätigen nur das, was die Quote besagt: Plauen steht am günstigsten
da, dann folgt Ölsnitz und schließlich Auerbach, das übrigens mit der
Amtshauptmannschaft Marienberg auf gleiche Stufe zu stellen ist.
Zum Schluß wenden wir uns zur Lausitz, wo wir so besonders un-
günstige Verhältnisse mit Hilfe der Unehelichkeitsquote konstatierten.
Bautzen, die am weitesten nach Nordosten gelegene Amtshauptmann-
schaft, erscheint durch die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer in etwas
günstigerem Lichte: Der Prozentanteil der Verheirateten an den gebär-
fähigen Frauen ist ziemlich gering, daher auch die eheliche Fruchtbar-
keit. Die verhältnismäßig große Anzahl der Ledigen und verheiratet
Gewesenen hat eine mittlere Fruchtbarkeit. Die Inbeziehungsetzung
der ehelichen und unehelichen Geburten gibt demnach eine hohe Un-
ehelichkeitsquote. In Löbau ist die Milderung durch die uneheliche
Fruchtbarkeitsziffer schon in geringerem Maße der Fall; am wenigsten
aber in der ganz südlich gelegenen Amtshauptmannschaft Zittau, wo das
besonders ungünstige Resultat der Quote durch die Ziffer vollauf be-
stätigt wird. Unter der Bevölkerung der Amtshauptmannschaft Zittau
sind die gebärfähigen Frauen mit 24,6%, stark vertreten. Sie verteilen
sich auf die Gruppen der Ledigen und verheiratet Gewesenen einerseits
und der Verheirateten andererseits in durchaus normaler Weise (wenn
als normal hier die Verteilung im Königreich überhaupt angenommen
wird): 39,5%, sind ledig, verwitwet und geschieden, 60,5%, verheiratet.
Die Verhältnisse im Vogtland und in der Lausitz 25
Die Verheirateten haben nun eine besonders geringe Fruchtbarkeit. Liegt
doch diese Ziffer mit 193,91°,,. um 51,68%% unter jener des ganzen
Landes. Im Gegensatz hierzu ist die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer um
8,90°,,, höher als die des ganzen Landes. Hieraus erklärt sich dann auch
die hohe Unehelichkeitsquote — verhältnismäßig wenig eheliche, da-
gegen sehr viel uneheliche Geburten —, die uns also schon allein das
richtige Bild gegeben hat, nämlich daß die Amtshauptmannschaft Zittau
besonders stark mit unehelichen Geburten belastet ist.
In den übrigen bei dieser Besprechung nicht genannten Amtshaupt-
mannschaften bringt die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer kein neues Mo-
ment, sondern bestätigt nur das, was die Unehelichkeitsquote ausdrückt;
in Döbeln und Dippoldiswalde tritt sie vielleicht etwas mildernd auf.
82. Scheidung der Quoten aus der Periode 1890—99 nach Stadt und
Land und Vergleich mit 1900—09.
Wir sind in der glücklichen Lage, auch bei der Betrachtung der
Unehelichkeit der kleinsten Verwaltungsbezirke die Zweiteilung jedes
Bezirkes in Städte und Dörfer durchführen zu können, also die wichtige
Frage beantworten zu können, ob Stadt oder Land mit unehelichen Ge-
burten mehr belastet sind. Wir haben in bezug auf dieses Problem bei
der Betrachtung der zeitlichen Entwicklung in den einzelnen Kreishaupt-
mannschaften zum Teil sehr voneinander abweichende Resultate erhalten.
Es ist daher wohl nicht überflüssig, auf diese Frage noch einmal etwas
ausführlicher einzugehen. Im folgenden zerlege ich daher die Unehe-
lichkeitsquoten der Verwaltungsbezirke in 2 Quoten, in die der Städte
und in die der Dörfer jedes Bezirkes.
Bei der folgenden Betrachtung werden wir die 3 exemten Städte
Dresden, Leipzig und Chemnitz unberücksichtigt lassen und nur die übri-
gen Städte in Betracht ziehen. Unseres Erachtens ergibt sich nämlich ein
ganz falsches Bild, wenn wir bei der Berechnung der Städtequoten der
Kreishauptmannschaften und der des ganzen Landes die Zahlen dieser
3 Städte mit einbeziehen. Eine Gegenüberstellung wird dies erläutern:
Städtequote mit , ohne
der Einbeziehung der 3 exemten Städte
Kreishauptmannschaft Bautzen 11,02 7. 11,02 °
Ae Dresden 16,70 10,96
% Leipzig 14,53 11,00
S Zwickau 12,19 12,16
Königreich 14,01 °% 11,65,
Wenn wir nun unserer üblichen Gruppeneinteilung die Städtequote
des Königreiches mit Einbeziehung der exemten Städte zugrunde legen,
so sind nur die Quoten der Städte Dresden und Leipzig höher als die
Städtequote des ganzen Landes, die Städtequoten sämtlicher Amtshaupt-
mannschaften aber niedriger. Wir glauben, diese Tatsache rechtfertigt
26 Zweites Kapitel. Die Unehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken
die Ausschaltung der exemten Städte vollkommen, um so mehr, als wir
sie schon einer Sonderbetrachtung unterzogen haben.
Anschließend bringe ich gleich noch die Unehelichkeitsquote der
Dörfer der Kreishauptmannschaften:
Dörferquote:
der Kreishauptmannschaft Bautzen 15,89 %/,
5 e Dresden 9,89
x sé Leipzig 11,56
” D Zwickau 11,35
des ganzen Königreiches 11,54 °°,
Die Quote der Städte des ganzen Landes weicht also von der Quote
der Dörfer des ganzen Landes nur um 0,11°/, ab, aber schon für die
Kreishauptmannschaften ergeben sich größere Verschiedenheiten. In den
Amtshauptmannschaften sind die Gegensätze noch viel größer. Die Ver-
teilung auf die beiden Gruppen, je nachdem ob unter oder über der
Landesquote, zeigt dies deutlich:
Gruppe 1:
a) Amtshauptmannschaften, deren b) Amtshauptmannschaften, deren
Städtequote unter der des ganzen | Dörferquote unter der des ganzen
Landes liegt: Landes liegt:
Amtsh. Dresden-A.. .... . 8,17°/, Amtsh. Dresden-N.. .. .. . 7,93%,
vw Kamenz ....... 8,52 ;; Zwickau. .. ec es RS 8,18
» ` Dresden-N.. ..... 8,97 » Dresden-A....... 8,53
„ Grimma....... 9,60 » Großenhain ..... 9,78
„ Leipzig ....... 9,68 » Schwarzenberg . . . . 9,80
» Bautzen . ...... 9,95 » Leipzig ....... 10,14
5. “Birne u N 8. 10,36 »„ Grimma ....... 10,88
mr Glauchau ...... 10,47 5 Meißen ....... 10,44
» Dippoldiswalde. . . . 10,59 pp POURS gie, Be ee 10,61
„ Löbau. zo. Ne 4 10,95 de, PDA an Sg SS Tt 10,92
„ Swickau....... 11,04 ze. “Döbeln. „2 Nr 11,31
„ Döbeln. ....... 11,15 » Kamenz ....... 11,84
» Großenhain. ..... 11,17 » Dippoldiswalde. .. . 11,41
» Annaberg ...... 11,38 wi blauen: Aen dds e 11,46
„ ` Borna........ 11,41
Gruppe 2:
a) Amtshauptmannschaften, deren b) Amtshauptmannschaften, deren
Städtequote über der des ganzen Dörferquote über der des ganzen
Landes liegt: Landes liegt:
Amtsh. Meißen ....... 11,69%, |Amtsh. Glauchau ...... 11,61%,
» Schwarzenberg... . 11,74 SS Freiberg. ...... 12,75
» Rochlitz... .... 11,96 » Chemnitz. ...... 12,40
ge Freiberg. ...... 12,24 o Annaberg ...... 12,65
eg Oschatz ....... 12,42 5 Borna — 3. oo 2 ee 12,90
e Marienberg. ..... 12,45 S Oschatz ......-. 12,93
ji Chemnitz. ...... 12,88 » Rochlitz....... 13,44
v» Ölsnitz. .. ac 12,92 » Auerbach ...... 13,64
»„ ODS a 8 e 0% 13,31 » Olenitz. ....... 13,78
» Auerbach ...... 13,51 » Marienberg...... 14,18
gp. DIA ge yee Ree 13,75 » Bautzen....... 16,06
se, Blauen; ae Sara Hh % 13,98 e BObau e 2:8 Sk Sos 16,29
opp. MARCEL cB te, op veh or eh 18,17
Stadt und Land 1890—99 97
Aus dieser Übersicht ist zu ersehen, daß sich die Städtequote in
bescheideneren Grenzen bewegt als die Quote der Dörfer der Amtshaupt-
mannschaften. Während nämlich der Unterschied zwischen der niedrig-
sten und der höchsten Städtequote nur 5,81%, beträgt, erreicht er bei
den Quoten der Dörfer einen solchen von 10,24%. Das liegt sowohl
daran, daß die Unehelichkeitsquote der Dörfer tiefer hinuntergeht als
die Städtequote — das Minimum der Städtequote hat Dresden-A. mit
8,17°%,, das Minimum der Dörferquote hat Dresden-N. mit 7,93%, —,
als auch, daß sie einen viel höheren Stand erreicht mit 18,17, in Zittau,
während die höchste Städtequote Plauen mit 13,98%, aufzuweisen hat.
Die Zerlegung in Stadt und Land zeigt uns nun das Zustandekom-
men der Gesamtquote der einzelnen Amtshauptmannschaften. Die über
der Landesquote liegenden Quoten setzen sich zu allermeist aus einer
hohen Städte- und einer hohen Dörferquote zusammen; dies ist der Fall
in den Amtshauptmannschaften Oschatz, Marienberg, Ölsnitz, Auerbach
und Zittau, und zwar ist jedesmal die Städtequote wenn auch wenig
kleiner als die Quote der Dörfer. Dagegen sind die hohen Quoten der
Amtshauptmannschaften Bautzen und Löbau das Resultat einer niedrigen
Städte- und einer desto höheren Dörferquote. Nur in der Amtshaupt-
mannschaft Plauen, die auch eine hohe Quote hat, resultiert sie aus einer
bemerkenswert hohen Stidtequote — der höchsten im Königreich, ab-
gesehen von den exemten Städten — und einer niedrigeren Quote der
Dörfer. Wir glauben, hier ist von besonderem Einfluß die Hauptstadt
des Bezirkes, Plauen, die ja neuerdings auch schon zu den Großstädten
zählt, aber von uns noch nicht ausgeschaltet werden konnte, Am
schlechtesten schneidet auch bei dieser Untersuchung wieder die Amts-
hauptmannschaft Zittau ab, die neben der beinahe größten Städtequote,
13,75°,, die bei weitem höchste Unehelichkeitsquote in den Dörfern auf-
zuweisen hat: 18,17,
Gehen wir nun noch etwas näher auf die Unterschiede zwischen
Stadt und Land ein, so zeigt sich, daß sich in der Kreishauptmannschaft
Bautzen der größte Unterschied bemerkbar macht; die Differenz beträgt
hier 4,87%. Für die einzelnen Bezirke sind aber die Unterschiede noch
beträchtlicher: In Bautzen 6,11%, in Löbau 5,34%, in Zittau 4,42%, in
Kamenz 2,82%; und zwar ist in allen die Städtequote die kleinere. Das-
selbe ist noch der Fall in 15 anderen Amtshauptmannschaften, wenn
auch die Differenz in diesen allen unter 2%, ja in 10 Bezirken sogar
unter 1%% beträgt. Auch in den Aıntshauptmannschaften mit größerer
Städtequote ist der Unterschied zwischen Stadt und Land nicht so groß;
am größten ist er in Flöha mit 2,70%, und in Plauen mit 2,51%,. In
den übrigen beträgt er weniger als 2%.
Im allgemeinen läßt sich hiernach doch wohl sagen, daß mit einigen
krassen Ausnahmen der Unterschied zwischen den Unehelichkeitsquoten
der Städte und Dörfer sich in ziemlich engen Grenzen bewegt; beträgt
28 Zweites Kapitel. Die Unehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken
er doch in 7, aller Amtshauptmannschaften unter 1,50%,. Jedenfalls
erscheinen die Dörfer stärker belastet als die Städte, wenn man von
den Großstädten absieht, eine Tatsache, die in der Städte- und Dörfer-
quote des ganzen Landes nicht in die Erscheinung tritt. Daß man aus
diesem Ergebnis keine voreiligen Schlüsse ziehen darf, die etwa dahin
gehen könnten, den agrarischen Gegenden höhere Belastung zuzuschreiben,
werden wir weiter unten kurz zeigen.
Diese ganze Betrachtung haben wir für das Jahrzehnt 1890—99
aus den oben angegebenen Gründen durchgeführt. Um nun aber auch
den Ergebnissen der neuesten Zeit Rechnung zu tragen, fügen wir eine
kurze analoge Betrachtung für das Jahrzehnt 1900—09 und einen Ver-
gleich beider Zeiträume hinzu. Leider ist dies aber nur für die Unehe-
lichkeitsquote möglich und zwar auch für diese nicht mit der Gliederung
nach Stadt und Land, sondern nur für die Amtshauptmannschaften im
ganzen.
Das Kartogramm 3 gibt wohl eine hinreichende Erläuterung der
Spalte 3 von Tabelle 9. Danach hat die Quote in der Kreishauptmann-
schaft Bautzen fast um 1%, nachgegeben. In den anderen 3 Kreishaupt-
mannschaften stellt sich die Quote im letzten Jahrzehnt ausnahmslos
höher, so daß die Durchschnittsquote für das ganze Königreich ebenfalls
höher ist als im Jahrzehnt 1890—99. Vergleichen wir die beiden Karto-
gramme 1 und 3, auf denen wir 5 analoge Gruppen gebildet haben,
so umfaßt die erste Gruppe mit den niedrigsten Quoten, 8,03— 11,00%,
in beiden Jahrzehnten 10 Verwaltungsbezirke, wenn auch nicht ganz
die gleichen: es sind dazu gekommen Dippoldiswalde und Döbeln aus
der 2. Gruppe, dagegen sind Grimma und Meißen an die 2. Gruppe ab-
gegeben. Die 2. Gruppe hat sich um einen Bezirk vermindert, und zwar
ist die Stadt Chemnitz in die 3. Gruppe aufgerückt. Außerdem sind
noch Marienberg und Ölsnitz von der 3. Gruppe an die 2. abgegeben
und dafür Rochlitz und Freiberg in die 3. Gruppe eingetreten. Die
4. Gruppe hat ihren Besitzstand insofern verändert, als die Stadt Leipzig
in die 5. aufgestiegen ist und Zittau aus der 5. in die 4. Gruppe gelangt
ist. In der 5. Gruppe befinden sich alsc im letzten Jahrzehnt nur die
beiden Städte Leipzig und Dresden.
Hieraus ergibt sich, daß an der Erhöhung der Quote vornehmlich
die Stadt Chemnitz und die Bezirke Glauchau, Plauen und Zwickau
Schuld sind, die innerhalb der Gruppe, zu der sie gehören, nicht unbe-
trächtlich höhere Quoten erlangt haben, während die Bezirke Marien-
berg und Ölsnitz diese Steigerung der Quote ganz erheblich abschwächen.
Die höhere Quote in der Kreishauptmannschaft Leipzig resultiert aus
der Erhöhung der Quoten in fast allen Bezirken, besonders aber aus der
viel höheren Quote der Stadt Leipzig.
In der Kreishauptmannschaft Dresden ist besonders die Quote des
Bezirkes Freiberg gestiegen, um fast 2°/,. Die geringere Quote schließ-
Vergleich der Perioden 1890—99 und 1900—09 29
lich in der Kreishauptmannschaft Bautzen ist dadurch zu erklären, daß
in sämtlichen Bezirken die Quote nachgelassen hat, besonders aber in
dem Bezirk, der die höchste Quote des ganzen Königreiches hatte, in
Zittau.
Um das Resultat dieses Vergleiches der beiden Jahrzehnte 1890 —
1899 und 1900—09 zusammenzufassen, so haben wir in 15 Bezirken
eine mehr oder weniger große Steigerung wahrzunehmen, die denn auch
durch das Herabgehen der Quote in den übrigen Bezirken nicht ausge-
glichen werden konnte, sondern die eine Erhöhung der Landesquote
um 0,66°/, herbeiführte. Es ergibt sich deshalb zwar für das ganze Land
ein noch ungünstigeres Resultat, dies wird aber insofern gemildert, als
gerade in den meist belasteten Bezirken der Lausitz und in der Amts-
hauptmannschaft Ölsnitz im Vogtland eine erhebliche Besserung einge-
treten ist, wenn sich die Quoten auch noch immer auf einer ziemlichen
Höhe gehalten haben.
Wir wollen nun noch kurz auf die oben angedeutete Frage ein-
gehen, ob sich eine höhere Belastung der industriellen oder der agra-
rischen Gegenden des Königreichs ergibt. In der Arbeit „Das Sparkas-
senwesen im Königreich Sachsen“ von Dr. F. Braedt (44. Ergänzungs-
heft der Zeitschrift f. d. Ges. Staatsw.) wird folgende Schilderung von
dem Industrie- und dem Agrargebiet Sachsens gegeben: „Das Industrie-
königreich Sachsen ist kein einheitlicher Industriestaat, sondern es ist
aus 2 Teilen zusammengesetzt, einem stark industriellen und einem re-
lativ agrarischen. Der Industrieteil deckt sich vollständig mit den dicht-
besiedelten Flächen, der Agrarteil ist dünn besiedelt.
Das Industriegebiet erstreckt sich über die Kreishauptmannschaft
Chemnitz und Zwickau, über St. und A. Leipzig, St. Dresden, Dresden-A.,
Dresden-N., und z. T. über A. Zittau. Das Agrargebiet umfaßt die Kreis-
hauptmannschaft Leipzig (ausschließend St. und A. Leipzig), Bautzen
(ausschließend Zittau) und Dresden (ausschließend Dresden und Dres-
den-A. und Dresden-N.).“
Die Amtshauptmannschaften werden nun folgendermaßen auf 3 Grup-
pen verteilt:
a) Relativ agrarisch: Von 100 Bewohnern gehören zur Berufsabtei-
lung A (Landwirtschaft):
Dippoldiswalde . 33,6 | Borna. ..... 25,1 Döbeln ..... 19,1
Uschatz. . . . . 39,7 | Bautzen. .... 23,7 | Löbau.. .... 19,0
Kamenz..... 26,6 Grimma..... 23,3 | Freiberg. . ... 18,8
Großenhain . . . 25,8 | Meißen ..... 21,4 |
b) Übergangsgebiete: Von 100 Bewohnern gehören zur Berufsab-
teilung:
8 A B A B
Olsnitz ........ 153 62,6 | be, a Ae e 12,3 61,4
Marienberg. ...... 17,3 61,7 | Pirna........., 16,7 55,8
Rochlitz. ....... 16,9 62,4 | Dresden-Neustadt. . . . 11,3 53,6
30 Zweites Kapitel. Die Unehelichkeit in den kleinsten Verwaltungsbezirken
c) Stark industriell: Von 100 Bewohnern gehören zur Berufsabtei-
lung B (Industrie):
Chemnitz . . . . 75,4 Glauchau . . . . 702 | Flöha. ..... 65,4
Auerbach . . . . 74,1 Annaberg . . . . 68,7 Ä Plauen ..... 64.1
Schwarzenberg. . 73,6 | Dresden-Altstadt. 67,8 |; Leipzig. .... 60,5
und die exemten Städte.
Bilden wir nun für diese 3 Gruppen, Agrarteil, Ubergangsgebiet
und Industrieteil, die Unehelichkeitsquoten, so ergibt sich folgendes
Bild: Unehelichkeitsquote von
a) Agrarteil . . . . . 10,50%
b) Ubergangsgebiet . . 11,49
c) Industrieteil . . . . 14,07.
Hieraus geht deutlich genug hervor, daB die agrarischen Gegenden
des Königreichs viel besser dastehen als die industriereichen, dichtbevöl-
kerten Bezirke. Im zusammenfassenden Kapitel kommen wir hierauf
noch einmal kurz zurück.
An diese Schilderung der territorial so verschiedenen Unehelich-
keit im Königreich Sachsen hätte sich nun eigentlich ein Kapitel anzu-
schließen, in dem eine Erklärung für diese Verschiedenheiten versucht
werden müßte, mit anderen Worten, die Frage: wodurch ist die Unehe-
lichkeitserscheinung überhaupt bedingt und welche verschiedene Be-
dingtheit schafft diese Gegensätze? hätte ihre Erledigung zu finden.
Nach O. Spann sind die unmittelbaren Bedingungen dieser Erschei-
nung psychologischer Natur, und alle äußeren Verhältnisse (insbeson-
dere wirtschaftliche) sind nur komplizierende Einflüsse, nicht aber grund-
sätzliche Bedingungen, so bedeutsam sie auch tatsächlich sein mögen.
Auf unsere Untersuchung für das Königreich Sachsen angewendet, hätten
wir also einerseits die unmittelbaren Bedingungen und den Einfluß der
'mittelbaren festzustellen und andererseits die sich ergebenden Unter-
schiede als Erklärungen für die territorialen Verschiedenheiten heran-
zuziehen. Unseres Erachtens sind nun aber bei einer im großen und
ganzen so einheitlich zusammengesetzten, relativ kleinen Bevölkerungs-
masse wie in Sachsen die unmittelbaren Bedingungen wohl im allge-
meinen die gleichen: eine überaus laxe Auffassung vom außerehelichen
Geschlechtsverkehr ist in allen Teilen des Landes wohl fast ım gleichen
Maße bei den in Betracht kommenden Bevölkerungsschichten zu finden.
Eine verschieden starke Vertretung dieser Bevölkerungsschichten wäre
dann schon eine Ursache der Gegensätze in den einzelnen Teilen des
Landes. In der Hauptsache blieben also die äußeren Verhältnisse als
Bedingungen der z. T. großen Verschiedenheiten übrig. Und diese wollen
wir dann auch tatsächlich berücksichtigen, aber erst nachdem wir die
anderen Faktoren, die hier zur Erklärung beitragen können, besprochen
haben: Die unehelichen Totgeburten, die uneheliche Säuglingssterblich-
keit und die Legitimationen; denn alle Ergebnisse wollen wir nachher
Gegensatz zwischen Industrie- und Agrargegenden 31
zusammenfassen und dazu benutzen, einige Schlüsse auf die Zustände
in den einzelnen Gegenden zu ziehen, und dabei ergeben sich dann auch
gleichzeitig Aufschlüsse über die Ursachen der territorialen Gegensätze.
Um uns also nicht zu wiederholen, stellen wir die vollständige Beant-
wortung der oben aufgeworfenen Frage einstweilen zurück.
Drittes Kapitel.
Die unehelichen Totgeburten.
$ 1. Einleitende Bemerkungen.
In den vorhergehenden Kapiteln haben wir die uneheliche Geburten-
masse ohne jede weitere Differenzierung betrachtet. Jetzt wollen wir
der wichtigen und für unser Problem sehr interessanten Unterscheidung
nach Lebend- und Totgeborenen Rechnung tragen. Dies ist eine natür-
liche Differenzierung der Geburtenmasse, die neben dem naturwissen-
schaftlichen Interesse auch ein starkes sozialwissenschaftliches in An-
spruch nimmt, das sich noch steigert bei der Betrachtung der unehe-
lichen Totgeburtenhäufigkeit. G. v. Mayr stellt nun folgendes Ideal auf:
„Das Endziel der moralstatistischen Betrachtungsweise der Totgeburten
muß darauf gerichtet sein, die sozialen Momente von den natürlichen zu
isolieren und sie alsdann weiter in die 2 Hauptgruppen der wirtschaftlichen
und der spezifisch sittlichen Einflüsse zu zerlegen.“ Er fügt aber auch
gleich hinzu, daß wir heutzutage noch außerordentlich weit von diesem
Ziele entfernt seien. Dies liegt hauptsächlich daran, daß sich der ge-
nauen Erfassung der Totgeburten und besonders der unehelichen große
Schwierigkeiten in den Weg legen. Vor allem ist die scharfe und rich-
tige Abgrenzung der Totgeburten gegen die Fötalabgänge einerseits
und gegen die wohl lebend zur Welt gekommenen, aber bald darauf ge-
storbenen Kinder andererseits mit großen Schwierigkeiten verknüpft.
Für die erste Schwierigkeit hat man Abhilfe in der Weise gesucht, daß
man bestimmte, eine 6monatliche Schwangerschaft müsse der Geburt
vorausgegangen sein; frühzeitigere Geburten seien zu den Fötalabgängen
zu rechnen, also gar nicht als Geburt zu bezeichnen. Sicher unterbleibt
nun besonders bei den unehelichen Geburten oft überhaupt eine standes-
amtliche Anmeldung unter dem Vorwande, das Kind sei noch nicht
lebensfähig gewesen. Dies führt uns auf eine andere Schwierigkeit, die
sich einer genauen Erfassung entgegenstellt, auf die Fälschung des Sach-
verhalts, die wieder bei den unehelichen Geburten viel häufiger auftritt
als bei den ehelichen. Zwei Gesichtspunkte kommen hier nach G.v. Mayr
in Betracht. Erstens sind Falschmeldungen, die mit verbrecherischen
Eingriffen zusammenhängen, besonders häufig; dann auch „treffen hier
die sozialen Erwägungen, die für eine bona fide eintretende Fälschung
32 Drittes Kapitel. Die unehelichen Totgeburten
zugunsten der Lebendgeburt-Erklärung geltend gemacht werden könn-
ten, nicht zu.“
In welchem Maße diese Unsicherheiten des Materials für die säch-
sischen Verhältnisse zutreffen, darüber können wir uns kein Urteil er-
lauben; wir glaubten aber doch auf etwaige Mängel und Ungenauigkeiten,
die sich der statistischen Erfassung und daher auch ihrer Ausschaltung
entziehen, aufmerksam machen zu müssen.
Zur Messung der Totgeburtenhäufigkeit kann man nun 3 Quoten
bilden:
1. Die allgemeine Totgeburtenquote: Man erhält sie, indem man
die Totgeburten auf die Geburten überhaupt bezieht.
2. Die eheliche Totgeburtenquote: Inbeziehungsetzung der ehelichen
Totgeburten zu den ehelichen Geburten.
3. Die uneheliche Totgeburtenquote: Man bezieht die unehelichen
Totgeburten auf die unehelichen Geburten.
Uns interessiert im folgenden natürlich besonders die uneheliche
Totgeburtenquote. Zum Vergleich haben wir aber stets auch die ehe-
liche berechnet und in den Tabellen aufgeführt. Hier werden sie des
öfteren auch im Text zum Vergleich herangezogen werden.
Leider steht uns für die Darstellung der zeitlichen Entwicklung
auch hier wieder nur eine ziemlich beschränkte Zeitspanne zur Verfügung;
erst vom Jahre 1836 an weist die amtliche Statistik die ehelichen und
unehelichen Totgeburten gesondert aus.
§ 2. Die zeitliche Entwicklung der unehelichen Totgeburten.
Die absoluten Zahlen der unehelichen Totgeburten weisen nach
Jahrfünften zusammengefaßt folgende Entwicklung auf:
1836—40 2904 | 1861—65 4132 | 1886—90 4020
1841—45 3085 | 1866—70 4051 | 1891—96 3940
1846—50 3247 | 1871—75 3995 | 1896—1900 4450
1851—55 3028 1876—80) 3999 1901—05 4200
1856—60 3783 | 1881—85 3866 | 1906—10 4181
Bis 1861—65 sehen wir eine unverkennbare steigende Tendenz der
Zahlen analog der urehelichen Geburtenzahl überhaupt, dann ein un-
regelmäßiges Oszillieren bis zum Maximum im Jahrfünft 1896—1900,
das auch bei den unehelichen Geburten überhaupt in diese Periode fällt;
von da ab ein allmähliches Zurückgehen. Im ganzen ist ein Rückgang
der Totgeburtenhäufigkeit eingetreten, wenn man die Zahl der unehe-
lichen Totgeburten mit der Zahl der unehelichen Geburten überhaupt
vergleicht; denn diese ist vom Zeitraum 1836—40 bis 1906—10 um
das 1,4fache gestiegen, während die Steigerung bei den unehelichen
Lebend- und Totgeburten zusammen in diesem Zeitraum ungefähr das
2,4fache beträgt. Dies wird sich deutlich zeigen, wenn wir Relativzahlen
Zeitliche Entwicklung der unehelichen Totgeburten 33
bilden. Tabelle 11 gibt die eheliche und uneheliche Totgeburtenquote
von Jahr zu Jahr an, und die graphische Darstellung Nr. 3 veranschau-
licht uns die zeitliche Entwicklung.
Ein Blick auf die graphische Darstellung läßt uns erkennen, daß
stets die uneheliche Totgeburtenquote höher war als die eheliche. Dies
ist leicht erklärlich und ein Umstand, der allgemein zu beobachten ist.
Einer der vielen Gründe dieser Erscheinung ıst wohl hauptsächlich der,
daß sich die Mutter des unehelichen Kindes während der Zeit der
Schwangerschaft in den meisten Füllen wenig oder gar keine Schonung
auferlegen kann, sondern oft bis ganz kurz vor der Entbindung schwer
arbeiten muß, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Auch bei
Müttern ehelicher Kinder mag dies der Fall sein, aber in so ausgedehn-
tem Maße wohl sicher nicht. Wie oft dann noch verbrecherische Ein-
griffe, die sowohl auf Abtreibung der Leibesfrucht im ersten Entwick-
lungsstadium als auch nach erfolglosem Abtreibungsversuch direkt auf
Tötung hinzielen können, vorliegen, das entzieht sich erst recht unserer
Kenntnis, geschweige denn einer statistischen Erfassung.
Die uneheliche Totgeburtenquote setzt im Jahre 1836 mit dem
Maximum von 7,15 °, ein, verläßt dann aber dauernd die 7 %, und er-
reicht sogar nur noch 4mal — in den Jahren 1838, 1839, 1842, 1844
— Quoten über 6 %,. Sie bewegt sich vielmehr ziemlich unregelmäßig
und schwankend in den Jahren bis 1876 zwischen 5 und 6 % und stellt
sich in dieser Periode sogar 3mal unter 5%. Vom Jahre 1876 ab
sinkt sie dann fiir immer unter 5%, und erreicht im Jahre 1909 ein
Minimum von 3,89 %,. Im ganzen eine erfreuliche Entwicklung: Eine
über größere Zeitperioden sich erstreckende stetige Abnahme der Quote.
Die gleiche Tendenz ist bei der ehelichen Totgeburtenquote zu ver-
folgen: Sie fällt von 4,37 ù% im Jahre 1836 bis auf 3,15 %, im Jahre
1910. Da sie sich überhaupt in mäßigeren Bahnen bewegt und, wie die
graphische Darstellung veranschaulicht, zeitweise fast konstant bleibt,
hat sie eine weniger auffallende Minderung aufzuweisen als die unehe-
liche Totgeburtenquote. Besonders in den letzten Jahren zeigt sich
übrigens ganz unverkennbar die Tendenz zur Annäherung der beiden
Quoten. Während die Spannung nämlich zwischen beiden im Jahre
1836 ein Maximum von 2,78 %, hat und während sie sich bis zum Jahre
1878 noch überwiegend zwischen 1 und 2%, bewegt, überschreitet sie
die 1 ù% von da ab nur noch selten. Das Minimum der Spannung fällt
in das Jahr 1881 mit 0,52%, und zwar bei einem mittleren Stande
beider Quoten.
Dieser Übersicht über die zeitliche Entwicklung der unehelichen
Totgeburtenquote des ganzen Landes wollen wir wenigstens für die
letzten 7 Jahre eine Zerlegung der Quote in 3 folgen lassen: In die der
exemten Städte, in die der übrigen Städte und in die der Landgemein-
den. Danach haben wir zunächst folgende absoluten Zahlen:
Prenger, Unehelichkeit 3
34 Drittes Kapitel. Die unehelichen Totgeburten
Uneheliche Totgeburten in den
exemten Städten übrigen Städten Landgemeinden
1904 343 192 322
1905 369 145 320
1906 348 154 310
1907 386 173 338
1908 376 138 310
1909 861 130 317
1910 398 135 308
Auf die unehelichen Geburten überhaupt bezogen, rechnen sich
folgende Beziehungszahlen heraus:
Uneheliche Totgeburtenquote in den
exemten Städten übrigen Städten Landgemeinden
1904 5,05 °%/, 4,18 %, 3,67 %,
1905 4,71 °%/, 4,06 9. 3,78 %,,
1906 4,31 %, 4,20 °/, 3,65 %,
1907 4,90 d, 4,49 9), 8,88 %,
1908 4,62 %, 8,51 %, 3,48 0
1909 4,41 %, 3,61 °%/, RT
1910 4,91 3,64 %, 3,60 °,
Diese Zahlenreihen zeigen uns deutlich die höhere Mehrbelastung
der exemten Städte mit unehelichen Totgeburten gegenüber den übrigen
Städten und den Landgemeinden, und wiederum eine Mehrbelastung der
kleinen Städte gegenüber den Landgemeinden, wenn auch hier der Unter-
schied besonders in den letzten Jahren ganz minimal ist. Dieses Resultat
deckt sich völlig mit den Untersuchungen, die auf Grund von Material
anderer Länder gemacht worden sind. Über die Ursachen der gesteiger-
ten unehelichen Totgeburtlichkeit der Großstädte läßt das Material leider
keine Schlüsse zu. Nach G. v. Mayr aber ist allgemein ein gewisser
Verdacht gesteigerter moralischer Belastungsmomente für die Großstadt
schon jetzt begründet.
§ 3. Die unehelichen Totgeburten in den Amtshauptmannschaften |
während der Periode 1890—99 mit der Scheidung nach Stadt und Land.
Um zu verfolgen, wie sich die Totgeburtenquote in den einzelnen
Bezirken im allgemeinen und nach Stadt und Land gliedert, greifen wir
wieder das Jahrzehnt 1890—99 heraus (s. Tabelle 12). Danach haben
wir bei einer unehelichen Totgeburtenquote von 4,24 °% für das ganze
Königreich in der Kreishauptmannschaft Bautzen die niedrigste Quote
mit 3,87 %,; auch die Quote der Kreishauptmannschaft Zwickau liegt
mit 3,95 %, unter der des ganzen Landes, während in der Kreishaupt-
mannschaft Leipzig und besonders in Dresden höhere Quoten zu ver-
zeichnen sind: 4,28 % und 4,76 %,. Schon aus diesen paar Zahlen er-
sieht man eine große territoriale Verschiedenheit der Totgeburtenquote
Sachsens. Gehen wir nun weiter ins geographische Detail, so finden wir
folgende Verteilung:
Die unehelichen Totgeburten in der Zeit 1890—99 35
In der Nordwestecke des Königreichs haben wir die geringste
Quote mit 2,80 % in der Amtshauptmannschaft Leipzig. Nennen wir
dann mäßig hohe Quoten solche bis zu 4°, so haben wir ein Gebiet
mit diesen Quoten, das sich von Norden resp. Nordosten bis tief ins
Land hinein erstreckt in der Richtung Nordost nach Südwest. Es ist
dies der Komplex Bautzen, Kamenz, Dresden-N. und -A mit Ausnahme
des Stadtkreises Dresden. Auch das südlicher gelegene Zittau hat eine
mäßig hohe Quote. Ein zweites solches Gebiet liegt dann noch im Süd-
westen und wird gebildet von den Amtshauptmannschaften Glauchau,
Chemnitz, Zwickau, Schwarzenberg, Auerbach und Olsnitz. In allen übrigen
Bezirken beträgt die Quote über 4°/,. Hervorzuheben ist von diesen wieder
ein größeres zusammenhängendes Gebiet mit sehr hohen Quoten. Es
sind dies die Amtshauptmannschaften Marienberg, Freiberg, Dippoldis-
walde und Pirna, die die südliche Grenze des Landes bilden. Auch im
Norden, im Westen und im Osten liegt je eine Amtshauptmannschaft
mit sehr hoher Quote: Großenhain, Borna, Löbau. Was die drei exemten
Städte betrifft, so steht Chemnitz mit 4,32%, am besten da, Leipzig hat
bereits über 4,5 9, und Dresden sogar über 5 °,. So ergibt sich aller-
dings im einzelnen eine mannigfaltige Verteilung der Totgeburtenquoten,
aus der wir aber doch einige größere Gebiete mit fast gleichen Quoten
hervorheben konnten.
Sehen wir nun zu, welche Gegensätze zwischen Stadt und Land in
den einzelnen Bezirken bestehen (vgl. Tabelle 12). Das erste, was da
auffällt, ist, daB in sämtlichen Kreishauptmannschaften und folglich
auch im ganzen Königreich die Quote in den Städten höher ist als auf
den Dörfern. Betrachten wir aber die kleinsten Verwaltungsbezirke, so
zeigt sich erst, aus wie verschiedenen Einzelquoten diese 4 Quoten ent-
stehen. In 11 Bezirken ist nämlich die Dörferquote höher als die der
Städte; diese 11 Amtshauptmannschaften verteilen sich in mehreren zu-
sammenhängenden Gruppen auf das ganze Land. Die eine Gruppe im
Osten wird gebildet von Bautzen, Löbau und Pirna, die zweite im Süd-
westen von Olsnitz und Auerbach; die dritte im Westen von Glauchau,
Rochlitz und Chemnitz. Der Süden des Landes ist mit Marienberg ver-
treten, der Norden mit Oschatz und die Mitte des Landes mit Meißen.
Der Unterschied (Dörferquote höher als Städtequote) ist in Oschatz und
Glauchau am höchsten: über 1 °%,..Am geringsten ist er in Chemnitz,
wo er nur 0,03 °, beträgt. In den Bezirken dagegen, wo die Städte-
quote höher ist, sind die Unterschiede doch zum großen Teil viel be-
trächtlicher: in Dresden A. z. B. 2,77 811 Überhaupt werden allgemein
in den Städten allein viel höhere Quoten erzielt, als wenn man in den
Bezirken keinen Unterschied zwischen Stadt und Land macht. Wir
wollen damit ausdriicken, daB sich die Totgeburtenquote einiger Ver-
waltungsbezirke aus beträchtlich verschiedenen Stadt- und Landquoten
zusammensetzt und zwar derart, daß die Stadtquote dann bedeutend
3%
36 Drittes Kapitel. Die unehelichen Totgeburten
höher ist als die Landquote. In den beiden Quoten fiir das ganze König-
reich werden diese Unterschiede natürlich etwas nivelliert, da sie im
Vergleich zu den kleineren Unterschieden seltener auftreten, so daß die
Spannung zwischen der Städte- und Dörferquote des ganzen Landes nur
0,54 % beträgt.
Ein Blick auf die Verteilung der ehelichen Totgeburtenquote nach
Stadt und Land zeigt uns gerade das umgekehrte Bild wie bei der un-
ehelichen Totgeburtenquote. Hier ist nämlich in allen 4 Kreishaupt-
mannschaften und deshalb auch im ganzen Lande die Städtequote
niedriger als die Dörferquote; selbst in den Amtshauptmannschaften
sind mit nur 4 Ausnahmen durchgehends die Dörfer mit ehelichen Tot-
geburten höher belastet als die Städte. Jedenfalls eine ganz bemerkens-
werte Tatsache: Meist höhere uneheliche, dagegen fast stets niedrigere
eheliche Totgeburtenquote der Städte im Gegensatz zu den Dörfern.
Daraus folgt dann die zweite auffällige Tatsache, daß fast durchweg die
Spannung zwischen der ehelichen und der unehelichen Totgeburten-
quote in den Stüdten ziemlich bedeutend größer ist als in den Dörfern.
Diese beiden Umstände deuten wohl darauf hin, daß in den Städten
eine viel größere Schonung der Leibesfrucht bei ehelichen Müttern zu
finden ist als bei unehelichen, daß dagegen in den Dörfern hierin kein
so großer Gegensatz herrscht. Andrerseits läßt die höhere Belastung der
Dörfer mit ehelichen und z. T. auch mit unehelichen Totgeburten darauf
schließen, daß hier schwerer ärztliche Hilfe zu beschaffen ist als in den
Städten, daß sie aber, wenn sie in Anspruch genommen werden muß,
in den Dörfern fast gleichermaßen von ehelichen als auch von unehe-
lichen Müttern beansprucht wird. In den Städten dagegen könnte man
vermuten, daß die unehelichen Mütter eher darauf verzichten, sei es,
daß es ihnen gleichgültiger oder gar lieber ist, wenn das Kind tot zur
Welt kommt, sei es, daß sie nicht in der Lage sind, einen Arzt zu be-
zahlen. Auch eine kräftigere Konstitution der unehelichen Mütter auf
dem Lande könnte man aus den Zahlen herauslesen. Venerische Er-
krankungen, die ja so besonders die Syphilis oft zur Totgeburt führen,
mögen schließlich bei den unehelichen Müttern der Stadt als weiter
verbreitet zu vermuten sein. Der Verdacht, den G. v. Mayr in der Rich-
tung einer gesteigerten moralischen Belastung der Großstadt ausspricht,
würde durch diese Erwägungen einerseits gestützt werden, andererseits
— für das Königreich Sachsen wenigstens — eine Erweiterung auf die
Städte überhaupt gegenüber dem platten Lande erfahren.
Nach den Ursachen der auffälligen Verschiedenheit zwischen den
einzelnen Bezirken zu fragen, liegt nun auch sehr nahe. Es ist aber
sehr schwer, hier irgendeinen Punkt geltend zu machen, der allgemein
als Erklärung dienen könnte. Die lokalen Verhältnisse nach den ver-
schiedensten Richtungen hin spielen hier eine sehr große Rolle. Es
scheint nach dem, was wir über die lokale Verteilung der Quote ge-
Uneheliche Totgeburten nach Stadt und Land 37
funden haben, daB die Industriegegenden besonders stark belastet sind.
Doch finden sich auch hier Ausnahmen, die ein derartiges allgemeines
Urteil erschiittern und ihm viel von seiner Wahrscheinlichkeit nehmen
können. Immerhin sprechen die Zahlen einer Reihe von Verwaltungs-
bezirken wohl dafür. Übrigens fällt oft eine hohe uneheliche Tot-
geburtenquote mit einer hohen ehelichen zusammen. Dies könnte zu der
Vermutung führen, daß allgemein in der betreffenden Gegend auf eine
möglichst sorgfältige Schonung der Leibesfrucht wenig Gewicht gelegt
wird, sei es aus Gleichgültigkeit, sei es aus Mangel an Mitteln.
Ein Umstand, der vielleicht mit mehr Wahrscheinlichkeit geltend
gemacht werden könnte, wäre der der sittlichen Auffassung der Be-
völkerung, besonders nach der Richtung hin, ob sie die uneheliche
Mutter streng verurteilt oder mehr einer laxeren Auffassung huldigt.
Eine strenge Verurteilung des gefallenen Mädchens, die ja vielleicht
schon an und für sich den außerehelichen Geschlechtsverkehr etwas ein-
zuschränken vermag, ihn aber keineswegs ganz verhindern kann, wird
eine viel größere Scham und Furcht vor Schande bei dem Mädchen
auslösen als eine leichtfertige Auffassung der betreffenden Klassen. Das
könnte dann viel eher zu verbrecherischen Eingriffen verleiten oder auch
nur zu dem Bestreben, die Tatsache der Schwangerschaft durch Weg-
schnüren der Leibesfrucht so lange wie möglich zu verheimlichen; die
Folge ist dann oft eine Totgeburt.
Doch alle diese Erklärungsversuche für die höhere uneheliche Tot-
geburtenquote können noch durchaus kein befriedigendes Resultat zeiti-
gen. Wir wollen daher diesen unsicheren Boden, wo wir uns nicht auf
ganz strenge statistische Tatsachen stützen können, verlassen und im
folgenden noch der neuesten Zeit gerecht werden durch einen kurzen
Vergleich des Jahrzehnts 1890—99 mit dem Jahrzehnt 1900—09.
$ 4. Die unehelichen Totgeburten in den Amtshauptmannschaften in
der Periode 1900—09 und ein Vergleich der Jahrzehnte 1890—99
und 1900—09.
Auch hier ist uns wieder nur ein Vergleich der Verwaltungsbezirke
im ganzen ohne Gliederung nach Stadt und Land möglich, da geson-
derte Angaben in dieser Beziehung nicht vorliegen.
Mit Ausnahme der Kreishauptmannschaft Bautzen ist ein Zurück-
gehen der Quote in den Kreishauptmannschaften und auch im ganzen
Lande zu verzeichnen. Außerdem hat sich die Spannung zwischen der
niedrigsten und höchsten Quote dadurch in doppelter Weise verringert,
daß die obere Grenze hinab- und die untere Grenze hinaufgerückt ist.
Die territorialen Gegensätze haben sich also gemildert. Im einzelnen
haben sich aber doch einige bemerkenswerte Verschiebungen vollzogen,
die wir besonders hervorheben möchten.
38 Drittes Kapitel. Die unehelichen Totgeburten
Die Amtshauptmannschaft Leipzig, die bei weitem die niedrigste
Quote des ganzen Landes zeigte, steht im letzten Jahrzehntdurchschnitt
schlechter da als im vorhergehenden: die Quote ist um 0,4°/, gewach-
sen. Die zeitliche Entwicklung der letzten 20 Jahre führt dies deut-
lich vor Augen:
Uneheliche Totgeburtenquote der A. Leipzig:
1890 1,93 %, 1896 2,68 °/, 1901 8,36 %, 1906 4,85 °%
1891 2,97 1897 4,15 1902 2,05 1907 3,12
1892 2.66 1898 3,90 1903 3,57 1908 2,05
1893 2,18 1899 2,25 1904 3,15 1909 83,21
1894 2,46 1900 3,11 1905 3,72 1910 2,73
1895 224
Während im Jahrzehnt 1890—99 also nur je einmal die 3%, und
die 4% überschritten werden, weist das Jahrzehnt 1900—09 4mal Quo-
ten über 3°, und einmal eine Quote sogar über 4,5%% auf. `
Eine noch auffallendere Steigerung der Quote sehen wir sich in
der Amtshauptmannschaft Bautzen vollziehen, von 3,18%, im Jahrzehnt
1890—99 auf 4,14%, in der Periode 1900—09. Von Jahr zu Jahr ist
die Entwicklung hier folgende:
Uneheliche Totgeburtenquote der A. Bautzen:
1890 3,21%, 1896 3,49%, 1901 5,41%, 1906 3,52 %,
1891 2,46 1897 3,10 1902 8,70 1907 4,61
1892 2,34 1898 3,48 1903 3,54 _ 1908 4,40
1893 2,82 1899 3,45 1904 4,05 1909 8,74
1894 8,90 1900 4,47 1905 8,89 1910 4,14
1896 3,53
Zwei steigende Tendenzen lassen sich danach verfolgen. Die erste
von 1891— 1901, wo ein Höhepunkt erreicht wird, dann von 1902—08.
Im ersten Jahrzehnt haben wir keine Quote über 4% 1m zweiten da-
gegen 5, darunter eine über 5°.
Auf noch einen Bezirk erheblicher Steigerung der unehelichen Tot-
geburtenquote möchten wir hier aufmerksam machen, auf die A. Freiberg.
Uneheliche Totgeburtenquote der A. Freiberg:
1890 3,75% ` 1896 Sept, 1901 484%, 1906 65,98%,
1891 4,94 | 1897 6,58 1902 3,97 1907 7,68
1892 6,00 | 1898 4,95 1903 4,33 1908 5,08
1893 4,44 | 1899 5,17 1904 6,59 1909 5,24
1894 3,94 1900 5,20 1905 5,18 1910 4,22
1895 348 |
Die Reihe zeigt bei großen Schwankungen doch eine unverkenn-
bare steigende Tendenz mit dem Maximum der Entwicklung im Jahre
1907: 7,63%%
AuBer in diesen 3 Bezirken ist die Quote noch in 6 anderen ge-
stiegen, wenn auch meist um nur ganz winzige Betrage.
Vergleich der Zeiträume 1890—99 und 1900—09 39
Diesen steigenden Tendenzen stehen nun aber fallende in erheblich
mehr Bezirken und auch in zum Teil erheblich größerem Maßstabe ge-
genüber. Wir wollen dies an der zeitlichen Entwicklung dreier Bezirke,
bei denen man es am besten verfolgen kann, zeigen:
Uneheliche Totgeburtenquote der Amtshauptmannschaften
Jahr Pirna Oschatz Ölsnitz Jahr Pirna Oschatz Ölsnitz
1890 4,90%, 3,19% 4,29% | 1901 4,27%, 3,08%, 2,76%,
1891 427 3,96 6,70 1902 4,08 2,11 2,99
1892 6,53 5,62 2,72 1903 4,55 4,00 1,43
1898 461 6,49 2,88 1904 4,49 2,82 1,35
1894 4,70 4,25 2,68 1905 3,09 2,18 5,19
1895 4,06 5,51 4,16 1906 8,31 2,13 1,84
1896 65,22 2,15 3,00 1907 4,27 2,67 3,08
1897 5,56 2,21 4,88 1908 3,36 3,12 3,14
1898 4,12 4,38 4,88 1909 4,19 3,78 2,50
1899 4,16 4,15 5,05 1910 4,01 3,50 1,37
1900 3,66 4,59 2,92
Die fallende Tendenz zeigt sich nun allerdings nicht von Jahr zu
Jahr durch gleichmäßige Abnahme; man sieht vielmehr ein sehr un-
ruhiges Hin- und Herschwanken, und es ergeben sich sogar ganz erheb-
liche Rückschläge (z. B. in Ölsnitz im Jahre 1905); aber im ganzen ist
die Abnahme als allgemeine Tendenz unseres Erachtens zweifellos vor-
handen. Das fortwährende Schwanken der Quote erklärt sich zum guten
Teil daraus, daß die absoluten Zahlen sehr klein sind — ın Oschatz sind
jährlich im Durchschnitt 5 Totgeburten zu verzeichnen! —, so daß auch
nur 1 Totgeburt mehr schon sehr viel ausmacht.
Eine gänzlich andere Verteilung der Totgeburtenquote ergibt sich
nach diesen Betrachtungen nicht für das Jahrzehnt 1900 —09. Einige
besondere Fälle haben wir hervorgehoben; neben noch einigen etwas
bedeutenderen Unterschieden bleibt sich die Verteilung im übrigen
gleich. Der Komplex geringerer und mittlerer Quoten hat sich im Nord-
westen bedeutend vergrößert durch das Hinzutreten von Oschatz, Grimma
und Borna. Auch das Gebiet im Südwesten mit mäßig hoher Quote hat
sich vergrößert, während das Gebiet im Süden mit den höchsten Quoten
durch das Zurückgehen der Quote in Pirna eine Verminderung erfahren
hat. Auch in den Amtshauptmannschaften Dippoldiswalde und Marien-
berg, die zu diesem Gebiete gehören, ist die Quote bedeutend gefallen,
wenigstens in Dippoldiswalde: es ist aber doch das höchst belastete Ge-
biet geblieben mit dem Höhepunkt in der Amtshauptmannschaft Freiberg.
So haben wir das, was wir aus der jahrzehntelangen Entwicklung
der unehelichen Totgeburtenquote des ganzen Landes nachweisen konn-
ten, nämlich ihre sinkende Tendenz in der überwiegenden Zahl der Ver-
waltungsbezirke bestätigt gefunden.
Als Ursachen für die fast allgemein eingetretene Abnahme der ehe-
lichen als auch der unehelichen Totgeburtenhäufigkeit ist vielleicht ein-
40 Viertes Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit
mal eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse geltend zu machen.
Eine unmittelbare Folge hiervon ist dann sicherlich wohl eine viel
öftere Heranziehung ärztlicher Hilfe, die heutzutage auch schneller
beschafft werden kann als früher. Zweifellos spielt aber in diesem Zu-
sammenhang auch der Umstand eine nicht zu unterschätzende Rolle,
daß die Hebammen jetzt viel eingehender auf ihren verantwortungs-
vollen Beruf vorbereitet werden. Ob und inwieweit dann noch eine
größere Schätzung des werdenden Lebens, die eine größere Schonung
zur Folge hat, ın der Richtung einer Verminderung der Totgeburten
wirkt, wollen wir hier nicht entscheiden.
Viertes Kapitel.
Die uneheliche Säuglingssterblichkeit.
$ 1. Die zeitliche Entwicklung.
Unter Säuglingssterblichkeit im statistischen Sinne versteht man
die Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebensjahr. Lange Zeit ist dies
Gebiet von der amtlichen Statistik Sachsens arg vernachlässigt worden.
Nur lückenhafte und unzuverlässige Aufzeichnungen fanden statt, so
daß mit dem so gesammelten Material nicht viel anzufangen war. Dies
wurde erst anders, als mit dem Reichsgesetz über die Beurkundung des
Personenstandes vom 6. Februar 1875 eine gesetzliche Grundlage zur
Beschaffung des Urmaterials der Statistik der Eheschließungen, Gebur-
ten und Sterbefälle geschaffen wurde. Von nun an wird auch das Ma-
terial für die Säuglingssterblichkeit zuverlässiger, lückenloser und diffe-
renzierter. Allerdings weist die amtliche sächsische Statistik erst vom
Jahre 1880 die Sterblichkeit der Säuglinge mit Unterscheidung der ehe-
lichen und unehelichen Geborenen aus.
Danach sind vom Jahre 1880 bis zum Jahre 1910 uneheliche Kin-
der im 1. Lebensjahr gestorben:
1880 6113 1888 6704 1896 6646 1904 6246
1881 5997 | 1889 7131 1897 7681 1905 6292
1882 6148 1890 6563 1898 7081 1906 5465
1883 6311 | 1891 6683 1899 7420 1907 6441
1884 7016 1892 7113 1900 7524 1908 6235
1885 6368 | 1893 6985 1901 6875 1909 5063
1886 7397 | 1894 6606 1902 5907 | 1910 4447
1887 6404 | 1895 7480 1903 6247 |
Schon aus dieser Reihe der absoluten Zahlen der Säuglingssterb-
lichkeit ist ein außerordentliches Schwanken von Jahr zu Jahr ersicht-
lich. Der Höhepunkt wird zweifellos in den 90er Jahren erreicht. Von
1900 ab erfolgt eine fast stetige Abnahme, die in den letzten Jahren
größere Dimensionen annimmt, so daß die absolute Zahl der im 1. Le-
Zeitliche Entwicklung der unehelichen Säuglingssterblichkeit 41
bensjahre unehelich gestorbenen Kinder im Jahre 1910 bedeutend ge-
ringer ist als im Jahre 1880. Bedenkt man ferner, daß doch die Zahl
der unehelich Lebendgeborenen der Jahre 1880 und 1910 um eine Zu-
nahme von ungefähr 4000 differiert, so kann man schon hieraus den
Schluß ziehen, daß die Säuglingssterblichkeit der Unehelichen bedeutend
abgenommen haben muß. Um die Abnahme aber genauer zu messen,
wollen wir uns einer relativen Zahl bedienen. Wir beziehen die wäh-
rend eines bestimmten Kalenderjahres im 1. Lebensjahr gestorbenen auf
die im gleichen Jahre lebendgeborenen Kinder, getrennt für eheliche
und uneheliche. Dies liefert uns die eheliche bzw. uneheliche Säuglings-
sterblichkeitsziffer. Wie schon bei den Totgeburten werden wir auch
hier jedesmal die Ergebnisse für die ehelichen Kinder vergleichend her-
anziehen.
Über den zeitlichen Verlauf der beiden Säuglingssterblichkeits-
ziffern gibt uns Tabelle 13 und die graphische Darstellung Nr. 4 Auf-
schluß. Hier treten die jährlichen Schwankungen, die wir schon aus den
absoluten Zahlen herausgelesen baben, besonders deutlich zutage. Haupt-
sächlich von 1880 an bis in die 90er Jahre läßt sich keine bestimmte
Tendenz verfolgen. Auf Jahre geringer Sterblichkeit folgen in diesem
Zeitraum meist um so größere Rückschläge. Das Maximum fällt in das
Jahr 1886, in dem auf 100 unehelich Geborene fast 42 während des
1. Lebensjahres unehelich Gestorbene kommen. Eine ganz erschreckend
hohe Zahl! Und noch zweimal werden die 40°, überschritten: Im Jahre
1892 mit 40,66%, und im Jahre 1895 sogar mit 41,13°/,. Auch das
Jahr 1889 zeigt mit 39,9°, eine außerordentlich hohe Säuglingssterb-
lichkeit unter den Unehelichen. Erfreulicherweise setzt bereits in den
letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Besserung ein. Vom Jahre
1895 an läßt sich eine abnehmende Tendenz wahrnehmen. Zwar erfolgt
1897 noch ein Rückschlag auf 38,97°/,; aber von da an werden die 38%,
nicht wieder erreicht, bald auch die 35°%, nicht mehr, ja von 1906 ab
sinkt die Ziffer dauernd unter 30%. Das Jahr 1910 bringt sogar ein
Minimum von 23,07%, so daß die Ziffer in den letzten 6 Jahren allein
in stetigem, schnellem Rückgang um 10°, gesunken ist. Wie sehr sich
die Verhältnisse gebessert haben, zeigt vielleicht der Umstand am deut-
lichsten, daß die eheliche Säuglingssterblichkeitsziffer, die, wie wir so-
gleich seben werden, stets viel geringer ist als die uneheliche, bis zum
Jahre 1902 keinen so tiefen Stand erreicht hatte, wie ihn im letzten
Jahre die uneheliche aufweisen kann.
Beim Vergleich dieser Entwicklung mit der der ehelichen Säug-
lingssterblichkeit fällt einmal der Umstand auf, daß sich eine fast ganz.
genau parallele Entwicklung beider Ziffern vollzieht, dann aber auch
ist der große Unterschied zwischen beiden Ziffern bemerkenswert. Was
die parallele Entwicklung anbetrifft, so hat auch die eheliche Säuglings-
sterblichkeitsziffer ihr Maximum im Jahre 1886 mit 28,90%. Auch die
42 Viertes Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit
anderen Höhepunkte der Entwicklung finden sich wieder, wenn sie auch
bei den Schwankungen von Jahr zu Jahr nicht so kraB auftreten, schon aus
dem Grunde, weil die Ziffer im allgemeinen bedeutend kleiner ist. Die
abnehmende Tendenz ist auch hier unverkennbar besonders in den letz-
ten 11 Jahren, wo sie um 10°, gefallen ist. Um die Tendenz zur Ver-
minderung bei beiden Ziffern deutlich in die Erscheinung treten zu
lassen, fassen wir die einzelnen Jahre zu jährigen Gruppen zusammen;
dann ergibt sich:
Es starben ım ersten Lebensjahre im Verhältnis zu je 100 Lebend-
geborenen:
Im Jahrfünft: Eheliche Uneheliche Im Jahrfünft: Ebeliche Uneheliche
1881—85 26,71%, 38,31%, 1896—1900 25,07%, 36,50%,
1886—90 26,67 39,02 | 1901—05 23,35 32,92
1891—95 26,49 38,69 ~ 1906—10 18,72 26,07
Diese kleine Tabelle zeigt deutlich, wie die eheliche Säuglingssterb-
lichkeit von Anfang an eine abnehmende Tendenz zeigt, während die
uneheliche erst eine Steigerung erfährt und hier der Rückgang, aller-
dings nur bei Zusammenfassung zu größeren Perioden, erst nach 1890
einsetzt. Dann aber ist auch bei ihr die Abnahme unverkennbar.
Die Spannung zwischen den Ziffern bewegt sich zwischen dem
Maximum von 13,72°/, im Jahre 1895 und dem Minimum von 6,62°%, im
Jahre 1910. Im Durchschnitt beträgt sie ungefähr 10—11°/, wenigstens
für die früheren Jahre. Sie ist also bemerkenswert groß. In den letzten
Jahren verringert sie sich aber zusehends als Folge eines stärkeren Rück-
ganges der unehelichen Sterblichkeitsziffer. Die eheliche kann natur-
gemäß nicht so schnell sinken als die uneheliche, da sie nicht so viel
Spielraum hat.
Als Ursachen der höheren Säuglingssterblichkeit unter den unehe-
lichen Kindern, die überall zu beobachten ist, gibt Prinzing in seinem
„Handbuch der medizinischen Statistik“ an: Geringere Lebensfähigkeit,
Mangel an Wartung und Pflege und unpassende Ernährung. M. Mar-
cuse (Uneheliche Mütter, Großstadtdokumente Bd. 27) dagegen will von
einer geringeren Lebensfähigkeit der unehelichen Kinder nichts wissen:
„Es ist zweifellos erwiesen, daß die unehelichen Kinder von Natur aus
nicht schwächer veranlagt sind.“ Er stützt sich auf das Urteil Rosen-
felds (Mehrsterblichkeit der unehelichen Kinder, Jahrbuch für Kinder-
heilk. Bd. 63), der die höhere Sterblichkeit der Unehelichen ausschlieB-
lich auf unzureichende Pflege und Ernährung zurückführt. Marcuse
fährt dann fort: „In den Untersuchungen von Neumann und Spann
wird dies in einwandfreier Weise bestätigt dadurch, daß die erschreckend
hohe Sterblichkeit nicht alle unterschiedslos betrifft, sondern je nach
den äußeren Verhältnissen, unter denen sie leben, ganz verschieden ist.“
Dies letzte Argument an sich ist zweifellos unanfechtbar, ob aber die
Behauptung von der gleichen Lebensfähigkeit bei beiden Kategorien
Zeitliche Entwicklung der unehelichen Säuglingssterblichkeit 43
von Kindern in dieser schroffen Form richtig ist, möchten wir zum
mindesten dahingestellt sein lassen. In voller Ausdehnung auf alle un-
ehelichen Kinder trifft sie sicherlich nicht zu. Das sächsische Material
erlaubt es aber leider nicht, nach der einen oder der anderen Richtung
hin sichere Schlüsse zu ziehen; daher können wir nur allgemein unser
Urteil dahin zusammenfassen, daß man allen oben angeführten Gründen
einen Teil der Schuld an der höheren Säuglingssterblichkeit der Unehe-
lichen zuschreiben kann.
Wie sich die Säuglingssterblichkeit in bezug auf die Einteilung
des ganzen Landes in Städte und Dörfer gliedert, darüber gibt uns fol-
gende kleine Tabelle Auskunft:
Im Verhältnis zu 100 Lebendgeborenen sind bis zum Ablauf des
1. Lebensjahres gestorben:
| | In den Städten In den Dörfern
: Jahr eheliche | uneheliche eheliche uneheliche
Im ganzen Königreich
eheliche uneheliche |
| Kinder
a ll e pb | 6 | 7
| 1893 | | 40,42 27,30 38,56
1894 ; 38,45 24,80 36,31
| 1895 7 | 42,83 27,41 41,18 |
1896 36,53 23,46 33,81
| 1897 | 42,10 26,56 38,97 |
WI 37,95 23,95 35,17
1899 | 40,50 24,89 36,69
: 1900
Leider werden vom Jahre 1900 ab die Angaben nach Stadt und
Land nicht mehr in den amtlichen Publikationen angegeben, so daß uns
nur diese 8 Jahre zur Verfügung stehen. Aus der Tabelle scheint aber
doch schon mit genügender Deutlichkeit hervorzugehen, daß die Säug-
lingssterblichkeit der ehelichen und unehelichen Kinder in den Dörfern
höher ist als in den Städten. Jedoch sind diese Zahlenreihen mit großer
Vorsicht zu deuten. Schon die Tatsache, daß der Unterschied zwischen
Städten und Dörfern bei der unehelichen Säuglingssterblichkeit be-
trächtlich höher ist als bei der ehelichen, legt die Vermutung nahe,
daß hier ein bestimmender Faktor zu berücksichtigen ist; und dies ist
wohl folgender: Viele außerehelich Geschwängerte kommen der Ent-
bindung wegen in die Stadt, um bald nach der Geburt des Kindes mit
diesem wieder in die Heimat zurückzukehren; besonders ist dies dort
der Fall, wo eine größere Stadt mit Entbindungsanstalten in der Nähe
ist. Außerdem werden noch viele von städtischen Mädchen in der Stadt
unehelich Geborene gleich nach der Geburt auf dem Lande in Pflege
gegeben. Stirbt nun ein solches Kind, so füllt der Sterbefall dem Lande
zur Last, während die Geburt in der Stadt registriert ist. Einerseits wird
44 Viertes Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit
dadurch die Zahl der unehelichen Geburten in der Stadt vermehrt —
wir wiesen schon früher darauf hin —, andrerseits wird die Zahl der
Säuglingssterbefälle in der Stadt vermindert, sodaß bei der Inbeziehung-
setzung beider Zahlen eine zu niedrige Ziffer resultiert, während diese
hingegen auf dem Lande zu hoch erscheint; denn die Zahl der unehe-
lichen Geburten wird ungebührlich verringert, die Zahl der Sterbefälle
dagegen stellt sich zu hoch. Unter voller Berücksichtigung dieser Fehler-
quelle, deren Einfluß wir aber auch nicht überschätzen möchten, würden
wir schließlich doch dazu neigen, aus der Tabelle eine Mehrbelastung
der Dörfer, wenigstens was das ganze Land anbetrifft, herauszulesen,
und zwar aus dem Grunde, weil die Dörfer auch mit der ehelichen
Sauglingssterblichkeit stärker belastet sind, wo man diesen Einwand
doch nicht geltend machen kann. Wir glauben aber gern, daß sich für
manche kleinen Gebiete des Landes das umgekehrte Bild ergeben könnte.
Leider versagt hier die amtliche Statistik, so daß wir genötigt sind,
diese Frage aus Mangel an statistischen Nachweisen offen zu lassen.
Naturgemäß ist es sehr mißlich, aus einer so kleinen Entwicklungsreihe
wie der obigen eine Tendenz herauslesen zu wollen. Versucht man es
dennoch, so könnte man vielleicht nicht ganz ohne Grund behaupten,
daß sich in der Entwicklungsreihe der Städte eine abnehmende Tendenz
bemerkbar macht, jedenfalls wenn man sie mit der Reihe, die sich für
die Dörfer ergeben hat, vergleicht. Die Tatsache, daß die Entwicklung
in den Städten sich mit der in den Dörfern parallel vollzieht, ist nur
ein scheinbarer Widerspruch hiergegen, denn die Rückschläge, die bei
beiden Ziffern in dieselben Jahre fallen, sind bei der Ziffer für die
Städte nicht so groß als bei der für die Dörfer, so daß trotz der paral-
lelen Entwicklung bei der Städteziffer eher von einer Abnahme ge-
sprochen werden kann als bei der Säuglingssterblichkeit in den Dörfern.
Für eine andere, nicht minder wichtige Frage ist uns eine, wenn
auch nur kurze, zeitliche Entwicklungsreihe gegeben, nämlich für die
Frage: Wie verteilt sich die uneheliche Säuglingssterblichkeitsziffer auf
die 4 Kreishauptmannschaften? Wir können dies verfolgen vom Jahre
1885 bis zum Jahre 1900 (s. Tabelle 14). Ein ganz eigentümliches
Bild ergibt sich da, das wir in einer graphischen Darstellung (Nr. 5)
veranschaulichen zu müssen glaubten. Von verschwindend wenigen Aus-
nahmen abgesehen schneiden sich die 4 Kurven, die die Entwick-
lungsreihen der Kreishauptmannschaften darstellen, gar nicht. Vielmehr
liegt die Kurve der Kreishauptmannschaft Dresden oberhalb der von
Bautzen, die der Kreishauptmannschaft Leipzig oberhalb der von Bautzen
und Dresden und die der Kreishauptmannschaft Zwickau oberhalb der
3 eben genannten. Es ist also die Reihenfolge von der geringsten
zur stärksten Belastung folgende: Kreishauptmannschaft Bautzen, Dres-
den, Leipzig, Zwickau. Eine detaillierte Besprechung der graphischen
Darstellung glauben wir uns ersparen zu können, da sie wohl deutlich
Zeitliche Entwicklung der unehelichen Säuglingssterblichkeit 45
genug für sich selbst spricht. Nur kurz hervorheben möchten wir, daß
hier einerseits niedrigere Ziffern erreicht werden — in der Kreishaupt-
mannschaft Bautzen — andrerseits höhere — in der Kreishauptmann-
schaft Zwickau — als im ganzen Lande. Die niedrigste Ziffer in diesem
Zeitraum fällt in die Jahre 1896 und 1898 mit 27,51°,, während im
ganzen Lande für diese Periode ebenfalls das Jahr 1396 den niedrigsten
Stand bringt, aber mit 33,81%; die höchste Ziffer wird in der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau im Jahre 1892 mit 45,8%, erreicht; die höchste
des Landes dagegen betrug, wie wir sahen, 41,98%, im Jahre 1892.
Auch die Schwankungen von Jahr zu Jahr sind hier noch bedeutender
als im ganzen Königreich, da ja in der Landesziffer die Gegensätze der
einzelnen Landesteile stark nivelliert werden.
§ 2. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit in den Amtshauptmann-
schaften für die Perioden 1880—89 und 1891—1900.
Die Entwicklungsreihen der Kreishauptmannschaften legen die
Vermutung nahe, daß sich bei weiterer lokaler Differenzierung noch
größere Gegensätze ergeben könnten. Wir wollen daher auch hier kurz
auf die untersten Verwaltungsbezirke eingehen. Wir haben hierzu zwei
Jahrzehntdurchschnitte zur Verfügung, 1880—89 und 1891—1900 (s.
Tabelle 15). Diese Tabelle zeigt wieder die Einteilung des ganzen Lan-
des in die 27 Amtshauptmannschaften und die 3 exemten Städte. Gegen
die vollständige Beibehaltung dieser Einteilung für die folgende geogra-
phische Schilderung spricht nun ein großes Bedenken. Man fasse die
Zahlen der Stadt Dresden und der Stadt Leipzig einerseits und die der
Amtshauptmannschaft Dresden-A. und -N. und der Amtshauptmann-
schaft Leipzig andrerseits ins Auge. Dann sieht man, die beiden Städte
haben sehr niedrige Ziffern — im Jahrzehnt 1880—89 sogar die niedrig-
sten — und die betreffenden Amtshauptmannschaften die höchsten. Dies
ist dem schon oben erwähnten Vorhandensein der öffentlichen Entbin-
dungsanstalten in den beiden Hauptstädten zuzuschreiben und außerdem
dem bereits ebenfalls erwähnten Umstande, daß viele von städtischen
Müttern unehelich Geborene gleich nach der Geburt auf dem Lande in
Pflege gegeben werden und beim Todesfall dann die Säuglingssterblich-
keit der Umgebung der Großstädte in die Höhe schnellen lassen. Um
nun die Widersprüche, die sich daraus ergeben, zu .beseitigen, fassen
wir die Stadt Dresden mit den beiden sie umgebenden Amtshauptmann-
schaften und die Stadt Leipzig mit der gleichnamigen Amtshauptmann-
schaft zu je einem Bezirke zusammen. Wir haben dann also 27 Bezirke.
In der Tabelle sind die betreffenden Zusammenzüge in Kursivschrift
beigefiigt.')
1) Vgl. Tabelle 15 des Anhanges.
46 Viertes Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit
Wir erhalten nun, wenn wir erst einmal das Jahrzehnt 1880—89
- allein betrachten, folgende geographische Verteilung der Säuglings-
sterblichkeitsziffer: Die niedrigste Ziffer finden wir merkwürdigerweise
in einem Teile der Kreishauptmannschaft Zwickau, die doch im ganzen
genommen am stärksten belastet ist, nämlich in der Amtshauptmann-
schaft Olsnitz. Zusammen mit der sich an sie anschließenden Amts-
hauptmannschaft Auerbach, die eine um nur 3°, höhere Ziffer hat,
bildet sie das Gebiet, das am günstigsten dasteht. Dies trifft übrigens,
wie die Tabelle zeigt, nicht nur für die uneheliche, sondern sogar noch
im verstärkten Maße auch für die eheliche Säuglingssterblichkeitsziffer
zu. Ganz im entgegengesetzten Teil des Landes liegt dann noch ein
Gebiet mit sehr geringer Säuglingssterblichkeit, die Amtshauptmann-
schaft Kamenz, wo die Ziffer nur 26,9%, beträgt. Neben diesem südwest-
lichen und nördlichen Gebiet haben wir noch einen großen zusammen-
hängenden Komplex mit mittleren Ziffern, wenn man Ziffern bis zu 37%%
mittlere nennt. Es wird gebildet von der Kreishauptmannschaft Bautzen
mit Ausnahme der Amtshauptmannschaft Zittau, von der Kreishauptmann-
schaft Dresden mit Ausnahmeder Amtshauptmannschaft Meißen;ferner ge-
hören dazu von der Kreishauptmannschaft Leipzig die Amtshauptmann-
schaften Grimma und Oschatz und von der Kreishauptmannschaft Zwickau
die Amtshauptmannschaft Marienberg. Mit anderen Worten, dies Gebiet um-
faBt mit einer Ausnahme (Zittau) den ganzen Osten, fast den ganzen Siiden
und fast den ganzen Norden des Landes. In diesem groBen Komplex finden
wir überall Ziffern unter 37°/,, allerdings in der Mehrzahl zwischen 35 und
37°/,. Im Westen des Landes ist nun die Säuglingssterblichkeit am höchsten.
Obenan steht hier die Stadt Chemnitz, wo die Hälfte aller lebendgebo-
renen Kinder bereits im Laufe des ersten Lebensjahres wieder dahin-
gerafft werden. Welche Einbuße an nutzlos aufgewendeter Mühe, Sorge,
Arbeitskraft und Kapital! Die Amtshauptmannschaft Chemnitz gibt
dieser Stadt in ihrem traurigen Ruhm nur sehr wenig nach. Dann
schließen sich in absteigender Reihenfolge Zwickau, Glauchau, Meißen
und Flöha an, in denen noch über 42°/, der unehelich Lebendgeborenen
einen so frühen Tod finden. Sonach ergibt sich für das Jahrzehnt 1880
bis 1889 ein recht trauriges Gesamtbild: In 21 von 27 Bezirken stirbt
über ein Drittel der Lebendgeborenen vor der Vollendung des ersten
Lebensjahres und davon in 8 Bezirken sogar über zwei-Fünftel!
Vergleichen wir dieses Ergebnis mit dem Jahrzehnt 1891—1900,
so ist zuerst ein Nachlassen der Säuglingssterblichkeitsziffer für das
ganze Königreich um 1,25%, zu verzeichnen. Auch die Ziffern für die
Kreishauptmannschaften stellen sich allgemein niedriger; während aber
die Ziffer für Zwickau nur einen um 0,02% niedrigeren Stand hat,
weist Bautzen einen Rückgang von 3,84°/, auf.
Im einzelnen haben wir aber durchaus nicht überall ein Zurückgehen
der Ziffer, sondern einige Male ein bemerkenswertes Steigen, so besonders
Uneheliche Säuglingssterblichkeit 1880—89 und 1891—1900 47
in der Amtshauptmannschaft Pirna, wo die Ziffer um 3,16%, zugenommen
hat. Auch Glauchau hat eine beträchtliche Zunahme aufzuweisen: 2,77%,.
Außerdem ist die Ziffer noch in 8 Bezirken gestiegen, wenn auch z. T.
sehr wenig. In allen übrigen Bezirken ist sie dagegen zurückgegangen,
am meisten aber in der Amtshauptmannschaft Zittau, nämlich um 7,53°,,,
so daß dieserBezirk im letzten Jahrzehnt auch zu dem Gebiet der mittleren
Ziffern gehört. Ein bemerkenswerter Rückgang hat sich dann noch in
Döbeln, 4,29%, und in der Stadt Chemnitz, 4,56°,, vollzogen. Abgesehen
von diesen größeren Veränderungen ist das Bild von der geographischen
Verteilung der unehelichen Säuglingssterblichkeitsziffer dasselbe ge-
blieben. Es ist auch in diesem Jahrzehnt der Westen erheblich stärker
belastet als die übrigen Teile des Landes. Das Gesamtresultat ist, wie
schon gesagt, ein etwas besseres: Es sterben in 18 Bezirken noch mehr
als ein Drittel der lebendgeborenen unehelichen Kinder im ersten Lebens-
jahr, davon in 7 Bezirken mehr als zwei Fünftel. Man sieht, im ganzen
doch nur eine bescheidene Besserung. Für die letzten Jahre liegen uns
nun leider keine nach den Amtshauptmannschaften gesonderte Angaben
vor, so daß wir auf eine Berücksichtigung des letzten Jahrzehnts leider
verzichten müssen. Es wäre sehr interessant gewesen, die Verteilung
des großen Rückganges der Säuglingssterblichkeit im ganzen Lande auf
die einzelnen Bezirke verfolgen zu können.
Bei so großen territorialen Verschiedenheiten, die wir hier festge-
stellt haben, drängt sich unwillkürlich die Frage nach den Ursachen
auf. Sie liegen sicherlich z. T. in derselben Richtung wie bei der verschiede-
nenVerteilung der unehelichen Totgeburten. Großen Einfluß hat hier dann.
noch die Ernährungsweise. So finden wir beispielsweise als Erklärung für
die geringe Säuglingssterblichkeit in der Amtshauptmannschaft Ölsnitz in
der Zeitschrift des K. Sachs. Statistischen Bureaus angegeben, daß hier-
solche Hausindustrie vertreten sei, bei deren Ausübung die Frau am
wenigsten an der Selbstnährung ihrer Kinder gehindert ist. Hier liegt
zweifellos eine der wichtigsten Ursachen der hohen unehelichen Säug-
lingssterblichkeit. Daraus erklärt sich dann auch, daß der besonders
industrielle Westen stärker belastet ist als alle übrigen Teile des Lan-.
des. Die unehelichen Mütter, die sich hier sicherlich zum großen Teil
aus den Kreisen der Fabrikarbeiterinnen rekrutieren, haben in den mei-
sten Fällen keine Zeit, ihre Kinder selbst zu nähren, da sie so bald wie
möglich nach der Geburt des Kindes wieder ihrem Erwerb nachgehen
müssen, der sie tagsüber von Hause fernhält. Sicher spielen noch viele
andre Momente eine Rolle bei der Bestimmung der verschiedenen Höhe
der Säuglingssterblichkeit. Wir können sie aber alle durchaus nicht in.
befriedigender Weise, nicht einmal annähernd, statistisch ausweisen.
48 Viertes Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit
$ 3. Die Lebensbedrohung während des ersten Lebensjahres
in seinen verschiedenen Stadien.
Für die Beantwortung der Frage, zu welcher Zeit die Säuglinge
am meisten dem Tode ausgesetzt sind, greifen wir den Zeitraum 1901
bis 1905 heraus.
Von den 1901—05 Lebendgeborenen
sind gestorben:
Alter nach der Geburt ' im Verhältnis zu
| absolut je 100 d. Lebendg.
, ehel. ' unehel. | ehel. ' unehel.
1 | 2 | 3 E ME
Binnen 6 Tagen ı 1175 | 289 204 | 3,12
3 6—10 , | 4680 1113 ' 0,78 | 1,16
- dieses: % 5896 , 1626 0,90 1,59 |
„ 16—20 „ 6117 1796 | 0,93 | 1,87
„1-25 „ 3798 12 069 | 1,35 |
„ 26—30 , 3784 | 968 = 0,56 1,01
Im Laufe des 1. Monats 38447 9686 | 585 10,10 |
p Lo n 18621 | 4517 | 2,88 | 4,71 |
a a. & 18788 . 4189 2,85 4,87
Se 4 ge 16832 | 3369 2,56 8,51 |
= 5 ée | 13464 2591 | 2,05
n 6 = 10767, 1927 1,64
| o 8865 1418 | 135
| 3 8. 7522 | 1096 1,14
| e 9 yy 6385 904 | 0,97
| S 10. ,, 6421 753 0,82
| e 11. ,, 4495 609 , 0,69
12. „ | ‚3988 . 508 | 0,60
| Im Laufe des 1. Lebensjahres | 153495 | 31567 | 23,86
Im 1. Lebensmonat ist danach das Leben des unehelichen Kindes
am meisten bedroht, davon wieder sind die ersten 5 Lebenstage weitaus
am gefährlichsten. Der 2. Lebensabschnitt unserer Einteilung (also der
6. bis 10. Tag) zeigt einen viel günstigeren Stand; von da an steigert
sich die Lebensbedrohung wieder bis zum 20. Tage und fällt darauf bis
zum Ende des ersten Lebensmonats. Dasselbe Bild ergibt sich für die
ehelichen Kinder, nur daß von diesen nur fast halb soviel im 1. Monat
dahingerafft werden als von den unehelichen.
Im 2. Lebensmonat ist die Sterblichkeit der unehelichen Kinder
schon um über 5°, geringer als im ersten. Und sie verringert sich von
Monat zu Monat ganz stetigohne Rückschläge und erreicht im 12. Monat
ein Minimum von 0,53 %. Auch bei den ehelich geborenen Kindern
findet eine konstante, aber viel langsamere Minderung statt, so langsam,
daß die Säuglingssterblichkeit im 8. Monat bei beiden Kategorien der
Kinder gleich ist und daß von da an die unehelichen Kinder eine ge-
Sterblichkeit im Verlaufe des Säuglingsalters 49
ringere Sterblichkeit aufzuweisen haben als die ehelichen. Diese auf den
ersten Blick sehr auffällige Tatsache läßt sich vielleicht dadurch er-
klären, daß bei den unehelichen die schwächlichen und lebensunfähigen
Kinder in der frühesten Zeit wegsterben, hauptsächlich wohl aus Mangel
an genügender Sorgfalt und Pflege, die bei den ehelichen Kindern viel
besser ist. Dies hat zur Folge, daß viele schwächliche Kinder, die doch
auf die Dauer lebensunfähig sind, bei den ehelichen länger am Leben
erhalten werden, als bei weniger Sorgfalt der Fall wäre. Kurz, bei den
unehelich geborenen Kindern findet bereits sehr früh eine rücksichts-
losere, strengere Auslese statt; diejenigen, die unter diesen Umständen
die ersten kritischen Perioden überstehen, haben dann den Beweis ihrer
Lebensfähigkeit erbracht und sind den verderblichen Kinderkrankheiten
gegenüber viel widerstandsfähiger als solche ehelichen Kinder, die nur
unter peinlicher Sorgfalt und Pflege die erste Lebenszeit überstanden
haben. Aber noch ein anderer Umstand ist zur Erklärung dieser Tatsache
geltend zu machen (vgl. die entsprechenden Bemerkungen in der Zeit-
schrift des sächs. stat. B.). Im Laufe des ersten Jahres nach der Geburt
des Kindes verheiraten sich viele der unehelichen Mütter mit dem Vater
des Kindes — wir kommen im Kapitel der Legitimationen hierauf zu-
rück —, und durch diese Heirat wird das Kind eo ipso ehelich. Stirbt
es nun, so tritt es in der Sterbeziihlkarte als eheliches Kind auf; und
auf diese Weise steigert sich die relative Sterblichkeit der ehelichen
Kinder, während sich die der unehelichen im gleichen Maße verringert.
Die Unterschiede zwischen ehelicher und unehelicher Säuglingssterblich-
keit sind aus diesem Grunde um so unsicherer und ungenauer, je weiter
Sterbezeit und Geburtszeit auseinanderliegen. Es ist hiernach die Forde-
rung aufzustellen, daß in den Sterbezählkarten ein Unterschied gemacht
werde zwischen ehelichen Kindern, unehelich geborenen, aber durch
Legitimation ehelich gewordenen Kindern und unehelichen Kindern.
Erst dann könnte ein richtiges Bild der Sterblichkeit der unehelich ge-
borenen Kinder gewonnen werden.
Es sind durchschnittlich jährlich gestorben
im Alter 1881835 ; 1386,90 | 1891/95 1896 1900 1901/05
von ehelich' unehe!. ehelich | unehel. ehelich | unehet. ehelich unehel. ehelich ‘unehel.
1 | 2 | 8 { 4 / 5 6 | 7 i 3 | 9 | 40 11
1-3 Tagen|1817,6 6! 379,01989,0 425,8 20108 436,4 2206,6 507,0. 2153,4 491,4
1-7 Tagen 1008,6 228,2 1035,6 222,4 981,4 217,2 947,8 203.6 920,2 201,6
1 Woche 2x326, 2) 607,2 3024,6 648,2 30220 6536 31544 7106 30736 6930
2 Wochen 1693,4 415,8 1745,4! 420,2' 1759,2 433,8 1706,0 446,4 1465.2| 365.2
3-4 W. ..[3213,2. 900,6 3340,2' 917,0 3510,8 956,8 3609,2 1030.0 3150,8 879.0
1 Monat. .|7732,8 1923,6 8110,2 1985,4 8292,0 2044,2 8469,6 2187,0 7689,6 1987.2
2-6 Mon. | — | —' | — | — (17059,4 3732,4 17483,6 3940.2 156844 33186
7-12Mon. — | — | — | — | 84378 1146,4 8159,6 1139.2 7326.2 1257.6
1 Jabre..| — | — A9 788,6 6973,0 34112,8,7266,1 30099,2 6513.4
Prenger, Unehelichkeit 4
50 Viertes Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit
Bei der Verfolgung der zeitlichen Entwicklung der unehelichen
Säuglingssterblichkeit haben wir die Wahrnehmung einer fallenden Ten-
denz der Säuglingssterblichkeitsziffer gemacht. Beantworten wir nun
die Frage, welche Abschnitte des ersten Lebensjahres hieran besonders
beteiligt sind. Dazu haben wir für fünfjährige Durchschnitte die auf
vorhergehender Seite befindliche Tabelle aufgestellt.
Für die beiden Jahrfünfte 1881—85 und 1886—90 stehen uns
leider nur die Angaben bis zum ersten Lebensmonat zur Verfügung.
Die Inbeziehungsetzung der Gestorbenen zu den Lebendgeborenen wird
uns nun deutlich zeigen, welche Lebensabschnitte an der Minderung der
Säuglingssterblichkeit partipizieren:
im Alter 1881/85 | 1886/90 1891/95 | 1896/1900 | 1901,06
vou ehelich | unehel. ehelich | unehel. ehelich | unehel. ehelich ' unehel. ehelich 'unehel.
SESCH E Ge | Le ce elo | wre
1 12 | 3 ' 4 ! 5 ! 6 7 | 8 | 9 | 10 | a1.
|
1,60; 2,42] 1,62| 2,54| 1,64| 2,56!
0,77! 1,21! 0,70 1,02] 070| 1.05.
237! 363| 232| 856! 234| 361
1,38. 2,41| 1,25| 2,24| 1,11] 1,90!
1—3 Tagen .| 1,62 | 2,27! 1,63 | 2,48 |
4—7 Tagen .|| 0,90 | 1,87! 0,87 | 1,27
1 Woche ....|| 2,52 | 8,64! 2,50 | 8,70
2 Wochen...! 1,51 | 2,49; 1,43 | 2,40
3—4 Wochen | 2,86 | 5,40| 2,74 | 5,23 2,75/ 6,81| 2,65| 5,17) 2,40) 4,68
1 Monat.....'| 6,89 | 11,53 | 6,67 Ke? 6,50 | 11,35 | 6,22 | 10,97 | 6,85 | 10,09
'2—6Monaten! — | — | — | — | 18,37! 20,99 | 12,85 | 19,77 | 11,93 | 17,31 j
7—12 Moa — | — | — | — | 661| 6,86] 6,00| 5,72| 5,65| 6,561
f Jabr ...... — | — | — | — [26,48 | 38,70 | 25,07 | 36,46 | 23,43 | 38,96 |
Hier tritt deutlich in die Erscheinung, daß bei den unehelichen
Kindern die fallende Tendenz der Sterblichkeit davon herrührt, daß sie
sich in den Abschnitten vom 4. bis 7. Tage, in der 2. Lebenswoche, in
der 3. bis 4. Lebenswoche und im 2. bis 6. Lebensmonat von Jahrfiinft
za Jahrfiinft stetig verringert hat. Dagegen hat die Gefahr zu sterben
im jüngsten Lebensabschnitt, am 1. bis 3. Tage, zugenommen, allerdings
nur so wenig, daB der 1. Lebensmonat im ganzen dennoch eine abstei-
gende Tendenz zeigt. Bei den ehelichen Kindern treten dieselben Ten-
denzen in die Erscheinung, abgesehen davon, daß man bei der Sterblich-
keitsziffer der ersten 3 Tage hier eher von einer Konstanz als von einer
Steigerung sprechen kann. Gerade aber der Umstand, daß die Lebens-
bedrohung der 3 ersten Lebenstage keine Minderung erfahren hat, deutet
doch wohl darauf hin, daß einmal viele von vornherein lebensunfähige
Kinder zur Welt kommen, dann aber auch, daß die gleich nach der Ge-
burt einsetzende Pflege noch viel zu wünschen übrig läßt. Daß die un-
ehelichen Kinder hierunter wieder mehr zu leiden haben als die ehe-
lichen, ist sehr erklärlich und naheliegend. Eine nicht immer sachge-
mäße Leitung der Geburt mag hier auch noch eine Rolle spielen.
Zum Schluß wollen wir noch kurz auf die Frage eingehen, wie sich
die uneheliche Säuglingssterblichkeit auf die beiden Geschlechter ver-
Sterblichkeit beim männlichen und weiblichen Geschlecht 51
teilt. Wir betrachten zu diesem Zwecke die Säuglingssterblichkeit in
der Periode 1891—1900.
In dieser Zeit starben im ersten Lebensjahr:
ite Eheliche Uneheliche
Knaben | Mädchen Knaben | Mädchen
1 | 2 | 3 | 4 | 5 |
1891 17812 | 14445 3652 3031 |
1892 19433 | 15617 8906 3206 |
1893 19328 | 15622 3773 | 3212
1894 17607 14004 = 8621 2985
1895 19644 15531 4040 3439 |
! 1896 17398 13702 3618 3028 |
1897 19659 15921 4119 3561 |
1898 18166 14600 3826 3254 |
1899 19070 15368 3996 8424 |
1900 20395 | 16284 4176 3348 |
1891—1900 188412 151094 88727 32488
mn An re end O r ro EE E —
Diese Zahlen zeigen eine viel stärkere Beteiligung der Knaben an
der Säuglingssterblichkeit. Wir müssen aber den Umstand in Betracht
ziehen, daß bekanntlich immer mehr Knaben als Mädchen geboren wer-
den, daß also dementsprechend überhaupt mehr Knaben dem Tode aus-
gesetzt sind als Mädchen. Um diesen Umstand auszuschalten, bilden wir
folgende Beziehungszahlen:
von je 100 lebendgeborenen | von je 100 lebendgeborenen |
ehelichen unehelichen | Kalender- || ehelichen unehelichen |
Müd- Mad- Mad. Mud-
Knaben, Mad Knaben | rete jahr ` /Knaben| Mad: | ie
| starben im 1. Lebensjahre | starben im 1. Lebensjahre |
|2 | 3 |
Knaben
89,09 1897 28,56 | 24,45 | 41,31 | 36, 67.
43,23 1898 25,98 | 21,86 | 87.20 & ‚04
40,52 1899 || 26,86 | 22,81 | 38,64 | 34,65
89,26 1900 128,59 | 24,19 | 40,58 | 34,80 |
48,71 | 1891—1900 | 27,87 | 23,53 | 39,94 | 36,01
36,96 | 31,55 | | |
Diese Zahlenreihen zeigen wohl zur Genüge die durchgehends
höhere Sterblichkeit der Knaben sowohl bei den ehelichen als auch bei
den unehelichen Kindern. Bei den unehelich lebendgeborenen Knaben
verfallen fast 5%, mehr einem frühzeitigen Tode als bei den Mädchen;
und auch bei den ehelichen Kindern beträgt die Mehrbelastung der Kna-
ben über 4°, der Lebendgeborenen.
4*
52 Viertes Kapitel. Die uneheliche Säuglingssterblichkeit
$ 4. Die Sterblichkeit der unehelichen Kinder bis zum 5. Lebensjahre.
Gewissermaßen als Anhang zu dem Kapitel der Säuglingssterblich-
keit wollen wir kurz etwas auf die Lebensbedrohung in den weiteren
Lebensjahren eingehen, soweit es das dürftig vorliegende Material ge-
stattet. Für die Jahre 1906 — 10 liegen uns die Angaben über die Sterbe-
fälle in den ersten 5 Lebensjahren mit Unterscheidung der Herkunft für
das ganze Land vor. Danach erhalten wir folgende absoluten Zahlen
Zahl der ım |
1. Lebensjahr 2. Lebensjahr 3. Lebensjahr 4. Lebensjahr 5. Lebensjahr
ehelich | unehel. ehelich | unehel. ehelich unehel. ehelich unehel. ehelich | üneher.
Gestorbenen
2 ln "uh ona
1906 | 25520 5465 3014° 377 1193 | 822 4 652, 28 |
1907 || 23868 5441, 2950! 845 | 1120 802 616 | 29
1908 | 22942 5245 Ouni 369 1206 848 639 29
1909 || 20682 6063. 2861 351 1087 723 3 6576| 28
1910 || 18229, 4447 | 2606, 339 | 1008 — 6x2 | = 510 40
1906—10 111231 25651 14415 | 1781 5614 3877 ` 257 ' 2993 | 154
Hieraus läßt sich bereits ein verhältnismäßig stiirkeres Zurückgehen
der unehelichen Kindersterblichkeit von einem Lebensjahr zum andern
herauslesen. Folgende Relativzahlen, die wir dadurch gebildet haben,
daß wir obige absolute Zahlen auf die Lebendgeborenen des betreffen-
den Kalenderjahres bezogen haben, zeigen dies noch deutlicher:
| Von 100 unehelich Lebendgeborenen starben im vornbezeichneten
Lebensjahre im Jahre
; Lebensjahr
(Herkunft) | 1906 . 1907 ' 1908 | 1909 1910 1906—1910
l
r Knaben u. Mädchen zusammen: | Knaben Mädchen zusammen
RE EE a ER.
‘fehelich "2031 19,68 19,14 17,74 1645| 20,56 | 16,40 `
1. , |
| l unehelich 28,28 , 27,84 26,14 25.11! 28,07 | 28,42 2304
o | ehelich i 240. 243) 249 245) 235 2,40 2,46 |
|“ tunehelich!" 1,95 1,77 1,84 1,74 1,76 1,80 ! 1,79 `
|, [ehelich 0.95 092 1.01) 0.93! 0,91 | 0,96 0.92 |
| 3- unehelich! 0.54! 0.54! 055 046 048| 0,2 051 |
ig [ehelich ‘ 0,65. 0,66, 0,717 0,62 0,62 0,65 | 0,65 |
|= |unehelich ` 0,23 O27 0,27) 0,28) 0,26 0,27 0,25
ehelich 0,520.51! 053 049 0,46 0,50 | O51
unehelich 0,14 015 0,4 0,14 0,21 0,17 | 0,15
Für den Durchschnitt 1906—10 haben wir hiernach eine Säug-
lingssterblichkeit von 18,72°%, bei den ehelichen Kindern und von 26,09%,
bei den unehelichen, das heißt von 100 Lebendgeborenen starben in
diesem Zeitraum während des ersten Lebensjahres bei den unehelichen
Sterblichkeit in den weiteren Lebensjahren 53
7,31%, mehr als bei den ehelichen Kindern. "Nun aber tritt ein bemer-
kenswerter Umschwung ein. Vom 2. Lebensjahr ab weisen die unehe-
lichen Kinder eine geringere Sterblichkeit auf als die ehelichen; dies
setzt sich bis zum 5. Lebensjahre fort. Schon bei der Zerlegung der
Säuglingssterblichkeitsziffer in Sterbeziffern für die einzelnen Monate
hatten wir eine größere Sterblichkeit der ehelichen Kinder vom 8. Le-
bensmonat an festgestellt. Also schon von da an setzt sich dies in den
späteren Lebensabschnitten fort. Dieselben Erklärungen möchten wir
auch hier geltend machen. In der frühesten Jugend findet bei den un-
ehelichen Kindern eine strenge, rücksichtslose Ausscheidung der schwäch-
lichen Elemente statt. Nur die physisch am kräftigsten und gesündesten
überleben die am meisten gefährdete Zeit des Kindesalters, und diese
trotzen dann auch allen weiteren Angriffen auf ihre Gesundheit und ihr
Leben viel besser als ihre ehelichen Altersgenossen. In noch viel stär-
kerem Maße als beim Vergleich der Sterblichkeit der ehelichen und un-
ehelichen Kinder nur während des ersten Lebensjahres fällt hier die
oben schon erwähnte Fehlerquelle ins Gewicht, die uns als zweiter Er-
klärungsgrund für die mit der Zeit höher werdende Sterblichkeit der
ehelichen Kinder diente. Sicher wird eine große Anzahl der unehelich
geborenen Kinder, die das 5. Lebensjahr erreichen, während dieser Zeit
legitimiert. Sie erhöhen dann den Bestand der ehelichen Kinder und
damit auch, wenn sie sterben, die Zahl der Sterbefälle bei diesen. Un-
sere Ergebnisse haben also aus diesem Grunde nur einen sehr beding-
ten Wert.
Fünftes Kapitel. |
Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe der Eltern.
81. Kritik des Materials und gesetzliche Grundlagen der Legitimationen.
Das Kapitel der Legitimationen ist wohl das bis in die jüngste Zeit
hinein am meisten vernachlässigte Gebiet der Statistik der Bevölkerungs-
bewegung in Sachsen. Allerdings beginnen die Ausweise über die Legi-
timationen unehelicher Kinder bereits im Jahre 1865, als auf Grund
einer Verbesserung der Kirchenzettel eine besondere Hervorhebung der-
jenigen Ehen angeordnet wurde, durch die uneheliche Kinder legitimiert
wurden mit Bezifferung der legitimierten Söhne und Töchter. Aber
erstens mußte diese Art der Statistik der Legitimationen — Erhebung
mit Hilfe des Kirchenzettels — immer lückenhaft bleiben; wird doch
in der Zeitschrift selbst gesagt, daß in großen Städten, wo die persön-
lichen Verhältnisse der Brautleute dem Geistlichen meist nicht näher
bekannt sind, auf Auskünfte hierüber gänzlich verzichtet werden muß.
Andrerseits aber erstreckt sich auch die Veröffentlichung des so ge-
wonnenen Materials, das sich von Jahr zu Jahr verbesserte, nur bis auf
54 Fünftes Kapitel. Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe der Eltern
das Jahr 1870. Dieser verbesserte Kirchenzettel gelangt nämlich nur
während dieses 6jährigen Zeitraumes zur Anwendung. Dann wurde ein
neues Verfahren eingeführt: Das statistische Bureau zog sich alle ge-
wünschten Auskünfte selbst aus den eingesandten Kirchenbuchdupli-
katen aus. Hierbei fielen die Angaben über die Legitimationen fort,
denn die Einzelkarten über die Trauungen nach dem Jahre 1871 können
hierüber keine Auskunft geben, da sie einfach den Inhalt der Traubücher
reproduzieren, die darüber ebenfalls nichts enthalten. Diesem Umstande
ist es zuzuschreiben, daß die Quelle, die im Jahre 1865 anfing zu fließen,
bereits 1870 wieder versiegte.
Länger als 30 Jahre hat es dann gedauert, bis wieder ein Anfang
gemacht wurde. Eine Verordnung des Königl. Ministeriums des Innern
vom 29. Dezember 1903 bestimmt nämlich, daß vom Jahre 1904 an
dem statistischen Bureau durch die Standesämter Nachweisungen über
Legitimationen unehelicher Kinder durch nachfolgende Ehe der Eltern
zur Bearbeitung geliefert werden sollen. Der Wortlaut der betreffenden
Paragraphen der Verordnung, die sich auch noch auf Nachweise über
Scheidungen und Nichtigkeitserklärungen von Ehen bezieht, ist folgender:
8 1. Die Standesbeamten haben vom 1. Januar 1904 ab jeden von
ihnen beurkundeten Fall der Legitimation eines unehelichen Kindes
durch nachfolgende Ehe auf eine besondere Zählkarte einzutragen und
die geforderten Angaben darauf zu vermerken.
§ 3. Als Beurkundung der Legitimation eines unehelichen Kindes
durch nachfolgende Ehe gilt der nach $ 26 des Reichsgesetzes über die
Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung vom 6. Februar
1875 in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung am Rande der
Eintragung über den Geburtsfall im Standesregister beizuschreibende
Vermerk.
§ 5. Die Zählkarten sind in der Regel im unmittelbaren Anschluß
an die Beurkundungen im Standesregister auszufüllen.
Ergibt sich im Falle des vorstehenden § 3 aus dem Geburtsregister,
daß das Kind, auf welches der Vermerk sich bezieht, zur Zeit der Ehe-
schließung nicht mehr am Leben ist, so hat die Ausstellung einer Zähl-
karte zu unterbleiben.
Mit dieser Verordnung ist die Statistik der Legitimation unehe-
licher Kinder durch nachfolgende Ehe in Sachsen endlich auf eine feste
Unterlage gestellt worden.
Wir müssen uns aber wohl hüten, aus den nun fließenden Zahlen-
angaben mehr herauslesen zu wollen, als sie besagen. Werden wir uns
also erst bewußt, welche Nachweise sie bringen. Wir erfahren zuerst
einmal, wie viel Legitimationen jährlich stattfinden, und zwar mit der
Unterscheidung, ob das Legitimationsjahr mit dem Geburtsjahr zusam-
menfällt oder ob die Geburt weiter zurückliegt. Diese Zahlen beziehen
wir dann auf die Zahl der in demselben Jahre unehelich Lebendgeborenen,
Grundlagen der Legitimationsstatistik 55
also auf die Zahl der theoretisch möglichen Fille von Legitimationen.
Ein wichtiger Faktor bleibt dabei aber ganz unberücksichtigt, die Sterb-
lichkeit. Um also die Zahl der Legitimationsfähigen zu finden — und
auf diese müßte die Zahl der wirklich Legitimierten bezogen werden,
um die Legitimationshäufigkeit festzustellen —, wären die Angaben
nötig, wie sich die Zahl der unehelich Lebendgeborenen durch Todesfall
vermindert. Diese Feststellung geschieht für das Königreich nicht; nur
für die Stadt Dresden haben wir darüber Angaben. Diesen empfindlichen
Mangel, der geeignet ist, unsere folgenden Untersuchungen zu nicht ge-
rade sehr sicheren zu machen, können wir leider nicht beheben und
müssen ihn mit in den Kauf nehmen. Wir glaubten aber doch auf die
Untersuchungen über die Legitimationen in den einzelnen Verwaltungs-
bezirken nicht verzichten zu dürfen.
Bevor wir uns aber den Zahlenergebnissen zuwenden, wollen wir
noch kurz einen Überblick über die gesetzlichen Grundlagen der Legi-
timation geben 7)
Das deutsche BGB. kennt zwei Arten der Legitimation unehelicher
Kinder, durch nachfolgende Ehe und durch Ehelichkeitserklärung.
§ 1719 sagt:
Ein uneheliches Kind erlangt dadurch, daß sich der Vater mit
der Mutter verheiratet, mit der Eheschließung die rechtliche Stellung
eines ehelichen Kindes.
Diese gesetzliche Bestimmung unterliegt deshalb leicht einer irr-
tümlichen Auffassung, weil sie zu besagen scheint, daß die Rechtswir-
kungen für das Kind ohne weiteres durch die Eheschließung ausgelöst
werden. Das ist jedoch nicht der Sinn der Gesetzesstelle. Erst muß die
Vaterschaftsanerkennung erfolgen, ehe die Legitimation durch nachfol-
gende Ehe eintreten kann. Die Anerkennung der Vaterschaft ist zeit-
lich beliebig; sie kann erfolgen:
1. Vor der Eheschließung (der Zweck ist Anerkennung der Unter-
haltspflicht);
2. bei Gelegenheit der Eheschließung;
3. beliebige Zeit nach der Eheschließung.
In den beiden letzten Fällen erfolgt sie zum Zwecke der Legiti-
mation. In der Praxis kommen häufig Fälle vor, wo die Eheschließung
ohne Legitimation vor sich geht, und zwar aus verschiedenen Gründen:
Scham, das Vorhandensein eines vorehelichen Kindes öffentlich bei der
Eheschließung einzugestehen, Unkenntnis der Rechtsverhältnisse, ein-
fache VergeBlichkeit. Nachgeholt wird die Legitimation spätestens bei
1) Das folgende im wesentlichen als Auszug aus dem Artikel: E. Würz-
burger, Die Legitimationen unehelicher Kinder (Zeitschrift vom Jahre 1908,
8. 182 u. f).
56 Fünftes Kapitel. Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe der Eltern
Eintritt des Kindes in das schulpflichtige Alter. Die Anerkennung kann
vor verschiedenen standesamtlichen oder gerichtlichen Stellen geschehen.
Es gibt 4 bzw. 5 Möglichkeiten, aber von jeder Stelle aus ist ein Be-
richt an das Standesamt des Geburtsortes des Kindes zu machen. Also
sind die Geburtsregister der Standesämter die lückenloseste Quelle für
die Statistik der Legitimationen.
Nach $ 1723 BGB. kann ein uneheliches Kind auf Antrag des
Vaters durch eine Verfügung der Staatsgewalt für ehelich erklärt wer-
den. Diese Ehelichkeitserklärung steht dem Bundesstaate, dem der Vater
angehört, zu, bzw. dem Reichskanzler, wenn der Vater ein Deutscher
ist, der keinem Bundesstaate angehört. In Sachsen geschieht sie durch
das Justizministerium. Bei dieser Form der Legitimation ist nur Aner-
kennung der Vaterschaft Voraussetzung, nicht die Ehe mit der Mutter.
Die seit 1904 in Sachsen eingeführte Statistik und ihre Bearbei-
tung im statistischen Landesamt erstreckt sich lediglich auf die Legiti-
mationen durch nachfolgende Ehe. Die Ehelichkeitserklärungen werden
also nicht berücksichtigt; sie sind auch relativ selten: Im Zeitraum
1904—07 fanden nur 212 Ehelichkeitserklärungen in Sachsen statt.
§ 2. Die Legitimationen in der Periode 1865—70.
Obgleich die Angaben über die Legitimationen für die Jahre 1865
bis 1870 anerkanntermaßen lückenhaft sind, möchten wir doch kurz
darauf eingeben, da sie vielleicht für die betreffende Periode charakte-
ristisch sind, zumal es ja die einzigen Angaben sind, die aus einer weiter
zurückliegenden Zeit vorliegen.’)
Es wurden durch Eheschließung der Eltern legitimiert im König-
reich Sachsen:
Jahr Knaben Mädchen zus.
1865 1557 1606 3163
1866 1923 1727 3650
1867 2343 2347 4690
1868 2441 2531 4972
1869 2057 2093 4150
1870 1787 1701 3488
1865 — 70 12108 12005 24113
Hierzu wollen wir die in den gleichen Jahren lebendgeborenen un-
ehelichen Kinder in Beziehung setzen (s. Tabelle 1). Dann ergeben sich
folgende Verhältniszahlen:
Auf 100 unehelich Lebendgeborene kommen solche, die durch nach-
folgende Ehe legitimiert wurden:
1) Das folgende im Anschluß an die betreffenden Ausführungen in der
Zeitschrift.
Die Legitimationen in der Zeit 1865—70 DT
Jahr Knaben Miidchen zus.
1865 21,06 22,74 21,88
1866 24,23 22,60 23,43
1867 33,48 35,46 34,44
1868 35,02 37,86 36,42
1869 29,66 31,09 30,29
1870 24,64 24,25 24,45
1865—70 27,85 28,75 25,29
So vorsichtig man auch diese Zahlenreihen zu beurteilen hat, so
ist doch zweierlei daran sehr auffällig: Einmal die durchgehends grö-
Bere Legitimationshäufigkeit bei den Mädchen gegenüber den Knaben
und besonders dann auch die plötzliche Steigerung, die das Jahr 1867
bringt und die sich auch im Jahre 1868 fortsetzt, um dann aber in ein
ziemlich langsames Fallen überzugehen. Auch die absoluten Zahlen der
Legitimationen zeigen dieses Bild, während dagegen die absolute Zahl
der unehelich geborenen Kinder vom Jahre 1867 an zurückgeht, um
erst allmählich wieder zu steigen (entsprechend der allgemein steigenden
Tendenz der Geburten überhaupt). Wie wir bereits das Nachlassen der
unehelichen Geburten vom Jahre 1366 an auf eine Veriinderung der Militär-
gesetzgebung zurückführen konnten, so glauben wir, daß bei den Legitima-
tionen derselbe Umstand von Einfluß gewesen ist. Wenn auch wohl einer-
seits das Steigen der Zahl der Legitimationen von Jahr zu Jahr auf eine
allmählich sich bessernde, genauere Registrierung zurückgeführt werden
könnte, so ist dies für diese Erscheinung doch keine genügende Erklärung.
Vielmehr ist wohl andrerseits diese Erwägung naheliegender und überzeu-
gender: Durch die Herabsetzung der Dienstzeit auf die Hälfte wurde
für eine bestimmte Zahl von jungen Leuten ein Hauptehehindernis ganz
plötzlich beseitigt, das für sie unter normalen Verhältnissen noch eine
Zeitlang fortbestanden hätte. Diese konnten daher um die Zeit, um die
ihr Militärdienst verkürzt wurde, eher daran denken, ein etwa bestehen-
des uneheliches Verhältnis durch Eheschließung zu enen gesetzlichen
zu machen. Um die Zahl der Kinder, die diesen Verhältnissen entstam-
men, wird also die Zahl der Legitimationen, die normalerweise jedes
Jahr stattfinden, erhöht. Daraus erklärt sich auch, daß die Zahl der:
Legitimationen im darauffolgenden Jahre, wo die Wirkung des Gesetzes
noch deutlicher zu spüren ist, noch größer ist und daß sie dann all-
mählich wieder abnimmt. Leider fehlen uns nun die Angaben der näch-
sten Jahre, um sehen zu können, wie sich die Entwicklung weiter ge-
staltet. Da sich nun, gleichzeitig mit dieser Steigerung der Legitima-
tionen, die absolute Zahl der unehelichen Geburten vermindert, ist das
außerordentliche Anschwellen derVerhältniszahlen wohl genügend erklärt.
Gestützt wird unsere Annahme auch noch durch zwei Zahlenreihen,
die durch Inbeziehungsetzung der Ehen, durch die Kinder legitimiert
wurden, zu der Zahl der legitimierten Kinder einerseits und zu der Zahl
der Ehen überhaupt andrerseits entstehen.
58 Fünftes Kapitel. Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe der Eltern
Es kommen nämlich auf 100 Ehen, durch die Kinder legitimiert
wurden, legitimierte Kinder im Jahre:
1865 122,7
1866 129,0
1867 125,2
1868 121,9
1869 121,7
1870 115,4
"(808 20 (Lë
Ferner kommen auf 100 Ehen iiberhaupt solche, durch die Kinder
legitimiert wurden:
1865 11,25
1866 15,39
1867 16,97
1868 17,08
1869 14,69
1870 14,82
1865—70 15,05
Daß sich die Zahl der auf 100 Ehen kommenden legitimierten Kin-
der ım Jahre 1866 und 1867 höher stellt als in den anderen Jahren,
deutet darauf hin, daB in diesen Jahren mehr Ehen geschlossen wurden,
denen ein längeres uneheliches Verhältnis vorausgegangen war als sonst.
Dies ist mit unserer Erklärung sehr gut vereinbar. Auch die zweite
Zahlenreihe spricht für unsere ausgesprochene Vermutung, daß die neue
Militärgesetzgebung die Legitimationsziffern beeinflußt hat. Es sind in
den betreffenden Jahren mehr Eheschließungen, die einem unehelichen
Verhältnis ein Ende machten, zu verzeichnen als sonst, wenn man sie
mit den Eheschließungen überhaupt vergleicht.
Um zu sehen, wie sich das Verhältnis von Stadt und Land in be-
zug auf die Häufigkeit der Legitimationen stellt, werden wir auch diese
Zahlen anführen.
Durch nachfolgende Ehe wurden legitimiert:
Jahr In den Städten Auf dem Lande
1865 703 2460
1866 . 983 2667
1867 1332 3358
1868 1397 3575
1869 1133 $017
1870 1048 2440
1865—70 6596 17517
Die unehelichen Lebendgeburten verteilen sich in diesen Jahren
wie folgt auf Stadt und Land:
Lebendgeborene uneheliche Kinder:
Jahr In den Städten Auf dem Lande
1865 5653 8803
1866 6013 9563
1867 5277 8339
1868 5404 8249
1869 5302 8364
1870 6617 8651
1865—70 33266 51969
Die Legitimationen in der Zeit 1865—70 59
Daraus ergibt sich: Auf 100 lebendgeborene uneheliche Kinder
kommen solche, die durch nachfolgende Ehe der Eltern legitimiert
wurden:
Jahr In den Städten Auf dem Lande
1865 12,44 27,95
1866 16,35 27,89
1867 25,24 40,27
1868 25,85 43,34
1869 21,37 36,07
1870 18,66 28,20
1865—70 19,83 33,71
Daraus erhellt wohl zur Genüge — selbst bei gebührender Berück-
sichtigung des Umstandes, daß mit der Möglichkeit eines Ortswechsels
zwischen der Geburt der betreffenden Kinder und Verehelichung der
Eltern gerechnet werden muß —, daß die auf dem Lande unehelich ge-
borenen Kinder weit mehr Aussicht auf Legitimierung haben als die in
den Städten. Diesem Umstande werden wir bei der allgemeinen Schluß-
betrachtung wohl Rechnung zu tragen haben. Es ergibt sich übrigens
auch dann, wenn wir die Trauungen überhaupt mit den Ehen verglei-
chen, durch die Kinder legitimiert wurden.
Es wurden Trauungen überhaupt gezählt:
in den Städten auf dem Lande
1865 — 70 49682 82116
Von den letzteren wurden geschlossen:
in den Städten auf dem Lande
1865—70 5414 14416
Also kommen auf 100 neugeschlossene Ehen
in den Städten auf dem Lande
10,90 17,56
solche Ehen, durch die Kinder legitimiert wurden.
Der Vollständigkeit wegen wollen wir nun noch die Zahlen der
Regierungsbezirke miteinander vergleichen:
em
| Bautzen
_unehel.
| legitim.
1866 2011 506 3961 698 3341 589 6263 1857
1865 1890 | 462 | 3548 | 565 | 3132 | 611 | 5886 | 1625
| 1867 1721 736 8373 955 2996 157 5526 2242
| 1868 1799 782 3350 863 8119 854 5385 2478
1869 | 1779 686 3452 750 8071 762 6364 1952
1870 | 1907 483 8551 588 3156 608 5664 1809
| 1865—70 || 11107 | 8655 | 21235 | 4419 | 18815 | 4081 | 34078 | 11958
GO Fonftes Kapitel. Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe der Eltern
Daraus berechnet sich:
Auf 100 lebendgeborene Uneheliche kommen solche, die durch nach-
folgende Ehe legitimiert wurden:
Im Regierungsbezirk
Leipzig | Zwickau
| E D
| Bautzen Dresden
1866
1867
1868
1869
1870
|
|
1865) um | u
|
|
1865—70
In der Kreishauptmannschaft Dresden hatten hiernach die unehe-
lich geborenen Kinder am wenigsten Aussicht legitimiert zu werden und
fast ebensowenig in der Kreishauptmannschaft Leipzig. Dagegen wur-
den in Bautzen fast und in Zwickau sogar über ein Drittel der im
gleichen Zeitraum geborenen unehelichen Kinder durch nachfolgende
Eheschließung der Eltern legitimiert. Daß dieser so hohe Durchschnitt
erreicht wird in der Periode 1865— 70 liegt daran, daß in allen 4 Regie-
rungsbezirken die Jahre 1867 und 1868 sehr hohe Ziffern liefern aus
dem schon oben angegebenen Grunde. Am stärksten macht sich der
Einfluß der neuen Militärgesetzgebung wohl in der Kreishauptmann-
schaft Bautzen geltend, wo die Ziffer um 17,61%% in die Höhe schnellt
(von 25,16°, im Jahre 1866 auf 42,77°/, im nächsten Jahre).
Diese kurzen Bemerkungen mögen hier genügen; wir wollen aus
dem liickenhaften Material keine weiteren Schlüsse ziehen, sondern wer-
den uns erst den neuesten Zahlenergebnissen zuwenden, um nachher zu
sehen, ob sich vielleicht parallele Tendenzen ermitteln lassen.
§ 3. Die Legitimationen in der Periode 1904—1910.
In dem Material, das uns vorliegt, ist die Zerlegung der Zahlen auf
die kleinsten Verwaltungsbezirke, die Amtshauptmannschaften und die
exemten Städte, durchgeführt. Nun würde es zu weit führen, für jeden
Verwaltungsbezirk eine zeitliche Betrachtung anzustellen und zu diesem
Zwecke die vielen Verhältniszahlen zu berechnen, wir werden uns viel-
mehr damit begnügen, dies für die Kreishauptmannschaften und das
ganze Königreich zu tun. Die Amtshauptmannschaften berücksichtigen
wir insofern, als wir für sie den Durchschnitt des Zeitraums 1904—10
bilden.
Legitimationen in der Zeit 1904—10 61
Vorerst haben wir aber noch eines Umstandes zu erwähnen, der
Verwirrung stiften könnte. Bis jetzt haben wir bei allen Betrachtungen
die Einteilung des ganzen Landes in die 4 Kreishauptmannschaften
Bautzen, Dresden, Leipzig und Zwickau zugrunde gelegt, um die Ver-
gleichbarkeit der Zahlen nicht zu stören. Dieser Grund würde jetzt weg-
fallen, da wir schon vor Beginn der neuen Legitimationsstatistik Sachsens
die Fünfteilung des ganzen Landes in dieKreishauptmannschaften Bautzen,
Chemnitz, Dresden, Leipzig und Zwickau haben. Wenn wir aber nach-
her die Ergebnisse der folgenden Untersuchungen mit denen der vorher-
gehenden Kapitel vergleichen und in Beziehung setzen wollen, so er-
geben sich Schwierigkeiten. Deshalb werden wir einerseits die Vierteilung
beibehalten, andrerseits aber der Zerlegung der Kreishauptmannschaft
Zwickau alten Umfanges (a. U.) in die Kreishauptmannschaften Chemnitz
und Zwickau neuen Umfanges (n. U.) Rechnung tragen, indem wir in
den Tabellen 16 und 17 die betreffenden Zahlen in Kursivschrift bei-
geben. Dasselbe geschieht mit den Städten Plauen und Zwickau, die
seit 1905 selbständige Verwaltungsbezirke sind.
Die Zahlen der Legitimationen durch Eheschließung der Eltern im
ganzen Lande ist für die Jahre 1904—1910 folgende:
1904 6634
= 1905 6664
1906 6745
1907 6799
1908 7149
1909 T511
1910 7569
1904—10 49071
Eine von Jahr zu Jahr steigende Zahl von Legitimationen findet
hiernach statt. Auf die unehelich Lebendgeborenen der entsprechenden
Jahre bezogen ergibt sich:
Auf 100 unehelich Lebendgeborene kommen Legitimationen
durch Eheschließung der Eltern:
1904 34,35
1905 35,01
1906 34,91
1907 34,78
1908 35,70
1909 387,25
1910 39,27
1904—10 35,90
Bei der Entwicklung der Legitimationsziffer des ganzen Königreiches
ist also im allgemeinen eine Tendenz zur Steigerung zu bemerkeu, wenn
auch die beiden Jahre 1906 und 1907 eine Ausnahme machen. Für den
Durchschnitt der Jahre 1904—10 ergibt sich ein Mittelwert von 35,90),
d. h. ein Drittel der unehelich Lebendgeborenen werden durch Ehe-
schließung der Eltern legitimiert. Diese Zahl ıst nun aber der Durch-
62 Fünftes Kapitel. Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe der Eltern
schnitt aus erheblich voneinander verschiedenen Legitimationsziffern der
Kreishauptmannschaften (s. Tabelle 16). Findet zwar für das ganze Land
ein stetes Steigen der absoluten Zahlen statt, so haben wir in den ein-
zelnen Kreishauptmannschaften beträchtliche Schwankungen, ganz be-
sonders in der Kreishauptmannschaft Bautzen, wo das Maximum zwar
in das Jahr 1909 fällt, das Minimum dagegen in das Jahr 1910. Für
die zeitliche Entwicklung der Legitimationsziffer der einzelnen Kreis-
hauptmannschaften gilt im übrigen dasselbe wie das über das ganze
Land Gesagte. Im großen und ganzen herrscht die steigende Tendenz
vor; am wenigsten wohl noch in der Kreishauptmannschaft Bautzen, wo
der Höhepunkt von 44,82°/ im Jahre 1905 nicht wieder erreicht wird.
Bei den übrigen fällt das Maximum der Entwicklung in das Jahr 1910.
Daß die Verhältniszahl der Legitimationen zu den unehelich Geborenen
nicht dieselbe Entwicklung wie die absoluten Zahlen der Legitimationen
aufweist, liegt an dem Umstand, daß auch die absolute Zahl der unehe-
lich Geborenen ziemlich zurückgegangen ist. Legen wir für die Betrach-
tung der Unterschiede der Kreishauptmannschaften den Durchschnitt
von 1904—10 zugrunde, so nimmt die Kreishauptmannschaft Bautzen
die erste Stelle ein: 42,39 Legitimationen treffen auf 100 gleicher Zeit
unehelich Lebendgeborener. In der Tat eine bemerkenswert hohe Zahl!
Darauf folgt in kleinem Abstand die Kreishauptmannschaft Zwickau a.U.
mit 40,23%; sie setzt sich übrigens zusammen aus 40,24%, der Kreis-
hauptmannschaft Chemnitz und 40,23°%, der Kreishauptmannschaft
Zwickau n. U.; danach begehen wir also keine große Ungenauigkeit,
wenn wir die alte Einteilung des Landes in 4 Bezirke beibehalten. Hinter
diesen Zahlen bleiben die der beiden anderen Kreishauptmannschaften
Leipzig und Dresden mit 31,77 °/, bzw. 31,94°, weit zurück. Hier werden
also nicht einmal ein Drittel der unehelich Lebendgeborenen legitimiert,
während in Bautzen und Zwickau weit über ein Drittel die Aussicht
haben, in geordnete Familienverhältnisse zu kommen.
Auf viel größere territoriale Unterschiede werden wir stoßen, wenn
wir uns jetzt den Amtshauptmannschaften zuwenden; hierfür haben wir,
wie bereits oben bemerkt, die Zahl der Legitimationen und die der un-
ehelich Lebendgeborenen der Jahre 1904—10 für die einzelnen Verwal-
tungsbezirke zusammengezogen und daraus die Verhältniszahlen be-
rechnet (s. Tabelle 17).
Die bei weitem geringsten Zahlen weisen hier die beiden Groß-
städte Leipzig und Dresden mit 26,47 resp. 28,04°/, auf. Es haben hier
also nur wenig über ein Viertel der unehelich Lebendgeborenen Aus-
sicht auf spätere Legitimation. Diese Zahlen sprechen eine beredte
Sprache: Sie können als Beleg dafür dienen, aus was für einem Ver-
hältnis das uneheliche Kind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
stammt. Erinnern wir uns der Einteilung, die wir in der Einleitung
gegeben haben, so würden wir wohl einen großen Teil der unehelichen
Legitimationen in den Amtshauptmannschaften 63
Kinder der Großstadt in die Reihe derjenigen einzustellen haben, die
einer wilden Geschlechtsausschweifung oder einer ganz vorübergehenden
Verbindung das Leben verdanken, einer Verbindung, bei der gar nicht
entfernt an die Möglichkeit einer Ehe gedacht wird. Ein die Großstädte
schwer belastendes Moment! Die Stadt Chemnitz und auch die beiden
Städte Plauen und Zwickau stehen in dieser Beziehung besser da als
noch manche Amtshauptmannschaft. In ihnen werden noch über ein
Drittel der unehelich Geborenen legitimiert. Weniger als ein Drittel
Legitimationen auf uneheliche Geburten sind noch in Grimma, Meißen
und Oschatz zu verzeichnen.
In der größeren Zahl der Amtshauptmannschaften liegt dann die
Legitimationsziffer zwischen einem Drittel bis zu zwei Fünfteln der un-
ehelich Lebendgeborenen. Aber wir finden auch noch viele Gegenden,
wo noch Legitimationsziffern darüber hinaus zwischen zwei Fünfteln und
fünf Elfteln erreicht werden, so vor allem in der Lausitz, in den Amts-
hauptmannschaften Kamenz, Löbau und Zittau, wo zwischen 43,51 und
44,95%, der unehelichen Kinder legitimiert werden. Auch in den Kreis-
hauptmannschaften Dresden und Leipzig ergeben sich vereinzelt solche
hohen Ziffern, so in Dippoldiswalde 41,89%, in Döbeln 40,47%, und in
Rochlitz sogar 46,38°/,; am meisten häufen sich die hohen Legitimations-
ziffern in der Kreishauptmannschaft Zwickau. In 7 von 13 Amtshaupt-
mannschaften werden über zwei Fünftel der unehelich Lebendgeborenen
legitimiert, davon in 2 Bezirken, in Auerbach und Ölsnitz, sogar über
die Hälfte. Diese 7 Amtshauptmannschaften, Flöha, Chemnitz, Marien-
berg, Annaberg, Schwarzenberg, Auerbach und Ölsnitz bilden einen zu-
sammenhängenden Komplex im Südwesten des Landes.
Leider liegen uns nun keine Angaben nach Stadt und Land getrennt
vor, so daß wir diese wichtige Scheidung der Legitimationsziffern weg-
fallen lassen müssen. Auf einen anderen Umstand aber erlaubt uns das
vorliegende Material noch einzugehen, nämlich auf die Frage: Wieviele
der unehelich lebendgeborenen Kinder haben die Aussicht bereits in
ihrem Geburtsjahre, das heißt also vor der Vollendung ihres ersten
Lebensjahres legitimiert zu werden? Die Beantwortung dieser Frage
ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Für das Kind ist es natür-
lich das beste, wenn es so bald als möglich in geordnete Familienver-
hältnisse kommt.
In Tabelle 17 haben wir einerseits berechnet, wieviel Prozent der
unehelich Lebendgeborenen der Jahre 1904—10 noch im jeweiligen Ge-
burtsjahre durch nachfolgende Ehe der Eltern legitimiert wurden (Spalte6),
andrerseits, wieviel Prozent diese im Geburtsjahre legitimierten Kinder
von den Legitimierten überhaupt ausmachen (Spalte 9). Daraus ist er-
sichtlich, daß nur etwas über ein Fünftel aller Legitimierten eines Jahres
in Sachsen vor der Vollendung des ersten Lebensjahres legitimiert werden.
Alle übrigen bleiben, so weit sie nicht gestorben sind, über das erste
64 Fünftes Kapitel. Die Legitimationen durch nachfolgende Ehe der Eltern
Lebensjahr hinaus unehelich. Das heißt also mit anderen Worten: Von
fast 36°, der unehelich Lebendgeborenen, die in einem Jahre legitimiert
werden, stammen noch weniger als 8 aus demselben Jahre. Die Eltern
entschließen sich also im allgemeinen relativ spät dazu, einem Verhältnis,
dem ein Kind entsprossen ist, die gesetzliche Sanktion zu geben. Wie
es mit der Eheschließung vor der Geburt des Kindes steht, werden wir
in dem späteren Abschnitt über die vorehelich konzipierten, aber in der
Ehe geborenen Kinder sehen. In der Kreishauptmannschaft Bautzen
sind die Chancen der unehelichen Kinder, noch im Geburtsjahre legiti-
miert zu werden, am günstigsten: 23,28°/, der Legitimierten werden im
Geburtsjahre legitimiert. In geringeren Abständen folgen dann der Reihe
nach die Kreishauptmannschaften Dresden, Leipzig und Zwickau; in der
letzten sind die Aussichten auf Legitimation im Geburtsjahre am wenig-
sten günstig. Gehen wir auf die Amtshauptmannschaften resp. städtischen
Verwaltungsbezirke ein, so hat die günstigste Ziffer die Stadt Plauen mit
27,61°%,. Aber nur vereinzelt erhebt sich die Zahl der im ersten Lebens-
jahre legitimierten Kinder über ein Viertel der Legitimierten überhaupt.
Es ist dies nur noch in den Amtshauptmannschaften Bautzen, Großen-
hain, Meißen und in der Stadt Chemnitz der Fall. In den meisten übrigen
Bezirken beträgt sie dann ein Viertel bis ein Fünftel. Doch auch Zahlen
unter ein Viertel finden sich z. B. in der Amtshauptmannschaft Anna-
berg, wo die geringste Aussicht für ein uneheliches Kind besteht, bereits
im Geburtsjahre legitimiert zu werden.
Hiernach ist also mit einigen geringen Ausnahmen die Behauptung
berechtigt, daß im Königreich Sachsen überall geringe Neigung besteht,
möglichst frühzeitig der Geburt eines unehelichen Kindes die Ehe folgen
zu lassen, um dem Kinde den Makel seiner Geburt zu nehmen. Und
dies bei einer im ganzen hohen Legitimationszifter! Dieser Umstand
deutet wohl darauf hin, daß der Geschlechtsverkehr sehr früh beginnt,
jedenfalls viel früher, als der Vater imstande ist, für eine Familie aus-
reichend zu sorgen. Die Folge ist dann das Bestehen vieler unehelicher
Verhältnisse, die erst einige Jahre nach der Geburt eines oder vielleicht
auch mehrerer Kinder zur Ehe führen, sobald der Vater für sich und
seine Familie einen genügenden Lebensunterhalt verdienen kann.
Eine kleine Zusammenstellung über den Beruf der Väter, die eine
Ehe mit anschließender Legitimation unehelicher Kinder eingehen, kann
diese Ausführungen vielleicht noch stützen (s. Tabelle S. 65).
Aus der außerordentlich starken Beteiligung der Arbeiter und Dienst-
personen geht wohl mit genügender Deutlichkeit hervor, daß besonders
in diesen Kreisen der Geschlechtsverkehr früher beginnt, als die Existenz
sichergestellt ist, daß aber wohl von vornherein hier meist die Absicht
besteht, der außerehelichen Verbindung gesetzliche Anerkennung zu ver-
schaffen, sobald die materiellen Unterlagen für den Unterhalt einer Fa-
milie vorhanden sind.
Die Legitimationen in den Amtshauptmannschaften 65
Die in den Jahren 1904—10 beurkundeten Legitimationen durch
EheschlieBung der Eltern nach dem Beruf der Vater:
Beruf der Väter d. im vornbezeichn. Jahre legitimierten Kinder: |
Handel- Mittlere | Höhere |
Arbeiter, _Rentner,
eee m Dienst- GE SC
8 personen | |
treibende Beamte ` Berufe
E EE E e | v7 | 6 |
Pensio: Zus.
nierte
8
1904 359 362 6576 257 62 18 6634 |
1905 358 430 5576 264 31 5 6664 |
1906 242 632 5382 422 29 38 6745
i 1907 367 402 5508 472 27 23 6799
| 1908 399 | 368 5791 538 41 17 7149
| 1909 297 418 6231 507 41 17 7511
i 1910 265 423 6352 471 45 | 13 1569
| 1904—10 2287 3030 40416 2931 276 | 131 49071
| In Prozenten:
' 1904—10 | 4,66 | 6,18 | 82,36 | 6,97 | 0,66 | 0,27 | 100,00
Vergleichen wir nun noch kurz die Ergebnisse aus den Jahren
1865—70 mit denen der Periode 1904—10. Die allgemeine Steigerung
der Legitimationsziffern, die dabei zuerst ins Auge springt, möchten wir
auf zwei Ursachen zurückführen: Erstens liegt sie zweifellos an einer
viel genaueren, erschöpfenderen Registrierung der Legitimationen, dann
aber möchten wir doch den jedenfalls möglichen Umstand nicht ganz
außer acht lassen, daB eine gewissenhaftere Auffassung von der Ver-
pflichtung, für seine Nachkommen aufs beste zu sorgen — und am
besten sorgt der Vater eines unehelichen Kindes doch wohl für sein
Kind, wenn er die Mutter heiratet —, Platz gegriffen haben kann. Kurz,
eine Schärfung des Gewissens in dieser Beziehung möchten wir ange-
sichts dieser Zahlen nicht ohne weiteres von der Hand weisen.
Auf einen anderen Umstand wollen wir zum Schluß noch hinweisen.
Es ist die eigentlich auffällige Tatsache, daß in beiden Zeitperioden
stets und überall mehr Mädchen als Knaben legitimiert wurden. Man
sollte eigentlich doch meinen, daß männliche Nachkommen weit lieber
gesehen werden und deshalb mehr Aussicht haben, legitimiert zu werden
als weibliche. Es scheint dies aber doch weniger der Fall zu sein. Viel-
leicht kann als Erklärung dienen, daß, wie wir gesehen haben, die Kna-
ben eine viel höhere Säuglingssterblichkeit haben als die Mädchen. Be-
kanntlich werden auch mehr Knaben als Mädchen geboren. Wenn sich
nun die Zahl der lebendgeborenen Knaben durch Absterben schneller
verringert als die der Mädchen, wenn also in Wahrheit weniger mög-
liche Fälle von Legitimationen der Knaben bestehen, als die Zahl der
lebendgeborenen angibt, so muß die Inbeziehungsetzung der PE
Prenger, Unehelichkeit
66 Sechstes Kapitel. Kommunalstatistik der Stadt Dresden usw.
Legitimationen zu den Lebendgeborenen fiir die Knaben ungiinstiger
ausfallen; denn manche, die vielleicht auch legitimiert worden wiren,
sterben vorher und es wird in Wirklichkeit eigentlich eine zu kleine
Zahl von Legitimationen auf die Zahl der unehelich Lebendgeborenen
bezogen. Bei den Mädchen dagegen können wegen der geringeren Sterb-
lichkeit mehr von denen legitimiert werden, die von vornherein darauf
Aussicht haben; deshalb fällt hier die Relativzahl größer aus.
Sechstes Kapitel.
Kommunalstatistik der Stadt Dresden über das
Unehelichkeitsproblem.
Bevor wir uns der Zusammenfassung und kritischen Würdigung
der vorstehenden Ergebnisse zuwenden, wollen wir hier einen Abschnitt
kommunaler Statistik einfügen. Über drei wichtige Fragen unseres Pro-
blems gibt uns nämlich die staatliche Statistik keine Auskunft, wohl
aber die kommunale der Stadt Dresden. Es handelt sich erstens um
einen feineren Ausbau der Legitimationsstatistik, dann um die Beant-
wortung der Frage nach dem Beruf der Mütter der unehelichen Kinder
kombiniert mit ihrem Alter und schließlich um die vorehelichen
Schwängerungen.
§ 1. Die Legitimationen der Stadt Dresden.
Die Statistik der Legitimationen in der Stadt Dresden reicht bis
in das Jahr 1899 zuriick. Folgendes sind die Zahlen der einzelnen Jahre:
= —
Auf 100
Es wurden unehelich
unehelich lebend geboren
Knaben Mädchen Legitimierte
Legitimationen in Dresden 67
Eine mäßige Zunahme der Legitimationen ist hieraus erkennbar.
Im ganzen aber liegt, wie wir bereits oben festgestellt haben, die Legi-
timationsziffer Dresdens beträchtlich unter der des ganzen Landes, ja sie
ist nach der der Stadt Leipzig die kleinste im ganzen Königreich. Einen
Grund haben wir schon darin gefunden, daß in den Großstädten unter
den unehelichen Geburten sehr viel sog. „Hurenkinder“ vertreten sind,
die natürlich nie Aussicht auf Legitimation durch nachfolgende Ehe haben.
Die Legitimationsstatistik in Dresden hat nun insofern eine feinere
Ausgestaltung erhalten, als an der Hand von Aufzeichnungen der Legi-
timationen und der Kindersterblichkeit Ermittlungen über die Vermin-
derung der Zahl der unehelichen Kinder bis zum Schluß des 5. erlebten
Kalenderjahres angestellt werden. Zu diesem Zwecke sind folgende An-
gaben nötig:
1. Zahl der in der Stadt unlegitimiert verstorbenen Kinder, die
hier geboren waren; sie wird festgestellt aus den standesamtlichen
Sterbefallkarten.
2. Zahl der auswärts unlegitimiert verstorbenen Kinder, die hier
geboren waren.
3. Zahl der legitimierten, in der Stadt geborenen Kinder; sie wird
festgestellt aus den standesamtlichen Verzeichnissen.
Die Zahlen zu 2 können nur für die Knaben aus den Vermerken
festgestellt werden, die beim Tode männlicher Personen vor erfülltem
20. Lebensjahre behufs Berücksichtigung bei der Rekrutierungsliste in
den Registern des Geburtsamtes zu machen sind. Für die auswärts un-
legitimiert verstorbenen Mädchen wird eine Wahrscheinlichkeitszahl an-
genommen, die aus der Annahme gewonnen wird, daß auswärts von
jedem Geburtsjahrgang der Mädchen verhältnismäßig ebensoviele sterben
wie bei den Knaben. Nimmt man diese kleine Ungenauigkeit mit in
Kauf, so gelangt man schließlich zu Bestandszahlen der unlegitimiert
fortlebenden unehelichen Kinder zu einer bestimmten Zeit.
Tabelle 18 gibt uns nun Aufschluß, wie sich die Verminderung der
unehelich Geborenen aus den Geburtsjahren 1894—1906 bis zum Ab-
lauf des 5. Kalenderjahres nach der Geburt gestaltet hat. Danach schie-
den durch Legitimation, die vor der Vollendung des 5. Lebensjahres er-
folgte, im Durchschnitt der 13 Jahre 23,95%, der unehelich Lebend-
geborenen aus und es starben innerhalb der ersten fünf Kalenderjahre
im Durchschnitt 37,34°,, so daß durchschnittlich nach Ablauf des 5. Ka-
lenderjahres 38,71%, der unehelich Geborenen unlegitimiert fortlebten.
Demzufolge sind die in Dresden unehelich geborenen Kinder nach Ver-
lauf von 5 Jahren auf etwa °/,, reduziert.
Die einzelnen Geburtsjahrgänge zeigen aber doch beträchtliche
Unterschiede. Am schlechtesten steht der Jahrgang 1895 da, von dem
nur 21,80%, legitimiert wurden, von dem aber 45,15% unlegitimiert
starben, so daß nicht einmal ein Drittel von ihnen unlegitimiert fort-
5*
68 Sechstes Kapitel. Kommunalstatistik der Stadt Dresden usw.
lebte. Wenn eine kleine Zahl der unlegitimiert fortlebenden Kinder
darauf beruhen würde, daß sehr viele legitimiert wurden, so wird sie
als günstig zu beurteilen sein. Sie beruht aber bei dem Jahrgang 1895
auf einer hohen Sterblichkeitsziffer und einer niedrigen Legitimations-
ziffer und ist daher im ungünstigen Sinne zu deuten. Anders liegen die
Verhältnisse bei dem Jahrgang 1902, der die höchste Legitimations-
ziffer, 28,48%, und eine mittlere Sterblichkeitsziffer, 35,41°,, aufzuwei-
sen hat, so daß allerdings auch nur 26110. unlegitimiert fortlebten.
Dies ist aber auf einen günstigen Umstand zurückzuführen. Der letzte
Geburtsjahrgang 1906 zeigt eine ungewöhnlich hohe Zahl unlegitimiert
Fortlebender, 45,09°/,, also fast fünf Elftel. Dies resultiert aus einer
sehr niedrigen Sterblichkeitsziffer — nur 30,68°/, starben unlegitimiert
während der ersten 5 Lebensjahre — und aus einer mäßig hohen Legi-
timationsziffer, 24.237.
Überblickt man die zeitliche Entwicklung der Zahlen, so ist die
Tendenz herauszulesen, daß die Zahl der unlegitimiert fortlebenden un-
ehelichen Kinder absolut und relativ zunimmt. In der Hauptsache wirkt
hier eine von Jahrgang zu Jahrgang kleiner werdende Zahl der unlegiti-
miert Verstorbenen. Dagegen macht die langsam, aber sehr unregel-
mäßig und schwankend steigende Legitimationsziffer im entgegengesetzten
Sinne ihren Einfluß geltend. Eine entscheidende Wirkung übt sie aber,
wie wir sehen, nicht aus.
Um die hier soeben skizzierte Entwicklung günstig oder ungünstig
nennen zu können, muß man erst die prinzipielle Frage entscheiden, ob
man es für besser erachtet, daß möglichst viele der unehelichen Kinder,
sei es legitimiert, sei es aber auch unlegitimiert, fortleben oder ob man
auf dem Standpunkt steht, daß es sowohl für die Kinder selbst als auch
für die Gesellschaft besser ist, wenn die unehelichen Kinder, die keine
Aussicht auf Legitimation haben, wegsterben. Hier wäre dann erst
wieder der Beweis für die oft gehörte Behauptung zu erbringen, daß
die unehelichen Kinder, besonders natürlich die unlegitimiert fortleben-
den, einen großen Prozentsatz der Taugenichtse, der Verbrecher, über-
haupt des lichtscheuen Gesindels stellen, das hauptsächlich in den
Großstädten eine so traurige Begleiterscheinung unserer modernen Kul-
tur bildet. Ist diese Behauptung wahr — und es spricht bei den un-
ehelichen Kindern der Großstadt eine große Wahrscheinlichkeit da-
für —, so ist schließlich auch der Standpunkt zu verteidigen, daß
nicht ohne weiteres eine Entwicklung günstig zu nennen ist, die auf
eine wachsende Zahl der unlegitimiert fortlebenden unehelichen Kin-
der hinweist, es sei denn, daß in erhöhtem Maße dafür gesorgt wird,
auch die unehelichen Kinder zu nützlichen Mitgliedern der mensch-
lichen Gesellschaft heranzuziehen. Wie schwer dies gerade bei den groB-
städtischen unehelichen Kindern zu erreichen ist, liegt ja klar auf der
Hand, wenn man bedenkt, daß die meisten von ihnen einem ephemeren
Legitimationen in Dresden 69
Verhältnis ihr Leben verdanken und daß fiir sie väterlicherseits meist
gar nicht oder doch nur sehr unzureichend gesorgt wird. Die Folge ist,
daß sie fast ohne jegliche Erziehung aufwachsen und dann sehr früh
den Versuchungen der Großstadt erliegen.
$ 2. Die Mütter der in der Stadt Dresden unehelich geborenen Kinder
nach Beruf und Alter.
Um in die Frage, aus welchen Kreisen die unehelichen Kinder
stammen, etwas Licht zu bringen, steht uns einiges Material zur Ver-
fügung, das sich auf die unehelichen Entbindungen in der Stadt Dres-
den bezieht und das die Mütter nach Beruf und Alter gliedert. Über
die Frage nach den Vätern haben wir in der Legitimationsstatistik be-
reits einige, wenn natürlich auch unvollständige Auskunft erhalten. Un-
vollständig, weil wir nur über den Beruf der Väter, die ihre unehelichen
Kinder durch Eheschließung mit der Mutter legitimiert haben, etwas
erfahren haben. Das sagt aber gar nichts oder doch nur wenig über den
Beruf der großen Masse derjenigen Väter aus, die die Mutter ihrer un-
ehelichen Kinder nicht heiraten, was doch in der Mehrzahl der Fälle
zutrifft. Immerhin konnten wir aus der Legitimationsstatistik entneh-
men, daß hauptsächlich Arbeiter und Dienstpersonal bei den Legitima-
tionen beteiligt waren. Einen Schluß hieraus auf die Väter überhaupt
der unehelichen Kinder zu ziehen, ist aus einer so beschränkten Zahlen-
reihe sehr mißlich und unterbleibt füglich besser ganz. Wir wenden
uns daher unserem statistischen Material über die Mütter der unehe-
lichen Kinder zu.
Bei der Bearbeitung der im statistischen Jahrbuch der Stadt Dres-
den veröffentlichten Angaben machte die Berufsgliederung besondere
Schwierigkeiten. Zwar liegt den Angaben der Jahre 1899—1907 ein
und dasselbe Schema zugrunde — es unterscheidet 15 Berufskategorien
— aber die Veröffentlichungen der letzten 3 Jahre 1908—10 weichen
hiervon um so beträchtlicher ab: Eine Gliederung in nicht weniger als
47 Kategorien bildet hier die Grundlage. Litt schon die erste Einteilung
an dem Mangel, daß sich zu kleine Zahlen ergaben, mit denen nicht viel
anzufangen war, so ist die Zersplitterung bei der viel eingehenderen
Gliederung natürlich noch viel größer. Allerdings haben wir für die
Einteilung in 47 Kategorien eine kleinere in 5 zusammenfassende vor-
gefunden, leider aber ist diese Fünfteilung der Angaben bei den früheren
Jahren nicht durchzuführen, so daB eine Vergleichbarkeit ausgeschlossen
ist, sobald man entweder die 15 früheren Gruppen oder die neue Fünf-
teilung berücksichtigen will. Wir haben daher einen Mittelweg gewählt
und eine Einteilung in 7 Klassen vorgenommen, von dem Bestreben
geleitet, einerseits die Vergleichbarkeit der Zahlen für die beiden Zeit-
räume 1899—1907 und 1908—10 aufrecht zu erhalten, andererseits
70 Sechstes Kapitel. Kommunalstatistik der Stadt Dresden usw.
allzu kleine Zahlen zu vermeiden. Wir hoffen damit eine Einteilung zu
liefern, die, von ünbedeutenden Ungenauigkeiten abgesehen, eine rich-
tige Verteilung der 15 bzw. 47 Berufsklassen auf unsere 7 bringt.
Das Schema ist folgendes:
1. Näherinnen, Schneiderinnen, Putzmacherinnen, Modistinnen,
Plätterinnen, Wäscherinnen, Stickerinnen, Strickerinnen, Häklerinnen.
2. Industriearbeiterinnen und Handarbeiterinnen. Darunter sind zu
verstehen: Alle Arbeiterinnen in Fabriken, Garten-, Feld-, landwirtschaft-
liche Arbeiterinnen, Blumenbinderinnen, Arbeiterinnen in Handelsge-
schäften, Handarbeiterinnen und Arbeiterinnen ohne welche Berufs-
bezeichnung.
3. Aufwärterinnen, Pflegerinnen, Friseusen, Masseusen, Erziehe-
rinnen, Stützen, Lehrerinnen.
4. Handlungsgehilfinnen, Beamtinnen, überhaupt alles Kontor-
personal.
5. Personal in Gast- und Schankwirtschaften.
6. Häusliches Dienstpersonal und Wirtschafterinnen.
T. Selbständige Händlerinnen, Zimmervermieterinnen, Künstlerin-
nen, Haustöchter, Wirtschaftsgehilfinnen, Rentnerinnen, Private und
solche ohne Beruf oder ohne Berufsangabe.
In den Tabellen und im folgenden Text werden wir uns immer auf
diese Gruppeneinteilung beziehen.
Die Einteilung des Alters der Mütter in 5 Abschnitte haben wir
beibehalten. Um aber auch zufällige jährliche Schwankungen, die ja
bei kleinen Zahlen sehr ins Gewicht fallen, nach Möglichkeit zu elimi-
nieren, haben wir 4 dreijährige Perioden gebildet. Tabelle 19 enthält
die absoluten Zahlen.
Bezieht man auf die Gesamtzahl der unehelichen Entbindungen die
Zahlen der einzelnen Berufsgruppen ohne Berücksichtigung der Alters-
Ee Bo nr: sich dieses Bild:
Beruf |; Von 100 unshehchen EE E auf Matter der |
der | vorbezeichneten Berufe
peers u een 1902/1904 | 1905/1907 WE) 1908/1910 1910 | 1 1899/1910
Se ee ae E ee ee EE ee ER
1 | 12,98 12,30 10,72 10,23 11,55 |
| 2 | 87,16 34,38 39,50 38,42 37,37 |
3 3,65 3,58 4,10 8,67 8,74
| 4 | 4,59 5,66 5.97 6,54 569
8 5,42 5,04 4,84 5,00 5,07
6 29,17 30,89 27,03 28,48 28,87 `
o 7,08 8,20 7,84 7,71 7,71
|
100,00 100,00 | 100,00 100,00 100,00
Die unehelichen Miitter in Dresden 71
Spalte 6 gibt hier einen Durchschnitt für die ganze Periode 1899
bis 1910. Danach stammen die meisten Mütter unehelicher Kinder aus
dem Arbeiterstand: Mehr als ein Drittel aller unehelichen Entbindungen
entfallen auf diese Gruppe. Die nächste ebenfalls stark belastete Be-
rufsgruppe ist die 6., in der wir das häusliche Dienstpersonal und die
Wirtschafterinnen zusammengefaßt haben; sie sind mit etwa 2 Siebentel
aller unehelichen Entbindungen vertreten. In weitem Abstand folgen
dann die anderen Gruppen nach, von denen nur noch die erste eine über
10%, betragende Belastung aufzuweisen hat. Mit geringerem Anteil sind
dann die 4 anderen Gruppen vertreten. Den niedrigsten hat die dritte
Klasse mit 3,74%; sie setzt sich z. T. aus Mädchen zusammen, die einer
höheren Gesellschaftsschicht entstammen.
Da in Dresden die Industrie stark vertreten ist, gehört sicherlich
ein groBer Prozentsatz der unverheirateten weiblichen Bevölkerung dem
Arbeiterstande an; und es würde sich vielleicht bei genügender Berück-
sichtigung dieses Umstandes ergeben, daß die Industriearbeiterinnen
besser dastehen als das häusliche Dienstpersonal, das an Zahl viel
schwächer vertreten ist. Dies würde dann Beobachtungen entsprechen,
die anderswo hierüber gemacht sind.!) Wie dem aber auch sei, die starke
Belastung der Arbeiterinnen und häuslichen Dienstboten hat wohl ihren
Grund hauptsächlich darin, daß sie einmal viel größeren sittlichen Ge-
fahren ausgesetzt sind und daß sie andrerseits diesen an sie herantreten-
den Versuchungen viel eher erliegen als die Mädchen aus den höheren
Ständen.
Um noch kurz ein Wort über die zeitliche Entwicklung der Zahlen
zu sagen, so ist besonders auffällig das konstante stetige Wachsen der
Prozentzahl der Gruppe 4, die das Kontorpersonal umfaßt. Dies ist
sicherlich zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß sich die Zahl
der jungen Mädchen, die in diesem Beruf ein Unterkommen finden, von
Jahr zu Jahr vergrößert hat; es ist dies ja eine bekannte Tatsache der
Berufsstatistik. Im übrigen ist wohl in keiner Gruppe eine feste Ten-
denz in der Entwicklung zu verfolgen, es sei denn, daß man die Ab-
nahme der Beteiligungsziffer der ersten Gruppe als solche auffassen will.
Leider entzieht es sich aber unserer Kenntnis, wieweit hier ein anderes
Moment mitspricht, nämlich das, ob die Nüherinnen, Schneiderinnen
und Modistinnen nicht neuerdings oft den Industrie- und Handarbeite-
rinnen zugezählt werden, da diese Berufsgruppe doch wohl immer mehr
in Abhängigkeit von großen Industrien und Warenhäusern gerät.
Die folgende kleine Tabelle soll uns nun noch Aufschluß darüber
geben, in welchem Verhältnis die Altersklassen der Mütter beteiligt sind:
1) Vgl. G. v. Mayr, Statistik nnd Gesellschaftslehre, 3. Band, erste Liefe-
rung S. 140—41. — Uns war es leider nicht möglich, die Zahlen der Berufs-
statistik heranzuziehen und auf diese Weise Beziehungszahlen statt Gliederungs-
zahlen zu bilden.
712 Sechstes Kapitel. Kommunalstatistik der Stadt Dresden usw.
Von 100 ünehelichen Entbindungen entfielen auf
Alter der Mutter Mütter der vornbezeichneten Altersklassen
| 1899/1901 | 1902/1904 1905/1907 | 1908,1910 | Be |
1 Coa 5g A | 6 | 6 |
|
weniger als 18 J. | 8,50 4,48 8,85
18—19 J. 14,59 17,98 15,87
| 20—24 J. ; 50,59 , 50,64 50,44
25—29 J 21,01 17,43 19,42
30 J. u. mehr 10,31 T 9,47 10,42
zus. | 100,00 | 100,00 | 100,00 | 100,00 | 100,00 |
Betrachten wir erst wieder die zusammenfassende Spalte 6, so sehen
wir, daß die Altersklasse 20— 24 Jahre mit 50°’, vertreten ist. Die Hälfte
aller unehelichen Entbindungen in Dresden füllt also dieser Altersklasse
zur Last. Mit fast ein Fünftel folgt dann die Altersklasse 25—29 Jahre,
der sich die von 18—19 Jahren mit ungefähr ein Sechstel anschließt.
Etwas über ein Zehntel beträgt dann die Beteiligung derjenigen Mäd-
chen, die 30 Jahre und darüber alt sind, und endlich entfallen auf die
| jüngste Altersklasse fast A7, Ein ebenso deutliches, wie trauriges Bild
von der starken sittlichen Zersetzung der Großstadtbevölkerung, daß die
Mädchen unter 18 Jahren bereits mit 4°/, in der Gruppe der unehelich
gebärenden Mütter vertreten sind, ein Bild, das noch düsterer wird,
wenn man sieht, wie der Prozentanteil dieser jüngsten Altersklasse von
einer Periode zur andern sich stetig vermehrt und im Zeitraum 1908.
bis 1910 bereits 4,48°,, erreicht hat. Eine ebenso starke, wenn nicht noch
stärkere zunehmende Tendenz weist die Verhältniszahl der zweitjüngsten
Altersklasse auf; sie hat fast die 18%, erreicht! Dagegen hat die Betei-
ligung der höheren Altersklassen nachgelassen. Der Schluß hieraus, daß
der Geschlechtsverkehr unter der großstädtischen Bevölkerung immer
früher und früher einsetzt, ist wohl berechtigt; außerdem ist auch ohne
weiteres einleuchtend, daß die Kinder, die diesem Geschlechtsverkehr
der jüngsten Altersklassen das Leben verdanken, in vielen Fällen nicht
lebensfähig sind und einen großen Einfluß auf die Höhe der unehe-
lichen Säuglingssterblichkeit der Großstädte ausüben.
§ 3. Die vorehelichen Schwängerungen.
Als nur formal uneheliche Kinder bezeichnet O. Spann diejenigen,
die vor der Ehe konzipiert, aber infolge der EheschlieBung der Eltern
vor der Geburt des Kindes ehelich geboren sind. Die Legitimation führt
das unehelich geborene in den ehelichen Stand über; bei dem nur vor-
ehelich erzeugten aber noch ungeborenen Kind tut dies die Eheschlie-
Bung. G. v. Mayr bringt dies dahin zum Ausdruck, daß er sagt, „hier
Die vorehelichen Schwängerungen in Dresden ` 13
liege gewissermaBen eine antizipierte Legitimation vor, deren Verbrei-
tung überhaupt und insbesondere gegenüber der offiziellen ‘Legitima-
tion’ kennen zu lernen erhebliches Interesse bietet.“ Gegenüber der
Auffassung Schnapper-Arndts, der eine Verallgemeinerung solcher
Untersuchungen einen Mißbrauch der statistischen Zwangsgewalt des
Staates nennt, betont G. v. Mayr ausdrücklich, daß „vom wissenschaft-
lichen Standpunkt aus jeder ‚Versuch, die statistische Klärung einer
sozial so bedeutsamen Erscheinung grundsätzlich abzuschneiden, zurück-
gewiesen werden muß.“ Wir können nicht umhin, uns dieser Ansicht
anzuschließen und wollen daher auch im folgenden auf diese Frage
näher eingehen, soweit uns Material vorliegt.
Die Angaben, die wir für unsere Untersuchungen zur Verfügung
haben, sind leider sehr dürftig. In der Zeitschrift des Kgl. Sächs. Stat.
Bureaus Jahrg. 49 finden wir für die Stadt Dresden eine Einteilung der
im 1. Ehejahr geborenen Kinder der Jahre 1891—1901, die uns Schlüsse
in diesem Sinne gestatten; außerdem hat sich Dr. Schneider in einem
kleinen Aufsatz in den Conradschen Jahrbüchern mit diesem Thema
befaßt und seinen Untersuchungen Angaben der Stadt Dresden für die
Jahre 1890—94 zugrunde gelegt.
Die voreheliche Schwängerung, d. h. der erfolgreiche Beischlaf vor
der Ehe, kann nun nach 2 Gesichtspunkten hin betrachtet werden. Ein-
mal kann die voreheliche Schwängerung eine Folge des Verlöbnisses
sein, d. h. es besteht dann von vornherein die Absicht einer baldigen
Heirat, dann aber kann auch eine außereheliche Schwängerung — hier
sagen wir besser außerehelich statt vorehelich — das Verlöbnis und
dann die Ehe zur Folge haben; dies ist der Fall, wenn die Absicht auf
Heirat — wenigstens nicht auf baldige — von vornherein nicht bestand,
sondern daß dieser Entschluß erst gefaßt wurde, als die Folgen des Ge-
schlechtsverkehrs bemerkbar wurden. Das Gefühl der Verpflichtung,
einen solchen Fehltritt nach besten Kräften wieder gut zu machen, führt
dann oft zur Heirat noch vor der Geburt des Kindes. Es ist klar, daß
eine genaue Ausscheidung der Fälle, wo die Heirat erst nach erkannter
Schwängerung beschlossen wird, nicht möglich ist. Immerhin werden
wir auch diesem Punkte einige Aufmerksamkeit schenken.
Um die Geburten, die im 1. Ehejahre stattfinden, nach der Rich-
tung der ehelichen und vorehelichen Schwängerung zu differenzieren,
bedarf es der Annahme einer Graviditätsperiode. In dem Text zu den
Tabellen des oben zitierten Artikels von Dr. Lommatzsch in der Zeit-
schrift des Königl. Sächs. Stat. Bureaus wird „allgemeinen Anschauungen
gemäß“ eine normale Frist von 9 und mehr Monaten angenommen für
die ehelich konzipierten Kinder. Danach wären also alle Kinder, die im
1.—9. Monat des 1. Ehejahres geboren sind, vorehelich konzipiert. OG. v.
Mayr schließt sich der Boeckhschen Schätzung an, wonach sämtliche bis
zum vollendeten 7. Monat nach der Eheschließung Geborene als vorehelich
14 Sechstes Kapitel. Kommunalstatistik der Stadt Dresden usw.
konzipiert angenommen werden dürfen, desgleichen der größere Teil (zwei
Drittel) der im 8., und der kleinere Teil der im 9. Monat geborenen Kinder.
Rubin und Westergaard schließlich teilen die Geborenen des 1. Ehe-
jahres in die, deren Geburt O—7 Monate nach der Eheschließung statt-
findet, und in solche,’deren Geburt in die späteren Monate fällt; sagen
dann aber selbst, daß zu den in den ersten 7 Monaten Geborenen noch
sicher ein Teil der Kinder als vorehelich konzipiert zu rechnen ist, die
7—9 Monate nach der Trauung geboren sind. Ja, wenn man sogar, so
argumentieren sie weiter, den Neunmonatstag als Grenze setzte, so
würde ja doch immer noch eine Woche zur vollen Zeit der Schwanger-
schaft fehlen. Dieses Vorgehen kennzeichnet Schnapper-Arndt mit
den Worten: „Wenn er (Westergaard) aber gar noch weiter ging und
auch den im 7.—9. Monat Geborenen keine Gnade zuteil werden ließ,
also auch diese zu den vorehelich Erzeugten rechnete, dann erhöhte sich
die Zahl der Bräute, die zur Trauungszeit entweder schon geboren oder
empfangen hatten, auf zwei Drittel.“ Daraus geht wohl hervor, daß er
hiermit nicht einverstanden ist. Dr. Schneider schließlich nimmt für
seine Untersuchungen eine nicht volle 8monatliche Schwangerschafts-
periode an, so daß jede in den 8. Monat seit Beginn der bezüglichen
Ehe fallende Geburt als auf ehelicher Schwängerung beruhend gilt.
Das zur Verfügung stehende Material der Stadt Dresden für die
Jahre 1891—1901 teilt die Zeit, die seit der Eheschließung der Eltern
vergangen ist, in nachstehender Weise ein: 0—1 Monat, 1—2 Monate
etc. Nehmen wir nun alle Geburten, die in die Zeit bis zum 7.—8. Monat
fallen, als auf vorehelicher Schwängerung beruhend an, so daß unsere
Schwangerschaftsperiode nur 8 — und zwar nicht vollendete — Monate
beträgt, so glauben wir, um so unbedenklicher so verfahren zu können,
als sicher die Ausnahmefälle von Frühgeburten durch die Zahl der-
jenigen Geburten kompensiert wird, die erst 8—9 Monate nach der vor-
ehelichen Schwängerung eintreten. Bei dieser Einteilung erhalten wir
für die 11 Jahre 1891—1901 von 21914 Geburten überhaupt im 1. Ehe-
jahr 12989 Geburten, die auf vorehelicher Schwängerung beruhen, d. h.
59,27°/,. Für die einzelnen Monate stellt sich der Prozentsatz wie folgt:
| Von je 100 während des 1. Ehejahres der Eltern geborenen Kindern in |
| Dresden (1891—1901) kamen zur Welt, nachdem die Ehe der Eltern ge- |
|
dauert hatte:
0—ılı-2|2—-3|3—4|4—5|5—6|6—7|7— 8 |8—9 |9>—10]10—11|11 — 12
Monate
“4,97 | 6,97 | 8,79 | 9,78 | 9,09 | 8,12 | 6,04
1 Jahr
Die Zahlen zeigen eine bemerkenswerte Entwicklung: Bis zur
4. Periode (3—4 Monate Ehedauer) steigt der Prozentanteil der vor- `
ehelich Konzipierten an der Gesamtzahl der im 1. Ehejahr Geborenen
Die vorehelichen Schwängerungen in Dresden 75
stetig an und erreicht hier ein Maximum von 9,78°,. Dann vermindert
er sich ebenso stetig bis zur 8. Periode (1—8 Monate Ehedauer) bis
hinunter auf 5,51°%,. Prozentuell am meisten Kinder des ersten Ehe-
jahres, 13,60%,, kommen dann nach 9—1Omonatlicher Ehedauer zur
Welt, von wo ab die Zahl wieder bis auf 7,53%, ın der letzten Periode
des 1. Ehejahres sinkt. Wir haben also 2 Kulminationspunkte. Daß der
erste bereits in die frühe Periode 3—4monatlicher Ehedauer fällt, deutet
wohl darauf hin, daß im allgemeinen die Neigung vorherrscht, erst dann
die Ehe einzugehen, wenn man die Folgen des vorehelichen Geschlechts-
verkehrs erkannt hat. Bemerkenswert hoch ist dann noch der Prozent-
anteil der ersten 3 Monate mit 20,73°;,; es tritt also in vielen Fällen
die Eheschließung erst relativ ganz kurz vor der Geburt ein.
Eine Zerlegung der Kinder nach der Ordnungszahl, die hier auch
durchgeführt ist, ist sicher nicht ohne Interesse. Es ergibt sich hierbei
folgendes:
| Von je 100 während des 1. Ehejahres der Eltern geborenen Kindern |
Ord- |; vornbezeichneter re Ee in Dresden (1891—1901) kamen zur
nungs- Welt, nachdem die Ehe der Eltern gewährt hatte:
zahl der ee en SÉ
Kinder — en 23 3—4 4—5 5—6 6— T 1—8 8— 99-10|10-11 11-12,
|
Monate
1. Kind |5,05)7,18|9,01 9,98 9,3¢ ‚5,06 | 7,18 9,0119,98 9,36 8,2
4.22 |5,24 6,62 8,17 6,73 1,0
4,26 2,98 7,66 | 6,96 5,96 | 7,6
2: 5,9
017,32
6 7,66
U
015,28 | 9.86(18,81! aas)
1.75 9.45/12 on 18
Für das erste Kind der Ehe im ersten Ehejahr ergibt sich somit
dieselbe Entwicklung, wie wir sie soeben für die Kinder überhaupt
skizziert haben. Auch für das zweite Kind trifft der erste Teil der obigen
Entwicklung zu. Dann aber haben wir von der 5. Periode ab abermals
ein ununterbrochenes Steigen des Prozentanteils bis zum Schluß des
1. Ehejahres zu verzeichnen. Für das dritte und weitere Kind liegt eine
ganz unregelmäßige Entwicklung vor und zwar so, daß die späteren
Ehemonate stärker belastet sind. Aus diesen Zahlen ist vielleicht der
Schluß zulässig, daß die Neigung erst nach Erkenntnis der Schwänge-
rung, aber noch vor der Geburt des Kindes die Ehe zu schließen ın
dem Maße abnimmt, als schon uneheliche Kinder aus dem Verhältnis
hervorgegangen sind. Erwägungen wirtschaftlicher oder auch anderer
Art sind hier wohl hauptsächlich für die endliche Eheschließung maß-
gebend.
Kommen wir noch einmal auf die verschiedenen Annahmen der Gravi-
ditätsperiode zurück, so erhalten wir, wenn wir Dr.Lommatzsch folgen
{0—9 Mon.), nicht weniger als 68,68°,, der im 1. Ehejahr geborenen Kinder
als vorehelich konzipierte. Im übrigen sagt er, daß es „immerhin auffallend
sei, daß unter je 100 im 1. Ehejahr geborenen Kindern 4,97 schon vor Ab-
76 Sechstes Kapitel. Kommunalstatistik der Stadt Dresden usw.
lauf des 1. Monats, weitere 15,76 noch vor Beendigung des 1. Vierteljahrs
und 26,99 dann im 2. Vierteljahr geboren wurden, so daß nur 31,32%, der
Kinder, den allgemeinen Anschauungen gemäß, nach normaler Frist von
9 und mehr Monaten geboren wurden.“ Wir möchten diesen sehr vor-
sichtigen und zurückhaltenden Worten nur noch hinzufügen, daß man
angesichts des hohen Prozentanteils der vorehelich Konzipierten viel-
leicht nicht zuviel sagt mit der Vermutung, daB der voreheliche Ge-
schlechtsverkehr, der ja sicher noch viel verbreiteter ist als der, der zur
vorehelichen Schwängerung führt und den wir hier allein statistisch zu
erfassen in der Lage sind, doch wohl nicht ganz ausschließlich in den
unteren Volksschichten, sondern auch in bürgerlichen Kreisen zu finden
ist. Eines weitergehenden,Urteils wollen wir uns hier enthalten, da das
Material weitere sichere Schlüsse nicht zuläßt.
Ein etwas tieferes Eindringen in die wichtige Frage nach der Ver-
breitung der vorehelichen Schwängerung gestatten uns die Angaben
Dr. Schneiders, wenn er auch selbst den Vorbehalt macht, daß seine
Arbeit nur eine Anregung bilden kann. Darin soll wohl auch die be-
rechtigte Warnung liegen, seine Angaben zu übereilten Schlüssen und
Verallgemeinerungen zu benutzen; und dies wohl mit Recht, denn der
Zeitraum (1890—94) ist doch wohl zu kurz, um ein richtiges Bild geben
zu können. Immerhin wollen wir in aller Kürze auf seine Resultate ein-
gehen.
Sehr wertvoll und weiterem Ausbau nur zu empfehlen ist sein Ver-
such, das Material nach sozialen Bevölkerungsgruppen, nach Vermögen
und Beruf einzuteilen. Seine Gruppierung, die sich an die von Rubin
und Westergaard im allgemeinen anschließt, ist folgende:
1. Arbeiter, Gehilfen und andere, der sog. vierte Stand.
2. Subalternbeamte und -militärs, Volksschullehrer, Handelsleute,
Handwerker und andere, die sog. kleinen Leute.
3. Kaufleute, Industrielle, Gutsbesitzer u. a.
4. Künstler, Schriftsteller u. a.
5. Studierte, sonstige höhere Beamte u. a., Offiziere, Rentiers.
Auf Grund dieser Einteilung ergibt sich folgende Prozentbelastung:
Von je 100 während des 1. Ehejahres geborenen Kindern sind
vorehelich konzipiert in Gruppe:
1890—94
‘Die vorehelichen Schwängerungen in Dresden 17
Dr. Schneider findet also auf Grund des Materials, das er den
Geburtskarten der Dresdener Standesämter entnahm, daß nur 39°, aller
Geburten des ersten Ehejahres auf vorehelicher Schwängerung beruhen.
Es ist uns leider unmöglich, nachzuprüfen, woher diese Differenz mit
den Angaben von Dr. Lommatzsch, der für dieselbe Schwangerschafts-
periode 58,27°,, findet, herrührt. Jedenfalls haben wir keinen Grund, die
Richtigkeit der Resultate von Dr. Lommatzsch, die sich auf amtliche
Berechnungen stützen, zu bezweifeln. Angesichts dieses großen Unter-
schiedes hat auch die Berechnung von Dr. Schneider über die Pro-
zentbelastung der einzelnen sozialen Schichten für uns nur einen sehr
geringen Wert, da wir viel größere Ziffern vermuten müssen. Daher
wollen wir auch nicht auf die weiteren Untersuchungen näher eingehen,
sondern uns mit der Anführung der Schlüsse begnügen, die er mit
großem Vorbehalte zieht:
1. Bei allen ehelich Erstgeborenen beruhen etwa 40°,, auf vorehe-
licher Schwängerung.
2. Dabei ist der sogenannte 4. Stand mit reichlich 2 Drittel ver-
treten.
3. Ein sehr großer Teil solcher Ehen wird erst nach der Erkennt-
nis der Schwangerschaft, meist kurz vor der Geburt geschlossen.
4. Eine verhältnismäßig bedeutende Anzahl derselben (vielleicht
1 Fünftel) schließt gleichzeitig unehelich gezeugte Kinder mit ein, wo-
bei sich der vierte Stand mit über 2 Drittel beteiligt.
Siebentes Kapitel. °
Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlußfolgerungen.
In den vorigen Kapiteln haben wir versucht, die einzelnen Momente,
aus denen wir etwas über das Problem der Unehelichkeit im Königreich
Sachsen erfahren können, in detailgeographischer Zergliederung der
Zahlen statistisch zu erfassen und klarzulegen. Wir haben uns im
Verlaufe dieser Arbeit bis jetzt, abgesehen von einigen Bemerkungen,
fast ganz einer Würdigung der Einzelergebnisse hinsichtlich der Folge-
rungen, die man in sittlicher und moralischer Beziehung daran knüpfen
kann, enthalten, dies vielmehr immer aufgeschoben, bis wir alle Ver-
hältnisse, soweit sie für uns statistisch erkennbar waren, dargelegt
hatten. Dies ist jetzt in vollem Umfange geschehen; daher wollen wir
nun noch einmal alle Ergebnisse kurz zusammenfassen und uns dann
ein Bild davon zu machen versuchen, auf was für sittliche Zustände wir
hieraus schließen können. Tabelle 21 bringt eine kurze Übersicht über
die einzelnen statistischen Faktoren, die uns für diese Aufgabe zur Ver-
fügung stehen. Wir haben, um es kurz zu rekapitulieren, die Verteilung
18 Siebentes Kapitel. Zusammenfassung der Ergebnisse u. Schlußfolgerungen
der Unehelichkeitsquote, der unehelichen Fruchtbarkeitsziffer, der unehe-
lichen Totgeburtenquote, der unehelichen Säuglingssterblichkeitsziffer
und der Legitimationsziffer auf die untersten Verwaltungsbezirke, die
27 Amtshauptmannschaften und die exemten Städte, untersucht. Ein
Umstand, der fiir einen Vergleich der einzelnen Quoten beziehungsweise
Ziffern störend wirkt, ist der, daß wir nicht für alle Untersuchungen ein
und denselben Zeitraum zugrunde legen konnten. Daran ist das uns
zur Verfügung stehende amtliche Material schuld. Wir glauben aber,
daß dieser Umstand deshalb die Ergebnisse nicht allzusehr beeinträch-
tigen kann, da wir ja hier nur die einzelnen Verwaltungsbezirke unter-
einander vergleichen wollen und dieser Mangel bei allen in gleicher
Weise besteht.
Wir werden ım folgenden in aller Kürze die Ergebnisse in den
einzelnen Kreishauptmannschaften wiederholen und jedesmal daran an-
knüpfend darauf zu sprechen kommen, welche Schlüsse sich daraus
ziehen lassen. Um das rein statistische Bild etwas zu ergänzen, haben
wir uns mit einigen Fragen, die die sittlichen Verhältnisse betrafen, an
einige Pfarrämter in verschiedenen Teilen des Landes gewendet und
haben auch von mehreren der Herren Pastoren einige wertvolle Aus-
künfte erhalten, die wir im folgenden benutzen wollen. Außerdem haben
wir noch einige Unterlagen in der „Enquête der Sittlichkeitsvereine zur
Untersuchung der geschlechtlich-sittlichen Verhältnisse der evangelischen
Landbewohner“, wo in dem Abschnitt „Königreich Sachsen“ manches
für unsere Zwecke Brauchbares zu finden war.
Wir beginnen mit der östlich gelegenen Kreishauptmannschaft
Bautzen. Sie zerfällt in 4 Amtshauptmannschaften, von denen in der
einen der nördlichst ganz im Flachland gelegenen, Kamenz, vorwiegend
Landwirtschaft getrieben wird. Die sich in der Richtung von Nordwest
nach Südost anschließenden 3 übrigen Bezirke Bautzen, Löbau, Zittau
zerfallen sämtlich in einen gebirgigen südwestlichen Teil und einen
flachen nordöstlichen. Der südwestliche Teil wird vom Lausitzer Ge-
birge durchzogen, das nach Nordosten zu allmählich in ein Tiefland über-
geht; hier spielt die Landwirtschaft eine große Rolle, während in den
gebirgigen Teilen der Bezirke die Industrie vorherrscht. In dem Maße,
wie der gebirgige Teil vom Nordwesten nach Südosten in den Bezirken
zunimmt, ist die Beteiligung der Bewohner am Berufe der Landwirt-
schaft im Schwinden. Dies zeigen deutlich die Ergebnisse der Berufs-
und Gewerbezählung von 1895 und 1907. Danach verteilt sich die Be-
völkerung auf die in der Tabelle (S. 79) angegebenen 6 Hauptberufsarten.
Aus diesen Zahlen ist einmal ersichtlich die Abnahme des landwirt-
schaftlichen Betriebes von Nordwesten nach Südosten — in Kamenz
findet ein Drittel in diesem Beruf Beschäftigung, in Zittau nur noch ein
Sechstel —, dann aber auch die allgemeine Zurückdrängung der Land-
wirtschaft von der Industrie; diese entzieht der Landwirtschaft immer
Die Unehelichkeit in der Kreishauptmannschaft Bautzen 19
mehr die nötigen Kräfte, so daß sie bereits unter empfindlichem Leute-
mangel leidet.
| | Häusliche
Handel ‚Diensteu.! Beamte
| Landwirt-| ro austrie und Lohnarb. | und freie
schaft h
š Verkeh wechs.
waltungs erkehr
bezirke
1895 395, 1907 1895, 1907. 1895 I1007| 1895 1907: 1895 1907 1895 1907
` | —— eae tS as glare EEN
|
di dow ends,
4 E? D
Kamenz. . OH 51,0'54,7| 65| 7,2
Bautzen. . .| 31,8 | 23,7 | GA Al 84! 9,0
Löbau ` 1} 98:7|19,0' 68,8 590: an 92
169 12,6 | | 61,5 | 61,4 | 10,8 | 11,8
SÉ SE GER
pema
Wir haben diese Verhältnisse etwas eingehender besprochen, weil
sie zur Klärung unseres Problems viel beitragen. In der Kreishaupt-
mannschaft Bautzen können wir nämlich mit Aussicht auf Erfolg eine
Parallele ziehen zwischen der Unehelichkeit und der Berufsverteilung
der Bevölkerung auf Industrie und Landwirtschaft. Man vergleiche obige
Zahlen aus der Berufszählung mit folgender kleiner Zusammenstellung:
Unehelichkeitsquote Uneheliche
1890—99 1900 —09 Fruchtbarkeitsziffer
Städte Land zusammen 1890—99
Kamenz 8,52 11,34 10,68 10,66 44,48
Bautzen 9,95 16,06 14,55 18,06 53,46
Löbau 10,95 16,29 15,66 15,22 64,23
Zittau 13,75 18,17 17,11 15,71 61,29
Mit größter Deutlichkeit geht hieraus hervor, daß mit der Zunahme:
der Industrie, dementsprechend mit der Verdrängung der Landwirtschaft,
Hand in Hand geht eine Zunahme der Unehelichkeit und zwar ganz
stetig sowohl in den Städten als auch in den Dörfern. Leider haben
wir nun keine statistischen Angaben darüber, ob derselbe Unterschied,
wie er zwischen den mehr landwirtschaftlichen und den mehr industriel-
len Bezirken in bezug auf die Unehelichkeit herrscht, auch innerhalb
der Bezirke zwischen den landwirtschaftlichen Nordhälften und den in-
dustriellen Südhälften zu finden ist. Es wird uns aber von 3 Pastoren
übereinstimmend versichert, daß immer der industrielle Teil des Bezirks
mit unehelichen Geburten ungleich mehr belastet ist, als die landwirt-
schaftliche Gegend. Einer der Herren schreibt als Erklärung der Mehr-
belastung der industriellen Gegend folgendes: „Die Fabrikarbeiter haben
um 7 oder auch schon um 6 Uhr Feierabend, so daß allem Unfug Tür
und Tor offen steht, während die in der Landwirtschaft beschäftigten
jungen Leute bis in die Nacht hinein zu tun haben und froh sind, wenn:
80 `! Siebentes Kapitel. Zusammenfassung der Ergebnisse u. Schlußfolgerungen
sie zu Bett gehen können.“ Ein anderer schreibt darüber: „... das
liegt im engen Beisammensein in den Fabriken und Fabrikgemeinden,
vielfach auch in dem Zusammenarbeiten der beiden Geschlechter.“ Bei-
den Momenten, der verhältnismäßig viel freien Zeit und dem engen Zu-
sammenarbeiten und -wohnen, möchten wir in der Tat einen nicht ge-
ringen Einfluß auf die größere Unehelichkeit der industriellen Gegenden
zuschreiben. Auffällig könnte es bei dieser Sachlage sein, daß in den
Städten die Unehelichkeitsquote so bedeutend geringer ist als in den
Dörfern. Man vermutet doch im allgemeinen die Industrie eher in den
Städten zu finden, die dann eine besonders große Unehelichkeit auf-
weisen müßten. Die Sache liegt hier aber anders, Städte gibt es über-
haupt nur sehr wenig in dieser Kreishauptmannschaft, dafür tragen aber
die Dörfer überwiegend städtischen Charakter, und in ihnen ist auch
die Industrie konzentriert. Die Unterscheidung in Städte und Dörfer
oder, wie man zu sagen pflegt, in Stadt und Land, kann hier also be-
sonders leicht falsche Vorstellungen erwecken.
Was nun die verhältnismäßig auch durchaus nicht geringe Unehe-
lichkeit in mehr agrarischen Gegenden anlangt, so kann man da wohl
folgendes als Erklärung anführen: Wie wir schon sahen, entzieht die
Industrie der Landwirtschaft die nötigen Kräfte an Gesinde und Land-
arbeitern. Der empfindliche Leutemangel zwingt nun die Dienstherr-
schaften den Leuten gegenüber nachsichtiger aufzutreten, damit sie sie
nicht durch ihre Strenge in noch größerer Zahl der Industrie in die
Arme treiben. So dulden sie stillschweigend den geschlechtlichen Ver-
kehr ihrer Knechte und Mügde, der noch begünstigt wird durch die
vielfach sehr schlechten Wohnungsverhältnisse des Gesindes. Viel spricht
‚auch die laxe Auffassung der in Betracht kommenden Bevölkerungs-
kreise mit. Die Volksmeinung geht dahin, in dem Beischlaf vor der
Verheiratung etwas Natürliches zu erblicken, ja der voreheliche Ge-
schlechtsverkehr ist fast traditionelle Sitte. Daß eine ehrbare Braut an
den Altar tritt, ist äußerst selten. Vielfach schließen daher auch die
Ehen die Legitimation unehelicher Kinder ein. Überhaupt läßt der Um-
‚stand, daß die meisten unehelichen Kinder später durch die Eheschlie-
Bung der Eltern, die meist gleich nach Beendigung der Militärzeit des
Mannes eintritt, legitimiert werden, die so hohe Unehelichkeit in einem
etwas milderem Lichte erscheinen. Auch die verhältnismäßig geringe
Anzahl der unehelichen Totgeburten und die zum Teil sehr geringe un-
eheliche Säuglingssterblichkeit deuten darauf hin, daß im allgemeinen
wohl die Fürsorge für die Früchte des auBer- resp. vorehelichen Ge-
schlechtsverkehrs nicht allzu schlecht ist.
An die Kreishauptmannschaft Bautzen schließt sich westlich die
Kreishauptmannschaft Dresden an; sie ist in 7 Amtshauptmannschaften
und einen selbständigen städtischen Verwaltungsbezirk, Dresden, geglie-
dert, Im Norden und im Elbtalkessel haben wir Tiefland, der Süden
Die Unehelichkeit in der Kreishauptmannschaft Dresden 81
ist gebirgig; er wird durchzogen vom Erzgebirge und Elbsandstein-
gebirge. In den gebirgigen Teilen und in den größeren Orten auch des
Flachlandes herrscht regster GewerbefleiB, teilweise mit sehr groBen Be-
trieben, so besonders in der Amtshauptmannschaft Freiberg. Im Tief-
land, also vor allem in der Amtshauptmannschaft GroBenhain, aber auch
in der siidlich, mehr im Bergland gelegenen Amtshauptmannschaft Dip-
poldiswalde findet fast ein Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft
Beschäftigung. In den übrigen Bezirken tritt sie dem Gewerbe gegen-
über an Bedeutung stark zurück.
Was nun die Unehelichkeit in dieser Kreishauptmannschaft betrifft,
so haben wir hier meistens geringe Quoten und auch miiBige uneheliche
Fruchtbarkeitsziffern gefunden, mit nur 2 Ausnahmen: Die Stadt Dresden
und die Amtshauptmannschaft Freiberg weisen die bei weitem stärkste
Belastung in der ganzen Kreishauptmannschaft auf. Die hohe Unehe-
lichkeit der Stadt Dresden haben wir bereits eingehend besprochen,
ebenso ihre ungünstige Totgeburtenquote und Legitimationsziffer. Auch
die scheinbar sehr günstige Säuglingssterblichkeitsziffer hat eine ge-
nügende Erklärung dahin gefunden, daß man auf sie kein großes Ge-
wicht legen kann, sondern daß man sie im Zusammenhang mit denen
der Amtshauptmannschaften Dresden-A. und Dresden-N. betrachten muß,
wobei sie dann viel von ihrem günstigen Charakter einbüßt. Alles in
allem entrollt sich uns ein düsteres Großstadtbild: Viele uneheliche Ge-
burten, darunter ein ansehnlicher Prozentsatz von Totgeburten, große
Säuglingssterblichkeit unter den unehelichen Kindern und schließlich
noch sehr schlechte Legitimationsaussichten für die Überlebenden.
Auch in der Amtshauptmannschaft Freiberg liegen die Verhältnisse
recht schlecht. Eine Unehelichkeit, die sich vom Jahrzehnt 1890—99
auf 1900—09 um fast 2°, gesteigert hat, verbunden mit einer sehr hohen
unehelichen Fruchtbarkeitsziffer, belastet diese vorwiegend industrielle
Gegend schwer. Auch die Totgeburtenquote unter den Unehelichen ist,
obgleich an und für sich im Jahrzehnt 1890—99 schon hoch, im Jahr-
zehnt 1900—09 noch um über ein halb Prozent gestiegen. Mildernd
wirken hier nun aber 2 Umstände ein: Einmal eine ziemlich geringe
Säuglingssterblichkeit, die im Jahrzehnt 1891—1900 sogar weniger als
ein Drittel ausmacht, und dann eine über dem Landesdurchschnitt stehende
Legitimationsziffer, die aber doch nicht an die der Bezirke der Kreis-
hauptmannschaft Bautzen heranreicht.
In den übrigen Bezirken liegen, wie schon hervorgehoben, die Ver-
hältnisse viel günstiger. Die Unehelichkeit besonders ist bedeutend ge-
ringer. Bei den anderen Faktoren sind die Unterschiede gegen Freiberg
nicht so groß, ja in manchem steht sogar Freiberg günstiger da. Aber
doch können wir im ganzen behaupten, daß, besonders wenn man die
Hauptstadt Dresden ausnimmt, aber auch wenn man sie mit Recht ein-
bezieht, die Kreishauptmannschaft Dresden in günstigerem Lichte er-
Prenger, Unehelichkeit 6
82 Siebentes Kapitel. Zusammenfassung der Ergebnisse u. Schlußfolgerungen
scheint als die Kreishauptmannschaft Bautzen. Auch hier könnte man
wieder mit Erfolg die Ansicht vertreten, daß die Industriegegenden
schlechter abschneiden als die agrarischen. Die Bemerkung in der oben
erwähnten Enquéte: „Die Industriedörfer des Plauenschen Grundes stehen
in sittlicher Beziehung etwas schlechter als die Bauerndörfer“, spricht
jedenfalls auch dafür.
Die Nordwestecke des Königreiches wird gebildet von der Kreis-
hauptmannschaft Leipzig, deren Untergliederung aus 6 Amtshauptmann-
schaften und dem städtischen Verwaltungsbezirk Leipzig besteht. Sie
ist der fruchtbarste Teil des Landes und besteht hauptsächlich aus Tief-
land. Nur im Süden liegt das sächsische Bergland oder Mittelgebirge,
das ein flacher Ausläufer des Erzgebirges ist. Dem Tieflandcharakter
der Kreishauptmannschaft entsprechend spielt hier in manchen Teilen
die Landwirtschaft noch eine große Rolle. So erscheint das von der
Elbe bis zur Leipziger Niederung sich erstreckende Tiefland als vorzüg-
lich zum Ackerbau geeignet. Hier befindet sich die Lommatzscher
Pflege, die Kornkammer Sachsens. Die Berufs- und Gewerbezählung
vom Jahre 1895 weist noch fast in allen Bezirken ein Drittel der Be-
völkerung als zur Landwirtschaft gehörig aus. Dagegen ist sie in der
neuesten Zeit, wie die Berufs- und Gewerbezählung vom Jahre 1907
zeigt, auch hier der Industrie und vor allem dem Handel und Verkehr
gegenüber stark zurückgetreten; aber doch nur so, daß in Oschatz, Borna,
Grimma, Döbeln und Rochlitz noch mehr als ein Viertel bis ein Sechstel
der Bevölkerung in diesem Berufszweige tätig ist. Nur in der Amts-
hauptmannschaft Leipzig spielt sie bloß noch eine ganz untergeordnete
Rolle.
Für die Verteilung der Unehelichkeitsquote hatte sich ergeben, daB
die 3 Bezirke Döbeln, Grimma, Leipzig besser dastehen als die drei an-
deren Borna, Rochlitz und Oschatz. Was die Großstadt Leipzig auf die
sie umgebende Amtshauptmannschaft Leipzig für eine Wirkung ausübt,
ist bereits besprochen, und es ist auch klargelegt worden, wie die Amts-
hauptmannschaft Leipzig durch die uneheliche Fruchtbarkeitsziffer weit
mehr belastet erscheint, als wenn man nur die Unehelichkeitsquote be-
trachtet, die übrigens im letzten Jahrzehnt auch etwas gestiegen ist.
Gestiegen ist sie auch in Grimma von 1890—99 bis 1900—09 um 1%,
so daß eigentlich nur Döbeln übrig bleibt, als diejenige Gegend, die
gegenwärtig am günstigsten dasteht. Auch die anderen Faktoren, un-
eheliche Totgeburten, uneheliche Säuglingssterblichkeit und die Legiti-
mationen, weisen auf besonders günstige Verhältnisse in diesem Bezirk
hin. Mit dieser Ausnahme bietet aber die Kreishauptmannschaft Leipzig
im ganzen ein weniger gutes Bild als die soeben besprochene Kreishaupt-
mannschaft Dresden; denn hier ist es nicht nur die Großstadt und ein
Bezirk mit hoher Unehelichkeitsquote, sondern außer der Stadt Leipzig
haben noch 3 Bezirke hohe Quoten und teilweise auch Ziffern.
Die Unehelichkeit in der Kreishauptmannschaft Leipzig 83
Besonders interessant ist es hier, daß die Dörferquote überall höher
ist als die Städtequote. Nun ist ja auch hier bereits die Industrie in die
Dörfer eingedrungen und es gibt auch hier richtige Industriedörfer, aber
daneben ist die Zahl der rein bäuerlichen Dörter, besonders in der Amts-
hauptmannschaft Rochlitz, auch durchaus nicht klein. Und gerade in
den Dörfern der Amtshauptmannschaft Rochlitz ist die Unehelichkeits-
quote um fast 1,5%% höher als in den Städten. Sehr wertvoll ist in die-
sem Zusammenhang die Auskunft, die mir ein Pastor aus der Rochlitz-
Geithainer Pflege in dankenswerter Weise erteilt hat. Seines Erachtens
liegt die hohe Zahl der unehelichen Geburten dieser Gegend in ihrem
landwirtschaftlichen Charakter begründet. Im einzelnen schreibt der
Herr unter anderem folgendes: „Der Verkehr der jungen Leute ist ein
sehr zwangloser, auch der zwischen Gutsgehöft und Häuslerhaus. Ziem-
lich früh bilden sich Liebschaften. Die sittliche Auffassung besonders
des geschlechtlichen Verkehrs bei Liebesleuten ist von den Eltern her
ziemlich lax, und vom ernstlichen Verlöbnis ab gilt der geschlechtliche
Verkehr fast als selbstverständlich. Ein Paar, das sich bis zur Ehe rein
halten will, hat nicht nur gegen die eigene Sinnlichkeit anzukämpfen,
die im Landvolk schon wegen der Viehhaltung groß ist, sondern auch
gegen Sitte und Herkommen. Der Gedanke an Schande bei unehelichen
Geburten, der in anderen Kreisen z. B. Bürgerfamilien außerordentlich
bewahrend wirkt, scheidet hier fast ganz aus. Er wird der Jugend wohl
durch Kirche und Schule beigebracht, aber durchs Haus nicht genährt“.
Auch einer bei den Bauern etwas weiter hinausgeschobenen Heiratsmög-
lichkeit kann man einen Teil der Schuld an der hohen Unehelichkeit zu-
schieben; denn man muß oft lange warten, bis man womöglich im Hei-
matsdorfe eine Wirtschaft oder ein Gut kaufen kann. So lange muß
dann der Sohn in der Wirtschaft der Eltern helfen, die sich meistens
zu der Zeit, wo der älteste Sohn schon heiräten könnte, noch nicht zu-
rückziehen wollen, um dem Sohn das Gut zu überlassen; und so groß
ist das Gut meistens auch nicht, daß es zwei Familien ernähren kann.
So kommt es dann, daß die jungen Leute vor der Eheschließung erst
„jahrelang miteinander gehen“. Stellen sich dann die Folgen des Ver-
kehrs ein, so schließt man oft — gewöhnlich vor der Geburt des zwei-
ten Kindes — die Ehe, um den äußeren Anstand zu wahren, aber die
jungen Leute bleiben jedes bei seinen Eltern, während die Kinder bei
den Eltern des Mädchens auferzogen werden. Daß die unehelichen Ge-
burten sich in der neuesten Zeit noch mehren, liegt nach dem Erachten
des betreffenden Herrn an der auch auf dem Lande zunehmenden Zucht-
losigkeit: „Eltern und Dienstherren haben heute weniger zu sagen als
früher, und der Verkehr der Geschlechter wird immer freier.“
Diesem Bilde fügt die Angabe eines anderen Pfarrers auch aus der
Amtshauptmannschaft Rochlitz, aber aus einer weiter östlich gelegenen
Gegend, eine gewisse Ergänzung hinzu, mit der Bemerkung, daß betr.
6*
HÄ Siebentes Kapitel. Zusammenfassung der Ergebnisse u. Schlußfolgerungen
der bäuerlichen Bevölkerung der Umstand eine Rolle spielen könnte, daß
im Erbfalle die Güter zu hohen Preisen berechnet werden; dies führt
dazu, daß der Bauernsohn sich am Gesinde vergreift, bevor er eine ent-
sprechend vermögende Bauerntochter findet. Im übrigen schreibt dieser
Herr der immer mehr vordringenden Industrie die meiste Schuld an der
hohen Zahl der unehelichen Geburten — sie beträgt in dortiger Gegend
ca. 20°/, — zu. Aus den anderen Bezirken haben wir leider keine Er-
kundigungen einziehen können, aber wir denken, die obige Schilderung
gewährt schon einen Einblick in die Verhältnisse. Daß sie nicht überall
gleich zu sein scheinen, zeigt schon die sehr niedrige Legitimationsziffer
in der Amtshauptmannschaft Oschatz. Aber gerade in der Amtshaupt-
mannschaft Rochlitz ist sie erfreulich hoch: Etwas weniver als die Hälfte
der unehelich geborenen Kinder wird legitimiert. Dies fügt sich sehr
gut in das eben entworfene Bild ein: Es handelt sich meistens um vor-
eheliche Kinder, für die im allgemeinen gut gesorgt wird, worauf auch
die verhältnismäßig nicht hohe Säuglingssterblichkeit hindeutet.
Wir kommen nun zur letzten Kreishauptmannschaft, Zwickau, um
dann das Fazit für das ganze Land zu ziehen. Die Kreishauptmannschaft
Zwickau zerfällt nach der alten Einteilung des Landes, die bis 1900
gültig war, in 10 Amtshauptmannschaften und den städtischen Bezirk
Chemnitz. Seit 1900 ist sie in die Kreishauptmannschaft Chemnitz und
in die Kreishauptmannschaft Zwickau, jede mit 5 Amtshauptmannschaf-
ten, geteilt worden. Wir behalten auch hier die alte Einteilung bei.
Dieses Gebiet besteht durchgängig aus Hügel- und Bergland mit sehr
ergiebigen Steinkohlenflözen. Der Südwesten ist das sogen. Vogtland
und wird vom Elstergebirge durchzogen. Den übrigen Teil deckt das
Erzgebirge. Wegen des gebirgigen Charakters tritt die Landwirtschaft
fast ganz zurück; nur in Ölsnitz und Plauen beschäftigt sie noch nach
der Berufs- und Betriebszählung von 1907 etwa ein Siebentel der Be-
völkerung. Dagegen ist die Kreishauptmannschaft Zwickau die in-
dustriellste Gegend des ganzen Landes und hat auch die dichteste Be-
völkerung. Hier sind die meisten Gewerbe zu Hause, besonders in den
Städten und auch in ihrer Umgebung, die meist aus stundenlang sich
erstreckenden Industriedörfern besteht. Gefördert wird das Großgewerbe
durch die nahen Steinkohlenlager. Auch das Haus- und Kleingewerbe
ist hier stark vertreten, hauptsächlich in der dichtbevölkerten Nordseite
des Erzgebirges.
In den meisten Bezirken dieser Kreishauptmannschaft haben wir
eine hohe Unehelichkeitsquote, die in den meisten Fällen mit hoher un-
ehelicher Fruchtbarkeitsziffer und hoher unehelicher Säuglingssterblich-
keitsziffer zusammenfällt. Daß der Durchschnitt der ganzen Provinz
unter dem der 3 anderen liegt, hat seinen Grund darin, daß in 2 Be-
zirken, Schwarzenberg und Zwickau, die Quote sehr niedrig und in
2 Bezirken, Flöha und Glauchau, mäßig hoch ist. In 3 von diesen
Die Unehelichkeit in der Kreishauptmannschaft Zwickau 85
Bezirken ist aber die Quote im letzten Jahrzehnt gestiegen, und da dies
auch in einigen anderen Bezirken der Fall gewesen ist, auch in der
ganzen Kreishauptmannschaft.
Eine bemerkenswerte Ausnahme in vieler Hinsicht macht die Amts-
hauptmannschaft Ölsnitz. Nicht nur, daß die Unehelichkeitsquote von
13,50 im Jahrzehnt 1890—99 auf 11,75% im Jahrzehnt 1900—1909
gesunken ist, auch die uneheliche Totgeburtenquote hat um 1°/, nach-
gelassen und die uneheliche Säuglingssterblichkeitsziffer, die mit 26,3%,
im Jahrzehnt 1880—89 die niedrigste des ganzen Landes war, ist auch
um eine Kleinigkeit gesunken. Um das so sich darbietende, gegen
früher günstiger gewordene Bild vollständig zu machen, ist die Legiti-
mationsziffer auch noch die höchste im ganzen Lande: 55,23%, aller un-
ehelichen Kinder werden legitimiert. Gegen die beiden anderen Bezirke
des Vogtlandes, Auerbach und Plauen, steht also Ölsnitz in neuester
Zeit viel besser da. Im Jahrzehnt 1890/99 war dies aber, wie erwähnt,
keineswegs der Fall, vielmehr erschienen die Verhältnisse hier besonders
schlecht. Dieser Umstand veranlaßte uns — wir hatten damals das
letzte Jahrzehnt noch nicht in den Kreis unserer Betrachtung ein-
bezogen — zu einer Anfrage bei einem dortigen Pfarrer. Die Antwort,
die sich ja doch auf die neueste Zeit bezieht, ist einigermaßen über-
raschend und steht im gewissen Widerspruch zu dem, was wir für das
letzte Jahrzehnt festgestellt haben. Der Inhalt des Schreibens ist der,
daß der höhere Prozentsatz (er besteht jetzt nicht mehr!) davon ab-
hängt, daß „das gewissenlose Volk der Hausierer mit dem Scheinhandel
von Taschentüchern und Spitzen mit dem wirklichen Handel von Schutz-
artikeln zur Verhütung der Folgen der Unsittlichkeit“ wegen der
Schwierigkeit der Wege nicht in all die kleinen entlegenen Gebirgs-
dörfer eindringt. Wörtlich heißt es dann weiter: „All die feine Be-
rechnung (die statistische ist gemeint) wird durch die wüstrohe Zer-
störung der Scham und der letzten stützenden Furcht vor schlimmen
Folgen seitens dieses Krebsschadens im deutschen Volke über den
Haufen gefegt.“ Auf eine 25 jährige Beobachtung der Verhältnisse im
Niederlande Sachsens und auf den dann folgenden Vergleich mit den
Verhältnissen des Vogtlandes stützt sich dieses äußerst scharfe, pessi-
mistische Urteil. Sollte der angeführte Grund bereits seinen Einfluß
auf die sinkende Unehelichkeitsquote in Ölsnitz geltend gemacht haben?
Auch aus den übrigen Teilen des Vogtlandes haben wir einige Er-
kundigungen eingezogen. Aus den erhaltenen Antworten geht überein-
stimmend hervor, daß der Industrie die meisten unehelichen Geburten
zur Last fallen: Die Mütter der unehelichen Kinder sind meist in der
Industrie beschäftigte Mädchen. Darauf deutet auch schon der Umstand
hin, daß wir für die Dörfer der Amtshauptmannschaft Plauen einen um
21%% niedrigeren Satz gefunden haben als in den Städten. Gerade in
dieser Gegend aber wird noch viel Landwirtschaft getrieben. Einer An-
86 Siebentes Kapitel. Zusammenfassung der Ergebnisse u. Schlußfolgerungen
sicht aus der Amtshauptmannschaft Auerbach nach ist die hohe Unehe-
lichkeit auch besonders eine Folge der schlechten Wohnungsverhält-
nisse: „Wenn Vater, Mutter und sieben Kinder in einem Raum arbeiten
(es wird hier Heimarbeit getrieben) und schlafen müssen und das ehe-
liche Leben der Eltern sich immer gewissermaßen vor den Augen der
Kinder abspielt, so muß natürlich die sittliche Anschauungsweise eine
laxe werden.“ Auch dem schlechten Einfluß der Kinos, die „mit ihren
Schund- und Schauerbildern ein perverses Heldentum züchten“, wird
ein Teil der Schuld an der zunehmenden Zuchtlosigkeit und Sittenlosig-
keit der heranwachsenden Jugend zugeschrieben. Ebenso wirke die Lax-
heit in Böhmen — wegen der nahen Grenze findet ein ewiges Herüber
und Hinüber statt — ansteckend, und schließlich soll auch der starke
Alkoholismus der Leute einen großen Einfluß haben. Alle diese Um-
stände tragen sicherlich dazu bei, die Sitten zu lockern, und dies tritt
an der zunehmenden Unehelichkeit zutage. Auch hier aber wirkt einiger-
maßen versöhnend der Umstand, daß sehr viele der Kinder legitimiert
werden und daß sog. „Hurenkinder“ relativ selten sind. Allerdings
kommen sie hier nach dem Urteil eines Pfarrers schon häufiger vor:
„Es ist oft nicht möglich, von den oft vielen Vätern einen gerichtlich
zu belangen.“
In einigen der übrigen Bezirke sind alle Schattenseiten der Groß-
industrie am Werke, ein düsteres Bild des sittlichen Zustandes der Be-
völkerung zu entwerfen. Die z. T. außerordentlich hohe uneheliche
Fruchtbarkeitsziffer, verbunden mit einer hohen Unehelichkeitsquote,
die hohe oft den Landesdurchschnitt weit überragende Säuglingssterb-
lichkeitsziffer, eine nicht geringe Totgeburtenquote der unehelichen
Kinder — alle diese Momente deuten auf traurige Verhältnisse in den
industriereichsten und bevölkertsten Distrikten des Königreichs hin.
Nur die auch hier meistens nicht niedrige Beil masıcnenNer gewährt
einen kleinen Lichtblick.
Dies in kurzen Zügen die Zusammenfassung unserer Untersuchungen,
die gleichzeitig einige Aufklärung über die großen territorialen Gegen-
sätze bringt. Ein im großen und ganzen nicht erbaulicher Ausschnitt
aus dem Sittenzustand des Königreichs Sachsen. Das Bild würde noch
weniger gut ausfallen, wenn wir überall die Zahl der vorehelichen
Schwängerungen ausweisen könnten. Nach den Berichten der Pfarrer,
die mit dem, was durch die Enquête festgestellt wurde, ganz überein-
stimmen, ist es in den Kreisen der bäuerlichen und industriellen Be-
völkerung äußerst selten, daß eine ehrbare Braut getraut wird. Die
meisten jungen Mädchen dieser Kreise haben entweder schon unehelich
geboren oder treten schwanger vor den Altar. Das letztere ist in Bauern-
kreisen besonders oft der Fall. Hier gilt es fast durchgängig als ein
nobile officium, vor der Geburt des Kindes die Ehe zu schließen. Daher
kommt es wohl auch zum Teil, daß in industriellen Gegenden meist
Allgemeine Beurteilung 87
mehr uneheliche Geburten zu finden sind als in agrarischen. Könnten
wir die vorehelichen Schwängerungen mit einbeziehen, so würde sich
einerseits sicherlich ein gewisser Ausgleich der verschiedenen Zahlen
vollziehen, andererseits würden wir aber auch einen noch tieferen Ein-
blick haben, wie weit der vor- resp. außereheliche Geschlechtsverkehr
verbreitet ist.
Zur allgemeinen Beurteilung der hohen unehelichen Geburtenzahl
in Sachsen muß man sich ganz besonders der in der Einleitung ge-
gebenen Einteilung bewußt sein. Erfreulicherweise können wir ja als
Lichtseite den Umstand anführen, daß die Mehrzahl der unehelichen
Kinder als voreheliche anzusprechen ist, d. h. daß bei ihnen die Legiti-
mation in sicherer Aussicht steht, wenn sie auch oft erst relativ spät
erfolgt. Es ist im allgemeinen, vielleicht in den größeren Städten und
Großstädten ausgenommen, selten, daß sich ein Mädchen mehreren hin-
gibt, meistens entspringen die Kinder wohl einem dauernden Liebes-
verhältnis, dem aber die gesetzliche und kirchliche Sanktion fehlt. Wie
dem sei, mag man auch fast durchweg eine relativ hohe Legitimations-
ziffer finden und mag dies auf unser Urteil mildernd einwirken, so ist
es doch im hohen Grade bedauerlich, daß ein so großer Teil der Be-
völkerung sich in derart leichtsinniger Weise über Gesetz und Moral
hinwegsetzt, um seine Sinneslust zu befriedigen. Wir wollen ja durch-
aus nicht aus diesen Betrachtungen über die Unehelichkeit einen all-
gemeinen Schluß auf einen großen Tiefstand der Moral im Königreich
Sachsen ziehen. Dazu würde, wie wir wohl wissen, erst eine Berück-
sichtigung vieler anderer Faktoren berechtigen. Es gibt neben dieser
Erscheinungsform der Unsittlichkeit noch viele andere und viel schlim-
mere; hier ist besonders die Prostitution zu nennen, deren statistische
Erfassung freilich immer sehr unvollkommen sein wird. Ihr gegenüber
ist ja sicherlich der Geschlechtsverkehr, der zur Geburt eines Kindes
führt, der viel weniger scharf zu verurteilende und auch der naivere.
Dennoch sind wir wohl mit genügender Vorsicht berechtigt, aus der
Unebelichkeitserscheinung Schlüsse auf die moralischen Anschauungen
eines Volkes zu ziehen; und da muß man auf Grund unserer Unter-
suchungen doch wohl zu dem Schlusse kommen, daß man in Sachsen
oft, gelinde ausgedrückt, ganz eigenartige Anschauungen von der Moral
finden kann. Wo in einer doch sonst kulturell hochstehenden Bevölkerung
der ungezügelte frühzeitige Geschlechtsverkehr derart verbreitet ist, muß
eine überaus leichtfertige, sich über die Folgen des Geschlechtsverkehrs
sehr leicht hinwegsetzende Anschauung bestehen und das Keuschheits-
und Sittlichkeitsgefühl doch wohl ziemlich stark verkümmert sein.
Doch sieht man einmal ganz von der moralischen Seite des Phä-
nomens ab, so ist in die Augen springend, daß die Tatsache der unehe-
lichen Geburt nicht nur für das Kind allein, sondern auch für die Ge-
sellschaft, besonders in volkswirtschaftlicher Hinsicht, eine Frage von
883 Siebentes Kapitel. Zusammenfassung der Ergebnisse u. Schlußfolgerungen
nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Mag auch eine hoch zu nennende
Legitimationsziffer darauf hindeuten, daß es sich bei vielen unehelichen
Kindern nur um voreheliche handelt, die aber doch erst zum großen
Teil nach dem ersten Lebensjahr in den Zustand der ehelichen über-
geführt werden, so weist doch andererseits der große Unterschied
zwischen der ehelichen und unehelichen Säuglingssterblichkeit wieder
auf viel ungünstigere Verhältnisse bei den Unehelichen hin. Obgleich
also die Kinder oft einem innigen, dauernden Liebesverhältnis entstammen,
ist doch die Fürsorge für sie lange nicht so sorgfältig wie bei den ehelichen.
Vielleicht durchaus ohne persönliche Schuld der unehelichen Mutter. Sie
mag die größte Liebe zu ihrem Kinde haben, mag nach besten Kräften
für dieses sorgen wollen und auch wirklich sorgen, offenbar aber reichen
eben ihre Kräfte dazu nicht aus; sie muß vielleicht den Tag über ihrem
Erwerb nachgehen, so daB das Kind dann nicht die Pflege eines ehelichen
genießen kann. Auch der Umstand, daß das Kind oft bei den Eltern
der Mutter oder bei anderen Verwandten untergebracht wird, kann dem
Kinde offenbar nicht die Fürsorge ersetzen, die dem ehelichen zuteil
wird, dessen Mutter ein Heim ihr Eigen nennt und die in einer Ehe
lebt, in der der Mann jedenfalls die elementarsten Nahrungssorgen fern-
hält. So findet denn durch den oft frühzeitigen Tod der unehelichen
Kinder eine große Vergeudung der physischen Kraft als auch wirtschaft-
licher Güter eines Volkes statt. Alle die Sorgen und Mühen, die die
uneheliche Mutter aufgewendet hat, sind umsonst gewesen; und die
materiellen Aufwendungen können im späteren Alter vom Kinde nicht
zurückerstattet werden, so daß bei hoher Unehelichkeit, verbunden mit
hoher unehelicher Säuglingssterblichkeit direkt das Volksvermögen be-
einträchtigt wird. Und in wie vielen Fällen wird die Gesellschaft, wenn
das Kind wirklich groß gezogen worden ist, mit Elementen belastet,
die weit entfernt daran zu denken ihrem Volke durch ihre produktive
Arbeit das zurückzuerstatten, was an sie gewendet worden ist, ihm um-
gekehrt nur neue Sorgen und Mühe bereiten. Auch neue materielle
Aufwendungen verursachen sie, wenn sie das lichtscheue Gesindel, das.
Korps der Verbrecher vermehren, deren sich die Gesellschaft nur durch
immer neue Einrichtung von Schutzorganen erwehren kann.
Wie schon aus den oben skizzierten Verhältnissen hervorgeht, trifft
diese Schilderung ja wohl in Sachsen in der Hauptsache nur für die
Großstädte zu, in den anderen Gegenden sicherlich nur zum kleineren
Teile, aber so ganz von der Hand zu weisen sind diese Schlußfolgerungen
auch hier nicht. Eine Lockerung des Familienverbandes, die mit der
Erscheinung der Unehelichkeit Hand in Hand geht, hat immer etwas
sehr Bedenkliches an sich und ist für die Gesellschaft sowohl als auch
für den einzelnen mit vielen Gefahren und schweren Erschütterungen
verknüpft.
Bestandesstatistik der Unehelichen RO
Achtes Kapitel.
Bestandesstatistik der Unehelichen.
In allen Zweigen der praktischen Statistik macht man die grundlegende
Unterscheidung zwischen Bestandes- und Bewegungsmassen. Auch bei
unserem Problem haben wir diese Einteilung im Auge gehabt und uns bis
jetzt mit den Bewegungsmassen der Unehelichen beschäftigt. Es sollte nun
ein Teil folgen, der die Bestandesmassen abzuhandeln hätte. Die zu er-
ledigende Hauptfrage wäre die: Wie differenziert sich die Bevölkerung
einer bestimmten Zeit nach der ehelichen oder unehelichen Herkunft?
Hierauf müßten dann Kombinationen mit anderen sozialstatistischen
Merkmalen der Bevölkerung angestellt werden. Die Durchführung sol-
cher Betrachtungen würde wertvolle Aufschlüsse insbesondere auf moral-
statistischem Gebiete liefern können. All dies werden aber wohl auf ab-
sehbare Zeit hinaus unerfüllbare Wünsche bleiben; denn eine allgemeine-
Erkenntnis von der Unterscheidung der Bevölkerung nach Ehelichkeit
und Unehelichkeit ist unter jetzigen Verhältnissen ausgeschlossen. Eine
diesbezügliche Frage etwa bei der Volkszählung zu stellen, hätte gar
keine Aussicht auf Erfolg und wäre wohl auch zu indiskret. Es muß
deshalb von vornherein darauf verzichtet werden, eine derartige direkte-
Bestandesaufnahme zu erhalten.
Was aber für die Gesamtheit der Bevölkerung nicht angängig ist,
kann für gewisse Teilmassen wohl durchgeführt werden. Hauptsächlich
kommen hier solche in Betracht, über die der Staat eine größere Kon-
trollmacht besitzt und bei denen er unbedenklich eine solche Frage:
stellen kann. Wir haben hier im Auge Ermittelungen bei Schülern, bei
Zöglingen von Zwangserziehungsanstalten, bei Gefangenen, Wehrpflich-
tigen, Prostituierten usw. Tatsächlich wird bei einigen dieser Bestandes-
massen eine Unterscheidung nach ehelicher und unehelicher Herkunft
aufgenommen. Für die Wehrpflichtigen beispielsweise geschieht dies in
den militärischen Stammrollen. Die Militärbehörde führt über alle
männlichen Individuen in deren Heimatsbezirk Grundlisten, die nach
den standesamtlichen Registern aufgestellt werden. Der nachträgliche-
Eintritt von Todesfällen und andere Beurkundungen des Personen-
standes werden ebenfalls amtlich ermittelt. Über Bestrafungen erfolgen
zu diesen Listen seitens der kgl. Staatsanwaltschaft Mitteilungen, die zwar
nur für das militärpflichtige Alter (21—23. Lebensjahr) vorgeschrieben
sind, tatsächlich jedoch mit wenigen Ausnahmen auch schon früher
für die vorhergehenden Lebensjahre gemacht werden. Auch wenn die
Stellung auswärts erfolgt, wird in die Listen des Heimatsbezirkes über‘
das Ergebnis derselben eine Eintragung gemacht.
90 Achtes Kapitel. Bestandesstatistik der Unehelichen
Danach geben uns diese Stammrollen fiir die ehelich und unehelich
Geborenen Auskunft über folgende Punkte: a) Zahl der Lebenden,
b) Beruf, c) Bildungsgrad, d) Gesundheitszustand, e) Kriminalität.
Eine Fülle höchst beachtenswerter und interessanter Fragen könnte
hier ihre Erledigung finden. Könnte! — Denn unbegreiflicherweise
ist eine statistische Ausbeutung dieser wertvollen Angaben mit zwei
Ausnahmefällen bisber nirgends erfolgt. Auch die amtliche Statistik
Sachsens macht hierin keine Ausnahme, so daß uns eine Beantwortung
aller dieser angeregten Fragen leider ganz unmöglich ist. Eine überaus
schmerzliche und bedauerliche Lücke! Wie bemerkt, sind zwei Aus-
nahmen in dieser Hinsicht zu verzeichnen. Von privater Seite, natürlich
mit entsprechender amtlicher Unterstützung, ist erstens eine Ausbeutung
der Stammrollen Frankfurts durch Dr. O. Spann und zweitens eine
solche für Berlin von Dr. med. H. Neumann vorgenommen worden.
Die außerordentlich interessanten Resultate, die sie zutage gefördert
haben, können hier leider keinen Platz finden, da sie unserer Unter-
suchung über das Königreich Sachsen zu fern liegen und da eine Ver-
allgemeinerung ihrer Ergebnisse aus verschiedenen Gründen nicht an-
gängig ist.
Auch die übrigen Quellen, die einer Statistik von ausgewählten
Bestandesmassen der Unehelichen dienen könnten, sind von der amt
lichen Statistik Sachsens noch nicht nutzbar gemacht worden. Wir
müssen daher leider dieses Kapitel schließen, ohne auch nur das ge-
ringste Resultat verzeichnen zu können. Wir wollen es aber an dieser
Stelle nicht unterlassen, den dringenden Wunsch auszusprechen, daß
‚doch nun endlich von kompetenter Seite der Weg beschritten werden
möge, der uns über so wichtige Fragen aus der Moralstatistik Sachsens
informieren könnte. Auf allen Gebieten der Statistik sieht man ein
kräftiges Emporstreben und ein reges Bemühen, tiefer in die Probleme
einzudringen; dies verleiht wohl auch unserem Wunsche einige Berech-
tigung und läßt ihn als eine Forderung erscheinen, die wohl Berück-
sichtigung verdienen würde.
=
= KE
Tabellen.
55449 52518 107967 7671 7407 15078 123045
66322 53320 109642 8187 7620 15807 125449
55483 52355 107838 7968 7566 15534 128372
55462 53512 108974 8139 7838 16977 124951
56275 58816 110091 8593 7972 16565 126656
Tab. 1.
Die Lebendgeborenen im Königreich Sachsen.
Lebendgeborene
Jahr Eheliche Uneheliche
männl. | weibl. | zusammen | männl. | weibl. | zusammen
1 2 3 4 5 6 7
1836 27760 26147 63897 4334 4175 8509 62406
1887 27144 26022 53166 4307 4140 8447 61613 |
1838 | 27810 26851 64661 4363 4370 8733 63394 .
1839 28532 26886 55418 4655 4415 9070 64488
1840 || 28964 27211 66175 4677 4395 9072 65247 |
1841 29224 27721 66945 5143 4748 9891 66836
1842 | 31098 29797 60895 5466 6080 10546 71441
. 1843 28326 26893 55219 4872 4789 9661 64880
1844 30127 28300 68427 47133 4493 9226 67653
1845 32378 80451 62829 6719 6376 11094 73923
1846 | 81795 30560 62355 5771 6577 11348 73703
1847 || 30864 29050 69914 6405 6123 10528 70442 `
1848 30533 28802 69835 4941 4776 9716 69051
1849 84086 32402 66488 6077 5802 11879 78367
1850 34216 32328 66544 6968 6818 11786 78380
1851 84600 82848 67443 6924 5681 11605 79048
1852 38845 32097 65942 5506 5272 10778 76720
1853 34691 33112 67808 5448 5235 10683 18486
1854 | 34171 | 32020 66191 6569 5410 10979 77170
1855 80989 29883 60372 5137 4995 10132 70504
1856 88715 82057 65772 6807 5681 11438 77210
1857 86558 34631 71089 6643 6394 13087 84126
1858 37064 35390 72454 6937 6639 13576 86030 |
1859 37500 36114 73614 6915 6665 18580 87194
1860 38790 86490 75280 6710 6548 13258 885388
1861 87741 35892 73638 6615 6479 13094 86727
1862 39088 36878 76966 6764 6306 13070 89086 .
1863 40742 88790 79632 7630 7068 14698 94230
1864 || 41067 39205 80272 7081 6940 14021 94293
1865 41908 40008 81916 7894 7062 14456 96372
1866 42955 41042 83997 7935 7641 15576 99573 |
1867 413805 89093 80898 6998 6618 13616 94014
1868 48498 41067 84565 6970 6683 18653 98218
1869 44649 42197 86846 6935 6731 13666 100512
1870 || 46069 43578 89647 7253 7015 14268 103915
1871 42400 40582 82982 6595 6279 12874 95856
1872 48850 46319 95169 1284 6850 14134 109308
1873 60511 48010 98521 8149 1599 15748 114269
1874 52890 50197 103087 7861 7595 15456 118543
1875 58751 61165 104916 7766 7856 16122 120038
1876 56856 63800 110656 8078 7627 15705 126361
1877 56168 63362 109525 7897 7485 15382 124907
992 Tab. 1. Die Lebendgeborenen.
Tab. 1 (Fortsetzung).
Tab. 2. Die Totgeborenen
16239
17436
17211
17621
17550
17504
17871
17136
18124
17496
18117
18194
18184
19658
19708
20132
20223
19911
19645 !)
19411
18474
19315
19038
19323
19546
20025
20165
19274
|
über-
127274
132524 `
132852 `
186531 |
187366 `
140191
142639
140514
147480
142528)
146158
145661
146160
152217
158663
156962 |
168579 |
158566 N
156877 5) `
154395 |
148852
149744 |
143509 |
144951 |
140817
139872 |
186721 |
| | Lebendgeborene
‚Jahr Eheliche Uneheliche
en .
| | männl. | weibl. | zusammen | männl. | weibl. ! zusammen | haupt |
1 | 2 | 8 4 6
Ess 56807 | 54228 111035 7872
1884 || 58654 | 56434 115088 8486
1885 || 69260 | 66381 115641 8414
1886 || 60654 | 58256 118910 8550
1887 || 60902 | 58914 119816 8646
| 1888 62972 | 59715 122687 8570
1889 || 63859 | 60909 124768 8795
| 1890 68815 | 60063 123378 8356
1891 || 66188 | 63168 129356 8782
1892 || 64357 | 60674 125032 ") 8602
1898 || 65541 | 62500 128041 8805
1894 | 65115 | 62352 127467 8970
1895 || 65611 | 62365 127976 8941
1896 || 68028 | 64531 132559 9596
1897 || 68831 | 65124 133955 9738
1898 || 70056 | 66774 136830 9848
1899 | 70991 | 67365 138356 9882
1900 || 71847 | 67306 188653 nm 9620
1901 || 70229 | 67000 | 137229 9585
| 1902 || 69170 | 65814 134984 9336
1903 || 66518 | 63860 130378 9019
1904 || 66892 | 63537 130429 9464
1905 || 68881 | 60595 124476 9321
1906 || 64218 | 61415 125628 9477
1907 || 62133 | 59138 121271 9428
1908 || 61247 | 58600 119847 9785
1909 || 59818 | 66738 116556 9951
1910 || 56745 | 54081 | 110826 9437
Tab. 2.
|
|
Jahr Eheliche
„ männl. weibl.
1) Einschl. 1 Geburt unbestimmten Geschlechts.
unbestimmten Geschlechts und 2 unbestimmten Familienstandes.
2) Einschl. 1 Geburt:
130100 |
3) Einschl. |
Totgeborene
Uneheliche
1 Geburt unbestimmten Geschlechts und 3 unbestimmten Familienstandes.
Die Totgeborenen im Königreich Sachsen.
It
CM bi STE ` weg
Tab. 2 (Fortsetzung).
Jahr `
| Eheliche
| männl. | weibl. | zusammen | männl. weibl. | zusammen
1 2 | 8
el 1798 | 1288
1861 || 1778 | 1805
1852 | 1730 | 1242
1853 1801 | 1266
1854 | 1708 | 1264
1855 | 1476 | 1014
1856 | 1655 | 1202
1857 || 1847 | 1264
1858 | 1877 | 1885
1869 | 1955 | 1447
1860 | 1968 | 1604
1861 | 1867 | 1410
1862 | 1980 | 1459
1863 2040 | 1626
1864 | 2096 | 1511
1865 | 1984 | 1590
1866 | 2128 | 1672
1867 | 1958 | 1425
1868 | 2096 | 1589
1869 | 2186 | 1666
1870 | 2214 | 1748
1871 | 2159 | 1568
1872 | 2292 1775
1873 | 2305 | 1698
1874 | 2577 | 1831
1875 | 2597 | 1880
1876 | 2610 | 1976
1877 | 2364 | 1848
1878 || 2465 | 1895
1879 | 2617 | 1899
1880 | 2422 | 1924
1881 | 2455 | 1809
1882 | 2858 1870
1883 2387 | 1797
1884 | 2427 | 1905
1885 | 2400 | 1854
1886 | 2561 1948
1887 | 2574 | 1899
1888 2676 | 1950
1839 2569 | 1980
1890 2645 : 1875
1891 2562 2020
1892 : 2887 | 1909
1893 2465 | 1908
1894 2494 | 1862
1895 2578 | 1917
1896 2570 | 1938
Tab. 2. Die Totgeborenen 93
Totgeborene
Uneheliche
7
636
552
615
700
744
670
630
578
596 3568
654 3044
634 8491
704 8805
823 4085
797 4199
825 4297
801 4078
753 4192
879 4445
860 4467
839 4413
883 4588
788 4166
184 4469
743 4595
858 4820
736 4463
864 4931
854 4857
798 5206
743 5150
870 5456
762 4969
780 5140
185 5801
802 5148
717 4981
780 5008
751 4935
788 65120
829 5083
785 5294
838 5811
880 5506
790 5339
727 5147
792 5374
775 5071
762 5185
794 5080
817 5813?)
867 | 5876!)
1) Einschl. 1 Geburt unbestimmten Geschlechts.
94 Tab.2. Die Totgeborenen. Tab. 8. Die Lebend- u. Totgeborenen
Tab. 2 (Fortsetzung).
Totgeborene
Jahr Eheliche Uneheliche über-
' männl. | weibl. | zusammen . | weibl. | zusammen | haupt |
2 6e | 1
2630 875 894
' 1898 2628 884 927
1899 2641 419 925
| 1900 2699 348 | 837
| 1901 2660 395 883
1902 2628 349 820
1908 2496 364 806")
1904 2449 889 857
1905 2372 387 834
1906 2500 365 807
1907 2362 385 897
1908 2295 356 819
1909 2251 850 817
1910 2156 1602 8758 462 379 841
1) Einschl. 1 Geburt unbest. Geschlechts. 2) Einschl. 1 Geburt unbest. |
Familienstandes. 3) Einschl. 1 Geburt unbest. Geschlechts o 2 Geburten
unbest. Familienstandes. 4) Einschl. 2 Geburten unbest. Geschlechts.
Tab. 8.
Die Lebend- und Totgeborenen im Königreich Sachsen.
Lebend- und Totgeborene
Jahr Eheliche Uneheliche |
| | männl. | weibl. | zusammen | männl. | weibl. | zusammen | haupt
1 || 2 8 4 | 6 8
|
| 1827 || 27059 8699 | 8483 59924)
1828 || 26639 8630 | 8519 7149 59278!)
1829 | 25567 3388 8261 6634 56678!)
1830 || 26807 8687 | 8420 7107 68791 `
1831 = së ei 7662 60385
1882 | 27062 4039 8926 1965 60283 |
1888 || 27950 4405 4210 8615 62799 I
1834 || 28432 4249 3966 8215 68368
1835 || 296838 4722 4548 9265 66212
1836 || 29188 4699 | 4465 9164 65525
1887 || 28569 4602 4365 8967 64598
1838 || 29305 4691 4618 9809 66549
1839 || 29967 4999 | 4672 9671 67546
1840 || 80469 6008 ` 4621 9624 68377 |
1841 || 30776 5479 5033 10512 70094
1842 || 32824 5861 | 5358 11219 15047 |
1843 || 29739 5168 5030 10216 67929 |
1844 | 31674 5050 i 4768 9818 70982
1845 | 84096 6066 | 5672 11738 17483 |
1846 || 88455 6180 | 5854 11984 17204
1847 || 82409 5698 6382 11080 13884
1848 || $2061 5269 5062 10331 72862
1) Wegen fehlender näherer Angaben einschließlich: 227 für das Jahr
1827, 809 für das Jahr 1828, 316 für das Jahr 1829.
———
Tab. 8. Die Lebend- und Totgeborenen 95
Tab. 8 (Fortsetzung).
| Lebend- und Totgeborene l |
|
| Jahr Eheliche Uneheliche über- |
männl. | weibl. | zusammen | männl. | weibl. | zusammen | haupt d
a 2 8 4 5 6 7 8
1849 | 85813 83676 69489 6448 6131 12679 82068 |
1850 | 86014 38566 69580 6373 6157 12530 82110 |
1851 | 36378 34148 70526 6292 6988 12275 82801 |
1852 | 35575 $3389 68914 6871 6687 11408 80322
1863 | 86492 84378 70870 5776 5485 11261 82131 |}
1854 || 35879 33284 69163 6920 6655 11575 80738 |
18565 || 32465 30397 62862 5468 6233 10686 73648
1856 | 85370 83259 68629 6149 6928 12072 80701 |
1857 || 88405 85785 74190 7043 6698 18741 87931 |
1858 || 38941 36775 75716 7390 7009 14399 90115
1859 |, 39455 87561 77016 7338 7039 14377 91393 |
1860 || 40758 87994 18762 7175 6908 14088 92835 |
1861 || 39608 87302 76910 7064 6831 13895 90805 `
: 1862 | 41068 38337 79405 7191 6632 13828 93228 |
1863 || 42782 40316 83098 8102 7475 15577 98675 |
1864 || 48163 40716 83879 7583 7298 14881 98760 `
1865 || 48892 41598 85490 7847 7448 15295 100785 |
1866 | 45083 42614 87697 8406 8053 16469 104156 `
| 1867 || 48263 40518 83781 7422 6977 14399 98180 |
1868 || 45594 42656 88250 7416 7021 14437 102687
1869 || 46835 43863 90698 7335 7074 14409 105107 |
1870 || 48283 45326 93609 7709 7417 15126 108735 .
1871 || 44559 42150 86709 6997 6613 18610 100819 `
| 1872 || 51142 48094 99236 7135 7268 14998 114234
1873 || 52816 49708 102624 8593 8009 16602 119126
1874 || 55467 52028 107495 8304 7950 16254 123749
| 1875 || 56278 53045 109823 8165 7700 15865 125188 |
| 1876 || 59466 55776 115242 8553 8022 16575 131817
1877 || 58527 55205 118732 8340 7804 16144 129876 `
| 1878 || 57914 64413 112327 8085 7773 15858 128185
| 1879 || 58939 55219 114158 8632 7960 16592 1380750
1880 || 57905 54279 112184 8410 7926 16386 128520
| 1881 || 57917 66821 1132388 8537 8157 16694 129932 |
1 1882 | 58638 55686 114819 9003 8342 17345 181664 |
| 1888 | 69294 56025 116219 8819 8171 16990 132209
| 1884 || 61081 58339 119420 9396 8828 18224 187644 |
| 1885 || 61660 68235 119895 9254 8786 18040 137935
| 1886 || 63215 60204 128419 9501 8905 18406 141825 |
| 1887 || 63476 60813 124289 9359 9029 18388 142677 |
1888 || 65648 61665 127313 9480 8954 18384 145697 |
1889 || 66428 62889 129317 9539 9122 18661 147978
| 1890 || 65860 61938 127798 9181 8682 17868 145661 |
| 1891 || 68750 65188 183938 9786 9130 18916 162864 |
1892 || 66744 62588 129328?) 9318 8953 18271 147599!
1893 | 68006 64408 132414 9750 9129 18879 151293
| 1894 || 67539 64214 131753 9676 9312 18988 160741 `
1895 || 68189 64282 132472) 9715 9286 19001 151473"),
| 1896 || 70598 66469 137068!) 10537 9988 20525 157598")
| 1897 || 71461 67056 138517 10489 10113 20602 159119
ı 1898 || 72684 68812 141496 10827 10282 21059 162555
1899 || 78682 69384 143016 10847 10301 21148 164164
1) Einschließlich 1 Geburt unbestimmten Geschlechts.
96 Tab. 4. Ehelichkeits- und Unehelichkeitsquote in den Jahren 1827—1910
Tab. 8 (Fortsetzung,
| Jabr
| männl. |
1 | 2 |
1900 |! 74046
1901 || 72889
1902 | 71798 |
| 1903 || 69014
1904 || 69841 |
1905 || 66253
| 1906 | 66718 |
1907 | 64495
1908 | 63542 |
| 1909 | 62069 |
58901 `
bech
©
pė
©
Lebend- und ‘Totgeborene
Eheliche
weibl. | zusammen | männl. !
83 4 ` 5
69304 ` 143351) | 10780
68972 141861 10547
67745 139544!) | 10546
65794 1348091) 9896
65500 134841 10319
62440 | 128698 10159
68278 | 129991 10288
60835 125330 10680
60395 | 123937 10708
58429 120498 10681
55683 | 114584 10299
1) Einschließl. 1 Geburt unbestimmten Geschlechts.
burt unbest. Geschlechts u. 2 unbest. Familienstandes.
Tab. 4
Ehelich-
Jahr | keits-
quote
1 2
1827 | 88.07
1828 87,88
1829 || 88,43
1830 | 87,91
1831 || 87,30
1832 || 86,79
1833 86,28
1834 || 87,04
1835 | 86,01
1836 86,01
1837 86,12
1838 86,01
1839 85,68
1840 || 85,98
1841 85,00
1842 || 85,05
1843 | 84,96
1844 86,16
1845 || 84,85
1846 || 84,48
1847 || 84,96
1848 85,72
1849 | 84,67
1850 | 84,74
1851 85,18
1852 | 85,80
1853 | 86,29
1854 85,66
des Königreichs Sachsen in den Jahren 1827—1910.
Uneheliche
weibl. zusammen
| 6
| 9968 20748
' 9980 ` 20528!)
9685 : 20281
| 9388 | 192803)
9853 ı 20172
| 9708 | 19867
9842 | 20130
' 9818 | 20443
| 10141 20844
10801 20982
| 9816 , 20115
2) EinschlieBl. 1 Ge-
8) Einschl. 1 Geburt unb.
Geschlechts u. 4 unb. Familienst. 4) Einschl 2 Geburten unb. Geschlechts. —
Ehelichkeits- und Unehelichkeitsquote
Unehe-
lichkeits-
quote
E
Jahr
er
OR
Ca
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—
on
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helich-
Unehe-
keits- lichkeits-
quote quote
2 3
85,47 14,53
85,04 14,96
84,37 15,63
84,02 15,98
84,27 | 15,73
84,83 15,17
84,70 15,30
85,17 14,53
84,21 15,79
84,93 15,07
84,82 15,18
84,20 15,80
85,33 14,67
85,94 14.06
86,29 13,71
86,09 13,91
86,43 13,57
86,87 13,13
86,06 13,94
86,87 13,13
87,33 12,67
87,43 12.57
87,57 12,43
87,68 12,37
87,31 12,69
87,29 12,71
87,15 12,85
86,83 13,17
Jahr
3
1883
1884 |
1885 |
1886
1887 |
1888 |
1889
1890 |
1891
1892
1893
1894
1895
1896
1897
1898
1899
1900
1901
1902
1903
1904
1905
1906
1907
1908
1909
1910
1641019
162393?)
1597779)
1540894)
155013
148560
150121
145778
144781
141480
184699
|
Unehe-
Ehelich-
keits- _lichkeits-
quote quote
2 3
| 87,15 | 12,85
86.76 | 18,24
86,92 | 13,08
| 87,02 | 12,98
| 87,11 12,89 |
| 87,88 | 12,62 |
87,39 12,61
87,74 12,26
| 87,62 12,38
87,62 | 12,38
87,52 | 12,48
| 87,40 | 12,60
87,46 12,54
86,98 | 13,02
87,05 | 12,95
87,05 | 12,95
87,12 | 12,88
87,86 | 12,64
87,36 | 12,64
87,84 | 12,66
87,49 | 12,51
86,99 | 13,01
86,63 | 13,37
| 86,59 13,41
85,98 14,02
85,60 | 14,40
85,17 | 14,83
| 85,07 | 14,98
Tab. 5 Allgemeine, eheliche und uneheliche Fruchtbarkeitsziffer 97
Tab. 5.
Allgemeine, eheliche und uneheliche Fruchtbarkeitsziffer.
All ; Un- Allge- ` ; Un- u
Jahr | Beine Eheliche eheliche | Jahr meins | Eheliche cheliche |
Fruchtbarkeitesziffer Fruchtbarkeitsziffer
1 2 3 4 1 2 : 8 | 4 |
1883 | 153,1 = = 1872 | 170,9 281,3 | 47,6
1834 || 152,2 = xk 1873 || 175,8 283,8 52,3
1835 || 156,8 = en 1874 | 179,2 289,6 50,9
1836 || 152,8 = = 1875 | 178,3 287,1 49,4
1837 148,5 = = 1876 | 184,9 296,9 51,0
1838 150,8 = = 1877 | 179,6 288,7 49,0
1889 | 150,9 de = 1878 | 174,8 280,9 41,5
1840 | 180,6 = = 1879 | 175,7 281,2 49,1 |
1841 152,6 = = 1880 | 170,8 272.2 47,7
1842 | 161,8 = = 1881 169,6 270,6 48,0
1843 | 145,0 = = 1882 169,8 269,0 49,2
1844 149,8 = = 1883 | 167,4 | 287,0 47,5
1845 161,7 = ze 1884 171,7 272,5 50,2 |
1846 | 159,2 ae = 1886 169,5 269,4 48,9
1847 150,0 = = 1886 171,2 272,0 49,1
1848 | 145,8 -= = 1887 168,7 268,0 48,2
1849 | 162,6 = = 1888 || 168,8 268,5 47,8 |
1850 | 160,8 = = 1889 168,0 266,9 47,1
1851 160,3 =- SC 1890 | 1621 258,0 44,8 |
1862 153,8 = = 1891 || 166,9 265,2 461 `
1853 155,6 = 2 1892 158,3 251,6 43,7
1854 1613 5 — | — 1898 159,5 253,1 44,4
1855 136,8 = = 1894 || 1561 247,5 43,8
1856 | 147,9 = == 1895 | 1541 244,5 48,1 |
1857 159,4 = = 1896 157,2 247,5 45,8 |
1858 || 161,5 => Ss 1897 155,5 248,8 45,2
1859 161,7 = = 1898 155,6 242,8 45,6 |
1860 | 162,0 = = 1899 || 153,9 | 239,8 45,1 |
1861 156,3 er = 1900 | 180,6 288,8 48.5
1862 | 158,0 Se 2 1901 | 146,2 226,9 42,8
1863 | 1646 | — = 1902 | 141,4 219,7 40,9
1864 | 162,2 267,0 50,5 1903 | 138,9 208,9 38,2
1865 | 168,5 268,2 51,4 1904 | 182,4 206,7 39,1
1866 167,8 271,8 54,9 1905 | 124,6 198,2 37,8
1867 166,2 | 256,6 47,6 1906 | 123,9 192,3 87,6 |
1868 | 161,6 | 266,7 47,4 1907 | 1184 182,6 37,5 |
1869 163,9 271,8 46,8 1908 | 115,8 178,0 37,7 |
1870 || 167,0 274,8 48,7 1909 111,5 170,5 87,8 |
1871 || 162,8 251,0 43,4 1910 | 100,4 169,7 352
Prenger, Unehelichkeit 7
98 Tab. 6. Unehelichkeitsquote nach Stadt o Land d Kreishauptmannschaften
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Geborene für den Jahresdurchschnitt aus der Periode 189099
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104 Tab. 8. Geborene nach dem Jahresdurchschnitt aus der Periode 1900/09
Tab. 8.
Geborene in den Verwaltungsbezirken des Königreichs Sachsen nach
dem Durchschnitt eines Jahres aus der Periode 1900/09.
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„Grimma...| 1506,2 1424,0| 62,2, 38,3) 3020,7| 186,8| 177,1! 7,1! 4,9| 375,9| 3396,6
„Leipzig ...|| 2808,3| 2670,11 86,5, 63,2! 5628,1] 335,6| 325,8 12,4] 9,5] 688,83] 6311,4
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144,3) 143,3 7,6, 5,7| 300,9] 2407,8
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278,5| 261,6 8,7, 89 657,7) 5253,5
Tab. 9. Unehelichkeitsquote 105
Tab. 9. Unehelichkeitsquote der Verwaltungsbezirke Sachsens.
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| || Unehelichkeits-
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|
kb?
. GroBenhain ES |
=
|
|
[me
|
Hi
2
9,95 |
16,06
14,55
8,52
16,70 N
1) Ohne Stadt Dresden: 10,96.
1890/99 1900/09
3
\
13,
||
a
13, 83
19, 34
|
|
| |
|
| A. Oschatz
| A. Auerbach
| A. Chemnitz
| |A. Flöha
| A.
A. Marienberg
A. Ölsnitz
A. Zwickau
1
a
A. Leipzig
Kr. Leipzig
Stadt Chemnitz.
A. Annaberg
Glauchau
_A. Schwarzen-
berg
Kr. Zwickau
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Königreich |
Städte
Dörfer
Städte
Dörfer
Dörfer
Dörfer
Dörfer
Dörfer
Dörfer
Dörfer
Dörfer
Dörfer
| i 1900/09 |
3 1
|
9,68
10,14
10,08
12,42
12,98
12,77
11,96
13,44
12,91
14,53 ')
11,56
13,35
12,26
11,38
12,65
12,06
18,51
18,64
13,60
12,88
12,40
12,46
13,31
10,61
11,37
10,47
11,61
11,10
12,45
14,18
13,82
12,92
18,78
18,40
13,98
111146
48°17
11,74
9,80
10,60
11,04
8,18
9,22
12,19 *)
11,85
11,71
14,01
ka kA
P ©
pod
(IST
er
12,27
11,54
12,65 | 18,81 |
1) Ohne Stadt Leipzig: 11,05.
2) Ohne Stadt Chemnitz: 12, 16.
3) Ohne die 3 exemten Städte: 11, 08: |
106 Tab.10. Unehelichkeitsquote, Fruchtbarkeitaziffer, Verteilung d. gebiirf. Frauen
Tab. 10.
Unehelichkeitsquote, eheliche und uneheliche Fruchtbarkeitsziffer
und Verteilung der gebärfähigen Frauen auf ledige und verheiratete
(nach Veran 1895).
|
|
|:
In °/, sämtlicher
a 2 Ehe- Unehe-: a U4
| = 5, liche liche EDE Ke, Arauen |
Verwaltungsbezirke 3 > |Fruchtbarkeits- | s e x ar Cé : verhei-
| CG ZS ziffer 3 SS Seck | ratete |
| 189099} 18909 PER 55 Frauen |
| 2 3 | 4 | 6 Ze, GE
de? Bautzen ...... J 14, 55 222,26 53,46 , 229 ALA 58,6
| A. Kamenz...... . . 10,68 | 234,33 4448 225 38,7 | 61,8
"A. Löbau | 15,66 194,38 54,23 238 | 40,08 | 60,0
A. Zittau d 17,11 193,91 6129 | 246 | 39,5 | 60,5
| Kr. Bautzen . | 14,86 208,57 54,52 235 400 | 60,0
Stadt Dresden . pe 1192,37 44,43, 28,7 51,6 | 48,4
| A. Dippoldiswalde Ins 246,14, 48,37 | 22,1 | 39,2 | 60,8
A. Dresden-Altstadt. . . . | 8,52 264,77. 52,91. 234 ' 31,8 | 68,2
A. Dresden-Neustadt . | 8,03 270,37: 32,88 24,6 40,1 | 59,9
A. Freiberg | 12,32 248.72! 60,70 | 222 | 36,8 | 63,2 |
A. Großenhain... . . .|| 1023 | 257,43, 48,52 | 21,7 | 37,7 | 62,3
A.Meißen....... ` 10,78 | 242,53 4440 23,3 | 89,8 | 60,2
‚A. Pirna, ...... | 10,75 | 247,92} 48,07 | 231 38,3 | 61,7 |
Kr. Dresden ... ... | 12,76 | 233,77, 46,08 24,8 | 42,6 | 67,4
“Stadt Leipzig .. .. . . | 16,88 | 208,26| 48,67 | 27,1 | 46,5 | 64,6
A. Boma ....... ` 12,21 258,97) 59,87 | 21,4 | 87,8 | 62,2
"A. Döbeln. ...... .) 114,24 24634 4709: 92,4 | 39,8 | 60,2
A. Grimma .......110,08 | 249, 63 43,86 22,0 : 38,8 | 61,2
A. Leipzig... . . . . . | 10,08 316,35 69,68 | 21,9 | 33,8 | 66,2
| A. Oschatz. © 2 2 2 2 . . 12,77 248,79 48,78 224 42,7 | 67,8
A. Rochlitz . . . . . . .| 12,91 ' 265,31] 61,01 , 23,0 | 39,2 | 60,8
Kr, Leipzig .. .. . 113,35 | 240,64 61,61 24,3 | 41,8 58,2
_ Stadt Cheninits, a cis ge E i ‚ 237,48 46,04 27,0 , 41,9 58,1
A. Annaberg. .. . .. .\ 12,06 254,47 56,91 | 24,0 | 38,0 | 62,0 |
A. Auerbach. . . . „13,60 | 267,04 61,73 | 23,2 | 40,5 | 69,5 |
A. Chemnitz... . . . .} 12,46 304,34 87,53 | 23,6 , 331 66,9
A. Faha... 11,37 275,16, 54,73 | 23,5 | 39,3 | 60,7
A. Glauchau. . . 2... | 11,10 | 280,34: 63,92 ' 23,0 | 354 | 646 |
A. Marienberg . | 13.82 27021! 7892 214 354 | 646 |
A. Ölsnitz . . | 13,40 244,46 52,62 23,3 | 41,8 6582
A. Plauen . , | 13,17 | 253,74, 48,62 | 25,3 | 44,2 65,8 |
A. Schwarzenberg . . . .| 10,60 | 291,94 55,98 23,1 38,2 | 61,8
A. Zwickau . ... . . .| 9,22 | 283,39 49,79 23,3 362 63,8
K
r. Zwickau... .. . . j| 11,71 272,29 57,94 23,9 38,4 Ä 61,6
Königreich. | 12.65 | 245,59 52,39 24,2 | 40,6
En
Ve
WV,
Tab. 11.
Tab. 11. Eheliche und uneheliche Totgeburtenquote.
107
Eheliche und uneheliche Totgeburtenquote.
Totgeburtenquote | Totgeburtenquote
bei den bei den Jahr bei den | bei den
Ehelichen | Unehelichen Ehelichen | Unehelichen
2 8 1 2 | 8
4,37 7,15
442 5,60
4,51 6,19
4,24 6,21
4,39 5,74
4,43 5,91
4,60 6,01
4,32 5,43
4,40 6,03
4,44 5,49
4,39 5,31
4,30 4,98
4,35 5,95
4,32 5,56
4,86 5,94
4,37 5,46
4,81 5,52
4,33 5,13
4,30 5,15
3,96 5,18
4,16 5,26
4,18 5,12
4,31 5,72
4,42 5,54
4,41 5,86
4,26 5,76
4,33 5,45
4,29 5,64
4,30 5,78
4,18 6,49
4,22 5,36
4,04 5,44
4,18 5,438
4,25 5,16
4,28 5,67
4,30 5,41
4,10 5,18
108 Tab.12. Ehel. u. unehel. Totgeburtenquote in d. Perioden 1890/99 u. 1900,09
Tab. 12.
Eheliche und uneheliche Totgeburtenquote in den Verwaltungsbezirken
des Königreichs Sachsen in den Perioden 1890/99 und 1900/09.
| Eheliche | Uneheliche
Verwaltungsbezirke Totgeburtenquote
1890/99 | 1900/09 | 1890/99 | 1900/09 |
1 2 3 | 4 | 5 |
Städte 2,60 — 2,67
A. Bautzen (Dorte 3,24 — 3,28
Zug, 3,07 3,12 8,18
Städte 2,81 — 4,97
A. Kamenz | Dare 8,64 — 8,45
Zus, 8,37 8,36 3,73
Stadte 8,15 — 4,47
A. Löbau ( Dorfer 4,00 — 4,63
zus. 3,90 8,77 4,61
Städte 8,06 = 4,55
A. Zittau | Dörfer 8,78 — 3,88
zus. 8,66 3,81 3,97
Städte 2,86 = 4,01
Kr. Bautzen {Dasa 3,64 — 3,85
zus. 3,46 3,36 8,87
Stadt Dresden SC 8,43 3,42 5,21
; e tädte 3,45 a 6,82
A. ei | Date 4,32 — 5,14
ore zus. 4,15 8,87 5,26
Stadte 3,16 — 6,51
A. Dresden-A. ( Date 2,64 — 8,74
zus. 2,66 2,93 8,83
Städte 3,15 = 4,09
A. Dresden-N. | Date 8,04 — 3,88
zus. 3,05 2,84 8,90
Städte 8,86 = 5,05
A. Freiberg | Date 4,24 — 4,55
zus. 4,15 4,51 4,67
Städte 3,81 = 4,79
A. Großenhain | Dürer 3,99 — 4,37
zus. 8,77 3,54 4,52
| Städte 2,94 = 3,88
A. MeiBen {Dave 3,45 — 4,45
zus. 8,31 3,26 4,28
| Städte 3,52 SC 4,68
| A. Pirna | Dente 8,97 — 4,88
| zus. 3,83 8,48 4,81
Städte 3.42 = 5,10
' Kr. Dresden | Dörfer 3,47 — 4,86
Zus. 8,45 3,42 4,76
Stadt Leipzig SEN 8,03 8,24 ‘ 4,64
Städte 3,30 = 4,59
A. Borna | Dörfer 3,53 — 4,57
zus. 8,43 8,28 4,58
Städte 8,57 — 4,70
A. Döbeln | Dörfer 3,99 — 3,81
3,79 4,21
Tab.12. Ehel. u. unehel. Totgeburtenquote in d. Perioden 1890/99 u. 1900/09 109
Tab. 12 (Fortsetzung).
Eheliche Uneheliche
Verwaltungsbezirke Totgeburtenquote
1890/99 | 1900/09 | 1890/99 | 1900/09
| 1 2 | 8 | 4 | 5
Städte 3,09 = | 4,72 as |
A. Grimma | Dave | 3,34 — 3,77 2s
zu. | 3,24 3,00 4,14 8,19
| Städte 2,71 — 8,10 = 4
A. Leipzig {Dante 2,87 _ 2,76 — |
| zus. 2,84 2,66 2,80 8,20
Städte | 2,71 = 3,28 SC
‚A. Oschatz | Dörfer | 3,66 — 4,58 _
: zus. 3,36 . 8,20 4,17 3,02
| Städte 3,06 — 3,59 —
A. Rochlitz | Dorfer 3,82 e 4,36 =
| zus. | 3,65 3,42 4,11 4,47
Städte 3,03 — 4,52 =
Kr Leipzig | Dörte 3,47 — 3,83 —
| Zus. 3,24 3,18 4,28 4,12
| Stadt Chemnitz. ... 2.94 3,26 4,32 4,55
i Städte 3,08 — 4,40 _
| A. Annaberg | Dorte 3,04 — 4,02 —
zus. 3,06 3,18 4,19 $85
| Städte 2,53 Ss 3,04 Ge |
_ A. Auerbach | Dante 8,12 — 8,82 — |
zus. 2,93 3,04 3,59 3,29
Städte 2,98 — 8,41 =
| A. Chemnitz | Dörte 3,25 — 3,44 —
zus. 8,22 3,27 3,44 3,40
Städte 3,63 — 4,93 —
A. Flöha | Dorfer 4,26 — 4,09 — |
zus. 4,09 8,58 4,37 8,91
Städte 3,38 — 8,27 —
A. Glauchau | Date 4,02 — 4,39 —
zus 3,70 3,33 3,91 3,69
| | Städte 3,42 SE 4,32 = |
| A. Marienberg | Dörfer 8,47 — 4,67 —
| zus, 3,46 3,68 4,52 4,42
| Städte 2,59 = 8,63 i
A. Olsnitz | Dörfer 8,06 — 4,28 —
zus 2,85 2.76 4,00 3,01
| Städte 3,33 — 4,25 =
A. Plauen (Dorfer 3,31 — 4,15 —
| u, 3,38 8,05 4,22 4,17
tädte 2,68 — —
| A. GOEN | Dörfer 2,91 = s=
2,84 2,82 3,16
Städte 3,17 — —
A. Zwickau | Date 8,58 — —
| zus 3,43 8,44 3,86
Städte 3,07 — =
| Kr. Zwickau | Dürer 8,43 — —
zus 3,27 8,23 3,83
| Städte 8,15 _
| Königreich a (pat 3,47 — —
110 Tab. 13. Säuglingssterblichkeit der Ehelichen und Unehelichen
Tab. 18.
Säuglingssterblichkeit der Ehelichen und Unehelichen im Königreich
Sachsen während der Jahre 1880/1910.
Von je 100
Lebendgebore-
Es starben im 1. Lebensjahr nen starben |
im 1. Lebens- .
Jahr Jahre Ä
ebeliche Kinder nase Kinder
ehe- | unehe- |
liche | liche
ei weibl. | zus. männl. weibl. | zus. Kinder
|
4
1880 | 16841 | 13646 | 30487
1881 || 16060 | 12826 | 28886
1882 || 15911 | 13154 | 29065
1883 | 16370 | 13231 | 29601
1884 || 17628 | 14092 | 31720
1885 = e 30529
= 34364
= 31731
= 30794
= 33313
= 33312
14445 | 32257
15617 | 35050
15622 ' 34950
14004 | 81611
15531 85076
13702 | 31100
15921 | 35580
14600 | 32766
15368 | 34438
16284 | 36679
15004 | 33483
12583 | 28641
13549 | 30535
13530 | 30265
13638 | ue
11125 | 255
|
6113
5997
6148
6311
7016
6368
7397
6404
6704
7131
6563
3652 | 8031 | 6683
3906 , 3206 | 7112
3773 | 3212 | 6985
3621 2985 | 6606
4040 ` 3439 | 7479
3618 | 3028 | 6646
4119 | 3561 | 7680
3826 | 3254 | 7080
3996 | 3424 | 7420
4176 | 3348 | 7524
3738 ' 3137 | 6875
3280 | 2627 | 5907
3430 | 2817 | 6247
3439 | 2807 6246
3452 | 2840 | 6292
3075 2390 | 6465
3043 | 2398 | 5441
2934 | 2301 | 5235
2803 | 2260 | 5063
| 2429 | 20 2018 | 4447
10429 aa
12785 10157 22942
| 11611 9071 | 20682
|
1910 | 10295 | 7934 | 18229
LP EE ec E NN EE
Tab 14. Säuglingssterblichkeit. Tab. 16. Legitimationen 11t
Tab. 14.
Säuglingssterblichkeit in den Kreishauptmannschaften Sachsens.
| u Im Verhältnis zu je 100 Lebendgeborenen starben im 1. Lebensjahre, |
t
Jahr Kr. Bautzen ' Kr. Dresden | Kr. Leipzig | Kr. Zwickau
| ehel. unehel. | ehel. | unehel. | ebel. | unehel. ehel. | unehel. |
y 2, 8 | 4 | & 6 , 7 s |g
1 | | a
1885 | 24,2 | 34,3 23,5 34,5 | 23,3 38,0 30,4 41,6 |
1886 | 25,3 36,8 | 27,0 | 39,6 Ä 27,3 | 43,3 | 31,7 | 443 |
1887 | 28,3 | 82,9 23,1 33,9 | 227 | 34,7 292 | 404
1888 | 22,5 36,6 | 22,2 34,2 | 21,8 : 35,7 293 | 42,9
| 1889 | 23,1 | 35,6 242 | 375 24,3 39,6 30,2 42,9 |
1890 | 23,9 349 | 23,8 | 354 25,3 | 38,0 | 30,4 | 41,3
1891 || 22,3 85,1 214 | 31,7 22,1 36,6 | 292 408 `
1892 | 21,9 33,7 24,5 ma | 26,8 | 41,1 32,5 | 45,8 |
| 1898 , 23,14 ' 34,14 | 24,07 | 34,96 | 24,74 | 38,38 | 31,56 | 42,65
| 1894 | 22,23 |, 31,32 | 22,02 ' 34,11 | 22,11 | 86,05 , 28,64 — 39,26
1895 | 22,94 | 33,90 | 22,98 34,37 | 25,81 | 42,32 | 32.14 | 45,59
1896 | 19,78 27,51 | 21,22 | 31,91 | 21,26 | 32,95 | 26,89 37,51
1898 | 18,99 | 27,51 20,11 30,96 | 21,75 | 34,96 | 28,84 | 40,59 |
1899 ' 22,18 | 33,02 | 21,33 | 32,47 22,62 | 37,89 | 29,24 , 40,05
1900 ! 20,92 | 29,98 ' 21,73 ` 31,18 24,86 40,18 ' 31,61 | 42,26
Tabelle 15 folgt Seite 112 u. 113.
Tab. 16. Legitimationen im Königreich Sachsen.
— — Gee a S —— ——
Verwaltungsbez. | 1904 | 1905 1906 | 1907 | 1908 1009! 1910| 1904—1910
i der Geburt des Re =. this, u u männl.| weibl. | zus |
Kindes | a) Zahl d. Legitimationen durch Eheschließung d. Eltern: |
1 2 | 8 | 4] 6 1 6 | TI 8 | oa
WE S 4l. T Oin,
„Dresden. . A 1719 |1628 | 1665 1576 1742 1674/1755 5886 5855 11741.
„Leipzig . . . 1620 | 1582, 1577! 1618 1656 | 1806 ' 1856 5T44| 59711 11715
„ Zwickaua.U.') 26182736 2789 |2925 : 3082 | 3292 | 3284 10304 10432, 20736 |
„Chemnitz . .) 1388 | 1440 1533 1571 1643| 1812:1807 5523) 567111194
„ Zwickau n. U., 123011296 1256 1354 1439 |1450 1497 4781, 4761, 9542.
Königreich. . h 6634 | 6664 | 6745 | 6799 | 7149 7511, 7669 24384 24687 49071 |
b) Zahl der unehelich Lebendgeborenen: |
| 694| 7181 714| 681| 669| 739] 664| 2450| 2429| 4879 |
Kr. Bautzen . | 1682 1602, 1631 1674 1660 1682 1578 5857 5652 11509
» Dresden. . .! 5281| 6178 65171 6349 5301. 5322: 5154 18750 17906 36756
| „Leipzig . . .| 5149) 5079 6180 6118 6384 5505 5465 18862 18013 36875
„ Zwickau a. U.| 7203| 7174, 7341 7410 7680 7656 7077 26349 25192 51541.
„ Chemnite . | 3783| 3786 3925, 4039: 4199 4289 3800 14164 13657 27821
” Zwickau n. U.\, 3420 3388 3416 3371, 3481 3367 3277 12185 11535 23720
i
Königreich. . ./19316.19038 19323 19546 20025 20165 19274 69818 66863 136681
| c) Auf 100 unehel. Lebendgeb. komm. Legit. d. Eheschl. d Elt.:
Kr. Bautzen . .|41,26 44,82) 43,78 40,62: 40,30 43,93 42,08 41,83’ 42,98' 42,39
» Dresden. . (29.23 31,44' 32,20 29,44 32,86 31,45 34,05. 31,39 32,70, 31,94
| » Leipzig . . 18148 31,15) 30,44) 31,64! 30,76 32,81, 83,96 30,45 33,15: 31,77
| „ Zwickau a. U.!| 36,35: 38,14 87,99 39,47 40,13 43,00 46,44) 39,11 41,41! 40,23
„ Chemnitz . .| 36,69 38,03, 39,06 38,90 39,13 42,25 47,55 38,99 41,52 40,24
„ Zwickau n. U. 35,97 38,25 36,77 40,17 41,34 43,96 45,38 39,24 41,27\ 40,23
Königreich. . .|| 34,35) 35,01) 34,91| 34,78 35,70 37,25 39,27) 34,92 36,92, 35,90
H
112 Tab. 15. Säuglingssterblichkeit in den Perioden 1880/89 u. 1891/1900
Tab. 15. Sänglingssterblichkeit in den Verwaltungsbezirken
Zahl der Lebendgeborenen
Verwaltungsbezirke ehelich | inehalich
1880/89 1891/1900! 1880/89 1891/1900
1 2 ch 3 4 5
A. Bautzen. ....... 31562 , 338100 5788 5529
A. Kamenz........... 19191 20354 2410 2471
A. Löbau. .........0.. 26362 26502 5183 4872
A. Zittau. rn 28628 29910 6236 6105
Kr. Bautzen ........2.. 105743 | 109866 19612 18977
| Stadt Dresden ......... 64806 90495 15659 21881
A. Dippoldiswalde. ....... 17180 16757 2361 2111
A. Dresden-Altstadt . ...... 87287 55487 3905 5114
A. Dresden-Neustadt 31498 42358 © 3478 3591
‚A. Freiberg. . ... 2.2... 89929 88816 6019 5452
A. Großenhain ......... 23770 26101 3141 2922
A. MeiBen .......2.... 32079 36639 3981 4406
A. Peng, 38197 45247 4862 6348
Kr. Dresden ........ 284746 | 351900 | 48401 50820
Stadt Leipzig. . . . 43166 | 122856 9368 24041
A. Bona. . .. 2 2 2 2 m mn 26358 24555 3778 8405
A. Döbeln ...... 34654 | 85968 4672 4511
A. Grimma. ........ 29900 31440 3584 3519
A. Leipzig ........... 87611 48392 9926 4910
A. Oschatz . . 2... 2 2 0 18185 17409 2782 2493
A. Rochlitz. ........2.. 37742 38042 5831 5566
Kr. Leipzig. ....... 277566 | 818662 89941 48445
Stadt Chemnitz. .... 42883 59748 5545 8281
A. Annaberg... . . . 87590 37179 6317 5031
A. Auerbach ........2.. 29087 31958 4916 4990
A. Chemnitz ......... 76966 | 85832 12229 12129
A. Fljha. ..........4. 30993 | 30897 4109 3927
A. Glauchau .......2... 55194 56968 1358 7128
A. Marienberg ......... 22977 | 22202 8809 8471
A. Olenitz ........ 16650 20689 2761 3122
A. Plauen . . 2.2 2 2 2 2 2 on. 46032 53511 6469 8136
A. Schwarzenberg. ....... 39811 44636 5168 5264
A. Zwickau. ..... ; 88610 | 99190 8878 10068
Kr. Zwickau 486393 | 542795 | 66554 71505
|
Königreich . .......... 1154448 | 1318223 | 169508 | 189747
|
Stadt Dresden mit A. | e
en Dresden-N.3) . . | 133591 | 188340 | 23037 | 30586
Stadt und A. Leipzig!) ..... 130777 | 166248 | 19294 28951
1) Vgl. Text S. 45.
Tab. 15. Säuglingssterblichkeit in den Perioden 1880/89 u. 1891/1900 113
Sachsens in den Perioden 1880/89 nnd 1891/1900.
: : Im Verhältnis zu 100 Lebend-
Zahl der im 1. Lebensjahr Gestorbenen geborenen starben im 1. Lebensjahr
no )
1880/89 1891/1900
9 e 11 | 12 SC
ehelich | unehelich ehelich
1880/89 Gage 1880/89 1891/1900] 1880/89 |1891/1900
EE EE RL Ee
8
Kee eege
6633 ' 6367 1894 | 1741 21,00 19,21 | 32,75 31,49
3762 4092 649 686 | 19,60 | 20,10 | 26,90 | 27,76
6375 5541 1858 1528 | 24,20 | 20,91 | 835,85 | 31,86
9004 7857 2683 2123 | 31,45 | 26,27 | 4220 | 34,77
25774 | 23857 7084 6078 | 24,38 | 21,71 | 35,87 | 32,08
14886 | 18529 8677 4788 | 22,9 20,75 | 23,5 21,88
8799 8418 | 695 624 | 221 20,40 | 29,4 29,56
10603 | 14081 2885 3169 | 28,4 25,88 | 73,9 61,97
7968 9255 ' 1809 1846 | 25,3 21,85 | 62,1 51,41
9535 8774 2009 1711 | 23,9 22,60 | 33,4 31,88 |
5310 5417 1137 1051 | 22,8 20,75 | 86,2 85,97
7306 7713 1692 1778 | 228 21,05 | 42,5 40,35
9585 | 10629 1686 2023 | 25,1 28,49 | 34,7 37,86
68942 | 77816 | 15590 | 16990 | 24,21 | 22,11 | 85,92 | 33,43
8692 | 26488 2440 8412 | 201 21,51 | 26,05 | 34,99
6866 6217 1559 1466 | 26,05 | 25,82 | 41,8 43,05
8538 8483 1621 1507 | 24,6 28,45 | 87,7 38,41
6778 6958 1289 1280 | 22,7 22,12 | 86,0 86,87
20989 | 11118 5179 2735 | 24,0 25,62 | 52,2 65,70
4190 8794 1011 914 | 231 21,79 | 36,8 86,66
11545 | 10902 2267 2049 | 30,6 28,66 | 38,9 36,81
67598 | 73850 | 16366 | 18868 | 24,35 | 23,54 | 38,47 | 87,90
14999 | 19476 2787 3765 | 35,0 32,60 | 50,3 45,74
11787 | 11755 2117 1997 | 81,4 31,62 | 39,8 89,69
6268 7174 1436 1581 | 21,55 | 22,45 | 292 31,63
28202 | 82624 5958 5843 | 36,6 37,89 | 48,7 48,17
9426 8967 1739 1591 | 30,4 29,02 | 42,3 40,52
19098 | 19886 3211 8305 | 34,6 84,91 | 43,6 46,87.
5712 5672 1200 1067 | 24,9 25,55 | 81,8 | 30.74
2740 3518 126 818 | 16,5 17.00 | 263 26,20
10980 | 12441 2413 3080 | 23,85 | 23,25 | 37,8 37,86
11385 | 12832 2015 2069 | 28,6 28,75 | 39.0 89,30
26659 | 29738 4134 4668 | 80,1 29,98 | 46,6 46,86
147251 163988 27731 29784 30,27 80,21 41,67 41,65
309565 339506 65721 71216 26,81 25,75 38,77 37,53
33407 41865 8371 9803 25,00 22,23 36,77 | 32,05
29681 | 37551 7619 11147 | 22,70 22,59 39,49 | 38,50
Prenger, Unehelichkeit. 8
114 Tab. 17. Die Legitimationen in den Jahren 1904/10
Tab. 17.
Die Legitimationen in den Verwaltungsbezirken des Königreichs
Sachsen in den Jahren 1904/1910.
auf 100 in der
|
Zahl der 1904—10 ak petit, 200 dn der Periode) 904/10
Verwaltungs- , nach |. „© S ehelich Lebendgebo- Legitimierte
bezirk der ım dem über- | 3 sa rene kommen | kommen
| h t| 25% nach | im | nach
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. 33 . haupt Geburtsjahre |
| Kindes | legitimierten Kinder 23 a. der | leeitimierte
GE E E ; E er
| 1 |2 | 3 4; 5 le:!7z7:8|9]|10
A. Bautzen . .| 349 | 953 37,91' 26,80; 73,20
‚A. Kamenz . .| 182 548 44,93 24 46 75,64
‚A. Löbau... | 270 | 1047 44,87 20,50 79 ‚50
A. Zittau . . .| 335 | 1195 48,51 21,90 78,10
Kr, Bautzen . .| 1136 | 3748 (42,39 23,28: 76,72
‚St. Dresden . 1 1130 | 4088 28.04 21,66. 78,34
_A. Dippoldis- |
= walde . . 118 | 857 | 475 | 1134 [10,41 | 31,48! 41,89 24,42! 75,58.
A.Dresden-Altst.| 166 | 697 | 863 | 2516 | 6,60 27,70 34,30 19,24 80,76
‚A. Dresden-Nst. | 180 | 599 | 779 | 2072 | 8,69 28,91 87,60 23,11; 76,89
A. Freiberg . .| 814 | 1008 | 1312 | 3490 | 9,00 | 28,88 37,88. 23,74. 76,26
A. Großenhain .| 183 | 502 | 685 | 2048 | 8,93 | 24,511 33,44 26, 172) 78 ‚28
A. Meißen. . .| 256 | 766 | 1022 | 3134 | 8,17 24.441 32'61 25,05 74,95
A. Pima .. JI 885 | 1042 | 1877 | 3751 | 8,93 | 27,78 36,71 24,33’ 75,67
Kr. Dresden . Jh 2682 | 9059 11741 | 86756 | 7,29 24,64 81,94 22, ‚84: 17,16
Stadt Leipzig .| 1121 | 3967 | 6088 | 19226 | 5,83 | 20.64: 26.46 22.03) 77,97
A. Borna . JI 169 | 659 | 828 | 2208 | 7,65 | 29.85) 37.60, 20,41! 79,59
A. Döbeln. 207 | 892 , 1119 | 2765 | 8,21 32,26 40,47 20,29 79,71
A. Grimma . 195 631 826 | 2565 | 7,60 | 24,60 32,20, 28,61! 76,39
‚A. Leipzig . 338 | 1248 | 1686 | 4728 | 7,15 | 26,39 33,64: 22,45) 77,66,
A. Oschatz . .| 132 | 414 | 546 | 1671 | 7.90/24, ‚77, 82,67 24,18, 75,82
A. Rochlitz . | 887 | 1835 | 1722 | 8718 lı0,42 35, 96 46,88 22 a 77,53
Kr. Leipzig . .|| 2569 | 9146 11715 | 86875 | 6,97 | 24,80 31,77 21,93| 78,07
Stadt Chemnitz | 750 ; 2243 | 2993 | 8423 | 8,90 | 26,63 35.53, 25.06 74,94
A. Annaberg. 249 | 1163 | 1412 | 3322 | 7,49 | 36,01, 42.51) 17,63) 82,87
A. Auerbach. 349 | 1645 | 1994 | 3796 | 9,19 | 43.34’ 52.53 17,80] 82,20
A. Chemnitz. .| 612 | 2259 | 2871 | 6534 | 9,87 |834.57 43.94] 21.32) 78,68
A. Flöha . . JI 219 | 965 | 1174 | 2712 | 8,08! 85.21|48,29| 18,66 81,84
A. Glauchau. .| 342 | 1443 | 1785 4514 | 7,58| 31 a 39, 54| 19 ‚16 80,84
A. Marienberg .| 162 | 710 | 872 | 1985 | 8,16 | 35,77; 48,93/ 18,58 81,42
A. Ölsnitz. 224 | 768 | 992 | 1796 12,47 42,76, 55,23! 22, 68, 77,42.
Plauen , 633 | 1966 | 2489 | 7341 | 7.26 | 26, 165) 38 21 21,41| 78,59
'dav.St.Plauen®)| 342 | 1124 | 1466 | 4478 76,67
A. Schwarzenb.| 300 | 1303 | 1603 | 3698 | 8,11 |36, en 43, 35 18,711 81,29
A. Zwickau . .| 6524 | 1940 | 2464 | 7089 | 7.39 | 27,37! 34, d 21,27| 78,78
dav.St.Zwickau®)| 135 | 359 | 494 | 1548 | 8, "72 23,19 31,91 27,33 72,67
K.Zwickaua.U.!
Kr. Chemnitz).
Kr. Zwickau
a. U.').
' Königreich
1) S. Text S. 61.
1930
von der A. Chemnitz abgetrennt ist.
87 von der A. Stollberg.
; 7612
| 10679 (38392
2) Dazu 28 von der A. Stollberg, die seit 1. Juli 1910,
3) Dazu 59 von der A. Stollberg.
6) Dazu 331 von der A. Stollberg.
4292?)116444°) 20736°)| 515415)
2362°)| 6832°)11194*)| 27821°)
9542 | 23720
49071 |136681
beziehen sich auf die Periode 1905—1910.
8,33 | 81,90! 40, 23 20,70) 79,30,
8,50 ' 31, e 40,24 21, dei 78, SR,
|
8,14 | 32,09 40,23 20.23 79,7:
7,81 , 28,09, 35,90|.21,76| 78, a
4) Dazu |
6) Die Zahlen
"Tab 18. Vermind. d. unehel. lebendgeb. Kinder Dresdens durch Legitim.u.Tod 115
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Tab. 21. Unehelichkeitsquote, unehel. Fruchtbarkeitszifter, Totgeburtenquote 117
Tab. 21. (Tab. 20 folgt S. 118, 119.)
Unehelichkeitsquote; uneheliche Fruchtbarkeitsziffer,
Totgeburtenquote, Säuglingssterblichkeitsziffer; Legitimationsziffer.
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A. Kamenz . . . . . 10,68 10,66] 44,48 26,9 | 27,76 | 44,93
|A. Löbau ..... . "16,66 15,22 54,23 35,85 31,36 | 44,87 |
A. Zittau... . . . 17,11; 15,71] 61,29 42.2 34,77] 43,61
| Kr. Bautzen. . . . . 14,86 13,83] 64,52 35,87 | 32,03 | 42,39 |
Stadt Dresden . . . . '19,83.19,34 | 44,43 23,5 121,88 | 28,04
A. Dippoldiswalde . . 11,25 10,08) 48,37 29,4 29,56 | 41,89
A. Dresden-Altstadt . 8,62! 9,08] 52,91 73,9 61,97 34,80 '
A. Dresden-Neustadt . ` 8,03 | 8,23 | 32,88 52,1 | 51,41 | 37,60-
A. Freiberg . . . . . 12,32:14,26| 60,70 33,4 | 31,88 | 37,88
A. Großenhain. .. . 10:3 10.86 48,52 36,2 | 35,97 | 33,44 |
A. Meißen. . . . . .| 10,78! 11,46] 44,40 42,5 | 40,36] 32,61
A. Pima .... . .; 10,75 | 10,49] 48,07 34,7 | 37,86 #011
Kr. Dresden. . . . . "12,76 | 13,60 | 46,08 35,92 | 33,43 | 31,94
Stadt Leipzig . . . . 16,35'18,81] 48,67 26,05 | 34,99 | 26,47.
A. Borna .. . . . .; 12,21 | 12,01] 59,37 41,3 | 43,05] 87,50
A. Döbeln... . . .| 11,241 10,93] 47,09 37,7 | 38,41 | 40,47
A. Grimma . . . . ., 10,03 | 11,07] 48,86 36,0 | 36,37 | 32,20
A. Leipzig. . . . . .'10,08'10,88| 69,53 62,2 | 65,70 | 33,54
A. Oschatz .... a 12,77 | 12,62 48,78 36,3 | 86,66 | 32,67
Se Rochlitz . . . . ./ 12,91 18,15] 61,01 38,9 | 36,81 | 46,38
Kr. Leipzig . . . 13,35 14,52] 61,61 38,47 | 87,90 | 31,77 |
Stadt Chemnitz . . . | 12,26 | 13,60] 46,04 60,3 | 45,74 | 35,63 |
A. Annaberg. . . . . '12,06 12,76] 56,91 39,8 | 39,69 | 42,50
A. Auerbach. . . . . 13,60 13,44] 61,78 29,2 | 81,63] 52,53 |
A. Chemnitz. . . . . 12,46 | 12,53 | 87,63 48,7 | 48,17] 43,94
A. Floha .. . . . . 11,87) 11,25] 54,73 42,3 | 40,52] 43,29 |
A. Glauchau. . . 0 68,92 43,6 |46,37| 39,54
A. Marienberg . . . . 18,82 12,50] 78,92 31,5 | 30,74) 43,93
A. Olenitz. .... .ı 18,40 11,75 | 52,62 26,3 ' 26,20 | 55,23
A. Plauen. .... [18,17 | 14,52 48,62 37,3 | 37,86 33,91
A. Schwarzenberg . . |10,60 10,62 | 55,98 39,0 | 39,30] 43,35
A. Zwickau.. . . . 9,22 10,12| 49,79 46,6 | 46,36 | 34,76 |
Ke, Zwickau. . . . . 11,71} 12,27] 57,94 41,67 | 41,65 | 40,23
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118 Tab. 20. Geburten im 1. Ehejahre in Dresden
Tab. 20 (Tab. 21 s. vorige Seite). Geburten im 1. Jahre der
Seit der Eheschließung bis zur Geburt
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1897 68| 52 84; 60| 69 78| 105| 97| 97' 89| 94] 65
1898 48| 53 86, 57| 121 103| 122| 108| 105 112| 91! 9
1899 60| 66: 61| 82| 98) 95| 137] 106 109) 99| 96 91
1900 44! 40: 82, 65| 104! 82| 97| 96| 96' 99! 87! 76
1901 | 88i 30| 77| 68| 113; 65 | 104| 95 | 128; 88| 92; 58
1891 — 1901 613 487 766 |656 | 944 841 1044 933 | 970 1833 884 786
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| 1897 7; 8:10 3 6, 2, 1, 6| a 6 4 9
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Tab. 20. Geburten im 1. Ebejabre in Dresden 119
Ehe in der Stadt Dresden.
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Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Fehlerausgleichung,
Statistik und Lebensversicherung. Von Dr. Emanuel Czuber, o 6. Professor an
der Technischen Hochschule in Wien. 2., sorgfältig durchgesehene und er-
weiterte Auflage. In 2 Bänden.
I. Band: Wahrscheinlichkeitstheorie, ae ichung, Kollektivmaßlehre. Mit
18 Figuren. gr. 8. 1908. In Leinwand geb. A 12.—
Il. Band: Mathematische Statistik. Mathematische Grundlagen der Lebensversiche-
rung. Mit 84 Figuren. gr. 8. 1910. In Leinwand geb. AS 14.—
Bei der Bearbeitung dieser Neuauflage sind mancherlei förderlich erscheinende Neuerungen im
einzelnen getroffen worden, so die Darstellung der Wahrscheinlichkeitssätse in Form von Funk-
tionalglaichungen, die Heranziehung des Begriffs der relativen Wahrscheinlichkeit, der Mengen-
lehre. Des weiteren war der Verfasser darauf bedacht, dis Grundfragen, welche die philosophische
Seite des Gegenstandes betreffen, tiefer zu fassen. Ein Kapitel über die Kollektivmaßlehre, die,
von G. Th. Fechner begründet, durch dis neueren Arbeiten von G. F. Lipps und H Bruns
wesentlich gefördert wurde, durfte nicht mehr fehlen; die theoretischen Grundlagen dieses jüngsten
Zweiges wurden so knapp als möglich dargestellt, hingegen auf die praktische Anwendung durch
Vorführung mehrerer, darunter auch größerer Beispiele vorzubereiten gesucht.
Der zweite Band umfaßt die im Titel genannten Kapitel in einer, wie schon der Umfang zeigt,
ziemlich eingreifenden Neubearbeitung. In der mathematischen Statistik wurde auf die Dar-
legung der leitenden Gedanken bei der Bildung und Beurteilung statistischer Maßzahlen größerer
Nachdruck gelegt; die neueren, von englischen Btatistikern ausgebildeten Methoden zur analy-
tischen Darstellung statistischer Reihen sind einbezogen worden. Eine erhebliche Erweiterung |
erfuhr die Behandlung der Sterblichkeltsmessung unter Heranziehung der neueren großen Ar-
beiten auf diesem Gebiete. Ebenso sind die Tafelausgleichung und die Invaliditat ansführlicher
behandelt Noch eingreifender sind die Änderungen in dem die mathematischen Grund-
lagen der Lebensversicherung betreffenden Teile, Den allgemeinen Erwägungen Ober die
Voraussetzungen bei der Durchführung versicherungstechnischer Probleme ist ein breiterer Raum
ee? Des weiteren sei insbesondere hingewiesen auf dio Entwicklung der Versicherongswerte,
von Invalidität abhängen; auf die Kinbeziehung der Durchschnitteprimien der Sozialversiche-
rung; auf die Erörterung der umstrittenen Frage der Bemessung des Deckungskapitals: auf die
Ausführungen betreffend das Ririkoproblem, Selbstverstindlich haben auch zweifach abgestufte
Sterbetafeln Berücksichtigung gefunden.
Versicherungsmathematik. von Dr. Hugo Broggi, Professor an den Uni-
versitäten Buenos Aires und La Plata. 1911. Geh. £ 7.—, in Leinw. geb. # 8.—
Das in erster Linie für Studierende der Mathematik, die sich mit Lebensversicherun the-
matik beschäftigen wollen, bestimmte Buch versucht eine möglichst zusammenfassende reicht
über die Anwendung der Wahrscheinlichkeiterechnung suf die Sterblichkeitstheorle, über die
fundamentalen Probleme der Versicherungsmathematik im allgemeinen sowie über die Technik
der Lebensversicherung zu geben. Vorsusgesstzt werden nur die mathematischen Kenntnisse, die bei
jedem Mathematik Studierenden vorhanden sind oder vorhanden sein sollten. Dis deutsche Ausgabe
weist gegenüber der italienischen und franaösischen mannigfache Zusätze und Erweiterungen auf.
Wahrscheinlichkeitsrechnung. Von A. A Markoff, Professor an der
Universität St. Petersburg. Nach der zweiten Auflage des russischen Werkes
übersetzt von Heinrich Liebmann, Professor an der Techn. Hochschule München.
Mit 7 Figuren, 1912. Geh. # 12.—, in Leinwand geb. M 18,—
Markoffs Wahrscheinlichkeitsrechnung darf wohl ebenso wie soine 1896 in deutscher Über-
setzung srschionens Differonzenrechnung das Interesse eines größsren Leserkroises beanspruchen.
Der Verfasser legt besonderes Gewicht suf die axiomatische Begründung und eingehende Unter-
such über den Geltungsbereich der wichtigsten Sätze, ohne die verschiedensten Gebiete der
An ung (Versicherung, Methods der kleinsten Quaärste, geometrische Wahrscheinlichkeiten
usw.) dabei zu vernachlässigen.
Enzyklopädie der Elementar-Mathematik. Ein Handbuch für Lehrer
und Studierende von H. Weber und J. Wellstein, Professoren an der Universität
Straßburg. In drei Bänden. gr. 8. In Leinwand geb. |
II, Band: Angewandte Elementar-Mathematik. 2. A . In 2 Teilen.
II. Teil: Darstellende Geometrie, graphische Statik, Wahrscheinlich-
keitsrechnung, politische Arithmetik und Astronomie. Bearbeitet von
l. Cane, N H. Bleicher und J. Bauschinger. Mit 271 Figuren.
gr. 8. 1912. K 14.—
Das Werk ist für joden bestimmt, der neben fundamentalen Betrachtungen such eine für
den ET Gebrauch nützliche, wohlgeordnste Zusammenstellung der wichtigsten
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DIE KULTUR DER GEGEN WART
IHRE ENTWICKLUNG UND IHRE ZIELE
HERAUSGEGEBEN VON PROF. PAUL HINNEBERG
pes oi, Allgemeine Volkswirtschaftslehre
Von Geh. Rat Prof. Dr. Wilhelm Lexis.
Lex.-8. 1910. Geh. M.7.—, in Leinw. geb. M. 9.—, in Halbfranz geb, M. 11,—
u. BS ist mit besonderer Freude zu begrüßen, daß sich der Göttinger Gelehrte dazu ver-
standen hal, in einem zusammenhängenden Werke eine Darstellung der Volkswirtschafislehre,
der ,theoretischen Nationalökonomie‘, zu geben, die, weit entlernt von der Zerlassenheit der
historischen Schule, dem Leser ein festes Gefüge von den Grunderscheinungen und dem Kreis-
lauf der Volkswirtschaft bietet. Sorgsam durchdacht, stellt das Werk die gereifte Frucht eines
langen Gelehrienlebens dar. Ausgezeichnet durch Klarheit und Kürze der Definitionen, wird
die ‚Allgemeine Volkswirtschafislehre' von Lexis sicher zu einem der beliebtesten Einführungs-
bücher in die Volkswirtschaftslehre Mr Studenten, wie aber auch für Praktiker, Geschäftsleute,
Fabrikanten usw. werden, die, mitten im wirtschaftlichen Getriebe stehend, das Bedartnis
empfinden, über die um sie herflutenden wirtschaftlichen Erscheinungen Klarheit zu erhalten.
Kein Binführungsbuch im Sinne von ‚Leitfaden‘, sondern eine zum selbständigen Studium der
Volkswirtschaftstheorie völlig ausreichende, den Leser zum starken Nachdenken anregende
Schrifi.... Das Werk können wir allen volkswirtschaftlich -theorelisch interessierten
warm empfehlen." (Zeitsohrift des Voreins dor deutsohen Zuokerindustrie.)
suas: Systematische Rechtswissenschaft
Bearbeitet von
R. Stammler, R. Sohm, K. Gareis, L. von Bar, L. von Seuffert, F. von Liszt,
W. Kahl, P. Laband, G. Anschütz, E. Bernatzik, F. von Martitz.
2. Auflage, [Unter der Presse.) Lex.-8. 1913.
Geh. ca. M. 14.—, in Leinw. geb. ca. M. 16.—, in Halbfranz geb. ca. M. 18.—
vu, Hierzu gehört nicht an letzter Stelle auch die Rechtswissenschafi, mit der sich dieser
Teil ‘des Werkes befaßt. Alle Materien des Rechts finden sich hier in anschaulicher Wei
in knapper Form systemalisch dargestellt, wie sie sind und wie sie geworden sind, der A
be entsprechend naturgemäß nur in ihren allgemeinen Grundzögen, aber mit erschöpfender
ründlichkeit, so daß auch dem Fernerstehenden ein klarer und vollständiger Überblick über
die das Rechisleben beherrschenden Gedanken und seine Ziele ermöglicht wird. Die Namen
unserer ersten Rechtsiehrer, welche die Stoffe bearbeitet haben, bieten Gewähr für eine tier-
vorragende Lösung der Aufgabe.“ (Conrads Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik.)
ww... Als Vorzug aller Verfasser kann knappe, dabei aber erschöpfende und vor allem
leicht verständliche arstellung des Stotfs hervorgehoben werden. Es ist daher jedem Ge-
bildeten, welcher das Bedürfnis emplindet, sich zusammenfassend über den gegenwärligen
Stand unserer Rechtswisseuschaft im Verhältnis zur gesamten Kultur zu orientieren, die An-
schaffung des Werkes warm zu empfehlen.“ (Blätter für Genossensohaftswesen.)
in Allgemeine Rechtsgeschichte und
Geschichte der Rechtswissenschaft
L Die Anfänge des Rechts und das | tums, Mittelalters und der Neuzeit.
Recht der primitiven Völker. Von | Von Prof. Dr. jur. Leopold Wenger.
Geheim. Justizrat Professor Dr. jur. | Iil. Das europäische Recht des Alter-
Josef Kohler. tums, Mittelalters und der Newzelt.
il. Das orientalische Recht des Alter- | Von Prof. Dr. jur. Leopold Wenger.
[Unter der Presse
Ausführlicher Prospekt auf Wunsch umsonst und postfrel vom
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig, Poststr. 3/5 >
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Verlag von B.G, Teubner in Leipzig und Berlin
Deutsches Statistisches Zentralblatt
Herausgegeben von
Geh. Regierungsrat Dr. Eugen Würzburger
Direktor des Kel. Sachs. Statistischen Landesamtes in Dresden
Regierungsral Professor Professor
Dr. Johann Feig Dr.FriedrichSchäfer Dr. Wilhelm Morgenroth
Mitglied des Kaiserl. Sia- Direktor des StAdtischen Sta- Direktor des Städlischen Stati-
tistischen Amtes in Berlin tislischen Amies in Dresden stischen Amtes in München
6. Jahrgang, 1914. Jährlich 10 Hefte, Preis M. 10.—. Einzelne Hefte
je M. 1.30. 1,8. Jahrgang. 1909/11, jeder Jahrgang 8 Hefte je M. 8,—
‚Jahrgang. 1912, 10 Hefte M. 10.—. 5. Jahrgang. 1913. 10 Hefte M: 10,—
Das Deutsche Statislische Zentralblait hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die wissen-
schaftlich-stalistischen Leistungen auf allen Gebieten, auf denen die Statistik heute zur Bedeutung
elangi ist, durch Besprechung der einschlägigen Neuerscheinungen und durch eine eingehende
ibli raphie sowie durch Aufsätze zu unterrichten. — Die Herausgeber bemühen sich dabei, nicht
statisiische Tabellen zu geben, sondern die Resultate derselben bis zu einem gewissen Grade
sogleich zu verarbeiten, so daß die an die Statistiken zu knüpfenden Urteile und Folgerungen
dem Leser zum Teil schon in einer Form dargeboten werden, die eine praktische Verwendung
der statistischen Untersuchungen ohne weiteres gesiniten.
Ergänzungshefte z. Deutschen Statistischen Zentralblatt:
Heft 1: Statistik der Zivilrechtspflege. von Dr.M. Rusch. 1912. gr.8. M.3.60,
Heft 2: Handelsbetriebsstatistik mit besonderer Berücksichligung der Warenhandels-
beidebe. Von Dr. A. Sigerus. gr.8 1913. M. 3.60.
„Der Verfasser teilt seine Arbeit in zwei Teile, Im ersten Teil versucht er positive GEES
über den Warenhandel zu gewinmen, und zwar werden fesigestellt die Zahl der Handelsbelri
überhaupt, ferner ihre Verteilung auf Stadt und Land und ihre Orößenverhältnisse. .. . Im zweiten
Teil will der Verfasser dana auf Grund seiner vorausgegangenen Untersuchungen Richtlinien für
einen Ausbau der Handelsbeiriebsstatistik geben. Er zeigt, daß die amtliche Statistik in dem bis-
hengen Umlange gerade fir die Eigenart des Handels nicht ausreichend ist. Er hält teils eine
Änderung der Fragebogen, teils eine Erweilerung der Erhebungen für notwendig. ... Die Neißige und
recht übersichllich abgefaßte Arbeit kann empfohlen werden. (Volkswirtsehaftliche Blätter.)
Het 3: Statistik des Selbstmordes im Königreich Sachsen. vonDr.0. Kür-
ten. Mit 2 Tafelu und 1 Karte. gr.8. 1913, M.5— |
Het 4: Die Unehelichkeit im Königreich Sachsen. von Dr. Q. Prenger. Mit
5 graphischen Darstellungen und 3 Kariogrammen. gr.8, 1913. M. 5.—
Die Nationalökonomie als
Universitätswissenschaft
Von Prof. Dr. W. Stieda. 1906. M. 10—
Dr, Stieda treats of the origin of the so-called chamber-sciences (Kameralwissenschatien) in
the German Arche ge and he gives some interesting facts about the economic societies and the
eneral conditions in the German universities in the lalter half of the eighteenth century. He
en lakes up, in detail, the growth of the economie faculties in the more important universities,
and ends with a minuie description of the development of political science in general at the
University of Leipzig. The investigation is based largely upon hitherto ps ber gt material, and
will be invaluable to students of the history of economics." (Political Science Quarterly.)
Probleme der Sozialphilosophie
Von Prof. Dr. Robert Michels. 1914. In Leinwand geb. M. 4.80.
Vorliegendes Buch bezweckt eine eindringliche Untersuchung der im Mittelpunkt der sozio-
logischen Forschung stehenden Probleme, wie: Cooperation, Solidarität, Kastenbildung. Weiterhin
schildert der Verlasser nach einer Erörterung der neie a Beeinflussung von Sozial- and
Naturwissenschaften im Anschluß an die demogrephisch und politisch gleich wichtige Frage nach dem
Alter und der Widerstandskraft der alien Familien an Hand eines reichen Materials. das EIRCenEeE
aber such das Aufgehen der jungen Fanien in den Allen. Der Verfasser bietet allenthaiben chi
so sehr Lostngen als vielmehr neue Gesichtspunkte für die behandelten Probleme.
dg Bag Google
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ERGANZUNGSHEFTE ZUM
DEUTSCHEN STATISTISCHEN ZENTRALBLATT - HEFT 5
DIE FINANZEN DER STADTE
IM KONIGREICH SACHSEN
VON
DR. ADOLF LIEBERS
o
VERLAG VON B.G.TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN 1914
eo
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES UBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN
MEINEN LIEBEN ELTERN
IN DANKBARKEIT GEWIDMET
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Inhalt
Seite Seita
Literaturverzeichnis. ....... VI c) Sonstige Einnahmen. . . 70
Erstes Kapitel: Allgemeines über Fi- C. Vermigen......... 71
nanzstatistik . . 2 2 2220. 1 1. Allgemeines 71
Zweites Kapitel: Finanzstat. Deutsch- 2. Vermögensbestände der po-
lands unter besonderer Berücksich- litischen Gemeinden, welche
tigung Sachsens ........ 4 in &) Unternehmungen und
1. Das Reich . . ... 22 .2.. 5 Anstalten, b) Grundbesitz an-
2. Die Bundesstaaten, insbesondere gelegt sind. o 2... T4
Sachsen ........... 5 3. Übersicht über das Aktivver-
3. Die Städte . . .. aoaaa. 6: mögen der politischen Ge-
Drittes Kapitel: Gemeindetinanzstati- meinden Ende 1906. . 78
stik in Deutschland, namentlich in | IJ. Die Ortsarmenverbände 83
Sachsen . . . 2» 2 2 2 2 2 20. 6° Vorbemerkung ........ 83
1. Allgemeines ......... 6 A. Ausgaben . ........ 88
2. Bisherige Leistungen i 8 B. Einnahmen ........ 91
Viertes Kapitel: Besprechung der neu- C. Vermögen. ........ 94
sten Ergebnisse an der Hand der III. Die Schulgemeinden ..... 95
Tabellen... . 2.222200. 16 Vorbemerkung........ 95
Allgemeine Einleitung. . .. . . 16 A. Ausgaben . . . 2.2 2 2.. 99
a) Über dieOrganisation dersüchsi- B. Einnahmen ........ 104
schen Gemeinden. ...... 16 C. Vermögen. ...... 107
b) Die Buch- und Rechnungsfüh- IV. Schulden. ......... 109
rung der sächsischen Stüdte . 21 1. Allgemeine . . 2.2.2... 109
I. Die politischen Gemeinden . 28 2. Gegenwärtiger Zustand . . . 115
Vorbemerkung ........ 28 a) Tilgungsdauer der Ende 1906
A. Ausgaben......... 24 bestandenen tilgbaren An-
1. Allgemeines ....... 24 leihen und Darlehen der
2. Betrachtung der verschiede- politischen Gemeinden, der
nen Ausgabearten. . . . . 26 Ortsarmenverbände und der
B. Einnahmen ........ 30 Schulgemeinden ..... 116
1. Allgemeines ....... 30 b) Jährlicher Aufwand für Ver-
2. Betrachtung der verschiede- zinsung und Tilgung der Ende
nen Einnahmearten .. .. gd 1906 bestandenen tilgbaren
a) Unternehmungen und An- | Anleihen und Darlehen der
stalten. `... 31, Städte von 1906—1950 . . 118
b) Steuern ... 2.2... 32 | c) Gesamtiiberblick, Arten der
a) Gegenwärtiger Zustand 82 | Schulden und ungefähreVer-
BI Finanzielle Ergebnisse 51 | teilung derSchuldsumme auf
Anhang: Der neue Ge- politische Gemeinde, Orts-
setzentwurf . . . . Bä armenverband und Schulge-
Rückblick aufdie beiden i meinde .. . D m Aw % 119
besprochenen städti- | d) Kritik und Urteil. .... 121
schen Einnahmequel- | Tabellen ..... 2.222020. 123
lei yp 3.08; 2 Ne 68 Erhebungstormulare . . . 2... 149
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burg, 20. Heft, Oldenburg 1886.
Derselbe, Statistische Beschreibung der Gemeinden des Großherzogtums Olden-
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für Sozialpolitik, Band 127, 1. Teil, Leipzig 1910.
Löbe, Handbuch des Königlich Sächsischen Etat-, Kassen- und Rechnungswesens
mit Einschluß der rechnungsmäßigen Staatshaushaltskontrolle, Leipzig 1904.
Derselbe, Der Staatehaushalt des Königreichs Sachsen in seinen verfassungsrecht-
lichen Beziehungen, Leipzig 1906.
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Derselbe, Die Gemeindefinanzstatistik in Deutschland. Schriften des Vereins für
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tistischen Bureaus des Kgl. Sächs. Ministeriums des Innern, Jabrgang 1904.
Petermann, Gemeindevermögen und Gemeindehausbalt der Städte des König-
reichs Sachsen im Jahre 1865. Zeitschritt des Statistischen Bureaus des Kgl.
Sächs. Ministeriums des Innern, Jahrgang 1868.
Pohlmann, Welche Ausgaben sind durch Anleihen zu decken, welche durch
ordentliche Einnahmen? Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 127. Band,
1. Teil, Leipzig 1910.
v. Reitzenstein, Das kommunale Finanzwesen. Schönbergs Handbuch der poli-
tischen Ökonomie, III. Band, 2. Teil, 4. Auflage, Tübingen 1898.
v. Riecke, Die internationale Finanzstatistik, ihre Ziele und Grenzen. Stuttgart
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Statistischen Archiv, Tübingen 1908.
Derselbe, Die finanzstatistische Arbeit in deutschen Städten, erläutert an dem
Material über die Kostensteigerung der höheren Schulen in Barmen. Jahr-
bücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, 33. Band, Jena 1907.
Derselbe, Lindens Entwicklung und die Finanzverhältnisse der Stadtgemeinde in
den Jahren 1885—1907. Eine statistische Denkschrift, Linden 1907.
Silbergleit, Preußens Städte, Berlin 1908.
v. Tzschoppe, Beiträge zur Statistik der Kommunalabgaben in Deutschland.
Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Neue Folge, 10. Band, Jena
1885.
Wächter, Die Vermögensverhältnisse der Städte in den Jahren 1847, 1859 und
1900. Zeitschrift des Kgl. Sächs. Statistischen Bureaus, Jahrgang 1902.
Weigel, Die Gemeindebetriebe der Stadt Leipzig. Schriften des Vereins für
Sozialpolitik, 129. Band, 7. Teil, Leipzig 1909.
Weinlig, Beiträge zur Kenntnis der Vermögensverhältnisse und des Haushalts
der Städte des Königreichs Sachsen. Zeitschrift des Statistischen Bureaus des
Kgl. Sächs. Ministeriums des Innern, Jahrgang 1863.
Zadow, Der außerordentliche Finanzbedarf der Städte, Jena 1909.
Zahn, Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand, München und
Berlin 1911.
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Änderungen im Finanzwesen. Zusammengestellt im Reichsschatzamt. Reichs-
tagsdrucksache; 12. Legislaturperiode, 1. Session 1907/09, Nr. 1035, Berlin 1908.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs.
Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen.
Statistisches Jahrbuch deutscher Städte.
Kommunales Jahrbuch.
Handwörterbuch der Staatswissenschaften.
Wörterbuch der Volkswirtschaft.
Zahlreiche Artikel der Zeitschriften „Finanzarchiv“, „Mitteilungen der Zentral-
stelle des deutschen Städtetages“, „Kommunale Rundschau“, „Kommunale
Praxis“, „Die Kommunalfinanzen“ und „Deutsches Statistisches Zentralblatt‘.
Erstes Kapitel
Allgemeines fiber Finanzstatistik
Die Finanzstatistik ist ein Teil der Verwaltungsstatistik im en-
geren Sinne. Merkmale, Methode und Darstellungsform hat die Fi-
nanzstatistik mit den übrigen Zweigen der Statistik gemeinsam. Ins-
besondere werden die allgemeinen Grundsitze der Statistik, wie die
statistische Methodenlehre und die Lehre von der statistischen Technik,
auch in der Finanzstatistik Anwendung finden miissen. Nach von
Heckel verstehen wir unter Finanzstatistik „die Ermittlung und Dar-
stellung der Tatsachen der Finanzwirtschaft in nach Maß oder Zahl
erkennbarer und vergleichbarer Form“.!) Während es sich aber bei an-
dern Zweigen der Statistik, wie bei der Bevölkerungs- oder der Wirt-
schaftstatistik, um die Beobachtung von Massenerscheinungen handelt,
beruht die Aufgabe der Finanzstatistik in der Ermittlung und Dar-
legung der charakteristischen Gleichartigkeiten und Unterschiede in
der Grestaltung des öffentlichen Finanzwesens, um dessen Zustand und
Entwicklung zu erkennen. Sodann bildet einen wichtigen Bestandteil
der Finanzstatistik die Feststellung der Geldmittel, welche zur Er-
füllung der Aufgaben der öffentlichen Körperschaften nötig sind. Der
Finanzstatistik wird man also eine doppelte Funktion zuerteilen müs-
sen: einerseits soll sie Antwort geben auf die sozialen und politischen
Fragen in Staat und Gemeinde, soweit diese eben finanzwirtschaft-
lichen Charakters sind, anderseits soll sie die verschiedenen Verwal-
tungszweige der öffentlichen Körperschaften hinsichtlich ihrer finan-
ziellen Verhältnisse beleuchten. Das Urmaterial der Finanzstatistik
bieten demnach die Aufzeichnungen der öffentlichen Finanzverwal-
tungen über Einnahmen und Ausgaben, Vermögen und Schulden. Vor-
aussetzung für die Beobachtung dieser finanzstatistischen Daten ist
freilich die Publizität der Finanzangelegenheiten, wie wir sie in un-
sern modernen Verfassungsstaaten in der Regel finden, was aber in
den Zeiten der absoluten Monarchie keineswegs immer der Fall war.
Heute ist durch die Finanzkontrolle der Volksvertretung in Staat und
Gemeinde eine bessere Ausnutzung dieses Materials ermöglicht. Als
1) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Art. „Finanzstatistik“.
Liebers: Die Finanzen 1
2 Erstes Kapitel. Allgemeines über Finanzstatistik
Grundlage kann dabei entweder der Haushaltplan oder nach Ablauf
der Finanzperiode die Schlußrechnung vom Finanzstatistiker benutzt
werden. Jedoch wird man sich, um zu gleichartigen Resultaten zu ge-
langen, stets vorher zu vergewissern haben, welche der beiden genannten
Unterlagen zur Gewinnung des Zahlenmaterials verwendet worden ist,
und die Zahlen der Schlußrechnung werden denen der Voranschläge
stets vorzuziehen sein, da ja an den Voranschlägen des Staates sowolıl
als auch an den Haushaltplänen der Städte jederzeit — natürlich im
ersten Falle mit Zustimmung der Stände, im zweiten nur unter Ge-
nehmigung der Stadtverordneten oder des dem Stadtrate sonst bei-
gegebenen und mitberatenden Organs und der Aufsichtsbehörde —
Änderungen vorgenommen werden können. Endlich wird es noch als
Aufgabe der Finanzstatistik angesehen werden müssen, daß bei den
einzelnen Ergebnissen soweit möglich eine Untersuchung über die Ent-
stehung der Ziffern geboten wird, so daß man nicht nur die bloßen
Resultate erhält, sondern auch Angaben darüber, warum dieselben diese
oder jene Form angenommen haben. Erst wenn beides, Zusammen-
stellung des Zahlenmaterials und Charakterisierung der Quellen des-
selben, vereint wird, erhält man ein ungetrübtes Bild der jeweiligen
Verhältnisse.
Von nicht geringer Bedeutung sind auch in der Finanzstatistik
vergleichende Darstellungen. Zeitlich oder örtlich können solche Ver-
gleichungen vorgenommen werden, indem entweder die Finanzen des-
selben Gemeinwesens zu verschiedenen Zeitpunkten oder die finanz-
statistischen Ergebnisse mehrerer öffentlicher Körperschaften zu der-
selben Zeit oder in verschiedenen Zeitabschnitten einander gegenüber-
gestellt werden, um dabei Gleichartigkeiten und Unterschiede im Fi-
nanzwesen festzustellen. Hierbei ist es freilich von Bedeutung, darauf
zu achten, daB die einzelnen Ergebnisse auch wirklich vergleichbar
sind. Nach Befinden müssen sie erst vergleichbar gemacht werden,
was besonders dann mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, wenn
es sich um Vergleichungen internationaler Verhältnisse handelt. Schon
die Verschiedenheit der Etatsansätze stellt einer Vergleichung der Er-
gebnisse große Schwierigkeiten entgegen, denn während in den Brutto-
etats bei den Einnahmen die Ausgaben für Betrieb, Gewinnung und
Erhebung inbegriffen sind, werden letztere in den Nettoetats in Abzug
gestellt. Ferner sind die Nettoetats oft deshalb schwer miteinander
vergleichbar, weil in den verschiedenen Gemeinwesen die Kosten für
Betrieb der Unternehmungen, Erhebung der Steuern und ähnliches
nie in ganz gleicher Weise berechnet und berücksichtigt werden. Auch
wird vielfach das Prinzip der sogenannten fiskalischen Kasseneinheit
nicht gewahrt, sondern Spezialetats werden hier und da für einzelne
Verwaltungszweige aus dem Hauptfinanzetat ausgeschieden. Alle diese
Umstände können leicht dazu führen, bei Vergleichungen ein nicht
Aufgaben, Methoden und Schwierigkeiten 3
der Wirklichkeit entsprechendes Bild zu bekommen. Zu berücksich-
tigen sind sodann bei finanzstatistischen Vergleichungen die ,,durch-
laufenden Posten“, worunter man jene Zu- und Abgänge zu verstehen
hat, welche die Gestaltung der finanzstatistischen Ergebnisse nicht be-
einflussen können, da sie weder Einnahmen noch Ausgaben sind. In
erster Linie werden hierher zu rechnen sein die Ausgaben, welche ent-
stehen aus dem Betriebe von Unternehmungen und Anstalten, ferner
die Erhebungskosten für Staatseinnahmen, etwaige Kautionen und
ähnliches. Auch ist bei Vergleichung der Finanzverhältnisse einzelner
öffentlicher Körperschaften — seien dies nun Staaten oder Städte —
darauf zu achten, daß man nicht die Finanzen von Gemeinwesen sehr
ungleicher Größe zueinander ins Verhältnis setzt, denn das eine der
beiden Gemeinwesen kann dabei dem andern gegenüber in zu günstigem
oder ungünstigem Lichte erscheinen, da einerseits ein kleiner Verwal-
tungskörper in der Regel einheitlicher entwickelt sein wird als ein
großer, anderseits ein größeres Gemeinwesen bessere Bedingungen für
Beschaffung der nötigen Mittel durch Einkauf im großen oder durch
Kredit erreichen kann als ein kleines. Schließlich muß bei interna-
tionalen statistischen Vergleichen die verschiedenartige Verteilung
der öffentlichen Aufgaben auf Staat und Selbstverwaltungskörper in
Betracht gezogen werden, denn in Ländern, wo der Staat den unter
ihm stehenden Selbstverwaltungskörpern viele Aufgaben überträgt, die
er in andern Ländern selbst übernommen hat, werden durch Verglei-
chungen der Finanzen der Staaten oder der Selbstverwaltungskörper
leicht weit voneinander abweichende Ergebnisse zustande kommen, die
eben nicht miteinander verglichen werden können.
Um nun in der Finanzstatistik zu möglichst vergleichbaren Da-
ten zu gelangen, hat man zu der Anwendung von Reduktionsmitteln
gegriffen. Hierbei sind insbesondere von Bedeutung die Kopfquoten,
die Prozentanteile und die Umrechnungen der Zahlen auf eine ein-
heitliche Münze. Während es sich nun bei den Kopfquoten darum
handelt, zu berechnen, wieviel von einer bestimmten Ziffer des Bud-
gets, etwa des Steuerertrags oder der Staats- und Gemeindeschulden,
auf den Kopf der Bevölkerung entfällt, sollen die Prozentanteile dar-
stellen, wie sich die Zahlenangaben der einzelnen Posten auf die Ge-
samtsumme des bestimmten Kontos verteilen. Sie haben cine erheb-
lichere Bedeutung als die Kopfquoten und sind besonders dann mit
Vorteil zu verwenden, wenn die Ergebnisse der Finanzverwaltung des-
selben Staates oder der gleichen Gemeinde zu verschiedenen Zeitpunk-
ten verglichen werden sollen, wobei freilich auch darauf zu achten
ist, ob nicht in der Finanzverwaltung inzwischen wesentliche Verän-
derungen vorgekommen sind. Bei internationalen Vergleichungen ist
außerdem vor der Berechnung und Vergleichung der Prozentziffern
noch erforderlich, daß die verschiedenen Finanzrechnungen, deren Ver-
1°
A Zweites Kapitel. Finanzstatistik Deutschlands, besonders Sachsens
gleichung stattfinden soll, auf eine einheitliche Form gebracht werden,
welche insbesondere abweichende Einrichtungen gleichmäßig in Grup-
pen zusammenfaßt. Was endlich die Umrechnungen der Zahlen auf
eine einheitliche Münze betrifft, wodurch man die Ziffern unmittelbar
vergleichbar zu machen sucht, so stellen sich auch hierbei allerlei
Schwierigkeiten in den Weg. Denn wenn man, wie dies meist ge-
schehen wird, bei dieser Umrechnung das Münzsystem des eigenen
Landes als Grundlage wählt, so bleibt immer noch zu erwägen, nach
welchen Grundsätzen die Umrechnung erfolgen soll.
Schließlich kommen auch graphische Darstellungen in der Finanz-
statistik mit Erfolg zur Verwendung; insbesondere sind Diagramme,
welche das Anwachsen der (städtischen) Schulden, die Zunahme der
(kommunalen) Steuerlast und ähnliches darstellen, von Bedeutung. Um
also in der Finanzstatistik brauchbare Ergebnisse zu erzielen, ist bei
allen den erwähnten Schwierigkeiten zunächst eine sachgemäße Be-
schränkung erforderlich. Annähernd gute Resultate wird man erhalten,
wenn man die Finanzverhältnisse desselben Gemeinwesens zu verschie-
denen Zeitpunkten vergleicht. Aber auch hier darf man nicht zu weit
gehen und nicht zu viel vergleichen wollen. Bei der internationalen
Finanzstatistik jedoch sind Vergleichungen nur dann möglich, wenn
alle die genannten Bedingungen erfüllt sind, welche zur Erzielung
wirklich vergleichbarer Resultate nötig sind.
Um endlich die methodologische Seite der Finanzstastitik hervor-
zuheben, sei noch erwähnt, daß bei ıhr ebenso wie in den meisten
übrigen Zweigen der Verwaltungsstatistik die Selbstbeobachtung eine
große Rolle spielt. Es werden dabei alle wichtigen Vorgänge auf dem
Gebiete der Verwaltung — was die Finanzstatistik anlangt, speziell
der Finanzverwaltung — genau von den betreffenden Verwaltungs-
behörden registriert und dann von der beigeordneten, bisweilen auch
über den einzelnen Verwaltungsbehörden stehenden statistischen Zen-
tralstelle einheitlich bearbeitet.
Zweites Kapitel
Finanzstatistik Deutschlands unter besonderer Berück-
sichtigung Sachsens
Was die Finanzstatistik in Deutschland betrifft, so haben wir
eine gewisse Dreiteilung zu beachten, und zwar können wir je nach
den verschiedenen statistischen Ämtern, welche Finanzstatistik trei-
ben, unterscheiden: 1. die Reichsfinanzstatistik, welche veröffentlicht
wird vom Kaiserlichen Statistischen Amte zu Berlin, 2. die Finanz-
statistik der Bundesstaaten, welche teilweise zusammengestellt wird in
den statistischen Ämtern derselben, teilweise aber auch vom statisti-
Reich, Bundesstaaten 5
schen Reichsamte direkt bearbeitet wird, und 3. die kommunale Fi-
nanzstatistik, welche entweder in den einzelnen städtischen statistischen
Ämtern oder ın den Landesämtern der betreffenden Bundesstaaten,
bisweilen auch im Reichsamte selbst ihre Bearbeitung findet.
1. Das Reich
Im Deutschen Reiche wurde am 23. Juli 1872 an Stelle des
Zentralbureaus des Zollvereins eine statistische Reichsbehörde, das
„Kaiserliche Statistische Amt“ ins Leben gerufen. Nach der vom
Reichskanzler aufgestellten, heute noch in Geltung befindlichen Ge-
schäftsordnung hat das Amt die Aufgabe:
1. das auf Grund von Gesetzen oder auf Anordnung des Reichs-
kanzlers für die Reichstatistik zu liefernde Material zu sammeln, zu
prüfen, technisch und wissenschaftlich zu bearbeiten und die Ergeb-
nisse geeignetenfalls zu veröffentlichen,
2. auf Anordnung des Reichskanzlers statistische Nachweisungen
aufzustellen und über statistische Fragen gutachtlich zu berichten.
War auch das Arbeitsgebiet des Amtes in der ersten Zeit noch
ziemlich eng begrenzt, so spielte doch die Finanzstatistik schon am
Anfange eine große Rolle. Besonders gingen fortgesetzt Nachweise
über die Ergebnisse der Steuer- und Zollverwaltung ein. So finden
wir noch heute in den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Statistischen
Amtes — „Statistik des Deutschen Reiches“, ,,Vierteljahrshefte zur
Statistik des Deutschen Reiches“, ‚Statistisches Jahrbuch für das
Deutsche Reich“ und ‚Statistisches Handbuch für das Deutsche Reich“
— Angaben aus den verschiedensten Zweigen der Finanzverwaltung,
so besonders über Zoll- und Steuerwesen des Reiches, über das Reichs-
schulden- und -anleihewesen sowie über die Einnahmen und Ausgaben
des Reiches. Doch beziehen sich diese finanzstatistischen Veröffent-
lichungen des Reichsamts nicht nur auf die Finanzen des Reiches,
sondern auch auf diejenigen der Bundesstaaten und Städte.
2. Die Bundesstasten, insbesondere Sachsen
In den deutschen Bundesstaaten, wo es zum Teil selbständige sta-
tistische Ämter gibt, zum Teil aber auch die Statistik in unausgelöster
Weise durch die betreffenden Landesregierungen oder von einem benach-
barten staatlichen statistischen Amte betrieben wird (für Waldeck be-
sorgt z.B. Preußen die Statistik), finden wir ebenfalls eine teilweise
reich entwickelte Finanzstatistik. Als besonders vorbildlich sind hier
Preußen, Bayern, Württemberg und Sachsen zu nennen. In dem letz-
teren Staate wurde bereits 1850 ein statistisches Bureau errichtet, wel-
ches bald nach seiner Begründung die Finanzstatistik mit in das Gebiet
seiner Tätigkeit zog, und die Veröffentlichungen dieses Amtes — Jahr-
6 Drittes Kapitel. Gemeindefinanzstatistik Deutschlands, bes. Sachsena
buch und Zeitschrift — enthalten fast in allen Jahrgängen Zusammen-
stellungen und Aufsätze finanzstatistischen Inhalts. Besonders die Ein-
kommens- und Vermögensstatistik sowie die Statistik des Steuerwesens
haben im sächsischen statistischen Landesamte eine reiche Bearbeitung
gefunden. Teilweise liefern die Bundesstaaten ihr finanzstatistisches
Material unmittelbar an das Reichsamt ab, wo es in einheitlicher Weise
zusammengestellt und bearbeitet wird.
8. Die Städte
Neben dieser finanzstatistischen Tätigkeit des Reiches und der
Bundesstaaten beginnen neuerdings auch die Städte der Finanzstatistik
mehr und mehr Interesse entgegenzubringen. Waren sie schon früher
angehalten, an das statistische Amt des Bundesstaates, dem sie an-
gehörten, oder auch unmittelbar an das Reichsamt statistisches Material
über ihre Finanzwirtschaft einzureichen, um es dort mit den Angaben
andrer Gemeinden einheitlich zusammenstellen und bearbeiten zulassen,
so werden jetzt die Städte mehr und mehr des Wertes der Finanzstati-
stik, besonders der vergleichenden, sich bewußt, und viele Städte haben
in den letzten Jahren selbständige statistische Ämter gegründet oder
wenigstens ihrem Verwaltungsapparate eine statistische Abteilung an-
gegliedert. Wir haben gegenwärtig in Deutschland, abgesehen von den
statistischen Ämtern der Hansestädte, rund vierzig städtische stati-
stische Ämter, davon vier in Sachsen: Chemnitz, Dresden, Leipzig
und Plauenı.V. In dem von Prof. Dr. Neefe, Direktor des Statistischen
Amts der Stadt Breslau, gemeinsam mit andern deutschen Städtestati-
stikern herausgegebenen „Statistischen Jahrbuch deutscher Städte“
wird neben andern Gebieten der Statistik die kommunale Finanzstati-
stik mehr und mehr gepflegt.
Drittes Kapitel
Gemeindefinanzstatistik in Deutschland, namentlich in
Sachsen
1. Allgemeines
Gehen wir nun zur Gemeindefinanzstatistik selbst über, so sollen
zunächst der Begriff, das Wesen, die Bedeutung und die Schwierig-
keiten derselben klargelegt werden. Gemeindefinanzstatistik — sagt
Most in seiner Schrift über Gemeindefinanzen 2. Band, II. Teil „Die
Gemeindefinanzstatistik in Deutschland“ — ist Statistik des Gemeinde-
finanzwesens, wobei er unter Gemeindefinanzwesen versteht „den In-
begriff aller Tatsachen, die sich auf die Einnahme- und Ausgabewirt-
schaft, auf das Vermögens- und Schuldenwesen im weitern Sinne der
Hauptaufgabe, Bedeutung und Zweck 7
Gemeinden schlechthin, im engern Sinne der politischen Gemeinden
insbesondere beziehen“. Die Hauptaufgabe der Gemeindefinanzstati-
stik besteht in der Darstellung und Erläuterung der charakteristischen
Eigentümlichkeiten, der Gleichartigkeiten und Unterschiede in der Ge-
staltung des gemeindlichen Finanzwesens, um dessen Zustand und Ent-
wicklung genauer kennen zu lernen. Sowohl für die Wissenschaft als
auch für die Praxis sind die Ergebnisse der Gemeindefinanzstatistik
von großer Bedeutung. Trefflich gekennzeichnet hat den Wert nicht
nur der Gemeindefinanzstatistik, sondern auch der Finanzstatistik im
allgemeinen von Riecke in seinem Berichte an die permanente Kom-
_ mission des internationalen statistischen Kongresses von 1876, wo er
sagt: „Ohne Finanzstatistik hätten wir kaum eine Finanzwissenschaft ;
gibt doch erst die positive statistisch erfaßte Zahl einen Maßstab für
die jeweilige Bedeutung, sowohl für die Gesamtheit, wie für die Ein-
zelheiten der kommunalen Finanzgebahrung.*‘ Aber auch für die Pra-
xis hat die Gemeindefinanzstatistik erhebliche Bedeutung, und zwar in
doppelter Beziehung: Zweifellos hat einerseits die Gesamtheit der Ge-
meindemitglieder, die durch Abgaben den größten Teil der zur Durch-
führung der kommunalen Aufgaben nötigen Mittel direkt oder in-
direkt aufbringen müssen, das Recht, nähere Angaben über die Ver-
wendung dieser Gelder zu erhalten. Anderseits hat auch die Gemeinde-
verwaltung selbst Vorteile von einer gut durchgeführten Gemeinde-
finanzstatistik; läßt sich doch aus ihr erkennen, ob ein bestimmtes
finanzielles Unternehmen jenen Verlauf genommen hat, wie man einst
bei seiner Errichtung gewünscht hatte. Unmittelbar praktischen Ver-
waltungszwecken aber kann die Gemeindefinanzstatistik dadurch die-
nen, daß man durch sie Urteile gewinnt über finanzielle Momente und
Zustände auf dem Gebiete des Gemeindewesens. Bei Aufstellung der
Haushaltpläne werden die künftigen Einnahmen und Ausgaben der
betreffenden öffentlichen Körperschaften um so sicherer und genauer
geschätzt werden können, je mehr man sich dabei auf die finanzsta-
tistischen Angaben aus früheren Zeiten oder auf solche von andern
ähnlich zusammengesetzten öffentlichen Gemeinwesen stützen kann.
Dasselbe gilt für die Berechnung des zukünftigen Vermögens- und
Schuldenstandes. Endlich ist noch hervorzuheben, daß auch für den
Staat als beaufsichtigendes Organ der gesamten Gemeindepolitik eine
exakt durchgebildete Gemeindefinanzstatistik von großer Wichtigkeit
ist. Bei Gemeindeverfassungsreformen, besonders solchen finanzwirt-
schaftlichen Charakters, ist man vor störendem Experimentieren ge-
schützt, wenn zu deren Beratung und Festsetzung die Gemeinde-
finanzstatistik hinzugezogen wird. Namentlich aber beim Aufsichts-
rechte des Staates, welches dieser den Gemeinden gegenüber auf vielen
Gebieten, in erster Linie bezüglich des kommunalen Finanzwesens aus-
übt, kann diese Aufgabe der betreffenden Behörde bedeutend erleich-
8 Drittes Kapitel. Gemeindefinanzstatistik Deutschlands, bes. Sachsens
lert werden, wenn die Gemeinden über eine gute Gemeindefinanz-
statistik verfügen. Was die Schwierigkeiten der Gemeindefinanzsta-
tistik, besonders der vergleichenden, anlangt, so sind dies dieselben,
die schon im ersten Abschnitte hinsichtlich der allgemeinen Finanzsta-
tistik gezeigt worden sind. Zusammenstellung und Vergleichung nur
wirklich vergleichbarer Zahlen wird auch in der Gemeindefinanzsta-
tistik als oberster Grundsatz gelten müssen.
2. Bisherige Leistungen
Werfen wir nun einen Blick auf die bisherigen Leistungen der
Gemeindefinanzstatistik ın Deutschland, so können wir diese in vier
große Gruppen teilen: 1. Leistungen des Reiches, 2. solche der Bundes-
staaten, 3. solche der Städte und 4. solche von Privaten. Was die Ge-
meindefinanzstatistik des Reiches betrifft, so haben wir nur eine, aller-
dings sehr umfangreiche Erhebung des Gemeindefinanzwesens, welche
im Jahre 1908 von dem zur Vorbereitung der Reichsfinanzreform ins
Leben gerufenen volkswirtschaftlichen Bureau des Reichsschatzamts
durchgeführt wurde, um dadurch Stoff für die Darstellung des öffent-
lichen Finanzwesens zu gewinnen. Niedergelegt worden sind diese
Erhebungsergebnisse in dem umfangreichen ,,Denkschriftenbande zur
Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend Änderungen im
Finanzwesen‘.!) Leider ist diese außerordentlich vielseitige Darstel-
lung teilweise mißlungen, besonders deshalb, weil ungeachtet der gro-
Ben methodischen Schwierigkeiten einer guten Finanzstatistik diese
Erhebung überstürzt durchgeführt und nicht kritisch verarbeitet wor-
den ist. Die Finanzen sämtlicher deutscher Städte und Landgemein-
den mit mehr als 10000 Einwohnern umfaßte die genannte stati-
stische Aufnahme. Man begnügte sich auch nicht nur mit einem Stich-
jahre, sondern suchte die gesamte Entwicklung des Gemeindefinanz-
wesens im Deutschen Reiche seit 1881 zu erfassen. Obwohl es hierbei
dringend notwendig gewesen wäre, das eingegangene Material kritisch
zu betrachten und einer genauen Prüfung zu unterziehen — denn es
war z. B. jeder Gemeinde überlassen, ob sie den Brutto- oder den Netto-
etat ihren Angaben zugrunde legen wollte, ob sie Ordinarium und Ex-
traordınarıum miteinander vermischen mochte oder nicht —, wurde
doch trotz dieser mangelhaften, rein formellen und kritiklosen Zusam-
menstellung der Zahlen, wie in der Denkschrift besonders hervorge-
hoben wird, von einer Nachprüfung mangels ausreichender Zeit und
wegen ungenügender Kontrollmittel grundsätzlich Abstand genommen.
So sind denn hierbei die Angaben für die einzelnen Gemeinden nicht
untereinander vergleichbar, was als ein großer Mangel der gesamten
Erhebung zu betrachten ist.
1) Reichstagsdrucksache, 12. Legislaturperiode, 1. Session 1907/09, Nr. 1085.
Leistungen des Reichs und der Bundesstaaten 9
Was sodann die kommunalfinanzstatistischen Versuche der Lan-
desstatistik in den einzelnen Bundesstaaten betrifft, so reichen diese
bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zuriick und haben teilweise
recht gute Ergebnisse geliefert. In Sachsen hatten die Städte bereits
nach § 35 der Städteordnung vom 2. Februar 1832 die Pflicht, „jähr-
lich eine Abschrift des auf übersichtliche Art zu fertigenden Rech-
nungsauszuges über das Stadtvermögen und des städtischen Haushalt-
planes zur Nachricht einzusenden, um die Regierungsbehörde in der
zur Oberaufsicht notwendigen ununterbrochenen Kenntnis des Ver-
mögenszustandes jeder ihr untergebenen Stadtgemeinde zu erhalten“.
Diese Bestimmung ist jedoch in die Revidierte Städteordnung und in
die Städteordnung für mittlere und kleine Städte vom 24. Aprıl 1873
nicht aufgenommen worden, so daß heute auf Grund eines „Gesetzes“
keine alljährliche Einreichung der Haushaltpläne an die vorgesetzte
Aufsichtsbehörde stattfindet, sondern lediglich auf Grund von General-
verordnungen der letzteren. Dagegen wurde durch Ministerialverord-
nung vom 2. Januar 1851 die heute noch in Geltung befindliche
Vorschrift erlassen, daß von jeder Stadt (späterhin auch von jeder
Landgemeinde mit mehr als 2000 Einwohnern) für ausgesprochen
statistische Zwecke eine ,,Verfassungs- und Vermögensübersicht‘‘ nach
vorgeschriebenem Formular einzureichen sei. Freilich ist sowohl das
Material aus den gemäß der Städteordnung gelieferten Übersichten als
auch dasjenige der erwähnten Verfassungs- und Vermögensübersichten
nur spärlich, zum Teil gar nicht verarbeitet worden. Erst 1863 er-
folgte zum ersten Male eine Verwertung dieses statistischen Materials
unter Zugrundelegung der Zahlen von 1847 und 1859.1) Aber trotz
anerkennenswerter kritischer Stellung in der textlichen Bearbeitung
war das Ergebnis nicht recht befriedigend infolge der verschiedenen
Auslegung, welche das betreffende Schema gefunden hatte. Eine zweite
Bearbeitung der so gestalteten Jahresübersichten für das Jahr 1865,
die im Jahre 1868 veröffentlicht wurde?), litt an denselben Mängeln.
Nach mannigfachen Bearbeitungen der ,,Verfassungs- und Vermögens-
übersichten‘ seitens des Statistischen Bureaus (seit 1876), welche be-
sonders wegen des inzwischen unzulänglich gewordenen und längst ver-
alteten Formulars der statistischen Genauigkeit entbehrten und daher
keine guten Ergebnisse erzielen konnten, gelang es erst im Jahre 1894
den Bemühungen des Königlichen Statistischen Bureaus, durch Ver-
ordnung des Ministeriums des Innern vom 20. Januar 1894 ein neues
Formular für die alljährlich einzureichenden Übersichten der städti-
1) Zeitschr. der Königl. Sächs. Stat. Bureaus 1863: Weinlich, Beitr. zur
Kenntnis der Vermögensverhältnisse u. d. Haushaltes der Städte des Königreichs
Sachsen.
2) Zeitschr. der Königl. Sächs. Stat. Bureaus 1868: Petermann, Gemeinde-
vermögen und Gemeindehaushalt der Städte des Königr. Sachsen im Jahre 1865.
10 Drittes Kapitel. Gemeindefinanzstatistik Deutschlands, bes. Sachsens
schen Verfassungs- und Vermögensverhältnisse zur Einführung zu brin-
gen. Ein großer Vorzug dieses neuen Vordrucks lag darin, daß ihm
eine sorgfältig ausgearbeitete Anleitung und eine gute Probeausfül-
lung beigegeben wurde. Freilich aber waren Ordinarium und Extra-
ordinarium weder in Einnahme noch in Ausgabe geschieden. Ebenso
fehlte eine Vorschrift für die Behandlung der durchlaufenden Posten
und eine solche für die Berechnung des Wertes von Immobilien. Die
Bearbeitung des Zahlenmaterials dieser Jahresübersichten erfolgte erst-
malig für das Jahr 1893 durch Rudolf Martin, der freilich nach der
Ansicht. von Most dem Material mit etwas wenig Kritik gegenüber-
stand.!) Die nächstfolgende Ausnutzung der Übersichten für 1896
beschränkte sich lediglich auf die Vermögensverhältnisse der Städte
und gab fast nur Ziffern, ohne daß diese in einem beigegebenen Texte
kritisch besprochen worden wären. Im Hinblicke auf die geplante
Gemeindesteuerreform des Jahres 1904 wurde sodann eine Sonder-
erhebung über die Gemeindesteuern sowie über die Einnahmen und
Ausgaben der Städte und 66 als typisch ausgewählter Landgemeinden
mit mehr als 2000 Einwohnern veröffentlicht. Dieser Erhebung wur-
den die Jahre 1899—1901 zugrunde gelegt. Aber bei der sich wie-
derum geltend machenden Verschiedenheit des Gemeinderechnungswe-
sens konnten auch die Ergebnisse dieser letzteren Erhebung keine ge-
nügende Grundlage für eine allgemein vergleichende Statistik bieten.?)
Immerhin konnten einige wertvolle Übersichten über den Betrag, aller-
dings in nicht ganz vollständiger Weise, und die Verwendung der Ge-
meindeschulden, ferner über die Überschüsse und Zuschüsse der ge-
meindlichen Gewerbebetriebe sowie schließlich über die Einnahmen
und Ausgaben der Armenkasse aufgestellt und veröffentlicht werden 3)
Seitdem sind, abgesehen von einigen knappen, lediglich tabellarischen
Übersichten $+), die gelegentlich und nur beiläufig veröffentlicht wur-
den, von dem steuerstatistischen Material, das sich mehrfach in den
Drucksachen des Landtags findet5), keine weitern Veröffentlichungen
1) Zeitschr. der Königl. Sächs. Stat. Bureaus 1897, Beil. zu Heft 8 und 4:
Martin, Gemeindevermögen und Gemeindehaushalt der Städte Sachsens.
2) Zeitschr. d. Königl. Sächs. Statist. Bureaus 1908: Oppe, Die Gemeinde-
steuern im Königreich Sachsen 1899—1901. |
8) Zeitschr. d. Königl. Sächs. Stat. Buresus 1904: Oppe, Aus dem Finanz-
wesen der sächsischen Gemeinden.
4) Zeitschr. d. Königl. Sächs. Stat. Bureaus 1902: Wächter, Die sächsischen
Städte im 19. Jahrhundert, bes. Tabelle „über die Vermögensverhältnisse der Städte
in den Jahren 1847, 1859 und 1900“. Stat. Jahrb. f. d. Königr. Sachsen 1901, vgl.
Stat. der Stadt- und größeren Landgemeinden. Ebenda 1905: Gemeindesteuern
im Jahre 1901.
5) Landtagsakten 1901/02, Bd. 3. Denkschr., die Regelung des Gemeinde-
steuerwesens betr. Ebenda Bd. 3. Bericht der Gesetzgebungsdeputation der
2. Kammer über das Königl. Dekret Nr. 29, die Neuordnung des Gemeindesteuer-
wesens betr. Ebenda 1903/04, Bd.3. Denkschr., das Gemeindeabgabewesen betr.
Leistungen des Reichs und der Bundesstaaten 11
des Statistischen Landesamts über das siichsische Gemeindefinanzwesen
erfolgt. Erwähnenswert ist nur noch, daß 1908 eine Neuredigierung
der Vordrucke, welche gegenwärtig den Titel „Vermögens- und Rech-
nungsübersichten‘ tragen, stattgefunden hat. Diese neuen Vordrucke
zeichnen sich vor allem durch gutgefaßte Erläuterungen und Muster-
einträge aus. Für die politische Gemeinde, den Ortsarmenverband und
die Schulgemeinde — Organisationen, die in Sachsen ja scharf von-
einander geschieden sind — wird je eine Vermögensübersicht sowohl
des Aktiv- als auch des Passivvermögens sowie je eine Übersicht der
Einnahmen und Ausgaben verlangt. Die Spezialisierung geht dabei
ziemlich weit, was besonders für die Gewinnung vergleichbarer Zif-
fern von Vorteil ist. Ganz einwandfrei sind freilich diese Vordrucke
noch nicht. Eine besonders schwache Seite derselben zeigt sich hin-
sichtlich der Erhebung des Aktivvermögens. Zwar hat man zum Teil
Bewertungsmaßstäbe festgelegt, leider fehlen aber solche bisweilen noch
gänzlich, so z. B. hinsichtlich des Immobiliarvermögens. Die Frage, ob
alle festgestezten Bewertungsmaßstäbe den Anforderungen einer guten
Finanzstatistik entsprechen, ist vielleicht auch nicht ohne weiteres zu
bejahen. Es sollen z. B. für Gebäude die Brandversicherungssummen
als Maßstab der Einschätzung gelten, dieselben werden aber kaum
den tatsächlichen Verhältnissen immer entsprechen. Auch die Aktiv-
und Passivvermögensnachweisungen sind nicht recht vergleichbar, da
zwar Einnahmereste als Vermögensteile mitgeführt werden, Ausgabe-
reste dagegen nicht. Hinsichtlich des Vordrucks, betreffend die Ein-
nahmen und Ausgaben, ist anzuerkennen, daß jetzt darin die sogenann-
ten „durchlaufenden Posten“ genau festgestellt werden, da, wenn dies
nicht geschieht, „der wirkliche Umfang des Haushaltes im ganzen
und bei den einzelnen Gegenständen nicht erkannt werden kann“, wie
es in den Erläuterungen zu den Vordrucken sehr richtig heißt.
Eine Scheidung in ordentliche und außerordentliche Einnahmen und
Ausgaben findet zweckmäßigerweise statt. Werden also die wenigen
angedeuteten Mängel noch beseitigt und wird dann der Stoff mit
gleicher Sorgfalt bearbeitet, wie dies bisher schon geschehen ist, so
werden von der sächsischen Gemeindefinanzstatistik Erfolge zu er-
hoffen sein, wie sie noch von keinem andern deutschen Bundesstaate
erreicht worden sind.
Was die übrigen deutschen Bundesstaaten betrifft, so haben außer
Sachsen nur Bayern, Württemberg, Baden, Oldenburg, Hessen, Sach-
sen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Gotha und Elsaß-
Lothringen regelmäßig wiederkehrende Erhebungen durchgeführt. Be-
merkenswert ist, daß unser größter deutscher Bundesstaat Preußen es
noch nicht zu regelmäßigen Aufnahmen des Gemeindefinanzwesens
gebracht hat, sondern daß wir hier nur einzelne Erhebungen vorfinden,
wenn diese auch bisweilen ganz ansehnliche Leistungen darstellen, was
12 Drittes Kapitel. Gemeindefinanzstatistik Deutschlands, bes. Sachsens
insbesondere der unermüdlichen Tätigkeit Herrfurths zu danken ist.
Am weitesten reicht die kommunale Finanzstatistik in Württemberg
(1816) und Bayern (1818) zurück, in welchen beiden Staaten schon
im zweiten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts Ansätze zu sich regel-
mäßig wiederholenden statistischen Aufnahmen des Gemeindefinanz-
wesens sich finden. Erlitten diese Erhebungen auch zeitweise in beiden
Staaten erhebliche Unterbrechungen, so sind sie doch immer wieder
von neuem aufgenommen worden und gehören jetzt mit zu den an-
sehnlichsten Leistungen auf diesem Gebiete. Aber während in Bayern
Georg von Mayr dafür sorgte, daß der ersten dortigen gemeindefinanz-
statistischen Aufnahme immer neue folgten, besitzt Württemberg
eigentlich nur eine eingehende gemeindefinanzstatistische Arbeit, und
diese ist längst veraltet, da sie bereits im Jahre 1870 erschienen ist. Die
übrigen württembergischen Veröffentlichungen, welche die Gemeinde-
finanzstatistik betreffen, sind wesentlich geringeren Umfangs und be-
fassen sich in der Hauptsache nur mit steuerlichen Verhältnissen. In
Baden wurden die Bemühungen zur Erreichung einer vergleichenden
Gemeindefinanzstatistik ähnlich wie ın Bayern dadurch “erleichtert,
daß schon frühe genaue Bestimmungen über die Bewertungsmethoden
für die einzelnen Vermögensgegenstände der Gemeinden ergangen sind,
die freilich teilweise auch noch manches zu wünschen übrig lassen.
Ähnlich wie in Bayern und Baden ist die Gemeindefinanzstatistik in
Oldenburg beschaffen. Schon seit Gründung des dortigen landessta-
tistischen Bureaus (1854) besteht die Verpflichtung der Gemeinden,
der Staatsregierung alljährlich nach vorgeschriebenem Formular Rech-
nungsauszüge einzureichen, seit 1870 außerdem noch jedes fünfte Jahr
Nachweise über Vermögen und Schulden. Hier in Oldenburg haben wir
eine der bemerkenswertesten Arbeiten der deutschen Gemeindefinanz-
statistik, nämlich die Bearbeitung der kommunalfinanzstatistischen
Jahresnachweisungen für 1873—1882 ın dem großen Werke Koll-
manns, das sich ebenso durch Umfänglichkeit des Planes als durch
gründliche Durcharbeitung des Materials auszeichnet.!) Außerdem fin-
den wir in den vom gleichen Verfasser herausgegebenen statistischen
Beschreibungen der Gemeinden des Großherzogtums Oldenburg finanz-
statistische Ergebnisse veröffentlicht. Im Großherzogtume Hessen
haben wir seit 1869 gemeindefinanzstatistische Erhebungen über den
Schulden- und Vermögensstand der Gemeinden, seit 1875 auch solche
über Gemeindesteuern. Nachdem anfänglich die Ziffern nur für Kreise,
Provinzen und das gesamte Großherzogtum zusammengestellt worden
waren, finden sich jetzt auch Einzelangaben für die fünf größern
Städte: Darmstadt, Offenfach, Gießen, Mainz und Worms.. In Sach-
1) Kollmann, Das Finanzwesen der oldenburgischen Kommunalverbände
in den Jahren 1878—1882. Stat. Nachrichten über das Großherzogtum Oldenburg,
20. Heft, Oldenburg 1886.
Weitere bundesstaatliche Leistungen 13
sen-Weimar-Eisenach gehört die Finanzstatistik lediglich der Ge-
schichto an. Nachdem für die Jahre 1859, 1861 und 1864 die Ver-
mögensverhältnisse sowie die Einnahmen und Ausgaben der großher-
zoglich sächsischen Gemeinden bearbeitet worden waren, was aber nicht
recht vollständig gelang, ist das gemeindefinanzstatistische Interesse
hier völlig versiegt. Vielleicht mag dies damit zusammenhängen, daß,
während früher im großherzoglichen Staatsministerium selbst spezi-
fisch statistische Arbeiten gepflegt und auch Veröffentlichungen ver-
anlaßt wurden, in der neuern Zeit beides dem Statistischen Bureau
Vereinigter Thüringischer Staaten völlig überlassen worden ist, das
aber bisher auf dem Gebiete der Gemeindefinanzstatistik noch nichts
ın Angriff genommen hat. In Elsaß-Lothringen haben wir seit 1870
finanzstatistische Erhebungen besonders über das Schuldenwesen so-
wie über die Einnahmen und Ausgaben der dortigen Gemeinden. Doch
sind diese Angaben äußerst summarisch, da abgesehen von den Stadt-
kreisen Straßburg und Metz eine Hervorhebung der einzelnen Ge-
meinden nicht stattfindet, so sehr sich dies auch, wenigstens für die
größern Städte, empfehlen möchte.
Unter den noch nicht erwähnten Bundesstaaten steht an erster
Stelle das Herzogtum Sachsen-Meiningen, wo schon seit 1865 in fast
unveränderter Form alljährlich in der „Statistik des Herzogtums Sach-
sen-Meiningen‘“, die als Beilage zum Regierungsblatte erscheint, für
die Städte einzeln, für die Landgemeinden dagegen nach Kreisen zu-
sammengefaßt finanzstatistische Mitteilungen gemacht werden. Most
behauptet freilich, daß diese in keiner Weise ausreichten, um ein voll-
ständiges Bild des dortigen Gemeindefinanzwesens zu erlangen. Etwas
eingehender ist die jährliche ,,Nachweisung der Einnahmen und Aus-
gaben der Gemeinden des Großherzogtums Sachsen-Gotha nach den
Gemeinderechnungen“. Doch enthalten diese Veröffentlichungen rein
tabellarisches Zahlenmaterial ohne jeden erläuternden Text.
Auch im Herzogtum Sachsen- Koburg sind über die Einnahmen
und Ausgaben der Gemeinden Zusammenstellungen beim Statistischen
Bureau des herzoglichen Staatsministeriums vorhanden, bis jetzt aber
noch nicht veröffentlicht worden. Nur geringe Ausbeute bieten die
Herzogtümer Sachsen-Altenburg und Braunschweig. Im erstern Staate
ist nur einmal der Totalbestand der Schulden der Gemeinden am
Schlusse der beiden Jahre 1877 und 1878 zusammengestellt worden,
und in Braunschweig liegt lediglich eine Monographie vom Jahre 1885
vor, die das Finanzwesen der Landgemeinden des Kreises Holzminden
ın den Jahren 1876—1880 behandelt. Die übrigen Bundesstaaten
— abgesehen von den Hansastädten, die wegen ihrer eigenartigen Ver-
fassungsorganisation für diesen Zweig der Kommunalstatistik nicht
in Betracht kommen — weisen keinerlei gemeindefinanzstatistische
Versuche auf; es sind dies die Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin
14 Drittes Kapitel. Gemeindefinanzstatistik Deutschlands, bes. Sachsens
und Mecklenburg-Strelitz, das Herzogtum Anhalt und die sieben Für-
stentümer.
Fassen wir die Ergebnisse der Gemeindefinanzstatistik in den
26 deutschen Bundesstaaten kurz zusammen, so haben, wenn man von
den Fürstentümern und den Hansestädten absieht, von den verbleiben-
den 16 deutschen Bundesstaaten einschließlich des Reichslandes nicht
weniger als 13 gemeindefinanzstatistische Leistungen aufzuweisen, dar-
unter neun mit noch heute regelmäßig wiederkehrenden Erhebungen.
Freilich befinden sich unter diesen 13 Staaten auch einige, bei denen
nach dem Urteile Mosts die gemeindefinanzstatistische Produktion le-
diglich vergangnen Zeiten angehört oder doch nur höchst spärliche
Früchte hervorgebracht hat. Jedenfalls ist aber in den bestehenden
Ergebnissen trotz aller nötigen Kritik doch eine brauchbare Unter-
lage gegeben für den Weiterbau einer vergleichenden Gemeindefinanz-
statistik.
Was ferner die Leistungen einzelner Städte auf dem Gebiete der kom-
munalen Finanzstatistik betrifft, so sind selbstverständlich diegemeind-
lichen statistischen Ämter als die berufensten Träger der von den Städten
selbst betriebenen Statistik anzusehen und in den Vordergrund getreten.
Es ist ja auch nicht zu verwundern, daß gerade von dieser Seite her der
statistischen Erfassung des kommunalen Finanzwesens stets besonders
großes Interesse entgegengebracht worden ist. Freilich ist es unan-
gängig, alle diese Leistungen hier einzeln auch nur aufzählen zu wollen,
sondern nur ein Teil kommt für uns in Betracht. Enthalten doch alle
die städtischen jährlichen Verwaltungsberichte, ebenso die neuerdings
vielfach in Aufnahme gekommenen städtischen statistischen Jahr-
bücher eine Fülle finanzstatistischen Stoffes. Indessen haben diese
kommunalfinanzstatistischen Zusammenstellungen meist nur cine ein-
zige Stadt im Auge und verzichten auf eine interlokale Vergleichung,
was allerdings auch nicht als unmittelbare Aufgabe dieser Veröffent-
lichungen angesehen werden kann. Mehr schon ist zu erwarten von den
Veröffentlichungen einzelner Städte, welche Rechenschaftsberichte über
einen größeren Zeitraum hinaus enthalten. So haben Altona, Breslau,
Elberfeld und Essen neben noch manchen andern auf einen längern
Zeitraum sich erstreckenden Finanzberichten besonders wertvolle der-
artige Zusammenstellungen gemacht. Ferner sind noch die Arbeiten
von Leipzig (Hasse), Wiesbaden (Rahlson) und Linden (Seutemann)
zu nennen als Versuche, das Gesamtgefüge der gemeindlichen Finanzen
oder doch wenigstens der Einnahmen und Ausgaben in bestimmten
Zeitabschnitten darzustellen. Endlich ist eine der besten kommunal-
finanzstatistischen Leistungen auf dem Gebiete der vergleichenden Sta-
tistik die Publikation: „Beiträge zur Finanzstatistik der Stadt Berlin
und der benachbarten Gemeinden“, die das statistische Amt der Reichs-
hauptstadt im Jahre 1906 herausgegeben hat. Was nun unsre säch-
Finanzstatistische Leistungen einzelner Städte und solche von Privaten 15
sischen Städte betrifft, so sind hier Leipzig und Dresden zu nennen.
Finanzstatistische Erörterungen für Leipzig befinden sich in dem aus
dem Jahre 1886 stammenden Berichte des frühern Oberbiirgermeistere
Georgi, „Die Aufnahme der Vorstadtdörfer in den Stadtbezirk Leipzig
betreffend“. Dieser Bericht enthält eine Vergleichung der Haushalt-
pläne von 27 Gemeinden. Ferner hat Ernst Hasse, der langjährige
Leiter des Leipziger statistischen Amts, auf Grund eingehender Ver-
gleichung der Bevölkerung sowie der Staats- und Gemeindesteuerver-
hältnisse ein scharfes Bild der Steuerkraft einerseits Leipzigs selbst,
andrerseits der in vier konzentrische Kreise gruppierten Vororte ge-
geben. Für Dresden sind auf unserm Gebiete besonders wichtig die
Arbeiten von Jannasch und Edelmann.!) Der letztere zeigt besonders
an der Hand eines reichen Tabellenmaterials die Unterschiede in den
Wirkungen der 1886 in Dresden eingeführten Gemeindeeinkommen-
steuer gegenüber der gleichzeitig teilweise beseitigten Grund- und Miet-
steuer auf den Haushalt der verschiedenen nach Einkommenklassen
gruppierten Steuerzahler. Schließlich sei noch erwähnt, daß sich ver-
gleichende Zusammenstellungen für das Gemeindesteuerwesen außer-
ordentlich häufig finden. In Dortmund, Elberfeld, Freiburg i. B.,
München und Posen gehören solche Arbeiten seit einigen Jahren zu
den regelmäßigen Veröffentlichungen der dortigen statistischen Ämter.
Bisweilen sind auch einzelne Zweige des Gemeindewesens, wie Ge-
meindebetriebe, Anleihen und ähnliches, finanzstatistisch erfaßt wor-
den. In neuerer Zeit haben sich vielfach Gemeinden zu größern Ver-
bänden, sogenannten ‚„Städtetagen‘‘, zusammengeschlossen, um gemein-
sam auch die Bearbeitung des finanzstatistischen Materials vorzu-
nehmen, was besonders für die vergleichende Gemeindefinanzstatistik
von Wichtigkeit ist. Namentlich ist hier zu nennen der Verband Deut-
scher Städtestatistiker, der in seinem von Neefe herausgegebenen ,,Sta-
tistischen Jahrbuch Deutscher Städte‘ alljährlich auch einzelne Zweige
des Gemeindefinanzwesens statistisch beleuchtet.
Endlich sind an vierter Stelle noch zu nennen die zahlreichen
Untersuchungen über das Finanzwesen einzelner oder mehrerer Städte,
welche von Privaten veröffentlicht worden sind. Selbst wenn man von
den Zeitschriften, welche des öftern Abhandlungen über diese Fragen
` bringen (Kommunale Praxis, Kommunale Rundschau, Die Kommunal-
finanzen, Finanzarchiv, Deutsches Statistisches Zentralblatt usw.),
ganz absehen wollte, wäre es doch noch unmöglich, alle diese Publi-
kationen auch nur aufzuzählen, geschweige denn zu besprechen; nur die
1) Mittel des Stat. Bureaus der Stadt Dresden 1875, Heft 1: Jannasch,
Die indirekten Steuern der Stadt Dresden. — Edelmann, Denkschrift über den
Einfluß der Einkommensteuererhebung auf die Verteilung der Abgabenlast in
Dresden, Dresden 1889. Zur Statistik der Einkommensteuer, Mitteilungen des
Stat. Amtes der Stadt Dresden, 4. Jahrg., 1894. |
16 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
hauptsächlichsten sollen daher hier kurz erwähnt werden. An erster
Stelle ist zu nennen die vortreffliche, allerdings keine deutsche Stadt
betreffende Darstellung von „Basels Staatseinnahmen und Steuer-
verteilung 1878—1888“ von Bücher; sodann kommen die zahlreichen
Schriften von Most, so „Die Anleiheaufnahme der größern deutschen
Städte im Jahrzehnt 1897—1907“, „Die Gemeindebetriebe der Stadt
Düsseldorf“ und ,,Die Schuldenwirtschaft deutscher Städte“, in Be-
tracht. Ferner sci gleich an dieser Stelle der zahlreichen Artikel über
Gemeindebetriebe einzelner Städte und Einzelfragen der gemeindlichen
Finanzpolitik gedacht, welche in den „Schriften des Vereins für Sozial-
politik‘ enthalten sind. Am Schlusse sei noch erwähnt das grundlegende
Werk über „Die Kommunalfinanzen“, welches von Kaufmann heraus-
gegeben hat und das in zwei Bänden die kommunalen Finanzverhält-
nisse Großbritanniens, Frankreichs und Preußens darstellt.
Viertes Kapitel
Besprechung der neusten Ergebnisse an der Hand der
Tabellen `
Allgemeine Einleitung
a) Über die Organisation der sächsischen Gemeinden
Die Anfänge der gesetzlichen Grundlagen, auf denen gegenwärtig
die Verfassung der sächsischen Gemeinden, insbesondere der Stadt-
gemeinden beruht, reichen etwa in das Jahr 1830 zurück. In diesem
Jahre stellte im Landtage ein Mitglied der Ritterschaft, der nach-
malige Minister von Wietersheim, den Antrag auf Erlaß einer allge-
meinen Städteordnung. Nach mannigfachen Kommissionsverhandlun-
gen und Beratungen von Vertretern einzelner Städte wurde am 1. März
1831 den Ständen neben den Gesetzentwürfen für eine Verfassungs-
urkunde und ein Ablösungsgesetz auch ein solcher für eine Städte-
ordnung vorgelegt. Trotz des Widerstandes der Deputierten der Stadt-
räte gelangte diese Städteordnung zur Annahme. Das Gesetz, die Publi-
kation und Einführung der Allgemeinen Städteordnung betreffend,
vom 2. Februar 1832 bezeichnete als Zweck der Städteordnung, das
gesamte sächsische Städtewesen ,,zu einer solchen Selbständigkeit und
tunlichsten Gleichförmigkeit hinzuführen, vermöge welcher die Stadt-
gemeinden und die ihnen vorgesetzten städtischen Obrigkeiten in den
Stand gesetzt werden sollten, ohne ein häufiges und zu sehr in das Ein-
zelno gehende Einschreiten der höhern Behörden die besondern An-
gelegenheiten ihrer Kommunen in einem durch das Gesetz selbst ge-
regelten Geschäftsgange zu besorgen und ihr eignes Gemeinwohl zu-
Besprechung der siichsischen Gemeindeordnungen 17
gleich im Sinne des gesamten Staatszweckes und im Einklange mit
dem letztern zu fördern. Der Regierung verbleibt nach dem Geiste und
Zwecke dieser Städteordnung das Recht der Oberaufsicht, um die Stadt-
gemeinde selbst, ihre Mitglieder und Angehörigen gegen die Nachteile
einer mißbräuchlichen Verwaltung des Gemeindegutes sicherzustellen,
und das Recht der obersten Leitung der städtischen Angelegenheiten im
allgemeinen, um, wo es die Verfassung gebietet, in Übereinstimmung
mit der Landesversammlung auch gleichzeitig dahin zu wirken, daß
die von den Stadtgemeinden und ihren Vertretern verfolgten Zwecke
mit dem allgemeinen Interesse des Staates und der Staatsbürger nicht
in Widerspruch geraten, vielmehr jederzeit mit demselben in Überein-
stimmung und, wo nötig, demselben untergeordnet erhalten werden.“
Dabei wurde den kleinern Städten, „deren Verhältnisse eine Anwendung
aller Bestimmungen der Städteordnung nicht wohl zulasse‘, gestattet,
mit Genehmigung der Regierung ihre bisherige Verfassung bis zum
Erscheinen der künftig zu erlassenden Landgemeindeordnung beizube-
halten. Nachdem am 7. November 1838 die in Aussicht gestellte Land-
gemeindeordnung gegeben worden war, wurde durch ein Gesetz von
demselben Tage den kleinern Städten aufgegeben, sich binnen bestimm-
ter Frist darüber zu erklären, ob sie statt der Städteordnung die Land-
gemeindeordnung annehmen wollten. Bis zu ihrer allgemeinen Revision
im Jahre 1873 hat diese Städteordnung Geltung gehabt und sich vor-
trefflich bewährt. Durch die im Laufe der Zeit immer unabweislicher
gewordene Weiterbildung der gesamten Verwaltungsorganisation der
Gemeinden hatten sich aber verschiedene Mängel herausgestellt, und
man ging an eine Revision der Gemeindeordnungen. Die Regierung
legte daher bereits im Jahre 1872 dem Landtage drei Gesetzentwiirfe
vor, nämlich eine revidierte Städteordnung, eine Städteordnung für
mittlere und kleine Städte und eine revidierte Landgemeindeordnung,
die nach Vornahme verschiedener Abänderungen die Genehmigung von
seiten der Kammern der Ständeversammlung fanden und — sämtlich
vom 24. April 1873 datiert — am 15.Oktober 1874 in Kraft traten.
Sowohl die Revidierte Städteordnung als auch die Revidierte Land-
gemeindceordnung stellen sich, wie schon die Namen bekunden, ledig-
lich als Fortbildung der bisherigen Gemeindeordnungen dar. Die neu-
hinzugetretene Städteordnung für mittlere und kleine Städte baut deren
Verfassung auf den Bestimmungen der Revidierten Städtordnung auf,
was gleich im Artikel I der Städteordnung für mittlere und kleine
Städte zum Ausdrucke gebracht wird durch die Bestimmung, daß auf
die mittleren und kleinen Städte die Revidierte Städteordnung ‚zwar
gleichfalls, jedoch mit nachstehenden Beschränkungen Anwendung zu
leiden habe“. Daß die beiden Städteordnungen und auch die Land-
gemeindeordnung ihren Aufgaben bisher vollkommen gerecht geworden
sind, kann wohl in erster Linie daraus ersehen werden, daß sich trotz
Liebers: Die Finanzen 2
18 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
der Schnellebigkeit unsrer Zeit und trotz der vielfachen Umwälzungen
und Neubildungen, die die letzten 30 Jahre auf fast allen Gebieten des
Rechts gebracht haben, die Revidierte Städteordnung nur drei gering-
fügigo Änderungen erfahren hat, während die Städteordnung für mittlere
und kleine Städte bisher nur eine Ergänzung erhalten hat. Die Frage
nach dem Geltungsgebiete jeder der beiden Städteordnungen beantwor-
tet $1 der Revidierten Städteordnung dahin, daß jede Stadt, deren Ein-
wohnerzahl bei der letzten Volkszählung nicht 6000 betragen habe,
sich durch ihre gesetzlichen Vertreter bis zum 1. Oktober 1873 darüber
erklären sollte, auf Grund welcher der beiden Ordnungen sie ihre Ver-
fassung neu regeln wolle, daß dagegen bei Städten mit 6000 und mehr
Einwohnern in Ermanglung einer entgegenstehenden Erklärung an-
genommen werde, daß auf sie die Revidierte Städteordnung Anwen-
dung zu finden habe. Unter den Städten mit der Revidierten Städte-
ordnung nehmen die sogenannten fünf ‚„exemten‘ Städte (Dresden,
Leipzig, Chemnitz, Plauen i.V. und Zwickau) eine besondere Stellung
ein, insofern sie von der Zuständigkeit der Amtshauptmannschaften
ausgenommen sind und nicht den sie umgebenden Bezirksverbänden
anzugehören haben.!)
Was sodann die rechtliche Natur der Gemeinden anlangt, so sind
alle politischen Gemeinden des Königreichs Sachsen juristische Per-
sonen, und zwar Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ihre Ver-
fassungen sind die Städte verpflichtet zu regeln durch ‚„Ortsstatute‘,
welche natürlich mit den Städteordnungenn nicht in Widerspruch stehen
dürfen. Alle diese ortsstatutarischen Bestimmungen bedürfen zu ihrer
Gültigkeit der Genehmigung des Ministeriums des Innern; nur bei
den auf Grund reichsgesetzlicher Vorschriften zu errichtenden Orts-
statuten tritt an die Stelle der ministeriellen Bestätigung die Genehmi-
gung der Kreishauptmannschaft als „höherer Verwaltungsbehörde“. An
diese Behörde haben die Städte mit Revidierter Städteordnung — für
diejenigen, welche die Städteordnung für mittlere und kleine Städte
angenommen haben, und für die Landgemeinden gilt dasselbe hinsicht-
lich der Amtshauptmannschaft — alljährlich ihre Voranschläge zur
Genehmigung einzureichen. Während nach der alten Städteordnung
vom 2. Februar 1832 in § 35 den Städten diese Pflicht auferlegt wor-
den war, ist in die Revidierte Städteordnung und auch in die Städte-
ordnung für mittlere und kleine Städte vom 24. April 1873 diese Vor-
schrift nicht aufgenommen worden, so daß heute auf Grund eines ,,Ge-
setzes“ eine alljährliche Einreichung der Haushaltpläne an die Auf-
sichtsbehörde nicht mehr stattfindet, sondern lediglich auf Grund einer
1) Während der Fertigstellung dieser Arbeit ist Freiberg ebenfalls aus dem
dortigen Bezirksverbande entlassen worden, und die Stadt Zittau hat bei ihrer
vorgesetzten Behörde um die Eigenschaft als „exemte Stadt“ nachgesucht, doch
ist diese Frage für Zittau noch nicht entschieden.
Die innere Gemeindeverwaltung 19
Generalverordnung. Ferner ist die Aufsichtsbehörde nach § 133 der
Revidierten Städteordnung befugt, „zur Ausübung ihres Aufsichts-
rechtes jederzeit über die Vermögensverhältnisse der Gemeinde sowie
über dio Erfüllung der Gemeindeobliegenheiten und die Geschäfts-
führung der Gemeindeorgane Auskunft und Nachweisungen zu ver-
langen, auch an Ort und Stelle die nötigen Erörterungen zu veranstal-
ten, nicht minder die Mitglieder des Stadtrats, welche ihre Pflichten
verletzen, mit Ordnungsstrafen zu belegen“.
Die Stadtverwaltung liegt in den Städten mit Revidierter Städte-
ordnung zwei getrennten Kollegien ob, dem Stadtrate und dem Stadt-
verordnetenkollegium. Während dem Stadtrate die Vertretung der Ge-
meinde gegenüber den einzelnen Gemeindemitgliedern sowie nach
außen, die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten und die obrig-
keitliche Gewalt im Gemeindebezirke zusteht, haben es die Stadtver-
ordneten mit der Vertretung der Stadtgemeinde gegenüber dem Stadt-
rate und mit einer gewissen Teilnahme an der Gemeindeverwaltung zu
tun. In den Städten mit der Städteordnung für mittlere und kleine
Städte — und durch besonderes Ortsstatut kann dies auch in Städten
mit Revidierter Städteordnung geschehen — sind Stadtrat und Stadt-
verordnete in eins verschmolzen und führen in dieser Verbindung den
Namen Stadtgemeinderat. Zum Wirkungskreise dieses Stadtgemeinde-
rates gehört alles das, was in denjenigen Städten, in welchen Stadtrat
und Stadtverordnete nicht verschmolzen sind, der Beschlußfassung der
Stadtverordneten unterliegt.
Ferner sei noch erwähnt, daß sich in Sachsen durch die gesamte
städtische Verwaltung eine Dreigliederung hindurchzieht, indem näm-
lich politische Gemeinde, Ortsarmenverband und Schulgemeinde hin-
sichtlich ihrer Verwaltung vollkommen getrennt sind. Die drei ge-
nannten Körperschaften sind anzusehen als mit eignem Vermögen aus-
gestattete juristische Personen des öffentlichen Rechts. Ihr Vermögen
und ihre Schulden, ihre Einnahmen und Ausgaben werden in der Regel
streng gesondert voneinander gehalten. Auf alle drei Körperschaften
aber erstreckt sich die schon erwähnte Oberaufsicht des Staates, welche
besonders darauf zu richten ist, daß die Befugnisse der Gemeinden
nicht überschritten werden, das Stammvermögen erhalten und sein Er-
trag zum Besten der Gemeinde verwendet wird, ungerechtfertigte Be-
lastung der Gemeinden mit Schulden vermieden wird, die vorhandenen
Schulden planmäßig getilgt werden und die Genehmigung in allen
Fällen eingeholt wird, ın denen sie nach $ 135 der Revidierten Städte-
ordnung und $ 79 der Revidierten Landgemeindeordnung vorgeschrie-
ben ist.
Endlich sind als weitere kommunale Verwaltungskörper noch die
Kirchengemeinden zu nennen. Unter einer evangelischen Kirchen-
gemeinde ist zu verstehen „die Vereinigung einer Mehrzahl evangeli-
2%
20 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
scher Christen eines bestimmten, regelmäßig örtlichen, ausnahmsweise
auch persönlichen Kreises, für welchen die prinzipiell allen Christen
zustehende priesterliche Befugnis durch einen oder mehrere ordnungs-
mäßig bestellte Geistliche (Pastor) ausgeübt wird.‘‘!) Die Kirchen-
gemeinden sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. An der Spitze
jeder Kirchengemeinde steht ein Kirchenvorstand, der sie nach außen
zu vertreten und zur Förderung ihrer Zwecke und Ausübung der den
Kirchengemeinden zustehenden Rechte die nötigen Schritte zu tun hat.
Den Vorsitz im Kirchenvorstande führt der Pfarrer; wählbar sind alle
stimmberechtigten Gemeindemitglieder, die das 30. Lebensjahr voll-
endet haben. Die Kirchengemeinden sind befugt, Statuten zu errichten,
die jedoch zu den wesentlichen Grundsätzen der Kirchenverfassung
nicht im Widerspruch stehen dürfen und die der Anerkennung der-
jenigen höhern Selbstverwaltungskörper bedürfen, denen auch die Ge-
nehmigung der sonstigen Ortsstatute zusteht. Eine Kirchengemeinde
kann sich über eine oder mehrere politische Gemeinden oder Teile von
solchen erstrecken. Sie ist berechtigt, Kirchenanlagen zu erheben, und
zwar haben dazu alle Mitglieder der Kirchengemeinde, insbesondere
aber die Grundbesitzer hinsichtlich ihres Grundvermögens, verhältnis-
mäßig beizutragen. In den Städten mit Revidierter Städteordnung wer-
den die Kirchenanlagen nach dem Steuerfuße der Gemeindeanlagen
erhoben; in den Städten mit der Städteordnung für mittlere und kleine
Städte und in den Landgemeinden sind die Kirchenanlagen zur Hälfte
auf alle Einwohner, welche das 14. Lebensjahr erreicht haben, nach
der Kopfzahl, zur andern Hälfte unter die Angesessenen nach Verhält-
nis der Grundsteuereinheiten zu verteilen. Abweichungen von diesen
Normen bedürfen sowohl bei den erstgenannten als auch bei den
letztern Gemeinden der Genehmigung des Landeskonsistoriums. Es
ist jedoch zulässig, nicht nur diejenigen, welche 1m Gemeindebezirke
einen festen Wohnsitz oder eine dauernde gewerbliche Niederlassung
haben, sondern auch nur vorübergehend sich aufhaltende Personen in
dem Umfange heranzuziehen, wie dies bei den sonstigen Gemeinde-
abgaben der Fall ıst. Diese Kirchenanlagen sollen aber nur in der Höhe
erhoben werden, als die laufenden Einnahmen der Parochie (Zinsen
vom Stammvermögen der Kirchengemeinden, Gebühren, Anteil an den
Besitzwechselabgaben) zur Deckung der Ausgaben für die kirchlichen
Bedürfnisse nicht ausreichen. Endlich ist noch zu betonen, daß viel-
fach die politischen Gemeinden das Patronat- und Kollaturrecht über
die in ihrem Bezirke gelegenen Kirchen übernommen haben. Als Pa-
trone der Kirche haben die politischen Gemeinden die Berechtigung,
eine Vertretung in die Kirchenvorstandssitzungen abzusenden, von der
Verwaltung des Kirchenvorstandes jederzeit Kenntnis zu nehmen und
1) Friedberg, Kirchenrecht.
Die Buch- und Rechnungsführung der sächsischen Städte 21
gegen bedenklich erscheinende Beschlüsse desselben Einspruch zu er-
heben. Vielfach ist mit dem Patronat auch ein Vorschlagsrecht bei
Besetzung erledigter geistlicher Stellen, also das Kollaturrecht, ver-
bunden. In den Städten mit Revidierter Städteordnung werden Patro-
nat und Kollatur in der Regel durch den Stadtrat ausgeübt. Sind Stadt-
rat und Stadtverordnete zu einer Körperschaft (Stadtgemeinderat) ver-
bunden, so stehen meistens diesem die Patronats- und Kollaturrechte
zu. Das letztere gilt auch für die Städte mit der Städteordnung für
mittlere und kleine Städte.
b) Die Buch- und Rechnungsführung der sächsischen Städte
Die im vorigen Abschnitte gezeigte Dreigliederung in der städti-
schen Verwaltung macht sich auch in der Rechnungslegung und Buch-
haltung der Städte geltend. Meist findet man, daß jene drei Körper-
schaften völlig getrennt ihre Haushaltpläne aufstellen und am Schlusse
des Rechnungsjahres vollkommen unabhängig voneinander ihre Ab-
rechnung vornehmen. Selbst der Umstand, daß die Veröffentlichungen
der Haushaltpläne und der Rechenschaftsberichte der politischen Ge-
meinde, des Ortsarmenverbands und der Schulgemeinde für dieselbe
Stadt in der Regel gleichzeitig und in einem einzigen Bande erfolgen,
bietet keine Gewähr dafür, daß innerhalb der gleichen Stadt bei Fest-
setzung des Voranschlags oder bei Aufstellung der Jahresschlußrech-
nung nach einheitlichen Grundsätzen verfahren wird. Noch weniger
freilich geschieht dies hinsichtlich der Inventarisierung des Vermögens,
Besonders schwierig aber wird die Vergleichung, wenn man ver-
schiedene Städte hinsichtlich ihrer Einnahmen und Ausgaben, ihres
Vermögens und ihrer Schulden ins Auge fassen will, wie schon im
ersten Kapitel gezeigt worden ist. Zwar haben einzelne Städte unter
der Bezeichnung ,, Kassen- und Rechnungsvorschriften“ oder unter ähn-
lichem Namen Bestimmungen erlassen, welche sich auf das städtische
Kassenwesen beziehen, doch sind diese ganz überwiegend formaler
Natur. Sie geben z.B. an, wie groß die Höchstbestände der verschie-
denen Teilkassen sein dürfen und daß Beträge darüber hinaus an die
Hauptkasse abzuliefern sind, daß innerhalb gewisser Zeiträume (meist
Jährlich) Kassenrevisionen stattzufinden haben, wie die Stellvertretung
der Kassenbeamten geordnet ist, enthalten aber keine Normen für die
Buch- und Rechnungsführung der verschiedenen Kassen, sondern diese
ist gänzlich in das Ermessen der betreffenden Beamten gestellt, die
sich natürlich in den Grundzügen an die in den Haushaltplänen und
Rechenschaftsberichten gegebenen Richtlinien halten müssen. Was für
Schwierigkeiten durch diese verschiedenen Grundsätze hinsichtlich der
Buchführung der Städte für die vergleichende Finanzstatistik ent-
stehen, soll im folgenden an der Hand von praktischen Beispielen
22 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
kurz dargestellt werden, wobei auf die Verhältnisse der vier sächsi-
schen Großstädte Chemnitz, Dresden, Leipzig und Plauen näher ein-
gegangen werden soll. Was zunächst die Einnahmen und Ausgaben
betrifft, so pflegen die Städte hierbei sogenannte Konten oder Posi-
tionen zu bilden und von diesen wieder die gleichartigen zu Gruppen
oder Abteilungen zusammenzufassen. Hierzu sei bemerkt, daß Dresden
die Überschuß- und die Zuschußkonten getrennt nachweist. Die 50
verschiedenen Positionen werden dabei zu dreizehn Abteilungen zu-
sammengefaßt. Leipzig teilt seine jährlich erscheinende Hauptrech-
nung in 47 Konten ein, welche wieder in Unterabteilungen zerfallen,
die nach den Nummern der Positionen im Haushaltplane gekenn-
zeichnet sind. In den Chemnitzer Rechnungsübersichten werden die
Einnahmen und Ausgaben in 50 verschiedenen Abschnitten nachge-
wiesen, und in Plauen gliedern sich die sogenannten „Rechnungen der
Stadtgemeinde“ in 15 verschiedene Posten, welche wieder in Abteilun-
gen, Kapitel und Positionen eingeteilt sind. Doch sind die zahlen-
mäßigen Ergebnisse der Rechnungsabschlüsse verschiedener Städte
weder von gleichbenannten Konten (z.B. „Elektrizitätswerk“, ,,'Tief-
bauamt‘‘). noch von unter derselben Bezeichnung erscheinenden größern
Gruppen oder Abteilungen von Einnahme- oder Ausgabekonten (z.B.
„Polizeiwesen‘, „Verkehr‘‘) direkt miteinander vergleichbar, denn unter
diesen oft völlig gleichlautenden oder wenigstens — mit unkritischem
Auge angesehen — scheinbar dieselbe Materie umfassenden Benennun-
gen finden sich bisweilen, namentlich hinsichtlich des Umfangs eines
solchen Begriffs, Unterschiede von nicht geringer Bedeutung, so daß
bei nicht genügender Betonung jener leicht ein Zerrbild der tatsäch-
lichen Verhältnisse entstehen kann. Folgende Beispiele — jede ein-
zelne Abweichung hier besonders aufzuführen, würde zu weit gehen —
mögen dies verdeutlichen: Jede der vier Großstädte hat in ihrer Kassen-
verwaltung ein Konto für den allgemeinen Verwaltungsaufwand, meist
unter der Bezeichnung „allgemeine Gemeindeverwaltung“, nur Leipzig
betitelt es einem alten Brauche folgend mit „Ratsstube“. Zu diesem
Aufwande für allgemeine Verwaltung gehören in Dresden die Ausgaben
für Besoldung der Bürgermeister, der Ratsmitglieder, der sonstigen
Ratsbeamten und des niedern im Rathause beschäftigten Dienstper-
sonals, wie Aufwärter, Hausmeister usw., ferner der gesamte Kanzlei-
aufwand des Rates sowie die Kosten für Reinigung, Heizung, Beleuch-
tung und Miete der Amtsräume. Ferner sind inbegriffen die Aus-
gaben, welche das Stadtverordnetenkollegium verursacht, weiter die-
jenigen, welche sonstige städtische Ämter und Geschäftsstellen (Rech-
nungsamt, statistisches Amt, Gewerbeamt, Steueramt usw.) verursachen,
die nicht in einem besonderen Konto nachgewiesen werden und auch
nicht einer Spezialabteilung, etwa derjenigen für Verkehr oder für
Polizei, unterstehen, endlich der Aufwand für Pensionen und Warte-
Die Schwierigkeiten bei Vergleichung der Finanzen verschiedener Städte 23
gelder sowie für vermischte Ausgaben, welche entstehen durch Fest-
lichkeiten, Unterstützungen an Vereine und ähnliches. Alle die ge-
nannten Posten erscheinen auch in Leipzig unter dem den allgemeinen
Verwaltungsaufwand umfassenden Konto „Ratsstube‘, jedoch treten
in dieser Stadt zu jener Summe noch hinzu die Ausgaben für das ge-
samte Bauwesen, da sowohl das Hochbauamt als auch das Tiefbauamt
in Leipzig mit aus der Kasse für den allgemeinen Verwaltungsaufwand
gespeist werden, während in Dresden Ausgaben für Bauzwecke auf dem
Konto „Verkehr“ erscheinen und dort mit andern Ausgaben für Ver-
kehrszwecke, wie öffentliche Beleuchtung und Straßenreinigung, ver-
schmolzen werden. Während sodann Chemnitz den Begriff „allgemeine
Gemeindeverwaltung‘‘ wieder enger faßt, etwa wie Leipzig, sind in
Plauen sogar die gesamten Ausgaben und Einnahmen des Polizei-
amtes darin inbegriffen, wofür die andern drei Großstädte besondere
Rechnungsnachweise haben. Selbst die städtischen Betriebe, wie z.B.
die Wasserwerke, sind hinsichtlich ihrer Rechnungsergebnisse nicht
ohne weiteres vergleichbar, denn während in einigen Städten wie Dres-
den, Chemnitz und Plauen nur das Stadtgebiet im engsten Sinne vom
städtischen Wasserwerke versorgt wird, hat Leipzig auch für zahl-
reiche nicht einverleibte Vororte die Wasserversorgung übernommen,
und das städtische Wasserwerk hat daher hier weit höhere Einnahmen
als in den andern Großstädten.
I. Die politischen Gemeinden
Vorbemerkung
Die politischen Gemeinden, deren Organe, soweit nicht für ein-
zelne Verwaltungszweige besondere Behörden bestehen, als örtliche Ver-
waltungsorgane des Reiches, des Staates und Bezirks dienen, sind kraft
öffentlichen Rechts zur Beschaffung des hierzu erforderlichen Perso-
nals sowie der nötigen Einrichtungen und Naturalleistungen verpflich-
tet. Hierzu gehört
a) die Anstellung und, soweit nicht einzelne Ämter als unent-
geltliche Ehrenämter zu verwalten sind, auch die Besoldung der er-
forderlichen Beamten, ferner die Pensionierung der berufsmäßigen Ge-
meindebeamten, die Herstellung und Instandhaltung der öffentlichen
Wege nebst Brücken und sonstigen Zubehörungen, wo nötig die Ein-
richtung eines geordneten Wasserwehrdienstes und Hilfeleistung an
von Hochwasser bedrängte Nachbargemeinden;
b) die Unterhaltung der Standesämter, die Gewährung von Lei-
stungen für die bewaffnete Macht im Kriege, der Aufwand für die
regelmäßigen Impfungen und der Verwaltungsaufwand der Gemeinde-
krankenversicherung;
c) die anteilige Entrichtung etwaiger Bezirkssteuer.
24 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Alle diese Leistungsverbindlichkeiten sind öffentlich-rechtlicher
Natur, und zwar bestehen die unter a) genannten dem Staate, die unter
b) genannten dem Reiche und die unter c) genannten dem Bezirksver-
bande gegenüber, unbeschadet etwa konkurrierender persönlicher An-
sprüche, z. B. des Anspruchs eines Gemeindebeamten wider die Ge-
meinde auf Gchalt oder Pension. Wenn daher eine Gemeinde die ihr
obliegenden Leistungen und Einrichtungen, insbesondere auch die Be-
schaffung der dazu erforderlichen Mittel unterläßt, so kann die Auf-
sichtsbehörde sie im reinen Verwaltungsverfahren zur Vorkehrung des
Erforderlichen anhalten, auch, wenn die deshalb erlassenen Anord-
nungen ohne Erfolg bleiben, das Nötige auf Kosten der Gemeinde aus-
führen und die dazu erforderlichen Mittel nötigenfalls durch Aus-
schreiben und Einziehen von Gemeindeanlagen aufbringen, oder, so-
viel die Städte anlangt, die erforderlichen Mittel als Ausgaben in den
Haushaltplan eintragen und deren Aufbringung anordnen und voll-
ziehen lassen.
Bei der nun folgenden Betrachtung der zahlenmäßigen Ergebnisse
der Ausgaben und der Einnahmen, der Schulden und des Vermögens
der politischen Gemeinden soll als Beispiel — und dasselbe gilt auch
für die später zu betrachtenden Finanzverhältnisse der Ortsarmenver-
bände und der Schulgemeinden — immer das Zahlenmaterial der Rech-
nungsabschlüsse auf das Jahr 1906 herangezogen werden, wobei die
sächsischen Kreis- und Großstädte Bautzen, Chemnitz, Dresden, Leip-
zig, Zwickau und Plauen i.V. neben den Ergebnissen der Landes- und
Kreissummen sämtlicher Städte besondere Berücksichtigung finden
sollen. Sodann sei noch hervorgehoben, daß die in den nächsten Ab-
schnitten mitgeteilten Zahlen nur die vorläufigen Ergebnisse der
Erhebung von 1906 wiedergeben, daß also im Statistischen Landes-
amte, welches diese Erhebung durchgeführt hat, eine nochmalige Prü-
fung des Zahlenmaterials noch nicht stattgefunden hat.
A. Ausgaben
1. Allgemeines
Was die Ausgaben der Gemeinden im allgemeinen anlangt, so
haben wir hier zwei Hauptgruppen zu unterscheiden: Pflichtausgaben
und freiwillige Ausgaben, je nachdem der Wirkungskreis der Ge-
meinde, welchem die Ausgaben entspringen, vom Staate vorgeschrieben
oder der freiwilligen Tätigkeit der Gemeinden erwachsen ist. Freilich
ist diese Unterscheidung zwischen obligatorischen und fakultativen
Ausgaben eine mehr begriffliche als eine tatsächliche Unterscheidung,
denn nirgends finden wir gesetzliche Vorschriften darüber, was zu den
Pflichtaufgaben und was zum freiwilligen Wirkungskreise der Ge-
meinden zu rechnen ist; auch unter den sogenannten fakultativen Aus-
Pflichten der politischen Gemeinden. Die verschiedenen Ausgabearten 25
gaben der Gemeinden befinden sich viele, die von jeher von diesen er-
wartet werden, die sie machen miissen, wenn anders sie den modernen
Anforderungen geniigen wollen, so die Ausgaben fiir Beleuchtung,
Kanalisierung, Wasserversorgung und ähnliches. Nur das Mehr oder
Weniger wird Gegenstand der Kontroverse in den gemeindlichen Ver-
tretungen sein können. Die Grenze ist auch insofern schwankend, als
die obligatorischen Aufgaben nicht ein für allemal festgelegt sind,
sondern im Fortschreiten des politischen und wirtschaftlichen Lebens
immer neue Aufgaben entstehen, zu deren Erfüllung der Staat die
kommunalen Körper heranzuziehen sich veranlaßt sieht. Wie der
Staat die Gemeinden zur Einstellung ihrer Pflichtausgaben, deren
Zwecke meist lokaler Natur sein werden, in den Haushaltplan zwingen
kann, ist. bereits in der Vorbemerkung zu diesem Abschnitte gezeigt
worden. Zu den freiwilligen Ausgaben zählen diejenigen, welche über
das vom Staate geforderte Mindestmaß hinausgehen, was in doppelter
Weise möglich ist: entweder so, daß die Selbstverwaltungskörper ihre
Tätigkeit bei den Pflichtausgaben über die in der Regel vorgesehene
Mindestleistung hinauserstrecken, oder so, daß sie andere vom Staate
nicht vorgeschriebene Aufgaben übernehmen. Allerdings wird der Staat
auch diesem freiwilligen Wirkungskreise der Gemeinden nicht ganz
gleichgültig gegenüberstehen. Der Staat wird es nicht dulden dürfen,
daß die Erfüllung der obligatorischen Aufgaben der Kommunalkörper
durch eine allzu reichliche Tätigkeit auf dem Gebiete des freiwilligen
Wirkungskreises beeinträchtigt oder daß die Leistungs-, insbesondere
die Steuerfähigkeit der einzelnen durch die Kommunalkörper für deren
fakultative Aufgaben in einem den Staatszweck gefährdenden Maße
in Anspruch genommen wird.
Von grundlegender Bedeutung ist sodann, ähnlich wie bei den
Staatsausgaben, die Unterscheidung von ordentlichen und außerordent-
lichen Ausgaben. Der Unterschied beruht darauf, ob die einzelnen Aus-
gaben integrierende Bestandteile der sich mit jeder Finanzperiode er-
neuernden Finanzwirtschaft und in diesem Sinne das mehr oder we-
niger ständige Element des Voranschlages und des Rechnungsab-
schlusses darstellen oder erst in größern eine Reihe von Finanzjahren
umfassenden Perioden sich wiederholen. Während die ordentlichen
Ausgaben regelmäßig in den Einnahmen der betreffenden Finanz-
periode ihre volle Deckung finden müssen, kann je nach der besondern
Natur der außerordentlichen Ausgaben deren Deckung auch in ein-
zelnen sich hierzu eignenden Arten außerordentlicher Einnahmen ge-
sucht werden und sich auf mehrere Finanzperioden erstrecken. Freilich
zeigen sich bei diesem Verfahren noch besondere Schwierigkeiten,
welche dadurch entstehen, daß sowohl die Theorie als auch die Praxis
dic wünschenswerte Einheitlichkeit vermissen lassen. Man wird viel-
leicht hier den Ansichten der Finanzwissenschaft wie dem Brauche
26 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
der Praxis am nächsten kommen, wenn man als außerordentliche Aus-
gaben für die statistische Erhebung bindend solche bezeichnet, die
eins Verminderung des Gemeindevermögens unmittelbar nach sich
ziehen.
Endlich läßt sich noch eine wichtige Spezialisierung der Aus-
gaben nach den verschiedenen Verwaltungszweigen vornehmen. Der
Wert solcher Spezialisierung liegt nicht so sehr in der Charakterisierung
der einzelnen Verwaltungszweige, sondern in erster Linie eben in der
Herausarbeitung eines Gesamtbildes der Gemeindewirtschaften in ihren
charakteristischen Zügen.
2. Betrachtung der verschiedenen Ausgabearten
Unter den ordentlichen Ausgaben der politischen Gemeinden
lassen sich 13 Hauptgruppen unterscheiden, nämlich 1. Unternehmun-
gen und Anstalten, 2. Grundbesitz, 3. Kapitalien, 4. Verzinsung und
Tilgung der Schulden, 5. Allgemeiner Verwaltungsaufwand, 6. Polizei-
aufwand, 7. Gemeinnützige und Wohlfahrtseinrichtungen, 8. Feuer-
löschwesen, 9. Straßen, Plätze und Brücken, 10. Höhere und Fach-
schulen, 11. Brunnen, Denkmäler usw., 12. Gemeindesteuern und
13. Sonstige. Es sollen nun im wesentlichen — und dasselbe gilt für
die spätere Betrachtung der städtischen Einnahmen — an dieser Stelle
nur die Relativzahlen angegeben werden, da aus ihnen in erster Linie
ein zutreffendes Bild über die Verteilung der Ausgaben und Einnahmen
auf die verschiedenen Gebiete der kommunalen Verwaltung gewonnen
werden kann; die absoluten Ziffern sind aus den Tabellen zu er-
sehen. Obenan stehen die Ausgaben der städtischen Unternehmungen
und Anstalten, welche 1906 im Königreiche Sachsen 257 648004 M.
betrugen, was 74,4% der gesamten Ausgaben sämtlicher Städte aus-
macht. Betrachten wir die einzelnen Gemeindebetriebe näher, so ent-
fallen die meisten Ausgaben (57,9% der gesamten städtischen Aus-
gaben im Lande) auf die Sparkassen, welche allerdings auch ganz er-
hebliche Einnahmen diesen hohen Ausgaben gegenüberzustellen haben.
Von den übrigen Unternehmungen und Anstalten haben die größten
Ausgaben aufzuweisen, nach der Höhe der letztern geordnet, die Gas-
werke (5,7%), die städtischen Straßenbahnen (2,7%), die Wasser-
werke (1,9%), die Krankenhäuser (1,9%), die Elektrizitätswerke
(1,8%0) und die sonstigen städtischen Betriebe, die nicht namentlich
aufgeführt. worden sind (1,0%). Von geringerer Bedeutung — schon
unter 1% der gesamten städtischen Ausgaben — sind diejenigen der
Vieh- und Schlachthöfe (0,7%0), der Markthallen (0,2%), der Leih-
anstalten, der Bäder, der Museen, der Theater, der Marställe, der ım
Besitze von Städten befindlichen Steinbrüche (je 0,1%). Unter 0,1%
endlich bewegen sich die Ausgaben der Beerdigungsanstalten, der Ab-
Unternehmungen und Anstalten 27
deckereien, der Grubenräumung und der städtischen Bibliotheken, Fa-
briken und Ziegeleien. |
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die örtliche Verteilung
der städtischen Unternehmungen und Anstalten, so finden wir, daß in
den als Beispiele gewählten Städten folgende Unternehmungen durch-
gängig in den Besitz der Städte übergegangen sind: dic Sparkassen,
die Gaswerke, die Wasserwerke, die Bäder und die Bibliotheken. Wie
im ganzen die Besitzverhältnisse der hier zu betrachtenden Städte hin-
sichtlich der Unternehmungen und Anstalten liegen, möge folgende
Übersicht kurz darstellen:
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Name F ER Eu sgt: HE FHE
der |5|8 as Se ez b 4s 82538
di DEEL EE
Fee + pip | Ä + l EREN — +
Chemnitz Al + + +i SE _ = — +
Leipzig Ana ur | | | +- gem
Leipzig Rs + + +i | | + ir s > +
"Zwickau EC er + | a aaa a ar E == =
‘Plauen HE +++ ++ +++ + IH BER
Diese Übersicht ist aufgestellt nach dem Stande von Ende 1906. + be-
deutet das Vorhandensein der betreffenden Unternehmung oder Anstalt, — das
Gegenteil.
Diese Zusammenstellung zeigt, daß neben den schon genannten
Unternehmungen, welche sich durchgängig im Besitze der Städte be-
finden, am häufigsten noch die Elektrizitätswerke, die Krankenhäuser
und die Museen (in 5 von den 6 zu betrachtenden Städten), ferner
dio Theater (in 4 Städten), endlich die Vieh- und Schlachthöfe, die
Leihanstalten, die Markthallen, die Abdeckereien und die Steinbrüche
(je in 3 Städten) als städtische Unternehmungen bezeichnet werden
können. Außerdem haben Chemnitz und Dresden noch je eine städtische
Straßenbahn sowie einen Marstall, und Bautzen und Dresden je eine
städtische Beerdigungsanstalt. Bergwerke, Fabriken und Ziegeleien be-
sitzt keine der fraglichen 6 Städte, ebensowenig hat eine derselben die
Grubenräumung in städtische Regie genommen, was aber in andern
Städten Sachsens, besonders in solchen der Kreishauptmannschaften
Bautzen, Chemnitz und Leipzig des öftern der Fall ist. In Bautzen,
Chemnitz, Dresden und Leipzig finden wir noch Unternehmungen
und Anstalten von geringerer Bedeutung, welche nicht cinzeln auf-
geführt, sondern unter ‚Sonstige‘ summarisch abgehandelt worden sind.
Nächst den Unternehmungen und Anstalten beanspruchen pro-
zentual die meisten Ausgaben die städtischen Schulden, zu deren Ver-
zinsung und Tilgung 6,4% der gesamten städtischen Ausgaben er-
98 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
forderlich sind; davon entfallen 4,6% auf die Verzinsung und 1,8%
auf die Tilgung der Schulden. Am höchsten sind die Ausgaben für den
Schuldendienst in der Kreishauptmannschaft Dresden (5794395 M.
jährlich). Es folgt dann die Kreishauptmannschaft Leipzig mit
5135780 M., ferner Chemnitz und Zwickau (die erstere Kreis-
hauptmannschaft mit 2219670 M., die letztere mit 2210834 M.),
endlich die Kreishauptmannschaft Bautzen mit 558318 M. Auf die
Ausgaben der Unternehmungen und Anstalten sowie der städtischen
Schulden folgen der Höhe nach geordnet diejenigen für allgemeinen
Verwaltungsaufwand (4,70% der gesamten städtischen Ausgaben), für
Straßen, Plätze und Brücken (4,3%), für Gemeindesteuern (3,4%),
davon für die direkten 3,1%, was zum größten Teile die Erhebungs-
kosten der Steuern sein werden. Noch über 10o aller städtischen Aus-
gaben nehmen diejenigen für Polizeiaufwand (1,90%), davon 1,5%
für Sicherheitspolizei, für höhere und Fachschulen (1,7%), für Grund-
besitz und für gemeinnützige und Wohlfahrtseinrichtungen (je 1,3 %)
in Anspruch. Zwischen 0% und 1% bewegen sich, abgesehen von
den schon genannten Ausgaben einzelner Unternehmungen und An-
stalten, die Ausgaben für Feuerlöschwesen (0,5%0), für Wohlfahrts-
polizei (0,49), für indirekte Gemeindesteuern (0,3%) und für Ka-
pitalien (0,10%). Unter 0,1% endlich stehen die Ausgaben für Brunnen
und Denkmäler und für etwaige sonstige Zwecke der politischen Ge-
meinden.
Was die außerordentlichen Ausgaben der Städte betrifft, so spielen
auch diese eine ganz erhebliche Rolle im kommunalen Finanzwesen.
Eine nähere Charakteristik derselben ist bereits im vorigen Abschnitte
gegeben worden. Die Unternehmungen und Anstalten nehmen dabei
wieder eine bedeutende Stelle ein, wenn sie hier auch nicht indem Maße
hervortreten wie bei den ordentlichen Ausgaben. Zu Neuherstellung
und Erweiterung von Unternehmungen wurden von den außerordent-
lichen Ausgaben 13040076 M. verwendet, was 29,3% aller außer-
= ordentlichen Ausgaben gleichkommt. Die Summe dieser Ausgaben be-
lief sich im Jahre 1906 auf 44472449 M., das sind 11,4% der
gesamten städtischen Ausgaben überhaupt. Die Mittel zu solchen
außerordentlichen Ausgaben werden in den meisten Fällen Anleihen
entnommen, vielfach auch den Überschüssen andrer Konten, insbe-
sondere den Überschüssen der kommunalen Betriebe; bisweilen wird
auch die Steuerkraft der Bürger in Anspruch genommen, indem die
Last auf eine kürzere oder längere Reihe von Finanzjahren verteilt
wird. Um aber beim Fehlen irgendwelcher verfügbaren Mittel aus Über-
schußkonten die Steuerkraft der Bürger nicht unverhältnismäßig stark
plötzlich anspannen zu müssen, haben viele Städte sogenannte Fonds
errichtet, welche unter verschiedenen Namen, wie Dispositionsfonds,
Reservefonds, Pflasterungsfonds, Wasserwerkfonds, Betriebsfonds, Er-
Die Ausgaben der politischen Gemeinden 29
neucrungsfonds, erscheinen und welche die Aufgabe haben, unvorher-
geschene Ausgaben zu decken. Übrigens empfehlt sich die Ansamm-
lung von Fonds nicht nur bei außerordentlichen Ausgaben, sondern
auch für eine Reihe von Zwecken, die bei näherer Betrachtung sıch als
regelmäßig wiederkehrend erweisen. Eine solche Fondsansammlung,
welche die Einstellung einer der Leistungsfähigkeit und den besondern
Bedürfnissen der Genieinde angemessenen Summe in den jährlichen
Etat bedingt, ist freilich nur unter Mitinanspruchnahme der Steucr-
erträgnisse durchführbar. Wenn auch die Erhebung von Steuern sich
grundsätzlich auf den notwendigen Bedarf beschränken und nicht zur
Ansammlung von Gemeindevermögen dienen soll, so hindert diese Regel
nicht, daß im Interesse einer gesunden vorsichtigen Finanzwirtschaft
Fonds für bestimmte Zwecke (Schulbauten, Pflasterung usw.), deren
Beschaffung auf einmal den Steuerpflichtigen zu schwer fallen oder
eine neue Anleihe nötig machen würde, im Laufe der Jahre allmählich
angesammelt werden und daher Steuern über den laufenden Jahres-
betrag hinaus zur Erhebung gelangen.
Endlich soll noch ein Vergleich der ordentlichen und außerordent-
lichen Ausgaben der Gemeinden mit denjenigen des sächsischen Staates
vorgenommen werden, wobei wir, um zu möglichst vergleichbaren Zif-
fern zu gelangen, für das Königreich Sachsen die Ergebnisse der Fi-
nanzperiode 1906/07 in Betracht ziehen wollen.
In dem erwähnten Zeitabschnitte betrugen die ordentlichen Aus-
gaben des Staates rund 642217231M., und diejenigen aller Städte
im Lande beliefen sich im Jahre 1906 auf 346492132 M. Die
außerordentlichen Ausgaben aber erreichten in der Finanzperiode
1906/07 im Königreiche Sachsen eine Höhe von rund 41379725 M.,
während sie im Jahre 1906 für sämtliche Städte des Königsreichs
44472449 M. betrugen. Hierbei ist aber zu beachten, daß die
sächsische Etatperiode 2 Jahre, in unserm Falle die beiden Jahre
1906/07 umfaßt, während die obengenannten Ziffern über die städti-
schen Ausgaben nur für 1 Jahr, nämlich für 1906 berechnet sind. Um
also wirklich vergleichbare Resultate zu erhalten, müssen wir die Er-
gebnisse der Etatperiode 1906/07 halbieren und so die ordentlichen
und außerordentlichen Ausgaben eines Jahres, nämlich nur von 1906,
wenigstens annähernd ermitteln. Tun wir dies, so betrugen beim säch-
sischen Staate im Jahre 1906 die ordentlichen Ausgaben 321 108 615,50,
die außerordentlichen 20689862,50 M. Diese Ziffern zeigen, daß
die ordentlichen Ausgaben sämtlicher städtischen politischen Gemein-
den diejenigen des gesamten Königreichs Sachsen um rund 25 000 000
Mark übersteigen, die außerordentlichen Ausgaben der ersteren aber
mehr als doppelt so groß sind wie diejenigen des Staates.
30 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
B. Einnahmen
1. Allgemeines
Die Einnahmen der politischen Gemeinden sind entweder eigne
oder abgeleitete. Die ersteren sind solche, welche aus der eignen Wirt-
schaft der Gemeinden gewonnen werden, also aus ihrem Vermögen
fließen oder durch Abgaben ihrer Mitglieder aufgebracht werden. Die
letztern dagegen gehen aus andern öffentlichen Haushalten hervor,
sind Überweisungen (Dotationen und Subventionen) des Staates oder
höherer Kommunalkörper an die Gemeinden. Die eignen Einnahmen
der Gemeinden sind wie die des Staates teils Erwerbseinkünfte, teıls
öffentlich rechtlicher Natur. Die letztern wieder sind entweder Steuern
oder Präzipualbeiträge (Gebühren, Interessentenbeiträge) einzelner Pri-
vatwirtschaften, die durch außergewöhnliche Inanspruchnahme der Ge-
meindeverwaltung besondere Kosten verursachen oder sich besondrer
Vorteile aus gemeindlichen Veranstaltungen erfreuen.
Wie das Ausgabewesen so ist auch die Einnahmewirtschaft der
Gemeinden, und zwar aus den gleichen Gründen, der Beaufsichtigung
des Staates unterworfen. Hat doch der Staat das größte Interesse an
der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden; er muß Vor-
kehrungen treffen, daß diese nicht durch kurzsichtige Politik ge-
schmälert: oder untergraben werde. Am meisten tritt die Abhängigkeit
der kommunalen Einnahmewirtschaft vom Staate auf dem Gebiete
der Besteuerung hervor, da ja Staat und Gemeinde auf dieselben Quel-
len, das Einkommen und das Vermögen, zurückgreifen müssen. Aber
auch das Gebühren- und Beitragswesen wird der Staat den Gemeinden
nicht gänzlich zur Regelung in eigner Zuständigkeit überlassen dürfen,
denn auch hier liegt nach der Zusammensetzung der Gemeindevertre-
tung die Gefahr nahe, daß entweder durch mächtige Interessenten-
gruppen die durch diese verursachten oder in deren Nutzen gemachten
Aufwendungen allen Steuerzahlern aufgebürdet oder umgekehrt Ver-
suche gemacht werden, die Kosten von Einrichtungen allgemeiner Art
auf einzelne abzuwälzen. Ebenso wird die Veräußerung von Bestand-
teilen des Gemeindevermögens sowie die Errichtung oder Übernahme
von Erwerbsbetrieben von der Genehmigung der staatlichen Behörden
abhängen müssen. Das letztere wird insbesöndere dann erforderlich
sein, wenn die Gemeindeglieder durch Ortsstatut gezwungen werden
sollen, an solchen gemeindlichen Einrichtungen sich zu beteiligen.
Wie bei den Ausgaben so kann man ferner auch bei den Ein-
nahmen zwischen ordentlichen und außerordentlichen unterscheiden,
je nachdem sie in jeder Finanzperiode regelmäßig wiederkehren oder
nur einmal in der städtischen Finanzverwaltung erscheinen, um dann
für immer oder wenigstens auf lange Zeit aus ihr zu verschwinden.
Die Einnahmen der polit. Gemeinden. a) Unternehmungen und Anstalten 31
Schließlich ist auch bei den Einnahmen eine Spezialisierung nach
den verschiednen Verwaltungszweigen möglich, wobei unter Gegenüber-
stellung der Ausgaben und Einnahmen des betreffenden Zweiges der
Verwaltung sich Schlüsse ziehen lassen auf die Rentabilität der Unter-
nehmungen und Anstalten, den wirklichen Ertrag einzelner Steuern,
den erforderlichen Aufwand dieses oder jenes Verwaltungsaktes und
ähnliches.
Die Geschichte des kommunalen Einnahmewesens weist eine dem
staatlichen ähnliche Entwicklung auf. Solange die Gemeinde Rechts-
und Interessengemeinschaft war, flossen die zur Erfüllung ihrer nur
gering bemessenen Aufgaben erforderlichen Mittel aus dem ursprüng-
lichen Gemeindevermögen. Während dieser Zustand bei den ländlichen
Gemeinden teilweise bis in die Gegenwart hineinreicht und auch nach
Auflösung der alten Gemeinschaft in den meisten Gemeinden noch ein
großes rentables Gemeindeeigentum, namentlich an Wäldern, bestehen
blieb und die Ausgaben decken half, haben die größern zahlreichen
Bedürfnisse namentlich der städtischen Gemeinden, selbst wo ein grö-
Beres Gemeindeeigentum vorhanden war, schon frühzeitig auf die Ge-
winnung und Erwerbung neuer Einnahmequellen hingewiesen. So
ließen im 11. und 12. Jahrhundert die sich entwickelnden Städte von
ihren Landesherren Markt- und Münzrechte, Zoll- und Brückengelder
sich verleihen und erzielten bedeutende Einnahmen daraus. Mit dem
13. Jahrhundert finden wir sodann in den Städten die ersten Versuche
einer Besteuerung. Die wachsenden, zumeist freilich durch Kriege,
Bauten und andere äußere Veranlassungen hervorgerufenen Ausgaben
drängten auf die Erschließung neuer Einnahmequellen. Daher konnte
in den Städten das Steuerwesen zuerst Fuß fassen. Insbesondere aber
sind in letzter Zeit, namentlich den großen städtischen Gemeinden,
neue Einnahmequellen aus dem Betriebe von Unternehmungen und An-
stalten erschlossen worden.
2. Betrachtung der verschiedenen Einnahmearten
a) Unternehmungen und Anstalten
Wie die Ausgaben so lassen sich auch die Einnahmen der politi-
schen Gemeinden in die oben bei Betrachtung der Ausgaben genannten
13 Hauptgruppen einteilen. Auch hier stehen, was die Höhe der Ein-
nahmen anlangt, an erster Stelle die städtischen Unternehmungen und
Anstalten. Unter ihnen wieder haben die höchsten Einnahmen die
städtischen Sparkassen zu verzeichnen. Im Jahre 1906 betrugen die
ordentlichen Einnahmen der städtischen Unternehmungen und Anstal-
ten Sachsens 260410201 M., das sind 74,9% aller Einnahmen der
politischen Gemeinden. Vergleichen wir zunächst die Einnahmen und
die Ausgaben der sämtlichen städtischen Betriebe Sachsens mitein-
32 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
- ander, so finden wir, daß letztere im Jahre 1906 mit einem Überschuß
von 2762197 M. abgeschnitten haben. Die stiidtischen Betriebe
folgen hinsichtlich der Höhe ihrer Einnahmen folgendermaßen auf-
einander, wobei die angegebenen Prozentziffern auf die Gesamtsumme
der Einnahmen der politischen Gemeinden Sachsens bezogen sind:
Sparkassen (55,7%), Gaswerke (7,80%), Straßenbahnen (2,8%), Elek-
trizitätswerke (2,5%), Wasserwerke (2,3%0), Krankenhäuser (1,5%).
Lon aller Einnahmen erwuchsen den Städten aus den weniger bedeuten-
den, unter „Sonstige“ zusammengefaßten Unternehmungen. Unter
1,0% bewegen sich die Einnahmen aus den Vieh- und Schlachthöfen
(0,7%), den Markthallen (0,20%), den Bädern, Leihanstalten, Stein-
brüchen und Marställen (je 0,1%), und darunter endlich stehen dic-
jenigen der Beerdigungsanstalten, Abdeckereien, Theater, Museen,
Bibliotheken, Fabriken, Ziegeleien und Grubenräumungsarbeiten.
b) Steuern
œ) Gegenwärtiger Zustand
Was die gesetzliche Regelung des Gemeindesteuerwesensin Deutsch-
land betrifft, so steht unter den deutschen Bundesstaaten Preußen an
erster Stelle. In seinem Kommunalabgabengesetze vom 14. Juli 1893
hat es das Gemeindeabgabenwesen gleichmäßig und einheitlich ge-
regelt, und dieses Gesetz ist bis heute noch von keinem andern Staate
übertroffen worden, nachdem in Hessen der ım Jahre 1904 den Kam-
mern vorgelegte Entwurf trotz seiner großen Vorzüge, die er selbst vor
dem preußischen Gesetze hatte, gescheitert ist. Auch in Bayern, Würt-
temberg und Baden sind verschiedentlich Versuche gemacht worden,
das kommunale Abgabenwesen einheitlich zu regeln, ohne jedoch zu
einem solchen Erfolge zu gelangen wie in Preußen. In demselben
Jahre, in welchem Hessen versuchte, scin Gemeindesteuerwesen gesetz-
lich zu regeln, hat auch in Sachsen den Ständen eine Denkschrift, das
Gemeindeabgabenwesen betreffend, sowie ein Entwurf eines Gemeinde-
steuergesetzes zur verfassungsmäßigen Beratung vorgelegen. Der Ge-
setzentwurf fand jedoch nicht die Billigung des Landtags, und erst in
der gegenwärtigen Session ist den Ständen ein neuer Entwurf eines
Gemeindesteuergesetzes zugegangen, der später noch näher btrachtet
werden soll. Vorläufig wird das Abgabenwesen der politischen Ge-
meinden noch in den Abschnitten der Gemeindeordnung von 1873 über
Gemeindeleistungen geregelt. Jedoch finden wir auch hier nur wenige
feste Bestimmungen, und diese sind ganz überwiegend formaler Natur
oder, soweit sie materielles Recht enthalten, verneinend. Die städtischen
Steuerordnungen müssen durch die Aussichtsbehörden, bei indirekten
Abgaben durch das Ministerium des Innern genehmigt werden. Ferner
sind gewisse sachliche und persönliche Befreiungen von Gemeinde-
Die Einnahmen der politischen Gemeinden. b) Steuern 33
leistungen darin geordnet. Positiv materiell rechtlich ist in den Ge-
meindeordnungen in der Hauptsache nur ganz allgemein verfiigt, daB
jedes Gemeindemitglied zu den Gemeindelasten ‚verhältnismäßig‘ bei-
zutragen hat, und daß ein Gewerbebetrieb, der ständig an mehreren
Ortschaften stattfindet, in jedem dieser Orte „verhältnismäßig“ heran-
gezogen werden kann. Endlich ordnet die Landgemeindeordnung an,
daß bei Geldanlagen sowohl das Einkommen vom Grundbesitz als
auch das aus andern Quellen in „angemessener Weise‘ zu berücksich-
tigen ist.
Wie nun gegenwärtig die Steuerverhältnisse in den 6 in nähere
Betrachtung gezogenen Städten liegen, möge zunächst folgende tabel-
larısche Übersicht kurz darstellen:
| a Ste irekte Steuern |
| Direkte Steuern Indirekte Steuern
S D | Jolo © u Verzehrungs- |
= ı 5 SCHEI) 8 eg ` 12152 ` g E u. Verbrauchs
Name E s 37822 | 8 & A E FIF p z = EM abgaben
d a 5S igeig sign! 2 asiawld .iebiEe@| S a 3 S | Leg
© Hala lSEISSiksi aia 33805702 3 |Sisle| 8 5953
Stadt | $8 |3 IT seal22 8 | 8 Es 8g 47a 8 2/4/23] 2 Seles
x (Eel ga ltaiseise\ aia SEE 84.52 3 | 81% | 8 | 8 za
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lala Releg “| 9 je FAT: wiail iZ] & BSISs
S/S Sek |M ee HE 8EM MI IE | ia ly Slee
SE bed e ` OR nS GE MFE E-
YY OP Ti |
| T
Peery See etree a eaka Es ua oie te ie
Bëss | | itt i tilt iti + +++ | —
Dresden IH + +/+ ++ + 4 4 ++ ++ H +
++ ++ +++ 1-1 HH aa asd bn —|—
Zwickau + + ++ + + + + 4-14 +/+]4+ 11
Plauen |+|—|— +++ + +1 ++. +14 - + | -
+ bedeutet das Vorhandensein der betreffenden Steuer, — das Gegenteil.
Aus vorstehendem sehen wir, daß Einkommensteuern, Hunde-
steuern, Nachtigallensteuern, Wanderlagersteuern, Fischkartenabgaben,
Lustbarkeitssteuern, Besitzveränderungsabgaben, Wertzuwachssteuern,
Schulanlagen und Kirchensteuern in jeder dieser 6 Städte erhoben wer-
den. Besonders durch die Wertzuwachssteuer, von welcher das Reich
den Gemeinden einen beträchtlichen Teil, nämlich 40% des Ertrags,
überläßt und zu welcher es noch durch Landesgesetzgebung Zuschläge
gestattet (vgl. Reichsges. vom 14. Febr. 1911 und sächs. Ausführungs-
verordn. vom 29.März 1911), entstehen den Städten Einnahmen von
nicht geringer Bedeutung. Grundsteuern finden wir in Bautzen, Chem-
nitz, Dresden, Leipzig und Zwickau. Biersteuern erheben Bautzen,
Chemnitz, Dresden, Plauen und Leipzig, letztere erst seit 1. April
1912. Ferner haben Dresden und Zwickau eine Bürger- und Ein-
wohnersteuer. Chemnitz und Dresden erheben Steuern auf den Ge-
werbebetrieb im Umbherfahren, Bautzen und Zwickau eine Gastwirt-
schafts- oder Schankgewerbesteuer, und in Bautzen und Dresden finden
wir Verbrauchssteuern auf das Fleisch von Wild, Geflügel und Fischen.
Liebers: Die Finanzen 8
34 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
Endlich hat Dresden neben seiner schon erwähnten Lustbarkeitssteuer
noch eine besondere Billettsteuer, und in Bautzen wird ein Eingangszoll
von Stein-, Braun- und Preßkohle erhoben.
Betrachten wir nun den gegenwärtigen Zustand, insbesondere die
einzelnen Steuerarten etwas näher, so ist an erster Stelle die Ge-
moindeeinkommensteuer zu nennen. Sie wird in sämtlichen
Städten Sachsens erhoben. Von den rund 3200 politischen Gemeinden
Sachsens (Stadt- und Landgemeinden zusammen) haben rund 2100 die
Einkommensteuer eingeführt. Darunter sind freilich immer noch etwa
300 Gemeinden, welche die Einkommensteuer nach Beitragseinheiten
oder nach Einheitssätzen oder Simplen erheben. Diese Ausdrücke be-
dürfen vielleicht einer kurzen Erläuterung: Bei den Beitragseinheiten
ist der Grundbetrag der zu entrichtenden Steuer für alle Steuerklassen
gleich hoch festgesetzt, und es wird diese Beitragseinheit in den ein-
zelnen Steuerklassen je nach Bedarf verschieden oft im Jahre erhoben.
Beim Simplum oder Einheitssatze aber wird der zu entrichtende Steuer-
satz für die einzelnen Steuerklassen verschieden hoch festgesetzt, und
der Einheitssatz wird in allen Klassen gleich oft erhoben. Die Er-
hebung nach Beitragseinheiten findet sich in Sachsen nur noch in
wenigen Landgemeinden, nach Einheitssätzen oder Simplen dagegen
wird auch in Städten vielfach noch die Einkommensteuer erhoben.
Welche Kreis- und Großstädte hierbei in Frage kommen, wird im
folgenden gezeigt werden. Bisweilen erheben die Gemeinden die Ein-
kommensteuer als prozentuale Zuschläge zur staatlichen. Mehr und
mehr sind sie, besonders in letzter Zeit, dazu übergegangen, ihre Ein-
kommensteuerordnungen dem Staatseinkommensteuergesetze anzupassen
und namentlich die Klasseneinteilung daraus zu entnehmen. Auch das
Einschätzungsergebnis der Staatseinkommensteuer wird von einer gro-
Den Anzahl von Gemeinden benutzt. Was die Kreis- und Großstädte
betrifft, so finden wir, daß in Bautzen, Chemnitz, Dresden, Leipzig
und Zwickau sich die städtischen Steuertarife hinsichtlich der
Klasseneinteilung im wesentlichen an den Staatssteuertarif an-
schließen. Bei Bautzen, Dresden, Leipzig und Zwickau bestehen
nur geringe Abweichungen: Bautzen nämlich erklärt auch schon die
Einkommen von 300—400 M., welche der Staat noch nicht zur
Steuer heranzieht, als steuerpflichtig und stellt deshalb den staatlichen
Steuerklassen noch eine als laa bezeichnete Klasse voran, welche eben
jene Einkommen von 300—400 M. in sich schließt. Leipzig und
Zwickau lassen das steuerpflichtige Einkommen erst bei 500 M. be-
ginnen, die Klasse la des Staatssteuertarifs fällt also hier weg. Dresden
läßt sogar alle Personen, deren Jahreseinkommen den Betrag von
600 M. nicht übersteigt, von der Einkommensteuer frei, so daß also
sowohl die Einkommen der Klasse la als auch diejenigen der Klasse 1
des staatlichen Einkommensteuertarifs steuerfrei bleiben. Plauen da-
Gemeindeeinkommensteuer 35
gegen hat eine selbständige, von der staatlichen völlig abweichende
Klasseneinteilung für seine Einkommensteuer festgesetzt. Die Steuer-
Klassen steigen hier von 400—6000 M. um je 100 M., so daß die
untersten vier Steuerklassen des dortigen Tarifs mit denen des staat-
lichen Steuertarifs übereinstimmen und mit Steuerklasse 5 die Ände-
rung einsetzt. Von 6000 M. an steigen die Klassen dann regelmäßig
um 200 M.
Was die Steuersätze anlangt, so weichen diese meist ganz erheb-
lich von denen des Staatseinkommensteuertarifs ab, auch in denjenigen
Städten, welche die Klasseneinteilung aus dem Staatstarife übernommen
haben. Hier alle die Verschiedenheiten einzeln aufzuführen, würde zu
weit gehen, nur die Verhältnisse der Kreis- und Großstädte sollen einer
kurzen Betrachtung unterworfen werden. Bautzen hat einen Einheits-
satz für jede Steuerklasse aufgestellt, und durch Beschluß von Rat und
Stadtverordneten wird bestimmt, wievielmal im Jahre der E:nheitssatz
zur Erhebung gelangen soll. Ähnlich liegen die Verhältnisse in Chem-
nitz, wo ebenfalls ein Steuertarif mit Einheitssätzen aufgestellt ist und
nach Vollendung des Einschätzungsgeschäfts und Feststellung des
Haushaltplans alljährlich der Rat bestimmt, wieviel Hundertteile der
Einheitssätze zu erheben sind, um den durch die Gemeindesteuern auf-
zubringenden Bedarf zu decken. Dazu ist noch die folgende Bestim-
mung von Wichtigkeit:
„Natürliche und juristische Personen, die das stehende Gewerbe
des Klein- (Detail-) Handels mit Waren aus mehr als einer der folgen-
den vier Warengruppen betreiben:
a) Material- und Kolonialwaren, EB- und Trinkwaren und Ge-
nußmittel, Tabak und Tabakfabrikate (auch Rauchutensilien),
Apothekerwaren, Farbwaren, Drogen und Parfümerien;
b) Garne und Zwirne, Posamentierwaren, Schnitt-, Manufaktur-
und Modewaren, gewebte, gestrickte, gewalkte und gestickte
Waren, Bekleidungsgegenstände (Konfektion, Pelzwaren),
Wäsche jeder Art, Betten und Möbel jeder Art, Vorhänge,
Teppiche, Möbelstoffe und die zu deren Verarbeitung dienende
Anfertigung von Zimmerdekorationen;
c) Haus-, Küchen- und Gartengerätschaften, Öfen, Glas-, Porzellan-,
Steingut- und Tonwaren, Möbel jeder Art und die dazu dienen-
den Möbelstoffe, Vorhänge und Teppiche;
d) Gold-, Silber- und sonstige Juwelierwaren, Kunst-, Luxus-,
Galanteriewaren, Papp- und Papierwaren, Bücher und Musi-
kalien, Waffen, Fahrräder, Fahr-, Reit- und Jagdutensilien,
sonstige Sportartikel, Nähmaschinen, Spielwaren, optische, phy-
sikalische, medizinische und musikalische Instrumente und
Apparate
Eh
36 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
und einen Jahresumsatz von 200000 M. oder mehr erzielen, oder
ohne Rücksicht auf die Höhe des Umsatzes diejenigen, die in Chem-
nitz im kleinen Waren auch nur einer der genannten Warengruppen
von mehr als einer Verkaufsstätte aus oder in einer Niederlassung eines
auswärtigen gewerblichen oder landwirtschaftlichen Unternehmens feil-
bieten, haben, auch wenn ihr tatsächlicher Reingewinn geringer ist,
mindestens 1000 des in diesen Waren erreichten Jahresumsatzes als
Einkommen nach dieser Steuerordnung zu versteuern.
Teilhaber von die juristische Persönlichkeit nicht besitzenden Ir-
werbsgcesellschaften fallen unter diese Bestimmung schon dann, wenn
der entsprechende Umsatz der ganzen Gesellschaft 200000 M.
oder mehr beträgt. Das nach dem Umsatze zu berechnende Einkommen
ist den Teilhabern im Verhältnis ihres Anteils am Reingewinne zu-
zurechnen.
Maßgebend ist der durchschnittliche Jahresumsatz der zur Zeit
der Einschätzung abgelaufenen 3 Geschäftsjahre oder, dafern die be-
sondere vorstehend geregelte Steuerpflicht noch nicht 3 Jahre lang
besteht, der nach dem bisherigen Ergebnis oder, falls auch dies keinen
Anhalt bietet, nach dem Stand zur Zeit der Einschätzung frei zu
schätzende Jahresumsatz. Wird daneben der Verkauf im großen be-
trieben, so ist der vom Steuerpflichtigen nachzuweisende und nach den
Bestimmungen dieser Steuerordnung festzustellende Reingewinn aus
dem Großhandel dem nach den vorhergehenden Sätzen ermittelten Ein-
kommen hinzuzurechnen; ebenso ist das übrige, insbesondere das aus
andern Quellen erzielte, nach den Grundsätzen dieser Steuerordnung
festzustellende Reineinkommen hinzuzuschlagen.“
Man wird nicht fehl gehen, wenn man in dieser besondern Art
Einkommensteuer eine Gewerbesteuer bzw. eine Steuer auf besonders
leistungsfähige Handelsbetriebe sieht.
Dic Stadt Dresden hat für die einzelnen Klassen die Steuersätze
der Staatseinkommensteuer als Normalsätze bestimmt, und nach der
Höhe des durch die Einkommensteuer zu deckenden Bedarfs wird all-
jährlich vom Rate unter Zustimmung der Stadtverordneten das Ver-
hältnis zum vollen Steuersoll festgesetzt, nach welchem auf das be-
treffende Steuerjahr die Einkommensteuer für die Stadtgemeinde zu
erheben ist. Leipzig aber hat bei seiner Einkommensteuer für alle
Steuerklassen feststehende Steuersätze eingeführt, die alljährlich ein-
mal erhoben werden. Zwickau erhebt seine städtische Einkommen-
steuer in prozentualen Zuschlägen zur staatlichen. Es wird hier jähr-
lich ein Anlagenkataster aufgestellt, das die Summe des durch die Ein-
kommensteuer zu deckenden Bedarfs anzugeben hat. Es ist festgesetzt,
daß 10% des Steuerbedarfs durch Grundsteuern, 90% durch Ein-
kommensteuern aufzubringen sind. Der Anteil nun, welcher von den
einzelnen Steuerpflichtigen zu den städtischen Anlagen aufgebracht
Gemeindegrundsteuer 37
werden muB, wird berechnet auf Grund des Betrages, der an staatlicher
Einkommensteuer von den Betreffenden zu entrichten ist. Auf jede
Mark staatliche Einkommensteuer ist also von den betreffenden anlage-
pflichtigen Personen ein gleichmäßig hoher Betrag als Anlage vom
Einkommen beizusteuern. Es muß daher im erwähnten Anlagekataster
noch angegeben sein, 1. nach wieviel Mark staatlicher Einkommen-
steuer der aufzubringende Geldbedarf unter die gesamten Anlagepflich-
tigen zu verteilen ist, 2. wieviel hiernach jeder Anlagepflichtige auf
jede Mark ordentlicher Einkommensteuer an Anlagen vom Einkommen
zu dem betreffenden Geldbedarfe beizusteuern hat, 3. wieviel auf jede
Mark ordentlicher Einkommensteuer an Anlagen vom Einkommen ent-
fällt, 4. wieviel jeder Anlagepflichtige an Anlagen vom Einkommen
zu entrichten hat. Es besteht noch die Bestimmung, daß der Stadtrat
nach Abschluß des Anlagenkatasters durch sein Amtsblatt öffentlich
bekanntzugeben hat, wieviel auf jede Mark staatliche Einkommen-
steuer zu entrichten ist, sowie in wieviel Terminen und in welchen
Raten die Anlagen an das Stadtsteueramt zu zahlen sind. Außerdem
finden sich hier noch ähnliche Bestimmungen wie in Chemnitz hin-
sichtlich der Besteuerung des Einkommens besonders leistungsfähiger
Gewerbe- und Handelsbetriebe. Die Stadt Plauen endlich hat analog
wie Leipzig für die Klassen ihres Steuertarifs eigne Steuersätze auf-
gestellt, welche auch in den untersten 4 Steuerklassen, die mit denen
des staatlichen Tarifs übereinstimmen, gänzlich von den staatlichen
Einkommensteuersätzen abweichen. Ferner werden auch hier gewisse
Gewerbebetriebe der Einkommenbesteuerung unterworfen, und zwar
nach ähnlichen Grundsätzen wie in Chemnitz und Zwickau. In den
beiden Städten Leipzig und Plauen, welche feste Steuersätze für die
verschiedenen Einkommenklassen aufgestellt haben, besteht noch die
Bestimmung, daß, falls die Erhebung des festgesetzten Normalsteuer-
satzes zur Deckung des Fehlbetrages nicht ausreicht, gleichmäßige Zu-
schläge zu allen Klassen zu veranschlagen und zu erheben sind. Tritt
das Umgekehrte ein, nämlich daß das zu veranschlagende Ergebnis des
Normalsteuersatzes den Fehlbetrag übersteigt, so kann durch überein-
stimmenden Beschluß von Rat und Stadtverordneten ein auf alle
Klassen gleichmäßig zu verteilender Nachlaß gewährt werden.
Sodann erheben sämtliche sächsischen Kreis- und Großstädte
außer Plauen eine Grundsteuer. Ihr unterliegen — die betreffen-
den Ortsstatute drücken sich hier ziemlich übereinstimmend aus —
in der Regel „alle innerhalb des Stadtbezirkes gelegenen bebauten und
unbebauten Grundstücke‘. In Bautzen beträgt diese Grundsteuer jähr-
lich 1% des Nutzertrages des Gebäudes bzw. des Grundstücks oder
der Berechtigung. Der Nutzertrag wird nach den Anzeigen des Be-
sitzers und gleichzeitig durch Abschätzung durch einen für diesen
Zweck eingesetzten städtischen Ausschuß festgestellt. Für Grund-
38 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
stücke, für welche ein ortsüblicher Pacht oder Mietwert nicht zu er-
mitteln ist, wird der Nutzertrag nach der Einschätzung bestimmt, der
dieselben für die Landesbrandkasse unterlegen haben. Chemnitz be-
steuert die bebauten Grundstücke nach ihrer Ertragsfähigkeit auf
Grund festgesetzter Klassen und Einheitssätze, unbebaute Grund-
stücke aber nach ihrem gemeinen Werte und ebenfalls nach feststehen-
den Klassen und Einheitssätzen. Es besteht dabei noch die Vorschrift,
daß von dem gesamten Bedarf an Gemeindesteuern ein Zehntel durch
die Grundsteuer vom bebauten Grundbesitze, neun Zehntel durch die
Grundsteuer vom unbebauten Grundbesitze und durch die Einkom-
mensteuer aufzubringen sind. Dresden behandelt hinsichtlich der Be-
steuerung den bebauten und den unbebauten Grundbesitz gleich, indem
es Grundsteuern in Höhe von 4% des gemeinen Wertes erhebt. In Leip-
zig wird die Grundsteuer bemessen nach dem Grundwerte, welcher er-
mittelt wird nach den wirklichen oder geschätzten Nutzerträgen, und
zwar durch Kapitalisierung der Durchschnittsnutzung der vorange-
gangenen drei Jahre mit dem 15fachen Betrage. Die Steuer beträgt
2% des ermittelten und im Grundsteuerbuche eingestellten Grund-
wertes und wird in zwei Terminen alljährlich erhoben. Zwickau erhebt
seine Grundsteuer nach Steuereinheiten, wobei die Bestimmung maß-
gebend ist, daß 10% des aufzubringenden Steuerbedarfs der Grund-
besitz zu tragen hat, während die übrigen 90% durch Einkommen-
steuern zu decken sind. Verpflichtet zur Entrichtung der Steuer und
für dieselbe haftbar ist nach den meisten Gemeindeordnungen der zur
Zeit der Fälligkeit eines Grundsteuerbetrages im Grundbuche einge-
tragene Eigentümer. Miteigentümer haften als Gesamtschuldner.
Dresden und Zwickau haben außerdem eine Bürger- und Bin-
wohnersteuer eingeführt. Wer das Bürgerrecht der Stadt Dresden
erworben hat, hat eine Bürgersteuer von jährlich 4 M. als persönliche
Abgabe zu zahlen. Wer, ohne Dresdner Bürger zu sein, in Dresden
einen Wohnsitz hat oder über 3 Monate sich aufhält, hat, dafern er in
Sachsen zur Staatseinkommensteuer oder in Dresden zur Gemeinde-
einkommensteuer beitragspflichtig ist, Einwohnersteuer zu entrichten.
Diese Einwohnersteuer beträgt in Dresden jährlich den fünften Teil
der von dem Steuerpflichtigen gemäß des Einkommensteuergesetzes zu
zahlenden Staatseinkommensteuer und, dafern der Steuerpflichtige in
Dresden Staatseinkommensteuer nicht zu entrichten hat, den fünften
Teil desjenigen Betrages, welcher von ihm als Gemeindeeinkommen-
steuer zu entrichten sein würde, wenn letztere in Höhe von 100% der
Staatseinkommensteuer erhoben würde, darf jedoch den Betrag von
20 M. jährlich nicht übersteigen. Die Bürger- und die Einwohner-
steuer ist in zwei Raten je zur Hälfte gleichzeitig mit der Staatsein-
kommensteuer an den Rat zu bezahlen. Zwickau bestimmt hinsichtlich
dieser Bürger- und Einwohnersteuer, daß die daselbst unter dem Namen
Bürger- und Einwohnersteuer; Zuwachesteuer 39
„Geschoß‘ herkömmliche jährliche Gemeindeabgabe von jedem Bürger
und jeder Bürgerin mit 3 M. und von jedem sonstigen Gemeindemit-
gliede mit 1,50 M. in den vom Stadtrate unter Zustimmung der Stadt-
verordneten zu bestimmenden Raten und Terminen zu entrichten ist.
Von Wichtigkeit sind für die Städte sodann die Zuwachs-
steuern. Sie werden von den Städten im Auftrage des Reiches und
auf Grund des Reichszuwachssteuergesetzes vom 14. Februar 1911 er-
hoben. Die sächsischen Ausführungsbestimmungen dazu sind am
29. März desselben Jahres erlassen worden. Die Zuwachssteuern wer-
den erhoben beim Übergange des Eigentums an inländischen Grund-
stücken von dem Wertzuwachse, der ohne Zutun des Eigentümers ent-
standen ist. Dabei sind ähnlich wie bei der Besitzwechselabgabe gewisse
Ausnahmen von dieser Vorschrift (Erwerb von Todcs wegen, Austausch
von Grundstücken zum Zwecke der Flurbereinigung) festgesetzt. Als
steuerpflichtiger Wertzuwachs gilt der Unterschied zwischen dem Er-
werbspreise und dem Veräußerungspreise. Ist ein Preis nicht verein-
bart oder nicht zu ermitteln, so trıtt an dessen Stelle der Wert des
Grundstücks. Die Steuer steigt von 10—30% je nach der Höhe der
Wertsteigerung. Die Entrichtung der Wertzuwachssteuer liegt dem-
jenigen ob, dem das Eigentum an dem Grundstücke vor dem die Steuer-
pflicht begründenden Rechtsvorgange zustand. Mehrere Steuerpflich-
tige haften als Gesamtschuldner. Kann die Steuer von dem Veräußerer
nicht beigetrieben werden, so haftet der Erwerber für die Steuer bis
zum Betrage von Zou des Veräußerungspreises, welche Bestimmung
jedoch keine Anwendung findet beim Erwerbe im Wege der Zwangs-
versteigerung. Für die Verwaltung und Erhebung der Zuwachssteuer
ıst der Bundesstaat zuständig, in welchem sich das Grundstück be-
findet, und zwar hat die Verwaltung zu erfolgen durch die von der
Landesregierung hierzu bestimmten Stellen. Sachsen hat als Zuwachs-
steuerämter im Sinne des Gesetzes in den Städten mit revidierter Städte-
ordnung die Stadträte erklärt. In den übrigen Städten und in den Land-
gemeinden kann das Finanzministerium dem Bürgermeister oder dem
Gemeindevorstande die Geschäfte des Zuwachssteueramtes auf Wider-
ruf übertragen. Außerdem kommen für solche Gemeinden, in denen
nicht Gemeindebehörden als Zuwachssteuerämter bestellt sind, und für
die selbständigen Gutsbezirke als Zuwachssteuerämter in Betracht die
Hauptzollämter Dresden II, Leipzig II, Chemnitz, Plauen, Bautzen,
Zittau und Zwickau. Von dem Ertrage der Zuwachssteuer erhält das
Reich 50%; weitere 10% erhalten, soweit nicht die Landesgesetz-
gebung etwas anderes bestimmt, die Bundesstaaten, und 409% fließen
den Gemeinden oder Gemeindeverbänden zu, in deren Bereiche das
Grundstück liegt. Außerdem sind die Gemeinden und Gemeindever-
bände berechtigt, mit Genehmigung der Landesregierung, in Sachsen
also des Ministeriums des Innern, zu dem Anteile, der ihnen vom Ertrage
40 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
der Steuer zufließt, für ihre Rechnung Zuschläge zu erheben. Diese
Zuschläge sind nach Prozenten zu berechnen; sie dürfen im einzelnen
Falle 10000 des der Gemeinde oder dem Gemeindeverbande zuflieBen-
den Betrags nicht übersteigen. Reichssteuer und Zuschlag dürfen zu-
sammen nicht mehr als 30% der Wertsteigerung ausmachen. Von
dem Rechte, Zuschläge zur Reichszuwachssteuer zu erheben, haben von
den sächsischen Kreis- und Großstädten Chemnitz und Leipzig Ge-
brauch gemacht. Über die Erhebung dieser kommunalen Wertzuwachs-
steuer sind in beiden Städten Ortsgesetze errichtet worden, die sich in
ihren Grundzügen eng an das Reichsgesetz anschließen. Nach den
Tarifen der beiden Städte, welche bis auf eine kleine Abweichung hin-
sichtlich der Besteuerung des Wertzuwachses von über 100% voll-
kommen übereinstimmen, besteuern dieselben den Wertzuwachs von
mehr als 5% und die Klassen steigen hinsichtlich der Wertsteigerung
immer um je 5%. Der zu entrichtende Steuersatz beträgt Dän des
Wertzuwachses bei einer Wertsteigerung von 5—10% und erhöht sich
von einer Klasse zur andern um je 1%, so daß also bei einer Wert-
steigerung von 95—100% 23% dieses Wertzuwachses zu versteuern
sind. Während aber in Leipzig auch jede Wertsteigerung über 100%
mit 23% des Wertzuwachses zur Steuer herangezogen wird, wird in
Chemnitz die Wertsteigerung von über 100% mit 24% des Wert-
zuwachses besteuert.
Als städtische Steuern besonderer Art sind die folgenden
sechs Angaben anzusehen: Besitzveränderungsabgaben, Wanderlager-
steuern, Hundesteuern, Nachtigallensteuern, Lustbarkeitssteuern und
Fischkartenabgaben. Sie werden auf Grund landesgesetzlicher Vor-
schriften erhoben und finden sich daher in sämtlichen Städten. Hierzu
sei noch bemerkt, daß streng genommen auch die Erhebung der
Kirchen- und Schulanlagen auf Grund landesgesetzlicher Bestimmun-
gen erfolgt, indem das Parochiallastengesetz vom 8.März 1838 vor-
schreibt, daß, wenn die Mittel der Kirchen- und Schulgemeinden zur
Erfüllung ihrer Aufgaben nicht ausreichen, die Fehlbeträge in Form
von Kirchen- und Schulanlagen von den Mitgliedern der genannten
Gemeinden aufzubringen sind.
Was zunächst die Besitzveränderungsabgaben betrifft, so
ist bereits durch die Armenordnung vom Jahre 1840 vorgeschrieben,
daß zu den ordentlichen Einnahmen der Armenkassen gehören ,,die
bei der gerichtlichen Insinuation und Bestätigung von Käufen, Tausch-
kontrakten, Schenkungen unter den Lebendigen und auf den Todes-
fall, Erbteilungen und andern Verträgen, bei denen eine Übertragung
des Eigentums, sei es an Rittergütern und andern bei den Lehnskurien
zu Lehn gehenden Grundstücken und Gütern oder an städtischen und
weltlichen Besitzungen irgendeiner Art, stattfindet, von einem oder
nach Maßgabe des Geschäfts von mehreren oder sämtlichen Beteiligten
Besitzveranderungsabgaben | 41
zu leistenden Beiträge“. Auch das Gesetz vom 5.Mai 1868, die Auf-
hebung und Abänderung einiger Bestimmungen der allgemeinen Armen-
ordnung vom 22.Oktober 1840 betreffend, hat eine diesbezügliche Be-
stimmung aufgenommen. Außerdem enthält das Volksschulgesetz vom
26. April 1873 die Vorschrift, daß „die nach Herkommen oder Orts-
statut für die Schule einzufordernden Abgaben bei Käufen und andern
Besitzveränderungen“ auch weiterhin in die Schulklasse fließen sollen.
Endlich werden schon von alters her Besitzveriinderungsabgaben zu-
gunsten der Kirchen- und der Feuerlöschkasse ın den einzelnen Ge-
meinden erhoben; gesetzliche Bestimmungen bestehen darüber nicht,
nur die Ortsstatute regeln den Anteil, den diese beiden Kassen an den
Besitzveränderungsabgaben haben sollen. Bisweilen hat auch das Mini-
sterium des Innern Ortsstatute genehmigt, wonach Städte Besitzver-
änderungsabgaben für die Kasse der politischen Gemeinde einziehen
dürfen. In den einzelnen Städten bestehen darüber folgende Bestim-
mungen: Bautzen erhebt bei allen Veränderungen im Besitze von
Grundstücken und von Berechtigungen, für welche die auf Grundstücke
bezüglichen Vorschriften gelten, von je 100 M. der Erwerbungs- oder
Wertsumme 1,20 M. zur Stadtkasse. Die Stadt Chemnitz vereinnahmt
die Besitzveränderungsabgaben in Höhe von 5/,% des jeweiligen Zeit-
wertes des Grundstücks zur Stadtkasse und von 2/,% zur Kasse des
Ortsarmenverbandes. Außerdem wird in den einzelnen Parochien der
Stadt 1/,% des jeweiligen Zeitwertes zur Kirchengemeindekasse er-
hoben. Wenn aber das Grundstück auf einen nach dem deutschen
Bürgerlichen Gesetzbuche pflichtteilsberechtigten Angehörigen des bis-
herigen Eigentümers von Todes wegen übergeht, so ist nur eine Abgabe
von 1/;% des Zeitwertes zur Ortsarmenverbandskasse und beim Er-
werbe durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung nur eine Abgabe
von ?/,% der Erstehungssumme zur Kasse der evangelischen Schul-
gemeinde Chemnitz zu entrichten. Die Gemeindesteuerordnung der
Stadt Dresden schreibt vor, daß bei allen in der Stadtgemeinde Dresden
vorkommenden Veränderungen im Besitze von Grundstücken eine Be-
sitzwechselabgabe in Höhe von 0,6% des Verkehrswertes zur Stadt-
kasse und von 0,2% zur Kasse der evangelischen Schulgemeinde zu
entrichten ist. Die Stadt Leipzig erhebt von jedem, der im Bezirke
der Stadt gelegene Grundstücke ganz oder anteilig erwirbt, eine Be-
sitzwechselabgabe, welche beim Erwerb von bebauten Grundstücken
1% des jeweiligen Zeitwertes des Grundstücks beträgt, und zwar ent-
fallen davon 0,8% auf die Stadtkasse und 0,2% auf die Armenkasse.
Beim Erwerbe von unbebauten Grundstücken erhöhen sich diese Ab-
gaben auf den doppelten Betrag. In Zwickau beträgt die Abgabe,
welche beim Erwerb im Bezirke der Stadt liegender bebauter und un-
bebauter Grundstücke jeder Art, ingleichen von Berechtigungen, die
den Grundstücken gleichgestellt sind, zu leisten ist, 1% des jeweiligen
42 Vierte Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Zeitwertes und ist mit je 1/, zur Stadtkasse, zur Ortsarmenverbands-
kasse und zur Schulkasse zu entrichten. Dabei besteht noch die Be-
stimmung, daß die Abgabe an die Stadtkasse zur Schuldentilgung zu
verwenden ist. Was endlich Plauen anlangt, so ist bei allen im dortigen
Stadtgemeindebezirke vorkommenden Veränderungen im Besitze von
Grundstücken und von Berechtigungen, für welche die auf Grundstücke
bezüglichen Vorschriften gelten, von je 100 M. der Erwerbungs- oder
Wertsumme eine Mark zu entrichten, und zwar entfallen von jeder
Mark je 33!/, Pf. zur Stadtkasse, zur Armenkasse und zur Schulkasse.
Auch hier wird die Abgabe zur Stadtkasse für die Schuldentilgung
verwendet. Vielfach findet man in den Steuerordnungen noch Vor-
schriften über Befreiungen oder Ermäßigungen der Steuer bei gewissen
Grundstückserwerbungen (Erbanfall, Zwangsversteigerung, Enteig-
nung), doch würde es zu weit führen, auf alle diese Einzelbestimmun-
gen näher einzugehen.
Die Besteuerung der Wanderlagerbetriebe erfolgt auf
Grund der Bestimmungen des Gesetzes, die Abänderung der Revidier-
ten Städteordnung und Landgemeindeordnung, sowie die weitere Be-
steuerung des Wanderlagerbetriebes betreffend, vom 23.März 1880.
Hiernach hat jeder, der außerhalb der Messen, Jahrmärkte und öffent-
lichen Ausstellungen ein Warenlager (Wanderlager) außerhalb seines
Wohnortes ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung gleich-
viel ob zum Verkaufe aus freier Hand oder im Wege der Versteigerung
feilbietet oder durch andre feilbieten läßt, auch wenn er diesen Ge-
werbebetrieb als einen stehenden anmeldet, neben der Steuer auf den
Gewerbebetrieb im Umherziehen (Gesetz vom 1.Juli 1878) in jedem
Orte, an welchem er das Geschäft betreibt oder durch Vermittlung
eines einheimischen Verkäufers oder Auktionators betreiben läßt, eine
für diese Gemeinde und von derselben zu erhebende, dem Jahresbetrage
der vorerwähnten Steuer gleich hohe, jedoch die Summe von 60 M.
nicht übersteigende Steuer für die Woche beim Vertriebe aus freier
Hand und, wenn die Waren an einem Orte in mehreren Lokalen gleich-
zeitig oder nacheinander verkauft werden, für jedes Lokal besonders,
eine gleiche Steuer aber für den Tag und für jedes einzelne Lokal beim
Vertriebe durch Versteigerung in Vorausbezahlung zu entrichten. Eine
Teilung des Steuersatzes für einen kürzern als einwöchigen bzw. ein-
tägigen Betrieb findet nicht statt. Außerdem unterliegt auch derjenige
der Steuer, welcher innerhalb seines Wohnorts oder am Orte seiner ge-
werblichen Niederlassung ein Wanderlager feilbietet, dafern die ob-
waltenden Umstände die Annahme begründen, daß die Verlegung des
Wohnsitzes an den Ort der Feilbietung oder die Begründung der ge-
werblichen Niederlassung nur vorübergehend erfolgt ist. Der Gemeinde-
behörde ist. vom Beginne des betreffenden Betriebes Anzeige zu er-
statten.
Besteuerung der Wanderlagerbetriebe, Hundesteuer 43
Die Hundesteuer wird auf Grund eines Gesetzes für das Kö-
nigreich Sachsen vom 18. August 1868, die allgemeine Einführung
einer Hundesteuer betreffend, erhoben, wonach ‚für jeden Hund ohne
Unterschied des Geschlechts eine jährliche Steuer zu entrichten ist, die
nach Abzug der notwendigen Regie- und Verwaltungskosten in der
Regel in die Armenkasse der betreffenden Heimats- und Armenver-
sorgungsbezirke zu fließen hat, an denjenigen Orten aber, die für sich
allein einen besondern Heimats- und Armenversorgungsbezirk bilden,
durch Beschluß der Gemeindevertretung der Gemeindekasse zugewiesen
werden kann“. Die Steuer wird in Städten durch den Stadtrat, in Land-
gemeinden durch den Gemeindevorstand erhoben. Ihre Höhe schwankt
zwischen dem gesetzlichen Mindestsatze von 3 M. und dem gesetzlichen
Höchstbetrage von 30 M. Ermäßigungen sind zulässig für Gebrauchs-
(Zug- und Wach-) Hunde. Die Steuer kann in halbjihrigen Terminen
erhoben werden. Neben der Steuer ist noch eine Vergütung für die
Hundesteuermarke zu zahlen.
Betrachten wir nun die Hundesteuerordnungen der einzelnen Städte
etwas näher. Das entsprechende Ortsstatut der Stadt Bautzen bestimmt,
daß jeder, der innerhalb der Stadt einen oder mehrere Hunde hält, da-
für eine jährliche Abgabe zu entrichten hat, welche für einen Hund
15 M. und, wenn jemand mehr als einen Hund hält, für jeden weitern
Hund 25 M. beträgt. Diese Bestimmung erleidet nur insofern eine
Änderung, als für Hunde, welche in geschlossenen Räumen oder in
Hofräumen an der Kette liegen oder welche von ihren Besitzern bei
Ausübung ihres Gewerbebetriebes zum Ziehen oder zum Treiben bzw.
Hüten des Viehs benutzt und in der Zeit, wo sie zu diesen Verrichtungen
nicht verwendet werden, unausgesetzt an der Kette liegen oder in ge-
schlossenen Räumen gehalten werden, eine jährliche Abgabe von je
5 M. zu entrichten ist. Höhere Steuersätze als in Bautzen finden wir
in Chemnitz, wo für jeden Hund ohne Unterschied des Geschlechts
eine jährliche Steuer von 20 M. für den ersten und von 30 M. für
jeden weitern von demselben Besitzer oder innerhalb desselben Haus-
haltes gehaltenen Hund zur Stadtkasse zu entrichten ist. Für Zug- und
Wachhunde sowie für sonstige zu gewerbsmäßigen Darbietungen be-
nutzte Hunde kann bei geringem, 1600 M. nicht übersteigenden Ein-
kommen des Besitzers die Steuer auf schriftliches Ansuchen durch den
Rat bis zur Hälfte, bei besondrer Bedürftigkeit bis zum gesetzlichen
Mindestbetrage von 3 M. ermäßigt werden. Leipzig setzt in seiner
Hundesteuerordnung fest, daß die volle Jahressteuer für einen Hund
20 M. beträgt; für jeden zweiten oder folgenden Hund, der innerhalb
eines Haushaltes gehalten wird, erhöht sich die Steuer auf 30 M. Für
Zug-, Wach- und Diensthunde sowie für Hunde, die zum Broterwerb
benutzt werden oder zur Führung oder Bewachung blinder oder tauber
Personen dienen, kann die Steuer auf schriftlichen Antrag durch Rats-
44 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
beschluß ganz oder teilweise erlassen werden. In Zwickau beträgt die
Jahressteuer für einen Hund ohne Unterschied des Geschlechts 20 M.
Für jeden zweiten oder folgenden Hund, der innerhalb desselben Haus-
halts gehalten wird, erhöht sich die Steuer auf 25 M. Für Wach-, Zug-
und Diensthunde sowie für solche Hunde, die zu gewerblichen Zwecken
oder zur Führung oder Bewachung blinder oder tauber Personen dienen,
kann die Steuer bis auf den gesetzlichen Mindestbetrag von 3 M. er-
mäßigt werden. In Plauen endlich ist für jeden Hund zur Armenkasse
eine Steuer von 18 M. an die Stadtkasse zu entrichten. Hinsichtlich
der Steuerermäßigung bestehen dieselben Vorschriften wie in Zwickau.
Dagegen findet keine Erhöhung der Steuer statt, wenn zwei oder mehr
Hunde von derselben Person oder in demselben Haushalte gehalten
werden. Als Normaltag, an welchem alle im Stadtbezirke befindlichen
Hunde aufzuzeichnen sind, gilt überall der 10. Januar. Die in den ge-
nannten Städten geltenden Bestimmungen über Befreiungen von der
Steuer innerhalb einer gewissen Zeit hinsichtlich junger Hunde sowie
über Berechnung der Steuer bei im Laufe des Jahres steuerpflichtig
werdenden Hunden weichen zum Teil voneinander ab: Während Bautzen
und Dresden auch bei innerhalb des Steuerjahres angeschafften Hunden
den vollen Satz erhebt, hat Chemnitz festgesetzt, daß, wenn nach dem
30. Juni die Anschaffung stattfindet, nur der halbe Betrag zu ent-
richten ist. Leipzig und Plauen aber berechnen die Steuer für solche
Hunde, die im Laufe des Jahres steuerpflichtig werden, nach Monaten,
und in Zwickau wird für diese Hunde die Steuer nach Vierteljahren
festgesetzt. Eine teilweise Zurückerstattung der gezahlten Jahressteuer
bei Verendung oder sonstiger Abschaffung eines Hundes findet nurin
Zwickau statt. Zur Entrichtung der Steuer ist in der Regel derjenige
verpflichtet, der einen zu versteuernden Hund hält, gleichviel, ob er
Eigentümer des Hundes ist oder nicht. Endlich enthalten die ver-
schiedenen Ortsstatute noch Strafbestimmungen für solche Personen,
welche eine Hinterziehung der Steuer versuchen. Auch sind Ermäßi-
gungen für Hundehändler festgesetzt.
Betreffs der Besteuerung der Nachtigallen ist die Verordnung
vom 1. Dezember 1864 maßgebend, welche bestimmt, daß, wer eine
Nachtigall gefangen hält, dafür eine jährliche der Armenkasse seines
Wohnortes zufließende Abgabe von 4 Talern, und zwar in der Regel
am 1. Mai jedes Jahres zu entrichten hat. Die volle Steuer ist auch von
demjenigen zu zahlen, der eine erst während des Steuerjahres einge-
fangene Nachtigall hält. Hinterziehungen sind mit dem ebenfalls der
Ortsarmenkasse zufließenden dreifachen Betrage der Steuer zu ahnden.
- Hinsichtlich der Lust barkeitssteuer bestimmt das Gesetz vom
30. April 1890, die Abänderung mehrerer Bestimmungen der Armen-
ordnung für das Königreich Sachsen vom 22. Oktober 1840 betreffend,
daß ‚die Abgaben von öffentlichen Musikaufführungen, Gesangs- und
Nachtigallensteuer, Lustbarkeitssteuer, Fischkartenabgabe und Kirchensteuer 45
deklamatorischen Vorträgen, Schaustellungen und Lustbarkeiten aller
Art“ in die Armenkasse zu fließen haben. Weiter wird im genannten
Gesetze vorgeschrieben, daß für diese Abgabe, deren Höhe von den ein-
zelnen Gemeinden selbst festgesetzt werden darf, die Bestimmungen
der Städteordnung und der Landgemeindeordnung gelten sollen, welche
in den Abschnitten ,,Gemeindeleistungen“ und ‚von der Oberaufsicht
des Staates‘‘ enthalten und schon früher näher dargelegt worden sind.
Sie beziehen sich in der Hauptsache auf die Genehmigung dieser Ge-
meindcanlagen durch die Aufsichtsbehörde. Dresden und Chemnitz
haben über die Erhebung der Lustbarkeitssteuer besondere Ortsstatute
errichtet. Die übrigen Kreis- und Großstädte sowie die meisten andern
Stadt- und Landgemeinden Sachsens schließen sich hinsichtlich der
Höhe dieser Abgaben an das Gebührenverzeichnis an, welches dem Ge-
setze, betreffend die Erhebung von Kosten für Amtshandlungen der
Behördern der innern Verwaltung und von Gebühren für die Benutzung
öffentlicher Einrichtungen, vom 30. April 1906 beigegeben ist. Die
Höhe der zu zahlenden Gebühr wird von Fall zu Fall festgesetzt. So-
wohl in den Ortsstatuten der beiden genannten Städte als auch im er-
wähnten Gesetze werden die Vergnügungen hinsichtlich ihrer Art und
Dauer, der Anzahl der daran teilnehmenden Personen und der Art der
Lokale, ın denen sie stattfinden, unterschieden, und die Höhe der zu
entrichtenden Vergnügungssteuer wird bestimmt nach diesen Gesichts-
punkten, welche in verschiedener Weise miteinander kombiniert wer-
den. Die Beträge schwanken ganz erheblich; sie gehen in der Regel
nicht unter 1 M. herunter und steigen bis 100 M.
Weiter wird durch das Gesetz über die Ausübung der Fischerei
in fließenden Gewässern vom 15.Oktober 1868 für Erlangung einer
Fischkarte eine Abgabe von 75 Pf. erhoben, welche an die Armen-
kasse des Heimatsbezirkes, in welchem das Fischwasser liegt, zu ent-
richten ist. Erstreckt sich das Fischwasser auf die Bezirke mehrerer
Armenverbände, so ist der Betrag nach gleichen Teilen unter die be-
teiligten Armenkassen zu teilen.
Die Kirchensteuern werden erhoben auf Grund des Parochial-
lastengesetzes vom 8.März 1838, erläutert, abgeändert und ergänzt
durch die Gesetze vom 21. März 1843, 15. Dezember 1855 und 30. März
1868 sowie durch die Verordnungen vom 24.Mai 1877 und 7.Mai
1887. Wie schon diese Aufzählung der jetzt geltenden Bestimmungen
zeigt, sind die hierüber bestehenden Vorschriften sehr zerstreut und
nicht übersichtlich zusammengestellt, lassen auch in sachlicher Hin-
sicht mancherlei zu wünschen übrig. Bestimmt wird im Parochial-
lastengesetze, daß „die Kirchen- und Schulgemeinden verbunden sind,
die Mittel anzuschaffen, welche ihre Kirchen und Schulen crfordern“.
Reichen hierzu die vorhandenen Geldbestände nicht aus, so sind ‚alle
Mitglieder der Kirchen- und Schulgemeinde und das ganze im Kirchen-
46 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
und Schulbezirke befindliche unbewegliche Eigentum, wenn auch
‘dessen Besitzer nicht wesentlich in dem Bezirke sich aufhalten (Fo-
renscr) oder einer andern Konfession angehören, insoweit nicht das
Gesetz eine Befreiung ausspricht, verhältnismäßig beizuziehen“. In
den Städten mit der Revidierten Städteordnung werden die Kirchen-
anlagen nach dem Fuße der Gemeindesteuern erhoben. Zu einem davon
abweichenden Anlagenfuße hat das Landeskonsistorium die Genehmi-
gung zu erteilen. In den übrigen Städten und in den Landgemeinden
sind die Kirchenanlagen je zur Hälfte auf diejenigen Einwohher,
welche das 14. Lebensjahr erreicht haben, nach der Kopfzahl, zur an-
dern Hälfte unter die Angesessenen nach Verhältnis der Grundsteuer-
einheiten zu verteilen. Jede Abweichung von dieser Vorschrift bedarf
ebenfalls der Genehmigung des Landeskonsistoriums. Kirchensteuern,
die sich auf ein eigens dazu errichtetes Ortsstatut gründen, werden nur
in Leipzig erhoben, während die übrigen Kreis- und Großstädte sich
an die Bestimmungen halten, wonach für die Erhebung der Kirchen-
anlagen die Grundsätze der Steuerordnung für die politische Gemeinde
Geltung haben sollen. Leipzig weicht hinsichtlich seines Ortsstatuts,
die Erhebung der Anlagen für die evangelisch-lutherischen Kirchen in
der Stadt Leipzig betreffend, teilweise ab von den entsprechenden Be-
stimmungen über die Steuern der politischen Gemeinde. Die Kirchen-
anlagen werden in Leipzig erhoben zu einem Viertel ihres Betrages als
dingliche Abgabe von dem im Steuerbezirke gelegenen unbeweglichen
Eigentume, zu drei Vierteln als persönliche Abgabe von den im Steuer-
bezirke wohnenden über 14 Jahre alten Mitgliedern der evangelisch-
lutherischen Kirchengemeinden. Die dingliche Kirchenanlage wird nach
den Ausweisen des städtischen Grundsteuerkatasters in der Weise um-
gelegt, daß je 1000 M. des im Steuerkataster angegebenen Grundwertes
eine Einheit bilden; überschießende Beträge werden auf das volle Tausend
nach oben abgerundet. Die persönliche Kirchenanlage wird nach den
Beträgen umgelegt, die für die Steuerpflichtigen bei ihrer Veranlagung
zur Staatseinkommensteuer als steuerpflichtiges Einkommen festgesetzt
sind, und wird erhoben nach den für die städtische Einkommensteuer
bestimmten Steuersätzen.
Ähnlich wie bei den Kirchensteuern sind die Grundsätze der Er-
hebung von Schulanlagen geregelt. Die Bestimmungen des Paro-
chiallastengesetzes sind durch das Schulgesetz vom 26. April 1887 als
auch weiterhin für die Abgaben an die Schulgemeinden gültig an-
erkannt worden, indem in $ 7 des Schulgesetzes angeordnet wird: ,,Das-
jenige, was über den Ertrag des Schulgeldes zu dem Gehalte der Lehrer
und zur Bestreitung der übrigen Schulbedürfnisse erforderlich ist, wird
von der gesamten Schulgemeinde durch Anlagen nach Vorschrift des
Gesetzes vom 8.März 1838 in Verbindung mit den Erläuterungs- und
Abänderungsgesetzen vom 21. März 1843 und 12. Dezember 1855 auf-
Schulanlagen 47
gebracht.“ Eine formelle Abweichung von den Vorschriften des Pa-
rochiallastengesetzes tritt nur insoweit ein, als in den Fällen, in wel-
chen hinsichtlich der Kirchenanlagen die Genehmigung des Landes-
konsistoriums erforderlich ist, bezüglich der Schulanlagen die oberste
Schulbehörde die Genehmigung zu erteilen hat, und die Erhebungs-
und Verrechnungsart der Schulanlagen weicht von derjenigen der Kir-
chensteuern insofern ab, als die Kirchenanlagen meist auf Grund be-
sondrer Ortsstatute und getrennt von den Steuern, insbesondre von den
Einkommensteuern der politischen Gemeinden, erhoben werden, wäh-
rend über die Einhebung von Schulanlagen in der Regel keine be-
sondern Ortsgesetze bestehen, diese vielmehr als Erhöhungen der all-
gemeinen städtischen Einkommensteuer erscheinen und genau nach dem
Fuße derselben umgelegt werden. Letzteres ist zwar, wie schon oben
erwähnt, auch bei den Kirchenanlagen der Fall, doch werden diese
meist auf den Steuerzetteln und in den Steuerkatastern der Städte ge-
trennt von der kommunalen Einkommensteuer nachgewiesen, die Schul-
anlagen dagegen werden in der Regel mit den Steuern der politischen
Gemeinde verschmolzen. Chemnitz hat eine besondre „Schulanlagen-
ordnung‘, dieselbe besteht aber aus dem einzigen Satze: „Die Ge-
meindesteuerordnung für die Stadt Chemnitz gilt für die Erhebung
der Anlagen für die evangelische Schulgemeinde Chemnitz, soweit
nicht durch gesetzliche Bestimmungen etwas andres bedingt ist.“
Plauen macht von der Regel, daß die Kirchenanlagen getrennt von den
übrigen Gemeindesteuern erhoben werden, insofern eine Ausnahme, als
es in §1 seiner Gemeindeeinkommensteuerordnung bestimmt: „Die
Gemeindebedürfnisse, welche nicht aus dem Ertrage des Gemeindever-
mögens oder sonstigen Einnahmen gedeckt werden, einschließlich der
Schul- und Kirchenbedürfnisse, werden durch eine allgemeine Ein-
kommensteuer aufgebracht.“ Die meisten Städte stellen eben nicht
mehr für politische Gemeinde, Ortsarmenverband, Schulgemeinde und
Kirchengemeinde — höchstens hinsichtlich der letztern ‚geschieht dies
noch — besondere Haushaltpläne auf, sondern vereinigen in einem
einzigen Haushaltplane die Bedürfnisse der genannten Körper-
schaften und decken deren Aufwand, soweit nicht gewisse Ein-
nahmen für einzelne derselben bestimmt sind, aus den Erträgen der
allgemeinen Einkommensteuer, die dann in entsprechender Höhe aus-
geschrieben werden muß. Im Grunde genommen wird es ja auch den
meisten Steuerzahlern ziemlich gleichgültig sein, ob sie Gemeindeein-
kommensteuer, Schulanlagen, Kirchensteuer und Armenanlagen — auch
die letztern werden fast ausnahmslos mit den allgemeinen Gemeinde-
abgaben verschmolzen — zahlen müssen oder ob ihnen ein Steuerzettel
ausgehändigt wird, der nur die Gesamtsumme, die zu zahlen ist, ent-
hält. Nur wenige werden sich viel um die Verteilung der Abgaben auf
Stadt-, Armen-, Schul- und Kirchenkasse kümmern, sondern die
48 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
meisten werden den Gesamtbetrag der Abgaben näher ins Auge
fassen.
Sodann haben die Städte Chemnitz und Dresden eine Steuer
vom Gewerbebetriebe im Umherfahren eingeführt, und zwar
erheben beide Städte diese Steuer tageweise. Während aber in Chem-
nitz die Steuer berechnet wird nach der Länge des Fuhrwerks, legt
Dresden die Ladefläche des für den Handel benutzten Wagens oder
Fuhrwerks zugrunde. Die Steuersätze sind in Chemnitz bei ciner
Wagenlänge
bis zu 150m 0,40M. : über 2,00 m bis zu 2,50 m 0,80 M.
über 150m „ „ 2,00,, 0,60, | o» EE ee tb Stare 1,60 ,,.
In Dresden beträgt die Steuer bei einer Ladefläche
bis zu 1 qm 0,20 M.! von mehr als 2qm bis zu 8 qm 1,00 M.
von mehr als Lam ,, , 2 „p 0,60,, | no aw Sy ec eevee 1,60 ,,.
Außerdem erhebt Dresden neben seiner schon erwähnten Lustbarkeits-
steuer noch eine Billettsteuer. Ihr unterliegen Eintrittskarten für
a) Theatervorstellungen,
b) Vorlesungen und Vorträge aller Art,
c) Musikalische Darbietungen,
d) Zirkusvorstellungen,
e) Spezialitäten- und Varietevorstellungen, Schaustellungen von
Personen, Tieren, Sachen und ähnliche Darbietungen,
f) Kinematographische Darbietungen,
g) Panoramen und Ausstellungen jeder Art,
h) Tanzbelustigungen, Maskenbille, Kostümfeste, Redouten und
Basare sowie sonstige Belustigungen (Hippodrome usw.),
1) Wettrennen, Wettfahren, Wettrudern, Luftballonauffahrten und
sonstige sportliche Veranstaltungen,
sofern ein Eintrittsgeld von mindestens 40 Pf. erhoben wird. Die
Billettsteuer beträgt für alle zu genannten Veranstaltungen ausge-
gegebenen Eintrittskarten oder für sonstige die Stelle der Eintritts-
karto vertretenden Nachweise (Programme, Bons, Mitgliedskarten usw.) :
a) bei einem Eintrittspreise von 40 Pf. bis 1M. . . 2. 2 2 2.2... 5Pf
D » ons i » mehr als 1 M. bis einschließlich 2 M. 10 „
c) ” 99 99 A 99 99 2 a 99 ” 3 99 15 9
d) A 3 4 99 20 99
e) „ höherem Eintrittspreise für jede weitere angefangene Mark . 10 „.
Maßgebend für die Höhe der Steuer ist der jeweils geltende
Kasseneintrittspreis. Daneben bestehen noch einige Bestimmungen
über die Besteuerung der Dauerkarten sowie Vorschriften über Be-
freiungen und Erlaß der Steuer.
In Bautzen und Zwickau besteht ferner eine Steuer vom Gast-
wirtschafts- oder Schankgewerbe. Hierzu werden herange-
Steuer v. Gewerbebetriebe im Umherfahren, Billettsteuer, Schankgewerbesteuer 49
zogen alle diejenigen, welche innerhalb des Stadtgemeindebezirks Gast-
wirtschaft, Schankwirtschaft, Kaffeeschank oder Kleinhandel mit
Branntwein oder Spiritus betreiben. Die Steuersätze sind in den bei-
den Städten verschieden und stufen sich nach den verschiedenen Arten
dieses Gewerbebetriebes ab. Gewisse Steuererhöhungen treten ein beim
Halten eines Billards oder eines Kegelschubs und beim Abhalten öffent-
licher Musikaufführungen und ähnlicher Veranstaltungen. Umgekehrt
sollen Ermäßigungen Platz greifen, wenn ausschließlich billiges Bier
(nicht mehr als 10 Pf. für den halben Liter) verschenkt und kein
Branntwein verkauft wird.
Unter den Verzehrungs-und Verbrauchsabgaben sind von
Wichtigkeit die Biersteuern; sie werden, was die Kreis- und Groß-
städte anlangt, in Bautzen, Chemnitz, Dresden, Leipzig und Plauen
erhoben. Das älteste Ortsstatut hierüber ist das Chemnitzer, welches
aus dem Jahre 1880 stammt. In Dresden sind 1909 Biersteuern ein-
geführt worden. Die Bautzener und die Plauener Biersteuerordnungen
sind 1910 ın Kraft getreten, und das Leipziger Ortsgesetz über die Er-
hebung einer Biersteuer ist vom 10.Mai 1911. Die Durchführung
dieses Gesetzes wurde aber auf ein Jahr hinausgeschoben, so daß hier
erst seit 1. April 1912 die Biersteuer erhoben wird. Zwar waren aus
verschiedenen Interessentenkreisen im Laufe des letzten Jahres zahl-
reiche Anträge an den Rat der Stadt Leipzig gelangt, um den Termin
der Erhebung der Biersteuer noch weiter hinauszuschieben, doch sind
diese Eingaben nicht berücksichtigt worden. Die Steuern sind in jeder
der genannten fünf Städte je nach dem Alkoholgehalte des Bieres ver-
schieden hoch. Auch wird die Steuer in allen erwähnten Städten als
Fabrikatsteuer erhoben. Versteuerungsgegenstand ist also das fertige,
auf Transportgebinde gefüllte Bier, für dessen Menge der amtlich
durch Eichung festgestellte Rauminhalt der Gebinde maßgebend ist.
Es hat dieser Bemessungs- und Erhebungsmodus vor den ältern Sy-
stemen der Rohmaterialsteuer oder der Halbfabrikatsteuer den Vorteil,
daß er sich durch außerordentliche Einfachheit auszeichnet. In Bautzen
wird von dem im Stadtbezirke gebrauten Biere und von allen von aus-
wärts eingeführten Bieren zur Stadtkasse eine Abgabe erhoben, welche
vom Hektoliter einfachen oder Halbbieres 30 Pf., vom Hektoliter
andrer Bierarten 65 Pf. beträgt. In Chemnitz sind an Biersteuer für
den Hektoliter einfaches Bier 19 Pf., für den Hektoliter Bier aller
andern Sorten 30 Pf. zu entrichten. Dresden erhebt für den Hektoliter
Bier 65 Pf., für einfaches oder Halbbier beträgt die Abgabe 30 Pf.
für den Hektoliter. In Leipzig und Plauen gelten die gleichen Be-
stimmungen wie in Dresden. Zur Entrichtung der Biersteuer sind nach
den darüber bestehenden Ortsstatuten verpflichtet:
1. die Gast- und Schankwirte sowie alle diejenigen, die sonst im
Stadtbezirke gegen Bezahlung Bier ausschenken oder abgeben,
Liebers: Die Finanzen 4
50 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
einschließlich der Flaschenbierhändler hinsichtlich des von ihnen
angeschafften Bieres;
2. die Brauer und Brauereien hinsichtlich des von ihnen selbst
ausgeschenkten oder von ihnen unmittelbar an die Konsumen-
ten, einschließlich der Gesellschaften und Vereine, abgegebenen
odeı im eignen Gewerbebetriebe oder Haushalte verbrauchten
Biercs;
3. Privatpersonen hinsichtlich des von auswärts bezogenen Bieres.
Den Privatpersonen gleich zu achten sind Gesellschaften und
Vereine, die von auswärts Bier für gemeinschaftliche Rechnung
beziehen und nicht durch besondre Gesellschafts- oder Vereins-
wirte ausschenken lassen.
Um die betreffenden Personen dabei zu überwachen, sind diese in
einigen Städten verpflichtet, Biersteuerbücher zu führen, worin die Be-
zugsquelle, die Art und die Menge des Bieres sowie
l. bei Brauern der Tag der Ablieferung an die Konsumenten
oder der Beginn des Ausschankes oder des Selbstverbrauchs,
2. bei Wirten und Bierhändlern der Tag der Einlegung des Bieres
in den Keller oder in die Niederlage,
3. bei allen übrigen Steuerpflichtigen der Tag des Empfangs oder
der Einfiihrung des Bieres in den Stadtbezirk
einzutragen sind.
Verschiedene andre Städte schreiben vor, daß die Brauer, gewerbs-
mäßigen Bierhändler und Schankwirte dem Stadtrate Verzeichnisse
einzureichen haben, aus denen die Abgabe des Bieres nach Tag und
Monat, div Namen der Empfänger sowie die Mengen und Gattungen
der Biero ersichtlich sind. Die Stadträte haben sich vorbehalten, die
Richtigkeit der von den Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu
prüfen und zu überwachen. Ferner enthalten die Ortsstatute noch Vor-
schriften darüber, daß für das in dem betreffenden Orte bereits in
andrer Hand versteuerte oder aus dem Stadtbezirke wieder ausgeführte
oder als verdorben unter polizeilicher Aufsicht vernichtete Bier der
Steuerbetrag abzurechnen oder, soweit er bereits entrichtet worden ist,
zu erstatten ist. Endlich haben die Städte noch Strafbestimmungen
bei Steuerhinterziehungen und sonstigen Zuwiderhandlungen gegen
ihre -Biersteuerordnungen in dieselben aufgenommen.
Bautzen und Dresden haben noch Verbrauchssteuern auf
Wild, Geflügel und Fische, und zwar werden diese Steuern als
Eingangsabgaben erhoben. Die Steuerpflicht tritt ein, sobald die ab-
gabepflichtigen Gegenstände in den Geltungsbereich der Abgabe ein-
geführt werden. Ist die Abgabe vom Einführenden nicht zu erlangen,
so haftet für ihre Bezahlung der Empfänger. Die Steuersätze richten
sich nach der Menge (Stückzahl oder Kilogramm) und der Güte der
betreffenden steuerpflichtigen Verzehrungsgegenstände.
Biersteuern. Verbrauchssteuern auf Wild, Geflügel, Fische. Eingangsabgabe 51
Ferner hat Bautzen eine Eingangsabgabe für Stein-,
Braun- und Preßkohlen (Briketts). Sie beträgt für Steinkohlen
1,50 M., für Braun- und Preßkohlen 1 M. bei 10000 kg. Bei ge-
ringeren Gewichts- und Maßsätzen sind die entsprechend geringern
Abgabesätze zu zahlen, wobei Teile von Pfennigen unter und bis zu
einem halben Pfennig außer Ansatz gelassen, Beträge über einen halben
Pfennig aber voll berechnet werden. Beträgt aber die von cinem Ein-
bringer zu bezahlende Abgabe weniger als 3 Pf., so ist von der Er-
hebung derselben abzusehen. Auch hier ist die Eingangsabgabe fällıg,
sobald die abgabepflichtigen Gegenstände in den Stadtgemeindebezirk
eingebracht sind.
Endlich sind an dieser Stelle noch zu erwähnen die verschiednen
Gebühren und Beiträge, welche die Städte von ihren Einwohnern
oder von bestimmten Klassen derselben, z.B. den Hausbesitzern oder
den Gewerbetreibenden, für verschiedne Zwecke erheben. Als wich-
tigsto dieser Gebühren und Beiträge, welche sich auch am häufigsten
in den sächsischen Städten finden, sind zu nennen: Brückenzoll,
Stättegeld bei Wochen- und Jahrmärkten und Abgabe
für Instandhaltung und Reinigung derStraßen. Die Sätze,
welche zu entrichten sind bei Benutzung der Brücken, sind nicht nur
hinsichtlich der einzelnen Städte verschieden, sondern schwanken auch
innerhalb derselben je nach Art und Umfang der die Brücken über-
schreitenden Fuhrwerke. Bisweilen werden sogar beim Personenverkehr
Brückengelder eingezogen. In der Regel bewegen sich die Sätze zwi-
schen 5 und 25 Pf. Das Stättegeld bei Wochen- und Jahrmärkten
wird in der Regel nach der Fläche berechnet, welche der Verkaufsstand
beansprucht. Meist sind 10 Pf. für den Quadratmeter zu zahlen. Zur
Entrichtung dieser Abgabe sind die Händler, welche auf dem Markte
ihre Waren feilbieten, verpflichtet. Was die Abgabe für Instand-
haltung und Reinigung der Straßen betrifft, so sind dieselben von den
Grundstücksbesitzern zu entrichten und werden in der Regel nach der
Anzahl der einem Gebäude zufallenden Quadratmeter Straßenfläche
berechnet. Sie sind bisweilen auch verschieden hoch, je nach der Art
der Fahrbahnbefestigung (Asphalt, Pflasterung, Beschotterung usw.).
Die Beträge schwanken zwischen 4 und 10 Pf. für den Quadratmeter.
Sie sind in manchen Städten zusammen mit der Grundsteuer zu ent-
richten, in andern werden sie getrennt von dieser jährlich von der Stadt-
kasse eingezogen.
ß) Finanzielle Ergebnisse
Überblicken wir nun noch ganz summarisch, d.h. ohne auf die
einzelnen Steuern näher einzugehen, sondern unter bloßer Unterschei-
dung von direkten oder indirekten Steuern die rechnerischen Ergeb-
nisse, speziell also die Einnahmen, welche den Städten aus den Steuer-
4°
52 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
quellen zugeflossen sind, so betrugen diese im Jahre 1906 in Sachsen
insgesamt 46745295 M. Hiervon entfielen 13,9%, nämlich 6508 862
Mark, auf die indirekten Abgaben und 86,1 %, das sind 40 236 433 M.,
auf die direkten Steuern. Wir können also hier ein ganz beträcht-
liches Überwiegen der direkten Steuern vor den indirekten feststellen.
Dieses Bild ändert sich freilich in den einzelnen Kreishauptmann-
schaften und noch mehr in den verschiednen Städten. Folgende Über-
sicht zeigt, wie zunächst in den einzelnen Kreishauptmannschaften
und sodann in den sächsischen Kreis- und Großstädten sich das Ver-
hältnis der direkten zu den indirekten Steuern stellt. Es sind dabei die
Einnahmen aus den städtischen Steuern des Jahres 1906 zugrunde ge-
legt und zueinander ins Verhältnis gesetzt worden.
Von den gesamten Einnahmen aus städtischen Steuern entfielen:
A) B)
in der Kreis- aufindirekte auf direkte | . 4 er Stadt Auf indirekte auf direkte
hauptmannsch. Abgaben Steuern Abgaben Steuern
Bautzen .. . 178% 82,7%, | Bautzen . . . 879% 62,1%,
Chemnitz. . 112, 88,8 „ Chemnitz. . . 128 „ 87,7 ,,
Dresden . . 83,2 ,, 66,8 „ ‚Dresden ... 403 „ 59,7 „
Leipzig... . 6,4,, 98,6 „ ‚Leipzig. ... 6,4, 98,6 „
Zwickau . . . 7,8 ,, 92,2 „ Zwickau. .. 127, 87,8 ,,
| Plauen. ... "ze. 924...
Vergleichen wir diese Ergebnisse mit den Zahlen des Landesdurch-
schnitts, so finden wir, daß hinsichtlich des Prozentverhältnisses von
direkten und indirekten Steuern die Ergebnisse der Kreishauptmann-
schaft Chemnitz sich am meisten den Durchschnittsziffern für das
Königreich Sachsen nähern. Am höchsten beziffert sich der Prozent-
anteil der ındirekten Steuern am Gesamtertrage der Steuern in der
Stadt Dresden. Doch überwiegen auch hier die direkten Steuern noch
wesentlich, so daß von einem Mißverhältnis zwischen beiden vom
finanzwissenschaftlichen Standpunkte aus noch nicht wird gesprochen
werden können.
Was endlich das Verhältnis der Steuererträge zur Bevölkerung
betrifft, so entfielen Steuern auf den Kopf der Bevölkerung:
in Bautzen 9,82 M., davon 5,79 M. direkte und 8,58 M. indirekte
99 Chemnitz 80,06 99 99 26,38 A 39 9? 8,68 9? 99
99 Dresden 15,86 99 99 9,47 39 39 39 6, 99 9
99 Leipzig 80,42 99 99 28,47 99 A) 9? 1,95 9
„ Zwickau 10,61 ,, » 9,26 „ m n 1,35 „ Mr
„ Plauen 24,14 „ » 22,81 „ e n 1,83 „ o
Finanzielle Ergebnisse d. Steuern. Der Entwurf z. neuen Gemeindesteuergesetz 53
Anhang
Der neue Gesetzentwurf
Um zu dem schon genannten, in dieser Session den Ständen vor-
liegenden Entwurfe eines Gemeindesteuergesetzes zu gelangen, hatte
im Laufe des Jahres 1911 das sächsische Ministerium des Innern einer
Anzahl von Praktikern, Vertretern von Gemeinden und sonstigen sach-
kundigen Beteiligten die Grundzüge eines Gemeindesteuergesetzes mit-
geteilt und sie aufgefordert, ihre Bedenken und Wünsche dazu in einer
mündlichen Besprechung geltend zu machen. Die Regierung hoffte
durch diese Besprechung eine möglichst enge Fühlung mit den Er-
fahrungen des täglichen Lebens auf dem Gebiete des Steuerwesens zu
gewinnen. Dieses Steuergesetz für die politischen Gemeinden ist gleich-
zeitig mit einem Schul- und einem Kirchensteuergesetze eingebracht
worden, welche sich dem erstern eng anschließen, so daß die Gemeinde-,
Schul- und Kirchensteuern im allgemeinen einheitlich erhoben werden
können. Die Reform verlangt im wesentlichen folgendes: 1. einheit-
liche Regelung des sogenannten formalen Steuerrechts, 2. Abgrenzung
der Besteuerungsrechte der Gemeinden gegeneinander, 3. gerechte Aus-
gestaltung der Gemeindeeinkommensteuer, 4. Verhütung einer ein-
seitigen oder zu weit gehenden Inanspruchnahme der Einkommen-
steuer, 5. Beseitigung der Kopfsteuer.
Betrachten wir nun diesen Entwurf des Gemeindesteuergestezes
etwas näher. Er ist am 5. Dezember 1911 als Dekret 19 bei der Zweiten
Kammer des sächsischen Landtags eingegangen und am 23. Januar
1912 daselbst beraten worden zusammen mit dem Dekret 26, den Ent-
wurf eines Kirchen- und Schulsteuergesetzes betreffend, welches am
7. Januar 1912 der Zweiten Kammer übermittelt worden ist. Beide
Gesetzentwürfe sind der Gesetzgebungsdeputation überwiesen worden;
doch soll, ehe auf die Verhandlungen näher eingegangen wird, erst der
Inhalt beider Gesetzentwürfe kurz angegeben werden.
Was zunächst den Gemeindesteuergesetzentwurf betrifft,
so umfaßt derselbe 91 Paragraphen und gliedert sich in 6 Abschnitte.
Nach den einleitenden Bestimmungen sind die Gemeinden berechtigt,
„direkte und indirekte Steuern zu erheben und über ihre Einführung
und Ordnung innerhalb der durch die Reichs- und Landesgesetze ge-
zogenen Grenzen zu beschließen“. Es soll jedoch durch Steuern nur der
Bedarf aufgebracht werden, welcher durch alle andern Einnahmen der
Gemeinden nicht gedeckt wird. Der Gemeindebedarf ergibt sich aus
dem Haushaltplane; es können angemessene Rücklagen für Aus-
gaben, die in gewissen Zeiträumen regelmäßig wiederkehren, darin
enthalten sein, nur soll „das Einziehen von Steuern auf Vorrat‘, wie es
bisher von einzelnen Gemeinden betrieben worden ist, eingeschränkt
54 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
werden. Wichtig ist auch die Vorschrift, daß die gemeindlichen Unter-
nehmungen mindestens Einnahmen in einer solchen Höhe erzielen
sollen, daß ihre Ausgaben einschließlich der Verzinsung und Tilgung
des Anlagekapitals gedeckt werden. Nur wenn öffentliche Interessen
dabei in Frage kommen, soll eine Ausnahme hiervon möglich sein.
Auch sollen die Bestimmungen des Gesetzes gleichzeitig auf die
Steuern und Abgaben des Armenverbandes Anwendung finden. Direkte
Steuern im Sinne des Gesetzes sind die Grundsteuern (Grund- und Ge-
bäudesteuern), die Gewerbesteuern (allgemeine und Sondergewerbe-
steuern), die Einkommensteuer, die Kopfsteuer, die Vermögens- und
Kapitalrentensteuer, die Miet- und Wohnungssteuer und die Hunde-
steuer. Alle andern Steuern, insbesondre auch die Besitzwechselabgaben
und die Zuwachssteuern, sind indirekte Steuern im Sınne des Gesetzes.
Ferner werden noch verschiedne Steuerbefreiungen persönlicher und
sachlicher Natur in diesen einleitenden Bestimmungen geregelt.
Der erste Hauptabschnitt, welcher von den einzelnen Steuer-
arten handelt. zerfällt in zwei Teile: im ersten werden die indirekten,
im zweiten die direkten Steuern behandelt. Hinsichtlich der indirekten
Steuern wird festgesetzt, daß Einführung und Abänderung derselben
durch Gemeindebeschluß zu erfolgen hat und daß dieser der Genehmi-
gung des Ministeriums des Innern bedarf. Die Besitzwechselabgabe
muß für die politische, die Schul- und die Kirchengemeinde zusammen
mindestens 1% des Grundstückswerts betragen und darf 2% nicht
übersteigen. Was sodann die direkten Steuern betrifft, sosind dieselben
„von allen denjenigen aufzubringen, die in der Gemeinde einen Wohn-
sitz haben, ein Grundstück besitzen oder ein Gewerbe betreiben‘. Außer
den natürlichen und juristischen Personen sind auch die mit dem Rechte
des Vermögenserwerbs ausgestatteten Personenvereine und Vermögens-
massen steuerpflichtig, sowie solche nicht rechtsfähige Vereine, die
nach ihrer Verfassung von dem Wechsel der Mitglieder in ihrem Be-
stehen nicht berührt werden. Außerdem sollen dem Grundbesitze gleich
geachtet werden „veräußerliche Berechtigungen, für die ein Grund-
buchblatt angelegt ist oder angelegt werden kann, mit Ausnahme der
verliehenen Bergbaurechte, der Kohlenbergbaurechte und der Abbau-
rechte“. Der Begriff des Wohnsitzes sowie derjenige der Betriebsstätte
sind aus dem Reichsdoppelsteuergesetz vom 22.März 1909 herüber-
genommen worden. Der Begriff des Gewerbebetriebes stammt aus dem
sächsischen Staatseinkommensteuergesetze. Grundbesitz soll in der-
jenigen Gemeinde zur Steuer herangezogen werden, in welcher er ge-
legen ist. Ebenso ist ein Gewerbebetrieb nur dort steuerpflichtig, wo
eine Betriebsstätte zu seiner Ausübung unterhalten wird. Doppelbe-
steuerung ist dabei ausgeschlossen, denn was der Gewerbetreibende mit
mehreren, in verschiedenen Gemeinden gelegenen Betriebsstätten künf-
tig in der einen Gemeinde versteuern muß, das hat er eben in einer
Der Entwurf zum neuen Gemeindesteuergesetz 55
andern Gemeinde nicht zu versteuern. Bei den indirekten Steuern er-
gibt sich die Steuerpflicht aus der betreffenden Steuer selbst; wer z.B.
eine Lustbarkeit veranstaltet, unterliegt der Lustbarkeitssteuer; wer
ein Grundstück erwirbt, hat die Besitzwechselabgabe zu zahlen. Die
direkten Steuern aber ‚sind auf alle der Besteuerung unterworfnen Per-
sonen nach festen und gleichmäßigen Grundsätzen, die persönlichen
direkten Steuern überdies unter Berücksichtigung der geringern Lei-
stungsfähigkeit der wirtschaftlich schwächern Klassen der Bevölkerung
zu verteilen.“ Neben diesen Hauptbestimmungen über die Steuerver-
teilung, die auf den steuertheoretischen Grundsätzen der Allgemein-
heit der Steuer und der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit be-
ruhen, zeigt der Gesetzentwurf noch eine weitere Vorschrift, welche die
Besteuerung nach Leistung und Gegenleistung oder dem Interesse er-
möglichen soll. Eine Mehrbelastung nämlich kann bei denjenigen
Steuerpflichtigen eintreten, die besondere Vorteile von Veranstaltun-
gen der Gemeinde haben, wenn diese Veranstaltungen der Gemeinde
Kosten verursachen und besondere Gebühren für diese Leistungen nicht
erhoben werden. Endlich findet sich hier noch eine Bestimmung, wo-
nach das Ministerium des Innern zur Vermeidung von Doppelbe-
steuerung bei Heranziehung zu direkten Gemeindeanlagen ermächtigt
ist, im Einvernehmen mit dem Finanzministerium Vereinbarungen
zu treffen und Anordnungen zu erlassen, durch welche die Steuerpflicht
unter Wahrung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit auch abweichend
von den in Sachsen oder in einer einzelnen Gemeinde geltenden Vor-
schriften geregelt wird. Schließlich ist von diesen allgemeinen Be-
stimmungen noch die Vorschrift nennenswert, daß von den Gemeinde-
steuern befreit sind die Mitglieder des Königlichen Hauses und die
Grundstücke und Gebäude der Zivilliste. Außerdem kann für ein-
zelne außerordentliche Lasten eine persönliche Befreiung durch die
Ortsverfassung zugestanden werden. Endlich können noch einige ding-
liche Befreiungen, welche nach $ 102 der Allgemeinen Städteordnung
vom Jahre 1832 oder $ 71 der Landgemeindeordnung vom Jahre 1838
gehörig angemeldet und anerkannt worden sind, auch ferner der Ab-
lösung unterliegen.
In betreff der Einkommensteuer sucht der Entwurf man-
cherlei zu bessern, was freilich nicht ohne gewisse Beschränkungen der
Besteuerungsrechte der Gemeinden möglich ist. Die Veranlagung zur
Staatseinkommensteuer soll künftig auch für die Gemeindeeinkom-
mensteuer maßgebend sein. Der Staatseinkommensteuertarif soll für
die Gemeindeeinkommensteuer Geltung bekommen, und nur folgende
Abweichungen davon dürfen die Gemeinden beschließen: 1. können sie
Einkommen zwischen 200 und 400 M., die der Staat nicht besteuert,
als steuerpflichtig erklären. Indessen dürfen sie diese kleinen Ein-
kommen nur mit sehr niedrigen Sätzen belasten. 2. kann anderseits
56 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
die Gemeinde auch niedrige Einkommen, die der Staat besteuert, als
steuerfrei erklären. 3. können die Gemeinden die Steuersätze für die
kleinen und mittlern Einkommen bis zur Grenze von 5800 M. er-
mäßigen oder erhöhen; jedoch darf dies nur innerhalb bestimmter
Grenzen geschehen, und für Einkommen über 5800 M. ist eine Ab-
weichung vom staatlichen Steuertarife nicht gestattet.
Sodann sollen nach § 27 des Entwurfs 1. Einkommen aus Warte-
geld und Pensionen, 2. Einkommen aus Unfall-, Invaliden- und Alters-
renten, 3. das feste Diensteinkommen derjenigen Personen, bei deren
Veranlagung zur Gemeindesteuer im Jahre 1908 § 30 der Revidierten
Städteordnung oder § 23 Abs. 2 der Revidierten Landgemeindeord-
nung anzuwenden war, nur zu ¢/; zur Einkommensteuer herangezogen
werden.
Was die subjektive Steuerpflicht betrifft, so sind nach dem neuen
Gesetzentwurfe einkommensteuerpflichtig:
1. die natürlichen Personen, die in der Gemeinde ihren Wohnsitz
haben;
2. die natürlichen Personen, die, ohne in der Gemeinde ihren
Wohnsitz zu haben, ein im Gemeindebezirke gelegenes Grundstiick
besitzen oder im Gemeindebezirke ein Gewerbe betreiben;
3. die juristischen Personen und die mit dem Rechte des Ver-
mögenserwerbs ausgestatteten Personenvereine und Vermögensmassen,
welche ihren Sitz in der Gemeinde haben;
4. die juristischen Personen und die mit dem Rechte des Ver-
mögenserwerbs ausgestatteten Personenvereine und Vermögensmassen,
welche in der Gemeinde, ohne daselbst einen Sitz zu haben, cin Grund-
stück besitzen oder ein Gewerbe betreiben;
5. der sächsische Staatsfiskus hinsichtlich seines Einkommens aus
Grundbesitz und aus den in der Gemeinde betriebenen gewerblichen
Unternehmungen.
Befreit von der Einkommensteuer sind:
1. die Schul- und Kirchgemeinden, die mit der bürgerlichen Ge-
meinde ganz oder teilweise räumlich zusammenfallen, sowie die geist-
lichen, Kirchen- und Schullehen;
2. die ausschließlich kirchlichen, gemeinnützigen, wohltätigen,
Besoldungs- oder Pensionszwecken dienenden juristischen Personen und
mit dem Rechte des Vermögenserwerbs ausgestatteten Personenver-
eine, soweit ihr Einkommen nicht aus Grundbesitz oder Gewerbe-
betrieb innerhalb der Gemeinde herrührt;
3. die infolge reichs- oder landesgesetzlicher Vorschriften errich-
teten Berufsgenossenschaften, Kranken- und Pensionskassen, die zu
deren Ersatz dienenden Kassen und Verbände, sowie die Landesver-
sicherungsanstalt;
Der Entwurf zum neuen Gemeindesteuergesetz 57
4. Personen, welche im Wege der öffentlichen Armenpflege lau-
fende Unterstiitzung beziehen;
5. Konkursmassen.
Der Einkommensteuer unterliegt nach § 26 des Entwurfes nicht:
1. das Einkommen des Staatsfiskus aus dem Staatscisenbahn-
betriebe und aus der Landeslotterie, sowie das Einkommen der Be-
zirks-, Kreis- und sonstigen Verbände;
2. das Einkommen aus Grundstücken, soweit sie nach § 50 von
der Gemeindegrundsteuer befreit sind;
3. bei Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit derjenige
Teil der nach § 23 steuerpflichtigen Überschüsse, welcher dem Ver-
hältnıs der Mitgliederbeiträge zuzüglich 3% Zinsen angesammelter
Mitgliederbeiträge zu den gesamten Einnahmen der Gesellschaft ent-
spricht, sowie die Hälfte des verbleibenden Teiles.
Endlich ist noch die Bestimmung von Wichtigkeit, daB die Ge-
meinden berechtigt sind, bis zu 75% ihres Steuerbedarfs durch Erhe-
bung von Einkommensteuer zu decken. Dabei ist der Bedarf der Ar-
menkasse dem Bedarfe der Gemeinden zuzurechnen, und Abgaben zur
Armenkasse gelten als von der Gemeinde erhobene Steuern. Sollen aber
in einer Gemeinde oder einem Teile davon mehr als 175% des Ge-
meindeeinkommensteuertarifs an Einkommensteuer für die bürgerliche
Gemeinde, die Schulgemeinde und die Kirchengemeinde crhoben wer-
den, wobei ebenfalls die Armenabgaben als Gemeindesteuern gelten,
so bedarf die bürgerliche Gemeinde zur Erhebung einer Einkommen-
steuer in Höhe von mehr als 75% des Gemeindesteuertarifs der Ge-
nehmigung des Ministeriums des Innern.
Hinsichtlich der Grundsteuer wird bestimmt, daß in jeder
Gemeinde, ın welcher direkte Steuern erhoben werden, auch eine all-
gemeine Grundsteuer zu erheben ist, und zwar soll von dem durch die
Einkommensteuer nicht gedeckten Bedarfe mindestens 1. im Wege
der Grundsteuer aufgebracht werden. Diejenigen Gemeinden aber,
welche keine Einkommensteuer erheben, haben mindestens 30%o ihres
Gesamtsteuerbedarfs durch die Grundsteuer zu decken. Hier liegt eine
der wesentlichsten Änderungen des bisherigen Rechtszustandes, in-
deın nämlich die Gemeinden, welche direkte Steuern erheben —
und dazu gehören sämtliche Städte Sachsens —, unbedingt die Grund-
steuer einführen müssen. Der Grundsteuer unterliegen die im Ge-
meindebezirke gelegenen bebauten und unbebauten Grundstücke so-
wie die ihnen gleichgestellten dinglichen Rechte, welche unter den
allgemeinen Bestimmungen näher bezeichnet worden sind. Außer-
dem sind gewisse Befreiungen von der Grundsteuer im Gesetze vor-
gesehen, und zwar halten diese Bestimmungen sioh größtenteils an das
schon jetzt geltende Recht. Steuerfrei sollen scin die Grundstücke und
58 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Gebäude, welche unmittelbar öffentlichen Zwecken des Staates oder der
Gemeinde oder Zwecken des Gottesdienstes, des öffentlichen Unter-
richts und der öffentlichen Wohltätigkeit dienen, ferner Grundstücke,
welche im Eigentume der Schul- oder Kirchgemeinden stehen und
örtlichen öffentlichen oder gemeinnützigen Zwecken gewidmet sind.
Diese letztere Vorschrift entspricht einer gleichen Bestimmung ım
Schul- und Kirchensteuergesetzentwurfe, wonach die Grundstücke der
politischen Gemeinde seitens der Schul- und Kirchgemeinden die gleiche
Befreiung genießen. Grundsteuerfrei sollen ferner sein die Bestattungs-
plätze samt Zubehör, die öffentlichen Verkehrsräume (Straßen, Plätze,
Wege, Brücken), die im Eigentume des Staates stehenden Flußbetten
sowio die Grundstücke, auf denen sich die Schienengeleise der Staats-
bahnen befinden, und den Grundstücken der bürgerlichen Schul- und
Kirchgemeinde sollen diejenigen gleichstehen, die sich im Eigentume
von Verbänden solcher oder von Kreis- und Bezirksverbänden befinden.
Außerdem kann die Gemeinde beschließen, daß Grundstücke und Ge-
bäude, welche öffentlichen oder gemeinnützigen Zwecken dienen, ohne
unter die Gruppen zu fallen, denen ohnehin Steuerfreiheit zuerkannt
worden ist, von der Grundsteuer befreit sein oder nur mit ermäßigten
Sätzen getroffen werden sollen. Als Maßstab für die Veranlagung der
Grundsteuer kann der Reinertrag, die Ertragsfähigkeit oder der Nut-
zungswert eines oder mehrerer Jahre, der Pacht- oder Mietwert oder
der gemeine Wert der Grundstücke dienen. Wenn kein andrer Maßstab
bestimmt ist, so soll die Grundsteuer in gleichmäßigen Zuschlägen zur
staatlichen Grundsteuer erhoben werden, und die von der staatlichen
Grundsteuer befreiten, in der Gemeinde aber steuerpflichtigen Grund-
stücke sind nach den Grundsätzen der Staatsgrundsteuer zu veranlagen,
soweit dies nicht schon geschehen ist. Die Aufsichtsbehörde kann den-
jenigen Gemeinden, in denen die Weiterbenutzung des staatlichen
Grundsteuertarifs zu ungerechter Verteilung der Steuerlast führen
würde, die Einführung einer besondern Grundsteuer nach einem der
genannten Wertmaßstäbe oder einer Kombination mehrerer derselben
aufgeben.
Im Gesetzentwurf sind auch Gewerbesteuern vorgesehen, und
zwar können die Gemeinden sowohl eine allgemeine Gewerbesteuer als
auch Sondergewerbesteuern erheben. Von der allgemeinen Gewerbe-
steuer sind die Gewerbebetriebe des Staates befreit. Erstreckt sich ein
Gewerbebetrieb über mehrere Gemeinden, so ist in jeder derselben nur
ein verhältnismäßiger Teil des Betriebes zur Steuer heranzuziehen.
Sondergewerbesteuern können die Gemeinden beschließen von inner-
halb ihres Bezirkes aufgestellten, der Allgemeinheit zugänglichen
Automaten, außerdem können Betriebssteuern von Schankwirtschaften,
Gastwirtschaften und Stätten des Kleinhandels mit Branntwein und
Spiritus erhoben werden. Umsatzsteuern von Großbetrieben im Klein-
Der Entwurf zum neuen Gemeindesteuergesetz 59
handel und von Kleinhandelsbetrieben, die Zweiggeschäfte unterhalten,
dürfen nur eingeführt werden, wenn ihr Ertrag der Entlastung ledig-
lich der wirtschaftlich schwächeren Gemeindesteuerpflichtigen dient.
Die Steuern dieser Art dürfen 2% des Jahresumsatzes nicht über-
steigen und müssen in einem angemessenen Verhältnisse zum Rein-
gewinne des besteuerten Gewerbes stehen. Obligatorisch ist für die
Gemeinden die Einführung einer Sondersteuer auf Wanderlager-
betriebe. Hinsichtlich dieser Steuer bewendet es bei den Bestimmungen
des Gesetzes vom 23. März 1880 mit der Maßgabe, daß die Steuer min-
destens dem jährlichen Betrage der staatlichen Steuer für den Gewerbe-
betrieb im Umherziehen gleichkommen muß und höchstens 200 M.
(früher 60 M.) wöchentlich oder in den Fällen, wo sıe für den Tag er-
hoben wird, täglich betragen darf. Diese Erhöhung des Steuersatzes
ist auf Antrag des Verbandes sächsischer Gewerbe- und Handwerker-
vereine geschehen, auch sämtliche Gewerbekammern haben sie befür-
wortet. Steuerpflichtig ist nach dem eben erwähnten Gesetze ‚wer
außerhalb der Messen, Jahrmärkte und öffentlichen Ausstellungen ein
Warenlager (Wanderlager) außerhalb seines Wohnortes ohne Begrün-
dung einer gewerblichen Niederlassung, gleichviel ob zum Verkaufe
aus freier Hand oder im Wege der Versteigerung feilbietet oder feil-
bieten läßt“. Die Steuer soll beim Vertriebe aus freier Hand für die
Woche und bei mehreren Vertriebslokalen an einem Orte, für jedes
Lokal besonders, wöchentlich, beim Vertriebe durch Versteigerung eben-
falls für jedes einzelne Lokal besonders für den Tag berechnet werden
und ist im voraus zu entrichten.
Im ersten Abschnitte des Gesetzentwurfs sind schließlich noch
Bestimmungen über die Kopfsteuer enthalten. Diese Steuer soll
mehr und mehr verschwinden und darf vor allem nicht neu eingeführt
werden. Wo aber eine Kopfsteuer besteht, soll ihre Beibehaltung bis
auf weiteres gestattet werden, vorausgesetzt, daß sie nicht zu Härten
gegenüber einzelnen Steuerpflichtigen oder ganzer Klassen derselben
führt, in welchem Falle die Aufsichtsbehörde das Recht hat, die Kopf-
steuer herabzusetzen oder sofort aufzuheben. Den Gemeinden steht
gegen diese Anordnung Rekurs an die nächsthöhere Aufsichtsbehörde
zu, welche dann endgültig entscheidet. In solchen Gemeinden, welche
Einkommen unter 400 M. zur Einkommensteuer heranziehen, ist die
Erhebung einer Kopfsteuer nicht gestattet. Ferner sind Personen, die
öffentliche Armenunterstützung beziehen, von der Kopfsteuer befreit.
Der zweite Hauptabschnitt enthält nähere Bestimmungen über
die Steuerberechtigten. Zunächst wird festgesetzt, daß Gemeinde-
beschlüsse im Sinne des Gesetzes in Städten mit Revidierter Städte-
ordnung durch den Stadtrat und die Stadtverordneten oder durch den
Stadtgemeinderat, in Städten mit der Städteordnung für mittlere und
kleine Städte durch den Stadtgemeinderat und in Landgemeinden
60 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
durch den Gemeinderat, und zwar durch diesen in zwei mindestens
14 Tage auseinanderliegenden Sitzungen gefaBt werden miissen. Diese
Bestimmungen waren schon bisher geltendes Recht; neu hinzu-
gekommen ist die Vorschrift, daß die Gemeinden sämtliche Beschlüsse
in Gemeindesteuerangelegenheiten in Form einer Steuerordnung oder
eines Nachtrags zu dieser zu bringen haben. Zwar sollten bisher schon
den Steuerpflichtigen die Vorschriften über die verschiedenen Steuern
in klarer und bestimmter Weise zugängig gemacht sein, doch genügten
bei weitem nicht alle Gemeinden dieser berechtigten Forderung. Weiter
bedürfen die Gemeindebeschlüsse der Genehmigung der Aufsichts-
behörde, in einzelnen Fällen sogar derjenigen des Ministeriums des
Innern. Beide Behörden sind auch berechtigt, ihre Zustimmung nur
auf Widerruf oder auf Zeit zu erteilen. Wird die Genehmigung ver-
sagt oder nur auf Widerruf oder Zeit erteilt, so entscheidet auf Rekurs
der Gemeinde endgültig die der Aufsichtsbehörde vorgesetzte Behörde.
Sodann steht den Gemeinden das Recht zu, mit den Steuerpflich-
tigen gewisse Vereinbarungen zu treffen über die Besteuerung der ge-
werblichen Betriebe. Doch bedürfen derartige Vereinbarungen der Ge-
nehmigung der Aufsichtsbehörde. Vereinbarungen zwischen dem Staats-
fiskus und den Gemeinden, durch die die Steuerpflicht des ersteren
anders als im Gesetz geordnet wird, sind ohne jede Einschränkung zu-
lässig. Veranlagungsbehörde ist in Städten mit Revidierter Städte-
ordnung der Stadtrat, in den übrigen Städten der Stadtgemeinderat
und in Landgemeinden der Gemeinderat. Auch kann in Städten und
größern Landgemeinden die Veranlagung durch Ortsstatut einem ge-
mischten Ausschusse übertragen werden. Die Veranlagungsbchérden
haben sich gegenseitig auf Verlangen Auskunft zu geben über Tat-
sachen, die für die Veranlagung wichtig sind. Desgleichen besteht
diese Pflicht zur Auskunftserteilung der gemeindlichen Veranlagungs-
behörden den staatlichen Steuerbehörden gegenüber und umgekehrt.
Von Wichtigkeit ist der dritte Teil des Gesetzes, welcher von
den Steuerpflichtigen handelt. Er enthält Vorschriften über den Be-
ginn und das Ende der Steuerpflicht, über das Reklamationsverfahren,
dıe Entscheidung darüber und den etwaigen Rekurs gegen diese Ent-
scheidung an die Aufsichtsbehörde. Die Steuerpflicht beginnt und
endet bei direkten Steuern mit Ablauf des Monats, in dem das die
Steuerpflicht begründende Verhältnis eingetreten oder weggefallen ist.
Binnen drei Wochen nach der Bekanntmachung der Veranlagung kann
der zur Steuerzahlung Herangezogene bei der Gemeinde schriftlich Ein-
spruch dagegen erheben; der Einspruch ist zu begründen. Der Stadtrat,
der Stadtgemeinderat oder der Gemeinderat entscheidet in den verschiede-
nen Gemeinden über den Einspruch. Auch kann in Städten mit mehr als
30000 Einwohnern ein Ausschuß hierfür eingesetzt werden. Gegen
die Entscheidung auf den Einspruch steht Rekurs an die Aufsichts-
Der Entwurf zum neuen Gemeindesteuergesetz 61
behörde zu. Der Rekurs ist binnen 14 Tagen nach der Bekanntmachung
der Entscheidung auf den Einspruch schriftlich bei der Veranlagungs-
behörde oder bei der Aufsichtsbehörde anzubringen. Wer in mehreren
Gemeinden zur Steuerzahlung herangezogen wird, kann in jeder steuer-
fordernden Gemeinde binnen 3 Wochen nach Bekanntgabe der dortigen
Veranlagung Einspruch erheben, wobei ebenfalls eine Begründung bei-
gegeben sein muß. Die Anfechtungsklage gegen die Rekursentschei-
dung kann bei jeder der beteiligten Gemeinden sowie bei derjenigen
Behörde angebracht werden, welche über den Rekurs entschieden hat.
Im IV. Abschnitt werden das Nachzahlungsverfahren und die Ver-
jährung geregelt. Steuerpflichtige, die bei der Veranlagung direkter
Gemeindesteuern übergangen oder zu gering veranlagt worden sind,
haben den der Gemeinde entgangenen Betrag nachzuzahlen. Der An-
spruch auf Nachzahlung erstreckt sich jedoch nur auf 5 Jahre zurück,
vom Anfange des Jahres an gerechnet, in dem die Tatsache der Steuer-
verkürzung der Veranlagungsbehörde bekannt geworden ist. Die Ver-
bindlichkeit der Nachzahlung geht auf die Erben über. Die Fest-
stellung des nachzuzahlenden Betrags ist Aufgabe der Veranlagungs-
behörde und unterliegt denselben Rechtsmitteln wie die Veranlagung.
Die Berechtigung der Gemeinden zur Nachforderung indirekter Ge-
meindesteuern beschränkt sich ohne Unterscheidung, ob die Steuer gar
nicht oder mit einem zu geringen Betrage erhoben worden ist, bei der
Besitzwechselabgabe und bei der Zuwachssteuer auf die Frist von zehn
Jahren seit dem Ablaufe des Jahres, in dem die Forderung entstanden
ist, bei den übrigen indirekten Steuern auf die Frist von 3 Jahren vom
Tage des Eintritts der Zahlungsverpflichtung an gerechnet.
Die im Abschnitte V des Gesetzentwurfs enthaltenen Strafbe-
stimmungen schließen sich teilweise an die entsprechenden Vorschriften
des Staatseinkommensteuergesetzes an, und nur dort finden sich Ab-
weichungen davon, wo diese Bestimmungen bei der Verschiedenartig-
keit der Gemeindesteuern nicht ausreichen würden. Essind Strafen ins-
besondere festgesetzt auf wissentlich falsche Angaben, die für die eigne
Person oder für andere Steuerpflichtige gemacht werden und die zur
Verkürzung des Steuerinteresses der Gemeinden zu führen geeignet
sind. Auch können die bei der Veranlagung mitwirkenden Personen
in Strafe genommen werden, wenn sie die zu ihrer Kennntnis gelangten
Verhältnisse eines Steuerpflichtigen unbefugt offenbaren. Die Straf-
verfolgung verjährt bei Hinterziehungen in 3 Jahren vom Zeitpunkte
der Begehung an gerechnet, bei andern Zuwiderhandlungen in 3 Mo-
naten von dem Zeitpunkte an gerechnet, in welchem die Zuwiderhand-
lung begangen wurde oder die zur Vermeidung der Zuwiderhandlung
vorzunehmende Handlung zu geschehen gehabt hätte. Die Vollstreckung
erkannter Strafen verjährt in 2 Jahren von dem Tage der Rechtskraft.
an gerechnet.
62 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Der letzte Abschnitt des Gesetzentwurfs enthält die SchluB-
und Ubergangsbestimmungen. Es wird darin festgesetzt, daB Auf-
sichtsbehérden im Sinne des Gesetzes die Kreishauptmannschaften unter
Mitwirkung des Kreisausschusses und die Amtshauptmannschaften unter
Mitwirkung des Bezirksausschusses sein sollen. Ferner finden sich hier
Bestimmungen über die persönlichen Dienste und Naturalleistungen,
welche dic Gemeinden, insbesondere die Landgemeinden von ihren Mit-
gliedern fordern können. Schließlich werden die bisherigen Vorschrif-
ten über das Gemeindeabgabenwesen soweit nötig außer Kraft gesetzt,
und den Gemeinden wird die Verpflichtung auferlegt, ihr Steuerwesen
bis zum 1.Januar 1916 mit den Vorschriften des neuen Gesetzes in
Einklang zu bringen.
Wie schon oben erwähnt, sind mit diesem Gemeindesteuergesetz-
entwurfe gleichzeitig ein Gesetzentwurf eines Kirchensteuerge-
sctzesund ein solcher eines Schulsteuergesetzes von den Ständen
beraten worden, deren Inhalt nachstehends nur in aller Kürze angegeben
werden soll, da beide sich in ihren Grundzügen eng an den näher dar-
gestellten Gemeindesteuergesetzentwurf anschließen. Die Grundsätze,
von denen die Regierung bei Aufstellung des Kirchensteuerge-
setzentwurfs ausgegangen ist, sind folgende:
L Regelung des Kirchensteuerwesens durch Staatsgesetz unter
Ausscheidung der der Kirchengesetzgebung zu überlassenden Rechts-
gebiete.
2. Trennung der Kirchensteuergesetzgebung von der Schulsteuer-
gesetzgebung unter Aufrechterhaltung einer möglichst weitgehenden
sachlichen Übereinstimmung zwischen beiden.
3. Beschränkung der Regelung des kirchlichen Besteuerungs-
rechtes auf die evangelisch-lutherische und die römisch-katholische
Kirche und auf den Bedarf der Kirchgemeinden.
4. Gleichstellung der konfessionellen Mehrheits- und Minderheits-
gemeinden und Beseitigung jeder Besteuerung Andersgläubiger unter
Wegfall ihrer kirchlichen Rechte.
D. Beibehaltung der Kirchensteuerpflicht der juristischen Per-
sonen.
6. Engster Anschluß des Kirchensteuerwesens an das Steuerwesen
der bürgerlichen Gemeinden.
7. Aufrechterhaltung der Sonderstellung der Rittergüter und der
exemten Güter.
8. Beibehaltung der Gesamtbesteuerung der Katholiken in den
Erblanden.
Der Gesetzentwurf selbst bestimmt in der Hauptsache folgendes:
Die Kirchgemeinden sind berechtigt, zur Deckung ihres Bedarfes Be-
sitzwechselabgabe, Einkommensteuer, Grundsteuer sowie unter ge-
wissen Beschränkungen Kopfsteuer zu erheben, letztere jedoch unter
Der Entwurf zum neuen Kirchensteuergesetz 63
dem Vorbehalte sofortiger Beseitigung, wenn unverhältnismäßige Be-
lastung von einzelnen Steuerpflichtigen oder besondrer Klassen der-
selben dadurch eintreten sollte. Nur insoweit aber dürfen sie Steuern
erheben, als ihre sonstigen Einnahmen, insbesondere aus dem Kirchen-
vermögen, an Gebühren, Staatsentschädigungen usw., zur Deckung der
Ausgaben nicht ausreichen. Der Steuerbedarf jeder Kirchgemeinde ist
alljährlich durch den Haushaltplan festzustellen, der, wenn Kirchen-
steuern erhoben werden sollen, der Genehmigung durch die Kirchen-
aufsichtsbehörde bedarf. Ferner ist die kirchliche Besitzwechselabgabe
mindestens nach 1/,% des Wertes des betreffenden Grundstücks zu er-
heben und darf unter Hinzurechnung der Abgabe an die bürgerliche
und an die Schulgemeinde nicht mehr als 2% des Wertes betragen.
Wird diese Grenze überschritten und beträgt die Abgabe an die Kirch-
gemeinde mehr als 2/,% des Wertes, so ist sie entsprechend, wenn
nötig bis auf diesen Betrag, herabzusetzen. Befreit von dieser Steuer
sind natürliche Personen, die dem Bekenntnisse der Kirchgemeinde
nicht angehören, und solche juristische Personen, die unmittelbar den
religiösen Zwecken eines andern Bekenntnisses als desjenigen der
Kirchgemeinde dienen. Zur kirchlichen Einkommensteuer sind bei-
tragspflichtig alle dem Bekenntnisse der Kirchgemeinde angehörigen
natürlichen Personen, die im Kirchgemeindebezirke ihren Wohnsitz
haben oder ein Grundstück besitzen oder ein Gewerbe betreiben, ferner
die bereits im Gemeindesteuergesetze genannten juristischen Personen,
Personenvereine und Vermögensmassen sowie der sächsische Staats-
fiskus. Befreit von der kirchlichen Einkommensteuer sind solche juri-
stische Personen, Personenvereine und Vermögensmassen, die unmittel-
bar den religiösen Zwecken eines andern Bekenntnisses als desjenigen
der Kirchgemeinde dienen, die vor dem J. April 1892 angestellten
Geistlichen und Lehrer, soweit sie nicht nach diesem Zeitpunkte in eine
andero Stelle übergegangen sind oder Gehaltszulagen angenommen
haben, die sämtlichen zum aktiven Hecre gehörenden Personen, die
bürgerlichen und die Schulgemeinden, die mit der Kirchgemeinde ganz
oder teilweise zusammenfallen, die Kirchen-, Geistlichen- und Schul-
lehen. Ist ein festes Diensteinkommen nur bis zu */, zur kirchlichen
Einkommensteuer herangezogen worden, so bewendet es dabei auch in
Zukunft. Die Gemeinden sind berechtigt, bis zu 80% des kirchlichen
Steuerbedarfs durch Erhebung von Einkommensteuer zu decken. Sollen
in einer Kirchgemeinde oder einem Teile davon mehr als 175% des
Einkommensteuertarifs der bürgerlichen Gemeinde an Einkommen-
steuer für die Kirchgemeinde, die bürgerliche Gemeinde und die Schul-
gemeinde erhoben werden, so bedarf es zur Erhebung einer kirchlichen
Einkommensteuer in Höhe von mehr als 250% dieses Teiles der Geneh-
migung der obersten Kirchenbehörde. Der kirchlichen Grundsteuer
unterliegen die in der Parochie gelegenen bebauten und unbebauten
64 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Grundstücke sowie veräußerliche Berechtigungen, für die ein Grund-
buchblatt angelegt ist oder angelegt werden kann, mit Ausnahme der
verlichenen Bergbaurechte, der Kohlenbergbaurechte und der Abbau-
rechte. Von dem durch andre Steuern als die Einkommensteuer zu
deckenden Bedarfe ist mindestens die Hälfte im Wege der Grundsteuer
aufzubringen. Wird keine kirchliche Einkommensteuer erhoben, so
sind mindestens 300/0 des gesamten Steuerbedarfs der Gemeinde durch
die Grundsteuer zu decken. Insoweit in zusammengesetzten Kirchge-
meinden mit einheitlicher Steuererhebung Kopfsteuern erhoben wer-
den, kann es hierbei bewenden, dafern die Gesamteinkommen unter
400 M. von der kirchlichen Einkommensteuer freigelassen werden.
Auch in den übrigen Kirchgemeinden kann die Deckung des Steuer-
bedarfs mit durch Kopfsteuer erfolgen, solange auch in der bürger-
lichen Gemeinde eine Kopfsteuer erhoben wird. Im Abschnitte „von
den Steuerberechtigten‘ wird unter anderm noch bestimmt, daß die
Besitzer der Rittergüter zu den Kirchenlasten der Kirchgemeinde, zu
der das Rittergut gehört, soviel beizutragen haben, als sich bei Um-
legung des Bedarfs zur Hälfte nach der Kopfzahl der über 14 Jahre
alten Personen, zur andern Hälfte auf den beitragspflichtigen Grund-
besitz nach Maßgabe der Staatsgrundsteuer ergibt. Zu demjenigen
Aufwande, der nach der Kopfzahl aufzubringen ist, hat der Ritter-
gutsbesitzer nur für sich und seine Familienangehörigen, soweit sie auf
dem Rittergute wohnen, beizutragen. Die übrigen Bewohner des Ritter-
gutes werden zur Kopfzahl des Gemeindebezirkes gerechnet.
Die Neuordnung des Schulsteuerwesens ergibt sich als not-
wendige Folge aus der Neuregelung des Kirchensteuerwesens. Auch
hier haben sich seit langer Zeit ähnliche Mängel herausgestellt wie bei
den Kirchensteuern. Daher schließen sich auch die Grundsätze, von
denen der Entwurf ausgeht, im wesentlichen denjenigen für die Kir-
chensteuerreform an. Diese Grundsätze sind folgende:
1. Trennung des Schulsteuergesetzes vom Kirchensteuergesetze.
2. Gleichstellung der Mehrheits- und Minderheitsgemeinden und
ihrer Angehörigen für die Zwecke der Mehrheitsgemeinden.
3. Beibehaltung der Schulsteuerpflicht der juristischen Personen.
4. Engster Anschluß des Schulsteuerwesens an das Steuerwesen
der bürgerlichen Gemeinden unter Aufrechterhaltung der jetzigen Ge-
staltung der Schulgemeinden.
5. Aufrechterhaltung der Sonderstellung der Rittergüter und son-
stigen exemten Güter.
An dem Grundsatze der konfessionellen Gliederung der Volks-
schulen und der Schulgemeinden beabsichtigt die Regierung festzu-
halten. Er ist auch in den Entwurf des neuen Volksschulgesetzes, wel-
cher ebenfalls den Ständen vorliegt, übernommen. Im Jahre 1901 be-
standen in Sachsen 1879 evangelische Mehrheitsschulgemeinden, 21
Der Entwurf zum neuen Schulsteuergesetz. Der Kirchengesetzentwurf 65
römisch-katholische Mehrheitsschulgemeinden, 3 evangelische Minder-
heitsschulgemeinden und 18 römisch-katholische Minderheitsschul-
gemeinden. Die bisherige Bevorzugung der Mehrheits- vor den Minder-
heitsgemeinden wird vom Gesetzentwurfe, der eine Gleichstellung der
Schulgemeinden hinsichtlich der Besteuerungsrechte durchführt, be-
seitigt. Der Entwurf wendet sich noch ausführlich gegen die Wünsche
auf Aufhebung der Schulgemeinden und deren Angliederung an die
bürgerlichen Gemeinden und betont ein Festhalten an den seit Jahr-
zehnten bestehenden Einrichtungen, die zu der erfreulichen Entwick-
lung des Volksschulwesens mit beigetragen haben. Nach dem Ent-
wurfe sind die Schulgemeinden berechtigt, zur Deckung ıhres Bedarfes
Besitzwechselabgabe, Einkommensteuer, Grundsteuer sowie Kopfsteuer
zu erheben, letztere allerdings mit der Beschränkung, daß die Bezirks-
schulinspektion jederzeit die Kopfsteuer herabsetzen oder ganz auf-
heben kann, wenn diese zu einer unverhältnismäßigen Belastung ein-
zelner Klassen von Steuerpflichtigen führt. Ähnlich wie bei den poli-
tischen und den Kirchgemeinden ist den Schulgemeinden die Berech-
tigung der Steuererhebung nur dann zugebilligt, wenn die sonstigen
Einnahmen aus dem Vermögen, aus Stiftungen, Staatszuschüssen,
Schulgeld usw. zur Deckung der Ausgaben nicht ausreichen. Die Be-
sitzwechselabgabe darf unter Hinzurechnung der Abgabe an die bürger-
liche und an die Kirchgemeinde nicht mehr als 2% des Wertes be-
tragen. Wie hier, so gleichen auch die Bestimmungen hinsichtlich der
übrigen Steuerarten völlig denjenigen für die Kirchensteuern. Was die
steuerrechtlichen Vorschriften sowohl des Kirchen- als auch des Schul-
steuergesetzes betrifft, so schließen sich diese aufs engste an den Ge-
meindesteuergesetzentwurf an, ja sind nahezu wörtlich aus demselben
übernommen worden.
Endlich seı an dieser Stelle noch erwähnt, daß gleichzeitig mit
den besprochenen Gesetzentwürfen ein Kirchengesetzentwurf, den Haus-
halt der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden betreffend, welches
von der letzten Landessynode mit einigen unwesentlichen Änderungen
angenommen wurde, den Ständen zur Beratung vorgelegt worden ist.
Von den Hauptbestimmungen dieses Gesetzes mögen nur die folgenden
Punkte kurz erwähnt sein: Erhaltung des Stammvermögens der Kirch-
gemeinden, genaue Regelung ihres Schuldenwesens, Festsetzung der
Aufgaben und Pflichten der Kirchgemeinden und Forderung eines
geordneten Kassen- und Rechnungswesens. Auch dieser Gesetzentwurf
ist der Gesetzgebungsdeputation zur weitern Beratung und Bericht-
erstattung überwiesen worden.
Bei den Beratungen des Landtags nun in der Sitzung am 23. Ja-
nuar 1912 waren die Meinungen über den Wert und die Güte der Ge-
setzentwürfe freilich sehr geteilt, und zwischen der rechten und der
linken Seite des Hauses bestanden mancherlei Abweichungen hinsicht-
Liebers: Die Finanzen 5
66 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
lich der Beurteilung der Gesetzentwiirfe und der Wünsche auf weitere
Reform. Daß auch in den breiteren Volksschichten die Ansichten dar-
über, ob die neuen Gesetzentwürfe alle Wünsche und Hoffnungen der
Steuerzahler erfüllen werden, sehr verschieden sind, zeigen am besten
die verschiedenen Stimmen, welche in gewissen Interessentenkreisen
(Industrielle, Hausbesitzer, Landwirte) für und gegen die neuen Ge-
setze laut geworden sind. So hat der Verband sächsischer Industrieller
eine Eingabe an die Ständeversammlung gerichtet, in welcher er gegen
die Sonderbelastung der Industrie protestiert, wie sie in einigen Be-
stimmungen des Gesetzentwurfs (Gewerbe-, Kohlen-, Umsatz- und
Filialsteuern) zum Ausdrucke kommt oder wenigstens zu befürchten
ist. Insbesondere richtet die Eingabe des genannten Verbandes an die
Ständekammer das Ersuchen, bei der Beratung des Gemeindesteuer-
gesetzentwurfs darauf hinzuwirken, daß eine Kohlensteuer, welche eine
Verteuerung eines der wichtigsten Rohstoffe der Industrie bedeutet,
aus dem Gemeindesteuergesetze ausgeschieden werden möge. Ferner
hat der Verband deutscher Filialbetriebe in verschiedenen politischen
Tageszeitungen Artikel veröffentlicht, welche die geplante Sonder-
besteuerung der Filialbetriebe als veraltet bezeichnen und die Form,
in der sie erfolgen soll, nämlich die der Umsatzsteuer, einer scharfen
Kritik unterziehen, ja als absolut ungeeignet, den richtigen Bewertungs-
ınaßstab abzugeben, darstellen. Endlich sind in den wenigen Gemein-
den, die noch keine Grundsteuer haben und nun eine solche einführen
müssen, Stimmen der Hausbesitzervereine und ähnlicher Organisationen
gegen die Erhebung dieser Steuer laut geworden, was aber nicht zu
billigen ist, da doch gerade der Grundbesitz von der Entwicklung der
Gemeinde den größten Vorteil hat und durch die Gemeindeordnungen
einen besondern Einfluß auf die Gemeindeverwaltung zugebilligt er-
halten hat. Von den Kreis- und Großstädten hat bisher nur Plauen
keine Grundsteuer eingeführt. Vor allen Dingen aber ist, wenn man die
sämtlichen Stadt- und Landgemeinden Sachsens ins Auge faßt, nicht
einzusehen, warum der Grundbesitz in nahezu 3000 Gemeinden, wie
dies zurzeit der Fall ist, belastet und in etwa 168 Gemeinden von der
Steuer verschont sein soll.
Ein Steuergesetz zu schaffen, welches alle Schichten der Bevölke-
rung als recht und billig anerkennen, wird wohl nie erreicht werden,
sondern stets zu den Utopien gehören. Immer wird es Unzufriedene
geben, welche glauben, daß sie selbst zuviel, andere zu wenig mit
Steuern belastet werden. Dennoch wird man nicht in Abrede stellen
können, daß, wenn die vorliegenden Steuergesetzentwürfe Gesetzeskraft
erlangen sollten, dies für Sachsen einen beachtenswerten Fortschritt
auf dem Gebiete des kommunalen Steuerwesens bedeuten würde, denn
folgendo Vorzüge der neuen Gesetzentwürfe gegenüber dem jetzigen
Zustande werden nicht in A brode gestellt werden können:
Die Vorzüge der neuen Gesetzentwiirfe 67
1. Die Entwürfe vermeiden, mit dem Bewährten zu brechen, son-
dern haben cine Fülle von Bestimmungen, die sich in einzelnen Gemeinden
längst. als gut und praktisch erwiesen haben, in sich aufgenommen und
suchen nun diejenigen Gemeinden, die in der Entwicklung zurückge-
blieben sind, soweit nötig im Wege eines gelinden Zwanges zu ver-
anlassen, in etwas beschleunigter Weise das Versäumte nachzuholen.
Zugleich ermöglichen sie, das Bestehende organisch weiter zu ent-
wickeln.
2. Es wird einheitliche Regelung der Steuerverhältnisse sämt-
licher Gemeinden in bezug auf Steuererhebung, Steuerveranlagung und
Rechtsmittel angestrebt, und diejenigen Mängel, welche ıhre Wurzel
in einer allzu großen Gemeindeautonomie finden, werden zu beseitigen
gesucht. Insbesondere wird hierdurch die Unübersichtlichkeit auf diesem
Gebiete, welche durch die zahlreichen Verordnungen und Ortsstatute
geschaffen worden ist und eine starke Rechtsunsicherheit bewirkte, ver-
mieden. Dabei soll jedoch keine Schablonisierung eintreten, sondern es
soll auf die Verschiedenartigkeiten der Gemeinden Rücksicht genommen
und ihnen ein möglichst weitgehendes Selbstverwaltungsrecht gewährt
werden. Außerdem sollen die neuen Rechtsgrundsätze nur allmählich
an Stelle der alten treten, weshalb zur Einführung der ersteren den Ge-
meinden eine Frist bis zum 1.Januar 1916 gestellt worden ist.
3. Hinsichtlich der Gemeindecinkommensteuer soll engster An-
schluß an die Staatseinkommenstcuer, namentlich in bezug auf den
Steuertarif, obligatorisch gemacht werden, wodurch besonders Beseiti-
gung aller unsozialen Steuertarife und Schutz der Einkommensteuer
vor Überlastung herbeigeführt werden soll. Es ist jedoch den Gemein-
den freigegeben, niedere Einkommen, die der Staat nicht besteuert, als
steuerpflichtig zu erklären; sie dürfen diese aber nur mit geringen
Sätzen belegen und können umgekehrt auch Einkommen, welche der
Staat schon zur Steuer heranzicht, steuerfrei lassen. Endlich dürfen sie
auch die Steuersätze für die kleinen und mittleren Einkommen inner-
halb gewisser Grenzen erhöhen. Eine Besteuerung derjenigen kleinen
Einkommen, welche von der Staatscinkommensteuer frei sind, ist indes
nur unter der Bedingung zulässig, daß in der Gemeinde keine Kopf-
steuer erhoben wird.
4. Es wird Beseitigung der Kopfsteuer, die ja längst als veraltet
anerkannt worden ist und vielfach zu Härten führt, gefordert, und zwar
kann die Abschaffung dieser Steuer, wenn nötig, sofort erfolgen, min-
destens aber muß sie bis zum 1. Januar 1916 geschehen.
5. Das interkommunale Steuerrecht wird genau geregelt und eine
Doppelbesteuerung dadurch auszuschließen gesucht, daß bei Steuersub-
jekten, welche ihr Einkommen aus Grundbesitz, der in verschiedenen
Gemeinden gelegen ist, oder aus einem Gewerbebetriebe, der sich über
mehrere Gemeinden erstreckt, beziehen, in jeder Gemeinde nur der Teil
5*
68 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
des Einkommens zu versteuern ist, welcher der betreffenden Gemeinde
zukommt, daB also der Teil, der in der einen Gemeinde versteuert wird,
in der andern frei ist. Dieselben Grundsätze, die hier für die ,Ein-
kommensteuer aufgestellt worden sind, gelten auch fiir die Grundsteuer.
Für solche, welche in der einen Gemeinde ihren Gewerbebetrieb, aus
dem sie ihr Einkommen beziehen, in einer andern Gemeinde aber ihren
Wohnsitz haben, ist auBerdem eine Verbrauchsbesteuerung in der
Wohnsitzgemeinde vorgesehen. Hier kénnte man vielleicht in ge-
wissem Sinne von einer Doppelbesteuerung sprechen, denn der Betriebs-
inhaber wird hinsichtlich seines Einkommens einmal in der Gemeinde
besteuert, wo er seine gewerbliche Niederlassung hat, das andre Mal in
derjenigen, wo er sein Einkommen aus jenem Betriebe verzehrt. Doch
wird diese Doppelbesteuerung durch den Gesetzentwurf bedeutend ein-
geschränkt, indem er bestimmt, daß die Wohnsitzgemeinde den Ver-
brauchsaufwand nur insoweit besteuern darf, als er ein Viertel des aus-
wärtigen gewerblichen Einkommens nicht übersteigt. Übrigens wird
man es recht und billig finden müssen, daß nicht nur die Betriebs-
gemeinde, welcher durch das betreffende industrielle Unternehmen
Kosten entstehen, sondern auch die Wohnsitzgemeinde, deren Vorteile
(Schule, Kanalisation usw.) der Betriebsunternehmer genießt, ihn zu
den Gemeindelasten heranzieht.
6. Von Wichtigkeit ist die Änderung des bisherigen Rechtszu-
standes im Kirchen- und Schulsteuergesetze, wodurch jene konfessionellen
Mängel beseitigt werden sollen, welche darin bestehen, daß bis jetzt die
Mehrheitsgemeinden in der Lage sind, den Grundbesitz auch Anders-
gläubiger sowohl zur Grundsteuer als auch zur Besitzwechselabgabe
heranzuziehen, und daß gegenwärtig die juristischen Personen nur in
die Kasse der Mehrheitsgemeinden zu steuern haben, während die
Minderheitsgemeinden keinen Anteil haben.
7. Es ist Trennung der bisher gemeinsam umgelegten Kirchen-
und Schulanlagen, dabei aber enge Anlehnung der Bestimmungen über
die Kirchen- und Schulsteuern an die Steuerordnungen der politischen
Gemeinden durchgeführt.
Rückblick auf die beiden besprochenen städtischen Ein-
nahmequellen
Ehe nun nach dieser Sonderdarstellung des städtischen Steuer-
wesens zur Betrachtung der weitern Einnahmen der Städte geschritten
wird, dürfte es zweckmäßig sein, die beiden bisher erörterten Ein-
nahmequellen der Städte, die Unternehmungen und die Steuern, noch
einmal im Zusammenhange zu überblicken. Um dabei nicht etwa das
bereits Gesagte zu wiederholen, sondern einige neue Gesichtspunkte zu
Rückblick auf die beiden besprochenen städtischen Einnahmequellen 69
gewinnen, soll dies in der Weise geschehen, daß die Einnahmen der
städtischen Betriebe und diejenigen der Gemeindesteuern zueinander
ins Verhältnis gesetzt werden. In sämtlichen Städten des Königreichs
Sachsen erreichten die Einnahmen aus den kommunalen Unternehmun-
gen und diejenigen aus städtischen Steuern 1906 ınsgesamt die Höhe
von 307 155 496 M., wovon 84,8% aus den Unternehmungen der Städte
stammten, 15,2% durch Steuern aufgebracht wurden. Dieses Über-
gewicht der Einnahmen aus den gemeindlichen Betrieben gegenüber
den Steuereinnahmen zeigt sich, von geringen Abweichungen abgesehen,
nicht nur bei der eben erwähnten Landessumme, sondern auch bei den
kreishauptmannschaftlichen Ergebnissen und bei den entsprechenden
Beträgen der Städte selbst. Die Summen der Einnahmen aus Unter-
nehmungen und Steuern der Städte in den einzelnen Kreishauptmann-
schaften erreichten 1906 die Höhe von
20 802266 M. in der Kreisbauptmannschaft Bautzen
53 866841 ,, ,, m = Chemnitz
112979362 ,, ,, m ‘i Dresden
74893725 n np n fe Leipzig
44618302 „ n 4, ti Zwickau.
Das Prozentverhältnis, in welchem an diesen Beträgen die Ein-
nahmen aus kommunalen Betrieben und diejenigen aus Steuerquellen
beteiligt waren, stellte sich wie folgt: Von obigen Summen waren
in der Kreis- Einnahmen aus Steuer- | in der Kreis- Einnahmen aus Steuer-
hauptmannsch. Unternehmung. einnahm. | hauptmannsch. Unternehmung. einnahm.
Bautzen .. . 96,1%, 8,9%, |Leipzig. ... 76,5 °% 24,5%,
Chemnitz. . . 81,4 „ 18,6 „ | Zwickau... 84,4 ,, 15,6 „.
Dresden .. . 90,6 ,, 94 „
Div entsprechenden Ergebnisse der Kreis- und Großstädte waren
folgende: Die Summe der Einnahmen aus Unternehmungen und Steu-
ern belief sich in den Städten
Bautzen auf 6108634 M. Leipzig auf 32055447 M.
Chemnitz „ 26572574 „ Zwickau „ 6068098 „
Dresden ,, 77372049 „ Plauen ,, 10905131 „.
Von diesen Summen entfielen
in der auf Unternehmungen auf in der auf Unternehmungen auf
Stadt und Anstalten Steuern | Stadt und Anstalten Steuern
Bautzen 95,5 °/, 4,5%, | Leipzig 62,2 °/, 47,8 °,
Chemnitz 12.3), 27,7 „ | Zwickau 86,7 „ 14,8 ,,
Dresden 89,4 ,, 10,6 ,, | Plauen 76,7 ,, 28,8 ,,.
Zu diesen Ergebnissen, die, wie schon erwähnt, ein Uberwiegen
der Einnahmen der kommunalen Betriebe tiber diejenigen der Steuern
zeigen, ist freilich bemerkenswert, daß die Unternehmungen diesen
hohen Einnahmen auch bedeutende Ausgaben gegenüberzustellen haben.
Immerhin erzielen doch, im ganzen betrachtet, die städtischen Unter-
nehmungen und Anstalten bedeutende Überschüsse, diesieder Stadtkasse
70 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
zur Deckung allgemeiner Bedürfnisse zuweisen können. Letzteres zeigt
sich darin, daß in den Städten, in welchen die Einnahmen aus den
Gemeindebetrieben hoch sind, in der Regel der Anteil an Steuern, wel-
cher auf den Kopf der Bevölkerung fällt, geringer ist als in jenen
Gemeinden, welche geringere Einnahmen aus ihren Unternehmungen
aufzuweisen haben. Weniger sicher dagegen lassen sich aus diesen
Verhältniszahlen der Einnahmen der kommunalen Erwerbsanstalten
und der Steuern Schlüsse ziehen auf das Vermögen der betreffenden
Stadt. Selbst dort, wo nur geringe Einnahmen an Steuern zu vers
zeichnen sind, ist nicht immer ein hohes Gemeindevermögen vorhanden.
Um derartige Folgerungen abzuleiten, darf nicht nur das Finanz-
wesen in Betracht gezogen werden, sondern die gesamten kommunalen
Größen- und Wirtschaftsverhältnisse, also insbesondre Einwohnerzahl,
Bevölkerungsdichte, Überwiegen der industriellen oder der ländlichen
Betriebe, Lage an bedeutenden Verkehrswegen und ähnliches, haben
dabei einen nicht geringen Einfluß.
c) Sonstige Einnahmen
Nach den Einnahmen aus den Unternehmungen und Anstalten
sowie an städtischen Steuern folgen die dem städtischen Schulden-
konto zugewiesenen Einkünfte, welche 3,3% aller städtischen Ein-
nahmen ausmachen, wovon 2,3% auf das Verzinsungs- und 1,00% auf
das Tilgungskonto der städtischen Schulden entfallen. Sodann sind
die Einnahmen, welche das Konto ‚allgemeiner Verwaltungsaufwand“
aufzuweisen hat, zu nennen, welche 2,4% der gesamten städtischen
Einnahmen betragen, und danach folgen die Einnahmen aus dem
städtischen Grundbesitze mit 2,2% sowie diejenigen für Straßen,
Plätze und Brücken (1,0%). Unter 1% bewegen sich die Einnahmen
für höhere und Fachschulen (0,9%), die aus städtischen Kapitalien
(0,8%), ferner jene für Polizeiaufwand (0,4%), woran Wohlfahrts-
und Sicherheitspolizei je zur Hälfte Anteil haben. Hieran schließen
sich die Einnahmen der gemeinnützigen und Wohlfahrtseinrichtungen
(0,4%) und diejenigen des Konto „Feuerlöschwesen“ (0,2%). Unter
0,1% endlich stehen die Einnahmen des Konto ‚Brunnen und Denk-
miler‘ und die sonstigen Einnahmen der politischen Gemeinden.
Werden endlich, wie dies schon hinsichtlich der Ausgaben ge-
schehen ist, die ordentlichen Einnahmen der politischen Gemeinden
ın Vergleich zu denjenigen des sächsischen Staates gesetzt, so ergibt
sich, daß auch die ordentlichen Einnahmen der politischen Gemeinden
die des sächsischen Staates übersteigen, denn während die ordentlichen
Einnahmen der politischen Gemeinden Sachsens im Jahre 1906 sich
auf 347322128 M. beliefen, betrugen die ordentlichen Einnahmen
des sächsischen Staates im genannten Jahre nur etwa 340573421 M.
Die Einnahmen d polit. Gemeinden. c) Sonstige Einnahmen. C. Vermögen 71
C. Vermögen
1. Allgemeines
Eine Statistik des Gemeindevermögens — Gemeindevermögen hier
stets im Sinne von Gemeindeaktivvermögen gebraucht — hat die Auf-
gabe, ein erschöpfendes, der Wirklichkeit entsprechendes und charak-
teristisches Bild von dem jeweiligen Aktivvermögensstande der Ge-
meinden zu vermitteln. Sie bildet somit eine notwendige Ergänzung
zur Gemeindehaushaltsstatistik und dient gleichzeitig zur richtigen
Erfassung des städtischen Schuldenwesens. Gibt doch erst die Sta-
tistik des Aktivvermégens die Möglichkeit, die Ziffern der Schulden-
statistik einwandfrei zu beurteilen und falsche Schlüsse auf die finan-
zielle Lage der Gemeinden zu verhüten. Freilich spielen bei Beur-
teilung der allgemeinen finanziellen Lage auch die Steuerkraft der
Bürger, die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse der letztern und
die Umstände der Natur eine bedeutende Rolle. Leider hat es bisher
an einer einheitlichen Aufarbeitung und Darstellung und daher auch
an einer vergleichenden Zusammenfassung der äußerlich unter der-
selben Bezeichnung erscheinenden Zahlenangaben vielfach gefehlt. Die
Inventarisierung des Gemeindevermögens geschieht leider immer noch
nicht überall nach einheitlichen Grundsätzen, welche erforderlich sind,
um ein genaues Bild des Gemeindevermögens zu gewinnen. Wie schon
oben unter III 2 erwähnt, sind insbesondre die Bewertungsmaßstäbe,
welche nötig sind zur einheitlichen Einschätzung des Aktivvermögens,
nur sehr mangelhaft oder fehlen überhaupt ganz. Auch der Verband
Deutscher Städtestatistiker hat auf seinen Konferenzen wiederholt die
Frage einer einheitlichen Bewertung des Gemeindevermögens erörtert.
Erwähnenswert ist besonders das Referat aus der 22. Konferenz Deut-
scher Städtestatistiker zu Aachen.!) Der Berichterstatter, Dr. Most-
Düsseldorf, hob dabei an der Hand eines ıhm von einer Reihe deut-
scher Städte zur Verfügung gestellten Materials die vielfachen Ver-
schiedenheiten hervor, die hinsichtlich der Vermögensnachweise der ein-
zelnen Städte obwalten und sowohl jede allgemeine Vergleichung städti-
scher Vermögensziffern verbieten, als auch bei kritischer Betrachtung
teilweise sich als unhaltbar erweisen.
Nachdem bereits auf der genannten Konferenz der Berichter-
statter Vorschläge betreffs Aufstellung einheitlicher Normen für die
Bewertung des Gemeindevermögens gemacht und auch in seiner Schrift
„Gemeindefinanzen‘ 2. Band, 2. Teil einige „grundlegende Thesen“
dazu aufgestellt hatte, beschloß der Verband Deutscher Städtestati-
stiker auf seiner 24. Konferenz in Posen (6.—8. Juni 1910) die zu-
1) Protokoll der 22. Konferenz des Verbandes Deutscher Städtestatistiker
Aachen, 1908, S. 27 ff.
72 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
nächst probeweise Aufstellung einer vergleichenden Vermögensstatistik
und legte für die Einstellung der einzelnen Vermögensteile und ins-
besondre für die Bewertung des Sach- und Grundvermögens folgende
Normen fest:
1. Das Vermögen der die Finanzgebahrung der Städte unmittel-
bar beeinflussenden Stiftungen ist gesondert nachzuweisen. Sonstiger
Stiftungsbesitz bleibt außerhalb der Vermögensnachweisung, ebenso
solche Fonds (z. B. Sparkassenreservefonds), aus denen eine Ent-
nahme für städtische Zwecke gesetzlich unzulässig ist.
2. Straßen und Plätze im öffentlich rechtlichen Sinne bleiben
ebenfalls außerhalb der Vermögensnachweisungen. Andre Straßen und
Plätze sowie vorübergehend als Schmuckanlagen eingerichtete Plätze
sind mit dem Bodenwerte einzusetzen.
3. Kautionen und durchlaufende Renten, Einnahmereste und
Kassenbestände sind in der Vermögensstatistik nicht zu berücksich-
tigen.
4. Für die Bewertung des Vermögens gilt folgendes:
a) Effekten sind mit dem Kurswert einzusetzen, soweit ein Bör-
senwert notiert wird, in allen übrigen Fällen mit dem Ankaufspreise.
b) Gefälle und Gerechtsame sind mit dem 18- oder 25 fachen
der einjährigen Nutzung oder Leistung einzusetzen (vgl. § 13 des
preußischen Einkommensteuergesetzes). Nicht in die Vermögensnach-
weisung gehören auf öffentlichen Rechten beruhende geldwerte Rechte.
c) Der Grund und Boden, auf dem öffentliche Gebäude errichtet
sind, ist durchweg einzusetzen, wobei zu berücksichtigen bleibt, daß
hier Baugrund und Baulichkeit untrennbare Einheiten bilden, darum
auch nach einheitlichem Maßstabe zu bewerten sind. Als solcher wird
der Anschaffungswert ohne Hinzurechnung von Zinsverlust empfoh-
len, der in solchen Fällen, wo der Anschaffungswert nicht mehr fest-
zustellen ist oder gar weit zurückliegenden Epochen angehört, durch
den Schätzungswert zu ersetzen ist. Bei Abbrüchen und Umbauten
gilt der Anschaffungswert als nicht mehr festzustellen.
d) Das gleiche gilt für andre bebaute Grundstücke.
e) Das Mobiliar- und maschinelle Vermögen der Gemeindebe-
triebe, aller Verkehrsanlagen und Tiefbauten (insbesondre also auch
der Kanalisations-, Rohr- und Leitungsanlagen) ist unbedingt voll-
zählig nachzuweisen, und zwar nach dem Buchwerte (Anschaffungs-
wert unter Berücksichtigung der Zu- und Abschreibungen); falls kein
Buchwert vorhanden, tritt der Schätzungswert an dessen Stelle. Ma-
terialbestände sind nach den unverminderten Anschaffungskosten zu
bewerten.
f) Der unbebaute Grundbesitz der Gemeinde ist mit dem An-
schaffungswerte, jedoch unter Zurechnung von Zinsverlusten (31/,%)
— eventuell abzüglich erzielter Einnahmen — einzusetzen; ebenso
Bewertung und staatliche Beaufsichtigung des Gemeindevermigens 13
landwirtschaftlicher Grundbesitz, soweit er nicht voraussichtlich dau-
ernd dem landwirtschaftlichen Betriebe dient. In letzterm Falle ist
das 25fache des Durchschnittsertrags einzusetzen. Straßenbaukosten
sind zuzusetzen.
g) Inventar aller Art darf keineswegs unbewertet bleiben; die
Bewertung muß nach den bei den einzelnen Städten üblichen Normen
erfolgen. Im Zweifelsfalle wird die Einstellung des Buch- oder —
falls dieser nicht vorhanden — des Feuerversicherungswertes emp-
fohlen.
5. Zur richtigen Beurteilung der nach vorstehenden Normen ein-
gesetzten Vermögenswerte hat die vergleichende Vermögensstatistik
neben den nach vorstehenden Normen errechneten Mobiliarwerten auch
diejenigen Werte nebst der zugrunde gelegten Berechnungsart nach-
richtlich mitzuteilen, die die einzelne Gemeinde in den für eigne Zwecke
aufgestellten Nachweisungen ersichtlich macht.
6. Die vergleichende Vermögensstatistik hat das Vermögen zum
ınindesten in die vorstehend bezeichneten Gruppen zu spezialisieren.
Bei den öffentlichen Gebäuden ist eine weitere Spezialisierung nach
dem Verwendungszweck erforderlich.
(Kommunales Jahrbuch 1910, S. 606.)
Ob diese Grundsätze den in sie gestellten Erwartungen entspre-
chen, wird die Zukunft zeigen. Über die bis jetzt damit gemachten
Erfahrungen wird auf der nächsten Konferenz des genannten Ver-
bandes Diskussion stattfinden. Zum mindesten wird anerkannt werden
müssen, daß jene Normen, wenn sie auch hier und da nicht ganz ein-
wandfrei zu sein scheinen, doch das ehrliche Streben zeigen, auf dem
bisher so arg zersplitterten Gebiete der Bewertung städtischen Grund-
und Sachvermögens endlich eine gewisse Einheitlichkeit zu schaffen,
und sehr wohl imstande sind, die deutsche kommunale Finanzstatistik
erheblich zu fördern.
Endlich sei noch hervorgehoben, daß auch der sächsische Staat
einer gesunden Fortentwicklung der Vermögensverhältnisse seiner Ge-
meinden ein reges Interesse entgegenbringt und daher ebenso, wie dies
schon hinsichtlich der Ausgaben und der Einnahmen der Fall ist, auch
das Vermögen der politischen Gemeinden einer genauen Aufsicht unter-
wirft. So bestimmt § 9 der Revidierten Städteordnung: „Das Stamm-
vermögen der Stadtgemeinde ist in seinem Gesamtbestande unvermin-
dert zu erhalten. Eine Abweichung von dieser Vorschrift darf nur
aus dringlichen Gründen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde statt-
finden.“ Es ist den Städten jedoch erlaubt, hinsichtlich der einzelnen
Teile des Stammvermögens Änderungen vorzunehmen, wenn nur dessen
Gesamtwert nicht verringert wird. Ähnliche Bestimmungen sind auch
in die Städteordnung für mittlere und kleine Städte sowie in die Ro-
vidierte Landgemeindeordnung aufgenommen worden.
74 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
2. Vermögensbestände der politischen Gemeinden, welche in
a) Unternehmungen und Anstalten, b) Grundbesitz angelegt sind
Zu a. Einen nicht unerheblichen Teil ihres Vermögens — es
sind Beträge zwischen 16 und 40% des letzteren — haben die politi-
schen Gemeinden in ihren Unternehmungen und Anstalten festgelegt.
Die absoluten Zahlen hiervon werden teils im nächsten Abschnitte be-
rücksichtigt werden, teils sind sie aus den beigegebenen Tabellen zu
ersehen. Betrachtet man den Landesdurchschnitt, so waren Ende 1906
insgesamt 30,4% des Vermögens hierin investiert. Diese Vermögens-
bestandteile setzen sich zusammen teils aus Immobilien, teils aus Mo-
biliar und Inventar. Von jenen 30,4% des Landesdurchschnitts ent-
fallen 8,5% auf die Elektrizitätswerke, 7,900 auf die Wasserwerke,
6,00% auf die Gaswerke, 3,500 auf die städtischen Bäder und Kranken-
häuser und 4,5% auf sonstige Unternehmungen und Anstalten. Von `
den einzelnen Kreishauptmannschaften steht am höchsten über dem
Landesdurchschnitte die Kreishauptmannschaft Dresden, wo 37,3%0
des städtischen Vermögens in den Unternehmungen und Anstalten an-
gelegt sind. Auch hier nehmen wie beim Landesdurchschnitte die
Elektrizitätswerke den größten Anteil (18,2%0) in Anspruch. Es
folgen dann die Wasserwerke mit 6,6%, die städtischen Krankenhäuser
und Bäder mit 5,7%, die Gaswerke mit 4,8 %o und die sonstigen Unter-
nehmungen und Anstalten mit 2,5%.
Auf ziemlich gleicher Höhe bewegen sich die Prozentzahlen der
beiden Kreishauptmannschaften Chemnitz und Zwickau. In ersterem
Bezirke entfallen 30,5% des Kommunalvermégens auf die Immo-
bilien, das Mobiliar und das Inventar der städtischen Betriebe; in
der Kreishauptmannschaft Zwickau 30,1%. In beiden Bezirken
nehmen die Wasserwerke den größten Prozentanteil (Chemnitz
12,7%, Zwickau 11,4%) in Anspruch. An zweiter Stelle stehen
sowohl in der Kreishauptmannschaft Chemnitz als auch in der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau die Gaswerke, auf welche im erstgenannten
Bezirke 7,5%, in der letztgenannten Kreishauptmannschaft 7,7% des
Vermögens entfallen. Fast auf gleicher Höhe stehen in den beiden
Kreishauptmannschaften Chemnitz und Zwickau auch die Prozent-
anteile des Vermögens, welche auf die Elektrizitätswerke entfallen;
sie betragen in der ersteren Kreishauptmannschaft 3,6, in der letzteren
3,8. Schon mehr dagegen weichen die Verhältniszahlen für die städti-
schen Krankenhäuser und Bäder sowie für die sonstigen Unternehmun-
gen und Anstalten der politischen Gemeinden voneinander ab. Während
nämlich in den Städten der Kreishauptmannschaft Chemnitz die
Krankenhäuser und Bäder 3,6% des Vermögensbestandes ausmachen,
beträgt dieser Anteil in der Kreishauptmannschaft Zwickau nur 2,8%,
und während auf die sonstigen Unternehmungen und Anstalten der
politischen Gemeinden in der Kreishauptmannschaft Chemnitz 3,0%
a) Das in Unternehmungen und Anstalten angelegte Vermögen 13
des Gesamtvermögens entfallen, ergeben sich hierfür in der Kreishaupt-
mannschaft Zwickau 4,4%. In der Kreishauptmannschaft Leipzig be-
trägt der Vermögensanteil der kommunalen Betriebe 24,60%, wovon
der Hauptanteil (7,7%0) auf die nicht namentlich aufgeführten, son-
dern unter der Sammelrubrik „sonstige“ zusammengefaßten Unter-
nehmungen entfällt. Es folgen dann die Gaswerke mit 6,80%, die
Wasserwerke mit 5,6%, die Elektrizitätswerke mit 2,8%, endlich die
Krankenhäuser und Bäder mit 1,7%. Daß in diesem Bezirke der
auf die städtischen Krankenhäuser entfallende Anteil weit hinter dem
Landesdurchschnitte zurücksteht, mag wohl darauf zurückzuführen sein,
daß sowohl die Stadt Leipzig selbst als auch die in der Kreishaupt-
mannschaft Leipzig liegenden Städte eigner großer Institute für
Krankenpflege nicht bedürfen, sondern sich bequem jener staatlichen
Anstalten bedienen können, welche der Landesuniversität angegliedert
sind. In der Kreishauptmannschaft Bautzen endlich sehen wir 20,3 %
des Gemeindevermögens in Unternehmungen und Anstalten zusammen-
gefaßt. Es kommen dabei 7,1% auf die Wasserwerke, 5,200 auf die Elek-
trizititswerke, 3,1% auf die Gaswerke, 1,9% auf die Krankenhäuser
und Bäder und 3,0% auf die sonstigen Unternehmungen und Anstalten.
Betrachten wir nach diesem Überblick über die Kreishauptmann-
schaften schließlich noch die sächsischen Kreis- und Großstädte, so er-
gibt sich, daß am höchsten das Vermögen für die Unternehmungen in
der Stadt Dresden sich stellt, welche neben Chemnitz, wo sich die gleiche
Anzahl städtischer Unternehmungen und Anstalten vorfindet, auch die
meisten Gemeindebetriebe unter den sächsischen Städten in ihrem Be-
sitze hat. 40,9% des Vermögens der politischen Gemeinde waren Ende
1906 in Dresden in den städtischen Unternehmungen angelegt, wovon
der Hauptanteil (21,9%) auf die städtischen Elektrizitätswerke und
Straßenbahnen entfällt. Weiter kommen 6,2% auf die städtischen
Krankenhäuser und Bäder, 5,9% auf die Wasserwerke, 4,1% auf die
Gasanstalten und 2,8% auf die sonstigen städtischen Unternehmungen.
Obgleich Chemnitz, wie schon erwähnt, die gleiche Anzahl Betriebe in
städtische Verwaltung genommen hat wie Dresden, so steht es doch in
betreff des darin investierten Vermögens erst an dritter Stelle, an zwei-
ter Stelle ist Plauen zu nennen. Hier beträgt der Anteil des durch die
Unternehmungen und Anstalten verkörperten Vermögens 39,7 %. Oben-
an stehen die städtischen Wasserwerke mit 13,3%, es folgen dann die
Gaswerke mit 9,5 %, die Elektrizitätswerke mit 7,0 %, die Kranken-
häuser und Bäder mit 3,8% und endlich die sonstigen Unternehmungen
und Anstalten mit 6,1%. Wie schon gesagt, ist an dritter Stelle Chem-
nitz zu nennen. Von dem hier insgesamt 35,7% des Vermögens be-
tragenden Anteile der Gemeindebetriebe entfallen 15,5% auf die
Wasserwerke. 8,2% auf die Gaswerke, 5,0% auf die Krankenhäuser
und Bäder, 4,9% auf die Elektrizitätswerke und 2,1% auf die son-
76 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
stigen Unternehmungen und Anstalten. In Leipzig sind 25,3%0 des
Vermögens von den städtischen Betrieben in Anspruch genommen; am
größten ist hierbei der Prozentanteil der nicht namentlich aufgeführten,
sondern unter „sonstige‘‘ zusammengefaßten Unternehmungen, wel-
cher sich auf 9,3 beläuft. Weiter sind 7,1% des Gesamtvermögens in
den Gaswerken, 4,4% in den Wasserwerken, 2,8% in den Elektri-
zıtätswerken und 1,7% in den Krankenhäusern und Bädern enthalten.
Auch hier trifft die schon bei Besprechung der Ergebnisse der Kreis-
hauptmannschaft Leipzig gemachte Bemerkung zu, daß die in den
Krankenhäusern angelegten Vermögensbestände deshalb so gering sind,
weil sich die Stadt Leipzig zu einem erheblichen Teile der an die Uni-
versität angeschlossenen staatlichen Institute für Krankenpflege be-
dienen kann. Schon wesentlich geringer stellt sich der Anteil der ge-
meindlichen Betriebe am Gesamtvermögen in der Stadt Zwickau. Er
beträgt hier 20,8%. Dabei beanspruchen 6,6% des Vermögens die
Wasserwerke, 5,0% die Gaswerke, 4,1% die städtischen Kranken-
häuser und Bäder und 5,1% die sonstigen Unternehmungen und An-
stalten. Ein eignes Elektrizitätswerk besitzt die Stadt Zwickau noch
nicht.!) An letzter Stelle endlich ist die Stadt Bautzen zu nennen. Hier
sind nur 16,2% des Gemeindevermögens in den städtischen Betrieben
festgelegt, und zwar 8,2% in den Wasserwerken, 4,5 % in Elektrizitéte-
werken, 2,5% in Gaswerken, 0,7% in Krankenhäusern und Bädern
und 0,300 in sonstigen Unternehmungen und Anstalten.
Zu b. Noch höher aber als die Vermögenssummen, welche die poli-
tischen Gemeinden für ihre Unternehmungen und Anstalten aufge-
gebracht. haben, sind diejenigen, welche im städtischen Grundbesitze
verkörpert sind. Zwischen 28,2% und 53,0% schwankt der Anteil
des städtischen Grundbesitzes am Gesamtvermögen. Der Landesdurch-
schnitt beträgt 34,0%. Dabei entfallen durchschnittlich 1,7% des
Stadtvermögens auf landwirtschaftlich benutzte Güter, 2,5% auf
Forste und 29,80% auf sonstige Grundstücke und Gebäude.
Betrachten wir auch hierbei nur die Prozentzahlen der Kreishaupt-
mannschaften und der Kreis- und Großstädte — die absoluten Zahlen
werden im nächsten Abschnitte noch kurz erwähnt werden —, so steht,
was den Prozentanteil des Grundbesitzes der politischen Gemeinden am
Gesamtvermögen anlangt, unter den Kreishauptmannschaften an erster
Stelle Bautzen, wo 40,00% des Kommunalvermögens in Grundbesitz
festgelegt sind, und zwar entfallen 2,0% auf landwirtschaftlich be-
nutzte Güter, 16,2% auf Forste und 21,8% auf sonstige Grundstücke
und Gebäude An zweiter Stelle folgt die Kreishauptmannschaft
Zwickau. Hier besteht das Gemeindevermögen zu 38,9% aus Grund-
1) Am 1. Januar 1914 ist das Zwickauer Elektrizitätswerk nebst Straßen-
bahn von der Stadt übernommen worden.
oi Das in Grundbesitz angelegte Vermigen 17
besitz, und es entfallen 2,8% auf landwirtschaftlich benutzte Güter,
4,40% auf Forste und 31,7% auf sonstige Grundstücke und Gebäude.
Nur wenig hinter der Durchschnittszahl des vorigen Kreises steht die-
jenige der Kreishauptmannschaft Leipzig zurück. 38,2% des ge-
samten städtischen Vermögens bestehen hier aus Grundbesitz, wobei
allerdings dessen Gliederung etwas mehr von der des Zwickauer Bezirks
abweicht. Es entfallen nämlich in der Kreishauptmannschaft Leipzig
2,0% auf landwirtschaftlich benutzte Güter, 0,7% auf Forste und
35,0% auf sonstige Grundstücke und Gebäude. In der Kreishaupt-
mannschaft. Chemnitz sind 30,5% des städtischen Vermögens Grund-
besitz, nämlich 0,5% landwirtschaftlich benutzte Güter, 4,5% Forste
und 25,5%0 sonstige Grundstücke und Gebäude. In der Kreishaupt-
mannschaft Dresden endlich beträgt der Anteil des städtischen Grund-
besitzes am Stadtvermögen 28,80%, und zwar kommen hier 1,6% des
gesamten Vermögens auf die landwirtschaftlich benutzten Güter, 0,40%
auf die Forste und 26,8% auf die sonstigen Grundstücke und Gebäude.
Was nun die Ergebnisse in den einzelnen Städten betrifft, so
stehen, wenn man die Höhe des im Grundbesitz investierten Vermögens
allgemein betrachtet und von der Gliederung absicht, am höchsten über
dem Landesdurchschnitte diejenigen der Stadt Zwickau, wo insgesamt
53,0% des Stadtvermögens auf Grundbesitz entfallen. Es beträgt der
Anteil der landwirtschaftlich benutzten Güter am Vermögen 7,6%,
derjenige der Forsten 0,2% und derjenige der sonstigen Grundstücke
und Gebäude 45,2%. Nur wenig voneinander verschieden sind die
Prozentsätze, welche das Verhältnis des in Grundbesitz angelegten Ver-
mögens zum Gesamtvermögen der Städte Leipzig, Chemnitz, Bautzen
und Plauen darstellen. Es end nämlich in Grundbesitz festgelegt in
Leipzig 37,8 %, in Chemnitz 36,00%, in Bautzen 35,2% und in Plauen
34,5% des Gemeindevermögens. Abweichend von dieser Reihenfolge
ist die Verteilung des Grundbesitzes auf die verschiedenen Arten von
Grundstücken in den genannten Städten. Während in Leipzig auf die
landwirtschaftlich benutzten Güter 1,7% des Vermögens zu rechnen
sind, beträgt dieser Teil des Kommunalvermögens in Chemnitz 0,2%o,
in Plauen 2,000, und Bautzen hat überhaupt keinen derartigen Grund-
besitz. Die Forste machen in Leipzig 0,6% des Gemeindevermögens
aus, dagegen beträgt dieser Anteil in Chemnitz 1,1%, in Bautzen
16,0% und in Plauen 3,7%. Während schließlich auf die sonstigen
Grundstücke und Gebäude in Leipzig 25,50% des gesamten Vermögens
entfallen, beträgt dieser Anteil in Chemnitz 34,70%, in Bautzen nur
19,20% und in Plauen 28,80%; er kommt also in der zuletzt genannten
Stadt dem Landesdurchschnitte am nächsten. Dresden endlich hat 28,2 %
seines Vermögens in Grundbesitz angelegt, und zwar kommen auf die
landwirtschaftlich benutzten Güter 1%, auf die sonstigen Grundstücke
und Gebäude 27,2% des Stadtvermögens; Forste besitzt Dresden nicht.
78 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
3. Übersicht über das Aktivvermégen der politischen Gemeinden
Ende 1906
Bei dem Aktivvermögen lassen sich verschiedene Gruppen unter-
scheiden: einmal gehört hierher das schon betrachtete in den Unter-
nchmungen und Anstalten sowie im städtischen Grundbesitz investierte
Vermögen, ferner das Mobiliar und Inventar der kommunalen Institute
und endlich das Kapitalvermögen. Das letztere kann wiederum in
mehrere Unterabteilungen gegliedert werden. Man muß dabei unter-
scheiden das stets verfügbare Barkapital, die schon erwähnten Fonds,
insbesondere die Rücklage- und Erneuerungsfonds, und endlich die
übrigen Vermögensbestände für bestimmte Zwecke. Hierzu treten noch
die Anteile der einzelnen Städte am Bezirksvermögen und etwa vor-
handene Stiftungen. Das Bezirksvermégen ist das Vermögen des Be-
zirksverbandes — jeder Bezirksverband umfaßt eine Amtshauptmann-
schaft — und besteht zunächst aus dem nach Verhältnis des Flächen-
raumes und der Bevölkerungszahl jedem Bezirksverbande einschlieB-
lich der eximierten Städte überwiesenen Anteile an jenen 9 Millionen
Mark, die zu diesem Zwecke aus dem Anteile Sachsens an der franzési-
schen Kriegsentschädigung ausgeschieden sind, den Darlehnsforderun-
gen, die auf Grund des Reichsgesetzes vom 22.Juni 1871 als Bei-
hilfen an Angehörige der Reserve und Landwehr gewährt worden sind,
und den auf diese Darlehen bereits zurückgezahlten Beträgen. Be-
trachten wir von den obengenannten Gruppen zunächst das in den ge-
meindlichen Betrieben sowie das im Grundbesitze festgelegte Kapital,
welche zwar beide im vorigen Abschnitte hinsichtlich ihrer Prozent-
anteile am städtischen Gesamtvermögen schon besprochen worden sind,
so wird es sich doch empfehlen, auch die bezüglichen absoluten Zahlen
etwas zu würdigen. Im Königreiche Sachsen waren 1906 im ganzen
281810000 M. des Kommunalvermögens in Betrieben angelegt, wo-
von 119980000 M. auf die Kreishauptmannschaft Dresden und
72 606 000 M. auf die Kreishauptmannschaft Leipzig entfielen. Schon
wesentlich geringer ist das in den Unternehmungen und Anstalten der
Städte investierte Kapital in der Kreishauptmannschaft Chemnitz, wo
der entsprechende Anteil am Gesamtvermögen 41670000 M. beträgt.
Iu der Kreishauptmannschaft Zwickau beläuft sich das in den gemeind-
lichen Anstalten festgelegte Vermögen auf 38700000 M., und am
geringsten ist der Anteil der städtischen Unternehmungen und An-
stalten am Gesamtvermögen in der Kreishauptmannschaft Bautzen, wo
er 8854000 M. beträgt.
Von den sächsischen Kreis- und Großstädten ist Dresden besonders
hervorzuheben, wo 105 879 000 M. auf die städtischen Unternehmungen
und Anstalten entfallen. In Leipzig sind 58960 000 M. des Vermögens
in den dortigen Gemeindebetrieben angelegt, in Chemnitz 26 176 000
Grundvermögen und Kapitalvermögen 19
Mark, in Plauen 17121000 M., in Zwickau 6477000 M. und in
Bautzen 2014000 M. Bemerkenswert ist, daß Dresden für seine Unter-
nehmungen und Anstalten allein über ein Drittel des im ganzen König-
reiche Sachsen in den städtischen Betrieben investierten Kapitals in
Anspruch nimmt.
Was sodann die Werte anlangt, welche im städtischen Grundbesitz
festgelegt sind, so stehen dieselben in den meisten Fällen keineswegs
hinter den Zahlen der kommunalen Betriebe zurück, sondern über-
treffen diese vielfach noch. In ganz Sachsen hatte 1906 der gesamte
städtische Grundbesitz einen Wert von 314712000 M. Der Haupt-
anteil hiervon entfällt auf die Städte der Kreishauptmannschaft Leip-
zig und der Löwenanteil davon wieder auf die Stadt Leipzig. In der
Leipziger Kreishauptmannschaft waren 1906 112774000 M. des ge-
samten städtischen Vermögens in Grundstücken angelegt, wovon allein
88098000 M. auf die Grundstücke der Stadt Leipzig zu rechnen sind.
Ähnlich liegen die Verhältnisse in der Kreishauptmannschaft Dresden,
wo der Grundbesitz der Stadt Dresden selbst den Hauptanteil am ge-
samten städtischen Grundbesitze der Kreishauptmannschaft ausmacht.
Von dem insgesamt einen Wert von 92889000 M. repräsentieren-
den städtischen Grundbesitz des Kreises Dresden kommen #/,, näm-
lich 72939000 M., auf die Stadt Dresden. An dritter Stelle ist hın-
sichtlich des städtischen Grundbesitzes die Kreishauptmannschaft
Zwickau zu erwähnen, wo 49916000 M. des städtischen Aktivver-
mögens in Grundbesitz angelegt sind. Hier fangen allerdings die grö-
Beren Städte im Bezirke schon an, hinsichtlich ihres Anteils am städtı-
schen Grundbesitz des ganzen Bezirks wesentlich zurückzutreten, denn
in der Stadt Plauen beträgt das im Grundbesitz festgelegte Kapital nur
14916000 M. und in der Stadt Zwickau besteht das Vermögen zu
16508000 M. in Grundstücken. In den beiden Kreishauptmann-
schaften Chemnitz und Bautzen kommt etwa die Hälfte des dort vor-
handenen städtischen Grundbesitzes auf die beiden Städte Chemnitz
und Bautzen. Während aber in der Kreishauptmannschaft Chemnitz
der städtische Grundbesitz einen Wert von 41 650 000 M. repräsentiert,
wovon 26353000 M. auf die Stadt Chemnitz entfallen, ist in der
Kreishauptmannschaft Bautzen die Stadt Bautzen bei 17483000 M.
Gesamtwert des städtischen Grundbesitzes mit 4382000 M. beteiligt.
Von Wichtigkeit bei Beurteilung der Finanzverhältnisse der poli-
tischen Gemeinden der sächsischen Städte ist ferner das denselben eigne
Kapitalvermögen. Es umfaßt für das gesamte Königreich Sachsen die
Summe von 70712000 M. Hiervon entfallen auf die Städte der Kreis-
hauptmannschaften
Chemnitz 22731000 M. Zwickau 12057000 M.
Leipzig 19132000 ,, Bautzen 2727000 ,,.
Dresden 14065000 ,,
80 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Etwas anders als bei den Kreishauptmannschaften ist die Reihen-
folge der Städte in bezug auf ihr Kapitalvermögen. Hier steht obenan
die Stadt Leipzig mit 15656000 M. Schon stark von dieser Summe
fällt ab der Barvermögensbestand der Stadt Dresden, welcher 9 106 000
Mark beträgt. In der Stadt Chemnitz beläuft sich das Kapitalvermögen
auf 6687000 M. Ziemlich auf gleicher Höhe steht es in den Städten
Zwickau und Plauen mit 3684000 M. beziehentlich 3603000 M. In
der Stadt Bautzen endlich hat es eine Höhe von 757000 M.
Das im Inventar und Mobiliar verkörperte Vermögen der poli-
tischen Gemeinden beträgt in den sächsischen Städten insgesamt
8910000 M. Am höchsten beziffert sich dieser Wert in den beiden
Kreishauptmannschaften Chemnitz und Zwickau; in der ersteren be-
trägt er 2503000 M., im letzteren Bezirke 2374000 M. In der Kreis-
hauptmannschaft Leipzig repräsentiert das Inventar und Mobiliar einen
Wert von 1801000 M., ın der Kreishauptmannschaft Dresden einen
solchen von 1532000 M. Was endlich die Kreishauptmannschaft
Bautzen anlangt, so haben hier die politischen Gemeinden der Städte
nur 700000 M. ihres Vermögens auf das Inventar und Mobiliar ver-
wendet. Hinsichtlich der einzelnen Städte steht bezüglich des im In-
ventar und Mobiliar verkörperten Vermögens die Stadt Chemnitz mit
1477000 M. an erster Stelle. In Plauen hat das städtische Inventar
und Mobiliar einen Wert von 803000 M. :Die Stadt Leipzig hat
637:000 M. für das Inventar und Mobiliar aufgewendet. Auf 468 000
Mark beläuft sich der betreffende Wert in Zwickau, auf 403000 M.
in Dresden und auf 291000 M. in Bautzen.
Weiter sind als wichtiger Bestandteil des Kommunalvermögens
die schon bei den außerordentlichen Ausgaben erwähnten städtischen
Fonds zu nennen. Sıe erreichten 1906 im ganzen Königreiche Sachsen
eine Höhe von 107378000 M. Am reichsten mit Fonds ausgestattet
sind die Städte der beiden Kreishauptmannschaften Dresden und Leip-
zig, wovon die beiden Kreisstädte Dresden und Leipzig den Hauptanteil
besitzen. In der Kreishauptmannschaft Dresden nämlich beträgt die
Summe aller städtischen Fonds 34339000 M., wovon 20710000 M.
auf die Stadt Dresden entfallen, und im Bezirke der Kreishauptmann-
schaft Leipzig haben die Fonds der dortigen Städte insgesamt eine
Höhe von 32039000 M., aber fast die Hälfte davon, nämlich
15686000 M., kommen auf die Stadt Leipzig. In der Kreishaupt-
mannschaft Chemnitz beträgt das in den Städten vorhandene Fonds-
kapital 18996000 M. Ein beträchtlicher Teil davon — es sind
8921000 M. — gehört der Stadt Chemnitz selbst. An nächster Stelle
ist die Kreishauptmannschaft Zwickau zu nennen. Hier beträgt das
Kapital, welches die Städte des Bezirks in Fonds festgelegt haben,
15618000 M., einschließlich 3402000 M. von Plauen und 1597000
Mark von der Stadt Zwickau. In der Kreishauptmannschaft Bautzen
Das im Mobiliar und Inventar verkörperte Vermögen. Die städtischen Fonds 8]
endlich beziffert sich der Kapitalwert der städtischen Fonds auf
6386000 M.; davon kommen auf die Stadt Bautzen 1261 000 M.
Von nur geringer Höhe sind die Vermögensbestände, welche sonst
noch von den politischen Gemeinden für Zwecke der verschiedensten Art,
z.B. für Bauten, unvorhergesehene Wasser- oder Feuerschäden usw.,
zurückgelegt worden sind. Im Jahre 1906 betrug die Summe aller
dieser kleineren Rücklagen der sächsischen Städte 20910000 M., wo-
von der Löwenanteil auf die Kreishauptmannschaft Leipzig und hier
wieder auf die Stadt Leipzig entfiel. Von der genannten Summe kom-
men nämlich 9 462 000 M. auf die Kreishauptmannschaft und 8 648 000
Mark auf die Stadt Leipzig. Wesentlich niedriger sind die Ziffern, die
sich für die übrigen Kreise und Städte ergeben. So waren in der Kreis-
hauptmannschaft Chemnitz in demselben Jahre 4906 000 M. an Rück-
lagen der Städte für gewisse Zwecke vorhanden, einschließlich
2935000 M. der Stadt Chemnitz, und in der Kreishauptmannschaft
Dresden waren die Städte im Besitze von 3 061 000 M. derartiger Rück-
lagen, wovon 1488000 M. der Stadt Dresden zuzurechnen sind. Im
Bezirko der Kreishauptmannschaft Zwickau war städtisches Vermögen
der gleichen Art in Höhe von 2204000 M. vorhanden, an dem die
Städte Plauen und Zwickau mit 924000 M. bzw. 640000 M. Anteil
hatten. In der Kreishauptmannschaft Bautzen waren 1277000 M. des
Vermögens zu demselben Zwecke zurückgelegt worden; über 50% da-
von, nämlich 741 000 M., kommen auf die Stadt Bautzen.
Fassen wir nun diese bisher genannten Aktivvermögensteile zu-
sammen, so ergeben sich ganz beträchtliche Summen für das Gesamtver-
mögeu der politischen Stadtgemeinden Sachsens. Im ganzen König-
reiche beträgt dieses gesamte Aktivvermégen 804431 000 M. Wenn wir
die Summen der Kreishauptmannschaften betrachten und die Zahlen
der Großstädte daneben stellen, so finden wir auch hier, daß dieletzteren
immer den beträchtlichsten Teil des Aktivvermögens der betreffenden
Kreishauptmannschaft inne haben. Es betrug 1906 dieses gesamte
Aktivvermögen in den Kreishauptmannschaften
Dresden 265866000 M. | Zwickau 120869000 M.
Leipzig 247813000 ,, Bautzen 37427000 ,,
Chemnitz 132 456000 ,,
und hiervon entfallen auf die Städte
Dresden 210525000 M. Zwickau 29374000 M.
Leipzig 187865000 ,, Plauen 40769000 ,,
Chemnitz 72549000 „ | Bautzen 9446000 „.
Diese Zahlen erhöhen sich jedoch, und zwar teilweise recht wesent-
lich, wenn man das schon erwähnte Bezirksvermögen sowie die im
Besitze der politischen Gemeinden der Städte befindlichen Stiftun-
gen und Legate hinzurechnet. Im gesamten Königreiche Sachsen
hatte dieses Bezirks- und Stiftungsvermögen im Jahre 1906 eino
Liebers: Die Finanzen 6
82 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
Höhe von 121756000 M. Am bedeutendsten sind diese Summen in
den beiden Kreishauptmannschaften Dresden und Leipzig, wo sie
56269000 M. bzw. 47613000 M. betragen. Hervorzuheben ist, daß
die betreffenden Kreisstädte Dresden und Leipzig den beträchtlichsten
Teil davon (Dresden über 80% und Leipzig über 90%) im Besitze
haben. Es beträgt nämlich das Bezirks- und Stiftungsvermögen der
Stadt Dresden 48280000 M. und dasjenige der Stadt Leipzig
45215000 M. Ganz erheblich hinter diesen Zahlen stehen diejenigen
der übrigen Kreishauptmannschaften und Städte zurück. In der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau beträgt das Bezirks- und Stiftungsvermögen
nur 7459000 M., davon entfallen auf die Stadt Plauen 2415000 M.
und auf die Stadt Zwickau 1749000 M. Nicht an letzter Stelle sind
diesmal die Kreishauptmannschaft und die Stadt Bautzen zu nennen,
deren Besitz an Bezirksvermögen und Stiftungen denjenigen der Kreis-
hauptmannschaft und beziehentlich der Stadt Chemnitz übertrifft. Es
hatte nämlich 1906 das Bezirks- und Stiftungsvermögen der Kreis-
hauptmannschaft Bautzen eine Höhe von 6274000 M., dasjenige der
Kreishauptmannschaft Chemnitz dagegen nur eine Höhe von 4 147 000
Mark. Und während in der Stadt Bautzen das Bezirksvermögen und
die Stiftungen zusammen 3008000 M. betrugen, hatte Chemnitz hier
nur 711000 M. aufzuweisen.
Fassen wir unter Hinzurechnung dieser letztgenannten Vermögens-
bestände das gesamte Aktivvermögen der politischen Gemeinden von
Sachsens Städten zusammen, so ergibt sich für das gesamte Königreich
der ansehnliche Betrag von 926187000 M. An dieser Summe sind
beteiligt die Kreishauptmannschaften
Dresden mit 322135000 M. Zwickau mit 128328000 M.
Leipzig ,, 296426000 ,, Bautzen „ 43701000 „.
Chemnitz „ 136597000 ,,
Von den politischen Gemeinden der Städte hat das höchste Aktivver-
mögen Dresden aufzuweisen, nämlich 258805000 M.; es folgt die
politische Gemeinde Leipzig mit 233080000 M., sodann Chemnitz
mit 73260000 M., ferner Plauen mit 43184000 M., Zwickau mit
31123000 M., endlich Bautzen, wo das gesamte Aktivvermögen eine
Höhe von 12454000 M. erreicht hat.
Am Schlusse sei noch erwähnt, daß das Gesamtvermögen des säch-
sischen Staates am Ende der Finanzperiode 1906/07 795 820 516,75 M.
betrug, während dasjenige sämtlicher politischen Gemeinden der Städte
des Königreichs Sachsen Ende 1906 sich auf 804431000 M. belief,
was für die politischen Gemeinden ein Mehr von rund 8!/ Mill. M.
ergibt.
Es wäre nun wohl angebracht, wenn man, analog wie dies hin-
sichtlich der Ausgaben und Einnahmen geschehen ist, diesem Ab-
schnitto über das Aktivvermögen der politischen Gemeinden einen
Bezirks- und Stiftungsvermögen. Allgemeines über die Ortsarmenverbande 83
solchen über das Passivvermögen der genannten Körperschaften ge-
genüberstellen würde. Aber infolge der Art und Weise der Erhebung
der Gemeindefinanzen des Jahres 1906, welche dieser Betrachtung zu-
grunde liegt, ist dies nicht möglich, da nicht alle Städte eine scharfe
Trennung zwischen den Schulden der drei Körperschaften politische
Gemeinde, Ortsarmenverband und Schulgemeinde eintreten lassen. Zwar
sind die Erhebungsformulare, welche das Statistische Landesamt für
die Gemeindefinanzstatistik aufgestellt hat, auf jene Dreiteilung be-
rechnet, ja schreiben sie sogar vor, aber schon hinsichtlich der Schul-
gemeinden ist es nicht immer möglich, deren Schulden von denjenigen
der politischen Gemeinden zu trennen, da die Städte die Anleihen der
Schulgemeinden mit denen der politischen Gemeinden vielfach ver-
mengen, und noch häufiger ist diese Vereinigung hinsichtlich der An-
leihen der politischen Gemeinden und derjenigen der Ortsarmenver-
bände zu bemerken. Auch nach den Angaben über die Verwendungs-
zwecke der Anleihen ist eine solche Trennung nicht durchzuführen, da
ganz allgemeine Angaben, wie „Neubauten“, „Ankauf von Grund-
stücken‘ und ähnliche, vorliegen. Es wird daher der Abschnitt ,,Schul-
den“ erst nach Betrachtung der Ausgaben, Einnahmen und des Ver-
mögens der Ortsarmenverbände und der Schulgemeinden folgen, und
zwar werden dabei alle drei Körperschaften zusammengefaßt werden.
II. Die Ortsarmenverbände
Vorbemerkung
Für die heute geltenden gesetzlichen Bestimmungen über das
Armenwesen in Deutschland ist als Grundlage das Gesetz über den
Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 anzusehen, abgeändert durch
die Reichsgesetze vom 12.März 1894 und vom 30.Mai 1908 und in
seiner neuen Fassung herausgegeben als ‚Gesetz über den Unter-
stützungswohnsitz‘‘ vom 30.Mai 1908. Dieses Gesetz gilt im ganzen
Deutschen Reiche mit Ausnahme von Bayern, wo noch heute das Heimats-
prinzip die Grundlage der Unterstützungspflicht bildet. Während also
in Bayern bei Personen, welche dort das Heimatsrecht erlangt haben,
die Heimatsgemeinde den Verarmten aufnehmen muß, mochte er ihr
durch jahrelange Abwesenheit auch noch so fremd geworden sein, oder
beı solchen Personen, welche noch kein Heimatsrecht erworben haben,
die Erstattungspflicht dem Staate obliegt, gelten für das übrige Deutsch-
land, also auch in Sachsen, die Bestimmung über den Unterstiitzungs-
wohnsitz, dessen Erwerb und Verlust im Prinzipe vom Aufenthalte ab-
hängig gemacht wird. Schon durch das Gesetz vom 6. Juni 1870 wurde
bestimmt, daß die öffentliche Unterstützung hilfsbedürftiger Deutscher
durch Ortsarmenverbände und durch Landarmenverbände geübt wer-
den soll. Wo solche räumlich abgegrenzte Land- und Ortsarmenver-
6*
84 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
biinde noch nicht bestanden, muBten sie binnen bestimmter Frist ein-
gerichtet werden. Erworben wird der Unterstiitzungswohnsitz durch
a) Aufenthalt, b) Verehclichung, c) Abstammung. Betreffs des Auf-
enthalts bestimmt das Reichsgesetz vom 30. Mai 1908, daB, wer inner-
halb eines Ortsarmenverbandes nach zuriickgelegtem 16. Lebensjahre
1 Jahr lang ununterbrochen seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt
hat, dadurch in demselben den Unterstützungswohnsitz erwirbt. Ferner
teilt die Ehefrau vom Zeitpunkte der Eheschließung ab den Unter-
stützungswohnsitz des Mannes. Eheliche und den ehelichen gesetz-
lich gleichstehende Kinder teilen den Unterstützungswohnsitz des
Vaters, uncheliche denjenigen der Mutter bis zur Vollendung des
16. Lebensjahres oder bis zur etwaigen früheren Verheiratung der Töch-
ter. Verloren geht der Unterstützungswohnsitz a) durch einjährige
ununterbrochene Abwesenheit nach zurückgelegtem 16. Lebensjahre,
b) durch Erwerb eines anderweitigen Unterstützungswohnsitzes, c) durch
Erlangung der Landarmencigenschaft. Als Landarme sind solche Per-
souen anzusehen, zu deren Unterstützung kein Ortsarmenverband ver-
pflichtet ist, sei es, daß diese Personen überhaupt noch keinen Unter-
stützungswohnsitz erworben haben, oder daß sie ihren alten Unter-
stützungswohnsitz verloren, einen neuen aber noch nicht erworben haben,
oder daß der Unterstützungswohnsitz nicht ermittelt werden kann. Die
Zusammensetzung und Einrichtung der Land- und Ortsarmenverbände
ist den Landesgesetzgebungen überlassen geblieben. Doch darf die Mit-
gliedschaft zum Armenverbande nicht an ein bestimmtes Glaubens-
bekenntnis geknüpft sein. In Sachsen hat der Staat die Obliegenheiten
des „Landarmenverbandes für das Königreich Sachsen“ übernommen.
Ferner sind hier durch Verordnung aus dem Jahre 1871 die früheren
„Heimatsbezirke‘‘ (einzelne Gemeinden oder selbständige Gutsbezirke
oder mehrere derselben) zu ,,Ortsarmenverbinden“ im Sinne des Reichs-
gesetzes erklärt worden. Eine Änderung des Gebiets eines Ortsarmen-
verbandes bedarf der kreishauptmannschaftlichen Genehmigung. Die
Land- und Ortsarmenverbinde stehen in bezug auf die Verfolgung
ihrer Rechte einander gleich. Der Landarmenverband bedient sich je-
doch bei der Unterstützung von solchen Hilfsbedürftigen, für deren
Unterstützung endgültig kein Ortsarmenverband aufzukommen hat, der
Ortsarmenverbände als seiner Organe. Organe der Ortsarmenverbinde
sind in den Städten mit Revidierter Städteordnung der Stadtrat, bzw.
unter ıhm die Armendeputation, in den übrigen Gemeinden der Bürger-
meister oder der Gemeindevorstand, in zusammengesetzten, d.h. mehr
als eine Gemeinde umfassenden Ortsarmenverbänden, diejenige Obrig-
keit, welche bei Bildung des Bezirks oder später mit diesem Geschäfte
beauftragt worden ist oder beauftragt wird. Die Verwaltung des
Armenwesens selbst erfolgt unter Mitwirkung von Angehörigen des
Ortsarmenverbandes. In zusammengesetzten Ortsarmenverbänden ist
Pflichten der Ortsarmenverbiinde und des Landarmenverbandes 85
dazu ein Armenverein zu bilden, der aus geeigneten Bewohnern des
Ortsarmenverbandes zu bestehen hat. Mitglieder des Armenvereins sind
stets vermöge ihres Amtes die Gemeindevorstände, Ortsrichter, Vor-
steher oder Verwalter der im Verbandsbezirke bestehenden milden Stif-
tungen, Armen-, Kranken- und Waisenhäuser. Ferner sind zum Bei-
tritt aufzufordern die Rittergutsbesitzer, in deren Abwesenheit ihre
Verwalter oder Pächter, die Geistlichen, die Lehrer, Ärzte und Vorsteher
von Privaten Wohltätigkeitsvereinen und ähnlichen Instituten. In den
nur eine einzige Gemeinde umfassenden Ortsarmenverbänden besorgt
das Armenwesen der Gemeinderat bzw. Stadtgemeinderat, welcher
ebenfalls die vorgenannten Personen zur Teilnahme aufzufordern hat.
Zweck der Armenpflege ist: der Verarmung der einzelnen Individuen
soviel als möglich zuvorzukommen, die Unterstützung der schon Ver-
armten und die Aufsicht über diejenigen, welche schon der öffentlichen
Armenpflege anheimgefallen sind. Die Bestimmungen über Art und
Maß der Armenpflege sind der landesgesetzlichen Regelung überlassen.
In Sachsensind Gegenstand der Armenpflege: 1. Verabreichung von
Almosen, 2. Krankenpflege, 3. Kindererziehung, 4. Verschaffung von
Unterkommen, 5. gänzliche Versorgung. Als der öffentlichen Unter-
stützung bedürftig gilt nur derjenige, welcher seinen notdürftigen
Unterhalt ganz oder zum Teil nicht von andern ihm rechtlich dazu
Verpflichteten erlangen kann, auch solchen nicht von andern freiwillig
empfängt und sich ebensowenig selbst notdürftig ernähren kann. Die
Leistungsverbindlichkeit der Armenverbände ist eine öffentlich-recht-
liche und besteht dem Reiche gegenüber, welches die Erfüllung der
Verbindlichkeit durch staatliche Aufsichtsorgane überwachen läßt. Der
Hilfsbedürftige ist jedoch nicht forderungsberechtigt im technischen
Sinne, er hat keinen Rechtsanspruch auf Gewährung von Unterstützung,
mithin auch keine Klage. Selbstverständlich ist es ihm ebenso wie
jedem Dritten unbenommen, die Aufsichtsbehörde im Beschwerdewege
darauf aufmerksam zu machen, daß ein Ortsarmenverband die ihm ob-
liegende öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit nicht erfüllt. Von Wich-
tigkeit ist noch, daß die vorläufige Unterstützung jedes Deutschen von
demjenigen Ortsarmenverbande zu geschehen hat, in dessen Bezirk er
sich beim Eintritte der Hilfsbedürftigkeit befindet. Jedoch erfolgt
diese vorläufige Unterstützung vorbehältlich des Anspruches auf Er-
statiung der Kosten bzw. auf Übernahme des Hilfsbediirftigen gegen
den hierzu verpflichteten Armenverband. Streitigkeiten zwischen ver-
schiedenen Armenverbänden über die öffentliche Unterstützung Hilfs-
bedürftiger werden, wenn die streitenden Teile einem und demselben
Bundesstaate angehören, auf dem durch die Landesgesetze vorgeschrie-
benen Wege entschieden, andernfalls entscheidet in zweiter Instanz
das Bundesamt für Heimatwesen, eine ständige kollegiale Behörde,
welche ihren Sitz in Berlin hat. Gegen die Entscheidung dieses Bundes-
86 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
amts ist ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig. Der endgültig zur
Unterstützung und Kostenerstattung verpflichtete Armenverband ist
berechtigt, auf seine Kosten die Überführung des Hilfsbedürftigen in
sein Gebiet zu verlangen. Auch Ausländer sind vorläufig von dem-
jenigen Ortsarmenverbande zu unterstützen, in dessen Bezirke sie sich
beim Eintritte der Hilfsbedürftigkeit befinden, doch ist dabei der-
jenige Bundesstaat zur Kostenerstattung verpflichtet, welchem der
unterstützende Ortsarmenverband angehört, unbeschadet der völker-
rechtlichen vertragsmäßigen Verpflichtung auswärtiger Staaten zur
Kostenerstattung oder Übernahme ihrer Hilfsbedürftigen. Ist ein Orts-
armenverband zur Zahlung der ihm endgültig auferlegten Kosten laut
Bescheinigung der ihm vorgesetzten Behörde ganz oder teilweise außer
stande, so hat der Bundesstaat, welchem er angehört, entweder mittel-
bar oder unmittelbar für die Erstattung zu sorgen. Von Bedeutung ist
noch die Bestimmung, daß jede öffentliche Armenunterstützung nur
als Vorschuß zu betrachten ist. Hiernach ist also die Unterstützungs-
verbindlichkeit der Armenverbände eine öffentlich-rechtliche obligatio
ad mutuum dandum (bisweilen auch wie z.B. beim Leihen von Hand-
werkszeug für bestimmte Verrichtungen ad commodandum), und dem
Unterstützten erwächst die zivilrechtliche Verbindlichkeit, die ge-
liehene Summe (oder den Preis der von seiten des Ortsarmenverbandes
für den Hilfsbedürftigen beschafften Naturalien) zu erstatten. Hat
aber ein Armenverband einem Hilfsbedürftigen Leistungen gewährt,
zu deren Gewährung ein Dritter aus andern als den durch das Reichs-
gesetz vom 30.Mai 1908 begründeten Titeln verpflichtet ist, so geht
die Forderung des Hilfsbedürftigen wider den Dritten regelmäßig auf
den Armenverband bis zum Betrage der von demselben geleisteten
Unterstützung über.
Für das Königreich Sachsen kommen außer diesen Bestimmun-
gen des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz noch diejenigen der
Armenordnung vom 2. Oktober 1840, das Gesetz vom 5. Mai 1868, be-
treffend die Aufhebung und Abänderung einiger Bestimmungen der
genannten Armenordnung, sowie die Ausführungsverordnungen vom
6. Juni 1871 zum Bundesgesetz über den Unterstützungswohnsitz in
Betracht. Auch gehören hierher die Bestimmungen des Artikels IV
§ 12e der Städteordnung für mittlere und kleine Städte sowie § 74e
der Revidierten Landgemeindeordnung. Schließlich ist noch zu be-
merken, daß neben der schon erwähnten Bildung der einzelnen Armen-
verbände sowie der Festsetzung von Art und Maß der öffentlichen
Unterstützung auch die Aufbringung der von diesen Verbänden ge-
brauchten Mittel der Landesgesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten
zur Regelung überlassen worden ist. Für Sachsen gilt in dieser Be-
ziehung folgendes: In jedem Armenverbande soll eine besondere
Armenkassc für sämtliche den Zwecken der öffentlichen Armenfür-
Die Armenordnung für das Königreich Sachsen 87
sorge gewidmeten Einnahmen und Ausgaben vorhanden sein. Neben
den noch ortsstatutarisch etwa festgesctzten Posten sollen nach landes-
gesetzlicher Vorschrift in diese Kasse fließen:
1. gemäß den Bestimmungen der Armenordnung vom 22. Oktober
1840 dio der Armenkasse überwiesenen Strafgelder, welche Schank-
wirte zu entrichten haben, wenn sie wissentlich Personen, die öffent-
liche Unterstützung genießen, und solchen Leuten, von denen ihrer
sich äußerlich kundgebenden Persönlichkeit nach sich vermuten läßt,
daß sie dem Müßiggange obliegen oder vom Bettelngehen oder an-
derm unrechtmäßigen Erwerbe leben, das Aufliegen, Zechen und
Spielen in ihren Schankstätten gestatten, oder welche Kindern, Schul-
knaben und Lehrlingen das Aufliegen in Schankstätten anders als in
Begleitung erwachsener Personen, denen sie angehören, bei sich ge-
statten, sowie diejenigen Wirte, welche es begünstigen, daß in ihren
Schankstätten Trinkgäste sich in Branntwein oder andern geistigen
und starken Getränken übernehmen und zanken, Schlägerei oder andere
Exzesse vornehmen, wenn sie auch sonst keine eigne Veranlassung dazu
gegeben oder daran selbst keinen Teil genommen haben. Ferner ge-
hören hierher die Strafgelder wegen unerlaubter Abhaltung öffentlicher
Tanzmusik, wegen Feiertagsentheiligung und wegen Zuwiderhand-
lungen gegen die Hunde- und Nachtigallensteuer;
2. laut Verordnung vom 1. Dezember 1864 Einnahmen von der
Besteuerung der Nachtigallen;
3. die Abgaben, welche zufolge Gesetzes vom 5.Mai 1868 bei
Grundstückserwerbungen, soweit sie nicht infolge von Zwangsver-
steigerungen eintreten, zu entrichten sind;
4. gemäß Gesetzes vom 18. August 1868 die Einnahmen der
Hundesteuer;
5. die Abgaben, welche kraft des Gesetzes vom 30. April 1890
von öffentlichen Musikaufführungen, Gesangs- und deklamatorischen
Vorträgen, Schaustellungen und Lustbarkeiten aller Art erhoben wer-
den;
6. die Abgaben, welche nach § 2 des Gesetzes vom 28. März 1880
von dem Betriebe von Wanderlagern zu zahlen sind;
7. die Einnahmen, welche zufolge § 7 des Gesetzes über die Aus-
übung der Fischerei in fließenden Gewässern vom 15. Oktober 1868
aus den Abgaben für Erlangung einer Fischkarte entstehen;
8. ein Teil der nach § 25 des Gesetzes, das Jagdrecht auf frem-
dem Grund und Boden betreffend, vom 25. November 1858 ım Be-
trage von 12M. zu entrichtenden Abgaben für Ausstellung einer Jagd-
karte, wovon 9 M. in die Staatskasse fließen, 3 M. an die Ortsarmenkasse
gegeben werden.
Soweit der Bedarf durch die angegebenen Einnahmen nicht ge-
deckt wird, ist der Fehlbetrag von den Gemeindemitgliedern durch
88 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Anlagen aufzubringen. Bisweilen findet man auch, daß freiwillige
Beiträge den Ortsarmenverbänden von gemeinnützigen Gesellschaften
oder von Privaten gegeben werden.
A. Ausgaben
Die gesamten Ausgaben aller Ortsarmenverbände der Städte im
Königreiche Sachsen hatten im Jahre 1906 die Höhe von 8518152M.
erreicht. Am höchsten waren sie in der Kreishauptmannschaft Leipzig,
wo sie 3992425M. betrugen; an zweiter Stelle stand die Kreishaupt-
mannschaft Dresden mit 2473496 M. In der Kreishauptmannschaft
Chemnitz beliefen sie sich auf 1035118 M. Unter 1 Mill. M.
standen die Ausgaben der Ortsarmenverbände der Kreishauptmann-
schaften Zwickau und Bautzen, und zwar hatten die Ortsarmenver-
bände des Regierungsbezirks Zwickau 772691 M., diejenigen des Baut-
zener Bezirks 244422M. Ausgaben aufzuweisen. Unter den Städten
steht Leipzig an erster Stelle, dessen Ortsarmenverband Ausgaben in
Höhe von 3561872 M. im gleichen Jahre aufzuweisen hatte. Die
Ausgaben des Ortsarmenverbands Dresden beliefen sich auf 1961 059
Mark, während im Ortsarmenverbande Chemnitz nur 575292 M. zur
Deckung der Ausgaben nötig waren. Noch geringer waren die Aus-
gaben der Ortsarmenverbände der Städte Plauen, Zwickau und Baut-
zen; sie betrugen in Plauen 213901 M., in Zwickau 171 483 M. und in
Bautzen 66642 M.
Leider sind aber auch hier — ebenso wie bei den politischen Ge-
meinden und Schulgemeinden — die Ausgaben nicht so verzeichnet,
daß man die einzelne Verwendungsart der Ausgabeposten genau er-
mitteln könnte, sondern die Städte pflegen — und die Erhebungsfor-
mulare haben sich dieser Art der Rechnungsführung angepaßt — ge-
wisse Konten zu bilden, denen sie bestimmte Einnahmen zuweisen, um
dann aus den einzelnen so entstandnen Teilkassen gewisse Gruppen von
Ausgaben zu decken, und in den Rechnungs- und Vermögensübersichten
diese Ausgaben nicht gemäß ihrem Verwendungszwecke anzugeben,
sondern nach dem Konto, aus welchem sie entnommen worden sind.
Bei den Ausgaben der Ortsarmenverbände werden 14 solcher Konten
unterschieden, die sich bis zu einem gewissen Grade an die bei den
Ausgaben der politischen Gemeinden eingerichteten Unterabteilungen
anschließen, nämlich: 1. Grundbesitz, 2. Kapitalien, 3. Gebühren- und
Strafgelder (einschließlich Jagd- und Angelkarten), 4. freiwillige Bei-
träge, 5. Legat- und Stiftungszinsen, 6. indirekte Steuern: a) Besitz-
wechselabgaben, b) Lustbarkeitssteuern, c) Hundesteuern, 7. Schankge-
werbesteuer und Abgabe vom Branntweinhandel, 8. Armenunterstützun-
gen aller Art einschließlich Erstattungen an andre Armenverbände,
9. Besoldungen, 10. sonstiger Verwaltungsaufwand, 11. Armenanlagen,
Ausgabearten der Ortsarmenverbände 89
12. ZuschuB aus der Stadtkasse, 13. ZuschuB aus andern Kassen,
14. Sonstiges. Dabei haben den Hauptanteil an den Ausgaben der
Ortsarmenverbiinde — es sind, was die Landessumme betrifft, 77,4%
derselben — die von diesen gewährten Armenunterstiitzungen aller Art,
welche sich im Jahre 1906 einschließlich der Erstattungen an andre
Armenverbiinde im Königreiche Sachsen auf 6590017 M. beliefen.
Daran sind die Ortsarmenverbände der einzelnen Kreishauptmann-
schaften wie folgt beteiligt:
Bautzen mit 184865 M. | Leipzig mit 2778856 M.
Chemnitz „ 888235 „, . Zwickau „ 586912 „.
Dresden „ 2151649 ,,
Bei den Kreis- und Großstädten entfallen hiervon auf
Bautzen 44393 M. | Leipzig 2439939 M.
Chemnitz 517757 „ | Zwickau 100248 „
Dresden 1761721 „ | Plauen 78167 ,,.
Es folgen nun hinsichtlich der Höhe ihres Betrages diejenigen Aus-
gaben der Ortsarmenverbände, die unter dem Sammelbegriff „sonstige“
zusammengefaßt sind und während des Jahre 1906 im Lande 9,6 %
aller Ausgaben der Ortsarmenverbände Sachsens oder in absoluten Zah-
len ausgedrückt 834104 M. ausmachten. Auf die einzelnen Kreis-
hauptmannschaften verteilt sich diese Summe folgendermaßen:
Bautzen 254 M. Leipzig 805984 M.
Chemnitz 5863 ,, Zwickau 4438 ,,.
Dresden 17 565 ,,
Von den Kreis- und Großstädten kommt nur eine, nämlich Leipzig, in
Betracht, dessen Ortsarmenverband Ausgaben zu verzeichnen hat, die
sich nicht: in die üblichen Ausgabegruppen einreihen lassen, sondern
unter „sonstige erscheinen. Es sind dies 799603M. An nächster
Stelle stehen, was die Höhe des Anteiles an der Gesamtsumme der
Ausgaben der Ortsarmenverbinde betrifft, diejenigen für Besoldun-
gen, welche 6,69 aller städtischen Ortsarmenverbandsausgaben Sach-
sens ausmachen oder in absoluten Zahlen 557238 M. im Jahre 1906
betrugen. Die einzelnenKreishauptmannschaften sind schr verschieden an
dieser Summe beteiligt. Während nämlich in der Kreishauptmannschaft
Bautzen sich diese Ausgaben auf 7339 M. beliefen, stieg der Betrag
in der Kreishauptmannschaft Chemnitz auf 47028M., in der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau auf 69021M., in der Kreishauptmann-
schaft Dresden sogar auf 198645M. und erreichte in der Kreishaupt-
mannschaft Leipzig mit 235205 M. seinen Höhepunkt. Etwas anders
gestaltet sich diese Reihenfolge, wenn wir statt der Kreishauptmann-
schaften die Kreis- und Großstädte ins Auge fassen. Zwar ist auch
hier die Stadt Bautzen an erster Stelle zu nennen, da ihr Orts-
armenverband den geringsten Aufwand — 362 M. waren es im
Jahre 1906 — für Besoldungen aufzuweisen hat. An zweiter Stelle
90 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
folgt Zwickau mit 22768 M., hierauf Plauen mit 23144 M., an vierter
Stelle Chemnitz mit 26913 M., dann Dresden mit 172305M., endlich
an letzter Stelle Leipzig, dessen Ortsarmenverband die héchsten Aus-
gaben für Besoldungen, nämlich 218264M., hatte.
Untersuchen wir die Ausgaben der Ortsarmenverbände auch weiter-
hin nach ihrer Höhe, so folgen jetzt diejenigen für den „sonstigen
Verwaltungsaufwand“, welche im Jahre 1906 im Königreiche Sachsen
3,1 % aller Ausgaben der Ortsarmenverbände, d. h. eine Summe von
267 751 M. erreicht hatten. Auf die einzelnen Kreishauptmannschaften
verteilte sich diese Summe in der Weise, daß davon auf die Kreis-
hauptmannschaften
Leipzig 77076 M. | Chemnitz 59978 M.
Dresden 62535 ,, Bautzen 7422 „
Zwickau 60240 „
entfielen. Hinsichtlich der Kreis- und Großstädte ist zu bemerken,
daß der Ortsarmenverband Bautzen für Besoldungen 362 M. zu zahlen
hatte; in der Stadt Zwickau beliefen sich diese Ausgaben auf 22768
Mark, in Plauen auf 23144M., in Chemnitz auf 26913M. Über
100000M. an Besoldungen hatten zu zahlen Dresden (172305M.)
und Leipzig (218264M.).
1,8 % aller Ausgaben der Ortsarmenverbände wurden aus den Zins-
einnahmen der Legate und Stiftungen gedeckt; die Summe betrug
149 407 M., woran die Ortsarmenverbände der Kreishauptmannschaften
Bautzen mit 16245 M. Dresden mit 27509 M.
Zwickau „ 17064 „ Leipzig ,, 65132 ,,
Chemnitz „ 23467 ,,
Anteil hatten. Von den Kreis- und Großstädten haben nur drei, nämlich
Bautzen, Leipzig und Zwickau, die Zinsen ihrer Stiftungen und Le-
gate zur Bestreitung eines Teiles der Ausgaben ihrer Ortsarmenver-
bände verwendet, und zwar Bautzen 351 M., Zwickau 6935 M. und
Leipzig 41156M.
Zwischen 0 und 1 % aller Ausgaben der Ortsarmenverbände stehen
diejenigen, deren Befriedigungsmittel den Einnahmen aus Grundbe-
sitz entnommen werden (0,4%); dann folgen die Ausgaben, welche
ihre Deckung fanden aus den Zinsen von Kapitalien und aus Zuschüssen
von andern Kassen (je 0,3%0), aus den Einnahmen an freiwilligen
Beiträgen (0,2 %), aus den Erträgnissen der Armenanlagen (0,1%),
aus Gebühren und Strafgeldern, indirekten Steuern, der Schankge-
werbesteuer und Abgabe von Branntweinhandel sowie aus Zuschüssen
der Stadtkasse (je unter 0,1 %).
Natürlich verändern sich diese Prozentzahlen, wenn man statt der
Landessumme die kreishauptmannschaftlichen Summen oder die Be-
träge der einzelnen Städte an der entsprechenden Stelle einsetzt. Je-
doch sind diese Beträge größtenteils so unbedeutend, daß es zu weit
Weiteres über d. Ausgaben d Ortsarmenverbände. Die Einnahmen derselben 91
führen würde, sie alle einzeln hier anzuführen, weshalb auch hinsicht-
lich der absoluten Zahlen dieser Ausgabeposten auf die beigegebene
Tabelle verwiesen seı.
B. Einnahmen
Im Jahre 1906 beliefen sich die Einnahmen der Ortsarmenver-
bände der sächsischen Städte, über deren Herkunft in dem einleitenden
allgemeinen Abschnitte bereits näheres gesagt worden ist, auf 8611406
Mark; davon entfallen auf die Ortsarmenverbiinde der Kreishaupt-
mannschaften
Leipzig 3993 766 M. Zwickau 834230 M.
Dresden 2497334 ,, Bautzen 240 784 ,,.
Chemnitz 1045 292 „
Bei Leipzig und Dresden entfällt der Hauptanteil an der Kreissumme
auf die betreffende Groß- und Kreisstadt; auch in Chemnitz ıst der
Anteil der Stadt Chemnitz an der Kreissumme noch über 50%, doch
kann dies nicht bezüglich der Kreisstadt Zwickau und der Großstadt
Plauen gesagt werden. In der Stadt Leipzig erreichten die Einnahmen
des Ortsarmenverbandes die beträchtliche Höhe von 3 561 872 M., der
Ortsarmenverband Dresden hatte eine Jahreseinnahme von 1 961 069M.,
und im Ortsarmenverbande Chemnitz waren an Einnahmen 575292 M.
zu verzeichnen. In der Stadt Plauen betrug die Einnahme des Orts-
armenverbandes 263 969 M. und in Zwickau 181303 M. Auch die Ein-
nahmen der Ortsarmenverbände sind, wie dies schon bei den Ausgaben
der Fall war, in den Erhebungsformularen nicht so angegeben, daß
man genau ihren Ursprung ersehen könnte, sondern sie sind nach den-
selben Gesichtspunkten gegliedert, wie dies bezüglich der Ausgaben
näher gekennzeichnet worden ist.
Bei den Einnahmen ist jedoch das Prozentverhältnis der einzelnen
Konten zueinander etwas anders als bei den Ausgaben und soll daher
ım folgenden kurz dargestellt werden. Von der Gesamtsumme der Ein-
nahmen aller Ortsarmenverbände der sächsischen Städte, deren Betrag
am Anfange dieses Abschnittes angegeben worden ist, nehmen pro-
zentual den größten Teil in Anspruch diejenigen, welche den Orts-
armenverbänden aus der Stadtkasse des betreffenden Ortes als Zuschüsse
gewährt werden und welche 1906 45,1%o aller Einnahmen der städti-
schen Ortsarmenverbände ausmachten. In absoluten Zahlen ausge-
drückt, betrug die Summe aller dieser Zuschüsse aus den Stadtkassen
1906 3882407 M. Es entfallen davon auf die Städte der Kreishaupt-
mannschaften
Leipzig 1810624 M. Zwickau 167207 M.
Dresden 1653 668 ,, Bautzen 16186 ,,.
Chemnitz 234722 „ |
Von den in diese Betrachtung einbezogenen Städten haben vier, nämlich
Leipzig, Dresden, Chemnitz und Zwickau ihren Ortsarmenverbinden
92 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Zuschüsse aus der Stadtkasse gewährt, und zwar Leipzig 1759339 M..,
Dresden 1596164 M., Chemnitz 165 967 M. und Zwickau 46493 M.
An zweiter Stelle kommen hinsichtlich der Höhe der Einnahmen
der Ortsarmenverbände diejenigen aus indirekten Steuern, und zwar
sind hierbei die Besitzwechselabgaben, die Lustbarkeitssteuern und die
Hundesteuern zusammengefaßt. Die Einnahmen aus diesen drei Steuer-
arten umfaBten im Jahre 1906 16,5% aller Einnahmen der städti-
schen Ortsarmenverbände, wobei die Besitzwechselabgaben 8,3%, die
Lustbarkeitssteuern 6,3% und die Hundesteuern 1,9% ausmachten.
Bei Betrachtung der absoluten Zahlen ergibt sich, daß die Ortsarmen-
verbände der Städte vereinnahmt haben:
an Besitzwechsel- Lustbarkeite- Hunde-
im Bezirke abgaben steuern steuern
Bautzen 36536 M. 17181 M. 16228 M.
Chemnitz 257641 „ 83028 ,, 26409 „
Dresden 31290 ,, 170774 „ 19152 „
Leipzig 256 152 ,, 175999 „ 37433 ,,
Zwickau 138 308 ,, 638425 „ 90443 „.
Hinsichtlich der einzelnen Kreis- und Großstädte liegen die Verhält-
nisse so, daß eingenommen worden sind an
Besitzwechsel- Lustbarkeits-- Hunde-
abgaben steuern steuern
in Bautzen 21020 M. 4677 M. 5 850 M.
„ Chemnitz 228636 ,, 41033 ,, — ,
„ Dresden — 4 185 498 ,, Sa is
„ Leipzig 212907 „ 185 185 „, — ,
„ Zwickau 30 067 ,, 17141 ,, 15 096 ,,
„ Plauen 70 066 ,, 29 368 ,, 28 402 „.
Als nächstes Einnahmekonto der Ortsarmenverbände sind die
Armenunterstützungen aller Art, insbesondere Erstattungen von andern
Armenverbänden zu betrachten. Die Einnahmen dieser Kategorie be-
liefen sich 1906 auf 1370000 M. in ganz Sachsen, wovon entfallen
sind auf die Kreishauptmannschaften
Leipzig 669744 M.
Dresden 840537 ,,
Chemnitz 227 329 ,,
Die Kreis- und Großstädte waren hieran beteiligt wie folgt:
Leipzig mit 445304 M. Plauen mit 78167 M.
Dresden „ 188409 ,, Zwickau „ 24801 „
Chemnitz „ 108780 ,, Bautzen „ 5809 ,,.
Nicht unbedeutend sind auch die Einnahmen der Ortsarmenver-
bande, welche in den Rechnungsübersichten unter „sonstige“ er-
scheinen. Sie hatten insgesamt 1906 die bedeutende Höhe von 781 849
Mark erreicht, was 9,1% aller Einnahmen bedeutet. Am höchsten
waren diese nicht näher gekennzeichneten Einnahmen in der Kreis-
Zwickau 182146 M.
Bautzen 50 244 ,,.
Weiteres tiber die Einnahmen der Ortsarmenverbiinde 93
hauptmannschaft Leipzig, wo sie 739964 M. betrugen, einschlieB-
lich 737 033 M. von der Stadt Leipzig. An zweiter Stelle stehen hin-
sichtlich dieser Einnahmen die Ortsarmenverbände der Kreishaupt-
mannschaft Dresden, welche 33732 M. Einnahmen dieser Art zu ver-
zeichnen hatten mit 12444 M. der Stadt Dresden. Die Ortsarmenver-
bände der übrigen Kreis- und Großstädte hatten keine Einnahmen
dieser Art aufzuweisen; wohl aber finden wir in den noch nicht er
wähnten Kreishauptmannschaften Ortsarmenverbände verschiedener
anderer Städte, welche Einnahmen unter dieser Sammelrubrik zu ver-
zeichnen hatten, und zwar betrugen diese in der Kreishauptmannschaft
Chemnitz 5697 M., in der Kreishauptmannschaft Bautzen 1609 M.
und in der Kreishauptmannschaft Zwickau 847 M.
5,4% aller Einnahmen der Ortsarmenverbiinde sind solche, welche
aus den Armenanlagen der Städte hervorgehen. 1906 hatten diese
Einnahmen eine Höhe von 465694 M. erreicht. In allen Kreis-
hauptmannschaften finden wir einzelne Städte, welche solche Armen-
anlagen eingeführt haben; von den Kreis- und Großstädten Sach-
sens waren es 1906 nur zwei, nämlich Bautzen und Plauen.
In der Kreishauptmannschaft Bautzen sınd 1906 an solchen Armen-
anlagen erhoben worden 37269 M., davon 15246 M. in der Stadt
Bautzen. Die Ortsarmenverbände der Kreishauptmannschaft Chemnitz
haben im Jahre 1906 durch Armenanlagen 123334 M. eingenommen,
diejenigen der Kreishauptmannschaft Dresden 146317 M., die der
Kreishauptmannschaft Leipzig 67499 M. und die in der Kreishaupt-
mannschaft Zwickau gelegenen 91275 M.; von der letzteren Summe
entfallen 55101 M. auf die Stadt Plauen.
Noch zu erwähnen sind die Einnahmen, welche den Ortsarmen-
verbänden aus ihren Kapitalien zufließen. Es werden dies größtenteils
Zinseinnahmen sein, die sich auf eine nutzbringende Anlegung der
Kapitalien gründen. Diese Einnahmen hatten im Jahre 1906 die Höhe
von 284235 M. erreicht. An dieser Summe waren beteiligt die Kreis-
hauptmannschaften
Leipzig mit 206232 M. : Bautzen mit 9835 M.
Dresden „ 81236 „ Chemnitz „ 7512 „.
Zwickau „ 29420 „ |
Von den Kreis- und Großstädten hatte nur Plauen keine derartigen
Einnahmen aufzuweisen. In der Stadt Chemnitz betrugen sie 1911 M.,
in Bautzen 2796 M., in Zwickau 6562 M., in Dresden 26 017 M. und
in Leipzig erreichten sie die Höhe von 195592 M.
Nicht unbedeutend sind auch die Einnahmen der Ortsarmenver-
bände an Legat- und Stiftungszinsen, welche im Jahre 1906 2,1%
aller Ortsarmenverbandseinnahmen Sachsens ausmachten und insgesamt
183943 M. betrugen. Dieser Betrag verteilt sich auf die einzelnen
Regierungsbezirke folgendermaßen :
94 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Leipzig 70335 M. ' Chemnitz 28777 M.
Dresden 32426 ,, Zwickau 22130 ,,.
Bautzen 30275 „
Von den Kreis- und Großstädten ist hier an erster Stelle zu nennen
Leipzig mit 41156 M. Die entsprechenden Einnahmen der übrigen
Ortsarmenverbinde fallen allerdings gegenüber dieser Ziffer ganz er-
heblich ab; sie betrugen nämlich in Zwickau 6935 M., in Chemnitz
3641 M., in Bautzen 475 M., in Plauen 376 M. und in Dresden 30 M.
Unter 1% aller Einnahmen der städtischen Ortsarmenverbände
bewegten sich 1906 diejenigen aus Gebühren und Strafgeldern (0,8%),
des Konto „sonstiger Verwaltungsaufwand“ (0,7%0), aus Zuschüssen
anderer Kassen (0,4 %0), aus freiwilligen Beiträgen (0,3 %), aus der
Schankgewerbesteuer und der Abgabe vom Branntweinhandel (0,2 %),
aus Grundbesitz (0,10%o) und endlich diejenigen des Konto ,, Besoldun-
gen“ (0,1%). Alle die absoluten Zahlen hiervon einzeln anzugeben,
würde zu weit führen; es sei daher auf die beifolgende Tabelle ver-
wiesen.
C. Vermögen
Das Aktivvermögen der städtischen Ortsarmenverbände, welches
Ende 1906 bis auf 13708000 M. angewachsen war, läßt sich in fol-
gende vier Hauptgruppen zerlegen: 1. Grundbesitz, 2. Kapitalien,
3. Mobiliar und Inventar und 4. Stiftungen und Legate. Die an-
gegebene Summe verteilt sich mit 1616000 M. auf den Grundbesitz,
2566000 M. auf die Kapitalien, 396000 M. auf das Mobiliar und
Inventar und mit 9129000 M. auf die Stiftungen und Legate. Am
höchsten stand Ende 1906 das Ortsarmenverbandsvermögen in der
Kreishauptmannschaft Leipzig, wo es sich auf 4658000 M. bezifferte,
wovon 877000 M. Grundbesitz, 1095000 M. Kapitalvermögen,
80000 M. Mobiliar und Inventar und 2936 000 M. Stiftungsvermögen
waren. An zweiter Stelle standen die städtischen Ortsarmenverbände
der Kreishauptmannschaft Dresden. Sie besaßen ein Vermögen von
4248000 M. Auf Grundbesitz entfielen davon 248000 M., auf das
Kapitalvermögen 397000 M., auf das Vermögen, welches durch das
Mobiliar und Inventar repräsentiert wurde, 181000 M. und auf das
Stiftungsvermögen 3422000 M. Die Ortsarmenverbände der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau hatten ein Vermögen von insgesamt
2024000 M. aufzuweisen, worin der Grundbesitz mit 424000 M., das
Kapitalvermögen mit 583000 M., das in Mobiliar und Inventar be-
stehende Vermögen mit 129000 M. und das Stiftungsvermögen mit
906000 M. enthalten war. In der Chemnitzer Kreishauptmannschaft
bestand das insgesamt 1686000 M. betragende Vermögen der dor-
tigen Ortsarmenverbände zu 222000 M. aus Grundbesitz, zu 271000
Mark aus Kapitalvermögen, zu 33000 M. aus Vermögen, welches im
Das Vermigen der Ortsarmenverbiinde 95
Inventar und Mobiliar festgelegt war, und zu 1160000 M. aus Stif-
tungsvermögen. Die in der Kreishauptmannschaft Bautzen gelegenen
Ortsarmenverbiinde endlich besaßen ein Vermögen von 1074000 M.
Davon waren 146000 M. in Grundbesitz festgelegt, 220000 M. waren
in Kapitalien vorhanden, 3000 M. verkörperte das Mobiliar und In-
ventar, und der Rest von 705000 M. bestand aus Stiftungen und
Legaten. Was die Ortsarmenverbände der sächsischen Kreis- und Groß-
städte betrifft, so besaß Ende 1906 das meiste Vermögen der Orts-
armenverband Dresden, nämlich 3035000 M. Hierbei überwiegt das
Stiftungsvermögen ganz erheblich, es hatte nämlich eine Höhe von
2842000 M. erreicht, während auf den Vermögensteil, welcher durch
das Mobiliar und Inventar repräsentiert wurde, nur 105000 M. ent-
fielen und das Kapitalvermögen sich nur auf 88000 M. belief. Grund-
besitz war überhaupt nicht vorhanden. In der Stadt Leipzig war das
Vermögen des Ortsarmenverbandes bis auf 2729000 M. gestiegen. Es
bestand zu 1781000 M. aus Stiftungsvermögen — auch hier können
wir ein bedeutendes Überwiegen des letzteren beobachten —, zu 735 000
Mark aus Kapitalvermögen und zu 213000 M. aus Grundbesitz. Ganz
erheblich weichen diese Vermögenssummen von Leipzig und Dresden
von denen der andern Kreis- und Großstädte ab. In der Stadt Zwickau
nämlich waren an Vermögen des dortigen Ortsarmenverbandes 553 000
Mark vorhanden, davon waren 284000 M. Kapitalvermögen, 221000
Mark Stiftungsvermögen, 43000 M. Vermögen, welches aus Inventar
und Mobiliar bestand, und 5000 M. Grundbesitz. Das Vermögen des
Ortsarmenverbands Plauen hatte eine Höhe von 231000 M. Hierbei
überwog der Grundbesitz, denn darauf entfielen 179000 M.; 49000 M.
Vermögen repräsentierte das Inventar und Mobiliar und nur 3000 M.
waren in Kapitalien vorhanden. Stiftungen und Legate bestanden hier
nicht. An letzter Stelle endlich ist der Ortsarmenverband Bautzen zu
nennen, dessen Vermögen aus 115000 M. Grundbesitz und 106000 M.
Kapital bestand. Auch hier fehlten Stiftungen und Legate.
Hinsichtlich der Schulden der Ortsarmenverbände gilt dasselbe,
was schon am Ende des Abechnittes über das Vermögen der politi-
schen Gemeinden gesagt worden ist.
III. Die Schulgemeinden
Vorbemerkung
Das heutige Schulwesen im Königreiche Sachsen ist in seinen
Grundzügen geregelt durch das Gesetz, betreffend das Volksschulwesen,,
vom 26. April 1873 nebst Ausführungsverordnung vom 25. August1874
mit Abänderung durch Verordnung vom 4. August 1875. Außerdem
bestehen noch eine Anzahl andere Verordnungen, z. B. über Schulferien,
Anstellungs- und Gehaltsverhältnisse der Lehrer und ähnliches. Nach
96 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
den erwähnten Gesetze muß jede Volksschule einen räumlich abge-
grenzten, in der Regel nicht über eine halbe Stunde im Halbmesser
ausgedehnten Schulbezirk haben, der sich auch über mehrere Orte (poli-
tischo Gemeinden) oder Ortsteile erstrecken kann und welchen auch
die keinem Gemeindeverbande angehörigen Grundstücke zuzuteilen
sind. Die Gesamtheit der Bewohner eines Schulbezirks bildet die
Schulgemeinde. Soweit die Mitglieder einer im Königreiche Sachsen
zugelassenen Religionsgesellschaft von dem ihnen zustehenden Rechte
Gebrauch machen, mit Genehmigung des Kultusministeriums eigne,
den Anforderungen des Volksschulgesetzes entsprechende Schulen für
ihre Kinder zu errichten, bilden diese Personen eigne Schulgemeinden.
Die Schulgemeinde ist eine mit dem Rechte der Selbstverwaltung aus-
gestattete Juristische Person des öffentlichen Rechtes. Sie verwaltet
ihre Angelegenheiten selbständig, jedoch unter Aufsicht des Staates.
Die Rechte und Pflichten der Schulgemeinde bezüglich der Verwaltung
des Volksschulwesens werden ausgeübt durch den Schulvorstand. Er
besteht in Städten mit Revidierter Städteordnung aus einem gemischten
ständigen Ausschusse (Schulausschuß), der nach den Vorschriften in
den § 122 und 123 der Revidierten Städteordnung durch ein oder
mehrere Ratsmitglieder und eine Anzahl Stadtverordnete oder andere
wählbare Bürger gebildet wird und seine Geschäfte nach § 124 in
Unterordnung unter den Stadtrat führt, soweit ihm nicht ortsstatu-
tarisch das Recht selbständiger Verfügungen übertragen und hierdurch
die Stellung einer Behörde eingeräumt wird. Außerdem gehören ihm
der Pfarrer und eine gleichfalls statutarisch festzusetzende Anzahl
Lehrer oder Schuldirektoren an. In den Städten mit der Städteordnung
für mittlere und kleine Städte und in den Landgemeinden besteht er
aus einer ortsstatutarisch festzusetzenden Anzahl von Mitgliedern der
politischen Gemeindevertretung, einem Lehrer oder Schuldirektor (in
Schulbezirken mit mehreren Schulen ist ihre Zahl durch die Ortsschul-
ordnung zu bestimmen), dem Pfarrer der Parochie, in welcher der
Schulort liegt, und dem Ortsschulinspektor, sofern die Schulaufsicht
nicht vom Pfarrer ausgeübt wird. Die dem Schulvorstande angehören-
den Mitglieder der politischen Gemeindevertretung werden von dieser,
die Schuldirektoren und Lehrer von den sämtlichen im Schulbezirke
angestellten Direktoren und Lehrern gewählt. Gehören zu einem Schul-
bezirke mehrere politische Gemeinden, so tritt für jede derselben ein
Mitglied ihrer Gemeindevertretung in den Schulvorstand. Die Wahl
der Schulvorstandsmitglieder gilt auf die Dauer von drei Jahren. In
den Städten mit Revidierter Städteordnung hat nach $ 123 der letzteren
den Vorsitz stets ein vom Stadtrate zu bestimmendes Ratsmitglied zu
führen. In den übrigen Städten wählt der Schulvorstand aus seiner
Mitte den Vorsitzenden, einen Stellvertreter und einen Protokollanten.
Ein Lehrer oder Schuldirektor, der nach § 25A2 des Schulgesetzes,
Rechte und Pflichten der Schulgemeinden nach dem Volksschulgesetz 97
nicht etwa als Mitglied der politischen Gemeindevertretung dem Schul-
vorstande angehört, darf nicht zum Vorsitzenden gewählt werden. Der
Vorsitzende beruft und leitet die Versammlungen des Schulvorstandes
und vertritt diesen nach außen. Mindestens einmal ın jedem Viertel-
jahre hat sich der Schulvorstand zu versammeln. Er ist beschlußfähig
bei Anwesenheit von wenigstens zwei Drittel seiner Mitglieder und
faßt seine Beschlüsse nach einfacher Stimmenmehrheit. Um Mitglied
einer Schulgemeinde zu sein, bedarf es nicht des juristischen Wohn-
sitzes, sondern diese Eigenschaft wird bereits durch den Aufenthalt
begründet. Die öffentlich-rechtliche Leistungsverbindlichkeit der Schul-
gemeinden besteht in der Errichtung und Unterhaltung der dem Be-
dürfnisse der Schulgemeindemitglieder entsprechenden Volksschulen
nebst Fortbildungsschulen, einschließlich der Beschaffung der hierfür
erforderlichen Mittel.
Die Volksschule, für welche ein eignes nur für Schulzwecke
bestimmtes, den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Gebäude
vorhanden sein soll, muß so eingerichtet sein, daß durch sie die ihr zu-
gewiesenen Kinder vollständigen Unterricht bis zur Beendigung der
gesetzlichen Schulzeit erhalten können. Die Aufgabe der Volksschule
besteht darin, der Jugend durch Unterricht, Übung und Erziehung
die Grundlagen sittlich religiöser Bildung und die für das bürgerliche
Leben nötigen allgemeinen Kenntnisse und Fertigkeiten zu gewähren.
Je nach dem Lehrziele wird einfache, mittlere und höhere Volksschule
unterschieden. Die erwähnte Leistungsverbindlichkeit der Schulge-
meinde besteht dem Staate gegenüber, welchem auch die Beaufsich-
tigung der Schule zusteht. Diese Aufsicht wird ausgeübt 1. vom Orts-
schulvorstande im staatlichen Auftrage, und zwar über Schulen, welche
unter Leitung eines Direktors stehen, von diesem, über andere Schulen
durch den dem Schulvorstande angehörenden Geistlichen, dafern nıcht
die oberste Schulbehörde eine andere geeignete Persönlichkeit beauf-
tragt; 2. durch die Bezirksschulinspektion als die dem Ortsschulvor-
stande vorgesctzte Behörde, welche für Städte mit Revidierter Städte-
ordnung aus dem Stadtrate und dem Bezirksschulinspektor, für die
übrigen Gemeinden aus dem Amtshauptmann und dem Bezirksschul-
inspektor besteht; 3. durch das Kultusministerium als oberste Staats-
behörde.
Der Fortbildungsschulunterricht, welcher gegenwärtig
nach dem Volksschulgesetze nur für die männliche Jugend obligatorisch
besteht, hat zur Aufgabe die weitere allgemeine Ausbildung der Schüler,
insbesondere aber die Befestigung in denjenigen Kenntnissen und Fertig-
keiten, welche für das bürgerliche Leben vorzugsweise von Nutzen sind.
Der Unterricht wird in wöchentlich wenigstens zwei Stunden am Sonn-
tag oder am Abend eines Wochentags erteilt. Auch für die aus der ein-
fachen Volksschule entlassenen Mädchen kann der Schulvorstand eine
em
Liebers: Die Finanzen í
98 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Fortbildungsschule errichten und die Verpflichtung zu deren Benutzung
auf zwei Jahre erstrecken. Von den Großstädten hat nur Plauen obli-
gatorischen Fortbildungsschulunterricht für Mädchen vor längerer Zeit
eingeführt. — Im Entwurfe des neuen Volksschulgesetzes ist der Fort-
bildungsschulzwang für Mädchen vorgeschen.
Die höheren Schulen sind auch meist in städtischen Händen.
Von den 19 Gymnasien Sachsens sind 9 königlich, 10 städtisch. Real-
gymnasien bestehen in Sachsen 3 königliche, 16 städtische, und die
Oberrealschulen und Realschulen sind sämtlich im Besitze der Städte.
Dasselbe gilt. für die meisten Fachschulen.
Die erforderlichen Mittel zur Erfüllung der den Schulgemeinden
obliegenden Leistungsverbindlichkeiten sind der von der Schulge-
meinde zu vertretenden Schulkasse zu entnehmen. In diese Schulkasse
fließen:
1. das Einkommen aus den für die Schule bestehenden Fonds und
Stiftungen;
2. die der Schule überwiesenen Zuschüsse aus andern Fonds;
3. die Abgaben von Immobiliarbesitzverinderungen ;
4. die der Schulkasse zugewiesenen Strafgelder;
5. etwaige Staatszuschiisse ;
6. das Schulgeld, eine Gebiihr, zu deren Entrichtung diejenigen
verpflichtet sind, welchen die Fürsorge für Erziehung der die Schule
besuchenden Kinder obliegt. Was die Höhe dieses Schulgeldes anlangt,
so ist nach §16,1 der Ausführungsverordnung zum Volksschulgesetze
vom 26. April 1873 ‚davon auszugehen, daß das Schulgeld nicht das
gesamte Bedürfnis für die Volksschulen decken, sondern nur einen mit
dem Vermögen der Kontribuenten im Verhältnis stehenden Beitrag
dazu gewähren soll“. Es ist auch insofern in der Höhe beschränkt, als
die später unter dem Abschnitte „Einnahmen“ näher dargestellte Staats-
beihilfe zur Lehrerbesoldung nicht gewährt wird, wenn das jährliche
Schulgeld für jedes schulpflichtige Kind den Durchschnittssatz von
jährlich 5M., bzw. (bei hoher Belastung mit Schulanlagen) von jähr-
lich 8M. übersteigt. Im übrigen sind die Schulgemeinden in der freien
Entschließung darüber, welcher Teil des Gesamtbedarfs durch Schul-
gelder aufgebracht werden soll, unbeschränkt. Die Schulgelder sind in
den Schulordnungen der einzelnen Städte anzugeben; sie müssen von der
untern Schulverwaltungsbehörde (Bezirksschulinspektion) genehmigt
werden. Die Schulgeldsätze betragen jährlich in den meisten Städten
bei den Bezirksschulen 4,80M., bei den Bürgerschulen 20M. und bei
den höheren Bürgerschulen 60M. Auch in den höheren Unterrichts-
anstalten ist Schulgeld zu zahlen, dessen Feststellung der Prüfung des
Kultusministeriums unterliegt. An den königlichen und unter Mini-
sterialverwaltung stehenden Gymnasien beträgt das Schulgeld jährlich
120M., ebenso an den meisten städtischen. Die Fortbildungsschulen
Die den Schulgemeinden zur Verfügung stehenden Einnahmequellen 99
endlich erheben fast durchgiingig 10M. Schulgeld jiihrlich. Doch be-
steht bei dieser Schulgattung die Bestimmung, daß von der Erhebung
von Schulgeld abgosehen werden kann. Meist wird der Aufwand für
diese Schulen nicht hoch sein, da der Unterricht in der Regel von den
Volksschullchrern erteilt wird und diese für den Fortbildungsschulun-
terricht nur eine Vergütung bekommen, die sich richtet nach den Be-
stimmungen über Überstunden.
Durch Artikel III des Gesetzes, die direkten Steuern betreffend,
vom 3. Juli 1902 war außerdem den Schulgemeinden ein Teil der
Finnahmen an Grundsteuer zur Abminderung der Schullasten zuge-
wiesen. Die zu überweisenden Beträge wurden für jeden Steuerflur-
bezirk nach 2 Pf. von jeder der beim Rechnungsabschlusse auf
das Jahr 1900 vorhanden gewesenen Steuereinheiten berechnet. Diese
Bestimmungen sind aber durch das Gesetz vom 30. Mai 1910 auf-
gehoben worden, und den Schulgemeinden wird seitdem an Stelle des
ihnen bisher überwiesenen Anteils an der Grundsteuer eine jährliche
Staatsbeihilfe von 2558000M. gewährt, die auf die einzelnen Schul-
gcmeinden in der Weise verteilt wird, daß jede Schulgemeinde vom
Jahrel910 ab alljährlich für jedes Schulkind eine Staatsbeihilfe von
2,50 M., mindestens aber den Betrag von 300M. erhält. Wird der Be-
trag von 2558000M. nicht erschöpft, so wird der jedesmalige Über-
schuß an diejenigen Schulgemeinden verteilt, denen im Jahre 1909 nach
Artikel III des Gesetzes vom 3. Juli 1902 ein größerer Betrag über-
wiesen worden ist, als sie nach den jetzt gültigen Bestimmungen er-
halten, und zwar nach Verhältnis des Ausfalles, den jede dieser Ge-
meinden an dem ihr im Jahre 1909 überwiesenen Betrage alljährlich
erleidet. Reicht der erwähnte Betrag zur Gewährung der Beihilfen
gemäß der Bestimmungen des Gesetzes nicht aus, so ist er im Staats-
haushaltsetat entsprechend höher einzustellen.
Der hiernach etwa noch verbleibende Fehlbetrag ist von den Mit-
gliedern der Schulgemeinde durch Schulanlagen aufzubringen.
Gegenwärtig ıst den Ständen durch Dekret 28 ein neuer Entwurf
eines Volksschulgesetzes zur verfassungsmäßigen Beratung zugegangen.
Der Entwurf ist bestimmt, für die künftige Regelung des Volksschul-
wesens in Sachsen einen allgemeinen Rahmen zu bilden, innerhalb
dessen sich die Volksschule unter Anpassung an die örtlichen Bedürf-
nisse und die beständig fortschreitende Entwicklung in zweckentspre-
chender Weise ausgestalten kann.
A. Ausgaben
Im Jahre 1906 hatten die Ausgaben der städtischen Schulge-
meinden Sachsens die Höhe von 27 467 422 M. erreicht. Am meisten
waren mit diesen Ausgaben belastet die Städte der Kreishauptmann-
schaft Leipzig, wo sie sich auf 8564 248 M. beliefen. Nur wenig hinter
| 7°
100 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
dieser Summe zurück standen die Ausgaben der Schulgemeinden im
Kreise Dresden: 8425957 M. betrugen sie dort. Schon erheblich nie-
driger stellen sie sich in der Chemnitzer Kreishauptmannschaft, wo
zu ihrer Deckung 4642675M. nötig waren. Die Städte der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau hatten im gleichen Jahre 4489916 M.
Schulgemeindeausgaben, und in der Kreishauptmannschaft Bautzen
waren für denselben Zweck 1021 012M. erforderlich.
Analog wie bei den politischen Gemeinden und den Ortsarmen-
verbänden sind auch die Ausgaben der Schulgemeinden nach Konten
gegliedert, woraus man freilich nicht immer einerseits bei den Aus-
gaben den direkten Verwendungszweck, anderseits bei den Einnahmen
die Quelle derselben genau ersehen kann. Solcher Konten sind bei den
Schulgemeinden 19 gebildet worden, nämlich 1. Grundbesitz, 2. Kapı-
talien, 3. Schulden, a) Verzinsung, b) Tilgung, 4. Besoldungen und
Personalaufwand, 5. Aufwand für Inventar und Lehrmittel, 6. Miet-
zinsen für Schulräume, 7. sonstiger sachlicher Aufwand (einschließlich
Heizung, Beleuchtung, Reinigung und Unterhaltung der Gebäude),
8. Gcsundheitspflege für Schulkinder, 9. Legat- und Stiftungszinsen,
10. überwiesene Grundsteuer, 11. Schulgeld, 12. sonstige Gebühren
und Strafgelder, 13. Besitzwechselabgaben, 14. sonstige indirekte
Steuern, 15. Schulanlagen, 16. Zuschuß aus der Stadtkasse, 17. Fort-
bildungsschule, 18. Staatsbeihilfe zur Lehrerbesoldung und 19. Son-
stiges.
Den weitaus größten Antcil an diesen Ausgaben der Schulge-
meinden — es sind 74,4% im Lande — haben die Ausgaben für „Be-
soldungen und sonstigen Personalaufwand", welche 1906 insgesamt
20423178M. betrugen, nämlich in den Kreishauptmannschaften
Leipzig 6928924 M. Zwickau 8346057 M.
Dresden 5883432 ,, Bautzen 803 475 ,,.
Chemnitz 3561290 ,,
Dabei ist zu bemerken, daß von diesen Beträgen in den Kreisen Leip-
zig, Dresden und Chemnitz die Hauptanteile auf die dortigen Kreis-
städte entfallen. Die Schulgemeinde Leipzig hatte für Besoldungen
und sonstigen Personalaufwand Ausgaben in Höhe von 5105566 M.,
in Dresden waren für denselben Zweck 4373490M. erforderlich und
in Chemntiz 2055428M. Die Stadt Plauen hatte eine Summe von
795 634 M. nötig, in Zwickau erniedrigte sich dieser Betrag auf 616 471
Mark und in Bautzen bis auf 204369M. Wesentlich hinter diesem
Besoldungsaufwande zurück stehen die übrigen Ausgaben der Schul-
gemeinden.
Der sachliche Aufwand der Schulen — Inventar und Lehrmittel
sind nicht eingerechnet, sondern die Ausgaben dafür erscheinen be-
sonders — beanspruchte 6,6 % der Ausgaben aller städtischen Schul-
gemeinden. Die Ausgaben hierfür betrugen in Sachsen 1798627 M.
Die Ausgaben der Schulgemeinden 101
Diese Summe verteilt sich auf die Kreishauptmannschaften
Leipzig mit 634075 M. ! Dresden mit 353903 M.
Chemnitz „ 37978 „ | Bautzen „ 69299 „.
Zwickau „ 361372, |
Hinsichtlich der Kreis- und Großstädte ist zu bemerken, daß diese
Ausgaben für Heizung, Beleuchtung, Reinigung und Unterhaltung
der Schulgebäude am höchsten sind in Leipzig, wo 1906 zu ihrer
Deckung 469 496 M. erforderlich waren. An zweiter Stelle folgte Chem-
nitz mit 237169M., hierauf Dresden mit 222 904 M., ferner Plauen
mit 112587M., sodann Zwickau mit 77960M., endlich Bautzen mit
22 642 M.
5,4 % aller ordentlichen Ausgaben waren den Zwecken der Ver-
zinsung und Tilgung von bestehenden Schulden gewidmet. Dabei ent-
fielen 3,6% auf die Verzinsung und 1,8% auf die Tilgung der Schul-
den. In absoluten Ziffern zeigen sich hierfür folgende Werte: In
sämtlichen Städten Sachsens ergaben sich 1906 für die Verzinsung
der Schulden der Schulgemeinden Ausgaben von 1004786M., und für
deren Tilgung solche von 483506M. In der Kreishauptmannschaft
Bautzen waren für die Verzinsung der Schulden der dortigen Schul-
gemeinden 56677 M., für die Tilgung jener Anleihen 35293M. er-
forderlich. Die Schulgemeinden der Kreishauptmannschaft Chemnitz
hatten für die Verzinsung ihrer Anleihen 142 675 M., für deren Tilgung
82293 M. aufzubringen. Die Ausgaben der Schulgemeinden der Kreis-
hauptmannschaft Dresden betrugen für Verzinsung der bestehenden
Anleihen 375644M. und für deren Tilgung 373147 M. Im Bezirke
der Kreishauptmannschaft Leipzig sind an Schuldzinsen 164 847 M.,
an Tilgungsquoten 89491 M. gezahlt worden, und in der Kreishaupt-
mannschaft Zwickau betrugen die Ausgaben für Verzinsung der Schul-
den 264943 M., für Tilgung derselben 78863M. In den Kreis- und
Großstädten stellten sich diese Ausgaben wie folgt:
für Verziusung für Tilgung, für Verzinsung für Tilgung
Bautzen 14547 M. 15719 M. Zwickau 76 994 M. 25 760 M.
Chemnitz 29716 „ 21066 „ |Plauen 2548 „ — ,
Dresden 200 272 ,, 86485 „ j Leipzig — , — p:
Nach vorstehendem hatte die Schulgemeinde Plauen nur für Ver-
zinsung, nicht aber für Tilgung der Schulden, und die Schulgemeinde
Leipzig weder für Verzinsung noch fiir Tilgung von Schulden etwas auf-
zubringen, da in Plauen die Anleihen der Schulgemeinde gemeinsam
mit den übrigen Stadtanleihen getilgt werden und in Leipzig sowohl
die Verzinsung als auch die Tilgung der Schulgemeindeanleihen von
der politischen Gemeinde übernommen worden ist.
An nächster Stelle sind die Ausgaben an Mietzinsen für Schul-
räume zu nennen, welche 1906 5,3 % aller Ausgaben der städtischen
Schulgemeinden oder absolut ausgedrückt 1 456 334M. beanspruchten.
102 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
Am höchsten waren sie bei den Schulgemeinden der Kreishauptmann-
schaft Dresden, wo sie 736900M. betrugen, wovon der größte Teil,
nämlich 728 078 M., auf die Stadt Dresden entfielen. 402 697 M. waren
für den gleichen Zweck in der Kreishauptmannschaft Chemnitz erfor-
derlich, woran die Stadt Chemnitz mit 321185M. beteiligt war. In
der Kreishauptmannschaft Zwickau verursachten die Mietzinsen für
Schulräume den dortigen Schulgemeinden eine Ausgabe von 252211
Mark; 157687 M. davon kamen auf die Stadt Plauen und 1400M. auf
die Stadt Zwickau. Den Schulgemeinden in der Kreishauptmannschaft
Leipzig entstanden durch Zahlung von Mietzinsen für Schulräume Aus-
gaben in Höhe von 62 221 M.; hier ist der auf die Kreisstadt entfallende
Anteil verhältnismäßig sehr gering, er beträgt nur 5073 M. Am nic-
drigsten waren die Ausgaben an Mietzinsen bei den Schulgemeinden
der Kreishauptmannschaft Bautzen; sie bezifferten sich auf 2305M.;
über zwei Drittel davon, nämlich 1675M., sind auf die Kreisstadt
Bautzen zu rechnen.
Die Ausgaben für die Fortbildungsschule beanspruchten im
Jahre 1906 2,3 % aller Ausgaben der städtischen Schulgemeinden,
was eine Summe von 633231 M. bedeutet. Von dieser Summe
entfallen reichlich ein Drittel, nämlich 230128 M., auf die Kreis-
hauptmannschaft Leipzig, wobei wieder die Stadt Leipzig mit
175097 M. den Hauptanteil für sich in Anspruch nimmt. In der
Kreishauptmannschaft Dresden hatten die Schulgemeinden der dor-
tigen Städte 137805M. Ausgaben für die Fortbildungsschulen; für
die Schulgemeinde Dresden stellte sich diese Ausgabe auf 86793 M.
123506M. betrugen die Ausgaben für Fortbildungsschulen in der
Kreishauptmannschaft Zwickau. Die Stadt Plauen war an dieser
Summe mit 66695M., die Stadt Zwickau mit 11446M. beteiligt.
Die städtischen Schulgemeinden der Kreishauptmannschaft Chemnitz
verausgabten für die Zwecke der Fortbildungsschule 121163 M.; die
Schulgemeinde Chemnitz partizipierte daran mit 70147M. In der
Kreishauptmannschaft Bautzen erforderten die Fortbildungsschulen
Ausgaben im Betrage von 20629M.; davon sind 3555M. auf die
Stadt Bautzen zu rechnen.
1,8% aller städtischen Schulgemeindeausgaben nahmen die ver-
schiedenen kleinen Ausgaben ein, welche nicht alle besonders aufge-
führt, sondern unter „sonstige“ zusammengefaßt worden sind. Sie er-
reichten 1906 in Sachsen die Höhe von 496 884 M., wovon entfielen auf
die Kreishauptmannschaften
Leipzig 284234 M. Chemnitz 27033 M.
Dresden 145 867 „, Bautzen 4975 „.
Zwickau 34775 ,,
In den Kreis- und Großstädten waren zur Deckung dieser Aus-
gaben folgende Beiträge erforderlich: Ä
Weiteres über Schulgemeindeausgaben 103
in Leipzig 258988 M. in Zwickau 8137M.
„ Dresden 113514 ,, „ Bautzen 676 ,,.
„ Plauen 12 267 ,,
Die Schulgemeinde Chemnitz hatte 1906 keine derartigen Ausgaben.
Der Aufwand fiir Inventar und Lehrmittel erforderte Ausgaben
in Höhe von 438289M., was 1,6% aller Ausgaben der städtischen
Schulgemeinden bedeutet. Hier kann man beobachten, wie namentlich
die Großstädte es sind, welche ihre Schulen — und zwar nicht nur
absolut, sondern auch relativ — am reichsten mit Lehrmitteln und
sonstigen Ausstattungsgegenständen versehen, die einer erfolgreichen
Unterrichtserteilung förderlich sind. Von den 122197 M., welche 1906
die Schulgemeinden der Kreishauptmannschaft Leipzig für diesen Teil
der Unterrichtspflege verausgabten, entfielen 86208M, auf die Stadt
Leipzig. Die städtischen Schulgemeinden der Kreishauptmannschaft
Chemnitz benötigten zur Deckung der Ausgaben für Inventar und
Lehrmittel 114264 M., woran die Schulgemeinde Chemnitz mit 81430
Mark Anteil hatte. 98694 M. wurden in den Schulgemeinden der Kreis-
hauptmannschaft Dresden im gleichen Jahre für denselben Zweck auf-
gewendet; in der Stadt Dresden erreichten diese Ausgaben die Höhe
von 63642M. Die Schulgemeinden der in der Kreishauptmannschaft
Zwickau gelegenen Städte hatten hierfür Ausgaben in Höhe von 83 399
Mark nötig; die Stadt Plauen hatte hiervon 37230M., die Stadt
Zwickau 8304M. aufzubringen. Die Schulgemeinde der Städte im
Bautzener Regierungsbezirke hatten für Inventar und Lehrmittel
19735M. aufgewendet; die Stadt Bautzen verausgabte für Beschaf-
fung der nötigen Lehrmittel ihrer Schulen 4935 M.
1% aller Ausgaben der städtischen Schulgemeinden Sachsens er-
forderte der den Schulgemeinden gehörige Grundbesitz. Kosten für
Erwerbung, Instandhaltung und Versteuerung desselben werden hierin
enthalten sein. Im ganzen Lande verursachte der Grundbesitz den
Schulgemeinden Ausgaben in der Höhe von 281477M. Weitaus der
größte Teil davon fiel auf die Schulgemeinden der Kreishauptmann-
schaft Dresden, wo sich diese Ausgaben auf 209122M. beliefen, wo-
von 174261 M. auf die Stadt Dresden kamen. Schon recht erheblich
niedriger stellten sich die betreffenden Ausgaben in der Kreishaupt-
mannschaft Chemnitz, wo sie 34076M. betrugen; die Schulgemeinde
Chemnitz selbst hatte keine Ausgaben für diese Zwecke. In der Kreis-
hauptmannschaft Zwickau sind den dortigen Schulgemeinden durch
den Grundbesitz Ausgaben im Betrage von 21118M. entstanden; die
Stadt Zwickau war daran mit 4345 M., die Stadt Plauen mit 1978 M.
beteiligt. Im Bezirke der Kreishauptmannschaft Leipzig erwuchsen
den städtischen Schulgemeinden an gleichen Ausgaben 15049 M., wo-
von auf die Stadt Leipzig nichts entfällt, wie dies schon bei der Stadt
Chemnitz der Fall war. Im Kreise Bautzen waren 2042M. zur Deckung
104 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
solcher Ausgaben erforderlich, einschließlich 487 Mark der Stadt
Bautzen.
Unter 1% der gesamten Ausgaben der städtischen Schulgemeinden
bewegen sich diejenigen aus den Schulanlagen (0,8%) sowie die aus
dem Zuschuß aus der Stadtkasse (0,3 %), ferner die Ausgaben für
Gesundhcitspflege für Schulkinder (0,2 90), sodann diejenigen aus den
Konten „Kapitalien“, „Legat- und Stiftungszinsen“ und „überwiesene
Grundsteuer‘ (je 0,1%), und unter 0,1% endlich stehen die Ausgaben
aus den Konten ‚Schulgeld‘, „sonstige Gebühren und Strafgelder“,
„Besitzwechselabgaben‘ und ‚sonstige indirekte Steuern“. Die abso-
luten Zahlen sind aus den beigegebenen Tabellen zu ersehen.
B. Einnahmen
Hinsichtlich der Einnahmequellen der Schulgemeinden ist am
Ende des einleitenden Abschnittes über die Schulgemeinden schon
Näheres gesagt worden, es kann daher gleich zur Betrachtung der ziffer-
mäßigen Ergebnisse übergegangen werden. Ihrer Höhe nach sind an
erster Stelle zu nennen die Einnahmen ausden Schulanlagen,
welche im Jahre 1906 43,60% aller Einnahmen ausmachten. Sie hatten
die anschnliche Höhe von 11969808 M. in ganz Sachsen erreicht.
Obenan steht die Kreishauptmannschaft Dresden mit 5886 446 M. Es
folgen die Schulgemeinden der Kreishauptmannschaft Chemnitz mit
8053773 M., Zwickau mit 1657854M., Leipzig mit 880641M.,
Bautzen mit 491094M. Bei den Städten war der Ertrag aus diesen
Schulanlagen am höchsten in Dresden, wo er sich auf 4773 863 M. be-
zifferte. Chemnitz hatte eine Einnahme von 2333835M. In Plauen
wurden insgesamt an Schulanlagen 711910M. eingenommen, in
Zwickau 459453 M. und in Bautzen 184088 M. In Leipzig läßt
sich der Ertrag der Schulanlagen nicht zahlenmäßig genau ermitteln,
da, wic schon an andrer Stelle bemerkt, Leipzig sogenannte Zentral-
anlagen erhebt, d. h. den Bedarf der politischen Gemeinde, des Orts-
armenverbandes und der Schulgemeinde zusammen berechnet und dann
die durch Steuern aufzubringende Quote als „Gemeindeeinkommen-
steuer‘ erhebt.
An zweiter Stelle stehen die Einnahmen, welche den Schulgemein-
den durch die Zuschüsse aus den Stadtkassen entstehen. Ihre
Höhe betrug 1906 in Sachsen 6755 820 M., was 24,6% aller Einnah-
men der Schulgemeinden bedeutet. Am höchsten waren diese Ein-
nahmen ın den Städten der Kreishauptmannschaft Leipzig; sie er-
reichten hier insgesamt eine Höhe von 5119166M. Der Hauptanteil
hiervon kommt auf die Stadt Leipzig, nämlich 4580 479M. Inder Kreis-
hauptmannschaft Zwickau gewährten die dortigen Städte ihren Schul-
gemeinden Zuschüsse in der Höhe von 916888M. Im Bezirke der
Die Einnahmequellen der Schulgemeinden 105
Kreishauptmannschaft Chemnitz betrugen diese Zuschiisse 453 436 M.
Fast auf gleicher Höhe hielten sie sich in den Kreishauptmannschaften
Bautzen und Dresden; während sie im erstern Kreise sich auf 133194
Mark beliefen, hatten sie in der Dresdner Kreishauptmannschaft eine
Höhe von 133136M. erreicht. In der Stadt Dresden wurden der Schul-
gemeinde 1367 M. Zuschuß aus der Stadtkasse gewährt. Hinsichtlich
der Stüdte Bautzen, Chemnitz, Plauen und Zwickau lassen sich die
Zuschüsse der politischen Gemeinden an die Schulgemeinden nicht er-
mitteln, da in diesen Städten nicht für beide Körperschaften getrennte
Haushaltpläne aufgestellt werden, sondern der Aufwand der Schulge-
meinden mit in den allgemeinen städtischen Haushaltplan eingestellt
wird.
14% aller Einnahmen entstanden den Schulgemeinden der säch-
sischen Städte aus der Erhebung von Schulgeld. 3831679M. wur-
den im Jahre 1906 hierdurch vereinnahmt, wovon auf die Kreishaupt-
mannschaften
Dresden 1185158 M. Chemnitz 704958 M.
Leipzig 1021620 ,, Bautzen 193 133 „,
Zwickau 726830 ,,
entfielen. Von den ins Bereich der vorliegenden Betrachtung gezo-
genen Städten hatte die höchste Einnahme an Schulgeld Dresden, und
zwar 818076M. In der Schulgemeinde Leipzig gingen an Schulgeld
658308M. ein, in Chemnitz 376430M., in Plauen 225868M., in
Zwickau 128306M. und in Bautzen 54963 NM.
Schon wesentlich geringer hinsichtlich ihres Prozentanteils an den
Gesamteinnahmen der städtischen Schulgemeinden — es waren 7,1%
im Jahre 1906 — stellten sich die Einnahmen, welche dem Konto ,, Be-
soldungen und sonstiger Personalaufwand“ zugewiesen waren. Sie be-
trugen 1955164M. Es hatten diesem Konto zugewiesen die stiidti-
schen Schulgemeinden der Kreishauptmannschaften
Leipzig 597137 M. | Chemnitz 254661 M.
Dresden 6598001 ,, Bautzen 110566 ,,.
Zwickau 399799 ,, |
Die Kreis- und Großstädte haben für diesen Zweck folgende Beträge
festgesetzt:
Zwickau 57077 M.
Bautzen 19 556 „.
Leipzig 383273 M.
Dresden 877 986 ,,
Plauen 66 953 ,,
Die Stadt Chemnitz hatte keine besondern Einnahmen fiir diese Zwecke
bereitgestellt.
doa aller Einnahmen der Schulgemeinden der sächsischen Städte
oder in absoluten Zahlen ausgedrückt 1095512M. kamen den Schul-
gemeinden durch überwiesene Grundsteuer zugute. So gingen
im Bezirke der Kreishauptmannschaft Leipzig bei den dortigen Schul-
gemeinden 462823M. an Grundsteuern ein. Die städtischen Schul-
106 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
gemeinden der Dresdner Kreishauptmannschaft erzielten durch ihnen
überwiesene Grundsteuern eine Einnahme von 352974 M. In der Kreis-
hauptmannschaft Chemnitz erreichte die Summe der städtischen Grund-
steuern, welche den Schulgemeinden zufiel, eine Höhe von 141 860M.
Die Städte der Kreishauptmannschaft Zwickau erhoben für ihre Schul-
gemeinden Grundsteuern im Betrage von 96 897 M., und in der Kreis-
hauptmannschaft Bautzen beliefen sich diese Einnahmen auf 34958 M.
Was die Kreis- und die Großstädte betrifft, so war der der Schulge-
meinde zugefallene städtische Grundsteuerertrag am höchsten in Leip-
zig; er betrug nämlich 396 024M. Es folgen dann Dresden mit 284239
Mark, Chemnitz mit 74984 M., Plauen mit 23183 M., Zwickau mit
17319M. und Bautzen mit 7880M.
Die städtischen Besitzwechselabgaben, deren Ertrag teil-
weise ebenfalls den Schulgemeinden zugewiesen worden ist, machten
2,2% aller Einnahmen der städtischen Schulgemeinden Sachsens aus.
Sie beliefen sich auf zusammen 603778M. Es entfielen davon auf dıe
Kreishauptmannschaften
Dresden 301 032 M. Leipzig 61268 M.
Zwickau 160145 ,, Bautzen 30 833 ,,.
Chemnitz 59145 ,,
Die Schulgemeinde Dresden erzielte durch die Besitzwechselabgaben
eine Einnahme von 240920M. Schon erheblich geringer war der Er-
trag dieser Steuer in Plauen, wo der dortigen Schulgemeinde 89 157 M.
davon zufielen. In der Stadt Zwickau kamen von den Einnahmen der
Besitzwechselabgaben 32316 M. auf die Schulgemeinde. Chemnitz ver-
einnahmte für seine Schulgemeinde 23 826M. und Bautzen 7007 M.
In Leipzig wird zwar auch eine Besitzwechselabgabe erhoben, jedoch
fällt der Ertrag zunächst der Stadtkasse zu, welche den entsprechenden
Anteil an die Schulgemeinde als Zuschuß abgibt.
Von Bedeutung ist endlich noch dieStaatsbeihilfezurLehrer-
besoldung. 355811 M. gewährte im Jahre 1906 der sächsische Staat
seinen Städten für diesen Zweck, was 1,3% der gesamten Einnahmen
der städtischen Schulgemeinden bedeutet. Diese Staatsbeihilfe gründet
sich auf das Gesetz vom 26. April 1892, wonach Beihilfen zu den
Lehrergehältern von jährlich 300M. für jede ständige Lehrerstelle und
jährlich 150M. für jede Hilfslehrerstelle gewährt werden. Am höch-
sten war dieser Staatszuschuß in den Schulgemeinden der Kreishaupt-
mannschaft Chemnitz, wo er 185852M. betrug. Hiervon entfielen
167968 M. auf die Stadt Chemnitz. Die übrigen Kreis- und Groß-
städte hatten keine derartige Einnahme zu verzeichnen. Die Angaben
über die andern Kreishauptmannschaften sind also auf die dortigen
Mittel- und Kleinstädte zu beziehen. Die städtischen Schulgemeinden
der Kreishauptmannschaft Leipzig erhielten an Staatsbeihilfe 97 655
Mark, die der Kreishauptmannschaft Zwickau 57 247 M., die der Kreis-
Das Vermögen der Schulgemeinden 107
hauptmannschaft Dresden 13 499 M. und die der Kreishauptmannschaft
Bautzen 1558M. Ubrigens ist unter dem 15. Juni 1908 ein Gesetz er-
gangen, nach welchem den Gemeinden zu den Alterszulagen der Lehrer
Staatsbeihilfen zugebilligt werden.
Zwischen 1% und 0,1% der Einnahmen der städtischen Schul-
gemeinden bewegten sich 1906 diejenigen, die für die Fortbildungs-
schule bestimmt waren (0,7%), ferner die, welche aus den im Besitz
der Schulgemeinden befindlichen Kapitalien flossen (0,4%), weiter die
Einnahmen aus dem Grundbesitze sowie die aus Legat- und Stiftungs-
zinsen (je 0,3 %0), sodann diejenigen, welche zur Deckung der Ausgaben
für Mietzinsen der Schulräume und des sonstigen sachlichen Aufwan-
des nötig waren (je 0,2%), endlich die Einnahmen, die zur Schulden-
tilgung verwendet wurden und die, welche aus der Einziehung von
Gebühren und Strafgeldern flossen (je 0,1%). Unter 0,1% schließlich
standen die Einnahmen der Schulgemeinden, welche ihre Entstehung
der Erhebung von sonstigen indirekten Steuern verdankten und die-
jenigen, welche zur Deckung des Aufwandes für Verzinsung der Schul-
den, für Inventar und Lehrmittel und für Gesundheitspflege der Schul-
kinder Verwendung fanden. Die Beträge, die hierbei in Frage kommen,
sind aus den beigegebenen Tabellen zu erschen.
C. Vermögen
Die Schulgemeinden der Städte Sachsens hatten Ende 1906 ein
Aktivvermögen von 46436 000 M. Ebenso wie bei den Ortsarmenver-
bänden läßt sich auch hier eine Scheidung in Grundbesitz, Kapitalvermö-
gen, Vermögen, welches durch das Inventar und Mobiliar verkörpert wird,
und Stiftungvermögen vornehmen. Der Grundbesitz repräsentierte
einen Wert von 34 484 000M.,dasKapitalvermögen hatte eine Höhe
von 3902000M. erreicht, das im Mobiliar und Inventar ange-
legte Vermögen stellte sich auf 5903000M., und das Vermögen
der Stiftungen und Legate war auf 2147000M. angewachsen.
Am reichsten mit Vermögen ausgestattet waren die Schulgemeinden der
Kreishauptmannschaft Dresden, deren Vermögen sich auf 17070000
Mark bezifferte, wovon 13080000M. Grundbesitz und 1426000 M.
Kapitalvermögen waren. Außerdem waren 2348000M. in Mobiliar
und Inventar angelegt, und 216000M betrug das Stiftungsvermögen.
Die Schulgemeinden der Städte der Zwickauer Kreishauptmannschaft
besaßen ein Vermögen von 10243 000 M. Auch hier bestand der größte
Teil in Grundbesitz, welcher einen Wert von 8645000M. hatte. Das
Mobiliar und Inventar der dortigen Schulgemeinden hatte cinen Ver-
mögenswert von 1026000M., das Kapitalvermögen belief sich auf
407000M. und das Stiftungsvermögen auf 165000M. An dritter
Stelle hinsichtlich ihres Vermögensbestandes sind die Schulgemeinden
der Kreishauptmannschaft Chemnitz zu nennen, deren Gesamtvermögen
108 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
sich auf 8940000M. belief. 5665000M. hiervon waren Grundbe-
sitz, das Mobiliar und Inventar repräsentierte einen Wert von 1473000
Mark, 1385000M. waren in Kapitalien vorhanden, und 413000M.
des Vermögens kamen auf die Stiftungen und Legate. In der Kreis-
hauptmannschaft Leipzig waren die städtischen Schulgemeinden im
Besitze eines Vermögens von 7394000M. An erster Stelle erscheint
wieder der Grundbesitz, welcher einen Vermögenswert von 5112000M.
erreicht hatte. Das Stiftungsvermögen stellte sich auf 1095000M.,
der Wert. des Mobiliars und Inventars auf 809000M., und 378000M.
waren an Kapitalvermögen vorhanden. Die Schulgemeinden der Kreis-
hauptmannschaft Bautzen hatten ein Vermögen von 2789000M. auf-
zuweisen. Der Grundbesitz hatte hier einen Vermögenswert von
1982000M., an Kapitalvermögen waren 302000M. vorhanden, das
Vermögen der Stiftungen und Legate erreichte eine Höhe von 258 000
Mark, und in Mobiliar und Inventar waren angelegt 247 000M. Von
allen städtischen Schulgemeinden Sachsens besaß das größte Aktiv-
vermögen die Schulgemeinde Dresden. Hier war eine Vermögensmasse
von 9882 000 M. vorhanden, wovon der Hauptanteil, nämlich 7 036 000
Mark, dem Grundbesitze zuzurechnen ist. Das Mobiliar und Inventar
der Dresdner Volksschulen hatte einen Wert von 1794000M.; an Ka-
pitalvermögen waren 1004000 M. vorhanden, und außerdem besaß
die Schulgemeinde Dresden Stiftungen und Legate in Höhe von 48 000
Mark. Die Schulgemeinde Zwickau war im Besitze eines Vermögens
von 3489000M. Fast dieser ganze Betrag — es sind 3125000 M. —
war ın Grundbesitz angelegt. Das Mobiliar und Inventar der Volks-
schulen der Stadt Zwickau hatte einen Wert von 252 000 M., und an Ka-
pitalien waren 112000 M. vorhanden. Stiftungen und Legate bestan-
den hier nicht. In der Schulgemeinde Bautzen war ein Vermögens-
bestand von 841000 M. vorhanden; davon entfielen 578000M. auf
den Grundbesitz, 136 000 M. auf die Kapitalien, 80000 auf das Mo-
biliar und Inventar und 47000M. auf das Stiftungsvermögen. Erst
an fünfter Stelle folgt Leipzig mit einem Schulgemeindevermögen von
649 000 M. 608 000 M. hiervon waren Stiftungsvermögen und 41000M.
Kapitalien. Grundvermögen und Vermögensbestände, welche durch Mo-
biliar und Inventar verkörpert wurden, besaß die Schulgemeinde Leip-
zig selbst nicht, sondern die entsprechenden Vermögensteile werden hier
bei der politischen Gemeinde nachgewiesen. Das geringste Vermögen
unter den Schulgemeinden der sächsischen Kreis- und Großstädte hatte
Plauen; es betrug 105000M. Der Grundbesitz ist in dieser Summe
enthalten mit 95000M., 1000M. waren ın bar vorhanden, und auf
9000 Mark belief sich der Wert des Mobiliars und Inventars.
Betreffs der Schulden der Schulgemeinden sei auf die Bemer-
kung hingewiesen, welche sich am Ende des Abschnittes „Vermögen“
bei den politischen Gemeinden befindet.
Weiteres über Schulgemeindeverm. Die Anfänge des kommun. Anleihewesens 109
IV. Schulden
l. Allgemeines
Das kommunale Anleiliewesen reicht bis ins 13. Jahrhundert zu-
rück. Schon damals war die Entwicklung der Städte so weit fortge-
schritten, daß die Mittel, welche die Städte aus etwaigen UberschuB-
konten der Stadtkasse zuzuweisen imstande waren oder welche durch
Steuern und Zölle aufgebracht wurden, selbst unter Hinzunahme et-
waiger Rücklagen bei weitem nicht ausreichten, um allen den Aufgaben
zu genügen, welche die Städte bei ihrem Wachstume auf sich zu nehmen
sich gezwungen sahen. Die Bedeutung der Anleihen im städtischen
Budget hat sich aber seit jener Zeit noch ganz erheblich gesteigert.
Erleichtert wurde den Städten damals die Inanspruchnahme des Kre-
dits dadurch, daß das Zinsnehmen verboten war, mithin nur auf diese
Weise den Privatpersonen Gelegenheit gegeben war, ihr Geld beı der
Stadtverwaltung, die ihnen größere Sicherheit bot, nutzbringend zu
verwerten. Die mittelalterlichen Städte benutzten den Kredit entweder
durch Aufnahme von Anleihen mit kurzer Rückzahlungsfrist oder durch
Verkauf von Leib- oder Erbrenten mit längerer Frist. Nach und nach
aber wuchsen die kommunalen Anlcihen so sehr, daß die Städte den
Überblick über ihre Schulden verloren und schließlich nicht mehr im-
stande waren, den vielen Verpflichtungen hinsichtlich der Zinszah-
lung und Amortisation nachzukommen. Erst in der neuern Zeit ist in
dieser Beziehung Wandel geschaffen worden dadurch, daß die staat-
lichen Verwaltungsbehörden Rechenschaft von den Städten forderten
und die Aufnahme von neuen Anleihen von ihrer Genchmigung ab-
hängig machten. Nach den für die deutschen Städte jetzt allgemein
geltenden Grundsätzen sollen Anleihen nur für solche Veranstaltungen
aufgenommen werden, welche sich als notwendig aufdrängen, mit den
ordentlichen Einnahmen der Stadt aber nicht ausgeführt werden kön-
nen und einen den gemachten Aufwendungen entsprechenden Nutzen
mindestens bis zur Tilgung der Anleihe gewähren. Insbesondre soll
die kommende Generation nicht mit Zinszahlungen und Kapitalzurück-
erstattungen belastet werden, wenn das betreffende Anleihekapital nur
oder fast ausschließlich zu Dingen verwendet wird, welche nur der
Gegenwart zugute kommen, in wenigen Jahren aber wieder von neuem
hergestellt oder wenigstens verbessert werden müssen. Damit die Ge-
meinden hierin überwacht werden können, sind sie in Sachsen ver-
pflichtet, vor Aufnahme einer Anleihe größern Umfangs bei ihrer
Aufsichtsbehörde, an welche sie jährlich über ihre Finanzgebarung
Rechenschaft abzugeben haben — es ist dies für die Landgemeinden
sowie für die Städte mit der Städteordnung für mittlere und kleine
Städte die Amtshauptmannschaft, für die Städte, welche die Revidierte
Städteordnung angenommen haben, die Kreishauptmannschaft —, um
110 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
Genehmigung der Aufnahme der Anleihe nachzusuchen unter genauer
Angabe darüber, wozu die Gelder verwendet werden sollen. Näher
geregelt wird dieses Anleihewesen der Städte in §135 der Revidierten
Städteordnung, wo unter anderm bestimmt wird: „Zur Vermehrung
der Gemeindeschulden, dafern dieselben innerhalb Jahresfrist bei einer
Bevölkerung unter 1000 Einwohnern mehr als 300M., und bei größrer
Seelenzahl mehr als 300M. auf je 1000 Einwohner beträgt, ist die
Genehmigung der Aufsichtsbehörde erforderlich.“ Diese Vorschrift er-
leidet jedoch keine Anwendung auf Schulden, welche binnen Jahres-
frist zurückgezahlt werden. Ob diese Bestimmungen eingehalten wer-
den, können die Aufsichtsbehörden leicht ersehen aus den alljährlich
von den Gemeinden einzureichenden Rechenschaftsberichten, über die
schon oben Näheres gesagt worden ist. $131 der Revidierten Städte-
ordnung verpflichtet die Aufsichtsbehörde, darauf zu achten, „daß
eine ungerechtfertigte Belastung der Gemeinde mit Schulden vermie-
den werde, auch die Tilgung der letzteren stets planmäßig erfolge“.
Außerdem hat die sächsische Staatsregierung, veranlaßt durch die im-
mer mehr zunehmende Verschuldung der Städte, am 20. Juli 1909 an
die Kreishauptmannschaften eine Verordnung über die Anleihen der
Gemeinden erlassen, wonach den letztern die Genehmigung zu allen
Anleihen versagt werden soll, welche nicht ,,strengern Grundsätzen
genügen“. Gleich in Punkt I der sehr beachtenswerten Verordnung,
welcher die „Zulässigkeit der Anleihen“ behandelt, wird festgesetzt,
daß Anleihen nur zur Bestreitung solcher außerordentlichen Ausgaben
zugelassen werden sollen, die einen den gemachten Aufwendungen ent-
sprechender Nutzen für die Gesamtheit nicht nur in der Gegenwart,
sondern auch in der Zukunft, und in dieser mindestens so lange ver-
bürgen, als die durch die Anleihe entstehenden Lasten zu tragen sind.
Dagegen sollen nicht solche Ausgaben als außerordentliche angesehen
werden, dic in kürzern Zwischenräumen regelmäßig wiederkehren. Der
Begriff „außerordentliche Ausgaben‘ wird also nicht für alle Ge-
meinden gleich sein. So wird z. B. in kleinen, nur langsam wachsen-
den Gemeinden der Bau einer Schule oder die Anlage einer umfäng-
lichen Ortsbeschleusung eine Seltenheit sein, so daß die Verteilung
der Kosten auf einen längern Zeitraum in Gestalt einer Anleihe ge-
rechtfertigt sein kann, während in Großstädten mit lebhafter Entr
wicklung derartige Ausgaben, weil sie schneller wiederkehren, aus lau-
fenden Mitteln oder aus rechtzeitig anzusammelnden Fonds zu be-
streiten sind. Gerechtfertigt kann es ferner nach den in der Verord-
nung enthaltenen Bestimmungen sein, solche Ausgaben auf Anleihe-
mittel zu nehmen, die unvorhergesehen bei Notständen oder infolge ele-
mentarer Ereignisse an die Gemeinden herantreten und Deckung aus
laufenden Mitteln nicht finden können. Unzulässig ist es, Luxusbauten
(Theater, Festhallen, Monumentalbauten) aus Anleihemitteln zu er-
Die staatliche Uberwachung des Gemeindeschuldenwesens 111
richten. Endlich soll auch bei der Genehmigung einer Anleihe die
gesamte Finanzlage der Gemeinde in Betracht gezogen werden, und
gesunde Finanzen sollen die Vorbedingungen für die Genehmigung
.einer Anleihe sein. Abschnitt II der Verordnung enthält die „allge-
meinen Anleihebedingungen“. Es handelt sich dabei im wesentlichen
darum, daß die Städte verpflichtet sind, bei einer Anleihe, welche von
einem Kommunalkredit gewährenden Unternehmen aufgenommen wird,
sich durch Offerten seitens der in Betracht kommenden Institute zu
vergewissern, welches das nach Lage der Sache für sie günstigste An-
erbieten ist, und dieses haben sie dann zu wählen. Auch ist eine Be-
stimmung über die Art und Weise der Bekanntmachung aufzunehmen-
der Anleihen angefügt worden. Der III. Abschnitt der angeführten
Verordnungen ist überschrieben ‚Tilgung‘ und enthält die schon er-
wähnten Gesichtspunkte, nach denen Anleihen getilgt werden sollen.
Besonders werden in ihm die Grundsätze festgestellt, nach welchen
eine Stadtverwaltung bei der Tilgung der verschiednen Anleihen vor-
gehen soll. Im Abschnitt IV (‚Ansammlung von Zweckvermögen
(Fonds)‘‘) wird den Gemeinden dringend empfohlen, rechtzeitig aus-
reichende Mittel zur Bestreitung außerordentlicher Ausgaben zurück-
zulegen, da dies der beste Weg ist, um der Verschuldung entgegenzu-
wirken. Die Betriebsüberschüsse am Ende eines Haushaltjahres sowie
Mehrerträgnisse solcher Steuern, die wegen ihrer großen Ertrags-
schwankungen nur mit einem niedern Betrage in den Haushaltplan
eingestellt werden können, werden als besonders geeignet angegeben,
solche Fonds zu speisen. Im V. und letzten Teile der Verordnung end-
lich wird das Verfahren, welches die Aufsichtsbehörden bei etwaigen
Beratungen über von den Gemeinden zur Genchmigung vorgelegte An-
leihen einschlagen sollen, näher dargestellt. Insbesondere sollen die Auf-
sichtsbehörden darauf sehen, daß ein genauer Anleiheplan dem Gesuche
beigefügt ist sowie die Notwendigkeit und Unaufschiebbarkeit der aus
Anleihemitteln zu bestreitenden Aufwendungen begründet wird. Ferner
soll eine Schilderung der Finanzlage der betreffenden Gemeinde,
namentlich der von ihr bisher angesammelten Fonds gegeben werden,
und es soll auch die Art und Weise, in welcher die Anleiheaufgenommen
werden soll — die Anleihebedingungen und der gewählte Tilgungs-
plan —, näher gekennzeichnet werden. Empfohlen wird, bei größern
Anleihen den Kreis- oder Bezirksausschuß vor Genehmigung der An-
leihe zu hören. In Zweifelsfällen soll die Meinung des Ministeriums
des Innern eingeholt werden. Sodann sollen sich die Aufsichtsbehörden
über dic bestimmungsgemäße Verwendung der Anleihe sowie über die
planmäßig erfolgende Tilgung vergewissern. Endlich ist festgesetzt,
daß die Aufsichtsbehörde unter Angabe des Anleihezweckes, der Art
der Anleihe, ihres Betrages und ihres Zins- und Tilgungsfußes dem
Ministerium des Innern Anzeige zu erstatten hat und daß für An-
112 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
leihen von Gemeindeverbänden dieselben Bestimmungen Platz greifen
sollen wie bei den Anleihen von einzelnen Gemeinden.
Daß diese fortgesetzten Mahnungen der Regierungen an die Städte
zurSparsamkeit und die strenge Überwachung des städtischen Schulden-
wesens wohl begründet sind, möge folgende Übersicht über die Ver-
schuldung der sächsischen Großstädte im Jahrzehnt 1897—1906 be-
weisen.
Verschuldung der sächsischen Großstädte 1897—1906.
(Die Angaben sind entnommen dem Statistischen Jahrbuch Deutscher Städte und
enthalten das gesamte städtische Passivvermögen.)
Schuldenstand am
use arald 1897
Schlusse des Jahres
Chemnitz Sehlume dea Jaimes | Chemnitz | | Dresden Leipzig | Plauen
17560454 | 42924687 70005 358 8 517 434
1898 19 716 308 51 479 056 70 975 469 9 682 501
1899 19 716 308 58 045 481 73 232 124 11 514777
1900 23 081 910 63 549 396 82 675 654 12 559 650
1901 27 315 759 76 783 182 85 893 136 15 663 478
1902 27 221 751 16 776 200 91 597 942 17 611 639
1903 27 746 790 88 874 599 95 721 649 19 925 014
1904 27 746 790 87 913 307 | 100 230 333 21 949 636
1905 32 590 805 134 741 143 ' 109 827 644 23 351 945
36 | 36.968 000 | 000 139 430 208 26 815 685
1906 121 537 961
Diese Tabelle zeigt, wie die Schulden in fast allen sächsischen
Großstädten — nur Leipzig macht eine Ausnahme hiervon — um
weit über 100 % im Jahrzehnt 1897—1906 gestiegen sind. Die Ver-
mehrung der Schulden im genannten Zeitraume betrug nämlich in
Chemnitz 110,5%, in Dresden 224,8%, in Leipzig 73,6% und in
Plauen 214,89. Freilich werden hierunter zu einem nicht geringen
Teile Anleihen sich befinden, welche zur Errichtung kommunaler
Unternehmungen, wie Elektrizitätswerke, Straßenbahnen und ähn-
licher Institute, verwendet worden sind, die in kurzer Zeit der Stadt Er-
triage liefern, welche zur Tilgung der aufgenommenen Schulden ver-
wendet werden können. Wie bedeutend das Anwachsen der städtischen
Schulden im genannten Zeitraume gewesen ist, möge noch nebenstehen-
des Diagramm darstellen.
Den Hauptposten der städtischen Schuldenwirtschaft bilden bei uns
in Deutschland die Anleiheschulden. Dieselben zerfallen in langfristige
Darlehen, welche in der Regel von Hypothekenanstalten, Provinzial-
kassen und ähnlichen Instituten auf Grund besonderer Verpfändung
von Gebäuden, Erwerbseinrichtungen usw. gewährt werden, und in
Obligationen, d. h. Schuldscheinen, die von der Stadt ausgegeben wer-
den auf Grund ihrer allgemeinen Haftbarkeit. Weniger kommen in
Betracht die übrigen Schuldarten, etwa !/,. der ersteren, welche sich
zusammensetzen aus vorübergehend aufgenommenen Darlehen, Hypo-
Die Verschuldung d. sächs. Großstädte. Arten d.Schulden u.Gläubiger d.Städte 113
Das Anwachsen der Schulden der sichsischen GroBstadte
im Jahrzehnt 1897—1906 in Millionen Mark.
(Auf Grund der vorstehenden Tabelle.)
ve sw
140 BEBBEBREBHBRBEEBREBEBBRER
135 E KEE ee
130 RW KE?
125 w E
120 K KE
115 W E
110 Eé E
105 |
100 =
95 WW
99 | B
85
8n iz
ol
oo
65
soh_
al
sol
45
DI A
35 |
30
25
E
15
10
3
1847 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906
Chemnitz wn Dresden — — — — —
Leipzig e — Plauen ses
theken, Restkaufgeldern, Passivrenten, Kautionen, Bürgschaften und
dergleichen. Die Obligationsanleihen übersteigen die erstgenannten
Schulden um ein ganz beträchtliches. Die Wahl der Schuldart pflegt
im allgemeinen den Kommunen überlassen zu sein. Nur bezüglich der
Schuldaufnahmen durch Inhaberobligationen besteht in Deutschland
die Bestimmung (BGB. § 795), daß im Inland ausgestellte Schuld-
verschreibungen auf den Inhaber, in denen die Zahlung einer bestimm-
ten Geldsumme versprochen wird, nur mit staatlicher Genehmigung in
den Verkehr gebracht werden dürfen; nur die Inhaberobligationen,
welche vom Reiche oder von einem Bundesstaate ausgegeben werden,
machen hiervon eine Ausnahme.
Was nun die Gläubiger der Städte anlangt, so haben wir drei
Gruppen zu unterscheiden. Zunächst kommen als Kreditgeber der
Städte in Betracht die Stätten, an denen sich große Kapitalien zeit-
weise anhäufen und welche sich teils in den Händen Privater, teils im
Liebers: Die Finanzen 8
114 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Besitzo der Städte selbst oder des Staates befinden. In erster Linie
werden hierher zu rechnen sein die städtischen Sparkassen, welche nicht
nur ihrer eignen Stadt, sondern auch andern Städten, von denen sie,
falls nötig, das gleiche erhoffen können, im Bedarfsfalle erhebliche
Summen vorschießen. Auch die Kassen der städtischen Stiftungen,
die kommunalen Sonderkassen für bestimmte Zwecke und die öffent-
lichen und privaten Versicherungsanstalten mit ihren oft nicht unbe-
deutenden Kassenvorräten gehören hierher. Sie haben das Bedürfnis,
ihre Geldbestände sicher und vorteilhaft anzulegen, und gewähren daher
gegen Schuldverschreibungen oder Übergabe von Stadtobligationen
Kredit. Ferner sind diejenigen Kreditgeber der Städte zu nennen,
welche diesen Kredit gewähren, nicht um ihre eignen Kapitalien zins-
bar anzulegen, sondern erst selbst billigen Kredit zu erlangen suchen,
um ihn dann zu höherem Zinsfuße an die Städte abzugeben. Dieser
zweiten Kategorie von Kreditgebern gehören an die Provinzialhilfs-
kassen, Landesbanken, Landeskreditkassen und ähnliche Institute, die
vom Staate gegründet worden sind mit der Aufgabe, gemeinnützigen
Anstalten und Selbstverwaltungskörpern Kredit zu gewähren. Auch
die öffentlichen und privaten Hypothekenbanken sind unter diese
Kreditgeber zu rechnen. Insbesondere aber ist hier zu nennen die von
der Allgemeinen Deutschen Creditanstalt in Leipzig im Jahre 1872
begründete Kommunalbank für das Königreich Sachsen. Sie ist das
einzige Institut in Deutschland, welches bestimmungsgemäß und ledig-
lich dem Kommunalkredite dient. Diese Bank steht unter staatlicher
Aufsicht und hat statutengemäß zum Zwecke den Betrieb von An-
leihegeschäften mit Bezirksverbänden, Stadt-, Land-, Kirchen- und
Schulgemeinden des Königreichs Sachsen unter Ausgabe von Inhaber-
papieren. Das Kapital der Bank beträgt 3 Mill. M.; Ende 1907 waren
an Anlehensscheinen 17819000 M. in Umlauf. Die Dividende hat
zwischen 5% und 1000 geschwankt. Als dritte Gruppe der kommunalen
Kreditgeber kommen die Banken im eigentlichen Sinne des Wortes in
Betracht, die bei den Öbligationsgläubigern an erster Stelle stehen,
hinsichtlich der Darlehnsvermittlung aber wenig Bedeutung haben.
Doch scheinen die Banken diesem Kommunalkreditgeschäfte wenig
Interesse entgegenzubringen; sie betreiben es nur nebenbei und suchen
aus der Differenz zwischen Übernahme- und Emissionskurs oder aus
der dabei gewährten Provision einen Gewinn zu erzielen. Noch zu er-
wähnen wäre der Reichsinvalidenfonds, welcher als Kreditgeber der
Städte besonders in früherer Zeit große Bedeutung erlangt hatte. Er
ist bekanntlich der aus Mitteln der französischen Kriegsentschädigung
gebildete Fonds zur Sicherstellung der infolge des Krieges von 1870/71
zu zahlenden Pensionen und Hinterbliebenengelder. Eine Kapital-
summe von 187 Millionen Talern wurde durch das Gesetz vom 23. Mai
1873 aus der französischen Kriegsentschädigung für den genannten
Die Kommunalbank fiir das Kénigreich Sachsen 115
Zweck entnommen. Diese dem Reichsinvalidenfonds überwiesenen Gel-
der sollen dem Gesetze gemäß zinsbar angelegt werden, und zwar in
verzinslichen Schuldverschreibungen, welche auf den Inhaber lauten
oder auf den Inhaber jederzeit umgeschrieben werden können und sei-
tens des Gläubigers unkündbar sind. Unter den Papieren, welche im
Entwurf noch näher gekennzeichnet wurden, nannte das Gesetz an
vierter Stelle „Schuldverschreibungen deutscher kommunaler Korpo-
rationen (Provinzen, Kreise, Gemeinden usw.), welche einer regel-
mäßigen Amortisation unterliegen“. Der Reichsinvalidenfonds hat aus
Mangel an verfügbaren Mitteln aufgehört, jene beträchtliche Rolle im
kommunalen Kreditwesen zu spielen, welche er in der ersten Zeit nach
Erlassung des genannten Gesetzes innehatte.
Über die Emissionen ist bereits oben verschiedenes gesagt worden.
Erwähnt sei nur noch, daß, was die Emissionsbedingungen anlangt,
die Tilgungssätze im allgemeinen sich heute höher stellen als früher,
die Tilgungszeiten mithin kürzer sind. Nicht ebenso regelmäßig ist
die Wandlung des Zinsfußes gewesen. Während Ende der 90er Jahre
die Verzinsung von 3!/,% namentlich bei den Großstädten noch gänz-
lich vorherrschte, trıtt dieselbe bereits an der Wende des Jahrhunderts
in den Hintergrund und die 4 prozentige Verzinsung gewinnt mehr und
mehr, besonders bei den Inhaberobligationen, die Herrschaft und hat
sich größtenteils bis heute erhalten. Eine nähere Betrachtung der
Tilgungsdauer der städtischen Anleihen im Königreiche Sachsen zeigt
für die im Jahre 1906 bestandenen 1289 kommunalen Anleihen fol-
gende Tilgungszeiten:
Es werden getilgt werden
48 dieser Anleihen im Jahre. . 1910 160 dieser Anleihen in d.Jahren 1936—40
83 „ „ ind.Jahren 1911—15/191 „ “nn n 191-4
101 nm ” nn „ 1916—20 | 146 ” A non ” 1946—50
73 p “í a an „» 1921—25 | und bei 187 dieser Anleihen reicht die
144 „ = »„» n» 1926—30| Tilgungsdauer bis nach 1950.
161 nm nm nm nu ” 1931--35
2. Gegenwärtiger Zustand
In bezug auf die Verschuldung unsrer sächsischen Kreis- und
Großstädte sollen die Resultate des Jahres 1906 einer kurzen Betrach-
tung im folgenden unterworfen werden. Zunächst sollen dabei die Höhe
und die Tilgungsdauer der verschiedenen kommunalen Anleihen, welche
Ende 1906 zu Recht bestanden, dargestellt werden. Sodann soll ein
Überblick gegeben werden über den Aufwand für Verzinsung und Til-
gung der Ende 1906 bestandenen tilgbaren Anleihen, und endlich
soll der Gesamtbetrag der städtischen Schulen am Schlusse des Jahres
1906 hinsichtlich ihrer verschiedenen Arten (untilgbare, durch Raten-
zahlung oder Tilgungsquoten zu zahlende und durch Rückzahlung des
Kapitals zu tilgende) näher erörtert werden.
Ch
116 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
Die Gesamtzahl der langfristigen tilgbaren Anleihen und Dar-
lehen der Städte (politische Gemeinden, Ortsarmenverbände und Schul-
gemeinden zusammengenommen) betrug 1289. Hiervon kamen die
meisten, nämlich 395, auf die Städte der Kreishauptmannschaft Dres-
den. Es folgten sodann die Städte der Kreishauptmannschaft Leipzig
mit 281, diejenigen der Kreishauptmannschaft Zwickau mit 273, die
der Kreishauptmannschaft Chemnitz mit 262, endlich die Städte der
Kreishauptmannschaft Bautzen mit 78 derartigen tilgbaren Anleihen.
Diese Zahlen sagen freilich nicht viel, wenn man nicht die Beträge,
welche die verschiedenen Anleihen ausmachen und in den genannten
Zeiträumen getilgt werden sollen, hinzufügt. In ganz Sachsen betrug
der Schuldenstand der Städte am Schlusse des Jahres 1906 491 786 067
Mark. An dieser Summe sind am stärksten beteiligt die Städte der
Kreishauptmannschaft Dresden, deren Schulden 176996 088 M. be-
trugen. In den übrigen Kreishauptmannschaften stellt sich die Ver-
schuldung der Städte, wie folgt: Leipzig 154203694 M., Chemnitz
76002898M., Zwickau 67 512415 M. und Bautzen 17 070972 M. Was
dia einzelnen Städte betrifft, so zeigt sich deutlich, wie insbesondere auf
die Großstädte der Léwenanteil der Schuldsumme der betreffenden
Kreishauptmannschaft entfällt. Es hatten nämlich Ende 1906 die
städtischen Schulden eine Höhe erreicht von
145 921662 M. in der Stadt Dresden | 25238628 M. in der Stadt Plauen
121425761 ,, ,, 4 a Leipzig |11017917 , ,, ,, S Zwickau
36875322 ,, , y „ Chemnitz! 4305287 ,, » , y Bautzen.
Setzt man noch die Schulden der Städte ins Verhältnis zur Bevölkerung,
so zeigen die sächsischen Kreis- und Großstädte folgende Ergebnisse:
Auf den Kopf der Bevölkerung entfielen Schulden:
in Bautzen 146,34 M. in Leipzig 241,10 M.
» Chemnitz 150,56 ,, „ Plauen 239,49 ,,
» Dresden 282,25 „ „ Zwickau 160,84 ,,.
a) Tilgungsdauer der Ende 1906 bestandenen tilgbaren An-
leihen und Darlehen der politischen Gemeinden, der Orts-
armenverbände und der Schulgemeinden
Betrachten wir etwas näher die Dauer und die Art der Tilgung
der verschiednen städtischen Anleihen, so finden wir neben wenigen
kurzfristigen Anleihen eine Menge langfristiger. Insbesondere in den
Großstädten überwiegen die langfristigen Anleihen ganz bedeutend.
Näheres hierüber ist bereits im allgemeinen Abschnitte gesagt worden
und aus der dort beigegebenen Übersicht zu ersehen (S.115). Wie sich
in den einzelnen Kreishauptmannschaften sowie in den Kreis- und
Großstädten die Tilgungsdauer der verschiedenen Anleihen stellt, möge
folgende Übersicht darstellen:
ka.
Te
a co ei m 3
Tilgungsdauer der städtischen Schulden 117
Von den Ende 1906 bestandenen tilgbaren Anleihen und Darlehen werden
getilgt werden
in der Kreis- SS 1911 1916 1921' 1996!1981 1936 1941 eas
auptmannsch. leihen [—— 10 —15 20 —25 | — 30 | —35 —40 — 45
Bautzen | e | D
E
| Chemnitz .. | EF | 2 =
|
| 395 oi | 36
| 136 25:35
Leinzi | 281 ‚17 15
' Lelpzlg.... | 33 o 3
| | 273 20
! Zwickau ....! 28 1
| ll
im Königr. ` | |
"sachsen, 1289| 43 | 88 101 | 78 | | ue | 187
Dresden .
Die gewöhnlichen Zahlen beziehen sich auf die Kreishauptmannschaften
bzw. das Land, die schrägstehenden auf die betreffende Kreisstadt, die fetten
auf die Stadt Plauen.
Hiernach sind die meisten langfristigen Anleihen in den Städten der
Dresdner Kreishauptmannschaft vorhanden, die wenigsten im Bautze-
ner Bezirke. Unter den Kreis- und Großstädten steht bezüglich der
Anzahl der langfristigen Anleihen obenan die Stadt Dresden mit 136;
es folgen die Stadt Leipzig mit 33, die Stadt Zwickau mit 28, endlich
die Städte Bautzen, Chemnitz und Plauen mit je 11 solcher Anleihen.
Es sollen nun die Schuldbeträge, deren Tilgung in den einzelnen
Zeitabschnitten stattfindet, einer Erörterung unterzogen werden. Von
den Ende 1906 vorhandenen tilgbaren Anleihen und Darlchen der
Städte werden bis zum Jahre1910 1722200M. der gesamten Landes-
summe getilgt sein. Weiter wird die Tilgung erfolgen
im Jahrfünft 1911—15 mit 24043 000 M.i im Jahrfünft 1931—35 mit 25278 100 M.
he „ 1916—20 ,, 18278700 „| ,, „ 1936—40 , 36749300 ,,
„ 1921—25 , 34639600, | ,, „1941-45 ,, 81402900 ,,
„ 1926—30 ,, 39239300 „| „ „ 1946—50 , 163268500 ,,.
Der Restbetrag von 1383301 900M. wird erst nach 1950 getilgt wer-
den. Ähnlich wie bei der Landessumme ist das Tilgungsverhältnis bei
den Beträgen der Kreishauptmannschaften und bei denen der Kreis-
und Großstädte. Es dürfte sich wohl erübrigen, hier alle die Teilbeträge
der Schuldsumme, welche in den verschiednen Kreishauptmannschaften
und Städten jährlich getilgt werden, einzeln aufzuzählen; sie sind
übersichtlich aus der beifolgenden Tabelle III zu ersehen. Es sei an
dieser Stelle nur bemerkt, daß sich die Tilgung mitunter bis weit über
das Jahr1950, ja bis ans Ende des laufenden Jahrhunderts erstreckt.
118 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
b) Jährlicher Aufwand für Verzinsung und Tilgung
der Ende 1906 bestandenen tilgbaren Anleihen und Darlehen
der Städte von 1906 bis 1950
Recht erhebliche Beträge finden wir auch, wenn wir den Auf-
wand für Verzinsung und Tilgung der Ende 1906 vorhanden gewese-
nen tilgbaren Anleihen und Darlehen der Städte ins Auge fassen. In
ganz Sachsen hatte 1906 der Aufwand für Verzinsung und Tilgung
der städtischen Anleihen und Darlehen die Höhe von 23688018M.
erreicht. Zwar verringert sich diese Summe von Jahr zu Jahr um ein
beträchtliches, wird aber 1950 immer noch auf 7415624M. sich be-
laufen. Von den 1289 verschiedenen tilgbaren städtischen Anleihen,
welche Ende 1906 bestanden, werden ım Jahre 1950 224 noch nicht
völlig getilgt sein. Von denjenigen 78 Anleihen, die in der Kreis-
hauptmannschaft Bautzen bestanden und 1906 einen Aufwand von
847426M. erforderten, werden im Jahre1950 16 noch nicht ganz
getilgt sein und einen Verzinsungs- und Tilgungsaufwand von 143 777
Mark erfordern. In der Kreishauptmannschaft Chemnitz haben die
262 städtischen tilgbaren Anleihen von Ende 1906 für ıhre Verzin-
sung und Tilgung in dem genannten Jahre Ausgaben in Höhe von
3504333M. verursacht, und 31 dieser Anleihen werden 1950 noch
nicht völlig getilgt sein, sondern zu ihrer Verzinsung und Tilgung
werden dann noch 1066613M. erforderlich sein. In der Kreishaupt-
mannschaft Dresden bestanden 395 tilgbare Anleihen und Darlehen
der Städte, und ihre Verzinsung und Tilgung erforderte 8751045 M.
Bei 77 dieser Anleihen wird 1950 die Tilgung und Verzinsung noch
nicht beendet sein, sondern noch die Summe von 1 534102 M. benötigen.
Die Städte der Kreishauptmannschaft Leipzig hatten 281 tilgbare An-
leihen aufzuweisen, und der Verzinsungs- und Tilgungsaufwand er-
reichte dort eine Höhe von 7225076M.; 54 dieser Anleihen werden
1950 noch einen Verzinsungs- und Tilgungsaufwand von 3958174 M.
verursachen. Im Gebiete der Kreishauptmannschaft Zwickau bestanden
273 städtische tilgbare Anleihen, zu deren Verzinsung und Tilgung
3360 138M. erforderlich waren; 1950 werden für 46 dieser Anleihen,
deren Tilgung bis dahin noch nicht beendet ist, noch 712958M. auf-
zubringen sein.
Ähnlich wie in den Kreishauptmannschaften liegen die Verhält-
nisse in den Kreis- und Großstädten. Von den 11 Anleihen, welche
Ende1906 in der Stadt Bautzen bestanden und damals einen jähr-
lichen Aufwand von 230879M. erforderten, werden allerdings im
Jahre 1950 keine Tilgungs- und Verzinsungskosten mehr entstehen,
jedoch wird 1945 eine Anleihe noch nicht völlig getilgt sein und einen
Verzinsungs- und Tilgungsaufwand von 37500M. erfordern. In der
Stadt Chemnitz, wo zu derselben Zeit 11 Anleihen bestanden, die zu-
sammen für Verzinsung und Tilgung den Betrag von 2084753 M. im
J&hrlicher Verzinsungs- und Tilgungsaufwand 119
Jahre benötigen, wird 1950 nur eine Anleihe noch nicht ganz getilgt
sein und daher noch 819035M. Verzinsungs- und Tilgungskosten be-
anspruchen. Die höchste Zahl tilgbarer Anleihen unter den sächsischen
Städten hatte Dresden aufzuweisen, wo 136 solche Anleihen bestanden,
deren Verzinsung und Tilgung 7119140M. beanspruchten. Im Jahre
1950 werden noch 25 von diesen Anleihen bestehen, und ihre Verzin-
sung und Tilgung wird einen Aufwand von 1382420 M. nötig machen.
Dis Stadt Zwickau hatte 28 tilgbare Anleihen und Darlehen aufzu-
weisen, und deren Verzinsung und Tilgung erforderten 575374M. Von
diesen Anleihen werden 20 im Jahre 1950 noch nicht völlig getilgt `
sein und einen Jahresaufwand von 456 867 M. für ihre Verzinsung und
Tilgung benötigen. Was endlich die Stadt Plauen betrifft, so erfor-
derten die Ende 1906 hier vorhandenen 11 tilgbaren Anleihen einen
Aufwand von 1161565M. Ihre Verzinsung wird aber schon vor dem
Jahre 1950 beendet sein. Im Jahre 1945 wird nur noch eine Anleihe
nicht ganz getilgt sein und einen Tilgungs- und Verzinsungsaufwand
von 293 983 M. beanspruchen.
c) Gesamtüberblick, Arten der Schulden und ungefähre Ver-
teilung der Schuldsumme auf politische Gemeinde, Orts-
armenverband und Schulgemeinde
Die Schulden sämtlicher Städte Sachsens betrugen Ende 1906
491786067 M. Davon entfielen auf die Städte der Kreishauptmann-
schaften Dresden 176996088 M. Zwickau 67512415 M.
Leipzig 154203694 ,, Bautzen 17070972 ,,.
Chemnitz 76002898 „ , l
Teilt man diese Schulden nach den verschiedenen Tilgungsarten
ein in 1. untilgbare, 2. durch Ratenzahlung oder Tilgungsquoten zu
zahlende, 3. durch Rückzahlung des Kapitals zu tilgende und 4. son-
stige, so findet man zunächst, daß die meisten untilgbaren Schulden
— sie betrugen Ende 1906 im gesamten Königreiche Sachsen 665 395
Mark — inden Städten der Kreishauptmannschaft Leipzig vorhanden
waren mit 566 881M., wovon auf die Stadt Leipzig 509 350 M. kommen.
In der Kreishauptmannschaft Bautzen hatten die Städte für 59 144 M.
untilgbaro Schulden aufgenommen, wovon 31172 M. auf die Stadt
Bautzen entfielen. Im Bezirke der Kreishauptmannschaft Dresden hat-
ten die untilgbaren städtischen Schulden die Höhe von 24192M. er-
reicht. Dabei ist jedoch hervorzuheben, daß in der Stadt Dresden
selbst keine derartigen untilgbaren Anleihen sich befanden. In den
Städten der Kreishauptmannschaft Chemnitz betrug die Summe aller
untilgbaren Schulden 15178M. Auch hier war die Kreisstadt, Chem-
nitz, an dieser Summe nicht beteiligt. Keine untilgbaren Schulden
gab es in den Städten der Kreishauptmannschaft Zwickau.
Erheblick höhere Beträge ergeben sich, wenn man die durch Raten-
120 Viertes Kapitel. Besprechung d. neusten Ergebnisse an d Hand der Tabellen
zahlungen oder Tilgungsquoten zu zahlenden Schulden ins Auge faBt.
Sie machen den Hauptanteil an der Gesamtsumme der kommunalen
Schulden aus und hatten Ende 1906 in Sachsen die Summe von
467 773757 M. erreicht. Diese verteilen sich auf die Städte der Kreis-
hauptmannschaften
Bautzen mit 15348408 M. Leipzig mit 150890665 M.
Chemnitz „ 63304574 „ Zwickau „ 66 000 497 ,,.
Dresden ,„ 172229603 ,,
Unter den Kreis- und Großstädten steht, was die Höhe dieser durch
Ratenzahlungen oder Tilgungsquoten zu zahlenden Schulden anlangt,
an erster Stelle Dresden, wo sich Ende 1906 diese Schulden auf
142203563 M. beliefen. An zweiter Stelle rangiert Leipzig mit
118666222M. Die dritte Stelle nimmt Chemnitz mit 36 875322 M.
ein. Es folgt die Stadt Plauen mit 25 238 628 M., sodann Zwickau mit
10321601 M. und endlich Bautzen mit 3885254M.
Die durch Rückzahlung des Kapitals zu tilgenden Schulden hatten
Ende 1906 in sämtlichen sächsischen Städten die Höhe von 23105799M.
erreicht. Daran waren beteiligt die Städte der Kreishauptmannschaften
Bautzen mit 1644361 M. Leipzig mit 2741410 M.
Chemnitz ,, 12682876 ,, Zwickau ,, 1296945 „.
Dresden ,, 4740207 „
Keine durch Riickzahlung des Kapitals zu tilgenden Schulden besaBen
die Städte Chemnitz und Plauen. In der Stadt Dresden betrugen sie
3718099M., in Leipzig 2250189M., in Zwickau 576316M. und in
Bautzen 388 861 M.
An sonstigen Anleihen und Darlehen, welche sich in keine der ge-
nannten Gruppen einreihen ließen, bestanden in den Städten Sachsens
zusammen 241 116M. Die meisten davon entfallen auf die Kreishaupt-
mannschaft Zwickau, wo sie in einer Höhe von 214973M. vorhanden
waren. Weiter entfielen 19049M. auf die Kreishauptmannschaft Baut-
zen, 4738M. auf die Kreishauptmannschaft Leipzig, 2086M. auf die
Kreishauptmannschaft Dresden und 270M. auf die Kreishauptmann-
schaft Chemnitz. Die Großstädte hatten Ende 1906 keine Anleihen,
welche nicht in den drei ersten Gruppen untergebracht werden konnten.
Dagegen hatte die Kreisstadt Zwickau für 120000M. solche Anleihen
aufzuweisen.
Am Schlusse der TabelleV wird noch eine Übersicht gegeben über
die Verteilung der Schulden auf die politischen Gemeinden, die Orts-
armenverbände und die Schulgemeinden. Doch sind diese Ziffern nicht
vollkommen einwandfrei und geben kein richtiges Bild, da, wie schon
am Anfange dieses Abschnittes hervorgehoben, nicht alle Städte die
Schulden des Ortsarmenverbandes und der Schulgemeinde von denen
der politischen Gemeinde trennen. Hinsichtlich der Ortsarmenverbände
tritt z. B. bei keiner der sächsischen Kreis- und Großstädte eine Tren-
nung der Schulden von denen der politischen Gemeinden ein, und in
Schuldarten, Verteilung d. Schulden. Urteil über d. Verschuldung der Städte 121
bezug auf die Schulgemeinden weisen nur Bautzen, Dresden und
Zwickau die Schulden getrennt von denen der politischen Gemeinden
nach. Sowohl die Zahlen der Landessumme als auch diejenigen der
Kreise und der Kreis- und Großstädte sind daher nicht genau, denn es
werden in den Schuldangaben der politischen Gemeinden vielfach solche
von Ortsarmenverbiinden und Schulgemeinden inbegriffen sein, was
bewirkt, daß die betreffenden Zahlen zu groß sind, während bei
den Ortsarmenverbänden und den Schulgemeinden als Landessumme
und Kreissummen zu niedrige Beträge stehen, da die Schulden dieser
Körperschaften in vielen Städten mit denen der politischen Gemeinden
verschmolzen sind.
d) Kritik und Urteil
Ganz abgesehen von dem Mangel, daß die Schulden der verschie-
denen kommunalen Körperschaften nicht getrennt nachgewiesen wer-
den, wird man, was die Schuldenwirtschaft unsrer sächsischen — über-
haupt der deutschen — Städte anlangt, sagen müssen, daß von einer
befriedigenden Lösung der städtischen Schuldfrage noch nicht gespro-
chen werden kann. Zwei Dinge sind es, die hier besonders ungünstig
wirken. Einmal wirtschaften die Städte zuweilen doch nicht planmäßig
genug und nehmen Anleihen für Zwecke auf, die entweder aus lau-
fenden Mitteln gedeckt werden müßten oder für welche man Fonds
ansammeln könnte, um den entsprechenden Aufwand zu begleichen.
Anderseits fehlt es an einer einheitlichen Gesamtorganisation des Kom-
munalkredits, denn obwohl wir in Sachsen eine Kommunalbank haben,
so ist hier der Kommunalkredit arg zersplittert. Ferner besteht eine
erhebliche Differenz zwischen Emissions- und Börsenkurs bei den
Städtepapieren. Weiter ist der niedrige Kursstand der Stadtanleihen
zu beklagen, dessen Ursache in dem üblichen Auslosungsverfahren zu
suchen ist. Eine fortdauernde Kontrolle seitens des Kapitalisten ist
dabei erforderlich. Und außerdem wird nie jemand, der eine dauernde
Kapitalanlage bezweckt, sein Geld in Stadtanleihen anlegen, denn er
steht dabei vor der Möglichkeit, gegen seinen Willen sein Kapital schon
in kurzer Zeit, nach Befinden ratenweise, wieder zuriickzuerhalten.
Manche Stadtanleihen machen allerdings hiervon eine Ausnahme, und
bei diesen ist dann in der Regel ein etwas höherer Kurs zu verzeichnen.
Besonders aber ist das Absatzgebiet der städtischen Anleihepapiere
sehr gering, wesentlich geringer z. B. als dasjenige der Staats-
anleihen. Nicht daß unsern modernen Großstädten weniger Kredit-
würdigkeit zuerkannt werden dürfte als etwa dem sächsischen Staate,
aber zweifellos besteht doch in den Kapitalistenkreisen eine gewisse
Interesselosigkeit gegenüber Anleihen von ihnen völlig fremden Städten,
was sich darin zeigt, daß die Anleihepapiere immer wieder nach der
Ausgabestadt zurückwandern. Es scheint eben hierbei etwas Lokal-
122 Viertes Kapitel. Besprechung d neusten Ergebnisse an d. Hand der Tabellen
patriotismus mitzuwirken. Um diese Mißstände zu beseitigen, hat man
auf den in letzter Zeit mehrfach abgehaltenen Städtetagen immer wie-
der auf eine Zentralisation des Kommunalkredits hingewiesen, wodurch
jener Zersplitterung des städtischen Anleihewesens und einer unge-
regelten Inanspruchnahme des Geldmarktes durch städtische Anleihe-
bedürfnisse vorgebeugt werden soll. Besonders hat Kutzer, Oberbürger-
meister der Stadt Fürth, auf dem zweiten Deutschen Städtetage in
München im Jahre 1908 als Ziel des kommunalen Anleihewesens
wiederholt vorgeschlagen, mit den geringsten Opfern und unter
möglichster Wahrung der Freiheit, wenn auch nicht jeder einzelnen
Stadt, eo doch bei Wahrnehmung allgemeiner städtischer Interessen,
die vorhandenen Geldanlagebedürfnisse mit dem Anleihebedürfnisse
der Städte zu einen. So könnten z. B. die größern Städte und die
bestehenden kommunalen Verbände zusammentreten und ein unter
ihrer. Leitung stehendes kommunales Kreditinstitut begründen. Doch
wurde diesem Vorschlage auf dem genannten Städtetage lebhaft wider-
sprochen, so daß seine Durchführung nicht zustande kam.!)
1) Im Oktober 1909 ist nun von der I. Konferenz der Finanzdezernenten
größerer deutscher Städte in Kassel eine Geldvermittlungsstelle für vorüber-
gehenden Austausch verfügbarer Barmittel zwischen den größeren Stadtverwal-
tungen ins Leben gerufen worden, die durch Beschluß des Deutschen Städtetages
auf seiner Tagung am 11. und 12. September 1911 in Posen zu einer Geldver-
mittlungsstelle des Deutschen Stiidtetages erweitert und infolge der Wahl ihres
Leiters zum Oberbürgermeister von Charlottenburg am 1. November 1913 mit Ge-
nehmigung des Vorstandes des Deutschen Städtetages von Kassel nach Char-
lottenburg verlegt worden ist. Auch in Sachsen wurde auf diesem Gebiete ein
bedeutender Schritt vorwärts getan, indem auf dem am 23. und 24. Februar 1912
in Leipzig abgehaltenen sächsischen Gemeindetage die Errichtung einer Geld-
vermittlungsstelle für die sächsischen Gemeinden einstimmig beschlossen worden
ist. Nach den vom Vorstande des sächsischen Gemeindetages ausgearbeiteten und
nunmehr angenommenen Statuten soll diese Geldvermittlungsstelle den Zweck
verfolgen: |
1. den Austausch von Barmitteln zwischen den Gemeinden, die über bereite
Mittel verfügen, und denjenigen, die vorübergehend Geld bedürfen (kurzfristige
Darlehen),
2. die Aufnahme langfristiger Darlehen für die Mitglieder des sächsischen
Gemeindetages zu vermitteln.
Der Vorstand des sächsischen Gemeindetages ist mit der Errichtung dieser
Geldvermittlungsstelle beauftragt worden. Sie soll ihren Sitz in Dresden haben
und vom Rate der Stadt Dresden verwaltet werden. Bei der Verwaltung soll
der Rat von einer Kommission unterstützt werden, die aus drei vom Vorstande
des sächsischen Gemeindetages aus seiner Mitte gewählten Mitgliedern besteht,
Schließlich wurde auf dem obigen Gemeindetage noch dringend empfohlen,
zur Vermeidung weitern Anschwellens der Schulden mehr, als dies bisher ge-
schehen, Rücklagen zur Deckung außerordentlicher Bedürfnisse zu bilden.
123
Tabelle nach Vordruck la—b.
Name der
Tabellen.
Übersicht über die Vermögensanlage der Städte.
281810
Kreishaupt- a) in Unternehmungen und Anstalten, und zwar in
mannschaft Elektrizitäts- _| sonstigen
= insgesamt| Gas- werken | Wasser- ee |! Unter-
; werken (elektrische | werken Bädern. nehmungen
f der Stadt | Str.-Bahnen) | | u. Anstalten |
a 1 SS Dt KS: Sé. INS a Sé SS DS
Bautzen 43 701 1 366 2251 | 3108 | 839 1 295
| | 8854
Chemnitz | 136597 | 10280 | 4936 17392 | 4922 4140
| 41670
Dresden 322135 | 13861 | 58662 | 21093 | 18280 8 084
119980
Leipzig 295 426 | 20008 8 357 16 489 4 958 22 794
| 72606 |
Zwickau 128 328 9 854 4866 | 14657 3626 | 697
| 38 700 |
Landessumme || 926 187 | 55369 79072 | 72734 | 32625 42 010
Bautzen | 12454 306 559 1025 85 39
: | | | 2014
Chemnits | 73260 | 6014 3 598 11343 3656 1565
2616
Dresden | 258805 | 10610 | 56574 | 15832 | 16169 7 204
| 10 5879
| Leipzig 233 080 | 16457 6 550 10 324 | 4012 21617
| d | 58 960 |
Zwickau 31123 | 1544 = | 2063 | 1284 1 586
| 6477
Plauen 43184 | 4101| 3036 | 5 785 | 1 635
Pe 29 q a d Pe) Gs 1 47221 CH
b) in Grundbesitz, und zwar in
land wirt- sonstigen
schaflich be- Bebe Grund-
nutzten 'stücken und
a KK Zei) Gebäuden
WEST GE D DER RE a Re
` 883 | 7 081 9519
| 17 483
600 6 195 34 855
| 41650
5067 | 149 86 327
| 92889
5 791 2169 104 814
112774 |
3 598 5 696 40 622
0 49 916
15 939 22 636 276 137
314712 |
_ | 1987 | 2 395
| 4382
150 | 1766 25 437
| 26 353 |
. 2638 — | 70801
72939
3 998 | 1369 | 82731
88098 |
2 360 | 66 14082
16 508
855 | 1 612 12 449
| 14916
= Von dem Vermögensbestande der politischen Gemeinde waren angelegt (Ende 1906 in 1000 M.)
Summe
Sp. 3—10
11
26 337
83 320
212 869
185 380
88 616
596 522
6 396
52 529
178 818
147 058
22 985
32 037
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124
Tabelle nach Vordruck 4, Sp. 2 u. 9 (Politische Gem., Ortsarmenverb. u.
Tilgungsdauer der Ende 1906 bestehen-
Name der i Von den Ende 1906 noch bestehenden tilgbaren Anleihen und Dar- =
nl a Be wird die Tilgung beendet sein bei nach-
| An- von An- T 1907— | An-' 1911— |An-! 1916— |An-' 1921—
bzw. der Stadt zahi (1000 M.) [zahl 1910 ‘zahl 1915 |zahl 1920 'zahl' 1935 |
Bautzen 78 18658,9| 3: 3099| 2: 45 S 119 : 3| 2104
Chemnitz 262: 79860,5 | 19 | 23 | 6510,9 9917,0, 17 | 1859,0
Dresden 395| 214911,4| 9 212,1, 24 12646,3 Se 4688.4 24 | 29293.3 '
‚Leipzig 281. 161250,5| 5 | 264,0) 17 | 2121,7 15: 678,5 15 | 685,0 |
Zwickau 273: 83232,6| 7 | 688,7 17 | 2820,5 20° 28768 | 14| 688,3
Landessumme 1289; 557913,9| 43 |1722,2' 83 24043,4 101 | 18278,7 | 73 | 34629,6
| Bantzen | 11! 5154 240 |—| — | 1 100 | 8 A Se
' Chemnitz 11. 49761,5 — 2 | 6017 | 8: 8570
Dresden 136 179738,6 — 511272 15 2710,4 9 | 27710,5
| Leipzig 33| 125362,7 — 2|1263,5| 5 2' 291,8
Zwickau 28; 14539,8 Eier 1” 8 | — me
i Plauen 11, 34232 ` — : 4 2232 2 2000 Ti —
Tabelle nach Vordruck 4, Sp. 5u.9 Aufwand für Verzinsung und
| Name der | Die Verzinsung und Tilgung der Ende 1906 bestehenden tilgbaren
Kr.-haupt- der Schulgemeinde erfordert einen
í nsch. '
GC, cl 1906 (sl 1910 Al 1916 Zi 1920 (SI 1926
824721, 69| 726000
Bautzen 78 847426 75) 831231) 75! 72
‘Chemnitz! 262 3504333. 245, 8492790, 221| 8113729] 196 2592363 2535449!
H
831231
180
‘Dresden | 395 8751045| 391) 8738338| 368| 8059138) 334 7982627; 310) 7062210
Leipzig | 281| 7225076 278| 7220677! 263| 7090439| 250, 7052721) 231) 7002855
Zwickau | 278! 3360138 266| 8308827 256| 3170293 283, 3040371) 219| 2989671.
'Landess. |1289 23688018 1255 28586863 1188,22264825|1085,21442803|1009,20265185
Bautzen | 11, 280879 10; 221362] 10, 221862) 9) 220562) 6 120381
Chemnitz, 11) 2084753 11| 2084758, 9| 1750655! 6 1302146| 6! 1300168:
| Dresden | 136) 7119140, 136| 7119140! 182| 6607379| 119 6474778| 111| 5684665
Leipzig 33) 5642012 33| 5542012) 31| 5491342 28| 5480346| 25| 6459248
Zwickau 28 576374 28) 575374 28) 575374 27: 574156) 27 574156)
Plauen | 11 1161065 11 1161565! 9 1055145 56) 974224 č 5 914224 =
Tabelle nach Vordruck 4, Sp. 6. Gesamtbetrag und
=
mn
. G tbetr Der Gesamtbetrag der ier Schulden am Schlusse ;
| psa d. Kreis-| ee Schuldes | durch Ratenzah- {durch Rückzahlung |
auptmann- | untilgbaren 'lungenod.Tilgungs- | des Kapitals zu |
| schaft bzw. | &m Schlusse quoten zu zahlenden tilgenden
Be der Stadt a 1 des Jahres 1906 Schulden
M. M. M.
1 644 361 3418 | 1644361 |
Bauten | 17070972 59 144 15 348 418 5
Chemnitz | 76 002 898 15 178 63 304 574 12 682 876
Dresden | 176 996 088 24 192 172 229 603 4 740 207
‘Leipzig 154 208 694 566 881 150 890 665 2741 410
Zwickau 67 512 415 = 66 000 497 1 296 945
Landessumme || 491 786 067 665 395 467 773 757 28 105 799
— 36 875 322
— 142 208 563 3 718 099
Bautzen 1308 287 3 885 264 388 861
Chemnitz 36 875 822 `
Dresden 145 921 662
' Leipzig 121 425 761 609 360 118 666 222 2 250 189
Zwickau 11 017 917 Se 10 321 601 576 816
Plauen 25 288 628 25 288 628 Ce
125
Schulgem.).
den tilgbaren Anleihen und Darlehen.
lehen der politischen Gemeinde, des Ortsarmenverbandes und der Schulgemeinde |
stehenden Beträgen (in 1000 M.) in den Jahren
An-| 1926— |An-| 1931— | An- | 1936— | An-! 1941— |An-! 1946— |An-! nach
zahl 1930 za EA ` Lad zahl 1940 zahl 1945. zahl! 1950 _ zahl 1950 ` i
7 2259,6 12, 1115 | 8, 18350,7 2288,6 | 14, 7423,1! 10 1644
| 4450,5 | 34| 32174,1 22: 4461,8
| 34 13373,7 | 25 2181,3' 26| 4679,7
| 43 29690! 53 7559,8) 49 | 15981,5 40367,3 ; 26| 54813,9| 73 46490,8!
1064 351 6561,6 34 5841,1 17511,5 | 39' 40530,9 42 70039,9
| 23 | 3630,7 | 36, 7860,4: 43: 8896,3 ` Së 16785.0 | 33 | 28326,5. 40 10665,4
=
144 39239,3 161 25278, 1 160 . 36749,3 |191 | 81402,9 |146 163268,5 187 133301,9
2 325 . 1, 450 ; 2| 935 A — ' 14) 1000 — =
8110107,5 | 1} 30 |— Ss 1! 25000 | —| — |
15, 1106 | 20| 1825,4, 17 1864 25 | 3 33397,5 | 6 50790 | 25' 43062,8
5'13518,5; 5| 851,6 d 43,7 | 2) 12047 5 34037,9 5) 62864,2.
2, 108,9; 2, 1706,5' 3! 11196 | idl 4| 6774,9; 16, 5821,9
1/ 2000 | 1/2000 ' 1. 1000 | 1/10000 | 1! 15000 =
Anleihen und Darlehen der politischen Gemeinde, des Ortsarmenverbandes opd
Aufwand (in Mark) in den Jahren
An- l An- | An-
n: 1930 1935 | zahl 1940 i
zahl `
An- | 1945 Am | 1950
| zahl zahl
64| 696257 | 61 684756 | 44, 505382 | 27° En 4 143777
150, 1883218 |120| 1757000 | 99; 1577671 | 65! 1385580 | 31| 1066613
|270 6021084 |216 6723851 | 168| 4932476 108! 3074266 | 77, 1534102
203| 6273357 |164! 5947295 |130, 5703390 | 96; 4865829 | 54) 3958174
‚200 | 2763973 |156; 2310325 o 2066899 | 86| 1395423 | 46| 712958 |
| 887 | 17637889 | 707 | 16323227 . 566 | 14785818 | 382 | 11124289 | 224! 7415624
4| 103644] 4 103644) 1, 87500] 1) 87500; —; —
3| 822241 2 819035 | 1: 8190356 | 1f 8190385 T 819035
98| 4755366 | 74' 4647739 be 4280606 | 32| 2750126 | 25| 1882420 |
20' 4850841 | 16| 4824953 Kä 4809176 | 10} 4190076 | 8] 3532900
25| 669120 | 23| 508154 20 456867 | 20| 456867 | 20 456867 |
4| 819204 | 3| 719103| 2| 668983] 1) 293988) —| — |
Arten der Schulden.
d.J.1906 bestand in
Die Schulden verteilen sich auf
sonstigen die den Orts-
politische Gemeinde u Schulgemeine
TEEN. RER M.
19 049 15 525 329 — 1 545 645643
270 78 228 733 36 317 2 737 848
2 086 169 050 638 8 656 7941 794
4 738 150 887 298 81 782 3 234 614
61 864 712 | 47 214 6 100 489
470 056 710 168 969 21 560 388
8 907 016 398 271
u |
86 875 322 — |
— 141 083 578 — 4 838 084
— 121 425 761 — —
120 000 8 894 812 — 2 123 105
25 238 628
126
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8 -I UINDNIPIOA Vuen of[IqQuy,
127
Tabelle nach Vordruck 5.
Die Vermögens- und Rechnungsübersichten der politischen Gemeinden.
1. Ordentliche Einnahmen und Ausgaben.
|
|
EEN | | Betriebsüberschuß | = Unter den |
| 2 z E | | (bilanzmäßig) | Fehl- | Einn. | Ausg. ,
| = S = | Ein- | Aus- | der a a ' betrag ' sind Beträge, die '
D 1 - hd ı NM x
= EEN nahmen , gaben | über- jenn’ E (bilanz-. et eee ee
on. d | haupt | Zwecke mäßig) nochmals verrechnet
a a S ! | | poe i ' werden, in Höhe von
Zad | vM M. | M. M "MM M
GJ 2 | 3 ' 4a Fb ' 5 | 6 : 7
a) Unternehmungen und Anstalten.
1. Sparkasse.
7 |
ı Bautzen | 17650782 18176953 892369 656 375 — 1039 84661 |
(16 132318) © (15154353)
| (62667466) (59022745)
Leipzig || 40194359 40209954, 2322618 | 1536794 |
(59624220) (58636690)
Zwickau || 29011596) 32416562 2029480 | 1219904
(49334511) | (44 245 366) |
Landess. |193 524406 200836289 9381304 |, 6029661
(222 325724) (208 020 945)
Bautzen ` 5292566! 4912008 180073 | 160460 | — 2 4863
— | 65681 | 437981 |
|
Chemnitz | 34700 421 36660327 1527702 | 1010486 — — 220 883.
(34 567 109) | (30961791) | |
Dresden 71967248 78372493 2609140 106 102 | 174 79281 | 573901:
t
819711)
174 ! |
(2771588)| (3065732)
| Chemnitz | 13256275) 14063363] 822740 | 296420
(9 560 814) (8.557 188)
Dresden || 42696717| 44693874| 1089875 | 644938
(34091999) (31 939 582)
Leipzig 3830191| 86535199! 258326 | 224828
(21592769) | (23794480)
Zwickau || 29275211 3332238 256151 | 190955
87561 | 123269
|
24077 | 72701
i (5 022 237) (4.792 949)
| Plauen 4947994) 5628390 357900 | 227150
(10 247 946) (9473660)
2. Straßenbahnen. |
Bautzen 1 184 980 184140 — — 18 387 — 85095
| Chemnitz 114284 Ss = 114231 | — | = S
i Dresden | 9107877) 8789586, 6913828 327489 | 22636 26392 4291196
Leipzig | 3537956 800390; 67169 | 59384| — 27577| 10854
Zwickau | _ ar = | = Gg = =
| Landess. | 9760883| 9274116; 758487 | 501054 | 40973 53969 |4 3887 145 |
Bautzen || — | — Sg dr ës == — — |
Chemnitz | 114231, — — 114231 — — — |
Dresden | 9074610! 8747171] 6913828 327 439 — 26 892 4281468
Leipzig | — _ — — — — — |
Zwickau | — — —
|
Plauen
8. Elektrizitätswerk.
H
Bautzen 840981 334870! 55352 446 1671 76484 | 70808
Chemnitz | 1489045! 1199687| 888359 | 232581 8005 18669, 80073
Dresden 3984672| 2525354! 2042060 | 1416219 — 1812364 | 828954
| Leipzig 1 650375, 1289848) 752203 | 365283 | 18690; 123885 | 361366;
| Zwickau 1340 258 920706' 435472 413864 793; 11901) 67459
[Landess. | 8745881! 6270460 3623446 | 2055893 | 19159 2043253 '1 398660
Bei den Sparkassen bedeuten die Kursivzahlen die in den Einnahmen bzw. Ausgaben nicht
mit enthaltenen Kinzahlungen bzw. Rückzahlungen.
128
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
EE Betriebsüberschuß in den
d aS (bilanzmäßig) Einn. | Ausg.
Se ga Ein- Aus- | en 1 sind Beträge, die |
Ei EES nahmen | gaben über- "sonstige (bilanz- e nn Sech
g Ee haupt | Zwecke nochmals verrechnet
aan | verwendbar werden, in Höhe von
i Ze M. M. M. | M. i M. | M.
e
Bautzen | 69522) 71193 — | — 1671| 3593 | 31280
Chemnitz | 1071474, 840758 307620 _ 230716 — 9 192
Dresden 8606642) 2238881 1956732 | 1368261 — (1765 5406 741276
Leipzig 1295566: ° 944458, 711899 | 351108 — 65104 | 282852
Zwickau | — | — — — — — —
Plauen | 766163) 361146) 405018 80000: — 11901 7600:
4. Gaswerke.
| Bautzen | 1104842 812474 311887 239641 | — 164784 47306
Chemnitz | 4901758 | 8264950 1088438 1140089 6474 B3803 | 210730
Dresden | 9643181 | 6678128 | 3681261 | 2953783 | 816289! 263091
Leipzig | 6615516 | 5066746 | 2170195 | 1465616 | — | 302060. oe.
Zwickau | 4800316 | 3762049 | 1270625 | 800685 | — | 220783 280706
Landess. 27065613 |19614347 |9067392 | 6699764 | 5474 1537719 1791866
> el
Plauen
Bautzen
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Zwickau
| Landess.
I
| Bautzen
‘Chemnitz
| Leipzig
| Zwickau
Dresden |
892132
46 797
46 768
22 820
81763
55718
253 866
11240
20792
Plauen
815153
56 287
82195
28079
112622
62475
341658
15 272
27037
|
|
76 979
6. Bäder.
6485 4879.
1386 1886
3285 | 2890
351 189
651 | 184
12058 | 9478
Bautzen || 335925 | 238790 | 100594 69760 | — 89709 | 20783
Chemnitz 8184139 | 1875590 | 1192738 | 886000 | — 1500| 27788
Dresden | 7524124 | 4918214 | 3166100 /2605910 | — | 670064) 143063
Leipzig | 4924766 | 3571428 ' 1898861 '1353338 | — | 280805! 875697
Zwickau | 744519 ` 462475 | 292044 2419171 — | 60997
Plauen | 1731807 _ 1347296 | 501958 | 200000 | — | 121340] 4000! 121340 | 4000
5. Fe Ware 0°. 0°. o oo
Bautzen || 341306 | 253168 | 92128 | 70616 7298| 18670] 129960:
Chemnitz | 1089899 | 1381298 | 64914 Ä 34489 361776 | 68852 | 707005.
Dresden | 2467895 | 1582778 | 1069205 | 32080 | 6864 | 278193 | 743055:
Leipzig | 2896802 | 2406664 ‚1059135 | 415575 | 27194 | 250811 11024912
Zwickau | 1261053 | 1161342 | 147906 | 26645 | 76195 | 52294 | 396982
Landess. || 8066455 | 6744240 | 2433288 | 579406 et 668 720 |3 001 904 |
Bautzen | 104295 A 21512 Ge = 18273| 63333
Chemnitz | 642738 | 893291 — |850558| 655850! 473784
Dresden | 1822226 | 1053219 | 978 658 = — | 247032 | 587712
Leipzig | 2216981 | 1834562 | 995877 | 382379 | — | 219719 | 771106:
Zwickau | 250391 | 288593 | 11798 SS SN Si
ec
11652 4400|
15638
36815
9351
31210
7273
'100 282
4081
6245
129
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
E P 2 ` Betriebsüberschuß Unter den
de S 3 | (bilanzmiBig) Einn. | Ausg.
: e g A Ein- der a Ge betrag sind Beträge, die
o e- od. .
36g | nahmen über- enges | (bilanz- Woi DE Kasson)
| 5 u haupt | Zwecke mäßig) nochmals verrechnet i
= 3 S | verwendbar werden, in Höhe von
2454 ) M l M. | M M | M. | M.
E | 2 3 {| 4a 4b | 5 | 6 ; 7
| 7. Vieh- und Schlachthof.
Bautzen 93 026 90 380 2646 — | — | — 42 808
‘Chemnitz 113429 138 082 — — 24653 2530 51104
| Dresden 58 053 58 851 — — 798 1103 20 532
Leipzig 1472816 | 1476499 | 266174 1216 6399 4500 | 499142
Zwickau 717856 602901 | 117345 — 3390 2319 | 116843
i
ee e EE EE e R a a
|
i Landess. || 2454680 | 2366713 | 386165 1216 , 34240 | 10452 ma
Bautzen | — — — — | — — —
Chemnitz | — | — — — | — — —~
Dresden — — — _ — — —
‘Leipzig || 1368601 | 1868601 ' 264958 | — = — — | 444827
Zwickau | 273429 240223 | 33206 ee eg Es 70197
| Plauen | 831310 | 252144 | 79166 | = | em — 2000
8. Marstall.
Bautzen 11749 11070 897 897 — 11182 198
'Chemnitz | 72065 55883 | 16182 | 16182 = 69676 — |
Dresden 206135 | 174959 | 47301 | 31176 — (149912 | 19984
Leipzig 208 96 112 112 = 60 =
Zwickau — — = = ae mes is
' Landess. 290157 212008 64492 48 367 230 780 20782 |
ı Bautzen | = -m = | —
Chemnitz 72065 65883 16182 16182
69676 | —
143 096 16 769 |
Dresden 199319 168 189 47255 81130 —
Leipzig — — —
‚Zwickau — == a | =e =
, Plauen as = — ; — = |
9
. Beerdigungsanstalt.
|
|
|
|
Bautzen 10789 10074 715 — — _ | —
Chemnitz — = — = =a = =
Dresden — = — — — ==
Leipzig S SR 2z a -e =%
Zwickau — Sc — = = Ber
Ee nenn
' Landess. 10789 10074 715 = z= een
|Bautzen | 10789 | 10074 715 | — | — =
‚Chemnitz — | o=- | — —
| Dresden siehe unter Marstall!
‚Leipzig — |
Zwickau —
‚Plauen | =
SERA ENEE
SE
Liebers: Die Finanzen 9
130
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
|
Betriebsüberschuß
(bilanzmäßig)
über-
Name der Kreis-
= | hauptmannsch.
bzw. der Stadt
sonstige (bei anderen Kassen
haupt Zwecke nochmals verrechnet
verwendbar werden, in Höhe von
M. M. M. M. | M.
2 3 4a 4b | 5 6 7
10. Leihanstalt
.
w
DN = E
Bautzen 4096 | 611 118 118 — — —
Chemnitz! 65310 | 64009 | 1301 650 | = = 8 000
Dresden | 168036 | 144569 | 18465 | 12205 | — — | 78402
Leipzig || 122418 | 127812 — — | 589! — | 38299
Zwickau — — — — — — —
Landess. | 864 864 | 337001 12973 | 689 — 119701
65310 | 64009 | 1801 650 | = _ 8 000
Dresden | 163085 | 144569 | 18465 | 12208 | — — | 78402
Leipzig | 122418 | 127812 SS Gs 5899| — | 88299
Zwickau = — Sg == — _— —
11. Markthallen.
Bautzen — == — ns sm = u 2
Chemnitz | 69 126 62 814 6 811 6 811 er er 38 300 |
Dresden || 855417 | 1943857 | 161060 | 161 060 = 6374 | 81256 |
wu — 1190 602
Zwickau ar = 2 == Se = ee, 2
Landess. | 772 152 604 432 | 248548 | 167719
|
H
Ä
— 6874 |310 058 |
Leipzig 847 609 347 261 81172 BAS
Bautzen | — — — — —
Chemnitz) 69126 62 814 6 811 6 3811 — — 88 800
Dresden 355 417 194 857 161 060 161 060 — 6 874 81 256
Leipzig 347 609 847 261 81172 ioe — , 190 502 |
Zwickau — — — —
|
Plauen — — — | | — |
12. Abdeckerei (Fleischzersetzungsanstalt).
Bautzen — | — — S
Chemnitz 87140 : 42749 167 167
Dresden — — — —
i Leipzig — | — — —
Zwickau | 17098 11020 | 6078 =
Landess. 542388 — 53769 6 245 167 5776 | 8200 19 060 |
ao
WER
&
LILI
pà
©
©
&
©
Bautzen — — | — |
Chemnitz || 86 920 42696 | — |! — 1577 — 19 060 |
| Dresden s. unter f bb/3
Leipzig — —
Zwickau —
Plauen 17 098
SE EK
= | as
11 020 | 6 078
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
Name der Kreis-
bzw. der Stadt |
m | hauptmannsch. |
1 Bautzen
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Ä Zwickau
, Landess.
| Bautzen
| Chemnitz
Chemnitz
Dresden
| Leipzig
Zwickau
Landess.
Bautzen
| Chemnitz
Leipzig
| Zwickau
| Plauen
Dresden
Leipzig
Zwickau
| Landess.
| Bautzen
| Dresden
j Leipzig
| Zwickau
| Chemnitz
|
|
Ein-
nahmen
M.
2
66 724
648 065
1 949 029
1 967 570
373 204
4 989 592
478 993
1 703 099
1 781 121
98 497 |
167 820 |
Aus-
gaben
M.
| Betriebsüberschuß
(bilanzmäßig)
der für Ge-
über- meinde- od.
haupt
M
Zwecke
verwendbar
M.
13. Krankenhäuser.
76 476
982 070
2 296 549
2 714 481
525 286
6 694 812
789 088
1 968 538
2 491 587
120 443
258 088
28 246
85 524
10 050
165 106
35 178
269 104
4 592
24 512
161 547
8 484
z= i =
95
7 381
2 986
626
526
|
14. Theater.
25 974 |
6 670
7166
38 482
218 667
2 500
278 465
4 300
6 493
30 158
218 145
724
131
| Unter den
Fehl-
betrag
(bilanz-
mäßig)
M.
889 121
364 850
169 846
161 768
1 615 327
|
310 095;
' 267 144!
710 466;
26 946)
90 718,
9 131
14 288
29 123
8 807
111 202
30 158
198 078
581
20 814
108 712
8 484
20 954
2 825
7 156
87 236
189 522
1 506
287 745,
6 493
29 175
189 025
698
Einn. | Ausg.
sind Beträge, die
auf anderen Konten
ei anderen Kassen)
nochmals verrechnet
werden, in Höhe von
M : M
3 | | Cs | ei:
6 063! 10 153
214 479, 16 219
53 365 164 058
822 512 472 657
54 e 22 607
1151 846 685 689
201 884
— 116 939
798 229| 457 413
4 498
44 713
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
—
248
SEAN
$a e m 1n-
38% || nahmen
os.
S ob
gan
zn M.
an a ee
|
Bautzen 8 808
Chemnitz 3 442
Dresden 8 159
Leipzig 807
Zwickau 3 259
Landess. 18 975
Bautzen | —
| Chemnitz =
Dresden |
Leipzig | == |
Zwickau | —
Plauen 443
Betriebsüberschuß
(bilanzmäßig)
Aus- der für Ge-
gaben über- a
haupt Zwecke
verwendbar
M. M. M.
3 i 4a | 4b
16. Bibliotheken
9 458 11 —
19 372 208 —
4 754 308 —
19 404 58 277
11 887 | 177 —
64825 | 762 277
483 | = | =
12 605 = E
s. unter a15
18 886 — —
5 622 — —
2 887 — —
17. Bergwerke
(nicht vorhanden).
Fehl-
betrag
(bilanz-
mäßig)
M.
6
6 161
16 137
1 965
18 984
8 758
52 005
488
12 605
18 386
5 622
2 444 |
Unter den |
Einn. | Ausg. |
sind Beträge, die |
auf anderen Konten
(bei anderen Kassen)
nochmals verrechnet |
werden, in Höhe von |
M.
6
|
M.
7
Bautzen 9 952
Chemnitz | 144 064
Dresden 6 508
Leipzig | 122 201
Zwickau 10 190
Landess. || 292 905 Pon AHA MOG j 200 090: || 99287 |, 38,667” |
Bautzen =
Chemnitz! 124 879
Dresden 6 328
Leipzig 94 977
Zwickau =
| Plauen =
18. Steinbrüche.
10 915 1109 | 1 655
131 679 12 873 12 373
241 6 316 6 316
105 120 16 969 15 613
7125 2 465 710
255 680 39 232 36 667
122 147 2 731 2 731
12 6 316 6 816
84 309 10 668 10 668
Bautzen
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Zwickau
| Landess.
19. Fabriken (welcher Art).
83 051
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
§ .
25
DO 8
SE
e Ein-
‚80 nahmen
ı © 9 -
Bak
ann
2 M.
|
' Bautzen
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Zwickau
: Landess.
|
| Bautzen 2254
| Chemnitz 2 603
Dresden | =
Leipzig 12 802
Zwickau —
Landess. | 17659
Bautzen || 29183
Chemnitz! 386 089
Dresden | 2459 444
Leipzig 603 492
Zwickau 72 583
Landess. | 3 550 791
Bautzen 1 500
Chemnitz | 169 849
Dresden ||2 017 281
Leipzig 594 697
i Zwickau —
Plauen —
Bautzen |! 19988632
Chemnitz:
Dresden
Leipzig
Zwickau || 37669245
Landess. | 260410201
Betriebsüberschuß | 7 Unter den
(bilanzmäßig) Fehl- Einn. | Ausg.
Aus- ‚ der Wee Ge betrag sind Beträge, die
d ee 2 melnde- o H a auf and K t
gaben | über. VT | (bilanz-: auf goderen E
aup Zwecke ma ig) nochmals verrechnet
verwendbar werden, in Höhe von
M. M. | M. M. M. | M.
| 3 An | 4b | 6 | 6 | 7
20. Ziegeleien.
446 — | — | 296 | 4875
1 500 1 500 AN | u Es
= = Ps zu Zb. e
— 1 465 = | == =
18 643 1946 2 965 — | 296 4875
21. Grubenräumung.
| 9 586 | 615 | 615 7947 | — | 280
2213 390 |, 90 — | =x _
SE = = Er OD EE
11541 | 1986 | me = 201 | 59
t |
|
| 23340 | 2991 | 705 | 7947 | 201 872
22. Sonstige.
i 26 743 | 3 598 3352 ' 1211; ET 1 11256
216150 169939 | 120 901 Ba | = | 28 868
2253274 204746 | 121 554 | 6158! 6867| 27604
| 801 196 Ä 92 489 1838 2901931146106 111 764
| 72614 | 6 269 D 293 | 6 299 | 125 © 5 280
| 3369977 477041 | 252 938 | 303 861 158 638 Ä 184 772
| 830., 669 669 — = =
45443 | 124406 | 95099) — — 2 922
1 855 878 | 161 353 78 862 = Ss 4720
794 239 90 651 — 290 193 | 146 106: 111 764
SÉ — | GE a as: i E
Zusammen a.
' 20189480 1368387 978594 84618 286598} 512404
Bautzen || 5834159
| Dresden
‚Leipzig
, Zeickau
| Plauen
4 340 876
| 39612111 a 2094 735
‚267 641800426 534 514
D
5339678! 308574| 220889.
593 199!
4455735 |
432172:
133
43836205 44316512 8774261! 2691436 829036 408320] 1395699
102397 462) 98152504 10541796 6670774 4483483231995) 7102699
56518657: 55377397) 6833602 3864236 14527781835544 4216889
286094! 363946 1205916
6 766
Chemnitz! 19210484 18925729) 1974029) 1598339. 712586) 329071
69169731: 66012560| 8268847| 5186121) 2963192867105 6174981
16732423 15599248) 4312412! 2322664 13503091575491; 3323585
47190
ı 8361544 8206004 1427099 457150 = 115817) 192806 33486
16299 775 3 1009146 126 40314 433 607
116 260
56 525
590699
198 587
134
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
Name derKreis-
= | hauptmannsch.
bzw. der Stadt |
Bautzen
Chemnitz
Dresden
| Leipzig
; Zwickau
Landess.
| Bautzen
Chemnitz
Dresden
Leipzig
| Zwickau
Bautzen
Chemnitz
Dresden
| Leipzig
| Zwickau
| Landess.
Bautzen
Chemnitz
| Dresden
Leipzig
' Zwickau
| Plauen
| Bautzen
Chemnitz
Dresden
| Leipzig
| Zwickau
L Landess.
Bautzen
| Chemnitz
Dresden
Leipzig
| Zwickau
' Plauen
Lee?
Ein- Über- Fehl-
nahmen gaben schuß betrag
|
M. | M. | M. M.
2 3 4 |
b) Grundbesitz.
861965 | 476219 447733 61 987
1205158 | 694388: 701407 | 190637
2156939 | 926803 ` 1321 163 91 027
2496124 1718095 1348138 | 570104
909546. 684004 | 345691 | 160 149
7 629 732 | 4.499 509 4204 127 | 1078 904 |
187 369 | 86102 ' 111870 | 10603
673270 ı 354365 849101 | 130196
1 306 668 | 302190 1004478 —
1619207 | 1148859 964991 | 494643
102861 | 120897: — 18 036
| Plauen 816925 | 244661 | 120104 | 47840 | 175642 15
ec) Kapitallen.
62 207 4 489 57 718 —
417 734 | 20 186 | 401 548 4000 |
449 818 | 34925 , 427 686 12 793
1177 869 177 420 | 1000 449 —
547 422 7 318 540 104 —
2 655 050 244 838 | 2 427 506 16 793
11 239 2 484 8 755 —
293 388 | 10714 282 674 —
152 309 | — 152 309 _
989 458 125 964 | 863 494 —
288 704 | — 288 704 —
— 50 859 —
50 859 |
Unter den
Einnahmen Ausgaben |
| sind Beträge, die auf
anderen Konten (bei ande-
ren Kassen) nochmals ver- |
rechnet werden, inHöhe von |
M. i M.
6 | 7
82562 ' 48270
435506 105912 |
704618 | 232368 |
262 663 | 371 479 |
262 021 | 78027
1 747 260 | 836 046
30 621 14 741
330410 | 48011
607435 | 20165
178 552 | 118 922
| 3183 | —
1444 863
| 185508 3240 ,
| 16491 364
18556 4119
| 224182 | 8 586
| =
d) Verzinsung und Tilgung der Schulden.
aa) Verzinsung.
|
265 462 658318; — | 292856 | 254455 | 18 064 ;
1250431 | 2219 670 5407 974646 | 878748 186 |
2668 518 | 5 794 895 — | 3125877 | 2603 721 | 137634
2623490 | 5135780! 17228 | 2529513 | 2557876 | 67036
1 306 654 | 2 210 834 6746 | 910926 | 1228 225 | 208 854
8114555 |15 918 997 | 29376 29876 | 7 7 883 818 | 7522526 | 421624 |
79129 | 145 399 = | 66 270 | 70 260 D
679 119 | 1 307 749 628 630 | 402694! —
2 271239 | 4 766 864 = 2495 615 | 2 268 480 1 500
1 957 692 | 4 112 528 2154 836 | 1932 953 | 37444
194 641 | 316 887 | 122 246 | 176381 | 176 381
476 284 | 870185 = 393 901 | 476 284 =
135
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
Unter den
, ‚a J =
| © e H
| ve SÉ Ei Einnahmen Ausgaben
ba S H Weck sind Beträge, die auf
Sé 8 © nahmen anderen Konten (bei ande-
CH SE ren Kassen) nochmals ver-
= S be rechnet werden, inHohe von
a N
aaa M. M. | M.
bb) Tilgung.
108 947 262 223
153 276 108 947 —
| Bautzen " 136204 | 270536 = 134 332 | 135953 | 16899
' Chemnitz! 823993 | 1296 848 8 898 | 481758 | geg 920 =
Dresden | 1142165 | 2513 405 61109 | 1422349 | 1082790 | 96072
Leipzig | 884995 | 1318 046 6886 | 438937 | 729343 | 12789
| Zwickau | 345693 | 834 168 = 488 475 | 344092 | 56695
| Landess. Ä 8 333 050 | 6 233 008 65 893 | 2965 846 | 2959098 | 182455
Bautzen 36 216 15 295 = | 39 079 | 86 215 SS
‘Chemnitz 614795 | 893217 = 278 422 | 488 893 u
‘Dresden || 744 258 | 1845 658 — 11101400 | 743017 | 23846
Leipzig 642 551 | 884598 = 192 047 | 618164 Ss
| Zwickau - 24 278 46 083 46 033
|
46 033 70 311 | —
Plauen
Zusammen d.
' Bautzen 401 666| 828 854 | — 427 188
Chemnitz || 20744241 3516 618 14 305 | 1456 399
Dresden 3 810683! 8 307 800 51109 | 4548 226
390 408! 29963
1 545 668 | 136
3 686 511! 238 606
Leipzig 3508485 6455 Tu1 23109 | 2970325! 3286719 79825
‚Zwickau || 1652847 8045 002 6746 | 1399401 | 1572317) 260549
Landess. || 11 447 605 | 22 153 875 95 269 | 10 801 539 | 10 481 623 | 604 079
|
PE E E S EA,
Bautzen 115 345! 220694 — 105349! 106475) —
Chemnitz | 1293914: 2200966 — 907052] 891 ber
Dresden || 8015497; 6612512 — 8597 0156| 3011497; 24845
‚Leipzig || 2600243 4947126, — 2816 888 | 2451117| 37444
i Zwickau | 240674 387198, — 146524| 222414| 222414
' Plauen 685 231 1132 408 | = | 647177, 885231) —
| e) Allgemeiner Verwaltungsaufwand.
Bautzen 271810] 708377: 132287 ı 668884 82 314| 15528
Chemnitz | 986058; 2708041; 213499 1935482! 261426| 48 287
Dresden || 8811616 | 5407942! 2571 765 . 4668091: 1729862 | 292 900
Leipzig | 2419462 | 5044640 1321334 3946512; 511317| 253 286
Zwickau || 1330093| 2311159 837816 1818882; 294390) 68272 |
| Landess. || 8 319 039 | 16 180 159 | 6076701 12937821, 2879309 | 678273 |
Bautzen 57989! 199782| 39820 | 181613| 5757| 2768
'Chemnitz|| 616997) 1608771] — 1092 774| 71424, 36 330
Dresden || 2531016! 4021117| 2206421 | 3696 522 | 1459 346 227 600
Leipzig || 1498850! 3433735! 942957 | 2877842, 296218 73506
Zwickau 88663, 350388: — | 261725; 14651 —
Plauen 649536) 699773| 579138 | 629376; 52352, 4943 |
136
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
| Unter den
Einnahmen | Ausgaben
sind Betrige, die auf
anderen Konten (bei ande-
ren Kassen) nochmals ver-
rechnet werden, inHöhevon
Über-
schuB
Ein-
nahmen
Fehl-
betrag
Aus-
gaben
bzw. der Stadt
Name der Kreis-
hauptmannsch. !
Bautzen
Chemnitz
! Dresden
4
|
Leipzig
Zwickau
Landess.
! Bautzen |
Chemnitz.
Dresden
| Leipzig
|
}
' Zwickau
' Plauen
15 416 |
145 252
123 949
823 461
41 747
4
M.
M.
f) Polizeiaufwand.
aa) Sicherheitspolizei.
178 439
895 473
, 1 128 071
649 825
2014
129 040
89 441
293 686
22 306
377
Bautzen | 9 908
Chemnitz :
Dresden
Leipzig
Zwickau
| Landess.
' Bautzen
| Chemnitz
Dresden
Bautzen |
Chemnitz '
Dresden
Leipzig
Zwickau
Landess.
Zwickau
‚ Plauen
8 340
559 670
22 035
6 761
601 714
493 401
25 324
148 592
683 619
345 496
48 508
1 251 539
2014 |
129 040
582 842
295 706
22 306
3 784
2 324 831
770 462
5 297 276
53 385
668 023
904 346
2 070 085
199 225
288 406
|
E
11761
122 661
103 832
307 284
39 397
584 935
109: 540
89 110
283 226
22 306
174 784
872 882
1 107 954
2 308 654
168 112
5 232 386
51 371
648 523
904 015
2 059 625
199 225
288 029
bb) Wohlfahrtspolizei.
31 685
12 907
1 101 828
273 323
74 490
1 494 233
1 026 002
286
297
52 588
22 068
9 864
594 746
252 671
67 999
947 243
—
684 028
234 047
45 522
Zusammen f.
210 124
908 380
2 229 899 |
2 598 154
844 952
6 791 509 ©
63 385
668 023
1 930 348 |
2 306 152
199 225
337 335
12 047
122 958
156 420
308 567
39 667
639 659
109 540
140 537
283 226
22 306
196 847
882 746
1 702 700
| 2661 225
836 111
| 6 179 629
51 371
648 523
1 488 043
2 293 672
199 225
333 551
= ae
991
21 380
1 350
8 919
84
27 624
19 500
20 057
M.
1 054
852
3 503
114 572
48 011
167 992
41
88
111 441
2 942
6 420
53 722
182
60 324
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
| Unter den
CEE | |
223 Ä | |
et s + dÉ? Einnahmen: Ausgaben
= Ein- Aus- Über- Fehl-
GER sind Beträge, die auf
7a 8 = nahmen gaben schuß betrag anderen Konten (bei ande- `
© 2, R ren Kassen) nochmals ver-
g 3 CH rechnet werden, inHvhe von |
= N
SE | M M M. M. M. M.
1 | 8 | 4 | b | 6 | 7
g) Gemeinnützige und Wohlfahrtseinrichtungen.
Bautzen 49 054 79 869 | 19 465 | 50 280 19 500 | 17 689
| Chemnitz | 184460 | 507383 , 14146 | 337069 | 19289 6 846
Dresden | 786103 | 2769314 | 99904 | 2083115 | 86857 20 278
Leipzig | 308102 | 842912 | 57449 592259 | 53175 94 944
| Zwickau 67216 | 139 707 9 668 92 159 6 391 15 665
| Landess. | 1 884935 ; 4 339 185 | 200632 | 3154882 | 185212 | 165 422
Bautzen | 5123 | 24 769 — | 19 646 — 12 020
| Chemnitz 149317 | 433 033 — | 283716 300 2 925
| Dresden 618 523 2659 685 ` — | 2 041 162 2 232 14 278
Leipzig 211374 743431 2 310 634 367 | 82 118 91 614
| Zwickau 287 6 949 — 6 662 — —
Plauen — 20730 = 20730| — 450 `
h) Feuerlischwesen.
Bautzen || 25869 | 30313 | 15100 19 544 68 615 |
Chemnitz | 129916 223347 | 45909 139 340 2 853 20 857
Dresden 268876 547834 | 262509 541467 | 11344 69 828
Leipzig 282784 | 705274 | 264070 686 560 5112 34289 |
‚Zwickau || 116067 137871 | 89740 111 544 676 8 688
t
!
d
Landess. 823 512 | 1 644 639 677 328 | 1498455 | 20043 134 177
' Bautzen | 6158 5939, 5618 6.399 58 21
'Chemnitz | 81714 | 178822 = 97 108 z= 17 050
Dresden || 215540 | 496914 | 215 540 496 914 | 9 989 67 400
Leipzig 229169 | 652587 | 214 856 638 274 5 000 31 231
Zwickau 18 956 37 067 — 18 111 — —
| Plauen 23 283 34937 21796 | 33450 = së (3
|
| i) Straßen, Plätze und Brücken (einschl. FuBwege und Beschleusung). |
| Bautzen 166 253 ' 690621 T 738 432 106 30 298 144 684
Chemnitz 353 956 | 2430 727 28 761 2 105 532 7575 97 754 |
‚ Dresden || 1 000 214 | 5 096 713 1608 | 4 098 107 273 191 660 492
Leipzig 1 245 962 | 4292 644 | 243 842 3 290 524 ; 513 420 423 157 |
| Zwickau 614 909 | 2 375 168 15 616 1 775 875 105 069 142 609 |
| Landess. || 3 381 294 14 785 873 | 297565 [11 702 144
929 553 | 1 468 696 |
Bautzen 91 147 | 223 183 918 132954 | 11752 35 279
Chemnitz| 176993 | 1680091 | — 1503008 | 4000 | 67163
Dresden || 834851 | 4292770 | — |83457919 | 236225 | 515442 |
‚Leipzig | 969915 | 3163434 | 282995 | 2426514 | 431778 | 812694 |
Zwickau | 66545 | 373228! — 306683, — —
| Plauen 173047 | 6525| — 672168) — 2.000 |
a ee ya, SC ek
138
Tabelle nach Vordruck 5 ee
Name der Kreis- |
| hauptmannsch
bzw. der Stadt |
Bautzen '
Chemnitz |
Dresden
Leipzig |
Zwickau
Landess.
Bautzen |
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Zwickau
Plauen
Bautzen
Chemnitz
Dresden |
Leipzig |
Zwickau
Landess.
Bautzen
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Zwickau
Plauen |
Bautzen |
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Zwickau
Landess. |
Bautzen |
Chemnitz |
Dresden
Leipzig |
Zwickau
Plauen
Ein- Aus- Über- Fehl-
nahmen gaben schuß betrag
M. M. M. M.
2 | 3s © 4 | 6
k) Höhere und Fachschulen.
190 530 805 288 | 2288 | 117041
438915 | 711180 272 215
1 135 904 | 2052 6865 | 2 994 | 919776
938 373 | 2130 729 | 334 ' 1192690
491916 : 820267 328 351
' 3 195 688 | 6 020 099 Fa 5611 | 2880072
88434 | 137418 a 48 979
221 706 389 012 >= 167 806
778479 16587895 en 159 416
684 363 17349465 en 1 050 582
128 710 164 418 = 40 708
99269 , 268697 = 154 428
D Brunnen, Denkmäler usw.
10 5 681 8 5 679
343 42 769 == 42 426
4 229 8 568 1599 5 938
4 398 51 949 196 47 747
4 014 9 716 = 5 702
12 994 118 688 1 808 107 492
= | 4500 = 4500
149 26 978 ` = 26 829
= | 4039 | = 4 039
os 41 804 = 41 804
Br 599 wë 599
ar 100 a= 100
m) Gemeindesteuern.
aa) Indirekte Abgaben.
140383 | 62287 88 096 =
1 125 548 713 749 411 794 =
|| 3618876 | 15682 | 3603 194 =
| 1188 366 | 220519 | 962847 —
540694 15706 | 525103 115
6608 862 1017948 | 5 491 034 115
103 993 51500 | 62498 =
902 040 685166 216 874 a2
3 804 408 501 3303 907 u
982 315 212907 . 769408 =
92 571 = 92 571 nn
192 587 z2 192 687 z=
i
í
Unter den
Einnahmen | Ausgaben
sind Beträge, die auf
anderen Konten (bei ande- |
ren Kassen) nochmals ver-
8
rechnet werden, inHöhe von |
SE E
M IM |
e | 7
9600 ' 70686
2917 27 798
150 110816
14990 ; 61250
33765 | 106864
61422 876 914
860 26 268
2475 =
= 32 309
290 22 690
25 000 =
Se 60 211
Ges 5
pe 21 788
1 388
800 12 600
1 000 300
1800 86 031
= 21 288
ae 12 600
= 1124
#2 709 128 |
8 633 463 |
1260 | 218782 |
69377 | 14792
79 170 | 944284 |
e 406
Se 685 166
Se 212: 2 907
62 382
139
Tabelle nach Vordruck 5 (Fortsetzung).
23 E | | | Se e Ss ?
Hase i ınnahmen Ausgaben
hd agn Ein- Aus- Uber- Fehl- | g
` e ae sind Beträge, die auf
50 nahmen gaben schuß betrag anderen Konten (bei ande-
© en ren Kassen) nochmals ver-
g 3 S rechnet werden, inHöhe von
GER M. M | M | MM
1 4 | 656 | 6 | 1
bb) Direkte Stearn.
| Bautzen || 673251; 231039: 442 721 509 94 034 | 117 523
| Chemnitzi) 8905 093 | 4554023! 4353 102 2 032 88 824 | 4 374 435
Dresden ; 7063024 | 1186100, 5894109; 17185 226 752 703 308
Leipzig ||17 191 702: 2511 444 | 14 680 357 | 99 566 428 ` 676 204
Zwickau || 6403363, 2612463) 4085011; 194111 | 1357027, 778 844
Landess. '| 40 236 433 . 10 995 069 | 29 455 300 | 218936 | 2288065 | 6545 314
Bautzen | 170482 — 170 482 = = =
‚Chemnitz | 6460050 8040535; 3419515! — = 3 040 536 |
Dresden | 4897910: — 4 897 910 — — — |
Leipzig | 14340709! 1052 457 | 13 288 252 = = =
| Zwickau | 634 651 = 634 651 = eu =
Plauen | 2351000 1123340 | 1227660| — 1123340, —
Zusammen m. |
Bautzen © 818634! 283326 6530817 509 94 034 | 118 647 |
Chemnitz 10030636 5267 772, 4 764 896 2 032 38 824 | 5 083 568 |
Dresden 10581900, 1201782 9397303 17185 235285 | 703771
Leipzig |18875068. 2731963 15 643 204 | 99 567 688 | 794 986
‚Zwickau 6944057 2528169; 4610114, 194226 | 1426 404 | 788 636
'Landess. 46 745 295 12013012 34946 334 | 214051 | 2362 235 | 7489 598
‚Bautzen | 274475 51500, 22295 — — 406
| Chemnitz | 7362090 3725 701 | 3636 389 = oe 3 725 701
| Dresden || 8 202 318 501 | 8201 817 — — =
Leipzig 115323 024 1265 364! 14 057 660 = Se 212 907
‚Zwickau | 727222 — | 127222 = 62 382 =
' Plauen | 25643587 1123340 1420 247 1 123 340 | — |
Ä Sonstiges. |
Bautzen || 2483 17 417 u 14 934 — 7 033 |
Chemnitz 2517 3 361 — 844 2 500 —
Dresden | 59801 26 749 83 052 — 58 379 15 000
' Leipzig — _ — — — —
Zwickau 493 5720 ` 67 5 294 — hb "es
Landess. | 65294 | 53247 | 33119 | 21072 | 60879 22033 |
Zusammenstellung mit Ausschlu8 der Unternehmungen a. |
460 494
Bautzen | 2 870 805| 3540578: 1225196: 1 894 969° 712 938 |
| Chemnitz 116.972 709 | 17 034 002 6307429 7868722) 2339332 5414601
' Dresden : 24 249 702
| 28 611 014, 14 327 112 18688424 6993049 2400 902
Leipzig "31102 123 | 26 749 481 | 20 210 687 | 15 858 045 | 5236423 2240934
| Zwickau || 12716 588 | 12 909063; 6 535229/ 6727694: 3720623, 1521 240
Landess, se 911 927 | 88 844 128 | 48 605 653 | 50 637 854 19 001 365 | 12 038 171
"Bautzen , 839293 1009751 389956 | 560414 1556513| 91544
Chemnitz! 10 797 578 11276476, 4877704! 4866602 1319696: 3 917 556
Dresden ‘18 238 043 21 857 911 | 11 921 102 15 541 030: 5 846 781 954 361
‘Leipzig | 24 421 309 | 19 663 401 , 17562489 12704581. 3390272, 1025 231
Zwickau | 1679928| 1639 969 | 1038232’ 998973) 324447| 239775
Plauen | 4345621| 4392196| 2192144! 2238819 1986 465 70 561
140
Tabelle nach Vordruck 5 (Forts.). 2. AuBerordentliche ee
|
= GREEN ee
Name der p Ausgeliehene Hypo- | Außerordentliche
Kreishaupt- Grundstücksankäufe theken u. sonstige Gelder Schuldentilgung
mannschaft die Mittel dazu die Mittel dazu die Mittel dazu
bzw. der Stadt
M. aus M. aus M. aus
Bautzen.... 128975 | teils Stammverm. 1 092 Ersparnisse 44050 | teils Stammverm.
„ gestundet „ Spark -Üb.
„ Verk.v.Grdet.
Chemnits ... 417907 teils Anleihe 559581 teilsStammverm. | 113840 | teils Darlehen
„ Stammverm. „ Anleihe „ Rücklage
„ Vorschuß „ Stadtkasse „ Disp.- Fonds
: „ Spark.-Ub.
Dresden... . || 1531251 teils Anleihe 817103 | teils Anleihe 1008 840 | teils Darlehen
» Darlehen „ Stammverm. „ Anleihe
| „ Fonds | „ Spark.-Üb. „ Stammverm.
„ Stammverm.
Leipzig ... . || 7386735 | teils Anleihe 909 811 | teils Darlehen 21616 | teils Tilgs.-Fds.
» Res.-Fonds „ Verm. „ Spark.-Üb.
„ verf. Bestände | „ Spark.-Ob.
Zwickau . 686 144 | teils Stadtkasse 295 765 . teils Anleihe 299 879 | teils Anleihe
» Darlehen „ Darlehen n Darlehen
n Wertpapiere „ Betrbs-Fds. » Stammverm.
Stammverm.
Dandessumue 10146 012 | — 2 083 352 — 1 487 225 —
Bautzen.... $7 500 Stammverm. — — 28 650 Stammverm.
Chemnitz . 165 200 Anleihe 370591 Anleihe - —
Dresden... . ||1236265 | teils Steuern 100 000 Stammverm. 795 745 teils Anleihe
„ Stammverm. „ Stammverm.
Leipzig ... . ||5155437} | teils Stammverm. | 746 1) Stammverm. — —
1825312 » freies Verm. | 138000 freies Verm.
Zwickau ... 40367 | teils Stammverm. | 108089 Stammverm. 174 925 teils Stammverm.
freies Verm. „ Anleihe
Plauen .... || 201000 Anleihe 3 zu = —
sind entnommen
sind entnommen
sind entnommen
EC RES ae see GEES
Name der
Neuherstellung und Flu8- und Bach-
mannschaft Erweiterung von regulierungen Kläranlagen
Kreishaupt-
bzw. der Stadt- |
|
SE
entnommen aus NM entnommen aus M. | entnommen aus
Bautzen.... 224 645 | teils Stammverm. 19 880 Anleihe Anleihe
„ Anleihe
Chemnitz ... || 3905 189 teils Anleihe 161419 teils Darlehen teils Anleihe
| y Darlehen „ Anleihe „ Fonds
„ Fonds | y Bes.-Fonds „ Kapitalverm.
Stammverm. |
Dresden... . || 4236 203 teils Anleihe 1446 700 teils Anleihe —
i yy Stammverm. | „ Fonds
| „ Stammverm.
Leipzig .... || 1420367 teils Anleihe $5335 , Stammverm. Stammverm.
i » Darlehen
Fends
Zwickau. ... 274 486 teils Anleihe 53 031 Anleihe —
| „ Stammverm.
Landessumme |10 060 890 ` — 1 EE E en A 865 —
Bautzen.... | 47 626 Stammverm. — 5 957 Anleihe
15 192 Anleihe
| Chemnits . 3 807 900 Anleihe 122 500 Anleihe = =
| Dresden... $ 394115 Stammverm. [ 97711 Anleihe — —
i ı 1 331 017 Stammverm.
Leipzig .... i| 92727| Stammverm 35 335| Stammverm. 35 572 Stammverm.
Zwickau ... | 11011 Anleihe — =
| Plauen... .. 137 000 E SS
Anleihe
141
und deren Deckungsmittel.
Neuherstellung und Erweiterung von Unternehmungen
aa) bb) ce) | dd)
Gaswerk Wasserwerk mehrere andere — nicht besonders benannte —
M. entnommen aus M. entnommen aus M. |entnommen aus | M. ; entnommen aus |
i i l
139 015' Abschreibe- Fds. 53 470| teils Wass.-Fds.j 306 275! Anleihe — —
Gas-Res., Anl. „ Anleihe |
1361 772 teils Anleihe 674 558 teils Anleihe —
| |
1 256 889 teils Anleihe
| » Darlehen » Fonds |
H
» Res.-Verm.
» Gas-Fda. » Kückl. » Darlehen
669 094 teils Anleihe 928 104. teils Darlehen 286 127 teils Fonds 2 597 294 Anleihe
n Stammverm. „ Anleihe | yy Anleihe
» Res.-Fds. | » Stammverm.
726 152 teils Darlehen 785 456 teils Darlehen 963 061 teils Stammverm.}| 155818 teils Fonds
n. Kes.-Fds, „ Anleihe „ Anleihe » Darlehen
Ros.-Fds. | „ lauf. Mittel „ Anleihe
823224) Anleihe 11267173 teils Anleihe es
„ Stadtkasse
46 Res.-Fds.
t
„ Darlehen
2 887 754 — 3 952 036! — 2 753 107 =
38 011| Abschr.-Fds. 9 088, Wasserw.-Fonds — — — —
16 375 Gas- Res.
69 980: Anleihe
855 000 Gasanstalt 966 500 Anieihe 428 600 Anleihe — —
626 414 teils Erw.-Fonds| 870 216| teils Erw.-Fds. 171 989 teils Erw.-Fonds {2 597 294 Anleihe
| » Erm- „ » Ern.-Fds. | » Em- „
660 934° Stammverm. 430 628) Stammverm. 844 564: Stammverm. — —
— — — eg 84 866 Rücklage — —
— — 771 000 Anleihe 345 000 Anleihe = —
7 8 9 10 | 11
Straßen Beitrag der Stadt-
und Plätze gemeinde zur Er- Grubenräumung Sonstige Zusammen
| entnommen | bauung d. Eisenb. | entnommen entnommen
M. | aus entn. aus aus M. | aus M.
—
70158, Anleihe, 9500 Beständederl 3757 | Res.-Fonds 19 880 Anleihe 1 021 649
Straßenbahn Stadtkasse
u. Hen P. |
250 480 teils Darl. — _ 44 141 teils Vorschuß 8 789 884
n Vorschuß „ Anleihe
„ Anleihe „ Rücklage
„ Res.-F. „ Fonds
286 670 teils Anleihe | — — 24 652 teils Anleihe 13 332 038
„ Fonds „ Stammverm.
n 8t.-V. i | » V.-Bestände
$ 064 710 teils Anleihe | 4791 lfde. Mittel |32 044 teils Anleihe] 635 041 teils Rücklage 16 174 504
„ Fonds » Fonds | „ Stammverm
„Rücklage | | » Disp.- Fonds
957 239 teils Anleihe] — — — — 450 829 Anleihe § 154 374
„ Darl. | |
, Fonds i
4629 252 — 14 291 ! — 35 801 — 1 175 348 — 44 472 449
18408, Anleihe | 9500| Bestände | 3757,Reserve-Fde. 333 364
33320 Straßen- t der Stadt-
‚bahn-u.R.-F. kasse
= _ Se d = e — 6 716 291
— — — | = D — 11 220 766
1 893 as creased — | _ Schleusenbau (s. | 374957 Stammverm. [10270123 8t.-V. :
1047 101 freies Verm. | Straßen u. Plätze)
196 493, Anleihe — — 43 329 Anleihe 659 580
452000) Anleihe | _ 407 000, Anleihe 2 313 000
142
Tabelle nach Vordruck.6.
Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben der Ortsarmenverbände
im Rechnungsjahre 1906.
455 a i 1a » bp
Saal ag | 28 | 2 | a2
o32. Dä | as =a) d S
ga Ae S &n D a A
SPpap
SEU M | M | M | M
6
g
1 © 1 ~ d oi D
ag SS e 5 af
Li AE ei
Aa | <“8 | 58 | 2
M. M. M. | M.
2 5
| . 1. Grundbesitz.
|
2. Kapitalien.
9836| 5448 | 4892 —
7512| 684 | 6978: —
au ane 208 | 81198 166
206 282| 4747 |204 743 | 8258
29 420 | 17868 | 12062 10
284 285 | 28 295 | 269373 | 8 488
2796; — 2 796
191) — 1911| —
26071| — | 26071
195592; — 15592 —
6562; — 6662; —
— = Z
4. Freiwillige Beiträge.
6. Indirekte Steuern, als:
a) Besitzwechselabgaben.
86 536| — 86 586) —
267641 | 299 |267842; —
81 290 5 | 31985; —
265152} — |265152, —
138308; — |188308) —
718927] 804 | 718623; —
Bautzen 376| 1983 249 1 806
Chemnitz 2015 5 576 699 4 260
Dresden | 8744. 8179 | 1125 | 5560
Leipzig "© 2628 9544 ' 580 | 7446
Zwickau ! 718' 7690 270 | 7 247
Landess. | 9 476 32 922 | 2878 |26 819
Bautzen — = z ER
Chemnitz — Se Së Ge
Dresden See Së e Gs
Leipzig — — —
Zwickau 270 = 270 —
Plauen 15 | 1806 1 791
8. Gebühren u. Strafgelder
(einschl. Jagd- u. Angelkarten).
Bautzen 2 898 22 2 896 20
Chemnitz|| 4 584 — 4634 _
Dresden 15 258 819 14 439 —
Leipzig 86 299 | 26 | 86 274 —
Zwickau || 10 269 — | 10 269 —
Landess. | 69258 | 866 | 68412 | 20
Bautzen || 894, — | | —
Chemnitz; 128! — 128 _
Dresden 2560| — | 9 560 _
Leipzig | 29 949 — 29 949 —
Zwickau 2 068 — 2 068 —
Plauen | 2 001 | 2 001 —
6. Legat- und Stiftungs-
zinsen.
Bautzen 80275 | 16 245 | 14106 76
Chemnitzi! 28 777 | 28 457 5 651 831
Dresden 82 426 | 27 609 4 981 64
Leipzig 70 385; 65 182 6 203 —
Zwickau | 22 180 | 17 064 5 278 207
Landess. 183 943 |149 407 | 36 214 678
Bautzen 475 | 851 124
Chemnitz | 8641 — 8 641
Dresden |, 80 — 80
i Leipzig , 41156! 41156 —
Zwickau
| 6 754
Plauen 376
21 020
228 636
212 907
80 067
70 066
21 020
228 636
212 907
80 067
70 066
, 1076 1 | 107 =
8101 | 1626! 2095 620 |
6635 | 8806 | 8546 717
9644 | 10081 | 3531 | 8968
2665 | 8882! 15685 | 2702
23 121 | 19346 | 11 782 | 8007
588 1 587! —
30 Em 30! —
2 893 = 2 898 =
5811 8258 | 2058 =
92 56 87 =
10 = 10 BR
Tabelle nach Vordruck 6 (Fortsetzung).
uses (=| &% [=| i
SESS] ae | 38 | s8/aP] 28 | ag | 83) ap
EER A w | Po | ws a w | > S as |
Gë oO >
Sr BS M M. M M. M. M. M. M.
Bai
3 s | 2 | 3 fm | 6 |
6. Indirekte Steuern, als:
b) Lustbarkeiten. c) Hundesteuern.
Bautzen | 17181] — ' 17181; — 16 228 398 | 15830) —
Chemnitz | 83028; 811 | 82217 — 26 409 92 | 26317] —
Dresden |170 774| 1356 169418, — 19 152 235 | 18917] —
Leipzig |176 999 44 1176955 — | 87433 150 | 87283) —
Zwickau | 90443; — | 90443) — 66 655 144 | 66611) —
Landess. 638 425| 2211 536214 — {166877 | 1019 {164858 —
; | Kr TE ee EE ee a BE a
‚Bautzen | 4677) — | 4677) — 5850 | 64 6786 —
Chemnitz | 41 083) — 41 033) — = — = |; —
Dresden |135498| — (185498, — = — — | —
Leipzig |13518565! — 185185) — u = = —
Zwickau | 17141! — | 17141, — 15096 | — | 15096) —
Plauen | 29363 — 29368; — | 28420; — 28420) —
| 7. Schankgewerbesteuer 8. Armenunterstitzung
und Abgabe von Branntwein- | aller Art, einschl. Erstattung von
handel. und an andere Armenverbinde.
'Bautzen || 10 188 | — |/1018| — 50 244: 184865, — 134 621
Chemnitz || 1 607 — 1 607 — 227 329 888235 — 660 906
Dresden 12 — 12 — l 840 537 2151649 — 1811112
Leipzig | 921) — 21 — 569 744 2 778 366 8047 2211 659
i Zwickau 5 579 — 5579. — 182 146, 586 912; — | 404 766
Landess. || 18 307 — 18 307 — |1870 000,6 590 017) 8 047 6 223 064
Bautzen 4638 | — | 4638 | — 5809| 44393 — | 88584
Chemnitz | — — — — 103 780. 517 757 — | 413 977
Dresden — — — | — 188 409 1 761 721 — 1573 312
Leipzig — — — — 445 340 2 489 939 — 1994599
Zwickau — ; — — — 24 801! 100248, — 76 447
| —
Plauen | — | 18 167| 186 406,
10. Sonstiger Verwaltungs-
9. Besoldungen. Aufwand:
Bautzen | — | 7339 — | 7339] 1321 | 742 | — 6 101
Chemnitz} 50 ` 47028! — | 46978] 36034 | 569978 97 | 24041
Dresden | 1070 198645! — 1197575| 1301 | 62635 | 121 | 61355
Leipzig 600 245205; — 234705] 2256 770768 — | 74820
Zwickau | 2282 69021 | — | 66789| 22416 60740 376 | 88700
‚Landes. | 3902 557238! — 558336] 63328 267761 ` 594 | 205017 |
Bautzen | — 362| — | 3062| 83 | 1232| — 447 |
Chemnitz! — | 26913] — | 26913} 30166 | 30622 | — 456
Dresden | — |172805/ — 172305] — 27043 | — | 27043
Leipzig | — ‘218264| — 218264] — | 59652 | — | 59652
|
Zwickau || 1800 | 22768: — , 20968} 20159 ' 41477, — | 21318
Plauen | 450 23144); — | 22694) — | 2565| — | 2546
144
Tabelle nach Vordruck 6 (Fortsetzung),
— 464938, —
Plauen | 55 101. | |
vn ÄER a |
SEES ag | 32 Ss
oS gl a2 <8 28
| Aas | B 80 Da
| = EC =}
ECKER
(PS, M M. M. M. M.
E | 2 | 38 | 4 | 6 | 2 |} 8 | 4 | 5
11. Armenanlagen. 12. Zuschuß a.d. Stadtkasse.|
Bautzen | 87269, — | 87269) — 16186 — | 16186 — Ä
Chemnitz | 123 334 | 123 334| — 234722 — 234722! —
Dresden || 146317 175 146142; — 1653668 — 1653668. — |
Leipzig || 67499! — 67499) — [1810624 67 1810567; — |
Zwickau ; 91276 | 6127 | 91275' 6127 | 167207 — | 167207 —
Landess. 465 694 | 5302 (465519! 5127 [8882407 57 3882350) — |
Bautzen | 15246, — | 15246) — = re es Sech
Chemnitz, — _ = | = 165967, — | 165967) — |
Dresden _ —_ u — [1586164 — [1586164 — |
Leipzig — — — — 1759899 — |
Zwickau | — | _ — !
14. Sonstiges.
1609 | 264) 1855 | —
5697, 5868| 2855 | 2521
88 732 | 17 565| 18686 | 2519
739 964 805 984! 21 705 |87 725
13. Zusch. a. anderen Kassen.
i Bautzen 9562 | 20500 | 9562 | 20 500
Chemnitz | 3502 : 1619 | 2658 770
‚Dresden || 10 182 815 | 10 182 815
Leipzig 7536 | 6024 | 2502 990
847 | 4 ans 844 | 4435.
Zwickau 1 875 855 1 520 —
Landess. 32 667 | 29313 | 26 419 | 23076 | 781 849 834 104, 44 945 |97 200!
Bautzen | — | 20189 — | 20189| — -l - | =
|
Chemnitz — — — — —
— 12 444 — 12 444 — |
_ 137 033 |799 603 20512 883.082,
|
kt ae
|
u ee
Die Mehrausgabe ist gedeckt
worden durch
a) einen bei b) Überwei- Ic) in frühe-
Beginn d. J. sung eines Be- renJahren
vorhandenen trages aus den aufgesparte
` | Zusammen 1—14.
Name der
Kreishaupt- Ein- . Aus- | Über- | Fehl-
mannschaft
baw.d.Stadt, Dahmen gaben | schuB | betrag
l
! |; M. | M. M. M. Kassen- ` ` Sparkassen- | Stiftungs-
eS loo eS GS EE T] i bestand überschüssen i sinsen
RE WE E E, E m“ MM.
Bautzen . 240784| 244422) 166825 170463| 34299 5 — 19 176
Chemnitz 1045292 1035118! 760601. 740427 758 2641 3 700
Dresden |2497334 2473496 2103720 2079882| 65 048 730 603
Leipzig (3993766 3992425 2625912 2624571] 36131 8025 , 1839
Zwickau | 834230 772691) 591 472, 629933) 19548 — | 46589
‘Landess. 8611406 8518152 6238530 6145276] 154784 | 11896 | 71911
Bautzen | 62823. 66642 55768 59582] 27915 = a
Chemnitz | 575292 675292 4413461 441346 ==
Dresden | 1961 069 1961069 1772660} 1772 660 geg = =
Leipzig 13561872 3561872 2365597 2355597 s= Fer
Zwickau | 171303! 171483 117734, 117914 180 We? _
‚Plauen 263969 | 213901, 185337| 135269
|
145
Tabelle nach Vordruck 7.
Übersicht über die Einnahmen und Ausgabeu der Schulgemeinden im
Rechnungsjahre 1906.
Stadt
Name der | = | e | bo =
Ee ei ML) = L ei ao
Kreishaupt-| ag 2 2 ® 2 "a E = g 2 D 55| ag
| h. |) DS sa eaj 83 las | oe |22 | Sg
mannscn. 3 <i Ge 25 m S & <6 GG: m ZS
bzw. der A | H
1. Grundbesitz. 2. Kapitalien.
Bautzen 1154 2042 818 1206 6135 81 | 6054 —
. Chemnitz || 24848 34076 | 6662 15890 [18678| 640 |18038 — |
Dresden | 28298 209 122 1430 | 182254 |56295 | 17093 |40202 | 1000
Leipzig 4924 15049 | 1842 11967 | 9559| 5277 ' 9282 5000 |
Zwickau 14459 21188 | 5347; 12076 | 6336 816 5520 —
Landess. | 73 683 281477 | 16599 | 223393 |97003 ! 23907 79096 | 6000 |
| Bautzen | | 231 — | 2321; — |
' Chemnitz | 10464! — [1046| — |
Dresden || 20567 | 174216 17563 ı 18878 | 3685| — |
Leipzig — — — — 1560| — | 1660; — |
Zwickau || 5368 4345 | 1018; — = = = SH
Plauen | 75 1978 — 1908 237 — 237
3. Schulden.
a) Verzinsung. b) Tilgung. |
Bautzen 500 56677 | — 56177 | — | 85293, — | 35293
Chemnitz || — 142675 | — 142675 110000! 92 293 | — | 82293'
Dresden 2497 37564 | — 373147 | 1048 187566| — |186518
Leipzig 488 164847 | — 164359 | 1428; 89491 — | 88068:
Zwickau || 917 | 264948 | 83 | 264069 | 3612 78868 — | 75261!
Landess, || 4402 |1004786 | 33 | 1000417 [16088 | 483 506 | — 1467418,
re Pr Fe er _—
Bautzen e 14547 | — 14547 | — | 1579 — | 15719.
Chemnitz || — 29716 | — 29716 | — | 21066; — ' 21066
Dresden || — 200272 | — 200272 | — | 86475; — | 86485
Leipzig — — — — — — — —
| Zwickau = 716994 | — 76994 | — | 25760! — | 25760
Plauen | = 2548 | — 2548 | — E = =
| 4. Besoldungen und sonstiger | 5. Aufwand für Inventar
|! Personalaufwand. und Lehrmittel.
Bautzen || 110566! 803475! — | 692909] 135 | 19735] — | 19600:
Chemnitz || 254661| 3561290; — | 3306629 | 3260 114264 — |111004
Dresden || 693001: 5883432 6666 | 5297097 | 1645 | 98694' — | 97.049
Leipzig || 697137 6928924! — | 6331787 | 932 1122197) — | 1212665
Zwickau | 899799, 8246057 ‚10662 | 2856920 | 1616 | 83399 | — | 81783)
Landess. |1955164 20428178 | 17328 |18 486 842 | 7588 [438289 | — 430701
Bautzen | 19656, 204369; — | 184813} — — Ee — | 4936,
Chemnitz — 120585428 — , 2055428{ — | 81430] — | 81430;
1 Dresden || 377986 4373490; — 3995504] — 63642 — 63642
Leipzig || 383273, 65106666 | — | 4722293] — | 86208; — ı 86208
Zwickau | 67077! 616471; — | 659394 8304| — | 8304 |
Plauen 66953. 795634 | — 728681 87230| — 37230
Liebers: Die Finanzen 10
146
Tabelle nach Vordruck 7 (Fortsetzung).
6. Mietzinsen für Schul-
DES
oa o
wl san
am
SC erg
KEE?
ai HS | :
a 2
Bautzen 788
Chemnitz || 6376
Dresden 5812
Leipzig || 82746
Zwickau 11165
Landess. | 56887 |
Bautzen —
Chemnitz us
Dresden | —
Leipzig || 23564
Zwickau —
Plauen 5276
\ 8.Gesundheitspflegef.Schul-
räume.
2305| 788
402697| 5420
136900; 4935
62221) 27453
252211) 8961
1456334
1675) — |
821185; — |
728078, — |
6073| 18491
1400 —
157687 —
42557 11442004
tung, Reinigung u. Unterhaltung
1728 |
9817
14388
4448
29623
ad
kinder (einschl. Schulirzte).
Bautzen 81 | 1398| 31 1398 | 18118
Chemnitz 1717 23031 = 21314 | 18053
Dresden | 11 5 400 KZ 5389 7857
Leipzig | 167 | 17870! — | 17203 | 88071
Zwickau | 654 | 15351 | 46 | 14743 | 9046
Landess. | 2580 | 62650! 77 | 60047 | 91140
Bautzen | — . 1266! — | 1266| 3332
Chemnitz! — ‘12887. — | 12887] 1364
Dresden || = D" te = ia 630
Leipzig — 114250 | — | 14250 | 22429
| Zwickau = 2621 — 2621 —
| Plauen See 5 387 — | 65337
|10. Überwiesene Grundsteuer.
Bautzen | 84958 174, 84784 — | 193113
Chemnitz! 141860, 884 | 141476 — | 704958
Dresden || 362974 15409 887565 — [1183158
Leipzig | 468823, — ‘ 468823 — [1021620
Zwickau | 96897 32, 96865, — | 726830
‚Landese. |1095512| 15999 10795135 — {8831679
Bautzen | 7880. — | 7880 — 54.963
iChemnitz 74984 — 74984 — 876430
Dresden || 284239 14130 | 270109 — | 818076
Leipzig | 396024 — | 396024 — | 658308
Zwickau | 17319 — 17319 — | 128306.
23183 — 23183) —
Plauen
L2 3 ee b
7. Sonstiger sachlicher Auf-|
wand (einschl. Heizung, Beleuch- |
|
59999 1798627
9. Legat- und
11. Schulgeld.
225 868
v & ca ı & |
e © be e 38
ge | 28 | 3$ |
80 ~~ a f S |
M. M M. |
der Gebäude).
69299 — : 67671:
879978 — 370161:
853903 — 839515
684075 — | 629632
361372! 4253 336 002
4253 1742881)!
22642 — | 22301
237169, — , 236580
222904 — 217002
469496 — 469496
77960 — 77 960
112587
Stiftungs-
zinsen.
8407 | 14706 | a.
7804 | 10263, 14
8629 4229 1
1953 ' 30149 31
2421 | 6625 —
25214 | 65972 46
1247 | 2085 =
1364 = —
— 530 —
— 22429 —
91
812 192301, —
847 704111) —
298 |1184860 —
26 |1021594 —
2004 124826 —
3987 3827692 —
— 54963 —
— 376430 —
— 818076 —
— 658308; —
— 128306; —
225 868
147
Tabelle nach Vordruck 7 (Fortsetzung).
EH gd |
ona 8 1 © v 8 1 GH 1 Dë
5.7 im © Hog —= 38
ae E 3.2 3a EK
goat) Ba |“) 58 jag
gear! a
ME S| M M. M M
1 | 2 8 4 | 5
|12. Sonstige Gebühren und
Strafgelder.
Bautzen 1 351 | 672 ! 829 30 833 38! 30795 —
‘Chemnitz 5374 1816 | 4206 648 59 145 215! 58930 —
13. Besitzwechselabgaben.
pæ
n
©
|Dresden || 2411 |1025, 2284 898 | 301 032 |12467 288 565 e
Leipzig 5738 |1011 | 5440 7183| 51263; — 51 268 ee
Zwickau || 4897 | 1736 | 4705 | 1544] 160505 169 | 160 336 ze
Landess. |! 19 771 | 6260 | 17464 | 3953 | 602 778 602778 |12889 | 689 881 12 889 | 589 889 = |
Bautzen 405 | 8 ug 18) — 7 007 KS 7 007 | un
Chemnitz || 2405 2405 | — 28 862 23 862 = |
Dresden E = — | 240920 |12467| 228 453 | 2
i Leipzig 8 277 —
| Zwickau 585 =) 928 316 eu
| Plauen 964 | 89 157 en
14. Sonstige indirekte
Steuern. 15. Schulanlagen.
Bautzen 287 = 287 a 491094] — | 491094 --
Chemnitz 729 83 729 83 | 3053773) 56000, 2997773, —
‚Dresden = 258 a 258 | 5 886 446 167085; 5 719361 —
Leipzig a 475 Ss 475 | 880641; — 880 641, —
|
Landess. | 2 999 1643 | 2609 |1 oes 11 969 808: 223 331/11 746 raaj -2 246
|
|
Zwickau | 1598 | 827 | 1593 | 827 | 1667854| 246 1657854 246
|
Bautzen — T | = = 184088 — | 184088; _
Chemnitz — = a — | 2333835) 56000 2277835 __
Dresden == — — — 4 773 863167 085) 4606 778) —
Leipzig — — — — — — — ge
Zwickau | — = = = 459453 — 459 453
| Plauen gë = Be = 111910 — 711 910
i
16. Zuschuß aus der 17. Fortbildungsschule.
Stadtkasse.
Bautzen || 133194! — ' 133194 — 13964 ! 20629 39 | 6 104
| 453436 — 463436) — 82720 121163 1571 | 90014
| Dresden || 183 136 74360! 130409, 71 638| 43286 |137 805° — 94 519
| Leipzig 5 119 166 970 6 118 196 = 20279 1230 128 Aug 210257
|Zwickau | 916888 — | 916888, — | 94245 123506 1980 | 31241]
‚ Landess. H 155 820 15 330 6 752 123 71 633| 204 494 1633 231. 3998 D 135
el ee ee i
| Bautzen | — — | — — 1 052 3555 — | 2 | 2608!
Chemnitz| — = | = ze 7807 | 70147 — 62 340
Dresden 136773000 — {716381 17130 | 86 193! = 69 663
Leipzig |4 680479, — 4 580 479| — 1357 175097. — 173740
' Zwickau = er | ee = 482 | 11 46 — 10 964.
| Plauen | — | = == = 66 695 | ‚ 66 695 — —
148
Tabelle nach Vordruck 7 (Fortsetzung).
i
Name der
Kreishaupt-
mannschaft
bzw. d Stadt
18. Staatsbeihilfe zur
Lehrerbesoldung.
Bautzen | 1 558 1 558 |
Chemnitz | 185 852 185 862
Dresden 13 499 13 499 |
Leipzig 97 655 | 97 655
Zwickau || 87247 ge 67 247 |
365 811 355 811 |
19. Sonstiges.
4657! 4975| 1645
61976 27038, 54152
69 311.145 867| 26 886
84478 284 284 | 34 740
35104 34775| 9102
245 626 . 496 884 | 126 525 |
1 968
19 209
118 442
234 496 |
8 773
877 888 |
Landes.
676
113 514
258 988
3187
12 267 |
676
167 968
167 968
8 204
44 407
1 803
12 267
Chemnitz
| Dresden
Leipzig
Zwickau
Plauen
105 810
214 581
2 920
1 086
| Gate ABE
| Zusammen 1—19. Hierüber: |
Kassenbe- | Überwei- |
stand bei sungausd.
Beginn |Übersch.d.
des Jahres | Sparkasse
Über- Fehl-
schuß betrag
M. mM
4
Ein-
nahmen
Aus-
gaben
M.
Name der
Kreishaupt-
mannschaft
bzw. der Stadt
Bautzen
Chemnitz
Dresden
Leipzig
Zwickau
Landess.
| Bautzen
Chemnitz
Zwickau
Plauen
1 044 159
5 047 233
8 688 105
8 439 558
| 4 229 287
27 448 342
| 281 458
3 005 417
6 566 347
6 114 678
702 204
1 216 152
1 021 012
4 966 289
8 425 957
8 564 248
4 489 916
27 467 422
2 886 392
6 329 954
6 114 678
828 438
i
271 510
1 191 963
908 423
4 642 619
7 760 891
7 747 486
3 667 843
24 727 262
258 383
2 939 657
5 927 631
5 680 568
640 088
1 051 410
885 276
4 561 675
T 498 743
1872 176
3 928 472
24 746 342
248 435
2 820 632
5 691 238
5 680 568
766 317
' 1 027 221
E e EE
127 578
925 284
153 797
108 277
243 773
1 558 709
68 526
889 110
120 429
5 805
91 915
45 033
464 781
801 919
908 958
250 000
109 750
149
Gemeinde...................... Amtshauptmannschatt ................... Königreich Sachsen.
Vermögens- und Rechnungsübersicht
(wenn das Rechnungsjahr nicht das Kalenderjahr umfaßt, ist anzugeben)
auf die Zeit vom ` 19... bis Leu. 19.
Inhaltsverzeichnis:
Vordruck 1. Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres.
I. Aktiven. 1. Politische Gemeinde.
Br 2. Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres.
I. Aktiven. 2. Ortsarmenverband.
m 3. Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres.
I. Aktiven. 3. Schulgemeinde.
m 4. Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres.
II. Schulden.
5 5. Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben im Laufe des Jahres.
I. Politische Gemeinde.
» 6. Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben im Laufe des Jahres.
II. Ortsarmenverband.
H 7. Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben im Laufe des Jahres.
III. Schulgemeinde.
Anmerkung. Die Vordrucke 1—7 dürfen nicht zusammengeheftet werden.
Die Richtigkeit der in die Vordrucke 1—7 eingetragenen Angaben wird
bestätigt:
(Unterschrift). __....... . .
150
Königreich Sachsen.
Erläuterungen
zur Ausfüllung der Vermögens- und Rechnungsübersichten.
Allgemeines.
Wenn bei der Ausfüllung der Vermögens- und Rechnungsübersichten Zweifel
entstehen, so empfiehlt es sich, vor Fertigstellung der Übersichten bei dem König-
lichen Statistischen Landesamte in Dresden-Neustadt, RitterstraBe 14, anzufragen.
Gemeindebehörden, die Änderungen an den Vordrucken wünschen, wollen
diese mit Begründung dazu dem Statistischen Landesamte mitteilen.
Die neuen Vordrucke weisen gegenüber denjenigen vom Jahre 1908 mehrere,
jedoch nicht sachliche Anderungen auf.
Die Angaben über Flächen und Geldbeträge sind abgerundet einzustellen,
namentlich sind bei letzteren die Pfennige auf volle Mark abzurunden.
Die Bezeichnung „Grundbesitz“ soll nicht nur unbebaute Ländereien ein-
begreifen, sie ist ebenso wie die Bezeichnung „Grundstück“ ganz allgemein, also
sowohl für bebautes wie unbebautes Land angewendet.
Zu Vordruck 1.
Das Vermögensverzeichnis — Vordruck 1 — hat nicht die Unterscheidung
von Stammvermögen und freiem Vermögen zur Grundlage, sondern es bezweckt
vor allem die Kenntnis über den wirtschaftlichen Charakter der Vermögensbe-
standteile. In Spalte 6 und 7 des Verzeichnisses ist jedoch anzugeben, welche
Beträge des aufgeführten Vermögens zum Stammvermögen bzw. zum freien Ver-
mögen gehören.
In Spalte 5 gehören alle Rücklage-, Erneuerungs- und Erweiterungsgelder
der Gemeindeunternehmungen, ferner diejenigen Bestände, die der Neuherstellung,
der Erweiterung usw. von Gebäuden, der Vervollständigung usw. von Gemeinde-
einrichtungen dienen. Wenn allgemeine Rücklagestöcke, die sich nicht unter die
einzelnen Positionen einstellen lassen, geführt werden, so sind sie unter näherer
Bezeichnung bei d einzusetzen.
Anteile an gemeinschaftlichem Besitz (Verbandsunternehmungen, wie Elek-
trizitätswerke usw.) sind gleichfalls ziffernmäßig und zwar nach dem Buchwerte
zu bewerten. Es ist anzugeben, an welchen Unternehmungen der Gemeinde ein
solcher Anteil zusteht. Angaben von Namen und Ort ist nötig. Bei noch in der
Herstellung begriffenen Unternehmungen usw. ist als Gesamtwert der am Schlusse
des betreffenden Rechnungsjahres festgestellte Buchwert einzustellen. Unter Buch-
wert wird die Summe aller gemachten Aufwendungen verstanden. Noch nicht
fällige oder noch geschuldete Beträge, die aber schon Verwendung gefunden
haben, sind mit einzurechnen.
Zu a. Die Unternehmungen und Anstalten sind als Ganzes in ihrem Ge-
samtwerte einzustellen, also einschließlich des Wertes von dem dazugehörigen
Grundbesitz, Inventar, Mobiliar, der Apparate, Maschinen usw.
Zu b. Ist es im Interesse der Klarheit oder mit Rücksicht auf die Rech-
nung der Gemeinde dienlich, so können zu 7 noch mehrere Unterabteilungen ein-
gesetzt werden. Volksschulgrundstücke sind nur dann aufzuführen, wenn sie wirk-
lich der politischen Gemeinde gehören.
Zu c. Hier sind diejenigen Kapitalien nicht mit einzusetzen, die in Spalte 5
gesondert erscheinen.
Zu d. Hier sind alle etwa sonst vorhandenen Vermögensbestände aufzuführen,
die nicht unter a—c gehören (z.B. Beamtenpensionsfonds, Unterstiitzungskassen,
Denkmalsfonds usw.).
Zu e. Hier sind die außerhalb des eigentlichen Gemeindevermögens stehen-
den, aber von der Gemeinde verwalteten Gelder aufzuführen. Der Begriff „Stif-
tung“ ist nicht identisch mit „Legat“ oder „Vermächtnis“. Es sind hier nur
rechtsfähige Stiftungen gemeint, die von den Gemeindebehörden verwaltet wer-
den und die in bezug auf das Vermögen selbständige Rechtspersönlichkeit be-
151
sitzen. Bei Legaten oder Vermächtnissen geht das zugewendete Vermögen meist
in das Eigentum der Gemeinde über und hat demnach unter a—d zu erscheinen.
Bezirksvermögen ist nur von den fünf eximierten Städten einzusetzen.
Zu Vordruck 2 und 3.
Wenn im Berichtsjahre der Ortsarmenverband oder die Schulgemeinde noch
andere politische Gemeinden oder Teile von solchen umfaßte, oder wo nicht das
anze Gebiet der politischen Gemeinde zu ihnen gehört, ist dies im Kopf der
ordrucke 2 und 8 hinter den Worten „Der Bezirk umfaßt“ ...... anzugeben.
Zu Vordruck 4.
In diesem Vordruck sind sämtliche Schulden nachzuweisen.
Zu A (Seite 2 und 8). In Spalte 4 ist bei Anleihen der ganze Betrag ein-
schließlich der noch nicht begebenen Anteile einzusetzen, in Spalte 8 jedoch nur,
soweit sie begeben sind.
In Spalte 9 sind die Schulden nach ihrem Charakter als Anleihe, Darlehen,
Hypothek, Restkaufgeld, Ausgabereste usw. zu kennzeichnen und der Gläubiger
namhaft zu machen. Anleihe ist nicht mit Darlehen zu verwechseln. Anleihen
sind nur solche Schulden, über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben worden
sind, die börsenmäßig gehandelt werden. Ä
Die Einträge bei a, b und c habea nach dem Jahr der Schuldaufnahme
(Spalte 2) zu erfolgen. Im Fall eines Mehrbedarfs an Raum sind zwischen der
2. und 3. Seite Einlagebogen einzufügen.
Za B (Seite 1 und 4). Hier soll Auskunft über die Schuldenbewegung des
Berichtsjahres gegeben werden. Es sind deshalb unter I die Beträge anzugeben,
die der Gemeinde aus den im Laufe des Jahres neu aufgenommenen Schulden
oder aus den noch vorhandenen Beständen früherer Anleihen usw. zur Verfügung
gestanden haben.
Nicht zu berücksichtigen sind hierbei die bei dem Ankauf von Grundstücken
übernommenen Hypotheken oder schuldig gebliebene Kaufgelder, da hier durch
die Schuldaufnahme der Gemeinde keine Barmittel zuflieBen und deshalb bei ihnen
von einer Verwendung wie bei den übrigen Schulden nicht die Rede sein kann.
Die Einträge unter II (1. Seite des Vordrucks) sollen nur zum Nachweis
dienen, für welche Zwecke die Neuaufnahmen und Restbestände von I verwendet
worden sind, während die buch- und kassenmäßige Verrechnung in den Vor-
drucken 5 bzw. 6 oder 7 zu erfolgen hat.
Unter B III soll eine Vergleichung des Schuldenstandes vom Schluß des vor-
hergehenden Rechnungsjahres und dem des Berichtsjahres gegeben werden. Es
sind daher anzugeben unter i der Stand der Schulden am Schlusse des vorher-
gehenden Rechnungsjahres, unter 2 die im Laufe des Berichtsjahres neu begebenen
Anleihen und sonstigen neu aufgenommenen Darlehen (S. 1. BI 2a und b), unter
3 die im Berichtsjahre neu aufgenommenen bzw. übernommenen Hypotheken,
Restkaufgelder usw. (S. 2 Sp. 8), unter 4 die Summe der Tilgungen, sowohl der
ordentlichen wie außerordentlichen, entsprechend den dort gemachten Verwei-
sungen und unter 5 die hiernach am Schlusse des Berichtsjahres vorhandene
Schuldsumme. (Übereinstimmend mit den Schlußsummen auf S. 2 Sp.8 bei a, b u.c.)
Unter C sind nach dem Stand vom SchluB des Berichtsjahres die Summen
der Schulden anzugeben, die fiir die einzelnen Unternehmungen verwendet wor-
den sind, sowie die auf den Grundstiicken der Gemeinden eingetragenen Hypotheken.
Zu Vordruck 5 bis 7.
In der Abteilung „Ordentliche Einnahmen und Ausgaben“ ist in Spalte 1
der Gegenstand einzusetzen, den die Einnahmen und Ausgaben betreffen. Bei
jeder Unterabteilung sind die wichtigsten dorthin gehörigen Gegenstände vor-
gedruckt. Finden sich außerdem noch andere oder macht das Rechnungswesen
der Gemeinde für die Beantwortung noch eine genauere Unterscheidung einzelner
Gegenstände notwendig, so ist der betreffende Vordruck zu ergänzen. Unwich-
tigere, im betreffenden Vordruck nicht vorgesehene Einnahmen und Ausgaben
können bei der betreffenden Stelle unter „Sonstiges“ in einem Betrag zusammen-
gefaßt werden.
152
In den Spalten 2 und 8 sind sämtliche bei dem Gegenstand wirklich er-
zielten Einnahmen und Ausgaben (Brutto) anzugeben. Die Staatsbeiträge sind bei
denjenigen Gegenständen, für die sie zugewendet werden, z. B. in Vordruck 51
bei den böheren und Fachschulen verschiedener Art, in Vordruck 7 Nr. 4 bei
Besoldungen usw. unter den Einnahmen einzustellen. In den Spalten 4a bis 5 ist
der Unterschied zwischen beiden als Überschuß oder Fehlbetrag einzusetzen, nur
bei den Unternehmungen in Vordruck 5 unter a ist nicht das kassenmäßige,
sondern das bilanzmäßige Ergebnis in Spalte 4a bis 5 einzutragen. Der
Eintrag in diesen Spalten muß demnach hier nicht gleich dem Unterschied
zwischen den Einträgen in Spalte 2 und 8 sein, sondern bildet einen selbstän-
digen Posten.
Die Spalten 6 und 7 betreffen diejenigen Posten, die in den Gemeinderech-
nungen an verschiedenen Stellen mehrmals erscheinen. Diese sollen besonders
hervorgehoben werden, damit der wirkliche Umfang des Haushaltes im ganzen
und bei den einzelnen Gegenständen erkannt werden kann. Ohne eine solche
Ausscheidung der durchlautenden Posten ist dies nicht möglich. Denn wenn z. B.
von dem Gaswerk ein Beitrag zur Besoldung der städtischen Beamten, die seine
Geschäfte mitführen, an die bei der allgemeinen Verwaltung geführte Kasse ge-
leistet wird, so ist die Summe dieses Beitrags in den beim „Gaswerk“ aufzu-
führenden Ausgaben, außerdem aber in denjenigen Einnahmen und Ausgaben
mit enthalten, die bei dem Gegenstand „Allgemeiner Verwaltungsaufwand, Be-
soldungen‘‘ einzusetzen sind. Es erscheint also dieser von der Gemeinde tatsäch-
lich nur einmal verausgabte Betrag zweimal in der Ausgabe und einmal in der
Einnahme, so daß zwar bei der Gegenüberstellung der Einnahme- und Ausgabe-
posten der Unterschied gleich ist der wirklichen Ausgabe, die Gesamtsummen
auf beiden Seiten aber ein falsches Bild hinsichtlich der Höhe des gesamten
Budgets bieten.
Die Hervorhebung dieser mehrfach gebuchten Posten und damit die ge-
nauere Berechnung der Höhe des Budgets sollen die Spalten 6 und 7 ermöglichen.
Hier sollen bei jedem Gegenstand diejenigen in den Einnahmen und Ausgaben
enthaltenen Betrüge angegeben werden, die bei einem anderen Gegenstand der
Gemeinderechnung nochmals verbucht werden mit einem Hinweis in Spalte 8,
wo dies geschehen ist. In dem oben angeführten Beispiel würde also der in den
Bruttoausgaben des Gaswerks mit enthaltene Beitrag zur Besoldung der städti-
schen Beamten noch einmal in Spalte 7 hervorzuheben sein. Da er weiterhin in
den Bruttoeinnahmen (Spalte 2) des Gegenstandes e „Allgemeiner Verwaltungs-
aufwand, Besoldungen“ erscheint, so ist er auch dort durch einen weiteren Ein-
trag in Spalte 6 als durchlaufender Posten zu charakterisieren. Zur Erläuternng
fiir die Art der Eintragung sei das obige Beispiel folgendermaßen ausgeführt:
Angenommen das Gaswerk habe 1100000 M. Einnahme, 900 000 M. Ausgabe
(darunter 10000 M. Besoldungsbeitrag an die Kasse der allgemeinen Verwaltung),
und einen bilanzmäßigen Überschuß von 200000 M. Die Besoldungsausgaben be-
tragen bei der allgemeinen Verwaltung 100000 M. Die Einträge im Verzeichnis
würden folgendermaßen vorzunehmen sein:
Spalte 1. Spalte 2. Spaite 3. Spalte 4. Spalte 5. Spalte 6. Spalte 7.
Gegenstand.
a) Unternehmungen und An- M. M. M. E E et zu Sp.7:
stalten, 4. Gaswerk . . . 1100000 900000 200000 — — 10000 yordr bei
e) Allgemeiner Verwaltungs- SN Sp e
aufwand....... 10000 100000 — 90 000 10 000 =" word baa
Hieraus geht denn hervor, daB von den Ausgaben des Gaswerkes 10000 M.
an eine andere städtische Kassenabteilung abgegeben werden, daß ferner die Ein-
nahmen, die bei dem Gegenstand „Allgemeiner Verwaltungsaufwand, Besoldungen“
verbucht sind, von einer anderen städtischen Kassenabteilung kommen, also auch
unter den 100000 M. Ausgaben 10000 M. nur durchlaufender Posten sind und
deshalb der tatsächliche Aufwand, der bei der allgemeinen Verwaltung für Be-
soldungen zu machen ist, nur 90000 M. beträgt.
In gleicher Weise sind zu behandeln die von einzelnen Gemeindeunter-
nehmungen usw. an das Schuldenkonto gezahlten Beträge für Verzinsung und
Tilgung der Schulden, ihre Beiträge zu Staatssteuern, ferner die von einzelnen
153
Rechnungen abzugebenden Betrige fiir Beleuchtung an das Gas- oder Elektrizi-
titewerk, fir Wasser an das Wasserwerk, die Zahlungen der Schulgemeinde an
die politische Gemeinde für Miete der Schulgebäude usw.
Streng zu scheiden von derartigen Zablungen und Beiträgen, die nur ein
Entgelt für bestimmte Leistungen und Aufwendungen darstellen, sind diejenigen
Betrüge, die aus den Uberschiissen eines Kontos einem anderen zugewendet
werden, lediglich zu dem Zweck, den dort vorhandenen Fehlbedarf zu decken und
den Ausgleich der Rechnung herbeizuführen. Wenn also z. B aus dem Überschuß
des Gaswerks Betrüge zur Deckung des allgemeinen Verwaltungsaufwandes ver-
wendet werden, so haben diese Betrüge weder bei dem Gaswerk als Ausgabe,
noch bei den anderen Konten als Einnahmen zu erscheinen, sondern die Art ihrer
Verwendung ist nur bei den Unternehmungen (Vordruck 5a) in Spalte 4b an-
zugeben. Die Gesamtsumme der Spalten 6 und 7 in den Vordrucken 5, 6 und 7
muß sich demnach gegenseitig decken.
Im einzelnen ist bei der Aufstellung des Vordrucks 5 folgendes zu beachten.
1. Ordentliche Einnahmen und Ausgaben.
a) Unternehmungen und Anstalten.
Es sind die kassenmäßigen Einnahmen und Ausgaben des abgeschlossenen
Rechnungsjahres, für das das Verzeichnis aufgestellt wird, einzusetzen. Zu den
Einnahmen sind vor allem auch die Zinsen der Rücklage (Reservefonds) zu rechnen.
In Spalte 4a ist der bilanzmäßige Überschuß einzusetzen, in Spalte 4b dasjenige,
was von dem Überschuß nach Abzug derjenigen Beträge, die den Zwecken des
Unternehmens durch Zuführung zum Rücklage- oder Erneuerungsstock usw. wie-
der dienstbar gemacht werden, der Gemeinde zur Verwendung für ihre eigenen
oder für sonstige gemeinnützige Zwecke verbleibt.
b) Grundbesitz.
Einzurechnen sind hier die Einnahmen aus Jagd und Fischerei. Unter die
Ausgaben sind aufzunehmen alle Aufwendungen für die Unterbaltung der Ge-
bäude, die Grundsteuern, Landeskulturrenten usw. sowie die Zinsen für die Hypo-
theken und Restkaufgelder. Sollte die Verteilung dieser Ausgaben auf die im
Verzeichnis aufgeführten Arten des Grundbesitzes nicht oder nur mit Schwierig-
keiten möglich sein, so ist sie zu unterlassen und die Gesamthöhe dieser Aus-
gaben als besonderer Gegenstand (Nr. 8 usw.) anzugeben. Die Summe der Hypo-
thekenzinsen hat unter d aa 2 nochmals zu erscheinen.
c) Kapitalien.
Es sind nur die Erträgnisse von Kapitalien (Zinsen, Renten usw.), nicht
Kapitalzahlungen selbst, einzusetzen.
d) Verzinsung und Tilgung der Schulden.
Verzinsung und Tilgung sind getrennt zu halten.
Zu berücksichtigen sind hier sämtliche Schulden der politischen Gemeinde,
auch diejenigen, die in der Rechnungsführung der Gemeinden nicht in dem all-
gemeinen Schuldzinsenkonto geführt und von einzelnen Rechnungen (Gaswerk usw.)
direkt verzinst werden. Die Beiträge, die von derartigen Unternehmungen oder
sonstigen Rechnungen zur Verzinsung und Tilgung geleistet werden, sind hier
als Einnahmen einzusetzen, und es ist ihre Herkunft aus anderen Gemeinderech-
nungen durch den Eintrag in Spalte 6 kenntlich zu machen. Die Zinsen für Hypo-
theken und Restkaufgelder für Grundstücke sind gleichfalls im vollen Betrage
hier aufzuführen. Soweit sie schon unter b unter den Ausgaben erschienen sind,
sind sie hier auch unter die Einnahmen in Spalte 2 und 6 einzusetzen. Unter bb
sind nur die Tilgungsbeträge einzusetzen, die aus laufenden ordentlichen Mitteln
bestritten zu werden pflegen, also insbesondere Annuitäten.
e) Allgemeiner Verwaltungsaufwand.
1—8 Besoldungen usw. Hier ist nur der Aufwand für diejenigen Beamten usw.
aufzuführen, die im Interesse der allgemeinen Verwaltung angestellt sind. Auf-
wand für Beamte, die nur für einzelne Unternehmungen oder besondere Aufgaben
154
tätig sind, ist bei den betreffenden Gegenständen unter die Ausgaben zu bringen.
So fallen die Besoldungen für die Beamten des Gaswerks, Wasserwerks usw.
unter die Ausgaben jener Unternehmungen, ferner für die Beamten, denen z. B.
ausschließlich die Unterhaltung und Reinigung der Straßen obliegt, unter die
Ausgaben dieses Gegenstandes. Soweit eine Trennung nicht möglich ist, ist der
gesamte Personalaufwand hier voll anzugeben.
Bei den Steuern aller Art sind die von der Gemeinde zu zahlenden Staats-
und Bezirkssteuern als Ausgaben einzusetzen; unter die Einnahmen aber ist das-
jenige zu bringen, was von anderen Konten dazu beigetragen wird.
Falls, wie dies in kleineren Gemeinden vielleicht eintreten kann, die Aus-
scheidung ‘der unter f—h aufgeführten Gegenstände nicht angängig sein sollte,
sind die entsprechenden Einnahmen und Ausgaben mit unter den allgemeinen
Verwaltungsaufwand zu bringen. Es ist dies dann aber ausdrücklich zu bemerken.
f) Polizeiaufwand.
Wo Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei getrennt gehalten werden, sind die
betreffenden Aufwendungen unter sa und bb getrennt einzusetzen, anderenfalls
unter aa einheitlich unter Streichung des Gegenstandes bb.
g) Gemeinnützige und Wohlfahrtseinrichtungen.
Gemeinnützige und Wohlfahrtseinrichtungen sind hierunter besonders zu
behandeln.
i) Straßen und Plätze.
Hier ist der gesamte Aufwand für Neuherstellung, Unterhaltung, Reinigung
und Beleuchtung einzusetzen. Außerordentliche, nicht aus laufenden Mitteln ge-
deckte Aufwendungen gehören nicht hierher.
m) Gemeindesteuern.
Unter den Einnahmen sind aufzuführen die Ist-Betrige der im Rechnungs-
jahr erhobenen Steuern einschließlich der eingegangenen Reste aus früheren
Jahren, jedoch ohne Abzug von Erhebungskosten. Die Erhebungskosten sind, so-
weit sie nachweisbar, in Spalte 8 einzutragen. Soweit Erhebungskosten nur für
mehrere Steuerarten zusammen (z. B. für die direkten Steuern) festgestellt werden
können, sind sie an geeigneter Stelle in Spalte 3 mit entsprechender Anmerkung
einzutragen.
Soweit die Steuern für den Armenverband, die Schulgemeinde und die
Kirchengemeinde mit erhoben werden (Zentralkasse), sind sie hier als Einnahme,
zugleich aber auch als Ausgabe, und zwar in Spalte 3 und 7 einzusetzen. Ist in
der Summe der direkten Armen-, Schul- und Kirchenanlagen eine Trennung nach
den einzelnen Steuerarten nicht durchführbar, so ist in der Ausgabe nur die Ge-
samtsumme der an jene Verbände abgegebenen Anlagen anzugeben.
Auch soweit indirekte für den Armenverband usw. erhobene Abgaben (z.B.
Besitzwechselabgaben) durch die Kasse der politischen Gemeinde gehen, ist in
gleicher Weise zu verfahren.
Im übrigen sind bier unter „Ausgaben“ keine Angaben über die Verwen-
dung der Steuern zu machen; wenn also z. B. Steuern zur Deckung eines Fehl-
betrags bei einem bestimmten Gegenstand der politischen Gemeinde erhoben
und verwendet werden, ist auf diese Verwendung keine Rücksicht zu nehmen;
d.h. sie sind weder hier als Ausgabe, noch bei dem anderen Gegen-
stand als Einnahme einzutragen.
2. Außerordentliche Ausgaben und deren Deckungsmittel.
Unter die außerordentlichen Ausgaben sind diejenigen zu rechnen, die aus
Vermögensbeständen oder Anleihen gedeckt werden. Die Deckungsmittel sind mit
anzugeben. Unter außerordentlicher Schuldentilgung kann auch unter Umständen
eine bloBe Schuldenbewegung mit verstanden werden, z. B. die Verwandlung einer
nicht fundierten Schuld in fundierte, die AbstoBung kleinerer Schulden durch
Aufnahme größerer usw.
Auf Vordruck 6 und 7 finden die vorstehenden Bemerkungen zu 5 sinn-
gemüäße Anwendung.
155
Gemeinde.................... Amtshauptmannschaft................... Königreich Sachsen.
Vordruck 1.
Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres 19 _
I. Aktiven.
1. Politische Gemeinde.
| Flächen- =a A Gesamtwert *) |
oot
ess iv d
Gegenstand inhalt dos ss (einschl. Grundbe-| § & a Leet e
2 P=] sitz, Inventar, Mo-| ho a | ; D
(wegen anteiligen Besitzes Grund- | 3 2% | biliar, Apparate, | 39 (Sp. 4) ist bp
und unvollendeter bzw. \eigentums > g L | Maschinen usw., | g CC | ? o =
noch in der Herstellung | (i, Ar nur | 3 ES een en SE ENER) E
D | 2 C D = Ki
begriffener Unternehmun- | mit einer | $ $° | Rücklage- Er- | SZ AH:
gen usw. s. die Erläute- | Dezimal- | Az neuerungs- usw. ek: aaj“ s Š
rungen) eee) Bestände) Er: Ei: o
ba | a M. | Aa | M. | M.
1. = 3. 4. K Leite
Anstalten
(hierzu gehöriger Grundbesitz
ist hier, nicht unter b einzu- ||
stellen): |
. Straßenbahnen. DN Pe TE EA
eebe Kg EN EEN Paes ie eas has
a Unternehmungen und
. Gaswerk
CEET EE E ee een hen
BE ts wm re Fe EKEK way one weds SEIA EER
. Vieh- und Schlachthof }....)..|.... GE er E E EE ER
Ne | 5. 3.5. 0 ee er |
. Beerdigungsanstalt. .||..... g Gs Ale ae ee ae ee Kaes
IT EE, KEEN VEH EE ET
aw (Th "EEN E E E EE EECHER WIES, CH EA
. Abdeckerei . . . | CHE eA tay Re KSE ell ere
(Fleischzersetzungsanstalt) | | |
ei A ee AS AS ee cee ee ere a se ed eee (eee ze
oy: Sg TEEN PEF oe False ace Bar FOREN ree eae SS
onan > 8 we ra
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oo eee ees RER, UM Cee. PEETS TEE EEN EE
ech GA ER PER TOF Ee KL
kä ` ke ` ba
ao Cn e
, Bergwerke |
. Steinbriiche . = fe EA an tm ER
. Fabriken (welche SEH Sab, a be well ate, Seer ee eee oe Roe | e
. Ziegeleien. . . . . .|
20. Spark.-Riicklagebest.. ||. ...../.... Faron eee ee
keck
=l
ka joà
© Dm
bo 0
ef 8
zusammen & |...... BALEN EN D e e %, 0 PER Fee Re
*) In Spalte 8 ist anzugeben, welcher Wert (Anschaffungs-, Zeit-, Kurs-, Verkehrs- oder Ertrags-
wert) in Spalte 4 angegeben ist,
156
— 2 —
| Flächen- | _ Gesamtwert en ı F
Gegenstand inhalt des | A ZS (einschl. Grundbe- z F a =
(wegen anteiligen Besitzes| Grund- 2 e S ehe S25 | (Sp.4) ist) Su
und unvollendeter bzw. | eigentums FE Maschinen usw., | £ D | E
noch in der Herstellung © 2S ausschl.derinSp5 AES | 29 „8
. 7 (die Ar nur | 5 | einzustellenden SEHE: J S 5
begriffener Unternehmun- | mit einer | 2 & Se |6252
t Es Riicklage-, Er- F EEN
gen usw. s. die Erläute-|| Dezimal- a neuerungs- usw. Rain” 2
stelle) i” >| p |
rungen) Bestände) SE: |
| be |a|ı m | M. aes | M | Mm
a Be Lu
1. Ke 8. | 4. KK TE ia I
(hier ist nicht mit einzustellen |
der Grundbesitz, der zu a [Un-
ternehmungen usw.) und zu e 2b
b) Grundbesitz |
[Stittungsgrundbesitz) gehört):
1. Geschlossene Güter . .||......]...|..... |... ER TA E, Steal tee NE
2. Forsten (selbständige) . |......
3. Teiche (selbständige) .......
4. Schulgrundstücke, die
d. politischen Gemeinde
gehören, und zwar:
a) Volksschulgrund-
i A wä u Hee
5. Kasermen. e e SE GN re E EE EE En
6. Postgrundstücke . . . |...... |
7. Sonstiger bebauter wie
SA JU WU WWZIE WED RI OWN VO WBO KB DE DE DEZE SEK ZRH DELETE
unbebauter Grundbesitz
(einschließlich Verwaltungs-
gebäude, Rathaus, Bauplätze,
Felder, Wiesen usw.) . ...||......
|
|
zusammen b | STATE = I EATER Fer en
*) In Spalte 8 ist anzugeben, welcher Wert (Anschaffungs-, Zeit-, Kurs-, Verkehrs- oder Ertrags-
wert) in Spalte 4 angegeben ist.
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157
Gesamtwert (ei |
Bemerkungen
A mi
Flächen- ck
Gegenstand ‘anhalt des is (einschl. Grundbe- | S E
At ° a sitz, Inventar, Mo- oo
(wegen anteiligen Besitzes | Grund- | £ T billar, Apparate, ` 23
und unvollendeter bzw. jeigentums | Be 3 | Maschinen usw, GZ S
noch in der Herstellung | die Ar nur | 925 | "usschlderinöp5 gé:
begriffener Unternehmun- | mit einer EN Rúckisge Fe E?
en usw. s. die Erläute- || Dezimal- ra neuerun s- usw. 292
g Mi g 2:
rungen) stelle) Bestände) o ZE
5 e &
M. GER
_ 5.
ce) Kapitalien:
1. Wertpapiere . ....| — |—-| [ieee se cece ee l
2. Hypotheken ..... ee ee re ee aig Siar
3. Bank- und Sparkassen- `
einlagen (ausschL Spar- j
kassenrücklagebestände) . .
4. Sonstige Forderungen
und Außenstände (einschl
Reste) . . 2 2 2 © © eff — ae ae Kae
5. Barbestände am Jahres-
schlusse ........ — EE E LEE
zusammen ¢ re [er ver er Er Br ur ar er ve rer re ooo
d) Sonstige Vermigens- |
bestände ....| — |—; — |...... EE EE ele
(in einer Summe)
*) In Spalte 8 ist anzugeben, welcher Wert (Anschaffungs-, Zeit, Kurs-, Verkehrs- oder Ertrags-
wert) in Spalte 4 angegeben ist.
158
So
| Flächen- Gesamtwert | &25 | Vom Ge-
Gegenstand no $s (einschl. Grundbe- p E samtwerte o
(wegen anteiligen Besitzes) Grund- | See na EE (8p. 4) Se bo
und unvollendeter bzw.|eigentums| £28 | Maschinen usw., | TE a oe. 5
; KEE EES |ausschl. derinSp.5' gS LS aow a
noch in der Herstellung "(wie Ar nur A 23 187 lee | eae ee ze
begriffener Unternehmun- || mit einer | BBC | Rachinge En | S22 |G Fig Eis
e Rücklage-, Er- | won, |S di e
gen usw. s. die Erläute- || Dezimal- mg neuerangs- usw. | SAS (Eë E >
rangen) stolte) Bestande) © BS |
te te E Lë LK BEER
EE 3. 4. 2 7.8
Zusammenstellung.
&) Unternehmungen und | Ä |
Anstalten e Beg e e H eee . è Sp ee ep o ee ee Ge pe ee e e e gë e e e e eee eee Sp e o
b) Grundbesitz LL en.
c) Kapitahen. ..... — —; — sia else
|
d) Sonstige Vermögensbe-
stinde........
7 l
Summe von a bis d |
|
e) Vermögensbestände,
die nicht im Eigentume:
der politischen Gemeinde
stehen:
Bezirksvermögen (nurvon |
1.
den eximierten Städten ein-
zustellen)
. Stiftungen:
a) Kapital...
b) Grundbesitz (ist nicht |
auch unter b einzustellen)
Gesamtsumme |
|
i
4
zusammen ® | DEE
F
ES
Sege ge ee ee ee ée leeë ée eg m eee . o 6 a
159
Gemeinde Amtshauptmannschaft. . = .. Königreich Sachsen.
Vordruck 2.
Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres 19. .
I. Aktiven.
2. Ortsarmenverband.
Der Bezirk umfaßt `
|
| Flächeninhalt Gesamtwert `
|
Gegenstand des Grund- | Brandver- einschl. In-
(wegen unvollendeter bzw. eigentums sicherungs- | ventar, Mobi-
noch im Bau befindlicher | (die Ar nur mit summe ;liar,Apparate, |
Unternehmungen s. d. Er- , einer Dezimal- |der Gebäude Maschinen
|
läuterungen zu Vordruck 1) stelle) usw.
1.
a) Grundbesitz:
. Geschlossene Güter . Well r
. Forsten (selbständige) . |........!..... ener EEN | ees
. Teiche (selbständige) .|........ ae
|
MA .. .. CRL ee es OO OO A OO
wm OF bi m
. Armenhaus u. sonstiger
bebauter wie unbebau-
ter Grundbesitz. . . .J........
e ee eg ee ée ée ee Terra re
b) Kapitalien: 7
1. Wertpapiere .. ... |
. Hypotheken ..... |
8. Bank- und Sparkassen- |
einlagen. ...... —
N
Reste)... 2.2... |
5. Barbestände am Jahres-
schlusse ....... | —
|
|
u. AuBenstiinde (einschl. |
|
d Spence
d
A
zusammen b L =
c) Sonstige Vermögens-
bestinde: |
ese er eeseeeetereevi' Ga ge ee e e
a
d) Stiftungen
(vgl. in den Erläuterungen das |
zu Vordruck 1 unter e Gesagte) | TETERE TIFEEET
Gesamtsumme |
poas | ee eee ere ee | ee s
Summe a—c|}........ PERE "TT Kee Ee
160
Gemeinde .—-_....... Amtshauptmannschaft. ................ Kénigreich Sachsen.
Vordrack 8.
Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres 19...
I. Aktiven.
8. Schulgemeinde.
Der Bezirk umfaBt EE aegis ir (ap? une
Flächeninhalt Gesamtwert g
Gegenstand des Grund- Brand ver- Get e bo
(wegen unvollendeter bzw. | eigentums sicherungs- ae Mobilar =
noch im Bau befindlicher || (die Ar nur mit summe ree deren cp
Unternehmungen s. d. Er- || einer Desimal- | der Gebäude ae aang S
läuterung zu Vordruck 1) SE en 2
' ba | a M M.
O L |. 8 4. 5
a) Grandbesitz: |
1. Geschlossene Güter . ./........ [eee c [eee eee ee eees ur
2. Forsten (selbständige) .||........)...0cfee ee ceeeees lh EE
3. Teiche (selbständige) E KE E EE EE EE
4. Schulgrundstiicke und
sonstiger bebauter wie |,
po
8. Bank- und Sparkassen-
einlagen. ...... —
4. Sonstige Forderungen
u. Außenstände (einschl. |
Reste). ....... —
M A A SE EE
schlusse ....... i} _ ze EE | awe ws
zusammen b — — En ee ee a ie
ei Sonstige Vermögensbe-
stinde........ — — =< EE EE
d) Schullehen. . . . . .|.......- ea nach Base EIERN
ei Kirchschullehen . . .|/........ | E ee ee At : ree
Summe a—e | patio EE WE GE
f) Stiftungen . . . | |
(vgl. in den Erläuterungen das
zu Vordruck 1 unter e Gesagte)
|
zusammen &
b) Kapitalien:
1. Wertpapiere..... — — = ` Meter eer Zeie EE
Hypotheken ..... — — e set
|
|
Gesamtsumme | eeben | MR |
161
Gemeinde `> ... Amtshauptmannschaft ...... Königreich Sachsen.
Vordruck 4.
Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom Schlusse des Jahres 19. _
II. Schulden.
(A. Schuldenstand s. S. 2/3.)
B. Schuldenbewegung im Laufe des Jahres.
I. 1. Am Beginne des Jahres on]
dene, nicht verwendete Bestände
aus begebenen Anleihen und auf-|
genommenen Darlehen . . . . ll Se
2. Im Laufe des Jahres wurden:
a) an Anleiben begeben
eile @esveeeetetseeeeeeeetseeteowee oe #ee#eeespr@e#exr @ ee e
b) sonstige Darlehen aufgenommen
(Schulden, s. B. übernommene Hypo-
theken, die nicht verwendbares Kapital
erbringen, sind hier nicht einzustellen)
zusammen |......... | 000.0
II. Davon sind verwendet worden für: |
zusammen | DEN
EER 1. Unternehmungen und An-
u stalten (Neuanlegung, Erwei- i
aged terung, Erneuerung) . Il
© og fot |
SP | E EE
dat: dee OEE e ee N dÉ
S333 4 |2. Ankauf von Grundbesitz .'......... | a en es NEE
EFTE 1 |
SEES e e@ e e e © © e e 2 © >œ gl ease eee gi ce | e e a oe e e
65853843. Volksschulbauten. . . . All nennen
SC | |
25853 4. Sonstige Bauten . . . . EE EBERLE Een ger ee DEIER
Een 5. Außerordentliche Schulden- : |
were UEUk ee, ee elle wane ete dates euere Boas
ikka" Dosa. a, Yar N E EE
238°
AAR e |
|
| | (Fortsetzung von B auf der 4. Seite.)
Liebers: Die Finanzen 11
162
RT EEN VEH (CW WW? Ss age dee ap e ew
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orp pun puwqioaAuswmlesj1gQ Gap uv ednnog uepinyog
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163
a ie
——
Politische ST. | Schul- | $E
Gemeinde verband gemeinde: £ =
| SZ
1. | 6.
III. 1. Stand der Schulden am Schlusse | | |
des vorhergehenden Rechnungs- | |
jahres . : : er
2. Neuaufnahmen im Laufe des
Jahres (8.1.B.1.2. a und b) .|......... inated eae sau Det
3. Im Laufe des Jahres neu auf- | | |
genommene bzw. übernommene |
|
|
Hypotheken, Restkaufgelder, Aus-
gabereste usw... . 2.2...
|
ZUSAMMEN )........- | eelerer eet SE
(ordentliche — s. Vordruck 5, 1. d bb
1 u. 3 Sp. 3 bzw. Vordruck 6, 1. 3b
Sp. 3 bzw. Vordruck 7, 1. 3b. Sp. 3 —
und außerordentliche Tilgung — s. Vor-
| nz
4. Davon wurden getilgt |
druck 5, S. 9 unter 2. 5. bzw. Vordruck 6,
|
|
|
8.2 unter 2. 1. bzw. Vordruck 7, S. 2 |
(ET 22) se So te BG ts Sable ew aan ae tee EE d Ga he eS aS
5. Bleibt Bestand der Schulden am |
Ende des Rechnungsjahres (über- |
einstimmend mit den Summen!
bei a, b und c in Sp.8 unterA |
BOE SD. eee. oe Bt Gat A) ee a |
e ee 00 200 ele gege e e
C. Von den insgesamt vorhandenen Schulden waren nach dem Stande vom
Schlusse des Jahres:
|
1. auf Unternehmungen verwendet:
a) Elektrizitütswerk. . . . ..
LO SEENEN EE
1
1
l» © ùs ee eeelegs seenen ce ee ée gege ees ge ge
c) Wasserwerk. .....
zusammen e è 9 aoe èe oo D EE E oe @ eee 8 E E E EE)
eingetragen (soweit nicht bei C.1..
| |
2. aufGrundstücken hypothekarisch | | | |
|
schon eingerechnet). . . o . Perusosa. ee eeh EE
| |
164
Gemeinde _........ Amtshauptmannschaft...... ...... Königreich Sachsen.
Vordruck 5.
Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben im Rechnungsjahre 19 _
I. Politische Gemeinde.
1. Ordentliche Einnahmen und Ausgaben.
(Hierunter sind die Bruttoeinnahmen und Bruttoausgaben zu verstehen.)
| Betrie Ab
| | Betriebs- oho
S nter den Ba Ei
| cf? tiberschuB; _ Unte a Cie
EK (bilanzmaßig) | dë Einn. | Ausg. | w Zeg KK
, i ei 399"
Ajg e defür ee n SZ SÉ
Gegenstand S | a & Gemeinde- £ & sind Beträge, die 3 B% og% y
Ae- ET oder ton. a auf anderen Koun-| -4 FELEK:
(Konto) ajig S Ge oe $ ten (bei anderen) 5 we EES ö
| E] qt Peeks itz, 3, Kassen) nochmals g 8 S Ep
| |S | ~ | verrechnet wer- e 2 >@
= | verwend- Cogn See
SC r den, in Höhe von a- KR.
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= = E) EE E EE WE? ar E
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a) Unternehmungen und | ==
Anstalten: | |
. Sparkasse . ..... , |
. StraBenbahnen. . |
. Elektrizitätewerk. . .°...!... BEER EE EEN
ee, 4 © @
see 0010828 8.92 eC eee ect ese @etveseawe
. Gaswerk ..... re
. Wasserwerk . . . 2. 2200 GER ee GE eat Sate eee
Bäder. . . . dÉ dE ee eene |
. Vieh- und Schlachthof |. EE ee SE
, Marstall. ..... sil al ie cos re | ON | ree
. Beerdigungsanstalt. . .... EE
. Leihanstalt ..... Sentier EE — EECH eh
e Markthallen..; u: ©, sau u Se | ER Pe WERTE N
s Bee e ëlo 0 088: se wee
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© OW am D E Dë P m
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_ Abdeckerei . . . le ee Eise
(F leischzersetzungsanstalt)
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. Krankenhäuser. . . . | en ee PRATER NEE
. Theater .
. Museen... .... petal eis
| Bibliotheken. . . o 0! oo.
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. Bergwerke. . ... . 1...
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, Steinbriiche . . |.
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. Fabriken ne Art o 3 T
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. Ziegeleien. . SS | a
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a
Ho, Ire Einn. | Ausg Bemerkungen
g S EI £ f : ” | (Angabe der Konten, bei
a © sind Beträge, die | welchen die in Spalte 6
Gegenstand E ei = E auf anderen Kon- | und 7 einxesetzten Beträge
Konto) a | © | g | ten (bei anderen | bereits verrechnet worden
o ( 3 | Q Ga Kassen)nochmals | sind, z. B. zu Spalte 6: s.
ER ‘> verrechnet wer- | Vordruck 5, 1. a4 Spalte 7;
den, in Hohe von | zu Spalte 7: s. Vordruck 5,
M | M. M.IM M M 1. e1 Spalte 6).
Ge deen ierg ees SC (nme BEER
1. 12,3.) 4. |5. 8
b) Grundbesitz EA
(mit Ausnahme des unter a
entfallenen):
1. Geschlossene Güter . ill EEE RT
3. Forsten D e D e D e e ee Der aaa C21 SOTTO She. erie. 8 e gg ee ee e eg ee ee egen ge ge
8. Teiche. Li e . e LI e H eis ie WEE eee ee e e pe ge e e © e pe e e eee e» e e e e . eee
4. Schulgrundstiicke, die | |
der politisch. Gemeinde |
gehören, und zwar:
a) Volksschul - Grund- |
stücke e D . e e ® eee ee es e o Ge pe ee e e OW e ee e ee
|
b). . e e H L ° a e. >o Sg o eee eee EES a e e eg e e ee . e è oè D e . e e e e
c) e e H D H e M e e e e e éi ee ele oè e ep ge e o ese 0 © L TEE E E ON NN ..:..........
b.-Kasernen. x s os ae aeee eden DE E na
6... Postgrundstucke: < 2 len ee dee ege e
7. Sonstiger bebauter wie
unbebauter Grundbesitz |; |
(einschließlich Verwaltungs-
gebäude, Rathaus, Bauplätze, |
Felder, Wiesen usw.). : |
De re De E ee
zusammen b |...
c) Kapitalien:*)
Nur die Erträgnisse von Kapi-
talien, nicht Kapitalzahlungen,
sind hier einzusetzen,
1. Wertpapiere . . . . .|...!..
2. Hypotheken . ... .|...
3. Bank- und Sparkassen-
einlagen `, . 2.2.2. hl,
4. Sonstige Forderungen
und Außenstände (ein-
schließlich Reste). . . |.......|.
D
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D D
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a
a
D e
*) In dieser Abteilung sollen Ausgabeposten an sich nicht zur Erscheinung kommen, da an-
genommen wird, daß sämtliche Einnahmen dieser Abteilung ohne weiteres in die Hauptkasse fließen,
andernfalls sind etwaige Ausgabeposten als durchlaufende su behandeln, was in Spalte 7 und 8
uoch zum Ausdruck zu bringen ist.
zusammen Bs xe ees Së
166
wee Re,
Unter den
Ei A Bemerkungen
SE | GSE: (Angabe der Konten, bei
sind Beträge, die | welchen die in Spalte 6
auf anderen Kon- | und 7 eingesetzten Beträge
Gegenstand
ten (bei anderen | bereits verrechnet worden
(Konto)
i= Überschuß
ES
Kassen)nochmals | sind, s. B. zu Spalte 6: s.
verrechnet wer- | Vordruck 6, 1. a4. Spalte 7;
den, in Höhe von | sa Spalte 7: s. Vordruck 5,
1.01. Spalte 6.)
Fehlbetrag
1.
to | = Einnahmen
oe | = Ausgaben
El
dë
d) Verzinsung und Til
der Schulden: SE
(einschl. des zu leistenden Ver-
waltungsaufwands)
aa) Verzinsung:
1. Anleihen und Beer |
Darlehen... =... © eee ess | ses ces
2. Hypotheken und Rest-
kaufgelder für Grund-
stücke .
3. Sonstige Schulden e CS re E lee
zusammen 82 |...|...|...
bb) Tilgung:
1. Anleihen und en
Darlehen. E E er cose een
2. Sonstige Schulden de rail EE ER
|
Zu Spalte 3: Wenn diese
ee LE deer Summe mit der in Vordruck
4 bei A. zus. a. Spalte 7 nicht
übereinstimmt, ist derGrund
anzugeben.
tungsaufwand:
1. Besoldungen . . . . «jj...
2. Pensionen ... . ge?
3. Sonstiger Personalanf-
wand ....... «le.
4. SachlicherAufwand(ein-
schlieBl. Miete, Beleuch-
tung, Heizung usw.). oe
5. Gebiihren, Sporteln und
Strafgelder . =. 5 ge
6. Entschädigung für Be-
sorgung staatlicher Ge-
schäfte(Vereinnahmung
von Steuern usw.). er
voerlon elle esto non ol 001 0 20 le 100 LT Tee
ee el . eiëpeelegeeeglieeee 8 00 nL gegen gë, Bësse Tee
7. Versicherungebeiträge
aller Art. ......
8. Standesamt
seele a o
|
e) Allgemeiner Verwal-
Seitenbetrag E GE E ee eee ea | EE Se dE
167
Wa
o la | Unter den Remerkau
g 3 A gon
| E F- | E È | Einn. | Ausg. (Angabe der Konten, bei
| 3 © | © | sind Beträge, die | welchen die in Spalte 6
Gegenstand , S| & = 2 | auf anderen Kon- | und 7 eingesetzten Beträge
Kont a D © |. | ten (bei anderen | bereits verrechnet worden
( onto) | k 4 | | Kassen)nochmals sind, z. B. zu Spalte 6: s.
fx] =) | verrechnet wer- . Vordruck 5, 1. a4. Spalte 7;
| den, in Höhe von zu Spalte 7: s. Vordruck 6,
i M M S M M | M 1.01. Spalte 6).
E 1. 28416) 6 | 7. 8.
Übertrag von Bt E EE FE WEEN
9. zu zahlende Steuern
aller Art (z. B. Grund-
steuer,Brandkasse, von
Unternehmungen uBW.)|...|... |: i | esse
10. Militärwesen ; IT RL EE Kee
11. ee Markt- Lë
hallen) . A SE
Dee EE
E ae De E BERN S EES cued
18s 2 Soy E EE E ese ZE EE EE EE
zusammen e T BR 07 E PT 3 | ae PE S E ee
f) Polizeiaufwand: 7 |
aa)Sicherheitspolizei:
1..Besoldüngen s » a Slesklselas san Saal eae ERBE REITER
2. ENEE GE GE EE E E lien
3. Sonstiger Personalauf:
wand Gegen Beklei- |
dung) . d EE E, GN E E
4. Sachlicher Aufwand:
(einschl. Arrestaten und |
Transporte) D i EE SE E, E E
5. Gebiihren, SE l
Strafgelder . Se E Maa E E GE EE
` zusammen 8&8 i E EE we | ree es Cee gry EEE EURO a ee eee ee
| |
bb) Wohlfahrtspolizei:ı
1. Besoldungen und sonsti-
ger Personalsufwand. un... kl ar een) eu
2. Sachlicher Aufwand. d E E EE, EDER EEE ARE
A.
D. E EN re ere er
zusammen bb , e — E, SR) ECG | EE |
sg éeegeeeeegees @ Seege 6 eege
zusammen f |...|...| E EE | juga sa | ee ee ee E T
168
gas: Re
geen e . = =
! Jnter de
= ae e Gs S Bemerkungen
alg | inn. | Koch i (Angabe der Konten, bei
© | © .sind Beträge, die welchen die in Spalte 6
Gegenstand | auf anderen Kon- und 7 eingesetzten Beträge
Kont ) RG | ten (bei anderen bereits verrechnet worden
(Konto | Q Ga Kassen)nochmals sind, z. B. zu Spalte 6: a.
Gd verrechnet wer- Vordruck 6,1. a4. Spalte 7;
den, in Höhe von zu Spalte 7: s. Vordruck b,
1. e1. Spalte 6.)
M.. M. |
1. . .!4.15. i 7. 8.
g) Gemeinnützige und
Wohlfahrtseinrichtungen:
1.
or
. Arbeitsnachweis
Waisen- und Versorg-
häuser. . .
. Krankenfirsorge auBer-
halb der Krankenhäuser
. Beiträge zu wohltäti-
gen und gemeinnützi-
gen Zwecken
soe sjo a a
se ojo o o
. > |o o o
ep asajpe o
2esijeeefe ge 2 a else ooje ege eg
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|
|
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|
“er eg e e
See ée ee es e pe eege ege e
Sege ege ee eege ea ee eege ev
h) Feuerlöschwesen:
. Personalaufwand (ein- |
schließlich Bekleidung) ....|...|...|...
. Inventar. ....
. Sonstiger sachlicher
Aufwand. ....
. Mobiliar- und Immobi-
liarversicherung.
i
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ag eise o a
=
SS
Se ée pe ep ep opene oe ge ee a
zs egeeeeee sees ees eeeeee
Se gege 0 ës ge ees ee e e e
zusammen EE E E Ee EE | Se
Gegenstand
(Konto)
1.
je & Einnahmen
i) Straßen, Plätze und
Brücken (einschl. Fußwege
und Beschleusung):
. Neuherstellung. . . .
. Unterhaltung. . . . .
. Reinigung. . . . . .|.
. Beleuchtung . . .
a m O V me
Ba
Unter den
| l;
a | )
as | & | Einn. Ausg.
Sib
e o ,% sind Beträge, die
béi = E auf anderen Kon-
| 3 | o |. ten (bei anderen
iq wie) 04 | Kassen) nochmals
| Eë ' verrechnet wer-
| | den, in Höhe von
I
M. MIN M. | M.
ee
a 4.15. 6:7
Bemerkungen
(Angabe der Konten, bei
welchen die in Spalte 6
und 7 eingesetzten Beträge
bereits verrechnet worden
sind, z. B. zu Spalte 6: s.
Vordruck 5,1. a4. Spalte 7;
zu Spalte 7: s. Vordruck 5,
1. ei. Spalte 6.)
8.
Soe e 8080020980 00 8 8 0 KR eee
e sjo ® ee eee ee ef wee wee Tee ge
k) Brunnen, Denk-
miler usw.. .
ee Be @ e ops @
oe E 0 808 A @e RN OO
Së eege ege oe e ee Dep rg e pe
zusammen k
D Höhere und Fach-
schulen:
(Staatsbeitrige sind mit ein-
zurechnen.)
. Gymnasien und Real-
gymnasien. ....
. Realschulen
. Fachschulen . .
. Beiträgean nicht derGe-
meinde gehörige Schu-
ON. e EE ra
zusammen |] |
zs o ©
4
oeelweeeieeefreeeeee © 8 © @ @ wo @
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(E r ees ege eege gege e o e
sun ON eee. s 82s OO OO?
LE RN eet RA RW
a eege gg ene ee a ée ge ege po Be ges e eo
aa) IndirekteAbgaben:
1.
o >
bb) Direkte Steuern:
1.
m) Gemeindesteuern:
. Gemeinde - Grundsteuer
. Kopfsteuer. .
. Gewerbesteuer vom
. Umsatzsteuer vom Groß-
. Wanderlagersteuer . . |
ee EE EE en hir
= T eg
Unter den
4115| ©] p;
o|2/¢ Einn. | Ausg.
Q |© |B sind Beträge, die
Gegenstand bo | © | 2 | auf anderen Kon- |
© | 4 | ten (bei anderen
(Konto) 3 Q GG Kassen) nochmals
> verrechnet wer-
den, in Höhe von
M. | M. M. | M.
Biersteuer . . . . . aW...
en |
J
Lustbarkeitsabgaben `...
Besitzwechselabgaben .u.. Ill,
Bemerkungen
(Angabe der Konten, bei
welchen die in Spalte 6
und 7 eingetzten Beträge
bereits verrechnet worden
sind, z. B. su Spalte 6: a
Vordruck 5, 1. a4. Spalte 7;
su Spalte 7: s. Vordruck 5,
1. el. Spalte 6.)
Gemeinde -Einkommen-
steuer. . . 2 2 20.0.
pa
betrieb im Kleinhandel
Schankbetrieb im
Branntweinhandel
I
s eeuseelsselsssleseenelsrsrsee
Seele pg gie ees eelge eege e
e >o ojos ojo oo’
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Seele oe jo a 0 0 1 0) 1 8 ee ée Le nn gé e ée ee geg Ge e Ge e 6 oe ge
ee gleesieeeeesleegaeeeeleeenpseepeeeeegeeegeeee
|
zusammen bb = d ON RU U erer eege
ee en
a
zusammen m |. . I ee ele e
171
Gen er
Zusammenstellung.
o D | vater cen | Bemerkungen
= be Einn. | Ausg.
fe CR (Angabe der Konten, bei
4 © 43 sind Beträge, die welchen die in Spalte 6
Gegenstand bp 2 3 auf anderen Kon- | und 7 eingesetzten Beträge
Konto 3 © Le | ten (bei anderen | bereits verrechnet worden
( n ) 2 | Kassen)nochmals | sind, z. B. zu Spalte 6: a
< CO | & | verrechnet wer- | Vordruck 5, 1. a4. Spalte 7;
den, in Höhe von | zu Spalte 7: s. Vordruck 5,
1. el, Spalte 6.
M|M.M| M. | M.
8.14.'6.' 6 | 7. 8.
a) Unternehmungen und
Anstalten
|
b) Grundbesitz ..... DE RE E
©) En E EE ER ee EE EE
d) Verzinsung u. Tilgung
der Schulden. ....
e) Allgemeiner Verwal-
tungsaufwand
oo ol 00 le artless ojo cooo. jos 10 0 oe ls 0 0 1 0 1 1 EL TE Le HT Te 0
e |j eeleeeieeoeleeete 8 0 0 2 0 | oe ege TE TI ee Ge gege ge ee @ e
f) Polizeiaufwand. . . ./|.../...]/...]..
oe@@eeerlt*e*@eoee@etipeoeeoereeoeeeseeeeseeveeeee © @
g) Gemeinnützige u.W ohl-
fahrtseinrichtungen . .
h) Feuerlöschwesen .. .
i) Straßen, Plätze und
Brücken. ......|
e eeleeelaeeeleeeleeeeeeleeeeegeeleggeeegeeeeseeep eege e
k) Brunnen, Denkmäler
usw.
I) Höhere und Fachschu-
lan. 22.2 8 22.8 E EEN TR eet
m) Gemeindesteuern . . ele ele ll
|
Gesamtsumme |...|..-|...
*) Bei einem sich ergebenden Fehlbetrage ist anzugeben, woher die Deckungsmittel ge-
nommen sind.
172
ee: ce
2. AuBerordentliche plicable a und deren liar deri
8 Die Mittel dazu
Ausgaben
sind entnommen worden aus:
1. Neuherstellung und Erweite-
rung von
a) Unternehmungen
Be) Gas weri EE EE E
b) Gebäuden. ....... ae Ds ee Wraps ee ee
2. Fluß- und Bachregelungen. . Wl
3. Grundstücksankäufe. 2.4. 204088 el an
4. Ausgeliehene Hypotheken und
sonstige- Gelder: s reces 4 Ines ae
5. Außerordentliche Schuldentil-
gung (in Vordruck 4, S. A bei
Ill. 4 Sp.2 mit nachweisen). !....... E DEE
zusammen |..... WEE
173
Gemeinde Amtshauptmannschaft .. . Königreich Sachsen.
Vordruck 6.
Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben im Rechnungsjahre 19
(Hierunter sind die Brutto-Einnahmen und Brutto-Ausgaben zu verstehen.)
II. Ortsarmenverband.
1. Ordentliche Einnahmen und Ausgaben.
SEN Bemerkungen
i
Einn. ' Ausg. | (Angabe der Konten, bei
sind Beträge, die welchen die in Spalte 6
auf anderen Kon- ; und 7 eingesetzten Be-
ten (bei anderen | träge bereits verrech-
Kassen)nochmals net worden sind, 2. B.
| verrechnet wer- | zu Spalte 6: sıehe Vor-
druck 5,1 m. bb. 1.
Spalte 7.)
Gegenstand Ä
(Konto) `
den, in Höhe von
© EB Einnahmen
Ge | KE Ausgaben
EN | = Fehlbetrag
sp es eg
2. Kapitalien
]
1. Grundbesitz. . . . d alte
3. Schulden: |
. ee Be 82 888 j%e*e ee OO
ae 0 01 0 01 8108 0 0 018 82 880082 8. Gë see ee
b) Tilgung . . . . . j e
4. Gebiihren und Straf-
gelder (einschl. Jagd- und
Angelkarten).: s 4. 18. 8 lacie: Were SE e loa wel loa ed lease Sew wo ee wee ee SS
5. Freiwillige Beiträge
E
se 080082 age éelee 0 ëeelesxve gp ales eg op see Ggs ge ee e
a) Verzinsung. .. | Eraser EERE ore eee
6. Legat- und Stiftungs-
a) Besitzwechselab-
PIVEN cn <a. ee Geier ee GE EE
|
|
c) Hundesteuer oer ns oada ns Pes Pe a
8. Schankgewerbe-Steuer |
|
u. Abgabe vom Brannt- !
welnhandel . . . . .).... ane
. Armenunterstützungen
e eg o;o 0 0820 0 0 0 len a 1 En le 1 TE ee ge
KA
aller Art einschlieBlich |
Erstattung von und an. |
andere Armenverbiinde
(Unterstützungs - Wohnsitz-
Gesetz).
10. Besoldungen ... $
11. Sonstiger Verwaltungs- |
aufwand ..... |
@eeeaetilieocose @eafitieetetessvsteicgeeeej eseett tealeeseeeeeeeeeereertete
s... ee oe fee AEN OO ib Ei seeeesieo-eeeeeeeort eee eeae
|
gaben GEERT EE EE
b) Lustbarkeitsab- |
See
|
|
|
Seiten betrag ENEE E E gt Dee EE
174
| Unter den
g, f Bemerkungen
o. f 3 d Einn. ! Aus &
ERAE a E
Gegenstand = | Di 2 di | auf anderen Kon- und‘ eingesetzten Be-
© | 5 |ten (bei anderen | träge berei h-
(Konto) 33|8|13 eege E
D, f | verrechnet wer- zu Spalte 6: siehe Vor-
| den, in Höhe von ' druck 6,1 m. bb. 1.
“.“M|m'm!m | ren
TL Ia s|als |e j m. 8
Übertrag |... EI E Säi AR E EA
12. Armenanlagen... . GE EE ee E | E E
13. Zuschuß aus der Stadt- | | TI TI
kasse. . . 2.2... lees cls seele e GI hr 2
14. ZuschuB aus anderen |
Kassen, und zwar: oh.
eee ee eee E EE
i e |
zusammen. HE A I See dee EEE | EE bere
Die nach Abzug des UberschuBbetrags (Spalte 4) vom Fehl-
betrage (Spalte 5) sich ergebende Mehrausgabe von. . . . 2. 2... .M.
ist gedeckt worden durch
a) einen bei Beginn des Jahres vorhandenen Kassenbestand . M.
b) Überweisung eines Betrags aus den Sparkassenüberschüssen . .. M.
ee a EE ee ee A M.
2. Außerordentliche Ausgaben und deren Deckungsmittel.
Die Mittel dazu
Ausgaben M. :
sind entnommen worden aus:
1. AuBerordentliche Schuldentil-
gung (in Vordruck 4, S.4 bei
II. 4. Spalte3 mit nachweisen) 1.
... eeeeeegegesn ege eeseegeseg
Gemeinde. `,
Amtshauptmannschaft..
175
Königreich Sachsen.
Vordruek 7.
Übersicht über die Einnahmen nnd Ausgaben im Rechnungsjahre 19
8 83)
(Hierunter sind die Brutto-Einnahmen und Brutto-Ausgaben zu verstehen.)
ITI. Schulgemeinde.
1. Ordentliche Einnahmen und Ausgaben.
}
1. Grundbesitz. ... oe PER ER,
Gegenstand
(Konto)
2. Kapitalien
11.
12.
. Aufwand für Inventar |
. Mietzinsen für Schul-
. Sonstiger
f Übersee
. Schulden: |
a) Verzinsung. . je
b) Tilgung... EI ler E E
. Besoldungen und son- |
stigerPersonalaufwand
und Lehrmittel
räume
sachlicher |
Aufwand (einschl Hei- |!
zung, Beleuchtung, Rei-
nigung und Unterhaltung `
der Gebäude) . . .
. Gesundheitspflege für
Schulkinder (einschließ-
lich Schulärzte) |
. Legat- und a
zinsen
Grund. |
steuer .......,
Sonstige Gebühren so-
wie Strafgelder . . jene ee
eee
Schulgeld. .... A
` M.
os P Ausgaben
o E Fehlbetrag
| Unter den
| Einn. Ausg.
| sind Bertie die
auf anderen Kon- | und 7 eingesetzten Be-
ten (bei anderen träge bereits verrech-
Kassen) nochmals ` net worden sind, z. B.
| verrechnet wer-
den, in Höhe von
M |
. RO
Bemerkungen
(Angabe der Konten, bei
| welchen die in Spalte 6.
zu Spalte 6: siehe Vor-
druck 5,1 m. bb. 1.
Spalte 7.)
Seege eg se goe ges ë ee e:
(OAI OO © OO @O ee © OO OR eo OU OO BO © we ON ww
ae ee pe see eg ën @ RP woe ép ee geg ee eee
*eeee8 @# © @ * ON LAN OO OO OO OO
IL OR eo he He GO Te
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see eege eps pe pg e eneseg eegene gsges ëss ss g
Seitenbetrag | :
t
i |
Unter den
|
!
an Bemerkungen
2 E l Einn. | Ausg. (Angabe der Konten, bei
ei @ sind Beträge, die | weichen die in Spalte 6
Gegenstand u Zi auf anderen Kon- | und 7 eingesetzten Be-
(Konto) E | e | ten (bei anderen | trage bereits verrech-
N © Kassen) nochmals | net worden sind, s. B.
D | fu verrechnet wer- | zu Spalte 6: siehe Vor-
den, in Höhe von | druck 5,1. m. bb. 1.
M | M M Spalte 7.)
1 SES 1 .
l
Übertrag eefe EE TT Paaa GE
13. Besitzwechselabgaben |....|.... i TEE Kb deg | EL
14. Sonstige indirekte |; | E |
Stonen 36 re E WEE ROTA ae ee ee
16; Schulanlagen. s: cones na este eu a ee ea ee a
|
16. Zuschuß aus der Stadt- |
Kase ioe erasa gr dled EOE PERTE ore I ne ee
17. Fortbildungsschule. 1... 1... ee
18. . ee Wana leans wees alse
19. ee DEEN |
|
zusammen ||. . E Ee GET EE
! i |
Kassenbestand bei Beginn des Jahres 19 .... ..................M.
Überweisung aus den Überschüssen der Sparkasse — M.
2. AuBerordentliche Ausgaben und deren Deckungsmittel.
Die Mittel dazu sind ent-
Ausgaben | M. nommen worden aus:
1. Neubau von Schulen
2. Außerordentliche Schuldentilgung (in
Vordruck 4, S. 4 bei III. 4. “paite 4
mit nachweisen). E iw oe
Basste? ch
zusammen | EE
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ERGANAUNGSHEFTE ZUM
DEUTSCHEN STATISTISCHEN ZENTRALBLATT - HEFT 6
DIE METHODEN DER
DEUTSCHEN ARBEITSLOSENSTATISTIK
VON
Dr. RICHARD HERBST
&
VERLAG VON B.G.TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN 1914
Bf
ALLE RECHTE, EINSCHLIESZLICH DES ORERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
Geleitwort.
Vorliegende Abhandlung, deren Entstehung der Verfasser in erster
Linie einer Anregung seines hochverehrten Lehrers, Prof. Dr. Ferdinand
Schmid in Leipzig, verdankt, stellt den überhaupt ersten Versuch einer
eingehenderen, systematischen Zusammenfassung und Besprechung der
Methodologie der deutschen Arbeitslosenstatistik dar. Ursprünglich war
beabsichtigt worden, auclı noch die internationale Seite dieses Gebietes
zu berücksichtigen. Jedoch schon während der Sammlung der Materialien
zeigte es sich, daß allein die deutsche Arbeitslosenstatistik eine solche
Fülle interessanter und wichtiger Momente bot, die an und für sich Stoff
genug zur Verfügung stellte und die Beschränkung auf das Deutsche
Reich als geboten erscheinen ließ. Lag bereits bei der weiteren Fassung
des Themas die Gefahr nahe, nicht völlig erschöpfend zu sein, so muß
jedoch auch in diesem Falle vorausgeschickt werden, daß trotz der ge-
nannten Einengung den Ausführungen eben mit Rücksicht auf die ganze
Eigenart der Materie vielleicht doch noch hier und da Lücken und offene
Fragen anhaften können. Das dürfte aus später näher zu erörternden
Gründen besonders für die private Arbeitslosenstatistik zutreffen, da die
vorhandenen Quellen selbst nicht immer ganz fehlerfrei waren und mit-
unter nicht unerhebliche Widersprüche aufwiesen, wodurch die auf so-
zialstatistischem Gebiete an und für sich schon mit Schwierigkeiten ver-
bundene Materialiensammlung nach dieser Richtung hin auch noch eine
beträchtliche Steigerung erfuhr. Es wird daher wohl nicht umsonst an
die Nachsicht des Lesers zu appellieren sein.
Was die Grundlinien der Bearbeitung und die Dispositionsmaxime
anlangt, so ist das Schwergewicht naturgemäß auf die methodische
Seite des Problems gelegt worden. Daneben konnte jedoch in einer
Anzahl von Fällen auf die Mitteilung der Ergebnisse nicht ganz ver-
zichtet werden, zumal ja eine kritische Betrachtung dieser Materie
sich kaum unmittelbar an die einfache theoretische Darstellung des be-
handelten Stoffes anschließen kann, sondern erst mit Erfolg einzusetzen
imstande ist, wenn die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Me-
thoden praktische Bedeutung erlangt haben. Um nun aber die Bearbei-
tung auch wieder nicht allzusehr zu belasten, ist die Hinzuziehung eines
ausgedehnten Tabellenwerks in der Hauptsache tunlichst vermieden, und
stellenweise sind dem Text sogar nur die entsprechenden Quellenangaben
beigefügt worden. Während also die Darstellung in dieser Hinsicht
IV Geleitwort
notwendigerweise etwas eingeschränkt werden mußte, gelangte anderer-
seits wieder eine größere Anzahl von Formularen, Zihlungsbogen und
-karten sowie sonstiger Drucksachen zum Abdruck bzw. zur Besprechung,
um die methodischen Erörterungen so vollständig wie nur möglich zu
gestalten.
Aus technischen Gründen und infolge anderer Ursachen mußte die
erschöpfende Bearbeitung der internationalen Seite des behandelten
Stoffes sowie die Berücksichtigung der auBerdeutschen Arbeitslosen-
statistik in den nachstehenden Ausführungen unterbleiben. Der Verfasser
beabsichtigt jedoch die in dieser Richtung bereits bis zu einem gewissen
Grade vorgenommene Sammlung des Materials auch weiterhin fortzu-
setzen und zu fördern. Es steht daher zu hoffen, daß über den Erfolg
dieser Studien in absehbarer Zeit ebenfalls berichtet werden kann, da-
mit die vorliegende Abhandlung eine immerhin wünschenswerte Er-
günzung erfährt.
Die erwähnten Drucksachen wurden dem Verfasser in bereitwillig-
ster Weise von der Abteilung für Arbeiterstatistik des Kaiserlichen
Statistischen Amtes, dem Königlich Sächsischen Statistischen Landes-
amte, den städtischen Statistischen Ämtern, den Arbeitnehmer- und An-
gestelltenorganisationen und dem Arbeitersekretariat Leipzig zur Ver-
fügung gestellt, wofür allen Genannten zu danken an dieser Stelle Ge-
levenheit genommen werden soll. Ganz besondere Erwähnung gebührt
jedoch Herrn Prof. Dr. F. Schmid, der sowohl bei der Aufstellung des
Planes als auch während der Ausführung der Arbeit dem Verfasser stets
mit wertvollem Kat und Anregungen zur Seite gestanden und jederzeit
in wohlwollender Weise fördernd und mit Interesse die Ausarbeitung
verfolgt hat. Auch des durch den Direktor des Kel. Sachs. Statistischen
Landesamtes, Herrn Geh. Regierungsrat Dr. E. Würzburger, bewie-
senen liebenswürdigen Entgegenkommens sei hier gedacht.
Mögen nun die folgenden Ausführungen das gleiche Interesse, das
Wissenschaft und Praxis der Erörterung aktueller Fragen stets ent-
gegenzubringen pflegen, auch für sich in Anspruch nehmen und eine
in jeder Beziehung beifällige Aufnahme finden.
Leipzig, im April 1914.
Der Verfasser.
Inhalts-Verzeichnis.
Erster Abschnitt. Allgemeines über Arbeitslosenstatistik.
§ 1. Begriff und Abgrenzung ......... nn nr ren
§ 2. Bedeutung und Ziele. . . 2 22 Co er nr ren
§ 3. Kurze methodologische Übersicht . . . 2 2 2 2 2 2 22 2.
Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik.
§ 1. Allgemeiner Charakter, Methodologie und Kritik . ......2.2..
§ 2. Arbeitslosenzählungen der Jahre 1892—93 ......
1. Die Methode des Dr. A. Braun . 2... m m m nn
2. Die Hamburger Erhebungen am 15. Okt. 1892 und 11. Febr. 1894
§ 3. Berliner Arbeitslosenqueten im Jahre 1901. . . . 2 2 2 2 2 2 2 0.
§ 4. Die Frankfurter Arbeitslosenzählung am 1. Febr. 1903 .......
§ 5. Die Arbeitslosenstatistik des Malerverbandes. . . . .
1. Die Methode der Fragerubriken in den Mitgliedsbüchern. (1900)
2. Das System der Fragekarten (1902—1906) ............
3. Die beitragsfreien Marken fiir die arbeitslosen Mitglieder (1909) . .
§ 6. Die Arbeitslosenstatistik des Zentralverbandes der Maurer Deutschlands
1. Die Methode der Zählbefte . . 2... 2 2 2 2 nenn
e è> è e >o
2. Die Stichtagszählung des Jahres 1909 `. 2 2 0 nn
§ 7. Die Veranstaltungen des Leipziger Gewerkschaftskartells ..... .
I. Ältere Arbeitslosenstatistiken. . » . 2 2 2 2... 2 ue. feet ate
II. Die Einführung der neuen Methode...
t Techmik „273, a äer Bek oe. SO Hes ae ee Ke Me ren
2 Erpebnißse: 2 as war Se en ee a
IH. Die Zählungen der Jahre 1908—1910. . . .
IV. Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig nach iliret
neuesten Stand (1918 und 1914) . 2... En aa’
§ 8. Die Stellenlosenstatistik der Angestellten .........
Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik.
§ 1. Darstellung und Kritik der Methoden. ........ 2 a
§ 2. Die Geschichte der kommunalen Arbeitslosenstatistik . . . ....
I. Entstehung und erste Anfänge ........
II. Die Nacherhebungen der Städteim Anschluß an die Reichsarbeitslosen-
zählungen des Jahres 1895. . - 2 2: HE re rn nennen
1. Methodologie . .......4... E > Sak Rit Er e
2: EE
III. Die moderne Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung von:
d Dresdene 13.20: 8 wes Sot Sa u a a Br Be ein
E fear na ele os ee ee ne
E CO a ve eg ee ee Gs a ee Bee Be
IV. Historischer Rückblick und methodologisch-vergleichende Übersicht
VI Inhalts- Verzeichnis
ep Seite
§ 3. Die Verdienste der städtischen Statistischen Amter um die kommu-
nale Arbeitslosenstatistik. . . . 2 2 2 Cem ern en 100
8 4. Kritische Gesamtbetrachtung . . » 2 2: 2 2 m 2 m nr 2.0068. 102
Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik.
A: Das: Reich 3..:2:.0. ae 4.5 8 Da he ge as ee ae ee 109
I. Direkte Veranstaltungen. (Die Arbeitslosenzählungen des Jahres 1895) 109
l: Vorgeschichte s- d en ee ee 109
2. Methodologie: s u: 2 u 2.2 San Be a a Le 111
3:::ErREDDIBBE. ay ee ee SO Sy a ae S .. 112
ARE ne a a Ye Be ee e 119
II. Die assoziierte Arbeitslosenstatistik des Kaiserlichen Statistischen Amtes
mit den Arbeitnehmer- und Angestelltenverbänden. ........ 120
a) Darstellung und Kritik der methodologischen Besonderheiten . . 120
1. Arbeiterfachverbände . . . . . 2 2 2 2 2 Eee. 120
2. Kaufmännische Vereinigungen . . . . 2: 2 2 2 2 2 0 ne. 126
8. Privatangestelltenverbände. . . 2. 2 2 2 2 2 En 2 nn. 130
b) Übersicht über Teilnehmer und Ergebnisse .......... 131
1. Die Beteiligung der angeschlossenen Fachverbände und ver-
wandten Organisationen nebst Mitgliederzahlen und Arbeits-
losenzi orm e uana a = 2 Da wre Bea os A 132
2. Die Ergebnisse der Stellenlosenstatistik der Angestelltenver-
bände in den einzelnen Verbandsgruppen. ......... 136
3. Die Gesamtstellenlosenzahlen aller an der Reichsstatistik be-
teiligten Privatangestelltenverbände . ... . 222220. 136
4. Die Arbeitslosigkeit in sämtlichen an die Reichsstatistik ange-
schlossenen Organisationen . . 2 2: 2 222 re. 139
a) Verhältniszablen. . . 2. 2 2 2 2 2... nenn 189
p) Graphische Darstellung . .. . 2.2 22 220m. 140
y) Gesamtbetrachtung - . . 2... 2 2 er a 141
III. Indirekte Veranstaltungen. . .. 2 2 2 1.2.2. eee ee eee 147
§ 1. Die deutsche Arbeitsmarktstatistik im allgemeinen . ........ 147
§ 2. Die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsnachweise .......4... 148
§ 3. Die Bewegung der Mitgliederzahlen der Krankenkassen. . . . . . 152
§ 4. Die Einnahmen der Landesversicherungsanstalten aus dem Verkaufe der
Versicherungsmarken . 0. 1 we we eee ee ee te es 158
§ 5. Die kaufmännische Stellenvermittlung e lay. HE uae, he WEE we Re i, 160
§ 6. Die Stellenvermittlung der technischen Angestellten ........ 163
§ 7. Wert aller indirekten Veranstaltungen für die Arbeitslosenstatistik . 165
B. Die Bundesstaaten . . . l. 2. oo En rennen. 166
SL. SACHBOD sr... ce ie ies e A Be eet er a Gn Eee ee 8 166
G22... Baden. ve 5 in re ea a ge ee ee Sé 170
BEE y pos were ee ee Ge tie ENS Ge he ee we de ee 173
Fünfter Abschnitt. Schlußbetrachtungen.
§ 1. Vergleichender Rückblick . . . 2.2 2 2 2 Er 2 2 eee ee ee 175
§ 2. Reformvorschläge und Weiterausbau der deutschen Arbeitslosenstatistik 178
E EENHEETEN 181
-
Erster Abschnitt.
Allgemeines über Arbeitslosenstatistik.
§ 1. Begriff und Abgrenzung.
Die Arbeitslosenstatistik ist der neueste Zweig der Arbeitsstatistik,
die ihrerseits einen Teil der Sozialstatistik bildet. Trotz ihrer Kompli-
ziertheit und Eigenart hat sie sich die ihr bisher von der Wissenschaft
versagte Anerkennung verschafft und ist auf dieser Grundlage dank der
bereits in den einzelnen Ländern, vornehmlich in Deutschland, erzielten
vielrersprechenden Ergebnisse in neuerer Zeit zu einem beachtenswerten
Faktor der Sozialstatistik geworden. Wie die Besorgnis um Bevölke-
rungszu- und -abnahme die Bevölkerungsstatistik, die Finanznot der
öffentlichen Verbände die Finanzstatistik, die nachhaltige Verteuerung
der Lebensmittel die Preisstatistik, die Wohnungsnot die Wohnungs-
statistik geboren hat, kurz das Auftreten von tief und allgemein emp-
fundenen Mißständen auf den verschiedensten Gebieten der inneren und
äußeren Handels- und Wirtschaftspolitik, des Verwaltungswesens, der
Rechtspflege und des sozialen Lebens die genaue Feststellung und
sichere Beobachtung der tatsächlichen Vorgänge und Zustände dringend
geboten erscheinen ließen, die Anwendung der Statistik unbedingt for-
derten, so können wir die Arbeitsnot die Mutter der Arbeitslosen-
statistik nennen. Von einer glatten und gesunden Fortentwicklung und
einem befriedigenden inneren Ausbau dieses neuesten Zweiges der Sozial-
statistik kann aber ohne weiteres nicht die Rede sein, da sowohl der
Theorie als auch der Praxis der Arbeitslosenstatistik bisher der starke
Impuls und die nötige Intensität fehlten, die gewöhnlich zur Klärung
oder Lösung schwebender Probleme erforderlich sind. Neuerdings bringt
man jedoch der Arbeitslosenstatistik mehr praktisches und wissenschaft-
liches Interesse entgegen, zumal der in gewisser Beziehung unverkenn-
bare Rückgang der wirtschaftlichen Konjunktur unserer Zeit die Ge-
fahren der Arbeitslosigkeit deutlich zeigt und eine zahlenmäßige Er-
fassung derselben zu ihrer Beobachtung und Bekämpfung als unbedingt
nötig und nützlich hinstellt.
Das Wort „Arbeitslosenstatistik“ gibt infolge seiner augenschein-
lichen Durchsichtigkeit und Klarheit kaum Anlaß zu Mißdeutungen.
Eine nähere Begrifisbestimmung mag daher vielleicht überflüssig er-
Herbst: Arbeitslosenstatistik 1
2 Erster Abschnitt. Allgemeines über Arbeitslosenstatistik
scheinen. Dennoch seien uns zur begrifflichen Festlegung und schär-
feren Abgrenzung des Ausdrucks einige Bemerkungen gestattet.
Wenden wir uns nun den beiden Hauptbestandteilen des Wortes
„arbeitslos“ und „Statistik“ einzeln zu und versuchen zuerst, uns eine
Meinung über den letzteren Begriff zu bilden. Schon dieser ist sehr
umstritten, zumal seit dem Aufkommen der Bezeichnung „Statistik“
in der Sprache der Wissenschaft und Verwaltung eine außerordentlich
große Zahl verschiedener Definitionen entstanden ist. Die Literutur hat
sich eingehend damit beschäftigt, dem Worte die richtige Deutung zu
verleihen. Unendlich viel ist über den Begriff, die Theorie, Methode
und Wissenschaft der Statistik geschrieben worden, scharfe Meinungen
hat man darüber ausgetauscht. Es würde jedoch zu weit führen, an
dieser Stelle auf die mannigfachen theoretischen Fassungen des Begriffes
der Statistik, wie sie die Literatur gegenwärtig aufweist, näher einzu-
gehen oder gar noch Erörterungen darüber anzustellen, welcher Be-
griffsbestimmung der entschiedene Vorzug gebührt. Soviel steht aber
fest, eine allgemein gültige Definition hat sich in gewisser Beziehung
auch bis auf den heutigen Tag noch nicht durchzusetzen vermocht.
Zählte schon Rümelin im Jahre 1863 gegen 62 verschiedene Erklä-
rungen über den Begriff der Statistik und sprach bereits Engel von
180 Definitionen, wieviel mehr mögen da wohl heute vorhanden sein!
Es ist daher zu empfehlen, um zu einer Bestimmung des Begriffes der
Statistik zu gelangen, sich den Auffassungen der ersten Vertreter der
statistischen Wissenschaft anzuschließen und ihre Terminologien ent-
weder ganz oder teilweise anzunehmen. So bedient sich v. Mayr der be-
kannten Unterscheidung der „Statistik im materiellen Sinne“ (Wissen-
schaft der Statistik) und „Statistik im formellen Sinne“ (statistische
Methode). Der Altmeister der deutschen Statistik betont vornehmlich
die erschöpfende Massenbeobachtung der sozialen Massenerscheinungen.
Für Most ist die Statistik diejenige Methode, die in der Vergleichung
exakt zahlenmäßig erfaßter Tatsächlichkeiten zwecks Erkenntnis des
quantitativ Wesentlichen besteht. Verwenden wir diese letztere Defini-
tion mit zur Abgrenzung des Begriffes der Arbeitslosenstatistik, so
kommen wir auf diese Weise eher zum Ziele, als wenn wir die Mayr-
schen oder andere Deutungen des Wortes Statistik unseren weiteren
Ausführungen zugrunde legen würden. Somit verstehen wir unter
Arbeitslosenstatistik diejenige Methode, die in erster Linie eine
exakte zahlenmäßige Feststellung des Umfanges der Arbeits-
losigkeit erstrebt und dann mit Hilfe dieser Ergebnisse versucht, sach-
gemäße Vergleiche anzustellen, um daraus, soweit es die zahlenmäßigen
Beziehungen zulassen, das Wesen der Arbeitslosigkeit zu erkennen.
Was nun den anderen Wortteil „arbeitslos“ anlangt, so können wir
nicht umhin, auch hierüber einiges zu sagen, zumal der Sprachgebrauch
gerade in dieser Beziehung durchaus allgemeiner Natur ist.
Begriff, Objekte; Ursachen der Arbeitslosigkeit 3
Wer ist arbeitslos? Die Beantwortung der Frage muß daraufhin
zielen, eine strenge Fixierung der Objekte der Arbeitslosenstatistik
herbeizuführen, denn die Allgemeinheit des Begriffes hat schon des öf-
teren Ungenauigkeiten und Unsicherheiten in der Fragebeantwortung
bei den Zählungen verursacht.
Als arbeitslos können wir jeden bezeichnen, dessen wirtschaft-
liche Existenz in der Hauptsache auf der Arbeit beruht, der aber keine
Arbeit hat. Mithin sind die Berufszugehörigen der höheren Bevölke-
rungsschichten ohne Beruf und Stellung, die positionslosen Mittelstands-
leute sowie die gelernten oder ungelernten Arbeiter ohne Beschäftigung
unterschiedslos in gleicher Weise schlechthin als arbeitslos anzusehen.
Von diesem Standpunkte aus müßte also die Arbeitslosenzählung ihre
Erhebungen über alle Kreise der Bevölkerung, die höheren und die
niederen, und über alle Berufsschichten ausdehnen. Es liegt auch eine
Anzahl von Statistiken vor, die mit Erfolg versucht haben, ihre Unter-
suchungen in dieser Ausdehnung vorzunehmen und den Begriff der Ar-
beitslosen soweit wie möglich zu fassen. Im allgemeinen hat jedoch,
namentlich in neuerer Zeit, der Begriff der Arbeitslosigkeit eine ziem-
lich beträchtliche Einengung erfahren. Wie unsere gesamte Sozialpolitik
seit Jahrzehnten im wesentlichen bestrebt ist, die Lage der abhängigen
Arbeitnehmer, der Arbeiter im eigentlichsten Sinne des Wortes, zu bes-
sern und zu heben, kurz das Problem der Sozialpolitik sozusagen zum
Arbeiterproblem geworden ist, so hat sich auch der Begriff der Arbeits- .
losigkeit zu einem solchen der Arbeitslosigkeit des abhängigen
Arbeiters herausgebildet und die moderne Nationalökonomie und So-
ziologie hat es bei dieser zur Gewohnheit gewordenen Auffassung be-
wenden lassen.
Wir haben bereits eingangs festgestellt, daß die Arbeitslosenstati-
stik im weiteren Sinne einen Teil der Sozialstatistik bildet. Letztere ist
ihrerseits wieder mit der Wirtschaftsstatistik eng verwandt. Demnach
sind auch zwischen dieser und der Arbeitslosenstatistik Beziehungen
vorhanden, die sich darin äußern, daß wir bei einer Erfassung der Arbeits-
losigkeit auf statistischem Wege stets die wirtschaftlich begründete
oder die soziale Arbeitslosigkeit im Auge haben müssen; erst damit
ist die Aufgabe der Arbeitslosenstatistik richtig gelöst, denn nur die Er-
hebungen über die wirtschaftlich begründete Arbeitslosigkeit können für
die Wirtschafts- und Sozialstatistik von besonderem Interesse sein.
Bei der Erörterung der Terminologie der Arbeitslosenstatistik konn-
ten wir nicht umhin, bereits die Frage nach den Ursachen der Arbeits-
losigkeit, wenn auch nur flüchtig, zu berühren und wiesen dabei auf die
wirtschaftlich begründete oder soziale Arbeitslosigkeit hin, in der, von
Konjunkturschwankungen oder einem Überangebot von Arbeitskräften
hervorgerufen, meist die Massenarbeitslosigkeit der modernen Industrie-
staaten wurzelt und auf die wir letzten Endes die Entstehung des un-
1*
4 Erster Abschnitt. Allgemeines tiber Arbeitslosenstatistik
beschäftigten Proletariats mit zurückführen müssen. Im folgenden wollen
wir uns noch einen kurzen Überblick über die übrigen Ursachen der
Arbeitslosigkeit verschaffen.
Die vorstehend erörterte, auf sozialen Gründen beruhende wirt-
schaftliche Arbeitslosigkeit können wir zu den objektiven Ursachen,
d. h. solchen, die ohne Verschulden des Betroffenen eintreten, rechnen,
zu denen außerdem noch die individuellen wie Krankheit, Unfall,
Invalidität und die natürlichen gehören. Letztere treten namentlich
in den von Klima und Wetter abhängigen Gewerben und Berufen zutage
und zwingen nicht selten die in denselben beschäftigten Arbeiter zu
einer Unterbrechung ihrer Tätigkeit. Den objektiven Ursachen der Ar-
beitslosigkeit stehen gegenüber die subjektiven, bei denen stets ein
Verschulden der betroffenen Personen vorliegt. Ihre Hauptmomente sind
Trägheit, Liederlichkeit, Trunksucht und Scheu vor der Arbeit. Daneben
ließen sich noch weitere zahlreiche Gründe, wenn auch mehr spezieller
Natur, anführen, die wir jedoch nicht eingehender berücksichtigen
können, ohne uns von unserem Thema beträchtlich zu entfernen
und den seit langem die Wissenschaft beschattigenden, heftigen Wider-
streit über die Einteilung, Arten und Zahl der verschiedenen Ur-
sachen der Arbeitslosigkeit näher zu beleuchten. Letzterer erfuhr trotz
einer im Jahre 1895 in Paris durch das Comité permanent du
Conseil superieur du travail vorgenommenen Zusammenstellung
und Festsetzung der in Betracht kommenden Fragen leider nicht die er-
sehnte Schlichtung und ist auch gegenwärtig trotz der Bemühungen
bedeutender Männer und Denker der nationalökonomischen Wissenschaft
immer noch nicht als völlig beigelegt zu betrachten. Der Pariser Con-
seil superieur du travail sammelte auf Grund einer Umfrage nach den
Gründen der Arbeitslosigkeit bei seinen Mitgliedern und einer größeren
Zahl von Syndikaten deren Antworten und stellte sie ergänzt und er-
weitert in der „Note de L’office du travail sur les causes du chomage“
zusammen, die in den „Documents sur la question du chômage“ 1896
veröffentlicht wurden. Es wurden im ganzen 40 verschiedene Ursachen
der Arbeitslosigkeit festgestellt, die man in 25 persönliche und 15 all-
gemeine schied. Diese Einteilung der Ursachen der Arbeitslosigkeit
vermochte sich jedoch nicht allgemein durchzusetzen. Auch sonst steht
uns heutigestags in dieser Hinsicht ein wirklich mustergültiges Vor-
bild nicht zur Verfügung, nach dem der Begriff der Arbeitslosigkeit einer-
seits sowie ihre verschiedenen Ursachen andererseits eine klare, verständ-
liche Bestimmung bzw. eine praktische systematische Gliederung erfah-
ren würden. Soviel uns bekannt ist, hat nur Dresden, das übrigens
auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik vielfach erfolgreich tätıg war,
sich zu dieser Frage geäußert. Wir werden darüber noch berichten.
In unserem Falle und in Anwendung auf das Gebiet der Arbeits-
losenstatistik ist jedoch unbedingt die bereits besprochene Einengung
Aufgaben 5
des Begriffes vorzunehmen. Es bedeutet nämlich für die Ausführung
der Erhebungen eine wesentliche Erleichterung, wenn unter arbeitslos
der aus sozialen Gründen von einer Störung in seiner Erwerbstätigkeit
Betroffene zu verstehen ist. Diese enge Einschränkung und scharfe
Fixierung wird am ehesten eine generelle Behandlung des Themas er-
möglichen.
§ 2. Bedeutung und Ziele,
Die Aufgaben der modernen Statistik beruhen vornehmlich auf der
systematischen Beobachtung von Massenerscheinungen und im Anschluß
daran auf der Zutagefirderung von Gesetzmäßigkeiten und regelmäßigen
Wiederholungen sowie auf eingehenden Besprechungen und ausführ-
lichen Kommentierungen des gesammelten Materials. Es handelt sich
dabei also in erster Linie wohl um den Beweis von Tatsachen, nicht
zum mindesten aber auch um die Erörterung der diese begleitenden
Gründe und Ursachen. Jedoch müssen sich einige, namentlich neuere
Zweige der Statistik, besonders wenn ihre Methodologie noch nicht die
den gegenwärtigen Anforderungen entsprechende Ausbildung erfahren
hat, vorläufig noch mit einfachen Feststellungen objektiver Art begnügen.
Das vorhandene Zahlenmaterial genügt nicht, die inneren Zusammen-
hänge der untersuchten Materien festzustellen, die gezeitigten Ergebnisse
gestatten nicht ein tieferes Eindringen in den behandelten Stoff, das
wissenschaftliche Moment kommt nicht zur Geltung. In solchen Fällen
versagt die Statistik, denn sie ist nicht in der Lage, ihre vornehmsten
Zwecke zu erfüllen und sowohl hier wie dort mit Erfolg zu wirken.
Eine zuverlässige und brauchbare Statistik muß aber nach beiden Rich-
tungen hin in gleicher Weise ausgebaut sein und sowohl diesen wie
jenen Erfordernissen unbedingt Rechnung tragen.
In gleichem Maße kommen nun die genannten Momente auch für
die Arbeitslosenstatistik in Betracht, die mithin, um diesen Bedingun-
gen zu genügen, eine doppelte, unmittelbare Aufgabe zu erfüllen hat:
zahlenmäßige Feststellung des Umfanges der Arbeitslosigkeit und auf
Grund dieser Kenntnis die Beschaffung von Voraussetzungen zur Ver-
hütung, Bekämpfung oder Linderung der durch die Arbeitslosigkeit her-
vorgerufenen Notlage. Will man sich eine wissenschaftlich gefestigte
und scharf ausgeprägte Vorstellung dieser Aufgabe machen, so ist die
erste Bedingung dafür in einer absoluten Kenntnis des zahlenmäßigen
Umfanges der Arbeitslosigkeit gegeben, denn Arbeitslosenpolitik kann
nur getrieben werden, wenn die Tatsachen des Wesens der Arbeitslosig-
keit in erschöpfender, methodisch einwandfreier Weise ermittelt und
dargestellt sind. Dieses Wissen bildet dann die weitere Grundlage für
die Beobachtungen der verschiedenen Symptome des Arbeitsmarktes und
vor allem der charakteristischen Merkmale derjenigen Schichten der
Bevölkerung, die unter der Arbeitslosigkeit ganz besonders zu leiden haben.
6 Erster Abschnitt. Allgemeines über Arbeitslosenstatistik
Auf die Frage, warum treiben wir Arbeitslosenstatistik oder welche
Ziele verfolgen wir mit ihr, läßt sich eine doppelte Antwort geben. In
erster Linie handelt es sich darum, die Anzahl der verschiedenen Ar-
beitslosen männlichen und weiblichen Geschlechts zu ermitteln und zu
versuchen, weitere Aufklärungen über ihre persönlichen und sozialen
Verhältnisse zu erlangen sowie die Gründe und die Zeitdauer der Arbeits-
losigkeit festzustellen. Haben wir uns über diese wichtigen Fragen Klar-
heit verschafft, so sind wir in der Lage, nähere Untersuchungen über
das Problem der Arbeitslosigkeit vorzunehmen und die verschiedensten
Beobachtungen darüber anzustellen. Somit erscheint uns die Funktion
der Statistik der Arbeitslosigkeit als eine doppelte: in praktischer Hin-
sicht ist sie dazu berufen, uns mit zahlenmäßigen Angaben über Um-
fang, Ursachen und andere Fragen der Arbeitslosigkeit zu dienen, wäh-
rend die theoretischen Ziele der Arbeitslosenstatistik in der Anwendung
der zahlreichen sozialpolitischen Maßnahmen zur Einschränkung der
Arbeitslosigkeit liegen. Von einer erfolgreichen Bekämpfung und völli-
gen Beseitigung dieser auf weite Kreise der Bevölkerung schwer drücken-
den Last, dem schwarzen Schatten des modernen, individuellen; freien
Arbeitsvertrages, muß mit Rücksicht auf unsere gegenwärtige wirt-
schaftliche Verfassung noch abgesehen werden, und die Sozialpolitik ist
gezwungen, sich damit zu begnügen, nur eine Linderung und teilweise
Verhütung des Übels herbeizuführen.
Und außerdem verdienen die Ergebnisse der Arbeitslosenstatistik
auch noch weitere Beachtung. Unter der Voraussetzung, daß regelmäßige
periodische — aber auch zuverlässige — Nachweisungen über die Ar-
beitslosigkeit vorhanden sind, denen übrigens in der Literatur schon
des öfteren das Wort geredet worden ist als wohl einzigem Mittel, das
allein eine richtige Erkenntnis des Problems ermöglichen könnte, wird
die Arbeitslosenstatistik ein wichtiges Hilfsmittel für die Untersuchung
von Krisen, Konjunkturschwankungen und Verschiebungen in der wirt-
schaftlichen Struktur des Landes bilden. Weiterhin wird sie die Vor-
nahme wirtschaftlicher Maßnahmen zur Hebung und Ausnutzung der
nationalen Arbeitskräfte bedeutend erleichtern und endlich auch für die
Beurteilung bestimmter Tatsachen im Wohnungs- und Volksbildungs-
wesen heranzuziehen sein.
An diese grundlegenden Bedeutungen der Arbeitslosenstatistik reiht
sich noch eine weitere wichtige, aber mehr mittelbare. Wir denken da-
bei an die Aufgaben, die der Arbeitslosenstatistik auf dem Gebiete der
Arbeitslosenversicherung erwachsen. Jede Versicherung baut sich auf
Regeln auf, die durch Gesetzmäßigkeiten scheinbar zufälliger Ereignisse
vorgeschrieben werden und demzufolge auf den Erfahrungen der Stati-
stik beruhen sowie den Bedingungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung
genügen müssen. Daraus ergibt sich für die Arbeitslosenstatistik die Not-
wendigkeit, sowohl die Grundlage für die Ausbildung als auch das
Methoden T
Rückgrat für das Bestehen einer soliden und zuverlässigen Arbeitslosen-
versicherung zu bilden. Das spricht ja auch bereits die Denkschrift des
Kaiserlichen Statistischen Amtes über „Die bestehenden Einrichtungen
zur Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit“ aus: Die Vor-
aussetzung für eine Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit
ist eine eingehende zahlenmäßige, fortlaufende Kenntnis des zu erwar-
tenden Umfanges und der Dauer der Arbeitslosigkeit.
Und endlich sei noch kurz der praktischen, ausübenden, unmittel-
baren Arbeitslosenfürsorge Erwähnung getan, die besonders in den sog.
Winter- und Notstandsarbeiten oder ähnlichen Einrichtungen zeitweiser
Beschäftigung zu Aushilfszwecken zum Ausdruck kommt. Auch sie kann
die Arbeitslosenstatistik nicht missen. Es wäre gerade in diesem Falle
sehr zweckmäßig, wenn auch hier die Statistik mit sicheren zahlen-
mäßigen Unterlagen dienen könnte. Dabei möchten jedoch auch wieder
andererseits die ungeheueren, dem Laien kaum verständlichen Schwie-
rigkeiten in Betracht gezogen werden, die sich der Statistik hierbei ent-
gegenstellen.
Der Arbeitslosenstatistik harren also ın der Tat zahlreiche und
vornehme Aufgaben. Die Bedeutung, die die Arbeitslosenstatistik vor-
nehmlich in der modernen Wirtschaftsperiode erlangt hat, ist nicht nur
in sozialstatistischer Hinsicht besonders ausgeprägt. Die Hauptziele der
Arbeitslosenstatistik sind letzten Endes doch zweifellos volkswirtschaft-
licher und sozialer Natur.
§ 3. Kurze methodologische Übersicht.
Da die Grundregeln der Statistik stets die gleichen sind, wenn auch
ihre Anwendung aus den verschiedensten Momenten entspringt, so wer-
den naturgemäß die allgemeinen Grundsätze der Statistik in bezug auf
Technik und Darstellungsformen ebenfalls für die Arbeitslosenstatistik
in Betracht kommen müssen und in ihren Merkmalen wird eine gewisse
Übereinstimmung und Gemeinsamkeit mit den übrigen Zweigen der
Statistik zu beobachten sein. Hinsichtlich der Methode der Arbeitslosen-
statistik bestehen selbstverständlich auch gewisse Zusammenhänge mit
der allgemeinen statistischen Methodenlehre. Mitunter deckt sich sogar
die Methode der Arbeitslosenstatistik vollkommen mit der eines anderen
Zweiges der Statistik, was der Fall ist, wenn z. B. Arbeitslosenzählungen
auf der Basis der Volkszählung, d. h. im Anschluß an diese, vorgenom-
men werden, also die Methode der Bevölkerungsstatistik auch für die
Arbeitslosenstatistik zur Anwendung gelangt; im großen und ganzen besitzt
die Arbeitslosenstatistik jedoch ihre eigenen Methoden, über die in folgen-
demein kurzer,allgemeinerundeinführender Überblick gegeben werdensoll.
Bei der modernen deutschen Arbeitslosenstatistik ist eine gewisse
Dreiteilung zu beobachten und zwar lassen sich je nach den verschie-
denen veranstaltenden und ausführenden Organen, die sich diesem Zweig
8 Erster Abschnitt. Allgemeines tiber Arbeitslosenstatistik
der Statistik widmen, staatliche, kommunale und private Arbeitslosen-
statistiken unterscheiden.
Die staatliche Arbeitslosenstatistik bedient sich direkter und
indirekter Veranstaltungen, um die Arbeitslosigkeit der arbeitenden
Klassen nach ihrem Umfang, ihrer Häufigkeit und Dauer zu bestimmen.
Die direkten Veranstaltungen umfassen die im Anschluß an die
Volks- und Berufszählungen vorgenommenen Erhebungen. Dieser Me-
thode hat sich die reichsamtliche Statistik nur zweimal bedient, näm-
lich bei Gelegenheit der deutschen Berufszählung im Sommer 1895 und
der Volkszählung im Winter desselben Jahres. Mit beiden Erhebungen
wurde eine Gesamtzählung der Arbeitslosen verbunden, die einzige zen-
tralisierte, ausgelöste Arbeitslosenstatistik in Deutschland.
Für die indirekten Veranstaltungen kommen verschiedene Me-
thoden in Betracht, die zur Messung wirtschaftlicher Vorgänge allmonat-
lich seitens der Abteilung für Arbeiterstatistik des Kaiserlichen Stati-
stischen Amtes im „Reichsarbeitsblatt“ verwendet werden und die Un-
terlage für Rückschlüsse auf die Bewegung des Arbeitsmarktes und der
Arbeitslosigkeit zu bieten vermögen: Die Arbeitsnachweisstatistik, wel-
che die Vermittlungsergebnisse und das Verhältnis von Angebot und
Nachfrage bei den Arbeitsnachweisstellen zum Ausdruck bringt; die
Beobachtung der Mitgliederbewegung der Krankenkassen und die Sta-
tistik des Verkaufserlöses der Invalidenmarken, welche beide Rückschlüsse
auf die Bewegung der Beschäftigung gestatten. Dazu gesellen sich noch
die Nachweisungen über die Stellenvermittlungstätigkeit der Angestellten-
verbände und außerdem noch zahlreiche andere Beobachtungen, wie über
die Auswanderung, Eheschließungen, Obdachlosigkeit, Armenpflegeu.a.m.,
die gleichfalls für die Beurteilung der Tendenzen des Arbeitsmarktes
mit verwertet werden.
Von Bedeutung sind auch die gegenwärtig an die Reichsstatistik
angeschlossenen Ermittlungen der Arbeiterfachverbände auf Grund ihrer
Unterstützungseinrichtungen, deren Ergebnisse im „Reichsarbeitsblatt“,
dem Organ der Abteilung für Arbeiterstatistik, gesammelt, besprochen
und veröffentlicht werden. Genannte Methode stellt mehr eine Verbin-
dung von reichsamtlicher und privater Statistik dar, da dieser die ein-
zelnen Erhebungen obliegen, während jene nur das gewonnene Mate-
rial sammelt und veröffentlicht, also eine Art assoziierter Statistik. Dieser
Anschluß der privaten Arbeitslosenstatistik an die reichsamtliche besteht
seit dem Jahre 1903, seitdem das Kaiserliche Statistische Amt eine
fortlaufende Kontrolle der Arbeitslosigkeit innerhalb der deutschen Ar-
beiterfachverbände, soweit sie Arbeitslosenunterstützung zahlen, unter-
nimmt. Gegenwärtig ist noch eine weitere Ausdehnung auf die Ange-
stelltenverbände, die Stellenlosenunterstützung zahlen, erfolgt, so daß
auch diese Organisationen eine fortlaufende Kontrolle der Stellenlosig-
keit ihrer Mitglieder zulassen.
Staatliche, kommunale, private Veranstalter 9
Auch die bundesstaatliche Statistik ist auf dem Gebiete der Ar-
beitslosenstatistik nicht untätig geblieben. Es handelt sich dabei aber nur
um wenige selbständige Erhebungen einzelner Bundesstaaten, die beson-
ders in neuerer Zeit von der Wichtigkeit solcher Veranstaltungen über-
zeugt zu ihrer Vornahme schritten. Eine periodische Arbeitslosenstati-
stik, wie sie gegenwärtig das Kaiserliche Statistische Amt pflegt und
deren Veröffentlichung im „Reichsarbeitsblatt“ erfolgt, ist ihrer Natur
nach ja auch weniger eine Aufgabe der Statistik der Einzelstaaten als
derjenigen des Reiches.
Unter kommunaler Arbeitslosenstatistik verstehen wir die Tätig-
keit der städtestatistischen Ämter auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik.
Die Ämter veranstalten auf eigene Hand oder auf Ersuchen der Ver-
waltungsbehörden selbständige Arbeitslosenzählungen und bedienen sich
dabei der Methode der Hauszählung, des Meldesystems oder der Per-
sonenstandsaufnahmen zu Steuerzwecken. Die ältere kommunale Arbeits-
losenstatistik war mehr indirekter Natur und schloß ihre Erhebungen
an die Veranstaltungen an, die der Arbeitslosigkeit oder ihren Folgen
vorzubeugen den Zweck haben wie die Versicherung gegen Arbeits-
losigkeit, die Notstandsarbeiten und der Arbeitsnachweis. Das auf diese
Weise gewonnene Material kommt in den städtischen Statistischen Äm-
tern zur Verarbeitung, die auch größtenteils die Veröffentlichung der
Ergebnisse vornehmen. Eine umfassende Darstellung der modernen
deutschen Arbeitslosenstatistik und ein vollständiger Überblick über die
Erfolge derselben findet sich in den letzten Jahrgängen des „Statisti-
schen Jahrbuchs deutscher Städte“, in dem neben anderen Gebieten der
Statistik auch die kommunale Arbeitslosenstatistik besonders in neuerer
Zeit mehr und mehr gepflegt wird.
Bei der privaten Arbeitslosenstatistik sind die veranstaltenden und
ausführenden Organe der Erhebungen, zum Teil in Verbindung mit den
städtischen Verwaltungen, zum Teil selbständig, die Arbeiter bzw. die `
Arbeiterverbände und für die Feststellung örtlicher Arbeitslosigkeit die
Gewerkschaftskartelle und die Arbeitersekretariate. Wir müssen dabei
Zählungen unterscheiden, die einzeln und unregelmäßig vorgenommen,
in erster Linie propagandistische oder praktische Zwecke verfolgen und
solche, die von den Fachverbänden regelmäßig auf Grund ihrer Unter-
stiitzungseinrichtungen durchgeführt werden. Letztere sind gegenwärtig
zum größten Teile an die Reichstatistik angeschlossen.
Die moderne deutsche Arbeitslosenstatistik ist teils zentralisiert,
teils dezentralisiert. Die Fäden der staatlichen und privaten Statistik
laufen in der Abteilung für Arbeiterstatistik des Kaiserlichen Statisti-
schen Amtes in Berlin zusammen, wo auch das Material, soweit es die
privaten Veranstalter nicht selbst schon getan haben, seine Bearbeitung
findet. Die Veröffentlichung erfolgt gleichfalls durch die erwähnte sta-
tistische Reichsbehörde. Die kommunale Arbeitslosenstatistik ist dezen-
10 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
tralisiert. Die städtischen Statistischen Ämter nehmen für sich die Er-
hebungen vor, bearbeiten selbst das Material und veröffentlichen die
Ergebnisse unabhängig voneinander in ihren Jahrbüchern usw. In letz-
terer Beziehung allein scheint sich jedoch gegenwärtig auch allmählich
eine gewisse Zentralisation durchzusetzen, indem, wie bereits oben er-
wähnt, die Veröffentlichung der Ergebnisse der einzelnen städtischen
Arbeitslosenzählungen im „Statistischen Jahrbuch deutscher Städte“ er-
folgt. Auch das „Kommunale Jahrbuch“ berichtet seit einiger Zeit re-
gelmäßig über alle bekannt gewordenen kommunalen Arbeitslosenzäh-
lungen.
An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, daß die in folgendem
einsetzende Besprechung der vorstehend kurz vorgeführten drei Haupt-
zweige der deutschen Arbeitslosenstatistik in umgekehrter Reihenfolge
vorgenommen wird, um somit der historischen Entwicklung Rechnung
zu tragen, denn die privaten Veranstaltungen sind die ersten Versuche
auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik; ihnen schließen sich dann die
Städte und ganz zuletzt das Reich an.
Zweiter Abschnitt.
Die private Arbeitslosenstatistik.
§ 1. Allgemeiner Charakter, Methodologie und Kritik.
Die ersten Versuche, die Tatsachen der Arbeitslosigkeit, einer der
unheilvollsten Massenerscheinungen für das gesamte wirtschaftliche und
soziale Leben eines Volkes, und die sie begleitenden Verhältnisse ihrem
inneren Gefüge nach aufzudecken, ihre Entwicklung zu erkennen und
daraus Gesetze und Regelmäßigkeiten abzuleiten, kurz das Problem der
Arbeitslosigkeit mittels Anwendung der statistischen Methode systema-
tisch zu ergründen, gingen von den Arbeitern bzw. ihren Organi-
sationen selbst aus. Es liegt ja nur zu nahe, daß die von diesem
schweren sozialen Übel ganz besonders und in erster Linie betroffenen
Kreise, speziell die Arbeiterbevölkerung, das berechtigte Interesse hegen,
auch von sich aus die völlige oder teilweise Lösung des genannten Pro-
blems ins Auge zu fassen. Und dazu ist die Arbeitslosenstatistik wohl
das erste Mittel, durch zahlenmäßige Erforschung den wirklichen Um-
fang des Übels festzustellen und auf einer solchen Grundlage dann die
lindernden und helfenden Maßnahmen vorzunehmen. Gerade zu Zeiten
schwerer wirtschaftlicher Depressionen, in denen die amtliche Statistik
sich aus hier nicht näher zu erörternden Gründen völlig neutral ver-
hielt, und veranlaßt durch den Gedanken, daß zur Verminderung der
herrschenden Notlage entscheidende Schritte getan werden müßten,
Entstehung, Veranstalter 11
setzen sich die ersten privaten Erhebungen durch, um wenigstens vor
allem Klarheit in die Verhältnisse zu bringen und die wirkliche Lage
der Dinge zu erkennen. So findet sich bereits zu einer Zeit, in der die
amtliche Statistik die Vornahme von Arbeitslosenzählungen noch nicht
für nötig erachtet, eine sehr rege private Tätigkeit, in der deutlich zum
Ausdruck kam, daß die statistische Aufklärung der Arbeitsverhältnisse
in weiten Kreisen als ein dringendes Bedürfnis empfunden wurde. Da-
her nahmen die Arbeiter aus eigener Initiative zahlreiche Untersuchungen
in dieser Hinsicht vor, pflegten mit anzuerkennendem Eifer Statistik
und scheuten nicht die Mühen und Unannehmlichkeiten, die gewöhn-
lich Sondererhebungen den privaten Veranstaltern bringen. Außerdem
können sie sich, was immerhin einen gewissen Vorteil bedeutet, ver-
möge ikrer naturgemäß näheren Beziehungen zu dem in Betracht kom-
menden Gegenstande weit eher und bequemer mit der Lösung von Pro-
blemen befassen oder wenigstens den Versuch dazu machen, als es die
amtliche Statistik vermag. Auch in der Gegenwart hat der Eifer, mit
dem die private Arbeitslosenstatistik bisher betrieben wurde, durchaus
nicht nachgelassen, sondern ist eher intensiver geworden. Vor allem
aber hat, was besonders die neueren Erhebungen von den älteren unter-
scheidet, die schärfere Systematisierung und methodologische Durch-
arbeitung gegen früher eine ausgeprägtere, zielbewußtere Färbung an-
genommen, die wohl ihrerseits auch ganz bedeutend mit zu den er-
wähnten Unterschieden beiträgt.
Als Veranstalter der privaten Arbeitslosenzihlungen kommen zu-
nächst in erster Linie die Arbeiterorganisationen als solche in Be-
tracht. Entweder erfolgt die Vornahme der Erhebungen durch den Ge-
samtverband, der sich der Ortsvereine als ausführender Organe be-
dient, wenn es sich vornehmlich darum handelt, die Ausdehnung der
Arbeitslosigkeit innerhalb der eigenen Verbände derselben Berufs-
gruppen kennen zu lernen oder die Gewerkschaftskartelle und die
Arbeitersekretariate dehnen die Aufnahmen über die ganze Ar-
beiterschaft der Orte aus, an denen sie ihren Sitz haben; die Zählung
erstreckt sich also über mehrere Berufsgruppen. Die Vornahme beider
Arten kann auf fakultativer oder obligatorischer Basis beruhen.
Das letztere trifft gewöhnlich zu, wenn sich die Veranstaltungen im
Rahmen des eigenen Verbandes bewegen; mitunter kann aber auch das
Gewerkschaftskartell auf diese Weise die gemeinsame Vornahme einer
Arbeitslosenzählung am Orte zur Ausführung bringen, indem die ein-
zelnen Gewerkschaften verpflichtet werden, zur Frage der Arbeitslosig-
keit innerhalb ihrer Gewerkschaft Stellung zu nehmen und das Ergeb-
nis dem Ortskartell zur weiteren Bearbeitung und Veröffentlichung zur
Verfügung zu stellen. In den meisten Fällen treten die Arbeiterorgani-
sationen wohl durchaus selbständig auf, indem sie die Erhebungen voll-
kommen unabhängig vorbereiten, ausführen, das gewonnene Material
12 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
selbst verarbeiten und in ihren Zeitschriften und Jahresberichten ver-
öffentlichen. Es ist aber mitunter auch zu beobachten, daß sich private
und amtliche Statistik gegenseitig unterstützen und in gemeinsamen
Veranstaltungen eine sozialstatistische Notwendigkeit erblicken, um die
zeitweisen wirtschaftlichen Niedergänge besser feststellen zu können.
Zu diesem Zwecke verbinden sich das städtische Statistische Amt und
das Gewerkschaftskartell des Ortes, an dem die Erhebungen vorgenom-
men werden sollen; ersterem liegt in der Regel die Bearbeitung des
Materials ob, während die Gewerkschaftsmitglieder als freiwillige Zähler
fungieren. Die Veröffentlichung der Ergebnisse nimmt je nach vorheriger
Übereinkunft der eine oder andere Teil vor. Die Kosten werden gleich-
falls gemeinsam getragen. Erhebungen solchen Charakters sind vor-
nehmlich neueren Datums; sie sind erst in Aufnahme gekommen mit
der Entwicklung und Verbreitung der städtischen Statistischen Ämter.
Auch die Angestellten haben ihre Beteiligung an der sozialen
Frage namentlich in jüngster Zeit ziemlich nachdrücklich zur Geltung
gebracht und sind demgemäß auch auf dem Gebiete der Arbeitslosen-
statistik nicht ganz untätig geblieben. Neben ihrer Mitarbeit an der
Herstellung der amtlichen Vereinsstatistik und zahlreichen Erhebungen
bezüglich ihrer Pensionsversicherung sind hier und da von den einzelnen
Verbänden Arbeitslosen- oder besser Stellenlosenzählungen vorgenommen
worden, die aber alle nicht ganz unbedeutende Mängel aufweisen, so
daß es sich eigentlich erübrigt, auf solche Veranstaltungen näher ein-
zugehen. Wir werden aus diesem Grunde in einem der folgenden Ab-
schnitte nur einige typische Beispiele der privaten Stellenlosenstatistik
der Angestellten kurz vorführen.
Schließlich ist noch die Beteiligung der gewerblichen und beruf-
lichen Körperschaften sowie die von sozialen, wissenschaftlichen oder
gemeinnützigen Vereinen zu erwähnen. Die Handels-, Landwirtschafts-
und Handwerkskammern pflegen außer besonderen Erhebungen und
solchen über die Verhältnisse der Kammern auch des öfteren mehr oder
weniger die Statistik des Arbeitsmarktes, der Arbeitsvermittlung, Ar-
beitslosigkeit, Streiks u. a. m., und desgleichen sind von den obenge-
nannten Vereinen ähnliche Veranstaltungen in großer Mannigfaltigkeit
ausgegangen. Der Wert sämtlicher genannter Untersuchungen kommt
jedoch für die Arbeitslosenstatistik kaum recht in Betracht, schon aus
dem Grunde, da die Erhebungen meist nur indirekt die Frage nach der
Arbeitslosigkeit berühren und in der Hauptsache nur Beobachtungen
der allgemeinen wirtschaftlichen Lage darstellen sollen. Dazu gesellt
sich noch, daß die Quantität dieses Stoffes nicht im entferntesten seiner
Qualität gleichkommt. Trotzdem ohne Zweifel in seiner Fülle manches
Nützliche geborgen sein mag, so kann man doch nicht umhin, darunter
zahlreiche minderwertige, nicht ausgereifte Arbeiten, gewisse Anfänger-
studien und viele andere Mängel, wie es eben die Freiheit der Betätigung
Typen-Darstellung, Methoden: Enquete 13
sowie der allgemeine Charakter jeder privat-statistischen Untersuchung
mit sich bringt, mit Fug und Recht zu vermuten. Wir können somit
aus den angeführten Gründen wohl jedenfalls diesen Teil der privaten,
mehr indirekten Tätigkeit auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik mit
der vorstehenden knappen Beleuchtung abschließen und beschränken
uns auf die Erhebungen der Arbeiter und Angestelltenorganisationen,
die mitunter wirklich beachtenswerte Ergebnisse gezeitigt haben.
An dieser Stelle sei noch gleichzeitig die Bemerkung vorausge-
schickt, daß sich der Verfasser nur mit einer Auswahl der ihm am
wichtigsten erscheinenden privaten Veranstaltungen begnügen und von
einer erschöpfenden Darstellung sämtlicher oder wenigstens des größten
Teiles der Versuche auf dem Gebiete der privaten Arbeitslosenstatistik
absehen muß. Die Zahl der bisher vorgenommenen privaten Zählungen
ist eine schier unermeßliche, so daß schon aus diesem Grunde die
Sammlung des Materials auf kaum zu überwindende Schwierigkeiten
stoßen würde, die ihrerseits noch dadurch .eine besondere Vermehrung
erfahren, da kaum alle Veranstaltungen bekannt geworden sind; es ist
einerseits sehr zu bedauern, daß von einer solchen ungeheuren Fülle
von Erhebungen nur wenige zugänglich sind, da nicht immer gedruckte
Veröffentlichungen der seitens der Arbeiterschaft vorgenommenen sta-
tistischen Feststellungen existieren. Wir werden daher in den folgen-
den Abschnitten nur einige Typen zur Darstellung gelangen lassen
und in erster Linie diejenigen berücksichtigen, die methodologisch auch
wirklich etwas Interessantes bieten. In dieser Hinsicht können wir auch
eher versuchen, dem eigentlichen Charakter der Arbeit zu entsprechen
und die Erfüllung der Aufgabe nicht allein darin zu erblicken, mit einer
möglichst großen Reihe von Zählungen der gleichen Methode die Auf-
merksamkeit des Lesers in Anspruch zu nehmen, sondern eine geringere
Zahl der Veranstaltungen vorzuführen, die nach verschiedenen Methoden
zur Durchführung gelangt sind.
Wenden wir uns nunmehr einer weiteren grundlegenden Frage der
privaten Arbeitslosenstatistik zu und unterziehen die verschiedenen
Methoden für die Gewinnung des Urmaterials einer kurzen übersicht-
lichen Betrachtung, sozusagen als Einführung für die folgenden Ab-
schnitte, in denen die Materie eingehender behandelt werden wird.
Der einfachste, aber am wenigsten geeignete Weg, die für eine
Arbeitslosenstatistik nötigen Unterlagen zu gewinnen, ist der der En-
quete, wie er z.B. in Berlin des öfteren eingeschlagen worden ist.
Vermittels einer gutachtlichen Befragung einer Anzahl von Firmen oder
Meistern, in welchen Monaten nach ihrer Meinung die Arbeitsgelegen-
heit am reichlichsten vorhanden gewesen sei und in welchen sie fehlte,
sowie in wieviel Monaten die Mehrzahl der Arbeiter voll beschäftigt
sei, werden nach dieser Methode Erhebungen über etwa vorhandene
Arbeitslosigkeit angestellt. Auf diese Weise ist es den ausführenden Per-
14 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
sonen an die Hand gegeben, die urspriingliche Fragestellung je nach
der vorgefundenen Sachlage zu erweitern oder einzuschränken. Einer-
seits ist hierin ein gewisser Vorteil, vielleicht der einzige der Methode,
zu erblicken, wenn die Zähler nicht an eine bestimmte Fragestellung
gebunden sind, sondern auf Grund der gemachten Erfahrungen noch
während der Enquete gewisse Ermittlungen ein- und ausschalten können.
Aber gerade in dieser, den ausführenden Personen eingeräumten Frei-
heit, liegt andererseits auch wieder ein großer Nachteil der Methode.
Es ist nur zu selbstverständlich, daß bei einer derartigen, dem einzelnen
in der Hauptsache überlassenen, ungebundenen Ermittlungsweise diese
oder jene Auffassung der gerade in Betracht kommenden Punkte vor-
herrscht und somit eine stark ausgeprägte individuelle Behandlung
mancher Fragen herbeigeführt wird. Diese Tendenz der Subjektivität
bedeutet eine große Gefahr für die Zuverlässigkeit der auf Grund der
genannten Methode vorgenommenen Ermittlungen. Im Interesse einer
strengen Objektivität, ein unbedingtes Erfordernis für die Vornahme
und Ausführung von Arbeitslosenstatistiken, ist daher kaum zur prak-
tischen Anwendung der Enquete zu raten. Die beteiligten Kreise scheinen
ja auch bereits dieselbe Ansicht zu haben, denn die Zahl derjenigen
Arbeitslosenzählungen, die mit Hilfe der Enquete veranstaltet worden
sind, ist keine allzu hohe. Vornehmlich in früherer Zeit kam das System
noch hier und da zur Verwendung. Gegenwärtig kann aber kaum mehr
von vereinzelten Fällen die Rede sein.
Im Anschluß an die Besprechung der Enquete sollen noch einige wei-
tere Arten in kurzen Umrissen charakterisiert werden, die eigentlich keinen.
rechten Anspruch darauf erheben können als wirkliche Methoden zur
Erfassung der näheren Umstände der Arbeitslosigkeit angesehen zu
werden, da sie kaum imstande sind, die Grundlage erschöpfender und
zuverlässiger Ermittlungen zu bilden. Weder die Anschreibung,
noch die Versammlung in geschlossenen Räumen oder unter freiem
Himmel sowie der demonstrative Umzug können von wissenschaftlich-
statistischem Standpunkte aus als Methoden gelten. Ihre äußerst seltene
Anwendung in der Praxis beweist ja auch schon von vornherein, daß.
man sie kaum ernstlich in Betracht gezogen und ihre Wertlosigkeit und
Unbrauchbarkeit für die Statistik bereits erkannt hat.
Das Wesen der Anschreibung besteht darin, daß die Arbeitslosen
angehalten werden, sich bei einer vorher bekannt gegebenen Stelle zu
melden, während jeder Arbeitgeber ersucht wird, ebendaselbst über die
Einstellung bisher Arbeitsloser zu berichten. Für jeden Arbeitslosen
wird nach mündlicher Befragung eine Zählkarte ausgefüllt, auf der dann
die von den Arbeitgebern eingezogenen Ermittlungen nachgetragen
werden. Die Karten werden darauf von Zeit zu Zeit von einer ebenfalls
vorher bestimmten Zentralstelle eingefordert, die die Bearbeitung vor-
nimmt und die so gewonnenen Ergebnisse veröffentlicht.
Anschreibung, Versammlung, Umzug, Erhebung 15
Die beiden übrigen Systeme, die Versammlung und der Umzug,
bedürfen wohl keiner besonderen Erläuterung, da ihr Begriff an und
für sich bereits offen zutage liegt und sie außerdem noch fast jeder
Eigenart entbehren. Sie sind jedenfalls auch nicht in der Lage, irgend-
welchen praktischen oder theoretischen statistischen Zwecken zu dienen.
Wie die Anschreibung, so muten ebenfalls diese Methoden den Arbeits-
losen selbst allzuviel zu und nehmen den Veranstaltern der Statistik
jede Möglichkeit einer näheren Kontrolle der Angaben; des weiteren
können sie niemals alle Arbeitslosen am Orte der Erhebung erfassen,
sei es, daß diese von der Sache keine Kenntnis erlangen, sei es, daB
es ihnen an Interesse dafür mangelt. Dazu kommt noch ein Bedenken,
namentlich auf Grund des Umzuges irgend welche Schätzung der
Arbeitslosenzahl vorzunehmen. An und für sich ist es ziemlich ge-
wagt, derartige Veranstaltungen überhaupt anzuregen, ohne dabei auf
den Einspruch der Behörde gefaßt sein zu müssen, die im Interesse der
Anfrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit schon von
selbst nicht leicht ihre Einwilligung dazu geben würde, wenn es auch
dabei den Anschein hätte, daB nur friedliche Zwecke durchschimmerten.
Und demonstrativen Umziigen ohne diese Genehmigung dürfte wohl
bald ein vorzeitiges Ende bereitet werden, da schon die Gefahr zu nahe
liegt, daß aus den Zusammenrottungen arbeitsloser Massen leicht schlimme
Folgen entstehen können.
Außer den bisher genannten Methoden, die aber sämtlich als un-
brauchbar bezeichnet werden mußten und sich auch in der Praxis nicht
durchzusetzen vermochten, bedient sich die private Arbeitslosenstatistik
noch der Erhebung, um auf direktem Wege zur Gewinnung des Ur-
materials zu gelangen. Dieses System besitzt bei weitem nicht die
Nachteile, wie sie bei den anderen ohne Ausnahme in großer Anzahl
vorhanden sind, wenn es auch trotzdem immerhin noch an manchen
Mängeln krankt und kaum allein, noch dazu in der Hand von privaten
Veranstaltern, das erstrebte Ziel bildet, das in der Auffindung einer
nach allen Richtungen hin genügenden Methode liegt. Gerade das
Problem der „Erhebung“ ist besonders in der gewerkschaftlichen Lite-
ratur Gegenstand zahlreicher Erörterungen gewesen und bisweilen füllen
spaltenlange, Vorschläge und Pläne über die praktische Anwendung
dieses Systems enthaltende Abhandlungen die Seiten des „Korrespon-
denzblattes der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“,
des „Sozialpolitischen Zentralblattes“, der „Sozialen Praxis“ und einer
Reihe anderer ähnlicher Organe. Wir werden nicht unterlassen, in den
folgenden Abschnitten darauf zurückzukommen.
Unter der Erhebung ist die später bei der kommunalen Arbeits-
losenstatistik des öfteren wiederkehrende sog. hausierende Zählung
oder die Zählung von Haus zu Haus zu verstehen. Beide Veranstal-
tungen, die private Erhebung von Haus zu Haus wie die kommunale
16 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
Hauszählung, weisen manche Ähnlichkeit auf und unterscheiden sich
vornehmlich wohl nur im Prinzip der Fragestellung wesentlich vonein-
ander. Letzteres erklärt sich daraus, daß das Interesse der privaten Ver-
anstalter in bezug auf die Befragung der Arbeitslosen mit dem der
kommunalen meist in erheblichem Maße differieren dürfte.
Das Wesen der Erhebung beruht auf einer Befragung der Arbeits-
losen auf Grund von Personen- oder Werkstattsfragebogen; erstere wer-
den ihnen durch freiwillige Zähler in ihren Wohnungen zur Ausfüllung
eingehändigt und später von denselben wieder abgeholt; letztere gehen
den Orten gemeinsamer gewerblicher und industrieller Tätigkeit zu
und werden dort von besonders dazu ausersehenen Personen ausgefüllt.
Hinsichtlich der übrigen Organisation der Erhebung ist es wohl
selbstverständlich, daß unter den Veranstaltern die einzelnen Gewerk-
schaften, Gewerkschaftskartelle oder Arbeitersekretariate zu verstehen
sind, die eine nach dieser Methode vorzunehmende Arbeitslosenziblung
selbständig vorbereiten, die Fragebogen zusammenstellen, die Zähler
verpflichten und alle weiteren Funktionen ausführen sowie die Kosten
der Erhebung tragen.
Das System ist entgegen den vorhergenannten wohl mit am ersten
imstande, eine Menge persönlicher, wirtschaftlicher und sozialer Ver-
hältnisse zu erfragen und somit dem wahren Zwecke der Statistik zu
genügen. Diese Angaben beziehen sich jedoch niemals auf alle arbeits-
losen Arbeitnehmer des Ortes, an dem die Zählung vorgenommen wird.
Und darin liegt ein ganz beträchtlicher Nachteil der Methode. Inter-
esselosigkeit, Scheu oder andere Gründe bewegen die in Betracht kom-
menden Personen, eine ablehnende Haltung einzunehmen; mitunter er-
fahren sie auch gar nicht einmal von der Veranstaltung. Des weiteren
ist die Erhebung auch viel zu sehr vom guten Willen der Zähler ab-
hängig und schließlich ist noch zu erwähnen, daß die Ergebnisse nie-
mals einer Nachprüfung unterzogen werden können. Einer eingehenden
Kritik wird die Zählung von Haus zu Haus, deren Vornahme in der
Praxis sich übrigens einer ganz besonderen Bevorzugung auch durch
die kommunalen Veranstalter erfreut, bei der Darstellung der Methoden
der kommunalen Arbeitslosenstatistik unterworfen werden.
Zuletzt wollen wir nicht unterlassen, diejenigen privaten Arbeits-
losenstatistiken noch kurz zu erwähnen, die sich methodologisch an die
Unterstützungs- und Vermittlungseinrichtungen der Arbeiter-
organisationen anschließen. Diese Art und Weise ist vornehmlich neueren
Datums und ermöglicht wenigstens für den Kreis der organisierten
Arbeiter, denen die genannten Institute offen stehen, einen brauchbaren
Überblick über den Umfang der Arbeitslosigkeit und eine Anzahl wei-
terer sie begleitenden Umstände. Gegenwärtig wird diese Form der
privaten Arbeitslosenstatistik in ausgedehntem Maße von den in Frage
kommenden Arbeiterverbinden und der statistischen Reichsbehörde,
Zweck 17
dem Kaiserlichen Statistischen Amte, gemeinsam betrieben, worüber wir
bei Gelegenheit der staatlichen Arbeitslosenstatistik noch eingehend be-
richten werden.
Fragen wir nun nach dem eigentlichen Zweck der privaten Arbeits-
losenzählungen und versuchen uns Klarheit darüber zu verschaffen,
warum ihre Veranstalter sich mit solchen miihsamen Sondererhebungen
befaßt und sie nicht der amtlichen Statistik überlassen haben.
In erster Linie dürften wohl diejenigen Beweggründe in Betracht
kommen, die wir bereits eingangs dieses Abschnittes erwähnten. Das
Versagen der amtlichen Statistik gerade zu Zeiten schwerer wirtschaft-
licher Depressionen und die allenthalben laut werdenden Wünsche und
Forderungen nach Klarheit der Verhältnisse sowie das Bestreben, an
die maßgebenden Behörden mit Beweisen herantreten zu können, daß
wirklich eine Notlage des Volkes vorhanden sei, deren Abhilfe dringend
geboten erscheine, führten zu den ersten privaten Versuchen auf dem
Gebiete der Arbeitslosenstatistik. Es handelt sich dabei nur darum, die
einfachen Zahlenangaben zu gewinnen und den bloßen Umfang der
Arbeitslosigkeit zu ermitteln. Sowohl der Methode nach wie in der
Durchführung tragen diese ersten Veranstaltungen jedoch einen sehr
mangelhaften und oberflächlichen Charakter, da bei ihnen vielfach die
Angaben über die Ursachen der Arbeitslosigkeit fehlen und jede Unter-
scheidung zwischen arbeitsfähigen und arbeitsunfühigen Arbeitslosen
vermißt wird. Man glaubte damals in einer Reihe von zahlenmäßigen
Feststellungen über den Umfang der Arbeitslosigkeit dem Bedürfnis
nach statistischen Nachweisungen gebührend Rechnung getragen und
auf diese Weise einem allseitigen Verlangen vollauf genügt zu haben.
Mit der Zeit erkannte man jedoch diese Mängel und bemühte sich leb-
haft darum, sie zu beseitigen und die private Arbeitslosenstatistik nach
jeder Richtung hin zu vervollkommnen. Namentlich die Entwicklung
der Arbeiterorganisationen verfehlte in dieser Hinsicht ihren Eindruck
nicht und trug ganz beträchtlich mit dazu bei, daß die private Tätig-
keit auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik eine den modernen Ver-
hältnissen entsprechende Ausgestaltung empfing. Es ist vor allem auf
eine regelmäßige Wiederholung der Zählungen in bestimmten Zeitab-
schnitten Wert gelegt worden, denn nur auf diese Weise ist es am
ehesten möglich, gesetzmäßige Zusammenhänge zu erkennen. Daher er-
schien es ratsam, die neueren Aufnahmen nicht selbständig, sondern ım
Anschluß an die Unterstützungseinrichtungen der organisierten Arbeiter-
schaft vorzunehmen, um gleichzeitig eine Informationsquelle für die
Unterstützungskassen zu schaffen und für die Einführung der Arbeits-
losenversicherung eine Grundlage zu gewinnen. Die auf diese Weise
gezeitigten Ermittlungen liefern ein brauchbares und wertvolles Mate-
rial, das, wie oben betont, zahlreiche gesetzmäßige Zusammenhänge er-
kennen läßt, denn die Vornahme der Erhebungen erfolgt regelmäßig
Herbst: Arbeitslosenstatistik 2
1s Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
monatlich und gestattet somit eine periodische Beobachtung der Arbeits-
losigkeit innerhalb der veranstaltenden Arbeiterorganisationen. Dabei
muß aber ganz entschieden hervorgehoben werden, daß diese Ermitt-
lungsart nur in der Lage ist, einen kleinen Teil der gesamten Arbeiter-
schaft zu erfassen, einen verhältnismäßig nicht allzu großen Ausschnitt
aus dem Arbeitsmarkt bietet. Außerdem ist sie noch einer weiteren Beschrän-
kung unterworfen. Innerhalb der organisierten Arbeiterschaft bestehen
auch Verbände, die dieerwähnten Einrichtungen nicht besitzen. Soweitnun
die Gewerkschaften heute Arbeitslosenversicherungsanstalten sind, ver-
sichern sie in erster Linie gegen Arbeitslosigkeit infolge Konjunktur-
schwankungen. Hingegen der Versicherung Angehöriger von Saison-
gewerben durch ihre Gewerkschaft stehen zahlreiche Schwierigkeiten
im Wege und verursachen in der Regel derartige Kostenaufwände, daß
in den meisten Fällen von den genannten Einrichtungen abgesehen werden
muß. Es liegt somit klar auf der Hand, daß nicht alle Gewerkschaften
gleich tauglich für die Arbeitslosenstatistik sind und eben darum auch die
gegenwärtige Verbandsarbeitslosenstatistik noch ziemlich unvollkommen
und unvollständig ist.
Wenn jedoch die über die Arbeitslosigkeit innerhalb des Verbandes
angestellten Erhebungen, entsprechend dem Kampfcharakter der neueren
radikalen Gewerkvereine, namentlich der ungelernten Arbeiter, bei denen
die Unterstützungstätigkeit hinter den Kampf um die Arbeitsbedin-
gungen mehr und mehr zurücktritt, eher eine agitatorische Wirkung
verfolgen, so sind die Ergebnisse mit großer Vorsicht aufzunehmen,
denn der tendenziöse Zweck solcher Statistiken ist, möglichst große
Zahlen zu erzielen. Zu diesem Behufe werden Kranke, Invalide, Ver-
brecher, Vagabunden u. a. m. mit einbezogen sowie Angaben über die
Ursachen der Arbeitslosigkeit wohlweislich vermieden, auch ist die Zu-
verlässigkeit der Beantwortung stark anzuzweifeln; naturgemäß ist bei
einer unter diesen Voraussetzungen erfolgten privaten Arbeitslosen-
statistik keine Gewähr für ihren inneren Wert vorhanden und die Er-
fahrung lehrt uns, daß mit den Ergebnissen aller derartigen Veranstal-
tungen bewußter oder unbewußter Mißbrauch getrieben wird und sie
weniger der Pflege des Fürsorge- und Unterstützungswesens dienen,
sondern als hochwillkommenes Kampfmittel in den Interessestreitigkeiten
der arbeitenden Klassen gegen Kapital und Unternehmertum zur An-
wendung gelangen.
Nachdem wir uns in den vorstehenden Zeilen einen kurzen ein-
leitenden Überblick über den allgemeinen Charakter der privaten Ar-
beitslosenstatistik, ihre Veranstalter und Methoden sowie die sie be-
gleitenden Grundsätze verschafft haben, erscheint es angezeigt, diese
Erörterungen noch einer kritischen Betrachtung zu unterziehen sowie
die Frage aufzuwerfen, ob die private Arbeitslosenstatistik überhaupt
als ein allen Anforderungen entsprechendes Institut angesehen werden
Kritik 19
kann und bei der Lösung des so ungemein schwierigen und wichtigen
Problems der Arbeitslosenstatistik als wertvoller, beachtenswerter Faktor
eine entscheidende Rolle mitzuspielen imstande ist.
Nach den bisher angestellten Beobachtungen müssen wir uns wohl
oder übel in dem Sinne entscheiden, daB die meisten privaten Unter-
suchungen über den Umfang der Arbeitslosigkeit und alle übrigen da-
mit zusammenhängenden Fragen nur geringe wissenschaftliche Bedeu-
tung besitzen. Kaum ein einziger Vorteil läßt sich zugunsten der pri-
vaten Arbeitslosenstatistik anführen, und man kommt daher zu dem
Schluß, daß einfachen, gelegentlichen Veranstaltungen privater Einzel-
personen oder Vereinigungen niemals eine statistische Bedeutung bei-
gelegt werden kann. Alle die verschiedenen Mängel, die wir bereits bei
der Besprechung der einzelnen Methoden geltend gemacht haben, sind
in erster Linie eben auf die Eigenschaft der von privater Seite veran-
stalteten Arbeitslosenstatistiken als solche zurückzuführen. Die meisten
von ihnen sind mehr oder weniger Dilettantenwerk, denn es mangelt
in vielen Fällen an fachmännisch geschulten Kräften zur Vorbereitung
und Ausführung der Erhebungen sowie zur sachgemäßen Bearbeitung
der Ergebnisse und Aufbereitung des Materials. Selbst C. Legien, der
Leiter der älteren Gewerkschaftsstatistik, geißelt ziemlich scharf ihre
Nachteile und nimmt zu dieser Frage im „Sozialpolitischen Zentral-
blatt“!) Stellung: „Die Hauptschuld liegt in der Tatsache, daß es den
einzelnen Organisationen an geeigneten Kräften fehlt, um die stati-
stischen Aufnahmen zweckmäßig vorzubereiten und andererseits ist die
Verwendung des gewonnenen Materials eine überaus unvollkommene.
Dieser Mißstand wird bei einer amtlichen Arbeitslosenstatistik, welcher
die nötigen Mittel zu Gebote stehen, wohl nicht in Frage kommen“.?)
Außerdem fehlt den privaten Veranstaltungen eine gewisse Einheitlich-
keit der Erhebung und Ausarbeitung bei den verschiedenen Zählungen,
wodurch der Vergleich der Einzelergebnisse miteinander zur Unmög-
lichkeit wird. An eine Nachprüfung der Ergebnisse ist schon deshalb
gleich gar nicht zu denken. Die Resultate sind daher auch nur mit
Vorbehalt und größter Vorsicht zur Beurteilung heranzuziehen. Weiter-
hin leiden die privaten Statistiken auch nicht unerheblich unter einer
gewissen Gleichgültigkeit der Bevölkerung, zu der sich schließlich
unter Umständen noch der ausgesprochene Widerstand der Behörde
gesellt, die gewöhnlich derartige Veranstaltungen, zumal wenn sie offen
von gewerkschaftlicher Seite in größerem Umfange vorgenommen
1) I. Jahrgang, Nr. 5, 5. 66.
2) Anderer Meinung ist jedoch Richard Calwer, der das, was die eng-
lischen Gewerkschaften bereits seit Jahren in bezug auf die Arbeitslosenstatistik
üben, auch den deutschen Arbeiterorganisationen zutraut. Er tritt jedenfalls un-
bedingt für die Vornahme periodischer Arbeitslosenzählungen durch die (rewerk-
schaften ein (Leipziger Volkszeitung, 23. November 1901).
dh
20 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
werden sollen, mit scheelen Augen ansieht und ihnen bisweilen gar die
= erbetene Genehmigung versagt, wie es 1892 in Dresden und späterhin
mitunter auch in anderen Städten der Fall war.
Alles inallem müssen wir vornehmlich der älteren privaten Arbeits-
losenstatistik jede wissenschaftliche Bedeutung absprechen, können aber
nicht umhin, die neueren Veranstaltungen auf diesem Gebiete sowohl
in methodologischer Hinsicht als auch mit Rücksicht auf die Ergebnisse,
die sie gezeitigt haben, als recht beachtenswerte Fortschritte zu be-
zeichnen, wenn auch damit die endgültige Lösung des Problems durch-
aus noch nicht erreicht worden ist, was auf die zahlreichen ungeheueren
Schwierigkeiten zurückgeführt werden muß, mit denen die private Ar-
beitslosenstatistik von jeher zu kämpfen hatte.
§ 2. Arbeitslosenzählungen der Jahre 1892—93.
1. Die Methode des Dr. A. Braun.
Die sich namentlich im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts
mehr und mehr vergrößernde Intensität der Arbeitslosigkeit löste natür-
lich in den beteiligten Kreisen eine ziemlich heftige Beunruhigung aus.
Infolgedessen steigerte sich wohl ganz berechtigterweise das schon
des öfteren besonders bei den organisierten Arbeitern zum Vorschein
gekommene Verlangen, den Umfang dieses ungemein schädlichen sozialen
Übels erst einmal statistisch festzustellen, um dann auf dieser Grund-
lage die weiteren Schritte und Maßnahmen zu seiner Bekämpfung zu
ergreifen. Aus diesem Grunde wandten sich zahlreiche gewerkschaft-
liche Arbeiterverbände an die Generalkommission in Berlin mit Anfragen
bezüglich der besten Methode für die Aufnahme einer solchen Statistik.
Die Antwort hierauf erfolgte dann im „Korrespondenzblatt der General-
kommission der Gewerkschaften Deutschlands“, das erstmalig bereits
im Jahre 18921) die gewünschte Anleitung veröffentlichte und diese, dem
allseitigen Verlangen Rechnung tragend, später, im Jahre 1901 °), wieder-
holte, ohne damit aber, wie ausdrücklich betont wurde, eine Anregung
zur Aufnahme von Arbeitslosenstatistiken zu bezwecken. Der Vorschlag
unterscheidet sich im Prinzip, abgesehen von unbedeutenden Abwei-
chungen, durchaus nicht von dem des Dr. A. Braun, der darin sehr
zugunsten der privaten Arbeitslosenstatistik eintritt und zu ihrer Auf-
nahme, vornehmlich durch sämtliche Gewerkschaften und nicht etwa
nur einzelne einer Stadt, dringend rät.?) Im Anschluß an die Ver-
öffentlichung dieses Entwurfes entwickelt sich eine angeregte Diskussion,
an der sich besonders die sozialdemokratische Tagespresse mit Eifer
1) II. Jahrgang, 1892, Nr. 26, 28, 29.
2) XI. Jahrgang, 1901, Nr. 3.
3) Sozialpolitisches Zentralblatt, II. Jahrgang, 1892, Nr. 2.
Die Methode Brauns 91
beteiligt.) Trotz mancher berechtigter und naheliegender, mitunter
aber auch nur gesuchter Bedenken über die Vollständigkeit des Erfolges
setzt sich der Vorschlag Brauns durch und findet allgemeine Aner-
erkennung, wovon das „Korrespondenzblatt“ selbst überzeugt gewesen
zu sein schien, denn seine Anleitung nimmt im wesentlichen die Haupt-
und Gr undzüge der Braunschen Methode an.
Die den genannten System zugrunde liegende Fragekarte enthielt
folgende Fragen:
1. Wohnung? 8. Ist die Arbeitslosigkeit durch Krank-
2. Vor- und Zunahme? heit verursacht?
3. Alter? ...... Jahre. 9. Triigt die Frau im allgemeinen durch
4. Ledig oder verheiratet? ihren Erwerb zum Unterhalt der Fa-
5. Art der letzten Beschäftiguug? | milie bei?
6. Seit wann arbeitslos? 10. Hat sie hierzu jetzt Gelegenheit?
1. Bei wem zuletzt in Arbeit gewesen?
EE Straße Nr.......
e a Aaa E RER
Art der
EE,
Namen der Kinder |
unter 14 Jahren? |
| Jet Jetzt beschäftigt
12. Andere zu unterstützende Personen (Eltern, Verwandte)?
Jeder Fragekarte wurde ein Flugblatt, das den Wert der Statistik
schildern sollte, sowie eine Anleitung zur genauen Beantwortung der
Fragen und Ausfüllung der Karte beigegeben.
Hinsichtlich der äußeren Organisation der Zählung ist noch zu er-
wähnen, daß zunächst ein Zentralkomitee gebildet wird, welches die
Stadt, etwa mit Benutzung der für die Reichstags- oder Stadtverord-
netenwahlen gegebenen Abgrenzung, in eine Anzahl Bezirke einteilt.
Für jeden Bezirk wird ein Vertrauensmann ernannt, dem die Feststel-
lung obliegt, wieviel Wohnungen in seinem Bezirk sind oder vielleicht
auch spezieller, wieviel Arbeiterfamilien in demselben wohnen. Darauf
hat er die entsprechende Anzahl Flugblätter und Karten vom Zentral-
komitee zu erbitten sowie die Zahl der Leute zu bestimmen, die das
Austragen und Einholen jener zu besorgen haben. Nach diesen Vorbe-
reitungen erfolgt an einem bestimmten Tage, der nach dem „Korrespon-
denzblatt“ in die dritte Woche des Januars fallen soll, die Ausgabe der
Flugblätter und Karten, von denen je zwei in jede Wohnung des Ortes
oder nur in die Arbeiterwohnungen getragen und nach erfolgter Aus-
füllung wieder von denselben Leuten abgeholt werden. Dabei sei immer
ganz besonders darauf zu achten, daB dieselben Personen, die die Karten
ausgetragen hätten, sie auch wieder abholten, weil die Betreffenden mit
den Wohnungen ihres Reviers schon bekannt seien. Der Vertrauensmann
sammelt dann die Karten seines Bezirkes ein und liefert sie beim Zen-
1) Vorwärts, 20 Okt. 1892.
29 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
tralkomitee ab, das die Bearbeitung des Materials vornimmt und die
Ergebnisse durch die Presse veröffentlichen läßt.
Auf diese Anleitung hin entschlossen sich in einer größeren Reihe
deutscher Städte die Arbeiterorganisationen zur Aufnahme einer Arbeits-
losenstatistik im Winter 1892.93. Die Resultate dieser Zählungen wur-
den zum größten Teile im „Vorwärts“ veröffentlicht und im „Sozial-
politischen Zentralblatt“?!) zwecks eingehender Prüfung auf ihre Brauch-
barkeit hin registriert. Dabei ergab sich aber, daß sie nach jeder Rich-
tung hin unzuverlässig und fast ganz wertlos waren, weshalb wir unter-
lassen können, sie hier anzuführen. Wir begnügen uns deshalb nur mit
der Tatsache, daß innerhalb des erwähnten Zeitraumes in etwa 33 Orten
des Deutschen Reiches Arbeitslosenziihlungen stattfanden, die völlig un-
abhängig von privater Seite aus organisiert und durchgeführt wurden.
Trotz der bereits betonten Unzulänglichkeit der Endergebnisse bedeuten
jedoch diese Erhebungen, namentlich in methodologischer Hinsicht,
für die private Arbeitslosenstatistik einen immerhin beachtenswerten
Fortschritt.
2. Die Hamburger Erhebungen am 15. Oktober 1892
und U. Februar 1894.
Bereits im Jahre 1891 tauchte der Gedanke auf, auch in Hamburg
eine Arbeitslosenstatistik zu veranstalten. Man wollte dem Beispiele
zahlreicher anderer deutscher Orte, in denen die Arbeiterschaft sich mit
großem Eifer der Feststellung des Umfanges der Arbeitslosigkeit wid-
mete, folgen. Eine von einer Arbeitslosenversammlung an den Ham-
burger Senat abgesandte Deputation wurde von diesem ersucht, den
Umfang der Arbeitslosigkeit statistisch festzustellen. Das Hamburger
Gewerkschaftskartell erklärte sich hierzu bereit, sofern der Senat für
die Kosten der Veranstaltung aufkommen wolle, und unterbreitete ihm
einen ausgearbeiteten Plan, nach dem monatlich eine Arbeitslosenstatistik
auf Grund regelmüßig auszugebender Fragebogen erfolgen sollte. Der
Senat lehnte jedoch diesen Plan mit der Motivierung ab, die Kosten
seien zu hohe und dürften dem zu erwartenden Erfolge wohl kaum ent-
sprechen, außerdem müßten solche Veranstaltungen eher den größeren
Bundesstaaten überlassen bleiben.
Da nun auf den Beistand der Behörden nicht mehr zu rechnen war,
so mußte das Gewerkschaftskartell seine eigenen Wege gehen und selb-
ständig handeln. Es wurde in dieser Absicht außerdem noch bestärkt
durch die ungeheuere Zunahme, die die Arbeitslosigkeit durch das Auf-
treten der Choleraepidemie in Hamburg erfuhr und beschloB demzu-
folge, um auch dem Drängen der Gewerkschaften nachzugeben, die Auf-
1) II. Jahrgang, 1892, Nr. 32.
Hamburger Arbeitslosenzihlungen 23
nahme einer Arbeitslosenstatistik. Unter diesen Umständen ließen sich
natürlich die früher gefaßten Pläne nicht verwerten, und neue, der ver-
änderten Sachlage angepaßte und zur Ausarbeitung immerhin einige
Zeit in Anspruch nehmende zu entwerfen, war wegen der Schnelligkeit,
mit der die Statistik ins Werk gesetzt werden mußte, unmöglich. Da-
her konnte bei der Aufnahme eine Reihe von Fehlern nicht vermieden
werden, wodurch natürlich die Ergebnisse wesentlich beeinträchtigt
wurden und der Wert der ganzen Veranstaltung dahinsteht, so daß die
Hamburger Arbeitslosenstatistik als völlig mißglückt anzusehen ist.
Man nahm an, daß die durch die Epidemie geschaffenen besonderen
Umstände geeignet wären, die Aufnahme nicht nur auf die Arbeitslosen
allein zu beschränken, sondern sie auf alle Hamburger Arbeiter auszu-
dehnen, um einen Einblick in die Personal-, Arbeitszeit- und Lohnver-
hältnısse der gesamten lokalen Arbeiterbevölkerung zu gewinnen. Dieser
Gedanke scheiterte jedoch an der geringen Beteiligung, die jedenfalls
auf ein MiBverstehen der eigentlichen Absicht seitens der Arbeiterschaft
zurückzuführen ist.
Die Hamburger Gewerkschaften wurden beauftragt, die Zahl der in
den einzelnen Berufen tätigen Personen abzuschätzen. Diese Schätzung,
die selbstverständlich auf Zuverlässigkeit keinen Anspruch machen kann,
ergab für Hamburg gegen 170000 Lohnarbeiter. Nun war man naiv
genug, an letztere samt und sonders, ohne Ausnahme an arbeitende und
arbeitslose Personen, ziemlich komplizierte, schwerverständliche Frage-
bogen und Flugblätter zu verteilen und auf die Rücklieferung, die nur
ın 18824 Fällen eintrat, zu warten. Es beteiligten sich somit nach Ab-
zug von weiteren 213 Personen (Händlern, Krämern usw.) insgesamt
18611 eigentliche Lohnarbeiter oder 10,9%, der gesamten Lohnarbeiter-
schaft. Ein klägliches Ergebnis. Wir sehen somit davon ab, die an und
für sich wertlosen Ziffern hier anzuführen oder sie gar näher zu be-
sprechen und führen zur Vollständigkeit nur noch einige methodolo-
gische Bemerkungen an.
Der Fragebogen zur Aufnahme der Arbeitslosenstatistik, der im
Anschluß an ein Flugblatt am 15. Oktober 1892 im Auftrage der sta-
tistischen Kommi-sion des Hamburger Gewerkschaftskartells in 170000
Exemplaren in Hamburg verbreitet wurde, hatte folgenden Wortlaut:
Fragebogen
zur Aufnahme einer Statistik über die Hamburger Arbeiterverhältnisse.
Vor- und Zuname?
Wohnung? ...... Straße Nr.... ... Etage ......
Gewerbe ?
Arbeiten Sie zu Hause, in der Fabrik oder Werkstatt?
Wie alt sind Sie? ...Jahre.
Verheiratet oder ledig?
Zahl der zu erniihrenden Familienangehörigen?
Sind Sie zurzeit arbeitslor ?
24 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
Waren Sie im Laufe des Jahres vor der Epidemie arbeitslos?
ee wie viele Wochen?......
Wie viele Stunden pro Tag arbeiten Sie bei regelmäßigem Geschäftsgang?
Wie viele Stunden pro Tag arbeiten Sie jetzt?
Wie lange arbeiten Sie schon kürzere Arbeitszeit?
Wieviel beträgt Ihr Wochenverdienst bei regelmüßigem Geschäftsgang?
Ana, Mark ... Pfg.; jetzt? ...... Mark ... Pfg.
Besondere Bemerkungen: (Angaben über besondere Familienverhältnisse
erwiinscht:)
NB. Dieser Bogen ist gewissenhaft auszufiillen und an die angegebene
Meldestelle innerhalb 8 Tage abzuliefern; Angehörige von Berufen, für welche
keine Meldestelle angegeben ist, ersuchen wir, ihre Fragebogen in einer der um-
stehend angegebenen Meldestellen abzugeben.
Das Flugblatt verfolgte den Zweck, den Arbeitern in eindringlich-
ster Weise den Wert der Statistik klarzumachen und sie von der Not-
wendigkeit einer klaren Fragebeantwortung zu überzeugen. Daneben
sollte es als Anleitung für die richtige Ausfüllung der Fragebogen
dienen. Der Inhalt des Flugblattes war von ganz beträchtlicher Aus-
dehnung, und es dürfte darum zu weit führen, ihn an dieser Stelle voll-
ständig wiederzugeben.
Infolge der fortgesetzt ablehnenden Haltung des Hamburger Senates,
der niemals ernsthaft daran dachte, in seinem relativ so leicht überseh-
baren Staatsgebiet einmal eine amtliche Arbeitslosenstatistik zu ver-
suchen, beschloß die sozialdemokratische Parteiorganisation der Städte
Hamburg, Altona, Ottensen und Bergedorf am 11. Februar 1894
wieder eine private Zählung der Arbeitslosen zu unternehmen. Man hatte
von der mißglückten Erhebung des Jahres 1892 gelernt und ließ die
ausgefüllten Fragebogen nicht mehr von den Arbeitslosen selbst zurück-
bringen wie damals, sondern die Verhältnisse an der Hand ganz ein-
facher Fragebogen durch Zähler direkt feststellen, ähnlich wie bei
einer Volkszählung. Die Menge der verwendeten Zähler ist leider nicht
bekannt geworden, wie auch der Text des Fragebogens uns nicht zur
Verfügung steht. Zu bemerken ist noch, daß sich die große Scheu der
Arbeitslosen, die Fragen eingehend zu beantworten, durchaus nicht ver-
mindert hatte und zum Teil noch in demselben Maße bestand wie bei
der ersten Zählung des Jahres 1892. Aus den nachstehend kurz ange-
führten Ergebnissen, die ziemlich ausführlich im „Hamburger Echo“,
Nr. 61 veröffentlicht wurden, geht hervor, daß man zwischen zweierlei
Arbeitslosigkeit unterschied: zwischen augenblicklicher und früherer
(im Jahre 1893); bei ersterer wieder zwischen gänzlicher und teilweiser.
Von 53756 befragten Arbeitern bezeichneten sich insgesamt 37942 als
arbeitslos und zwar 22481 als gänzlich und 15641 nur als teilweise
arbeitslos. Im Jahre 1893 waren 39264 Arbeitslose vorhanden. Am un-
zuverlässigsten dürfte naturgemäß letztere Zahl trotz ihrer gewissen Über-
einstimmung mit dem Endergebnis für 1894 sein.
Jedenfalls fehlt der Zählung von 1893, die der Reihe der bereits
Enqueten in Berlin 25
erwähnten Gewerkschaftszählungen des Winters 1892/93 angehört, nach
dem Urteil der „Blätter für soziale Praxis“) der sichere Charakter einer
Momentaufnahme, während man durch die Erhebung am 11. Februar 1894
in dieser Bestrebung, soweit es die Mittel einer Parteiorganisation er-
lauben, mehr erreicht haben mag.
§ 3. Berliner Arbeitslosenenqueten im Jahre 1901.
Die von den privaten Veranstaltern auf dem Gebiete der Arbeits-
losenstatistik praktisch verwerteten Methoden bewegen sich in den mei-
sten Fällen auf der Grundlage des Bogen- oder Kartensystems, d. h. der
direkten Erhebung, seltener begegnen wir schon anderen Zählungsarten
wie der Selbstmeldung der Arbeitslosen in vorher bekannt gegebenen
Bureaus, der Methode der Zählhefte oder der Beigabe von Fragerubriken
in den Mitgliedsbüchern; hingegen die Versuche, auf dem Wege der
Enquete eine Arbeitslosenstatistik herzustellen, dürften wohl gegenüber
allen übrigen bei weitem in der Minderzahl und in der Praxis sehr
wenig zur Durchführung gelangt sein. Aus welchen Gründen gerade die
Enquete von methodologischem Standpunkte aus für die Arbeitslosen-
statistik nicht zu empfehlen ist, haben wir bereits erörtert. Um nun aber
auch einmal die Verwendung der Enquete in der Praxis kennen zu ler-
nen und zu erfahren, welche Ergebnisse, ob zuverlässiger oder wertloser
Natur, eine Veranstaltung gezeitigt hat, die auf der Grundlage dieser
Methode vorgenommen wurde, haben wir eine Anzahl von Arbeits-
losenenqueten zusammengestellt, die in folgendem kurz vorgeführt wer-
den sollen.
In Berlin hat nach dem Bericht des „Töpfer“ ın Nr. 46 Marie
Heller mit Unterstützung des dortigen Bureaus des Metallarbeiterverban-
des Anfang November 1901 eine Arbeitslosenenquete aufgenommen, deren
Ergebnisse die Veranstalterin auch selbständig veröffentlichte. Es kam ihr
nicht darauf an, wie das „Korrespondenzblatt der Generalkommission
der Gewerkschaften Deutschlands“ ?) ausdrücklich betont, durch die Wucht
einer Massenzahl von Arbeitslosen die bürgerliche Urteilsleichtfertigkeit
zu erdrücken, sondern bei einer verhältnismäßig kleinen Zahl Arbeits-
loser den Grad der Notlage festzustellen und daraus Rückschlüsse auf
den Umfang der Arbeitslosennot zu ziehen. Sie wählte 100 organisierte
und 50 nicht organisierte Arbeiter aus, von denen die ersteren zu °,
gelernte und IL ungelernte Metallarbeiter, die letzteren zur Hälfte ge-
lernte Metallarbeiter, zur Hälfte ungelernte Arbeiter und Geschäftskut-
scher waren. Bei den meisten der Befragten wurde eine durchschnittliche
Dauer der Arbeitslosigkeit von etwa 15 Wochen festgestellt. In zalıl-
reichen Fällen mußte die Erwerbstätigkeit der Frauen mit herangezogen
1) Nummer vom 29. März 1894.
2) XI. Jahrgang, 1901, Nr. 47.
26 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
werden, um den Verdienstausfall zu decken. Dabei waren aber wieder
nicht alle in der Lage, mit ihrer Arbeitskraft fiir den beschiftigungs-
losen Ernährer einzutreten, da sie sich teils wegen bevorstehender oder
gerade überstandener Entbindung, teils wegen Frauenkrankheiten oder
aus anderen Ursachen Schonung auferlegen mußten. Daneben wurde
auch bisweilen die gegenteilige Beobachtung gemacht, daß die Arbeits-
losen ihren Frauen im Erwerb mithalfen, was besonders in der Kon-
fektionsbranche häufig der Fall war. Im weiteren Verlauf ihrer Dar-
stellung teilt die Veranstalterin der erwähnten Enquete ihre interessan-
ten Beobachtungen über das lokale Verhältnis der Arbeitslosigkeit im
Metallarbeiterverband mit und erörtert die Frage, ob die gerade zu jener
Zeit (1. Juli 1900) von letzterem eingeführte Arbeitslosenunterstützung
für die organisierten Arbeitnehmer eine Linderung der Not bedeute.
Auch der Arbeitsnachweisstatistik werden einige Zahlen entnommen,
um die gewonnenen Ergebnisse zu vervollständigen und die immerhin
nur schätzungsweise gemachten Feststellungen der Enquete zu ergänzen.
Es erscheint jedoch nicht angebracht, hier eingehender darüber zu be-
richten, und wir begnügen uns daher, die vorstehende Darstellung, die
aus der Feder der Veranstalterin der Enquete selbst stammt, damit zu
beschließen, indem wir in folgenden Zeilen die eigene Ansicht der Ver-
fasserin über die ganze Veranstaltung wiedergeben: „Die in vorstehen-
dem niedergelegten Ergebnisse einer Umfrage betreffend 150 Berliner
Arbeitslose, Ergebnisse, welche ausschließlich auf Grund persönlicher
Augenscheinnahme und mündlich angestellter Untersuchungen und
Nachfragen in den Wohnungen der einzelnen Arbeitslosen erlangt sind,
dürfen wohl im ganzen als maßgebend gelten für die derzeitige Lage
der Arbeitslosen in Berlin überhaupt. Überall tritt dem Beschauer in
allgemeinen Umrissen das gleiche Bild mit geringen Nuancierungen in
helleren und dunkleren Tönen entgegen.“
Wir sind jedoch nicht in der Lage, diesem günstigen Urteil voll
und ganz zuzustimmen und müssen uns entschieden ablehnend der Ten-
denz gegenüber verhalten, die in der Enquete den richtigen Weg er |
blickt, Beobachtungen über die Arbeitslosigkeit anzustellen; der Aus-
schnitt, der auf diese Weise gewonnen wird, istein viel zu kleiner, als daß er
sichere und zuverlässige Rückschlüsse auf dieGesamtlage gestatten könnte.
In derselben Nummer berichtet das „Korrespondenzblatt“ noch
über eine Reihe weiterer Arbeitslosenenqueten, die in Berlin im glei-
chen Jahre stattfanden. Die Ergebnisse sind den verschiedenen Organen,
deren sich die Veranstalter zur Veröffentlichung bedienten, entnommen
und im „Korrespondenzblatt“ zusammengestellt. Wir geben in folgen-
dem einen kurzen Überblick über die bekannt gewordenen Enqueten,
ohne uns jedoch bei den einzelnen Veranstaltungen länger aufzuhalten
und die Ergebnisse, die ja doch nur bedingten Wert besitzen, einer kri-
tischen Betrachtung zu unterziehen.
Enqueten in Berlin 21
Mit Hilfe der Gewerkschaftsorganisationen nahm ein Statistiker
vom Berliner Statistischen Amt, Dr. O Richter, Untersuchungen vor,
die ergaben, daB am 1. November 1901 insgesamt 93000 Personen,
72116 männliche und 20884 weibliche, teils ganz ohne Arbeit, teils mit
bisweilen stark verkürzter Arbeitszeit beschäftigt waren. Am schwersten
lastete die Arbeitslosigkeit auf der Bau- und Metallarbeiterbranche, denen
sich die Holz und Konfektionsarbeiter, das Buchdruckergewerbe und in
weitem Abstande dann erst die übrigen Gewerbe wie Barbiere, Uhr-
macher, Bäcker, Schlächter usw. anschlossen. Die ermittelten Zahlen
werden von allen Seiten als stark übertrieben und zu hoch angesehen.
Man schätzt die wirkliche Arbeitslosenziffer nur auf etwa 35000. Dazu
ist aber noch zu bemerken, daß diese Schätzungsziffer durch die Rück-
gangsziffern der Krankenkassen weit überschritten wurde, so daß man
nicht umhin kann, dem „Vorwärts“ zuzustimmen, der seinerseits die
wirklichen Arbeitslosenziffern Anfang November auf 50000 schätzt.
Auch die Berliner Metallindustriellen der Maschinenbranche haben
über die Arbeitslosigkeit eine Umfrage veranlaßt, über die der ,,GroB-
betrieb“ nähere Mitteilungen macht. In ungefähr 130 zur Beobachtung
herangezogenen Berliner Betrieben, in der Hauptsache größeren Unter-
nehmungen, wurden annähernd 14°, von den bisher in denselben Be-
schäftigten als arbeitslos ermittelt, trotzdem nach den vorliegenden
Veröffentlichungen gerade zu dieser Zeit in der Metallbranche ein ganz
bedeutender Rückgang zu verzeichnen war. Es wurde deshalb nach An-
sicht der befragten Firmen die gefundene Durchschnittsziffer auf 25%,
erhöht.
Endlich berichtet der „Arbeitsmarkt“, daß bei den öffentlichen Ar-
beitsnachweisen des Deutschen Reiches im Oktober 1901 der Andrang
einen solchen Grad erreicht habe, daß auf jede offene Stelle zwei Arbeit-
suchende zu verzeichnen waren. In genauen Ziffern kamen im Durch-
schnitt der Arbeitsnachweise, soweit sie an die Berichterstattung der
Berliner Halbmonatsschrift „Der Arbeitsmarkt“ angeschlossen sind, auf
100 offene Stellen 198 Arbeitsuchende gegen 135,3 im vorjährigen Oktober.
Im letzteren Falle hat man versucht, mit Hilfe der Arbeitsnach-
weisstatistik auf den Grad der Arbeitslosigkeit zu schließen. Wir ver-
meiden hier zu dieser Frage Stellung zu nehmen, da wir bei der Be-
sprechung der staatlichen Arbeitslosenstatistik eingehend zu erörtern
gedenken, daß die Arbeitsnachweisstatistik niemals mit der Arbeitslosen-
statistik in Verbindung gebracht werden kann.
§ 4. Die Frankfurter Arbeitslosenzählung am 1. Februar 1903.
In Frankfurt a M. erscheint die Lage der Dinge analog der in anderen
deutschen Städten. Die Arbeiterschaft interpelliert die Behörde zwecks
Aufnahme einer amtlichen Arbeitslosenstatistik. Rat und Stadtverordnete
28 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
verhalten sich jedoch ablehnend. Die natiirliche Folge ist nun die Vor-
nahme der gewünschten Veranstaltung durch die Antragsteller selbst.
Nachdem der Frankfurter Magistrat das Gewerkschaftskartell ab-
schlägig beschieden hatte, beschloB letzteres selbständig vorzugehen.
Es wandte sich zu diesem Zwecke an den Notstandsausschuß der „Zen-
trale für private Fürsorge“ und vereinbarte mit ihm gemeinsam eine
private Arbeitslosenzählung. Die technische Durchführung der Erhe-
bung wurde einer aus Mitgliedern des Notstandsausschusses und des
Gewerkschaftskartells bestehenden Kommission übertragen; die wissen-
schaftliche Bearbeitung des Materials betrachtete der Notstandsausschuß
jedoch als sein alleinives Vorrecht. Hinsichtlich der Methode einigte
man sich für die Hauszählung und legte der Veranstaltung die nach-
stehend angeführte Zählkarte zugrunde. Den organisierten Arbeitern
lag die Aufgabe ob, die zur Verteilung letzterer nötigen Zähler zu stellen.
Die Organisationen wurden ihr nur zum Teil gerecht, außerdem min-
derten zahlreiche, mitunter recht nichtssagende Entschuldigungen die
Zahl der Zähler, die anfangs auf 1500 geschätzt war, und schließlich blieb
auch gar noch eine Menge verpflichteter Personen stillschweigend aus,
so daB zu guter Letzt ein gewisses Priimiensystem eingerichtet werden
mußte, um die Zählbezirke voll zu besetzen. Die Erhebung erstreckte
sich auf Frankfurt a.M. und fünf Vororte mit insgesamt 340000 Ein-
wohnern. Vier Stadtbezirke des Villenviertels waren ausgeschlossen.
Die Zählkarte hatte folgenden Wortlaut:
Arbeitslosenzählung.
Beschäftigungslose Arbeitnehmer in Frankfurt aM. am 1. Februar 1903.
Zählbezirk: ....... Zäbleri 008.008.
1. Vor- und Zuname des Arbeitslosen .........
2. Geschlecht .......
. Geburtsjahr.......
. Geburtsort (Kreis) .......
. Seit welchem Datum wohnen Sie in Frankfurt?
Sind Sie verheiratet, ledig oder verwitwet ?
. Wieviel Kinder unter 16 Jahren haben Sie?
a) Wieviel davon besuchen noch nicht die Schule?
b) Wieviel davon sind schulpflichtig?
8. Gelernter Beruf .......
9. Art der letzten Beschäftigung (falls Sie zuletzt nicht in Ihrem Beruf
tätig) ......
10. Name und Adresse des letzten Arbeitgebers.
11. Arbeiten Sie zu Hause für ein Geschüft?
12. Seit welchem Datum sind Sie arbeitslos?
13. Sind sie arbeitslos geworden durch Krankheit, Invalidität oder Unfall,
eigene Kündigung, Kündigung durch den Arbeitgeber, Aufhören der
Saisonarbeit oder wodurch soust? (Das Zutreffende zu unterstreichen.)
14. Falls Saisonarbeiter: Wodurch verdienen Sie sonst in der stillen Zeit
Ihren Unterhalt?
am Ee
Die Zählung in Frankfurt am 1. Februar 1903 l 29
15. Sind sie gewerkschaftlich organisiert ?
16. Beziehen Sie von Ihrer Gewerkschaft Arbeitslosenunterstützung ?
17. Ist Ihre Frau regelmäßig erwerbstätig?
18. Ist sie gegenwärtig, und seit wann, erwerbslos?
Die Veröffentlichung der Ergebnisse geschah sowohl durch den
Notstandsausschuß der „Zentrale für private Fürsorge“ als auch durch
das Frankfurter Arbeitersekretariat in dessen „Vierten Jahresbericht für
1902“, worauf wir hiermit verweisen, ohne auf eine nähere Besprechung
der Ergebnisse einzugehen.
Eines eigentlichen Urteiles über die Zuverlässigkeit der Ergebnisse
und den inneren Wert der ganzen Veranstaltung enthält sich die er-
wähnte Publikation des Arbeitersekretariats. Sie widmet sich nur etwas
eingehender der Zählerfrage und führt eine Reihe von Widerwärtigkeiten
an, mit denen die ehrenamtlichen Zähler zu kämpfen hatten; besonders
betont wird eine Erscheinung, gegen die letztere machtlos waren: die
Scheu, die Arbeitslosigkeit zuzugeben und die nötigen Angaben zu ma-
chen. Der Bericht schließt mit einem Dank der organisierten Arbeiter-
schaft an die „Zentrale für private Fürsorge“ und die übrigen Förderer
der Zählung, ohne deren tätigen Anteil trotz aller Opferfreudigkeit der
Gewerkschaften die Veranstaltung wohl kaum zur Durchführung ge-
langt wäre.
§ 5. Die Arbeitslosenstatistik des Malerverbandes.
1. Die Methode der Fragerubriken in den Mitgliedsbüchern (1900).
Über die Tätigkeit der 1885 gegründeten Vereinigung der Maler,
Lackierer, Anstreicher, Tüncher und Weißbinder Deutschlands auf dem
Gebiete der Arbeitslosenstatistik wissen wir, was die ersten Jahre seit
dem Bestehen des Verbandes betrifft, nichts Genaues. Jedenfalls hüllen
sich die etwa wirklich vorgenommenen Veranstaltungen in ein mysti-
sches Dunkel, das selbst durch Befragen an der zuständigen Stelle nicht
zu lichten war. Daß der Verband überhaupt Arbeitslosenstatistik ge-
trieben hat, dürfte wohl keinesfalls zweifelhaft sein. Es erschien etwas
sehr unnatürlich, wenn gerade in denjenigen Gewerben, in denen die
Arbeitslosigkeit in besonders hohem Grade regelmäßig wiederkehrt, also
in den Saisongewerben, zu denen das Malergewerbe auch gehört, die
Arbeitslosenstatistik vernachlässigt würde. Wir erklären uns das voll-
ständige Fehlen von Nachrichten über die ersten Versuche, die der Ver-
band auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik unternommen hat, nur
dadurch, daß entweder die Ergebnisse von derartig geringem Werte
waren, daß man von vornherein auf ihre Veröffentlichung verzichtete
oder diese überhaupt ganz unterblieb, sei es aus Nachlässigkeit, sei es
aus geringem Interesse am Gegenstande. Mit Freude begrüßen wir da-
her eine Notiz im „Korrespondenzblatt der Generalkommission der Ge-
30 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeits losenstatistik
werkschaften Deutschlands“'), woraus zu ersehen ist, daß im Jahre 1900
die Arbeitslosenstatistik im Verbande einer Reform unterworfen wurde.
Es geht daraus weiterhin hervor, daß sich unsere vorstehend geäußerte
Meinung bestätigt und bereits vor 1900 eine Arbeitslosenstatistik im Ver-
bande existiert haben muß, die sich allem Anscheine nach der üblichen
Methode der Fragebogen bediente, die von Zeit zu Zeit den Mitgliedern
zur Ausfüllung übergeben werden und danach wieder abzuliefern sind.
Die in Betracht kommende Notiz selbst hat folgenden Wortlaut:
„Zur Durchführung der Arbeitslosenstatistik hat die Vereinigung der
Maler, Lackierer und Berufsgenossen Deutschlands einen neuen und
sehr praktischen Weg eingeschlagen, indem sie anstatt der üblichen
Fragebogen am Jahresschlusse, bei deren Ausfüllung in der Regel
zahlreiche Daten wieder vergessen sind, Fragerubriken in die Mit-
gliedsbücher einheftete und deren fortlaufende Ausfüllung der Kon-
trolle und Beihilfe der Orts- und Verwaltungsbeamten unterstellt.
Auf diesem Weg dürften die wesentlichsten Mängel des Bogen- und
Kartensystems vermieden werden.“
Soweit der Bericht des „Korrespondenzblattes“. Uber die prak-
tische Anwendung dieses neuen Modus der Arbeitslosenstatistik sowie
die erzielten Ergebnisse verlautet jedoch nichts. Ein Zeichen dafür,
daB die Methode wahrscheinlich nicht von dem erwarteten Erfolg be-
gleitet gewesen ist und keine brauchbaren Ergebnisse erzielt wurden.
Das System ähnelt in gewisser Hinsicht der Methode der Zählhefte,
die wir noch einer näheren Betrachtung unterziehen werden. Letztere
führte auch nicht zu dem erhofften Ziele und zeigte sich praktisch
wenig verwertbar. Jedenfalls scheinen diese beiden Methoden infolge
ihrer Unbrauchbarkeit nur von kurzer Lebensdauer gewesen zu sein.
Für die erstere liegt die Rechtfertigung dieser Annahme schon in der
bloßen Tatsache, daß niemals irgend welche Veröffentlichungen über ihre
praktische Anwendung bekannt geworden sind; die Methode der Zähl-
hefte jedoch ist, wie wir noch hören werden, nur äußerst selten als
Grundlage einer Arbeitslosenzählung benutzt worden.
2. Das System der Fragekarten (1902—1906).
In den Jahren 1902—1906 nahm die Arbeitslosenstatistik des
Malerverbandes eine andere Gestalt an. Man griff wieder auf die früher
ziemlich beliebte Methode der Fragebogen und -karten zurück und hoffte
damit bei entsprechender Neuformulierung der Fragen bessere Resul-
tate als bisher zu erzielen. Zu diesem Zwecke gelangten vierteljährlich
Fragekarten an alle Mitglieder zur Verteilung, die von den letzteren
selbst ausgefüllt stets innerhalb der ersten 10 Tage des folgenden Viertel-
jahres an den einzelnen Zahlstellen zur Ablieferung gelangen sollten.
1) X. Jahrgang, 1900, Nr. 47.
Die Arbeitslosenstatistik des Malerverbandes 31
Diese stellten dann die Ergebnisse zusammen und veröffentlichten sie
in kurzen Mitteilungen. Durch Vermittlung der Leipziger Zahlstelle
des Verbandes ist dem Verfasser ein Exemplar dieser Karten zur Ver-
fügung gestellt worden, und wir wollen nicht verfehlen, zum leichteren
Verständnisse auf den Inhalt kurz einzugehen.
Orts-Nr. ........ Fragekarte Buch-Nr. ........
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Name: EE ER eh EE ee
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Dezem- |
| ber | |
Ke ee : : E BEEN BR S
Bei wem standen Sie am 31. Dezember in Arbete
Wieviel Kollegen sind dort beschäftigt? ...... Wieviel sind organisiert? ......
Wieviel sind Maler? ........... Lackierer? ......... Anstreicher? .........
Wieviel Lehrlinge? ......... Arbeitsleute? .........
Diese Karte ist bis spätestens 10. Januar im Bureau abzuliefern.
Man ersieht daraus, daß es sich um die Verbindung von Lohn- und
Arbeitslosenstatistik handelt, denn neben den Fragen nach Dauer und
Ursache der Arbeitslosigkeit ist auch solchen über Lohn- und Arbeits-
verhältnisse beträchtlich Raum gelassen. Die einzelnen Zahlstellen, bei
denen dann die Karten abgegeben werden, stellen die Ergebnisse zu-
sammen und veröffentlichen sie in selbständigen, kurzen Berichten, be-
titelt „Statistik über die Lohn- und Arbeitsverhältnisse der Maler,
Lackierer und Anstreicher — (Name der Zahlstelle) vom Jahre —“. Die
einzelnen Zahlstellen teilen dann wieder ihre Ermittlungen dem Zentral-
vorstand in Hamburg mit, der seinerseits die Gesamtergebnisse für
den ganzen Verband entweder im Jahresbericht veröffentlicht oder
dem „Korrespondenzblatt“ zwecks weiterer Verbreitung zur Verfügung
stellt.
Wir geben in folgendem einen kurzen Auszug aus den Berichten
der Zahlstelle Leipzig über den lokalen Umfang der Arbeitslosigkeit
im Malergewerbe, da wir an dieser Stelle selbstverständlich nicht die
sämtlichen Ergebnisse der Arbeitslosenzählungen des Malerverbandes
vorführen können. Wir entnehmen zu diesem Zwecke den Berichten
der Zahlstelle Leipzig zwei Tabellen und versuchen an der Hand der-
selben eine Vorstellung über den Umfang der Arbeitslosigkeit in den
Kreisen der organisierten Maler und verwandten Berufsgenossen der
Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
32
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Die Arbeitslosenstatistik des Malerverbandes 33
Stadt zu gewinnen. Gleichzeitig soll damit dem Leser auch die eigen-
artige Publikationstechnik des Verbandes vorgeführt werden.’)
Die erste Tabelle berichtet iiber die Arbeitslosigkeit im Jahre 1902.
Sie ist recht schwerfällig, unklar und unübersichtlich angeordnet und es
bedarf daher einer eingehenden Betrachtung, wenn sie über die Arbeits-
verhältnisse im Malergewerbe im genannten Jahre eine genaue Orien-
tierung bieten soll. Die zweite berichtet in bedeutend übersichtlicherer
Weise über die ununterbrochene Arbeitslosigkeit am 1. Febr. 1905, wie
die Veröffentlichung selbst ausdrücklich betont. Es ist noch hervorzu-
heben, daß die Berichte sich jeden Kommentars zu den Tabellen ent-
halten und die Zahlen sozusagen von selbst sprechen lassen.
Wir sehen gleichfalls von einer näheren Erörterung dieser Zu-
sammenstellungen ab, da uns dies zu weit führen würde. Außerdem
verbietet sich die erwähnte Besprechung schließlich von selbst, da die
Ergebnisse, an und für sich schon selbst kaum zuverlässig, niemals die
Grundlage erschöpfender Beobachtungen zu bieten vermögen, denn sie
geben einen viel zu kleinen Ausschnitt der Bewegungen des Arbeits-
marktes und ermöglichen keine sicheren Rückschlüsse über Grad und
Umfang der Arbeitslosigkeit und sonstige einschlägige Fragen. Der
Veranstalter der Statistik, der Malerverband, war auch selbst schon
von dem geringen Wert der Ergebnisse seiner Arbeitslosenzählungen
überzeugt, was wohl in erster Linie mit auf die Mangelhaftigkeit der
Methode, die zuviel Anforderungen an die einzelnen Mitglieder stellt
und keine Nachkontrolle oder diese nur schwer gestattet, zurückzuführen
ist. Aus diesem Grunde wurde im Jahre 1906 von weiteren Erhebungen
abgesehen und der Verband stellte seine Arbeitslosenstatistik ein.
3. Die beitragsfreien Marken für die arbeitslosen Mitglieder (1909).
Die neuere Arbeitslosenstatistik des Malerverbandes, die seit dem
Jahre 1909 besteht, ist im Gegensatz zu den zahlreichen früheren Ver-
anstaltungen wohl entschieden die beste und zuverlässigste und ent-
spricht auch eher den Anforderungen der Gegenwart. Dank ihrer äußerst
praktischen methodologischen Vorzüge ist sie am ersten mit imstande,
sichere Unterlagen für die Beobachtungen über den Umfang der Ar-
beitslosigkeit bei den organisierten Malern und ihren Berufsgenossen
zu bilden und verleiht aus diesem Grunde den Ergebnissen einen ge-
1) Die Bearbeitung scheint, wie ein Blick auf Tab. I zeigt, recht ober-
flichlich vorgenommen zu sein, denn die Zahlenreihen weisen eine Menge Fehler
auf. Wenn sich zu den bereits in der Natur der Sache liegenden Schwierig-
keiten, mit denen die private Arbeitslosenstatistik an und für sich schon zu
kämpfen hat, auch noch Ungenauigkeiten in den einfachsten Berechnungen ge-
sellen, dann wäre es in der Tat besser, solche Veranstaltungen unterblieben
lieber ganz.
Herbst: Arbeitslosenstatistik 3
34 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
wissen inneren Wert, der bisher bei der privaten Arbeitslosenstatistik
in den meisten Fällen fehlte.
Wie allgemein bekannt sein dürfte, müssen die Mitglieder der Ar-
beiterorganisationen von Zeit zu Zeit statutarisch festgesetzte Beiträge
entrichten, über die in den meisten Fällen durch Marken von entspre-
chendem Werte quittiert wird. Letztere werden der Einfachheit halber
in die Mitgliedsbücher, den Ausweisen über die Verbandszugehörigkeit,
eingeklebt. Beim Malerverband sowie auch zahlreichen anderen Organi-
sationen mit gleichem oder ähnlichem Charakter besteht nun die Be-
stimmung, daß diejenigen Arbeitnehmer, die beschäftigungslos sind, von
der Verpflichtung zur Beitragsleistung entbunden sind. Sie müssen nun
an Stelle der Beitragsmarken in ihren Mitgliedsbüchern Marken mit
dem Stempel „beitragsfrei“ aufkleben und zwar solange sie ohne Arbeit
sind. Diese Arbeitslosenmarken werden kostenlos von den Zahlstellen
ausgegeben und dort genau registriert. Es liegt nun natürlich im In-
teresse eines jeden Arbeitslosen, diesen Bestimmungen nachzukommen.
Somit ist gewissermaßen eine gegenseitige Kontrolle geschaffen. Der
Arbeitslose wird in der Zeit seiner Beschäftigungslosigkeit niemals ver-
säumen, sich bei der Zahlstelle zu melden und von der ihm zustehen-
den Vergünstigung Gebrauch zu machen, denn einem Arbeitslosen dürfte
es wohl doppelt schwer fallen, neben der Lohneinbuße auch noch zur
Beitragsleistung verpflichtet zu sein. Die Zahlstellen aber geben keine
beitragsfreie Marke aus, ohne sie nicht vorher registriert zu haben.
Die Mitgliedsbücher werden dann von Zeit zu Zeit eingefordert, die An-
zahl der beitragsfreien Marken aus ihnen herausgeschrieben und mit
den Eintragungen der Zahlstellen über die verausgabten Marken ver-
glichen. Die Zusammenstellung dieser Zahlen erfolgt am Ende in dem
nachstehend angeführten Sammelformular, dessen Kopf die folgende
Fassung aufweist.
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Buch-
Zu- und Vorname treten
Nummer |
Bemerkungen
der Meldekarte
Eine eingehendere kritische Betrachtung dieser auf einer solchen
Grundlage beruhenden Methode erübrigt sich an dieser Stelle, da wir
Die Erhebungen des Zentralverbandes der Maurer Deutschlands 35
später bei der Besprechung der Leipziger gewerkschaftlichen Arbeits-
losenstatistik ein analoges System vorführen werden und dabei zu er-
örtern gedenken, daß das in beiden Fällen vorherrschende ausgeprägte
Selbstinteresse der Arbeitslosen stets mit eine gewisse Gewähr für
die Zuverlässigkeit der Erhebungen bedeutet.
§ 6. Die Arbeitslosenstatistik des Zentralverbandes der
Maurer Deutschlands.
1. Die Methode der Zählhefte.
Für diejenigen Gewerkschaften, die die Arbeitslosenstatistik im
Anschluß an die bestehenden gewerkschaftlichen Versicherungseinrich-
tungen gegen die Gefahr der Arbeitslosigkeit pflegen, bedeutet dies
keine besonderen Schwierigkeiten, und außergewöhnliche Veranstal-
tungen mit zeitraubenden Vorbereitungen erübrigen sich. Hingegen die
Arbeiterorganisationen der Saisongewerbe sind in der Regel nicht in
der gleich günstigen Lage und müssen, wenn sie dem Problem der
Arbeitslosigkeit innerhalb ihrer Mitgliederkreise genügende Beachtung
und Aufmerksamkeit schenken wollen, stets ihre Zuflucht zu direkten
Erhebungen nehmen, was für sie mitunter durchaus keine leichte Sache
ist. Solchen unter derartigen Momenten unternommenen Arbeitslosen-
statistiken muß im allgemeinen immer eine gewisse Anerkennung ge-
zollt werden, auch wenn die dabei erzielten Ergebnisse nicht recht
brauchbar und zuverlässig sind. Von ganz besonderem Interesse wird
es daher sein, die Tätigkeit des Zentralverbandes der Maurer Deutsch-
lands auf dem Gebiete der privaten Arbeitslosenstatistik einer näheren
Betrachtung zu unterziehen’).
Es liegen wiederholte Versuche des genannten Verbandes vor, die
ihrem Umfange nach schwer schätzbare Arbeitslosigkeit im Maurerge-
werbe zahlenmäßig festzustellen. Der erste wurde im Jahre 1891 unter-
nommen. Zu diesem Zwecke verteilte der Verband an seine Mitglieder
kleine Hefte, worin u.a, die Feierzeit wegen Arbeitsmangels, ungünstiger
Witterung, Krankheit und Streiks wöchentlich für das ganze Jahr auf-
gezeichnet werden sollte. Die nähere Einrichtung der Hefte ist aus den
zur Verfügung stehenden Verbandsberichten nicht ersichtlich und auch
leider nicht mehr genau festzustellen, da die Veranstaltungen zu weit
zurückliegen. Von statistischem Standpunkte aus muß diese Methode
jedoch als völlig unbrauchbar verworfen werden, denn schon in der
Übergabe der Zählbücher an die Arbeiter für das ganze Jahr mit der
1) Außerdem veranstalteten die Bauhilfsarbeiter und die Stukkateure so-
wie der Deutsche Bauarbeiterverband, zu dem die Verbände der beiden ersteren
und der Zentralverband der Maurer sich neuerdings verschmolzen haben, eben-
falls eine Reihe von Arbeitslosenzählungen, über die das Reichsarbeitsblatt 1913,
Nr. 2, S. 108 ff. eingehend berichtet.
Eh
36 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
erwähnten Bestimmung ist die Unzulänglichkeit der Statistik von vorn-
herein begründet. In derartigen Versuchen, den Umfang der Arbeits-
losigkeit individuell festzustellen, liegt stets eine große Gefahr für die
Zuverlässigkeit der Ergebnisse. Die Festhaltung der Individualität für
das ganze Jahr erscheint an sich nun zwar sehr interessant und wün-
schenswert; in der Statistik ist es aber stets oberster Grundsatz, sich
nur mit dem Erreichbaren zu begnügen, und für die Zwecke der Arbeits-
losenstatistik kann schon genug bei Beobachtungen über einen kürzeren
Zeitraum als den eines ganzen Jahres gewonnen werden. Darum wäre
es besser gewesen, wenn man die Zählhefte den Arbeitern für möglichst
kurze Zeitabschnitte, etwa für Vierteljahre oder gar nur für Monate,
übergeben und außerdem noch ihre Aufmerksamkeit durch wiederholte
Aufforderungen und Ermahnungen öfters angeregt hätte. Auf diese
Weise und noch dazu in Großstädten mit einer wohlorganisierten Arbeiter-
schaft würde die Methode dann vielleicht das erreichen, was durch die sog.
Stichtagszählungen wohl niemals oder nur schwer erreicht werden kann,
nämlich die Ermittlung der totalen Dauer der Arbeitslosigkeit. Und
gerade diesem neben der Feststellung des Umfanges der Arbeitslosig-
keit und des Berufes der Arbeitslosen wohl unzweifelhaft wichtigsten
Moment der ganzen Arbeitslosenstatistik tragen die wenigsten Metho-
den gebührend Rechnung. Es wird nämlich im Falle der Arbeitslosig-
keit in der Mehrzahl der Fälle ihr Eintritt und ihr Ende für jedes ein-
zelne Individuum ermittelt, auch wenn die Hefte den Arbeitern etwa
nur einen Monat belassen werden. Hierauf weisen Landsberg!) und
Grünspan?) u.a. mit Recht hin. Außerdem ist noch zu betonen, daß
die Methode der Zählhefte auch dadurch eine besondere Bedeutung er-
langt, daß neben den Arbeitslosenziffern die Zahl der gleichzeitig arbei-
tenden Mitglieder bekannt ist, weil es sich hier um einen ausgewählten
Teil der Arbeiter, nämlich um die Verbandszugehörigen, handelt.
Was den Erfolg der Veranstaltung anlangt, so war eigentlich vor-
auszusehen, daß besonders wertvolle Resultate wohl kaum erzielt wer-
den würden. Aber auch noch diese bescheidene Erwartung wurde ge-
täuscht. Der Erfolg war gleich Null. Rund *, der Mitglieder hatten
keine oder keine einwandfreien Aufzeichnungen gemacht. Auch die
Wiederholung des Versuches im folgenden Jahre zeitigte keine besseren
Ergebnisse. Und selbst die dritte Anwendung der erwähnten Methode
in den Wintermonaten 1899/1900 und im August 1900 bedeutete aber-
mals einen Fehlschlag, trotzdem in allen Zweigvereinen Kommissionen
1) So wenig es in der Bevölkerungsstatistik genüge, etwa nur die Geburt
des Menschen, nicht aber auch seinen Tod festzustellen, so wenig genüge es in
der Arbeitslosenstatistik, nur den Eintritt, nicht aber auch das Aufhören der
Arbeitslosigkeit zu ermitteln.
2) Soziale Praxis, 20. Jahrgang, 1911, Nr. 16: Die Arbeitslosigkeit im
Maurergewerbe.
Die Erhebungen des Zentralverbandes der Maurer Deutschlands 37
eingesetzt waren, die mindestens einmal monatlich kontrollieren sollten,
ob die wöchentlichen Notizen richtig gemacht seien’).
2. Die Stichtagszählung des Jahres 1909.
Nachdem nun der Zentralverband der Maurer Deutschlands auch
seinerseits versucht hatte, auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik
hinter der Tätigkeit der übrigen Gewerkschaften und Verbände nicht
zurückzustehen, jedoch seine Bemühungen, wie wir schilderten, nicht
von dem geringsten Erfolge begleitet sah, ist es nur zu erklärlich, daß
er weitere Veranstaltungen, zumal nach der bisher angewandten Methode,
den ersten mißglückten nicht unmittelbar folgen ließ. Erst im Jahre
1909 nahm der Verband seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Arbeits-
losenstatistik wieder auf und bediente sich aber bei diesen neueren Er-
hebungen im Gegensatz zu den früheren der Methode der Stichtags-
zählung. Als Stichtage wurden die letzten Sonnabende der Monate des
Jahres 1909 gewählt, nur für den Dezember kam der letzte Freitag in
Betracht, da der letzte Sonnabend im Monat ein Feiertag war. Die Zäh-
lung der Arbeitslosen wurde durch persönliche Umfrage in den Woh-
nungen der Verbandsmitglieder vorgenommen. Ihr Beginn war festge-
setzt für den Abend des Stichtages; innerhalb dreier Tage nach letzterem
mußte sie beendigt sein. Die Zweigvereine wurden angehalten, in ihren
Bezirken besondere Zählrayons zu bilden und für einen jeden solchen
einen Zähler zu bestimmen. Zweigvereinen, die die Hauskassierung ein-
geführt hatten, war es anheim gestellt, aus den Kassiererbezirken Zähl-
bezirke zu bilden und die Hauskassierer zu Zählern zu ernennen. Die
Beteiligung der Zweigvereine war eine recht erfreuliche, sie schwankte
zwischen 86,8°, und 88,2%, am schwächsten war sie im Juli, am
stärksten im Februar. Aus diesen Gründen erreichte die Vollständigkeit
der Statistik im Vergleich zu den vorhergegangenen Veranstaltungen
nach der Methode der Zählhefte einen weit höheren Grad und sicherte
somit dieser Erhebung einen besseren Erfolg. Dazu kommt noch die
zwölfmalige Wiederholung der Stichtagszählungen im Laufe eines Jahres
in gleichmäßigen Abständen, die den Ergebnissen eine nicht unerheb-
liche Bedeutung verleiht, so daß es wohl sicher von Interesse sein wird,
einige wichtige Punkte aus dem Zählbericht herauszugreifen und einer
kurzen Betrachtung, ohne dabei jedoch auf die Einzelheiten näher ein-
zugehen, zu unterziehen. Wir verweisen zu diesem Zwecke auf die fol-
gende Tabelle, die eine Übersicht über alle zwölf Stichtage, die betei-
ligten Ortsvereine mit ihren Gesamtmitgliederzahlen und den Ziffern
der befragten Mitglieder bietet. Des weiteren sind dann von letzteren
die arbeitenden und nicht beschäftigten Personen angeführt und schließ-
1) Vgl dazu auch die kritische Beleuchtung dieser Veranstaltungen bei
Paeplow und Bimelburg, Das Maurergewerbe in der Statistik, Hamburg 1902.
38 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
lich erfahren noch die Ursachen der Arbeitslosigkeit nach drei Gesichts-
punkten eine nicht unwesentliche Berücksichtigung. Bevor wir die er-
wähnte Tabelle vorführen, sei noch darauf hingewiesen, daß der Zentral-
verband seine Zählungen für die ersten drei Monate des Jahres auch
nach Ortsgrößenklassen und Großstädten veranstaltet hat. Dabei wurde
festgestellt, daB in der eigentlichen Bauzeit die Arbeitslosigkeit in den
Großstädten am größten ist, wie ebenfalls die Krankenziffern dort auch
obenanstehen. Ferner zeigte sich, daß in den großen und Mittelstädten
die Bauzeit ausgedehnter ist als in den kleinen Städten. Man ist in den
Großstädten bestrebt, auch den Winter zur Arbeit auszunutzen und
wird darin hauptsächlich unterstützt durch die zahlreichen modernen
bautechnischen Fortschritte, die auch trotz ungünstiger Witterungsver-
hältnisse die ununterbrochene Fortsetzung der Tätigkeit gestatten. In-
folgedessen ist die Arbeitslosigkeit in diesen Städten in den Monaten
November und Dezember nicht so groß wie in den Kleinstädten und
auf dem Lande, im Gegensatz zum Sommer, wo die größeren Städte
einen größeren Prozentsatz Arbeitsloser haben, von denen aber wieder
die Mehrzahl wegen Krankheit ihre Beschäftigung unterbrechen mußten.
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920 |153991 |143 674 |93,9
L 53637 90037 ANE EH 31,8 37984 26,4, 6346 4,4
II. | 1024 158791147 737|92,6. 55464 92273 62,5 48070 32,6/38369 25,0 5834 4,0
III. | 994 ‚159146147863 |92,9 116176 31687 21,4 24587 16,6| 2181| 1,5 4919 3,3
IV. | 952 160402150704 93,5 141379: 9325 6,2: 5046 SA 175| 0,1 4104 2,7
V. | 964 /167922 158002 94,1 149512 8490, ba 3637| 2,3| 1125| 0,7, 3728 2,4
VI. | 928 '170848|161464 94,5 154651, 6813| 4,2 3136| 2,0| 108) 0,1: 3542 2.2
VII. | 911 168408 159143 94,5 150601} 8542| 5,4 4463| 2,8| 527| 0,3 3552 22
VIII. | 933 |170310 161463 94,8 151544, 9919 6,1; 6095' 3,8] 228] 0,1 3596 2,2
IX. | 982 |172167 162013,94,1 150312 11701. 7,2, 7398) 4,6| 750) 0,5 3553 2,2
X. | 927 (171170 160125/'93,6 149318 10807 6,8 6909| 4,31 138' 0,1 3760 2,4
XI. | 917 166 959/156 214 93,0 119739 35475 22,9 15500 10,0 15071 | 9,7 4904 3,2
XIIL | 940 164655 150805'91,6 106938 43867 29,1'29970 119,9, 9063 | 6,0. 4884 3,2
In den Monaten Januar, Februar, Dezember und November hatte
die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand erreicht, den tiefsten im Juni,
um dann im Juli, August und den folgenden Monaten wieder allmählich
zu steigen, entgegen der infolge des Eintritts der milderen Witterung
erklärlichen Abnahme im März, April und Mai. Da im Durchnitt stets
etwa 93°, der Mitglieder befragt wurden, so kann man die angeführten
Zahlen wohl jedenfalls als typische ansehen und mit ziemlicher Sicher-
heit daraus immerhin zuverlässige Rückschlüsse auf die Bewegungen
und Schwankungen des Beschäftigungsgrades im Baugewerbe ziehen,
Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig (1893) 39
`
wenn man sich nicht mit den neueren Berechnungen von Quantz und
Calwer bescheiden will, nach denen die Arbeitslosigkeit der Bauarbeiter
im allgemeinen auf etwa 15—20 v. H. des Arbeitsjahrs zu schätzen ist.
§ 7. Die Veranstaltungen des Leipziger Gewerkschafts-
~ kartelis. '’)
I. Ältere Arbeitslosenstatistiken.
Seit der Gründung des Leipziger Gewerkschaftskartells ist die Frage
der Arbeitslosigkeit wiederholt Gegenstand lebhafter Erörterungen ge-
wesen. Besonders bei plötzlich eintretenden Konjunkturschwankungen
drängte die Lösung des Problems geradezu von selbst zur Entscheidung.
Es ist wohl selbstverständlich, daß in solchen Fällen in erster Linie die
beteiligten Kreise sich eifrig bemühten, Mittel und Wege zu finden, der
herrschenden Arbeitslosigkeit zu steuern. So berief in den Krisen-
jahren das Leipziger Gewerkschaftskartell zahlreiche Versammlungen,
um den Arbeitslosen die Möglichkeit zu geben, sich über ihre Lage und
deren Ursachen auszusprechen; Petitionen wurden an die maßgebenden
Körperschaften gerichtet, in denen die herrschenden Zustände eingehend
geschildert und um Linderung und Abhilfe der Arbeitslosennot gebeten
wurde; und — last not least — versäumte das Gewerkschaftskartell bei
dieser Gelegenheit auch nie, den Umfang der Arbeitslosigkeit statistisch
zu erfassen.
In dieser Weise war das Gewerkschaftskartell zum erstenmal bereits
zu Beginn der 90er Jahre tätig. Eine am 23. Januar 1893 abgehaltene
Arbeitslosenversammlung beschloB u. a. eine Arbeitslosenzählung zu
veranstalten, denn „die Versammlung anerkannte die dringende Not-
wendigkeit der Aufnahme einer Arbeitslosenstatistik und verpflichtete
sich, bei der vom Gewerkschaftskartell vorzunehmenden statistischen
Aufnahme am 5. Februar tatkräftig mitwirken zu wollen“. Die Veran-
staltung ging dann am festgesetzten Termin, wenn auch unter erheb-
lichen Schwierigkeiten, vor sich. Man hatte sich für die Methode der
Hauszählung entschieden und eine größere Anzahl freiwilliger Zähler
mit der Austragung der Erhebungsformulare beauftragt. Letztere ent-
hielten folgende Fragen:
1) Aus naheliegenden Gründen dürfte es wohl angebracht erscheinen, ge-
rade über die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik inLeipzig ausführlich zu be-
richten. Wir müssen dabei jedoch betonen, daß der Sammlung speziell dieses
Materials, vornehmlich in methodischer Beziehung, erhebliche Schwierigkeiten
entgegenstanden, da die vorhandenen Veröffentlichungen nur die Ergebnisse be-
handeln. Auch sonst vermochten wir an Ort und Stelle nur wenig in Erfahrung
zu bringen. Wir haben aber trotzdem versucht, die Darstellung so gut wie mög-
lich abzurunden.
40 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
= WONHUNET ee rende Ee ese EE
e EE
Alter? ........ Jahre.
. Ledig oder verheiratet?.............. ee EE EE ere =
. Art der letzten Beschäftigung? ............. ccc ccesesccecvcerseecnes
> Deib Wann BIDOILBIOST ana en
. Bei wem zuletzt in Arbeit gewesen? ....... 0... ccc cee cece eee nen
USD ORTEN Straße Nr.......
8. Ist die Arbeitslosigkeit durch Krankheit verursacht?..................
9. Trägt die Frau im allgemeinen durch ihren Erwerb zum Unterhalt der
HAM bei. EE
10. Hat sie hierzu jetzt Gelegenheit? .... 2.0... cece eee ee eee eee
11. Name der Kinder unter 14 Jahren"...
EE Së
b) Art der Beschäftigung? cise der d NR E REESEN
ON ET EE
Die Ergebnisse wurden am 11. Marz im „Wähler“ veröffentlicht.
Sie umfassen insgesamt 9 Berufsgruppen. Ermittelt wurden 88 20 Arbeits-
lose, was im Verhältnis zu der durch die Berufszählung des Jahres 1890
festgestellten Zahl von 80 232 überhaupt vorhandenen Arbeitern und Ar-
beiterinnen 9,3°/, Arbeitslose bedeutet. Ohne Verdienst und zum Teil
ohne Subsistenzmittel befanden sich insgesamt 23583 Männer, Frauen
und Kinder. Die Durchschnittsdauer der Arbeitslosigkeit betrug 14 Wochen
5 Tage. In 266 Fällen wurde sogar eine bereits über ein Jahr währende
Arbeitslosigkeit festgestellt.')
Die Veranstalter beklagten sich, daß vornehmlich die bürgerlichen
Kreise der Zählung feindlich gegenübergestanden hätten. Die bürger-
liche Presse sollte mehr oder weniger versteckt gegen die Erhebung
agitiert und ihren Lesern den guten Rat gegeben haben, dem Zähler-
personal die Tür zu weisen. Es liegt uns natürlich fern, zu erörtern,
inwieweit diese Behauptungen als glaubwürdig zu betrachten sind. Wir
können aber unserer Meinung wohl dahin Ausdruck geben, daß die der
Zählung bereiteten „Schwierigkeiten“ in ganz anderen Momenten zu
suchen sind. Die sozialdemokratische Presse dürfte wohl hierin wieder
einmal ihren gewohnten Übertreibungen freien Spielraum gelassen und
diese Nachrichten in gehörig tendenziös gefärbter Weise der Öffentlich-
keit übergeben haben. Wollten wir die „Schwierigkeiten“ einmal in
technischer Hinsicht betrachten, so würden, wie wir es in unseren
früheren kritischen Erörterungen über Wesen und Bedeutung der Haus-
zählung bereits dargelegt haben, die eigentlichen Mängel der Veranstal-
tung ohne weiteres offenkundig werden.
Im folgenden Jahre wollte sich das Gewerkschaftskartell bei der
geplanten Wiederholung der Arbeitslosenzählung von 1893 der Unter-
säi E Om Dä ro Fa
1) Die Bearbeitung scheint auch hier wieder mit der tiblichen Ungenauig-
keit durchgefiihrt zu sein, denn unseres Wissens hat 1890 keine Berufszihlung
stattgefunden, wohl aber eine Volkszählung, wobei nicht 80232 Arbeiter usw.
ermittelt wurden, sondern, wie wir aus der amtlichen Darstellung schöpfen,
66825 Arbeiter und 14981 Arbeiterinnen usw., zusammen also 81806.
Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig (1893) 41
stiitzung des Rates der Stadt Leipzig versichern und petitionierte
an ihn, am besten eine rein amtliche Erhebung vorzunehmen. Das
Gesuch wurde jedoch abschlägig beschieden. Die städtischen Behörden
betonten „die großen Schwierigkeiten, die mit einer solchen Erhebung
verbunden sein würden“, und führten in ihrem Antwortschreiben weiter
folgendes aus: „Einmal erscheint es schon sehr zweifelhaft, ob es mög-
lich sein werde, eine vollständige Statistik zu erreichen, weil irgend-
welche Verpflichtung zur Ausfüllung der auszugebenden Fragebogen
nicht auferlegt werden könnte. Sodann aber und hauptsächlich war die
Erwägung für uns entscheidend, daß die bloße Zählung der Arbeits-
losen gar keinen Wert besitzen würde, wenn damit nicht zugleich eine
Untersuchung über die persönlichen Gründe der Arbeitslosigkeit ver-
bunden wäre. Zu dieser würde es uns aber nicht nur an geeigneten
Organen fehlen, da die Armenpfleger nicht dazu verwendet werden
könnten, sie würde auch ein Eindringen in die Verhältnisse der Ge-
zählten zur Voraussetzung haben, welches vielleicht weder den etwa be-
teiligten Arbeitgebern noch den Arbeitern genehm sein würde, und zu
welchem wir uns deshalb auch nicht für befugt halten.“ Wir können
diesen Ausführungen nicht ganz beistimmen. Der Standpunkt der Be-
hörde ist auf jeden Fall zu schroff. Gewiß sind gerade die arbeits-
statistischen Erhebungen und besonders die Zählungen der Arbeitslosen
einer Reihe von Schwierigkeiten ausgesetzt, die keinesfalls verkannt
werden dürfen. Was aber einer privaten Veranstaltung schwerlich oder
kaum gelingen dürfte, das sollte jedoch niemals von Amts wegen als nicht
erreichbar bezeichnet werden. Uns erscheint es jedenfalls nicht so sehr
zweifelhaft, eine brauchbare — eine vollständige in des Wortes wahrster
Bedeutung ist ja durchaus nicht unbedingt erforderlich — Arbeitslosen-
statistik zu beschaffen, zumal wenn sie von Amts wegen organisiert ist,
und die Gewerkschaften außerdem noch bereitwilligst ihre Unterstützung
zusagen. Und was die Verpflichtung zur Ausfüllung der Fragebogen
anlangt, so kann sie gewiß niemandem aufgezwungen werden. Wenn
aber die veranstaltende Behörde sich die Mühe nimmt, öffentlich in ge-
eigneter Weise darauf hinzuweisen, daß es im dringenden Interesse
weiter Kreise der Bevölkerung liegt, die nötigen Angaben möglichst
genau und eingehend zu machen, dann werden wohl nur wenige ent-
gegengesetzt handeln. Auch ein anderer vorgebrachter Grund, daß die
geeigneten Organe fehlten, läßt sich widerlegen. Stehen der Verwal-
tung einer der bedeutendsten kommerziell-industriellen Metropolen
Deutschlands wie Leipzig etwa keine geeigneten Organe zur Ver-
fügung, eine Stichtagszählung der Arbeitslosen vorzunehmen? Wir
könnten noch manchen Einwand gegen den damaligen Beschluß des
Rates der Stadt Leipzig erheben, wir wollen uns jedoch mit dem Dar-
gelegten bescheiden. So viel ist aber sicher, die Begründung der Ab-
lehnung ist nicht stichhaltig genug und wir bedauern lebhaft, daß die
maBgebenden Stellen damals noch nicht die nötige Vorstellung von der
42 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
Bedeutung der Vornahme behördlicher Arbeitslosenstatistiken gehabt
haben. Andere Städte haben jedenfalls — wenn auch erst einige Jahre
später — den Beweis erbracht, daß es gar nicht so schwierig ist, eine
Arbeitslosenzählung vorzunehmen, und nicht die Mühen und Aufwen-
dungen gescheut, die gerade die Arbeitslosenzählungen verursachen, die
aber doch so ungemein wichtig und bedeutungsvoll sind und Gegenstand
aufmerksamster Pflege besonders der städtischen Behörden bilden sollten.
Das Leipziger Gewerkschaftskartell nahm seine Tätigkeit auf dem
Gebiete der Arbeitslosenstatistik erst wieder nach 1900 auf, da vordem
die wirtschaftlichen Verhältnisse günstiger lagen, als es 1893/94 der
Fall war. Auch mögen die im Jahre 1895 stattgefundenen Reichs-
arbeitsloseuzählungen genügendes Material geliefert haben, das viel-
leicht selbst die immer etwas hohen Ansprüche der hier am ersten be-
teiligten und interessierten Bevölkerungsschichten befriedigt haben dürfte.
Im Jahre 1900 trat jedoch abermals ein Umschwung im wirtschaft-
lichen Leben ein und man beschloß daher rechtzeitig die Vornahme
selbständiger Arbeitslosenzählungen. Diese neueren Erhebungen sollten
aber im Gegensatz zu den früheren keine einmaligen, sondern fortlaufende
Veranstaltungen sein. Zu diesem Zwecke arbeitete der Vorstand des Ge-
werkschaftskartells einen Fragebogen aus, der Ende 1900 den Ver-
tretern der Gewerkschaften vorgelegt wurde. Jede Gewerkschaft sollte
einen solchen Bogen erhalten und darauf die erforderlichen Angaben
bewirken. Die Bearbeitung wollte der Vorstand selbst übernehmen.
Der Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Die Vertreter der Gewerk-
schaften hielten die Methode für ungeeignet, „indem die Gesamtheit
der Arbeiter für solche Aufnahmen nicht zu gewinnen sei und weil, in-
folge der mangelhaften Beteiligung, die Verhältnisse stets günstiger er-
scheinen würden, als wie sie in Wirklichkeit sind.“
Der Fragebogen selbst hatte folgenden Inhalt:
Fragebogen.
Monat ......... 2...
Mitsliederzahl „an u ee rent nun
Arbeitslose (auch unorganisierte) .....2... cc. eee eee EINER DENE
Davon waren Arbeternnen., 000 KE eech
Verheiratet. EE Sege Sc
LE EE
Arbeitslos waren tee Arbeiter und Arbeiterinnen
Zusammen wieviel Tage i in diesem Monat arbeitslos ...... ereo. oneone.
Infolge Arbeitsmangels wurde die Arbeitszeit verkürzt in wieviel Geschäften .
mit wieviel Arbeitern............. und wieviel Stunden pro Tag..... .....
see be 0 0 08 00210081010 181 0 8 0 Tr ee
Unterschrift der Gewerkschaft
Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig (1900—1903) 43
Der Fragebogen wird jeder Organisation in der letzten Woche eines jeden
Monats rechtzeitig zugestellt und ist so genau als möglich ausgefüllt spätestens
am ersten des nächsten Monats an das Kartell zurückzusenden. Das gesammelte
Material wird regelmäßig sofort bearbeitet und in der Leipziger Volkszeitung
veröffentlicht. Der Vorstand des Gewerkschaftskartells.
Wir wollen durchaus nicht verkennen, daß die regelrechte Durch-
führung dieser Statistik gar nicht so einfach gewesen wäre. Aber in
der vorgeschlagenen Methode den „ungeeignetsten Weg“ zu erblicken,
das dürfte denn doch schon etwas zuviel behauptet sein. Die an den
Beratungen beteiligten Vertreter der Gewerkschaften hätten über Dinge,
für die sie das rechte Verständnis kaum haben können, lieber nicht so
unvorsichtig urteilen sollen. Unseres Erachtens verdiente der Fragebogen
jedenfalls nicht die schroffe Ablehnung, die er in Wirklichkeit fand.
Es wäre erwünscht gewesen, wenn die Bemühungen der Antragsteller
mehr Entgegenkommen gefunden hätten.
II. Die Einführung der neuen Methode.
1. Technik.
Der Vorstand des Gewerkschaftskartells zog jedoch eine Lehre aus
dem Mißerfolg des Jahres 1900 und hütete sich, als er im folgenden
Jahre wieder eine Arbeitslosenstatistik veranstalten wollte, erst die Zu-
stimmung der Vertreter der einzelnen Gewerkschaften einzuholen. Er
wandte sich vielmehr an letztere direkt und erhielt auch von der größeren
Anzahl derselben bereitwillig die erforderlichen Mitteilungen. Nun zeigte
es sich auf einmal, daß dieser Weg durchaus nicht so ungeeignet war, wie
man ihn vor Jahresfrist noch bezeichnet hatte.
In methodischer Hinsicht weichen die Veranstaltungen des Jahres
1901 sowie die der folgenden Jahre wesentlich von den älteren Er-
hebungen ab. Die die Grundlage dieser neueren Zählungen der Arbeits-
losen innerhalb der Leipziger Gewerkschaften bildende interessante Me-
thode ıst uns durch das Entgegenkommen des Arbeitersekretariats der
Stadt Leipzig in allen Einzelheiten bekannt geworden, so daß wir nach-
stehend ausführlich darüber berichten können.
Durch das Gewerkschaftskartell der Stadt gelangen etwa vier Wochen
vor dem festgesetzten Zählungstermin grüne Doppelkarten an alle Mit-
glieder der angeschlossenen Gewerkschaften zur Verteilung. Auf der
einen Hälfte derselben befindet sich die Mitteilung von der beabsichtigten
Veranstaltung sowie die Aufforderung an den Empfänger, die auf der
anderen Hälfte der Karte aufgeführten Fragen!) gewissenhaft auszufüllen
3) Namen rouser E weed Wieviel Tage?......... E
Berüul 22,000 Haben Sie infolge Arbeitsnangels bei
Ledig: ... oder verheiratet: ... verkürzter Arbeitszeit gearbeitet?...
Wieviel Kinder? ............. Insgesamt wieviel Stunden in diesem
Waren Sie in diesem Monat Monat}. Aussee
arbeitslos? ........ ENG
44 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
und sie, falls keine Abholung erfolgt, bestimmt am letzten Tage des in
Frage kommenden Monats an die unterzeichnete Stelle, die Veranstalterin
der Zählung, direkt einzusenden. Die ausgefüllten Karten gehen jedoch
meist erst den einzelnen Gewerkschaften zu, die ihrerseits die Ergebnisse
auf weiBen Sammelkarten, die inhaltlich mit den im Jahre 1900 ab-
gelehnten Fragebogen völlig übereinstimmen, zusammenstellen und ent-
weder dem Gewerkschaftskartell oder dem Arbeitersekretariat der Stadt
zur Bearbeitung und späteren Veröffentlichung übermitteln.
Es liegt nun schließlich der Gedanke nahe, den Erfolg einer Arbeits-
losenzählung, die auf der Grundlage der geschilderten Methode zur
Durchführung gelangt, dahinzustellen und die Zuverlässigkeit der Er-
gebnisse zu bezweifeln. Man könnte meinen, daß den einzelnen Arbeitern,
wie es bei solchen Erhebungen gewöhnlich der Fall zu sein pflegt, nicht
die erforderliche Gewissenhaftigkeit zuzutrauen ist, die Fragen genau zu
beantworten oder daß sie aus irgend welchen anderen Gründen der An-
gelegenheit ohne Interesse gegenüberstehen. Dem ist aber nicht so.
Auf Grund unserer Beobachtungen und Erkundigungen sind wir in der
Lage, jeden Anfeindungen entgegenzutreten und für die Brauchbarkeit
der Methode zu bürgen.
Die arbeitslosen Gewerkschaftsmitglieder sind sozusagen einer obli-
gatorischen Selbstmeldung unterworfen. Einesteils sind sie statutarisch
verpflichtet, sich sofort nach Eintritt ihrer Beschäftigungslosigkeit bei
der Zahlstelle der Gewerkschaft zu melden, wenn sie von dem ihnen
vom Verband gebotenen Vorrecht, Arbeitslosenunterstützung zu be-
ziehen, Gebrauch machen wollen, andererseits, und das trifft namentlich
für Organisationen zu, die keine Arbeitslosenunterstützung zahlen, lauten
die Bestimmungen der einzelnen Gewerkschaften dahin, daß jedes arbeits-
lose Mitglied, vorausgesetzt, daß es sich rechtzeitig meldet, von der Bei-
tragsleistung auf die Dauer seiner Arbeitslosigkeit entbunden ist. Es
wird somit in beiden Fällen wohl jederzeit im unbedingten Selbstinteresse
der einzelnen Arbeitnehmer liegen, die Angaben über ihre Arbeitslosig-
keit rechtzeitig und genau zu machen und durch ihre Nachlässigkeit
dem kleineren Übel nicht noch ein größeres zuzufügen, indem sie dann
der Unterstützung verlustig gehen oder ihre Beiträge trotz Aussetzens
ihrer Einnahmen weiter zahlen müssen. Hierin liegt die beste Gewähr
für die Zuverlässigkeit der Angaben. Ein Appell an das Selbstinteresse
des Menschen wird niemals aus Nachlässigkeit oder anderen Gründen
erfolglos bleiben. Die Zahl derjenigen Arbeitslosen, die wirklich keine
Mitteilung machen, wird auf jeden Fall so verschwindend klein sein,
daß sie kaum die Gesamtziffer zu beeinflussen vermag. Somit können
wir nach dem Dargelegten nicht umhin, die Methode als eine der brauch-
barsten zu bezeichnen und ihre fernere Anwendung besonders den privaten
Veranstaltern zu empfehlen. Freilich ist das eine dabei zu beachten,
daß sich das System nur dazu eignet, den Umfang der Arbeitslosigkeit
Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig (1900—1903, 1908) 45
innerhalb der Arbeiterorganisationen festzustellen, und auBerdem auch
nur fiir solche, deren statutarische Bestimmungen die Arbeitnehmer
zwingen, auf ihr eigenes Interesse unter allen Umstiinden bedacht zu
sein und ihnen Vorrechte verleihen, die sie nur beanspruchen können,
wenn sie dementsprechend handeln.
2. Ergebnisse.
Bei den Erhebungen, die sich lediglich auf die Wintermonate erstreckten,
wurde festgestellt, daß Arbeitslose vorhanden waren
im Winterhalbjabr 1901 02
im Oktober in 20 Gewerkschaften 7,93%,
„ November „ 26 m 9,26°,
„ Dezember ,, 30 = 12,31°,
„ Januar „ 27 “ 13,23 %,
„ Februar „ 27 er 12,83°,
„ März n 27 9,930,
im Winterhalbjahr 1902 03
im Oktober in 9 Gewerkschaften 7,40°,
„ November „ 36 e 9,07%,
„ Dezember ,, 25 e 20,37°,
„ Januar „ 27 8 13,91°,
„ Februar ,, 25 e 13,44°,
Uns entrollt sich hier genau dasselbe Bild, wie es uns schon von
früher her bekannt ist und uns auch späterhin noch des öfteren wieder
begegnen wird. Die Intensität der Arbeitslosigkeit ist am größten zu
Anfang und Ende eines jeden Jahres in den Monaten Januar und De-
zember. Im Oktober und November steigt sie gewöhnlich langsam, aber
stetig an, Februar und März sind jedoch durch das Moment der fallenden
Tendenz charakterisiert. Die Gründe und Ursachen dieser Erscheinungen
sind durchaus natürlich. Wir werden später noch ausführlich darauf
zu sprechen kommen. Hier genügt die einfache Feststellung der Tat-
sachen.
III. Die Zählungen der Jahre 1908 bis 1910.
In den folgenden Jahren fanden keine Arbeitslosenzählungen statt.
Erst 1908 wurden, da abermals eine wirtschaftliche Krise herein-
gebrochen war, solche Erhebungen wieder vorgenommen und zwar zu-
nächst monatlich, dann vierteljährlich und am Ende des Jahres wiederum
monatlich. Die Ergebnisse wurden nach den einzelnen Monaten im Laufe
des Jahres bereits in der „Volkszeitung“ veröffentlicht. Auch im „fünften
Jahresberichte des Leipziger Arbeitersekretariats, 1909“ (S. 97 f.) finden
sich drei ausführliche Tabellen, welche die nötigen Angaben über die im
Jahre 1908 arbeitslosen Mitglieder der Leipziger Gewerkschaften enthalten.
Die 1908 vom Gewerkschaftskartell veranstalteten Arbeitslosen-
zählungen sind, wie im Jahre 1909, so auch im Jahre 1910 fortgesetzt
worden. Anfangs gelangte dabei noch die uns bereits aus dem Winter-
46 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
halbjahr 1901/02 bekannte Methode zur Anwendung. Bald trat jedoch
allenthalben das Verlangen zutage, die Erhebungen möglichst einfach
zu gestalten. Den Gewerkschaften erschien die Methode zu kompliziert,
da sie zu große Anforderungen an die arbeitslosen Mitglieder stellte.
Das Gewerkschaftskartell mußte nun, um sich die Mitarbeit der Ge-
werkschaften auch weiterhin zu sichern, dem Drängen derselben nach-
geben und in die Änderung der Methode willigen. Die grünen Doppel-
karten fielen weg und die Gewerkschaften bedienten sich nur noch
der weißen Sammelkarten zur Berichterstattung an die Veranstalterin
der Erhebungen. Weiterhin ist noch besonders darauf hinzuweisen,
daß die Zählungen der Jahre 1908 bis 1910 sich von den früheren
auch ihrer ganzen Anlage nach wesentlich unterscheiden. Sie sind nicht
mehr fortlaufender Natur und erfassen nicht sämtliche im Erhebungs-
monat überhaupt vorhandenen arbeitslosen Gewerkschaftsmitglieder,
sondern erscheinen als bloße Stichtagszählungen, die auf einer verein-
fachten Methode beruhen.
Die Beteiligung der Gewerkschaften an den Erhebungen war im
großen und ganzen nicht schlecht. Allein die Bauarbeiter kamen für
die Arbeitslosenzählung im Jahre 1910 nur zum Teil oder gar nicht in
Betracht angesichts der drohenden und schließlich zur Gewißheit ge-
wordenen Aussperrung im Baugewerbe. Einige andere Gewerkschaften
dagegen, die nur wenige oder keine Arbeitslosen hatten, unterließen aus
diesem Grunde die Berichterstattung.
Die Ergebnisse des Jahres 1910 waren durchweg günstiger als die
der Jahre 1908 und 1909. Anzeichen einer wesentlichen Verschlechte-
rung des Arbeitsmarktes haben sich auch in den Ergebnissen aus den
letzten Monaten des Jahres 1910 nicht erkennen lassen. Daher beschloB
das Gewerkschaftskartell, die Arbeitslosenzählungen vorläufig einzustellen.
Die monatlichen Arbeitslosenziffern der an den Zählungen des
Jahres 1910 beteiligten Gewerkschaften sind fortlaufend in der „Volks-
zeitung“ veröffentlicht worden. Die Gesamtergebnisse haben im „siebenten
Jahresbericht des Arbeitersekretariats, 1911“ (S.11) eine übersichtliche
Darstellung erfahren.
Wir begnügen uns jedoch mit dem Ergebnis der Arbeitslosen-
zählung vom 30. April 1910, das ın der „Volkszeitung“ am 17. Mai 1910
ausführlich besprochen wurde und geben in folgendem aus dem uns zur
Verfügung gestellten Bericht einen kurzen Auszug, da es für den Leser
doch sicher von Interesse sein wird, sich auf diese Weise einmal einen
tieferen Einblick in die Leipziger Arbeitsverhältnisse zu verschaffen.
Die Beteiligung an der Zählung erstreckte sich auf 23 Gewerk-
schaften mit insgesamt 44362 Mitgliedern, von denen 1016 Arbeitslose
ermittelt wurden, d.i. 2,2°% gegen 2,3°, Ende März, 314%% Ende Februar
und 5,5%, Ende Januar. Die einzelnen Gewerkschaften selbst weisen
folgende in nachstehender Tabelle enthaltene Zahlen auf:
Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig (1908—1910) 47
Gewerkschaft | Mitglieder | Arbeitslose d
ee EE
Asphalteure
Lë
DO ka p ka ke OO OO Or
<
HK
Buchbinder
Buchdrucker
Buch- und Steindruckereiarbeiter
Fabrikarbeiter (Leipzig)
Gärtner
Holzarbeiter
Lederarbeiter
Lithographen
Metallarbeiter (Leipzig) ............0. wh
e (Markranstädt)
Mühlenarbeiter
Porzellanarbeiter
Schmiede
Schuhmacher
TR EE i
Textilarbeiter
Töpfer
Transportarbeiter
Zigarrensortierer
+
ett E
Bre oon 00
EI BI - | <
Mi
Ki
be
< sf
<
bat Oh td &
CO ka © td 00 Ga
bech
Die Betrachtung der Verteilung der Arbeitslosen auf die verschie-
denen Branchen in den einzelnen Gewerkschaften sowie eine eingehen-
dere Besprechung der Dauer der Arbeitslosigkeit würde uns an dieser
Stelle zu weit führen und dürfte auch nur von geringem Interesse sein,
zumal in letzterer Hinsicht meist nur die Gesamtzahl der Arbeitslosen-
tage bekannt geworden ist.
Ferner liegen von mehreren Gewerkschaften getrennte Angaben
über die männlichen und weiblichen Arbeitslosen vor. Berücksichtigt
man hierbei die Zahlen der männlichen und weiblichen Mitglieder dieser
Organisationen, so ergibt sich folgendes: es waren arbeitslos bei den
Buchbindern 58 (2,9%) männliche und 6 (0,4°/,) weibliche; bei den
Druckereihilfsarbeitern 26 (3,5%,) männliche und 4 (0,2%) weibliche;
bei den Zigarrensortierern 8 (13,3°/,) männliche und 1 (10%,) weibliche.
Wegen der Bauarbeiteraussperrung sind die Organisationen der
Maurer, Zimmerer und Bauhilfsarbeiter diesmal nicht mit an der Ar-
beitslosenstatistik beteiligt. Aus demselben Grunde fehlen auch in der
Tabelle die Steinarbeiter, bei denen von 220 Mitgliedern 50 wegen der
genannten Aussperrung arbeitslos waren und die Glaser, die am letzten
des Monats unter 423 vorhandenen Mitgliedern 51 Arbeitslose zählten,
die fast sämtlich von der Aussperrung in Mitleidenschaft gezogen wor-
den sind. Auch von den Fabrikarbeitern Markranstädts wird gemeldet,
daß 13 von ihren 520 Mitgliedern von der Aussperrung betroffen sind.
Im übrigen aber scheint der Einfluß der Aussperrung auf andere Ge-
werkschaften bisher gering zu sein. Ausgesperrte, die aus diesem
48 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
Grunde in der Tabelle nicht mit aufgeführt sind, hatten am 30. April
zu verzeichnen die Brauereiarbeiter 7, die Druckereihilfsarbeiter 1, die
Schmiede 7, die Textilarbeiter 13. Am 28. April ließen die Bauunter-
nehmer in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ folgendes verkünden:
„In den durch die Aussperrung in Mitleidenschaft gezogenen Gewerk-
schaften werden bereits verschiedentlich Klagen laut über mangelnde
Beschäftigung. In Frage kommen hierbei in Leipzig etwa 200 Bild-
hauer, 400 Dachdecker, 600 Glaser, 1000 Tischler, 1000 Maler,
700 Klempner, 1000 Schlosser und Schmiede, 400 Steinarbeiter, 200
Stukkateure und eine größere Zahl anderer Branchen, die von der Aus-
sperrung zum Teil ganz erheblich mit betroffen werden.“ Nach den Fest-
stellungen der Gewerkschaften scheint essich also bei den Unternehmern in
erster Linie um den Wunsch zu handeln, daß die von ihnen angegebenen
Zahlen „in Frage kommen“ möchten, ein Wunsch, der aber noch nicht
in Erfüllung gegangen ist — sic!
IV. Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig nach ihrem
neuesten Stand (1913 und 1914).
Die modernen Erhebungen des Leipziger Gewerkschaftskartells über
den lokalen Umfang der Arbeitslosigkeit innerhalb der Gewerkschaften
werden nach ganz veränderten Grundsätzen vorgenommen als es früher
der Fall war. Noch im Jahre 1908 bediente man sich teilweise der be-
kannten Methode der grünen Doppel- und der weißen Sammelkarten,
aber bereits 1909 wurden, worauf wir schon hinwiesen, Klagen laut, daß
diese Art der Erhebung zu schwerfällig sei, es würden dabei zu viele Anfor-
derungen an die einzelnen Mitglieder sowie an die Gewerkschaften ge-
stellt. Inwieweit diese Anschauung berechtigt ist oder nicht, wollen
wir hier nicht erörtern. Wir können jedenfalls dieser Meinung nicht bei-
stimmen und stehen auf dem Standpunkt, daß die angefeindete Methode
durchaus brauchbar ist. Doch kurz und gut, die Gewerkschaften, die
uns überdies schon früher als mehr oder weniger erfahrene Beurteiler
statistischer Methodenfragen begegnet sind, drangen wiederholt darauf,
die Art und Weise der Erhebungen immer einfacher zu gestalten. Als
man nun im Jahre 1915 nach einer dreijährigen Pause wieder eine Ar-
beitslosenstatistik vornehmen wollte, kam daher in der Tat auch eine
möglichst wenig komplizierte Methode zur Anwendung, die noch ein-
facher ist als diejenigen aller früheren Zählungen.
Wie bereits 1908 und in den beiden folgenden Jahren sollte es
sich auch bei den neueren Arbeitslosenzählungen nicht um eine um-
fangreiche statistische, methodisch ausgebaute Erhebung, sondern ledig-
lich um die einfache Feststellung der Zahl der arbeitslosen Gewerk-
schaftsinitglieder an einem bestimmten Tage — in der Regel am letzten
Werktag — im Monat handeln. Es kam den beteiligten Kreisen, wie im
Die gewerkschaftliche Arbeitslosenstatistik in Leipzig (1913/14) 49
„fünften Jahresbericht des Arbeitersekretariats“ ausdrücklich betont wird,
vornehmlich darauf an, möglichst schnell und fortwährend vom Stande
des Arbeitsmarktes unterrichtet zu sein, insbesondere ein Bild von dem
Steigen und Fallen der Arbeitslosenziffern in den einzelnen Monaten zu
erhalten. Das wäre durch eine einmalige umfassende Zählung, bei der
etwa wie im Jahre 1393 von den einzelnen Personen eine größere An-
zahl von Fragen beantwortet werden mußten, nicht zu erreichen ge-
wesen, ganz abgesehen davon, daß sich, wenn eine so umfangreiche Sta-
tistik endlich bearbeitet worden ist, was bei den beschränkten Mitteln
der Gewerkschaften immer geraume Zeit in Anspruch nimmt, die wirk-
lichen Verhältnisse schon längst wieder verschoben haben können. —
Von diesem Standpunkt aus läßt sich die Stellungnahme der Gewerk-
schaften der angefeindeten Methode gegenüber schon etwas eher ver-
stehen, jedoch rechtfertigen auf keinen Fall. Es ist allerdings nicht
zweckmäßig, wenn die Veröffentlichung der Ergebnisse sich allzusehr
verzögert. Aber warum soll gerade die Methode schuld daran haben?
Die Gewerkschaften vermögen doch auch sonst in anderer Beziehung
gerade genug Zwang auf ihre Mitglieder auszuüben Wäre das schlieB-
lich nicht auch dazu angebracht, eine schnelle Beantwortung im Falle
einer aufgemachten Arbeitslosenstatistik zu gewährleisten? Und was
die Belastung der Fragebogen anlangt, so läßt sich dazu bemerken, daß
wohl die Fragestellung bei der Zählung im Jahre 1893 etwas schwer-
fällig angeordnet war, die Anzahl der Fragen auf den von uns früher
erwähnten grünen Karten jedoch weder zu groß war, noch die Fragen
ihrem Inhalt nach kaum einfacher gestellt werden konnten.
Da es also den Gewerkschaften nur darum zu tun war, lediglich
die Zahl der arbeitslosen Gewerkschaftsmitglieder festzustellen, so wurde
ein möglichst einfacher Weg gewählt, um zum Ziele zu gelangen. Die
Gewerkschaften teilen dem Arbeitersekretariat ganz formlos am Ende
des jeweiligen Beobachtungsmonats die von ihnen am letzten Werktage
desselben festgestellte Zahl ihrer arbeitslosen Mitglieder mit. Eine be-
stimmte Erhebungsart ist nicht vorgeschrieben, Formulare und sonstige
Karten werden nicht ausgegeben, von der Beantwortung einer gewissen
Anzahl ausgewählter Fragen hat man abgesehen. Mitunter geben einige
Gewerkschaften noch die Zahl der arbeitslosen Tage an, etwa in der
Fassung: am 30. Juli waren 85 Mitglieder insgesamt 350 Tage arbeits-
los. Da das aber nicht konsequent durchgeführt wird, so kann die Be-
arbeitung mit solchen vereinzelten Angaben nichts anfangen, muB sie
unberücksichtigt lassen und zieht nur die mitgeteilten Zahlen der ar-
beitslosen Gewerkschaftsmitglieder heran.
Und wie gelangen nun vor allem die Gewerkschaften selbst zu die-
sen Zahlen? Auch wieder auf höchst einfache Art und Weise. Die
meisten Gewerkschaften besitzen heutzutage ihre eigenen Arbeitslosen-
unterstützungskassen, die arbeitslosen Mitglieder erhalten eine statuta-
Horbst: Arbeitslcsenstatistik 4
50 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
risch bestimmte Zeit lang eine ebenfalls in den Satzungen festgelegte
Arbeitslosenunterstützung ausgezahlt. Es liegt also im eigenen Inter-
esse der arbeitslosen Mitglieder, sich immer rechtzeitig bei ihren Ge-
werkschaften zu melden und ihre Unterstützung zu erheben. Die Ge-
werkschaften aber können auf diese Weise ohne weiteres die Zahlen der
arbeitslosen Mitglieder feststellen.
Im Jahre 1913 fanden auf Grund dieser Methode 3 Arbeitslosen-
zählungen statt und zwar in den Monaten Juni, Juli, August. Mit Be-
ginn des Jahres 1914 aber sollen die Erhebungen des Leipziger Gewerk-
schaftskartells wieder regelmäßig monatlich durchgeführt werden, was
auch bereits für die Monate Januar, Februar und März geschehen ist.
Die Ergebnisse dieser neueren Arbeitslosenzählungen sind gleich
denen früherer Veranstaltungen auf diesem Gebiete ebenfalls in der
„Volkszeitung“ veröffentlicht worden. Eine zusammenfassende, tabella-
rische Darstellung der 3 Zählungen des Jahres 1913 finden wir auf
Seite 30 der Abhandlung über „Die Leipziger Gewerkschaftsbewegung
im Jahre 1913“.
Was nun den Wert solcher Erhebungen anlangt, so muß bemerkt
werden, daß die erzielten Arbeitslosenziffern nicht immer ein getreues
Bild von dem tatsächlichen Umfang der Arbeitslosigkeit geben können.
Mitunter ist die Arbeitslosigkeit weit größer, als es aus den Ergebnissen
der Zählungen hervorgeht. Es gehört durchaus nicht zu den Selten-
heiten, wenn die eine oder die andere Gewerkschaft nicht in der Lage
ist, bei derartigen Zählungen ihre sämtlichen arbeitslosen Mitglieder zu
erfassen. Zuweilen werden gerade diejenigen nicht mitgezählt, die schon
sehr lange arbeitslos sind und, weil sie demzufolge Unterstützung nicht
mehr beziehen, der Kontrolle ihrer Organisationen mehr und mehr ent-
zogen werden. Es dürfte sich daher empfehlen, bei der Betrachtung
der Zahlenreihen diesem Gesichtspunkte Rechnung zu tragen und den
Ergebnissen, namentlich der neueren Zählungen, die auf der sog. ein-
fachen Methode basieren, mit einiger Vorsicht zu begegnen.
Das Leipziger Gewerkschaftskartell hat sich also, wie wir gesehen
haben, bei der Vornahme seiner Arbeitslosenstatistiken der verschieden-
sten Methoden bedient. Im Jahre 1893, bei der ersten Arbeitslosenzäh-
lung überhaupt, gelangte die Methode der Hauszählung zur Anwendung.
Die späteren Veranstaltungen in den Jahren 1901 bis 1903 basierten
auf der von uns ausführlich dargestellten Methode der grünen Doppel-
und der weißen Sammelkarten. Diese Erhebungen umfaßten im Gegen-
satz zu den späteren sämtliche im Laufe des Zählmonats überhaupt vor-
handenen Arbeitslosen. Nach 1908 kommt diese Methode auch noch
bisweilen zur Anwendung. Im großen und ganzen werden jedoch zu
dieser Zeit die Zählungen bereits nach der vereinfachten Methode vor-
genommen. Sie sind nicht wie die der Jahre 1901 bis 1903 fortlaufende
monatliche Veranstaltungen, sondern einfache Feststellungen der Zahl
Die Stellenlosenstatistik der Angestellten 51
der arbeitslosen Gewerkschaftsmitglieder am letzten Tage des Monats,
also Stichtagszählungen. In ähnlicher Weise, aber methodisch noch ein-
facher, zählt das Leipziger Gewerkschaftskartell auch neuerdings die
Zahl der arbeitslosen Gewerkschaftsmitglieder. Soweit nur zur Ergän-
zung und Zusammenfassung unserer obigen methodischen Ausführungen.
An und für sich ist es recht lobenswert, daß sich gerade das Ge-
werkschaftskartell einer Stadt wie Leipzig in so umfassender Weise
auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik betätigt hat. Wir müssen das
um so eher anerkennen, da wir wissen, mit welchen ungeheueren Schwie-
rigkeiten speziell die privaten Veranstalter. besonders bei sozialstatisti-
schen Untersuchungen, zu rechnen haben. Wenn hierbei in erster Linie
vielleicht auch lediglich eigene Interessen maßgebend waren, so sind
dennoch Eifer und Sorgfalt zu bewundern, mit denen das Gewerkschafts-
kartell für die Vornahme von Arbeitslosenzählungen eintrat bzw. diese
immer wieder anregte und durchführte. Die Gewerkschaften jedoch
zeigten mitunter eine durchaus ablehnende Haltung, wodurch nicht nur
einmal die ganzen Erhebungen höchst gefährdet erschienen. Überhaupt
können wir nicht umhin zu bedauern, daß die Arbeitslosenstatistik des
Leipziger Gewerkschaftskartells gerade von dieser Seite eine Reihe von
Eingriffen erfuhr, die tatsächlich unnötig waren. Es wäre jedenfalls
besser gewesen, die Gewerkschaften hätten die verschiedenen Vorschläge
des Gewerkschaftskartells, namentlich in methodischer Hinsicht, nicht
samt und sonders abgelehnt und weiterhin vor allem zweckmäßiger ge-
handelt, wenn sie nicht immer ein so ausgeprägt unangebrachtes und
unverständliches Bestreben nach Veränderungen und Neuerungen in der
Erhebungsweise an den Tag gelegt haben würden.
§ 8. Die Stellenlosenstatistik der Angestellten.
Wie wir bereits an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht haben,
eignen sich nicht alle Gewerkschaften in gleichem Maße für die Vor-
nahme von Arbeitslosenstatistiken. Vor allem die Saisongewerbe kommen
für diese Aufgabe am wenigsten in Betracht, schon wegen des häufigen
Doppelberufes ihrer Mitglieder. Dementgegen erscheinen wieder die
Gewerkschaften der gelernten und gebildeteren Berufe den Voraus-
setzungen einer zuverlässigen und brauchbaren Arbeitslosenstatistik am
ehesten gewachsen.!) Ferner müssen aber auch noch diejenigen Orga-
1) Der 1866 gegründete Verband der deutschen Buchdrucker widmet sich
seit 1880 auf Grund seiner Arbeitslosenunterstützungseinrichtungen mit großer
Sorgfalt der Arbeitslosenstatistik, die in neuerer Zeit im Anschluß an die Ver-
mittlungstätigkeit des Verbandes eine weitere wichtige Ausgestaltung erfahren
hat. Der Verein Leipziger Buchdrucker- und Schriftgießergehilfen dagegen
führte bereits 1865 die Unterstützung unschuldig arbeitslos gewordener Mitglie-
der ein und läßt somit schon seit diesem Zeitpunkte wichtige Beobachtungen
und Feststellungen über die Arbeitsverhältnisse seiner Mitglieder zu. — Auch
4*
52 Zweiter Abschnitt. Die private Arbeitslosenstatistik
nisationen in Betracht gezogen werden, die bereits eine ausgedehnte
Stellenvermittlung betreiben und schon darum gewissermaßen von vorn-
herein wohl ganz besonders statistische Untersuchungen und Feststel-
lungen über den Umfang und sonstige Fragen der Arbeitslosigkeit ihrer
Mitglieder zulassen dürften.
Aus allen diesen Gründen eignen sich die Angestelltenverbände,
vornehmlich die der Handlungsgehilfen, zur Aufnahme einer Arbeits-
losenstatistik in hervorragender Weise, und wir wollen nicht verfehlen,
von den Veranstaltungen dieser Organisationen zwei Versuche heraus-
zugreifen und in folgendem kurz darüber zu berichten.
Im Jahre 1892 unternahm der „Deutsche Verband kaufmännischer
Vereine“ zur Vorbereitung einer Versicherung gegen Stellenlosigkeit eine
Statistik seiner arbeitslosen Mitglieder. Die Veranstaltung war aber
mehr enquetenartiger Natur und faßte in erster Linie die Befragung
über die Gründe und die näheren Umstände der Stellenlosigkeit der
Verbandsgehilfenmitglieder ins Auge, Sie kann somit als eigentliche
Zählung der Stellenlosen nicht gut bezeichnet werden. Die Beteiligung
an der Veranstaltung war für jeden Verbandsverein fakultativ. Es sollte
bei dieser Gelegenheit erprobt werden, wie vieler Mühe sich die einzelnen
Mitglieder freiwillig unterziehen würden: eine Garantie gegen unzuver-
lissige Beantwortung, ein Vorzug gegenüber der Zwangsenquete. Und
dazu kommt noch als weiterer Vorteil für die sonst allgemein scharf
abweisend kritisierte Verbandsstatistik, daß der Zweck der in Aussicht
genommenen Versicherung das Interesse für die Statistik nicht uner-
heblich belebte. Die Grundlage der Methode bildete der Verbandsfrage-
bogen, der am 31. Aug. allen Verbandsvereinen, von denen sich jedoch
eine größere Anzahl leider nicht beteiligte, zuging, um später von den
in Frage kommenden Vereinen mit den Einzelangaben der Individual-
frageblätter ausgefüllt zu werden. Von den letzteren mußte jeder Ver-
ein die für ihn erforderliche Zahl verlangen, um sie an seine stellenlosen
Mitglieder weiterzugeben.
Über die Ergebnisse geben sowohl der Verbandsbericht!) als auch
die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine können das unbestrittene Verdienst in
Anspruch nehmen, stets für die Statistik der Arbeiterverhältnisse Interesse ge-
zeigt zu haben, das sich aber anfangs mehr den Lohn-, Arbeits-, Einkommens-
und Verbrauchsverhältnissen der einzelnen Mitglieder zuwendet. Erst seit 1901
wird die Arbeitslosenstatistik von den übrigen Erhebungen getrennt behandelt
und in einer Reihe von periodisch veranstalteten Zählungen einem schon längst
empfundenen Bedürfnis auf dem Gebiete der privaten Arbeitslosenstatistik Rech-
nung getragen. Von den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen gehen also die
ersten periodischen privaten Arbeitslosenzählungen aus, die anfangs, 15. No-
vember 1901 bis 23. Mai 1903 selbständig vorgenommen werden, sich aber dann
der damals gerade in Aufnahme kommenden Reichsarbeitslosenstatistik an-
schließen.
1) 1892, Nr. 18.
Die Stellenlosenstatistik der Angestellten 53
das „Sozialpolitische Zentralblatt“!) in eingehender Weise Auskunft,
worauf wir hiermit verweisen, da es uns zu weit führen würde, in
dieser Richtung noch ausgedehnte Betrachtungen anzustellen, zu-
mal die Ergebnisse besonders wegen der enquetenartigen Natur der
ganzen Veranstaltung doch nicht allzuviel Interessantes zu bieten ver-
mögen und auch kein richtiges Bild der Stellenlosigkeit in den an der
Statistik beteiligten Vereinen gewährleisten.
Auch der größte Angestelltenverein, der „Deutschnationale Hand-
lungsgehilfenverband“ in Hamburg, ist gleichfalls als eifriger Statistiker
aufgetreten. Im Jahre 1903 veranstaltete er mit Hilfe des Hamburger
städtischen Statistischen Amtes eine ziemlich kostspielige Erhebung über
„die wirtschaftliche Lage der deutschen Handlungsgehilfen“ und ver-
schickte zu diesem Zwecke an seine Mitglieder 115000 Fragebogen, von
denen jedoch leider nur der dritte Teil beantwortet eingeliefert wurde.
Durch diese ungenügende Beteiligung verlor die ganze Erhebung natur-
gemäß stark an Wert. Die Ergebnisse können kaum als brauchbar be-
zeichnet werden. Die Fragestellung selbst war sehr weit ausgedehnt:
Name, Alter, Familienstand, Wohn- und Mietverhältnisse, Einkommen,
Dauer im Beruf, Herkunft, Ausbildung, Nebenerwerb. Anstellung, Stellen-
losigkeit, Stellenvermittlung u. a. wurde erfragt.
Auf die weitere Tätigkeit des Verbandes auf dem Gebiete der pri-
vaten Stellenlosenstatistik und seine Verdienste um die Förderung der-
selben werden wir später noch zurückkommen. Wir wollen dann gleich-
zeitig unsere eingangs dieses letzten Abschnittes geäußerte Ansicht über
die sich zur Vornalıme zuverlässiger und sicherer Arbeitslosenstatistiken
mit am ersten eignenden Organisationen gebührend beleuchten.
Dritter Abschnitt.
Die kommunale Arbeitslosenstatistik.
§ 1. Darstellung und Kritik der Methoden.
Die bei der kommunalen Arbeitslosenstatistik zur Anwendung ge-
langenden Methoden lassen sich nach zwei Hauptgesichtspunkten unter-
scheiden, nämlich nach der Art ihrer Vornahme, der direkten oder in-
direkten. Letztere kommt in Betracht bei Zählungen, die auf allge-
meiner Basis beruhen, erstere für solche, die man als besondere Arbeits-
losenzählungen zu bezeichnen pflegt.
1) II. Jahrgang, 1893, Nr. 22
54 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Die indirekten Erhebungen, die ihrerseits wieder in mehrere
Gruppen zerfallen, werden im ersten Falle im Anschluß an Volks-,
Berufs- oder Betriebszählungen vorgenommen. Man stellt einfach
in den Listen oder Erhebungsformularen letzterer die für die Arbeits-
losenstatistik in Frage kommenden Sonderermittlungen an. Zu diesem
Zweck werden den Frageformularen der zensusartigen Erhebungen Fragen
nach der Tatsache der Arbeitslosigkeit, nach ihrer Dauer und eventuell
nach Krankheit oder sonstiger Erwerbsunfähigkeit beigefügt. In der
Praxis begegnen wir dieser Methode sehr selten. Mit Ausnahme des
Jahres 1895, in dem das günstige Zusammentreffen der Berufs- und
Betriebszählung im Sommer mit der Volkszählung im Winter für die
Zwecke der Arbeitslosenstatistik nicht unbenutzt gelassen wurde, ver-
missen wir eine Wiederanwendung!) der erwäbnten Methode, die schein-
bar einer zu weit gehenden Rücksicht auf angeblich übermäßige Be-
lastung der Frageformulare zum Opfer gefallen ist. Eine kritische Be-
trachtung dieses Systems in speziell genereller Hinsicht läßt sich auch des-
halb kaum mit der nötigen Wirkung vornehmen, denn nur die wieder-
holte Anwendung in der Praxis zeigt dem Beobachter die betreffende
Sache von verschiedenen Seiten und bietet somit auf jeden Fall eher
Gelegenheit zu eingehender kritischer Betrachtung. Eine Kritik dieser
ersten Methode der Arbeitslosenstatistik käme also einer Kritik der Ar-
beitslosenzählung gleich, die auf Grund des vorerwähnten Systems ver-
anstaltet wurde. Wir können an dieser Stelle von der methodologischen
Besprechung und kritischen Betrachtung der beiden Arbeitslosenzäh-
lungen des Jahres 1895 bzw. des zur Anwendung gelangten Systems
absehen, da im weiteren Verlaufe der Abhandlung den beiden großen
Erhebungen von 1895 ein besonderes Kapitel gewidmet ist.
Wenden wir uns nunmehr der zweiten Art der indirekten kommu-
nalen Arbeitslosenerhebungen zu und versuchen, uns über die Eigenart
dieser Methode und ihre Anwendung in der Praxis eine Vorstellung
zu machen sowie eine Besprechung ihrer Vor- und Nachteile daran an-
zuschließen.
Die Anwendung dieses Systems beruht auf der Benutzung der
Personenstandsaufnahmen, die von Jahr zu Jahr regelmäßig Mitte
Oktober zu Steuerzwecken erfolgen. Nach den Bestimmungen der
Einkommensteuergesetze (für Sachsen $ 35°) des Sächsischen Einkom-
mensteuergesetzes vom 24. Juli 1900, für Preußen $ 23 des Preußischen
Einkommensteuergesetzes vom 1. April 1909) muß jeder Hausbesitzer
in einer Hausliste alle auf seinem Grundstück wohnenden oder gewerbe-
1) Nur 1910 finden wir bier und da einige Arbeitslosenzählungen in Ver-
bindung mit der Volkszählung. e
2) Und nicht § 38, wie in der Zeitschrift des Kgl. Sächs. Stat. Landesamtes
1912, S. 115 zu lesen ist.
Indirekte Methoden 55
treibenden Personen eintragen oder durch die eigenen Haushaltungen
eintragen lassen. Die dritte Spalte einer solehen Hausliste trägt folgen-
den Kopf: Stand, Beruf oder Erwerb oder sonstige nähere Bezeichnung
der Bewohner (bei Gewerbegehilfen und Arbeitern, die nicht im Dienste
des Haushaltungsvorstandes bzw. Besitzers stehen, ist der Name, Stand,
und Wohnort des Arbeitsgebers mit zu vermerken). Alle Personen, die
eigenes Einkommen haben, einschließlich der Aftermieter und Schlaf-
leute, sind aufzuführen; den Gewerbegehilfen und Arbeitern, überhaupt
allen in einem abhängigen Dienstverhältnis stehenden Personen, ist hier-
bei noch zur Vorschrift gemacht, daß sie Namen, Stand und Wohnort
ihres Arbeitsgebers mit vermerken. Arbeitslose Personen können natur-
gemäß diese Angaben nicht machen, bei ihnen fehlen sie also oder es
finden sich Bezeichnungen wie außer Arbeit, Stellung u.a.m. Nach Ein-
gang der Hauslisten auf den einzelnen Steuerstellen!) werden dorthin so-
fort Beamte und Hilfsarbeiter des Statistischen Amtes gesandt, um aus
den Listen Arbeitslosenkarten herauszuschreibeu. Die obere Hälfte dieser
Karten enthält Übertragungen aus den Hauslisten, die untere spezielle
Fragen an die Arbeitslosen. Zu den auf diese Weise geforderten Er-
mittlungen wird, wenn möglich schon während der Ausschreibung,
anderenfalls tunlichst sofort nachher, auf Grund persönlicher Rückfrage
geschritten. Ergibt sich hierbei die Notwendigkeit von Änderungen
der Eintragungen zum oberen Teile der Karte, so sind diese gleich mit
zu bewirken. Im übrigen verweisen wir auf das abgedruckte Formular,
das uns der Notwendigkeit weiterer näherer Erläuterungen enthebt.
Zur Kontrolle werden dann am Ende die Ergebnisse durch Stichproben
mittels straßenweiser Erhebung der Arbeitslosen in allen Wohnungen
durch Wohlfahrtspolizeibeamte oder besonders dazu beauftragte Perso-
nen nachgeprüft. Die praktische Anwendung der Methode erfolgte erst-
malig in Dresden im Jahre 1902 auf Veranlassung Würzburgers’)
und wird seitdem alljährlich wiederholt. Einige deutsche Städte ahm-
ten diesem Beispiel nach und nahmen auf Grund der Dresdner Methode
ihre eigenen Arbeitslosenzählungen vor.) Bei der Besprechung der ein-
zelnen Städte kommen wir eingehender auf die Anwendung dieser Me-
thode in der Praxis zurück.
1) Die Verordnung vom 25. Juli 1900 bestimmt die genaue Prüfung der ein-
gegangenen Hauslisten durch die süchsischen Gemeindebehörden ($ 38).
2) Nach Most (Conrads „Jahrbücher“, Bd. 40, S. 10) hat Wiedfeldt die
Einführung der Methode veranlaßt, was jedoch nicht zutrifft.
3) Auch in der Literatur hat die Dresdner Methode schon des öfteren Gegen-
stand eingehender Besprechungen gebildet. So lesen wir u. a. bei Most und
Lindemann darüber, des weiteren enthält der „Dresdner Anzeiger“ am 24. Fe-
bruar 1910 einige methodische Bemerkungen zur Arbeitslosenstatistik in der
Stadt Dresden und schließlich finden sich im dortigen Verwaltungsbericht für
1904 bis 1908 (1. Bd. S. 62) darauf bezügliche Erklärungen.
56 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Vordruck der Zäblkarte.
(Vorderseite.)
Königreich Sachsen. Amtshauptmannschaft ................ 20006:
Arbeitslosenzihlung am 12. Oktober 19..
ZLahlkarte.
GeMmeIn TEEN
Wohnung: Straße (oder Platz) Hausnummer. `,
Gebäude (Vorder-, Hinter-, SBeitengeh).. 0... cece eee eens
el EE
Vor- und Familienname des (der) Arbeitslosen !)...... 0.0.00 cee e ee eees
Beruf Gre eae eet geass Ob Haushaltungsvorstand? (ja oder nein).........
Alter in Jahren.......... .... Jährlicher Mietzins....... cc... ee eee ee ec eee
1:
oo
Fragen an die Arbeitslosen.
(Der ausfiillende Beamte wolle die umstehenden Erliuterungen beachten.)
Letzter Arbeitgeber vor dem 12. Oktober 19..
Name onseren iraa baa rs ae one ad wee es
Ce EE RER NEE RIESTER tig siege, sth ahaa ore Teele, ee RER
. Als was waren Sie bei ihrem letzten Arbeitgeber beschäftigt? .............
Big zu welchem EE
. Aus welchem Grunde sind Sie dort fortgegangen? Krankheit, Unfall, Kündi-
gung seitens des Arbeitgebers, Streik, Aussperrung, Aufhören der Saisonarbeit,
Geschäftsstille, eigene Kündigung oder aus welchen andern Gründen?.......
.. [2 ee ee ee
. Waren Sie unmittelbar vor Ihrer jetzigen Arbeitslosigkeit zur Ableistung der
aktiven Dienstpflicht beim Militär oder auf einer militärischen Übung? (Zu-
treffendes untersteichen.)
Wenn ja, entlassen am...
Bezogen Sie nach der Beendigung der Beschäftigung bei dem letzten Arbeit-
geber eine Arbeitslosenunterstützung seitens eines Arbeitnehmerverbandes?
(ja 6der nein). e deer BE et e AE Ee
. Beziehen Sie eine Rente (Unfall-, Invaliden-, Alters-, Krankenrente), eine Pen-
sion, Armen- oder eine sonstige Unterstützung? (Zutreffendes unterstreichen.)
8. Werden für Sie Beiträge zur reichsgesetzlichen Invalidenversicherung ent-
richtet? (Einkleben von Marken in Quittungskarten, Einzahlung bei Ein-
zahlungsstellen usw. oder bei den zugelassenen Kasseneinrichtungen.) (ja
Oder nein). 4025) ee eset sees eels eel oe base poe en
9. Haben Sie seit 12. Oktober wieder Arbeit gehabt? (ja oder nein)...........
Wenn ja; ale WAS? EE
vön WEDD? a en, Dig? RE
10. Wann sind Sie in die hiesige Gemeinde zupezogen?, 000-000
11. Sind Sie dauernd arbeitsunfähig? (ja oder nein).......... Wenn ja, seit
EE oder
waren Sie nur am 12. Oktober (vorübergehend) arbeitsunfihig? (ja oder
MCU) WEE
12. Sind Sie ledig, verheiratet, verwitwet oder geschieden?,
Fiir verheiratete Miinner: Ist Ihre Frau erwerbstitig? ( ja oder nein) el
Für verheiratete Frauen: Ist Ihr Mann erwerbstätig? (ja oder nein).......
13. Wie viele Angehörige haben Sie zu ernähren?
Darunter wie viele Kinder unter 15 Jahren...
Unterschrift des Beamten, der die Beantwortung der Fragen 1—13 veranlaßt oder
ausgeführt hat, und Tag der Ausfüllung: .................00008- RE
1) Bei weiblichen Personen ist der Vorname zu unterstreichen.
Indirekte Methoden 57
(Rückseite.)
Erläuterungen.
Personen, welche nicht dauernd, sondern nur vorübergehend
oder gelegentlich zur Aushilfe zu arbeiten pflegen, sind als
solche kenntlich zu machen, z. B. durch den Vermerk: ,,Gelegenheits-
arbeiter“, „Aushilfskellner“. Hat jemand mangels Beschäftigung in
dem erlernten Beruf eine andere Beschäftigung angenommen, z. B.
ein Kunstschlosser eine solche als Straßenkehrer, so ist er deshalb
nicht etwa arbeitslos, für ihn sind daher die „Fragen an die Ar-
beitslosen“* nicht auszufüllen.
Zu Frage 2. Um den Berufszweig, in dem die Arbeitslosigkeit herrscht, genau
feststellen zu können, ist die bisherige Beschäftigung ausführlich
zu bezeichnen. Es genügt nicht Tischler, Schlosser usw. einzutragen,
sondern es ist anzugeben ob Bau- oder Möbeltischler, Bauschlosser,
Maschinenschlosser, Kunstschlosser, Arbeiter in der Landwirtschaft,
bei Straßen- oder Kanalbauten, im Baugewerbe usw. Auch ist die
bisherige Stellung im Beruf mitzuteilen (ob selbständig, Prokurist,
Betriebsleiter, Aufseher, Gehilte, Lehrling usw.).
Zu Frage 4. Falls weibliche Arbeitslose Schwangerschaft oder Entbindung
als Grund der Arbeitslosigkeit angeben, ist das zu vermerken.
Zu Frage 12. Bei der Frage nach der Erwerbstätigkeit der Frau bzw. des
Mannes soll nur festgestellt werden, ob der andere Teil im allge-
meinen durch eigene Arbeit zum Unterhalt der Familie beiträgt.
Es kommt nicht darauf an, ob er gerade am 12. Oktober Arbeit
gehabt hat.
Zu Frage 13. Hier sind nur diejenigen Angehörigen aufzuführen, die von dem
betreffenden Arbeitslosen zu ernühren, d. h. wirtschaftlich ab-
hängig sind. Es sind daher nicht die Kinder und sonstigen An-
gehörigen aufzuführen, welche sich selbst ernähren.
Vorzüge und Nachteile halten sich bei diesem System die Wag-
schale. Wir können einer Reihe von Mängeln und Nachteilen fast eben-
so viele Vorteile entgegenstellen.
Letztere liegen in erster Linie wohl in den Vorzügen, die man den
auf allgemeiner Grundlage beruhenden Zählungen, d. h. den zensusartigen
Erhebungen, entschieden zusprechen muß. Nämlich diese erstrecken
sich nicht nur auf die statistische Erfassung gewisser Einzelprobleme,
wie in unserem Fall die Arbeitslosigkeit, sondern auf jeden einzelnen
Kopf der Bevölkerung überhaupt und die für die beabsichtigten Sonder-
zwecke in Betracht kommenden Bevölkerungskreise insbesondere. So-
mit ist eine Verbindung der Arbeitslosenzihlung mit analogen Erhe-
bungen der entsprechenden Beschäftigten, Einwohner usw. hergestellt und
ermöglicht viel eher Übersichtlichkeit, Vergleichbarkeit und Kontrolle
als eine Zählung der Arbeitslosen allein. Nach der Ansicht von Most
sind die angeschlossenen Zählungen den besonderen überhaupt vorzu-
ziehen, da sie, wie bereits erwähnt, vor allem die entschieden unum-
gänglichen Vergleiche zwischen beschäftigten und unbeschäftigten Ar-
beitnehmern zulassen. Ferner ist die Zuverlässigkeit des Materials aus
Zählungen, die auf Grund der Personenstandsaufnahmen veranstaltet
werden, entschieden von erheblich größerem Werte als solches, das aus
58 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
den auf den später angeführten Methoden basierenden Erhebungen ge-
wonnen wird, wie z. B. der Selbstmeldung der Arbeitslosen. Nicht zuletzt
ist in der regelmäßigen Wiederholung der Ziihlungen nach der Dresdner
Methode ein weiterer Vorteil zu erblicken, denn eine wirkliche Erkennt-
nis des für unsere heutige Wirtschaft so ungemein wichtigen Problems
der Arbeitslosigkeit ist nur möglich auf Grund periodischer, in be-
stimmten Zeiträumen wiederholter Arbeitslosenzählungen. Und schließ-
lich liegt noch ein Vorteil der auf Grund dieser Methode vorgenomme-
nen Zählung in dem nicht gerade ungünstigen Zeitpunkt, in dem sie
zur Durchführung gelangt. Da die Personenstandsaufnahmen zur Er-
mittlung der Steuerfähigkeit der einzelnen Subjekte in der Regel einige
Monate vor dem Fälligkeitstermin der Steuern veranstaltet werden, der
gewöhnlich im ersten Viertel Jedes Jahres angesetzt ist, so müssen na-
turgemäß diese Aufnahmen in den Monaten Oktober oder November
stattfinden. Damit ist aber zugleich ein angemessener Zeitpunkt für eine
Arbeitslosenerhebung gegeben, denn die Übergangsmonate März, April
einerseits oder September, Oktober und ev. auch noch November anderer-
seits stellen keinesfalls Maxima oder Minima der Arbeitslosigkeit, son-
dern typische, zu Zählungen geeignete Termine dar.
Die Nachteile des Systems haben sich aus folgenden Mängeln her-
ausgebildet: zwischen dem Stichtag, dem Beginn der Bearbeitung und
ihrer Beendigung liegt ein ziemlich beträchtlicher Zeitraum, innerhalb
dessen erhebliche Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen der
festgestellten Arbeitslosen eintreten können. Eine Kontrolle des Mate-
rials nach erfolgter Zählung und beendeter Bearbeitung dürfte einen
teilweisen Mißerfolg zeitigen, da eine persönliche Nachfrage bei manchen
der ermittelten Arbeitslosen dadurch unmöglich wird, weil sie verzogen
oder verstorben sind. Soll überhaupt eine Nachprüfung der Ermitt-
lungen stattfinden, so ist lediglich nur eine solche und keine Kontrolle
der "bearbeiteten und aufbereiteten Ergebnisse vorzunehmen, d.h. un-
mittelbar nach Abgabe der Hauslisten müßten diejenigen Personen, die
sich als arbeitslos bezeichnet haben, herausgeschrieben und dann sofort
einer Nacherhebung unterworfen werden. Auch hierin hat Dresden
wieder vorbildlich gewirkt, denn es lieB die Personenstandsaufnahmen
zu Steuerzwecken, die damit verbundenen Arbeitslosenerhebungen und
die Veranstaltungen zur Nachprüfung in raschem Tempo!) aufeinander
folgen. Im allgemeinen ist aber dazu noch zu bemerken, daB schon die
bloße Vornahme einer Kontrolle bereits an und für sich einen Nachteil
des Systems bedeutet, das nicht ohne eine solche zuverlässige Ergeb-
nisse zeitigen kann, denn zeitraubende, nachträgliche Feststellungen
1) Bei den neueren staatlichen Arbeitslosenzählungen in Sachsen, auf
die wir noch zurückkommen werden, gelangen die Ergebnisse für jede Ge-
meinde 4 Wochen, für das ganze Königreich 6 bis 7 Wochen nach der Erhebung
zur Veröffentlichung.
Indirekte Methoden 59
sind wohl immer ein wenig angenehmer Beigeschmack zu irgend welchen
Veranstaltungen.
Aus alledem ersehen wir, daß die Anwendung dieser Methode wohl
eine größere praktische Bedeutung als die zuerst angeführte hat, trotz-
dem aber noch nicht allein imstande ist, wirklich vollkommene und zu-
verlässige Ergebnisse zu gewährleisten.
An dritter und letzter Stelle sind noch diejenigen indirekten Ar-
beitslosenerhebungen zu erwähnen, die im Anschluß an die Orts- und
Gemeindekrankenkassen, die städtischen Versicherungseinrich-
tungen gegen Arbeitslosigkeit, die Veranstaltungen zur Unterstützung
der Arbeitslosen, d. h. entweder die sog. Notstandsarbeiten oder die
regelmäßige Armenpflege und schließlich die städtischen Arbeits-
nachweise vorgenommen werden.
Was zunächst den Anschluß von Arbeitslosenzählungen an die
ersteren betrifft, so ist dabei besonders der Mangel zu betonen, daß nur
die wegen Krankheit arbeitslos gewordenen Personen zur Anmeldung
gelangen, während diejenigen Arbeitslosen, die aus anderen Gründen
ihre Beschäftigung verloren haben, naturgemäß nicht ermittelt werden
können. Es ist ganz selbstverständlich, daß diese Seite der Arbeitslosen-
statistik in den beteiligten Kreisen kaum Beachtung gefunden und sich
wegen ihrer Einseitigkeit und Unvollständigkeit in der Praxis nicht
durchgesetzt hat.
Hinsichtlich der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit stehen nur
vereinzelte, wenig erfolgreiche Versuche zur Verfügung, so daß wir
glauben, davon absehen zu dürfen, in solchen Einrichtungen etwaige
Quellen einer Arbeitslosenstatistik zu erblicken, zumal außerdem noch
die Bestrebungen zur Einführung einer obligatorischen Versicherung
gegen Arbeitslosigkeit bisher wenig Anklang gefunden haben.?)
Das Material, welches die beiden erwähnten Veranstaltungen zur
Unterstützung der Arbeitslosen bieten, ist im allgemeinen für eine Ar-
beitslosenstatistik gleichfalls von geringem Werte. Die Notstandsar-
beiten, Veranstaltungen, die zu Zeiten besonders großer Arbeitslosigkeit
1) Die Frage der Reichsarbeitslosenversicherung ist schon wiederholt leb-
haft erörtert worden. Auch in den Parlamenten der Einzelstaaten hat man hin
und wieder über die Einführung der öffentlichen Arbeitslosenversicherung debat-
tiert. So beschäftigte sich erst kürzlich der Ausschuß der bayerischeu Reichs-
ratskammer mit einer größeren Regierungsforderung zum Zwecke der gemeind-
lichen Arbeitslosenversicherung. Trotzdem die Zweite Kammer bereits zuge-
stimmt hatte, wurde die Regierungsvorlage abgelehnt. Und daß es der Regierung
gelingen wird, im Plenum eine Mehrheit zu erhalten, ist auch höchst unwahr-
scheinlich. In Sachsen überläßt die Regierung die Sorge für die Arbeitslosen
lediglich den Gemeinden, die vollkommen frei darüber verfügen können, geeignete
Maßnahmen gegen die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu treffen. Ein staat-
licher Zwang hinsichtlich der Einführung der kommunalen Arbeitslosenver-
sicherung besteht in keiner Weise.
GO Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
zur Linderung der Not vorgenommen werden, beweisen schon durch ihren
Zweck, daß es sich hierbei um ungewöhnliche Zustände handelt und
daher eine solche Statistik, selbst wenn sie diese Zustände richtig wie-
dergeben würde, immer nur von bedingtem Wert sein könnte und noch
vielfacher Ergänzungen bedürftig wäre. Das Gleiche gilt von den Auf-
zeichnungen der regelmäßigen Armenpflege, deren Wert für eine Sta-
tistik der Arbeitslosigkeit naturgemäß ebenfalls gering ist, da die Armen-
unterstützung zum weitaus größten Teile den Arbeitsunfähigen und nicht
den eigentlich Arbeitslosen zuteil wird. Außerdem registrieren die Armen-
verwaltungen wohl die unterstützten Arbeitslosen, nicht aber die abge-
wiesenen. Ein weiterer Mangel liegt darin, daß die beschäftigungslosen
Arbeiter, soweit sie nicht zu den Arbeitsunfähigen gehören, erklärlicher-
weise nur im alleräußersten Notfall die Armenpflege in Anspruch neh-
men und somit immer nur ein ganz geringer Bruchteil der Arbeitslosen
auf diesem Wege statistisch erfaßt werden kann, ganz abgesehen davon,
daß in den meisten Fällen neben den Angaben der Armenverwaltuny
die zur Ergänzung notwendigen Nachweisungen der privaten Unter-
stützungsvereine fehlen.
In den Zahlenbewegungen der städtischen Arbeitsnachweise
bietet sich ein rasch funktionierendes, symptomatisches Mittel für
die Beobachtung des Arbeitsmarktes, d. h. die Arbeitsnachweisstatistik
ist eine Statistik des Arbeitsmarktes, des Angebots und der Nachfrage
von Arbeitskräften, aber keine Arbeitslosenstatistik. Ist letztere etwa
an die erwähnten Wohlfahrtseinrichtungen angeschlossen, so kann man
nicht umhin, ihr jeden inneren, statistischen Wert abzusprechen, denn
gerade bei den Arbeitsnachweisen darf man nicht übersehen, daß manche
Arbeitsuchenden, namentlich Dienstboten, oft noch in Stellung sind;
nicht selten wendet sich einer an verschiedene Bureaus, wodurch die Zab]
der Bewerber scheinbar vergrößert wird und die Gefahr von Doppel-
zählungen nahe liegt; weiterhin vergessen diejenigen, die bereits wieder
Beschäftigung gefunden haben, diese Veränderung anzumelden und wer-
den dementsprechend bei den Arbeitsämtern noch als Arbeitsuchende
fortgeführt; schließlich werden die Nachweisstellen auch gar nicht erst
in Anspruch genommen und die Arbeitslosen versuchen unter der Hand
durch persönliche Umfrage, das Inserat oder durch Vermittlung bereits
beschäftigter Kollegen wieder eine Tätigkeit zu erlangen. Aus alledem
geht hervor, daß die Arbeitslosenstatistik der städtischen Arbeitsnach-
weisstellen ein in Betracht zu ziehendes Material zu liefern schlechthin
nicht imstande ist, da die Methode höchst mangelhaft und unbrauch-
bar ist.
Schließlich ist noch zu erwähnen, daß für die indirekten Arbeits-
losenzählungen die Ergebnisse der Invaliditats- und Altersver-
sicherung zur Verwendung gelangen könnten. Der Vorschlag geht
von Dr. Braun, Berlin, aus, nach dem die Quittungskarte dieser Ver-
Direkte Methoden 61
sicherungszweige als Zählkarte einer Arbeitslosenstatistik benutzt werden
soll. Das System ist jedoch auch nicht ganz frei von Mangeln: die den
Inhabern freigestellte Ablieferung der Quittungskarten, die sich so spat
als möglich hinausziehen kann und der Umstand, daß die Karten an allen
Tagen des Jahres ausgestellt sind, also ungleiche Zeiträume umfassen,
und daher die Umschreibung und Umrechnung sämtlicher Karten auf
besondere Zählformulare sich als notwendig herausstellen dürfte. Außer-
dem ist zu bedenken, daß die Arbeitslosigkeit auf Grund des Ausweises
jener Quittungskarten bald größer, bald geringer erscheinen wird, als
sie in Wirklichkeit gewesen ist.
Bei den direkten oder besonderen Arbeitslosenzählungen der
Städte, d. h. solchen, die vollkommen selbständig und unabhängig und
nicht im Anschluß an andere Erhebungen vorgenommen werden, sind
drei verschiedene Hauptsysteme zu unterscheiden, die Enquete, die
fortdauernde Anschreibung und die einmalige oder wiederholte Zäh-
lung. Letztere besitzt ihrerseits wieder drei Modifikationen, die im fol-
genden einzeln zur Besprechung gelangen sollen, während die beiden
ersteren Methoden bei Gelegenheit der Darstellung der historischen Ent-
wicklung der deutschen kommunalen Arbeitslosenstatistik einer beson-
deren Betrachtung unterworfen werden.
Nach der Methode der freiwilligen Meldung werden an ver-
schiedenen Stellen der Stadt Sammelkästen oder Zählurnen aufgestellt
und an den entsprechenden Stellen der Stadt Formulare zur Ausfüllung
an die Arbeitslosen verteilt, die dazu angehalten sind, am Abend bis zu
einer bestimmten Stunde die ausgefüllten Formulare in die Urnen ein-
zuwerfen. Letztere werden noch am gleichen Abend entleert und die
Formulare der zuständigen Stelle, wohl in den meisten Fällen das
städtische Statistische Amt, zur Bearbeitung zugeführt. Die bei diesen
Aufnahmen zur Anwendung gelangenden Zählkarten haben im allge-
meinen folgende Form und entsprechenden Inhalt wie nachstehendes
Formular einer Stuttgarter Arbeitslosenzählung. Eventuelle Abweich-
ungen beruhen nur auf zeitlichen und örtlichen Verschiedenheiten und
ändern die Fragestellung im Prinzip nicht.
(Vorderseite.)
Zählkarte
für
Arbeitslose und für Arbeiter mit verkürzter Arbeitszeit.
Vorbemerkungen:
Die ausgefüllten Karten sind spiitestens bis Freitag, den 26. November
1909, abends 6 Uhr in die Zählurnen einzulegen.
Das städtische statistische Amt bittet, folgendes genau zu beachten:
Für die Einträge sind die Erwerbs- usw. -Verhältnisse maßgebend, wie sie
am 26. November 1909 für den die Karte Ausfüllenden liegen.
Zu Frage 1. Die Namen sind voll und deutlich auszuschreiben, damit Ver-
wechslungen und Doppelzählungen vermieden werden können.
Zu 2. Die Wohnung ist nach Straße, Hausnummer und Stockwerk anzugeben.
62 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Zu 7. und 8. Bei Angabe des Berufs genügt das Wort „Arbeiter“ allein
nicht. Vielmehr ist der Zweig des Berufs und wenn zutreffend auch
die Spezialität im Berufszweig anzugeben. Es ist also beispielsweise
nicht bloß Schreiner, sondern eventuell Schreiner in Möbelfabrik usw.,
nicht bloß Schlosser, sondern eventuell Maschinenschlosser und dgl.,
einzutragen, oder „Metalldreher“, „Holzdreher‘“ usw.
Wer sich als Fabrikarbeiter bezeichnet, wolle gleichzeitig angeben,
welcher Branche die Fabrik angehört, also z B. „in Maschinenfabrik‘,
in Kartonagefabrik und dgl., Hausknechte und Tagelihner wollen an-
geben z. B. „in Eisenhandlung“, oder ,,Bautaglihner usw.
Es wird ausdrücklich bemerkt, daß die Zählung nicht nur die Ar-
beitslosigkeit in den handwerksmüßigen oder Fabrik-Betrieben, sondern
in allen Berufen, sonach auch die der männlichen und weiblichen
Handels- usw. -Gehilfen erfassen soll.
Zu 11d. Hier hätten Notizen Platz zu finden wie z. B. Geschiiftsstille, oder
Aufhören der Saisonarbeit und dgl.
Frage 13 ist von denjenigen, die Frage 10 zu bejahen hatten, nicht zu be-
antworten.
Zu 13b. Unter der regelmäßigen Arbeitszeit ist diejenige Stundenzahl zu
verstehen, die sonst, bei ordentlichem Geschiiftsgange, üblich ist.
(Rückseite.)
Fragen:
. Familienname:
> Aere a oat Wala dine ee een
Aller in. Jahren) 2 we eek
. Sind Sie ledig, verheiratet,
verni wel oder E D
5. Falls Sie verheiratet sind, trägt
Ihre. Ehefrau zum Erwerb be? re ee ei
6. Wie viele Kinder haben Sie im Alter
a) von unter 14 EE KEE EE ER
b) von 14 bis zu 18 Jahren? ......... cc ccc ce cece tte eee nee eeees
. Was fiir einen Beruf haben Sie erlernt?
8. In was fiir einem Beruf waren
Sieduletsttuticy O ` ` ERROR Gee
9. Seit wann (Monat und Jahr) sind
Sicsfindic hier? =| RR eRe ale pee ree
10. Seit wieviel Tagen sind Sie
gänzlich gußer Arbeta RENTE
11. Sind Sie arbeitslos wegen
a) Krankheiten ec ner nee
oder b) wegen Kündigung? 2.2.2.0. en ae
oder c) wegen Streik oder Aussperrung? .......... 0.000 cece eee e et ee eee eees
oder d) aus welcher anderen Ursache (Geschäftsstille, Aufhören
der Saisonarbeit oder was sonst)?
12. Beziehen Sie eine Unfall-, Invaliden- oder Alters-Rente?
(Zutreffendes unterstreichen!)
13. Falls Sie nicht giinzlich arbeitslos sind
a) seit wieviel Tagen sind Sje nur mit verkürzter Arbeitszeit beschäftigt?
b) wieviel Stunden betrügt täglich die regel-
mäßige Arbeitszeit Ihres Berufszweiges ?
c) wieviel Stunden nur können Sie jetzt täglich arbeiten?............- i
14. Wünschen Sie Beschäftigung durch Notstandsarbeiten? .............---+--
Unterschrift:
oe 8
oer ew era ee eer ome esa se He Heese eee eee sso se Ss mee HH Zu Ze
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aw eege eae mee es eps e ees eg ëss SS $
Direkte Methoden 63
Nun heißt es, soviel ausgefüllte Formulare, soviel Arbeitslose. Ge-
wiB eine leichte und bequeme sowie billige Art und Weise, sich über
den Umfang der Arbeitslosigkeit in einem abgegrenzten Gebiet (Stadt,
Dorf, Gemeinde) zu orientieren. Welche Vorteile können wir diesem
System zusprechen? Höchstens die bereits erwähnten der Einfachheit,
Bequemlichkeit und Billigkeit, Sonst überwiegen nur die Nachteile,
die übrigens klar auf der Hand liegen und dem System von vornherein
den Stempel der Mangelhaftigkeit aufdrücken. Trotz alledem ist die
Methode des öfteren bei städtischen Arbeitslosenzählungen zur Anwen-
dung gelangt und es mag nicht wunder genug nehmen, daB heute noch
manche Erhebungen über die Arbeitslosigkeit auf diesem dürftigen
System basierten. Die Methode ist auf keinen Fall in der Lage, der Sta-
tistik mit brauchbaren Ergebnissen zu dienen und einen vollständigen
Überblick über die Zahl der am Orte der Erhebung vorhandenen Ar-
beitslosen zu bieten. Wie leicht ist es möglich, daß viele der in Be-
tracht kommenden Personen überhaupt keine Ahnung von der sie be-
treffenden Veranstaltung haben und demgemäß keine Angaben machen.
Dann hängt das Verfahren auch viel zu sehr vom guten Willen der Ar-
beitslosen ab, sei es, daß sie kein persönliches Interesse an der Sache
haben, sei es, daß sie mit unangebrachter Rücksichtnahme auf ihre ei-
gene Persönlichkeit Dritten keinen Einblick in ihre Verhältnisse ge-
statten wollen oder sich scheuen, mit solchen Angaben an die Öffentlich-
keit zu treten. Zu bedenken ist ferner, daß durch die offene, allen Men-
schen zugängige Art dieses Systems leicht Anlaß zu unfugmäßiger Be-
nutzung seitens nicht arbeitsloser Personen gegeben ıst. Letztere be-
zeichnen sich, um Unfug zu treiben oder aus Scherz als arbeitslos und
tragen somit erheblich zu der Unzuverlässigkeit der Methode mit bei.
Außerdem verdient noch der Punkt besonders hervorgehoben zu wer-
den, daß bei der Anwendung des Systems der freiwilligen Meldung aber
auch jede Möglichkeit fehlt, falsche Angaben nachzuprüfen oder richtig-
zustellen. Wir können somit nicht umhin, diese Methode als vollkommen
unzuverlässig und unsicher zu bezeichnen und vor ihrer Anwendung in
der Praxis ganz entschieden zu warnen.
Das verbesserte Meldeverfahren oder die Methode der frei-
willigen Meldung der Arbeitslosen ın besonderen Zählbüros bedeutet
gegenüber dem vorher besprochenen der einfachen, freiwilligen Mel-
dung schon eher einen Fortschritt, wenn es auch noch ziemlich viele
Mängel aufweist. An einem bestimmten Tage werden öffentliche Be-
kanntmachungen erlassen, die den Termin der Zählung festsetzen und
alle arbeitslosen Personen eindringlich auffordern, sich an diesem Tage
in den zum Zwecke der Erhebung eingerichteten Zählbüros zu melden,
wo ihre Angaben in die bereit liegenden Listen von dazu beauftragten
Personen, meist Beamten der Statistischen Ämter, eingetragen werden.
Darin liegt wohl auch der einzige Vorteil der ganzen Methode, denn
64 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
auf diese Weise ist wenigstens die Möglichkeit gegeben, falsche An-
gaben sofort an Ort und Stelle zu berichtigen, die dem System der frei-
willigen Meldung in jeder Hinsicht fehlt. Als Hauptnachteil bleibt aber
die Abhängigkeit der Veranstaltung vom guten Willen und dem Inter-
esse der zu befragenden Personen bestelien. Die Ergebnisse mancher
kommunalen Erhebungen, die mit aller nur möglichen Sorgfalt vorbe-
reitet waren, erbringen hierfür den Beweis; sie zeitigten völlige MiBer-
folge, da in den Kreisen der Arbeitnehmer, besonders von den sozial-
demokratischen Gewerkschaften, in unverständlicher Weise eine sinn-
lose und heftige Agitation gegen derartige Erhebungen betrieben wurde,
die naturgemäß jedes Interesse an einer Beteiligung und diese selbst zu
verhindern den Zweck hatte. Dazu kommt noch das sonderbare Ver-
halten der weiblichen Arbeitnehmer, die es bisweilen, wie ihre männ-
lichen Kollegen, auch unter ihrer Würde finden, Angaben über ihre
Verhältnisse in den Zählbüros zu machen oder sich gar genieren, dort
zu erscheinen. Die ganz unmöglichen Resultate, die besonders bei der
Ermittlung der weiblichen Arbeitslosen in einigen Städten zutage traten,
lassen sich aus dem eben Gesagten erklären und liefern einen weiteren
Beweis für die Unzulänglichkeit des Systems, das auf dem verbesserten
Meldeverfahren beruht. Nach den bisher gemachten Erfahrungen wäre
es direkt unverzeihlich, wenn man für diese Methode auch nur ein Wort
der Empfehlung finden würde.
In ganz anderem Lichte erscheint daregen die dritte und letzte
Methode der direkten Arbeitslosenzählungen, das System der hausie-
renden Zählung oder die Erhebung von Haus zu Haus. Sie be-
deutet auf dieser Grundlage einen entschiedenen Fortschritt gegenüber
den beiden ersten Methoden, denn dadurch, daß die Arbeitslosen in
ihren Wohnungen direkt aufgesucht und befragt werden, wird es er-
möglicht, die gemachten Angaben sofort klarzustellen, zu berichtigen
und somit ein brauchbares, zuverlässiges Material zu schaffen. Der Er-
hebung wird ein Fragebogen zugrunde gelegt, dessen Ausfüllung in den
meisten Fällen zur größeren Sicherheit den als Zählern fungierenden
Personen obliegt. Wir fügen ein Erhebungsformular bei, wie es bei den
früheren Cölner Arbeitslosenzählungen eingeführt war.
(Vorderseite.)
Cöln.
Zählbogen für die Arbeitslosenzählung am 28. Januar 1912.
Männlich — Weiblich.')
Von jeder nach den umstehenden Erläuterungen unter die Zählung fallenden,
am 27. Januar erwerbsfähigen und hier Arbeit suchenden Person ist
mittelst dieses Zählbogens folgendes anzugeben!
1:- Vor- und Zunahmer. EE
2. TEE Straße, Nr.......
1) Soweit möglich, durch unterstreichen des zutreffenden Wortes zu be-
antworten!
Direkte Methoden 65
3. Wann geboren? Am.......... 18.4
4. Seit wann hier ohne Unterbrechäng wohnhaft? *) Seit Geburt. — Seit dem
Jahre (von 1911 auch Monat!)...........
5. Familienstand*): ob ledig — verheiratet (zusammen lebend — getrennt
lebend) — verwitwet — geschieden.
6. Zahl der Angehörigen, welche der (die) Genannte — außer sich selbst —
zu unterhalten hat: Im ganzen...... und zwar:...... (erwerbstätige —
nicht erwerbstätige)*) Ehefrau, ...... Kinder unter 14 J., ..... Kinder über
14 J., darunter ...... erwerbstiitige, sonstige Angehörige (näher zu be-
ZEICHDEN een are , darunter ...... erwerbstätige.
7. Seit wann (Jahr, Monat, Tag) arbeitslos? Seit
8. Beruf. (siehe üumetehend :. ges Ee ee
9a. Bei wem Je (Pira de Der ee ee Ee
stiindig Gewerbe (Art des Betriebes):
in Arbeit? Straße (bei auswärtigen: Ort): ....... cece eee eee ees
bs Wann dort. eingetreten? e ns art
c. Als was dort zuletzt beschäftigt? Als EE
10a. Grund des Austritts daselbst (Ursache der Arbeitslosigkeit, siehe umstehend)?
se ëe pes gp see gegen es goes ge © eg
b. Falls wegen Krankheit: seit wann ist der (die) Genannte wieder gesund
(arbeitsfähig)? Seit...... .....
Über Personen, die jetzt noch krank sind, ist ein Zählbogen überhaupt nicht
auszufüllen! (Siehe umstehend C. I.)
11. Hat seit dem Austritt eine vorübergehende Beschäftigung stattgefunden?°)
Ja. — Nein.
12a. Ist der (die) Genannte durch körperliche Schäden in seiner (ihrer) Erwerbs-
fühigkeit beschränkt? °) Ja. — Nein.
b. Bezieht er (sie) eine Unfallrente (Teilrente) — Invalidenrente — Altersrente ?* )
13a. Ist er (sie) gegen Arbeitslosigkeit versichert?*) Ja. — Nein. Bei welcher
el
b. Bezieht er (sie) zurzeit Arbeitslosenunterstiitzung?*) Ja. — Nein.
14a. Bei welcher Krankenkasse war er (sie) bisher versichert? Bei............
b. Ist er (sie) jetzt noch versichert?*) Ja. — Nein. — c. Als Selbstzahler?*)
Ja. — Nein.
15. Gehört er (sie) einer Organisation an?®) Ja. — Nein. Welcher?.......
16. Bemerkungen, z. B. daß für ene spätere Zeit bereite wieder Stellung oder
Beschäftigung gefunden wurde, usw
Sege ege ge ée ga ees 7 ers ea na a ege De er‘
Wenden!
(Rückseite.)
Erläuterungen.
Allgemeines.
A. Die Zählung t bezweckt die Ermittlung der am 27. Januar 1912 unfrei-
willig arbeitslosen Arbeitnehmer (einschließlich Handlungsgehilfen, Verkäufer usw.)
beiderlei Geschlechts.
B. Ibr unterliegen daher alle an genanntem Tage hier wohnhaften oder
übernachtenden erwerbsfähigen Arbeitslosen, soweit sie in der Lage und gewillt
sind, eine sich hier bietende entsprechende Arbeitsgelegenheit zu benutzen, bzw.
hier Arbeit suchen.
C. Auszuschließen sind:
I. die dauernd oder wegen Krankheit vorübergehend Erwerbsunfähigen,
mögen sie Alters-, Invaliden- oder Unfallrente, Krankengeld usw. be-
ziehen oder nicht;
Herbst: Arbeitslosenstatistik 5
66
Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
II. die Personen, die noch in einem — dauernden oder vortibergehenden
IL
(z. B. bei städtischen Notstandsarbeiten) — Lohnverhältnis stehen (für
den 27. Januar noch Lohn bezogen haben), wenn ihnen auch für später
bereits gekündigt ist;
die Personen, die überhaupt in kein Lohnverhiltnis einzutreten beab-
sichtigen, wie:
a) pensionierte Staats- und Gemeindebeamte und dergleichen;
b) selbständige Gewerbetreibende und Geschäftsleute:
c) sog. Kundenarbeiter, d s. Personen, die, ohne Vermittlung eines
Arbeitgebers, für Kunden — in deren oder auch in der eigenen
Wohnung — arbeiten (z. B. Schneider, Näherinnen, Waschtrauen
usw.), auch wenn sie augenblicklich tatsächlich ohne Arbeit sind;
d) Personen, die keine neue Arbeitsstelle suchen, weil sie sich in
nächster Zeit selbständig zu machen, sich in einer Lehranstalt oder
privat weiter auszubilden, einen anderen Beruf zu ergreifen oder —
bei weiblichen — sich zu verheiraten gedenken; oder weil sie in
kurzem ihrer Militärpflicht zu genügen oder eine Strafhaft anzu-
treten haben, von hier wegziehen wollen usw.;
e) Personen, die im Haushalte oder Geschäfte von Angehörigen helfen
(und keine andere Arbeit suchen);
f) nur zu Besuch oder auf der Durchreise (ohne hier Arbeit zu suchen)
anwesende Personen;
g) bei ihren Kindern lebende und von diesen unterhaltene Personen;
h) bei den Eltern lebende, nicht erwerbstätige Kinder;
. die Personen, die die Zeit zwischen den einzelnen Saisonperioden zur
Verrichtung häuslicher Arbeiten, zur Aushilfe in dem Geschäft von
Angehörigen (der Ehefrau usw.), zur Erholung usw. benutzen und keine
anderweite Beschäftigung suchen.
Einzelbemerkungen.
Zu Frage 8. Der Beruf bzw. die bisherige Beschäftigung ist ausführlich zu be-
zeichnen. Es genügt nicht, Schreiner, Schlosser usw. einzutragen,
sondern es ist, um die Branche, in der Arbeitslosigkeit herrscht,
genau feststellen zu können, anzugeben, ob Bau- oder Möbel-
schreiner, Bauschlosser, Maschinenschlosser, Kunstschlosser usw.
Auch ist die bisherige Stellung im Beruf (ob selbständig, Betriebs-
leiter, Aufseher, Gehilfe, Lehrling usw.) mitzuteilen.
Bei Tagelöhnern und sonstigen Arbeitern ohne erlernten Be-
ruf wird insbesondere ersucht, immer den Arbeits- oder Geschiifts-
zweig mit anzugeben, in dem sie ständig oder meistens beschäftigt
sind (ob in der Landwirtschaft, bei StraBen- oder Kanalarbeiten,
im Baugewerbe usw.).
Zu Frage 10. Es soll hier wahrheitsgemäß und genau angegeben werden, wo-
durch der (die) Arbeitslose seine letzte dauernde Stellung ver-
loren hat. (Die Frage bezieht sich also nicht darauf, weshalb
gegenwärtig keine Beschäftigung zu finden ist!) Beispiele für die
Ursache der Arbeitslosigkeit sind daher: „Tod des Arbeitgebers“,
„Eingehen des Betriebes“; „Einschränkung des Betriebes"; „weil
es an Arbeit zur weiteren Beschäftigung mangelte‘“; „Beendigung
der betreffenden Arbeiten“; „Geschäftsstille*; „Streik“; „Aus-
sperrung’; „Krankheit“; „freiwilliges Ausscheiden, um eine bessere
Stellung zu erlangen“; „Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber oder
anderen Arbeitern“ usw. Besonders soll aus der Angabe ersicht-
lich sein, ob das Ausscheiden aus der letzten Beschäftigung frei-
willig oder unfreiwillig erfolgte.
Direkte Methoden 67
Diese Methode hat zwar den Vorteil der leichteren Organisation
und Durchführbarkeit, dagegen fällt naturgemäß die beträchtliche Zahl
Arbeitsloser, die nichts von der Zählung erfahren, zur geringsten eigenen
Initiative nicht zu bewegen sind oder aus sonstigen Gründen keine An-
gaben machen können, aus. Andererseits erwachsen der Hauszählung
wohl bisweilen auch Schwierigkeiten bei der Gewinnung einer aus-
reichenden Zahl geeigneter ehrenamtlicher Zähler. Wie der Erfolg der
nach den beiden ersten Systemen vorgenommenen Zählungen mit auf
dem Interesse und der Teilnahme der zu befragenden Personen beruht,
so ist das Gelingen einer Arbeitslosenzählung nach dem Muster dieser
Methode in erster Linie vom Eifer und guten Willen der Zähler ab-
hängig. Letztere müssen danach trachten, das Vertrauen der Arbeits-
losen zu gewinnen, gewandt und objektiv auftreten und sie durch eine
geschickte Fragestellung bewegen, ihnen ihre Verhältnisse offen und
wahr zu dokumentieren. Und mit Vertrauen wird wohl der Arbeiter
nur dem Arbeiter begegnen.') Als Zähler fungierende Personen aus den
Kreisen der Arbeitnehmer werden sicher mit mehr Erfolg eine Be-
fragung ihrer arbeitslosen Standesgenossen unternehmen können als
ein den höheren Schichten der Bevölkerung entlehntes Zählerpersonal.
Vor allem muß den Arbeitnehmern der wahre Zweck einer solchen Er-
hebung klargemacht werden, daß die Ermittlungen nur einer zuver-
lässigen Tatsachenfeststellung dienen sollen und keine andere Absicht
verfolgen, denn die arbeitenden Klassen sind stets geneigt, plötzlich
vorgenommenen Sondererhebungen mit Mißtrauen zu begegnen und
ihren wahren Zweck zu bezweifeln, überhaupt muß die Zählung von
Haus zu Haus stets mit der Passivität der Einwohnerschaft rechnen,
die ihre Inanspruchnahme als lästig empfindet, zumal wenn zufällig
andere größere statistische Erhebungen kurz vorher stattgefunden haben.
Hinsichtlich der äußeren Organisation der Zählungen ist ein Mangel in
Betracht zu ziehen, der sich als ein in der Praxis stark hervortretender
MiBstand offenbart. In den größeren Städten muß das ganze der Er-
hebung unterworfene Gebiet zur Übersichtlichkeit und Erleichterung
des Zählerpersonals in sehr viele und vor allem kleine Bezirke einge-
teilt werden. Dazu ist ein ungeheurer Aufwand von Menschen erforder-
lich, denn es kann keinem Zähler zugemutet werden, in den dicht be-
völkerten Straßen einer Großstadt, die für die Arbeitslosenzählungen
ganz besonders in Betracht kommen, und noch dazu in den Arbeiter-
vierteln, die außerdem die anderen Stadtteile in der Regel an Bevölke-
rungsdichte noch erheblich übertreffen, in einer größeren Anzahl von
Mietkasernen seine Ermittlungen anzustellen. Je kleiner der ıhm zu-
gewiesene Kreis ist, desto eifriger und gewissenhafter wird er seine Er-
1) Nach neueren Feststellungen sind jedoch auch mit einem Beamtenzähler-
personal keine schlechten Erfahrungen gemacht worden (Nürnberg, Mitteilungen
des Statistischen Amtes, Heft 1, 1911).
5*
68 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
örterungen vornehmen. Eine mit der größten Sorgfalt in diesem Stile
in größeren Städten veranstaltete Arbeitslosenzählung wird stets viele
Tausende von Zählern erforderlich machen, wodurch der ganzen Orga-
nisation eine gewisse Schwerfälligkeit anhängt, die eine schnelle Orien-
tierung und Sichtung des Materials ungemein verzögert.
Nachdem wir uns mit einer eingehenden Darstellung der verschie-
denen Systeme der kommunalen Arbeitslosenziihlungen befaßt und die
bestehenden Einrichtungen einer scharfen kritischen Betrachtung unter-
worfen haben, sei es gestattet, einen kurzen, zusammenfassenden Über-
blick zu halten und die Frage aufzuwerfen, welcher Methode ein unbe-
dingter Vorzug vor den anderen zukommt.
Trotz vielfacher Vorzüge, die dem einen oder andern System zuge-
sprochen werden müssen, sind jedoch immerhin bei allen Mängel und
Nachteile vorhanden, so daB keine der besprochenen Methoden einen
entschiedenen Anspruch darauf machen kann, zur Anwendung in der
Praxis empfohlen zu werden. Abgesehen von den beiden älteren Syste-
men der besonderen Arbeitslosenzählungen, die wegen ihrer offen zutage
liegenden Wertlosigkeit überhaupt nicht herangezogen zu werden ver-
dienen, können wir den anderen Methoden jedoch wohl nicht so ohne
weiteres jede Bedeutung absprechen, wenn auch ihr praktischer Wert
zum Teil dahingestellt sein mag, denn ein Mangel ist schließlich sämt-
lichen Methoden der kommunalen Arbeitslosenstatistik gemeinsam. Na-
turgemäß ist für die städtischen Zählungen das fast völlige Fehlen der
landwirtschaftlichen Arbeiter in Betracht zu ziehen, während auf der
anderen Seite wieder die großstädtischen Saisongewerbe und vor allem
das Baugewerbe überwiegen. Sowohl die Hauszählung als auch die
auf den Personenstandsaufnahmen zu Steuerzwecken basierenden Er-
hebungen haben sich zum Teil bereits in der Praxis bewährt. So zählt
z.B. Dresden, wie vorstehend erwähnt, seit 1902 mit alljährlicher
Wiederholung auf diese Weise seine Arbeitslosen und manche andere
deutsche Stadt ist diesem Beispiel gefolgt. Die Zählung von Haus zu
Haus, deren Anwendung Silbergleit vornehmlich den kleineren Städten
empfiehlt, hat sich auch schon seit längerer Zeit in der Praxis durch-
gesetzt und kommt hier und da zur Anwendung. Im allgemeinen sind
die Ergebnisse einer stichtagsmäßigen Arbeitslosenzählung nur teilweise
für die benötigten Zwecke verwendbar, da sie über manche wichtige
Punkte, wie die Zeitdauer, den relativen Umfang und die Bewegung der
Arbeitslosigkeit keine einwandfreien Aufschlüsse zu erbringen vermögen.
Alle diese Veranstaltungen erscheinen also bei näherer Betrachtung
mehr als tastende Versuche, von dem falschen Wege, auf dem sich die
deutsche Arbeitslosenstatistik gegenwärtig befindet, auf den rechten zu
gelangen und das allgemein erstrebte Ziel, die Auffindung einer zuver-
lässigen Methode zur genauen Ermittlung der Arbeitslosigkeit, endlich
zu erreichen.
Geschichte: Erste Anfänge 69
Und schließlich zur letzten Art der Arbeitslosenzählungen, deren
Vornahme auf allgemeiner Basis beruht. Ihre praktische Anwendung
ist nur zweimal erfolgt, und zwar im Jahre 1895 bei Gelegenheit der
deutschen Volkszählung im Winter und der Berufs- und Betriebszählung
im Sommer desselben Jahres. Im Anschluß an diese Erhebungen fanden
gleichzeitig die Ermittlungen der Arbeitslosen im ganzen Lande statt. Wir
kommen später auf diese wichtige Tatsache zwecks eingehender Bespre-
chung zurück, können aber nicht umhin, bereits an dieser Stelle den beiden
Arbeitslosenzählungen von 1895 und ihren Ergebnissen unsere vollstän-
dige Anerkennungzu zollen sowie ihre Bedeutung einzusehen, die bereits des
öfteren von fachmännischer Seite ausgesprochen worden ist. Wir erblicken
darin einen Triumph dieser Methode und sind geneigt, ihre Anwendung
am ehesten zu empfehlen, worin wir uns mit der Ansicht Mosts voll-
kommen decken, nach dem eine Arbeitslosenzählung zuverlässige Er-
gebnisse nur zeitigt, wenn sie mit einer analogen Zählung der entspre-
chenden Beschäftigten verbunden wird, denn eine Zählung Arbeitsloser
allein entbehrt der Kontrolle oder mit anderen Worten, „um allgemeine
Grundlagen für das Wissen von der Arbeitslosigkeit zu gewinnen, muß
jede Volks- und Berufszählung zugleich Arbeitslosenzählung werden“.
Es wäre zu hoffen, daß in Zukunft entsprechend dieser Tendenz gehan-
delt und damit wesentlichere Fortschritte auf dem Gebiete der Arbeits-
losenstatistik als bisher erzielt werden.
§ 2. Die Geschichte der kommunalen Arbeitslosenstatistik.
I. Entstehung und erste Anfänge.
Die ersten Versuche auf dem Gebiete der kommunalen Arbeits-
losenstatistik waren indirekter Natur und wurden im Anschluß an
diejenigen Veranstaltungen vorgenommen, die den Zweck verfolgen, der
Arbeitslosigkeit oder ihren Folgen vorzubeugen. So liegen aus verschie-
denen Städten Nachrichten über eine alljährliche Beschäftigung von
Arbeitslosen, vornehmlich im Winter, mit Notstandsarbeiten vor. Aus
dem Material, das diese Veranstaltungen darbieten, wurde versucht, eine
Art Arbeitslosenstatistik herzustellen. Teils veröffentlichten die Städte,
wie es in München, Königsberg, Erfurt u. a. der Fall war, die Zahl
der mit Notstandsarbeiten beschäftigten Arbeitslosen, teils, wie in Han-
nover, die Zahl der im Laufe des Jahres eingegangenen Unterstützungs-
gesuche, die mit Beschäftigungslosigkeit begründet waren. Andere Orte
wieder benutzten die Aufzeichnungen der regelmäßigen Armenpilege
für eine Statistik der Arbeitslosigkeit. Und schließlich sind ebenfalls
mehrfache Versuche unternommen worden, auf Grund des in den Ar-
beitsvermittlungsanstalten vorhandenen Materials eine Arbeitslosensta-
tistik zu schaffen. Nach dem Bericht der Stadt Breslau aus dem Jahre
1891 werden in dem dortigen Arbeitsnachweisbureau regelmäßige Auf-
VO ‘Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
zeichnungen über die Personalien der Arbeitsuchenden und deren nähere
Verhältnisse gemacht.
Alle diese ersten Versuche zeitigten jedoch keine befriedigenden Re-
sultate, was wohl vornehmlich an der Mangelhaftigkeit der angewandten
indirekten Methoden liegt, die wir ja bereits auf Grund einer eingehen-
den kritischen Betrachtung verworfen haben. Mögen die statistischen
Anschreibungen der hier in Betracht kommenden Verwaltungszweige
immer bedeutendere Verbesserungen erfahren, so wird ihre Benutzung
für die Zwecke einer wirklichen Arbeitslosenstatistik stets nur einen ge-
ringen Wert haben, denn die Beantwortung der beiden Grundfragen der
Arbeitslosenstatistik, nach dem Umfang der Arbeitslosigkeit und der
Zahl der von ihr betroffenen Personen, ist auf keinem der indirekten
Wege in zuverlässiger Weise möglich.
Da nun die überhaupt ersten Versuche, auf diesem Wege zu einer
Statistik der Arbeitslosigkeit zu gelangen, zu irgendwie brauchbaren
Resultaten nicht führten, so ist es natürlich ganz selbstverständlich, daß
man bei dem immer dringender werdenden Bedürfnisse nach einer zu-
verlässigen Arbeitslosenstatistik von der bisher angewandten, erfolglosen
Methode abging und den indirekten Weg mit dem direkten vertauschte,
um das nötige Material zu erlangen. In Deutschland setzte diese Be-
wegung, eine selbständige und direkte, von den städtischen Statistischen
Ämtern ausgehende Arbeitslosenstatistik ins Leben zu rufen, in den
letzten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts ein und dehnte sich,
veranlaßt durch die dringenden Klagen über Erwerbslosigkeit der Ar-
beiter und das Daniederliegen mancher Gewerbe, vornehmlich seit 1890,
auf zahlreiche größere deutsche Städte aus, deren Verwaltungsbehörden,
Polizei und Armenpflegerschaft durch Enqueten, Anschreibungen
und Erhebungen Material für eine Arbeitslosenstatistik zu gewinnen
suchten.
Diese ersten Anfänge einer selbständigen Arbeitslosenstatistik
umfassen jedoch nicht alle in Betracht kommenden Berufszweige und
erstrecken sich keinesfalls einheitlich über einen größeren Verwaltungs-
bezirk. Ein klares und übersicbtliches Bild über Umfang und Ent-
stehung der Arbeitslosigkeit sowie ev. Vergleiche der gewonnenen
Zahlen mit den Gesamtziffern der Arbeitnehmer können diese Arbeits-
losenzählungen, die sich mitunter nur auf einzelne oder gar nur eine
Berufsgruppe beschränken, niemals bieten. Dem tatsächlichen Zwecke
der Arbeitslosenstatistik dienten somit diese ersten selbständigen Ver-
suche auch noch nicht.
Wir wollen nun im folgenden die einzelnen charakteristischen Ver-
suche und die verschiedenen Erhebungsarten einer kurzen Betrachtung
unterwerfen.
Aachen veranstaltete Ende 1891, zu einer Zeit, in der dort die
Erwerbslosigkeit besonders scharf hervortrat, eine Zählung der Arbeits-
Erste Anfänge 11
losen zur Feststellung des Umfanges des Beschäftigungsmangels und
einer ev. Anweisung von Arbeitsgelegenheit. Es wurde eine öffent-
liche Liste aufgelegt, in die sich die Arbeitslosen gemäß einer an sie
ergangenen Aufforderung einzeichnen sollten; davon machten in der
Zeit vom 1. Dezember 1891 bis Ende April des folgenden Jahres 478
Arbeitslose Gebrauch. Nur 38 Personen kam der in Aussicht genom-
mene Zweck der Einzeichnung, Verschaffung von Arbeitsgelegenheit, zu-
gute; sie fanden teils bei Privaten, teils bei der Stadt Beschäftigung;
wegen Erwerbslosigkeit wurden 297 Personen unterstützt. Infolge der
geringen Möglichkeit, Arbeit nachzuweisen, unterblieb die weitere Fort-
führung derListe. Diese Erhebung bietet ein Beispiel für eine auf Grund
fortdauernder Anschreibung gewonnene Arbeitslosenstatistik.
Erfolgreicher ist Berlin gewesen, dessen städtisches Statistisches
Amt im September desselben Jahres eine enquetenartige Erhebung
über die gesamte Geschäftslage in Anbetracht der zurzeit herrschenden
Notlage veranstaltet. Die Ermittlungen werden eigentlich nicht über
die Zahl der Arbeitslosen, sondern vielmehr über die Arbeitslosigkeit
und den Notstand angestellt. Das Amt appelliert an die Unterstützung
der Innungen, Vereine, größeren Betriebe usw., verschickt Fragebogen
an sie und bittet um gutachtliche Äußerungen über Arbeitslosigkeit und
Notstand. Das gewonnene Material wurde vom Statistischen Amte der
Stadt Berlin bearbeitet und in den „Vorlagen für die Stadtverordneten-
versammlung“ 1891, Nr. 56 veröffentlicht. Der in Betracht kommende
Fragebogen hatte folgenden Wortlaut:
1. Ist in letzter Zeit ein besonders auffilliger Rückgang des Geschäfts in Ihrer
Branche zu verzeichnen gewesen?
2. Haben Entlassungen von Arbeitern in größerem Umfange stattgehabt? Sind
speziell bei Ibrer Firma derartige Entlassungen in letzter Zeit in unge-
wöhnlichem Umfange vorgekommen?
Wieviel Arbeiter pflegten Sie gewöhnlich in dieser Zeit zu beschäftigen? Wie-
viel beschäftigen Sie zurzeit tatsächlich?
3. Ist der Lohn zurzeit höber, niedriger, oder ein gleicher wie zur selben Zeit
im Vorjahr?
4. Haben sich in Ihrem Betriebe oder in Ihrer Branche in jüngerer Zeit Er-
scheinungen gezeigt, welche darauf hinweisen, daß ein ungewöhnlicher Man-
gel an Arbeitsgelegenheit zu beklagen ist, oder daB die Arbeit wegen den
Preisen der Lebensmittel gegenüber zu niedrigen Löhnen niedergelegt oder
ausgeschlagen ist.
5. Sind Sie genötigt gewesen, wegen der erhöhten Preise der Lebensmittel
Teuerungszulage zu gewähren?
Das Jahr 1892 bringt eine Anzahl lokaler Erhebungen, die den
Vorzug haben, daß sie sich nicht auf ein einzelnes Gewerbe beschränken,
sondern sich auf die gesamte lokale Arbeiterschaft ausdehnen oder wenig-
stens den Versuch dazu machen. Die Veranstalter solcher Zählungen
sollen nach Schikowski!) die Gemeindeverwaltungen der Städte Cöln,
1) Über Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenstatistik, Leipzig 1895.
72 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Magdeburg, Erfurt sowie Elberfeld und Barmen gewesen sein.
Dazu ist jedoch zu bemerken, daß eingehendere Untersuchungen ergeben
haben, daß dies nur für Erfurt zutrifft, wo zweimal, im Winter 1891/92
und 1892/93, zwar keine direkte Arbeitslosenstatistik, wohl aber eine
Beschäftigung der Arbeitslosen mit Notstandsarbeiten, die von der Stadt
ausging, vorlag.
Im gleichen Jahre findet in Danzig eine Arbeitslosenzählung statt,
die gleich der im Januar des nächsten Jahres in Stettin erfolgten
mit Hilfe von Polizeiorganen vorgenommen wird, d. h. genauer, die
Vorstände der einzelnen Polizeireviere stellten die Zahl der Arbeitslosen
in ihrem Bezirk fest, um bei ev. Nachfragen der Arbeitgeber diesen
mit Nachweisungen dienen zu können, also handelt es sich in diesem
Falle eher um eine versteckte Arbeitsnachweisstatistik, doch ist die da-
bei versuchte Methode, Arbeit durch die Polizeireviere nachzuweisen,
als mißglückt anzusehen, da es ja klar auf der Hand liegt, daß gerade
diese Organe nicht die geeigneten Arbeitsnachweisstellen sind.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Zählungen des Ob erbiirger-
meisters in Kassel im Januar 1893 sowie die Essener und Lud-
wigshafener Arbeitslosenerhebungen, die die Armenpflegerschaft
tast zu gleicher Zeit veranstaltet. Ersterer liegt die vom Oberbürgermeister
der Stadt am 17. Januar 1893 erlassene Bekanntmachung zugrunde, die
folgenden Wortlaut hatte:
„Hier wohnhafte arbeitsfähige Personen, welche unverschuldet durch be-
sondere Verhältnisse und die Strenge des Winters erwerbslos geworden sind,
wollen sich zur Feststellung ihrer Verhältnisse und zum Zweck möglichster
Verhütung einer Notlage in ihrer Familie innerhalb der nächsten acht Tage
von heute an, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr vormittags, in dem zu diesem
Zweck besonders eingerichteten städtischen Bureau im ehemaligen Regierungs-
gebäude, Königsplatz 34, Erdgeschoß melden“.
In Essen und Ludwigshafen versuchte der Magistrat Anfang Januar
1893 Aufnahmen der Arbeitslosen durch die Armenpfleger, die sich
dazu eines Formulares bedienten, das Fragen nach Namen, Wohnung
sowie kurze Bemerkungen über die Familienverhältnisse und ob Arbeit
in Aussicht sei enthielt.
Im großen und ganzen dürften damit die hauptsächlichsten rein
kommunal-statistischen Erhebungen der damaligen Zeit dargestellt wor-
den sein; keine allzu große Anzahl im Vergleich zu den vielen Arbeits-
losenzählungen, die in derselben Zeit von den Arbeitern selbst vorge-
nommen wurden, was wir bei der Besprechung der privaten Arbeits-
losenstatistik bereits hervorgeboben haben.
So wertvoll diese Erhebungen auf den ersten Anblick sein mögen,
so schrumpft doch der tatsächliche Wert der ermittelten Angaben fast
auf ein Minimum zusammen, was in erster Linie bedingt ist durch die
Art der Erhebungen und Feststellungen, wozu sich noch weitere Mängel
Nacherhebungen 1895 73
gesellen, wie z. B. die Vornahme der Erhebungen nur in einzelnen Städten
mit reicher Industrie und dort noch dazu nur in einzelnen Stadtgebieten;
ferner fehlen durchweg die Angaben darüber, ob die Arbeitslosigkeit
wegen Krankheit verursacht ist usf. Über die übrigen Miingel dieser
ersten Städtezählungen haben wir uns bereits eingangs dieses Abschnittes
ausgelassen und festgestellt, daß die Einseitigkeit der zu jener Zeit noch
ın den Kinderschuhen steckenden Kommunalstatistik übersichtliche und
vergleichbare Resultate kaum ermöglicht. Der Fehler ist jedoch bald
erkannt worden und schon bei den folgenden Zählungen gegen Ende
der zweiten Periode werden von den Veranstaltern bereits Versuche ge-
macht, die Erhebungen über die ganze Stadt und alle Berufszweige aus-
zudehnen. Das allgemein erstrebte Ziel, eine zuverlässige kommunale
Arbeitslosenstatistik zu begründen, blieb jedoch einer späteren Zeit
überlassen.
II. Die Nacherhebungen der Städte
im Anschluß an die Reichsarbeitslosenzählungen des Jahres 1895.
1. Methodologie.
Von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung der deutschen
kommunalen Arbeitslosenstatistik wurde dieVornahme derbeidenReichs-
arbeitslosenzählungen im Jahre 1895. Die Anerkennung, die der
Arbeitslosenstatistik von reichsamtlicher Seite zuteil wurde und eben
ihren Ausdruck in dieser vorerwähnten, einzig dastehenden Veranstal-
tung fand, setzte sich auch bei den städtischen Verwaltungsbehörden
durch, dergestalt, daß sich einige Städte berufen fühlten, die Ermitt-
lungen der beiden Reichszählungen einer Revision zu unterziehen. So
kamen in einigen größeren Städten des Deutschen Reiches im Jahre
1895 interessante kommunale Arbeitslosenzählungen zustande, die wir
im Vergleich zu den früheren, wenig günstig kritisierten Erhebungen,
als die ersten nahezu selbständigen Veranstaltungen bezeichnen können,
trotzdem sie sich methodologisch an die Reichsstatistik anlehnten.
Bei den Sondererhebungen der Städte zur Kontrolle der durch die
beiden Reichsarbeitslosenzählungen vom 14. Juni 1895 und 2. De-
zember desselben Jahres gewonnenen Resultate gelangte eine Methode
zur Anwendung, die auf der Benutzung einer Erörterungs- bzw. Zählkarte
für Arbeitslose basierte, die nach dem Beschlusse der städte-statistischen
Konferenz in Frankfurt a. M., der 10. Konferenz der Vorstände der Sta-
tistischen Ämter deutscher Städte, zum Zwecke der Nacherhebung ent-
worfen war und auf einer zwischen den Leitern der städte-statistischen
Ämter Deutschlands vorgenommenen Verständigung beruhte. Ähnliche
Karten sind deshalb fast in allen größeren Städten des Reiches, die über-
haupt Nacherhebungen vornahmen, zur Anwendung gekommen. Die
Karte enthält eine größere Reihe von Übertragungen aus den Angaben
74 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
der Haushaltungslisten sowie mehrere Zusatzfragen. Die Verteilung der
Karten erfolgte teils durch die lokalen Polizeiorgane, teils durch Beauf-
tragte des Statistischen Anıtes, denen auch die Ausfüllungder Karten oblag.
Die Vornahme dieser Revisionserhebungen geschah auf Anraten der
bereits oben erwähnten Konferenz, deren Besucher, die Leiter der städte-
statistischen Ämter Deutschlands, es als dringendes Bedürfnis empfan-
den, die bei den Reichszählungen gemachten Selbstangaben der Bevöl-
kerung einer eingehenden Kontrolle zu unterziehen. Die Aufgabe wurde
bereits im voraus als äußerst mühsam und undankbar bezeichnet, und
der Erfolg dahingestellt, denn viele Arbeitslose waren im Augenblick
der Nacherörterung verzogen und nicht mehr zu ermitteln, über andere
waren Antworten auf manche Fragen nicht zu erlangen, oder es war in-
zwischen eine so lange Zeit verstrichen, daß die Abstände der Befragung
von der Selbstangabe dadurch ungleich wurden. Daher stellte die Kon-
ferenz die Vornahme von Revisionserhebungen den städte-statistischen
Ämtern frei. Es ist erfreulich, daß trotzdem sich einige von ihnen die-
ser mühsamen Aufgabe freiwillig unterzogen.
Wir führen nun die in Betracht kommenden Städte der Reihe nach
vor und fügen zur leichteren Verständlichkeit jeder einzelnen die bei den
Nacherhebungen benutzten Frageformulare mit bei.
Leipzig.
In Leipzig kamen für die besonderen Nacherhebungen zu den bei-
den Reichsarbeitslosenzählungen fast die gleichen Karten zur An-
wendung, deren Abweichungen nur bedingt waren durch die Abweich-
ungen der am 14. Juni und 2. Dezember benutzten Reichs- bzw. Landes-
erhebungsformulare (Hauslisten). Die Karten enthielten insgesamt 39
Fragen, von denen die ersten 24 Übertragungen aus den Angaben der
Hauslisten darstellten, während der Rest aus Zusatzfragen bestand. Wir
bringen an dieser Stelle einen Abdruck der bei den Leipziger Revisions-
erhebungen zur Verwendung gelangten Zählungskarten.
Volkszählung vom 2. Dezember 1895. Auszug aus der Haush.-Liste.
Stadt Leipzig. Stadtbezirk......... .... Zählbezirk..............
WORDUNg au. ee ine ee Base ee wee
1:2... Namen. Eee ee TER 4. M.W
5.—7. Geboren.......... 18 8. Led. Verh. Verw. Gesch
9 elev. EEN 10. Staatsangehörigkeit..........
Haupeberut. Ata el elke deen eae keen 12. selbständig 0d.?.........
Angehörige laut Haush.-Liste, deren Alter und Geschlecht? .............
Wenn selbst Angehöriger, Beruf usw. des Haush.-Vorst. .........0..02 000
14. Außer Arbeit seit...Tagen. 15. Ja oder Nein. 20.—23. Gebrechen .......
24: BE. Susan air Ran ;
Übertragen durch. ...........
Nacherhebungen 1895 in Leipzig, Dresden 75
25. Ursache der Arbeitslosigkeit? Ob krank, vorübergehend erwerbsunfähig,
eigene Kündigung, Streik (Ausstand), Aussperrung, Ortswechsel und damit
verbundene Stellensuche, Geschäftsstille, Aufhören der Saisonarbeit, Kündi-
gung des Arbeitgebers (das Zutretfende zu unterstreichen!) oder welche
See ee 088 rer rer re rer re eo e
26. In Leipzig ständig wohnhaft seit welchem Tage?.......... 18..
27. Aus welchem Orte zugezogen? (Ort der letzten Beschäftigung vor Leipzig?).
28. Genaue Adresse (Firma und Betriebsstätte bzw. Geschäftslokal) des letzten
Arbeitgebers? (gleichgültig ob in Leipzig od. auswärts) ...................
29. Art der letzten Stellung ?. acca ceo tee 8 ee
30. Eigentlicher gelernter Berufs ras 2... ad Gar
31. Ist der am 2. Dez. arbeitslos Gewesene zur Zeit der 1 Nachfrage (Datum. ...)
32. Demgemäß Dauer der Arbeitslosigkeit?........ Tage.
33. Jahresmiete der Wohnung?. ....... Mark.
34. Seit wann ist die Zahlung der Miete riickstiindig?.............0..... 0000.
35. Wird ein Teil der Miete aufgebracht durch Aftervermietung? ... .........
Durch Schlafstellenvermietung? SE Ee ee
36. Ob in Armenntege?, seit wann?............
37. Wie oder von wem werden die Subsistenzmittel der Arbeitslosen bestritten ?
(Bei in Streik und in Aussperrung Befindlichen sind die Zeilen 26 bis 37
nicht auszufüllen.)
38. Bemerkungen......... ........ EE
39. Schon am 14. Juni 1895 in Leipzig als Nachrichtlich bemerkt am.......
arbeitslos geziihlt? Ja oder Nein? E EEN
Dieses Formular ist den Beteiligten nicht zu behiindigen, sondern auf Grund
mündlicher Erkundigung durch den Zähler auszufüllen.
Dresden.
In Dresden hat sich eine Nacherhebung der geschilderten Art so-
wohl an die Sommer- wie an die Winterzählung angeschlossen. Man
verfuhr in der Weise, daß zunächst während und unmittelbar nach der
Zählung für alle Personen, die sich in den Berufs- bzw. Volkszählungs-
listen als arbeitslos bezeichnet oder die betreffende Frage der Haushal-
tungsliste, obwohl sie Arbeitnehmer waren, anfangs unbeantwortet ge-
lassen und sich erst nach Rückfrage als arbeitslos bezeichnet hatten,
Zählkarten ausgestellt wurden. Diese enthielten die Angaben der Liste
über die betreffende Person mit einigen Auslassungen und wurden zur
Prüfung der Angaben sowie zur Erlangung der Antworten auf die Zu-
satzfragen städtischen Polizeibeamten übergeben. Letztere hielten in
den Wohnungen der Arbeitslosen die erforderlichen Nachfragen.
Die Zusatzfragen lauteten bei beiden Zählungen wie folgt:
Bei wem zuletzt in Arbeit gewesen? (Adresse genau anzugeben.)
Art der letzten Stellung?.................
Eigentlich gelernter Beruf?................
In Dresden ständig anwesend seit..........
Art der letzten Beschäftigung vor der Ankunft in Dresden......
Ursache der Arbeitslosigkeit:
16 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
a) Krankheit
b) Eigene Kündigung
c) Streik
d) In Dresden überhaupt noch nicht in Arbeit gewesen
und bis jetzt vergeblich gesucht
e) Aufhéren der Saisonarbeit
f) Kündigung des Arbeitgebers
g) Andere Gründe und welche?
Bemerkungen:
Unter den Städten, die das unter den damaligen Umständen Er-
reichbare in bezug auf Vollständigkeit und Zuverlässigkeit wie auf Dif-
ferenzierung der Fälle von Arbeitslosigkeit nach ihren Ursachen erreicht
haben, dürfte in erster Linie Dresden zu nennen sein, dessen Vornahmen auf
dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik nachher vielfach vorbildlich wurden.
®
Berlin.
Die nachstehende Zählkarte weist in der oberen Hälfte die in dem
Haushaltverzeichnis enthaltenen Tatsachen in bezug auf die Arbeitslosen
auf und in der unteren diejenigen 6 Fragen, über welche die nachträglichen
Erkundigungen im Anschluß an die Sommerzählungen eingezogen wor-
den sind. Diese nachträglichen Erhebungen nahmen zum größten Teil
die lokalen Polizeiorgane vor, in einer kleineren Zahl von Fällen waren
Beauftragte des Statistischen Amtes tätig.
Berufsziihlung vom 14. Juni 1895, Stadt Berlin.
Zählkarte für Arbeitslose.
Pol Rer ne en Straße Nr.......
Haushaltungsliste Nr.... (Name des Dousbalt -Voret". 0... cee cece
1.2. Vor- und Familiennamen. nn a aa
. Stellung zum Haushaltvorstand:.......... 0... eee ect teens
. Männlich, weiblich.
. Geburtsjahr, Monat, Tag: ..... ER Eee
<a) Familienstand: a... een PEE NEES
b) Lebt die Frau im Haushalt?.... Ist dieselbe erwerbstätig?
(Art der Tätigkeit) .............
c) Wieviel Kinder im Haushalt?.. ` Wieviel erwerbstätig?..
T Religion ersucht u
8. 9. Hauptberufszweig: an. een)
16. Seit wieviel Tagen außer Arbeit?.......... ee
17. Vorübergehend arbeitsunfähig?...... La EE
18. a) Vorübergehend anwesend? (Ja oder nein)..................
b) Vorübergehend abwesend? (Grund der Abwesenheit)
Ergebnis der Nachfrage am . ..Juli.
J. Ursache der Arbeitslosigkeit (Krankheit, eigene Kündigung, Kündigung durch
den Arbeitgeber, Streik, Geschäftsstille, Aufhören der Saisonarbeit Oder. .)
II. Seit welchem Tage (Monat, des in Berlin? EE
CD CH a Co
ee gë eege @ ée e ee ee a e
WA AM OO em ew ee ee
V. Eigentlicher gelernter Beruf. EEE E ee
VI. Ist der Arbeitslose zur Zeit der Nachfrage wieder in Arbeit? ............ :
Seit welchem Tage? ....u..s eaten st'n Aere
Berlin, Hamburg, Straßburg TI
Hamburg.
Da für die Berufszählung auf eine allgemeine Rückfrage bei den
Arbeitslosen aus technischen Gründen verzichtet werden mußte, so wurde
diese hingegen für die Volkszählung bereits bei den Vorbereitungsarbei-
ten zu derselben ins Auge gefaßt. Es wurde bestimmt, daß bei der
ersten Prüfung, gleich nach der Ablieferung der ausgefüllten Haushal-
tungslisten durch die Zähler, für jede Person, welche in diesen Listen
als arbeitslos bezeichnet war, eine Zählkarte ausgefüllt werde, welche
die folgenden 15 Fragen enthielt:
. Name und Vorname.
. Wohnung.
. Stellung in der Haushaltung.
. Geschlecht.
. Familienstand.
. Religion.
. Geburtsdatum.
. Geburtsort.
. Datum des Zuzugs in den Zählungsort.
. Ort, woher der Zuzug erfolgt.
. Beruf und Stellung in demselben.
12. Seit wieviel Tagen arbeitslos.
. Ursache der Arbeitslosigkeit.
. Anzahl der Angehörigen des Arbeitslosen und zwar erwerbstätige (bzw. nicht
erwerbsfähige) Ehefrau, Kinder unter 14 Jahren, sonstige Familienangehörige.
. Angabe, ob der Arbeitslose Krankengeld, Unfall-, Invaliden- oder Altersrente
bezieht.
mà joi
meow moans CH & 6 HI m
bat bet
= Ce
ke
or
Die Antworten auf die Fragen 1—9, 11, 12 und 14 wurden aus den
Haushaltungslisten auf die Zählkarten übertragen, die übrigen Antworten
sollten bei der Nachfrage festgestellt werden; fiir sie war eine beson-
dere Anweisung erlassen.
StraBburg.
Die drei bekannten Spezialfragen, die der Feststellung der Arbeits-
losigkeit bei der Reichszihlung dienen sollten, wurden von einer
groBen Anzahl von Personen falsch aufgefaBt, und daher bezeichneten
sich viele als arbeitslos, die es nach dem Sinne der Erhebung gar nicht
sein konnten. Um diese falschen Angaben zu eliminieren, ordnete die
Verwaltung der Stadt eine besondere Nacherhebung zu der reichsamt-
lichen Winterzählung der Arbeitslosen an. Hierzu diente folgende Zähl-
karte, auf die bereits die Personalien der zu Befragenden übertragen
worden waren, während die fehlenden Angaben noch besonders erfragt
wurden.
78 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Klasse der Gemeinde:........ | Ziffer-Bezeichnung des Berufs
(I. über 100000 Einw.; Il. von 10000: nach
bis 100000 Einw.; III. unter 10000 Einw. Ww.) | Abteilung....Gruppe.... Berufsart....
Ziihlbliittchen
tiber die am 2. Dezember 1895 beschäftigungslosen Arbeiter.
(Auszufüllen für männliche und weibliche Arbeiter, Dienstboten, Gesellen
und sonstige Arbeitnehmer, auch für Hausindustrielle und Heimarbeiter [mit Aus-
schluß der dauernd völlig Erwerbsunfähigen], welche am 2. Dezember 1895 außer
Arbeit [Stellung] sind.)
[Zählblättchen sind nicht auszufüllen: 1. für Ehefrauen ohne eigenen Haupt-
beruf; 2. für Zivil- und Militiirpersonen, welche aus Reichs-, Staats- oder Kom-
munalkassen Pension beziehen, oder für Witwen von solchen; 3. für Empfänger
von Invalidenrente; 4. für Empfänger von Unfallrente, sofern diese wegen dauern-
der, völliger Erwerbsunfühigkeit gewährt wird.]
Kess ebe Gemeinde........... EE Zählbezirk Nr........
Annexe, Straße, Platz uge... eu sececcesens Hausnummer.......
Haushaltungsnummer ORE ee hae, eco ty eee Nummer der Zählkarte.......
1. Vor und. Familienname: Ae sage SNE EEN, EE SE EES
2. Ist die beschiiftigungslose Person Haushaltungsvorstand? ........-...eeee0.
(Mit Ja oder Nein zu beantworten.)
8. Geschlecht: männlich, weiblich. (Das zutreffende Wort ist zu unterstreichen.)
4..;Alter:-geboren den asics wessen im Jahre..........
5. Familienstand: ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden.
(Das zutretiende Wort ist zu unterstreichen.)
6. Hauptberuf oder Haupterwerb:......... See, deg dE RENT
Stellung im: Reuter Seeerei SEN ER
7. Seit wieviel Tagen außer Arbeit (Gtellungg, 2. ec ee cece rec eees
8. Außer Arbeit (Stellung) wegen vorübergehender Arbeitsunfühigkeit, oder aus
anderen Gründen? (Das Zutreffende ist zu unterstreichen.)
a | Kinder EG
vn PLS e 'Famillien-
Für beschiiftigungslose Haushaltungsvorstände ‚Ehefrau |. unter | ange: |
Deeg 14Jahr.| horige
ist noch folgendes zu beantworten: (Zahl). | (Zahl).
9. a) Zur Haushaltung gehören .................68-. | EL RE | ee
b) Von diesen haben keinen eigenen Hauptberuf und
sind daher als nicht erwerbstätig anzusehen .... ......]...... DRAG:
| |
10. Sollte die Ehefrau oder eines der Kinder unter 14 Jahren, bzw. der sonstigen
Familienangehörigen einen eigenen Hauptberuf haben, so ist dieser auf
der Rückseite des Zählblättchens genau anzugeben.
Stuttgart.
Die im wesentlichen nach dem Beschlusse der städte-statistischen
Konferenz in Frankfurt a. M. für den Zweck der Nacherhebung zu der
Reichsarbeitslosenzählung im Winter 1895 entworfene Zählkarte
enthält auf der Vorderseite den Vordruck für sämtliche aus der Haus-
haltungsliste zu entnehmende Angaben über die arbeitslosen Personen
in der Anordnung, wie aus dem abgedruckten Formular zu ersehen ist.
Stuttgart 19
(Vorderseite)
Volkszählung vom 2. Dezember 1895. Stadt Stuttgart.
Zihlkarte für Arbeitslose.
Zähl-Bez........ ER EEN Straße Nr.......
Haushaltungsliste Nr.......... Name des Hs.-Vorstands ..............ceeceee
, 2. Vor- und Familienname: ...... css an aan
"Stellung zum: Haushällvorstand: „una set ae
4. männlich, weiblich.
B..Geburtejahr,. Monat, EEN
Bis T: Ee TEE Bezirks nu
19: Slaalsangelörigkeite. sinus Bere as esse
8. Familienstand EE EE
10., 11. Hauptberufszweig: ............ Va te ulated Stellung CATING nee
13. Seit wieviel Tagen Buber EE
14. Vorübergehend arbeitsunfähig? e,
(Rückseite.)
Ergebnis der Nachfrage am ...... Dezember 1895.
I. Ursache der Arbeitslosigkeit (Krankheit, eigene Kündigung, Kündigung durch
den Arbeitgeber, Streik, Geschiiftsstille, Aufhören der Saisonarbeit oder)
u. 1001801 Tr Tr 1 Tre ee eer eaeeseesveeneeaneeveenvneereseseeseeseeoeveeseoneeseeveeeeae
I. Seit welchem Tage, Monat, Jahr ständig in Btoutieart?,.
III. Aus welchem Orte zugezogen, d. h. wo zuletzt in Arbeit? ..............
KK Art der letzten Stellung: ge euer ee aan
V. Eigentlicher gelernter Beruf: a ege u... uses. wee aces’
VI. Haben Sie auf dem Arbeitsamt nachgefragt? ........ Wie oft? ........
VII. Wird irgendwelche Unterstützung bezogen?,, nn
VOM WEM? Sierra
VIII. Wenn verheiratet: Lebt die Frau im Haushalt? EH
Ist dieselbe erwerbstiitig? ........ Art der Tätigkeit. ..... .........
Wieviel Kinder im Haushalt?...... Wieviel erwerbstätig? ..........
IX. Ist der Arbeitslose zur Zeit der Nachfrage wieder in Arbeit? ...........
Seit Eegeregie E e
Mit welcher Beschäftigung? `...
Diese Angaben wurden sofort nach Eingang des Materials aus den
einzelnen Zählbezirken und nach Prüfung desselben auf sämtliche Karten
eingetragen. Auf der Rückseite bemerkt man sodann den Vordruck für
alle durch die Nacherhebung zu gewinnenden Angaben, die für die Klar-
legung des einzelnen Falles nötig und erwünscht waren.
Die Umfrage selbst wurde durch die Schutzmannschaft des Stadt-
polizeiamts in der Zeit vom 10.—13. Dez. 1895 bewerkstelligt. In der
Instruktion für die Mannschaft wurde eine möglichst höfliche Behand-
lung der betreffenden Personen anempfohlen, zugleich aber auch die
Weisung erteilt, überall zu wahrheitsgemäßer Beantwortung der Fragen
zu ermahnen, verdächtige Fälle aber behufs weiterer Behandlung zur
Anzeige zu bringen.
80 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Liibeck.
In Liibeck fand gleichfalls im Winter eine besondere Nacherhe-
bung zur Berichtigung der reichsamtlichen Statistik statt. Dabei wurde
versucht, auch die sonstigen Griinde der Arbeitslosigkeit auBer der in
dem Reichsformulare allein hervorgehobenen Krankheitsursache in Er-
fahrung zu bringen. Die Nachfragen sind außerdem im dritten Monate
nach der Zählung wiederholt worden in allen denjenigen Fällen, in
denen die auffallende Dauer der Arbeitslosigkeit Bedenken gegen die
Richtigkeit der Eintragungen hatte aufkommen lassen. Das Nach-
erhebungsformular enthielt neben den bekannten Personal- und Berufs-
fragen die folgenden speziellen Fragen zur näheren Erforschung der
Arbeitslosigkeit: Außer Arbeit seit Tagen..... Vorübergehende Arbeits-
unfähigkeit..... Name des letzten Arbeitgebers........... Ursache der
Beschäftigungslosigkeit und zwar nach der Bezeichnung „Aufgabe des
letzten Arbeitgebers“ sowie „Aufgabe der Armen- und Gemeindebehörden“.
2. Ergebnisse.
Im Anschluß an die methodologische Betrachtung der von den er-
wähnten Städten vorgenommenen Nacherhebungen zu den beiden Reichs-
arbeitslosenzählungen des Jahres 1895 dürfte es nicht ganz ohne
Interesse sein, auf die Ergebnisse der Veranstaltungen etwas näher
einzugehen und die Unterschiede zwischen letzteren und denen der
Reichsstatistik festzustellen.
Das Vorhandensein von Unterschieden überhaupt ist vor allem auf
ein strengeres revisorisches Vorgehen in den beteiligten Städten zurück-
zuführen, wodurch ein größerer Prozentsatz irrtümlicher Einträge und
somit ein größerer Prozentsatz von sich irrig als beschäftigungslos be-
zeichnenden Arbeitnehmern festgestellt und ausgeschieden wurde, als
dies für das Reich kaum möglich und beabsichtigt war. Außerdem
haben einige städtische Statistische Ämter, insbesondere in Dresden
und Leipzig, das Zählungsmaterial nach Grundsätzen bearbeitet, die,
den Begriff der Arbeitslosigkeit erheblich einschränkend, sich zum Teil
mit den für die Reichsstatistik angewandten Normen nicht decken.
Auch hat das Kaiserliche Statistische Amt selbst in der Einleitung zu
seiner Zusammenstellung der Resultate die Qualität des Materials als
keineswegs einwandfrei bezeichnet und darauf hingewiesen, daB die er-
mittelten Zahlen den Charakter von Maximalzahlen haben, während der
wirkliche Umfang der Arbeitslosigkeit niedriger zu veranschlagen ist.
Und endlich hatten die in den Zählungsvorschriften des Reiches ent-
haltenen Bestimmungen, wie die Erfahrung lehrte, mit dazu beige-
tragen, daB vielfach Mißverständnisse entstanden und die Ergebnisse
beeinflußten.
Da nun eine nachträgliche Beseitigung der Irrtümer nicht in allen
Ergebnisse der Nacherhebungen 1895 81
Teilen des Reiches gleichmäßig erfolgt ist, sondern nur vereinzelt vor-
genommen wurde, so leidet darunter selbstverständlich die Vergleich-
barkeit der gewonnenen Ziffern erheblich, wenn sie nicht im äußersten
Falle ausgeschlossen erscheint. Wir wollen uns daher in folgendem be-
gnügen, nur eine zahlenmäßige Übersicht über die Unterschiede der
Reichs- und Städtestatistik hinsichtlich der bei den Arbeitslosenzäh-
lungen des Jahres 1895 gewonnenen Gesamtzahlen der männlichen und
‚ weiblichen Beschiiftigungslosen vorzuführen, uns aber eines Kommentars
dazu enthalten, da, wie bereits festgestellt, einer Vergleichbarkeit der
Ergebnisse erhebliche Schwierigkeiten gegenüberstehen, außerdem eine
ausführliche Analyse der nachstehenden Zusammenstellung dem wirk-
lichen Charakter der Arbeit auch kaum entsprechen dürfte.
Das Leipziger städtische Statistische Amt selbst äußert sich in
seinen Veröffentlichungen über die Ergebnisse der Zählungen des Jahres
1895 ziemlich günstig über die Nacherhebungen und glaubt im großen
und ganzen, daß die Arbeit, namentlich in bezug auf die zwei wich-
tigen Punkte, die Entscheidung darüber, ob eigentliche Arbeitslosigkeit
vorlag oder nicht und die Ermittlung der Gründe der Arbeitslosigkeit,
in Leipzig gelungen ist, und daß durch die Revision des Materials die
reichs- und landesstatistische Erhebung erst ihren sozialpolitischen Wert
erlangt hat.
Insgesamt mußten bei der Leipziger Nacherhebung im Sommer
1123 Personen als nicht arbeitslos ausgeschieden werden und zwar
749 männliche und 374 weibliche, so daß das landesamtliche Ergebnis
von 7520 um diese Zalıl verringert, nach den städtischen Recherchen
auf 6397 herabsinkt, während im Winter der Unterschied zwischen der
Landesstatistik und der städtischen nur 864 beträgt. Die den Beschluß
bildende Tabelle geht des näheren auch auf die männlichen und weib-
lichen Personen ein.
Für Dresden ergibt sich fast ein umgekehrtes Verhältnis, dem-
nach bei der Sommerzählung weniger Ausscheidungen vorzunehmen
waren als bei der Winterzählung. Die landesstatistische Erhebung im
Juni ergab 4826 Arbeitslose, von denen 541 sich irrtümlicherweise als
solche bezeichnet hatten, und im Winter muß die Gesamtzahl der Be-
schäftigungslosen von 5942 Köpfen um 1366 verringert werden, damit
die Ergebnisse als brauchbare betrachtet werden können.
In Berlin, das eine Nacherhebung nur an die Sommerzählung an-
schloß, ergaben die angestellten Untersuchungen eine derartige un-
geheuere Menge von Irrtümern, die sich in die Ergebnisse der Reichs-
statistik eingeschlichen hatten, daß letztere eine Reduktion von weit
über die Hälfte erfahren mußten, um einen gewissen Anspruch auf Zu-
verlässigkeit erheben zu können.
Hinsichtlich der übrigen Städte, in denen die Nacherhebungen
sich an die Winterzählung anschlossen, verweisen wir auf die folgende
Herbst: Arbeitslosenstatistik 6
82
Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Tabelle, in der die Ergebnisse der Reichsstatistik denen der stadtischen
Kontrollerhebungen gegeniibergestellt sind, um die dabei zutage tretenden
Differenzen gebührend zu veranschaulichen.
Gegeniiberstellung der Ergebnisse der Arbeitslosen-
zahlungen am 14. Juni und 2. Dezember 1895 nach den Be-
arbeitungen der Reichs- bzw. Landesstatistik und den städ-
tischen Sondererhebungen.
Ort und
| Zeit der
Nach-
erhebung
Leipzig
14. Juni
1895
Leipzig
2. Dez.
1895
Dresden
14. Juni
1895
Dresden
2. Dez.
1895
Berlin
14. Juni
1895
Hamburg
2. Dez.
1895
Straßburg
2. Dez.
= 189%
| Stuttgart
2. Dez.
1895
| Liibeck
Ergebnisse der
Reichs-(Landes-)
Männliche |
=
En
on
ee
TN
5 647 |
8 126
4 528
41858
16 872
974
1 428
statistik
D =]
EI
o 2 n
E ae FS] EI: =
1969 | 7520
1569| 7216
1700| 4826
1414| 5 942
| 15 552 | 57 410
| 4594 | 21 466
| 411 | 1 385
| 459 1887
222 1994
1772:
Zahl der bei der
Nacherhebung Ergebnis der
ermittelten irr- städtischen Nach-
tümlichen Ein- erhebung
träge
© o | g E = oo g
SECH 4/82/83! &
= S a wee tee, "E
E | E g 1 a8 1583: g
5 |B S |E2 B4 &
749 e 1128 e 1595 6397
666 | 198 864 | 4981: 1371 | 6 352
|
194 " 541| 2932 1855 | 4285
723; 643| 1366 | 3805, 771 4 676
24 838
9229 34 067 | 17 020° 6323 | 23 343
|
8178) 14785 3503- 18 288
367! 170° 687! 607| au 848
|
692 | 980! 315 | 1295
|
342! 43, 385| 1430| 179 1609
M
f
— te nn EE
III. Die moderne Entwicklung.
Nach dem Aufschwung des Jahres 1895 tritt wieder einige Zeit
Ruhe ein, bis endlich anfangs des 20. Jahrhunderts eine neue Periode
der kommunalen Arbeitslosenstatistik einsetzt, die sich von der der
90er Jahre vornehmlich dadurch unterscheidet, daß sie sich einheitlich
Moderne Entwicklung: Dresden 83
über einen größeren Verwaltungsbezirk erstreckt und alle für diesen in
Betracht kommenden Berufszweige erfaßt. Dadurch erlangen die neueren
Erhebungen einen wesentlichen Vorteil gegenüber den ersten, weniger
ausgedehnten städtischen Arbeitslosenzählungen, deren dürftige Ergeb-
nisse eine erschöpfende Betrachtung des für die gesamte soziale und
wirtschaftliche Existena eines Volkes so sehr bedeutungsvollen Problems
der Arbeitslosigkeit kaum gestatten. Das Verdienst, die moderne städti-
sche Arbeitslosenstatistik den lokalen und zeitlichen Umständen ange-
messen gestaltet und infolgedessen beachtenswerte Ergebnisse gewonnen
zu haben, gebührt einer Reihe größerer deutscher Städte, deren Behörden
sich bewußt waren, daß die Fürsorge für das wirtschaftliche Wohl ihrer
Bürgerschaft mit den Hauptinhalt ihrer Verwaltungstätigkeit ausmache,
und daß auf Grund sicherer Unterlagen und umfassender Kenntnis von
Umfang und Ursachen sozialer und wirtschaftlicher Mißstände, wie ge-
rade die Arbeitslosigkeit, die besonders in den Städten scharf in die Er-
scheinung tritt, viel eher an deren Abhilfe oder Minderung gedacht
werden kann, als wenn diese nicht vorauszusetzen wären.
In den folgenden Abschnitten sollen nun die Hauptvertreter der in
der Praxis angewandten Methoden zur Besprechung gelangen, woran
sich ein kurzer Überblick über die aus den städtischen Zählungen ge-
schöpften und als wirklich brauchbar zu bezeichnenden Resultate an-
schließt.
1. Dresden’).
Die eigenartigste Methode, nach der je eine Arbeitslosenzählung
vorgenommen wurde, hat Sachsens Haupt- und Residenzstadt Dresden
angewandt. Es benutzte die zu Steuerzwecken erfolgenden Personen-
standsaufnahmen, um Erhebungen über die Arbeitslosigkeit inner-
halb des städtischen Verwaltungsgebietes mit Einschluß der damals
noch nicht eingemeindeten Vororte Cotta, Kaditz, Löbtau, Mickten,
Naußlitz, Plauen, Trachau, Uebigau, Wölfnitz und Blasewitz?) vorzu-
nehmen. Die einzelnen Maßnahmen dieses interessanten Systems sind
vorstehend bereits zum Teil erläutert worden; hinzuzufügen ist nur
noch, daß den einzelnen Steuerstellen Beamte und Hilfsarbeiter des
städtischen Statistischen Amtes beigegeben wurden, die bei Eingang
der Hauslisten die für die Arbeitslosenzählung in Betracht kommenden
1) Hannover, das früher, so am 22. Februar 1904, die Zählung der
Arbeitslosen nach dem Meldesystem durchführte, ist neuerdings auch dem
Dresdner Beispiel gefolgt. Die dort am 15. Oktober 1912 und am 15. Oktober
1913 vorgenommenen Erhebungen über den lokalen Umfang der Arbeitslosigkeit
basierten auf den steuerlichen Personenstandsaufnahmen, aus denen dann ähn-
liche Auszüge für die Arbeitslosen gemacht wurden wie in Dresden. Die Er-
gebnisse dieser beiden Veranstaltungen sind in den „Mitteilungen des Statistischen
Amtes der Stadt Hannover“, Jahrgang 1912 Heft 4 und 1913 Heft 4 ausführlich
dargestellt worden.
2) Außer Blasewitz sämtlich einverleibt am 1. Januar 1903.
Gë
84 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
Angaben auf besondere Karten herausschrieben. Für jeden unzweifel-
haft Arbeitslosen, d.h. Personen, die keinen Arbeitgeber anzugeben oder
die Bezeichnung „ohne Stellung“ selbst eingetragen hatten, war eine
Karte bestimmt. Einige Wochen später fand durch die stüdtische Wohl-
fahrtspolizei eine Nachkontrolle statt, dergestalt, daß ihre Beamten bei
allen einzelnen Arbeitslosen persönlieh nachfrugen und die Karten er-
giinzend ausfüllen ließen. Darauf kam das Material im Statistischen
Amt zur Bearbeitung. Das Endergebnis wurde durch Stichproben
mittels straßenweiser Erhebung der Arbeitslosen in allen Wohnungen
durch Wollfahrtspolizeibeamte einer letztmaligen Kontrolle unterworfen.
Die erste Zählung fand am 12. Oktober 1902 statt. Auf Grund
der günstigen Ergebnisse wurde, dem Antrage des Statistischen Amtes
vom 27. Februar 1902, jährlich im Oktober im Anschluß an die Ein-
kommensteuerhauslisten eine Aufnahme der Arbeitslosen zu veranstalten,
entsprechend, durch Rat und Stadtverordnete beschlossen, alljährlich eine
solche Arbeitslosenzählung auszuführen. Somit ist Dresden neben Cöln
sowie neuerdings Nürnberg!)und Offenbach a.M.?) die einzige deutsche
Stadt, in der Jahr für Jahr eine Arbeitslosenzählung erfolgt. Die städti-
schen Behörden erbrachten also durch ihr Interesse und ihre Einsicht,
die sie dieser wichtiren kommunal-statistischen Aufgabe zollten, bereits
damals den Beweis, daß es wohl möglich ist, alljährlich zu einem gewissen
Zeitpunkt die Arbeitslosigkeit zahlenmäßig ohne besondere Veranstal-
tungen festzustellen.
Gegenwärtig liegen die Ergebnisse von zwölf Dresdner Arbeits-
losenzählungen aus den Jahren 1902—13°) vor, die in den nachfolgenden
Tabellen nach vier Gesichtspunkten zusammengestellt sind und eine Be-
trachtung der persönlichen Verhältnisse der Arbeitslosen ermöglichen
sowie über Grund und Zeitdauer der Arbeitslosigkeit berichten.
1) Nürnberg veranstaltete bereits am 10. Dezember 1908 eine Arbeits-
losenzählung durch städtische Beamte. Seit dem Jahre 1910 sind die Erhebungen
regelmäßig im Januar oder Februar alljührlich wiederholt worden. Die
letzte Zählung fand am 18. Februar 1914 statt. Die bisherige Methode gelangte
ebenfalls wieder zur Verwendung. Nur unterschied sich die Veranstaltung des
Jahres 1914 von den früheren insofern, als mit ihr erstmalig eine Zählung der-
jenigen Arbeiter verbunden war, die gegen die sonst in ihrem Betriebe im Februar
übliche Arbeitszeit mit verkürzter Arbeitszeit tätig waren.
2) In Offenbach a. M. haben seit 1909 alljährlich mit Ausnahme von
1911 meist im Februar Arbeitslosenzählungen stattgefunden. Die letzte Ver-
anstaltung wurde am 7. Februar 1914 vorgenommen. Man bediente sich dabei
der Methode der Hauszählung. Die Gewerkschaften leisteten wesentliche Hilfe.
Das Ergebnis der Zühlung ist soeben durch den Oberbiirgermeister der Stadt
veröffentlicht worden.
3) Die Ergebnisse der Arbeitslosenziblung vom 12. Oktober 1913 konnten
nur zum Teil Aufnahme finden, da sie laut eingeholter Auskunft vom Statisti-
schen Amt der Stadt Dresden zur Zeit der Drucklegung unserer Arbeit im April
1914 leider noch nicht endgültig festgestellt waren!
Dresden 85
Die Arbeitslosen in Dresden 1902—1913.
I. Nach dem Geschlecht.
zusammen
IT. Nach den Gründen der Arbeitslosigkeit.
Jahr | Männliche Personen Weibliche Personen waren Se
248 |130 1524 1451 862 281 |
187 9811183 467 | T64 254, 40 256 | 144 | 67
178 |100,1090 375, 616 238 34 170 100 | 90
192 1611083 :334 549 248 34 un 90 | a
waren arbeitslos ,
; wegen |aus anderen; wegen wegen aus anderen |
| E Gründen Krankheit Schwangerschaft Gründen
1902 | 663 | 4688 | 251 81 1108
1908 504 | 3825 379 | 50 1085
1904 430 3150 245 45 943
1905 353 2683 220 39 | 782
1906 333 1891 222 54 . 703
1907 367 1691 246 | 47 643
' 1908 417 3263 334 46 | 870
1909 372 2621 298 | 34 i 853
1910 403 1993 331 41 | 785
1911 399 1695 299 52 668
1912 333 1673 227 62 668 |
NV
1913 493 2693 | 403 884
III. Nach der Berufsstellung.
ee Sup Re
| Bo a Gelerntes | a Hilfs- Ohne
(Bureau)
Personal en Personal Dersona] Personal Angabe |
Jahr ba SC u ir
E EE a ae ack
, 2 © 5 D = | be 308 D 3 D Reed v
| 2 IB) S (F/SIBI/E 2, 53|E & |B
1902 149 | 51 | 278 |157/ 2095 452 1676 |288 | 76 | 377: 977 ‚215
361 | 219 2227 574 1257) 197, 74 | 265 67 | 47
247 | 16711786 658'1076 200: 64 |232 233 | 42
277 |176|1575 426| 814/127| 55 |232| 172 | 51
220 |156 1153! 352. 687/151, 46 229 | 109 | 76
166 |174'1031 .312 654/150 33 |171' 324 118
234 |103|1915 549 | 1135 239| 78 |235 188 | 65
86 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
IV. Nach der Dauer der See
NR EE EE
EE = BE GE über unbe-
| j '1 T 8—14 | 15—28 KE 60 61 a 180 181—360 360 | kannt
| ahr | |
| i Tage waren insgesamt Are Personen |
EE a rg a a | ee en ee E erh
1902 | 772 | 1265 | 1031 980 497 723 437 271) 716
1903 | 666 | 1448 | 1001 1003 507 689 403 146 | 645
1904 | 593 ; 1093 747 666 387 480 254 108 | 485 |
1905 | 537 914 692 599 330 423 206 62. 814
1906 430 706 555 440 241 822 180 35 294 |
)
1907 > 293 | 843 | 466 377 184 256 189 28 596
| 1908 | 543 | 1089 ' 890 748 | 342 571 278 | 56 413
| 1909 ' 416 | 1007 1737 630 | 470 423 342 42 421
| 1910 ' 457| 869 6520 473 | 249 339 195 | 35 415
1911 ' 395 | 714 ! 473 447 | 237 326 174 11 836
| 228 269 158 |
1912 341 | 132 | 463 430 = 332
Typische Regelmäßigkeiten und abgeklärte brauchbare Resultate
lassen sich naturgemäß nur aus den Ergebnissen wiederholter Zählungen
ableiten und erkennen, wenn dabei auch noch mancherlei Zufälligkeiten
in Betracht gezogen werden müssen. Wir sind nun in der glücklichen
Lage, auf Grund der alljährlich in Dresden vorgenommenen Erhe-
bungen über die Arbeitslosigkeit innerhalb des städtischen Verwaltungs-
bezirkes zuverlässige Ergebnisse zu besitzen, die entschieden eine ein-
gehendere Besprechung verdienen. Schon die Art und Weise der Vor-
nahme der Erhebungen durch die Stadtverwaltung bietet eine sichere
Gewähr für die Brauchbarkeit und Anwendbarkeit der Resultate. Wen-
den wir uns nun zunächst den einzelnen Tabellen zu und betrachten
an der Hand der aufgeführten Zahlen die verschiedenen Symptome der
Arbeitslosigkeit, die infolge der modernen wirtschaftlichen Verfassung
zu einer beachtenswerten sozialen Erscheinung geworden ist.
Das Jahr 1902 weistim Vergleich zu den folgenden Jahren, in denen
eine entschiedene, auffällige Abnahme erfolgt, die höchsten Arbeits-
losenziffern auf. Dieser bedeutende Umfang der Arbeitslosigkeit ist vor
allem auf die starke Depression, welcher Handel und Industrie in den
ersten Jahren des 20. Jahrhunderts ausgesetzt waren, zurückzuführen.
Die ungünstige allgemeine Geschäftslage prägte sich deutlich im Ar-
beitsmarkt aus. Der in den meisten Industriezweigen erfolgte Rückgang
erhöhte naturgemäß die Arbeitslosigkeit, so daß die Zählung des Jahres
1902 insgesamt 6691 Arbeitslose, darunter 5251 männliche und 1440
weibliche, ermittelte. Daß vor allem der wirtschaftliche Niedergang in
den meisten Fällen die Arbeitslosigkeit verursacht hat, beweist deut-
lich die in Tabelle II durchgeführte Zweiteilung der Gründe, nach der
von den männlichen Arbeitslosen nur 563 wegen Krankheit, aber 4688
aus anderen Gründen außer Arbeit waren. Ein großer Teil letzterer
Dresden 87
gab Arbeitsmangel oder Entlassung wegen schlechten Geschäftsganges
durch den Arbeitgeber an. Wir ersehen also hieraus, daß sich der
schwere Niedergang des wirtschaftlichen Lebens in den Krisenjahren
um 1900 deutlich wahrnehmbar in den überaus hohen Arbeitslosen-
ziffern ausprägt, wie es in der Erhebung von 1902 zur Erscheinung
kam. Im folgenden Jahre bemerken wir bereits eine Abnahme um
ca. 1100, die Arbeitslosenziffer sinkt auf 5504; woraus zu schließen ist,
daß eine weitere Verschärfung der Krise nicht erfolgte, sondern eine
Aufwärtsbewegung und Wendung zum Bessern sich vorbereitete. In
der Tat schritt die bereits gegen Ende 1902 sich bemerkbar machende
Wiedergesundung des wirtschaftlichen Lebens, wenn auch langsam, so
doch stetig vorwärts; die industrielle Tätigkeit wird lebhafter, der Ar-
beitsmarkt zeigt ein freundlicheres Gesicht, die Löhne steigen und die
Arbeitslosigkeit nimmt im Laufe der Jahre immer mehr ab; 1904 sinkt
die Zahl auf 4813, 1905 findet ein weiterer Rückgang um 736 statt
und in den beiden folgenden Jahren wurden nur noch 3203 bzw. 3222
Arbeitslose ermittelt. Die in den Jahren 1908 und 1909 zu verzeichnende
Zunahme der Arbeitslosigkeit bewegt sich immer noch in den Bahnen
der Ermittlungen von 1904 und dürfte vornehmlich durch das Auf-
hören einer größeren Anzahl von Tarifverträgen im genannten Jahre
sowie durch Konjunkturschwankungen in einigen Berufsgruppen oder
Saisongewerben verursacht worden sein, während nach deren Aus-
gleichung und dem Abschlusse neuer Verträge die Ziffer in den Jahren
1910 und 1912 wieder zurückgeht. 1913 erhöht sich jedoch die Zahl
der Arbeitslosen wieder ganz beträchtlich. Die Ursache dieser Erschei-
nung ist in erster Linie in den Momenten zu suchen, die auch bereits
1908 zu einer, wenn auch leichteren, wirtschaftlichen Depression führten.
Dazu kommt noch, daß 1913 ein ganz besonders ausgeprägtes Krisen-
jahr war, das sich nicht nur in Dresden, sondern allenthalben, nament-
lich infolge der politischen Zustände durch schlechten Geschäftsgang,
geringe Bautätigkeit und starkes Daniederliegen des Arbeitsmarktes
äußerte. Im allgemeinen können wir jedoch die erfreuliche Tatsache
feststellen, daB die Arbeitslosigkeit in Dresden seit 1902 mit Aus-
nahme der Jahre 1908 und 1913 einem fortwährenden Rückgang unter-
worfen ist, was doch wohl als Zeichen einer beginnenden verhältnis-
mäßigen Besserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage anzusehen ist.
Von besonderem Werte bei einer Arbeitslosenstatistik ist eine
möglichst genaue Ermittlung der Ursachen der Arbeitslosigkeit, denn
gerade eine Zergliederung der Arbeitslosen unter diesem Gesichtspunkt
wird am ehesten eine richtige Erkenntnis dieses bedeutsamen volks-
wirtschaftlichen und sozialen Problems ermöglichen. Die Hauptergeb-
nisse lassen sich aus vorstehender Tabelle II erkennen. Neben der
Unterscheidung des Geschlechts der Arbeitslosen mußte sich die Dar-
stellung jedoch mit einer Zweiteilung der Gründe begnügen und von
88 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
einer niiheren Angabe der sonstigen verschiedenartigen Ursachen Ab-
stand nehmen. Letztere, wie vor allem Aufhören der Saisonarbeit,
schlechter Geschäftsgang, Geschäftsstille, aber auch Streik, Aussperrung,
‘ Kündigung usw. sind unter der Bezeichnung „andere Gründe“ zusammen-
gefaßt, denen Krankheit als unverschuldete Ursache des Eintritts der
Arbeitslosigkeit gegenübergestellt ist. Bei den weiblichen Arbeits-
losen hat eine Dreiteilung der Gründe Platz gegriffen, indem bei den
Kranken die wegen Schwangerschaft erwerbsunfähigen weiblichen Ar-
beitnehmer eine besondere Berücksichtigung erfuhren. Im allgemeinen
zeigt auch hier wieder die Betrachtung der Zusammenstellung eine er-
sichtliche Abnahme der Arbeitslosenziffern im Laufe der Jahre mit Aus-
nahme von 1908 und 1913. Jedenfalls erhellt aus den Gliederungs-
ziffern, daß die verschiedenen Ursachen in den besprochenen 12 Jahren
mit überraschender Gleichförmigkeit an der Erzeugung der Gesamtarbeits-
losigkeit in Dresden wirksam gewesen sind.
Die Frage nach der Berufsstellung der Arbeitslosen ergab, daß
die gelernten Arbeiter etwa zur Hälfte und die ungelernten fast zu
einem Drittel an den Gesamtziffern beteiligt waren. Kleine Zahlen weisen
leitendes, kaufmännisches und Hilfspersonal auf, während im Vergleich
zu diesen eine ziemlich bedeutende Zahl Arbeitsloser sich scheuten,
nähere Angaben über ihre Berufsstellung zu machen. Von Interesse
dürfte wohl auch die Erscheinung sein, daß die unterschiedenen haupt-
sächlichsten Berufsstellungen bisweilen in zwei aufeinanderfolgenden
Jahren, z. B. 1902/1903, annähernd in derselben Stärke an der Ar-
beitslosigkeit beteiligt sind, wie deutlich aus den Zahlen der Tabelle III
hervorgeht. Diese überraschende Gleichmäßigkeit in der Zusammen-
setzung des arbeitslosen Heeres tritt auch, wie wir nur nebenbei er-
wähnen wollen, in der Altersgliederung zutage und prägt sich vornehm-
lich bei einem Vergleich der Ergebnisse der ersten beiden Zählungen aus.
Unter dem gleichen Gesichtspunkt können wir auch die Betrach-
tung der Tabelle IV vornehmen, die über die Dauer der Arbeitslosig-
keit berichtet. Die Gleichmäßigkeit zweier folgender Jahre, besonders
wieder 1902 und 1903, beweist die Richtigkeit der Behauptung, daß
typische Regelmäßigkeiten die Erscheinung der Arbeitslosigkeit nach
den verschiedensten Seiten beherrschen. Bei den meisten Arbeitslosen
scheint nach der Zusammenstellung die Unterbrechung der gewohnten
Tätigkeit von keiner allzu langen Dauer zu sein, denn die Ergebnisse
berichten, daß ein großer Teil aller Arbeitslosen eine Dauer von bis zu
14 Tagen angegeben hat. Über 360 Tage, also ein Jahr lang, waren
meist nur wenige arbeitslos.
Anfangs hatte die Dresdner Methode gegenüber anderen Erfassungs-
arten unter starken Anfeindungen zu leiden. Um diesen Vorwürfen
entgegenzutreten und die die Zuverlässigkeit der durch diese Zählungen
gewonnenen Ergebnisse bezweifelnden Stimmen zum Schweigen zu
Stuttgart 89
bringen, wurden allenthalben Vergleiche der amtlichen Zählungsergeb-
nisse mit Resultaten privater Erhebungen vorgenommen. Dazu bot
sich gleich nach der ersten Dresdner kommunalen Arbeitslosenzählung
Gelegenheit, indem die amtlichen Ergebnisse von 1902 mit den privaten
der vom Dresdner Gewerkschaftskartell am 18. Jan. 1903 veranstalte-
ten Arbeitslosenzählung einem Vergleich unterworfen wurden. Letztere
erstreckte sich auf das gesamte, außerhalb Dresdens gelegene städtische
Wirtschaftsgebiet, bezog also auch die von der städtischen Erhebung
schon erfaßten Vororte mit ein. Da die Gewerkschaftszählung in
einer Zeit strengen Frostes stattfand, wo jede Bautätigkeit ruhte, wäh-
rend die städtische Aufnahme noch in den Schluß der Bauperiode fiel,
so sind die Abweichungen der Ergebnisse auffallend gering und die
Angaben der Gewerkschaftszählung fast zu niedrig; schätzte doch das
Dresdner Gewerkschaftskartell selbst, daB ihm gegen 33°, fehlten.
Somit erfuhr die stark angefeindete Dresdner Methode auf dem Wege
solcher Vergleiche eine glänzende Rechtfertigung und bewies ihre be- `
deutende Überlegenheit vor den anderen Erhebungsarten.
2. Stuttgart.
Am 19. Februar 1902 veranstaltet die Stadt Stuttgart erstmalig
eine Arbeitslosenzählung, an die sich auf Beschluß des Gemeinderates
nunmehr jährlich drei solche Zählungen anschließen sollten, deren Vor-
nahme nach dem System der freiwilligen Meldung, dessen Eigenart
wir bereits geschildert haben, auf den 1. Februar, 1. Juli und 1. November
jedes Jahres festgesetzt wurde. Es bestand somit die Hoffnung, daß
Stuttgart dem Beispiele Dresdens folgen und gleichfalls eine ständige
Arbeitslosenstatistik schaffen würde. Leider sah man sich darin getäuscht,
denn die Stuttgarter Behörden waren gezwungen, die Zählungen bald
wieder einzustellen und von ihrer regelmäßigen Wiederholung in Zu-
kunft abzusehen. Die Gründe hierfür sind in den gleich bei den ersten
Zählungen gewonnenen, wenig brauchbaren und kaum zufriedenstellen-
den Ergebnissen, teils in der geringen Beteiligung der in Frage kom-
menden Bevölkerungskreise, was besonders bei der Erhebung vom
1. Februar 1903 stark hervortrat, zu suchen. Es ist bedauerlich, daß die
süddeutsche kommunale Arbeitslosenstatistik, denn auch die im Anschluß
an Stuttgart in einigen süddeutschen Gemeinden vorgenommenen Ar-
beitslosenzählungen zeitigten keine beachtenswerten Erfolge, nicht in
dem Maße begünstigt gewesen ist wie die Dresdner. Trotzdem wieder-
holten sich im Laufe der Zeit dann und wann in Stuttgart Arbeitslosen-
erhebungen; so findet nach mehrjähriger Pause im Jahre 1908 wieder
eine Zählung statt, an die sich im folgenden Jahre noch eine andere an-
schließt; solche einzelne Veranstaltungen können jedoch niemals als voll-
wertiger Ersatz für die periodisch wiederkehrenden angesehen werden.
Die Hauptergebnisse der drei ersten Stuttgarter Arbeitslosenzäh-
90 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
lungen finden in der nachstehenden Tabelle eine übersichtliche und leicht
vergleichbare Veranschaulichung; desgleichen soll die Zusammenstellung
als Grundlage dienen für die Besprechung und Prüfung des inneren
Wertes dieser Erhebungen und der Brauchbarkeit der gewonnenen Re-
sultate.
men ee
= Völlig arbeitslos | Teilweise |
o f o ` arbeitslos:
Gesamtmeldungen In Stuttgart wohnhaft Kern
Zeit- Geschlecht ' Beruf Ursachen Familienst. E:
See Si foes ee go & 2
angabe ie | | 2 S a Insge- | © a E : E
1 reg i Dë = ES
3 2 g 5 | Š | samt ei = | Verheiratet ¢2 «£3
Has} © 5 D Sc | Jaa = | , co z 3
=Z Š glS 8 d SI SE
19. Febr. | 1396 | 13 | 1427 1142 | 254, 1162 162 1000 437 701 SS
1902 | Ä | |
| 10. Nov. , 724 31; 737° 546/178, 501 | 73 | 428 185 | 306 29
` 1902 S | | |
2. Febr. 605 9° 614 230/175 381 44 | 337 114 267 | 243
EE SSES
Bei allen drei vorliegenden Zählungen bilden einen größeren Teil
der Arbeitslosen die ungelernten Arbeiter, also die Gruppe Hausdiener,
Knechte, Tagelöhner und Ausläufer. Die übrigen Berufsgruppen sind
unter der Bezeichnung „gelernte Arbeiter“ zusammengefaßt. Von ihnen
hat das Baugewerbe am meisten unter der Arbeitslosigkeit zu leiden.
Was die Ursachen der Arbeitslosigkeit betrifft, so wurde in wenigen
Fällen Krankheit als solche angegeben, während die sonstigen Gründe,
wie vor allem Kündigung seitens der Arbeitgeber wegen schlechten Ge-
schäftsganges usw., den Hauptbestandteil bildeten; bezeichneten doch
von den 381 Stuttgarter Arbeitslosen 179 ausdrücklich diese Ursache
als den Anlaß zu ihrer Entlassung. Dem Familienstand nach weist die
erste Zählung etwa ein Drittel aller Arbeitslosen als verheiratet auf; die
beiden folgenden Erhebungen jedoch stellen einen ganz auffälligen Rück-
gang der Ausbreitung der Arbeitslosigkeit unter den Verheirateten fest.
Über die Dauer der Arbeitslosigkeit berichtet die Tabelle nicht. Wir
wollen deshalb an dieser Stelle uns etwas eingehender damit befassen:
im ganzen gingen (nach der Zählung vom 2. Februar 1903) 19442 Ar-
beitstage durch Arbeitsmangel und 4587 durch Krankheit verloren; von
letzteren 1949 Tage von zusammen fünf Kaufleuten. Davon entfielen
12625 verlorene Arbeitstage und 4141 Krankheitstage auf in Stutt-
gart wohnhafte Personen. Durchschnittlich kamen danach auf einen
Arbeitslosen 32 entgegen 341 Tagen ohne Arbeit nach der Zählung vom
10. November 1902. Unterscheidet man nach der Dauer der Arbeits-
losigkeit verschiedene Gruppen von Arbeitslosen, so erhält man die fol-
gende Zusammenstellung:
Stuttgart 91
In Stuttgart wohnhafte
Dauer der Arbeitslosigkeit Arbeitslose insgesamt Arbeitslose
bis zu 7 Tagen 63 41
8—14 i 82 53
15—21 „ 51 31
92—30 „ 105 70
über 1—2 Monate 169 95
ei. Be ` 76 47
” 3—6 nm 50 35
„6 ý 9 9
Die 4. und 5. Gruppe zeigen die stärkste Beteiligung. Die Arbeitslosig-
keit ist somit bei den meisten davon Betroffenen von ziemlich langer
Dauer gewesen. |
Das Stuttgarter Arbeitsamt gibt der letzten Zählung den Vorzug
vor den beiden vorangehenden. Ausdehnung und innere Struktur bieten
ein wesentlich anderes Bild als die zwei ersten städtischen Erhebungen.
Dabei ist aber wohl in Betracht zu ziehen, daß der Wert der letzten
Zählung ein unstreitig höherer sein würde, wenn sich auch die Berufe,
die zweifellos eine größere als aus den Meldungen zu konstatierende
Zahl von Arbeitslosen aufzuweisen hatten, an der Unifrage beteiligt
hätten. So ist die Zählung nicht imstande, eine Darstellung des vollen
Umfanges des Übels zu geben. Daraus ergibt sich auch der gewaltige
Unterschied in der Gesamtziffer der Arbeitslosen im Vergleich zu den
Zählungen vom 19. Februar und 10. November 1902. Wenn die erste
Erhebung 1427 Arbeitslose, die dritte aber nur 614 ergibt, so kann dies
kaum den wirklichen Verhältnissen entsprechen, sondern man muß mit
der Vermutung rechnen, daß hier den Arbeitslosen mehr Initiative
zugemutet worden ist als sie erfahrungsgemäß entwickeln. Auch liegt
ein weiterer Grund für die ermittelte niedrige Gesamtzahl in der ge-
ringen Beteiligung seitens einiger Berufsgruppen, wie bereits erwähnt
worden ist. Nicht zu vergessen ist, daß die Stuttgarter Erhebung mit
der Aufnahme der völlig arbeitslosen Personen zugleich eine solche der
nur mit verkürzter Arbeitszeit Beschäftigten verband. Aus der Tabelle
sind die näheren Angaben zu ersehen.
Den Beschluß der in Aussicht genommenen regelmäßigen Stutt-
garter Arbeitslosenzählungen, gleichsam der letzte V ersuch, der von den
Behörden ausging, bildet die Erhebung vom 1. Juli 1903, die? im Verein
mit acht größeren Gemeinden Württembergs vorgenommen wurde.
Die Ergebnisse gingen dem Statistischen Landesamt zur Bearbeitung
und Beurteilung ihrer Brauchbarkeit zu. Letztere bleibt dahingestellt,
denn wie aus der folgenden Zusammenstellung zu ersehen ist, wies Ulm
nur einen, Cannstatt zwei Arbeitslose, Ludwigeburg jedoch: gar keinen
Arbeitslosen auf. Selbst wenn man SE den Ergebnissen der Reichs- -
zählung von 1895 Süddeutschland als das Gebiet der geringsten Arbeits-
losigkeit im Deutschen Reich annehmen wollte, so ist es duch kaum
99 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
denkbar, daß Städte wie Ulm, Cannstatt usw. derartige minimale Ar-
beitslosenziffern ermitteln konnten. Wir können nicht umhin, auf Grung
unserer Erfahrungen den meisten dieser wiirttembergischen Zihlungen
jeden inneren Wert abzusprechen und müssen in den vorliegenden Er-
gebnissen wohl einen Fehlschlag der Methode erblicken.
2. Februar 1903 E 1. Juli 1903
| völlig m. verk. SO rg m. verk. l
Ort arbeitslos Arbeitszeit "aM. arbeitslos Arbeitszeit SE |
mow. m e mM. Ki m w m wo m. (e
Stuttgart 625 e 270/10 895 16/491: 2) 27) — ‚518, 2
Ulm 40 —, Bh — 46 —) 1- — — | Li
Heilbronn 33. ir 99 <= ‚1321 — SE Te pee. i Cie
Cannstatt 12 1 Ä 7-9 1 Be Ze | 3 -=
Ruinen 10 — 5 — 67 — 1 -ı- — EI
Ludwigsburg 5 — — .— pS -'i- -|-— =
Göppingen 1 — 5 | — | 16 =| — | — | bi" Te Ae Dess
| Tübingen ` 383 — —ji— A8 — 14 — — e [1
3. Cöln.
Im Jahre 1904 fand in Cöln die erste Arbeitslosenerhebung nach
der Methode der Hauszählung statt und zwar unter Mitwirkung der
Arbeiterorganisationen, deren Mitglieder als Zähler fungierten. Veran-
stalterin war die Stadt; die Arbeiterorganisationen traten nur als Hilfs-
organe auf; die Erhebung kann somit als rein kommunale angesehen
werden. An diese erste Arbeitslosenzäblung vom 17. Januar 1904 schlos-
sen sich im Laufe der Zeit alljährlich je zwei Erhebungen über die Ar-
beitslosigkeit in der Stadt Cöln an, und zwar fand die eine stets am An-
fang des Jahres zur Winterszeit statt, während die zweite regelmäßig
in den Sommermonaten Juli oder August vorgenommen wurde. In die-
ser letzteren Maßnahme liegt ein ganz besonderes Verdienst der Veran-
stalterm der Zählungen, die ihre periodische Wiederkehr der Einsicht
der Cölner Stadtverordneten zu verdanken haben; denn allein die Gegen-
überstellung der Ergebnisse zweier Zählungen, die zu ganz verschiede-
nen Zeitpunkten im Laufe eines Jahres vorgenommen werden, ermög-
licht wirklich brauchbare Schlüsse zu ziehen und richtige Beobachtungen
zu machen, auf deren Grundlage dann erst entschiedene Maßregeln gegen
die Arbeitslosigkeit ergriffen werden können. Außerdem muß noch be-
merkt werden, daß Cöln eine der wenigen deutschen Städte ist, in denen
die alljährliche Vornahme von Arbeitslosenzihlungen durch Beschluß
der kommunalen Behörde angeordnet worden ıst.!) Die Zählungen er-
1) Die Arbeitslosenzählungen in Cöln wurden durch Stadtverordnetenbeschluß-
vom 23. Dezember 1903 angeordnet.
Cöln 93
strecken sich auf die am Tage vor der Zählung — die Zählungen er-
folgen an Sonntagen — unfreiwillig beschäftigungslosen Arbeiter mit
Einschluß der Handlungsgehilfen, Verkäufer usw. beiderlei Geschlechts,
soweit sie in der Lage und gewillt sind, eine sich bietende, entsprechende
Arbeitsgelegenheit zu benutzen. Es werden daher außer den erwerbs-
unfihigen Kranken auch alle diejenigen Personen ausgeschlossen, die
zur Zeit der Zählung noch in einem Lohnverhältnis stehen oder in ein
solches überhaupt nicht einzutreten beabsichtigen. Dahin gehören ins-
besondere solche Saisonarbeiter, die, am Stichtage ohne Arbeit in ihrem
eigentlichen Berufe, sich während der Geschäftsstille häuslichen Arbeiten
widmen, bei Angehörigen aushilfsweise tätig sind, der Erholung pflegen
und dergleichen mehr, aber keine anderweitige Beschäftigung suchen.
Wir betrachten in folgendem eingehender nur die ersten Cölner
Arbeitslosenzählungen und analysieren das zur Verfügung stehende Ma-
terial nach besonderen, aus der Darstellung ersichtlichen Gesichtspunkten;
hingegen von einer erschöpfenden Besprechung der Ergebnisse sämt-
licher bis jetzt vorgenommenen Erhebungen sehen wir ab, da das dem
Charakter der Arbeit kaum entsprechen dürfte und begnügen uns da-
her, dem Leser eine tabellarische Übersicht über die Gesamtergebnisse
aller Cölner Arbeitslosenzählungen vorzuführen.
Die erste Zählung vom 17. “Januar 1904 ermittelte 2507 männliche
Arbeitslose, von denen das Baugewerbe mit 668 und die Berufsgruppe
der Tagelöhner mit 743 Personen vertreten waren. Textil- und Papier-
industrie weisen mit je 4 Personen die kleinsten Arbeitslosenzitfern auf.
Im Alter von 18—30 Jahren standen 1053; von 30—60 Jahren 1231
beschäftigungslose Arbeitnehmer. Entgegen diesen mittleren finden sich
in den unteren und höheren Altersgruppen (bis 18 und über 60 Jahre)
sehr kleine Ziffern, nämlich 122 bzw. 101. Dem Familienstand nach
waren 1178 Arbeitslose ledig, 1241 verheiratet und 88 verwitwet. Die
Angaben über die Dauer der Arbeitslosigkeit sind sehr unvollständig,
sie fehlen bei 10°, der Arbeitslosen ganz. Die Fragen nach den Grün-
den der Arbeitslosigkeit zeigten bei 1791 Arbeitern allgemeine, von
ihrem Willen unabhängige Ursachen, während bei dem Rest der Ein-
tritt der Arbeitslosigkeit durch andere Verhältnisse bedingt war.
Die zweite Cölner Zählung vom 5. Februar 1905 ermittelte 2068
männliche und 127 weibliche arbeitslose Personen. Bei ersteren ist
gegen das Vorjahr ein Rückgang zu bemerken, ein Abschwächen der
Arbeitslosigkeit in den Kreisen der männlichen Arbeitnehmer. Hin-
sichtlich der Zahl der ermittelten weiblichen Arbeitslosen ist zu be-
merken, daß sie als völlig unzuverlässig anzusehen ist, was bereits bei
der ersten Zählung der Fall war und sich auch bei der dritten wieder-
holte. Infolge dieser Unvollständigkeit ist bei der Darstellung der drei
Cölner Erhebungen auf die Verhältnisse der männlichen Arbeitslosen
mehr eingegangen. Von besonderer Wichtigkeit sind die Feststellungen
94 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
der Célner Zählungen über den Umfang der Arbeitslosigkeit speziell in
der einheimischen Arbeiterschaft. Zu diesem Zwecke wurde den Er-
hebungsformularen noch die Frage nach dem letzten Arbeitsort der Ar-
beitslosen hinzugefügt. Die Zahl der ortsfremden Arbeitslosen er-
fuhr mit 366 Personen gegen 222 des Vorjahres eine erhebliche
Zunahme, die der einheimischen eine Abnahme von 2285 auf 1702.
Diese Verschiebung in der Zusammensetzung der Arbeitslosen hängt
wahrscheinlich zusammen mit der Verschiedenheit des Zählungstages
und der milden Witterung zu Beginn des Jahres 1905. Letztere führte
naturgemäß eine Steigerung der Arbeitsgelegenheit herbei, verursachte
damit eine Verminderung der Cölner Arbeitslosen und hatte einen stär-
keren Zuzug fremder Arbeiter zur Folge. Dem Familienstand nach
waren 1019 Arbeitslose verheiratet, 969 ledig und 80 verwitwet oder
geschieden. Die meisten beschäftigungslosen Personen, 922, gehörten der
zweiten Altersgruppe von 18—30 Jahren an. Ihnen folgen 543 40 bis
60jährige und 451 im Alter von 20—30 Jahren. Demnach hatten reich-
lich ?, das 40., knapp die Hälfte das 30. Lebensjahr noch nicht vollen-
det. Nach dem amtlichen Bericht wird die Dauer der Arbeitslosigkeit
bei Winterzählungen infolge der Geschiiftsstille, die in vielen Betrieben
gewöhnlich nach Weihnachten eintritt, wesentlich durch den Zählungs-
tag mit bestimmt. Von den Arbeitslosen des 15. Februar 1905 hatten
bereits vor Weihnachten 833 ihre Stellung verloren, nach Weihnachten
bis Ende Januar 631, in den letzten Wochen vor der Zählung 426. Als
Ursachen der Arbeitslosigkeit wurden bei 1607 Arbeitnehmern solche
festgestellt, die in allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder der
Eigenart der einzelnen Gewerbe begründet sind, während der Rest, 461
an Zahl, aus persönlichen Gründen wie Krankheit, Streik, Entlas-
sung wegen ungenügender Leistungen usw. beschäftigungslos wurden.
Von den einzelnen Berufsgruppen stellen die Bauarbeiter abermals die
Mehrzahl. Sie sind gegenüber den 963 Arbeitslosen der anderen Berufs-
gruppen mit 1105 Personen vertreten.
Die dritte Cölner Zählung, die am 30. Juli desselben Jahres statt-
fand, stellte «03 männliche und 85 weibliche Arbeitslose fest. Diese
ungeheuere Abnahme der Arbeitslosigkeit gegenüber den Ermittlungen
der Winterzählungen läßt sich naturgemäß sehr leicht erklären. Können
doch im Sommer zahlreiche Berufe im Freien ausgeübt werden, ohne
unter der Unbill der Witterung zu leiden wie im Winter. Zahlreiche
Gewerbe und deren Hilfsindustrien erweckt die Frühjahrssonne zu neuem
gewerblichem Leben. Das Baugewerbe, das gerade im Winter von der
Arbeitslosigkeit besonders stark heimgesucht wird, nimmt mit Eintritt
der milden Witterung gewöhnlich wieder in flottem Tempo die durch
Schnee und Eis unterbrochene Tätigkeit neu auf. Von den 703 Arbeits-
losen der dritten Zählung gehörten etwa 150 Personen dem Baugewerbe
an gegenüber den im Februar ermittelten 1105 Angehörigen dieser Be-
Cöln 95
rufsgruppe. Aus wirtschaftlichen Ursachen waren 327 arbeitslos ge-
worden, wegen persönlicher Gründe trat bei 315 Personen Beschäfti-
gungslosigkeit ein, 61 Arbeitslose machten keine Angaben.
Hinsichtlich der weiteren Cölner Zählungen lassen wir die ange-
schlossene Zusammenstellung sprechen, die dem Leser die Ergebnisse
auch der jüngsten Erhebungen vermittelt.
Die Arbeitslosen in Cöln 1904—1912.
Tag der Zählung Männliche Weibliche Zusammen
17. Januar 1904 2507 116 2653
5. Februar 1905 2068 127 2195
80. Juli 1905 703 85 788
4, Marz 1906 1059 118 1177
29. Juli 1906 640 73 718
17. Februar 1907 1854 111 1965
28. Juli 1907 652 50 702
19. Januar 1908 3621 163 3784
2. August 1908 1786 116 1902
24. Januar 1909 3282 196 3478
1. August 1909 2181 127 2308
23. Januar 1910 1738 104 1842
17. Juli 1910 1231 65 1296
22. Januar 1911 1891 89 1980
18. August 1911 834 47 881
28. Januar 19127) 1111 53 1164
Man erkennt aus der vorstehenden Zusammenstellung ohne weiteres,
daß die Intensität der Arbeitslosigkeit im Sommer ganz erheblich hinter
der im Winter zurücksteht und erblickt hierin den besten Beweis für
die Richtigkeit des Gesetzes, nach dem die Arbeitslosenziffer des Winters
stets größer ist als die des Sommers. Die diese Schwankungen verur-
sachenden Gründe sind bereits an anderer Stelle besprochen worden.
Im großen und ganzen leidet die Vergleichbarkeit der Ergebnisse
darunter, daß — abgesehen davon, daß die Zähltage nicht ganz die
gleichen sind — bis zum Jahre 1908 die Zählbogen über Mitglieder
der Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit, die als private Vereins-
anstalt in Cöln seit Mai 1896 besteht, sowie der Notstandsarbeiter nicht
wie später sämtlich ausgeschieden wurden, ferner, daß seit der Sommer-
zählung 1910 die Gemeinden Kalk und Vingst eingemeindet sind.
IV. Historischer Rückblick und methodologisch-vergleichende Übersicht.
Am Ende unserer historischen Betrachtungen über die städtischen
Arbeitslosenzählungen erschiene es vielleicht angebracht, eine tabella-
rische Zusammenstellung zu geben, um die Entwicklung der deutschen
1) Die letzte Arbeitslosenzählung fand an diesem Tage statt. Weitere Züh-
lungen werden vom Statistischen Amt nicht mehr veranstaltet, da der Arbeits-
markt infolge Erweiterung der städtischen Arbeitslosenversicherungskasse selb-
ständig beobachtet werden soll (Verordnung vom 24. Juni 1911).
96 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
kommunalen Arbeitslosenstatistik von den Anfängen bis in die neueste
Zeit in geeigneter Weise verfolgen zu können und dem Leser die ein-
zelnen Phasen im Zusammenhang vorzuführen. Auf Grund ausgedehn-
ter Sonderermittlungen sowie mit Hilfe des „Statistischen Jabrbuches
deutscher Stüdte“, des „Kommunalen Jahrbuches“ und der jüngsten Ver-
öffentlichungen des „Reichsarbeitsblattes“ könnten wohl die Mehrzahl
der in Betracht kommenden Städtezählungen festgestellt werden, so daB
die Tabelle relativ vollständig erscheinen dürfte Dabei müßten aber,
was besonders hervorzuheben ist, nur diejenigen Arbeitslosenzählungen
herangezogen werden, die völlig selbständig, ohne jede Anregung oder
Unterstützung von anderer, namentlich gewerkschaftlicher Seite, von
den größeren Gemeindererwaltungen vorgenommen worden sind und
über die regelmüßig Bericht erstattet wurde. Diejenigen Orte jedoch,
von denen keine oder nur mangelhafte Angaben vorliegen, entfallen von
selbst bzw. dürften auch nicht mit berücksichtigt werden. Somit erhellt,
daß ein vollständiges Bild in dieser Beziehung schwerlich geboten wer-
den kann; die in Aussicht genommene Zusammenstellung wird niemals
die sämtlichen bisherigen kommunalen Arbeitslosenzählungen in
Deutschland enthalten. Aus diesem Grunde sehen wir davon ab, die
geplante Tabelle, die wir bereits bei der Sammlung des Materials zu-
sammengestellt hatten, später jedoch infolge ihrer Unvollständigkeit
wieder ausschieden, hier vorzuführen und begnügen uns mit den folgen-
den Bemerkungen, um auf diese Weise die an sich erwünschte Übersicht
geben zu können.
Arbeitslosenzählungen sind seit dem Jahre 1908 in Deutschland
in sehr vielen Orten veranstaltet worden. Der ersten Periode, die vor-
nehmlich in den Winter 1908—1909 fällt, gehören allein 130 Zah-
lungen an. Von diesen sind jedoch die wenigsten rein kommunale. In
vielen Gemeinden wurde die Vornahme der Veranstaltung von den Ar-
beiterorganisationen angeregt und deren bereitwilligst angebotene Mit-
arbeit schon darum angenommen, um eine möglichst vollständige Er-
fassung der Zahl der Arbeitslosen zu erhalten. Im folgenden Jahre ist
eine merkliche Abnahme in der Zahl der Arbeitslosenzählungen einge-
treten, offenbar weil die Arbeiterorganisationen, die treibende Kraft in
der ersten Periode, diesmal nicht in dem gleichen Maße die Zählungen
und die Propaganda dafür für dringend notwendig hielten, zumal sich
ja auch die Arbeitsverhältnisse günstiger als im Vorjahre gestaltet hatten.
Im ganzen nahmen 25 meist kleine Orte Arbeitslosenziihlungen vor, von
denen nur2 von Gewerkschaften veranstaltet worden sind; bloß 10 dieser
Zählgemeinden sind größere Städte. Die dritte Periode, das Jahr 1910
bis 1911, weist 56 Arbeitslosenzählungen auf, die sich sehr ungleich-
mäßig über das Reich verteilen; 36 derselben haben allein im König-
reich Sachsen stattgefunden. Dank der allgemeinen Wirtschaftslage
in diesem Jahre bestand nämlich für die Gemeindeverwaltungen keine
Historischer Rückblick 97
Veranlassung, in so ausgedehntem Maße wie früher Arbeitslosenzäh-
lungen zu veranstalten. Die Erhebungen des Jahres 1910—1911 waren
also weniger durch eine sich etwa bemerkbar machende Notlage dik-
tiert, sondern fanden gewissermaßen mehr als Fortsetzungen der frühe-
ren oder auf Grund besonderer Abmachungen statt. Wir können jeden-
falls die erfreuliche Tatsache konstatieren, daß den Arbeitslosenzählungen
von den Gemeindeverwaltungen jetzt mehr Beachtung geschenkt wird
und sie sich allmählich einen festen Platz in der Praxis der kommuna-
len Statistik zu sichern beginnen. Veranstalten doch schon mehrere
Städte regelmäßige Arbeitslosenzählungen. Und einen weiteren Fort-
schritt brachte die 19310— 1911er Periode der Arbeitslosenstatistik. Sind
doch in diesem Jahre in 7 größeren deutschen Städten sowie in einigen
kleineren Orten Badens, das erstemal seit 1895, die Arbeitslosenzäh-
lungen in Verbindung mit der Volkszählung durchgeführt worden. Wir
werden nicht verfehlen, darauf an anderer Stelle nochmals gebührend
hinzuweisen. In den folgenden Jahren nimmt dann der Umfang der
Arbeitslosenzählungen im Deutschen Reiche im Vergleich zu den Vor-
jahren und unter Zugrundelegung des Verhältnisses der Zahl der be-
richtenden Orte zur Zahl der Orte, in denen Arbeitslosenzählungen ver-
anstaltet wurden, weiter ab. 1911—1912 wiesen noch 45, 1912—1913
nur noch 17 Städte Arbeitslosenzählungen auf. Der größere Teil da-
von entfällt wiederum auf Sachsen, das bereits seit 1910 auf Grund
ministerieller Verfügung eine regelmäßige Arbeitslosenstatistik aufge-
macht hat, worüber wir unten noch ausführlich handeln werden.
Es ist ebenfalls von nicht geringer Bedeutung, daß das „Kommu-
nale Jahrbuch“ seit 1908 eine gewisse Zentralisation in der Berichter-
stattung über die vorgenommenen Arbeitslosenzählungen durchgeführt
hat, die uns besser dünkt als die immerhin ältere des „Statistischen
Jahrbuches deutscher Städte“. Auf diese Weise kommen die Veranstal-
tungen wenigstens zur allgemeinen Kenntnis und werden weiteren Krei-
sen zugängig als es früher der Fall war. Die folgende Übersicht gibt
uns darüber Auskunft, wie viele von den an das „Kommunale Jahrbuch“
berichtenden Orten in den einzelnen Jahren Arbeitslosenzählungen ver-
anstalteten.
Jahr Zahl der berichtenden Orte mit Arbeitslosenzählungen
Orte absolut relativ
1908/09 250 130 66
1909/10 495 25 5
1910/11 592 56 9,4
1911/12 589 45 7,4
1912/13 600 17 2,8
Eine zusammenfassende Betrachtung sämtlicher kommunalen Ar-
beitslosenzählungen sowie eine eingehendere Besprechung ihrer Ergeb-
nisse muß aus technischen Gründen unterbleiben, da die Veranstaltungen
ausnahmslos durch zahlreiche ungünstige Momente stark beeinträchtigt
Horbst: Arheitslosenstatistik 7
98 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
worden sind. So würden vor allem eventuelle Vergleiche der einzelnen
Zählungsergebnisse miteinander kaum eine übersichtliche und klare
Darstellung erfahren können, wenn nicht von vornherein gar unmöglich
sein, da die mitunter beträchtlich voneinander abweichenden Erhebungs-
arten, die teilweise stark differierenden Termine sowie die bisweilen
recht verschiedenen Mittel, mit denen manche Zählungen ausgeführt
wurden, die Qualität des Materials auf ein Minimum herabdrücken und
somit seiner weiteren Verwendung ein Ziel setzen. Hingegen erscheint
es vielleicht nicht ganz unangebracht im Gegensatz zu den früheren
Zählungen, den neueren und namentlich den im Königreich Sachsen
veranstalteten, um das hier gleich vorwegzunehmen, etwas mehr Be-
achtung zu schenken. Denn diese Erhebungen fallen ausnahinslos auf
einen Termin und werden gleichfalls mit kaum bemerkenswerten Ab-
weichungen auf Grund ein und derselben Methode durchgeführt. Das
bei den sächsischen Arbeitslosenzählungen zur Anwendung gelangende
System, das auf der Benutzung der Personenstandsaufnahmen zu
Steuerzwecken beruht, hat im Königreich Sachsen bereits eine gewisse
historische Bedeutung und Berechtigung erlangt, indem hier die über-
haupt ersten Arbeiten soleber Art vorgenommen wurden. Trotz dieser
methodologischen und zeitlichen Übereinstimmung, die zu Vergleichen
und Betrachtungen gleichsam aufzufordern scheint, können wir uns auch
hier nicht enthalten, den Ergebnissen der sächsischen Zählungen teil-
weise die wissenschaftliche Bedeutung abzusprechen. Bereits ein kurzer
Blick über die Zahlenreihen, die die Ergebnisse dieser Erhebungen ent-
halten, muß unbedingt und ohne Zweifel die Überzeugung hervorrufen,
daß die in Frage kommenden Ziffern nur bedingten Anspruch darauf er-
heben können, als verwertbare oder gar vergleichbare angesehen zu werden.
Namentlich für die kleineren sächsischen Ortschaften, die sich an den
erwähnten Zählungen mit beteiligten, trifft die geübte Kritik ohne wei-
teres zu. Es ist wohl kaum mit den tatsächlichen Verhältnissen in Ein-
klang zu bringen, wenn manche Gemeinden keinen oder nur wenige
Arbeitslose aufweisen. Vor allem ist das fast völlige Fehlen der weib-
lichen Arbeitslosen auffällig. Jedenfalls sind diese negativen Resultate
in erster Linie auf ungünstige lokale Verhältnisse in den einzelnen Zähl-
gebieten zurückzuführen, worunter auch die praktische Anwendung der
sonst so bewährten Dresdner Methode zu leiden hatte.
Wenden wir uns nunmehr noch einer kurzen Betrachtung der me-
thodologischen Seite der kommunalen Arbeitslosenzählungen zu und
versuchen an der Hand der folgenden Zusammenstellung uns einen Über-
blick über die verschiedenen bisher zur Anwendung gelangten Metho-
den zu verschaffen.
1. Zählung von Haus zu Haus.
2. Öffentliche Aufforderung zur Selbstmeldung (Stuttgarter oder süddeutsche
Methode, Meldesystem).
Historischer Riickblick 99
3. Öffentliche Aufforderung zur Einzeichnung in eine öffentlich aufgelegte Liste.
4. Öffentliche Aufforderung zur Selbstmeldung durch den Oberbürgermeister.
5. Indirekt auf Grund der Personenstandsaufnahmen zu Steuerzwecken (säch-
sische Methode). |
6. Ausfüllung einer Zählkarte für jeden beim Arbeitsnachweis sich meldenden
Arbeitsuchenden.
7. Feststellung der Arbeitsuchenden, denen durch das städtische Arbeitsamt
keine Stelle vermittelt werden konnte.
8. Meldung auf dem Bureau für Notstandsarbeiten.
9. Stichprobenerhebung in 31 Anwesen, die nach Auskunft des Statistischen
Amtes der Stadt Charlottenburg als Arbeitslosenzählung eigentlich gar
nicht in Betracht gezogen werden kann.
10. Kontrollerhebungen der Städte zu den beiden Reichsarbeitslosenzählungen
am 14. Juni und 2. Dezember 1895.
11. Ermittlung durch die Polizeiorgane.
12. Ermittlung durch die Armenpfleger.
Von über 200 Arbeitslosen in einem Zeitraume von etwa 10 Jahren
(1902—12) wurden 95, d.i. 42,61 Prozent, nach dem Meldesystem
vorgenommen. Von den übrigen Methoden erfreut sich noch die Zäh-
lung von Haus zu Haus besonderer Beliebtheit, sie ist in 72 Fällen,
d. i. 32,29 Prozent, zur Anwendung gelangt. Mit einer immerhin gerin-
geren Zahl, 49, d i. 21,97 Prozent, ist die sächsische oder Dresd-
ner Methode vertreten. Es ist bedauerlich, daß gerade das mit
am meisten zuverlässige System so wenig Anklang gefunden hat und
außer in Dresden, dem Ort seiner Entstehung, sowie den übrigen
sächsischen Gemeinden, fast nirgends zur Anwendung gelangt ist. Der
Rest, es sind im ganzen 20 Fälle, verteilt sich auf die am wenigsten
brauchbaren Methoden, die wohl nur dem jeweiligen Bedürfnis der Ver-
anstalter ihre praktische Durchführung zu verdanken hatten.
Wollte man danach nun derjenigen Methode, die die höchste Zahl
der in der Praxis angewandten Fälle aufweist, den unbedingten Vorzug
vor allen übrigen zusprechen, so müßte man das Meldesystem als das
einzig brauchbare anerkennen und die Zählung von Haus zu Haus
in zweiter Linie zur Anwendung empfehlen. Dabei würde jedoch wohl
einer solchen Auffassung der Vorwurf der Einseitigkeit nicht erspart
bleiben, denn die Brauchbarkeit einer Methode wird nicht allein durch
die Menge der Fälle ihrer praktischen Anwendung bewiesen, sondern
beurteilt sich in erster Linie nach den Ergebnissen, die in der Praxis
gezeitigt worden sind. Und letzteres ist gerade beim Meldesystem in
empfindlicher Weise zu vermissen. Schon bei der kritischen Darstellung
der Methoden der kommunalen Arbeitslosenstatistik haben wir auf diese
Mängel hingewiesen und werden darauf noch besonders im Schlußkapitel
dieses Abschnittes zurückkommen bzw. die persönlichen Ansichten der
Veranstalter von Zählungen, bei denen das Meldesystem angewandt
wurde, zu Worte kommen lassen. Im übrigen sollen die vorstehenden
Ausführungen nur den Zweck haben, davor zu warnen, den Methoden,
l e
100 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
die ein zahlenmiBiges Übergewicht der in der Praxis angewandten Fälle
aufweisen, aus eben diesen Griinden einen unbedingten Vorzug vor den
anderen, in nur wenigen Fällen praktisch durchgeführten, zuzusprechen.
Die deutsche kommunale Arbeitslosenstatistik hat, wie wir aus den
historischen Betrachtungen ersehen haben, neben einer Reihe von Fehl-
schliigen auch eine Anzahl schöner und bedeutender Erfolge zu ver-
zeichnen. Dresden, Cöln, Nürnberg, Hannover und vielleicht auch
noch Stuttgart haben a daB es durchaus nicht zu den Unmög-
lichkeiten gehört, regelmäßige, methodisch durchgebildete — soweit es
der gegenwärtige Stand der Arbeitslosenstatistik eben zuläßt — Arbeits-
losenzählungen vorzunehmen. Mögen diese Beispiele Nachahmung finden
und die größeren Städte des Deutschen Reiches veranlassen, sich der Frage
der Arbeitslosenstatistik in Zukunft etwas mehr zu widmen als es bis-
her allgemein der Fall war.
§ 5. Die Verdienste der städtischen Statistischen Ämter um
die kommunale Arbeitslosenstatistik.
In den vorstehenden Kapiteln über die kommunale Arbeitslosen-
statistik und die praktische Anwendung ihrer Methoden haben wir be-
reits zum Teil der Veranstalter und Förderer dieses ungemein wichtigen
Zweiges der Sozialstatistik Erwähnung getan, ohne jedoch ihren Bemü-
hungen die verdiente Anerkennung besonders zu zollen. Es wird für den
Leser daher nicht ganz ohne Interesse sein, wenn wir die folgenden
Zeilen den Verdiensten der Veranstalter, Leiter und Förderer der kom-
munalen Arbeitslosenstatistik widmen, um das Versäumte an dieser Stelle
nachzuholen.
Die Vornahme selbständiger Arbeitslosenzählungen ist in erster
Linie durch die städtischen Statistischen Ämter erfolgt, denen wir un-
bedingt das Verdienst zusprechen müssen, ungemein fördernd auf dem
Gebiete der Arbeitslosenstatistik gewirkt zu haben. Veranlaßt durch die
Gemeindeverwaltungen, Rat und Stadtrerordnetenversammlung, vielfach
aber auch aus eigener Initiative den sozialen Wert solcher Erhebungen
erkennend und demgemiB bei der vorgesetzten Behörde vorstellig ge-
worden, haben die Statistischen Ämter ihr Augenmerk der bisher stark
vernachlässigten Arbeitslosenstatistik zugewandt und sich mit Eifer und
Nachdruck in ihren Dienst gestellt. Ein Blick auf die Darstellung der
historischen Entwicklung der deutschen kommunalen Arbeitslosenstati-
stik zeigt, namentlich seit 1907, deutlich die Zunahme der Zahl der
Orte, in denen die Statistischen Ämter besondere Arbeitslosenzählungen
veranstaliet haben
In Dresden veranstaltete am 19. Januar 1902 das sozialdemokra-
tische Gewerkschaftskartell mit Hilfe freiwilliger Arbeit von Parteige-
nossen eine Arbeitslosenzählung, die etwa 7500 Arbeitslose in Dresden
Verdienste der Statistischen Amter 101
und gegen 2500 in den Vororten ermittelte. Es liegt klar auf der Hand,
daB nach der ganzen Eigenart der Erhebung diese Ergebnisse kaum als
brauchbare bezeichnet werden konnten, besonders da der eigentliche
Zweck, Benutzung des Materials als Agitationsmittel, zu sehr durch-
schimmerte. Dadurch fühlte sich das Dresdner Statistische Amt veran-
laßt, eine amtliche Arbeitslosenzählung vorzunehmen und die Übertrei-
Deeg der gewerkschaftlichen Erhebung zu widerlegen. Der damalige
Vorsteher des Amtes, Wiirzburger, dad nicht W iedteld, wie einige
Quellen berichten, trat ganz besonders fiir derartige Maßnahmen ein
und legte es den städtischen Behörden dringend nahe, die Arbeitslosen-
statistik nicht einseitig und nachlässig, sondern mit Nachdruck und
periodisch in bestimmten Zeiträumen vorzunehmen. Der Antrag des
Statistischen Amtes fand bei den Behörden der Stadt Anklang und so-
mit werden in Dresden, wie schon bekannt, nach Beschluß der städti-
schen Kollegien alljährlich Arbeilslösenzählingen ausgeführt.
Neben Dresden ist noch besonders Cöln zu erwähnen, wo gleich-
falls auf Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 23. Dezem-
ber 1903 lange Zeit hindurch alljährliche Arbeitslosenzählungen vorge-
nommen wurden. Sind bei befden Städten Urheber und Veranstalter
dieselben, Behörde und Statistisches Amt, so besteht jedoch in metho-
dologischer Hinsicht ein beträchtlicher Unterschied: In Dresden be-
ruht die Vornahme der Erhebung auf der Benutzung der Personen-
standsaufnahmen zu Steuerzwecken, Cöln wandte dagegen die Me-
thode der hausierenden Zählung an.
In vielen Fällen ist das städtische Statistische Amt nicht die allei-
nige Veranstalterin der Arbeitslosenzählungen; wenn auch die Fäden
der Erhebung jederzeit im Amt zusammenlaufen und diesem stets die
Bearbeitung des Materials zukommt, so ist es doch bisweilen, sei es in-
folge von Arbeitsüberhäufung, sei es aus anderen Gründen, Mangel an
Personal oder finanziellen Mitteln, gezwungen, die Ausführung der Zäh-
lung fremden Organen anzuvertrauen. Als Hilfsorgane fungieren viel-
fach Polizei- und Wohlfahrtsbeamte sowie die Armenpflegerschaft, die
besonders bei den Essener und Ludwigshafener Zählungen des
Jahres 1893 selbständig in Aktion trat; daneben stehen den städtischen
Ämtern auch noch freiwillige Zähler zur Durchführung der Erhebung
hilfreich zur Seite. Ferner ist es auch nicht selten, daß das städtische
Statistische Amt im Verein mit dem Gewerkschaftskartell des Ortes
oder den einzelnen Gewerkschaften die Arbeitslosenzählungen vornimmt.
Letztere stellen die ausführenden Organe zur Verfügung, während dem
Amt die Aufsicht über die Veranstaltung, die Bearbeitung des Materials
und die Berichterstattung obliegt. Diese Gemeinschaftlichkeit geht mit-
unter so weit, daß Amt und Gewerkschaftskartell sich in die Kosten der
Erhebung teilen; ersteres trägt aber wohl fast stets die größere Summe,
während die finanzielle Beihilfe des Kartells selten von Bedeutung sein
102 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
dürfte; das Gegenteil wäre aber aus verwaltungspolitischen Gründen
auch kaum zu empfehlen.
Vereinzelt stehen die der Anfangsperiode der kommunalen Arbeits-
losenstatistik angehörenden Fälle da, in denen eine Arbeitslosenzählung
vollkommen ohne Mitwirkung des städtischen Statistischen Amtes zur
Durchführung gelangt ist. Einmal in Aachen im Jahre 1891 waren es
die Arbeitslosen selbst, die im Verlaufe einer Versammlung den Gedan-
ken zum Beschluß erhoben, die Zahl der arbeitslosen Personen inner-
halb der Stadt festzustellen und im Anschluß daran zur Durchführung
brachten’); das andere Mal in Kassel im Jahre 1893 fühlte der oberste `
Verwaltungsbeamte der Stadt das dringende Bedürfnis, den Umfang der
Arbeitslosigkeit in dem ihm unterstellten Gebiet festzustellen und ord-
nete demgemäß eine Arbeitslosenzählung an.?)
Alles in allem können wir jedoch keinesfalls umhin, den städtischen
Statistischen Ämtern das uneingeschränkte Verdienst zuzusprechen, un-
gemein fördernd auf die Entwicklung und Vervollkommnung der kom-
munalen Arbeitslosenstatistik eingewirkt und dazu beigetragen zu
haben, daß diesem wichtigen Zweige der Sozialstatistik auch von Amts
wegen die bisher versagte Beachtung geschenkt wurde. Abgesehen von
den wenigen besprochenen Fällen haben die städtischen Statistischen
Ämter die meisten uns bekannten kommunalen Arbeitslosenzählungen
ins Leben gerufen, organisiert und fast ausnahmslos selbständig durch-
geführt. Somit gebührt ihnen bzw. ihren jeweiligen Leitern die voll-
kommenste Anerkennung, die erfolgreichen Bemühungen und Leistungen
als wohlberechtigtes Verdienst ohne weiteres zu zollen ist.
8 6. Kritische Gesamtbetrachtung.
Wie an anderer Stelle bereits die Methodologie der deutschen kom-
munalen Arbeitslosenstatistik einer kritischen Betrachtung unterworfen
worden ist, so soll in folgendem der Versuch gemacht werden, in ent-
sprechender Weise ihre praktische Anwendung zu behandeln und die
interessante Frage zu diskutieren, welchen Wert die Arbeitslosenzäh-
lungen für die Praxis der Gemeindeverwaltungen haben. Die Meinun-
gen darüber sind sehr verschieden und es würde zu weit führen, die
vielen geteilten Ansichten über den praktischen Wert der kommunalen
Arbeitslosenstatistik hier aufzuzählen, auf ihre Brauchbarkeit zu unter-
suchen und zu erörtern. Wir begnügen uns daher mit einigen Mittei-
lungen zuverlässiger Urteile aus den nächstbeteiligten Kreisen selbst,
also der einzelnen Gemeindeverwaltungen bzw. städtischen Statistischen
Ämter, die die Arbeitslosenzählungen vorgenommen haben; wir vermei-
den zu den einzelnen Äußerungen eine kritische Stellung einzunehmen
1) Das Statistische Amt wurde 1901 errichtet.
2) Das Statistische Amt wurde 1905 errichtet.
Kritik 103
und lassen die städtischen Statistischen Ämter selbst sprechen, um durch
diese Objektivität eine Reihe brauchbarer fachmännischer Ansichten den
bisherigen zahlreichen, meist unmaßgeblichen Meinungen gegenüberstellen
zu können.
Zur Erlangung der Urteile über den Wert der Arbeitslosenzählungen
seitens der betreffenden Städte selbst richteten die Bearbeiter des „Sta-
tistischen Jahrbuches deutscher Städte“ an die Veranstalter der Zäh-
lungen folgende Rundfrage hinsichtlich ihrer eigenen Meinung über die
Brauchbarkeit der Ergebnisse:
„Wie ist das Ergebnis der Arbeitslosenzählungen zu beurteilen, welche
Vorkehrungen gegen Doppelzählungen und Auslassungen konnten getroffen
werden? Haben die Zählungen ein praktisch verwertbares Ergebnis geliefert,
das gegenüber dem aus der Arbeitsnachweisstatistik bekannten etwas Neues
bot und die Kosten rechtfertigte?
In dankenswerter Weise hat eine Reihe von Städten diese Frage
beantwortet; ob die Nichtbeantwortung in den übrigen Fällen zum Teil
wenigstens eine Verneinung der letzten Frage bedeutet, bleibt dahin-
gestellt. Die einzelnen Äußerungen folgen auszugsweise, ohne wie be-
reits erwähnt kommentiert zu werden.
I. Cöln (Zählung von Haus zu Haus):
1. Die Ergebnisse der Arbeitslosenzählung gaben, wenigstens hinsichtlich der
männlichen Personen ein annähernd richtiges Bild über den Umfang der
Arbeitslosigkeit am Stichtage der Zählung, wenn auch einige Arbeitslose
übergangen wurden. Das Neue, was die Zählungen gegenüber der Ar-
beitsnachweisstatistik bringen, besteht darin, daß sie positive Angaben
über die Zahl der Arbeitslosen sowie ihre Gliederung nach Familienstand,
Alter, Ursache und Dauer der Arbeitslosigkeit ermöglichen, ganz abge-
sehen davon, daß sich die Arbeitslosen zu Zeiten großer Erwerbslosigkeit
überhaupt nicht beim Arbeitsnachweis meldeten. Die Zählungen liefern
daher die verhältnismäßig zuverlässigsten Unterlagen für die Maßnahmen
der städtischen Verwaltung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (19. Ja-
nuar und 2. August 1908 sowie 24. Januar 1909).
2. Die weiblichen Arbeitslosen scheinen unvollständig erfaßt zu sein, die
männlichen dürften dagegen im wesentlichen alle gezählt sein. Nur bei
Berufsarten mit starkem Stellenwechsel, z. B. Kellnern, gibt die Zählung an
einem einzelnen Tag kein vollständiges Bild. Zu einem zuverlässigen Ur-
teile über den Arbeitslosenbestand erscheinen die Zählungen ebenso be-
gründet und geboten wie z. B. hinsichtlich des Schlachtviehbestandes, des
Bevölkerungsbestandes usw. (1. August 1909 und 23. Januar 1910).
3. Die Urteile der Städte Nürnberg, Würzburg und Fürth stimmen im
wesentlichen mit dem Cölner überein und rechtfertigen gleichfalls die An-
wendung der Zählung von Haus zu Haus; dementgegen sind Elberfeld,
Mannheim und besonders Halle a.S. in ihren Ansichten bedeutend
skeptischer und zweifeln die praktische Anwendung der Methode stark an,
schwankend zeigt sich Ludwigshafen a. Rh. (Etwas Neues boten die
Arbeitslosenzählungen für die Arbeitsnachweisstatistik nicht, dennoch las-
sen sich aber die dafür verwendeten Kosten rechtfertigen.)
II. Augsburg (Meldesystem):
1. Wir sind überzeugt, daß die Zählung den Grad der Arbeitslosigkeit rich-
tig wiedergegeben hat (22. Dezember 1908).
104 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
2. Es dürfte kaum anzunehmen sein, daß sich alle Arbeitslosen gemeldet hba-
ben, was schon daraus ersichtlich ist, daß nicht eine weibliche Person zur
Anmeldung gelangte (1. Februar 1910).
3. Deutsch-Wilmersdorf, Freiburg i. Br. und Karlsruhe sprechen sich
gleichfalls für das Meldesystem aus und empfehlen seine praktische
Anwendung, hingegen Rixdorf und Mühlheim a. Rh. zeigen sich als
Gegner der Methode.
IH. Rixdorf ‘Ermittlung durch die Hauseigentümer gelegentlich der Personen-
standsaufnahmen zu Steuerzwecken):
Die erste selbstündig von der Stadt nach Dresdner Methode vorgenommene
Zählung hat ein wenigstens im großen und ganzen zuverlässiges, nahezu
vollständiges Resultat ergeben (15. Oktober 1908),
IV. Bielefeld (Anschreibung beim Arbeitsnachweis):
Ein praktisch verwertbares Ergebnis haben die Zühlungen nicht gezeitigt,
da nicht sämtliche Arbeitslose beim Arbeitsnachweis um Arbeit nachgefragt
bzw. sich gemeldet haben (19. November und 3. Dezember 1908 sowie 21. Ja-
nuar und 26. Februar 1909).
V. Braunschweig (Feststellung der Arbeitsuchenden, denen durch das stüdti-
sche Arbeitsamt keine Stelle ermittelt werden konnte):
Wir sind zu dem Ergebnisse gelangt, daß jeder Versuch durch eine beson-
dere Auszühlung zuverlässige, brauchbare Unterlagen zu gewinnen, nach den
in Berlin u.a. Städten gemachten Erfahrungen außerordentliche unsichere
Ergebnisse erzielen würde (20. Januar 1909).
VI. Straßburg i. E.:
Arbeitslosenzählungen werden hier grundsätzlich nicht veranstaltet; sie geben
besten Falles nur ein für einen zufälligen Tag zutreffendes Bild über die
Arbeitslosigkeit, das jedoch infolge von Witterungsumständen sich täglich
ändern kann und in keiner Weise mit früheren Ziihlungen, selbst nur am
gleichen Ort vergleichbar ist. Ein guter Arbeitsnachweis macht solche Ziih-
lungen überflüssig.
Auf Grund dieser zahlreichen fachmännischen Urteile läßt sich
leicht ein Vergleich zwischen der vom Verfasser im 1. Kapitel dieses
Abschnittes an den Methoden der kommunalen Arbeitslosenstatistik ge-
übten Kritik und der Meinung des Praktikers anstellen.
Wenden wir uns zunächst der Zählung von Haus zu Haus zu
und befassen uns etwas näher mit dem Urteil der Stadt Cöln, in der
wir eine der Hauptvertreterinnen dieses Systems erblicken. Im großen
und ganzen wird die Methode als brauchbar angesehen und besonders
den an die Arbeitsnachweisstatistik angeschlossenen Zählungen vorge-
zogen. Hinsichtlich der männlichen Arbeitslosen scheinen die an die
Erhebung geknüpften Erwartungen so ziemlich erfüllt worden zu sein,
während man mit der Anwendung der Methode auf die Ermittlung der
weiblichen Arbeitslosen eine große Entäuschung erlebte. In letzterem
sieht das Urteil der Stadt Cöln den einzig wahren Mangel der Zäh-
lung von Haus zu Haus.
Im allgemeinen deckt sich die Meinung des Verfassers mit diesem
aus der Praxis entnommenen Urteil. Das System der Hauszählung
verdient entschieden den Vorzug vor den beiden anderen Methoden der
direkten Arbeitslosenzihlungen, dem einfachen Meldesystem und dem
Ca
SÉ
Kritik 105
verbesserten Meldeverfahren oder der sog. Bureauzählung. In
Cöln sind gewiß die ersten Bedingungen, die an das angewandte Sy-
stem gestellt werden müssen, erfüllt worden, und ein geeignetes Zähler-
personal zum Zwecke der Vornahme vorhanden gewesen.
Aus eigener Überzeugung können wir uns somit dem Cölner Urteil
gegenüber, an das sich außerdem noch einige andere Städte anschließen,
nicht anders als zustimmend verhalten und sind auf der anderen Seite
durchaus abgeneigt, die skeptischen Ansichten der übrigen Orte zu
teilen. Was letztere veranlaßt hat, der praktischen Anwendung der vor-
erwähnten Methode in der besagten, ziemlich scharf absprechenden
Weise entgegenzutreten, läßt sich wohl auf örtliche Mißstände und
sonstige Unregelmäßigkeiten, unter denen der Verlauf der Zählungen
zu leiden hatte, zurückführen. Dadurch wurde auch nicht unwesentlich
das Urteil ihrer Veranstalter beeinträchtigt.
Weniger Übereinstimmung herrscht hinsichtlich des Melde-
systems. Das zugrunde liegende erste Urteil der Stadt Augsburg
spricht sich rückhaltlos für die Brauchbarkeit der Methode aus und
empfiehlt gleich einer Anzahl weiterer Städte ihre praktische Anwen-
dung. Dementgegen müssen wir entschieden anderer Meinung sein.
Die Mängel der Methode sind so zahlreich, daß vom Standpunkt des
Verfassers aus ihre Anwendung iu der Praxis als von vornherein aus-
geschlossen erscheint. Sind dennoch erfolgreiche Versuche damit an-
gestellt und infolgedessen günstige Urteile über das System abgegeben
worden, so dürfte dies lediglich auf einem Zusammentreffen von beson-
deren Umständen beruhen und mehr der Zufälligkeit unterworfen sein.
Außerdem scheinen derartige Urteile nicht genügend objektiv zu sein
und die in Betracht kommenden Behörden wurden in ihrer Meinung
wohl auch von der einzigen guten Seite des Systems, nämlich Einfach-
heit, Bequemlichkeit nnd Billigkeit der Veranstaltung, mehr als nötig
beeinflußt und übersahen daher die übrigen Mängel.
In gewissem Sinne macht die Stadt Augsburg ihren ersten Fehler
wieder gut, da sie bei Gelegenheit der Arbeitslosenziihlung vom 1. Febr.
1910 ın ihrem Urteil von dem vorhergehenden beträchtlich abweicht
und die Brauchbarkeit der ermittelten Zahlen dahinstellt. Rıxdorfund
Mühlheim/Rh,, die gleichfalls einige Versuche mit dem Meldesystem
gemacht haben, sind noch radikaler und weisen die Methode ganz und
gar zurück. In diesem Falle ist es erfreulich, zu bemerken, daß die An-
sicht des Verfassers mit den vorerwähnten Urteilen identisch ist. Je hiufiger
das Meldesystem zur Anwendung gelangt, desto mehr werden auch
seine Mängel hervortreten und die Urteile, die anfangs für diese Art
der direkten Arbeitslosenzihlungen eintraten, da sie nur von einzelnen
Versuchen herrühren, werden dann sicher das Gegenteil aussprechen,
wofür ja auch bereits in einigen Fällen der Beweis erbracht worden ist.
Hinsichtlich der Methode, die auf der Verwendung der Personen-
~f
—t
106 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
standsaufnahmen zu Steuerzwecken beruht, liegt das in jeder Be-
ziehung günstige Urteil der Stadt Rixdorf vor. Diesem nicht beizu-
stimmen, ist kein Grund vorhanden, denn wenn Arbeitslosenzählungen
nach dieser Methode veranstaltet werden, so besteht von vornherein eine
gewisse Garantie für die Verwendbarkeit der gewonnenen Ergebnisse;
die Vorteile des Systems sind bereits an anderer Stelle gebührend her-
vorgehoben worden. Selbstverstiindlich haften ihm auch Nachteile an,
die aber, wie das Urteil aus der Praxis besagt, seine Brauchbarkeit
nicht beeinträchtigen.
Die übrigen Urteile brauchen wir mit Ausnahme desjenigen der
Stadt Straßburg i. E. nicht besonders zu berücksichtigen, da sie sich
auf Systeme beziehen, die den geringsten praktischen Wert besitzen
und aus diesem Grunde nur selten zur Anwendung gelangen. Was je-
doch die Meinung des Straßburger Statistischen Amtes über den
Wert der Arbeitslosenstatistik überhaupt betrifft, so können wir nicht
umhin, unsere entschiedene gegenteilige Ansicht darüber zu äußern.
Es ist geradezu unverständlich, wie von wissenschaftlich-statistischem
Standpunkt aus jemals eine solche unvertretbare Meinung aufkommen
konnte, die dann zu den bei dem genannten Amte geltenden Grund-
sätzen führen mußte. Und damit noch nicht genug; man ist auch der-
artig naiv, die Arbeitsnachweisstatistik mit der Arbeitslosenstatistik zu
identifizieren und in ersterer einen vollwertigen Ersatz für letztere zu
erblicken! Vorsichtigerweise enthält man sich dazu jeder weiteren Er-
klärung und stellt nur die bloße Tatsache fest; jedenfalls wäre es drin-
gend zu wünschen, wenn auch in Straßburg eine andere Überzeugung
Platz greifen und sich auch dort die Anerkennung des Wertes und der Nütz-
lichkeit einer wohlorganisierten Arbeitslosenstatistik durchsetzen würde.
Am Ende dieser Betrachtung sei noch ein kurzes Wort über den
gegenwärtigen Stand der deutschen kommunalen Arbeitslosenstatistik
und diejenige Methode gestattet, welche nach unserer Meinung den
unbedingten Vorzug vor den anderen verdient und für die Anwendung
in der Praxis als die gegebene erscheint.
Cöln und Dresden sind die einzigen Städte im Deutschen Reiche,
deren Behörden von der Bedeutung einer geordneten Arbeitslosen-
statistik für die städtische Verwaltung überzeugt, sich ihre Förderung
stets zur Aufgabe gemacht haben und dementsprechend gegenwärtig in
dieser Hinsicht eine wohlorganisierte Einrichtung besitzen. Sie haben
es nicht, wie es in anderen Städten der Fall ist, bei wenigen erfolg-
losen Versuchen bewenden lassen und durch diese abgeschreckt von
weiteren Bemühungen abgesehen, sondern unentwegt an dem einmal
gefaßten Entschlusse festgehalten und somit auf dem Gebiete der kom-
munalen Arbeitslosenstatistik beachtenswerte Erfolge erzielt. Gerade
die periodische Weiterführung von Arbeitslosenzählungen erhöht den
Wert der Ergebnisse ungemein und läßt erst dann brauchbare Schlüsse
Kritik 107
und verwendbare Beobachtungen zu. Erhebungen über die Arbeits-
losigkeit müssen entschieden in dieser Weise vorgenommen werden,
alljährlich wiederkehrend, an einem bestimmten Tage und nicht etwa
zu Zeiten von Krisen oder sonstigen Störungen des Arbeitsmarktes.
Die Veranstaltung von Arbeitslosenzählungen muß dem steten Bediirf-
nis der Verwaltung entspringen, jederzeit über die Lage der arbeiten-
den Bevölkerung unterrichtet zu sein und die Schwankungen des Arbeits-
marktes immerfort beobachten zu können. In diesem Sinne haben Cöln
bis zum Jahre 1912 und Dresden bis auf den heutigen Tag ihre Er-
hebungen durchgeführt. Während letzteres seinen Ziihlungen die mo-
derne Methode der Personenstandsaufnahmen zugrunde legt, hält
Cöln die ganze Zeit über an der Hauszählung fest. Trotz dieses Unter-
schiedes in der Anwendung der Methoden, kann nicht ohne weiteres,
wie man annehmen sollte, der einen oder anderen Stadt ein unbedingter
Vorzug gegeben werden. Im Gegenteil kann man diese beiden kom-
munalen Arbeitslosenstatistiken als gleichwertig ansehen. Damit erscheint
auch die Ansicht als gerechfertigt, die unterschiedslos sowohl der auf
der Hauszählung als auch der auf den Personenstandsaufnahmen
beruhenden Methode einen gewissen praktischen Wert zuerkennt, denn
diejenigen Systeme, deren sich die Praxis wiederholt mit Erfolg bedient
hat, erbringen dadurch klar den Beweis ihrer Brauchbarkeit. Somit
können wir wohl sicher sein, wenn wir den beiden erwähnten, in Cöln
und Dresden zur praktischen Anwendung gelangten und noch gelan-
genden Methoden der kommunalen Arbeitslosenstatistik den Vorzug vor
allen übrigen geben.
Jedoch ist damit noch nicht die Lösung des Problems einer ge-
nauen fortlaufenden Arbeitslosenstatistik gegeben. Erstere kann nur
zur Wirklichkeit werden, wenn sich eine nach jeder Richtung hin brauch-
bare Methode in den größeren Städten des Reiches durchsetzt. Und da-
zu ist weder allein das System der Hauszählung, noch das auf den
Personenstandsaufnahmen beruhende imstande und ebensowenig
die Benutzung der durch die Krankenversicherung gegebenen Daten
unter der Bedingung ihres weiteren Ausbaues’), während die übrigen
bekannten Methoden für diese wichtige Frage von vornherein gar nicht
in Betracht kommen. Es wäre nur darın ein Ausweg zu erblicken,
wenn eine zweckmäßige Verbindung der beiden brauchbarsten Methoden
zur Durchführung gelangen könnte, denn davon, ein vollkommen neues
System zu schaffen, kann wohl abgesehen werden, da doch die seit
Jahren wiederholte praktische Auwendung der beiden Hauptsysteme
‘deren Wert genügend verbürgt. Somit geht unser Vorschlag dahin, die
Personenstandsaufnahmen mit der Hauszählung zu verbinden
1) Nach Silbergleit (Rapport 2 der Conference internationale du chömage,
Paris 1910) basiert die endgültige Lösung des Problems auf der Benutzung des
Materials der Krankenversicherung.
108 Dritter Abschnitt. Die kommunale Arbeitslosenstatistik
und zwar dergestalt, daB letztere sozusagen als Kontrollerhebung
der auf ersterer Methode beruhenden Zählung zur Anwendung gelangt,
etwa wie es Dresden schon praktisch durchführt. Wird eine Arbeits-
losenzählung im Anschluß an die zu Steuerzwecken erfolgenden Per-
sonenstandsaufnahmen vorgenommen, so müssen zuverlässige Er-
gebnisse gezeitigt werden, da damit zugleich eine analoge Zählung der
entsprechenden Beschäftigten verbunden ist, wodurch erst die Resultate
an Wert gewinnen. Und findet dann, in angemessener Zeit danach, eine
revisionierende Hauszählung statt, die sich natürlich nur auf die bei der
ersten Erhebung, die ihrem Charakter nach naturgemäß alle Kreise der
Bevölkerung erfaßte, ermittelten arbeitslosen Personen erstrekt, so darf
den gewonnenen Ergebnissen eine gewisse Anerkennung von der Wissen-
schaft und Praxis kaum versagt werden. Außerdem können noch die-
jenigen Arbeitslosenzählungen, die auf der Grundlage der Volks- und
Berufszählung beruhen, Anspruch auf Brauchbarkeit und Zuverlässig-
keit erheben und die Vornahme ersterer im Anschluß an letztere ist
nur zu empfehlen. Doch dabei ist das eine zu beachten, daß die Volks-
und Berufszählungen aus technischen Gründen nicht in kürzeren
Zeiträumen wiederholt werden können, während die Personenstands-
aufnahmen zu Steuerzwecken in bestimmten, kürzeren Zeitabständen
vorgenommen werden müssen und dementsprechend der Anschluß der
Arbeitslosenzählungen an sie eher zu befürworten ist. Hat man sich
nun für letzteres entschieden, so ist damit gleichzeitig die Frage des
Zeitpunktes, an dem solche Erhebungen stattzufinden haben, gelöst.
Die Vornahme der Personenstandsaufnahmen erfolgt in der Regel zu
Beginn des letzten Vierteljahres, zu einer Zeit, in der das Wirtschafts-
leben der für eine Arbeitslosenzählung besonders in Betracht kommen-
den Berufe und Gewerbe den geringsten Schwankungen unterworfen
ist. Wird nun eine Arbeitslosenzählung in der Übergangsperiode ver-
anstaltet, so können ihre Ergebnisse naturgemäß niemals irreführende
Maximal: oder Minimalzahlen enthalten, was letzteres vor allem ın
stärkerem Maße für die Winter- und in geringeren für die Sommererhe-
bungen zutrifft. Die mittleren Jahreszeiten eignen sich somit am ehesten
für die Vornahme von Arbeitslosenzählungen.
Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß das Beispiel der Städte
Cöln und Dresden in Zukunft auch in den anderen größeren Städten
des Deutschen Reiches die verdiente Nachahmung finden und der deut-
schen kommunalen Arbeitslosenstatistik mehr Beachtung als bisher ge-
schenkt werden möge. Vor allem aber sollte sich der Gedanke durch-
setzen, daß der Wert der Arbeitslosenzählungen nicht auf einzelnen, in un-
regelmäßigen Zeitabschnitten vorgenommenen Veranstaltungen beruht,
sondern die wichtigste Grundlage einer zuverlässigen, brauchbaren
Arbeitslosenstatistik stets nur die regelmäßige, periodische Wiederkehr
methodologisch einwandfreier Erhebungen bildet.
Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik 109
Vierter Abschnitt.
Die staatliche Arbeitslosenstatistik.
A. Das Reich.
I. Direkte Veranstaltungen.
(Die Arbeitslosenzählungen des Jahres 1895.)
l. Vorgeschichte.
Die große Bedeutung, welche die sozialen und wirtschaftlichen
Fragen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erlangt haben,
erklärt die Entstehung und rasche Ausbreitung der Arbeitsstatistik,
In fast allen Staaten, in denen gewerbliche Tätigkeit in reichem Maße
entwickelt ist, hat sich die Arbeitsstatistik in wenigen Jahrzehnten zu
einem besonderen Zweig der Statistik herausgebildet. Rechnung tra-
gend einem durch die Zeitverhältnisse unumgänglichen Bedürfnis, denn
die moderne Sozial- und Wirtschaftspolitik benötigte Aufklärungen und
fortlaufende Beobachtungen der tatsächlichen Arbeitsverhältnisse, er-
richteten die Vereinigten Staaten von Nordamerika im Jahre
1869 für den industriereichen Staat Massachusetts ein arbeitsstatisti-
sches Amt, ein „Bureau of Statistics of Labor“, seiner Art nach das
erste überhaupt, als staatliche Sonderbehörde und wurden somit zum
Lehrmeister auf diesem Gebiete. Die europäischen Staaten, voran Eng-
land, folgten nach und nach dem amerikanischen Beispiel und errich-
teten gleichfalls arbeitsstatistische Ämter. Allein Deutschland schloß
sich diesem allgemeinen Vorgehen zögernd an und ließ es anfangs bei
einer Kommission für arbeitsstatistische Erhebungen, die nur enqueten-
artiger Natur waren, bewenden. Endlich, im Jahre 1902, setzt sich
auch in unserem Vaterland die allgemeine Anerkennung der Arbeits-
statistik durch und rechtfertigt ihre Bedeutung in der Errichtung eines
deutschen Arbeitsstatistischen Amtes, das dem Kaiserlichen Statistischen
Amt angegliedert ist.')
In Deutschland finden sich die Anfänge der Arbeitsstatistik bereits
wenige Jahre nach der Wiederaufrichtung des Reiches, abgesehen von
den gewerbestatistischen Erhebungen des Deutschen Zollvereins der
Jahre 1846 und 1861. Die erste arbeitsstatistische Erhebung ist die Reichs-
gewerbestatistik von 1875 zur Beschaffung einer genauen Grundlage für
1) Wir verweisen in diesem Zusammenhange auf die interessante Bespre-
chung „Arbeitsämter und arbeitsstatistische Ämter im Ausland“ im Reichsarbeits-
blatt 1914, Nr. 3, S. 206 ff.
110 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
die Kenntnis aller gewerblichen Tätigkeit. Diese sich über das ganze
Reich erstreckende erste Gewerbeziihlung wurde auf Beschluß des
Bundesrates von den einzelnen Regierungen vorgenommen und die Er-
gebnisse dem Reichskanzleramt zur Zusammenstellung überwiesen. Dann
folgten soziale und wirtschaftspolitische Erhebungen zur Beleuchtung
der Arbeiterlage, die die Landesregierungen gleichfalls auf Veranlassung
des Bundesrates ausfiihrten; so im gleichen Jahre über die Verhältnisse
der Lehrlinge, Gesellen und Fabrikarbeiter sowie im folgenden über
die Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken. Die praktische Folge
dieser Untersuchungen war die Novelle zur Gewerbeordnung von 1878
zum Schutz und zur Erleichterung der Lage der jugendlichen Arbeit-
nehmer. Nicht unerwähnt bleiben sollen die Erhebungen wirtschaft-
licher Art der älteren Arbeitsstatistik über die Eisen-, Baumwollen-
Leinen-, Tabak- und Zuckerindustrie von 1883.
Besondere Anregungen für die Arbeitsstatistik bot die anfangs der
achtziger Jahre!) eingeführte Arbeiterversicherung, die Veranlassung
gab, mit der zweiten Gewerbestatistik von 1882 eine Berufszählung zu
verbinden. Wir begegnen in ihr der ersten systematisch durchgeführten
Berufszählung seit dem Bestehen des neuen Deutschen Reiches. Über-
troffen an Genauigkeit der Ergebnisse werden diese beiden ersten Zäh-
lungen durch die Berufs- und Gewerbezählung von 1895, mit der zu-
gleich die erste Arbeitslosenzählung von Reichs wegen verbunden wurde.
Die heftige Bewegung zugunsten von Maßregeln gegen die Arbeits-
losigkeit, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchsetzte, festigte
mehr und mehr die sozialpolitische Überzeugung, daß die durch die Be-
rufszählung seit 1882 gewonnenen Ergebnisse einer gründlichen Er-
neuerung durch Erhebungen über die Berufschichten der Bevölkerung
und über die gewerblichen Betriebsverhältnisse bedürftig wären. So
kam es, daß man sich von Reichs wegen mit der statistischen Seite des
Problems der Arbeitslosigkeit beschäftigte. Das Kaiserliche Statistische
Amt setzte das Jahr 1895 für eine Berufszählung fest und zwar erschien
die Vornahme dieser Erhebung im Sommer geboten, um dadurch eine
möglichste Vergleichbarkeit der beiden Ermittlungen von 1882 und
1895 zu wahren. Das Jahr 1895 war aber zugleich ein regelmäßiges
Volkszühlungsjahr. Verwaltungsinteressen stattgebend, die für eine regel-
mäßige Reihenfolge der deutschen Volksziihlungen sprechen, wurde trotz
der im Sommer vorhergegangenen Berufs- und Gewerbezählung die
Dezemberzählung zum Schrecken mancher Verwaltungsbeamten beibe-
halten. Mit beiden Zählungen wurden Erhebungen über den Stand der
Arbeitslosenfrage verbunden. Somit kann man das Jahr 1895 als sta-
1) Die Kaiserliche Botschaft Wilhelms I. vom 17. XI. 1881 diente zur Vor-
bereitung der 1883 ff. erlassenen Teilgesetze der deutschen Arbeiterversicherungs-
gesetzgebung und inaugurierte damit zugleich eine Arbeitsstatistik in Form einer
Berufastatistik.
Reichszählungen 1895 111
tistisches Jahr bezeichnen, als ein Ereignis von zweifellos großer Bedeu-
tung in der Geschichte der Volkszühlungen, das in seiner Eigenart bis-
her unbekannt war und wohl auch so bald nicht wiederkehren wird.
Diese zweimalige erschöpfende Erhebung in demselben Jahre als Gegen-
überstellung der Sommer- und Winterergebnisse über die Berufs- und
soziale Schichtung der Bevölkerung Deutschlands ist von höchstem
Werte für die Sozialwissenschaft und stellt dieser ein ungemein wert-
volles Material zur Verfügung.
2. Methodologie.
Um bei Gelegenheit der Berufszählung am 14. Juni 1895 und der
Volkszählung am 2. Dezember 1825 den Umfang der Arbeitslosigkeit
im Reiche, d. h. die Zahl derjenigen Arbeitnehmer, die an den beiden
Tagen weder in ihrem gelernten Berufe noch sonstwie in einem Arbeits-
verhältnis standen, festzustellen, richtete man in den Haushaltungslisten
der Berufszählung und den Formularen der Volkszählung sowohl an
die männlichen wie weiblichen Arbeitnehmer drei Fragen, die, in fol-
gende Weise zusammengefaßt, in die Zählungsbogen aufgenommen
wurden:
„Für männliche und weibliche Arbeiter, Dienstboten, Gesellen und
sonstige Arbeitnehmer, auch für Hausindustrielle und Heimarbeiter,
mit Ausschluß der dauernd völlig Erwerbsunfähigen.“
|
Wenn Nein
Ob gegenwiirtig
in Arbeit (in
Stellung)
ja oder nein
EE Ob auBer Arbeit (Stellung) wegen |
T B ké (ëm H D
ge EE E vorübergehender Arbeitsunfähigkeit `
|
ja oder nein
15 16 17
Die erste der drei Fragen sollte von jeder männlichen und weib-
lichen Person beantwortet werden, die bereits in den Spalten 8 und 9
der Haushaltungsliste mit einem Hauptberuf und in diesem als Arbeit-
nehmer, als Arbeiter oder Tagelöhner in einem bestimmten oder wech-
selnden Erwerbszweig, als Geselle, Gehilfe, Dienstbote oder als Angestellter
irgend einer Art eingetragen war. Die dauernd völlig Erwerbsunfühigen
waren, wie bereits erwähnt, von der Fragestellung ausgeschlossen. Des-
gleichen erstreckte sie sich nicht auf Ehefrauen ohne eigenen Beruf,
aus Reichs-, Staats- oder Kommunalkassen Pensionen beziehende Zivil-
und Militärpersonen, deren Witwen und Empfänger von Invaliden- oder
Unfallrenten, sofern diese wegen dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit
gewährt wurden. Als in Arbeit und Stellung befindlich sollten gelten
alle in Lohn und Arbeit Beschäftigten, solange das Lohnverhältnis
dauerte. Als Zustand vorübergehender Arbeitsunfähigkeit war insbeson-
dere Krankheit anzusehen.
11? Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
3. Ergebnisse.
Die Ergebnisse der beiden Reichsarbeitslosenzihlungen des Jahres
1895 verdienen nach den verschiedensten Richtungen hin eine eingehen-
dere Beachtung als es sonst dem Charakter einer in der Hauptsache
methodologischen Abhandlung entsprechen diirfte, denn diese Veran-
staltungen sind nicht nur die ersten, sondern auch die bisher einzigen
staatlichen überhaupt, die sich über das ganze Deutsche Reich er-
strecken und eine beachtenswerte Rechenschaftsablage tiber die Arbeits-
losigkeit der gesamten Bevölkerung an zwei Stichtagen bilden. Wir
können uns jedoch an dieser Stelle mit einer referierenden Besprechung
der Ergebnisse begnügen, da die beiden Reichsarbeitslosenzählungen
bereits im amtlichen Quellenwerk ausführlich dargestellt sind. Aus
diesem Grunde haben wir auch davon abgesehen, dem Text die erforder-
lichen Tabellen beizugeben. Diese können der in unserem Literaturver-
zeichnis näher bezeichneten Reichsstatistik ohne weiteres entnommen
werden, wo sie sich, entsprechend der von uns vorgenommenen Ein-
teilung des Materials, für a (die Gesamtzahlen der Arbeitslosen) auf
S. 2, für b, e (die persönlichen Verhältnisse der Arbeitslosen) auf
S. 16, 19, 21, für b, B (Beruf und Berufsstellung der Arbeitslosen)
betr. der Zahlen der Arbeitnehmer auf S. 4 und 8, betr. der Berufs-
stellung auf S. 10, für e (die Gründe der Arbeitslosigkeit) auf S. 11,
für d (die Dauer der Arbeitslosigkeit) auf S. 13 und endlich für e (die
Arbeitslosigkeit in den einzelnen Bundesstaaten) auf S. 22 der Einleitung
befinden. Die folgende Besprechung der Ergebnisse trägt jedenfalls
dem Wegfall der Tabellen Rechnung und ist bestrebt, einen vollstän-
digen Überblick auch ohne Zuhilfenahme des Zahlenwerks zu er-
möglichen.
a) Die Gesamtzahlen der Arbeitslosen.
Die Gesamtzahl der Arbeitnehmer betrug am 14. Juni 22110191,
am 2. Dezember 22315400, von denen sich im Sommer 299352 und
im Winter 771005 als arbeitslos bezeichneten. Der gewaltige Unter-
schied zwischen den im Juni und den im Dezember festgestellten Arbeits-
losenzahlen ist leicht erklärlich und beruht auf ganz selbstverständ-
lichen Gründen, denn im Winter erstarrt nicht nur das Leben der Natur,
sondern auch ein erheblicher Teil des gewerblichen Schaffens. Die
Arbeiter der im Freien auszuübenden Gewerbe und die ihrer Hilfs-
industrien werden beschäftigungslos. Die Mehrzahl der Betriebe ent-
faltet ihre größte Tätigkeit im Sommer und ist darum auch in der Lage,
weit mehr Arbeitskräfte zu beschäftigen als im Winter. Außerdem ist
noch zu berücksichtigen, daß die Winterzählung die Vagabunden voll-
ständiger aufgenommen hat als die Sommerzahlung, denn in der warmen
Jahreszeit nächtigen diese Individuen häufig im Freien und sind daher
für die Zählung schwer zu erfassen; Schnee und Kälte verbieten ihnen
Reichszählungen 1895 113
jedoch diese billige Ubernachtungsweise und treiben sie in die geschiitzten
Räume der Herbergen und Asyle, wo sie dann leicht den gelegentlich
einer Erhebung ins Haus flatternden Zahlungsformularen zum Opfer
fallen und eingetragen werden miissen.
Hinsichtlich der Verteilung nach dem Geschlecht überwiegt die
Arbeitslosigkeit der männlichen Arbeitnehmer im Sommer um etwa
150°% die der weiblichen; in gleichem Maße schreitet sie im Verhältnis
fort und macht im Winter nahezu denselben Prozentsatz aus. Im De-
zember befanden sich unter den 771005 Arbeitslosen 553578 männ-
liche und 207427 weibliche Personen.
Von Interesse ist auch der Vergleich zwischen Gesamtbevölkerung,
Arbeitnehmern und Arbeitslosen (allgemeine und spezielle Arbeitslosen-
ziffer) Von der etwa 51 Millionen Köpfe zählenden Bevölkerung un-
seres deutschen Vaterlandes sind 22 Millionen, fast die Hälfte, in beruf-
lich abhängiger Stellung tätig, um sich und ihren Angehörigen den
nötigen Lebensunterhalt zu verschaffen; nur 299352 Personen dieser
Millionenschar waren im Sommer erwerbslos. Die Gesamtzahl der Be-
völkerung vermehrte sich in der Zeit bis zum Dezember um etwa eine
halbe Million Köpfe, dementsprechend stieg auch die Zahl der Arbeit-
nehmer um etwa 200000. Die Zahl der Arbeitslosen schnellte aber um
eine halbe Million Köpfe empor. Dieser starke Zuwachs ist vorstehend
schon genügend erörtert worden.
b)DiepersönlichenundsozialenVerhältnisse der Arbeitslosen.
œ) Geschlecht, Alter und Familienverhältnisse,.
Die Untersuchung der persönlichen Verhältnisse der Arbeitslosen
konzentrieren wir auf die vier Hauptpurkte: Geschlecht, Alter,
Familienstand und Familienmitglieder. Bei einem Vergleiche der Ge-
schlechter überwiegt das männliche ganz bedeutend, sowohl die Som-
mer- als auch die Winterzählung zeigen ein entschiedenes Mehr bei
den männlichen Arbeitslosen. Wenn von den 22 Millionen Arbeitneh-
mern 15 Millionen männliche und 6 Millionen weibliche sind, so ist es
wohl auch erklärlich, daß die Arbeitslosigkeit bei der größeren Zahl der
Arbeitnehmer, also bei den männlichen, einen erheblicheren Raum ein-
nehmen muß als bei dem weiblichen Teil der arbeitenden Bevölkerung,
zumal die Frau in einigen Berufsabteilungen und -gruppen, die ihrem
Charakter nach den männlichen Arbeitnehmern ausschließlich vorbe-
halten sind, kaum beteiligt sein wird und ihre Betätigung mehr auf dem:
Gebiete der häuslichen Dienste, ev. der kaufmännischen Unternehmung
und schließlich der Landwirtschaft und Gärtnerei findet. Auch hier tritt
sie gegenüber dem Manne nur in beschränktem Maße auf. Somit läßt
sich die geringe Ausdehnung der Arbeitslosigkeit bei der weiblichen
Arbeitnehmerschaft verstehen. Die jüngeren Altersklassen machen in
der Regel den größten Anteil der Bevölkerung aus, sie stellen das stärkste
Herbst: Arbeitslosenstatistik 8
114 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Kontingent zur Zahl der Arbeitnehmer und würden dementsprechend in
der Zahl der Arbeitslosen am meisten vertreten sein, zumal da die ju-
gendlichen unerfahrenen Arbeitnehmer der Gefahr der Kündigung mehr
ausgesetzt sind, diese leichter nehmen und des öfteren mutwillig herbei-
führen als ihre älteren und besonneren Kollegen, die schon mit Rück-
sicht auf ihre Angehörigen die bereits erlangte Beschäftigung schwerer
und nicht so gern aufgeben.
Ein anderes Bild zeigt uns jedoch die Zählung von 1895; abwei-
chend von Gesetzmäßigkeit und Regel ergeben die Sommer- und Winter-
erhebungen, daß die höheren Altersklassen der Gefahr der Arbeitslosig-
keit mehr ausgesetzt sind als die jüngeren. Schuld daran mag sein so-
wohl die stärkere Erkrankungsgefahr der älteren Leute als auch die
Schwierigkeit für sie, wenn einmal arbeitslos, wieder Beschäftigung zu
finden. Die höchsten Altersgruppen jedoch sind entgegen aller Erwar-
tung an der Arbeitslosigkeit wieder verhältnismäßig gering beteiligt.
Die weitere Betrachtnng des Alters der weiblichen Arbeitslosen zeigt
ähnliche Erscheinungen: die Höchstzahl beschränkt sich auf die 2. Alters-
gruppe (20—30 Jahre) und nimmt mit zunehmendem Alter wieder ab.
Arbeitslosigkeit kommt also bei den bis 30 Jahre alten weiblichen Ar-
beitnehmern relativ häufiger, bei den über 30 Jahre alten relativ weni-
ger vor als bei den männlichen Arbeitnehmern. Der Zusammenhang
liegt darin, daB das weibliche Geschlecht nach der Verheiratung seine
frühere Beschäftigung meist aufgibt, um sich Haus und Familie inten-
siver widmen zu können und somit unter der Gruppe der Arbeitnehmer
im Vergleich zu dem männlichen Geschlechte überhaupt weniger zahl-
reich vorkommt.
Daß die Arbeitslosigkeit unter den ledigen Arbeitnehmern mehr
verbreitet ist als unter den verheirateten, bedarf wohl keiner weiteren
Erklärung. Es liegt dies in der Natur der Sache, weil ja die Arbeit-
nehmer überhaupt der Mehrzahl nach in den jüngeren Altersklassen
vorkommen und dementsprechend die Zahl der ledigen Arbeitnehmer
erheblich die der verheirateten übersteigt. Wie verheiratete weibliche
Arbeitnehmer viel seltener sind als ledige, so tritt auch bei ersteren die
Gefahr der Arbeitslosigkeit seltener auf als bei letzteren. Beim männ-
lichen Geschlecht hält sich die Zahl der ledigen arbeitslosen Arbeit-
nehmer mit der der verheirateten so ziemlich die Wagschale.
Von Wichtigkeit ist die Betrachtung des Verhältnisses, in dem die
arbeitslosen Arbeitnehmer zu ihren Familienangehörigen stehen. Sind
von ihnen Angehörige abhängig, die sie zu ernähren haben, so wirkt
der Eintritt der Arbeitslosigkeit in diese Kreise um so härter, je mehr
unterhaltsbediirftige Angehörige ein arbeitsloser Arbeitnehmer hat, desto
empfindlicher werden die Folgen eines Aussetzens der Berufstätigkeit
zu verspüren sein. Stehen jedoch einem arbeitslosen Familienvater er-
werbstätige Angehörige zur Seite, so läßt sich die Zeit der Beschäfti-
Reichszählungen 1895 115
gungslosigkeit leichter überwinden. Im Sommer 1895 verteilen sich auf
104520 arbeitslose Haushaltungsvorstände 67625 Hausfrauen, 126750
Kinder unter 14 Jahren und 18816 sonstige Familienangehörige; im
Winter desselben Jahres auf 317282 Haushaltungsvorstände ohne Er-
werb 217727 Ehefrauen, 426280 Kinder unter 14 Jahren und 59239
sonstige Familienangehörige. Hieraus läßt sich wenigstens allgemein er-
kennen, daß den arbeitslosen Haushaltungsvorstiinden des Jahres 1895
die Ernährung nicht allzu vieler Kinder zur Last fiel. Arbeitnehmer mit
ausgeprägt starken Familien werden wohl stets darauf bedacht sein, sich
ständig Arbeit und Verdienst zu sichern und sich nicht freiwillig den
Gefahren der Arbeitslosigkeit aussetzen.
DI Beruf und Berufsstellung.
Zur Beurteilung der Arbeitslosigkeit in den einzelnen Berufen
würde es von Vorteil sein, wenn eine Gegenüberstellung der Gesamtzahl
der beschäftigungslosen Arbeitnehmer überhaupt und der in einem je-
den Berufszweig vorkommenden stattfände. Doch sind leider in beiden
Zählungen keine Zusammenstellungen der beruflichen Nachweise erfolgt.
Außerdem erscheint eine Betrachtung der Arbeitslosigkeit in den ein-
zelnen Berufsarten und -gruppen wenig übersichtlich und führt auch zu
weit. Darum sind letztere zu fünf Berufsabteilungen zusammengefaßt,
die das Vorkommen der Arbeitslosigkeit nach der Berufsstellung cha-
rakterisieren sollen. Die meisten Beschäftigungslosen weist sowohl im
Sommer als auch im Winter Berufsabteilung II (Iudustrie, Baugewerbe,
Bergbau, Hüttenwesen) auf. Absteigend reihen sich daran im Sommer
Berufsabteilung IV (häusliche Dienste, Lohnarbeit wechselnder Art), I
(Land-, Forstwirtschaft usw.), III (Handel und Verkehr) und V (öffent-
liche Dienste); im Winter ergibt sich das gleiche Bild mit Ausnahme
der Berufsabteilung I, die vor die Berufsabteilung IV tritt. Die Berufs-
abteilung der Öffentlichen Dienste zählt bei weitem die wenigsten Ar-
beitslosen und hält sich Sommer wie Winter fast auf der gleichen Höhe,
was darauf zurückzuführen ist, daß die genannte Berufsabteilung die
Mehrzahl der etatmäßig angestellten Beamten umfaßt, die der Gefahr
der Beschäftigungslosigkeit wohl am wenigsten ausgesetzt sein dürften.
Die höchsten Ziffern finden sich dagegen Sommer wie Winter in Be-
rufsabteilung II und I bzw. IV. Es handelt sich dabei um die Arbeiter
einer ganzen Reihe von Gewerben, die im Freien ausgeübt werden, so-
wie deren Hilfsindustrien. Bei verhältnismäßig günstigem Wetter ist die
Zahl der Arbeitslosen Anfang Winters gewöhnlich noch niedrig, sobald
sich aber die Fröste einstellen, schnellt in den erwähnten Gewerben die
Arbeitslosenziffer gewöhnlich sehr hoch empor und nimmt erfahrungs-
gemäß noch zu, besonders zu der Zeit, wenn in den für den Weihnachts-
markt arbeitenden Gewerben die Saison vorüber ist. Dabei ist aber auch
wieder besondere Vorsicht angebracht, zumal bei der Betrachtung von
Ch
116 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Berufen, in denen Saisonarbeiter oder viel ungelernte Arbeiter vorkom-
men. Kin Vergleich der im Winter ermittelten Arbeitslosenzahl mit der
im Juni nachgewiesenen Gesamtzahl der Arbeitnehmer kann leicht zu
falschen Schlüssen führen, da es üblich ist, daß Saisonarbeiter nach Be-
endigung ihrer sommerlichen Tätigkeit sich zu Beginn des Winters an-
derweitige Beschäftigung suchen, in Winterberufe übergehen und somit
Anderungen in der Zahl der Erwerbstätigen der einen sowohl wie der
anderen Berufsart herbeiführen.
Die Erhebungen von 1895 weichen insofern nicht von der Regel ab,
als die besonders im Freien auszuübenden Gewerbe samt ihren Hilfs-
industrien die größte Zahl der Arbeitslosen aufweisen. Eine weitere Zer-
legung der in Betracht kommenden Berufsabteilungen und Berufsgrup-
pen erhöht nur noch die Beweiskraft der Behauptung, daß die im Freien
auszuübenden Gewerbe die Hauptzahl der Arbeitslosen, und zwar be-
sonders im Winter, enthalten. Berufsabteilung II zählte im Winter 1895
unter 6567500 Arbeitnehmern 391371 Arbeitslose und Berufsabteilung I
unter 5776800 Arbeitnehmern 208797 ohne Beschäftigung. In letzterer
stand von den einzelnen Berufsgruppen die Landwirtschaft mit 158340
Arbeitslosen und in ersterer das Baugewerbe mit 145121 erwerbslosen
Arbeitnehmern an der Spitze. Diese beiden Gruppen lieferten zusammen
303461, d. i. 63,3 Prozent aller Arbeitslosen. Das Gespenst der Arbeits-
losigkeit bedroht somit allwinterlich Hunderttausende der Arbeitnehmer,
die ihr Gewerbe vornehmlich im Freien ausüben müssen.
c) Die Gründe der Arbeitslosigkeit.
Die Feststellung der Ursachen der Arbeitslosigkeit mußte bei den
von Reichs wegen angestellten Erhebungen von vornherein unter einer
gewissen Ungenauigkeit leiden. In den Zählungsformularen war eine,
wenn auch nur beschränkte Aufzählung einer Anzahl von Ursachen, die
die Beschäftigung der befragten Personen unterbrachen, von selbst aus-
geschlossen. Die Reichsstatistik mußte sich deshalb auf eine Zweiteilung
der mannigfachen Ursachen der Arbeitslosigkeit beschränken und unter-
schied in den Zihlungsformularen nur Arbeitsunfähigkeit und andere
Gründe. Somit war immerhin die Zahl derer, die aus natürlichen Ur-
sachen und solchen, die aus eigenem Verschulden oder wirtschaftlichen
Gründen ohne Erwerb waren, festgestellt; die dauernd Erwerbsunfähigen
schloß die Zählung aus. Auf diese Weise wurde erwiesen, daß wegen
Arbeitsunfähigkeit weit weniger Personen ihre Erwerbstätigkeit unter-
brechen mußten, während die Mehrzahl der Arbeitslosen sich aus eigenem
Verschulden oder von der Partei gezwungen, dieser Gefahr aussetzten.
Und wieder steht Berufsabteilung II an der Spitze; sowohl im Sommer
als auch im Winter weist sie die meisten Arbeitslosen auf, die teils
wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus den anderen vorerwähnten Gründen
ihre Beschäftigung aufgaben oder einstellen mußten. Das Gleiche gilt
Reichszählungen 1895 117
auch von der Gesamtzahl der Arbeitslosen: im Juni waren */, beschäf-
tigungslos wegen Arbeitsunfähigkeit, %, aus anderen Gründen. Letztere
Kategorie steigt im Dezember auf *, und nur }/, sämtlicher Arbeits-
losen war wegen Krankheit an der Ausübung der gewohnten Tätigkeit
verhindert. Geht man auf eine nähere Untersuchung der einzelnen Be-
rufsgruppen oder gar Berufsarten ein, so treten mitunter starke Schwan-
kungen zwischen den Arbeitslosenzahlen der Kranken und der übrigen
Beschäftigungslosen hervor; nicht immer sind die wegen Arbeitsunfähig-
keit ohne Beschäftigung ermittelten Personen in der Minderzahl gegen-
über den aus eigenem Verschulden oder zwangsweise arbeitslos ge-
wordenen Arbeitnehmern.
Auf diesem Gebiete hat die kommunale Arbeitslosenstatistik wie-
der mehr geleistet als die staatliche, was wohl selbstverständlich ist,
denn derartige intensive, ins einzelne gehende Erhebungen, wie sie die
Städte als Nacherhebungen zur Reichszählung vornahmen, lassen sich
wohl eher in einem Stadtbezirk, kaum aber in einem großen Reichsge-
biet erfolgreich durchführen, zumal noch in einem Lande die jeweilige
Arbeitslosigkeit das Produkt verschiedenartigster Verhältnisse ist, die
sich nicht ohne weiteres in Zahlen ausdrücken lassen. Unter Hinweis
auf die bereits an anderer Stelle behandelte kommunale Arbeitslosen-
statistik brauchen wir hier nur zu bemerken, daß es einigen Städten ge-
lungen ist, die Ursachen der Arbeitslosigkeit nach sechs und mehr
Punkten zu charakterisieren.
d) Die Dauer der Arbeitslosigkeit.
Ein übersichtliches und erschöpfendes Bild von der Dauer der Ar-
beitslosigkeit konnte die Reichsstatistik nicht bieten, denn die Erhe-
bungen von 1895 waren nicht in der Lage, die als arbeitslos ermittelten
Arbeitnehmer bis zum Ende ihrer Arbeitslosigkeit zu verfolgen. Über
die wirkliche Gesamtdauer!) der Beschäftigungslosigkeit der Arbeit-
nehmer von 1895 Auskunft zu geben, wurde den kommunalen Ergän-
zungserhebungen überlassen. Einige Städte verschafften sich im Anschluß
an die Reichszählung Material, indem sie Erhebungen über den Zeit-
punkt der Wiederaufnahme der Beschäftigung durch die im Sommer
und Winter 1895 als arbeitslos ermittelten Arbeitnehmer anstellten und
vermochten so mit weitaus größerem Erfolg die Frage nach der wirk-
lichen Dauer der Arbeitslosigkeit zu beantworten. Wir haben bereits an
anderer Stelle auf die in dieser Hinsicht besonders wichtigen Sonderer-
hebungen der Städte hingewiesen.
Die Reichsaufnahme ging vom Tag der Zählung aus und stellte
1) Wir erinnern an die Versuche Bickhs, der unter entsprechender An-
wendung der Methode der Sterblichkeitstafel auf das Gebiet der Arbeitslosen-
statistik eine nach der Dauer der Arbeitslosigkeit in Tagen fortschreitende Tafel
für den Abgang der Arbeitslosen zur Arbeit berechnet. Vgl. dazu das „Sta-
tistische Jahrbuch der Stadt Berlin", 1895, S. 243 ff. und 1896, S. 581 ff.
118 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
fest, wie lange die sich als arbeitslos bezeichnenden Personen bis zum
Stichtag der Zählung außer Arbeit oder Stellung waren. Wie lange
die betreffenden Personen nach dem Zeitpunkt der Zählung noch ar-
beitslos waren, ist nicht festgestellt worden; die wirkliche Dauer der
Arbeitslosigkeit der befragten Arbeitnehmer ist durch den Stichtag
willkürlich unterbrochen worden. Das so gewonnene Material kann na-
türlich keine genaue Auskunft über die wirkliche Dauer der Arbeits-
losigkeit geben. Daraus Betrachtungen zu ziehen oder Gesetze abzu-
leiten, verbietet sich von selbst.
e) Die Arbeitslosigkeit in den einzelnen Bundesstaaten.
Von Interesse dürfte auch ein kurzer Überblick über die geogra-
phische Verteilung der Arbeitslosigkeit sein. Während der Statistik
der deutschen Einzelstaaten und besonders der der Städte dank ihrer
lokalen Begrenzung das Verdienst einer schärferen und genaueren De-
taillierung zuzusprechen ist, mußte sich dieReichszählung damit begnügen,
den Bestand der Arbeitslosen in den einzelnen Staaten nachzuweisen
und einen Vergleich zwischen den so ermittelten Arbeitslosenziffern
und den Einwohnerzahlen der Bundesstaaten anzustreben.
In Norddeutschland ist die Arbeitslosigkeit erheblich größer als in
Süddeutschland. In Landesteilen mit industriellem Charakter, Gebieten
mit Großstädten und (namentlich im Winter) in Orten mit zahlreicher
landwirtschaftlicher Arbeiterbevölkerung tritt die Arbeitslosigkeit am
intensivsten auf. Daneben sind natürlich auch noch besondere Um- `
stände lokaler Natur zu berücksichtigen. So erklärt sich z. B. in dem
kleinen Lippe die ungeheure Zunahme der Arbeitslosigkeit im Winter
dadurch, daß viele Arbeitnehmer im Sommer außerhalb des Ländchens
als Saisonarbeiter beschäftigt waren und im Winter arbeitslos in die
Heimat zurückkehrten. Das Anwachsen der Arbeitslosenziffern in den
Hafenstädten hängt zusammen mit der durch den Winter bedingten Ein-
stellung oder Einschränkung des Verkehrs und der Arbeit im Hafen,
Dock oder Speicher. Für Lübeck kommt außerdem in Betracht, daß die
Eröffnung der deutsch-nordischen Ausstellung im Juni 1895 die Erwerbs-
möglichkeit im Sommer hob und vielfach Gelegenheit zur Betätigung bot.
Daß die Gebiete mit Großstädten größere Arbeitslosenziffern auf-
weisen, wird durch folgende Zusammenstellung bestätigt.
Einwohner | Arbeitslose |
| 2. Dez. “44. Juni 2. Dez.
1895 | 1895 1895
|
| Ortskategorien 14. Juni
| | 1896
Il. Gemeinden mit 100000 und mehr |
Einwohnern . . 2. 2. 2 2 202. 7027790! 7272400 116557 | 176770 |
II. Gemeinden mit 10000 bis 100000 |
Einwohnern . . 2. 2 2 2 2 20. 8524363) 8771439 67 734 139 587 |
III. Gemeinden unter 10000 Einwoh- | Ä
EE E EE at rss he EE ‚36218131 36202750, 115061 | 454648
Reichszählungen 1895 119
Ferner findet sich hierin der Beweis für vorstehend Gesagtes, daß
besonders im Winter in Orten mit zahlreicher landwirtschaftlicher Ar-
beiterbevölkerung diese von der Arbeitslosigkeit naturgemäß ziemlich
hart betroffen wird. Außerdem erfolgt im Winter des öfteren eine Ab-
wanderung der zur Sommerszeit in den Großstädten beschäftigten Ar-
beiter nach der Heimat, um der Unterstützung durch die Wohnsitz-
gemeinde teilhaftig zu werden und in Anbetracht des in der Provinz
billigeren Lebensunterhaltes die Zeit der Beschäftigungslosigkeit dort
leichter zu überdauern.
4. Kritik.
Das Deutsche Reich ist der erste und einzige Großstaat, der den
umfassendsten Versuch einer Zählung der Arbeitslosen in großem Stile
unternommen und die Veranstaltung mit Erfolg durchgeführt hat. Von
den übrigen Staaten haben nur wenige die gleiche Einsicht besessen
und auch Erhebungen über die Arbeitslosigkeit veranstaltet. In Oster-
reich-Ungarn wurde mit der Volkszählung vom 31. Dez. 1900 eine
Arbeitslosenzählung verbunden; ersteres jedoch nur mit Beschränkung
auf die 10 größeren Städte, also auf etwa !/, der Gesamtbevölkerung.
Frankreich zählte bei den Volks- und Berufszählungen vom 29. März
1896, 24. März 1901 und 9. März 1906 die Arbeitslosen. Auch Däne-
mark (1. Febr. 1901) und Belgien (31. Okt. 1896) versuchten sich,
jedoch erfolglos, auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik. Und schlieB-
lich ist noch die Schweiz zu erwähnen: Basel (1. Dez. 1888, 1900
und 1910) sowie Zürich (1. Juni 1894, 1. Dez. 1900 und 1910) nahmen
im Anschluß an ihre Volkszählungen stets Erhebungen über die Ar-
beitslosen vor. Infolgedessen liegt für eine ganze Reihe Städte genannter
Länder gleichfalls neueres und gutes Material vor. Was aber speziell
die deutsche Reichsarbeitslosenstatistik von 1895 betrifft, so ist vor
allem hervorzuheben, daß die Geschichte der deutschen Sozialstatistik
immer mit besonderer Anerkennung die geschickte Benutzung des günsti-
gen Zusammentreffens der sommerlichen Berufs- und Betriebszählung
mit der winterlichen Volkszählung für die Zwecke der Arbeitslosen-
statistik vermerken wird. Auf diese Weise ist, wie v. Mayr gebührend
betont, abgesehen von einer ins einzelne gehenden Kritik, insgesamt
mit den Ergebnissen der Erhebungen eine erste Rechenschaftsablage
über die Arbeitslosigkeit im Deutschen Reiche an 2 Stichtagen ge-
schaffen worden, deren Bedeutung sich gleichzeitig daraus ergibt, daß
diese sich auf alle Arbeitnehmer im Reiche erstreckenden Zählungen
für lange Zeit den einzigen Maßstab über Umfang und Gestaltung der
Arbeitslosigkeit im ganzen Reich abgaben und auch noch gegenwärtig
bilden sowie bei jeder gründlichen Behandlung dieses sozial-politisch
so wichtigen Problems herangezogen werden müssen. Selbstverständ-
lich haften den Erhebungen noch hier und da einige Mängel an, wenn
120 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
auch die Qualität des Erhebungsmaterials besser war, als bei der Neu-
heit des Versuchs und der Schwierigkeit der Materie erwartet werden
konnte. Einmal sind die Fragen vielfach irrtümlich aufgefaßt worden.
Es bezeichneten sich Leute als arbeitslos, die in die Gruppe der Arbeit-
nehmer überhaupt nicht fielen, die ihren Be:uf aufgegeben hatten, um
sich selbständig zu machen, oder die im Begriffe waren, von ihrem seit-
herigen Beruf in einen anderen überzutreten, weiter Beurlaubte oder auf
Ferien Befindliche, deren Arbeitsverhältnis fortbestand, u. a.m. Von
diesen irrtümlichen Angaben konnte nur ein Teil berichtigt werden,
nämlich insoweit der Irrtum sich aus der übrigen Beantwortung der
Zählungsformulare ergab. Etwaige Lücken in der Beantwortung der
Fragen über Arbeitslosigkeit, Grund und Dauer derselben wurden einer
dahingehenden Annahme unterstellt, daß die Befragten in Arbeit waren
oder eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit nicht vorlag. Die nicht
angegebene Dauer der Arbeitslosigkeit wurde unbestimmt gelassen.
Alles in allem können wir uns auf Grund dieser Ausführungen dem
Urteile der amtlichen Bearbeitung anschließen, das dahingeht, daß die
ermittelten Arbeitslosenzahlen den Charakter von Maximalzahlen baben,
während der wirkliche Umfang der Arbeitslosigkeit im Vergleich zu
diesen Zahlen niedriger zu veranschlagen ist. Gegenüber dieser immer-
hin nicht zu kleinen Anzahl von Bedenken hinsichtlich der Zuverlässig-
keit und Brauchbarkeit der Ergebnisse mach: sich aber das Schwerge-
wicht einer zum erstenmal in erschöpfender Weise versuchten Ermitt-
lung der Arbeitslosigkeit mit geradezu elementarer Gewalt geltend und
erhebt trotz aller Zweifel diese statistische Veranstaltung an Bedeutung
hoch über alle anderen gelegentlich in kleinerem Kreise unternommenen,
weniger umfassenden Versuche meist nur enquetenartiger Natur auf diesem
oder ähnlichem Gebiete. Wir verkennen durchaus nicht die Aufrecht-
erhaltung einer ernsten Kritik gegenüber den reichsstatistischen Ar-
beitslosenerhebungen des Jahres 1895, erwägen aber vor allem, daß
Deutschland durch diese großen Veranstaltungen einen erheblichen Teil
sozialstatistischer Erkenntnis mehr gewonnen hat und weisen der zwei-
maligen Ermittlung des Bestandes der Arbeitslosen für alle Zeit die
ihr unbedingt gebührende hervorragende Stelle zu.
II. Die assoziierte Arbeitslosenstatistik des
Kaiserlichen Statistischen Amtes mit den Arbeitnehmer- und
Angestelltenverbänden.
a) Darstellung und Kritik der methodologischen Besonderheiten.
1. Arbeiterfachverbände.
Wiederholten Anregungen und Wünschen zufolge, die eine Reform
und Erweiterung der deutschen Arbeiterstatistik anstrebten, entschloß
Assoziierte Vornahmen: Arbeiterrerbände 121
sich die Regierung an Stelle der seit 1892 bestehenden „Kommission
für Arbeiterstatistik“ den „Beirat für Arbeiterstatistik“ und als statisti-
sche Sammelstelle die „Abteilung für Arbeiterstatistik“ zu errichten, und
zwar wurde diese arbeitsstatistische Zentrale nicht als selbständige Be-
hörde geschaffen, sondern mit dem Kaiserlichen Statistischen Amte ver-
bunden. Sie trat am 1. April 1902 ins Leben. Ihr Wirkungskreis um-
faßte in erster Linie die Fortsetzung und Erledigung der von ihrer
Vorgängerin in Angriff genommenen Erhebungen auf dem Gebiete der
Sozialstatistik, die der Ermittlung der gewerblichen Arbeiterverhält-
nisse dienen sollten. Darauf erfolgte eine Neuregelung der Arbeitsnach-
weisstatistik sowie eine Umgestaltung und Verbesserung der Wohnungs-,
Konsum- und Lohnstatistik mit Hilfe der städtischen Statistischen Ämter.
Die weitere Tätigkeit der neuerrichteten Abteilung förderte eine Reihe
größerer Arbeiten zutage, sog. Beiträge und Monographien, von denen
die über die „Arbeitslosenversicherung“ unsere ganz besondere Beach-
tung verdient. In dieser Abhandlung werden die bisher auf dem Ge-
biete der Arbeitslosenstatistik vorgenommenen und bekannt gewordenen
kommunalen und privaten Erhebungen einer eingehenden Betrachtung
unterworfen sowie die jüngsten Ergebnisse der soeben in Aufnahme
gekommenen Reichsarbeitslosenstatistik veröffentlicht. Die späteren
Zählungen der Arbeitslosen im Deutschen Reich erfahren ihre Dar-
stellung und Besprechung in dem am 21. April 1903 zum ersten Male
erschienenen „Reichsarbeitsblatt“, womit sich die deutsche Arbeiter-
statistik ihr eigenes Organ geschaffen hat, das heutzutage auf dem
Gebiete der Sozialstatistik mit zum maßgebenden Führer geworden ist.
In diesem Blatt haben sowohl die im Kapitel über die kommunale Ar-
beitslosenstatistik bereits besprochenen städtischen Zählungen zum größ-
ten Teile Aufnahme gefunden als auch die von der „Abteilung für Ar-
beiterstatistik“ veranstalteten Arbeitslosenerhebungen. In der Vornahme
letzterer liegt ein weiteres Verdienst der neuen arbeitsstatistischen Zen-
tralbehörde, denn auf diese Weise ist eine schon seit langem ange-
strebte, geordnete Reichsarbeitslosenstatistik geschaffen worden, die auf
Grund ihrer Erhebungen ein Material erhält, das man zur Beobachtung
des für das gesamte wirtschaftliche Leben eines Volkes so ungemein
wichtigen und beachtenswerten Problems der Arbeitslosigkeit trotz
mancher Mängel wohl ohne weiteres mit heranziehen kann.
Im Frühjahr des Jahres 1903, also kurze Zeit nach der Begrün-
dung der „Abteilung für Arbeiterstatistik“, trat das Kaiserliche Sta-
tistische Amt mit denjenigen deutschen Arbeiterfachverbänden, die Ar-
beitslosenunterstützung an ihre Mitglieder zahlen, in Verbindung und
vereinbarte die vierteljährliche Aufstellung von Nachweisen über die
Mitgliederzahl dieser Verbände überhaupt, über die Zahl der arbeits-
losen Mitglieder mit Angabe des jeweiligen Aufenthaltsortes, über die
Höhe der für letztere aufgewendeten Unterstützungssummen und die
122 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Zeitdauer der Unterstützung und endlich über die Zahl der Fälle von Ar-
beitslosigkeitinnerhalb des betreffenden Vierteljahres. Diese Mitteilungen
kamen dann in der Folgezeit regelmäßig vierteljährlich im „Reichsarbeits-
blatt“ zur Veröffentlichung, womit eine neue Methode zur Messung
der Schwankungen des Arbeitsmarktes zu den bisherigen hinzutrat. In
der diesen Maßnahmen zugrunde liegenden Idee erblicken wir eine, für
Deutschland jedoch neue, Wiederholung des englischen Gedankens, der
bereits seit einer Reihe von Jahren in der „Labour Gazette“ zur prak-
tischen Anwendung gelangt, um das Verhältnis der absoluten Zahl der
Mitglieder der Gewerkschaften zu der ihrer arbeitslosen graphisch und
zalılenmäßig darzustellen, und den im Laufe der Zeit auch belgische und
französische arbeitsstatistische Zeitschriften mit Erfolg verwerteten. Das
Charakteristische dieser Methode besteht darin, daß, wenn ınan die Mit-
gliederzahl eines Arbeiterfachverbandes und außerdem die Zahl der in
einem gegebenen Zeitraum oder an einem bestimmten Termin arbeits-
losen Mitglieder kennt, es möglich ist, aus den zeitlichen Veränderungen
des Verhältnisses der absoluten Mitgliederzahl zu der Zahl der arbeits-
losen Mitglieder einen Schluß auf die Entwicklung der wirtschaftlichen
Verhältnisse in dem betreffenden Gewerbe zu ziehen.
Eine Beschränkung auf die in Deutschland bestehenden Fachver-
bände, die Arbeitslosenunterstützung zahlen, erschien im Interesse der Zu-
verlüssigkeit und weiteren Brauchbarkeit des Materials dringend geboten,
da nur die Arbeitslosenunterstützung zahlenden Verbände jederzeit die
Zahl ihrer arbeitslosen Mitglieder kennen.
Die Organisation dieser Statistik ist nun in der Weise geregelt,
daß unter Zugrundelegung eines aus den Beratungen mit den ange-
schlossenen Verbänden und Vereinen hervorgegangenen Fragenschemas
ein Formular (vgl. S. 123), jeder Zweigstelle oder jedem Ortsverein zur Ver-
fügung gestellt wird, der am Schluß eines jeden Quartals (spätestens am 4.
Tage nach Schluß des Vierteljahres) dieses Formular ausfüllt und an seinen
Verband oder Gewerkverein sendet. Letzterem liegt nun die Aufgabe ob,
die sämtlichen Berichte in einer in gleicher Weise angeordneten Über-
sichtstabelle zusammenzustellen und diese angemessene Zeit später
(bis zum 15. des ersten Monats jeden (Quartals) an das Kaiser-
liche Statistische Amt zu senden. Es ist ausdrücklich zu betonen,
daß dabei als arbeitslos nur solche Personen gezählt werden dürfen, die
wirklich aus Mangel an Arbeit und nicht wegen Streiks arbeitslos sind.
Die Zahlen der arbeitslosen Mitglieder sind nach zwei Gesichtspunkten
erfaßt: einmal wird die Zahl der innerhalb des Quartals arbeitslos ge-
wesenen Mitglieder erfragt (Spalte 2), außerdem aber wird die Zahl der
am letzten Arbeitstage jedes Quartals, also an vier Stichtagen im ganzen
Jahre, arbeitslosen Mitglieder festgestellt (Spalte 3 und 4). In Spalte 2
können nun Mitglieder, die innerhalb des Quartals wiederholt arbeitslos
wurden, auch wiederholt als solche gezühlt werden; es kommt somit
Arbeiterverbinde 123
Auszufüllen nach Schluß der Monate März, Juni, September, Dezember!
Spätestens am 4. Tage nach Schluß des Vierteljahrs abzusenden!
Verband. er Ort Ee ae
| 3. Arbeitslose Mitglie-
1. Mitgliederzahl der am Orte insgesamt
am Schlusse im Vierteljahr (unter-
des Vierteljahrs stützte und nicht
unterstützte)
3. Arbeitslose Mitglie- | 4. Am letzten Arbeits
der am letzten Arbeits- tage der letzten Vier-
tage der letaten Viertel- | teljahrswoche haben
jabrewoche (unter- sich als auf der Reise |
stützte und nicht unter- | befindlich am Orte ge-
stützte) am Geo meldet
männl. weibl. zus. männl.| weibl.
6. Zahl der
unter-
stützten Der.
5- Gesamtzahl der Arbeitslosentage sonen
einschließlich Karenztage Du Su;
(der Unterstützten und Nichtunterstützten)
| Arbeitslosen
bei weibl
‚ Arbeitslosen
an männl.
| Arbeitslose
an weibl.
Arbeitslose
|
a) GE arbeitalose Mitglieder am
_!
Für arbeitslose Mitglieder auf |
der Reise:
also nicht die absolute Zahl der arbeitslosen Mitglieder, sondern diese
Ziffer in Verbindung mit der Häufigkeit der Fälle, in denen das gleiche
Mitglied arbeitslos wurde, zum Ausdruck. Zur Spalte 3 ist zu bemerken,
daß alle, die am letzten Tage des Quartals am Orte arbeitslos waren,
angegeben werden, in Spalte 4 nur diejenigen, die sich am letzten Tage
des Quartals auf der Reise einschreiben ließen. Die übrigen Spalten des
Formulars bedürfen keiner weiteren Erläuterung.
Ist nun diese Methode imstande, die bei den Mitgliedern der
angeschlossenen Verbände vorhandene Arbeitslosigkeit voll und ganz
zum Ausdruck zu bringen? Augenblicklich kann das nur der Fall
sein, soweit diese Arbeitslosigkeit den Verbänden selbst bekannt wird.
Wollte man annehmen, daß den Verbänden nur Arbeitslose bekannt
werden, welche die Unterstützungsberechtigung besitzen, weil die übrigen
Arbeitslosen kein Interesse haben, sich zu melden, so wäre die Frage
nach der Größe des Teiles zu stellen, der auf diese Weise der Aufnahme
entzogen bleibt. Es ist also mithin nicht zu umgehen, auf die Ermitt-
lungen der einzelnen Aufnahmen einen gewissen prozentualen Zuschlag
zu machen, um einen entsprechenden Ausgleich zu schaffen, wenn auch
dabei betont werden muß, daß die Bedeutung des nicht erfaBten Prozent-
124 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
satzes der arbeitslosen Mitglieder keine solche ist, die das Gesamtbild
der Erhebungen in erheblicher Weise verändern könnte. Trotz dieser
Einwendung trägt das Kaiserliche Statistische Amt selbst auch die vor-
erwähnten Bedenken, wie es bei seinen Veröffentlichungen im „Reichs-
arbeitsblatt“!) zum Ausdruck bringt und war daher bestrebt, im Verein
mit den beteiligten Verbänden auch diese mögliche Fehlerquelle in
ihrer Bedeutung zu verringern. In diesem Sinne fanden im Jahre 1906
mit der großen Mehrzahl der Verbände Verhandlungen statt, in denen
die Frage der Weiterbildung der im Juli 1903 begonnenen Statistik
einer eingehenden Erörterung unterzogen worden ist. In der Haupt-
sache förderten die Besprechungen methodologisch nichts Neues zutage;
das bisher übliche Erhebungsformular wurde beibehalten und nur hin-
sichtlich des Zählungstermins wurden einige Verbesserungen vor-
genommen: an Stelle des einen Stichtages im Quartal traten bei den
folgenden Veranstaltungen drei, der letzte Arbeitstag der 4., 8., und
13. Woche. Für die Beibehaltung des Formulares sprach sich gleich von
vornherein die Mehrzahl der Verbände aus, die der Ansicht waren, daß,
falls bei den einzelnen Verbänden die Aufnahme der Arbeitslosen nach
dem gegenwärtigen Erhebungsmodus nicht völlig erschöpfend erfolge,
es nur eine Frage der Erziehung und der schärferen Durchführung der
geltenden oder Verschärfung der bestehenden einschlägigen, statutarischen
Bestimmungen sei, die vollständige Erfassung zu erzielen. Somit ent-
schied man sich, nach der bisherigen Methode weiter zu arbeiten und
weniger Versuche anzustellen, die bestehende Erhebungsart durch kom-
pliziertere Gestaltung des Formulares zu erschweren, als durch die
erzieherische Einwirkung des Verbandes den Mitgliedern den Wert
einer periodischen Arbeitslosenstatistik klarzumachen und sie zu einer
regeren Beteiligung zu veranlassen. Gelingt es in Zukunft den Ver-
bänden durch Erziehung, durch strenge Durchführung und nötigenfalls
auch durch Revision ihrer Statuten daraufhin zu wirken, daß auch die-
jenigen Mitglieder, die noch nicht oder nicht mehr bezugsberechtigt
sind, bei Eintritt der Arbeitslosigkeit die Meldung beim Verband nicht
mehr unterlassen, dann wird die an dieser Stelle vorhandene Fehler-
quelle an Bedeutung merklich verlieren.
Schließen wir hieran eine kritische Betrachtung der besprochenen
Methode, so müssen wir vor allem auf die Fehlerquellen dieser Statistik
hinweisen, die in erster Linie darauf beruhen, daß die angeschlossenen
Verbände nur einen und zwar immerhin sehr geringen Teil der gesamten
deutschen Arbeiterschaft umfassen, denn wie ‘die jüngsten Ermittlungen
auf dem Gebiete der Statistik der Arbeitnehmerverbände ergeben haben,
ist nur etwa ein Drittel der gesamten Arbeiterschaft organisiert. Eine
Reichsstatistik im wahrsten Sinne des Wortes über den Stand, die Zu-
1) 4. Jahrg., Nr. 4, S. 304.
Arbeiterverbände 125
oder Abnahme der Arbeitslosigkeit der gesamten deutschen Arbeiter-
schaft in allen deutschen Landen können diese Berichte der Verbände
niemals bilden trotz ihrer immerhin recht guten Dienste, die sie der
Statistik der Arbeitslosigkeit sonst leisten, und man kann in diesem
Falle gewissermaßen nur von einer unter staatlicher Kontrolle und Bei-
hilfe stehenden, ausgedehnten Verbandsstatistik sprechen. Die Reichs-
zählungen von 1895 geben eine Zusammenstellung aller Arbeitslosen
aller Berufsgruppen, aber die Übersichten der deutschen Fachverbände
erstrecken sich nicht auf alle Berufsgruppen und zwar sind gerade
Landwirtschaft und Baugewerbe nur wenig vertreten. Erstere aus dem
Grunde, weil fast gar keine landwirtschaftlichen Facharbeiterorgani-
sationen bestehen; letzteres, weil wegen des bekanntlich hohen Risikos
der Arbeitslosigkeit im Baugewerbe die Fachverbände keine Arbeits-
losenunterstützung gewähren oder aus prinzipiellen Gründen unterlassen.
Somit fehlen zum Teil diejenigen Berufsgruppen, die, besonders im
Winter, den größten Teil der Arbeitslosen stellen (in den periodischen
Berichten), dagegen sind die Industrieverbände und die der handwerk-
lichen Gewerbe ausreichend vertreten. Die Arbeitslosigkeit in den
organisierten Verbänden läßt sich somit wohl zum größten Teil er-
fassen, eine Zusammenstellung der unorganisierten Arbeitslosen ist je-
doch für die fortlaufende Beobachtung auf Grund dieser Methode un-
möglich. Schlüsse aus dem vorhandenen Material auf die gesamte
Arbeitslosigkeit unter der organisierten und unorganisierten Arbeiter-
schaft zu ziehen, ist nicht empfehlenswert. Zu diesem Mangel gesellt
sich noch die nicht völlig exakte Erfassung bei der sog. Verbands-
statistik, weil ein Teil der Arbeitslosen, die noch nicht oder nicht mehr
unterstützungsberechtigt sind, kein Interesse hat, sich beim Verband zu
melden und sich daher nicht meldet. Außerdem wurde bereits bei der
Erläuterung des Frageformulares auf einen Mangel bei der Fragestellung
hingewiesen. Die Spalte 2 läßt niemals die absolute Zahl der arbeits-
losen Mitglieder erkennen und ermöglicht nicht die Feststellung der
reinen Zahl der innerhalb eines Quartals arbeitslos gewesenen Personen,
wodurch die unbedingte Zuverlässigkeit der Ergebnisse eine weitere
Schmälerung erfährt. Im allgemeinen ist nach diesen Erörterungen der
Schluß, daß diejenige wirtschaftliche Tendenz, die bei einem Teile der
Berufsgenossen zum Ausdruck kommt, auch für das Gewerbe überhaupt
gilt, stets nur mit einer gewissen Vorsicht zu ziehen. Es ist möglich,
daß die Verhältnisse außerhalb des Verbandes gegebenenfalls schlechter
oder günstiger liegen. Besonders ersteres wird vielfach zutreffen, wenn
es sich um ungelernte Arbeiter handelt, die in dem betreffenden Gewerbe
Arbeit finden.
Trotz alledem können wir diesen Nachweisen der Arbeiterfachver-
bände nicht so ohne weiteres jede Bedeutung absprechen. Sie gestatten
immerhin eine doppelte Beobachtung, sowohl über Umfang als Häufig-
126 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
keit und Zeitdauer der Arbeitslosigkeit. Letztere ermöglicht die Fest-
stellung des Berufsrisikos, d.h. der Wahrscheinlichkeit für die einzelnen
Berufe, arbeitslos zu werden; und die Bewegung des Prozentverhältnisses
der Mitgliederzahl zur Zahl der arbeitslosen Mitglieder des Verbandes
wird stets eine verhältnismäßig gute Erkenntnisquelle für die Beurtei-
lung der wirtschaftlichen Entwicklung abgeben. Trotz aller vorerwähnten
Nachteile, die den an die deutsche Reichsstatistik angeschlossenen perio-
dischen Nachweisen der Arbeiterfachverbände anhaften, ist doch nicht
zu leugnen, daß gerade durch diese Maßnahmen die deutsche Arbeits-
losenstatistik in ein neues Stadium ihrer Entwicklung einrückte und
somit imstande ist, auf Grund der fortlaufenden Beobachtungen genaue
Forschungen zu veranstalten, die gewisse zuverlässige Resultate zeitigen.
An Stelle der Augenblicksbilder der behördlich angesetzten oder aus
eigenem Antriebe vorgenommenen Zählungen treten nun die immerhin
wertvolleren Ergebnisse der periodischen Erhebungen, die die deutsche
Reichsarbeitslosenstatistik im Verein mit den Arbeiterfachverbänden
auf Grund ihrer Unterstützungseinrichtungen veranstaltet, und in denen
sich nicht zum mindesten ziemlich annähernd die Schwankungen des
gesamten Arbeitsmarktes widerspiegeln. Dabei darf jedoch keinesfalls
außer acht gelassen werden, daß die deutsche Arbeitslosenstatistik noch
nicht am Ende ihrer Entwicklung steht und vor Erreichung dieses er-
sehnten Zieles noch manche Schwierigkeiten zu überwinden hat, bevor
die schon seit langem erhoffte völlige Lösung dieses so ungemein wich-
tigen sozialistischen Problems in Erfüllung gegangen sein wird; der
gegenwärtige Stand der Arbeitslosenstatistik ermöglicht noch keinen
genauen, umfassenden und völlig erschöpfenden Überblick über den tat-
sächlichen Umfang und die Verbreitung der Arbeitslosigkeit in der ge-
samten Arbeiterschaft in allen deutschen Landen.
2. Kaufmännische Vereinigungen.
Fast zu derselben Zeit, in der das Kaiserliche Statistische Amt mit
den deutschen Arbeiterfachverbänden die vorerwähnten Vereinbarungen
traf, auf deren Grundlage sich eine fortlaufende Arbeitslosenstatistik
über einen beträchtlichen Teil der organisierten Arbeiterschaft aus-
bilden sollte, trat es wegen einer gleichen Übersicht auch noch mit den
außerhalb der genannten Zusammenschlüsse stehenden kaufmännischen
Vereinigungen, die Stellenlosenunterstützung zahlen, in Verbindung.
Der Erfolg war anfangs ein sehr geringer und die Beteiligung recht
schwach, denn bei der ersten Berichterstattung der angeschlossenen
Verbände im 2. Quartal 1903 sind nur der „Verein der deutschen Kauf-
leute“ in Berlin und der „Zentralverband der Handlungsgehilfen und -ge-
hilfinnen Deutschlands“ in Hamburg vertreten, denen dann im nächsten
Jahre noch die „Allgemeine Vereinigung deutscher Buchhandlungs-
gehilfen“ und der „Kaufmännische Verein für weibliche Angestellte“,
Kaufmännische Vereinigungen 127
Berlin, folgen. Der Grund hierfür ıst ausnahmslos in den zahlreichen
Besonderheiten der kaufmännischen Stellenlosenunterstützung zu suchen,
die wesentlich anderer Natur sind als die der Arbeitslosenunterstützung
und es vor allem erschweren, die volle bestehende Stellenlosigkeit perio-
disch zu erfassen. Einesteils empfangen Stellenlosenunterstützung „nur
solche Mitglieder auf Antrag, die stellenlos sind und deren Bedürftigkeit
und Wiirdigkeit vom Verband anerkannt wird“ (Leipziger Verband
Deutscher Handlungsgehilfen), dann kommt es bei den im Handels-
gewerbe üblichen Kündigungsfristen vor, daß Angestellte, ehe sie eine
neue Stelle antreten können, vielleicht einige Wochen aussetzen müssen,
ohne daß von Stellenlosigkeit im lundläufigen Sinne des Wortes ge-
sprochen werden könne (Deutsch-nationaler Handlungsgehilfenverband),
und schießlich zahlt mancher Verband seinen Mitgliedern keine regel-
mäßigen, sondern nur „einmalige, einem Handlungsgehilfen angemessene
Unterstützung“ (Verein für Handlungscommis von 1858 in Hamburg).
Da diese zahlreichen Unterschiede in der Auffassung der Gewährung
von Stellenlosenunterstützung bei den verschiedenen kaufmännischen
Vereinigungen eine geeignete Anpassung an die Methode, nach der das
Kaiserliche Statistische Amt im Verein mit den Arbeiterverbänden die
regelmäßigen periodischen Aufnahmen vornimmt, nicht zuließen, so kam
das Amt zu der Überzeugung, von einer Heranziehung der kaufmänni-
schen Vereinigungen und speziell der Handlungsgehilfenverbände zu
den geplanten periodischen Aufnahmen Abstand zu nehmen und zu-.
nächst von einer Arbeitslosenstatistik der kaufmännischen Verbände
abzusehen sowie keine weitere Aufforderung an diese ergehen zu lassen.
Trotzdem meldeten sich nach und nach weitere kaufmännische und andere
Verbände zur Teilnahme an der reichsamtlichen Arbeitslosenstatistik; so
berichtet seit dem 1. Quartal 1906 der „Verband der deutschen
Bureaubeamten“ dem Kaiserlichen Statistischen Amt über die Ver-
hältnisse seiner Mitglieder und zu demselben Zeitpunkte tritt auch der
„Deutsch-nationale Handlungsgehilfenverband“ dieser Statistik bei.
Während die Berichterstattung der bisher angeschlossenen kaufmänni-
schen Vereinigungen trotz mancher Schwierigkeiten jener der Arbeiter-
verbände eingereiht wurde, ist gleich von Anfang an davon abgesehen
worden, die Ziffern des „Deutsch-nationalen Handlungsgehilfenverbandes“
dorthin einzustellen, weil, wie erwähnt, die Eigenart der kaufmännischen
Verhältnisse, die Besonderheiten der kaufmännischen Stellenvermittlung
und Unterstützungsregelung es einmal den kaufmännischen Verbänden
erschweren, die Zahlen dieser Statistik nach dem allgemeinen Schema
zu liefern, andererseits die Schlüsse, die bei den kaufmännischen Ver-
bänden aus diesen Zahlen gezogen werden können, nur sehr bedingte
sind. Mit vornehmlich diesen Begründungen erbat sich der „Deutsch-
nationale Handlungsgehilfenverband“ die ihm gewährte Sonderstellung
in der Berichterstattung und Veröffentlichung seiner Mitteilungen. Auf
128 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
diese Weise veranlaBte der Verband auch gleichzeitig das Kaiserliche
Statistische Amt zu einer Wiederaufnahme der mit der Zeit im Sande
verlaufenen Erwägungen, inwieweit die zahlreichen Besonderheiten, die
eine Stellenlosenstatistik der kaufmännischen Verbände mit sich bringt,
zu regeln sind, um die Nachweisungen letzterer mehr den besonderen
Bedingungen des Kaufmannsstandes anzupassen, sowie dazu die durch
den freiwilligen Beitritt einiger kaufmännischer Vereinigungen zur
Arbeitslosenstatistik der deutschen Arbeiterfachverbände aktuell ge-
wordene Frage, letztere mit der Stellenlosenstatistik der kaufmännischen
Vereinigungen in geeigneter Weise zu verbinden oder beide getrennt
zu behandeln, einer weiteren Erörterung zu unterziehen. So kam es,
daß nur eine in dieser Hinsicht abgegebene Anregung des „Deutsch-
nationalen Handlungsgehilfenverbandes“ genügte, um der Stellenlosen-
statistik der kaufmännischen Vereinigungen die ihr unbedingt nötige
Reform angedeihen zu lassen. Es ist darum nur zu verständlich, daß
der Gedanke an eine Reform der bisher angewandten Methode zur Er-
mittlung der Stellenlosigkeit nunmehr in den kaufmännischen Ver-
bänden und Vereinen greifbare Gestalt annehmen mußte und Träger
fand, die seine Anwendung in der Praxis für angemessen erachteten
und demgemäß handelten.
In der ersten Hälfte des Jahres 1907 regte der „Deutsch-nationale
Handlungsgehilfenverband“ eine Änderung des zurzeit in Anwendung
befindlichen Formulares an, um die Berichterstattung für die Handlungs-
gehilfenverbände spezieller zu gestalten und sie mehr ihren Eigenheiten,
die sich aus den besonderen Verhältnissen der verschiedenen Berufe er-
klären, anzupassen. Das Kaiserliche Statistische Amt zeigte sich diesen
Wünschen sehr entgegenkommend und trat mit dem antragstellenden
Verband, dem sich anfangs noch drei weitere kaufmännische Vereini-
gungen anschlossen, in eine Reihe von Verhandlungen und Besprechungen
ein, die schließlich zu der beabsichtigten Neuaufstellung des Formulares
für die kaufmännischen Verbände führten. Letzteres hat nunmehr fol-
gende Form angenommen (s. S. 129).
Bevor wir auf eine nähere Besprechung des Formulares eingehen,
müssen wir noch vorausschicken, daß seit dem Zeitpunkte, von dem an
die 4 erwähnten kaufmännischen Vereinigungen, also seit dem 4. Quar-
tal 1907, nach der neuen Form der Berichterstattung verfahren, eine
Trennung in der Statistik der Arbeitslosigkeit in den kaufmännischen
Verbänden eingetreten ist. Dem neu aufgestellten Formulare schlossen
sich keineswegs alle beteiligten Verbände an, sondern der „Zentralver-
band der Handlungsgehilfen und -gehilfinnen Deutschlands“, Hamburg,
und der „Deutsche Transportarbeiterverband“ blieben bei der ersteren
Methode und berichteten dementsprechend weiter nach dem bisherigen
Schema. Damit erklärt sich auch die seit dem 4. Quartal 1907 getrennte
Darstellung der Arbeitslosenstatistik der kaufmännischen Vereinigungen,
129
igungen
Kaufmännische Verein
Einzusenden an das Kaiserliche Statistische Amt zu Berlin W. 62
Name des Verbandes:......
Be- | Bei der Piellsaverastitions ‘is stellenlos ege T der Zahl der im Summe
mae EE Siellenlesiekeit `" He" Vierteljahr | ger ge-
al at emp IE 3 be e | als arbeitslos | e, |
me ee rech- | = Im Laufe des Vierteljahrs insge- gemeldete GH ge- pr
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Vier- | | ss im | Monats. | Stutzten| p | A im |
tel- Í; 2. 3. 1. 2. $. | Vier-|_. Perso- | er- |stütz- Viertel
am Schlusse des |. tel- | Yier-| letzten | nen im sonen | ungs- |
Vierteljahrs jahrs Monate Monate jahre tel- (a,b, c) | Viertel- , Jahr
| | jahre jahre | tage |
ing Es 3a sat ars des):
= BHBBRBHGHENNGE
1) Darunter befanden sich unterstützende Mitglieder ..
männliche ..
weiblich ..........
Lehrlinge
99 hkj 99
spätestens bis zum 15. des 1. Monats jeden Vierteljahrs.
Straße und Nr.................
Nachweisung für das ..... Vierteljahr 19...
|
Bei der Versiche- | Gesamt.
Herbst: Arbeitslosenstatistik
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130 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitsloseustatistik
die das „Reichsarbeitsblatt“ auf Grund der Verschiedenheit der Metho-
den vorzunehmen gezwungen ist. Hingegen der „Deutsch-nationale Hand-
lungsgehilfenverband“, der „Verein deutscher Kaufleute“, die „Allgemeine
Vereinigung deutscher Buchhandlungsgehilfen“ und der „Kaufmännische
Verband für weibliche Angestellte“ nahmen das neue Formular an, inner-
halb dessen der „Verein der deutschen Kaufleute“ in dankenswerter
` Weise außerdem noch eine Erweiterung vornimmt, indem er obligato-
rische und freiwillige Versicherung unterscheidet.
Die Eigenart des neuen Formulares besteht einmal darin, daß die
ganze Reiseunterstützung wegfällt, die bei den kaufmännischen Verbän-
den nicht in der Weise wie bei den Arbeiterfachverbänden existiert; ferner
besteht sie in Verbindung mit der Stellenvermittlungsstatistik dieser Ver-
binde sowie in der Feststellung der bezugsberechtigten Mitglieder, die na-
türlich ein ganz besonderes Interesse daran haben, ihre Arbeitslosigkeit
fixiert zu wissen, und von denen also mit Sicherheit anzunehmen ist,
daß sie eintretendenfalls es wohl nicht unterlassen werden, sich zu melden.
Wenn es auch fast selbstverständlich erscheinen mag, so ist doch
noch hervorzuheben, daß auch dieser Statistik von vornherein der Stem-
pel der Unvollkommenheit aufgedriickt ist. Sie kann nicht den Anspruch
erheben, den adäquaten Ausdruck der Arbeitslosigkeit im Handelsge-
werbe zu bilden, denn dazu ist die Beteiligung der angeschlossenen Ver-
bände viel zu gering und der Ausschnitt aus dem Gesamtbild zu klein.
Ferner sind auch viele Handlungsgehilfen nicht organisiert und dazu
kommen noch Annoncen und persönliche Vorstellungen, die im Handels-
gewerbe bei der Stellenbewerbung eine große Rolle spielen. Die Stellen-
vermittlung der Verbände ist auf dem weiten Gebiet des kauf-
männischen Stellenwechsels nur ein bescheidener Faktor. Trotz alledem
bildet das Auf und Nieder der Entwicklung innerhalb der einzelnen
Verbände immerhin einen nicht zu unterschätzenden und beachtenswer-
ten Gradmesser für die Entwicklung der Stellenkonjunktur im Han-
delsgewerbe, und auch Verhältnisse allgemeinerer Natur wie die Dauer
der Stellenlosigkeit, die Leistungen der Verbände auf dem Gebiete der
Unterstützung und der Vermittlung werden durch die Statistik in an-
schaulicher und übersichtlicher Weise zum Ausdruck gebracht.
3. Privatangestelltenverbände.
Die Stellenlosenstatistik der kaufmännischen Vereinigungen erfuhr
im 1. Vierteljahr 1909 eine Erweiterung durch den Hinzutritt zweier
technischer Verbände, des „Bundes der technisch-industriellen Beamten“,
Berlin, und des „Deutschen Technikerverbandes“, Berlin, die seitdem in
gleicher Weise wie die kaufmännischen Verbände sich an der Statistik
der Stellenlosigkeit beteiligen und regelmäßig monatliche Berichte ein-
senden. Am Ende des gleichen Jahres kommt noch eine weitere tech-
nische Organisation, der „Verband der deutschen Kunstgewerbezeichner“,
Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik 131
ebenfalls in Berlin, dazu, dem sich ein Vierteljahr später die „Bureau-
beamten und Bureauangestellten“ anschlieBen. Letztere Verbiinde waren
seit dem 1. Vierteljahr 1906 bzw. 1907 der Statistik der Arbeitslosig-
keit in deutschen Arbeiterfachverbiinden angeschlossen und berichteten
bisher nach dem fiir diese Statistik vorgeschriebenen Formulare, auch
waren ihre Zahlen in den Tabellen über die Arbeitslosigkeit in deutschen
Fachverbänden enthalten. Seit ihrem Anschluß an die Berichterstattung
der Angestelltenverbände und ihrem Übertritt zur Stellenlosenstatistik
derselben finden die Ziffern der beiden neuen Teilnehmer nunmehr Auf-
nahme in der über die Stellenlosigkeit der technischen Verbände be-
richtenden Übersicht des „Reichsarbeitsblattes“. Letzteres vermittelt
von diesem Zeitpunkte an in einem besonderen Abschnitt über die
Stellenlosigkeit in Privatangestelltenverbanden die Berichtederkaufmänni-
schen, technischen und Bureaubeamtenverbände. Dererstmalige Zusammen-
schluß der genannten Vereinigungen erstreckte sich auf 11 Verbände
mit insgesamt 324490 Mitgliedern, von denen 60°, d. i. 214068, be-
zugsberechtigt waren, und die sich verteilten auf 6 kaufmännische Ver-
bände mit 271214 Mitgliedern, 2 Bureaubeamtenverbände mit 8898 Mit-
gliedern und 3 technische Verbände mit 44372 Mitgliedern. Ende 1913
war die Gesamtzahl der Mitglieder auf 653460 gestiegen und der Kreis
der angeschlossenen Verbände hatte durch den Hinzutritt einer Anzahl
neuer Verbände eine abermalige Erweiterung erfahren. Die Statistik
der Stellenlosigkeit in den Angestelltenverbänden stützte sich im 4. Vier-
teljahr 1913 auf 9 kaufmännische, 2 Bureaubeamten- und 8 Techniker-
verbände. E
b) Ubersicht über Teilnehmer und Ergebnisse.
Die nachstehende Tabelle dient einem mehrfachen Zweck. In erster
Linie handelt es sich um die Gegenüberstellung der Mitgliederzahlen der
an die Reichsstatistik berichtenden Fachverbände und der am Ende
eines jeden Vierteljahres ermittelten Arbeitslosenziffern; dann dürfte
es aber auch wohl nicht ganz ohne Interesse sein, an der Hand der
Zusammenstellung sozusagen die Entwicklung der deutschen assoziier-
ten Arbeitslosenstatistik von Anbeginn bis zur jüngsten Gegenwart zu
verfolgen und die jeweilige Anzahl und den Charakter der ange-
schlossenen Verbände kennen zu lernen; schließlich gelangt noch der
Unterschied zwischen den angeschlossenen und den berichtenden Ver-
bänden zur Besprechung.
Was die vorerwähnte erste Gegenüberstellung anlangt, so ist dabei
hervorzuheben, daß Spalte 4—6, soweit erkennbar, die Gesamtmitglieder-
zahlen derin Spalte 3 angeführten berichtenden Verbände darstellt. Es ist
somit eine Beziehung zwischen Spalte 3 und 4—6 geschaffen und ein
Überblick über die Zahl der berichtenden Verbände und ihre männlichen
und weiblichen Mitglieder ermöglicht. Des weiteren sind zum Vergleich
noch die drei folgenden Spalten heranzunehmen, wobei aber in Betracht
dh
132 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
on
1. Die Beteiligung der angeschlossenen Fachverbände und
verwandten Organisationen nebst Mitgliederzahlen und
Arbeitslosenziffern.
| S SC
| Ana, Mitgliederzahl ae Are
| der d | M itglieder Verbänden sind
a er SS ' (unterstützte und — - — '
noa e Ss E ERE nicht unterstützte) I 23
SC 5. 5 | der berichtenden eee SS
EECH Verbiinde Verbinde am | 8 32 Es 85
o 81% letzten Werktage 22 ES £2 s¢
E 1581” am Ende des Vierteljabrs des Vierteljahres £2 ES 32 35
Ver ` ` er ee ee a ga” ET Ba
bände männi. weibl. zusamm. männl. weibl. zusamm. | = 5:
1 2 3 4 . B&B. 6 4 7 | 8 9 10,11 12 13
2.1903 42,37 204884 ` 9078 213962 4957 101 5058 36 2 — 4,
1.1903 46144: 409167 | 20161 429318 9322 np 9607 39 21— 5
4.1904 51 50 597972 43681 | 611653 | 12701 679 13380 42 4 — 5
4.1905 62 57 948761 65505 : 1014266 15646 761 16407 öl 4 1 6
4.1906 64 60 11805611) 92607 1273168 18974 878 19852 53 4 1) 6
4.1907 56 50 1215404 78224 1203628 31131 833 31964 48 1, 2 5
4.1908 55 47 1184304 7741111261715) 50007 1831 561838.47 1 2 5,
4.1909 57 49 1293043 | 91098 1387141 | 32124 1399 33523 47 1 2 7
4.1910 53 51 1566735 ‚121382 1688117 32131 1515 3364646 —!— | 7
4.1911 56 53 1831937 | 206065 | 2038002 39479 4518 43997149 — | — 7
4.1912 52 49 1940590 | 220880 | 2161470. 50420 5416 55836 An — | — 6
4.1913 62 49; 1804399 | 218652 | 2023061 |83447 8450 91597: 46. —, —| 6
zu ziehen ist, daß die Arbeitslosenziffern nur annähernd den Grad der
Arbeitslosigkeit in den berichtenden Verbänden angeben, denn die Sta-
tistik erstreckt sich in zahlreichen Füllen nur auf einen mehr oder
weniger großen Teil der Mitglieder. Dieser Mangel ist darauf zurückzu-
führen, daß mitunter in den einzelnen Verbänden der eine oder andere
Ortsverein keine Nachweisungen an den Zentralvorstand einschickt und
letzterer somit der Reichsstatistik nur die eingegangenen Berichte zur
Verfügung stellen kann. Dadurch wird selbstverständlich das Bild etwas
verschoben, und es lassen sich nur selten direkte Vergleiche zwischen
1) Zu den in den Spalten 4 und 7 sowie in den entsprechenden 6 und 9
enthaltenen Angaben sind noch die Ergebnisse der Erhebungen des Zimmerer-
verbandes hinzuzuzählen (letzterer beteiligte sich vom 1. Vierteljahr 1906 bis zum
2. Vierteljahr 1909 regelmäßig an der Statistik, sonderte sich jedoch in Bericht-
erstattung und Veröffentlichung der Ergebnisse von den übrigen Verbänden ab):
Arbeitslose am letzten Tage
4. Vierteljahr 1906 Mitglieder®) 52377 des Vierteljahres 3348
4. e 1907 p 53272 7 3982
4, K 1908 e 49296 i 10195
Infolge eines Beschlusses der 18.Generalversammlung wird die Beteiligung im
Arbeitslose am letzten Tage
2. Vierteljahr 1909 Mitglieder 54009 des Vierteljahres 676
an der Statistik eingestellt.
*) Der Verband weist nur männliche Mitglieder auf.
Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik 133
Gesamtmitgliederzahlen und den entsprechenden Arbeitslosenziffern an-
stellen. Hinzuzufügen ist noch, daß beide, Mitgliederzahlen und Arbeits-
losenziffern, sich stets auf den Schluß des Vierteljahres beziehen. Be-
sonders letztere sollen versuchen, über den Grad der Arbeitslosigkeit
am letzten Arbeitstage der letzten Vierteljahrswoche zu berichten; sie
fassen unterstützte und nicht unterstützte Arbeitslose am Orte zusammen.
Wenden wir uns nun der Spalte 2 zu und unterwerfen wir den
Entwicklungsgang der deutschen assoziierten Arbeitslosenstatistik einer
eingehenden Betrachtung. Zunächst ist ein entschiedener Zuwachs in
der Beteiligung der angeschlossenen Verbände zu verzeichnen. Von 42
Verbänden, die das Anfangsstadium der Statistik aufweist, steigt die
Zahl im Laufe der Zeit bis zur Gegenwart auf 52, nachdem mitunter
noch höhere Zahlen erreicht worden waren, so im Jahre 1906 ein Maxi-
mum von 64 Verbänden, womit aber durchaus nicht gesagt ist, daB zu
dieser Zeit auch der Personenkreis, den die Statistik umfaßt, den höch-
sten Stand erreicht hatte. Entgegen der Abnahme der Zahl der ange-
schlossenen Verbände vermehrte sich die Gesamtmitgliederzahl von
Jahr zu Jahr dermaßen, daß heutigentags der Personenkreis, dessen
Arbeitslosigkeit einer periodischen Kontrolle unterliegt, über 2 Millionen
Menschen umfaßt. Diese Zunahme ist in erster Linie auf das stete An-
wachsen der Mitgliederzahl innerhalb der einzelnen Verbände und nicht
zuletzt auch auf die Teilnahme neuer starker Verbände zurückzuführen,
während die Schwankungen, denen die Zahlen der angeschlossenen Ver-
bände unterworfen sind, einesteils dadurch verursacht werden, daB
manche Verbände, die bisher keine Arbeitslosenunterstützung zahlten,
durch Einführung dieses Instituts zum Beitritt bewogen wurden. An-
dererseits führten Vereinigungen von verwandten Verbänden und Ge-
werkvereinen, Übertritte von Mitgliedern eines Verbandes in einen an-
deren, völlige Auflösungen oder schließlich mangelhafte Beteiligung der
Ortsvereine sowie unpünktliche Berichterstattung!) das Ausscheiden
dieses oder jenes Verbandes herbei.
Zur Ergänzung der Spalte 2 dienen die Spalten 10—13, aus denen
die Verschiedenartigkeit der angeschlossenen Verbände zu erkennen ist.
Es handelt sich vornehmlich darum, die reinen Fachverbände von den
übrigen zu scheiden, um auf diese Weise die Zahl der an der Statistik
beteiligten Industrieverbände zu erfassen und somit den Grad der
Arbeitslosigkeit unter den Arbeitnehmern im wahrsten Sinne des
Wortes festzustellen. In den ersten 7 Jahren waren neben den Fach-
1) Der deutsche Tabakarbeiterverband-Bremen meldet im 3. Quartal 1906,
daß er sich an der Statistik in Zukunft nicht mehr beteiligen wolle, weil trotz
vorheriger und mehrmaliger Aufforderung im „Tabakarbeiter“ eine Reihe von
Zahlstellen die Berichtskarten nicht pünktlich und zum Teil gar nicht einsenden
und die so zustande gekommenen Ergebnisse doch immer lückenhaft sind und
bleiben werden auch in Zukunft.
134 Vierter Abscbnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
verbänden auch noch kaufmännische und Bureaubeamtenverbände sowie
sonstige Vereinigungen aus verschiedenen Berufsgruppen angeschlossen,
die alle nach der gleichen Methode berichtend in den Tabellen der
Reichsstatistik gemeinsam vertreten waren. Unter diesen Voraus-
setzungen konnte man natürlich aus den gewonnenen Zahlen nicht die
wirkliche Ausdehnung der Arbeitslosigkeit in den Kreisen der deutschen
Industrie, also die Arbeitslosigkeit des deutschen Arbeiters, herauslesen,
und es konnte daher den Ergebnissen nur ein bedingter Wert zugemessen
werden. Erst das Ausscheiden der Angestelltenverbände, die seit dem
Jahre 1910 ihre eigene Statistik haben, heilte einigermaßen den er-
wähnten Mangel und stellte eine fast reine Arbeitslosenstatistik der
deutschen Industrie- und Fachverbände her. Neben den zurzeit ange-
schlossenen reinen Fachverbänden nehmen noch 6 Verbände aus ver-
schiedenen Berufsgruppen teil, nämlich der deutsche Transportarbeiter-
verband, der Gewerkverein der deutschen Frauen und Mädchen, Berlin,
der Zentralverband der Maschinisten und Heizer sowie Berufsgenossen
Deutschlands, der Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands, Hannover,
der Zentralverband der Staats-, Gemeinde-, Verkehrs-, Hilfs- und son-
stigen Industriearbeiter Deutschlands, Aschaffenburg, und schließlich
der Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter, Berlin.
Eine Spezialisierung der angeschlossenen Verbände nach ihrem ge-
werkschaftlichen Charakter war, besonders für frühere Jahrgänge,
schlechthin unmöglich, und wir müssen uns daher an dieser Stelle mit
der Feststellung begnügen, daß im Anfangsstadium der Arbeitslosen-
statistik des Kaiserlichen Statistischen Amtes mit den deutschen Fachver-
bänden 42 derselben ihre Beteiligung zusagten, und zwar befanden sich
darunter 23 gewerkschaftliche Verbände (freie Gewerkschaften), 17
Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine sowie der Verband der katholischen
Arbeitervereine und der deutsche Photographengehilfenverband. Im
Laufe der Zeit schieden letztere sowie eine Anzahl Hirsch-Dunckerscher
Gewerkvereine, deren Mitgliederzahl in den letzten Jahren überhaupt
eine auffüllige Abnahme zeigt, aus; dementgegen kamen nach und
nach eine Anzahl freier und christlicher Gewerkschaften hinzu, so daß
gegenwärtig die 52 angeschlossenen Verbände in 31 freie Gewerk-
schaften, 12 Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine und 9 christliche Ge-
werkschaften zerfallen. Ihre Gesamtmitgliederzahl beträgt 2023051,
d.i. der größere Teil der gesamten deutschen organisierten Arbeiter-
schaft, die Ende 19121) 4089913 Mitglieder aufwies; die Gesamtmit-
gliederzahl der drei Hauptgruppen der Gewerkschaften, der freien, Hirsch-
Dunckerschen und christlichen stellte sich Ende 1912 auf 3043647.
Vergleichen wir diese Zahl mit der Mitgliederzahl der gegenwärtig an
die Reichsstatistik angeschlossenen Verbände, so müssen wir ohne wei-
1) Neuere Angaben enthält das „Statistische Jahrbuch für das Deutsche
Reich“, 1913, S. 427 nicht.
Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik 135
teres zugeben, daB die Beteiligung der bedeutendsten Gewerkschaften
eine recht zahlreiche ist, und es steht zu hoffen, daß in Zukunft auch die
noch nicht angeschlossenen Verbände dieser drei Hauptgruppen gleich-
falls ihr Material der Reichsstatistik zur Verfügung stellen und somit
nicht wenig zur Vervollstindigung der deutschen assoziierten Arbeits-
losenstatistik beitragen.
Zuletzt mögen noch die Spalten 2 und 3 zu einem Vergleich heran-
gezogen werden. Da die Teilnahme und Berichterstattung bei der Reichs-
statistik auf freiwilliger Basis beruht, so weist die letztere Spalte mit-
unter einige Lücken auf. Die angeschlossenen Verbände kommen ihren
Verpflichtungen vierteljährlicher Berichterstattung bisweilen nicht immer
nach, sei es aus Nachlässigkeit, sei es aber auch aus physischer Un-
möglichkeit, da manche Ortsvereine keine oder nur mangelhafte Nach-
weise einsenden. Auch kommt es vor, daß die Angaben nicht rechtzeitig
vor Schluß der Redaktion eingehen und daher keine Berücksichtigung
finden können. Daraus erklärt sich, daß in den Tabellen nicht immer
die Nachweisungen sämtlicher a Verbände enthalten sind.
Was nun den Gesamtwert dieser Ergebnisse anlangt, so ist dabei
hervorzuheben, daß die fortgesetzten Änderungen, denen der ange-
schlossene Personenkreis ausgesetzt ist, ee: die Vergleichbar-
keit der Ergebnisse nach rückwärts stark beeinträchtigen. Dazu kommt
noch der Umstand, daß zu gewissen Zeiten die Zahlen nicht einzig und
allein die der reinen Fachverbände, sondern auch die zahlreicher ge-
mischter Verbände enthalten, wodurch der Überblick ungemein er-
schwert wird und ein klares. Bild von der Ausdehnung der Arbeits-
losigkeitin den Kreisen der Arbeitnehmer kaum gewonnen werden kann.
Daher empfiehlt sich die gesonderte Betrachtung der angeschlossenen
Verbände nach zwei Gruppen, nach reinen und gemischten Verbänden,
wie sie das „Reichsarbeitsblatt“ seit 1906 auch vielfach vorgenommen
hat. Das im Jahre 1909 erfolgte definitive Ausscheiden sämtlicher An-
gestelltenverbände bedeutete, vom Standpunkt einer kritischen Betrach-
tung über den Gesamtwert der vorliegenden Ergebnisse aus, einen ent-
schiedenen Fortschritt in der Entwieklung der Statistik der Arbeits-
losigkeit in deutschen Fachverbänden und macht die frühere, gesonderte
Betrachtung in Zukunft wieder überflüssig. Somit umfaßt nun diese
Arbeitslosenstatistik des Kaiserlichen Statistischen Amtes im Verein mit
den deutschen Fachverbänden fast ausschließlich reine Arbeiterorganı-
sationen und ermöglicht auf solcher Grundlage sowie durch die immer-
hin scharfe Abgrenzung des Beobachtungsgebietes eine Reihe genereller
Betrachtungen, aus denen sich dann zuverlässige und sichere Ergebnisse
folgern und. brauchbare Schlüsse ziehen lassen werden. Außerdem liegt
noch in ihrer gegenwärtigen Ausdehnung ein ganz besonderer Vorzug
dieser Statistik, die dadurch um so eher an Bedeutung als Maßstab der
Arbeitslosigkeit ın der deutschen Industrie gewinnt.
. Die angeschlossenen
t
ee zm H
Verbiinde G esamtmitgliederzahl
jahr BEE KEE en EEE
An- männ- ai zu-
zahl Art | Deh | weiblich | sammen
1 2 | 3 ES SE o ee ee
4 kaufmännische u 140532 | 26294 166 826
2 technische ' 16644 | 2 16 646
6 kaufmännische ` 226250 | 26919 | 253169
8 technische | 43661 11 | 483672
6 kaufmiinnische 236645 Ä 88759 ` 275404
3 technische 48090 | 10 48100
2 Bureaubeamten 8637 ` 184 8821
7 kaufmännische | 267372 | 44052 811424
4 technische 106416 28 106439
2 Bureaubeamten ! 10411 224 10635
8 kaufmännische | 388 682 45 669 434351
4 technische 84281 20 84 801
2 Bureaubeamten | 12768 291 13059
9 kaufmännische ' 446635 64202 600 837
8 technische Ié 188 960 22 188 982
2 Bureaubeamten ` 18225 13641
Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
2. Die Ergebnisse der Stellenlosenstatistik der An-
3. Die ER aller an der Reichs-
I Anzahl und Art der Verbände Gesamtmitgliederzahl
| Vierteljahr
Ser SE Se
kauf- _ tech- | Bureau- | zu- männ- |
| Hanniken nische ‘beamten sammen lich weiblich bé Pee
2 | 3 | “| 6 | 7 | 8
KO | 75316
1 85239
4 146 999
4 156 562
5 296 841
8 332325
7 428498
8 631711
9 6563460
Es empfiehlt sich, die Besprechung der beiden vorstehenden Tabellen
gemeinsam vorzunehmen, zumal die letztere, die alle Gesamtstellenlosen-
zahlen enthält, als Ergänzung der ersteren anzusehen ist, welche die
Ergebnisse in den einzelnen Verbandsgruppen darstellt. Betrachten
wir zunächst die Gruppe der kaufmännischen Verbände, wozu wir die
ersten Reihen der Tabelle 3 in Anspruch nehmen.
In den Jahren 1906/1908 sind die kaufmännischen Verbände die
einzigen Vertreter der Stellenlosenstatistik in den Angestelltenverbänden.
137
Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik
gestelltenverbände in den einzelnen Verbandsgruppen.
Bei der Stellenlosenver-
sicherung gemeldete
Stellenlose (am Ende des |
"Bei der Stellenvermitt-
lung gemeldete Stellen-
lose (am Ende des
Zahl der bezugsberech-
tigten Mitglieder
| Vierteljahres) Vierteljahres)
miinn- REPA Zu- männ- ur ZU- ! männ- 1:2) zus
lich | weiblich, sammen | lich ‚weiblich sammen lich | eiblich sammen
77. 8 | 9 | 10 11 | 12 | 13 | 14 15
77234 16762 93 996 1561 822 | 2383 | 632 38 670
11624 2 11626 770 | 1 | 71 107 — 107
138 361 18141 156 502 2631 829 3460 747 26 773
35858 8 35 866 1190 — 1190 101 — 101
155109 | 26429 181 538 2368 842 3210 850 39 | 889
43628 9 43637 | 978| — 978 | u6] — | n6 |
4508 139 4647 67 2 69 2 — | 2
169790 30 898 200 688 2350 | 1299 3649 T59 51 | 810
93017 10 93027 1535 — 1535 237 — 237
4789 117 4906 27 1 28 — — —
226 330 28418 254 748 3881 1334 6215 1013 67 1080 |
76 024 12 76036 921 — 921 232 — 232 |
9 266 174 9440 138 13 151 — — — |
265924 | 36577 802 501 5993 | 1959 1952 1591 110 1701
125234 | 14 125248 598 — 598 579 -- 579 |
9086 | 251 : i |
statistik beteiligten Privatangestelltenverbände.
Bei der Stellenlosenver-
sicherung gemeldete |
Bei der Stellenvermitt-
lung gemeldete Stellen-
lose (am Ende des
Zahl der bezugsberech-
tigten Mitglieder
Vierteljahres) Vierteljahres) |
e e Am a re rn er ze
` | | eee | a |
manne . e Zue mann- . . | zu- mann- e . zu- e
lich | weiblich | sammen lich weiblich sammen! lich en sammen
9 | 10 | | |
Dr SR Ze = Z = — | 1585| — | 146
= e = D = = 133| — 133
62527 | 16984 | 79511 | 910| 671 | 1581 | 300| 18 818 |
73168 | 17751 90909 | 1572 | 873 | 2445 | 490] 29 519
174219 | 18149 | 192368 | 3821 | 829 | 4650 | 848) 26 874
203245 | 26577 | 229822 | 3413| 844 | 4257 | 968| 39 | 1007 |
267596 | 31025 | 298621 | 3912 | 1300 | 5212 | 996| 61 | 1047 ,
311620 | 28604 | 340224 | 4940 | 1347 | 6287 | 1245| 67 | 1312 |
36842 | 437086 | 6742 | 1985 2866 |
400244
Der erste selbständige Teilnehmer ist seit 1906 der „Deutsch-nationale
Handlungsgehilfenverband“, dem sich Ende 1907 drei weitere kaufmän-
nische Vereinigungen anschließen.
Der erstere Verband ist anfangs noch an die Statistik der Arbeits-
losigkeit in deutschen Fachverbänden angeschlossen, wobei jedoch den
abweichenden kaufmännischen Verhältnissen stark Rechnung getragen
wird. Aus diesem Grunde wird das vom „Deutsch-nationalen Verband“ zur
Verfügung gestellte Material einer gesonderten Behandlung unterworfen
138 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
und die Veröffentlichung der Ergebnisse unabhängig von denen der
Arbeiterorganisationen vorgenommen. Diese Statistik weist natürlich,
wie ein Blick auf die Tabelle lehrt, noch manche Lücke auf und ermit-
telt nur die bei der Stellenlosenversicherung am Ende des Vierteljahres
gemeldeten Stellenlosen. Die Gesamtmitgliederzahl bedarf eigentlich
noch der Ergänzung durch die Lehrlinge, die aber für die Stellenlosen-
statistik kaum in Betracht kommen dürften. Der Verband selbst hebt
hervor, daß Schlüsse auf den allgemeinen Stand der Arbeitslosigkeit un
Handelsgewerbe aus diesen Zahlen nicht gezogen werden können.
Die übrigen drei kaufmännischen Verbände, die Ende 1907 auf
Veranlassung des „Deutsch-nationalen Verbandes“ mit diesem gemeinsam
unter Zugrundelegurfg eines den kaufmännischen Verhältnissen eher ent-
sprechenden Formulares die Statistik der Stellenlosigkeit in den Ange-
stelltenverbiinden spezieller gestalteten und somit erst richtig in ‘die
Wege leiteten, berichteten bereits 1903 im Verein mit den Fachver-
bänden über die Arbeitslosigkeit ihrer Mitglieder. Die Ergebnisse wur-
den denen der Arbeiterorganisationen eingereiht und unter den gleichen
Gesichtspunkten behandelt wie diese Darin besteht natürlich ein
großer Mangel, denn die Verschiedenartigkeit der kaufmännischen und
gewerkschaftlichen Verhältnisse verbietet von selbst eine entsprechende
Behandlung des Gegenstandes. Wir können somit unterlassen, auf die
Ergebnisse der Ermittlungen der drei an die Arbeitslosenstatistik der
Fachverbände angeschlossenen kaufmännischen Vereinigungen in den
Jahren 1903 bis Ende 1907 näher einzugehen und betrachten zunächst
die Ergebnisse der kaufmännischen Stellenlosenstatistik seit dem letz-
teren Zeitpunkt. Die Anzahl der Verbände bleibt anfangs die gleiche,
wie wir aus Tabelle 3 ersehen, und nimmt erst seit Ende 1909, was
Tabelle2 vermittelt, allmählich zu. Die Gesamtmitgliederzahlen erfahren
dementgegen ganz beträchtliche Steigerungen. Die Zusammenstellungen
unterscheiden die Gesamtmitgliederzahlen und die der bezugsberechtigten
Mitglieder, wodurch wichtige Beziehungen zwischen den die letzteren
Zahlen enthaltenen Spalten und den über die Stellenlosen berichtenden
geschaffen worden sind. Hinsichtlich der Gesamtmitghederzahlen ist noch
zu bemerken, daß sich unter diesen stets selbständige Kaufleute, unter-
stützende Mitglieder und Lehrlinge befinden. Sie können für einen Ver-
gleich mit den Stellenlosenzahlen kaum ın Betracht kommen, geben
aber ein anschauliches Bild von dem fortwährenden Anwachsen der
kaufmännischen Organisationen. Hingegen läßt sich aus den Angaben
über die Zahl der bezugsberechtigten Mitglieder sowie der bei der
Stellenvermittlung und der Stellenlosenversicherung gemeldeten Stellen-
losen der Grad der Stellenlosigkeit am Ende eines jeden Vierteljahres
wohl annähernd erkennen, wobei jedoch noch in die Wagschale fällt,
daß nach den gemachten Beobachtungen die Stellenlosenziffern bei der
Versicherung mitunter hinter der Wirklichkeit zurückbleiben, dagegen
bei der Stellenvermittlung zu hoch erscheinen. Die technischen Ver-
FOSS i
Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik 139
bande beteiligen sich an der Statistik seit 1909 und die Bureaubeamten-
verbände, die bisher der Statistik der Arbeitslosigkeit in deutschen Ar-
beiterfachverbänden angeschlossen waren, treten ihr 1910 bei. Es ist
erfreulich, daß von den fünf bestehenden Verbandsgruppen der Privat-
angestellten die drei größten sich mit einer erheblichen Anzahl von
Verbänden zwecks einer gemeinsamen Stellenlosenstatistik mit dem
Kaiserlichen Statistischen Amte in Verbindung gesetzt haben. Die Ge-
samtmitgliederzahl dieser fünf Gruppen betrug Ende 1912 907383 über-
haupt. Ende 1913 erstreckte sich die regelmäßige Kontrolle über die
Stellenlosigkeit auf einen Kreis von 653460 Personen, d.i. eine Be-
teiligung von 72 Prozent aller Verbandsmitglieder.
Die gleiche Hoffnung, die wir bereits bei der Besprechung der Ar-
beitslosenstatistik in den deutschen Arbeiterfachverbänden aussprachen,
möchten wir an dieser Stelle wiederholen und darauf hinweisen, daß in
Zukunft auch die übrigen Organisationen sich dieser Statistik anschlie-
Ben und ihr eine Vollkommenheit verleihen mögen, auf deren Basis dann
erst zuverlässige Beobachtungen über die Stellenlosigkeit der Privat-
angestellten gemacht werden können.
4. Die Arbeitslosigkeit in sämtlichen an die Reichsstatistik
angeschlossenen Organisationen.
œ. Verhältniszahlen.
Auf 100 Mitglieder der berichten- Auf 100 Mitglieder der berichten-
den Verbände kommen den Verbände kommen
Arbeitslose in den Arbeitslose in den
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‘ e 1,51 — — — — 2 +8 1,70] 0,46 | 0,33 | 0,23 | 0,43 |
1 ei 2,09; — — — — {3 . 1,50 | 0,47 | 0,27 | 0.07 | 0,36 |
1. 1905 1,361 — — -— -— l > 1,99 | 0,49 | 0,27 0,04 | 0,44
2. A 1,251 — — — -— 1 1911 1,66 | 0,45 | 0,27 0,18 | 0,41
3. x 1,00] — | — | — | — | 2 X 1,30] 0,45 | 0,21 | 0,78 | 0,42 |
4, D 162}; — -- -—- — 3 >= 1,42] 0,41 | 0,25 | 0,02 | 0,38
1. 1906 0,99] — — — -- 1 D 2,06 | 9,40 | 0,25; — | 0,35
2. e 0,92 | — — — — 1. 1912 1,38] 0,41 | 0,40 — |0,40
3. ei 0,82] — — — — | 2. e 1,44 | 0,41 0,19) — | 0,34
4. a 1,561 — — -- — | 3. e 1,281 949 | 0,20 | — EE
i. 1907 115], — BEE — — | 4, D 2,581 0,42 0,301 — | 0,39
2. 113] — — — — 1. 1913 2,03] 0,45 | 0,37 — | 0,42
3. e 1,161 — -— —- — |2 a 2.3 0,48 | 0,86 | — | 0,44)
4, ka 2,47 | 0,40 — — |040Į| 3 P 2,40 | 0,45 | 0,33 | 0,32 0,41
1. 1908 2,23 10,51 - — 0,51] 4 no 4,54 | 0,56 0,46 | 0,92 0,54
2. e 2,44 | 0,62 — - 0,62 |
3. 2 2,32 | 0,59 — — | 0,59
4, D 4,11 | 0,57 — — | 0,57
Privatangestellten- Verbände zusammen
~ \rbcite:verbinde === >< — kaufmännische Verbände === «== ame technische Verbände ==. — Bureaubeamten Verbände e e
ß) Graphische Darstellung.
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Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik 141
om, Gesamtbetrachtung.
Die vorstehende graphische Darstellung gibt in anschaulicher Weise
ein leicht übersichtliches Bild der Schwankungen, denen die Arbeits-
losenziffern der an die lteichsstatistik berichtenden Arbeiter- und An-
gestelltenverbände im Laufe der Jahre 1903—1915 ausgesetzt waren
und ermöglicht mit Hilfe der hierbei zur Verwendung gelangenden
Relativzahlen!) eine eingehendere und vor allem genauere Auffindung
von etwa zutage tretenden Gesetz- und Regelmäßigkeiten, als es wohl
mit den absoluten Zahlen möglich sein würde.
Betrachten wir zunächst den Verlauf der verschiedenen Kurven im
allgemeinen, so läßt sich ohne weiteres en ganz beträchtlicher Unter-
schied zwischen den Arbeitslosenziffern der Arbeiter — einerseits und
der Angestelltenverbände andererseits erkennen. Wenn auch die Ge-
samtmitgliederzahl der letzteren die der ersteren bei weitem nicht er-
reicht, also ein unmittelbarer Vergleich unter diesen Umständen aus-
geschlossen erscheint, so ist doch keineswegs die eben durch die Er-
hebungen langer Jahre bewiesene Tatsache zu leugnen, daß die Intensität
der Arbeitslosigkeit in den Arbeiterorganisationen einen bedeutend
stärkeren Grad besitzt als in den übrigen. Es liegt ja auch nur zu
nahe, daß der Arbeiter der Gefahr der Arbeitslosigkeit weit eher aus-
gesetzt ist als der Privatangestellte. Die Gründe hierfür sind in erster
Linie in der Verschiedenartigkeit des Charakters der in Betracht kom-
menden Organisationen zu suchen. Während die Angestelltenverbände
mehr Interessengemeinschaften auf wirtschaftlichem Gebiete und Unter-
stützungsvereinigungen darstellen, tragen fast die meisten Arbeiterver-
bände einen politischen Charakter und verfolgen vornehmlich die Ten-
denz, im Kampfe gegen Kapital und Unternehmertum als nicht zu
unterschätzender Machtfaktor eine entscheidende Rolle zu spielen. Die
Existenzen der Mitglieder dieser derartige Ziele verfolgenden Verbände
erscheinen dann natürlich am ehesten in Frage gestellt und ganz be-
sonders leicht gefährdet. Streiks und Aussperrungen sind als gegen-
seitige Kampfmittel nicht selten an der Tagesordnung und berauben die
davon Betroffenen, oftmals gegen ihren Willen, der gewohnten Tätig-
keit zur Beschaffung des täglichen Lebensunterhaltes. Die Mitglieder
der Angestelltenverbände hingegen sind in den seltensten Fällen solchen
ZwangsmaBregeln unterworfen bzw. auf sie angewiesen. Außerdem ist
der Arbeiter der Gefahr der Entlassung ohne längere, vorherige Kün-
digung viel leichter ausgesetzt als der Angestellte, den meist ein Ver-
trag an eine bestimmte Zeit bindet und damit gegen plötzliche Entlas-
sung schützt. Des weiteren sind noch Witterungseinflüsse, Saisonarbeit
und eine große Menge anderer Gründe in Betracht zu ziehen, die wie-
1) Bei den Arbeiterfachverbänden sind Gesamtmitgliederzahlen und Arbeits-
losenziffern direkt in Beziehung gesetzt, bei den übrigen Organisationen konnten
die Verhiiltniszahlen nur für die bezugsberechtigten Mitglieder und die bei der
Stellenlosenversicherung gemeldeten Stellenlosen berechnet werden.
142 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosens:atistik
derum in den Kreisen der Arbeiter nicht ohne Wirkung bleiben, während
sie andererseits den Angestellten wohl keine erheblichen Schwierigkeiten
bereiten dürften.
Der Verlauf der die Arbeitslosigkeit in den deutschen Arbeiter-
fachverbänden innerhalb der Jahre 1903—1913 darstellenden Kurve ist
zahlreichen Schwankungen unterworfen. Vor allen Dingen ist ihr regel-
mäßiges Ansteigen gegen Ende eines jeden Jahres geradezu auffallend,
während am Anfang eines jeden Jahres die Kurve sich in entgegen-
gesetzter Richtung bewegt. Die Arbeitslosigkeit nimmt somit regelmäßig
gegen Ende des Jahres zu, erreicht in den letzten Tagen desselben sowie
in den ersten des folgenden ihren Höhepunkt und nimmt dann langsam
wieder ab. Wir begegnen hier wieder einer bereits an anderer Stelle der
Abhandlung beobachteten Gesetzmäßigkeit in der Intensität der Arbeits-
losigkeit und erbringen somit den Beweis für ıhre Richtigkeit. Das
regelmäßige Steigen der Arbeitslosenziffern im Winter beruht unzweifel-
haft darauf, daB ein ganz beträchtlicher Teil von Gewerben, die im
Freien ausgeübt werden, sowie deren Hilfsindustrien ihre Arbeiter nicht
mehr beschäftigen können trotz der, vornehmlich im Baugewerbe, zahl-
reichen technischen Fortschritte, die den Menschen von den Witterungs-
verhältnissen ziemlich unabhängig machen, wozu erfahrungsgemäß eine
weitere Steigerung kommt, wenn in den für den Weihnachtsmarkt
arbeitenden Gewerben die Saison vorüber ist. Im Februar und März
tritt dann nach und nach eine langsame Besserung ein, die wohl in
erster Linie dank der günstigeren Witterung nach allen Seiten hin
durch die Entfaltung einer regeren Tätigkeit hervorgerufen wird.
Ganz besondere Beachtung verdient das plötzliche Emporschnellen
der Kurve am Ende des Jahres 1908. Das regelmäßige Steigen der
Arbeitslosenziffern im Winter ist in diesem Jahre bedeutend stärker als
in den vorhergehenden und den nachfolgenden Jahren; seit Bestehen
der Statistik weist der genannte Zeitpunkt mit die höchste Arbeitslosen-
ziffer auf. Soweit berichtet das „Reichsarbeitsblatt“. Wir entnehmen ihm
also nur die bloßen Tatsachen dieses ungemein interessanten Falles und
können leider aus den Veröffentlichungen keine Erklärungen für die er-
mittelten Maximalzahlen schöpfen. Auf Grund unserer Ermittlungen
sind wir jedoch imstande, diesem Mangel abzuhelfen und eine Basis für
die weiteren Betrachtungen zu schaffen.
Seit dem 3. Vierteljahr 1908 steigt die Zahl der Arbeitslosen be-
ständig an, was nicht nur aus den Berichten der Arbeiterverbände
hervorgeht, sondern sich auch mit den Feststellungen des Arbeits-
marktes deckt. Nach diesen sind die Gründe hierfür in erster Linie
wieder mehr allgemeinerer Natur wie ungünstige Witterungsverhältnisse
und besonders nach Weihnachten die Beendigung der Weihnachts-
geschäfte. Was erstere anlangt, durch die die allgemein wenig günstige
Lage des Arbeitsmarktes im Dezember noch weiter geschwächt wurde,
Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik 143
so Haute besonders im Baugewerbe die Tätigkeit mehr und mehr ab
und wurde an vielen Orten fast ganz eingestellt. Desgleichen liefen
Ende 1908 noch eine größere Anzahl Tarifverträge ab, wie es sich
übrigens Ostern 1913 wiederholte; dieser Umstand trug somit nicht un-
erheblich zu dem erwähnten wirtschaftlichen Niedergang mit bei. Der
Abschluß des Weihnachtsgeschäftes endlich brachte für viele Gewerbe
große Ruhe, so vor allem für das Handelsgewerbe und einzelne Zweige
der Nahrungs- und Genußmittelindustrie. Daneben kommen aber noch
eine Reihe von speziellen Ursachen in Betracht, die ihrerseits erst die
richtige Erklärung für die hohen Arbeitslosenziffern des Jahres 1908
in den berichtenden Verbänden geben. In einer großen Anzahl rheini-
scher und westfälischer Eisengroßindustrien mußten infolge anhaltender
Rückwärtsbewegung des Geschäftsganges, unbefriedigender Abschlüsse
und verminderter Absatzgelegenheiten zahlreiche Betriebseinschränkun-
gen vorgenommen werden. Eine lteihe von Hochofenwerken der Sieger-
länder und Aachener Eisenindustrie sowie einige Betriebe der Ruhr- und
Braunkohlenreviere verminderten infolge der schlechten Lage die Arbeits-
zeit und entließen viele Arbeiter. Weiterhin lagen in manchen Groß-
städten die Verhältnisse auch recht ungünstig. In den verschiedenen
Zweigen der Textilindustrie konnten die Arbeiter nur teilweise be-
schäftigt werden, so daß sich auch hier die Arbeitskräfte vielfach im
Überfluß anboten. Endlich trat im Frühjahr 1909 zugleich mit der
günstigeren Witterung die langersehnte Besserung ein, die nach und nach
langsame Fortschritte machte, wenn auch ein entscheidender wirtschaft-
licher Aufschwung dieser Zeit noch nicht vorbehalten war.
Doch auch die nächsten Jahre brachten noch nicht den erhofften
Umschwung. Wohl erholte sich der Arbeitsmarkt nach und nach, voll-
ständig genas er aber von den schweren Schädigungen des Jahres 1903
nicht. Die Zahl der Arbeitslosen nahm zwar ab, hielt sich aber in der
Folgezeit immer auf einem verhältnismäßig hohen ‘Niveau. Absolut
genommen hatten die an das Kaiserliche Statistische Amt berichtenden
Fachverbände im Jahre 1908 ca. 50000 Arbeitslose. Wenn auch in den
nächsten Jahren die Mitgliederzahlen dieser Organisationen ganz be-
trächtlich zunahmen, so sind dementgegen die entsprechenden Arbeits-
losenziffern, wie ein Blick auf unsere Tabelle lehrt, immerhin noch hoch
genug, um daraus zu folgern, daß überschüssige Arbeitskräfte in dem
Maße vorhanden waren, wie es bei gesunden wirtschaftlichen Verhält-
nissen kaum der Fall sein dürfte. So hatten die für die Reichsstatistik
in Betracht kommenden Verbände Ende 1909 gegen 33 000 Arbeitslose
und 1910 fast genau so viele. 1911 stieg die Zahl schon auf 43 997 und
1912 end es auf einmal gar schon 55 836. Die Lage scheint sich also,
soweit aus diesen Zahlen zu erkennen ist, kaum gebessert, sondern im
Gegenteil erheblich verschlechtert zu haben. Ziehen wir nun noch
unsere Tafel der Verhältniszahlen hinzu, so ist das Bild eigentlich
144 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
nicht so trübe wie es die Grundzahlen zeichnen. 1908 — wir sprechen
stets vom letzten Vierteljahr, nach dem Stand am letzten Werktage —
entfielen auf 100 Mitglieder der berichtenden Verbiinde 4,11 Arbeitslose,
1909 2,42, 1910 1,99, 1911 2,06 und 1912 2,58. Auch hier wieder ein
Ansteigen nach der Abnahme der Arbeitslosenziffern von 1908 auf 1910,
doch nicht in dem Maße wie nach den Feststellungen vermittels der
absoluten Zahlen. Bei diesen muB man eben das Anwachsen der Mit-
gliederzahl in dem fraglichen Zeitraum mit berücksichtigen. Stieg doch
letzere um etwa 80000 Köpfe. Es empfiehlt sich also weniger, die
unmittelbaren Vergleiche allein in dieser Richtung vorzunehmen. Es
erscheint bei weitem zweckmäßiger, in solchen Fällen die Beobachtungen
in erster Linie auf die Relativzahlen zu konzentrieren. Ist doch hier die
gleiche Basis vorhanden, während in anderer Beziehung die Grundlage
mehr oder weniger ausgeprägten zeitlichen Schwankungen unterworfen
ist. Wenn wir deshalb mit Rücksicht auf unsere Relativzahlen behaupten,
daß 1909—1911 der Arbeitsmarkt, im Vergleich zu dem Tiefstand des
Jahres 1908, verhältnismäßig ruhig und die Wirtschaftslage nicht ganz
ungünstig war, so dürften wir wohl kaum einer falschen Vorstellung
Raum geben. 1912 tritt jedoch wieder eine Verschlechterung ein, die
gewissermaßen den Übergang zum „Krisenjahr“ 1913 bildet.
Das Jabr 1913 stand im Zeichen einer starken wirtschaftlichen De-
pression. Die unsicheren politischen Zustände wirkten vor allem lähmend
auf den Arbeitsmarkt ein, der sich im Verlaufe des ganzen Jahres immer
mehr verschlechterte, in seiner Gesamtlage eine zusehends fallende
Richtung zeigte und schließlich Ende 1913 teilweise fast völlig zum
Stillstand kam. Eine Reihe widriger Umstände, die sich bereits 1912
bemerkbar gemacht hatten, traten auch 1913 in erheblich verstärktem
Maße wieder auf und mögen wohl den Umschwung der Konjunktur in
empfindlicher Weise verfrüht herbeigeführt haben. So verfehlten natur-
gemäß die beiden Balkankriege und die damit zusammenhängenden Be-
fürchtungen internationaler Verwicklungen ihren Eindruck durchaus
nicht. Die Banken hielten ihr Geld zurück; man vermied es, größere
Kapitalien auszuleihen, bevor die Lage endgültig geklärt war; jede
weitere wirtschaftliche Entwicklung wurde durch die bereits Ende 1912
einsetzende Geldversteifung gehemmt und ernstlich gefährdet. Die Geld-
teuerung machte sich vor allem auf dem Baugeldmarkt fühlbar und
hatte besonders im Baugewerbe, das an und für sich schon unter den
Konjunkturschwankungen stets mitam ersten zu leiden hat, eine wachsende
Arbeitslosigkeit zur Folge. Und auf die mit dem Baugewerbe verwandten
Berufe sowie deren Hilfsindustrien war die Rückwirkung dieses Still-
standes auch keinesfalls zu verkennen. Auch in zahlreichen anderen
Berufen und Industriezweigen waren Geschäftsgang und Beschäftigungs-
grad in auffälligster Weise zurückgegangen. Das Gespenst der Arbeits-
losigkeit zeigte sich überall.
Die Ergebnisse der assoziierten Arbeitslosenstatistik 145
Im genannten Jahre wiesen die berichtenden Verbände gegen
90000 Arbeitslose auf. Der Vergleich läßt sich hier zwischen 1911,
1912 und 1913 auch mit den absoluten Zahlen leichter durchführen,
da die Mitgliederzahl in diesen drei Jahren wesentlichen Veränderungen
nicht unterworfen war. Es zeigt sich danach eine ganz erhebliche Zu-
nahme arbeitsloser Mitglieder von 1911 auf 1913. Bei annähernd gleich-
bleibender Gesamtmitgliederzahl vergrößerte sich die Arbeitslosigkeit
innerhalb der in Frage kommenden Verbände im Verlaufe von zwei Jahren
um fast 50%. Von 43997 stieg die Zahl auf 55836, um schließlich
1913 auf 91897 zu schnellen. Wir erkennen diese ungeheuere Zu-
nahme auch ohne weiteres aus dem klar ersichtlichen Ansteigen der
entsprechenden Kurve unseres Diagramms. Und selbst die Relativzahlen
charakterisieren auch nicht minder deutlich das fortwährende Anwachsen
der Arbeitslosigkeit vom ersten bis zum letzten Vierteljahr 1913.
Wie die Arbeiterverbände, so waren 1913 auch die Organisationen
der Privatangestellten den Gefahren der Arbeitslosigkeit verhältnismäßig
stark ausgesetzt. Bei letzteren ist die Stellenlosigkeit gleichfalls mehr
oder weniger ausgeprägt. Vornehmlich im letzten Vierteljahr nehmen,
wie aus dem Diagramm ersichtlich, die Stellenlosenziffern bei allen
Privatangestellten zu. Sämtliche Kurven zeigen ohne Ausnahme steigende
Tendenz. Selbst die Bureaubeamtenverbände, die Ende 1911 bis Anfang
1913 keine Stellenlosen hatten, sind Ende 1913 mit 0,32 bzw. 0,92 Stellen-
losen ihrer bezugsberechtigten Mitglieder vertreten. Der Verlauf der die
Stellenlosenzahlen der Bureaubeamtenverbände charakterisierenden Kurve
beweist uns die Richtigkeit des Gesagten. Die Kurve verschwindet im
3. Vierteljahr 1911 unter der OLinie und tritt erst im 3. Vierteljahr 1913
wieder in die Erscheinung.
Die Mitglieder der Angestelltenverbände sind der Gefahr der Arbeits-
losigkeit, wie bereits hervorgehoben wurde, bei weitem nicht in dem
Maße ausgesetzt wie die Arbeiter. Auch ist die Stellenlosigkeit der
Privatangestellten nicht solchen Schwankungen unterworfen wie die
Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmer, was auch schon Gegenstand beson-
derer Besprechung war. Vergleichen wir nun die verschiedenen Kurven,
die uns über den jeweiligen Stand der Stellenlosigkeit in den an die
Reichsstatistik angeschlossenen Angestelltenverbänden unterrichten sol-
len, so finden wir die vorstehend ausgeführten Regelmäßigkeiten in jeder
Weise bewiesen. Eine Ausnahme davon macht die Kurve, die den Ver-
lauf der Stellenlosigkeit in den Bureaubeamtenverbänden darstellt. Die
Mitglieder letzterer scheinen tatsächlich etwas gefährdeter zu sein als
die der übrigen Angestelltenverbände, denn der Verlauf der Kurve dürfte
wohl weniger als regelmäßig zu nennen sein. Auch hierfür gibt das
Reichsarbeitsblatt keine näheren Gründe an und berichtet nur die bloße
Tatsache. Direkte Anfragen bei den in Betracht kommenden Verbänden
konnten jedoch auch keine Erklärung für das Maximum im 2. Viertel-
Herbst: Arbeitslosenstatistik 10
146 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
jahr 1911 beschaffen. Es wurde an der zuständigen Stelle nur der Ver-
mutung Ausdruck gegeben, daß gerade zu jener Zeit zufällig eine größere
Anzahl von Beamten versicherungsberechtigt geworden sein könnte,
die ebenfalls aus rein zufälligen Gründen die Stellenlosenunterstützung
in erhöhtem Maße in Anspruch nahmen. Die Schwankungen der Stellen-
losenziffern, die gerade bei den Bureaubeamtenverbänden festgestellt wur-
den, sind höchstwahrscheinlich ein wenig brauchbares Produkt der noch
zahlreiche Mängel und Unzuverlässigkeiten aufweisenden deutschen
Stellenlosenstatistik des Kaiserlichen Statistischen Amtes in Verbindung
mit den Privatangestelltenverbänden. Jedenfalls lassen sich in diesem
Falle nicht die gleichen sicheren Schlüsse ziehen, wie es für die Jahre
1908 und 1913 möglich war, und wir können nur davor warnen, an der-
artige Zufälligkeiten wissenschaftliche Betrachtungen zu knüpfen, die
doch nur negative Ergebnisse zeitigen würden.
Alles in allem können wir zusammenfassend wiederholen, daß die
assoziierte Arbeitslosenstatistik doch wohl ganz brauchbare Resultate
liefert, die es ermöglichen, die Schwankungen des Arbeitsmarktes bis
zu einem gewissen Grade zahlenmäßig sicher zu verfolgen. Wir haben
gesehen, daß sich aus den Ergebnissen zweifellos wichtige Schlüsse
ziehen lassen, so die regelmäßigen Bewegungen der Arbeitslosenziffern
im Laufe des Jahres, die Unterschiede zwischen den Zahlen der Fach-
verbände und denjenigen der Privatangestelltenverbände und vor allem
die typischen Erscheinungen der Jahre 1908 und 1913. Besonders
letztere sind uns durch die Feststellungen der reichsamtlichen Statistik
in gebührender Weise klar und übersichtlich skizziert worden. Und was
speziell ihre Zuverlässigkeit gerade in dieser Hinsicht anlangt, so glauben
wir wohl auch kaum Zweifel darein setzen zu dürfen — abgesehen von
den bereits bei der kritischen Besprechung angeführten Mängeln. Sind
doch im Jahre 1913 in Dresden, wie wir oben lasen, gegenüber den
Vorjahren auch recht beträchtliche Arbeitslosenzahlen ermittelt worden,
und lieferten die amtlichen Zählungen im Königreich Sachsen, die dort
am 12. Oktober 1913 vorgenommen wurden, ebenfalls erschreckend
hohe Arbeitslosenziffern — wir werden nicht verfehlen, über diese
interessante Tatsache noch ausführliche Mitteilungen zu geben. Es
erscheint daher angezeigt, der assoziierten Arbeitslosenstatistik eine ge-
wisse innere Berechtigung zuzuerkennen und ihre Bedeutung um so eher
zu würdigen, zumal die gleichen positiven Ergebnisse, wie es gerade
hier der Fall ist, auch an anderer, gleich maßgebender und zuverlässiger
Stelle erzielt worden sind.
Indirekte Veranstaltungen. — Arbeitsmarktstatistik 147
Ill. Indirekte Veranstaltungen.
§ 1. Die deutsche Arbeitsmarktstatistik im allgemeinen.
Die ersten periodischen Berichterstattungen tiber den Arbeitsmarkt
fiir ganz Deutschland gehen Mitte der 90er Jahre von privater Seite
aus, während sie von Amts wegen nur für einzelne Landesteile oder
Bundesstaaten erfolgen, so in Württemberg im Jahre 1895. Zwei Jahre
später konzentriert Dr. Jastrow die private Berichterstattung in einem be-
sonderen Organ, genannt „Der Arbeitsmarkt“, in dem in Anlehnung an die in
Deutschland bestehenden selbständigen Organisationen der Arbeitsnach-
weise, Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten, unter Verwen-
dung statistischer Methoden, die Schwankungen des Arbeitsmarktes fort-
dauernd verfolgt wurden. Die im Jahre 1902 erfolgte Begründung der
„Abteilung für Arbeiterstatistik“ im Kaiserlichen Statistischen Amte
ermöglichte endlich die fernere Pflege der Berichterstattung über den
Arbeitsmarkt als eines der vornehmsten Gebiete der Arbeitsstatistik
überhaupt von Amts wegen, und so findet sich seit dem Erscheinen des
„Reichsarbeitsblattes‘ in diesem Organ eine fortlaufende monatliche Be-
obachtung der Schwankungen des Arbeitsmarktes.
Diese Berichterstattung benutzt vornehmlich den Weg der statisti-
schen Beobachtung und begründet sich zur Gewinnung der für die Be-
obachtung des Arbeitsmarktes nötigen rein statistischen Hilfsmittel ge-
wissermaBen von selbst auf die Deutschland eigentümlichen Organisa-
tionen der Stellenvermittlungsstellen und der Arbeitsnachweise, Kran-
kenkassen und Versicherungsanstalten, auf deren Bedeutung für diese
Zwecke die Wissenschaft schon seit längerer Zeit hingewiesen hatte,
und deren sich auch bereits die private Berichterstattung mit richtigem
Blicke bediente. Es sind also in erster Linie die Geschäftsergebnisse der
erwähnten Einrichtungen, auf denen sich die Statistik des Arbeitsmarktes
aufbaut und die demzufolge auf diese Weise in den Stand gesetzt wird,
einerseits die Entwicklung von Angebot und Nachfrage nach Arbeit
sowie das Verhältnis derselben an denjenigen Stellen, wo beide ge-
wissermaßen konzentriert in Erscheinung treten, d. h. bei den kaufmän-
nischen Stellenvermittlungsstellen und den öffentlichen Arbeitsnach-
weisen, statistisch zu erfassen und die Veränderungen von Monat zu
Monat darzustellen, andererseits aus der Zu- oder Abnahme der Mit-
gliederzahl der Krankenkassen und Versicherungsanstalten auf die Zu-
oder Abnahme des Beschäftigungsgrades zu schließen. Daneben kommen
noch eine Reihe weiterer Beobachtungen für die Beurteilung der Ten-
denzen des Arbeitsmarktes in Betracht, so die Zahlen der Auswanderung,
der Eheschließungen, die Ziffern über die Obdachlosigkeit, die Armen-
pflege, den Bettel und die Kriminalität sowie die Statistik der Ab- und
Zuzüge; ebenso gestattet die Beobachtung der Bewegungen der Zahl der
10°
148 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
in gewerblichen Berufsgenossenschaften rechnungsmäßig beschäftigten
Vollarbeiter Rückschlüsse in der genannten Richtung.
Es liegt nun nahe, die Arbeitsmarktstatistik mit der Arbeitslosen-
statistik zu identifizieren und aus den Ergebuissen der ersteren bis zu
einem gewissen Grade Ziffern herauszulesen, die einen Überblick über
den Umfang der Arbeitslosigkeit in denjenigen Kreisen, die die Tätig-
keit der Vermittlungsanstalten und Arbeitsnachweise in Anspruch zu
nehmen gezwungen sind, oder der Mitglieder der Krankenkassen und
Versicherungsanstalten ermöglichen. Wir müssen aber vor einer der-
artigen Annahme dringend warnen und können bereits an dieser Stelle
unter Hinweis auf die in der Folge bei der Besprechung der einzelnen
öffentlichen und privaten Einrichtungen, die die Arbeitsmarktstatistik
mit Material versehen, darzulegenden Gründe jede direkte Beziehung
zwischen der Arbeitslosenstatistik und der Arbeitsmarkstatistik verneinen
und allen inneren Zusammenhang zwischen beiden entschieden ablehnen.
Wir werden die zahlreichen Mißverständnisse und MiBdeutungen, denen
die Zahlen der Arbeitsmarktstatistik ausgesetzt sind, ausführlich darstellen
und somit den Beweis erbringen, daß die Arbeitsmarktstatistik keine
Arbeitslosenstatistik ist, da es unmöglich ist, mit ihr den Umfang der
Arbeitslosigkeit zu messen.
§ 2. Die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsnachweise.
Das Kaiserliche Statistische Amt trat zu Beginn des Jahres 1903,
als die kurz zuvor erfolgte Begründung der „Abteilung für Arbeiter-
statistik“ nunmehr eine intensivere Pflege der Berichterstattung über
den Arbeitsmarkt von Amts wegen gestattete, mit den verschiedenen
Arten der in Deutschland bestehenden Arbeitsnachweise in Verbindung
und vereinbarte mit ihnen eine fortlaufende monatliche Berichterstattung
über ihre Vermittlungstätigkeit. Es lag nahe, die Prüfung der Bewe-
gung von Angebot und Nachfrage nach Arbeit an einem so groß wie
möglich gestalteten Ausschnitt des Arbeitsmarktes vorzunehmen und
demgemäß beschränkte sich das Kaiserliche Statistische Amt nicht nur
auf die im „Verbande deutscher Arbeitsnachweise“ zusammengefaßten
Arbeitsnachweise, sondern zog alle bedeutenderen, seinerzeit im Reiche
bestehenden Arbeitsnachweise zur Beteiligung heran. Ihre Zahl belief
sich bei der ersten Berichterstattung, die im Monat April 1903 vorlag,
auf etwa 350, die sich im Laufe der Zeit mehr und mehr vergrößerte.
Gegenwärtig sind fast 950 Arbeitsnachweise, kommunale, paritätische,
Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Iunungsnachweise sowie landwirt-
schaftliche Arbeitsnachweisstellen an die Berichterstattung für das
„Reichsarbeitsblatt“ angeschlossen, von denen wohl nicht alle, aber auf
jeden Fall die größere Mehrzahl über ihre Vermittlungstätigkeit regel-
mäßig und rechtzeitig berichten, so daß der statistischen Beobachtung
Arbeitsnachweise 149
des Arbeitsmarktes ein immerhin wertvolles Material fiir die Erkennt-
nis der Arbeitsmarktverhältnisse, besonders an den einzelnen Orten, zur
Verfügung steht.
Die Grundlage der Methode der Arbeitsnachweisstatistik bildet eine
Anzahl von Formularen, die der Verschiedenheit der Geschäftsführung
bei den einzelnen Arbeitsnachweisen entsprechend von diesen verwendet
werden, um dem Kaiserlichen Statistischen Amt bis zum 10. jeden Mo-
nats die gewünschten Monatsübersichten einzusenden.
Den uns zur Verfügung gestellten Formularen, auf deren Abdruck
wir jedoch hier verzichten können, da die Arbeitsnachweisstatistik —
wie später noch erörtert werden wird — für die Arbeitslosenstatistik
nur indirekte Bedeutung besitzt, entnehmen wir folgendes.
Die Eingliederung der einzelnen Berufsarten in die Berufsgruppen
geschieht einheitlich nach einem vom Kaiserlichen Statistischen Amt
für diese Zwecke ausgearbeiteten, alphabetischen Berufsverzeichnis, wel-
ches den Arbeitsnachweisen zur Verfügung gestellt ist.
Der Arbeitsuchende wird demjenigen Berufe zugeteilt, in welchem er
Arbeit sucht. Sucht er gleichzeitig gelernte und ev. auch ungelernte
Arbeit, so wird er bei dem Berufe der gelernten Arbeit gezählt. Die
angemeldete offene Stelle ist demjenigen Berufe zuzuzählen, welchem
die gesuchte Arbeitskraft angehören soll. — Zu zählen sind nicht die
Fälle, sondern die Personen, welche Arbeit suchen, also nicht bloß Ar-
beitslose; die nämlichen Personen sind nur dann wiederholt zu zählen,
wenn das vorausgegangene Gesuch erledigt ist, sei es durch Vermitt-
lung, Fristablauf oder Zurücknahme. Eine Vermittlung ist nur dann
anzunehmen, wenn sie durch den Arbeitsnachweis selbst stattgefunden
hat, und zwar, wenn die Stelle nicht bloß zugewiesen, sondern vom Ar-
beitsuchenden auch tatsächlich angetreten ist. In welcher Weise der
Arbeitsnachweis sich diese Kontrolle darüber verschafft, bleibt ihm
überlassen. — Es werden soviel Stellen gezählt, als Einzelarbeitskräfte
wirklich, und nicht nur zur Auswahl, gesucht werden. — Bei denjenigen
Berufen, in denen Aushilfsstellen vermittelt wurden, z. B. bei Kellnern,
Zivilmusikern, Bäckern, Barbieren, Waschfrauen usw., ist deren Zahl in
der Spalte „Bemerkungen“, in der außerdem noch besondere Mitteilungen
über die allgemeine Lage des Arbeitsmarktes im Bezirke des Arbeits-
nachweises erwünscht sind, kenntlich zu machen.
Die Übersichten der allgemeinen Arbeitsnachweise enthalten in der
Vorspalte, der Gruppeneinteilung der Berufsstatistik entsprechend, die
bekannten 26 Berufsgruppen. Die Köpfe der Hauptspalten tragen die
Bezeichnungen „Zahl der Arbeitsuchenden“, „Zahl der offenen Stellen“,
beide Male unterschieden nach dem „Rest des Vormonats“ und „neuen
Arbeitsuchenden bzw. Meldungen“ sowie „Zahl der durch den Nachweis
im Berichtsmonate besetzten Stellen“. — Die Formulare, deren sich die
Arbeitsnachweise der Arbeitgeberverbände und die Facharbeitsnach-
150 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
weise bedienen, sind wesentlich einfacher angeordnet. Hier werden die
Bezeichnungen der jeweils in Betracht kommenden Berufe nur hand-
schriftlich eingetragen; die Vordrucke, welche die oben besprochenen
Übersichten enthalten, sind bei diesen Formularen weggefallen. Im
übrigen sind keine weiteren Abweichungen vorhanden. — Die landwirt-
schaftliche Stellenvermittlung benutzt zwei verschiedene Formulare.
Das erste entspricht in der Hauptsache denen der übrigen Arbeitsnach-
weise. In den Vorspalten finden sich die Bezeichnungen für die einzelnen
Kategorien der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen wie Be-
amtenschaft sowie höhere und niedere Arbeiterschaft. Diese zerfällt
einerseits in die ständigen niederen Arbeiter mit den beiden Unter-
gruppen Gesinde und freie ständige Arbeiter und andererseits in die
Wanderarbeiter, die jedoch vollständiger durch das zweite Formular er-
faBt werden. Bei der höheren landwirtschaftlichen Arbeiterschaft sind
die höheren Arbeiter sowie die ledigen und verheirateten Schweizer
unterschieden. Die Köpfe der Hauptspalten tragen wieder die Bezeich-
nungen „Zahl der Arbeitsuchenden“, „Angeforderte Arbeitskräfte“ und
„Zahl der im Berichtsmonat besetzten Stellen“. — Bei sämtlichen For-
mularen ist die Unterscheidung nach männlichen und weiblichen
Personen in allen Fällen durchgeführt. Ebenso finden sich überall
in der letzten Spalte die bereits an anderer Stelle erwähnten „Bemer-
kungen“.!)
Die Bearbeitung des Materials erfolgt teils zentralisiert, teils de-
zentralisiert. Ersteres trifft besonders für einige größere Orte zu, wo die
Bearbeitung aller dort bestehenden Arbeitsnachweise von einiger Be-
deutung an einer Zentrallstelle, z. B in Berlin der „Zentralverein für
Arbeitsnachweis“, erfolgt. Die zusammengestellten Ergebnisse gehen so-
dann dem Kaiserlichen Statistischen Amte zu, dem nur die Veröffent-
lichung im „Reichsarbeitsblatt“ obliegt. Eine selbständige Bearbeitung
haben sich einzelne Bundesstaaten vorbehalten. Die Organe des eigenen
Staates nehmen selbst die Bearbeitung vor und nur die Zusammenstel-
lungen aus dem Material, welche nach einheitlichen Grundsätzen auf-
gestellt sind, gehen dem Kaiserlichen Statistischen Amte zu, wogegen
das Material selbst zu eingehenderer Bearbeitung den Bundesstaaten
verbleibt.
Wenden wir uns nunmehr einer eingehenden Besprechung der ver-
schiedenen Fehlerquellen und Mängel zu, die der Statistik der Arbeits-
nachweise anhaften, so müssen wir in erster Linie den der Unvollkom-
menheit als ganz besonders ausgeprägt bezeichnen. Es ist von vornher-
ein zu bedenken, daß die Tätigkeit der nicht gewerbsmäßigen Arbeits-
1) Gegenwärtig schweben Erwägungen über eine Änderung der Arbeits-
nachweisformulare. Es steht jedoch dahin, wann diese tatsächlich vorgenommen
wird. Wir können uns deshalb mit unseren obigen Ausführungen bescheiden.
Arbeitsnachweise 151
nachweise nur einen verhältnismäßig sehr geringen Teil der Arbeitsver-
mittlung überbaupt darstellt. Die weitaus größte Anzahl von Vermitt-
lungen vollzieht sich auch heute noch auf anderem Wege, nämlich durch
die gewerbsmäßige Stellenvermittlung, das Inserat oder die Umschau.
Erstere Art der Arbeitsvermittlung aber an die Statistik der Arbeits-
uachweise anzuschließen, erscheint aus technischen Gründen keineswegs
ratsam, während die beiden letzteren sich statistisch wohl überhaupt
kaum erfassen lassen. Somit besteht bezüglich der Gesamtrichtung der
aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei den Arbeitsnach-
weisen zu ziehenden Schlüsse stets eine gewisse Unsicherheit, die die-
ser Statistik natürlich nur bedingten Wert verleiht und große Vorsicht
bei der Anwendung der Ergebnisse voraussetzt. Neben dieser Unvoll-
kommenheit der Gesamtresultate macht sich noch besonders die Unver-
gleichbarkeit der Zahlen der in Betracht kommenden Arbeitsnachweise
untereinander recht bemerkbar. Der Grund hierfür liegt in der Ver-
schiedenartigkeit der Geschäftsführung bei den einzelnen Arbeitsnach-
weisen, die sich aus der Verschiedenartigkeit der lokalen Bedürfnisse
und der Bedürfnisse bestimmter Gewerbe erklärt. Insbesondere werden
die Begriffe „Vormerkungsfrist“ und „Arbeitsuchende“ allerorten ver-
schieden aufgefaßt. Wenn auch im Laufe der Zeit gewisse einheitliche
Normen, zumal für die Verbandsnachweise, geschaffen worden sind, so
hat sich jedoch eine solche Einbeitlichkeit für alle beteiligten Arbeits-
nachweise noch nicht erreichen lassen und wird wohl auch kaum jemals
zustande kommen. Also sind die Zahlen der angeschlossenen Arbeits-
nachweise genau genommen untereinander nicht ohne weiteres vergleich-
bar, man kann vielmehr nur die Entwicklung bei den einzelnen Arbeits-
nachweisen in sich sowie etwa die Ergebnisse von Arbeitsnachweisen
gleichen Systems untereinander vergleichen. Faßt man die Arbeits-
nachweise einer Stadt oder eines größeren Gebietes trotzdem unter ge-
wissen Gesichtspunkten zusammen, so muß man sich bewußt bleiben,
daß es sich dabei um ziemlich ungleichartiges Material handelt und da-
her die so gewonnenen Zahlen Fehlerquellen enthalten. Aber die Be-
deutung der Fehler wird für diese Statistik dadurch gemildert, daß sie
in jedem Monat wiederkehren und daher im großen und ganzen auf eine
gewisse Ausgleichung im Ergebnisse gerechnet werden darf.
Ein weiterer erschwerender Umstand sind die Doppelzählungen
derselben Personen bzw. Arbeitsuchenden, die sich wohl bei demselben
Arbeitsnachweise, niemals aber bei der Gesamtheit der Arbeitsnachweise
vermeiden lassen. In jeder größeren Stadt meldet sich die arbeitsuchende
Person bei mehreren Arbeitsnachweisen, in deren Ziffern sie daher als Ar-
beitsuchender erscheint, und ebenso ist eine Kontrolle nicht möglich,
wie oft dieselbe Person sich bei Arbeitsnachweisen in anderen Orten ge-
meldet hat. Dann wieder meldet der Betreffende, nachdem er Arbeit ge-
funden hat, sei es aus Nachlässigkeit oder VergeBlichkeit die Erledigung
152 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
seines Gesuches nicht und wird daher in den Listen als Arbeitsloser
weiter geführt. Alles in allem ist somit die Arbeitsnachweisstatistik keine
wirkliche Individualstatistik, da die Ergebnisse nicht die Zahl der ar-,
beitsuchenden Personen, sondern die der Arbeitsgesuche enthalten, was
aus unseren Darlegungen hervorgeht.
Nicht unerwähnt bleiben darf ferner die Roheit der beruflichen
Gliederung bei den verschiedenen Arbeitsnachweisen. Besonders die
lokale Statistik hat darunter stark zu leiden, da bei ihr eine feinere Be-
rufsgliederung ganz unmöglich ist. Dagegen besteht für die Gesamt-
übersicht über das Reich wenigstens eine gewisse Gliederung nach
größeren Berufsgruppen, wozu die allgemeinen Berufsgruppen der Be-
rufsstatistik als am geeignetesten erachtet wurden. Diese Einteilung ist
zwar, weil sie mitunter recht verschiedenartige Berufe zusammenfaßt,
im allgemeinen nicht ganz zweckmäßig. Sie bildet aber hier eine brauch-
bare Gruppierung, die es erst ermöglicht, Schlüsse auf die Gesamtrich-
tung des Arbeitsmarktes in bestimmten Industrien zu ziehen. Die ein-
zelnen Zahlen würden auch sonst zu klein sein, um sie zu diesem Zwecke
zu verwenden.
Berücksichtigt man die vielen aufgeführten einzelnen Mängel, so
ergibt sich fast von selbst, daB die Arbeitsnachweisstatistik für die
statistische Erfassung der Arbeitslosigkeit nur geringen Wert hat.
Aber so anfechtbar nun vom Standpunkte der Methode eine Statistik
sein würde, die aus diesem Material umfassende Folgerungen zu ziehen
unternähme, so wertvoll ist es doch immerhin für die Erkenntnis der
Arbeitsmarktverhältnisse an den einzelnen Orten, und wir kommen so-
mit zu dem Schlusse, daB die Statistik der Arbeitsnachweise für diese
Zwecke nicht ganz bedeutungslos ist, aber niemals auf dem Gebiete der
Arbeitslosenstatistik eine größere Rolle zu spielen imstande sein wird.')
§ 3. Die Bewegung der Mitgliederzahlen der Krankenkassen.
Die Beobachtung der Bewegung des Mitgliederbestandes der Kranken-
kassen setzt anfangs der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein und
1) Anderer Meinung ist jedoch der „Verband badischer Arbeitsnachweise',
der seit dem 1. Januar 1898 in seinem Geschäftsbereich regelmäßige Erhebungen
über die Dauer der Arbeitslosigkeit der eingeschriebenen Arbeitnehmer vornimmt.
Diese Veranstaltungen sollen im Gegensatz zu den Arbeitslosenzählungen, die nur
den Bestand an Arbeitslosen an einem Stichtag ermitteln, gewissermaßen Be-
wegungsaufnahmen der Arbeitslosen innerhalb des Kalenderjahres darstellen.
Näheres über die Methode und Publikationsweise in den „Statistischen Mittei-
lungen über das Großherzogtum Baden“, 1911, S. 59.
Merkle, dessen Arbeitslosenstatistik wir mit Hinblick auf die große Aus-
dehnung des Gebietes und die Bedeutung der Materie — vor allem was die
Grundfragen anlangt — kaum als erschöpfend bezeichnen können, äußert sich
auch zu der Frage der Bestands- und Bewegungsmassen der Arbeitslosen und
deutet vorsichtig an, daß der zentralisierte Arbeitsnachweis zur Lösung des Prob-
lems speziell in dieser Hinsicht wesentlich mit beitragen könnte.
Krankenkassenstatistik 153
wird gleich den ersten Berichterstattungen über den Arbeitsmarkt vor-
nehmlich von privater Seite gepflegt Die Veranlassung hierzu gab der
Hinweis des Professors Hirschberg auf die Bedeutung der Veränderung
des Mitgliederbestandes der Krankenkassen als eines MaBstabes für die
Bewegung des Arbeitsmarktes. Diese in ihrer Art neue Methode fand
in den beteiligten Kreisen eine günstige Aufnahme und kam verschie-
dentlich zur Anwendung. Das Kaiserliche Statistische Amt selbst be-
faßte sich im Jahre 1897 (Band 84 der „Statistik des Deutschen Reiches“)
mit einer eingehenden Darstellung der auf diesem Gebiete bisher vor-
genommenen Veranstaltungen und berichtet im Anschluß daran über
die Mitgliederbewegung der in Betracht kommenden Krankenkassen.
Außerdem teilt seit 1900 die Zeitschrift „Der Arbeitsmarkt“, das da-
malige Organ der privaten periodischen Arbeitsmarktberichterstattung,
für eine Anzahl Kassen und Städte monatlich die Veränderungsziffern,
wenn auch ohne weitere Gliederung, mit. Im Jahre 1903 erfolgte dann end-
lich die amtliche Organisation dieser die Bewegung der Mitgliederzahlen
der Krankenkassen beobachtenden Statistik. Das Kaiserliche Statistische
Amt wandte sich nach Genehmigung der Landesregierungen an die Magist-
rate oder die sonst in Betracht kommenden unteren Aufsichtsbehörden, an
die Kassen das Ersuchen zu richten, das vom Amte herausgegebene For-
mular') monatlich auszufüllen und dem Amte durch Vermittlung der
Aufsichtsbehörde bis zum 10. jeden Monats einzureichen. Dem Er-
suchen ist durchgängig bereitwilligst entsprochen worden und dement-
sprechend ist der Kreis der gegenwärtig berichtenden Krankenkassen
ein ziemlich großer. Von den im Deutschen Reiche vorhandenen 21659
Zwangskrankenkassen (außer den Hilfskassen) haben sich Ende 1913
12°/,, d. h. 2557 aus 188 Orten, an der Reichsstatistik beteiligt, und es
umfassen somit die Nachweisungen etwa 4,2 Millionen Mitglieder, was
ungefähr !4 sämtlicher deutschen Krankenversicherten ausmacht.
Die Verwertbarkeit dieser Methode für die Erkenntnis der Bewe-
gung des Arbeitsmarktes beruht darauf, daß jeder gewerbliche Arbeiter
nach den Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes, solange er
beschäftigt ist, gegen Krankheit versichert sein muß. Mit dem Austritt
aus der Beschäftigung entfällt dieser Zwang, der Arbeiter ist jedoch
gegen Zahlung der vollen Beiträge berechtigt, sich freiwillig weiter zu
versichern. Aus der Zu- und Abnahme des Mitgliederbestandes können
danach gewisse Schlüsse auf den Beschäftigungsgrad der Arbeiter ge-
1) Diese Monatsübersichten der Krankenkassen teilen nach dem Stand am
1. Tage des Berichtsmonats einerseits die Gesamtzahl ihrer männlichen und
weiblichen Mitglieder, unterschieden nach versicherungspflichtigen und freiwilligen,
mit, andererseits geben sie Auskunft über die Zahl der erwerbsunfihig krank
Gemeldeten männlichen und weiblichen Geschlechts überhaupt und der sich dar-
unter befindlichen Versicherangspflichtigen. Auch werden zum Vergleiche ge-
wöhnlich noch die entsprechenden Angaben des Vormonats beigegeben.
154 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
zogen werden. Diese Ergebnisse, die eine Erkenntnis des Beschäftigungs-
grades zu vermitteln erstreben, werden jedoch durch eine Reihe von
Fehlerquellen getrübt, und es sind somit nur mit größter Vorsicht
Schlüsse daraus zu ziehen. Es unterliegt nämlich ein großer Kreis der
verschiedensten Berufe und Personen der reichsgesetzlichen, landesge-
setzlichen oder statutarischen Versicherungspflicht, die für den gewerb-
lichen Arbeitsmarkt nicht in Betracht kommen, wodurch die gewonne-
nen Zahlen einen keineswegs beabsichtigten Zuwachs erfahren, und so-
mit die Orientierung über den Beschäftigungsgrad der auf diese Weise
zusammengefaBten verschiedenen Kategorien sehr erschwert wird. Denn
die Krankenversicherungspflicht besteht nicht nur für die gewerblichen
Arbeiter, sondern erstreckt sich gemäß den gesetzlichen Bestimmungen
(K.V.G.$1u.2) auch auf die im Handelsgewerbe oder sonst gegen
Gehalt oder Lohn beschäftigten Personen sowie auf Handelsgewerbe-
treibende, landwirtschaftliche Arbeiter u. a.
Ein weiterer Mangel der Methode liegt darin, daß die Nachweisungen
der Krankenkassen zwei Kategorien von Personen enthalten, die Ver-
sicherungspflichtigen und die sich freiwillig Versichernden. Die ersteren
allein kommen für die Statistik in Betracht, während die Zahl der frei-
willig versicherten Mitglieder ausgeschieden werden muß, und innerhalb
letzterer außerdem noch die nicht in Arbeit stehenden, was aber nicht
so leicht zu erzielen ist. Aber auch damit ist noch nicht die Zahl der
beschäftigten Personen gewonnen, da für den Arbeitsmarkt auch diejenigen
Personen nicht in Betracht kommen, welche wegen Krankheit erwerbs-
unfähig sind. Es ist also erforderlich, auch die Bewegung dieser Ziffern
zu wissen, wenn man die Bewegung des Beschäftigungsgrades ın ein-
wandfreier Weise verfolgen und erkennen will.
Der vielfache Gebrauch vom Rechte der doppelten Versicherung
trägt auch nicht gerade dazu bei, zuverlässige Schlüsse aus der Be-
wegung der Mitgliedsziffern auf den Arbeitsmarkt zu ziehen. Nach dem
Gesetze können sich die Versicherungspflichtigen entweder bei einer
Zwangskasse oder bei einer eingeschriebenen Hilfskasse versichern (K.
V.G.$$6u.7), und außerdem steht es den in einer Hilfskasse Ver-
sicherten frei, ihre Versicherung gleichzeitig auf eine Zwangskasse aus-
zudehnen. Es liegt nun die Auffassung nahe, die Mitgliederzahlen der
Hilfskassen den Zahlen der anderen Kassen einfach zuzuzählen; wir
müssen aber diesen Gedanken zurückweisen und empfehlen zur Ver-
meidung von Doppelzählungen die beiden erwähnten Zahlen auszuson-
dern und getrennt zu behandeln. Berücksichtigt man schließlich noch,
daß durch Todesfälle, Auswanderung usf. fortgesetzt Mitglieder dauernd
für den Arbeitsmarkt ausscheiden, so ist um so eher zu betonen, daß
die gewonnenen Zahlen in ihrem Werte nicht allzuhoch veranschlagt
werden dürfen und irgend welche Schlüsse daraus nur mit größter Vor-
sicht zu ziehen sind.
Krankenkassenstatistik 155
Jedenfalls sind alle diese Fehlerquellen dazu angetan, die Methode,
die auf Grund der Bewegung des Mitgliederstandes der Krankenkassen
Einsicht in die Bewegung und den jeweiligen Stand des Arbeitsmarktes
zu gewinnen sucht, in ihrer Selbständigkeit stark zu beschränken und
ihre Anwendung nur in Verbindung mit anderen, geeigneteren Methoden
oder als Ergänzung dazu als angemessen erscheinen zu lassen.
Zur Vermeidung von Irrtümern sei es uns gestattet, an dieser Stelle
noch einige kurze Bemerkungen über die Bedeutung der vorerwähnten
Hilfskassen in der modernen Gesetzgebung beizufügen.
Vor dem Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung vom 19.
VII 1911 bestanden 4 verschiedene Kassenarten. Dieser Rechtszustand
war durch das Hilfskassengesetz vom 7. IV. 1876 herbeigeführt worden.
Man unterschied die auf Grund reichsgesetzlicher Vorschriften errich-
teten eingesehriebenen und die auf Grund landesrechtlicher Vorschriften
errichteten übrigen freien Hilfskassen, mit und ohne Mindestleistungen
der Gemeindekrankenversicherung. Seit ihrer Entstehung haben diese
Kassen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt und sich stets der größten
Beliebtheit erfreut. Es ist darum wohl nur zu verständlich, daß es nie-
mals an Versuchen der Zwangskassen, die Hilfskassen zu bekämpfen,
gefehlt bat. Durch die Novelle zum Krankenversicherungsgesetz vom
10. IV. 1892, die schärfere Bestimmungen über die bis dahin übliche
Ablösung der Krankenunterstützung erließ, verloren die Hilfskassen
zum Teil ihre frühere Bedeutung. Ihre Mitgliederzahlen waren von
diesem Zeitpunkte an einer fortwährenden Abnahme unterworfen. Einen
weiteren Rückgang der Hilfskassen vermochte die sozialdemokratische
Partei nur dadurch aufzuhalten, daß sie erhebliche Anstrengungen
machte, eine Reihe dem Reichstag vorgelegter Entwürfe von neuen Ge-
setzen über die Hilfskassen zu Fall zu bringen. Diese Vorlagen wurden
veranlaßt durch offen zutage tretende Mißstände im Hilfskassenwesen
jener Zeit. Endlich gelangte nach vielen Bemühungen Ende 1911 der
„Entwurf eines Gesetzes betr. die Aufhebung des Hilfskassengesetzes“ zur
Verabschiedung und mit dem Gesetz. vom 20. XII. 1911 ist der Begriff
der deutschen Hilfskassen ein historischer geworden.
Das vorerwähnte Gesetz steht im engsten Zusammenhange mit der
RVO., der bedeutendsten modernen Kodifikation auf dem Gebiete des
deutschen Arbeiterversicherungsrechts. Die RVO. läßt gemäß § 503
den früheren Hilfskassen unter gewissen Bedingungen die weitere Exi-
stenz als sogenannte Ersatzkassen zu. Auch können die alten Hilfs-
kassen, wenn sie den Vorschriften des Aufsichtsamtes genügen, als Zu-
schußkassen noch fortbestehen. Im allgemeinen sind jedoch die reichs-
gesetzlichen Vorschriften so einschneidender Natur, daß die Mehrzahl
der Hilfskassen wohl ohne Zweifel als vollständig aufgehoben betrachtet
werden kann.
Das völlige Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung am 1. Ja-
156 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
nuar 1914 hat jedoch auch noch in anderer Beziehung maBgebende An-
derungen gezeitigt, die gerade fiir die Krankenversicherungsstatistik von
besonderer Bedeutung geworden sind. So ist vor allem der Kreis der
versicherungspflichtigen Personen erheblich erweitert worden und an-
dererseits hat die gesamte Kassenorganisation sowohl hinsichtlich der
Organisationsform als auch in bezug auf die lokale Zuständigkeit eine
durchgreifende Umgestaltung erfahren. Beide Momente verleihen der
Krankenkassenstatistik, die ohnedies als solche bisher schon immer ver-
hältnismäßig brauchbare Ergebnisse geliefert hat, weiterhin eine erhöhte
soziologische, soziale und nationalökonomische Bedeutung.
Die einschlägigen Bestimmungen über die Versicherungspflicht ent-
halten die Sg 165 ff. RVO. Wir finden dort die in Betracht kommen-
den Personen aufgezählt und ersehen daraus, daß den früheren versiche-
rungspflichtigen Gewerben noch eine Reihe weiterer hinzutreten. So ist
jetzt der Versicherungszwang auch auf die landwirtschaftlichen Arbeiter,
die Dienstboten und selbst die Hausgewerbetreibenden u. a. ausgedehnt
worden. Während sich also bisher die Berichterstattung nur annähernd
auf den industriellen Arbeitsmarkt erstreckte, so werden sich in Zu-
kunft die Beobachtungen über den gesamten Arbeitsmarkt anstellen
lassen. Die Krankenkassenstatistik gewinnt aber dadurch nur.
Auf der anderen Seite werden sich jedoch Bedenken erheben, daß
die Vergleichbarkeit der neueren Feststellungen nach rückwärts ziem-
lich leiden wird, da die infolge der modernen Gesetzgebung erheblich
angewachsenen Mitgliederzahlen unter wesentlich anderen Gesichts-
punkten zu betrachten sind als die bedeutend kleineren früherer Jahr-
gänge. Diese Befürchtungen sind aber grundlos. Die neu hinzugetre-
tenen Gruppen der Versicherten unterliegen nämlich nach der RVO.
Sonderbestimmungen, nach denen ihre Ausscheidung im Mitgliederver-
zeichnis erforderlich ist. Dies ist für die Arbeitsmarktstatistik sehr
wertvoll, indem künftig auch in den Monatsübersichten eine Ausschei-
dung jener Gruppen wird erfolgen können. Und auf diese Weise wird
es leicht möglich sein, den gesamten Arbeitsmarkt zur Beobachtung
heranzuziehen.
Was die Veränderungen in den Organisationsformen anlangt, so ist
dazu zu bemerken, daß vor allem die Gemeindeversicherung ganz aus-
geschaltet ist. Die Landkrankenkassen treten als neue Kassenarten in
die Erscheinung. Die „besonderen Ortskrankenkassen“ sowie die Be-
triebs- und Innungskrankenkassen bestehen nur insoweit fort, als sie
gewissen Anforderungen an eine Mindestmitgliederzahl genügen. Dazu
kommt ferner die Veränderung des räumlichen Bezirkes der Ortskranken-
kassen. Nach dem Krankenversicherungsgesetz wurden sie für die Ge-
meinde errichtet, nach der RVO. sollen sie aber in der Regel für den
Bezirk eines Versicherungsamtes errichtet werden; Versicherungsämter
Krankenkassenstatistik 157
können aber die Bezirke mehrerer unterster Verwaltungsbehörden um-
fassen.
Wir glaubten diese Erörterungen nicht umgehen zu können, ohne
die unsere folgenden Ausführungen über die methodologischen Beson-
derheiten der neueren Krankenversicherungsstatistik kaum ohne weite-
res verständlich erschienen wären. Die vorstehenden Bemerkungen
dürften jedoch vollkommen genügen, klarzulegen, welchen entscheiden-
den Einfluß die Einführung der neuen Gesetzesvorschriften auf die Ar-
beitsmarktstatistik ausübt. Noch weitere technische Einzelheiten zu
geben erübrigt, da die Materie schon eingehend im „Reichsarbeitsblatt“
1913, Heft 6, S.449 und Heft 12, S.896 sowie 1914, Heft 2, S. 111
besprochen worden ist.
Orts-
Für La Krankenkassen. Nachweisung
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für den Monat .............. 191..
über den Mitgliederbestand der ............ -Krankenkasse ..........
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Berichts-
monat
Vormonat
1) In den Spalten 8 und 5 sind als arbeitsunfühig Kranke alle diejenigen zu
zählen, welche gemäß den Bestimmungen der RVO. — abgesehen von son-
stigen Ansprüchen — einen Anspruch auf Krankengeld oder Behandlung im
Krankenhause haben, auch wenn sie bereits bei der vorhergehenden Monatsüber-
sicht gezählt worden sind und ohne Rücksicht darauf, ob sie etwa noch nicht
unterstützungsberechtigt sind. — Wöchnerinnen sind als arbeitsunfihig Kranke
zu zählen und daher in dieser Spalte mit anzugeben.
2) Lehrlinge, die Kost oder Wohnung erhalten, sind als entgeltlich be-
schäftigt anzusehen und in der Spalte 11 nicht mitzuzählen.
Etwaige Bemerkungen bitte auf der Rückseite zu machen.
158 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Nachdem nun das neue Krankenversicherungsrecht in Kraft ge-
treten war, erachien es auch angezeigt, die Berichterstattung der Kranken-
kassen für das „Reichsarbeitsblatt“ neu zu ordnen. Statt der bisherigen
gemeinsamen Nachweisung für alle Krankenkassen wurden von jetzt
ab 3 verschiedene Berichtsmuster ausgegeben und zwar solche für Orts-
und Landkrankenkassen einerseits, dann solche für die Innungs- und Be-
triebskrankenkassen und schließlich solche für die einzelnen Zahl- und
Meldestellen. Wir bringen an dieser Stelle nur das erstere zum Abdruck.
Das Berichtsmuster für die Innungs- und Betriebskrankenkassen unter-
scheidet sich davon lediglich durch den Wegfall der Spalten 6 bis 10.
Das dritte endlich ist dem ersteren inhaltlich natürlich vollkommen gleich.
Ende 1913 wurde dann von den maßgebenden Stellen aus eine
Anzahl Rundschreiben!) an die Bundesregierungen und die 1235 Ver-
sicherungsämter des Reiches gerichtet, um sämtliche Krankenkassen
zur Berichterstattung heranzuziehen und die Ausscheidung der beson-
deren Berufsgruppen, welche der Versicherung neu unterstellt sind, ein-
heitlich zu regeln. Die Bundesregierungen bewiesen dem Ansuchen der
deutschen statistischen Zentralbehörde ihre Sympathie und empfahlen
den Krankenkassen dringend die Beteiligung an der Berichterstattung.
Erfreulicherweise hat sich denn auch durch Vermittlung der Versiche-
rungsäniter, soweit bisher Antworten vorliegen, die ganz überwiegende
Mehrzahl der Krankenkassen dazu bereit erklärt, und es ist zu hoffen,
daß die wenigen Ausnahmen dies nicht dauernd bleiben werden.
Am 1. Februar 1914 ergab sich für sämtliche Kassen ein Bestand
von 4234083 männlichen und 2166037 weiblichen Mitgliedern; von
den ersteren waren versicherungspflichtig 93,5%, d. h. 3918680, von
den letzteren 1860443 oder 85,9 %,. Die größten Mitgliederzahlen wei-
sen die Ortskrankenkassen auf, die Landkrankenkassen die kleinsten,
die Betriebs- und Innungskrankenkassen stehen dazwischen.
Möge die Krankenversicherungsstatistik den berechtigtermaßen an
sie gestellten Erwartungen in Zukunft voll und ganz entsprechen und
mit der Zeit, nach ihrem Ausbau, ein wertvoller Bestandteil der Arbeits-
marktstatistik werden.
§ 4. Die Einnahmen der Landesversicherungsanstalten aus
dem Verkaufe der Versicherungsmarken.
Zur Ergänzung der bisher angeführten Methoden, die Schwankungen
des Arbeitsmarktes fortdauernd zu verfolgen, soll noch kurz auf die Be-
deutung derjenigen Veranstaltung hingewiesen werden, die unter An-
lehnung an die Organisation der Landesversicherungsanstalten die Be-
wegung der Ziffern des Verkaufserlöses der Versicherungsmarken als
Maßstab des Beschäftigungsgrades benutzt. Aus dem Steigen oder Fallen
1) Reichsarbeitsblatt 1913, Nr. 12, S. 896.
Landesversicherungsanstalten 159
des Erlöses der Marken für die Alters- und Invaliditätsversicherung will
diese Methode auf das Sinken und Steigen des Beschäftigungsgrades
schließen und sich somit Einsicht in die Bewegung des Arbeitsmarktes
verschaffen.
Die einzelnen Landesversicherungsanstalten senden monatlich ihre
Berichte über die Höhe des Erlöses aus den Beitragsmarken an das
Reichsversicherungsamt, das seinerseits die Nachrichten sammelt und
der Reichsstatistik zur Verfügung stellt. Das Kaiserliche Statistische
Amt veröffentlicht dann die Zahlen der Einnahmen der Landesversiche-
rungsanstalten aus dem Verkaufe von Versicherungsmarken von Monat
zu Monat im „Reichsarbeitsblatt“. Dabei ist aber zu beachten, daß die
Übersichten nur den Erlös aus den durch die Post verkauften Beitrags-
marken, nicht aber die Einnahmen aus Beträgen für die Seeleute (§ 167
des Invalidenversicherungsgesetzes) und nicht die für polnische Arbeiter,
russischer und österreichischer Staatsangehörigkeit, von den Arbeit-
gebern nach $ 4, Abs.2, Satz 2 des Invalidenversicherungsgesetzes ent-
richteten Beträge enthält. Andererseits werden die für vernichtete Mar-
ken erstatteten Beträge aus dem Markenerlöse nicht abgesetzt. Bei
einem Vergleich der neueren Zahlen mit den älteren ist zu beachten,
daB Anfang 1912 das vierte Buch der RVO. in Kraft trat, womit die
Beiträge sich erhöht haben und auch der Kreis der Versicherungspflich-
tigen eine gewisse Erweiterung erfahren hat.
Wenden wir uns nun einer kritischen Betrachtung der Bedeutung
dieser Zahlenreihen als eines MaBstabes für den Stand des Beschäfti-
gungsgrades zu, so müssen wir in erster Linie einer Tatsache, die den
Wert der Methode von vornherein wesentlich abschwächt, eingehende
Beachtung schenken. Es ist nicht zu verkennen, daß die Höhe des in
Betracht kommenden Erlöses bei den einzelnen Versicherungsanstalten
und in dem einzelnen Monat zu einem nicht unerheblichen Teil durch
Umstände beeinflußt wird, welche mit der Bewegung des Arbeitsmarktes
durchaus in keinem Zusammenhang stehen. Insbesondere entzieht es
sich, zumal bei einer Monatsstatistik, der Feststellung, ob die gekauften
Marken zur sofortigen Verwendung oder auf Vorrat gekauft sind, oder
um Versäumnisse durch nachträgliches Kleben der Versicherungsmarken
auszugleichen. Ebenso sind auch die Verkaufsergebnisse der Versiche-
rungsanstalten nicht untereinander vergleichbar, da bei den einzelnen
Anstalten die Handhabung der Kontrolle über die Verwendung von Bei-
tragsmarken verschieden ist. Es kommt ferner in Betracht, daß die
Beiträge für jede Woche zu entrichten sind, in’ welcher eine versiche-
rungspflichtige Beschäftigung, wenn auch nur an einem Tage der Woche,
ausgeübt wird. Es werden somit alle diejenigen, nicht seltenen Arbeits-
einschränkungen, die durch Verringerung der wöchentlichen Schichtzahl
ohne Arbeiterentlassung eintreten, durch den Markenverkauf überhaupt
nıcht zum Ausdruck gebracht.
160 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Trotz dieser zahlreichen Einwände, die der praktischen Anwendung
der Methode entgegenstehen, können wir nicht umhin, ihre ergänzende
Heranziehung neben den anderen Methoden zur Beobachtung der Be-
wegung des Arbeitsmarktes zu empfehlen, wobei aber zu betonen ist,
daß nur die Entwicklung der Zahlen jeder einzelnen Anstalt für sich
verfolgt werden darf. Wenn nämlich eine Versicherungsanstalt an-
dauernd steigende Verkaufserlöse aufweist, so wird in ihrem Bezirk
wohl kaum eine Krisis auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sein, während
eine erhebliche, andauernde Abnahme des Erlöses zu einer gegenteiligen
Behauptung Anlaß bietet. Betrachtet man die Statistik des Marken-
verkaufes unter diesem Gesichtspunkt, so wird man ihr in der darge-
stellten bedingten Form eine gewisse Bedeutung nicht versagen können.
§ 5. Die kaufmännische Stellenvermittlung.
Rechnung tragend dem schon lange lebhaft empfundenen Bedürf-
nis nach dem Vorhandensein fortlaufender, zusammenfassender Über-
sichten über die Ergebnisse der kaufmännischen Stellenvermittlungs-
tätigkeit und zur notwendigen Ergänzung der übrigen arbeitsmarkt-
statistischen Institute erachtete es das Kaiserliche Statistische Amt für
zweckmäßig, die in Betracht kommenden größeren kaufmännischen Ver-
bände zur Teilnahme an der in Aussicht genommenen Veranstaltung
heranzuziehen und setzte sich deshalb im Laufe des Jahres 1903 mit
ihnen in Verbindung.
Anfangs war man noch der Meinung, die Statistik der kaufmänni-
schen Stellenvermittlung mit der Arbeitsnachweisstatistik in Zusammen-
hang zu bringen, ließ jedoch später diesen Gedanken fallen und ent-
schloß sich mit Rücksicht auf die Eigenart der kaufmännischen Ver-
hältnisse, erstere unabhängig von letzterer vorzunehmen. Daher ent-
schieden sich das Kaiserliche Statistische Amt und die beteiligten Ver-
bände!) nach eingehenden Verhandlungen, der Statistik der kaufmännischen
Stellenvermittlung ein besonderes, die betonten Eigenarten beriicksich-
tigendes Formular zugrunde zu legen, dessen sorgfältige Ausfüllung den
einzelnen Vermittlungsstellen, unter denen gewissermaßen die Verbände
oder Vereine selbst zu verstehen sind, dringend empfohlen wurde.
Die dem Kaiserlichen Statistischen Amte über die Stellenvermitt-
lung der kaufmännischen Verbände einzureichenden Übersichten zer-
fallen in zwei Teile. Der erste enthält die nötigen Angaben über die
Vermittlungstätigkeit im Laufe des Quartals, im zweiten wird nach
dem Stand am letzten Tage des jeweiligen Quartals berichtet. Der
1) Die erste Aufnahme der kaufmännischen Stellenvermittlungstatistik im
1. Quartal 1904 umfaßte insgesamt 39 Verbände. Ende 1913 betrug die Zahl der
angeschlossenen kaufmännischeu Vereinigungen 25.
Stellenvermittlung der Kaufleute 161
Inhalt der Vorspalte ist fiir beide Teile des Formulars gleich. Es wer-
den darin unterschieden:
A. Kontoristen, Kassierer, Buchhalter, Korrespondenten usw. aus
verschiedenen Geschäftszweigen.
B. Verkäufer, Lageristen, Magaziniere und Reisende aus folgenden
Geschäftszweigen und zwar
1. Eisen, Eisenkurzwaren, Werkzeuge und verwandte Geschäfts-
zweige,
2. Leder-, Kurz-, Galanterie-, Spiel-, Glas-, Porzellanwaren und
verwandte Zweige (Bleistift, Pinsel usw.),
3. Tuch-, Seidenkonfektion, Manufakturwaren und verwandte
Zweige,
4. Kolonial-, DelikateB-, Drogen-, Farbwaren und verwandte
Zweige,
5. verschiedene.
Die Hauptspalten sind im ersten Teile des Formulares folgender-
maßen angeordnet:
Zahl der Bewerbungen mit Vortrag aus dem Vorquartal und neuen
Bewerbungen.
Zahl der offenen Stellen mit Rest aus dem Vorquartal und neuen
Meldungen.
Zahl der zurückgezogenen oder ohne Vermittlung des Vereins er-
ledigten Bewerbungen.
Zahl der erledigten Stellen, wobei unterschieden werden die durch
den Verein besetzten und diejenigen, die zurückgezogen oder ohne
Vermittlung des Vereins besetzt worden sind.
Was den zweiten Teil des Formulares anlangt, so führen hier nur
die beiden ersten Hauptspalten eine entsprechende Bezeichnung:
Stand der Bewerbungen am letzten Tage des Quartals und
Stand der offenen Stellen am letzten Tage des Quartals.
Aus den drei letzten Spalten ist zu ersehen, ob die am letzten
Tage des Quartals vorhandenen Bewerber in ungekündigter, in gekün-
digter Stellung oder stellenlos waren. In allen Fällen sind männliche
und weibliche Personen unterschieden. Für die Lehrlinge ist eine be-
sondere Rubrik vorgesehen.
Dem Charakter unserer Arbeit entsprechend interessieren selbst-
verständlich weniger die Angaben der einzelnen kaufmännischen Ver-
mittlungsanstalten über die Zahl der Bewerbungen, der offenen und
erledigten Stellen sowie über die der zurückgezogenen oder ohne Ver-
mittlung des Vereins erledigten Bewerbungen, als die auf Grund der
drei letzten Spalten des zweiten Teiles des Formulares anzustellenden
Erörterungen. Es handelt sich hierbei, wie bereits mitgeteilt, um die
Herbst: Arbeitslosenstatistik 11
162 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Scheidung der Bewerber danach, ob sie in ungekiindigter, gekiindigter
oder ohne Stellung waren. Bekanntlich suchen Handlungsgehilfen viel-
fach neue Stellungen, ohne die alte bereits aufgegeben zu haben, wäh-
rend bei den Arbeitern durchschnittlich wohl angenommen werden kann,
daB der neue Arbeitsuchende auch wirklich ohne Arbeit ist. Dieser
letztere Schluß trifft also für kaufmännische Verhältnisse nicht zu, mit-
hin sollen die betreffenden Rubriken ermöglichen, einen Überblick
darüber zu gewinnen, in welchem Ausmaß diese Verhältnisse vorliegen.
Hinsichtlich der Ziffern der Bewerbungen, die aus der Spalte
„Stand der Bewerbungen am letzten Tage des Quartals“ gewonnen
werden, bemerkt der Bericht des Kaiserlichen Statistischen Amtes, daß
hierbei absichtlich nicht von Bewerbern, sondern von Bewerbungen die
Rede ist. Diese Maßnahme rechtfertigt sich durch die Erfahrung, daß
der junge Kaufmann, der seine Stellung zu ändern beabsichtigt, ge-
wöhnlich nicht nur mit einer einzigen, sondern in der Regel stets mit
mehreren Stellenvermittlungsstellen in Verbindung tritt. Die Zahlen
in der Spalte „Bewerbungen“ werden daher stets erheblich höher sein,
als die Zahl der wirklichen Personen, von wechen die Bewerbungen
ausgehen. Es ist deshalb bei den Summierungen den ermittelten Zahlen
mit Vorsicht zu begegnen, da diese notwendigerweise Doppelzählungen
enthalten.
Bezüglich der offenen Stellen besteht auch keine rechte Zuver-
lässigkeit, auf Grund deren eine dem statistischen Zweck entsprechende
brauchbare Verwendung der Ermittlungen erfolgen könnte. Der Mangel
liegt in erster Linie darin, daß sowohl von seiten der Gehilfen wie von
seiten der Prinzipale vielfach versäumt wird, zu melden, wann sich eine
Bewerbung oder offene Stelle erledigt hat. Auf diese Weise schleppen
alle Vermittlungsbureaus in ihren Aufzeichnungen ständig eine größere
Zahl von Bewerbungen und Stellen noch mit, die in der Tat bereits
ihre Erledigung gefunden haben. Der Vortrag aus dem vorigen Quar-
tal wird daher in Wirklichkeit meist geringer sein, als er hier zahlen-
mäßig erscheint. Es ist wohl selbstverständlich und bedarf keiner wei-
teren Erörterung, daß wegen dieser großen Ungenauigkeiten die Ziffern
der Bewerbungen und offenen Stellen keinen Vergleich gestatten und
noch viel weniger zulassen, hieraus die Bewegung des kaufmännischen
Arbeitsmarktes zu ersehen oder eine Verhältniszahl zu konstruieren.
Die Zahlen können höchstens als Erkenntnisquelle für Umfang und Art
der Geschäftstätigkeit der kaufmännischen Vermittlungsstellen dienen;
sie werden in dieser Eigenschaft jedoch auch trotz ihrer Beschränkung
wertvolle Einsicht gewähren.
Zu diesen zahlreichen kleineren Mängeln gesellt sich noch der eine
Hauptmangel, der gleichfalls allen übrigen arbeitsmarktstatistischen
Veranstaltungen anhaftet, nämlich der der Unvollständigkeit, unter dem
überhaupt die meisten privaten Statistiken, auch wenn sie an die amt-
Stellenvermittlung der Techniker 163
liche angeschlossen sind, zu leiden haben. Dieser Übelstand ist in
erster Linie darauf zurückzuführen, daß die kaufmännische Stellenver-
mittlung, welche ihre Übersichten der Reichsstatistik zur Verfügung
stellt, nicht alle kaufmännischen Bewerbungen und Stellen im Deutschen
Reich erfaßt. Einmal erfolgt eine große Anzahl von Engagements ohne
jede Inanspruchnahme der Vermittlungsstellen, sodann werden aber
auch von nicht rein kaufmännischen Vermittlungsstellen, nämlich den
Arbeitsnachweisen, kaufmännische Stellen vermittelt, wodurch natürlich
das Bild der Stellenlosigkeit in den kaufmännischen Berufen eine starke
Verschiebung erfahren muß.
§ 6. Die Stellenvermittlung der technischen Angestellten.
Im Anschluß an die vorstehende Betrachtung der kaufmännischen
Stellenvermittlung und die Besprechung ihrer methodologischen Be-
sonderheiten sei noch einer kurzen Darstellung der mit ersterer stark
verwandten Stellenvermittlung der technischen Angestellten Raum
gegeben.
Seitens der Technikervereine ist seinerzeit angeregt worden, ebenso
wie über die kaufmännische Stellenvermittlung im ,,Reichsarbeitsblatt“
vierteljährlich berichtet wird, auch eine periodische Berichterstattung
über die Stellenvermittlungsergebnisse der Technikervereinigungen zu
schaffen.
Nachdem einige größere Verbände ihre Beteiligung zugesichert
hatten, wurde unter Anlehnung an das Berichtsformular für die kauf-
männische Stellenvermittlung nach Beratung mit den in Betracht
kommenden Vereinen ein den besonderen Verhältnissen der technischen
Angestellten Rechnung tragendes Formular entworfen, nach welchem
zum ersten Male im 1. Vierteljahr 1909 die Vermittlungsergebnisse der
angeschlossenen Verbände dem Kaiserlichen Statistischen Amte zugingen.
An dieser Berichterstattung waren 6 Technikerverbände beteiligt; Ende
1913 stellten 12 der deutschen Reichsstatistik vollständige Nachweise
über ihre Vermittlungstätigkeit zur Verfügung.
Die Technikerverbände verwenden zur Berichterstattung über ihre
Stellenvermittlungstätigkeit zwei Formulare; das erste erfaßt das Be-
triebspersonal, das zweite das Bureaupersonal. Hinsichtlich der Anordnung
stimmen die beiden Übersichten vollkommen überein. In der Vorspalte
finden wir die bekannten Berufsgruppen III bis XIV, XVI bis XVIII und
XXII nebst einer regelmäßig durchgeführten Klasseneinteilung in
Direktions-, leitendes und Aufsichts- sowie sonstiges Betriebs- bzw.
Bureaupersonal. Im übrigen trägt der Kopf der Tabelle folgende
Fassung:
11*
164 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Vermittlung im .... Viertel- | Stand am letzten Tage des . Viertel- |
jahre 19.. Jabe (Tag ...... ) 19..
| Zahl der ` `" Stand der u ae a m Mie
, Bewer- | offenen is, § "oc 9,:9¢' Bewer- offenen P eee
Seba 25.2888 vorhandenen Bewer-
bungen Stellen 3733 S ze EE Kee bern was
ssä du si da $2852 22227 ga am letzten
asago asago n -pdr use in unge- E
SEEESCGEERCTEKERCEERS Tage des GE, Ei
EHNEN ck Fsm ggRSS ES Vierteljahrs ‚Stellung‘ | Stellung 2
Auch die einzelnen Verbände haben sich mitunter selbständig auf
dem Gebiete der Stellenlosenstatistik betätigt. Es würde jedoch zu weit
führen, an dieser Stelle auf sämtliche in Betracht kommende Veran-
staltungen näher einzugehen. Wir beschränken uns somit auf die in
folgendem kurz behandelten Erhebungen des „Deutschen Techniker-
Verbandes“.
Genannte Vereinigung veranstaltete Ende 1909 eine ausgedehnte
statistische Erhebung über die berufliche Stellung und die Vorbildung
ihrer Mitglieder. Dabei wurde auch die Stellenlosenstatistik mit be-
rücksichtigt. Da jedoch die Beteiligung seitens der Stellenlosen ziemlich
gering war — eine bekannte Erscheinung bei derartigen Erhebungen —
so ließen naturgemäß die Endergebnisse zu wünschen übrig und er-
wiesen sich in der Hauptsache als unbrauchbar. Die Veranstalter ent-
schieden sich daher, das Material der Stellenlosenstatistik anderweit zu
ergänzen. Zu diesem Zwecke wurde das umfangreiche Material, das dem
„Deutschen Techniker-Verband“ in seiner Stellenvermittlung zur Ver-
fügung steht, mit herangezogen, wodurch die Grundlage der Stellenlosen-
statistik eine wesentliche Verbreiterung erfuhr.
Diese Vornahme bildet insofern ein nicht uninteressantes Moment,
als die Praxis sich der Stellenvermittlungsstatistik zur Ergänzung der
Stellenlosenstatistik bedient. Die indirekte Methode wird somit zur Er-
gänzung der direkten angewandt. Wir können nicht umhin, diese MaB-
nahme vollständig zu rechtfertigen. Außerdem begrüßen wir es mit Ge-
nugtuung, daß bereits die Praxis den Gedanken, die Arbeitsmarktstatistik
als ergänzende Methode der Arbeitslosenstatistik anzuwenden — man
vergleiche dazu unsere kritischen Ausführungen über den Wert der in-
direkten Veranstaltungen — mit Erfolg benutzt hat.
Hinsichtlich der Ergebnisse vorerwähnter Veranstaltung verweisen
wir auf die interessante Besprechung der Erhebung des „Deutschen
Techniker-Verbandes“ von Dr. A. Günther!), Professor der Staatswissen-
schaften an der Universität Berlin.
1) Textband (vgl. Literaturübersicht) S. 208 ff.
Stellenvermittlung der Techniker 165
Auch neuerdings hat sich der D T.-V. wieder einmal auf dem Ge-
biete der Arbeitslosenstatistik betätigt. Er veranstaltete am 14. Dezember
1913 eine Stichtagszählung der arbeitslosen Techniker und verbreitete
zu diesem Zwecke einen „Fragebogen zur Erforschung der Arbeitslosig-
keit unter den technischen Angestellten“. Es wurde dabei vor allem
Wert darauf gelegt, mehr den Charakter der Arbeitslosigkeit und
weniger ihren Umfang zu ermitteln. Darum beschränkte man die Er-
hebung auch nur auf die zehn Großstädte Berlin, München, Leipzig, Dres-
den, Hamburg, Kiel, Cöln, Nürnberg, Frankfurt a. M. und Breslau. Die
Veranstaltung trug also in der Hauptsache einen enquetenartigen Cha-
rakter. Der Verband wollte sich mit Hilfe der Statistik in erster Linie
über die Lage im technischen Berufe orientieren.
Das Ergebnis dieser Enquete wurde Anfang März 1914 in der
„Deutschen Techniker-Zeitung“ veröffentlicht und eingehend besprochen.
Wir entnehmen der Darstellung, „daß der Techniker im Zeitalter
der Technik nichts weiter ist als eine abhängige Arbeitskraft mit allen
Nachteilen dieser Eigenschaft“. Es ist auch hier wieder das Baugewerbe,
das die meisten Arbeitslosen aufweist. Und die durchschnittliche Dauer
der Arbeitslosigkeit betrug etwa vier Monate im ganzen und fast fünf
Monate bei den über 35 Jahre alten technischen Angestellten. Die Be-
arbeitung stellt auch interessante Vergleiche mit den ebenfalls die
Arbeitslosenfrage der Techniker berührenden Untersuchungen Jäckels
und Günthers an. Am Ende der Besprechung wird dann noch darauf
hingewiesen, daß nur die Staatshilfe der herrschenden Notlage gegen-
über mit Erfolg wirksam werden dürfte. Die unmittelbare Lehre aber,
die der D. T.-V. aus dem Ergebnis seiner Zählung zunächst zieht, ist
folgende: Es muß auf jeden Fall dahin gestrebt werden, einen höheren
Anteil vom Ertrag der Arbeitskraft der technischen Angestellten zu er-
reichen, damit für die Zeit der Arbeitslosigkeit persönlich und in der
Organisation größere Rücklagen gemacht werden können.
§ 7. Wert aller indirekten Veranstaltungen für die Arbeits-
losenstatistik.
Die sämtlichen vorstehend zur Darstellung gelangten indirekten
Veranstaltungen auf dem Gebiete der deutschen staatlichen Arbeits-
losenstatistik sind wohl imstande, die Tendenzen der wirtschaftlichen
Entwicklung in geeigneter Weise zum Ausdruck zu bringen und sie
erkennen zu lassen, können aber niemals Anspruch darauf erheben, den
direkten Methoden, die auf dem Wege unmittelbarer Zählung der
Arbeitslosen ihre Beobachtungen anstellen, als gleichwertig zur Seite
zu treten. Im Gegenteil sind wir eher geneigt, den ersteren jede Be-
deutung für die Arbeitslosenstatistik abzusprechen, ihre Verwertung für
die Beurteilung der Tendenzen des Arbeitsmarktes jedoch zu empfehlen.
166 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Auch Westergaard’) erklärt von den Angaben der Arbeitsnachweise,
daB sie fiir die Frage der Arbeitslosenstatistik erst in zweiter Liniein Frage
kommen und Silbergleit*) gar schreibt der Arbeitsmarktstatistik an
und für sich schon kaum genügende Beweiskraft zu. Diese indirekten
Veranstaltungen bilden sozusagen eine Statistik der Symptome, aus
denen auf die Zu- oder Abnahme der Arbeitslosigkeit innerhalb des
beobachteten Wirtschaftskörpers unter Umständen gewisse Schlüsse
gezogen werden können. Solche mittelbare Beobachtungen werden je-
doch in keinem Falle positive Zahlen der Arbeitslosigkeit ergeben und
kommen daher für die Möglichkeit einer direkten Messung der Zahl der
Arbeitslosen niemals in Betracht. Die Arbeitsmarktstatistik ist somit
keine Arbeitslosenstatistik. Es ist unmöglich und undenkbar, mit ihr
den Umfang der Arbeitslosigkeit zu messen. Die Statistik der Symptome
der Arbeitslosigkeit besitzt nämlich nicht die Fähigkeit, die Arbeits-
losigkeit selbst in bestimmten Berufen festzustellen, sowie überhaupt
sonstige Ermittlungen auf diesem Gebiete oder gar nur einfache
Schätzungen vorzunehmen. Sie hat daher für die Arbeitslosenstatistik
nur die Bedeutung einer Ergänzung derjenigen Ergebnisse, die bezüg-
lich der Tatsachen der Arbeitslosigkeit auf anderen, direkten Wegen
gefunden werden. So wertvoll nun auch in anderer Beziehung die ver-
schiedenen besprochenen Methoden der symptomatischen Beobachtungen
sind, so bieten sie doch unter dem hier in Betracht kommenden Ge-
sichtspunkte der Arbeitslosenstatistik nicht unmittelbar verwendbares
Material, sondern nur solches, das in ganz allgemeiner Weise als Illu-
stration zu den tatsächlichen Ermittlungen zu dienen vermag.
B. Die Bundesstaaten.
SL Sachsen.
Als erster deutscher Bundesstaat folgt endlich im Jahre 1910 das
Königreich Sachsen dem Beispiele des Reiches, das bereits 1895 mit
der Berufszählung wie mit der Volkszählung Erhebungen über die Ar-
beitslosigkeit verbunden hatte; auch in den folgenden Jahren 1911, 1912
und 1913 sind Wiederholungen dieser Veranstaltung gemäß den Ver-
ordnungen des Königlichen Ministeriums des Innern vorgenommen
worden. Den Anlaß zu diesen neueren, rein staatlichen Arbeitslosenzäh-
lungen gab die Zweite Ständekammer, die, von der Ansicht ausgehend,
daß solche Erhebungen nur Wert haben können, wenn sie einheitlich
für das ganze Land stattfinden, dem Ministerium des Innern die Vor-
nahme statistischer Erhebungen über die Arbeitslosigkeit im König-
1) Conference internationale du chömage, Paris, September 1910.
2) Beschäftigungsgrad und Arbeitsmarkt, 1908, S. 21 ff.
Sachsen 167
reiche nahelegte. Das Königliche Ministerium wandte sich darauf an
das Statistische Landesamt um gutachtliche Äußerung über die Frage
der Vornahme von Arbeitslosenzählungen. Da sich die statistische Zen-
tralbehörde des Königreichs für die Einführung solcher Erhebungen
aussprach, zumal wenn sie vom Staate aus angeordnet würden, so ver-
fügte das Königliche Ministerium des Innern unterm 11. August 1910
im Einverstündnis mit dem Finanzministerium die amtliche Durchfüh-
rung von Erhebungen zur Feststellung der im Staatsgebiet vorhandenen
arbeitslosen Personen.
Zur Anwendung gelangte bei diesen Zählungen die auf der Be-
nutzung der alljährlichen Personenstandsaufnahmen beruhende, in Dres-
den bereits seit 1902 übliche Methode, auf deren Eigenarten und Be-
sonderheiten wir hier nicht näher einzugehen brauchen, da sie schon an
anderer Stelle ausführlich besprochen worden ist. Hinzuzufügen ist nur
noch, daß die Gemeindebehörden angewiesen wurden, bei der Durchsicht
und Prüfung der Hauslisten, die ihnen nach $ 38 der Verordnung vom
25. Juli 1900 — betreffend die Ausführung des Einkommensteuerre-
setzes vom 24. Juli 1900 — obliegt, für die nach den Eintragungen
als arbeitslose' Arbeitnehmer anzusehenden Personen Zählkarten aus-
zufüllen. Letztere waren dann von den Städten mit Revidierter Städte-
ordnung dem Statistischen Landesamte, von den übrigen Gemeindebe-
hörden den Amtshauptmannschaften einzusenden, welche die Vollstän-
digkeit der Zählungen zu prüfen und erforderlichenfalls Ergänzungen
anzuordnen hatten. Die Bearbeitung des gesamten Materiales war zen-
tralisiert; sie lag dem Statistischen Landesamte ob. Für jede vorschrifts-
mäßig ausgefüllte Ziihlkarte ist den Gemeinden eine besondere Vergü-
tung von drei Pfennigen gewährt worden. Bei der Wahl des Zählungs-
termines folgte man ebenfalls dem Vorbilde Dresdens und setzte die
Vornahme der Erhebungen auf den 12. Oktober fest. Auf diese Weise
erfüllt sich dann erst der eigentliche Zweck der Veranstaltungen, der
vor allem in der Möglichkeit der Vergleiche zwischen verschiedenen
Jahren liegt und somit einen ungemein wichtigen Einblick in die Ar-
beitsverhältnisse des Landes gestattet, wie es bei keinem anderen Staate
bisher der Fall war.
Nach den Ergebnissen der beiden ersten Zählungen, die in der Zeit-
schrift des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamtes!) zur Veröffent-
lichung gelangten, waren am 12. Oktober 1910 in ganz Sachsen 9563
männliche und 2X77 weibliche, am 12. Oktober 1911 9408 männliche
und 3101 weibliche Arbeitslose vorhanden, also zusammen 12440 bzw.
12509 Arbeitslose. Bei einer Einwohnerzahl von fast 5 Millionen?)
ist das ein überraschendes Ergebnis. Wenn es wirklich auch nicht ganz
1) 58. Jahrgang, 1912, S. 116 ff.
2) Sachsens Einwohnerzahl betrug am 1. Dezember 1910 4806661.
168 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
vollständig ist, weil erfahrungsgemäß viele Arbeitslose ihre Lage ver-
schweigen, und die Ziffer vielleicht entsprechend zu erhöhen wäre, so
bleibt sie trotzdem außerordentlich minimal, wenngleich sich auch
hinter 12509 Arbeitslosen eine Unsumme von Familienelend verbirgt.
Die größte Zahl der männlichen Arbeitslosen weist 1911 die Gruppe
„Arbeiter und Gehilfen ın Blechwaren-, Eisen-, Maschinen- und Stahl-
rohrfabriken“ auf, nämlich 1138 gegen 1063 im Jahre vorher, ferner
das kaufmännische und technische Personal im Bau-, Fabrikations-,
Handels- und Transportgeschäft, Zeitungs- und Druckereibetrieben: 969
bzw. 1201, auf das polygraphische Gewerbe ohne Buchdruckerei wirkten
1911 die Streiks empfindlich ein: hier gab es 1910 nur 190, dagegen
1911 über 1000 Arbeitslose, 1911 waren durch Streiks 662, durch Aus-
sperrung 68 arbeitslos geworden.
Unter den weiblichen Arbeitslosen war das häusliche Dienstpersonal,
Köchinnen und Aufwärterinnen, mit 495 (1910 508) am stärksten ver-
treten. Dann folgten die Näherinnen und Textilarbeiterinnen mit 391
Arbeitslosen (1910 344).
Betreffs der übrigen Ermittlungen über die sozialen Verhält-
nisse der Arbeitslosen und der Fragen nach der Ursache der Arbeits-
losigkeit verweisen wir auf die oben angeführte Veröffentlichung des
Landesamtes.
„im großen und ganzen ist das Bild dieser beiden sächsischen Ar-
beitslosenzählungen, der ersten Versuche staatlicher Veranstaltungen
seit 1895, ein quantitativ wenig erfreuliches; in qualitativer Hinsicht
aber wird man, vor allem bei näherem Eingehen auf die Einzelheiten,
kaum zufriedengestellt sein und den Erhebungen aus diesem Grunde
nur bedingten Wert zusprechen dürfen“, so urteilen die „Leipziger Neue-
sten Nachrichten“ vom 10. August 1912.
Die dritte staatliche Arbeitslosenzählung im Königreich Sachsen
fand am 12. Oktober 1912 statt. Es erübrigt jedoch, auf die Ergebnisse
an dieser Stelle näher einzugehen, da sie bereits den Gegenstand ausführ-
licher Besprechung in der „Zeitschrift des Königlich Sächsischen Stati-
stischen Landesamtes“ (59. Jahrgang, 1913, S. 154 ff.) bilden. Die Dar-
stellung weist selbst darauf hin, daß die ermittelten Zahlen immerhin
mit Vorsicht zu gebrauchen sind, birgt doch die ganze Arbeitslosen-
statistik derartige Schwierigkeiten in sich, daß sich absolut zuverlässige
Ergebnisse überhaupt nicht erzielen lassen. Trotzdem hat die Veran-
staltung beachtenswerte Anhaltepunkte gefördert, denen um so mehr
Gewicht beizulegen ist, als der Vergleich von drei Erhebungen das
Zufälligkeitsmoment fast völlig ausscheidet. Unseres Erachtens liegt
jedenfalls kaum Grund vor, dem eigenen Urteil der amtlichen Bearbei-
tung entgegenzutreten, zumal diese selbst kritisch genug ist und die
völlige Exaktheit der Zahlen auch nicht so ohne weiteres zugibt.
Und endlich zur letzten der bisherigen amtlichen Arbeitslosenzä h-
Sachsen 169
lungen in Sachsen. Die Ergebnisse liegen nur im Ausschnitt vor, da
die übliche Besprechung in der „Zeitschrift“ noch nicht veröffent-
licht ist.
Am 12. Oktober 1913 wurden in Sachsen im ganzen 18720 Arbeits-
lose ermittelt, d. h. Personen, die arbeitswillig und arbeitsfähig, aber
mangels geeigneter Beschäftigung oder aus sonstigen Gründen arbeitslos
waren. Darunter befanden sich 15025 männlichen und 3695 weiblichen
Geschlechts. 70 Prozent aller Arbeitslosen entfallen auf die fünf größeren
Städte Sachsens, Dresden, Leipzig, Chemnitz, Plauen, Zwickau, nur
30 Prozent jedoch auf das übrige Königreich. Der weitaus größte Teil
der männlichen Arbeitslosen, 47 Prozent, war wegen Aufhörens der
Saisonarbeit, schlechten Geschäftsganges oder Geschäftsstille, wodurch
sich 1913 übrigens ganz besonders hervortat, beschäftigungslos. Infolge
freiwilliger Kündigung waren 22 Prozent aus ihrer Stellung geschieden.
Das Hauptkontingent der männlichen Arbeitslosen stellten das Bauge-
werbe und die ihm verwandten Berufe; die Textilindustrie war auch mit
einem verhältnismäßig hohen Anteil vertreten. Selbst unter dem kauf-
männischen und technischen Hilfspersonal, das von der Arbeitslosigkeit
doch gewöhnlich nicht in dem Maße heimgesucht ist wie die Arbeiter-
kreise, herrschte im Zählungsjahre vielfach Stellenlosigkeit.
Vergleicht man nun die Hauptergebnisse der bisher in Sachsen
stattgefundenen staatlichen Arbeitslosenzählungen miteinander, so ergibt
sich folgendes Bild:
Am 12. Okt. waren arbeitslos männliche, weibliche Personen zus.
1910 9563 2877 12440
1911 9408 3101 12 509
1912 8248 2830 11078
1913. 15025 3695 18720
Auf je 1000 Einwohner entfallen demnach, wenn man die mittleren
Bevölkerungszahlen fiir die entsprechenden Zählungsjahre annimmt’),
im Jahre 1910 4,1 männliche, 1,2 weibliche, zusammen 2,6 Arbeitslose
90 9 1911 4,0 29 1,2 9 WW 2,6 9
» an 1912 3,5 vu 1,1 ” ” 2,3 ”
9 WM 1913 6,3 99 1,4 19 „ 3,8 HI
Wir ersehen daraus ohne weiteres, daß das „Krisenjahr“ 1913 be-
deutend mehr Arbeitslose aufweist als die früheren Jahre. Die festge-
stellten, allgemeinen Arbeitslosenziffern dürften der Wirklichkeit
wohl so ziemlich nahekommen und den herrschenden Verhältnissen ent-
sprechen — unter Vorbehalt der oben geäußerten Kritik —, denn das
1) Streng genommen sind diese Beziehungen methodisch nicht ganz einwand-
frei, müssen aber aus leicht erklürlichen Gründen mit herangezogen werden. —
Über die speziellen Arbeitslosenziffern in diesem Zusammenhange vgl. die
„Zeitschrift des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamtes“, 1913, S. 155.
170 Vierter Abschnitt Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Jahr 1913 stand in der Tat unter dem Zeichen einer starken wirtschaft-
lichen Depression. Die Zahlen stellen keineswegs Maxima dar, sondern
spiegeln deutlich die Lage des Arbeitsmarktes im Erhebungsjahre wie-
der. Schon die unsicheren politischen Verhältnisse, der Balkankrieg und
die Differenzen zwischen Österreich und Rußland, dazu die chauvinisti-
schen Umtriebe in Frankreich und die Verstimmungen zwischen Deutsch-
land und England, kurz die Gefahr eines europäischen Krieges wirkteu
lähmend auf Unternehmergeist und -tatkraft ein, die Banken hielten ihr
Geld zurück, die Bautätigkeit ließ zusehends nach und selbst in den
Kreisen der kleineren Geschäftsleute erteilte man zögernd und ungern
die notwendigsten Aufträge. Dazu kommt noch das bereits früher er-
wähnte Aufhören einer größeren Anzahl von Tarifverträgen im ge-
nannten Jahre. Alle diese Momente verfehlten naturgemäß ihre Wir-
kung nicht und förderten die Arbeitslosigkeit in ganz beträchtlichem
Maße.
8 2. Baden.
Im Großherzogtum Baden veranlaßte im Winter 1909 10 das Mi-
nisterrum des Innern auf Anregung des Ministers v. Bodman, der
gleich Most u. a. ebenfalls die Verbindung von Volks- und Arbeitslosen-
zählungen empfahl, die einzelnen Städte, von denen eine Anzahl Arbeits-
losenzählungen Lereits vorgenommen hatte, solche Erhebungen nach
einheitlichen Grundsätzen zu wiederholen, um sie auf diese Weise in
ihren Ergebnissen besonders erfolgreich und wertvoll für das ganze Land
zu gestalten. In diesen einheitlichen Grundsätzen war vorgeschlagen,
durch möglichst zwei Erhebungen, zu Anfang und zu Ende der
Winterszeit, den Bestand an Arbeitslosen aufzunehmen. Die Zählungs-
termine sollen tunlichst gleichzeitig sein. Als Erhebungsmethode wurde
das Anmeldungsverfahren in Verbindung mit einer Zählung von Haus
zu Haus in den Arbeiterwohnvierteln für genügend erachtet. Ferner
wurde ein einheitlicher Fragebogen vorgeschlagen, der in seinen Grund-
fragen gleichbleibend örtliche Zusatzfragen gestattete. Dieser kam ohne
Abänderung in Durlach zur Verwendung; mit einigen Abweichungen
und Zusätzen sowie Zählungsanweisungen ist der Fragebogen der Stadt
Karlsruhe versehen. Das gleiche Formular kam in Bruchsal, Freiburg, -
das nur noch eine Frage nach der Armenunterstützung zufügte, und Heidel-
berg zur Anwendung. Nur Mannheim bediente sich nicht des allgemein
anerkannten Formulares.
Die Bearbeitung der Zählungsergebnisse sollte möglichst beschleu-
nigt werden; vor einer etwa beabsichtigten Drucklegung sollten die Er-
gebnisse dem Statistischen Landesamte mitgeteilt werden, damit sie von
dort aus für das ganze Land schnell und einheitlich veröffentlicht
würden.
Baden 171
Die Vorschläge wurden jedoch im großen und ganzen nicht berück-
sichtigt. Wohl kam der ausgearbeitete Fragebogen, wie bereits erwähnt,
allgemein zur Anwendung, dagegen fanden außer in Heidelberg die
angeregten zweimaligen Zählungen nirgends statt. Auch hinsichtlich
einer Erhebung auf einem einheitlichen Termin konnten sich die betei-
ligten Städte nicht einigen. Desgleichen ging man in methodischer Be-
ziehung seine eigenen Wege. Mannheim veranstaltete mit Unterstützung
des Gewerkschaftskartells eine Hauszählung, die übrigen Städte hielten
das Anmeldeverfahren für ausreichend.
Auch im Winter 1910/11 nahm wiederum eine Anzahl badischer
Städte Arbeitslosenzählungen vor, und zwar verfuhren Heidelberg erst-
malig am 14.—17. September 1910, Freiburg am 7. Dezember 1910
und 31. Januar 1911 sowie Karlsruhe am 10. Juli 1910 nach dem An-
meldungsverfahren, hingegen wurde in Heidelberg beim zweiten Male,
Durlach, Konstanz und Offenburg die Arbeitslosenzählung in Verbin-
dung mit der Volkszählung am 1. Dezember 1910 vorgenommen. Auch
Lörrach zählte gelegentlich letzterer Veranstaltung die Arbeitslosen von
Haus zu Haus, jedoch mit Rücksicht auf die gleichzeitig stattfindende
Wohnungszählung nur summarisch und ohne Zugrundelegung eines be-
sonderen Fragebogens.
Alles in allem wurden also die badischen Arbeitslosenerhebungen
des Winters 1909/10 sowie die des folgenden in den einzelnen Städten
trotz des vom Ministerium ausgegangenen Ersuchens nicht gleichmäßig
durchgeführt und an verschiedenen Tagen vorgenommen. Und schließ-
lich im Winter 1911/12 veranstalteten gar nur zwei größere Städte Ar-
beitslosenzählungen, Freiburg zwei und Karlsruhe eine, während die
übrigen größeren Städte mit Rücksicht auf die zu dieser Zeit gerade
günstige Lage des Arbeitsmarktes und den geringen Umfang der Ar-
beitslosigkeit von ähnlichen Veranstaltungen Abstand nahmen. Aus
diesem Grunde erklärt es sich auch, daß die Ergebnisse!) der Zählungen
der einzelnen Städte sich wegen der verschiedenartigen Durchführung
der Erhebung nicht ohne weiteres miteinander vergleichen lassen, nur
bedingten Wert haben und kaum zuverlässige Schlüsse über den Grad
der Arbeitslosigkeit und die übrigen dieses Übel begleitenden Umstände
gestatten.
Endlich nahmen auch im Winter 1913/14 einige badische Städte
Arbeitslosenziihlungen vor, über die das Großherzoglich Badische Sta-
tistische Landesamt in seinen ,,Mitteilungen“*) berichtet. Wir entnehmen
daraus folgendes: „Wie in früheren Jahren haben auch im Winter
1) Tabellarisch zusammengestellt in den „Statistischen Mitteilungen über
das Großherzogtum Baden“, 1910, S. 78 und 1911, S. 61, wo auch auf die Un-
sicherheit der Ergebnisse hingewiesen wird.
2) 1914, Märzheft.
172 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
1913,14 in einigen badischen Städten, darunter in Freiburg, Karlsruhe,
Singen und Konstanz, Arbeitslosenzählungen stattgefunden. Während in
den erstgenannten drei Städten die Zählungen durch die Stadtverwal-
tungen veranstaltet wurden, veranlaßte in Konstanz eine solche das Ge-
werkschaftskartell. Leider ist das für die Ermittlung der Arbeitslosen
überall angewandte Verfahren, das in der freiwilligen Meldung der be-
treffenden Personen bestand, keineswegs geeignet, über den wirklichen
Umfang der Arbeitslosigkeit Aufklärung zu verschaffen; das könnte nur
durch eine Zählung von Haus zu Haus, wenigstens in den Arbeiter-
wohnvierteln, geschehen. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, daß
viele Arbeitslose auf die Aufforderung, sich bei einer bestimmten Melde-
stelle einzufinden und einen aufliegenden Zählbogen mit einer Reihe
von Fragen auszufüllen, bei der Aussichtslosigkeit, Beschäftigung zu
erhalten, von ihrer Meldung abgesehen haben. Es lassen deshalb die
gewonnenen Ergebnisse keine einwandfreien oder gar vergleichenden
Schlüsse auf den Grad der Arbeitslosigkeit in den einzelnen Städten zu,
zumal die Zählungstermine auseinanderfallen. Dazu kommt noch, daß
bei den beiden Arbeitslosenzählungen in Freiburg die an den fraglichen
Tagen vom Städtischen Tiefbauamt mit Notstandsarbeiten beschäftigten
Personen (103 bzw. 402 Arbeitslose) nicht berücksichtigt wurden. Auch
diese sind hier zu erwähnen, da sie ja nicht in ihrem Beruf Arbeit ge-
funden und sich dieselbe auch nicht selbst gesucht hatten, vielmehr nur
guttatsweise beschäftigt wurden. In Karlsruhe, Konstanz und Singen
wurden zur Zeit der Zählungen Notstandsarbeiten nicht ausgeführt. Nur
unter Berücksichtigung dieser Bemerkungen können die zahlenmäßigen
Übersichten, bei denen es sich lediglich um ein geordnetes Nebenein-
anderstellen der wichtigsten Personenangaben handelt, von Wert sein.“
Ziehen wir also das Fazit der badischen Arbeitslosenzählungen über-
haupt, so kommen wir zu dem Schlusse, daß sämtliche im Großherzog-
tum bisher vorgenommenen Erhebungen auf dem Gebiete der Arbeits-
losenstatistik schlechthin einen Fehlschlag bedeuten. Die Veranstal-
tungen haben nur negative Ergebnisse gezeitigt. Schuld daran dürfte
zweifellos die schon an sich ganz unbrauchbare Methode sein, die bei
diesen Zählungen zur Anwendung gelangte. Wenn Baden in dieser Be-
ziehung nicht so erfolgreich war wie Sachsen, so ist das in erster Linie
auf die ausgeprägte Dezentralisierung, Regellosigkeit und mangelnde
Beteiligung zurückzuführen, die der ganzen badischen Arbeitslosenstati-
stik anhaftet, während man es in Sachsen verstanden hat, die Vornahme
der Arbeitslosenzählungen gesetzlich zu sichern und somit eine gewisse
Gewähr für die gemeinsame, regelrechte Durchführung der Veranstal-
tungen besaß.
Bremen 173
§ 3. Bremen.
In der einschlägigen Fachliteratur ist gegenwärtig der Irrtum ver-
breitet, daß Bremen im Jahre 1907 mit der Berufszählung eine Erhe-
bung der Arbeitslosen verbunden hätte. So finden wir bei O. Most!)
eine darauf bezügliche Bemerkung, G. v. Schanz’) ist derselben Mei-
nung, und die Mitteilungen des Statistischen Amtes der Stadt Nürnberg’)
schließen sich ebenfalls gutgläubig dieser irrigen Ansicht an. Wo der
Fehler entstanden ist, wird sich wohl schwer nachweisen lassen. Jeden-
falls hat ihn Most bereits übernommen und die anderen genannten
Quellen haben es nicht für nötig gefunden, die Behauptung einer nähe-
ren kritischen Betrachtung zu unterziehen. Es steht nur fest, daß
Bremen am 12. Juli 1907 wohl eine Berufs- und Betriebszählung vor-
genommen, aber keine Arbeitslosenzählung damit verbunden hat. Die
Veröffentlichungen des Bremischen Statistischen Amtes berichten nur
über die ersteren Veranstaltungen und erwähnen letztere mit keinem
‘Worte. Außerdem können wir unsauch noch aufpersönliche Erkundigungen
bei dem genannten Amte berufen, die das Gesagte voll und ganz be-
stätigen. Hingegen hat Bremen im Jahre 1910 in Verbindung mit der
Volkszählung vom 1. Dezember eine Arbeitslosenzählung veranstaltet,
deren Ergebnisse in den Mitteilungen des Bremischen Statistischen
Amtes‘) zur Veröffentlichung gelangten und aus denen wir in folgen-
dem einen kurzen Auszug wiedergeben.’)
Die Methodologie dieser Veranstaltung schloß sich im Prinzip eng
an die der deutschen Reichsstatistik von 1895 an und benutzte außer-
dem noch mit Geschick die zahlreichen im Laufe der Zeit auf dem Ge-
biete der Arbeitslosenzäblungen gemachten Erfahrungen, so daß wir
nicht umhin können, der Erhebung eine gewisse Bedeutung zuzusprechen
und die Ergebnisse als brauchbare und zuverlässige zu bezeichnen.
In den Haushaltungslisten wurden folgende Fragen nach der Ar-
beitslosigkeit gestellt:
Für männliche und weibliche Angestellte, Arbeiter, Dienstboten und
sonstige Arbeitnehmer
| Sind Sie zurzeit arbeite- Waren Sie im vergangenen Jahre (vom 1. Dez. 1909
los? bis zum 30. Nov. 1910) arbeitslos und, wenn ja, wie.
| Ja oder Nein. | lange? (Wochen on ag Tage.) |
17. | 18.
| Ä
1) Arbeitslosenstatistik. Kritische Bemerkungen. In Conrads Jahrbüchern,
Band 40, S. 10.
2) Arbeitslosigkeit. Im Wörterbuch der Volkswirtschaft, Band 1, S. 196.
3) Heft 1, S. 3.
4) 1910, Nr. 2, S. 1—4.
5) Wie in Bremen, so wurden unter den gleichen Voraussetzungen eben-
falls am 1. Dezember 1910 in Darmstadt, Dresden, Lübeck, Oberhausen, Offen-
174 Vierter Abschnitt. Die staatliche Arbeitslosenstatistik
Die darauf bezüglichen Erläuterungen verfolgten den Zweck, falsche
Eintragungen zu vermeiden und die Arbeitslosen noch auf einen beson-
deren Fragebogen aufmerksam zu machen; die Zähler waren angewiesen,
jeder arbeitslosen Person einen solchen auszuhändigen. Weiterhin wurde
auch besonders darauf aufmerksam gemacht, daß die sorgfältige Aus-
füllung des Bogens nur im eigenen Interesse der durch die Arbeitslosig-
keit betroffenen Volksschichten liege, die Angaben in erster Linie anıt-
lichen, statistischen Zwecken dienten und keinesfalls zu polizeilichen
oder Steuerzwecken verwandt würden. Die Bearbeitung könne nur dann
wertvolle Ergebnisse liefern, wenn die Beantwortung so sorgfältig wie
möglich sei. Als arbeitslos sollten nur arbeitsfähige Personen gelten,
die im Bremischen Staatsgebiet nach Arbeitsuchten, nicht aber vor-
übergehend Erwerbsunfähige, Kranke, Invaliden, Pensionäre u. a. Die
Frage 18 sollte von den Personen beantwortet werden, die im Jahre
vor der Volkszählung überhaupt arbeitslos gewesen sind. Sie sollte
über die Größe der Arbeitslosigkeit in den einzelnen Berufsschichten
Auskunft geben. Auch hier sind Krankheit, vorübergehende Erwerbs-
unfähigkeit, Unfall u. a. Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit nicht
als Arbeitslosigkeit zu rechnen.
Bezüglich des besonderen Fragebogens für die Arbeitslosen sei noch
bemerkt, daß dieser insgesamt 17 Haupt- und eine Reihe Nebenfragen
aufwies. Die ersten 7 bezogen sich auf die persönlichen und Familien-
verhältnisse der Arbeitslosen, die übrigen suchten die Berufs- und Ver-
sicherungsverhältnisse der Arbeitslosen sowie die Gründe und Dauer der
Arbeitslosigkeit zu erforschen. Auch nach vorübergehender, aushilfs-
weiser Beschäftigung u. a. wurde gefragt.
Bevor wir etwas auf die Ergebnisse eingehen, müssen wir noch
bemerken, daß nach dem Urteil des Bremischen Statistischen Amtes
selbst nur das mit Hilfe der Arbeitslosenzählkarten gewonnene Material
zu einem brauchbaren Resultat verwertet werden konnte, während die
Angaben der Volkszählungslisten meist unrichtig oder unvollständig
waren, weshalb von ihrer Bearbeitung in bezug auf diese Frage Abstand
genommen werden mußte.
Von den Zählern waren ursprünglich 2161 Zählkarten für arbeits-
lose, arbeitsfähige und -willige Arbeiter und stellenlose Angestellte ab-
geliefert worden. Bei der im Statistischen Amte vorgenommenen Prü-
fung und Durchsicht der Angaben mußten jedoch 452 Karten ausge-
schieden werden, in die sich teils Rentner, pensionierte Beamte, selb-
ständige, auf der Durchreise befindliche Personen u. a. m. irrtümlicher-
weise eingetragen hatten. Es verblieben somit noch 1709 Arbeitslose.
Zu diesen kommen noch 338 Personen hinzu, die sich mit Recht in der
bach und einigen badischen Städten Arbeitslosenziihlungen in Verbindung mit
den Volkszihlungen vorgenommen.
Fünfter Abschnitt. Schlußbetrachtungen $ 175
Haushaltungsliste am 1. Dezember 1910 als arbeitslos bezeichneten, in-
des eine Arbeitslosenkarte nicht ausgefüllt hatten. Diese wurden dann
nachträglich noch eingetragen. Mithin belief sich die Gesamtzahl der
am 1. Dezember 1910 im Bremischen Staate endgültig festgestellten
Arbeitslosen auf insgesamt 2047, d. i. 0,83%, der gesamten ortsauwesen-
den Bevölkerung, die nach den vorliegenden Feststellungen zu dieser
Zeit 247437 Köpfe betrug.
Nach dem Geschlechte setzten sich die ermittelten Arbeitslosen
aus 1853 männlichen und 194 weiblichen Personen zusammen. Die
Zahl letzterer ist also vergleichsweise sehr gering. Sie macht nur 9,5%,
aller Arbeitslosen aus. Ob dies den Tatsachen entspricht, wird von der
amtlichen Bearbeitung bezweifelt.
Des weiteren wurden noch Ermittlungen angestellt über die Ver-
teilung der Arbeitslosen auf die einzelnen Stadtbezirke, die Gliederung
nach dem Familienstand, die einzelnen Altersstufen und, was besonders
wichtig für die Erkenntnis des Problems der Arbeitslosigkeit ist, über
die Berufsverhältnisse der Arbeitslosen. Hinsichtlich der näheren An-
gaben verweisen wir auf die obenerwähnte ausführliche Darstellung
der Ergebnisse in den Mitteilungen des Amtes.
Fünfter Abschnitt.
Schlußbetrachtungen.
§ 1. Vergleichender Rückblick.
In den früheren Abschnitten haben die drei Hauptzweige der deut-
schen Arbeitslosenstatistik eine nach der methodologischen Seite — den
Umständen angemessen — erschöpfend darstellende und kritische Be-
sprechung erfahren. Im Anschluß daran soll noch der Versuch gemacht
werden, einen Vergleich zwischen den veranstaltenden Organen zu ziehen
und die Frage zu erörtern, welchem davon der unbedingte Vorzug vor
den übrigen zukommt. Es erübrigt hier, an den einzelnen Zweigen eine
besondere Kritik zu üben, da diesem Punkte bereits eingehend Rech-
nung getragen worden ist; wir begnügen uns daher mit einem bloßen
vergleichenden Rückblick und einer Gegenüberstellung der drei für die
deutsche Arbeitslosenstatistik hauptsächlich in Betracht kommenden Ver-
anstalter.
Die private Arbeitslosenstatistik muß von Anfang an ausgeschieden
werden. Selbständig wird sie jedenfalls kaum in entscheidender Weise
zur Lösung des Problems führen und kann nur ergänzend oder vorbe-
reitend der staatlichen oder kommunalen Arbeitslosenstatistik zur Seite
treten. Wir beschränken uns somit auf die beiden letzteren und kon-
176 Fünfter Abschnitt. Schlußletrachtungen
zentrieren unsere Betrachtungen vornehmlich auf die staatliche Ar-
beitslosenstatistik. Sie mag wohl am ehesten geeignet erscheinen, mit
Nachdruck die Erreichung des Zieles zu verfolgen, das die Sozialstatistik
in umfassenden, methodisch abgeklärten Vorkehrungen zur Feststellung
des Umfanges der Arbeitslosigkeit sowie der übrigen sie begleitenden
Umstände erblickt, und wird auf diese Weise zur Lösung der schweben-
den Frage tunlichst beitragen. Dieser Gedanke ist nicht neu, er wird
schon des öfteren in der Literatur vertreten und bereits zu Beginn der
neunziger Jahre bildet er den Gegenstand lebhafter Kundgebungen selbst
von seiten einer Anzahl sozialdemokratischer Organe, die sich sogar offen
dafür aussprechen, daß die Angelegenheit im Reichstag zur Sprache ge-
bracht werden müsse.
Weder die private noch die kommunale Arbeitslosenstatistik ist
imstande, vermittels ihrer Erhebungen ein vollständiges Bild von der
Arbeitslosigkeit des ganzen Landes zu bieten. Die Veranstaltungen
müssen ja ihrer Natur nach in lokaler Hinsicht einer Beschränkung
unterliegen und können somit nur in denjenigen abgegrenzten Verwal-
tungs- oder Stadtbezirken eine Untersuchung der dort herrschenden Ver-
bältnisse zulassen, in denen sie gerade zur Vornahme gelangen. Denn
es ist vor allem zu beachten, daß die Arbeitslosigkeit nicht etwa
bloß lokal verbreitet ist und hier und da auftaucht, sondern ziemlich
regelmäßig im ganzen Lande vorkommt. Kein Teil der Bevölkerung
wechselt so häufig Aufenthalt und Wohnsitz wie die arbeitende,
und da es ja die Arbeitslosenstatistik nach unseren Feststellungen in
erster Linie mit der Arbeitslosigkeit des Arbeiters zu tun hat, so liegt
naturgemäß die Auffassung nahe, daß mit der immerwährenden Wande-
rung der arbeitsuchenden, arbeitenden Volksschichten zugleich ein stetes
Hin und Her von Arbeitslosen zusammenhängt. Wohl können private
oder kommunale Veranstalter mit ihrer Erhebung innerhalb des ihnen
zustehenden Machtbereiches bisweilen ganz beachtenswerte Ergebnisse
erzielen, niemals aber wird es ihnen gelingen können, aus dieser lokalen
Beschränkung heraus eine größere Bedeutung für die Gesamtheit zu er-
langen. Trotz alledem dürfen wir aber gerade der kommunalen Tätig-
keit auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik, vornehmlich der in neue-
rer Zeit, eine gewisse Bedeutung nicht versagen und bezweifeln keines-
falls, auch wenn wir der betonten lokalen Beschränkung eingedenk sind,
doch nicht so ohne weiteres die Tauglichkeit der kommunalen Arbeits-
losenstatistik für diese modernen sozialstatistischen Zwecke. Im großen
und ganzen können wir jedoch auf Grund unserer Ausführungen nicht
umhin, der staatlichen Arbeitslosenstatistik den gebührenden Vorzug
vor den beiden anderen Hauptzweigen zu geben. Wir kommen daher
zu dem Schlusse, daB zu einer genauen, umfassenden, erschöpfenden und
eventuellen fortlaufenden Feststellung der nationalen Arbeitslosigkeit
einzig und allein der Staat berufen ist und vermöge der ihm rechtlich
Rückblick 177
zustehenden, autoritativen, ausgedehnten Verwaltungsmacht und Zwangs-
gewalt mit den übrigen Aufgaben der Reichsverwaltung wohl auch ohne
sonderliche Schwierigkeiten eine wohlorganisierte, dem eigentlichen
Zweck entsprechende Arbeitslosenstatistik verbinden kann.
Soll also auf dem Gebiete der Arbeitslosenstatistik erfolgreich ge-
handelt werden, so ist das wohl zweifellos allein nach einer Richtung
hin möglich. Und wir können den Ausführungen Mosts nur beistim-
men, der erst kürzlich wieder darauf hingewiesen hat, daß lediglich die
Verbindung von Volks-, Berufs- und Arbeitslosenzählung für die Arbeits-
losenstatistik von Bedeutung ist. In einer Denkschrift, die der Genannte
im Januar 1914 dem Stadtverordnetenkollegium von Düsseldorf unter-
breitete, steht dieser noch auf demselben Standpunkt, den er in der
Frage der Arbeitslosenstatistik schon früher einnahm. Most geißelt
darin scharf alle bisherigen Erhebungen in diesem Zusammenhange und
nennt die Arbeitslosenzählungen untaugliche Versuche am untauglichen
Objekt. Wissenschaft und Praxis können allen diesen Arbeiten nicht
das geringste Interesse entgegenbringen. Allein was letzteres anlangt,
mag Most doch wohl etwas zu weit gegangen sein. Gerade die zahl-
reichen, besonders in neuerer Zeit, unternommenen Versuche mit den
verschiedensten Systemen der Arbeitslosenzählungen, den direkten als
auch den indirekten Methoden, haben eine Reihe wertvoller Fingerzeige
gegeben. Es ist keinesfalls zu verkennen, daß erst auf diese Weise
Wissenschaft und Praxis das erforderliche Material erlangt haben, auf
dessen Grundlage allein sich weitere Urteile aufbauen können. Wenn
auch so mancher Versuch als mißglückt anzusehen ist, die eine oder die
andere Arbeitslosenzählung mitunter recht unsichere Ergebnisse gezei-
tigt hat, so muß dabei doch berücksichtigt werden, daß in gewisser Hin-
sicht immerhin einige Fortschritte erzielt wurden. Und wenn diese auch
nicht unbedingt positiven Charakter tragen, so schufen sie doch eine
Erkenntnis, die sich nur bilden kann, wenn eine Reihe von Vornahmen,
mehr oder weniger geglückten Versuchen, vorhanden ist. Wir brauchen
nur an die neueren staatlichen Arbeitslosenzählungen ım Königreich
Sachsen zu denken, deren Veranstalter es verstanden, aus Theorie und
Praxis zu schöpfen, was am geeignetsten erschien. Somit ist es wohl
kaum zu empfeblen, an allen bisherigen Arbeiten auf dem Gebiete der
Arbeitslosenstatistik interesselos vorüberzugehen, sie als nutzlose, un-
taugliche Vornahmen anzusehen und gleich vom Unvermögen der sta-
tistischen Methode in diesem Falle zu sprechen. Mag wohl Oldenberg,
als er zu seiner Zeit für die Arbeitslosenstatistik nur ein non liquet
übrig hatte, nicht ganz mit Unrecht geurteilt haben, heute läßt sich
das aber nicht mehr aufrechterhalten. Wenn auch die Arbeitslosen-
statistik gegenwärtig durchaus noch nicht am Ende ihrer Entwicklung
angelangt ist und den modernen Anforderungen noch keinesfalls ent-
spricht, so sind auf diesem Gebiete aber doch schon hier und da ver-
Herbst: Arbeitslosenstatistik 12
178 Fiinfter Abschnitt. SchluBbetrachtungen
einzelte, beachtenswerte Erfolge erzielt worden, die ihren Eindruck auch
in Zukunft kaum verfehlen werden. Und dazu noch letzten Endes die
von Most in der vorerwähnten Denkschrift näher ausgeführten Gesichts-
punkte, um weitere Fortschritte zu zeitigen und endlich auch auf die-
sem so schwierigen sozialstatistischen Gebiete einen, wenn auch nur
annähernden Erfolg zu verzeichnen: „Um allgemeine Grundlagen für
das Wissen von der Arbeitslosigkeit und für die Arbeitslosenversiche-
rung zu gewinnen, muB jede Volks- und Berufszählung zugleich Arbeits-
losenzählung werden; wesentliche Ergänzungen dazu müssen sorgfältige
und vielseitige Bearbeitungen des Materials bringen, das gelegentlich
der städtischen Notstandsarbeiten von den dort Beschäftisten erreich-
bar ist und wirklich nur wirtschaftlich Arbeitslose umfaßt. Die spe-
ziellen praktischen Zwecke der Gemeindeverwaltungen schließlich können
erfüllt werden nicht durch Stichproben höchst zweifelhaften Wertes,
sondern nur durch sorgfältige laufende Beobachtung des Arbeitsmarktes,
in erster Linie also durch Ausbau der Arbeitsnachweis- und der Kranken-
kassenstatistik.“
§ 2. Reformvorschlige und Weiterausbau der deutschen
Arbeitslosenstatistik.
Was den gegenwiirtigen Stand der Arbeitslosenstatistik in Deutsch-
land anlangt, so muB leider konstatiert werden, daB sie unter keinen
Umstiinden den modernen Anforderungen gewachsen erscheint und nicht
imstande ist, die ihr von der Sozialstatistik zuerteilte Aufgabe voll und
ganz zu erfüllen. In erster Linie ist nicht unerheblich mit schuld
daran ihre stark ausgeprägte Dezentralisierung. Teils werden staatliche,
kommunale oder private Arbeitslosenstatistiken getrennt voneinander
vorgenommen, teils finden gemeinsame Veranstaltungen statt. Es fehlt
also gewissermaßen das systematische Vorgehen und Zusammenarbeiten
der Beteiligten, wodurch die Erhebungen naturgemäß an Wert verlieren.
Dieser isolierten, ungleichartigen und unregelmäßigen, der deutschen
Arbeitslosenstatistik gegenwärtig noch anhaftenden Art muß in Zukunft
etwas mehr Beachtung geschenkt werden, und es ist vor allem ein be-
sonderes Augenmerk darauf zu richten, damit diesem Mangel tunlichst
abgeholfen werde. Eine umfassende Zentralisation tut hier dringend
not. Es sollte versucht werden, ein gleichmäßiges Vorgehen und be-
stimmtes Zusammenarbeiten mit gleichem Grundschema anzustreben
und der ganzen Statistik somit ein gewisses einheitliches Geprüge zu
verleihen. Dazu gesellt sich noch als weiterer wichtiger Punkt die
Forderung, in entsprechender Weise eine zuverlässige und sicher
funktionierende Berichterstattung und Veröffentlichung der
nach dem vorerwähnten Muster vorgenommenen Veranstaltungen zu
organisieren, damit nicht, wie es früher vielfach vorkam, die Existenz
Weiterausbau der deutschen Arbeitslosenstatistik 179
mancher Arbeitslosenzählung weder den Niichstbeteiligten noch der
breiten Offentlichkeit unbekannt bleibt. Es ist vor allen Dingen nötig,
mindestens eine systematische, gleichartige, schnelle, lokale Bericht-
erstattung zu schaffen, die dann vielleicht eher Zusammenstellungen für
das Reich zuläßt und somit den bis jetzt hitter empfundenen Mangel
heilt, der darin liegt, daß, wie die gegenwärtige Berichterstattung ge-
handhabt wird, nicht der geringste AufschluB über die geographische
Verteilung der. Arbeitslosigkeit gegeben werden kann. In letzterer Be-
ziehung ist auch die amtliche Statistik des Kaiserlichen Statistischen
Amtes nicht ganz einwandfrei. Die angeschlossenen Gewerkschaften
teilen in der Regel nur die Gesamtzahlen ihrer arbeitslosen Mitglieder
mit. Wenn auch einzelne davon eine Ausnahme machen und die Zahl
der Arbeitslosen in den einzelnen Gauen berichten, so ist doch die Gau-
einteilung und die Art der Veröffentlichung zu verschieden, als daß sie
die Grundlage einer allgemeinen Aufstellung bilden könnten. Also auch
hier wäre eine Reform dringend erwünscht.
Die hier vertretene Zentralisation der deutschen Arbeitslosenstatistik
läßt sich natürlich am besten durch die Reichsverwaltung vornehmen,
da ja nur der Staat das ın erster Linie geeignete Organ für die Vor-
nahme einer wirklich brauchbaren und zuverlässigen Arbeitslosenstatistik
ist. Als llilfsorgane können dabei die privaten und kommunalen Ver-
anstalter recht gute Dienste leisten und zur Vorbereitung einer zukünf-
tigen Reichsarbeitslosenstatistik mit herangezogen werden. Auf
diese Weise rückt die seither etwas gering geachtete private Arbeits-
losenstatistik zwar nicht allgemein, aber doch in einzelnen Fällen wieder
mehr in den V ordergrund des Des und auch die kommunale kommt,
gleichfalls in gewissem Sinne, ebenfalls auch wieder mehr zur Geltung
und Beachtung.
Hinsichtlich des von der Reichsstatistik einzuschlagenden Weges
zur Gewinnung des Urmaterials und der übrigen sonstigen technischen
Fragen bzw. des Zählungstermines, der Zählpersonen, der Aufbereitung
und Bearbeitung des Materials und schließlich der Art der Veröffent-
lichung der Ergebnisse können wir auf unsere früheren Ausführungen
verweisen, in deren Verlaufe wir auf alle diese Punkte eingegangen sind
und auch nicht versäumt haben, besonders brauchbare Methoden zur
weiteren praktischen Anwendung zu empfehlen.
Wir können hier wohl ohne weiteres dafür eintreten, die MaB-
nahmen des Jahres 1895 gegebenenfalls unter Berücksichtigung der
seither gemachten Erfahrungen zu wiederholen. Es wäre dringend zu
wünschen, daß vornehmlich höheren Ortes darauf hingewirkt würde, die
zukünftigen Volks- und Berufszählungen im Deutschen Reiche den
Zwecken der Arbeitslosenstatistik mit dienstbar zu machen. Leider hat
die Reichsstatistik seit 1895 mehrere Male die günstige Gelegenheit ver-
säumt, eine zentralisierte, ausgelöste Arbeitslosenerhebung über das
12*
180 Fünfter Abschnitt. Schlußbetrachtungen
ganze Land vorzunehmen. Weder 1907 noch im Anschluß an die drei
letzten Volkszüählungen der Jahre 1900, 1905 und 1910 ist der Arbeits-
losenstatistik Rechnung getragen worden. Möge also im Jahre 1915
an der zuständigen Stelle die nötige Einsicht walten und neben den bei
einer Volkszählung üblichen Fragen auch der Arbeitslosigkeit die ge-
bührende und unbedingt nötige Berücksichtigung zuteil werden lassen.
Wir wollen hoffen, daß das Jahr 1915 auf dem Gebiete der Arbeits-
losenstatistik einen weiteren Fortschritt bringt, und das Reich in dieser
Beziehung nicht etwa noch linger hinter den anderen europäischen
Staaten zurücksteht, die in der Verbindung der Volks- und Berufs-
zählung mit der Arbeitslosenzählung die unter den gegebenen Um-
ständen beste Lösung der Frage erkannten und zu ihrer praktischen
Durchführung schritten. Und sogar im Deutschen Reiche selbst finden
wir 1910 eine Anzahl von Städten, die bei Gelegenheit der Volkszählung
dem Beispiel des Jahres 1895 folgten und der Arbeitslosenstatistik zu
ihrem Rechte verhalfen. Diese und sicherlich eine Reihe anderer dürften
wohl auch 1915 kaum davon absehen, ihrerseits einen weiteren Beitrag
zur Lösung des Problems zu liefern. Und schon darum darf das Reich
nicht zögern, im Jahre 1915 endlich wieder einmal eine Arbeitslosen-
zählung über ganz Deutschland zu veranstalten, um nicht etwa zurück-
bleiben zu müssen hinter der gerade auf dem Gebiete der Arbeitslosen-
statistik anzuerkennenden, einsichtsvollen Betätigung einiger kommunal-
statistischer Ämter. Möge also 1915 in entsprechender Weise wie 1895,
jedoch unter Anwendung der bisherigen Erfahrungen und mit Berück-
sichtigung der modernen Voraussetzungen und Grundsätze, ein „statisti-
sches Jahr“ werden und dem Deutschen Reiche eine Reichsarbeits-
losenzählung bringen.
Wir geben somit unserer Hoffnung endgültig Ausdruck, daß die
deutsche Arbeitslosenstatistik nunmehr tatsächlich zu einer staatlichen
Einrichtung ausgebaut und ihr von Amts wegen die wünschenswerte
Förderung und Beachtung zuteil werde, um damit einem schon so lange
empfundenen dringenden Bedürfnis Rechnung zu tragen. Der Bestand
einer wohlorganisierten, zentralisierten, ausgelösten und unter Umständen
periodischen Arbeitslosenstatistik erscheint von sozial- und wirtschafts-
statistischem Standpunkt aus als unbedingte Notwendigkeit. Zur Be-
obachtung und Fixierung der tatsächlichen Vorgünge in den Kreisen
der arbeitenden Klassen sowie der vornehmlich dort auftretenden und
gerade diese mit am ersten heimsuchenden Massenarbeitslosigkeit der
modernen Industriestaaten ist einzig und allein die amtliche Arbeits-
losenstatistik imstande.
Altersversicherung 60, 159
Anschreibung 14, 61, 71,
101, 104
arbeitslos (Begriff) 3
Arbeitslosenfiirsorge 7, 16,
59, 69, 72
Arbeitslosenstatistik (Be-
griff) 2
— (Objekte) 3
Arbeitslosenversicherung
6, 59
Arbeitslosenziffer, allge-
meine 113, 169
— spezielle 113, 169
Arbeitslosigkeit (Ur-
sachen) 3, 4
Arbeitsnachweise, stadti-
sche 60, 69, 104, 148 ff.
Armenpflege 60, 69, 72,
101
Belgien 119
Böckh 117
Bodman, Minister v. 170
Bömelburg 37
Braun, A. 20, 21, 60
Braunsche Methode 20ff.
Bureau of Statistics of
Labor 109
Bureauzählung s. verbes-
sertes Meldeverfahren
Calwer, Richard 19, 39
Comite permanent ducon-
seil superieur du tra-
vail 4
Index.
Dänemark 119
Engel, Ernst 2
England 109
— (englische Gewerk-
schaften) 19
Enquete 13, 25 ff., 52,61, 71
Frankreich 119
freiwillige Meldung s. ein-
faches Meldesystem
Griinspan, A. 36
Günther, A. 164
Hauszählung 15, 16, 28,
39, 40, 64ff., 84, 92, 99,
101, 103f., 170
Heller, Marie 25
Hirschberg 153
Jastrow 147
Invaliditätsversicherung
60, 159
Landsberg, O. 36
Legien, C. 19
Lindemann 55
Massachusetts 109
Mayr, G. v. 2, 119
Meldesystem, einfaches
23, oi. 89ff., 99, 103,
104fF,
Meldeverfahren, verbes-
sertes 63, 64, 72, 102,
105 ff., 170
Merkle, B. 152
Most, O. 2, 55, 69, 170,
173, 177, 178
Oldenberg, K., 177
Österreich-Ungarn 119
Paeplow 37
Personenstandsaufnah-
men zu Steuerzwecken
54 ff., 68. 83 ff., 98, 99,
101, 104ff., 167
Polizeiliche Arbeitslosen-
zühlung 72
Quantz, B. 39
Reichsarbeitslosenver-
sicherung 59
Reichsarbeitslosenzäh-
lung 8, 54, 69, 731f.,
110#f., 179, 180
Richter, Dr. O. 27
Rümelin 2
Schanz, G. v. 173
Schikowski, J. 71
Schweiz 119
Silbergleit 68, 107, 166
Statistik (Begriff) 2
Umzug 15
Vereinigte Staaten 109
Versammlung 15
Westergaard 166
Wiedfeldt 55, 101
Würzburger 55, 101.
Literaturangaben.
Außer mündlichen und schriftlichen Umfragen sowie einer größeren An-
zahl von Drucksachen, Formularen und Fragebogen wurden benutzt:
Adler, G.: Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung (Handwörterbuch der
Staatswissenschaften, 3. Aufl., Bd. I.
Alterthum, P.: Das Problem der Arbeitslosigkeit und die kapitalistische Wirt-
schaftsentwicklung. Berlin 1911.
Böhmert, V.: Zur Statistik der Arbeitslosigkeit, der Arbeitsvermittlung und
der Arbeitslosenversicherung. In der Zeitschrift des Königlichen Statistischen
Bureaus, 1804, Heft 3 u. 4.
Calwer, R.: Unterlagen zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lebensbedingungen
der deutschen Bauarbeiter, herausgegeben vom Deutschen Bauarbeiterverband,
1. Heft, Hamburg 1912.
Faißt, R.: Versicherung gegen unverschuldete Arbeitslosigkeit. Evangelisch-
soziale Zeitfragen, 2. Reihe, 9. Heft, Leipzig 1894.
—, Arbeitslosigkeit und Arbeitsvermittlung in Industrie und Handelsstiidten.
Schriften des Freien Deutschen Hochstiftes, Berlin 1894.
Günther, A.: Die deutschen Techniker, ihre Lebens-, Ausbildungs- und Arbeits-
verhältnisse. Leipzig 1912.
Jastrow, J.: Sozialpolitik und Verwaltungswissenschaft, Berlin 1902.
—, Der Arbeitsmarkt. Alle Jahrgänge.
—, Die Störungen im deutschen Wirtschaftsleben wihrend der Jahre 1900 ff.
Bd. V. Die Krisis auf dem Arbeitsmarkt.
Lindemann, H.: Arbeitspolitik und Wirtschaftspflege in der deutschen Stadt-
verwaltung. Stuttgart 1904.
Mayr, G. v.: Statistik und Gesellschaftslehre. Bd. I. Theoretische Statistik.
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Nr. 1u.2.
Mayr et Varlez, la statistique du chômage, ete., Wien, Institut International
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Merkle, B.; Arbeitslosigkeit, ihre statistische Erfassung und ibre Bekämpfung
durch den Arbeitsnachweis, München und Leipzig 1913.
Most, O.: Arbeitslosenstatistik (kritische Bemerkungen). In Conrads Jahrbtichern
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Paeplow und Bömelburg: Das Maurergewerbe in der Statistik, Hamburg 1902.
Philippovich. E. v.: Grundriß zur politischen Ökonomie, Bd. II, 5. Buch,
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Quantz, B.: Zur Lage des Bauarbeiters in Stadt und Land, Göttingen 1911.
Schanz, G. v.: Arbeitslosigkeit. Im Wörterbuch der Volkswirtschaft, 3. Aufl.,
Bd. I, Jena 1911.
Schikowski, J.: Über Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenstatistik. Leipzig 1895.
Troeltsch, W.: Das Problem der Arbeitslosigkeit. Marburg 1907.
Zahn, F.: Die Statistik in Deutschland. (Jubiliumsgabe für G. v. Mayr.) Bd.
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Literaturangaben 183
Die Arbeitslosigkeit, ihre statistische Erfassung und ihre Bekämpfung. Mit be-
sonderer Berücksichtigung Nürnberger Verhältnisse. Mitteilungen des Sta-
tistischen Amtes der Stadt Nürnberg, Heft 1, 1911.
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Arbeitersekretariat Frankfurt a/M. IV. Jahresbericht für 1902.
Arbeitersekretariat Leipzig. Jahresberichte 1901 bis 1913.
Statistisches Jahrbuch der Stadt Dresden. Jahrgang 1902/1911.
Beitrüge zur Statistik der Stadt Halle a. S. 5. Heft.
Verwaltungsbericht des Rates der Stadt Leipzig für das Jahr 1895.
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde Jahrgang 1896,
4. Heft.
Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin, 1894, 1895, 1896.
Statistik des Hamburgischen Staates, Heft 18, Abt. 6, 1896.
Beiträge zur Statistik der Stadt Straßburg i. E., Heft 1, 1896.
Geschäftsbericht des Statistischen Amtes der freien und Hansestadt Lübeck für
das Jahr 1896/97.
Beiträge zur Statistik der Stadt Mannheim, 1897.
Mitteilungen des Statistischen Amtes der Stadt Dresden, 6. Heft, 1897.
Breslauer Statistik, 18. Bd., Heft 1, 1900.
Mitteilungen des Statistischen Amtes der Stadt Hannover. Jahrgang 1912 und 1918.
Vierteljahrshefte der Statistik des Deutschen Reiches, Jahrgang 1896. Ergän-
zungsheft zu Heft 4. Die beschiiftigungslosen Arbeitnehmer im Deutschen
Reich am 14. Juni und 2. Dezember 1898.
Die bestehenden Einrichtungen zur Versicherung gegen die Folgen der Arbeits-
losigkeit im Ausland und im Deutschen Reich. Bearbeitet im Kaiserlichen
Statistischen Amt; Abteilung für Arbeiterstatistik. Berlin 1906. Teil 1.
Reichsarbeitsblatt. Jahrgang 1—11 (1903/13).
Kommunales Jahrbuch. 2.—6. Jahrgang (1909 — 1913/14).
Statistisches Jahrbuch deutscher Städte. Jahrgang 6, 13—15, 17, 19.
Blätter für soziale Praxis. Jahrgang 1 und 2.
Sozialpolitisches Zentralblatt. Jahrgang 1—3.
Soziale Praxis. Jahrgang 4—22.
Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands,
Jahrgang 10—23 (1900/13).
Deutsches Statistisches Zentralblatt. Jahrgang 1—5.
Druck von B. G. Teubner in Leipzig.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Statistik. Von Professor Dr. Sigmund Schott. (Aus Natur und Geisteswelt.
Bd. 44%.) 8. 1913. Geh. # 1.—, geb. # 1.25.
Verfassor gibt eine kurgefaßto Darstellung des Arbeiteverfahrens der Statistik, ohne auf die
einzelnen Ergebnisse der statistischen Erhebungen aus diesem oder jensm Gebiet aelbat einzugehen.
Die verschiedenen Anschauungen von Wesen und Aufgnbe der Statistik werden ans ihrer Ent-
stehungsgeschichte entwickelt und erläutert, die Organisation des statistischen Dienstes aufgezeigt,
dam der Arbeitsprozeß statistischer Erhebungen in den einzelnen Stadien von der Gewinnung
des Zühlstoffes bis zur Analyse der Ergebnisse verfolgt. Eine Übersicht fiber die Hauptgebiste der
Sozialetatistik, der eine Zeittafel zur Entwicklung dieses Gebietes beigegeben ist, macht den Schluß.
In einem Anhang ist für jeden Abschnitt eine gedrängte kritische Literaturübersicht gegeben.
„Der Versuch des Verfassers, ein gewaltigos Gebiet der Wissenschaft zum ersten Male in einen
knappen Rahmen zu zwingen, ist als außerordentlich gelungen zu bezeichnen. Auf der gesicherten
Grundlage einer solchen gedrängten „Statistik“ wird jeder Gebildete den bewegenden Prinzipien-
fragen, die sich um den gesamten Wert dieser Wissenschaft erhoben haben, zuversichtlich und
mit Verständnis nahetreten können. Ein ansprechender Stil und eine klare Disposition erleichtern
noch die Verbreitung iu weite Kreise, die wir dem Büchlein nur wünschen können,“
(Börsen- und Handelszeitung.
Vorlesungen über mathematische Statistik. bie Lehre von den sta-
tistischen Maßzahlen. Von Dr, E. Blaschke, Regierungsrat im Ministerium des
Innern, Professor an der Technischen Hochschule zu Wien. Mit 17 Figuren
und 5 Tafeln. gr. 8. 1906. In Leinwand geb. . 7.40.
Im ersten Teile der Vorlesungen — die zunächst als Studienbehelf für die Hörer der an den
Hochschulen bestehenden Kurse für Versicherungstechnik dienen, dann aber auch angesichts der
außerordentlichen Entwicklung des Porsonenvereicherungsweseus den Interessen weiterer Kroiss
entgegenkommen sollen — werden die Methoden zor Herstellung einwandfreicr statistischer Ta-
bellen (Absterbeordnungen, Invaliditätstafeln, Krankentafeln, Heiratsordnungen usw.), im zweiten
Teile auf Grondlage von Untersuchungen über die Bedeutung der Tabellen die Anwendungen
erörtert, welche sich hieraus einerseits für die Theorie der Personenversicherung, andererseits für
das unter dem Namen der Tafelausgleichung bekannte statistische Problem orgeben.
Wahrscheinlichkeitsrechnung. Von A. A. Markoff, Professor an der
Universität St. Petersburg. Nach der zweiten A e des russischen Werkes
übersetzt von Heinrich Liebmann, Professor an der Universität München. Mit
7 Figuren. or 8 1912. Geh. K 12.—, in Leinwand geb. A 13.—
Markofn Wahrscheinlichkeitsrechnung darf wohl ebenso wie seine 18% in deutscher Uber-
setzung erschienene Differenzenrechnung das Interesse einen größeren Leserkreises beanspruchen,
Der Verfasser logt besonderes Gewicht auf din axiomatische Begründung und eingehendo Unter-
suchung über den Geltungsbereich der wichtigsten Sätze, ohne die verschiedensten Gebiete der
Anwendung (Versicherung, Methode der kleinsten Quadrate, geometrische Wahrscheinlichkeiten
usw.) dabei zu vernachlässigen, - ,
Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendung auf Fehlerausgleichung,
Statistik und Lebensversicherung. Von Dr. Emanuel Czuber, o. 6. Professor an
der Technischen Hochschule in Wien. 2., sorgfältig durchgesehene und er-
-weiterte Auflage, In 2 Bänden.
I. Band: Wahrscheinlichkeitstheorie, degen ee Kollektivmaßlehre. Mit
18 Figuren. gr. 8, 1908. In Leinwand geb, M 12.—
II. Band: Mathematische Statistik, Mathematische Grundlagen der Lebensversiche-
rung. Mit 34 Figuren. gr. 8. 1910. In Leinwand geb. £ 14.—
„Uxzuber ist es ganz besonders su danken, daß or im Gegonsatz zur allgemeinen Mode von
jeher der Wahrscheinliohkeitsrechnung diesen Teil seiner Arbeit gewidmet hat.,.. Gegenüber den
veröffentlichten Lehrbüchern der Wahrscheinlichkeitsrechnung bedeutet es einen wesentlichen Fort-
schritt in der gegenwärtigen Darstellung, daß auf einem verhältnismäßig beschränkten Raums
die klassische Wahrscheinlichkeiterechnung und dio modernen Anwendungen gleichzeitig dar-
gestellt werden.” (Zeitschrift für Mathematik und Physik.)
Versicherungsmathematik. Von Dr. Hugo Broggi, Professor an den Uni-
versitäten Buenos Aires und La Plata. gr. 8. 1911. Geh. Jé 7.—, in Leinw. geb. dé 8.—
Das in erster Linie für Studierende der Mathematik, die sich mit Lebensversicherungsmathe-
matik beschäftigen. wollen, bestimmte Ruch versucht eins möglichst zusammenfassende reicht
über die Anwendung der Wahrschsinlichkeitsrechnung suf die Sterblichkeitstheorie, über die
fundamentalen Probleme der Versicherungsmathematik im allgemeinen, sowie Ober die Technik
der Lebensversicherung zu geben. Vorausgesetzt werden nur dio mathematischen Kenntnisse, die bei
jedem Mathematik Studierenden vorhanden sind oder vorhanden sein sollten. Die deutsche Ausgabe `
weist gegenüber der italienischen und französischen mannigfache Zusätze und Erweiterungen auf.
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Verlag von B.G. Teubner in Leipzig und Berlin
Allgemeine Volkswirtschaftslehre
Von Wilhelm Lexis
(Die Kultur der Gegenwart, herausg. von Prof. P. Hinneberg. Teil Il, Abt. 10, 1.)
2., verbesserte Auflage. [VII u. 256 zl Lex.-8. 1913,
Geh. M. 7.—, in Leinwand geb. M. 9.—, in Halbfranz geb. M. 11.—
Inhalt: A. Einleitung. J. Die Entwicklung der Volkswirtschaft. Il. Die Methode der Volks-
wirtschaftsiehre. —B. Der Kreislauf der Volkswirtschaft. I. Der Wert. U. Die Nachfrage. Ill. Die
Produktion. IV. Kapitalvermögen und Unternehmung. V. Das Angebot. Vi. Die Preisbildung.
Vil. Handel und Preise. VII. Das Geld. IX. Kredit- und Bankwesen. X. Der Wert der Geld-
einheil. XI. Das Einkommen, Xil. Näheres über Arbeitseinkommen und Kapitalgewinn. ` XI. Die
Grundrente, XIV. Produktion and Einkommen. XV, Krisen. XVI. Die Konsumtion. XVIL Produktion
und Verteilung. XVIII. Zukunftsaussichten. Literatur. Register.
vw, ES ist geradezu erstaunlich, wie viel an positiven Kenntnissen hier au! relativ beschränkten
Raum demLeser geboten wird. Charakteristisch für Lexis ist strengste Wissenschalllichkeil, gepaart
mit einer ungebrochenen ‚Natürlichkeit! der Denkart und der Darstellungsweise. Tönnies hat einmal
die Gelehrten in zwei Kategorien eingeteill: die ‚Wisser‘ und die Denker". Lexis ist längst als `
Mann bekannt, dem ein Ehrenplatz in jeder dieser beiden Klassen von Rechts wegen zusiehl.
Aber sein neuestes Werk, in welchem sozusagen das Fazit einer semisäkularen intensiven Be-
schäftigung mit volkswirtschaftlichen Problemen gezogen ist, bringt diese einzig dastehende Ver-
bindung ungewöhnlichen theoretischen Scharlsinns mit souveräner Beherrschung des Tatsächlichen
gleichsam potenziert zum Ausdruck.“ (Jahrbuch für Gesetzgebung usw. herausgeg. v. Schmolier.)
Materialien Tur das
wirtschaftswissenschaftl. Studium
Von Dr. Richard Passow
ord. Prof. an der Kgl. Techn. Hochschule zu Aachen
sand. Kartelle des Bergbaues. Yı'35"
‚„‚Der Grundgedanke der Herausgabe dieser Materialien ist ein sehr gesunder, Wer es erfahren
hal, wie schwierig oft das einfachste Tatsachenmaterisl aus sehr zerstreuten ond oft in einzelnen
schwer zugänglichen Quellen schnell zusammenzutragen ist, wird für die literarische Gabe um so
dankbarer sein können, als der Preis für das gut ausgestatiete Buch sehr gering ist. Ein aus-
führliches Sachregister erleichtert den Gebrauch.‘ (Kartellrundsohau.)
saa n. Effektenbörsen. “atmis
Dieses Buch bringt zunächst die wichtigsten Materialien über die deutsche Börsengeselzgebung
und die sie ergänzenden allgemeinen Bestimmungen, ferner einen Abdruck der Berliner Börsen-
ordnung, der Maklerordnung, der Geschäftsordnung des Börsenvorstandes, der Zulassungsstelle usw.
mit Hinweisen auf abweichende Verhältnisse an anderen Börsen, endlich eine Reihe von Materialien
über Börsengeschäfisbedingungen und der Abwicklang der Börsengeschäfte dienenden Einrich-
tungen, wie Liquidationsbureaus, Giro-Effekten-Depots.
Band nm. Warenbörsen. “giguer
Der Band enthält eine umfassende Zusammenstellung der Geschäftsbedingungen usw. der
wichtigsten deutschen Warenbörsen, wie sie bisher nirgends bestand. Nach einer allgemeinen
Übersicht über die deutschen Warenbdrsen und die Verhältnisse der Berliner Produktenbörse werden
insbesondere behandelt: die Zeitgeschäfte in Getreide an den Börsen von Berlin, Danzig und Mann-
heim, der Berliner Terminhandel in Bobo, der Hamburger Handel in Kaffee, der Hamburger und
Magdeburger Terminhandel in Zucker, der Berliner und Hamburger Terminhandel in Kupfer und ©
Zinn. im Anhang werden einige Materialien über die Duisburger Schiflerbörse wiedergegeben. —
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