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Das Durgtheater.
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1868.
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Das Burathenter.
1.
Bis zum Jahre 1750 jind viele Punkte unflar und wider:
ſpruchsvoll über die Stätte und über das Haus, welches unter dem
Namen „Burgtheater“ eine jo große Rolle jpielen jollte in ver
Geſchichte des deutichen Theaters.
Der verjtorbene Graf Mori Dietrichitein, zu wiederholten
Malen und immer längere Zeit Chef dieſes Theaters, hat Alles
geſammelt, was auf die Gejchichte des Burgtheaters eine Beziehung
hatte, und hat mir Alles mitgetheilt. Aber auch aus feiner Mit-
theilung wurde nicht Alles klar über die Benutzung und allmälige
Erweiterung des jetzigen Hauſes.
Im Sahre 1740 — jchreibt er — war an vemjelbigen Orte
noh ein Ballhaus. Ballhaus im damaligen Sinne, nicht im
jetigen. Aus Sranfreich ftammte die Sitte, in gedecktem Raume
Ball zu ſchlagen, und dadurch zu jeder Zeit eine jtarfe Yeibesübung
haben zu fünnen.
Im Jahre 1756 — fchreibt er weiter — wurde das Theater
gegen den Michaelsplatz um ſechs Yogen vorgerücdt durch ven Archi—
teften Michel, von welchen ev nicht weiß, ob er ein Franzoſe oder
ein Belgier gewefen.
Dan jieht jest immer noch am Plafond des Burgtheaters
eiferne Klammern. Sie follen den Punkt bezeichnen, von welchen
aus das Theater erweitert worden ift. Da die Erweiterung ſich
auf Logen bezieht und gegen den Michaelsplag ftattgefunden hat,
1*
4 Das Burgtheater.
io jeheint daraus hervorzugeben, daß die Bühne damals auf der
inneren Seite der Burg geweſen tft, nicht wie jett auf der Seite
des Michaelsplates.
Im Jahre 1780 — jchreibt er endlich — iſt es (ohne Ver—
größerung) zu einem Theater umgejtaltet worden mit acht Logen
auf jeder Seite, die Kammerherrnloge in der Mitte und im Pro:
jcenium zwei Yogen übereinander.
Theater aber war es doch ſchon lange. Soll damit nur eine
Veränderung in der öffentlichen Benennung gemeint fein?
Fragen wir aljo eine zweite Quelle. Ein alter Schaufpieler,
Dr. Weidmann, hat in der „Wiener Theaterzeitung‘ 1860 „Bei—
träge zur Gejchichte des k. f. Hofburgtheaters‘ veröffentlicht, und
da wird abweichend Folgendes berichtet:
„Im Jahre 1741 ward das heutige Hofburgtbeater nach einem
von Weisforn entworfenen Plane mit Gutheifung des Hofes für
die „„deutſchen Komödianten““ erbaut.‘ Dies ſei — führt er
fort — einmal vom Director Sellier, und nochmals im Jahre
1751 vom Baron Yoprefti vergrößert worden. „Im Jahre 1760”
ſchließt er — ‚‚erbielt das Theater an ver Burg durch den Grafen
Durazzo feine gegenwärtige äußere Gejtalt mit dem Fronten gegen
ven Michaelsplatz.“
Wir jehen alſo: die Mythe hüllt die Entjtehung des Kunſt—
tempels in ihre Wolfen, was ja bei wichtigen Gebäuden in der
Ordnung tft.
Sp viel ijt indeß gewiß: die erjte äußerlihe Wiege des veut-
iben Schaufpieles in Wien war das Burgtheater nicht. Diefe
Wiege jtand auf dem Mehlmarkte und war eine Bretterbude.
Dort wırden die deutſchen Hanswurſtſpiele aufgeführt, welche zu
Anfange des achtzehnten Jahrhunderts das deutſche Theater bedeu—
teten, und welche in Wien diefe Bedeutung ein halbes Jahrhundert
fejtgehalten haben, ja noch länger.
Der Kampf gegen die Burlesfe begann allerdings ſchon in den
Das Burgtheater. 5
vierziger Sahren, aber diefer Kampf führte noch zu wiederholten
Niederlagen des jogenannten regelmäßigen Schaufpiels und zu
wiederholten Auferjtehungs-Triumphen der Burlesfe. Erſt zwiichen
1770 und 1780 jtellte jich der Begriff feit, welchen wir noch heu—
tigen Tages mit dem Wort: „Burgtheater“ bezeichnen.
Die Theaterereignifje ſelbſt, welche dahin führten, verliefen
in folgender Geitalt:
Für die Italiener hatte der Wiener Magiltrat ein Theater
am Kärnthnerthore erbaut. Dies erhielten die deutfchen Komö—
dianten zum Schauplate eines deutſchen Theaters, und 1708 jievelte
Stranisfy mit feinen Collegen vom Mehlmarkte in dies Theater
über. Das Kärnthnerthor-Theater war alfo das erſte jtehende deutſche
Theater in Wien.
Bis zu feinem Tode — 1725 — jchwang hier der jehr be-
gabte Stranitfy jeine Pritihe und beherrichte den Wiener Ge-
ſchmack. Er forgte auch noch vor jeinem Tode für die Zufunft der
Burlesfe: er jtellte dem Publicum feinen Nachfolger vor in ver
Perſon Gottfried Prehaufer’s, der aus den „drei Yaufern” am Kohl-
marft jtammte. Der junge Hanswurjt fniete nieder und bat vie
Anweienden um Gotteswillen! fie möchten doch über ihn lachen!
Die Anwejenvden thaten es, und die Zufunft der Burlesfe war ges
jihert. Andreas Schröter trat ein als Großſprecher — eine ſchon
bei ven Römern erfcheinende Theaterfigur, — Leinhaaß als Pan—
talon, Maria Anna Nuthin als Colombine, und dem alfo innerlich
wohlverjehenen Poſſentheater ward unter Boroſini und Sellier auf
zwanzig Jahre das Privilegium des deutſchen Theaters verliehen,
es ward alfo bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts das
Poſſenſpiel fejt eingebürgert.
Dies gerade war der Zeitraum — 1730—50, — in welchem
Deutichland die erjte große Anſtrengung machte, ein gebilvetes
. Schaujpiel zu gewinnen, eine Anſtrengung, welche im Wejentlichen
gelang. Der Anftoß zu dieſer Ichöpferiichen Reform ging von den
6 Das Burgtheater.
Mittelftaaten aus und von den Mittelſtädten. Wien und Berlin
jpielten feine Rolle dabei. Berlin am wenigjten; es verhielt fich
befonders trüg. Es befam eben 1740 jchon einen König, welcher
ſich für die deutſche Literatur gar nicht intereffirte, und die ſchleſiſchen
Kriege, welche er entzündete, nahmen es jo übel wie Wien in An—
ſpruch. Kleine Fürften, wie die von Braunſchweig, von Mecklen—
burg und bejonders von Holjtein nahmen jich zuerjt des Finvelfindes
„deutſches Theater” an, und Städte wie Yeipzig, Gotha, Hamburg
traten an die Spike der Reform. Jene kleinen Fürftenthümer,
Gotha eingejchloffen, errichteten die erjten Hoftheater, und Yeipzig
begann unter der Direction der Frau Neuberin principiell die
Gründung eines gebildeten Schaufpiels. Die Namen ‚„Neuberin‘,
„Eckhof“, „Leſſing“ bezeichnen vie Stufen der aufſtrebenden deut- .
ihen Bühne.
Bom Jahre 1730 etwa datirt der Begriff des gebildeten deut—
Ihen Theaters. Da blühte die Divection der Neuberin auf in
Yeipzig unter ver Aegide Gottſcheds. 1757 wurde ver Hanswurſt ver—
brannt. Man hat Gottichen mit Necht „gottſchädlich“ genannt,
weil ev ein Pedant war und den Gott der Kunſt wirklich nicht kannte.
- Aber der ftreng beginnenden Form war er fürderlid. Die Ent-
widelungen geben jtufenweife, und die erſte nöthige Stufe war:
eine enge, fnappe Form hinein zu bauen in die wüjte Wirthichaft des
extemporirenden Banpenjpieles, welches berichte. Aber auch dies
Bandenſpiel war ſchon dem deutſchen Theater in Wien voraus.
Staatsactiones, engliihe Komödie, plumpe Poſſe bildeten das Re—
pertoire. Jedes war ſchätzbar als fruchtbares Korn, und jedes tjt
aucb ſpäter entwicelt worden: die Staatsaction zum bilterifchen
Schauſpiele, vie engliihe Komödie zum bürgerlichen Schaufpiele
und die Poſſe zum Yujtipiele. So wie dies Repertoire damals
wucherte, war es Unkraut, welches jchonungslos gejätet werden
mußte. Es war ungethimer Stoff; eine Form that noth, aud .
wenn diefe Form zunächit verarmen follte,
Das Burgtheater. q
Dieje Grundaufgabe Löfte die Neuberin mit bewunderns—
werther Energie. Sie ift die Mutter des deutihen Schaufpiels;
viel mehr, als Gottſched Vater war. Sie beſaß den Injtinet der
Schöpfung, welcder etwas ganz Anderes war und wurde, als der
blos formaliftiihe Sinn Gottſched's ahnte. Sie war produtctiv
und hatte ven Kern und Saft der bis dahin wüjten Komödie ganz
und gar in ſich, während Gottſched davon Nichts beſaß. Er war
vom Humor verlafjen, jie war reich daran. Sie erfand, fie extem-
porirte jogar ebenfalls, wenn's augenbliclich nöthig war, kurz, fie
war eine lebenswolle Natur und ein fünftleriicher Charafter. Daß
fie dabei auch ein ftarfer bürgerlicher Charafter war, welcher Ord—
nung hielt, welcher jtreng einen Strich jegelte, welcher Opfer brachte
mit Bewußtſein und Tapferkeit, das war entjcheivend. Wlan rejpec-
tirte das, und dies moraliiche Anfehen war dem verachteten Komö—
diantenleben unſchätzbar. Das moraliſche Moment ſtützte das
literariſche.
Sie konnte aber natürlich mit aller Kraft der Ausführung nur
einen Anfang bereiten. Sie konnte nicht auch die Stücke ſchaffen,
ſie mußte froh ſein, wenn ſie verſchafft wurden. Dieſe Verſchaffung
geſchah mit Hülfe des franzöſiſchen Theaters. Die dramatiſche
Literatur aus der Epoche Ludwig's XIV. bildete die Grundlage zu
dem Lentſtehenden regelmäßigen Schauſpiel in Deutſchland. Von
Seiten Gottſched's in pedantiſcher Ueberſchätzung der entlehnten
Form, von Seiten der Neuberin in deutlicher Einſicht, daß dies
nicht genüge und daß Kräfte erwachſen müßten in Deutſchland,
welche mit eigener Schöpfungskraft ven Inhalt brächten für die
Reform.
In der That wuchs auch der wahre Führer neben ihr auf in
Leipzig, und der junge Yeljing fing neben ihr an, es mit Fleinen
Stüden zu verfuchen.
Aber ein paar Jahrzehnte vergingen, ehe Anfang und Ueber:
gang fich To weit entwicelten, daß von einem echten Neuen die Rede
8 Das Burgtheater.
ſein konnte. Die Ueberzeugung war bald da, daß die enge franz
zöfifche Tragödie dem deutjchen Bedürfniſſe nicht genüge, und man—
nigfaltige Bejtrebungen machten jich geltend, die enge Form zu er—
weitern , die fremden Stoffe durch näherliegende zu erfegen. Elias
von Schlegel, Weiße und Gellert waren in diefer Richtung thätig ;
Gellert befonvders in der wahrhaftigen einfachen Form des bürger-
lichen Vaterlandes, und die Popularität feiner harmloſen Scherz:
ipiele wurde ein deutlicher Fingerzeig, daß anfprechendes Yeben des
Theaters im jchlichten Heimathsleben zu fuchen und zu finden jei.
Einige tüchtige Schauspieler halfen mit Talent und Charakter:
fraft, daß dieje Uebergangszeit überjtanden wurde und fein Rückfall
eintrat in das überwundene rohe Wejen. Eckhof ijt unter ihnen
die Hauptfigur; die Ackermann'ſche Gefellichaft, bei welcher Schrö-
der aufwuchs, die wichtigjte Corporation in jener Uebergangszeit.
Der wahre Führer entwidelte jich in Gotthold Ephraim
Leſſing. Die Grundſätze, welche er in ſich ausbildete und durch
jeine Stücke bethätigte, wurden das Gejetsbuch des deutſchen Theaters,
ein Geſetzbuch, welches noch heute in Kraft und Wahrheit bejteht.
1755 erichien fein erjtes größeres Stüd „Mit Sara Samp-
ſon“ und wurde in Hamburg gegeben. Es machte die Runde über
alle bejferen Bühnen und auferordentlichen Eindruck. 1767 erit
folgte „ Minna von Barnhelm“, 1772 „Emilia Galotti“.
1775 reijte Leſſing auf dem Wege nach Italien durch Wien
und ward zur Berathung gezogen über das deutſche Schaufpiel in
Wien, 9a, es war die Rede davon, ihn für das Burgtheater zu
gewinnen,
Wie war nun in Wien die Entwidelung des deutjchen Theaters
vorwärtsgegangen neben den Reformen in Deutſchland? Yang-
jam, unter immerwährender Störung, unter häufigem Rüdfall.
Bis zum Jahre 1747 herrfchte die Burlesfe im Kärnthnerthor—
Theater ungejtört und unumſchränkt. Sie hatte jich im Perjonal
fortwährend und glüdlich verſtärkt; Weißkern, Kurz und Kurzin,
Das Burgtheater. 4
Mayberg und Huber hatten das Contingent vermehrt, und es iſt
nicht zu verkennen, daß jte alle jehr begabte Yeute waren für fröh-
liche, poſſenhafte Komödie. Sie jchufen jich immer neue Narren-
charaktere und waren darin geradezu jchöpferiich: Kurz erweiterte
die jtehenden Masken mit einem ungezogenen, lüderlichen Buben,
welcher Bernardon genannt wurde, Weißkern war Odoardo, Schrö-
ter Bramarbas, Huber Yeander. Yebterer erwies ſich jogar von
beveutungsvoller Driginalität, ev Ihuf eine heimathliche jtehende
Figur: den Yeopoldl, welchem ſpäter der „Salzburger Bauer’ zur
Seite trat. Es entwicelte ſich aus den italienischen Masten all-
mälig eine wirklich lebendige Yocalpofie, welche nie und nirgend
ihre Anziehungskraft verjagt, und die Unmittelbarfeit woraus hat
vor dem gebildeten Schaufpiele. Der ſpätere Staberl und ver
neuejte Neſtroy jind Enfel und Urenkel dieſer Richtung. Wenn die
eigene Erfindung nicht zureichte, jo nahm man fpanifche, wäljche und
franzöjiiche Stüde vor, um einen neuen Yeitfaden für ven Stoff zu
haben. Aus der Handlung diefer fremden Stücke verfertigte man
ein Scenarium, und füllte dies aus mit extemporirten Spüßen.
„Dieſe Leute“ — jagt ein alter Bericht — „hatten es jo weit ges
bracht, daß ihnen im Ertemporiven feine Truppe gleichfam; man
beobachtete feine langweilige Scene, ſelbſt die ohne den Narren
wurden lebhaft.‘
Ein Schaufpieler Namens Weidner brachte Anno 1747 eine
Unterbrehung in dies talentvolle, aber wüjte Iheatertreiben. Er
jette es durch, daß ein regelmäßiges Stüd „von draußen‘ gegeben
wurde. ES war ein Traueripiel in Verfen „Die Allemannijchen
Brüder’ von Krüger aus Danzig. Der Contrajt war grell, aber
er machte Glück. Das Stüc gefiel und fonnte oft wiederholt wer-
den. Man fragte nun nach ven Theaterzuftäinden ‚draußen‘, und
als es allgemeiner befannt wurde, daß die Neuber'ihe und Schöne—
mann'ſche Geſellſchaft jchon jeit Jahren regelmäßige Stüde auf-
führten, da verlangte man num auch nach folchen Stücden. Obiger
10 Das Burgtheater.
Herr Sellier nahm ſich der Sache an und verichrieb von der Neu-
ber'ſchen Gejellihaft mehrere Mitglieder: Koh und Kochin, Heyd—
rich und Mademoiſelle Yorenzin mit der ausprüdlichen Klaufel: zu
ſtudirten Stüden.
Diefe Nachricht frel wie eine Bombe unter die Führer der Bur-
(esfe, und nachdem fie fih gefammelt, riefen Weißkern, Prehaufer
und Kurz: Das fünnen wir auch! Und das werden wir beweilen !
Und wirklich, wie geſchickte Feldherren beuteten jie die drohende
Yage aus: fie fetten jelbjt jolche regelmäßige Stüde aufs Reper—
toive und fpielten fie. Nur erlaubten fie jih Freiheiten in ver Be—
jeßung und ließen die beiten Scenen aus. Die erite Yiebhaberin
ward einer corpulenten Fünfzigerin gegeben und der Liebhaber
wurde dem Leopolol-Huber anvertraut. Der nichtswürdige Erfolg
blieb nicht aus, und fie fagten achjelzudend: Das find eure regel-
mäßigen Stüde ! 2
Dennoch fette Sellier mit ven Seinen durch, daß die ſächſiſchen
Schauſpieler auftraten, und zwar im Traueripiele „Eſſex“. Stüd
und Darftellung gefielen. „Oedip“ und „Zayre“ folgten, und es
hatte eine furze Zeit das Anſehen, als fönnte num auch in Wien die
Reform durchgefetst werden. Aber nur furze Zeit. Die Weipfern
und Gonjorten verleiveten ven Fremden das Theater in hundert:
facher Weife, und das Koch'ſche Ehepaar ging wieder fort. Kaum
war es zum Thore hinaus, jo wurde „Eſſex“ von den fujtigen Per—
ſonen aufgeführt und in ausgelafjener Weife veripottet — die Re—
forn war gejcheitert und die Burlesfe triumphirte wieder mehrere
Sabre,
Indeſſen war doch das tiefere Bedürfniß gewedt, und Frhr.
vd. Loprejti, bis dahin Unternehmer der wäljchen Oper, übernahm
auch das deutjche Theater, und fette es durch, daß in jeder Woche
ein Mal ein regelmäßiges Schaufpiel aufgeführt wurde, an jedem Don—
nerstag. Dieje Donnerstage bildeten den Beginn eines Repertoires.
Das Burgtbeater. 4
Das erite Jahr brachte „Cinna“, „Polieuct“, „Cornelia, Mutter
ver Gracchen“, „Panthia“ von Madame Gottſchedin, „Merope“ von
Maffei, überjett von Molter. Man fieht, der Gegenjat zur Iujtigen
Komödie war jehr grell, und man follte meinen, dieſe römischen und
griechifchen Actiones hätten nicht gar verführeriich fein fünnen für
das Publicum, welches an die luftige Komödie gewöhnt war. Sie
waren e8 aber doch; jo tief liegt das Bedürfniß im Menſchen, mit-
unter dem Alltäglichen enthoben zu werden. Die Donnerstagspor-
jtellungen machten immer volle Häufer, und man glaubte num, einen
Schritt weiter gehen zu fünnen, um ver Burlesfe an die Wurzel zu
greifen. Man dachte an die Cenſur. Wan meinte, die Burlesfe
würde eine Cenſur, die auf Anftand und Sitte drängte, nicht be-
ſtehen können. So meinte man. Aber man ivrte fih. Was konnte
Baron Reihmann, welcher die Cenfur übernommen, mit den Stücken
machen, die Weißfern jetst vorlegen mußte? Es waren feine Stüde,
es waren nur Umriffe, nur jogenannte Scenarien, Die ganz unver:
fünglich erſchienen. Der Dialog fehlte, ver wurde eben extemporirt.
Es blieb ihm Nichts übrig, als anzuoronen, daß fie fich „aller Uns
anftändigfeiten und widerjinnigen Ausdrücke zu enthalten hätten.
Im Uebertretungsfalle follten fie das erſte Mal mit einem empfind-
fihen Verweis, das zweite Mal mit vierzehntägigem VBerhaft und
das pritte Mal mit Lebenslänglichem Feſtungsarreſt beftraft
werden‘, Das nutzte nicht viel. Mean mochte fich Doch nicht ent:
ſchließen, ſolch einen „ſpaßigen Patron’ Tebenslänglich auf die
Feſtung zu ſchicken.
Endlich im Jahre 1752 griff die Kaiſerin Maria Thereſia
nachdrücklich ein: ſie widerrief alle bisherigen Privilegien, bielt die
bisherigen Unternehmer auf's Großmüthigſte ſchadlos, und befahl:
die Schaubühne auf einen gefitteten Fuß zu ſetzen. Dem Magiftrat
wurde die Aufficht übergeben und erlaubt, eigene Commifjarien zu
ernennen. Er ernannte die Grafen Franz dv. Ejterhäzy und Jacob
v. Durazzo. Dem Hrn. Yeopold v. Ghelen wurde die Verwaltung
12 i Das Burgtheater.
übergeben, und die Kaiſerin bewilligte eine anjehnlihe Summe als
Zuſchuß für die Koſten.
Yun begann alfo das deutihe Schaufpiel in Wien endlich
unter günjtigen Ausfichten. Es begann, um jogleich wieder ver:
drängt zu werden, Und wunderlich genug! durch Das Burgtheater.
Diefer fleine Saal wırde in vemjelben Jahre 1751 einer franzö-
ſiſchen Schaufpielergejellfchaft eingeräumt, welche aus dem Haag
fam. Sie begann auch mit „Eſſex“ — von Corneille — und —
der ganze Adel ging zu ihr über.
Hiedurch war wieder auf längere Zeit das aufftrebende deutſche
Schaufpiel geichlagen. Die Franzofen drüben im kleinen Saale am
Burgthore brachten das ganze ausgebildete Repertoire des sieele
de Louis quatorze, welches der damaligen Bildung der höheren
Stünde vollſtändig entiprach — das deutſche Theater am Kärnthner—
thove zeigte nur dürftige Anfänge, und Anfünge, welche nicht eben
verführeriich waren. Das Neueſte war eine „Baniſe von Grimm
aus Negenspurg”, eine „Detavia von Cammerer aus Hamburg‘,
eine „Araxane vom Baron Trenk“. Man machte wohl An—
jtrengungen im Perfonal, man verjchrieb die Neuberin in Perjon.
Sie trat auf in „Sanco und Senilde“ und — fie gefiel nicht. Was
Wunder, daß die Burlesfen wieder volles Oberwaller gewannen !
Sie wurden bei diejen geringen Erfolgen ver Reform geradezu jtolz
und nannten die regelmäßigen Schaufpieler verächtlich Gregorius-
ſpieler. Am Gregoriustage nämlich lernten die Schulfnaben einige
Dialoge auswendig und vecitirten fie in öffentlichem Umzuge auf den
Straßen. „So viel gehört dazu“ — jpotteten die Ertemporirer, —
„um ein vegelmäßiger Schaufpieler zu fein: Auswendiglernen !
Talent braucht man nicht; Talent brauchen wir!
Das dauerte bis zum Jahre 1760. Da — mitten im ſieben—
jährigen Kriege! — drang die Kaiſerin Maria Therefia wiederum
auf erneute Anſtrengung für ein bejjeres deutſches Theater, umd
es wurden neue Schaufpieler verjchrieben: Stephanie der ältere,
Das Burgtheater. ‚ 13
Kichhof und Frau aus Riga, Jaquet und Frau aus Grab. Sie
gefielen, und man hoffte wieder.
Da brannte das Theater ab — im November 1761 — und
die deutſchen Schaufpieler mußten, mit ven franzöfiichen abwechſelnd,
im Burgtheater jpielen, und zwar als Aſchenbrödel. Die Franzojen
erhielten alle Mittel zu glänzender Ausjtattung ihrer Stüde; die
deutſchen erfchienen ärmlich und roh Daneben und machten einen un—
vortheilhaften Eindruck.
Slüclicherweife wurde der Wiederaufbau des abgebrannten
Theaters raſch betrieben und beendigt, und die deutſchen Vor—
jtellungen fonnten wieder im eigenen Haufe am Kärnthnerthore er
öffnet werden. Der Drang nach eigener Entwidelung war verjtärft
worden durch ven Herger, welchen das Uebergewicht der Franzojen
erregt hatte, und es entwidelten ſich nun — was bisher empfindlich
gefehlt hatte — einheimische Talente im Fache ver Schriftiteller,
welche nicht blos griechiſch und römiſch producirten, ſondern modern
bürgerlid. Das war ein jehr wirkſamer Uebergang von der Ex—
temporepofje zum regelmäßigen Luſtſpiele. Philipp Hafner und
Franz Heufeld waren diefe Schriftiteller. Hafner's „Bürgerliche
Dame’ und „Der Furchtſame“ ſprachen auch das große Publicum
an, und Heufelv’s „Haushaltung nach ver Mode‘ machte Aufjehen.
„Man lernte einfehen‘‘ — heißt es in der Chronif, — „daß man
über Localthorheiten lachen könne, ohne die plumpen Ausdrüde eines
Hanswurjtes oder Jakerle's nöthig zu haben.‘ Jakerle war vie
neuejte Poſſenfigur.
Um dieje Zeit jtarb — 1765 — Kaiſer Franz L, und in
Folge dieſes Todesfalles wurde die franzöfiihe Komödie abgedankt.
Das deutiche Theater gewann dadurch größeren Raum im PBubli-
cum und die Freunde des regelmäßigen Schaufpiels wurden zahl-
reicher. 1768 jtarb Prehauſer, der wichtigfte unter ven Zugführern
der Burlesfe, ein jehr ſtarkes komiſches Talent, ver fich auch in
letter Zeit Schon mitunter bherbeigelaffen hatte, im regelmäßigen
14 Das Burgtheater.
Stüde eine Rolle zu übernehmen, zum Beifpiel den Norton in „Miß
Sara Sampſon“. Außerdem traten Neformer im weiteren Sinne
des Wortes, Reformer in politiicher Welt öffentlich auch für die Re—
form des Theaters hervor. Der wichtigjte war Sonnenfels, welcher
eine Zeitjchrift herausgab unter dem Titel: „Der Mann ohne Vor—
urtheil“. Er war ein Mann von Energie und von großem mora—
liſchen Nachdruck. Es war ein außerordentlicher Gewinn für das
höhere deutſche Schaufpiel, daß er mit voller Kraft in die Schranfen
trat für das höhere Schaufpiel. Gin Baron v. Bender, ein reicher
und tüchtiger Mann, übernahm die Direction des Theaters, und
neue talentvolle Schaufpieler wurden für dafjelbe gewonnen: Müller,
Gottlieb, der jüngere Stephanie, Steigenteſch, Mademoiſelle Teut-
ſcherin. Es fanden ſich auch neue Schriftitelleer — Brahm, Jeſtern
und jener jüngere Stephanie —, welche neue Yujtipiele jchrieben.
Das erite von Stephanie, genannt „Die Werber‘, hatte jogar einen
durchichlagenven Erfolg. Kurz, es vereinigte jih im Jahre 1769
Alles, was ven Sieg des regelmäßigen Schaufpiels in Wien zu
ſichern ſchien. Im den Contracten der neuen Schaufpieler fam
ſchon vie Klaufel vor: „it nicht gehalten, in extemporirten Stüden
zu ſpielen“, und endlich erichten eine Verordnung vom Hofe, welche
die ertemporirten Stüde verbot. Sonnenfels wurde offictell ein—
gelegt als Cenſor; das Jahr 1770 ſchien der Untergang der Bur—
leske zu fein.
Dennoch erfolgte ein neuer Rückſchlag. Baron Bender gab
ſchon nah ſechs Monaten die Direction auf, und jie fam an einen
Italiener Affliggio, welcher nicht die geringjte Neigung hatte, ein
deutiches Nationaltheater zu fürdern. Im Gegentheil! die all-
tägliche Unterhaltungskoſt, welche am leichtejten Geldgewinn vers
ſprach, fam mit ihm an die Reihe, und als er vielfachen Widerjtand
auch unter ven Schaufpielern fand, die fich zum Extemporiren nicht
mehr hergeben wollten, da ergrimmte er und griff zu heftigen Maß—
regeln, Den jüngeren Stephanie und Steigenteih ließ er jogar
Das Burgtheater. 15
eines Tages verhaften. Ueberhaupt brachte er eine jo grimmige
Reaction gegen die Männer ver Theaterreform in Gang, daß jelbit
Sonnenfels als unruhiger Kopf in den höheren Kreifen verdächtigt
und jeines Cenſoramtes entſetzt wurde, weil er es zu freilinnig
verwalte. Kurz Bernardon, der zähejte von ven Helven des „grü—
nen Hutes’, wie man die freien Komifer nannte, wurde wieder in’s
Kärnthnerthor- Theater berufen, und die Burlesfe erhob noch ein—
mal all’ ihre flatternden Fahnen. Sie reichte fogar ihren Dialog
ein, damit er cenſirt werde.
Aber beſonders dies Yetstere führte doch zu ihrem Grabe. Die
Zweiveutigfeiten und Unanjtändigfeiten, ein Hauptreiz der Hans:
wurjtfomödie, fonnten nicht bejtehen vor der Cenſur, und ſomit ging
für das große Publicum das wirkſamſte Salz der Burlesfe verloren.
Das beſſere Publicum hatte wohl auch durch) öfteres Anfchauen und
Anhören der vegelmäßigen Stüde ven Gejchmad verloren am lüder—
lihen Wejen der Burlesfe — fie zog nicht mehr. Und gleichzeitig
erhob jich in der Burg ein beredter Anwalt für die Reform: ver
Staatsrath Freiherr v. Gebler, „ſelbſt Dichter, Kenner und Yieb-
haber der Bühne‘, bewies durch jeine gründlichen Borftellungen,
wie viel dem Staate an der Erhaltung des faum entjtandenen, ge=
rveinigten Theaters gelegen jein müſſe, was für Nachtheile das
Treiben Affliggio's der Ehre der Nation bringen würde, jo ein-
leuchtend, vaß beide Majeſtäten überzeugt wurden, und nun nach—
drüdlih dem Poſſenweſen ein Ende machten. Der junge Kaiſer
Joſeph wird hier zum erjten Male erfichtlich in der TIheaterfrage,
und die Burlesfe kommt von num an nicht mehr in die Höhe.
Das Theater wird dem Grafen v. Kohary übertragen, und die
Reform geht nun mit vollen Segeln an's Werf.
Es iſt vecht lehrreich zu leſen, welch ein Einladungsprogramm
an das hochverehrliche Bublicum erlaffen wurde, um ihm Bertrauen
einzuflößen für die nun jcheinbar ganz gejicherte Herrlichkeit. Son—
nenfels hatte es verfaßt.
16 Das Burgtheater.
„Der feinere Theil der Nation’ — heißt es darin — „fängt
an, an dem Nationalfchaufpiele mit einiger Wärme Theil zu neh—
men, und patriotifch die Vervollkommnung deſſelben als einen Theil
des Nationalruhms jelbit zu betrachten. Die Weisheit des Mo—
narchen hält viefen Theil der allgemeinen Ergötzungen nicht unter
Ihrer Sorgfalt, und von Ihrem Throne jelbjt würdigen Sie fich,
feimende Genies durch Beifall und Freigebigfeit zu ermuntern,
und — wenn es erlaubt it, fich alfo auszuprüden — durch Ihre
erwärmende Huld zur Neife zu bringen.“
Alsdann verfihert die „neue Divection‘‘, daß fie fich’s ftets
zum Gejeße machen werde, „pie Neigungen der Zufchauer auszu-
forschen, umd ihrer Erwartung, wo es möglich jein wird, vorzueilen‘.
um legt jie ven Plan vor, und fordert jedermann auf, „ihr zu
feiner Berbejjerung und Vollkommenheit feine Einficht freymüthig
mitzutheilen.
„Wir find in Wien’ — fährt fie fort, — „dem glücklichen
Site deutiher Monarchen, eines Adels, der ſich der uralten deutſchen
Abkunft mit Rechte rühmt, einer Nation, die darauf ftolz ijt, daß ie
eine deutjche Nation ift. Diefe Betrachtungen fordern unjere vor:
zügliche Aufmerkſamkeit für das Deutiche, das ift, für das Schau—
jpiel der Nation. Mean folgt hierin nur dem Beijpiele von Franf-
veih, von England, und felbjt von dem, im dramatijchen Theile
Deutſchland nicht übertreffenden Italien. Diefe Länder haben nie
das fremde Schaufpiel zum Nachtheil der Nationalbühne erhoben.”
Außerdem ſei man feinen veutjchen Mitbürgern auch in ihren kleinſten
Gliedern zu diefem Beweije der Achtung verbunden, ihr „Vergnügen
zu beforgen. So macht man fich auch einen hohen, jehr reitzenden
Begriff von dem Ruhme, wenn man die deutſche Bühne in Wien
emporheben und vem Thereſianiſchen Jahrhunderte auch dieſen
Borzug verfichern könnte —“
Nun folgt ein Paſſus über die Schaufpieler, welche man forg-
fültig auffuchen wolle. Das ſei fehr jchwer, und es liegen warnende
Das Burgtheater. 17
Beijpiele vor, „wie wenig in diefem Stüde jelbit vem Rufe gelehr-
ter Anzeigen zu trauen ei’. Gute Schaufpieler jeien ſelbſt in
Frankreich jelten, noch jeltner in Deutjchland. Und auf vem Theater
einer Hauptjtadt genüge der „Anſtand“ nicht, welcher im Yeipzig,
Hamburg, Hannover zureihe, Es fehlten ihnen dort die Mufter
einer Hauptjtadt, „wo fich der gute Ton und eine ungezwungene
Lebensart einigermaßen bis in die gemeineven bürgerlichen Häufer
verbreitet”, Es wird alſo in Ausjicht gejtellt, daß man fich die Ta—
lente felbjt ausbilden werde, indem man fie nicht wie „Tagmieth—
linge“, jondern wie Yeute von Talent behandeln wolle. Dann hoffe
man auch, daß fie in der guten Gefellihaft Wiens Zutritt finden
würden, um ihre Studien machen zu fönnen „in freyem, enlem An—
jtande, in der Leichtigkeit des Umgangs, in der Ungezwungenheit,
in der Höflichkeit.” — „Die Schaufpielerin wird an der Dame, der
Schauſpieler im Sreife der Gavaliere die nöthige Ausbildung
ſuchen“. — „Wir haben von der Güte des biejigen Adels zu ers
warten, er werde fih um das Nationalfchaufpiel nicht durch Schut
allein verdient machen, er werde auch an der Bildung des Schau—
fpielers näheren Antheil nehmen wollen: die Schaubühne wird
Seiner Gewogenheit ihre endliche Vervollkommnung ſchuldig
werden.‘
Im Repertoire wird „bejtändige Abwechfelung‘‘ verſprochen.
Man werde dem Zufchauer feineswegs den „ewigen Ernſt einfür-
miger, rührender Stücke auforingen. Die Stunden, welche vor der
Schaubühne hingebracht werden, find ver Erholung von Geſchäften
gewidmet; man fordert Etwas, wodurd die Sehnen der Seele, jo
zu jagen, nachgelaffen, nicht noch mehr aufgefpannt werden. Das
iherzhafte Yuftipiel wird das Herrſchende unferer Schaubühne
fein; Trauerfpiele, rührende Stücde wollen wir gleich der Würze
iparfam mit untermengen, um dadurch das Vergnügen des Yachens
gleichſam ſchmackhafter zu machen‘.
So Wenig bat fich jeit beinahe hundert Jahren im eigentlichen
Laube, Burgtheater. 2
18 Das Burgtheater.
Geſchmacke Wiens verändert! Die Yocalluftigfeit der Stranikfy
und Prehaufer hat Wien in die Yocaljtücde der Vorſtadt gerettet,
und die gelinde Schen vor Trauerfpielen hat es getreulich bewahrt.
— Auch das Ballet, welches Noverre damals zu großem Gemüge
des Publicums leitete, wurde in diefem Programım von Sonnenfels
verfprochen. Man werde es „eines Nationalfchaufpiels würdig
machen”,
In der That ließ ſich num Alles vortvefflih an. Auch die dar—
jtellenden Talente erhielten in den Gebrüvern Yange einen werth-
vollen Zuwachs. Namentlich galt ver ältere, Michael Yange, für
ein augerordentliches Talent. Der Drang nah Höherem machte
jih überall geltend. Hochgejtellte Yeute werjuchten jich, Original
ſtücke zu Schreiben, und der oben genannte Herr v. Gebler erhielt
mit feinem „Prädicat“ und feinem „Miniſter“ ven Beifall aller
Gebilveten. Für die artiftiihe Führung wurden alle Kräfte in Bes
wegung gefett: alle vier Wochen war eine Berfammlung der Mit-
glieder unter dem Vorfite des Grafen Kohary. Die erjten Mit-
alieder jchieften acht Tage vor dieſer Generalverfammlung ihre
Meinungen Ichriftlich ein, und jchlugen die Stüde vor, welche im
nächſten Monate gegeben werden jollten; man arbeitete Gejete und
Bersrdnungen aus, welche an Vorfiht und Bildung Nichts zu
wünſchen übrigließen — der Zufchauer hätte glauben jollen, es ſei
num eine gediegene Zufunft für das regelmäßige veutiche Schaufpiel
völlig geſichert.
Und doch gelang es nicht. Warum nicht? Aeußerliche Un-
glücsfälle erklären das Mißlingen wohl nicht allein. Allerdings
hatte Graf Kohary einen jehr verfchuldeten Status übernommen
und die Koften einer opera seria, opera buffa, eines franzöjtichen
Schauſpiels, eines deutichen Schaufpiels und der Ballets waren
groß. Das Deficit war größer und größer geworden, Kohary mußte
einen öfonomischen Director einjegen, und der vertrug jich nicht mit
allen Schaufpielern. Spaltungen und Neibungen entjtanden, der
Das Burgtheater. 19
gemeinfame Gang gerieth in’s Stoden, ja die Wege freuzten und
befchädigten einander von Tag zu Tag empfindlicher. Todesfälle
famen hinzu: Michael Yange jtarb, die ältere Mademoijelle Jaquet
ſtarb, Müller ging ab, und die allmälig eintretenden Erjagmänner
Weidmann und befonders Bergopzoomer erhöhten die einveißenden
Intriguen. Mit Yesterem begann das Herausrufen am Ende des
Stüds, und Clique und Claque jcheint hereingebrochen zu fein. Der
Adel proteftirte gegen ökonomiſche Einjchränfungen und verlangte
eine franzöfiiche Operette, das Ganze frachte in allen Fugen, und
der Beſuch wurde ſchwächer umd ſchwächer. Das deutſche Schau—
ſpiel namentlich verlor an Theilnahme trotz guter Schauſpieler, und
gegen Ende des Jahres 1775 war allgemeine Wehflage über ſeinen
Berfall.
Der Gevdanfe prängt fih auf, dag das unermüdliche Unglück
einen tieferen inneren Grund gehabt haben muß. Neuere Hijtorifer
bezeichnen als jolchen das complicirte Regierungsſyſtem, welchem
das Theater habe erliegen müſſen. Intendanten und Directoren
mit höchiten und hohen Befugniſſen hätten ſich gegemfeitig gelähmt,
Protectionen erzeugt, Parteiungen geradezu erichaffen, und ver
Mittelpunkt, der eigentliche Regent, habe gefehlt.
Wie dem auch gemwejen fein mag, e8 war glüclicherweije an
höchjter Stelle ein Mann vorhanden, welcher vem Treiben aufmerf-
ſam zugejehen hatte und welcher den Willen wie die Kraft beſaß,
eine fejte Organiſation zu ſchaffen für das deutſche Schauspiel
in Wien. Diefer Mann war Kaiſer Joſeph. Am 17. Februar 1776
ließ er ven deutſchen Schaufpielern durch den Fürften Khevenhiller,
feinen Oberhofmeiſter, erflären: „Daß er das Theater nächſt der
Burg zum Hof- und Nationaltheater erhebe, und daß von nun an
Nichts als gute vegelmäßige Originale und wohlgerathene Ueber-
jeßungen aus anderen Sprachen darin aufgeführt werden ſollten“.
Diefer 17. Februar 1776 ift der Geburtstag des Burgtheaters,
In diejen kleineren Raum jiedelte nun das deutſche Schaufpiel über,
F
20 Das Burgtbeater.
einem gejchlojfenen Style des vecitiventen deutſchen Schaufpieles
nachjtrebend, während der bisherige Tummelplatz, das Kärthnerthor—
Theater, Pächtern überlafjen wurde, welche das einfache deutſche
Schaufpiel nie wieder in ihr Programm aufzunehmen hatten.
Wir haben eine Selbjtbiographie vom Schaufpieler Joſeph
Yange. Im diefer findet jich folgende Stelle, welche die Bedeutung
dieſes Actes jo bezeichnet, wie jie in jener Zeit angejehen und auf-
gefaßt wurde:
„Der unfterbliche Kaiſer jah die Bühne als ein Mittel zur
Bildung feiner Nation an, und darum hieß er fie deutſches National-
theater. Deutſche Sprache, deutjche Sitten, deutjcher Geſchmack,
deutiche Kunſt jollten fib an ihrer Darftellung erheben. So be-
trachtet, jchien ihm die Bühne feiner Aufmerffamfeit werth bis an
jeinen Tod. Darum gehörte ihr Fortgang unter. feine Lebens—
freuden, darum wies er fie ſogar jedem feiner Gäjte mit einem edlen
Stolze, und war vergnügt, wenn auf jeine immer bereite Frage:
„„Nun, was jagen Sie von meinem Theater?’ ihm recht viel
Gutes darüber gejagt wurde. — Die eriten Schritte des Monarcen
bezeichneten fogleich, wie jehr es ihm darum zu thun war, die
deutihe Bühne beſucht und alſo auch wirffamer zu machen. Groß—
müthig fette er die Eintrittspreife herab, um alle Stände an dem
Vergnügen des Schaufpiels theilnehmen zu laſſen. Weiſe hob er
die Ballets und italienifhe Oper auf, um den Adel zum Bejuce
deutſcher Stücke zu zwingen und ihm allmalig für daſſelbe Intereffe
einzuflößen. Ausdrücklig befahl er, bei ver Wahl der Stüde nur
auf ihre innere Güte, nicht auf den damaligen Geſchmack zu achten.
Als ſodann Anfangs die Yogen unverpachtet, das Theater unbejucht
blieb, jagte der große Menſchenkenner: „„Nur jo zu, jie werden
ſchon kommen.““ — Und, fiehe da, jie kamen.“
Tr.
Um einen Einblid in das Innere des entjtehenden Burgtheaters
zu gewähren, fei das Repertoire des Jahres 1776 — des eigent-
lichen Entjtehungsjahres — ausführlich erwähnt.
Sitte, Gebrauch und Perjonal jtellen ſich dadurch jelbit-
vedend dar.
Der Zettel vom 8. April 1776 lautet:
Neues Luſtſpiel.
Im Nationaltheater nächſt der Burg
wird Montags den 8. April (1776) aufgeführt:
Zum Erſtenmale
Ein neues Luſtſpiel in drey Aufzügen,
genannt
Die Schwiegermutter.
Perſonen:
Ber. er 2 Herr Jaquet.
Baronin 2 :» 2 2.0.0. Mo. Weidnerin, geweite Huberin.
Pouife, ihre Tochter. . . . MI. Jaquet die ältere.
Ein Obrijter, Bruder der
Barnin . » » . .. Herr Stephanie der jüngere.
Baron Pindenreich, Vater . . „» Bergopzoom.
Baron Pindenreih, Sohn. . „Lange.
Baronin von Pöwenthal, eine
junge Witwe . . . . Mil. Jaquet die jüngere,
22 Das Burgtheater.
Herr von Rittersheim, ein Land—
ebelmantt ». “ + +... Den Deuller,
Emm Alnuocat. "0, > : „Heyhdrich.
Julchen, ein en . MU. Defraine,
Fritze, ein Bedienter . . . Herr Weidmann.
Nach diefem das Yuftipiel in einem Aufzuge:
Die indianifbe Wittwe, oder ver Scheiterhaufen.
Beyde Stüde find beim Yogenmeifter gedruckt zu haben, jedes
für 17 ke.
Die Eintrittspreife find vermalen folgendermaßen herabgeſetzet:
Im erſten Barterre x... 8. = 002) 27a Ve
Im zwehten „, — ee —— —
Im dritten Stocke auf Be Seiten ee.
Sirvterten . —————
Die Logen am Parterre, im erſten und weht Stod bezahlen 3 fl.
Der Anfang ift um 7 Uhr.
Hier finden wir aljo einen Gebrauch, welcher noch heute in
Paris beſteht: daß die Stüde gedruckt verkauft werden neben der
Aufführung. Und das dreiactige fojtet nicht mehr als das einactige,
Den folgenden Tag, 9. April, wırde „Die Schwiegermutter‘
wiederholt. Dazu „Die abgenöthigte Einwilligung”.
Mittwoch 10. April. Ein Schaufpiel aus dem Franzöfiichen
des Herrn Dipderot, vom Herrn Juſtizrath Leſſing überfegt, genannt:
„Der Hauspvater”.
Donnerjtag den 11. April. in Iuftiges Charafterftüd in
fünf Aufzügen, genannt:
„Der lächerlich poetiſche Yandedelmann, oder
MWeiberlijt über alle Lift“,
Mad. Ungar, eine neuangelangte Schaufpielerin, wird heute
zum erftenmal bey ung in der Rolle der Baroneffe von Altholz er-
ſcheinen.
Samſtag 13. April. Ein Original-Luſtſpiel in fünf Auf—
Das Burgtheater. 23
zügen vom Herrn Suftizrath Leffing, genannt: „Minna von
Barnhelm, oder das Soldatenglüd Anfang um halb
Sieben Uhr.
Folgen Ueberjetungen aus dem Franzöfifchen: „Der Schub-
farren des Eſſighändlers des Herrn Mercier”, „Die falichen Ver—
traulichfeiten”. Dann ein Original-Drama in fünf Aufzügen nad
der neuen durchaus veränderten Auflage, genannt: „Der Mini-
jter (wie ſchon erwähnt von Gebler). Dann ein Driginal-Lujtipiel
in fünf Aufzügen vom Herrn Stephanie dem jüngeren, genannt:
„Die Wölfe in der Heerde, oder die beängjtigten Liebhaber“.
Schon am 20, April „ein neues fünfactiges Trauerfpiel vom
Herrn Brandes, Verfaffer des Graf Olsbach, guten Chemanns und
mehrerer guten Stüde, genannt: „Olivie“. Nur vier Tage
jpäter, am 24., ein neues Luftipiel „Der Neugierige‘’, fonjt ge:
nannt: „Die beftrafte Neugier”. — Elf Tage darauf (4. Mai) wie
ver ein neues Luftipiel, Beaumarchais’ „Der Barbier von Sevilien,
oder die unnüte Borficht”. Sieben Tage jpäter (11. Mat) jchon
wieder ein neues Schauspiel von Brandes in fünf Aufzügen — man
fieht an diefer unglaublich klingenden eiligſten Hervorbringung neuer
Borftellungen, wie nahe man auch Damals noch der extemporirten
Komödie ftand, denn es iſt abjolut unmöglich, in jo furzen Zwifchen-
räumen mit dvemjelben Perſonal neue Stüde nur einigermaßen veif-
lich einzuſtudiren.
Diefes neue Schaufpiel von Brandes hieß „Die Mediceer,
oder eine Verſchwörung“, und der Theaterzettel brachte folgende
Nachricht: „Den Stoff zu dieſem Schaufpiele hat fein Verfaſſer
von einer Verfchwörung genommen, welche gegen die ruhmvolle
Familie Medicis im fünfzehnten Jahrhunderte zu Florenz von dem
Haufe Pazzi war aus Neid angefponnen, zum Glück aber nicht aus-
geführt worden. Der Dichter hat die wahre Gejchichte mit völliger
Freyheit behandelt, vornemlich jcheint er zur Abjicht gehabt zu
haben, herzerichütternde Situationen darzuftellen, und durch eine
24 Das Burgtheater.
glückliche Rettung der Unfchuld empfindjamen Herzen angenehmes
Gefühl mitzuteilen. L. v. Medicis, der zärtlichite Vater und
jtrengite Richter, muß einem würdigen Jüngling, feinem ein-
zigen Sohne, das Todesurtheil fprechen. Camilla, die wahre
Mutter, wird von peinigenden Yeidenjchaften beſtürmt. Um nicht
zu viel im voraus zu verrathen, ſey nur noch diejes gejagt: die
Karaktere find vielfach, doch alle mit Kraft entworfen, und mit
Wärme vollendet”.
Unter den Neuigkeiten, welche fich auch in der zweiten Hälfte
des Jahres raſtlos folgen und welche außer zahlreichen franzöfischen
und englifchen Ueberſetzungen auch „Erwin und Elmire vom Herrn
Goethe’ bringen, zeichnet fih aus: „Der Graf von Waltron, oder
die Subordination von H. F. Müller”. Diefes Original Trauer:
ſpiel hat ſich befanntlich bis in die erften Jahrzehnte unferes Jahr—
hunderts auf dem deutſchen Repertoire behauptet. Bergopzoom
jpielte ven Grafen Waltron; Madame Sacco, eine neu engagirte
Schaufpielerin von großem Talente, die Schweter deſſelben. Sie
war die bejte Minna von Barnhelm und Emilia Galotti jener Zeit.
In einem neuen Luſtſpiele „Die junge Wittwe“ nach einer „poe—
tiichen Erzählung von Gellert” finden wir fie auf dem Theaterzettel
angegeben als: „Emilia, eine junge Wittwe in tiefer Trauerfleidung
mit einem Schleyer über den Kopf’.
Das damalige Perfonal des beginnenden Burgtheaters war
jehr anjehnlich und beftand aus folgenden Hauptperfonen:
Herr Jaquet, Mademoiſelle Jaquet die ältere und die jüngere,
Madame Weidnerin, gewejene Huberin, die Herren Stephanie ver
ältere und der jüngere, Bergopzoom, Yange, Müller, Heyprich,
Weidmann, Mile. Defraine, Mile. Teutjcherin, Madame Stephanie,
Madame Ungerin, Madame Brodmann, Herr Steigenteſch, Herr
Gottlieb, Madame Gottlieb und neu engagirt Madame Sacco,
Dennoh war man fogleich auf Ergänzung und Erweiterung
bedacht, von der richtigen Meinung ausgehend, daß ein Theater-
Das Burgtheater. 235
perjonal in jtetem Wachsthum erhalten werden muß, wenn es nicht
in Erjtarrung, Manierirtheit, Cliquenwejen und Unzulänglichfeit
gerathen joll. Offenbar gingen alle Schritte zum Erweiterung des
Inſtitutes vom Kaifer Joſeph felber aus; fie tragen ſämmtlich den
Stempel eines Geiftes, welcher nie und nirgend blos für den
Augenbli bedacht war, jondern ein organifches Wuchsthum vor
Augen hatte.
Am 11. September ließ der Hofrat) Baron v. Kienmayer ven
Schaufpieler 3. 9. F. Müller zu ſich vufen und zeigte dieſem ein
Schreiben, welches joeben mit Staffette aus Königgrätz von Sr.
Majeſtät vem Kaifer angelangt war. Dort in Böhmen, mitten in
einem kriegeriſchen Webungslager, hatte der Kaiſer feines jungen
Burgtheaters gedacht, jo wie 36 Jahre Ipäter Napoleon in Moskau
des Theätre francais gedachte und eine dauernde Organifation
diejes Runftinjtitutes aus der Czaren-Hauptſtadt nach Paris jendete.
Das Schreiben Kaiſer Joſeph's war an des „Obriſt Kämmerers
Grafen von Roſenberg's Excellenz“ gerichtet und trug die Bezeich-
nung: „In deſſen Abwejenheit vom Herrn Hofrath Baron v. Kien-
maher zu eröffnen‘. Es war alfo dem Kaiſer um eilige Ausführung
des Inhaltes zu thun. Der Inhalt aber enthielt ven Befehl: den
Schauſpieler Müller jogleich auf Neifen, und zwar ohne Ver—
zögerung nach Hamburg zu fchiefen, um Brocdmann jpielen zu jehen
und für das Nationaltheater zu engagiven, wenn er das wäre, was
der gute Auf von ihm fagte. In der Folge follte Müller mehrere
Theater befuchen und von jevem eine getrene Charakteriſtik einjenden.
Auch eine gute Soubrette jollte er „aufnehmen“.
Auf Müllers Frage: warn er abreifen jolle? lautete die Ant—
wort: morgen! Denn der Kaiſer wolle fofortige Ausführung feines
Befehls.
Müller, ein aus Norddeutſchland ſtammender Schaufpieler von
einiger Bildung, welcher Chevaliers ſpielte, erhielt fogleich Geld
und Wechjel und Empfehlungen an die faiferlichen Geſandtſchaften in
26 Das Burgtheater.
Dresvden, Hamburg, Berlin, Mainz, Mannheim, München, und machte
fich auch jogleich fertig. Denſelben Abend hatte er noch zu fpielen
im „Kriegsgefangenen“ und wurte im Zwijchenacte in die Yoge des
Fürften Kaunitz berufen. Diejer inftruirte ihn des Breiteren über
feine Aufgabe und machte ihm namentlich deutlich, wie der auf-
zufindende Yiebhaber, welchen er „aufnehmen“ ſollte, bejchaffen jein
müßte. „Sehen Sie nur bei ver Wahl deſſelben“, jagte der Fürft,
„vorzüglich auf Jugend, Wuchs, leichten, edlen Anſtand und reine
Mundart. Er muß nicht gar zu groß jein, feinen hervorragenden
Bauch haben, feine Augen müſſen fprechen, groß, rund umd nicht
geipalten, fein Gang fejt und nicht fchleppend jein. Er muß durch
die Anmuth feiner Jugend den Schimmer hervorbringen, den man
im Schaufpiele jucht. Auch zu der Rolle einer Rammerjungfer wählen
Sie feine zu große Perfon. Finden Sie eine, die ſich unferer ehe-
maligen Suzette“ (dies war die Soubrette bei der legten franzö—
fischen Geſellſchaft) „nur in etwas nähert und eine angenehme Yeb-
baftigfeit befittt, jo jchliegen Sie mit ihr ab. Benehmen Sie ſich
flug und mit Verſtand bei dieſem Gejchäfte und vergelten Sie da-
durch das Vertrauen, das der Kaiſer in Sie jest. Sch habe den
Soulée“ (einen der vorzüglichiten franzöſiſchen Schaufpieler unter
Kaifer Franz I.) „auch auf Reifen ſchicken müſſen; von feiner vers
nünftigen Auswahl zogen wir einen zehnjährigen Nuten.’
Am folgenden Tage hatte Müller neh eine Audienz beim
Fürften, und in diejer legte Yetterer bejonderen Nachdruck auf die
Sharafteriftif von allen „bejieren Subjecten jeder Bühne’, welche
Müller einſchicken ſollte, denn Leute wie Heyprich würden alt und
faſt unbrauchbar, es ſei mehrfacher Erſatz nöthig. Müller fragte,
ob er nicht auswärtigen rühmlich befannten Theaterdichtern anjtän-
digere Belohnungen antragen dürfte, als fie bisher von Wien be-
zogen? Was wollen Sie damit jagen? Erflären Sie ſich deutlicher!
entgegnete ver Fürft. — Hamburg — antwortete Müller — giebt
für jedes neue Stüd, es fei num ein Driginal, oder ein aus dem
Das Burgtheater. 97
Engliichen und Franzöfiihen auf deutſche Sitten bearbeitetes Yuft-
ipiel hHundertjehszia Gulden. Wäre es mir wohl erlaubt, den Ber-
fajjern ein etwas größeres Honorar anzutragen, um dadurch Dichter
zu ermuntern, ihre Geifteswerfe unferer Nationalbühne zuerft zu
überfenden? — Nach einiger Ueberlegung erwiederte der Fürft:
Darüber muß ich erſt mit dem Kaiſer fprechen. Sch werde Ihnen
deſſen Befehl befannt machen laſſen.
„Ich erhielt noch die väterlichiten Ermahnmmgen und Vor—
ſchriften“ — fährt Müller fort, — ‚wie ih mich, befonvders in
Berlin, zu benehmen hätte, und die Verficherung, daß der Fürft
Alles zur Verbefjerung der Nationalbühne beitragen würde. Gr
iprach Verjchievenes von meinen Kameraden. Führte Gründe an,
warum man dem größten Theile den Zutritt in großen Häufern
nicht verjtatten fünnte, lobte Madame Sacco, und entließ mich mit
bulovoller Wärme, mit einem Gefühle, welches mir Thränen in die
Augen trieb und ven Ausruf hervorbrachte: Gott erhalte Sie, durch—
lauchtigjter Fürft! Sie find ver hohe Protector der bildenden
Künfte! Sie finden auch die Nationalbühne Ihres Schußes nicht
unwäürdig, num wird fie bald aus ihrer Kindheit emporjteinen! —
Gr legte feine Hand auf meine Stirn und jagte: Neifen Sie alüd-
lih und bleiben Sie geſund!“
Deyjelben Nachmittags um vier Uhr fuhr Müller mit Ertrapojt
nach dem Norden. Cr hat dieje Reiſe in feinem „Abſchied von ver
faiferlichen Hof- und Nationalfbaubühne‘ ausführlich bejchrieben,
und diefe Bejchreibung iſt eine werthvolle Quelle für die Gejchichte
des damaligen Theaters. Da fie fortwährend Bezug nimmt auf
das Burgtheater, fo iſt fie auch für die gefchichtliche Entwicelung
des Buragtheaters von beſonderer Wichtigfeit.
In Dresden fand Johann Heinrich Friedrich Müller die
Seiler'ſche Gejellihaft nicht mehr, bei welcher jener Phönix von
Liebhaber, wie ihn Fürſt Kaunitz wünschte, zunächſt gefucht werden
jolfte. Die Geſellſchaft war nach Leipzig. Müller eilte ihr nad,
25 Das Burgtheater.
und der befannte Kreisjteuereinnehmer Weiße, welcher neben jeinem
„Kinderfreunde“ auch fleißig für das Theater jchrieb, nahm fich feiner
an. Er wie die Mehrzahl der jchönen Geifter hatte es mit Be-
geifterumg aufgenommen, daß der Kaifer jelbjt in Wien eine National-
bühne fchaffen wollte. „Wir haben wohl ven guten Willen dazu“
— rief er, — „ihr aber in Wien allein in eurem trefflichen Kaifer
habt auch die Mittel und die Macht dazu!“
Wirklich fand Müller in Yeipzig fogleich einen Yiebhaber,
welcher fich dem Ideal näherte, Namens Borchers. In einem
Stüce von Großmann „Henriette, oder: Sie ift ſchon verheirathet‘‘
ah er ihn als Sieur Blainville. „Dieſer junge Mann‘, jchreibt
er fogleich an ven Freiherrn v. Kienmayer, „it ein Beobachter und
Nachahmer des großen Eckhof's. Studium der Natur fchien fein
Peitfaden zu fein. Er fpielte vortrefflih. Er ift ungefähr jo groß
wie unjer Yange, Seine Gefichtszüge find mit einer Musculatur
begabt, welche jehr Wenige beſitzen. Er war ganz ver feine, durch
moralifche Grundſätze gebilvete, enlfe Mann, und blieb bis ans Ende
ſeinem vorgezeichneten Charakter in den kleinſten Nuancen treu. Ex
machte in diefem Stücde, welches bei uns noch nicht befannt tft,
einen Franzofen, der die deutfche Sprache nach der Grammatif
erlernt hat. Anfangs glaubte ih, er dehnte ven Dialog. Doc
in der richtigen Ausführung diefes, dem Verfaſſer am beiten ge—
rathenen Charakters fand ich, daß er ihm richtig und vollfommen
analyſirt hatte. Ich werde ihn bei meiner Niückfehr in verſchiedenen
Rollen zu jehen trachten, und fünde ih Brodmann nicht fo, als
Se, Durhlaucht der Fürſt Kaunitz mir die Erforderniſſe eines
Subjects zu Liebhaberrollen vorzeichneten, jo werde ih Borchers
Anträge machen.‘
Weiße fragt ihn nach der Vorftellung, ob denn das Hof- und
Nationaltheater auch eine Theaterbibliothef befüße? Miller muR
mit Nein! darauf antworten. Die ift doch jehr nöthig — entgegnet
Weiße, — befonvders für angehende Dichter. „Man findet oft in
Das Burgtheater. 39
ichlechten Producten Stoff, welchen ein glüdliches Genie vortheil—
hafter bearbeiten fanı.” Müller pricht achjelzudend von der Cen—
jur, welche verfchievene neue Stüde nicht einmal zu lefen erlaube.
„Da müſſen Sie fih‘, ruft Weiße, „an Ihren großen Kaifer
wenden! Gin Eremplar, aufbewahrt in ver Theaterbibliothef, kann
fein Gift verbreiten, wenn feſtgeſetzt wird, daß es nicht ausgeliehen,
fondern nur in der Bibliothef gelefen werden darf.’
Müller unterläßt nicht, auch dieſe freie Bemerfung in feinem
Briefe an Baron v. Kienmayer mitzutheilen, und macht fich ſodann
auf ven Weg nach Hamburg. Hier fieht er Brodmann als Hamlet,
und findet ihn vortrefflih. Allein Brodmann ift leider nicht jo
„‚gebaut‘‘, wie nach der Vorſchrift des Fürſten v. Kaunitz der Yieb-
haber gebaut fein joll, ven man in Wien braucht, und er zögert
deshalb mit Anfnüpfung von Unterhandlungen. Auch darum, weil
Brodmann erfichtlich nicht ein eigentlicher Yiebhaber ift. Er ift ein
„denkender Künftler, welcher mit edlem Anjtande auftritt. Seine
Sprade ift rein, rund und fraftvoll, und hat nicht das mindefte
mehr von der weichen, öfterreichifchen, zufammengezogenen Mundart.
Der Mann hat feit den eilf Jahren, va er bei ums war, unglaub-
liche Fortjehritte in der Kunst gemacht‘. (Brodmann war aus der
Steiermark.) „Er ift ein Mann von ungefähr 34 Jahren, in ver
Größe und im Körperbaue beynahe wie unfer Jaquet, und daher
dem Ideale nicht ähnlich, welches mir Se. Durchlaucht zu wählen
vorſchrieb. Zu jungen Chemännern, geſetzten Helden- und Charakter:
rollen würde er ein Schatz für umfere Bühne fein.‘ — „Auch Reis
nede und Schröder haben große Vervienfte. Der lebte, ein langer
hagerer Mann, fpielte die untergeoronete Rolle des Geijtes mit
einer Täuſchung, die Schaudern erregte. Er ging nicht — ex ſchien
zu ſchweben. Ein dumpfer heftiiher Ton, den er angenommen
hatte und bis an’s Ende beibehielt, brachte eine ungemein gute
Wirfung hervor. Das Coftum war jehr gut und den Zeiten an—
gemejjen; nur hatte die Direction Neineden, welcher ven König
30 Das Burgtheater.
vorjtellte, einen vojenfarbenen, reich gejticten türfifchen Talar
angezogen; das war wohl nicht ſchicklich.“
Uebrigens tft er von dem Hamburger Theater jehr erbaut,
und findet, daß vortrefflich geipielt werde. Beſonders Reinecke und
Schröder befriedigen ihn ſehr. Von Reinecke, ven er in den „Neben—
buhlern‘ ven Baron Abslut jpielen jieht, jagt er: „Ich kann mir
diefen Charafter nicht beſſer denken, als ihn diefer große Künſtler
ausmalte. Sein trodener, polternder und jo natürlich wahrer Ton
in den Auftritten mit feinem Sohne, fein Mienenſpiel, jeine Gefti-
culationen, alles war ſchön und meilterhaft. Er hat die Gabe,
gewiſſe Reden gleichjam nur hinzuwerfen, als wären jie des Heraus:
hebens gar nicht werth, und machte jie eben dadurch äußerſt inter-
eſſant“. Brodmann als Sohn ſei vortrefflich geweſen, und eben fo
Schröder als Junker Aderland. Schröver iſt „unftreitig einer der
größten Komiker. Nichts wurde übertrieben. Er fpielte mit jo
wahrer, ſchöner Natur, daß er fich die Bewunderung aller Kenner
erwarb. Nie nahın ev Zuflucht zur Grimaffe. In Scenen, wo er
nichts zu reden hatte, unterbrac) er niemals das Spiel feiner Kame—
raden. Noch habe ich feinen jo feinen komiſchen Schaufpieler ge—
jehen. Wäre er nicht der Sohn der hiefigen Unternehmerin, und
fünnten wir ihn in Wien beiten, er würde bei ung große Senfation
erregen‘. Auch Madame Reinede findet er jehr empfehlenswerth.
„Ste hat ungefähr die Größe unferer älteren Jaquet, ein lebhaftes
Auge und viel Thenterfeftigfeit. Ich halte fie für die Befte bei
diejer Bühne. Ihre Sprache ift rein, gut, wohlflingend und jehr
verſtändlich. Sie brachte bei einer Stelle eine fehr treffende, feine
Parodie auf den hiefigen Kanzelton an, die allgemein beflatjcht
wurde, Zu munteren Yiebhaberinnen hat fie meines Erachtens ein
herrliches Talent. Sie und ihr braver Mann würden bei uns gewiß
allen Beifall erhalten.”
‚Meiner Borfchrift gemäß”, ſchließt Müller -über Hamburg,
„habe ich auch won der Moralität diefer Gefellichaft Nachrichten zu
Das Burgtheater. 31
erhalten geſucht. Ganz Hamburg giebt ihr das Zeugniß eines
liebenswürdigen Wohlverhaltens. Die Mitglieder derſelben haben
Zutritt in den angeſehenſten Familien. Brockmann ſpeiſt beinahe
täglich bei dem hieſigen engliſchen Miniſter, deſſen Liebling er iſt.
Faſt alle ſind Liebhaber der Literatur. Sie zeichnen ſich durch eine
freundſchaftliche Harmonie unter ſich ſelbſt vorzüglich aus. Sie
cabaliren nicht, um ſich in Rollen zu bringen, und haben — ſo
ſagten mir Schauſpiel-Liebhaber — die Klugheit, ihre kleinen Zän—
kereien nicht unter die Leute zu bringen.“
Müller geht nun gegen Ende Septembers nach Berlin, wo die
Döblin'ſche Geſellſchaft in der „Bärenſtraße“ ſpielte. Er findet
Mitglieder und Spiel ungenügend, und es intereſſirt ihn vorzugs—
weiſe nur Profeſſor Engel, welcher als Dramaturg damals eine
geſchätzte Perſönlichkeit in Berlin war. Engel ſchrieb auch Stücke,
und ſein „Dankbarer Sohn“ wie ſein „Edelknabe“ waren auf dem
Repertoire in Wien. Es war Müller darum zu thun, von Engel zu
erfahren, wie Leſſing eigentlich über das deutſche Theater in Wien
geurtheilt habe. Leſſing war ein Jahr früher — 1775 — durch
Wien gereiſt und hatte alſo das Theater geſehen, ehe es in die Burg
überſiedelte. Müller jelbit erzählt zwar, daß dies furz vor feiner
Abreife im Sommer 1776 gefchehen ſei; er irrt ſich aber offenbar;
denn. Leſſing's Yebensgeichichte erweilt das Jahr 1775. Müller hat
jein Memoire exit 1802 herausgegeben, es ilt alfo leicht möglich,
daß er nach 26 Jahren die Jahresdaten verwechjelt habe. Wäre
Leſſing exit 1776 in Wien gewejen, gerade um die Zeit aljo, da
Kaifer Joſeph das Theater in feine perfönliche Obhut nahm, fo
wäre er gewiß zum Kaiſer berufen worden. Denn Leſſing's Anfehen
als des größten Dramaturgen deutjcher Nation war außerorventlich,
Seine Stüde, denen nur noch der „Nathan“ fehlte, ſtanden in hoher
Achtung, und die Recenſionen, welche er in Hamburg gejchrieben,
hatten ihm die wollgültigite Autorität erworben.
Engel war auch ungemein für ihn eingenommen und erzählte
32 Das Burgtbeater.
Müller, „daß Yelfing feinen „Doctor Fauſt“ ficher herausgeben
würde, jobald G©** mit feinem erjcheine, und daß er gejagt habe:
meinen „Fauſt“ holt der Teufel, und ich will G* feinen holen“.
Engel verficherte, daß, was er davon gehört hätte, „Fauſt“ Leſſing's
Meifterjtück jein würde, und um Müller etwas Angenehmes zu
jagen, fette er hinzu: Yejjing habe auch das Wiener Theater gelobt.
Müller bezweifelte das. Nun denn — erwiederte Engel, — damit
Sie jehen, daß ich Nichts werheimliche: eine Erinnerung hat Leſſing
doch gemacht. Er hat gefagt, e8 herrſchte feine Harmonie in Ihrem
Spiele. Einer hätte diefen, ver Andere jenen Dialekt, und ein Jeder
jeine befondere Spielart, wodurch das Ganze litte.
Müller gab die verichievdenen Mundarten zu, nahm aber das
Enjemble in Schutz. Er habe bis jett noch an feiner Bühne ein
bejjeres gefunden. „Wir find Leute“, ſchloß er, „welche zehn, zwölf
und einige über zwanzig Jahre mit einander arbeiten, folglich nicht
jo widrig geftimmt, als auswärtige Bühnen, die alle Augenblide mit
ihren Individuen wechſeln.“
Dennoch war Müller darauf bevacht, Leſſing ſelbſt in Wolfen:
büttel aufzufuchen. Man hatte ihm einige Liebhaber gerühmt, welche
in Hildesheim zu finden wären. Dort jorgte ver Bilchof, welcher
‚Die Güte ſelbſt und ein aufgeflärter Mann’ war, für theatralifche
Unterhaltung und hatte die Stöffler'iche Schaufpielergefellichaft aus
Hannover an feinen Bifchofjit berufen. Auf dem Wege vorthin über
Braunſchweig machte Müller einen Abjtecher nach Wolfenbüttel, wo
Leſſing damals die kurze glüclichjte Periode feines Lebens genoß au
ver Seite einer geliebten Gattin. Er empfing Müller jehr freund:
ichaftlich und pries ven Zweck feiner Reife. „Schön“, rief er aus,
„ich werehre Ihren Kaifer, er ijt ein großer Mann. Unjtreitig fann
Er vor allen anderen Höfen uns Deutjchen am erjten eine National
bühne geben, da ver König in Berlin das vaterländijche Theater
nur duldet, und nihtin Schuk nimmt, wie Ihr Regent; wozu
wohl vie Briefe des hypochondriſchen Rouſſeau an den Genfer
Das Burgtbeater. 33
Magiſtrat über Schaufpiel und Schaufpielwejen wiel beigetragen
haben mögen. Ich befenne, ich war gegen die Wiener Bühne ein-
genommen, da ich in verjchiedenen Flugſchriften nicht die beiten Be—
ſchreibungen davon las. Ich bin, da ich fie num ſelbſt geſehen habe,
von meiner vorgefaßten Meinung zurücgefommen. Noch fehlt Vie—
les, doch ijt fie bejjer als alle, die ich fenne. Vorzüglich fiel mir ver
verjchienene Dialekt unter Ihnen auf, er macht das Ganze jo dis—
barmonifch.” Müller fragt, wie vem abzuhelfen jei? ‚Durch eine
Schule!’ erwiedert Leſſing. „Machen Sie Ihrem Kaiſer Vorſtel—
lungen, ein Theater-Philanthropin zu errichten, jo wie der Churfürft
von der Pfalz gegenwärtig eine Singſchule gejtiftet hat, die viel
Gutes verjpricht. Jede Kunſt muß eine Schule haben, in ver frü—
heiten Jugend durch gute Grundſätze vorbereitet und geleitet werden.
Nur dadurch, durch eifriges Studium und mühfamen Schweiß, er=
wirbt ſich der darin gebildete Schaufpieler das Necht auf die Ach-
tung und Ehre feiner Zeitgenoſſen. Durch Sahrtaufende hat es vie
Erfahrung bewiejen, daß die erjte Grundlage der Erziehung den
Charakter des Menfchen für die Zufunft bejtimme. Dieje Eindrücke
find unvertilgbar, und ihr Einfluß wirft durch das ganze Yeben.
Alle Empfindungen, Leivenfchaften, Neigungen und Fähigfeiten
müſſen in ihrem erjten Keime geleitet werden, wo das weiche, ums
befangene Herz noch jeder Biegung gehorcht. So zweifellos dieſer
Sat in Anfehung der moralifchen Bildung ijt, eben jo iſt er es
auch in Rückſicht auf die Bildung eines jeden Künftlers,; und da
durch eine zweckmäßig eingerichtete Theater Pflanzjchule beide Arten
erzielt werden können, jo ijt der unjchätbare Nuten eines folchen
Inftituts offenbar und eimleuchtend bewiefen. Wäre der Endzwed
des Schaufpiels auch nur blos das Vergnügen des Volkes, fo ift es
ſchon aus dieſem Grunde wichtig, dem Volke feine Unterhaltungen
nicht durch Idioten und fittenlofe Menſchen vortragen zu laſſen, für
welche es außer ven Stunden der Geifteserholung feine bejondere
Achtung haben kann.‘
Laube, Burgtheater,
34 Das Burgtheater.
„Allein die Schaubühne ift etwas mehr, fann und joll etwas
mehr fein, und ihr edler Zweck wird. durch unedle, nicht durch °
Grundſätze dazu erzogene Mitglieder eben jo vereitelt, als die Wir-
fung der beiten Kanzelrede durch die tadelhaften Sitten des Redners.
Beide gleichen einer Uhr, die gut ſchlägt, aber umvichtig zeigt. —
Ein gutes Theater fann ungemein viel bewirken. Es kann Liebe
für den Yandesvater und ächten Patriotismus in die Herzen der
Bürger pflanzen; der Regent fann es zum Vehikel der Gejetgebung
erheben, und fein Volk dadurch in eine Stimmung ſetzen, Verord-
nungen mit Danf und Beifall aufzunehmen; es bildet und reinigt
Sitten und Sprache, veredelt ven Darfteller und die Zufchauter u. |. w.“
Müller erzählte darauf Leſſing, daß in Berlin die Sage ginge,
zu Mannheim würde auch ein Nationaltheater neu erbaut, deſſen
Direction der Churfürſt ihm hätte antragen laſſen. „Nein!“ —
entgegnete Leſſing — „man hat mich bloß zu Rathe gezogen, ich
habe darauf geantwortet, was ich Ihnen joeben fagte. Dort läßt
fich jedoch dasnicht jo ausführen, als in Wien.’ — Man behauptet
— fuhr Müller fort, — Sie bezögen bereits einen Gehalt vom
pfäßziichen Hofe. — „Auch nicht, lieber Müller! jondern eine Art
von Honorar, welches aber feine Beziehung auf das Theater hat.
Jedes auswärtige Mitglied der dortigen Akademie empfängt jährlich
einen Gehalt von fünfhundert Thalern; dafür ift eg verbunden, jich
wenigſtens zweimaldes Jahres daſelbſt einzufinden, und ven Sitzungen
beizumohnen. Mit dem Theater gebe ich mich nicht ab.“ — Wenn
Sie aber einen Beruf zu uns erhielten? fragte Müller, — „Er
protejtirte, doch jo, daß ich glauben konnte, er würde ihn annehmen,
Seine Gattin, welche zehn Jahre lang bei uns in Wien jeßhaft ge—
weſen war, ſchien diefen Beruf zu wünschen. O! fagtefie, ich liebe
die guten Wiener herzlich, nie werde ich ihre Güte gegen mich ver—
geſſen.“ — „In München‘ — fuhr Leſſing fort, — „wohin Sie
vermutblich auch kommen werden, habe ich eine brave, wohlgejtaltete
Frau für die hohen fomifchen Rollen angetroffen, und mit Ver—
Das Burgtheater. 35
gnügen spielen jehen; fie nennt ſich Noufeul; dieſe jollten Sie nach
Wien zu ziehen ſuchen. Auch zwey junge Mädchen werden Sie dort
finden; beyde geben große Hoffnung, ich weiß fie aber nicht zu
nennen.”
Müller fand die beiden Liebhaber im Hildesheim unbrauchbar
und ſprach auf dem Rückwege wiederum ein bei Yeljing. Leſſing
Ipricht von neuem über die Pflanzjchule, und daß die wenig bevöl-
ferte Stadt Mannheim nicht der Ort dafür ſei. Auch gegen vie
Ballets eifert er, und preift ven Kaiſer, daß er diefen „Flitterputz“
abgeichafft, welcher ven Eindruck eines gut dargejtellten Stücdes
auslöſche. Auch gegen die Singipiele ſprach er fih aus. „Sie
find das Berverben unferer Bühne’, Tagte ev, „Ein folches Werf
ist leicht geſchrieben. Jede Komödie giebt dem Verfafjer Stoff da—
zu; er fchaltet Geſänge ein, jo ijt das Stüd fertig. Unfere neu
entjtehenven Theaterdichter finden dieſe Fleine Mühe fretylich Leichter,
als ein gutes Charafteritück zu ſchreiben. Nur angemeſſene Be—
lohnungen für durchdachte Arbeiten können dieſem einfchleichenven
Unheile einen Damm entgegenjegen, und Genies erweden, befjere
Wege zu betreten.’ Miller fragt, wie diefe Ermunterung geftaltet
werden fünne? „Ihr Kaiſer“ — antwortet Leſſing — „kann die
Preiſe bejtimmen, auch Vorſchriften bejtimmen, wie die Stüde be>
Ichaffen jein müjjen, welche ven hohen Ziele jeiner Wünſche ange:
mejjen ſind. Eine angetragene Einnahme der fünften, fiebenten
und neunten Borftellung würde Dichter anfenern, mit Kopf zu ar:
beiten. Ach Gott! Ihr Raifer hat taufend Mittel, der finfenvden
Bühne aufzuhelfen!“ —
Miller hegte ficherlich in ver Stilfe ven Wunsch : fo beveutende
Reifeberichte möchte doch nicht der etwas trodene Baron Kienmayer
allein lejen! Es möchte Graf Roſenberg und Fürft Kaunitz davon
Notiz nehmen, und fie dem Kaifer jelber vorlegen!
Das nächſte Reijeziel Müller’s war Gotha, einer der beiten
Stammſitze deutſchen Theaters, wo der alte Eckhof jet noch in voller
3%
36 Das Burgtheater.
Thätigfeit war, Müller nennt ihn auch jet noch ven bejten veutte
ihen Schaufpieler. „Sein jonorifher Vortrag, die Wahrheit, die
verichönerte Natur, das Geiftvolle, was diefer würdige Mann in
jein Spiel bringt, reißt jeden hin, der ihn zum erjten Mal ſieht.“
Früher der ‚größte deutſche Artift in den erften jungen Helden- und
Liebhaberrollen“, jpielt er jetzt „ſowohl in tragijchen als in hohen
und niedrigsfomifchen Stüden die edlen und launigen Väter mit
gleicher Kunjt‘, und habe mit Necht Anfpruch auf ven Namen des
Garrick der deutſchen Bühne, Neben ihm fieht er einen trefflichen
Komiker Namens Friſchmuth, welchen er für Heydrich empfiehlt.
Müller verkehrt in Gotha mit Gotter, der als Ueberjeger und
Bearbeiter ſehr thätig war fir’s Theater. Seine „Medea“ hat bis
in unfere Zeit herein auf dem Nepertoire gedauert. Müller nennt
ihn einen foliden, vechtichaffenen Mann, welcher Leſſing's Abneigung
gegen Singipiele und Ballets nicht theile, ſondern Abwechjelung
die Würze des Vergnügens nenne, über eine Theaterpflanzichule
aber Leſſing ganz beiftiimme. Uebrigens erregt es Müller Bedenken,
daß auf den norddeutichen Bühnen eine gewifje Kälte und ein Kan—
zelton im Vortrage herrfhe, und er meint, daß „der jett in Mode
fommende Converfationston doch wohl gar zu natürlich ſei“. Wir
werden ſpäter bei Schröver’s Gajtjpiel im Burgtheater erfennen,
daß diefe Bemerkung von Bedeutung war.
Die bürgerliche Stellung der Schaufpieler war in Gotha die
günftigfte. Sie hatten zwar, wie es vie fleine Stadt im kleinen
Staate mit jich bringen mochte, nur Feine Sagen, aber jie wurden
durch bürgerliche Vortheile entjchädigt. Wenn das Getreide hoch
im Preiſe jtand, durften ſie es „für ein geringes Geld“ aus den
berzoglihen Magazinen beziehen, und fie beſaßen auch wie andere
Bürger die Braugerechtigfeit. Daneben bezogen Wittwen und
Kinder verjtorbener Schaufpieler Penſionen aus der Yandeswittwen-
cajje. Dieje Mitteilung Müller’s kann wohl vie erite Beranlaffung
gewejen fein zur Einführung der Penſionsdecrete im Burgtheater,
Das Burgtheater. 37
Zum Engagement am Nationaltheater empfiehlt ev von bier
Madame Böck, welche für Meütterrollen eine brave, ja eine große
Künftlerin jei. Nach ver Hamburger Bühne nennt er überhaupt
die Gotha’iche „im Ganzen ———— als die beſte“, welche er bis—
her geſehen.
Bon Gotha geht er nah Mainz, und hier am erzbifchöflichen
Site findet er endlich die Soubrette, welche ven Anforderungen des
Fürften Kaunitz entiprechen dürfte, eine Madame Stierle, deren
Engagement er betreibt.
Seine nächte Station ift Mannheim, wo Alles in Bewegung
ijt, die Gründung einer Nationalbühne vorzunehmen, wie Kaifer
Sofeph fie für Wien angefündigt. Ein Haus hatte man eben ge—
baut, welches blos für das vaterländiiche Schauspiel und qute Be-
arbeitungen bejtimmt war. Die Oper Jollte der Hofihaubühne -
verbleiben. Man erwartete Alles von Leſſing, welchem man Boll-
macht gegeben zu allen Engagements. Für „Dichter und Acteurs
wollte man Belohnungen fejtjegen, vie theils im Golde, theils in
der Ehre beftehen jollten, daß ihre Bruftbilder öffentlich aufgeftellt
würden‘. Eckhof enplich hoffte man zu gewinnen, „der nicht mehr
agiren, jondern blos unterrichten und eine lebenslängliche Verſor—
gung erhalten jollte‘. Ueberhaupt „ſollte ven Schaufpielern, die
ji) befonders auszeichneten, eine lebenslängliche Berforgung ver:
fichert werden.
Zum zweiten Wale alfo fonnte Müller diefen Benjionsgevanfen
zur Beherzigung nach Wien berichten, und diefe Wirfung ver faifer-
Gründung eines Nationaltheaters wurde mit Eifer gemelvet.
jtand in Mannheim damals Alles noch auf Hoffnung.
hatte nur Schaufpielhäufer zu betrachten, die Schaufpieler
jelbjt waren jo gering wie die Hildesheimer.
Er eilte alfo nah München. Hier findet er Alles jehr gering
im Schaufpielwejen, aber Madame Noufeul beftätigt ihm Leſſing's
Empfehlung. Er begiebt jich eilig auf die Heimreife nach Wien.
38 Das Burgtheater.
Hierwird er vom Oberjtfämmerer zum Kaifer geführt und fteht
feinen höchſten Wunſch verwirklicht: der Kaifer hat all! jeine Be—
richte gelejen, und genau gelejen. Er drüdt ihm huldvoll feine Be-
frievigung darüber aus. Brockmann wird engagirt, die Nouſeul
und Stierle desgleichen, auch für Borchers folgt die Genehmigung,
falls deſſen Contract ein baldiges Engagement möglich macht. Das
Wichtigfte aber ift: Müller verhält Auftrag, an Engel zu schreiben
und Unterhandlungen mit ihm anzufnüpfen. Der Kaijer ließ ihm
viel Schönes fagen, und daß ein Mann wie er, welcher „vie. wahre
Naturſprache jo warm und fo veredelt im ſeinem „„Daukbaren
Sohne‘ völlig in feiner Gewalt hätte‘ und außerdem ein „ſolider
Gelehrter” wäre, ein beſſeres Schickſal verdiente, als er jetzt nach
Müllers Schilderung genöffe Kurz, es it Engel‘ eineleitende
Stellung am Burgtheater angetragen worden. ı Den Wortlaut der
faiferlichen Ausdrüde hat Müller durch fünf Teer gelaſſene Zeilen
nur errathen laſſen. Vielleicht ift eine herbe Aeußerung des Kaiſers
über Berlin im Jahre 1802 der Cenſur verfallen. „Es wäre mir
lieb“ — hat der Kaiſer geſagt, — „wenn Engel zu uns käme. Was
uns drückt und noch immer drücken wird, iſt der Mangel an guten
Dichtern und beſonders an ſolchen, welche wir unſere eigenen nennen
können. Ich möchte wohl die erſten und beſten Köpfe in ganz
Deutſchland hieher ziehen, worunter in Rückſicht auf das Theater
Leſſing und Engel uns hier vorzüglich nützlich werden könnten.“
Ferner befahl der Kaiſer, daß ihm Müller den Plan zu einer
Theater⸗Pflanzſchule vorlege. Das geſchah. Müller theilt den
ſorgfältig ausgearbeiteten Plan mit und erzählt, daß der Kaiſer mit
den Einzelheiten einverſtanden geweſen wäre. Nur bh r ver⸗
worfen, daß die Schule nach Laxenburg verlegt werde; in Wien
müſſe ſie ſein, damit die jungen Leute im Verkehr mit der Welt
bleiben und Theatervorſtellungen ſehen könnten. Der Kaiſer be—
fahl, daß Abſchriften des Planes an Engel, Leſſing und Weiße ge—
ſendet und dieſe Herren um ihr Gutachten gebeten würden.
Das Burgtheater. 39
Endlich bilfigte der Kaifer auch die Gründung einer Theater-
bibliothef und verordnete im Sinne Leſſing's, daß jeder Dichter vie
ganzerdritte Einnahme feines Stüdes, welches im Hof- und Natio-
‚naltheater aufgeführt würde, zu beziehen habe.
Alle Erfahrungen der Müllerichen Reiſe wurden aljo durch
den Raifer zur Geltung gebracht und die Ausfichten für das Theater
waren im Sahre 1777 vie allerbeften. Leider wurde nicht Alles aus—
geführt, wie es angelegt war. Ein Kaifer kann eben nicht auch im
Detail Thenterdirector fein, und in Kaifer Joſeph's nächjter Um—
gebung hat augenscheinlich ver Mann gefehlt, welcher die Ausführung
ver faiferlichen Gedanken nachdrücklich betrieben hätte. Außerdem
erwachte gerade damals in Kaiſer Joſeph eine beſondere Liebhaberei
für das deutjche Singfpiel und er nahm plößli Müllers ganze
Thätigfeit für die Gründung und Ausbildung dejjelben in Anjpruch.
Daß Leffing fich fo abjolut dagegen ausgefprochen hatte, war ihm
unangenehm, und vielleicht deshalb wurde Engel in erjte Linie ge-
ftellt. Es ift nicht zu verfennen, daß die nächjten Jahre des Natios
naltheaters das Schaufpiel nicht fo Fräftig entwidelten, wie man
nach den einleitenden Schritten zu hoffen berechtigt gewejen, und
daß die Pflege des Singfpieles dem recitivenden Schaufpiele einigen
Abbruch that.
Dazu fam, daß die Schaufpieler fich nicht gleichgültig verhielten
zu einer Reform, an welcher einer ihrer Collegen jo maßgebend be-
theiligt war und welche jo viel neue Berfonen in ihre Reihen brachte,
und zwar an die Spitze diefer Reihen. Sie fanden und finden Dies
niemals behaglich und unterlaffen es jelten, Schwierigkeiten da=
gegen zur erheben. Es wurde ihnen auch vecht Leicht, ſolche Schwie-
rigfeiten zu erheben, denn die Geſellſchaft dirigirte jich eigentlich
felbft. „Die älteften Männer und Frauen, wie auch diejenigen,
welche erſte Rollen fpielten, traten gewöhnlich einmal wöchentlich
zufammen, lafen, wählten und bejetten nah Mehrheit ver Stimmen
die Rollen in den neuen Stüden und vertheilten die abgehenden in
40 Das Burgtheater.
den alten, Alle Bejchlüffe, Meinungen, Separat-Vota wur—
den protocollirt und durch den älteften Mann unter ihnen, welcher
den Titel Regiffeur führte, der Entjcheivung der Oberjten Hofdirec—
tion vorgelegt. Dies Zujammentreten hieß tie Verfammlung.
Darin gab es num freilich oft Debatten, befonders unter dem ſchönen
GSefchlechte, wovon Einige mit den unerheblichiten Kleinigkeiten zum
Kaifer gingen und deſſen Langmuth, Gnade und Huld zu oft in
Anſpruch nahmen.‘
Dies beſchloß denn der Kaifer abzuändern und er ließ Geſetze
für die Geſellſchaft entwerfen, fir welche die Vorſchriften der
Parifer Schaubühne zum Grunde gelegt wurden,
Ill.
Kaiſer Joſeph ließ alſo plößlich nach in der ausjchlieglichen
Theilnahme für das deutjche Schaufpiel. Das will nicht fagen:
fein Interejje an demfelben habe nachgelafien. Nein. Aber fein
Interejjetheilte ſich; e8 wendete fich eine Zeitlang dem Singſpiele zu.
Sein Schöpfungstrieb, einige Jahre zufammengedrängt auf das
recitivende Schaufpiel, jchien eine Abwechslung zu brauchen.
Damit ift nicht gejagt, daß er das damals „Nationaltheater‘
genannte Burgtheater aus den Augen gelafjen hätte, Keineswegs.
Er forgte ferner für gründliche Organifation deſſelben und für Er-
werbung ausgezeichneter Kräfte. Er gab dem Theater ein ſehr aus-
führliches Statut unter dem Titel „Vorſchrift und Geſetze, nach
welchen jich die Mitglieder des k. k. Nationaltheaters zu halten
haben’, und befahl — Friedrich Ludwig Schröder für das National-
theater zu engagiren.
Beide Mafregeln waren vortrefflih. Strenge Ordnung war
dem Theaterwejen, welches aus wüſtem Treiben fich empor arbei-
tete, äußerjt nothwendig, und die Erwerbung eines Mannes wie
Schröder erichien wie ein großer Segen. As Schaujpieler, als
Directionsführer, als dramatifcher Schriftiteller hatte ſich Schröder
während der jiebziger Jahre, vorzugsweile in Hamburg, ungemein
hervorgethan. Wenn Einer das Nationaltheater zum Gipfel führen
fonnte, jo war er diejer Eine,
Es ijt ein wunderliches Schickſal geweſen, daß gerade jenes Statut
42 Das Burgtheater.
das Hinderniß wurde für das dauernde DVerbleiben Schröver's in
Wien. .
Entjtanden ift dies Statut erfichtlih nach dem Vorbilde der
Comedie francaise. Man war in Wien zur damaligen Zeit in
viel lebhafterem Verkehre mit dem franzöfiihen Schaufpiele als
jet, und franzöfifche Theatergejelfchaften waren im Kärnthnerthor-
wie im Burgtheater heimifch.
Der Mittelpunft diefes Statuts war der jogenannte „Aus:
ſchuß“, welcher aus fünf Schaufpielern, fogenannten Infpicienten,
bejtand und das Theater regierte. "Stephanie der ältere, Müller,
Steigenteſch, Stephanie. der jüngere und Brockmann waren: die
erſten Inſpicienten. Sie jollten am Eingang eines jeden ,‚Theatral-
jahres“ won den fünmtlichen wirklichen gagirten Mitgliedern gewählt
oder neu beftätigt werden. Sie hatten „die allgemeine Führung
der Schaubühne‘‘ zu beforgen, über Annahme neuer Stüde zu
urtheilen und die Beſetzung derſelben zu beſtimmen.
„Bei Annahme neuer Stücke“ — lautete es — „müſſen fie
die Ehre und den Nuten des Theaters vor Augen haben und wohl
daranf jehen, daß die angenommenen Stüde den Regeln des gerei-
nigten Theaters entiprechen und auf dem Aepertoire jtehen bleiben
fünnen, Daher fer das Trauerjpiel veih an Handlung, an erha—
benen Gefinnungen, falle nicht in's Gräßliche und Uebernatürliche ;
es errege Mitleid und Furt, aber nicht Abſcheu und Entjegenz es
führe eine edle, hohe Sprache, aber feinen voll Phantafien verweb-
ten Wortkram. Das rührende Luftipiel, dejfen Handlung zwijchen
dem Täglichen und Seltener innejteht, zeige bejondere Charaftere,
möglichere rührende Handlung als das Trauerfpiel, ohne in's Ro—
manbafte zu fallen ; die Bewegungen, die es ervegt, feiern angenehm,
ohne zu erjchüttern; jeder Charakter. deſſelben ſei belehrend, das
Ganze zwecke zur Sittenlehre ab, ohne abgeſchmackt zu werben; Die
Sprache darin ſei erhabener als im Luftipiele, ohne den Schwung
der tragischen zu nehmen. "Um viefe Gattung nun in größerem An-
Das Burgtheater. 43
fehen und Werth zu erhalten, iſt zu beobachten: daß nicht gleich-
‚förmige Chavaftere, Situationen oder Interefjen in anderen Wen—
dungen als neu ericheinen, und daher das Neue dem Alten, over das
Alte dem Neuen ſchade; dialogirte Romane, bei welchen der Autor
weder Verdienſt noch Genie verräth, der Schaufpieler alltäglich
werden muß, vürfen feine Aufnahme finden, weil ſie ven Zufchauer
ermüden umd abjchreden.: Das Luitipiel hingegen enthalte Charaf-
tere aus. dem gemeinen Keben, doch mit Interejje, Satyre, ohne in’s
Pasquill auszuarten; errege durch Wit und anftändige Natur
Lachen, nicht durch Poſſen, Unanftändigfeit oder unnatürliche Be-
gebenheiten; es zwecke zur Beſſerung ab durch Schilderung feiner
lächerlichen Charaftere, ohne den Anjchein eines Lehrgebäudes zu
haben; die Sprache ſei won ver Natur, aber nicht vom Pöbel ge-
nommen.‘
„Bei Meberjegungen haben ſie unter obigen Erforderniſſen
noch darauf zu ſehen, daß der Sinn des Originals nicht verſtüm—
melt und geſchwächt werde, eine dem Sujet angemeſſene, gute deutſche
Schreibart darin vorhanden ſei, daß keine Aenderungen im Ganzen
vorgenommen werden, ſo dem Stück eine andere Richtung geben;
ausgenommen ein deutſcher Dichter nützte nur die Anlage ver Charak—
tere, Situationen und des Intereſſes, formte ein ganz neues Ori—
ginal und nützte Deutſchland dadurch mehr, als durch eine getreue
Ueberſetzung.“
Nach dieſen bemerkenswerthen Grundſätzen ſollte jedes einge—
ſchickte Stück binnen vier Wochen „abgefertigt werden“. Zwei
Inſpicienten erhielten es zur Prüfung: „ob es der öffentlichen Vor—
leſung werth ſei“. Keiner durfte es Länger als acht Tage behalten,
und mußte dann jehriftlich auseinanderjegen, aus welchen Gründen
er es zum Borlejen vorſchlüge oder verwerfe, „Nach Vorlefung
eines Stückes giebt jenes Mitglied des Ausſchuſſes ein kurzgefaßtes
Botum ad protocollum und die majora entſcheiden.“
Alsdann entfcheidet ver Ausschuß wiederum „per majora“
44 Das Burgtheater.
über die Bejegung. „Jene, jo Hauptrollen zu ſpielen pflegen, jollen
in den ihnen zugehörigen Fächern gebraucht und ihnen nur alsdann
mindere Rollen zugetheilt werden, wenn eben im Stüd feine Rolle
aus ihrem Fache vorhanden wäre und das Stüd durch eine andere
Belegung litte.“ — Auch follen Rollen mehrfach befeßt werden
Calterniven), wenn es ohne Nachtheil der übrigen Beſetzung ge-
Ichehen fan. ,‚Seder Dichter hat zwar die Freiheit, eine Beſetzung
feines Stüdes vorzufchlagen, doch muß der Ausschuß folche prüfen und,
falls ſie zum Nuten des Theaters oder zur Zufriedenheit ver Schau—
ipieler beijer entworfen werden fünnte, folche nach Pflicht abändern.”
„Zur Zufriedenheit der Schaufpieler‘‘, diejer charakterijtiiche
Grund beleuchtet deutlich dies rvepublifanifche Selbjtregiment der
Schaufpieler, welches fich im theätre francais bis heute erhalten
hat. Man darf nicht außer Acht lajfen, daß damals und daß über-
haupt in Deutjchland die Schaufpieler ſelbſt die Mehrzahl ver
Stücke ſchrieben und dadurch ihre Alleinherrichaft weſentlich ſtützten.
Unterhaltungsftüde waren das Hauptbevürfnig.
Stephanie der jüngere war ein fruchtbarer Verfaſſer neuer
Stücde im Ausfchuffe des Nationaltheaters. Für ihn erichien mit
Schröder ein gefährlicher Nivale, denn Schröder's Stüde waren
bedeutender.
Schröder hatte ſchon eine außerordentliche Lebensſchule durch:
gemacht, als er ſechsunddreißig Jahre alt damals nah Wien fan.
Sein Stiefvater Acdermann hatte im Norden Deutjchlands, in
Mecklenburg, in Oft: und Weftpreußen, in Hamburg, im Holitein’-
ſchen, Schleswig’schen und im Hannover’fchen, ja auch in Rußland
und Polen ununterbrochen Theaterdirectionen geführt und hatte jich
mit gewiffenhafter Strenge des fleinen Stiefjohnes angenommen.
Aber diefer Fleine Schröver war ein wilder, excentrifcher Burſch,
und Stiefvater Ackermann war ein genialer Schaujpieler gemwejen.
Da hatte es denn nicht an heftigen Scenen gefehlt. In Warſchau
zum Beifpiel hatte fich einmal der junge Fritz im Jeſuitenkloſter
Das Burgtheater. 45
verjteet, hatte zum Katholicismus übertreten, ja Jeſuit werden
wollen, um der elterlichen Obhut für immer zu entweichen. Im
Königsberg war er als Zögling einer Schule allein zurüdgelafjen
worden, und das Koſtgeld war ausgeblieben; er war dem Ver—
hungern und jeglichem Berverben ausgefegt geweſen, da ihn vie
Schule erbarmungslos ausgejtoßen hatte. Mit einem verjoffenen
Schufter hatte er lange Zeit auf das Kläglichite fein Leben friften
müſſen, und die gemeinften Yebensgewohnheiten hatten ihn umgarnt.
Schnapstrinfen und kleine Entwendungen, welche dem Diebjtahl
nahekamen, bedrohten jeine förperliche wie feine moralische Gejundheit.
Er überjtand das Alles, Endlich fam Gelohülfe von ven
Eltern, welche feiner feineswegs vergaßen, aber jelbjt nicht immer
in der Lage waren, Geldſummen zu erübrigen. Er machte ji auf,
in einem dürftigen Fahrzeuge durch die Dftfee nach Lübeck zu ſchiffen,
erlitt Schiffbruch, rettete und friftete fich wie Robinfon Erufoe und
itieg halbnnackt bei Travemünde an's Yand. Ausnahmsmweije waren
gerade jett einmal feine Eltern mit ihrer Gejellfchaft in Süddeutſch—
land, und der junge Wann mußte fich durch die ganze Yänge des
deutjchen Vaterlandes hindurch Fechten. Auch das gelang ihm, und
ver früh erfahrene Jüngling ftand endlich wieder feiner Mutter und
feinem höchit eigenthümlichen Stiefvater gegenüber.
Dies jein häusliches Verhältniß, unerihöpflihb an Con—
flieten, ijt offenbar fehr fruchtbringend aewejen für Schröver’s
Sharakterjtudien. Die Mutter, aus Berlin ftammend, war in
eriter Ehe mit dem Drganiften Schröder verheirathet geweſen.
Diejer Vater Fritz Schröver's, ein gejchiefter Tonfünftler, war
in Nahrungslofigfeit und Liederlichkeit verſunken und hatte es
der begabten Frau überlajjen müfjen, jich jelbjt zu ernähren. Sie
war nah Schwerin, war nah Hamburg gegangen, um durch ihre
Gejchieffichkeit in Stiderei ihr Brod zu erwerben. In Hamburg
hatte Eckhof fie fennen gelernt und ihr gerathen, die Vorzüge ihres
Geiſtes und ihrer Geftalt auf der Bühne zu verwerthen. Diejem
46 Das Burgtheater.
Rathe war fie gefolgt, und er hatte jich als richtig exwiejen. Sie
gefiel und war ſchon vier Jahre lang Schaufpielerin, als ihr Mann
jie 1744 zum letsten Male in Hamburg befuchte, Die Frucht viejes
legten Bejuches war Friedrich Schröder. Der Vater Schröder ftarb
bald darauf und ſie heirathete fünf Jahre ſpäter Ackermann. Dieſer
alſo, welcher den vierfährigen Frit als Stieffohn befam, wurde
Schröders eigentlicher Vater.
Eine Aeußerung Schröder’s weiſt darauf hin, daß die erjten
Eindrüde feiner Jugend, daß feine Iugenderziehung überhaupt maf-
gebend geworden jind für jein ganzes Leben. Dieje Aeuferung lau—
tet: daß er feine Anficht über die Vorzüge und Fehler der theutra-
liſchen Darjtellung feit jenem zehnten Jahre nicht geändert und
feine Urjache gefunden habe, fein Urtheil darüber in der. Folge
zurüdzunehmen.
Dies erklärt fich vielleicht, wenn man einen Blick wirft in den
Adermann » Schröder’fchen Hausjtand. Unter den: mannigfachjten
Sorgen jpinnt jich die Directionsführung eines Theaters in dieſem
Hansjtande ab, und ver Knabe jieht alle Kunſtproducte entjtehen,
werden und vergehen oder dauern. Die Mutter ijt überall die gei—
jtige Förderin, fie jchreibt Prologe, fie bearbeitet Stücke, fie ſtudirt
den ſchwächeren Meitgliedern vom Kinde bis zum erjten Liebhaber
die Rollen ein. Der Vater weicht in den Gefprächen den theore-
ttichen Betrachtungen aus, oder erledigt fie durch ein entſcheidendes
Wort feines starken Naturells. Er iſt das Talent und vertritt durch’
die That die jiegreichen Rechte des Talents. Schröder hielt ihn,
nachdem Ackermann längſt gejtorben, für ven einzigen fomijchen
Schauſpieler, ven man ‚vollendet‘ nennen fünnte; der nie aus der
Wahrheit herausgetreten fei, der nie übertrieben habe. „Ich kann
mich leider nicht rühmen“, jetst er befcheiven Hinzu, ‚‚meinem Mufter
hierin treu geblieben zu fein.” Und voch wiſſen wir, daß es ein
Hauptvorzug des großen Schaufpielers Schröder gewejen tft, jtreng
in der Wahrheit, fern von jeder Uebertreibung zu bleiben. Die
Das Burgtheater. 47
Anklage gegen jich ſelbſt gilt alio wohl den Jugendſünden auf der
Bühne.
Diejen Eltern gegenüber begann nun der vierzehnjährige Bur—
che jeine eigentliche theatraltjche KYaufbahn. Zunächſt als Tänzer,
denn: in der Tanzfunft entwidelte er große Fertigkeit und war er
dem Director» Vater am einträglichiten.
Leider meinte ver Vater die Gage an ihm ſparen zu fünnen,
und der nafeweije, ſchon viel verſuchte Sohn fand dies unerträglich,
„Schröder war der einzige Menſch, ven Adermann jtrenge behan—
delte‘‘, eben wohl, weil er ihn gewillenhaft erziehen zu müſſen
meinte, „Schröder war aber auch der einzige Menſch, ver fich ihm
widerjeßte, wenn er Recht zu haben glaubte. Und leiver glaubte er
dies zu oft.‘
So entjtanden denn bald wieder die peinlichiten Streitigfeiten
zwilchen Bater und Sohn, welche mehrmals mit Flucht und Ent—
weichung des Yebteren endeten. Die Mutter weinte und hielt es
für ihre Schuldigfeit, dem Bater Recht zu geben.
Fritz Schröder wurde durch all das nicht zahım, Er war früh—
reif und machte auf volle Geltung Anſpruch. Hohes Billardipiel
mußte Geld verjchaffen, und Duelle mit Franzoſen, welche damals
bei Ausgang des jiebenjährigen Krieges in Süddeutſchland herrichten,
brachten aufregenden Zeitvertreib. Kleine Aufgaben im Luſtſpiele,
die ihm allmälig zufielen, behandelte ev von oben herab. Er unter-
vichtete fich nur über ven Inhalt des Stüdes und der Rolle, Das
mußte genügen. Die Rolle jelbjt lernte er nicht.
Da trat ein Wendepunft ein. Die Wieland'ſche Ueberjetung
Shafejpeare’s erichien. Sie fam dem achtzehnjährigen Schröder
in die Hände, „Er verſchlang fie und machte fie zu feinem
Handbuch.‘
Die Wirkung ver Shafejpeare » Yectüre ging bei Schröder zu—
nächft nur nach ver komiſchen Richtung. Der britiihe Humor be—
geifterte den jungen Deutjchen, und wir jehen in der nächjten Zeit
48 Das Burgtheater.
feinen anderen Wechfel in jeinem Dichten und Tracten, als daß er
noch ausgelafjener mit feinem jchaufpieleriichen Talente verfuhr.
In Frankfurt zum Beilpiel, wo der Wiener Kurz die Stegreif-
fomödie betrieb und dem fo wirkſamen Komifer Schröder die alte
Phrafe entgegenhielt: daß ein begabter Künftler ſich ja erniedrige,
wenn er nur Auswendiggelerntes vortrage, ſtatt frei und ſchöpferiſch
zu improvifiren — in Frankfurt lieferte ev dreift, ja frech den Be—
weis, daß er eben jo gut und bejjer improvifiven fünne. Er fpielte
dergeftalt aus dem Stegreif, daß das Publicum des Yachens nicht
müde wurde, obwohl die Komödie eine Stunde länger dauerte, als
fie dauern ſollte. Unwillfürlich wohl lieferte er damit den Beweis,
dar Inhalt und Form aus Rand und Band getrieben werde durch
das ſogenannte freie Spiel.
Auch im Berhältniffe zu feinem Stiefvater trat noch immer
fein günftiger Wechfel ein. Der junge vorlaute Menſch, wie hoch
er das Talent und die Herzensgüte Adermann’s ehren mußte, pochte
unabläjfig auf jeine größere Geiftesichärfe, unterließ jein altfluges
Kritifivren nicht und fügte fih in feinem Streite. So fam es venn
einmal in Kaffel zum Aeußerſten: Adermann ließ fih vom Zorne
fortreißen, nach feinem Stiefjohne zu jchlagen, und dieſer zog den
Degen gegen feinen Stiefvater. Verhaftung Schrövder’s war die
Folge, ja er wurde in Ketten gelegt und ein paar Wochen in Ketten
gefangen gehalten.
Es fehlte denn faſt Nichts mehr an großen Lebensſchickſalen,
was er bis in fein zwanziaftes Jahr nicht durchgemacht hätte. Sein
fittlicher Kern mußte ſehr ſtark jein, um durch jo wildes Jugendleben
nicht bejchädigt zu werden.
Er war fehr ftarf. Denn gerade im fittlicher Richtung wurde
diefer leichtfinnige Friß fpäter ein Mufter von Strenge und
Feinheit.
Eben ſo erging es mit dem Kerne ſeines Talentes. Es ent—
Das Burgtheater. 49
widelte jihb im Yaufe feiner zwanziger Jahre allmälig zu gedie-
genem Ernſte. |
Es ift ziemlich deutlich, daß Leſſing einen jtarfen Einfluß auf
ihn ausgeübt. Die unabweisliche Berjtanvdesihärfe viefes großen
Schriftitellers hatte eine große Macht auf Schröder, und als „Emilia
Galotti“ erichien, welche er feinen Schweitern Elifabeth und Char-
Lotte zu wiederholten Malen mit Begeifterung vorlas, entichloß er fich
zur Darjtellung ver Marinelli-Rolle. Cr hatte allerdings ſchon
vorher in Hannover — die Adermann’iche Gejellichaft fehrte damals
für immer nach dem Norden zurück und nahm ihren Hauptjis in
Hamburg — die erſten Schritte aus dem komiſchen Fache heraus
getban und hatte als ein noch recht junger Mann einige ernite
Vüterrollen gejpielt. Aber aus dem Durcheinander von Fächern,
welches ein Divectorsjohn, zu Zeiten ein Mitdivector, ergreift, um
die Beſetzung eines Stüdes zu deden, entwidelte fic) doch evt jett
mit diefer gelungenen Darjtellung eines Marinelli die Flare Anficht
in ihm, daß Charafterrollen jeglicher Art, auch in der Tragödie,
jeinem Talente angemejjen wären.
Diejer Elar gewordenen Anficht entſprechend nahm auch fein
Privatleben einen joliden Charakter an. Er wird innerhalb feiner
Familie milder und rüdfichtsvoller, ev unterftügt den Stiefvater
bingebend in der Divectionsführung, und die gegenfeitige Yiebe
zwifchen Vater und Sohn, die immer ächt vorhanden geweſen, quillt
nun ungetrübt hervor. Er beichäftigt ſich eifrig mit Studien, er
widmet den neu auftauchenden Dichtern Goethe, Yenz, Klinger volle
Aufmerkſamkeit, ſchöne Werfe auch von Yenz erwartend, wenn dieſer
fih zügeln und in engere Form finden könne; er fett jogar mit
größter Sorgfalt den zufammengeftrichenen „Götz von Berlichingen‘
in Scene und fpielt den Bruder Martin, obwohl er nicht ver-
leugnet, daß dieſe epiſch-dramatiſche Form ſich niemals zu einem
danfbaren Theaterftücde eignen werde; er macht die perjünliche Be—
kanntſchaft Leſſing's; er lieft, ja jtudirt das Theater ver Griechen
Zaube, Burgtheater. 4
50 Das Burgtheater.
und gewinnt einen Zugang zum Pathos diefer Form; er verjenft
fih auf's Neue in die Shafeipeare'fchen Stüde, und jest gehen ihm
auch ihre großen, ernjten Yinien mächtig auf; er fängt feine Be-
arbeitungen an, er fchreibt eigene Compofitionen nieder; furz, der
Schröver entwidelt fih nach allen Seiten, welcher für das deutſche
Theater fo einflußreich geworden iſt.
Wie war dies möglich nach jo wüſtem Jugendtreiben? „In
feinem Leben war ein Funken Ehre”, läßt Shafefpeare ven Brutus
Tagen von einem gemeinen Krieger. Ein veizbares Ehrgefühl Ipringt
von frühauf hervor in dem lieverlichen Knaben Fritz; ja, das jo-
genannte point d’honneur war der ftete Grund feines Streites
mit Vater Ackermann. Solch ein fittlicher Mittelpunkt in jungen
Menfchen wirft wie ein Talisman. Cr ſchützt vor dauernder Ge-
meinheit, er jpornt zu Aneignungen, damit man Ansprüche begründen
fönne, Verſtand und Talent, welche Fri Schröder in hohem Grade
von der Natur verliehen waren, wiljen dieſe Aneignungen trefflich
zu erringen und mit den ungewöhnlich reichen Erfahrungen zu ver—
ſchmelzen, und jo entjteht eine Perſönlichkeit, welche zu ſchöpferiſcher
Thätigfeit ganz befonders geeignet und welche vor allen Dingen ein
Charakter iſt. Charakter - Eigenthümlichfeit iſt ja aber doch für den
Künſtler das erjte® und lette Erforderniß. Denn feine Aufgabe be-
jteht darin: mit eigenthümlicher Kraft zu Schaffen.
Diefe Kraft bewährte nun Schröder während der legten jieb-
ziger Jahre in Hamburg als Hülfsdirector zu großem Segen des
deutſchen Theaters. Das deutſche Theater hatte damals in ihm
feinen neuen Schöpfer. Eckhof war alt und hatte nie die Eigenschaft
gehabt, in diefem weiteren Sinne zu dirigiren und zu jchaffen. Seine
förperlichen Mittel waren nicht befonders günftig, nur fein ſchönes
Organ und fein feelenvoller Vortrag ficherten ihm künſtleriſche
Macht und Herrichaft in einem begrenzten Fache. Das Luſtſpiel
war ihm eigentlich ganz verfagt. Ganz an richtige Stelle war er
um dieſe Zeit nach Gotha gerathen in die jtillere Sphäre eines
Das Burgtheater. 51
feinen Hoftheaters, wo man fichten und wählen fonnte und nicht
genöthigt war, das harte Holz ver neuen Verfuche zu jpalten. Er
ftarb, als Schröder fich hinlänglich gereift fand, von Hamburg auf-
zubrechen und jein Repertoire und jeine Schule auszubreiten im
deutjchen Reiche.
Während dieſer legten ſiebziger Jahre in Hamburg bildete jich
unter Schröder eine gute Schaar Schaufpieler und ein für damalige
Zeit reiches Repertoire. Bon diejen Schaufpielern kam ver tüchtige
Reinecke nach Berlin, der begabte Brodmann und Madame Sacco
nah Wien. Borchers blieb lange bei ihm, und Schröder felbjt mit
feiner Fran und jeinen beiden Schweitern Dorothea und Charlotte
waren der Mittelpunkt. Charlotte jtarb früh, und Dorothea ward
durch Verheirathung der Bühne entzogen. Die Kaufmannsitadt
Hamburg, welche er übrigens liebte, verjagte ihm, wie er meinte,
doch gar zu oft die Theilnahme für höhere Stüde. Shafejpeare’s
„Richard der Zweite‘ „beliebte vem Bublicum nicht’; Shakeſpeare's
„Heinrich ver Vierte’ — beide Theile in einen Abend von ihm zu—
Jammengezogen — verfagte troß feines trefflichen Falſtaff vergeitalt,
daß er am Schluffe mit der ihm eigenen ruhigen Hartnädigfeit dem
Publicum anfündigte: „In der Hoffnung, daß diefes Meijterwerf
Shakeſpeare's, welches Sitten jchilvert, die von den unjrigen ab»
weichen, immer bejjer wird verjtanden werden, wird es morgen
wiederholt”. Er erhielt das Stück mit Opfern auf dem Repertoire,
gewann aber niemals vie volle Theilnahme des Publicums für
dafjelbe. Auch fpäter in Wien nicht. Wohl aber in Berlin, obwohl
er dort ein fchlechteres Enjemble fand als in Hamburg und in
Wien. Diefe literarhiitoriihe Theilnahme, um jo zu jagen, hat er
den Berlinern nie vergeſſen.
"Großen Beifall aber fand er in Hamburg für die anderen
Shakeſpeare'ſchen Stüde, welche er in ven letten Jahren für die
Bühne bearbeitete und aufführte, namentlich für „König Year,
„Hamlet“ und „Macbeth“.
4%
92 Das Burgtheater.
Der Drang, Hamburg zu verlaffen und vor einem größeren,
mannigfaltigeren Bublicum zu fpielen, wurde jett unmwiderjtehlich
in ihm. Berlin bot fich ihm zu einem erjten Verfuche: im December
1778 trat er dort auf, und zwar im den großen tragiichen Rollen,
welhe man dem fomifchen Fris Schrövder außer Hamburg noch
nirgend zutrauen wollte. Er jpielte ven Year, er ſpielte ſechsmal ven
Hamlet mit unermeßlichen Beifall. Der Eindrud feines Year war
jo groß, daß Moſes Menvelsjohn, welcher Schröder als Menjchen
wie als Künftler liebte und an ſchwachen Nerven litt, die Vor—
jtelung Thon im vierten Acte verlajjen mußte, weil die Wirkung
ihn übermannte.
Geſtärkt in dem Vertrauen auf feine Kraft fehrte er 1779 nad)
Hamburg zurüd, um feinen Abſchied vorzubereiten. Um dieje Zeit
erſchien Leſſing's „Nathan“. „Er war — jagt Schröders forgfäl-
tiger und feiner Biograph F. L. W. Meyer — aus Schröver’s
Seele gejchrieben, und blieb lange in mannigfachen künſtleriſchen
und philofophifhen Beziehungen der Gegenitand feiner Unterhal-
tung. Damals wäre wohl nicht die Zeit gewejen, ihn auf die Bühne
zu bringen; aber jie fam. Dennoch hat ſich Schröder deſſen wie
feines geliebten Shakeſpeare'ſchen „Julius Cäſar“ und einiger anderen
Meiſterwerke aus der Vorzeit immer enthalten, weil er fich nie ge-
traut, ihm die vollfommene Bejetung zu gewähren, die er für das
Heiligthum feines Herzens begehrte. Auch trat er der Meinung
Pichtenberg’8 und, wenn ich nicht irre, Engel’8 bei, das Stüd werde
für die Menge feinen Reiz haben. Dies Vorurtheil einſichtsvoller
Richter ift durch die That widerlegt. Geleſen hat er e8 jedoch vor
einem auserwählten Kreiſe, und durch Mitlefer unterjtüßt, wie fie
ſchwerlich eine öffentliche Bühne aufzubieten vermag. Seinen Na-
than bewunderten die Zuhörer, aber fie waren auf ihn gefaßt. Den
PBatriarhen, den er gleichfalls übernahm, bewunderten fie nicht
weniger und wurden durch ihn überrajcht. So rein von Ziererei
und Auffahren, fo vornehm ſanft und mit ruhiger Salbung flofjen
Das Burgtheater. 53
die Neußerungen der Unduldſamkeit von feinen Yippen, als hätte
Lainez ſich mit dem Cardinal von Lothringen wor den Augen des
franzöfiichen Hofes unterrevet. Ihm entging fein Zug, den Hogarth
zu schwach, ven Mengs zu jtarf finden müffen. Daß er wahr fei,
mußte jedem einleuchten, nur würde diefe Wahrheit nicht jedem ge-
ahndet haben.‘
Diefer Fingerzeig auf vie leifen Mittel, denen Schröder jo
früh ſchon zugewenvet war, erhält eine weitere Ausführung in der
Rede Schröver’s, welche Meyer aufbewahrt hat. Schröver hat fie
furz vor feinem Sceiven aus Hamburg in vertrauten Freundes-
freife geiprochen, als von Leſſing's Vers die Rede geweſen:
„Daß Beifall dich nicht jtolz, nicht Tadel furchtſam mache!
Des Künſtlers Schätung ift nicht jedes Fühlers Sache.
Denn auch dem Blinden brennt das Licht,
Und wer dich fühlte, Freund, verjtand dich darum nicht.”
„Ich muß erfahren‘ — ſagte Schröder — „woran ich mit
der Kunſt bin. Was ich gejehen und fennen gelernt, hat mich in
meinen Grundſätzen beſtärkt. Es mag jein, daß jene meiner ein-
zelnen Rollen von einem Schaufpieler übertroffen wird, den jeine
Perjönlichfeit oder jeine nähere Bekanntſchaft mit dem gejchilverten
Verhältniſſe mehr als mich für fie begünjtigen. Aber es ijt feine
eigentliche Kunſt, jich jelbit zu jpielen. Das wird jedem verjtän-
digen Nichtichaufpieler gelingen, der gut zu jprechen und ſich an—
jtändig zu benehmen weiß. Der allein jcheint mir eine wirkliche
Kunſtſtufe erſtiegen zu haben, der jeden Charakter jo auffaht, daß
fich ihm nichts Fremdes beimifcht; daß er nicht blos an eine allge
meine Gattung mahnt, jondern fih auch von feinen Verwandten
durch eigenthümliche Züge umterfcheivet, die er aus feiner Kunde
hernimmt, um ven Winfen des Dichters zu entiprechen. Das unter-
Icheidet den Schaufpieler von dem guten Vorlefer und Declamator,
Der Letzte fann ven Zufchauer, fo lange er ihn mit dem Erften nod)
94 Das Burgtheater.
nicht verglichen hat, ſehr befriedigen. Aber ſobald er diejen jieht,
muß er begreifen, daß er vorher nur an die Berjon erinnert worden,
die er jetzt jelbjt erblidt. Dahin meine ich es gebracht zu haben.
Sch glaube Alles ausprüden zu fünnen, was der Dichter, wenn er
der Natur treu geblieben ift, durch vie Worte oder Handlungen
jeiner Perſonen ausprüden wollen; und ich hoffe in feinem Stüde
hinter den billigen Forderungen des Menfchenfenners zurüdzubleiben,
ohne einen anderen Spiegel zu Rathe zu ziehen als den ver Wahr-
heit. Die Kunft kann nicht mehr aufzufajfen begehren, wenn jie
nicht Künftelei werden will. Sie jehen, warum mir der Naturjohn
Shafejpeare Alles jo leicht und Alles jo zu Dank macht; warum
mir manche jehr bewunderte und dichteriich glänzende Stelle Kampf
und Anjtrengung fojtet, um fie mit ver Natur auszugleichen ; warum
ich fie gleichjam verwifchen muß, damit fie dem Charakter nicht
widerjprehe. Es fommt mir gar nicht darauf an, jo zu
himmern und bervorzuftehen, fondern auszu—
füllen und zu fein. Sch will jever Rolle geben, was ihr ge-
hört, nicht mehr und nicht weniger. Dadurch muß jede werden,
was feine andere fein kann. Die Nichtigkeit dieſes Bejtrebens wird
man meinem Verftande nicht verdächtig machen. Darauf kommt
es an, zu erproben, ob es mir gelungen ift. Und das verbürgt mir
weder das Urtheil meiner Freunde, noch der Kenner allein. Jene
find an mich gewöhnt, und dieſe können bejtechlich werden, weil fie
einer großen Wahrheit huldigen. Sie mögen nicht rechten, wo die
bloße Abficht ihren Wünfchen zufagt. Wirfliches Verdienft bewährt
fich dadurch, daß es die Vorurtheile vernichtet. Bin ich, was ich zu
jein nicht verzweifle, jo muß aller herfömmliche Irrthum, Alles, was
Kunſt zu fein glaubt, ohnerachtet es der Natur widerfpricht, der Er—
jcheinung der funftgebilveten Natur weichen; jo muß ich auf den un—
wifjendften Zufchauer wirken, wie auf den gelehrtejten; jo muß jeder
Blick in fein eigenes Herz den Anmwefenden überzeugen, er jehe von
mir, was er jehen ſolle.“
Das Burgtheater. 55
Meyer fett hinzu, daß Schröder, obwohl er „an Feinheit und
anftändiger Zurüdhaltung‘ feinem anderen Schaufpieler wich, ent—
ſchiedenſter Liebling ver Galerie gewejen und geblieben ſei, und daß
das große Publicum vorzugsweife ihn „Seinen Schröder” genannt
und eben jo mit ihm geweint wie gelacht habe,
So beſchaffen und ausgerüftet begab ſich Schröder im März
1780 auf die Reiſe nah Wien, um dort im Nationaltheater zu
gaftiren. Am 13. April follte ev als König Year auftreten, In den
Theaterfreifen Wiens wurde die Anfündigung diefer Nolle mit Miß—
trauen aufgenommen. Mitglieder wie Brodmann und Madame
Sacco, welche Schröder in Hamburg gekannt, werficherten: vie
Tragödie jei Schröver's Sache nicht. Der Sinn für Tragödie
lag übrigens auch dem Publicum nicht befonders nahe. In dem
„Freundſchaftlichen Briefmechjel zwiſchen Gotthold Ephraim Yeffing
und feiner Frau’ bejchreibt Yettere die erjte Aufführung der „Emilia
Galotti“ im Burgtheater und fagt: der Kaiſer habe es zweimal ge-
fehen und jehr gelobt. „Das muß ich aber geſtehen“ — habe er
binzugejetst, — „daß ich in meinem Yeben in feiner Tragödie fo viel
gelacht habe.” Und Frau von König (Leſſing's fpätere Frau) ver-
fichert, daß fie in ihrem Yeben in feiner Tragödie jo viel habe lachen
hören, und zwar zuweilen bei Stellen, wo eher hätte follen geweint
als gelacht werden. Die Vorſtellung jet jehr mittelmäßig ausge-
fallen. Nur die „Hubertin“, die Darftellerin der Mutter Claudia,
babe gut gejpielt. „Den Prinzen machte Stephanie der ältere, ich
möchte fait jagen: fo ſchlecht wie möglich. Stephanie wird täglich
affectirter und unerträglicher. Was thut er zulett in Ihrem Stüde?
Gr reift fein ohnedem großes Maul bis an die Ohren auf, ſtreckt
die Zunge langmächtig aus dem Halfe und let das Blut von
dem Dolche, womit Cmilia erjtochen it. Was mag er damit
wollen? Ekel erregen? Wenn das ift, jo hat er feinen Endzweck
erreicht.”
Wie jollte Schröder's Geſchmack, damals offenbar der abge—
56 Das Burgtheater.
Härtefte und reinfte auf dem deutjchen Theater, wie follte er dazu
paſſen?! Und Stephanie der ältere war ein Mitglied des Aus—
ſchuſſes, von welchem die Yeitung des Injtitutes ausging. Aller:
dings hatte jene erſte Aufführung ver „Emilia Galotti“ acht Jahre
vor Schröders Ankunft jtattgefunden, und gerade in den letzten
Fahren war durch Raifer Joſeph's Bemühung Biel gefchehen zur
Beilerung des Theaters, zur Reinigung des Geſchmacks. Aber
auch jett noch wurden grelle Traditionen durch Männer wie der
ältere Stephanie frampfhaft aufrecht erhalten, und der hohle Decla-
mationsſtyl franzöfiicher Schule, welcher durch die jo lange einge-
bürgerten franzöfiihen Gefellfchaften auch dem Publicum geläufig
war, mußte ſchneidend abftechen von der natürlichen Vortragsweiſe
Schröder's.
Es fonnte nicht ausbleiben, daß man eine Revolution ahnte
und verfündete in TIheaterangelegenheiten. Die Sturmvögel er-
hoben jih und jchrieen. Die alte Schule fühlte jih bedroht, und
alle erjinnlichen Verleumdungen gegen Schröder wurden in Be—
wegung geſetzt, ehe er auftrat. Ein folcher Kleinjtädter — hieß es
— hat die Unverfchämtheit, die großen Künftler einer Hauptſtadt
herauszufordern! Ein norodeutjcher Komiker mit bürgerlichen Ma—
nieren will den König Year jpielen, die Meijterleijtung unjeres
Brofmann! Und über den Geſchmack Wiens wagt er geringichätig
zu ſprechen! Unbildung wagt ev uns nachzufagen! Der joll was
erleben! Graf Rojenberg hat ihm ein Engagement angeboten ;
darauf hat er erwievert: er paſſe wohl nicht nach Wien, und Wien
fönne feine Verdienſte nicht bezahlen! Wir werden ihn bezahlen,
den hochmüthigen Hamburger!
Die gereiste Stimmung wurde fo laut, daß der alte Fürft
Kaunitz Schröder rufen ließ und ihn warnte, im „Lear“ aufzutreten.
„Sch weiß” — fagte er, — „welche Männer für Sie gezeugt haben,
ich weiß, daß ich denfen werde wie diefe Männer, Aber wer fann
Das Burgtheater. 57
gegen das Borurtheil?! Und in diefem Falle werden Cie
unglüclicherweife mit Ihren eigenen Waffen befümpft: Brod-
mann ift Ihr Schüler” — — „„O, Ihre Durchlaucht““ —
antwortete Schröder — „„der Meijter behält jih immer Etwas
vor,” —
Der Abend des 13. April kam. Schröder trat auf und wurde
mit eiſiger Kälte empfangen. Die erſte große Scene mit Goneril
veranlaßte Einige, unter ihnen Kaiſer Joſeph, zu applaudiren, furcht—
bares Ziſchen unterdrückte den Applaus. Ebenſo ging es im zweiten
Acte. Aber im dritten Acte, wo die Sinne Lear's all' den losge—
laſſenen Stürmen unterliegen, da unterlag auch jedes Vorurtheil
und das ganze Haus vereinigte ſich in einen Sturm von Applaus,
und „von nun an ging fein Zug ohne lauten Beifall vorüber”.
Wenn im vierten Aufzuge der wahnjinnige Year Glojtern predigen
will, hatte Brodmann den Stamm eines abgehauenen Baumes be—
jtiegen, und das war als gelungenes Theaterjpiel gelobt. Schröder
verjuchte ihn zu bejteigen, und die Kräfte verfagten ihm. Ein Ge—
jchrei des Jubels durchdrang das Haus. Nach der Vorjtellung ward
er einjtimmig herausgerufen, und erſchien nicht, weil ein kaiſerlicher
Befehl die zu leicht gemißbrauchte Sitte mit Recht unterjagt hatte.
Doc fonnte ſelbſt Fürſt Kaunitz, der ihn am folgenden Tage zu ich
fommen ließ und mit verbindlichem Lobe überhäufte, ſich nicht ent-
halten, ihm zu jagen: „Man venft nicht immer an Alles. Cs hat
mir für die Zufchauer weh gethan, daß Sie ſich dem Bedürfniſſe
ihrer Bewunderung entziehen müſſen. Auch ich habe dabei verloren.
Sie hätten dem faiferlihen Befehl gehorchen und unferem Wohl:
wollen genügen, Sie hätten nicht die Bühne, aber meine Yoge be>
treten und ſich von ihr noch einmal zeigen können. Das ift nicht
im Gejet verboten‘.
Alle folgenden Rollen — unter ihnen Hamlet, der Geizige,
Odoardo in der „Galotti“, Diverot’s Hausvater — wurden mit ver:
58 Das Burgtheater.
jelben Gunft aufgenommen. Aller Wiverfpruh war verjtummt,
jedermann wünfchte das Engagement Schröders, Kaiſer Joſeph an
der Spite. „Er ſprach eine ganze Stunde mit mir‘ — erzählt
Schröder — „und mit folher Güte, mit ſolcher Kenntniß, daß ich
erſtaunte“ — nur Schröder ſelbſt wünfchte nicht engagirt zu fein.
„Furcht vor wandelbarem Hofglüd und vielleicht Vorurtheile hielten
den eigenthümlichen, freiheitliebenden Mann zurüd von der Annahme
vortheilhafter Bedingungen.” Er hatte ſchon die Pojtrferde be:
jtellt, va lieg ihm Maria Therefin jagen, fie wünfche ihrer Tochter,
der Erzherzogin Maria Chriftina, welche aus Prefburg erwartet
werde, Das Vergnügen zu machen, eine Rolle von ihm zu fehen.
Einem ſolchen Wunſche ließ ſich Nichts abfchlagen, er jagte zu, und
wurde nun zur Audienz bei Maria Therefia beſchieden, Sonntags
am 7. Mai vor ver Meſſe. „Sie empfing ihn in Gegenwart ihres
Hofitaats. Ihre Freundlichkeit und Milde übertraf alle Bejchreibung.
Shre Gefundheit und Stimmung, fagte fie, hätten ihr jeit langer
Zeit unterfagt, das Schaufpiel zu bejuchen, folglich jie auch abge:
halten, Schrövdern zu jehen. Die Genugthuung könne fie fich nicht
rauben lajjen, jeine perjünliche Befanntichaft zu machen und ihm
für das Vergnügen zu danken, das er ihren Kindern umd ihren guten
Wienern gemacht, die nicht genug von ihm zu erzählen wüßten, und
das er ihrer lieben Tochter noch machen wolle. Sie jetste des Ber:
bindlichen mehr Hinzu, das nur das Herz, nicht die Zunge des Be—
gnadigten wiederholte, und bejchenfte ihn mit einem Fojtbaren Ringe,
deſſen er zum Anvenfen diefer unvergeglichen Stunde nicht bedurfte.
Wer hat fih Marien Therefien genaht und in ihr der höchften und
Ihönften Winde der Menjchheit, ver Negentin und Mutter nicht
gehuldigt?!“
„Kein Beſonnener“ — ſchließt Meyer — „möchte den Mann
ſeinen Freund nennen, welchen eine ſo wohlthätige Gewalt nicht
hingeriſſen hätte. Schröder mußte ſeine ganze Faſſung zuſammen—
halten, um die tiefe Regung des erſchütterten Gemüths nicht laut
Das Burgtheater. 59
werden zu laſſen — er nahm nun, was man ihm bot, ohne zu be—
gehren, was man ihm nicht abgefchlagen haben würde, und verpflich-
tete fich, auf Ditern des folgenden Jahres in Wien einzutreffen‘‘ —
als engagirtes Mitglied des Hof- und Nationaltheaters in der Burg.
Die fann und wird Schröver mit dem Ausfchuffe der Herren
Stephanie und Conſorten beitehen ?
IV.
Schröder ging vom Wiener Gajtipiele nach Paris und beob-
achtete dort eine Zeit lang das franzöfifche Theater. Dann Fehrte
er nach Hamburg zurück, fpielte noch eine Zeit lang und verlieh es
ſammt feiner Frau am 17. Februar 1781. Seine Frau, eine feine,
eigenthümliche Natur, war mit ihm engagirt für das Hof- und
Nationaltheater, Am 16. April traten jie beive in der „Agnes
Bernauerin‘’ auf und wurden mit einem ‚Beifall aufgenommen,
der jich während ihres ganzen dortigen Aufenthaltes nicht ver:
ringert hat‘,
Die Obervirection bejtand damals aus dem Reichsgrafen von
Orſin und Roſenberg, welcher Präfivent hieß, und dem Frhr.
v. Kienmayer, welcher Obervirector hieß.
Es findet fich fein Anzeichen, daß diefe oberften Directoren eine
befondere Einwirfung ausgeübt hätten, aber auch fein Anzeichen,
daß fie ftörend eingegriffen hätten. In den Mißhelligkeiten, welche
zwifchen dem Ausſchuſſe und Schröder entjtanden, wirkten fie immer
bejchwichtigend und ausgleichend.
Der Perjonalbeitand war folgender:
Jacquet feit 1760 (mit 1000 fl. Gage). Stephanie
der ältere feit 1760 (1600 fl. Gage, 130 fl. Regiegeld), Müller
jeit 1763 (1600 fl.). Gottlieb feit 1763 (648 fl.). Stepha->
nie der jüngere feit 1769 (1400 fl.). Zange feit 1770 (1400 fl.).
Jauz feit 1772 (800 fl.) Weidmann feit 1773 (1200 fl.).
Das Burgtheater. 61
Ropfmüller feit 1773 (400 fl). Bergopzoomer feit
1774 (1400 fl). Stierle feit 1777 (300 fl). Brod-
mann ſeit 1778 (1400 fl). Dauer feit 1770 (1200 fl.).
Schütz jeit 1780 (1200 fl). Schröder feit 1781 (2550 fl.).
Borchers jeit 1781, Lambrecht, Diftler, v. Kronftein,
und von 1783 an Ziegler, welcher zahlreiche Stücke gejchrieben.
Madame Weidner feit 1748 (1660 fl.). Gottlieb feit
1765 (600 fl.). Adamberger feit 1768 (1600 fl.). Brod-
mann feit 1769 (900 fl). Stephanie vie jüngere feit 1771,
Defraine, naher Schüß, feit 1772 (500 fl.). Kathi Jac—
quet jeit 1773 (1200 Fl). Sacco jett 1776 (1600 fl.).
Stierle jeit 1777 (1500 fl). Noufeul feit 1780 (1600 fl.).
Günther jeit 1780 (1000fl.). Schröder feit 1781 (1450 fl.).
Patſch, Müller, nachherige Füger.
Außerdem ein jtattliches Verfonal von Sängern und Sänger:
innen bis zum Sahre 1783, in welchem ein wäljches Singfpiel das
deutſche ablöfte. Der ganze Gagenetat betrug über 80,600 Gulden.
Es war das am jtärfften votirte und befte deutſche Theater in
jener Zeit.
Für eine Beurtheilung diefer Schaufpieler benutze ich drei
Duellen. Erjtens Meyer, den Biographen Schrövder’s, zweitens
eine 1786 erichienene Schrift „Bemerkungen über das Yondoner,
Parifer und Wiener Theater‘, welche recht theaterfundig erjcheint,
und drittens die traditionellen Stimmen, welche ſich in Wien er-
halten haben über ven Werth der damaligen Künftler.
„Brockmann“ — heißt es vor Schröder's Eintritt — „hat im
Tragiſchen hier nicht feines Gleichen, wird fie überhaupt in Deutſch—
(and ſuchen; auch ift in Paris feiner, der ihm in den heftig wüthen-
den Rollen beifommt; aber den Wiürgengel muß er machen, fonjt
ift er nicht an feiner Stelle.” Den fpiele er „herzerſchütternd“.
Leider jelten, weil man wenig Trauerfpiele gebe. „Für etwas
minder heftige Charaktere ijt Schon fein Spiel zu ftarf, zu übertrieben.
62 Das Burgtheater.
Im mittelmäßigen Affect vollt fein Auge wild, fürchterlich umher.‘
Zu beflagen jei, daß er fett werde und ihm ver leichte Converjationg-
ton durchaus fehle. „In denjenigen Stüden, wo er gute, edle
Charaktere vorzujtellen hat, glückt es ihm, auch ſelbſt im Luftipiele ;
nur iſt alsdann fein Gang zu theatermäßig und feine Stellungen
jind nicht abwechjelnd genug.” Er jtellt fi) — il pose — jagt
ihm der Verfaffer nach.
Meyer jpricht günftig über feine Naturgaben und fein Talent,
nur jtellt er feine geiftigen Kräfte nicht eben hoch.
Bei ven Wienern war er jehr beliebt.
Ueber beide Stephanie lauten ſämmtliche Urtheile ungünftig.
Der ältere „hat jich gerade in denen Zeiten gebildet, wo von Franf-
veich aus die weißen Schnupftücherfomövien — wie Leſſing jagt —
die Dramen, Deutjchland überjchütteten. Nun heult er jetst noch
drauf los, und ſieht dabei aus wie ein alter Corporal“. Meyer
rühmt ihm nach, daß er Einficht, Belejenheit, Fleiß und Kenntniſſe
befejjen habe, nennt ihn aber auch einen „ſchlechten Schaufpieler‘
mit unnatürlicher Rhetorik und fchreiend erfünfteltem Vortrage.
Der jüngere Stephanie, nur für's Yuftpiel brauchbar, war natür-
ficher, aber von ganz geringem Talente. „Er fonnte poltern, aber
er fonnte Nichts als das.” Seine Rollen wußte ev nie auswendig
und fleivete jich entjetlich. „Uebrigens hielt er feiten Fuß mit
jeiner Zeit, unterlag feiner Art von Citelfeit, wußte Nichts von
Rollengeiz, und lieg jich von dem Glück, welches feine Stüde machten
und verdienten, nie verleiten, jie über den Werth des ergriffenen
Augenblids zu ſchätzen.“
‚Müller war ein feinkomiſcher Schaufpieler voller Einficht und
treffender Darjtellungsgabe, nur fprach er, theils aus Gewöhnung,
theils aus Gedächtnigmangel, zu langjam und gevehnt, Sonſt
hätten Glüdsritter und Geden vornehmen Standes und reifer Jahre
jhwerlich vollfommener vargeftellt werden können.“
„Langens Spiel ließ Wenig zu wünfchen übrig. Er war
Das Burgtheater. a
Maler, und malerifch jein Gang, feine Haltung, fein Anzug, fein
ganzes Benehmen, ohne je in das Gezierte zu verfallen. So lange
er falt und mit nicht ſehr erfchütterter Empfindung zu prechen hatte,
befrienigte auch jein Vortrag. Sobald er leidenjchaftlich werden
mußte, ſchien manches Triebwerk und Schule. Indeſſen erſetzte ver
Körper, was das Ohr vermißte. Man jah ihn fo gern, daß man
ungern mit dem vechtete, was man hörte. Unter allen Piebhabern,
die ich auf der Bühne erblict, jtand und bewegte jich feiner jo ge-
fällig. Er gab jeder Rolle Etwas, das nur er ihr zu geben fähig
war, und was er ihr nicht gab, verfagten ihm nicht ſowohl Anlagen
und Kräfte, als frühere Yeitung und Bildung, die meiner Anjicht
ivrig fchienen. Sch halte ihn für einen durchaus vechtichaffenen
Mann und habe ihn immer geehrt und geliebt.‘
So Meyer. Der Berfaffer der „Bemerkungen“ iſt auffallend
abjprechend überihn, nennt ihn einen „höchſt gleichgültigen, froitigen
Komödianten, der fich ſchon bläht, als wenn er Wunder was wäre,
und darum nie Etwas werden wird. Dabei hat er ein unbejchveiblich
fades Milch- und Blutgeficht und eine efelhaft deutliche Declamatton,
die ganz converjationswidrig einem jedes Wort vorkaut“. Wahr:
icheinlich hat er ihn früher gefehen, als Meyer. Webrigens muß
auch er zugeftehen, daß er ein Liebling ver Wiener geweſen.
Schütz, vorzugsweife für Böfewichter und Windbeutel geeignet,
wird der Uebertreibung beſchuldigt. Yebhaftigfeit und Gemwandtheit
werden ihm zugejtanven.
Weidmann, der fomifche „„Abgott der Galerie‘, wird von
Meyer als ein vollfommenes fomijches Genie bezeichnet. Cr hat
feinem Naturell und feinem wienerifchen Accente ganz den Zügel
ſchießen laffen, und ift auch von Schröder ſtets gelobt worden.
„In niederen tölpifchen Gejellen durfte Gottlieb jelbjt neben dieſem
Mufter auftreten und die gefährliche Nachbarichaft nicht jcheuen.
Der bejahrte Sacquet war unverbefferlich in fomijchen und erniten
Alten.” Paul Werner in Lefjing’s „Minna“ war eine feiner beiten
64 Das Burgtheater.
Nollen. Bergopzoom war durch ein ungünftiges Organ aufs
Luſtſpiel beſchränkt. Er trug ftarf auf und hatte die Galerie für
jih. Die Schrövder’fche Partei, zu welcher er hielt, beurtheilte ihn
freundlich. „Ziegler bewies Leben und Kraft“, begmügte fich
aber mit der Außenfeite ver Charaktere,
Unter den Damen war Madame Weidner die Stammhal-
terin. Meyer jagt von ihr: „Ihre Geftalt, ihr Anſtand entfprachen
vem Bilde einer würdigen Mutter. Ausdruck und Sprache unge-
fünftelter Empfindung hab’ ich nie an ihr bemerkt“. Er jetst aber
hinzu, daß fie dem Publicum gefallen habe. Yon Madame Sacco
ijt der Berfaffer ver „„ Bemerkungen‘ fehr entzücdt. Vorzugsweife
von ihren Heroinen. Heiteres und Zärtliches jei ihr nicht ange-
mejjen. Cine Medea aber — die Gotter’iche war damals auf dem
Repertoire — jpiele fie vortrefflich. „Von der Natur hat fie eine
ſchöne, beinahe große Figur, ein einnehmendes Geficht und eine nicht
jtarfe, aber höchſt interejjante Stimme, mit ver fie machen fan, was
ſie will.’ — „Ihre Action ift durchaus Ideal einer edlen Wahrheit.
Sch habe nie jo etwas Vollkommenes gefehen, und glauben Sie mir,
daß ich Nichts übertreibe, wenn mir, verglichen mit einer Sacco, eine
Sainval oder Veſtris nur Marionetten erſcheinen.“ — „Ihr Bei-
fall hier fängt an zu fallen, weil man ſo ungerecht iſt, ſie wegen
ihrer unausſtehlichen Caprizen, die ſie mit allen Virtuoſen gemein
hat, auch von Seiten der Kunſt minder zu ſchätzen.“
„Mademoiſelle Nanny Jacquet die ältere (bald Madame
Adamberger), iſt im Naiven des Luſtſpiels eben fo unnachahmlich
wie Madame Sacco im Tragiſchen. Es iſt nicht möglich, eine
verſchmitzte Bäuerin oder ein unerzogenes Stadtmädchen wahrer
und liebenswürdiger vorzuſtellen. Aber ſie hat nur dieſen Ton, den
ſie auch dann nicht ablegt, wenn ſie als eine Frau von Stande auf—
treten muß. Ihre Perſon iſt ſehr reizend. Sie hat einen ungemein
zierlich gebauten Körper und ein eben ſo angenehmes Geſicht. Ihr
Mienenſpiel entſpricht vollkommen, und wenn ſie ein Bekenntniß
Das Burgtheater. 65
ablegen muß, das ihr mißfällt, beißt fie jih auf die Lippen, indem
fie eine Grimafje dabei macht, die ganz der Natur abgeborgt ift.
Mit einem Worte, in ihrem Fach hab’ ich nie ihres Gleichen ge
fehen und zweifle auch fehr, ob fich eine findet.” — Auch Meyer
fagt von ihr: „Sie war ein Schooffind der Natur und ließ, ohne
fih der Kunſt bewußt zu fein, feine Forderung der Kunft unbefrie-
digt. Sie gehörte freilich nur dem Luſtſpiel, ſchien nur in Wien
und feiner Umgebung zu Haufe; aber wer fie ſah, vergaß, daß es
außerhalb des Luſtſpiels und Wiens irgend Etwas geben fünne, das
den Geift zu unterhalten, das Herz zu rühren und zu erfreuen ver-
möge, Ton, Blid, Gang, Geftalt, Ausdrud, Anzug, Alles war
einzig, eigenthümlich, unnahahmlich und reizend. So Etwas lernt
fich nicht und kann nicht angewiefen werden; es muß angeboren
fein. — „Ihre Schweiter Catty (Kathi) Jacquet war die tragifche
Mufe. Kunftbewußter, gehaltener, erzogener, nicht minder wahr,
nicht weniger liebenswürdig.” ine fehr große Figur und ein decla—
mirender Vortrag machten fie unpafjend für's Gonverfationsfacdh.
Zärtlich fanfte Rollen im Trauerſpiele waren ihre bejten. Sie
ſtarb früh.
Ueber die von Leſſing empfohlene Madame Nouſeul find
die Meinungen getheilt. Der Berfafjer der ‚„„ Bemerkungen‘ fpricht
fühl über fie und das Wiener Publicum hat fih eben jo gegen fie
verhalten. „Zärtliche Mütter und diejenigen Charaktere, wozu fein
Starkes, heftiges Spiel gehört‘, fehreibt er ihr zu, und man ſehe fie
auch nur „in ältlichen Rollen, die ihrer Figur anpafjend find und
die fie auch fein herausbringt”‘. Meyer jtellt fie höher und jagt von
ihr: „Was Wien an Madame Noufent beſaß, hat die Menge nie
völlig erkannt. Geift und Gefühl vereinigten ſich mit ihrer juno-
nischen Geftalt, um fie im Trauerjpiel der Sidvons gleichzufeßen,
deren Unarten fie fih nicht erlaubte, im Luſtſpiel über fie zu heben.
Es bleibt ein umerjeglicher Verluſt für die Kumft, daß fie Berlin
verlafjen, deſſen gerechte Bewunderung fie, die von feiner tragiſchen
Laube, Burgtheater. 5
66 Das Burgtheater,
Mutter Deutfchlands übertroffen worden, hingeriffen haben würde,
fich felbit zu übertreffen. Theilnahme und Entzüdung fünnen das
Talent nicht erichaffen, find ihm aber unentbehrlih, wenn es jede
Kraft in ſich entwiceln und ungeahnte Höhen erreichen ſoll.“
Madame Noufeul jcheint eben dem norddeutichen Geihmade
mehr entiprochen zu haben als dem ſüddeutſchen.
Endlih hatte das Theater -in Madame Stierle eine vor—
trefflihe Zofe, in Madame Stephanie der jüngeren und Ma—
dame Günther ftattliche DBertreterinnen zweiter Fächer, und ein
junges nachwachfendes Gefchlecht für Fleinere Rollen. Nennen wir
noch am Schluffe Schröver’s Gattin, eine junge, liebliche Frau von
Anmuth, Feinheit und charakfteriftiicher Zeichnung in den Lieb—
haberinnen, welche fie jpielte, und nennen wir noch Schröder jelbit,
vejfen Talent eine ganze Reihe von Fächern in fich vereinigte, jo
haben wir ung das reiche Perjonal des damaligen Hof und
Nationaltheaters vergegenwärtigt. Es war ein Reichthum, an
welchen fein anderes Theater auch nur von fern hinanreichte, ein
Reichthum, welchen das Burgtheater noch in fpäterer Zeit kaum je
wieder eingeholt hat.
„Das höhere Lustipiel fonnte für ſehr gut, das niedere und
örtliche für vollfommen gelten. Daher erklärt fih, warum in Wien
Manches gefallen umd fich erhalten, was dem auswärtigen Lejer
werthlos ericheint. Im Trauerſpiel und rührenden Schaufpiel ge—
fangen einzelne Rollen häufiger als das Ganze. Etwas Gedehntheit
ließ fich auch den beiten Vorjtellungen nachreden. Aber an das
rafche Spiel ver Schröder'ſchen Bühne gewöhnt‘ — ſchließt Meyer,
— „war ich freilich empfindlicher dagegen als Zufchauer anderer
Stimmung.‘
Dazu fam eine große Abwechjelung des Repertoires. Neuig—
feiten folgten einander zwar nicht mehr jo vafch wie zehn Jahre
früher, aber doch immer noch in auffallend fchneller Abwechjelung.
Schröder allein hat in feiner vierjährigen Anwejenheit gegen dreißig
Das Burgtheater. 67
neue Stüde, vorzugsweile Bearbeitungen, zur Aufführung ge-
bracht.
Wenn man fragt, woher die große Anzahl von Stüden ge
fommen fei, jo lautet die Antwort wohl dahin: man war nicht allzu
wählerifch, man geftattete namentlich dem Luſtſpiel eine fehr freie
Ausdehnung auch in's Gebiet der Pofje und des Yocaljtüdes, und
leichte Yujtipiel- Talente, wie der Yeipziger Jünger, fingen an fleißig
zu jchreiben ; man nahm vom Auslande Alles, und man führte Trauer:
jpiele auf, welche von dichterifcher Yebensfraft gar arg verlaffen
waren. Die von Ayrenhoff, einem einheimifchen höheren Dfficier,
welchem die franzöfifche Tragödie das höchſte Ideal, Leſſing's
bürgerliches Trauerfpiel höchſt bevenflih, und Shafefpeare ein
Garicaturenzeichner war, gehörten noch zu den bejjeren, und es er-
ſcheint uns jegt recht natürlich, daß eine ,„„Rleopatra”, ein „Tumelicus“
und ähnliche fern liegende Stoffe in jo trodener Behandlung das
Publicum nicht übermäßig reizten für dieſe erhabene Gattung dra—
matischer Form.
Das Bublicum felbjt war jchon damals ſehr empfänglich und
bon der hingebendſten Aufmerfjamfeit für alles irgendwie Bedeu—
tende. Da wurde ‚fein Laut überhört, fein Zug überjehen, jede
Feinheit aufgefaßt, jever Winf errathen. Dieje Erwartung des
Lieblings, diefe Freude bei feiner Erfcheinung, diefe Spannung,
diefes Aufmerfen, dieſes Begleiten, dieſes Stillegebieten vor einer
bedeutenden Rede, diefes mühſam zurücdgehaltene, jede Störung des
Bevorjtehenden ängſtlich wermeidende Entzüden, dieſen lauten,
langen, wiederholten, unerjättlihen Ausbruch des Jubels, wenn
endlich das Erjehnte vollendet war‘, habe man nur in den Schau—
ipielfälen Londons, nur bei Erzeugniffen Shakeſpeare's wieder ge-
funden. „Ein danfbareres Publicum giebt es nicht, ein jtrengeres,
fälteres glaub’ ich zu kennen“, — jagt Meyer, wohl in Bezug auf
Hamburg. Nur fett er Hinzu, daß der Wiener Geſchmack ſich auch
Leicht habe verleiten laſſen. „Falſche Anwendung gefälliger Natur-
[}
68 Das Burgtheater.
gaben, glänzender Mißbrauch der Kunſt mögen freilich in Wien
Glück machen und felbjt die Wahrheit verdunfeln, wenn ihnen diefe
an innerem Leben, Kraft und Schönheit nachſteht.“
Sp wurden die erjten achtziger Jahre eine glänzende Theater:
epoche für das Hof und Nationaltheater Kaiſer Joſeph's. Denn
er wird auch in diefer Zeit noch als die Seele des Inſtitutes an-
gejehen, obwohl ihn herbe Enttäuſchungen im Staatsleben viel mehr
befümmerten als früher. Immer, wenn eine Stodung eintritt,
wenn ein Mißbrauch überhanpnimmt, erfolgt von ihm, vom
Kaiſer ſelbſt, eine energijche Weifung, welche belebt over ausgleicht.
Umnerfchütterlich halt er daran feit, das höhere Schauspiel und
Trauerjpiel aufgeführt zu ſehen. „Schauſpiele in geveimten
Alerandrinern waren um dieſe Zeit den Bühnen Deutjchlands
fremd geworden. Joſeph rief ſie zurüd. Schlegel’s „Trojanerinnen“
und fein trefflicher „Canud“, Cronegk's „Codrus“ erfchienen von
neuem. Gotter gab jeine „Alzire“, v. Ayrenhoff feine „Kleopatra“.
Die Schaufpieler beeiferten ſich, dem Geſchmack ihres Bejchüters
Ehre zu machen. Das Publicum theilte diefe Vorliebe nicht.“
Eben jo befahl der Kaiſer — des Schröder'ſchen Chepaares
wegen, — daß Hauptrollen von den erjten Schaufpielern abwechjelnd
gejpielt werden jollten. Dies „Alterniren“ war zwar ſchon in ven
Geſetzen worgejchrieben, aber der „Ausſchuß“ bedurfte doch dieſer
erneuten Anordnung. Nicht ohne Gejchielichfeit wußte er fie un:
wirffam zu machen: man ließ von jett an die Namen der Schau—
ipieler von dem Anjchlagzettel weg. Das Publicum erfuhr alio
erit während der Vorſtellung, wer dieje oder jene Rolle ſpielte.
Das wurde namentlich bei neuen Stüden gefährlich. Anton Walls
„Expedition zum Beifpiel, eine Bearbeitung des feinen Colle'ſchen
„Dupuis et Desronais“, hatte eine wichtige Vaterrolle, in welcher
Schröder und der ältere Stephanie alterniven jollten. Man lieg
Stephanie ven erjten Abend fpielen und — es gab feinen zweiten
Abend. Stephanie hatte das Stüd „durch feine miklungene Dar-
Das Burgtheater. 69
jtellung zu Grabe getragen, und Schröder fam nicht dazu, dieſer
von ihm mit befonderem Fleiß einjtudirten jchweren Nolle wieder
aufzuhelfen”.
Kurz, ver Inhalt des Theaterweiens im Hof- und National
theater bejtand während vier Jahre darin, daß ein geheimer Krieg
des Ausichuffes gegen Schröder geführt wurde. Gegen den Schau—
ipieler wie gegen den Schriftiteller Schröder. Der Ausfchuß ver:
weigerte die Annahme fait jedes Stüdes, welches Schröder ein-
reichte, oder begehrte Aenderungen, welche ver Weberzeugung
Schröders wideriprachen. Da Schröder nun aber, wie ſchon
erwähnt, ungemein fruchtbar war, jo wirthichaftete dies Kriegs:
treiben immerwährend. Als wirfiamjte Stücke von den Schröder'ſchen
Arbeiten erwiefen fih: „Das Teſtament“ nach dem „Londoner Ver—
ſchwender“, welches Luſtſpiel man Shakeſpeare zuſchrieb, ferner
„Der Fähnrich“, deſſen Abweiſung von dem Ausſchuſſe damit moti—
virt worden war, daß kein Schauſpieler nach Schröder den Harrwitz
ſpielen könnte, wenn Schröder Wien verließe. Ferner „Der Ring“.
Er iſt Farquhar's „Constant couple“ nachgebildet, „hat aber jo
viele und bedeutende Aenderungen erfahren, daß er für eigenthümlich
gelten fann‘‘. Schröder fpielte den alten Holm; fpäter war der
Graf Klingsberg eine feiner beiten Rollen. Ferner „Adelheid von
Salisbury‘’ nach einer Novelle von v’Arnauld. Es machte dies
Stüd in Wien fein bejonderes Glück. „Die Unſchuld ſtirbt“ —
ichreibt Schröder darüber, — ‚und das iſt den Wienern- nicht
recht. Er hat es ſpäter von neuem überarbeitet. Ferner „Stille
Waſſer jind tief’ nah Beaumont und Fletcher's „Have a wife
and rule a wife“. Schröder jpielte in Wien den Wiburg, in
Hamburg den Wallen. „Beide Rollen gehörten zu jeinen aus-
gezeichneten.’ — Ferner „Der Vetter von Liſſabon“, ein Driginal-
ſtück Schrövder’s, welches jehr gefiel. Meyer erzählt die Entſtehung
des Stücdes und jagt bei diefer Gelegenheit mit Nachdruck, daß
Schröder auch im feinen Bearbeitungen immer feine Originalität
70 Das Burgtheater.
habe walten laffen. „Zufällige, oft jehr auffallende Aehnlichkeit
einzelner Auftritte, Charaktere oder Verwickelungen“ — jeßt er
hinzu — ‚wird bei dem unüberjehlichen Schaufpielvorrath der
Vorzeit Fein fpäterer Schriftiteller vermeiden, wenn er fich nicht ver
Unnatur oder Ungereimtheit hingeben will; und wer weiß, ob jelbjt
alsdann! Was fih in einem menschlichen Gehirn abjpiegelt, ift
ſchwerlich allen übrigen verfagt. Er erwähnt dabei einer „Maria
Stuart” von Spieß, welche damals im Nationaltheater mit ver-
dientem Glück gegeben worden fei, und bedauert, daß dies Stüd
wahrjcheinlich unbekannt geblieben. Den Zug der Mutterliebe in
der Königin Maria, welchen Spieß benutst, hätte ſich jonft Schiller
Ihwerlich entgehen laſſen. „Die Zuneigung Mariens gegen Veicejter
würde dadurch schwerer zu behandeln geweſen fein. Aber ohne zu er-
wähnen, daß auf der anderen Seite auch Yeicefter's Bepenflichfeit, für
die Heldin des Stücks mehr zu wagen, um ein großes Theil erflärlicher
wäre, jeheint mir der Dichter ein gefährliches Spiel zu ſpielen, der
nur feine Augen einem Berhältniffe verichließt, das der Mehrheit
nicht entgeht, deren Urtheil er in Anfpruch nimmt. So leicht hat
ſich Shafefpeare die Behandlung des Bekannten nicht gemacht.
Und ich würde mich an dem erften feiner Nebenbuhler zu verfündigen
glauben, wenn ich einen Augenblic zweifeln wollte, daß es auc)
ihm gelingen müfje, diefe Schwierigfeit zu befiegen und ſie jogar
zur Quelle neuer Schönheiten zu machen. Er läßt ſonſt jo gern das
Schickſal vorwalten. Was verhinderte ihn, bier deſſen Rathſchluß
zu offenbaren, der mit Strenge zerfchmettert, was des Sohnes Erb-
theil gefährden fann? Es bleibt ein ewiger Stoff fir die Dichtung.
Kein Einzelner wird ihn erſchöpfen. Kein wirklich Berufener darf
jih fcheuen, ihn auf's neue zu bearbeiten,‘
Die lebten neuen Stücke Schrövder’s waren „Victorine“, ein
Luftipiel, welches „dem beliebten Nomane der Tochter Burney's,
Eveline, nachgebilvet war”, und „Das Blatt dat fich gewendet‘
nah den „Brüdern“ von GCumberland. Der Chemann diejes
Das Burgtheater. Gb
Stüces, der unter dem Pantoffel ſteht und fich ihm entzieht, war
Schröder's letzte komiſche Meifterrolle in einem neuen Stüde auf
dem Hof- und Nationaltheater.
Er war erichöpft von dem immerwährenden Kampfe gegen den
Ausſchuß und machte nun nachdrücklichen Ernſt mit dem Entlaſſungs—
geſuche, welches er ſchon zu wiederholten Malen eingereicht hatte,
Am 9. Februar verließ er Wien.
War es nun wirklich blos der Ausſchuß, welcher ihm die Exi-
jtenz unmöglih machte? Dem äußeren Anfcheine nah — ja.
„Smmer ward er in die unangenehme Yage verfeßt, ſich an vie
Dberdirection wenden und mit feinen untergeordneten Nichtern
Schriften wechjeln zu müfjen. Polizeicenfur ward gegen ihn geltend
gemacht, wo die des Proceſſes nicht hinreichte. War diefer Kampf
geendet, jo hatte er über die abfichtlich werfehrte Nollenbefeung
einen neuen zu bejtehen, in welchen ev nie volljtindig fiegte, weil
es eben fo unthunlich war, einem Mitgliede des Ausjchufjes die
Rolle feines Faches zu verbieten, welche Schröder nicht ſelbſt über:
nahm, als ihn anzubalten, fie in Schröders Sinne zu fpielen. Die
ungünstige Nachbarjchaft, im welche durch angeordnete Folge der
Vorftellungen Schröders Stüde verſetzt werden durften, ließ fich
vollends nicht abwenden, oft nicht einmalrügen. Eine durchgreifende
Verfügung, ganz in Joſeph's Geilte, hätte freilich dem größten
Theile dieſer Unzuträglichfeiten abzubelfen vermocht: „Schröder's
Stüde jollen feiner Cenſur erliegen, als der des Staates, jollen
nach feiner Angabe befett und nicht bezahlt werden, wenn ſie miß-
fallen”. Aber was das umbegreifliche Schickſal an dem Negenten
verfchwendete — das verjagte es den Behörden. Dper richtiger,
einer regierenden Theaterförperjchaft it mit Feiner Verfügung
dauernd beizufommen, wenn dieſe Verfügung ihren Lebensnerv
berührt. Und dies war hier der Fall. Der Ausſchuß fonnte in feiner
Machtvollfommendeit nicht bejtehen neben einer jo überwiegenden
Potenz wie Schröver, Schröder war der natürliche Director,
72 Das Burgtheater.
Dies natürliche Verhältnig nicht auffommen zu laſſen, wehrte fich
der Ausſchuß mit allen erjinnlihen Waffen. Kaiſer Joſeph hat
dies ohne Zweifel jehr wohl eingefehen. Aber er war felbit in
zahlreiche Zerwürfniffe gevathen durch fein energifches Eingreifen in
bejtehende ſchadhafte Verhältniſſe; follte ev nun auch das Theater"
ſtatut umjtürzen, welches er jelbjt gegeben? Er glaubte nicht daran,
dag Schröder wirklich fortgehen könnte. Selbjt der Ausſchuß
glaubte nicht daran. Diefer lettere hatte nicht jo viel dagegen,
daß Schröder mitregierte. Er ſchlug Schröver vor, in den Ausjchuß
einzutreten, und Schröder hatte jih am Ende auch dazu entjchloffen
und war eingetreten. Aber dadurch hatte ſich Schröder feine Stel-
fung nur verfchlechtert: die Majorität überftimmte ihn, und er hatte
alle falichen Schritte und Maßregeln mit zu verantworten. Ein
Weg nur war ihm übrig, und die einzelnen Mitglieder des Aus-
ſchuſſes legten es ihm deutlich genug nahe, daß er diefen Weg ein-
ichlagen ſollte. Diejer Weg bejtand darin, gemeinjchaftliche Sache
zu machen mit dem Ausſchuſſe, das heißt: die perjünlichen Inter—
ejfen der Ausfhußmitgliever zu unterjtüsen. Sie waren dann
bereit, auch feinen perjönlichen Interejfen möglichit Vorſchub zu
leiften.
Das wollte und fonnte Schrövder nicht. Theils aus Eigenjinn,
theils aus Grundſatz nicht. Er war aufgewachlen in einer Director—
Familie, er war jelbjt Director gewejen. Es widerftand ihm das
vielföpfige Negiment eines Theaters. So weit war er gewiß eigen-
jinnig. Er hatte aber auch wirflich durch längere jchöpferifche
Thätigfeit höhere Grundſätze eingefogen, und billigte eg im Prineip
nicht, die Intereffen einer ihm hochwerthen Kunſt ven perjönlichen
Intereſſen ver Schaufpieler anheim zu geben,
Dieje ganze Frage um die Regierungsform eines Theaters ift
eben ungefähr fo fchwierig, wie die Frage um die Regierungsforn
eines Staates. Der Urjprung eines Negierungswefens, die Ge:
wohnheiten der Menfchen, welche davon berührt werden, vie
Das Burgtheater. 73
Befjerungsmittel, welche gegen Tyrannei zu Gebote jtehen, und
der Geift des Zeitalters jind enticheidend für diefe oder jene Form.
Das theätre francais hat ſich feine gejellfchaftliche Negierungsform
fajt immer leidlich bewahrt. Fat immer, nicht immer. Es hat
auch jchwere Zeiten des Zurücbleibens gehabt, wenn es Mitglieder
befaß, denen ver Geift fehlte und denen die cameradichaftliche Pro-
tection höher jtand als der Auffhwung des Inftituts. Aber dem
theätre frangais iſt Paris immer eine unverfiegbare Hülfsquelle
gewejen, Paris als Centralſitz einer einheitlichen großen Bewegung
der Geifter. Bon folder Macht war Wien jelbjt unter Kaifer
Joſeph noch weit entfernt, wie fehr er den einheitlichen Geiſt zu
fördern ſuchte durch grundfägliche Einführung deutſchen Cultur—
lebens. Und unter feinen nächjten Nachfolgern trat dies weiter und
weiter in den Hintergrund. Das gejellfchaftliche Negiment im Hof-
und Nationaltheater, wie im fpäteren Burgtheater entbehrte alfo
jener unverfieglihen Hülfsquelle von Paris, und die Regierung des
Theaters duch Schaufpieler blieb auf den Zufall angewiejen, ob
unter den talentvollen Darjtellern auch geiftig ſchöpferiſche Männer
einfehrten oder nicht, und ob ſolche Männer auch zugleich mit der
Energie ausgerüftet wären, der eigennüßigen Cameraderie die Spite
zu bieten.
Damals neben Schröder waren fie nicht vorhanden, das geht
aus allen Merfmalen, vie übrig geblieben jind, deutlich genug hervor.
Damals wäre es ein Segen für das Nationaltheater geweſen, wenn
Schröder als Director an die Spitse geftellt worden wäre, Er war
nicht nur das größte Talent, er war auch der tüchtigte Geift, welcher
aufmerffam an feiner Bildung arbeitete, und welcher die nothwen-
dige Energie eines Divectors bejaß. Sein bloßes Engagement als
Schaufpieler hat das Nationaltheater außerordentlich gefördert, und
hat ihm namentlich einen Styl zugeführt, den es nie wieder ganz
verloren hat. Er hat die gejpreizte franzöfiihe Declamation ges
jtürzt und das natürliche Sprechen im höheren Drama eingeführt,
74 Das Burgtheater.
das einfache, maßvolle Charakterifiven, den ehrlichen Ausdruck für
Ernſt und Scherz.
Uebrigens hat gewiß auch Schröder ſelbſt ſeinen Theil Schuld
daran, daß er ſich nicht dauernd einrichten fonnte, Wir wiſſen aus
jeiner Jugendlaufbahn, daR er nicht eben verträglicher Natur war.
Es war ein |pecififch norddeutſches Etwas in ihm, welches man noch
heutigen Tages auf der Hauptuniverfität des deutjchen Nordens, in
Göttingen nämlich, beobachten kann. Es iſt dies eine abjonderliche
Neizbarfeit und Empfindlichkeit im Punkte dev Würde und Ehre,
man möchte jagen eine „Kitzlichkeit“. Da wird jedes Wort, jede
Miene auf die Waagſchale gelegt: ob fie beleidigen gewollt und
einer Genugthuung bedürfen? Behagliche Arglofigfeit kann da nur
im engiten Streife auffommen, und im weiteren Kreifen möchte man
jich immer gerüftet fühlen. Das iſt num gar nicht wieneriich, gar
nicht öfterreichifch, und Schröder hatte offenbar eine. ſtarke Dofis -
von dieſer niederdeutſchen „Kitzlichkeit““ Die harmlofefte Aeußerung
rief ihn unter die Waffen. Dadurch erſchien er wieder den Umgebungen
unbehaglich und bedenklich. Ja, aus mündlicher Tradition geht
hervor, daß er unter den damaligen Mitgliedern des National—
theaters geradezu für einen „böſen“ Menfchen gehalten wurde, . Zum
Deweife erzählt man, daß er, neben Kathi Jacquet auf der Bühne
ſtehend, mehrmals leiſe gejagt habe „Schön! Sehr ſchön!“ ale
das Publicum dieſe Schaufpielerin durch lebhaften Beifall aus-
gezeichnet. Kathi Jacquet hat dies für Ironie und Hohn genommen
— ſo ftand Schröder angejchrieben — und für ein Mittel, ihr die
gehobene Stimmung zu vernichten.
Nun wiſſen wir aus hundert Anzeichen, daß Schröver eine edle
Natur, ein feinfühlender Menſch war, wir wiſſen auch zufällig, daß
gerade im Schrövderfchen Kreife das Talent der Geſchwiſter Jacquet
bochgehbalten wurde, daß alfo jene Aeußerung „Schön, ſehr ſchön!“
wahricheinlich ein ganz ehrlich gemeintes Lob geweſen ift — wir er>
jehen aber aus diefem Beifpiele mit fehreiender Deutlichfeit, daß der
Das Burgtheater. 23
gegenfeitige Mißverſtand und die gegenfeitige Verfennung einen ev
ichredenden Grad erreicht hatten.
Dazu fam, daß Schröver’s Frau nicht genug Beichäftigung
fand. Diejen Uebelftand reihte er in das Kegifter feiner Unzu—
friedenheiten, und ihm mochte er ein jtarfes Gewicht beilegen, wenn
er in häuslicher Stille die Summe zog: Wir verjauern bier beide!
Du, für welche man es an Aufgaben fehlen läßt, ich, welchen man
Tag für Tag ärgert und welchem man Luſt umd Freiheit verdirbt
am Schaffen und Gejtalten. Machen wir uns frei! Grrichten wir
ung in Hamburg ſelbſt wieder eine Bühne, deren Thätigfeit Nie-
mand einengen kann!
Und fo fehen wir ihn im Januar 1785 fammt feiner Frau vor
Kaiſer Joſeph jtehen, welcher ihnen, jehr gegen feinen Wunſch, die
Abſchieds-Audienz ertheilt. „Ich kann Ihnen mein Erjtaunen nicht
verbergen, lieber Schröder‘ — ſagte ver Kaifer, — „daß ein
Künftler wie Sie es über fich gewinnen fann, das empfänglichfte
Publicum mit dem zu vertaufchen, welches als das kälteſte nerrufen
it. Dagegen follten doch Yamilienrücdjichten nicht auffommen !
Sie find Hamburg zwei Mal fatt geworden, ich jage Ihnen vorher,
Sie werden es auch zum dritten Mal aufgeben. Danı wenden
Sie ſich an Niemand als an mich!”
V.
Das erite Theater einer Hauptjtadt ift immer ein Symptom
der Regierung. Es kann ſich den herrſchenden Grundſätzen der
Regierung nie ganzentziehen, und es bekundet dieſe Grundſätze auch
da, wo es fich ihnen entziehen will. Die Ummege, welche es jucht,
die Schleier, welche es ausbreitet, verrathen die Abjicht, und hinter
der Abficht entdeckt man den maßgebenden Widerfacher.
Dies ijt in der Entwidelung des Burgtheaters nur zu deutlich
erfennbar.
Kaiſer Iojeph hat es gegründet. Als jein Niedergang eintrat,
gerieth auch der Fortichritt des Theaters in’s Stoden, und als er
in heller Verzweiflung abgejchievden war von einer Welt, welche
großen Reformen furziichtigen Wivderftand und weitjichtige Ver:
leumdung entgegengejeßt, da fchlotterte das Theater eine Zeitlang
principienlog einher. Es wurde dann zunächit unbeveutender, ohne
dar man recht wußte, warum, und nach einigen Jahren wurde dies
Warım den führenden Kräften far. Der erfinderifche Geift, der
freie Geift, der Geiſt überhaupt erſchien in bevenflichem Lichte. Anz
fangs hatte man ihn Joſephiniſch genannt; nun famen die wilden
Ausschreitungen der franzöfiichen Revolution dazu, und num hieß er
revolutionär. Bei großen Parteifämpfen in der Welt iſt die Kunſt
immer übel daran, am übeljten da, wo fich die Extreme der feind-
lichen Grundſätze ablagern und zum Spitem ausbilden.
Dis zum Jahre 1790 etwa finden wir im Repertoire des
Das Burgtheater. 77
‚Mationaltheaters‘feine wefentliche Veränderung. Kaiſer Joſeph lebte
noch, und wenn auch unter quälenden Regierungsforgen jein Antheil
an dramatiicher Kunſt ermattet war, er befuchte doch das Theater
noch, und jein geitiges Bedürfniß machte fich doch immer noch
geltend, jelbjt durch feine bloße Anwefenheit. Einem fo gedanfen-
vollen Herrn mußte doch auch in der Unterhaltung ein inhaltsvoller
Stoff geboten werden. In der Daritellung wirfte das fort, was
Schröder angeregt hatte, und es fehlt nicht an Zeichen, daß das
Theater in lebenswoller Verbindung blieb mit dem fchaffenden
deutſchen Geifte, welcher gerade damals in neue literarifche Be—
wegung gerathen war. Der junge Goethe war in feine dreißiger
Jahre getreten, der zehn Jahre jüngere Schiller war als dramatifcher
Dichter aufgetaucht unter großem Geräufche des Publicums. Bon
Goethe wurde außer den fleinen Stüden — „Die Gejchwijter‘
waren natürlich das beliebtefte — auch ver „Clavigo“ 1786 aufge
führt. Lange fpielte den Clavigo, Brodmann den Beaumarchais,
Madame Sacco die Marie, der jüngere Stephanie ven Carlos;
Lesterer wohl unzureichend. Auch die Werther-Epoche fand auf der
Scene ihre Würdigung: man gab ein Schaufpiel „Das Werther:
Fieber”. „Julius von Tarent“, deſſen Verfaſſer Yeifewig man in
jener Zeit eine große Zufunft zutraute, wurde gegeben, und Schiller’s
„Fiesco“ wurde aufgeführt. Dabei ift bemerfenswerth, daß der Titel
getreulich „Die Berihwörung des Fiesco‘ lautete. Später hat man die
„Verſchwörung“ anjtögig gefunden, und das Stüd nur „Fiesco“
genannt. Bemerfenswerth ift ferner, daß man „Die Räuber‘ nicht
brachte, und auch „Cabale und Liebe“ nicht, welches bürgerliche
Trauerfpiel ja dem „Fiesco“ auf dem Fuße folgte und in Deutjch-
land eine viel größere Theaterwirfung fand, als das republifanifche
Trauerſpiel. Die Scene des Kammerdieners, welcher den heſſiſchen
Menjchenverfauf nach Amerika brandmarkt, verleidete dies Stüd
den Hoftheatern. Aber die Scene ift allenfalls zu entbehren. Sie
iſt zwar nicht eigentlich von epifodischer Natur, denn fie verjtärft die
78 Das Burgtheater.
Gewichte ver Lady, fich loszuſagen von ihrem Herzoge; aber man hat
fie doch ſpäter weglajjfen fünnen, ohne die Wirkung des Stüdes zu
beeinträchtigen. Warım brachte man es damals nicht? Der Kaiſer
war wohl in feinen letzten Lebensjahren ſchon mürrifeh, und man er:
jparte ihm die Anfrage über herausfordernde Stücke. Daß ihm „Die
Räuber“ nicht gefielen, ift an und für fich begreiflih. Die über:
greifende Bhantafie, welche eine Räuberbande zuläßt, um Familien-
unrecht zu rächen, mußte einem jtreng rationellen Bolitifer mißbehagen.
„Cabale und Liebe‘ iſt erſt 1808 in’s Repertoire des Burgtheaters
aufgenommen worden, „Die Räuber’ haben bis 1851 warten müffen.
Unter den neuen Stüden findet ſich im April 1785 ein „Ru—
dolph von Habsburg‘, Driginalfchaufpiel in fünf Aufzügen won
Werthers. Es bewegt fich um den entjcheivenden Kampf mit König
Dttofar und zeigt alle die hiltorifchen Fiauren — Rudolph, Dttofar,
Liechtenftein, Füllenjtein, Mährenberg, Zawiſch, Milota, Runigunde
und Eliſabeth —, welche Grillparzer vierzig Jahre jpäter mit feiner
jelbjtändigen poetijchen Kraft jo eigenthümlich gejtaltete. Nur dem
Kronprinzen Albert hat Werthers noch eine hervortretende Rolle zu—
gedacht, welche einen Schaufpieler wie Yange in Anspruch nahm.
Der ältere Stephanie fpielte ven Rudolph, Brodmann den Dttofar,
Madame Noufeul die Kunigunde von Mafovien, Madame Sacco
die Elifabeth von Dejterreih. Der wichtige Grundſatz aljo, die
hiſtoriſchen Figuren des regierenden Haufes dem Hoftheater nicht zu
entziehen, reicht ebenfalls in Kaiſer Joſeph's Zeit zurück. Mean tft
ihm ſtets treu geblieben. Auch in der Epoche beengenpfter Cenjur
hat man ihm nicht verleugnet. Kaiſer Franz ließ in den zwanziger
Jahren Grillparzer’s „Ottokar“ aufführen, und die Schwierigfeiten,
welche das Stüd vor wie nach feiner eriten Aufführung fand, be>
zogen fich nicht auf die Frage, ob die Vorfahren des regierenden
Haufes zuläffig wären, Ueber viefen richtigen monarchifchen Grund-
fat, daß die Fürſten des Yandes auch in der populärften hiftorifchen
Kunft, im hiſtoriſchen Schaufpiel, auf dev Bühne den Nachfommen
Das Burgtheater. 79
des Landes und Neiches zu eigen gehören, fcheint nie ein Zweifel
gewaltet zu haben. Wunverlicher Weife verjtopft man dieje tiefite
Duelle der monarchifchen Popularität in anderen deutſchen Yändern.
Im Berliner Hoftheater 3. B. iſt ein entſprechender Hohenzoller
nicht zuläſſig. Das mag wohl aus übertreibender Nachahmung
franzöfifcher Hofetiquette entjtanden jein, wie fie ſeit Ludwig XIV.
in die deutjchen Particularjtaaten eingedrungen war. Frankreich
jelbjt hat diefe Ausjchliefung nie eingeführt. Die franzöfifchen
Herrfcher wußten immer zu gut, daß die Herricher überall an der
Spite jichtbar jein müßten.
Auch die Geifelung religiöfer Scheinheiligfeit fand in ven
letsten achtziger Jahren freien Spielraum auf der Hofbühne; man
gab Moliere’s „Tartuffe“ auf heimathliche Berhältniffe ange-
wendet, will jagen ein Stüd „Der Heuchler‘’ nach Moliére.
Uebrigens zeigen fih in dieſer zweiten Hälfte der achtziger
Jahre zahlreiche Berjuche neuer dramatifcher Production. Von
Dalberg wird aufgeführt,, Der Mönch vom Carmel“ und ein „Mon—
tesquieu“; Babo beginnt feine Theaterſtücke mit den „Strelitzen“,
mit dem „Bürgerglück“; Bretner erfcheint neben Jünger mit feinen
behaglichen Luitipielen, von denen fich „Das Räuſchchen“ bis in die
Mitte unjeres Sahrhunderts auf dem Burgtheater erhalten hat;
Ziegler, das Mitglied des Nationaltheaters, eröffnet mit ‚Liebhaber
und Nebenbuhler in einer Perſon“ feine große Fruchtbarkeit ; Iffland
macht fich geltend und auch bereits Kotzebue. Yetterer nicht als Luſt—
ſpiel- fondern als Schaufpieldichter. „Menſchenhaß und Neue‘,
„Die Indianer in England’, „Die Sonnenjungfrau’ waren feine
eriten größeren Stüde im Nationaltheater. Seine Bewerbung um
das Theater blieb auch noch mehrere Jahre ſehr ernſt. Er brachte
einen „Guſtav Waſa“ in Iamben, welche Bersbezeichnung der
Theaterzettel verfündete, Der Höhepunkt diefer feiner Nichtung
aber war eine „Octavia“, ebenfalls in Jamben, welche zu Anfang
des Jahrhunderts bei den Schaufpielern und dem Theaterpublicum
80 Das Burgtbeater.
in jehr würdigem Anjehen jtand, troß des „Don Carlos’ und des
fürzlich erichienenen „Wallenftein‘‘. „Don Carlos‘ blieb dem Na—
tionaltheater über ein Decennium nach feinem Erſcheinen fremd.
Bekanntlich kam zuerjt die Ausgabe in Proſa auf die deutſche Bühne,
und es wurde viel darüber gejtritten, ob die nachfolgende Ausgabe
in Verjen nicht bejjer der Leſewelt zu überlaffen wäre. Das Er-
gebniß diefer Debatte wollte man vielleicht abwarten am Michaeler-
plate, Wir wiſſen wenigftens Nichts davon, ob dem bereits franfen
Kaifer das Stüd vorgelegt worden ſei. Ein fpanifches Stüd voll
Yiberalismus. Die Bergangenheit feines Haujes, ausgejtattet mit
den Grumdfäßen feines eigenen Syſtems. Nur jechs Jahre früher,
und er hätte ſich gewiß eingehend damit befchäftigt. Jetzt fam das
Drama für ihn zu ſpät, und nach feinem Tode blieb es dem Na-
tionaltheater fern. Das Franzojenjahr 1809 brachte es in Wien
zum Vorſchein. Der damals erlaubte Nachdruck benutte die Fran-
zofenherrichaft in Wien, eine Menge Schriften zu druden, welche
bis dahin nicht zugelafjen waren. Namentlich die Schiller’ichen
Stüde, welche auf dieſe Weiſe wohlfeil und ſchon darum zahlreich
in Cirenlation famen innerhalb des öfterreichiichen Kaiſerthums.
Das hat wohl frühzeitig beigetragen zu der unermeklichen Bopulari-
tät, welche Schiller in öfterreichifchen Yanden genießt. „Don Car:
[08 wurde 1809 im Sommer und Frühherbite jehs Mal in rajcher
Folge auf dem Kärnthnerthortheater dargeftellt. Am 6. November
erjt überjievelte er in's Burgtheater, Hiermit Scheint ein Anftoß zu
Weiterem erfolgt zu fein: 1810 wurde au „Egmont“ zum erſten
Mal gegeben und „Die Braut von Meffina‘‘, welche nicht aus Cen-
jurrüdjichten zurücgehalten fein fonnte, ſondern wahricheinlich um
ihrer ungewöhnlichen Form willen.
Nur „Die Jungfrau von Orleans‘ fand 1802 gleich nach ihrem
Erſcheinen Zutritt. Ihr Inhalt, Vertheidigung des Vaterlandes
unter wunderbarer Beihülfe, fonnte auch vor einer ſtrengen Cenſur
fein Hinderniß finden.
Das Burgtheater. 81
Sonſt macht ſich der Hintritt Kaiſer Joſeph's im Repertoire
ſehr bald bemerklich. Die ferner liegenden, ſchwereren Stücke ver—
ſchwinden allmälig und die leichte Sorte nimmt überhand. Sie
hatte nie gefehlt; man liebte immer leichte Unterhaltung, man lachte
gern. Außer der heimiſchen Hausmannskoſt luſtiger Schwänke hatte
man nicht nur die franzöſiſchen Komödien, ſondern auch die italieni—
ſchen reichlich herbeigezogen. Man war aber doch immer auf ein
Gegengewicht bedacht gewefen. Das unterließ man nun. Das Re—
pertoire wird in dem neunziger Jahren erfichtlich trivialer. Die
KRitterichaufpiele, welche Spieß mit „Clara von Hoheneichen‘ ein-
führt, erſcheinen wie Höhepunfte. Iffland's und Kotzebue's Stüde
find die inhaltsvolliten.
Es jtammen übrigens Iffland’s kernhafteſte Stüde aus jehr
früher Zeit. „Die Jäger”, „Die Mündel“ wurden jchon 1786 ge:
geben, und er war fo fruchtbar, daß die Titel mancher Stüde von
ihm gar nicht zu uns gefommen find. Wer weiß davon, daß eine
Fortjeßung der „Jäger“ unter dem Titel „Das Vaterhaus“ im
Burgtheater gegeben worden! Die ganze Familie lebt noch, auch)
der Paſtor und ver Schulze. Wer weiß davon, daß der bürgerliche
Sittenmaler Iffland ſich einmal unter vie Türfen verirrt hat?
„Achmed und Zenide“ von ihm ift am Michaelerplate aufgeführt
worden! Wer hat von einem Iffland’schen Stücde „Die Höhen‘ ge-
hört! Don feinen Schaufpielen „Frauenſtand“, „Die Künftler‘,
„Der Bormund“, ‚Alte und neue Welt”, „Rückerinnerung“! Selbit
Titel wie „Albert von Thurneifen‘ find nur noch im Gedächtniſſe
älterer Schaufpieler. Er gab nur eine ‚Auswahl‘ feiner Stüde in
Druck und ließ diejenigen verfinfen, welche feine große Zugkraft dar-
gethan. Faſt alle feine wichtigen Stüde fallen in die achtziger und
neunziger Jahre. Außer den Schon genannten: „Die Hageftolzen‘,
„Die Reife nah der Stadt‘, „Elife von Valberg“, „Dienſt—
pflicht” , „Der Hausfriede“, „Der Spieler”, und die früher ver-
gangenen: „Der Herbſttag“, „Allzu ſcharf macht ſchartig“, „Leich—
Laube, Burgtheater, 6
82 Das Burgtheater.
ter Sinn’, „Der Mann von Wort‘, „Selbftbeherrichung‘‘, „Der
Fremde“.
Er wie Kotzebue brachten jedes Jahr wenigſtens ein neues
Stück; gewöhnlich mehrere. Desgleichen Schröder, desgleichen
Ziegler und Jünger. Dazu Bretzner, Hagemann, Gotter, Soden,
Babo, Spieß und zahlreiche Bearbeiter fremder Stoffe. An ſoge—
nannten Theaterſtücken war alſo Ueberfluß, beſonders darum, weil
das Publicum noch ſehr leutſelig war in ſeiner Kritik, und eine
„rechtſchaffene Unterhaltung“ hoch ſtellte. Dies lang andauernde
harmloſe Verhältniß zwiſchen Verfaſſern, Publicum und Kritik iſt
dem Beſtehen des deutſchen Theaters ſehr zu ſtatten gekommen.
Das Mittelmäßige iſt von ſelbſt verſchwunden. Merkwürdig bleibt
es, daß eine ſich überhebende Schärfe der Kritik da begann, als die
höhere Gattung dramatiſcher Dichtkunſt in den Vordergrund trat.
Nicht in Wien. Bon Berlin ging das aus, und Schiller vorzugs—
weife war der Gegenjtand jpöttifcher und höhnifcher Angriffe. Meit
Erſtaunen lieſt man jegt die damaligen Berliner Blätter, 3. B. den
angefehenen „Freimüthigen“. Die Sciller/ichen Stüde werden
da in einem Tone abgefanzelt und weggeworfen, als ob es jih um
Frevelthaten handelte. Man hat wohl auch Iffland eingereiht unter
die Gegner Schillev’s, über welche die Zeit jo unbarmberzig hinges
ichritten ift. Mit Unrecht. Seine tavdelnde Aeuferung über den
Krönungszug in der „Jungfrau von Orleans‘, welcher durch äußeren
Prunk die einfacheren Mittel des Schaufpiels in Gefahr bringe, war
ja berechtigt. Wir fehen aber aus den Briefen, die er al8 Berliner
Theaterdirector mit Schiller gewechjelt, daß er die Größe der
Schiller'ſchen Kompofitionen ſehr wohl zu würdigen wußte, und das
Intereffe Schilfer’s nach Kräften und mit guter Einficht förderte.
Ueberhaupt hat die Theatergefchichte Sffland viel milder und
anerfennender zu behandeln, als unfere Yiterargefchichte es gethan
hat und in manchem Betracht — aber auch nur in manchem ! — es
bat thun müſſen. Um das deutjche Theater hat er unbejtreitbar
Das Burgtheater. 83
große Verdienſte. Um das Burgtheater insbefondere. Seine
Stüde find vemfelben zum Ausgange des vorigen Jahrhunderts und
zum Anfange des jetigen ein jchätbarer Kern gewefen. Die Schrö-
der’sche Schule der unvathetiſchen, einfachen Charafteriftif ift durch
feine Stüde im Burgtheater fortgeführt worden. Allerdings in
engeren Formen, mitunter wohl auch auf etwas niedrigerer Stufe.
Aber doch zum Segen, Was wäre ohne diejen fernigen Halt für
Schaufpieler und Publicum aus einem Theater geworden, welches
Jahrzehnte lang abgefperrt wurde von jeder freieren Schöpfung,
jobald diefe Schöpfung die Gedanfenfreife der Zeit berührte! Ver:
flacht wäre es gänzlich. Im erjter Linie wären die Schaufpieler
haltios geworden und nichtig. Das haben die Iffland’fchen Auf:
gaben verhütet. Es ift wahr, ſie reichen jelten-über ven beſcheidenen
bürgerlichen Horizont hinaus, eine gewiſſe Moral ift ihr höchſter
Flug, und ein poetifcher Schwung, welcher Herz und Geift des
Menſchen ausdehnt, fehlt ihnen gänzlich, Aber in ihrem engen
Kreife entwiceln fie tüchtige Kräfte. Sie fünnen wie eine Vor—
jchule angejehen werden, jo wie fich aus einer guten Gemeinveleitung
Fähigkeiten zu hoher Bolitif entwideln. Iffland's Geftalten haben
wirkliches Leben. Dadurch wurden fie für unfere Schaufpieler
bildende Aufgaben. Die jchließliche Entwickelung feiner Stüde
ift faſt durchgehends ſchwächlich, und fordert die Kritik gegen ſich
heraus, aber ver Weg zu diefer Entwidelung ift tüchtig. Er ift
genau organisch, und dadurch bildet er die Schaufpieler, bildet er
das Publicum. Ihm alſo ift es zu verdanken, daß troß der Ungunft
politifcher Verhältniſſe die eigentliche Schaufpielfunft im Burg-
theater gepflegt und gefördert worden iſt auch in den Jahrzehnten,
welche das Burgtheater abjchlojfen von den Bewegungen ver Zeit.
Dies gilt durchaus nicht von Koßebue, So lange er ernit
ſchrieb, war er äußerlich, und griff oft nach Franfhaften Reizen. Als
er mehr und mehr in's Luſtſpiel übertrat und feine nicht abzuleug-
nende gute Paune in leichter, wisiger Sprache entwidelte, da ent-
(Dis
54 Das Burgtheater.
widelte er auch feinen ganzen Leichtfinn in der Zeichnung von Figuren
und Situationen. Das Abjonderliche und Pofjenhafte trat in ven
Vordergrund, und wo er ein bejjeres, ein wahreres Thema behandelte,
da wußte er jeinen Gejtalten feine innere Wahrheit zu verleihen.
Solche Luftipiele braucht ein Repertoire auch, und der augenblickliche
Erfolg danft dem Verfaffer. Aber der Schaufpieler fommt felten
dazu, einen Typus zu geitalten, welcher außerhalb der Caricatur
läge, und das Publicum erheitert fih an Oberflächlichfeiten, welche
nichts Dauerndes zurüdlaffen.
Kogebue alfo war einträglich für die Unterhaltung im Burg—
theater, Iffland war jegensvoll für die Fünftlerifcehe Bildung des
Burgtheaters.
Man hat fich in Wien daran gewöhnt, dieſe beiden Theater:
träger als dem jetigen Jahrhundert angehörig zu betrachten. Sehr
natürlich! Ihre Stüde, obwohl man fie nicht claſſiſch und nicht
modern nennen konnte, erfchienen zahlreich im Repertoire des Burg-
theaters bis gegen die Mitte unferes Jahrhunderts. Und doch ge-
hört auch Kotebue mit feinen wichtigjten Stüden dem vorigen Jahr:
hundert an. 1789 am 14. November debutirte er im National-
theater mit „Menſchenhaß und Reue‘, nur vier Monate ſpäter folgte
feine berühmte Gurli in den „Indianern in England‘, acht Monate
jpäter „Die Sonnenjungfrau”, vier Monate fpäter der verlorenge-
gangene „Straßenräuber aus findlicher Liebe‘; dann „Armuth und
Edelſinn“, „Der Graf von Burgund”, „Falſche Scham‘, „Der
Bruderzwiſt“, „Die filberne Hochzeit”, drei Wochen nad) ihr „Das
Dorf im Gebirge‘, fünf Monate fpäter „Das Epigramm‘‘, vier
Wochen nad) diefem „Das Schreibepult‘‘, eine Woche ſpäter „Der
Gefangene”, vierzehn Tage fpäter „Die Unglüclichen‘‘, drei Monate
päter „Joha nna von Montfaucon‘, vier Wochen jpäter „Die beiden
Klingsberg“, drei Monate jpäter „Die fluge Frau im Walde”, Mit
ſolcher Schwindel erregenden Fruchtbarkeit — 1797 brachte er vom
März bis Auguft, alfo in fünf Monaten, drei Stüde: „Die Ber-
Das Burgtheater. 85
wandtichaften”‘, „Der Opfertod“, ‚‚Ueble Laune“ — ſchloß er das
porige Jahrhundert, um das neue fogleich mit einem Feitipiele, mit
„Octavia“ und „Guſtav Waſa“ zu beginnen. Heutigen Tages
verzeiht man dem pramatiichen Dichter zwei Stüde in einem Jahre
nur ungern.
Die Theaterverhältniffe waren noch durchweg naiv. Man
vergleiche folgende Notiz. Am 7. Januar 1800 wurde zur glüd-
fihen Ankunft des Erzherzogs Palatinus „Freiſpectakel“ gegeben in
der Burg und am Rärnthnerthor. Im Nationaltheater „„Sphigenie
auf Tauris“ — vermuthlich die Goethe'ſche; ſie erfcheint tief ver:
einfamt inmitten eines leichtfertigen Repertoires und verſchwindet
wieder auf viele Jahre. Als Gegengewicht im Kärthnerthortheater:
„Der Marktichreier”, und der Theaterzettel für diefen feitlihen Tag
trägt die Notiz: „Es verfteht ſich von jelbjt, daß die Cavaliere denen
Damen die Site überlajfen, und feine Lichter ausgelöfcht werden
dürfen”.
In dieſem fünfzehnjährigen Zeitabfchnitte bis in’s neue Jahr:
hundert herein ereignet fich beim Perional des Nationaltheaters
feine wejentliche Veränderung. Die Mitglieder, welche Schröder
umgeben hatten, dauern unbeſchädigt aus, in Liebhaber, Kling-
mann, wird beigejellt, und zwei neue Ehepaare werden bemerflich :
Herr und Madame Koh, Herr und Madame Rooſe. Sie gelten für
tüchtige Schaufpieler und fchliegen fich den Matadoren Brodmenn,
Lange, Stephanie auch darin ebenbürtig an, daß fie mehrere Jahr—
zehnte lang wie granitene Säulen dauern und das Repertoire tragen.
Bon der jetigen Generation hat die ältere Schichte noch Koch und
Rooſe gefehen, und namentlich Koch, welhem Anihüt vie Hand ge
reicht, jteht noch in deutlicher Erinnerung.
Man hat die Bemerkung gemacht, daß die Lebenskraft eines
Schaufpielers fich länger erhalte, als die anderer Leute, und daß
man deshalb verhältnißmäßig mehr alte Schaufpieler finde, ala
Greife in anderen Ständen. Ihre Kunft nöthigt fie, alle Thätig-
86 Das Burgtheater.
feiten des Geiftes und Körpers fortwährend in Uebung zu erhalten
und zwar in gleichmäßiger Uebung. Die Wirkung der Leidenschaften
ütberrafche andere Meenfchen und zerjtöre fie deshalb; dem Schau:
jpieler werde fie geläufig und diene gleichjam zur erfrifchenden Be-
wegung. Er habe ja den außerorventlichen VBortheil des Bewußt-
feins, daß jeine Leidenſchaft, auch die tobendſte, nur ein Spiel fein
und bleiben müfje; die größte Rolle gleiche alfo nur einem Rei—
nigungsproceffe, wie die Tragödie felbjt ein jolcher ift, im äjthe-
tifchen Stimme.
In der That hat das Burgtheater von feinem Entftehen an bis
jetzt immer ein zahlveiches Kontingent bejahrter Künftler aufzuweiſen
gehabt, welche ſich Kraft und Frifche bis in's hohe Greiſenalter zu
bewahren wußten.
NA.
Zu Anfang des Jahrhunderts wiederholte man ven Verſuch,
von augen her dem Nationaltheater eine leitende und befruchtende
Kraft anzueignen. Obwohl dies mit Schröder nicht gelungen war,
weil das Herrſchbedürfniß des „Ausſchuſſes“ fih ſtandhaft wiver-
fetst hatte, jo tauchte doch nach etwa fünfzehn Jahren der Gedanfe
wieder auf. Unbefangene Cavaliere und feinere Zufchauer machten
höheren Drtes die Bemerfung geltend: Die Schröder’iche Erbichaft
an Grundjägen und Stüden ift doch ſehr wohlthätig gewefen; fie
hat fih nun vielfach abgenutzt — wäre nicht eine neue Aneignung
an der Zeit? Und da es mit einem Schaufpieler auf die Dauer
nicht möglich gewejen, follte es nicht möglich fein mit einem drama—
tiſchen Schriftjteller? Ein folcher ſei ja neuerdings aufgetreten in
voller Kraft ver Jugend und Productivität und mit ganz bejonderer
theatralifcher Befähigung, denn feine Stüce gefielen überall. Dieſer
Schriftiteller mit refpectabler wilfenjchaftlicher Bildung ſei — Auguft
von Koßebue.
An maßgebender Stelle fand man dies einleuchtend. Kotzebue
wurde berufen und angeftellt als Theaterſecretär. Dieſer Titel
blieb Sahrzehnte lang beliebt für die zweifelhafte Stellung eines
Dramaturgen, welcher die geijtige Aufgabe der Leitung zu erfüllen
hatte, ohne eine wirflihe Macht in Anfpruch zu nehmen.
Kogebue war ein Mann von Energie und wollte feine Kraft
geltend machen. Da jtieß er denn natürlich wieder an den „Aus—
88 Das Burgtheater.
ſchuß“, an das fchaufpielerifche Familienregiment, welches ſich immer
bedroht fühlte, wenn von außen her eine jchöpferifche Potenz ein-
drang in das cameradjchaftliche Getriebe. Die Intriguen begannen
und der Kampf brach endlich aus in heller Lohe. Die oberjte
Direction jhütte wohl Kogebue. Aber der Schut war mäßig, war
vorfichtig. Es fam zu einer Art gerichtlichen Verfahrens, in welchem
die Mitgliever des Ausſchuſſes auf recht geſchickte Weiſe verhört
wurden. Sie gaben fih auch arge Blößen, jie bejtanven nicht.
Aber die oberjte Direction gab dieſem Nefultate feine conjequente
Folge, und Kogebue wurde wohl deswegen ver Sache überprüfjig.
Er legte — nicht ohne Vornehmheit — jeine Stelle nieder und ging
von dannen. Der Verfuch mit einem neuen geiftigen Regimente
war wieder gefcheitert, und zwar in ganz ähnlicher Weife wie der
Verſuch mit Schröver.
Bald darauf — 1802 — wurde ein junger Mann, ein ge
borener Wiener, halb und halb in diefe Stelle eines Theaterfecre-
tärs geſetzt. Halb und halb, denn jeine Befugnig war offenbar
noch geringer. Er hatte ven äfthetijchen Ruf für ſich, daß er einige
Jahre in Jena jtudirt, wo damals Schiller lebte und wo ein Mlittel-
punft fchönwifjenfchaftlicher Yehre zu finden war. Diefer junge
Mann hieß Schreyvogel. Er ſcheint die Gelegenheit für gedeihliche
Einwirfung ungünjtig gefunden zu haben, und trat nach zwei Jahren
iwieder aus, um ein Kunſt- und Induftrie-Comptoir in Wien zu er-
richten. Erſt nach zehn Jahren kehrte er zurüd an die Stätte neben
dem Burgthore.
Während diefer zehn Jahre bildet die Franzojenzeit einen
Haupmoment dadurch, daß fie — wie ſchon erwähnt — die ver-
botenen Stücke, namentlich die Schilleriihen, zuläßt. Der Tod
Schiller's — 1805 — zeigt erſt jpät einen Eindruck. Drei Jahre
nach demfelben, am 17. December 1808, bringt das Nationaltheater
eine Schillerfeier zum Vortheil von Wittwe und Kindern des „großen
Dichters“. Sie fand im Kärnthnerthortheater jtatt und beftand,
Das Burgtheater. 89
mwunderlic genug, im Kernſtücke aus einer Ueberſetzung Schiller’s,
welcher ja nicht einmal bejondere Sorgfalt nachzurühmen ıft, aus ver
Racine'ſchen „Phädra“. Auf die „Phädra“ folgte laut Theaterzettel:
„Schillers Feyer. Aus Stellen des unjterblichen Dichters in jeinen
Werfen zufammengejett vom Hrn. Grafen von Benzel. Perſonen:
Zwei Priejter, ver Genius, die Schaufpielfunft, die Poeſie, die Mufif,
die Zeit. — Erjcheinungen: Karl Moor, Fiesco, Ferdinand von
Walter, Don Carlos, Wallenitein, Maria Stuart, Macbeth ()),
Jungfrau von Orleans, Beatrice, Braut von Meſſina, Wilhelm
Tell. —
Das Theater bejaß auch in der damaligen Zeit feine genügenve
Darjtellerin der Phäpra. Madame Weifjenthurn, wie der Zettel
fie nennt, jpielte jie. Sie it als Schaufpielerin nie von Bedeutung
gewejen. Als Theaterfchriftitellerin war Frau von Weiſſenthurn
immerhin um einen Grad wichtiger, denn als darjtellenve Künftlerin,
obwohl auch ihre Stüde ohne Kern und Styl waren. Ihr „Wald
bei Hermannjtadt”, „Johann von Finnland‘ aber und ähnliche
Stoffe aus fernen Grenzprovinzen brachten eine neue Nüance von
Theaterromantif, und behaupteten ſich, wie alle Stüde von Schau-
ipielern, durch gute Rollen lange auf ver Bühne. Cigentlich werth-
voller von ihr waren Schau- und Luſtſpiele von mittlerer Ausdeh—
nung, wie „Welche ift die Braut‘ und „Das lette Mittel“, welche
fie in ihrer zweiten Epoche — etwa von 1813 an — erfand, umd
welche nicht ohne felbjtändige Erfindung waren. Sie hat jehr lange
gelebt, und noch inmitten der vierziger Jahre habe ich ein neues
Stüd von ihr und fie felbjt auf vem Burgtheater gefehen.
Die im Sahre 1808 erwachende Pietät für Schiller hatte das
Nationaltheater in demſelben Jahre nicht abgehalten, „Cabale und
Liebe’ in jener Berunftaltung des Perſonals zu geben, welche bis
zum heutigen Tage in übler Nachrede lebenpig geblieben iſt. Der
Präfident von Walter hieß Vicedom von Walter, der Hofmarfchall
von Kalb hieß Obergarverobemeijter. „War fein Obergarverobe-
90 Das Burgtheater.
meister da?!’ hatte Ferdinand zu rufen, und was die Umgejtaltung
zu jo dauernder Kenntnißnahme verurtheilt hat: — Ferdinand war
nicht der Sohn des Vicedoms, fondern nur deffen Neffe. „Es giebt
eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Onfelnod nie
gehört worden iſt!“ — Dies jtempelt e8 zur Parodie, und man
begreift heute nicht, welch eine verichrobene Scheu vor natürlichem
Conflicte folche Thorbeit zu Wege gebracht. Viel eher begreift man,
daß 1809 im „Don Carlos’ der Beichtvater Domingo als Don
Antonio Perez, Höfling, erjcheinen mußte. Hier handelt ſich's um
ein Princip; ein Mann der Kirche foll nicht als böfer Intrigant
vor dem Publicum ericheinen. Welches Princip aber verwandelt
den Sohn in den Neffen, wenn man überhaupt Schaufpiele auf:
führen läßt?! Glaubte man auf dem Theater jeglichen Conflict
vermeiden zu fönnen, welcher augenblidlich einen unbequemen mora—
liſchen Eindrud verurfacht? Ja, das glaubte man, und dies wurde
unter der langen Regierung des Kaiſers Franz ein fürmliches
Syſtem in ver Cenſur der Stüde. Es entjtanden Kategorien von
merfivürdiger, oft feiner Ausdehnung. in natürliches Kind 5. B.
wurde nicht zugelafjen, weil die Che dadurch bloßgeſtellt würde, und
ähnliche Verbältniffe in großer Anzahl mußten vermieden oder
wenigjtens vertufcht werden. Es fam nicht in Frage, ob durch
ſolche jogenannte moralifche Reinigung des Dramas nit Wahr-
beit und Yeben literariicher Kunft tief bejehädigt würde, Feinere
Genforen behaupteten: manches Grelle in menjchlichen Berhältniffen
muß ja doch immer ausgeichloffen werden, denn jede Staatsgefell-
ichaft bewegt fich innerhalb gewiſſer moralifcher Grenzen, oder
mindeftens innerhalb gewiſſer Convenienzen. Was werft ihr uns
vor, daß unſere Grenzen und Convenienzen enger find! Unſer
Publicum hat eben glüclicherweife noch zartere jittliche Nerven,
warum jollen wir unfer jittliches Gefühl beleidigen und durch öftere
Beleidigung abjtumpfen lafjen?! Ihr draußen in Deutjchland ver-
tragt ja auch noch nicht alle fittlichen Unfläthereien der franzöfiichen
Das Burgtheater. 91
Stüde; mit welchem Rechte werft ihr uns vor, daß wir nicht alle
Natürlichkeiten ſchmecken wollen, welche bei euch bereits eingebürgert
find? Wir befinden uns wohl dabei, daß wir unſere Einfachheit
länger bewahren.
Dies Raifonnement wäre vielleicht bis auf einen gewifjen
Grad berechtigt gewefen, wenn Gebräuche, Sitten und Gefinnung
Wiens diefer noch kindlichen Einfachheit entjprochen hätten, wenn
der Staat wie das Paraguay des Dr. Francia bermetijch abge:
ihloffen gewejen wäre von der Entwidelung in Deutfchland. Das
war aber troß aller Mauthichranfen nicht möglid. Die Wiener
blieben tro&ß aller Schranfen in geiftiger Verbindung mit Deutjch-
land, die Allgemeine Zeitung brachte täglich das ganze europäiſche
Leben in den öjterreihifchen Staat, das Burgtheater ſelbſt bedurfte
fortwährend der zuftrömenden Production aus Deutjchland und
Frankreich; dieſe Abjperrung durch minutiöfe Cenſur auch in nicht-
politifchen Fragen bildete ein gläſernes Haus, aus welchem man
in die ganz andere Welt hinausfchaute, und jedermann empfand,
daß dies ein Fünftliches Wefen fei ohne inneren Halt. In einem
Beinamen drücdte man’s furzweg aus; man nannte das Burgtheater
das „Comtejjentheater‘‘, in welchem nur das gegeben werden dürfe,
was ein junges, unerfahrenes Mädchen anfehen fünne, ohne zu
beventlicher Nachfrage veranlaft zu werden. Kann und darf dies
der Gefichtspunft eines öffentlichen Theaters fein?
Uebrigens erfolgte in diefem Zeitabfchnitte die wichtige Ein—
richtung, daß die beveutenderen Mitglieder des Nationaltheaters auf
Lebenszeit angejtellt und für penfionsfähig erklärt wurden. Dies
bemilligte Kaiſer Leopold. Kaifer Franz erweiterte die Bewilligung
dahin, daß auch die hinterlaffenen Wittwen eine Penfion zugefichert
erhielten.
Unter den neu engagirten Mitgliedern zeichneten fih Hr. Korn
und Demoifelle Adamberger aus. Xettere, eine Tochter der jo be—
gabten Frau Jaquet, hat eine ähnliche Stellung wie jpäter Frl.
92 Das Burgtheater.
Neumann eingenommen; ähnlich in der allgemeinen bürgerlichen
Achtung, welche ihrem decenten Wejen entgegen fam, und ähnlich
in der zierlichen wie correcten Weife ihres Spiels. Nur im Um—
fange des Faches reichte Frl. Adamberger weiter; ſie reichte in die
Tragödie hinein und fpielte die Beatrice in der ‚Braut von Meſſina“
und das Clärcen in „Egmont“. Auch dem auswärtigen Publicum
wurde fie dadurch intereffant, daß Theodor Körner ihr feine Yiebe
widmete und fie als Braut zurüdließ, da er in ven Freiheitskrieg
gegen Napoleon zog. Er war um 1812 als Theaterdichter am
Burgtheater angejtellt worden und feine fleinen Dramen „Toni“,
„Hedwig, „Der Vetter aus Bremen‘ finden fich 1812 und 1813
im Repertoire. Demoiſelle Adamberger fpielte Toni und Hedwig.
Einen befonderen Einfluß auf Yeitung oder Repertoire des Theaters
hatte er nicht.
Unter den neuen Stüden dieſes Jahrzehnts findet fich nichts
Hervorragendes. Cine Fortjegung des Kotzebue'ſchen „Menſchenhaß
und Reue” von Julius Graf von Soden unter dem Titel „Ver—
jöhnung und Ruhe‘ beweilt, daß dies auch in’s Franzöjiiche über-
tragene Schaufpiel Kotzebue's ven Zeitgeſchmack höchlich interefjirte.
Gollin trat auf mit ſeinem „Regulus“ und erwarb fich mit jeinen
hiſtoriſchen Stüden, welche auch vaterländifche Stoffe und patrio-
tiiche Zwede verherrlichten, eine ungemeine Achtung. Ernithafte
Stüde möchte man fie nennen, bei denen der Mangel an voller
poetifcher Kraft und fließender Sprache vervedt wurde durch Die
würdige Abficht, welche überall hervorftrahlte. Gollin jtand in
jolcher Geltung, daß ihm nach feinem Ableben eine dramatiſche
Todtenfeier veranftaltet wurde.
In einer Anwandlung von hoher dramatifcher Intention fette
man damals auch einen Theil der „Söhne des Thals“ von
Zacharias Werner in Scene; unter dem Titel „Die Templer auf
Cypern. Ordensgemälde in fechs Aufzügen”. Die undramatifche,
ichwer genießbare Dichtung Werner’s war natürlich nicht geeignet,
Das Burgtheater. 93
Fuß zu faffen auf ver Bühne. Eben jo wenig eine „Polyrena“ —
eine Tochter Hekuba's — und eine „Vitellina“ — eine Tochter des
Kaijers Bitellius. — Solche einzelne Opfer an altelaffiihe Stoffe
jind wohl durch Collin zu Wege gebracht worden, welcher ſelbſt
mehrfach in die Römer: und Griechenzeit zurüdgriff. Die beroifche
Schaufpielerin für die Polyrenen, Bitellinen, Zenobien (Trauer:
ſpiel „ Mäon“) war mittlerweile Madame Rooje geworden. Auch für
die „Sohanna d'Arc“, welche im Januar 1802 aufgeführt wurde. Im
Berlauf deſſelben Jahres erihien Schiller's „Jungfrau von Orleans“,
und die Frage drängt ſich auf: Hat das Burgtheater von Schiller's
Abſicht und Plan Kenntniß gehabt, oder hat Schiller eine ältere
„Johanna d'Arc“ gekannt? Letzteres wäre wohl waährſcheinlich. Es
kommen neben den hiſtoriſchen Hauptfiguren nicht nur dieſelben
Namen hiſtoriſch ſein könnender Nebenfiguren vor, wie Chatillon,
Raoul, Thibaut d'Arc und die beiden Schweſtern der Jungfrau,
Louiſon und Margot, nein, auch Raymond, der Liebhaber Johanna's,
heißt Raimund, und auch der Landmann Bertrand heißt Bertram,
auch der engliſche Herold hat den engliſchen Soldaten neben ſich.
Schiller machte bekanntlich wenig Umſtände, auch einen Stoff zu
nehmen, welcher ſchon theatraliſch bearbeitet vorlag; die „Maria
Stuart“ von Spieß, welche auf den Bühnen war, hielt ihn nicht ab,
auch eine „Maria Stuart“ für die Bühne zu ſchreiben. Aber auf—
fallend wäre es, daß er in den Nebenfiguren ſo treu einem vor—
liegenden Stücke gefolgt wäre. Unterſcheidend iſt Folgendes:
Dunois und der Erzbiſchof fehlen ganz, Agnes Sorel desgleichen.
Dafür hat der König Karl eine Gemahlin Marie, und Iſabeau iſt
nicht ſeine Mutter, ſondern ſeine Schweſter. Dies könnte wieder
auf Cenſurrückſichten deuten, welche eine Maitreſſe und eine un—
natürliche Mutter zu verändern gewünſcht. Und ein Prinz Louis,
ein Vetter des Königs, welchen ein ſo wichtiger Schauſpieler wie
Lange geſpielt, iſt eine bei Schiller ganz fehlende Figur. Sollte
diefer Prinz für Dunois eingetreten fein, weil man den unange-
94 Das Burgtheater.
nehmen Ausdruck „Baſtard“ vermeiden wollte? Der Name des
Berfaffers ift auf dem Zettel nicht genannt — wer löſt dies
Räthſel?
Es fehlt ein eigentliches Burgtheater-Archiv völlig. Was in
alten Schränken in einem dunklen Gange, nahe bei ver Caſſa, an
vergilbten Schriften aufbewahrt und unter Aufficht eines ganz un—
literariſchen Defonomen jtand, als ich in die Direction eintrat, das
erwies fich als ein ganz regellofes, werthlofes Durcheinander von
Papieren und Büchern. Ich habe aus diefem Durcheinander hervor:
juchen laſſen, was für die Theaterbibliothef einigen Werth haben
fonnte, und diefe Bibliothek ift durch meinen Repertoire-Infpicienten
jo viel als möglich vervollftändigt und geordnet worden. Eine recht
jorgfältige Sammlung der Theaterzettel und ein genaues Kepertoire-
buch mit allen Beſetzungen, eine treffliche Arbeit, welche in's vorige
Sahrhundert zurücveicht und von obigem Inſpicienten ganz exact
fortgejegt worden, dies find die einzigen authentifchen Quellen,
welche für die Gefchichte des Burgtheaters vorliegen.
In diefen Quellen ließ ich nun forfchen, um jenes Räthſel zu
(öfen. Da ergab denn das Nepertoivebuch, daß die Anzeige des
Zettels „Am 27. Januar 1802 zum erften Male Johanna d'Arc“
eingetragen war als „Jungfrau von Orleans von Schilfer”. Dabei
die Nummer des erjten Buches. Das Buch ward aufgefunden in
der Bibliothef, ein fleiner gedructer Sevezband, und hieß „Die
Jungfrau von Orleans. ine romantische Tragödie von Schiller,
Mit einem Kupfer. Frankfurt und Leipzig. 1802 Der Titel
war verändert in „Johanna d'Arc“, der Name Schiller’s aus-
gejtrichen, das Perſonal umgewandelt, wie oben mitgetheilt ift.
Die Frage war alfo aufgeklärt. Das Buch mochte ſchon in den
letzten Monaten des Jahres 1801 erfchienen fein, und wie Buch-
händler zu thun pflegen, um ihre Producte länger jung zu erhalten
und die Abrechnung über dieſelben auf die zweitnächite Dftermeffe
zu vertagen, war es mit der vorzeitigen Jahreszahl 1802 ausgegeben
Das Burgtheater. 95
worden, Das Nationaltheater fonnte alfo das Schiller’iche Stüd
im erjten Monate 1802 ſchon geben, obwohl es in der literarifchen
Chronologie erjt im Jahre 1802 erſcheint.
Man hatte alfo damals ſchon bei einem fo royaliſtiſchen Stüce
weitgehende Genfurbevenfen, ja weiter gehende, als fpäter in der
Metternich’schen Epoche. Denn in legterer Epoche findet ſich jehr
Bieles hergeftellt, was Anno 2 geftrichen oder verftümmelt worden
war. Zum Beifpiel die Fahne der Jungfrau, welche nur einen
rothen Saum, aber feine Himmelsfönigin zeigen durfte, und die
ächten Perfonen Iſabeau, Agnes Sorelund Dunois, Charafteriftiich
ijt jene erſte Verftümmelung auch dadurch, daß neben religiöfen
Wendungen auch alle romantischen Ausfchweifungen, wie die Er-
Iheinung des ſchwarzen Ritters, befeitigt waren. Es ift, als ob die
nüchterne Joſephiniſche Anſchauung Hand in Hand mit der firch-
lichen das Buch zufammengeftrichen habe.
Schiller ftand damals auf ver Höhe feines Ruhmes. Er lebte
nur noch zwei Jahre und einige Monate, und in folchem Augenblicde
hatte das Nationaltheater ven Muth, ein neues Stück von ihn fo
umzuändern, feinen Namen wegzuftreichen, und eine große Tragöpie
von ihm fo aufzuführen, daß er gar feinen Theil daran zu haben
ſchien, und jicherlich auch nicht das kleinſte Honorar dafür erhielt,
denn ein gedructes Stück war vogelfrei für die Bühnen! —
Aufjehen machte in jenem erjten Jahrzehnt unferes Säculums
Babo mit feinem Kleinen Stüde „Der Puls’, welchem man eine
bedeutende, leider ausgebliebene Nachfolge zutraute. Und Holbein
mit der dramatifchen Bearbeitung Schiller'fher Balladen, Der
Gang nach dem Eifenhammer unter dem Titel „Fridolin“ machte
den Anfang und hielt fich lange auf den NRepertoiren. „Die Bürg-
ſchaft“ lag mit vem Tyrannen Dionyſius zu weit rückwärts für das
Publicum. Bezeichnend ift, daß Schiller auch im Epos dem Dra-
matifer vorarbeitete, eine fchmerzlihe Mahnung daran, daß gerade
das deutſche Theater fo tief betroffen wurde durch feinen frühen Tod.
VD.
Zu Anfang des Jahres 1814 verſchwindet der Sofephinifche
Titel „Nationaltheater vom Zettel, und e8 erjcheint ftatt feiner die
Bezeihnung „Theater nächft der Burg‘.
Es ift nicht erfichtlich, aus welchem Grunde ver Namenswechjel
eingetreten ift. Vielleicht aus einem politifchen Inftincte. Man
war auf dem beiten Wege, Napoleon zu befiegen, man ſah eine neue
Zeit fommen, welche mit der nationaldeutfchen Bejtrebung Raifer
Joſeph's wenig zu jchaffen haben würde, man fand den Tendenztitel
nicht mehr zupafjend.
Wunderlich genug! Gleichzeitig mit diefer Namensänderung
tritt eine Aenderung in dem Inneren des Theaters ein, welche den
neuen Namen ‚Burgtheater‘ fejtiget und weiht. Wunderlich, weil
die Namensänderung mit der inneren Aenderung in gar feinem Zu:
jammenhange jteht. Ein Dramaturg tritt ein und übernimmt in be-
ſcheidener Stellung die geiftige Leitung, an welcher es feit Kaiſer
Joſeph gefehlt, und welche er achtzehn Jahre lang fegensreich führt.
Diejer Mann war Schreyvogel.
So wie das Nationaltheater feinen Auffhwung dem Kaiſer
Joſeph vervanfte, und mit dejjen Ausjcheiden in Mattigkeit verfiel,
jo verdankt das Burgtheater feinen Aufſchwung von 1814 bis 1832
im Wefentlichen der dramaturgiſchen Thätigfeit Schreyvogel's, und
nachdem er ungebührlich entfernt worden, verjanf es ebenfalls in
Meattigfeit, nur von den Arbeiten und Erwerbungen zehrend, welche
Schreyvogel hinterlafjen hatte.
Das Burgtheater. 97
Schreyvogel war ein geborener Wiener, welcher fich im ftiller
Weiſe eine jorgfältige Bildung angeeignet hatte in literarifchen
Dingen. Er hatte fich einige Jahre lang in Jena aufgehalten zu
Anfang des Jahrhunderts, wo damals unter Goethe's und Schillers
Zuthun eine gründliche ſchöngeiſtige Cultur blühte; er war bei feiner
Heimfehr 1802 auf furze Zeit eingetreten in das Bureau des Na-
tionaltheaters, und war bald wieder ausgefchieden, vielleicht weil er
noch zu jung war und noch feine vechte Stätte finden fonnte zur
Wirffamfeit. Einer Kunjthandlung widmete er die nächiten zwölf
Sahre, und in Beobachtung des Theaters, in forgfältiger Aus-
bildung feiner Kenntniſſe und feines Geſchmacks bereitete er fich vor
zur Führung eines Amtes, welches veifere Mannesfraft verlangt
und einen geübten Blick.
Er wurde auch nicht zum Jogenannten Theaterfecretär ernannt,
weil man eine große veformatorifche und ſchöpferiſche Thätigfeit von
ihm erwartet hätte; das Bedürfniß einer jolhen empfand man
faum, und feine Stellung war gar nicht dazu angethan, jo Befon-
deres von ihm zu erwarten. ine jolivde Thätigfeit aber trat mit
ihm ein, geläutert durch hinreichende ſchönwiſſenſchaftliche Bildung,
unbeirrt von gelehrtem Fachdünkel, welcher das täglich fich erneuernde
Leben gering ſchätzt, getragen von einem ruhigen Ernſte, welcher
weiß, was er will.
So begann er unfcheinbar. Die Zeitverhältniffe famen ihm
trefflich zu ftatten,. Cine Friedensaera nach den franzöfiichen Kriegen
breitete fich vor ihm aus, die erichöpfte Welt athmete auf, und war
geneigt, fich den Künften des Friedens hinzugeben, und die Ver:
waltung des Theaters ſelbſt jtredte eben die Waffen und gab einer
neuen Thätigfeit allen Raum. in Confortium von Cavalieren
nämlich, die Eſterhäzy, Schwarzenberg, Lobkowitz, Palffy an ver
Spite, hatte inmitten der Kriegsjahre die Divection geführt und
hatte fich erſchöpft. Nur ein Palffy war übrig geblieben als Di-
rector des Burgtheaters und des Theaters an der Wien, ein äufßerft
Laube, Burgtheater. 7
98 Das Burgtheater.
freundlicher, gefälliger Herr. Er überließ dem neuen Dramaturgen
gern die geiftige Yeitung, und fo jtand Schreyvogel einige Jahre
lang auch die fchöne, große Wiedner Bühne zur Verfügung, welche
jich für größere Stüde weit befjer eignete, als der dürftige Raum
des Burgtheaters.
Dan jagt wohl, es jei Schreyvogel die erfolgreiche Yeitung
darum leichter gemacht worden, weil die ihm zufallenden Jahrzehnte
ziemlich veich gewejen jeien an dichterifcher Production für das
Theater, und weil jich in diefen Jahrzehnten ungewöhnlich viel Dar-
jtellungstalente entwicelt hätten. Mag fein; aber man muß auch
zugeftehen, daß er fich hülfveich und einfichtig erwiejen hat für För—
derung dramatifcher Dichtung, für Auffindung und Ausbildung
ichaufpielerifcher Talente.
Das größte dichterifche Talent, welches ihm gleich in jeinen
eriten Jahren begegnete, war Franz Grillparzer. Diefer ganz junge
Mann überreichte ihm 1816 ein Foltomanufeript auf grobem,
grauem Papier. Darauf jtand gejchrieben: „Die Ahnfrau“. Der
junge Mann war fchlichtern, wortfarg, anſpruchslos. Er zeigte fich
weit entfernt davon, die Aufführung feines Manuferipts für wahr:
icheinlich zu halten. Aber Schreyvogel erfannte auf der Stelle die
Klaue des Löwen. Ich habe dies erſte Manufeript in der Hand
gehabt, und ich würte kaum Etwas, was mir lehrreicher vorgefommen
wäre für Erfenntniß des Dichters und für Erfenntniß des Drama—
turgen. Schreyvogel hat Bemerkungen und Vorfchläge zur Aen—
derung an den Rand gefchrieben, welche ven fundigen Blick des
Dramaturgen deutlich an den Tag legen. Und der Dichter, obwohl
ein ganz junger Mann, hat diefe Bemerkungen gewürdigt, wie ein
ganz reifer Charakter, der genau weiß, was er beachten und befolgen,
und was er unbeachtet lafjen ſoll. Merkwürdig daran ift auch, daß
der landläufige Vorwurf der Schieffalstragödie, welcher die „Ahnfrau“
wie ein Heujchredenjchwarm begleitet hat, am meijten Nahrung er—
halten hat durch einige eingefchobene Aenderungen Schreyvogel's,
Das Burgtheater. 99
der felbjt eben jo wenig wie Grillparzer ein Anhänger der Schid-
falsivee war im dramatifchen Kunſtwerke. Grillparzer hat ſich auch
gleich bei der eriten Auflage feiner „Ahnfrau“ nachdrücklich ausge:
Iprochen über vdiejen Punkt. Seines Wiſſens — jagt er — findet
ih in dem Stüde feine Spur von dem. abgefhmadten Irr—
glauben, ven man ihm hat andichten wollen. Es ſei ihm nicht,»
in den Sinn gefommen, Berbrechen durch Verbrechen entfühnen
zu lafjen, und in der Berfettung von Schuld und unglüdlichen Er-
eigniffen, welche ven Inhalt des Trauerjpiels ausmacht, ein neues
Syſtem des Fatalismus varzuftellen. „Shafefpeare und Cal—
deron“ — führt er fort — „haben den abergläubigen Wahn finjterer
Zeiten mit ungleich größerer Kühnheit zu poetischen Zwecken benust,
als es in der „Ahnfrau“ geichehen, ohne daß man fie deshalb ver-
feßert hätte. Das Schicdjal jpielt in der, ‚Andacht zum Kreuz‘ und
in dem „Fegefeuer des heil. Patrik“ (beive von dem angeblich hrijt-
lichten aller Dichter) eine mehr heidniſche Rolle, als in dem
gegenwärtigen Stüde, worin eine Sünderin ihre geheime Unthat
durch den quälenden Anblick ver Schuld und der Leiden abbüßt, die
fie zum Theil felbjt über ihre Nachkommen brachte; eine Borftellungs-
art, welche dem jüdiſchen und chriftlichen Yehrbeariffe eben nicht
widerjpricht. Der verjtärfte Antrieb zum Böen, der in dem ange:
erbten Blute liegen kann, hebt die Willensfreiheit und die moralifche
Zurehnung nicht auf. Die Sophifterei der Yeidenfchaften, welche
der Derfafjer feinen tragiichen Perſonen in ven Mund legt, ijt nicht
fein Glaubensbefenntniß; jo wenig als vie zufällige Wahl eines
märchenhaften Stoffes einen Beweis gegen die Orthodoxie feiner
Runftanfichten abgiebt. Der Verfafier fennt vie Schule nicht, zu
der man ihn zu zählen beliebt, und er weiß nicht, mit welchem Rechte
man einen Schriftfteller, der ohne Anmaßung und ohne Zufammen-
hang mit irgend einer Partei zum erjten Mal im Publicum auftritt,
Ungereimtheiten zur Laſt legt, die von Anderen, ſei e8 auch zu feinem
Lobe, gefagt werden mögen.’
q*
100 Das Burgtheater.
Umfonft! Die Schidjalsivee, durch Werner’s „Vierundzwan—
zigften Februar‘ und durch Müllner's kurz vorher erjchienene
„Schuld“ in die äfthetifche Debatte gebracht, war ein zu bequemes
Thema fürweije ſcheltende Kritik, als daß man „draußen im Reiche‘
von der Ablehnung des jungen Dichters Notiz genommen hätte. Er
war hiermit einmal clafjificirt, und die Klafjennummer tft ihm an-
geheftet geblieben, obwohl feine dramatiſchen Dichtungen gar nicht
paßten in die Nummernclaffe. Die dentiche Kritif hat ſich faum je
eine ärgere Blöße gegeben, als in der oberflächlichen Beurtheilung
Grillparzer’s. Noch heute weiß fie es nicht, daß nach Goethe und
Schiller feine vichterifche Kraft im Drama unter uns aufgewachfen
iſt, welche einen clafjiichen Plat mit fo gutem Grunde einzunehmen
berufen ift, als die Franz Grillparzer’s. ine Reihe von Jahren
glaubte man, Heinrich von Kleiſt dieſen nächiten Plat vorbehalten
zu dürfen. Aber die Reife der Zeit iſt entſcheidend für claffiiche An—
jprüche, und die Erfahrungen namentlich auf ver Bühne, welche ein
Prüfitein des Beſtandes ift, haben nicht für die Kleiſt'ſche Reife ge-
jtimmt. Die franfhafte Ader ver Abjonderlichfeit, welche all’ feine
Stücke durchdringt, iſt dem Publicum von Jahr zu Jahr fichtlicher
und jtörender geworden, Noch in den erjten fünfziger Jahren fand
das „Käthchen von Heilbronn“ und felbjt der jomnambüle „Prinz von
Homburg” eine leidlich theilnehmende Zuhörerjchaft im Burgtheater ;
in den jechsziger Jahren verlor ſelbſt das „Käthchen“ mehr und mehr
jeine Anziehungskraft, und der ‚Prinz von Homburg‘ wurde als franf-
haft und unſchön im Stich gelaffen. Grillparzer's Stüde dagegen,
nah Schreyvogel's Abgang zwei Jahrzehnte lang im Repertoire
vernachläffigt, erwiejen ſich ſämmtlich bei ihrer Wiederaufnahme als
fräftig und tüchtig. Die befannte „herbe Friſche“, welche Tied ven
Kleiſt'ſchen Werfen als Charakteriſtik zutheilte bei ver Herausgabe,
paßt jest viel eher auf Grillparzer, bejonders wenn man die Worte
umfehrt, und frifche Herbheit fagt. Sie duftet ſtärkend aus Grill-
parzer's Dramen entgegen. Fein geſehene Wahrheit jchlicht ausge
Das Burgtheater. 101
drückt umd gefunde pſychologiſche Entwicelung in den Charafteren
würzt Grillparzer’s Compofitionen, welche nie ohne Genialität und
doch immer einfach jind.
Er wurde der neue dichterifche Halt des Burgtheaters von da>
mals bis heute. Zwei Jahre nach der „Ahnfrau“ brachte er die
„Sappho“, welche heute, fünfzig Jahre nach ihrer Entftehung, fait
noch mächtiger und fchöner wirft als damals. Wenigjtens fonnte
jie 1866 und 67 zahlreicher vor gedrängt vollem Haufe aufgeführt
werden, als da jie neu war.
Sie ilt wunderbar fchnell entitanden, Auf dem Wege nach
dem Prater hat ein Mufifer Grillparzer angetreten mit dem Vor:
Ichlage, einen Operntext „Sappho“ zu ichreiben. Grillparzer hat Nein
gejagt; der Name Sappho ift aber befruchtend in jeine Seele ge—
fallen, und einſam in den Prater tief hinein wandelnd hat ſich ihm
der Stoff entwidelt und gegliedert, dergejtalt leicht, natürlich und
volljtändig, daß er bei ver Rückkehr in die Stadt die ganze Tragödie
vor fich geſehen. Sogleich hat er jich an's Schreiben gemacht, und
in ein paar Wochen tft das Stüc fertig gewejen.
Welche Freude für Schreyvogel, ver ſogleich an vie Infcene-
jeßung gegangen. Die Melitta nur machte dramaturgiſche Schwie-
rigfeiten, weil die junge Frau Korn in die banalsweifen Nathichläge
der Gollegen verftridt worden war. Grillparzer ſitzt bet ver vor:
(etten Probe im dunklen Barterre und leidet jehr von der decla-
mirenden Melitta, Endlich tritt jie ab und überrafcht ihn mit ihrer
Nachbarſchaft im dunflen Parterre und mit der jchüchternen Frage,
ob er zufrieden jet mit ihrer Auffaſſung. Er weicht aus mit der
Antwort, und fie vuft: Ich hab’ mir's gedacht! ich ſelbſt bin gar
nicht zufrieden ; morgen werd’ ich fie Sprechen, wie ich mir’s denfe!
— That's, und wurde die naive, hinreißende Melitta, welche im
Angedenfen der Wiener das Ideal dieſer liebenswürdigen Rolle ges
blieben iſt.
1821 erjchien die Trilogie „Das goldene Vließ“ auf der Scene
102 Das Burgtbeater.
des Burgtheaters. Von dieſer Trilogie hat die deutiche Bühne
außerhalb Wiens nur das dritte Stüd „Medea“ hie und da durch
eine gaftirende Schaufpielerin kennen gelernt. Schreyvogel führte
die ganze Trilogie auf, und fie jteht jeit 1857 wieder ganz im Re—
pertoire des Burgtheaters.
1825 erſchien „König Dttofar’s Glück und Ende’ auf ver
Fleinen Scene am Michaelerplate. Das Schiefal Napoleon’s hatte
Grillparzer dabei vorgefchwebt. Böhmiſche Empfindlichkeit hatte die
Erlaubniß zur Aufführung des Stüdes erichwert; aber Schreyvogel
war in Behandlung jchwieriger Cenfurfragen geduldig und zäh; er
fam deshalb öfter zum Ziele, als feine nächjten Nachfolger, welche
dies Stüd und den 1828 folgenden „Treuen Diener feines Herrn‘
fallen liegen. Er war fich offenbar wohl bewußt, daß eine große vater-
ländiſche Dichterfraft einem Theater Fundament und Weihe verleiht,
und wie ein großes vaterländiiches Eigenthum gepflegt fein joll.
Er war ſich überhaupt bewußt, daß jtarfer und mannigfaltiger In—
halt einem Theater noththut, damit fich das Inftitut nicht zur bloßen
Unterhaltung verflüchtige. Wenn man feinen Directionsjahren auf-
merkſam folgt, jo findet man, daß er in jedem Jahre bei aller Sorge
für leichte Unterhaltung feines leichten Publicums eine Infcene-
ſetzung betreibt, welche über das Alltagsbedürfnig hinausgeht.
Gleich im Jahre feines Eintritts — 1814 — wird Schiller’8
„Wallenſtein“, wenn auch in verfürzter Form, in's Repertoire
eingeführt. Keine geringe Eroberung, wenn man ver jonjtigen
Cenſurrückſichten gedenft und fich das Stück vergegenwärtigt, welches
einen faiferlichen Feloherrn und ein Faiferliches Heer in einer Hand—
(ung auf das faiferliche Hoftheater bringt, welche ſich um Abfall,
Fahnenflucht, Verſchwörung und Empörung bewegt. Das ‚Lager‘.
war in diefer Zufammenziehung übergangen, und die „Piccolomini’
und „Wallenſtein's Tod’ waren, wie ver Zettel befagt, auf fünf
Acte „in die Kürze gezogen und für einen Abend eingerichtet von
9 TIRRFRU
Das Burgtheater. 103
In demjelben Jahre 1814 am 29. December wurde Schiller’s
„Maria Stuart‘ zum erften Male aufgeführt.
1815 „Correggio“ von Dehlenfchläger. Dies Stück hat fich
auf dem Burgtheater allein gehalten troß feines unangenehmen Aus—
gangs, welcher ven Helven unter einem Sad voll Kupfermünze ver—
Ihmachten und erliegen läßt. Der erjte Eindruck wird nirgend fo
refpectirt, wie beim Wiener Theaterpublicum, Es ift dies eben —
auch heute noch! — ein geſchloſſenes Theaterpublicum, welches ge—
treulich fejthält an jeinen Traditionen. Hat ein Stüd einmal ge—
fallen, jo bleibt ihm der gute Ruf unmwandelbar treu. Noch fünf:
unddreißig Jahre nach der erjten glüclichen Aufführung ward dies
ſchwächliche Stüd mit günftiger Vormeinung angeichaut, als Korn
zum letten Male fpielte und mit feinem Giulio Romano von der
Bühne jchied. Fünfunddreißig Jahre lang hatte er diejelbe Rolle
gejpielt. Sie ging an Fichtner über, und das Stück frijtete fein
Leben noch, wenn auch vürftiger, vor einem neuen, viel fritifcheren
Geſchlechte. Eine erjte Aufführung würde es heute, auch mit der
beiten Beſetzung, kaum bejtehen.
In demjelben Jahre war „Der Rehbock“ von Kotebue neu,
ein jehr lascives Stüd, welches dem damaligen Publicum jehr ge—
fiel und mit jeinen üppigen Zweideutigfeiten feinerlei Anjtoß erregte.
Ich führe dies an als ein Symptom des Zeitgeſchmacks. Das acht-
zehnte Jahrhundert war in den fogenannten Natürlichfeiten unge:
mein nachjichtig, und diefe Eigenfchaft lebte im Burgtheater fort
beinahe bis gegen die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Ein
alter Defonom des Burgtheaters verfprach fih 1850 goldene Ein-
nahmen, wenn ver leider ob feiner Yüpderlichfeit aus dem Repertoire
geſtoßene „Rehbock“ wieder gegeben werden dürfte. Wie jehr dies aber
dem Gejchmad unjerer Zeit widerfpricht, fonnte ich recht deutlich an
Schröder's „Klingsberg“ erkennen, welcher an allen Ecken und Enden
gemildert und verfeinert werden mußte bei einer Wieveraufnahme
in den fünfziger Jahren, und dennoch als jehr gröblich auffiel. Und
104 Das Burgtheater.
diefe zwei Klingsberg-Stüde find Wiener Stüce, denen Schröder
einen völlig wienerifhen Typus verliehen hatte! Die heutigen
Wiener aber erjchrafen über den freien Ton ihrer Väter und
Mütter.
„Die Schuld“ war 1813 neu geweſen und hatte durch klingende
Verſe und einen ſpannenden Inhalt außerordentliches Glück gemacht.
Dieſer günſtige Eindruck blieb den folgenden, an Zahl geringen Pro—
ductionen Müllner's am Burgtheater treu. 1816 wurde fein „König
Yngurd‘‘ gegeben — Frau Schröder Brunhilde, Herr Heurteur
Yngurd — und im diejer günftigen Strömung eine Zeitlang auf-
genommen umd getragen, als ob es ein dauerndes Repertoireſtück
wäre, Dieſe Gunjt fam 1820 ſelbſt der „Albaneferin‘ zu jtatten,
welche die Manierirtheit und innere Hohlheit der Müllner'ſchen
Muſe ſchon damals einem Theile des Publicums fihtbr machte.
Solch ein Wafferfall, ver eine Zeitlang bewundert und plötzlich dünn
wird, ja jogar gänzlich aufhört, erfcheint eben in der Literarge—
ihichte von Zeit zu Zeit. Er ift durch Pumpwerk entjtanden und
hat feinen natürlichen Zufluß. Beſonders beim Theater ift die Mode
ein vecht augenjcheinlicher Factor, und ich finde fein Zeichen, daß
Schreyvogel durch Mode-Erfolge beraufcht oder getäufcht worden
wäre, wenn er auch Werth legte auf ein überrajchendes Original:
werf, wie „Die Schuld‘ immerhin war.
In demfelben Jahre 1816 fette er Goethe’s „Taſſo“ zum erften
Male in Scone — Korn Taffo, Rooſe Antonio, Adamberger Prin-
zeifin; Sulie Yöwe, eine neue Größe, Sanvitale.
Dajjelbe Fräulein Julie Löwe war ihm einen Monat jpäter
hilfreich fir das glänzenne Gelingen feiner eigenen Arbeit, der
„Donna Diana’, welche am 18. November 1816 zum eriten Male
aufgeführt wurde, Diana — Löwe, Don Ceſar — Korn, Perin —
Rooſe. Dieje Bearbeitung des Moreto'ſchen Stüdes, in welcher
ihm Moliere und Gozzi vorausgegangen waren, hat Schreyuogel’s
literariichen Namen ‚Carl Auguft Weſt“ dauernd eingeführt in
Das Burgtheater. 105
unfere vramatifche Literatur. „Ich habe bei der vorliegenden Be—
arbeitung‘‘ — jagt er in der Vorrede zur erjten gedruckten Ausgabe
der „Donna Diana’ — „Gozzi's Veränderungen benutt, aber mich
im Ganzen jo nahe an das jpanifche Original gehalten, als vie
Berichievenheit des Nationalgeſchmacks nur irgend zu erlauben jchien.
Snsbefondere habe ich geglaubt, dem Charakter ver Prinzeſſin feinen
urfprünglichen Adel wiedergeben zu müfjen, ven er in der jich zum
Burlesfen neigenden Manier des Gozzi zum Theil verloren hatte,
Dagegen verdankt Perin (bei Gozzi „Gianetto“, im ſpaniſchen Ori—
ginal „Polilla“) ver Hand des Letzteren mehrere glückliche Züge, die
ich beibehielt. Auch Don Ceſar ift, zum Theil nach Gozzi's Um—
riſſen, mehr ausgebildet worden.”
Schreyvogel fpricht in den Vorreden zu feinen Bearbeitungen
immer fo einfach und bejcheiven. In Wahrheit find diefe Bear-
beitungen in vielem Betracht jelbjtändige Arbeiten. Die „Verſchie—
denheit des Nationalgeſchmacks“ war ihm ein feiter Leitſtern, nach
welchem er, vom Original abweichend, felbjtändig vorging. Seine
Borreden zum ‚Leben ein Traum“ zeigen dies deutlich, und ent—
wicdeln darüber, wenn auch mit wenig Worten, bejtimmte Grund»
ſätze.
Der große Erfolg dieſer „Donna Diana“ war ein ſehr folgen—
reicher für das Burgtheater, er begründete eine Geſchmacksrichtung
für poetiſches, formell ſauber ausgearbeitetes Luſtſpiel, welchem das
Publicum des Burgtheaters treu geblieben iſt. Süddeutſches Na—
turell, ſteter Wechſelverkehr mit Italien mag dieſe Richtung und
Neigung unterſtützt haben. Sie iſt auch für den feineren Ton in
jedem höheren Luſtſpiele einflußreich geblieben bis auf die heutige
Zeit.
Der „Donna Diana“ war die Bearbeitung des Calderon'ſchen
„Leben ein Traum von C. A. Weſt“ vorausgegangen. Sie hatte,
im Theater an der Wien zuerjt aufgeführt, ebenfalls günftige Wir-
fung gehabt, war aber in Form und Wefen nicht jo harafteriftifch
106 Das Burgtheater.
neu gewejen für das Burgtheater. Das Calderon'ſche Stüd war
ſchon im Jahre 1760 auf dem faiferlichen Stadttheater in Wien
(Kärnthnerthor-Theater) dargejtellt worden unter dem Titel „Das
menjchliche Leben tft ein Traum, in fünf Acten, aus dem Italie-
nifchen (La vita € un sogno) überjett und in deutſche Verſe ges
bracht von M. Jul. Friedrich Scharfenftein“, und Herr von Ein-
jiedel hatte eine getreue Ueberſetzung des Calderon'ſchen Stückes
einige Jahre vor der Weft’ihen Bearbeitung in Weimar zur Auf:
führung gebracht.
Schreyvogel jagt mit Necht, daß eine Ueberjegung unferer
Bühne nicht genügen könne. Er fett jogar hinzu: „Um dieſem
Schaufpiele diejenige Form zu geben, worin es als ein bleibenvder
Erwerb unjerer dramatiichen Literatur betrachtet werden könnte,
müßte es, nach der Idee des Originals, mit völliger Freiheit neu
gejchaffen werden. Bis das gejchieht, mag die gegenwärtige Be—
arbeitung in der Gejtalt beſtehen, in welcher jie Eingang auf ven
Theatern und bei dem großen Publicum gefunden hat’.
Dieje Bearbeitung ift nach langer Baufe 1866 im Burgtheater
wieder aufgenommen worden, und es zeigte ſich, daß nach einem
Zwifchenraume von fünfzig Jahren der Gefchmad des Publicums
dem Kerne des Stüdes zugethan geblieben war, in der zweiten
Hälfte aber jchon ſtarke Kürzungen nöthig machte. Roſaura mit
ihrem Vater und ihrem ungetreuen Liebhaber mußten ganze Scenen
aufgeben, welche unerquidlich befunden wurden.
Schreyvogel jelbit Spricht fehr unbefangen über die Fehler
Calderon's, und die Linien, welche er in feinen Einleitungen vor—
zeichnet für die Bearbeitung fremder Stüde, find gut und lehr-
reih. Man erfennt in ihnen den fundigen Dramaturgen, welcher
ven wahllos verhimmelnden Yobpreifern älterer dramatiſcher Dich-
tungen überlegen tft.
In folher Weiſe errang Schreyvogel dem Burgtheater eine
tonangebende Stellung, und da er nicht abließ, in diefer ſchaffenden
Das Burgtheater. 107
Richtung fortzuftreben — „Don Guttiere, der Arzt jeiner Ehre‘, nach
Calderon, folgte bald ven obigen Bearbeitungen —, da er ferner in
Nachholung claffiicher Stücke, welche das Nationaltheater liegen
gelajjen, unermüdlich war, und da er endlich die neue Production
im deutjhen Drama rajch und forgfältig benutte, fo brachte er
Beitand, Leben und einen reichen Inhalt in das Repertoire des
Burgtheaters. Kurz, er begründete einen wohlverdienten Ruf des
Burgtheaters, welcher noch mehrere Directionen nach jeinem Aus—
fcheiven mit den Zinfen dieſes Rufes verjorgte.
Bon den nachzuholenden Werfen fette ev, wie ſchon erwähnt,
zuerjt „Maria Stuart‘ in Scene, und errang er 1819 auch Yefjing’s
„Nathan“, ein Xehrbild ver Toleranz, welches in den dreißiger, vier-
ziger, ja in den fünfziger Jahren jelbjt ven erſten Eintritt faum
errungen hätte. Koch jpielte ven Nathan, Yange ven Patriarchen,
welcher nur als „Comthur der Hojpitaliter” eingeführt werden
fonnte. Eben jo war der Klojterbruder unter diefer Bezeichnung
nicht gejtattet, jendern erjchien — Coſtenoble — als Diener des
Comthurs.
Bon Shafejpeare brachte er neu „Romeo und Julia‘ — 1816
(Korn — Romeo, Adamberger — Sulia, Rooſe — Mercutio) ;
„Heinrich den Vierten‘ in beiden Theilen (Anſchütz — Falftaff) ; den
„Kaufmann von Benedig‘ in jelbjtändiger Einrichtung (Coftenoble —
Shylock); — und „Othello“ in neuer eigener Bearbeitung Anjchüt
— Othello).
Auch für Heinrich von Kleift machte er wiederholte Anjtren-
gungen. 1821 verfuchte er unter dem Titel „Die Schlacht bei
Vehrbellin” den „Prinzen von Homburg‘. Er verunglüdte. Die
Scene der Tovesfurcht des Helden, unter allen Umſtänden höchſt
mißlich durch das Preisgeben auch der Geliebten, erregte Mißfallen
im Publicum. Auch „Die Familie Schroffenjtein‘ in der Hol:
bein’schen Bearbeitung als „Waffenbrüder“ fand nur einen un—
108 Das Burgtheater.
jicheren Boden. Uhland's „Ernſt von Schwaben” fonnte fich eben—
falls nicht halten wegen des mangelnden dramatifchen Charafters.
Gegen Ende feiner Divectionsführung brachte er noch „Wilhelm
Zell und zulegt „Götz von Berlichingen“. Obwohl auch diefer
feine geſchloſſene dramatiſche Form hat, welche für ein volles Inter-
eſſe des Theaterpublicums erforderlich, jo entbehrt er doch nicht
trefflicher dramatischer Scenen und gewinnt durch urfräftige Sprache
immer eine mannigfache Theilnahme. Die frifche, erquickende
Geſinnung, welche ven ftörenden Scenenwechjel durchweht, hat
allmälig das Bublicum ausnahmsweife für diefe Form in Tableaur
gewonnen, und „Götz“ hat jih auf dem Repertoire behauptet.
Neue Dramatiker, die ihm zu jtatten famen, waren Houwald,
Schenk, Raupach. Auch Clauren will genannt jein wegen der
Anziehungskraft, welche feine jentimentalen Yuftipiele troß ihrer
fleinen Manierirtheit eine Zeitlang ausübten. Vorübergehende
Erfolge entjtehen zumeift aus einer geſchickten Manterirtheit, welche
kitzelt, und ein Theaterdirector fann den Bortheil folher Zugkraft
nicht abweifen, fo lange die allgemeine Move dafür ift, und fobald
nicht gemeine Hülfsmittel im Spiele find. Eben weil fie manierirt
ind, geht ihre Mode immer bald vorüber, und die allgemein ge—
wonnene Einficht in ihre Schwächen kommt der öffentlichen Ge—
ihmadsbildung zu jtatten. So ungefähr pflegte ſich Schreyvogel
zu äußern, wenn er darauf hinwies, daß er fieben Mal in ver
Woche zu jpielen habe, und daß ohne ein bemerfenswerthes Talent
die Wirfung jolcher Clauren'ſchen und ähnlicher nicht courfähiger
Productionen doch nicht entjtehen könnte. Gin täglich fpielendes
öffentliches Theater fünne nicht ein Saal für Auserwähltes fein;
e8 jei ein Markt. Diefer dürfe nichts Gemeines und Unwürdiges
bieten, aber er müſſe mannigfach umd reichlich bieten. Aufmerkſam
auf die edleren Regungen im Bublicum, müffe nur der Aufjeher des
Marktes jtets bevacht und beeilt fein, die im Kern Schwache oder
Ihadhafte Waare bei Zeiten verfchwinvden zu laſſen. Uebergroße
Das Burgtheater. 109
principielle Strenge gefährde auch die Entwidelung neuer jchöpfe-
riſcher Talente, welche ſich zumeiſt exit im Anſchauen ihrer Stüde
läuterten,
Wenn man jegt die Houwald'ſchen Stüde liejt, jo wundert
man jich freilich, daß jolche weichliche und ſchwammige Compofition
das allgemeine Interejfe habe gewinnen fönnen. Und doch war
dem fo. „Das Bild“ machte 1821 Furore. Die franfhafte Yiebes-
feligfeit des Malers Spinarofa und für ihn rührte alle Frauen:
herzen, und die Theatererfolge bei den Frauen find die breiteiten.
Den Frauen ijt das jentimentale Drama die wichtigjte Staatsaction,
und die Männer müfjen daran theilnehmen, wenn fie nicht den
Adel ihres Herzens verdächtigen wollen. Kleinere Stüde jelbit, wie
„Fluch und Segen”, „Der Yeuchtthurm‘‘, „Die Heimfehr’, füllten
die Theater Jahre lang.
Eben jo merkwürdig ift, wie derlei Wirfungen allmälig auf:
hören. Dft ohne erjichtlihen Anſtoß. Der niederlauſitz'ſche Guts-
befiger von Houmwalr, ein wohlwollender Mann, ijt gar nicht
ſonderlich behelligt worden durch kritiſche Widerfacher, fondern es
bat jich nach einigen Jahren won jelbit ergeben, daß man an dieſer
thränenmweichen Markloſigkeit fein hinreichendes Gefallen mehr finde.
Das bemerft eine TIheaterdirection jehr bald, und die Stüde —
jind gewejen.
Bon jtrengeren Sehnen waren die großen Stüde, wie „Beliſar“
von Eduard von Schenf. Sie waren auch in größerem Style ges
führt, und die mächtige Figur des berühmten Heldenvaters Eßlair
jtellte fie auf Gaftreifen dem verichievenartigiten Publicum var.
Aber mit dem ftattlich ausgerüjteten Helvenvater gingen fie auch
vorüber. Anſchütz, welcher diefe Rollen im Burgtheater trug,
übertraf vielleicht Ehlair in Nüancirung der Rede, hatte aber in
Geftalt und Wefen nicht das Helvenmäßige, welches für ven Ein-
druck der Schenk'ſchen Rollen nöthig war. Die Stüde imponirten
auch mit ihm eine Zeitlang, jo lang eben diefes Pathos in fernen
110 Das Burgtheater.
Staatsbegebenheiten Anklang fand. Der Anflang verringerte jich,
als man prüfte und wog, und ven geijtigen Inhalt, jo wie die
charafteriftiiche Wahrheit nicht groß genug befand — die Stüde
verfhwanden, obwohl Anſchütz-Beliſar und Schröder-Antonina noch
vorhanden waren.
Einen viel breiteren Zeitraum großen Einflufjes auf die Bühne
bat Raupach behauptet. Seine erjte Blüthezeit fällt in die zwan—
ziger Jahre. Seine „Fürſten Chawansky“ wurden gegen Ende
1819 durch Frau Schröder eingeführt, 1827 folgte „Iſidor und
Olga“, 1829 „Der Nibelungenhort‘‘. Xetterer hat ein paar Jahr—
zehnte Stand gehalten. Das dem Theaterpublicum neue Thema
des vaterländischen Epos war jehr deutlich und wirkſam dramatiſirt,
und die Yiebesfcenen zwiſchen Siegfried und Chriemhild boten einen
itarfen theatraliihen Neiz in ihrer jehr anfprechenden Naivetät.
Hätte Raupach mit Siegfried’s Tode geichlojien, das Stüd wäre
wohl dauernd auf dem Repertoire geblieben. Die furze fchliegliche
Erledigung der „Nibelungen-Noth“, welche viel breitere Ausführung
braucht und auch in einer jolchen fir das Theater mißlich ift durch
das maljenhafte Morden, entzog dem Stücke die künſtleriſche Ge-
ichlofjenheit. Das Bleigewicht am Ende riß das wohlgeformte
Bild mit fih hinab. Die erite Belegung der Hauptperjonen
(Shriemhild — Sophie Müller, Siegfried — Löwe, Brunhild —
Schröder, Hagen — Anſchütz) hatte ver Einführung des Stüdes
die beiten Dienjte geleiitet.
Auch das wichtigite Yuftipiel, welches Raupach gelang, „Die
Schleichhändler“, eine zeitgemäße Verſpottung der Walter Scott:
Manie, fiel noh in die Directionszeit Schreyvogel's — Januar
1830 — und er hatte jomit alle Vortheile der Raupach'ſchen Yauf-
bahn, welche erſt in ven dreißiger Jahren niederging in Fabrikation
trodener Luftipiele und in dürrer Dramatifirung der Hohenjtaufen.
Dies hiftoriihe Thema, eine mächtige Vertiefung in den Streit
zwifchen Staat und Kirche vorausfegend, verlangt an und für fich
Das Burgtheater. rr3
eine Shafefpeare’jche Kraft, und enthüllte zu deutlich die ungenügende
innere Welt Raupach's. Das Berliner Hoftheater, durch den prote-
Itantifchen Standpunkt begünftigt für Aufführung diefer religiöfen
Controverſe, gewann dadurch für einige Jahre ven Schimmer eines
Itattlihen Inhaltes. Aber auch dort erwies fich dieſe Repertoire:
bereicherung bald als ein bloßer Schimmer. Der wirklich poetifche
Inhalt gebrah, das eigentliche Publicum blieb kalt bei viefen
Staatsactionen ohne menſchliche Wärme, und die Theatermacht
Raupach's verlief im Sande, weil nun völlig offenbar wırde, daß
der dichterifche Quell fehlte.
Ein Epifodenftüd Raupach's aus der Hohenjtaufenzeit, „König
Enzio“, deſſen Reiz in merfwürdiger Begebenheit ruhte, fam noch
auf’8 Burgtheater in der letten Zeit Schreyvogel's.
Bon den Stüden, welhe unter ihm Erfolg hatten, iſt etwa
noch „Vandyck's Landleben“ von Kind, injofern ein jogenanntes
Künftlerprama damit in Mode fam, und „Hans Sachs” von Dein-
hardftein zu erwähnen. Der Lejer wird hinlänglich inne geworben
fein, daß jene Friedenszeit dem fundigen Theaterdirector eine veich-
lihe Production von Stüden und mit ihnen Stoff genug bot zu
ergiebiger Thätigfeit.
Wir haben nun zu betrachten, welch eine Fülle von ſchau—
jpielerifchen Talenten für diefe Zeit erwuchs, und wie Schreyvogel
fie zu finden, zu ftellen, zu entwideln umd zu verwerthen wußte,
Va
Schaufpieleriihe Talente gediehen wirklich zu Schreyvogel's
Zeit in erjtaunlicher Fülle, Als ob die von den Franzojenfriegen
erichöpfte deutſche Welt all’ ihre Fähigfeiten mit Bewußtjein der
darjtellenden Kunſt anheimgegeben hätte,
Wirklich iſt auch der Friede nöthig für den Schaufpielberuf.
Sammlung, jtrenge Uebung, Aufmunterung durch ein unzerjtrentes
Publicum find dem Schaufpieler unerläßlich. ine bewegte poli-
tiiche Welt ift den Geveihen der Schaufpielfunft niemals günftig.
Das gejpielte Yeben verliert feine Hauptreize, wenn das wirkliche
Leben in hohen Wogen geht.
Schreyvogel fand eine gute Yiebhaberin für das Luftipiel in
Julie Yöwe, und er fand eine außerordentliche tragijche Yiebhaberin
— doch nein, das war fie nie, — er fand eine außerordentliche
Heroine in Frau Sophie Schröder; er fand endlich in feinen letzten
Directionsjahren auch die erfehnte tragifche Yiebhaberin in Sophie
Müller.
Er fand einen geſchmackvollen Liebhaber in Korn, einen feurigen
in Löwe, einen liebenswürdigen in Fichtner,
Er fand für das ältere Fach einen Heldenvater in Anjchüt,
einen Charafterfomifer in Coftenoble, einen heiteren Vater in
Wilhelmi.
Dazu die guten Reſte früherer Zeit Koch, Krüger, Rooſe —
Herz eines Directors, was willſt du mehr?!
Das Burgtheater. 115
Die wichtigjte Schauspielerin unter diefen Talenten war Frau
Sophie Schröder. Sie konnte nicht wie Cäſar von ſich jagen: ich
fam, ſah und fiegte. Im Gegentheil: fie fam, wurde gejehen, und
ging. Ihr Aeußeres war auch in ihrer Jugend nicht vortheilhaft,
und die fleine robufte Gejtalt machte als Yiebhaberin feinen vor—
theilhaften Einprud in Wien.
Sie fam aus den deutſchen Oſtſeeprovinzen und hatte Fräulein
Dürger geheißen. In Paderborn war jte 1781 geboren worden,
und war mit den Eltern, die beide Schaufpieler waren, nach Peters—
burg gekommen.
Den Bater hat fie frühzeitig verloren, die Mutter, eine ges
borene Keilholz, hat fie zur Schaufpielerin erzogen. Sophie felbft
nannte diefe Mutter ein großes, halb verkommenes Talent.
Unter der Direction Stollmers, der eigentlich Smets hieß, hat
fie in Petersburg Kinderrollen gejpielt, und man erzählt von einer
Scene bei Hofe, daß die Kaiferin Katharina fie ausgezeichnet habe.
In Wahrheit wurde fie während ihrer erften Jugend mehr zu häus—
lihen Gejchäften verwendet, als zum Komödieſpielen. Eines
Tags — fie war vierzehn Jahr alt — ftand fie in der Küche und
wufch feine Wäfche, da ftürzte Director Stollmers zu ihrer Meutter,
und rief ihr zu: meine Frau hat foeben ver Schlag getroffen, Sie
müſſen jogleich die Sophie hergeben, damit fie die Holle meiner Frau
übernimmt, und auf die Probe kommt! — Sophie trodnete fich vie
Hände, nahm die Rolle, und fing eilig an zu lernen. Norhoürftig
mit ihr vertraut, erſchien As noch nicht völlig erwachjene Mädchen
zur Probe, und jpielte Abenos mit hohen Abſätzen und hoher Frifur,
um Stattlicher auszujehen, und jpielte tapfer.
Frau Stollmers-Smets erlag dem Schlaganfalle, und ver
Wittwer-Divector heirathete noch in demjelben Jahre die blutjunge
Sophie.
Mit noch nicht jehszehn Jahren war fie Mutter eines Sohnes,
des fpäteren Domherrn Smets, welcher als Dichter befannt ges
Laube, Burgtheater. 8
114 Das Burgtheater.
worden iſt und mit ſeinen Gedichten Einfluß geübt haben ſoll auf
Heinrich Heine. Er glich ſeiner Mutter ſehr, nur war er weit
häßlicher. Er declamirte gern ſeine Gedichte, und that dies in der
Vortragsweiſe ſeiner Mutter, das heißt in der äußerlichen Weiſe,
eine Nachahmung, wie ſie der Holckiſche Jäger dem Wachtmeiſter
vorwirft in „Wallenſteins Lager“. Dieſer am Rhein, meiſt in Köln
lebende Domherr war ein Menſch von edlem Sinn, und hegte ſtets
eine unbegrenzte Verehrung für ſeine Mutter. Er verehrte ſie eben—
ſo als Frau wie als Künſtlerin. Sie war bei aller Leidenſchaftlich—
feit ihrer Neigungen ſtets eine ſorgfältige, tüchtige Hausfrau.
Ihr erſter Gatte, der als Schauſpieler ſeinen Namen Smets
in den Namen Stollmers verwandelt hatte, ſtammte aus guter
bürgerlicher Stellung, und iſt auch ſpäter von der Bühne zurück—
und in ein politiſches Amt eingetreten. Er iſt für ihre allgemeine
Bildung von Wichtigkeit geweſen.
Von Petersburg ging die Geſellſchaft nach Reval. Sophie
ſpielte vorzugsweiſe naive Rollen und ſang in Operetten.
In Reval hatte Kotzebne, ver ja aus Rußland zu uns fam, die
junge Sophie gejehen, und er hat jie nach Wien empfohlen. Ueber
Stettin, wo fie noch eine Zeitlang jpielte, ift fie, achtzehn Jahre alt,
zum eritenmale nach Wien gefommen und hat als Frau Stollmers
die Margarethe in Iffland's „Hageſtolzen“ und ähnliche Rollen
geipielt.
Alles, was ich über dieſe ihre erjte Wiener Zeit gelejen, lautete
dahin, daß fie nicht befonvders gefallen habe.
Jedenfalls blieb jie faum ein Jahr in Wien und ging nach
Breslau. Immer noch waren naive Rollen und Gefangsrollen ihr
Fach; namentlich die Hulda im „Donauweibchen“ jpielte und fang
fie ven Breslauern zu Danf.
Ihre Ehe mit Smets-Stollmers wurde in Breslau aufgelöft,
und fie geht 1801 nach Hamburg unter die Direction des berühmten
Yudwig Schröter. Aber nicht von ihm ſtammt ihr Name, jondern
Das Burgtheater. 115
von einem Tenoriften Schröder, welchen fie 1804 heirathete. In
dieje erfte Hamburger Zeit num fällt ihr Uebergang zum tragifchen
Face. Bielleicht hat die Scheidung von Smets tiefere Gedanfen
in ihr geweckt — wenigitens wird jte oft melancholifch genannt um
jene Zeit —, vielleicht hat Director Schröder fie darauf hingewieſen.
Auch Kotzebue joll jchon früher behauptet haben, daß ihr Talent am
jtärfjten in der Tragödie fein werde — kurz, in dem Jahrzehnt von
1803 bis 1813 entwidelte fie in Hamburg ihre tragiichen Anlagen.
Ale damals entjtehenden ſchönen Schöpfungen — Schiller
fchrieb ja von 1799 bis 1805 jedes Jahr eine neue Tragödie —
brachten ihr wichtige Aufgaben. Als erſte tragifche Rolle, welche
fie gefpielt, wird die Zimmermeifters-Tochter genannt in „Julius
von Saſſen“, einem Stücde, das untergegangen ift. Amalie in den
„Räubern“, Lonife in „Cabale und Liebe“, Beatrice in der „Braut
von Meffina‘‘, die Jungfrau von Orleans, die Turandot hat fie
damals in Hamburg gejpielt.
Sie jtammt alfo wohl im Wejfentlichen aus Ludwig Schröder's
Schule, denn wir wiffen ja aus dem Meyer'ſchen „Leben Schröder's“,
iwie aufmerffam dieſer fich feiner Mitgliever angenommen in Unter:
weifung, Bemerfungen und Winfen.
1813 verließ fie Hamburg. Sie hatte fich auf ver Scene als
PBatriotin compromittirt vor den Franzojen, welche unter Davouft
Hamburg befegt hatten und jo lange befetst hielten, Wunderlich genug
ſoll dies durch eine ruſſiſche Cocarde gejchehen fein, welche jie in
einem Koßebue’jchen Gelegenheitsftüde: „Die Ruſſen in Deutfch-
land‘ auf der Scene getragen hatte, als Tettenborn eben vorüber—
gehend mit Koſaken nach Hamburg gefommen war. Sie hatte ruſ—
fiiche Jugend-Erinnerungen, und die Ruſſen waren damals unfere
Berbündeten gegen die Franzoſen. Davouft wollte fie zwingen, mit
der franzöfifchen Tricolore aufzutreten, und da iſt fie des Nachts
entflohen.
Sie gaftirte eine Zeitlang und ließ jich in Prag nieder. Von
—
116 Das Burgtheater.
da fam fie 1815 zum zweitenmale nach Wien und wurde im Burg-
theater engagitt.
Hier fand fie wieder einen wichtigen artiftifchen Führer in
Schreyvogel, und fand für große Stüde das ſchöne Theater an der
Wien, welches — wie gejagt — damals unter einer Cavalier—
Direction mit vem Burgtheater verbunden war.
Bierzehn Jahre dauerte dies Engagement, und erjt im vierten
Jahre dejjelben — 1818 — tft jiein das Fach übergetreten, welches
fie zur großen Schaufpielerin gemacht hat, in das Fach ver Helden»
mütter. Denn weder als naives Mädchen, noch jelbit als tragifche
Liebhaberin, jondern als Heldin und Heldenmutter jteht fie obenan
in ver deutſchen Theatergejchichte.
Eine äußerliche Beranlaflung hat fie früh zum Uebergange in
dies Fach getrieben. Sie hatte eine fchwere Krankheit durchge
macht, und diefe Krankheit hatte ihr Aeuferes ganz verändert. Sie
war die geworden, was allerdings eine migliche Zugabe war für
ihren fleinen Körper. So erſchien fie eines Abends in raſch über:
nommener Stellvertretung der gaſtirenden, und plößlich erfranften
Frau Stih vor dem überrafhten Wiener Publicum. Es gejchah
in der Rolle ver Elvira in der „Schuld, und als Hugo von dem
Gürtel fprach, welchen er ihr um den „ſchlanken Leib“ binden wollte,
da lachte das Publicum, eine Unart der Wiener, welche manches
Stück und manchen Künſtler verſtört hat.
Zweimal hat diefe Unart tief eingewirkt auf die Laufbahn ver
Schröder. Jetzt dahin, daß ſie die Yiebhaberinnen aufgab.
Ihr zweiter Gatte Schröver ftarb in demfelben Jahre 1818,
Elf Jahre blieb fie Wittwe, aber 1829, alfo achtundvierzig Jahre
alt, heirathete fie, von heftiger Leivenfchaft für den jhönen Mann
getrieben, den Helvenfpieler Kunft. Schon nah wenigen Wochen
erfolgte vie Trennung diefer Ehe, und in demſelben Jahre verließ
fie Wien.
Sie reifte und gab zwei Jahre lang Gaftrollen. 1831 trat
Das Burgtheater. 117
fie in's Münchner Hoftheater. 1833 kam fie zum drittenmale nad)
Wien, trat im Joſephſtädter Theater auf und dann erſt in der Bing,
ging aber wieder nach München zurück und fam erjt 1836 zum
viertenmale wiederum als engagirtes Mitglied des Burgtheaters
nad Wien,
Aus diefer leisten Engagementszeit fehlt es nicht an Nachrichten,
welche jie als mißvergnügt jchildern, als nicht ganz zufrieden mit
der Theilnahme des Bublicums, und ihren legten Abgang nach einigen
Sahren motivirt man mit einer peinlichen Scene, Die beinahe
jechszigjährige fleine Frau habe die Elifabeth in „Maria Stuart“
aejpielt und bei Yeicejter’s Rede im zweiten Acte:
„Ja — wenn ic) jeßt Die Augen auf di) werfe —
Nie war'ft du, nie zu einem Sieg der Schönheit
Gerüfteter als eben jetzt —“
habe das Publicum wieverum über fie gelacht. Im Innerſten em:
pört, habe jie da den Entjchluß gefaßt, von dannen zu gehen und
hiemit von der Bühne abzutveten.
Ahtundzwanzig Jahre noch hat jie — anfangs in Augsburg,
dann in München — in ver Stille gelebt. 1859 zum Schillerfejte
nur ijt fie auf höheren Wunfch noch einmal in München auf der
Scene erichienen und hat das „Lied von der Glocke“ vorgetragen.
Bald darauf fam fie auch noch einmal nad Wien und fprach auch
hier die „Glocke“ und Klopſtock'ſche Oden. Dann blieb fie ganz in
der Münchner Zurücgezogenheit, unterrichtete mitunter junge
Schaufpielerinnen und jchrieb, wie man jagt, ihre Memoiren. Sind
jie gefchrieben, dann erfcheinen fie jet hoffentlich im Drud,
Was war nun, fragen wir im Hinblid auf dies lange, veiche
Leben, was war num der Grundcharafter ihrer Kunſt und wodurch
ift fie für ung die große Schaufpielerin geworden ?
Ihr Grundcharafter war ſchwerer Ernſt, und durch den Vor—
trag in erfter Linie ift fie die große Schaufpielerin geworden,
118 Das Burgtheater.
Ihr Organ war fonor, ihr Accent vein, ihre Eintheilung der
Rede meijterhaft. Sie jtammte aus der guten Zeit, welche ge-
ſpannten Sinnes eine neue Literatur aufnahın, welche jedes ſchöne
Wort begrüßte, welche die Bedeutung eines jeden Wortes genau
würdigte. Cine folche Zeit jpricht in ihrer Redekunſt jo klar als
möglich, jte jucht für jede Wendung des Sates den entſprechenden
Ton. Sie jtammte ferner aus einer Zeit, welche neben der ideal auf-
fliegenden Literatur doch in der Schaufpielfchule von Schröder und
Iffland einen realen technischen Boden hatte. Diefen Boden durf-
ten damalige Schaufpieler nicht Leicht verlaffen in unverjtandener
Ueberjchwenglichfeit. Leute wie Schröver und Iffland verlangten
auch für die Ueberichwenglichfeit Erklärung, Motivirung und jtufen-
weifen Gang.
Aus diefen Einflüffen ift Sophie Schröder in ihrem Schau—
ipiel- Charakter hervorgegangen. Dieſer Charafter war nicht jo
blos ideal, wie jett oft behauptet wird; er ruhte auf einer ſehr
realen technischen Grundlage; er holte fich gar manche Begründung
oder Ausſchmückung vom realen Felde.
Die nächite Frage ift: War fie nur declamirend, oder war fie
zu jehr veclamirend, wie ihr neuerdings nachgejagt wird ?
Die letzte Frage wird fein: Hatte fie Leidenschaft genug? Ent-
widelte fie Schönheit genug?
Ich erinnere mich ihrer Slabella ganz deutlich, und ich muß
jagen: Ihre Declamation drängte fich nicht vor, löſte ſich nicht ab
vom dramatifchen Charakter, Sie fprach Schön, fie ſprach, — man
empfand es wohl — mitdem Bewußtfein, daß die Art des Sprechens
eine Hauptjache wäre, aber jie hielt die Verbindung mit dem dra—
matifchen Gedanken und Gange unzweifelhaft fejt, ſie ſprach drama—
tiſch Schön.
Die große Nede im erften Acte der „Braut von Meſſina“
hätte vielleicht noch mannigfaltiger fein fünnen; es blieb vielleicht
zu wünfchen übrig, daß noch ein ftarfer Puls geiltiger Yebhaftigfeit
a En 0 V
Das Burgtheater. 119
bervorträte — aber diefe Wünſche entjtanden wohl nır, weil man
einer jolhen Künftlerin gegenüber alle erfinnlichen Anforderungen
jtellt. Im letsten Acte, bei dem Schrei: „Es ift mein Sohn!
vergaß man all’ diefe Fragenden Berlangnifje. Diejer Schrei, aller-
dings rhetoriſch vorbereitet, war nicht blos rhetoriſch, er enthüllte
die ganze Macht des dramatischen Momentes.
Ih ging aus dem Theater mit dem zweifelfreien Gedanfen,
eine claſſiſche Darftellerin ver Sfabella gejehen zu haben. Nur an—
fangs hatte ich bedauert, daß ihr nicht eine jtattlichere äußere Er—
jheinung verliehen war. Das Bedauern war indejjen nicht leb—
haft gewejen und wurde bald völlig vergeffen.
Hatte fie Leivenfchaft genug? Die Darjtellung der Sfabella
giebt wohl Anhalt zur Beantwortung diefer Frage, aber doch nur
Anhalt. Mit diefem Anhalt würde ich mir zu jagen getrauen: Ja,
fie hatte Leivdenfchaft genug. Ihre perfünliche Befanntichaft giebt
mir weitere Anhaltspunkte mehrfacher Art. Sie war eine tief ernſt—
bafte, jtrenge Natur und hat mich in ihren Aeuferungen wohl an
puritanifche Yeivdenjchaften aus Cromwells Nähe erinnert. Nicht
an die Yeidenfchaft des Südens, wohl aber an vie fchonungslos
leivenjchaftlihen Ausbrüche der Nordlandsreden. Das beliebte
Schlagwort älterer Yeute heißt „dämoniſch“, wenn jie won diejen
Schröder'ſchen Ausbrüchen ſprechen. Ich glaube, jie haben nicht
ganz Unrecht, aber auch faum ganz Recht. Wir fuchen im „Dämo—
nischen‘ ein gutes Theil wilder Phantafie, weltſtürmenden, völlig
unabhängigen Gevdanfens. Den gerade hab’ ich nie wahrgenommen
in ihr; ich habe fie nie gedanfenreich, nie ungeſtüm und vreift in
der Gevdanfenwelt gefunden. Ihre Kraft war die eines jtarfen Wil-
lens, mächtiger, unnahbarer Entjehlüffe. In diefem Bereiche wer:
den fich auch ihre ſtärkſten Rollen finden, und man jpricht gewiß mit
Fug und Recht von ihrer außerordentlichen Yady Macbeth.
Eine rationell erwachjende Leidenſchaft beſaß fie gewiß in
120 Das Burgtheater.
jtarfem Grade. Desgleichen die Leidenichaft eines herben, ja har—
ten Naturells. Schwerlich die einer warmen Gluth.
Und nun endlich: Beſaß fie Schönheit genug? Man wird
die Frage nicht mißverjtehen und an die blos äußerliche Schönheit
der Erſcheinung denken. Dieje beſaß fie befanntlich nicht. Sie
war flein und mehr robuſt als ſchön gebaut. Auch im Antlit waren
itarfe Knochen und eine furze Naje dem fchönen Eindrucke nicht
förderlid. Das Alles hindert nicht, im Ganzen und namentlich in
der Bewegung des Körpers äfthetifch ſchön zu wirken. Das ver-
mochte fie. Sie hatte eine jo lange, jo mannigfache und jo zzünd⸗
liche Schule durchgemacht, daß ihr volles Ebenmaß der Haltung und
des körperlichen Ausdrucks ganz und gar zu eigen war. Alle Schil—
derungen ihrer antiken Rollen ſtimmen darin überein, und ihre
Iſabella hat es mir in allen Richtungen beſtätigt. König Ludwig J.
von Bayern hat zu ihr geſagt: Schröder, Ihre Grazie liegt in Ihrem
clafftisch Schönen Oberarme!
Was die Schönheit in mehr äußerlicher Bedeutung betrifft, in
der Bedeutung, dar die bloße Erfcheinung gewinnend und liebens-
würdig jei, darüber ift fie jelbjt beizeiten ſtreng gegen fich gewejen
im eigenen Zutrauen. Das alte Soufflivbuch des „Goldenen
Vließes“ in ver Abtheilung „Die Argonauten“ hat mir darüber
einen merfwürdigen Auffchluß gegeben. In dieſen „Argonauten“
ijt vielfach von dem, wenn auch wilden, Mädchenreize ver Medea
die Rede in den Yiebesjcenen mit Jaſon. Mit Schreden jah ich,
daß all’ das geftrichen war. Was auf Medea's Viebreiz nur ivgend-
wie hindeutete, war ausgelöfcht. Das hatte Sophie Schröder nicht
paſſend erachtet für fich. Es blieb num freilich unflar auf Koſten
der Dichtung, woher denn wohl die Neigung Jaſon's jtammte;
aber die Darftellerin der Medea war num gefichert, daß man ihr
Nichts von einer Piebhaberin zutrauen durfte. Ich habe deshalb
gewiß auch in ihrem Sinne gejagt, daß ihre volle und reine Größe
erit begann, als fie zum Fache ver Heldin und Heldenmutter über-
Das Burgtheater. 121
ging. Hier fonnte ſich von ihrem durchwegs ftrengen Naturell Alles
vollftändig geltend machen, hier fonnte die jeltene große Schau—
jpielerin entitehen.
Das ift fie gewejen. Das ergiebt fich für mich ſchon aus den
geringen Erfahrungen, welche ich perjünlich von ihrer Daritellung
gewonnen habe. DasWejen einer Heroine erfchten in ihr echt und
natürlih und hoch erhoben durch ihre Diwjtellungsfunit. Cine
Anzahl ihrer jtrengen Rollen wird in unſerer Theatergejchichte
immer Schröverifch genannt werden, und Schröderifch wird fo viel
bedeuten als claſſiſch.
In ihrem eigentlichen Fache jteht fie unerreicht und einzig da,
ein Borbild für die deutſche Schaufpielerwelt.
1868 ijt fie in München geftorben.
Merkwürdig genug finde ich in den Caſſenausweiſen des Burg-
theaters, daß der Beſuch des Publicums bei diefen ihren bejten
Leiftungen, wie Sappho und Medea, fehr ſchwach gewejen iſt. Die
Cafjenbücher zeigen won ſolchen Abenden die geringfügigiten Ein—
nahmen, Einnahmen, wie jie in den fünfziger und ſechsziger Jahren
nur bei durchgefallenen Stüden, oder in den heißen Sommer:
monaten vorfommen. — Dan jagt, dies habe in der mangelhaften
Bildung des Publicums gelegen, welches für ſchwer tragiiche Stüde
nicht veif gewejen.
Allerdings war es mir noch im Jahre 1851 vorbehalten, den
alten Lear im fünften Acte zu tödten, Dem Gejchmade des Publi—
cums zu Gefallen war er bis dahin am Yeben geblieben. Der alte
Herr mußte es möglich machen, nad ſolchen Erfahrungen und Er—
Ichütterungen weiter zu exiftiven, und Ludwig Tief warnte mich
lächelnd vor dem vermejjenen Unternehmen, dieſen fogenannten
„Wiener Schluß‘ in ven Shakeſpeare'ſchen zu verwandeln.
Aber nicht blos die mangelhafte Bildung, ein Ergebniß ver
ſchlechten Schulen, welche das alte Syſtem zupafjend fand, lag und
liegt in Wien der Tragödie im Wege, Die fanguinifche, ich möchte
122 Das Burgtheater.
jagen die optimiſtiſche Beichaffenheit des öſterreichiſchen Naturells
entjchließt fich ungern und jchwer zu tragiicher Betrachtung. Der
Begriff einer ‚Unterhaltung‘ iſt in Defterreich zu allgemein gleich-
bedeutend mit dem Begriffe ‚Theater‘, als daß die zum Extrem
jchreitende Aufgabe im Denken und Fühlen dem Publicum genehm
werden könnte. Man liebt es nicht, die Dinge tief ernjthaft anzu-
fajjen, und die Regierungsweiſe hat die ohnehin herrfchende Ab—
neigung dadurch beſtärkt, daß fie gründliche Prüfung aller Höheren
Fragen fo lange ferngehalten hat von ver Bevölkerung.
Vebrigens lag und liegt wohl auch ein gutes Korn Ajthetiicher
Wahrheit darunter, daß man von der Kumft befriedigende Eindrücke
verlangt. Unveife Tragödien erregen ja wirklich nur peinliche
Empfindungen, und es gehört eine durch religisfe und moralifche
Fragen tiefer aufgeaderte Bevölferung dazu, um das Tragijche vom
Traurigen zu unterfcheiven. Dieje Aufaderung tritt erft feit einigen
Sahrzehnten an die Defterreicher heran, und fie hat auch wirklich
ſchon einen fichtbaren Wechfel hervorgebracht, jo weit er bei der—
jelben Generation mit dem Naturell vereinbar ift.
Aber auch nach langer Erfahrung und nah dem Wechjel einer
ganzen Generation werden die Defterreicher immer noch das beite
Publicum für das Lujtipiel bilden, und das Sentimentale wird
ihnen noch lange lieber fein, als das Tragifche. Für das Luſtſpiel
übertreffen fie an Empfänglichfeit und vafcher Auffaſſung alle deut—
ſchen Stämme.
Bon diejen Neigungen ift Sophie Schröver in Wien ficherlich
bis auf einen gewilfen Grad betroffen worden.
Trotz Allevem fteht Sophie Schröder im ftolzeften Andenten
der Wiener. Obwohl fie mehrmals von dannen gegangen, obwohl
fie die Divection ohne Fug mit dem Rüden angefehen, hat auch die
Direction diefem ftolzen Andenken ſtandhaft Nechnung getragen,
und hat ihr bis zu ihrem Tode eine Penſion gezahlt, welche fie
durch ihr Weggehen juridiſch in Frage geftellt hatte.
Das Burgtheater. 123
Sie war Übrigens im praftifhen Sinne für die Direction
feineswegs jo ausgiebig, wie man venft. Ihr Nollenfreis war
ſtreng, ſogar eng begrenzt, und fie hatte ſelbſt in diefem engen Kreife
eine Schwäche, welche nicht zu überwinden war. Diefe Schwäche
lag eben darin, daß fie auch in ihrer Jugend feine Yiebhaberin
geweſen.
Sappho war eine ihrer gefeiertſten Leiſtungen, und doch haben
wir 1866 erfahren, daß ihr ein Hauptelement dafür fehlte. 1866
Ipielte Fräulein Wolter diefe Rolle. Der ganze große Apparat
correcter Declamation, über welchen Sophie Schröder verfügte, ihr
Bortrag reichte gar oft nicht hinan an die Kraft, Feitigfeit und
Klarheit jener Künjtlerin, — und dennoch war der Eindruck der
Rolle und durch die Rolle der Eindruck des ganzen Stüdes viel
Ihöner als damals. Das Blut der Liebe pulfirte in Frin. Wolter
viel jtärfer, und dadurch wurden Rolle und Stüd wärmer und
ſchöner. Kine gewiffe Berechtigung zum Geliebtwerden muß in
Sappho vorhanden, die Darftellerin der Sappho muß eine gewejene
Liebhaberin fein, um der Seele des Stüdes gerecht zu werden.
Am deutlichiten kam dies in den zwanziger Jahren zu Tage.
Da erſchien plößlich in Sophie Müller ein ausgezeichnetes tragifches
Talent neben ihr auf dem Burgtheater und Ipielte in Raupach's
„Nibelungenhort“ neben der Brunhild der Frau Schröder die
Chriemsilz. Sophie neben Sophie! Und die leidenfchaftlichen,
in's Heroinenfach hineinragenden Scenen der Chriemhild übertrafen
an intenfiver Wirkung die Scenen der Brunhild, weil eben Sophie
Müller ihre Accente aus wärmerem Herzen heraufholte.
Leider führte diefer Steg auch zu fchnellem, ſchmerzlichem Ver—
luſte, er führte zum Tode der jüngeren Sophie. Sie jchonte fich zu
wenig nach jolch aufregender tolle, fie jpielte bei offenen Fenſtern
tief in die Nacht hinein Clavier, nachdem jie Abends eine Chriem:
bild mit aller Hingebung dargeftellt, fie erfältete fih dadurch, wurde
124 Das Burgtheater.
heijer, ſpielte weiter mit jolcher Heijerfeit, verfiel im ſchwere Krank—
beit und büfte mit dem Tode.
Ein Schwerer Verluſt für die deutfhe Bühne. Ganz Wien ift
darüber einftimmig, daß ſie ein außerorventliches tragifches Talent
gewejen. Sie jtammte aus Mannheim, war eine jtattliche Er—
iheinung, bejaß ein wundervolles Organ und war voll poetifchen
Eifers für ihre Kunjt. 1822 fam jie nach Wien, 1829 erfranfte fie,
1830 war fie todt — ein Stern, welcher nur einige Jahre hindurch
leuchten jollte.
Korn fpielte in den zwanziger Jahren den Partner der tra-
giichen Heroine Sophie Schröder. Zum Eritaunen der Wiener,
welche ihren Korn hoch verehren, ja zum Erjchreden der Wiener
muß ich jagen, daß dies fein günjtiges Zeichen tft für das Enjemble
jener Zeit, Korn war ein vortrefflicher Schaufpieler für Luſt- und
Schaujpiel, aber er war unzulänglich für die Tragödie. Ein
jtets angefvänfeltes Organ, Mangel an Schwung und innerer Be:
geijterung, und eine feine, vefervirte, moderne Haltung ſchloſſen ihn
eigentlich aus von tragijchen Rollen. Es war ein wunderlich lah—
mendes Gejpann, Frau Schröder und Herr Korn als Medea und
Jaſon; denn Letzterer hatte feine Ader von einem Heroen der Vorzeit.
Dagegen war eben jene feine, vejervirte, moderne Haltung
jeine trefflichite Eigenfchaft fir Schau- und Luftipiel. Das Ver:
meiden von Unfchieflichfeiten und das weite Bereich der empfehlenden
Negative, furz Alles, was zum gejelligen Tacte gehört, war ihm won
Natur eigen, Ein elegantes Aeußere dazu, eine interejjante Phy—
jiognomie und ein gejchmacvolles Verſtändniß für alle Details ſce—
nischer Wirkung machten ihn zum angenehmjten Typus einer Frad-
figur. Er wußte vortvefflich zu jchweigen und blos anzudeuten, jo
vortrefflich wie eine Schöne zu reizen weiß, indem jie ihre Reize
halb verjteeft und nur in fchüchternem Maße enthüllt.
Wenn man den eigentlichen Inhalt feines Wejens bloßlegen
wollte, da wirde man erjtaunen über die Geringfügigfeit dejjelben
Das Burgtheater. 125
an Wiſſen, Geift und Gemüth. Aber wie fi) Eines zum Anderen
verhielt, das machte ihn anziehen.
Die ganze Macht ver bejtechenden Form war ihm zugetheilt
und hielt ihn vierzig Jahre lang in der verdienten Gunft des Pur
blicums. Ordentlich, fleißig, forafältig und immer diplomatijch
war er außerdem ein anmuthiger Staatsmann des Theaters, wie
es kaum einen zweiten gegeben. Geſchmack war die Summe feines
Weſens, Borficht und Behutjamfeit die Yeiterin all’ jeiner Schritte,
„le semblant“ — unjer Wort „Schein“ ift zu grob — das Ziel
all’ feiner Bejtrebungen.
Seydelmann erinnerte an einen Diplomaten, mit dem man
fih in Acht nehmen mußte, Korn an einen Diplomaten, der einen
barmanten Eindruck machte. So angenehm, fo verbindlich, jo
bequem!
Er hatte denn auch eine große Anzahl von Rollen, welche er
unübertrefflich jpielte, namentlich Cavaliere von reinjtem Waſſer, und
er war natürlich auch ein Yiebling der Cavaliere, welche im Burg:
theater von jeher das entjcheivdende Wort abgegeben.
Sehr verfchieden war von ihm Cojtenoble, ein demokratiſches
Naturell. Trocken, faſt mürriſch, aber von pofitiver Komik in Luſt—
ipielcharafteren, von unerwarteter, aber eben jo pofitiver Rührung
in ernjteren gemüthlichen Aufgaben. Nirgend Uebertreibung, nirgend
Slitter, ein Klofterbruder im „Nathan“, ver nicht zu übertreffen ift.
Bon Anſchütz, Löwe, Wilhelmi, Fichtner fei die Charafteriftif
binausgefchoben auf die Zeit, welche ihre Talente voll entwidelte,
Mit ſolchen Darftellungsmitteln und forgiamer Leitung hatte
Schreyvogel das Burgtheater auf einen ungemeinen Höhepunkt
gebracht zu Anfang des Jahres 1832.
Es war damals, troß der tiefgreifenden Cenſurhinderniſſe, das
bejte deutſche Theater.
Die Meinung vieler Wiener, daß es dies immer gewejen, ift
ein Irrthum. Vor Schreyvogel war das Berliner Theater unter
126 Das Burgtheater.
Iffland nicht nur wichtiger durch den Inhalt feines Nepertoires,
jondern auch beifer, und bis in die zwanziger Jahre hinein erhielt
Graf Brühl dem Berliner Hoftheater den erjten Rang durch ſtyl—
volle, freigebige Bemühung für das große Schaufpiel. Aber in
Berlin ging man in den zwanziger Jahren zurück, und in Wien
ging man vorwärts unter Schreyvogel. Und diefer Mann wurde
1832 durch den damaligen Oberftfämmerer Grafen-Gzernin plöglich
und ſchnöde befeitigt.
Schreyvogel war ernft, furz, zuweilen fchroff. Er lebte und
webte ganz in feiner Aufgabe, Nur während des Ferienmonats in
Baden ruhte er aus vom Theater, und dort jchrieb er alljährlich
eine Novelle für das Tafchenbuch Aalaja. Das Geveihen feines
Inſtituts befchäftigte ihn ſonſt früh und ſpät, und der Gewinn eines
jo zahlreichen Perſonals war das Ergebniß feiner vaftlofen Be—
mühung. Unnüße Störungen, zwedwidrige Befehle von Seiten der
oberiten Divection machten ihn ungeduldig und entrijfen ihm mit-
unter herbe Neußerungen. Die Schauspieler aber find nie alle zu—
frieden mit ihrem Director, und find in dev Unzufriedenheit und
Klatichfucht immer geneigt, ſolche Aeuferungen weiter zu tragen.
Namentlich jagte man dies damals jungen Yiebhaberinnen nad,
welche beim oberiten Chef gern gehört wınden. So famen denn
jolche Aengerungen zum Grafen Gzernin. Ihm war der ernithafte
Schreyvogel mit feiner Yogif bei theatralifchen Streitfragen ſchon
lange unbequem, und er war von jeinen Herrichaften gewohnt, mit
einem unbequemen Beamten furzen Brocek zu machen. Es fam ihm
nicht in den Sinn, daß ein gewöhnlicher Herrichaftsbeamter weniger
bedeute, als der erprobte Leiter eines Runftinftitutes, und daß beide
nicht mit gleicher Elle zu meſſen feien. Cr maß mit gleicher Elle,
und jagte Schreyvogel fort, wie er einen feiner Beamten fortzujagen
pflegte. Schreyvogel erhielt plößlich, aller Welt unerwartet, feinen
Abſchied, und wurde jo roh behandelt, daß man ihm unterfagte, den
vergeffenen Regenſchirm aus dem Burgtheater zu holen, Er jollte
JM ———
Das Burgtheater. 127
es nicht mehr betreten, und man rief ihm zu: „Der Regenſchirm
wird Ihnen gejchiett werden‘. Sp war er hinausgemwiejen, ver
Schöpfer des damaligen erften deutichen Theaters, aus den Räumen
diefer Schöpfung. Der Aerger verzehrte ihn mit glühender Flamme,
und warf ihn der harrenden Cholera in die Arme. Zwei Monate
nach feinem Austritte war er todt.
Graf Czernin hat daber Nichts weiter beabfichtigt, als einer
Cavalierslaune zu dienen. Die Befeitigung Schreyvogel’8 war ihm
eine Bagatelle, und um darüber feinen Zweifel auffommen zu laffen,
übergab er die Direction — Herrn Deinharpitein.
IX.
Nur der bovdenlos dreifte Yeichtfinn eines Cavalters fonnte
lolchergeftalt einen Schreyvogel bejeitigen und einen Deinharpftein
für ihn einjeßen,
Ein hochwichtiges Kunftinftitut von unermeßlicher Bedeutung
für Stadt und Neid wurde ohne Noth dem Zufalle, ja der offen-
baren Lüderlichkeit preisgegeben.
Deinhardftein entiprach dieſem Acte vollftändig. Er war felbit
der bodenloſe Yeichtjinn. Ein bebaglicher Kumpan voller Schnurren
und Späße, ohne genügende Bildung und ohne irgend einen inneren
Halt. Es it gar charafteriftiich für jene Zeit, daß diefer Mann bei
den damaligen Wiener Jahrbüchern, einer wiſſenſchaftlichen Zeit-
ſchrift, eine Rolle ſpielen konnte. Als Illuſtration für diefe Sorte
wifjenjchaftlicher Bildung will ich nur zwei Punkte erwähnen: „Benz
venuto Gellini”, ein Stüd von Deinhardftein, wurde eingereicht. Es
war von völliger Abgefhmacdtheit und die Behandlung des Künjtlers
und der Kunjtinterejfen war des Themas ganz unwürdig. Dies
mein’ ich indeſſen nicht als erjten Punkt. Auch ein tüchtiger Mann
Itrauchelt zuweilen und fchreibt ein ungefchietes Stüd. Aber dies
Stück ſpielte unter Franz I. in Franfreich und zwar vorzugsweife
in ver königlichen Nefivenz von — Berfailles! Man braucht nicht
zu wilfen, daß ein Fleines Jagdhaus im Walde von Verjailles für
König Franz I. nicht die Rolle von Fontainebleau oder Chambord
übernehmen fann, aberwenn man franzöfifche Gefchichte dramatifirt,
Das Burgtheater. 129
jo muß man doch Kenntniß davon nehmen, daß Verſailles als Luft:
ſchloß und königliche Reſidenz erſt mehr denn hundert Jahre jpäter
von Ludwig XIV. gebaut und zur Reſidenz erwählt wurde. Oper
wenn auch das zu viel verlangt iſt, fo muß ein noch fo Leichter Autor
doch den Irrthum, wenn er darauf aufmerffam gemacht wird, als
einen Irrthum anerfennen, Ich machte Deinharditein darauf auf-
merkſam, und — wurde ausgelacht. Der zweite Bunft liegt in der
Ueberfeßung franzöſiſcher Stüde, welche er unter dem Namen eines
Dr. Römer im Burgtheater aufführen lief. Die Franzofen hatten
zwijchen 1830 und 1840 eine ſehr fruchtbare dramatische Production,
und manche Stüde aus jener Zeit, zum Beifpiel die „Cameraderie“
(„Gönnerfchaften”) und das „Fräulein von Belle Isle” („Leichtſinn
und feine Folgen‘ geijtreich betitelt) jind auf unſerem Repertoire
verblieben. Dieje beiven Stüde nahm ih in ven fünfziger Jahren
"wieder auf und ich vevidirte zu diefem Zwecke die Soufflivbücher.
Mein Erichreden bei diejer Reviſion weiß ich faum zu fehilvern.
Solch eine Unkenntniß der fremden Sprache jelbjt in der einfachiten
Rede, ſolch eine Verballhornung des Sinnes, folch ein falopper
und unrichtiger deutſcher Ausdruck — das Soufflivbuch eines Markt—
flecfentheaters, welches jeine Manuferipte in einer Vorftellung ver
nahen Stadt heimlich und flüchtig nachjchreiben läßt, kann nicht
ärger jein. Und dies war das Soufflivbuch des Burgtheaters, und
ver Berfaffer war der Director des Burgtheaters gewefen, eingejett
vom Grafen Ezernin fin den abgejetten Schreyvogel! — Die Cen-
ſur galt im jenen Zeiten als Entſchuldigung für Alles, auch für
Spracfehler und ſinnloſe Nerven. Weil fie gräuliche Umänderungen
nöthig machte, wurde dem Bearbeiter die ärgſte Schülerarbeit nach-
geſehen.
Vom perſönlichen Gebahren dieſes Schreyvogel'ſchen Nach—
folgers nicht zu reden. Die ganze Aufgabe der Direction war ihm
ein Schwank. Wenn er am Vogelherde geſtört wurde, weil man in
Wien nicht wußte, was man ſpielen ſollte, da rief er mit gedämpfter
Laube, Burgtheater. 9
130 Das Burgtheater.
Stimme: Wartet! Beunruhigt meine Nete nicht! Ungefähr wie
Archimedes in Syrafus, als die Römer bei ihm eindrangen und ihn
im Studium der Zeritörungswerfe gegen die Römer ftörten. Wenn
er weinfelig und lärmend Abends in’s Theater fam zu feinem Sperr-
jie, da wurde er wie oft! vom Publicum zur Ruhe verwieſen.
Diejen Nachfolger gab Graf Gzernin dem würdigen Schrey—
vogel.
Es iſt lehrreich, an dieſem Deifpiel zu jehen, was ein Director
bedeutet. Alle möglichen Hülfsmittel famen Deinhardftein ohne jein
Zuthun in's Haus: er fand ein ausgezeichnetes Perfonal und zu den
vorhandenen ſchönen Kräften waren eben neue wie Frln. Caroline
Müller, Frin. Bee, Frl. Gley (Die jpätere Rettich) gefommen,
famen neue wie Karl Laroche; es entiwidelten fich während feiner
Direction heimathliche Talente wie Bauernfeld und Friedrich Halm.
Legterer brachte ihm ein Zugſtück wie „Griſeldis“. Bauernfeld, der '
mit dem leichten „Leichtſinn aus Liebe“ ſchon unter Schreyvogel das
Publicum gewonnen, gabihm Stüd auf Stüd, darımter feine beiten.
Die Franzofen waren, wie gefagt, in voller Verve, und die Wiener
Sefeltfchaft kam auch dem nichtigiten franzöſiſchen Kram mit größter
Theilnahme entgegen — und dennoch ging das Theater abwärts
und verlor feinen Ruf.
Die bejte Armee unter günſtigſten VBerhältnifien wird eben
Nichts ausrichten, und wird fich erfolglos aufreiben, wenn ihr der
Feldherr fehlt.
Man lieg die Mafchine arbeiten, wie es dem Tage gefiel und
wie es den Herren Negifjenren bequem war. Irgend ein Princip,
irgend ein leitender Gevdanfe war nicht vorhanden. Unterhaltung !
war das Hauptwort. Koch, Cajtelli, Kurländer, Caroline Müller,
die Schauspielerin, Dr. Römer und ſonſt noch Berufene arbeiteten
um die Wette an franzöfiichen Ueberfegungen, Einer immer jchlechter
als der Andere.
Ih war in den erjten Jahren ver Deinharditein’schen Direction
Das Burgtheater. 131
einmal in Wien und habe diefem nichtigen Treiben im Burgtheater
einige Wochen zugeſehen. Hr. v. Kurländer zeigte mir feinen Fleinen
Salon mit Möbeln aus weißem Holze, und erzählte mir glüdfelig,
wie bier die Creme der hohen Gefellichaft die charmanten franzdfi-
ſchen Stückchen anhöre, welche dann von Karoline Müller, Korn,
Fichtner, Herzfeld jo barmant gejpielt würden in der Burg. Und
als ich ihm bemerkte, ich hätte ven Tag vorher eines gejehen und
hätte gefunden, daß es in beſſeres Deutich überſetzt werden fünnte,
da drohte er gutmüthig mit vem Finger und vief: Ach, ihr ſeid eben
Puriften und Pedanten, ihr da draußen. Hier find wir natürlicher.
Was hätte mit diefem reichen Berfonal bewirft werden fünnen !
In Caroline Müller war eine Salondame comme il faut gewonnen
worden, eine Frau von Verftand und Esprit; in Frin. Peche eine
reizende jentimentale Yiebhaberin, Freilich mit böhmifchem Accente;
doch dafür war man damals nicht empfindlich, und ven Mangel an
geiftigen Mitteln überſieht man bei talentvoller Jugend. In Yaroche
erichien ein jüngerer Rival Gojtenoble’s, in Frin. Gley eine Schau—
Ipielerin von Geift und Bildung. Dazu neben Banernfeld und
Halm Grillparzer mit neuen Schöpfungen, Zedlit, der ſich der
Bühne zumwendete, eine einheimifche Production mannigfaltiafter
Art —
Haft alle Theile in der Sand,
Fehlt leider nur das geistige Band !
Das war durchichnitten vom Grafen Gzernin.
Bauernfeld entwicelte in vieler Zeit feine erjtaunliche Frucht—
barfeit. „Das fette Abenteuer‘, „Das Yiebesprotocoll”, „Helene“,
„Bekenntniſſe“, „Bürgerlich und Romantifch‘‘, „Das Tagebuch“,
„Der Vater“ famen Jahr um Jahr und waren berechnet für die
zahlreichen Talente des vorhandenen Perſonals. Man bat diefer
Fruchtbarkeit nachgefaat, daR fie ſich immer in demjelben engen
Kreiſe des actuellen Lebens und immer mit denfelben Mitteln und
Wendungen bewere. Aber ijt Dies ein jchwer wiegender Vorwurf
Ja
132 Das Burgtheater.
für den Lujtipielvichter? Die Gegenwart und ihre Eigenfchaften
find ja das Feld, welches ihm zujtebt, und er erfüllt feinen Beruf,
wenn er gerade dies — wenn auch enge — Feld wirkſam bebaut.
Bauernfeld hat jogar mehr als ihm gut war Neigung entwidelt,
aus der Gegenwart herauszuipringen und namentlih Stoffe und
Situationen aus der Älteren deutjchen Geſchichte — „Mufifus von
Augsburg‘, „Sickingen“, „Bauernkrieg“ — zu behandeln. Damit
bat er nie ein Gelingen erreicht; er ijt ein durchaus moderner
Schriftjteller. Selbſt fein in den vierziger Jahren erſcheinender
verlegt bat, ilt er nicht eine bloße Verkleidung der gegenwärtigen
Tendenzen? Hat er nicht lediglich dadurch in Wien großen Erfolg
gehabt? Und ijt er nicht darum jetzt ſchon zu den Vätern verſam—
melt, weil altes Zeitcoftim und neues Gedanfenwejen auf die Yänge
immer unharmoniſch erſcheinen? Das einfache Tagesluſtſpiel,
Bauernfeld's Facharbeit, bejteht, fo lange der Tag nicht gründlich
wechfelt in einer neuen Epoche. Damit muß und kann ein Luſtſpiel—
dichter zufrieden fein. Und wir müffen und fünnen mit dem Yuft-
ipieldichter zufrieden fein, wenn auch der Kreis feiner Mittel und
Wendungen ein enger ilt, jo lange er in diefem Kreife mehrfach in’s
Schwarze trifft. Und das kann man Bauernfeld nicht abſprechen.
Er brachte jedenfalls einen Dialog, wie er jeit Kogebue auf
der deutſchen Bühne gefehlt hatte. Ich weiß, daß die nachiprechende
deutſche Kritik fich befreuzigt bei jolchem Lobe Kotzebue's; aber ich
weiß auch, daß diefe Bekrenzigung aus Unfenntniß jtammt. Weil
vom höheren Standpunfte eine Oppofition gegen den leichtfertigen
Kotebue mit gutem Fug angefchlagen wurde, hat die Nachfolge nicht
das Recht, die Oppofition auch auf das zu erjtreden, was mit jeinen
Fehlern Nichts gemein hatte. Ich fand noch zahlreiche Kotzebue'ſche
Stüde auf dem Repertoire des Burgtbeaters. Durch kritiſche Er—
ziehung gegen fie eingenommen, ließ ich die Mehrzahl fallen. Und
ich glaube mit Recht, weil fie im Stoffe veraltet, in ver Motivirung
Das Burgtheater. 153
lüderlich waren. Aber eine quaſi hiſtoriſche Charafteriftif, wie die
„Beiden Klingsberge”, ließ ich beftehen, da auch das Publicum fie
bejtehen ließ, und in allen Kotzebue'ſchen Stüden, auch in denen,
die ich verwerfen mußte, überrafchte mich eine ſchlagende Lebendig—
feit des Dialogs.
Eine ganz ähnliche Ader pulfirt in den Bauernfeld'ſchen Stüden.
Bauernfeld's Dialog ift beichränfter in feinem Kreife, er iſt deshalb
oft nur gewandelt innerhalb verjelben geiftigen Wendung und wird
deshalb von Manchem manierirt gefcholten; aber zum Erſatz dafür
iſt er auch oft gehaltooller als ver Kotzebue'ſche. Er erwächſt bei
Bauernfeld aus beftimmter Gefinnung und hat alſo zur Unterlage
eine bejtimmte Grundanſchauung aller öffentlichen und aller höheren
Dinge. Das giebt ihm einen beſtimmten Halt, alſo gerade das, was
Kogebue fehlte.
Für Wien und Wiens Haupttheater war ein jolcher, noch
dazu einheimifcher Yuftipieldichter unfchätbar. Auf feinem deut—
ſchen Theater ift der Dialog jo wichtig, als in Wien, eben weil
das öſterreichiſche Publicum ein Yuftipielpublicum ift und ungemein
rajch das Eolorit und den bewegten Hauch eines Stückes aufzufafjen
pflegt. Dies Publicum wurde jtets belebt durch Bauernfelv’s Stüde,
und dieje Belebung fam und fommt dem Theater immer zu ftatten.
Gleichgültigkeit ift ja das Schlimmifte, was einem öffentlichen In—
jtitute begegnen kann; fie allein tödtet jede Kunft. Niemand mehr
als Bauernfeld hat das Burgtheater vor der tödtlichen Gleichgül-
tigfeit bewahrt.
Es ift wahr, ver Inhalt und Gang feiner Stüce hat oft etwas
Wunderliches, er iſt oft unfaßbar wie ein Aal, nach welchem die
Hände greifen. Es fehlt feiter Gang nach einem Ziel; die Dinge
trödeln nicht felten nach allen Seiten, und die Abfichten, welche ein
Stück gezeigt, verivren ſich wohl zu Abfonderlichfeiten. Wie jchade!
— ruft man — warum nicht anders?! Aber geiftig bejchäftigt ift
man doch, und bei längerer Betrachtung dieſes Autors fommt man
134 Das Burgtheater.
zu dem Ergebniß: das fteht nicht zu ändern; denn es liegt im eigent-
lihen Weſen Bauernfelv’s.
Die innerlihe Befchaffenheit jeiner Fünftlerifchen Natur ift
fein fefter Kern, ſondern fie ift eine Art won Gallerte, Beweglich
unter dem kleinſten Drude, bereit in jede Form zu ſchlüpfen. Daher
jein Bedürfniß, jedes Stück umzuarbeiten. Wenn er eines vollendet
hat, da muß man fich forgfältig hüten, ihm eine eingehende Be—
merfung zu machen; fie erregt fogleich alle erjinnlichen Zweifel an
feinem Werfe, fie wird fogleih jener „kleinſte Druck“, welcher die
„Gallerte“ umgeftaltet — er geht hinweg und arbeitet das Ganze um.
Am Ende ijt Etwas von diefem Weſen nothwendig für ven
Zuftipieldichter, welcher das Vergängliche der Yebensconventionen,
oder Doc das Wandelbare derfelben im ſich tragen muß, um es Leicht,
behaglich, lächerlich zu gejtalten, um es raſch zu geftalten ohne ven
Nachdruck des ernfthaften Dramas. Ja, der ernithafte Nachdruck
ſchadet fogar oft in Bauernfelo’s Stüden. Er entipringt eben nicht
aus jeinem fünjtlerifchen Naturell, er entipringt aus feiner poli—
tiichen Abficht und wirkt unharmoniſch für den leichten Ton feines
Kunſtwerkes.
Jedenfalls iſt es für die Theaterdirection ein Glück, wenn in
ihrer Stadt ein producirendes Talent ſich entwickelt, welches in ge—
bildeter Weiſe und außerhalb der alltäglichen Routine die neuen
Lebenselemente der Stadt dramatiſirt. Dadurch wird ja ein Theater
das Organ, welches es ſein ſoll, das Organ des wirklich pulſirenden
geiſtigen Lebens, und gewinnt von ſelbſt die Theilnahme aller ge—
bildeten Einwohner. Um ſo höher ſteigt der Werth, wenn dieſe
Stadt eine große Hauptſtadt iſt wie Wien. Die Lebenselemente einer
Reichshauptſtadt ſtreben ja von ſelbſt über enge Kreiſe hinaus.
Gerade auf dieſem Wege iſt Paris die Geburtsſtätte des modernen
Schauſpiels geworden. Die deutſche Theaterproduction hat immer
daran gefranft, daß fie nicht realen Boden genug hatte, aus welchem
ihre Bäume wachjen konnten, daran gekrankt, dag fie nicht unter:
r
A EEE ET
Das Burgtheater. 135
jtügt wird von wahrhaft lebendigen Leben, fondern daß fie vorzugs-
weije in erträumten Gegenden und Stoffen Nahrung fuchen muß.
Der zweite Dichter freilich, welcher in den dreißiger Jahren
dem Burgtheater Unterhalt brachte, war bierin das blanfe Wider:
jpiel Bauernfeld'ſcher Muſe. Der Actualität Bauernfeld’s, wie
der Diplomat die Wirklichkeit nennt, trat 1835 die unrealſte Phan—
tafie auf die Ferfen. Gin Dichter erichien auf dem Burgtheater,
welcher in ven Gejchichtsfreifen von Aeneas bis Sampiero unbe-
achtete Gejtalten ſuchte und die Conflicte aus dem Finger fog. Es
war gewiß ein Zeichen von reichem Talent, daß er mit fo weit ab-
liegenden und jo fünftlich erdachten Themen den Beifall des Theater-
publicums erringen konnte.
Diejer Dichter war Frievrih Halm (Baron von Münch:
Bellinghaufen), deſſen „Griſeldis“ 1835 zum erſten Wale im Burg:
theater aufgeführt wurde. Am eriten Abende jpielte Fräulein Peche
die Grifeldis, und der Erfolg war zweifelhaft. Am zweiten Abende
Frau Rettih, und der Erfolg war aufßerorventlih. Das Stüd
machte die Theaterrunde und erzwang fich überall großen Beifall.
Ich ſage abſichtlich „erzwang“, venn es fand überall heftige Gegner:
fchaft, und zwar im den gebildeten Kreifen. Es verfchwand auch
überall wieder gänzlich, nachdem es wie eine Sturmfluth überall
hingedrungen war, Ganz ähnlich erging es einem zweiten Stücke
dejjelben Autors, welches 1842 im Burgtheater erjchten, vem „Sohn
der Wildniß“. Das Talent der Faſſung errang ihm wiederum
ftarfe Wirkung in allen Theatern, dev Inhalt aber entzoy ihm vie
Zuftimmung der Gebildeten, entzog ihm die Dauer. Glänzende
Hauptrollen für Gaftjpieler verfchafften dieſen Stücken jeweilige
Wiederkehr, aber das widerfpricht Obigem nicht, das ijt Mieteoren-
thum. Dover vielmehr es war's, denn auch dieſe Gaſtrollen haben
aufgehört. Nepertoiveftüce der Nation werden nur ſolche, denen
die gebildeten Kreife dev Nation Theilnahme zuwenden. Und das ijt
nur da der Fall, wo der Inhalt und die Form gleihmäßig an—
136 Das Burgtheater.
fprechen. Die Form allein bewirkt dasnie. Deshalb hat unfere Litera—
turgefchichte einen beſtimmten Abjchnitt errichtet für talentvolle Produc-
tionen, denen der Kern der Wahrhaftigfeit abgeht, und mit diefem Kerne
die Dauerhaftigfeit. Sie nennt diefen Abfchnitt „Kunſtpoeſie“.
Da diefer Autor mit neuen Broductionen noch jpäter in Rede
kommt, fo genügt es hier, feine Stellung charafterifirt zu haben.
Für das Burgtheater war er vom Jahre 1835 an zehn Jahre
lang bis in die Hälfte ver Holbein’fchen Directionszeit hinein eine
weſentliche Hülfsquelle, obwohl außer „Griſeldis“ und dem „Sohn
der Wildniß“ nur noch der 1836 erfcheinende „Adept“ einen länger
dauernden Theatererfolg hatte. „Camoens“, „Imelda Yamber-
tazzi“, „Ein mildes Urtheil”, „Sampiero“, ‚Maria de Molina“,
„Verbot und Befehl” haben auch im Burgtheater feine dauernde
Stätte gefunden. „Sampiero“ und „Maria de Molina’ habe ich
wieder aufzunehmen verſucht, „Sampiero“ ohne Erfolg, „Maria“
ohne zuveichende Wirkung. Mit legterem Stücke wollte ich e8 noch
einmal verjuchen, indem ich die Rolle ver Maria einer jüngeren Schau—
Ipielerin anvertraute. Frau Nettich ſchien mir über die Jahre einer
Liebhaberin, wenn auch einer bedingten Yiebhaberin hinaus zu fein.
Das verwehrte Halm, welcher all’ feine großen Frauenrollen für
diefe Künftlerin ſchrieb, felbft und in ungewöhnlicher Weife, Er
wendete fich an die oberjte Divection mit dem Verlangen, die Er-
laubniß zur Aufführung des Stücdes nicht zu geben.
Friedrich Halm Hat fich, wie dies überhaupt in Wien herrjchende
Neigung war, mit befonderer Vorliebe dem Studium des jpanijchen
Theaters gewidmet, und eine freie Bearbeitung nach Lopez de Vega
„König und Baner’ tft lange gern geſehen worden,
Der „Adept“ ift troß zahlreicher Darftellungen auf dem Burg-
theater außer Wien nicht aufgefommen. Er behandelt eine Art
von Fauft-Thema, nicht ohne theatralifches Verdienſt in den Haupt—
rollen, aber auch nicht ohne Banalität im Gedanfengange.
Für das Burgtheater find die Halm'ſchen Stüde dadurch von
a ur *
Das Burgtheater. 137
längerer Bedeutung geworden, daß fie — ihrer fünftlichen Em—
pfängnig gemäß — eine fünjtliche Declamation veranlaft haben,
welche in ihren Hauptträgern, namentlich in Frau Nettich, zu Ma—
nierirtheit des Vortrags führte. Kunftpoefie und Kunſttheater er:
zeugten einander in natürlicher Folge und es hat langer Anftrengungen
bedurft, ven Schaufpielern wieder heraus zu helfen aus dem poin—
tirten Singjang in einfache und natürliche Rede.
In diefen dreißiger Jahren erjtand für das Theater noch ein
produeirendes Talent, und war namentlich für das Burgtheater ein
ficherer Gewinn. Denn e8 entjprang in einer Yebensiphäre, welche
von ſelbſt Rückſicht nahm auf alle Eenjurfchwierigfeiten. Kine
Prinzeffin aus vegierendem Haufe trat anonym auf mit Schaufpielen.
Prinzejfin Amalie von Sachjen vebutirte mit „Lüge und Wahrheit“;
es folgte „Der Oheim“, „Der Yandwirth” und fo fort Jahr für
Sahr ein neues Stück. Welch eine fichere Rente für den Director,
da die Stüde auch dem Publicum willfommen waren! Die Kritik
hat jie etwas zu vornehm ignorirt. Es waren anfpruchslofe und in
der That angenehme Productionen, Ein veines Gemüth und ein
anjprechendes Talent traten darin dem Zuſchauer freundlichen Auges
entgegen. Der Stand einer PBrinzeffin hat die Verfafferin freilich
wohl gehindert, das Leben und die Menjchen in voller Mannigfal-
tigfeit und auch in den Abgründen fennen zu lernen. Die Schatten
der Gemälde find leicht, die Yichter zu unbejchränft; man lebt in
einer abgefonderten fleinen Welt. Aber für ein täglich |pielendes
Theater find auch folche Bilder werthvoll,
Auch Grillparzer zeigte ſich noch in voller Schöpfungsfraft.
1831 hatte er die jchöne Yiebestragödie von Hero und Yeander,
„Des Meeres und der Yiebe Wellen‘ (ein Titel wienerifchen Ge—
ihmads, ven ich nicht preifen möchte), ein volles Seitenbild zu
Shafejpeare’s „Romeo und Julie“, zur Aufführung gegeben. Yeiver
fand das Gedicht nur im feiner erjten Hälfte volle Wirfung und
verihwand nach einigen Borjtellungen vom Repertoire. Frau
135 Das Burgtheater.
Rettich jpielte die Hero, Fichtner den Yeander. Ich muß voraus—
jeßen, daß es in der Darftellung und Infcenejeßung an etwas
Wefentlichem gemangelt hat, denn ich habe zwanzig Sahre fpäter
das verlorengegangene Stüd wieder aufgenommen und die jchönfte
wie dauerndſte Wirfung mit ihm erzielt. Man jagt wohl zur Ent-
ſchuldigung, das Publicum fei damals noch nicht reif gewejen für
jolche claffiihe Gabe. Aber das Leuchtet mir nicht em. Das
Publicum war fhon fünfzehn Jahre früher reif für die ,Sappho“ und
hatte unter Schreyvogel's Führung große Fortichritte gemacht. Frau
Rettich, eine norddeutſche Natur, brachte wohl für die Hero nicht
das freie und Schöne Sinnenelement mit, welches unentbehrlich ift für
diefe Rolle der freien und Schönen Hingebung, umd außerdem haben
die legten Acte, über deren damalige Einrichtung ich mich unter:
richtet habe, nicht diejenige Inſceneſetzung gefunden, welche noth-
wendig it für die originell wandelnde tragische Entwicdelung.
1834 brachte Grillparzer „Der Traum ein Yeben”, ein Mär—
chendrama ohne Märchen, infofern es wie ein Märchen anınuthet,
ohne doch ein Märchen zu fein. Der Traum erjcheint vergeftalt
als Wirflichfeit, daß wir ihn bis auf die Höhe des Stückes für
Wirflichfeit halten. Nur ein aufmerkfamftes Publicum entdedt am
Wendepunfte, daß ihm ein Traum vorgefpielt wird. In eilenden
Berien, ungemein angemejjen für die vorüberhufchende Traummelt,
jtreut Weisheit goldene Worte ein, und das Erwachen ift in feiner
gerade aus dem Traumleben weiter geführten Wirklichkeit jo natür-
lich und wohlthuend, daß der Zuhörer die moraliichen Folgerungen
freudig aufnimmt als poetische Grundſätze. Sie find auch poetiſch
in dieſem Zufammenhange und man trägt einen jchönen Eindruck
mit hinweg, wenn der Vorhang zum letzten Male gefallen ift, und
nennt das Stüd gern einen öfterreichifchen „Kauft. Denn einen
Kampf ver Menjcbenjeele mit allen Berlodungen bat das Gepicht
an ung vorübergeführt.
1838 erſchien ein Puftfpiel von Grillparzer auf der Scene des
Das Burgtheater. 139
Burgthenters, „ehe dem, ver lügt!“ Ein Luftipiel! Ganz Wien
gerieth in Bewegung. Wie ift das möglich bei dem ernten Wefen
Grillparzer’s! Wie wird das fein? Mit faljcher Spannung ging
man daran, und eine falfche Wirkung blieb nicht aus. Grillparzer
hatte ven weitejten Begriff des Yujtipiels im Auge, den Begriff der
Comödia, wie die Franzosen jett noch jedes Stück Comédie nennen,
welches heiter zu Ende geht. Wir find gewohnt, beim Worte Luſt—
jpiel nur an’s Lachen zu venfen. Dazu ift in diefem Stüde Grill-
parzer’S gar feine Beranlaffung. Auch ein halbthierticher Sunfer
in demſelben iſt gar nicht dazu da. Das Publicum benutte ihn
aber dazu umd verirrte fich in diefe vorgefaßte fomifche Wirkung,
welcher denn alfes Uebrige nicht entiprach.
Das Stüd iſt als Theaterjtüc jehr fchwer zur Geltung zu
bringen. DBielleicht nur dann, wenn das Publicum voraus weiß,
daß feine gewöhnliche Theaterwirfung erwartet wird, daß eine finnig
folgende Theilnahme genügen, und bei dem glüclichen Ausgange
befriedigt jein joll.
Die Dichtung an ſich it ganz Grillparzerifch: intim, eigen,
finnvoll und wohlthuend. Die Bejeßung war auch nicht geeignet,
den richtigen Eindruck hervorzubringen. Der rohe Junker paßte
gar nicht für Lukas, einen Schaufpieler für Frad- und Militärrollen,
aber durchaus nicht für Aufgaben origineller Charakteritif. Die
Liebhaberin, eine jehr ſchöne, unbefangene und doch felbjtändige
Mädchennatur, war nicht für Frau Nettich, welche die Abfichtlichkeit
jchwer verbarg. Der grimme Vater des Junfers war für den gut—
müthigen Wilhelmi ein wilofremder Charakter, umd ver jchliegende
Biihof von Chalons — „Domvogt“ auf dem Zettel — war in
den Händen von Anjchüt der Gefahr preisgegeben, langweilig zu
werden. Denn diejer ſonſt jo verdiente Künſtler hatte für gewiſſe
Salbungsrollen nicht die geiftige Gewandtheit, dem Tone eines
Nachmittagspredigers weit genug aus dem Wege zu gehen.
Das Aufjehen dieſes Mißerfolges war auferorventlich. Wien
140 Das Burgtheater.
Iprach lange Zeit nur davon, und die zahlreichen Verehrer Grill
parzer's drangen feit der Zeit Jahr fir Jahr darauf, das Stüd in
glüclicherer Beſetzung wieder vorzuführen. Ich bin diefem Wunfche
nie beigetreten, obwohl ich gar nicht bezweifle, daß bei dem jeßigen
Publicum ein sucees d’estime ficher zu erreichen wäre, Ein folcher
Achtungserfolg würde den greifen Dichter doch nicht befriedigen,
und die ganze Form des Stüdes ift nicht angethan, eine ftärfere
Theaterwirfung hervorzubringen. Die Nachwelt des Dichters wird
nicht unterlaffen, auch ſolch eine leifere Wirkung zu ſuchen und das
Andenken ihres vaterländiichen Poeten in der Hingabe an jolchen
feineven Genuß zu feiern.
Auch Zedlitz wendete ſich in den dreißiger Iahren dem Theater
zu. Gr brachte „Kerker und Krone”, ein Taſſoſtück, und ein Lujt-
jpiel „Luftſchlöſſer““ von bejcheiden alltäglicher Natur. Er zeigte
bis an feinen Tod den lebhafteiten Antheil für das Burgtheater,
und zwar in einer originellen Mifchung von hochpoetifchen Abfichten
und recht nahe liegender Unterhaltung. Noch in feinem leßten
Lebensjahre war er mit einer Bofje befchäftigt, in welcher dichterifche
Schilderung Hand in Hand gehen jollte mit ausgelafjener Yayne.
Er hätte wohl in diejen dreißiger Jahren nur Anregung und Leitung
von einer kundigen Divection gebraucht, um ein intereffanter Theater-
Ichriftjteller zu werden.
Taſſo war im jenem Jahrzehnt geradezu Mode: auch Raupach
brachte ein Trauerjpiel „Taſſo's Tod’. Hier ftarb Korn als Taſſo,
bei Zedlit Yöwe. Keiner von Beiden war eine Taflonatur, und die
Dichter mochten Flagen, daß deßhalb ihre Stücke vergänglich erſchienen.
Raupach bracte noh ein Schaufpiel „Die Gefchwifter‘,
welches durch gute Schaufpieler eine furze Yebensfraft erreichte,
und lieferte jchlieglich einige Cromwellſtücke, welche vom Reize
dieſes puritanifchen Tyrannen lebten. Solche Theateriilhouetten
waren im Gejchmade der Zeit. Draußen im Neiche marjchirte
Srieprich der Große über die Bühnen, und es war ein Ereigniß,
Das Burgtheater. 141
als Seypelmann bei jeinem Gajtipiele diefe Figur im „Tagesbefehl“
auc auf dem Burgtheater vorführen durfte,
Töpfer, früher ein zweiter Schaufpieler am Burgtheater, forgte
Decennien lang für jolche und ähnliche Theaterunterhaltung, wie die
„Gebrüder Foſter“ nach dem Englischen, der „Pariſer Taugenichts“
-nach dem Franzöfiichen. Die Urjprungszeugnifje ließ man damals
gern weg auf dem Zettel, und Bouffe’s berühmte Nolle hat bei uns
lange als Töpfer'ſche Erfindung figurirt. Ob auch die beliebte „Zurück—
ſetzung“, welche Frau Grelinger mit ihren beiden Töchtern einführte,
folch eine Nachſchöpfung oder ein Driginal war, ift mir unbefannt.
Auch Frau Birch - Pfeiffer, mit „Pfefferröſel“ und „Sammt—
ſchuh“ und ähnlichen Stüden grober Zeichnung Schon lange auf ven
Theatern wirfjam, ericheint in diefer Periode auf dem Burgtheater,
und zwar mit „Rubens in Madrid“. Herr Löwe entwidelte fich
als ausgefprochenes Talent für all! dieſe halbhiſtoriſchen Matadore,
bei denen es auf gewillenhafte Zeichnung und tiefere Bedeutung
nicht abgefehen war. Theatercharaftere, wie man Theater:
prinzefjinnen jagt. Nur Cromwell war an Herrm Yaroche ges
fommen. Ein Publicum, welches vom Ernft der Gefchichte noch
wenig berührt ift, nimmt bejonderen Antheil an der anecdotenhaften
Hiftorie und ihren herausfordernden Helden, Die „Königin von
jechszehn Jahren‘, die ſchwediſche Chriſtine, war damals, obwohl
nur zwei Acte lang, ein unverwüftliches Zugſtück. Die Minauderien
des Frl. Peche, welche für hiftorifch angeſchimmert gelten Fonnten,
entzückten das Publicum.
Dazu gab es Theatercommißbrod wie Holbein’s „Doppel—
gänger“, Deinhardftein’s „Garrick in Briſtol“ in Menge, kurz man
jollte meinen, bei jo mannigfachem Vorrathe hätte es der Direction
nicht fehlen können, fich in Anfehen zu erhalten.
Es fehlte ihr aber dennoch. Man empfand von Jahr zu Jahr
deutlicher, daß dies reich bemannte und reichlich belajtete Schiff
ohne Compaß fegelte und vichtungslos von ven Winden hierhin und
142 Das Buratbeater.
3
dorthin getrieben wırde, Ein großes Runjtinftitut muß einen Cha—
rafter haben, um in Autorität zu bleiben, und wenn die Direction
ihm feinen zu verleihen weiß, weil jie jelbjt feinen hat, jo ift der
Niedergang unvermeidlich, Die jtörende perfönliche Haltlofigkeit
Deinhardſtein's dazu und zahlreiche Unordnungen, welche dieſer
Haltlofigfeit entfprangen, drängten zum Ende.
Man jah ſich nad) allen Seiten um, wo ein neuer Director
zu finden wäre,
Dezeichnend für die Zeit ift es in hohem Grade, auf wen die
Wahl fiel, bezeichnend, weil es nur zu deutlich befundet, was für
Anſprüche man machte. Es fiel Niemand ein, nach einer Fähigkeit
auszufchauen, welche Geift oder Styl, oder irgend eine höhere Be-
deutung des Theaters fördern fünne, Bewahre! — Der Minifter
des Inneren felbit, Graf Rolowrat, leitete die Wahl, und es ſchien
für diefelbe ein Mann am wünfchenswertheften, welcher jorgfältige
Berwaltung einführen fönnte, Alſo auch hierin fchädigte Dein-
harditein, Seine wüjte Führung machte vor Allem das Bedürfniß
rege nah Ordnung und Genauigfeit, So ward Herr v. Holbein
berufen, der eine lange Theaterpraxis für fich hatte,
Holbein hat denn auch den Abfichten entjprochen, welche feiner
Wahl zum Grunde lagen: er hat Ordnung und Genauigfeit ein-
geführt. Der Mechanismus zog mit ihm ein, jo weit es das Re—
giſſeur-Regiment, welches jich unter Deinharditein gepflegt hatte,
zuließ. Die Regie widerſetzte fich Holbein’s äußerlichem Formel—
weſen vielfach mit Recht. So wurde der Wagen gleichzeitig nach
links und nach rechts gezogen, litt natürlich darunter, und fam doc)
nicht vorwärts. Die oberjte Direction ward nun zur Entjcheidung
aufgerufen: Ste trat auf die Seite der Negiffenre, aber fie jtand
rathlos vor der großen Frage: Warum finft denn das Theater,
auch nachdem Ordnung eingeführt worden? Es blieb ihr unbefannt,
daß ſeit Schreyvogel der jchöpferifche Geiſt abhandengefomme,n
und daß dieſe Kleinigkeit einem Kunſtinſtitute unerläßlich ſei. Mean
Das Burgtheater. 145
ftudirte, man hielt Rath, und fam zu dem Reſultate: Intereffante
Stücke müſſen herbeigejchafft werden, um das murrende Publicum
wieder zufrieden zu jtellen. Ich erinnere mich, daß hinaus in’s
Reich die Kunde drang: Jetzt hat man's gefunden, was helfen
wird im Burgtheater, das Stüd ijt entdeckt! Es heißt „Cäſario“,
und es wird einjtudirt, und man ift des glücklichjten Erfolges gewärtig.
Diefer „Cäſario“ ijt ein mittelmäßiges Stück von Pius Alerander
Wolff, und er ward aufgeführt am 10. Februar 1844, und zu
jchmerzlicher Ueberraſchung fiel er durch. Wasnun? Gejchehen muß
Etwas, denn die Mißſtimmung wird allgemein. Der alte Graf Morit
Dietrichjtein, welcher ſchon mehrmals die oberjte Divection in der
Hand gehabt, trat wieder an die Spite und hielt eine Anrede an
die Mitglieder. Die herkömmlichen Redensarten ohne jeden greif-
baren Inhalt gingen durch alle Zeitungen. Was fonnte das helfen!
Der alte Herr hatte vecht gute Eigenfchaften: er hing treu am In—
jtitut und er befchüste die bewährten Hofichaufpieler mit tendenziöfem
Wohlwollen. Aber er hatte nur dunkle Vorftellungen von den Bedürf-
nifjen eines lebendigen Organismus, ev gehörte einer Zeit an, welche
mit edler Declamation im Trauerſpiele, mit rührender Gemüthlichkeit
im Schaufpiele zufrieden geweſen, ev war ein Kind gegenüber den
"Anforderungen der neuen Zeit, welche num auch in Defterreich ein—
brach. Erſt zornig, dann ſtarr vor Erftaunen, dann unmuthig und
verdrießlich, endlich verzagt ſtand er wor dieſen unbegreiflichen Ver:
langniffen, Holbein, der längere Zeit in den Hintergrumd gedrängt und
der nun erſt wieder gefragt worden, zucte die Achjeln und erklärte:
„Auf politiiche Einflüffe, ich ſag' es mit Stolz, verſteh' ich mich nicht,
und ein Theaterdivector muß Nichts damit zu Schaffen haben“.
Sp geihah’s, und das Burgtheater ſelbſt verfiel! Und doch
war das Holbein’sche Jahrzehnt — 1840 bis 1850 — Ffeineswegs
arm an neuen Stüden. Ja, man erjtaunt bei näherem Zujehen
über die gar nicht unbedeutende Neichhaltigfeitt der dramatiſchen
Production, und fragt fich erſtaunt: warum hat denn das gar nicht
144 Das Burgtheater.
mebr zugereicht? Es hat doch eben an der gedanfen- und geifilofen
Führung gelegen, welche Nichts ordentlich zu verwerthen, und für
das Ganze feinen Styl, feinen gemügenden Geſammteindruck hervor:
zubringen gewußt hat.
Die Franzofen lieferten dem Burgtheater die wirkſamſten
Stüde: Scribe das „Glas Waſſer“ und die „Feſſeln“, Bayard
„Er muß aufs Land‘, Dumas ‚Liebe nach der Hochzeit” und das
„Fräulein von St. Cyr“ („Unſichtbare Bejchügerin‘‘ titulirt).
Sogar Ponſard's „Lucretia“ wird mit Interefje aufgenommen,
Bon den Einheimifchen bringt Halm ven „Sohn der Wildnif‘‘,
„Samptero‘, „Donna Maria de Molina“; ein „Spartacus“ von
Weber, „Ziani und feine Braut” von Hermannsthal finden Beifall
und Yob. Bauernfeld bringt den „Deutſchen Krieger”, welcher
das größte Glück macht, und „Großjährig“, eine Verſpottung des
Metternich’schen Negiments, welche Furore macht. Daneben finden
die jungen Deutjchen von draußen mannigfachen Zutritt: Gutzkow
in einer ganzen Anzahl von Stücken („„Werner“, „Die Schule der
Reichen“, „Richard Savage’, „Ein weißes Blatt‘); Freytag mit
jeiner „„Brautfahrt Maximilian's“; Prutz mit „Moritz von Sachſen“,
Laube mit „Monaldeschi“, Kuranda mit der „Letzten weißen Roſe“.
Wirkſame Theaterſchriftſteller ferner liefern in dieſer Zeit ihre beſten
Sachen: Benedix den „Doctor Wespe“ und den „Vetter“, Char—
lotte Birch-Pfeiffer die „Marquiſe von Villette“, „Mutter und
Sohn“, „Dorf und Stadt“; Eduard Devrient die „Verirrungen“
und „Treue Liebe“; Lederer die „Kranken Doctoren“ und „Geiſtige
Liebe“. Daneben wird Shakeſpeare in Bearbeitungen, freilich un—
haltbarer Stücke, verſucht: Halm bringt „Cymbelin“ als „Kinder
Cymbelin's“, und die „Luſtigen Weiber von Windſor“ verſuchen
ihr zweifelhaftes Glück. Endlich kommt und verſchwindet wie
überall die ſpaniſche „Dame Kobold“.
Eine große Anzahl obiger Stücke behauptet aber Stand, und
dennoch tritt Verfall des Theaters ein. Kein Zweifel, das Publicum
Das Burgtheater. 145
jpürte, daß die Stüde Zufallsgaben waren, daß es eine Ernährung
war von gefundenen Biljen zu gefundenen Biffen, daß aber ein
organischer Ernährungs: und Yebensprocek fehlte. Alter Kram da—
zwifchen neu gebracht, wie „Künftlers Ervenwallen” von Julius
von Voß, verrieth immer wieder, daß veralteter Geſchmack am Ruder
war. Und jo war es. Sch weiß aus eigener Erfahrung, daß Hol-
bein geringſchätzig auf unfere Productionen blickte. Er fchrieb mir:
„Shre „Monaldeschi's“ und, Rococo's“ finden hier feinen Anwerth“.
Der zufälligeRath eines Dejterreichers brachte „Monaldeschi“ auf's
Burgtheater, Der Rath ging dahin: Schicken Sie das Stüd direct
an den Minijter Kolowrat; der fpielt gern den Protector und den
Wivderfacher Metternich » Seplnitfy’fcher Cenfur; er thut was für
feinen liberalen Auf. Dieſen Nath befolgte ich, und ver erjtaunte
Holbein erhielt dag Stück mit dem für die Scene vifirten Reiſepaſſe.
Das Jahr Ahtundvierzig erlöfte die Direction von weiteren
Gründen, warum die Theilnahme fo fichtlich abnehme für das ſonſt
fo beliebte Inftitut. Unter ſolchen Staatswehen verjchwindet jedes
Theater.
Laube, Burgtheater. 10
X.
Das Burgtheater unter Director von Holbein, jowie unter
zürnender Beihülfe des oberjten Directors Grafen Moritz Dietrich-
ftein war in ftetem Niedergange 1848 bis dicht an den Abgrund
gerathen,
Man nannte achjelzudend diefen Abgrund die 1848er Revo—
(ution, wie man gerne feine Schuld und Calamität auf große Er—
eigniffe abladet. Dies Staatsereignig machte aber nur den Abgrund
fihtbar. Mean hatte jeit jehszehn Jahren daran gegraben, jeit mar
den fundigen und tüchtigen Yeiter des Inftituts, Schreyvogel, leicht-
finnigerweije vom Auder und in ven Tod gedrängt, das Ruder aber
unfühigen Händen übergeben hatte,
Jetzt, im Frühjahre 1848, kam es auf, was Wien lange wußte,
daß das Burgtheater dem öffentlichen Tadel nicht mehr Stand halten
fonnte, Holbein hatte fich im fein Zelt zurücgezogen wie Achilles
vor Troja, und zeigte mit beiden Händen auf die oberjte Direction
hin, welche ihn behindert habe an weiſen Maßregeln, und die oberite
Direction in Geftalt des Grafen Moritz Dietrichitein ging in beküm—
merter wie gereizter Unruhe hin und her und blieb vor jedem Bekannten
jtehen, aus allen Tafchen Zeitungen hervorziehend und verzweiflungs-
voll erzählend, wie dem clafjiichen Inftitute beifpiellos mitgefpielt
werde. Es jei gar fein Ende abzujehen, und die bethörten Menjchen
fümen auc jchon lange nicht mehr ins Theater — —
Damals lernte ich diejen alten Herrn näher kennen, welcher
Das Burgtheater. 147
es in feiner Art wortrefflich meinte mit dem Burgtheater und noch
bortrefflicher mit den Hofjchaufpielern. Die Art war nur bitterlich
veraltet und e8 begriff der alte Herr ganz und gar nicht, was denn
die Welt eigentlich wollte.
Ich war auf einen Brief von Louiſe Neumann nach Wien ge
fommen, welcher bejagte, daß endlich der Tag erjchienen jet für Auf-
führung der. „Karlsſchüler“, und daß ich herzueilen möchte, das
Stüd in Scene zu ſetzen. Dies habe jeine Schwierigfeiten, denn
der jüngite von den Karlsfchülern, die ich finden würde, habe ein
halbes Jahrhundert gelebt.
Sch hatte denn mit diefen reifen Schülern das Stüd in Scene
geſetzt und mich bei diejer Gelegenheit wollftändig aufgeklärt über
den inneren Zujtand des Theaters. Es war mir feit fünfzehn Jahren
nicht fremd. Im Jahre 1833 und im Jahre 1845 bei längerem
Aufenthalte in Wien hatte ich mich — provivdentiellerweife, würde
ein Frommer Jagen — nur um das Burgtheater gekümmert, obwohl
meine Seele damals nicht die entferntefte Ahnung davon hatte, ich
fönnte jemals Iheater-Director oder gar Director des Burgtheaters
werden. Ich war alfo jett ganz vorbereitet, alle Nuancen des ſchon
lange brödelnden Berfalls zu würdigen und dem Grafen Dietrich-
jtein Bemerkungen zu machen, welche ihn zwar ärgerten, am Ende
aber doch interefjirten, weil fie ihm zur Erklärung dienten über die
öffentliche Unzufriedenheit. |
Ein Vorfall bei der ftürmifchen Aufnahme der „Kaͤrlsſchuler“
brachte mich ihm noch näher. Ein Theil des Publicuins mämlich
wollte die alte Sitte brechen, welche ven Hervorruf der Schaufpieler
unterfagte. Man rief Fichtner, welcher den Schiller ſpielte, mit
folcher Ausdauer und ſolchem Ungeftüm, daß die Behörden hinter
dem Vorhange fich feinen Rath mehr wußten. Der Kaiſer und der
faiferliche Hof waren zugegen, die Volksſtimmung erwies ſich damals
gebieteriih — man fürchtete arge Auftritte und» Ausbrüche. > Ein
Director war nicht zu jehen, die Regieherrſchaft aufſder Scene war
10*
148 Das Burgtheater.
in jener Zeit maßgebend, und vie Regie zerfiel bei vem Vorfalle in
zwei Parteien, hob fich alfo jelber auf. Fichtner, immer ein Mufter
guter Burgtheaterfitte, wollte fich nicht dazu hergeben, das alte
Geſetz zu brechen, Löwe aber ſchrie in ihn hinein: „Hinaus, Fichtner,
hinaus! Aufziehen laſſen! Hinaus! Der alte Zopf muß endlich ein-
mal abgejchnitten werben!’
Fichtner wendete fich am mich mit der Frage, was ich über das
Hinausgehen ver Schaufpieler dächte. „Ich bin dagegen’ — jagte
ich — „und finde die alte Sitte vortrefflih, weil fie der Partei-
nahme für einzelne Schaufpieler worbeugt und die Aufmerffamfeit
auf das Kunftwerf als Ganzes nicht zeriplittert durch perjünliche
Demonftrationen,’” — „O dann”, fuhr Fichtner fort, „‚gehen Sie
noch einmal hinaus, vielleicht wird dadurch dem Lärmen ein Ende
gemacht !‘‘
Ich war nämlich als Autor ſchon vorher gerufen worden und
war erſchienen troß meiner Abneigung vor diejer perjünlichen Ein—
miſchung des Verfaffers. Der Sturm war fo ftarf, daß man jedes
Befriedigungsmittel ergriff. Ih mußte Fichtner alfo erwiedern:
„Mich hat man Schon gehabt, mich will man auch nicht, man will
Sie’.
„Sehen Sie trotzdem!“ bat Fichtner und deutete auf Löwe's
Pronunciamento, welches natürlich zuftimmende und lärmende Theil-
nehmer um ſich gefammelt hatte,
„Aber“ — entgegnete ih — „wenn ich, den man nicht ruft,
draußen erjcheine, jo muß ich ja doch in Betreff Ihrer etwas Ab-
lehnendes jagen, und ich bin ja hier Gajt, ich bin ja nicht Director —
Während diefer Worte wurde der Sturm im Haufe Drcan,
und von allen Seiten jtürzten Leute herbei mit Botichaft und Bitten,
daß Etwas geſchähe; der faiferliche Hof jet ja ausgejeßt. Da ent-
ſchloß ich mich, den Director zu jpielen, ließ aufziehen, ging hinaus
bis an die Rampe und deutete an, daß ich Iprechen wollte.
Das Burgtheater. 149
Es wurde todtenjtill, und ich fagte, daß ich ftatt des
Herrn Fichtner für die Auszeichnung dankte, welche man ihm zu—
gedacht.
Ich trat zurüd und es blieb todtenftil,. Was der fremde Mann
da dem Publicum zu jagen fich erbreiftet hatte, war ganz unpopulär.
Aber nach einigen Secunden erhob fich Beifall, und nach einer wei-
teren Secunde wurde er allgemein. Der ruhige Theil des Publi—
cums hatte verftanden, was ich gemeint, und unter dem unruhigen
Theile bejannen fich wohl auch die Meiften, daß die Sitte gut wäre,
welche man eben abjchaffen gewollt.
Der Hervorruf des Schaufpielers fehrte den ganzen Abend
nicht wieder, die Sache war erledigt, die alte gute Burgtheaterfitte
war erhalten.
So war ich aus dem Stegreif Director gewejen. Die nächiten
Tage wollten mich ernjtlich dazu machen; ja fie machten mich dazu.
Niemand war überraichter davon als ich ſelbſt. Saul ging aus,
feines Vaters Ejel zu juchen, und er fand eine Krone. Aber was
für eine Krone?! Einerecht mißliche. So erichien fie wenigitens mir.
In den nächſten Tagen nämlich verficherte mir Graf Dietrich:
jtein, e8 habe in höheren Kreifen und auch bei ihm einen jehr gün—
jtigen Eindruck gemacht, daß der fremde, vecht fcharf angezeichnete
Liberale refolut in den Sturm hineingegangen ei, um etwas Un-
populäres zu vertreten, während die Berufenen den Kopf verloren
gehabt. ES verlaute ferner von vielen Seiten, daß die Infcene-
jeßung der „Karlsſchüler“ einen ganz neuen Eindrud hervorgebracht
habe unter den Schaufpielern, und daß endlich bei jo unruhiger Zeit
ein ruhig handelnder Führer vem Theater recht nothwendig geworden
jei. — Bertraufich jegte der alte Herr hinzu: „Mit den Zeitungen
halte ich das nicht aus, da brauch’ ich Einen, der ihnen die Spite
bietet, und Louiſe Neumann erklärt Sie wirflich für einen ausge:
zeichneten Menſchen, kurz, Sie follen Divector des Hofburgtheaters
werden !‘
150 Das Burgtheater.
Dies wırde thatſächlich ins Werf geſetzt, und nur die Quelle
meines Gehaltes bewirkte glüclicherweije eine Verzögerung. Graf
Dietrichitein wollte ven Gehalt nicht aus ver bevrängten Theater
caſſe zahlen, ſondern ihn aus faiferlicher Cafje erheben. Die Ber:
treter der Faijerlichen Caffe hatten aber im Frühlinge 1848 noch
dringendere Sorgen, als die Bezahlung eines neuen Theater-Di-
rectors, und der Läftige neue Pojten ging mit einem Fragezeichen von
einer Finanzitelle zur anderen.
Dies rettete mih. Es war ja klar, daß unter den damaligen
Sturmpetitionen nicht die Schäferftunde jchlagen fonnte für die Re—
generation eines Theaters. Die Aufmerkfjamfeit der Dejterreicher
war auf ganz andere Dinge gerichtet. Ich trug alfo felbjt auf Ver-
tagung an und reijte von dannen.
Die Unruhen jteigerten fich befanntlich bis in ven Spätherbit
hinein, und dies Directiong-Thema gerieth von beiden Seiten in
Bergejjenheit.
Da kam gegen Ende des Jahres der Thronwechſel und mit
ihm ein Wechjel der oberjten Hofämter. Graf Dietrichjtein ſchied
aus. Graf Grünne vereinigte in der eriten Zeit mehrere dieſer
Hofämter in feiner Hand, und er verficherte mir in einem furzen
Briefe, daß er mich für den richtigen Mann halte zu dem Divections-
Poften. Er werde mich unterrichten, ſobald die Zeit gefommen
wäre, auch an das Theater zu denken.
Unterdejjen war Holbein aus feinem Zelte getreten und
hatte die cenfurfreie Zeit benügt, Alles aufzuführen, was jo
lange verboten geweſen. Mit Siebenmeilenjtiefeln marfchirten
die bis dahin unmöglich gewefenen neuen Stüde über die Burg-
bühne.
Den „Karlsſchülern“ war „Maria Magdalena’ von Hebbel
gefolgt am 8. Mai. Schon neun Tage darauf kam Freytag's
‚Dalentine‘. Bald darauf — mitten im Sommer — eine be
Das Burgtheater. 151
rufene Tragödie „Tiphonia“ vom Improvifator Langenſchwarz;
ebenjo im heißen Sommer Ludwig Roberts „Macht der Verhält—
niſſe“, die draußen jeit Jahrzehnten jchon wieder vergeſſen waren.
Drei Tage jpäter „Bürgertum und Adel’ von Töpfer, fünf Tage
nah diefem „Eine Familie” von Frau Birch» Pfeiffer. Alsdann
das erjehnte „Wallenjtein’s Lager“ und ein pofitives Erichreden
des Publicums vor dem Capuziner, und fo fort in diefer Haft Nenig-
feit auf Neuigfeit wie im vorigen Jahrhundert. — Im Winter 1849
„Judith“ von Hebbel, „Das Urbild des Tartüffe” und „‚Uriel
Acoſta“ von Gutfow, „Ein neuer Menſch“ von Bauernfeld, „Hero—
des und Mariamne“ von Hebbel, „Michel Perrin“ — e8 war eine
Drgie mit früher verfagten Speifen.
Aber die Zeit war jo, daß nur eine Feine Anzahl Leute Appetit
hatte, und die Speifen wurden reizlos angerichtet, ein großer Theil
derfelben wurde verwüſtet.
Die bejjeren Sachen, welde ver jchleuderhaften Abma—
Hung Widerſtand geleiftet, habe ich ſpäter durch beſſere Be—
jeßung auffrifchen, durch jorgfältige Inſceneſetzung wiederherftellen
müſſen.
So kam der Herbſt 1849 und mit ihm wiederum ein Wiener
Brief an mich, der mich eilig citirte. Wie aus dem Innern des
Kyffhäuſer hätte ſich die Sage verbreitet, ich ſei zum neuen Director
des Burgtheaters auserſehen, und Holbein wollte das unmöglich
machen dadurch, daß er Hals über Kopf meinen „Struenſee“ in
Scene ſetzte ganz ohne Striche. Die Revolutions-Scenen in
dieſem Stücke, unverkürzt dargeſtellt, würden den regierenden Herr—
ſchaften die Ueberzeugung aufdrängen, daß der Verfaſſer ſolcher
Stücke ungeeignet wäre für ſolchen Poſten. Ich möchte alſo
eiligſt kommen und das Stück mit den nöthigen Strichen ſelbſt in
Scene ſetzen.
Ich kam. Aber nicht in der Abſicht, mein Stück zuſammenzu—
152 Das Burgtheater.
jtreichen. Ich hatte feit der „Karlsſchüler“-Aufführung und der
Bekanntſchaft mit dem Grafen Dietrichitein Zeit genug gehabt, zu
überlegen, unter welchen Bedingungen allein es möglich jei, in der
Leitung des Burgtheaters Gutes zu ftiften. Dazu jchien mir denn
eine billige Freiheit in ver Wahl der Stüde und ein Anſchließen
diefer Bühne an die liberalen Bedürfniſſe der Zeit unerläßlich.
Kann dein „Struenſee“ — fagte ih mir — nicht unverftümmelt ges
geben werden, dann bift auch dur felbjt auf dem dortigen Divector-
ſtuhle nicht am richtigen Plate. Oeſterreich war eine conftitutionelle
Monarchie geworden; ich meinte, jolche Anfprüche fönnten in orga—
niſchem Zufammenhange mit dem neuen Staate erfüllt werden, und
ih fette deghalb den „Struenfee” in Scene, wie er gefchrieben
itand.
Holbein hatte mich zum Zufchauen in feine Yoge geladen und
die Situation in diefer Yoge war recht pifant. Er hoffte auf jtürs
mifhe, demonftrative Aufnahme, welche mich in der Directions-
Geburt erjticken follte, ich hoffte auf einen mäßigen, wohlthuenden
Beifall. ’
Er fiegte neben mir. Die Aufnahme war ftürmifch, des
monftrativ. Dennoch verliefen wir Beide befriedigt die Loge.
Ich nämlich war doch zu fehr eitler Vater meines Kindes, als daß
mir nicht der Beifall im Ganzen wohlgeichmedt hätte. Das ge
fährliche Zuviel Schlug ich mir aus dem Sinne, weil ich in der That
darüber ganz im Klaren war, daß eine folche Direction wirklich ein
Neſſushemd wäre, wenn man mit ihr die brennenden Schmerzen
einer überlebten Cenſur auf fih nehmen müßte.
Zwei Tage darauf verfündigte mir Graf Yandoronsfi, der
neue Oberftfämmerer und als folcher oberiter Hoftheater-Director,
daß man ſich an hoher Stelle beifällig über „Struenſee“ ausge—
ſprochen, ſowohl über das Stück als auch über die Infcenefeßung.
Der jtörende Tendenz Applaus treffe ven Verfafjer nicht. Es fei
nur zu beflagen, daß Vorgänge und Reden aus dem Zuſammenhange
Das Burgtheater. 153
gerijfen und für augenblidliche Zwede gedeutet würden. Dieſe De:
ſchädigung eines Kunftwerfes würde fich wohl verlieren, wenn das
Publicum allmälig inne würde, daß man ihm fein wirkffames Stück
entzöge aus Furcht vor Tendenzbeifall.
Ich konnte nicht ficherer geitellt werden für die Zukunft, und
Graf Landoronsfi begann nun auch jeinerjeits die Unterhandlung
mit mir.
Ih war unterrichtet, daß ich mir beftimmte Punkte in ven
Injtructionen ausbedingen müßte. Namentlich Frievrih Halm
hatte mir eingejchärft, vaß ich die Stelle nicht annehmen follte ohne
Zuficherung von „Wahl der Stüde, Bildung des Nepertoires, Be-
feßung der Rollen”. Dhne diefe Vollmachten fei eine erjprießliche
Wirkung nicht möglich.
Sch bejtand denn auch auf diefen Punkten, und als mir meine
Anjtellung eingehändigt wurde, ich aber in den Inftructionen diefe
Vollmachten abgefhwächt fand, gab ich die Anftellung zurüd und
rüftete mich zur Heimreije.
Einige Tage Später erhielt ich das Anſtellungsdecret nochmals,
und die dazugehörigen Injtructionen brachten jene VBollmachten un:
verfürzt.
Ich muß mit Danf dem Grafen Pandoronsfi ins Grab nad):
rühmen, daß er mir diefe Juficherungen vierzehn Jahre lang bis an
jeinen Tod getreulich wie ein Edelmann gehalten hat, wie oft er
auch unzufrieden war mit meinen daraus hervorgehenden Maß—
regeln.
Streitig war bis zum eigentlichen Abjchluffe mein Titel ges
weien. Das flinat wunderlich für einen Menfchen wie ich, der
unter vielen Fehlern den der Titelfucht eben nicht hat. Aber hier
bedeutete der Titel die Sache; ich brauchte ihn alfo. Ich verlangte
Director zu heißen, und man wollte mich Dramaturg nennen.
Ebenſo wollteman mich proviforifch nur auf zwei oder drei Jahre —
ich weiß es nicht mehr genau — anjtellen. Gegen das Provifo-
154 Das Burgtheater.
rium hatte ich Nichts einzumenvden, wir fannten uns ja gegenfeitig
nur ungenügend; aber ich verlangte fünf Jahre. — Diefe Fragen über
Titel und Zeitdauer wurden entfchieven durch die zwei wichtigiten
Machthaber jener Epoche: der Titel durch den Fürften Felix
Schwarzenberg, die Zeitdauer durch den Grafen Grünne.
Sch ſuchte und erlangte zu diefem Zwecke eine Unterredung mit
dem Fürjten Schwarzenberg, welche ich bei anderer Gelegenheit
ſchildern will, da fie fich breithin über Politif erſtreckte. Hier ſei
nur erwähnt, daß ich ihn in einem faalartigen Zimmer fand, daß er
in der Mitte vejjelben vor einem Schreibtifche ſaß, daß er eine
ſtarke Negalia-Cigarre in vollen Zügen vauchte und fie mitten ins
Zimmer warf, ehe fie über die Hälfte abgeraucht war, und daß er
mir in feinem jchlanfen Wuchfe und mit feinem etwas ermüdeten,
aber interejjanten Gefichte den Eindruck eines fehr einfachen, natür—
fihen Menfchen machte. Er ſprach über Alles wie ein Naturalijt
im Gegenfage zu Fachmännern, und wie ein „sabreur“, das Wort
im Sinne des erjten Napoleon genommen.
„as ift Dramaturg ?" fragte er mich.
„Durchlaucht, das fann Ihnen fein Menſch in furzen Worten
jagen.‘
Da lachte er laut. Und als ich hinzufegte, daß eben deßhalb
ein folher Titel Nichts tauge, wo es fi um Autorität zum Regieren
handle, da unterbrach er mich mit den Worten: „Sie haben voll-
fommen Recht. Sie follen dirigiven, müſſen alſo auch —
heißen. Sprechen wir von etwas Anderem!“
Graf Grünne machte einen ganz anderen Eindruck. Im Com—
mißmantel, bis an den Hals zugeknöpft, neigte er den fein geſchnit—
tenen Kopf ein wenig nach vorne, um gleichſam anzudeuten: ich
höre.
Er hörte fehr gut, fprach nicht Ein müßiges Wort und fragte
nur pofitiv: „Warum wollen Sie gerade fünf Jahre 2
„Weil ich in den erften Jahren genöthigt bin, mir jehr viel
Das Burgtheater. 155
Feinde zu machen. Ich muß aufräumen, muß abjegen. Nach zwei
bis drei Jahren bin ich im Wefentlichen nur verhaßt — jchaffen
und mir Freunde erwerben Fann ich exit im vierten und fünften
Sahre.‘
Er lächelte, nidte mit dem Kopfe und entließ mich mit ven
Worten: „Ich werd’s dem Grafen Landoronsfi ſagen“.
So wurde ich Director auf fünf Jahre.
RT.
Was fand ich bei meinem Eintritt? in ganz fleines Reper-
toire, ein ſehr kleines Perfonal und zu unerwartetem Schreden!
— ein ſehr langes Berzeichnig von Stüden, welche nie mehr gegeben
werden ſollten.
Mein Chef hatte folche Befeitigung aller auch nur einigermaßen
mißliebigen Stücde für nothwendig und möglich gehalten und mir
die Auswahl eripart, indem er eigenhändig rothe Kreuze angebracht
auf einer langen Lifte. Mein Bureau-Amanuenfis, ein vom unteren
Theaterdienfte emporgeftiegener Veteran, des Namens Rilter, legte
mir dies lange Blatt mit Tovdesurtheilen vor und fragte jchüchtern:
Wie foll denn das gehen, da wir ohnehin Nichts mehr zu jpielen
haben ?
Ich antwortete ihm: Man ftirbt nicht fo leicht; jedenfalls
wehrt man fih nach Kräften, wenn’s an’s eben geht, und ein
lebensvolles Stücd hat ein zähes Yeben.
Diefer Kampf um’s Leben der Stücke hat mit dem erften Tage
meiner Direction begonnen und hat gedauert bis zum legten Tage.
Die Repertoire-Sorge war wirflich groß und jchwer, Etwa
für vierzehn Tage waren fertig gemachte Stüde vorhanden, meift
alter Sorte. In allen übrigen gähnten weite Befegungslüden. Mean
hatte nichts Fehlendes erfett, man hatte nicht gearbeitet, man hatte
nur bie und da nothoürftig geflidt.
Allerdings nicht ohne Grund. Das Perfonal war unzureichend.
Das Burgtheater. 157
Seit zehn Jahren war Niemand von Beveutung engagirt worden.
Der Director hatte feinen Trieb dazu gehabt, die oberjte Direction
ebenfowenig, und die Regieherrichaft war an fich ein fchweres
Hindernig für neue Engagements. Sie war mit ihren Angehörigen
und Hinterfafjen eine gefchloffene Phalanx. Angehörige waren nicht
nur Verwandte, fondern auch zupafjende Schaufpieler, zupafjend
dadurch, daß fie nicht ftörten, daß fie nicht in erite Yinie vorprängen
oder gar überragen wollten. Jeder Regiſſeur bedeckte einen weiten
Bereich von Fächern, er beherrfchte ein ganzes Kronland. Wenn
ein neues Mitglied erſchien, da beeinträchtigte es gewiß, und am
Ende fonnte e8 gar erfegen. Jedenfalls nahm es einen Plat weg,
welchen man heute oder morgen für einen danfbaren Schüsling
brauchen fonnte. Kurz, die Regieherrichaft ift der natürliche Gegner
neuer Engagements, und fie hatte den redlichiten Antheil an ver
Perjonal-Berarmung des Burgtheaters.
Ungefähr ein Dutend guter, zum Theil ſogar fehr guter
Schaufpieler und Schaufpielerinnen fand ich vor. Aber die Mehr:
zahl war alt, vie Minderzahl bejahrt.
Mit wenigen Ausnahmen famen fie mir alle freundlich ent-
gegen, und ich durfte hoffen, fie zu gemeinfamer Werfthätigfeit bereit
zu finden,
Dieſe Hoffnung erfüllte ſich, jo weit jie die Tagesarbeit betraf.
Ich theilte Stüde aus, feste Proben an und muthete ihnen viel
Arbeit zu in diefem Kreife. So weit es die Kräfte bejahrter Yeute
hergaben, verfagten fie feine Anſtrengung und bewährten ven alten
trefflichen Corpsgeift des Burgtheaters.
Sp weit aber diefe Hoffnung eine höhere Mitwirfung betraf,
ließen fie mich vollftändig im Stiche. Theils aus Unbedacht, theils
aus eingerofteter Bequemlichkeit, theils aus Unvermögen.
Die Mehrzahl war ohne Literariihe Bildung; Manchem
jagte man nach, er läſe das ganze Jahr hindurch Fein Buch. In
158 Das Burgtheater.
der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war das ein Lebeljtand,
wenn von Theilnahme an einer Divection die Rede fein follte,
Ich theilte neue Stücde unter fie aus und bat um Gutachten.
Diefe Aufgabe lehnten fie ſämmtlich ab, und ich war nach einigen
Monaten außer Zweifel, daß mein Gedanfe einer gemeinjchaftlichen
Thätigfeit im höheren Sinne unausführbar wäre, Ich mußte mich
bejcheiven,, ihre guten und braven Dienjte — fo weit es die Mehr-
zahl von ihnen betraf — für den Tagespienft zu verwerthen.
Sch war alfo auf mich felbjt, auf mich allein angewiefen.
Niemand ftand neben mir als Veteran Nijter mit allen Nachweiſen
früherer Vorgänge, Beſetzungen und Perſonalien. Cr war meine
Gejchichtsquelle,
Soll ih mich unter ſolchen Umftänden eines Planes und
idealer Grundſätze rühmen? Unter Umftänden, welche mich, wie
lange! nöthigten, um das tägliche Brod zu fechten? Ich kann es
doch, Ich focht um's tägliche Brod, aber bei all dem Fechten juchte
ich weiter zu bliefen. Ich faßte ein feftes Ziel in’s Auge und bejchied
mich eben, nur langfam, nur Schritt für Schritt an das Ziel ge-
langen zu können.
Dies Ziel war: ein Nepertoire zu erreichen, welches jeder
gebildete Mann vollftändig nennen könnte. Darin follten enthalten
fein: alle Stücde, welche von Leffing an Lebenskraft bewährt hatten
auf dem deutſchen Theater, ferner von Shafefpeare alle Stüde,
welche die Compofitionsfraft wirklicher Stüde befäßen und unter
uns noch wirklichen Antheil finden könnten; endlich von den roma—
nifchen Völfern die wenigen Werfe, welche charafteriftiiche Eigen-
thümlichfeiten für uns find, wie,,Phädra’ zum Beifpiel, wie ‚Donna
Diana’ und das „Leben ein Traum‘; von den modernen Franzojen
aber alle diejenigen Konverfationsftüde, welche in der Form gut
find und unferen Sitten nicht widerfprechen,
Um dies Ziel zu erreichen, war eg nöthig, das Perfonal jo zu
ergänzen, daß alle wichtigen Stücke befetst werden Fünnten, Wäre
Das Bınztheater. 159
das nicht durchwegs bis zu einer gewiljen Vollfommenheit möglich,
dann wollte ich zunächt auch mit mäßigen Kräften vorlieb nehmen,
um die Lücken auszufüllen, und wollte mit aller Hingebung die
herbeigezogenen jungen, zunäcjt nur mäßigen Kräfte heranzubilden
juchen. Die Stüde, das volle Kepertoire wollte ich in erjter Yinie
eritreben. Bietet man — meinte ich — dem Publicum reichen
Inhalt, fo zeigt es Nachficht für Perfonalfhwächen und fühlt fich
durch den erhöhten geiftigen Gehalt feines Schaufpielhaufes ver-
anlaßt, die heranmwachfende Jugend des Perfonals durch Aufmun—
terung fördern zu helfen.
Mein Ideal war, nach einigen Jahren jedem Gajte aus der
Fremde jagen zu fünnen: Bleibe ein Jahr in Wien und du wirft im
Burgtheater Alles jehen, was die deutfche Literatur ſeit einem Jahr—
hunderte Elaffifches oder doch Yebenswolles für die Bühne gefchaffen ;
du wirft fehen, was Shafefpeare uns Deutjchen hinterlafjen, wirft
jehen, was von den romanischen Völkern unferer Denk- und Sinnes-
weije angeeignet werden kann.
Ich Habe dies Ideal nie aus den Augen gelaſſen. Ob ich's
erreicht habe? Im dieſer fterblichen, mitunter vecht ärgerlichen Welt
flingt e8 vermefjen, von Erreichung eines Ideales zu Sprechen. Aber
wir haben uns manchmal eingebilvet, ihm nahegefommen zu fein.
Den Ruhm des Burgtbeaters nehme ich pofitiv in Anspruch, daß
e8 von 1850 bis 1867 unermüdlich und oft erfolgreich nach dieſem
Ideale geftvebt hat. Mit Mängeln behaftet find wir immer ge
blieben, und wir haben nicht Alles gleich gut aufführen fünnen.
Aber wir haben jenen großen Kreis, ich darf es jagen, ziemlich gut
ausgefüllt. Das Burgtheater hat feit einer Reihe von Jahren das
umfaffendfte Repertoire geboten, nicht nur in Deutfchland, ſondern
in Europa. Das Theätre francais, unfer großer Rival, kommt
wegen feines formell abgejchleifenen romanischen Weſens nirgends
über romanische Grenzen hinaus und kann fich Nichts aus der Fremde
aneignen, wie wir es vermögen, Und eim anderer Nival ift nicht
160 Das Burgtheater.
vorhanden. Die deutjchen Theater find darin ſämmtlich zurück—
geblieben, die englifche Bühne iſt verfallen und vie — wie die
italieniſche ſind franzöſirt.
Natürlich hat ein Jahr das andere ausgleichen müſſen in Bezug
auf Vollſtändigkeit. Heute verſagt ein Mitglied für dieſe, morgen
ein anderes für jene Hauptrolle; das Material der Schauſpielkunſt
beſteht aus Menſchen, welche Krankheiten und Schwächen unter—
worfen find, nicht aus Marmor und Erz. Dann mußte ein Haupt-
jtücf vertagt werden. Aber es ijt immer nur vertagt geblieben, es
iſt immer wieder eingerüct in die große Neihe. Und wenn Anftände
oder Verbote eintraten, da mußten wir uns fügen. Aber wir fügten
ung immer nur dem unwiderftehlichen Drude. Sobald fih nur ein
Luftloch öffnete, waren wir auch augenblicklich wieder da mit unjerem
verbannten Kinde.
Das Hauptmittel für die Erreichung des — Zieles oder
doch für Annäherung an daſſelbe waren mir vom erſten Tage an die
Proben. Ich hatte auf den wichtigſten deutſchen Bühnen meine
eigenen Stücke in Scene geſetzt und hatte dadurch das Probeweſen
kennen gelernt. Ungenügend, ganz ungenügend hatte ichs gefunden
auf allen deutſchen Theatern, und auf dem Burgtheater ebenfalls ;
ungenügend in der Ausdehnung, ungenügend in der Befchaffenheit.
Dberflählih und mechanisch werden die Proben auf dem deutſchen
Theater gehalten, und dies ift ein Hauptgrund, daß unſer Theater
jelten Genügendes leiftet. Cine Lefeprobe macht die Rollen-In—
haber mit dem Stüce befannt. Dabei erläßt fih gern Derjenige,
welcher nur in einzelnen Acten beichäftigt ift, die übrigen Acte —
er geht fort und lernt das Stück nur fennen, jo weit es ihn angeht.
Nach zwei bis drei Wochen wird vie erſte Theaterprobe angefagt.
Die meiſten Mitgliever fommen und laffen fich einjtellen in den
Rahmen, umd haben aus der fernen Lefeprobe nur eine dunkle, un-
klare Borjtellung von dem Stücde und von ihrem VBerhältniffe in
vemjelben. Die bejjeren Schaufpieler nur lefen das Buch nod) ein-
Das Burgtheater. 161
mal durch beim Studiren ihrer Nolle. Aber wie ungewöhnlich dies
gewejen, das erfah ich aus dem Unwillen meiner Bureaulente über
dies Abfordern der Bücher. Der oder die — hieß es — will ſchon
wieder ein Buch haben wor der Probe, das giebt ja Unordnung!
Es thäte ja noth, wir hätten mehr als drei Bücher! Sie waren
fehr erjtaunt, als ich erwiederte, daß dies auch noththäte, und daß
ich e8 jehr gern fühe, wenn die Schaufpieler Bücher verlangten.
So beginnt die Infcenejegung mit Theilnehmern, welche uns
genügend unterrichtet find über den feineren Zufammenhang des
Stüdes, und nach drei bis vier Theaterproben fommt das Stüd
zur Aufführung. Es ift gar feine Zeit vorhanden bei dieſen Theater:
proben, über die groben Umriſſe hinauszufommen, und es ift auf
den meiften Theatern auch fein Dann vorhanden, welcher die Fähig—
feit hätte, über die groben Umriſſe hinaus belehrend und anoronend
vorzugehen. Gute Regiſſeure jind ehr jelten, und auch die wenigen
guten Regifjenre ftehen jelten auf der literariſchen Höhe, welche er—
forderlich ift, um ein Stück in feinem geiftigen Geflechte lebendig
zu machen, Gemeinhin müſſen dieſe Regiſſeure auch noch jelbit
mitjpielen, verlieren alfo dadurch auch noch die Freiheit der Führer:
ſchaft. Dies Mitjpielen war geradezu Herfommen und Styl am
Burgtheater. Die wichtigften und am meiften bejchäftigten Schau—
jpieler machte man zu Negijjeuren.
Darin zu veformiren war mir eine gründliche Abficht. Die
franzöſiſche Form einzuführen, ſchien mir nicht vathfam. Cs thut
jelten gut, Fremdes aufzupfropfen, und der deutſche Schaufpieler
hat gegen diefe franzöfifche Form eine directe Abneigung. Die Franz
zojen nämlich halten fo lange Yejeproben, bis ihnen das Stüd ganz
geläufig ift, und beginnen dann erſt Theaterproben. Das langweilt
den deutſchen Schauſpieler bis zum Aeußerſten. Zwänge man ihn
dazu, man würde ihm alle Put werleiden, und was ijt eine Künſtler—
Ihaft ohne Luft! Ein Automatenthum,
Es blieb mir alfo Nichts übrig, als ſelbſt Regiſſeur zu werben
Laube, Burgtheater. 11
162 Das Burgtheater.
und in forgfültiger Erledigung dieſer Aufgabe all das zu ergänzen,
was die leidige Gewohnheit auf unjerer Bühne vernachläffigt.
se länger ich diefe Aufgabe zu erfüllen trachtete, deſto klarer
wurde mir es, daß fie ganz und gar zum Amte eines artiftiichen
Directors gehört, und dar ein artijtiicher Director abjolut jelbjt
Dramatifer jein muf.
Es gehört eine dramatiſche Schöpfungsfraft dazu, um ein Stüd
gut in Scene zu jegen, und die untergeordnete Fähigkeit der Anord—
nung genügt nicht. In heutiger Zeit gewiß nicht. Die heutige Zeit
ift jehr veich an geiftiger Thätigfeit und ziemlich arm an dramatifcher
Production. Wird diefe Production dem heutigen Publicum nicht
geiftig vermittelt, jo gewinnt fie das Interejje des Publicums nicht,
und das Theater verfällt.
Ein Theater — das erfannte ich in den erjten Wochen — ijt
heutigentags nicht mehr vom Bureau zu dirigiven, die wichtigjte Ars
beit der Direction muß auf der Scene geleijtet werden.
Diejem Spiteme verdanfe ich drei Viertheile aller Erfolge.
Truppen wie Schaufpieler werden belebt und wachen, wenn ver
Führer immer mit ihnen iſt; wenn fie ven Plan der Schlacht und
des Stückes genau fennen lernen; wenn jie inne werden, wo die
Schwächen des Terrains liegen, wo alfo doppelte Kraft aufgeboten
werden muß; wenn ihnen gezeigt wird, wo die Entſcheidung gebracht
werden muß mit allem Nachdrude,
Um jolch ein Führer zu fein, muß man jelbit ein Stüd jchreiben
fünnen, muß man die Aufgabe des Schauspielers annäherungsweile
ſelbſt ausführen können. Das Erſte, um ein in Scene zu feßendes
Stück nicht nur ftreichen, jonvdern auch ergänzen zu fnnen. Das
Zweite, um dem Schaufpieler ven Weg zeigen, ihm an jehwierigen
Stellen vorangehen zu fönnen. Dies Letztere braucht nicht in eigent-
lich Schaufpielerifcher Form zu geſchehen; aber es muß in voller praf-
tiſcher Andeutung gefchehen. Nicht blos theoretiih. Mit Theorie
verwirrt man den Schaufpieler. Man kann begründen mit Theorie,
Das Burgtheater. 163
aber der praftiiche Beweis darf nicht ausbleiben. Denn die Grund—
lage des ſchauſpieleriſchen Talentes ift die Fähigkeit ver Nachahmung.
Und deshalb muß ein artiftiicher Director denjenigen dramaturgiſchen
Abſchnitt praftiich inne haben, welcher fich auf ven Vortrag bezieht.
Meinem Plane gemäß begann ich mit Einftudirung zweier
wichtiger Stüde, welche durch gewaltigen Inhalt einen tieferen Ein—
druck machen jollten, als irgend eine Tagesneuigfeit dies vermocht
hätte, Die Orgie Holbein’s hatte ja auch ſämmtliche Tagesneuig-
feiten aufgezehrt. Der beengte Horizont meiner Vorgänger hatte
mir zwei alte Neuigkeiten übrig gelaffen von jtattlichjter Bedeutung:
„Fauſt“ und „Sulius Cäſar“.
„Fauſt“ war in fogenannten unjchuldigen Scenen, wie
das Viebesverhältnig mit Gretchen höflicherweife genannt wurde,
vorüberhufchend zum Vorjcheine gefommen. In usum Delphini
(„wie e8 für den Dauphin brauchbar iſt“), jagte man einjt in Frank
reich; in Wien hieß e8: „wie es für die Comtejjen brauchbar iſt“.
Dieje jungen Damen waren jehr gefährlich für das Repertoire des
Burgtheaters. — Ich kannte fie noch nicht, tappte ohmeweiters nad)
dem Ganzen und errang es bei meinem Chef, weil ich jung war.
Für Kauft und Gretchen machte ich den Anfang mit neuen
Engagements. Iojeph Wagner und dejjen Frau debutirten in diejen
Kollen. Joſeph Wagner iſt wohl auch fein Denker von Fauſt's
Tiefe und Verzweiflung, aber wenn auch nicht ver abjtracte Gedanke
fein Element iſt, die Verzweiflung ift es. Für tiefaufgeregte Seelen-
zuftände hat er einen wahrhaftigen jtarfen Ausdruck von leiven-
Ichaftliher Schönheit. Seine Frau, Bertha Unzelmann, eine En-
felin der berühmten Schaufpielerin, befaß das Seelenleben Gretchens
in Schönfter Gattung. Sie war eine finnige, geiſtvolle Natur und
machte als Gretchen außerorventliches Glück. Leider waren ihre
phyſiſchen Mittel gering, ihr Organ war ſchwach und Elanglos, und
nur die Beten des Wiener Publicums wirdigten ihre Vorzüge auch
in der Folge. Dem großen Publicum war fie als erſte Yiebhaberin
ik,
164 Das Burgtheater.
nicht reizend genug, und Kränklichkeit nöthigte fie auch bald in den
Hintergrund. Sie ftarb frühzeitig an einem Bruftleiven, welches
ihr die Entfaltung edler Geiftesgaben auf der Bühne hartnädig er—
ſchwert hatte, — Für ven Mephifto konnte La Roche eintreten, wenn
er auch eigentlich nur Eine Seite ver Rolle, die des chnifchen Schalfs,
zu vergeben hatte. Die dämoniſche Seite liegt ab von einem Na—
turell, welches trefflich geeignet ift für Luftipiel und Schaufpiel.
Dies ganze Fach, das Fach des tragifchen Charakterſpielers,
war am Burgtheater ſeit langer Zeit unbeſetzt. Es vertheilte ſich
unter die Matadore. Sogar der lebensluſtige Wilhelmi war lange
gemißbraucht worden, Tyrannen zu tragiren, welche ihm höchit.
wunderlich zu Gefichte ftanden. Ich mußte alfo darauf bedacht fein,
in diefer Richtung eine Kraft zu gewinnen oder zu erziehen.
Dazu bot fich frühzeitig Gelegenheit, wenn auch nur Gelegen-
heit für mich; denn der Schaufpieler, welchen ich dafür in’s Auge
faßte, gehörte für das Publicum noch in ein ganz anderes Fach.
Als ich über meinen Eintritt ins Burgtheater unterhandelte, gegen
1849, ſah ich ihn auf dem Burgtheater Rollen ſpielen wie den
Schilfer in den „Karlsſchülern“. Er war als Gaft von Hamburg
gefommen und jollte fürs Liebhaberfach engagirt werden. Er gefiel
durch Friſche, Schärfe und Behendigkeit, und mich intereffirte er
bejonders darum, weil ich ihm ven Fünftigen Charafterfpieler abzu—
jehen meinte, Sein Name ift Dawifon,
Mein Eintritt war eben abgejchloffen, und ich wollte juſt nach
Leipzig abreifen, um meine Familie zu holen, da wurde ich jeinet-
wegen noch zu meinem Chef, vem Grafen Lanckoronski, eitirt. Das
Engagement Dawifon’s, welches ich als ficher vorausgeſetzt, war
zweifelhaft geworden. Holbein figurirte noch als ökonomiſcher Di-
rvector, und er hatte Dawiſon's Forderung zu hoch befunden,
Damifon beihwor mich, fein Engagement durchzufegen, und
wartete bei fchlechtem Wetter unten in ver Bräunerftraße, bis ich
vom Grafen wieder hevunterfommen und ihm Befcheid jagen würde,
Das Burgtheater. 165
Ich erflärte meinem Chef, daß der junge Mann engagirt wer-
den müßte, auch wenn er noch einmal fo viel verlangte, als er ver—
langt habe, Er fei ein unzweifelhaftes Talent, und das Perfonal
des Burgtheaters müſſe um jeven Preis ergänzt werden durch junge
Talente.
Graf Yandoronsfi bewilligte das Engagement, und Dawifon
empfing unten die Nachricht mit der lebhaftejten Erfenntlichfeit.
Sch blieb einige Wochen aus, und als ich nach Wien zurück—
fam, fand ich ihn — todtgemacht. „Er liegt auf ver Naſe“, fagten
die Schaufpieler. Mein erites Engagement erfchien als verunglückt.
Er hatte während meiner Abwefenheit feine Debutrollen gejpielt,
und derfelbe Schaufpieler, welcher als Gajt jehr gefallen, war als
Debutant durchgefallen.
Als ich hörte, welche Rollen er gejpielt, war mir Alles klar.
Er jelbjt war über fich ganz im Unflaren und meinte wohl eigent-
(ih, Alles pielen zu fünnen. Da hatte man ihm denn allerdings
lauter jchöne Rollen gegeben, aber vorzugsweife Wiener Kollen,
das heißt Rollen, welche durch Lieblinge des Wiener Publicums große
Geltung erlangt hatten, welche aber gerade jpecififche Eigenfchaften
der Wiener Lieblinge vorausfetten. Dawiſon hatte nun gerade
dieje Eigenfchaften nicht, und fo war er in die Grube getaumelt.
Dies artige Diplomatenſtückchen war feit Jahren üblich geweſen, weil
fein thatfräftiger Director die Zügel geführt.
Dawiſon jelbjt war völlig entzwei; er hatte allen Muth ver:
(oven, und je bedeutender die Rolle war, die ich ihm bot, deſto
dringender bat er, fie nicht annehmen zu dürfen, Antonius im
„Julius Cäſar“ war ihm ein unmögliches Wagſtück im Burgtheater.
„Ja, lieber Freund‘ — erwiederte ih —, „ich bin auch neu wie Sie,
und muß auch wagen, Sie müfjen vorwärts und müſſen die Rolle
ſpielen.“
Da kam ein wichtiges Intermezzo. Eines Abends finde ich ein
neues Manuſcript in meiner Wohnung. Den Namen des Ver—
166 Das Burgtbeater.
faffers hatte ich vor Jahren flüchtig in Leipzig fennen gelernt. Dort
hatte ich Fleine Artifel von diefem jungen Manne in die ‚„‚Elegante
Zeitung‘ aufgenommen. Sollte der ein Stüd jchreiben fünnen ?!
Ich las jogleich, las bis Mitternacht und reichte am anderen Morgen
das Stüd ein zur Aufführung. Es war der „Erbförfter” won Otto
Ludwig.
Die Rolle des älteſten Sohnes, Andres, beſtimmte ich für
Dawiſon. Als wir zur Leſeprobe kamen, zog er mich beiſeite und
klagte nun in entgegengeſetzter Richtung: „Jetzt ruiniren Sie mich
mit jo kleiner Rolle!“ Dabei zeigte er auf die paar Blätter, aus
denen die Rolle beſtand.
„Diefe paar Blätter werden Ihre Yorbeerblätter werden —
Sie müſſen die Rolle ſpielen.“
Und es wınde jo. Mit diefem Andres machte er einen Effect,
der alles Andere in Schatten warf. Und nun fonnte ich weiter mit
ihm vorjchreiten.
Leicht wurde esnoch immer nicht, und das Schiefal war immer
noch tückiſch: im „Julius Cäſar“ ſchlug er, hingeriffen von Ekſtaſe,
die Leiche des Cäſar-Anſchütz dermaßen auf den Bauch, daß vie
Folgen nicht ausbleiben konnten. Der todte Cäfar machte eine con—
vulfivifche Bewegung, welche fich für feinen Todten der Welt jchict,
auch nicht für Julius Cäfar, und welche ein fchallendes Gelächter
des Wiener Publicums erregte.
Dabei erfuhr ich, daß dies Publicum das Yachen abfolut nicht
vergeſſen kann, der Moment jet auch noch fo feierlich.
XII.
Der „Erbförjter‘‘ machte das Aufjehen eines literariichen Er—
eignifjes. Dtto Ludwigs's Name war unbefannt, und das Stüd
zeigte eine ganz neue, ganz eigentbümliche Kraft. ine vealiftifche
Kraft, welche mit Nomantif verquidt war. So wurden die Rea—
liſten dafür eingenommen, welche nadte Wahrheit in der Dichtung
wollen, und die Spealiften, welche höhere Beziehungen verlangen,
meinten in der vomantijchen Wendung des Stüdes auch ihre Nech-
nung zu finden.
Das Trauerjpiel wirkte bis auf feinen Höhepunkt ungemein
fräftig und erfrifchend. Die realiſtiſche Schilderung der Charaftere
im Forſthauſe war geijtig durchhaucht von fein menschlichen Zügen;
die Bewegung des Handlungsftoffes war ganz natürlich, und der
Athen der Romantik über Alledem erſchien anjpruchslos und veizend.
Eben deßhalb wurde das Stüd auch vortrefflich gejpielt. Denn
die Schaufpieler hängen ganz vom Dichter ab. Sie fünnen feine
guten Wirkungen erzwingen, wenn dem Dichter nicht der glückliche
Zufammenhang und der überzeugende Ausdruck gelungen ift, und jie
wirfen nur dann leicht und ficher, wenn der Dichter ins Schwarze
trifft. Anſchütz als Erbförſter erguicte durch ſolides, wohlthuendes,
ganz und gar einfaches Spiel. Ya Noche gab in vem Waldläufer
Weiler ein Meijterjtüd der Genremalerei, Dawiſon brachte vie Wuth
und das innere Entjegen eines gemißhandelten Jünglings genial
zur Anſchauung — bis zur Höhe des vierten Actes meinte man eine
neuclaſſiſche Schöpfung vor fich zu ſehen.
168 Das Burgtheater.
Von da an knickte das Stüd, und am Ende verlor es all jeine
glüklihe Macht. Warum? Der Inhalt des Stüces übertrieb
fih, und die früher angenehm colorivende Romantif wurde grell,
wurde in diefen Charakteren eine gemachte und unwahre Er—
höhung.
Es überflog Einen der Eindruck: dieſer begabte neue Dichter
muß erkrankt ſein mitten in der meiſterhaft geführten Arbeit. Wer
ſpäter hörte, daß Otto Ludwig in der That von tiefer körperlicher
Krankheit befallen war, der meinte wohl, darin den Aufſchluß zu
finden.
Das war es aber nicht allein, was den Ausgang des „Erb—
förſter“ beſchädigte. Es war die literariſche Erziehung, welche Lud—
wig in der Jugend durchgemacht, die Erziehung, welche uns Allen
angekränkelt worden iſt, die wir in den Zwanziger und Dreißiger
Jahren unſere literariſche Jugend verlebt haben. Die Romantik
der Novalis, Brentano, Arnim, Tieck war zu Anfang des Jahr—
hunderts durch die großen fritifchen Talente ver Gebrüder Schlegel
emporgeſchwindelt worden gegen Schiller und Goethe, deren Ruhm
unbequem wirfte auf junge Autoren. Beſonders gegen Schiller
war fie gemünzt. Dieſe Romantik, als Reaction zur Welt gebracht,
war nie ganz geſund und hatte von Haufe aus jehr wiel künſtlich
Gemachtes in ihrem Inneren, fünftliche Neligiofität, fünftlichen Natur—
ſinn, fünjtliche Yiebe. Wer fennt jie denn jeßt noch, die Produc-
tionen, welche in unferer Jugendzeit für Ideale galten; wer fennt
und lieft noch Tieck's „Genovefa“ und „Kaiſer Octavianus“, umd
Arnim’s „Gräfin Dolores’ und Brentano’s „Gründung Prags“!
Sie find verweht vom Staube der Zeit, wie alle Pflanzen verweht
werden, die feine gefunden Wurzeln haben. Aber diefe Männer
und diefe romantische Schule waren voll Geift und Bildung, und
es war ihnen durch ihre fritifchen Wortführer Schlegel gelungen,
einen jogenannten poetiihen Canon zu gründen in der deutjchen
Literatur. Dieſer Canon iſt eigentlich erit durch das junge Deutſch—
Das Burgtheater. 169
land angegriffen worden, allerdings ungleich und oft ungenügend
angegriffen worden, denn wichtige Wortführer des jungen Deutfch-
land jtammten jelbjt noch aus der vomantifchen Schule. Aber der
Angriff war doch jo weit wirfjam, daß die Autorität der blauen
Romantik erichüttert wurde und daß jich neue Grundſätze anbahnen
fonnten, welche neuerdings vealiftifch genannt werden. Dtto Lud—
wig hatte in jeiner Jugend diefe blaue Nomantif eingefogen und
hatte erjt in reiferem Alter die Berechtigung der realen Dinge in
der Poeſie erfannt. Für Letzteres boten feine Eindrüde des heimath-
lichen thüringiichen Kleinlebens Material in Fülle, denn er war
immer arm und war vertraut mit allem Handwerfszeug der Kümmer—
niß, mit allen Athemzügen der Erholung von ven Leiden des Yebens.
Aus jolcher Ehe zwifchen Romantik und realen Eindrücen des
thüringifchen Land» und Waldlebens ift der „Erbförſter“ entiprungen.
Er hat zwei Seelen, eine franfe und eine gejunde.
Das Stüd erbaut jein Gerüft auf einer ganz interejjanten Idee.
Der Förſter hat den Wald aufgezogen, er betrachtet ihn deßhalb als
jein Eigenthum und will dem juridifchen Eigenthümer nicht zuge-
itehen, daß dieſer zerjtörend darüber verfügen könne. Das tft in-
terejjant für ein Schaufpiel, aber nicht haltbar für eine Tragödie.
Mitten in einer juridifch geordneten Welt kann man diefe Welt nur
bis auf einen gewijjen Grad leugnen, nicht total. Wer fie total
leugnen will und doch übrigens ganz mit derjelben Welt lebt, ja in
innigem Kamilien-Zufammenhange mit diefer Welt lebt, der ijt ein
Sonderling und man nennt fein Yeugnen eine Marotte, Sonder:
(ing und Marotte find geeignet für Yuft- und Schaufpiel, nicht fürs
Traueripiel. Wenn es der Sonderling zum Aeußerjten treibt, fo
haben wir die Empfindung: er übertreibt. Und mit diefer Empfin-
dung bejteht feine Tragödie.
Hier waltet ſchon die franfe romantiſche Seele des Stüdes ;
denn die Romantik verachtete die realen Verhältniſſe und trieb einen
170 Das Burgtheater.
einfachen Forftmann zu fpitfindigem Naturrechte, welches das Eigen-
thum leugnet unter gewifjen Vorausſetzungen.
Wir aber, die wir im Theater fiten, gehen mit dem Erbförjter
nur bis zu dem Punkte, wo er tragifchen Ernſt macht mit jeiner in-
tereffanten Borftellung vom Eigenthume. Zu dieſem tragifchen
Ernſte ſchütteln wir den Kopf, und unfere ernfte Theilnahme iſt dahin.
Kommt nım im legten Acte gar das ganze romantiſche Spiel-
zeug hinzu von der blauen Blume und von der Vifion der Torhter,
und fol fich diefe Viſion der Tochter zuletst bejtätigen durch den Tod
der Tochter von Vatershand, dann fehütteln wir. den Kopf zweimal.
Das Alles ift fünftlih romantischer Nachdruck für jonjt gejunde
Forftleute, und der Ausgang des Stüces wird für ung ein trauriger,
nicht aber ein tragiſcher. Wir gehen hinweg mit dem Ausrufe:
Wie ſchade!
So that auch das Wiener Publicum. Trotz Anerfennung
vortreffliher Eigenfchaften im Stücke und trefflicher Darjtellung des
Stücdes blieb das Publicum aus bei den ferneren Borjtellungen.
Und troß Alledem ift das Stüd eine Arbeit von Verdienſt und
Kraft und Reiz. Nur übel verjtandene Romantik hat es verjtümmelt.
Sch fette dies Alles Ludwig auseinander in einem langen
Briefe und ſchlug ihm eine Umarbeitung vor. Wurde die faljche
Romantik Hinausgeworfen, jo fonnte ohne gar große Umgeftaltung
ein Schaufpiel entftehen, welches unzerftörbar auf dem deutjchen
Theater blieb. Er ſah auch dies Alles ein, er jtand bis auf einen
gewilfen Grad fchon über feinem Werfe — aber er fonnte fich doch
nicht zur Umarbeitung entjchließen.
Die äfthetifche Lehre, welche wir in der Jugend eingefogen,
wird in uns zur Glaubenslehre. Sie ganz zu wechjeln, wird uns
fo ſchwer, wie unſeren firchlichen Glauben zu wechjeln.
Ich meinte übrigens, ein troß feiner Gebrechen jo talentwolles
Stüc verdiente auch von unferer Seite ein Opfer, will jagen ein
Dpfer der Caſſe. Beharrfich brachte ich alfo jedes Jahr den „Erb—
Das Burgtheater. #71
förſter“ wieder, ver leider nur auf einigen deutſchen Theatern ge-
geben, und wieder verjchwunden war. Ich rechnete darauf, dag man
allmälig die Uebelſtände als befannt worausfegen und in den Kauf
nehmen werde für außerordentliche Vorzüge. Ich vechnete ferner
auf das große Gewicht, welches ein echtes Theater-Publicum wie
das Wiener auf die Darftellung legt. Nur in Wien fann ein Stüd
lange leben: durch die einleuchtende Trefflichkeit der Darftellung ;
draußen nicht. Und Anſchütz wurde als Erbförfter unübertrefflich
gefunden. Ich theilte diefe Meinung, joweit fie jein Spiel betraf;
fein Naturell fand ich nicht ftreng genug für den Charakter. Aber
das war meine Privatmeinung, das Publicum fannte und theilte fie
nicht; ich baute aljo hartnädig auf den Theaterfinn des Publicums
und führte das Stüd immer wieder vor, obwohl Jahr um Jahr
feine günftige Wendung für die Cafje eintrat.
Endlich gelang es doch; der Beſuch fteigerte fich, ich glaube
wohl vorzugsweije darum, weil man den alten Herrn — Anfchüt
war ſchon hoch bei Jahren — in der berühmten Rolle noch einmal
jehen wollte. Und jo wurde der „Erbförſter“ wirkliches Reper—
toireſtück.
Meines Erachtens kann und ſollte der „Erbförſter“ wieder
aufgenommen werden, ſobald ſich eine jüngere Kraft für die Haupt—
rolle eignet. Iſt ſie, wie ich wünſche, im Naturell ſtrenger, ſo wird
ſie allerdings doppelte Schwierigkeit finden, gegen die Beliebtheit
der Anſchütz'ſchen Weiſe aufzukommen, das Trauerſpiel ſelbſt aber
wird in dieſer Einen Richtung wahrſcheinlicher werden. Denn ein
weicher Erbförfter widerfpricht den letten Wendungen zu jehr und
macht als Rindesmörder einen doppelt peinlichen Eindruck.
Zwifchen „Fauſt“ und „Erbförſter“ waren noch andere Neuig-
feiten gewonnen worden, Stücde und Schaufpieler. Das Dirigiven
entwicfelte fich mir wie das Nomanfchreiben: man drängt auf ein
Hauptfapitel zu und unterwegs begegnet man einem Nebenfapitel
nach dem anderen, und ift am Ende ganz zufrieden mit jolcher Ver:
172 Das Burgtheater.
zögerung, weil man unterwegs verjtärftes Yeben gewinnt und ges
häufte Steigerung erreicht für das Hauptfapitel. Ih Hatte als
Hauptfapitel fortwährend die Injcenefegung des „Julius Cäſar“
vor Augen, und dieſe fand große Schwierigkeiten, namentlich auch
Berfona-Schiwierigfeiten. Denn folh ein mafjenhaftes Römerftüc
machte größere Anforderungen, als die lette Holbein’jche Zeit mit
ihrem Nachlaffe zu befriedigen im Stande war. Es hatte den An—
ichein, als jei dies im erjten Halbjahre gar nicht möglich, umd ich
meinte jehr unzufrieden jein zu müſſen, gewann aber unterwegs
recht wejentliche Dinge: ein paar dauernde neue Stüde und ein
paar dauernde neue Schaujpieler.
Gutfow hatte zum Jubeljahre Goethes 1849 ein Gelegen-
beitsjtüc für Frankfurt geſchrieben, den „Königs-Lieutenant“, umd
dafür wenig Danf geerntet, wie das zu gehen pflegt, wenn Gelegen:
heits-Arbeiten größeren Anſpruch machen. Sie follen vajch ent:
ſtehen, follen zahlreichen Zwecken des Augenblicks dienen und follen
dann doch nicht vafch wieder vergehen, ja auch noch den Maßſtäben
ewiger Kunftwerfe gerecht werden, Das tjt jelbjt Goethe nicht ge-
(ungen mit größeren Compofitionen, obwohl gerade er befanntlich
die Gelegenheit jehr hoch ichätste für poetifche Thätigfeit. Gutzkow's
Arbeit enthielt jedenfalls mannigfache hiſtoriſche Elemente, welche für
das Wiener Publicum werthvoll waren, da die Abjperrung Defterreichs
vom deutjchen Dichterleben dem öſterreichiſchen Volfe gar viel ent-
zogen hatte von den intimen Reizen unferer literariichen Entwidlung.
Ich meinte durch eine forgfältige Infcenefegung dieſen „Königs—
Lieutenant“ gefällig machen zu fünnen. Ein neuer Schaufpieler
bot jich dar für die Hauptfigur; Jacob Lußberger, auch ein geborner
Frankfurter. Er bejtand ziemlich aut, und das Stüd, welches an—
derswo als Gelegenheitsjtück vorüberging und nur durch Gaſtrollen
von Zeit zu Zeit wiedererwect worden tft, hat auf dem Burgtheater
einen Platz im Repertoire erhalten.
liebrigens war für Yußberger gerade die Frankfurter Herkunft
Das Burgtbeater. 173
jehr lange ein jchweres Hinderniß des Auffommens,. Der fränfijche
Stamm amNievermain, und namentlich in Frankfurt, hat in feinem
Dialekte einen fingenden Nafalton zum Lieblingstone erwählt, welcher
für die Bühne nicht geſucht wird. Der treffliche Frankfurter Komiker
Haffel, der dortige ‚„„Bürger-General, hat mir zwar in feiner
würdevollen Laune einmal verjichert, dies jei gerade ver Ton, welcher
von den alten Franfen an die Franzojen übergegangen, und jujt er
babe die franzöfifche Sprache zur Weltiprache gemacht. Aber dieje
geichichtliche Anſchauung tft vereinzelt geblieben und jedenfalls nicht
ins Theater-Publicum gedrungen, denn Lußberger litt jehr unter
diefem gemeinfamen Stammlaute alter Franfen und moderner Fran—
zoſen. Wie oft erlebten wir’s, daß er eine ganze Scene vortrefflich
gejpielt hatte — er war ein jehr tüchtiger Schaufpieler — und am
Ende verjelben jchlängelte fich diefer fragliche Nafalton mit naiver
Zudringlichfeit in’s Schlußwort und verjtimmte das Publicum,
welches jchon bereit gewejen war zum Applaufe.
Was für Mühe gab fich Yußberger auf mein Zureden, Dies
Heimchen loszuwerden! Umſonſt. Sein „Daheim“ untergrub
alle Mühe. Seine alte Mutter lebte bei ihm; er liebte jie zärtlich
und verfehrte zu Haufe nur mit ihr. Natürlich in heimathlicher
Redeweiſe. Und jo confervirte er fich bei aller Gegenbejtrebung
dies Merkmal des Dialeftes. Auf Unglüd folgt Glück, pflegt man
zu jagen — die Mutter jtarb, und Yußberger wurde freier und freier,
endlich meinten wir gejiegt zu haben. Da — ad, auf Glüd folgt auch
Unglüd, da, als wir ven Sieg ſchon in Händen hielten, da — ſtarb
Zußberger ſelbſt. Ein Herzichlag raffte ihn in voller Manneskraft
hinweg.
Das war mir ein fchmerzlicher Verluſt. Yußberger war ein
liebenswürdiger, jolider Mann mit guter Schulbildung, mit uner:
müpdlichem Bildungsjtreben, mit eifernem Fleiße und mit jener ge
junden ſchauſpieleriſchen Begabung, welche man Ifflandiich nennt,
einfach, wahr und reiflih erwogen. Frei vom Dialefttone, hatte
174 Das Burgtheater.
er eine jchöne Zukunft vor fich im Fache der Väter und gejchnteis
digen Charafterfpieler. Er beherrſchte auf ver Scene jein Material
mit voller Sicherheit und hatte dadurch einen großen Borjprung vor
jo vielen begabten deutſchen Schaufpielern, welche die Abhängigfeit
vom Souffleur nicht loswerden fünnen, eine Sklaverei, die nie ein
volles jchaufpielerifches Kunftwerf erreichen läßt. Darüber war
Lußberger auch mit jih ganz im Klaren, und fein Streben war ein
ſyſtematiſch geregeltes. Ich erinnere mich einer Streiticene auf
der Probe, welche dies deutlich an ven Tag legte. Gereizt durch
ein anderes Mitglied, welches den Souffleur abjolut nicht entbehren
fonnte, entwarf er diefem ind Angefiht voll Zorn ein Bild vom
Schaufpieler, wie er jein müßte. Er führte dies Bild mit voller
Beredtiamfeit und Kenntni in raſchem Nedeitrome binnen fünf
Minuten vergejtalt aus, daß es vom Stenographen jofort in die
Druckerei gejchieft werden konnte und jich als ein erfchöpfendes Va—
demecum für Schaufpieler dargeboten hätte. Er beſaß alle Eigen-
ſchaften für einen guten Negtjjeur.
Das zweite Stück und der zweite Schaufpieler, welche unter-
wegs gefunden wurden, waren „Der verwunſchene Prinz‘ und Herr
Meirner.
Der heitere „Verwunſchene Prinz‘ wurde Gegenjtand einer
ernjten Prineipienfrage. Diefer Prinz ift eigentlich eine Poſſe, und
die Kigoriften meinen, eine Poſſe gehöre nicht aufs Burgtheater.
Im Wiener Sinne haben fie auch Recht. Eine Wiener Pojje iſt
etwas viel Gröberes und Bunteres, als der literariiche Begriff Poſſe
in jich ſchließt. Diefer nennt ein ausgelafjenes Luſtſpiel eine Poſſe,
und ein ausgelajfenes Yujtipiel ijt etwas ganz Anderes als eine
Wiener Pofje. Es fommt alfo ganz auf ven Grad ver Ausgelafjen-
heit an, ob das Stück in einem Schaufpielhaufe zuläſſig iſt, welches
den Anſpruch auf ein erſtes Schaufpieltheater ſtreng behaupten will.
Und dies ift eine feine Frage, Bei einer großen Anzahl unferer
Luftipiele jagt der äfthetifche Kritifer mit Recht: es ijt mehr Poſſe
Das Burgtheater. 275
als Luſtſpiel! und es fällt uns doc) nicht ein, das Stück vom Burg—
theater zu weifen. Die Grenzlinie iſt jehr jchwer zu bejtimmen, und
ih habe immer gemeint, man joll jih da vor Pedanterie hüten.
Fröhlichkeit ift ein gar gutes Ding. Man fol ihr nicht entgegen
treten, jo lange fie nicht Neigung zeigt, trivial zu werven.
Die Franzofen wiſſen vecht gut, was jie wollen, indem fie auf
ihrem jtolzen Theätre Frangais die alten Scapinſtücke mit gröbiter,
ja gröblichjter Komik jede Woche aufführen. Es gejchieht nicht blos,
um ihre clafjiichen Yuitipieldichter zu ehren, und neben Moliere ift
Ihon Regnard nicht geradezu claffiich, und es fommen deren, die
unter Regnard jtehen. Sie wollen ungebundene, natürliche Frifche,
jie wollen derbe Heiterfeit, ja unmotivirte Yuftigfeit nicht ausgehen
laſſen auf ihrer Scene; fie wollen den oft verzwicten modernen Re—
jerven vornehmer Gefellichaft einen Widerpart entgegenhalten, da—
mit der Geſchmack nicht verfchrumpfe in fünftlicher wie ängjtlicher
Convenienz.
Die Warnung vor Pedanterie in dieſer Richtung gilt beſonders
für ein Theater, welches ſiebenmal in der Woche Schauſpiel giebt,
alſo fröhliche Abwechslung dringend braucht. Dazu unſere drama—
tiſche Schöpfungskraft, welche im Luſtſpiele ſo gar ſparſam iſt und
welche in ihren Luſtſpielen vorzugsweiſe nach dem Derben und Poſſen—
haften neigt. Ein Theater wie das Burgtheater, welches nur Schau—
ſpiel bringt, ſoll ferner auch den ganzen Umfang des Schauſpieles
bringen. Zu dieſem Umfange gehört die Poſſe im feineren Sinne.
Vom geſchichtlichen Herkommen im Burgtheater ſpreche ich da gar
nicht. Dies Herkommen iſt nie rigoros geweſen, im Gegentheile, es
iſt immer weit über das hinausgegangen, was ich meine. Poſſen
wie die „Pagenſtreiche“, welche ich auf dem Repertoire fand und
für den Faſchingsſonntag ſtehen ließ, ſind viel ärger, als ich für zu—
läſſig erachte. Das iſt nicht ein ausgelaſſenes Luſtſpiel, das iſt eine
ausgelaſſene Poſſe. Das ausgelaſſene Luſtſpiel, welches man lite—
rariſch Poſſe nennt, braucht eine volle Motivirung ſeiner Wirkungen
176 Das Burgtbeater.
und unterjcheidet ſich vom Luftipiele nur dadurch, daß den Wirfungen
ein freiever und breiterer Raum gelajjen wird.
In diefem Sinne hielt ich und halte ich das Genre des „Ver—
wunjchenen Prinzen‘ für ganz zuläffig. Seine heitere Wirkung hat
es denn auch in vollem Maße gethban, und der Verfaffer, ein an-
ipruchslofer Dann in München, v. Plötz, hatte eine reine, fchöne
Freude daran, das feine anfpruchsloje Arbeit auf einem eriten
Theater eingeführt wurde und wohl bejtand. Es war Nachfolge jo
fröhlich jinniger Arbeit von ihm zu erwarten; aber der Tod, welcher
einen Zahn auf umjere Dramatifer und guten Schaufpieler hat,
vaffte auch ihn bald darauf hinweg.
Herr Meirner gefiel, und es ward ein Charafter-Nomifer ge-
wonnen neben dem freien Komiker Bedmann, welcher jo unvergleich-
lich war in der freiheit der Komik und welchen der neidiihe Tod
auch vorzeitig hinweggeriſſen bat.
Noch in einer anderen komiſchen Richtung verfuchte ich Das Re—
pertoire zu erweitern. In der Richtung nach Norden, möchte ich
jagen. Heinrich v. Kleiſt's „Zerbrochener Krug‘ gehört ganz zur
nordischen Komif. — Heinrich v. Kleijt ſtand lange auf der Senator:
Lifte unferer großen Boeten. Man meinte, es müjje Alles dafür ge
than werden, dem Publicum begreiflich zu machen, daß ihm einer
der nächiten Seſſel nab Schiller und Goethe eingeräumt werde.
Sch war jelbjt viefer Meinung und hatte vor, all’ jeine Dramen
in Scene zu ſetzen. Wie weit ich damit gefommen bin, wird die
Folge zeigen. Zuerjt brachte ich den „„Zerbrochenen Krug‘, der bier
nie gegeben worden ; eigentlich ohne Erfolg. Er erſchien zu nordiſch,
zu alt, zu gedacht, zu abjtract. Mehr Komik für den Denker als
für ven Zuſchauer. Der Unterichied unjerer deutſchen Landsmann—
ſchaften zeigt jich da jehr deutlih. Die märkiſche Yandsmannfchaft,
zu welcher Kleift gehörte, findet das Stückchen ihrem Gefchmade
zufagend, fie folgt ihm mit Behagen. Döring giebt auch den Dorf-
Das Burgtheater. 177
richter Adam viel chnifcher, ſchärfer und frecher als La Roche, und
die Döring'ſche Charafteriftif entipricht dem märkiſchen Grundtone.
Die norddeutſche Komik jteht eben der Kauftif viel näher als vie
ſüddeutſche. Aber auch im Norden muß diefer durch die Nomantifer
berühmt gewordene „Krug“ geftrichen werden bis auf die Knochen.
Er ift viel zu breit für die Scene. Und dem Süddeutſchen iſt ein
Körper ohne Fleifch ein mißlich Ding.
Endlih! — die Maiſonne fchien Schon alühend warn — kam
ich an die Proben des „Julius Cäſar“. Dieſe Aufgabe wurde als
das Staatseramen des neuen Directors betrachtet, und alle An—
jtrengungen eines jo jchweren Actes brachte fie auch mit fih. Die
großen Volfsfcenen waren in jolcher Art eine Neuerung auf dem
Burgtheater, und ich hatte fie gegen ven Regiſſeur durchzufeten.
Das flingt auffallend, wenn ich den Regiſſeur nenne, Anſchütz
wars, ein ſonſt friedlicher, feiner Kunſt ehrlich ergebener Mann.
Unfer Streit war auch fein perfünlicher, er war ein Streit um
Grundſätze. Alte und neue Schule ftießen hiebet hart an einander,
Anſchütz wollte nicht zugeben, daß die auf ver Dühne Agivenden gar
feine gejellige Rücjicht auf das Publicum nähmen. Cr fand es re
ſpectwidrig, daß fie dem Publicum fogar den Rüden zufehrten. Ich
dagegen erklärte mich als Gegner dieſer gejelligen Rückſicht und be
bauptete, die Scene habe alle Rechte eines Gemäldes. Ich verwies
auf große hiftorische Bilder, welche ihre Größe einbüßen würden,
wenn alle Köpfe und Yeiber en face oder auch nur halb en face er-
icheinen müßten. So wenig im Converfationsjtüd die Schaufpieler
immer nah dem Publicum zugefehrt jprechen dürften — und dies
ſei ja ein charafteviitiicber Vorzug des Burgtheaters, daß es den
Eindruck wirklichen Lebens durch natürlichen Verkehr auf ver Bühne
hervorbringe — ebenjowenig dürfe das im großen biftorifchen Stücke
gefchehen. Berufe man fich auf höheren Styl im höheren Stüde,
wie Anſchütz that, jo meinte ich das zurückweiſen zu müſſen. Steif—
heit und unwahre Wendung möge Styl heißen, ich hielte dies aber
Laube, Burgtheater. 12
178 Das Burgtheater.
für ſchlechten Styl und glaubte auch Styl zu erreichen durch Ord—
nung und Gejet in der freien Bewegung.
Nach meinem Sinne eingerichtet, erſchien denn die große Volfs-
fcene auf dem Forum und machte eine eleftrijivende Wirkung.
Sch jelbjt wurde bei der eriten Vorſtellung nicht viel gewahr
von diefer Wirkung, denn ein literariicher Freund zog mich aus der
Loge und demonjtrirte mir im Corrivor, während das Publicum im
Saale fih für meine Inſceneſetzung erklärte, daß dies Alles nicht
richtig wäre und dem wohlgefchulten Wiener Publicum mißfällig
iverden müßte,
Sp wahr ijt es, daß wir in diefem Leben jeden Erfolg bis auf
Heller und Pfennig bezahlen müſſen.
XIM.
Der Erfolg der „Cäſar“-Vorſtellung war ein vollftändiger.
Er erwarb der Direction ein volles Zutrauen. Und diefes Zutrauen
bat mir das Publicum mit liebenswürdiger Nachjicht für all’ meine
Gebrechen bis zu meiner letten Divectionsftunde im Burgtheater
bewahrt. Ich bin dafür dem Wiener Publicum zu tiefem Danfe
verpflichtet.
„Julius Cäſar“ gewann hiedurch eine feſte Dauer, Troß
warmer Sommerszeit fonnte ev bis zu den ferien, bis Ende Juni,
jechsmal bei vollem Haufe gegeben und nach den Ferien in dem—
jelben Jahre ebenjo oft wiederholt werden. Ja, er übte feine Ans
ziehungsfraft einer Novität auch das nächſte Jahr aus und ift als-
dann Jahr für Jahr zahlreich wiederholt worden.
Ein römifches Stüd ohne Liebes-Intrigue, nur große Staats-
ereignijje darjtellend, und mit Schwachen Schlufje!
Wäre das in einer andern deutſchen Stadt, wäre das in Berlin
möglih? Kaum, Man giebt dort auch „Julius Cäſar“, aber er
ericheint nur nach langen Zwiſchenräumen. Und doch hätte Berlin
einem ftrengen Shafefpeare-Stüce gegenüber gar Mancherlei voraus
gegen Wien. Die Shafefpeare-Mufe fteht dem dortigen Bublicum
wirflich näher. Die norddeutiche Landesart ift der englifchen ſchon
verwandter; die literariiche Bildung iſt zahlreicher verbreitet durch
gute Schulen, und der protejtantifche Geift fommt der Shafefpeare’-
ſchen Gedanfenwelt vorbereitet entgegen, denn Shakeſpeare's Ge-
19%
180 Das Burgtheater. %
danfenmwelt entjprang ja der protejtantifchen Freiheit im Denken.
Da wäre alfo doch Vorjprung genug, um den mangelnden Roman—
reiz eines jtreng politifchen Stüdes leichter entbehren zu können.
Noch mehr: das Wiener Publicum ift zwar dem Berliner darin
voraus, daß es die Schönheit eines Stüdes vafcher und wärmer
auffaßt, aber das Berliner folgt einer verjtändigen Compofition
ruhiger und überlegter, es erſchrickt deßhalb weniger vor conjequen-
ten jtarfen Ausbrüchen einer ſolchen Compoſition; es hat Nerven,
welche durch ſyſtematiſche Yiterarbildung jtärfer gehärtet- find.
„Dtbello” zum Beifpiel, dasjenige Stück Shakeſpeare's, welches am
folgerichtigiten motiwirt und geführt ift, wird in Wien immer bis
auf einen gewijjen Grad gefcheut und gefürchtet. Die Ausbrüche
Dthello’scher Art haben für das eigentliche Buratheater-Publicum
jtets etwas Grichredendes und Bevenkfliches und müſſen durch
Shakeſpeare's Namen gedeckt werden. Das ift in Berlin ganz anders,
Die Folgerichtigfeit, wenn auch noch jo grimmvoll, fagt dem dortigen
Sinne zu. „Othello“ it in Berlin geradezu populär. ?
Und troß aller diejer Einenjchaften des Nüherjtehens würde
ein Stüd wie „Julius Cäſar“ dort ſchwerlich eine jo mächtige und an—
dauernde Theaterwirfung machen, wie es fie in Wien von 1850
an gemacht hat. Dazu it ein warmer Theaterfinn, iſt ein ſchöner
Enthufiasmus für ein großes neues Stüd erforverlih, und ver
naive Reſpect des Wieners für eine Größe, welche ihm unerwartet
entgegentritt. Dieje naive Empfängniß iſt und bleibt eine unſchätz—
bare Cigenjchaft des Wiener Publicums. Sie bringt allerdings
manchmal zur Verzweiflung, wenn fie jich durch Mangel an Kenntniß
verleiten läßt, jede fremdartige Aeuferlichfeit heiter und luſtig zu
begrüßen, und jedes Befremdliche kurzweg anzulachen oder gar aus—
zulachen. Aber ven eingebornen künſtleriſchen Grundton verleugnet
das große Wiener Publicum nie. Es erfennt das Echte in der Kunſt
immer und huldigt ihm jtets mit Hingebung. Und gerade vie Hin-
gebung ift ihm fo eigenthümlich wie dem Pariſer Publicum. Ihr
ar
Das Burgtheater. 181
vorzugsweiſe verdanft es Wien, daß es noch ein gutes Schaufpiel
haben fann, während die anderen deutjchen Städte es immer mehr
entbehren müſſen. Dieſe Hingebung erhöht ven Dichter und erhöht
den Schauipieler.
Für „Julius Cäſar“ waren übrigens auch die Nevolutions-
jtöße, welche Wien kurz vorher erjchüttert hatten, eine Vorſchule ges
wejen zu geneigtem Verſtändniß. Die römijche Revolution im
Stüde weckte helle Erinnerungen. Namentlich die Volksſcenen
thaten dies, indem jie die NWanfelmüthigfeit und den jähen Wechjel
der Volfsjtimmung zeigten.
Aber bei all diefen Erflärungen erſcheint mir immer die große
und dauernde Wirkung des Stüdes höchſt merkwürdig, wenn ich es
als Theaterjtücd an meinem Auge vorübergehen laſſe.
Das Stück jelbjt, von großem Geifte geführt und eine der
größten Compoſitionen Shafejpeare's, leidet doch in unſerm heutigen
Theater und für unjeren heutigen ausgebildeten Thentergefhmad an
manchem Uebelſtande und an einem ganz unwirffamen letsten Acte.
Der Held Julius Cäſar handelt nicht, ſondern ift nur Mittel-
punft der Handlung. Er verfchwindet ſogar ſchon inmitten des
Stüdes. Wir müflen ung damit begnügen, daß fein Geiſt erſicht—
lich fertwirft.
Dies ift eine Strecke lang meijterhaft bewerfftelligt. Sein
Rächer Antonius entwidelt jich in der großen Rede und in Beherr-
Ihung ver Volksmaſſen jo mächtig, daß dieſen Scenen nichts Aehn—
liches in der ganzen Yiteratim Europas an die Seite zu jtellen ift.
Aber von da an werden wir inne, daß die einheitliche Triebfraft
ausgeht. Die berühmte Zankſcene zwiſchen Brutus und Caſſius,
die erwachende Nemeſis des bejeitigten Herrn, iſt als gut gedachte
und gut geführte Scene wohl angethan, ven Geift des Zuſchauers
interejfant zu bejchäftigen. Das fünftlerifche Bedürfniß des Zu:
ichauers jedoch befrierigt fie nicht mehr. Sie fommt zu jpät im
pramatifchen Organismus. Wir find ſchon auf ver Höhe des Endes,
152 Das Burgtheater.
und da genügt eine Scene nicht mehr, welche nur an unfer zuftim-
mendes Verſtändniß gerichtet iſt. Wir brauchen da eim jtärferes,
drangvolleres Moment. Da folgt die leibhafte Geifteserfheinung
Cäſar's und ftellt unfere erichütterte Theilnahme wieder her. We-
nigjteng einigermaßen.
Der letzte Act aber genügt uns nicht in feiner blos epifchen
Führung, und er hat theatralifch ſchwere Miflichkeiten. Wir haben
ung darein ergeben, jtatt des todten Cäfar einen neuen Helden zu
erhalten, ven Brutus. Das ift auf der Bühne viel abſchwächender
als im Yefen. Wir müffen aber auch noch einen Concurrenten mit
in den Kauf nehmen, ven Caſſius, und ſchließlich müfjen wir zwei
Sterbejcenen diefer zwei Helden von theatralifch ſchlimmer Gleich—
mäßigfeit durchmachen. Das fühlt ab über die Gebüdr.
Ich führe dies an, um auf ven Unterfchied aufmerffam zu
machen zwijchen der Theaterfritif und der Buchkritif. Letztere haben
wir in fajt argem Maße über Shafejpeare, eine wahrhaftige Theater:
fritif über die Shakeſpeare-Stücke haben wir in jehr geringem Maße.
Unfere Buchkritif über Shafejpeare ift befanntlich ein un-
erjchöpflicher Born des Lobes, und ich will gar nicht jtreitig machen,
dap fie unferem literariſchen Geijte reiche Hilfsquellen erichließen
hilft, wie überfchwenglich ſie jich auch oft geberve, wie grundlos jie
auch oft folgere und thürme. Aber ich muß doch einmal darauf
hinweiſen, daß diefe Shafejpeare - Ktritif uns meijt ganz irrthümlich
berichtet über die Wirkung der Shafeipeare-Stüde auf dem Theater.
Ih würte faum einen der Shafefpeare- Erflärer, welcher darin eine
Bedeutung hätte.
Gerpinus am wenigjten. Gr führt geradezu irre. Sein
Urtheil über die Theaterwirkſamkeit Shakeſpeare's ilt eine völlige
Merkwürdigfeit.
Wenn er fagt: dies Stüd empfiehlt ſich ganz beſonders für die
Bühne, dann fann man ficher fein, es ijt nicht aufführbar. Und
wenn er feine Bevenfen äußert über die Aufführbarfeit, dann kann
Das Burgtheater. 183
man jich getrojt mit der ſceniſchen Einrichtung des Stüdes bejchäf-
tigen. Denn von dem Talente des Schaufpielers Shafefpeare
weiß Gervinus fein Wort. Wie oft überrafcht uns dies Talent bei
der Injcenejegung! Cs hat fein vramatifcher Autor jo viel ſceniſche
Macht, die wir heute noch nicht mit all’ unferer Claſſificirung ver
Effecte hinreichend erflären fünnen, als gerade Shafejpeare, Er
war auch darin ein Genie.
Aber er hatte eine ganz andere Bühne, als wir fie haben, und
feine Zufchauer machten ganz andere Anſprüche, als die unferigen
fie machen, und um über Theaterwirfung Etwas vorausfagen zu
fönnen, muß man eben eine plaftiihe Phantaſie haben. Juſt diefe
aber geht zumeift Gelehrten ab. Sie find vorzugsweife Denker,
nicht Künftler. Und gerade Gervinus ift völlig verlaffen von jedem
Atom plaftiicher Phantafie. Man braucht nur feinen Styl anzu—
ſehen, eine wahre Tortur für ven Yefer, welcher irgend ein fünjt-
feriiches Bedürfnig hat. Die Gedanfen drängen fich und jtoßen
fi in dunfler Kammer. Gervinus fieht fie jelber nicht; er hat nie
eine Anſchauung und fann deßhalb auch feine geben.
Es gehört zu unferem deutſchen Schidjale, daß eben ſolch ein
Mann — reich an Kenntnijjen und unermüdlich im Fleiße, aber
ohne jede plaftifche Fähigkeit — Über unfere Poeten zu Gerichte ſitzt.
Die Grund» Elemente der Poefie, naive Anjchauung und glüdliche
Gejtaltung, find feinem Naturell verjagt, ev muß feinem Wejen
gemäß die Dichter nach Gedanken » Kategorien mejjen und muß alfo
Poeten wie Goethe aufs Aerajte mighandeln.
Bei einem Landsmanne wie Goethe thut das weniger Eintrag.
Der fteht unferem Verſtändniſſe jo nahe, daß umverftändiger Tadel
an uns abgleitet. Aber wenn der Kritifer ohne Augen über die
Wirkung blos gelefener Dramen redet, dann muß ev den Yejer ivre-
leiten. Glücklicherweiſe ift er durch den großartigen Geiſt Shafe-
jpeare’s jo eingenommen für diefen Dichter, daß er auch das lobt,
was er nicht fieht, und jo wird fein reichlich gefammeltes Material
184 Das Burgtheater.
immerhin werthvoll, jeine ratlos und unruhig combinivende Dia-
(eftif immerhin anvegend, wenn man jich durcharbeitet durch das
Dornengeftrüpp feiner Rede, und wenn man auf der Huth bleibt bei
N)
jeinen Folgerungen, Aber vor feinen Berfündigungen der Shake
ſpeare'ſchen Theater » Effecte möge Jedermann gewarnt fein.
Was die Einrichtung des „Julius Cäſar“ fir unfere Scene
betrifft, jo bin ich jehr vorjichtig zu Werke gegangen. Es war das
erſte Stück, welches ich für die Aufführung redigirte, und da ift
man noch ſehr ſchüchtern. Yängere Theaterführung macht in diefem
Punkte dreift, ja gewaltjam,. Das unmittelbare Yeben jtellt gebie:
teriiche Forderungen, und die offene Scene mit dem anmwejenden
Publicum ijt unmittelbares Yeben. Da hören alle erlernten Rüd-
fihten auf; man will und muß bejtehen, und das Publicum da
unten fragt nicht nach literariicher Gefchichte, es fragt nur, ob das
da oben dargejtellte Stüd jeinen lebendigen Anfprüchen genügt.
Der Theater-Director Schröder, welcher das große Verdienſt
hat, Shafeipeare auf der deutſchen Bühne eingeführt zu haben, iſt
am gewaltjamjten vorgegangen.
Die literariiche Kritik hat auf der anderen Seite ven Beruf, das
Driginal zu vertheidigen gegen die Abänderer, und dadurch die Ab-
änderer in Schranfen zu halten. Der gefchichtliche Verlauf jtellt
das Gleichgewicht her zwijchen Beiden. Gebiert die- Abänderung
ein dauerndes Stück, danıı wird die literargefchichtliche Eimwirfung
wirkungslos; gelingt das nicht, dann wird ver frevelhafte Theater:
Director gejtäupt. Das Bedürfniß nach neuen Stüden zwingt ihn
aber Schon morgen wieder zu neuen Verfuchen; denn das lebendige
Bedürfniß refpectivt fein Verbot, es gehe von bürgerlicher Polizei
aus oder von literarijcher Polizei.
‚Julius Cäſar“ bedarf in feinem Baue auch für unjere Scene
feiner wejentlichen Veränderung. Nur im lesten Acte macht das
ſceniſche Arrangement eine Zufammenziehung nöthig.
Einige Wochen nach dem „Cäſar“, alfo mitten im Sommer,
Das Burgtheater. 185
brachten wir „Roſenmüller und Finke“, von Töpfer, zum evjten:
male. Ich machte feine Umſtände und legte es in jo ungünftige
Sahreszeit, für welche man fich ſonſt jeder Neuigfeit enthält, weil
ich ein Ichlechtes Gewilfen hatte mit vem Stücke. Unfere praftifchen
Luſtſpiele nehmen ſich in der Yectüre gar gröblich aus und gar be—
denflih. Che das frische Gelächter die leeren Stellen ausfüllt,
erjcheinen jie verzweifelt ordinär. Ich hatte auch noch zu wenig
Praxis, um hinreichend zuverfichtlich zu fein in diefem Punkte. Und
die erjte Aufführung gab meiner jungfräulichen Echeu vollftändig
Recht. Das jett jo beliebte Luſtſpiel wurde am erjten Abende
unzweideutig abgelehnt. Dean hatte viel gelacht, ſchwieg aber gegen
den Ausgang und zifchte am Ende,
Dies will im Burgtheater jagen: das Stüd läßt jich leidlich
an, genügt aber doch ven Anforderungen nicht, die wir zu jtellen
berechtigt jind. Beim Schaufpiel und Trauerpiel ift dies ein Ver—
dict, von welchem es feine Appellation giebt. Die Leute fommen
da eben nicht zur zweiten Vorftellung. Beim Yujtipiele aber giebt
es eine Appellation. Die Erheiterung iſt ihnen zu nothwendig.
Man erzählt zu Haufe: claffifch ift das Stüc nicht, es ſündigt viel-
fach, aber es unterhält doch. Kann man fogar jagen: es unterhält
luſtig, dann fchwinden alle Bedenflichfeiten und die Yeute fommen
zahlreich zu ven Wiederholungen. Dann hat das Stüc feinen kritiſchen
Abmweis erlebt, das Gewifjen ijt beruhigt und es findet feinen prak—
tiichen Erfolg zu männiglicher Unterhaltung. So hat es fich ereignet
mit „Roſenmüller und Finke“.
Ohne diefen praftifhen Ausgleich fünnte auch fein Theater
bejtehen; denn es werden gar wenig Stücke gejchrieben, welche ver
Kritif und dem Bedürfniſſe der Unterhaltung gleichmäßig genügen.
Einige Monate jpäter verichafften wir uns jelbjt, Regiſſeure
und Director, eine originelle Unterhaltung. Wir trachteten ein
Stück aufzuführen, in welchem lauter ungejtüme Jugend zu toben
hat, und wir wollten einen großen Theil diefer ungejtümen Jugend
156 Das Burgtheater.
durch alte Herren darftellen laſſen. Theile fehlte wirklich noch die
hinreichende Anzahl junger Schaufpieler, theils follte ung jolch eine
würdevolle Beſetzung als Paflirfchein dienen. Wenn die Behörde
jähe, daß Papa Anfchüt einen wilden Jüngling fpielen wollte, fo
war das, meinten wir, eine Zuficherung, daß nichts Ungebührliches
beabfichtigt würde,
Wir wollten Schiller’s „Räuber“ auf's Burgtheater bringen.
Sie waren im Theater an der Wien gegeben worden, im Burg-
theater aber nie. Die Cenfur war in frühefter Zeit Dagegen ge—
wejen, und eine unklare Scheu vor Nohheit gab der Cenſur Recht.
Schreyvogel hatte meines Wiffens feinen Verfuh gemacht; in
Deinhardftein’s Leichtes Weſen paßte ſolch ein urwüchjiges Stüd
gar nicht, und Holbein hätte wohl in den fetten zwei Jahren Ge—
legenheit dazu gehabt, er gehörte aber in eine Beamtenrichtung,
welche mit Wagner im „Fauſt“ dergleichen fcheut, „weil ich ein
Feind von allem Rohen bin”. Negierungsrath v. Holbein war ein
gewiljenhafter und ehrenhafter Beamter, welcher in allen Ver:
waltungs-Angelegenheiten Sorgfalt, Strenge und Muth entwidelte;
in allen Fragen aber, welche das Theater mit Politik in Berührung
brachten, war er ängſtlich und zaghaft.
So lagen denn die „Räuber“ Anno 1850 noch für das Burg:
theater wie auf einer unnahbaren Infel im fernen Ocean. Wir
aber rüfteten eine Expedition, um dieſe Infel zu erobern. Anſchütz
Itand als Schweizer auf dem Ded, Yöwe als Spiegelberg, und fo
fort lauter erfahrene Jünglinge; Fichtner als Hermann der Bajtard
jtach beinahe ab. Die beliebte Form für zu hoch oder zu niedrig
bängende Früchte, das Geſuch um eine Wohlthätigfeits-Vorftellung,
war umfere Flagge, und nicht ohne Zagen meldeten wir uns mit
diefem vwerwegenen Unternehmen bei unferer Behörde. Als wir
eintraten, flüfterte mir Anfchüß zu: Doctor! Wir erleben ein Uns
glück und werden mit Schimpf und Schande fortgejagt.
Ih muß vorausſchicken, daß unfer Chef, welcher zu Anfang
Das Burgtheater. 187
für eine große Schaar von Stüden die rothen Kreuze gemacht, im
Laufe des Jahres etwas milder geworden war. Er war ein Torh
und ftreng in jeinen Grundfäten, welche mit dem Liberalismus der
zeit wenig Gemeinjames hatten. Aber er war einer vorfichtigen,
logijhen und ehrlichen Beweisführung nicht immer unzugänglich ;
er war günftig gejtimmt durch die Erfolge, welche vem Theater
gelangen, und er handelte nicht gern gegen die Strömung, welche
eben an oberjter Stelle herrichte. Diefe Strömung war im Jahre
1850 noch nicht ausgefprochen anti-liberal. Man hatte noch zu viel
aufzuräumen und vorzubereiten, ehe man an die Aufhebung einer
Verfaſſung denken fonnte, welche unter freifinniger Form ganz
Dejterreich zufammenhielt und der Verbejjerung fähig war. Graf
Lanckoronski, ein Schwager Stadion’s, ließ fih damals wohl noch
daran erinnern, dar fein Schwager ftarfen Antheil habe an dieſer
liberalen Verfaſſung und daß unter folchen Umftänden wohl auch
die „Räuber“ —
„Die Räuber?!‘
Bon Schiller, wurde [hüchtern hinzugefetst, um ven bösartigen
Titel zu entfchuldigen.
Gr lächelte zu dem abenteuerlichen Jünglingswunſche ver alten
Herren, aber er fehüttelte doch langjam das Haupt und zeigte wenig
Luft, ihn zu gewähren.
Es ijt merkwürdig, was dies erfte Stück Schiller’s den Yeuten
zu Schaffen gemacht, was für lodernde Sympathien, was für grim-
mige Antipathien e8 gewect hat, Der ganz neue Kern eines Genies,
welcher zum erftenmale vor den Menſchen erjcheint, macht eben
als ganz neun und ımerhört den heftigiten Eindrud, War es nicht
bei Goethe ebenjo aewefen? Sein „Göß von Berlichingen‘ jette
die ganze ventjche Welt in Bewegung. Nur war Goethe ein fried-
liches Naturell, Schiller aber ein friegerifches. Die ‚Räuber‘ alfo
fetten in Flammen, während „Götz“ nur in Bewegung gejett hatte.
„Louiſe Millerin‘‘, wie „Cabale und Liebe“ zuerjt hieß, war nicht
188 Das Burgtheater.
minder arg, fie griff bis zum Aufzucden ſchmerzhaft in die Wunden
der Gegenwart, in Standes= und Regierungswunden, aber die Welt
Ichrie nicht mehr. Sie fannte bereits diejen neuen Kern einer
genialen Kraft, Beim zweiten Stüde ift ver Schred ſchon escomp-
tirt, wie man in der Börſenſprache fagt.
An den „Räubern“ ift diefer Schred immer haften geblieben,
In Dresden lebte während der Dreifiger Jahre unjeres Jahrhun—
derts ein alter ruſſiſcher Fürft, der fonnte vierzig Jahre nad) Er—
ſcheinen der „Räuber“ jein Entjegen über dies Stück nicht los—
werden, Es hatte fich zum Haß ausgebildet, er hafte die ‚Räuber‘
wie die Sünde, und jo oft fie in Dresden aufgeführt wurden, jo oft
wiederholte er folgende Worte: „Wenn ich Gott jelber wäre und
im Begriffe jtünde, diefe Welt zu jchaffen, zugleich aber voraus—
jähe, daß die „Räuber“ in diefer Welt gefchrieben und mit Beifall
aufgeführt werden ſollten — ich ließe diefe Welt ungejchaffen‘‘,
Zu ummwilligem Erjchreden des Dresdener Intendanten, des
Herrn v. Yüttihau, hatte ich in den „Karlsſchülern“ dieſe Worte
dem Herzoge Karl in den Mund gelegt. Herr v. Yüttichau beſchwor
mich, dieje Uebertreibung zu jtreichen. Sie hätte ihn lange genug
von dem alten Ruſſen geärgert. Ich lehnte das aber lächelnd ab.
Jetzt kam die Strafe, „Die Räuber‘, welche ich nun brauchte,
waren auf dem Punkte, lächelnd abgelehnt zu werden. in Mit-
glied meiner Behörde hatte dieje ruffiichen Worte aus den „Karls—
ſchülern“ fennen gelernt und citivte fie in diefem fritiichen Augen—
blicke. Glücklicherweiſe ging dies Mitglied, welches wirklich eben-
falls einen tiefen Abjcheu begte vor den „Räubern“, in feiner ans
flagenden Beweisführung bis zum Aeußerſten: es malte die Folgen
einer „Räuber“Aufführung dahin aus, daß junge Yeute in Mähren
oder Böhmen dadurch veranlaßt werden fünnten, auch heutigentags
in die böhmischen Wälder zu ziehen und eine Räuberbande zu
bilden — !
Das wirkte, wie jede lebertreibung wirft. Warım nicht gar!
Das Burgtbeater. 189
rief der Chef, und gab die Erlaubniß zur Aufführung ver „Räuber“
— freilih zunächit nur für den Wohlthätigfeitszwed. Meine Sorge
war nun, das Stüd für immer zu gewinnen, indem ich es fo zur
Anſchauung brächte, wie es wirklich ift, nämlich unter Hervorhebung
feiner moralifchen Folgerungen und jeines moralifchen Strafge
richtes. Ich ging alfo auch im letten Acte ab von der herkömm—
lichen Mannheimer Einrichtung, welche den Franz am Yeben erhält
und nur in den Thurm werfen läßt. Aus diefem Thurme bat er
böchjt wahrscheinlich Befreiung zu erwarten, nachdem der Majorats-
berr Karl fih dem Galgen überantwortet hat. Ich ließ ihn ich
erdrofjeln, wie's Schiller gewollt, und ließ dem Karl alle die mora—
lichen Verſöhnungsworte, welche herfömmlich gejtrichen werden.
Und fo gelang es uns, durch nachdrüdliche Betonung des geiftigen
Inhalts und durch kräftige Motivirung der Wildheit im Stüde
einen Eindruck der Vorftellung zu erreichen, welcher nicht roh war
und dem Stüde eine dauernde Stätte gewann. Die „alten Herren‘
halfen dazu wejentlich, indem die wilden Reden in ihrem Munde
eine folive Begründung erhielten. Anfchüt arbeitete die große Rede
von der Befreiung Roller’s zu einem rhetoriſchen Meijterjtüde aus,
und Löwe's Spiegelberg wurde zum Cabinetsſtück eines lebensvollen
Wichtes. Die jungen Kräfte, Wagner als Karl, Dawiſon als
Franz, beflügelten fich neben den Veteranen, und fo entjtand eine
Borftellung voll Ungeftim und Drang und doch jo voll innerer Ber
deutung, daß ſie auch jetst noch nach Verwandlung der alten in junge
Räuber eine Zierde des Nepertoires ift, nicht blos ein unverwüft-
liches Zugſtück.
Man ift in Karlsruhe neuerdings damit vorgegangen und
einige Theater find nachgefolgt, das Stück im Nococo-Coftün zu
geben. Ich ſehe varin feinen Gewinn. Im Gegentheil. Bekannt—
lich wurde das Stüd gegen Schillers Wunſch in die fernen Zeiten
des allgemeinen Yandfrievens zurückverlegt. Dalberg verlangte es.
Das war übertrieben. ES aber modern zu machen für Schiller’s
190 Das Burgtheater.
Jugendzeit und ihm das Coſtüm des jiebenjährigen Krieges zu geben,
weil die Schlacht bei Prag erwähnt wird, das heißt das Wort über
den Geift fegen und dem Stüde ſchaden. Rococo-Coſtüm hat
etwas Zierliches, Enges, Geputtes und ijt dem Inhalte der „Räu—
ber“ gar nicht zuträglich. Die Nococofleider und die rohen, wilden
Studenten in Leipzig ftimmen nicht zufammen. Franken, wo ein
Theil des Stüces fpielt, war im jiebenjährigen Kriege jo wenig
vom Kriege berührt, daß das Walten einer jolchen Räuberbande
nicht wohl möglich war. Im dreißigjährigen Kriege dagegen war
ganz Deutfchland jo herrenlos und regierungslos, daß alle Phajen
des Stüdes möglich find; eine Schlacht bei Prag gab's zufällig
auch, und das Coſtüm ift malerifch, dem Inhalte entiprechend. Wir
geben deßhalb vie „Räuber“ in der Tracht des dreißigjährigen
Krieges.
XIV.
Wenn ein Jahr um ift, überzählt der Hausvater, was Alles
geichaffen worden ift im Laufe dejjelben, und freut fich dankbar,
wenn die Thätigfeit groß geweſen und auf mancher Arbeit der Segen
geruht hat.
Das Burgtheater hat es wahrlich in den leiten achtzehn Jahren
an Arbeit nicht fehlen laſſen. Der Leſer wird es vielleicht mit
Schreden gewahr, daß wir immer noch nicht über dies Cine Jahr
— 1850 — hinausfommen, und daß ich ihm auch jett noch nicht
jogleich in’s Jahr 1851 hinüber laſſen fann.
Es find noch Neuigfeiten übrig, welche jich bis jett auf dem
Kepertoire erhalten haben — von Benedir „Eigenſinn“ und „Die
Hochzeitsreife”, von Lederer „Häusliche Wirren” und von franzö—
jifchen Bearbeitungen ‚‚Die Königin von Navarra‘, Moſenthal's
„Deutsches Dichterleben‘‘ ift auch über ein Jahrzehnt erhalten worden.
Außerdem muß ich des Syſtems gevenfen, welches ich in der
Einleitung bezeichnet habe, des Syſtems immermwährender neuer
Infcenejeßungen, durch welche das hiftorijche Repertoire von Shake—
ſpeare und Leſſing herab vollſtändig gemacht und vollftändig erhalten
werden Jollte,
Dieſe ſyſtematiſche Arbeit, welche unfer Theater vor allen
deutichen Theatern auszeichnet — nur Karlsruhe verfolgt ein ähn—
liches Ziel — hat uns unjchätbare Anregungen und Ausbeute ges
währt. Reicher poetifcher Inhalt und Mannigfaltigfeit des Inhalts
192 Das Burgtheater.
iind eben ein Schaß, deſſen Werth unbejchreiblid. Ein Stüd,
welches vor Jahren unfruchtbar vorübergegangen, findet plößlich
bei jeiner Wiederfehr günftige Witterung, es paßt plößlich zur Stim—
mung des Tages, und feine früher umbeachteten Samenkörner
Ichießen nun in Halme, Blüthen und Früchte,
Dadurch gerade wird das Theater fo wichtig für geijtige Ent-
wicklung eines Volfes, daß es Anfchauungen, Gedanfen und Fol-
gerungen in umerjchöpflichen Maße auch an die große Zahl von
Menſchen bringt, welche ſonſt weder Zeit noch Gelegenheit haben
für ſolche Anſchauungen, Gedanken und Folgerungen. Wer ermißt,
wie viele Genies umter dieſen Menſchen befruchtet werden durch ein
Stück, durch eine Scene, duch ein Wort im Theater?!
Ueber dreißig neue Infcenefeßungen brachte das Jahr 1850,
Darunter „Medea“, „Traum ein Leben‘, „Minna von Barnhelm‘,
‚Nathan‘, „Emilia Galotti”, „Romeo und Julie“, „Braut von
Meſſina“, „Fiesco“, „Don Carlos”, „Feſſeln“, „Gönnerſchaften“.
Von den neuen Stücken verdienen noch Lederer's „Häusliche
Wirren“ eine kurze Betrachtung. Sie haben wie ſeine „Geiſtige
Liebe“ etwas Specifiſches für die Wiener Welt.
Eine geringe Handlung, welche ſich intim und behaglich ab—
ſpinnt, iſt in Norddeutſchland nicht genügend, genügt aber in Wien,
wenn der Dialog unterhält. Und doch beſteht ein franzöſiſches
Stück mit geiftvollem Dialoge in Wien nicht, ſobald ihm eine hin-
reichende Handlung fehlt.
Wie fommt das? Die Art des Dialoges entjcheinet. Der
franzöfifche mag noch jo geiftreich fein, er bejchäftigt nur unferen
Verstand, er befchäftigt nicht unferen ganzen Zuhörer, Der Dialog
Lederer's aber hat etwas Heimathliches. Lederer ftammt aus Prag
und hat lange in Wien gelebt. Er ijt ganz anders als Bauernfeld,
aber er hat mit diefem doch gemein, daß er aus unjeren Gedanfen-
freien — heiteren Wendungen aufwachſen läßt. Wir ſind alſo
mit der Wurzel vertraut und jede Wendung erinnert uns an unſere
Das Burgtheater. 193
geiftigen Proceſſe. So erfcheinen uns die Worte voller als einem
Fremden; fie berühren hunvdertfach unfere Erinnerung, fie haben
Etwas von unferer Gefchichte, Und darin ift jedes Publicum egoi-
ſtiſch: das Eigene ift ihm viel intereffanter als das Fremde,
Lederer ift Jude, fo viel ich weiß. Aber er ift öfterreichijcher
Jude: die jüdiſche Witesader, dem jplitterrichtenden Talmudweſen
entjpringend, iſt nur die VBeranlafjung feines Wites, der Inhalt
feines Witzes ift ein öfterreichifcher Inhalt, und deßhalb jagt er ung
zu, und wir lachen behaglich über ihn. Dieſe behagliche Wirfung
erhält die „Häuslichen Wirren” auf unjerem Nepertoire,
Sch freue mich jtets, wen ich nach Dresden fomme, wo Lederer
jest lebt, und dem talmudiftifchen Luftipiel-Autor erzählen fann, wie
die Dinge im Burgtheater ſich gejtalten. Er fennt Alles, ev wohnt
eigentlich im Burgtheater; er ift nur auf Reifen jeit jo und jo viel
zwanzig Jahren. Er trägt auch noch den dunfelgrünen Rod, den
er damals im Burgtheater getragen; Enthufiaften jagen, er trage
auch noch denjelben Hut —
Und nun endlich zum letten wichtigen Greignifje des Jahres
1850!
Dem Burgtheater fehlte die erjte tragiiche Liebhaberin. Frau
Magner fonnte nur einen Fleinen finnigen Theil diefes Faches aus—
füllen, und die ältejte Anſchütz'ſche Tochter Augufte, Frau Koberwein,
welche dies Rollenfach befaß, war franf, Mean hielt fie für bruft-
frank und hatte wenig Hoffnung für ihre Genefung, wenigſtens
nicht für eine Genefung, welche anftrengende tragijche Rollen er:
möglichen könnte,
Es galt alfo umzufhauen. Cine erjte tragiiche Liebhaberin
ift das Herz des Schaufpiels. Was fann ein Schaufpiel fein ohne
jolches Herz?! „Was iſt das Leben ohne Liebesglanz!“ jagt heut—
zutage jeder Theatergänger mit Bewußtjein.
Ich kannte ein weibliches Talent, welches für meinen Gefchmad
die mwichtigften Anforderungen erfüllte: Eine ſchöne Geftalt, ein
Laube, Burgtheater, 13
Ber —
194 Das Burgtheater.
edles, jeglichem Ausdrucke edel folgendes Antlit, ein weiches, wohl-
thuendes Organ, ein poetiicher Sinn, eine reine, einfache Bildung.
So viel auf einmal! Und davon wußte man in Wien Nichts?!
Dem ilt doch jo. ES gehört dies in das Kapitel vom Nicht-
engagiven von 1840 bis 1850. Herr v. Holbein hatte die beite
Gelegenheit gehabt, dieje Yiebhaberin fennen zu lernen. Sie hatte
unter ihm längere Zeit in Hannover gejpielt, fie jtammte aus
Oeſterreich, fie hatte Nichts jehnlicher gewünſcht, als in's Burg-
theater zu fommen. Er jelbjt war von Hannover nach Wien über:
gejievdelt als Director des Burgtheaters, aber die blonde Marie
hatte er nicht berufen.
Sie hatte in Dresden ein Engagement gefunden und fich dort
einfach umd jchön entwidelt. Dort hatte ich ſie Jahr für Jahr ge-
jehen, wenn ich mit einem neuen Stüde hinfam, und hatte immer
erfannt, daß fie ein Schaf fei für das deutſche Schaufpiel, ein weib-
liches Herz, wie es dem Theater jelten beicheert wird.
Ich lud jie gleich im eriten Jahre meiner Direction zu Gaſt—
rollen. Sie fam und jpielte Maria Stuart, Jungfrau von Or-
leans, Julia, Youije in „Cabale und Liebe‘, Eugenie in Raupach’s
„Geſchwiſtern“, Anna Hyde im „Billet“, einem vorübergehenden
Stüce ver Frau Dirch-Pfeiffer, und Eboli im „Don Carlos”,
Sie gefiel, ohne jedoch eine größere Bewegung hervorzurufen.
Hatte ich mich getäuſcht und fie überihätt? Ich war nicht
der Meinung.
Das Ebenmäßige und Harmonische fteigert jeine günjtige Wir-
fung, je länger es betrachtet wird.
Die Venus von Milo im Youpre frappirt nicht jogleich durch
blendende Schönheit. Aber je länger man fie betrachtet, vejto
flarer und veiner tritt es in unfer Auge, und durch das Auge in
unfere Empfindung, und durch die Empfindung in unfer Verſtändniß,
daß die reine Schönheit vor uns ſteht.
Das Burgtheater. 195
Jenes Ebenmäßige und Harmonische war aber ver Hauptvor—
zug dieſer Künftlerin.
Darauf baute ich und verfuchte alfo, trotz nur mäßigen Er-
folges im erjten Gajtjpiele, fie dauernd für das Burgtheater zu ge—
winnen.
+ Das jchien unmöglid. Sie war feit an Dresden gebunden,
und der dortige Intendant, Herr v. Yüttichau, wußte jo gut wie ich,
was ſie bedeutete; er gab fie nicht frei.
Da ſchloß ich mit ihr ein Gajtipiel ab, welches in jedem Früh—
jahre jich erneuen jollte. Es ift jchon Etwas, meinte ich, in jedem
Srühlinge eine Reihe poetiſcher Eindrüde zu empfangen, echt und
ihön! Das Publicum gewinnt, die Schaufpieler gewinnen, das
Theater gewinnt. „Ein großes Muſter weckt Nacheiferung und giebt
dem Urtheile höhere Geſetze“, jagt ver Dichter, und das gilt für die
Schaufpielfunft im höchjten Maße.
Und jo ijt es geſchehen. Frau Bayer-Bürd fam wie „dus
Mädchen aus der Fremde’ mit jedem jungen Jahre zu uns, und
ihre Vorzüge wuchfen in den Augen des Publicums mit jeder
Wiederkehr, und wir verdanfen ihr jchöne Genüffe. Grillparzer’s
Liebesprama von „Hero und Leander“ fnüpft feine Auferftehung an
Frau Marie Bayer, die Tochter eines hochverdienten Schaufpielers
in Prag.
Hiemit jcheiden wir vom erjten Jahre. Im zweiten Jahre
verfuchte ih dem „Julius Cäſar“ würdige Genoſſen zu bringen,
„Heinrich den Vierten” und „Coriolanus“, und verfuchte Luſtſpiele
zu erweden aus vem Nichts. Es wurden Preife ausgejchrieben für
die beiten Luſtſpiele, und die heiter fein wollenden Vögel famen an
wie die Staare, wenn die erjten linden Yüfte wehen, wie die
Staare in Schwärmen,
Es iſt jehr wohlfeil, über ſolche Preisausfchreibungen zu jpot-
ten mit ver Bemerkung: das nütt ja Nichts; denn die Muſe läßt
fih nicht commandiren, fie läßt fich nicht durch Geld verloden, und
lag
196 Das Burgtheater.
beftellte Arbeit ift im Reiche der Mufen Nichts werth. Ya doc!
Aber ein Yuftipiel bat Fein fo fchweres Gemifjen, und ein Luſtſpiel
ijt gar ehr von der Gelegenheit abhängig. Es hat etwas von der we—
benden Locke der vorüberfliegenden Göttin, welche rafch ergriffen
jein will.
Nun, man muß die Göttin Gelegenheit eben fliegen machen
und dies verfünden, damit die Schriftiteller veranlaßt werden, auf-
zufchauen und nach der wehenden Yode zu greifen. Viele jchauen
eben nur auf, wenn man ihnen zuruft: Habt Acht! Setzt fliegt die
Göttin vorüber, richtet euch auf!
Der Generalsdntendant Baron Münch hat ganz recht gethan,
wiederum einen Preis auszufchreiben für das bejte Luſtſpiel.
Es iſt auch gar nicht wahr, dar die Preisausfchreibung 1851
Nichts zu Stande gebracht habe. Sie hat jehr Viel zu Stande ge-
bracht, und das will ich jest erzählen. Vielleicht macht es den
Poeten Muth zur heutigen Arbeit um Preis und Ruhm.
Die Preiscommiffion erfannte ganz deutlich, daß Bauernfeld's
„Kategoriſcher Imperativ‘ zweifelhaft jei für vollen Erfolg auf der
Bühne, weil jein letter Act nicht mächtig und wirkſam genug die
aufgeworfene Frage löſt und fchlieft. Sie ſagte ſich aber: Dies
Stüd hat allen anderen voraus literariihen Ton. Und fie war der
Meinung, diefe Eigenjchaft müſſe in erfte Linie geftellt werden.
Darin hatte fie auch Recht. in geringerer Theater» Erfolg
iſt bei einem Preisſtücke wiel eher zu verfchmerzen, als der Vorwurf,
daß man ohne irgend einen höheren Gefichtspunft das Alltägliche
gefrönt habe. Yetsteres gejchieht oft genug im Theater, eine Preis-
commifjion muß das Alltägliche grundjäglich vermeiden.
Die zwei anderen Preisftüde, über welche das Publicum ent-
beiden jollte, haben vollfommen ihre Schuldigfeit gethan für das
Repertoire, Sie jind zur Heiterkeit des Publicums oft und lange
gegeben worden, und das eine jteht jest nach jechszehn Jahren noch
Das Burgtheater. 197
im Kepertoire. Iſt das was Geringes? Ein Theater - Director
antwortet: D nein.
Dieje beiden Stüde waren: „Der Liebesbrief“, von Benedir,
und „Das Preisluſtſpiel“, von Mautner. Beide fümpften lange
um die Palme unter lebhaften Zudrange und lebhafter Aeußerung
des Publicums. Sit dies was Geringes? D nein. Yebhafte
Theilnahme für ein Theater zu entzünden, ift das preiswirdige
Ziel jeder Theater-Direction. Und wie gründlich und heilfam wird
bei jolher Wahlprüfung die Theilnahme des Publicums entzündet !
Es hängt eine Entjcheivung davon ab, wie jich das Purblicum äußert,
und das Publicum ift jich bewußt, daß es eine Entjcheidung zu geben
babe, daß es aljo aufmerfjam fein müffe und gewifjenhaft. Be—
zweifelt man, daß dies eine gute Bewegung in’s Publicum bringt?
Eine jehr gute Bewegung bringt das. Der Gejchmad giebt fich
Rechenschaft, er bethätigt fich mit Bemwußtjein. Iſt dies was
Geringes ? ’
Die Entſcheidung erfolgte zu Gunften des „Preisluſtſpiels“.
Dies wurde nämlich noch ftärfer und noch länger vom Publicum
befucht als „Der Liebesbrief”. Und num begann das allerliebfte
Protejtiren gegen dieſe Entjcheidung. Dazu mußte ja wieder friti-
ihe Dramaturgie entwidelt, e8 mußte mit äjthetiichen Waffen ge-
fochten werden; die Unterfuchung, was zu einem guten Luſtſpiele
gehöre, ward Tiſchgeſpräch. Eitel Gewinn für's Theater.
Am Ende wälzte fich gar die Schlacht in's Neich hinaus. Jede
Stadt wollte in ver Yage fein, den Wiener Wahrfpruch zu prüfen,
jede Stadt wollte alfo die Stüde jehen. Köln am Rhein machte
einen Heidenjpectafel. Sonſt eine Stadt, die gar Nichts für's
Theater thut, war jie jeßt ganz aus dem Häuschen darüber, daß
nicht ihr Benedix obgejiegt hatte. Benedix lebte nämlich damals
in Köln, und Köln tobte jett gegen Wien, wie einjt Theben gegen
Athen. „Das ift ungerecht von den Wienern“ — jchrie Köln —
‚Nie haben nur einen Wiener wählen wollen, denn „Das Preis-
198 Das Burgtheater.
luſtſpiel“ bat uns viel weniger gefallen als „Der Yiebesbrief‘‘;
„Der „Liebesbrief“ iſt hundertmal bejjer, hob „Der Liebesbrief” !
Und im Kölner Theater, das font verrufen war wegen literariicher
Theilnahmlofigfeit, wurde jett Tag für Tag „Der Liebesbrief“
aufgeführt, und nach jedem Actſchluſſe rief das Publicum einftimmig:
„Tuſch für Roderich Benedir! Tufh! Und der dortigen Theater:
fitte gemäß mußte das Orchefter dreimal am Abende — das Stüd
hat drei Acte — Tuſch blajen für den kölniſchen Dichter, und das
ganze Haus rief: „Hoch Benedix!“ — Iſt das was Geringes ?
Ganz Deutfhland, um nicht zu fagen ganz Griechenland, ergriff
Partei in der Lujtipielfrage. Was hatte je die Kölner verführt zu
jolcher Intimität mit dramatiſcher Piteratur! Das Alles hatte die
Preisausfchreibung gethan.
„Das Preistuftfpiel‘‘ jelbft aber, beißt es, verdient ja doch
kaum confervirt zu werden in Betracht feines äſthetiſchen Werthes.
Das laſſe ich dahingejtellt fein. Ich geſtehe fogar ein, daß
die Schaufpieler vom Anfange an bis jest hartmädige Gegner des
Stüdes waren und find, indem fie die Sprache unflüffig, feuilleton—
artig, undramatiich nennen. Aber ich behaupte ebenjo hartnädig:
es muß doch ein eigener Reiz vorhanden jein, wenn ein Stüd ſich
ſechszehn Jahre lang immer gut befucht erhält! Und der ijt auch
vorhanden. Cr liegt in dem herzhaften Griffe nach dem Gelegen-
beits-Thema. Die Gelegenheit war bedeutend genug; fie flugs zu
ergreifen und zu verwerthen, brachte etwas Lebensvolles mit ſich,
was nicht zu verwiſchen tft. Die Preisausjchreibung jelbjt zum
Gegenſtande des Luſtſpiels zu machen, das war natürlich und praf-
tifh, und das Natürliche und Praftifche hat immer eine gewiſſe
Dauer. Ein inhaltreiches Thema des laufenden Tages friichweg
in leivlicher Faflung auf die Bühne zu bringen, das war lange Zeit
nur Sache ver Franzofen. Jetzt find wir auch darauf gefommen,
und „Das Preistuftipiel” hat beigetragen, uns auf dieſen Weg zu
bringen ; das ift wiederum nichts Geringes. —
Das Burgtheater. 199
Ih höre lachen. Warum lacht man? Weil ih mir fo viel
Mühe gebe um dies „Preisluſtſpiel“? D, man wrt ſich. Dies
„Preisluſtſpiel“ ift feineswegs mein Trumpf für Vertheidigung der
Preisaufgaben. Ich habe einen Trumpf in petto, den Niemand
eriwartet.
Der Termin nämlich für Einfendung von Preisjtüden war
vorüber. Seit vierzehn‘ Tagen etwa nahm die Commiffion fein
Werbeftid mehr an. Da fam folb ein unglücdlicher Nachzügler.
Er wurde an mich gewiefen. Und wer war dieſer forglofe Mann,
der zu langjam gejchlendert war? „Der geheime Agent‘ war's,
von Hadländer.
Er Fam zu jpät für die Preisgewinnung ; aber er kam als Kind
der Preisausjchreibung.
Er war entjtanden, weil der Preis ven Verfaſſer gelodt over
doch veranlaßt hatte. ft das was Geringes?
Die damalige Preisausichreibung hat alfo das beite Luſtſpiel
zuwege gebracht, welches neben Freytag's „Journaliſten“ jeit zwei
Sahrzehnten in Deutjchland gefchrieben worden ift. Das ijt doc
wahrlich ver Rede werth und ift einer Preisausfchreibung werth.
Vielleicht gelingt das wieder. Mit Einem Worte: man foll,
unbefümmert um den Erfolg, immer und überall die Pforten öffnen
für dramatische Production, und foll hinter den Pforten Preis und
Ruhm in Ausficht jtellen. Das ſchadet Niemandem, höchſtens den
Preisrichtern, und diefe Curtiuſſe opfern fich eben heldenmüthig.
Es wird aber immer irgendwie nügen. Denn das Entgegenfommen
iſt förderfam für jede fchöpferifche Thätigfeit.
XV.
Sch hatte alfo zwei große Shafefpeare-Stüde in Vorbereitung
für das zweite Jahr: „Heinrich den Vierten’ und „Coriolanus“.
Am Schluffe des Jahres fand fich noch ein drittes ein: „Die Ko—
mödie der Irrungen“. Den „Coriolanus“ hatte Gußfow für vie
Bühne eingerichtet, „Heinrich den Vierten’ juchte ich für unfere
Scene zu bewältigen. Letzteres ijt ein Unternehmen, welches wohl
nie ganz gelingen fann. Man wird es aber immer wieder ver-
juchen, um eine fo außerordentliche Driginal- Figur wie Falftaff
nicht verloren gehen zu lafjen für die Scene, und um den Heißſporn
Heinrich Percy, ſowie ven heiteren Prinzen Heinz geſpielt zu ſehen.
Bei diefen Einrichtungsverfuchen fommen alle Grundfäße in
Nede, die man zur Richtfcehnur nehmen kann für Bearbeitung älterer
und hochwichtiger Stüde. Ich muß deßhalb ausführlicher darüber
Iprechen. „Heinrich der Vierte” von Shafejpeare befteht aus zwei
Theilen, das heißt aus zwei Abtheilungen, von denen jede die Aus-
dehnung eines großen Stüdes hat. Hierin liegt für unfer Theater
die Hauptichwierigfeit. Keiner diejer beiven Theile genügt für ein
volles Interejje unjeres Theater-Abends. Wie oft man's auch ver-
jucht hat, fie einzeln oder hinter einander zu geben, man hat nie
eine zufriedenftellende Wirkung erreicht.
Giebt man nur den erjten Theil, jo fehlt ver Schluß des
Stücdes, denn dieſer liegt im zweiten Theile. Außerdem verläuft
auch noch das lette Drittheil diefer erſten Abtheilung veizlos im
Das Burgtheater. 201
Sande. Die Zufchauer gehen unbefriedigt, ungefpannt nach Haufe
und haben nicht die mindefte Luft, auch noch einen ähnlichen zweiten
Theil zu ſehen. Bringt man nun doch noch diejen zweiten Theil,
jo fommen fie nicht mehr. Nur die Pietätsvollen kommen noch,
und die literarifch Gebilveten. Dieſe reichen aber nicht zu für ein
Theaters Publicum, fie find eine verjchwindend Fleine Minderheit,
und wenn auch des anderen Tages in der Zeitung fteht: „Dieſes
außerordentliche Stück verfammelte geftern Abend eine auserlejene
Geſellſchaft im Theater und gewährte einen Hochgenuß‘, jo Flingt
das vecht Schön; aber Schaufpieler und Director fchütteln den Kopf
und rufen ihrerfeits: Defters jolche Siege, und wir find verloren !
Den zweiten Theil zuerft und allein geben fann man natürlich
auch nicht, denn es fehlt ihm Kopf, Hals und Bruftfaften, welche
im erſten Theile ſtehen. Giebt man trotz Alledem und Alledem beide
Theile nach einander, fo entwickelt die zweite Abtheilung noch einen
ganz aparten Fehler. Es breitet fich darin eine Verſchwörung aus,
welche der Verſchwörung in der erften Abtheilung ähnlich fieht, wie
ein Ei dem andern. Das ift die blanfe Ermüdung für den Zus
ſchauer. Erſchöpft und matt fommt er zu den ſonſt nicht unwirk—
famen Schlußacten, befitt feinerlei Kraft des Antheils mehr, und
jagt beim Nachhaufegehen zu feinem Nachbar: „Dieſe beiden
„Heinrich“-Abende wollen wir doch einige Jahre aufmerffam
vermeiden‘,
So iſt es unter Schreyvogel im Burgtheater ergangen, wo
man beide Theile gebracht hat, jo geht es in Berlin, wo man zus
weilen den erften Theil bringt und immer die Erfahrung macht,
daß er fein volles Stück ift und zulegt langmweilt. In Summa,
„Heinrich der Vierte‘ it immer ein zweifelhaft angejehener Wan—
derer auf den Repertoiren geblieben.
Der Gedanke ift deßhalb öfters aufgetaucht: Kann man denn
nicht die ganze zweite Verſchwörung ftreichen und die große Hälfte
des erjten Theiles mit ven Schlußacten des zweiten in Ein Stüd
202 Das Burgtheater.
zufammenziehen? Schröder, glaube ich, hat ihn ſchon einmal
ausgeführt.
Ich hatte ihn auch und ftand längere Zeit zaghaft vor ver
Frage: Darf man das wagen ?
Die beiven Abtheilungen find gefchrieben für das englifche
Publicum. Dies fann fich durch breite Vorführung feiner Ge-
ſchichte entfchädigt fühlen für mangelnde dramatifche Fafjung. Kann
man das vom deutfchen Publicum auch erwarten? Nein. Ia jelbit
in England find dieſe hiſtoriſchen Stüde „Hiftorien‘ genannt,
zum Unterſchiede von „Stücken“, und haben jelbjt dort die Scene
nicht behaupten fünnen, mit Ausnahme des ‚Dritten Richard‘.
Soll es bei uns leichter fein als in England, die englifche Gejchichte
in ungenügend pramatifcher Form interejjant zu finden auf dem
Theater? Das glaubt nur ein Gelehrter. Grillparzer fagte mir
neulich von einem deutſchen Theater-Divector, der die ganze Reihe
bon diejen „Hiftorien’ auf fein Theater gebracht: „Der Dann bat
mir dadurch deutlich bewiefen, daß er fein guter Theater-Divector tft‘,
Das ift vielleicht zu viel Mißtrauen. Dergleichen Experimente
gehen auf Fleinen Hofbühnen, die in auswärtigen Zeitungen als
jehr claffiich gepriefen fein wollen, und denen ein volles, freies
PBublicum fehlt. Im einer großen Stadt, vor einem jelbitjtändigen
Publicum, welches weiß, was es will, geht das nicht. Ein jelbit-
jtändiges Publicum verlangt ein gejchloffenes Stüd und in dieſem
ein gefchlofjenes Intereffe. Berufung auf YiteratursGefchichte Hilft
da nicht; man will Leben, das jich felbjt erklärt und das hin—
veichend anzieht,
Da fteht man denn vor der frage: Sollman dieſe „Heinriche“
mit ihrem Falftaff, Perch und Heinz unberührt, das heißt unver:
ändert laſſen? Dann bleiben fie todt für unjfere Bühne, Oder joll
man fie bearbeiten, und wie weit darf man ſich da vorwagen? Dies
it die Streitfrage.
Ich ftehe nicht auf Seite derer, welche Haro! ſchreien gegen
Das Burgtheater. 203
die Bearbeitung eines alten dramatiſchen Poeten, der nicht mehr
für unfere Theater-Bedingungen paßt, und ich glaube, daß ein fräf-
tiges Talent durch volle Bearbeitung alter Stüde unferem Theater
mannigfachen Nuten Schaffen fan. Das unverlette Stüd Shake—
ſpeare's zum Beifpiel liegt ja vor, und Jedermann fann es unver:
ändert haben. Wem die Bearbeitung ein Aergernif ift, der braucht
fich ja nicht um das zu kümmern, was er eine Berballhornung nennt,
fie befchäpdigt ja für ihn das Driginal nicht, fie wendet fich ja nur
an die Theaterwelt.
Aber ich glaube nicht, daß ſolche volle Bearbeitung anzurathen
jei für Shafefpeare's „Hiſtorien“. Deren Inhalt ift mehr Gefchichts-
maffe als dramatische Maffe, und es iſt obenein Mafje einer Ges
ſchichte, welche uns in ihrer damaligen Kriegsform zwijchen weißer
und vother Roſe ziemlich monoton anmuthbet.
Sch glaubte alfo bei diefen zwei „Heinrich“Theilen nur zu—
fammenziehen und nur discret ändern zu dürfen. Wenn die zweite
Verſchwörung ganz ausfällt, jo entjteht ohne befondere Gewaltſam—
feit Ein Stüd. Die Gegner rufen: Aber wie viel Uebergänge
gehen verloren! Das ift nicht jo arg, wie die Pietät — und von
ihrem Standpunfte ganz mit Recht — glauben machen will.
Biel wichtiger jeheint mir die vorwurfsvolle Frage: Und haft
du num mit deiner Amputation ein vollftändiges Stüf gewonnen ?!
— Ich habe nicht ven Muth, Ja zu jagen. Aber das murde er:
reicht: die berühmten Figuren Falftaffs, Heißſporns Perch und des
luſtigen Heinz werden in einem Zuſammenhange vorgeführt, welcher
fich mit Intereſſe anjehen läßt.
Das Stück erhielt fich im Burgtheater und befteht noch. Sch
finde die literariſchen Vorwürfe gegen jolche Arbeit berechtigt, aber
fie überzeugen mich nicht, daß ſolche Zuſammenziehung für die Bühne
unterlafjen werden müſſe.
Man hat fich gewundert, daß ich ven Falftaff an Anſchütz ge-
geben. Ich bin immer ver Meinung gewefen, daß er ihm zuge:
204 Das Burgtheater.
hörte, und bin es noch. Im Yeipzig hatte ich die Wolle von ihm
geiehen, und er hatte mir jehr wohl gefallen. Er befaß den Stu—
dentenhumor, welcher der Rolle gebührt. Es ijt nicht der Humor
des gewöhnlichen Komifers, welcher aus dem Falftaff ipricht. Fal—
jtaff lebt und webt in humorijtiichen Folgerungen, nicht in unmittel-
barer Komif.
Ich habe die bejte Gelegenheit gehabt, das am lebendigen
Fleifche zu ftudiren. Als der alte Herr von dannen ging und die
Kolle an Beckmann faın, da zeigte ſich's, daß diejer rathlos wor der
Rolle jtand. Das war nicht feine Komif, und mit aufgezogenen
Stirnrunzeln ſah er mich an.
Das Naturell gemügte hier nicht; bewußter humoriftifcher
Geiſt war hiezu nöthig.
Nachdem Beckmann die Rolle gelernt — es war in Karlsbad —,
verpuffte er fie im Vortrage wie zifchende Raketen, die nicht im die
Höhe gehen. Er gab fih und dem Zuhörer nicht die Zeit, des
humoriftifchen Kernes, der darin ruht, inne zu werden. Diejer
Kern braucht eine Geiſtes-Operation, und für diefe muß man fich
und den Zuhörern Zeit lafjen. Es find nicht komiſche Späſſe, es
find trodene Folgerungen einer humoriſtiſchen Lebensanſchauung.
Das trodene Wort muß Zeit haben, von der feuchten Unterlage des
Geiftes — Humor heißt ja Feuchtigfeit — getränft zu werden, und
erſt wenn es vollgejogen ift, lacht der Zuhörer. Immer und immer
wieder mußt’ ich ihm in den Zügel fallen, und endlich mußt’ ich's
ihm vorlejen, weil er ſich unficher fühlte. Herr Verjtl war der an—
dächtige Zuhörer, auf welchen hin exrperimentirt wurde, und es war
ihm ſtrenge verboten, aus bloßer Gefälligfeit zu lachen. Hätte ich
Beemann eine eigentlich komiſche Rolle vorlefen wollen, er würde
mich jchön ausgelacht haben; denn das verjtand er bejjer als ich.
Dies Falftaffiche Wefen aber veritand er ſehr langfam — ein
Zeichen, daß die Rolle nur mit Vorſicht einem eigentlichen Komiker
überlajjen werden darf.
Das Burgtheater. 205
Jetzt ift die Rolle an Herrn Baumeijter gefommen. Er ift
feinem Wefen nach trefflich geeignet dafür, aber jeinem Bortrage
nach gar nicht. Sein Vortrag iſt die Abkürzung in allen möglichen
Formen; er ift im Stande, die harmanteften Sachen unbejehen in
die Tafche zu jteden. Er hat ven Spaß davon empfunden, er hat
aber gar feine Nücficht darauf genommen, ob der Zuhörer auch
genug merkt von dem Spaße. Falftaff alfo, welcher durchaus breiten
Vortrag braucht, fann ein Wunder wirfendes Exrereitium für Herrn
Baumeijter werden.
Aufathmend von dieſer fehlotternden Ungefchlofjenheit einer
„Hiſtorie“, gingen wir an ein wirfliches Drama desſelben Shafe-
Ipeare, und zwar an eines feiner vorzüglichiten, an den „Coriolanus“.
Dies ıft von feinen drei römiſchen Stüden das einfachite und am
beiten componirte. Es jteht in der Compojfition über „Cäſar“ und
ganz umvergleichlich über ‚Antonius und Kleopatra“. Mit eiferner
Conſequenz und Alles eng und jtreng zufammenhaltend, führt hier
der große Dichter fein Thema durch, ein hohes Wiufterbild in Form
und Inhalt.
Für unſer jetiges Theater freilich hat die Form der erjten
Acte große Schwierigkeiten. Shakeſpeare's Theater gejtattete dein
Dichter ungemeine Freiheit. Da wurde nicht verwandelt, fondern
ein Pfahl, eine Tafel, ein Wegweijer over irgend ein allgemein be—
fanntes Zeichen deutete an: bier ijt freies Feld, hier ift gefchlofjener
Kaum, Die Phantafie des Zufchauers — bei unjerer jorgfältigen
Drtsbezeihnung arg in Ruhejtand verfegt — wurde damals geübt
und blieb immer aufgeweckt. Sie ergänzte alles das, was Außer:
lich fehlte,
Deßhalb machten damals auch die erjten Acte im „Coriolan“
Niemandem Kummer. Hier jpringt nämlich die Scene wie ein
Springer auf dem Schachbrette von Nom nad Corioli, von Rom
aufs Schlachtfeld und wieder zurüd nach Rom, daß wir faft fo viel
Zeit für die VBerwandlungen brauchten, wie für die Scenen felber,
206 Das Burgtheater.
und daß unfer Publicum in Unruhe und Zerftrentheit gerieth. Hier
thut eine Vereinfachung dringend noth; auch die Gutfom’sche Ein-
richtung mußte für uns noch vereinfacht werden,
Das war nicht ganz leicht, weil Ein Punft dem Auge und Ohre
des Publicums mit einer gewiljen Breite dargelegt werden muß und
weil diefer eine Punkt auf dem Schlachtfelve Liegt. Jedermann
weiß, wie mißlich alle Schlachtenpunfte find auf der modernen Scene
und vor einem modernen Publicum, welches feiner Phantafie gar
Nichts mehr zumuthen und Alles mit ftatiftiicher Genauigfeit wor
jich jehen will. Wir übertreiben in der Außerlichen Genauigfeit
bereitS ebenjo, wie man zu Shafejpeare’s Zeit in der Einfachheit
übertrieben hat.
Dieſer eine Punkt ift ver, als Coriolanus auf dem Schlacht-
felde erfcheint. Hier muß breiter Raum für ihn gejchaffen werden.
Der Ariftofrat Coriolan muß bier dem Publicum voll in’s Auge
treten, wo er tapfer, in eminentem Grave tapfer iſt. Dies ift der
Noment, welcher den übrigens rüdjichtslofen Ariftofraten tüchtig
und jeder Aufopferung fühig zeigt. In der Schlacht enthüllt Corio—
lan feinen bejten Kern, und deſſen muß das Publicum vollſtändig
inne werden, ſonſt ſchenkt es ihm fpäter nicht die erforderliche
Theilnahme.
Dies war bejonders in Wien nothwendig, wo das Pathos eines
Ariftofraten ſchwer verftanden wird, wo der Gejichtspunft eines
Ariſtokraten faum gewirdigtwird und wo die Rüdjichtslofigfeit eines
Ariitofraten nicht verziehen wird.
Sch ſuchte alfo alle grellen Farben zufammen, um dieſe furze
Scene der aufopferungsfähigen Tapferkeit Coriolan's den Zufchauern
in die Augen zu drängen. Wenn er jpäter fchonungslos gegen das
Volk auftritt, dann ſollte man fich erinnern: er war und iſt auch
Ihonungslos gegen fich ſelbſt, ſobald ein großer Zwed vorliegt.
Es ijt eine Hauptaufgabe der Infcenefegung, das Wichtige in
den Vordergrund zu ftellen, das minder Wichtige nur deutlich zu
Das Burgtheater. 207
machen und das Gleichgiltige im Schatten zu laſſen. Der Infcenes
feger muß nachdichten. Das äuferliche Arrangement der Scene,
Gruppirungen, Aufzüge, Putz, Schmud und all dergleichen ijt wohl
auch feine Sache, aber es ift verhältnißmäßig Nebenſache. Die
Motive des Stüces in Geltung zu bringen, das iſt Hauptfache,
Hierin fuche man auch vorzugsweife die Erklärung, daß ein
Stück an diefem Orte gefällt und an jenem Orte nicht gefällt. Das
liegt nicht blos an ven Schaufpielern, das liegt vorzugsweije an der
Inſceneſetzung. Tragt eine gute Rede jchlecht vor, und fie wirft
nicht; tragt eine mittelmäßige Nede gut vor, und fie wirft, Der
Vortrag eines Stückes entſcheidet über die Auffaffung des Stüdes,
und die Auffaſſung enticheivet über die Wirfung.
Und trotz aller Anftrengung jolcher Art wurde mit der erjten
Aufführung des „Coriolanus“ eine volle Wirkung nicht erreicht.
Die freche Berhöhnung demokratischer Glemente, welche ven „Co—
riolan“ auszeichnet, war dem Publicum innerlich zuwider, und e8
ließ ven Beifall für gut gejpielte Scenen nicht heraus. Sa, ich wurde
mit Vorwürfen überjchüttet, in unjerer Zeit ſolche Berhöhnung ver
Demokratie auf die Scene gebracht zu haben.
Ih nahm fie ruhig hin. So jehr ich überzeugt bin, daß ein
Theater nicht beftehen fann, wenn ſein Inhalt nicht wefentlich über—
einſtimmt mit dem Sinne der Zeit, fo feſt bin ich davon durchdrungen,
daß die weiteren Gefichtspunfte dev Kunft nicht dem eben herrſchen—
den Parteifinne geopfert werden dürfen.
Das Publieum ſoll nicht blos kurzweg genießen; es joll auch
fernen, um in Folge der Bildung veichlicher zu genießen, Hat es
wohlbegründete Stücke anfehen gelernt, welche feinem Parteifinne
augenblicklich nicht zufagen, jo lernt es fie allmälig auch würdigen,
eben weil jie wohlbegründet find. Was es aber einmal zu würdigen
verjteht, das wird ihm mit der Zeit auch ein Genuß. Und zwar
ein fünftlerifcher Genuß, welcher feinere Nerven anregt, als der
wohlfeile Genuß deſſen, was dem alltäglichen Berftändniffe zuſagt
208 Das Burgtheater.
und dem gedanfenlofen Behagen. So bildet jih ein Publicum und
ein Theater gleichzeitig und wechjelfeitig.
Das gelang allmälig auch mit „Coriolanus“. in paar Jahre
war er nur mäßig befucht. Nach ein paar Jahren war er gewür—
Digt und wurde gut bejucht, ja am Ende applaudirte man unbefangen
jene Streitworte, weldhe man bei der erſten VBorftellung am liebſten
ausgeziſcht hätte,
Ich hatte auch jahrelang große Noth mit dem Enſemble des
Stüdes: es zeigteimmer bei den tumultuarischen Scenen grelle Lücken.
Ich mochte probiven jo vielich wollte, fie waren nicht zu jtopfen. Ich
wußte gar qut, woran das lag. Aber um vem abzuhelfen, mußte
ich einem alten verdienten Schaufpieler die Rolle abnehmen. Er
war in feiner Abhängigkeit vom Souffleur nicht im Stande, in ftür-
mifchen Scenen zur vechten Zeit einzufallen, denn der Lärm der
Scene bevedte die Stimme des Souffleurs, und auswendig die
Worte zu behalten, vermochte ev abjolut nicht. Immer hoffte ich,
er werde durch öftere Vorjtellungen endlich ver Worte Herr werben.
Umſonſt! Da gab ich die Rolle in andere Hände, und num gingen
die Scenen vortrefflih — ich aber wurde heftig gejcholten von
öffentlichen Stimmen, daß ich die alten verdienten Künftler frevent-
ih mißhandelte.
Die Aufgabe ift eine der jchwerften auf dem Theater, große
Talente, welche alt geworden find und dem Alter gemäß an Gedächt-
niß, Organ und Beweglichkeit einbüßen, doch jo zu jtellen, daß ihr
Talent noch angemefjen verwerthet wird. Es ijt mir mehrfach ge-
lungen, diefe Aufgabe annähernd zu löſen. Aber auch wenn e8
ganz gelingt, wird man doch feinen Danf ernten, wohl aber Vor-
wurf und Anklage erleben, daß man vie Alten nicht jung gemacht,
daß man das Ganze nicht dem Einzelnen geopfert habe. Das muß
man eben hinnehmen wie Negen und Wind,
Auf das dritte Shafefpeare-Stüd diefes Jahres lege ich feinen
ShafeipeareWerth, Es war „Die Komödie der Irrungen“, ein
Das Burgtheater. 209
altes, verbrauchtes Thema von Verwechslungen und Mikverftänd-
niffen. Ich habe es denn auch wieder fallen lajien. Unfer Publi—
cum fonnte mit Recht nichts Befonderes daran entveden, und man
thut nicht gut, den Reſpect für einen großen Poeten wohlfeilen Zwei-
feln auszufeßen.
Der König von Preußen, Frievrih Wilhelm IV., war zum
Beſuche in Wien und verlangte gerade diejes Stüd. Er war be
fanntlich ein Shafejpeare-Berehrer und pflegte auch im politifchen
Gefpräche in Shakeſpeare'ſcher Form zu jagen: „Mein Schwager
Rußland Schreibt jo und jo. Ich fannte feine Phyfiognomie von
Jugend auf und beobachtete fie aufmerffam, während er diefer „Ko—
mödie der Irrungen“ zufah. Cr lachte redlich; aber meine Be—
obachtung ſagte mir doch: er lacht nur pflichtgemäß für die Claſſik,
welche da mit pofjenhaften Motiven Fangball jpielt.
Der Spätherbjt 1851 brachte noch zwei Luſtſpiele verſchiedenſter
Art: „Das Gefüngnig” von Benedix und „Rococo“ von Laube,
„Das Gefängnik‘ mit feiner behaglichen Stoffesfomif machte un—
verfängliches Glück; „Rococo“ daneben erlebte ein verfüngliches
Schickſal.
Es iſt keines meiner Lieblingsſtücke, und ich bin immer zu Wi—
derſpruch geneigt, wenn man es lobt. Es-braucht zu viele Hebel.
Ich fand auch Ludwig Tied immer über Gebühr dafür eingenommen.
Nur eine Auszeichnung von ihm nahm ich dankbar hin, Er nannte
eine Scene im vierten Acte ganz neu in der Luftipielliteratur. Da
er jich ein Fach daraus gemacht hatte, die ganze europäische Luſtſpiel—
literatur jpeciell zu ftudiren, fo fehmeichelte das meiner Eitelfeit,
Es ift die Scene im. vierten Acte zwifchen dem Marquis und dem
. Baron. Sie wollen fich vertragen und Keiner will ausfprechen
oder ausjprechen lajfen, worüber fie fich vertragen wollen.
Ich erwähne das hier, weil diefe Scene das Schickſal des Stückes
im Burgtheater entfchied. Das Stück hat wunderlicherweife immer
auf Stadttheatern leichteren Erfolg gefunden, als auf Hoftheatern, ob—
Laube, Burgtheater. 14
210 Das Burgtheater.
wohl es eine Iutrigue behandelt, welche mit dem Hofe zuſammen—
hängt. Vielleicht eben deßhalb.
Im Burgtheater verhielt fich das Publicum dem Stücke gegen-
über ziemlich paffiv bis zu jener Scene im vierten Acte. Sie ſchlug
durch. Ein Beweis für mich und Tief, welchem ich diefen Erfolg
mittheilte, daß dies Burgtheater-Publicum in der Luftfpiel-Literatur
wohl erfahren und wohl gejchult jet.
Bis zu diefer Scene laftete eine jchwere Luft auf dem Saale.
Herr Dawiſon hatte ſie bei feinem Eintritt in die Scene erzeugt.
Er jpielte ven Abbe von der Sauce. Es war nicht erreichbar ges
weſen, diefe Figur als Abbe auftreten zu laffen; ein folcher, wenn
auch nur halbelericaler, Charakter hätte das Stüd unzuläſſig gemacht.
Der Abbe-Titel war alfo der Nolle genommen, fie figurirte als
jimpler „Herr von der Sauce’ auf dem Zettel, und ich hatte den
Darfteller gebeten, in Erjcheinung und Wejen Nichts von clericalem
Sharafter einzumifchen.
Solche Enthaltjamfeit parte aber nicht zu feinem Talente,
welches vorzugsweife der Darjtellung von Chargen zuneigt; ſie paßte
nicht zu jeinem jteten Bedürfniſſe, auffallend hervorzutreten. In
Betreff der eigentlichen Rolle hatte er ja auch nicht Unrecht, ärger:
(ich zu fein über die Beſchränkung, kurz — er erſchien auf der Scene
als der unverfennbare Typus eines jchleichenden Weltgeiftlichen,
welchem beuchelnde Tartüfferie und jejuitiiche Form auf hundert
Schritte abgejeben wurde, Auch das vorgejchriebene Coſtüm hatte
er fich jo abgeändert, daß cs dem geiltlichen Schnitte jo nahe wie
möglich kam.
Dies erichreefte das Publicum, und es bildete ſich jene pein-
liche Atmoſphäre, in welcher man nur mit Bevdenfen Athen holt, .
unter allen Umständen aber jchweigt. Das iſt natürlich bei einem
Publicum, welches von Jugend auf daran gewöhnt worden tft, feinen
Geiſtlichen jeiner Confefjion auf der Scene zu jehen, und welches
gewöhnt worden ift, ſolche Erſcheinung für Entweihung zu halten.
Das Burgtheater 211
Der Capuziner in „Wallenſtein's Lager“ übte zuerſt diefelbe be-
ängjtigende Wirkung.
So entjtand ver antisclericale Ruf dieſes Stüdes, welchen es
in diefem Maße gar nicht verdient. Cr wäre auch wohl wieder
untergegangen, wenn nicht auf offener Kanzel gegen das Stüd ge
predigt worden wäre. Dadurch fam Agitation und Gegen-Agitation
in Gang. Täglich gelangten anonyme Drohbriefe an die Direction,
und für jeden Abend wurde lärmende Demonitration gegen das
Stück angefündigt.
Es war immer nicht wahr. Ganz unbehelligt und rubig wurde
das Stück neunmal innerhalb eines Monates gegeben. Aber ich
jelbjt litt ſehr darunter. Es ift Schon jehlimm genug, wenn irgend
ein Stüd öffentlihes Aergerniß giebt. Das iſt ja doch nicht die
Beitimmung eines Kunjt-Inititutes. Dies war aber noch dazu
mein Stüd und ich war Director. Ich jah, wie mein Chef darunter
leiden mußte. Er war jo nobel, mir fein Wort des Vormwurfes zu
jagen. Er hatte das Stück nach der Yectüre zugelaffen und machte
nun Niemanden dafür verantwortlich als fich jelbjt. Gerade darum
hielt ich es für meine Schulvigfeit, feinem Yeiden ein Ende zu machen
— ich) jette „Rococo’ nicht mehr aufs Repertoire.
Das Stüd iſt nie verboten worden, weder damals noch jpäter.
Sch jelbjt nur habe mir es verboten. Heutigen Tages würde es
viel harmlojer ericheinen, und erſt neuerdings ift mir die Wieder-
aufnahme angeboten worden. Aber ich habe nie eine Neigung gehabt,
es wieder einzuführen.
RTT.
Das Jahr 1851 brachte die große Anzahl von fünfundzwanzig
Neuigkeiten und gegen vierzig Neufcenivungen. Die Theilnahme
des Publicums wuchs in dem Maße, daß die durch Engagements
und Ausjtattungen erhöhten Ausgaben reichlich bejtritten werden
fonnten. Außer ven bereits angeführten Neuigkeiten ift noch nam:
haft zu machen Schiller’s „Turandot“, welche nicht dauernd zu
halten war, „Adrienne Yecouvreur” und der „Damenfrieg‘, welche
Beſtand fanden und von denen „Der Damenfrieg’ ein ungemein
beliebtes Repertoireſtück wurde; endlich eine große Zahl Eleiner
Stüde, unter denen „Der Hauptmann von der Schaarwache‘‘,
„Der kleine Richelieu‘‘, „Einer muß heirathen“, „Die Eiferfüchtigen‘‘
bis heutigen Tages oft wiederholt wurden.
Unter den neu einjtudirten Stüden war „Iphigenie“, „Cla—
vigo“, „Sit von Berlihingen”, „König und Bauer”, „Des
Meeres und der Yiebe Wellen’, „Ein treuer Diener jeines Herrn“
und noch drei große Shafejpeare - Stüde: „Hamlet“, „König Year‘
und „Der Kaufmann von Venedig‘.
Es war mir darum zu thun, alle wichtigen Stüde in gleichem
Geiſte eingerichtet und vem Ganzen eingereiht zu ſehen. Deßhalb
jetste ich auch Diejenigen ganz neu in Scene, welche nur mäßiger
Ergänzung im Perfonale zu bedürfen ſchienen. Auch vie älteren,
längſt bejtehenven Shafefpeare- Dramen, wie „Hamlet“, „Lear“,
‚Kaufmann von Venedig‘, wurven in der Eintheilung des Textes
neu vedigirt und in den Proben wie neue Stücke behandelt.
Das Burgtheater. 215
Zunächſt die Krone Shafefpeare'fchen Talentes, „Hamlet“.
Hundertmal wohl habe ich dies zaubervolle Drama gejehen, und immer
wieder haben vie erjten drei Acte mich eingefangen in ihren tiefen
Reiz. Wir erhielten in Joſeph Wagner einen Hamlet-Darfteller,
den ich nirgends übertroffen, nirgends erreicht gefehen habe. Man
fann den Hamlet geiftreicher fpielen, ja; aber Wagner's Hamlet
wird dennoch tiefer wirfen. Er giebt ihm feine ganze Seele hin,
er jpielt nicht mit ihm, wie jo mancher Hamlet= Darjteller. Die
Reize des Geijtes, welche in der Rolle liegen, werden nicht das Ziel
des Darjtellers, jie werden nur die Begleitung eines ehrlich ſuchen—
den, eines ehrlich Leidenden Menjchen. Dawijon, welchen ich mit
Wagner alterniven ließ im Hamlet, gewann fi mit diejer uner—
Ihöpflichen Rolle ebenfalls fein Publicum; aber es war die leichte
Gattung des Publicums, welche mit leichteren und wohlfeileren
Lockungen zufrieden ift, das will hier fagen: mit den intereffanten
Wendungen des Hamlet’schen Geiftes. Das Urgermanifche, welches
im Hamlet liegt, war und ijt den polnifch-jüdifchen Weſen Dawi—
jon’s immer verfchloffen ; die juchende Seele fehlt ihm. Er trachtet
danach, dies durch fuchenden Geiſt zu erfegen, und das ijt oft recht
unterhaltend, jo lange e8 frei von Manier bleibt, aber es beveutet
eben viel weniger, als die Darftellung eines vollen Menfchen mit
reicher Innerlichkeit. Die Energie des Verjtandes war damals
Dawiſon noch in intereffantem Maße zu eigen, und fie verlieh er
denn auch jeinem Hamlet. Das nach Wahrheit ſchmachtende Ge—
müth Hamlet's aber, welches ihn eben vom Thun und Handeln ab-
hält, das fehlte — was für ein Hamlet entjteht va? in Hamlet,
welcher ven König im erjten Acte ſchon todtitechen muß; denn die
Energie ift da, und die Hemmung verfelben ift nicht da. So wird
Hanılet eine Komödienfigur.
„König Year‘ erjchien jet zum erjtenmale mit dem echten,
tragiichen Schluſſe. Es gelang trog Tieck's Warnung, den
alten „Wiener Schluß” zu bejeitigen, und Anſchütz, für jede
214 Das Burgtheater.
claſſiſche Bedingung immer bereit, jtarb zum evjtenmale im lebten
Acte.
Der „Kaufmann von Venedig“ endlich wurde in ganz neuer
Eintheilung der Acte und Scenen gegeben. Die Scenen vor
Shylock's Hauſe waren in einen Act zuſammengeſchoben und die
zerſtreuten Freierfcenen waren ebenfalls aneinandergerückt. Das
durch wurde ver Gang des Stüdes ruhiger und gefammelter,. Die
Hauptänderung jedoch betraf ven letten Act. Bekanntlich ſchließt
die große Gerichtsfcene Shylod’s den vierten Act, und der fünfte
Act erledigt in jpieleriicher Art auf Belmont, dem Pandfise Por:
zia’s, die längft reifen Yiebeshändel. Unſere Shafeipeare-Commen-
tare preijen das jogar und machen aus der Noth eine Tugend. Die
Noth ift ein letter Act, ver noch abgejpielt werden foll, nachdem
das Hauptinterefje des Stückes erledigt worden ift. Sie nennen
ein lyriſch-muſikaliſches Ausflingen im letzten Acte eine Tugend;
denn es werde dem urjprünglich heiteren Stücke die heiter jchöne
Krone aufgefekt.
Das Publicum ift andrer Meinung. Es pflegt aufzuftehen
und fich zum Fortgang zu rüſten, wenn im vierten Acte die Shylod-
Affaire zu Ende ift. Diefe Shylod-Affaire ift ihm das Haupt-
intereffe des Stüdes. Umfonjt rufen die Commentare: die Shylod-
Affaire ift nur eine große Cpifovde des Stüdes. Das Publicum
fragt nicht nah den Kommentaren, fondern folgt feinem Cin-
drucke.
Und dieſer Eindruck beruht auf unerſchütterlichen äſthetiſchen
Geſetzen. Dies Mißverhältniß im „Kaufmann von Venedig“
zwiſchen dem Luſtſpieltone und der grauſamen Shylock-Affaire iſt
nicht wegzuleugnen; es iſt nicht wegzuleugnen, daß die Todesmarter
des Shylock'ſchen Handels fein eingehender Accord zu einem Luſt—
Ipiele tft, daß die Gerichtsicene um Leben und Tod einen viel ſtär—
feren Effect macht, als alles Uebrige, und daß ein darauf noch fol-
gender ganzer Act für den Zufchauer nebenſächlich und überflüffig
Das Burgtheater. 215
erſcheint. Die legten Acte find in feiner Aefthetif dafür da, Neben-
fächliches aufzuwräumen; das Schwächere fann nicht wirffam auf
das Stärfere folgen; das Gebot der nothwendigen Steigerung im
Drama läßt fich nicht wegleugnen, und unfere Commentare thäten
viel bejjer, dies einzugeftehen, ftatt aus der Noth eine Tugend zu
machen.
Niemand bejtreitet, daß diefer letzte Act mit feinen zahlreichen
ſchönen Worten Werthvolles enthält; aber mit all feinem Werth:
vollen ift er als letter Act ein Compoſitions-Fehler.
Diefen Fehler jo unfcheinbar wie möglich zu machen, iſt bie
Aufgabe der ſceniſchen Einrichtung. Wir beginnen deßhalb im
Burgtheater den legten Act mit der großen Gerichtsjcene Shylock's.
Sie füllt ihn zu drei Viertheilen aus. Die nur minutenlange
Scene mit Abgabe der Ringe au die verfleiveten Frauen folgt, und
dann bringt uns unter Muſik eine Verwandlung in den nächtlichen
Park von Belmont. Wir fühlen uns geftimmt, die von Mufif
durchklungene Ruhe und die ſchönen Worte des Yiebespaares hinzu—
nehmen, wir fehen — nach jceharfen Kürzungen des Textes — die
ganze Geſellſchaft bei Fadeljchein aus Venedig anfommen, und in
einigen Minuten geht vie fpielerifche Auflöfung mit ven Ringen an ung
vorüber, jo daß wir am Ende find, ohne des ſchwächeren Themas
bis zur Störung unferes Antheiles innegeworden zu fein. Go
nehmen wir, weil der Acteinfchnitt fehlt und Alles raſch ſich ab-
wickelt, den Eindrud eines heiteren Spieles mit hinweg und gedenfen
des Mißverhältniſſes in ven Tönen der Accorde nicht mit befonderem
Nachdrucke.
Wer das Stück im Burgtheater geſehen nach dieſer Einrich—
tung — und ſechszehn Jahre lang habe ich wie Viele! darüber be—
fragen können —, der geſteht immer zu, daß der Uebelſtand des letz—
ten Actes leidlich verdeckt iſt und daß der Eindruck des Ganzen trotz
der Shylock-Affaire ein anmuthiger und luſtſpielartiger ſei. Der
Text iſt nur gekürzt, nicht verändert, und der Zweck unſerer Theater—
216 Das Burgtheater.
form iſt erreicht durch bloße Aenderung der Folge in den Scenen
und Acten.
Der ſchönſte Erfolg des Jahres aber und der wichtigite wurde
erreicht durch die Wiederaufnahme des Grillparzer’schen Yiebes-
Dramas: „Des Meeres und der Liebe Wellen‘.
Das Stüd war 1831 neu gewejen und war nach vier Vor:
jtellungen in’s Grab des Archivs gejunfen. Ich hatte es 1849 in
Wien zum erjtenmale gelefen. Cs hatte mich entzücdt und ich hatte
es wie eine Perle in meiner Grinnerung bewahrt. Dies theilte ich
Frau Bayer nach Dresden mit, als wir Briefe wechjelten über ihr
zweites Gajtjpiel, und ich forderte fie auf, es zu lejen und mir zu
jagen, ob fie nicht gerade jo wie ich die Rolle ver Hero für jich ges
eignet fünde. Sie hatte Ja! gejchrieben, und jett gingen wir bei
ihrem Gajtjpiele an die neue Inſceneſetzung des Stückes. Unter Achjel-
zuden des älteren Schaufpielergefchlechtes. Mit den erſten drei
Acten, hieß es, wird es gut gehen, mit den zwei letsten jchlecht, wie
damals!
Das war uns ein lehrreiher Wink. Wir wendeten alle Kräfte
der Phantafie auf die letzten Acte. Für den Schluß erbaute ich ein
Treppenhaus im Tempel, um malerifche Wirkung zu gewinnen für
das Ende, eine auch äußerlich hilfreiche Wirkung für die Seele der
Hero, welche aufwärts ringt nach Vereinigung mit der entflohenen
Seele Yeander’s. Ich ließ mich nicht ftören durch den Einwand, ob
ſolch ein Treppenhaus anzubringen ſei für ein altgriechiiches Tempel-
gebäude — was wit ihr denn von der Architektur jener ältejten,
auch in Griechenland mythiſchen Zeit, und da wir doch nichts Feſtes
willen, was brauche ich jchüchtern zu fein, da die Idee des Kunſt—
werfes, welches ich verfinnliche, maßgebend für mich ift, maßgeben—
der gewiß als ein archäologifcher Zweifel.
Es bejtätigte fich. Diefe Scenirung kam der aufwärts
drängenden Stimmung des Schlufjes jehr zu jtatten; der Schluß
Das Burgtheater. 217
wirkte erhebend, und der Erfolg des Stüdes war ungetheilt, war
echt wie die Seele des Gedichtes.
Frau Bayer trug wefentlich dazu bei. Die griechifche Anmuth
und Ruhe war ihrem Körper und ihrem Tone in feltenem Grade
zu eigen, und die ſchließliche Energie eines finnlihen Mädchen:
charafters trat doch überzeugend zu Tage! Keine Convention, fein
Dogma macht dieſe Mäpdchennatur irre, fie fühlt die Berechtigung
ihrer Liebe fo bejtimmt wie das Bedürfniß des Athemholens, jte
weit mit jchmerzlichem Lächeln alle Abihwächung ihres fogenannten
Fehles zurüd, fie weiß, daß fie die Hälfte Yeander’s ift und daß fie
zu ihm muß in’s Reich ver Schatten oder des Lichtes, gleichviel!
nur dahin, wo er fei.
Dies ift allen Wienern unvergeglih, Mir ift es unvergeßlich,
daß durch diefen Triumph der Scene der dramatische Dichter Grill:
parzer für uns neu geboren wurde. Fünfundzwanzigmal iſt dieſe
Liebes-Tragödie ſeitdem aufgeführt worden und es liegt die Zufunft
weit vor ihr offen.
Die Anhänger Grillparzer’s bildeten damals eine jehr edle
Gemeinde, aber nicht eine allzu große. Die beiten Männer ges
hörten zu ihr, worzugsweife Männer, und zwar ältere Männer,
welche mit dem Dichter aufgewachjen waren. Jetzt hatte ver Dichter
auch die Jugend entzündet, auch die Frauen; jest fam ein neues
Geſchlecht an die Kenntniß des vaterländifchen Poeten, und dies
Geſchlecht ift jeit 1851 gewachjen und gewachien, und alle folgenden
Aufführungen feiner Stüde haben eine wunderbare Propaganda ge—
bildet. Was Grillparzer verfäumt dadurch, daß er jeine Schriften
niemals gejammelt hat herausgeben lajjfen, dies hat das Burg—
theater nachzuholen verfucht. Freilich nur für Wien und fremde
Beſucher.
Dennoch darf man ſich namentlich über dieſes Stück nicht täu—
ſchen in Betreff der Theater jenſeit des Erzgebirges. Dies Stück
iſt gründlich ſüddeutſch. Es ſetzt eine Naivetät der Sinnlichkeit
218 Das Burgtheater.
voraus, welche dem deutjchen Norden ziemlich fremd iſt. Ein Ver:
juch der Frau Bayer giebt dafür einen Fingerzeig. Sie hat das
Stüd auf dem Dresdener Theater gerade jo in Scene gejett, wie
es im Burgtheater jteht, und — die Aufführung ift erfolglos ge-
blieben. Die Auffaſſung iſt eben eine andere, das Bublicum ift
ein anderes geweſen.
Um jene Zeit, da das Burgtheater fich in Erfolgen und Hoff:
nungen wiegte, begannen leider ſchon die Perjonalverlufte, welche
das Injtitut von da an fünfzehn Jahre lang in erfchredender Reihe
und Fülle zu beftehen hatte. Wenn man uns damals vorausgejagt,
daß mir durch den Tod verlieren follten: Wilhelmi, Lußberger,
Lucas, Anſchütz, Frau Nettih und Beckmann, durch den Austritt
obenein noch Dawiſon, Yonije Neumann, Fräulein Seebach, Boßler,
Goßmann, Scholz, Frau Fichtner und am Ende gar Karl Fichtner
einbüpen jollten — wir hätten den Beſtand des Inftitutes für un:
möglich erachtet. |
Der erjte Verluſt trat mir jegt nahe. Seit Wochen bemerkte
ich, daß Papa Wilhelmi hinter ven Couliſſen till und trübſelig, auf
der Scene aber unficher und machtlos erfchien. Iſt es das Alter?
Gr war noch nicht hoch bejahrt, und der ftattlihe Mann war dem
Anſcheine nach von der ſolideſten Conjtitution, eine Eiche, die man—
chem Sturme jtehen fonnte,
Eines Abends ſah ich ihn auf der Fleinen Treppe fiten, welche
neben dem Vorbange hinaufführt zu Garderoben. Man fett jich
nicht leicht dahin, denn man ift im Wege; die Stiege ift ſchmal wie
ein Menſch. Was iſt Wilhelmi? Er war in fpanifchem Coſtüm
und ſaß da zufammengefrümmt, ven Kopf in ven Schoß gebeugt.
Sch fragte ihn. Er hob den Kopf, und fein großes blaues Auge
jah mich an voller Schmerz und Bein. „Haben Sie Schmerzen ?"
Er nidte. Aber wie immer lebensbedürftig und frifcher Stimmung »
nachſtrebend um jeden Preis, richtete er ſich gewaltſam auf in jeiner
refpectablen Yänge, legte mir die Hand auf die Schulter und flüfterte:
Das Burgtheater. 219
„Dummes Zeug bei einem alten Kriegsmanne! Wird vorüber:
gehen; vorwärts! vorwärts!” Und richtete fich zufammen und
marfchirte jtrad nach ver Couliſſe, aus welcher er bald hinaustreten
jollte — zum lettenmale !
Einige Tage darauf fam die Meldung, Wilhelmi ſei franf, ja
liege zu Bett. Wilhelmi?! Der nie franf war, der ſich unbehaglich
fühlte, wenn er in einer Woche nur viermal zu fpielen hatte? —
Es war leider jo, ein Nierenleiven hatte ihn gebrochen, gar bald
zerbrochen.
Letzteres kam mir erjt in ven Sinn, als ich in fein Zimmer
trat. Er wohnte auf der Wieden in der Paniglgaſſe jeit ewigen
Zeiten. Sein Schlafzimmer rückwärts lag auf der Sonnenfeite
nad einem Garten. Die Mittagsfonne leuchtete hinein, als ich
eintrat und ihn ftöhnen hörte. Sobald er mich ſah, holte er tief
Athen, um die Klagelaute zu verjagen, jtredte mir die Hand ent-
gegen und rief: ‚Nichts, lieber Director, Nichts iſt's. Plagt mic
wohl ein Wenig, wird aber bald worübergehen, und da fommt auch
ſchon die Sonne!”
Ah, es war nicht mehr die alte, herzhafte Stimme; es war ein
Bruch in ihr, der herzbafte Klang war erlofchen, Er lag auf feinem
Sterbebette. Bald darauf fuhren ihn die ſchwarzen Pferde auf der
Wiedener Hauptjtraße hinaus; Kopf an Kopf ftanden die endlofe
Straße entlang die Menfchen, und aus allen Fenftern fchauten fie
traurig, dem geliebten alten Wilhelmi den legten Scheivegruß nach—
zuſenden. Ich glaube, er hatte feinen einzigen Feind.
Es war die erjte Leichenrede, welche ich einem Burgtheater:
Mitglievde am offenen Grabe zu halten hatte. Zum Echreden
meiner Behörde, welche es unziemlich fand, daß ein Director Yeichen-
reden hielte. Ach, daran dachte ih am wenigiten. Wohl aber
dachte ich fo voller Schmerz an den Verluſt ſolch eines tapferen,
unerjeglichen Mitgliedes, eines jo liebenswürdigen Mannes, daß
ich vor Thränen faum fprechen fonnte. Ich hatte ihn fehr lieb und
220 Das Burgtheater.
war ihm zugethan wie einem fröhlichen Vater, dem mein Herz ans
gehört hatte von Anbeginn.
Das Burgtheater hatte in ihm eine jeiner natürlichiten Stüßen
verloren, Seiner natürlichjten. Sein Naturell war unſchätzbar,
war wie ein ſchlank und geſund aufgewachfener Baum, ver feines
Gärtners bevurft hat. Der forglofe, lebensfrohe Vater des Luft:
jpiels war dahin.
Er ſtammte aus der Yaufit und war preußifcher Officier ges
wejen, des Namens dv. Pannwig. Seine Heimath war nicht weit
entfernt won der Anichüß’fchen. Der Name Wilhelm war fein
angenommener Theatername, war aber allmälig fein ganzer Name
geworden, denn er hieß auch außer der Bühne für Jedermann nur
Wilhelmi. Eines Duelles wegen flüchtig, war der junge Mann
zum Theater gegangen und hatte in Prag eine dauernde Stätte
gefunden. Bon da war er jchon 1822 an das Burgtheater gekom—
men, dem er alfo dreißig Jahre angehört hat, denn es war Frühling
des Jahres 1852, als wir ihn begruben.
Er war ein hochgewachjener Mann mit lichten, furzgehaltenen
Haar und wohlgebilveten, wohlgeröthetem Antlite, von jtattlicher
Haltung, welche die Vorzüge eines früheren Officiers befundete,
ohne irgend eine Steifheit. Um jeinen feinen Mund fpielte ein
allerliedftes Behagen, welches einen Scherz, eine feine Speife und
ein gutes Glas Wein jeverzeit willfommen hieß. Sein ganzes
Weſen machte einen gar guten, freundlichen und fräftigen Eindruck.
Er jtroßte in feiner guten Zeit — und das war eine lange Zeit —
von fröhlicher Yebensfülle, und viefe Yebensfülle machte jich auf der
Bühne dermaßen geltend, daß fie im Stande war, ein ganzes Stüd
zu heben und zu halten. Wie oft, wenn er auftrat, ging die Ems
pfindung durch's ganze Haus: „Ah, jett kommt der Rechte, jetzt
geht's (08, jetst wird's lebendig!’ Nicht etwa, daß er mit Späßen
und Witen oder fonjtigen Extravaganzen um ſich geworfen hätte.
Durchaus nicht. Seine pulfirende Pebensfrifche war jo fräftig, fein
Das Burgtheater. 331
Ton war jo ehrlich wahr und unmittelbar, daß Jedermann ſym—
pathiſch von ihm angemuthet wurde und angeregt.
Er ging ſtark in's Zeug und übertrieb doch nicht, Seine Natur
war eben jtarf, und deßhalb jtanden ihm auch verwegene Aeuße—
rungen und Wendungen harmonisch zu Geficht.
Alles das find Eigenfchaften eines Naturaliften. War er alfo,
weil fein Naturell die Hauptjache war, weniger Künſtler? Das
ericheint mir ihm gegenüber faft wie eine müßige Frage. Muß
denn das Kunjtgebilde abjolut aus diefer oder jener Eigenjchaft des
Künftlers ſtammen? It das innere Enjemble des Künftlers nicht
die Hauptjache? Hört eine ſchöne Statue, ein jchönes Gemälde
darum auf, ein fchönes Kunftwerf zu fein, weil wir erfahren, ber
Bildhauer oder Maler jei fein Mann gewejen, welcher beweis-
führend über feine Kunft zu fprechen gewußt? Wenn das Ganze
wohlgelungen da it, dann brauchen wir nicht pedantijch zu fragen :
Wie find die Theile zufammengejett worden? Das Talent jchlägt
immer und überall ven Kunftweifen ein Schnippehen und lacht der
Erklärungen. Dem Theater füme es ſehr zu ftatten, wenn es
weniger Künftler von blos berechnender Schulweisheit und mehr
Naturells und Talente wie Wilhelmi’s ohne Schulweisheit beſäße.
Es iſt nicht zu verachten, wenn man jagen fann: Der Mann fpielt
recht gebildet. Es ift aber noch bejjer, wenn man fagen fann: Der
Dann jpielt vortrefflich; wie macht er's nur, worin befteht nur
eigentlich feine Kunft ?
Dleiftiftzeihnung und gelehrte Raiſonnements waren allerdings
Wilhelmi's Sache nicht, und er taugte auch nicht für feinere geiftige
Aufgaben, Aber er war ein verjtändiger Mann, ver klar und finn-
voll an feine Rolle ging und die Grundbedingung verjelben organisch
auffaßte. Innerlich Unzuſammenhängendes fonnte ev gar nicht
brauchen, und wenn fich der Rolle fein lebendiger Ddem abgewinnen
ließ, da erflärte er einfach — und nicht ohne Yeiowejen, denn er
Ipielte jehr gerne — jein Unvermögen für ſolche Aufgabe. Zu
222 Das Burgtheater.
feinem Berftande hatten ihm Natur und Erziehung ein feines, edles
Gefühl verliehen, welches ihn oft ganz zarte Mitteltöne finden ließ
in fchwierigen oder delicaten Situationen. Kurz, er war ein fünft-
lerifches Naturell, welches nicht mit Theorien, wohl aber mit
ganz guten geiftigen Mitteln an die Compofition feiner Gebilde ging.
Es ijt wahr — und darin liegt ein geringer Troſt für jolchen
Verluſt —, ſolche Talente des Naturells gehören ganz ihrer Zeit an.
Sie erwachfen ganz aus den Gewohnheiten ihrer Zeit und werden
leicht altinodifch, wenn fie an die Grenzſcheide von Zeitepochen ge-
rathen. Der Geift ift dauernder als die Sitte, Und fo fann man
zugeben, daß die Figuren, welche Wilhelmi trefflich darjtellte, von
Kotzebue-Iffland'ſcher Factur waren, daß diefe Figuren allmälig
ausgegangen find und die heutigen Gejtalten anders geartet, in
ihren Wendungen geijtiger fein mögen. Damit fann man fich ein
Wenig tröjten. Aber vabet bleibt es doch höchſt wünjchenswerth,
daß wir Wilhelmis fänden zum Ausdrude für unjere heutige Art.
Denn aus lauter Geift bejtehen wir auch nicht, und die Kunft
braucht immerdar Fleifch und Blut.
Für den Director war Wilhelmi ein wahrer Schag, Nicht
blos wegen feines Fleifes und feiner Hingebung an die Scene, auch
wegen feiner perfönlichen Haltung. Es war fein egoiſtiſch-komö—
diantenhafter Zug an ihm, er blieb jever Klatjcherei und Intrigue
fern und zeigte ſtets volles Interefje am Geveihen des Injtitutes.
Nach jedem neuen Stücke fam er zu mir, ftets im blauen Frad mit
blanfen Knöpfen und mit aller Feierlichfeit einer Staatswifite, um
jich gleichjam zu bedanken für die neue Inſceneſetzung, wie für
Etwas, was dem Theater und den Schaufpielern zur beſonderen
Ehre angethan worden. Er verleugnete nirgends die guten Ma—
nieren eines fleinen Evelmannes. Sein Andenfen bleibt uns lieb
und werth.
XVII.
Das Theaterjahr 1852 hatte unter der troſtloſen Ausſicht be—
gonnen, daß unſere deutfche dramatiſche Production gar Nichts bieten
würde. Ich hatte nicht ein einziges brauchbares Stück. Stücke
genug! Altjährlich werden ungefähr dreihundert eingeſendet, die alle
gelefen jein wollen und von denen höchitens zehn in nähere Bes
trachtung fommen fünnen. Bon diejen zehn war damals nicht ein
brauchbares übrig. Wer fennt dieje Yage eines Directors! Nur
von Juni bis September ift das Theater allenfalls der Verbind-
(ichfeit ledig, neue Stüde zu bringen; in den übrigen acht Monaten
aber wird fir jeden Monat wenigſtens ein neues Stüc verlangt.
Gefällt es nicht volljtändig, To ift eines zu wenig. Und wie felten
gefällt ein Stück volljtändig, wie oft gewinnt eine ganze Saifon nicht
ein dauerndes Stüd!
Zeit und Publicum gähnen vem armen Director wie ein un—
ermeßlich weiter, offener Machen entgegen. Wie ihn füllen?! Und
wenn die mühſam zurechtgemachte Speife einmal oder gar mehrmals
nicht behagt, dann flappern drohend die Zähne des Rachens, dann
Ihwindet unter diefem Drohen der Befuch des Theaters, dann
zuden die Zionswächter im Angefichte der höheren Inſtituts-Behörde
erit bedauernd die Achjeln, und dann verächtlich über die Unfähigkeit
der Yeitung, und endlich rufen fie voll Entrüftung: Hinweg mit dem
Stümper!
Notoriſch ift die deutjche dramatische Production abjolut unzu—
224 Das Burgtheater.
reichend für ein erjtes Theater, welches drei Viertheile der produ—
cirten groben Waare nicht geben fann, Und doch rufen die natio-
nalen Rigoriften: Nichts Ausländiiches, bejonders nichts Franzö-
fiihes! Was würden fie jagen, wenn man ihnen folgte und die
Theater zum Banferotte, zum Schließen führte? Lieber untergehen
— würden fie tapfer rufen — als Fremdes benüßen !
Sie find meift jung und wiſſen nicht viel von den Schwierig-
feiten ver Compofition eines guten Stüdes. Und am Ende hat ihr
Eifer auch fein Gutes. Sie verhindern, daß fich die Theater blos
auf fremde Krücken verlajfen und daß wahrhaft Fremdes, welches
die heimathliche Sitte zerftört, aufgeführt werde.
Gegen England ift man nachfichtiger wegen entfernter germa-
niſcher Berwandtichaft. Auch nicht mit Unrecht. Und Shafefpeare
hat das große Ehrenbürgerrecht in Deutſchland.
Mit Shafefpeare aber fand ich an anderer wichtiger Stelle
Schwierigkeiten. Mein Chef, ein geborner Pole, war von fran-
zöfifcher Erziehung, und die Shafefpeare-Boefie war ihm ganz fremd,
war ihm, wie früher allen Franzoſen, in vielen Hauptpunften ge—
radezu umbegreiflich.
Es ist ja eigentlich auch heute noch ebenjo in Sranfreich, ob»
wohl eine ganze Partie franzöfiicher Literatur Shafefpeare anpreift,
obwohl die Nomantifer unter Bictor Hugo's Anführung den ‚Schwan
vom Avon’ in Hymnen commentiven, ja jelbjt ehrlich überjegen,
Victor Hugo's Sohn hat ihn neuerdings wirklich und wörtlich über:
jet. Trotz Alledem ift und bleibt ver „Schwan“ wildfremd in
Frankreich, wenigitens befremdlich. Cs iſt ein Samenforn Shafe-
ſpeare's unter Literarifchen Franzofen aufgegangen, aber es bleibt
ein fremdes Pflänzchen. Das gebildete Publicum betrachtet es
kopfſchüttelnd und fteht feit auf DVoltaire's Standpunkt, daß der
englifche Boet ein Barbar fei. Der romanische Formenjinn wider:
jtrebt gründlich viefem weiten und freien Gange englischer Poefie,
und wenn ihn die Piteraten bearbeiten, jo müſſen fie ihn — nicht
. Das Burgtheater. 225
blos für das Publicum, nein auch für ſich — umarbeiten, auf daß
es formell franzöfiih werde. Wie viel bei diefer Um arbeitung über
Bord geworfen werden muß von Shafefpeare’s Geift und weiter
Abſicht, das ftört jie kaum, denn es bleibt ihnen verborgen, den
Umarbeitern wie dem Purblicum. Sie find eben aus ganz wer:
ſchiedenen Kirchenſprengeln, Shafejpeare und die Franzofen,
Nun, aus dem franzöfiichpoetifchen Kirchenſprengel war denn
auch mein Chef, und mit gerunzelter Stivne hörte er's an, daß ich
bei dem totalen Mangel an neuen deutjchen Stüden wieder ein
Shafefpeare’jches bearbeiten müßte. Es wurde ihm zu viel, es
wurde ihm zur arg. — Der beifigende Rath war verjelben Meinung, dev
ſchwärmte für Kotzebue. Namentlich die Rohheit, ja die Gemeinheit
in diefem Shafejpeare wurde mir vorgehalten, und während ich
draußen im der Literarifchen Welt um Vorführung franzöfifcher
Viederlichkeit gegeißelt ward, wurde ich hier innen im Schoße meiner
Behörde bitterlich gejcholten, daß ich die englifche Unflätherei auf
die Hofbühne brächte. Was halfen meine literarifchen Auseinander-
jeßungen, meine äſthetiſchen Beweisführungen, daß das Inftitut ja
auch eine fiterariiche Beftimmung habe, und daß unfer jetiger Ge-
ſchmack mehr verlange, als die engen Grenzen einer Hofbühne zu—
gejtehen könnten — „leider!“ — hieß es — „leider! ich finde es
aber nicht angemefjen, daß die ſchon vorhandenen Ausfchweifungen
noch weiter ausgedehnt werden. Warum geben Sie nicht Corneille
und Racine“?
ZTreibt den Teufel aus durch DBeelzebub, den oberften ver
Zeufel! jagt die Bibel, Bei jedem Theater ijt die Caſſe ein ent-
ſcheidender Factor, ift der Beelzebub. Die fprach hier glücflicher-
weiſe für mi. Zu Corneille und Nacine fchüttelte fie unwillig
das Haupt, ven Shakeſpeare'ſchen Stüden aber nicte fie zu, denn
die füllten fie. Und fo blieb es denn bei einem neuen Shafefpeare-
Stüde, das ich einrichtete,
Ein neues franzöftfches war auch eben gewejen, und zwar eines
Laube, Burgtheater. 15
226 Das Burgtheater.
der bejjeren, das „Fräulein von Seigliere‘’ von Sandeau, und dag
Schlachtenglück der erjten Aufführung hatte ihm nicht gelächelt.
Es hatte feine hinreichende Wirkung gemacht. Der faliche Schluß
des Stüdes, das heißt ein jcheinbarer Schluß, welchen es hat, war
Miturfache gewejen, daß es nicht hinreichend günftig aufgenommen
worden war. Und das hatte wieder eine alte Wiener Unfitte ver-
ſchuldet, eine Unfitte, die noch heute jorgfältig gepflegt wird. Man
jteht auf, wenn nur der Schluß des Stüdes in Sicht fommt, und
man geht fort, ehe er noch vollzogen it. Diesmal nun, bei dem
icheinbaren Schlujfe des „Fräulein von Seigliere‘‘, gebar dieſer
eilige Rückzug des Publicums ein wejentlihes Mißverſtändniß. Der
falſche Schluß nämlich it in diefem Stüce der Steg des Unpopu—
lären; es erfolgt noch eine Wendung, durch welche das Populäre
jiegt und ein befriedigender Schluß eintritt. in Theil des Pu—
blicums nahm alfo den unpopulären Schluß mit nach Haufe und
erzählte dieſe mißliche Gejchichte daheim in der Familie. Dem
fittigen Theile des Publicums aber, welcher ziſchend über die Stö-
rung fiten geblieben war, hatte das Geräufch ven jchlieflichen Ein-
druck verdorben. Kurz, das Stüd war fchief angejchrieben, und
am andern Tage famen nur wenig Leute zur Wieverholung. Ich
fenne einen damals regelmäßigen Sperrſitz-Inhaber, der heute noch
im Irrthume iſt über den Ausgang des „Fräulein von Seigliere”.
Er befuchte nur erjte Borjtellungen und hat nie erfahren, daß das
„Fräulein von Seigliere‘ doch noch ihren Geliebten heirathet.
Trotz Cajfenprotejtes gab ich das Stüc nicht auf, weil ich es
für ein gutes Stüd hielt, und fette jahrelang die Wiederholungen
fort vor Schwach befucchtem Haufe. Nach fünf Jahren etwa, da das
Stück hartnädig wiederfam, ſammelte jich allmälig ein neues Pu—
blicum für daffelbe, und erft nach zehn Jahren hatte es die Scharte
des eriten Abends ausgewett. Schr oft gelingt das gar nicht.
Dies Mifgejchie mit einem Franzoſen fam dem Engländer zu
Das Burgtheater. 227
jtatten; die Lücke Klaffte, es mußte mir ſchon darum wieder ein
Shafejpeare-Stüd gejtattet werden,
Bei einem Haare hätte ich mit diefem erjtrittenen Shafejpeare
Schiffbruch erlitten, in diefem Schiffbruche aber auch meine ganze
Autorität verloren vor meiner Behörde, Al’ meine claſſiſchen Be-
jtrebungen wären dann auf Jahre hinaus unzuläffig befunden
worden. So greift das Schlachtenglücd in alle Yagen hinein! Sch
werde diefen Moment nie vergefien, wo Dawiſon die jechs Worte
ſprach, welche ich inſtinctmäßig immer gefürchtet hatte, und wo das
Shafejpeare-Stüd in allen Fugen frachte und auseinanderzuberjten
drohte. Ich hatte, wie gejagt, die Gefahr vorhergejehen und nach
Kräften vor- und nachgebaut, aber, wie es jchien, doch nicht
genügend,
Das Stück war ‚Richard der Dritte‘, und der Moment
äußerſter Gefahr trat ein, als im vierten Acte nach jo viel Nichts:
wiürdigfeiten des Helden auch noch die Nachricht fam, daß er ſogar
feine junge Gemahlin in’s Ienjeits beförvert habe. Ich hatte Da-
wilon gebeten, die jechs Worte nur zu flüjtern, weil ich ihre ſchlimme
Wirfung fürchtete; aber obwohl er feinen Richard nur ſchwach
iprechen ließ: „Auch Anna jagte gute Nacht ver Welt’ — jo wogte
doch das Meer des Publicums auf in grollender Unzufriedenheit,
als ob vom tiefjten Grunde herauf ein Sturm es in die Höhe
bäumte, Es war den Yenten zu viel Nichtswürdigfeit, e8 war der
Moment des Scheitern.
Glücklicherweiſe hatte ich in der Einrichtung des Stüdes dafür
gejorgt, und zwar mit umerbittlicher Befeitigung jedes müßigen
Wortes dafür gejorgt, daß der moralische Rückſchlag, Das ein-
tretende Unglüd Richard's, auf dem Fuße folgte, deutlich folgte,
Schlag auf Schlag folgte. Dadurch geſchah dem ausbrechenden
Sturme Einhalt. Und da nım diefe Rückſchläge auf das Genauefte
in Scene gejett waren und jede üble Nachricht für Richard rafch,
prompt, Far, nahrrüdlih in Scene trat — ein ungeſchickter
192
2328 Das Burgtheater.
Schaufpieler konnte Alles werderben! — jo wurde die üble Stim-
mung betroffen, betäubt, befiegt und bis zum Schluffe des Actes in
Genugthuung verwandelt,
Am anderen Tage vrücdte auch ein wohlerzogener Kritifer der
alten Wiener Schule offen und unumwunden feine Entrüftung aus,
daß man das Burgtheater entweihte durch ſolche Rohheiten, und
daß diefem Shafejpeare-Treiben energijch ein Ende gemacht werden
müßte.
‚Richard der Dritte‘ gehörte unter die „Hiſtorien“, das heißt
unter diejenigen dramatiſchen Arbeiten Shafejpeare’s, welche nicht
nach dramatiſcher Compofition trachten, jondern mit biftorifcher
Schilderung in dramatifcher Form begnügt find, dramatische Arbeiten
alfo, welche nach unferen Begriffen feine vollſtändigen Stüde find.
Der „vritte Richard‘ fommt unter diefen Hiltorien unferem
Begriffe eines vollen Stüdes noch am nächſten. Seine Eroberung
des TIhrones, feine Haltung auf demjelben und jein Untergang
werden in folgerechten Scenen an ung vorübergeführt und werden
nicht durch Abſchweifung oder Epifodenwefen zerjtreut. Für unfere
Bühne fehlt nur eine Zuthat des Dichters, welche bei uns ein
Stück nicht entbehren fann — die Hoffnung. — Ein Böfewicht
handelt unerbittlich vor uns mit all’ feinen jchlechten Mitteln, und
er handelt ganz allein. Wir fehen ein Gemälve, das nur Schatten
hat und gar fein Yicht. Das verträgt ein Kunftwerf nicht; gewiß
nicht auf der Bühne. Irgend ein Vichtichimmer muß abgrenzen,
muß im Gedichte die Möglichkeit der Hoffnung bedeuten, ver
Hoffnung, daß diefer Böfewicht wirffamen Widerftand finden
werde. Es gemügt nicht, daß er am Ende erjchlagen wird, wir
müfjen dies fommen fehen. Dies Kommen ift für uns die Yodung
zur Theilnahme. Ohne diefe Zuthat ift das Bühnenſtück für uns
wüſt und unerquidlich und fein Runftwerf.
Trotzdem ift gerade diefe Hiftorie vom dritten Nichard in Eng-
land früher eine der populärsten geweſen! Das englijche Publicum ift
Das Burgtheater. 229
robufter, Es fommt freilich Hinzu, dag Nichard der Dritte in Eng-
land ein hiftorifch populärer König ift. Er hat für ven Engländer
einen Beigefchmad von Demokratie, und feine Energie iſt unzweifel-
haft. Energie hält in der gejchichtlichen Erinnerung am längjten
vor — die Motive verblaſſen, die That bleibt fichtbar durch Jahr—
hunderte. Das englifche Publicum fieht alfo diefen Nichard mit
ganz anderen Augen als unfer Bublicum, denn der Engländer weiß:
der Böfewicht da oben ift bei all feiner Grauſamkeit ein tüchtiger
Herrfcher unjerer Inſel geweſen, er hat aufgeräumt unter dem egoi-
jtiichen Adel, jehen wir zu, wie er's gemacht hat!
Zu den wunderlichen Schrullen der Engländer gehört auch,
daß diejer energifche Uebelthäter auf dem englifchen Theater vielfach
von einer Dame gejpielt wurde, Für uns ein Räthſel! Das feine
Geſicht Richard's, welches er bejejjen haben joll, mag dazu Ver:
anlaffung gewejen fein. Am Ende wird auch dadurch das Ganze
gemildert und wird mehr zur Komödie — was Alles unjeren Anz
forderungen an die Bühne widerſpricht.
Genug, ich ging bei ver Bearbeitung davon aus, daß auf der
Höhe des Stücdes der Hoffnungsftrahl wirkſam einfallen müßte,
damit unfer Publicum vie fortwährend gejteigerten Verbrechen hin:
nähme. Der Inhalt des Hoffnungsjtrahles liegt vor in Shafe-
ſpeare's Hiftorie, er iſt nur nicht nachdrücklich gefaßt und heraus—
gehoben. Er liegt in Stanley’s Hand, welcher jeinen Pflegejohn
Richmond zum Sturze Richard's aus Franfreich ruft. Dies fommt
erſt in den letsten Acten und fommt nur matt zu Tage, und dies
verlege ich in ven dritten Act und an ruhige Stelle, damit es voll
aufgefaßt werden kann, und ich laſſe es pofitiv ausprüden.
Allerdings hatte auch dies faum zugereicht, wie der drohende
Tumult im vierten Acte erwies. Es hatte nicht zugereicht, genütt
hatte es aber doch, wie mir nach der Vorſtellung naive Zuſchauer
erzählten. Diejem Einjchube alfo, jowie den vechtzeitigen und ge-
wichtig erfolgenden Rückſchlägen gegen Richard , welche dadurch ge—
230 Das Burgtheater.
wichtig wurden, daß man fich des Einfchubs im dritten Acte erinnerte,
war e8 zu danfen, daß das Stück nicht unter der Entrüjtung gegen
den Böfewicht begraben wurde,
Eine Scene in ‚Richard dem Dritten‘ gilt in allen Commen-
tavien für außerordentlich genial. Es ijt die Werbung Richard’s
um Anna’s Liebe. Sie haft ihn als den Mörder der Ihrigen, fie
will ihn in's Antlit Schlagen und — wird ihm nach fünf Minuten
jo nahe gebracht, daß ſie ihm alle Ausficht gewährt, ihn zu heirathen.
Das Mittel, deſſen ſich Richard bedient, ijt die Eitelfeit des Weibes;
er ſchmeichelt dieſer Eitelfeit mit Leivenjchaftlichem Aufgebote, Er
ſchwört, daß er jie auf's Heftigite liebe, und giebt ihr fein Schwert
in die Hand, auf daß ſie ihn todtjtechen möge für feine Frevel, wenn
jte ihn nicht erhören wolle; jobald fie aber das Schwert gegen ihn
züdt, entwaffnet ev jie mit dem Zurufe: „Nur deine Schönheit
veizte mich dazu!“
Natürlich glaubt zunächſt feine Frau an die Wahrheit dieſer
Scene. Es iſt eben die geniale Scene einer „Hiſtorie“, will jagen
einer Form, welche fich nicht mit Motivirungen aufhält. Im einem
organifchen Stücke ift es Webertreibung der Möglichkeit, weil es
gewaltfam zufammengedrängter Inhalt mehrerer Scenen ilt.
Der denkende Zujchauer jagt dabei immer: Es ift nicht wahr, aber
es iſt mit genialer Dreijtigfeit geführt, da es fo „unter Einem“ ab»
gemacht werden joll.
Der legte Act war eine faum lösbare Aufgabe für ven ſchmalen
Kaum des Burgtheaters. Beide Yager, das Richard's und Das
Richmond's, ericheinen gleichzeitig; in beiden wird für das Publicum
geſprochen, und Richard wie Richmond dürfen einander doch weder
jehen noch hören. — Wir löften diefe Aufgabe auch recht mittel-
mäßig, indem wir das fleine Theater ver Länge nach durch eine Stein-
wand in zwei Hälften theilten. Die Helven mußten jich jehr vor—
jichtig geberden, um jich nicht fehen und hören zu müſſen. Später
fanden wir eine treffliche Form, die allen Theatern zu empfehlen ift.
Das Burgtheater. 231
Eine Schleier-Courtine, durch Wolfenhänge undurchfichtig gemacht,
fcheidet in der ganzen Breite des Theaters die Gegner. Richard
ijt vorn, Richmond hinten. Aufziehen der Wolfenhänge und ein-
tretende Beleuchtung macht die Schleier-Gourtine durchfichtig, zeigt
aljo beide Yager gleichzeitig und macht die Traumfcene jehr wirffam.
Die Geijter - Erfheinungen find auf drei verfürzt, denn die endloſe
Reihe in der „Hiſtorie“ vernichtet die Wirkung.
Solchergeftalt iſt das Stüd eines ver ftärfjten Repertoireſtücke
geworden und jteht troß jeiner ſceniſchen Schwierigkeiten fo feſt in
Scene, daß ichs einmal Mittags um Eins bei einer Abänderung
eingejchoben habe ohne jegliche Probe, und daß es Abends jo exact
gefpielt wurde, als füme es frifch aus langer Probenreihe,
Meine Behörde zucte die Achjeln über den Erfolg und ſprach
wie Meijter Anton: Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Zum Trofte für jie fam plöglich ein Hackländer'ſches Manu—
feript. Freilich in der lojen Scenenreihe, welche diefer angenehme
Autor voll auter Yaune hinwirft, ziemlich unbefümmert um die ſce—
niſche Berbindung. Er betrachtet mich dann Ichalfhaft lächelnd wie
einen Schneider, der die offengelafjenen Nähte zufammennähen mag.
Die Kleidung war wieder fehr artig entworfen ; ich nähte denn nach
Kräften, und auf der Probe halfen mir die Mitglieder eine ganze
Woche lang fertignähen, und als das Ganze des Abends präfentirt
wurde, da fagte das Publicum: Dies ift charmant! — Die „Magne—
tischen Euren’ hatten bejtanden und eriftiven heute noch charmant.
Bei dieſer Gelegenheit wırde Frau Hebbel für eine Yujtipiel-
rolle geboren, welche ihr Niemand zutrauen wollte. Diefe Rolle ver
Gräfin ſchuf ihr ein neues Fach.
Sahrelang haben die auswärtigen Theater gezögert, fich an ein
ſolches Converſations-Luſtſpiel zu wagen, welches nur mit dem En—
jemble des Burgtheaters gejpielt werden und nur vor dem Conver—
ſations-Publicum des Burgtheaters beſtehen fünne. Endlich haben
es einige Theater gewagt und haben ganz wohl damit bejtandei.
232 Das Burgtheater.
So dürftig iſt die Unterftügung, welche ein talentvoller moderner
Dramatifer in Deutſchland findet, wenn er den Schaufpielern na=
türlichen Umgangston und den Zuſchauern Aufmerffamfeit zumuthet
für converfationelle Reize! Fit es da ein Wunder, daß es an Stüden
fehlt und daß unfere Luſtſpiel-Production jo dürftig bleibt?
Das Gleihgewicht im Repertoire der Neuigkeiten war nun
hergejtellt: auf die grimme engliiche Tragödie war eine heitere
deutſche Komödie gefolgt — aber was weiter? Wie weiter? Eine
Reihe von Monaten lag noch vor ung, und wie regelmäßig ich auch
jeden Tag ein neues Stüd las, ein neues Stüd fürs Burgtheater
(a8 ich nicht heraus. Der weite Rachen enthüllte jeine Zähne!
Womit helfen? Da die Gegenwart mit Unfruchtbarfeit gefchlagen
ift, wo wäre denn etwa in der Vergangenheit wieder ein Schat zu
heben? Wo? Da fiel mir ein, wie ich einft als Student in Breslau
eine Wendung meiner Stupien erlebt. Ich hatte an der Straßen-
ecke einen Theaterzettel angeſehen, und der Titel des Stüdes hatte
mich jeit vielen, vielen Jahren — Bruder Studio hatte ganz andere
Intereſſen! — zum erjtenmale wieder ins Theater gelodt. Dieſer
TIheaterabend hatte mich poetifch angemuthet, ich war dadurch plöß-
(ich wieder Theatergänger geworden wie in der Knabenzeit, ich war
dadurch zum öffentlichen Schreiben über, ja für das Theater verleitet,
ih war auf diefem Wege aus einem Theologen ein nutzloſer Schrift:
jteller geworden. Wo ift das Stüd von jener Straßenede, welches
dich verführt hat? Fit es nicht auf dem Nepertoire? Nein. Es ift
verfchwunden. Cine banale Bearbeitung von Holbein hat es auf
die Länge ungeniefbar gemacht. Ich aber meinte damals eine Be-
arbeitung gefehen zu haben, welche dem Originale ganz nahe ge
jtanden. Ich fragte bei Anſchütz nach; er war ja eine Art Bres-
lauer, ev war noch fünf Jahre vor meiner Studienzeit am dortigen.
Theater und fehr beliebt geweien, man jprach meiner Zeit noch warm
von ihm. „Sa wohl”, jagte er, „wir haben einmal in Breslau das
Driginal nach Kräften hergeftellt, meine Frau hat die Titelrolle ge=
Das Burgtheater. 233
ipielt und auch hier in Wien mit großem Glüde in derſelben debutirt.
Dies Buch wird jih wohl einige Jahre auf dem Breslauer Theater
erhalten, und Sie werden die Borjtellung nach diefem Buche gejehen
haben. Jetzt würde es wohl nicht mehr genügen, aber jett fünnten
wohl Sie diefe romantijche Perle für unfere Scene falfen. Sie
jind ja mitten in lauter Juwelier-Arbeit“ — fette er mit feinem
launigen Yächeln hinzu.
Das that ih. Es war das „Käthchen von Heilbronn‘, und in
diejer Einrichtung ift es dan von Neuem wieder auf zahlreichen
Bühnen erfhienen. Sie bleibt dem Original fo treu als möglich
und macht nur nach Tiefs Rathe den alten Waffenfchmied zum
Großvater des Käthchen’s, um einen Mifton am Schluffe zu ver
meiden, wenn die Liebſchaft von Käthchen’s Mutter mit dem Kaifer
zum Borfchein fommt. in Vater fan ſolche Liebſchaft leichter
verzeihen als ein Gatte.
Es erlebte zahlreiche Aufführungen und wurde jedenfalls all-
jährlich am Katharinen-Tage gegeben, ein Fejtbejtandtheil für junge
und alte Katharinen.
Solche Verbindung der Theaterftücde mit den Erinnerungen,
Sitten und Gebräuchen des Yandes habe ich principiell gejucht und
zahlreich gefunden. Ic gehöre auch zu den Berbrechern, welche
jeden dritten November aezüchtigt werven, weil Tags vorher wieder
„Der Müller und fein Kind” gegeben worten ift. Ich finde das
Stüd, welches allerdings in meiner jpeciellen Heimath jpielt, gut
geſchrieben, und würde es dem Allerfeelentage nie entziehen, ſowie
ich am Allerheiligentage dem eingebürgerten Verlangen nach einer
Geiſter-Erſcheinung vegelmäßig genügt habe. Das große Publicum
mußte dazu gewöhnlich „Hamlet“ in den Kauf und mit dem Geijte
jeines Vaters vorlieb nehmen. Seit obiger „Richard“ geglüct war,
konnten wir ja fogar mit drei Geifter-Erjcheinungen aufwarten, und
das haben wir denn auc mehrmals gethan. Ein Theater, meine
ich, muß eng und vertraulich mit dem Volfe zufammenhängen.
234 Das Burgtbeater.
Sogar mein Chef wollte einmal dem Allerjeelentage den
‚Müller und fein Kind’ entziehen. Ich erwiderte darauf, daß ich
dies für einen revolutionären Schritt hielte. Cr ſah mich finter
anz Spaß zu verftehen, war nicht feine Gewohnheit. Ich fette num
auseinander, daß es ja äußerſt erwünſcht fein müffe, wenn die Be—
völferung im Theater eine Art Feier ihrer Gedenftage finde. Da—
durch werde ja das Theater in organischer Verbindung erhalten mit
dem Publicum, und ich hielte eben das für eine conjervative Reper—
toire-dildung, die Abſchaffung aber eben deßhalb für eine revolu—
tionäre Maßregel.
Da lächelte er über die Umfehr unferer fonjtigen Stellung, in
welcher er immer der conjervative Vertreter war, und — der alte
Müller durfte weiter huſten am Alferjeelentage.
Enplich im Spätherbfte fam Hilfe, und ich rief Triumph. Es
fam ein originales neues Stüd, und zwar ein großes und ſehr be-
deutendes es kamen „Die Makkabäer“.
XVII.
Nun zum Dresdener Pakete des Poſtboten, welches im Spät-
herbfte 1852 zu meiner angenehmften Ueberrafchung „Die Maffa-
bäer“, eine neue fünfactige Tragödie von Otto Ludwig, enthielt.
Alle Kräfte wurden angejtrengt, fie würdig in Scene zu feßen.
Das ungemein große Perfonal des Stücdes war für uns nicht zu
groß, wir fonnten es jtellen, und fonnten es tüchtig jtellen, und wir
waren jo glücklich, endlich ein bedeutendes einheimifches Stüd ein-
jtudiren und vorführen zu können.
Aber dies Jahr hatte feine Tücken gegen große Unternehmungen
des Burgtheaters — es brachte das heimathliche Stüd in noch
größere Yebensgefahr als das engliiche,
Betrachten wir das umfängliche Gebäude der „Makkabäer“
in feinem Innern, und wir werden entdecken, worin und wodurch es
Gefahr laufen fann.
Das Stüd hat zunächſt eine höchſt gefährliche Eigenfchaft: es
hat zwei Helven, Lea und Judah. Solche Fülle ift jehr miglich.
Wenn ein Mädchen zwei Yiebhaber hat und beide zu lieben meint,
jo wird fie wahrfcheinlich eine unglücliche Ehe ſchließen, over fie
wird leer ausgehen.
Lea, die berühmte biblifche Meutter der Makkabäer, ift von
Hauſe aus die Heldin des Stückes gewejen. Der ältejte Sohn Judah
wächſt ihr aber im zweiten Acte hoch über die Schultern, und dieſer
Het gehört auferdem zu dem Grandioſeſten, was unſere Dramatif
236 Das Burgtheater.
aufzuweilen hat. Die veligiöfe Begeifterung des jungen Juden für
den Einen Gott, unfere chritliche Erbichaft aus dem Judenthume,
reißt unjere Herzen im Sturme mit jich fort. Wir find Alle aufge
jäugt und auferzogen in diefem Glauben: „Ich bin der Herr, dein
Gott, und du folljt feine anderen Götter haben neben mir‘; wir
nehmen Alle Partei, wir nehmen fanatifch Partei gegen die Viel—
götterei der Syrier, und ver Beifall für Judah, wenn er das Götzen—
bild in ven Staub jtürzt, ijt ver ungeheuerjte, welchen ich im Burg—
theater erlebt habe.
Das Stüd muß ihn bezahlen. Nun iſt Judah unfer Held,
und doch trachtet der Dichter in den drei folgenden Acten nur danach,
das Interejje für Lea oben zu erhalten. Wir fangen aljo im dritten
Acte wieder von vorne an. Das it ein jchwerer Uebelſtand. Und
er wird noch erhöht durch die Einleitungsjcene für Yea, in welcher
fie wieder an den Gipfel-ves Stüdes gejtellt werden joll. Wie geiſt—
voll ijt fie gemacht, und wie geführlich tft fie doch auf ver Bühne!
Lea jteht felfenfeit unter den zerfahrenen Juden: jie empfüngt alle
Nachrichten, die guten wie die ſchlimmen, im derjelben Ueberzeugungs-
treue, in der unwandelbaren Berufung auf das große Ziel. Meit
Ichlagender Charafterijtif find die Juden neben ihr gezeichnet in ihrer
ſophiſtiſchen Manie, alle Grundſätze durch Erklärung zu zerfafern,
ein deutliches Bild ihres jtaatlichen Unterganges — jie allein haut
jeden Knoten durch und ſteht umerjchütterlich auf ihrer Zuwerficht.
Wenn man die Scene liejt, jo nennt man fie meifterhaft, und wenn
man jie auf der Bühne fieht, jo erichrieft man vor ihr.
Das Theater-Publicum braucht zuerit und zuletzt Einheit und
Einfachheit, denn es ift zuſammengeſetzt aus jtarfen und ſchwachen
Capacitäten. Was der Verjtändige würdigt, das mißveriteht der
Unbegabte, und der Unbegabte ift naiver als Jener, er äußert Jich
leichter als Jener, er hat die Maſſe für ich, welche ihm beiftimmt,
er hat die Neigung jedes großen Publicums für jih, die Spannung
abzufchütteln und fich durch Heiterfeit zur erholen von der Anjtrengung
Das Burgtheater. 237
des Zuhörens — er fiegt im Theater, wenn die Auffaffung der
Scene ſchwierig wird, wenn die Einheit fehlt und die Einfachheit.
Solchergeitalt fommt die Theilnahme für Yea nicht wieder in
die Höhe, Judah aber ift in zweite Yinie getreten — das Stück hat
den Mittelpunkt des Interefjes verloren und lahmt dahin,
Der vierte Act giebt Yea die finnigiten Accente für Schmerz
und Yeiden, Wir nehmen fie achtungswoll auf, aber Yea ift noch
immer nicht unſere Heldin, und wir meinen deßhalb, nicht auf dem
Hauptwege zu fein; wir bleiben fühl.
Der letzte Act endlich macht uns klar, daß der Yea unfere ganze
Theilnahme gebührt. Das Opfer im feurigen Ofen, in welchen fie
berzbrechend einen Sohn um den anderen jtößt, damit dem einen,
einzigen Gotte Gerechtigkeit widerfahre — dies erjchütternde Opfer,
trefflich vom Dichter ausgeführt, gewinnt unſere ganze Hingebung
für Lea, und wir ſcheiden voll Hochachtung von dem groß gedachten
dichterifchen Werke.
Aber wir behalten einen Zweifel übrig. Cr lautet: Könnte
es nicht noch größer jein? Wir hatten uns nach dem zweiten Acte
noch Gewaltigeres erwartet; in der Mitte find wir gejtört worden,
und erjt zuletst find wir wieder ganz und voll dabei geweien.
Dies ift das Ergebnif eines Stücdes mit zwei Helden — eines
Stüdes, welches mit Recht Anſpruch macht auf den Titel einer
großen Tragödie,
Welch Schickſal hatte nun die erjte Aufführung? Wenn ich
das Innere richtig gezeichnet, fo ahnt es ver Leſer. Am Schluffe
des zweiten Actes, wie jchon gejagt, ein unerhörter Erfolg, im dritten
Acte eine völlige Niederlage. Die verwirrenden Nachrichten, das
jüdische Markten um Worte, der fortwährende Widerſpruch —
wurden ausgelact.
Die letzten Acte hatten Mühe, dem Stücke nothoürftig wieder
aufzuhelfen von ſolchem Falle. Es war vorauszufehen: daheim
erzählen fie vorzugsweile von der fpectafelhaften Judenſchule, die
238 Das Burgtheater.
ausgelacht worden, und der Beſuch bleibt aus, das Stück ift nicht
zu halten auf dem Repertoire,
Da erfranfte am anderen Morgen Wagner-Judah, und das
Stüd fonnte nicht jogleich wiederholt werden. Dieſe Zwijchenzeit
benütste ich, die große verwirrende Scene des dritten Actes neu zu
vedigiven, das heißt zu vereinfachen und diefe Vereinfachung zwei-
mal, preimal, viermal zu probiren, bis fie wie urfprünglich gewachjen
ericheinen fonnte, Das bewährte ſich bei der endlich erfolgenden
zweiten Aufführung: man lachte nicht wieder, Aber der Erfolg
ſtand noch weit aus; die erjte Aufführung hatte das Stüd discre—
ditirt. Mörderifche Stichworte verfolgten es, wie: „Die Synagoge
auf vem Burgtheater”, und wer iſt denn glüclicher als der Schauer:
träger des Purblicums, wenn er Unglüd berichten fann, wer iſt ges
Ichäftiger ?!
Da half uns die Prefje redlich. Sie flärte auf, fie würdigte,
fie pries das Preifenswerthe. Namentlich Friedrich Uhl unterjtütte
das Stück in nachdrücdlicher Weife. Sp wurde es mühſam erhalten.
Seven Spätherbit brachte ih es nach jorgfältigen Proben wieder,
und mit jedem Jahre wurde’ die abfällige Stimme leifer, enplich
verjtummte fie, und die „Makkabäer“ wurden ein Feſtſtück.
Leider nur auf vem Burgtheater. Nur auf ein paar Bühnen
ſonſt jind fie verfucht und dann für immer vergeffen worden. Und
doch Steht der Inhalt den Bibel lefenden, jüdiſch jtreng mono—
theitijchen Protejtanten, vor denen das Stüd außerhalb Dejter-
reichs aufgeführt worden ift, noch viel näher als den Katholifen in
Wien. Es verichwand in Norddeutſchland wie ein Meteor.
Der arme Yudwig, von Krankheit und Dürftigkeit gepeinigt,
bat es mir alljährlich geklagt, wenn er die fleine Rente von uns,
wie er die Tantieme nannte, danfbar quittivte, denn wir brachten
das Stück mit unverbrüchlicher Regelmäßigkeit jedes Jahr.
Die jegige Direction fei daran erinnert, daß fie die Monate
hat vorübergehen laffen, in denen feit fünfzehn Jahren die „Makka—
Das Burgtheater. 239
bäer’’ jtetS einen Abend gefunden zur Feier Dtto Yudwig’s und zur
Unterftügung für feine Hinterlaffenen, für die Witwe und die Kinder.
Sie ſei daran erinnert, daß unfer Publicum eines feiner würdigiten
Repertoireſtücke nicht untergehen ſehen will.
Was man in der Jugend wünfcht, hat man im Alter die Fülle,
Die Jugend des Jahres 1852 hatte nur Wünfche, das Alter dieſes
Sahres brachte eine Fülle von Stüden. Gleich nach ven „Maffa-
bäern“ erichien Bauernfeld mit feinen „Kriſen“, welche jehr wohl
geftelen.
Octave Feuillet hatte in zwei kleinen Arbeiten dies Thema der
Krifen entwidelt. In einer Novelle, genannt „La elef d’or“, und
in einem fleinen Drama, genannt „Une erise“. Bauernfeld hat
jih diefe Vorlagen angeeignet und fie fo breit ausgeführt, daR fie
einen Yuftipiel-Abend füllen. Die Eltern namentlich, Papa Lämm—
hen und Fran Lämmchen, find von ihm zugethan, um die Behaglich-
feit des deutjchen Lujtipieles über die Gedanfengrundlage Octave
Feuillet's zu verbreiten. Das iſt ganz wohl gelungen, ‚und es ilt
ein Luſtſpiel entjtanden, welches feinen Pla im Repertoire behauptet
bat. Dafür ift immer maßgebend, wenn die Rollenbejegung ge
wechjelt werden muß und das Wohlgefallen am Stüde doch nicht
wechjelt. Fräulein Neumann und Herr Fichtner, die erjten Ber:
treter der fritifch Yiebenden, haben uns verlajjen, und die Fräulein
Scholz, Bopler, Bognar, jowie Herr Sonnenthal find für fie ein-
getreten. Der Doctor, zuerit Herr Damien, dann Herr Yırcas, ift
an Herrn Gabillen gefommen. Selbjt das allerliebite Lämmchen
Beckmann's hat fich die ſüße Milch der Yammsnatır ein Wenig ver:
wandeln lajjen müjjen durch Herren Meixner, und das Stüd ift un-
geſchwächt verblieben ; es hat alle Krifen überjtanden.
Ueberhaupt wurde in diefem Jahre 1852 dem Luftipiele ftarf
gefröhnt. Gefröhnt jagte man, denn e8 wurde ung vorgeworfen.
Der grimme „Richard“ und die ſchweren „Makkabäer“ fünnen mich
wohl veranlagt haben, ungemein auf Ausgleihung und auf leichte
240 Das Burgtheater.
Erholung zu denken. Auch actueller Anstoß war damals vorhanden
nach der leichten Seite. Ich mußte oft den Borwurf hören, das
Repertoire würde zu fchwer, und ich würde meine literarifchen Zwecke
jicherer erreichen, wenn ich ausgiebig auch für Fröhliche Unterhaltung
jorate. An oberjten Stellen ſähe man Bedmann jo gern, und den
vernachläfjiate ih. Das Alles war nicht unbegründet. Es fand
auch in meinem Grumdplane für das Burgtheater entjprechende
Yinien. Ich weiſe zurück auf das, was ich bei Gelegenheit des
„Berwunfchenen Prinzen‘ gejagt, und daß bei fiebenmaligem Schau—
jpiele in der Woche auch das ausgelaffene Luftipiel feine Stelle
finden muß. Was bie denn auch „Beckmann nicht vernachläffigen‘’
Anderes, als das ausgelaſſene Yuftipiel nicht vernachläffigen! Es
war aljo fein Fröhnen, es war eriwogene Abficht, welche damals
zahlreiche ältere Yuftipiele, wie „Die unglüdliche Ehe‘, „Die franfen
Doctoren”, ‚Die Reife nach ver Stadt‘, neu ſcenirte, welche für Bed-
mann den; „Vater der Debütantin” hoffähig zu machen fuchte durch
starke fcenifche Aenderung, welche „Die Mördergrube“ einrichtete für
ihn und Fräulein Wildauer, welche untavdelhaft Iujtige Stüdchen, wie
den „Freundſchaftsdienſt“ und „Er iſt nicht eiferfüchtig”‘, einführte.
Wir juchten in diefer Richtung auch claffifche Weihe, indem wir Shafe-
ſpeare's „Viel Lärm um Nichts‘ in der Holter’fchen Einrichtung auf das
Sorgfältigjte in Scene fetten. Oder gehört es etwa nicht in dieſe Rich-
tung? Spielt in den Shafefpearefchen Luſtſpielen nicht die bloße
Clown-Komödie eine vordringliche Rolle ? Um fo vordringlicher, je we—
niger zumeiſt dev Inhalt des Ganzen ein wirkliches Luſtſpielthema ift?
Die unfhuldige Hero wie im Trauerfpiele ſchmähen, werurtheilen,
iterben laſſen, das ift vecht grob-ernſthaft und gehört eben einer drei
hundert Jahre alten Gefhmadsrichtung an, welche heute bei einem
nenen Luſtſpiele nicht hingenommen, fondern als grelle und geſchmack—
(oje Contraftirung geicholten würde.
Das Luftfpiel muß fich, ich wiederhole es, auch in einem erſten
Theater frei bewegen dürfen. Fröhlichkeit, jo lange fie nicht in
Das Burgtheater. 241
Gemeinheit ausartet, ijt unter hundert Masfen willfommen; jie ift
Sauerftoff im Theater, welcher die Lebenskraft erhöht. Gute Sitte
und guter Geſchmack räumen immer auf im Nepertoire der Ausge-
lajjenheit; das Unziemliche wird ftets fofort zurücigewiefen, und
das ganz Haltloſe verſinkt jpurlos.
Die heiteren Neuigfeiten jenes Jahres haben fich in reicher
Anzahl bis heutigen Tages wirkffam erhalten. Leider haben jie
ihren fomifchen Quell verloren dadurch, dag Beckmann's Leben ver—
fiegt und in die Erde gejunfen iſt.
Schreiten wir in ein neues Jahr! 1853. Diefes Jahr er—
hielt jeine Signatur durch Perfonalfragen. Schaufpieler wurden
gewonnen, Schaufpieler wurden verloren, und heute fragt man fich
nicht ohne Grund: War der Gewinn am Ende ein Verluft, und war
der Verluft wohl gar ein Gewinn? — Der Verluft hieß Dawifon.
Die Wahl ver Dinge ift unfer Schickſal. Der Orientale jagt
geradezu: Die Wahl, welche ung freigejtellt jcheint, iſt unſer Ver—
hängniß.
Ich erinnere mich oft, daß ich einmal bei ſchönem Frühlings—
wetter in Thüringen zu einem Pferdemarkte ritt, um ſchöne Thiere
zu ſehen und mir ein edles Pferd zu kaufen. Als ich ankam, wurde
eine runde Graditzer Stute vorgeführt, und mein Begleiter lobte
die hübſchen Formen des Geftütpferdes. Gerade diefe Formen
waren aber nicht mein Geſchmack, und ich drängte weiter mit den
Worten: „Dieſes Pferd fauf ich gewiß nicht!” Als wir aber
Nachmittags ven Markt verließen, hatte ich gerade diefe Graditzer
Stute gefauft. Die Neue blieb ſpäter nicht aus; mein erjter Ein—
druck war der richtige geweſen; ich hatte faljch gewählt und mich
benachtheiligt — die Wahl der Dinge ift unfer Schidfal.
Ih möchte nicht um die Welt Pferde und Künftler in Einen
Wahltopf werfen; ich will nur die räthjelhaften Einflüffe betonen,
welche jo oft unfere Wahl leiten, und ich will nur ein Grundprincip
ableiten aus jener thüringifchen Erfahrung. Es lautet: Wenn
Laube, Burgtheater. 16
242 Das Burgtheater.
man nene Schaufpieler jucht und in Wahl zieht, fo foll man fich
auf Nichts verlaffen, als auf den erjten, allgemeinen Eindrud, welchen
fie auf ung machen. Iſt er ſympathiſch, fo erwähle man flugs, wie
viel auch Einzelheiten abrathen; iſt ev unſympathiſch, jo gehe man
leer von dannen, wie viel Einzelheiten fich auch hervordrängen zur
Empfehlung. Der Total-Eindrud des Menfchen ift und bleibt von der
Bühne herab die Hauptfache. Selbſt der Böfewicht muß uns
menfchlich wohlthuend anmuthen, wenn wir feine Darftellung des
Böſen lobend annehmen jollen.
Als ih Herrn Dawifon das erſtemal ſah, fand ich ihn unge-
mein begabt für die Schaufpielfunft, aber er gefiel mir eigentlich nicht.
Als ich ihn das letztemal ſah — vor einigen Jahren in Dresden —
mißfiel ev mir ganz. Sch fand, daß feine Begabung über die Kunft
hinweg zum Handwerk ausgebildet worden — dies ijt das Kenn-
zeichen des Virtuoſenthums — und daß mir auch das mißfällig
geworden, was er gut machte. Er machte es eben.
Dies ganze Sahr 1853 hindurch, das vierte feines lebensläng-
lichen Engagements, zerrte ev fortwährend an uns herum mit der
Sucht nach Sonderftellung und privilegirter Auszeichnung, endlich
mit dem Anfuchen um Entlaffung, da ihm in Dresven eine noch
günftigere Stellung geboten würde, günftiger dadurch, daß ihm dort
ein großer Spielraum bliebe für Gajtrollen.
Ich war innerlich gar nicht mehr abgeneigt, auf ihn zu ver:
zichten. Sein virtuofes Herausprängen aus einem harmonijchen
Enſemble erſchien miv immer bevenflicher, fein eitler Trieb nach
Solofpiel beſchädigte unſer Enſemble immer ärger. Uns aber in
Wien, denen die Schaufpielfunft eine edle Kunft ift, war doch und
ift das Enſemble das Ziel diefer Kunft. Das Endziel ſchauſpiele—
riſcher Beftrebung ift ung das ganze Gemälde, nicht aber die ein-
zelne Figur, Das Stüd als Kunſtwerk ſoll ganz hevvortreten, und
das gelingt nicht, wenn der einzelne Schaufpieler fich ungebührlich
vordrängt oder wohl gar aus vem Rahmen pringt.
Das Burgtheater. 245
Leteres wınde mehr und mehr Herrn Dawijon’s Manie.
Woher fam das? Aus dem innerjten Weſen feiner Perſonlichkeit.
Ein Autodidakt, hatte er ſich mit lobenswürdigſtem Fleiße aus den
gedrückten Verhältniſſen eines polniſchen Juden emporgearbeitet.
Das „empor“ war nun aber bis zur Krankhaftigkeit ſeine Loſung
geworden, und die volle Bildung war ausgeblieben; denn diefe lehrt
auch Entjagung, diefe eritvebt und erringt das Gleichgewicht zwifchen
unferen Wünfchen und Kräften. Unter dem immerwährenden
„empor! und „empor! vwerjäumte er und verlor er die langſame
und breite Entwielung des inneren Menfchen, welche unerläßlich
ift für einen vollen Künſtler. Er war aufgefchoffen ohne mora-
liſches und fünftlerifches Rückgrat und verblieb deßwegen ohne
Halt.
Dem entjprechend fiel er bei Wivderwärtigfeiten — man er—
innere fich an feine hiefigen Debuts — in Häglichen Kleinmuth,
und blähte-fich auf zu craſſem Hochmuthe, als er in die Periode des
Gelingens fan.
Ich hatte ihn ungewöhnlich gefördert, über Gebühr jogar, wie
jeine Gollegen mit Recht mir vorwarfen. Ich brauchte vor Allem
frifche, lebendige Kräfte, um das ziemlich fchläfrig gewordene En—
jemble aufzuweden und zu beleben. Alte Rollen, die ihm zufagten,
neue, mit denen er Üüberrafchen fonnte, erhielt ev in Uebermaß.
Gr hatte die brillantefte Stellung befommen und ein aroßes Publi—
cum gewonnen. Nur ein Eleiner Theil des Publicums blieb ihm
gegenüber auf feiner Huth und lobte nur Einzelnes.
Zu diefem Fleinen Theile gehörte ich ſelbſt. Yange und auf-
merkſame Beobachtung feiner Fähigkeiten und feines Wejens hatte
mir ſchon nach den erften Jahren klar gemacht, daß er fein Genie
jei, fondern nur ein pifantes Talent, welches allmälig von mancher
großen Rolle fernzuhalten und auf einen engeren Kreis zu bejchrän-
fen jet, vorzugsweife auf Epifoden. Jedenfalls ſeien ihm Wollen
zu verfagen, welche einen Menfchen mit breit ausgeprägten Naturell
16*
4
244 Das Burgtbeater.
und mit langem Athem verlangen, desgleichen Menjchen mit ruhiger,
tiefer Charafterfraft.
Unſere Claſſik namentlich Liegt ganz außer feinem Bereiche.
Er iſt fein Deutfcher, und der nationale Athem unjerer Dichter ift
ihm verfagt, er kann ihn in feinem Tome wiedergeben. Das
Schiller’iche Pathos wird bei ihm hohle Declamation, die Goethe’jche
Einfachheit jtreift bei ihm an triviale Nüchternheit, unfere Romantif
gar wird ihm melodramatiiche Pauke. Am erjten fommt er noch
mit Leſſing zurecht, da dieſer vorzugsweife aus der Verjtandes-
thätigfeit heraus gearbeitet hat.
Wie viel ift dadurch abgejchnitten für unfer Theater! Shafe-
jpeare bot mehr für ihn, denn er charafterifirt mit ftarfen Strichen,
aber außer Richard, Shylod und Jago doch auch nur Epifoden. Er
freilich griff nach Allem und verlangte auch ven Othello. Sch er-
widerte: „Othello ift im letzten Grunde ein Yiebhaber, und das find
Sie nicht; Othello iſt ein Yöwe — wenn Site ihn |pielen, wird er
ein Tiger, und dies verfälſcht das Stück“.
Ebenſo mußte er im Luftipiel eingefchränft werden. Sein
Aeußeres bon machte ihn für viele Rollen unzulänglich, es verfagt
ihm alle vornehmen Leute; er iit unelegant, unruhig, haftig, in den
Bewegungen oft ungraziös, „Man fieht ihm aber doch den Juden
nicht an!’ hat Jemand in Dresden gejagt. — „Doch!“ hat Lederer
erwidert, „er maujchelt mit den Beinen.’
Ich möchte das Racen-Borurtheil nicht unterſtützen; wir haben
ja auch gerade in Wien fchlagende Gegenbeweife: Sonnenthal ift
auch Jude, und wer vermißt an ihm vornehmes, feines Weſen?!
Aber die Eigenthümlichkeit orientalifcher Race gehörte zu Dawiſon's
Nachtheilen und bildete feine Vorzüge. Seinen Fleiß, feinen behende
juchenden Verftand, die überrafchende Beweglichkeit feines Gejtaltens
verdanft er ja offenbar feiner Herkunft.
So ungefähr dachte ich über ihn, da er mich um Entlafjung
quälte. Als Spifodenfpieler war er mir ein Schaf für unjer Theater,
Das Burgtheater. 245
Wenn ich hätte hoffen dürfen, daß er fich künſtleriſch beichränfen
fönnte, dann wäre ich hartnädig gegen feine Entlafjung gewejen.
Aber dazu war gar feine Ausficht mehr. Er fing bereits an, feine
beiten Rollen zu übertreiben. Riccaut in „Minna von Barnhelm‘
war eine prächtige Leiſtung gewejen für feine polniſch-franzöſiſche
Zunge — jest ſprach er ſchon fo geläufig Franzöfifh, daß man ihn
nicht mehr verjtand; er überfranzof'te ven Franzoſen.
Ich befürwortete alfo jelbit bei meiner Behörde feine Ent-
lafjung und founte ihm eines Abends anfündigen, daß er fie in
einigen Monaten erhalten würde. Das dauerte ihm noch zu lange,
und um die Friſt abzufürzen, machte er mir eine Scene hinter den
Couliſſen, die Scandal erregen und fofortigen Bruch herbeiführen
jollte. Er ging mehrmals an mir vorüber, jtieß Scheltworte aus
und gefticulirte heftig. Ich ſprach mit Jemandem und wurde es
gar nicht gewahr. Als man mich aufmerffam machte, wußte ich
auf ver Stelle, wohin das abzielte, Ich ſchickte jogleich nach Herrn
Lucas; er hatte ven Doctor in den „Kriſen“, welchen Herr Dawifon
an diefem Abende fpielte, auch ſchon gejpielt. Ich ließ ihn bitten,
er möchte eiligjt fommen ; binnen einer halben Stunde werde Herr
Dawiſon ohnmächtig werden. Binnen einer halben Stunde wurde
Herr Dawiſon auf der Scene ohnmächtig, und der Vorhang mußte
fallen. Herr Yucas wurde jofort als Stellvertreter angekündigt, wir
jpielten ruhig das Stück zu Ende, und des anderen Tages erließ unfer
Chef die Ordre: Herrn Dawifon nie wieder das Burgtheater be—
treten zu lajjen.
So verloren wir den Charafteripieler. Einen Yiebhaber aber
und eine Yiebhaberin gewannen wir in Herrn Gabillon und Fräulein
Würzburg.
As ih Fräulein Würzburg in Hamburg das erjtemal jah,
fand ich fie jung und hübſch, aber auch fie gefiel mir eigentlich nicht.
Und bier war noch dazu mein Begleiter, welcher jie jchon Länger
fannte, derjelben Meinung, daß fie feine richtige Liebhaberin wäre.
246 Das Burgtheater.
Dennoch Lie ich fie gaftfpielen. Da wurde fie applaubirt; ein
Enthuſiaſt in der „Preſſe“ fprach von einer jungen Rachel, meiner
Behörde gefiel fie — fie wurde engagirt.
Herr Gabillon erwies ſich auf der Bühne auch nicht als der
Liebhaber, der gefucht wurde, aber er eignete fich für einen Theil
der Dawiſon'ſchen Rollen — er wırde ebenfalls engagitt.
Es bleibt dabei: die Wahl ift unfer Schiefal oder, wie der
Drientale fagt: unfer Verhängniß.
RIM,
Das Gontingent neuer deutſcher Stüde fir 1853 war aus—
giebiger als ſonſt, ausgiebig wenigjteng für ven Gafjenerfolg, aber
fiterarifch Doch wieder unzureichend. Es lieferte drei Erfolge und
unter diefen Ein gutes Stüd.
Den „Dolch“ von Raupach rechne ich nicht. Der ſterbende
Tchlefiiche Dramatifer hatte ihn feiner Wittwe vererbt. Es war ung
ein Act der Pietät, ihn aufzuführen. Weitere Bedeutung hatte er
nicht und fand er nicht.
Die beiden wirffamen Neuigkeiten waren „Mathilde von
Benedir, und „Die Waife von Yowood” von Frau Birch - Pfeiffer,
Das gute Stüd endlich waren Freytag's „Journaliſten“.
Roderich Benedix tjt jehr ſchätzbar für die Theater-Directionen.
Er gewährtihnen alljährlich Yebensmittel; man nennt fie Hausmanns—
fojt. Leider ift er eben veghalb von geringerer Bedeutung geworden
für das literarijche Theater, denn er producirt zu leicht und zu raſch,
und feine Stücke jchlagen feine tieferen Wurzeln. Sein Erfindungs-
talent ist ein in Deutjchland feltenes und Jollte uns zu einer vedlichen
Aufmerffamfeit für ihn verpflichten. Gewohnheit, wie das Bedürfniß
des Erwerbes verleiten und nöthigen ihn zur Haft; vielleicht um
diejer Haft willen find feine zahlreichen Arbeiten felten frei von
Banalität. Bielleiht! Denn es giebt freilich ſchöpferiſche Naturen,
die nur dann ſchöpferiſch find, wenn fie fich beeilen fünnen. Benedir
zum Beifpiel ift jehr johwer dahin zu bringen, daß er Aenvderungen
248 Das Burgtbeater.
an feinen Stücken vornehme. Leicht empfangen, leicht geboren, find
ihm feine Kinder auch) fertig, wenn fie da find; er ift immer ſchon
inmitten einer neuen Geburt, wenn man ihm über fein lettes Kind
Betrachtungen aufnöthigen will.
Dennoch ift es der Frage werth, ob uns und ihm nicht gedient
wäre, wenn die Sorge des Erwerbes für ihn verringert werden
könnte. Gr trüge dann vielleicht feine Pläne ruhiger und länger
unter dem Herzen. Wenn jolch einem erfindungsreichen, um das
Theater vielfach verdienten Autor endlich einmal eine geficherte
Lebensjtellung bereitet werden fünnte, da erfüllte das deutſche
Theater nicht nur eine Schuldigfeit, fondern es verschaffte ſich wahr—
jcheinlich auch ein Beneficium. Die erfindungsreichen Kräfte find
fo jelten unter ung, daR wir felbjt erfinderifch trachten jollten, jie
zu pflegen und dadurch zu jteigern. Er fitt in Leipzig und arbeitet
wie ein Fabrifant für ven Markt! Wie viel foftipielige und doch
nußlofe Anjtellungen find nicht gang und gäbe bei ven deutſchen
Hoftheatern! Die Intendanzen zumeift in erſter Yinie, welche nur
überflüffigerweife repräfentiven und durch jeweilige Einmifchung in
den artiſtiſchen Gang nur ſchädigen.
Ein behaglicher Winkel für den Theaterdichter ließe ſich an
zehn Orten finden. Aber „Alles brauchen ſie beim Theater, nur
nicht Dichter!“ Dies vorlaute Wort eines Karlsſchülers iſt leider
noch immer wahr. Der Quell des ganzen Theaters bleibt unbe—
achtet, und nur der Theaterkram findet Pflege und Aufmerkſamkeit.
Die Hecenfenten tragen täglich dazu bei mit ihrer drafonifchen
Strenge gegen die Dichter — Drafo macht wohlfeil intereffant! —
und mit ihrem unerjchöpflichen Wortſchwall über Austattung und
auswendigen Plunder. Wie oft jpotten fie über die Einfachheit im.
Burgtheater und ahnen gar nicht, daß diefe Einfachheit unſchätzbar
ijt für das Mefen des Schaufpiels. Geht nur hinaus und betrachtet
den Aufwand für äußerliche Dinge, welcher den Sinn zerjtreut hat
für den Geift und Kern!
Das Burgtheater. 249
Benedir iſt auch immer frei gewelen von dieſer äußerlichen
Rofetterie, er hat immer nur innerliche Aufgaben bearbeitet. Nach
einer wohlerworbenen gelehrten Erziehung in Yeipzig ift er Schau—
jpieler geworden und Schaufpiel-Director. Er ijt einer der We—
nigen, welche über die Bildungsmittel der Schaufpieler gejchrieben,
und gründlich gefchrieben haben über Redekunſt und Bortrag — er
befitst alles Zeug, von einem behaglichen Winfel aus einem Theater
gute dramaturgijche Dienjte zır leijten.
Die „Waiſe“ ver Fran Birch foll auch nicht unterſchätzt werden.
Was jo viel und jo lange die Theilnahme des Publicums beſchäf—
tigen fann, ohne doch geradezu niedrige Mittel aufzubieten, das darf
man nicht höhnifch behandeln, wie es die Kritif vielfältig thut, das
darf man nicht hochmüthig geringſchätzen. ine Talentesfraft liegt
darin immer vor.
Aber einem Director, welcher nicht blos für den Tag arbeiten
will, konnte doch auch dieſes Stücd feine Genugthuung fein, feine
Beruhigung für den Fortgang deutfcher Production,
Ich hatte es übrigens ſelbſt unterſchätzt, und ich laſſe mich bei
diejer Gelegenheit auslachen von den Wienern, indem ich eingejtehe,
daß ich jehr zweifelhaft war, ob ich ihnen das Stück vorführen
dürfte. Ich hatte es in Hamburg gefehen, wo es Furore machte —
Fräulein Seebah, Jane Eyre; Fräulein Würzburg, Georgine —
und dennoch war ich zweifelhaft. Die rohen Begebenheiten, die
groben Contrajte, die hausbacenen Gedanken, welche mit Altflugbeit
überpust waren, hatten mich eingefhüchtert, Wird ein feineres
Publicum nicht darüber lachen? hatte ich gevacht. Sch entjchloß
mich erjt, als ich einen ganzen Act gejtrichen und ven buntejten
Ueberpuß von Weisheitsflosfeln ausgemerzt hatte, Und ich bin
heute noch der Meinung, daß dies nöthig war fürs Burgtheater.
Solde Stüde find für's große Publicum gefchrieben; an dem
Elite- Bublicum unferer erſten Borftellungen jcheitern fie oft durch
Einzelheiten alltäglichen Geihmads, durch grelle Wendungen, welche
250 Das Burgtbeater.
aus dem ftarfen Romane eingejchlüpft find. „Die Frau in Weiß‘
zum Beifpiele, zur Familie dev „Waiſe“ gehörig, ging bei uns
unter, während fie draußen im Reiche gefiel.
Merkwürdig ift der jo ganz verſchiedene Erfolg, welchen „Ma—
thilde” und welchen die „Waiſe“ gefunden. Die „Mathilde“ von
Benedix, ein Familienvorgang von wichtigen innerlichen Fragen,
machte anfangs ebenfo viel Glück wie die „Waiſe“ und erlebte eine
ganze Reihe ſehr bejuchter Vorjtellungen, Auf einmal verſagte die
Zugkraft und das Stück mußte liegen bleiben, während die „Waiſe“
ohne Aufhören anzog. Woher fommt das? Vielleicht daher: „Ma—
thilde“ lebt won grellen Familien = Conflicten, die grell entſchieden
werden. Dieje Entjcheidungen fünnen im Bublicum beftritten wer:
den, und fie wurden bejtritten. Es wird alſo vorzugsweije der
Verſtand in Anspruch genommen, und das Intereffe des Verſtandes
erichöpft fich zeitiger im Bublicum. Gewöhnliche Zuthat von Theater:
ballajt giebt Benedix nicht; dafür ift er zu puritanifch. Frau Birch
aber giebt ihren Stücen einen reichlihen Sinneneultus, und die
GSonfliete in der „Waiſe“ wenden fich nicht an ven Verstand, fondern
an das Gefühl, Sie find auch unbejtreitbar: mit dem Schidjale
einer gemißhandelten Waiſe gebt Jedermann — es ift am Ende
auch hier die Einfachheit, welche fiegt.
Aber was beveuteten und was bedeuten folche Siege für den
Werth und die Zufunft unſerer dramatiihen Schöpfungskraft!
Dieſe Schöpfungen find ja doch alle nur Futter für Pulver, wie
Falftaff jagt. Wahrlich, die Sorge um unfere dramatische Schöpfungs-
fraft hat mich während achtzehnjähriger Directionsführung nie ver:
(affen, und fie hat mich, wie oft! tief traurig gemacht. Sch geitehe
es hiemit öffentlich ein, daß ich das deutſche Theater für abjterbend
halte, weil es ihm an Production und an Schaufpielern fehlt.
Die Schwachen Productionen zu ergänzen, die Schauspieler zu
erziehen, ift jet unabweisliche Aufgabe einer Divectionsführung ge-
worden. Heutigen Tages muß die Injcenefeßung eine ergänzende
Das Burgtheater. 251
Schöpfungskraft ausüben, ſonſt fönnen zwei Drittheile ver heutigen
Stüde nicht bejtehen. — Wie athmet man auf, wenn endlich einmal
ein Stüd fommt, das feiner Nachhilfe bedarf, und wie tief zieht man
den Hut! Das fertige, feſte Stüd flößt Niemandem jo großen Re—
jpect ein, als dem Infcenefeger, und es ift ein großer Irrthum,
wenn man glaubt, durch immerwährendes Ergänzen verwöhne man
jich und tafte dann auch ans Gute. Durchaus nicht! Einem echten
dramatifchen Geifte und Gefüge wagt man nicht einmal in Kleinig-
feiten eine ändernde Berührung anzuthun, jelbjt da nicht, wo alle
Welt ruft: Hier ift eine unſchuldige Verbefjerung anzubringen.
Ein voller Organismus weift jede Zudringlichfeit von ſelbſt zurück.
Aber wehe dem Theater, welches für die Ueberzahl ſchwacher
Neuigkeiten feine ergänzende Kraft auf den Proben hat! Seht jie
nur an, die veutjchen Theater, wo die trodene Regiſſeur-Routine
herrſcht! Bon halben Erfolgen zu Mikerfolgen, von Mißerfolgen
zu halben Erfolgen jchleppen fie fih und verlieren dadurch einen
dauernden Kepertoire-Bejtand, ein organijch theilnehmendes Publi—
cum. Wie viel Stüde haben im Burgtheater Dauer gewonnen,
welche nirgends fonjt am Yeben geblieben find! Und wie find die
Theater alle durch ihre Mißerfolge gefunten !
Wie find fie ferner gefunfen durch die mangelnde Yeitung der
Schaufpieler! — Es iſt wahr, die neue Zeit mit ihrem Gleichheits-
principe, welches die fernige, aparte Berfönlichfeit nicht mehr jo
pflegt, wie e8 ehedem möglich war, jie verringert die Anzahl befon-
derer Menjchen, welche auf der Bühne interefjiren können. Es ift
wahr, die große Theilnahme an öffentlichen Dingen, die Parlamente -
mit ihren Rednern entziehen ver gefpielten Welt einen großen Theil
früherer Aufmerffamfeit und nehmen zahlreiche Menſchenkräfte hin-
weg, welche ſonſt in ven Schaufpielerjtand hineingeriethen. Einſt
veerutirte er fich aus unruhigen Geiftern aller Art; jett findet eine
große Anzahl diefer unruhigen Geifter Beſchäftigung in der Politik,
und die Novizen für die Bühne find meiltens blutjunge Gefchöpfe,
252 Das Burgtheater.
welche eine leichte Garriere machen wollen, Gefhöpfe ohne irgend
eine Phyſiognomie, von denen auch neun Zehntheile nie eine Phy—
jiognomie gewinnen.
Set hundertmal mehr als ſonſt müſſen die Schaufpieler ge-
leitet und erzogen werden. Und wer thut das? Wer fann das in
den herfömmlichen SchablonensAemtern? Der Intendant fitt auf
olympijchem Throne und lächelt. Da unten, tief unter ihm, mag
die Brut fich geftalten wie fie fann. Kann jte's nicht rajch, jo wird
fie fortgejagt. So werden alle Jahre junge Talente ausgejtoßen,
denen fein Menfch tiefer in die Augen geblickt, ausgeſtoßen, weil
nur die Gebrechen des Anfängers an ihnen zum Vorfcheine gebracht
worden find. Wer joll ihnen in die Augen bliden? Wer verfieht
das wichtigjte Amt am Theater, das Amt eines Piychologen? Der
Regiſſeur etwa? Er fümpft bis zur Erfchöpfung mit den Außerlichen
Aufgaben der Injcenefegung, wenn er überhaupt fümpft. Cr hat
feine Zeit zur Erziehung, wenn er überhaupt Sinn dafür hat, Col-
legen zu erziehen, welche ihm ſelbſt Concurrenten werden fünnen,
und wenn er überhaupt Geift und Bildung genug hat, welche doch
am Ende in eigenthümlichem Grade dafür nöthig find. So iſt es
gefommen, daß jest zum Beifpiel in Berlin taufend Stimmen
jhreien: Es giebt feinen Nachwuchs im Schaufpiele, und das
Theater liegt in den letzten Zügen!
Das fann man in Wien nicht jagen. Im Burgtheater trägt
der Nachwuchs feit Sahren das Repertoire. Aber nur wenn jolche
Erziehung vedlich und kundig fortgefett wird, kann das Burgtheater
fortbejtehen als eine Ausnahme vom Berfalle des deutſchen Theaters.
In ſolche Nachtgedanken fiel Freptag’s Luftipiel wie voller Son—
nenſchein. Das war ein Troft fir meine Productions-Sorgen!
Es giebt alfo noch Geijter, rief ich, die auf der Höhe unjerer Ge-
danfen jtehen und Talent genug haben für ein gutes Theaterſtück.
Willfommen, ihr prächtigen „Journaliſten“! vief ich feelenvergnügt,
und vergegenwärtigte mir das Weſen und. die Yaufbahn ihres Mei-
Das Burgtheater. 255
jters, meines fchlefifchen Yandsmannes, um zu entdecken, wie er in
dieje luſtige Gejellichaft gerathen wäre.
Tief hinten aus dem waſſerpolakiſchen Oberfchlefien war er
nah Breslau gefommen, ein blonder, jchlanfer Deutfcher, und hatte
emfig jtudirt und dem Yeben lächelnd zugefehen. Ueber jein erites
Stüd: „Marimilian’s Brautfahrt“, hatte er mir nach Yeipzia ges
ichrieben: „Es macht die Rundreiſe aufden Bühnen mit recht zweifel-
baftem Erfolge”. So pflegen heutige Theater-Autoren von ihren
Kindern nicht zu fprechen, denn auch Privatbriefe müſſen für Re—
clame forgen.
Mit feiner „Valentine“ fam er nach Yeipzig, und wir erlebten
zufammen ein Theaterftürmchen. Als der Stein mit dem Zettel in
Balentinens Gemach flog, wadelte die Haltung des Publicums fo
unangenehm, daß bedenkliche Aeuferungen laut wurden und das
Stüd einen gefährlichen Ye befam. Wir fahen uns an, und er
hatte die Ruhe eines curiofen Kopfſchüttelns, ja eines betrachtiamen
Zuſchauerlächelns. Diefe Ruhe behielt er auch, als wir nach ver
Vorjtellung erwogen, ob und wie der Pe zu jtopfen jei durch eine
Aenderung. Wir meinten Beide, das Stüd ſei für das Publicum
doch verloren, und er behandelte dies Thema mit einem fo natür-
fihen Gleichmuthe, daß er mir beneivdenswerth erichien. Die Göt-
ter hatten auch ein Einjehen, es ereignete ſich das Unerwartete,
welches darin bejtand: daß wir uns Beide geivrt hatten. Das
Unglüd im Theater war nur der unruhige Schaum des Bublicums
gewejen, welcher aufgezifcht hatte, und eine unfchäßbare Eigenschaft
manches norddeutihen Publicums in Mitteljtädten enthüllte fich
unferen Bliden. Man hört in diefen Städten fehr aufmerkfam zu
und läßt fich nicht irremachen durch zifchenden Schaum. Die Leute
bewahren fich — recht im Gegenfage zu ven lärmenden, nachplap-
pernden Großſtädten — ein eigenes Urtheil. Sie hatten daheim
erzählt: diefe „Valentine“ ift ein interejjantes Stück, und Fräulein
Unzelmann jpielt finnig und fein die Titelrolle. Nein! ift ein
354 Das Burgtheater.
Stichwort der Bildung in Sachfen. Als nun der Director zaghaft
eine zweite Vorjtellung anjette, war das ganze Haus gefüllt und
das Stücd machte großes Glück. Das größte jogar. Freytag ſah
mich wieder an mit dem eigenen Blicke feines blauen Auges, welches
voll launigen Hinterhaltes, und num lachten wir Beide über die
unnütze Sorge um den Stein,
Sein Gleichmuth war durch dieſe Freude ebenfowenig er-
jchüttert wie vorher durch Aerger; fein Weſen iſt durchſchnittlich
eben und ruhig.
Das nächte Stück Frevtags war „Graf Waldemar”, Es
ließ das Publicum falt. Ich hab’ es an mehreren Orten gefehen,
e8 wurde überall ungenügend gejpielt; denn für" Alltags = Infcenes
ſetzung ift es zu einfach und doch zu geiftig. Im Berlin ging es
jogar entzwei, weil der zu grelle leiste Act feinen kundigen Regiſſeur
gefunden. „Graf Waldemar’ Lebt nur in Wien, und zwar in
guten Umſtänden.
Man warf diefen Stücen einige Manierirtheit vor und baute
auf den Autor feine bejondere Theaterhoffnung. Ich perſönlich
begte immer eine jtarfe Neigung für zahlreiche Scenen in dieſen
Stücen und ließ mir gern verwerfen: das jet eine landsmann—
Ichaftliche ſchleſiſche Sympathie. Ich hatte „Die Valentine‘ auf
unferem Nepertoive gepflegt, obwohl ich Feinen richtigen Saalfeld
und feine richtige Valentine ftellen fonnte — Herr Sonnenthal und
Fräulein Wolter wären jetzt geeignet, Fräulein Baudius die nächſte
Aſpirantin — ich hatte mir auch die größte Mühe gegeben, den
„Grafen Waldemar‘ möglich zu machen. Die Cenfur meiner Be—
hörde aber fagte hartnädig Nein. Ein Graf foll eine Gärtners-
tochter heirathen? In der Wirklichkeit mag's leider vorfommen,
auf dem Burgtheater nie! — Ich werde fpäter erzählen, durch wel-
chen diplomatischen Gedanken ich die Mesalliance doch noch zu
Stande gebracht.
Jetzt kam plößlich — mir felber unerwartet, denn Freytag war
Das Burgtheater. 255
jahrelang im Schatten geblieben — ein volles Yuftipiel, ein mo—
dernes, ganz vortreffliches Yuftipiel von ihm. Ein jolches find „Die
Journaliſten“. Was ich immer gewünfcht, lag wor mir. Unfer
heutiges Yeben da angefaßt, wo e8 geijtige Bedeutung hat, alfo in
höherem Sinne und doch in leichter Form, in der heiter wohlthuen-
den Form des ehrlichen deutichen Kuftipiels. Wahrheit, volle Mög—
lichfeit des Vorganges, veizend gehoben durch feinen Humor —
Katzenhumor, wie Gutfow ärgerlich von Freytag ſagt —, populär
gehalten durch jtarfe Züge und Fräftige Charaftere a la Piepenbrinf
— das war ein Felt für mich, diefe erſte Yectüre! Da war ja der
Weg, da war ja das erreichte Ziel! Wir fönnen alfo doch Stücfe
jehreiben, wir fünnen Yujtipiele Schreiben ohne Uebertreibung und
Fereirtheit, das deutſche Theater kann alſo noch beftehen und ge-
deihen, es braucht nicht zu ſterben!
Ach, jett nach vierzehn Jahren fieht mir diefe Freude aus wie
ein Jugendtraum. Die Nachfolge ift ausgeblieben, Freytag ſelbſt
hat nicht mehr die Stimmung dafür gefunden. Er bat uns nur
noch eine werthvolle Tragödie gebracht, aber eine römische: „Die
Fabier“. Wer gewinnt unfer Publicum heute noch für vömifche
und griechiiche Intereſſen?! „Nackte Beine!’ fchreit der Wiener,
und geht anderswohin. Und Freytag bat.fich in gelebrte Studien
vertieft. Aller Ehren werth. Aber er kann Beſſeres. Wer Ichaffen
kann, joll nicht blos lehren. — — Ih hoffe immer noch auf ihn.
Er war ftets voll jchalfhaften Hinterhalts und wird uns vielleicht
einmal plößlich mit einem neuen Yuftipiele überraſchen.
Iſt diefe Hoffnung auf ihn und einige Wenige eitel, dann Abe,
deutfches Theater!
Und bei einem Haare brachte ich „Die Journäliften‘‘ gar nicht
auf die Scene, Herr v. Hülfen in Berlin hatte ganz richtig ge—
jagt: Die Journaliſten machen mir fo ſchon Aerger genug, ich werd’
ſie doch nicht gar noch anfällig machen auf dem Hoftheater! — und
hatte das Stück abgewiejen, rundweg, bafta! Ein zweites Theater,
256 Das Burgtheater.
die Friedrich-Wilhelmsſtadt, hatte es dann gegeben, und mit fo
durchſchlagendem und danerndem Glüde, daß der Intendant des
Hoftheaters — freilich erft nach einer Neihe von Jahren — eins
jichtig erklärt hat, er fer im Irrthum gemwejen und wolle num den
Irrthum ausgleichen. Auch jo ſpät hat er noch die beiten Früchte
geerntet von der Aufführung des Stückes.
Wir fchienen im Burgtheater auf denjelben Weg des langen
Wartens gewiejen zu werden. Weil Wien jo lange abgejperrt ge
wejen von der Freiheit öffentliher Stimmen, hat es eine noch
tiefere Scheu als irgend eine andere Stadt bewahrt vor dem lauten
Weſen ver Sonrnaliftif, und das freilich oft üble Handwerk der ano—
nymen Schreier, Ziicher, Nager und Verleumder ijt dem Wiener
nur zu leicht gleichbedeutend geworden mit dem Begriffe eines Sour:
naliften. Dies Handwerk ift ja doch nur ein Bodenjat des Standes.
Ner möchte es unterlaffen, vor ihm zu warnen, ihn zu befämpfen !
Aber ver höhere Journaliſt hat eine edle Aufgabe. Je edler und
tüchtiger jie gelöft wird, deſto vorfichtiger umd anerfennender wird
man auch in Wien untericheiden lernen zwiichen ven Marodeuren
und den Feldherrn diejes Federfrieg-Standes.
Solche Rangordnung verfuchte ih meinem Chef zu entwideln,
am die Erlaubniß zur Aufführung des Stüdes zu erlangen. Er
ichwieg. Das nächſtemal zog ich das gedruckte Manufeript aus ver
Tasche und [ag eine Scene vor, in welcher „Schmock“ charakteriſirt
wird, befanntlich nicht Schmeichelhaft für den Journaliſtenſtand —
das half. Nicht gern, aber die Bewilligung wurde ertheilt.
Fünfzehn Jahre find jeitvem vwerfloffen. Und nun vergleiche
man unfere jegige Wiener Welt mit der damaligen: Niemand, aber
Niemand vom älteren Perfonal am Theater ftimmte mir zu, daß
dies Stüd ein gutes Stüd wäre und guten Erfolg haben könnte.
Am Tage ver erjten Aufführung um die Mittagszeit begegnete ich
einem ſolchen Mitglieve in Gegenwart meiner Behörde, Dies Mit-
glied gehörte zu den literariich gebildeten und war in ftetem Verfehr
Das Burgtheater. 237
mit Schriftitellern, und dies Mitglied fagte im Beifein meiner Be—
hörde: „Sie irren fich mit diefem Stüde, Herr Director! Dies
Treiben und Reden der Journaliſten ift den Wienern völlig fremd
und unbekannt; vergleichen goutiven fie alſo nicht, und Zeit wie
Arbeit ift verloren — —“
Sch war in diefem Augenblicke wieder einmal eine vecht bevenf-
fiche Figur in den Augen meiner Behörde, und wenn dies Mitglied
am Abende Recht behielt, dann — nun dann war doch wohl diefen
argen und geſchmackloſen Neuerungen endlich ein Riegel vorzufchieben.
Ein altes Kirchenlied fingt:
Der Tugend Weg ift anfangs fteil,
Läßt nichts als Mühe bliden,
Doc weiterhin führt ev zum Heil,
Und endlich zum Entzü — —
An jenem Abende wenigjtens gab’s für mich Entzücken. Mit
dem erjten Acte ſchon war das Glück des Luftfpiels entjchieden,
Dem Bublicum war Nichts darin „fremd und unbekannt‘, und e8
verftand und „goutirte“ auch die feinften Nuancen; das Stüd
wurde mit jubelndem Beifall aufgenommen.
Jetzt wiſſen wir's Alle, daß „Die Journaliſten“ zum Bejten
gehören, was unſere dramatiſche Literatur in den letzten Jahrzehnten
gebracht — die beiden erſten Hoftheater aber waren außer Zweifel,
daß ſolch Unweſen nicht zuläſſig wäre. Habe ich Unrecht mit meiner
Beſorgniß über die Lebensfähigkeit des deutſchen Theaters? Ich
möchte dafür einſtehen, daß „Die Journaliſten“, wenn fie heute im
Meanuferipte anfümen, auch heute unter Achjelzuden abgewiefen
würden von der Schwelle des Hofburgtbhenters.
Laube, Burgihrater. 17
xXX.
Unter den halben Erfolgen des Jahres 1853 war eine Be—
arbeitung des „Cymbelin“ von Shafefpeare, und die eines guten
franzöfiichen Stüdes: „Lady Tartuffe“, von Frau v. Girardin.
Dieje „Lady Tartuffe“ hatte faft noch weniger als einen halben
Srfolg: fie wirkte unangenehm. Ihre Zeit wird ſchon kommen —
tröjtete ich mich — und man wird eine Charafteriftif intereffant, ja
wehlthuend finden, welche jett bitter ſchmeckt, weil das ſchmeckende
Publicum allzu lange gewöhnt worden ift, in der Gemüthlichkeit
allein alle Reize der Kunſt zu ſuchen. Und diefe Zeit iſt gefommen:
„Lady Tartuffe“ ijt allmälig ein beliebtes Repertoireſtück geworden.
Den „Cymbelin“ dagegen gab ich felber auf. Unter dem
Titel „Imogena“ hatten wir diefe offenbar loſe Arbeit Shakeſpeare's
gegeben. Frau Bayer hatte die Imogen jehr gut gejpielt, und die
Knaben hatten rauſchenden Applaus gefunden. Dasjelbe Stüd
alſo, welches etwa ein Jahrzehnt früher in einer Halm'ſchen Be—
arbeitung Nichts gemacht hatte, war jeßt zu ziemlicher Wirfung ge—
bracht worden. Aber die Wirkung war hohl. In Wahrheit hatte
ich den lebhafteren Effect im Vergleich zu Halm nur durch eine
vichtigere Befetung erzielt. Ich hatte die Knaben an Mädchen ge-
geben, und dadurch wurde die naive Courage derjelben wirkſam.
Bei der Halm’fchen Bearbeitung hatte man Männer dafür ges
nommen und deßhalb gar feine Wirkung erreicht. Aber was be—
deutete der Effect einer Scene, wenn das Ganze ohne Eindrud ver—
bleibt? Und fo war es. Mean empfand, dag man eine willfürliche
Das Burgtheater. 259
Compoſition vor ſich hatte, welche fein tieferes und ftärferes In—
terejje in Anspruch nehmen kann. Troß des beliebten Gastes wurde
der Beſuch bald mittelmäßig, und ich hielt es für richtig, das Stüd
mit dem Gajte verſchwinden zu laffen.
Unter den neu fcenivten Stüden des Jahres war „Sappho“,
„Egmont“, „Die Jungfrau von Orleans’, „Der Nibelungenhort‘,
„Taſſo“, „Die Schuld”, „Das Urbild des Tartuffe“. Letzteres
hatte ich neu beſetzt in den Nebenrollen, welche früher allzu ſchwache
Darjteller gefunden, und fo wurde es auf lange hin neu belebt,
Müllner’s „Schuld, eine naive Anfrage an das Publicun, be-
fremdete und ließ falt. Ich konnte fie auch nicht eben glücklich be—
ſetzen und will nicht darüber abjprechen, ob eine nochmalige, beijer
ausgerüftete Anfrage nicht eine befjere Antwort finden fünnte.
Zu guterletst hab’ ich aus dieſem Dreiundfünfzigersdahre noch
eine Begegnung zu erzählen, welche für das Perfonale des Burg-
theaters eine nicht unwichtige Folge hatte. — Ich ſaß zur Sommers
zeit in Karlsbad in meinem Erferzimmer des „Polarſterns“, da trat
eine junge Dame ein. Sie war fchlanf, hatte das Haar von der
Couleur Cardoville Sue’jher Erfindung, hatte ein entfprechendes
und fprechendes blaues Auge und ein jehr angenehmes Organ. Sie
war Schaufpielerin und wollte für die Burg engagirt fein. — „Was
jptelen Sie?” — „Luſtſpielfiguren, Soubretten.“
Ich bat fie, mir zu erzählen, was fie bis daher erlebt hätte,
Bei folcher Erzählung hat man reichliche Gelegenheit, das Wefen der
neuen Bekanntſchaft zu beobachten.
Sie erzählte lebhaft, zuweilen mit haftiger Leidenſchaftlichkeit,
und als fie auch in diefer Erzählung bis auf mein Zimmer im
„Polarſtern“ gefommen war und die Pauſe der Entjcheidung ein—
trat, jagte ich langfam: Ihr Vortrag, mein Fräulein, hat mich auf
andere Gedanfen gebracht, als die Anfindigung ihres Faches er—
warten ließ. So erzählt feine Yuftipielfigur, feine Soubrette! —
„Wie das?” — Ich will jagen, daß Ste mannigfache Fähigkeiten
17%
260 Das Burgtheater.
entwidelt haben, aber nicht gerade humoriſtiſche. Sie haben wor-
zugsweife einen ungemein rührenden Ton angejchlagen, welcher auf
Schaufpiel und Tragödie hinweift. Haben Sie nicht Neigung zum
Tragiihen? — „O ja!” — Das follten Sie verfuchen. Gretchen
jollten Sie ſpielen. Haben Sie dazu feine Gelegenheit? — „DO ja.
Ich habe einen Engagements-Antrag nach Hamburg.” — Nehmen
Sie ihn an und trachten Sie tragische Rollen, namentlich Gretchen,
zu jpielen. Ueber's Jahr werd’ ich nach Hamburg fommen, und
wenn ſich meine Bormeinung bejtätigt, jo werde ich Sie engagiren.
Dies ereignete fich im Sommer 1853; im Verlaufe des Jahres
1854 werde ich won diefer Reiſe nach Hamburg, welche ich einhielt,
zu jprechen haben.
In Wien begannen wir dies Jahr 1854 mit einem Stüde von
Friedrich Hebbel. Es war ein Act der Selbjtverleugnung und ver
Billigfeit, welchen ich mir auferlegte, indem ich ein Stüd von Hebbel
in Scene fette. Ich habe werer damals noch früher oder jpäter
Hebbel für einen Theaterdichter gehalten. Aber in Wien erhoben
jih Stimmen, welche vorwerfend über mich jagten: Du ſuchſt nach
allen Seiten um Vermehrung der gedichteten Dramen für die Bühne,
dur experimentirjt alle Jahre mit Shafefpeare, warum den lebenden
Dichter ausjchliegen, der mit „Maria Magdalena” und „Judith“
jein Anvecht auf die Bühne dargethan ?!
Das war ja berechtigt. Nichts ſtand im Wege, als mein tiefes
Mißtrauen in Hebbel’s Theaterwirkſamkeit. Konnte das nicht ein
Irrthum fein? Als Theater-Director muß man der Belehrung zu—
gänglich bleiben, wie ein Minijter.
Ich kannte Hebbel ſchon feit Anfang der Dreifiger Jahre.
Damals Shon, als ich die Zeitung für die elegante Welt redigirte
und in vem Sinne des jogenannten ‚jungen Deutſchland“ Schrift:
jtellev anzog oder herbeizog, hatte er mir von Heidelberg aus ein
Gedicht eingefendet, Ich war ferner dabei, als mit feiner „Maria
Magdalena‘ ein erſter Verſuch der Aufführung gemacht wurde.
Das Burgtheater. 261
Dies gejchah im Yeipzig und ift miv unvergeflich geblieben, weil es
mir maßgebend wurde für die Charafteriftif des Dichters, infofern
er auf der Scene erfcheint. Ich halte dies bürgerliche Schaufpiel
von ihm für feine bejte dramatiſche Arbeit. Es hat wahres Leben,
und im feiner einfachen Form fommt es von all feinen Stücen dem
Bühnengeſetze am nächiten. Dies fand ich bejtätigt, als die Auf-
führung an uns, die wir ein feines Publicum waren, vorüberging.
Aber unauslöfchlich fam ein anderer Eindruc über mich in jener Bor:
jtellung, der Eindruck vernichtender Traurigkeit. Als der Vorhang
zum letztenmale gefallen war, herrjchte in dem Fleinen Zufchauerfreife
helfe Verzweiflung. Wir gingen von dannen wie won einer Hin-
richtung. Iſt dies der Zweck dramatiſcher Kunft? Iſt dies ein Ziel
der Bühne? Und war dies Miftönen zufällig in dies Cine Werk
des Dichters gedrungen, oder gehörte es zu feinem Wefen ?
Wir waren aber Parteigänger für poetifche Neuerung und
trieben den leidenden Director dahin, daß er eine Wiederholung des
Stüdes anjette. Das Yeipziger Publicum beftand damals aus der
Elite der Stadt, hörte jehr aufmerffam und war fehr eingenommen
für höheres Schaufpiel. Es wird gehört haben, fagten wir, von
diefem beſonderen Stücde, es wird zahlreich kommen.
Der Director aber behielt Recht zum Schaden feiner Caſſe.
Nie hab’ ich ein jo leeres Haus gejehen; e8 fchien geradezu gar fein
Zufchauer vorhanden zu fein. Mein Nachbar fagte: Mean kann mit
Bogeljchrot in ven Saal ſchießen, wie breit ver auch umherftreuen
mag, man trifft feinen Menſchen. Namentlich war nicht Ein Frauen
zimmer vorhanden, Der Fall ift noch gar nicht dagewejen! ſtöhnte
der Director. So abichredend hatte das Stück gewirkt.
In Wien war Hebbel während ver ftürmifchen Jahre 1848
und 1849 auf das Burgtheater gefommen, und zwar mit zahlrei-
cheren Stüden als irgend ein Dichter. Diefelbe „Maria Magda-
lena“ war gegeben worden und „Judith“ und „Herodes und Ma-
riamme‘ und „Der Rubin’, die leiten beiden mit entſchiedenem
262 Das Burgtheater.
Mißerfolge. Die meiften VBorftellungen hatte „Judith“ erlebt. Ich
jette fie aljo ebenfalls im erſten Jahre meiner Divection aufs Re—
pertoire. Wir fpielten fie aber in der beften Theaterzeit — November
— vor Shwachen Haufe. Ich gab fie deßhalb nicht auf und wieder:
holte fie ſechs Jahre lang, fast immer mit geringem Ergebniß. Meine
Behörde ſchalt mich deßhalb, und ich mußte fie aufgeben. Dei gün-
jtiger Gelegenheit 1859 im December nahm ich fie nochmals auf,
um dem Dichter gerecht zu werden; aber das Haus füllte fich auch
da nicht hinlänglich. Eben weil ich ihm fonjt nichts Sreundliches
anthun konnte, hielt ich an einem Stüde feſt, welches doch ein ge—
wiſſes Bürgerrecht erlangt hatte und welches mit zwet guten Kräften
für Judith und Holofernes haltbar zu machen ſei — wenn auch nicht
als ein richtiges Theaterſtück, aber doch als eine originelle Theater:
ſkizze. Mean hatte bei der erſten Infcenefegung zu viel Unnüßes
und Folgenlofes darin gelaffen ; ich redigivte mirs zu dieſem Zwecke
neun und wollte e8 in dieſem Winter mit Fräulein Wolter neu in
Scene jeten.
„Maria Magvalena‘’ fand ich ſchon abgejett vom Nepertoire,
als ich eintrat, denn meine Behörde war von entjchlofjeniter Feind-
jeligfeit gegen dies Stüd. Sie hätte eher das politiſch mißliebigjte
Stück erlaubt, als dieſen „Gräuel“, jo tief war ver „Abſcheu“ vor
demjelben, wie mein Chef ſich ausdrückte. — Da dies eine äfthetiiche
Beventung hatte, wie ich aus Leipzig jehr wohl wußte, jo fand ich
in mir felbft feine Veranlaſſung, gegen eine uneinnehmbare Feſtung
zu ſtürmen.
So war mein Berhältnig als Theater-Director zu dieſem
Dichter. Ich fand ihn vom Burgtheater beachteter als von irgend
einer Bühne, und fand ihn unter einem Theile des Wiener Publi—
cums gefeierter, als dies irgendwo außerhalb Dejterreichs der Fall
war. Er hatte in Wien fein Hauptquartier gefunden. Dranken —
wieman in Wien jagt — war er befannt als eine etwas grelle Dichter:
fraft von geiftvollem Radicalismus, bei veffen Namen man Grabbe's
Das Burgtheater. 263
Namen mitzunennen pflegte. Die Literaten nahmen aufmerffam,
meiſt polemifch Notiz von ihm, aber in den weiteren Kreifen der
Nation war er wenig befannt, weil ihm die Anziehungsfräfte für
das große Publicum fehlen. Gr hatte und hat in Wien eine
rejpectable Gemeinde, vorzugsweife unter der jtudirenden Ju—
gend; er hatte und hat unter dem Theater-Publicum wenig Ans
hänger, und viefe wenigen zeigten immer mehr Reſpect als Theil-
nahme.
Mir war von jeinen dramatifchen Arbeiten „Genovefa“ im
Sinne geblieben als poetifch interejfant. Diefe wollte ich in Scene
jegen, Nicht in Hoffnung auf volles Gelingen, aber als entjcheiden-
den Verſuch, ob feine Dichtung auf dem Theater bejtehen Fünnte.
Unter dem Titel „Genovefa“ war die Erlaubniß unerreichbar,
denn die heilige Genovefa durfte nicht aufs Theater gebracht werden.
Ich Fam alfo mit Hebbel überein, die Titelheloin Magellone zu
nennen, und als „Magellona“ erichien das Stüd.
Nun, dieſe erite Infcenefegung eines Hebbel'ſchen Stüdes wurde
für mich eine aufflävende Offenbarung über feine Schöpfungsart.
Ich erfannte zum eritenmale deutlich, daß feine Stüde aus einem
tiefen Grunde der Scene fremd find, daß Hebdel — wie ich neulich
von Gervinus gefagt — gar feine plaftiiche Phantaſie befitt, daß
er beim Empfangen und Niederfchreiben feiner Stücde ven Vorgang
in dieſen Stüden gar nicht geſehen hat in feiner Einbildungstraft.
Es ijt aber unerläßlich, daß der dramatiſche Dichter jeine Vorgänge
im Geifte ſieht, ſonſt werden fie eben niht Schaufpiele. Hebbel’s
Stüde find zufammengedacht, fie find von einem begabten, dich-
tenden Denfer nievergefchrieben, nicht aber von einem Dichter,
der ein Künjtler ift.
Das war eine Pein, als ich das Stüd vor der erjten Probe
(a8, zum erftenmale daraufhin las, daß es als die Gejtalt an mir
vorüberjchreite, welche ich ihm auf der Scene geben wollte! Das
264 Das Burgtheater.
war eine Bein! Es entitand feine Geftalt; die einzelnen Theile
brödelten aus einander; unficher wie nie ging ich an die Auf-
gabe.
Dei der Vorftellung des Abends wurde mir das Alles fonnen-
klar. Geiſt, Geift, aber feine Gejtalt! Darum nehmen fich die
Sachen jo unvollftändig aus auf der Scene: ſie find gar nicht für
die Scene entjtanden. Das ihm wohlwollende Publicum geht be—
reitwillig an die geijtigen Strahlen und weiß fich nicht zu erklären,
warum fein Antheil fo vettungslos ermattet. Warum? Die Kunst
lebt nicht vom Geiſte allein, fie braucht einen wohlgefügten Körper
zur Vergetjtigung.
Das Stück erhielt fih denn nicht, und was ſchlimmer: ich war
für immer abgeſchreckt von diefem dramatifchen Dichter, weil ich zu
gut wußte, daß ohne plaftische Phantafie fein Dichter der Erde auf
der Scene bejteht.
Hebbel tft viel günftiger zu beurtheilen, wenn man ihn nicht
in Beziehung fett zur Bühne, für welche ihm eben eine Haupt:
eigenichaft fehlt — die Anfchanlichteit. Gr iſt ein dichtender Denker,
welcher — vielleicht nicht ohne forceirten Eigenfinn — durchaus auf
Eigenheit bedacht ift. in dichtender Denker, nicht aber ein den—
fender Dichter, Ein folcher war Schiller. Und deßhalb wird
Hebbel's Werth fofort beeinträchtigt, wenn man mit der Frage um
Künftlerwerth an ihn tritt. In diefer Frage wird ftets zur Sprache
fommen, daß er von der Schönheit nur mitunter vereinzelte Strahlen
gefunden, daß er aber im Ganzen von der Schönheit verlaſſen war.
Es wird zur Sprache fommen, daß er an die jatyrifche Devife ver
franzöfifchen Nomantifer gemahnt: „Das Schöne ift das Häßliche“,
und daß man den letten und höchiten Zwed der Poeſie vergeblich
in ihm fucht: das Wohlthuende, das Verföhnende, das Tröftende,
das Erhebende,
Er ift für die Anregung da. Mag der Gegner auch jagen:
die Unverfhämtheit des Geiftes iſt ziemlich wohlfeil! Solche Ab»
Das Burgtheater. 269
fertigung ift ungerecht. Der rüdjichtslos Trachtenden giebt es wohl
immer genug, aber der rücjichtslos Trachtenden, welche gleichzeitig
jtarfe Fähinfeiten haben, wie Hebbel fie hatte, deren giebt e$ immer
nur Wenige, und die Wenigen find aufmerffa zu beachten, denn jie
find — Entdecker.
Der lange Aufenthalt in der Hauptjtadt des deutſchen Südens,
two die fünftlerifche Anlage ebenjo vorherrichend ift, wie im deutſchen
Norden die VBerjtandesanlage vorherrfcht, hat übrigens fichtbar ein-
gewirkt auf Hebbel. Was er in Wien gejchrieben, ift um einen
jtarfen Grad milder und ftrebt nach einer höheren Form, Nament-
lich fein kleines Epos, und felbjt die dramatifchen Arbeiten: „Die
Nibelungen‘ und der nicht ganz vollendete „Demetrius“, tragen
eine weichere Signatur. Den eigentlichen dramatiſchen Gang eines
Theaterſtückes finden fie freilich auch nur in kleinen Partien, „Die
Nibelungen‘ befreien jich nicht hinreichend von der Grundlage einer
Erzählung, und der Mißgriff des zweiten Actes, die unverſtändliche
Epiſode aus der „Edda“, beweiit eben doch wieder, daß er feine
Scenen gar nicht vor Augen hatte und fich nicht felbjt Publicum
war, was ein dramatiſcher Dichter fein muß. Welch ein Publicum
fann dies Sagengemifch verjtehen! Und wie fann Unverftandenes
auf der Scene wirken! Simrod, Wadernagel, Pfeiffer und folche
Führer der altdeutſchen Forſchung find ja das allein pafjende Pu—
blicum für Brunhildens Geburtswehen. Dagegen fam ihm für
den „Nibelungen“Stoff feine Ausdrucksweiſe in förnigen, unbe:
leckten Worten zu jtatten, und fein ruckweiſes Vorgehen in der Hand—
lung befremdet weniger unter Reden, welche lange und dröhnende
Schritte machen.
Hebbel war troß Alledem viel verjatiler, das heißt viel geneigter
zu unerwarteten Wendungen, als ınan feinen Schriften anfehen mag.
Die Felsblöde, welche er mit Bedacht hinfchrieb, waren nicht gar
jo hart, wenn man mit ihm fprach ; er war im Gegentheile oft über—
raſchend bereit, auf das einzugehen, was ihm nach jeinen Schriften
266 Das Burgtheater.
ganz fremd jein jollte, und Notizen anzunehmen, welche weit ab—
führten von feinen vorgefaßten Meinungen. Das war bejonders
der Fall in dramatifcher und theatralifcher Kunft, welcher er in
jeinen letzten Jahren mehr zuftrebte als früher, und ich habe ihn bei
der Inſceneſetzung jeiner Stücde allen Rathſchlägen zugänglich ge-
funden. Co weit es jein ftarfes Selbftgefühl zuließ, hatte er all
mälig dem Gedanfen Raum gegeben, die Kunſt der Scene fei etwas
Eigenthümliches, dejjen er jich in noch höherem Grade bemächtigen
fünne,
Um jo beflagenswerther war jein worzeitiges Abjcheiden von
diefer Welt, die ihm noch viel zu bieten hatte. Ich eh’ ihn noch
eines windigen Tages auf dem Glacis vor dem Schottenthore, wie
er eilig daherfam in feinem wiegenden, halb fallenden Gange, und
mit der fchwanfenden Neigung des Kopfes und der Arme gleichjam
ruderte. Ich wußte Nichts von feinem Krankjein und wollte nur
porübergehend fragen: Wie geht's? Er aber blieb troß des Windes
jtehen und machte mit feinem beilblonden Haupte, mit dem weiß-
rothen Angefichte und mit den großen himmelblauen Augen die ihm
eigene Einleitung durch Neigen und Wimperftarren, welche ein
Ichweres Wort anzufündigen pflegte. Dies Wort lautete: er werde
von Schmerzen geplagt und fonme aus dem Dampfbade. Aber
feinem Naturell gemäß, welches Muth und Unerfhrodenheit grund—
jätlich auf den Hut ſteckte, jeßte er hinzu: Wir werden den wider-
jpenjtigen Leib zur Raiſon bringen !
Das gelang leider nicht; ich hatte ihn zum legten Male ge-
ſehen. Derjelbe Deann, welcher zeitlebens eine ftarffnochige Natur
darzuftellen bemüht war, mußte an der ungewöhnlichen, überaus
ſchmerzhaften Krankheit der Knochenerweichung in den Tod
finfen. —
— Um nicht fo traurig zu Schließen, will ich der Zeit vorgreifen
und gegen meine obige Bemerkung jett ſchon nach Hamburg reifen,
um jene junge Dame von Karlsbad tragijch ſpielen zu jehen. Sie
Das Burgtheater. 267
jpielte wirflich das Gretchen und fpielte e8 vwortrefflih. Die Dia-
gnoſe aus dem „Polarſtern“ war glüdlich eingetroffen und das
Gretchen kam an’s Burgtheater noch im Laufe des VBierundfünfziger-
Sahres. Die Wiener haben lange errathen, daß es Fräulein See—
bach war. Sie mögen nun weiter rathen, welches junge, jchlanfe
Mädchen ich damals in Hamburg außer Fräulein Seebach jah und
vom Alfterbaifin an die Donau entführte ?
rn:
Auf die „Magellone“ hatten wir das Bedürfniß, einfache,
verjtändliche, zum Herzen dringende Worte von der Bühne zu hören.
Wir gingen an die Frage, ob Schilfev’s „Lied von der Glocke“ nicht
darjtellbar wäre? Es war dies ſchon mehrmals probirt worden,
jogar von Goethe jelbft in Weimar; aber e8 war noch nirgends ge-
lungen. Dan hatte immer zu viel gethan, indem man zu viel
Sprecher herausgehoben hatte. Dadurch war die Mifchform als
lolche in Kraft geblieben, und der dramatiſche Ductus, welcher für
die Bühne nothwendig, war nicht zum Vorfchein gefommen. Viel
leicht war er doch möglich, wenn der Glockengießer alleiniger dra-
matifcher Führer, der Held des Ganzen würde? Seine Frau foll
nur an wenigen Punkten mitiprechen, und feine Familie joll fichtbar
werden: ein Sohn, eine Tochter, Mägde und Gejellen. So wird
die Familie der Mitteipunft, aus welchem das Gedicht erwächlt,
und der thatfächliche Glockenguß jtellt fich als dramatiiche Handlung
dar mit allen jpannenden Hinderniffen und Beſorgniſſen. So
könnte man eine theatraliiche Einheit gewinnen, und wenn im Hin-
tergrumde der Werkſtatt bilvliche Scenen erfchienen aus dem Inhalte
des Vortrags, jo wäre ein märchenhafter Reiz für jede Gattung des
Publicums erobert. Mufikbegleitung dazu, wie jie Lindpaintner gez
geben — follte das nicht einen inhaltsreichen theatralifchen Act ges
währen? Wir verfuchten es in folcher Geftalt und haben wirklich
einen dauernden Nepertoive-Act gewonnen.
Das Burgtheater. 269
Bierzehn Tage darauf wagte ich einen Verfuch in viel größerem
Maßſtabe, nämlich den: das dritte römische Stüd Shakeſpeare's,
„Antonius und Kleopatra‘‘, auf unfere Scene zu bringen, Sch
wüßte nicht, daß diefer Verſuch Thon auf irgend einem deutjchen
Theater gemacht worden wäre; gelungen ift erjedenfalls nicht, denn
das Stück ift dem deutjchen Nepertoive fremd geblieben, Mühſam
und forgjam hatte ich die Einrichtung des Buches vorbereitet für
ein Gajftjpiel der Frau Bayer, Eine fo ſchöne Kraft kam alfo zu
Hilfe für die Rolle der Kleopatra, und ich hatte ein Publicum zu
erwarten, welches fchon einigermaßen geübt war für Auffaffung der
Shafejpeare’fchen großen Schritte, und welches immer noch mit
einiger Theilnahme diefen befremdlichen Injcenefeßungen folgte.
Sp folgte es auch diesmal. Eine Scene der Kleopatra, in
welcher ſich ihr launiicher Charakter ganz enthüllte und in welcher
Frau Bayer ihr ganzes Talent entwicelte, gewann jubelnde Zu—
jtimmung.
Das Ganze aber errang nur einen Achtungserfolg. Die zer:
jtreute Scenenreihe des Stüdes war wohl jo zufammengefchoben,
daß zur Noth ver Zufammenhang eines Theaterjtücdes entitand.
Aber nur zur Noth. Es fehlte doch zu fehr die Einheit im Gange,
die gejchloffene Kraft einer voll einhergehenden Fabel. Der Befuch
lieferte eine unabweisliche Kritik; er verringerte fich von Vorftellung
zu Vorjtellung, und bei der vierten war er recht Schwach.
Ich war nicht Jo raſch entjchloffen, wie beim „Cymbelin“, auf
die Wiederaufnahme ohne den Gaft zu verzichten, denn der Neich-
thum gejchichtlicher Bilder und eigenthümlicher Scenen iſt ja hier
von viel größerer Bedeutung als dort; aber bei reiflicher Ueber-
legung mußte ich das Stüd doch aufgeben. Ye länger ich das
Theater und die Urjachen feiner Wirkung beobachtete, defto klarer
wurde e8 mir: ohne zwingende Einheit im Gange der Handlung
fejjfelt man fein Publicum, man mag noch fo viel Reize aufbieten
im Inhalte ver Worte, ja im Zauber einzelner Scenen, Das
270 Das Burgtheater.
Publicum will und fann einen gefchlojjenen Schritt und Fortjchritt
der Action nicht entbehren.
Hat doch der „Sommernachtstraum‘‘, welchen wir in dem—
jelben Jahre brachten, nie den vollen Zug eines beliebten Theater:
jtückes erreicht! Das Burgtheater hat fein Publicum daran ge-
wöhnt, nur das geiprochene Schaufpiel im der ganzen Strenge feiner
Form zu würdigen und zu lieben, Es verfchmäht innerlichit alle
die Mifchformen, welche an den Hoftheatern mit Opernmitteln gang
und gäbe geworden find; es hat in dieſem Betrachte einen purita-
nischen Gefchmad.
Wahrlich, nicht zum Nachtheile der dramatifchen Kunft, nicht
zum Nachtheile ver Schaufpielfunft! Dies Vermiſchen der Gat-
tungen, dies Ueberladen mit Neizmitteln werfchievenartiger Künfte
bat ven deutschen Theatern feine gefunden Früchte getragen. Es iſt
dadurch ein Rococo entjtanden, welches mehr dem überreizten Ge-
ſchmacke nach Abfonderlichem und Unzufammenhängendem dient, als
dem reinen Geſchmacke der einfachen Kunſtgeſetze. Diefe einfachen
Kunſtgeſetze aufrechtzuerhalten ift die Yebensbedingung eines eriten
Theaters, eines maßgebenden Schaufpiels. Ihre Kraft ijt unaus-
löſchlich. Man braucht nur zuweilen einen Blick zu werfen auf die
Grundzüge der Aejthetif, wie jie Ariftoteles vor zwei Jahrtauſenden
furz und bündig entworfen: dann wird man immer wieder von Ehr—
furcht erfüllt vor dieſen Gefeßestafeln ſchöner Kunft. Sie meſſen
heute noch ganz richtig die neuen Trauerfpiele und Luftjpiele, und
fie verurtheilen unbarmherzig alldie verführerifchen Mifchgattungen,
welche durch Hof-Intendanzen eingejchmuggelt worden find in bie
Schaufpielhäufer.
Was hat man Alles ins Treffen geführt, um diefe Mifchgat-
tungen zu wertheidigen und zu empfehlen! Auch die Fahne ver Ge-
lehrſamkeit ift aufgehißt worden für griechifches Theater mit „An—
tigone’” und „König Oedipus“. Aber auch fie entjchuldigt nicht
den Verderb einfacher Kunft. Antiquarifches Lehren ijt doch wahr:
Das Burgtheater. 271
haftig nicht Aufgabe des Theaters, it nicht Aufgabe einer Kunft,
welche dem klaren Zwede einer lebensvollen Erhebung oder Erz
heiterung nachzujtveben hat. Und Muſik muß am Ende doch immer
die Unkoſten tragen, daß die Gelehrfamfeit nicht langweile,
AL ſolche Mifchgattungen mögen am Orte fein in Opern:
theatern; im Schaufpielfanle, der die bejcheivene Kunjt des ge—
Iprochenen Wortes pflegt, find fie es nicht. Da verwirren fie den
Mapitab und ven Anſpruch, und unfer echtes Burgtheater-Publicum
it ganz im Rechte mit feinem puritanifch ungünftigen Vorur—
theil.
Dies Moment alfo ſchon trat der vollen Hingebung an ven
„Sommernachtstraum‘ in ven Weg. Der größere Theil unferes
Publicums jchätt und liebt Mendelsſohn's Mufif außerordentlich,
aber er will jie im Concertſaale hören, er will fie nicht als Reiz—
mittel eines Schaufpiels haben. Das Schaufpiel joll allein, joll
jelbjtitändig wirken. Mean nimmt eine gelegentliche Erhöhung des
Schaufpiel-Effectes durch vereinzelten Zutritt einer furzen mufifa-
lichen Begleitung allenfalls hin; aber auch diefer Zutritt muß
jelten jein, muß jparfam fein. Die Uebermacht der Mufif im
Schauſpielſaale weiſt man zurüd, man will feine Mifch-Ehe.
Man empfindet ferner im „Sommernachtstraum“, daß die
Gegenſätze zwifchen duftiger Elfenwelt und grob poſſenhaftem Clown—
wejen etwas zu grell find für den Schaufpielgefchmad heutiger Zeit.
Man empfindet das, wenn auch leife. Man macht daraus nicht
einen vollen Tadel, aber indem man jagt: dieſe Kontrajte ent-
Iprechen wohl mehr einem Gefchmade des jiebzehnten Sahrhunderts
— ſchwächt man fich die unbefangene Theilnahme.
Endlich findet man die zwei ſich freuzenden Yiebespaare recht
infipid — will höflich fagen „unerſprießlich“, will gröblich jagen
„langweilig. Diejen Yiebespaaren hab’ ich denn auch bei jeder
Borjtellung immer wieder einen Korb voll Worte abnehmen müffen,
und für jeden folchen Raub waren die Schaufpieler dankbar,
272 Das Burgtheater.
Unter folchen Bejchränfungen nur bejtand dies originelle
Märchenſtück allmälig die Feuerprobe der Dauer, und es darf von
Zeit zu Zeit, das heißt in längeren Zwilchenräumen, gern geſehen
wiederfehren. Das pvrollige Feine Elfenthum und die typiſche
Komik ver Handwerker haben fich nach und nach Bürgerrecht er-
worben. Leider! wiederum leiver! ift der Matador diefer Typen,
iſt Zettel dahin! Zettel war eine der glüclichiten Nollen Beck—
man's.
Neu famen in diefem Jahre 1854 noch Mofenthal’s „Sonn—
wendhof“, das „Luſtſpiel“ von Benedix, der „Hechter von Ravenna‘,
lauter erfolgreiche Aufführungen.
Men einftudirt wurden, „Glas Waller”, „Don Guttiere‘,
„Iphigenie“, „Zell, „Clavigo“ — —
„Clavigo“ erinnert mich denn an die Einführung der tragiichen
Liebhaberin, welche ich im Letzten Artifel eingeleitet habe, an die fo
einleuchtende, eindrucksvolle Darjtellerin der Marie Beaumarchais,
an Marie Seebad. Sie ipielte diefe Nolle in überzeugender Art,
Auch ihre Mängel wurden hier Vorzüge, Jeder Ton, jeve Fiber
in ihr gab das unglücliche, weil ſchwindſüchtige franzöſiſche Mäd—
chen wieder.
Marie Seebach fam alfo im Frühjahre 1854 nah Wien und
gaftirte als Jane Eyre, Mathilde, Adrienne Lecouwreur und Gret—
chen. Sie wurde fehr beifällig aufgenommen; ihr Gretchen machte
Furore.
Man jagte fih: Endlich ver Ton einer tragijchen Liebhaberin,
der jchmerzlich ſüße Nachtigallenton ! Darüber einigte fich fofort die
allgemeine Stimme. Sie ift wohl nicht ſchön genug für eine erjte
Liebhaberin — fagten Einige, gleichfam entjchuldigend — ünd die
Hände find nicht angenehm und die Bewegungen oft zu jäh! — Aber
man fagte das nicht Scharf; es follte nur ein Beitrag zur Charak—
teriftif fein, und die Entgegnung war auch fogleich da, und jie lautete:
Dies ift ja fo vortheilhaft an ihr, daß der ganze Körper erfichtlich
Das Burgtheater. 273
theilnimmt an allen Bewegungen der Seele und daß man an ihrem
Rüden entlang jogar die tragifche Erfehütterung vibriven ſieht. —
Kurz, man meinte endlich eine echt tragijche Yiebhaberin ge—
funden zu haben, und ihr Engagement wurde nahezu einjtimmig
willfommen geheigen.
Ehe fie bei uns eintrat ins eigentliche Engagement, fand fie
venjelben Sommer noch Gelegenheit, ven Wiener Beifall bejtätigt
zu fehen von einem mannigfachen deutjchen Publicum, In München
nämlich fand das jogenannte Muftergaftipiel jtatt, welches zahlreiche
Beſucher aus allen Städten anzog, und da jpielte ihr Gretchen
wieder eine Hauptrolle, im Grunde die Hauptrolle,
Es war ein Zeitungswort, diefes Wort „Muftergaftipiel‘‘, eine
gefällige Variante für „Monſtregaſtſpiel“. Denn das Enjemble
von lauter Größen ift eben fein organijches Enfemble, jondern ein
unvermitteltes Nebeneinander. Alſo fein Mufter, Geeigneter für
Reclame, als für künſtleriſches Gedeihen. Schaufpieler, welche zum
eritenmale zufammen fpielen, weil die Trompete fie zufammengerufen,
find ſchon deßhalb nicht geeignet, ein richtiges Enſemble des Stüdes
darzujtellen. Sie find nicht an einander gefügt, nicht an einander
gewöhnt, nicht für das Ganze „abgetont“, wie ein Kunjtausprud
jagt. Hart, anfpruchswoll, Jeder auf feinen Schein pochend, jtehen
fie neben einander, und Jeder will fich befonders geltend machen,
wenn auch auf Koſten des inneren Zufammenhanges, auf Kojten des
Ganzen. Niemand will zweite und dritte Stelle jo einnehmen, wie
jie eingenommen werden muß, damit der richtige Schatten entjteht
für das Gemälde, Jever will Licht fein.
Mit Einem Worte: ein gutes Enjemble läßt fich nicht impros
viſiren. Jenes Gajtjpiel mit lauter Größen war interefjant für bie
Menge, aber nicht eigentlich künſtleriſch, und für unfer jüngjtes Mit—
alied, für Fräulein Seebad, war es ein Keim des Verderbens: die
Idee des Virtuoſenthums wurde da in ihr gewedt.
Laube, Burgtheater. 1
nn
274 Das Burgtheater.
Ich bemerkte es bald, als fie nun in's Engagement eintrat.
Der Kern eines guten Schaufpielers: im Ganzen eigen, aber für
das Ganze hingebend zu wirken — diefer Kern war angenagt im ihr.
Sie drängte unruhig auf auszeichnende Rollen, und nur folche, und
Nichts entwicelte fich in ihr jo lebhaft wie eben die Unruhe und
franfhafte Begier, ihr Capitalfehler, welcher in erſter Linie gebefjert
werden mußte, wenn ihr zweifellojes Talent fich gedeihlich entwickeln
follte. Denn diefe Unruhe und krankhafte Begier verjtörten bald
auch ihre beften Yeiftungen und wurden in ihr die Topfeinde alles
deſſen, was man Schönheit nennt im weiteren Sinne des Wortes.
Ich fuchte und fand nun wohl zahlveiche Rollen für fie, und
darunter auch jolche, in venen fie Treffliches leiftete, Die Des—
demona in erjter Linie, die Agnes in Kleiſt's „Familie Schroffen-
ſtein“. Aber dies Kleiſt'ſche Stück won genialer Charafterijtif mit
gefuchter, unerquiclicher Handlung war nicht auf dem Repertoire
zu erhalten, und „Othello“ kann man nicht oft wiederholen, wenig-
jtens in Wien nicht. im neues Stück mit voller, neuer Kolle für
jie und mit voller Wirfung des Ganzen fand fich nicht ein, und die
Unruhe des Suchens für fie hörte alfo nicht auf, eine immerwährende
Nahrung für ihr quedfilberartiges Oscilliven. Endlich war Etwas
gefunden! Ein eigener Unftern aber ſtand über ihr — das Ge-
fundene ging wieder verloren,
Ich Hatte Shafefpeare's „König Johann“ eingerichtet für
unfere Scene, ich hatte endlich die Cenſur überwunden troß der
leichtfertigen Mutter des Faulconbridge und troß des „Legaten“;
es fam zur Lejeprobe, und fie las den Arthur außerordentlich ſchön.
Da war eine neue Rolle! Was begegnete ihr aber? Damaliger
Zeit hatte meine Behörde die unglüdlihe Mafregel ausgeführt,
jämmtlichen Sournalen die Freifarten zu entziehen. Sie gebrauchten
Repreſſalien und bejprachen das Burgtheater gar nicht mehr. Dies
nöthigte mich, mit der Aufführung des „König Johann‘ ein wenig
zu zögern, weil er bei der augenbliclichen Mißſtimmung eine große
Das Burgtheater. 275
Gefahr lief. Bon jolcher neuen Shafefpeare-Borftellung hätten die
Sournale die Aufführung nicht befprochen, aber das Stüc hätten fie
erzählt. Und darin lag die Gefahr. Sie hätten es nicht evzählt
nach unjerer Einrichtung, welche clerifale Klippen umſchiffte, fon-
dern fie hätten ven blanfen Shafejpeare abgevdrudt. Wir lebten in
der Zeit, welche am Horizonte fchon den Borfchatten des Concordates
zeigte, die geiftliche Partei hätte aufgefchrieen über jenen blanfen
Shafefpeare, den man im Burgtheater jo peroriren ließe, und
„König Johann’ wäre verloren gewejen. Defhalb wartete ich.
ALS aber die Feindfchaft der Journale nachließ und ich num hervor-
treten wollte mit meinem Stüde, da war das Concordat nicht blos
im Vorſchatten, ſondern in eigener perjönlicher Geftalt am Horizonte
heraufgeftiegen und — die Infcenejegung des „König Johann‘
wurde unterjagt.
Sp gabs denn auch feinen Arthur für Fräulein Seebad.
Abgejehen von Alledem kann aber überhaupt nicht geleugnet
werden, daß fie innerhalb ihres zweijährigen Engagements eher
Rückſchritte als Fortſchritte machte in der Theilnahme des Publi-
cums. Der Grund diejes Niederganges lag in ihrem inneriten
Wejen. Sie war durch jenen Ruck ins tragiſche Fach, an welchen
ich ſelbſt Theil hatte, in eine Region gerathen, für welche fie einige
gute Eigenfchaften bejaß, für welche aber ihre innere Bildung nicht
breit genug angelegt und entwicdelt war. Die Haft ihres Naturells,
ſtets ein Widerſpruch für tragifche Ausführung, war nicht hinveichend
gemäßigt durch ernſte Studien, Cs fehlte die Ruhe der Seele,
welche bei aller Fähigkeit zur Leidenſchaft der tragischen Kunſt un:
entbehrlich it. Denn aus diefer Ruhe quillt der Nachdrud, welcher
das tragifche Gebilde mit gewiſſen Merkmalen der Ewigfeit ftempelt.
Aus diefem Mangel entiprang die Klage jo vieler Zufchauer: die
Seebach macht mich nervös! Sie jelbit eben hatte ihre Rolle nicht
über den Nervenreiz erhoben zur ruhigen Schönheit, welche auch
dem Tode eine fünjtleriiche Genugthuung verleiht. Hand in Hand
18*
J
276 Das Burgtheater.
mit diefen Fehler ging eine peinliche Vortragsmweife, welche auf den
Zuhörer nieverfchlagend wirft. Sie „raunzte“, wie man in Wien
jagt; im nördlichen Deutichland jagt man: fie „flennt“. Dieſer
weinerlihe Ton hat ihr zahlreiche Freunde allmälig entzogen, und
als fie jich denn des Gajtipielens immer bedürftiger zeigte und der
aufzuhängenden Lorbeerfränze, als fie Gagenforderungen machte,
welche über alle anderen Gagen weit hinausgingen, va gab man fich
Rechenſchaft: ob fie denn überhaupt gehalten werden müſſe, ob fie
außer ver Gretchen-Lage eine deutliche Zukunft veripreche? Und vie
Rechenſchaft wurde mit einem Nein abgejchlofjen.
Sp ging fie. Ich fürchtete: nicht in weiter auffteigende Yauf-
bahn; und meine Furcht ift wohl begründet geween.
Sie hat eigentlich ein jchmales Fach, und richtige Selbiter-
fenntnig hätte ihr jagen müfjfen: Suche dich dauernd einzurichten
da, wo du nur nach deinen beten Kräften beſteuert wirjt, wo du
für dein etwas fahriges Wejen immer genügende Anhaltspunfte,
immer eine aufmerffame und warnende Yeitung findeft — dann nur
entwicdelft du dich als eine dauernde Specialfraft. Im Uebergreifen
der Virtuojenhaft aber wirjt du deine eigentliche Kraft niederjagen.
Ach, Selbiterfenntnig iſt für uns Alte ſchwer zu haben, für
Schaufpieler doppelt ſchwer, denn jie müſſen in Slufionen leben,
um zu leben.
Alle die, welche aus dem Organisınus unjeres Theaters hinaus
getrachtet wie aus einer Hemmung, jie find in die Irre gerathen
und haben ſich — immer zu jpät! — eingejtehen müffen: künftlerifche
Begrenzung ift fein Verluft, ſondern eine Sicherftellung des Ge-
lingens.
Die zweite Marie, das junge Mädchen, welches mit ihr von
Hamburg kam, hat vecht im Gegenfate zu ihr den Weg der künſtle—
riſchen Beſchränkung erwählt und dadurch eine glüdliche Yaufbahn
gewonnen. Es war Marie Boßler. Als ich fie im Hamburger
Thalia-Theater ſah, war fie ganz jung, jung und biegjam in ihrer
Das Burgtheater. ne
ichlanfen, hohen Gejtalt wie eine Gerte, jung und biegjam in ihrer
Theaterfunit. Ein griehiih geformtes Haupt voll Anmuth und
Adel, eine wohlthuende, noch etwas leife Stimme, Zurüdhaltung
in den Bewegungen, Erröthen mitten im Spiele, als ob die Dinge
aanz ernjtlich gemeint wären — recht ein Erziehungsopfer für den
Theater-Pädagogen, der fich in mir ausbildete,
Sie trat bei uns auf in der „Jolanthe“ des dänischen Dichters,
für welche fie vecht wie ein Backfiſch ſchwärmte. Die ans Tragifche
jtreifende Empfindung der Rolle war noch mehr Ahnung in ihr als
Empfindung. Die jungen Mädchen pflegen gern tragifch angehauchte
Rollen wie eine iveale Liebe und fommen fich gar zu gewöhnlich vor,
wenn ſie im gemeinen Luſtſpiele vebutiven jollen. Man joll fie nicht
jtören. Auch das Publicum jtörte die junge Debutantin nicht, jon-
dern applaudirte freundlich.
Wir ſahen aber bald, daß die beiten Eigenfchaften des jungen
Mädchens im feineren Luſtſpiele zu verwerthen wären, und wiederum,
recht im Gegenſatze zu jener tragifchen Marie, folgte fie ruhig allen
Nollenverfuchen, bis ich den Mittelpunkt ihres Talentes erkannt
hatte. Nirgends zeigte jie eine ſtark hervortretende Eigenfchaft wie
Jene, aber Alles, was fie machte, erſchien harmonisch. Die Lieb—
haberin, welche immer anmuthig, immer wohlthuend berührt, Die
Liebhaberin des feinen Luſt- und Schaufpiels wuchs in ihr heran,
die Yiebhaberin des Converfations-Stüdes, wie es im Burgtheater
und nur da gepflegt wird, jo daß fie gerade hier all ihre angenehmen
Fähigkeiten entfalten fonnte. Das ift venn auch geichehen. Eben—
mäßig, ohne ivgend einen Auswuchs, jchritt ſie vorwärts und vor:
wärts, jo in der Gunſt des Publicums wie in innerer Bedeutung,
alfo auch in ihrer Kunft. Bis zur Königin im „Don Carlos”, vecht
der Jolanthe eingedenk, erhob fie jih in allmälig erhöhter Kraft,
und fie betrübte uns zum erjtenmale, als fie ſich durch die Yiebe aus
dem Burgtheater entführen ließ in's glücliche Privatleben.
Sie war es denn auch, welche mir das diplomatifche Mittel
278 Das Burgtheater.
bot, Freytag's „Graf Waldemar‘ für unfere Bühne zu erobern.
Sol eine Gärtnerstochter fonnte ich meinem Chef als diejenige be-
zeichnen, welche die Mesalliance des Grafen vor Jedermann ent-
ſchuldigte. Ich fagte mit Ueberzeugung: „Excellenz, fie ift einfach,
aber im Hintergrunde merkt man den Adel; man glaubt, daß jte
eine verfleivete Komtefje fein könne“. — „Nun, es mag fein!’ hieß
es endlich, und er lächelte fait.
XXI.
Sm Winter 1853 zu 1854 fiel ein Saatforn in die Theater-
Erde, welches beinahe ein Jahr feimen und dann jehr umfänglich
in Kraut und Unkraut jchiegen Sollte.
Ich pflegte täglich des Abends ein neues Stüd zu lefen, weil
die Gefchäfte am Tage feine Zeit dafür übrig ließen, der Haufe neu
eingehender Stüde aber fo riefengroß war, daß die tägliche Abmin-
derung um wenigftens Ein Stück gebieterifch erſchien. — Eines
Abends nach langer VBorftellung im Theater war ich jehr fchläfrig,
alfo ungeeignet für meine Aufgabe, Für folchen Fall gab es ein
Ausfunftsmittel zur Beſchwichtigung tes Arbeitsgewiffens. Es ift
nämlich ganz unglaublich, welche Sorte von Anfängerjtücden einge-
fendet wird; es genügt ein Blick auf folch ein Schreibebuch, um Die
Prüfung zu erledigen, das Manufeript in die Todtenfammer zu ver—
weifen. Ein folches Manuſcript fehlte nie unter dem fogenannten
„Einlauf“, undein folches wollte ich mir an jenem Abende erwählen.
Ein hoher Stoß lag auf dem Tiſche. Ich warf ihn um, damit ich
eine Anzahl Titel ſähe und danach wählen fünnte. Ein jchülerhaft
geſchriebenes „Der Fehter von Ravenna“ fchaute mir entgegen,
Du bifts! dachte ih. Die Handjchrift nicht undeutlich, aber
ungebilvet. Berfonen ? — Kaifer Caligula! — Nichtig! Jugendwerk
eines Gymnaſiaſten, denn die Jugend geht gerne in ferne Länder
und Zeiten; deutjche und römische Kaiſer liegen ihr befonders am
Herzen.
280 Das Burgtheater.
Das Stück wählte ich, um vafch fertig zu werden. Die erjte
Scene ſchon ftörte mich in meiner Erwartung. Die Faſſung war
gut und ich mußte weiter lefen. Nach dem erjten Acte war ich munter,
und es war mir flar, daß es die Abjchrift eines ungebildeten Ab-
jchreibers, die Arbeit aber eines gebildeten Autors ſei. Wie heißt
er? Ich Ichlug zurück nach dem Titelblatte — fein Name. Ich las
bis tief in die Nacht hinein alle fünf Acte; denn ein Theaterjtüc will
in Einem Zuge gelejen fein. „Ein ganzes Stüd’, murmelte am
Schluſſe die Stimme, welche bei mir immer ohne mein Zuthun
Ipricht, wenn ich Etwas ausgelejen habe.
Eigentlich war ich aber nicht aufgeregt von ver Yectüre; ich
konnte schlafen. Ich hatte wohl den Eindruck eines formell fertigen
Talentes empfangen, aber nicht den, daß ich ein Werf von tieferer
Bedeutung gelefen hätte. So pflegt es zu gehen, wenn man nicht
innerlich getroffen worden ift, wenn nicht die Wirfung der Wahrheit
in uns eingedrungen ift. Diefe macht dem Gemüthe ganz anders zu
ſchaffen. Nicht einen Augenblick Hatte mich der Mutterfchmerz Thus-
neldens zu der Meinung befehrt, die arme Frau dürfe und müſſe
ihren Sohn erjtechen, weil ex fein Deutjcher fein wolle. Nicht einen
Augenblick! Das war berfömmlicher Gang des Theaterjtüdes,
welches Trauerjpiel werden ſoll und zu dem Zwede eine ftarfe Kata:
ſtrophe im letzten Acte braucht. Abftracte Uebereinkunft ver Schule,
fein wahres Leben. Ich erinnere mich deutlich, daß ich es kaum für
möglich hielt, vas Stück mit diefer graufamen Rataftrophe dem Pu—
blicum glaublich und wirffam zu machen. Einen Abänderungs-Ge—
danfen hatte ich dabei freilich nicht, denn das Stüc war fejt gefügt,
alle Claſſen ver Schule waren ſauber und regelmäßig durchgeführt
bis zur fchulmäßigen Ermordung. Da — fiel mir ein — bei der
guten Führung bis zum Morde glaubts das Publicum am Ende im
Theater auch, daß wir bier abjolut graufam fein müſſen; denn die
jorgfültig ausgeführte Form ift im Theater eine große Macht —
Sp denkend fchlief ich ein. Die Aufführung fonnte nicht nahe
Das Burgtheater. 281
bevoritehen, und deßhalb war ich wohl gleichgültige. Wir hatten
feinen Caligula, Dawiſon war ausgejchieven. Uebrigens war die
Beſetzung in einigen Hauptrollen angegeben, und dies mochte ſchuld
jein, daß ich nicht jogleich oder doch wenigſtens nicht bejtimmt auf
den Verfaſſer rieth. Die Bejetung verriet Unfunde: Joſeph
Wagner war als Thumelicus bezeichnet. Kann das ein Autor wollen,
der ſchon hat aufführen laſſen? Kaum. Im Interejfe des Stückes
hielt ich diefe Beſetzung fir ganz falſch und fir einen gefährlichen
Irrthum. Der tragijche Yiebhaber und Held, welchem man gewohnt
iit, feine ganze Theilnahme zu jchenfen, der kann doch nicht hier die
Kolle des Ermordeten jpielen, wo es ſich darum handelt, der Mör—
derin Recht zu geben! Dann wird ja er unfere ganze Theilnahme
finden und nicht die Mutter, Yetstere braucht aber unjere Theil:
nahme dringend. Wenn Wagner als Thumelicus ermordet wird,
jo find wir doppelt empört und verzeihen ver Mutter gar nicht. Ich
hatte jofort an einen heldenmäßigen Naturburjchen gedacht, der fein
großes Bündel von Bedeutung mit fich trägt, deſſen Ermordung
alfo nicht gar fo tief angreift; ich hatte an den damals freilich noch
wenig genannten Herrn Baumeiſter gedacht. Daß der Verfaſſer fo
beſetzen konnte, (enfte mich ab von dem naheliegenden Gevdanfen an
Friedrich Halm, und jo bejchäftigte mich Anfangs die Frage, wer
diejer anonyme Autor fein möge, wenig oder gar nicht.
Erjt ſpäter, als im Herbſte 1854 die Infcenefegung naherücte
und ich das Stüd von Neuem las, erſt da wınde mir flar, daß
Halm der Verfaſſer jein müßte. Er jelbjt verlautbarte nicht das
Geringjte, und feine Umgebung, Frau Nettich an der Spite, leugnete
mit Aufgebot großer Mittel,
So fam die Aufführung am 18, October. Auffallend genug:
vor leerem Haufe. Das Publicum hatte wie ich bei Galigula an
einen Gymnaſiaſten gedacht. Es wurde jeder Act mit Beifall auf:
genommen, und der Erfolg ging wie an der Schnur, Die gute Form
that ihre ganze Schuldigfeit. Die Ermordung machte dem fleinen
982 Das Burgtheater.
Publicum, welches einmal im Zuge war, feine befondere Schwierig-
feit; meine Sorge darum erjchien unnöthig.
Nun ging das Stüd feinen glücklichen Weg; es machte nicht
gerade große, aber es machte gute Häufer. Man vebattirte darüber
pro und contra, wie das in Wien bei jedem neuen Stücke gejchieht ;
aber man vebattirte kritiſch, reſpectvoll; einen eigentlich warmen
Antheil hab’ ich nirgends wahrgenommen. Die Frage um den
Verfaſſer trat gleich in den Vordergrund. Darüber wurde mehr
geiprochen, als über das Stüd. Ich behauptete vor meiner Be—
hörde, es müßte Halm fein, fand aber überlegen Lächelnden Un—
glauben, denn Halın jelbjt habe fich hoc) und thener juft wor meiner
Behörde verſchworen, daß er es nicht jei. — Trotz öfterer Aufführungen
meldete jich der Verfaffer nicht; jeine Adreſſe blieb Dresven poste
restante, ja ev forderte die Tantieme nicht ein beim Abjchluffe des
Vierteljahres. Dieje ungewöhnliche Dichtergröße bejtürzte völlig.
Da bracte die Allgemeine Zeitung plößlih die Bacherl-
Anklage. Die Anlage des Stüdes fei Bacherl, einem bayeriſchen
Schulmeifter, entwendet, lautete jie, und zwijchen den Zeilen war
zu leſen: ich jei ver Dieb, denn Bacher! habe jein Stüd dem Burg-
theater eingereicht, und da fei ihm der Stoff entwendet worden.
Ich erinnerte mich gar nicht, daß je etwas Aehnliches eingejendet
worden, hielt die Bejchuldigung für ganz nichtig und antwortete ges
ringichäßig Darauf, indem ich erzählte, wie das Manufeript von
Dresden aus an mich gelangt wäre. — Das war aber nur Del in’s
Feuer. Bacherl's Verſe wurden abgedrudt und zeigten bei aller
Sümmerlichfeit doch Anklänge an einzelne Worte im „Fechter“. Nun
erhob fich in allen Zeitungen — außerhalb Defterreihs — Anwalt
um Anwalt für die beraubte Unschuld; es war ein Charivari ohne-
gleichen, welches mehr oder minder deutlich über mein Haupt los—
brach.
Nun wird doch — dachte ih -- der Verfaſſer hervortreten
und dich erlöſen von der unverdienten Verfolgung? — Er ſchwieg.
Das Burgtheater. 233
Der Lärm wurde immer ärger; die Angelegenheit wurde eine
Herzensfache für vie Hunderte und Taufende, welche ein Exempel
jtatuirt fehen wollten an den Unterdrüdern bejcheivener Talente
unter den Schriftitellern. Bayeriſche Stimmen verlangten Genug-
thuung, beſonders Entihädigung für ihren Yandsmann, denn ihm
gebührten die Tantiemen; norddeutfhe Stimmen verlangten ein
Gottesgericht, jo was man in Amerifa ein Lynchverfahren nennt,
und es vegnete in Briefen und unter Kreuzbänden die gemeinjten
Drohungen in mein Zimmer. Der Berfafjer aber? — Schwieg.
Die ganze Wirthichaft Elingt heute wie unglaublid. Ein
Schulmeifter, deſſen Proben die unreifſte Schülerhaftigfeit zeigten,
jollte der rechtliche Inhaber eines reifen, talentwollen Stüdes fein;
der talentvolle Verfaſſer des Stüdes aber jollte der Dieb eines
DBettlers fein. Und doch wurde das Alles grimmig ernjthaft be-
trieben, wie ein Glaubenskrieg. Welchen Thorheiten bleibt die
Welt ausgefett ſelbſt mit freier Preſſe, ja bier geradezu durch die
freie Preſſe!
Wie fonnte denn überhaupt die Myſtification entjtanden fein ?
Sie ift heute noch nicht aufgeklärt und fünnte es wohl nur von
München werden, wo das Hauptquartier des Aufjtandes war. —
Mein Sohn hatte mir, als der Lärm am ärgjten tobte, in’s Ge
dächtniß gerufen, daß ich einmal ein Fleines, höchſt fchülerhaftes
Manufeript gezeigt und aus demſelben einige Stellen worgelejen
zum DBeweife: was für albernes Zeug eingefendet würde. Das
jet Bacher! gemwejen. — Ich dachte und denfe noch: Bader! hat
das damals noch ganz feltene Manufeript des „Fechters“ in Mün—
chen vor Augen gekriegt und hat wirklich gemeint, e8 ſei ihm durch
Bearbeitung eines ähnlichen Stoffes Gewalt angethan worden.
Darauf hat er, abfichtlich oder unabfichtlich, feinen Kram durch
einige Ähnlich anflingende Worte aus dem „Fechter“ ähnlich ge—
macht und das guten Freunden gezeigt. Dieje haben „„Haltet den
Dieb!’ gejchrieen, und literarifche Advocaten haben dann einen
284 Das Buratbeater.
Proceß zufammengefüdelt, der nicht gejchlichtet werden fonnte, fo
lange der wirkliche Berfafler nicht hervortrat. Der fürchtete ſich
aber offenbar vor dem Getümmel, und — jchwieg weiter,
Ih mochte mich nicht entjchliegen, Halm mit einem Worte an-
zugehen, obwohl ich in der längeren Bejchäftigung mit dem Stüde
nicht im Geringjten mehr darüber in Zweifel war, daß er es ge
ichrieben. Er ſelbſt rührte und regte jich nicht — ich blieb der
Prügelfnabe.
Der Sturm war denn auch wirflich Thon im Niederfinfen, als
er endlich mit einer Erklärung auftrat, daß er der Verfaffer jei, und
jeine Quellen nannte, Unter diefen Quellen war natürlich Bacher!
nicht, und er erwähnte vieles Spectafels mit feiner Sylbe, Aha!
jehrie man num, er wagt nicht, darauf einzugehen! — Daran aber
that er ganz Recht. Er that es nur zu ſpät. Wer in die Deffent-
(ichfeit geht, der geht in den Krieg, er mag jich verkleiden wie er
will, und ex hat ven Kriegsgebrauch zu refpectiven, dag man fich zu
feinen Thaten befennt, jobald fie einem Anderen zur Yalt gelegt
werden.
Halm hat ein eigenes Unglück mit jolchen thörichten Nachreden.
Auch früher hat ihn jolch Krähengefchrei verfolgt. Und doch bieten
jeine Arbeiten gar feine Beranlafjung zu ſolchem Mißtrauen. Sie
tragen feine forgfältige Signatur jo ausgeprägt, daß nur der bare
Unverjtand an ihrer innerjten Echtheit zweifeln fann, So it denn
auch von diefem Bacherl-Lärm nicht Ein Ton übriggeblieben ; der
ganze Hexenſpuk iſt ſpurlos verſunken. Cr hatte eben doch nicht
ein Atom von Wahricheinlichkeit für ſich.
Aber auch als Reclame für das Stüd ift er nicht einmal wirk—
jan geweſen. Hie und da an geringen Theatern ift das Stüd wohl
deßhalb aufgeführt worden, aber eine eigentliche Propaganda ent-
jtand nicht. Noch weniger eine dauernde Theilnahme, In Nord—
deutfchland machte das Stüd feine bejondere Wirkung und ver:
ihwand überall wieder. Sein Boven blieb das Burgtheater.
Das Burgtheater. 255
Hier wurde es auch am beiten dargeſtellt. Galigula, Thumelicus,
Thusnelda, Lycisca — Gabillon, Baumeifter, Rettich, Würzburg
— wurden fünmtlih gut vertreten, An der Spite Frau Nettich
als Thusnelda.
Sie war ganz heimifh in den Halm’ichen Aufgaben und
brachte alle Nuancen verfelben zur vollen Geltung. So waren denn
diefe Rollen auch die beiten dieſer wichtigen Schaufpielerin, weil
ji) der Dichter ftreng in dem Kreife bewegte, welchen vie Schau
Ipielerin beherrjchte. Es find ſämmtlich rhetorifche Aufgaben, Der
wortreiche Ausdruck bevedt in ihnen ven Inhalt hoch und breit mit
ſchön fließenden und wogenden Wellen.
In jeinem erſten Stüde, der „Griſeldis“, war Halm dem
Mittelpunfte pramatifcher Aufgabe am nächjten. Man fann die
Tortur der „Griſeldis“ verwerfen, aber man muß anerfennen, daß
hier innerliche Zujtände wahrhaft berührt werden. Bon diejem
Ausgangspunfte hat ſich Halm mehr und mehr entfernt und jich
durch fein Talent verleiten lajlen, die dramatiſche Aufgabe ganz als
Schachſpiel zu behandeln. Seine Figuren werden Schachfiguren
wie König, Königin, Thum, Laufer, Springer, Bauern. Sie
Iprechen dem Spielgejee gemäß correct aus, was ihnen zukommt,
und thun dies mit bemerfenswerther VBirtuofität. Aber fie gehen
nirgends weiter. Schiller fpricht einmal des Breiteren über ven
Spieltrieb im Menſchen, und daran erinnert das Halm'ſche Drama.
68 iſt deßhalb ganz das, was Seydelmann mit feinem ſchnalzenden
Tone eine „Komödie“ nannte — eine Bezeichnung, welche beim
Theater feit eingebürgert worden ift. Mean meint damit ein Stüd,
welches dem Uebereinfommen über jchöne Täufchung augenbliclich
genügt, Niemanden aber ins Herz trifft; eine willfommene theatra=
liſche Uebung.
Frau Julie Rettich war ganz in dieſer Richtung ausgebildet
worden. Ich weiß nicht, ob der Dichter allein Urſache war, oder
ob ihre Eigenſchaften den Dichter beeinflußten. Ich weiß auch
286 Das Burgtheater.
nicht, ob fie ohne den Dichter eine wejentlich andere Richtung hätte
nehmen fünnen. Faſt möcht ich's bezweifeln; denn jtarfe Geiftes-
fräfte, wie Julie Nettich fie befaß, drängen ung immer dahin, we
wir unfere Kraft am veutlichjten ausprücfen fünnen, Und ver deut:
lichjte Ausdruck ihrer Kraft war ver rhetorifche.
Julie Rettich war eine jehr merkwürdige Erfcheinung. Perſön—
lich von großer Bedeutung, künſtleriſch vielfach herausforvdernd zu
Zweifel und Streit, Sie war von umfaſſender Bildung, von
klarem, überlegenem Geijte, von großer Energie des Geiftes und
Herzens, von unermüdlichem Fleiße und von mujterhafter Pflicht
treue. Der Verkehr mit ihr war ver anziehendjte, den man finden
fonnte, Sie war mit all diefen Eigenfchaften eine Perle unter den
Schaufpielerinnen, und man ſagte ſich immer: fie hätte jede wichtige
Lebensitellung, ſelbſt die einer Herrfcherin, trefflich ausfüllen können.
Treffliher noch — fette mancher Kunſtfreund Hinzu — als die
einer darjtellenden Künſtlerin. Dieſer letztere Zuſatz kam auch mir
oft in den Sinn, wenn ich lange hinter der Couliſſe mit ihr ge—
ſprochen hatte und ſie gleich darauf draußen auf der Scene ſpielen
ſah. Der Unterſchied war für mich, wie oft!, ſchlagend. Hinter
der Couliſſe hatte ſie mich entzückt, draußen auf der Scene zerſtörte
fie mir ebenfo oft diefen günjtigen Eindruck.
Woher fam das? Sie hatte viel mehr Geijt als Talent. Und
daraus entjteht in der Kunjt ein großes Mißverhältniß. Während
fie jpielte, drängte fich ihr Geijt vor, um dem Talente zu helfen.
Das wird ein Bruch in der Kunſtleiſtung, das giebt eine Dis-
harmonie, welche wir jogleich empfinden und welche wir Manierirt-
heit nennen, ohne daß wir oft wiffen warum.
Die darftellende Kunft hat eben wie jede einzelne Kunft ihre
eigenen, ganz bejtimmten Geſetze. Sie will darjtellen; das Geſetz
der Erſcheinung ift ihr Hauptgeſetz. Dem muß jich Alles unter
ordnen, Der Geift mag die Erfcheinung vorbereiten helfen, je
‘reicher und tiefer, deſto befjer; aber wenn es zur wirflichen Er-
Das Burgtheater. 287
fcheinung auf der Scene fommt, dann ift die Fühigfeit der Dar—
jtellung Eins und Alles, dann muß das Talent der Darftellung
unumjchränft wirken, dann ift die vordringlich fihtbare Einwirkung
des Geiftes eine Vordringlichfeit, alfo eine Störung des Dar-
jtellungsgejetes. Mean wird dann an Bilder aus Finftleriich
unreifer Zeit erinnert, welche jich durch einen aus dem Munde der
Figuren jpringenden Zettel erklären.
Wem ich mit diefer Erflärung undeutlich bleibe, dem werde
ich vielleicht deutlich durch Hindeutung auf eine andere Kunſt, auf
die Mufif. Es tritt eine Sängerin auf; man ift entzückt über ihren
geijtwollen Vortrag; man fieht aus jeder Nuance, daß ihr Geiſt
alle Gejete und Formen gründlich verfteht. Plötzlich aber fommt
eine Stelle, welche jie recht nachdrücklich hervorheben will, und da
jingt ſie zu hoch. Schade! Nun, einmal iſt feinmal, Aber dies
Zu hoch fehrt wieder umd tritt fajt regelmäßig da ein, wo bie
Sängerin den geiftigen Nachdrud bezeichnen will. Kurz, ihr mufifa-
liſches Talent iſt geringer als ihre Geiftesfraft, es unterliegt, wo
die Geijtesfraft jich geltend machen will, So war es mit Frau
Rettich; fie fang oft plößlich zu hoch, wenn ihr Geift ſich vor—
drängte; ihr Geift iprang über die gejetslichen Vorſchriften der
Kunſt hinaus,
Hiezu Fam, daß fie eine andere nothiwendige Bedingung der
Erſcheinung nicht Fünftlerifch beherrfchen konnte — die Bewegungen
ihres Körpers. Die Grazien waren dafiir ausgeblieben. Sobald
der Affeet eintrat, dann arbeitete der ganze Körper, rüdjichtslos
dem Geijte folgend, faſt durchweg unſchön.
Es war nicht möglich, diefe Uebelſtände zu befeitigen. Der
Geift ift eine zu jtarfe Potenz, als daß er fich unterordnen ließe,
und die Örazie muß ja ebenfalls wie das Talent angeboren fein.
Wie oft entzüct fie uns an Gefchöpfen, die geiftig nichtig find!
Kunftgaben find eben unmittelbare Gaben des Himmels und er—
werben laſſen fie jich nur bis auf einen mäßigen Grad.
288 Das Burgtheater.
Und daber hatte Julie Rettich doch die Energie, an ſich um—
zuändern, was nur irgend erreichbar war, jobald man ihr die
Nothwendigfeit überzeugend auseinanvdergejett hatte, Ich fand fie
zum Beiſpiel in einer fingenden Unmanter, welche die legten Worte
des Satzes in die Höhe ringelte. Das war ihr eingeimpft worden
dureh die Declamationsjtüde, welche jo lange im Burgtheater
berrjehten und denen Halm's Verſe Vorjchub leifteten, Ih machte
fie unerfchroden darauf aufmerffam. Sie wollte es nicht glauben.
„Darf ich jedesmal, wenn der fingenvde Aufjchlag fommt, mit dem
Stode aufſtoßen?“ — „„Freilich!““ — Wir probirten „Iphi—
genie“. Mein Stod ſetzte fie in Verzweiflung; aber fie arbeitete
von da an ımabläfjig an Beſiegung der Umart, und — fie fiegte.
Nun alfo! War dies hier möglich, dann — nein! Bei einer
Einzelnheit, die außerdem ven ruhigen Vortrag, ihre ſtärkſte Fähig—
feit, betraf, war es möglich — aber das Mißverhältniß zwijchen
Geift und Talent war nicht umzuändern. Hätte fie Talent und
Körper ihrem Geiſte ebenbürtig machen fünnen, fie wäre eine
unübertreffliche Künftlerin geworden. Sie war felbjt mit dieſen
Uebelſtänden eine jtarfe Stüße des Theaters und hatte Rollen, die
ihr nie nachgejpielt werden fünnen. Namentlich jolche, welche dem
geiftigen Verſtändniſſe allein. heimgegeben find, wie die Prin-
zejfin von Parma im „Egmont“, die Gräfin Terziy in der Ueber-
redungsſcene.
Sie war überhaupt Meiſterin in der Rhetorik. In der Rede—
kunſt kann der Geiſt viel eher die Zügel allein führen, als in der
Darſtellungskunſt. Mit überlegener Fähigkeit wußte ſie die ſchwie—
rigſte Rede ſo zu gruppiren, daß ihr die feinſte Gerechtigkeit wider—
fuhr. Da konnte ihr ſtarker Geiſt ſeine ganze Ueberlegenheit
geltend machen.
Aus jolhen Gründen lagen ihr die Halm’ichen Rollen am
vortheilhafteſten. Nun fehlt es allerdings auch in dieſen nicht an
großen Affecten, bei denen jene Uebelſtände nicht verborgen bleiben
Das Burgtheater. 289
fonnten. Aber fie ftörten hier minder, weil man in diefer Gattung
von Stüden, welche ich oben als „Komödien“ bezeichnet habe, viel
eherbegnügt ift mit der Meacht des Wortes, und vie wirkliche Leiden—
ſchaft nicht erwartet, diejenige Leidenschaft nicht erwartet, welcher
das Talent die Bruft zu öffnen hat. Gerade Julie Nettich fonnte
eine Thusnelda durchführen, weil man bei der Ermordung des eigenen
Sohnes nicht an die volle Wahrheit glaubt, ſondern fich mit dem Be—
griffe einer Komödie tröftet. Solche Aufgaben bevürfen nicht, ja fie
vertragen faum die Unmittelbarfeit des Darftellungs » Talentes.
Ebenfo war fie in Aufgaben trefflich, welche eine didaktiſche Grundlage
hatten, Als Caroline Neuberin war fie von jchlagender Kraft. Diefe
Theater-Regentin lebt und webt in geiftiger Bejtrebung und verliert
fih in feine Leidenſchaft. In jolchen Rollen blieb Geiſt und Talent
der Frau Rettich in gleicher Linie, und da war fie meijterhaft.
Ein recht deutlicher Beweis, daß ihre überragende Geiftes-
macht ihre Darjtellung bejchädigte, zeigte jich jedesmal, wenn fie
unwohl war und doc ſpielte. Da jpielte jie jtetS am reinſten;
denn das Unwohlſein lähmte ihren Geift, er ließ die übrigen Dar—
jtellungsträfte während des Spiels unbehelligt, und jo entjtand vie
ſonſt oft vermigte Harmonie.
Wenn man will, ift die ganze Frage um ven Werth einer fo
geiſtvollen Schaufpielerin eine Frage um den Gefhmad. Nur das
Ausgeglihene, nur das Harmonische iſt geſchmackvoll. Nur wenn
im Menjchen alle edleren Fähigkeiten gleichmäßig ihre Schulvigfeit
thun, entjteht das Geſchmackvolle. Das eben war für Julie Nettich
jo ſchwer; ihr Geift drängte all ihren übrigen Fähigkeiten voraus.
Auch was man fo äußerlich hin Gefhmad nennt, Wahl
der Farben, des Schnittes und gar des Pußes, war ihr deßhalb
verjagt.
Und trog Alledem, welch ein Verluft ift ihr frühzeitiger Tod !
Welcher Schaf für ein Theater, eine Frau von fo großer geijtiger
und moralifcher Tüchtigkeit zu befiten! Sie war eine fejte Säule
Laube, Burgtheater. 19
290 Das Burgtheater.
des guten Beiſpiels in gründlicher Beichäftigung mit ihren Auf—
gaben, im geiftig freier und großer Auffaſſung verjelben, in ges
wijjenhafter Erfüllung auch der Fleinjten Pflicht. Sie adelte ven
Schaufpielerjtand durch die Auffafjung, welche fie ihm widmete,
durch die Hingebung an feine Grundidee, an die Grundidee eines
edlen Berufes, welche ihn hoch erhebt über die hundertfachen per—
ſönlichen Nichtigfeiten jo vieler Schaufpieler. Sie gehörte an
die Seite eines Directors, ſie wäre ver Regiſſeur geweſen, ven
man zu wünjchen hat — ſie war eine erhöhte Caroline Neuberin.
Denn fie war gründlich im Stande, ein gutes Theater zu jchaffen
und zu leiten,
XXI.
Das Jahr 1854 war an Erfolgen jehr reich geweſen, und ich
habe gar nicht Raum gefunden, bei Stüden zu verweilen, welche,
wie Mojenthal’s „Sonnwendhof“ und „Ein Luftipiel” von Benedir,
gefielen und ihre Anziehungskraft bis heute bewährt haben.
Eine kurze Weile aber muß ich noch jtilljtehen bei einem Miß-
erfolge diefes Jahres, weil der Fall jo lehrreich war, daß er näher
gejchilvert zu werden verdient.
Er betraf die Bearbeitung eines franzöfiichen Stüdes. Bei
diefer Gelegenheit will ich einen Irrthum berichtigen, welcher fich
— wie ich höre — über die Bezahlung jolcher Bearbeitungen nad)
dem Franzöfiichen verbreitet hat. Dieje Bearbeitungen, welde .
allerdings durchichnittlich über ven gewöhnlichen Begriff von Ueber-
ſetzungen hinausgingen, jollen im Burgtheater Tantieme erhalten
haben. Das ijt ganz unwahr, fie wırden im Gegentheile mit einem
recht Schwachen Honorare abgefunden.
In Paris hatte ein Luftipiel: „Le gendre de Monsieur
Poirier“, dejjen Hauptautor Augier, einer der tüchtigjten Dramas
tifer im heutigen Frankreich, einen gar nicht verjiegenden Succeß.
Noch heute gilt dies Luftfpiel in Frankreich für ungemein lobens-
werth. Es wird immer wieder aufgenommen und erweilt fich
immer wieder lebendig, ein Zeichen, vaß die Compofition einen
gründlichen Reiz in fich jchließt für die Franzoſen. Ein herabge-
fommener Adeliger ſucht jih in dem Stüde wieder aufzubringen
19*
292 Das Burgtheater.
durch die Heirath einer wohlhabenden Kaufmannstochter. Es ift
alfo ein Thema, das auch uns gar nicht jo fern liegt, das alfo die
Uebertragung in deutsche Verhältnifje unter vem Titel: „Birnbaum
und Sohn’ ganz wohl gejtattete.
Dies Thema aber fand als ſolches im Burgtheater feinen
Anklang. Noch mehr: der Anklang wurde unbehaglih. Obwohl
die öfterreichiihe Cavalierswelt eine ganz andere Staatsgruppe ift,
als vie herabgefommene Adelswelt in diefem Stüde, und von den
Scenen des Stüdes alſo gar nicht berührt wurde, jo nahmen doch
im Burgtheater zahlreiche Zufchauer Partei für diefe Anelswelt.
Aus Gefälligfeit für unferen Gavalier fühlten fie fich verlegt
und offenbarten diefen höflihen Schmerz durch ausprudsvolles
Schweigen. Sol ein Schweigen füllt wie Mehlthau auf Scenen,
welche Wirkung im Publicum brauchen, um die Xebensfraft der
Vorgänge anzufchüren, und folhes Schweigen ift augenblids an-
jtefend, es belegt die Stimmung eines ganzen Saales. Insbe—
jondere werden jogleih die Schaujpieler lähmend berührt. Denn
fie bleiben nur lebendig, wenn ihnen Sympathie entgegenfommt.
Verſagt ſich dieſe, fo werden fie ängftlich, werden hajtig, werden
troden, und jo vertrodnete denn mit ihnen das lebensvolle Stüd
zum Nichterfolge. Das begreift ſich ja leicht. Wie oft jcheitert
ein Theaterftüd an einer widerwilligen Vormeinung!
Nun aber folgte die Merfwürdigfeit: Die Sournale hatten
die Urfache ver Mißlaune nicht entdeckt und trommelten Tags
darauf zürnend auf das verfehlte Stück los; diefelben Journale,
welche das Thema des Stücdes tagtäglich, ja in derfelben Nummer
an anderer Stelle zu ihrem Lieblingsthema machten. Anno 1854
ereignete fi das. So entjtehen die öffentlichen Mißverjtändniffe.
Dffenbar hatten an jenem Abende journaliftifche Stellvertreter das
Referat übernommen, und es war fein freier Kopf im Parterre ge—
weſen, welcher über die übergefällige Stimmung des Burgtheater-
Publicums hinausgejehen hätte. Man fann im Theater bequem
Das Burgtheater. 293
jtudiren, wie wunderlich oft allgemeine Stimmung und politisches
Wetter gemacht wird oder entjteht.
Das Jahr 1855 war eine blanfe Kehrfeite des erfolgreichen
Sahres 1854: e8 errang gar feinen dauernden Erfolg, nicht Einen.
Bei Schilderung des Fräulein Seebad habe ich ſchon erwähnt,
daß fein neues Stück mit ihr gelang. ‚Charlotte Adermann‘ von
Dtto Müller und „Cäcilie“ von Prechtler boten ihr interefjante
Hauptrollen — umfonjt. Bauernfeld, Hadlänvder, Benedir, Birch—
Pfeiffer, Töpfer, Allen verjagte in diefem Jahre das Glüd, und
mit einem fremden claffiichen Stüde erlitten wir eine volljtändige
Niederlage.
Dies war ein ſpaniſches Stüd von Lopez de Bega.
Der Sinn für fpanifche Stüde war in Wien viel mehr ge:
pflegt worden, als in irgend einer deutichen Stadt, ja in literarifcher
Kritif gab Wien Ton und Maß an über fpanifche Literatur,
Ferdinand Wolf, in unferer Hofbibliothef angeftellt, war eine der
wichtigften Autoritäten dieſes Faches. Die Wiener Dramatifer
von Weſt-Schreyvogel bis auf Friedrich Halm haben fich mit dem
ſpaniſchen Drama angelegentlichit beſchäftigt. Grillparzer ſelbſt
nicht minder, nur mit dem Unterſchiede, daß er's immer nur als
Studium betrieb und feine deutſche Dichternatur nicht unterordnete,
Diefe fpanifche Neigung der Wiener Literaten hatte einen
biftorifchen Urſprung. Im jechszehnten und fiebzehnten Jahr—
hunderte waren ja die Beziehungen unferer Dynaſtie zur Spanischen
die engiten; fie gingen mannigfach über in die Bevölferung, find
heute noch erfennbar in einzelnen Ausdrücken und find in den Hof-
gebrauchen noch heute vorhanden.
Es war alfo natürlih, daR ich zahlreiche Borwürfe hören
mußte über meine Gleichgiltigfeit für das Ipanifche Drama, über
meine Unaufmerfjamfeit für ſpaniſch geartete Productionen. Diefe
Borwürfe waren gerecht. Ich fette und fee wenig Hoffnung auf
das ſpaniſche Theater, injoweit es Einfluß nehmen fünne auf das
294 Das Burgtheater.
Gedeihen des heutigen deutfchen Theaters. Ich bin aus einem
anderen Kicchfpiele, und ich bin dies mit Bewußtfein.
Ich bejtreite durchaus nicht, daß die fpanifche dramatiſche
Literatur fih durch Reichthum graziöfer Erfindung ausgezeichnet
hat; ich gebe zu, daß die Kenntniß derſelben — erweiterte Kenntniß
ift ja immer von Nuten — unferen Dramatifern vortheilhaft jein
fann, namentlich in der Richtung des feineren Luftjpieles, Aber
auch nur in dieſer Richtung ; die Gewandtheit in der Form ift das
Beite der Spanier. In diefe Gewandtheit der Form ſchließe ich
den graziöfen Geift ein, welcher dramatische Ideen erfinderijch aus—
zubeuten und in. ammuthige Conflicte zu leiten weiß. Aber wo es
ſich um ven gründlichen Inhalt handelt, da verfagt ung, meine ich,
das fpanifche Drama. Es ift auf feinem Grunde eng bejchränft
durch religiös-dogmatifche Vorurtheile, welche fich wie Naturgejeße
eingeniftet haben in’s fpanifche Xeben, Dieſe befchränfenden Vor—
urtheile veräften und verzweigen fich durch das ganze ſpaniſche
Leben, und fie fommen in jpanifchen Productionen auch da zur
Blüthe, wo fein Menſch mehr an den Urfprung diefer Blüthe denft.
Taube Blüthen für uns, deren franfen Urſprung wir oft auf dem
Theater erft daran erfennen, daß uns ihr Duft nicht behagt. Es
ift ein Irrthum, wenn man glaubt, daß die religiöfen Gejete eines
Bolfes ja Nichts zu thun hätten mit einem harmlofen Schaufpiele,
welches mit feiner Silbe das religiöfe Dogma berühre, Ein
ſchwerer Irrthum. Das religiöfe Geſetz ift das Herz eines Volkes;
aus dem Herzen aber fommt das Blut bis in das unfcheinbarfte
Adergeflecht, und jo wird die unfcheinbarjte Yebensbeziehung davon
berührt und bejtimmt.
Die Lobredner fpanifcher Dramatik pflegen nachdrücklich dar—
auf hinzuweifen, daß Dichter wie Calderon ſich höchſt interejjant
befreit hätten vom firchlichen Dogma, indem fie phantaftijche
Wendungen für ihre Heiligen erfunden und eine Symbolik ohne-
gleichen erdacht hätten. Dieje Phantaftif und Symbolik find eben
Das Burgtheater. 295
Folgen ihrer Kette, Folgen der dichterifchen Gefangenſchaft. Der
Gefangene verirrt und verliert fich in Träume, und wenn er Talent
hat, macht er aus diefen Träumen Kunftgebilde. Auf dem realen
Boden unferer Bühne find es fünftliche Gebilde. Auch wenn wir
Katholiken find, iſt uns dieſe fpanifche Gevanfenwelt eine fremde
und enge, wir find durch unjere Literatur ihr längſt entwachien.
So habe ich denn immer erlebt, daß unſere dramatifchen
Dichter, wenn fie fich diefer Spanischen Welt hingaben, ver unferigen
entfremdet wurden und für unfer Theater entweder wirfungslos
Ichrieben oder mit ver bloßen jogenannten „Komödien“-Wirkung
zufrieden waren, mit ver Wirfung formeller Fertigkeit, welche einen
augenbliclichen Effect erzwingt, aber unfer Herz nicht trifft.
Wozu in eine Welt zurücgreifen, welche für ven Inhalt uns
jerer Kunſt religiös wie politifch überlebt ift? Wozu Stüde neu in
Scene jeßen, die uns durch ihren Inhalt — mit wenigen Aus—
nahmen — fremdartig anmuthen ?
Fremdartig? entgegnete man mir; ift dein gepriefener Shafe-
jpeare nicht auch fremd fir uns, und doch bejchäftigit du uns jo viel
mit ihm!
Dem ift nicht jo. Der Inhalt Shafefpeare’s iſt uns nicht
frvemdartig. Gerade fein Inhalt ift uns unſchätzbar; er ftammt
aus einer Weltanfchauung, welche fich durch fein Dogma bejchränfen
läßt und uns mit Offenbarungen bejchenft, welche unferem Sinne
tief entjprechen. Was an feiner Form für unfere Bühne fremd-
artig geworden, das fteht in zweiter Linie und wird von uns nicht
verfannt; fein poetifcher Inhalt aber ift für uns ein Quell unver-
aanglicher Freiheit des Gedanfens und des Herzens.
So ungefähr lautete mein Naifonnement im Stveite mit denen,
welche ſpaniſche Stücde begehrten für das Repertoire des Burg—
theater. Ich mußte ihnen aber unter allen Umjtänden doc ein-
raumen, daß ich nicht berechtigt wäre, dem jpanifchen Drama eine
Bühne ganz zu werjchließen, welche das jpanifhe Drama fo vielfach
296 Das Burgtheater.
gepflegt hatte in früherer Zeit. Ich wollte mich nicht darauf be—
rufen, daß unfere Zeit eben nicht mehr die frühere Wiener Zeit
wäre, und ich ging an die Infcenefegung einiger ſpaniſchen Stüde,
Mein eigenes Programm trieb mich auch dazu, denn es verlangte
ja wenigjtens einen Repräfentanten, wenn nicht einige Vertreter
einer jo bedeutenden Dramatik auf dem Repertoire des Burgtheaters.
Zunächſt nahm ich „Don Gutierre“ wieder auf, von deſſen
ftarfer Wirfung in früherer Zeit mir große Dinge erzählt wurden.
Ich fonnte nicht daran glauben. Das unheimliche Thema viejes
„Arztes jeiner Ehre‘, faſt in all feinen Wendungen unerquicklich für
unſere Kunjtanfprüche, erſchien mir bei der Lectüre und auf den
Proben durchaus nicht werfprechend.
Sch hatte „Othello“ noch nicht neu in Scene gefett, weil mich
die allmälig erworbene Kenntniß des Wiener Publicums belehrte,
dag „Othello's“ greller Inhalt bei dem hiefigen Gejchmade einen
ihweren Stand haben müßte. Ein fundiger Freund bejtätigte meine
Bormeinung; er hatte „Othello hier gejehen und fagte: Die wil-
den Ausbrüche dieſer Yeidenfchaft thun dem Publicum weh; es fügt
jih der gewaltigen künſtleriſchen Macht, aber es verleugnet nicht,
daß es ihm eine Pein ift.
Kun denn, rief ich, wird man fchon beim „Othello“ zu der
äſthetiſchen Frage aufgeftachelt: ob die anatomische Ausbeutung einer
widerwärtigen Leidenschaft wie Eiferfucht nicht doch eine unglücliche
Aufgabe ſei für die Kunft — wie viel mehr wird vdieje äjthetiiche
Frage ſich aufdrängen bei,,Don Gutierre”, dem fogenannten „ſpani—
ſchen Othello“!
Shakeſpeare's „Othello“ iſt ein Meiſterſtück intimer Charakter—
führung; in keinem ſei ner Stücke hat ſich Shakeſpeare ſo eng be—
grenzt, hat er ſo ganz und gar nur aus dem Mittelpunkte des Herzens
herausgearbeitet.
„Und doch“ — ſagte der obige Freund — „haben die Wiener
ſtets gewittert, daß Shakeſpeare den „Othello“ in ſeiner letzten
Das Burgtheater. 297
Lebenszeit gejchrieben, daß er melancholifch und verbittert geweſen
durch feine Yebenserfahrungen, durch feine abnehmende Gefundheit,
und daß er darum einem peinlichen Thema feine zufammengedrängte
Kraft gewidmet habe,’
Wie joll vor diefem Publicum — rief ih — „Don Gutierre‘
bejtehen, welchem jene jorgfältige Charafterführung abgeht, welchem
die außerliche Ehre das Motiv zur Graufamfeit liefert !?
Nun, ich hatte mich nicht geirrt. Das Publicum fam nicht
einmal in hinreichenver Anzahl und — ließ das Stüd fallen. Wir
haben es gar nicht wiederholen fünnen, Der Eindruck war peinlich
und abjtogend, wie ich mir gedacht.
Das liegt an der Darjtellung — jchrieen die Spanier — das
liegt an Löwe! Er verdirbt alle Anſchütz'ſchen Rollen, er ijt fein
Gutierre, er verfagt immer, wo ftarfe innerliche Leidenſchaft walten
joll, er bringt immer nur Strohfener, und außerdem ift er zu alt für
diefe Rolle!
Das überzeugte mich nicht. Selbſt in dieſem ſpaniſchen Stüde
— meine ich — , welches die eigentlich ſpaniſchen Verhältniffe im
Hintergrunde läßt und welches eine allgemeinverftändliche Leiden-
Ichaft im Vordergrunde abipielt, jelbjt in einem folchen webt und
wirkt ein jocialer Trieb und Geift, welcher uns fremd ift und uns
falt anmuthet.
Berfuchen Sie es nur, hieß es, mit einem fpanifchen Stücke,
das man hier noch nicht fennt und das alſo auch den Reiz der Neu—
heit nicht entbehrt ! Ä
Gerade die Neuheit fürchtete ich. An ein neues Stüd geh
man erſt recht mit heutigen Gedanfen und Anfprüchen. Aber ich
fügte mich und gab ein ſpaniſches Stüd zum erftenmale, welches in
einer jehr guten veutjchen Bearbeitung von Zedlit vorlag, nämlich
den „Stern von Sevilla”,
Hier entwidelten fich die lebeljtände einer ung weit abliegenden
jocialen Welt geradezu jchreiend. Wie oft hatte ich das Stück vor:
298 Das Burgtheater.
gelefen, und meine Zuhörer hatten fich erbaut gezeigt! Ja, Vorleſen
und Spielen find fehr verjchievene Dinge! Beim Vorleſen find wir
gebildete Leute, welche fich wohlerzogen in eine fremde Welt verfegen
lajjen; dem Spielen auf der Bühne gegenüber find wir Nichts als
gegenwärtige Menjchen, welche den Standpunkt der heutigen Welt
vertreten, Nichts weiter; ein Theil des Publicums, abhängig vom
Nachbar. Wie gut wir auch wiffen mögen: was da oben vorgeht,
iſt ganz richtig, jo waren die Dinge in jener Zeit — Nichts da!
Die Stimmung des ganzen Publicums überwältigt ung in der eriten
Scene, und wir jtimmen bei, wenn das Publicum jagt: Das paßt
nicht mehr! Kurz, ein Theaterjtük muß der brutalen Gegenwart
Stich halten, denn das Publicum iſt feine gewählte Gefellfchaft, es
ijt nur der grobe lebendige Ausdrud der Gegenwart.
Ah, dann wären ja hiftorifche Stücke überhaupt nicht möglich !
— O, doch! Sie müfjen nur in einem Geiſte gejchrieben fein, den
wir ohne Gelehrſamkeit verftehen. Specialhiftorifche Studien müfjen
nicht nöthig fein. Das Fremde, in einem ung fremden Geijte hin—
geftellt, eine für uns ſpaniſche Welt — das wird fchweigend abge:
lehnt oder gar verjpottet. Im Theater meint die Gegenwart immer
allein Recht zu haben.
Der „Stern von Sevilla” wurde verjpottet, Der fpanifche
Feudalismus in feinen VBerhältniffe zum Königthum, welcher die jo-
genannten „Mantel: und Degenftücde‘ vurchdringt, iſt eine politifch-
hiſtoriſche Specialität, dem jegigen Publicum unbegreiflih. Wenn
alfo die Perfonen dem Könige gegenüber jich reſignirt benahmen,
wie es den damaligen Spaniern geziemte, jo fand das jeßige Publi-
cum jolches Benehmen thöricht und wies es ab over lachte.
Zedlit ſelbſt täufchte fih über diefe Niederlage. Er war ein
eifriger umd vielfach fundiger Theatergänger, aber dies ſocial-poli—
tische Moment im Theater ver neuen Zeit entging ihm wie jeinen
Genofjen, welche in einer ganz anderen Zeit gealtert waren, Er
meinte fpotten zu dürfen, daß Lopez de Vega im Burgtheater durch—
Das Burgtheater. 299
gefallen. So lag und Liegt die Frage nicht. Lopez de Vega bleibt
dabei ein großer Dichter. Die Frage liegt, ob fein Theater unſer
Theater fein fann? Das Publicum hatte einfach Nein gejagt. Wir
können und werden deßhalb ven fpaniichen Dichter mit Interefje
weiter lejen.
Sch habe nach diefen Vorfällen das ſpaniſche Theater lange
unberührt gelafjfen und mich erſt jpät zu der Auswahl entichlojjen,
die mir für unfer heutiges Theater eriprießlich ſchien, um der hifto-
riichen Tendenz unferes Repertoives gerecht zu werden, Als ich das
Stück intereffant beſetzen konnte, habe ich die treffliche Weſt'ſche Be—
arbeitung der „Donna Diana’ in Scene gejegt, ein Stüd, welches
frei ijt von abliegender ſpaniſcher Specialität, und habe „Das Yeben
ein Traum’ gebracht.
Letzteres beſchäftigt fich in feinem Grundgedanfen mit einem
Thema, welches bei jevem Volke Antheil finden kann. Aber in
diefem Stücde war ich genöthigt, die zweite Hälfte ftarf zu verfürzen,
weil fie fich in infipide ſpaniſche Spisfindigfeiten verirrt, die ung
jtörend vom Hauptthema ableiten.
So ſteht es mit unferem jeßigen Spanien auf dem Burg—
theater. Der jetige ſpaniſche Intendant, ich will jagen ver ſpa—
nisch gebildete Intendant, wird vielleicht weiter entwideln, was mir
verjagt war.
Auch für die neuen Einftudirungen machten wir ung in dieſem
Sahre viel vergebliche Unfoften, Wir wollten nicht blos fpanifche,
jondern auch ältere deutſche Stüde herftellen, welche bei einem
Theile des Publicums in Credit geblieben waren und deren Ver:
nachläffigung mir vorgeworfen wurde. Zum Beifpiele „Menſchen—
haß und Reue’, da Fräulein Seebad) ja der vielbeweinten Eulalie
gerecht werden fünne. Das Stüd blieb auch diesmal nicht ohne
Wirkung, nur war fein Bublicum nicht mehr groß genug, fondern
bald erfchöpft. Für die junge Generation hat ſchonungsloſe Kritik
500 Das Burgtheater.
diefem Stüde ven Auf verdorben. „Die deutjchen Kleinſtädter“
ferner paßten gar nicht mehr, und ſelbſt die viel. jüngeren „Schleich—
händler” Raupach's verfagten. Die Unhaltbarfeit ver „Familie
Schroffenſtein“, von Kleift, habe ich ſchon erwähnt, und auch ein
Tendenzjtüd: „Ein deutjcher Krieger’, jtredte die Waffen, weil feine
Tendenz überlebt war.
Beitand fanden von neuen Imfcenefegungen: „Traum ein
Leben”, „Feſſeln“, „Gönnerſchaften“ und „Othello“. „Othello“
ganz ſo wie oben angedeutet worden iſt: die claſſiſche Führung des
dunklen Stoffes erzwingt Bewunderung, aber das hieſige Publicum
will dieſe Claſſik nicht gar oft bewundern.
Von den eigentlichen Neuigkeiten dieſes Jahres — es klingt
recht beſchämend für unſere Production und für unſere Klopffechter
gegen franzöſiſche Bearbeitungen — find nur drei kleine franzöſiſche
Stücke bis heute am Leben geblieben: „Eine Partie Piquet“, „Gäns—
chen von Buchenau“ und „Der Freiwillige“. Daneben nur Ein
kleines deutſches Stückchen, der Erſtling eines neuen Autors aus
unſerer Mitte: „Ein ernſter Heirathsantrag“, von Siegmund
Schleſinger.
Eilen wir denn aus dieſem mageren Jahre in's Jahr 1856
hinüber! Da winken uns mit den erſten Veilchen zwei junge Gäſte,
die in unſeren Künſtlerkranz aufgenommen werden ſollen, ein Männ—
lein und ein Weiblein, deutlicher geſagt: ein Jüngling und ein
Mädchen, die noch Niemand kannte.
Beide kamen tief aus dem Norden. Mein Sohn hatte auf
einer Bergfahrt nach dem Oetſcher einen Kunſtfreund von der preu—
ßiſch-ruſſiſchen Grenze her kennen gelernt und von dieſem gehört,
daß dort in einer Fleinen Stadt — ich glaube Elbing war es — ein
junges Mäpchen Komödie fpiele, jo geiftvoll und reizend, wie er e8
auf feiner Reife durch ganz Deutjchland nicht wieder gefunden. Sie
werde nächjtens in Hamburg gajtiren, denn der Hamburger Divector
Maurice habe feine Augen überall und entdede die Talente auch in
Das Burgtheater. 301
den abgelegenjten Winkeln. Flugs fchrieb ih nah Hamburg und
bat Freund Heller um Bericht über ven Ankömmling. Aobert Heller
beurtheilt und ffizzirt die Schaufpieler jo intim, fein und echt, daß
mir ein paar Zeilen von ihm ſtets von großem Werthe und Nuten
für das Burgtheater geweſen find. Er beftätigte die günftige Schil-
derung des Heinen pifanten Fräuleins, und fo wurde fie zum Gajt-
ipiele geladen.
Den jungen Mann, welcher in Königsberg fpielte, hatte
Heinrich Marr, ein fundiger Diagnoftifer, empfohlen. Aber ich
mußte ihn unbefehen fejt ergreifen, denn auf dem Wege nach dem
Süden wollte er in einem Hoftheater auf Engagement gajtiren.
Ih wagte es. Er fam und — das Wagniß ſchien mißlungen zu
jein, Er trat als Mortimer auf und gefiel nicht.
Am Morgen nach diefem Debut begegnete ich auf ver damals
noch beftehenden Bajtei einem jungen Schaufpielerpaar — ich
glaube, e8 war ein Brautpaar — und Beide drüdten mir ihr
inniges Bedauern aus, daß es wieder Nichts wäre mit dem neuen
jungen Liebhaber und daß ich ihn nicht behalten könnte.
Sch ſchwieg. Die Perfon des jungen Mannes war mir an-
genehm; ich hoffte Hartnädig. Der tragifchen Rolle follte eine
Lujtipielrolle folgen, „Der geheime Agent”. ine Fichtner’fche
Rolle! Natürlich genügte er da auch nicht; aber ich meinte nad)
dieſem zweiten Abende meiner Hoffnung noch jicherer vertrauen zu
dürfen, wenn es mir nur gelänge, einen fremden Neve-Accent zu
vertreiben, der ihm eigen war. Sch war es gewohnt, mit folcher
Hoffnung allein zu bleiben, ja mich verfpottet zu fehen mit der:
jelben, was diesmal auch von meiner Behörde reichlich geichah.
Der Spott jteigerte fich fogar zum Tadel, als ich ihm Rollen gab
wie ven Schiller, in ven „Karlsſchülern“, und das fonjt beliebte
Stüf vor ſchwachem Haufe abjpielte. Das fommt von folchen
Bejetungen! hieß es.
302 Das Burgtheater.
Dies ift der ewig fehlerhafte Cirfeltanz beim Theater: es
fol Nachwuchs erzogen werden, aber Rollen will man ven
jungen Leuten nicht anvertrauen; ſie jollen ſchwimmen lernen
ohne Waſſer.
Kun, ich blieb eigenfinnig anderer Meinung, und jener junge
Mann, fleifig und geiftig jtrebfam, lernte ſchwimmen wie Einer,
und wenn ich ihn jett nenne, fo jagt jest Jedermann: Ja, das
glauben wir! — Es war Adolph Sonnenthal,
BEXTV,
Das junge Mädchen, welches im Frühlinge 1856 zu ung fam,
war Fräulein Goßmann.
Sie gefiel jogleich und gewann alle Stimmen für fih, denn
fie war ein allerliebjter Schalf, und aus ihrer Naivetät blitten
Injtige Geiftesfunfen hervor, Man fah, es war feine gevanfenlos
aufgejpielte Naivetät, fondern die Darftellerin wußte, welche Taften
ihres Claviers jedesmal eract anzufchlagen wären, um die jedesmal
beabjichtigte Wirfung zu erreichen. Eine junge Künftlerin alfo,
nicht blog ein Naturell. Hoffen wir, daß die fünjtlerifche Thätig-
feit im Einflange bleibe mit dem Naturell, denn ein naives Naturell
darf vom Geiſte nur jo viel verrathen, daß wir geijtig angemuthet
werden, nicht aber jo viel, daß die Naivetät lediglich vom Geifte
gemacht erjcheint. Im letteren Falle entiteht naive Manierirtheit.
Man kann nicht jagen, daß Fräulein Goßmann in diefen
Fehler verfallen ſei; ihr friiches Naturell hat ihrem rafchen Geilte
immer entfprechend Widerpart gehalten. Sie ijt viel eher gefährdet
worden durch das Bedürfniß, ausgezeichnet zu erjcheinen.
In der erjten Zeit ihres Engagements war fie noch vecht
unabhängig von der Außeren Zuftimmung und führte mit Charafter-
kraft Rollen durch, welche feinen befonderen Beifall gewannen.
„Wars recht?“ fragte fie mich nach einem undanfbaren Acte, —
„„Ganz recht!““ — ‚Nun, dann bleib ich dabei, wenn fie auch da
unten nicht muckſen.“
304 Das Burgtheater.
Sie hatte in Gefinnung, Talent und Verſtand die bejte An—
lage, eine charafterijtifche Künftlerin zu werden. Zweierlei hat fte
beeinträchtigt. Erſtens ihr Organ, welches leicht jpröde wurde und
für breitere Anwendung fich verfagte, und zweitens, wie ich jchon
angedeutet, der allmälig erwachende Trieb, Aufjehen zu erregen.
Die widerfpenftigen Stimmmittel verhinderten fie an größeren Auf-
gaben, denen fie übrigens gewachjen gewejen wäre, und der Trieb
nach Aufſehen zerftreute fie und ließ ſie nach Aufgaben greifen,
welche oberflächlich waren. Bei Alledem bewahrte jie fich immer
eine edle Empfänglichfeit für das Beſſere, und jie hätte zu einem
eigenthümlichen Repertoire und dadurch zu einer charakteriftiichen
Kunftgröße gelangen fünnen, wenn fie Schriftiteller gefunden hätte
für ihre befondere Fähigfeit. Im Frankreich wären Rollen für fie
gedichtet worden. Das iſt in Deutjchland überhaupt jelten und
gelang für fie in zu geringem Grade. Bauernfeld's „Fata mor-
gana“, obwohl nicht für jie gefchrieben, war ein Fingerzeig, er fand
aber feine Folge. Das herfömmliche naive Repertoire ift in neuerer
Zeit immer dürftiger geworden, und es ftedt zu jehr in abge:
ſchmackten Stüden, als daß ihr mit vemjelben hinreichend gedient
jein fonnte,
Sp ſtockte allmälig ihr Fortſchritt. Wenigjtens empfand fie,
daß ein erſtes Theater ven Kleinen Purzelbaum-Stüden nicht Raum
genug biete. Was denn auch richtig ift. An einem erjten Theater
müſſen folche Specialfächer fich beſcheiden, und das wurde ihr fehr
ihwer. Es wurde ihr ſehr ſchwer, weil fie wirklich eine größere
geijtige Anlage hatte.
In diefe Frage um Erweiterung ihrer Aufgaben, mit welcher
fie und ich täglich befchäftigt waren, mifchte ſich plößlich, wie fie
das zu thun pflegt, die Liebe, und da fie mächtiger ift als irgend
was Anderes, jo löfte fie auch ven Theater-Contract und führte
zum ZrausAltare.
- Das Burgtheater. 305
Solchergejtalt ijt die Entwiclung eines Talentes unterbrochen
worden, welches unzweifelhaft originell war,
Ich aber mußte von Neuem fuchen, wo die junge „ingenue“
aufwachfen möchte, die uns Lachen und Weinen vorfpielen fünne
zum bloßen Behagen unjerer Herzen.
Wer jucht, der findet. Wie landläufig ift die Klage, daß es
neuerer Zeit jo ſehr an Talenten fehle für die Bühne! Wenn man
die zehn Jahre anfchaut, von 1840 bis 1850, fo erjcheint die Klage
freilich begründet. Man fuchte eben nicht, und fo erjchien fein
neues Talent. Wie viele neue Talente find feit 1850 an uns vor—
übergegangen oder bei uns aufgewachfen! Dawiſon, Seebad,
Borler, Hofmann, Scholz, Sonnenthal, Yewinsky, Wolter, Schnee-
berger, um nur die für bejtimmte Fächer zu nennen, welche dem
eriten flüchtigen Blide begegnen. Und wie viel daneben, wenn
man länger hinſchaut. Man muß nur nicht verlangen, jogleich
ausgeprägte Goldmünzen zu erhalten. Dies war das Verlangen
einer anderen Zeit, welche in einem fleineren Kreiſe ſich bewegte.
Setzt muß man nicht Fertiges begehren, man muß Anlagen jchäten
und abjhägen, und dann muß man erziehen, um erfinderifch das
Enjemble auszufüllen, und es organisch auszufüllen. Nicht Funde,
nicht Yotteriegewinnfte muß man erwarten, wie müßige Leute thun,
Erwerbungen muß man jchaffen. Wenn man organifch auszufüllen
trachtet, wenn man alfo das Streben nad einem Enjemble, nad
einem harmonijchen Ganzen an die Spige jtellt, dann gewinnt man
vielleicht weniger Glänzendes, aber man gewinnt das Paſſende,
das Entiprechende, Die heutigen Talente haben ganz andere
Eigenſchaften als die Talente einer früheren Zeit. Sie jind eben
— und das wergejlen ältere Perſonen leicht — fie find Kinder ihrer
Zeit, und man muß fie zumächit verwenden für die Interefjfen und
Aufgaben ihrer Zeit. Dann wachen fie naturgemäß zu ferneren
Aufgaben empor. Die frühere Zeit war jtarf in Original-Figuren,
und dem entjprachen auch die Talente, dem entiprachen die Stüde
Laube, Burgtheater. 20
306 Das Burgtheater.
der älteren Zeit. Sie brachten Rollen für ſolche Original-Figuren.
Unfere jegigen Talente jpielen die alten Stüde viel jchwächer ;
dafür fpielen die älteren Talente unfere jeßigen Stücke ſchwächer.
Unfere Zeit ift nivellivter und hat deghalb weniger Originale, aber
jie hat mehr geijtiges Yeben,
Demgemäß muß man die Talente juchen und wählen, und
demgemäß muß man fie zu entwiceln trachten. Wir fünnen in
diefem Sinne von unferer Bühne nicht Jagen, daß es ung an Ta—
lenten gefehlt habe,
Aber die beweglichere neue Zeit hat ihre Unkoſten arg ein-
gefordert beim Burgtheater! Wie viel Talente haben wir wieder
abgeben müfjen! Namentlich die Heirat) ift für das Burgtheater
eine äußerſt foftjpielige Einrichtung geworden. Wie viel Yiebhabe-
rinnen bat fie uns entführt! Und gerade nur uns, Unſer Theater
muß doch überaus liebenswürdig geworden fein!
Fräulein Goßmann gehörte ung noch, da meldete ſich eines
Tages ſchon eine neue „ingenue“ auf meinem Bureau. Naive
Rollen? — fragte ich erftaunt — bei diefer Yinge? — Die junge
Dame war jehr hoch gewachten und jah etwas abgehärmt aus,
Mitten im Winter kam fie aus Hannover. Aber jie machte einen
wohlthuenden Eindruck; jie war ungemein bejcheivden und anſpruchs—
(08, war fehr natürlich und hatte einen vafchen, liebenswürdigen
Ausdruck diefer Natürlichkeit. Vor allem Uebrigen war ihre Stimme
anfprechend und liebenswürdig, ein weicher Alt,
Das Alles gewann mich, und ich ließ fie ihrem Wunfche ges
mäß in einer naiven Rolle auftreten, obwohl mir ihre Ericheinung
und auch ihr ganzes Wefen auf ein anderes Nollenfach hindeutete,
Ihr Wefen widerfprach inveffen einer naiven Rolle nicht, und Fo ließ
ich Fopffchüttelnd zu, daß fie das Paraderöglein in „Ich bleibe ledig“
vorführe, jene Kleine Caroline, welche ein deutiches Reich auswendig
gelernt hat mit uralter Eintheilung. Sechszig Jahre find jett in
ver politifchen Geographie Deutſchlands ein Uralter, fein Menſch
Das Burgtheater. 307
fennt mehr „die hintere Grafihaft Sponheim”, und das ganze
Haus lacht über Etwas, was noch vor jechszig Jahren eine ganz
ernithafte Sache war. So raſch werden politifhe Bejtimmungen
komiſch! Ebenſo wunderlich geben wir das Stüd: der Freiherr
v. Biberſtein erjcheint mit ellenlangem Zopfe und ent|prechenver alt=
modischer Tracht mitten unter lauter modernen Figuren, eine Figur
vom Maskenballe. Num, diesmal erichien denn neben ihm ein jehr
hochgewachfenes Töchterlein und fagte exact das geographifche und
ſonſtige Penſum auf, und — Niemand vührte fich im ganzen Haufe,
der hannoverſche Saft fpielte die ganze Rolle durch ohne das geringite
Zeichen von Beifall. Sie ift durchgefallen! fagte man neben mir.
Es war gerade jo gegangen, wie mir’s auf dem Bureau vorge:
ſchwebt hatte: die lange Figur widerfprach dem Rollenfache. Ich
perfönlich hatte übrigens ſonſt Nichts an ihrer Yeiftung auszufegen,
fie hatte mir gefallen. Da — e8 ijt mir im Theater felten eine
ſolche Ueberrafchung begegnet — da, als nach dem Schluffe des
Stücdes ver Vorhang Schon eine kleine Weile gefallen war, da mel-
den ſich aus dem Publicum ſchüchtern einige Beifallszeichen und jie
vermehren jich und bleiben ohne irgend einen Wivderfpruch, und es
wird aufgezogen, damit jich der Gaſt für diefe Freundlichkeit be-
danfen könne. Sobald der Gaft zu diefem Zwede auf der Scene
ericheint, applaudirt einſtimmig das ganze Haus, rfichtlic) war
es alfo vem Publicum gerade fo ergangen wie mir: das Rollenfach
hatte ihm nicht zu der langen Figur dev Schaufpielerin gepaßt, und
deßhalb hatte man gejchwiegen, die Schaufpielerin ſelbſt aber hatte
dem Bublicunt- gefallen,
So war es. Auf diefen Vorgang hin engagirte ich die junge
Dame und führte fie erjt in naivsfentimentale Rollen, dann in rein—
jentimentale, endlich in Wollen, welche dem Tragiſchen naherüd-
ten, und all das gelang: wir hatten eine allgemein ſympathiſche
Srauenfraft gewonnen, ich machte die ſchönſten Pläne für die Zu-
funft mit ihr, ich lieh fie das Gretchen ſtudiren, ich hoffte — es
20*
308 Das Burgtheater.
blieb beim Hoffen! Die für unfer Theater heillofe Liebe mifchte
jich wieder darein und ſchnitt unfere Hoffnung ab wie eine Parze
— Fräulein Scholz verheirathete fich ebenfalls.
Ein Unglüd fommt felten allein. Im December diejes Jahres
1856 griff die verzweifelte Heivath nach unjerm beiten Schate, nad)
Louiſe Neumann,
Sie hatte freilich nicht ganz Unrecht, wenn fie auf meinen
Auffchrei fagte: Seit 1839 bin. ich Hier, alſo feit fiebzehn
Jahren; mein Fach ift und bleibt das naive Fach, wie jehr Sie
mich auch als bedürftiger Director in andere Fächer geführt,
meine Laufbahn ijt in Wahrheit vollendet. — „Durchaus nicht!”
— Do!
Umfonft eitivte ih Mademoiſelle Mars, die bis in die Nähe
des Grabes im Theätre Francais durch ihre Liebhaberinnen ent-
zückt habe. — Franzoſen! erwiderte fie lächelnd — und das
Burgtheater jteht nicht in Franfreich.
Kurz, fie verließ uns. Außer Wilhelmi war mir Niemand jo
lieb und werth gewejen. Sie war ein Mitglied, wie es im Buche
ſteht; nein! wie es nicht einmal im Buche fteht. Nichts von
Schaufpielerei, Nichts von Flitterwejen, Nichts von gemachtem Kram.
Die ehrlichite, einfachite Hingebung an ihren Beruf; nicht nur die
treuejte Pflichterfüllung, auch die liebenswürdigfte, welcde
jelbft ein Opfer nicht verfagte, fobald das Gedeihen des Ganzen ein
Dpfer in Anfprudh nahm. Dazu eine Vertreterin guter Gejellichaft,
eine Vertreterin des Gefitteten, des Wohlanftändigen, und ſchon deß—
halb eine Perle fürs Burgtheater. Sie war von Haufe aus gut er-
zogen, und das hat ihr und uns die veichlichjten Früchte getragen,
denn dadurd war fie für die gute Geſellſchaft Wiens eine immer
willfommene Erſcheinung, ein zartes, feines Band zwijchen
Publicum und Schaubühne, und dadurch wurde fie für das
Geſellſchaftsſtiück — um das Converſationsſtück deutich zu benen-
Das Burgtheater. 309
nen — eine überzeugende Kraft. Und dieſen Schatz follten wir
bingeben!
Seribe, der franzöfifche Luſtſpieldichter, kam damals auf einige
Tage nah Wien, und ich hatte das Vergnügen, diefen Vater des
bürgerlichen Luſtſpiels in's Burgtheater zu führen. Er war ein
fleiner alter Herr mit weißem Haupte. Unter Karl dem Zehnten
ſchon hatte er feine theatralifche Yaufbahn begonnen und die ganze
Juli-Monarchie hindurch Stüde gefchrieben, die Nepublif hatte er
überdauert und fürzlich noch „Mein Stern” gebracht, eine heitere
Berfpottung des Kaiſerſterns. Er war recht müde, aber gar nicht
blafirt, und er wollte beiläufig doch auch jehen, wie man in Wien
Komödie fpiele. Auf meine Frage, ob er ung nicht wieder ein
größeres Stück fchenfen werde, erwiderte er achjelzudend: „Woher
den Hintergrund nehmen? Wir haben feine „Geſellſchaft“ mehr”.
Ich glaube, er war damals mit den „Feenhänden“ beſchäftigt, in
denen eine Herzogin Putzmacherin wird und denen in Frankreich der
Erfolg heftig bejtritten wurde. Aber er jprach nie über Pläne,
deren er immer ein Dutzend auf dem Webjtuhle hatte, denn man
brachte jie ihm won allen Seiten, damit er jie auf feinem Webjtuhle
verarbeiten möge. Wir fonnten ihm feinen verrathen, denn er ver—
jtand natürlich Fein Wort Deutjch, und ich ſah nicht ohne Beſorgniß
drein, daß er fich langweilen werde, Ungemein höflich wie er war,
verjicherte er Lächelnd, daß er dem Spiele ganz gut folgen könnte
auch ohne Verſtändniß der Worte, Er fah mit voller Aufmerkſam—
feit zu und erzählte mir nad dem Actjchluffe, was er gefehen und
gehört zu haben glaubte. Kin Luſtſpieldichter combinirt fich ja aus
einem Finger Hand und Fuß! Sch jtörte feine Kombination nicht
durch Berichtigung und verwies ihn auf ven zweiten Act. Uner—
jchütterlich aufmerffam ging er auch an diefen und ſchwieg volljtän-
dig während des Spiels. Plötzlich gerieth er in Bewegung und
nach kurzer Frilt wendete er fich zu mir und jprach: Voilà une
aetrice! — Youife Neumann war aufgetreten,
310 Das Burgtheater.
Sie war formell franzöfiich erzogen, und diefe Formen hat fie
immer fejtgehalten. Ihr ſchwäbiſch angehauchtes Naturell — ale:
manniſch, von der Wejtjeite des Schwarzwaldes — blieb davon un—
verfürzt, ja unberührt, jo daß der heitere Mutterwitz fich in ven
Formen gejellfchaftlicher Decenz höchſt graziöss ausnahm. Sie
fonnte jtärfere Dinge jagen als manche Andere, denn fie flangen
aus ihrem Munde und begleitet von ihrer jonftigen Haltung gar
nicht jtarf, ſondern nur pifant, und fie jagte feine Dinge höchſt aus—
drudsvoll, weil man empfand, daß jie ganz genau wußte, was fie
fagte. Ihre gejellichaftlihe Bildung wußte Alles paſſend einzu-
führen.
Als ih fie 1845 das erſtemal ſah — fie jpielte die Floretta
in der „Donna Diana“ — da hat fie mich wunderlich gefoppt oder
Doch verwirrt. Zu der hübfchen Figur und der lebhaften Phyſio—
gnomie mit fingen Augen, ſchönen Zähnen und Händen hatte ihr die
Natur ein jchmales Stimmorgan gegeben, welches ein wenig auf-
fiel. Damals wenigjtens — e8 bat fich fpäter mehr gefüllt — in
diefer wortarmen Rolle meldete es ſich ſpitz und ſcharf. Es frap—
pirte mich, und nach der erſten Scene dachte ich: das iſt entweder
ein curioſes Perſönchen, oder es iſt eine ſehr gute Schauſpielerin!
Am Schluſſe des Stückes hielt ich ſie für eine ſehr gute Schau—
ſpielerin.
Sie hatte in einem ganz anderen Sinne Geiſt als Fräulein
Goßmann. Bei viefer erihien die geiftige Kraft à la sauvage,
brüsf herausfordernd ; bei Louiſe Neumann erſchien dieſe Kraft
(eifer, worfichtiger, und erjt, wenn jie des Terrains ficher war, wagte
fie einen Sprung. Nur gerade jo weit, als abjolut nothwendig
war, und ihr jchallendes Gelächter drüdte ven Stempel darauf, daß
Altes harmlos gemeint wäre. Sie lachte vortrefflih. Kurz, das
begabte Naturell war breiter und weicher in ihr, als bei Fräulein
Goßmann, und die gefellige Zurückhaltung oder Ausgleihung war
Das Burgtheater. all
jtets zur Hand, während der humoriftifche Geiſt der Goßmann
ohne Rückhalt vorbrac.
Dieſe fieben erften Jahre meiner Divection, die Werbung um
Lea, war fie mir die getrenefte und feinjte weibliche Hilfe. Sie
rieth und warnte grundehrlich. Immer bejcheiden, immer mehr
fragend als ſagend, eigentlich immer naiv, Bei aller Weltflugheit
blieb ihre Seele in allen Dingen naiv; eine unfchäßbare Eigen-
ſchaft an einer Frau. Ueber Yiteratur, über Stüce, über Menfchen,
wenn fie noch jo genau unterrichtet war, ſprach fie nie mit der Be—
jtimmtheit eines Kenners, nie apodiftifch. Auch da fragte jie ſtets:
St dies nicht bei aller Vortrefflichkeit, die ich nicht verſtehe, doch
von zweifelhaften Werthe? Oder umgefehrt: It dies nicht bei
allem Tadel, den es erfahren, doch vecht beachtenswerth? Sie
mochte nie entjcheiden, auch ihr Urtheil wollte jung bleiben und
belehrbar — ein naives Mädchen.
Wie fträubte fie fich, aus ihrem engen Nollenfreife herauszus
gehen! Der bare Gegenjab zu Dawifon und Seebad. Und doch
mußte ich fie dazu drängen. Ich hatte eigentlich Feine andere Luſt—
ipiel:Xiebhaberin, und gerade ihr Weſen war ja vorzugsweiſe ges
eignet, die Luſtſpiel-Liebhaberin darzujtellen auf einem Theater,
welches einfache Natürlichkeit zum Ausgangspunfte der Darjtellung
nimmt. ben weil Nichts, auch nicht Eitelfeit oder Ehrgeiz, fie
aus der einfachen Natürlichkeit hinaustreiben konnte, eben deßhalb
war fie ja wie berufen, die Erweiterung ihres Nollenfreifes anzu-
jtreben. Die Garantie war ja eben vorhanden, daß dies nur in
folgerichtiger Weife gefchehen würde und daß jie nirgends im die
Wahl falfchber Mittel verfallen fünnte, Mißtrauen in ihre Kraft,
Zweifel an ihrer Begabung famen bei jeder neuen Rolle, welche
nicht blos naiv war, in Rede; ſie nämlich brachte das in Rede,
und alle Wendungen wurden erwogen wie auf eimer Goldwage.
„Doctor, das fann ich nicht!” war das dritte Wort, und dabei
zeigte fie von Rolle zu Rolle, daß ſie viel mehr fonnte, als fie fich
312 Das Burgtheater.
zugetraut. Wie jchön fpielte jie die Prisfa in den „Kriſen“, welche
einen fentimentalen Proceß durchzumachen hat, obwohl jie gemeint
hatte, gerade der ſtünde ihr nicht zu Gefichte. Wie Treffliches
leijtete fie in der „Königin von Navarra‘, die ihr fehredlich war.
Und hier hatte fie auch Recht mit ihrem Schreden; bier famen
Grenzpflöde, welche jie nicht überfchreiten fonnte. Theils in der
Sauce jelbjt, welche jtärfere Ausdrucksmittel verlangt, als fie beſaß,
theils in der nicht eben organischen Führung der Rolle, welcher
Virtuoſenzüge angeheftet find. Das Declamiven mit politifcher
Beweisführung vor Kaifer Karl war für Louiſe Neumann eine
fünjtliche Zumuthung, über welche wir bei der Probe viel gelacht
haben, Sie lachte mit, aber fie hatte die ſchönſte Luft, darüber zu
weinen, und fie ſchalt mich mit Necht, daß ich fie in Wildniſſe führe,
in denen fie nicht durchkomme! Namentlich das enge Organ be-
hinderte fie. Und dennoch ift ihr der größere Theil ver Rolle nie
mehr nachgefpielt worden, und das Stüd hat mit ihr den ange-
nehmen Mittelpunft verloren. Es wurde ihr ganz erreichbar, die
naive Schalfhaftigfeit des naiven Mädchens zur liftigen Spiegel-
fechteret der vornehmen Dame zır jteigern.
Und al’ dieſe anmuthigen Studien jollten plößlich ein Ende
nehmen! Anmuthig, weil fie fo gefund entjtanden. Sie begannen
mit den einfachiten Fragen wie bei Kindern, Bekanntlich fragen
Kinder jo ſchwer, daß der Weifefte in Verlegenheit fommt und
jih Nechenjchaft geben muß von Dingen, die fih won jelbit
verjtehen jollen und ſich doch gar nicht von ſelbſt verjtehen.
Gerade ſolche Fragen, aus naivem Grunde aufjteigend, find ein
Segen bei Kunſtſtudien — jie ſchützen vor Sau und unwahrer
Täuſchung.
All dies Grundelement guter Komödie im Burgtheater ſchien
mir verloren zu gehen mit dem Ausſcheiden einer Louiſe Neumann
— ach, es waren traurige Tage, als ſie ihre letzten Rollen ſpielte,
Das Burgtheater. 313
und als jie zum erſten- und lettenmale vortrat, um perjönlich zum
Publicum zu jprechen und Abſchied zu nehmen!
Eines der echtejten, der liebjten Blätter in der Geſchichte
des Burgtheaters war vollgeſchrieben und mußte umgewendet
werden. Und wir haben's doch getragen, aber fragt uns nur
nicht, wie?!
XXV.
Die Ehebündniſſe, welche uns die beiten Yiebhaberinnen ent-
zogen, machten doch nur uns unglüdlich und machten wenigitens die
Liebhaberinnen glücklich. Um diefe Zeit aber ſchürzte ſich unter
unferen Augen das Bündniß einer unferer Damen, weldes uns
und auch diefe Dame unglüdlich machen follte. Und was noch
ſchlimmer: wir hätten’s wohl verhindern fünnen.
Ich fand am Burgtheater ein weibliches Talent erften Ranges,
und freute mich königlich auf deſſen mannigfaltige Entwidlung,
welche mir vor Augen jchwebte. Es hieß Mathilde Wildauer. Wie
berfömmlich war jte lange in ausdrudsiofen Yiebhaberinnen hinge—
halten worden, ihr Talent für komiſche Charafteriftif war aber end—
lich doch durchgebrochen. In einem localen Vaudeville namentlich,
alfo in einer für das Burgtheater ungefeglichen Gattung, „Das
Berjprechen hinter'm Herd’ geheigen, hatte Fräulein Wildauer eine
Darftellungskraft nieverländifchen Genres entwidelt, welche auf dem
ganzen deutjchen Theater nicht ihres Gleichen hatte. Jedermann
mußte dieje Leiſtung clafjiih nennen. Auf diefem Grunde erbaute
ih meine Schlöffer, welde Wildauer heißen follten. Rollen, welche
ich ihr gab, wie die Katharina in ver „Widerſpenſtigen“, wie das
Kammermädchen in der „Mördergrube“, bejtätigten nach verjchie-
denen Seiten meine Hoffnung volljtändig: es jtand ein komiſches
Talent vor uns von echtejtem, gejundeftem Urfprunge, von fünft-
lerifcher Kraft, von weit ausfehender Dauer. Denn es zeigte fich
Das Burgtheater. 315
von fo unbefangenem Sinne in Bezug auf äußere Erfcheinung, es
fleivete fich als Nanverl jo unbefümmert um modifchen Reiz, daß
die Laufbahn in's Fach ver komiſchen Alten ausgeſteckt vor uns lag,
wie Signalftangen über Feld und Thal die Richtung einer Eiſen—
bahn feititellen.
Die barafteriftifchen Farben, welche fie wählte, waren wohl
noch etwas zu gleichartig, Troß, brüsfes Schmollen, trodene Ironie,
Zurücziehen der komischen Wirkung in einen engen Berjtandes-
winfel fehrten noch ein wenig jtereotyp wieder, aber als Farben
jelbjt waren fie jehr tüchtig, und Fräulein Wildauer war von ge—
wectejtem fünftlerifchen Berjtande: einmal in die Schaffung jolcher
Charaktere conjequent eingeführt, hätte fie ohne Zweifel neue Farben
und eine neue Mifchung verjelben zu Stande gebracht. Sch bin
gründlich überzeugt, daß eine clafjifche Kraft und alles Zeug zu
einer claffiichen Künftlerin in ihr vorhanden war. Und fie wurde
uns entzogen, wurde fich entzogen durch eine Liebjchaft mit der
Muſika. Sie wollte durchaus fingen. Leider fonnte fie es auch,
und leider that ihr meine Behörde, welche auch Behörde des
Dperntbheaters war, allen Willen. Ich mochte einfprechen jo viel
ih wollte, ich mochte beweifen jo oft ich wollte, daß man nicht
zween Herren dienen fünnte, daß ihr großes Talent fürs Burg-
theater verloren ginge, ohne daß wahrjcheinlich etwas gleich Be—
deutendes für die Oper entjtünde — ich wurde abgewiejen. Und
jo entjtand, was entitehen mußte. Sie begnügte fich auch in der
Dper nicht mit dem Kreife, welchen ihr jtarfes Talent beleben
fonnte, fie wurde ganz Primadonna, erichöpfte fich in einer Rich-
tung, welche nicht ihr natürliches Fach war, welche fie aljo auch
übermäßig anftvengte, und zog fich endlich noch in frifchem Lebens—
alter ganz von der Bühne zurück, weil naturgemäß Enttäufchungen
für fie eintraten in einer Kunſt, welche ſie nur mit Anftrengung
erlernen, nur mit Anjtrengung üben fonnte. Das, was ihr leicht
war, was ihr von jelbjt zufiel, was ihr vortrefflich gelang, was ihr
316 Das Burgtheater.
bis zu hohen Alter treu geblieben wäre, was ihr einen unvergäng-
lichen Künftlernamen erworben hätte, das achtete fie gering und
warf jie endlich mit dem mühjam Grrungenen in den Abgrund.
Damit wir das Nachjehen doppelt Tchmerzhaft hätten, wurde auch
noch der Burgtheatercafje die Penfion zugetheilt dafür, daß wir die
Schaufpielerin über ein Jahrzehnt völlig entbehrt und an die Oper
abgetreten hatten. Ein volles Bild jchädlichen Protectionswejens
und einer Verwaltung, welche außerhalb artijtiiher Grundſätze
über artiftifche Kräfte verfügt. Der Kunſtverluſt ift in dieſem
Falle jchreiend.
Eigentlich Habe ich mich immer damit getröjtet, ja ich tröſte
mich noch damit, daß diefer Verluft nicht unwiderruflich fei. Seven
Tag fann Fräulein Wildauer wieder eintreten in's Burgtheater.
Eine fundige Direction und das ganze Publicum werden fie mit
Jubel aufnehmen, und fie fann die unterbrochene Yaufbahn einer
charakteriſtiſch komiſchen Schaufpielerin fortjegen, ja mit gereifter
Einficht fie zu einem glänzenden Ziele führen, Sie iſt in ihrer
Gefundheit angegriffen, leiver! Aber jie beherrſcht alle Mittel für
dies Schaufptelfach mit größter Leichtigkeit, es wird fie das erneute
Wirken im Schaufpiele nicht überanjtrengen, und die Genugthuung,
welche jie in ihrer echten Kunjt erleben wird, kann ihr Nervenleben
kräftigen. Sie ift hypochondriſch, nun — unfere beiten Komiker
waren und ſind hypochondriſch und erfrifchen außer uns auch fich
jelbjt durch den Humor, welchen die Kunſt befreit vom engen Ge-
fängnifje der Einſamkeit. Die Wirfung auf ver Scene jprengt
ſolche Gefängnißthüren — Mathilde Wildauer möge dies lefen und
jih herzhaft entichliegen !
An neuen Stüden brachte diefe Zeit „Graf Eſſex“ won Yaube,
„Klytämneſtra“ von Tempeltey, „Iphigenie in Delphi” von Halm,
drei Trauerjpiele. Die gleichzeitigen Lujtipiel-Nenigfeiten waren
unbedeutend. Ja, auch das neue Frühjahr — 1857 — brachte
zunächſt wieder zwei Trauerjpiele, „Sophonisbe“ von Herich und
Das Burgtheater. 817
„Brutus und jein Haus‘ von Roderich Anſchütz. Dann erſt fehrten
beitere Schaufpiele ein, und zwei von ihnen wurden dauernd ein:
gebürgert: „Die Grilfe” von Frau Birch Pfeiffer und eine Be-
arbeitung nach dem Franzöfiichen, „Die Biedermänner“.
Bon den Traneripielen iſt „Graf Eſſex“ am Leben geblieben.
Es ſteht mir über das Stüd fein Urtheil zu. Ich habe auch kaum
die unbefangene Einficht und empfinde feinen befonderen Drang,
den Tadel zu entwideln, welchen es verdient.
„Klytämneſtra“, von Tempeltey, fand eine originell günstige
Aufnahme. Der Berfafjer, ein junger Mann aus Berlin, hatte
die vorliegenden griechiichen Bauſteine mit glücklichem Talente auf:
gefchichtet und das, was wir ein „Arcitefturftücd‘ nennen, mit
frifhem Sinne belebt. Solche Architefturftücde bewerfftelligen ihr
Gerüft mit hiftorifch befannten Vorgängen und Yeidenjchaften, und
führen den Bau zu Ende in überfommenem Style. Wenn ihr
Baumeifter nicht ein Talent erſten Ranges ift, fo ift feine Dauer
zu erwarten von diefer Form. Sie find zu clalfiicher Uebung da,
und jenem erjten Abende ver „Klytämneſtra“ fam ein befonderer
Impuls zu Hilfe. Der junge Dichter, welcher nach den Actſchlüſſen
vor dem Publicum erichien, machte perjönlich einen gar lebendigen,
angenehmen Eindrud, und man jah es ihm an, daß der Erfolg fein
Herz jehwellte wie eine Yiebesgabe. Sp wollte man ihn wieder:
jehen und vief ihn nach jedem Actſchluſſe. Dazu gefellte fich ein
euriojes Ereigniß. Agamemnon, nur am Schluffe des Actes
erſcheinend, jtürzte Franf zufammen; eine Ohnmacht überfiel Herrn
Wagner. Das Stüd, kaum angefangen, fonnte nicht weitergefpielt
werden. Was thun? Es war ein Laufen und Fragen und Schreien
obhnegleichen. Ich jtand rathlos in vem Getümmel, follte befehlen
und wartete ſelbſt. BVielleicht erholt fich Agamemnon? Nein.
Vielleicht giebt feine Rolle einen Fingerzeig? Ja. Die Rolle war
jehr furz. Sie hatte nur noch eine Scene Erzählung. Wäre das
518 Das Burgtheater.
nicht auch ohne Wagner zu bewerfjtelligen? Die ganze Stimmung
im Publicum und auf der Bühne hatte durch den jungen, lebens:
(ujtigen Dichter etwas Studentifches. Er ftand ganz erjtaunt da
in dem Tumulte und verjpeilte Eis; es jhien ihm ganz unmöglich,
daß jein Stüd ſchon am Anfange zu Ende jein ſollte. Unmöglich!
Es wird ſich Thon was ereignen. So fam man auf jtudentifche
Gedanken. Lußberger jtand neben mir und bejtärfte mich in der
preijten Idee, welche mir aufjtieg. Sie ging dahin, daß die ruhige
Scene des Agamenmon von einem anderen Schaufpieler gelejen
werden fünnte, Man jchreit. Im Frad? Nein, in Agamemnon’s
Cojtüm. Wer? — Herr Nettich lieſt jehr gut vom Dlatte, feine
Frau jpielt die Hauptrolle, er fennt das Stück, er ilt oben in der
Loge, vielleicht übernimmt er die jeltene Aufgabe? — Nach einigem
Sträuben übernimmt er fie wirklich, kleidet fich vajch, läßt fich dabei
die Rolle vorlejen, lieſt jie dann ſelbſt noch einmal und jteht in
furzer Friſt da und ift bereit. Der Regiſſeur fündigt vem Publicum
an, welcher Ausweg erwählt worden fei, um es nicht unverrichteter
Dinge heimzufchieen, und das Publicum applaudirt. Der Vorhang
geht wieder auf, und Agamemnon fitt da und macht jeine Mit-
theilung über den trojanischen Krieg, indem er ein fleines Papierheft
zu Rathe zieht, offenbar Notizen aus dem Feldlager. Herr Rettich
machte das jehr geſchickt, und wer nicht hinſah oder wer furzfichtig
war, der fand gar nichts Auffallendes. Mit Beifall ging er ab,
um hinter der Scene ermordet zu werden. Yebteres machte gar
feine Schwierigfeit, und fein Schrei hinter der Couliffe war auch
für Weitfichtige überzeugend. Kurz, die Vorſtellung vollte in
gutem. Geleife weiter bis zum Ende; der junge Dichter ftürmte
dankſagend hervor nach jedem Acte, es war eim glänzender Er—
folg. Die ſtörende Epifode hatte das Intereſſe eher erhöht als
vermindert.
Die Wiederholungen gefielen auch, nur wurde das Häuflein
Zufchauer für die griechiiche Mythe immer dünner, und die ſprühende
Das Burgtheater. 319
Fadel löjchte allmälig ganz aus. Es war eben nur eine Fadel, wie
das herfümmlich it bei Architefturjtüden.
Den nächjten Stoff ſuchte Tempeltey im deutſchen Mittelalter,
und er wuhte ihn nicht aufführbar zu gejtalten. In der „Klytäm—
nejtra‘ war enge, jtrenge dramatiſche Faſſung; hier war loſes Aus—
einander, Mangel an vramatifcher Compofition. Dies ijt das Ge—
heimniß der Arcchitefturftücde und ihres Tcheinbaren Yebens: Bau—
jteine und Riß liegen vor, das fügt ſich auch mit mäßigem Talente,
Kommt verjelbe Dichter aber hinaus in die freie Romantik, da
fehlen alle die vorgezeichneten Yinien und die ausfüllenden Werk
jtüde, und die Berirrung in romantische Wildniß tritt ein, die auf
dem Theater Untergang heißt.
Mahnt doc ein ganz neues Deifpiel daran: Yındner, der Ver:
fajler von „Brutus und Collatinus”, zeigt eine jo bedeutende Kraft
in Ausbeutung des römiſchen Stoffes und der ihm innewohnenden Ge-
danfen; ergeht aber mit jeinem zweiten Stüc ebenfalls in unſer roman—
tiiches Mittelalter und — verliert ebenfalls ven dramatifchen Halt,
Hoffentlich belehrt ihn diefe Erfahrung. Und jo fcheint e8
nach der Notiz: jein dritter Stoff jei Katharina von Rußland.
Dieſe Wahl würde beweifen, daß er ein Bedürfniß der Concentra>
tion empfunden. Tempeltey aber hat gefchwiegen feit feinem „Ritte
ins alte romantiſche Land“. Doch nein! er hat noch eine Studie
im Iffland'ſchen Genre gebracht, welche als Weg beachtenswerth,
als Stüd nicht mächtig genug war.
Es folgte bei uns „‚Iphigenie in Delphi” won Friedrich Hal,
Auch dies Drama greift nach den Bortheilen des Architefturjtüces,
für welches Charaktere und Handlung längſt aufgebaut find durch
Tradition. Da ift der Zweifel ausgefchloffen, und eine gewiſſe
Weihe fommt entgegen; es handelt jih nur um ein Mehr over
Minder der Kunjtfertigfeit. Iſt dieſe clafjiih groß, wie bei Goethe’s
„Iphigenie“, jo bewahrt die Nation jolche Arbeit in ihrer Literatur
und, wenn irgend möglich, auch auf ihrem Theater als ein jchät-
320 Das Burgtheater.
bares Kleinod. Nicht zum Hausgebrauche, nur für die Fejttage und
vorzugsweife zum edlen Beiſpiele. Das große Publicum erfährt
Nichts davon, die Arbeit ift zu vornehm, weil zu fern in Stoff und
Gedanfen, Die Gebilveten aber laben ſich daran, die gefchlechtslofe
Schönheit verehrend. Juſt die Gejchlechtslofigfeit iſt folchen Werfen
eigen; denn fie find nicht gezeugt, jie find erworben durch das
Studium des Schönen.
St für dieſe Architefturjtüce die Kraft nicht claffiich groß,
dann werden fie Schul-Exereitien. Iſt die Kraft, wenn auch für
Claffieität nicht ausreichend, doch von formeller Schönheit gehoben,
dann haben jolche Stüde immerhin einen äfthetifchen Werth für ein
gutes Theater. Sie bieten edle Studien für das Publicum und
für die Schaufpieler.
Ein jolches Stüd iſt diefe „‚Sphigenie in Delphi”, und in
jolcher Beziehung gehört fie zum Werthoolliten, was Halm gefchrieben.
Es fehlt ihr wohl zur claffischen Größe der letzte Stempel, weil dem
Berfafjer die innere Macht eines bedeutenden Menfchen fehlt, aber
das Talent des Verfaffers rückt fie doch in der Anmuth ihrer Faſſung
ziemlich hoch hinauf,
Bei jolhem Stoffe thut auch das weniger Eintrag, was bei
den anderen Halm'ſchen Stücken der Begriff „Komödie“ Ab-
Ihmwächendes mit fich bringt. An den Stoff der jo entfernten grie-
chiſchen Mythe legen wir nicht ven Maßſtab lebensvoller Wahrheit;
wir haben es ja mit Öejchöpfen zu thun, welche unferem menjchlichen
Bedürfniſſe weit entrücdt find, Sie verfehren mit Halbgöttern
und Göttern, das Ganze ruht über oder doch außer unferem Lebens—
freife, aus welchem das Drama auf unferer Bühne erwachjen joll,
um uns echt zu treffen. Die fchöne Form ift alfo hier von entjchei-
dender Wichtigkeit, und Halın hat fein Talent ſchöner Form in diejer
„Iphigenie“ am wohlthuendften entwidelt. Und gerade für dieſe
verdienftliche Arbeit hat ev am wenigften Danf geerntet. Die Theil:
nahme des Publicums zeigte fi in geringem Maße, das Stüd ver:
Das Burgtheater. 321
ſchwand nad) vier Borftellungen. Ich hätte es gern alle Jahre
wieder gebracht, aber es trug feinen Todeskeim in der Bejetung.
Wie immer hatte der Dichter die mächtigfte Rolle, die der Eleftra,
für Frau Rettich bejtimmt, und gerade folche Rollen waren die ges
führlichiten für dieſe Schaufpielerin. Griechifche Welt mit ihrer
unabweislichen Anforderung ſchöner Bewegung, und heftige Leiden—
fchaft dazu, welche zu heftiger Bewegung trieb — das waren bie
ſchlimmſten Klippen für Julie Rettich. Das Verſtändniß ihrer Auf-
gabe führte fie zu allen Conjequenzen ver Aufgabe, und fo entjtand
das Aeußerſte von Falter Yeidenjchaft, die nur vom Berftande zum
Verſtande fprach, und fo entjtand eine Action des Körpers, welche
den Augen wehe that. Ihr Gebahren mit der Art wirkte zerftörend
auf die vichtigjten Intentionen des Dichters. Fräulein Wolter
fönnte für diefe Rolle ausgebildet werden, und dann wäre eine
Wiederaufnahme des Stüdes recht ſehr anzurathen.
1857 fette, wie gefagt, die Architefturftüce fort. Zuerſt fam
„Sophonisbe‘ von Herih. Diefer Stoff ift einer der veichhal-
tigiten in der überlieferten tragiſchen Architektur. Jeder poetiſche
Wandersmann erweckt mit einer „Sophonisbe‘ trügerifche Hoff-
nungen, und wie viele jolche Wandersmänner fehren ein auf ver
deutichen Bühne!
Herſch iſt durch ein zweites Stüd, „Annelieſe“, ein Jahr
ipäter allgemeiner befannt geworden. Es hat in Norddeutſchland,
wohl zum Theil durch Erinnerung an den alten Deſſauer, Glüd ges
macht und hat ſich nur im Burgtheater zu dünn erwiefen. Fräulein
Goßmann genügte auch bei uns der Hauptrolle nicht ganz, wie pifant
jie Einzelnes ſpielte. Man ſah an ſolchen Rollen, daß ihr Weſen
doch nicht Fülle genug hatte, um ein Stück zu tragen, welches in der
Hauptfigur die vollen Eigenſchaften eines weiblichen Weſens brauchte,
voll in der heitern wie in der ſentimentalen Kraft. Ihre innere Struc—
tur erwies ſich bei jolchen Hauptproben immer ein wenig fplitterhaft.
In diefer „Sophonisbe“ hätte Niemand die ältere Schweiter
Zaube, Burgtheater. 21
322 Das Burgtheater.
einer „Annelieſe“ vermuthet. Sie war ganz ernjthaft in ihrer Archi—
teftuv, und einmal im Zuge mit diefer dramatifchen Gattung — e8
gab eben augenblidlich feine andere! — hatte ich fie meiner Be—
hörde eingereicht wie eine Nothwendigfeit des Tages.
Mein Chef, welchem vie Cenſur ver Stücke oblag, war um jene
Zeit durch ein Augenleivden am Yejen verhindert, war aber jehr
pflichtgetveu und fühlte ſich gepeinigt, die Erledigung eines Stückes
verzögern zu müffen. Er ließ fich alſo vorleſen, und ausnahms—
weije verrichtete ich einmal diejes Amt bei zwei Stüden, die ich
vafch befördert jehen wollte. Das eine war jene „Sophonisbe”,
das andere eine Bearbeitung der „Faux bons hommes“.
Zum Vorleſen jind dieſe dramatifchen ‚„‚Architefturen‘ am
beiten geeignet. Man fennt ven Riß, man fennt die Bauiteine,
man folgt dem Aufbau mit Yeichtigfeit, und die jogenannte „ſchöne
Sprache‘ thut das Uebrige. Unter „ſchöner Sprache” hatte jich in
unjere poetiſche Dramatik ein hohles Verſeweſen eingeſchlichen,
welches abgenützte Gedanken anſpruchsvoll vorträgt und durchſchnitt—
lich des eigenen Tones und Charakters entbehrt — eine poetiſche
Jahrmarktswaare für die nur äußerlich theilnehmende Partie des
Publicums. Dieſer verſchwommene Geſchmack iſt in den letzten
zehn Jahren allmälig außer Credit gekommen im Burgtheater.
Nun, ich las denn die afrikaniſche „Sophonisbe“ mit aller nur
erreichbaren Hingebung, und das Stück fand vollſtändigen Beifall.
Solche Gattung von Stücken iſt älteren Beſuchern des Burgtheaters
aus vornehmen Kreiſen wie der Kuhreigen, welcher an poetiſch ge—
heißene Zeit der Jugend gemahnt. Die Leidenſchaften bewegen ſich
höflich im Geleiſe altgewohnter Art, kein ſträflicher Gedanke erinnert
an das Treiben der Gegenwart, es iſt durchweg ein angenehmes
Spiel unverfänglicher —— für welches ein Hoftheater da
ſein ſollte.
Mein Chef war in manchen Punkten ſeiner Geſchmacksrichtung
weiter als ſein Vorgänger, Graf Moritz Dietrichſtein, welcher den
Das Burgtheater. 323
regelmäßigen Klingflang jolcher dramatiſchen Architektur Höchlichit
verehrte; aber für folche unverfüngliche Stüde aus der Vorzeit,
welche auch nicht die fleinjte Wunde des Tages berührten, hegte auch)
er eine natürliche Vorliebe. Eine natürliche, weil der Standpunkt
dieſer Herren ganz ihrer Stellung gemäß confervativ jein muß,
wenn ihnen nicht ein befonders lebhafter Geijt das Bedürfniß ent-
widelt, irgendwie jchöpferifch vorzugehen. Am Ende iſt es ja auch
in der Ordnung, wenn einmal zwei Directionen walten, daß die
ichöpferiichen Ideen won der artijtiichen Divection ausgehen müjjen,
und daß die Milderung und Mäßigung der oberen Direction zujteht,
wie im englijchen Unter: und Oberhauſe. Das iſt ganz in der Ord—
nung, wenn nur das Unterhaus wirklich jchöpferifch vorgeht und
wenn nur das Oberhaus wirklich nur mäßigend ausgleicht.
Am zweiten Abende las ich „Die Biedermänner“ und fiel
gänzlich durch. Schon in der Mitte des Stüdes hieß es: Hören
Sie auf! Das ift nicht auszuhalten, und dergleichen hält auch das
Publicum des Burgtheaters nicht aus.
Nun fommt die Aufführung, dies unberechenbare Ereigniß,
welches die VBorlefung jo oft verſpottet. „Sophonisbe“ ging mit
Mann und Maus zu Grunde, Die damalige tragifche Liebhaberin,
Frau Würzburg-Gabillon, beförderte die Afrifanerin mit Sieben-
meilenjtiefeln in den Acheron hinab. Jedes Rollenfach verlangt
eben bejtimmte Cigenjchaften, welche durch das Talent wirffam ges
macht werden. Cine umerläßliche Eigenjchaft der tragiichen Lieb—
haberin ijt ein edles Gefühl, welches von ihr ausitrömt wie der
Hauch des Herzens. Wo dies fehlt, find alle Kunſtſtücke vergebens;
die echte, liebevolle Milde des Herzens läßt fich abjolut nicht fünft-
ih nachmachen. Ein Poet, dem jie fehlt, fann fein rührendes
Trauerſpiel jchreiben; eine Schaujpielerin, ver ſie fehlt, muß alle
Aufgaben vermeiden, welche die Thräne erweden jollen.
Ih vermied jtets äjthetiiche Recriminationen vor meiner Be-
hörde. Sie erbittern nur und nüßen doch zu Nichts fin die Zufunft,
a
324 Das Burgtheater.
Jeder von uns fann nur das werden, wozu er die Anlage hat,
und wie oft irrte ich ſelbſt in ven Punkten, welche ich vfficiell
verftehen ſollte. Kein Wort alfo vor meinem Chef über das ache-
rontiihe Schidjal der „Sophonisbe“! Aber die nachträgliche
Niederlage wollte ich doch ausnützen für die vorläufige Niederlage
meiner „Biedermänner“. Ich erzählte alfo, daß ich an dieſen
„Biedermännern“ geändert und daß ich namentlich die Hauptfigur
für Beckmann ausgearbeitet hätte. Ich wollte nicht verlangen, daß
das Stück nochmals gelejen würde, aber ich könnte verfichern, daß
eigentliche Cenfurbevenfen in ſolchem Yujtipiele nicht vorhanden
wären. Die äfibetifhen Bedenken bäte ich, ſämmtlich auf mein
Haupt zu laden.
Ich hatte in Wahrheit vie Rolle für Beckmann ausgearbeitet.
Uebertragungen aus fremder Nationalstiteratur erheijchen für das
Theater diejenigen Aenderungen, welche vem Publicum das durchaus
Fremde in Gefinnung und Geſchmack näherrüden. Nur dadurd
fann man auf der Scene acclimatijiven. Der Weg, welchen damals
franzöfifche Yuftfpieldichter einfchlugen — Barriere und Sardou an
der Spite —, indem fie ſcharf gefchnittene Charaktere in erite Linie
jtellten, war ja doch für uns annehmbar, die wir die größte Schwie-
rigfeit bei franzöfischen Stücken in leichtfertiger oder unmoralijcher
Handlung finden. Die Charaktere fünnen wir fo modelliven, daß
fie das Abjtoßende der Fremvartigfeit verlieren, Und zur jolcher
Ausführung war Bedmann jehr geeignet. Seine fomijche Atmo-
iphäre vertrieb aus den Rollen die wiverwärtigen Miasmen, wenn
man ihm in der Bearbeitung entgegenfam. In diefem Sinne hatte
ich Peponnet, die Hauptfigur der „Biedermänner“, ihres fremdar-
tigen Charakters zu entfleiven gefucht.
Kurz, das Schickſal ver „Sophonisbe‘ trug mir die Zulajjung
der „Bievermänner‘ ein. Bekanntlich wurden jie ein unverwüſt—
liches NRepertoireftüd, und Jedermann fennt ſie. Wer fennt „So—
phonisbe“?!
RN
Das lebte jener Architefturitüde, ‚„Brutus und jein Haus‘,
von Roderich Anfhüt, welches der ‚„‚Sophonisbe” auf dem Fuße
folgte, fann ſich diefer Einreihung in eine herfümmliche Kategorie
am erjten entziehen. Es ijt am jelbjtitändigiten componirt und hält
jich am freiejten von überlieferten Formen und Gedanken. Roderich
Anſchütz arbeitet erfichtlih aus eigenen dramatiſch-theatraliſchen Ge:
danfen und verdient deßhalb größere Aufmerffamfeit, als ihm bis—
her gewährt worden ift. Schon dieſem römischen Stüde ſah man
an, daß der Verfaſſer aus ſich heraus jchaffen gewollt, und es fand
fih auch eine Scene vor, welche — mehr imromantiichen Sinne —
ganz neu hervorjprang zwijchen den Quaderſtein-Verhältniſſen ver
römischen Urgeichichte.
Roderich Anſchütz iſt ein Sohn unferes berühmten Schau—
ſpielers Heinrich Anſchütz; er iſt aufgewachſen in praktiſcher Kennt—
niß der Theater-Anforderungen, und das verleugnen ſeine Stücke
nicht, wenn ſie ſich auch, wie hier, im alten Rom den Schauplatz
ſuchen.
Der Brutus in dieſem Stücke iſt der ältere Brutus, iſt Junius
Brutus, welcher die Tarquinier verjagt und die römiſche Republik
gründet. Sein „Haus“ ſind ſeine Söhne, welche ſich mit den Tar—
quiniern gegen Rom verſchwören, gegen das Rom des eigenen
Vaters. Der Herzpunkt des Stückes iſt alſo die grauſame Lage
eines Vaters, welcher ſein Vaterherz opfern ſoll, um ſeinem poli—
326 Das Burgtheater.
tiichen Herzen zu genügen. Cr joll befehlen, daß man feine Söhne
hinrichte. — Dies bleibt für ung ewig eine peinliche und unnatür-
lihe Frage, und weil fie unnatürlich und peinlich, kann fie, meines
Erachtens, von der Kunſt nicht gelöft werden und follte unaufge-
worfen bleiben für die Kunit.
Im erjten Monate nach einer Revolution, welche einen neuen
Staat gegründet und das ganze Yeben der Bürger auf die Geltung
der Staatsform zufammengedrängt hat, da mag diefe Brutus-Rolle
im Theater Zuftimmung finden. Schon im zweiten Monate nicht
mehr. Da drängt das Menfchenthbum ſich chen wieder hervor
und räumt dem Staatsthume nicht mehr ein, daß die Verlengnung
des natürlichjten Gefühles ſchön erſcheinen könne. Nothwendig
vielleicht, aber nicht ſchön. Und das blos Nothwendige iſt feine
Aufgabe für die Kunſt. Im letter Spite muß doch Alles, was die
Kunft hervorbringt, ein Clement des Wohlthuenven in fich tragen,
und wie joll das erreicht werden, wenn das Herz jehreiend Nein
jagt zu dem, was ihm vorgeftellt wird? Namentlich wenn die Vor:
jtellung auf der Bühne gefchieht, wo das Herz viel unmittelbarer
berührt wird, als bei jever anderen Kunft.
Die Statue des von Schlangen umrungenen Yaofoon mag
Gegenſtand des fünjtleriichen Streites fein, und ein ftrenger Sinn
wie Leſſing's mag dafür geiftvoll eintreten in den Streit — aber
eine Statue appellivt auch ganz anders an unjeren Geſchmack, als
ein Theaterſtück. Die ſchönen Yinien, die Hauptaufgabe der Statue,
fünnen ums günftig anmuthen troß des graufamen Schmerzes,
welcher den gepeinigten Mann zerwühlt — bei dem gemarterten
Menſchen auf ver Bühne jind ſchöne Yinien ver äußeren Erfcheinung
nicht der wichtigite Gefichtspunft. Wenn auf der Bühne dag mora-
lifche Yeiden nur peinvoll und martervoll ift, da wenden wir ung
ab, weil wir auch nur peinvoll und marterwoll berührt werden.
Wie talentvoll auch Roderich Anſchütz die alten Steine feiter
Gedanken und Vorfälle bewegt hatte durch den lebensvollen Hauch
Das Burgtheater. 327
einiger Scenen, er fonnte dadurch vie Mißlichkeit des Themas nicht
vergejjen machen. Und das fraglice Vaterthum im Stüde jchlug
ihm bei der Darjtellung noch eine bejondere Wunde, Naturgemäß
verjagte der Bater Anſchütz, welcher.den Brutus fpielte, dem dich—
teriijhen Sohne Anſchütz. Dieſe unnatürliche, blos politiſche Grau—
ſamkeit lag gar nicht im Weſen des alten Schauſpielers; man ſah,
daß dieſe Brutus-Darſtellung ein Ergebniß des Schulſtudiums war,
aber mit der freien Künſtlerkraft eines vorzugsweiſe bürgerlichen
und milden Darſtellers Nichts zu ſchaffen hatte.
Da fehlte es denn nicht an Applaus, aber es war ſogenannter
Familien-Applaus im guten Sinne des Wortes, und es fehlte an
wahrer Theilnahme, alſo auch bald an Zuſchauern.
Roderich Anſchütz hat ſpäter den bereit liegenden Werkſtücken
des Architektur-Dramas gänzlich entſagt und eine „Joehanna Gray’
wie einen „Kunz von Kaufung“ gebracht, Productionen, welche beide
der Rede werth ſind, obwohl die zweite gleich beim Auftauchen
unterging. — Das geht wohl ſo, wenn eine neue Abſicht nicht gleich
beim erſten Wurfe vollſtändig gelingt. Das Neue muß Glück haben,
ſonſt wird es nach den Maßſtäben des Alten wohlfeil verur—
theilt.
Roderich Anſchütz wollte einen hiſtoriſch populären Stoff, den
ſächſiſchen Prinzenraub, auch populär dramatiſiren — ein Plan,
welcher ja den mechaniſch in Jamben einherſtolzirenden hiſtoriſchen
Stücken weit vorzuziehen iſt. Die Hauptwendung des Stückes
aber, die Gefangennahme des Kunz, war nicht beſonders gerathen
und ſprach nicht an. Dadurch wurde das Ganze niedergeriſſen.
Denn das Populäre wohnt immer dicht neben dem Alltäglichen und
gar nicht weit vom Gemeinen. Wenn dem Populären alſo der ganz
treffende Ton an entſcheidender Stelle verſagt, dann iſt es kläglich
verloren, da Niemand ſo gering ſein will, Alltägliches annehmbar
zu finden. — Trotzdem war die Intention des Dichters lobens—
werth, und da er mit der Theaterwirkung wohlvertraut iſt, ſo ſollte
328 Das Burgtheater.
er feine Thätigfeit fir die Bühne nicht einftellen, wie ex feit jener
Zeit gethan. Denn auch feine „Johanna Gray‘ unterfchied ich
vortheilhaft von den üblichen hiſtoriſchen Stücken. Sie war nicht
ohne eigenthümliche Charafteriftif und nicht ohne intime Züge.
Unſere Darjtellung fonnte ihr aber leider nicht die nöthige Förderung
bieten, denn nach Abgang des Fräulein Seebad) war unjere un—
tragiihe Sophonisbe auch unfere Johanna Gray.
Die völlig modernen „Biedermänner“ gingen wie über Ruinen
lachend über all jene Architefturftüce hinweg, und lachend ging das
Publicum mit ihnen wochenlang, monatelang. Ein greller Sieg
des Interejjes, welches im Neize dev Gegenwart liegt,
Und gerade dies wird von deutſcher Theaterfritif am viel
fachjten verfannt. Sie behandelt geringichätig, was fic) auf der
Bühne mit dev Gegenwart bejchäftigt, und verliert dadurch bie
wichtigite Gelegenheit, dem Theater zu nüßen. Brutus ift ihr
interefjanter als Doctor Fiſcher. Auf dem Theater und beim
Theater » Bublicum iſt's umgefehrt. Ein Theater hat die größte
Macht darin, daß es die Gegenwart anjprechend darftellt. Dadurch
gewinnt es das größte Publicum, dadurch nöthigt es feine Schau-
jpieler zur Wahrheit und fein Publicum zur Würdigung wahrhaf-
tigen Spieles. Denn bei den Stoffen der Gegenwart find alle
Zufchauer bis auf einen gewillen Grad urtheilsfähig: ob das, was
dargejtellt wird und wie es dargejtellt wird, richtig und treffend fei.
Und von der Gegenwart ausgehend, führt ein Theater in richtiger
Folge und auffteigender Reihe fein Publicum und feine Schau—
Ipieler natürlich und gefund zu ferner liegenden Aufgaben wie zu
höher liegenden Aufgaben. Ein jo herangebilvetes Bublicum und
jo heraufgezogene Schaufpieler gehen an ein hiſtoriſches Schaufpiel
einfach und ehrlich. Da tft ein verbilvetes Pathos und ein ver—
fünftelter Styl nicht mehr möglih, da erfolgt die nothwendige
Steigerung des Vortrages und Styles in organijcher Weife, jie er:
folgt unjerem Bildungsjtandpunfte angemefjen, und das ganze
Das Burgtheater. 329
Theater bewahrt fich ven Ton der Wahrhaftiafeit, mit dieſem Tone
aber die einzig treffende und dauernde Macht.
Auf den deutjchen Theatern hat man feit Jahrzehnten ven ums
gefehrten Weg verfolgt, und gerade dadurch hat man das deutjche
Theater gefährlich beſchädigt.
Das Schaufpiel dev Gegenwart, das heutige Stüd, nenne
man’s Converſationsſtück, Gejellfchaftsjtüd oder jonjtwie, ift
namentlich auf den deutjchen Hoftheatern als etwas Triviales ver-
nachläffigt worden, und gerade dadurch hat man die lebensvolle
Theilnahme des Bublicums verloren, hat man die Bildung der
Schaufpieler verwirrt und insbejondere die Schaufpieler zu ge—
ipreizter Unnatur verleitet. in gelangmweiltes Publicum und
manierivte Schaufpieler find aber der Verfall ves Theaters.
Einige junge Kritifer in den deutfchen Refidenzjtädten wiſſen
heute noch nicht, um was es ſich handelt, wenn jie gegen das fran-
zöfiiche Stück auf dem Burgtheater eifern und mich namentlich
einen Förderer der Franzoſen jchelten. Um die Franzofen ift es
uns nicht zu thun, jondern um das Schaufpiel der Gegenwart.
Gelingt es deutjchen Dramatifern, wie zum Beiſpiele Freytag,
Hadländer und einigen anderen, jo iſt uns das hochwillkommen,
zehnmal willfommener als das Stüd eines Fremden, denn die
heimathliche Seele jteht uns ja zehnmal näher, und bei Franzofen
haben wir ja immer ein Quantım fremdartigen Elementes auszu—
jäten.
Die Wiener find auch immer unberührt geblieben von diejen
Ichiefen Vorwürfen. Sie wiljen zu gut, daß ihr Theater nicht
leben fann ohne das Stüd der Gegenwart. Auch die Wiener
Dramatiker willen das, und es entjtehen unter ihnen immer viel
zahlreicher als irgendwo im deutjchen Reiche Talente, welche das
moderne Schaufpiel anbauen.
Man hat wohl gefabelt, das Wiener Rublicum fei gemischt
wie die Bevölkerung Defterreihs, und hat daraus gefolgert, daß
350 Das Burgtheater.
franzöfiibe Stüde bier leichter Eingang fänden. Nichts kann
falicher fein. Das Wiener Publicum und fpeciel das Publicum
des Burgtheaters iſt gründlich deutſch. Im allen möglichen Schat-
tirungen fann man das täglich im Theater beobachten. Es iſt
deutſcher als das mancher norddeutſchen Stadt oftwärts der Elbe,
und wenn franzöfiiche Stüde hier Glück machen, welche dort ab-
fallen, jo liegt dies nicht daran, daß man hier mehr franzöfiich geartet
jet als dort, jondern es liegt daran, daß die Stüde hier bejjer ge-
ipielt werden als dort und daß das Wiener Publicum nicht durch
rohe Ueberſetzungen auf den Gedanken bingejtoßen wird, fremde
Waare vor fih zu haben. Außerdem liegt ver Erfolg diefer Conver-
fattonsjtüde in Wien noch beſonders darin, daß der Sinn für
lebensvolles Schaufpiel bier gewect und lebendig erhalten ift durch
immer vorhandene entiprechbende Nahrung, während in ven deutichen
Hoftheatern ein fünftliches Wejen in Darftellung und Auffafjung
fich eingenijtet hat.
Allerdings haben franzöfiiche Bearbeitungen unjerem Reper—
toire jehr viel Stoff geboten, und ich will jogleich in Einem Zuge
bis in die neuejte Zeit herein eine Ueberficht davon geben, damit Dies
ganze Thema erledigt werden fann.
Die Hauptjtüde diefer Gattung waren: „Der Damenfrieg‘,
„Das Fräulein von Seigliere‘‘, „Lady Tartuffe‘‘, „Ein verarmter
Edelmann”, „Vater und Sohn”, „Graf Hiob“, „Die öffentliche
Meinung”, „Der Pelikan‘, „Eine vornehme Ehe“, „Die Königin
von Navarra”, „Feenhände“, „Die Bievdermänner”, „Die guten
Freunde”, „Der legte Brief”, „Der Attache”, „Die Geldfrage“,
„Hageftolze”, „Die Familie nach der Mode’, und von Fleineren
Stüden: ‚Mein Stern“, „Eine Partie Piquet“, „Weiberthränen‘,
„Der arme Marquis”, „Sand in die Augen”, „Nur Mutter.
Wollten wir all dieſe Stüde, weil fie aus dem Franzöfiichen
ſtammen, aus unferem Repertoire jtreichen, wir würden ung für arg
beraubt anjehen. Was bedeutet es denn aber, daß all dieſe Stüde
Das Burgtheater. 331
unverwüftliche Nepertoireftüde geworden find? Es bedeutet doch
wahrhaftig nicht, daß fie fremd, ſondern daß fie eingebürgert find.
Das aber find fie, weil fie anfprechen, weil fie wirffame, und zwar
gut wirfjame Stüde find. Und wenn ein fremder fie im Burg-
theater ſpielen jieht, jo wird er bei gar vielen zugeftehen, daß ſie
gute Stüce find, von denen man leider in jeiner Heimath gar Nichts
wiſſe.
„Die öffentliche Meinung“ („Les effrontés“) und die Fort—
ſetzung „Der Pelikan“ („Le fils de Giboyer“) von Augier ſtehen
einer ſtrengen Kritik Rede und ſind bahnbrechend geworden für das
moderne Schauſpiel ſocialer Politik. Feuillet's Arbeiten: „Ein
verarmter Edelmann‘ (Le roman d’un jeune homme pauvre“)
und „Eine vornehme Ehe’ („La tentation“) muthen uns faft an
wie deutſche Stüde in dem foliden Feuillet'ſchen Weſen, welches
ehrliche Grundſätze, gediegene Charafteriftif und feine Reize zur
Grundlage bat. Des jüngeren Dumas moralisch excentrifche
Stücke jind grundſätzlich ausgejchloffen geblieben, und „Die Games
liendame“ wie „Demi-monde“ haben feinen Zutritt gefunden,
wie jtarf die Reize der Compofition und des Dialogs darin waren ;
fie find ausgejchloffen geblieben, weil darin Sitten walten, Die un—
ferem deutſchen Weſen widerjtreben. Sein ‚Vater und Sohn‘
aber („Le pere prodigue“) ift in ver Hauptjache frei davon, umd
jeine „Geldfrage“ („La question d’argent“) ijt ganz frei von
moralifcher Bevenflichfeit. Die „Geldfrage“ ift jogar ein Triumph
ehrlicher Liebe und ehrlicher Menjchen, und „Vater und Sohn‘ ift
in feinen zwei erſten Acten wielleicht das Bejte und Yiebenswürdigite,
was europätiche Luſtſpiel-Literatur hervorgebracht hat an Reiz des
Dialogs, an Reiz der Charaktere und der Handlung. Des jüngeren
Dumas Dialog allein, an geijtiger Anmuth won feinem Anderen
erreicht, jollte jedes Theater veranlaſſen, ein Stüd dieſes Autors
im Nepertoire zu haben, damit das jchreibende Gefchlecht einer
ſolchen Anregung theilhaft würde.
352 Das Burgtheater.
In Sandeau’s „Fräulein von Seigliere’ ferner iſt feine Spur
moralifch bevenflichen Franzojenthbums, wohl aber bietet es inter-
ejfante Menſchen und eine interefjante Handlung. Daſſelbe gilt
von der „Lady Tartuffe‘ ver Frau v. Girardin. „Graf Hiob’
(„Le due Job“) von Laya iſt jo intim ehrlih, daß er einen guten
deutichen Autor zum Vater haben fünnte, und felbft in der oft ge—
ihmähten „Adrienne Lecouvreur“ iſt von dem mißlichen Moral:
thema der Franzoſen Nichts zu finden, Was diefem Stücke und
der „Königin von Navarra” vorzuwerfen ijt, das berührt Comes
pojitions-fragen, welche allen Nationen gemeinfam jind. Beide
Stücke haben intereffante Scenen und Acte, aber fie bauen ſich
fortwährend neu auf und erinnern an Meojaifarbeit, welche im
Drama als Ueberhäufung ericheint. „Adrienne Lecouvreur“ hat
ferner einen Schluß, welcher in jener tragtichen Gejtalt über-
vajchend fommt. Die vorhergehenden vier Acte jind feine Ein-
feitung zu einer grellen Sterbefcene, und das bleibt ein Fehler,
wenn auch die Scene jelbjt mit großem Talente geführt ift. Diejer
Fehler iſt entitanden, weil ein Converjationsjtüd für Fräulein
Rachel geichrieben werden jollte, man aber doch auch im Conver—
ſationsſtück ihre große tragiihe Darjtellungsgabe nicht unbenüst
laſſen wollte.
Die Scribefchen Luſtſpiele zu verwerfen, wäre ja doch einfache
Thorheit. Wie viele Jahre vergehen, ehe eine jo glüdlihe
Komödie wie der „Damenfrieg‘ erfinden wird, und auch Meilhac's
„Attaché“ und bejonders Sardou's „Letzter Brief“ („Les pattes
de mouche‘“) jind jo unbefangen europäiich luftig, wie man nur
wünjchen fann. Sardou's Charafterzeichnungen in den „Guten
Freunden‘ („Nos intimes“), in den „Hageſtolzen“ („Les vieux
garcons“) und der „Familie nach der Mode” („La famille
Benoiton“) find wie die in Barriere’s „Biedermännern“ ungemein
reichhaltig an neuen Typen, und zwar an fomifchen Typen — wer
verjteht Etwas von Dramaturgie und fchätgt Erfindungen folcher
Das Burgtheater. e 533
Art gering?! Man fucht in ver Handlung das auszugleichen, was
unferen Sitten grell wiverfpricht, und eignet fich folchergejtalt die
Borzüge an.
Die Erziehung zahlreicher jchaufpielerifcher Talente wäre ohne
jtetige Prlege des modernen Stücdes nicht möglich geworden. Die
jungen Yeute fommen eigentlich alle künſtlich declamirend zum
Theater. Unflare Romantik iſt ihre Devife. Läßt man fie mit
diejer Unflarheit und Künftlichfeit in’s höhere Schaufpiel oder in
die Tragödie eintreten und nur in diefen höheren Gattungen fort
arbeiten, jo mag man im glüclichjten Falle ein Genie finden, wenn
die natürliche Begabung eben außerordentlich iſt, in neunundneunzig
Fällen unter hundert aber bringt man Unflarheit und Künftlichkeit
zu hohen Jahren. Mean befjert wohl an ihnen, doch wedt man
nichts wirklich Yebenswolles. — Ganz andere Kefultate gewinnt
man, wenn die jungen Yeute fogleich und oft genöthigt werden, in’s
moderne Stüd einzutreten. Da deckt fein fünftlicher Mantel; fie
müſſen ericheinen wie fie find; Jedermann fieht auf ver Stelle, wo
es fehlt, wo gelernt, wo ergänzt und wo vermieden werden muß.
Die jungen Leute jehen es ſelbſt. Das poetiſche Wort des höheren
Stückes trägt fie nicht, jie müſſen das einfache Wort tragen, fie
müſſen etwas Geiftiges aus fich ſelbſt entwiceln. Das fpornt an,
ſich nach geiftiger Hilfe umzufehen. Sie lernen leſen, fie fuchen
Geſpräche von einiger Bedeutung, fie trachten nah Bildung. Bald
entveden fie, dag das Publicum ganz ftill wird und fie aufmerffam
anhört, wenn jie ihre Rede verjtändig gruppiren, wenn fie gefammelt
mit ihrem Geifte darauf ruhen — das wirft eleftrifch auf fie, und
jo gehen fie ſelbſt felbititändig umd eifrig auf vem richtigen Wege
weiter. Diefer richtige Weg heißt: einfache Wahrheit von geiftiger
Kraft getragen. Sind fie erſt feit auf diefem Wege, dann geht es
ebenfalls von ſelbſt — denn die Jugend ftrebt nach dem Idealen —
an höhere Aufgaben, welche Gelegenheit bieten, Herz und Phantafie
in lebhafte Bewegung zu ſetzen, und nun wird diefe Bewegung eine
334 Das Burgtheater.
ihöne Bewegung, denn fie haben gehen gelernt, fie gebrauchen all’
ihre inneren Kräfte in organifcher Drdnung.
Herr Sonnenthal, welcher als ungenügender Mortimer an—
fam, ift ein recht deutliches Bild diefer Schule. Ganz jo wie ich
jte da bejchrieben, hat er fie durchgemacht, und fo hat er für das
moderne Stüd eine geijtige wie formelle Ueberlegenheit gewonnen,
für das höhere Stück aber einen Schönen Ausprud der Wahrhaftig-
feit erreicht.
Indem man mit dem jungen Schaufpieler vom modernen
Stüde ausgeht, Schafft man fich ferner treffliche Kräfte aus den—
jenigen Talenten, welche nicht zu den ſtark ausgefprochenen Naturen
gehören oder doch nicht zu den deutlich ausgejprochenen. Starfes
Weinen und jtarfes Yachen freilich führt ſchnell zu bejtimmten
Fächern, zum tragifhen und zum fomifchen Fache. Aber für die
feinere Sentimentalität und für die feinere Heiterfeit das „gemijchte
Fach” zu finden, das vermag man nur auf dem Wege des modernen
Stückes. Auf diefem Wege hat fich eine jo wohlthuende Kraft wie
Fräulein Bognar ausgebildet, welche jett zum Gretchen hinauf-
veicht und doch die finnig fentimentalen Gejtalten des Converjationg-
ſtückes, auch wenn fie fröhliche Züge tragen, anjprechend und wir-
fungsvoll darjtellt. Desgleichen nach der heiteren Seite Fräulein
Baudius, die anfangs nach allen Richtungen irrlichterivte und nun
eine ganz ſelbſtſtändige Kraft im geiftigen Luftjpiele geworden ift.
Die Behenvigfeit, Gewandtheit und Dreiftigfeit ihres Geiftes hat
ihr nun durch das moderne Stüd ein junges Charafterfach ab-
gegrenzt, in welchen fie herworragt. Auch Frau Gabillon, die ich
im Tragiichen immer tadeln mußte, hat im modernen Stüde ein
Fach ſcharfer Damen gefunden, welches fie feit ausfüllt.
Bon eben folcher Bedeutung wie für die Schaufpieler iſt das
Stück der Gegenwart für das Publicum, jobald die Auswahl der
fremden Stüde auf unjere nationale Sitte und Empfindung ſorg—
Das Burgtheater. 335
fältige Rücjicht nimmt. Gepfefferte fremde Speiſe freilich jchadet
den Schauspielern wie dem Publicum.
Ich ſehe im Repertoire des Burgtheaters für den Yetsten diejes
Monats angefündigt: „Die Schuld einer Frau’. Dies ijt „Le
supplice d’une femme“, ein real wirfjames Stüc, welches vor
zwei Jahren erjchien und einen jtarfen äfthetifchen Lärm verurjachte
durch feine Nacktheit modernen Conflictes. Die Darjtellung dieſes
Stüdes geht allerdings weit über mein Princip hinaus. Es be—
handelt ein Thema des Ehebruchs in derjenigen franzöfiichen Form,
welche für unfere Empfindung unangenehm einfchneivend und ver-
legend ift. Der Ehebruch dauert ſchon über fieben Jahre, und die
Frucht dejjelben, das Kind, fpielt eine Rolle — es fucht feinen
Bater, Dies Stüd, welches das Burgtheater- Publicıum wie mora—
licher Scandal anmuthen muß, habe ich diefem Publicum nicht
bieten zu dürfen gemeint; ich habe es ſtandhaft abgewiejen wie die
„Sameliendame‘.
Der jebige Intendant ift alſo in diefem Punfte freifinniger
als ih, Iſt es wirklich Freifinn, dann iſt die Erjcheinung merf-
würdig genug neben feiner jonjtigen, engeren Auffaſſung ver Zus
läſſigkeit. Iſt es aber nicht Freifinn, dann — wird es wohl
Confuſion fein *).
) Das Stüd ift — wohl in Folge obiger Bemerkung — von der Inten-
danz zurüdgezogen und auf dem Burgtheater nicht aufgeführt worden.
5.0. DC
Das Jahr 1856 hatte mir gerade wieder recht ſchmerzlich in
Erinnerung gebracht, daß unfere dramatifche Production im dieſer
wichtigen Richtung, in der Richtung des modernen Schaufpieles,
auf gar jo wenig Augen gejtellt wäre in Deutjchland. Bauernfeld,
jo geeignet dafür, war der Gegenwart wieder durchgegangen auf
eine hiftorifche Streifung, zu welcher er immer die größte Luft hat,
und bei welcher das Theater immer die eigentliche Kraft Bauern-
feld's verliert. Bei aller ausgebreiteten hiſtoriſchen Kenntniß, welche
er befitt und welche ihn zu hiſtoriſchen Stüden verführt, it der
Kern feines Talentes doch durchaus dem modernen Leben angehörig,
und er verliert wie Anteus jeine Kraft, jobald er den Fuß entfernt
von diefem feinen heimathlichen Boden. „Unter der Regentſchaft“
von ihm, aus der franzöfifchen Gefchichte, war ohne Wirfung
gegeben worden, und ein zweiter Matador der modernen Production
verjagte uns nicht minder in diefem Jahre, Gutzkow nämlich, von
welchem wir im Frühjahre „Ella Roſe“, im Herbite „Dttfried‘
gaben, zwei Stoffe, welche an fich unferem Principe des Gegen:
wartjtüces ganz entjprachen. Und er verjagte in einer Weife, die
mich viel tiefer niederfchlug. An Bauernfelv’s Elaſticität ver—
zweifelte ich feinen Augenblick, ich war ficher, daß er fid) und ung
binnen Kurzem mit einem heutigen Stüde entjchädigen würde;
aber an Gutfow’s fernerer Thätigfeit für die Bühne fing ih an
zu zweifeln.
Das Burgtheater. 337
„Ella Roſe“ hatte einen Tcheinbaren Theater - Erfolg. Für
uns Theaterleute war es nur ein fcheinbarer. Uns jtieg dabei die
Beſorgniß auf, Gutzkow trete zurück aus der führenden Phalanx
unferer Dramatiker und wende ſich anderen Formen zu.
Das mußte mir befonders einen traurigen Eindruck machen,
der ich am beften wußte, wie er in den Dreißiger Jahren ver Erite
gewejen, welcher das ‚junge Deutſchland“ dem Theater zugeführt
hatte, und wie er im Principe ganz dazu angethan war, die leben-
digen Intereffen unjerer Zeit auf der Bühne wirffam zu machen,
das moderne Schauspiel geiltig zu heben.
Schon im Jahre 1834, als ich Neifenovellen fchrieb und er
feine „Wally“ noch im Kopfe trug, fagte er mir plößlich einmal in
Leipzig: „Eigentlich müßten wir für die Bühne ſchreiben!“ Und
dabei entwidelte er die Macht, welche von der Bühne ausgehen
könnte, ſobald jie die Intereffen der Gegenwart darſtellte. Sch
jchüttelte damals den Kopf. Obwohl ich von Jugend auf lebhafte:
ven Antheil an ver Bühne genommen als er, obwohl ich gleich nach
der Studentenzeit ver Bühne wirkffam nahegetreten und Stücke —
natürlich unreife Waare! — zur Aufführung gebracht, obwohl ich
alfo mehr als er berufen gewefen wäre, auf Theatergedanfen zu
gerathen, billigte ich doch damals in Yeipzig feine Idee gar nicht.
Ich meinte, unjere Ideale lägen viel zu fern von dem, was auf dem
Theater möglich und wirffam wäre. Wir ruderten in Politik und
joctaler Erweiterung; ich begriff nicht, was wir mit der Bühne
gemein haben fonnten, welche ja doch im Wefentlichen auf beſtehende
Sitte und Anſchauung gewiefen ſei. Er ſah weiter als ich und
beharrte auf jeinem Gedanken, und fo war er auch wirklich der
Erite von uns, welcher einige Jahre jpäter mit einem Theaterſtück
auftrat, mit „Richard Savage‘, welches fogar die „Burg“, die
ung fo fernliegende Burg, in den erſten Vierziger Jahren aufführte,
Er fuhr fort mit feinem „Werner, und fand gerade im Burg-
theater eine dauernde Stätte für dieſen „Werner“, und dies Stück
Laube, Burgtheater. 22
358 Das Burgtheater.
gerade bebaute klar ausgefprochen das Feld, welches ich das „Stüd
der Gegenwart” nenne, Er war aljo mit feinem Injtinet und
raſchem Talente ein richtiger Anführer geworden. Er hatte des—
gleichen mit einem’ Kaufmannsjtüde: „Die Schule der Reichen‘,
welches die Hamburger Kaufleute faufmännifch unvichtig gefunden
und abgelehnt hatten und welches auf den deutichen Theatern
unbefannt blieb, im Burgtheater einen ziemlich lang dauernden
Erfolg errungen; er war aljo troß jungdeutjcher Richtung am erjten
auf demjenigen Theater eingebürgert, welches dieſer Richtung am
fefteften verfchloffen gewefen. Er hatte außerdem in „Zopf und
Schwert‘, im „Urbild des Tartuffe”, in „Uriel Acoſta“ werthvolle
und dauernde dramatiiche Productionen gebracht, alle belebt und
getragen vom Geiſte unferer Zeit — und ihn jah ich jett mit feiner
„Ella Roſe“ fichtlih im Abſchiednehmen!
Das Glück ſchien ihm abhanden gefommen zu fein für die
dramatifche Form, das Treffen verfagte ihm wie dem Porträtmaler,
deſſen Auge jich zu viel in andere Nichtungen vertieft hat. Er
hatte mehrere Stüde abgefaßt im Yaufe der letten Jahre, „Antonio
und Perez”, „Die Diakoniſſin“, „Lenz und Söhne”. „Antonio
und Perez’ hatte fich in Charafterijtif, Handlung und Sprade
allzu reichhaltig, alfo überladen erwiefen; „Die Diafonifjin‘ und
„Lenz und Söhne‘, beide in der Wahl des Stoffes unjerer Abficht
auf ein modernes Theater wohl entiprechend, waren durch ihn
jelbjt von den Bühnen zurüdgezogen worden. Er hatte in ver
Ausführung der Stoffe den einfachen Weg nicht mehr gefunden,
welcher voll interefjirt; das empfand er felbjt und befeitigte miß-
muthig ſelbſt jeine Arbeit. Nun fam er mit „Ella Roje, oder: Die
Rechte des Weibes“, alfo wiederum mit einem modern interejjanten
Thema, und diesmal fam er jelbjt nach Wien, um die Inſceneſetzung
zu leiten, die Aufführung anzufehen.
Wir waren Alle beeifert, uns ihm willfährig zu erweijen, wir
hegten aber Alle die Bejorgniß, daß in vem Stüde ein Etwas läge,
Das Burgtheater. 339
welches dem glüclichen Gelingen widerftrebte. Die Schaufpieler
fuchten dies Etwas in der Sprache, welche, in jchwerfälligen Sätzen
einhergehend, ven Ausdruck belaftete. Yiterarifch entjchuldigte man
das, weil eben das Banale des Auspruds vermieden war und
Eigenthümliches gejagt jein wollte, was fich immer ſchwer einfügt
in glattes Geleis. Aber auch Literarifch fonnte man zweifelhaft
fein, ob dies Eigenthümliche hinlänglich abgeklärt wäre, um auf:
gefaßt und gewürdigt zu werden. Moſt, nicht Wein! lautete eine
Demerfung, und fie bezog fich auch auf die Entwiclung des Themas,
nicht blos auf die Sprache, fie bezog ſich auch auf die Handlung,
; welche, unausgegohren, fich nicht zum Schluffe abklären kann.
Geijtiger Stoff in Fülle, aber in der Form nicht fiegreich bewältigt
— furz, ich fonnte den Eindruck nicht abweifen: Gutfow ift auf
dem Punfte, dem Theater zumächjt ven Rüden zu fehren, weil er
Uebergänge in fich durchzumachen hat, welche Zeit brauchen, weil
er diefe Hebergänge durchgemacht haben muß, um feine Gedanfen-
welt wieder leicht dienftbar zu haben für fein Talent.
So fam die erjte Vorftellung von „Ella Roſe“. Er fah fie
in meiner Yoge an. Dem Publicum war befannt geworden, daß
er da wäre, und es rief ihn ſchon nach dem erften Acte. Ich muß
jetst eingejtehen, daß ich ven Wienern damals feinen Anblick eine
Zeitlang jchnöde entzogen habe. Zum Schluffe follt ihr ihn haben,
eher nicht! lautete meine Politif, Die zwei letten Acte des Stückes
waren die jchwächjten, der Lette beſonders fonnte wegen feiner
Unflarbeit feine Wirkung machen. Es war mir alfo darum zu thun,
die Theilmahme für ven Dichter als eine Theilnahme für das Ge-
dicht erjcheinen zu laſſen. Sie werden klatſchen und rufen, dachte
ich, auch wenn die leiten Acte weniger wirfen, und wer kann nach—
weiſen, daß dies Klatſchen und Rufen blos dem Dichter gegolten,
den man jehen will, und nicht auch dem Gedichte?! Ich rieth alfo
Gutzkow, bis zum Schluffe des Stücdes zu warten. Und diefe
Politik trug ihre Früchte, Bis zum vierten Acte wirkte das Stück
—
340) Das Burgtheater.
jelbititändig, dann fanf die Wirkung; der Wunſch aber, ven Dichter
zu jeben, ſank nicht, und jo blieb der äußere Erfolg bis zum Schluffe
ein beifälliger. Die Nachricht am folgenden Tage vom Hervorrufe
des Dichters nach jedem Acte that weiter ihre Schuldigfeit ; es war
der Auf fertig, dag „Ella Roſe“ gefallen habe, und wir fonnten fie
eine Zeitlang wiederholen. Einſtimmig hieß es freilich im Publi-
cum: vie legten Acte haben uns weniger gefallen; aber ein fertiger
Ruf ift bei einem Theaterftüd in Wien eine lang dauernde An—
ziehungsfraft.
Sm Herbite deſſelben Jahres brachte ich auch „Dttfried‘ neu,
ein bürgerliches Schaufpiel von Gutzkow. Es bewegt ſich ebenfalls
um ein modernes, wohlgewähltes Thema und hat manche feine Züge
von echter Wahrheit unferes heutigen Yebens. Aber es wirkte nicht
ſtark genug. Obwohl es den Borzug größerer Einfachheit voraus
batte vor „Ella Roſe“, fo jtand es er doch nach an leidenſchaft—
lichem Drange.
Es war all diefen Stücen inzufehen; daß der Dichter fie nicht
mehr mit voller Liebe und Energie gejchaffen hatte, und wie ich be—
fürchtet, ließ denn auch Gutzkow von da an feine Thätigfeit für das
Theater ganz fallen. Es hat fich ſpäter gezeigt, daß körperliche Be—
ſchwerde jchon lange feinen Geijt verjtimmt hatte,
Gr bat diefe Bejchwerde überwunden, und es fommt vielleicht
der Tag, wo er jich ver Bühne wieder zumendet. Früher und deut:
licher als irgend Einer hat er den Yebenspunft erfannt, von welchem
die dramatiiche Production ausgehen müfje, um auf der Bühne und
von der Bühne wirkſam zu werden.
Neu einftudirt wurden in diefen zwei Jahren an Stüden von
größerer Bedeutung: „Macbeth, „Phädra“, „Sappho“, „Dttofar’s
Glück und Ende’, „Das goldene Vließ“ — „Macbeth“, „Phädra“
und „Sappho“ ohne genügenden Erfolg. Die alten Kräfte, welche
da an der Spite jtanden, waren nicht mehr geeignet, die Kraft ver
Hauptrolle darzuthun oder hinveichenden Neiz auszuüben. Es fehlte
Das Burgtheater. 341
für „Macbeth“ ein Träger der Titelrolle, und es fehlten die wirk—
famen Trägerinnen für „Sappho’ und „Phädra“.
‚Macbeth‘, allerdings nie ein jtarfanziehendes oder dankbares
Stück im gewöhnlichen Schaufpielerfinne, weil nur unerfreuliche
Leidenschaften auftreten und die Piebe gar nicht mitjpielt, ſchien ab-
folut nicht mehr gelingen zu wollen. Ich halte dies Stüc fir eine
der ſtolzeſten Compofitionen Shakeſpeare's und Fam immer wieder
auf die Imjcenejeßung deſſelben zurüd, Erſt ſpät ift fie mir ge-
(ungen mit Herrn Wagner als Macheth und Fräulein Wolter als
Lady Macbeth. Damals warf Herr Gabillon ven Macbeth zu ven
Todten, wie e8 einige Jahre früher Herr Yöwe gethan.
Meine wiederholten Berfuche, einen vortrefflichen Helvenfpieler,
wie ja doch Herr Löwe gewefen, in's Fach der Heldenväter einzu-
führen, mißlangen total. Das Feuer hatte jeine jungen Helven
reizend belebt, für ältere Helden fehlte ihm der Kern eines ftarfen
Menſchen.
Mit „Ottokar“ und dem „Goldenen Vließ“ gelang die In—
jcenejegung bejjer. Namentlich im „Ottokar“ errang Wagner einen
tieferen Erfolg, obwohl er die Leiftung Löwe's in den erſten Acten
nicht erreichen fonnte. Der Ungeftüm, die Rückſichtsloſigkeit, das
genial despotifche Weſen Dttofar’s in den erſten Acten jtanden ihm
beiweitem nicht jo zu Gebote wie Herrn Löwe; aber in der zweiten
Hälfte des Stücdes vertieft ſich der Charafter und wird innerlich
interejjant. Das war für Löwe unerreichbar gewejen, und das trat
bei Wagner mächtig hervor. Zum Gevdeihen des Stückes, welches
num erſt voll, nun erjt ein Ganzes wurde und dadurch feitere Wur—
zeln ſchlug.
In neuen Rollen Herren Yöwe günftig zu werwenden, gelang
mir überhaupt jelten. Er jelbjt war durchaus widerwillig, wenn
die Rolle nicht erjte Chancen darbot, und er hatte fich von vorn-
herein auf den Standpunft der Unzufriedenheit geftellt. Er fonnte
e8 nicht verwinden, daß er nicht mehr jung war, und machte die
342 Das Burgtheater.
Welt und namentlich die Divection dafür verantwortlich. Was hätte
ich darum gegeben, wenn ich ihn hätte wieder jung machen fünnen !
Als er im „Julius Cäſar“ den Caſſius erhielt, den er ſpäter meijter-
haft jpielte, war ev außer jih. Antonius oder wenigjtens Brutus
gebühre ihm! Umſonſt wies ich ihm nad, daß Dies die jüngeren
Römer wären. Als Paroli darauf warf er mir fpäter den Garrid
hin im „Garrick in Briſtol“. Er ſei ja nicht jung genug dafür!
Sieben Jahre jpäter aber verlangte er den Garrick zurüd, denn er
brauche ja nicht jung zu fein.
Es war eine Engelsgeduld nöthig, und ich bin fein Engel.
Obwohl ich fein Engel bin, jo hab’ ich mir doch fo begabten alten
Künftlern gegenüber jtanphaft die Geduld zur Bildungsaufgabe ges
macht. Freilich ohne fichtbare Wirkung. Ich fand, daß gerade er
naturgemäß übel daran wäre, und dem Naturgemäßen muß man
Rechnung tragen, Die Jugend, und zwar eine lange Jugend hatte
ihn an große Auszeichnungen gewöhnt, und das Alter war nun farg
für ihn. Das thut Jedermann weh; auch demjenigen, welcher vie
Bildungskraft hat, fich zu refigniven. Wer aber nicht die geijtige
und moralifche Kraft hat zur Nefiguation, der leidet doppelt. Und
Herr Löwe hat fie nicht. Sein Geift iſt wiel Fleiner als jein Ta-
(ent — ein blanfer Gegenfat zu Julie Nettich.
Er war eine fehr jtarfe jchaufpielerifche Begabung, er war
immer ehrgeizig, wohl auch eitel, und hatte nie ein höheres Princip
für feine Kunſt gewonnen, als die Zufriedenjtellung jeines Ichs.
So mußte er um fich Schlagen, als die immer noch vorhandene, aber
von den förperlichen Mitteln nicht mehr genügend unterjtüßte ſchau—
jpielerifche Begabung nicht mehr fo veiche Früchte eintrug als früher.
Andere Früchte lagen nicht im Bereiche feiner Fähigkeit, und „vie
Verzweiflung ſchlägt gar gern“, jagt Grillparzer im „Traum ein
Neben”.
Warum lagen andere Früchte nicht im Bereiche feiner Fähig—
feit? Hatte er denn feine moralifchen Anlagen? O ja, jehr ſchöne
Das Burgtheater. 843
jogar. Aber wir haben nım, was wir mit Bemwußtjein anwenden.
Gr hatte feine beiten Anlagen mit Bewußtſein nur in feiner Kunſt
angewendet. Wohlwollen, Freude am Gelingen Anverer, Yiebe, und
wie alle unjere guten Negungen heißen, hatte er in feinen Rollen,
wie oft! zur Geltung gebradt. Dadurch meinte er fie hinlänglich
bethätigt zu haben, und war jorglos darüber, daß er fie feiner Privat:
perfon erließ, wenn jujt jtärfere Neigungen ein Genüge verlangten.
Der Erfolg verwöhnt ven Menfchen in feiner moraliichen Kraft,
und der Schauspieler ijt am eheften dem Irrthume ausgejett, daß
er ein großer Mann fei, weil er auf der Bühne ven großen Mann
wirffam jpiele. Er hat auch nicht ganz Unrecht. Er zuhlt feinen
moraliihen Beitrag an die Gejellfchaft reichlich dvadurd, daß er in
mächtiger Darjtellung tüchtiger Menfchen auf Tauſende wirft, daß
er Zaufende anregt zu moralifcher Tüchtigfeit.
Deßhalb finden wir unter darftellenden Künjtlern leicht eine
fo große Anzahl von Anmaßenden und Prahlern. Ihr Geift iſt
nicht jtarf genug, fich frei zu machen von den Wirfungen ihres Ta-
fentes, jich frei zu machen von dem Scheine, welchen ihnen ver
Dichter verleiht in den Rollen.
Für manchen Schaufpieler ift diefer Mangel an Geijt fogar
ein Vortheil. Nur wegen dieſes Mangels füllt er Fächer gläubig
und täuſchend aus, welche ein nüchtern Denfender nicht ausfüllen
fann. Löwe verdankt einen Theil feiner beſſeren Rollen, namentlich
im Luftfpiele, diefer ihm innewohnenden gläubigen Sicherheit, daß er
den gewöhnlichen Menſchenkindern weit überlegen ſei. Artiftifche
Vorzüge find in der Schaufpielfunit — ja auch in anderen Künſten
— gar oft Honsrare, welche der Künftler lächelnd auszahlt für
Privatichulden feines Charakters.
Ich fomme auf dieſen Gedanfengang, daß das Talent jich ge—
nüge und den Geiſt im Nücjtande lafje, durch die oben erwähnten
„Biedermänner“ und durch die Rolle des DVertillac, welche Herr
Löwe in diefem Stücke jehr wirffam jpielt. Dieſer Bertillac ift ehr:
344 Das Burgtheater.
geizig, aufgeblajen, lieblos, troden. Wie fpielte er das? Mit ver
ficheriten Kraft des Talentes und unter fehlender Mitwirkung des
Geiſtes. Das Talent gab eine fejt gezeichnete Anlage und führte
fie aus mit imerjchütterlicher Confequenz. Alles war richtig und
wurde nach einigem Stuten vom großen Publicum anerfannt. Ein
fünjtleriih aufmerkiamer Zujchauer nur verjagte die volle Aner—
fennung. Warum? Er fagte: Ich fühle mich von Uebertreibung
angemuthet. Dieſe Uebertreibung war nur in geringem Grade vor:
handen, aber vorhanden war jie. Und worin lag fie? Darin, daß
dem jtarfen Talente des Schaufpielers der geijtige Regulator fehlte,
Hinveichender Geijt bei jolchen Talente hätte Nuancirungen anges
bracht, um diejen Vertillac menfhenmöglich, um ihn glaubfich zu
machen und dadurch dreifach wirffam. Ohne diefen Geijt wurde
das Talent zum Handwerfe. Kurz, dem Kundigen wird aus folchen
Rollen Löwe's Klar, daß ein Abjolutismus des Talentes vor ihm
ſteht, welcher die entiprechende Geiſteskraft vernachläffigt oder nicht
beſitzt.
Dieſer Abſolutismus des Talentes hat Herrn Löwe übrigens
treffliche Leiſtungen gewährt, denn für ſeine eigenthümlichen Rollen
genügt die Zuthat ſeines Geiſtes. Das ältere Geſchlecht unſeres
Theater-Publicums ſchwärmt für ſeinen Mortimer, ſeinen Grafen
von Meran in Grillparzer's „Treuem Diener“, und ſchwärmt mit
Recht. Noch ſein Percival in „Griſeldis“ und ähnliche Rollen
waren berauſchend. Er war für glühende Leidenſchaft, für raſche
Menſchen jeglicher Gattung, für dreiſte Ungezogenheit, für freche
Herausforderung, für blendende Charakteriſtik mannigfacher Art ein
Darſteller von genialem Talent.
Ich habe ihn 1833 zum erſtenmale geſehen und bin ganz der—
ſelben günſtigen Meinung über ihn geweſen wie das Publicum.
Dann hab' ich ihn 1845 wieder geſehen, und auch da noch in einigen
ausgezeichneten Leiſtungen. Zwei Rollen aber fielen mir ſchon da—
mals auf, welche ſeiner Fähigkeit Schranken ſetzten und welche breite
Das Burgtheater. 545
Schatten warfen auf fein Talent. Die eine war Hamlet. Diefe
Yeiftung war von folcher Mittelmäßigfeit, daß ich erfchraf. Das
Wiener Publicum jchien dies übrigens zu willen, denn in guter
Theaterzeit war das Haus leer. Die vom Geifte getriebene Natur
Hamlet's erjchien völlig hohl; das jtarfe Talent Löwe's erwies ſich
auch bei den fonjt wirkſamſten Scenen machtlos, ja ſtörend. Man
erfannte, daß hier Geift und Talent einander gar nicht dedten. Hier
war der Geift viel zu klein; er verfchwand unter der Größe ver
Aufgabe, und jo erfchien das Talent gleichfam ausgeftellt, ja bloß—
gejtellt, wie Etwas, das mit dem Yeben der Rolle gar nicht zufam-
menhing — der ganze Hamlet erſchien komödiantiſch. Ich habe ihn
von Schaufpielern varjtellen jehen, denen fein Menfch Geift nach»
jagen fonnte, und doch wurde die Rolle intereffant; von Kunft zum
Beijpiele, der am Ende weniger Geijt hatte als Yöwe, und doch war
Kunſt ein intereffanter Hamlet. Woher fommt das? Vom Mifver-
hältniſſe. Kunſt jagte nicht mit feinem Talente hinaus bis über den
Zujammenhang mit jeinem Geifte, und jo bewahrte er eine gewifje
Harmonie zwifchen Geijt und Talent. Löwe aber jpornte feine jtarfe
Kraft, fein Talent nur um jo heftiger, je weniger er Hilfe fand bei
jeinem Geifte, und jo wurde die Disharmonie fichtbar. Was cr
für Geift hielt und ausgab, war überhaupt viel mehr hurtige Yeben-
vigfeit als Geiit.
Die zweite Rolle war Monalvescht. Wie als DOttofar war
er in den erjten Acten der bejte Monaldeschi, ven man fehen fonnte.
Bon dem Momente aber, wo der Geiſt des Abenteurers fich nach
Innen wendet, janf er zufammen und wurde unbedeutend. Er
ipornte jein Talent auch da über Gebühr und beging im letzten
Acte Etwas, das genau bezeichnend ift für ihn. Bezeichnend für
einen Schaufpieler, der für fein Talent Nahrung jucht ohne Rück—
jicht auf den Geift ver Rolle. Monalveschi enthüllt im letten Acte
eine Schwäche des Abentenrers: er fcheut und erbebt vor dem ficher
herantretenden Tode. Er fümpft dagegen, weil er meint, die Furcht
946 Das Burgtheater.
liege nur in den Nerven. — Das lag außer dem Gedanfenfreife
Löwe's, und die Ausführung iſt auch im gewöhnlichen Theaterfinne
nicht dankbar. Was thut er? Er mifachtet Sinn und Vorfchrift
des Buches und verwandelt die Todesfurcht in Hohn — mit Schreden
ab umd hörte ich ihm immerfort lachen. Diefe Wendung lag feinem
Talente nahe und war auch theaterwirffam. Die Abjicht des
Stüdes mochte der Teufel holen! — Dergleichen thut nur ein
Schaufpieler, welcher fein Talent abjolut gebraucht und die geiftige
Einwendung geringfchätt oder gar nicht fennt. So wird der ab-
jolute Gebrauch gelegentlich ein Mißbrauch des Talentes.
Kun, das find Betrachtungen, welche einer vollen Charafteriftif
dienen follen, Sie jollen feineswegs davon ablenfen, daß Löwe zu
den mächtigſten Schaufpielern unferer Zeit gehört hat. Sie jollen
nur far machen, daß ich übel daran war mit ihm, weil ich ihn alt
vorfand. Ein alter Schauspieler, deſſen Talent größer als ver
Geiſt, iſt ſehr Schwer zu werwerthen. “Der Geijt ift im Alter werth—
voller als das Talent, denn das Talent des Schaufpielers braucht
mannigfache phyſiſche Mittel, welche vom Alter angenagt und zer:
jtört werden. Trotzdem iſt es gelungen, noch manche Rolle von
Löwe nen zu gewinnen.
Leider war ev auch Regiſſeur. Das paßt num gewiß nicht für
ihn, Er verſteht nicht eine fremde Sprache, feine hiſtoriſche Bil-
dung it unzulänglich, fein Naturell ift ungeduldig, heftig und ohne
Yiebe für jorgfältigen Aufbau eines Kunftwerfes, er tobt hinein, ver—
wirrt und zerftört. Dazu belaftet ihn das leider fo häufige Erb-
theil deutſcher Künftler: er ift neidifch auf Erfolge Anderer! Dieſe
Eigenjchaft iſt natürlich Gift für ein Amt, welches fürdern helfen joll.
Wir haben es invefjen bier doch vorzugsmweife mit feiner Kunft-
fühigfeit zu thun, und deßhalb wiederhofe ich, daß er troß aller Ein-
ichränfungen eine ausgezeichnete Kraft des Burgtheaters ges
wejen ift.
XXVII,
Neue Dichter, neue Stücde, neue Schaufpieler in großer Zahl!
Sie ftrömten uns in der That reichlich zu Anno 1858. Ein hifte-
riſches Schaufpiel fand freundliche Aufnahme, ein modernes Luſt—
jpiel und ein hiftorifches Schaufpiel wurden Nepertoireftüde, ein
realiftifches Luſtſpiel blieb ſchwebend in Frage, ein poetifches Idyll
wurde verlacht, fünf neue Schaufpieler, drei weibliche und zwei
männliche, traten in die Künſtlergeſellſchaft — es war ein ab-
wechslungsvolles, ein reiches Jahr, das Jahr Achtundfünfzig.
Das erftgenannte, hiftorifche Schaufpiel, welches freundlich auf-
genommen wurde, war „Heinrich der Löwe“, von dem jungen Wie-
ner Dichter Franz Niffel, einem Sohne des Schaufpielers Niffel,
welcher fich KRorner nannte als Schaufpieler. Diefer Stoff, der
Kampf zwifchen Heinrich dem Löwen und Kaifer Friedrich Barba-
voffa, ijt hHundertmal erwählt worden. Der Welfe und ver Staufe,
der Nieverfachje und ver Schwabe, der Norddeutſche und der Süd—
deutſche, diefe zwei Hälften des deutſchen Baterlandes, wie oft haben
jie ſich bekämpft und wie fchwer find fie in ein Kunſtwerk zu einigen!
Niſſel war dem Stoffe formell ganz richtig nahe getreten, indem er
fih nicht, wie herkömmlich, Welf und Stauf als zwei Helden auf:
gebürdet, ſondern fich für den einen entjchievden hatte. So war der
ſchwächende veutiche Dualismus umgangen, Heinrich der Löwe war
die Hauptfigur. Niffel hatte auch, ein eigen juchender Poet,
Scenen und Charafterzüge gefunden, welche Achtung und Theil-
948 Das Burgtheater.
nahme einflößten; aber den epifchen Stempel, welchen all dieje
Raiferjtreite unjeres Mittelalters tragen, fonnte er nicht verwifchen.
Der eigentliche Kampf ift vor Schluß längſt entſchieden; Jahre find
vergangen, ehe Heinrich der Löwe aus der Verbannung wiederfehrt
und in einer Fehde fällt, welche nur mittelbar zufammenhängt mit
dem Kaiferftreite — das iſt gleichbedeutend mit Erfchlaffung des
dramatiſchen Ganges und fomit unferes Antheils am Drama.
Wir fannten den Dichter Thon durch ein Bauern-Schaufpiel,
„Der Wohlthäter“, welches durch feine Charakteriſtik fich hervor—
thut und jorgfältigem Spiele eine lohnende Gelegenheit bietet. Dies
jorgfältige Spiel war ihm auf dem Burgtheater geworden, und jo
hatte e8 zwei Jahre vor dieſem „Heinrich dem Löwen“ einen guten
Erfolg gefunden. Auf den übrigen deutſchen Theatern iſt ihm dies
nirgends gelungen, ein recht deutliches und recht trauriges Zeichen,
daß eine jorgfültige und charafteriftiiche Darftellung auf den deut-
ſchen Theatern eine Seltenheit geworden. Sch muß freilich hinzu—
jegen, daß bei einer jpäteren Wiederaufnahme „Der Wohlthäter‘‘
auch bet uns nicht mehr zu jo lebendiger Geltung gebracht werden
fonnte. Das ſpricht wohl für den ſchönen Enthufiasmus unferes
Publicums, welcher einem neuen Poëm hingebend entgegenfommt,
es deutet aber auch auf eine Schwäche des Stüdes. Sie liegt
darin, daß die Handlung etwas zu abjichtlich motiwirt ijt durch vie
Sharaftere; der nothwendige Fluß der Handlung leidet darunter;
der unmittelbare Yebenshauch, welcher den Vorgang in Bewegung
jeten joll, kommt nicht genügend zur Macht vor lauter charafteri=
ſtiſcher Abjicht.
Einige Sahre fpäter — 1862 — haben wir von demjelben
Dichter eine hiftorifche Tragödie gebracht, „‚Perfeus von Macedo—
nien“, und auch für diefes ſein beveutendftes Werf lobende Aner-
fennung gefunden. Die Führung des Stoffes, National-Berthei:
digung der Macedonier gegen die römischen Eroberer, hielt jih ganz
frei von todter Architektur, war belebt von natürlichen Analogien,
Das Burgtheater. 349
welche den deutjchen Völfern zu denken gaben, entwicelte in Perſeus
einen großartigen patriotifchen Charafter und brachte einige Scenen
großen Styles. Daß auch dieſes Stüd auf die Dauer nicht zur er-
halten war, liegt am ferngelegenen Stoffe. Dem heutigen Publi—
cum ein macedonifches Thema nahe an’s Herz zu legen, dazu bedarf
e3 einer eriten dichterifchen Kraft, und zwar einer populären Straft.
Eine jolche ift allerdings Franz Niſſel noh nicht. Aber er ift ein
finniges Talent, welches unter glüclichen Umständen ein innerlich
interejjantes Drama zu jchaffen vermag.
Das moderne Luſtſpiel, welches Aepertoiveftüd wurde, war
„Sato von Eiſen“. Es hat eine jehr lange, originelle Entjtehungs-
geichichte, welche ich in der nächjtens erjcheinenden Drudausgabe
ausführlich erzähle und deßhalb hier nur anvdeute. Lußberger,
immer emfig befliifen, dem Theater neue Stoffe und Kräfte zuzu—
führen, fchilderte mir eines Tages den Inhalt eines fpanifchen
Stüces von Goroftiza, welches ven Titel führt: „Nachſicht für
Alle. Ich fand die Grundidee jehr hübſch und fürchtete nur mit
meiner jpanifchen Bevenflichfeit, fie werde für ung nicht leicht zu—
gänglich fein in der jpantjchen Form. Das gab er zu, indem er
weiter meldete, es jei eine Bearbeitung verfucht worden, welche in
der That nicht genüge. Aber, fuhr er fort, es ift ein zweiter Autor
ſchon damit befchäftigt, das ganze Thema zu uns nach Deutjchland
zu verlegen,
Dieje Bearbeitung wurde mir jpäter mitgetheilt. Sie genügte
mir nicht, und ich lehnte fie ab. Indem ich aber diefe Ablehnung
erklären und begründen mußte, und indem ich dies zu wiederholten-
malen that, weil der Autor ein Wiener war und der Verkehr mündlich
gepflogen wurde, ergab es fich von felbjt, daß ich bei diefer Gelegenheit
jfizzirte, wie ich mir ven Weg dächte, welcher einzufchlagen wäre für
eine jelbjtitändige Bearbeitung des Themas. Dies veranlafte ven
Autor — Otto Prechtler —, mir vorzufchlagen: Arbeiten wir ge
meinschaftlih! Das verfuchten wir; aber e8 gelang nicht. Mein
350 Das Burgtheater.
Eigenſinn paßte nicht zu folcher Thätigfeit. Ich hatte den erjten
Act gejehrieben, Prechtler den zweiten, und ich meinte, fie gingen
nicht organisch zufammen, die beabfichtigten vier Acte würden zwei
Seelen zeigen. Die Arbeit blieb liegen. Plöglich fchrieb ich einen
zweiten und dritten Act zu meinem evjten und war damit um einen
Act früher an den Schluß gefommen. Als er die drei Acte jah,
lachte Prechtler und fagte: „Nun iſts ein Stück; aber es iſt das
Ihrige!“ Ich wußte ſelbſt kaum, was es wäre, und gab es ohne
Autornamen nur mit dem Paßviſum: „Die Grundidee nah Goro-
ſtiza“ auf die Scene. In der Drudausgabe wird man eine Leber:
jeßung des ſpaniſchen Stüdes beigefügt finden, und die Literariiche
Welt wird dadurch zu ihrem Urtheile ausgerüftet fein: ob ſolche
Bearbeitung Anfpruch machen fann auf originalen Werth und ob
jie überhaupt lobenswerth.
Die Aufführung war eine der beften im Burgtheater. AL
unfere Erfahrungen im heiteren Converfations-Stüde fonnten ich
geltend machen, und die Befetung hob das Ganze zu einer Muſter—
varjtellung. Fichtner’s Cato war eine Meijterleiftung, Bedmann’s
fomifher Vater — bei den eriten Borjtellungen noch in ven
Schranfen der Charafteriftif — war von der liebenswürdigjten
Komik, Fräulein Boßler als Liebhaberin, Fräulein Goßmann als
heiteres Perfönchen interejiirten ungemein, und alle übrigen Rollen
gejtalteten ein Enjemble von Abwechslung und Reiz. Achtzehnmal
wurde das Stüd im erſten Jahre gegeben, und es überjtand jelbjt
Fichtner’s Abgang, da Sonnenthal die Rolle ein wenig anders, aber
ebenfalls vortrefflich ausarbeitete.
Das gelingende hiſtoriſche Schaufpiel fam aus Preußen.
Spanien und Preußen! — feltene Herkunft unferer Erfolge. Es
war „Das Tejtament des großen Kurfürſten“ von Guſtav zu Putlig.
Diefer liebenswürdige Schriftiteller beflagt fih mit Recht
darüber, daß er in Wien unfreundlich behandelt worden. Seine
Stücke griffen jelten vollftändig durch. Das liegt großentheils am
Das Burgtheater. 351
Unterſchiede zwiſchen Nord- und Süddeutſchland. Faſt immer geht
Putlitz in ſeinen Arbeiten von einem artigen Gedanken aus, oft von
einem feinen, und genügt damit im Norden, wo man die Gedanken—
welt auch in der Kunſt ſehr hoch ſtellt. Im Süden vermißte man
oft die Fleiſchesfülle, welche die Gedankenſkizze erſt zum Kunſtwerke
ausführt. Und ſelbſt wenn unſer Publicum einem Putlitz'ſchen
Stücke zugeſtimmt hatte — „Don Juan de Auſtria“ zum Beiſpiele
und „Um die Krone“ — dann wurde der Erfolg zerriſſen von einer
Kritik, welche jegliche Production lieblos und ſchonungslos be—
handelte.
Nur bei dieſem „Teſtament des großen Kurfürſten“ war die
Zuſtimmung des Publicums ſo beſtimmt, daß Putlitz auf der ganzen
Linie ſiegte. Schöne Einfachheit in der Führung und intereſſante
Wendung ver Charaktere machten dies Schauſpiel durchweg gefällig,
und es würde noch heute im Nepertoire jtehen, wenn ihm nicht die
leidigen politifchen Gegenſätze zwijchen Preußen und Dejterreich in
den Weg getreten wären. Immer, wenn vdieje politiiche Verftim-
mung jcharf aufjprang in unferem Staatsleben, da war e8 unmög-
ih, das preußiiche Thema des Stüdes und die preußiichen Ver—
jicherungen der Liebe für Dejterreich vorzuführen. Nur aus diefem
Grunde haben wir das Stück aus dem Repertoire verloren. Die
Dichter zuerft leiden an den Wunden vaterländiſchen Streites.
Das reale Yuftipiel, welches in Frage ſchweben blieb, hieß
„Drei Candidaten“ von Schleich. Was heift das: Es blieb in
Frage ichweben? Es fonnte wiederholt werden, es fam alle Jahre
wieder, und doch fragte man fich jedesmal: Beſteht denn das Stüd
‚noch? Schleich iſt der Redacteur des Münchener „Punſch“. Als
jolher war er gewohnt, die realen Vorgänge unferes öffentlichen
Lebens raſch fo zu geitalten, daß ſie einen heiteren Effect machen.
Dieje Fähigkeit, von welcher Kogebue reichlich Gebrauch gemacht,
iſt werthvoll fir das anſpruchsloſe Luftipiel, und Schleich hatte
jeine „Punsch“ Laune in die lofefte Luſtſpielform eingeführt. Das
302 Das Burgtheater.
war nur ein wenig gar zu jehr aphoriftiich geichehen. Das Abge-
riffene widerjpricht dem folgerichtigen Entwiclungsgange eines
Dramas, und die Aushilfe für den enplichen Abſchluß des Stückes
war ziemlich banal gerathen: ein Mädchen verkleidet fih als Mann,
und alle Welt muß fih blind ftellen, um fie nicht zu erfennen.
Theatermeifter Weber mußte den tiefſten Ton der Yeutjeligfeit, das
beißt ver Finfterniß anjtimmen mit feinen Yampen, um dieſen
Schluß zu ermöglichen. Mit Einem Worte: troß des modernen
„Punſch“ waren die „Drei Candidaten“ altmodiſches Stückwerk in
ver Form. Sie lebten jedoch allenfalls von einigen modernſten
Luftipielfiguren. Namentlich that ſich Beckmann rettend hervor
duch einen Profejfor der Zurnfunft. Er that Wunder mit feinem
feiften Leibe, und im Schweiße des Angefichts verficherte er nicht
ohne Stolz, daß jeine Jugend auf dem Breslauer Theater auch
dem Ballete gewidmet worden jet,
Ich gab das Stück und fuchte es zu halten als eine Einleitung
des heiteren Verfaſſers zu ferneren Luſtſpielen. Bis jetst ijt es
aber nur Einleitung geblieben. Schleich hat in feiner Heimath
München mit Volksſtücken ſtarke Wirkung gemacht, ich hoffte deß—
halb, er werde auch ven Weg finden zu einem organischen Yujtipiele.
Was er mir aber an Manuferipten ferner zugejendet, das hatte
merfmwürdigerweife einen ganz anderen Charafter als dieſe „Candi—
daten” und diefe Volksſtücke. Es war einfach ernfthaft und zeigte
manche gute Seite. Ein Zuſammendrängen feiner Eigenjchaften
in einen Brennpunft fcheint diefem Autor unerreichbar zu bleiben ;
er eultivirt immer nur vereinzelte Theile feiner Fähigfeit. Nur jo
erflärt fich’8 wohl auch, daß dem Schänfwirthe des „Punſch“ jetzt
in München ultramontane Neigungen nachgefagt werden — er
jucht auf den verſchiedenſten Wegen feinen Mittelpunkt. Findet er
ihn noch in der funzen Spanne Reifezeit, welche ung Sterblichen
zugemeſſen ift, dann finden wir vielleicht auch noch den realen Luft-
ſpieldichter in ihm, welchen wir erhofft.
Das Burgtheater. 853
Ich werde hiedurch an einen anderen Wanderer — von Schleich
freilich jehr verjchieden — erinnert, welchem wir in diefen Fünfziger
Sahren zweimal auf dem Burgtheater begegnet find, und welcher
dann länger als ein Sahrzehnt in einem bewaldeten Hügel ver—
ſchwunden ijt. Ich meine Alfred Meißner, von welchem wir
„Reginald Armjtrong‘‘, ein frei und dreijt entiworfenes, nicht ganz
zur Harmonie bewältigtes modernes Stüd zu Anfang der Fünfziger
Sahre, und den „Prätendenten von NYork“ inmitten ver Fünfziger
Sahre aufgeführt haben. Sie machten mir ebenfalls die Hoffnung
vege, und der „Prätendent“ insbejondere, daß fich ein Compoſitions—
Talent für die Scene entwideln werde, Der „Prätendent“ hatte
frappant erfundene Scenen. Daß er fich nicht hielt, lag theils in
vem noch zu Lojen, allzu beweglichen Grundwejen des Autors,
welches mit feinen Pichtungen durchſchimmerte, theils in der jchwer
vermeidlichen Gefahr eines Prätendenten- Stoffes. Sobald ver
Prätendent und das Bublicum erfahren, daß dies Prütendententhbum
hiſtoriſch unecht ift, erlifcht das Intereſſe, wenn der Dichter nicht
jeinem Helden mit ungewöhnlichen Gaben, namentlich mit ftarfer
Charafterfraft, zu Hilfe fommen kann. Vielleicht fehrt Meißner
noch einmal zurüd über den bewaldeten Hügel, hinter welchem er
uns wie ein grollender Wandersmann verſchwunden, und erſcheint
wieder auf der Bühne.
Das poetiſche Idyll, welches 1858 auf dem Burgtheater er—
ſchien, hieß „Kuth“ und war von Frau v. Binzer, welche unter dem
Namen Ernſt Ritter ſchreibt. Auch die ſchon erwähnte „Caroline
Neuberin“ iſt von ihr.
Dieſe „Ruth“ hat mich recht ſterblich gezeigt in meiner
theatraliſchen Diagnoſe. Ich hoffte allerdings keine ſtarke Theater—
wirkung, aber ich hoffte doch eine poetiſche Wirkung mit dieſem
bibliſchen Drama zu erreichen, und ich hob Spott und Verhöhnung
von der Tenne. Mehrmals ſchon hatte ich das Stück vorgeleſen
Laube, Burgtheater. 23
354 Das Burgtheater.
und immer einen ſchönen Eindruck hervorgebracht, auch für mich
ſchön, nicht blos einen banalen, wie mit „Sophonisbe“ — ich
jelbft war gerührt und ergriffen beim Vorleſen. Ein großer Theil
des Iheater-Publicums, meinte ich, wird fich eben jo poetifch an-
geweht fühlen. Aber Theater-Publicum ift Markt: ein paar Un—
berufene äußern fich ungeduldig, und allen Anderen wird die Stim-
mung verdorben. Im Handumdrehen bildet ſich die Meinung,
das Einfache, welches da oben vorgehe, ſei zu einfach, alſo
eine ungenügende Arbeit, und ijt man erjt auf diefem Punkte,
dann erhebt fich der Zweifel, und der nächite Nachbar des Zwei—
fels, der wohlfeile Wit, wird laut, und das Theaterjtüd iſt
verloren,
In diefem Falle gebe ich noch heute dem Publicum nicht Recht.
Man erjieht aus diefen meinen hiftorifchen Schilverungen, daß ich
meist großen Refpect zeige vor ven Urtheilsiprüchen des Publicums;
aber ich bin deßhalb doch feineswegs allen Verdicten gegenüber
nachgiebig. Ich muß Grund ſehen, flaren Grund, wenn ich zu:
jtimmen fol. Bei diefer „Ruth“ ſah ich den Grund des Nicht-
aefallens in einer gewifjen Oberflächlichfeit, welche fich ſelbſt belobt,
indem fie über Dinge lacht, deren poetifcher Reiz ihr unverftändlich.
Die nächjte Erflärung liegt für mich im biblifchen Stoffe, der vor
einem fatholiihen Publicum ericheint. Das Leſen der Bibel ift
dieſem Publicum viel ferner liegend als einem protejtantifchen ; der
altbibliiche Stoff hat für den Katholifen viel weniger Weihe umd
hiftorifchen Zauber, als eine nachehriftliche Yegende. Das Publicum
brachte alfo vem Thema gar nicht die Stimmung entgegen, welche
ich zum Beifpiele als Proteitant dem Thema entgegenbrachte, und
dies einfache Idyll gerade bedurfte einer eingehenden Stimmung —
ohne fie mußte es untergehen. ,
Der Berfuh mit einer ungewöhnlichen Gattungsform, wie
das dramatifche Idyll auf der heutigen Scene ift, war biemit
aefcheitert. Er verlangt zum Gelingen allerdings eine große Ruhe
Das Burgtheater. 355
und Sammlung im Publicum und eine dichterifche Kraft von mäch—
tiger Schönheit.
Zwijchen dieſen zahlreichen neuen Stüden erfchienen in diefem
Sahre zahlreiche neue Schaufpieler. Es jtand plößlich eine neue
Hero, Julia, Yonife, aljo eine neue tragijche Yiebhaberin vor uns.
Hoch und jchlanf von Wuchs, mit großen blauen Augen, mit
weichem, ſchönem Organ. Sie fpielte echt.und wahr; aus warmem,
reinem Gefühl jtieg Alles ungetrübt empor. Woher fommt fie?
Sie gemahnt uns ja wie eine längſt befannte Erfcheinung? Das ift
jie auch. Wir haben fie in Kinder: und Knabenrollen gejehen, fie
it aufgewachjen am Burgtheater: es ift Augufte Rudloff. Einige
Sahre iſt fie „draußen“ gewejen und hat fich fo rein und wohl-
thuend ausgebilvet. Aber jo wie fie plötlich erſchien, gleich dem
Mädchen aus der Fremde, fo verfchwand fie plößlich wieder gleich
dem Schillerihen Mädchen. Und wiederum die uns fo gefährliche
Liebe entzog fie uns. Ein englifcher Yord hatte diefen deutichen
Zauber verjtanten und führte fie als Gattin über vie See. Sekt
iſt er Statthalter auf unſerer Infel Helgoland; unfere Inſel
und unjere tragiſche Liebhaberin gehören leider ihm und nicht
ung. Aber die Injel und die Lady bleiben wenigitens innerlich
deutjh, und die Xettere folgt immer noch wie ein Kind des
Hauſes den Schidjalen des Burgtheaters, welches fie ihre Hei-
math nennt.
Bon Hamburg ferner folgten mir — man fchalt mich am
Alfterbaffin den „‚Rattenfänger von Hameln” — zwei blutjunge
Mädchen, vie eine heiter, die andere fentimental, um womöglich ihr
Leben vem Burgtheater zu weihen. Die fentimentale hat auch bis
jest Wort gehalten; fie heißt Frieverife Bognäar. Die andere hie
Regina Delia und ijt uns früh untreu geworden. Bon frifchem
Naturell, geitig begabt und mit heyzhaftem Ausorude für naive
Aufgaben, follte fie eintreten für Goßmann'ſche Rollen, wenn
unfere Ingenue unerwartet an Werfeltagen verfagen möchte, Das
22*
23
-
356 Das Burgtheater.
ſoll vorfommen, nicht blos bei Naiven. Aber von vem Momente
an, da Fräulein Delta eingetreten war, fam es nicht mehr vor im
naiven Face, umd dies veranlafte Fräulein Delia, da ihr ver
Spielraum fehlte, von dannen zu gehen. Hymen, der feindliche
Gott des Burgtheaters, miſchte fih außerdem ein wie her—
fümmlich und verhinderte die Rückkehr — Regina Delia heirathete
ebenfalls.
Neben diejen jungen Damen jtellten jich zwei junge Männer
ein: ein mwohlbeleibter jtattlicher und ein dünner fleiner. Jener
machte feinen Weg, wie beleibte Figuren ihn zu machen pflegen,
langſam — dieſer machte ihn als behendes Männlein raſch. Beide
famen an’s Ziel.
Jener heißt Auguft Förſter, ein Doctor der Philofophie,
welcher in Begeijterung für darjtellende Kunft die gelehrte Yauf-
bahn vertauscht mit ver theatralifhen. Von dem wohlerfahrenen
Führer Franz Wallner, einem begabten Wiener Kinde, ſorgſam
gefördert, hatte er jeine neue Bahn jahrelang glüdlich betreten,
und Wallner rühmte ſich, einen der beiten Converſations-Liebhaber
in ihm zu bejiten. Die zeitig eintretende Fülle der Gejtalt entzog
ihn diefem Fache, und er fam zu uns mit der Abjicht, in feine
Sharafter und Väterrollen überzugehen. in ſaurer und jchwerer
Uebergang. Er gelang nur leicht, wo der Liebhaberton anflingen
durfte; im allem Uebrigen mußte er Schritt für Schritt erfämpft
werden, und nur allmälig verichaffte ihm die Bildung, der geiftoolle
Vortrag und die fichere Einfachheit die nöthige Anerfennung. Erſt
als Bater Anſchütz ausfchied und er an wichtige und danfbare
Rollen deſſelben gelangte, erſt als er den Nathan jpielen durfte und
mit der berühmten Anſchütz'ſchen Rolle, dem Muſicus Miller, in
„Cabale und Liebe’ vollftändige Wirfung machte, erſt dann Fonnte
er für eingebürgert gelten, und nun erſt vechnete man ihm zahlreiche
Converſations-Rollen, die er jhon lange mit geiftiger Macht ges
ipielt, als volles Verdienft an. Er iſt durch große Arbeitskraft,
Das Burgtheater. Bau
durch alle Hilfsmittel höherer Bildung und durch treue Dingebung
an feinen Beruf wie an die Intereſſen des Inſtitutes dem Burg-
theater eine werthvolle Stüte geworden. In dem weiten geiftigen
Bereiche der Direction hat er mir unſchätzbare Dienjte geleiftet,
und in der Sorge und Arbeit für alles Wahrhaftige und Feinere
unjerer Schaufpielfunft ift ev mir ein Jahrzehnt hindurch getreulich
zur Seite gejtanden, feinen eigenen Vortheil, wie oft! verleugnend,
dem Verdienſte Anderer immer das Wort redend, ein gründlich
ausgerüfteter Regiſſeur heutiger Zeit.
Das dünne, fleine Männchen aber, welches einige Monate
nach ihm eintraf, im Frühlinge 1858, ſchien mir geeignet zu einem
Sturmlaufe auf die Gunſt des Publicums.
Eines Tages jtellte fich mir ein junger Menſch vor, mit der
Bitte, ihm ein Probefpiel zu gewähren. Wozu? fragte ich, und
betrachtete das dürftig ausjehende Menſchenkind im engen ſchwarzen
Frack, mit blaſſem Antlite. Nichts erichien voll an ihm, als das
dunfelblonde Haupthaar, welches dicht und üppig das Geficht
bejchattete. Wozu? — „Ich möchte nach Deutfchland hinaus an
eine mittlere Bühne, und ein Zeugniß von Ihnen über dies Probe-
Ipiel würde mir nützen.“ — Das wurde anfpruhslos und ver—
jtändig gefprochen, und ich bot ihm zumächjt einen Sefjel, nad
feiner offenbar furzen Bergangenheit fragend. Er fam vom Theater
in Brünn und hatte Charafter-Rollen buntefter Mifchung gejpielt.
— „Auch humoriſtiſche?“ — „Mit dem Humor fteht es wohl
zweifelhaft”, erwiderte er mit dem Lächeln einer Yiebhaberin, die
Abſchied nimmt von den verführerifchen Rollen. Dieſe Rejignation,
jo jelten bei den Künftlern, interefjirte mich, und ich jprach nun
länger, jprach wohl eine Stunde mit ihm. Dieſe Stunde entjchier.
Die kleine Gejtalt war mir in den Hintergrund getreten, das ganze
Weſen jprach mich an, flöhte mir Zutrauen ein — ich bewilligte
ihm ein Probefpiel und bejtimmte dazu, gemäß dem Eindrude,
welchen er mir gemacht, die Rolle des Carlos im „Clavigo“.
358 Das Burgtheater.
Er jptelte fie allerdings noch mangelhaft, aber ich glaubte zu
ſehen, daß hier nur Nachhilfe nöthig wäre, um ihn rafch auf eine
gewiſſe Höhe zu bringen. Um mich vejjen zu verfihern, ging ich
die Rolle privatim mit ihm durch und fand meine günftige Meinung
bejtätigt. Ich befchloß, ihn zu engagiren. Wenn ich dazu einer
Zuftimmung bedurft hätte, jo wäre das Engagement eines jo un-
jcheinbaren jungen Menſchen unmöglich gewejen. Wenn je, jo
zeigte jich hier, daß der artiftiiche Director, wenn er ſchaffen fol,
ein Engagements-Recht haben muß, wenigjtens auf ein Jahr. Das
hatte ich und nahm ich hier in Anſpruch. Beweiſen fonnte ich
meiner Behörde nicht, daß hier ein Beruf vorläge, und fie jah mir
fopfjcehüttelnd zu. Die Frage war num: wie den jungen Mann
einführen? Beſcheiden oder zuverjichtlich ? Beſcheiden in fleinen
Rollen war das Natürliche. Aber ich war eingenommen für die
flare Rede des jungen Mannes und ſah, daß er feinen Körper
graziös bewegte und daß er beim Studium der Rolle leicht zu
jteigern war, ohne irgendwie fünftlih und unmwahr zu werden in
der Steigerung. Ich meinte, man fünnte großes Spiel wagen mit
ver jungen Kraft — ich nahm die Rolle des Franz Moor mit ihm
durch. Da ift auch Feuer und Yeivenfchaft nöthig; entwidelt er
auch die, alsdann — er entwidelte fie, es war mir zweifellos, daß
die Fühigfeit für ein erftes Fah vorhanden war, und ich Fündigte
ihm an: Sie folfen als Franz Moor auftreten im Burgtheater!
Lärm und Vorwurf überflutheten mich, als das befannt wurde.
Entweihung, thörichtes, unerlaubtes Erperimentiren mit einem
Fleinen Provinzichaufpieler und folcher Anflagen mehr flogen wie
Hagel rings um mich nieder. Sehr behaglich war mir auch nicht
zu Muthe, aber der junge Franz Moor zeigte Courage ohne Ueber:
muth, ich fühlte mich berechtigt zu dem Wagniß, wir blieben Beide
feft, und der Tag fam. Der junge Mann war auch ein Wiener
Kind; das werden ja doch, dachte ich, die Wiener zu Shäßen wiſſen,
wenn ohne Ahnenbrief und ohne Ansehen der Perſon dem jungen
Das Burgtheater. 359
Talente vie Bahn geöffnet wird. Sie wußten e8 zu ſchätzen. Das
Haus bis zum Giebel füllend waren fie gefommen und horchten in
ZTodtenftille, und als der junge Franz feine erjte große Scene ge-
ſpielt — war Alles entſchieden. Einſtimmiger Beifall überjchüttete
den jungen Schaufpieler, und eine erjte Kraft im Charafter-
fahe wurde getauft an diefem Abende mit dem Namen Joſeph
Lewinsky. |
XXIX.
Schiller's Hundertjähriges Geburtsjahr, 1859, das Schiller:
Jahr! Für das Burgtheater fann es gewiß jo heißen. Keinem
Dichter hat dies Theater jo viel zu danken, fein Theater hat fich
der Feier Schiller’s in Haupt und Gliedern fo enthufiaftifch ge—
widmet, als das Burgtheater. Als der Spätherbjt heranfam und
mit ihm das große Scillerfeft, da hatte ich wirflih Noth, die
laufenden Kojten des Werfeltages zu bejtreiten, denn Jung und Alt
vom Burgtheater meinte, es fei Sonn» und Feiertag und der
Werfeltagdienit habe zu ruhen.
Es wird auch mir jett ſchwer, chroniftiich aufzuzählen, was
zehn Monate lang vor dem zehnten und elften November — be-
fanntlih ijt, wie bei Göttern und Halbgöttern, der Geburtstag
unficher — fi) im Burgtheater ereignete. Ich habe ja über das
Wiener Schillerfejt im Zufammenhange mit dem Burgtheater zu
berichten, weil das Theater und ver Director innerlich und äußerlich
mit den Triebfedern und den Aeußerungen diefes Feites mannigfach
verflochten waren.
Des Dichters Segen ruhte auf uns durchwegs in diefem
Jahre. Die Thätigfeit am fich gedieh überaus, wir brachten zwan—
zig Novitäten, darunter zwölf größere und große Stüde, und die
Hälfte davon hielt dauernd Stand.
Die erjte Neuigfeit des Jahres war „Montroſe“ von Heinrich
Laube, und an die erite Aufführung derjelben fnüpfte ſich eine weit—
Das Burgtheater. 361
tragende Demonftration des Publicums. Wir waren im vierten
Jahre des Concordates — beim Theater empfanden wir das fo
tief, daß wir das Datum ſehr genau wußten, denn der herrichende
Geiſt ſpricht jede Stunde mit, macht fich bei den unfcheinbarjten
Dingen geltend in einem Theater von Bedeutung. Und dennoch
wurde das Theater an jenem Abende von der Demonjtration des
Publicums überrajcht.
Als Montrofe die Worte ſprach:
„Antworte, Robin: Bleibt nad) diefer Schrift
Der Eovenant des Reiches Grundgeſetz?“
Robin:
„Er bleibt's.“
Montrofe:
„Dann ift die Kirche
Beherricherin des Staats“ —
da bewegte Jich das Publicum wie von einem Sturmwinde ergriffen,
und als Montroje fortfuhr:
„Dies ıft das Reich
Des Judenthums im Alten Teftament;
Es ift die Prieſterherrſchaft Samuel’ s,
Und König Karl wird König Saul, gehetzt
Bon jedem David, den ein Priefter jalbt.
Die Krone wird ein Spielball der Propheten,
Die hierzuland’ aus allen Löchern Eriechen,
Und ein verſchmitzter Kerl, der die Komödie
Der Frömmelei talentvoll fpielt, verführt
Die öffentlihe Meinung und dietirt
Dem Yande die Geſetze“ —
da ging ein hundertfaches Rufen durch's Haus, welches nur abge-
brochen wurde, weil Wagner-Montroſe ohne Einhalt fortſprach:
„Bringt ein Staatsgrundgefeß, das in fich ſelbſt
Beruht, das eurer Kirche feften Plat
Und volle Freiheit bietet — König Karl
Wird's unterfchreiben, ich ſteh' dafiir ein.
Ein Grundgefet dagegen, das den Glauben
362 Das Burgtheater.
Zum Richter macht in weltlihen Verhältniß,
Merd’ ich befümpfen bis an meinen Tod.
Gebt Gott, was Gottes, Doch dem Kaiſer, was
Des Kaiſers.“ —
Bei diefem endlich erreichten Punkte aber hielt Nichts mehr
ven Ausbruch des Publicums zurück; wie ein Donner brach‘ die
Zuftimmung los, daß der Saal erzitterte. Der größte Theil ver
Zuhörer war aufgelprungen von den Siten und rief und jchrie und
Hatjchte, und das Wort „Concordat“ flog in der Yuft herum — ich
habe nie einen folchen Tendenzjturm im Theater erlebt. Und
immer, wenn man die Leute erfchöpft glaubte vom Rufen, Schreien
und Klatſchen und die Schauspieler fortfahren wollten, ſammelte
fich ver Ausbruch wieder zu neuer Kraft.
Sch ſelbſt ſaß in einer eigenthümlichen Verlegenheit da: ich
ſelbſt hatte das gejchrieben, es war meine Meinung, und doch —
um die volle Wahrheit zu jagen — ich jelbit wie die Schaufpieler
auf der Bühne wurden überrafcht von dieſer gewitterartigen
Wirkung. Wir hatten in jechs Proben diefe Worte gehört und ge—
fprochen, und Keinem von ung war eingefallen, daß die Tendenz
hervorfpringen werde wie ein geharnifchter Krieger. Es ift mit der
Tendenz gar oft wie mit einer Neigung, die plöglich entfteht. Man
it ihrer gar nicht gewärtig, und fie erhebt fich mit einemmale wie
ein Niefe. So liegt in der Bevölkerung das Herz ruhig und ftill,
ein Wort wird aber deutlich ausgefprocdhen, es trifft, und bie
Neigung des Herzens jpringt auf mit elementarifchem Ungeſtüm.
Sp war's gefommen, und ich ftand erjtaunt da, umd ich, ver
Director des Theaters felber, war Urheber einer jo bedeutungsvollen
Demonstration — und der Kaifer ſaß im feiner Loge und jah und
hörte das Alles.
„Das friegen wir nicht wieder zu hören!” ſagten die Yeute
beim Fortgehen, und man ſah mich an wie einen hevausfordernden
Das Burgtheater. 365
Helden, der ich gar nicht war. Die Sache war mir wohl echt, die
Anwendung war mir ganz unerwartet,
Mein Chef war franf und hatte ver Vorftellung nicht beige:
wohnt. Aber das Verbot wird nicht ausbleiben für die Wieder:
holung! hieß es von allen Seiten, Die Wiederholung war ange:
fündigt für den folgenden Tag.
Ich wartete bis Mitternacht — es fam Nichts. Am andern
Tage war „Montroſe“ an allen Straßeneden angejchlagen, und in’s
Theater fam feine Drdre, daß gejtrichen werden müjjfe. Aus dem
Theater nach meinem Bureau gehend, begegnet mir ein Herr aus
der Umgebung des Kaifers. Er lächelt, ich frage. — „Nichts ge-
ſchieht!“ erwivdert er. — „Und der Kaiſer hat niht — —?“ — „O
nein! Er foll geäußert haben, daß er jett vecht deutlich wiſſe, wie
Sie und die Wiener über das Koncordat denken. Aber vom
Streichen oder gar vom Befeitigen der Stelle ift gewiß feine Rede.’
In der That erfolgte gar feine Einwendung. Dies ift zumeift
das Klügfte bei folchem Wetterleuchten im Theater. Beſonders in
Wien. Hier find es immer nur die Befucher der erjten Vor—
jtellungen, welche Tendenz juchen und heftig beflatjchen; bei den
ferneren Borjtellungen tritt die Compofition des Stüdes in all ihre
Rechte. Am zweiten Abende wurde jene Stelle des Montrofe faum
bemerft und ebenjowenig bei den folgenden Boritellungen. Wir
gaben e8 zehnmal hinter einander, und es wurde nicht aus folch
einem Tendenzgrunde abgebrochen, jondern wegen Erfranfung eines
Mitglieves. Die Nemefis fam erjt ſpät; fie fam in Geftalt eines
Mißverſtändniſſes, aber fie fam. Als ich das Stüc ſpäter wieder
anfette, wurde es irrthümlich vom Verbot betroffen. Wir waren
nämlich in den franzöfiichen Krieg gerathen und in politifche Auf—
regung, welche Berfaffung begehrte; vom Concordate war augen—
blilich gar nicht die Nede. Jeden Abend fpähte das Publicum
nach tendenziöfen Worten und fand fie oft in ven harmlofejten
Stüden, und meinem Chef war gejagt worden, man möge vorsichtig
364 Das Burgtheater.
jein in der Wahl ver Stüde, damit nicht jo viel Gelegenheit geboten
werde zu TendenzApplaujen. Er hatte, wie gejagt, die „Montroſe“⸗
Demonjtration nicht erlebt, er hatte nur erfahren, daß eine jtattge-
funden, und als ich jett „Montroſe“ anfette, erflärte er mir,
„Montroſe“ fei nicht ferner zuläffig. Vergebens machte ich be
merklich, daß jene Demonjtration ein ganz anderes Thema betroffen
habe, als jett Zielpunft des Publicums fei, und daß dies nur bei
der erjten Aufführung geichehen und jpäter bei neun Aufführungen
ganz unterblieben jet — vergebens! Die Eonjtellation der Gejftirne
war ungünjtig, „Montroſe“ blieb unterjagt.
Nah Jahren hatte ich einen neuen Chef, welcher von dieſen
Schickſalen des Stüdes Nichts wußte, welcher aber für das Stüd
eingenommen war. Wunverlicherweife wußte er auch nicht, wer
der Verfaſſer. Er forderte mich auf, es wieder in's Repertoire zu
bringen. Und nun fonnte ich nicht. Der Crommell- Dariteller
war in Gedächtnißkraft und Energie gealtert, die Rolle war faum
noch geeignet für ihn; ich fürchtete aber, die Abforderung der Rolle
würde den verdienten Veteranen franfen, und jo zögerte ich und
zögerte, bis ich jelbjt die Rolle des Beſetzens aus der Hand geben
mußte. Und jo hat die Nemefis das Stück in ven Schatten
gebracht.
Es folgten im Frühjahre „Die Sabinerinnen” von Paul
Heyſe, eine poetifch Schöne Arbeit, aber eine römische, für welche
auch damals unfer weibliches Perſonal nicht völlig ausreichend war.
Das Publicum wendete jich eilig dem ‚„‚Verarınten Evelmanne‘ von
Feuillet zu und dem „Grafen Waldemar’ von Freytag. Auch
Weilen's „Triſtan“, eine romantiſche Studie, intereifirte nur furze
zeit; alle Aufmerkſamkeit drängte ſich auf die Novembertage, welche
„Bor hundert Jahren‘, ein Feitipiel zur Säcularfeier des Geburts:
jahres Schiller’ von Friedrich Halm, und das Fragment „Deme—
trius“ bringen jollten.
Das Burgtheater. 365
Es war ein noch nirgends gewagter, fühner Berfuch, dies Frag-
ment allein auf die Scene zu führen, aber ver jeltene Tag, meinte
ich, geitattete wohl einen jeltenen Verfuch. Ich hatte am Burg:
theater eingeführt, daß die Geburtstage Leſſing's, Goethe's,
Schillers und Shafefpeare’s immer durch Aufführung eines Stückes
"von dem Geburtstagshelven gefeiert wurden, Es gejchah dies ohne
befondere Anfündigung, unferer Verehrung ein Genüge und den
aufmerffamen Piteraturfreunden eine Veranlafjjung zur Theilnahme
an jtiller Feier. Trotz dieſer Unfcheinbarfeit wurde mir einmal zum
Shafejpeare-Tage die Aufführung eines Shafefpeare-Stüdes unter:
jagt. Der britifhe Dichter war nicht beliebt bei meinem Chef, und
auch die jtille Feier verdroß ihn. Das hatte indeß kaum Jemand
außer mir bemerkt, und das Publicum, mehr und mehr unterrichtet
von diejen literarifchen Feiertagen — ftille Feite finden die wärmjten
Anhänger — war allmälig daran gewöhnt. Gin befanntes Stüd
von Schiller war alfo nicht feierlich genug für den hundertjährigen
Geburtstag; was war natürlicher, als dag wir auf diefe „Deme—
trius“Perle feines Nachlafjes geriethen und daß wir darauf vechneten,
der ungewöhnliche Abbruch mitten im zweiten Acte werde in folcher
Stimmung hingenommen werden und werde nur den Gedanken an
den frühen Tod des großen Dichters weden, an einen Tod, der eine
feiner ſchönſten Arbeiten jählings unterbrochen habe.
Lebhaft hatten wir bis in ven Nachmittag hinein den jtürmifchen
polnischen Reichstag probirt, und ich war eben erichöpft nach Haufe
gekommen, da traten einige Schriftiteller bei mir ein und fragten
mich, ob das Burgtheater und ich wohl beveit wären zu noch weiteren
Anftrengungen für die diesjährige, die hunvertjährige Schillerfeier?
Wie das? Mit Einem Worte: ob nicht diesmal eine Schilferfeier
in größerem Style ermöglicht werden könnte?
Wenn ich jest zurücvenfe an die Tage nach dem großen
Schilferfejte in Wien, an die Nachrichten aus Berlin, wo die Feier
an Rohheit der Volksmaſſe fo traurig zu Grunde ging, an ven ge
366 Das Burgtheater.
rechten Stolz der Wiener, daß fie, obwohl jo lange äußerlich abge-
iperrt von literarifcher Gemeinſchaft mit Deutfchland, ven großen
Dichter jo großartig gefeiert, jo maßvoll unter Umſtänden, welche
zur Ausschweifung geradezu verlodten, und doch jo innig, jo wahr,
jo enthuſiaſtiſch — dann ergreift mich tiefe Rührung. Und gar erit,
wenn ich zurücblice auf die Entjtehung des großen Feſtes, auf die
dürftigen Anfänge, o, wie dürftig und gering waren fie, faſt hoff-
nungslos !
Zu meiner Schande muß ich gejtehen, daß mich die Frage jener
Schriftjteller unvorbereitet traf. Ich hatte nur an die Feier im
Theater gedacht, und ich habe eigentlich Feine Neigung für die Ju—
biläen, welche fo gewiß fejtbedürftig aufgeputt werden nach Verlauf
von zwei Jahrzehnten und noch einem halben Jahrzehnt. Das war
nun freilich bier ganz anders bei dem hundertjährigen Geburtstage
unferes geltebteften Dichters; aber dennoch war mein Gedanke nicht
über den fünftlerifchen Kreis einer Feier hinausgegangen.
Ich habe außerdem feine perjönliche Neigung für öffentliche
Demonjtrationen, welche fast immer die Uebertreibung jachgemäß in
. fich großziehen, und — was das Aergſte war — ich glaubte nicht,
daß ein Dichterfeft im Vaterlande jo allgemeine Theilnahme wecken
fönnte. Die vielen fünftlichen Feſte in Deutſchland hatten mich ab-
geftumpft. Ich bin fein Gegner derjelben geweſen, weilich gar Nichts
dagegen einwenden möchte, daß die Menjchen ihr Leben jammeln auf
allen möglichen Punkten und daß fie wichtige Zwede oder Perſonen
feiern. Aber meine perjönliche Art hat feinen Zug für dergleichen,
Dazu fam die Erinnerung an die hundertjährige Goethefeier 1349,
welche doch eigentlich eindrudslos verblieben. Daß Schiller dem
großen Publicum viel näher fteht, wußte ich wohl, ebenjo daß er
gerade in Oefterreich von unermeßlicher Popularität; aber ver Ge-
danke eines großen öffentlichen Feſtes war mir doch überrajchend.
Ih ſchwieg zunächſt und hörte die Meinungen der Männer,
welche ſich ja mit ver Idee fchon befchäftigt hatten und welche das
Das Burgtheater 867
erreichbare Material berührten, unter welchem das Burgtheater
figurirte. Sie hegten übrigens felbjt feine gar großen Erwartungen
und gingen davon aus, daß das Feſt wohl nur in engerem Kreife
gefeiert werden fünnte.
Dieje Mittheilungen weckten erſt meine Phantafie; der alte
Zauberflang des Namens Schiller that das Seine, der Widerfpruch
erhob jich im mir gegen eine dürftige Feier in fleinem reife —
„Größeres fei doch nicht möglich!” war gejagt worden. „D doch”,
hieß es num auf einmal, „für Schiller ift in Wien das Größte mög-
lich 1” — ‚Aber wie? Wie follen wir das anfangen?” — „Wir
nehmen die Adrepbücher und Schematismen und wenden ung an
alle Eorporationen mit der Anfrage.” — ‚Und erhalten feine Ant:
wort!” — ‚Wir verlangen feine, wir laden fie zu einer Vorbe—
Iprehung. Auf den Namen Schiller hören Alle; es werden Ver—
ſchiedene kommen, es werden ſich Vorfchläge melden, diefe werden
Anfnüpfungen bieten, der Plan wird fich bilden, wird fich praftifch
erweitern, nicht blos theoretisch wie unter ung Wenigen.“ — „Aber
in diejer Zeit tiefer politticher Aufregung, wird man uns Zuſammen—
fünfte gejtatten, Vorbereitungen zu einem großen öffentlichen Feſte?!“
Das wußten wir Alle nicht, aber wir hatten uns gegenfeitig
aufgeregt und gejteigert; wir vereinigten uns zu den Aufforderungen
in jo großem Umfange,
Sie entiprachen unferen fühnften Erwartungen. Männer aus
allen Kreifen erjchienen, das Nad kam in’s Rollen, und die Männer,
welche an jenem Nachmittage bei mir gewejen, festen einen Eifer,
eine Arbeitskraft daran, fanden jo nachdrüdliche Unterftügung von
Seiten aller Zutretenden, daß ein Feſt von unerhörter Faſſung ſkizzirt
werden fonnte.
Und die Erlaubniß zur Ausführung? Ach! fie lag noch im ge—
fährlichiten Zweifel, als ſchon alle Vorbereitungen fertig waren.
Der damalige Minifter Herr v. Thierry jagte zu mir, ich fei als
368 Das Burgtheater.
Director des Burgtheaters eine officielle Berfon, welche die Verant-
wortlichfeit übernehmen müßte. Er war ein fleiner Mann, ver
fortwährend jchnupfte und der mir fategorifch eröffnete, ich müßte
für alle Folgen einjtehen. — „Was wird das zu bedeuten haben,
Excellenz, wenn ich für üble Folgen einjtehen joll? Nichts. Biel
wichtiger iſt, daß Sie, wie Sie gethban, an meine Kenntniß des
Wiener Publicums appelliven, weil ich als Theater-Divector zehn
Sahre lang Gelegenheit gehabt hätte, es zu jtudiren. Sie fragen
mich auf's Gewiſſen, ob bei der jetigen aufgeregten Stimmung ein
Feſt von jolcher Ausdehnung, mit einem Zuge durch Die ganze
Stadt, mit Reden auf öffentlihem Plate vor Tauſenden von Zu:
börern nicht ein übermäfiges Wagniß ſei? — Nein, erwidere ich,
meines Gractens ift es in diefem Falle fein übermäßiges Wagnik,
weil es ein Dichterfejt, weil es ein Felt Schiller’s ift. Wir können
mit Recht jagen: die Regierung ſchenkt den Wienern großes Ver:
trauen, rechtfertigt ihr Wiener dies Vertrauen! — Und jo weit ich
die Wiener fenne, Excellenz, werden ſie's rechtfertigen. Sie hegen
eine reine, tiefe Liebe für Schiller, es wird für fie ein Chrenpunft
jein, das Feſt ihres großen Dichters rein und unbefledt zu erhalten.‘
Dazu ſchüttelte er das Haupt. .
Das Felt verfanf im Entftehen. Nur eine Ausficht blieb,
die Ausficht auf einen directen Weg zum Kaifer.
Auf diefen Weg ward all’ unfere Hoffnung gejett, und wir
hatten guten Fug zu diefer Hoffnung. Wie oft in Theaterfragen,
die ja leicht die wichtigjten Fragen des Staates berühren, hatte eine
freie Entſcheidung unerreichbar gefchtenen, und die freie Entſchei—
dung war jedesmal gewonnen worden, wenn es gelang, die Anfrage
um ein liberales Zugeftänpniß an den Kaiſer ſelbſt Ju bringen.
„Wallenſtein's Lager“ — um nur eines dieſer Beijpiele anzuführen
— war ung wieder entzogen worden wegen des Capuziners ; e8 war
gelungen, ven Kaifer jelbjt zu fragen, und das „Lager“ war unſer
ſammt dem Capuziner. Und jo geichah’s auch bier; unjere Hoffnung
Das Burgtheater. 369
erfüllte fich ganz; in aller Kürze und Einfachheit gewährte ver
Kaiſer die volle, unbejchränfte Ausdehnung des Schillerfeites.
Bom Praterjtern aus zog der unabjehbare Fadelzug durch die
Leopoldjtadt, durch die ganze innere Stadt bis zum Paradeplatze.
Zwei Knaben, die Söhne des Grafen Franz Thun, trugen den Lor—
beerfranz für Schiller, und die unermerliche Menjchenmenge auf
den Straßen, an den Fenſtern, auf den Dächern rief fein anderes
Wort als Huldigung auf Huldigung für den großen Dichter, Jubel—
ruf auf Subelvuf, wenn die Knaben mit dem Yorbeerfranze vorüber-
zogen. Die Wiener rechtfertigten volljtändig das in fie geſetzte Ver—
trauen, und auf dem Paradeplate, wo wir ein folofjales Standbild
Schillers aufgerichtet — Dank der rafch fchöpferifchen Kraft des
Bildhauers Meirner —, wo die weite, freie Fläche bevedt war von
vielleicht dreißigtaufend Menjchen, und wo diefe Dreikigtaufend in
einer Ruhe harrten wie im PBarterre des Burgtheaters, wo ich eine
Rede zu Sprechen oder vielmehr zu fchreien hatte, da vernahm man
nicht einen Ruf, der was Anderes als Schillerfeier bedeutet hätte,
Die Antwort auf meine Hochrufe fam wie Meeresbraufen heran,
aber rein und einftimmig; Jubelruf auf Subelvuf für jede Eigen-
ſchaft Schiller’s, die genannt wurde, ftieg in die Lüfte, und jeder
Auf war rein, rund, donnernd wie das reine Element der Liebe zum
großen Dichter; das Echo von der Stadtſeite brachte die Rufe zurück
iwie eine Harmonijche Bejtätigung des einen gefammelten Sinnes
für Friedrich Schiller.
Und ebenſo ohne die geringite Störung verlief fich die Menſchen—
menge. Es war Alles gelungen, wie es die fühnjte Phantafte fich
vorjtellen gefonnt, und voller Freude eilte ih am Morgen darauf
zum Minister Thierry, der mich zu fich berufen. Sch meinte eines
Wortes der Zufriedenheit fiber gewärtig jein zu dürfen. Ich hatte
mich geivrt; er hatte fein ſolches Wort, wohl aber die Forderung,
dag die Schiller-Statue fogleich bejeitigt werden jollte, weil fie zu
Demonjtrationen Anlaß geben könnte,
Laube, Burgtheater. 24
370 Das Burgtheater.
Meine Begleiter, zwei vornehme Herren, verbeugten ſich; ich
widerſprach. Das Felt war auf mehrere Tage ausgedehnt; an die
jem Abende follte es im Sophienfaale literarifch gefeiert werden,
die Elite von Wien war dazu angefagt, die ganze Stadt wußte, daß
Schillertage angefündigt waren, es wäre ein herausfordernder
Mißklang, ein Mißtrauenszeichen auffälligiter Art gewejen, wenn
am zweiten Tage das Standbild des Dichters befeitigt worden
wäre,
Es blieb denn Nichts übrig, als wiederum beim Raifer ſelbſt
anfragen zu lajjen, und vom Kaifer fam wiederum die Antwort:
Die Statue Schiller’s bleibt jtehen.
Bekanntlich ſchenkte der Kaiſer ven Platz jelbjt zu einer dauern—
den Bildſäule des Dichters und gab ihm den Namen Schillerplat.
Bekanntlich ſoll das neue Burgtheater auf diefen Pla fommen,
Möge der Tag bald ericheinen, an welchem wir Schiller und
jein Schauspielhaus dort jtehen jehen! Wien hat die Schiller-Statue
und ein neues Burgtheater verdient.
XXX.
Schillerfeſt und Burgtheater hingen auf's Engfte zufammen.
Man hat „vraußen‘ im Reiche gar feine Vorftellung davon, wie
die Schiller'ſchen Dramen hier die Seele ver Anziehungskraft find,
welche das Burgtheater auf das große Publicum ausübt, die Seele
der Hochachtung, welche dem Burgtheater gezollt wird. Schiller’s
Worte im Burgtheater find den Defterreichern wie ein Evangelium.
Man findet in Schillers Worten die Wahrheit, die Würde, die
Tugend und die Schönheit ganz und gar. Niemand bezweifelt fie,
Sedermann find fie ein Genüge, eine Erhebung; man glaubt an fie
wie an eine moderne Offenbarung. Ein Schillerihes Stüd in un-
genügender Daritellung begegnet heftiger Entrüftung im Publicum.
Da fühlt ſich Jeder berufen, ein Tempelwächter zu fein,
Deßhalb war es ein Wagniß, das „Demetrius“-Fragment auf:
zuführen, Mit dem bloßen Anfange eines Stüdes, mit dem grellen
Abreißen des Stückes fonnte Schiller compromittirt ericheinen, und
das hätte man nicht vergeben.
Allerdings bot die große Verehrung Schiller's doch auch eine
Garantie, Gerade ein jolhes Publicum brachte ja eine Pietät mit,
welche auch einem bloßen Fragmente gegenüber dankbar ijt. Ge—
rade der jähe Schluß fonnte eine elegifche Stimmung weden, fonnte
den Sinn hinüberlenfen vom unvollendeten Kunſtwerke auf das vor:
zeitige Todesſchickſal des Dichters.
Darauf rechnete ih. Ich hoffte, das Publicum werde jagen:
So viel hat uns Schiller noch gegeben, ſeien wir dankbar, daß wir
jeine fetten Scenen auf unjerem Burgtheater jehen fünnen!
24 *
872 Das Burgtheater.
Und fo lautete venn auch wirklich die Schlußmeinung des Pu—
blicums.
Wir ſchließen die Fragments-Vorſtellung natürlich mit dem
Monologe der Marfa, die kleinen Zuſätze, welche noch vorhanden
ſind, fallen laſſend. Jener Monolog iſt wenigſtens ein Schluß der
großartigen Expoſition, welche uns Schiller voll gegeben: erſt ven
prachtvollen Neichstag zu Krakau, dann in Rußland die Mutter des
Prütendenten ımd mit dem Patriarchen den Did in die ruffiichen
Verhältnifie. Als Schluß einer Expoſition macht ſich auch der Ab-
gang Marfa’s theatraliich wirffam geltend. Man hat doch eine
volle Einficht, ein volles Interefje gewonnen; auf die Ausführung
bat man ja von vornherein verzichtet.
Während ver Vorbereitungen zum Schillerfefte probirten wir
unabläffig ven „Reichstag“, welcher ja in erjter Linie zu den Vor:
bereitungen des Schillerfeftes gehörte, Dieje Neichstagsjcenen
müſſen jcenifch vollendet auftreten, dann wirfen fie außerordentlich.
Sie enthufiasmirten das Publicum. Die Shakeſpeare-Studien
waren ung zu ftatten gefommen, ein ſtürmiſches Enjemble jo darzu—
stellen, daß jeder Zufchauer und Zuhörer ven bloßen Theaterbegriff
vergeffen mußte. Dies ift ja das Endziel eines guten Theaters:
die Wirfung der Kunſt hervorzubringen, ohne daß Die einzelnen
Hilfsmittel dev Kunjt bemerkt werden.
Zu einer der vorhandenen Fortfegungen des Fragments konnte
ich mich nicht entichliegen. Sie find zu ſchwach. Einer der Fort—
jeter hatte mir gefchrieben: Sie find es Schiller ſchuldig, das
Vorurtheil gegen mich fallen zu laſſen; venn hier handelt fihs um
Schiller! — Ich hatte ihm geantwortet: Eben deßhalb, weil es ſich
um Schiller handelt, kann ich eine Fortjegung nicht aufführen,
welche vem Schiller’fchen Anfang nicht gerecht wirt.
Damit habe ich übrigens nicht jagen wollen und will ich
durchaus nicht fagen, daß ein voller Schiller’fcher Maßſtab an eine
ſolche Fortfeung angelegt werden müffe. Cine nur leipliche Fort⸗
Das Burgtheater. 373
feßung wäre mir jehr willfommen gewejen, um das Schiller’iche
Fragment als organifchen Theil eines ganzen Stüdes dem Theater
einzuverleiben. Wenn jolche Fortjeßung nur allenfalls theatralisch
beitehen kann hinter Schillers glänzender Erpofition, dann erachtete
ich jie als einen Gewinn für die dveutfche Bühne. Den Anfprüchen
an Schiller brauchte fie nicht Rede zu jtehen.
Aber es iſt faum Ausficht vorhanden, daß wir je eine folche
Fortjegung erhalten werden. Die Arbeit ift unter allen Umſtänden
undanfbar. Nicht gerade im Theater, aber gegemüber der Kritif.
Wer von Talent hat die Entjagung, nur dem Theater zu nüßen,
jich jelbjt aber jedenfalls auszufegen, auch wenn er im Theater zur
Noth befriedigte! Und wer ſich vem undanfbaren Wagniffe hingäbe,
der müßte jedenfalls von der erjten Scene Schillers anfangen,
jeine Fortjegung einzuleiten, der müßte Schiller ändern und ftreichen.
Wer entſchließt ſich dazu!
Ich bin außer Zweifel, daß Schiller dieſe anderthalb Acte
vielfach geändert hätte, wenn er zur Ausführung des ganzen Stückes
gekommen wäre. Wie dieſes Fragment jetzt daſteht, iſt es auf ein
Rieſenperſonal angelegt, welches keine Bühne der Welt ſtellen kann.
Die Polen nehmen jetzt ſchon ein ganzes Perſonal in Anſpruch, und
doch haben ſie nur einen epiſodiſchen Antheil an der Entwicklung
des Ganzen zu erwarten; außer Marfa und dem Patriarchen fehlt
die ganze ruſſiſche Welt noch, der Czar Boris Godunoff an der
Spite. Das hätte Schiller, der während feiner legten fünf Jahre
in fachmäßige Berührung mit dem Theater getreten war, der
namentlich mit Sffland, damals Director in Berlin, in diefem
Betracht verfehrte, das hätte Schiller ganz gewiß berüdjichtigt.
Und er war von einer jtaunenswerthen Energie gegen jeine eigene
Schrift, ſobald er mit feinem großen Compoſitions-Blicke feine
Entwürfe anfah und endgiltig ausführt. Schonungslos pflegte er
da vorzugehen gegen das Vorhandene. Ich erinnere nur an feine
Umarbeitung des „Egmont“, welche Diezmann in Yeipzig in Drud
974 Das Burgtheater.
gegeben. Da ändert Schiller Goethe vefolut, oft radical, und gegen
jeinen verehrten Freund Goethe war er ficberlich noch viel ſchonen—
der als gegen fich jelbjt. Gerade jo wie mit dem „Egmont’” würde
er mit dem „Demetrius“ vorgegangen fein.
Wie leicht, wie jcharf hatte er in dieſer „Egmont“Reform
Altes bejeitigt, was die dramatiiche Schwäche des „Eymont’ aus
macht! Diefe Schwäche bejteht darin, daß die Gegenjäte im
Stüde einander vorjichtig aus dem Wege gehen fünf Acte lang.
Das Zufammentreffen der Gegenjäte bildet aber das Drama.
Nur ein einzigesmal, nur im vierten Acte, begegnen fi Egmont
und Alba. Freilich fielen bei ver Schillerichen Reform einige der
hundert Vorzüge des Goethes, Egmont‘, welche eben in vem ruhigen
Gange des Goethe-Stückes wurzeln, und Goethe felbjt ſchüttelte
den Kopf zu jolcher Dramatifirung feines „Egmont“. Gr war eben
in erjter und letter Pinie nicht jo dramatiſcher Componift wie
Schiller, deſſen Dramen juſt durch ihre Compofitionsfraft ver
Schatz des deutſchen Theaters find. Wer aber jo am „Egmont“
verfuhr, wie wäre der mit feinem Eigenthume, mit dem nur ſkizzirten
„Demetrius“, umgejprungen !
Das Schidjal hat ihn weggeriffen. Nehmen wir Abjchiev.
Bei diefem Begriffe „Aenderungen“, welcher den Theater: ,
Dirigenten alle Tage zudringlich antritt, drängt fich ein Scribe-
ſches Stüc vor, welches wir in diefem Jahre 1859 neu brachten.
Es waren Standesänderungen nöthig, um den Zutritt des Stüdes
zu ermöglichen; vornehme Yeute mußten minder vornehm auftreten.
Es waren die „Feenhände“ — „Les doigts de fee“.
Das Stüd behandelt jehr dreiſt eine jeciale Frage: was
jollen hochgeborene Mädchen thun, wenn fie nicht reich genug find
und feinen Gatten finden, und feinen Anhalt finden in der Welt?
— Gie follen arbeiten. — Das zu antworten hatte Scribe die
Dreiſtigkeit in dieſen „Feenhänden“. Und das führte er gründlich
durch in der Handlung dieſes Stüdes, und dies Stüd wurde auf
Das Burgtheater. 375
dem eriten Theater Franfreihs, auf dem Theätre Francais,
aufgeführt,
Nun muß man freilich nicht glauben, daß dies Theätre
Francais ein ähnliches Publicum habe wie das Burgtheater, eine
ähnliche Atmojphäre von officiellem, arijtofratiichem, vornehmen,
rückſichtsvollem Wejen. O nein! Es erhält zwar eine Subvention
von der Negierung; aber Hofrüdjichten beeinflufien es gar nicht.
Sein Bublicum ift in feiner Richtung excluſiv, es ift das Publicum
der gebilveten Pariſer. Es hat zudem eine republifanifche Schau—
ipieler-Berfaffung, innerhalb welcher es ſich im Wejentlichen ſelbſt
regiert durch Stimmenmehrheit jeiner Societairs (jo heißen die
lebenslänglihen Mitglieder), und dieſe VBerfafjung bringt es mit
fih, daß es immer in unmittelbarer Berührung bleibt mit Sitte
und Anſchauung der lebendigen franzöjiihen Welt. Es gejtattet
alfo eine viel freiere Wahl im Thema jeiner Stüde, es gejtattet
eine freiere Sprache als das Burgtheater. Aber auch für dies
Iheätre Francais war ſolch ein fociales Thema wie in den „Feen—
handen“ immerhin jpit umd ein wenig dornig. Die Schwierigfeit
wurde dadurch erhöht, daß Scribe ven franzöfiichen Dramatifern
zu lange lebte, wirkte und — reuffirte. Der alte Herr brachte nach
vierzigjähriger enormer Theaterthätigfeit immer noch wirkſame
Stüde, welche dem jüngeren Gejchlechte den Naum beengten. Das
junge Gejchlecht tadelte, Schalt, verläumdete wohl auch die unge:
nügende Fähigkeit des alten Herrn. „Der Bindfaden“ — „la
ficelle“ — war das Stichwort des Tavels. Mean jühe überall
den „Bindfaden”, an welchem die Scribe'ſchen Puppen durch die
Acte hindurchgeleitet, an welchem die Acte jelbit zufammengehalten
würden. Das hat jich jpäter gerät. Als er geitorben war,
famen gröbere Gompojfitionen an die Reihe, und ein Kritiker vief:
Eh bien! ven Bindfavden find wir los, aber was haben wir nun?
Den „Strick“ — „la corde“.
Nun, diefe Oppofition gegen Scribe kam bei diefen „Doigts
376 Das Burgtheater.
de fee“ zum Ausbruche, Das dreijte jociale Thema bot den An-
(aß, aber auch nur den Anlaf. Der Neid war die Grundurfache;
die Aufnahme des Stüdes wurde bei der erjten Aufführung heftig
bejtritten. Das lodte mich nur, es fennen zu lernen. Scribe hatte
in Folge der bejtrittenen Aufnahme wirklich Aenderungen gemacht ;
das gedructe Buch enthielt fie, und ich fand das Stüd troß der
Parifer Tonangebung, die ich jeit lange fannte, intereffant und
unterhaltend. Das Publicum in Paris ift auch diefer Meinung
geworden, und das Stüd hat jich gehalten.
Sch wollte es geben und ſtand mit diefer Abſicht wor einer
hoben Mauer im Burgtheater. Das arme vwornehme Mädchen
Helene, welche durch Arbeit ihr Yeben fichern will, ijt nicht mehr
und nicht weniger als eine Herzogin. Dafür eine Crlaubniß zu
hoffen, wäre VBermejjenheit gewejen. Für unjere Zwede, meinte
ih alfo, ift das Mädchen ebenfo gut, wenn fie ein bloßes Evel-
fräulein it! Demgemäß degradirte ich die ganze Familie, und —
das Stüd kam zur Aufführung und gefiel troß des Putmacher-
geichäftes, welches Helene errichtet hat.
Unter ſolcher Stanvesbeihränfung nahmen auch wir in Wien
theil an dem breiten jocialen Thema eines Yuitjpiels, und das
Samenforn wird feimen bei unferen Luſtſpiel-Poeten.
Praftiih Hat es ſich wie ein joctaler Scherz ſchon fort:
entwidelt, als das Stüd bei anderen Hoftheatern anflopfte. Die
Herren Intendanten waren jehr ungehalten, daß man einem Edel—
fräulem jo Etwas zumuthen könnte. Jetzt fam die Standes:
erniedrigung beleidigend an den Fleinen Adel: dieſen Herren mitten
unter Herren „von“ war das Edelfräulein empfindlich. Was bei uns
Rettung gewejen, war dort Verbrechen; dort hätte man allenfalls
die arme Helene wieder zur Herzogin machen fünnen ; die Herzogin
(ag ferner, und mit ihr wurde die ganze Mesaventure chimäriſch.
Die Moral davon lautet: Sociale Luftipiele find ein wahrer
Schat für die Bühne, denn fie führen in's organifche Yeben des
Das Burgtheater. 377
Publicums, berühren alſo die Charaftere viel intimer, als dies
bloße Situations-Luſtſpiele können. Aber ſie finden auch am
ſchwerſten Zutritt und beleidigen das Publicum am leichteſten.
Wandlungen des Lebens, welche erſt im Zuge begriffen ſind, haben
auf der Bühne einen ſehr ſchweren Stand, denn das Publicum
ſpaltet ſich in Parteien für das erſt Werdende. Es weint und
lacht einträchtig nur über das Fertige, welches in die Gewohnheit
der Menſchen übergegangen iſt.
Sind aber ſociale Luſtſpiele einmal durchgedrungen, dann ſind
ſie von langer Dauer auf der Bühne, denn ſociale Reformen,
welche durchgeführt worden ſind, haben eine ſehr zähe Lebenskraft.
Motiere, der jo oft fälſchlich empfohlen wird, iſt ganz be—
ſonders lehrreich in der Theaterfrage vom focialen Luſtſpiele.
Moliéère hat es trefflich verjtanden, feine Stücke durch fociale Züge
zu befruchten. Nur zu befruchten. Er verfuchte es nie, neue ſociale
Berhältniffe aufzuitellen, aber er fnüpfte feine Charaftere da an, wo
fie mit gejellfchaftlichen Schäden zufammenhingen, und dadurch ge-
lang es ihm, Charaftertypen zu jchaffen. Zum Beijpiele den
Tartuffe. Zum Theile deßhalb genießt er in der franzöfifchen
Yiteratur ein jo großes Anjehen, er, der franzöfiiche Schaufpieler,
in der franzöfifchen Literatur, wie Shafejpeare, ver engliiche Schau:
ipieler, in der englifchen Literatur, Bielleicht weil fie als Schau—
ipieler die focialen Schwierigkeiten des Lebens doppelt empfanden,
hatten jie in jich die Fähigkeit des Ausprudes dafür tiefer entwicelt.
Moliere's Anjehen iſt noch im heutigen Frankreich außer:
ordentlich. Nicht blos beim Bourgeois, welcher die Statue des
Komödiendichters an der Straßenede mit Behagen anjchaut, fondern
auch beim vornehmſten Yiteraten. Moliere ift eben Gründer ver
franzöfiichen Komödie von joctalem Charafter, und er vollbrachte
dies mit nadtem vealen Talente, Er lehrte nicht, jondern er zeigte.
Er hat die gleichzeitigen Spanter und Italiener fleißig benütt
— fein Franzofe fragt danach. Sie find in dem Punkte der An-
378 Das Burgtheater.
eignung oder, wie es jett heißt, der Annerion von weiteſtem Ge—
wijlen. Dumas der Vater hatte einmal die Naivetät, zu erflären:
Ja, es ift wahr, ich habe dieſe zwei Scenen meines Luſtſpiels einem
alten Stüce blank entlehnt, aber in jenem alten Stüde machten fie
feine Wirkung, in dem meinigen wirken fie gut. Sch habe alfo ein
Recht gehabt, ſie mir anzueignen, und nun find jie mein, denn ich
hab’ jie zur Geltung gebracht. — Die Franzojen widerjprachen
nicht.
Ebenſowenig fümmerte man fich bet Moliere darum, woher er
jich verforge. Diejer Kummer ift nur eine neidiiche Neigung in
Deutſchland. Was in Frankreich der Yandsmann verarbeitet und
fertigbringt, das ift des Yandsmannes, das ijt ein nationaler Er—
werb; fein literarifcher Commifjär fragt nach dem Urſprungs—
zeugniffe. Deßhalb find wir auch jetzt mit dem literarifchen Eigen—
thumsvertrage jo arg im Nachtheile. Wir felbjt denunciren jeden
unferer Yandsleute, wenn er Etwas von Franzojen entlehnt, ven
Franzoſen fällt das nicht ein. Zur Erleichterung dient ihnen frei
lich, daß fie gar nicht fennen, was bei ung gefchrieben wird. Kommt
doch einmal dem Franzofen Etwas zu von unferer Piteratur, dann
beleckt ev es mit feiner nationalen Zunge jo lange, bis der fremde
Ursprung unfenntlich geworden und der Nachweis der Entlehnung
faum möglich bleibt. Solch ein literarifcher Vertrag zwijchen einem
nationalen Volke, wie die Franzofen find, und einem fosmopoliti-
ſchen Volfe, wie wir jind, wird ftets die Wirfung haben, daß das
fosmopolitifche Volk alle Kojten zahlt, was wir denn auch vedlich
thun oder thun müfjen.
Sch fomme auf Moliere und unfer literarifhes Verhältnig zu
den Franzofen, weil wir Anno Neunundfünfzig wieder einmal den
Verſuch machten, ein Moliere'fhes Stüd neu in Scene zu ſetzen.
Bon Zeit zu Zeit überſetzt ein Yiterat, der viel Zeit hat und
nicht genug eigene Schöpfungskraft befitt, die älteren Stüde frem-
der Literatur in neues Deutjch und macht uns in den Zeitungen
Das Burgtheater. 379
begreiflih, daß es ganz unclaſſiſch von uns ſei, die clafliichen
Stüde hochgebilveter Völfer auf unferer Bühne zu vernachläfjigen.
Namentlich die Lujtipiele, da es uns doch an Luſtſpielen fo fehr
gebreche. Namentlich Meoliere — fett er hinzu —, der Vater des
franzöfifchen, ja des europäifchen Luſtſpieles, verjchwinde auf ganz
unverantwortliche Weife vom deutſchen Theater!
Das laſſen wir uns gejagt jein und ſetzen wieder einmal ein
neu überjettes Stück von Moliere in Scene, und rufen uns, wie
ich oben verfucht, jorgfältig in's Gedächtniß, daß Moliere die größte
Bedeutung habe für die Compofition des Yuftipiels, und find dann
ganz erjtaunt, wenn die Wirfung ausbleibt auf unferer Scene,
Sp ging es uns in diefem Jahre mit dem „Geizigen“. Wir
wiederholten ihn wor leerem Haufe.
Woran liegt das? Man giebt ja doch diefe Stüde heute noch
im Theätre Francais regelmäßig, und die Franzofen finden das
gut und löblih. Sa, in ihrem eng nationalen Wejen leben die
alten Theater-Traditionen noch; die Franzojen find bewunderns-
werth conjervativ in ihren Künſten. Wir find es nicht. Wenn
wir dieſe alten Stüde trefflih dargejtellt im Theätre Francais
ſehen, jo müfjen wir uns jehr ftacheln mit literarifchen Sporen, um
ihnen’ einigen Geſchmack abzugewinnen; eigentlich finden wir fie in-
ſipid, grob, veraltet. Alte, unverlöfchliche Linien der Yuftipiel-
wirkung erfennen wir wohl, aber es find uns nur Yinien zu Studien.
Der Inhalt, welchen fie eintreifen, ift uns längjt fade geworden; wir
wollen Lujtipielwerhältnifje unjerer Tage. Das geht jo weit, daß
ſelbſt Krankheitsſymptome unferer Tage in Mioliere’s Form nicht
mehr bei uns wirken, Die Frömmelei war in den Dreißiger und
Vierziger Sahren ſehr fihtbar in Deutjchland und fehr verhaft;
man freute jich in Yeipzig wochenlang voraus, daß zum Neujahrs-
tage Moliere’s „Tartuffe“ aufgeführt werden ſollte. Der Neus
jahrstag kam, „Zartuffe” fam auch und — machte gar feine
Wirkung.
380 Das Burgtheater.
Summa: ſchätzbares Material fir Iheater-Studien iſt noch
fange fein Material für's Theater jelbit.
Der Sinn ift aufzufuchen, in welchem Yeute wie Moliere ge-
ichrieben, der Sinn, durch welchen jie jo jtarf gewirkt. Nur wer
den Sinn entdeckt und gleichzeitig Talent hat, wird durch Dies
Studium dem jetigen Theater nützen. Er wird nicht die Prügel-
jcenen wiedergeben — der Stod wird überall abaefchafft, und auf
unjerem Theater jollen Prügel einen luſtigen Eindrud machen! —
jondern er wird, wie Moliere feinerzeit, Schwächen und fomijche
Leidenschaften heutigen Tages zu Ausgangspunften nehmen, aber er
wird ums nicht beweilen wollen, daß der Geiz etwas Komijches fei,
weil er es in roherer Zeit gewejen jein mag.
Wer jo vorgeht, der wird dann auch begreifen, daß zum Bei—
ipiele unfer Fritiiches Vorurtheil gegen politiiche Yuftipiele im
Weſentlichen altmodiſch geworden und der Reviſion bedürftig ift.
Unfere Zeit iſt politifch. Hier liegen alfo auch Neigungen und
Schwächen, welche dem Luſtſpiele, vem Theaterſtücke gegenwärtigen
Lebens, angehören und in demſelben ehrlich wirken können, nicht
blos künſtlich. in heutiger Moliere würde uns das nachdrüdlich
zeigen. Kurz, das Theater, und auf dem Theater insbejondere das
Yujtipiel, hat es mit dem lebendigen Yeben zu thun. j
Hierin Liegt auch die Yebensgefahr für unſere Hoftheater,
welche fich aus höfifcher Tradition gegen neu pulfivendes Leben ab-
zufperren juchen. Gelingt ihnen dies, jo gelingt ihnen auch ihr
Tod.
Jedes Weſen hat feine eigenthümliche Yebensgefahr. Die ver
heute noch beſtehenden Hoftheater liegt in den Rococo-Principien,
welche jie fich auferlegen zu höchjteigener Strangulirung.
\
XXXI.
Die Rolle des Cromwell und des Geizigen, welche 1859 in
Rede gefommen find, führen zur Schilderung eines unferer erften
Schaufpieler, des Herrn Ya Roche.
Um dieje Zeit ſchon machte ver unerbittlich nagende Zahn der
Zeit auch an ihm feine Gewalt geltend. Unfcheinbar vielleicht für
das Bublicum, empfindlich für die Näherftehenden. Nicht in Ge-
fundheit und heiterer Yebensfähigfeit, durchaus nicht! YaNoche hat
eine jener unverwüſtlichen Naturen, welche bis in hohes Alter, wohl
bis in höchſtes Alter jtandhaft vorhalten. Jener Zahn machte jich
da geltend, wo er es immer thut: am unferer ſchwachen Stelle, da,
wo wir gefündigt haben unfer Yebenlang; da nagt er zuerft wirffam.
Eine Grundbedingung der Schaufpielfunt it die Gedächtniß—
fraft — an ihr nagte jener neidiſche Zahn zuerjt wirffam bei Herrn
Ya Roche,
Die Gedächtnißfraft ift für den Schauspieler jo wichtig, wie
die Blutbeihaffenheit für jeden Menjchen. Wenn die Worte dem
Schauspieler nicht ohne Schwierigfeit gegenwärtig find, jo ift er im
Einzelnen wie im Ganzen gelähmt er ijt dann wie ein Soldat, ver
fchießen fol und der mit dem Yaden nicht fertig wird.
Eine leider zahlreiche Gattung alter Schaufpieler ſteht neben
der jungen Generation wie eine Armee mit VBorderlavdern und Kapſel—
aufjesern'neben einer Armee mit Hinterlavdern. Diefe jchießt zehn-
mal, ehe jene einmal ſchießt, und jeßige junge Schauspieler, welche
EnEN
382 Das Burgtheater.
fejtes Memoriren jo früh vernachläfligen, fünnen früh als todt be-
trachtet werden. Die alte Schiegweife geht im heutigen Schau—
ſpiele gar nicht mehr.
Es iſt nicht zu verfennen: die junge Generation der Schau:
ipteler, in einer geiftig bewegten Zeit eingejfchult, hat im Lernen der
Rollen einen großen Vorſprung. Keineswegs vor Allen. Wir
hatten am Burgtheater Mitglieder der älteren Generation, welche
in Gewijjenhaftigfeit des Memorivens muftergiltig waren, Anſchütz
an der Spite und Frau Rettich — die Frauen lernen immer gut
— md Fichtner wenigjtens im bejten Willen, nur behindert, leider
ichwer behindert durch fein hartes Gedächtniß. Aber der Vorjprung
der Jüngeren ijt überaus einleuchtend vor einer großen und wich-
tigen Gruppe des älteren Kiünjtlergejchlechtes, welche gewiljen-
haftes Memoriren von Haufe aus geringgeachtet hat. Dieje Gruppe
Ichliegt echte Darjtellungstalente im fih, Namen vom beiten Klange
in der Theaterwelt, Leute, welche jih auf ihr Genie verließen und
verlajjen, welche die nothwendigen Hilfsmittel der Kunjt gering-
ſchätzten und geringjchägen, divecte Erben der Ertempore- Komödie,
Ich glaube, fie find auf eine gewiſſe Periode des deutjchen
Iheaters, etwa auf die Jahre von 1815 bis 1830, zurüdzuführen.
Zahlreiche Talente, deren Entwidlung in jene Zeit fällt und die
vorzugsweile aus Berlin jtammen oder mit Berlin zufammen-
hängen, haben faſt grundfätlich das Memoriren obenhin behandelt
und fih auf die Infpivation in ver Schlacht verlaffen, fich wohl
auch Etwas zugute gethan auf die Fähigkeit jolher Infpivation, ganz
wie in der Extempore-Zeit. Ludwig Devrient jteht an der Spitze;
er hat oft böje Dinge geſprochen, wenn er, der richtigen Worte un—
mächtig, im Drange der Schlacht eilig vorwärts mußte. Döring
desgleichen ijt viel zeitiger, als das Alter ihn dazu zwang, den Wor—
ten des Dichters aus guten Gründen ausgewichen, und La Roche eben-
falls. Ya Roche nicht in hohem Grade und nicht eben grunpdfäglich, aber
doch jo, daß er feine reichen Darjtellungsgaben empfindlic) abgeſchwächt
Das Burgtheater. 383
hat durch Unficherheit in ven Worten. Er war es denn auch, gegen
welchen Lußberger — wie ich früher erzählt — feine zornige Rede
richtete, daß man feiner Rolle und feinem Stüde Genüge thun
fönne bei völliger Abhängigkeit vom Souffleur.
Mit aller Neigung nach diefer jogenannten genialen Richtung
hat übrigens Ya Roche — zum günjtigen Unterfchiede von der Genia—
lität Anderer — die Fähigkeit des Memorivens nie ganz eingebüßt.
Das hat er mir einmal aus Aerger über mich nachdrüctich bewiefen.
Ich hatte die Rollen des „Fräulein v. Seiglière“ ausgetheilt, und
er war unzufrieden, daß er nicht die Rolle des Marquis erhalten.
Er jtellte mich zur Rede, warum er fie nicht erhalten? Sch erwiderte
ihm, daß ich feinen Destournelles hätte außer ihm, wohl aber noch
einen Marquis, und bei diefer Gelegenheit beflagte ich mich, daß er
jich, feine Rollen und das Stück jo oft im Stiche laſſe durch Mangel
an Promptheit, Rajchheit und Feitigfeit in ven Worten, durch noth-
wendige Hingabe an den Souffleur. Wer den Souffleur abjolut
brauche, ver verliere die Beherrihung der Scene. Um mich Yügen zu
jtrafen, fam er jo ausgerüjtet auf die erite Probe, daß er die Rolle
des Destournelles vollitändig innehatte. Ich hatte um Verzeihung
zu bitten und that dies mit großem Vergnügen. Destournelles
wurde gerade dadurch eine Meijterrolle von ihm, die bejte neue
Rolle, welche ich in achtzehn Jahren von ihm aejehen. Cr fonnte
e8 aljo, und der Unterichied von anderen neuen Nollen war blen-
dend. Und doch emancipirte er ſich nicht vom Souffleur und ließ
jich durch das Bedürfniß des Souffleurs wie oft! feine trefflichen
Eigenfchaften abſchwächen.
Dieſe trefflichen Eigenſchaften gruppiren fich um eine äußerſt
wohlthuende Yebensfraft, welche jein Spiel ausathmet. Sie find
eine Schöne Wahrhaftigkeit, ein feiner Humor, wenn's noththut auch
‚ein jtarfer Humor, ein warmes Gefühl in bürgerlichen Rollen, eine
noble Haltung in vornehmen Rollen, ein drajtifches Darftellungs-
talent für hargirte Aufgaben, und für das Alles die ausdrudsvolle
84 Das Burgtheater.
Mimik eines Schön gefchnittenen Kopfes und die Behenpdigfeit eines
gefehmeidigen Körpers.
Dieſe Eigenfchaften, welche ihm durchweg leicht und natürlich
zuftehen, bilden in ihm das Enfemble eines erften Schaufpielers,
wie es jelten vorfommt.
Seine Schwächen find am ſichtbarſten in der Zragddie, Theils
fehlt ihm für vie Tragödie der Schwung des Geijtes, theils die Höhe
des Vortrages. Er hatte ſich obenein — wahricheinlich in Weimar
— einen manterivten Ton dafür zugelegt, der aus dem Bauche ge-
holt wird und auch ganz bauchredneriſch wirft. So weit e8 anging,
hab’ ih ihn von tragiichen Aufgaben, die er in ehrlicher Selbit-
kenntniß auch nicht liebte, ferngehalten, und leife Winfe haben all-
mälig auch jenen manierirten Ton verfcheucht.
Troß diefes tragifchen Mangels fpielte er zwei Scenen des
Königs Philipp ſehr gut: den Monolog zu Anfang des dritten
Actes und die folgende Scene mit Alba und Domingo. Ein Zeng-
niß für die Umfänglichfeit feines Talentes und leider auch ein
Zeugniß, daß er aus Dequemlichfeit nicht hinreichend gewuchert mit
jeinen Kräften, nicht einmal mit ven erworbenen Kräften; denn
jene Scenen des Königs Philipp waren erworbene, Noch ftärker
trifft ihn der Vorwurf, daß er die Anwendung der ihm ver—
fiebenen Gaben vernachläffigt bat durch Geringſchätzung des
Wortes. Er war für Luſt- und Schauspiel jo reichlich ausgejtattet,
daß er bei fleifiger geiftiger Arbeit ein Garrid hätte werden fünnen,
Seine Schwächen find ferner fichtbar in mancher komiſchen
tolle, die er übertreibt. Da er andere fein-komiſche Rollen ohne
irgend eine Webertreibung jpielt, fo iſt jene Webertreibung ein
Mangel an geijtiger Gewifjenhaftigfeit. Er ſchlägt dem geiftigen
Einwande gar zu gern ein Schnippchen im Sinne der alten Genie:
Komödie, welcher die grelle Wirkung werthvoller ift, als die ange:
mejjene Wirfung. Namentlich mit den Beinen fällt er leicht in Die
alte grobe Komödie zurück, indem er übertrieben zittert und zappelt.
Das Burgtheater. 385
Die Rolle des Vaters in den „Feſſeln“ werdirbt er fich durch un—
pafjende Komik in einer Hauptjcene, Er hat entdedt, daß die Frau
des Aomirals im Nebenzimmer it; dieſe Entvedung ijt tief er-
Ichredend für den jittfamen Kaufmann, und er beutet dieſen Schred
aus zu — grober Komif.
Ein fejter Halt im Gefchmade geht ihm alſo mitunter ver-
foren, und dieſer Mangel entjteht dadurch, daß fein Geift nicht
immer auf der Höhe unjeres Geſchmackes ſteht. Er hat einen leb-
haften Geijt, aber er hat ihn nachläſſig hinſchlendern laſſen fein
Lebenlang wie fein Gedächtnig, er hat ihm niemals höhere Nahrung
verabreicht, er hat fein Buch gelefen, jondern jich mit dem Abfalle
geiftiger Broden begnügt, welche das Tagesgejpräch liefert. Da—
durch hat er feine lebhafte Geiftesfraft in untergeorpneten Kreifen
belajjen, und auf diefe Weije ift ihm außer dem Schwunge des
Geijtes, welchen ihm die Natur verfagt, auch die höhere Kraft des
Geijtes entgangen, welche feinen Anlagen erreichbar war, welche jich
aber nur durch Bildung entwicelt und jteigert. Nollen von moder—
ner, geiftiger Bedeutung jind ihm deßhalb vielfach entzogen geblieben.
Man konnte fie ihm nicht anvertrauen, wenn fie Schlagfertigfeit
vorausjegen, wenn fie die Atmojphäre geiftiger Leberlegenheit nöthig
haben,
Dies iſt der Punkt, wo er inmitten des heutigen Schaufpiels
ſchon in’s alte Kegifter fiel.
Und das ijt lediglich feine Schuld, denn er hat geijtige Anz
lagen genug. Oder ſage ich da zu viel? Bit es wirklich feine
Schuld? Am Ende ift es doch nur die Schuld feiner Jugendzeit
und feiner Laufbahn, Er jtammt aus Berlin und bat feine
Theater-Garriere in ver Nejtuurations-Epoche von 1815 bis 1830
gemacht. Der Aufſchwung unferer Nation wurde in diefer Periode
niedergehalten, das geijtige Yeben wurde mehr und mehr gedämpft,
und bei den Theatern war wenig oder nichts davon zu ſpüren.
Die neuen Stüde von Houwald, Clauren, jelbjt von Raupach
Laube, Burgtheater. 35
wei
386 Das Burgtheater.
bewegten jich theils in trivialen, theils in ſchwächlich fentimentalen,
theils in troden verjtändigen Bahnen; ein höherer und zugleich
(ebensvoller Geift war nicht vorhanden. Declamiren auf der einen
Seite, Chargen auf der andern Seite bildeten das Schaufpieler-
Programm. Unter dem Grafen Brühl in Berlin war die Declamir-
Ichule in voller Blüthe, und der entgegengefegte Bol, Ludwig
Devrient, war durch wüſtes Yeben eigentlich von Haufe aus ge
brochen. Sein großes Talent, oder jagen wir richtiger fein Genie
vermied mit gutem Inftincte jedes Declamiren — er fonnte es auch
formell gar nicht, jo viel ich von ihm weiß —, er padte die Situa-
tion und eignete ſich nur die Worte an, welche für die Situation
entjcheivdend waren. Was wird man, wenn man als junger be—
gabter Schaufpieler da zufieht und zuhört? Declamirt man?
Gewiß nicht, wenn man echtes Talent hat. Man fieht auf Devrient.
Diefer hat gar Biele veranlaft, das Wort gering zu achten, und
Ya Noche namentlich war auf diefe Richtung angewiejen. Das
Declamiren war und blieb ihm fo fern, daß er es fich nicht einmal
jo weit zur eigen gemacht hat, als es für manche getragene Partie
einer Rolle nothwendig ift. Er, ein fo guter Schaufpieler, hat mich
in großen Stüden oft in Verlegenheit gefetst durch diefen Mangel.
In „Antonius und Kleopatra‘ fam die Befchreibung des phan—
tajtiichen Zuges auf dem Cydnus an ihn, Er, Kleopatra und wir
litten bitterlich darunter.
Das Beifpiel Devrient's hat ferner die jungen Schaufpieler
veranlaßt, ernjte Bejchäftigung, ernjte Studien gering zu achten —
die Weinftube von Yutter und Wegener, wo Devrient täglich ſaß,
war ja ein jo wohlfeiles Beifpiel! Gelehrte Schaufpieler nahmen
jich fo troden und hölzern aus neben dem Genie, Natürlich! Die
Macht des Talentes ift freilich die Hauptfahe. Daß die Macht
des Talentes vertieft und erhöht wird durch Bildung, das war fein
Gedanfengang für die damaligen jungen Schaufpieler. So ent:
and die gangbare Sitte, das Wort „ein denfender Künjtler‘ als
Das Burgtheater. 387
Spottwort zu gebrauchen und fih Tag für Tag in Theater-Stich-
worten herumzudrehen, Tag für Tag wie Richard Wanderer vie
bequemen Citate aus den Theaterjtücen zu wiederholen und ſich
damit recht geiftreich zu finden,
Diefer Komödiantengeiſt figurirte auf unjeren Bühnen wie
lange! als Geift und entband fich felbjtgefällig won der Yectüre
eines guten Buches und vom Trachten nach weiterer Bildung, und
die mit ftarfem natürlichen Talente Ausgerüfteten, wie Ya Roche,
waren am ehejten in Gefahr, im diefem Fuſelgeiſte aufzugeben, fich
um weitere Ausbildung nicht zu fümmern. Ihr Mutterwit Tchaffte
ihnen geiftige Anerfennung in den Theaterfreifen, und mit diefer
Anerkennung begnügten fie fich.
Glücklicherweiſe fam Ya Roche nach Weimar, wo der Goethe'ſche
Einfluß noch waltete, obwohl der greife Dichter längſt vom Theater
ausgefchieden war. Dort hat er manche ernjte und gute Theater:
fitte eingefogen, welche ihn namentlich zum ernjten Regiſſeur gebildet
hat, als welcher er im Burgtheater fräftig gewirkt, Fräftiger als
einer der anderen Regiſſeure. Leider abeveauch ohne die hijtorifchen
Kenntniſſe, welche für folches Amt unerläßlich find und welche nur
Anſchütz beſaß.
Die kleine Stadt Weimar hat ihm aber nicht Veranlaſſung
genug geboten, das dolce far niente des Geiſtes ganz zu unter—
brechen. Die Zeit der Lernjahre war bei ihm vorüber; gründlich
verändert man ſich nicht mehr, wenn man drei Jahrzehnte gelebt
hat. Iſt es ihm doch nicht gelungen, Berliner Sprachreize los zu
werden; er lebt heute noch auf geſpanntem Fuße mit Präpoſitionen,
welche für eine Bewegung den Accuſativ verlangen. Er hängt feſt
am Berliner Dativ und ſagt bei undeutlichem Souffleur ſtandhaft:
„Ich gehe in der Stadt“ für: „Ich gehe in die Stadt”.
So ift es gefommen, daß er troß lebhaften und wißigen
Geiftes in der geiftigen Strömung unferer Zeit eigentlich nur die
Blaſen kennt. Die Stichworte nimmt er auf, der Grund derſelben
97%
25
388 Das Burgtheater.
it ihm nur ungefähr veutlih. Das hat ihn von vielen modernen
Rollen ausgefchlojjen, welche man ihm zutrauen jollte.
Er ift außerdem jehr launiſch. Herrjchbegierig in hohem
Grade und deßhalb auch protectionsluftig — Yord-Protector wurde
er genannt — wird er leicht verjtimmt, wenn das Regiment nach
einem fejten Principe vorgeht und ungern Ausnahmen gejtattet.
Wenn nun gar neue Rollen — jtets eine unbequeme Anjtvengung
— in die Zeit jolher Mißlaune fallen, dann verleugnet er auch
jeine zahlreichen guten Eigenfchaften und wirft diefe Rollen zu den
Todten. Selbſt ſolche, die in jeine alten Kategorien gehören. Im
- Sahre 1861 zum Beifpiele brachten wir den ‚„Winfeljchreiber‘‘ neu.
Der Kanzleivath darin gehört in fein bejtes Genre, er jpielte ihn
aber wie ein Schüler. Das Stüd gefiel und wurde oft: gegeben —
da fand er, daß eine Anjtrengung am Plate wäre, rüttelte jich
in die Rolle hinein und fpielte fie von der fünften VBorftellung an
vortrefflich.
Um es mit Einem Worte zu Jagen: er gehört zu ven Epifuräern
im deutſchen Schaufpielevftande. St denn das was Uebles? DO
nein. Stoifer und Epikuräer find Gegenfüte, welche überall er-
ſcheinen und unferer Natur nach ericheinen müſſen. Sie find uns
beim Theater um jo willfommener, je ausgeprägter ihre Phyſio—
gnomien find. La Roche ijt einer der begabtejten Vertreter diejer
epifurätfchen Richtung. Licht und Farbe, Fleiſch und Blut, Heiter-
feit und faftiges Leben treten mit ihm in die Scene — wir werden
nie vergeſſen, wie viel erfrifchende, erquickende, meijterhafte Rollen
er uns feit fünfunddreißig Jahren vorgeführt, Die Scene beleben
und beherrjchend im Luft- und Schauſpiele. Sein alter Klingsberg,
fein Eantal im „Fabrikanten“ und eine große Zahl anderer Rollen,
allerdings meift in Stücen von mäßigem Werthe — aber au) fein
Muley Haſſan, feine noblen Herren im höheren Schaufpiele, feine
feinen Cabinetsſtücke, feine dreijt ausgeführten und mit überlegenem
Humor ausgejtatteten Chargen im großer Zahl werden immer
Das Burgtheater. 389
mujftergiltige, faum erreichbare Yeiftungen von ihm bleiben. Wir
würden eine Hefatombe won wirklich blos „venfenden” Künjtlern
opfern, wenn wir dem alten Herrn die fünfunddreißig Jahre vom
Scheitel abjtreifen und ihn wieder jung machen fünnten,
In feiner Domäne, im Puftipiele, tummelten wir uns in diejen
Sahren 1860, 1861 , 1862 vorzugsweife herum. Die große Pro-
duction ſchwieg, und ich verfuchte mannigfach die einheimifchen
Talente für die fleine Production im heiteren Genre. Wir brachten:
„Mit der Feder’, „Die Guftel von Blaſewitz“, „Mein Sohn‘,
von Siegmund Schlefinger, welcher die bejte Anlage entwicelte für
die weiter zu bildende Gattung der „proverbes‘“ bei ven Franzofen.
Seine fleinen Stüce find wirklich eine Weiterbildung diejer aphori-
jtifchen Form, welche gleichfam nur anfragt. Schlefinger antwortet
auch auf die geiftvollen Fragen, welche er aufwirft in dieſen Auf-
zügen von höchjtens drei Viertelſtunden. Yeiver hat ihn die Jour—
naliſtik allmälig ganz eingefangen und ihn mitihrem Ausſaugeſyſtem
vom Theater abgezogen. Hoffentlich nicht für immer.
Ein recht gelungenes Stückchen diefer PVierteljtunden » Gut:
tung brachte Hollpein, feines Zeichens ein Maler, mit: „Er
exrperimentirt”’, und auch der „Familien-Diplomat“, von Ar:
nold Hirſch, verfuchte glücklich, eine neue Figur für Beckmann zu
ſchaffen.
Der Luſtſpiel-Löwe dieſer Jahre aber kam ung merkwürdiger—
weiſe aus dem römiſchen Alterthume. Wer hätte im Plautus
oder Terenz ein neues Luſtſpiel gefucht für uns! Ich war aus—
gegangen, um eine jugendliche Yiebhaberin zu juchen, und fand mit
ihr in Breslau den „Winkelſchreiber“. Diefer mir ganz neue
Titel jtand auf dem Theaterzettel, und unter dem Perſonale des—
jelben figurirte ein Fräulein Baudius, welches ich fehen wollte.
Letzteres wurde mir nicht leicht; ich ſah Act für Act zu, und fie
erſchien nicht, das Stüc hatte vier Acte, und der vierte Act neigte
390 Das Burgtheater.
zum Ende und fie erichien nicht. Es war natürlich, daß mir das
Stüd zu lang vorfam.
Dies realiftiiche Yuftfpiel von einem neuen Verfaſſer —
Winterfeld — nach der römischen Grundidee geſchickt einfach auf:
gebaut in unferer heutigen Bürgerlichfeit, wurde von Defjoir in
Breslau eingeführt. Deſſoir ift ein wichtiger Tragödienſpieler,
und er fpielte diefen Winfelfchreiber wie immer mit Geift, aber
ohne den chnifchen Humor, welcher für diefe Rolle unentbehrlich
it. Die Wirfung war mäßig, aber — was fir mich die Haupt-
ſache — das heifle Thema, die Suche nach einem Vater, ftörte
meine munteren Yandsleute, die Schlejter, nicht, und jo durfte ich
hoffen, e8 werde auch die Defterreicher nicht ſtören. Ich befette
es im Zufehen und ftrich im Zufehen einen ganzen Act — da fam
die Schlußfcene und nun endlich auch Fräulein Baudius mit dem
außerorventlichen und noch dazu fchüchternen Ausrufe: „Mein
Vater!“ Zu Weiterem ließ ihr der Vorhang feine Zeit, und ich war
zum evftenmale in der Lage, nach zwei Worten eine jugendliche
Liebhaberin zu beurtheilen. Figur, Gang, feines Antlitz, ſchöne
Augen und der Klang diefer zwei Worte hatten dennoch für mic)
hingeveicht, und ich fam mit einem neuen Engagement und einem
neuen Stüde nach Wien zurüd.
Mit Shüchterner Beforgnif reichte ich das Stüd ein bei meiner
Behörde, Die Beforgniß war nur zu begründet. Für eim junges
Mädchen ven Vater zu juchen auf dem Burgtheater, und ihn unter
jo erfchwerenden Umſtänden zu fuchen, jeglicher Familien-Moral
zum Hohne, allen „Comteſſen“ zum Entſetzen, das war nicht nur
ein Wagniß, e8 war ein Attentat,
Es wurde auch als folches angefehen. Umfonft hatte ich die
ichönften Dinge gefagt in meinem Geleitfchreiben über die unerläß-
lichen Bedingungen eines realen Luftjpiels, über ven Charakter eines
erjten Theaters, welches doch nicht ganz für die Bedürfniſſe von
noch nicht verheivatheten Comteſſen eingerichtet werden könnte — ich
Das Burgtheater. 391
wurde jehr unfanft angefahren, und mein Gejchmad erſchien bei
diefer Ablehnung des „Winkelſchreibers“ in einem vecht traurigen
Lichte. Solche Unanftändigfeiten auf's Burgtheater zu bringen, ei
ein Zeugniß von — ſchweigen wir darüber! hieß der Schluß. Ich
wurde geſchont in den Vorwürfen, aber das Stück flog in Dante’g
Hölle.
Sch ſchämte mich, blieb aber bei meiner unanftändigen Vorliebe
für dies römische Stück und wartete auf eine günftige Gelegenheit.
Es ſchien mir ſehr wiünfchenswerth, unter all diefen gebrochenen
Tönen des modernen Yuftipiels einmal die vollen Farbentöne der
Komik zu bringen, damit das Publicum nicht werlernte, über echt
komiſche Dinge zu lachen, welche der heidniſch-römiſchen wie der
hriftlichegermanifchen Zeit gemeinfchaftlich find und bleiben. Nichts
ijt nachtheiliger beim Theater als Ueberbildung und Ueberfeinerung
des Bublicums. Des „Gedanfens Bläſſe“ und der Sittfamfeit
oft fo dürre Convenienzen dem Publicum „angekränkelt“ zu haben,
iſt „draußen“ für manches abjolut anjtändige Hoftheater Vergiftung
geworden. Das gefund Natürliche will im Yuftfpiele fein Necht,
ſonſt wird dem Luftipiele das gefunde Blut verdorben,
Ich mußte lange warten. Aber der erjte Rath neben meinem
Chef unterjtüßte mich immer wirffam, wenn das Ziel meines Stre-
bens ein Luſtſpiel war, und mit feiner Hilfe fand ich endlich der
glückliche Moment — der „Winkelſchreiber“ wurde freigegeben, er
durfte auftreten, und er that, wie Jedermann weiß, jeine Schuldigfeit
außerorventlih. Im feiner Kürzung und in der Darftellung mit
vollen komiſchen Farben ift er ein unverwüftliches Nepertoireftücf ge-
worden.
Und zwar nur im Burgtheater. Mean fucht ihn „draußen“
vergebens. Wo das feine Zuftjpiel fehlt, hat dies derbe Luſtſpiel
nicht jo glücklich wirfen können, weil das geſchulte Publicum fehlt.
Die Schulung allein verleiht einem Publicum Geſchmack und Tact
für verjchiedenartige Gattungen.
392 Das Burgtheater.
Freilich haben wohl auch „draußen“ die richtigen Talente ge—
fehlt zur Darftellung. Herr Meirner und Beckmann waren bei
uns wie gefchaffen für Anifflib und Adam. Die immer etwas
laute und vordringliche Komik Herrn Meirner’s war da, wo fie ver-
halten bleibt und doch als Umverfchämtheit unverkennbar zum
Grunde liegen muß, fie war für diefen chnifchen Winfelfchreiber
geradezu claſſiſch.
XXXII.
Eine Theater-Direction hat in erſter Linie danach zu trachten,
daß ihr Repertoire mannigfaltig ſei, mannigfaltig in der Gattung:
heute Tragödie, morgen Komödie; und innerhalb dieſer wechſelnden
Gattungen auch Abwechslung der Dichter.
Dadurch wird der Antheil des Publicums lebendig und, was
von beſonderer Wichtigkeit, er wird friſch erhalten. Neigung zu
Manierirtheit wird vermieden, denn das Friſche iſt ein Gegenſatz
zum Manierirten, und die immer träge machende Hingabe an Mode—
formen wird unterbrochen. Das Urtheil endlich wird immer wieder
erweckt, und nur ein immer waches Urtheil errettet die Schauſpieler
vor dem Schlendrian, zu welchem ſie alle neigen.
Das Berliner Hoftheater war vor einem Jahrzehnt ſchon ſtark
im Niedergange begriffen. Es meinte dies dadurch leugnen zu
fönnen, daß es in ver Woche fünf bis ſechs claffiiche Stücfe gab und
auf fo claſſiſche Leiſtung pochend hinwies. Mean füllt aber nicht
blos über Holzitufen abwärts, man fällt auch über Marmorjtufen,
und zwar über lettere noch empfindlicher. Allwöchentlich fünf bis
ſechs claſſiſche Stücke geben, heißt die Claſſik mißbrauchen, heißt den
Sinn für das Beſte abjtumpfen.
Die Folge war und tft, daß ein folches Repertoire bei der
Ueberfättigung und Theilnahmlofigfeit anfommt. Dann fucht die
Direction verzweiflungsvoll nad) Reizungen, geräth in die Auswahl
feichtejter Meachwerfe, verliert das beſſere Publicum und überant-
394 Das Burgtheater.
wortet den jogenannten Mufentempel am Ende willenlos ver all-
täglichen Unterhaltung. Und auch diefe kann fie nicht mehr ge-
währen, denn ihre Schaufpieler find durch Eintönigfeit langweilig
geworden.
Diefer Niedergang entjteht immer, wenn in der Bildung des
Repertoires Princip und Grundſatz finniger Abwechslung fehlen.
Dan Fann es diätetiſche Abwechslung nennen; die geijtigen Nahrungs-
mittel find eben auch Nahrungsmittel,
Bon großer Hilfe dabei ift es, wenn eine Nation Mannigfal-
tigkeit unter ihren Dichtern beſitzt. Unſer germanifcher Indivi—
dualismus ift da unſchätzbar. Sch brauche einmal dies mundzer-
reigende Wort, weil „Eigenperfönlichfeit” ungewöhnlich ift, und
weil „Eigenthümlichkeit“ nicht jo Ipecifiich verjtanden wird.
Unfere tiefe Neigung, eigenthümlich zu fein, hat unfere po—
titifche Staatsbildung immer erjchwert, aber fie hat unferer Poefie
immer genüßt. Ich glaube, wir find unter allen Völkern am reichiten
in der Mannigfaltigfeit unferer Poeten. Leſſing, Gellert, Klopſtock,
Goethe, Wieland, Schiller, Jean Paul — welch eine Grundver-
jchiedenheit unter diefen Männern innerhalb einer Periode von
dreißig bis vierzig Jahren !
Bei all unferer germanijchen VBerwandtichaft mit den Eng-
{ändern zeigt fich hier die normannifche Signatur auf jener Infel,
Dort find die Poeten beiweiten nicht fo verſchieden von einander
wie unter uns. Zur Zeit Shafefpeare's hatten die Engländer doch
eine erjtaunliche Anzahl von Poeten; ihr lettes Drittheil des ſechs—
zehnten Jahrhunderts und ihr erſtes Drittheil des jtebzehnten jtroßten
namentlich won dramatiichen Dichtern, und nun lefe man nur die
Inhaltserzählung diefer Dramen, welher Mangel an bejonderer
Phyſiognomie, welhe Familien-Aehnlichkeit bis zum Auftreten Ben
Sonfon’s, des Realijten !
Ganz anders bei uns. Auch unfere Theaterdichter find immer
auffallend von einander verjchieven gewejen und geblieben. Zu Ans
Das Burgtheater. 395
fang diejes Jahrhunderts fchrieben gleichzeitig für unſer Theater:
Goethe, Schiller, Iffland, Kotzebue — alle Vier grundverjchieven
von einander. Und jest! Wie berechtigt wir flagen über Mangel an
Production, über Mangel an Berichiedenheit der Production dürfen
wir nicht Flagen. Grillparzer, Halm, Bauernfeld, welche Verſchie—
denheit zwifchen dieſen gebornen Dejterreichern, alſo Süddeutſchen
— Freytag, Gutzkow, Laube, welche Verſchiedenheit zwiſchen dieſen
Oſtdeutſchen — Benedix, Moſenthal, Hackländer, welche Verſchie—
denheit zwiſchen dieſen aus der Mitte und dem Weſten Deutſchlands
Stammenden!
Ich werde daran erinnert durch zwei Stüce, welche 1861 und
1862 die Saifon einleiteten: „Die Fabier”, von Freytag, und „Die
deutſchen Komödianten“, von Mofenthal.
Freytag's „Fabier“ waren eine ungemeine Leberrajchung. Der
Berfaffer moderner Stüde, welcher jo behaglich zu wohnen fchien
in den Gedanfennejtern unferer heutigen Zeit, reicht uns plößlich
ein jo großes römiſches Stüd, und eines aus dem frühelten Nom!
Die Kataftrophe der größten Cavalier-Familie der jungen Roma.
Und wie forgfältig geordnet, wie entſchloſſen geführt, wie milde und
ruhig in Bildung der unerwarteten Geftalten aus dem Kreiſe der
Yandleute, von denen die Architeftur-Dichter nie Etwas melden!
Gejtalten, welche Wandel und Uebergang andeuten im vömifchen
Staatsleben. Dazu weich und anfprechend die eine junge Frauen—
gejtalt; furz, ein Stüd in allen Wendungen eigen. Gar feine her—
kömmliche Architeftur, und doch ein voller, ſchöner Bau.
Sch las dieſe „Fabier“ mit veichem Genuſſe, aber ohne Hoff:
nung für die Scene. Nicht blos hoffnungslos wegen des letten
Actes und feiner Zerjtörungsschlacht, welche für jolche Stammes:
tragödie wohl unerläßlich fein mag, welche jedoch für unfere Bühne
ſchwer darftellbar und faum wirkſam zu machen ift. Nicht bios
deßhalb hoffnungslos; denn ich las fortwährend mit der Empfin-
396 Das Burgtheater.
dung: das Alles in feiner milden, fchönen Führung, in feinem mä—
Bigen, oft Schönen Ausdrucke hat für dich und veinesgleichen einen
angenehmen, edlen Neiz, und diefen kann es auch bei guter Dar-
jtellung auf ver Bühne ausüben — aber das Theater-Bublicum für
dieſe in leifen Zügen gemalte alte Welt ift ein fleines, namentlich)
darım, weil Anfang und Mitte des Stüces ein anderes Publicum
brauchen, als das Ende des Stückes. Bis gegen das Ende des
Stückes folgt der beſſere Theil des Publicums theilnahmsvolf, die
nothwendige Schlacht am Ende aber, in der Grundform doch mur
epifch, fühlt dies Publicum ab. Nach Haufe fommend, Toben fie
es wohl, aber fie eifern nicht dafiir, und der Befuch verfiegt. Denn
die vom Schlacht-Act Unterhaftenen haben wenig Befriedigung in
den erjten vier Neten gefunden, Und wäre dies Alles bejjer, würde
auch die wirklich Schöne Arbeit allgemein erfannt und anerkannt, es
ijt heutigen Tages unmöglich, für das fernliegende römische Thema
ein großes Publicum zu gewinnen.
Das war — wie parador dies flingt — viel eher möglich vor
1848, ehe die politische Gedanfenwelt fich fo verbreitete. Durch
diefe Verbreitung iſt nicht blos ein Hafchen und Bedürfniß nad)
politiihem Thema und Schlagworte entitanden, o nein! es ift auch
eine Sättigung entjtanden mit Staatsgedanfen. Wenn man im
Theater diefe Staatsgedanken nicht in beſonders glücdlicher Faſſung
wiederfindet over tm naheliegenden Berhältniffen, dann fühlt man
fich nicht mehr wie vor 1848 fo angezogen durch den Inhalt, Da—
mals war jolch ein Inhalt überrafchend, und man hatte mehr Zeit
zu innerer Verarbeitung vejjelben. Jetzt ift die Zeitungs-Yectüre
verhundertfacht, jett fehlt e8 den Yeuten gar nicht an geiftigem
Nahrungsftoffe, jest wollen jie ihn veizender verarbeitet haben im
Theater, wenn er fie loden ſoll, jett ift ihnen der Umweg über Athen
und Nom zu weit, Je mehr ein Volk theilnimmt an feinem Staats:
(eben, deſto mehr verlangt es im Theater naheliegendes Yeben, ein
Spiegelbild feiner Zeit.
Das Burgtheater. 397
Sch ſchloß meine Yectüre der „Fabier“ mit vem Gevdanfen: du
wirt. fie nicht geben fünnen,
Aber das äſthetiſche Gewiſſen ift jo umerbittlih wie das
moraliſche. Es ließ mir feine Ruhe, ich forderte ven Unwillen
jener zahlreichen Kreife im Burgtheater wiederum heraus, welche
mit Schreden von einer römifchen Tragödie hören — ich fette die
„Fabier“ in Scene. Und zwar mit viel größerem Genuſſe, als ich
für die Zujchauer erwarten durfte. Das Eingehen in alle Fugen
einer guten dichterijchen Arbeit, welches die Inſceneſetzung mit fich
bringt, trägt auch einen dichterifchen Yohn in fih. Man bereichert,
man erhebt jich ſelbſt und die Schaufpieler, und der Ärgerliche, oft
jo niedrige Alltagskram des Komödianten-Weſens finft wie Nebel
unter die Dergeshöhen, auf denen man wandelt. Deßhalb iſt es
für die Schauſpieler fo wichtig, daß fie alljährlich einigemale an ein
höheres Einſtudiren gelangen, und daß fie dabei geführt werden auf
den Proben wie von einem Prieſter ihrer Kunſt, der das poetifche
Heiligthum zu erklären verſucht. Dadurch nur wird der Schau—
jpieler fich eines höheren Künſtlerthums bewußt und ift Tags darauf
in einer gewöhnlichen Komödie ein edlerer Menſch, gefeit gegen die
Gefahr, dem Alltagswefen zu verfallen, wohl gar der Gemeinheit.
Die Abwechslung in den Stoffen und Formen ift für ihn eben fo
wichtig wie für das Publicum.
Die Wirfung des Stüdes war ungefähr fo, wie ich vorausge—
jehen. Sie war günjtig und bejtand felbft den legten Act. Aber
die Wiederholung fand vor einem kleinen Publicum jtatt, und diefer
ſchwache Bejuch wiederholte fich bei der dritten Borjtellung. Dazu
fam eine Stelle über Werbung zum Soldatenſtande, welche tenden-
ziös auf ungarische Verhältnifje gedeutet und durch Beifall hervor:
gehoben wurde. Sie trug uns eine Warnung ein, und da ber
Caſſenausweis mir feinen Anhalt gab zu Widerſpruch, jo mußte das
Stück zunächit verichwinden,
Ich habe es ſpäter wieder in's VBorbereitungs - Repertoire
598 Das Burgtheater.
gejett und wollte es wieder aufnehmen. Mein Abgang hat mich
daran verhindert. Mögen meine Nachfolger deſſen eingedenf fein!
Es iſt eine reiche Gabe für den bejjeren Theil des Publicums und
eine Genugthuung für Freytag, der in feinem Buche über vie
Theorie der Tragödie fich um dramatifche Dichtung noch bejonders
verdient gemacht hat und „draußen“ auf feiner Bühne feine Stüde
jo gepflegt findet, wie auf dem Burgtheater. Auch die „Fabier“
find nur an wenig Bühnen verjucht worden und jind auf Nimmer-
wiederfehr verihwunden. Im Burgtheater jteht ihr Perſonal noch,
und fie fünnen jederzeit binnen einigen Wochen wieder aufgeführt
werden.
Die Saiſon-Eröffnung des nächjten Jahres (1862) fand ftatt
— wie gefagt — mit Moſenthal's „Deutſchen Komödianten“.
Welch ein Unterſchied! Freytag jorglos, goethiich, fein; Moſenthal
forglich, ver Popularität nachgehend, lehrſam.
Moſenthal hat in zwei Richtungen das Theater offen gefunden:
in der Schilderung literarshiftorifcher Situationen und in der
Schilderung des Bauernlebens. Im der erjten Nichtung hat er
unferen Ballavenfönig Bürger pramatifirt im „Deutſchen Dichter:
leben” und die Entjtehung des deutſchen Schaufpieles tragifomijch
zu conterfeien gefucht in den ‚„„Deutjchen Komödianten“.
Im „Dichterleben“ kämpft ergegen den unvermeidlichen Uebel-
jtand, daß die vramatifche Yebensgefchichte Bürger’s einen ganz an—
deren Menſchen zeigt und zeigen muß, als derjenige Bürger if,
welcher in unferem poetifchen Gedächtniffe lebt. Der auf prächtigem
Strom von Vers und Reim daherbraufende Balladen-Bürger, un—
erreicht in feinem natürlichen rhythmiſchen Falle, lebt in uns als
ein Glücsfind des Talentes. Sein Yebensbild im Drama dagegen
nöthigt uns, häusliches und moralifches Elend durchzumachen. Das
jtört ung wie ein äfthetifcher Wivderfpruch, und da wir im drama—
tifchen Lebensbilde Unangenehmes und Peinvolles eintauchen
müſſen für das in uns lebende erquicende Wejen des Balladen-
Das Burgtheater. 399
Bürger, jo finden wir die dramatische Aufgabe undanfbar, Daran
franft dies Stück in feiner Tiefe.
Sorgſam hat Moſenthal uns zu entfchädigen gefucht, daß er
den Hainbund herbeizieht und ums literar-hiltoriihe Silhouetten
bietet, daß er ung belehrt, dag er die Doppelneigung Bürger’s zu
zwei Schwejtern poetijch zu erklären fucht, daß er endlich — feinem
eigentlichen Berufe gemäß — das Volk herbeizieht, um bei An—
hörung der „Lenore“ die Entjtehung des Volfsdichters zu enthüllen,
Freilich ift es nicht die Entjtehung des Volfsvichters, das wäre
organifch, ſondern es iſt die Wirkung des Volfsdichters in einem
einzelnen Momente, und das ift nur epiſodiſch. Das Ganze ift
immerhin eine vedliche Arbeit. Es fehlen ihr jedoch die Schwingen,
welche fie aus dem unteren Dunjtfreife jo weit erhöben, daß wir
von dem Dichterichiefjale eine Erquickung von dannen trügen.
Derjelbe Fehl haftet an ven ‚„„Deutjchen Komödianten“. Wir
werden auch hier durch die gefchichtlichen Dürftigfeiten des deutfchen
Schaufpieles geführt, und zwar richtig geführt an der Hand poeti—
ſcher Abfichten. Aber ver Theologe Ludovici, welcher Schaufpieler
wird und als folcher zu Grunde geht, ift über die Mittel zu feinem
Ziele unklar, und was er fchlieglich in der Erſchöpfung vor feinen
Tode für Klarheit hält, die Entdeckung Shafefpeare’s, das leidet
an zwei jchweren Gebrechen. Erſtens iſt der national=deutjche
Komödiant am Ende genöthigt, von einem nichtveutfchen Dichter
die Errettung zu hoffen, was ziemlich nieverfchlagend wirft, und
zweitens ijt dieſe jchliegliche Moral des Stücdes denn doch zu nebel-
haft für das Schlußbevürfnig eines Theaterftücdes und eines
Theaterpublicums. Cine literar-gejchichtliche Auskunft für das
Parterre ift mehr originell als genügend,
Das hiſtoriſche Thema ift alfo auch hier an jich nicht aus-
reichend, oder es ift doch nicht ausreichend bewältigt für einen
fräftigen poetijchen Eindruck. Beide Stüce leben von anfprechen-
den Details.
400 Das Burgtheater.
Die zweite Richtung Moſenthal's, das Bauernſtück, zeigt ihn
viel jtärfer. Hier ift er eine Specialität, und eine jolche hat das
Theater immer hochzuhalten. „Deborah, „Der Sonnwendhof”
und „Der Schuß von Altenbüren‘ find die hiehergehörigen Stüde.
Was er außerhalb diefer beiden Nichtungen für's Theater ges
bracht, ift ohne Phyſiognomie und nicht ohne Banalität, over rich—
tiger gejagt: außerhalb jener Kreife ift er im Geſchmacke unficher,
„Deborah‘ war fein erjtes Stück und enthält feinen jtärfjten
Kern. Diefer ruht in vem Bedürfniſſe des Kampfes gegen ſociale
VBorurtheile unter Herbeiziehung des Volfselementes. Hier ift es
Berfolgung und Verachtung der Juden in den Bauernfreijen. Eine
heroiſche Jüdin fümpft den Kampf durch bis zur Höhe reiner Ent-
fagung, und in diefer äſthetiſch klaren und ganz durchgeführten
Abſicht Liegt Werth und Kraft des Stüdes. Es hat fich bewährt,
indem e8 auf allen Bühnen Zutritt, Wirkung und Dauer gefunden,
Die Staffage bietet Anlaß zu Ausjtellungen. Den Bauern
der Steiermarf im vorigen Jahrhundert werden Siege über das
Vorurtheil zugedacht, welche fie fchwerlich erfochten haben. Aber
gerade hierin zeigt dies Stück, wie wenig die bloße Nichtigkeit in
hiftoriichen Dingen beveutet auf der Scene. Wenn das pihcho-
logiſche Yeben richtig gezeichnet ift, da ftört die nicht ganz richtige
hiſtoriſche Notiz nur in geringem Grade, jo wie umgefehrt die hiſto—
riſche Nichtigkeit gar Nichts hilft, wenn das pſychologiſche Moment
fein wahres Yeben ausathmet.
Die realiftifche Zeichnung und Gruppirung der Bauernfiguren
in folchem Gegenfate zum tragifchen Pathos eines verfolgten Stam—
mes war neu auf dem Theater umd wirkte ſehr förderlich, wie viel
auch gejpottet wırrde über das Zehrgelv von kleinen Mitteln, welche
der Autor ausbentet, wie Glockengeläute, Schuljugend und Wit-
terungswechſel. Realiſtiſche Dichtung braucht ja eben die Beſtand—
theile des vealen Yebens. Machen fie fich allzu breit, jo erjcheinen
Das Burgtheater. 401
fie nichtig, treten fie jparjfam auf, fo helfen fie die Täufchung er:
höhen.
„Deborah war immer abgewiefen worden vom Burgtheater.
Der verftorbene Graf Dietrichjtein war entſetzt über meine Ketzerei,
als ich erklärte, daß dies nicht zu billigen fei. „Ein Judenſtück!“
— Haben Sie nicht Maurenſtücke genug zugelaifen ohne Scrupel?
— „Oh!“ — Die Sudenfrage liegt uns viel näher als der Unter:
gang der Mauren in Spanien,
Als ich Später officiell dafür einfchritt, wurde mir entgegnet:
Es iſt nicht mehr neu, wir haben alfo feine Veranlaſſung, e8 zu geben.
Das widerfprach meinem Princip, im Burgtheater all das
zu bieten, was fich eingebürgert im deutjchen Repertoire, und fo all
jährlich eine Vollſtändigkeit des hijtorischen Nepertoives vorzuführen.
Ich kam Unverdroſſen immer wieder auf die Frage zurüd, und 1861
endlich ermüdete der Widerjtand — „Deborah“ ward eingereiht.
Künſtleriſch werthvoller noch iſt der „Sonnwendhof“. Er
braucht gar feine zweifelhaften hiſtoriſchen Hilfsmittel, braucht feine
Glaubens- und Nacenfeindfchaft, und entwidelt in fchlicht menſch—
lichen Gegenfägen unter Bauern fein ganzes hinreichend anziehen-
des Leben.
Daß man in diefen Bauernftüden nur Käs und Butter zu vers
fpeifen kriege und gar fein Fleisch, mag richtig fein. Aber ich habe
fchon oben behauptet, var die Abwechslung in der Nahrung ihr
Gutes habe.
Sein neueſtes Bauernſtück, „Dev Schulz von Altenbüren‘,
fteht zurück gegen obige zwei Stücke, weil der Verfaſſer ven Gegen:
faß zwifchen Bauer und Bürger überjpitt und dadurd abgebrochen
hat. Einen modernften Menjchen ftellt ev einem weitfäliichen Bauer
gegenüber, welcher nicht ein Bauer unjerer Zeit ift, jondern ein
Bauer des Mittelalters, und als jolcher jchwere Abjonderlic)-
feiten des Mittelalters vertritt. Da treffen ſich die Kämpfenden
nicht, und treffen veßhalb auch uns nicht, Der moderne Menſch
Laube, Burgtheater. 26
402 Das Burgtheater.
ipricht num umſonſt unfere Gedanfen aus. Sie jtehen in feinent
richtigen Verhältnifje zu ven Gevanfen des Bauers und erjcheinen
alfo nicht organifch dramatiſch, fondern nur declamatoriſch.
Diefer Fehlgang in einem Stüde ift ein Fehlgang, welchem
man als Theater» Divector auch bei der Wahl neuer Mitglieder
ſchwer ausgejett ift. Wie leicht täufchen uns die blos declama-
torifchen Talente! Wir engagiren fie, und wenn fie dann inner-
Halb des dramatiſchen Organismus wirfen follen, da treffen fie nicht,
da zeigen jie ſich leblos.
Das geſprochene Wort allein thut’s nicht; das Wort muß
entiprungen fein aus dem innerjten Geflechte des Charakters und
der Handlung. Ohne diefen Urfprung fehlt ihm der Lebenspuls.
Den wirklichen Yebenspuls zu erkennen ift die Hauptaufgabe eines
Schaufpiel-Directors. Das gilt für Stüde und für Schaufpieler.
Es ift aber eben jo gefährlih, ſich von blos gelehrten
Schaufpielern täuſchen zu lafjen, als — Talente zu überjehen, bei
denen die Hilfsmittel des Vortrages noch gar nicht entwidelt find
und die doch ein ftarfes dramatiſches Leben in ſich bergen.
In diefem Jahre 1862 trat ein neues Mitglied in's Burg-
theater, welches vielleicht duch Zufall aus dem Zauberſchlafe er-
wect worden war. Ich hatte ganz zufällig die Schlafende gejehen
und hatte gemeint: wenn diefes Mädchen erwect wird, jo wird fie
vielleicht wie eine Prinzeſſin ſprechen.
Einige Jahre vor 1862 war ich eines Abends im Carltheater,
um ein fleines Stüc zu fehen, das ich nicht kannte. Da tritt ein
Mädchen in grauem Seidenfleive auf die Scene und frappirt mich.
Wer ift fie? — „Das Icheint mir vecht gleichgiltig,” ſagt meine
Nachbarin, „denn fie fpielt ja ſchlecht!“ — Ja, ſag' ich, und jtehe
unmwillfürlich auf in der Loge, als ob ich fie jo bejjer jehen wollte
und fünnte — aber das Mädchen hat ein Etwas! flüftere ich vor
mich hin.
Ich Hatte den Eindrud vornehmer Schönheit von dem Mäd—
Das Burgtheater. 403
chen, und daß hinter dem, was fich da zeige, eine Kraft liegen könne,
irgend eine jeltene Kraft. Sie fprach abjeheulich mit einem fait
verborgen bleibenden guten Organe. Die Töne jonderten ſich nicht
klar zu Worten, Aber der griechifche Kopf ſprach für mich, Sie
war fteif; aber ihre geringen Bewegungen waren edel — ich blieb
dabei: dahinter liegt eine Kraft! „Der Imjtinet ſagt's“, lachte
meine Nachbarin. Wohl möglich! erwiderte ich.
Die junge Dame fpielte zweite, dritte Liebhaberinnen, und auf
meine Nachfrage erfuhr ich, daß fie von Niemandem beachtet werde,
Ich lie fie zu mir bitten, und fie fan, Cine lange Unterredung
bejtärfte mich in meinem günftigen WVorurtheile und bildete dies
Borurtheil dahin aus: fie ſei für große, ernſte Rollen geeignet.
Das Refultat der Unterredung war, daß fie in einigen jolchen Rollen
auf einem Provinz-Theater als Gaft auftreten follte, damit ich fie
ſehen fünnte. So geſchah's. Als fie aber zu dem Zwede nad)
Brünn reifte, konnte ich durchaus nicht fort von Wien und mußte
einen kritiſchen Kunftfreund erjuchen, meine Stelle zu vertreten.
Er war der Einzige, welcher fich ebenfalls für fie interejjirte und
meine günftige Vormeinung theilte, Nudolph Valve war es. Er
berichtete nach feiner Rückkehr, daß unfere Hoffnungen fich bejtätigt
hätten in dieſen Gaſtrollen. Fehler und Gebrechen wären noch in
großer Zahl vorhanden, aber ein großes Talent wäre ficher da.
Unterricht und Leitung nur fehlten. Und zwar wäre es, wie wir
geahnt, ein Talent für tragifche Aufgaben.
Flugs trug ich dies meinem Chef vor und bat um Erlaubnif,
fie engagiven zu dürfen. Das wurde mir abgefchlagen und obenein
mit fo abfoluten Gründen, daß auch meine Befugniß zu felbititän-
diger Abſchließung eines Jahres-Engagements ihre Kraft verlor.
Ich mußte mich tröften über den Verluſt der Zeit, die freilich
bei jungen Liebhaberinnen unſchätzbar. Denn es blieb für mich
nur eine Frage der Zeit; ich meinte ficher fein zu fünnen, daß dies
Talent fiegreich herwortreten werde, falls fie an gute Lehre komme.
26 *
404 Das Burgtheater.
In Berlin iſt ein guter Yehrer, der frühere Theater-Divector Hein ;
an ihn und Frau Glafbrenner Fam fie, und ich harrte hier des gün—
jtigen Augenblids, ihr wenigitens ein Gajtjpiel auf der Burg zu
erobern. Das war leichter zu haben als ein Engagement, und das
Talent, meinte ich, werde dann fchon das Uebrige bejorgen.
Zwei Jahre vergingen, ehe der Augenblick eintrat. Cr trat
aber ein, und fie gajtirte als Aorienne Yecouvreur, Jane Ehre,
Maria Stuart und Gräfin Autland und — wurde engagirt. Es
war Fräulein Charlotte Wolter. ,
Die Rollen, welche fie „draußen“ einftudirt, zeigen auch jetzt
noch manche Spuren der Anfängerjchaft; unter ven Rollen aber,
welche fie in ven folgenden fünf Jahren hier bei dem jorgfältigen
Probiren auf dem Burgtheater ausgearbeitet, famen jolche zum
Vorſchein wie Sappho, wie die Gräfin Orfina, welche ven Stempel
eines jtarfen tragifhen Naturells an der Stirne tragen. Die jo
lange gejuchte tragijche Yiebhaberin war gefunden.
Ich jchreibe dies nicht ohne tiefe Beforgniß, daß der Fund
wieder verloren gehen könne. Die fehlende Borbildung muß durch
unabläffige Studien der Künftlerin, muß durch aufmerkſamſte
Führung von Seiten des Veiters nachgeholt werden. Es ift
Ihwer, das [päter dauernd einzuprägen, was man in der Jugend
nicht gelernt hat: die geſetzlich klare Rede. Und doch it fie
die umerläßliche Grumdbedingung einer darftellenden Künftlerin.
Die mächtigften Ausbrüche tragifcher Begabung werden mit der
Zeit unwirkſam oder doch unrein wirkſam, wenn die Grundlage der
reinen Rede fehlt.
Bon diefem Gedanken muß Fräulein Wolter durchdrungen fein,
wenn ihre Yaufbahn auch ferner eine aufwärtsgehende werden joll.
XXX.
Das Jahr 1863 war das Jahr der großen Trauerjpiele; das
Burgtheater brachte drei neue: „Die Nibelungen‘ von Hebbel,
„Richard der Zweite‘ von Shafejpeare und „Andreas Hofer” von
Immermann. Und „Narciß“ von Brachvogel, ebenfalls ein Trauer:
fpiel, folgte ſchon im April des folgenden Jahres.
Bon neuen Schau- und Luftipielen aber erfchienen unter An—
derem: „Hans Lange‘ von Paul Heyfe, „Eglantine” von Mautner,
„Pitt und For’ von Gottfchall. Wie man jieht, eine höchſt aus-
giebige Ernte.
Und faſt alle diefe Stüde blieben am Yeben, wenn auch nicht
alle mit gleicher Yebensfraft. Die Trauerjpiele, welche bei uns des
Klimas wegen den Keim der Schwindjucht am zeitigjten im jich ent:
wideln, mußten vorfichtig behandelt werden und durften Feine
großen Sprünge machen. Vermittelſt diefer Borficht find fie ges
friftet worden.
‚ber dies gilt Doch nicht von den „„Nibelungen’ !” wird man
rufen. Es gilt doch auch ein wenig von den „Nibelungen“. Sie
zeigten bei der zweiten Vorſtellung ein arg hippokratiſches Geficht
im zweiten Parterre, und es bedurfte des lebhaft auffpringenden
Rufes von der auferordentlichen Chriemhilde des Fräulein Wolter,
um fie aufzubringen.
„Nun denn überhaupt” — höre ich manchen höheren Lefer
diejer Schilderungen rufen — „nun muß e8 doch einmal gejagt
406 Das Burgtheater.
werden: Iſt es denn nicht ein trauriger Mißbrauch des Theater:
weſens, daß etwas mehr oder weniger Beſuch über das Schidjal
eines Stücdes, ja eines poetischen Werfes entfcheiven ſoll?! Iſt es
nicht? Dies ewige trodene Berichten, als ob es ewige Nichter-
Iprüche wären: „dies und jenes Stüd mußte verichwinden, weil das
große Publicum verſchwand“, ijt ja doch das Eingeſtändniß kläglich
äußerlicher Rückſichten, namentlich der Rückſichten auf die Caſſe.
Ein Theater wie das Burgtheater ijt ja ſubventionirt, damit es nicht
jo ſclaviſch Rückſicht zu nehmen braucht auf die Cafje, und das ſo—
genannte große Publicum it ja doch nimmermehr die erfte und letzte
Inſtanz für poetiſchen Werth oder Unwerth!“
Das klingt Alles richtig; es ift aber nicht Alles, und ift auch)
nicht ganz richtig.
Ein Theater hat es mit der ganzen Deffentlichfeit zu thun,
und wenn diefe ihre Zuftimmung verfagt, jo ift dies unter allen
Umſtänden eine Entſcheidung. Das Nejultat wenigftens Liegt als—
dann vor: die volle Wirfung des Stücdes fehlt. Man foll ſich nicht
gleich unterwerfen, heißt es. Gut. Man geht auch an die Prüfung.
Man fragt: Wenn nicht die volle Wirkung eingetreten ift, welche
Wirkung ift erfichtlich geworden? Hat vielleicht der feinere Theil
des Bublicums laut oder leife Partei ergriffen für das Werf? Man
wiederholt das Werf. Zeigt jich bei diefer Wiederholung, daß ein
edler Theil des Publicums dem Stüde treu bleibt, dann vwerfucht
man Nettungsmittel, dann ſchont man auch die Kaffe nicht und bringt
nach einiger Zeit das Stück wieder, und zwar zu günftiger Zeit,
und ift zufrieden auch mit ſehr mäßigem Beſuche. Man hofft, e8
werde allmälig jteigende Einficht ſich ausbilden und Projelyten
machen fir das Stüd. Das fann man, und das thut man; man
fann e8 aber nur thun, wenn das wichtigfte Yebensorgan eines
Stüces, wenn das eigentlich dramatifche Herz vorhanden ift. "Fehlt
dies, dann retten alle fonftigen äfthetifchen Vorzüge ein Stück nicht
vom Tode, Und dann fallen ſehr bald auch diejenigen ab, welche
Das Burgtheater. 407
die ſchöne Sprache und dieſen wie jenen jchönen Zug gelobt und
welche auf das grobe Publicum gejcholten haben. Ihr abjtractes
Lob erjtirbt ihnen auf der Zunge, wenn fie bemerfen, daß die eigent-
lich dramatischen Wirkungen abfolut nicht eintreten.
Und dies ift es faſt immer, woran ein Stüc fcheitert; faſt
immer ijt es ein Yebensorgan, an welchen es gebricht, wenn ein
neues Stüd verfagt. Der Vorwurf gegen die Kaffe ijt zumeiſt
nichtig. Die Cafje ift nur ein Symptom. Das leere Haus ent-
muthigt die Enthufiajten für ein Stüd; es entmuthigt die Schaus
jpieler, die Vorjtellung an jich ſinkt zufammen, und fein Mittel der
äfthetifchen Apothefe rettet vom Tode.
Dieſe Vorwürfe haben Etwas von den Vorwürfen gegen Feld—
herr und Heer, wenn die Schlacht verloren iſt. Ihr hättet eben
nicht weichen follen, heißt es — und wenn ihr abjolut mußtet,
dann hättet ihr euch gleich wieder jtellen follen, und wie die theorer
tiſchen Necepte alle heißen, welche den niederwerfenden Sturm
eines Unterganges eben nicht fennen, einen Sturm, welcher das
Tüchtige mit dem Untüchtigen werjchüttet. Iheater-Erfolge jind
immer Ergebniffe von Schlachten,
Das Theater, ein Staat im Kleinen, kann fich wie ver Staat
der Majoritäts-Herrichaft nicht entziehen. Dabei hat man doch
nicht zu fürchten, daß alles unjcheinbar Gute, was die Menge nicht
erfennt, verloren gehe. Die Rückſicht auf Beſuch und Caſſe hört
für eine gewiljenhafte Divection immer auf bei Stücken, welche jich
den Stempel der Claffieität erworben haben. Da wägt man doc
die Stimmen und zählt fie nicht. Und was claſſiſch werden
fann, das geht für eine aufmerffame, literarifch geſchulte Direction
auch nicht verloren, weil es ſchwach bejucht wird — die Leſer werden
Ihon zehnmal in diefen Schilderungen bemerft haben, daß juft aus
diefen Gefichtspunften Wiederaufnahmen verfucht werden und bis
auf einen gewiljen Grad auch gelingen können.
Wie ſtand es num mit den „Nibelungen? Trotz lebhaften
408 Das Burgtheater.
Drängens von Seiten der zahlreichen Hebbel'ſchen Anhänger hatte
ich nicht geeilt mit Vorführung der neuen Arbeit des Dichters.
Theils weil ich wirklich feine Vorliebe habe für Hebbel'ſche Dramen,
denen nach meiner Anjicht die Anfchaulichfeit abgeht für die Scene,
theil8 weil auch in dieſer Arbeit ſchwere ſceniſche Bedenken mir ent-
gegentraten, namentlich der aus der „Edda“ entnommene zweite
Het, unverjtändlich für das Publicum und deßhalb unwirffam, und
ver letzte Act, welcher ven Schluß zeriplittert. Endlich weil ich die
tragische Liebhaberin nicht hatte für die Rolle der Chriemhilde und
meines Crachtens doch der irgend mögliche Theater-Erfolg von der
tragischen Gewalt diefer Figur im letzten Acte abhängig war.
Ich ließ alfo auf mich jchelten und wartete, Erſt als Fräulein
Wolter eingetreten war, ging ich an dies Werf.
Hebbel lebte noch und nahm an der Inſceneſetzung theil. Er
und feine Frau, welche die Brunhilde ſpielte, erichienen ſehr ficher
über das Außerordentliche des zweiten Actes. Das war natürlich.
Er hatte gar feine Kenntniß vom Leben im Publicum; er hatte nur
literariihe Nerven, und mit dem Publicum ftand fein poetijches
Tervengeflecht in gar feiner Verbindung. Ich jtörte nicht in dieſem
Edda-Thema und ließ Beide walten. Als aber im folgenden Acte
der Hochzeitszug fam, da zeigte fich’8 zur Verwirrung der Schaus
fpieler, daß der Dichter mit geiftigem Auge gar nicht gejehen hatte,
was da vorgehen follte. Der Zug fiel aus einander, weil die langen
Zwifchenreden ganz unvereinbar waren mit einem Zuge — da mußte
ich eintreten, ändern und ordnen. Als es geordnet war, jtimmte
auch Hebbel zu. Im legten Acte jtimmte er jedoch nicht zu, als ich
fagte: „Hiermuß eine ganze Berwandlung heraus, damit ver Schluß
ein Schluß werde‘.
„Das ist unmöglich!’ vief er.
‚„Meberlafien Sie miv’s, Ihnen die Möglichkeit morgen probe—
weife vorzuführen 9
DD ja.”
Das Burgtheater. 409
Ich jtrich alfo, jetste zu, um die Verbindungen herzuftellen und
den Nachdruck zu erreichen; änderte die Rollen, unterrichtete die
Schaufpieler über ven neuen Zujammenhang und führte am an—
deren Tage den neuen Schluß vor. Hebbel war num ganz einvers
jtanden und äußerte jich vanfbar.
Jetzt fam die Vorjtellung unter wahllojem Applaufe für jeden
Act. Das wahre Ergebniß lautete aber dahin, daß der zweite Act,
der unverftändliche Edda-Act, vurchgefallen war, daß der epifch ver—
bliebene Grundcharafter des Stüdes vielfach ermüdet hatte, und
daß der letste Act durch Energie der Chriemhilve in den Schlußfcenen
ſtark gewirkt hatte.
Die zweite Vorſtellung war, wie Schon gejagt, nicht vollſtändig
beſucht. Nun fam aber ver Auf der Wolter-Chriemhilve, und ver
Beſuch Hob fih auf hinreichende Höhe, Nie auf ausgezeichnete
Höhe. Das bürgerliche Publicum fam niemals vollzählig. Bei
dieſem that der epifche Gang im jchwerer Sprache und Raupach's
„Nibelungenhort“ immerdar Eintrag. Diefer ‚„‚Nibelungenhort‘’
hatte das große Publicum gehabt durch feine erjten drei Acte und
bejonders durch die Scenen zwifchen Siegfried und Chriemhilde,
Liebesjcenen, welche mit unzweifelhaft jtarfem theatralifchen Ta—
lente behandelt jind und welche eine allgemein günftige Wirkung
gemacht hatten.
Noch jchwieriger ging es mit dem neuen Shafefpeare-Stüde,
mit „König Richard dem Zweiten. Es gehört zu den „Hiſtorien“
und ijt aljo fein dramatifch componirtes Stüd. Dies war ein
kaum bejiegbares Hinderniß bei dem dramatiſch gefchulten Publicum
des Burgtheaters. Dies Publicum lieg fich abjolut nicht einreden,
in dieſen Forderungen eine Nachjicht üben zu müſſen, weil ver
berühmte Shakeſpeare Verfafler des Stüdes wäre. Bei allem
Nejpect vor dem großen Namen blieb es auf jeiner dramatiſchen
Forderung jtehen.
Wie vielfach, wie lebhaft war gerade dies Publicum heran-
410 Das Burgtheater.
gezogen und auch angezogen worden durch jo zahlreiche Shafefpeare-
Aufführungen! Das Repertoire des Burgtheaters enthielt jiebzehn
Shafejpeare-Stüde, und alle jo feſt und bereit, daß jedes in jeder
Woche gegeben werden konnte. Das Bublicum war alfo mit diefem
Dichter vertrauter als irgend eines — umfonft! Es bewies ihm
nicht die geringjte Deferenz, es entjagte auch ihm gegemüber feinen
dramatifchen Anforderungen nicht um ein Jota. Im Gegentheile,
es wurde von Jahr zu Jahr ſtrenger. Es jagte nicht gerade wie
einjt Goethe: „Shakeſpeare und fein Ende!’ aber es fagte doch
unverblümt: Allzuviel iſt ungeſund. Es Tieß „Richard ven
Zweiten‘ ohne Zeichen bejonvderer Theilnahme an ſich vorüber:
geben.
Der erjte Act befanntlich ijt dramatifh. Der jo rajch ein-
geleitete und jo entjchlojjen verhinderte Zweikampf intereffirte auch.
Der König wird gut eingeführt. Die Figur Gaunt’s im zweiten
Acte ift ebenfalls ganz geeignet, Glück zu machen, und da König
Richard confequent die Spite bietet, jo folgt man ihm aufmerkſam.
Aber von da an verläuft das Drama in's Epos. Ohne hinveichen-
den Kampf erliegt der König und jpricht nur viel, wenn auch jchön.
Es folgt die große Abdanfungsfcene, welche jo prächtige Sachen
enthält, aber fo ungenügend gefammelt ift zu fcenifchem Eindrude.
Hier, und eigentlich nur hier, war ich mit der Bearbeitung leiſe
eingejchritten, blos leife. Ich hatte Nichts zugethan, ſondern hatte
nur zerjtrente Worte Shakeſpeare's aus anderen Scenen in Eine
Scene zufammengetragen. Der Bijchof von Carlisle ijt vorhanden
als Parteigänger für Richard; er jagt auch das Nöthige, aber er
jagt e8 vereinzelt in mehreren Scenen und deßhalb fraftlos. Dieje
feine Worte legte ich alle in die Abdanfungsfcene, um doch einen
gejchlojfenen Widerftand zu haben für den wiederum blos jchön
fprechenden König — und erreichte damit die Hauptwirfung des
Abends, Der letste Act mit dem geiftvollen Monologe Richard’s
erwecte noch eine auffladernde Theilnahme, mehr nicht.
Das Burgtheater. 411
Das Ganze fand nur einen succes d’estime., Wir wieder
holten das Stüd vor mäßig beſetztem Haufe und erhielten es durch
Schonung.
Wenn ich vergleiche, wie jetst — im Frühjahre 1868 — ver
beim Falle des Concordats endlich zugelaffene „König Johann“
hingenommen wurde, jo drängt fich ver Gedanke unabweislich auf:
Dies iſt nicht mehr daſſelbe Bublieum! Nie hätte ich eine Shafe-
jpeare- Hiftorie ungeftraft jo bringen dürfen mit ihrem ganzen
Wortſchwalle, mit jo gar nicht ergänztem vramatifchen Gange, mit
einem inconjequenten Könige, alfo ohne Mittels und Anhaltspunft,
nie! Daneben war ja „König Richard” ein ſympathiſches Drama.
Und „Richard“ wurde fühl aufgenommen, „Johann“ wurde unter
mehrfachen Applauje hingenommen wie irgend ein anderes Theater:
ſtück. Gar fein Urtheil machte fich geltend, gar fein Für und
Wider, die Stadt Wien hat gar nicht erfahren, ob und wie das
Stüd gewirkt hat — die Unflarheit ift eingefehrt, das Publicum
ericheint incompetent.
Dies ijt der Unterſchied zwijchen einem gejchulten Bublicum,
wie es bis zum Winter 1867 im Burgtheater beftand, und einem
zufälligen Bublicum, wie es ſich jett im Burgtheater zufammen-
findet. Binnen einem halben Jahre tjt das alte, gejchulte, an
Tradition jo reiche Bublicum aufgelöjt worden,
Innere und äußere Gründe haben das zuwege gebradt. Zu
den inneren Gründen gehört eine neue DOber-Direction, welche die
geiſtige Zeitung auf ven Proben ver banalen Gejchäftsführung über:
lajjen hat, den Handgriffen ver Routine. Dadurch find die Schau
jpieler, find die VBorjtellungen vajch verändert worden, und das fein
gewöhnte Publicum hat das raſch empfunden und hat innegehalten
im Zudrange. Gerade um viejelbe Zeit ijt ein äußerer Grund
wirfjam geworden: die Einführung von Bormerfungen zu geiperrten
Plätzen. Dadurch ijt weiteren Kreifen, die ſonſt nicht in’s Theater
drangen, der Zutritt ermöglicht worden. Diefe Kreife verforgen
412 Das Burgtheater.
jich num beizeiten mit Plätzen ohne Rüdjicht auf befonvere Auswahl
der Stüde, und wenn num die Intimen von früher doch einmal
wieder zufchauen wollen, ob ihr altes Schaufpiel feine frühere
Phyfiognomie zurüderhalten habe, da finden fie alle Plätze ver:
geben, zuden die Achjeln und verzichten am Ende ganz — fo ent-
jteht ein zufälliges Publicum, und die traditionellen alten Maßſtäbe
der Kritif verfchwinven, mit ihnen das alte Burgtheater.
Das dritte Trauerfpiel war „Andreas Hofer‘, wie Immer:
mans „Trauerſpiel in Tirol‘ auf dem Theaterzettel heißt.
Ein vaterlindiiches großes Stüf war fo lange mein Wunjch !
Die Bühne ift ja am mächtigjten, wenn ſie waterländijche Dinge
vorführen und ausjprechen kann. Jahrelang hatte ih um die Er-
laubniß geworben für diefen „„Hofer‘‘ — vergeblih! Da war der
Pater Haspinger, da war der Schurfe Kolb, geiftlich verdächtig,
wie jehr ich ihm verfleidete, da war Diefes und Jenes Grund zur
Abweilung — in Wahrheit blieb es die Scheu vor der Ummittel-
barkeit. Solch ein Stück erichien zu unmittelbar. Nur Nichts
direct ausiprechen auf der Scene, was politifch oder auch nur
ſonſtwie treffen fünnte! Selbſt nicht patriotiih. Das hat feine
Sonjequenzen. Wird heute das allenfalls Zuläffige ausgeiprochen,
jo will morgen auch das faum Zuläffige, übermorgen das Un—
angenehme ausgefprochen fein. Dazu iſt die Bühne überhaupt
nicht da, am wenigjten die Hofbühne. Nır nichts Divectes!
Dieje Rüdfichten, der bare Gegenfaß zum Zwecke eines erſten
Iheaters, waren tief eingewurzelt. Es war umd iſt ein Stand»
punft der abonnirten Logen, welche nach Tiſche um Gotteswillen
nicht erinnert fein wollen an etwas Wirfliches, wozu man den
Kopf jehütteln oder wovor man gar erichreden müßte. Das
it ja auch feine Poeſie! Die Poefie war eine verjchleierte Prin-
zejfin geworden aus fernen, fernen Zeiten und fernen, fernen
Yanden.
Da ſtarb mein langjühriger Chef, ein gebovener Pole, und
Das Burgtheater. 413
mein neuer Chef, endlich ein geborener Deutjcher, nahm leb—
haften Antheil an dem Tiroler Traueripiele und gab jofert Die
Erlaubniß.
Der verſtorbene Chef, Graf Lanckoronski, hatte übrigens die
guten Eigenſchaften, welche ich zu Anfang dieſer Schilderungen an
ihm preiſen konnte, ſtandhaft bewährt. Meinen Inſtructionen
gemäß überließ er mir die artiſtiſche Leitung unverkürzt. Er war
hundertmal unzufrieden mit meinem Geſchmacke in Wahl ver
Stüde und in Beſetzung der Rollen, und er verhehlte das gar
nicht, aber er ſetzte ftets hinzu: dies ift Ihr Fach und Ihre Ver:
antwortung, ich greife da nicht ein. — Er war ferner unzugänglich
für irgend eine Klatſcherei und Verhetzung; er wies jeden unbegrüns
deten Anfpruch auf Bergünftigung weit ab, und er war endlich
immer bejtrebt, gerecht zu fein. Ich appellirte nie vergeblich an
feinen edleren Sinn, wenn Heftigfeit unbillig handeln wollte — ich
verlor in diefem Manne meine ficherjte Stütze.
Mein neuer Chef, Fürft Vincenz Auersperg, gehörte jelbit zur
Landesvertheidigung in Tirol, er erlaubte nicht nur, er fürderte
lebhaft Immermann’s „Andreas Hofer’.
Wie war nun, wie ift dies Stüd? Karl Immermann hat es
gejchrieben in früher Zeit und das Theater dabei gar nicht im
Auge gehabt. Später, als er dem Theater nähergetreten, hat er
mit einigen Strihen und Yinien jeine Arbeit der Bühne näher zu
bringen gejucht, und jo lag jie unter dem neuen Titel „Andreas
Hofer’ vor mir.
Es fehlt ihr zum Bühnenſtücke immer noch das oben erwähnte
pramatifche Herz, ſie hat immer noch einige Aehnlichkeit mit einer
Shakeſpeare-Hiſtorie. Manchen Abend hab’ ich vor ihr geſeſſen
und habe erwogen, wo und wie weit geändert werden Dürfe, um fie,
wie der Defterreicher jagt, „ſchneidiger“ zu machen, Aber das
fonnte nur mit großer Dreijtigfeit geicheben, und — Immermann
war todt. Und er war erjt einige zwanzig Jahre todt. Ja, wären
414 Das Burgtheater.
e8 zweihundert Jahre gewejen! Mean ift viel dreijter, wenn uns
Jahrhunderte vom Autor trennen, aber wenn man ihn felbjt noch
gefannt, da ift man ſcheu, da hört man feine Klage über Gewalt-
jamfeit, die ihm angethan würde,
Ach, wie leicht wäre es gewefen, wenn ich mit ihm hätte dar—
über jprechen fünnen! Er war jo verjtändig und war jo praftifch
geworden in der zweiten Hälfte feines Yebens, Es wurde ihm in
ven fetten Jahren klar und klarer, daß er verführt worden ſei durch
die romantische Kirche, und daß er jelbjt eigentlich gar feine gläubige
Seele geweſen fein LYebenlang. Er war im Grunde ein ſehr flarer
Kopf, diefer Juriſt in Düffeldorf.
Im Sahre 1839 Fam ich auf einer Reife nach Holland durch
Düſſeldorf und lernte ihn fennen. in jtattliher Mann war er,
mit ausgebildeten Antlige, prompt und ſtark in ver Rede, nach—
drucksvoll in allen Behauptungen, und doch geneigt, allen beiteren
Fragen des Lebens ihr fröhliches Recht angedeihen zu laſſen. Er
fam mir viel mehr entgegen, als ich, ein junger, ausgelafjener
Schriftiteller, anfprechen durfte; er zeigte eine unerwartete Neigung
für die vreifte Natur des jungen Deutjchland. Sein Freundichafts-
verhältniß zu Heine, aus dem gemeinfchaftlichen Zorne gegen Platen
erwachien, wurde lebhaft von ihm betont, lebhafter, als e8 eigent-
(ich ihren beiden verjchiedenartigen Naturen zuftand, und in all’ ven
ausführlichen, lebendigen Gefprächen, welche wir damals einige
Tage lang führten, zeigte Immermann das Bedürfniß, lebensvoll
einzutreten in die Literatur der Gegenwart. Natürlich fam da auch
das Theater in Rede, dem er eigentlich näher jtand als ih. Cr
hatte aus freiem fünftleriihen Antriebe einige Zeit das fleine
Düffeldorfer Stadttheater geleitet und manches phantaftifche Stück
in Scene gejett. Deutlich zeigte fich’S, daß er die Direction des
Berliner Hoftheaters gewünfcht hatte und wünſchte. Bitter und
ſcharf ſprach er über die unfundige, hofmäßige Intendanzenwirtbichaft,
und ich fah, daß er eigentlich die Iheaterführung in Düſſeldorf
Das Burgtheater. 415
wohl nur übernommen hatte, um dem Hoftheaterwejen darzuthun,
wie viel ein echter Geift aus einem Theater machen könnte, auch
aus einem fleinen und auch mit ven Fleinjten Mitteln, Cr war
nicht im Geringften verblendet von dem Preife, welchen Literaten
und Schaufpieler feinem Düfjeldorfer Theater bereitet und ver:
breitet hatten; er geftand zu, daß Vieles unzureichend geweſen, was
man feiner Bühne rühmend nachgefagt, und daß er auch in ver
Scenirung blos literarifcher Stüde deutlich erfahren habe: dies
jeien eben nur Uebungs-Experimente geweſen, und Aufflärungen
über literarifche Träume, die Traumhaftigkeit derſelben habe jich
auf der Scene nur zu jehr vargethan.
Bei Feithaltung höherer poetijcher Abjicht hatte er aus der
Praxis nüchterne Lehren gezogen und wäre trefflich geeignet geweſen,
ein erjtes Theater zu übernehmen und zu führen. Er jprach jehr
gut, war eine talentvolle, geharnifchte Perfünlichfeit und wäre für
die Schaufpieler ein unfchätbarer Führer geworden. Was er in
romantischer Befangenheit früher als Theaterſtücke herausgegeben,
wie „Cardenio und Celinde“ und „Die Opfer des Schweigens‘,
das ſah er jett ziemlich unbefangenen Blides an und wies auf
fleine Sachen hin, wie „Die Ichelmifche Gräfin”, um darzuthun,
daß ja auch früher ſchon ver Sinn für das heutige Theaterjtüd in
ihm lebendig gewejen.
Wie leicht wäre es geworden, mit dem jo gearteten Manne
das „Trauerſpiel in Tirol” hieb- und ſchußfeſt zu machen!
Das Stück fam leider damals zwifchen uns gar nicht zur
Sprache — er jchrieb am „Münchhauſen“, und wenn ich ihn aus
dem Schwurgerichte abholte und er feinen jchwarzen Nichtertalar
auszog, um mit ung nach Neuß zu fahren, wo eine ſchmucke Wirthin
den beiten Rheinlachs am beiten zu jerpiven verjtünde, da dachten
wir an fein Trauerjpiel, ſondern da fehrte der ſaftvolle Magde—
burger, der er war, feine finnlich behagliche Seite hervor und fchil-
derte ung, was für Schwänfe er im Kopfe trüge fir Münchhaufen
416 | Das Burgtheater.
und deſſen Tochter Emerentia im Gegenſatze zu jeinem Meiſter—
jtüde, dem „Oberhofe“, vejjen fernige Schilderung ev während
feiner langen Dienjtzeit im rheiniſchen Wejtfalen erworben hatte.
Nicht lange nachher fhiete er Heine und mir die erjten Bände
ſeines „Münchhauſen“ nach Paris, und ehe wir uns deſſen wer:
ſahen — war er plöslich todt. Der rüftige, Fräftige Mann!
In ihm ift einer der wenigen Poeten gejtorben, welcher dem
deutichen Theater ein bahnbrechender geiftiger Führer hätte werden
fönnen. Gr hatte wohl noch mandes Schlingkfraut um ſich aus
alter romantiſcher Zeit, aber fein Geiſt war frei geblieben, und
eine große TIheaterpraris hätte ihn von poetifchen Schmaroter-
pflanzen, welche die öffentlihe Schaubühne nicht verträgt, gänzlich
befreien können.
Gerade wegen diejer perjünlichen Befanntichaft war ich jett
ſchüchtern wor feinem Stüde und wagte feinen tieferen Eingriff, um
ein fejtes Theaterjtüd daraus zu machen.
Der gute Inhalt trug uns doch unter jorgfältiger Darjtellung
einen Chrenerfolg ein, und wir haben von Zeit zu Zeit das Trauer-
jpiel wieder bringen fünnen. Es kann aljo auch in Zufunft erhalten.
bleiben, wenn die Divection ihm Aufmerkſamkeit und Pflege wiomet.
Die uns naheliegenden Berhältniffe und Namen üben ja doch —
auch bei jfizzenhafter Behandlung des dramatifchen Ganges —
einen erweckenden Einfluß auf unfere Theilnahme. Wenn von
Innsbrud, Meran und vom Baijeierthale, von Hofer, Spedbacher
und Pater Haspinger die Rede ift, da werden wir doch viel leichter
getroffen, als wenn das Forum romanum und Antium oder
Cominius und Aufivius an unjer Ohr flopfen.
XXXIV.
„Narciß“, „Hans Lange“, „Eglantine“, „Pitt und For“,
die weiteren Driginal-Neuigfeiten von 1863 und 1864, bejtätigen
recht deutlich meine frühere Behauptung: daß die Perfünlichfeiten
unferer Dramatifer ungemein verfchieden von einander find.
Man jkizzire ſich nur die Charaftere und Schreibarten der
jechs deutſchen Schriftjteller, welche im Yaufe eines Jahres unfer
neues Repertoire gebildet, und jtelle fich daneben jechs Lebende
franzöfifche Theater- Autoren zufammen. Wie einleuchtend wird fich
herausjtellen, daß die jechs Franzojen eine auffallende Familien—
Aehnlichkeit tragen in Wahl der Stoffe, in Form der Fafjung, im
Gang der Rede; daß aber die jechs Deutjchen, hier aljo Hebbel,
Immermann, Brachvogel, Heyſe, Mautner, Gottſchall, grundver—
ſchieden von einander erjcheinen.
Hebbel, aus dem friefifchen Holftein, breitfpurig ohne Sorge
um irgend eine Zier einhergehend, jucht nach unbehauenen Fels—
jtücden für feinen Ausdrud, ift um Schönheit nicht nur unbefümmert,
jondern ſucht nach Gelegenheiten, dieſe Unbefümmertheit nachdrücd-
lich zu bethätigen. „Echtheit geht vor!” fann man herauslefen,
und: „Schwächliche Nachfolger mögen unfere Originale zur Schön
heit herausbürjten und putzen!“
Er jtammt aus germanifchen Urfreifen, welche von den Stän—
den und Formen ver mittelalterlichen und modernen Welt eigentlich
nie berührt worden find. Er erwächſt aus dem Volke kleiner Ort—
Zaube, Burgtheater. 97
418 Das Burgtheater.
ichaften, wo die Natur wenig fleine Reize zeigt, wohl aber eintönige
große Verhältnijje, das ebene, weite Marjchland und das nahe
Meer. Er fommt aus ver gelehrten Schule und ohne näheren
Berfehr mit der gejelligen Welt an die literariiche Thätigkeit —
muß nicht diefe Ihätigfeit immer etwas Abgejondertes behalten,
muß fie nicht immer Etwas behalten, was an ven Bauer erinnert,
der in aller Biederfeit mißtrauifh und Liftig bleibt unter den
Städtern, muß fie nicht immer Etwas behalten, was an den ein-
jamen Zujtand des dichterifchen Denfers erinnert? Muß fie nicht
auf dem Theater der Städter Fremdartiges und Unzugängliches
entfalten ?
Wie anders Karl Immermann, der Bürgersfohn! Er geht
aus den Stadtfreifen hervor, aus den engen Gejeten der preußifchen
Beamtenwelt, welcher fein Bater angehörte, welcher er ſelbſt ange-
hören follte. Dabei ift er mit allen Eigenfchaften und Trieben
eines Lebemannes angethan, wächſt auf inmitten des fruchtbaren
mittleren Norddeutſchland, wo das niedrige Harzgebirge mit feinen
Wäldern ven Sinn wect für bejcheivene Naturreize, wo auf Schule
und Univerfität, in Magdeburg und Halle, der Franzojenhaß gegen
den Eroberer Napoleon zeitig genährt wird. Immermann gefellt
ſich auch zu den freiwilligen Kriegern als ſiebzehnjähriger Jüngling,
und wir fönnen das „Trauerſpiel in Tirol‘ in ihm wachſen ſehen,
wie man das Gras wachjen ſieht. Nach feiner Rückkehr auf die
Univerfität tritt er in die Kämpfe, welche das Wartburgfeit erregt,
und tritt als eigenjinniger Erbe des engen Staatsdienjtes auf die
unpopuläre Seite, ein harter Kopf, der jelbititändig Necht haben
will, Trotzdem jchließt er fich der romantischen Schule an, welche
innerlich der Wartburgfeter und der Burſchenſchaft nahe ſtand. Er
giebt ſich jahrzehntelang jener künſtlich idealen Poeſie hin, welche
gejuchte Studien, Stoffe und Formen pflegt. Und wiederum im
Gegenſatze hiezu tritt er in die trodene Regierungslaufbahn eines
Juriſten, in die ftrengen Verhältniſſe eines auf dem Buchjtaben ver
Das Burgtheater. 419
Verordnung ruhenden Staates. Welch eine perjönliche Stärfe
gehörte dazu, um in dieſen Gegenfäten nicht verwirrt, nicht zer—
trieben zur werden. Er wurde es nicht; er blieb ſelbſtſtändig
jtrebend. Und num unterftütte ihn das Glück: es brachte ihn in.
die weitlichen Lande, wo alte Neichsfitte lebendig geblieben im
Gemeindeleben, wo öffentliches Gerichtsverfahren galt, wo ihn fein
Amt in Verfehr fette mit den freimüthigen Menfchen Wejtfalens
und der Rheinlande. Er fommt endlich nah Düſſeldorf, wo eine
alte Malerſchule Traditionen ver Bildlichkeit pflegt — er wird fo
allmälig der fünftlichen Poeſie entrücdt, und feinem gejund ver-
bliebenen Auge drängt fich die Bemerkung auf, dag auch die realen
Dinge poetifch zu verwerthen find. Er jehreibt Bücher wie die
„Epigonen“, welche einen Abjchluß feiner Vergangenheit, welche
feinen Vebergang zur lebendigen Zeit befunden; er geräth am’s
wirkliche Theater, er lebt auf im Mannesalter. Welch ein breites
Stück deutſcher Geſchichte, mannigfaltig deutjcher Geſchichte jtellt
ſich in dieſem Manne dar! Was hatte er Alles ſeinen Schau—
ſpielern zu ſagen, als er im kleinen Düſſeldorfer Theater wunder—
liche Stücke und daneben ganz praftifche Stücke in Scene fette.
Unerbittliches Schickſal! Als ev auf dem Punfte angelangt war,
die werjchiedenartigften Erfahrungen in gereiftem Sinne neu und
deutlich in feiner Schrift auszudrüden, da reißt ihn ein Schlagfluß
hinweg aus unferer Welt.
Wie lehrreich erſcheint jein Bild dem deutſchen Theater!
Kaum Ein Stüd bleibt von ihm auf dem deutſchen Repertoire, aber
mancher Schaufpieler verbreitet und vererbt Yehren von ihm, mancher
Dichter lernt aus jeinen Stupdien.
Dicht Hinter diefem Manne, welcher durch fo viel Bildungs-
Elemente geläutert worden, erjcheint auf dem Burgtheater das
Stüd eines ganz neuen Dramatifers, Brachvogel geheigen. Da
fehlt noch alle Läuterung, da brauft der erſte Gährungsproceß, und
c *
27
420 Das Burgtheater.
nicht ein Hauch erinnert an Immermann. „Narciß“ iſt ver Titel
des Stüdes. Nicht Narciß aus dem Alterthume, ein Neffe Rameau’s
aus der Orgienzeit Frankreichs, welche ven Toaſt ausbringt: ‚Nach
uns die Sindfluth! Die Sündfluth fam in Geftalt der Revo—
lution.
Dieſer „Narciß“ trägt Züge ſtarken Talentes, geiſtiger Roh—
heit und doch auch geiſtigen Bedürfniſſes, welches in die Tiefe will,
aber von der Phraſe aufgehalten wird. Brachvogel iſt eine blut—
volle ſchleſiſche Natur, ganz im Gegenſatze zu Hebbel und Immer—
mann ohne Spur gelehrter Erziehung, im Style oft voll Bombaſt
und Schwulit, im Ziele dagegen oft hell und ſchneidend auf modern-
jociale Ipeen losgehend — ein begabter Naturalift.
Er bringt nach „Narciß“, welcher die Einleitung zur Revolu—
tion in Frankreich blutrünjtig darftellt, ein Drama aus dem Mittel:
alter: „Adelbert vom Babanberge”. in Jude trägt hier die Un—
fojten der Berzweiflung, welche Brachvogel’s Stüde kennzeichnet.
Die erjten Acte find von padender dramatiicher Kraft; die Folge
fällt ab. Ein ferneres Stüd: „Salomon de Caus“, fucht neben
Richelien den Erfinder der Dampfkraft tragifch Darzuftellen, und
als die Bühnen daran vorübergehen, wendet er jich ärgerlich dem
Romane zu. Er ergreift die größten Themata, behandelt jie leicht
und vreift, findet aber immer einige Situationen für feine frappante
Macht ver Erfindung, wirft dazwifchen ein Drama: „Der Tröpler”,
welches zweiten Theatern einen willfonmenen grellen Stoff jocialer
Natur bietet, und trifft neuerdings mit der „Prinzeſſin von Mont—
penſier“ wiederum den interejianten Gang eines Theaterſtückes,
welches originell genug in die aufwachjende Herrjcherjugend Lud—
wig’s des PVierzehnten die demokratische Neigung einer jtolzejten
Prinzeſſin zu verweben weiß.
Auch hier fpringen mitten in aufgebaufchter Rede einzelne
treffende Neven empor, und mitten in verwirrt fich anlaffender
Das Burgtheater. 421
Handlung zeigt fich ein weit ausholendes Talent der Compofition,
welches ven Plan behauptet. Es ijt überall bei ihm dreifter, mit-
unter wüjter Naturalismus, welcher aber jtarfe Athemzüge hat für
den Bruftfajten des Theaters.
Wir brachten „Narciß“ ſpäter als andere Theater, weil meine
Behörde abgejchredt wurde durch dieje Athemzüge ver Revolution,
welche in dem Stücke bemerflich find, und durch fede, unhiftorifche
Motive, welche ver Autor fich herausnimmt, indem er auf fein natu—
raliſtiſches Recht der Erfindung pocht. Auch die peinliche Stellung,
welche der legitimen Königin angewiejen ift, war lange ein Grund
der Ablehnung. Meaitrejien überhaupt, alfo auch die Pompadour,
wurden früher auf dem Burgtheater nicht zugelaffer, und es war
ein Ereigniß vor 1848, als man mit der „Marquiſe v. Villette“
eine Ausnahme geſtattete. Wie vorfichtig und behanlich war aber
dort die wohlerzogene Maintenon neben diefer wilden Marguife v.
Pompadour Brachvogel's! Es vergingen Jahre, e8 bedurfte immer
iwiederfehrender Einveihung, ehe dieſem „garſtigen“ Stüde —
und das ift es auch im äjthetifchen Sinne — der Zutritt erlaubt
wurde,
Der Erfolg, welcher überall ein glänzender gewejen, war im
Burgtheater viel weniger günftig. Der grelle Gejchmad wurde
nur mit einigem Widerftreben hingenommen, Aber die Gewalt ver
Compoſition erwies fich doch auch bei uns auf die Länge fiegreich ;
das Stüc hat jich auf dem Repertoire erhalten.
Ebenſo und viel leichter die jpätere ‚‚Prinzeffin von Mont—
penſier“, welcher die entjprechende naturaliſtiſche Kraft des Fräu—
fein Wolter Lebenskraft verlieh. In Ermanglung folcher zupafienden
Ichaufpielerifchen Begabung ift dies Stüd „draußen“ raſch vor:
übergegangen.
Nun fam „Hans Lange”, Der BVerfalfer dejjelben, Paul
Heyſe, ift wieder ein barer Gegenſatz zu Brachvogel, Im Hefe
492 Das Burgtbeater.
wohnen alle feinen Neize ver poetischen Bildung, und wenn Etwas
fehlt, fo ift es vie letzte Gewalt einer jtarfen Natur,
Wenn man ihn fieht und hört, dieſen Dichter mit dem ſchönen
Rafaelskopfe, mit der wohlflingenden, fliegenden Rede, mit dem
ganzen Zauber eines liebenswürdigen Menjchen, da findet man's
begreiflih, daß er mit feinen poetifchen Arbeiten zahlreiche Anz
Hänger gewinnen muß, namentlic) unter ven Frauen. Cr hat auch
eine Stellung gefunden, wie Giulio Romano, ver Schüler Rafael's.
Alles, was er bringt, ijt geiftvoll empfangen und Fünftlerifch
durchgeführt.
In feiner TIhätigfeit für die Bühne thut ihm vielleicht Die
vorherrſchende Anmuth und Feinfühligfeit ſeiner Natur einigen
Abbruch, Die Bühne verlangt jtarfe, männliche Züge, jcharfe
Umriſſe, rücdjichtstofes Wollen, Ich will nicht jagen, daß Dies
Heyſe unerreichbar ſei; er ift zum Beiſpiele in „Hans Lange“
den Erforderniſſen eines Theaterſtückes ganz nahe gekommen. Aber
er iſt, wie mir's ſcheint, bis jetzt durch ſeine Bildung noch zu tief
im Eklekticismus verblieben, in der Neigung des vielfältigen Aus—
wählens ſeiner Stoffe. Bald im alten Rom, bald im Mittelalter,
bald in der Rococo-Zeit erbaut er ein Stück. Jeder Stoff, jede
Zeit hat eigene Bedingungen; ein Dichter muß ſehr ſtark ſein,
wenn er der Concentrirung ſeiner Fähigkeiten entbehren kann. Wir
wiſſen's noch nicht, und Heyſe ſelbſt weiß es noch nicht, in welcher
Gattung von Stoff und Form er all' ſeine Eigenſchaften zur
vollen Geltung bringen mag als Dramatiker. Bei ſeinem un—
abläſſigen Streben wird er wohl einen feſten Ausgangspunkt
finden, und dann kann er uns jeden Tag mit einem Kernſchuſſe
überraſchen.
„Hans Lange“ hat überall Glück gemacht. Auch bei uns.
Warum er uns nicht dauernd verblieben, das iſt ſchwer zu ſagen.
Er war dem Publicum wohlgefällig geweſen, aber nicht mächtig
genug. Man ſprach nicht ungünſtig davon, aber man machte keine
Das Burgtheater. 423
Propaganda dafür; man empfand wohl, dag noch Etwas fehlte.
Was denn? Vielleicht das, was Heyſe's Theater» Arbeiten
bis jett überhaupt gefehlt hat: der letzte Wille, der unzweifel-
hafte Nachdruck, der Stempel der Nothiwenpigfeit und der Erle—
digung.
Ich habe manchmal ven Gedanken, Heyſe ſchreibe ſeine Stücke
zu raſch. Die Fähigkeit der Hervorbringung in ihm iſt ſehr leb—
haft, ſein Talent iſt für alle Formen geſchmeidig, und er behandelt
ein Theaterſtück wie eine andere Schrift, indem er ſeiner natürlichen
Fruchtbarkeit unverweilt nachgiebt, das Stück in die Welt ſetzt und
es den Theatern überliefert, friſch, wie es aus der erſten Regung
entſtanden iſt. Ein Theaterſtück darf aber nicht behandelt werden
wie jede andere Schrift, ſondern es will reiflich ausgetragen ſein.
Je tiefer ſein Organismus athmet, deſto tiefer dringt es in den Zu—
hörer, deſto länger macht es ihm zu ſchaffen, deſto nachdrücklicher
ſpricht der Zuhörer von ihm, deſto mehr macht er Propaganda für
daſſelbe. Das Glückliche erobert ein Theater-Publicum, doch nur
das Reife feſſelt es.
Ich weiß freilich nicht gewiß, ob Heyſe warten kann. Es
giebt reichbegabte Menſchen, welche ſich der in ihnen wachſenden
Früchte ohne Zögern entledigen müſſen, weil hinter dieſen Früchten
ſchon wieder neue entſtehen. Solche Talente müſſen, um am
günſtigſten für die Bühne zu ſchreiben, das Luſtſpiel erwählen —
wenn ſie luſtig ſein können, wenn ihnen Laune und heitere Charak—
teriſtik zu Gebote ſtehen.
Mit „Hans Lange“ hat Heyſe ſchon eine unerwartete Wen—
dung verſucht, und zwar recht glücklich. Er hat die appiiche Straße
der „Sabinerinnen‘, er hat die ritterzeitlichen „Herren von der Eſche“
mit ihrem Burg-Pathos verlafien und hat die realijtiiche Charak-
terijtif für einen Theil feines Stüdes ergriffen. Die Figuren im
Bauernhauſe find ihm auch trefflich gelungen — warum follte er
auf dem Wege nicht weiterfchreiten! Ja, er hat es auch ſchon
424 Das Burgtheater.
gethan; er hat ein Schaufpiel, „Colberg“, gebracht, welches vater-
ländifches Helvdenthum aus dem Franzofenfriege behandelt. Ein
ganz richtiger, willfommener Stoff, welchen die Theater im deut—
ihen Norden mit großem Beifalle begrüßt haben. Aber er
hat es wiederum gethan, wie ich oben angedeutet: zu raſch, zu
furz angebunden. Das Stüd ift nicht ausgetragen im Meutter-
ſchoße.
Mautner's „Eglantine“ iſt ein eben jo leichtes Kind. Und
doch find auch dieſe beiden Verfaſſer wieder grundverjchieden von
einander. Heyſe ift veih an Talent, und feine Arbeiten können
nur gediegener werden, wenn jie langjamer entjtehen. Dem Ber:
faffer ver „Eglantine“ jteht jedoch im glücklichen Falle nur das
Formengerüft eines Iheaterftüces zu Gebote. Er thut ganz
wohl, raſch Hand an's Werf zu legen, wenn ihm eine Situation
vorſchwebt. Das Warten auf tieferen Inhalt würde feinen Stüden
faum nützen.
Er geht von einer Situation aus und gruppivt um fie; und
daran thut er ganz Recht. Wollte er von einem eigentlichen Stoffe
ausgehen und die Situationen aus demjelben organifch entwideln,
jo würde ihm feine Fähigkeit die Hilfsmittel verfagen.
Das Verhältnig einer Künjtlerin zu einem vornehmen Manne
und eine äußerliche Täuſchung, welche das Verhältnig zerftört —
das ift die Situation, won welcher „Eglantine“ lebt. Kritif und
Publicum haben dies überall herausgefunden, auch in Wien, wo dies
leicht befrachtete Stüd Zugftüd geworden. Außer Wien hat es
nirgends bejtanden, und auch in Wien hat es bei aller Zugkraft
nur eine geringe Schätung gefunden. Die Darftellung der Künft-
lerin durch Fräulein Wolter und der abgerijfene Zettel in der
Intrigue haben in Wien ven Erfolg hervorgebracht. Man fuchte
ein Stück Lebensgefchichte ver darftellenden Schaufpielerin hinter
dem Schickſale jener Eglantine, und man fand ich hinlänglich
intriguirt durch jenen abgeriffenen Zettel.
Das Buratbeater. 425
Letsteres ift auch nicht zu verachten als Spannungsmittel;
jede Kunst braucht ihr Handwerkszeug, und auch das Bedeutende
verliert die Anziehungskraft, wenn die Hilfsmittel des Handwerks
fehlen. Man nennt fie artigerweife Technif. "Was iſt denn auch
gutes Malen, was ijt denn die wirffame Behandlung der Farben
anders als Handwerf, artig ausgedrückt Technif?
Rudolph Gottichall, der Verfaffer von ‚Pitt und For’, hat
mit Heyſe die vajche Production gemein und verjchmäht wie
Mautner das Handwerkszeug nicht, und doch it auch er wiederum
grundverfchieden von Beiden. Cr hat Etwas vom Converfations-
Lerifon: Lyrik, Literatur-Geſchichte, Drama, Kritik, Journaliſtik,
Berichterftattung in zahlreichen Journalen über einen umd ven:
jelben Gegenftand — Alfes ift ihm gleichzeitig geläufig, und bis
auf einen gewijfen Grad gut geläufig. Er tit ſehr fleißig, fehr
flüffig, zu mancherlei Hevvorbringung fähig. Noch in friſchem
Mannesalter jtehend, wird er die Yöfung feiner Literarifchen
Lebensfrage darin juchen müſſen und finden: ob er einen echtem
Kern befitt und ob er viefen Kern mit innerer Ruhe entwiceln
fann ?
„Pitt und For’ waren Schon jahrelang vorhanden, ehe jie im
Burgtheater aufgeführt wurden, und die Verzögerung lag an mir.
Dies Gebahren mit wichtigen hiſtoriſchen Staatsmännern erjchten
mir zu leichtjinnig für unfere Bühne; ich meinte, unſer Publicum
würde es nicht annehmen. Erſt als Sonnenthal jo weit entwidelt
war, daß ich ihm den For geben fonnte, entjchloß ich mich zur
Scenirung, weil ich in feinem gehaltvollen Weſen eine erhöhende
Unterlage fand für die ausgelaffene Figur des berühmten Miniſters.
Der Verfaſſer geftattete einige weitere Milderungen, und jo machte
das Stüc gutes Glück.
Der Griff als Griff nach einem Luſtſpielſtoffe iſt gewiß
rühmenswerth, und wenn man auch bedauern mag, daß die Gegen:
jäte gar zu grell und bisweilen der Caricatur ähnlich gerathen
426 Das Burgtheater.
find, jo muß man doch vom Standpunfte des Theaters zugeftehen,
daß das Material erfindungsreich angefaßt und behende aus—
gebeutet tft.
Gottſchall hat früher in Stücken wie „Die Roje vom Kaukaſus“
den Iprifchen Ergüffen zu viel Spielraum gewährt, iſt aber neuer-
dings in Stoff und Behandlung überraichend geſchickt den Bedürf—
niffen ver Scene nahegerüct. Selbit in feiner ‚Katharina Howard’,
welche durch Ungleichartigfeit ihrer Theile und vielleicht auch durch
machtloje Darftellung des achten Heinrich feine Dauer bei uns fand,
zeigte jih ein Trachten nach wirklichen Yebenspulfe. Er iſt ein ſehr
aufmerffamer Beobachter für Motive und Technik und lernt jehr
jchnell ; es tft gar wohl möglich, daß er noch ein wichtiger Producent
wird für's deutjche Theater, In einem Stüde: ‚Die Diplomaten”
— Alberoni in Spanien —, welches mit „Pitt und For’ einige
Berwandtichaft hat, ging die Yeichtfertigfeit noch über „Pitt und
Fox“ hinaus; aber feine fette Arbeit, „Der Nabob“, beichäftigt ſich
ſorgfältig mit einem reichhaltigen Thema. Yord Clive, der oftindifche
Held, ift diefer Nabob, und fein Procek vor dem englifchen Parla-
mentsgericht in Pondon, in welchen fein Heldenthum und fein Geld—
nehmen in Oftindien einander vie Wage halten, bietet eine intereijante
Aufgabe. Es wäre fehade, wenn jich Gottſchall nicht die Muße er—
zwänge, dem Drama all’ vie tieferen Reize abzugemwinnen, welche
namentlich in ſolchem, allerdings nicht leicht intereffant zu machen
ven Helden und in folchen Vorgängen ruhen.
AL diefe deutſchen Dramatifer, welche fih auf dem Burg-
theater binnen einem Jahre zufammenfanden, gehören zu ganz wer-
ſchiedenen Negimentern, zum Fußvolfe, zur Neiterei, zum ſchweren
Geſchütz, zur Genie- und zur Verpflegungstruppe. Welch ein volles
Bild unferes Reichthums an Eigenthümlichkeit und Eigenfinn! Und
jest, da ich fchliegen will, jeh’ ich in demfelben Jahre noch einen
ganz neuen Kriegsmann zum erſtenmale auftreten, Morit Hartmann,
einst lyriſcher Dichter und liberaler Flüchtling, welcher fo lange die
Das Burgtheater. 427
harten Stiegen des Erils getreten. Nothgedrungen hat er lange
nur die fränfifche Bühne gefehen, und heitere Bilder find ihm ein-
geprägt worden von der Scene. In einem zweiactigen Yuftjpiele,
„Gleich und Gleich“, hat er diefe Eindrücke eingerahmt, aber der
ernfte Dichter hat dem Thema doch einen gelehrten Untergrund ge—
geben, auf welchem Sonnenblicde des Spottes und der Satyre jpielen
fönnen. Die dichterifche Feder ift ſchärfer und fpiter geworden, je
länger der Flüchtling erfahren Hat, auf welchen weiten Umwegen die
Welt zu ihren Idealen marschirt, ach, marfchiren muß. Das Stüdchen
machte mit feinen gelehrten und abjtracten Frauenzimmern eine
heitere Wirkung, und wir hoffen, daß dieſe angenehme Antrittswifite
einen weiteren Verkehr eingeleitet habe.
Solch ein mannigfaltiges Jahr, mannigfach an dichteriſchen
Perſönlichkeiten, Stoffen und Formen, ift doch jehr anregend, und
ein jchöpferifches Theater bietet doch eine außerordentliche Fülle von
geiftigem Sauerſtoffe. Machen wir uns klar, daß dies in folchem
Maße nur auf dem veutichen Theater erreichbar ift.
Aus diefer tiefen Verfchiedenheit der Autoren ergiebt ſich, daß
unfer deutfches Theater zu einem viel größeren Inhaltsreichthume,
zu einer viel größeren Mannigfaltigfeit ver Formen berufen ijt, als
das franzöfifche, welches feiner Schablone fo ficher ift — daß unfer
Theater aber auch viel jchwerer in Gang zu bringen und im Gange
zu erhalten ift, weil die allgemein giltige Form fo ſchwer entjteht
bei fo verfchienenartigen Künftlern, bei jo eigenjinniger Gering—
ſchätzung ver unleugbar nöthigen Theaterform.
Dieſe Theaterform, oder richtiger diefe Form des Theaterſtücks,
ift ja nicht ein Werk des Zufalls oder der gedanfenlofen Ueber:
lieferung. Das Bild, die Statue, Das Epos, der Roman, das
Gedicht und jede Kunſtform haben ja tief liegende Gefeße, innerhalb
welcher allein jie ihre Wirkung erreichen. So ift es auch mit dem
Theaterſtück, und doch wird deſſen Technik faſt durchgängig von
unſerer Kritik über die Achjel angejehen! Wohl ung, wenn unfere
428 Das Burgtheater.
jelbitjtändigen und charafterwollen Dichter ihre eigene Auffaſſung
der Form im Sinne diefer technifchen Geſetze geltend machen.
Wir werden dann das reichite Theater der Welt haben. Wehe uns
aber, wenn unjere Charafter-Eigenheit diefe nothwendigen Gejete
immer wieder despotifch migachten will. Wir werden dann ein jehr
armes Iheater haben und vom Auslande borgen müfjen bei allem
vaterländiſchen Ueberfluſſe an dichteriichen Originalen.
XXXV.
Das heitere Converſationsſtück und wirkliche Luſtſpiele belebten
das Jahr 1864. Feuillet's „Vornehme Ehe“, die ſchon genannten
„Pitt und Fox“, „Hans Lange“, „Gleich und Gleich“, kleine Ein—
acte von Siegmund Schleſinger, „Die Dienſtboten“ won Benedix
und der unglaublich einfache „Geadelte Kaufmann” von Görner
füllten die Saiſon.
Sollte man’s glauben, daß jelbit einfache, unpolitifche, ganz
moralifche Lujtipielitoffe jahrelang nicht zugelajjen wurden! Und
doch ijt vem jo. Und zwar um focialer Principien halber. Solch
eine Streitfrage legte fich zurückſtauend vor das fleine niederländijche
Gemälde: „Die Dienftboten‘”, und es vergingen mehrere Sommer
und Winter, ehe die Stauung befeitigt werden Fonnte.
Die harmlofen „Dienſtboten“ zurüdgewiejen? Ja. Und zwar
aus Gründen, welche nicht unwichtig, welche wenigjtens charafteriftiich
find. Hier folgen fie:
Sie entiprießen dem Gedanfen oder doc der Gewohnheit, daß
ein Hoftheater im Grunde nur für ein exelufives Publicum vor:
handen ſei. Wie oft, wenn ich mich auf Gefchmad und Urtheil des
großen Publicums berief, wurde mir entgegnet: „Das Publicum
hat Sie gar nicht zu kümmern!“ — Und hier mit diejen „Dienſt—
boten’ ftieß ich auf eine Anfchauung defjelben Gedanfens. Es war
meine Schuld, daß ich überrafcht war; denn die Ablehnung diefes
Stüdes war folgerichtig. Das Hoftheater ein ganzes Stüd lang —
430 Das Burgtheater.
wenn auch nur ein einactiges — der Dienerjchaft eines Haufes
allein zu überlafjen, das — das erſchien unanftändig. Vielleicht
nicht geradezu gemein, aber unanjtändig. Dafür, hieß es, ijt ein
jolches Theater nicht da!
Ich war verblüfft. Für die Kunſt iſt Alles da! wollte ich
jagen, aber ich bemerfte jpät genug, daß ich eben einem Gedanfen-
oder Gewohnheitsfreife gegenüberjtand, welcher aus einem Schloß-
theater Pudwig’S XIV. das Wefen und den Charakter auch eines
heutigen Hoftheaters ableitete, und dag all’ meine äjthetifche Beweis—
führung unwirkſam verbleiben müßte, Ich flüchtete zu einem Bei—
ipiele, von dem ich Wirfung verhoffte; ich berief mich auf nieder:
ländiſche Bilder mit den gewöhnlichiten Bauernfiguren, Die hänge
man ja doch auf in Galerien und vornehmen Salons als Kunjtwerfe
— — ‚Aber diefe Bauernfiguren jprechen nicht!“ lautete die Ent—
gegnung.
Das mußte ich zugeftehen und war gejchlagen. Es vauerte,
wie gejagt, mehrere Jahre, ehe dies Vorurtheil verblaßte. ALS
Symptom ift e8 gewiß intereffant. Es gehört zu den zahlreichen
Conſequenzen eines Runft-Injtitutes, welches einen ſpecifiſch joctalen
Charakter geltend macht.
Biel natürlicher war's, daß der folgende Chef den „Geadelten
Kaufmann‘ beanjtandete. Ich hatte das ebenfalls Tange gethan.
Eine ordinäre Komödie mit fo viel Trivialität erfcheint in der Lec—
türe geradezu unmöglich für ein erſtes Theater. Dreimal hatte ich
das Buch beifeitegelegt unter Kopfichütteln. Aber die Theater-
berichte aus allen Städten meldeten fröhlichen Erfolg dieſer Komödie.
Ganz ebenfo erging es mir fpäter mit den „Zärtlichen Ver-
wandten” won Benedir. Mehr als dreimal jchob ich ſie von mir,
weil ich die alltäglichen, übertriebenen und abgebrauchten Figuren
und Scenen gar zu abgejchmadt fand für's Burgtheater. Und auch
von dieſem Stüce melveten die Zeitungen aus allen Windrofen
Erfolg auf Erfolg.
Das Burgtheater. 451
Nun, ein Theater-Divector muß wie ein Regent die einjtimmige
öffentliche Meinung vefpectiven: ev muß fich täglich jagen: Man
(evnt nicht aus, und jede Theorie muß immer wieder neu bei der
Praxis in die Lehre gehen!
Wir haben — nachdem ich die Manuferipte jo weit als mög—
lich zufammengeftrichen — beide Stüde gegeben und haben mit
beiden volljtändiges Theaterglüd gemacht.
Beim Luftipiele darf man um des Himmels willen nicht vor—
nehm jein wollen. In Lujtipielen, welche von PBraftifern herrühren,
wie hier von Görner und Benedix, muß man wagen, va banque
zu jpielen, Denn da liegen oft Momente verborgen von populärer
Wirkung, welche die Stimmung auch eines vornehmen Publicums
gewinnen und dadurd die Beleuchtung des ganzen Bildes veräns
dern, Das Bedürfniß der Heiterkeit ift ganz außerordentlich in
einem Iheater-Publicum. Dies Bevürfnif iſt ſelbſt graufam gegen
die Bildung. Es verichlingt Trivialitäten, wenn dies unter vollem
Lachen geſchehen kann. Der römiiche Ruf: „Schafft Brod und
Spiele!’ ijt ewig.
Je leichter obenein ein Publicum lacht, deſto vorfichtiger muß
der Theater-Director fein mit Zurücdweifung von Luftjpielen ; denn
es iſt unſchätzbar, fröhliche Unbefangenheit im Theater = Bublicum
zu erhalten. Zwei Drittheilen des Publicums ift die Erwedung
völliger Heiterfeit eine Haupteigenjchaft der Kunft. Und wer gut
(acht, der weint auch gut, der gehört auch zum bejten Theile des
Publicums im Schau: und Trauerjpiele.
Es iſt dies eben die freie Hingebung an das Spiel, das Grund»
element aller Kunst, und eine ſolche Hingebung ift die Grundbe-
dingung eines lebenswollen Theaters.
Kein Bublicum lacht jo leicht und jo gut wie das Wiener. Ich
werde nie die Aufführung des „Marktes von Ellerbrunn‘‘ vergejfen,
welche ich einmal im Dresdener Hoftheater geliehen. Während des
ganzen Abends lachte im ganzen Haufe fein Menſch. Natürlich
432 Das Burgtheater.
fpielten auch die Schaufpieler vemgemäß. Wie es in ven Wald hin-
ein fchallt, jo Schallt es heraus. Wenn die da unten feine heitere
Wirfung melden, da werden ſie oben auch troden und trodener.
Ih war alfo ver Meinung, das Stüc jet durchgefallen, denn das-
jelbe Stück wird im Burgtheater fuftig geſpielt und luſtig aufge
nommen. Keineswegs! Ich irrte mich, Das Publicum war zu—
frieden; e8 ſchien nur gar nicht daran gewöhnt zu fein, daß man
(aut lachen müffe, um fich luſtig zu unterhalten.
Hier fommen wir auf einen Punkt, wo wir der alten jtrengen
Genjurzeit eine gute Seite abgewinnen. Weil dem Burgtheater jo
fange alles Moderne vorenthalten wurde, entſchädigten fich Reper—
toire, Schaufpieler und Publicum durch forgfältigite Ausführung
und aufmerfjamjte Hinnahme alter Stüde, namentlich alter Luſt—
ipiele. Mean lernte die Citrone ausprejjen. Unſchuldige Heiterkeit
war nicht verboten, und fo cultivirte man fie geradezu mit Raffine-
ment. Das ift wichtig geworden und geblieben für das Luſtſpiel
im Burgtheater; es wird da ausgeführt und ausgefojtet bis in die
fleinjte Faſer.
Sp haben denn auch die ärgſten Neider immer zugeben müfjen,
daß im Burgtheater das Yuftipiel gut jet, weil — weil es gut ges
jpielt werde.
Der Tragödie im Burgtheater hat man nie fo viel Lob nach—
jagen mögen, obwohl Sophie Schröder jo lange hier war, obwohl
Anſchütz und Aulie Rettich feſte Stüten der Tragövdie hießen. Warum
nicht? Das Publicum in Wien ift wirklich jehr lange fein Tra—
gödien-Publicum geweſen. Der Unterhaltung nachjtrebend, hatte
e8 feine Luft und hatte es wenig Uebung, fih in Schmerz zu vertiefen,
den Schmerz in feiner läuternden Bewegung zu ſchätzen. Ein leich-
ter Katholicismus, welcher das Gewiffen immer wieder leicht be—
ruhigt, erzieht nicht für die Tragödie. Man findet fich ab mit ſen—
timentaler Rührung und hat fein Verlangen nach gleichzeitiger Er—
hebung. Dazu fam, daß man jahrzehntelang fein Tragödienherz
Das Burgtheater. 435
gehabt im Schaufpieler-Perfonale. Selbſt Sophie Schrövder hatte
mehr die Größe und die Gewalt, als das Herz der Tragödie, umd
namentlich tragijche Liebhaber und. Liebhaberinnen fehlten. Korn
war ein trefflicher Puftipielfchaufpieler, nie ein tragifcher Liebhaber.
Auch Löwe war eigentlich feiner bei all feinen glänzenden Eigen—
Ichaften. Dieje Eigenschaften waren eben glänzend, aber niemals
tief. Der. tiefe tragiiche Schmerz hat feine Seele nie berührt,
Löwe hat ihn alfo auch nie den Zuhörern mittheilen fünnen, Nur
Sophie Müller, welche ich leider nicht gefannt, hat, allen Schilverungen
nach, ein tragifches Herz, einen tragifchen Ton beſeſſen. Sie wurde
befanntlich nach wenigen Jahren in ven Tod geriffen. Ihre Nachfol-
gerin Gley-Rettich hatte wohl alle geiftigen Mittel, aber die unmittel-
bar fünftleriiche Macht einer tragischen Liebhaberin war ihr verfagt.
Sie ſchil derte jchmerzliche Leidenſchaft, aber fie jtelfte fie nicht
dar, Anſchütz Hatte einige Rollen, in denen er hochtragiſche Scenen
traf, Zum Beifpiele die große Scene des zweiten Actes im „König
Lear“, und wohl auch die letzte Scene. Was dazwifchen lag, fowie
die Mehrzahl feiner fonftigen tragischen Rollen außerhalb der bürger-
lichen Sphäre war immer reif und werthvoll, aber es entbehrte der
Höhe. Figur und Sinnesart- unterjtüßten ihn dazu nicht hin—
veichend. Die Sinnesart war bürgerlich und der poetifche Aus-
druck war ein ſchulmäßig gebildeter, nicht ein direct aus feinem
Wefen entjprofjener. Mean achtete das, man mußte es loben, aber
den erwarteten Eindruck idealer Poeſie empfing man nicht,
So erklärt ſich's, daß die Tragödie in zweiter Linie blieb.
Das lebte Jahrzehnt ift darin weiter gefommen. Nicht bles darum,
weil alle übrigen deutjchen Theater zurücgeblieben find und ung
die Behauptung des erjten Plates erleichtert haben. Nicht blos
darum. Der Einn der Bevölferung ift in feiner Tiefe viel mehr
bewegt worden als früher, das Publicum ift ernfter und nachdenf-
licher, die Jugend ift bedeutender geworden. Und auch die tragischen
zum Theil ſchwächer in Behandlung der rednerifchen
Laube, Burgtheater. 238
4534 Das Burgtheater.
Form — find im Naturell echter tragiih. Herrn Wagner ift
Mangel an geiftigerv Bewegung worzuwerfen, aber jeine tragiiche
Leidenſchaft ift jtärfer als die feiner Vorgänger, Fräulein Wolter
hat ebenfalls eine uͤnleugbar jtarfe tragijche Gewalt, und Lewinsky
ijt hinzugefommen, ein Charafterjpieler in der Tragödie, an welchem
es weit zurüd im Burgtheater ganz gefehlt. Ya Roche, ein treff-
liches Luſtſpiel-Naturell, war ja nie ein tragifcher Charafterijtifer.
Darin alfo jind wir höher gerüdt, und im Luftipiel haben wir
die Ueberlegenheit bewahrt. Namentlich in den eriten Sechsziger
Jahren, als die alten Herren noch alle thätig waren,
Mit wenigen Ausnahmen gehörte das ganze männliche Per—
jonal zu Trägern und Werkzeugen des Xuftipieles, Hiebei ver-
werthete e8 fich Hundertfach, daß man bei Engagements immer vor—
zugsweife auf lebensvolle Perjönlichkeiten Rücficht genommen und
weniger auf fachmäßige Schulfenntnif. Das fam dem Lujftipiele
zu ftatten, das Lujtjpiel-Contingent war äußerjt zahlreich. Nicht
nur Fichtner und Ya Roche in erfter Linie, auch Löwe hatte fcharfe
Luſtſpielrollen, auch Anfhüt war gediegenen Humors. Alsdann
Bedmann, der Hauptfeuerwerfer; neben ihm Meirner, Baumeifter,
Arnsburg, Sonnenthal, Föriter, Gabillon, Lewinsky in alten
Knaben, und jüngjte Yeute, wie Schöne, Hartmann und Kraſtel;
Franz Kierfchner in fleineren Chargen, ja Mitglieder dritter Kate—
gorie jtellten ihren Mann im Luftipiele, Schmidt in natürlicher
Laune, Stein in derben Epiſoden.
Wo war je ein deutſches Theater in ſolchem Umfange ausge—
rüſtet für das Luſtſpiel! Die alten Herren in ihrer gefeſteten Macht
ausgebildeter Perſönlichkeiten, in ihrer Macht langjähriger Uebung
und Erfahrung, welche alle Neigungen des Publicums zu gewinnen
wußten, und unter dieſen älteren Mitgliedern ein Mann wie Ficht—
ner, ein Künſtler im Luſtſpiele ohnegleichen! Es vergehen oft
Generationen, ohne daß der Bühne ein ſolches Talent ausgebildet
wird — ein Talent von ſo künſtleriſcher Strenge und Feinheit, und
Das Burgtheater. 435
gleichzeitig von fo reiner Yiebenswürdigfeit, von jo anſpruchsloſem
und doch fo wohlthuendem Humor. Neben diefen älteren Kräften
aber ein Zuwachs junger Männer, welche Sinn und Geift ver
neuen Zeit mitbrachten umd in täglicher Uebung, ich darf jagen in
täglicher Anleitung dieſen Geijt entfalten lernten unter der täg-
lichen Controle eines fejt gejchloffenen und dabei lebhaften Pu—
blicums.
Man hat es geradezu ſehen können, Schritt für Schritt ſehen
können, wie alte und neue Zeit da harmoniſch in einander übergingen,
wie eine junge Kraft gleich ver Sonnenthal's die Grundlagen Ficht—
ner'ſchen Talentes ich allmälig aneignete und doch jelbitjtändig im
geiftigen Lebenskreiſe heutiger Welt eine ganz neue Figur aus jich
gejtaltete. Rollen des ganz alten Repertoires wurden da nie er
reicht, denn fie gehörten in ven eigentlichen Yebensfreis Fichtners;
in Rollen neuerer Zeit wuchs ihm Sonnenthal dagegen bald bis an
die Schultern, und in Rollen neneften Datums zum Beifpiele
im „Geheimen Agenten”, im Konrad Bolz aus den „Sournalijten‘
— war er ebenjo groß und war ganz anders. Die Uebung in mo-
derner Geijteswelt brachte da ein neues, ein modernes Colorit.
Der Wiener, welcher diefe Uebergänge und Entwidlungen mit
aufmerkſamem Auge angejehen — und wie viele jolche Wiener giebt
es! denn Wien ift jeßt der einzige Ort gewejen, in welchem ein
mitjchaffennes Theater» Bublicum vorhanden geblieben ift — ſolch
ein Wiener hat eine dramaturgiſche Periode vurchgelebt, welche
für Erziehung und Erhaltung eines erjten Theaters unjchätber ift.
Dies war damals ein Luſtſpiel, wird er noch in fpäten Tagen fagen,
und leider müſſen wir jetst jchon hievon wie von vergangener Zeit
erzählen. Aeußere Störungen und der umerbittliche Tod haben den
reichhaltigen Kreis gefprengt.
Der Tod hat uns auch Beckmann entrifjen.
Die wirklich komiſche Kraft wird am höchſten geichätt von der
Welt, gewiß am febhaftejten. Die Mehrzahl der Menichen hat
28*
436 Das Burgtheater.
inftinetmäfßig das Bedürfniß, aufgeheitert zu werden. Jedermann
jtrebt nach Glück, und heitere Stunden find für Jedermann ein Er—
fat für Glück. Es giebt alfo nichts Populäreres als einen wirk-
lichen Komiker.
Beckmann war einer. Er war ein fomifcher Künſtler, ev war
ein fomifcher Schaufpieler. Ob er in vem Maße als Schaufpieler
begabt war, wie er es als Komiker war — das ijt allerdings eine
weitere Frage. Er war immer Bedmann, heißt es. Das Kleid,
die Masfe, welche -er trug, der Charakter, welchen er darſtellen
jollte, mochten fein wie fie wollten, ev war immer Beckmann, jet
man hinzıt.
An diefem Vorwurfe ift etwas Wahres. Im jedem Kleide, in
jeder Maske, in jedem Wefen drängte er zu dem Bedmann hin,
welcher im Beckmann'ſchen Weſen komiſche Wirkung machte, Es
gelang ihm faum, ja ev verfuchte es jelten, verjchiedenartig zu
charafterifiven. Es lag nicht ganz außer feiner Fähigkeit, aber es
überjtieg die Enthaltjamfeit, deren er fähig war. Dft war jeine
Rolle ganz charakteriftiich angelegt auf der Probe, ja zuweilen jogar
ausgearbeitet, und oft jpiefte er fie auch den erjten Abend charafte-
riſtiſch — wenn fie in folcher Charakter-Begrenzung hinreichend
wirkte, Hinreichend für feinen Hunger und Durjt nach fomijchem
Effecte. Aber wenn viejer Effect ihm nicht füttigend genug ſchien,
da warf er die Charafterfunft wie die Büchje in's Korn und rief
flugs feinen Beckmann zu Hilfe, diefer Bedmann mochte zum Cha-
rakter paffen wie die Fauft auf's Auge, um nur den fehlenden Effect
einzuholen. „'s war nöthig, Doctor!” fagte er jehr ernithaft,
wenn ich zu ihm trat und er Vorwürfe erwartete. Cr that's aber
auch, wenn's nicht nöthig war, wenn Stüd und Rolle gefallen
hatten; er begnügte fich bei ven Wiederholungen nicht mit jolchem
harafteriftiichen Erfolge, ex befreite fich auch alsdann mehr und
mehr von den Schranken, welche der Rollencharafter dem Beckmann
auferlegte, und ein Feten nach dem anderen flog in die Yuft, bis
Das Burgtheater. 457
bei der zehnten Vorjtellung der unverftellte Beckmann dajtand und
als jolcher jeve Bedmann’ihe Wirkung machte, weit über bie
Grenzen der Rolle und des Stüdes hinaus. Den alten Herrn
v. Eifenftein zum Beifpiele in „Cato von Eifen” brachte er in den
eriten Vorſtellungen ganz charafterijtiich, allmälig aber wiſchte er
alle befonderen Züge radical aus und war zulett ein allerdings
höchſt Fomifcher Beckmann, aber gar nicht mehr ver alte Herr
v. Eiſenſtein.
Darin war er ganz wie ein Clown. Er fuchte und brauchte
um jeden Preis großes Gelächter. Im Mittelalter, das nod) feine
Hofichaufpieler fannte, wäre er gewiß ein Hofnarr geworden. Er
hatte Dafür die ausgefprochenite Fähigkeit und auch die jtärfite
Neigung. Die regierenden und vornehmen Herren waren ja auch
heutigen Tages immer und überall beflifjen, ihn in ihrer Nähe zu
haben, und er war äußerſt befliffen, in folche Nähe zu fommen. Er
verjicherte zwar immer, wenn er aufgefordert wurde zu fomifchen
Vorträgen, daß er leider gar feine Hilfsmittel, nicht einen lumpigen
Zettel bei jich habe; aber wenn er num in Schuß fam, da zog er,
wie Falſtaff, unbefümmert um die Fleine Lüge, aus allen Rocdtafchen
die Zettel hervor, auf denen die Schwänfe und Wite ſkizzirt waren,
welche er mit Meifterfchaft vortrug, völlig ein Herr v. Kreuzquer in
den „„Pagenjtreichen‘‘, den er wie ein vwollendeter Tajchenfpieler
daritellte,
Laſſe man ich jedoch durch diefe Ausstellungen nicht verleiten,
jeine jchaufpielerifche Begabung geringzujfchäten. Er beſaß fie in
hohem Grade. Er verleugnete fie nur vielfach — aus Eitelfeit,
aus Furchtfamfeit, aus Mangel an Charafterfraft.
Aus Eitelfeit, weil es ihm unerträglich war, auf der Scene
nicht den entfcheivenden Ton angeben zu dürfen. Aus Furchtſam—
feit, weil er jeinen Ruf, feine Bedeutung bedroht glaubte, jo lange
er auf der Scene nicht der Hahn im Korbe wäre und in enger Be-
grenzung erjcheinen müßte, Aus Mangel an Charafterfraft, weil
438 Das Burgtbeater.
er eben nicht ven fejten Sinn beſaß, fich mit dem zu begnügen, was
irgend eine Entjagung heifchte. Seien wir billig! Sit denn auch
fejter Sinn vereinbar mit der Fühigfeit, welche er bejaß? Dieje
Fähigkeit bejtand ja vorzugsweile darin, auseinanderzugehen in
leichter Anwendung feines flüjjigen, witigen Geiftes. Wäre er
feften Sinnes gewejen, jo hätten ja eben die hundert Späße nicht
heraus gefonnt, die ihm aus allen Knopflöchern fprangen.
Die komiſche Kraft in ihm beftand übrigens nicht aus dem
groben Material eines urwüchjigen Komifers, der nur den Mund
zu öffnen braucht, um Lachen zu erregen. Sie beſtand aus einer
feinen Mifchung. Er war nicht nur behaglich, wie e8 der Komiker
it, in feiner Komif war immer ein Funke Geift. Er war in der
Behaglichkeit immer darauf bedacht, Sälz zu gewinnen und fein
ausjtrömendes Behagen mit dem Salze zu würzen. Cr war immer
auf den einzelnen Wit bedacht, und gerade deßhalb wurde er ein jo
guter Unterhalter auch außer der Scene.
In diefem Sinne war er auch felfenfejt in wörtlicher Kenntniß
feiner Rollen. Hinter den Coulifjen war er ununterbrochen mit
feiner Rolle bejchäftigt, und nur mit feiner Rolle. Das Wort, das
genaue Wort war feine Wehr und Waffe. Auch alle Extraſpäße
waren genau notirt in jeinen Rollen.
Er ftammte aus Breslau. Sein Vater war Töpfer und hatte
jeine Werfitatt in der Taſchengaſſe, dicht bei der fogenannten
„falten Aſche“, dem alten Breslauer Iheater. Frübzeitig kroch
Fritz da jeden Abend hinein, frühzeitig brachte er ſich da zu Fleinen
Hilfsämtern. Zunächſt als Handlanger, denn der Handwerfers-
ſohn griff Alles gefchiet an — lange nicht als Schaufpieler. Aber
aufgewecten Geiſtes, jah er jpannend wie ein „Schießhund“ aus
der Couliſſe zu, und als einmal eine feine Lücke entſtand, ſagte er
blinzelnd zum Regiſſeur: „Die könnt' ich ſchon ausfüllen“. Hinaus
alſo! Und wie ein Schießhund ſprang er ein. Da zeigte ſich's
Das Burgtheater. 439
denn, daß der frifche, exacte Burjche am Plate war und fich auch
ven Plat bald erweitern fonnte.
Gr fam von da nah Berlin an’s Königsſtädter Theater,
welches damals das Luſtſpiel des Tages einführte, indem es ſich die
fomifchen Figuren von der Gaſſe holte. In diefem Luſtſpiele des
Tages fand er feinen eigentlichen Beruf: die wirklichen Figuren
und Vorgänge mit witiger Slluftration hinzuftellen. Glaßbrenner,
der erite Erfinder Berliner Volfsfiguren und Titerarifcher Berliner
Wite, wurde ihn eine wichtige Hilfskraft, indem er ihm namentlich
den Eckenſteher Nante jchuf und fchaffen half, die erjte populäre
Volksfigur, welche für alle Beckmann'ſche Fähigkeit erwünfchte Ge-
fegenheit bot. Dort und jo wurde er ein erjter Nomifer.
Das war in den Dreifiger Jahren. Wir jungen Schriftjteller
waren damals vielfach darauf bedacht, ihm Nahrung zuzuführen,
weil er modernen Geijt in die Theaterfomif brachte. Ich ging ein-
mal im Sommer 1839 zu Paris den Boulevard entlang und fah
am „Vaudeville“, welches damals am Boulevard fein Haus hatte,
ein kleines, neues Stüd angefündigt mit Arnal. Bei Arnal dachte
ih an Bedmann und ging in’s Haus. Das neue Stücdchen war
„Passe minuit‘“, und Arnal war überwältigend fomifh. Bon der
Logenſchließerin erfaufte ich ein Eremplar, überjette e8 flugs, vie
Handlung in unſere Heimath nach „Beuthen an der Oder“ ver:
legend, und ſchickte es Beckmann unter dem Titel: ‚Nach Mitter-
nacht” an die Königsftadt nach Berlin, Dreißig Jahre lang hab’
ich davon gelitten! Er war freilich fehr fomifch darin, aber er
jpielte die Rolle durchaus nicht fo, wie ich es haben wollte. Ich
verlangte paſſive Komif, da der ftörende nächtliche Bejucher die
active Aufgabe hatte. Das war Bedmann nicht möglich; in paf-
fiver Komik fühlte ev fich gedrückt; er mußte vordringen fünnen, er
mußte die „Initiative haben auf der Scene, den Angriff, die
Herausforderung mit Späßen, jonft verlor er Yaune und Muth.
Beides verlor er auch unfehlbar, wenn ein neues Stüd nicht „ein—
440 Das Burgtheater.
ſchlug“, wenn jeine Rolle nicht „packte“. Da wurde er ganz
Hafenfuß, jtöhnte „sauve qui peut“ und gab eingejchüchtert die
Schlacht auf.
1845 fand ich ihn im Theater an der Wien und gewann eine
Einwirkung auf feine fernere Yaufbahn. Der damalige Chef des
Burgtheaters, Graf Moritz Dietrichitein, der ein gewifjes Zutrauen
in meine Theaterfenntniß zeigte, geſtand mir zu, daß eine Verjtärfung
der fomifchen Kräfte — deren Hauptvertreter damals Wothe —
wohl wünjchenswerth jei, daß er aber doch nicht ven Muth habe,
den Poſſenſpieler aus der Vorſtadt hereinzunehmen. Ich fette ihm
auseinander, daß Bedmann Fähigkeiten genug habe, nicht blos
Poſſen zu jpielen, und daß er für das Burgtheater jehr erfrifchend
jein würde. Nach wiederholter Unterredung jagte Graf Dietrichjtein:
Sie werden Recht haben, und ich werd’ ihn engagiven. 1846 trat
er ein und gehörte uns zwanzig Jahre lang zu unvergeßlicher Er-
heiterung.
Im Juni 1866 verſprach er mir troß des ausbrechenden
Krieges, wor dem er ſich jehr fürchtete, mit mir nach Karlsbad zu
gehen. Im Letten Augenblice übermannte ihn die Furcht, er ver—
zichtete auf das Mineralwaſſer, welches ihn jo oft ſchon von feinen
Leiden befreit, er blieb zurüd, und — ich ſollte ihn nicht wieder:
jehen. Bielleiht hätte Karlsbad die Kataftrophe abgewendet! Als
ic zurückkam, lag er im Sterben, und zwar unter grimmigen
Schmerzen.
Welch ein Hohn des Schickſals! Er, der weichite, wehleidigſte
Menſch, zu ſolcher Marter verurtheilt, er, der jo viel Tauſenden
das Leben erfrifcht, mußte unter jo furchtbarer Pein aus dem Leben
ſcheiden!
XXXVL
Im Damenperjonale war das Yuftipiel-Contingent viel ſchwächer.
Der Humor ift ja wohl immer jpärlicher vertheilt unter Frauen,
denn er jeßt Gegenſätze im Innern woraus, welche für die Weiblich-
feit nicht ohne Gefahr find,
Die bejahrten Burgtheaterfreunde jprechen mit Entzüden von
der Humoriftifchen Kraft der älteren Frau Koberwein. Ich habe fie
leider nicht mehr gejehen, Seit ich das Perfonal genauer fenne,
waren Frau Haizinger mit ihrer Tochter Louiſe Neumann und Fräus
lein Wildauer die Anker für das Luftipiel, Und Fräulein Wildauer
entwich uns leider frühzeitig. Sonftwar und ijt im Damenperjonale
der ausgejprochene Humor ziemlich ſchwach vertreten. Frau Fichtner
war nicht ohne ſarkaſtiſche Yaune; Frau Hebbel ift ferner, ven Meiſten
unerwartet, für eine bejtimmte Gattung von Parodie und Charge
wirfjam geworden ; Fräulein Grafenberg zeigte Anlage für fomijche
Naturmädchen (Franzl im „Sonnwendhofe“); Fräulein Krat ent-
wicelt merfwürdigerweife fajt nur dann Humor, wenn fie in Hoſen—
rollen jpielt — ein Zeichen, glaube ich, dag fie eine humoriſtiſche
Zufunft in älteren Rollen hat, und Fräulein Baudius wird in Rollen
von geijtvoller Yaune, bejonders wenn jie ein wenig Malice ver-
tragen, eine Specialität werden. Die übrigen Damen find mehr
um Converjations-Stüde als im eigentlichen Puftipiele von Be—
deutung. Nur Fräulein Bognar gewinnt auch einen rein heiteren
Ton, und Fräulein Wolter hat auch humoriſtiſche Wallungen,
442 Das Burgtheater.
Das ſtärkſte Naturell lebenswoller Luſtigkeit befitt Frau Hai—
zinger, ein Naturell von unverwüftlicher Yebensfraft.
Ih habe jie jchon als Student, ſchon vor vierzig Jahren, ge-
jehen. In Halle. Damals war fie jebsundzwanzig Jahre alt und
war eine blendende Schönheit. Sie fang in der Oper, fie jpielte
im Trauer, Schau- und Yuftipiele, wie dies in ökonomiſcher Zeit
und bei reich ausgejtatteter Begabung Sitte war. Man wird jetst
lächeln, wenn ih jage: Maria Stuart war die erite Rolle, welche
ich die gefeierte Frau Amalie Neumann-Haizinger habe jpielen jehen.
In einer verlafjenen Kirche — ich kann nicht dafür, das rationaliftiiche
Halle mag es verantworten — war das Theater aufgejchlagen, und
Bruder Studio ftrömte in hellen Haufen auch zur Probe hinem und
machte der ſchönen ſüddeutſchen Blondine vie Cour. Es war mitten
im Sommer, und e$ barrichte große Hite. Geiftreich beflagten
wir darüber die junoniſche Königin von Schottland, und fie liſpelte
erwidernd: „Auch diefer Kelch wird vorübergehen!“ und blidte da—
bei mit jenem Lächeln, das ihr bis jekt treu geblieben ift, auf die
bärtigen Jünglinge, unter denen nicht ein Frack zu finden war.
Gebt Acht! — hieß es — die ift morgen im „Sprudelköpfchen“
noch patenter — dies war der damalige offtcielle Bea — als
beute in der Schiller'jchen Tragödie!
Die Luftipieldame wurde alfo gleich entdeckt, noch ehe fie ge—
jpielt hatte.
Amalie Moritadt, verehelichte Neumann und Haizinger, 1800
in Karlsruhe geboren, figurivte ſchon als Backfiſchchen auf
der Bühne und hat ihre ſchauſpieleriſche Ausbildung offenbar ganz
naturaliſtiſch und vorzugsweile aus eigenen Kräften gewonnen.
Am kleinen Hoftheater in Karlsruhe ſich entwidelnd, tft jie von
eigentlicher Theaterfchule unberührt aeblieben. Ein wenig zu ihrem
Nachtheile, aber auch fehr zu ihrem Frommen. Zum Nachtheile
darin, daß fie fich die Kunjt des Sprechens nur durch Praxis hat
aneignen müſſen. Aus ihrem guten Organe wäre noch viel mehr
Das Burgtheater. 443
zu machen gewejen, wenn man jie zeitig darauf aufmerffam gemacht
hätte, daß der Ton von Innen nach Außen gebildet werden müſſe,
nicht von Außen nach Innen. Zu ihrem Frommen aber darin, daß
fie von jever Manierirtheit frei geblieben ift.
Cie hat frühzeitig in Gaftjpielen ihr großes Talent geübt und
namentlich in Berlin mit großem Glüde gefpielt. Dort fteht fie
auch noch heute im beiten Angevenfen; das frifche, herzhafte, ſüd—
deutſche Wefen, ver alemannifche, ſchwäbiſch angehauchte Ton voll
freier Natürlichkeit ift ven dortigen Norddeutschen ein unvergeplicher
Zauber gewefen.
As Mitglied ift fie erſt 1845 ins Burgtheater getreten, und
fie wurde hier in den erjten Jahren unter der Regieherrichaft nicht
fonderlich gefördert. Sie geht aus dem Nahmen hinaus! fagte
man, indem man ihr fröhlich natürliches Gebahren zum VBorwande
nahm, und ihre unnachahmlichen jauchzenden Töne, wenn eine Iujtige
Kataftrophe eintritt. Der wahre Grund lag aber in dem jtillen
Geſtändniſſe: fie zieht vie Aufmerkfamfeit zu jehr auf fich und zieht
fie ab von „unſeren“ fomifchen Alten; fie nimmt ferner Rollen in
Anſpruch, welche wir brauchen.
Ein Körnchen Wahrheit lag übrigens in jenem Vorwurfe vom
„Rahmen“. Sie läßt jich gehen, wie es ihre Yebensfülle mit fich
bringt; fie ift nicht ängſtlich mit Stichworten und überfpringt fie
zuverjichtlich, fie hat endlich — und das ift oft jehr komiſch — feiner-
lei Sorge um Localfinn und geht vergnügt durch die Wände ab,
jtatt durch die Thür. Das ift aber auch Alles. Dies Körnchen
Wahrheit geht unter in dem VBorzuge der Frau Haizinger, welcher
gerade hiebei berührt wird. Ihr Grundvorzug bejteht nämlich
darin, daß fie fich bis in ihr Alter die frifchefte Natürlichkeit bewahrt
hat, daß fie immer unmittelbar lebendig erjcheint, niemals abge-
dämpft durch irgend eine abjtracte Schaufpielerformel. Und ihre
Natürlichkeit, ihre Lebendigkeit find zündend ; die Yebensfraft, welche
von ihr ausjtrömt, iſt echt, iſt unverfälfchtes Quellwaſſer. Sie tft
444 Das Burgtheater.
vielleicht nicht jo jehr humoriftifch als fröhlih. Der Zuhörer fühlt
jich belebt und erfrifcht, er vergißt den Fünftlichen Begriff eines
Theaters, er ruft ihr zu, er jauchzt mit ihr, wenn fie jauchzt. Und
fie thut das oft. Darin ift fie dem verjtorbenen Wilhelmt nahe
verwandt, Der erwedende Yuftzug des wahren Talentes tritt mit
ihr auf die Scene und verbreitet fich im ganzen Haufe. Ach, diefe
Kraft eines ſtarken Naturells wird leider immer feltener auf dem
Theater! It denn wirklich die Begabung fo ausgeftorben? Dover
wird fie geknickt durch lauter Bildung?
Es iſt wahr, diefe Art von Schaufpielern iſt durchſchnittlich
nur begabt, jie belaftet und zerfplittert fich ven Sinn nicht durch
Studien, fie macht fich nicht viel Gedanfen außerhalb ihres Derufs.
Frau Amalie widmet ihre Mußezeit mit glücklichem Inſtincte dem
„Fabuliren“, wie die Frau Rath, Goethes Meutter, gethan. Sie
intereffirt fich für alle Vorgänge, fie Lieft alle Gattungen von Ro—
manen. Die Fabel ift ja der ewige Neiz des Künftlerlebens ; wer
ſich ihr Hingeben fannn unbefangen und ganz, der erhält fich den Zauber
der Darftellung. An alles Mögliche glauben, mitunter auch an
das Unmögliche, das gehört zum Odem eines Künftlers, welcher
einen zuverfichtlichen Eindruck machen will durch feine Darjtellung,
durch feine Täuſchung. Er foll uns ja täufchen, und je weniger er
jelbjt an feiner Wahrhaftigfeit zweifelt, deſto beſſer täufcht er ung.
In diefer Zuverficht Liegt die Hauptmacht der Frau Haizinger,
und wenn dennoch ein Zweifel in ihr auffteigt, ob wohl die Dinge,
welche fie vorträgt, gar zu romanhaft feten, da lacht fie auf mit
jener abjoluten Ehrlichkeit und Ungebundenheit des Yachens, daR
alle Welt mitlachen muß. Wird dadurch auch manchmal die voman-
hafte Täuſchung zerftört, indem man daran erinnert wird, es ſei ja
doch Komödie, was man da vor fich habe, nım, fo läßt man fich
das auch gefallen, denn für anſteckende Fröhlichkeit ift Jedermann
danfbar.
Ein anderes wichtiges Mitglied des weiblichen Perjonals,
Das Burgtheater. 445
wecthvoll für ältere Charafterrollen im Converfationsjtüd und im
Luſtſpiele, kündigte mir gegen Ende des Jahres 1864 fein Aus:
ſcheiden an. Es war Frau Fichtner. Ich Hatte fie in ihrer
Jugendzeit wenig oder gar nicht gejehen, aber ich glaube volljtändig
der vielfachen DBerficherung, daß fie eine interejlante Luſtſpiel—
Liebhaberin gewejen mit ihrem klaren Berftande und ihrer ficheren
fünftlerifchen Haltung. Ich weiß nicht genau, war fie die Braut
oder war fie die junge Frau Fichtner’s, als ich 1833 zum erſten—
male im Burgtheater war und dies blonde Paar zum erjtenmale
jah, ein Baar, fo friſch und vofig wie der junge Mai. Im Publicum
börte ich lauter wohlwollende Bemerkungen über das intime Ver:
hältniß diefer beiden jungen Yeute, die Heirath des Fräulein
Koberwein und Fichtners war das allgemeine Gejpräch im Par-
terre. Zum erjtenmale trat e8 mir damals nahe, wie familien-
haft Publicum und Schaufpieler im Burgtheater zu einander
gehörten.
Die Vorzüge der ſpäteren Frau Fichtner waren unjcheinbar.
Ich muß mir ſelbſt vorwerfen, daß ich fie nur langjam bemerft
habe in ihrer ganzen Bedeutung. Sie waren folid und werthvoll.
Klar vorbereitet über das ganze Stüd und über ihre Aufgabe in
demfelben kam die Dame auf die Probe; mit feſten Strichen legte
jie ihre Rolle an und führte jie diefelbe durch. Als ich darüber
aufgeklärt war, ging ich an die Erweiterung ihres älteren Faches,
in welches fie noch faum eingeführt war, und gab ihr die Herzogin-
Mutter im „Geheimen Agenten‘. Das war ein großer Gewinn.
Ein wenig vorfichtig ging fie daran, weil jie von den ftrengen
Eonvenienzregeln des Burgtheaters fait gar zu ſehr durchdrungen
und dadurch geradezu beengt war. Sie fürchtete bei jedem leb—
haften Schritte die hergebrachte Linie zu überfchreiten; war der
Schritt aber einmal fejtgeitellt auf der Probe, dann that fie ihn
zuverfichtlih und tüchtig. Die ganze Leijtung jener Herzogin:
Mutter wurde eine treffliche und it nie überholt worden, Cine
446 Das Burgtheater.
Darjtellerin älterer Damen mit bejtimmten Anfichten, mit eigenem
Charakter, ja mit eigenfinniger Dartnäcigfeit, mit fchlagfertiger
Aeußerung, mit wirffamen jarfaftiichen Tone jtand fertig da, wie
fie in jo jcharfer Nuancirung und mit dergeftalt ſolider Zuverläſſig—
feit jelten in viefem Nollenfache zu finden ift. Leider wurde jie
bald durch Kränklichkeit jedem anjtrengenden Dienjte entzogen. Und
der volle Theaterdienft nimmt viel mehr die phyſiſchen Kräfte in
Anſpruch, als die Zufchauer ahnen. So entwich uns diefe haraf-
terijtifche Kraft nur zu bald. Ich erwähne dabei nicht einmal der
bejonderen Nervenſchwäche, welcher Frau Fichtner unterworfen
war. Donnerwetter und Schießen fonnte fie niemals vertragen,
jie war alſo von allen Stücken ausgefchloffen, in denen es donnert
und fuallt. Immer fteigendes Nervenleiden verurfachte es, daR
fie noch bei guten Jahren ven Penſionsſtand ſuchte. Und ad,
dabei vernahm ich zum erjtenmale in bejtimmter Form, daß auch
ihr Mann, daß auch Karl Fichtner zuriüctreten wollte. Cr hatte
es oft angedeutet, indem er auf fein verfagendes Gehör und Ge
dächtniß klagend hinwies jetzt wurde es alſo ſchwerwiegender
Ernſt.
Der Abgang Fichtner's war der größte Verluſt, welchen das
Burgtheater erleiden konnte. Er war ein Mittelpunkt der Kunſt,
ein Mittelpunkt der Liebe im Burgtheater.
Solch ein Verluſt ijt nicht zu erſetzen. Ein voller Erfaß iſt
freilich bei feiner ausgebildeten Künftlerperfönlichfeit möglich. Sie
fommt nicht wieder, denn fie iſt das Ergebniß eigener Anlagen,
eigener Studien, eigener Erfahrungen. Das Alles gehört
einem Menſchen. Verſchwindet dieſer Menſch, dann tft es eine
Täuſchung der hoffnungsbedürftigen Mitlebenden, er werde erjetst
werden. Sein Fach wird wieder befegt, vielleicht auch gut wieder
beſetzt; aber er ſelbſt verſchwindet, nım die Erinnerung an ihn
bleibt, und dieſe kann als Beiſpiel fortwirfen. Der Neue, welcher
an feine Stelle tritt, ſei er auch vortrefflich, ijt ein Anderer.
Das Burgtheater. 447
Und gerade Fichtner war ein Typus dejien, was jhön und
lied am Wejen des Burgtheaters, ein Urbild des anmuthigen
Schaufpielers, welcher milde Schönheit, liebenswürdige Menſch—
lichkeit darftellt innerhalb bejtimmter Grenzen.
Diefe Grenzichranfen waren für ihn aufgerichtet zwifchen aus—
gelafjenem Luftjpiele und höherem Trauerjpiele, Alles, was inner
halb dieſer Schranfen liegt, fand in Fichtner einen vollendeten
Schanjpieler.
- Und er war jo ganz ein Burgjchaufpieler, weil er feine ganze
Entwicklung langjam und allmälig durchgemacht hatte unter all den
Einflüffen, welche dem Burgtheater eigenthümlich find, — Vom
Theater an der Wien war er herübergefommen, ein jchmächtiger
junger Menjch ohne Halt und Feftigfeit, welchem der vorlaute
Spott noch öfters nahetrat. Yangjam und allmälig hatte fich jein
Talent entwidelt, aber jtetig, vegelmäßig, gleichmäßig in allen
Theilen jeiner Fähigkeit. Und deßhalb harmonisch. Alles an ihm
war Talent; der Geift und die Yeidenjchaft oroneten fich bereit-
willig unter, und da die innerjte Natur von Haufe aus rein und
gut gewejen, in aller Folge vein und gut verblieben war, da die
förperlihe Erjcheinung endlich von jeltenem Ebenmaße, durchweg
von den Örazien begünjtigt war, jo erwuchs in ihm eine fünftlerijche
Perfönlichfeit ohnegleichen.
Man hat wohl gefragt, ob jeine geiftige Kraft eben fo groß
gewejen ei, wie die feines Talentes? Die Frage ift da faſt müßig,
wo uns volle Harmonie im Kunſtwerke entgegentritt. Sie tft erit
berechtigt, wenn es fich um die Größe des Kumjtwerfes handelt, und
Fichtner entjagte nur zu gern Aufgaben, welche ihm über jeine
Begabung hinaus zu liegen jchienen. Er war ganz Künjtler, Im
einem jolchen find alle Theile ver Begabung, namentlich Geiſt und
Talent, unfcheinbar wie untrennbar verbunden; der Geift ijt ein-
verleibt, das Talent iſt vergeiltigt. Fichtner ijt, um es recht einfach
auszudrüden, ein verjtändiger Mann, welcher bei der vorliegenden
448 Das Burgtbeater.
Aufgabe immer jehr gut wußte, was der Geiſt derſelben beveutete
und forderte.
Als praftiiher Nachweis für diefe Frage um den Geift mag
Folgendes dienen: Wenn Zweifel herrichten über die Wirfungs-
fähigfeit eines neuen Stüdes oder auch eines neuen Menſchen, da
wendete ich mich am Liebjten an die Männer des Talentes, wie
Fichtner, mit einer Anfrage. Was die Leute von bios geiftiger
Bildung zu jagen hatten, das genügte mir jelten; ich hatte das
Bedürfniß nach einem Urtheile, welches aus einem ganzen, aus
einem fFünjtleriichen Menfchen heraustritt. Und das bat ſich mir
immer bewährt. Solche Menfchen zeichnen ſich allerdings nicht
aus durch geläufiges Reden über Theorien ; ihre geijtige Kraft iſt
eben tief verwachjen mit ihrem Talente, und gerade darum ift ihr
Talent jo mächtig, und gerade darum find die theoretischen Redner
gewöhnlich jo schlechte Muſikanten, weil fie nur geiftreich über das
Spiel zu ſprechen, im Spiele jelbjt aber den Geift nicht einzuver-
leiben wiſſen. Ginverleibt ijt ver Geijt eben nur beim wahren
Künftler. Und ein ſolcher war Fichtner.
Wenn ich ſelbſt diefe oder jene Leiſtung Fichtner's niedriger
jtelle, weil mir ver Geiſt in derjelben nicht ſcharf und leuchtend
genug wiedergegeben erjcheint, jo iſt dies eine Abftufung, welcher
jedes Talent, auch das größte, ausgeſetzt iſt. Jedes Talent hat
jeine ftärferen und jchwächeren Seiten, und im Fichtner’fchen
Talente jtand der rein geiftige Nachdruck nicht jo hoch, als der
herzliche, der liebenswürdige und der heitere Nachdruck. Deßhalb
entbehrte er des geiltigen Nachdrudes feineswegs.
Das ift aber Alles Splitterrichterei, wenn man Fichtner
ſchildern will, Man ftelle fich ihn vor als Naturburſchen, als
jungen Liebhaber, als luſtigen Yiebhaber, als ehrlichen, herzlich
tüchtigen Ehemann, als gepeinigten und in jeiner Bein fein fomijchen
Ehemann, als unbefimmerten, fröhlichen Yebemann, als edlen
Dulder, welchem das Herz bricht, aber nicht das Wohlwollen für
Das Burgtheater. 449
die Menjchen, als Mann von warmer Begeifterung, als fomifchen
Pedanten, als entrüfteten Verfechter der Wahrheit — wie lange
fönnte ih aufzählen! Und nun vergegenwärtige man fich dieſe
Ihöne Gejtalt von Mittelgröße, diejes evel gefchnittene Antlitz mit
guten oder mit lachenden Augen, dies milde, nach allen Richtungen
hin ausgiebige Organ, dieſe Grazie in allen Bewegungen, auch in
den ausgelafjenjten, dieſe wohlgebilvete, jo bereptjame Hand, und
all dieje Eigenschaften immer in wohlthuender Bewegung durch ein
Temperament, welches jeder Regung gejchmeidig angepaßt und hin-
gegeben war, dem jchnurrigen Naturburfchen wie dem gemüthlichen
Freunde, dem tüchtigen wie dem fomifchen Chemanne, dem luftigen
Lebemanne wie dem janften Dulver, dem begeijterten Enthufiajten
wie dem bornirten Kauze — das war ein Schauspieler, wird man
rufen, wie er der Kunſt nur in glücklichſter Stunde gefchenft werden
fonnte, „So mifchten fich die Elemente in ihm“, daß Alles an ihm
zur Anmuth und zur Wohlthat wurde,
Als er ſchied und die Ovationen ihn überjchütteten und man
ringsum hörte: Alles, was Fichtner gejpielt, hat er ſchön gejpielt
— da rief ein Neivhammel im höchiten Aerger: Und warum?
Weil er nie eine undanfbare Rolle gejpielt. Auch nicht die kleinſte
bon den Fleinen, die er übernommen, war undanfbar!
Der Mann hatte Necht, aber gegen jeine Abficht. Alle Rollen
wurden in Fichtners Händen danfbar. Sie waren in feine Yiebens-
würdigfeit getaucht, fie waren belebt durch feinen Künftleriinn.
Und bier fieht man's, was Künjtlerfinn bedeutet und bedeuten
ſoll: was er angreift, ſoll ev weihen und erheben. Die Kunjt
iſt eine Yäuterung. Das Schlimme macht fie deßhalb nicht gut;
jie macht es bedeutend, fie zeigt es als treffenden Schatten einer
lichten Sonne.
Fichtner hatte auch eine Flare Empfindung darüber, daß er
in der Wahl der Rollen eine gewiffe Grenzlinie nicht überjchreiten
Zaube, Burgtheater. 29
450 Das Burgtheater.
dürfe. Eine volle Schattenrolle war nicht für ihn, er hatte zu
viel Sonne.
In Betreff diefes Punktes war ich zuweilen anderer Meinung
als er. Es war herkömmlich, daß jede abjonderlihe Nolle, für
welche fein Vertreter irgend eines Faces paſſen wollte, an Fichtner
getwiefen wurde. Neben feinem großen Face jeglicher Liebens-
würdigfeit wurde noch feine reiche Gejtaltungsfähigfeit in Anſpruch
genommen. Man wuhte, daß eine unberechenbare Figur unter
jeinen glücflichen Händen immerhin intereffant werden und jeden-
falls die Wivderwärtigfeit verlieren würde. Da verneinte er num
manchmal, was ihm angejonnen wurde, Zum Beifpiele den Hof-
marichall Kalb. Ich bin nicht ganz im Neinen, ob da eine Fleine
Schwäche ver Eitelfeit mitipielte — von welcher er ſonſt gänzlich
frei war — oder ob e8 tiefer fünftlerifcher Injtinct war, den man
durchaus refpectiren muß. Ich neige zu vem Glauben, daß er
noch viel mehr gefonnt hätte, als er ſich zutraute, wenn er frühzeitig
auch mitunter an herbe Charafteriftif gebracht worden wäre.
So wie er geworden war unter den Aufgaben eines Neper-
toives, welches bis 1848 beichränft und namentlich in enge Bürger:
fichfeit eingeengt wurde, war der große Umfang feines Talentes
durch folgende Endpunfte begrenzt: im ernjten Drama durch die
ideale Tragödie, im Yuftipiele durch Nichts. Das ältere Wiener
Publicum wird mir Unrecht geben, wenn ich in der idealen Tra—
gödie eine Begrenzung für ihn finde; es war auch da in Allent
erbaut von ihm. Und er hatte auch in der ivealen Tragödie treff-
liche Rollen. Ich nehme nur diejenigen Rollen aus, welche rein
idealen Schwung des poetiichen Gedanfens erheifchen. Dieſen
idealen Schwung verwandelte er in einen herzlichen. Es war ein
Schwung des Gemüthes, nicht auch des Geiftes. Er fpielte in den
eriten Fünfziger Jahren aus Gefälligfeit noch einmal den Don
Carlos, und dies war ein Don Carlos früherer Zeit. Nicht wegen
Mangels an jugendlichem Ausjehen und Weſen — dies blieb ihm
Das Burgtheater. 451
ja treu wie einem Halbgotte bis zu jeinem Abgange — jondern
wegen Mangels an Idealismus.
Diefer geijtige Hauch, welcher über alle Bedingungen des
realen Yebens hinausweht, war ihm faum erreichbar, Und ein
geiftiges Etwas, welches jchonungslos über die Gonvenienzen des
gefellichaftlichen Yebens hinwegipringt, verjagte ihm auch bei Con—
verjations-Nollen, jobald fie dies unverichämte Etwas abſolut
brauchten. Zum Beijpiele beim Marquis v. Auberive in der
„Deffentlichen Meinung‘. Das Publicum übrigens war auch da
nicht von meinen Anjprüchen, es war von der allerdings blendenden
Erſcheinung des alten Marquis jo befriedigt, daß es die unzureichend
geichärften Worte dankbar hinnahm
Nach der heiteren Seite gab es feine Grenze für ihn, als
die des Gejchmades. Sein wohlthuender Humor war unerjchöpf-
(ih. Gr fonnte jo fröhlich und fo komiſch jein, wie es fein Tact
nur zuließ.
Das Mafhalten war fein clafjiicher —— und durch ihn
adelte er die ausgelaſſenſte Rolle.
Solch ein außerordentliches Talent zu verlieren — außer—
ordentlich durch die ihm innewohnende Liebenswürdigkeit —, war
ein unbeſchreiblicher Berkuft für das Burgtheater. Er trat zurück,
weil er müde war nach‘ vierzigjähriger Thätigfeit, weil ihm trotz
größten Fleißes das erfchöpfte Gedächtnig unüberwindliche Schwie-
rigfeiten machte. Wie oft fam er auf die Probe, fertig wie immer
mit der ganzen Anlage der Rolle, fertig auch mit Einlernung der
Worte, und nım beim Eintritt in das Getümmel des Stüces blieben
ihm doch die Worte aus, und das Blut ftieg ihm zu Kopfe, und
der Mißmuth über ſein Unvermögen brach aus. Geholfen aber
konnte ihm nicht werden, der Souffleur war für ihn nicht vorhanden,
ſchon darum nicht, weil ein Ohr für immer ſchwerhörig geworden
und der Blutandrang ihm nun auch den Gebrauch des anderen
29*
452 Das Burgtheater.
befchränfte. Dann vief er wohl verzweiflungsvoll aus: Meine
Zeit iſt um!
Er hat fie redlich benützt. Das Wiener Publicum, das Burg:
theater, das deutſche Theater iſt ihm zu jtetem Danke verpflichtet ;
er hat feine Zeit beglüden, ev bat feine Kunft fördern helfen als
einer der Erjten in feiner menfchlichen Einfachheit, in feiner fünjtle-
rischen Tüchtigfeit — möge ihm die Muße den Yebensabend freund-
lich vergolden!
XXXVIL
Gegen Enve dieſes Jahres 1865 verließ uns auch der Neftor
unferes Schaufpiels — Heinrich Anfhüt ſank in’s Grab. Hoc
betagt, veich an Ehren, tief betrauert.
Seit 1821, alfo vierundvierzig Jahre, hatte er dies Haus am
Michaelerplage tragen helfen, eine funftreiche, unerjchütterliche
Granitſäule. Wirklich war er das granitene Fundament des höheren
Schaufpiels gewefen für umd für. An Widerfachern hatte es auch
ihm nicht gefehlt, denn „die ſchlecht'ſten Früchte find es nicht, woran
die Wespen nagen“. Namentlich in den Bierziger Jahren war er
durch den befannten Spott und Hohn Saphiv’s verfolgt und als
Patron der Hausmeifter carifirt worden, weil er durch feine breite,
langſame Sprechweife dafür forge, daß die Theaterabende erſt nach
sehn Uhr zu Ende gingen und den Hausmeiftern dadurch die Sperr—
frenzer der heimfehrenvden Theatergänger gefichert würden, Anſchütz
jelbft hat mir mehrmals mit überlegener Ruhe erzählt: „Der
garitige Mann ſaß öfters ganz vorn auf einem Sperrfite, die Uhr
in der Hand, und zeigte die Uhr rechts und links, um nachzumweifen,
wie viel Zeit ich ungebührlich in Anfpruch nähme, Ich mußte es
jehen und ſah es; aber es hat mich nicht irregemacht“.
In der That hatte Anſchütz während der BVierziger Jahre
weniger Gelegenheit, hervorzutreten, als ev während der folgenden
Jahre unter meiner Direction gehabt hat, und man fchilverte mir
ihn 1849, da ich eintrat, als einen Greis, der fehr nachgelaffen
454 Das Burgtbeater.
habe in Kraft und Friſche. Sch theilte dieſe Anficht gar nicht, ob-
wohl ich über ven Kern feiner Wirffamfeit ganz andere Gejichts-
punfte hatte, als feine Verehrer mir einräumten, und er ift von mir
in feinen alten Tagen die fünfzehn Jahre lang ungemein und nach:
drüdlich in Anfpruch genommen worden. Gr hat fehr viel gejpielt,
mehr als in den vorhergehenden fünfzehn Jahren, und er hat Stand
gehalten wie ein Jüngling.
Es gehört zu den abgeſchmackten Halbwahrheiten, daß ich die
verdienten älteren Mitglieder zurücgejett hätte. Solcher Thorbeit
habe ich mich nicht ſchuldig gemacht, vorhandene außerordentliche
Kräfte nicht zu benügen. Ich habe fie im Gegentheile jtärfer be-
nützt, als die mir vorausgehende Direction gethban. Nur habe ich
fie vielfach anders benütt, als die Berehrer um jeden Preis ges
wünſcht, ich habe fie bejchäftigt im Zufammenhange und Einflange
mit unferer Zeit, im Zufammenhange und Einflange mit ihren ge-
alterten Fähigkeiten. Zum nachwachjenden Perjonale und zu neuen
Aufgaben mußten fie in ein neues Verhältniß treten. Das verfennt
der oberflächliche Zufchauer Leicht, defjen Glaubensbefenntniß vie
bloße Gewohnheit. Man verderbt, ja man vernichtet alte bewährte
Kräfte am ficherften dadurch, daß man fie in hergebrachter Breite
wirfen und ihnen auch alle die Aufgaben läßt, für welche frijche
Kräfte nöthig geworden find; man zerbrödelt fie, wenn man fie nicht
veranlaßt, neue Schöpfungen zu verfuchen, welche dem älteren
Standpunkte ihrer Kräfte angemefjen find. Letzteres erfrijcht fie
am meijten, und das ift mir bei Anfhüt und Fichtner oft in über:
rajchender Weife gelungen. Fichtner zum Beifpiele hat mich in
diefen fünfzehn Jahren um Nichts jo oft gebeten als darum, ihn —
doch etwas weniger in Anspruch zu nehmen. Seweilige Berjtim-
mung diefer älteren Mitglieder ift vorzugsweife aus der Geldfrage
entjtanden, auf welche ih nur einen ganz befchränften Einfluß hatte.
Ihre Gehalte jtammten aus wohlfeilerer Zeit, und es war natürlich,
daß ihnen die hohe Gage junger Mitglieder wie Ueberſchätzung er—
Das Burgtheater. 455
ſchien. Die Preije waren eben geftiegen. Eben jo natürlich war
es aber auch, daß die oberjte Direction bei voller Würdigung älterer
Mitglieder fich nicht beeilte, ven Gehalt da zu erhöhen, wo jie des
Befites ficher war. Der Etat geftattete es nicht, da man die neuen
Kräfte nicht wohlfeil haben konnte.
Anſchütz namentlich mußte einen Theil feines Faches aufgeben,
und das wirft nie erheiternd. Ich fand ihn noh im Befige aller
älteren Helden, da Yöwe ihn hierin nirgends erjegen gefonnt, weder
im Othello, noh im Macbeth, noch im Tell. Rollen aber,
welche eine noch grünende Männlichkeit verlangten, wie Thejeus in
der „Phädra“, der in Piebesfrage fteht mit feiner Gattin, paßten
durchaus nicht mehr für ihn. Dafür fam neu ver Erbförfter an
ihn, Mattathias in den „Makkabäern“ und eine große Anzahl ähn-
licher Rollen.
Worin bejtand nım das Charafteriftifche des Anſchütz'ſchen
Weſens? Er ftammte aus einem Bürgerhaufe, welches aus der
Lauſitz nach Leipzig libergefievelt war, Im ver Fleinbürgerlichen
Welt wurzelte feine Erziehung und in ver guten Schulbildung
ſächſiſchen Unterrichts feine wiljenichaftliche Grundlage; in der be—
geifterten Hingabe an poetifche Claſſiker aber erbaute fich feine ideale
Welt. Goethe und Schiller ſtanden in voller Blüthe, als er ein
junger Menſch war; Schiller's Tod erichredte die Welt, als An—
fhüß ein angehenver Jüngling war. Die von 1799 bis 1805 all-
jährlich erfcheinenden neuen Tragödien Schiller's von „Wallenſtein“
bis zum „Zell“ waren noch frifch und neu, als der Gymnafiaft
Heinrich Anſchütz an die Lectüre derjelben fam, und auch der an-
gehende Student wußte und fah den noch rüftigen Goethe in der
Nähe. Weimar war nur zwölf Meilen weit. Während des Som-
mers fam Goethe in's Bad Lauchſtädt, nur einige Meilen von Yeip-
zig, und da hinüber vitten die Yeipziger Gymnaſiaſten, pen großen
Dichter auf ver Promenade over im Theater zu jehen, wo jeine
weimar’fchen Künftler jpielten. Cs war fein Wunder, daß Neigung
456 Das Burgtheater.
zur Kunſt früh in Anſchütz erwachte, befonders Neigung zu Vortrag
und Declamation — er unterbrach die begonnene wiſſenſchaftliche
Laufbahn und ging zur Bühne.
Er brachte alſo dieſer Laufbahn eine wiſſenſchaftliche Grund—
lage zu und ein ideales Streben. In Nürnberg begann er, und
hoch im Norden, in der Provinz Preußen, verbrachte er ſeine Lehr—
zeit, wenn man bei ihm won Lehrzeit ſprechen darf. Er hatte früh—
zeitig etwas Gefettes und Neifes und fpielte auch in feiner Jugend
nicht das eigentliche Fach ver jugendlichen Liebhaber. Junge Hel-
den, gute Charaftere waren feine Anfänge, und die Ausbildung des
Bortrages iſt ein Ausgangspunkt für ihn gewejen.
Die weimar'ſche Schule hat ihm offenbar da vorgeſchwebt, der
erhöhte poetifche Vortrag nämlich, welcher von Goethe gepflegt und
eine Declamations- Schule geworden, ſpäter wohl auch in eine
Declamir-Schule ausgeartet ift.
Ich halte es für ſchwer nachweisbar, daß dieſe Schule von
Goethe jelbjt ausgegangen ſei; fie ift wohl nur unter feiner
Dberaufficht entjtanden. Obwohl er jo lange Director gewejen,
war er doch nie eigentlich ein Mann des Theaters. Man wird das
nie, wenn man nicht ſelbſt gründlich ein dramatiſches Naturell ift,
und das war Goethe nicht. Auf dem beften Wege zur dramatifchen
Form, im „Clavigo“, wo große Scenen und der ganze vierte Act
in echt dramatischer Form entjtanden, ließ er fih durch Merck ab-
ſchrecken, und er ift nie wieder in diefen dramatifchen Gang zurüd-
aefehrt. Er hatte in feinem umfajjenden Genius auch für dieſe
Form große Anlagen, aber jeine Hauptneigung lag da nicht. Er
hätte jich jonft gewiß nicht durch Merk's Spöttereien vom drama—
tiichen Wege abwenden laſſen.
Sp fam es, daß der unmittelbare Ton, der jtreng dramatifche
Ton ihm nicht im Vordergrunde jtand, als er das Theater leitete,
Der erhöhte Ton wurde Hauptjtreben. Die Anfnüpfung an die
alte Götterwelt war ja gäng und gäbe in der Poefie; das Alt
Das Burgtheater. 457
elaffische ver griehifchen Welt war geläufig wie eine Claviatur, fie
brachte von jelbft eine Steigerung des Tones mit ſich. Man jpricht
von Zeus Kronion nicht in gelaffener Neve, und man jchrieb feine
Proja. Der Vers war umerläßlih. Ihn getragen und ſchwung—
haft zu jprechen war Hauptaufgabe; den Rhythmus ſchön zu bes
tonen war ftetes Ziel — und fo entjtand wie ein poetifches Natur:
product die fogenannte weimar'ſche Schule, ein Gefchenf der clajji-
ſchen Stimmung viel mehr als das Product eines dramatifchen Direc—
tors, ein Geſchenk der Schönheit für uns, wie die unfterblichen Meifter-
werfe Goethe's und Schiller’s aus jener Zeit für uns waren und find.
Schiller felbft übrigens, obwohl in der parhetifchen Rede viel
hingebenver und klangvoller als Goethe, war auf dem Theater nicht
jo hingebend an die blos rhythmiſche Vortragsweile. Das ent-
nehme ich aus fleinen Notizen, welche aus einigen Theaterproben
auf ung gefommen find. Schiller hielt diefe Proben auf der weis
marichen Bühne und erwies fich bei diefer Gelegenheit abweichend von
der eingeführten weimar'ihen Art. Eben weil er im Innerjten viel
mehr Dramatifer war als Goethe, drang er auch beim Einftudiren viel
mehr auf dramatische Einfchnitte, auf Abjonderung in der Rede, auf
klare Ausicheidung des Bedeutenden, auf Unterbrechung der blos muſi—
faliichen Declamation. Ich glaube wohl, daß die weimar’iche Schule
eine jchärfere Phyſiognomie erhalten hätte, wenn ihm ein längeres
Leben bejchieden gewejen wäre.
Diefe Declamations-Schule nun verbreitete fich gerade durch die
überall mit Begeifterung aufgenommenen Schiller'fchen Stücke über
das deutſche Theater. Zur einiger Beunruhigung für Männer wie
Schröder und Iffland. Und diefe Beunruhigung hatte guten Grund.
Die natürliche Rede, die einfache Nede war bedroht. Man fann die
getragene rhythmiſche Rede pflegen, ohne die einfache Rede zu verlieren.
Iffland fürchtete diefen Verluft. Bekannt ift ja, wie er ſich über die
„Sungfrau von Orleans‘ äußerte. Der Krönungszug war ihm ein
Gräuel; er fprach darüber, wie wir jet über Opernprumf fprechen.
458 Das Burgtheater.
Pomp in der Rede, Pomp auf der Scene, das war dem damaligen Di-
rector des Berliner Hoftheaters eine ſchwere Gefahr. Diefe Gegenfäte
find weniger befannt geworden, weil die Schröder-Iffland'ſche Nich-
tung fich nicht fchriftitellerifch geäußert hat; die geiftig beveuten-
deren Schaufpieler jener Zeit aber wußten gar wohl davon, und die
Tradition diefes Zwiejpaltes war unter den Veteranen der deutjchen
Bühne noch vor zwanzig Sahren lebendig. Jetzt jtirbt fie aus; das
moderne Theater bewegt ſich in anderen Gegenjäßen.
Heinrich Anſchütz iſt auch darum wichtig geworden für bie
deutfche Bühne, weil er in beide Richtungen eingeführt wurde,
in die weimar’fche und in die Schröder - Ifrland’sche, weil er ein
fange lebender und wirfender Bertreter beider Richtungen ges
wefen ift. Iffland dirigivte noch in Berlin, als der junge Anſchütz
durchreifte, um nach Königsberg und Danzig zu gehen; die Schiller-
fchen Stücke waren die Feſtſtücke, die Iffland'ſchen die Werfeltags-
ſtücke des Nepertoires; der junge Schaufpieler mußte die jo ver:
fchievenartige Vortragsweife in fich zu vereinigen trachten, Das
hat Anſchütz zuwege gebracht, und dies befonders macht ihn zu einer
fo beveutungsvollen Figur in der Gefchichte des deutjchen Theaters.
Nach den franzöfiichen Kriegen finden wir ihn jahrelang am Bres-
lauer Theater, und dort hat fich diefe Aufgabe einer Vermittlung
zwifchen poetifcher und profaifcher VBortragsweife deutlich in ihm
bewerfitelligt. Als Repräfentant folcher Vermittlung fam er 1821
an's Burgtheater.
Hier hat er das bürgerliche Wefen feiner Herkunft und die
poetische Begeifterung feiner Jugend vwerwerthet, hier hat er für
beide Richtungen, für die Schröver - Iffland’fche und für die wei-
mar'ſche, wohlthuend gewirkt, indem er die profaifche Vortragsweife
an geeigneten Stellen bedeutender gemacht hat, als fie gemacht zu
werden pflegte, und indem er die poetifche Vortragsweiſe aus der
blos mufifalifchen Singweife dadurch erlöfte, daß er fie zum klaren
Ausdrucke des Sinnes nöthigte.
Das Burgtheater. 459
Anſchütz Hat fich ganz fern zu halten gewußt von der Ausartung
der weimar'ſchen Schule, welche jo viel Verſchwommenheit in die
Theateriprache gebracht, den Sinn verwifcht und das hohle Trage:
riven verschuldet: hat. Er wurde ein notabler Declamator, aber
ein guter. Er trachtete nach Weihe und Schwung, aber nur auf
dem Wege des Sinnvollen; er erflärte den Gedanken mit logifcher
Sicherheit, er gruppirte die Nede mit ordnendem Berjtande und
warf den jtarfen Hauch des Schwunges nur dahin, wohin er gehörte.
Bierzig Jahre lang galt er für die Hauptjtüge dev Tragödie
im Burgtheater. Und er war es auch. Er war der Träger des
Wortes, des beveutungswollen Wortes, er war der Träger des
Ernftes und der Gewifjenhaftigfeit, ver Gewijjenhaftigfeit fir Sinn
und Geift des erniten Stüdes. Er ließ nie mit fich marften über
Würde und Wichtigfeit des Theaters, des Schaufpielers umd der
Ichaufpieleriichen Aufgabe. Sie war ihm heilig. Der folide Sinn
bürgerlicher Erziehung, die Grundlage wiſſenſchaftlicher Bildung
blieben ihm treu fein Yebenlang.
Er war ebenjo, als ein Erbe der Schröder - Iffland’ichen
Charafteriftif, eine Hauptftüge des bürgerlichen Schaufpieles. Seine
Väter waren gediegene Bürger. Crhoben fie jih, wie im letten
Acte von „Cabale und Liebe’, bis zur Frage um Leben und Tor,
fo waren fie geradezu vortrefflich. — In den großen Figuren der
Tragödie war er einigermaßen beeinträchtigt durch fein Aeußeres,
weil ihm die imponirende Ericheinung verfagt war. Cr war von
kräftiger Mittelgröße, aber Hand, Bein und Hals fahen fürzer aus,
als die Schönheitslinie verlangt.
Durch reiflih ausgebildete Haltung bejiegte er wohl ſolchen
Mangel an Schönheit der Geftalt, aber es blieb immerhin ein
Mangel für ven Eindrud der Größe, welchen man für folche
Kollen verlangt. Im bürgerlichen Schaufpiele dagegen jtellt
man fein jolches ideales Verlangen an das Aeußere des Schau—
jpielers, und da traten all feine Vorzüge in volles Licht: ein aus:
460 Das Burgtbeater.
drucksvoller Kopf, ein ſonores Organ, eine flare, nachdrucksvolle Rede,
ein warmes Herz, ein ehrliches Gemüth, eine begeifterte Hingebung an
edle Zwecke. Vielleicht that er mitunter zu vwiel in technifcher Aus—
führung der gemüthlichen Scenen, das heißt: er verriet zu deut-
(ich, daß es eine technifche Ausbildung und Ausführung war. Er
nahm zur viel Zeit dafür in Anfpruch , er breitete fich zu fichtlich aus
in Gemüthlichfeit und Rührung und ftreifte dadurch an Manier, in
jofern Manier ein zu ausgefahrenes Geleife ift. Aber das war
doc immer nur ein Fehler von Momenten, Seine ganze Yeiftung
verirrte fich nicht leicht, jondern fand immer auch aus folchen Mo-
menten heraus den fejten Schritt in den Gang hinein, welchen die
Rolle erbeifchte.
Endlich Hatte er auch noch in feiner tüchtigen, ferngefunden
Natur eine jtarfe Begabung für's Luftfpiel. Cr fonnte von der an—
genehmjten Heiterfeit fein, er beſaß den Kitzel eines Humors, welcher
die fröhliche Negung wect im Zuhörer und welcher den Gegenjag
luſtig aufftachelt zwifchen Bildung und Naturtrieb, Er lachte franf
und frei aus vollem Halfe, er war im Stande, ganze Rollen wirf-
jam zu fpielen, deren Grimdcharafter in vollem Lachen bejteht, im
Lachen ohne Veranlaſſung, zum Beifpiele den Bauer Wählig in
„Karl der Zwölfte auf Rügen”.
Welch ein Umfang fchaufpielerifcher Fähigkeit! Was für ein
Schaf für das Theater mußte ein folher Mann fein! Und das
war er auch. Selbſt hohes Alter ſchwächte feine Kraft kaum merk
lich. Als ihm in den letten Jahren zum erjtenmale das Gedächtniß
verfagte, nur für ven Augenblid und nur für ein Wort verfagte, da
war er außer fich, der gewilfenhafte, immer gründlich worbereitete
alte Herr, welcher im Gegenfage zu den fogenannten Genies immer
Herr feiner Rolle war bis auf den legten Buchſtaben, ein getreuer
Künſtler in feinem Berufe.
Er jpielte auch ſtandhaft bis zu dem Tage, wo die Kraft der
Füße plößlich zu verfagen anfing und er fich niederlegen mußte,
Das Burgtheater. 461
Seine Zeit war um, und das Ende trat an fein Haupt und Herz.
Wir begruben in ihm beim Jahreswechjel von 1865 zu 1866 ven
würdigen Vertreter eines breiten Abjchnittes von deutſcher Theater:
gefchichte, eines Bindegliedes zwijchen alter und neuer Zeit; wir
begruben in ihm einen fernhaften Ehrenmann, einen Künjtler von
echtem Schrot und Korn.
Dieje beiden Veteranen, welche zu Anfang und zu Ende des
Sahres 1865 ausjchieven, Fichtner und Anſchütz, waren nicht nur
die erſten Kräfte, fie waren auch die beten Mitglieder. Pflicht
getreu im ftrengften Sinne des Wortes, bejcheiden bei größten
Leiftungen, bereit zu jeder Anftrengung, wenn dasWohl des Ganzen
in Nede kam, furz in Allem hingebend an die guten Traditionen des
Inſtituts.
Solche Hingebung an das geſchichtliche Leben einer Corpora—
tion iſt faſt immer verbunden mit dem redlichen Triebe nach
Schöpfung. Productive Menſchen ſind immer hingebende Kame—
raden, bereitwillige Opferer. Selbſtſucht und Eigennutz ſind ihnen
fremd; ſie ſind des Enthuſiasmus fähig, weil ſie warme Künſtler
ſind, und ſie ſind eben Künſtler, weil ſie ſich enthuſiasmiren können
für Gutes, Tüchtiges und Schönes.
Das alte Burgtheater verlor in dieſen beiden Männern ſeine
edelſten Träger.
Das wurde nur zu bald deutlich; denn ein Unglück kommt
ſelten allein — von dieſem Jahre an datirt ein Zerbröckeln alter
traditioneller Principien unſeres Inſtitutes.
Der langjährige oberſte Director, Graf Lanckoronski, welcher
ſich feiner befonveren Popularität erfreut hatte, war doch in diefen
traditionellen Prineipien eifenfejt gewejen und hatte dadurch dem
Inftitute ungemein genüßt. Er gejtattete feinerlei perfönliche Be—
günjtigung und Bevorzugung, er hielt das Geſetz aufrecht für Hoch
und Niedrig, das Burgtheater war ein Fleiner Staat von unwan—
delbarer Ordnung.
462 Das Burgtheater.
Der neue Chef, Fürſt Bincenz Auersperg, war ein guter, über:
aus liebenswürdiger Mann. Der perfönliche Verkehr mit ihm war
für uns Alle ein Vergnügen durch die wohlthuende Yeutjeligfeit,
welche ihm, wie ver Mehrzahl öfterreichifcher Cavaliere, in hohem
Grade eigen war.
Aber feine Herzensgüte machte ihn zugänglich für alle Ein-
flüffe. Das Geſetz trat in den Hintergrumd, die Gunft in den
Vordergrund. Dies tft nirgends fo gefährlich wie im Schaufpieler-
itaate. Der Schaufpieler ift mehr als irgend ein Künftler auf die
Gunſt des Tages angewiejen, denn feine Leistung bleibt nicht bejtehen
wie die des Malers, Bildhauers, Dichters; fie ift der bloßen Er—
innerung überantwortet. Schaufpieler, welche nicht um Gunſt
buhlen, find doppelt würdige Charaftere. Es fehlte uns jedoch nicht
an folchen, welche auf diefe Würde feinen Anjpruch machten, ſon—
dern auf Koſten des Ganzen ihren Bortheil fuchten. Sie fanden
(eider jest Gehör. So wurden unfere traditionellen Geſetze durch:
(öchert, es wırden befonvdere Urlaube bewilligt, e8 wurden Mono—
pole auf Rollen zugeftanden, ja e8 wurde Einzelnen jogar einge:
räumt, Stüce zu beftimmen, welche nur für fie einftudirt und in
Scene geſetzt werden follten, lauter Dinge, die bis dahin unerhört
gewefen am Burgtheater.
Sch hatte nicht die geringite Luft, an jolcher Auflöfung einer
guten Ordnung theilzunehmen, und bat um meine Entlaffung.
Die Negierungsform mit einer oberjten Direction und einer
untergeordneten artiftiichen Divection tft meines Erachtens eine gute,
Jene herrſcht, diefe regiert. Letztere regiert in bejtimmt formulirtem
Kreife innerhalb ihrer artiftifchen VBollmachten. Dies halte ich für
befjer als das Syſtem der fogenannten Intendanzen bei den deut—
ſchen Hoftheatern, weil diefe Intendanzen fich die Einmifchung in
Alles vorbehalten, auch in das rein Artiftifche. Letzteres ijt aber
ein Fachberuf, welcher gewiffe Kenntniffe, Fähigfeiten und Fertige
feiten im fich ſchließt. Sich in den Fachberuf einmifchen ohne vie
Das Burgtheater. 465
nothwendigen Kenntniffe, heißt den Dilettantismus in der Kunſt
zum Herren machen und den Mißerfolg heraufbejchwören. Denn
abgefehen von verfälichten Maßregeln, tritt dieſer Mißerfolg ſchon
da immer ein, „wo Zwei regieren”, wie Shafejpeare nachdrüclich
jagt im „Coriolanus“.
Die Entlafjung wurde mir damals noch nicht bewilligt, und
die in der That verföhnliche und liebenswürdige Natur meines Chefs
veranlaßte mich, ein Compromiß einzugehen, welches mir nur die
wirklich unerläßlichen Befugniffe ließ. Ich arbeitete nach Kräften
weiter, aber eigentlich war ich von da an verjtimmt, denn der Or—
ganismus des Injtituts war befchädigt.
Das junge Gejchlecht von Künftlern nur, welches unter mir
berangewachfen, und das Intereffe am Burgtheater ſelbſt ließen
mich ausdauern. Das Intereffe am deutſchen Theater überhaupt.
Denn das deutfche Theater hatte außer dem Burgtheater kaum noch
irgendwo, oder wenigjtens doch nur an fleinen Orten eine gedeih—
liche Stätte. Sch hielt es ſchon deßhalb für eine Pflicht, auf dem
wichtigen Poſten zu bleiben, fo lange ich nur einigermaßen fürder-
ſam wirfen könnte.
Unter dieſem jungen Geſchlechte des Burgtheaters ſind ſchöne
Talente und tüchtige Menſchen, denen es ehrlich zu thun iſt um
ihre Kunſt, und die meiner Thätigkeit bereitwillig entgegenkamen.
Ich habe die Meiſten von ihnen ſchon gelegentlich erwähnt und
will jetzt am Ende dieſer Schilderungen nur in flüchtiger Porträ—
tirung andeuten, daß ſie fachmäßig gewählt waren und bereits eine
volle Schauſpielgeſellſchaft bildeten, welche das Inſtitut auf ihre
Schultern nehmen konnte.
Die älteſten von ihnen, Herr Meixner und Herr Baumeiſter,
find Schon 1850 und 1852 eingetreten. Beide vertreten die heitere
Richtung. Herr Meiner in ftarf ausgefprochen fomifcher Kraft
und mit bemerfenswerther Fähigkeit, jcharf und confequent zu
harafterifiren, Ein gallichtes Temperament treibt ihn wohl leicht
464 Das Burgtheater.
zu grellen Farben und zum Hervordrängen aus dem Enjemble. Er
war der Einzige, welchem das Sprechen in’s Publicum jtatt zu den
Mitjpielenden nicht völlig abzugewöhnen war. Aber dies ägende
Etwas feiner Natur unterjtütte ihn doch auch zur Zeichnung und
Färbung von Figuren wie Giboyer, welche milderen Komifern nicht
erreichbar find. — Herr Baumeiſter hat als fopfichüttelnder Liebhaber
begonnen und allmälig feine Entwiclung gefunden in fröhlichen Yebe-
männern und bebaglichen Charakteren, welche ein gefülliges Herz
haben und gute Laune. Er ijt jchaufpielerifch jehr wohl begabt
und jchwächt feine angenehmen Wirkungen nur zuweilen dadurch,
daß er wunderlich abfürzt, wo er fih ausbreiten follte. Sein Ta-
lent hat eine furz witige Neigung zum Aphoriſtiſchen.
Ebenfalls jeit 1850 ijt Herr Joſeph Wagner da, welcher über
ein Sahrzehnt lang Yiebhaber und junge Helden mit fortreißender
Begeijterung gejpielt hat und dann langſam in’s Fach der Helden—
päter übergeleitet worden ilt. Langſam, weil vie ihm eigene Gluth
tragifcher Leidenſchaft, jo jelten in heutiger Zeit!, für das ältere
Fach nur in großen Scenen, wie die Verzweiflung König Lear's,
ausjtrömen fann, ſonſt aber vorzugsweife ruhiger Motivirung
weichen muß. Dieje ruhige Motivirung aber wird den Darjtellern
heftiger Gefühle immer jchwer.
Bon 1856 an hat jih ein Kreis junger Talente gefammelt, in
welchem Herr Sonnenthal, Herr Yewinsty und Fräulein Wolter
am helliten glänzen. Sonnenthal als geijtvoller Liebhaber, begabt
mit wohlthuender Liebenswürdigkeit, mit Feinheit des Herzens und
mit den Formen eines edlen Wejens, der erjte Schaufpieler in
diefem reichen Face, welchen Deutjchland jest befitt.
Lewinsky entwidelt das wolle Trachten eines joliden Charafter-
jpielers, welcher unter eifernem Fleiße literarifcher Bedeutung nach—
jtrebt in feiner Runjt und nie daran glauben wird, ausgelernt zu
haben. Förſter hat die reihe Bildung eines begabten Menſchen,
der für feinen fünftleriichen Beruf zu jeder Arbeit, zu jeder Hin-
Das Burgtheater. 4695
gebung beveit ift, und der für ven deutſchen Schauspieler durchweg
die höhere und höchite Beventung in Anſpruch nimmt. Die Jüngften
aber, Hartmann, Kraftel, Schöne, find ausgeftattet mit allen guten
Eigenfchaften einer Jugend, welche Ideale im Herzen trägt und fich
nie genug thut. Hartmann für anmuthige, geiftig bewegte Lieb-
haber. Kraſtel für feurige und leidenjchaftlihe, ein Nachfolger
des alternden Wagner. Schöne für jene ehrliche und bejcheivene
Komik, welche uns lachen macht ohne Abfichtlichfeit und welche ung
lachen macht unter herzlichem Wohlwolen.
Die jungen Damen endlich umfaſſen ven ganzen Umfang weib-
licher Yiebenswirdigfeit und künſtleriſchen Reizes. Fräulein Wolter
ijt das jtarfe Naturell ver Leidenſchaft, welches fich der artijtiichen
Leitung bedürftig weiß und unter artijtifcher Zeitung dramatijche
Wirkungen erreicht von eminenter Gewalt. Fräulein Bognar die
anſprechende Weiblichkeit, welche fich im Yuft-, Schau> und Trauer:
ipiele gleich wohlthuend ausprägt. Fräulein Baudius die junge
Weltvame, welche, jelbjt geijtreich, mit ven geiltigen Hilfsmitteln
einer Rolle behende zu jpielen verjtehbt und das moderne Stüd
harakterijtiich zu beleben weiß. Endlich Frau Hartmann-Schnee-
berger mit der gewinnenden Natürlichkeit eines unbefangenen fröh—
lichen Wejens, welches echt empfindet und welches diefe Empfindung
einfach ausprüdt.
Zaube, Burgtheater. 30
RENT
Die neuen Stüce, welche in ven drei Jahren 1865, 1866
und 1867 gegeben wurden, find großentheils Schon erwähnt bei Ge-
legenheit der früher beiprochenen Autoren. Ich habe alfo vom
fühnen „Wildfeuer“, von der theater-romantifchen „Pietra“ und
von der modern sromantifchen „Katharina Howard“ nur die Titel
anzuführen.
Doch nein! Bei „Wildfeuer“ müffen wir verweilen, um die
ihon angeveutete Halm'ſche Richtung ganz zu charafterifiven. „Wild:
feuer‘ ift ein Höhepunkt diefer Richtung, ein Höhepunkt deſſen, was
eben die Literar-Geſchichte „Kunſtpoeſie“ nennt, und was ſie in allen
Zeiten abfondert von den Dichtern der Nation, ein Höhepumft der
talentwollen Unwahrheit. Gin erwachjenes Mädchen hält fich für
einen Mann, und ihr Yiebhaber braucht fo und fo viel Stationen,
um zu entdecken, daß ſie im Irrthume fei, er aber nicht mit feiner
Neigung. Welch verfünfteltes Spiel jtarfer poetifcher Begabung!
Natürliche Poefie, nationale Poefie wird immer und wird
mit Recht höher geitellt, als dieſe Kunftpoejie. Jene ſtrömt aus
dem Herzen, der Kopf regelt fie nur, Kunſtpoeſie fommt aus dem
Kopfe, und macht nur Zwangsanlehen beim Herzen. Sie erreicht
mit diefem Anlehen höchſtens ein wärmeres Colorit, nicht aber
Herzenswärme.
Daraus erklärt ſich's, daß unter Halm’s früheren Stücen die
befferen wohl raufchende Erfolge erringen fonnten, daß ihnen aber
Das Burgtheater. 467
eine Achte warme Theilnahme, eine erquickende Wirfung, die Zu:
jtimmung der Kritif und eine wirkliche Dauer verfagt blieben. Sie
ftammten nicht aus den Gefühlen und Gedanken unferer Nation.
„Griſeldis“, „Sohn der Wildniß“ und dies „Wildfeuer“ fünnten
gerade jo wie fie find englifch oder franzöfisch gefchrieben jein. Kunſt—
poejie braucht fein Vaterland, fie entbehrt aber auch deßhalb vie
tiefere Theilnahme des Vaterlandes.
Jene Stücde verdanken ihre Theatererfolge und ihr Intereſſe
dem jchönen Talente ver Form, welches Halm in ungewöhnlich
hohem Grade zu eigen ift, und welches er mit veiflicher Ueberlegung,
mit gewandter Leberlegenheit handhabt. Er hat feine fünftlichen
Stoffe immer mit fünftlerifcher Kraft componitt.
Das hat ihn wohl auch verleitet, zuweilen die Macht jeiner
technifchen Mittel zu überſchätzen. Es eriftirt zum Beifpiel ein Stüd
von ihm „Verbot und Befehl’, welches einen deutlichen Einblicd
gewährt in feine Werfitatt. Er nennt es Luſtſpiel. Darin wird
im eriten Act ein Mißverſtändniß aufgebaut aus leichten Yatten,
und der Componift verläßt fich num auf die hierdurch errichtete Span—
nung dergeſtalt, daß er uns ein Baar weitere Acte fortzuziehen meint
im bloßen Vertrauen auf jene äußerliche Spannung. Das gelingt
nicht, weil das Spiel der weiteren Acte fich zu breit macht im Ber:
hältniffe zur Grundlage, und das ganze Stück zerbricht.
Ich führe dies Beifpiel an zum Beweife: daß folche fünftliche
Compoſitionen jogleich im Ganzen verloren find, wenn ein Paar
Latten des Gerüftes brechen. Das Gerüft jteht in erjter Linie, der
Inhalt in zweiter,
Bei einem Luftipiele rächt fich denn das am Erſten. Da hilft
die ſchöne Rede nicht, man verlangt die heitere Seele, das heißt
etwas Innerliches; man verlangt das, was wir Humor nennen,
Der Humor aber läßt fich nicht componiren.
Die Runftpoefie bildet deßhalb gern Mifchgattungen, welche
30*
468 Das Burgtheater.
nicht Tragödie und nicht Yuftipiel zu fein brauchen. Halm's Stüde
beißen zumeift „dramatiſches Gedicht”.
Dieſe Poeten verpflichten jich heiter, irgend ein furiofes Thema
aus der Yuft zu greifen — Wildfeuer ift ein folches — und aus
demfelben ein wirkſames Theaterjtüc zu machen. Ob dieſe Effecte
unerquiclich und ärgerlich werden, wie im „Sohn der Wildniß“,
wo ein Mädchen den Mann hofmeijtert, oder wohl gar peinlich und
marternd, wie in „Griſeldis“, das ſteht außer Sorge. Es handelt
ſich um Wirkung überhaupt, nicht abfolut um gute und Schöne Wirkung,
Die ſchöne Wirkung ift eben auch nur zu erreichen, wenn In—
halt und Form einander harmonisch deden. Sie deden jich aber
nur dann harmonisch, wenn Kopf und Herz gleichmäßig betheiligt
find bei der Geburt eines Kunftwerfs. Sie decken ſich nicht bei
bloßer Kopfarbeit.
Daraus erflärt e8 fih, daß jo gut componirte und wirkſame
Stücke allmälig ganz wieder verfchwinden können von den Neper-
toiren. Sie haben fein Herz, und deßhalb feine volle Yebenskraft.
Daraus erflärt es ſich, daß die Kritif immer fühl verblieben
iſt, ja oft unwillig wegwerfend fich geäußert hat gegenüber diefen
Stüden. Sie thut das, oft nur inftinctmäßig, jederzeit bei den
Arbeiten der fogenannten Kunſtpoeſie, weil diefe Gattung Poefie das
Merkmal der Spielerei an fih trägt und in das Leben der Nation
nicht eingreift.
Sch möchte nicht alle Vorwürfe, welche in unferer Literatur mit
Recht feititehend geworden find gegen Kunftpoejie, ich möchte nicht
alle auf Friedrich Halım bezogen ſehn. In Deutfchland thut man
das, „Griſeldis“ und der „Sohn der Wildniß“ wurden bei ihrem
Auftreten geradezu mit Grimm und Hohn behandelt von der Kritif,
Dabei fpielte gewiß der Neid eine Rolle. Man ärgerte jich über
die große Theaterwirfung, man ärgerte fich über das Talent Halms,
welches er mißbrauchte, Und man unterließ dabei, das Talent
Das Burgtheater. 469
hervorzuheben. Es gehört zu den größten dramatiichen Talenten,
welche wir bejiten.
Zu den Kıumftpoeten gehört er allerdings. Betrachten wir,
um dies fejtzuftellen, feine Stüde unter zwei Gefichtspunften, unter
dem der Dauer und dem des Inhalts,
Ich nahm als Theaterdirector jene beiden Hauptjtüce won ihm,
„Griſeldis“ und den „Sohn der Wildniß“, wieder ing Nepertoir,
und fuchte fie alljährlich wieder aufzuführen. Was zeigte ſich? Auch
hier in Wien, wo dieſe Stücde den größten Erfolg gehabt, fragte
mich alle Welt: „Was wollen Sie jetst noch mit diefen Stücken?“
Der Beſuch im Haufe war ziemlich genügend für die Caſſe, aber die
Lücken, welche ev zeigte, waren einmal wie das anderemal immer im
eriten Barterre. Das große Publicum fam noch, das Publicum
des eriten Parterres blieb aus. Welch ein Unterfchied von den
Grillparzer'ſchen Stüden! Sie waren viel älter, fie waren viel
länger ausgeblieben als die Halm'ſchen, fie fonnten vergefjen fein,
Waren fies? Keineswegs! Und bei ihrer Wiederaufnahme lobte
mich die ganze gebildete Welt, und das erſte Barterre war übervoll,
und der Bejuc und der Beifall waren ftärfer, als va die Stüde
neu und jung waren. Zu welchen Folgerungen führt das? Grill
parzer’s Stüde find Vollgeburten eines echten Dichters, und alle
Gebildeten wiljen, fie werden beim Anhören und Anſchauen derfelben
einen ächten Genuß, fie werden eine Erquidung finden. Halm's
Stücke dagegen find troß großer Theatererfolge für den Gebildeten
von zweifelhaften Werthe geworden; er verhält fich ihnen gegenüber
paſſiv.
Dieſe Erfahrung iſt eingetreten, obwohl man das Talent
Halm’s nicht Läugnen fann, Der Urfprung der Stüde hat die Ent:
iheidung gegeben, man hat allmälig entvedt, daß hier die Quelle
nicht ganz echt ift, und daß man es nur mit Kunftpoefie zu thun hat.
Diefe hat eben fürzere Dauer.
Fragen wir nun zweitens näher nach dem Inhalte. Sch habe
470 Das Burgtbeater.
oben gejagt, Runftpoefie habe fein Vaterland, und entbehre deßhalb
auch die Theilnahme des Vaterlandes. Paßt denn das auf Halm,
auf den VBerfaffer des „Sampiero” und des „Fechters von Ra—
venna?“ Beide Stüde bejchäftigen fich ja doch nachdrücklich mit
dem DVaterlande! Es paßt doch. Der Auf „Corſika! Corſika!“
wurde dem „Sampiero“ gefährlich ; man fand Uebertreibung in den
grellen Wendungen des Stoffes und in den patriotifchen Aeußerungen.
Das Stüc hatte feine wahrhaftige Empfängniß gehabt im Schooße
des Dichters, der waterländifche Stoff war nur Kleid verblieben und
nicht Fleiſch und Blut geworden.
Ich nahm das Stück wieder auf, und fpielte vor leeren Bänken.
Das patriotiſche Thema papte nicht für dieſen Poeten, und errang
ihm deßhalb auch feine Theilnahme.
Aber der ‚„‚Fechter von Ravenna!” Wie deutſch! Die Mutter
erjticht ihren Sohn, weil er fein Deutjcher fein will! Was will
man mehr an Patriotismus? Weniger wäre mehr. Man will nicht
fo viel, Dies zu Viel ift ein Symptom, daß das Stüd nur im
Kopfe entjtanden ift. Kopfpoefie wird im Trauerfpiele immer graus
fam. — Nein, diefe Stücke widerſprechen dem nicht, dag Kunftpoejie
fein Vaterland braucht, und deßhalb auch nicht die Theilnahme eines
Baterlandes findet.
„Wildfeuer“ hat außerhalb Defterreichs feine Stätte gefunden,
und es hat im Burgtheater nur das obige „große Publicum“.
„Edda“, von Weilen, ijt noch bejonders zu nennen, da von
diefem Dramatiker blos Studien mittelalterliher Romantik —
„Triſtan“ und „Heinrich von der Aue“ — erwähnt worden find,
=
Meilen aber mit bewußter Abfiht von diefer Richtung abgegangen
ift und fich neuerdings Themen erwählt hat, welche mit der heu-
tigentags vorherrjchenden Gedanfenwelt im Zufammenhange ſtehen.
Es ſind auch noch geſchichtliche Stoffe, dieſe „Edda“ und „Draho—
mira“, aber ſie ſind mit der Abſicht gewählt, Ideen zu verkörpern,
welche ein dauerndes, auch heute noch pulſirendes Leben haben. In
Das Burgtheater. 471
Kriegstumultes, ift es die Frage um Heimath und Vaterland; in
der „Drahomira“, einer altböhmijchen Fürftin, ift es die Frage
um Religion und Mutterliebe. Beide Stüde haben vor dem Pu—
blicum bejtanden und dem ſtrebenden Verfaſſer Anerfennung er-
worben. Man folgt mit Aufmerkfjamfeit und Aufmunterung einem
Schriftiteller, welcher ernjt und eifrig der Entfaltung jeines Talentes
nachtrachtet.
Der Hauptzug in den Neuigfeiten dieſer Jahre war der, welchen
das politifche und jociale over das ſocial-politiſche Stüd mit ſich
bringt. Das Drama der Gegenwart, von welchem jo oft die Rede
gewejen in dieſen Schilderungen, trat auf den Plan und behauptete
ven Plan. Der Gegenwart auch in hiſtoriſchen Stüden, injofern
das Thema auch eines hijtorifchen Stoffes noch voll und ganz ein
Thema der Gegenwart tft.
Die Erfolge haben gezeigt, daß dieſe dramatische Richtung Die
Theilnahme des Bublicums in ungemeinem Grade wedt und daß
unſer Theater jujt durch dieſe Stüde eine Lebenskraft entzündete
von unzweifelhafter Echtheit.
Der Mißverſtand liegt nahe, daß dieje Richtung vorzugsweije
von Stich und Schlagworten des Tages leben, ven Beifall alſo in
zufälligen Einzelheiten veränderlicher Art ſuchen wolle und könne,
Das wäre ein Mißgang, und diefem find wir nicht verfallen.
Die Compofition als Ganzes war jtets entjcheidend für den Erfolg.
Die äfthetiiche Genugthuung blieb ftets unerläßlich. Sie war nur
erleichtert durch den Charakter des Stoffes, welcher einen allgemein
verjtändlichen realen Boden darbot — einen Boden, auf welchem
man die Wahrheit der Motive, die Folgerichtigfeit ver Charaktere,
die Angemefjenheit ver Rede leicht und jicher beurtheilen fonnte, da
Motive, Charaktere und Worte aus dem wirklichen Yeben geſchöpft
waren,
Dies moderne Drama wurde durch einige franzöfiiche Bear—
472 Das Burgtheater.
beitungen: „Pelikan“, „Dageftolze‘‘, „Familie nach der Mode“,
und durch zwei neue Stüde: „Aus der Geſellſchaft“ und „Der
Statthalter von Bengalen‘‘, vertreten.
Der „Pelikan“ — „Le fils de Giboyer“ von Augier — ift
an Geift und Compofition das beveutendfte von dieſen Stücen, und
es brach die Bahn für die ganze Gattung. Es ſchildert die fran—
zöſiſche moderne Geſellſchaft in ihren feineren Kämpfen zwijchen ab-
jterbendem Adel, eitlem Bürgerthume, begabten, aber gewiljenlofen
Piteratenthume, gemeiner Speculation und veiner Jugend und bringt
diefe Schilderung nirgends abjtract, ſondern durchweg in ſceni—
jcher Fülle und unter aufiteigendem dramatiſchem Intereſſe, gewürzt
durch einen geiftiprühenven Dialog. Kurz, es ift, wie ſchon früher
gejagt worden, eines der beiten Stüde neueiter Zeit.
Es wurde in fo jorgfältiger Bearbeitung auf dem Burgtheater
dargeftellt, wie wohl auf feinem deutſchen Theater ein geiſtvolles
Converſationsſtück dargeftellt werden fann, und hat eine unverwüſt—
liche Anziehungskraft behauptet.
„Die Familie nach der Mode’ („La famille Benoiton“) ift
von viel gröberer Factur, ift aber reich am intimen Zügen des mo—
dernen Lebens. Der Conflict zwifchen einem Ehepaar heutiger
Sorte ift auch von tieferer Bedeutung und wurde durch das meifter-
hafte Spiel des Herren Sonnenthal und des Fräulein Wolter der
Haltpunft des Ganzen, Ich habe die Hundert und jo und jo vielte
Borjtellung diefes Stüdes in Paris gefehen und fann in voller Un—
befangenheit jagen: es wird bei uns in der Hauptſache beſſer ge
ipielt. Das hat eine weitere Bedeutung, infofern es den ober—
flächlichen Vorwürfen gegen Benütung franzöfifcher Stücke ent-
gegentritt. Wenn fremde Stücde roh und äußerlich nachgejpielt
werden, dann haben die Vorwürfe gegen ausländijche Stüde nur
zu vielfach Necht. Wer mag die gedanfenloje Uebertragung fremder
Sitte, auch der gemeinen Sitte in Schuk nehmen! Dieſer Bor:
wurf hat uns aber im Burgtheater nie getroffen. Wir haben ung
Das Burgtheater. 475
franzöfifche Stücke immer nach Kräften zu eigen gemacht durch vor-
fichtige Auswahl, durch Ausmerzung des Wildfremden und Un—
nöthigen, durch Ausarbeitung alles deſſen, was uns naheliegt.
Nie habe ich das mit fo lebhaftem Genüge empfunden, als da ich
diefe „Familie Benoiton‘ in Paris geſehen. Jener Eheconflict
wird nichtig und beiläufig in Paris vargejtellt, ev gewinnt gar feine
Bedeutung — bei uns erfcheint ex fein, tief, von fehlagender Wahr:
haftigfeit und als das herrfchende Auge des Ganzen, Das ganze
Stück iſt dadurch bei uns veredelt und gehoben.
„Die Hageſtolze“ („Les vieuxgarcons“) find als jociale Schil-
derung moderner Egoiften werthvoll. Die Charafterzeichnung kann
und wird manchem veutjchen Autor eine ergiebige Anregung werden,
„Aus der Gefellfchaft” war zuerjt nur ein zweiactiges Stüd,
Es frappirte mich durch fein Thema: ein offenbar biefiger Fürft
jollte eine Gouvernante heirathen, und heirathete fie. Die Zus
faffung folhen Themas für das Burgtheater ſchien unerreichbar,
denn dies Theater ift im Wefentlichen ariftofratiih. Ein hoher
Cavalier fteht immer an der Spite und entjcheidet über die Zu—
Läffigfeit neuer Stüde, faft fünmtliche Logen find im Abonnement
des hohen Adels — man fann eher eine mißliebige politiiche Ten-
denz zugänglich machen, als eine ſociale, welche die Standesunter-
fchiede der vornehmen Kreife herausforvdert. Ich war in Verlegen—
heit. Bon Jugend auf indejjen daran gewöhnt, das Princip meiner
. Aufgaben ftreng innezuhalten, auch auf Koften meines Wohlbe-
hagens innezuhalten, fühlte ich mich doch verpflichtet, das Stüd ein-
zuveichen, obwohl es mir nicht jonderlich gefiel. Es war mir als
Compofition zu dünn und in Einzelheiten zu grell,
Dean mißverftehe mich übrigens nicht mit vem Worte Princip.
Ich meine hier nicht ein politifches oder jociales Princip, ich meine ein
äfthetifches, meine das Princip der Theaterleitung, welches ich mir
ausgebilvet.
Das Theater ift mir ein voller, wahrer Spiegel des Lebens;
474 Das Burgtheater.
es joll alfo auch nicht zurückweichen vor einem Spiegelbilde, welches
uns augenblidlich unbequem ift. Nur echt und wahr ſoll dies Bild
jein. Die Wahrheit ſorgt für ſich ſelbſt, beſſer als wir furzfichtigen
Patrone es vermögen. Und auch in der Kunſt iſt Nichts nöthiger
und förderſamer als Wahrheit. Hat ein Stück einen wahrhaftigen
Stoff fünftlerifch bewältigt, dann darf man unbefümmert fein um
Meinungsſätze. Cs lebt und dauert als Kunſtwerk troß aller ent-
gegenjtehenden wiverwilligen Meinungen. Das Schelten der Bar:
teimeinung verfängt nicht gegen ein Kunſtwerk, denn ein wirkliches
Kunftwerf ift bereits eine Yäuterung der Meinungen. Die Kunjt
macht veif, was die Discufjion unreif beläft.
Umgefehrt ebenfo: ift der Stoff des Stüdes und die Tendenz
dejjelben übertrieben, aljo nicht ganz wahr, dann entjteht auch Fein
Kunftwerf, und das tendenziöfe Machwerk hält nicht Beitand. Weder
die Arijtofratie aljo, noch die Demokratie, noch ſonſt eine Kratie hat
zu hoffen over zu fürchten, daß ein Theaterſtück für oder gegen jie
Yeben gewinne, wenn es nicht in der Wahrhaftigfeit und in fünjtle-
rischem Maße beruht.
Bon diefem Grundfage ausgehend, habe ich mich immer für ver—
pflichtet erachtet — ganz ohne Boreingenommenbheit für irgend eine Ten—
denz—, jedes Stüd einzureichen, welches mir äfthetijch haltbar erſchien.
Sch hielt dies Bauernfelo’sche nicht für ſtark, aber nicht für
unhaltbar, und reichte es aljo ein.
Mein Chef folgte ebenfalls einem Principe, Er erachtete e8
für feines ariftofratifchen Nanges unwürdig, ein Stüd blos deßhalb
abzumweijen, weil es ariftofratifhe Gefühle verlegte; er bemerkte
alfo nur, daß die überall eingejtreuten franzöſiſchen Broden nicht
in gute Gejellfchaft paßten.
Daraufhin fchlug ich dem Verfaſſer vor, dieſe Broden zu be—
jeitigen; wäre dies gejchehen, jo wollte ih das kleine Stüd im
Frühherbſte aufführen. Ich wählte dieſe Zeit, weil da der Adel
auf vem Lande ift und Aergerniß vermieden würde,
Das Burgtheater. 475
Ich erhielt aber das Stüc nicht wieder zurüd, Erſt im Spät:
berbite fand es fich wieder ein, und zwar um zwei Acte verlängert.
In folher Ausführung war es noch empfindlicher geworden, aber
ich hatte auch jetst meinem Principe gemäß fein Recht, es abzu-
weifen: es erſchien mir nicht unwahr. Mein Chef ging aus Stolz
nicht weiter ein auf neue Prüfung, und jo fam ein Stüd im Burg-
theater zur Aufführung, welches ein bisher unzuläffiges Thema frei
müthig und vreift behandelte. Das Publicum erklärte ſich beifällig
dafür, und — was ich ſelbſt bezweifelt hätte — auch auf anderen
deutschen Theatern fand es eine nicht ungünftige Aufnahme. Trotz
feiner leichten Structur muß es alfo doch eine innere Lebensfähig—
feit haben, welche über die beſonders hier in Wien hervortretende
Tendenz hinausgeht; denn auf den deutfchen Theatern hat gerade
diefe Tendenz geringere Anziehungsfraft.
Meine Bormeinung über innere Wahrhaftigfeit des Stückes
hat ſich dadurch wohl beftätigt. Die Vormeinung vieler Wiener
aber wird fih in obiger Darjtellung, wie und warum das Stüd
auf's Burgtheater gefommen, nicht beftätigt finden, die Vormeinung
nämlich, als ob gerade ver Tendenz wegen die Zulaffung des Stücdes
von mir betrieben worden ſei. So furz und parteiijch bemejjen jind
meine Abjichten nie gewefen.
Kun fan ver „Statthalter von Bengalen‘ hinzu. Jetzt jchien
e8 unzweifelhaft, daß die Divection einen tendenziöfen Weg wandle.
Und doch war dem nicht fo. ES war derjelbe Weg, den ich immer
gewandelt: wahrhaftigem Yeben nachzutrachten für die Darjtellungen
auf ver Bühne. Es vergehen oft viele Jahre, ohne daß gerade
Stoffe gewählt und zu wirkſamen Stücken ausgebildet werden, welche
juft herrſchenden Tendenzen entgegenfommen, Wie ich oben ge:
jagt: das ijt nicht jo leicht, wie man denkt. Die tenvenziöje Ab-
ficht genügt nicht; das fünftlerifche Gelingen muß dazutreten. Und
das tritt eben nicht Hinzu für bloße Partei-Tenvenz. Das künftlerijche
Gelingen ergiebt fich ext, wenn Tendenz und Talent im Kernpunkte
476 Das Burgtheater.
der Aufgabe zufammentreffen. Dann aber läutert das Talent von
ſelbſt die parteiifche Tendenz.
Das find die furzfichtigen Leute von beiden Parteiflügeln,
e8 jind die links und rechts parteiifch Tendenziöfen, welche beim
zufälligen Nebeneinander einiger Stücke von politifcher und foctaler
Gattung die Schleufen des Willfommenen oder Unwillfommenen
alle geöffnet und eine Sündfluth heranwogen ſehen. Die Kunſt—
welt hat jehr fejte Grenzen und hat viel ftrengere Geſetze, als der
Dilettant meint.
Selbſt diefer „Statthalter von Bengalen” traf dahin, wohin
er gar nicht gerichtet gewefen war. Die Analogie, welche die eng—
fifche Zeit der Junius-Briefe dvarbot, ging viel weiter, als das da-
malige öjterreichifche Miiniftertum in Frage brachte. Das Minifte-
rium wurde nur in einigen Punkten getroffen; es war alio ein
Irrthum, die Entjtehung des Stückes nur in der Tendenz gegen ein
Miniſterium zu ſuchen.
Freilich gehörte meine ganze Unbefangenheit dazu, gerade zur
Zeit eines ſolchen Miniſteriums ein ſolches Stück einzureichen.
Aber ich muß zum Preiſe des damaligen oberſten Directors hinzu—
ſetzen, daß er das Stück eben ſo unbefangen aufnahm. Er erkannte
natürlich auf der Stelle das für den herrſchenden Moment Unzu—
kömmliche, aber er erkannte auch auf der Stelle, daß das Stück in
ſeinem Kerne objectiv ſei und nicht von parteiiſcher Tendenz. Und
ſo entſchied er ganz richtig: Das Stück iſt nicht opportun, iſt aber
nicht abzuweiſen. Ich wartete geduldig auf den Eintritt opportuner
Lage, und als das Miniſterium abgetreten war, erſchien ich mit
neuer Anfrage. Sie begegnete keinem Hinderniſſe mehr, und der
„Statthalter“ erſchien auf der Scene.
Die Darſtellung dieſer Stücke, durchweg von unſeren jungen
Talenten getragen, hob unſer Theater außerordentlich. Es wurde
nun auch den Mißwilligen klar, daß der ſorgſam erzogene Nachwuchs
des Burgtheater-Perſonals fähig ſei, moderne Stücke, welche in
Das Burgtheater. 477
Wahrheit wırzein, vollftändig varzuftellen, und daß unjer Theater
troß jo jchmerzlicher Verluste, wie jie binnen zwei Jahren über das—
jelbe hereingebrochen und ihm Fichtner, Anſchütz, Julie Nettich und
Beckmann entriljen hatten, lebens: und friegsfühig geblieben wäre
durch eine junge Garde, und daß diefe junge Garde hinreichend aus-
gerüftet ſei mit Talent, Geift und Fleiß, um die Feldzüge des Burg-
theaters weiterzuführen.
Eine jcharfe Probe trat fogleih noch 1867 an uns heran.
Cine große römiſche Tragödie, „Brutus und Eollatinus”, follte auf-
geführt und es follte dargethan werden, daß dieje junge Garde nicht
blos das Converſationsſtück beherrjchte.
Dieſe Probe war darum ſehr willfommen, weil fie dem Irr—
thume entgegentreten fonnte, als würde in der Vorliebe für moderne
Stüde das übrige weite Neich pramatifcher Poefie, welches in der
Gejchichte und im freien Fluge erfinderifcher Phantafie fich ergeht,
von ung gering geachtet. in freilich ſehr wohlfeiler Irrthum!
Als ob jolhe Berarmung mit irgend welchem äſthetiſchen Verſtande
vereinbar wäre! Die ganze Welt gehört der dramatijchen Kunſt.
Dieſe Kunjt wird aber im Stoffe jeglichen Zeitalters unter dem
Grundſatze gedeihen, daß Wahrhaftigkeit in den Charakteren pulfiren
jolle und in den. Handlungen, welche von den Charakteren erzeugt
werden. Und die Darjtellung jeglichen Dramas wird dadurch ge-
winnen, daß die Schauspieler auch an den Vortrag hoher und ferner
Dinge mit der gefchulten Abficht geben, Sinn und Bereutung zu:
nächit einfach und klar aufzufafjen und dann erjt an die Erhöhung
des Tons, an die Steigerung der Empfindung bis zu poetijcher Höhe
vorzudringen. So fann auf unferem Wege die Darftellung auch
des erhöhten Dramas nur gewinnen, fie fann das wiedergewinnen,
was durch unflares, oft finnlojes Declamiven auf den deutjchen
Theatern ſeit Jahrzehnten verlorengegangen ilt.
Dieje Probe mit „Brutus und Collatinus‘‘ war aber doppelt
ſchwer, weil die verdienſtliche Kompofition des Stückes an dem
478 Das Burgtheater.
Uebeljtande leidet, einen doppelten Stoff bezwingen zu wollen. Mit
dem Tode der Lucretia und der Vertreibung der Tarquinier iſt im
dritten Acte der Grundftoff erledigt, und doch geht das Stüd noch
an die Ausführung der erften republifanifchen Zeit, an ven Rücktritt
des Collatinus und an das Schickſal des Brutus, welcher feine
eigenen Söhne dem jungen Staate opfert. Dafür, für einen zweiten
Theil der Tragödie vie Theilnahme des Publicums noch rege zu er—
balten — das ijt eine ſehr jchwere Aufgabe des Schaufpielers und
der Infcenefeßung.
Wir haben die Aufgabe gelöft, wir haben die Probe fiegreich
bejtanden: das Stüd errang einen wollen, einen tiefen Erfolg.
So meinten wir denn höchlich zufrieden jein zu dürfen mit uns,
da erfuhren wir — e8 war im September —, daß all unfer Arbeiten
und Trachten für mißlich erachtet und gering gejchätt würde. Ein
neuer Wechfel in der oberiten Direction ſchob zur Seite, was acht-
zehn Sahre lang mit fo viel Eifer und fo viel gutem Glücke erjtrebt
und erreicht worden war.
Erwarten wir, ob auch die Zufunft uns der Selbjttäufchung
zeihen und ob fie betätigen wird, daß der forgjam gepflegte Drga-
nismus eines dramatifchen Kunft-Inftituts wirklich etwas jo Ger
ringes ijt, um wie ein Handſchuh gewechjelt zu werden.
Der bisherige Oberſtkämmerer und als folcher oberjter Director
der Hoftheater, Fürft Vincenz Auersperg, war geftorben; der neue
Oberſtkämmerer hatte die Theaterleitung abgelehnt, und jie war an
das Oberfthofmeifter- Amt übergegangen. Der Herr Oberjthof-
meijter aber hatte ebenfalls gewünfcht, nicht unmittelbar mit dem
Theater in Berührung zu fommen, und um diefem Wunfche zu ge-
nügen, war eine neue Stelfe gefchaffen worden. Sie hieß Inten-
danz, und in diefe Stelle war als Intendant Freiherr v. Münch—
Bellinghaufen, befannt unter dem Schriftitellernamen Friedrich
Halm, eingetreten.
Er alſo war jetst mein nächiter Vorgefetter, und bei ihm mel-
Das Burgtheater. 479
dete ich mich von Karlsbad aus nicht ohne den Ausdruck der Freude,
daß ich nun unmittelbar mit einem dramatischen Poeten zu verhan-
deln haben würde.
Ich erhielt zur Antwort, daß er fich freue, mich nicht zum
Gegner zu haben. Warum hätte ich das fein follen?! Das Weitere
des Briefes Härte mich darüber auf. Das Weitere befagte: er
müſſe mir alle die Vollmachten entziehen, welche ich früher als
artiftifcher Director innegehabt, nämlich die Wahl der Stüde, die
Bildung des Repertoires, die Beſetzung der Rollen und die Ber
fugniß zu einjährigen Engagements. Alle diefe Befugniſſe müſſe
er für fich in Anfpruch nehmen, um genügende Macht und Bedeutung
zu haben, da über ihm noch eine herrſchende Inftanz, das Dberit-
hofmeiſter⸗Amt, walte.
Es war einleuchtend, daß nach Abgabe dieſer Bollmachten die
artiftiihe Direction inhaltslos geworden und cafjirt ſei. Jegliche
Gelegenbeit, jchöpferifch zu wirfen, war ihr entzogen. Was bleibt
aber an einer Iheaterleitung, wenn fie nicht jchöpferifch wirfen
kann? Der wiverwärtige Bodenſatz des Theaterwefens, widerwärtig
ichon fo lange man mit einem gewiſſen Anfehen vegtert, unerträglich
aber, wenn man dies Anfehen aufgeben und den ungemeſſenen An—
ſprüchen machtlos gegenüberjtehen fol. Ein Director ohne ent
iprechende Befugnig fann auch in der untergeordneten Sphäre,
welche ihm überlaffen bleibt, nicht geveihlich wirken, weil ihm der
Reſpect entzogen ift und mweil das Hin- und Herlaufen der Schau—
jpieler von einer Inftanz zur andern, das erfolgreiche Verflatichen
und Intriguiven, weil mit Einem Worte die formelle Anarchie in
Blüthe fommt.
Hierin Liegt ver Grundfehler bei ven meijten Hoftheatern mit
Intendanz. Der Intendant nimmt alle Befugniffe an fich, nicht
nur die Befugniffe ver oberjten Herrichaft, welche ihm zuftehen,
jondern auch die Befugniſſe zur Negierung in allen Zweigen, die
Detail-Regierung. Ohne Fachfenntnig aber und ohne fleißige Hin-
480 Das Burgtheater.
gebung an die Arbeit ver Zweigregierung, bejchädigt er alle Zweige,
und was wird aus dem Baume, wenn alle Zweige bejcbädigt wer-
den? Ein verfrüppeltes Gewächs. Die Alles in jich begreifenden
Intendanzen der deutjchen Hoftheater tragen aus folchen Gründen
die Schuld des Theaterverfalls.
Diejen Gedanfengang entwidelte ich bei meiner Rückkehr dem
neu ernannten Intendanten. Er bevief fich darauf, daß er ja jelbit
nicht Chef wäre und auch den artiftifchen Gang zu verantworten
hätte, dieſen artijtiichen Gang aljo auch ſouverän leiten müßte.
Kurz, es waren eben aus den früheren zwei Injtanzen jeßt drei In—
tanzen geworden zur Freude bureaufratifcher Stellenhäufung, und
die artitifche Divection war als dritte verurtheilt, fich mit den Be—
fugnifjen einer Ober-Regie zu begnügen,
Diefe Begnügjamfeit war mir nicht angemejjen. Sie war.
weder meiner Vergangenheit an diefem Injtitute angemefjen, noch
meinem Charafter, noch meiner urjprünglichen Anftellung. Ich
war vor achtzehn Jahren nur eingetreten, um als artiftifcher Director
ſchaffend zu wirfen; ich hatte troß unbefchreiblicher Hindernifje
achtzehn Jahre — jelbjt nach dem Zeugniffe meiner Gegner — jo
gewirkt; ich hatte fein Interejfe an einem Theater-Amte, als das
literariſch-künſtleriſcher Wirffamfeit, und ich mußte endlich die neue
Einrichtung als ein Mißtrauensvotum gegen meine Wirffamfeit
empfinden. Da blieb mir denn Nichts übrig, auch gegenüber allen
Berficherungen, e8 ſei nicht auf ein Mißtrauensvotum und nicht auf
meinen Abgang abgejehen, als in ver That abzugeben,
Dies Alles fette ich dem neuen Chef, dem Herrn Oberjthof-
meijter Fürſten Conftantin zu Hohenlohe, auseinander, Er iſt ein
junger Mann mit angenehmen Umgangsformen, welcher mir eröff-
nete, daß er vom Theater Nichts verſtehe, und daß er mit der un—
mittelbaren Leitung deſſelben Nichts zu thun haben wolle. Deß—
halb habe er das neue Zwifchenamt einer General-dntendanz er:
richtet, und den notablen dramatifchen Dichter Friedrich Halm —
Das Burgtheater. 481
Baron von Münc-Bellinghaufen — mit diefem Amte betraut. Uebri—
gens wünsche er wie Jedermann, daß meine Thätigfeit dem Hofburg-
theater erhalten bleibe. Er finde auch meine Beweisführung in
Betreff meiner Vollmachten ganz richtig, und werde fogleich einen
Compromiß anbahnen mit dem neuen Herrn General-Intendanten,
einen Compromiß, welcher mir die wichtigjten meiner Bollmachten,
namentlich das Recht ver Nollenbejegung, wieder verleihen folfe.
Am andern Tage hatte ich dann eine Zuſammenkunft mit dem
Herrn General-Intendanten, im welcher diefer Compromiß formulirt
werden ſollte. Das erwies ſich unmöglich. Baron Münch be—
hauptete noch jtarrer als er früher gethan jeinen Anſpruch auf aus:
gedehntejte Souverainetät, Er müſſe der Herr fein auch über vie
fleinjte Anordnung, auch über die geringfte Beſetzung — das war
fein Refrain.
Mit Einem Worte: die artiftiche Direction follte in eine bloße
Dberregie verwandelt werden.
So bat ich denn zum zweiten Male um meine Entlafjung,
Ich wurde num noch einmal jehriftlich befragt, ob ich mich wirffich
nicht den neuen Inftructionen fügen wollte, und nachdem ich viefe
formelle Frage mit einem formellen Nein beantwortet hatte, erbielt
ich jet meine Entlaſſung.
Ginige Zeit nach meinem Austritte hatte einer meiner Freunde
eine längere Unterredung mit dem Herrn Fürſten zu Hohenlohe
über dies Thema, und da erklärte der Yestere unummwunden: „Es
mußte ein Ende gemacht werden damit, daß der artiftiiche Director
das Burgtheater zu liberalen politiichen Stücken mißbrauchte, wie
„Statthalter von Bengalen” und „Aus der Gejellicaft‘‘.
Diefe Aeußerung war evjichtlich ernſt gemeint: Baron
Münch hatte mir ſchon, als ich noch im Amte war, officiell aufge
tragen, jene Stücke vom Nepertoive auszufchliegen.
Hierdurch wurde alſo doch ein politiiher Grund fichtbar.
Man hatte nicht an einen folchen geglaubt, weil um dieſelbe Zeit
Laube, Furgtheater, 31
482 Das Burgtheater.
ein liberales Minifterium eingefest worden war, Mich jelbjt über-
rafchte ev nicht; ich Hatte num zu oft erfahren, daß die Hoftheater-
Intendanzen von einer alten Tradition nicht laſſen fünnen, welche
den Todesfeim der Hoftheater im jich birgt. Dieje Travdition lautet:
das Hoftheater ift nur für den Dof da, das Publicum, oder die
Nation, oder wie man fonft die zufchauende Mafje nennen mag, iſt
ein gleichgültiges Ding. ine Tradition, welche eben jo dem Hofe
wie vem Theater ſchadet. — Es fam nicht darauf an, daß Baron
Münch das Verbot jener Stücke zunächſt nicht aufrecht erhalten
fonnte vor der ſtürmiſch auftretenden öffentlichen Forderung. Das
jonjt jo artige Publicum des Burgtheaters demonftrivte nämlich
Wochen, ja Monate lang in unerhörter Weije gegen ſolchen Wechjel
der Divection. Es fam nicht darauf an, daß man dem Sturme
eine Zeitlang nachgab und jene Stüde noch aufführte; ein Theater:
publieum wechjelt allmälig, und hat auf die Länge feine Macht
gegen das Verfchwinden von Stüden. Meine Stüde verihwanden
nach und nach ganz vom Repertoire. Jetzt, dir ich dies ſchreibe, iſt
ungefähr ein Jahr lang Fein einziges mehr gegeben worden, Sa,
ein neues Stüd von mir, welches „Böſe Zungen‘ geheißen, trieb
die neue Intendanz zu einer ganz neuen herausfordernden Maß—
regel. Baron Münch hatte vafjelbe angenommen, weil er fich, wie
er fchrieb, große Wirkung davon verſprach. Die nachfolgende
leberfegung oder höherer Befehl hatten ihm aber flar gemacht, daß
die Aufführung eines neuen Stüdes von mir ein Fehler wäre, und
als die Cenſur des Minifteriums die „Böſen Zungen” zufällig
befunden hatte, ſchrieb er mir den berühmt gewordenen Abjagebrief.
Der Kern vefjelben war: einem Gegner der hewrichenden Direction
fann das Theater nicht eingeräumt werden zur Aufführung eines
nenen Stüdes.
Baron Münch ſelbſt, welcher als Friedrich Halm da in eine
mißliche Situation gerathen ift, und mit welchem ich obenein jeit
dreißig Jahren befreundet geweſen, hat in diefer jähen Entwidelung
N
Das Burgtheater. 483
eine vielen Yeuten befremdliche Rolle übernommen, Wer ihn
näher fennt, erklärt fie fich dadurch, dag Baron Münch von Jugend
auf in bureaufvatifchem Dienjte aufgewachfen ift. Cr ſteht feinem
vierzigjährigen Amtsjubiläum nahe, und Sinn wie Wefen des
Bureaufratismus ift ihm grümdlich eingelebt. Auch einer Kunſt—
anjtalt gegenüber ift ihm diefer Sinn und dieſes Wefen Eins und
Alles. Gr übernimmt die Aufgabe, zu welcher er befohlen wird,
und geht an die Thätigfeit wie ein Beamter, welcher dem Unter:
gebenen feinen Hauch von Selbititändigfeit einväumt, ja feiner
hietarchiichen Erziehung gemäß gar nicht einräumen kann. Der
Organismus eines fünftlerifchen Imftitutes, welcher in gewiljen
Bereichen eigen fchaffende Factoren braucht, ift ihm fremd, und
das Selbjtgefühl eines ergranten Beamten bringt ihn leicht über
die Sorge hinweg: ob er auch jelbft Hinveichende fpecifiiche Fähig—
feit für die neue Aufgabe befiße, Er erflärte mir denn völlig-naiv,
daß er mich zwar augenblicdtich für ven beiten Director des Burg-
theaters hielte, daß er aber doch Generalintendant geworden, und
als jolcher zuerjt und zulett auf Behauptung jeglicher Machtvoll-
fommenheit verharren müſſe, auch wenn deßhalb das Theater meiner
weiteren Mitwirkung entbehren Sollte.
Es liegen Nachrichten im Menge vor, welche für dieſen
Directionswechjel noch andere Erflärungen aus perfönlichen Moti—
ven beibringen. Dergleichen zu erörtern fcheint mir aber an diejer
Stelle unangemeifen. Man hat es. vielfach und nachdrüdlich aus—
geiprochen, dag ein jolches Umfpringen mit den Kunftinterefjen
eines großen Injtitutes etwas Erſchreckendes habe, da diefe Kunſt—
interejjen jelbjt gar nicht in Betracht gezogen würden. Man hat
erſtaunt gefragt: wie das gejchehen fünne unter dem Widerſpruche
alfer namhaften Kreife des Publicums, der hohen und höchiten
ebenſo wie der mittleren und allgemeinen? Darauf antwortet man:
die ganze Situation erklärt ſich dadurch, daß ver Kaiſer nicht ein—
greift in den Reſſort feiner oberiten Hofbeamten, auch dann nicht,
31*
484 Das Burgtheater.
wenn die Mafregeln derfelben feinen Beifall nicht haben. Der
Herr Oberjthofmeijter wird alfo nicht geftört in feinen Handlungen,
und übernimmt jelbjtweritändlich allein die Verantwortung der—
jelben.
Was bedeutet diefe Verantwortung? Wer weiß es! Es fommt
auf das Gewiſſen Tejjen am, welcher handelt, und es fommt auf
den Charakter ver Zeitepoche an, in welche fo zuverfichtliche Hand—
(ungen fallen, Graf Gzernin hat den Schreyvogel befeitigt, und
durch die Leichtfertige Einſetzung Deinhardfteins das Burgtheater
tief beſchädigt. Weiß Jemand, daß des Grafen Gzernin Gewiſſen
hierdurch beunruhigt worden jei? Kaum. Das Gewiljen jett ja
doch ein Wiffen voraus. Wird dies Wiſſen oft vorhanden fein,
wenn zur VUebernahme einer Negierung feinerlei Fachfenntniß ges
fordert wird? Jene Tleichtfertige Handlungsweife gegen Schrey—
vogel fiel in eine anfpruchsiofe Zeitepoche. Erſt nach zwanzig
Jahren wırde fie verurtheilt, als die tauben Früchte des Theaters
für Sedermann reif waren, und zu der Nachfrage drängten: wer
hat denn fo franfe Bäume gepflanzt ?
An ihren Früchten jollt ihr fie erfennen! fagt die Schrift, und
damit müfjen wir uns bejcheiven.
Der Zweck dieſes Buches bringt es mit fich, daß ich das eben
ablaufende Jahr der neuen Burgtheater-Direction, 1867 — 1868,
noch ſchildre, und die Bejchaffenheit der neuen Früchte noch an—
deute. Sch werde das fo unbefangen wie möglich thun, aber auch
jo rückſichtslos wahr, wie es meiner Anſchauung entipricht. Denn
ich will dem Inſtitute nüßen.
XXXIX.
Sch bin der Letzte, welcher gegen einen Divectionswechfel
Etwas einzuwenden hat. Ein alter Practifus hat einmal gejagt:
mon muß feinen Theaterdirector länger als jechs Jahre im Amte
(afjen. Denn nad ſechs Jahren iſt feine Driginalität und Produc-
tionsfraft erfchöpft; er copirt fich ſelbſt, und beeinträchtigt die Ent»
wickelung des Inftitutes, welches frifche Säfte vonnöthen hat.
Der alte Bractifus hat gar nicht Unrecht, und ich perjönlich
war fchon lange geneigt, und war ſchon einige Male pofitiv auf
dem Punkte, aus eignem Bedürfniſſe zurüdzutreten, und einer
frifchen Kraft Plat zu machen.
Wenn ich alfo eine veriprechende Perfon mit gutem Princip
hätte auftreten fehn, damit ich ihr Raum gäbe für neue Wirkſam—
feit, ich hätte es wahrlich mit ganzer Bereitwilligfeit gethan. Ja,
ih kann ehrlich hinzufegen: mit Freude hätte ich dem neuen
Director alle Erfahrungen und erprobten Hilfsmittel zu Dienjt ge-
jtellt, damit das Inftitut gedeihe und weiter wachfe. Denn man
liebt folch ein Inftitut wie man ein Kind liebt, das man erzogen
hat, und dejjen gute Entwidelung Einem am Herzen liegt.
Aber dieſer Wechfel widerfprach Alledem,. Für die Behörde war
augenblicklich fein Bedürfniß des Wechfels vorhanden, denn das
Inftitut war im Gedeihn, es hatte die allgemeine Stimnumg für ſich,
und der immer nothiwendige und wohl auch berechtigte Tadel ging
nur auf Einzelnheiten, deren Berbejjerung aufmerkſam erjtrebt wurde.
Und welche Perfon, welches Princip wurde eiligit an die
Stelle gefhoben ? Eigentlich feine Perſon und fein Princip.
486 Das Burgtbeater.
Baron Münch, als dramatiſcher Dichter Friedrih Halm ge-
nannt, beſaß und bejitt als Dramaturg gar feine Phyſiognomie,
und nachdem er an meine Stelle getreten, enthüllte er fein Princip
dahin, dar er in jedem Tagesbefehle anordnete: es foll Alles fort-
geführt werden wie unter Yaube.
Wozu alfo der Wechjel? Dazu: Mean hatte im Grunde ge-
meint, es jollte nur die Herrichaft geändert, die mühjame Aus-
führung aber von mir weiter geführt werden. Als ob das ginge,
ſelbſt wenn ich“ mich dazu hergegeben hätte! Unreife Vorftellung
von einem Organismus, der nur eine herrfchende Seele haben
fann; unreife Velleitäten politiiher Wallung, nicht einmal eines
politiichen Syſtems!
Ein fundiger Mann fagte: „Es iſt dies ein HDineintaften von
Dilettanten, welche die Folgen nicht überfehn, denn auch Münch-
Halm ift ein bloßer Dilettant als Director. Man verwechfelt, wie
berfömmlich, den Titel mit der Fähigkeit“.
Baron Münch war berufen worden, und er hatte fich berufen
laſſen, nicht weil er nebenher als Friedrich Halm dramatiſcher
Dichter war — jeder Laie weiß ja, daR ein dramatifcher Dichter
nicht Dramaturg zu fein braucht —, ſondern weil feine Rangſtellung
paßte für das neue Amt, und weil man einen gefügigen Mann ohne
literarifche Grundſätze zu brauchen meinte.
Die Inſceneſetzung ſelbſt feiner eignen Stüde war nie feine
beſondere Fühigfeit. Dieje dramaturgiſche Aufgabe hatte er immer
praftifchen Yeuten überlaſſen. Dbenein hat er vorzugsweiſe Stüde
geichrieben, welche phantaftiichen Boden haben; der ganze Pragma—
tismus des Theaters, welcher mit hundertfachen Nealitäten zu
rechnen hat, ift ihm fremd. Endlich hat er immer zurücigezogen
gelebt, fajt einfiedlerifch,, und kennt weder das deutſche Theaterper-
fonal, noch iſt ibm der dornenvolle Verkehr mit Schaufpielern ge—
läufig — er fennt Bücher, er war und ift aus der Hofbibliothef.
Nun regiert ev Theater.
Das Burgtheater. 487
Sn welcher Weiſe? — Das deutſche Theater hat eine ſchwache
titerarifche Production, es hat einen geringen Vorrath an dar—
ftellenden Talenten, es hat — namentlich in Wien — ein anfpruch$-
volles, Leben verlangendes Publicum. Der Leiter des Theaters
muß für all Das helfend eintreten, muß alfo einige Fähigkeit haben
für diefe Hilfsleiftung. Er muß zunächſt alle Stüde jelbjt in
Scene feßen, er muß die Schaufpieler leiten und erziehen.
Dies hatte ih nach Kräften gethan, und an diefe Thätigfeit
waren Dichter, Schauspieler und Publicum gewöhnt. Das Alles
aber ift unter. der Winde und wohl auch unter der Fühigfeit des
General-Intendanten. Gr leitet nur vom Bureau. Er ernennt
eiligft einen früheren Schauſpieler, der als ſolcher noch dazu in un—
günftiger Wiener Erinnerung jteht, zum nominellen Divector, und
führt ihn am Leitfeile. Die Schaufpieler fühlen ſich ſolchem Quaſi—
Director überlegen, und die Herrichaft auf der Scene zerfließt.
Die neuen Stüde und neuen Injcenefeßungen werden oberflächlich
in die Außerlichen Formen gefchoben, wie fie hergebracht find bet ven
meiften Intendanztheatern, fie fommen zum Borfchein ohne jegliche
Signatur und Ausarbeitung, fie bleiben wirkungslos für das Publi-
cum, wirfen entmuthigend auf die Schaufpieler, welche die maß-
gebende Leitung vermiffen, und das Ganze taumelt dem Verfalle zu.
Das Jahr vom Herbite 1867 bis zum Herbite 1868 hat das
in einer Schnelligkeit dargethan, welche auch mich überrafht: Die
alten Vorstellungen verfielen, die neuen Vorftellungen fielen durch,
das alte gejchloffene, im Urtheile fein geübte Publicum 309 jich
zurüd, und ein neues, ungejtaltes zog ein.
Unter den neuen Stüden war Halm's „Begum Somru’ das
wichtigite. Es wurde vom Publicum parteiifch ungünstig behandelt;
man ließ den Dichter entgelten, was man dem neuen Intendanten
vorwarf: einen unnöthigen und unpopulären Wechjel ver Direction
herbeigeführt zu haben. Die Wiederholungen des Stüdes, welche
der Intendant mit Necht jtandhaft fortiette, haben die Stellung
488 Das Burgtheater.
des Stückes wohl einigermaßen verbefjert, es ift aber doch zweifelhaft
geblieben, ob das Stück einen Plat im Repertoire behaupten fünne,
Sp wird man oft gerade da gejtraft, wo man Aufinunterung
verdient hätte, Halm Hat in „Begum Sowmru“ ver blos virtuofen
Dramatif den Rüden gefehrt, und einen befjeren Weg betreten.
Der Inhalt ift hier wahrhaft, lebensvoll und wichtig. Auch die
Form, bei Halın ftet8 von anmuthiger Vollendung, gebervet fich
nicht despotifch und verläßt die Linien nirgends, welche das Wefen
des Inhalts ſachgemäß vorfchreibt.
Eine indische Fürftin (Begum) hat in diefem Stüde ein Liebes—
verhältnig mit vem Engländer Dyce, und wird von ihm betrogen.
Der ganze Apparat englischer Annerionen in Indien fpielt da mit
hinein, und Warren Haftings, der englifche Chef, fchreitet wie das
Schickſal näher und näher, bis die Liebesfataftrophe ver Begum fo
weit gediehen ift, daß fie mit ver Stataftrophe des Yandes zuſammen—
fallen fann. Der Landsmann Dpce wird geopfert, die um ihren
Liebesglauben betrogene Fürftin tödtet ſich, das Yand verfällt der
ojtindischen Compagnie,
Diefer an fich reichhaltige Borgang wird belebt durch vie
Liebesintrigue des Dyce mit einer Sclavin der Begum, Schirin,
und durch die draſtiſche Entdeckung diefer Yiebesintrigue,
Man fieht, das Thema war wohl gewählt und gegliedert,
Halm war gründlich abgegangen von der Art feiner früheren Com—
pofitionen, und hatte jich der breiteren, mannigfach charafteriftiich
die Menjchen wie die Vorgänge entwicelnden Form zugewendet,
welche in unſrer dramatischen Yiteratur natürlich und claffiich ges
worden ift. Möge es ihn nicht ivre machen, daß die Einführung
des Stüdes nicht glüclich gediehen ift. Sein Uebergang zu ge—
jünderer Form wird nicht ohne Lohn bleiben.
Frau Nettich hat das Stück zuerſt in Berlin als Gaſt gebracht,
und feinen vollen Erfolg damit erzielt, weil die Meberrajchung der
Liebenden, Schivin und Dyce, Anſtoß gegeben, und weil der da—
Das Burgtheater. f 489
malige letste Act feine Befriedigung gewährte. Frau Nettich jelbit
war auch nicht geeignet, einer um Liebe verzweifelnden etwa dreißig—
jährigen Fran den günftigften Ausdruck zu verleihn. Jene Ueber:
raſchung der ſchlafenden Yiebesleute hat im Burgtheater feine
Störung veranlagt, und Halm hat den lesten Act glücklich umge—
arbeitet, Der jegige, tragiihe Schluß ijt eine gründliche Ver—
bejferung. Den schlechten Dyce zuletst auch noch feig und das Ganze
ohne eigentliche Kataftrophe ausgehen zu jehn, wie es in der Berliner
Aufführung der Fall gewefen, mußte den Gefammteindrud ſchädigen.
Zu bemängeln bleibt am Stüd wohl noch, daß die Begum
gar feinen nationalen Zufammenhang mit ihrer Heimath zeigt, daß
ihr Sitte, Baterland und Staat gar Nichts bereutet, und daß ihr
die Yiebe eines nichtswürdigen Patrones Alles ift. Da vieler
Patron in allen Beziehungen nichtig, jo leidet ste felbit unter dem
Rückſchluſſe von ſolchem Geliebten auf die Yiebende, Wie viel be—
deutet jie jelbjt, wenn ein Wicht ihr Alles beveutet? Hier hängt
der Autor noch in den Schlingen der alten Vorliebe für Capricen,
und verliert dadurch an der Größe des Schluffes, welcher im Tode
Befriedigung und Erquidung gewähren kann, ſobald ver fterbende
Menſch für einen großen Zweck ſtirbt.
Halm mag ih auf, ‚Othello‘ berufen und auf die tragiſche Be—
rechtigung jeder Leidenſchaft, und jedenfalls iſt ſolcher Schritt eines
begabten Poeten zur Einfachheit und Wahrhaftigkeit von großem
Werthe, Cr läßt uns hoffen, daß feine fernere Production fich von
der blos fünftlich poetifchen Marotte, vom Kuhreigen einer lepiglich
erträumten Welt ganz emancipiven, und uns nod) ganz gejunde
Dramen jchenfen werde, Die deutjchen Theater werden ihn darin
bejtärfen, und werden ihren eigenen Vortheil finden, wenn fie
„Begum Somru“ ihrem Bublicum vorführen.
Der Sturz des Concordates gejtattete in dieſem Jahre endlich
die Wiederaufnahme des „Königs Johann“, welchen ich des Ver:
botes wegen damals nicht über die Yeleprobe hinausgebracht hatte.
490 Das Burgtheater.
Das Stüd fonnte jett gegeben werden, hat aber feinen klaren Ein-
druck gemacht.
Das war vorauszufehen, jobalv das Originalftüd nicht einige
Zuthat in der Compofition erhielt. Die „Hiſtorien“ Shafejpeares
jind eben unverändert feine Theaterjtüde für uns, wenigſtens nicht
vor einem lebensvollen Publicum, wie es in Wien ven Ton angiebt.
In dieſen „Hiſtorien“ ift der hifterifche Vorgang und bie
Sharafteriftif der vorherrſchende Gefichtspunft, die dramatijche
Sompofition fteht in zweiter Linie, und tritt mitunter ganz zurück.
Es fehlt alfo der durchſtrömende, geichloffene Zug der Handlung.
Es geichieht Viel, aber das Gejchehen jteht im VBordergrunde, das
Handeln, die eigentlihe Macht des Dramas, die perjönliche Ent-
wicelung des Menſchen durch folgerichtige Thätigfeit, der eigentliche
pramatifche Quell des Gefchehens bleibt meiſt vervedt. Wir jind
deßhalb zweifeldaft, für wen wir uns interejjiren jollen, und im
Theaterſtück müſſen wir uns für Perfonen interefjiven; wir zer
jplittern unfre Theilnahme auf Partien, auf einzelne Scenen —
wir bleiben ohne ven Einprud einer gefammelten Handlung.
Dazu hatte die Infcenefegung auch noch das Nüchitliegende
verabſäumt: jie hatte auf den Proben nicht wahrgenommen, vaß
die Perfonen viel zu viel Unflares und Schwülftiges jprechen, und
das fie davon befreit werden mußten, wenn jie nicht ſämmtlich ihre
Reden abjtumpfen und wirfungslos machen follten. Hätte das Stüd
nicht den Namen Shafeipeares an der Stivn getragen, fo wäre die Auf-
führung an dem überbaufchenden, fraujen Bombaft zu Grunde ges
gungen.
König Sohann gehört nicht zu den befjeren Stüden Shake—
ipeares, und man hat deßhalb auch früher die Echtheit deſſelben
angezweifelt. Der Unterſchied im Ausprude iſt neben „Hamlet“,
‚Macbeth‘, „Othello“ ein jehr großer. Der Dichter des „Königs
Johann“ ſteckt noch tief in der Modeform ver Eliſabeth-Zeit, welche
über feine Nede, über fein Wort alatt hinweg kann, fondern Ana—
Das Burgtheater. 491
logien jucht, Vergleiche herbeizieht, über Witjteden jtolpert, furz
nach unfern Begriffen ſchwülſtig, gefucht, gefhmadlos wird. Jede
Einfachheit geht verloren, jeder Nachdrud mit ihr. Die Gedanfen,
im eigentlichen Shafejpeare fpäterer Periode jo fein und fo groß,
jo unicheinbar oft und doch jo mächtig — fie verfrüppeln hier faſt
alle im Entjtehen durch überbreite Ausführung, oder fie erfaufen im
Wortſchwall. Fajt alle, denn die Klaue des Löwen iſt wohl
einige Male fichtbar, und zwar in denſelben Wendungen, welche in
jpäteren Stücken bündiger zum Vorſchein fommen, zum Beifpiele
„Ungeduld hat ihr Vorrecht“.
Kommt nun hinzu, daß alle endlofen Kevden nicht ımterjtütt
werden von dramatifcher Spannung, jondern im Grunde immer
monologiſch ericheinen, wenn fie auch in Gegenwart andrer Per:
jonen gefprochen werden, jo ergiebt fich die faum überwindliche
Schwierigfeit, mit ſolchen Reden ein Theaterpublicum wirklich zu
treffen. Dper find denn die großen tragifchen Reden Conjtanzens
etwas Anderes als Monologe? Erſcheinen fie nicht wie Bravour—
Arien? Auf den Gang ver Handlung üben fie nicht den geringiten
Einfluß; ja, wir wiſſen's vorher, daß fie gar feine Wirfung haben
fönnen, daß nur ‚die Mutter ihre Schulvigfeit thun muß. Wenn
wir’s uns ganz überlegen, jo fommen wir jogar zu dem Refultate:
die Figur der Conftanze kann ausgefchieden werben aus dem Per:
jonal, ohne daß in den Vorgängen das Minvefte verändert wire.
Sie hat num zu lagen. Solche Bemerfung ift aber wernichtend für
den dramatiſchen Begriff und für den armen Schaufpieler, welcher
außerhalb des organischen Verbandes einen blos declamatoriſchen
Effect juchen und erzwingen muß. Im Laufe der Acte fommt man
jelbjt beim Baſtard Faulconbrivge, einer vortvefflih gedachten
Hauptfigur, auf den Gedanken, ob jie denn eigentlich nöthig fei,
ob jie nicht durch einen Botenläufer erjett werden fünne, Er
ipricht zu Allem mit, aber er gewinnt nirgends einen Einfluß auf
die Handlung. Hier jtehen wir eben vor einem innerjten Gebrechen
492 Das Burgtheater.
einer „Hiſtorie“, welche den Vorgang in Begebenheiten und Ge:
ihehnijjen vorüberführt, und nicht in Entwidelung der handelnden
Perſonen. Und deßhalb haben die Schuufpieler einen fo trojtlos
ihweren Stand in folcher „Hiſtorie“, deßhalb hat die Inſcene—
jegung jolch einer Halbform vor allem Uebrigen darauf zu achten,
daß die ohnehin in die leere Luft fprechenden Schaufpieler nicht auch
noch breit und redſelig zu fprechen haben. Herr Baumeifter, welcher
den Bajtard zuerjt gut jpielte, war zuletßt ohne Athem, Stimme und
Wirkung, die leere Luft hatte Alles verzehrt,
Das Stüd ift reich an Stoff und Gegenfägen und Charafteren.
Eine talentwolle Bearbeitung, welche fich zu Veränderungen im
Gange entjchließt, zu fichtliher Motivirung in der Scenenfolge,
fönnte wohl ein Kepertoivejtid für unfve Bühne gewinnen aus
dieſer bloßen Hijtorie.
Am Schlufje ver Saiſon brachten die Schaufpieler endlich der
Direction eine Borftellung zu Hilfe, welche die warme Theilnahme
des Publicums gewann. Site hatten für fi das Fragment von
Grillparzers „Eſther“ einjtudirt, und gaben es im Operntheater
zum Beſten eines Wohlthätigfeitszwedes. Es fand enthufiaftifche
Aufnahme, und ging dann in's Burgtheater über,
Wir hatten ſchon vor Jahren Grillparzer die Erlaubnig abge:
rungen, dies Fragment aufzuführen. Sehr ungern gab er fi. Er
(tebt es nicht mehr, an die Deffentlichfeit gezogen zu werden, und
war herzlich froh, als die Beſetzung Schwierigfeiten zeigte, und das
Unternehmen liegen bleiben mußte. Kine Schaufpielerin nämlich
hatte fich die Rolle ver Ejther von ihm erbeten, welche ich ungeeignet
fand für diefe Aufgabe; er aber wollte fich ven Aerger erjpart jehn,
jein halb gegebenes Verjprechen zurüd zu nehmen.
Jetzt war dies Hinderniß veraltet, die Schaufpieler beriefen ſich
auf die frühere Erlaubniß, und wir fahen im Opernhaufe den Vor—
hang aufgehen zu dem zweiactigen Drama, ihm, dem alten Herrn,
zur Sorge, ung Allen zu großer Freude. Trog der Mittagszeit
Das Burgtheater. 493
war das Opernhaus voll, Die Wiener willen e8 zu ſchätzen, wenn
ihr größter Dichter eine Spende zuläßt, und fie hörten, fie hörten
in einer Stille, daß auch nicht eine Sylbe verloren gehen fonnte.
Am Hofe zu Suja find alle Parteien in Verwirrung, weil fich
der König von feiner eigenfinnigen Gemahlin gefchievden hat. Was
jollen jie thun? Was wird gejchehen? Auf welcher Seite ift Ge-
winn zu erwarten? Letzteres fragt befonders Haman, ein hoher
Staatsbeamter, ein Mujterbild von diplomatifcher Vorficht und
Eigennügigfeit. Sich nirgendhin vergeben, Alles einleiten, für gar
Nichts Verantwortlichfeit übernehmen, für Alles aber ſich den Lohn
ſichern, wenn ver Erfolg eintritt — das ift fein Weſen, reiflichſt vom
Dichter gezeichnet, reiflich von Yewinsfy vargejtellt. In diefem Sinne
hat Haman veranjtaltet, daß die ſchönſten Mädchen des Reichs an den
Hof gebracht und dem Könige zur Wahl vorgeftellt werden. Er wird
ja dann die neue Königin gefchaffen haben, und allen Danf ernten.
Der König dagegen hat in einer großen Rede — meilterhaft
vorgetragen von Sonnenthal — fich zornig ausgefprohen, daß er
bei all jeiner Macht ein Sclave feiner Sclaven wäre, denn er
müßte durch ihr Auge jehn, durch ihr Ohr hören, und fie zeigten
und böten ihm ſtets Falfches, fie fuchten ihren Vortheil, nicht das
Wohl des Volfes, nicht das Wohl des Königs, welcher wirkungslos
jei mit aller Yiebe und mit allem Drange, feine Yiebe zu bethätigen,
Bei diefer Stimmung hat die bloße Mädchen | ch au wenig Aus-
Jicht auf eine Wahl. Ja, der Unmuth des Königs wird durch vie-
jelbe nur gefteigert, und zu Hamans Verzweiflung will er auch das
fette Mädchen von dannen ſchicken — da gewahrt er, daß dies
Mädchen jelbjt gar nichts Anderes will, als fortgefchieft zu werden,
Es ijt Ejther, eine Jüdin, natürlich, Flug, faſt weile. — Diefe
Weisheit wäre eine Gefahr für ven Charakter des jungen Mädchens,
wenn der Dichter nicht ein Poet erjten Nanges ift. Grillparzer
hat jeine größte Kraft darin bewiefen, daß die Reden Ejthers nur
an Weisheit jtreifen, und mit ver Jugend vereinbar find. Sie ent:
494 Das Burgtheater.
jpringen nicht aus bewußter Erfahrung, fie entjpringen aus einem
glücklich begabten Naturell, welches neben Mardochai, einem jüdi—
ihen Philofophen, aufgewachfen ift. Ejther hat Logik eingefogen
ohne Abficht, und fo iſt fie jett verjtändig vor dem Könige ohne
Abſicht, und da fie übrigens aut und liebenswürdig, und da der
König ebenfalls gut und liebenswürdig, fo finden fich in einer
langen Scene — ein Meiſterſtück von feiner, echter Liebesfcene! —
die beiden Menfchen vergeftalt zu einander, daß Jedermann im
Publicum innerlich zuftimmt und vuft: Sa, fo entjteht wahre Liebe,
die Beiden lieben ſich, fie gehören zu einander, fie find König und
Königin — und fo fällt der Vorhang unter enthuſiaſtiſcher Zu—
ſtimmung des ganzen Haufes; das Fragment ift zu Ende,
Das Fragment? Iſt es denn eines? ch finde, die Vorftellung
hat erwiejen, daß es ein Stück ift, nicht blos ein Fragment. Einige
breitere Borbereitungen tim erſten Acte, welche allerdings für ein
längeres Stück angelegt find, brauchen nur abgefürzt zu werben,
und e8 entjteht auch die wünjchenswerthe Symmetrie, und ein zwei—
actiges Stück ift abgerundet. Es liegt da feit langen Jahren beim
Dichter als Fragment, weil der Dichter klar oder unflar empfunden
hat, daß er fich mit diefer großen, und was die Hauptfache ift, mit
diejer abſchließenden Liebesicene die Fortſetzung erfchwert, wenn
nicht vergeben hat. Sch meine: vergeben. Die höchjte Karte ift
ausgefpielt, was kann nun fommen? Prüfungen? Rückgänge?
Weil fie eine Jüdin ift, und die Juden fremd und verachtet waren?
Das wird bei dem Sinne des Königs abfallend, nicht jteigernd er-
ſcheinen. So wie König und Ejther angelegt find, müffen fie jchließ-
[ich doch vereinigt werden, oder es muß ein Trauerjpiel entjtehn,
deſſen wohlthuende Macht nicht abzufehen iſt nach dem, was vor—
liegt, Hofintriguen, VBerhetung der beiden Hauptperjonen, ſchmerz—
(ihe Trennung, welche nur auf gemachten Motiven beruht, alfo
fein gutes Trauerfpiel. Das verlängerte Schaufpiel aber wird die
Höhe diefer Liebesfcene faum wieder erreichen fünnen, und wenn es
*
Das Burgtheater. - 495
fie wieder erreicht, jo wird vie Steigerung fehlen, und wir werden
den mühſamen Weg bedauern, der nur an daſſelbe Ziel führt.
In dieſem Gedanfengange wird wohl die Erklärung zu finden
jein, daß Grillparzer die Arbeit hat liegen lafjen als Fragment.
Wie dem auch ei, der alte Herr legt ſchwerlich nochmals die Hand
an diejes Werf, und fo thun wir Recht, wenn wir ung Die veizende, mit
vielfältiger Weisheit bedachte Gabe als zweiactiges Drama aneignen.
Sie ijt eine ſchöne Bereicherung der Literatur und des Nepertoires.
Es iſt diefer König eine wortreffliche Kunftleiftung Sonnen—
thals, und ich mußte mir eingeftehen: es war gut, daß wir damals
gehindert wurden an der Inſceneſetzung diefer Ejther, Sonnenthal
wäre noch nicht fo volljtändig ausgebildet gewejen für diefe Rolle,
wie er es feit der Zeit geworden, nicht ganz jo ausgerüjtet, die Rolle
in allen Theilen, in den vhetorifchen, wie in der allmäligen Ent:
hüllung der Gefühle vollendet darzuftellen. Auch Fräulein Bognar
traf Haltung, Sinn und Kern der Ejther in glücklichem Grade.
Alles Uebrige, was diefes Theaterjahr gebracht, iſt wie Spreu-
vor dem Winde in die Luft der Vergefjenheit geflogen — es war
eine unfruchtbare Saifon. Und nicht blos unfruchtbar, jie war
verwüftend. Namentlich find die Schaufpieler ſämmtlich zurückge—
gangenz einzelne unter ihnen, und zwar unter den erſten, welche
fortwährender Aufmerffamfeit bedurften, find dem Untergange naheges
bracht — das Burgtheater, die letste Haltejtätte des leider planlos hin-
taumelnden deutjchen Theaters, treibt wie ein ſteuerloſes Floß auf den
gefährlichen Wellen des Zufalls und ift in Gefahr verloren zu gehen.
Ich kann wohl mit Zujtimmung des ganzen alten Burgtheater:
Publicums fragen: wo lag die Nothwendigfeit eines Wechjels, für
deſſen Gelingen jo wenig ſachgemäße Sicherjtellung vorhanden war ?
Möge bald eine friſche Kraft zur Leitung gefunden werden, um
einem Niedergange Einhalt zu thun, welcher nicht blos fin Wien,
jondern für das ganze deutſche Schauſpiel ein Unglück ift.
Die Erfüllung diefes Wunfches würde freilich in gefährlicher
496 Das Burgtheater.
Weife vertagt, wenn die allgemeine Wiener Stimme Recht behielte in
Erflärung der Abfichten, welche bei dieſem Directionswechſel im Hinter-
grunte obgewaltet. Dann wäre felbjt Baron von Münd nur als
Schwelle benützt worden für den Einzug eines Intendanzwefeng, wie
es an Fleineren deutſchen Hoftheatern verwültend grafjirt hat. Dann
folgte auf den Münch'ſchen Marasmus die galoppivende Schwindſucht.
Jenes alsdann zum erſten Mal in die Burg einziehende In—
tendanzweſen iſt innerlich ganz ohne Intereſſe für das deutſche
Schauſpiel, es hat nur die Tamtam-Schläge der Zeitungen vor
Augen. Dem Grundcharakter des Burgtheaters läuft es ſchnur—
ſtracks zuwider, indem es alle erſinnlichen Mittel äußerer Blendung
herbeizieht, und das Einfache zerſtört, alſo gerade das zerſtört, wo—
durch das Burgtheater Burgtheater geworden iſt.
Das einfache Wort, das intime Schauſpiel, die keuſche Claſſicität,
welche jedem ſinnigen Menſchen verſtändlich — ſie ſind die Grundele—
mente des Burgtheaters. Dafür hat es Kaiſer Joſeph gegründet. Für
die Erhaltung dieſes Inſtituts ſollen die regierenden Herren eintreten.
Hoffentlich werden die alten, echten Freunde des Burgtheaters
wieder Einfluß gewinnen an entſcheidender Stelle, und werden die
Wahl dahin lenken helfen, wo neben ver Friſche auch Liebe fürs
deutihe Schaufpiel wohnt und wo das Bedürfniß dauernder
Schöpfung walte, Nur dann fann der deutichen Bühne ihr ein-
facher Tempel im Buratheater wieder erworben werden.
Sch perfönlich, in Sahren vorgerücdt, ſtehe dabei ganz außer
Frage. Ich habe denn auch Nichts mehr hinzuzufegen als das Ge-
ſtändniß, daß ich mit tiefem Schmerze vom Burgtheater geſchieden
bin. An dieſem Schmerze hat die Beſorgniß den größten Antheil
gehabt: es werde das fo eigenthümliche Iuftitut num wie jo manches
deutfche Intendanztheater einer blos äußerlichen Führung über-
liefert werden,
Drud von Otto Wigand in Leipzig.
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