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Full text of "Das Burgtheater. Ein Beitrag zur deutschen Theater- Geschichte"

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Das Durgtheater. 


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Deutfden Theater-Geſchichte. 


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Leipzig 
Berlagsbuhhandlung von I. I. Weber. 
1868. 


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Das Burathenter. 





1. 


Bis zum Jahre 1750 jind viele Punkte unflar und wider: 
ſpruchsvoll über die Stätte und über das Haus, welches unter dem 
Namen „Burgtheater“ eine jo große Rolle jpielen jollte in ver 
Geſchichte des deutichen Theaters. 

Der verjtorbene Graf Mori Dietrichitein, zu wiederholten 
Malen und immer längere Zeit Chef dieſes Theaters, hat Alles 
geſammelt, was auf die Gejchichte des Burgtheaters eine Beziehung 
hatte, und hat mir Alles mitgetheilt. Aber auch aus feiner Mit- 
theilung wurde nicht Alles klar über die Benutzung und allmälige 
Erweiterung des jetzigen Hauſes. 

Im Sahre 1740 — jchreibt er — war an vemjelbigen Orte 
noh ein Ballhaus. Ballhaus im damaligen Sinne, nicht im 
jetigen. Aus Sranfreich ftammte die Sitte, in gedecktem Raume 
Ball zu ſchlagen, und dadurch zu jeder Zeit eine jtarfe Yeibesübung 
haben zu fünnen. 

Im Jahre 1756 — fchreibt er weiter — wurde das Theater 
gegen den Michaelsplatz um ſechs Yogen vorgerücdt durch ven Archi— 
teften Michel, von welchen ev nicht weiß, ob er ein Franzoſe oder 
ein Belgier gewefen. 

Dan jieht jest immer noch am Plafond des Burgtheaters 
eiferne Klammern. Sie follen den Punkt bezeichnen, von welchen 
aus das Theater erweitert worden ift. Da die Erweiterung ſich 
auf Logen bezieht und gegen den Michaelsplag ftattgefunden hat, 

1* 


4 Das Burgtheater. 


io jeheint daraus hervorzugeben, daß die Bühne damals auf der 
inneren Seite der Burg geweſen tft, nicht wie jett auf der Seite 
des Michaelsplates. 

Im Jahre 1780 — jchreibt er endlich — iſt es (ohne Ver— 
größerung) zu einem Theater umgejtaltet worden mit acht Logen 
auf jeder Seite, die Kammerherrnloge in der Mitte und im Pro: 
jcenium zwei Yogen übereinander. 

Theater aber war es doch ſchon lange. Soll damit nur eine 
Veränderung in der öffentlichen Benennung gemeint fein? 

Fragen wir aljo eine zweite Quelle. Ein alter Schaufpieler, 
Dr. Weidmann, hat in der „Wiener Theaterzeitung‘ 1860 „Bei— 
träge zur Gejchichte des k. f. Hofburgtheaters‘ veröffentlicht, und 
da wird abweichend Folgendes berichtet: 

„Im Jahre 1741 ward das heutige Hofburgtbeater nach einem 
von Weisforn entworfenen Plane mit Gutheifung des Hofes für 
die „„deutſchen Komödianten““ erbaut.‘ Dies ſei — führt er 
fort — einmal vom Director Sellier, und nochmals im Jahre 
1751 vom Baron Yoprefti vergrößert worden. „Im Jahre 1760” 
ſchließt er — ‚‚erbielt das Theater an ver Burg durch den Grafen 
Durazzo feine gegenwärtige äußere Gejtalt mit dem Fronten gegen 
ven Michaelsplatz.“ 

Wir jehen alſo: die Mythe hüllt die Entjtehung des Kunſt— 
tempels in ihre Wolfen, was ja bei wichtigen Gebäuden in der 
Ordnung tft. 

Sp viel ijt indeß gewiß: die erjte äußerlihe Wiege des veut- 
iben Schaufpieles in Wien war das Burgtheater nicht. Diefe 
Wiege jtand auf dem Mehlmarkte und war eine Bretterbude. 
Dort wırden die deutſchen Hanswurſtſpiele aufgeführt, welche zu 
Anfange des achtzehnten Jahrhunderts das deutſche Theater bedeu— 
teten, und welche in Wien diefe Bedeutung ein halbes Jahrhundert 
fejtgehalten haben, ja noch länger. 

Der Kampf gegen die Burlesfe begann allerdings ſchon in den 


Das Burgtheater. 5 


vierziger Sahren, aber diefer Kampf führte noch zu wiederholten 
Niederlagen des jogenannten regelmäßigen Schaufpiels und zu 
wiederholten Auferjtehungs-Triumphen der Burlesfe. Erſt zwiichen 
1770 und 1780 jtellte jich der Begriff feit, welchen wir noch heu— 
tigen Tages mit dem Wort: „Burgtheater“ bezeichnen. 

Die Theaterereignifje ſelbſt, welche dahin führten, verliefen 
in folgender Geitalt: 

Für die Italiener hatte der Wiener Magiltrat ein Theater 
am Kärnthnerthore erbaut. Dies erhielten die deutfchen Komö— 
dianten zum Schauplate eines deutſchen Theaters, und 1708 jievelte 
Stranisfy mit feinen Collegen vom Mehlmarkte in dies Theater 
über. Das Kärnthnerthor-Theater war alfo das erſte jtehende deutſche 
Theater in Wien. 

Bis zu feinem Tode — 1725 — jchwang hier der jehr be- 
gabte Stranitfy jeine Pritihe und beherrichte den Wiener Ge- 
ſchmack. Er forgte auch noch vor jeinem Tode für die Zufunft der 
Burlesfe: er jtellte dem Publicum feinen Nachfolger vor in ver 
Perſon Gottfried Prehaufer’s, der aus den „drei Yaufern” am Kohl- 
marft jtammte. Der junge Hanswurjt fniete nieder und bat vie 
Anweienden um Gotteswillen! fie möchten doch über ihn lachen! 
Die Anwejenvden thaten es, und die Zufunft der Burlesfe war ges 
jihert. Andreas Schröter trat ein als Großſprecher — eine ſchon 
bei ven Römern erfcheinende Theaterfigur, — Leinhaaß als Pan— 
talon, Maria Anna Nuthin als Colombine, und dem alfo innerlich 
wohlverjehenen Poſſentheater ward unter Boroſini und Sellier auf 
zwanzig Jahre das Privilegium des deutſchen Theaters verliehen, 
es ward alfo bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts das 
Poſſenſpiel fejt eingebürgert. 

Dies gerade war der Zeitraum — 1730—50, — in welchem 
Deutichland die erjte große Anſtrengung machte, ein gebilvetes 
. Schaujpiel zu gewinnen, eine Anſtrengung, welche im Wejentlichen 
gelang. Der Anftoß zu dieſer Ichöpferiichen Reform ging von den 


6 Das Burgtheater. 


Mittelftaaten aus und von den Mittelſtädten. Wien und Berlin 
jpielten feine Rolle dabei. Berlin am wenigjten; es verhielt fich 
befonders trüg. Es befam eben 1740 jchon einen König, welcher 
ſich für die deutſche Literatur gar nicht intereffirte, und die ſchleſiſchen 
Kriege, welche er entzündete, nahmen es jo übel wie Wien in An— 
ſpruch. Kleine Fürften, wie die von Braunſchweig, von Mecklen— 
burg und bejonders von Holjtein nahmen jich zuerjt des Finvelfindes 
„deutſches Theater” an, und Städte wie Yeipzig, Gotha, Hamburg 
traten an die Spike der Reform. Jene kleinen Fürftenthümer, 
Gotha eingejchloffen, errichteten die erjten Hoftheater, und Yeipzig 
begann unter der Direction der Frau Neuberin principiell die 
Gründung eines gebildeten Schaufpiels. Die Namen ‚„Neuberin‘, 
„Eckhof“, „Leſſing“ bezeichnen vie Stufen der aufſtrebenden deut- . 
ihen Bühne. 

Bom Jahre 1730 etwa datirt der Begriff des gebildeten deut— 
Ihen Theaters. Da blühte die Divection der Neuberin auf in 
Yeipzig unter ver Aegide Gottſcheds. 1757 wurde ver Hanswurſt ver— 
brannt. Man hat Gottichen mit Necht „gottſchädlich“ genannt, 
weil ev ein Pedant war und den Gott der Kunſt wirklich nicht kannte. 
- Aber der ftreng beginnenden Form war er fürderlid. Die Ent- 
widelungen geben jtufenweife, und die erſte nöthige Stufe war: 
eine enge, fnappe Form hinein zu bauen in die wüjte Wirthichaft des 
extemporirenden Banpenjpieles, welches berichte. Aber auch dies 
Bandenſpiel war ſchon dem deutſchen Theater in Wien voraus. 
Staatsactiones, engliihe Komödie, plumpe Poſſe bildeten das Re— 
pertoire. Jedes war ſchätzbar als fruchtbares Korn, und jedes tjt 
aucb ſpäter entwicelt worden: die Staatsaction zum bilterifchen 
Schauſpiele, vie engliihe Komödie zum bürgerlichen Schaufpiele 
und die Poſſe zum Yujtipiele. So wie dies Repertoire damals 
wucherte, war es Unkraut, welches jchonungslos gejätet werden 
mußte. Es war ungethimer Stoff; eine Form that noth, aud . 
wenn diefe Form zunächit verarmen follte, 


Das Burgtheater. q 


Dieje Grundaufgabe Löfte die Neuberin mit bewunderns— 
werther Energie. Sie ift die Mutter des deutihen Schaufpiels; 
viel mehr, als Gottſched Vater war. Sie beſaß den Injtinet der 
Schöpfung, welcder etwas ganz Anderes war und wurde, als der 
blos formaliftiihe Sinn Gottſched's ahnte. Sie war produtctiv 
und hatte ven Kern und Saft der bis dahin wüjten Komödie ganz 
und gar in ſich, während Gottſched davon Nichts beſaß. Er war 
vom Humor verlafjen, jie war reich daran. Sie erfand, fie extem- 
porirte jogar ebenfalls, wenn's augenbliclich nöthig war, kurz, fie 
war eine lebenswolle Natur und ein fünftleriicher Charafter. Daß 
fie dabei auch ein ftarfer bürgerlicher Charafter war, welcher Ord— 
nung hielt, welcher jtreng einen Strich jegelte, welcher Opfer brachte 
mit Bewußtſein und Tapferkeit, das war entjcheivend. Wlan rejpec- 
tirte das, und dies moraliiche Anfehen war dem verachteten Komö— 
diantenleben unſchätzbar. Das moraliſche Moment ſtützte das 
literariſche. 

Sie konnte aber natürlich mit aller Kraft der Ausführung nur 
einen Anfang bereiten. Sie konnte nicht auch die Stücke ſchaffen, 
ſie mußte froh ſein, wenn ſie verſchafft wurden. Dieſe Verſchaffung 
geſchah mit Hülfe des franzöſiſchen Theaters. Die dramatiſche 
Literatur aus der Epoche Ludwig's XIV. bildete die Grundlage zu 
dem Lentſtehenden regelmäßigen Schauſpiel in Deutſchland. Von 
Seiten Gottſched's in pedantiſcher Ueberſchätzung der entlehnten 
Form, von Seiten der Neuberin in deutlicher Einſicht, daß dies 
nicht genüge und daß Kräfte erwachſen müßten in Deutſchland, 
welche mit eigener Schöpfungskraft ven Inhalt brächten für die 
Reform. 

In der That wuchs auch der wahre Führer neben ihr auf in 
Leipzig, und der junge Yeljing fing neben ihr an, es mit Fleinen 
Stüden zu verfuchen. 

Aber ein paar Jahrzehnte vergingen, ehe Anfang und Ueber: 
gang fich To weit entwicelten, daß von einem echten Neuen die Rede 


8 Das Burgtheater. 


ſein konnte. Die Ueberzeugung war bald da, daß die enge franz 
zöfifche Tragödie dem deutjchen Bedürfniſſe nicht genüge, und man— 
nigfaltige Bejtrebungen machten jich geltend, die enge Form zu er— 
weitern , die fremden Stoffe durch näherliegende zu erfegen. Elias 
von Schlegel, Weiße und Gellert waren in diefer Richtung thätig ; 
Gellert befonvders in der wahrhaftigen einfachen Form des bürger- 
lichen Vaterlandes, und die Popularität feiner harmloſen Scherz: 
ipiele wurde ein deutlicher Fingerzeig, daß anfprechendes Yeben des 
Theaters im jchlichten Heimathsleben zu fuchen und zu finden jei. 

Einige tüchtige Schauspieler halfen mit Talent und Charakter: 
fraft, daß dieje Uebergangszeit überjtanden wurde und fein Rückfall 
eintrat in das überwundene rohe Wejen. Eckhof ijt unter ihnen 
die Hauptfigur; die Ackermann'ſche Gefellichaft, bei welcher Schrö- 
der aufwuchs, die wichtigjte Corporation in jener Uebergangszeit. 

Der wahre Führer entwidelte jich in Gotthold Ephraim 
Leſſing. Die Grundſätze, welche er in ſich ausbildete und durch 
jeine Stücke bethätigte, wurden das Gejetsbuch des deutſchen Theaters, 
ein Geſetzbuch, welches noch heute in Kraft und Wahrheit bejteht. 

1755 erichien fein erjtes größeres Stüd „Mit Sara Samp- 
ſon“ und wurde in Hamburg gegeben. Es machte die Runde über 
alle bejferen Bühnen und auferordentlichen Eindruck. 1767 erit 
folgte „ Minna von Barnhelm“, 1772 „Emilia Galotti“. 

1775 reijte Leſſing auf dem Wege nach Italien durch Wien 
und ward zur Berathung gezogen über das deutſche Schaufpiel in 
Wien, 9a, es war die Rede davon, ihn für das Burgtheater zu 
gewinnen, 

Wie war nun in Wien die Entwidelung des deutjchen Theaters 
vorwärtsgegangen neben den Reformen in Deutſchland? Yang- 
jam, unter immerwährender Störung, unter häufigem Rüdfall. 

Bis zum Jahre 1747 herrfchte die Burlesfe im Kärnthnerthor— 
Theater ungejtört und unumſchränkt. Sie hatte jich im Perjonal 
fortwährend und glüdlich verſtärkt; Weißkern, Kurz und Kurzin, 


Das Burgtheater. 4 


Mayberg und Huber hatten das Contingent vermehrt, und es iſt 
nicht zu verkennen, daß jte alle jehr begabte Yeute waren für fröh- 
liche, poſſenhafte Komödie. Sie jchufen jich immer neue Narren- 
charaktere und waren darin geradezu jchöpferiich: Kurz erweiterte 
die jtehenden Masken mit einem ungezogenen, lüderlichen Buben, 
welcher Bernardon genannt wurde, Weißkern war Odoardo, Schrö- 
ter Bramarbas, Huber Yeander. Yebterer erwies ſich jogar von 
beveutungsvoller Driginalität, ev Ihuf eine heimathliche jtehende 
Figur: den Yeopoldl, welchem ſpäter der „Salzburger Bauer’ zur 
Seite trat. Es entwicelte ſich aus den italienischen Masten all- 
mälig eine wirklich lebendige Yocalpofie, welche nie und nirgend 
ihre Anziehungskraft verjagt, und die Unmittelbarfeit woraus hat 
vor dem gebildeten Schaufpiele. Der ſpätere Staberl und ver 
neuejte Neſtroy jind Enfel und Urenkel dieſer Richtung. Wenn die 
eigene Erfindung nicht zureichte, jo nahm man fpanifche, wäljche und 
franzöjiiche Stüde vor, um einen neuen Yeitfaden für ven Stoff zu 
haben. Aus der Handlung diefer fremden Stücke verfertigte man 
ein Scenarium, und füllte dies aus mit extemporirten Spüßen. 
„Dieſe Leute“ — jagt ein alter Bericht — „hatten es jo weit ges 
bracht, daß ihnen im Ertemporiven feine Truppe gleichfam; man 
beobachtete feine langweilige Scene, ſelbſt die ohne den Narren 
wurden lebhaft.‘ 

Ein Schaufpieler Namens Weidner brachte Anno 1747 eine 
Unterbrehung in dies talentvolle, aber wüjte Iheatertreiben. Er 
jette es durch, daß ein regelmäßiges Stüd „von draußen‘ gegeben 
wurde. ES war ein Traueripiel in Verfen „Die Allemannijchen 
Brüder’ von Krüger aus Danzig. Der Contrajt war grell, aber 
er machte Glück. Das Stüc gefiel und fonnte oft wiederholt wer- 
den. Man fragte nun nach ven Theaterzuftäinden ‚draußen‘, und 
als es allgemeiner befannt wurde, daß die Neuber'ihe und Schöne— 
mann'ſche Geſellſchaft jchon jeit Jahren regelmäßige Stüde auf- 
führten, da verlangte man num auch nach folchen Stücden. Obiger 


10 Das Burgtheater. 


Herr Sellier nahm ſich der Sache an und verichrieb von der Neu- 
ber'ſchen Gejellihaft mehrere Mitglieder: Koh und Kochin, Heyd— 
rich und Mademoiſelle Yorenzin mit der ausprüdlichen Klaufel: zu 
ſtudirten Stüden. 


Diefe Nachricht frel wie eine Bombe unter die Führer der Bur- 
(esfe, und nachdem fie fih gefammelt, riefen Weißkern, Prehaufer 
und Kurz: Das fünnen wir auch! Und das werden wir beweilen ! 

Und wirklich, wie geſchickte Feldherren beuteten jie die drohende 
Yage aus: fie fetten jelbjt jolche regelmäßige Stüde aufs Reper— 
toive und fpielten fie. Nur erlaubten fie jih Freiheiten in ver Be— 
jeßung und ließen die beiten Scenen aus. Die erite Yiebhaberin 
ward einer corpulenten Fünfzigerin gegeben und der Liebhaber 
wurde dem Leopolol-Huber anvertraut. Der nichtswürdige Erfolg 
blieb nicht aus, und fie fagten achjelzudend: Das find eure regel- 
mäßigen Stüde ! 2 


Dennoch fette Sellier mit ven Seinen durch, daß die ſächſiſchen 
Schauſpieler auftraten, und zwar im Traueripiele „Eſſex“. Stüd 
und Darftellung gefielen. „Oedip“ und „Zayre“ folgten, und es 
hatte eine furze Zeit das Anſehen, als fönnte num auch in Wien die 
Reform durchgefetst werden. Aber nur furze Zeit. Die Weipfern 
und Gonjorten verleiveten ven Fremden das Theater in hundert: 
facher Weife, und das Koch'ſche Ehepaar ging wieder fort. Kaum 
war es zum Thore hinaus, jo wurde „Eſſex“ von den fujtigen Per— 
ſonen aufgeführt und in ausgelafjener Weife veripottet — die Re— 
forn war gejcheitert und die Burlesfe triumphirte wieder mehrere 
Sabre, 


Indeſſen war doch das tiefere Bedürfniß gewedt, und Frhr. 
vd. Loprejti, bis dahin Unternehmer der wäljchen Oper, übernahm 
auch das deutjche Theater, und fette es durch, daß in jeder Woche 
ein Mal ein regelmäßiges Schaufpiel aufgeführt wurde, an jedem Don— 
nerstag. Dieje Donnerstage bildeten den Beginn eines Repertoires. 


Das Burgtbeater. 4 


Das erite Jahr brachte „Cinna“, „Polieuct“, „Cornelia, Mutter 
ver Gracchen“, „Panthia“ von Madame Gottſchedin, „Merope“ von 
Maffei, überjett von Molter. Man fieht, der Gegenjat zur Iujtigen 
Komödie war jehr grell, und man follte meinen, dieſe römischen und 
griechifchen Actiones hätten nicht gar verführeriich fein fünnen für 
das Publicum, welches an die luftige Komödie gewöhnt war. Sie 
waren e8 aber doch; jo tief liegt das Bedürfniß im Menſchen, mit- 
unter dem Alltäglichen enthoben zu werden. Die Donnerstagspor- 
jtellungen machten immer volle Häufer, und man glaubte num, einen 
Schritt weiter gehen zu fünnen, um ver Burlesfe an die Wurzel zu 
greifen. Man dachte an die Cenſur. Wan meinte, die Burlesfe 
würde eine Cenſur, die auf Anftand und Sitte drängte, nicht be- 
ſtehen können. So meinte man. Aber man ivrte fih. Was konnte 
Baron Reihmann, welcher die Cenfur übernommen, mit den Stücken 
machen, die Weißfern jetst vorlegen mußte? Es waren feine Stüde, 
es waren nur Umriffe, nur jogenannte Scenarien, Die ganz unver: 
fünglich erſchienen. Der Dialog fehlte, ver wurde eben extemporirt. 
Es blieb ihm Nichts übrig, als anzuoronen, daß fie fich „aller Uns 
anftändigfeiten und widerjinnigen Ausdrücke zu enthalten hätten. 
Im Uebertretungsfalle follten fie das erſte Mal mit einem empfind- 
fihen Verweis, das zweite Mal mit vierzehntägigem VBerhaft und 
das pritte Mal mit Lebenslänglichem Feſtungsarreſt beftraft 
werden‘, Das nutzte nicht viel. Mean mochte fich Doch nicht ent: 
ſchließen, ſolch einen „ſpaßigen Patron’ Tebenslänglich auf die 
Feſtung zu ſchicken. 

Endlich im Jahre 1752 griff die Kaiſerin Maria Thereſia 
nachdrücklich ein: ſie widerrief alle bisherigen Privilegien, bielt die 
bisherigen Unternehmer auf's Großmüthigſte ſchadlos, und befahl: 
die Schaubühne auf einen gefitteten Fuß zu ſetzen. Dem Magiftrat 
wurde die Aufficht übergeben und erlaubt, eigene Commifjarien zu 
ernennen. Er ernannte die Grafen Franz dv. Ejterhäzy und Jacob 
v. Durazzo. Dem Hrn. Yeopold v. Ghelen wurde die Verwaltung 


12 i Das Burgtheater. 
übergeben, und die Kaiſerin bewilligte eine anjehnlihe Summe als 
Zuſchuß für die Koſten. 

Yun begann alfo das deutihe Schaufpiel in Wien endlich 
unter günjtigen Ausfichten. Es begann, um jogleich wieder ver: 
drängt zu werden, Und wunderlich genug! durch Das Burgtheater. 
Diefer fleine Saal wırde in vemjelben Jahre 1751 einer franzö- 
ſiſchen Schaufpielergejellfchaft eingeräumt, welche aus dem Haag 
fam. Sie begann auch mit „Eſſex“ — von Corneille — und — 
der ganze Adel ging zu ihr über. 

Hiedurch war wieder auf längere Zeit das aufftrebende deutſche 
Schaufpiel geichlagen. Die Franzofen drüben im kleinen Saale am 
Burgthore brachten das ganze ausgebildete Repertoire des sieele 
de Louis quatorze, welches der damaligen Bildung der höheren 
Stünde vollſtändig entiprach — das deutſche Theater am Kärnthner— 
thove zeigte nur dürftige Anfänge, und Anfünge, welche nicht eben 
verführeriich waren. Das Neueſte war eine „Baniſe von Grimm 
aus Negenspurg”, eine „Detavia von Cammerer aus Hamburg‘, 
eine „Araxane vom Baron Trenk“. Man machte wohl An— 
jtrengungen im Perfonal, man verjchrieb die Neuberin in Perjon. 
Sie trat auf in „Sanco und Senilde“ und — fie gefiel nicht. Was 
Wunder, daß die Burlesfen wieder volles Oberwaller gewannen ! 
Sie wurden bei diejen geringen Erfolgen ver Reform geradezu jtolz 
und nannten die regelmäßigen Schaufpieler verächtlich Gregorius- 
ſpieler. Am Gregoriustage nämlich lernten die Schulfnaben einige 
Dialoge auswendig und vecitirten fie in öffentlichem Umzuge auf den 
Straßen. „So viel gehört dazu“ — jpotteten die Ertemporirer, — 
„um ein vegelmäßiger Schaufpieler zu fein: Auswendiglernen ! 
Talent braucht man nicht; Talent brauchen wir! 

Das dauerte bis zum Jahre 1760. Da — mitten im ſieben— 
jährigen Kriege! — drang die Kaiſerin Maria Therefia wiederum 
auf erneute Anſtrengung für ein bejjeres deutſches Theater, umd 
es wurden neue Schaufpieler verjchrieben: Stephanie der ältere, 


Das Burgtheater. ‚ 13 


Kichhof und Frau aus Riga, Jaquet und Frau aus Grab. Sie 
gefielen, und man hoffte wieder. 

Da brannte das Theater ab — im November 1761 — und 
die deutſchen Schaufpieler mußten, mit ven franzöfiichen abwechſelnd, 
im Burgtheater jpielen, und zwar als Aſchenbrödel. Die Franzojen 
erhielten alle Mittel zu glänzender Ausjtattung ihrer Stüde; die 
deutſchen erfchienen ärmlich und roh Daneben und machten einen un— 
vortheilhaften Eindruck. 

Slüclicherweife wurde der Wiederaufbau des abgebrannten 
Theaters raſch betrieben und beendigt, und die deutſchen Vor— 
jtellungen fonnten wieder im eigenen Haufe am Kärnthnerthore er 
öffnet werden. Der Drang nach eigener Entwidelung war verjtärft 
worden durch ven Herger, welchen das Uebergewicht der Franzojen 
erregt hatte, und es entwidelten ſich nun — was bisher empfindlich 
gefehlt hatte — einheimische Talente im Fache ver Schriftiteller, 
welche nicht blos griechiſch und römiſch producirten, ſondern modern 
bürgerlid. Das war ein jehr wirkſamer Uebergang von der Ex— 
temporepofje zum regelmäßigen Luſtſpiele. Philipp Hafner und 
Franz Heufeld waren diefe Schriftiteller. Hafner's „Bürgerliche 
Dame’ und „Der Furchtſame“ ſprachen auch das große Publicum 
an, und Heufelv’s „Haushaltung nach ver Mode‘ machte Aufjehen. 
„Man lernte einfehen‘‘ — heißt es in der Chronif, — „daß man 
über Localthorheiten lachen könne, ohne die plumpen Ausdrüde eines 
Hanswurjtes oder Jakerle's nöthig zu haben.‘ Jakerle war vie 
neuejte Poſſenfigur. 

Um dieje Zeit jtarb — 1765 — Kaiſer Franz L, und in 
Folge dieſes Todesfalles wurde die franzöfiihe Komödie abgedankt. 
Das deutiche Theater gewann dadurch größeren Raum im PBubli- 
cum und die Freunde des regelmäßigen Schaufpiels wurden zahl- 
reicher. 1768 jtarb Prehauſer, der wichtigfte unter ven Zugführern 
der Burlesfe, ein jehr ſtarkes komiſches Talent, ver fich auch in 
letter Zeit Schon mitunter bherbeigelaffen hatte, im regelmäßigen 


14 Das Burgtheater. 


Stüde eine Rolle zu übernehmen, zum Beifpiel den Norton in „Miß 
Sara Sampſon“. Außerdem traten Neformer im weiteren Sinne 
des Wortes, Reformer in politiicher Welt öffentlich auch für die Re— 
form des Theaters hervor. Der wichtigjte war Sonnenfels, welcher 
eine Zeitjchrift herausgab unter dem Titel: „Der Mann ohne Vor— 
urtheil“. Er war ein Mann von Energie und von großem mora— 
liſchen Nachdruck. Es war ein außerordentlicher Gewinn für das 
höhere deutſche Schaufpiel, daß er mit voller Kraft in die Schranfen 
trat für das höhere Schaufpiel. Gin Baron v. Bender, ein reicher 
und tüchtiger Mann, übernahm die Direction des Theaters, und 
neue talentvolle Schaufpieler wurden für dafjelbe gewonnen: Müller, 
Gottlieb, der jüngere Stephanie, Steigenteſch, Mademoiſelle Teut- 
ſcherin. Es fanden ſich auch neue Schriftitelleer — Brahm, Jeſtern 
und jener jüngere Stephanie —, welche neue Yujtipiele jchrieben. 
Das erite von Stephanie, genannt „Die Werber‘, hatte jogar einen 
durchichlagenven Erfolg. Kurz, es vereinigte jih im Jahre 1769 
Alles, was ven Sieg des regelmäßigen Schaufpiels in Wien zu 
ſichern ſchien. Im den Contracten der neuen Schaufpieler fam 
ſchon vie Klaufel vor: „it nicht gehalten, in extemporirten Stüden 
zu ſpielen“, und endlich erichten eine Verordnung vom Hofe, welche 
die ertemporirten Stüde verbot. Sonnenfels wurde offictell ein— 
gelegt als Cenſor; das Jahr 1770 ſchien der Untergang der Bur— 
leske zu fein. 

Dennoch erfolgte ein neuer Rückſchlag. Baron Bender gab 
ſchon nah ſechs Monaten die Direction auf, und jie fam an einen 
Italiener Affliggio, welcher nicht die geringjte Neigung hatte, ein 
deutiches Nationaltheater zu fürdern. Im Gegentheil! die all- 
tägliche Unterhaltungskoſt, welche am leichtejten Geldgewinn vers 
ſprach, fam mit ihm an die Reihe, und als er vielfachen Widerjtand 
auch unter ven Schaufpielern fand, die fich zum Extemporiren nicht 
mehr hergeben wollten, da ergrimmte er und griff zu heftigen Maß— 
regeln, Den jüngeren Stephanie und Steigenteih ließ er jogar 


Das Burgtheater. 15 
eines Tages verhaften. Ueberhaupt brachte er eine jo grimmige 
Reaction gegen die Männer ver Theaterreform in Gang, daß jelbit 
Sonnenfels als unruhiger Kopf in den höheren Kreifen verdächtigt 
und jeines Cenſoramtes entſetzt wurde, weil er es zu freilinnig 
verwalte. Kurz Bernardon, der zähejte von ven Helven des „grü— 
nen Hutes’, wie man die freien Komifer nannte, wurde wieder in’s 
Kärnthnerthor- Theater berufen, und die Burlesfe erhob noch ein— 
mal all’ ihre flatternden Fahnen. Sie reichte fogar ihren Dialog 
ein, damit er cenſirt werde. 

Aber beſonders dies Yetstere führte doch zu ihrem Grabe. Die 
Zweiveutigfeiten und Unanjtändigfeiten, ein Hauptreiz der Hans: 
wurjtfomödie, fonnten nicht bejtehen vor der Cenſur, und ſomit ging 
für das große Publicum das wirkſamſte Salz der Burlesfe verloren. 
Das beſſere Publicum hatte wohl auch durch) öfteres Anfchauen und 
Anhören der vegelmäßigen Stüde ven Gejchmad verloren am lüder— 
lihen Wejen der Burlesfe — fie zog nicht mehr. Und gleichzeitig 
erhob jich in der Burg ein beredter Anwalt für die Reform: ver 
Staatsrath Freiherr v. Gebler, „ſelbſt Dichter, Kenner und Yieb- 
haber der Bühne‘, bewies durch jeine gründlichen Borftellungen, 
wie viel dem Staate an der Erhaltung des faum entjtandenen, ge= 
rveinigten Theaters gelegen jein müſſe, was für Nachtheile das 
Treiben Affliggio's der Ehre der Nation bringen würde, jo ein- 
leuchtend, vaß beide Majeſtäten überzeugt wurden, und nun nach— 
drüdlih dem Poſſenweſen ein Ende machten. Der junge Kaiſer 
Joſeph wird hier zum erjten Male erfichtlich in der TIheaterfrage, 
und die Burlesfe kommt von num an nicht mehr in die Höhe. 

Das Theater wird dem Grafen v. Kohary übertragen, und die 
Reform geht nun mit vollen Segeln an's Werf. 

Es iſt vecht lehrreich zu leſen, welch ein Einladungsprogramm 
an das hochverehrliche Bublicum erlaffen wurde, um ihm Bertrauen 
einzuflößen für die nun jcheinbar ganz gejicherte Herrlichkeit. Son— 
nenfels hatte es verfaßt. 


16 Das Burgtheater. 


„Der feinere Theil der Nation’ — heißt es darin — „fängt 
an, an dem Nationalfchaufpiele mit einiger Wärme Theil zu neh— 
men, und patriotifch die Vervollkommnung deſſelben als einen Theil 
des Nationalruhms jelbit zu betrachten. Die Weisheit des Mo— 
narchen hält viefen Theil der allgemeinen Ergötzungen nicht unter 
Ihrer Sorgfalt, und von Ihrem Throne jelbjt würdigen Sie fich, 
feimende Genies durch Beifall und Freigebigfeit zu ermuntern, 
und — wenn es erlaubt it, fich alfo auszuprüden — durch Ihre 
erwärmende Huld zur Neife zu bringen.“ 

Alsdann verfihert die „neue Divection‘‘, daß fie fich’s ftets 
zum Gejeße machen werde, „pie Neigungen der Zufchauer auszu- 
forschen, umd ihrer Erwartung, wo es möglich jein wird, vorzueilen‘. 
um legt jie ven Plan vor, und fordert jedermann auf, „ihr zu 
feiner Berbejjerung und Vollkommenheit feine Einficht freymüthig 
mitzutheilen. 

„Wir find in Wien’ — fährt fie fort, — „dem glücklichen 
Site deutiher Monarchen, eines Adels, der ſich der uralten deutſchen 
Abkunft mit Rechte rühmt, einer Nation, die darauf ftolz ijt, daß ie 
eine deutjche Nation ift. Diefe Betrachtungen fordern unjere vor: 
zügliche Aufmerkſamkeit für das Deutiche, das ift, für das Schau— 
jpiel der Nation. Mean folgt hierin nur dem Beijpiele von Franf- 
veih, von England, und felbjt von dem, im dramatijchen Theile 
Deutſchland nicht übertreffenden Italien. Diefe Länder haben nie 
das fremde Schaufpiel zum Nachtheil der Nationalbühne erhoben.” 
Außerdem ſei man feinen veutjchen Mitbürgern auch in ihren kleinſten 
Gliedern zu diefem Beweije der Achtung verbunden, ihr „Vergnügen 
zu beforgen. So macht man fich auch einen hohen, jehr reitzenden 
Begriff von dem Ruhme, wenn man die deutſche Bühne in Wien 
emporheben und vem Thereſianiſchen Jahrhunderte auch dieſen 
Borzug verfichern könnte —“ 

Nun folgt ein Paſſus über die Schaufpieler, welche man forg- 
fültig auffuchen wolle. Das ſei fehr jchwer, und es liegen warnende 


Das Burgtheater. 17 


Beijpiele vor, „wie wenig in diefem Stüde jelbit vem Rufe gelehr- 
ter Anzeigen zu trauen ei’. Gute Schaufpieler jeien ſelbſt in 
Frankreich jelten, noch jeltner in Deutjchland. Und auf vem Theater 
einer Hauptjtadt genüge der „Anſtand“ nicht, welcher im Yeipzig, 
Hamburg, Hannover zureihe, Es fehlten ihnen dort die Mufter 
einer Hauptjtadt, „wo fich der gute Ton und eine ungezwungene 
Lebensart einigermaßen bis in die gemeineven bürgerlichen Häufer 
verbreitet”, Es wird alſo in Ausjicht gejtellt, daß man fich die Ta— 
lente felbjt ausbilden werde, indem man fie nicht wie „Tagmieth— 
linge“, jondern wie Yeute von Talent behandeln wolle. Dann hoffe 
man auch, daß fie in der guten Gefellihaft Wiens Zutritt finden 
würden, um ihre Studien machen zu fönnen „in freyem, enlem An— 
jtande, in der Leichtigkeit des Umgangs, in der Ungezwungenheit, 
in der Höflichkeit.” — „Die Schaufpielerin wird an der Dame, der 
Schauſpieler im Sreife der Gavaliere die nöthige Ausbildung 
ſuchen“. — „Wir haben von der Güte des biejigen Adels zu ers 
warten, er werde fih um das Nationalfchaufpiel nicht durch Schut 
allein verdient machen, er werde auch an der Bildung des Schau— 
fpielers näheren Antheil nehmen wollen: die Schaubühne wird 
Seiner Gewogenheit ihre endliche Vervollkommnung ſchuldig 
werden.‘ 

Im Repertoire wird „bejtändige Abwechfelung‘‘ verſprochen. 
Man werde dem Zufchauer feineswegs den „ewigen Ernſt einfür- 
miger, rührender Stücke auforingen. Die Stunden, welche vor der 
Schaubühne hingebracht werden, find ver Erholung von Geſchäften 
gewidmet; man fordert Etwas, wodurd die Sehnen der Seele, jo 
zu jagen, nachgelaffen, nicht noch mehr aufgefpannt werden. Das 
iherzhafte Yuftipiel wird das Herrſchende unferer Schaubühne 
fein; Trauerfpiele, rührende Stücde wollen wir gleich der Würze 
iparfam mit untermengen, um dadurch das Vergnügen des Yachens 
gleichſam ſchmackhafter zu machen‘. 

So Wenig bat fich jeit beinahe hundert Jahren im eigentlichen 


Laube, Burgtheater. 2 


18 Das Burgtheater. 


Geſchmacke Wiens verändert! Die Yocalluftigfeit der Stranikfy 
und Prehaufer hat Wien in die Yocaljtücde der Vorſtadt gerettet, 
und die gelinde Schen vor Trauerfpielen hat es getreulich bewahrt. 
— Auch das Ballet, welches Noverre damals zu großem Gemüge 
des Publicums leitete, wurde in diefem Programım von Sonnenfels 
verfprochen. Man werde es „eines Nationalfchaufpiels würdig 
machen”, 

In der That ließ ſich num Alles vortvefflih an. Auch die dar— 
jtellenden Talente erhielten in den Gebrüvern Yange einen werth- 
vollen Zuwachs. Namentlich galt ver ältere, Michael Yange, für 
ein augerordentliches Talent. Der Drang nah Höherem machte 
jih überall geltend. Hochgejtellte Yeute werjuchten jich, Original 
ſtücke zu Schreiben, und der oben genannte Herr v. Gebler erhielt 
mit feinem „Prädicat“ und feinem „Miniſter“ ven Beifall aller 
Gebilveten. Für die artiftiihe Führung wurden alle Kräfte in Bes 
wegung gefett: alle vier Wochen war eine Berfammlung der Mit- 
glieder unter dem Vorfite des Grafen Kohary. Die erjten Mit- 
alieder jchieften acht Tage vor dieſer Generalverfammlung ihre 
Meinungen Ichriftlich ein, und jchlugen die Stüde vor, welche im 
nächſten Monate gegeben werden jollten; man arbeitete Gejete und 
Bersrdnungen aus, welche an Vorfiht und Bildung Nichts zu 
wünſchen übrigließen — der Zufchauer hätte glauben jollen, es ſei 
num eine gediegene Zufunft für das regelmäßige veutiche Schaufpiel 
völlig geſichert. 

Und doch gelang es nicht. Warum nicht? Aeußerliche Un- 
glücsfälle erklären das Mißlingen wohl nicht allein. Allerdings 
hatte Graf Kohary einen jehr verfchuldeten Status übernommen 
und die Koften einer opera seria, opera buffa, eines franzöjtichen 
Schauſpiels, eines deutichen Schaufpiels und der Ballets waren 
groß. Das Deficit war größer und größer geworden, Kohary mußte 
einen öfonomischen Director einjegen, und der vertrug jich nicht mit 
allen Schaufpielern. Spaltungen und Neibungen entjtanden, der 


Das Burgtheater. 19 
gemeinfame Gang gerieth in’s Stoden, ja die Wege freuzten und 
befchädigten einander von Tag zu Tag empfindlicher. Todesfälle 
famen hinzu: Michael Yange jtarb, die ältere Mademoijelle Jaquet 
ſtarb, Müller ging ab, und die allmälig eintretenden Erjagmänner 
Weidmann und befonders Bergopzoomer erhöhten die einveißenden 
Intriguen. Mit Yesterem begann das Herausrufen am Ende des 
Stüds, und Clique und Claque jcheint hereingebrochen zu fein. Der 
Adel proteftirte gegen ökonomiſche Einjchränfungen und verlangte 
eine franzöfiiche Operette, das Ganze frachte in allen Fugen, und 
der Beſuch wurde ſchwächer umd ſchwächer. Das deutſche Schau— 
ſpiel namentlich verlor an Theilnahme trotz guter Schauſpieler, und 
gegen Ende des Jahres 1775 war allgemeine Wehflage über ſeinen 
Berfall. 

Der Gevdanfe prängt fih auf, dag das unermüdliche Unglück 
einen tieferen inneren Grund gehabt haben muß. Neuere Hijtorifer 
bezeichnen als jolchen das complicirte Regierungsſyſtem, welchem 
das Theater habe erliegen müſſen. Intendanten und Directoren 
mit höchiten und hohen Befugniſſen hätten ſich gegemfeitig gelähmt, 
Protectionen erzeugt, Parteiungen geradezu erichaffen, und ver 
Mittelpunkt, der eigentliche Regent, habe gefehlt. 

Wie dem auch gemwejen fein mag, e8 war glüclicherweije an 
höchjter Stelle ein Mann vorhanden, welcher vem Treiben aufmerf- 
ſam zugejehen hatte und welcher den Willen wie die Kraft beſaß, 
eine fejte Organiſation zu ſchaffen für das deutſche Schauspiel 
in Wien. Diefer Mann war Kaiſer Joſeph. Am 17. Februar 1776 
ließ er ven deutſchen Schaufpielern durch den Fürften Khevenhiller, 
feinen Oberhofmeiſter, erflären: „Daß er das Theater nächſt der 
Burg zum Hof- und Nationaltheater erhebe, und daß von nun an 
Nichts als gute vegelmäßige Originale und wohlgerathene Ueber- 
jeßungen aus anderen Sprachen darin aufgeführt werden ſollten“. 

Diefer 17. Februar 1776 ift der Geburtstag des Burgtheaters, 
In diejen kleineren Raum jiedelte nun das deutſche Schaufpiel über, 

F 


20 Das Burgtbeater. 


einem gejchlojfenen Style des vecitiventen deutſchen Schaufpieles 
nachjtrebend, während der bisherige Tummelplatz, das Kärthnerthor— 
Theater, Pächtern überlafjen wurde, welche das einfache deutſche 
Schaufpiel nie wieder in ihr Programm aufzunehmen hatten. 

Wir haben eine Selbjtbiographie vom Schaufpieler Joſeph 
Yange. Im diefer findet jich folgende Stelle, welche die Bedeutung 
dieſes Actes jo bezeichnet, wie jie in jener Zeit angejehen und auf- 
gefaßt wurde: 

„Der unfterbliche Kaiſer jah die Bühne als ein Mittel zur 
Bildung feiner Nation an, und darum hieß er fie deutſches National- 
theater. Deutſche Sprache, deutjche Sitten, deutjcher Geſchmack, 
deutiche Kunſt jollten fib an ihrer Darftellung erheben. So be- 
trachtet, jchien ihm die Bühne feiner Aufmerffamfeit werth bis an 
jeinen Tod. Darum gehörte ihr Fortgang unter. feine Lebens— 
freuden, darum wies er fie ſogar jedem feiner Gäjte mit einem edlen 
Stolze, und war vergnügt, wenn auf jeine immer bereite Frage: 
„„Nun, was jagen Sie von meinem Theater?’ ihm recht viel 
Gutes darüber gejagt wurde. — Die eriten Schritte des Monarcen 
bezeichneten fogleich, wie jehr es ihm darum zu thun war, die 
deutihe Bühne beſucht und alſo auch wirffamer zu machen. Groß— 
müthig fette er die Eintrittspreife herab, um alle Stände an dem 
Vergnügen des Schaufpiels theilnehmen zu laſſen. Weiſe hob er 
die Ballets und italienifhe Oper auf, um den Adel zum Bejuce 
deutſcher Stücke zu zwingen und ihm allmalig für daſſelbe Intereffe 
einzuflößen. Ausdrücklig befahl er, bei ver Wahl der Stüde nur 
auf ihre innere Güte, nicht auf den damaligen Geſchmack zu achten. 
Als ſodann Anfangs die Yogen unverpachtet, das Theater unbejucht 
blieb, jagte der große Menſchenkenner: „„Nur jo zu, jie werden 
ſchon kommen.““ — Und, fiehe da, jie kamen.“ 


Tr. 


Um einen Einblid in das Innere des entjtehenden Burgtheaters 
zu gewähren, fei das Repertoire des Jahres 1776 — des eigent- 
lichen Entjtehungsjahres — ausführlich erwähnt. 

Sitte, Gebrauch und Perjonal jtellen ſich dadurch jelbit- 
vedend dar. 

Der Zettel vom 8. April 1776 lautet: 

Neues Luſtſpiel. 

Im Nationaltheater nächſt der Burg 
wird Montags den 8. April (1776) aufgeführt: 
Zum Erſtenmale 
Ein neues Luſtſpiel in drey Aufzügen, 


genannt 
Die Schwiegermutter. 
Perſonen: 
Ber. er 2 Herr Jaquet. 


Baronin 2 :» 2 2.0.0. Mo. Weidnerin, geweite Huberin. 
Pouife, ihre Tochter. . . . MI. Jaquet die ältere. 
Ein Obrijter, Bruder der 

Barnin . » » . .. Herr Stephanie der jüngere. 
Baron Pindenreich, Vater . . „»  Bergopzoom. 
Baron Pindenreih, Sohn. . „Lange. 
Baronin von Pöwenthal, eine 

junge Witwe . . . . Mil. Jaquet die jüngere, 


22 Das Burgtheater. 


Herr von Rittersheim, ein Land— 
ebelmantt ». “ + +... Den Deuller, 
Emm Alnuocat. "0, > : „Heyhdrich. 
Julchen, ein en . MU. Defraine, 
Fritze, ein Bedienter . . . Herr Weidmann. 
Nach diefem das Yuftipiel in einem Aufzuge: 

Die indianifbe Wittwe, oder ver Scheiterhaufen. 
Beyde Stüde find beim Yogenmeifter gedruckt zu haben, jedes 
für 17 ke. 

Die Eintrittspreife find vermalen folgendermaßen herabgeſetzet: 
Im erſten Barterre x... 8. = 002) 27a Ve 


Im zwehten „, — ee —— — 
Im dritten Stocke auf Be Seiten ee. 
Sirvterten . ————— 


Die Logen am Parterre, im erſten und weht Stod bezahlen 3 fl. 
Der Anfang ift um 7 Uhr. 

Hier finden wir aljo einen Gebrauch, welcher noch heute in 
Paris beſteht: daß die Stüde gedruckt verkauft werden neben der 
Aufführung. Und das dreiactige fojtet nicht mehr als das einactige, 

Den folgenden Tag, 9. April, wırde „Die Schwiegermutter‘ 
wiederholt. Dazu „Die abgenöthigte Einwilligung”. 

Mittwoch 10. April. Ein Schaufpiel aus dem Franzöfiichen 
des Herrn Dipderot, vom Herrn Juſtizrath Leſſing überfegt, genannt: 
„Der Hauspvater”. 

Donnerjtag den 11. April. in Iuftiges Charafterftüd in 
fünf Aufzügen, genannt: 

„Der lächerlich poetiſche Yandedelmann, oder 

MWeiberlijt über alle Lift“, 

Mad. Ungar, eine neuangelangte Schaufpielerin, wird heute 
zum erftenmal bey ung in der Rolle der Baroneffe von Altholz er- 
ſcheinen. 

Samſtag 13. April. Ein Original-Luſtſpiel in fünf Auf— 


Das Burgtheater. 23 


zügen vom Herrn Suftizrath Leffing, genannt: „Minna von 
Barnhelm, oder das Soldatenglüd Anfang um halb 
Sieben Uhr. 

Folgen Ueberjetungen aus dem Franzöfifchen: „Der Schub- 
farren des Eſſighändlers des Herrn Mercier”, „Die falichen Ver— 
traulichfeiten”. Dann ein Original-Drama in fünf Aufzügen nad 
der neuen durchaus veränderten Auflage, genannt: „Der Mini- 
jter (wie ſchon erwähnt von Gebler). Dann ein Driginal-Lujtipiel 
in fünf Aufzügen vom Herrn Stephanie dem jüngeren, genannt: 
„Die Wölfe in der Heerde, oder die beängjtigten Liebhaber“. 

Schon am 20, April „ein neues fünfactiges Trauerfpiel vom 
Herrn Brandes, Verfaffer des Graf Olsbach, guten Chemanns und 
mehrerer guten Stüde, genannt: „Olivie“. Nur vier Tage 
jpäter, am 24., ein neues Luftipiel „Der Neugierige‘’, fonjt ge: 
nannt: „Die beftrafte Neugier”. — Elf Tage darauf (4. Mai) wie 
ver ein neues Luftipiel, Beaumarchais’ „Der Barbier von Sevilien, 
oder die unnüte Borficht”. Sieben Tage jpäter (11. Mat) jchon 
wieder ein neues Schauspiel von Brandes in fünf Aufzügen — man 
fieht an diefer unglaublich klingenden eiligſten Hervorbringung neuer 
Borftellungen, wie nahe man auch Damals noch der extemporirten 
Komödie ftand, denn es iſt abjolut unmöglich, in jo furzen Zwifchen- 
räumen mit dvemjelben Perſonal neue Stüde nur einigermaßen veif- 
lich einzuſtudiren. 

Diefes neue Schaufpiel von Brandes hieß „Die Mediceer, 
oder eine Verſchwörung“, und der Theaterzettel brachte folgende 
Nachricht: „Den Stoff zu dieſem Schaufpiele hat fein Verfaſſer 
von einer Verfchwörung genommen, welche gegen die ruhmvolle 
Familie Medicis im fünfzehnten Jahrhunderte zu Florenz von dem 
Haufe Pazzi war aus Neid angefponnen, zum Glück aber nicht aus- 
geführt worden. Der Dichter hat die wahre Gejchichte mit völliger 
Freyheit behandelt, vornemlich jcheint er zur Abjicht gehabt zu 
haben, herzerichütternde Situationen darzuftellen, und durch eine 


24 Das Burgtheater. 


glückliche Rettung der Unfchuld empfindjamen Herzen angenehmes 
Gefühl mitzuteilen. L. v. Medicis, der zärtlichite Vater und 
jtrengite Richter, muß einem würdigen Jüngling, feinem ein- 
zigen Sohne, das Todesurtheil fprechen. Camilla, die wahre 
Mutter, wird von peinigenden Yeidenjchaften beſtürmt. Um nicht 
zu viel im voraus zu verrathen, ſey nur noch diejes gejagt: die 
Karaktere find vielfach, doch alle mit Kraft entworfen, und mit 
Wärme vollendet”. 

Unter den Neuigkeiten, welche fich auch in der zweiten Hälfte 
des Jahres raſtlos folgen und welche außer zahlreichen franzöfischen 
und englifchen Ueberſetzungen auch „Erwin und Elmire vom Herrn 
Goethe’ bringen, zeichnet fih aus: „Der Graf von Waltron, oder 
die Subordination von H. F. Müller”. Diefes Original Trauer: 
ſpiel hat ſich befanntlich bis in die erften Jahrzehnte unferes Jahr— 
hunderts auf dem deutſchen Repertoire behauptet. Bergopzoom 
jpielte ven Grafen Waltron; Madame Sacco, eine neu engagirte 
Schaufpielerin von großem Talente, die Schweter deſſelben. Sie 
war die bejte Minna von Barnhelm und Emilia Galotti jener Zeit. 
In einem neuen Luſtſpiele „Die junge Wittwe“ nach einer „poe— 
tiichen Erzählung von Gellert” finden wir fie auf dem Theaterzettel 
angegeben als: „Emilia, eine junge Wittwe in tiefer Trauerfleidung 
mit einem Schleyer über den Kopf’. 

Das damalige Perfonal des beginnenden Burgtheaters war 
jehr anjehnlich und beftand aus folgenden Hauptperfonen: 

Herr Jaquet, Mademoiſelle Jaquet die ältere und die jüngere, 
Madame Weidnerin, gewejene Huberin, die Herren Stephanie ver 
ältere und der jüngere, Bergopzoom, Yange, Müller, Heyprich, 
Weidmann, Mile. Defraine, Mile. Teutjcherin, Madame Stephanie, 
Madame Ungerin, Madame Brodmann, Herr Steigenteſch, Herr 
Gottlieb, Madame Gottlieb und neu engagirt Madame Sacco, 

Dennoh war man fogleich auf Ergänzung und Erweiterung 
bedacht, von der richtigen Meinung ausgehend, daß ein Theater- 


Das Burgtheater. 235 


perjonal in jtetem Wachsthum erhalten werden muß, wenn es nicht 
in Erjtarrung, Manierirtheit, Cliquenwejen und Unzulänglichfeit 
gerathen joll. Offenbar gingen alle Schritte zum Erweiterung des 
Inſtitutes vom Kaifer Joſeph felber aus; fie tragen ſämmtlich den 
Stempel eines Geiftes, welcher nie und nirgend blos für den 
Augenbli bedacht war, jondern ein organifches Wuchsthum vor 
Augen hatte. 

Am 11. September ließ der Hofrat) Baron v. Kienmayer ven 
Schaufpieler 3. 9. F. Müller zu ſich vufen und zeigte dieſem ein 
Schreiben, welches joeben mit Staffette aus Königgrätz von Sr. 
Majeſtät vem Kaifer angelangt war. Dort in Böhmen, mitten in 
einem kriegeriſchen Webungslager, hatte der Kaiſer feines jungen 
Burgtheaters gedacht, jo wie 36 Jahre Ipäter Napoleon in Moskau 
des Theätre francais gedachte und eine dauernde Organifation 
diejes Runftinjtitutes aus der Czaren-Hauptſtadt nach Paris jendete. 
Das Schreiben Kaiſer Joſeph's war an des „Obriſt Kämmerers 
Grafen von Roſenberg's Excellenz“ gerichtet und trug die Bezeich- 
nung: „In deſſen Abwejenheit vom Herrn Hofrath Baron v. Kien- 
maher zu eröffnen‘. Es war alfo dem Kaiſer um eilige Ausführung 
des Inhaltes zu thun. Der Inhalt aber enthielt ven Befehl: den 
Schauſpieler Müller jogleich auf Neifen, und zwar ohne Ver— 
zögerung nach Hamburg zu fchiefen, um Brocdmann jpielen zu jehen 
und für das Nationaltheater zu engagiven, wenn er das wäre, was 
der gute Auf von ihm fagte. In der Folge follte Müller mehrere 
Theater befuchen und von jevem eine getrene Charakteriſtik einjenden. 
Auch eine gute Soubrette jollte er „aufnehmen“. 

Auf Müllers Frage: warn er abreifen jolle? lautete die Ant— 
wort: morgen! Denn der Kaiſer wolle fofortige Ausführung feines 
Befehls. 

Müller, ein aus Norddeutſchland ſtammender Schaufpieler von 
einiger Bildung, welcher Chevaliers ſpielte, erhielt fogleich Geld 
und Wechjel und Empfehlungen an die faiferlichen Geſandtſchaften in 


26 Das Burgtheater. 


Dresvden, Hamburg, Berlin, Mainz, Mannheim, München, und machte 
fich auch jogleich fertig. Denſelben Abend hatte er noch zu fpielen 
im „Kriegsgefangenen“ und wurte im Zwijchenacte in die Yoge des 
Fürften Kaunitz berufen. Diejer inftruirte ihn des Breiteren über 
feine Aufgabe und machte ihm namentlich deutlich, wie der auf- 
zufindende Yiebhaber, welchen er „aufnehmen“ ſollte, bejchaffen jein 
müßte. „Sehen Sie nur bei ver Wahl deſſelben“, jagte der Fürft, 
„vorzüglich auf Jugend, Wuchs, leichten, edlen Anſtand und reine 
Mundart. Er muß nicht gar zu groß jein, feinen hervorragenden 
Bauch haben, feine Augen müſſen fprechen, groß, rund umd nicht 
geipalten, fein Gang fejt und nicht fchleppend jein. Er muß durch 
die Anmuth feiner Jugend den Schimmer hervorbringen, den man 
im Schaufpiele jucht. Auch zu der Rolle einer Rammerjungfer wählen 
Sie feine zu große Perfon. Finden Sie eine, die ſich unferer ehe- 
maligen Suzette“ (dies war die Soubrette bei der legten franzö— 
fischen Geſellſchaft) „nur in etwas nähert und eine angenehme Yeb- 
baftigfeit befittt, jo jchliegen Sie mit ihr ab. Benehmen Sie ſich 
flug und mit Verſtand bei dieſem Gejchäfte und vergelten Sie da- 
durch das Vertrauen, das der Kaiſer in Sie jest. Sch habe den 
Soulée“ (einen der vorzüglichiten franzöſiſchen Schaufpieler unter 
Kaifer Franz I.) „auch auf Reifen ſchicken müſſen; von feiner vers 
nünftigen Auswahl zogen wir einen zehnjährigen Nuten.’ 

Am folgenden Tage hatte Müller neh eine Audienz beim 
Fürften, und in diejer legte Yetterer bejonderen Nachdruck auf die 
Sharafteriftif von allen „bejieren Subjecten jeder Bühne’, welche 
Müller einſchicken ſollte, denn Leute wie Heyprich würden alt und 
faſt unbrauchbar, es ſei mehrfacher Erſatz nöthig. Müller fragte, 
ob er nicht auswärtigen rühmlich befannten Theaterdichtern anjtän- 
digere Belohnungen antragen dürfte, als fie bisher von Wien be- 
zogen? Was wollen Sie damit jagen? Erflären Sie ſich deutlicher! 
entgegnete ver Fürft. — Hamburg — antwortete Müller — giebt 
für jedes neue Stüd, es fei num ein Driginal, oder ein aus dem 


Das Burgtheater. 97 


Engliichen und Franzöfiihen auf deutſche Sitten bearbeitetes Yuft- 
ipiel hHundertjehszia Gulden. Wäre es mir wohl erlaubt, den Ber- 
fajjern ein etwas größeres Honorar anzutragen, um dadurch Dichter 
zu ermuntern, ihre Geifteswerfe unferer Nationalbühne zuerft zu 
überfenden? — Nach einiger Ueberlegung erwiederte der Fürft: 
Darüber muß ich erſt mit dem Kaiſer fprechen. Sch werde Ihnen 
deſſen Befehl befannt machen laſſen. 

„Ich erhielt noch die väterlichiten Ermahnmmgen und Vor— 
ſchriften“ — fährt Müller fort, — ‚wie ih mich, befonvders in 
Berlin, zu benehmen hätte, und die Verficherung, daß der Fürft 
Alles zur Verbefjerung der Nationalbühne beitragen würde. Gr 
iprach Verjchievenes von meinen Kameraden. Führte Gründe an, 
warum man dem größten Theile den Zutritt in großen Häufern 
nicht verjtatten fünnte, lobte Madame Sacco, und entließ mich mit 
bulovoller Wärme, mit einem Gefühle, welches mir Thränen in die 
Augen trieb und ven Ausruf hervorbrachte: Gott erhalte Sie, durch— 
lauchtigjter Fürft! Sie find ver hohe Protector der bildenden 
Künfte! Sie finden auch die Nationalbühne Ihres Schußes nicht 
unwäürdig, num wird fie bald aus ihrer Kindheit emporjteinen! — 
Gr legte feine Hand auf meine Stirn und jagte: Neifen Sie alüd- 
lih und bleiben Sie geſund!“ 

Deyjelben Nachmittags um vier Uhr fuhr Müller mit Ertrapojt 
nach dem Norden. Cr hat dieje Reiſe in feinem „Abſchied von ver 
faiferlichen Hof- und Nationalfbaubühne‘ ausführlich bejchrieben, 
und diefe Bejchreibung iſt eine werthvolle Quelle für die Gejchichte 
des damaligen Theaters. Da fie fortwährend Bezug nimmt auf 
das Burgtheater, fo iſt fie auch für die gefchichtliche Entwicelung 
des Buragtheaters von beſonderer Wichtigfeit. 

In Dresden fand Johann Heinrich Friedrich Müller die 
Seiler'ſche Gejellihaft nicht mehr, bei welcher jener Phönix von 
Liebhaber, wie ihn Fürſt Kaunitz wünschte, zunächſt gefucht werden 
jolfte. Die Geſellſchaft war nach Leipzig. Müller eilte ihr nad, 


25 Das Burgtheater. 


und der befannte Kreisjteuereinnehmer Weiße, welcher neben jeinem 
„Kinderfreunde“ auch fleißig für das Theater jchrieb, nahm fich feiner 
an. Er wie die Mehrzahl der jchönen Geifter hatte es mit Be- 
geifterumg aufgenommen, daß der Kaifer jelbjt in Wien eine National- 
bühne fchaffen wollte. „Wir haben wohl ven guten Willen dazu“ 
— rief er, — „ihr aber in Wien allein in eurem trefflichen Kaifer 
habt auch die Mittel und die Macht dazu!“ 

Wirklich fand Müller in Yeipzig fogleich einen Yiebhaber, 
welcher fich dem Ideal näherte, Namens Borchers. In einem 
Stüce von Großmann „Henriette, oder: Sie ift ſchon verheirathet‘‘ 
ah er ihn als Sieur Blainville. „Dieſer junge Mann‘, jchreibt 
er fogleich an ven Freiherrn v. Kienmayer, „it ein Beobachter und 
Nachahmer des großen Eckhof's. Studium der Natur fchien fein 
Peitfaden zu fein. Er fpielte vortrefflih. Er ift ungefähr jo groß 
wie unjer Yange, Seine Gefichtszüge find mit einer Musculatur 
begabt, welche jehr Wenige beſitzen. Er war ganz ver feine, durch 
moralifche Grundſätze gebilvete, enlfe Mann, und blieb bis ans Ende 
ſeinem vorgezeichneten Charakter in den kleinſten Nuancen treu. Ex 
machte in diefem Stücde, welches bei uns noch nicht befannt tft, 
einen Franzofen, der die deutfche Sprache nach der Grammatif 
erlernt hat. Anfangs glaubte ih, er dehnte ven Dialog. Doc 
in der richtigen Ausführung diefes, dem Verfaſſer am beiten ge— 
rathenen Charakters fand ich, daß er ihm richtig und vollfommen 
analyſirt hatte. Ich werde ihn bei meiner Niückfehr in verſchiedenen 
Rollen zu jehen trachten, und fünde ih Brodmann nicht fo, als 
Se, Durhlaucht der Fürſt Kaunitz mir die Erforderniſſe eines 
Subjects zu Liebhaberrollen vorzeichneten, jo werde ih Borchers 
Anträge machen.‘ 

Weiße fragt ihn nach der Vorftellung, ob denn das Hof- und 
Nationaltheater auch eine Theaterbibliothef befüße? Miller muR 
mit Nein! darauf antworten. Die ift doch jehr nöthig — entgegnet 
Weiße, — befonvders für angehende Dichter. „Man findet oft in 


Das Burgtheater. 39 


ichlechten Producten Stoff, welchen ein glüdliches Genie vortheil— 
hafter bearbeiten fanı.” Müller pricht achjelzudend von der Cen— 
jur, welche verfchievene neue Stüde nicht einmal zu lefen erlaube. 
„Da müſſen Sie fih‘, ruft Weiße, „an Ihren großen Kaifer 
wenden! Gin Eremplar, aufbewahrt in ver Theaterbibliothef, kann 
fein Gift verbreiten, wenn feſtgeſetzt wird, daß es nicht ausgeliehen, 
fondern nur in der Bibliothef gelefen werden darf.’ 

Müller unterläßt nicht, auch dieſe freie Bemerfung in feinem 
Briefe an Baron v. Kienmayer mitzutheilen, und macht fich ſodann 
auf ven Weg nach Hamburg. Hier fieht er Brodmann als Hamlet, 
und findet ihn vortrefflih. Allein Brodmann ift leider nicht jo 
„‚gebaut‘‘, wie nach der Vorſchrift des Fürſten v. Kaunitz der Yieb- 
haber gebaut fein joll, ven man in Wien braucht, und er zögert 
deshalb mit Anfnüpfung von Unterhandlungen. Auch darum, weil 
Brodmann erfichtlich nicht ein eigentlicher Yiebhaber ift. Er ift ein 
„denkender Künftler, welcher mit edlem Anjtande auftritt. Seine 
Sprade ift rein, rund und fraftvoll, und hat nicht das mindefte 
mehr von der weichen, öfterreichifchen, zufammengezogenen Mundart. 
Der Mann hat feit den eilf Jahren, va er bei ums war, unglaub- 
liche Fortjehritte in der Kunst gemacht‘. (Brodmann war aus der 
Steiermark.) „Er ift ein Mann von ungefähr 34 Jahren, in ver 
Größe und im Körperbaue beynahe wie unfer Jaquet, und daher 
dem Ideale nicht ähnlich, welches mir Se. Durchlaucht zu wählen 
vorſchrieb. Zu jungen Chemännern, geſetzten Helden- und Charakter: 
rollen würde er ein Schatz für umfere Bühne fein.‘ — „Auch Reis 
nede und Schröder haben große Vervienfte. Der lebte, ein langer 
hagerer Mann, fpielte die untergeoronete Rolle des Geijtes mit 
einer Täuſchung, die Schaudern erregte. Er ging nicht — ex ſchien 
zu ſchweben. Ein dumpfer heftiiher Ton, den er angenommen 
hatte und bis an’s Ende beibehielt, brachte eine ungemein gute 
Wirfung hervor. Das Coftum war jehr gut und den Zeiten an— 
gemejjen; nur hatte die Direction Neineden, welcher ven König 


30 Das Burgtheater. 


vorjtellte, einen vojenfarbenen, reich gejticten türfifchen Talar 
angezogen; das war wohl nicht ſchicklich.“ 

Uebrigens tft er von dem Hamburger Theater jehr erbaut, 
und findet, daß vortrefflich geipielt werde. Beſonders Reinecke und 
Schröder befriedigen ihn ſehr. Von Reinecke, ven er in den „Neben— 
buhlern‘ ven Baron Abslut jpielen jieht, jagt er: „Ich kann mir 
diefen Charafter nicht beſſer denken, als ihn diefer große Künſtler 
ausmalte. Sein trodener, polternder und jo natürlich wahrer Ton 
in den Auftritten mit feinem Sohne, fein Mienenſpiel, jeine Gefti- 
culationen, alles war ſchön und meilterhaft. Er hat die Gabe, 
gewiſſe Reden gleichjam nur hinzuwerfen, als wären jie des Heraus: 
hebens gar nicht werth, und machte jie eben dadurch äußerſt inter- 
eſſant“. Brodmann als Sohn ſei vortrefflich geweſen, und eben fo 
Schröder als Junker Aderland. Schröver iſt „unftreitig einer der 
größten Komiker. Nichts wurde übertrieben. Er fpielte mit jo 
wahrer, ſchöner Natur, daß er fich die Bewunderung aller Kenner 
erwarb. Nie nahın ev Zuflucht zur Grimaffe. In Scenen, wo er 
nichts zu reden hatte, unterbrac) er niemals das Spiel feiner Kame— 
raden. Noch habe ich feinen jo feinen komiſchen Schaufpieler ge— 
jehen. Wäre er nicht der Sohn der hiefigen Unternehmerin, und 
fünnten wir ihn in Wien beiten, er würde bei ung große Senfation 
erregen‘. Auch Madame Reinede findet er jehr empfehlenswerth. 
„Ste hat ungefähr die Größe unferer älteren Jaquet, ein lebhaftes 
Auge und viel Thenterfeftigfeit. Ich halte fie für die Befte bei 
diejer Bühne. Ihre Sprache ift rein, gut, wohlflingend und jehr 
verſtändlich. Sie brachte bei einer Stelle eine fehr treffende, feine 
Parodie auf den hiefigen Kanzelton an, die allgemein beflatjcht 
wurde, Zu munteren Yiebhaberinnen hat fie meines Erachtens ein 
herrliches Talent. Sie und ihr braver Mann würden bei uns gewiß 
allen Beifall erhalten.” 

‚Meiner Borfchrift gemäß”, ſchließt Müller -über Hamburg, 
„habe ich auch won der Moralität diefer Gefellichaft Nachrichten zu 


Das Burgtheater. 31 


erhalten geſucht. Ganz Hamburg giebt ihr das Zeugniß eines 
liebenswürdigen Wohlverhaltens. Die Mitglieder derſelben haben 
Zutritt in den angeſehenſten Familien. Brockmann ſpeiſt beinahe 
täglich bei dem hieſigen engliſchen Miniſter, deſſen Liebling er iſt. 
Faſt alle ſind Liebhaber der Literatur. Sie zeichnen ſich durch eine 
freundſchaftliche Harmonie unter ſich ſelbſt vorzüglich aus. Sie 
cabaliren nicht, um ſich in Rollen zu bringen, und haben — ſo 
ſagten mir Schauſpiel-Liebhaber — die Klugheit, ihre kleinen Zän— 
kereien nicht unter die Leute zu bringen.“ 

Müller geht nun gegen Ende Septembers nach Berlin, wo die 
Döblin'ſche Geſellſchaft in der „Bärenſtraße“ ſpielte. Er findet 
Mitglieder und Spiel ungenügend, und es intereſſirt ihn vorzugs— 
weiſe nur Profeſſor Engel, welcher als Dramaturg damals eine 
geſchätzte Perſönlichkeit in Berlin war. Engel ſchrieb auch Stücke, 
und ſein „Dankbarer Sohn“ wie ſein „Edelknabe“ waren auf dem 
Repertoire in Wien. Es war Müller darum zu thun, von Engel zu 
erfahren, wie Leſſing eigentlich über das deutſche Theater in Wien 
geurtheilt habe. Leſſing war ein Jahr früher — 1775 — durch 
Wien gereiſt und hatte alſo das Theater geſehen, ehe es in die Burg 
überſiedelte. Müller jelbit erzählt zwar, daß dies furz vor feiner 
Abreife im Sommer 1776 gefchehen ſei; er irrt ſich aber offenbar; 
denn. Leſſing's Yebensgeichichte erweilt das Jahr 1775. Müller hat 
jein Memoire exit 1802 herausgegeben, es ilt alfo leicht möglich, 
daß er nach 26 Jahren die Jahresdaten verwechjelt habe. Wäre 
Leſſing exit 1776 in Wien gewejen, gerade um die Zeit aljo, da 
Kaifer Joſeph das Theater in feine perfönliche Obhut nahm, fo 
wäre er gewiß zum Kaiſer berufen worden. Denn Leſſing's Anfehen 
als des größten Dramaturgen deutjcher Nation war außerorventlich, 
Seine Stüde, denen nur noch der „Nathan“ fehlte, ſtanden in hoher 
Achtung, und die Recenſionen, welche er in Hamburg gejchrieben, 
hatten ihm die wollgültigite Autorität erworben. 

Engel war auch ungemein für ihn eingenommen und erzählte 


32 Das Burgtbeater. 


Müller, „daß Yelfing feinen „Doctor Fauſt“ ficher herausgeben 
würde, jobald G©** mit feinem erjcheine, und daß er gejagt habe: 
meinen „Fauſt“ holt der Teufel, und ich will G* feinen holen“. 
Engel verficherte, daß, was er davon gehört hätte, „Fauſt“ Leſſing's 
Meifterjtück jein würde, und um Müller etwas Angenehmes zu 
jagen, fette er hinzu: Yejjing habe auch das Wiener Theater gelobt. 
Müller bezweifelte das. Nun denn — erwiederte Engel, — damit 
Sie jehen, daß ich Nichts werheimliche: eine Erinnerung hat Leſſing 
doch gemacht. Er hat gefagt, e8 herrſchte feine Harmonie in Ihrem 
Spiele. Einer hätte diefen, ver Andere jenen Dialekt, und ein Jeder 
jeine befondere Spielart, wodurch das Ganze litte. 

Müller gab die verichievdenen Mundarten zu, nahm aber das 
Enjemble in Schutz. Er habe bis jett noch an feiner Bühne ein 
bejjeres gefunden. „Wir find Leute“, ſchloß er, „welche zehn, zwölf 
und einige über zwanzig Jahre mit einander arbeiten, folglich nicht 
jo widrig geftimmt, als auswärtige Bühnen, die alle Augenblide mit 
ihren Individuen wechſeln.“ 

Dennoch war Müller darauf bevacht, Leſſing ſelbſt in Wolfen: 
büttel aufzufuchen. Man hatte ihm einige Liebhaber gerühmt, welche 
in Hildesheim zu finden wären. Dort jorgte ver Bilchof, welcher 
‚Die Güte ſelbſt und ein aufgeflärter Mann’ war, für theatralifche 
Unterhaltung und hatte die Stöffler'iche Schaufpielergefellichaft aus 
Hannover an feinen Bifchofjit berufen. Auf dem Wege vorthin über 
Braunſchweig machte Müller einen Abjtecher nach Wolfenbüttel, wo 
Leſſing damals die kurze glüclichjte Periode feines Lebens genoß au 
ver Seite einer geliebten Gattin. Er empfing Müller jehr freund: 
ichaftlich und pries ven Zweck feiner Reife. „Schön“, rief er aus, 
„ich werehre Ihren Kaifer, er ijt ein großer Mann. Unjtreitig fann 
Er vor allen anderen Höfen uns Deutjchen am erjten eine National 
bühne geben, da ver König in Berlin das vaterländijche Theater 
nur duldet, und nihtin Schuk nimmt, wie Ihr Regent; wozu 
wohl vie Briefe des hypochondriſchen Rouſſeau an den Genfer 


Das Burgtbeater. 33 


Magiſtrat über Schaufpiel und Schaufpielwejen wiel beigetragen 
haben mögen. Ich befenne, ich war gegen die Wiener Bühne ein- 
genommen, da ich in verjchiedenen Flugſchriften nicht die beiten Be— 
ſchreibungen davon las. Ich bin, da ich fie num ſelbſt geſehen habe, 
von meiner vorgefaßten Meinung zurücgefommen. Noch fehlt Vie— 
les, doch ijt fie bejjer als alle, die ich fenne. Vorzüglich fiel mir ver 
verjchienene Dialekt unter Ihnen auf, er macht das Ganze jo dis— 
barmonifch.” Müller fragt, wie vem abzuhelfen jei? ‚Durch eine 
Schule!’ erwiedert Leſſing. „Machen Sie Ihrem Kaiſer Vorſtel— 
lungen, ein Theater-Philanthropin zu errichten, jo wie der Churfürft 
von der Pfalz gegenwärtig eine Singſchule gejtiftet hat, die viel 
Gutes verjpricht. Jede Kunſt muß eine Schule haben, in ver frü— 
heiten Jugend durch gute Grundſätze vorbereitet und geleitet werden. 
Nur dadurch, durch eifriges Studium und mühfamen Schweiß, er= 
wirbt ſich der darin gebildete Schaufpieler das Necht auf die Ach- 
tung und Ehre feiner Zeitgenoſſen. Durch Sahrtaufende hat es vie 
Erfahrung bewiejen, daß die erjte Grundlage der Erziehung den 
Charakter des Menfchen für die Zufunft bejtimme. Dieje Eindrücke 
find unvertilgbar, und ihr Einfluß wirft durch das ganze Yeben. 
Alle Empfindungen, Leivenfchaften, Neigungen und Fähigfeiten 
müſſen in ihrem erjten Keime geleitet werden, wo das weiche, ums 
befangene Herz noch jeder Biegung gehorcht. So zweifellos dieſer 
Sat in Anfehung der moralifchen Bildung ijt, eben jo iſt er es 
auch in Rückſicht auf die Bildung eines jeden Künftlers,; und da 
durch eine zweckmäßig eingerichtete Theater Pflanzjchule beide Arten 
erzielt werden können, jo ijt der unjchätbare Nuten eines folchen 
Inftituts offenbar und eimleuchtend bewiefen. Wäre der Endzwed 
des Schaufpiels auch nur blos das Vergnügen des Volkes, fo ift es 
ſchon aus dieſem Grunde wichtig, dem Volke feine Unterhaltungen 
nicht durch Idioten und fittenlofe Menſchen vortragen zu laſſen, für 
welche es außer ven Stunden der Geifteserholung feine bejondere 
Achtung haben kann.‘ 


Laube, Burgtheater, 


34 Das Burgtheater. 


„Allein die Schaubühne ift etwas mehr, fann und joll etwas 


mehr fein, und ihr edler Zweck wird. durch unedle, nicht durch ° 


Grundſätze dazu erzogene Mitglieder eben jo vereitelt, als die Wir- 
fung der beiten Kanzelrede durch die tadelhaften Sitten des Redners. 
Beide gleichen einer Uhr, die gut ſchlägt, aber umvichtig zeigt. — 
Ein gutes Theater fann ungemein viel bewirken. Es kann Liebe 
für den Yandesvater und ächten Patriotismus in die Herzen der 
Bürger pflanzen; der Regent fann es zum Vehikel der Gejetgebung 
erheben, und fein Volk dadurch in eine Stimmung ſetzen, Verord- 
nungen mit Danf und Beifall aufzunehmen; es bildet und reinigt 
Sitten und Sprache, veredelt ven Darfteller und die Zufchauter u. |. w.“ 

Müller erzählte darauf Leſſing, daß in Berlin die Sage ginge, 
zu Mannheim würde auch ein Nationaltheater neu erbaut, deſſen 
Direction der Churfürſt ihm hätte antragen laſſen. „Nein!“ — 
entgegnete Leſſing — „man hat mich bloß zu Rathe gezogen, ich 
habe darauf geantwortet, was ich Ihnen joeben fagte. Dort läßt 
fich jedoch dasnicht jo ausführen, als in Wien.’ — Man behauptet 
— fuhr Müller fort, — Sie bezögen bereits einen Gehalt vom 
pfäßziichen Hofe. — „Auch nicht, lieber Müller! jondern eine Art 
von Honorar, welches aber feine Beziehung auf das Theater hat. 
Jedes auswärtige Mitglied der dortigen Akademie empfängt jährlich 
einen Gehalt von fünfhundert Thalern; dafür ift eg verbunden, jich 
wenigſtens zweimaldes Jahres daſelbſt einzufinden, und ven Sitzungen 
beizumohnen. Mit dem Theater gebe ich mich nicht ab.“ — Wenn 
Sie aber einen Beruf zu uns erhielten? fragte Müller, — „Er 
protejtirte, doch jo, daß ich glauben konnte, er würde ihn annehmen, 
Seine Gattin, welche zehn Jahre lang bei uns in Wien jeßhaft ge— 
weſen war, ſchien diefen Beruf zu wünschen. O! fagtefie, ich liebe 
die guten Wiener herzlich, nie werde ich ihre Güte gegen mich ver— 
geſſen.“ — „In München‘ — fuhr Leſſing fort, — „wohin Sie 
vermutblich auch kommen werden, habe ich eine brave, wohlgejtaltete 
Frau für die hohen fomifchen Rollen angetroffen, und mit Ver— 


Das Burgtheater. 35 


gnügen spielen jehen; fie nennt ſich Noufeul; dieſe jollten Sie nach 
Wien zu ziehen ſuchen. Auch zwey junge Mädchen werden Sie dort 
finden; beyde geben große Hoffnung, ich weiß fie aber nicht zu 
nennen.” 

Müller fand die beiden Liebhaber im Hildesheim unbrauchbar 
und ſprach auf dem Rückwege wiederum ein bei Yeljing. Leſſing 
Ipricht von neuem über die Pflanzjchule, und daß die wenig bevöl- 
ferte Stadt Mannheim nicht der Ort dafür ſei. Auch gegen vie 
Ballets eifert er, und preift ven Kaiſer, daß er diefen „Flitterputz“ 
abgeichafft, welcher ven Eindruck eines gut dargejtellten Stücdes 
auslöſche. Auch gegen die Singipiele ſprach er fih aus. „Sie 
find das Berverben unferer Bühne’, Tagte ev, „Ein folches Werf 
ist leicht geſchrieben. Jede Komödie giebt dem Verfafjer Stoff da— 
zu; er fchaltet Geſänge ein, jo ijt das Stüd fertig. Unfere neu 
entjtehenven Theaterdichter finden dieſe Fleine Mühe fretylich Leichter, 
als ein gutes Charafteritück zu ſchreiben. Nur angemeſſene Be— 
lohnungen für durchdachte Arbeiten können dieſem einfchleichenven 
Unheile einen Damm entgegenjegen, und Genies erweden, befjere 
Wege zu betreten.’ Miller fragt, wie diefe Ermunterung geftaltet 
werden fünne? „Ihr Kaiſer“ — antwortet Leſſing — „kann die 
Preiſe bejtimmen, auch Vorſchriften bejtimmen, wie die Stüde be> 
Ichaffen jein müjjen, welche ven hohen Ziele jeiner Wünſche ange: 
mejjen ſind. Eine angetragene Einnahme der fünften, fiebenten 
und neunten Borftellung würde Dichter anfenern, mit Kopf zu ar: 
beiten. Ach Gott! Ihr Raifer hat taufend Mittel, der finfenvden 
Bühne aufzuhelfen!“ — 

Miller hegte ficherlich in ver Stilfe ven Wunsch : fo beveutende 
Reifeberichte möchte doch nicht der etwas trodene Baron Kienmayer 
allein lejen! Es möchte Graf Roſenberg und Fürft Kaunitz davon 
Notiz nehmen, und fie dem Kaifer jelber vorlegen! 

Das nächſte Reijeziel Müller’s war Gotha, einer der beiten 
Stammſitze deutſchen Theaters, wo der alte Eckhof jet noch in voller 
3% 


36 Das Burgtheater. 


Thätigfeit war, Müller nennt ihn auch jet noch ven bejten veutte 
ihen Schaufpieler. „Sein jonorifher Vortrag, die Wahrheit, die 
verichönerte Natur, das Geiftvolle, was diefer würdige Mann in 
jein Spiel bringt, reißt jeden hin, der ihn zum erjten Mal ſieht.“ 
Früher der ‚größte deutſche Artift in den erften jungen Helden- und 
Liebhaberrollen“, jpielt er jetzt „ſowohl in tragijchen als in hohen 
und niedrigsfomifchen Stüden die edlen und launigen Väter mit 
gleicher Kunjt‘, und habe mit Necht Anfpruch auf ven Namen des 
Garrick der deutſchen Bühne, Neben ihm fieht er einen trefflichen 
Komiker Namens Friſchmuth, welchen er für Heydrich empfiehlt. 

Müller verkehrt in Gotha mit Gotter, der als Ueberjeger und 
Bearbeiter ſehr thätig war fir’s Theater. Seine „Medea“ hat bis 
in unfere Zeit herein auf dem Nepertoire gedauert. Müller nennt 
ihn einen foliden, vechtichaffenen Mann, welcher Leſſing's Abneigung 
gegen Singipiele und Ballets nicht theile, ſondern Abwechjelung 
die Würze des Vergnügens nenne, über eine Theaterpflanzichule 
aber Leſſing ganz beiftiimme. Uebrigens erregt es Müller Bedenken, 
daß auf den norddeutichen Bühnen eine gewifje Kälte und ein Kan— 
zelton im Vortrage herrfhe, und er meint, daß „der jett in Mode 
fommende Converfationston doch wohl gar zu natürlich ſei“. Wir 
werden ſpäter bei Schröver’s Gajtjpiel im Burgtheater erfennen, 
daß diefe Bemerkung von Bedeutung war. 

Die bürgerliche Stellung der Schaufpieler war in Gotha die 
günftigfte. Sie hatten zwar, wie es vie fleine Stadt im kleinen 
Staate mit jich bringen mochte, nur Feine Sagen, aber jie wurden 
durch bürgerliche Vortheile entjchädigt. Wenn das Getreide hoch 
im Preiſe jtand, durften ſie es „für ein geringes Geld“ aus den 
berzoglihen Magazinen beziehen, und fie beſaßen auch wie andere 
Bürger die Braugerechtigfeit. Daneben bezogen Wittwen und 
Kinder verjtorbener Schaufpieler Penſionen aus der Yandeswittwen- 
cajje. Dieje Mitteilung Müller’s kann wohl vie erite Beranlaffung 
gewejen fein zur Einführung der Penſionsdecrete im Burgtheater, 


Das Burgtheater. 37 


Zum Engagement am Nationaltheater empfiehlt ev von bier 
Madame Böck, welche für Meütterrollen eine brave, ja eine große 
Künftlerin jei. Nach ver Hamburger Bühne nennt er überhaupt 
die Gotha’iche „im Ganzen ———— als die beſte“, welche er bis— 
her geſehen. 

Bon Gotha geht er nah Mainz, und hier am erzbifchöflichen 
Site findet er endlich die Soubrette, welche ven Anforderungen des 
Fürften Kaunitz entiprechen dürfte, eine Madame Stierle, deren 
Engagement er betreibt. 

Seine nächte Station ift Mannheim, wo Alles in Bewegung 
ijt, die Gründung einer Nationalbühne vorzunehmen, wie Kaifer 
Sofeph fie für Wien angefündigt. Ein Haus hatte man eben ge— 
baut, welches blos für das vaterländiiche Schauspiel und qute Be- 
arbeitungen bejtimmt war. Die Oper Jollte der Hofihaubühne - 
verbleiben. Man erwartete Alles von Leſſing, welchem man Boll- 
macht gegeben zu allen Engagements. Für „Dichter und Acteurs 
wollte man Belohnungen fejtjegen, vie theils im Golde, theils in 
der Ehre beftehen jollten, daß ihre Bruftbilder öffentlich aufgeftellt 
würden‘. Eckhof enplich hoffte man zu gewinnen, „der nicht mehr 
agiren, jondern blos unterrichten und eine lebenslängliche Verſor— 
gung erhalten jollte‘. Ueberhaupt „ſollte ven Schaufpielern, die 
ji) befonders auszeichneten, eine lebenslängliche Berforgung ver: 
fichert werden. 

Zum zweiten Wale alfo fonnte Müller diefen Benjionsgevanfen 
zur Beherzigung nach Wien berichten, und diefe Wirfung ver faifer- 
Gründung eines Nationaltheaters wurde mit Eifer gemelvet. 
jtand in Mannheim damals Alles noch auf Hoffnung. 
hatte nur Schaufpielhäufer zu betrachten, die Schaufpieler 
jelbjt waren jo gering wie die Hildesheimer. 

Er eilte alfo nah München. Hier findet er Alles jehr gering 
im Schaufpielwejen, aber Madame Noufeul beftätigt ihm Leſſing's 
Empfehlung. Er begiebt jich eilig auf die Heimreife nach Wien. 






38 Das Burgtheater. 


Hierwird er vom Oberjtfämmerer zum Kaifer geführt und fteht 
feinen höchſten Wunſch verwirklicht: der Kaifer hat all! jeine Be— 
richte gelejen, und genau gelejen. Er drüdt ihm huldvoll feine Be- 
frievigung darüber aus. Brockmann wird engagirt, die Nouſeul 
und Stierle desgleichen, auch für Borchers folgt die Genehmigung, 
falls deſſen Contract ein baldiges Engagement möglich macht. Das 
Wichtigfte aber ift: Müller verhält Auftrag, an Engel zu schreiben 
und Unterhandlungen mit ihm anzufnüpfen. Der Kaijer ließ ihm 
viel Schönes fagen, und daß ein Mann wie er, welcher „vie. wahre 
Naturſprache jo warm und fo veredelt im ſeinem „„Daukbaren 
Sohne‘ völlig in feiner Gewalt hätte‘ und außerdem ein „ſolider 
Gelehrter” wäre, ein beſſeres Schickſal verdiente, als er jetzt nach 
Müllers Schilderung genöffe Kurz, es it Engel‘ eineleitende 
Stellung am Burgtheater angetragen worden. ı Den Wortlaut der 
faiferlichen Ausdrüde hat Müller durch fünf Teer gelaſſene Zeilen 
nur errathen laſſen. Vielleicht ift eine herbe Aeußerung des Kaiſers 
über Berlin im Jahre 1802 der Cenſur verfallen. „Es wäre mir 
lieb“ — hat der Kaiſer geſagt, — „wenn Engel zu uns käme. Was 
uns drückt und noch immer drücken wird, iſt der Mangel an guten 
Dichtern und beſonders an ſolchen, welche wir unſere eigenen nennen 
können. Ich möchte wohl die erſten und beſten Köpfe in ganz 
Deutſchland hieher ziehen, worunter in Rückſicht auf das Theater 
Leſſing und Engel uns hier vorzüglich nützlich werden könnten.“ 

Ferner befahl der Kaiſer, daß ihm Müller den Plan zu einer 
Theater⸗Pflanzſchule vorlege. Das geſchah. Müller theilt den 
ſorgfältig ausgearbeiteten Plan mit und erzählt, daß der Kaiſer mit 
den Einzelheiten einverſtanden geweſen wäre. Nur bh r ver⸗ 
worfen, daß die Schule nach Laxenburg verlegt werde; in Wien 
müſſe ſie ſein, damit die jungen Leute im Verkehr mit der Welt 
bleiben und Theatervorſtellungen ſehen könnten. Der Kaiſer be— 
fahl, daß Abſchriften des Planes an Engel, Leſſing und Weiße ge— 
ſendet und dieſe Herren um ihr Gutachten gebeten würden. 


Das Burgtheater. 39 


Endlich bilfigte der Kaifer auch die Gründung einer Theater- 
bibliothef und verordnete im Sinne Leſſing's, daß jeder Dichter vie 
ganzerdritte Einnahme feines Stüdes, welches im Hof- und Natio- 

‚naltheater aufgeführt würde, zu beziehen habe. 

Alle Erfahrungen der Müllerichen Reiſe wurden aljo durch 
den Raifer zur Geltung gebracht und die Ausfichten für das Theater 
waren im Sahre 1777 vie allerbeften. Leider wurde nicht Alles aus— 
geführt, wie es angelegt war. Ein Kaifer kann eben nicht auch im 
Detail Thenterdirector fein, und in Kaifer Joſeph's nächjter Um— 
gebung hat augenscheinlich ver Mann gefehlt, welcher die Ausführung 
ver faiferlichen Gedanken nachdrücklich betrieben hätte. Außerdem 
erwachte gerade damals in Kaiſer Joſeph eine beſondere Liebhaberei 
für das deutjche Singfpiel und er nahm plößli Müllers ganze 
Thätigfeit für die Gründung und Ausbildung dejjelben in Anjpruch. 
Daß Leffing fich fo abjolut dagegen ausgefprochen hatte, war ihm 
unangenehm, und vielleicht deshalb wurde Engel in erjte Linie ge- 
ftellt. Es ift nicht zu verfennen, daß die nächjten Jahre des Natios 
naltheaters das Schaufpiel nicht fo Fräftig entwidelten, wie man 
nach den einleitenden Schritten zu hoffen berechtigt gewejen, und 
daß die Pflege des Singfpieles dem recitivenden Schaufpiele einigen 
Abbruch that. 

Dazu fam, daß die Schaufpieler fich nicht gleichgültig verhielten 
zu einer Reform, an welcher einer ihrer Collegen jo maßgebend be- 
theiligt war und welche jo viel neue Berfonen in ihre Reihen brachte, 
und zwar an die Spitze diefer Reihen. Sie fanden und finden Dies 
niemals behaglich und unterlaffen es jelten, Schwierigkeiten da= 
gegen zur erheben. Es wurde ihnen auch vecht Leicht, ſolche Schwie- 
rigfeiten zu erheben, denn die Geſellſchaft dirigirte jich eigentlich 
felbft. „Die älteften Männer und Frauen, wie auch diejenigen, 
welche erſte Rollen fpielten, traten gewöhnlich einmal wöchentlich 
zufammen, lafen, wählten und bejetten nah Mehrheit ver Stimmen 
die Rollen in den neuen Stüden und vertheilten die abgehenden in 


40 Das Burgtheater. 


den alten, Alle Bejchlüffe, Meinungen, Separat-Vota wur— 
den protocollirt und durch den älteften Mann unter ihnen, welcher 
den Titel Regiffeur führte, der Entjcheivung der Oberjten Hofdirec— 
tion vorgelegt. Dies Zujammentreten hieß tie Verfammlung. 
Darin gab es num freilich oft Debatten, befonders unter dem ſchönen 
GSefchlechte, wovon Einige mit den unerheblichiten Kleinigkeiten zum 
Kaifer gingen und deſſen Langmuth, Gnade und Huld zu oft in 
Anſpruch nahmen.‘ 

Dies beſchloß denn der Kaifer abzuändern und er ließ Geſetze 
für die Geſellſchaft entwerfen, fir welche die Vorſchriften der 
Parifer Schaubühne zum Grunde gelegt wurden, 


Ill. 


Kaiſer Joſeph ließ alſo plößlich nach in der ausjchlieglichen 
Theilnahme für das deutjche Schaufpiel. Das will nicht fagen: 
fein Interejje an demfelben habe nachgelafien. Nein. Aber fein 
Interejjetheilte ſich; e8 wendete fich eine Zeitlang dem Singſpiele zu. 
Sein Schöpfungstrieb, einige Jahre zufammengedrängt auf das 
recitivende Schaufpiel, jchien eine Abwechslung zu brauchen. 

Damit ift nicht gejagt, daß er das damals „Nationaltheater‘ 
genannte Burgtheater aus den Augen gelafjen hätte, Keineswegs. 
Er forgte ferner für gründliche Organifation deſſelben und für Er- 
werbung ausgezeichneter Kräfte. Er gab dem Theater ein ſehr aus- 
führliches Statut unter dem Titel „Vorſchrift und Geſetze, nach 
welchen jich die Mitglieder des k. k. Nationaltheaters zu halten 
haben’, und befahl — Friedrich Ludwig Schröder für das National- 
theater zu engagiren. 

Beide Mafregeln waren vortrefflih. Strenge Ordnung war 
dem Theaterwejen, welches aus wüſtem Treiben fich empor arbei- 
tete, äußerjt nothwendig, und die Erwerbung eines Mannes wie 
Schröder erichien wie ein großer Segen. As Schaujpieler, als 
Directionsführer, als dramatifcher Schriftiteller hatte ſich Schröder 
während der jiebziger Jahre, vorzugsweile in Hamburg, ungemein 
hervorgethan. Wenn Einer das Nationaltheater zum Gipfel führen 
fonnte, jo war er diejer Eine, 

Es ijt ein wunderliches Schickſal geweſen, daß gerade jenes Statut 


42 Das Burgtheater. 


das Hinderniß wurde für das dauernde DVerbleiben Schröver's in 
Wien. . 

Entjtanden ift dies Statut erfichtlih nach dem Vorbilde der 
Comedie francaise. Man war in Wien zur damaligen Zeit in 
viel lebhafterem Verkehre mit dem franzöfiihen Schaufpiele als 
jet, und franzöfifche Theatergejelfchaften waren im Kärnthnerthor- 
wie im Burgtheater heimifch. 

Der Mittelpunft diefes Statuts war der jogenannte „Aus: 

ſchuß“, welcher aus fünf Schaufpielern, fogenannten Infpicienten, 
bejtand und das Theater regierte. "Stephanie der ältere, Müller, 
Steigenteſch, Stephanie. der jüngere und Brockmann waren: die 
erſten Inſpicienten. Sie jollten am Eingang eines jeden ,‚Theatral- 
jahres“ won den fünmtlichen wirklichen gagirten Mitgliedern gewählt 
oder neu beftätigt werden. Sie hatten „die allgemeine Führung 
der Schaubühne‘‘ zu beforgen, über Annahme neuer Stüde zu 
urtheilen und die Beſetzung derſelben zu beſtimmen. 

„Bei Annahme neuer Stücke“ — lautete es — „müſſen fie 
die Ehre und den Nuten des Theaters vor Augen haben und wohl 
daranf jehen, daß die angenommenen Stüde den Regeln des gerei- 
nigten Theaters entiprechen und auf dem Aepertoire jtehen bleiben 
fünnen, Daher fer das Trauerjpiel veih an Handlung, an erha— 
benen Gefinnungen, falle nicht in's Gräßliche und Uebernatürliche ; 
es errege Mitleid und Furt, aber nicht Abſcheu und Entjegenz es 
führe eine edle, hohe Sprache, aber feinen voll Phantafien verweb- 
ten Wortkram. Das rührende Luftipiel, dejfen Handlung zwijchen 
dem Täglichen und Seltener innejteht, zeige bejondere Charaftere, 
möglichere rührende Handlung als das Trauerfpiel, ohne in's Ro— 
manbafte zu fallen ; die Bewegungen, die es ervegt, feiern angenehm, 
ohne zu erjchüttern; jeder Charakter. deſſelben ſei belehrend, das 
Ganze zwecke zur Sittenlehre ab, ohne abgeſchmackt zu werben; Die 
Sprache darin ſei erhabener als im Luftipiele, ohne den Schwung 
der tragischen zu nehmen. "Um viefe Gattung nun in größerem An- 


Das Burgtheater. 43 


fehen und Werth zu erhalten, iſt zu beobachten: daß nicht gleich- 
‚förmige Chavaftere, Situationen oder Interefjen in anderen Wen— 
dungen als neu ericheinen, und daher das Neue dem Alten, over das 
Alte dem Neuen ſchade; dialogirte Romane, bei welchen der Autor 
weder Verdienſt noch Genie verräth, der Schaufpieler alltäglich 
werden muß, vürfen feine Aufnahme finden, weil ſie ven Zufchauer 
ermüden umd abjchreden.: Das Luitipiel hingegen enthalte Charaf- 
tere aus. dem gemeinen Keben, doch mit Interejje, Satyre, ohne in’s 
Pasquill auszuarten;  errege durch Wit und anftändige Natur 
Lachen, nicht durch Poſſen, Unanftändigfeit oder unnatürliche Be- 
gebenheiten; es zwecke zur Beſſerung ab durch Schilderung feiner 
lächerlichen Charaftere, ohne den Anjchein eines Lehrgebäudes zu 
haben; die Sprache ſei won ver Natur, aber nicht vom Pöbel ge- 
nommen.‘ 

„Bei Meberjegungen haben ſie unter obigen Erforderniſſen 
noch darauf zu ſehen, daß der Sinn des Originals nicht verſtüm— 
melt und geſchwächt werde, eine dem Sujet angemeſſene, gute deutſche 
Schreibart darin vorhanden ſei, daß keine Aenderungen im Ganzen 
vorgenommen werden, ſo dem Stück eine andere Richtung geben; 
ausgenommen ein deutſcher Dichter nützte nur die Anlage ver Charak— 
tere, Situationen und des Intereſſes, formte ein ganz neues Ori— 
ginal und nützte Deutſchland dadurch mehr, als durch eine getreue 
Ueberſetzung.“ 

Nach dieſen bemerkenswerthen Grundſätzen ſollte jedes einge— 
ſchickte Stück binnen vier Wochen „abgefertigt werden“. Zwei 
Inſpicienten erhielten es zur Prüfung: „ob es der öffentlichen Vor— 
leſung werth ſei“. Keiner durfte es Länger als acht Tage behalten, 
und mußte dann jehriftlich auseinanderjegen, aus welchen Gründen 
er es zum Borlejen vorſchlüge oder verwerfe, „Nach Vorlefung 
eines Stückes giebt jenes Mitglied des Ausſchuſſes ein kurzgefaßtes 
Botum ad protocollum und die majora entſcheiden.“ 

Alsdann entfcheidet ver Ausschuß wiederum „per majora“ 


44 Das Burgtheater. 


über die Bejegung. „Jene, jo Hauptrollen zu ſpielen pflegen, jollen 
in den ihnen zugehörigen Fächern gebraucht und ihnen nur alsdann 
mindere Rollen zugetheilt werden, wenn eben im Stüd feine Rolle 
aus ihrem Fache vorhanden wäre und das Stüd durch eine andere 
Belegung litte.“ — Auch follen Rollen mehrfach befeßt werden 
Calterniven), wenn es ohne Nachtheil der übrigen Beſetzung ge- 
Ichehen fan. ,‚Seder Dichter hat zwar die Freiheit, eine Beſetzung 
feines Stüdes vorzufchlagen, doch muß der Ausschuß folche prüfen und, 
falls ſie zum Nuten des Theaters oder zur Zufriedenheit ver Schau— 
ipieler beijer entworfen werden fünnte, folche nach Pflicht abändern.” 

„Zur Zufriedenheit der Schaufpieler‘‘, diejer charakterijtiiche 
Grund beleuchtet deutlich dies rvepublifanifche Selbjtregiment der 
Schaufpieler, welches fich im theätre francais bis heute erhalten 
hat. Man darf nicht außer Acht lajfen, daß damals und daß über- 
haupt in Deutjchland die Schaufpieler ſelbſt die Mehrzahl ver 
Stücke ſchrieben und dadurch ihre Alleinherrichaft weſentlich ſtützten. 
Unterhaltungsftüde waren das Hauptbevürfnig. 

Stephanie der jüngere war ein fruchtbarer Verfaſſer neuer 
Stücde im Ausfchuffe des Nationaltheaters. Für ihn erichien mit 
Schröder ein gefährlicher Nivale, denn Schröder's Stüde waren 
bedeutender. 

Schröder hatte ſchon eine außerordentliche Lebensſchule durch: 
gemacht, als er ſechsunddreißig Jahre alt damals nah Wien fan. 
Sein Stiefvater Acdermann hatte im Norden Deutjchlands, in 
Mecklenburg, in Oft: und Weftpreußen, in Hamburg, im Holitein’- 
ſchen, Schleswig’schen und im Hannover’fchen, ja auch in Rußland 
und Polen ununterbrochen Theaterdirectionen geführt und hatte jich 
mit gewiffenhafter Strenge des fleinen Stiefjohnes angenommen. 
Aber diefer Fleine Schröver war ein wilder, excentrifcher Burſch, 
und Stiefvater Ackermann war ein genialer Schaujpieler gemwejen. 
Da hatte es denn nicht an heftigen Scenen gefehlt. In Warſchau 
zum Beifpiel hatte fich einmal der junge Fritz im Jeſuitenkloſter 


Das Burgtheater. 45 


verjteet, hatte zum Katholicismus übertreten, ja Jeſuit werden 
wollen, um der elterlichen Obhut für immer zu entweichen. Im 
Königsberg war er als Zögling einer Schule allein zurüdgelafjen 
worden, und das Koſtgeld war ausgeblieben; er war dem Ver— 
hungern und jeglichem Berverben ausgefegt geweſen, da ihn vie 
Schule erbarmungslos ausgejtoßen hatte. Mit einem verjoffenen 
Schufter hatte er lange Zeit auf das Kläglichite fein Leben friften 
müſſen, und die gemeinften Yebensgewohnheiten hatten ihn umgarnt. 
Schnapstrinfen und kleine Entwendungen, welche dem Diebjtahl 
nahekamen, bedrohten jeine förperliche wie feine moralische Gejundheit. 

Er überjtand das Alles, Endlich fam Gelohülfe von ven 
Eltern, welche feiner feineswegs vergaßen, aber jelbjt nicht immer 
in der Lage waren, Geldſummen zu erübrigen. Er machte ji auf, 
in einem dürftigen Fahrzeuge durch die Dftfee nach Lübeck zu ſchiffen, 
erlitt Schiffbruch, rettete und friftete fich wie Robinfon Erufoe und 
itieg halbnnackt bei Travemünde an's Yand. Ausnahmsmweije waren 
gerade jett einmal feine Eltern mit ihrer Gejellfchaft in Süddeutſch— 
land, und der junge Wann mußte fich durch die ganze Yänge des 
deutjchen Vaterlandes hindurch Fechten. Auch das gelang ihm, und 
ver früh erfahrene Jüngling ftand endlich wieder feiner Mutter und 
feinem höchit eigenthümlichen Stiefvater gegenüber. 

Dies jein häusliches Verhältniß, unerihöpflihb an Con— 
flieten, ijt offenbar fehr fruchtbringend aewejen für Schröver’s 
Sharakterjtudien. Die Mutter, aus Berlin ftammend, war in 
eriter Ehe mit dem Drganiften Schröder verheirathet geweſen. 
Diejer Vater Fritz Schröver's, ein gejchiefter Tonfünftler, war 
in Nahrungslofigfeit und Liederlichkeit verſunken und hatte es 
der begabten Frau überlajjen müfjen, jich jelbjt zu ernähren. Sie 
war nah Schwerin, war nah Hamburg gegangen, um durch ihre 
Gejchieffichkeit in Stiderei ihr Brod zu erwerben. In Hamburg 
hatte Eckhof fie fennen gelernt und ihr gerathen, die Vorzüge ihres 
Geiſtes und ihrer Geftalt auf der Bühne zu verwerthen. Diejem 


46 Das Burgtheater. 


Rathe war fie gefolgt, und er hatte jich als richtig exwiejen. Sie 
gefiel und war ſchon vier Jahre lang Schaufpielerin, als ihr Mann 
jie 1744 zum letsten Male in Hamburg befuchte, Die Frucht viejes 
legten Bejuches war Friedrich Schröder. Der Vater Schröder ftarb 
bald darauf und ſie heirathete fünf Jahre ſpäter Ackermann. Dieſer 
alſo, welcher den vierfährigen Frit als Stieffohn befam, wurde 
Schröders eigentlicher Vater. 

Eine Aeußerung Schröder’s weiſt darauf hin, daß die erjten 
Eindrüde feiner Jugend, daß feine Iugenderziehung überhaupt maf- 
gebend geworden jind für jein ganzes Leben. Dieje Aeuferung lau— 
tet: daß er feine Anficht über die Vorzüge und Fehler der theutra- 
liſchen Darjtellung feit jenem zehnten Jahre nicht geändert und 
feine Urjache gefunden habe, fein Urtheil darüber in der. Folge 
zurüdzunehmen. 

Dies erklärt fich vielleicht, wenn man einen Blick wirft in den 
Adermann » Schröder’fchen Hausjtand. Unter den: mannigfachjten 
Sorgen jpinnt jich die Directionsführung eines Theaters in dieſem 
Hansjtande ab, und ver Knabe jieht alle Kunſtproducte entjtehen, 
werden und vergehen oder dauern. Die Mutter ijt überall die gei— 
jtige Förderin, fie jchreibt Prologe, fie bearbeitet Stücke, fie ſtudirt 
den ſchwächeren Meitgliedern vom Kinde bis zum erjten Liebhaber 
die Rollen ein. Der Vater weicht in den Gefprächen den theore- 
ttichen Betrachtungen aus, oder erledigt fie durch ein entſcheidendes 
Wort feines starken Naturells. Er iſt das Talent und vertritt durch’ 
die That die jiegreichen Rechte des Talents. Schröder hielt ihn, 
nachdem Ackermann längſt gejtorben, für ven einzigen fomijchen 
Schauſpieler, ven man ‚vollendet‘ nennen fünnte; der nie aus der 
Wahrheit herausgetreten fei, der nie übertrieben habe. „Ich kann 
mich leider nicht rühmen“, jetst er befcheiven Hinzu, ‚‚meinem Mufter 
hierin treu geblieben zu fein.” Und voch wiſſen wir, daß es ein 
Hauptvorzug des großen Schaufpielers Schröder gewejen tft, jtreng 
in der Wahrheit, fern von jeder Uebertreibung zu bleiben. Die 


Das Burgtheater. 47 


Anklage gegen jich ſelbſt gilt alio wohl den Jugendſünden auf der 
Bühne. 

Diejen Eltern gegenüber begann nun der vierzehnjährige Bur— 
che jeine eigentliche theatraltjche KYaufbahn. Zunächſt als Tänzer, 
denn: in der Tanzfunft entwidelte er große Fertigkeit und war er 
dem Director» Vater am einträglichiten. 

Leider meinte ver Vater die Gage an ihm ſparen zu fünnen, 
und der nafeweije, ſchon viel verſuchte Sohn fand dies unerträglich, 
„Schröder war der einzige Menſch, ven Adermann jtrenge behan— 
delte‘‘, eben wohl, weil er ihn gewillenhaft erziehen zu müſſen 
meinte, „Schröder war aber auch der einzige Menſch, ver fich ihm 
widerjeßte, wenn er Recht zu haben glaubte. Und leiver glaubte er 
dies zu oft.‘ 

So entjtanden denn bald wieder die peinlichiten Streitigfeiten 
zwilchen Bater und Sohn, welche mehrmals mit Flucht und Ent— 
weichung des Yebteren endeten. Die Mutter weinte und hielt es 
für ihre Schuldigfeit, dem Bater Recht zu geben. 

Fritz Schröder wurde durch all das nicht zahım, Er war früh— 
reif und machte auf volle Geltung Anſpruch. Hohes Billardipiel 
mußte Geld verjchaffen, und Duelle mit Franzoſen, welche damals 
bei Ausgang des jiebenjährigen Krieges in Süddeutſchland herrichten, 
brachten aufregenden Zeitvertreib. Kleine Aufgaben im Luſtſpiele, 
die ihm allmälig zufielen, behandelte ev von oben herab. Er unter- 
vichtete fich nur über ven Inhalt des Stüdes und der Rolle, Das 
mußte genügen. Die Rolle jelbjt lernte er nicht. 

Da trat ein Wendepunft ein. Die Wieland'ſche Ueberjetung 
Shafejpeare’s erichien. Sie fam dem achtzehnjährigen Schröder 
in die Hände, „Er verſchlang fie und machte fie zu feinem 
Handbuch.‘ 

Die Wirkung ver Shafejpeare » Yectüre ging bei Schröder zu— 
nächft nur nach ver komiſchen Richtung. Der britiihe Humor be— 
geifterte den jungen Deutjchen, und wir jehen in der nächjten Zeit 


48 Das Burgtheater. 


feinen anderen Wechfel in jeinem Dichten und Tracten, als daß er 
noch ausgelafjener mit feinem jchaufpieleriichen Talente verfuhr. 
In Frankfurt zum Beilpiel, wo der Wiener Kurz die Stegreif- 
fomödie betrieb und dem fo wirkſamen Komifer Schröder die alte 
Phrafe entgegenhielt: daß ein begabter Künftler ſich ja erniedrige, 
wenn er nur Auswendiggelerntes vortrage, ſtatt frei und ſchöpferiſch 
zu improvifiren — in Frankfurt lieferte ev dreift, ja frech den Be— 
weis, daß er eben jo gut und bejjer improvifiven fünne. Er fpielte 
dergeftalt aus dem Stegreif, daß das Publicum des Yachens nicht 
müde wurde, obwohl die Komödie eine Stunde länger dauerte, als 
fie dauern ſollte. Unwillfürlich wohl lieferte er damit den Beweis, 
dar Inhalt und Form aus Rand und Band getrieben werde durch 
das ſogenannte freie Spiel. 


Auch im Berhältniffe zu feinem Stiefvater trat noch immer 
fein günftiger Wechfel ein. Der junge vorlaute Menſch, wie hoch 
er das Talent und die Herzensgüte Adermann’s ehren mußte, pochte 
unabläjfig auf jeine größere Geiftesichärfe, unterließ jein altfluges 
Kritifivren nicht und fügte fih in feinem Streite. So fam es venn 
einmal in Kaffel zum Aeußerſten: Adermann ließ fih vom Zorne 
fortreißen, nach feinem Stiefjohne zu jchlagen, und dieſer zog den 
Degen gegen feinen Stiefvater. Verhaftung Schrövder’s war die 
Folge, ja er wurde in Ketten gelegt und ein paar Wochen in Ketten 
gefangen gehalten. 


Es fehlte denn faſt Nichts mehr an großen Lebensſchickſalen, 
was er bis in fein zwanziaftes Jahr nicht durchgemacht hätte. Sein 
fittlicher Kern mußte ſehr ſtark jein, um durch jo wildes Jugendleben 
nicht bejchädigt zu werden. 

Er war fehr ftarf. Denn gerade im fittlicher Richtung wurde 
diefer leichtfinnige Friß fpäter ein Mufter von Strenge und 
Feinheit. 

Eben ſo erging es mit dem Kerne ſeines Talentes. Es ent— 


Das Burgtheater. 49 


widelte jihb im Yaufe feiner zwanziger Jahre allmälig zu gedie- 
genem Ernſte. | 

Es ift ziemlich deutlich, daß Leſſing einen jtarfen Einfluß auf 
ihn ausgeübt. Die unabweisliche Berjtanvdesihärfe viefes großen 
Schriftitellers hatte eine große Macht auf Schröder, und als „Emilia 
Galotti“ erichien, welche er feinen Schweitern Elifabeth und Char- 
Lotte zu wiederholten Malen mit Begeifterung vorlas, entichloß er fich 
zur Darjtellung ver Marinelli-Rolle. Cr hatte allerdings ſchon 
vorher in Hannover — die Adermann’iche Gejellichaft fehrte damals 
für immer nach dem Norden zurück und nahm ihren Hauptjis in 
Hamburg — die erſten Schritte aus dem komiſchen Fache heraus 
getban und hatte als ein noch recht junger Mann einige ernite 
Vüterrollen gejpielt. Aber aus dem Durcheinander von Fächern, 
welches ein Divectorsjohn, zu Zeiten ein Mitdivector, ergreift, um 
die Beſetzung eines Stüdes zu deden, entwidelte fic) doch evt jett 
mit diefer gelungenen Darjtellung eines Marinelli die Flare Anficht 
in ihm, daß Charafterrollen jeglicher Art, auch in der Tragödie, 
jeinem Talente angemejjen wären. 

Diejer Elar gewordenen Anficht entſprechend nahm auch fein 
Privatleben einen joliden Charakter an. Er wird innerhalb feiner 
Familie milder und rüdfichtsvoller, ev unterftügt den Stiefvater 
bingebend in der Divectionsführung, und die gegenfeitige Yiebe 
zwifchen Vater und Sohn, die immer ächt vorhanden geweſen, quillt 
nun ungetrübt hervor. Er beichäftigt ſich eifrig mit Studien, er 
widmet den neu auftauchenden Dichtern Goethe, Yenz, Klinger volle 
Aufmerkſamkeit, ſchöne Werfe auch von Yenz erwartend, wenn dieſer 
fih zügeln und in engere Form finden könne; er fett jogar mit 
größter Sorgfalt den zufammengeftrichenen „Götz von Berlichingen‘ 
in Scene und fpielt den Bruder Martin, obwohl er nicht ver- 
leugnet, daß dieſe epiſch-dramatiſche Form ſich niemals zu einem 
danfbaren Theaterftücde eignen werde; er macht die perjünliche Be— 


kanntſchaft Leſſing's; er lieft, ja jtudirt das Theater ver Griechen 
Zaube, Burgtheater. 4 


50 Das Burgtheater. 


und gewinnt einen Zugang zum Pathos diefer Form; er verjenft 
fih auf's Neue in die Shafeipeare'fchen Stüde, und jest gehen ihm 
auch ihre großen, ernjten Yinien mächtig auf; er fängt feine Be- 
arbeitungen an, er fchreibt eigene Compofitionen nieder; furz, der 
Schröver entwidelt fih nach allen Seiten, welcher für das deutſche 
Theater fo einflußreich geworden iſt. 

Wie war dies möglich nach jo wüſtem Jugendtreiben? „In 
feinem Leben war ein Funken Ehre”, läßt Shafefpeare ven Brutus 
Tagen von einem gemeinen Krieger. Ein veizbares Ehrgefühl Ipringt 
von frühauf hervor in dem lieverlichen Knaben Fritz; ja, das jo- 
genannte point d’honneur war der ftete Grund feines Streites 
mit Vater Ackermann. Solch ein fittlicher Mittelpunkt in jungen 
Menfchen wirft wie ein Talisman. Cr ſchützt vor dauernder Ge- 
meinheit, er jpornt zu Aneignungen, damit man Ansprüche begründen 
fönne, Verſtand und Talent, welche Fri Schröder in hohem Grade 
von der Natur verliehen waren, wiljen dieſe Aneignungen trefflich 
zu erringen und mit den ungewöhnlich reichen Erfahrungen zu ver— 
ſchmelzen, und jo entjteht eine Perſönlichkeit, welche zu ſchöpferiſcher 
Thätigfeit ganz befonders geeignet und welche vor allen Dingen ein 
Charakter iſt. Charakter - Eigenthümlichfeit iſt ja aber doch für den 
Künſtler das erjte® und lette Erforderniß. Denn feine Aufgabe be- 
jteht darin: mit eigenthümlicher Kraft zu Schaffen. 

Diefe Kraft bewährte nun Schröder während der legten jieb- 
ziger Jahre in Hamburg als Hülfsdirector zu großem Segen des 
deutſchen Theaters. Das deutſche Theater hatte damals in ihm 
feinen neuen Schöpfer. Eckhof war alt und hatte nie die Eigenschaft 
gehabt, in diefem weiteren Sinne zu dirigiren und zu jchaffen. Seine 
förperlichen Mittel waren nicht befonders günftig, nur fein ſchönes 
Organ und fein feelenvoller Vortrag ficherten ihm künſtleriſche 
Macht und Herrichaft in einem begrenzten Fache. Das Luſtſpiel 
war ihm eigentlich ganz verfagt. Ganz an richtige Stelle war er 
um dieſe Zeit nach Gotha gerathen in die jtillere Sphäre eines 


Das Burgtheater. 51 


feinen Hoftheaters, wo man fichten und wählen fonnte und nicht 
genöthigt war, das harte Holz ver neuen Verfuche zu jpalten. Er 
ftarb, als Schröder fich hinlänglich gereift fand, von Hamburg auf- 
zubrechen und jein Repertoire und jeine Schule auszubreiten im 
deutjchen Reiche. 

Während dieſer legten ſiebziger Jahre in Hamburg bildete jich 
unter Schröder eine gute Schaar Schaufpieler und ein für damalige 
Zeit reiches Repertoire. Bon diejen Schaufpielern kam ver tüchtige 
Reinecke nach Berlin, der begabte Brodmann und Madame Sacco 
nah Wien. Borchers blieb lange bei ihm, und Schröder felbjt mit 
feiner Fran und jeinen beiden Schweitern Dorothea und Charlotte 
waren der Mittelpunkt. Charlotte jtarb früh, und Dorothea ward 
durch Verheirathung der Bühne entzogen. Die Kaufmannsitadt 
Hamburg, welche er übrigens liebte, verjagte ihm, wie er meinte, 
doch gar zu oft die Theilnahme für höhere Stüde. Shafejpeare’s 
„Richard der Zweite‘ „beliebte vem Bublicum nicht’; Shakeſpeare's 
„Heinrich ver Vierte’ — beide Theile in einen Abend von ihm zu— 
Jammengezogen — verfagte troß feines trefflichen Falſtaff vergeitalt, 
daß er am Schluffe mit der ihm eigenen ruhigen Hartnädigfeit dem 
Publicum anfündigte: „In der Hoffnung, daß diefes Meijterwerf 
Shakeſpeare's, welches Sitten jchilvert, die von den unjrigen ab» 
weichen, immer bejjer wird verjtanden werden, wird es morgen 
wiederholt”. Er erhielt das Stück mit Opfern auf dem Repertoire, 
gewann aber niemals vie volle Theilnahme des Publicums für 
dafjelbe. Auch fpäter in Wien nicht. Wohl aber in Berlin, obwohl 
er dort ein fchlechteres Enjemble fand als in Hamburg und in 
Wien. Diefe literarhiitoriihe Theilnahme, um jo zu jagen, hat er 
den Berlinern nie vergeſſen. 

"Großen Beifall aber fand er in Hamburg für die anderen 
Shakeſpeare'ſchen Stüde, welche er in ven letten Jahren für die 
Bühne bearbeitete und aufführte, namentlich für „König Year, 


„Hamlet“ und „Macbeth“. 
4% 


92 Das Burgtheater. 


Der Drang, Hamburg zu verlaffen und vor einem größeren, 
mannigfaltigeren Bublicum zu fpielen, wurde jett unmwiderjtehlich 
in ihm. Berlin bot fich ihm zu einem erjten Verfuche: im December 
1778 trat er dort auf, und zwar im den großen tragiichen Rollen, 
welhe man dem fomifchen Fris Schrövder außer Hamburg noch 
nirgend zutrauen wollte. Er jpielte ven Year, er ſpielte ſechsmal ven 
Hamlet mit unermeßlichen Beifall. Der Eindrud feines Year war 
jo groß, daß Moſes Menvelsjohn, welcher Schröder als Menjchen 
wie als Künftler liebte und an ſchwachen Nerven litt, die Vor— 
jtelung Thon im vierten Acte verlajjen mußte, weil die Wirkung 
ihn übermannte. 

Geſtärkt in dem Vertrauen auf feine Kraft fehrte er 1779 nad) 
Hamburg zurüd, um feinen Abſchied vorzubereiten. Um dieje Zeit 
erſchien Leſſing's „Nathan“. „Er war — jagt Schröders forgfäl- 
tiger und feiner Biograph F. L. W. Meyer — aus Schröver’s 
Seele gejchrieben, und blieb lange in mannigfachen künſtleriſchen 
und philofophifhen Beziehungen der Gegenitand feiner Unterhal- 
tung. Damals wäre wohl nicht die Zeit gewejen, ihn auf die Bühne 
zu bringen; aber jie fam. Dennoch hat ſich Schröder deſſen wie 
feines geliebten Shakeſpeare'ſchen „Julius Cäſar“ und einiger anderen 
Meiſterwerke aus der Vorzeit immer enthalten, weil er fich nie ge- 
traut, ihm die vollfommene Bejetung zu gewähren, die er für das 
Heiligthum feines Herzens begehrte. Auch trat er der Meinung 
Pichtenberg’8 und, wenn ich nicht irre, Engel’8 bei, das Stüd werde 
für die Menge feinen Reiz haben. Dies Vorurtheil einſichtsvoller 
Richter ift durch die That widerlegt. Geleſen hat er e8 jedoch vor 
einem auserwählten Kreiſe, und durch Mitlefer unterjtüßt, wie fie 
ſchwerlich eine öffentliche Bühne aufzubieten vermag. Seinen Na- 
than bewunderten die Zuhörer, aber fie waren auf ihn gefaßt. Den 
PBatriarhen, den er gleichfalls übernahm, bewunderten fie nicht 
weniger und wurden durch ihn überrajcht. So rein von Ziererei 
und Auffahren, fo vornehm ſanft und mit ruhiger Salbung flofjen 


Das Burgtheater. 53 


die Neußerungen der Unduldſamkeit von feinen Yippen, als hätte 
Lainez ſich mit dem Cardinal von Lothringen wor den Augen des 
franzöfiichen Hofes unterrevet. Ihm entging fein Zug, den Hogarth 
zu schwach, ven Mengs zu jtarf finden müffen. Daß er wahr fei, 
mußte jedem einleuchten, nur würde diefe Wahrheit nicht jedem ge- 
ahndet haben.‘ 

Diefer Fingerzeig auf vie leifen Mittel, denen Schröder jo 
früh ſchon zugewenvet war, erhält eine weitere Ausführung in der 
Rede Schröver’s, welche Meyer aufbewahrt hat. Schröver hat fie 
furz vor feinem Sceiven aus Hamburg in vertrauten Freundes- 
freife geiprochen, als von Leſſing's Vers die Rede geweſen: 


„Daß Beifall dich nicht jtolz, nicht Tadel furchtſam mache! 
Des Künſtlers Schätung ift nicht jedes Fühlers Sache. 
Denn auch dem Blinden brennt das Licht, 

Und wer dich fühlte, Freund, verjtand dich darum nicht.” 


„Ich muß erfahren‘ — ſagte Schröder — „woran ich mit 
der Kunſt bin. Was ich gejehen und fennen gelernt, hat mich in 
meinen Grundſätzen beſtärkt. Es mag jein, daß jene meiner ein- 
zelnen Rollen von einem Schaufpieler übertroffen wird, den jeine 
Perjönlichfeit oder jeine nähere Bekanntſchaft mit dem gejchilverten 
Verhältniſſe mehr als mich für fie begünjtigen. Aber es ijt feine 
eigentliche Kunſt, jich jelbit zu jpielen. Das wird jedem verjtän- 
digen Nichtichaufpieler gelingen, der gut zu jprechen und ſich an— 
jtändig zu benehmen weiß. Der allein jcheint mir eine wirkliche 
Kunſtſtufe erſtiegen zu haben, der jeden Charakter jo auffaht, daß 
fich ihm nichts Fremdes beimifcht; daß er nicht blos an eine allge 
meine Gattung mahnt, jondern fih auch von feinen Verwandten 
durch eigenthümliche Züge umterfcheivet, die er aus feiner Kunde 
hernimmt, um ven Winfen des Dichters zu entiprechen. Das unter- 
Icheidet den Schaufpieler von dem guten Vorlefer und Declamator, 
Der Letzte fann ven Zufchauer, fo lange er ihn mit dem Erften nod) 


94 Das Burgtheater. 


nicht verglichen hat, ſehr befriedigen. Aber ſobald er diejen jieht, 
muß er begreifen, daß er vorher nur an die Berjon erinnert worden, 
die er jetzt jelbjt erblidt. Dahin meine ich es gebracht zu haben. 
Sch glaube Alles ausprüden zu fünnen, was der Dichter, wenn er 
der Natur treu geblieben ift, durch vie Worte oder Handlungen 
jeiner Perſonen ausprüden wollen; und ich hoffe in feinem Stüde 
hinter den billigen Forderungen des Menfchenfenners zurüdzubleiben, 
ohne einen anderen Spiegel zu Rathe zu ziehen als den ver Wahr- 
heit. Die Kunft kann nicht mehr aufzufajfen begehren, wenn jie 
nicht Künftelei werden will. Sie jehen, warum mir der Naturjohn 
Shafejpeare Alles jo leicht und Alles jo zu Dank macht; warum 
mir manche jehr bewunderte und dichteriich glänzende Stelle Kampf 
und Anjtrengung fojtet, um fie mit ver Natur auszugleichen ; warum 
ich fie gleichjam verwifchen muß, damit fie dem Charakter nicht 
widerjprehe. Es fommt mir gar nicht darauf an, jo zu 
himmern und bervorzuftehen, fondern auszu— 
füllen und zu fein. Sch will jever Rolle geben, was ihr ge- 
hört, nicht mehr und nicht weniger. Dadurch muß jede werden, 
was feine andere fein kann. Die Nichtigkeit dieſes Bejtrebens wird 
man meinem Verftande nicht verdächtig machen. Darauf kommt 
es an, zu erproben, ob es mir gelungen ift. Und das verbürgt mir 
weder das Urtheil meiner Freunde, noch der Kenner allein. Jene 
find an mich gewöhnt, und dieſe können bejtechlich werden, weil fie 
einer großen Wahrheit huldigen. Sie mögen nicht rechten, wo die 
bloße Abficht ihren Wünfchen zufagt. Wirfliches Verdienft bewährt 
fich dadurch, daß es die Vorurtheile vernichtet. Bin ich, was ich zu 
jein nicht verzweifle, jo muß aller herfömmliche Irrthum, Alles, was 
Kunſt zu fein glaubt, ohnerachtet es der Natur widerfpricht, der Er— 
jcheinung der funftgebilveten Natur weichen; jo muß ich auf den un— 
wifjendften Zufchauer wirken, wie auf den gelehrtejten; jo muß jeder 
Blick in fein eigenes Herz den Anmwefenden überzeugen, er jehe von 
mir, was er jehen ſolle.“ 


Das Burgtheater. 55 


Meyer fett hinzu, daß Schröder, obwohl er „an Feinheit und 
anftändiger Zurüdhaltung‘ feinem anderen Schaufpieler wich, ent— 
ſchiedenſter Liebling ver Galerie gewejen und geblieben ſei, und daß 
das große Publicum vorzugsweife ihn „Seinen Schröder” genannt 
und eben jo mit ihm geweint wie gelacht habe, 

So beſchaffen und ausgerüftet begab ſich Schröder im März 
1780 auf die Reiſe nah Wien, um dort im Nationaltheater zu 
gaftiren. Am 13. April follte ev als König Year auftreten, In den 
Theaterfreifen Wiens wurde die Anfündigung diefer Nolle mit Miß— 
trauen aufgenommen. Mitglieder wie Brodmann und Madame 
Sacco, welche Schröder in Hamburg gekannt, werficherten: vie 
Tragödie jei Schröver's Sache nicht. Der Sinn für Tragödie 
lag übrigens auch dem Publicum nicht befonders nahe. In dem 
„Freundſchaftlichen Briefmechjel zwiſchen Gotthold Ephraim Yeffing 
und feiner Frau’ bejchreibt Yettere die erjte Aufführung der „Emilia 
Galotti“ im Burgtheater und fagt: der Kaiſer habe es zweimal ge- 
fehen und jehr gelobt. „Das muß ich aber geſtehen“ — habe er 
binzugejetst, — „daß ich in meinem Yeben in feiner Tragödie fo viel 
gelacht habe.” Und Frau von König (Leſſing's fpätere Frau) ver- 
fichert, daß fie in ihrem Yeben in feiner Tragödie jo viel habe lachen 
hören, und zwar zuweilen bei Stellen, wo eher hätte follen geweint 
als gelacht werden. Die Vorſtellung jet jehr mittelmäßig ausge- 
fallen. Nur die „Hubertin“, die Darftellerin der Mutter Claudia, 
babe gut gejpielt. „Den Prinzen machte Stephanie der ältere, ich 
möchte fait jagen: fo ſchlecht wie möglich. Stephanie wird täglich 
affectirter und unerträglicher. Was thut er zulett in Ihrem Stüde? 
Gr reift fein ohnedem großes Maul bis an die Ohren auf, ſtreckt 
die Zunge langmächtig aus dem Halfe und let das Blut von 
dem Dolche, womit Cmilia erjtochen it. Was mag er damit 
wollen? Ekel erregen? Wenn das ift, jo hat er feinen Endzweck 
erreicht.” 

Wie jollte Schröder's Geſchmack, damals offenbar der abge— 


56 Das Burgtheater. 


Härtefte und reinfte auf dem deutjchen Theater, wie follte er dazu 
paſſen?! Und Stephanie der ältere war ein Mitglied des Aus— 
ſchuſſes, von welchem die Yeitung des Injtitutes ausging. Aller: 
dings hatte jene erſte Aufführung ver „Emilia Galotti“ acht Jahre 
vor Schröders Ankunft jtattgefunden, und gerade in den letzten 
Fahren war durch Raifer Joſeph's Bemühung Biel gefchehen zur 
Beilerung des Theaters, zur Reinigung des Geſchmacks. Aber 
auch jett noch wurden grelle Traditionen durch Männer wie der 
ältere Stephanie frampfhaft aufrecht erhalten, und der hohle Decla- 
mationsſtyl franzöfiicher Schule, welcher durch die jo lange einge- 
bürgerten franzöfiihen Gefellfchaften auch dem Publicum geläufig 
war, mußte ſchneidend abftechen von der natürlichen Vortragsweiſe 
Schröder's. 


Es fonnte nicht ausbleiben, daß man eine Revolution ahnte 
und verfündete in TIheaterangelegenheiten. Die Sturmvögel er- 
hoben jih und jchrieen. Die alte Schule fühlte jih bedroht, und 
alle erjinnlichen Verleumdungen gegen Schröder wurden in Be— 
wegung geſetzt, ehe er auftrat. Ein folcher Kleinjtädter — hieß es 
— hat die Unverfchämtheit, die großen Künftler einer Hauptſtadt 
herauszufordern! Ein norodeutjcher Komiker mit bürgerlichen Ma— 
nieren will den König Year jpielen, die Meijterleijtung unjeres 
Brofmann! Und über den Geſchmack Wiens wagt er geringichätig 
zu ſprechen! Unbildung wagt ev uns nachzufagen! Der joll was 
erleben! Graf Rojenberg hat ihm ein Engagement angeboten ; 
darauf hat er erwievert: er paſſe wohl nicht nach Wien, und Wien 
fönne feine Verdienſte nicht bezahlen! Wir werden ihn bezahlen, 
den hochmüthigen Hamburger! 


Die gereiste Stimmung wurde fo laut, daß der alte Fürft 
Kaunitz Schröder rufen ließ und ihn warnte, im „Lear“ aufzutreten. 
„Sch weiß” — fagte er, — „welche Männer für Sie gezeugt haben, 
ich weiß, daß ich denfen werde wie diefe Männer, Aber wer fann 


Das Burgtheater. 57 


gegen das Borurtheil?! Und in diefem Falle werden Cie 
unglüclicherweife mit Ihren eigenen Waffen befümpft: Brod- 
mann ift Ihr Schüler” — — „„O, Ihre Durchlaucht““ — 
antwortete Schröder — „„der Meijter behält jih immer Etwas 
vor,” — 

Der Abend des 13. April kam. Schröder trat auf und wurde 
mit eiſiger Kälte empfangen. Die erſte große Scene mit Goneril 
veranlaßte Einige, unter ihnen Kaiſer Joſeph, zu applaudiren, furcht— 
bares Ziſchen unterdrückte den Applaus. Ebenſo ging es im zweiten 
Acte. Aber im dritten Acte, wo die Sinne Lear's all' den losge— 
laſſenen Stürmen unterliegen, da unterlag auch jedes Vorurtheil 
und das ganze Haus vereinigte ſich in einen Sturm von Applaus, 
und „von nun an ging fein Zug ohne lauten Beifall vorüber”. 
Wenn im vierten Aufzuge der wahnjinnige Year Glojtern predigen 
will, hatte Brodmann den Stamm eines abgehauenen Baumes be— 
jtiegen, und das war als gelungenes Theaterjpiel gelobt. Schröder 
verjuchte ihn zu bejteigen, und die Kräfte verfagten ihm. Ein Ge— 
jchrei des Jubels durchdrang das Haus. Nach der Vorjtellung ward 
er einjtimmig herausgerufen, und erſchien nicht, weil ein kaiſerlicher 
Befehl die zu leicht gemißbrauchte Sitte mit Recht unterjagt hatte. 
Doc fonnte ſelbſt Fürſt Kaunitz, der ihn am folgenden Tage zu ich 
fommen ließ und mit verbindlichem Lobe überhäufte, ſich nicht ent- 
halten, ihm zu jagen: „Man venft nicht immer an Alles. Cs hat 
mir für die Zufchauer weh gethan, daß Sie ſich dem Bedürfniſſe 
ihrer Bewunderung entziehen müſſen. Auch ich habe dabei verloren. 
Sie hätten dem faiferlihen Befehl gehorchen und unferem Wohl: 
wollen genügen, Sie hätten nicht die Bühne, aber meine Yoge be> 
treten und ſich von ihr noch einmal zeigen können. Das ift nicht 
im Gejet verboten‘. 

Alle folgenden Rollen — unter ihnen Hamlet, der Geizige, 
Odoardo in der „Galotti“, Diverot’s Hausvater — wurden mit ver: 


58 Das Burgtheater. 


jelben Gunft aufgenommen. Aller Wiverfpruh war verjtummt, 
jedermann wünfchte das Engagement Schröders, Kaiſer Joſeph an 
der Spite. „Er ſprach eine ganze Stunde mit mir‘ — erzählt 
Schröder — „und mit folher Güte, mit ſolcher Kenntniß, daß ich 
erſtaunte“ — nur Schröder ſelbſt wünfchte nicht engagirt zu fein. 
„Furcht vor wandelbarem Hofglüd und vielleicht Vorurtheile hielten 
den eigenthümlichen, freiheitliebenden Mann zurüd von der Annahme 
vortheilhafter Bedingungen.” Er hatte ſchon die Pojtrferde be: 
jtellt, va lieg ihm Maria Therefin jagen, fie wünfche ihrer Tochter, 
der Erzherzogin Maria Chriftina, welche aus Prefburg erwartet 
werde, Das Vergnügen zu machen, eine Rolle von ihm zu fehen. 
Einem ſolchen Wunſche ließ ſich Nichts abfchlagen, er jagte zu, und 
wurde nun zur Audienz bei Maria Therefia beſchieden, Sonntags 
am 7. Mai vor ver Meſſe. „Sie empfing ihn in Gegenwart ihres 
Hofitaats. Ihre Freundlichkeit und Milde übertraf alle Bejchreibung. 
Shre Gefundheit und Stimmung, fagte fie, hätten ihr jeit langer 
Zeit unterfagt, das Schaufpiel zu bejuchen, folglich jie auch abge: 
halten, Schrövdern zu jehen. Die Genugthuung könne fie fich nicht 
rauben lajjen, jeine perjünliche Befanntichaft zu machen und ihm 
für das Vergnügen zu danken, das er ihren Kindern umd ihren guten 
Wienern gemacht, die nicht genug von ihm zu erzählen wüßten, und 
das er ihrer lieben Tochter noch machen wolle. Sie jetste des Ber: 
bindlichen mehr Hinzu, das nur das Herz, nicht die Zunge des Be— 
gnadigten wiederholte, und bejchenfte ihn mit einem Fojtbaren Ringe, 
deſſen er zum Anvenfen diefer unvergeglichen Stunde nicht bedurfte. 
Wer hat fih Marien Therefien genaht und in ihr der höchften und 
Ihönften Winde der Menjchheit, ver Negentin und Mutter nicht 
gehuldigt?!“ 

„Kein Beſonnener“ — ſchließt Meyer — „möchte den Mann 
ſeinen Freund nennen, welchen eine ſo wohlthätige Gewalt nicht 
hingeriſſen hätte. Schröder mußte ſeine ganze Faſſung zuſammen— 
halten, um die tiefe Regung des erſchütterten Gemüths nicht laut 


Das Burgtheater. 59 


werden zu laſſen — er nahm nun, was man ihm bot, ohne zu be— 
gehren, was man ihm nicht abgefchlagen haben würde, und verpflich- 
tete fich, auf Ditern des folgenden Jahres in Wien einzutreffen‘‘ — 
als engagirtes Mitglied des Hof- und Nationaltheaters in der Burg. 

Die fann und wird Schröver mit dem Ausfchuffe der Herren 
Stephanie und Conſorten beitehen ? 


IV. 


Schröder ging vom Wiener Gajtipiele nach Paris und beob- 
achtete dort eine Zeit lang das franzöfifche Theater. Dann Fehrte 
er nach Hamburg zurück, fpielte noch eine Zeit lang und verlieh es 
ſammt feiner Frau am 17. Februar 1781. Seine Frau, eine feine, 
eigenthümliche Natur, war mit ihm engagirt für das Hof- und 
Nationaltheater, Am 16. April traten jie beive in der „Agnes 
Bernauerin‘’ auf und wurden mit einem ‚Beifall aufgenommen, 
der jich während ihres ganzen dortigen Aufenthaltes nicht ver: 
ringert hat‘, 

Die Obervirection bejtand damals aus dem Reichsgrafen von 
Orſin und Roſenberg, welcher Präfivent hieß, und dem Frhr. 
v. Kienmayer, welcher Obervirector hieß. 

Es findet fich fein Anzeichen, daß diefe oberften Directoren eine 
befondere Einwirfung ausgeübt hätten, aber auch fein Anzeichen, 
daß fie ftörend eingegriffen hätten. In den Mißhelligkeiten, welche 
zwifchen dem Ausſchuſſe und Schröder entjtanden, wirkten fie immer 
bejchwichtigend und ausgleichend. 

Der Perjonalbeitand war folgender: 

Jacquet feit 1760 (mit 1000 fl. Gage). Stephanie 
der ältere feit 1760 (1600 fl. Gage, 130 fl. Regiegeld), Müller 
jeit 1763 (1600 fl.). Gottlieb feit 1763 (648 fl.). Stepha-> 
nie der jüngere feit 1769 (1400 fl.). Zange feit 1770 (1400 fl.). 
Jauz feit 1772 (800 fl.) Weidmann feit 1773 (1200 fl.). 


Das Burgtheater. 61 


Ropfmüller feit 1773 (400 fl). Bergopzoomer feit 
1774 (1400 fl). Stierle feit 1777 (300 fl). Brod- 
mann ſeit 1778 (1400 fl). Dauer feit 1770 (1200 fl.). 
Schütz jeit 1780 (1200 fl). Schröder feit 1781 (2550 fl.). 
Borchers jeit 1781, Lambrecht, Diftler, v. Kronftein, 
und von 1783 an Ziegler, welcher zahlreiche Stücke gejchrieben. 

Madame Weidner feit 1748 (1660 fl.). Gottlieb feit 
1765 (600 fl.). Adamberger feit 1768 (1600 fl.). Brod- 
mann feit 1769 (900 fl). Stephanie vie jüngere feit 1771, 
Defraine, naher Schüß, feit 1772 (500 fl.). Kathi Jac— 
quet jeit 1773 (1200 Fl). Sacco jett 1776 (1600 fl.). 
Stierle jeit 1777 (1500 fl). Noufeul feit 1780 (1600 fl.). 
Günther jeit 1780 (1000fl.). Schröder feit 1781 (1450 fl.). 
Patſch, Müller, nachherige Füger. 

Außerdem ein jtattliches Verfonal von Sängern und Sänger: 
innen bis zum Sahre 1783, in welchem ein wäljches Singfpiel das 
deutſche ablöfte. Der ganze Gagenetat betrug über 80,600 Gulden. 

Es war das am jtärfften votirte und befte deutſche Theater in 
jener Zeit. 

Für eine Beurtheilung diefer Schaufpieler benutze ich drei 
Duellen. Erjtens Meyer, den Biographen Schrövder’s, zweitens 
eine 1786 erichienene Schrift „Bemerkungen über das Yondoner, 
Parifer und Wiener Theater‘, welche recht theaterfundig erjcheint, 
und drittens die traditionellen Stimmen, welche ſich in Wien er- 
halten haben über ven Werth der damaligen Künftler. 

„Brockmann“ — heißt es vor Schröder's Eintritt — „hat im 
Tragiſchen hier nicht feines Gleichen, wird fie überhaupt in Deutſch— 
(and ſuchen; auch ift in Paris feiner, der ihm in den heftig wüthen- 
den Rollen beifommt; aber den Wiürgengel muß er machen, fonjt 
ift er nicht an feiner Stelle.” Den fpiele er „herzerſchütternd“. 
Leider jelten, weil man wenig Trauerfpiele gebe. „Für etwas 
minder heftige Charaktere ijt Schon fein Spiel zu ftarf, zu übertrieben. 


62 Das Burgtheater. 


Im mittelmäßigen Affect vollt fein Auge wild, fürchterlich umher.‘ 
Zu beflagen jei, daß er fett werde und ihm ver leichte Converjationg- 
ton durchaus fehle. „In denjenigen Stüden, wo er gute, edle 
Charaktere vorzujtellen hat, glückt es ihm, auch ſelbſt im Luftipiele ; 
nur iſt alsdann fein Gang zu theatermäßig und feine Stellungen 
jind nicht abwechjelnd genug.” Er jtellt fi) — il pose — jagt 
ihm der Verfaffer nach. 

Meyer jpricht günftig über feine Naturgaben und fein Talent, 
nur jtellt er feine geiftigen Kräfte nicht eben hoch. 

Bei ven Wienern war er jehr beliebt. 

Ueber beide Stephanie lauten ſämmtliche Urtheile ungünftig. 
Der ältere „hat jich gerade in denen Zeiten gebildet, wo von Franf- 
veich aus die weißen Schnupftücherfomövien — wie Leſſing jagt — 
die Dramen, Deutjchland überjchütteten. Nun heult er jetst noch 
drauf los, und ſieht dabei aus wie ein alter Corporal“. Meyer 
rühmt ihm nach, daß er Einficht, Belejenheit, Fleiß und Kenntniſſe 
befejjen habe, nennt ihn aber auch einen „ſchlechten Schaufpieler‘ 
mit unnatürlicher Rhetorik und fchreiend erfünfteltem Vortrage. 
Der jüngere Stephanie, nur für's Yuftpiel brauchbar, war natür- 
ficher, aber von ganz geringem Talente. „Er fonnte poltern, aber 
er fonnte Nichts als das.” Seine Rollen wußte ev nie auswendig 
und fleivete jich entjetlich. „Uebrigens hielt er feiten Fuß mit 
jeiner Zeit, unterlag feiner Art von Citelfeit, wußte Nichts von 
Rollengeiz, und lieg jich von dem Glück, welches feine Stüde machten 
und verdienten, nie verleiten, jie über den Werth des ergriffenen 
Augenblids zu ſchätzen.“ 

‚Müller war ein feinkomiſcher Schaufpieler voller Einficht und 
treffender Darjtellungsgabe, nur fprach er, theils aus Gewöhnung, 
theils aus Gedächtnigmangel, zu langjam und gevehnt, Sonſt 
hätten Glüdsritter und Geden vornehmen Standes und reifer Jahre 
jhwerlich vollfommener vargeftellt werden können.“ 

„Langens Spiel ließ Wenig zu wünfchen übrig. Er war 


Das Burgtheater. a 


Maler, und malerifch jein Gang, feine Haltung, fein Anzug, fein 
ganzes Benehmen, ohne je in das Gezierte zu verfallen. So lange 
er falt und mit nicht ſehr erfchütterter Empfindung zu prechen hatte, 
befrienigte auch jein Vortrag. Sobald er leidenjchaftlich werden 
mußte, ſchien manches Triebwerk und Schule. Indeſſen erſetzte ver 
Körper, was das Ohr vermißte. Man jah ihn fo gern, daß man 
ungern mit dem vechtete, was man hörte. Unter allen Piebhabern, 
die ich auf der Bühne erblict, jtand und bewegte jich feiner jo ge- 
fällig. Er gab jeder Rolle Etwas, das nur er ihr zu geben fähig 
war, und was er ihr nicht gab, verfagten ihm nicht ſowohl Anlagen 
und Kräfte, als frühere Yeitung und Bildung, die meiner Anjicht 
ivrig fchienen. Sch halte ihn für einen durchaus vechtichaffenen 
Mann und habe ihn immer geehrt und geliebt.‘ 

So Meyer. Der Berfaffer der „Bemerkungen“ iſt auffallend 
abjprechend überihn, nennt ihn einen „höchſt gleichgültigen, froitigen 
Komödianten, der fich ſchon bläht, als wenn er Wunder was wäre, 
und darum nie Etwas werden wird. Dabei hat er ein unbejchveiblich 
fades Milch- und Blutgeficht und eine efelhaft deutliche Declamatton, 
die ganz converjationswidrig einem jedes Wort vorkaut“. Wahr: 
icheinlich hat er ihn früher gefehen, als Meyer. Webrigens muß 
auch er zugeftehen, daß er ein Liebling ver Wiener geweſen. 

Schütz, vorzugsweife für Böfewichter und Windbeutel geeignet, 
wird der Uebertreibung beſchuldigt. Yebhaftigfeit und Gemwandtheit 
werden ihm zugejtanven. 

Weidmann, der fomifche „„Abgott der Galerie‘, wird von 
Meyer als ein vollfommenes fomijches Genie bezeichnet. Cr hat 
feinem Naturell und feinem wienerifchen Accente ganz den Zügel 
ſchießen laffen, und ift auch von Schröder ſtets gelobt worden. 
„In niederen tölpifchen Gejellen durfte Gottlieb jelbjt neben dieſem 
Mufter auftreten und die gefährliche Nachbarichaft nicht jcheuen. 
Der bejahrte Sacquet war unverbefferlich in fomijchen und erniten 
Alten.” Paul Werner in Lefjing’s „Minna“ war eine feiner beiten 


64 Das Burgtheater. 


Nollen. Bergopzoom war durch ein ungünftiges Organ aufs 
Luſtſpiel beſchränkt. Er trug ftarf auf und hatte die Galerie für 
jih. Die Schrövder’fche Partei, zu welcher er hielt, beurtheilte ihn 
freundlich. „Ziegler bewies Leben und Kraft“, begmügte fich 
aber mit der Außenfeite ver Charaktere, 

Unter den Damen war Madame Weidner die Stammhal- 
terin. Meyer jagt von ihr: „Ihre Geftalt, ihr Anſtand entfprachen 
vem Bilde einer würdigen Mutter. Ausdruck und Sprache unge- 
fünftelter Empfindung hab’ ich nie an ihr bemerkt“. Er jetst aber 
hinzu, daß fie dem Publicum gefallen habe. Yon Madame Sacco 
ijt der Berfaffer ver „„ Bemerkungen‘ fehr entzücdt. Vorzugsweife 
von ihren Heroinen. Heiteres und Zärtliches jei ihr nicht ange- 
mejjen. Cine Medea aber — die Gotter’iche war damals auf dem 
Repertoire — jpiele fie vortrefflich. „Von der Natur hat fie eine 
ſchöne, beinahe große Figur, ein einnehmendes Geficht und eine nicht 
jtarfe, aber höchſt interejjante Stimme, mit ver fie machen fan, was 
ſie will.’ — „Ihre Action ift durchaus Ideal einer edlen Wahrheit. 
Sch habe nie jo etwas Vollkommenes gefehen, und glauben Sie mir, 
daß ich Nichts übertreibe, wenn mir, verglichen mit einer Sacco, eine 
Sainval oder Veſtris nur Marionetten erſcheinen.“ — „Ihr Bei- 
fall hier fängt an zu fallen, weil man ſo ungerecht iſt, ſie wegen 
ihrer unausſtehlichen Caprizen, die ſie mit allen Virtuoſen gemein 
hat, auch von Seiten der Kunſt minder zu ſchätzen.“ 

„Mademoiſelle Nanny Jacquet die ältere (bald Madame 
Adamberger), iſt im Naiven des Luſtſpiels eben fo unnachahmlich 
wie Madame Sacco im Tragiſchen. Es iſt nicht möglich, eine 
verſchmitzte Bäuerin oder ein unerzogenes Stadtmädchen wahrer 
und liebenswürdiger vorzuſtellen. Aber ſie hat nur dieſen Ton, den 
ſie auch dann nicht ablegt, wenn ſie als eine Frau von Stande auf— 
treten muß. Ihre Perſon iſt ſehr reizend. Sie hat einen ungemein 
zierlich gebauten Körper und ein eben ſo angenehmes Geſicht. Ihr 
Mienenſpiel entſpricht vollkommen, und wenn ſie ein Bekenntniß 


Das Burgtheater. 65 


ablegen muß, das ihr mißfällt, beißt fie jih auf die Lippen, indem 
fie eine Grimafje dabei macht, die ganz der Natur abgeborgt ift. 
Mit einem Worte, in ihrem Fach hab’ ich nie ihres Gleichen ge 
fehen und zweifle auch fehr, ob fich eine findet.” — Auch Meyer 
fagt von ihr: „Sie war ein Schooffind der Natur und ließ, ohne 
fih der Kunſt bewußt zu fein, feine Forderung der Kunft unbefrie- 
digt. Sie gehörte freilich nur dem Luſtſpiel, ſchien nur in Wien 
und feiner Umgebung zu Haufe; aber wer fie ſah, vergaß, daß es 
außerhalb des Luſtſpiels und Wiens irgend Etwas geben fünne, das 
den Geift zu unterhalten, das Herz zu rühren und zu erfreuen ver- 
möge, Ton, Blid, Gang, Geftalt, Ausdrud, Anzug, Alles war 
einzig, eigenthümlich, unnahahmlich und reizend. So Etwas lernt 
fich nicht und kann nicht angewiefen werden; es muß angeboren 
fein. — „Ihre Schweiter Catty (Kathi) Jacquet war die tragifche 
Mufe. Kunftbewußter, gehaltener, erzogener, nicht minder wahr, 
nicht weniger liebenswürdig.” ine fehr große Figur und ein decla— 
mirender Vortrag machten fie unpafjend für's Gonverfationsfacdh. 
Zärtlich fanfte Rollen im Trauerſpiele waren ihre bejten. Sie 
ſtarb früh. 

Ueber die von Leſſing empfohlene Madame Nouſeul find 
die Meinungen getheilt. Der Berfafjer der ‚„„ Bemerkungen‘ fpricht 
fühl über fie und das Wiener Publicum hat fih eben jo gegen fie 
verhalten. „Zärtliche Mütter und diejenigen Charaktere, wozu fein 
Starkes, heftiges Spiel gehört‘, fehreibt er ihr zu, und man ſehe fie 
auch nur „in ältlichen Rollen, die ihrer Figur anpafjend find und 
die fie auch fein herausbringt”‘. Meyer jtellt fie höher und jagt von 
ihr: „Was Wien an Madame Noufent beſaß, hat die Menge nie 
völlig erkannt. Geift und Gefühl vereinigten ſich mit ihrer juno- 
nischen Geftalt, um fie im Trauerjpiel der Sidvons gleichzufeßen, 
deren Unarten fie fih nicht erlaubte, im Luſtſpiel über fie zu heben. 
Es bleibt ein umerjeglicher Verluſt für die Kumft, daß fie Berlin 
verlafjen, deſſen gerechte Bewunderung fie, die von feiner tragiſchen 


Laube, Burgtheater. 5 


66 Das Burgtheater, 


Mutter Deutfchlands übertroffen worden, hingeriffen haben würde, 
fich felbit zu übertreffen. Theilnahme und Entzüdung fünnen das 
Talent nicht erichaffen, find ihm aber unentbehrlih, wenn es jede 
Kraft in ſich entwiceln und ungeahnte Höhen erreichen ſoll.“ 

Madame Noufeul jcheint eben dem norddeutichen Geihmade 
mehr entiprochen zu haben als dem ſüddeutſchen. 

Endlih hatte das Theater -in Madame Stierle eine vor— 
trefflihe Zofe, in Madame Stephanie der jüngeren und Ma— 
dame Günther ftattliche DBertreterinnen zweiter Fächer, und ein 
junges nachwachfendes Gefchlecht für Fleinere Rollen. Nennen wir 
noch am Schluffe Schröver’s Gattin, eine junge, liebliche Frau von 
Anmuth, Feinheit und charakfteriftiicher Zeichnung in den Lieb— 
haberinnen, welche fie jpielte, und nennen wir noch Schröder jelbit, 
vejfen Talent eine ganze Reihe von Fächern in fich vereinigte, jo 
haben wir ung das reiche Perjonal des damaligen Hof und 
Nationaltheaters vergegenwärtigt. Es war ein Reichthum, an 
welchen fein anderes Theater auch nur von fern hinanreichte, ein 
Reichthum, welchen das Burgtheater noch in fpäterer Zeit kaum je 
wieder eingeholt hat. 

„Das höhere Lustipiel fonnte für ſehr gut, das niedere und 
örtliche für vollfommen gelten. Daher erklärt fih, warum in Wien 
Manches gefallen umd fich erhalten, was dem auswärtigen Lejer 
werthlos ericheint. Im Trauerſpiel und rührenden Schaufpiel ge— 
fangen einzelne Rollen häufiger als das Ganze. Etwas Gedehntheit 
ließ fich auch den beiten Vorjtellungen nachreden. Aber an das 
rafche Spiel ver Schröder'ſchen Bühne gewöhnt‘ — ſchließt Meyer, 
— „war ich freilich empfindlicher dagegen als Zufchauer anderer 
Stimmung.‘ 

Dazu fam eine große Abwechjelung des Repertoires. Neuig— 
feiten folgten einander zwar nicht mehr jo vafch wie zehn Jahre 
früher, aber doch immer noch in auffallend fchneller Abwechjelung. 
Schröder allein hat in feiner vierjährigen Anwejenheit gegen dreißig 


Das Burgtheater. 67 


neue Stüde, vorzugsweile Bearbeitungen, zur Aufführung ge- 
bracht. 

Wenn man fragt, woher die große Anzahl von Stüden ge 
fommen fei, jo lautet die Antwort wohl dahin: man war nicht allzu 
wählerifch, man geftattete namentlich dem Luſtſpiel eine fehr freie 
Ausdehnung auch in's Gebiet der Pofje und des Yocaljtüdes, und 
leichte Yujtipiel- Talente, wie der Yeipziger Jünger, fingen an fleißig 
zu jchreiben ; man nahm vom Auslande Alles, und man führte Trauer: 
jpiele auf, welche von dichterifcher Yebensfraft gar arg verlaffen 
waren. Die von Ayrenhoff, einem einheimifchen höheren Dfficier, 
welchem die franzöfifche Tragödie das höchſte Ideal, Leſſing's 
bürgerliches Trauerfpiel höchſt bevenflih, und Shafefpeare ein 
Garicaturenzeichner war, gehörten noch zu den bejjeren, und es er- 
ſcheint uns jegt recht natürlich, daß eine ,„„Rleopatra”, ein „Tumelicus“ 
und ähnliche fern liegende Stoffe in jo trodener Behandlung das 
Publicum nicht übermäßig reizten für dieſe erhabene Gattung dra— 
matischer Form. 

Das Bublicum felbjt war jchon damals ſehr empfänglich und 
bon der hingebendſten Aufmerfjamfeit für alles irgendwie Bedeu— 
tende. Da wurde ‚fein Laut überhört, fein Zug überjehen, jede 
Feinheit aufgefaßt, jever Winf errathen. Dieje Erwartung des 
Lieblings, diefe Freude bei feiner Erfcheinung, diefe Spannung, 
diefes Aufmerfen, dieſes Begleiten, dieſes Stillegebieten vor einer 
bedeutenden Rede, diefes mühſam zurücdgehaltene, jede Störung des 
Bevorjtehenden ängſtlich wermeidende Entzüden, dieſen lauten, 
langen, wiederholten, unerjättlihen Ausbruch des Jubels, wenn 
endlich das Erjehnte vollendet war‘, habe man nur in den Schau— 
ipielfälen Londons, nur bei Erzeugniffen Shakeſpeare's wieder ge- 
funden. „Ein danfbareres Publicum giebt es nicht, ein jtrengeres, 
fälteres glaub’ ich zu kennen“, — jagt Meyer, wohl in Bezug auf 
Hamburg. Nur fett er Hinzu, daß der Wiener Geſchmack ſich auch 
Leicht habe verleiten laſſen. „Falſche Anwendung gefälliger Natur- 


[} 


68 Das Burgtheater. 


gaben, glänzender Mißbrauch der Kunſt mögen freilich in Wien 
Glück machen und felbjt die Wahrheit verdunfeln, wenn ihnen diefe 
an innerem Leben, Kraft und Schönheit nachſteht.“ 

Sp wurden die erjten achtziger Jahre eine glänzende Theater: 
epoche für das Hof und Nationaltheater Kaiſer Joſeph's. Denn 
er wird auch in diefer Zeit noch als die Seele des Inſtitutes an- 
gejehen, obwohl ihn herbe Enttäuſchungen im Staatsleben viel mehr 
befümmerten als früher. Immer, wenn eine Stodung eintritt, 
wenn ein Mißbrauch überhanpnimmt, erfolgt von ihm, vom 
Kaiſer ſelbſt, eine energijche Weifung, welche belebt over ausgleicht. 
Umnerfchütterlich halt er daran feit, das höhere Schauspiel und 
Trauerjpiel aufgeführt zu ſehen. „Schauſpiele in geveimten 
Alerandrinern waren um dieſe Zeit den Bühnen Deutjchlands 
fremd geworden. Joſeph rief ſie zurüd. Schlegel’s „Trojanerinnen“ 
und fein trefflicher „Canud“, Cronegk's „Codrus“ erfchienen von 
neuem. Gotter gab jeine „Alzire“, v. Ayrenhoff feine „Kleopatra“. 
Die Schaufpieler beeiferten ſich, dem Geſchmack ihres Bejchüters 
Ehre zu machen. Das Publicum theilte diefe Vorliebe nicht.“ 

Eben jo befahl der Kaiſer — des Schröder'ſchen Chepaares 
wegen, — daß Hauptrollen von den erjten Schaufpielern abwechjelnd 
gejpielt werden jollten. Dies „Alterniren“ war zwar ſchon in ven 
Geſetzen worgejchrieben, aber der „Ausſchuß“ bedurfte doch dieſer 
erneuten Anordnung. Nicht ohne Gejchielichfeit wußte er fie un: 
wirffam zu machen: man ließ von jett an die Namen der Schau— 
ipieler von dem Anjchlagzettel weg. Das Publicum erfuhr alio 
erit während der Vorſtellung, wer dieje oder jene Rolle ſpielte. 
Das wurde namentlich bei neuen Stüden gefährlich. Anton Walls 
„Expedition zum Beifpiel, eine Bearbeitung des feinen Colle'ſchen 
„Dupuis et Desronais“, hatte eine wichtige Vaterrolle, in welcher 
Schröder und der ältere Stephanie alterniven jollten. Man lieg 
Stephanie ven erjten Abend fpielen und — es gab feinen zweiten 
Abend. Stephanie hatte das Stüd „durch feine miklungene Dar- 


Das Burgtheater. 69 


jtellung zu Grabe getragen, und Schröder fam nicht dazu, dieſer 
von ihm mit befonderem Fleiß einjtudirten jchweren Nolle wieder 
aufzuhelfen”. 

Kurz, ver Inhalt des Theaterweiens im Hof- und National 
theater bejtand während vier Jahre darin, daß ein geheimer Krieg 
des Ausichuffes gegen Schröder geführt wurde. Gegen den Schau— 
ipieler wie gegen den Schriftiteller Schröder. Der Ausfchuß ver: 
weigerte die Annahme fait jedes Stüdes, welches Schröder ein- 
reichte, oder begehrte Aenderungen, welche ver Weberzeugung 
Schröders wideriprachen. Da Schröder nun aber, wie ſchon 
erwähnt, ungemein fruchtbar war, jo wirthichaftete dies Kriegs: 
treiben immerwährend. Als wirfiamjte Stücke von den Schröder'ſchen 
Arbeiten erwiefen fih: „Das Teſtament“ nach dem „Londoner Ver— 
ſchwender“, welches Luſtſpiel man Shakeſpeare zuſchrieb, ferner 
„Der Fähnrich“, deſſen Abweiſung von dem Ausſchuſſe damit moti— 
virt worden war, daß kein Schauſpieler nach Schröder den Harrwitz 
ſpielen könnte, wenn Schröder Wien verließe. Ferner „Der Ring“. 
Er iſt Farquhar's „Constant couple“ nachgebildet, „hat aber jo 
viele und bedeutende Aenderungen erfahren, daß er für eigenthümlich 
gelten fann‘‘. Schröder fpielte den alten Holm; fpäter war der 
Graf Klingsberg eine feiner beiten Rollen. Ferner „Adelheid von 
Salisbury‘’ nach einer Novelle von v’Arnauld. Es machte dies 
Stüd in Wien fein bejonderes Glück. „Die Unſchuld ſtirbt“ — 
ichreibt Schröder darüber, — ‚und das iſt den Wienern- nicht 
recht. Er hat es ſpäter von neuem überarbeitet. Ferner „Stille 
Waſſer jind tief’ nah Beaumont und Fletcher's „Have a wife 
and rule a wife“. Schröder jpielte in Wien den Wiburg, in 
Hamburg den Wallen. „Beide Rollen gehörten zu jeinen aus- 
gezeichneten.’ — Ferner „Der Vetter von Liſſabon“, ein Driginal- 
ſtück Schrövder’s, welches jehr gefiel. Meyer erzählt die Entſtehung 
des Stücdes und jagt bei diefer Gelegenheit mit Nachdruck, daß 
Schröder auch im feinen Bearbeitungen immer feine Originalität 


70 Das Burgtheater. 


habe walten laffen. „Zufällige, oft jehr auffallende Aehnlichkeit 
einzelner Auftritte, Charaktere oder Verwickelungen“ — jeßt er 
hinzu — ‚wird bei dem unüberjehlichen Schaufpielvorrath der 
Vorzeit Fein fpäterer Schriftiteller vermeiden, wenn er fich nicht ver 
Unnatur oder Ungereimtheit hingeben will; und wer weiß, ob jelbjt 
alsdann! Was fih in einem menschlichen Gehirn abjpiegelt, ift 
ſchwerlich allen übrigen verfagt. Er erwähnt dabei einer „Maria 
Stuart” von Spieß, welche damals im Nationaltheater mit ver- 
dientem Glück gegeben worden fei, und bedauert, daß dies Stüd 
wahrjcheinlich unbekannt geblieben. Den Zug der Mutterliebe in 
der Königin Maria, welchen Spieß benutst, hätte ſich jonft Schiller 
Ihwerlich entgehen laſſen. „Die Zuneigung Mariens gegen Veicejter 
würde dadurch schwerer zu behandeln geweſen fein. Aber ohne zu er- 
wähnen, daß auf der anderen Seite auch Yeicefter's Bepenflichfeit, für 
die Heldin des Stücks mehr zu wagen, um ein großes Theil erflärlicher 
wäre, jeheint mir der Dichter ein gefährliches Spiel zu ſpielen, der 
nur feine Augen einem Berhältniffe verichließt, das der Mehrheit 
nicht entgeht, deren Urtheil er in Anfpruch nimmt. So leicht hat 
ſich Shafefpeare die Behandlung des Bekannten nicht gemacht. 
Und ich würde mich an dem erften feiner Nebenbuhler zu verfündigen 
glauben, wenn ich einen Augenblic zweifeln wollte, daß es auc) 
ihm gelingen müfje, diefe Schwierigfeit zu befiegen und ſie jogar 
zur Quelle neuer Schönheiten zu machen. Er läßt ſonſt jo gern das 
Schickſal vorwalten. Was verhinderte ihn, bier deſſen Rathſchluß 
zu offenbaren, der mit Strenge zerfchmettert, was des Sohnes Erb- 
theil gefährden fann? Es bleibt ein ewiger Stoff fir die Dichtung. 
Kein Einzelner wird ihn erſchöpfen. Kein wirklich Berufener darf 
jih fcheuen, ihn auf's neue zu bearbeiten,‘ 

Die lebten neuen Stücke Schrövder’s waren „Victorine“, ein 
Luftipiel, welches „dem beliebten Nomane der Tochter Burney's, 
Eveline, nachgebilvet war”, und „Das Blatt dat fich gewendet‘ 
nah den „Brüdern“ von GCumberland. Der Chemann diejes 


Das Burgtheater. Gb 


Stüces, der unter dem Pantoffel ſteht und fich ihm entzieht, war 
Schröder's letzte komiſche Meifterrolle in einem neuen Stüde auf 
dem Hof- und Nationaltheater. 

Er war erichöpft von dem immerwährenden Kampfe gegen den 
Ausſchuß und machte nun nachdrücklichen Ernſt mit dem Entlaſſungs— 
geſuche, welches er ſchon zu wiederholten Malen eingereicht hatte, 
Am 9. Februar verließ er Wien. 

War es nun wirklich blos der Ausſchuß, welcher ihm die Exi- 
jtenz unmöglih machte? Dem äußeren Anfcheine nah — ja. 
„Smmer ward er in die unangenehme Yage verfeßt, ſich an vie 
Dberdirection wenden und mit feinen untergeordneten Nichtern 
Schriften wechjeln zu müfjen. Polizeicenfur ward gegen ihn geltend 
gemacht, wo die des Proceſſes nicht hinreichte. War diefer Kampf 
geendet, jo hatte er über die abfichtlich werfehrte Nollenbefeung 
einen neuen zu bejtehen, in welchen ev nie volljtindig fiegte, weil 
es eben fo unthunlich war, einem Mitgliede des Ausjchufjes die 
Rolle feines Faches zu verbieten, welche Schröder nicht ſelbſt über: 
nahm, als ihn anzubalten, fie in Schröders Sinne zu fpielen. Die 
ungünstige Nachbarjchaft, im welche durch angeordnete Folge der 
Vorftellungen Schröders Stüde verſetzt werden durften, ließ fich 
vollends nicht abwenden, oft nicht einmalrügen. Eine durchgreifende 
Verfügung, ganz in Joſeph's Geilte, hätte freilich dem größten 
Theile dieſer Unzuträglichfeiten abzubelfen vermocht: „Schröder's 
Stüde jollen feiner Cenſur erliegen, als der des Staates, jollen 
nach feiner Angabe befett und nicht bezahlt werden, wenn ſie miß- 
fallen”. Aber was das umbegreifliche Schickſal an dem Negenten 
verfchwendete — das verjagte es den Behörden. Dper richtiger, 
einer regierenden Theaterförperjchaft it mit Feiner Verfügung 
dauernd beizufommen, wenn dieſe Verfügung ihren Lebensnerv 
berührt. Und dies war hier der Fall. Der Ausſchuß fonnte in feiner 
Machtvollfommendeit nicht bejtehen neben einer jo überwiegenden 
Potenz wie Schröver, Schröder war der natürliche Director, 


72 Das Burgtheater. 


Dies natürliche Verhältnig nicht auffommen zu laſſen, wehrte fich 
der Ausſchuß mit allen erjinnlihen Waffen. Kaiſer Joſeph hat 
dies ohne Zweifel jehr wohl eingefehen. Aber er war felbit in 
zahlreiche Zerwürfniffe gevathen durch fein energifches Eingreifen in 
bejtehende ſchadhafte Verhältniſſe; follte ev nun auch das Theater" 
ſtatut umjtürzen, welches er jelbjt gegeben? Er glaubte nicht daran, 
dag Schröder wirklich fortgehen könnte. Selbjt der Ausſchuß 
glaubte nicht daran. Diefer lettere hatte nicht jo viel dagegen, 
daß Schröder mitregierte. Er ſchlug Schröver vor, in den Ausjchuß 
einzutreten, und Schröder hatte jih am Ende auch dazu entjchloffen 
und war eingetreten. Aber dadurch hatte ſich Schröder feine Stel- 
fung nur verfchlechtert: die Majorität überftimmte ihn, und er hatte 
alle falichen Schritte und Maßregeln mit zu verantworten. Ein 
Weg nur war ihm übrig, und die einzelnen Mitglieder des Aus- 
ſchuſſes legten es ihm deutlich genug nahe, daß er diefen Weg ein- 
ichlagen ſollte. Diejer Weg bejtand darin, gemeinjchaftliche Sache 
zu machen mit dem Ausſchuſſe, das heißt: die perjünlichen Inter— 
ejfen der Ausfhußmitgliever zu unterjtüsen. Sie waren dann 
bereit, auch feinen perjönlichen Interejfen möglichit Vorſchub zu 
leiften. 

Das wollte und fonnte Schrövder nicht. Theils aus Eigenjinn, 
theils aus Grundſatz nicht. Er war aufgewachlen in einer Director— 
Familie, er war jelbjt Director gewejen. Es widerftand ihm das 
vielföpfige Negiment eines Theaters. So weit war er gewiß eigen- 
jinnig. Er hatte aber auch wirflich durch längere jchöpferifche 
Thätigfeit höhere Grundſätze eingefogen, und billigte eg im Prineip 
nicht, die Intereffen einer ihm hochwerthen Kunſt ven perjönlichen 
Intereſſen ver Schaufpieler anheim zu geben, 

Dieje ganze Frage um die Regierungsform eines Theaters ift 
eben ungefähr fo fchwierig, wie die Frage um die Regierungsforn 
eines Staates. Der Urjprung eines Negierungswefens, die Ge: 
wohnheiten der Menfchen, welche davon berührt werden, vie 


Das Burgtheater. 73 


Befjerungsmittel, welche gegen Tyrannei zu Gebote jtehen, und 
der Geift des Zeitalters jind enticheidend für diefe oder jene Form. 
Das theätre francais hat ſich feine gejellfchaftliche Negierungsform 
fajt immer leidlich bewahrt. Fat immer, nicht immer. Es hat 
auch jchwere Zeiten des Zurücbleibens gehabt, wenn es Mitglieder 
befaß, denen ver Geift fehlte und denen die cameradichaftliche Pro- 
tection höher jtand als der Auffhwung des Inftituts. Aber dem 
theätre frangais iſt Paris immer eine unverfiegbare Hülfsquelle 
gewejen, Paris als Centralſitz einer einheitlichen großen Bewegung 
der Geifter. Bon folder Macht war Wien jelbjt unter Kaifer 
Joſeph noch weit entfernt, wie fehr er den einheitlichen Geiſt zu 
fördern ſuchte durch grundfägliche Einführung deutſchen Cultur— 
lebens. Und unter feinen nächjten Nachfolgern trat dies weiter und 
weiter in den Hintergrund. Das gejellfchaftliche Negiment im Hof- 
und Nationaltheater, wie im fpäteren Burgtheater entbehrte alfo 
jener unverfieglihen Hülfsquelle von Paris, und die Regierung des 
Theaters duch Schaufpieler blieb auf den Zufall angewiejen, ob 
unter den talentvollen Darjtellern auch geiftig ſchöpferiſche Männer 
einfehrten oder nicht, und ob ſolche Männer auch zugleich mit der 
Energie ausgerüftet wären, der eigennüßigen Cameraderie die Spite 
zu bieten. 

Damals neben Schröder waren fie nicht vorhanden, das geht 
aus allen Merfmalen, vie übrig geblieben jind, deutlich genug hervor. 
Damals wäre es ein Segen für das Nationaltheater geweſen, wenn 
Schröder als Director an die Spitse geftellt worden wäre, Er war 
nicht nur das größte Talent, er war auch der tüchtigte Geift, welcher 
aufmerffam an feiner Bildung arbeitete, und welcher die nothwen- 
dige Energie eines Divectors bejaß. Sein bloßes Engagement als 
Schaufpieler hat das Nationaltheater außerordentlich gefördert, und 
hat ihm namentlich einen Styl zugeführt, den es nie wieder ganz 
verloren hat. Er hat die gejpreizte franzöfiihe Declamation ges 
jtürzt und das natürliche Sprechen im höheren Drama eingeführt, 


74 Das Burgtheater. 


das einfache, maßvolle Charakterifiven, den ehrlichen Ausdruck für 
Ernſt und Scherz. 

Uebrigens hat gewiß auch Schröder ſelbſt ſeinen Theil Schuld 
daran, daß er ſich nicht dauernd einrichten fonnte, Wir wiſſen aus 
jeiner Jugendlaufbahn, daR er nicht eben verträglicher Natur war. 
Es war ein |pecififch norddeutſches Etwas in ihm, welches man noch 
heutigen Tages auf der Hauptuniverfität des deutjchen Nordens, in 
Göttingen nämlich, beobachten kann. Es iſt dies eine abjonderliche 
Neizbarfeit und Empfindlichkeit im Punkte dev Würde und Ehre, 
man möchte jagen eine „Kitzlichkeit“. Da wird jedes Wort, jede 
Miene auf die Waagſchale gelegt: ob fie beleidigen gewollt und 
einer Genugthuung bedürfen? Behagliche Arglofigfeit kann da nur 
im engiten Streife auffommen, und im weiteren Kreifen möchte man 
jich immer gerüftet fühlen. Das iſt num gar nicht wieneriich, gar 
nicht öfterreichifch, und Schröder hatte offenbar eine. ſtarke Dofis - 
von dieſer niederdeutſchen „Kitzlichkeit““ Die harmlofefte Aeußerung 
rief ihn unter die Waffen. Dadurch erſchien er wieder den Umgebungen 
unbehaglich und bedenklich. Ja, aus mündlicher Tradition geht 
hervor, daß er unter den damaligen Mitgliedern des National— 
theaters geradezu für einen „böſen“ Menfchen gehalten wurde, . Zum 
Deweife erzählt man, daß er, neben Kathi Jacquet auf der Bühne 
ſtehend, mehrmals leiſe gejagt habe „Schön! Sehr ſchön!“ ale 
das Publicum dieſe Schaufpielerin durch lebhaften Beifall aus- 
gezeichnet. Kathi Jacquet hat dies für Ironie und Hohn genommen 
— ſo ftand Schröder angejchrieben — und für ein Mittel, ihr die 
gehobene Stimmung zu vernichten. 

Nun wiſſen wir aus hundert Anzeichen, daß Schröver eine edle 
Natur, ein feinfühlender Menſch war, wir wiſſen auch zufällig, daß 
gerade im Schrövderfchen Kreife das Talent der Geſchwiſter Jacquet 
bochgehbalten wurde, daß alfo jene Aeußerung „Schön, ſehr ſchön!“ 
wahricheinlich ein ganz ehrlich gemeintes Lob geweſen ift — wir er> 
jehen aber aus diefem Beifpiele mit fehreiender Deutlichfeit, daß der 


Das Burgtheater. 23 


gegenfeitige Mißverſtand und die gegenfeitige Verfennung einen ev 
ichredenden Grad erreicht hatten. 

Dazu fam, daß Schröver’s Frau nicht genug Beichäftigung 
fand. Diejen Uebelftand reihte er in das Kegifter feiner Unzu— 
friedenheiten, und ihm mochte er ein jtarfes Gewicht beilegen, wenn 
er in häuslicher Stille die Summe zog: Wir verjauern bier beide! 
Du, für welche man es an Aufgaben fehlen läßt, ich, welchen man 
Tag für Tag ärgert und welchem man Luſt umd Freiheit verdirbt 
am Schaffen und Gejtalten. Machen wir uns frei! Grrichten wir 
ung in Hamburg ſelbſt wieder eine Bühne, deren Thätigfeit Nie- 
mand einengen kann! 

Und fo fehen wir ihn im Januar 1785 fammt feiner Frau vor 
Kaiſer Joſeph jtehen, welcher ihnen, jehr gegen feinen Wunſch, die 
Abſchieds-Audienz ertheilt. „Ich kann Ihnen mein Erjtaunen nicht 
verbergen, lieber Schröder‘ — ſagte ver Kaifer, — „daß ein 
Künftler wie Sie es über fich gewinnen fann, das empfänglichfte 
Publicum mit dem zu vertaufchen, welches als das kälteſte nerrufen 
it. Dagegen follten doch Yamilienrücdjichten nicht auffommen ! 
Sie find Hamburg zwei Mal fatt geworden, ich jage Ihnen vorher, 
Sie werden es auch zum dritten Mal aufgeben. Danı wenden 
Sie ſich an Niemand als an mich!” 


V. 


Das erite Theater einer Hauptjtadt ift immer ein Symptom 
der Regierung. Es kann ſich den herrſchenden Grundſätzen der 
Regierung nie ganzentziehen, und es bekundet dieſe Grundſätze auch 
da, wo es fich ihnen entziehen will. Die Ummege, welche es jucht, 
die Schleier, welche es ausbreitet, verrathen die Abjicht, und hinter 
der Abficht entdeckt man den maßgebenden Widerfacher. 

Dies ijt in der Entwidelung des Burgtheaters nur zu deutlich 
erfennbar. 

Kaiſer Iojeph hat es gegründet. Als jein Niedergang eintrat, 
gerieth auch der Fortichritt des Theaters in’s Stoden, und als er 
in heller Verzweiflung abgejchievden war von einer Welt, welche 
großen Reformen furziichtigen Wivderftand und weitjichtige Ver: 
leumdung entgegengejeßt, da fchlotterte das Theater eine Zeitlang 
principienlog einher. Es wurde dann zunächit unbeveutender, ohne 
dar man recht wußte, warum, und nach einigen Jahren wurde dies 
Warım den führenden Kräften far. Der erfinderifche Geift, der 
freie Geift, der Geiſt überhaupt erſchien in bevenflichem Lichte. Anz 
fangs hatte man ihn Joſephiniſch genannt; nun famen die wilden 
Ausschreitungen der franzöfiichen Revolution dazu, und num hieß er 
revolutionär. Bei großen Parteifämpfen in der Welt iſt die Kunſt 
immer übel daran, am übeljten da, wo fich die Extreme der feind- 
lichen Grundſätze ablagern und zum Spitem ausbilden. 

Dis zum Jahre 1790 etwa finden wir im Repertoire des 


Das Burgtheater. 77 


‚Mationaltheaters‘feine wefentliche Veränderung. Kaiſer Joſeph lebte 
noch, und wenn auch unter quälenden Regierungsforgen jein Antheil 
an dramatiicher Kunſt ermattet war, er befuchte doch das Theater 
noch, und jein geitiges Bedürfniß machte fich doch immer noch 
geltend, jelbjt durch feine bloße Anwefenheit. Einem fo gedanfen- 
vollen Herrn mußte doch auch in der Unterhaltung ein inhaltsvoller 
Stoff geboten werden. In der Daritellung wirfte das fort, was 
Schröder angeregt hatte, und es fehlt nicht an Zeichen, daß das 
Theater in lebenswoller Verbindung blieb mit dem fchaffenden 
deutſchen Geifte, welcher gerade damals in neue literarifche Be— 
wegung gerathen war. Der junge Goethe war in feine dreißiger 
Jahre getreten, der zehn Jahre jüngere Schiller war als dramatifcher 
Dichter aufgetaucht unter großem Geräufche des Publicums. Bon 
Goethe wurde außer den fleinen Stüden — „Die Gejchwijter‘ 
waren natürlich das beliebtefte — auch ver „Clavigo“ 1786 aufge 
führt. Lange fpielte den Clavigo, Brodmann den Beaumarchais, 
Madame Sacco die Marie, der jüngere Stephanie ven Carlos; 
Lesterer wohl unzureichend. Auch die Werther-Epoche fand auf der 
Scene ihre Würdigung: man gab ein Schaufpiel „Das Werther: 
Fieber”. „Julius von Tarent“, deſſen Verfaſſer Yeifewig man in 
jener Zeit eine große Zufunft zutraute, wurde gegeben, und Schiller’s 
„Fiesco“ wurde aufgeführt. Dabei ift bemerfenswerth, daß der Titel 
getreulich „Die Berihwörung des Fiesco‘ lautete. Später hat man die 
„Verſchwörung“ anjtögig gefunden, und das Stüd nur „Fiesco“ 
genannt. Bemerfenswerth ift ferner, daß man „Die Räuber‘ nicht 
brachte, und auch „Cabale und Liebe“ nicht, welches bürgerliche 
Trauerfpiel ja dem „Fiesco“ auf dem Fuße folgte und in Deutjch- 
land eine viel größere Theaterwirfung fand, als das republifanifche 
Trauerſpiel. Die Scene des Kammerdieners, welcher den heſſiſchen 
Menjchenverfauf nach Amerika brandmarkt, verleidete dies Stüd 
den Hoftheatern. Aber die Scene ift allenfalls zu entbehren. Sie 
iſt zwar nicht eigentlich von epifodischer Natur, denn fie verjtärft die 


78 Das Burgtheater. 


Gewichte ver Lady, fich loszuſagen von ihrem Herzoge; aber man hat 
fie doch ſpäter weglajjfen fünnen, ohne die Wirkung des Stüdes zu 
beeinträchtigen. Warım brachte man es damals nicht? Der Kaiſer 
war wohl in feinen letzten Lebensjahren ſchon mürrifeh, und man er: 
jparte ihm die Anfrage über herausfordernde Stücke. Daß ihm „Die 
Räuber“ nicht gefielen, ift an und für fich begreiflih. Die über: 
greifende Bhantafie, welche eine Räuberbande zuläßt, um Familien- 
unrecht zu rächen, mußte einem jtreng rationellen Bolitifer mißbehagen. 
„Cabale und Liebe‘ iſt erſt 1808 in’s Repertoire des Burgtheaters 
aufgenommen worden, „Die Räuber’ haben bis 1851 warten müffen. 

Unter den neuen Stüden findet ſich im April 1785 ein „Ru— 
dolph von Habsburg‘, Driginalfchaufpiel in fünf Aufzügen won 
Werthers. Es bewegt fich um den entjcheivenden Kampf mit König 
Dttofar und zeigt alle die hiltorifchen Fiauren — Rudolph, Dttofar, 
Liechtenftein, Füllenjtein, Mährenberg, Zawiſch, Milota, Runigunde 
und Eliſabeth —, welche Grillparzer vierzig Jahre jpäter mit feiner 
jelbjtändigen poetijchen Kraft jo eigenthümlich gejtaltete. Nur dem 
Kronprinzen Albert hat Werthers noch eine hervortretende Rolle zu— 
gedacht, welche einen Schaufpieler wie Yange in Anspruch nahm. 
Der ältere Stephanie fpielte ven Rudolph, Brodmann den Dttofar, 
Madame Noufeul die Kunigunde von Mafovien, Madame Sacco 
die Elifabeth von Dejterreih. Der wichtige Grundſatz aljo, die 
hiſtoriſchen Figuren des regierenden Haufes dem Hoftheater nicht zu 
entziehen, reicht ebenfalls in Kaiſer Joſeph's Zeit zurück. Mean tft 
ihm ſtets treu geblieben. Auch in der Epoche beengenpfter Cenjur 
hat man ihm nicht verleugnet. Kaiſer Franz ließ in den zwanziger 
Jahren Grillparzer’s „Ottokar“ aufführen, und die Schwierigfeiten, 
welche das Stüd vor wie nach feiner eriten Aufführung fand, be> 
zogen fich nicht auf die Frage, ob die Vorfahren des regierenden 
Haufes zuläffig wären, Ueber viefen richtigen monarchifchen Grund- 
fat, daß die Fürſten des Yandes auch in der populärften hiftorifchen 
Kunft, im hiſtoriſchen Schaufpiel, auf dev Bühne den Nachfommen 


Das Burgtheater. 79 


des Landes und Neiches zu eigen gehören, fcheint nie ein Zweifel 
gewaltet zu haben. Wunverlicher Weife verjtopft man dieje tiefite 
Duelle der monarchifchen Popularität in anderen deutſchen Yändern. 
Im Berliner Hoftheater 3. B. iſt ein entſprechender Hohenzoller 
nicht zuläſſig. Das mag wohl aus übertreibender Nachahmung 
franzöfifcher Hofetiquette entjtanden jein, wie fie ſeit Ludwig XIV. 
in die deutjchen Particularjtaaten eingedrungen war. Frankreich 
jelbjt hat diefe Ausjchliefung nie eingeführt. Die franzöfifchen 
Herrfcher wußten immer zu gut, daß die Herricher überall an der 
Spite jichtbar jein müßten. 

Auch die Geifelung religiöfer Scheinheiligfeit fand in ven 
letsten achtziger Jahren freien Spielraum auf der Hofbühne; man 
gab Moliere’s „Tartuffe“ auf heimathliche Berhältniffe ange- 
wendet, will jagen ein Stüd „Der Heuchler‘’ nach Moliére. 

Uebrigens zeigen fih in dieſer zweiten Hälfte der achtziger 
Jahre zahlreiche Berjuche neuer dramatifcher Production. Von 
Dalberg wird aufgeführt,, Der Mönch vom Carmel“ und ein „Mon— 
tesquieu“; Babo beginnt feine Theaterſtücke mit den „Strelitzen“, 
mit dem „Bürgerglück“; Bretner erfcheint neben Jünger mit feinen 
behaglichen Luitipielen, von denen fich „Das Räuſchchen“ bis in die 
Mitte unjeres Sahrhunderts auf dem Burgtheater erhalten hat; 
Ziegler, das Mitglied des Nationaltheaters, eröffnet mit ‚Liebhaber 
und Nebenbuhler in einer Perſon“ feine große Fruchtbarkeit ; Iffland 
macht fich geltend und auch bereits Kotzebue. Yetterer nicht als Luſt— 
ſpiel- fondern als Schaufpieldichter. „Menſchenhaß und Neue‘, 
„Die Indianer in England’, „Die Sonnenjungfrau’ waren feine 
eriten größeren Stüde im Nationaltheater. Seine Bewerbung um 
das Theater blieb auch noch mehrere Jahre ſehr ernſt. Er brachte 
einen „Guſtav Waſa“ in Iamben, welche Bersbezeichnung der 
Theaterzettel verfündete, Der Höhepunkt diefer feiner Nichtung 
aber war eine „Octavia“, ebenfalls in Jamben, welche zu Anfang 
des Jahrhunderts bei den Schaufpielern und dem Theaterpublicum 


80 Das Burgtbeater. 


in jehr würdigem Anjehen jtand, troß des „Don Carlos’ und des 
fürzlich erichienenen „Wallenftein‘‘. „Don Carlos‘ blieb dem Na— 
tionaltheater über ein Decennium nach feinem Erſcheinen fremd. 
Bekanntlich kam zuerjt die Ausgabe in Proſa auf die deutſche Bühne, 
und es wurde viel darüber gejtritten, ob die nachfolgende Ausgabe 
in Verjen nicht bejjer der Leſewelt zu überlaffen wäre. Das Er- 
gebniß diefer Debatte wollte man vielleicht abwarten am Michaeler- 
plate, Wir wiſſen wenigftens Nichts davon, ob dem bereits franfen 
Kaifer das Stüd vorgelegt worden ſei. Ein fpanifches Stüd voll 
Yiberalismus. Die Bergangenheit feines Haujes, ausgejtattet mit 
den Grumdfäßen feines eigenen Syſtems. Nur jechs Jahre früher, 
und er hätte ſich gewiß eingehend damit befchäftigt. Jetzt fam das 
Drama für ihn zu ſpät, und nach feinem Tode blieb es dem Na- 
tionaltheater fern. Das Franzojenjahr 1809 brachte es in Wien 
zum Vorſchein. Der damals erlaubte Nachdruck benutte die Fran- 
zofenherrichaft in Wien, eine Menge Schriften zu druden, welche 
bis dahin nicht zugelafjen waren. Namentlich die Schiller’ichen 
Stüde, welche auf dieſe Weiſe wohlfeil und ſchon darum zahlreich 
in Cirenlation famen innerhalb des öfterreichiichen Kaiſerthums. 
Das hat wohl frühzeitig beigetragen zu der unermeklichen Bopulari- 
tät, welche Schiller in öfterreichifchen Yanden genießt. „Don Car: 
[08 wurde 1809 im Sommer und Frühherbite jehs Mal in rajcher 
Folge auf dem Kärnthnerthortheater dargeftellt. Am 6. November 
erjt überjievelte er in's Burgtheater, Hiermit Scheint ein Anftoß zu 
Weiterem erfolgt zu fein: 1810 wurde au „Egmont“ zum erſten 
Mal gegeben und „Die Braut von Meffina‘‘, welche nicht aus Cen- 
jurrüdjichten zurücgehalten fein fonnte, ſondern wahricheinlich um 
ihrer ungewöhnlichen Form willen. 

Nur „Die Jungfrau von Orleans‘ fand 1802 gleich nach ihrem 
Erſcheinen Zutritt. Ihr Inhalt, Vertheidigung des Vaterlandes 
unter wunderbarer Beihülfe, fonnte auch vor einer ſtrengen Cenſur 
fein Hinderniß finden. 


Das Burgtheater. 81 


Sonſt macht ſich der Hintritt Kaiſer Joſeph's im Repertoire 
ſehr bald bemerklich. Die ferner liegenden, ſchwereren Stücke ver— 
ſchwinden allmälig und die leichte Sorte nimmt überhand. Sie 
hatte nie gefehlt; man liebte immer leichte Unterhaltung, man lachte 
gern. Außer der heimiſchen Hausmannskoſt luſtiger Schwänke hatte 
man nicht nur die franzöſiſchen Komödien, ſondern auch die italieni— 
ſchen reichlich herbeigezogen. Man war aber doch immer auf ein 
Gegengewicht bedacht gewefen. Das unterließ man nun. Das Re— 
pertoire wird in dem neunziger Jahren erfichtlich trivialer. Die 
KRitterichaufpiele, welche Spieß mit „Clara von Hoheneichen‘ ein- 
führt, erſcheinen wie Höhepunfte. Iffland's und Kotzebue's Stüde 
find die inhaltsvolliten. 

Es jtammen übrigens Iffland’s kernhafteſte Stüde aus jehr 
früher Zeit. „Die Jäger”, „Die Mündel“ wurden jchon 1786 ge: 
geben, und er war fo fruchtbar, daß die Titel mancher Stüde von 
ihm gar nicht zu uns gefommen find. Wer weiß davon, daß eine 
Fortjeßung der „Jäger“ unter dem Titel „Das Vaterhaus“ im 
Burgtheater gegeben worden! Die ganze Familie lebt noch, auch) 
der Paſtor und ver Schulze. Wer weiß davon, daß der bürgerliche 
Sittenmaler Iffland ſich einmal unter vie Türfen verirrt hat? 
„Achmed und Zenide“ von ihm ift am Michaelerplate aufgeführt 
worden! Wer hat von einem Iffland’schen Stücde „Die Höhen‘ ge- 
hört! Don feinen Schaufpielen „Frauenſtand“, „Die Künftler‘, 
„Der Bormund“, ‚Alte und neue Welt”, „Rückerinnerung“! Selbit 
Titel wie „Albert von Thurneifen‘ find nur noch im Gedächtniſſe 
älterer Schaufpieler. Er gab nur eine ‚Auswahl‘ feiner Stüde in 
Druck und ließ diejenigen verfinfen, welche feine große Zugkraft dar- 
gethan. Faſt alle feine wichtigen Stüde fallen in die achtziger und 
neunziger Jahre. Außer den Schon genannten: „Die Hageftolzen‘, 
„Die Reife nah der Stadt‘, „Elife von Valberg“, „Dienſt— 
pflicht” , „Der Hausfriede“, „Der Spieler”, und die früher ver- 
gangenen: „Der Herbſttag“, „Allzu ſcharf macht ſchartig“, „Leich— 


Laube, Burgtheater, 6 


82 Das Burgtheater. 


ter Sinn’, „Der Mann von Wort‘, „Selbftbeherrichung‘‘, „Der 
Fremde“. 

Er wie Kotzebue brachten jedes Jahr wenigſtens ein neues 
Stück; gewöhnlich mehrere. Desgleichen Schröder, desgleichen 
Ziegler und Jünger. Dazu Bretzner, Hagemann, Gotter, Soden, 
Babo, Spieß und zahlreiche Bearbeiter fremder Stoffe. An ſoge— 
nannten Theaterſtücken war alſo Ueberfluß, beſonders darum, weil 
das Publicum noch ſehr leutſelig war in ſeiner Kritik, und eine 
„rechtſchaffene Unterhaltung“ hoch ſtellte. Dies lang andauernde 
harmloſe Verhältniß zwiſchen Verfaſſern, Publicum und Kritik iſt 
dem Beſtehen des deutſchen Theaters ſehr zu ſtatten gekommen. 
Das Mittelmäßige iſt von ſelbſt verſchwunden. Merkwürdig bleibt 
es, daß eine ſich überhebende Schärfe der Kritik da begann, als die 
höhere Gattung dramatiſcher Dichtkunſt in den Vordergrund trat. 
Nicht in Wien. Bon Berlin ging das aus, und Schiller vorzugs— 
weife war der Gegenjtand jpöttifcher und höhnifcher Angriffe. Meit 
Erſtaunen lieſt man jegt die damaligen Berliner Blätter, 3. B. den 
angefehenen „Freimüthigen“. Die Sciller/ichen Stüde werden 
da in einem Tone abgefanzelt und weggeworfen, als ob es jih um 
Frevelthaten handelte. Man hat wohl auch Iffland eingereiht unter 
die Gegner Schillev’s, über welche die Zeit jo unbarmberzig hinges 
ichritten ift. Mit Unrecht. Seine tavdelnde Aeuferung über den 
Krönungszug in der „Jungfrau von Orleans‘, welcher durch äußeren 
Prunk die einfacheren Mittel des Schaufpiels in Gefahr bringe, war 
ja berechtigt. Wir fehen aber aus den Briefen, die er al8 Berliner 
Theaterdirector mit Schiller gewechjelt, daß er die Größe der 
Schiller'ſchen Kompofitionen ſehr wohl zu würdigen wußte, und das 
Intereffe Schilfer’s nach Kräften und mit guter Einficht förderte. 

Ueberhaupt hat die Theatergefchichte Sffland viel milder und 
anerfennender zu behandeln, als unfere Yiterargefchichte es gethan 
hat und in manchem Betracht — aber auch nur in manchem ! — es 
bat thun müſſen. Um das deutjche Theater hat er unbejtreitbar 


Das Burgtheater. 83 


große Verdienſte. Um das Burgtheater insbefondere. Seine 
Stüde find vemfelben zum Ausgange des vorigen Jahrhunderts und 
zum Anfange des jetigen ein jchätbarer Kern gewefen. Die Schrö- 
der’sche Schule der unvathetiſchen, einfachen Charafteriftif ift durch 
feine Stüde im Burgtheater fortgeführt worden. Allerdings in 
engeren Formen, mitunter wohl auch auf etwas niedrigerer Stufe. 
Aber doch zum Segen, Was wäre ohne diejen fernigen Halt für 
Schaufpieler und Publicum aus einem Theater geworden, welches 
Jahrzehnte lang abgefperrt wurde von jeder freieren Schöpfung, 
jobald diefe Schöpfung die Gedanfenfreife der Zeit berührte! Ver: 
flacht wäre es gänzlich. Im erjter Linie wären die Schaufpieler 
haltios geworden und nichtig. Das haben die Iffland’fchen Auf: 
gaben verhütet. Es ift wahr, ſie reichen jelten-über ven beſcheidenen 
bürgerlichen Horizont hinaus, eine gewiſſe Moral ift ihr höchſter 
Flug, und ein poetifcher Schwung, welcher Herz und Geift des 
Menſchen ausdehnt, fehlt ihnen gänzlich, Aber in ihrem engen 
Kreife entwiceln fie tüchtige Kräfte. Sie fünnen wie eine Vor— 
jchule angejehen werden, jo wie fich aus einer guten Gemeinveleitung 
Fähigkeiten zu hoher Bolitif entwideln. Iffland's Geftalten haben 
wirkliches Leben. Dadurch wurden fie für unfere Schaufpieler 
bildende Aufgaben. Die jchließliche Entwickelung feiner Stüde 
ift faſt durchgehends ſchwächlich, und fordert die Kritik gegen ſich 
heraus, aber ver Weg zu diefer Entwidelung ift tüchtig. Er ift 
genau organisch, und dadurch bildet er die Schaufpieler, bildet er 
das Publicum. Ihm alſo ift es zu verdanken, daß troß der Ungunft 
politifcher Verhältniſſe die eigentliche Schaufpielfunft im Burg- 
theater gepflegt und gefördert worden iſt auch in den Jahrzehnten, 
welche das Burgtheater abjchlojfen von den Bewegungen ver Zeit. 

Dies gilt durchaus nicht von Koßebue, So lange er ernit 
ſchrieb, war er äußerlich, und griff oft nach Franfhaften Reizen. Als 
er mehr und mehr in's Luſtſpiel übertrat und feine nicht abzuleug- 
nende gute Paune in leichter, wisiger Sprache entwidelte, da ent- 


(Dis 


54 Das Burgtheater. 


widelte er auch feinen ganzen Leichtfinn in der Zeichnung von Figuren 
und Situationen. Das Abjonderliche und Pofjenhafte trat in ven 
Vordergrund, und wo er ein bejjeres, ein wahreres Thema behandelte, 
da wußte er jeinen Gejtalten feine innere Wahrheit zu verleihen. 
Solche Luftipiele braucht ein Repertoire auch, und der augenblickliche 
Erfolg danft dem Verfaffer. Aber der Schaufpieler fommt felten 
dazu, einen Typus zu geitalten, welcher außerhalb der Caricatur 
läge, und das Publicum erheitert fih an Oberflächlichfeiten, welche 
nichts Dauerndes zurüdlaffen. 

Kogebue alfo war einträglich für die Unterhaltung im Burg— 
theater, Iffland war jegensvoll für die Fünftlerifcehe Bildung des 
Burgtheaters. 

Man hat fich in Wien daran gewöhnt, dieſe beiden Theater: 
träger als dem jetigen Jahrhundert angehörig zu betrachten. Sehr 
natürlich! Ihre Stüde, obwohl man fie nicht claſſiſch und nicht 
modern nennen konnte, erfchienen zahlreich im Repertoire des Burg- 
theaters bis gegen die Mitte unferes Jahrhunderts. Und doch ge- 
hört auch Kotebue mit feinen wichtigjten Stüden dem vorigen Jahr: 
hundert an. 1789 am 14. November debutirte er im National- 
theater mit „Menſchenhaß und Reue‘, nur vier Monate ſpäter folgte 
feine berühmte Gurli in den „Indianern in England‘, acht Monate 
jpäter „Die Sonnenjungfrau”, vier Monate fpäter der verlorenge- 
gangene „Straßenräuber aus findlicher Liebe‘; dann „Armuth und 
Edelſinn“, „Der Graf von Burgund”, „Falſche Scham‘, „Der 
Bruderzwiſt“, „Die filberne Hochzeit”, drei Wochen nad) ihr „Das 
Dorf im Gebirge‘, fünf Monate fpäter „Das Epigramm‘‘, vier 
Wochen nad) diefem „Das Schreibepult‘‘, eine Woche ſpäter „Der 
Gefangene”, vierzehn Tage fpäter „Die Unglüclichen‘‘, drei Monate 
päter „Joha nna von Montfaucon‘, vier Wochen jpäter „Die beiden 
Klingsberg“, drei Monate jpäter „Die fluge Frau im Walde”, Mit 
ſolcher Schwindel erregenden Fruchtbarkeit — 1797 brachte er vom 
März bis Auguft, alfo in fünf Monaten, drei Stüde: „Die Ber- 


Das Burgtheater. 85 


wandtichaften”‘, „Der Opfertod“, ‚‚Ueble Laune“ — ſchloß er das 
porige Jahrhundert, um das neue fogleich mit einem Feitipiele, mit 
„Octavia“ und „Guſtav Waſa“ zu beginnen. Heutigen Tages 
verzeiht man dem pramatiichen Dichter zwei Stüde in einem Jahre 
nur ungern. 

Die Theaterverhältniffe waren noch durchweg naiv. Man 
vergleiche folgende Notiz. Am 7. Januar 1800 wurde zur glüd- 
fihen Ankunft des Erzherzogs Palatinus „Freiſpectakel“ gegeben in 
der Burg und am Rärnthnerthor. Im Nationaltheater „„Sphigenie 
auf Tauris“ — vermuthlich die Goethe'ſche; ſie erfcheint tief ver: 
einfamt inmitten eines leichtfertigen Repertoires und verſchwindet 
wieder auf viele Jahre. Als Gegengewicht im Kärthnerthortheater: 
„Der Marktichreier”, und der Theaterzettel für diefen feitlihen Tag 
trägt die Notiz: „Es verfteht ſich von jelbjt, daß die Cavaliere denen 
Damen die Site überlajfen, und feine Lichter ausgelöfcht werden 
dürfen”. 

In dieſem fünfzehnjährigen Zeitabfchnitte bis in’s neue Jahr: 
hundert herein ereignet fich beim Perional des Nationaltheaters 
feine wejentliche Veränderung. Die Mitglieder, welche Schröder 
umgeben hatten, dauern unbeſchädigt aus, in Liebhaber, Kling- 
mann, wird beigejellt, und zwei neue Ehepaare werden bemerflich : 
Herr und Madame Koh, Herr und Madame Rooſe. Sie gelten für 
tüchtige Schaufpieler und fchliegen fich den Matadoren Brodmenn, 
Lange, Stephanie auch darin ebenbürtig an, daß fie mehrere Jahr— 
zehnte lang wie granitene Säulen dauern und das Repertoire tragen. 
Bon der jetigen Generation hat die ältere Schichte noch Koch und 
Rooſe gefehen, und namentlich Koch, welhem Anihüt vie Hand ge 
reicht, jteht noch in deutlicher Erinnerung. 

Man hat die Bemerkung gemacht, daß die Lebenskraft eines 
Schaufpielers fich länger erhalte, als die anderer Leute, und daß 
man deshalb verhältnißmäßig mehr alte Schaufpieler finde, ala 
Greife in anderen Ständen. Ihre Kunft nöthigt fie, alle Thätig- 


86 Das Burgtheater. 


feiten des Geiftes und Körpers fortwährend in Uebung zu erhalten 
und zwar in gleichmäßiger Uebung. Die Wirkung der Leidenschaften 
ütberrafche andere Meenfchen und zerjtöre fie deshalb; dem Schau: 
jpieler werde fie geläufig und diene gleichjam zur erfrifchenden Be- 
wegung. Er habe ja den außerorventlichen VBortheil des Bewußt- 
feins, daß jeine Leidenſchaft, auch die tobendſte, nur ein Spiel fein 
und bleiben müfje; die größte Rolle gleiche alfo nur einem Rei— 
nigungsproceffe, wie die Tragödie felbjt ein jolcher ift, im äjthe- 
tifchen Stimme. 

In der That hat das Burgtheater von feinem Entftehen an bis 
jetzt immer ein zahlveiches Kontingent bejahrter Künftler aufzuweiſen 
gehabt, welche ſich Kraft und Frifche bis in's hohe Greiſenalter zu 
bewahren wußten. 


NA. 


Zu Anfang des Jahrhunderts wiederholte man ven Verſuch, 
von augen her dem Nationaltheater eine leitende und befruchtende 
Kraft anzueignen. Obwohl dies mit Schröder nicht gelungen war, 
weil das Herrſchbedürfniß des „Ausſchuſſes“ fih ſtandhaft wiver- 
fetst hatte, jo tauchte doch nach etwa fünfzehn Jahren der Gedanfe 
wieder auf. Unbefangene Cavaliere und feinere Zufchauer machten 
höheren Drtes die Bemerfung geltend: Die Schröder’iche Erbichaft 
an Grundjägen und Stüden ift doch ſehr wohlthätig gewefen; fie 
hat fih nun vielfach abgenutzt — wäre nicht eine neue Aneignung 
an der Zeit? Und da es mit einem Schaufpieler auf die Dauer 
nicht möglich gewejen, follte es nicht möglich fein mit einem drama— 
tiſchen Schriftjteller? Ein folcher ſei ja neuerdings aufgetreten in 
voller Kraft ver Jugend und Productivität und mit ganz bejonderer 
theatralifcher Befähigung, denn feine Stüce gefielen überall. Dieſer 
Schriftiteller mit refpectabler wilfenjchaftlicher Bildung ſei — Auguft 
von Koßebue. 

An maßgebender Stelle fand man dies einleuchtend. Kotzebue 
wurde berufen und angeftellt als Theaterſecretär. Dieſer Titel 
blieb Sahrzehnte lang beliebt für die zweifelhafte Stellung eines 
Dramaturgen, welcher die geijtige Aufgabe der Leitung zu erfüllen 
hatte, ohne eine wirflihe Macht in Anfpruch zu nehmen. 

Kogebue war ein Mann von Energie und wollte feine Kraft 
geltend machen. Da jtieß er denn natürlich wieder an den „Aus— 


88 Das Burgtheater. 


ſchuß“, an das fchaufpielerifche Familienregiment, welches ſich immer 
bedroht fühlte, wenn von außen her eine jchöpferifche Potenz ein- 
drang in das cameradjchaftliche Getriebe. Die Intriguen begannen 
und der Kampf brach endlich aus in heller Lohe. Die oberjte 
Direction jhütte wohl Kogebue. Aber der Schut war mäßig, war 
vorfichtig. Es fam zu einer Art gerichtlichen Verfahrens, in welchem 
die Mitgliever des Ausſchuſſes auf recht geſchickte Weiſe verhört 
wurden. Sie gaben fih auch arge Blößen, jie bejtanven nicht. 
Aber die oberjte Direction gab dieſem Nefultate feine conjequente 
Folge, und Kogebue wurde wohl deswegen ver Sache überprüfjig. 
Er legte — nicht ohne Vornehmheit — jeine Stelle nieder und ging 
von dannen. Der Verfuch mit einem neuen geiftigen Regimente 
war wieder gefcheitert, und zwar in ganz ähnlicher Weife wie der 
Verſuch mit Schröver. 

Bald darauf — 1802 — wurde ein junger Mann, ein ge 
borener Wiener, halb und halb in diefe Stelle eines Theaterfecre- 
tärs geſetzt. Halb und halb, denn jeine Befugnig war offenbar 
noch geringer. Er hatte ven äfthetijchen Ruf für ſich, daß er einige 
Jahre in Jena jtudirt, wo damals Schiller lebte und wo ein Mlittel- 
punft fchönwifjenfchaftlicher Yehre zu finden war. Diefer junge 
Mann hieß Schreyvogel. Er ſcheint die Gelegenheit für gedeihliche 
Einwirfung ungünjtig gefunden zu haben, und trat nach zwei Jahren 
iwieder aus, um ein Kunſt- und Induftrie-Comptoir in Wien zu er- 
richten. Erſt nach zehn Jahren kehrte er zurüd an die Stätte neben 
dem Burgthore. 

Während diefer zehn Jahre bildet die Franzojenzeit einen 
Haupmoment dadurch, daß fie — wie ſchon erwähnt — die ver- 
botenen Stücke, namentlich die Schilleriihen, zuläßt. Der Tod 
Schiller's — 1805 — zeigt erſt jpät einen Eindruck. Drei Jahre 
nach demfelben, am 17. December 1808, bringt das Nationaltheater 
eine Schillerfeier zum Vortheil von Wittwe und Kindern des „großen 
Dichters“. Sie fand im Kärnthnerthortheater jtatt und beftand, 


Das Burgtheater. 89 


mwunderlic genug, im Kernſtücke aus einer Ueberſetzung Schiller’s, 
welcher ja nicht einmal bejondere Sorgfalt nachzurühmen ıft, aus ver 
Racine'ſchen „Phädra“. Auf die „Phädra“ folgte laut Theaterzettel: 
„Schillers Feyer. Aus Stellen des unjterblichen Dichters in jeinen 
Werfen zufammengejett vom Hrn. Grafen von Benzel. Perſonen: 
Zwei Priejter, ver Genius, die Schaufpielfunft, die Poeſie, die Mufif, 
die Zeit. — Erjcheinungen: Karl Moor, Fiesco, Ferdinand von 
Walter, Don Carlos, Wallenitein, Maria Stuart, Macbeth ()), 
Jungfrau von Orleans, Beatrice, Braut von Meſſina, Wilhelm 
Tell. — 

Das Theater bejaß auch in der damaligen Zeit feine genügenve 
Darjtellerin der Phäpra. Madame Weifjenthurn, wie der Zettel 
fie nennt, jpielte jie. Sie it als Schaufpielerin nie von Bedeutung 
gewejen. Als Theaterfchriftitellerin war Frau von Weiſſenthurn 
immerhin um einen Grad wichtiger, denn als darjtellenve Künftlerin, 
obwohl auch ihre Stüde ohne Kern und Styl waren. Ihr „Wald 
bei Hermannjtadt”, „Johann von Finnland‘ aber und ähnliche 
Stoffe aus fernen Grenzprovinzen brachten eine neue Nüance von 
Theaterromantif, und behaupteten ſich, wie alle Stüde von Schau- 
ipielern, durch gute Rollen lange auf ver Bühne. Cigentlich werth- 
voller von ihr waren Schau- und Luſtſpiele von mittlerer Ausdeh— 
nung, wie „Welche ift die Braut‘ und „Das lette Mittel“, welche 
fie in ihrer zweiten Epoche — etwa von 1813 an — erfand, umd 
welche nicht ohne felbjtändige Erfindung waren. Sie hat jehr lange 
gelebt, und noch inmitten der vierziger Jahre habe ich ein neues 
Stüd von ihr und fie felbjt auf vem Burgtheater gefehen. 

Die im Sahre 1808 erwachende Pietät für Schiller hatte das 
Nationaltheater in demſelben Jahre nicht abgehalten, „Cabale und 
Liebe’ in jener Berunftaltung des Perſonals zu geben, welche bis 
zum heutigen Tage in übler Nachrede lebenpig geblieben iſt. Der 
Präfident von Walter hieß Vicedom von Walter, der Hofmarfchall 
von Kalb hieß Obergarverobemeijter. „War fein Obergarverobe- 


90 Das Burgtheater. 


meister da?!’ hatte Ferdinand zu rufen, und was die Umgejtaltung 
zu jo dauernder Kenntnißnahme verurtheilt hat: — Ferdinand war 
nicht der Sohn des Vicedoms, fondern nur deffen Neffe. „Es giebt 
eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Onfelnod nie 
gehört worden iſt!“ — Dies jtempelt e8 zur Parodie, und man 
begreift heute nicht, welch eine verichrobene Scheu vor natürlichem 
Conflicte folche Thorbeit zu Wege gebracht. Viel eher begreift man, 
daß 1809 im „Don Carlos’ der Beichtvater Domingo als Don 
Antonio Perez, Höfling, erjcheinen mußte. Hier handelt ſich's um 
ein Princip; ein Mann der Kirche foll nicht als böfer Intrigant 
vor dem Publicum ericheinen. Welches Princip aber verwandelt 
den Sohn in den Neffen, wenn man überhaupt Schaufpiele auf: 
führen läßt?! Glaubte man auf dem Theater jeglichen Conflict 
vermeiden zu fönnen, welcher augenblidlich einen unbequemen mora— 
liſchen Eindrud verurfacht? Ja, das glaubte man, und dies wurde 
unter der langen Regierung des Kaiſers Franz ein fürmliches 
Syſtem in ver Cenſur der Stüde. Es entjtanden Kategorien von 
merfivürdiger, oft feiner Ausdehnung. in natürliches Kind 5. B. 
wurde nicht zugelafjen, weil die Che dadurch bloßgeſtellt würde, und 
ähnliche Verbältniffe in großer Anzahl mußten vermieden oder 
wenigjtens vertufcht werden. Es fam nicht in Frage, ob durch 
ſolche jogenannte moralifche Reinigung des Dramas nit Wahr- 
beit und Yeben literariicher Kunft tief bejehädigt würde, Feinere 
Genforen behaupteten: manches Grelle in menjchlichen Berhältniffen 
muß ja doch immer ausgeichloffen werden, denn jede Staatsgefell- 
ichaft bewegt fich innerhalb gewiſſer moralifcher Grenzen, oder 
mindeftens innerhalb gewiſſer Convenienzen. Was werft ihr uns 
vor, daß unſere Grenzen und Convenienzen enger find! Unſer 
Publicum hat eben glüclicherweife noch zartere jittliche Nerven, 
warum jollen wir unfer jittliches Gefühl beleidigen und durch öftere 
Beleidigung abjtumpfen lafjen?! Ihr draußen in Deutjchland ver- 
tragt ja auch noch nicht alle fittlichen Unfläthereien der franzöfiichen 


Das Burgtheater. 91 


Stüde; mit welchem Rechte werft ihr uns vor, daß wir nicht alle 
Natürlichkeiten ſchmecken wollen, welche bei euch bereits eingebürgert 
find? Wir befinden uns wohl dabei, daß wir unſere Einfachheit 
länger bewahren. 

Dies Raifonnement wäre vielleicht bis auf einen gewifjen 
Grad berechtigt gewefen, wenn Gebräuche, Sitten und Gefinnung 
Wiens diefer noch kindlichen Einfachheit entjprochen hätten, wenn 
der Staat wie das Paraguay des Dr. Francia bermetijch abge: 
ihloffen gewejen wäre von der Entwidelung in Deutfchland. Das 
war aber troß aller Mauthichranfen nicht möglid. Die Wiener 
blieben tro&ß aller Schranfen in geiftiger Verbindung mit Deutjch- 
land, die Allgemeine Zeitung brachte täglich das ganze europäiſche 
Leben in den öjterreihifchen Staat, das Burgtheater ſelbſt bedurfte 
fortwährend der zuftrömenden Production aus Deutjchland und 
Frankreich; dieſe Abjperrung durch minutiöfe Cenſur auch in nicht- 
politifchen Fragen bildete ein gläſernes Haus, aus welchem man 
in die ganz andere Welt hinausfchaute, und jedermann empfand, 
daß dies ein Fünftliches Wefen fei ohne inneren Halt. In einem 
Beinamen drücdte man’s furzweg aus; man nannte das Burgtheater 
das „Comtejjentheater‘‘, in welchem nur das gegeben werden dürfe, 
was ein junges, unerfahrenes Mädchen anfehen fünne, ohne zu 
beventlicher Nachfrage veranlaft zu werden. Kann und darf dies 
der Gefichtspunft eines öffentlichen Theaters fein? 

Uebrigens erfolgte in diefem Zeitabfchnitte die wichtige Ein— 
richtung, daß die beveutenderen Mitglieder des Nationaltheaters auf 
Lebenszeit angejtellt und für penfionsfähig erklärt wurden. Dies 
bemilligte Kaiſer Leopold. Kaifer Franz erweiterte die Bewilligung 
dahin, daß auch die hinterlaffenen Wittwen eine Penfion zugefichert 
erhielten. 

Unter den neu engagirten Mitgliedern zeichneten fih Hr. Korn 
und Demoifelle Adamberger aus. Xettere, eine Tochter der jo be— 
gabten Frau Jaquet, hat eine ähnliche Stellung wie jpäter Frl. 


92 Das Burgtheater. 


Neumann eingenommen; ähnlich in der allgemeinen bürgerlichen 
Achtung, welche ihrem decenten Wejen entgegen fam, und ähnlich 
in der zierlichen wie correcten Weife ihres Spiels. Nur im Um— 
fange des Faches reichte Frl. Adamberger weiter; ſie reichte in die 
Tragödie hinein und fpielte die Beatrice in der ‚Braut von Meſſina“ 
und das Clärcen in „Egmont“. Auch dem auswärtigen Publicum 
wurde fie dadurch intereffant, daß Theodor Körner ihr feine Yiebe 
widmete und fie als Braut zurüdließ, da er in ven Freiheitskrieg 
gegen Napoleon zog. Er war um 1812 als Theaterdichter am 
Burgtheater angejtellt worden und feine fleinen Dramen „Toni“, 
„Hedwig, „Der Vetter aus Bremen‘ finden fich 1812 und 1813 
im Repertoire. Demoiſelle Adamberger fpielte Toni und Hedwig. 
Einen befonderen Einfluß auf Yeitung oder Repertoire des Theaters 
hatte er nicht. 

Unter den neuen Stüden dieſes Jahrzehnts findet fich nichts 
Hervorragendes. Cine Fortjegung des Kotzebue'ſchen „Menſchenhaß 
und Reue” von Julius Graf von Soden unter dem Titel „Ver— 
jöhnung und Ruhe‘ beweilt, daß dies auch in’s Franzöjiiche über- 
tragene Schaufpiel Kotzebue's ven Zeitgeſchmack höchlich interefjirte. 
Gollin trat auf mit ſeinem „Regulus“ und erwarb fich mit jeinen 
hiſtoriſchen Stüden, welche auch vaterländifche Stoffe und patrio- 
tiiche Zwede verherrlichten, eine ungemeine Achtung. Ernithafte 
Stüde möchte man fie nennen, bei denen der Mangel an voller 
poetifcher Kraft und fließender Sprache vervedt wurde durch Die 
würdige Abficht, welche überall hervorftrahlte. Gollin jtand in 
jolcher Geltung, daß ihm nach feinem Ableben eine dramatiſche 
Todtenfeier veranftaltet wurde. 

In einer Anwandlung von hoher dramatifcher Intention fette 
man damals auch einen Theil der „Söhne des Thals“ von 
Zacharias Werner in Scene; unter dem Titel „Die Templer auf 
Cypern. Ordensgemälde in fechs Aufzügen”. Die undramatifche, 
ichwer genießbare Dichtung Werner’s war natürlich nicht geeignet, 


Das Burgtheater. 93 


Fuß zu faffen auf ver Bühne. Eben jo wenig eine „Polyrena“ — 
eine Tochter Hekuba's — und eine „Vitellina“ — eine Tochter des 
Kaijers Bitellius. — Solche einzelne Opfer an altelaffiihe Stoffe 
jind wohl durch Collin zu Wege gebracht worden, welcher ſelbſt 
mehrfach in die Römer: und Griechenzeit zurüdgriff. Die beroifche 
Schaufpielerin für die Polyrenen, Bitellinen, Zenobien (Trauer: 
ſpiel „ Mäon“) war mittlerweile Madame Rooje geworden. Auch für 
die „Sohanna d'Arc“, welche im Januar 1802 aufgeführt wurde. Im 
Berlauf deſſelben Jahres erihien Schiller's „Jungfrau von Orleans“, 
und die Frage drängt ſich auf: Hat das Burgtheater von Schiller's 
Abſicht und Plan Kenntniß gehabt, oder hat Schiller eine ältere 
„Johanna d'Arc“ gekannt? Letzteres wäre wohl waährſcheinlich. Es 
kommen neben den hiſtoriſchen Hauptfiguren nicht nur dieſelben 
Namen hiſtoriſch ſein könnender Nebenfiguren vor, wie Chatillon, 
Raoul, Thibaut d'Arc und die beiden Schweſtern der Jungfrau, 
Louiſon und Margot, nein, auch Raymond, der Liebhaber Johanna's, 
heißt Raimund, und auch der Landmann Bertrand heißt Bertram, 
auch der engliſche Herold hat den engliſchen Soldaten neben ſich. 
Schiller machte bekanntlich wenig Umſtände, auch einen Stoff zu 
nehmen, welcher ſchon theatraliſch bearbeitet vorlag; die „Maria 
Stuart“ von Spieß, welche auf den Bühnen war, hielt ihn nicht ab, 
auch eine „Maria Stuart“ für die Bühne zu ſchreiben. Aber auf— 
fallend wäre es, daß er in den Nebenfiguren ſo treu einem vor— 
liegenden Stücke gefolgt wäre. Unterſcheidend iſt Folgendes: 
Dunois und der Erzbiſchof fehlen ganz, Agnes Sorel desgleichen. 
Dafür hat der König Karl eine Gemahlin Marie, und Iſabeau iſt 
nicht ſeine Mutter, ſondern ſeine Schweſter. Dies könnte wieder 
auf Cenſurrückſichten deuten, welche eine Maitreſſe und eine un— 
natürliche Mutter zu verändern gewünſcht. Und ein Prinz Louis, 
ein Vetter des Königs, welchen ein ſo wichtiger Schauſpieler wie 
Lange geſpielt, iſt eine bei Schiller ganz fehlende Figur. Sollte 
diefer Prinz für Dunois eingetreten fein, weil man den unange- 


94 Das Burgtheater. 


nehmen Ausdruck „Baſtard“ vermeiden wollte? Der Name des 
Berfaffers ift auf dem Zettel nicht genannt — wer löſt dies 
Räthſel? 

Es fehlt ein eigentliches Burgtheater-Archiv völlig. Was in 
alten Schränken in einem dunklen Gange, nahe bei ver Caſſa, an 
vergilbten Schriften aufbewahrt und unter Aufficht eines ganz un— 
literariſchen Defonomen jtand, als ich in die Direction eintrat, das 
erwies fich als ein ganz regellofes, werthlofes Durcheinander von 
Papieren und Büchern. Ich habe aus diefem Durcheinander hervor: 
juchen laſſen, was für die Theaterbibliothef einigen Werth haben 
fonnte, und diefe Bibliothek ift durch meinen Repertoire-Infpicienten 
jo viel als möglich vervollftändigt und geordnet worden. Eine recht 
jorgfältige Sammlung der Theaterzettel und ein genaues Kepertoire- 
buch mit allen Beſetzungen, eine treffliche Arbeit, welche in's vorige 
Sahrhundert zurücveicht und von obigem Inſpicienten ganz exact 
fortgejegt worden, dies find die einzigen authentifchen Quellen, 
welche für die Gefchichte des Burgtheaters vorliegen. 

In diefen Quellen ließ ich nun forfchen, um jenes Räthſel zu 
(öfen. Da ergab denn das Nepertoivebuch, daß die Anzeige des 
Zettels „Am 27. Januar 1802 zum erften Male Johanna d'Arc“ 
eingetragen war als „Jungfrau von Orleans von Schilfer”. Dabei 
die Nummer des erjten Buches. Das Buch ward aufgefunden in 
der Bibliothef, ein fleiner gedructer Sevezband, und hieß „Die 
Jungfrau von Orleans. ine romantische Tragödie von Schiller, 
Mit einem Kupfer. Frankfurt und Leipzig. 1802 Der Titel 
war verändert in „Johanna d'Arc“, der Name Schiller’s aus- 
gejtrichen, das Perſonal umgewandelt, wie oben mitgetheilt ift. 
Die Frage war alfo aufgeklärt. Das Buch mochte ſchon in den 
letzten Monaten des Jahres 1801 erfchienen fein, und wie Buch- 
händler zu thun pflegen, um ihre Producte länger jung zu erhalten 
und die Abrechnung über dieſelben auf die zweitnächite Dftermeffe 
zu vertagen, war es mit der vorzeitigen Jahreszahl 1802 ausgegeben 


Das Burgtheater. 95 


worden, Das Nationaltheater fonnte alfo das Schiller’iche Stüd 
im erjten Monate 1802 ſchon geben, obwohl es in der literarifchen 
Chronologie erjt im Jahre 1802 erſcheint. 

Man hatte alfo damals ſchon bei einem fo royaliſtiſchen Stüce 
weitgehende Genfurbevenfen, ja weiter gehende, als fpäter in der 
Metternich’schen Epoche. Denn in legterer Epoche findet ſich jehr 
Bieles hergeftellt, was Anno 2 geftrichen oder verftümmelt worden 
war. Zum Beifpiel die Fahne der Jungfrau, welche nur einen 
rothen Saum, aber feine Himmelsfönigin zeigen durfte, und die 
ächten Perfonen Iſabeau, Agnes Sorelund Dunois, Charafteriftiich 
ijt jene erſte Verftümmelung auch dadurch, daß neben religiöfen 
Wendungen auch alle romantischen Ausfchweifungen, wie die Er- 
Iheinung des ſchwarzen Ritters, befeitigt waren. Es ift, als ob die 
nüchterne Joſephiniſche Anſchauung Hand in Hand mit der firch- 
lichen das Buch zufammengeftrichen habe. 

Schiller ftand damals auf ver Höhe feines Ruhmes. Er lebte 
nur noch zwei Jahre und einige Monate, und in folchem Augenblicde 
hatte das Nationaltheater ven Muth, ein neues Stück von ihn fo 
umzuändern, feinen Namen wegzuftreichen, und eine große Tragöpie 
von ihm fo aufzuführen, daß er gar feinen Theil daran zu haben 
ſchien, und jicherlich auch nicht das kleinſte Honorar dafür erhielt, 
denn ein gedructes Stück war vogelfrei für die Bühnen! — 

Aufjehen machte in jenem erjten Jahrzehnt unferes Säculums 
Babo mit feinem Kleinen Stüde „Der Puls’, welchem man eine 
bedeutende, leider ausgebliebene Nachfolge zutraute. Und Holbein 
mit der dramatifchen Bearbeitung Schiller'fher Balladen, Der 
Gang nach dem Eifenhammer unter dem Titel „Fridolin“ machte 
den Anfang und hielt fich lange auf den NRepertoiren. „Die Bürg- 
ſchaft“ lag mit vem Tyrannen Dionyſius zu weit rückwärts für das 
Publicum. Bezeichnend ift, daß Schiller auch im Epos dem Dra- 
matifer vorarbeitete, eine fchmerzlihe Mahnung daran, daß gerade 
das deutſche Theater fo tief betroffen wurde durch feinen frühen Tod. 





VD. 


Zu Anfang des Jahres 1814 verſchwindet der Sofephinifche 
Titel „Nationaltheater vom Zettel, und e8 erjcheint ftatt feiner die 
Bezeihnung „Theater nächft der Burg‘. 

Es ift nicht erfichtlich, aus welchem Grunde ver Namenswechjel 
eingetreten ift. Vielleicht aus einem politifchen Inftincte. Man 
war auf dem beiten Wege, Napoleon zu befiegen, man ſah eine neue 
Zeit fommen, welche mit der nationaldeutfchen Bejtrebung Raifer 
Joſeph's wenig zu jchaffen haben würde, man fand den Tendenztitel 
nicht mehr zupafjend. 

Wunderlich genug! Gleichzeitig mit diefer Namensänderung 
tritt eine Aenderung in dem Inneren des Theaters ein, welche den 
neuen Namen ‚Burgtheater‘ fejtiget und weiht. Wunderlich, weil 
die Namensänderung mit der inneren Aenderung in gar feinem Zu: 
jammenhange jteht. Ein Dramaturg tritt ein und übernimmt in be- 
ſcheidener Stellung die geiftige Leitung, an welcher es feit Kaiſer 
Joſeph gefehlt, und welche er achtzehn Jahre lang fegensreich führt. 
Diejer Mann war Schreyvogel. 

So wie das Nationaltheater feinen Auffhwung dem Kaiſer 
Joſeph vervanfte, und mit dejjen Ausjcheiden in Mattigkeit verfiel, 
jo verdankt das Burgtheater feinen Aufſchwung von 1814 bis 1832 
im Wefentlichen der dramaturgiſchen Thätigfeit Schreyvogel's, und 
nachdem er ungebührlich entfernt worden, verjanf es ebenfalls in 
Meattigfeit, nur von den Arbeiten und Erwerbungen zehrend, welche 
Schreyvogel hinterlafjen hatte. 


Das Burgtheater. 97 


Schreyvogel war ein geborener Wiener, welcher fich im ftiller 
Weiſe eine jorgfältige Bildung angeeignet hatte in literarifchen 
Dingen. Er hatte fich einige Jahre lang in Jena aufgehalten zu 
Anfang des Jahrhunderts, wo damals unter Goethe's und Schillers 
Zuthun eine gründliche ſchöngeiſtige Cultur blühte; er war bei feiner 
Heimfehr 1802 auf furze Zeit eingetreten in das Bureau des Na- 
tionaltheaters, und war bald wieder ausgefchieden, vielleicht weil er 
noch zu jung war und noch feine vechte Stätte finden fonnte zur 
Wirffamfeit. Einer Kunjthandlung widmete er die nächiten zwölf 
Sahre, und in Beobachtung des Theaters, in forgfältiger Aus- 
bildung feiner Kenntniſſe und feines Geſchmacks bereitete er fich vor 
zur Führung eines Amtes, welches veifere Mannesfraft verlangt 
und einen geübten Blick. 

Er wurde auch nicht zum Jogenannten Theaterfecretär ernannt, 
weil man eine große veformatorifche und ſchöpferiſche Thätigfeit von 
ihm erwartet hätte; das Bedürfniß einer jolhen empfand man 
faum, und feine Stellung war gar nicht dazu angethan, jo Befon- 
deres von ihm zu erwarten. ine jolivde Thätigfeit aber trat mit 
ihm ein, geläutert durch hinreichende ſchönwiſſenſchaftliche Bildung, 
unbeirrt von gelehrtem Fachdünkel, welcher das täglich fich erneuernde 
Leben gering ſchätzt, getragen von einem ruhigen Ernſte, welcher 
weiß, was er will. 

So begann er unfcheinbar. Die Zeitverhältniffe famen ihm 
trefflich zu ftatten,. Cine Friedensaera nach den franzöfiichen Kriegen 
breitete fich vor ihm aus, die erichöpfte Welt athmete auf, und war 
geneigt, fich den Künften des Friedens hinzugeben, und die Ver: 
waltung des Theaters ſelbſt jtredte eben die Waffen und gab einer 
neuen Thätigfeit allen Raum. in Confortium von Cavalieren 
nämlich, die Eſterhäzy, Schwarzenberg, Lobkowitz, Palffy an ver 
Spite, hatte inmitten der Kriegsjahre die Divection geführt und 
hatte fich erſchöpft. Nur ein Palffy war übrig geblieben als Di- 


rector des Burgtheaters und des Theaters an der Wien, ein äufßerft 
Laube, Burgtheater. 7 


98 Das Burgtheater. 


freundlicher, gefälliger Herr. Er überließ dem neuen Dramaturgen 
gern die geiftige Yeitung, und fo jtand Schreyvogel einige Jahre 
lang auch die fchöne, große Wiedner Bühne zur Verfügung, welche 
jich für größere Stüde weit befjer eignete, als der dürftige Raum 
des Burgtheaters. 

Dan jagt wohl, es jei Schreyvogel die erfolgreiche Yeitung 
darum leichter gemacht worden, weil die ihm zufallenden Jahrzehnte 
ziemlich veich gewejen jeien an dichterifcher Production für das 
Theater, und weil jich in diefen Jahrzehnten ungewöhnlich viel Dar- 
jtellungstalente entwicelt hätten. Mag fein; aber man muß auch 
zugeftehen, daß er fich hülfveich und einfichtig erwiejen hat für För— 
derung dramatifcher Dichtung, für Auffindung und Ausbildung 
ichaufpielerifcher Talente. 

Das größte dichterifche Talent, welches ihm gleich in jeinen 
eriten Jahren begegnete, war Franz Grillparzer. Diefer ganz junge 
Mann überreichte ihm 1816 ein Foltomanufeript auf grobem, 
grauem Papier. Darauf jtand gejchrieben: „Die Ahnfrau“. Der 
junge Mann war fchlichtern, wortfarg, anſpruchslos. Er zeigte fich 
weit entfernt davon, die Aufführung feines Manuferipts für wahr: 
icheinlich zu halten. Aber Schreyvogel erfannte auf der Stelle die 
Klaue des Löwen. Ich habe dies erſte Manufeript in der Hand 
gehabt, und ich würte kaum Etwas, was mir lehrreicher vorgefommen 
wäre für Erfenntniß des Dichters und für Erfenntniß des Drama— 
turgen. Schreyvogel hat Bemerkungen und Vorfchläge zur Aen— 
derung an den Rand gefchrieben, welche ven fundigen Blick des 
Dramaturgen deutlich an den Tag legen. Und der Dichter, obwohl 
ein ganz junger Mann, hat diefe Bemerkungen gewürdigt, wie ein 
ganz reifer Charakter, der genau weiß, was er beachten und befolgen, 
und was er unbeachtet lafjen ſoll. Merkwürdig daran ift auch, daß 
der landläufige Vorwurf der Schieffalstragödie, welcher die „Ahnfrau“ 
wie ein Heujchredenjchwarm begleitet hat, am meijten Nahrung er— 
halten hat durch einige eingefchobene Aenderungen Schreyvogel's, 


Das Burgtheater. 99 


der felbjt eben jo wenig wie Grillparzer ein Anhänger der Schid- 
falsivee war im dramatifchen Kunſtwerke. Grillparzer hat ſich auch 
gleich bei der eriten Auflage feiner „Ahnfrau“ nachdrücklich ausge: 
Iprochen über vdiejen Punkt. Seines Wiſſens — jagt er — findet 
ih in dem Stüde feine Spur von dem. abgefhmadten Irr— 
glauben, ven man ihm hat andichten wollen. Es ſei ihm nicht,» 
in den Sinn gefommen, Berbrechen durch Verbrechen entfühnen 
zu lafjen, und in der Berfettung von Schuld und unglüdlichen Er- 
eigniffen, welche ven Inhalt des Trauerjpiels ausmacht, ein neues 
Syſtem des Fatalismus varzuftellen. „Shafefpeare und Cal— 
deron“ — führt er fort — „haben den abergläubigen Wahn finjterer 
Zeiten mit ungleich größerer Kühnheit zu poetischen Zwecken benust, 
als es in der „Ahnfrau“ geichehen, ohne daß man fie deshalb ver- 
feßert hätte. Das Schicdjal jpielt in der, ‚Andacht zum Kreuz‘ und 
in dem „Fegefeuer des heil. Patrik“ (beive von dem angeblich hrijt- 
lichten aller Dichter) eine mehr heidniſche Rolle, als in dem 
gegenwärtigen Stüde, worin eine Sünderin ihre geheime Unthat 
durch den quälenden Anblick ver Schuld und der Leiden abbüßt, die 
fie zum Theil felbjt über ihre Nachkommen brachte; eine Borftellungs- 
art, welche dem jüdiſchen und chriftlichen Yehrbeariffe eben nicht 
widerjpricht. Der verjtärfte Antrieb zum Böen, der in dem ange: 
erbten Blute liegen kann, hebt die Willensfreiheit und die moralifche 
Zurehnung nicht auf. Die Sophifterei der Yeidenfchaften, welche 
der Derfafjer feinen tragiichen Perſonen in ven Mund legt, ijt nicht 
fein Glaubensbefenntniß; jo wenig als vie zufällige Wahl eines 
märchenhaften Stoffes einen Beweis gegen die Orthodoxie feiner 
Runftanfichten abgiebt. Der Verfafier fennt vie Schule nicht, zu 
der man ihn zu zählen beliebt, und er weiß nicht, mit welchem Rechte 
man einen Schriftfteller, der ohne Anmaßung und ohne Zufammen- 
hang mit irgend einer Partei zum erjten Mal im Publicum auftritt, 
Ungereimtheiten zur Laſt legt, die von Anderen, ſei e8 auch zu feinem 
Lobe, gefagt werden mögen.’ 


q* 


100 Das Burgtheater. 


Umfonft! Die Schidjalsivee, durch Werner’s „Vierundzwan— 
zigften Februar‘ und durch Müllner's kurz vorher erjchienene 
„Schuld“ in die äfthetifche Debatte gebracht, war ein zu bequemes 
Thema fürweije ſcheltende Kritik, als daß man „draußen im Reiche‘ 
von der Ablehnung des jungen Dichters Notiz genommen hätte. Er 
war hiermit einmal clafjificirt, und die Klafjennummer tft ihm an- 
geheftet geblieben, obwohl feine dramatiſchen Dichtungen gar nicht 
paßten in die Nummernclaffe. Die dentiche Kritif hat ſich faum je 
eine ärgere Blöße gegeben, als in der oberflächlichen Beurtheilung 
Grillparzer’s. Noch heute weiß fie es nicht, daß nach Goethe und 
Schiller feine vichterifche Kraft im Drama unter uns aufgewachfen 
iſt, welche einen clafjiichen Plat mit fo gutem Grunde einzunehmen 
berufen ift, als die Franz Grillparzer’s. ine Reihe von Jahren 
glaubte man, Heinrich von Kleiſt dieſen nächiten Plat vorbehalten 
zu dürfen. Aber die Reife der Zeit iſt entſcheidend für claffiiche An— 
jprüche, und die Erfahrungen namentlich auf ver Bühne, welche ein 
Prüfitein des Beſtandes ift, haben nicht für die Kleiſt'ſche Reife ge- 
jtimmt. Die franfhafte Ader ver Abjonderlichfeit, welche all’ feine 
Stücke durchdringt, iſt dem Publicum von Jahr zu Jahr fichtlicher 
und jtörender geworden, Noch in den erjten fünfziger Jahren fand 
das „Käthchen von Heilbronn“ und felbjt der jomnambüle „Prinz von 
Homburg” eine leidlich theilnehmende Zuhörerjchaft im Burgtheater ; 
in den jechsziger Jahren verlor ſelbſt das „Käthchen“ mehr und mehr 
jeine Anziehungskraft, und der ‚Prinz von Homburg‘ wurde als franf- 
haft und unſchön im Stich gelaffen. Grillparzer's Stüde dagegen, 
nah Schreyvogel's Abgang zwei Jahrzehnte lang im Repertoire 
vernachläffigt, erwiejen ſich ſämmtlich bei ihrer Wiederaufnahme als 
fräftig und tüchtig. Die befannte „herbe Friſche“, welche Tied ven 
Kleiſt'ſchen Werfen als Charakteriſtik zutheilte bei ver Herausgabe, 
paßt jest viel eher auf Grillparzer, bejonders wenn man die Worte 
umfehrt, und frifche Herbheit fagt. Sie duftet ſtärkend aus Grill- 
parzer's Dramen entgegen. Fein geſehene Wahrheit jchlicht ausge 


Das Burgtheater. 101 


drückt umd gefunde pſychologiſche Entwicelung in den Charafteren 
würzt Grillparzer’s Compofitionen, welche nie ohne Genialität und 
doch immer einfach jind. 

Er wurde der neue dichterifche Halt des Burgtheaters von da> 
mals bis heute. Zwei Jahre nach der „Ahnfrau“ brachte er die 
„Sappho“, welche heute, fünfzig Jahre nach ihrer Entftehung, fait 
noch mächtiger und fchöner wirft als damals. Wenigjtens fonnte 
jie 1866 und 67 zahlreicher vor gedrängt vollem Haufe aufgeführt 
werden, als da jie neu war. 

Sie ilt wunderbar fchnell entitanden, Auf dem Wege nach 
dem Prater hat ein Mufifer Grillparzer angetreten mit dem Vor: 
Ichlage, einen Operntext „Sappho“ zu ichreiben. Grillparzer hat Nein 
gejagt; der Name Sappho ift aber befruchtend in jeine Seele ge— 
fallen, und einſam in den Prater tief hinein wandelnd hat ſich ihm 
der Stoff entwidelt und gegliedert, dergejtalt leicht, natürlich und 
volljtändig, daß er bei ver Rückkehr in die Stadt die ganze Tragödie 
vor fich geſehen. Sogleich hat er jich an's Schreiben gemacht, und 
in ein paar Wochen tft das Stüc fertig gewejen. 

Welche Freude für Schreyvogel, ver ſogleich an vie Infcene- 
jeßung gegangen. Die Melitta nur machte dramaturgiſche Schwie- 
rigfeiten, weil die junge Frau Korn in die banalsweifen Nathichläge 
der Gollegen verftridt worden war. Grillparzer ſitzt bet ver vor: 
(etten Probe im dunklen Barterre und leidet jehr von der decla- 
mirenden Melitta, Endlich tritt jie ab und überrafcht ihn mit ihrer 
Nachbarſchaft im dunflen Parterre und mit der jchüchternen Frage, 
ob er zufrieden jet mit ihrer Auffaſſung. Er weicht aus mit der 
Antwort, und fie vuft: Ich hab’ mir's gedacht! ich ſelbſt bin gar 
nicht zufrieden ; morgen werd’ ich fie Sprechen, wie ich mir’s denfe! 
— That's, und wurde die naive, hinreißende Melitta, welche im 
Angedenfen der Wiener das Ideal dieſer liebenswürdigen Rolle ges 
blieben iſt. 

1821 erjchien die Trilogie „Das goldene Vließ“ auf der Scene 


102 Das Burgtbeater. 


des Burgtheaters. Von dieſer Trilogie hat die deutiche Bühne 
außerhalb Wiens nur das dritte Stüd „Medea“ hie und da durch 
eine gaftirende Schaufpielerin kennen gelernt. Schreyvogel führte 
die ganze Trilogie auf, und fie jteht jeit 1857 wieder ganz im Re— 
pertoire des Burgtheaters. 

1825 erſchien „König Dttofar’s Glück und Ende’ auf ver 
Fleinen Scene am Michaelerplate. Das Schiefal Napoleon’s hatte 
Grillparzer dabei vorgefchwebt. Böhmiſche Empfindlichkeit hatte die 
Erlaubniß zur Aufführung des Stüdes erichwert; aber Schreyvogel 
war in Behandlung jchwieriger Cenfurfragen geduldig und zäh; er 
fam deshalb öfter zum Ziele, als feine nächjten Nachfolger, welche 
dies Stüd und den 1828 folgenden „Treuen Diener feines Herrn‘ 
fallen liegen. Er war fich offenbar wohl bewußt, daß eine große vater- 
ländiſche Dichterfraft einem Theater Fundament und Weihe verleiht, 
und wie ein großes vaterländiiches Eigenthum gepflegt fein joll. 
Er war ſich überhaupt bewußt, daß jtarfer und mannigfaltiger In— 
halt einem Theater noththut, damit fich das Inftitut nicht zur bloßen 
Unterhaltung verflüchtige. Wenn man feinen Directionsjahren auf- 
merkſam folgt, jo findet man, daß er in jedem Jahre bei aller Sorge 
für leichte Unterhaltung feines leichten Publicums eine Infcene- 
ſetzung betreibt, welche über das Alltagsbedürfnig hinausgeht. 

Gleich im Jahre feines Eintritts — 1814 — wird Schiller’8 
„Wallenſtein“, wenn auch in verfürzter Form, in's Repertoire 
eingeführt. Keine geringe Eroberung, wenn man ver jonjtigen 
Cenſurrückſichten gedenft und fich das Stück vergegenwärtigt, welches 
einen faiferlichen Feloherrn und ein Faiferliches Heer in einer Hand— 
(ung auf das faiferliche Hoftheater bringt, welche ſich um Abfall, 
Fahnenflucht, Verſchwörung und Empörung bewegt. Das ‚Lager‘. 
war in diefer Zufammenziehung übergangen, und die „Piccolomini’ 
und „Wallenſtein's Tod’ waren, wie ver Zettel befagt, auf fünf 
Acte „in die Kürze gezogen und für einen Abend eingerichtet von 
9 TIRRFRU 


Das Burgtheater. 103 


In demjelben Jahre 1814 am 29. December wurde Schiller’s 
„Maria Stuart‘ zum erften Male aufgeführt. 

1815 „Correggio“ von Dehlenfchläger. Dies Stück hat fich 
auf dem Burgtheater allein gehalten troß feines unangenehmen Aus— 
gangs, welcher ven Helven unter einem Sad voll Kupfermünze ver— 
Ihmachten und erliegen läßt. Der erjte Eindruck wird nirgend fo 
refpectirt, wie beim Wiener Theaterpublicum, Es ift dies eben — 
auch heute noch! — ein geſchloſſenes Theaterpublicum, welches ge— 
treulich fejthält an jeinen Traditionen. Hat ein Stüd einmal ge— 
fallen, jo bleibt ihm der gute Ruf unmwandelbar treu. Noch fünf: 
unddreißig Jahre nach der erjten glüclichen Aufführung ward dies 
ſchwächliche Stüd mit günftiger Vormeinung angeichaut, als Korn 
zum letten Male fpielte und mit feinem Giulio Romano von der 
Bühne jchied. Fünfunddreißig Jahre lang hatte er diejelbe Rolle 
gejpielt. Sie ging an Fichtner über, und das Stück frijtete fein 
Leben noch, wenn auch vürftiger, vor einem neuen, viel fritifcheren 
Geſchlechte. Eine erjte Aufführung würde es heute, auch mit der 
beiten Beſetzung, kaum bejtehen. 

In demjelben Jahre war „Der Rehbock“ von Kotebue neu, 
ein jehr lascives Stüd, welches dem damaligen Publicum jehr ge— 
fiel und mit jeinen üppigen Zweideutigfeiten feinerlei Anjtoß erregte. 
Ich führe dies an als ein Symptom des Zeitgeſchmacks. Das acht- 
zehnte Jahrhundert war in den fogenannten Natürlichfeiten unge: 
mein nachjichtig, und diefe Eigenfchaft lebte im Burgtheater fort 
beinahe bis gegen die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Ein 
alter Defonom des Burgtheaters verfprach fih 1850 goldene Ein- 
nahmen, wenn ver leider ob feiner Yüpderlichfeit aus dem Repertoire 
geſtoßene „Rehbock“ wieder gegeben werden dürfte. Wie jehr dies aber 
dem Gejchmad unjerer Zeit widerfpricht, fonnte ich recht deutlich an 
Schröder's „Klingsberg“ erkennen, welcher an allen Ecken und Enden 
gemildert und verfeinert werden mußte bei einer Wieveraufnahme 
in den fünfziger Jahren, und dennoch als jehr gröblich auffiel. Und 


104 Das Burgtheater. 


diefe zwei Klingsberg-Stüde find Wiener Stüce, denen Schröder 
einen völlig wienerifhen Typus verliehen hatte! Die heutigen 
Wiener aber erjchrafen über den freien Ton ihrer Väter und 
Mütter. 

„Die Schuld“ war 1813 neu geweſen und hatte durch klingende 
Verſe und einen ſpannenden Inhalt außerordentliches Glück gemacht. 
Dieſer günſtige Eindruck blieb den folgenden, an Zahl geringen Pro— 
ductionen Müllner's am Burgtheater treu. 1816 wurde fein „König 
Yngurd‘‘ gegeben — Frau Schröder Brunhilde, Herr Heurteur 
Yngurd — und im diejer günftigen Strömung eine Zeitlang auf- 
genommen umd getragen, als ob es ein dauerndes Repertoireſtück 
wäre, Dieſe Gunjt fam 1820 ſelbſt der „Albaneferin‘ zu jtatten, 
welche die Manierirtheit und innere Hohlheit der Müllner'ſchen 
Muſe ſchon damals einem Theile des Publicums fihtbr machte. 
Solch ein Wafferfall, ver eine Zeitlang bewundert und plötzlich dünn 
wird, ja jogar gänzlich aufhört, erfcheint eben in der Literarge— 
ihichte von Zeit zu Zeit. Er ift durch Pumpwerk entjtanden und 
hat feinen natürlichen Zufluß. Beſonders beim Theater ift die Mode 
ein vecht augenjcheinlicher Factor, und ich finde fein Zeichen, daß 
Schreyvogel durch Mode-Erfolge beraufcht oder getäufcht worden 
wäre, wenn er auch Werth legte auf ein überrajchendes Original: 
werf, wie „Die Schuld‘ immerhin war. 

In demfelben Jahre 1816 fette er Goethe’s „Taſſo“ zum erften 
Male in Scone — Korn Taffo, Rooſe Antonio, Adamberger Prin- 
zeifin; Sulie Yöwe, eine neue Größe, Sanvitale. 

Dajjelbe Fräulein Julie Löwe war ihm einen Monat jpäter 
hilfreich fir das glänzenne Gelingen feiner eigenen Arbeit, der 
„Donna Diana’, welche am 18. November 1816 zum eriten Male 
aufgeführt wurde, Diana — Löwe, Don Ceſar — Korn, Perin — 
Rooſe. Dieje Bearbeitung des Moreto'ſchen Stüdes, in welcher 
ihm Moliere und Gozzi vorausgegangen waren, hat Schreyuogel’s 
literariichen Namen ‚Carl Auguft Weſt“ dauernd eingeführt in 


Das Burgtheater. 105 


unfere vramatifche Literatur. „Ich habe bei der vorliegenden Be— 
arbeitung‘‘ — jagt er in der Vorrede zur erjten gedruckten Ausgabe 
der „Donna Diana’ — „Gozzi's Veränderungen benutt, aber mich 
im Ganzen jo nahe an das jpanifche Original gehalten, als vie 
Berichievenheit des Nationalgeſchmacks nur irgend zu erlauben jchien. 
Snsbefondere habe ich geglaubt, dem Charakter ver Prinzeſſin feinen 
urfprünglichen Adel wiedergeben zu müfjen, ven er in der jich zum 
Burlesfen neigenden Manier des Gozzi zum Theil verloren hatte, 
Dagegen verdankt Perin (bei Gozzi „Gianetto“, im ſpaniſchen Ori— 
ginal „Polilla“) ver Hand des Letzteren mehrere glückliche Züge, die 
ich beibehielt. Auch Don Ceſar ift, zum Theil nach Gozzi's Um— 
riſſen, mehr ausgebildet worden.” 

Schreyvogel fpricht in den Vorreden zu feinen Bearbeitungen 
immer fo einfach und bejcheiven. In Wahrheit find diefe Bear- 
beitungen in vielem Betracht jelbjtändige Arbeiten. Die „Verſchie— 
denheit des Nationalgeſchmacks“ war ihm ein feiter Leitſtern, nach 
welchem er, vom Original abweichend, felbjtändig vorging. Seine 
Borreden zum ‚Leben ein Traum“ zeigen dies deutlich, und ent— 
wicdeln darüber, wenn auch mit wenig Worten, bejtimmte Grund» 
ſätze. 

Der große Erfolg dieſer „Donna Diana“ war ein ſehr folgen— 
reicher für das Burgtheater, er begründete eine Geſchmacksrichtung 
für poetiſches, formell ſauber ausgearbeitetes Luſtſpiel, welchem das 
Publicum des Burgtheaters treu geblieben iſt. Süddeutſches Na— 
turell, ſteter Wechſelverkehr mit Italien mag dieſe Richtung und 
Neigung unterſtützt haben. Sie iſt auch für den feineren Ton in 
jedem höheren Luſtſpiele einflußreich geblieben bis auf die heutige 
Zeit. 

Der „Donna Diana“ war die Bearbeitung des Calderon'ſchen 
„Leben ein Traum von C. A. Weſt“ vorausgegangen. Sie hatte, 
im Theater an der Wien zuerjt aufgeführt, ebenfalls günftige Wir- 
fung gehabt, war aber in Form und Wefen nicht jo harafteriftifch 


106 Das Burgtheater. 


neu gewejen für das Burgtheater. Das Calderon'ſche Stüd war 
ſchon im Jahre 1760 auf dem faiferlichen Stadttheater in Wien 
(Kärnthnerthor-Theater) dargejtellt worden unter dem Titel „Das 
menjchliche Leben tft ein Traum, in fünf Acten, aus dem Italie- 
nifchen (La vita € un sogno) überjett und in deutſche Verſe ges 
bracht von M. Jul. Friedrich Scharfenftein“, und Herr von Ein- 
jiedel hatte eine getreue Ueberſetzung des Calderon'ſchen Stückes 
einige Jahre vor der Weft’ihen Bearbeitung in Weimar zur Auf: 
führung gebracht. 

Schreyvogel jagt mit Necht, daß eine Ueberjegung unferer 
Bühne nicht genügen könne. Er fett jogar hinzu: „Um dieſem 
Schaufpiele diejenige Form zu geben, worin es als ein bleibenvder 
Erwerb unjerer dramatiichen Literatur betrachtet werden könnte, 
müßte es, nach der Idee des Originals, mit völliger Freiheit neu 
gejchaffen werden. Bis das gejchieht, mag die gegenwärtige Be— 
arbeitung in der Gejtalt beſtehen, in welcher jie Eingang auf ven 
Theatern und bei dem großen Publicum gefunden hat’. 

Dieje Bearbeitung ift nach langer Baufe 1866 im Burgtheater 
wieder aufgenommen worden, und es zeigte ſich, daß nach einem 
Zwifchenraume von fünfzig Jahren der Gefchmad des Publicums 
dem Kerne des Stüdes zugethan geblieben war, in der zweiten 
Hälfte aber jchon ſtarke Kürzungen nöthig machte. Roſaura mit 
ihrem Vater und ihrem ungetreuen Liebhaber mußten ganze Scenen 
aufgeben, welche unerquidlich befunden wurden. 

Schreyvogel jelbit Spricht fehr unbefangen über die Fehler 
Calderon's, und die Linien, welche er in feinen Einleitungen vor— 
zeichnet für die Bearbeitung fremder Stüde, find gut und lehr- 
reih. Man erfennt in ihnen den fundigen Dramaturgen, welcher 
ven wahllos verhimmelnden Yobpreifern älterer dramatiſcher Dich- 
tungen überlegen tft. 

In folher Weiſe errang Schreyvogel dem Burgtheater eine 
tonangebende Stellung, und da er nicht abließ, in diefer ſchaffenden 


Das Burgtheater. 107 


Richtung fortzuftreben — „Don Guttiere, der Arzt jeiner Ehre‘, nach 
Calderon, folgte bald ven obigen Bearbeitungen —, da er ferner in 
Nachholung claffiicher Stücke, welche das Nationaltheater liegen 
gelajjen, unermüdlich war, und da er endlich die neue Production 
im deutjhen Drama rajch und forgfältig benutte, fo brachte er 
Beitand, Leben und einen reichen Inhalt in das Repertoire des 
Burgtheaters. Kurz, er begründete einen wohlverdienten Ruf des 
Burgtheaters, welcher noch mehrere Directionen nach jeinem Aus— 
fcheiven mit den Zinfen dieſes Rufes verjorgte. 


Bon den nachzuholenden Werfen fette ev, wie ſchon erwähnt, 
zuerjt „Maria Stuart‘ in Scene, und errang er 1819 auch Yefjing’s 
„Nathan“, ein Xehrbild ver Toleranz, welches in den dreißiger, vier- 
ziger, ja in den fünfziger Jahren jelbjt ven erſten Eintritt faum 
errungen hätte. Koch jpielte ven Nathan, Yange ven Patriarchen, 
welcher nur als „Comthur der Hojpitaliter” eingeführt werden 
fonnte. Eben jo war der Klojterbruder unter diefer Bezeichnung 
nicht gejtattet, jendern erjchien — Coſtenoble — als Diener des 
Comthurs. 


Bon Shafejpeare brachte er neu „Romeo und Julia‘ — 1816 
(Korn — Romeo, Adamberger — Sulia, Rooſe — Mercutio) ; 
„Heinrich den Vierten‘ in beiden Theilen (Anſchütz — Falftaff) ; den 
„Kaufmann von Benedig‘ in jelbjtändiger Einrichtung (Coftenoble — 
Shylock); — und „Othello“ in neuer eigener Bearbeitung Anjchüt 
— Othello). 


Auch für Heinrich von Kleift machte er wiederholte Anjtren- 
gungen. 1821 verfuchte er unter dem Titel „Die Schlacht bei 
Vehrbellin” den „Prinzen von Homburg‘. Er verunglüdte. Die 
Scene der Tovesfurcht des Helden, unter allen Umſtänden höchſt 
mißlich durch das Preisgeben auch der Geliebten, erregte Mißfallen 
im Publicum. Auch „Die Familie Schroffenjtein‘ in der Hol: 
bein’schen Bearbeitung als „Waffenbrüder“ fand nur einen un— 


108 Das Burgtheater. 


jicheren Boden. Uhland's „Ernſt von Schwaben” fonnte fich eben— 
falls nicht halten wegen des mangelnden dramatifchen Charafters. 

Gegen Ende feiner Divectionsführung brachte er noch „Wilhelm 
Zell und zulegt „Götz von Berlichingen“. Obwohl auch diefer 
feine geſchloſſene dramatiſche Form hat, welche für ein volles Inter- 
eſſe des Theaterpublicums erforderlich, jo entbehrt er doch nicht 
trefflicher dramatischer Scenen und gewinnt durch urfräftige Sprache 
immer eine mannigfache Theilnahme. Die frifche, erquickende 
Geſinnung, welche ven ftörenden Scenenwechjel durchweht, hat 
allmälig das Bublicum ausnahmsweife für diefe Form in Tableaur 
gewonnen, und „Götz“ hat jih auf dem Repertoire behauptet. 

Neue Dramatiker, die ihm zu jtatten famen, waren Houwald, 
Schenk, Raupach. Auch Clauren will genannt jein wegen der 
Anziehungskraft, welche feine jentimentalen Yuftipiele troß ihrer 
fleinen Manierirtheit eine Zeitlang ausübten. Vorübergehende 
Erfolge entjtehen zumeift aus einer geſchickten Manterirtheit, welche 
kitzelt, und ein Theaterdirector fann den Bortheil folher Zugkraft 
nicht abweifen, fo lange die allgemeine Move dafür ift, und fobald 
nicht gemeine Hülfsmittel im Spiele find. Eben weil fie manierirt 
ind, geht ihre Mode immer bald vorüber, und die allgemein ge— 
wonnene Einficht in ihre Schwächen kommt der öffentlichen Ge— 
ihmadsbildung zu jtatten. So ungefähr pflegte ſich Schreyvogel 
zu äußern, wenn er darauf hinwies, daß er fieben Mal in ver 
Woche zu jpielen habe, und daß ohne ein bemerfenswerthes Talent 
die Wirfung jolcher Clauren'ſchen und ähnlicher nicht courfähiger 
Productionen doch nicht entjtehen könnte. Gin täglich fpielendes 
öffentliches Theater fünne nicht ein Saal für Auserwähltes fein; 
e8 jei ein Markt. Diefer dürfe nichts Gemeines und Unwürdiges 
bieten, aber er müſſe mannigfach umd reichlich bieten. Aufmerkſam 
auf die edleren Regungen im Bublicum, müffe nur der Aufjeher des 
Marktes jtets bevacht und beeilt fein, die im Kern Schwache oder 
Ihadhafte Waare bei Zeiten verfchwinvden zu laſſen. Uebergroße 


Das Burgtheater. 109 


principielle Strenge gefährde auch die Entwidelung neuer jchöpfe- 
riſcher Talente, welche ſich zumeiſt exit im Anſchauen ihrer Stüde 
läuterten, 

Wenn man jegt die Houwald'ſchen Stüde liejt, jo wundert 
man jich freilich, daß jolche weichliche und ſchwammige Compofition 
das allgemeine Interejfe habe gewinnen fönnen. Und doch war 
dem fo. „Das Bild“ machte 1821 Furore. Die franfhafte Yiebes- 
feligfeit des Malers Spinarofa und für ihn rührte alle Frauen: 
herzen, und die Theatererfolge bei den Frauen find die breiteiten. 
Den Frauen ijt das jentimentale Drama die wichtigjte Staatsaction, 
und die Männer müfjen daran theilnehmen, wenn fie nicht den 
Adel ihres Herzens verdächtigen wollen. Kleinere Stüde jelbit, wie 
„Fluch und Segen”, „Der Yeuchtthurm‘‘, „Die Heimfehr’, füllten 
die Theater Jahre lang. 

Eben jo merkwürdig ift, wie derlei Wirfungen allmälig auf: 
hören. Dft ohne erjichtlihen Anſtoß. Der niederlauſitz'ſche Guts- 
befiger von Houmwalr, ein wohlwollender Mann, ijt gar nicht 
ſonderlich behelligt worden durch kritiſche Widerfacher, fondern es 
bat jich nach einigen Jahren won jelbit ergeben, daß man an dieſer 
thränenmweichen Markloſigkeit fein hinreichendes Gefallen mehr finde. 
Das bemerft eine TIheaterdirection jehr bald, und die Stüde — 
jind gewejen. 

Bon jtrengeren Sehnen waren die großen Stüde, wie „Beliſar“ 
von Eduard von Schenf. Sie waren auch in größerem Style ges 
führt, und die mächtige Figur des berühmten Heldenvaters Eßlair 
jtellte fie auf Gaftreifen dem verichievenartigiten Publicum var. 
Aber mit dem ftattlich ausgerüjteten Helvenvater gingen fie auch 
vorüber. Anſchütz, welcher diefe Rollen im Burgtheater trug, 
übertraf vielleicht Ehlair in Nüancirung der Rede, hatte aber in 
Geftalt und Wefen nicht das Helvenmäßige, welches für ven Ein- 
druck der Schenk'ſchen Rollen nöthig war. Die Stüde imponirten 
auch mit ihm eine Zeitlang, jo lang eben diefes Pathos in fernen 


110 Das Burgtheater. 


Staatsbegebenheiten Anklang fand. Der Anflang verringerte jich, 
als man prüfte und wog, und ven geijtigen Inhalt, jo wie die 
charafteriftiiche Wahrheit nicht groß genug befand — die Stüde 
verfhwanden, obwohl Anſchütz-Beliſar und Schröder-Antonina noch 
vorhanden waren. 

Einen viel breiteren Zeitraum großen Einflufjes auf die Bühne 
bat Raupach behauptet. Seine erjte Blüthezeit fällt in die zwan— 
ziger Jahre. Seine „Fürſten Chawansky“ wurden gegen Ende 
1819 durch Frau Schröder eingeführt, 1827 folgte „Iſidor und 
Olga“, 1829 „Der Nibelungenhort‘‘. Xetterer hat ein paar Jahr— 
zehnte Stand gehalten. Das dem Theaterpublicum neue Thema 
des vaterländischen Epos war jehr deutlich und wirkſam dramatiſirt, 
und die Yiebesfcenen zwiſchen Siegfried und Chriemhild boten einen 
itarfen theatraliihen Neiz in ihrer jehr anfprechenden Naivetät. 
Hätte Raupach mit Siegfried’s Tode geichlojien, das Stüd wäre 
wohl dauernd auf dem Repertoire geblieben. Die furze fchliegliche 
Erledigung der „Nibelungen-Noth“, welche viel breitere Ausführung 
braucht und auch in einer jolchen fir das Theater mißlich ift durch 
das maljenhafte Morden, entzog dem Stücke die künſtleriſche Ge- 
ichlofjenheit. Das Bleigewicht am Ende riß das wohlgeformte 
Bild mit fih hinab. Die erite Belegung der Hauptperjonen 
(Shriemhild — Sophie Müller, Siegfried — Löwe, Brunhild — 
Schröder, Hagen — Anſchütz) hatte ver Einführung des Stüdes 
die beiten Dienjte geleiitet. 

Auch das wichtigite Yuftipiel, welches Raupach gelang, „Die 
Schleichhändler“, eine zeitgemäße Verſpottung der Walter Scott: 
Manie, fiel noh in die Directionszeit Schreyvogel's — Januar 
1830 — und er hatte jomit alle Vortheile der Raupach'ſchen Yauf- 
bahn, welche erſt in ven dreißiger Jahren niederging in Fabrikation 
trodener Luftipiele und in dürrer Dramatifirung der Hohenjtaufen. 
Dies hiftoriihe Thema, eine mächtige Vertiefung in den Streit 
zwifchen Staat und Kirche vorausfegend, verlangt an und für fich 


Das Burgtheater. rr3 


eine Shafefpeare’jche Kraft, und enthüllte zu deutlich die ungenügende 
innere Welt Raupach's. Das Berliner Hoftheater, durch den prote- 
Itantifchen Standpunkt begünftigt für Aufführung diefer religiöfen 
Controverſe, gewann dadurch für einige Jahre ven Schimmer eines 
Itattlihen Inhaltes. Aber auch dort erwies fich dieſe Repertoire: 
bereicherung bald als ein bloßer Schimmer. Der wirklich poetifche 
Inhalt gebrah, das eigentliche Publicum blieb kalt bei viefen 
Staatsactionen ohne menſchliche Wärme, und die Theatermacht 
Raupach's verlief im Sande, weil nun völlig offenbar wırde, daß 
der dichterifche Quell fehlte. 

Ein Epifodenftüd Raupach's aus der Hohenjtaufenzeit, „König 
Enzio“, deſſen Reiz in merfwürdiger Begebenheit ruhte, fam noch 
auf’8 Burgtheater in der letten Zeit Schreyvogel's. 

Bon den Stüden, welhe unter ihm Erfolg hatten, iſt etwa 
noch „Vandyck's Landleben“ von Kind, injofern ein jogenanntes 
Künftlerprama damit in Mode fam, und „Hans Sachs” von Dein- 
hardftein zu erwähnen. Der Lejer wird hinlänglich inne geworben 
fein, daß jene Friedenszeit dem fundigen Theaterdirector eine veich- 
lihe Production von Stüden und mit ihnen Stoff genug bot zu 
ergiebiger Thätigfeit. 

Wir haben nun zu betrachten, welch eine Fülle von ſchau— 
jpielerifchen Talenten für diefe Zeit erwuchs, und wie Schreyvogel 
fie zu finden, zu ftellen, zu entwideln umd zu verwerthen wußte, 


Va 


Schaufpieleriihe Talente gediehen wirklich zu Schreyvogel's 
Zeit in erjtaunlicher Fülle, Als ob die von den Franzojenfriegen 
erichöpfte deutſche Welt all’ ihre Fähigfeiten mit Bewußtjein der 
darjtellenden Kunſt anheimgegeben hätte, 

Wirklich iſt auch der Friede nöthig für den Schaufpielberuf. 
Sammlung, jtrenge Uebung, Aufmunterung durch ein unzerjtrentes 
Publicum find dem Schaufpieler unerläßlich. ine bewegte poli- 
tiiche Welt ift den Geveihen der Schaufpielfunft niemals günftig. 
Das gejpielte Yeben verliert feine Hauptreize, wenn das wirkliche 
Leben in hohen Wogen geht. 

Schreyvogel fand eine gute Yiebhaberin für das Luftipiel in 
Julie Yöwe, und er fand eine außerordentliche tragijche Yiebhaberin 
— doch nein, das war fie nie, — er fand eine außerordentliche 
Heroine in Frau Sophie Schröder; er fand endlich in feinen letzten 
Directionsjahren auch die erfehnte tragifche Yiebhaberin in Sophie 
Müller. 

Er fand einen geſchmackvollen Liebhaber in Korn, einen feurigen 
in Löwe, einen liebenswürdigen in Fichtner, 

Er fand für das ältere Fach einen Heldenvater in Anjchüt, 
einen Charafterfomifer in Coftenoble, einen heiteren Vater in 
Wilhelmi. 

Dazu die guten Reſte früherer Zeit Koch, Krüger, Rooſe — 
Herz eines Directors, was willſt du mehr?! 


Das Burgtheater. 115 


Die wichtigjte Schauspielerin unter diefen Talenten war Frau 
Sophie Schröder. Sie konnte nicht wie Cäſar von ſich jagen: ich 
fam, ſah und fiegte. Im Gegentheil: fie fam, wurde gejehen, und 
ging. Ihr Aeußeres war auch in ihrer Jugend nicht vortheilhaft, 
und die fleine robufte Gejtalt machte als Yiebhaberin feinen vor— 
theilhaften Einprud in Wien. 

Sie fam aus den deutſchen Oſtſeeprovinzen und hatte Fräulein 
Dürger geheißen. In Paderborn war jte 1781 geboren worden, 
und war mit den Eltern, die beide Schaufpieler waren, nach Peters— 
burg gekommen. 

Den Bater hat fie frühzeitig verloren, die Mutter, eine ges 
borene Keilholz, hat fie zur Schaufpielerin erzogen. Sophie felbft 
nannte diefe Mutter ein großes, halb verkommenes Talent. 

Unter der Direction Stollmers, der eigentlich Smets hieß, hat 
fie in Petersburg Kinderrollen gejpielt, und man erzählt von einer 
Scene bei Hofe, daß die Kaiferin Katharina fie ausgezeichnet habe. 
In Wahrheit wurde fie während ihrer erften Jugend mehr zu häus— 
lihen Gejchäften verwendet, als zum Komödieſpielen. Eines 
Tags — fie war vierzehn Jahr alt — ftand fie in der Küche und 
wufch feine Wäfche, da ftürzte Director Stollmers zu ihrer Meutter, 
und rief ihr zu: meine Frau hat foeben ver Schlag getroffen, Sie 
müſſen jogleich die Sophie hergeben, damit fie die Holle meiner Frau 
übernimmt, und auf die Probe kommt! — Sophie trodnete fich vie 
Hände, nahm die Rolle, und fing eilig an zu lernen. Norhoürftig 
mit ihr vertraut, erſchien As noch nicht völlig erwachjene Mädchen 
zur Probe, und jpielte Abenos mit hohen Abſätzen und hoher Frifur, 
um Stattlicher auszujehen, und jpielte tapfer. 

Frau Stollmers-Smets erlag dem Schlaganfalle, und ver 
Wittwer-Divector heirathete noch in demjelben Jahre die blutjunge 
Sophie. 

Mit noch nicht jehszehn Jahren war fie Mutter eines Sohnes, 
des fpäteren Domherrn Smets, welcher als Dichter befannt ges 

Laube, Burgtheater. 8 


114 Das Burgtheater. 


worden iſt und mit ſeinen Gedichten Einfluß geübt haben ſoll auf 
Heinrich Heine. Er glich ſeiner Mutter ſehr, nur war er weit 
häßlicher. Er declamirte gern ſeine Gedichte, und that dies in der 
Vortragsweiſe ſeiner Mutter, das heißt in der äußerlichen Weiſe, 
eine Nachahmung, wie ſie der Holckiſche Jäger dem Wachtmeiſter 
vorwirft in „Wallenſteins Lager“. Dieſer am Rhein, meiſt in Köln 
lebende Domherr war ein Menſch von edlem Sinn, und hegte ſtets 
eine unbegrenzte Verehrung für ſeine Mutter. Er verehrte ſie eben— 
ſo als Frau wie als Künſtlerin. Sie war bei aller Leidenſchaftlich— 
feit ihrer Neigungen ſtets eine ſorgfältige, tüchtige Hausfrau. 

Ihr erſter Gatte, der als Schauſpieler ſeinen Namen Smets 
in den Namen Stollmers verwandelt hatte, ſtammte aus guter 
bürgerlicher Stellung, und iſt auch ſpäter von der Bühne zurück— 
und in ein politiſches Amt eingetreten. Er iſt für ihre allgemeine 
Bildung von Wichtigkeit geweſen. 

Von Petersburg ging die Geſellſchaft nach Reval. Sophie 
ſpielte vorzugsweiſe naive Rollen und ſang in Operetten. 

In Reval hatte Kotzebne, ver ja aus Rußland zu uns fam, die 
junge Sophie gejehen, und er hat jie nach Wien empfohlen. Ueber 
Stettin, wo fie noch eine Zeitlang jpielte, ift fie, achtzehn Jahre alt, 
zum eritenmale nach Wien gefommen und hat als Frau Stollmers 
die Margarethe in Iffland's „Hageſtolzen“ und ähnliche Rollen 
geipielt. 

Alles, was ich über dieſe ihre erjte Wiener Zeit gelejen, lautete 
dahin, daß fie nicht befonvders gefallen habe. 

Jedenfalls blieb jie faum ein Jahr in Wien und ging nach 
Breslau. Immer noch waren naive Rollen und Gefangsrollen ihr 
Fach; namentlich die Hulda im „Donauweibchen“ jpielte und fang 
fie ven Breslauern zu Danf. 

Ihre Ehe mit Smets-Stollmers wurde in Breslau aufgelöft, 
und fie geht 1801 nach Hamburg unter die Direction des berühmten 
Yudwig Schröter. Aber nicht von ihm ſtammt ihr Name, jondern 


Das Burgtheater. 115 


von einem Tenoriften Schröder, welchen fie 1804 heirathete. In 
dieje erfte Hamburger Zeit num fällt ihr Uebergang zum tragifchen 
Face. Bielleicht hat die Scheidung von Smets tiefere Gedanfen 
in ihr geweckt — wenigitens wird jte oft melancholifch genannt um 
jene Zeit —, vielleicht hat Director Schröder fie darauf hingewieſen. 
Auch Kotzebue joll jchon früher behauptet haben, daß ihr Talent am 
jtärfjten in der Tragödie fein werde — kurz, in dem Jahrzehnt von 
1803 bis 1813 entwidelte fie in Hamburg ihre tragiichen Anlagen. 
Ale damals entjtehenden ſchönen Schöpfungen — Schiller 
fchrieb ja von 1799 bis 1805 jedes Jahr eine neue Tragödie — 
brachten ihr wichtige Aufgaben. Als erſte tragifche Rolle, welche 
fie gefpielt, wird die Zimmermeifters-Tochter genannt in „Julius 
von Saſſen“, einem Stücde, das untergegangen ift. Amalie in den 
„Räubern“, Lonife in „Cabale und Liebe“, Beatrice in der „Braut 
von Meffina‘‘, die Jungfrau von Orleans, die Turandot hat fie 
damals in Hamburg gejpielt. 

Sie jtammt alfo wohl im Wejfentlichen aus Ludwig Schröder's 
Schule, denn wir wiffen ja aus dem Meyer'ſchen „Leben Schröder's“, 
iwie aufmerffam dieſer fich feiner Mitgliever angenommen in Unter: 
weifung, Bemerfungen und Winfen. 

1813 verließ fie Hamburg. Sie hatte fich auf ver Scene als 
PBatriotin compromittirt vor den Franzojen, welche unter Davouft 
Hamburg befegt hatten und jo lange befetst hielten, Wunderlich genug 
ſoll dies durch eine ruſſiſche Cocarde gejchehen fein, welche jie in 
einem Koßebue’jchen Gelegenheitsftüde: „Die Ruſſen in Deutfch- 
land‘ auf der Scene getragen hatte, als Tettenborn eben vorüber— 
gehend mit Koſaken nach Hamburg gefommen war. Sie hatte ruſ— 
fiiche Jugend-Erinnerungen, und die Ruſſen waren damals unfere 
Berbündeten gegen die Franzoſen. Davouft wollte fie zwingen, mit 
der franzöfifchen Tricolore aufzutreten, und da iſt fie des Nachts 
entflohen. 

Sie gaftirte eine Zeitlang und ließ jich in Prag nieder. Von 


— 


116 Das Burgtheater. 


da fam fie 1815 zum zweitenmale nach Wien und wurde im Burg- 
theater engagitt. 

Hier fand fie wieder einen wichtigen artiftifchen Führer in 
Schreyvogel, und fand für große Stüde das ſchöne Theater an der 
Wien, welches — wie gejagt — damals unter einer Cavalier— 
Direction mit vem Burgtheater verbunden war. 

Bierzehn Jahre dauerte dies Engagement, und erjt im vierten 
Jahre dejjelben — 1818 — tft jiein das Fach übergetreten, welches 
fie zur großen Schaufpielerin gemacht hat, in das Fach ver Helden» 
mütter. Denn weder als naives Mädchen, noch jelbit als tragifche 
Liebhaberin, jondern als Heldin und Heldenmutter jteht fie obenan 
in ver deutſchen Theatergejchichte. 

Eine äußerliche Beranlaflung hat fie früh zum Uebergange in 
dies Fach getrieben. Sie hatte eine fchwere Krankheit durchge 
macht, und diefe Krankheit hatte ihr Aeuferes ganz verändert. Sie 
war die geworden, was allerdings eine migliche Zugabe war für 
ihren fleinen Körper. So erſchien fie eines Abends in raſch über: 
nommener Stellvertretung der gaſtirenden, und plößlich erfranften 
Frau Stih vor dem überrafhten Wiener Publicum. Es gejchah 
in der Rolle ver Elvira in der „Schuld, und als Hugo von dem 
Gürtel fprach, welchen er ihr um den „ſchlanken Leib“ binden wollte, 
da lachte das Publicum, eine Unart der Wiener, welche manches 
Stück und manchen Künſtler verſtört hat. 

Zweimal hat diefe Unart tief eingewirkt auf die Laufbahn ver 
Schröder. Jetzt dahin, daß ſie die Yiebhaberinnen aufgab. 

Ihr zweiter Gatte Schröver ftarb in demfelben Jahre 1818, 
Elf Jahre blieb fie Wittwe, aber 1829, alfo achtundvierzig Jahre 
alt, heirathete fie, von heftiger Leivenfchaft für den jhönen Mann 
getrieben, den Helvenfpieler Kunft. Schon nah wenigen Wochen 
erfolgte vie Trennung diefer Ehe, und in demſelben Jahre verließ 
fie Wien. 

Sie reifte und gab zwei Jahre lang Gaftrollen. 1831 trat 





Das Burgtheater. 117 


fie in's Münchner Hoftheater. 1833 kam fie zum drittenmale nad) 
Wien, trat im Joſephſtädter Theater auf und dann erſt in der Bing, 
ging aber wieder nach München zurück und fam erjt 1836 zum 
viertenmale wiederum als engagirtes Mitglied des Burgtheaters 
nad Wien, 

Aus diefer leisten Engagementszeit fehlt es nicht an Nachrichten, 
welche jie als mißvergnügt jchildern, als nicht ganz zufrieden mit 
der Theilnahme des Bublicums, und ihren legten Abgang nach einigen 
Sahren motivirt man mit einer peinlichen Scene, Die beinahe 
jechszigjährige fleine Frau habe die Elifabeth in „Maria Stuart“ 
aejpielt und bei Yeicejter’s Rede im zweiten Acte: 


„Ja — wenn ic) jeßt Die Augen auf di) werfe — 
Nie war'ft du, nie zu einem Sieg der Schönheit 
Gerüfteter als eben jetzt —“ 


habe das Publicum wieverum über fie gelacht. Im Innerſten em: 
pört, habe jie da den Entjchluß gefaßt, von dannen zu gehen und 
hiemit von der Bühne abzutveten. 

Ahtundzwanzig Jahre noch hat jie — anfangs in Augsburg, 
dann in München — in ver Stille gelebt. 1859 zum Schillerfejte 
nur ijt fie auf höheren Wunfch noch einmal in München auf der 
Scene erichienen und hat das „Lied von der Glocke“ vorgetragen. 
Bald darauf fam fie auch noch einmal nad Wien und fprach auch 
hier die „Glocke“ und Klopſtock'ſche Oden. Dann blieb fie ganz in 
der Münchner Zurücgezogenheit, unterrichtete mitunter junge 
Schaufpielerinnen und jchrieb, wie man jagt, ihre Memoiren. Sind 
jie gefchrieben, dann erfcheinen fie jet hoffentlich im Drud, 

Was war nun, fragen wir im Hinblid auf dies lange, veiche 
Leben, was war num der Grundcharafter ihrer Kunſt und wodurch 
ift fie für ung die große Schaufpielerin geworden ? 

Ihr Grundcharafter war ſchwerer Ernſt, und durch den Vor— 
trag in erfter Linie ift fie die große Schaufpielerin geworden, 


118 Das Burgtheater. 


Ihr Organ war fonor, ihr Accent vein, ihre Eintheilung der 
Rede meijterhaft. Sie jtammte aus der guten Zeit, welche ge- 
ſpannten Sinnes eine neue Literatur aufnahın, welche jedes ſchöne 
Wort begrüßte, welche die Bedeutung eines jeden Wortes genau 
würdigte. Cine folche Zeit jpricht in ihrer Redekunſt jo klar als 
möglich, jte jucht für jede Wendung des Sates den entſprechenden 
Ton. Sie jtammte ferner aus einer Zeit, welche neben der ideal auf- 
fliegenden Literatur doch in der Schaufpielfchule von Schröder und 
Iffland einen realen technischen Boden hatte. Diefen Boden durf- 
ten damalige Schaufpieler nicht Leicht verlaffen in unverjtandener 
Ueberjchwenglichfeit. Leute wie Schröver und Iffland verlangten 
auch für die Ueberichwenglichfeit Erklärung, Motivirung und jtufen- 
weifen Gang. 

Aus diefen Einflüffen ift Sophie Schröder in ihrem Schau— 
ipiel- Charakter hervorgegangen. Dieſer Charafter war nicht jo 
blos ideal, wie jett oft behauptet wird; er ruhte auf einer ſehr 
realen technischen Grundlage; er holte fich gar manche Begründung 
oder Ausſchmückung vom realen Felde. 

Die nächite Frage ift: War fie nur declamirend, oder war fie 
zu jehr veclamirend, wie ihr neuerdings nachgejagt wird ? 

Die letzte Frage wird fein: Hatte fie Leidenschaft genug? Ent- 
widelte fie Schönheit genug? 

Ich erinnere mich ihrer Slabella ganz deutlich, und ich muß 
jagen: Ihre Declamation drängte fich nicht vor, löſte ſich nicht ab 
vom dramatifchen Charakter, Sie fprach Schön, fie ſprach, — man 
empfand es wohl — mitdem Bewußtfein, daß die Art des Sprechens 
eine Hauptjache wäre, aber jie hielt die Verbindung mit dem dra— 
matifchen Gedanken und Gange unzweifelhaft fejt, ſie ſprach drama— 
tiſch Schön. 

Die große Nede im erften Acte der „Braut von Meſſina“ 
hätte vielleicht noch mannigfaltiger fein fünnen; es blieb vielleicht 
zu wünfchen übrig, daß noch ein ftarfer Puls geiltiger Yebhaftigfeit 


a En 0 V 


Das Burgtheater. 119 


bervorträte — aber diefe Wünſche entjtanden wohl nır, weil man 
einer jolhen Künftlerin gegenüber alle erfinnlichen Anforderungen 
jtellt. Im letsten Acte, bei dem Schrei: „Es ift mein Sohn! 
vergaß man all’ diefe Fragenden Berlangnifje. Diejer Schrei, aller- 
dings rhetoriſch vorbereitet, war nicht blos rhetoriſch, er enthüllte 
die ganze Macht des dramatischen Momentes. 


Ih ging aus dem Theater mit dem zweifelfreien Gedanfen, 
eine claſſiſche Darftellerin ver Sfabella gejehen zu haben. Nur an— 
fangs hatte ich bedauert, daß ihr nicht eine jtattlichere äußere Er— 
jheinung verliehen war. Das Bedauern war indejjen nicht leb— 
haft gewejen und wurde bald völlig vergeffen. 


Hatte fie Leivenfchaft genug? Die Darjtellung der Sfabella 
giebt wohl Anhalt zur Beantwortung diefer Frage, aber doch nur 
Anhalt. Mit diefem Anhalt würde ich mir zu jagen getrauen: Ja, 
fie hatte Leivdenfchaft genug. Ihre perfünliche Befanntichaft giebt 
mir weitere Anhaltspunkte mehrfacher Art. Sie war eine tief ernſt— 
bafte, jtrenge Natur und hat mich in ihren Aeuferungen wohl an 
puritanifche Yeivdenjchaften aus Cromwells Nähe erinnert. Nicht 
an die Yeidenfchaft des Südens, wohl aber an vie fchonungslos 
leivenjchaftlihen Ausbrüche der Nordlandsreden. Das beliebte 
Schlagwort älterer Yeute heißt „dämoniſch“, wenn jie won diejen 
Schröder'ſchen Ausbrüchen ſprechen. Ich glaube, jie haben nicht 
ganz Unrecht, aber auch faum ganz Recht. Wir fuchen im „Dämo— 
nischen‘ ein gutes Theil wilder Phantafie, weltſtürmenden, völlig 
unabhängigen Gevdanfens. Den gerade hab’ ich nie wahrgenommen 
in ihr; ich habe fie nie gedanfenreich, nie ungeſtüm und vreift in 
der Gevdanfenwelt gefunden. Ihre Kraft war die eines jtarfen Wil- 
lens, mächtiger, unnahbarer Entjehlüffe. In diefem Bereiche wer: 
den fich auch ihre ſtärkſten Rollen finden, und man jpricht gewiß mit 
Fug und Recht von ihrer außerordentlichen Yady Macbeth. 

Eine rationell erwachjende Leidenſchaft beſaß fie gewiß in 


120 Das Burgtheater. 


jtarfem Grade. Desgleichen die Leidenichaft eines herben, ja har— 
ten Naturells. Schwerlich die einer warmen Gluth. 

Und nun endlich: Beſaß fie Schönheit genug? Man wird 
die Frage nicht mißverjtehen und an die blos äußerliche Schönheit 
der Erſcheinung denken. Dieje beſaß fie befanntlich nicht. Sie 
war flein und mehr robuſt als ſchön gebaut. Auch im Antlit waren 
itarfe Knochen und eine furze Naje dem fchönen Eindrucke nicht 
förderlid. Das Alles hindert nicht, im Ganzen und namentlich in 
der Bewegung des Körpers äfthetifch ſchön zu wirken. Das ver- 
mochte fie. Sie hatte eine jo lange, jo mannigfache und jo zzünd⸗ 
liche Schule durchgemacht, daß ihr volles Ebenmaß der Haltung und 
des körperlichen Ausdrucks ganz und gar zu eigen war. Alle Schil— 
derungen ihrer antiken Rollen ſtimmen darin überein, und ihre 
Iſabella hat es mir in allen Richtungen beſtätigt. König Ludwig J. 
von Bayern hat zu ihr geſagt: Schröder, Ihre Grazie liegt in Ihrem 
clafftisch Schönen Oberarme! 

Was die Schönheit in mehr äußerlicher Bedeutung betrifft, in 
der Bedeutung, dar die bloße Erfcheinung gewinnend und liebens- 
würdig jei, darüber ift fie jelbjt beizeiten ſtreng gegen fich gewejen 
im eigenen Zutrauen. Das alte Soufflivbuch des „Goldenen 
Vließes“ in ver Abtheilung „Die Argonauten“ hat mir darüber 
einen merfwürdigen Auffchluß gegeben. In dieſen „Argonauten“ 
ijt vielfach von dem, wenn auch wilden, Mädchenreize ver Medea 
die Rede in den Yiebesjcenen mit Jaſon. Mit Schreden jah ich, 
daß all’ das geftrichen war. Was auf Medea's Viebreiz nur ivgend- 
wie hindeutete, war ausgelöfcht. Das hatte Sophie Schröder nicht 
paſſend erachtet für fich. Es blieb num freilich unflar auf Koſten 
der Dichtung, woher denn wohl die Neigung Jaſon's jtammte; 
aber die Darftellerin der Medea war num gefichert, daß man ihr 
Nichts von einer Piebhaberin zutrauen durfte. Ich habe deshalb 
gewiß auch in ihrem Sinne gejagt, daß ihre volle und reine Größe 
erit begann, als fie zum Fache ver Heldin und Heldenmutter über- 


Das Burgtheater. 121 


ging. Hier fonnte ſich von ihrem durchwegs ftrengen Naturell Alles 
vollftändig geltend machen, hier fonnte die jeltene große Schau— 
jpielerin entitehen. 

Das ift fie gewejen. Das ergiebt fich für mich ſchon aus den 
geringen Erfahrungen, welche ich perjünlich von ihrer Daritellung 
gewonnen habe. DasWejen einer Heroine erfchten in ihr echt und 
natürlih und hoch erhoben durch ihre Diwjtellungsfunit. Cine 
Anzahl ihrer jtrengen Rollen wird in unſerer Theatergejchichte 
immer Schröverifch genannt werden, und Schröderifch wird fo viel 
bedeuten als claſſiſch. 

In ihrem eigentlichen Fache jteht fie unerreicht und einzig da, 
ein Borbild für die deutſche Schaufpielerwelt. 

1868 ijt fie in München geftorben. 

Merkwürdig genug finde ich in den Caſſenausweiſen des Burg- 
theaters, daß der Beſuch des Publicums bei diefen ihren bejten 
Leiftungen, wie Sappho und Medea, fehr ſchwach gewejen iſt. Die 
Cafjenbücher zeigen won ſolchen Abenden die geringfügigiten Ein— 
nahmen, Einnahmen, wie jie in den fünfziger und ſechsziger Jahren 
nur bei durchgefallenen Stüden, oder in den heißen Sommer: 
monaten vorfommen. — Dan jagt, dies habe in der mangelhaften 
Bildung des Publicums gelegen, welches für ſchwer tragiiche Stüde 
nicht veif gewejen. 

Allerdings war es mir noch im Jahre 1851 vorbehalten, den 
alten Lear im fünften Acte zu tödten, Dem Gejchmade des Publi— 
cums zu Gefallen war er bis dahin am Yeben geblieben. Der alte 
Herr mußte es möglich machen, nad ſolchen Erfahrungen und Er— 
Ichütterungen weiter zu exiftiven, und Ludwig Tief warnte mich 
lächelnd vor dem vermejjenen Unternehmen, dieſen fogenannten 
„Wiener Schluß‘ in ven Shakeſpeare'ſchen zu verwandeln. 

Aber nicht blos die mangelhafte Bildung, ein Ergebniß ver 
ſchlechten Schulen, welche das alte Syſtem zupafjend fand, lag und 
liegt in Wien der Tragödie im Wege, Die fanguinifche, ich möchte 


122 Das Burgtheater. 


jagen die optimiſtiſche Beichaffenheit des öſterreichiſchen Naturells 
entjchließt fich ungern und jchwer zu tragiicher Betrachtung. Der 
Begriff einer ‚Unterhaltung‘ iſt in Defterreich zu allgemein gleich- 
bedeutend mit dem Begriffe ‚Theater‘, als daß die zum Extrem 
jchreitende Aufgabe im Denken und Fühlen dem Publicum genehm 
werden könnte. Man liebt es nicht, die Dinge tief ernjthaft anzu- 
fajjen, und die Regierungsweiſe hat die ohnehin herrfchende Ab— 
neigung dadurch beſtärkt, daß fie gründliche Prüfung aller Höheren 
Fragen fo lange ferngehalten hat von ver Bevölkerung. 

Vebrigens lag und liegt wohl auch ein gutes Korn Ajthetiicher 
Wahrheit darunter, daß man von der Kumft befriedigende Eindrücke 
verlangt. Unveife Tragödien erregen ja wirklich nur peinliche 
Empfindungen, und es gehört eine durch religisfe und moralifche 
Fragen tiefer aufgeaderte Bevölferung dazu, um das Tragijche vom 
Traurigen zu unterfcheiven. Dieje Aufaderung tritt erft feit einigen 
Sahrzehnten an die Defterreicher heran, und fie hat auch wirklich 
ſchon einen fichtbaren Wechfel hervorgebracht, jo weit er bei der— 
jelben Generation mit dem Naturell vereinbar ift. 

Aber auch nach langer Erfahrung und nah dem Wechjel einer 
ganzen Generation werden die Defterreicher immer noch das beite 
Publicum für das Lujtipiel bilden, und das Sentimentale wird 
ihnen noch lange lieber fein, als das Tragifche. Für das Luſtſpiel 
übertreffen fie an Empfänglichfeit und vafcher Auffaſſung alle deut— 
ſchen Stämme. 

Bon diejen Neigungen ift Sophie Schröver in Wien ficherlich 
bis auf einen gewilfen Grad betroffen worden. 

Trotz Allevem fteht Sophie Schröder im ftolzeften Andenten 
der Wiener. Obwohl fie mehrmals von dannen gegangen, obwohl 
fie die Divection ohne Fug mit dem Rüden angefehen, hat auch die 
Direction diefem ftolzen Andenken ſtandhaft Nechnung getragen, 
und hat ihr bis zu ihrem Tode eine Penſion gezahlt, welche fie 
durch ihr Weggehen juridiſch in Frage geftellt hatte. 


Das Burgtheater. 123 


Sie war Übrigens im praftifhen Sinne für die Direction 
feineswegs jo ausgiebig, wie man venft. Ihr Nollenfreis war 
ſtreng, ſogar eng begrenzt, und fie hatte ſelbſt in diefem engen Kreife 
eine Schwäche, welche nicht zu überwinden war. Diefe Schwäche 
lag eben darin, daß fie auch in ihrer Jugend feine Yiebhaberin 
geweſen. 


Sappho war eine ihrer gefeiertſten Leiſtungen, und doch haben 
wir 1866 erfahren, daß ihr ein Hauptelement dafür fehlte. 1866 
Ipielte Fräulein Wolter diefe Rolle. Der ganze große Apparat 
correcter Declamation, über welchen Sophie Schröder verfügte, ihr 
Bortrag reichte gar oft nicht hinan an die Kraft, Feitigfeit und 
Klarheit jener Künjtlerin, — und dennoch war der Eindruck der 
Rolle und durch die Rolle der Eindruck des ganzen Stüdes viel 
Ihöner als damals. Das Blut der Liebe pulfirte in Frin. Wolter 
viel jtärfer, und dadurch wurden Rolle und Stüd wärmer und 
ſchöner. Kine gewiffe Berechtigung zum Geliebtwerden muß in 
Sappho vorhanden, die Darftellerin der Sappho muß eine gewejene 
Liebhaberin fein, um der Seele des Stüdes gerecht zu werden. 


Am deutlichiten kam dies in den zwanziger Jahren zu Tage. 
Da erſchien plößlich in Sophie Müller ein ausgezeichnetes tragifches 
Talent neben ihr auf dem Burgtheater und Ipielte in Raupach's 
„Nibelungenhort“ neben der Brunhild der Frau Schröder die 
Chriemsilz. Sophie neben Sophie! Und die leidenfchaftlichen, 
in's Heroinenfach hineinragenden Scenen der Chriemhild übertrafen 
an intenfiver Wirkung die Scenen der Brunhild, weil eben Sophie 
Müller ihre Accente aus wärmerem Herzen heraufholte. 


Leider führte diefer Steg auch zu fchnellem, ſchmerzlichem Ver— 
luſte, er führte zum Tode der jüngeren Sophie. Sie jchonte fich zu 
wenig nach jolch aufregender tolle, fie jpielte bei offenen Fenſtern 
tief in die Nacht hinein Clavier, nachdem jie Abends eine Chriem: 
bild mit aller Hingebung dargeftellt, fie erfältete fih dadurch, wurde 


124 Das Burgtheater. 


heijer, ſpielte weiter mit jolcher Heijerfeit, verfiel im ſchwere Krank— 
beit und büfte mit dem Tode. 

Ein Schwerer Verluſt für die deutfhe Bühne. Ganz Wien ift 
darüber einftimmig, daß ſie ein außerorventliches tragifches Talent 
gewejen. Sie jtammte aus Mannheim, war eine jtattliche Er— 
iheinung, bejaß ein wundervolles Organ und war voll poetifchen 
Eifers für ihre Kunjt. 1822 fam jie nach Wien, 1829 erfranfte fie, 
1830 war fie todt — ein Stern, welcher nur einige Jahre hindurch 
leuchten jollte. 

Korn fpielte in den zwanziger Jahren den Partner der tra- 
giichen Heroine Sophie Schröder. Zum Eritaunen der Wiener, 
welche ihren Korn hoch verehren, ja zum Erjchreden der Wiener 
muß ich jagen, daß dies fein günjtiges Zeichen tft für das Enjemble 
jener Zeit, Korn war ein vortrefflicher Schaufpieler für Luſt- und 
Schaujpiel, aber er war unzulänglich für die Tragödie. Ein 
jtets angefvänfeltes Organ, Mangel an Schwung und innerer Be: 
geijterung, und eine feine, vefervirte, moderne Haltung ſchloſſen ihn 
eigentlich aus von tragijchen Rollen. Es war ein wunderlich lah— 
mendes Gejpann, Frau Schröder und Herr Korn als Medea und 
Jaſon; denn Letzterer hatte feine Ader von einem Heroen der Vorzeit. 

Dagegen war eben jene feine, vejervirte, moderne Haltung 
jeine trefflichite Eigenfchaft fir Schau- und Luftipiel. Das Ver: 
meiden von Unfchieflichfeiten und das weite Bereich der empfehlenden 
Negative, furz Alles, was zum gejelligen Tacte gehört, war ihm won 
Natur eigen, Ein elegantes Aeußere dazu, eine interejjante Phy— 
jiognomie und ein gejchmacvolles Verſtändniß für alle Details ſce— 
nischer Wirkung machten ihn zum angenehmjten Typus einer Frad- 
figur. Er wußte vortvefflich zu jchweigen und blos anzudeuten, jo 
vortrefflich wie eine Schöne zu reizen weiß, indem jie ihre Reize 
halb verjteeft und nur in fchüchternem Maße enthüllt. 

Wenn man den eigentlichen Inhalt feines Wejens bloßlegen 
wollte, da wirde man erjtaunen über die Geringfügigfeit dejjelben 


Das Burgtheater. 125 


an Wiſſen, Geift und Gemüth. Aber wie fi) Eines zum Anderen 
verhielt, das machte ihn anziehen. 

Die ganze Macht ver bejtechenden Form war ihm zugetheilt 
und hielt ihn vierzig Jahre lang in der verdienten Gunft des Pur 
blicums. Ordentlich, fleißig, forafältig und immer diplomatijch 
war er außerdem ein anmuthiger Staatsmann des Theaters, wie 
es kaum einen zweiten gegeben. Geſchmack war die Summe feines 
Weſens, Borficht und Behutjamfeit die Yeiterin all’ jeiner Schritte, 
„le semblant“ — unjer Wort „Schein“ ift zu grob — das Ziel 
all’ feiner Bejtrebungen. 

Seydelmann erinnerte an einen Diplomaten, mit dem man 
fih in Acht nehmen mußte, Korn an einen Diplomaten, der einen 
barmanten Eindruck machte. So angenehm, fo verbindlich, jo 
bequem! 

Er hatte denn auch eine große Anzahl von Rollen, welche er 
unübertrefflich jpielte, namentlich Cavaliere von reinjtem Waſſer, und 
er war natürlich auch ein Yiebling der Cavaliere, welche im Burg: 
theater von jeher das entjcheivdende Wort abgegeben. 

Sehr verfchieden war von ihm Cojtenoble, ein demokratiſches 
Naturell. Trocken, faſt mürriſch, aber von pofitiver Komik in Luſt— 
ipielcharafteren, von unerwarteter, aber eben jo pofitiver Rührung 
in ernjteren gemüthlichen Aufgaben. Nirgend Uebertreibung, nirgend 
Slitter, ein Klofterbruder im „Nathan“, ver nicht zu übertreffen ift. 

Bon Anſchütz, Löwe, Wilhelmi, Fichtner fei die Charafteriftif 
binausgefchoben auf die Zeit, welche ihre Talente voll entwidelte, 

Mit ſolchen Darftellungsmitteln und forgiamer Leitung hatte 
Schreyvogel das Burgtheater auf einen ungemeinen Höhepunkt 
gebracht zu Anfang des Jahres 1832. 

Es war damals, troß der tiefgreifenden Cenſurhinderniſſe, das 
bejte deutſche Theater. 

Die Meinung vieler Wiener, daß es dies immer gewejen, ift 
ein Irrthum. Vor Schreyvogel war das Berliner Theater unter 


126 Das Burgtheater. 


Iffland nicht nur wichtiger durch den Inhalt feines Nepertoires, 
jondern auch beifer, und bis in die zwanziger Jahre hinein erhielt 
Graf Brühl dem Berliner Hoftheater den erjten Rang durch ſtyl— 
volle, freigebige Bemühung für das große Schaufpiel. Aber in 
Berlin ging man in den zwanziger Jahren zurück, und in Wien 
ging man vorwärts unter Schreyvogel. Und diefer Mann wurde 
1832 durch den damaligen Oberftfämmerer Grafen-Gzernin plöglich 
und ſchnöde befeitigt. 

Schreyvogel war ernft, furz, zuweilen fchroff. Er lebte und 
webte ganz in feiner Aufgabe, Nur während des Ferienmonats in 
Baden ruhte er aus vom Theater, und dort jchrieb er alljährlich 
eine Novelle für das Tafchenbuch Aalaja. Das Geveihen feines 
Inſtituts befchäftigte ihn ſonſt früh und ſpät, und der Gewinn eines 
jo zahlreichen Perſonals war das Ergebniß feiner vaftlofen Be— 
mühung. Unnüße Störungen, zwedwidrige Befehle von Seiten der 
oberiten Divection machten ihn ungeduldig und entrijfen ihm mit- 
unter herbe Neußerungen. Die Schauspieler aber find nie alle zu— 
frieden mit ihrem Director, und find in dev Unzufriedenheit und 
Klatichfucht immer geneigt, ſolche Aeuferungen weiter zu tragen. 
Namentlich jagte man dies damals jungen Yiebhaberinnen nad, 
welche beim oberiten Chef gern gehört wınden. So famen denn 
jolche Aengerungen zum Grafen Gzernin. Ihm war der ernithafte 
Schreyvogel mit feiner Yogif bei theatralifchen Streitfragen ſchon 
lange unbequem, und er war von jeinen Herrichaften gewohnt, mit 
einem unbequemen Beamten furzen Brocek zu machen. Es fam ihm 
nicht in den Sinn, daß ein gewöhnlicher Herrichaftsbeamter weniger 
bedeute, als der erprobte Leiter eines Runftinftitutes, und daß beide 
nicht mit gleicher Elle zu meſſen feien. Cr maß mit gleicher Elle, 
und jagte Schreyvogel fort, wie er einen feiner Beamten fortzujagen 
pflegte. Schreyvogel erhielt plößlich, aller Welt unerwartet, feinen 
Abſchied, und wurde jo roh behandelt, daß man ihm unterfagte, den 
vergeffenen Regenſchirm aus dem Burgtheater zu holen, Er jollte 


JM ——— 





Das Burgtheater. 127 


es nicht mehr betreten, und man rief ihm zu: „Der Regenſchirm 
wird Ihnen gejchiett werden‘. Sp war er hinausgemwiejen, ver 
Schöpfer des damaligen erften deutichen Theaters, aus den Räumen 
diefer Schöpfung. Der Aerger verzehrte ihn mit glühender Flamme, 
und warf ihn der harrenden Cholera in die Arme. Zwei Monate 
nach feinem Austritte war er todt. 

Graf Czernin hat daber Nichts weiter beabfichtigt, als einer 
Cavalierslaune zu dienen. Die Befeitigung Schreyvogel’8 war ihm 
eine Bagatelle, und um darüber feinen Zweifel auffommen zu laffen, 
übergab er die Direction — Herrn Deinharpitein. 


IX. 


Nur der bovdenlos dreifte Yeichtfinn eines Cavalters fonnte 
lolchergeftalt einen Schreyvogel bejeitigen und einen Deinharpftein 
für ihn einjeßen, 

Ein hochwichtiges Kunftinftitut von unermeßlicher Bedeutung 
für Stadt und Neid wurde ohne Noth dem Zufalle, ja der offen- 
baren Lüderlichkeit preisgegeben. 

Deinhardftein entiprach dieſem Acte vollftändig. Er war felbit 
der bodenloſe Yeichtjinn. Ein bebaglicher Kumpan voller Schnurren 
und Späße, ohne genügende Bildung und ohne irgend einen inneren 
Halt. Es it gar charafteriftiich für jene Zeit, daß diefer Mann bei 
den damaligen Wiener Jahrbüchern, einer wiſſenſchaftlichen Zeit- 
ſchrift, eine Rolle ſpielen konnte. Als Illuſtration für diefe Sorte 
wifjenjchaftlicher Bildung will ich nur zwei Punkte erwähnen: „Benz 
venuto Gellini”, ein Stüd von Deinhardftein, wurde eingereicht. Es 
war von völliger Abgefhmacdtheit und die Behandlung des Künjtlers 
und der Kunjtinterejfen war des Themas ganz unwürdig. Dies 
mein’ ich indeſſen nicht als erjten Punkt. Auch ein tüchtiger Mann 
Itrauchelt zuweilen und fchreibt ein ungefchietes Stüd. Aber dies 
Stück ſpielte unter Franz I. in Franfreich und zwar vorzugsweife 
in ver königlichen Nefivenz von — Berfailles! Man braucht nicht 
zu wilfen, daß ein Fleines Jagdhaus im Walde von Verjailles für 
König Franz I. nicht die Rolle von Fontainebleau oder Chambord 
übernehmen fann, aberwenn man franzöfifche Gefchichte dramatifirt, 





Das Burgtheater. 129 


jo muß man doch Kenntniß davon nehmen, daß Verſailles als Luft: 
ſchloß und königliche Reſidenz erſt mehr denn hundert Jahre jpäter 
von Ludwig XIV. gebaut und zur Reſidenz erwählt wurde. Oper 
wenn auch das zu viel verlangt iſt, fo muß ein noch fo Leichter Autor 
doch den Irrthum, wenn er darauf aufmerffam gemacht wird, als 
einen Irrthum anerfennen, Ich machte Deinharditein darauf auf- 
merkſam, und — wurde ausgelacht. Der zweite Bunft liegt in der 
Ueberfeßung franzöſiſcher Stüde, welche er unter dem Namen eines 
Dr. Römer im Burgtheater aufführen lief. Die Franzofen hatten 
zwijchen 1830 und 1840 eine ſehr fruchtbare dramatische Production, 
und manche Stüde aus jener Zeit, zum Beifpiel die „Cameraderie“ 
(„Gönnerfchaften”) und das „Fräulein von Belle Isle” („Leichtſinn 
und feine Folgen‘ geijtreich betitelt) jind auf unſerem Repertoire 
verblieben. Dieje beiven Stüde nahm ih in ven fünfziger Jahren 
"wieder auf und ich vevidirte zu diefem Zwecke die Soufflivbücher. 
Mein Erichreden bei diejer Reviſion weiß ich faum zu fehilvern. 
Solch eine Unkenntniß der fremden Sprache jelbjt in der einfachiten 
Rede, ſolch eine Verballhornung des Sinnes, folch ein falopper 
und unrichtiger deutſcher Ausdruck — das Soufflivbuch eines Markt— 
flecfentheaters, welches jeine Manuferipte in einer Vorftellung ver 
nahen Stadt heimlich und flüchtig nachjchreiben läßt, kann nicht 
ärger jein. Und dies war das Soufflivbuch des Burgtheaters, und 
ver Berfaffer war der Director des Burgtheaters gewefen, eingejett 
vom Grafen Ezernin fin den abgejetten Schreyvogel! — Die Cen- 
ſur galt im jenen Zeiten als Entſchuldigung für Alles, auch für 
Spracfehler und ſinnloſe Nerven. Weil fie gräuliche Umänderungen 
nöthig machte, wurde dem Bearbeiter die ärgſte Schülerarbeit nach- 
geſehen. 

Vom perſönlichen Gebahren dieſes Schreyvogel'ſchen Nach— 
folgers nicht zu reden. Die ganze Aufgabe der Direction war ihm 
ein Schwank. Wenn er am Vogelherde geſtört wurde, weil man in 


Wien nicht wußte, was man ſpielen ſollte, da rief er mit gedämpfter 
Laube, Burgtheater. 9 


130 Das Burgtheater. 


Stimme: Wartet! Beunruhigt meine Nete nicht! Ungefähr wie 
Archimedes in Syrafus, als die Römer bei ihm eindrangen und ihn 
im Studium der Zeritörungswerfe gegen die Römer ftörten. Wenn 
er weinfelig und lärmend Abends in’s Theater fam zu feinem Sperr- 
jie, da wurde er wie oft! vom Publicum zur Ruhe verwieſen. 

Diejen Nachfolger gab Graf Gzernin dem würdigen Schrey— 
vogel. 

Es iſt lehrreich, an dieſem Deifpiel zu jehen, was ein Director 
bedeutet. Alle möglichen Hülfsmittel famen Deinhardftein ohne jein 
Zuthun in's Haus: er fand ein ausgezeichnetes Perfonal und zu den 
vorhandenen ſchönen Kräften waren eben neue wie Frln. Caroline 
Müller, Frin. Bee, Frl. Gley (Die jpätere Rettich) gefommen, 
famen neue wie Karl Laroche; es entiwidelten fich während feiner 
Direction heimathliche Talente wie Bauernfeld und Friedrich Halm. 


Legterer brachte ihm ein Zugſtück wie „Griſeldis“. Bauernfeld, der ' 


mit dem leichten „Leichtſinn aus Liebe“ ſchon unter Schreyvogel das 
Publicum gewonnen, gabihm Stüd auf Stüd, darımter feine beiten. 

Die Franzofen waren, wie gefagt, in voller Verve, und die Wiener 
Sefeltfchaft kam auch dem nichtigiten franzöſiſchen Kram mit größter 
Theilnahme entgegen — und dennoch ging das Theater abwärts 
und verlor feinen Ruf. 

Die bejte Armee unter günſtigſten VBerhältnifien wird eben 
Nichts ausrichten, und wird fich erfolglos aufreiben, wenn ihr der 
Feldherr fehlt. 

Man lieg die Mafchine arbeiten, wie es dem Tage gefiel und 
wie es den Herren Negifjenren bequem war. Irgend ein Princip, 
irgend ein leitender Gevdanfe war nicht vorhanden. Unterhaltung ! 
war das Hauptwort. Koch, Cajtelli, Kurländer, Caroline Müller, 
die Schauspielerin, Dr. Römer und ſonſt noch Berufene arbeiteten 
um die Wette an franzöfiichen Ueberfegungen, Einer immer jchlechter 
als der Andere. 

Ih war in den erjten Jahren ver Deinharditein’schen Direction 


Das Burgtheater. 131 


einmal in Wien und habe diefem nichtigen Treiben im Burgtheater 
einige Wochen zugeſehen. Hr. v. Kurländer zeigte mir feinen Fleinen 
Salon mit Möbeln aus weißem Holze, und erzählte mir glüdfelig, 
wie bier die Creme der hohen Gefellichaft die charmanten franzdfi- 
ſchen Stückchen anhöre, welche dann von Karoline Müller, Korn, 
Fichtner, Herzfeld jo barmant gejpielt würden in der Burg. Und 
als ich ihm bemerkte, ich hätte ven Tag vorher eines gejehen und 
hätte gefunden, daß es in beſſeres Deutich überſetzt werden fünnte, 
da drohte er gutmüthig mit vem Finger und vief: Ach, ihr ſeid eben 
Puriften und Pedanten, ihr da draußen. Hier find wir natürlicher. 

Was hätte mit diefem reichen Berfonal bewirft werden fünnen ! 
In Caroline Müller war eine Salondame comme il faut gewonnen 
worden, eine Frau von Verftand und Esprit; in Frin. Peche eine 
reizende jentimentale Yiebhaberin, Freilich mit böhmifchem Accente; 
doch dafür war man damals nicht empfindlich, und ven Mangel an 
geiftigen Mitteln überſieht man bei talentvoller Jugend. In Yaroche 
erichien ein jüngerer Rival Gojtenoble’s, in Frin. Gley eine Schau— 
Ipielerin von Geift und Bildung. Dazu neben Banernfeld und 
Halm Grillparzer mit neuen Schöpfungen, Zedlit, der ſich der 
Bühne zumwendete, eine einheimifche Production mannigfaltiafter 
Art — 

Haft alle Theile in der Sand, 
Fehlt leider nur das geistige Band ! 

Das war durchichnitten vom Grafen Gzernin. 

Bauernfeld entwicelte in vieler Zeit feine erjtaunliche Frucht— 
barfeit. „Das fette Abenteuer‘, „Das Yiebesprotocoll”, „Helene“, 
„Bekenntniſſe“, „Bürgerlich und Romantifch‘‘, „Das Tagebuch“, 
„Der Vater“ famen Jahr um Jahr und waren berechnet für die 
zahlreichen Talente des vorhandenen Perſonals. Man bat diefer 
Fruchtbarkeit nachgefaat, daR fie ſich immer in demjelben engen 
Kreiſe des actuellen Lebens und immer mit denfelben Mitteln und 
Wendungen bewere. Aber ijt Dies ein jchwer wiegender Vorwurf 


Ja 


132 Das Burgtheater. 


für den Lujtipielvichter? Die Gegenwart und ihre Eigenfchaften 
find ja das Feld, welches ihm zujtebt, und er erfüllt feinen Beruf, 
wenn er gerade dies — wenn auch enge — Feld wirkſam bebaut. 
Bauernfeld hat jogar mehr als ihm gut war Neigung entwidelt, 
aus der Gegenwart herauszuipringen und namentlih Stoffe und 
Situationen aus der Älteren deutjchen Geſchichte — „Mufifus von 
Augsburg‘, „Sickingen“, „Bauernkrieg“ — zu behandeln. Damit 
bat er nie ein Gelingen erreicht; er ijt ein durchaus moderner 
Schriftjteller. Selbſt fein in den vierziger Jahren erſcheinender 
verlegt bat, ilt er nicht eine bloße Verkleidung der gegenwärtigen 
Tendenzen? Hat er nicht lediglich dadurch in Wien großen Erfolg 
gehabt? Und ijt er nicht darum jetzt ſchon zu den Vätern verſam— 
melt, weil altes Zeitcoftim und neues Gedanfenwejen auf die Yänge 
immer unharmoniſch erſcheinen? Das einfache Tagesluſtſpiel, 
Bauernfeld's Facharbeit, bejteht, fo lange der Tag nicht gründlich 
wechfelt in einer neuen Epoche. Damit muß und kann ein Luſtſpiel— 
dichter zufrieden fein. Und wir müffen und fünnen mit dem Yuft- 
ipieldichter zufrieden fein, wenn auch der Kreis feiner Mittel und 
Wendungen ein enger ilt, jo lange er in diefem Kreife mehrfach in’s 
Schwarze trifft. Und das kann man Bauernfeld nicht abſprechen. 
Er brachte jedenfalls einen Dialog, wie er jeit Kogebue auf 
der deutſchen Bühne gefehlt hatte. Ich weiß, daß die nachiprechende 
deutſche Kritik fich befreuzigt bei jolchem Lobe Kotzebue's; aber ich 
weiß auch, daß diefe Bekrenzigung aus Unfenntniß jtammt. Weil 
vom höheren Standpunfte eine Oppofition gegen den leichtfertigen 
Kotebue mit gutem Fug angefchlagen wurde, hat die Nachfolge nicht 
das Recht, die Oppofition auch auf das zu erjtreden, was mit jeinen 
Fehlern Nichts gemein hatte. Ich fand noch zahlreiche Kotzebue'ſche 
Stüde auf dem Repertoire des Burgtbeaters. Durch kritiſche Er— 
ziehung gegen fie eingenommen, ließ ich die Mehrzahl fallen. Und 
ich glaube mit Recht, weil fie im Stoffe veraltet, in ver Motivirung 





Das Burgtheater. 153 


lüderlich waren. Aber eine quaſi hiſtoriſche Charafteriftif, wie die 
„Beiden Klingsberge”, ließ ich beftehen, da auch das Publicum fie 
bejtehen ließ, und in allen Kotzebue'ſchen Stüden, auch in denen, 
die ich verwerfen mußte, überrafchte mich eine ſchlagende Lebendig— 
feit des Dialogs. 

Eine ganz ähnliche Ader pulfirt in den Bauernfeld'ſchen Stüden. 
Bauernfeld's Dialog ift beichränfter in feinem Kreife, er iſt deshalb 
oft nur gewandelt innerhalb verjelben geiftigen Wendung und wird 
deshalb von Manchem manierirt gefcholten; aber zum Erſatz dafür 
iſt er auch oft gehaltooller als ver Kotzebue'ſche. Er erwächſt bei 
Bauernfeld aus beftimmter Gefinnung und hat alſo zur Unterlage 
eine bejtimmte Grundanſchauung aller öffentlichen und aller höheren 
Dinge. Das giebt ihm einen beſtimmten Halt, alſo gerade das, was 
Kogebue fehlte. 

Für Wien und Wiens Haupttheater war ein jolcher, noch 
dazu einheimifcher Yuftipieldichter unfchätbar. Auf feinem deut— 
ſchen Theater ift der Dialog jo wichtig, als in Wien, eben weil 
das öſterreichiſche Publicum ein Yuftipielpublicum ift und ungemein 
rajch das Eolorit und den bewegten Hauch eines Stückes aufzufafjen 
pflegt. Dies Publicum wurde jtets belebt durch Bauernfelv’s Stüde, 
und dieje Belebung fam und fommt dem Theater immer zu ftatten. 
Gleichgültigkeit ift ja das Schlimmifte, was einem öffentlichen In— 
jtitute begegnen kann; fie allein tödtet jede Kunft. Niemand mehr 
als Bauernfeld hat das Burgtheater vor der tödtlichen Gleichgül- 
tigfeit bewahrt. 

Es ift wahr, ver Inhalt und Gang feiner Stüce hat oft etwas 
Wunderliches, er iſt oft unfaßbar wie ein Aal, nach welchem die 
Hände greifen. Es fehlt feiter Gang nach einem Ziel; die Dinge 
trödeln nicht felten nach allen Seiten, und die Abfichten, welche ein 
Stück gezeigt, verivren ſich wohl zu Abfonderlichfeiten. Wie jchade! 
— ruft man — warum nicht anders?! Aber geiftig bejchäftigt ift 
man doch, und bei längerer Betrachtung dieſes Autors fommt man 


134 Das Burgtheater. 


zu dem Ergebniß: das fteht nicht zu ändern; denn es liegt im eigent- 
lihen Weſen Bauernfelv’s. 
Die innerlihe Befchaffenheit jeiner Fünftlerifchen Natur ift 


fein fefter Kern, ſondern fie ift eine Art won Gallerte, Beweglich 


unter dem kleinſten Drude, bereit in jede Form zu ſchlüpfen. Daher 
jein Bedürfniß, jedes Stück umzuarbeiten. Wenn er eines vollendet 
hat, da muß man fich forgfältig hüten, ihm eine eingehende Be— 
merfung zu machen; fie erregt fogleich alle erjinnlichen Zweifel an 
feinem Werfe, fie wird fogleih jener „kleinſte Druck“, welcher die 
„Gallerte“ umgeftaltet — er geht hinweg und arbeitet das Ganze um. 

Am Ende ijt Etwas von diefem Weſen nothwendig für ven 
Zuftipieldichter, welcher das Vergängliche der Yebensconventionen, 
oder Doc das Wandelbare derfelben im ſich tragen muß, um es Leicht, 
behaglich, lächerlich zu gejtalten, um es raſch zu geftalten ohne ven 
Nachdruck des ernfthaften Dramas. Ja, der ernithafte Nachdruck 
ſchadet fogar oft in Bauernfelo’s Stüden. Er entipringt eben nicht 
aus jeinem fünjtlerifchen Naturell, er entipringt aus feiner poli— 
tiichen Abficht und wirkt unharmoniſch für den leichten Ton feines 
Kunſtwerkes. 

Jedenfalls iſt es für die Theaterdirection ein Glück, wenn in 
ihrer Stadt ein producirendes Talent ſich entwickelt, welches in ge— 
bildeter Weiſe und außerhalb der alltäglichen Routine die neuen 
Lebenselemente der Stadt dramatiſirt. Dadurch wird ja ein Theater 
das Organ, welches es ſein ſoll, das Organ des wirklich pulſirenden 
geiſtigen Lebens, und gewinnt von ſelbſt die Theilnahme aller ge— 
bildeten Einwohner. Um ſo höher ſteigt der Werth, wenn dieſe 
Stadt eine große Hauptſtadt iſt wie Wien. Die Lebenselemente einer 
Reichshauptſtadt ſtreben ja von ſelbſt über enge Kreiſe hinaus. 
Gerade auf dieſem Wege iſt Paris die Geburtsſtätte des modernen 
Schauſpiels geworden. Die deutſche Theaterproduction hat immer 
daran gefranft, daß fie nicht realen Boden genug hatte, aus welchem 
ihre Bäume wachjen konnten, daran gekrankt, dag fie nicht unter: 





r 


A EEE ET 


Das Burgtheater. 135 


jtügt wird von wahrhaft lebendigen Leben, fondern daß fie vorzugs- 
weije in erträumten Gegenden und Stoffen Nahrung fuchen muß. 

Der zweite Dichter freilich, welcher in den dreißiger Jahren 
dem Burgtheater Unterhalt brachte, war bierin das blanfe Wider: 
jpiel Bauernfeld'ſcher Muſe. Der Actualität Bauernfeld’s, wie 
der Diplomat die Wirklichkeit nennt, trat 1835 die unrealſte Phan— 
tafie auf die Ferfen. Gin Dichter erichien auf dem Burgtheater, 
welcher in ven Gejchichtsfreifen von Aeneas bis Sampiero unbe- 
achtete Gejtalten ſuchte und die Conflicte aus dem Finger fog. Es 
war gewiß ein Zeichen von reichem Talent, daß er mit fo weit ab- 
liegenden und jo fünftlich erdachten Themen den Beifall des Theater- 
publicums erringen konnte. 

Diejer Dichter war Frievrih Halm (Baron von Münch: 
Bellinghaufen), deſſen „Griſeldis“ 1835 zum erſten Wale im Burg: 
theater aufgeführt wurde. Am eriten Abende jpielte Fräulein Peche 
die Grifeldis, und der Erfolg war zweifelhaft. Am zweiten Abende 
Frau Rettih, und der Erfolg war aufßerorventlih. Das Stüd 
machte die Theaterrunde und erzwang fich überall großen Beifall. 
Ich ſage abſichtlich „erzwang“, venn es fand überall heftige Gegner: 
fchaft, und zwar im den gebildeten Kreifen. Es verfchwand auch 
überall wieder gänzlich, nachdem es wie eine Sturmfluth überall 
hingedrungen war, Ganz ähnlich erging es einem zweiten Stücke 
dejjelben Autors, welches 1842 im Burgtheater erjchten, vem „Sohn 
der Wildniß“. Das Talent der Faſſung errang ihm wiederum 
ftarfe Wirkung in allen Theatern, dev Inhalt aber entzoy ihm vie 
Zuftimmung der Gebildeten, entzog ihm die Dauer. Glänzende 
Hauptrollen für Gaftjpieler verfchafften dieſen Stücken jeweilige 
Wiederkehr, aber das widerfpricht Obigem nicht, das ijt Mieteoren- 
thum. Dover vielmehr es war's, denn auch dieſe Gaſtrollen haben 
aufgehört. Nepertoiveftüce der Nation werden nur ſolche, denen 
die gebildeten Kreife dev Nation Theilnahme zuwenden. Und das ijt 
nur da der Fall, wo der Inhalt und die Form gleihmäßig an— 


136 Das Burgtheater. 


fprechen. Die Form allein bewirkt dasnie. Deshalb hat unfere Litera— 
turgefchichte einen beſtimmten Abjchnitt errichtet für talentvolle Produc- 
tionen, denen der Kern der Wahrhaftigfeit abgeht, und mit diefem Kerne 
die Dauerhaftigfeit. Sie nennt diefen Abfchnitt „Kunſtpoeſie“. 

Da diefer Autor mit neuen Broductionen noch jpäter in Rede 
kommt, fo genügt es hier, feine Stellung charafterifirt zu haben. 

Für das Burgtheater war er vom Jahre 1835 an zehn Jahre 
lang bis in die Hälfte ver Holbein’fchen Directionszeit hinein eine 
weſentliche Hülfsquelle, obwohl außer „Griſeldis“ und dem „Sohn 
der Wildniß“ nur noch der 1836 erfcheinende „Adept“ einen länger 
dauernden Theatererfolg hatte. „Camoens“, „Imelda Yamber- 
tazzi“, „Ein mildes Urtheil”, „Sampiero“, ‚Maria de Molina“, 
„Verbot und Befehl” haben auch im Burgtheater feine dauernde 
Stätte gefunden. „Sampiero“ und „Maria de Molina’ habe ich 
wieder aufzunehmen verſucht, „Sampiero“ ohne Erfolg, „Maria“ 
ohne zuveichende Wirkung. Mit legterem Stücke wollte ich e8 noch 
einmal verjuchen, indem ich die Rolle ver Maria einer jüngeren Schau— 
Ipielerin anvertraute. Frau Nettich ſchien mir über die Jahre einer 
Liebhaberin, wenn auch einer bedingten Yiebhaberin hinaus zu fein. 
Das verwehrte Halm, welcher all’ feine großen Frauenrollen für 
diefe Künftlerin ſchrieb, felbft und in ungewöhnlicher Weife, Er 
wendete fich an die oberjte Divection mit dem Verlangen, die Er- 
laubniß zur Aufführung des Stücdes nicht zu geben. 

Friedrich Halm Hat fich, wie dies überhaupt in Wien herrjchende 
Neigung war, mit befonderer Vorliebe dem Studium des jpanijchen 
Theaters gewidmet, und eine freie Bearbeitung nach Lopez de Vega 
„König und Baner’ tft lange gern geſehen worden, 

Der „Adept“ ift troß zahlreicher Darftellungen auf dem Burg- 
theater außer Wien nicht aufgefommen. Er behandelt eine Art 
von Fauft-Thema, nicht ohne theatralifches Verdienſt in den Haupt— 
rollen, aber auch nicht ohne Banalität im Gedanfengange. 

Für das Burgtheater find die Halm'ſchen Stüde dadurch von 





a ur * 


Das Burgtheater. 137 


längerer Bedeutung geworden, daß fie — ihrer fünftlichen Em— 
pfängnig gemäß — eine fünjtliche Declamation veranlaft haben, 
welche in ihren Hauptträgern, namentlich in Frau Nettich, zu Ma— 
nierirtheit des Vortrags führte. Kunftpoefie und Kunſttheater er: 
zeugten einander in natürlicher Folge und es hat langer Anftrengungen 
bedurft, ven Schaufpielern wieder heraus zu helfen aus dem poin— 
tirten Singjang in einfache und natürliche Rede. 

In diefen dreißiger Jahren erjtand für das Theater noch ein 
produeirendes Talent, und war namentlich für das Burgtheater ein 
ficherer Gewinn. Denn e8 entjprang in einer Yebensiphäre, welche 
von ſelbſt Rückſicht nahm auf alle Eenjurfchwierigfeiten. Kine 
Prinzeffin aus vegierendem Haufe trat anonym auf mit Schaufpielen. 
Prinzejfin Amalie von Sachjen vebutirte mit „Lüge und Wahrheit“; 
es folgte „Der Oheim“, „Der Yandwirth” und fo fort Jahr für 
Sahr ein neues Stück. Welch eine fichere Rente für den Director, 
da die Stüde auch dem Publicum willfommen waren! Die Kritik 
hat jie etwas zu vornehm ignorirt. Es waren anfpruchslofe und in 
der That angenehme Productionen, Ein veines Gemüth und ein 
anjprechendes Talent traten darin dem Zuſchauer freundlichen Auges 
entgegen. Der Stand einer PBrinzeffin hat die Verfafferin freilich 
wohl gehindert, das Leben und die Menjchen in voller Mannigfal- 
tigfeit und auch in den Abgründen fennen zu lernen. Die Schatten 
der Gemälde find leicht, die Yichter zu unbejchränft; man lebt in 
einer abgefonderten fleinen Welt. Aber für ein täglich |pielendes 
Theater find auch folche Bilder werthvoll, 

Auch Grillparzer zeigte ſich noch in voller Schöpfungsfraft. 
1831 hatte er die jchöne Yiebestragödie von Hero und Yeander, 
„Des Meeres und der Yiebe Wellen‘ (ein Titel wienerifchen Ge— 
ihmads, ven ich nicht preifen möchte), ein volles Seitenbild zu 
Shafejpeare’s „Romeo und Julie“, zur Aufführung gegeben. Yeiver 
fand das Gedicht nur im feiner erjten Hälfte volle Wirfung und 
verihwand nach einigen Borjtellungen vom Repertoire. Frau 


135 Das Burgtheater. 


Rettich jpielte die Hero, Fichtner den Yeander. Ich muß voraus— 
jeßen, daß es in der Darftellung und Infcenejeßung an etwas 
Wefentlichem gemangelt hat, denn ich habe zwanzig Sahre fpäter 
das verlorengegangene Stüd wieder aufgenommen und die jchönfte 
wie dauerndſte Wirfung mit ihm erzielt. Man jagt wohl zur Ent- 
ſchuldigung, das Publicum fei damals noch nicht reif gewejen für 
jolche claffiihe Gabe. Aber das Leuchtet mir nicht em. Das 
Publicum war fhon fünfzehn Jahre früher reif für die ,Sappho“ und 
hatte unter Schreyvogel's Führung große Fortichritte gemacht. Frau 
Rettich, eine norddeutſche Natur, brachte wohl für die Hero nicht 
das freie und Schöne Sinnenelement mit, welches unentbehrlich ift für 
diefe Rolle der freien und Schönen Hingebung, umd außerdem haben 
die legten Acte, über deren damalige Einrichtung ich mich unter: 
richtet habe, nicht diejenige Inſceneſetzung gefunden, welche noth- 
wendig it für die originell wandelnde tragische Entwicdelung. 

1834 brachte Grillparzer „Der Traum ein Yeben”, ein Mär— 
chendrama ohne Märchen, infofern es wie ein Märchen anınuthet, 
ohne doch ein Märchen zu fein. Der Traum erjcheint vergeftalt 
als Wirflichfeit, daß wir ihn bis auf die Höhe des Stückes für 
Wirflichfeit halten. Nur ein aufmerkfamftes Publicum entdedt am 
Wendepunfte, daß ihm ein Traum vorgefpielt wird. In eilenden 
Berien, ungemein angemejjen für die vorüberhufchende Traummelt, 
jtreut Weisheit goldene Worte ein, und das Erwachen ift in feiner 
gerade aus dem Traumleben weiter geführten Wirklichkeit jo natür- 
lich und wohlthuend, daß der Zuhörer die moraliichen Folgerungen 
freudig aufnimmt als poetische Grundſätze. Sie find auch poetiſch 
in dieſem Zufammenhange und man trägt einen jchönen Eindruck 
mit hinweg, wenn der Vorhang zum letzten Male gefallen ift, und 
nennt das Stüd gern einen öfterreichifchen „Kauft. Denn einen 
Kampf ver Menjcbenjeele mit allen Berlodungen bat das Gepicht 
an ung vorübergeführt. 

1838 erſchien ein Puftfpiel von Grillparzer auf der Scene des 





Das Burgtheater. 139 


Burgthenters, „ehe dem, ver lügt!“ Ein Luftipiel! Ganz Wien 
gerieth in Bewegung. Wie ift das möglich bei dem ernten Wefen 
Grillparzer’s! Wie wird das fein? Mit faljcher Spannung ging 
man daran, und eine falfche Wirkung blieb nicht aus.  Grillparzer 
hatte ven weitejten Begriff des Yujtipiels im Auge, den Begriff der 
Comödia, wie die Franzosen jett noch jedes Stück Comédie nennen, 
welches heiter zu Ende geht. Wir find gewohnt, beim Worte Luſt— 
jpiel nur an’s Lachen zu venfen. Dazu ift in diefem Stüde Grill- 
parzer’S gar feine Beranlaffung. Auch ein halbthierticher Sunfer 
in demſelben iſt gar nicht dazu da. Das Publicum benutte ihn 
aber dazu umd verirrte fich in diefe vorgefaßte fomifche Wirkung, 
welcher denn alfes Uebrige nicht entiprach. 

Das Stüd iſt als Theaterjtüc jehr fchwer zur Geltung zu 
bringen. DBielleicht nur dann, wenn das Publicum voraus weiß, 
daß feine gewöhnliche Theaterwirfung erwartet wird, daß eine finnig 
folgende Theilnahme genügen, und bei dem glüclichen Ausgange 
befriedigt jein joll. 

Die Dichtung an ſich it ganz Grillparzerifch: intim, eigen, 
finnvoll und wohlthuend. Die Bejeßung war auch nicht geeignet, 
den richtigen Eindruck hervorzubringen. Der rohe Junker paßte 
gar nicht für Lukas, einen Schaufpieler für Frad- und Militärrollen, 
aber durchaus nicht für Aufgaben origineller Charakteritif. Die 
Liebhaberin, eine jehr ſchöne, unbefangene und doch felbjtändige 
Mädchennatur, war nicht für Frau Nettich, welche die Abfichtlichkeit 
jchwer verbarg. Der grimme Vater des Junfers war für den gut— 
müthigen Wilhelmi ein wilofremder Charakter, umd ver jchliegende 
Biihof von Chalons — „Domvogt“ auf dem Zettel — war in 
den Händen von Anjchüt der Gefahr preisgegeben, langweilig zu 
werden. Denn diejer ſonſt jo verdiente Künſtler hatte für gewiſſe 
Salbungsrollen nicht die geiftige Gewandtheit, dem Tone eines 
Nachmittagspredigers weit genug aus dem Wege zu gehen. 

Das Aufjehen dieſes Mißerfolges war auferorventlich. Wien 


140 Das Burgtheater. 

Iprach lange Zeit nur davon, und die zahlreichen Verehrer Grill 
parzer's drangen feit der Zeit Jahr fir Jahr darauf, das Stüd in 
glüclicherer Beſetzung wieder vorzuführen. Ich bin diefem Wunfche 
nie beigetreten, obwohl ich gar nicht bezweifle, daß bei dem jeßigen 
Publicum ein sucees d’estime ficher zu erreichen wäre, Ein folcher 
Achtungserfolg würde den greifen Dichter doch nicht befriedigen, 
und die ganze Form des Stüdes ift nicht angethan, eine ftärfere 
Theaterwirfung hervorzubringen. Die Nachwelt des Dichters wird 
nicht unterlaffen, auch ſolch eine leifere Wirkung zu ſuchen und das 
Andenken ihres vaterländiichen Poeten in der Hingabe an jolchen 
feineven Genuß zu feiern. 

Auch Zedlitz wendete ſich in den dreißiger Iahren dem Theater 
zu. Gr brachte „Kerker und Krone”, ein Taſſoſtück, und ein Lujt- 
jpiel „Luftſchlöſſer““ von bejcheiden alltäglicher Natur. Er zeigte 
bis an feinen Tod den lebhafteiten Antheil für das Burgtheater, 
und zwar in einer originellen Mifchung von hochpoetifchen Abfichten 
und recht nahe liegender Unterhaltung. Noch in feinem leßten 
Lebensjahre war er mit einer Bofje befchäftigt, in welcher dichterifche 
Schilderung Hand in Hand gehen jollte mit ausgelafjener Yayne. 
Er hätte wohl in diejen dreißiger Jahren nur Anregung und Leitung 
von einer kundigen Divection gebraucht, um ein intereffanter Theater- 
Ichriftjteller zu werden. 

Taſſo war im jenem Jahrzehnt geradezu Mode: auch Raupach 
brachte ein Trauerjpiel „Taſſo's Tod’. Hier ftarb Korn als Taſſo, 
bei Zedlit Yöwe. Keiner von Beiden war eine Taflonatur, und die 
Dichter mochten Flagen, daß deßhalb ihre Stücke vergänglich erſchienen. 

Raupach bracte noh ein Schaufpiel „Die Gefchwifter‘, 
welches durch gute Schaufpieler eine furze Yebensfraft erreichte, 
und lieferte jchlieglich einige Cromwellſtücke, welche vom Reize 
dieſes puritanifchen Tyrannen lebten. Solche Theateriilhouetten 
waren im Gejchmade der Zeit. Draußen im Neiche marjchirte 
Srieprich der Große über die Bühnen, und es war ein Ereigniß, 





Das Burgtheater. 141 
als Seypelmann bei jeinem Gajtipiele diefe Figur im „Tagesbefehl“ 
auc auf dem Burgtheater vorführen durfte, 

Töpfer, früher ein zweiter Schaufpieler am Burgtheater, forgte 
Decennien lang für jolche und ähnliche Theaterunterhaltung, wie die 
„Gebrüder Foſter“ nach dem Englischen, der „Pariſer Taugenichts“ 

-nach dem Franzöfiichen. Die Urjprungszeugnifje ließ man damals 
gern weg auf dem Zettel, und Bouffe’s berühmte Nolle hat bei uns 
lange als Töpfer'ſche Erfindung figurirt. Ob auch die beliebte „Zurück— 
ſetzung“, welche Frau Grelinger mit ihren beiden Töchtern einführte, 
folch eine Nachſchöpfung oder ein Driginal war, ift mir unbefannt. 

Auch Frau Birch - Pfeiffer, mit „Pfefferröſel“ und „Sammt— 
ſchuh“ und ähnlichen Stüden grober Zeichnung Schon lange auf ven 
Theatern wirfjam, ericheint in diefer Periode auf dem Burgtheater, 
und zwar mit „Rubens in Madrid“. Herr Löwe entwidelte fich 
als ausgefprochenes Talent für all! dieſe halbhiſtoriſchen Matadore, 
bei denen es auf gewillenhafte Zeichnung und tiefere Bedeutung 
nicht abgefehen war. Theatercharaftere, wie man Theater: 
prinzefjinnen jagt. Nur Cromwell war an Herrm Yaroche ges 
fommen. Ein Publicum, welches vom Ernft der Gefchichte noch 
wenig berührt ift, nimmt bejonderen Antheil an der anecdotenhaften 
Hiftorie und ihren herausfordernden Helden, Die „Königin von 
jechszehn Jahren‘, die ſchwediſche Chriſtine, war damals, obwohl 
nur zwei Acte lang, ein unverwüftliches Zugſtück. Die Minauderien 
des Frl. Peche, welche für hiftorifch angeſchimmert gelten Fonnten, 
entzückten das Publicum. 

Dazu gab es Theatercommißbrod wie Holbein’s „Doppel— 
gänger“, Deinhardftein’s „Garrick in Briſtol“ in Menge, kurz man 
jollte meinen, bei jo mannigfachem Vorrathe hätte es der Direction 
nicht fehlen können, fich in Anfehen zu erhalten. 

Es fehlte ihr aber dennoch. Man empfand von Jahr zu Jahr 
deutlicher, daß dies reich bemannte und reichlich belajtete Schiff 
ohne Compaß fegelte und vichtungslos von ven Winden hierhin und 


142 Das Buratbeater. 
3 

dorthin getrieben wırde, Ein großes Runjtinftitut muß einen Cha— 
rafter haben, um in Autorität zu bleiben, und wenn die Direction 
ihm feinen zu verleihen weiß, weil jie jelbjt feinen hat, jo ift der 
Niedergang unvermeidlich, Die jtörende perfönliche Haltlofigkeit 
Deinhardſtein's dazu und zahlreiche Unordnungen, welche dieſer 
Haltlofigfeit entfprangen, drängten zum Ende. 

Man jah ſich nad) allen Seiten um, wo ein neuer Director 
zu finden wäre, 

Dezeichnend für die Zeit ift es in hohem Grade, auf wen die 
Wahl fiel, bezeichnend, weil es nur zu deutlich befundet, was für 
Anſprüche man machte. Es fiel Niemand ein, nach einer Fähigkeit 
auszufchauen, welche Geift oder Styl, oder irgend eine höhere Be- 
deutung des Theaters fördern fünne, Bewahre! — Der Minifter 
des Inneren felbit, Graf Rolowrat, leitete die Wahl, und es ſchien 
für diefelbe ein Mann am wünfchenswertheften, welcher jorgfältige 
Berwaltung einführen fönnte, Alſo auch hierin fchädigte Dein- 
harditein, Seine wüjte Führung machte vor Allem das Bedürfniß 
rege nah Ordnung und Genauigfeit, So ward Herr v. Holbein 
berufen, der eine lange Theaterpraxis für fich hatte, 

Holbein hat denn auch den Abfichten entjprochen, welche feiner 
Wahl zum Grunde lagen: er hat Ordnung und Genauigfeit ein- 
geführt. Der Mechanismus zog mit ihm ein, jo weit es das Re— 
giſſeur-Regiment, welches jich unter Deinharditein gepflegt hatte, 
zuließ. Die Regie widerſetzte fich Holbein’s äußerlichem Formel— 
weſen vielfach mit Recht. So wurde der Wagen gleichzeitig nach 
links und nach rechts gezogen, litt natürlich darunter, und fam doc) 
nicht vorwärts. Die oberjte Direction ward nun zur Entjcheidung 
aufgerufen: Ste trat auf die Seite der Negiffenre, aber fie jtand 
rathlos vor der großen Frage: Warum finft denn das Theater, 
auch nachdem Ordnung eingeführt worden? Es blieb ihr unbefannt, 
daß ſeit Schreyvogel der jchöpferifche Geiſt abhandengefomme,n 
und daß dieſe Kleinigkeit einem Kunſtinſtitute unerläßlich ſei. Mean 





Das Burgtheater. 145 


ftudirte, man hielt Rath, und fam zu dem Reſultate: Intereffante 
Stücke müſſen herbeigejchafft werden, um das murrende Publicum 
wieder zufrieden zu jtellen. Ich erinnere mich, daß hinaus in’s 
Reich die Kunde drang: Jetzt hat man's gefunden, was helfen 
wird im Burgtheater, das Stüd ijt entdeckt! Es heißt „Cäſario“, 
und es wird einjtudirt, und man ift des glücklichjten Erfolges gewärtig. 

Diefer „Cäſario“ ijt ein mittelmäßiges Stück von Pius Alerander 
Wolff, und er ward aufgeführt am 10. Februar 1844, und zu 
jchmerzlicher Ueberraſchung fiel er durch. Wasnun? Gejchehen muß 
Etwas, denn die Mißſtimmung wird allgemein. Der alte Graf Morit 
Dietrichjtein, welcher ſchon mehrmals die oberjte Divection in der 
Hand gehabt, trat wieder an die Spite und hielt eine Anrede an 
die Mitglieder. Die herkömmlichen Redensarten ohne jeden greif- 
baren Inhalt gingen durch alle Zeitungen. Was fonnte das helfen! 
Der alte Herr hatte vecht gute Eigenfchaften: er hing treu am In— 
jtitut und er befchüste die bewährten Hofichaufpieler mit tendenziöfem 
Wohlwollen. Aber er hatte nur dunkle Vorftellungen von den Bedürf- 
nifjen eines lebendigen Organismus, ev gehörte einer Zeit an, welche 
mit edler Declamation im Trauerſpiele, mit rührender Gemüthlichkeit 
im Schaufpiele zufrieden geweſen, ev war ein Kind gegenüber den 
"Anforderungen der neuen Zeit, welche num auch in Defterreich ein— 
brach. Erſt zornig, dann ſtarr vor Erftaunen, dann unmuthig und 
verdrießlich, endlich verzagt ſtand er wor dieſen unbegreiflichen Ver: 
langniffen, Holbein, der längere Zeit in den Hintergrumd gedrängt und 
der nun erſt wieder gefragt worden, zucte die Achjeln und erklärte: 
„Auf politiiche Einflüffe, ich ſag' es mit Stolz, verſteh' ich mich nicht, 
und ein Theaterdivector muß Nichts damit zu Schaffen haben“. 

Sp geihah’s, und das Burgtheater ſelbſt verfiel! Und doch 
war das Holbein’sche Jahrzehnt — 1840 bis 1850 — Ffeineswegs 
arm an neuen Stüden. Ja, man erjtaunt bei näherem Zujehen 
über die gar nicht unbedeutende Neichhaltigfeitt der dramatiſchen 
Production, und fragt fich erſtaunt: warum hat denn das gar nicht 


144 Das Burgtheater. 


mebr zugereicht? Es hat doch eben an der gedanfen- und geifilofen 
Führung gelegen, welche Nichts ordentlich zu verwerthen, und für 
das Ganze feinen Styl, feinen gemügenden Geſammteindruck hervor: 
zubringen gewußt hat. 

Die Franzofen lieferten dem Burgtheater die wirkſamſten 
Stüde: Scribe das „Glas Waſſer“ und die „Feſſeln“, Bayard 
„Er muß aufs Land‘, Dumas ‚Liebe nach der Hochzeit” und das 
„Fräulein von St. Cyr“ („Unſichtbare Bejchügerin‘‘ titulirt). 
Sogar Ponſard's „Lucretia“ wird mit Interefje aufgenommen, 
Bon den Einheimifchen bringt Halm ven „Sohn der Wildnif‘‘, 
„Samptero‘, „Donna Maria de Molina“; ein „Spartacus“ von 
Weber, „Ziani und feine Braut” von Hermannsthal finden Beifall 
und Yob. Bauernfeld bringt den „Deutſchen Krieger”, welcher 
das größte Glück macht, und „Großjährig“, eine Verſpottung des 
Metternich’schen Negiments, welche Furore macht. Daneben finden 
die jungen Deutjchen von draußen mannigfachen Zutritt: Gutzkow 
in einer ganzen Anzahl von Stücken („„Werner“, „Die Schule der 
Reichen“, „Richard Savage’, „Ein weißes Blatt‘); Freytag mit 
jeiner „„Brautfahrt Maximilian's“; Prutz mit „Moritz von Sachſen“, 
Laube mit „Monaldeschi“, Kuranda mit der „Letzten weißen Roſe“. 
Wirkſame Theaterſchriftſteller ferner liefern in dieſer Zeit ihre beſten 
Sachen: Benedix den „Doctor Wespe“ und den „Vetter“, Char— 
lotte Birch-Pfeiffer die „Marquiſe von Villette“, „Mutter und 
Sohn“, „Dorf und Stadt“; Eduard Devrient die „Verirrungen“ 
und „Treue Liebe“; Lederer die „Kranken Doctoren“ und „Geiſtige 
Liebe“. Daneben wird Shakeſpeare in Bearbeitungen, freilich un— 
haltbarer Stücke, verſucht: Halm bringt „Cymbelin“ als „Kinder 
Cymbelin's“, und die „Luſtigen Weiber von Windſor“ verſuchen 
ihr zweifelhaftes Glück. Endlich kommt und verſchwindet wie 
überall die ſpaniſche „Dame Kobold“. 

Eine große Anzahl obiger Stücke behauptet aber Stand, und 
dennoch tritt Verfall des Theaters ein. Kein Zweifel, das Publicum 


Das Burgtheater. 145 


jpürte, daß die Stüde Zufallsgaben waren, daß es eine Ernährung 
war von gefundenen Biljen zu gefundenen Biffen, daß aber ein 
organischer Ernährungs: und Yebensprocek fehlte. Alter Kram da— 
zwifchen neu gebracht, wie „Künftlers Ervenwallen” von Julius 
von Voß, verrieth immer wieder, daß veralteter Geſchmack am Ruder 
war. Und jo war es. Sch weiß aus eigener Erfahrung, daß Hol- 
bein geringſchätzig auf unfere Productionen blickte. Er fchrieb mir: 
„Shre „Monaldeschi's“ und, Rococo's“ finden hier feinen Anwerth“. 
Der zufälligeRath eines Dejterreichers brachte „Monaldeschi“ auf's 
Burgtheater, Der Rath ging dahin: Schicken Sie das Stüd direct 
an den Minijter Kolowrat; der fpielt gern den Protector und den 
Wivderfacher Metternich » Seplnitfy’fcher Cenfur; er thut was für 
feinen liberalen Auf. Dieſen Nath befolgte ich, und ver erjtaunte 
Holbein erhielt dag Stück mit dem für die Scene vifirten Reiſepaſſe. 

Das Jahr Ahtundvierzig erlöfte die Direction von weiteren 
Gründen, warum die Theilnahme fo fichtlich abnehme für das ſonſt 
fo beliebte Inftitut. Unter ſolchen Staatswehen verjchwindet jedes 
Theater. 


Laube, Burgtheater. 10 


X. 


Das Burgtheater unter Director von Holbein, jowie unter 
zürnender Beihülfe des oberjten Directors Grafen Moritz Dietrich- 
ftein war in ftetem Niedergange 1848 bis dicht an den Abgrund 
gerathen, 

Man nannte achjelzudend diefen Abgrund die 1848er Revo— 
(ution, wie man gerne feine Schuld und Calamität auf große Er— 
eigniffe abladet. Dies Staatsereignig machte aber nur den Abgrund 
fihtbar. Mean hatte jeit jehszehn Jahren daran gegraben, jeit mar 
den fundigen und tüchtigen Yeiter des Inftituts, Schreyvogel, leicht- 
finnigerweije vom Auder und in ven Tod gedrängt, das Ruder aber 
unfühigen Händen übergeben hatte, 

Jetzt, im Frühjahre 1848, kam es auf, was Wien lange wußte, 
daß das Burgtheater dem öffentlichen Tadel nicht mehr Stand halten 
fonnte, Holbein hatte fich im fein Zelt zurücgezogen wie Achilles 
vor Troja, und zeigte mit beiden Händen auf die oberjte Direction 
hin, welche ihn behindert habe an weiſen Maßregeln, und die oberite 
Direction in Geftalt des Grafen Moritz Dietrichitein ging in beküm— 
merter wie gereizter Unruhe hin und her und blieb vor jedem Bekannten 
jtehen, aus allen Tafchen Zeitungen hervorziehend und verzweiflungs- 
voll erzählend, wie dem clafjiichen Inftitute beifpiellos mitgefpielt 
werde. Es jei gar fein Ende abzujehen, und die bethörten Menjchen 
fümen auc jchon lange nicht mehr ins Theater — — 

Damals lernte ich diejen alten Herrn näher kennen, welcher 


Das Burgtheater. 147 


es in feiner Art wortrefflich meinte mit dem Burgtheater und noch 
bortrefflicher mit den Hofjchaufpielern. Die Art war nur bitterlich 
veraltet und e8 begriff der alte Herr ganz und gar nicht, was denn 
die Welt eigentlich wollte. 

Ich war auf einen Brief von Louiſe Neumann nach Wien ge 
fommen, welcher bejagte, daß endlich der Tag erjchienen jet für Auf- 
führung der. „Karlsſchüler“, und daß ich herzueilen möchte, das 
Stüd in Scene zu ſetzen. Dies habe jeine Schwierigfeiten, denn 
der jüngite von den Karlsfchülern, die ich finden würde, habe ein 
halbes Jahrhundert gelebt. 

Sch hatte denn mit diefen reifen Schülern das Stüd in Scene 
geſetzt und mich bei diejer Gelegenheit wollftändig aufgeklärt über 
den inneren Zujtand des Theaters. Es war mir feit fünfzehn Jahren 
nicht fremd. Im Jahre 1833 und im Jahre 1845 bei längerem 
Aufenthalte in Wien hatte ich mich — provivdentiellerweife, würde 
ein Frommer Jagen — nur um das Burgtheater gekümmert, obwohl 
meine Seele damals nicht die entferntefte Ahnung davon hatte, ich 
fönnte jemals Iheater-Director oder gar Director des Burgtheaters 
werden. Ich war alfo jett ganz vorbereitet, alle Nuancen des ſchon 
lange brödelnden Berfalls zu würdigen und dem Grafen Dietrich- 
jtein Bemerkungen zu machen, welche ihn zwar ärgerten, am Ende 
aber doch interefjirten, weil fie ihm zur Erklärung dienten über die 
öffentliche Unzufriedenheit. | 

Ein Vorfall bei der ftürmifchen Aufnahme der „Kaͤrlsſchuler“ 
brachte mich ihm noch näher. Ein Theil des Publicuins mämlich 
wollte die alte Sitte brechen, welche ven Hervorruf der Schaufpieler 
unterfagte. Man rief Fichtner, welcher den Schiller ſpielte, mit 
folcher Ausdauer und ſolchem Ungeftüm, daß die Behörden hinter 
dem Vorhange fich feinen Rath mehr wußten. Der Kaiſer und der 
faiferliche Hof waren zugegen, die Volksſtimmung erwies ſich damals 
gebieteriih — man fürchtete arge Auftritte und» Ausbrüche. > Ein 
Director war nicht zu jehen, die Regieherrſchaft aufſder Scene war 

10* 


148 Das Burgtheater. 


in jener Zeit maßgebend, und vie Regie zerfiel bei vem Vorfalle in 
zwei Parteien, hob fich alfo jelber auf. Fichtner, immer ein Mufter 
guter Burgtheaterfitte, wollte fich nicht dazu hergeben, das alte 
Geſetz zu brechen, Löwe aber ſchrie in ihn hinein: „Hinaus, Fichtner, 
hinaus! Aufziehen laſſen! Hinaus! Der alte Zopf muß endlich ein- 
mal abgejchnitten werben!’ 


Fichtner wendete fich am mich mit der Frage, was ich über das 
Hinausgehen ver Schaufpieler dächte. „Ich bin dagegen’ — jagte 
ich — „und finde die alte Sitte vortrefflih, weil fie der Partei- 
nahme für einzelne Schaufpieler worbeugt und die Aufmerffamfeit 
auf das Kunftwerf als Ganzes nicht zeriplittert durch perjünliche 
Demonftrationen,’” — „O dann”, fuhr Fichtner fort, „‚gehen Sie 
noch einmal hinaus, vielleicht wird dadurch dem Lärmen ein Ende 
gemacht !‘‘ 

Ich war nämlich als Autor ſchon vorher gerufen worden und 
war erſchienen troß meiner Abneigung vor diejer perjünlichen Ein— 
miſchung des Verfaffers. Der Sturm war fo ftarf, daß man jedes 
Befriedigungsmittel ergriff. Ih mußte Fichtner alfo erwiedern: 
„Mich hat man Schon gehabt, mich will man auch nicht, man will 
Sie’. 

„Sehen Sie trotzdem!“ bat Fichtner und deutete auf Löwe's 
Pronunciamento, welches natürlich zuftimmende und lärmende Theil- 
nehmer um ſich gefammelt hatte, 

„Aber“ — entgegnete ih — „wenn ich, den man nicht ruft, 
draußen erjcheine, jo muß ich ja doch in Betreff Ihrer etwas Ab- 
lehnendes jagen, und ich bin ja hier Gajt, ich bin ja nicht Director — 

Während diefer Worte wurde der Sturm im Haufe Drcan, 
und von allen Seiten jtürzten Leute herbei mit Botichaft und Bitten, 
daß Etwas geſchähe; der faiferliche Hof jet ja ausgejeßt. Da ent- 
ſchloß ich mich, den Director zu jpielen, ließ aufziehen, ging hinaus 
bis an die Rampe und deutete an, daß ich Iprechen wollte. 


Das Burgtheater. 149 


Es wurde todtenjtill, und ich fagte, daß ich ftatt des 
Herrn Fichtner für die Auszeichnung dankte, welche man ihm zu— 
gedacht. 

Ich trat zurüd und es blieb todtenftil,. Was der fremde Mann 
da dem Publicum zu jagen fich erbreiftet hatte, war ganz unpopulär. 
Aber nach einigen Secunden erhob fich Beifall, und nach einer wei- 
teren Secunde wurde er allgemein. Der ruhige Theil des Publi— 
cums hatte verftanden, was ich gemeint, und unter dem unruhigen 
Theile bejannen fich wohl auch die Meiften, daß die Sitte gut wäre, 
welche man eben abjchaffen gewollt. 

Der Hervorruf des Schaufpielers fehrte den ganzen Abend 
nicht wieder, die Sache war erledigt, die alte gute Burgtheaterfitte 
war erhalten. 

So war ich aus dem Stegreif Director gewejen. Die nächiten 
Tage wollten mich ernjtlich dazu machen; ja fie machten mich dazu. 
Niemand war überraichter davon als ich ſelbſt. Saul ging aus, 
feines Vaters Ejel zu juchen, und er fand eine Krone. Aber was 
für eine Krone?! Einerecht mißliche. So erichien fie wenigitens mir. 

In den nächſten Tagen nämlich verficherte mir Graf Dietrich: 
jtein, e8 habe in höheren Kreifen und auch bei ihm einen jehr gün— 
jtigen Eindruck gemacht, daß der fremde, vecht fcharf angezeichnete 
Liberale refolut in den Sturm hineingegangen ei, um etwas Un- 
populäres zu vertreten, während die Berufenen den Kopf verloren 
gehabt. ES verlaute ferner von vielen Seiten, daß die Infcene- 
jeßung der „Karlsſchüler“ einen ganz neuen Eindrud hervorgebracht 
habe unter den Schaufpielern, und daß endlich bei jo unruhiger Zeit 
ein ruhig handelnder Führer vem Theater recht nothwendig geworden 
jei. — Bertraufich jegte der alte Herr hinzu: „Mit den Zeitungen 
halte ich das nicht aus, da brauch’ ich Einen, der ihnen die Spite 
bietet, und Louiſe Neumann erklärt Sie wirflich für einen ausge: 
zeichneten Menſchen, kurz, Sie follen Divector des Hofburgtheaters 
werden !‘ 


150 Das Burgtheater. 


Dies wırde thatſächlich ins Werf geſetzt, und nur die Quelle 
meines Gehaltes bewirkte glüclicherweije eine Verzögerung. Graf 
Dietrichitein wollte ven Gehalt nicht aus ver bevrängten Theater 
caſſe zahlen, ſondern ihn aus faiferlicher Cafje erheben. Die Ber: 
treter der Faijerlichen Caffe hatten aber im Frühlinge 1848 noch 
dringendere Sorgen, als die Bezahlung eines neuen Theater-Di- 
rectors, und der Läftige neue Pojten ging mit einem Fragezeichen von 
einer Finanzitelle zur anderen. 


Dies rettete mih. Es war ja klar, daß unter den damaligen 
Sturmpetitionen nicht die Schäferftunde jchlagen fonnte für die Re— 
generation eines Theaters. Die Aufmerkfjamfeit der Dejterreicher 
war auf ganz andere Dinge gerichtet. Ich trug alfo felbjt auf Ver- 
tagung an und reijte von dannen. 

Die Unruhen jteigerten fich befanntlich bis in ven Spätherbit 
hinein, und dies Directiong-Thema gerieth von beiden Seiten in 
Bergejjenheit. 

Da kam gegen Ende des Jahres der Thronwechſel und mit 
ihm ein Wechjel der oberjten Hofämter. Graf Dietrichjtein ſchied 
aus. Graf Grünne vereinigte in der eriten Zeit mehrere dieſer 
Hofämter in feiner Hand, und er verficherte mir in einem furzen 
Briefe, daß er mich für den richtigen Mann halte zu dem Divections- 
Poften. Er werde mich unterrichten, ſobald die Zeit gefommen 
wäre, auch an das Theater zu denken. 

Unterdejjen war Holbein aus feinem Zelte getreten und 
hatte die cenfurfreie Zeit benügt, Alles aufzuführen, was jo 
lange verboten geweſen. Mit Siebenmeilenjtiefeln marfchirten 
die bis dahin unmöglich gewefenen neuen Stüde über die Burg- 
bühne. 

Den „Karlsſchülern“ war „Maria Magdalena’ von Hebbel 
gefolgt am 8. Mai. Schon neun Tage darauf kam Freytag's 
‚Dalentine‘. Bald darauf — mitten im Sommer — eine be 





Das Burgtheater. 151 


rufene Tragödie „Tiphonia“ vom Improvifator Langenſchwarz; 
ebenjo im heißen Sommer Ludwig Roberts „Macht der Verhält— 
niſſe“, die draußen jeit Jahrzehnten jchon wieder vergeſſen waren. 
Drei Tage jpäter „Bürgertum und Adel’ von Töpfer, fünf Tage 
nah diefem „Eine Familie” von Frau Birch» Pfeiffer. Alsdann 
das erjehnte „Wallenjtein’s Lager“ und ein pofitives Erichreden 
des Publicums vor dem Capuziner, und fo fort in diefer Haft Nenig- 
feit auf Neuigfeit wie im vorigen Jahrhundert. — Im Winter 1849 
„Judith“ von Hebbel, „Das Urbild des Tartüffe” und „‚Uriel 
Acoſta“ von Gutfow, „Ein neuer Menſch“ von Bauernfeld, „Hero— 
des und Mariamne“ von Hebbel, „Michel Perrin“ — e8 war eine 
Drgie mit früher verfagten Speifen. 

Aber die Zeit war jo, daß nur eine Feine Anzahl Leute Appetit 
hatte, und die Speifen wurden reizlos angerichtet, ein großer Theil 
derfelben wurde verwüſtet. 


Die bejjeren Sachen, welde ver jchleuderhaften Abma— 
Hung Widerſtand geleiftet, habe ich ſpäter durch beſſere Be— 
jeßung auffrifchen, durch jorgfältige Inſceneſetzung wiederherftellen 
müſſen. 


So kam der Herbſt 1849 und mit ihm wiederum ein Wiener 
Brief an mich, der mich eilig citirte. Wie aus dem Innern des 
Kyffhäuſer hätte ſich die Sage verbreitet, ich ſei zum neuen Director 
des Burgtheaters auserſehen, und Holbein wollte das unmöglich 
machen dadurch, daß er Hals über Kopf meinen „Struenſee“ in 
Scene ſetzte ganz ohne Striche. Die Revolutions-Scenen in 
dieſem Stücke, unverkürzt dargeſtellt, würden den regierenden Herr— 
ſchaften die Ueberzeugung aufdrängen, daß der Verfaſſer ſolcher 
Stücke ungeeignet wäre für ſolchen Poſten. Ich möchte alſo 
eiligſt kommen und das Stück mit den nöthigen Strichen ſelbſt in 
Scene ſetzen. 

Ich kam. Aber nicht in der Abſicht, mein Stück zuſammenzu— 


152 Das Burgtheater. 


jtreichen. Ich hatte feit der „Karlsſchüler“-Aufführung und der 
Bekanntſchaft mit dem Grafen Dietrichitein Zeit genug gehabt, zu 
überlegen, unter welchen Bedingungen allein es möglich jei, in der 
Leitung des Burgtheaters Gutes zu ftiften. Dazu jchien mir denn 
eine billige Freiheit in ver Wahl der Stüde und ein Anſchließen 
diefer Bühne an die liberalen Bedürfniſſe der Zeit unerläßlich. 
Kann dein „Struenſee“ — fagte ih mir — nicht unverftümmelt ges 
geben werden, dann bift auch dur felbjt auf dem dortigen Divector- 
ſtuhle nicht am richtigen Plate. Oeſterreich war eine conftitutionelle 
Monarchie geworden; ich meinte, jolche Anfprüche fönnten in orga— 
niſchem Zufammenhange mit dem neuen Staate erfüllt werden, und 
ih fette deghalb den „Struenfee” in Scene, wie er gefchrieben 
itand. 

Holbein hatte mich zum Zufchauen in feine Yoge geladen und 
die Situation in diefer Yoge war recht pifant. Er hoffte auf jtürs 
mifhe, demonftrative Aufnahme, welche mich in der Directions- 
Geburt erjticken follte, ich hoffte auf einen mäßigen, wohlthuenden 
Beifall. ’ 

Er fiegte neben mir. Die Aufnahme war ftürmifch, des 
monftrativ. Dennoch verliefen wir Beide befriedigt die Loge. 
Ich nämlich war doch zu fehr eitler Vater meines Kindes, als daß 
mir nicht der Beifall im Ganzen wohlgeichmedt hätte. Das ge 
fährliche Zuviel Schlug ich mir aus dem Sinne, weil ich in der That 
darüber ganz im Klaren war, daß eine folche Direction wirklich ein 
Neſſushemd wäre, wenn man mit ihr die brennenden Schmerzen 
einer überlebten Cenſur auf fih nehmen müßte. 

Zwei Tage darauf verfündigte mir Graf Yandoronsfi, der 
neue Oberftfämmerer und als folcher oberiter Hoftheater-Director, 
daß man ſich an hoher Stelle beifällig über „Struenſee“ ausge— 
ſprochen, ſowohl über das Stück als auch über die Infcenefeßung. 
Der jtörende Tendenz Applaus treffe ven Verfafjer nicht. Es fei 
nur zu beflagen, daß Vorgänge und Reden aus dem Zuſammenhange 


Das Burgtheater. 153 


gerijfen und für augenblidliche Zwede gedeutet würden. Dieſe De: 
ſchädigung eines Kunftwerfes würde fich wohl verlieren, wenn das 
Publicum allmälig inne würde, daß man ihm fein wirkffames Stück 
entzöge aus Furcht vor Tendenzbeifall. 

Ich konnte nicht ficherer geitellt werden für die Zukunft, und 
Graf Landoronsfi begann nun auch jeinerjeits die Unterhandlung 
mit mir. 

Ih war unterrichtet, daß ich mir beftimmte Punkte in ven 
Injtructionen ausbedingen müßte. Namentlich Frievrih Halm 
hatte mir eingejchärft, vaß ich die Stelle nicht annehmen follte ohne 
Zuficherung von „Wahl der Stüde, Bildung des Nepertoires, Be- 
feßung der Rollen”. Dhne diefe Vollmachten fei eine erjprießliche 
Wirkung nicht möglich. 

Sch bejtand denn auch auf diefen Punkten, und als mir meine 
Anjtellung eingehändigt wurde, ich aber in den Inftructionen diefe 
Vollmachten abgefhwächt fand, gab ich die Anftellung zurüd und 
rüftete mich zur Heimreije. 

Einige Tage Später erhielt ich das Anſtellungsdecret nochmals, 
und die dazugehörigen Injtructionen brachten jene VBollmachten un: 
verfürzt. 

Ich muß mit Danf dem Grafen Pandoronsfi ins Grab nad): 
rühmen, daß er mir diefe Juficherungen vierzehn Jahre lang bis an 
jeinen Tod getreulich wie ein Edelmann gehalten hat, wie oft er 
auch unzufrieden war mit meinen daraus hervorgehenden Maß— 
regeln. 

Streitig war bis zum eigentlichen Abjchluffe mein Titel ges 
weien. Das flinat wunderlich für einen Menfchen wie ich, der 
unter vielen Fehlern den der Titelfucht eben nicht hat. Aber hier 
bedeutete der Titel die Sache; ich brauchte ihn alfo. Ich verlangte 
Director zu heißen, und man wollte mich Dramaturg nennen. 
Ebenſo wollteman mich proviforifch nur auf zwei oder drei Jahre — 
ich weiß es nicht mehr genau — anjtellen. Gegen das Provifo- 


154 Das Burgtheater. 


rium hatte ich Nichts einzumenvden, wir fannten uns ja gegenfeitig 
nur ungenügend; aber ich verlangte fünf Jahre. — Diefe Fragen über 
Titel und Zeitdauer wurden entfchieven durch die zwei wichtigiten 
Machthaber jener Epoche: der Titel durch den Fürften Felix 
Schwarzenberg, die Zeitdauer durch den Grafen Grünne. 

Sch ſuchte und erlangte zu diefem Zwecke eine Unterredung mit 
dem Fürjten Schwarzenberg, welche ich bei anderer Gelegenheit 
ſchildern will, da fie fich breithin über Politif erſtreckte. Hier ſei 
nur erwähnt, daß ich ihn in einem faalartigen Zimmer fand, daß er 
in der Mitte vejjelben vor einem Schreibtifche ſaß, daß er eine 
ſtarke Negalia-Cigarre in vollen Zügen vauchte und fie mitten ins 
Zimmer warf, ehe fie über die Hälfte abgeraucht war, und daß er 
mir in feinem jchlanfen Wuchfe und mit feinem etwas ermüdeten, 
aber interejjanten Gefichte den Eindruck eines fehr einfachen, natür— 
fihen Menfchen machte. Er ſprach über Alles wie ein Naturalijt 
im Gegenfage zu Fachmännern, und wie ein „sabreur“, das Wort 
im Sinne des erjten Napoleon genommen. 

„as ift Dramaturg ?" fragte er mich. 

„Durchlaucht, das fann Ihnen fein Menſch in furzen Worten 
jagen.‘ 

Da lachte er laut. Und als ich hinzufegte, daß eben deßhalb 
ein folher Titel Nichts tauge, wo es fi um Autorität zum Regieren 
handle, da unterbrach er mich mit den Worten: „Sie haben voll- 
fommen Recht. Sie follen dirigiven, müſſen alſo auch — 
heißen. Sprechen wir von etwas Anderem!“ 

Graf Grünne machte einen ganz anderen Eindruck. Im Com— 
mißmantel, bis an den Hals zugeknöpft, neigte er den fein geſchnit— 
tenen Kopf ein wenig nach vorne, um gleichſam anzudeuten: ich 
höre. 

Er hörte fehr gut, fprach nicht Ein müßiges Wort und fragte 
nur pofitiv: „Warum wollen Sie gerade fünf Jahre 2 

„Weil ich in den erften Jahren genöthigt bin, mir jehr viel 





Das Burgtheater. 155 


Feinde zu machen. Ich muß aufräumen, muß abjegen. Nach zwei 
bis drei Jahren bin ich im Wefentlichen nur verhaßt — jchaffen 
und mir Freunde erwerben Fann ich exit im vierten und fünften 
Sahre.‘ 

Er lächelte, nidte mit dem Kopfe und entließ mich mit ven 
Worten: „Ich werd’s dem Grafen Landoronsfi ſagen“. 

So wurde ich Director auf fünf Jahre. 


RT. 


Was fand ich bei meinem Eintritt? in ganz fleines Reper- 
toire, ein ſehr kleines Perfonal und zu unerwartetem Schreden! 
— ein ſehr langes Berzeichnig von Stüden, welche nie mehr gegeben 
werden ſollten. 

Mein Chef hatte folche Befeitigung aller auch nur einigermaßen 
mißliebigen Stücde für nothwendig und möglich gehalten und mir 
die Auswahl eripart, indem er eigenhändig rothe Kreuze angebracht 
auf einer langen Lifte. Mein Bureau-Amanuenfis, ein vom unteren 
Theaterdienfte emporgeftiegener Veteran, des Namens Rilter, legte 
mir dies lange Blatt mit Tovdesurtheilen vor und fragte jchüchtern: 
Wie foll denn das gehen, da wir ohnehin Nichts mehr zu jpielen 
haben ? 

Ich antwortete ihm: Man ftirbt nicht fo leicht; jedenfalls 
wehrt man fih nach Kräften, wenn’s an’s eben geht, und ein 
lebensvolles Stücd hat ein zähes Yeben. 

Diefer Kampf um’s Leben der Stücke hat mit dem erften Tage 
meiner Direction begonnen und hat gedauert bis zum legten Tage. 

Die Repertoire-Sorge war wirflich groß und jchwer, Etwa 
für vierzehn Tage waren fertig gemachte Stüde vorhanden, meift 
alter Sorte. In allen übrigen gähnten weite Befegungslüden. Mean 
hatte nichts Fehlendes erfett, man hatte nicht gearbeitet, man hatte 
nur bie und da nothoürftig geflidt. 

Allerdings nicht ohne Grund. Das Perfonal war unzureichend. 








Das Burgtheater. 157 


Seit zehn Jahren war Niemand von Beveutung engagirt worden. 
Der Director hatte feinen Trieb dazu gehabt, die oberjte Direction 
ebenfowenig, und die Regieherrichaft war an fich ein fchweres 
Hindernig für neue Engagements. Sie war mit ihren Angehörigen 
und Hinterfafjen eine gefchloffene Phalanx. Angehörige waren nicht 
nur Verwandte, fondern auch zupafjende Schaufpieler, zupafjend 
dadurch, daß fie nicht ftörten, daß fie nicht in erite Yinie vorprängen 
oder gar überragen wollten. Jeder Regiſſeur bedeckte einen weiten 
Bereich von Fächern, er beherrfchte ein ganzes Kronland. Wenn 
ein neues Mitglied erſchien, da beeinträchtigte es gewiß, und am 
Ende fonnte e8 gar erfegen. Jedenfalls nahm es einen Plat weg, 
welchen man heute oder morgen für einen danfbaren Schüsling 
brauchen fonnte. Kurz, die Regieherrichaft ift der natürliche Gegner 
neuer Engagements, und fie hatte den redlichiten Antheil an ver 
Perjonal-Berarmung des Burgtheaters. 


Ungefähr ein Dutend guter, zum Theil ſogar fehr guter 
Schaufpieler und Schaufpielerinnen fand ich vor. Aber die Mehr: 
zahl war alt, vie Minderzahl bejahrt. 

Mit wenigen Ausnahmen famen fie mir alle freundlich ent- 
gegen, und ich durfte hoffen, fie zu gemeinfamer Werfthätigfeit bereit 
zu finden, 

Dieſe Hoffnung erfüllte ſich, jo weit jie die Tagesarbeit betraf. 
Ich theilte Stüde aus, feste Proben an und muthete ihnen viel 
Arbeit zu in diefem Kreife. So weit es die Kräfte bejahrter Yeute 
hergaben, verfagten fie feine Anſtrengung und bewährten ven alten 
trefflichen Corpsgeift des Burgtheaters. 

Sp weit aber diefe Hoffnung eine höhere Mitwirfung betraf, 
ließen fie mich vollftändig im Stiche. Theils aus Unbedacht, theils 
aus eingerofteter Bequemlichkeit, theils aus Unvermögen. 

Die Mehrzahl war ohne Literariihe Bildung; Manchem 
jagte man nach, er läſe das ganze Jahr hindurch Fein Buch. In 


158 Das Burgtheater. 


der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war das ein Lebeljtand, 
wenn von Theilnahme an einer Divection die Rede fein follte, 

Ich theilte neue Stücde unter fie aus und bat um Gutachten. 
Diefe Aufgabe lehnten fie ſämmtlich ab, und ich war nach einigen 
Monaten außer Zweifel, daß mein Gedanfe einer gemeinjchaftlichen 
Thätigfeit im höheren Sinne unausführbar wäre, Ich mußte mich 
bejcheiven,, ihre guten und braven Dienjte — fo weit es die Mehr- 
zahl von ihnen betraf — für den Tagespienft zu verwerthen. 

Sch war alfo auf mich felbjt, auf mich allein angewiefen. 
Niemand ftand neben mir als Veteran Nijter mit allen Nachweiſen 
früherer Vorgänge, Beſetzungen und Perſonalien. Cr war meine 
Gejchichtsquelle, 

Soll ih mich unter ſolchen Umftänden eines Planes und 
idealer Grundſätze rühmen? Unter Umftänden, welche mich, wie 
lange! nöthigten, um das tägliche Brod zu fechten? Ich kann es 
doch, Ich focht um's tägliche Brod, aber bei all dem Fechten juchte 
ich weiter zu bliefen. Ich faßte ein feftes Ziel in’s Auge und bejchied 
mich eben, nur langfam, nur Schritt für Schritt an das Ziel ge- 
langen zu können. 

Dies Ziel war: ein Nepertoire zu erreichen, welches jeder 
gebildete Mann vollftändig nennen könnte. Darin follten enthalten 
fein: alle Stücde, welche von Leffing an Lebenskraft bewährt hatten 
auf dem deutſchen Theater, ferner von Shafefpeare alle Stüde, 
welche die Compofitionsfraft wirklicher Stüde befäßen und unter 
uns noch wirklichen Antheil finden könnten; endlich von den roma— 
nifchen Völfern die wenigen Werfe, welche charafteriftiiche Eigen- 
thümlichfeiten für uns find, wie,,Phädra’ zum Beifpiel, wie ‚Donna 
Diana’ und das „Leben ein Traum‘; von den modernen Franzojen 
aber alle diejenigen Konverfationsftüde, welche in der Form gut 
find und unferen Sitten nicht widerfprechen, 

Um dies Ziel zu erreichen, war eg nöthig, das Perfonal jo zu 
ergänzen, daß alle wichtigen Stücke befetst werden Fünnten, Wäre 


Das Bınztheater. 159 


das nicht durchwegs bis zu einer gewiljen Vollfommenheit möglich, 
dann wollte ich zunächt auch mit mäßigen Kräften vorlieb nehmen, 
um die Lücken auszufüllen, und wollte mit aller Hingebung die 
herbeigezogenen jungen, zunäcjt nur mäßigen Kräfte heranzubilden 
juchen. Die Stüde, das volle Kepertoire wollte ich in erjter Yinie 
eritreben. Bietet man — meinte ich — dem Publicum reichen 
Inhalt, fo zeigt es Nachficht für Perfonalfhwächen und fühlt fich 
durch den erhöhten geiftigen Gehalt feines Schaufpielhaufes ver- 
anlaßt, die heranmwachfende Jugend des Perfonals durch Aufmun— 
terung fördern zu helfen. 

Mein Ideal war, nach einigen Jahren jedem Gajte aus der 
Fremde jagen zu fünnen: Bleibe ein Jahr in Wien und du wirft im 
Burgtheater Alles jehen, was die deutfche Literatur ſeit einem Jahr— 
hunderte Elaffifches oder doch Yebenswolles für die Bühne gefchaffen ; 
du wirft fehen, was Shafefpeare uns Deutjchen hinterlafjen, wirft 
jehen, was von den romanischen Völkern unferer Denk- und Sinnes- 
weije angeeignet werden kann. 

Ich Habe dies Ideal nie aus den Augen gelaſſen. Ob ich's 
erreicht habe? Im dieſer fterblichen, mitunter vecht ärgerlichen Welt 
flingt e8 vermefjen, von Erreichung eines Ideales zu Sprechen. Aber 
wir haben uns manchmal eingebilvet, ihm nahegefommen zu fein. 
Den Ruhm des Burgtbeaters nehme ich pofitiv in Anspruch, daß 
e8 von 1850 bis 1867 unermüdlich und oft erfolgreich nach dieſem 
Ideale geftvebt hat. Mit Mängeln behaftet find wir immer ge 
blieben, und wir haben nicht Alles gleich gut aufführen fünnen. 
Aber wir haben jenen großen Kreis, ich darf es jagen, ziemlich gut 
ausgefüllt. Das Burgtheater hat feit einer Reihe von Jahren das 
umfaffendfte Repertoire geboten, nicht nur in Deutfchland, ſondern 
in Europa. Das Theätre francais, unfer großer Rival, kommt 
wegen feines formell abgejchleifenen romanischen Weſens nirgends 
über romanische Grenzen hinaus und kann fich Nichts aus der Fremde 
aneignen, wie wir es vermögen, Und eim anderer Nival ift nicht 


160 Das Burgtheater. 


vorhanden. Die deutjchen Theater find darin ſämmtlich zurück— 
geblieben, die englifche Bühne iſt verfallen und vie — wie die 
italieniſche ſind franzöſirt. 

Natürlich hat ein Jahr das andere ausgleichen müſſen in Bezug 
auf Vollſtändigkeit. Heute verſagt ein Mitglied für dieſe, morgen 
ein anderes für jene Hauptrolle; das Material der Schauſpielkunſt 
beſteht aus Menſchen, welche Krankheiten und Schwächen unter— 
worfen find, nicht aus Marmor und Erz. Dann mußte ein Haupt- 
jtücf vertagt werden. Aber es ijt immer nur vertagt geblieben, es 
iſt immer wieder eingerüct in die große Neihe. Und wenn Anftände 
oder Verbote eintraten, da mußten wir uns fügen. Aber wir fügten 
ung immer nur dem unwiderftehlichen Drude. Sobald fih nur ein 
Luftloch öffnete, waren wir auch augenblicklich wieder da mit unjerem 
verbannten Kinde. 

Das Hauptmittel für die Erreichung des — Zieles oder 
doch für Annäherung an daſſelbe waren mir vom erſten Tage an die 
Proben. Ich hatte auf den wichtigſten deutſchen Bühnen meine 
eigenen Stücke in Scene geſetzt und hatte dadurch das Probeweſen 
kennen gelernt. Ungenügend, ganz ungenügend hatte ichs gefunden 
auf allen deutſchen Theatern, und auf dem Burgtheater ebenfalls ; 
ungenügend in der Ausdehnung, ungenügend in der Befchaffenheit. 
Dberflählih und mechanisch werden die Proben auf dem deutſchen 
Theater gehalten, und dies ift ein Hauptgrund, daß unſer Theater 
jelten Genügendes leiftet. Cine Lefeprobe macht die Rollen-In— 
haber mit dem Stüce befannt. Dabei erläßt fih gern Derjenige, 
welcher nur in einzelnen Acten beichäftigt ift, die übrigen Acte — 
er geht fort und lernt das Stück nur fennen, jo weit es ihn angeht. 
Nach zwei bis drei Wochen wird vie erſte Theaterprobe angefagt. 
Die meiſten Mitgliever fommen und laffen fich einjtellen in den 
Rahmen, umd haben aus der fernen Lefeprobe nur eine dunkle, un- 
klare Borjtellung von dem Stücde und von ihrem VBerhältniffe in 
vemjelben. Die bejjeren Schaufpieler nur lefen das Buch nod) ein- 


Das Burgtheater. 161 


mal durch beim Studiren ihrer Nolle. Aber wie ungewöhnlich dies 
gewejen, das erfah ich aus dem Unwillen meiner Bureaulente über 
dies Abfordern der Bücher. Der oder die — hieß es — will ſchon 
wieder ein Buch haben wor der Probe, das giebt ja Unordnung! 
Es thäte ja noth, wir hätten mehr als drei Bücher! Sie waren 
fehr erjtaunt, als ich erwiederte, daß dies auch noththäte, und daß 
ich e8 jehr gern fühe, wenn die Schaufpieler Bücher verlangten. 

So beginnt die Infcenejegung mit Theilnehmern, welche uns 
genügend unterrichtet find über den feineren Zufammenhang des 
Stüdes, und nach drei bis vier Theaterproben fommt das Stüd 
zur Aufführung. Es ift gar feine Zeit vorhanden bei dieſen Theater: 
proben, über die groben Umriſſe hinauszufommen, und es ift auf 
den meiften Theatern auch fein Dann vorhanden, welcher die Fähig— 
feit hätte, über die groben Umriſſe hinaus belehrend und anoronend 
vorzugehen. Gute Regiſſeure jind ehr jelten, und auch die wenigen 
guten Regifjenre ftehen jelten auf der literariſchen Höhe, welche er— 
forderlich ift, um ein Stück in feinem geiftigen Geflechte lebendig 
zu machen, Gemeinhin müſſen dieſe Regiſſeure auch noch jelbit 
mitjpielen, verlieren alfo dadurch auch noch die Freiheit der Führer: 
ſchaft. Dies Mitjpielen war geradezu Herfommen und Styl am 
Burgtheater. Die wichtigften und am meiften bejchäftigten Schau— 
jpieler machte man zu Negijjeuren. 

Darin zu veformiren war mir eine gründliche Abficht. Die 
franzöſiſche Form einzuführen, ſchien mir nicht vathfam. Cs thut 
jelten gut, Fremdes aufzupfropfen, und der deutſche Schaufpieler 
hat gegen diefe franzöfifche Form eine directe Abneigung. Die Franz 
zojen nämlich halten fo lange Yejeproben, bis ihnen das Stüd ganz 
geläufig ift, und beginnen dann erſt Theaterproben. Das langweilt 
den deutſchen Schauſpieler bis zum Aeußerſten. Zwänge man ihn 
dazu, man würde ihm alle Put werleiden, und was ijt eine Künſtler— 
Ihaft ohne Luft! Ein Automatenthum, 

Es blieb mir alfo Nichts übrig, als ſelbſt Regiſſeur zu werben 


Laube, Burgtheater. 11 


162 Das Burgtheater. 


und in forgfültiger Erledigung dieſer Aufgabe all das zu ergänzen, 
was die leidige Gewohnheit auf unjerer Bühne vernachläffigt. 

se länger ich diefe Aufgabe zu erfüllen trachtete, deſto klarer 
wurde mir es, daß fie ganz und gar zum Amte eines artiftiichen 
Directors gehört, und dar ein artijtiicher Director abjolut jelbjt 
Dramatifer jein muf. 

Es gehört eine dramatiſche Schöpfungsfraft dazu, um ein Stüd 
gut in Scene zu jegen, und die untergeordnete Fähigkeit der Anord— 
nung genügt nicht. In heutiger Zeit gewiß nicht. Die heutige Zeit 
ift jehr veich an geiftiger Thätigfeit und ziemlich arm an dramatifcher 
Production. Wird diefe Production dem heutigen Publicum nicht 
geiftig vermittelt, jo gewinnt fie das Interejje des Publicums nicht, 
und das Theater verfällt. 

Ein Theater — das erfannte ich in den erjten Wochen — ijt 
heutigentags nicht mehr vom Bureau zu dirigiven, die wichtigjte Ars 
beit der Direction muß auf der Scene geleijtet werden. 

Diejem Spiteme verdanfe ich drei Viertheile aller Erfolge. 
Truppen wie Schaufpieler werden belebt und wachen, wenn ver 
Führer immer mit ihnen iſt; wenn fie ven Plan der Schlacht und 
des Stückes genau fennen lernen; wenn jie inne werden, wo die 
Schwächen des Terrains liegen, wo alfo doppelte Kraft aufgeboten 
werden muß; wenn ihnen gezeigt wird, wo die Entſcheidung gebracht 
werden muß mit allem Nachdrude, 

Um jolch ein Führer zu fein, muß man jelbit ein Stüd jchreiben 
fünnen, muß man die Aufgabe des Schauspielers annäherungsweile 
ſelbſt ausführen können. Das Erſte, um ein in Scene zu feßendes 
Stück nicht nur ftreichen, jonvdern auch ergänzen zu fnnen. Das 
Zweite, um dem Schaufpieler ven Weg zeigen, ihm an jehwierigen 
Stellen vorangehen zu fönnen. Dies Letztere braucht nicht in eigent- 
lich Schaufpielerifcher Form zu geſchehen; aber es muß in voller praf- 
tiſcher Andeutung gefchehen. Nicht blos theoretiih. Mit Theorie 
verwirrt man den Schaufpieler. Man kann begründen mit Theorie, 


Das Burgtheater. 163 


aber der praftiiche Beweis darf nicht ausbleiben. Denn die Grund— 
lage des ſchauſpieleriſchen Talentes ift die Fähigkeit ver Nachahmung. 
Und deshalb muß ein artiftiicher Director denjenigen dramaturgiſchen 
Abſchnitt praftiich inne haben, welcher fich auf ven Vortrag bezieht. 

Meinem Plane gemäß begann ich mit Einftudirung zweier 
wichtiger Stüde, welche durch gewaltigen Inhalt einen tieferen Ein— 
druck machen jollten, als irgend eine Tagesneuigfeit dies vermocht 
hätte, Die Orgie Holbein’s hatte ja auch ſämmtliche Tagesneuig- 
feiten aufgezehrt. Der beengte Horizont meiner Vorgänger hatte 
mir zwei alte Neuigkeiten übrig gelaffen von jtattlichjter Bedeutung: 
„Fauſt“ und „Sulius Cäſar“. 

„Fauſt“ war in fogenannten unjchuldigen Scenen, wie 
das Viebesverhältnig mit Gretchen höflicherweife genannt wurde, 
vorüberhufchend zum Vorjcheine gefommen. In usum Delphini 
(„wie e8 für den Dauphin brauchbar iſt“), jagte man einjt in Frank 
reich; in Wien hieß e8: „wie es für die Comtejjen brauchbar iſt“. 
Dieje jungen Damen waren jehr gefährlich für das Repertoire des 
Burgtheaters. — Ich kannte fie noch nicht, tappte ohmeweiters nad) 
dem Ganzen und errang es bei meinem Chef, weil ich jung war. 

Für Kauft und Gretchen machte ich den Anfang mit neuen 
Engagements. Iojeph Wagner und dejjen Frau debutirten in diejen 
Kollen. Joſeph Wagner iſt wohl auch fein Denker von Fauſt's 
Tiefe und Verzweiflung, aber wenn auch nicht ver abjtracte Gedanke 
fein Element iſt, die Verzweiflung ift es. Für tiefaufgeregte Seelen- 
zuftände hat er einen wahrhaftigen jtarfen Ausdruck von leiven- 
Ichaftliher Schönheit. Seine Frau, Bertha Unzelmann, eine En- 
felin der berühmten Schaufpielerin, befaß das Seelenleben Gretchens 
in Schönfter Gattung. Sie war eine finnige, geiſtvolle Natur und 
machte als Gretchen außerorventliches Glück. Leider waren ihre 
phyſiſchen Mittel gering, ihr Organ war ſchwach und Elanglos, und 
nur die Beten des Wiener Publicums wirdigten ihre Vorzüge auch 
in der Folge. Dem großen Publicum war fie als erſte Yiebhaberin 

ik, 


164 Das Burgtheater. 


nicht reizend genug, und Kränklichkeit nöthigte fie auch bald in den 
Hintergrund. Sie ftarb frühzeitig an einem Bruftleiven, welches 
ihr die Entfaltung edler Geiftesgaben auf der Bühne hartnädig er— 
ſchwert hatte, — Für ven Mephifto konnte La Roche eintreten, wenn 
er auch eigentlich nur Eine Seite ver Rolle, die des chnifchen Schalfs, 
zu vergeben hatte. Die dämoniſche Seite liegt ab von einem Na— 
turell, welches trefflich geeignet ift für Luftipiel und Schaufpiel. 

Dies ganze Fach, das Fach des tragifchen Charakterſpielers, 
war am Burgtheater ſeit langer Zeit unbeſetzt. Es vertheilte ſich 
unter die Matadore. Sogar der lebensluſtige Wilhelmi war lange 
gemißbraucht worden, Tyrannen zu tragiren, welche ihm höchit. 
wunderlich zu Gefichte ftanden. Ich mußte alfo darauf bedacht fein, 
in diefer Richtung eine Kraft zu gewinnen oder zu erziehen. 

Dazu bot fich frühzeitig Gelegenheit, wenn auch nur Gelegen- 
heit für mich; denn der Schaufpieler, welchen ich dafür in’s Auge 
faßte, gehörte für das Publicum noch in ein ganz anderes Fach. 
Als ich über meinen Eintritt ins Burgtheater unterhandelte, gegen 
1849, ſah ich ihn auf dem Burgtheater Rollen ſpielen wie den 
Schilfer in den „Karlsſchülern“. Er war als Gaft von Hamburg 
gefommen und jollte fürs Liebhaberfach engagirt werden. Er gefiel 
durch Friſche, Schärfe und Behendigkeit, und mich intereffirte er 
bejonders darum, weil ich ihm ven Fünftigen Charafterfpieler abzu— 
jehen meinte, Sein Name ift Dawifon, 

Mein Eintritt war eben abgejchloffen, und ich wollte juſt nach 
Leipzig abreifen, um meine Familie zu holen, da wurde ich jeinet- 
wegen noch zu meinem Chef, vem Grafen Lanckoronski, eitirt. Das 
Engagement Dawifon’s, welches ich als ficher vorausgeſetzt, war 
zweifelhaft geworden. Holbein figurirte noch als ökonomiſcher Di- 
rvector, und er hatte Dawiſon's Forderung zu hoch befunden, 

Damifon beihwor mich, fein Engagement durchzufegen, und 
wartete bei fchlechtem Wetter unten in ver Bräunerftraße, bis ich 
vom Grafen wieder hevunterfommen und ihm Befcheid jagen würde, 


Das Burgtheater. 165 


Ich erflärte meinem Chef, daß der junge Mann engagirt wer- 
den müßte, auch wenn er noch einmal fo viel verlangte, als er ver— 
langt habe, Er fei ein unzweifelhaftes Talent, und das Perfonal 
des Burgtheaters müſſe um jeven Preis ergänzt werden durch junge 
Talente. 

Graf Yandoronsfi bewilligte das Engagement, und Dawifon 
empfing unten die Nachricht mit der lebhaftejten Erfenntlichfeit. 

Sch blieb einige Wochen aus, und als ich nach Wien zurück— 
fam, fand ich ihn — todtgemacht. „Er liegt auf ver Naſe“, fagten 
die Schaufpieler. Mein erites Engagement erfchien als verunglückt. 
Er hatte während meiner Abwefenheit feine Debutrollen gejpielt, 
und derfelbe Schaufpieler, welcher als Gajt jehr gefallen, war als 
Debutant durchgefallen. 

Als ich hörte, welche Rollen er gejpielt, war mir Alles klar. 
Er jelbjt war über fich ganz im Unflaren und meinte wohl eigent- 
(ih, Alles pielen zu fünnen. Da hatte man ihm denn allerdings 
lauter jchöne Rollen gegeben, aber vorzugsweife Wiener Kollen, 
das heißt Rollen, welche durch Lieblinge des Wiener Publicums große 
Geltung erlangt hatten, welche aber gerade jpecififche Eigenfchaften 
der Wiener Lieblinge vorausfetten. Dawiſon hatte nun gerade 
dieje Eigenfchaften nicht, und fo war er in die Grube getaumelt. 
Dies artige Diplomatenſtückchen war feit Jahren üblich geweſen, weil 
fein thatfräftiger Director die Zügel geführt. 

Dawiſon jelbjt war völlig entzwei; er hatte allen Muth ver: 
(oven, und je bedeutender die Rolle war, die ich ihm bot, deſto 
dringender bat er, fie nicht annehmen zu dürfen, Antonius im 
„Julius Cäſar“ war ihm ein unmögliches Wagſtück im Burgtheater. 
„Ja, lieber Freund‘ — erwiederte ih —, „ich bin auch neu wie Sie, 
und muß auch wagen, Sie müfjen vorwärts und müſſen die Rolle 
ſpielen.“ 

Da kam ein wichtiges Intermezzo. Eines Abends finde ich ein 
neues Manuſcript in meiner Wohnung. Den Namen des Ver— 


166 Das Burgtbeater. 


faffers hatte ich vor Jahren flüchtig in Leipzig fennen gelernt. Dort 
hatte ich Fleine Artifel von diefem jungen Manne in die ‚„‚Elegante 
Zeitung‘ aufgenommen. Sollte der ein Stüd jchreiben fünnen ?! 
Ich las jogleich, las bis Mitternacht und reichte am anderen Morgen 
das Stüd ein zur Aufführung. Es war der „Erbförfter” won Otto 
Ludwig. 

Die Rolle des älteſten Sohnes, Andres, beſtimmte ich für 
Dawiſon. Als wir zur Leſeprobe kamen, zog er mich beiſeite und 
klagte nun in entgegengeſetzter Richtung: „Jetzt ruiniren Sie mich 
mit jo kleiner Rolle!“ Dabei zeigte er auf die paar Blätter, aus 
denen die Rolle beſtand. 

„Diefe paar Blätter werden Ihre Yorbeerblätter werden — 
Sie müſſen die Rolle ſpielen.“ 

Und es wınde jo. Mit diefem Andres machte er einen Effect, 
der alles Andere in Schatten warf. Und nun fonnte ich weiter mit 
ihm vorjchreiten. 

Leicht wurde esnoch immer nicht, und das Schiefal war immer 
noch tückiſch: im „Julius Cäſar“ ſchlug er, hingeriffen von Ekſtaſe, 
die Leiche des Cäſar-Anſchütz dermaßen auf den Bauch, daß vie 
Folgen nicht ausbleiben konnten. Der todte Cäfar machte eine con— 
vulfivifche Bewegung, welche fich für feinen Todten der Welt jchict, 
auch nicht für Julius Cäfar, und welche ein fchallendes Gelächter 
des Wiener Publicums erregte. 

Dabei erfuhr ich, daß dies Publicum das Yachen abfolut nicht 
vergeſſen kann, der Moment jet auch noch fo feierlich. 


XII. 


Der „Erbförjter‘‘ machte das Aufjehen eines literariichen Er— 
eignifjes. Dtto Ludwigs's Name war unbefannt, und das Stüd 
zeigte eine ganz neue, ganz eigentbümliche Kraft. ine vealiftifche 
Kraft, welche mit Nomantif verquidt war. So wurden die Rea— 
liſten dafür eingenommen, welche nadte Wahrheit in der Dichtung 
wollen, und die Spealiften, welche höhere Beziehungen verlangen, 
meinten in der vomantijchen Wendung des Stüdes auch ihre Nech- 
nung zu finden. 

Das Trauerjpiel wirkte bis auf feinen Höhepunkt ungemein 
fräftig und erfrifchend. Die realiſtiſche Schilderung der Charaftere 
im Forſthauſe war geijtig durchhaucht von fein menschlichen Zügen; 
die Bewegung des Handlungsftoffes war ganz natürlich, und der 
Athen der Romantik über Alledem erſchien anjpruchslos und veizend. 

Eben deßhalb wurde das Stüd auch vortrefflich gejpielt. Denn 
die Schaufpieler hängen ganz vom Dichter ab. Sie fünnen feine 
guten Wirkungen erzwingen, wenn dem Dichter nicht der glückliche 
Zufammenhang und der überzeugende Ausdruck gelungen ift, und jie 
wirfen nur dann leicht und ficher, wenn der Dichter ins Schwarze 
trifft. Anſchütz als Erbförſter erguicte durch ſolides, wohlthuendes, 
ganz und gar einfaches Spiel. Ya Noche gab in vem Waldläufer 
Weiler ein Meijterjtüd der Genremalerei, Dawiſon brachte vie Wuth 
und das innere Entjegen eines gemißhandelten Jünglings genial 
zur Anſchauung — bis zur Höhe des vierten Actes meinte man eine 
neuclaſſiſche Schöpfung vor fich zu ſehen. 


168 Das Burgtheater. 


Von da an knickte das Stüd, und am Ende verlor es all jeine 
glüklihe Macht. Warum? Der Inhalt des Stüces übertrieb 
fih, und die früher angenehm colorivende Romantif wurde grell, 
wurde in diefen Charakteren eine gemachte und unwahre Er— 
höhung. 

Es überflog Einen der Eindruck: dieſer begabte neue Dichter 
muß erkrankt ſein mitten in der meiſterhaft geführten Arbeit. Wer 
ſpäter hörte, daß Otto Ludwig in der That von tiefer körperlicher 
Krankheit befallen war, der meinte wohl, darin den Aufſchluß zu 
finden. 

Das war es aber nicht allein, was den Ausgang des „Erb— 
förſter“ beſchädigte. Es war die literariſche Erziehung, welche Lud— 
wig in der Jugend durchgemacht, die Erziehung, welche uns Allen 
angekränkelt worden iſt, die wir in den Zwanziger und Dreißiger 
Jahren unſere literariſche Jugend verlebt haben. Die Romantik 
der Novalis, Brentano, Arnim, Tieck war zu Anfang des Jahr— 
hunderts durch die großen fritifchen Talente ver Gebrüder Schlegel 
emporgeſchwindelt worden gegen Schiller und Goethe, deren Ruhm 
unbequem wirfte auf junge Autoren. Beſonders gegen Schiller 
war fie gemünzt. Dieſe Romantik, als Reaction zur Welt gebracht, 
war nie ganz geſund und hatte von Haufe aus jehr wiel künſtlich 
Gemachtes in ihrem Inneren, fünftliche Neligiofität, fünftlichen Natur— 
ſinn, fünjtliche Yiebe. Wer fennt jie denn jeßt noch, die Produc- 
tionen, welche in unferer Jugendzeit für Ideale galten; wer fennt 
und lieft noch Tieck's „Genovefa“ und „Kaiſer Octavianus“, umd 
Arnim’s „Gräfin Dolores’ und Brentano’s „Gründung Prags“! 
Sie find verweht vom Staube der Zeit, wie alle Pflanzen verweht 
werden, die feine gefunden Wurzeln haben. Aber diefe Männer 
und diefe romantische Schule waren voll Geift und Bildung, und 
es war ihnen durch ihre fritifchen Wortführer Schlegel gelungen, 
einen jogenannten poetiihen Canon zu gründen in der deutjchen 
Literatur. Dieſer Canon iſt eigentlich erit durch das junge Deutſch— 


Das Burgtheater. 169 


land angegriffen worden, allerdings ungleich und oft ungenügend 
angegriffen worden, denn wichtige Wortführer des jungen Deutfch- 
land jtammten jelbjt noch aus der vomantifchen Schule. Aber der 
Angriff war doch jo weit wirfjam, daß die Autorität der blauen 
Romantik erichüttert wurde und daß jich neue Grundſätze anbahnen 
fonnten, welche neuerdings vealiftifch genannt werden. Dtto Lud— 
wig hatte in jeiner Jugend diefe blaue Nomantif eingefogen und 
hatte erjt in reiferem Alter die Berechtigung der realen Dinge in 
der Poeſie erfannt. Für Letzteres boten feine Eindrüde des heimath- 
lichen thüringiichen Kleinlebens Material in Fülle, denn er war 
immer arm und war vertraut mit allem Handwerfszeug der Kümmer— 
niß, mit allen Athemzügen der Erholung von ven Leiden des Yebens. 


Aus jolcher Ehe zwifchen Romantik und realen Eindrücen des 
thüringifchen Land» und Waldlebens ift der „Erbförſter“ entiprungen. 
Er hat zwei Seelen, eine franfe und eine gejunde. 


Das Stüd erbaut jein Gerüft auf einer ganz interejjanten Idee. 
Der Förſter hat den Wald aufgezogen, er betrachtet ihn deßhalb als 
jein Eigenthum und will dem juridifchen Eigenthümer nicht zuge- 
itehen, daß dieſer zerjtörend darüber verfügen könne. Das tft in- 
terejjant für ein Schaufpiel, aber nicht haltbar für eine Tragödie. 
Mitten in einer juridifch geordneten Welt kann man diefe Welt nur 
bis auf einen gewijjen Grad leugnen, nicht total. Wer fie total 
leugnen will und doch übrigens ganz mit derjelben Welt lebt, ja in 
innigem Kamilien-Zufammenhange mit diefer Welt lebt, der ijt ein 
Sonderling und man nennt fein Yeugnen eine Marotte, Sonder: 
(ing und Marotte find geeignet für Yuft- und Schaufpiel, nicht fürs 
Traueripiel. Wenn es der Sonderling zum Aeußerjten treibt, fo 
haben wir die Empfindung: er übertreibt. Und mit diefer Empfin- 
dung bejteht feine Tragödie. 


Hier waltet ſchon die franfe romantiſche Seele des Stüdes ; 
denn die Romantik verachtete die realen Verhältniſſe und trieb einen 


170 Das Burgtheater. 


einfachen Forftmann zu fpitfindigem Naturrechte, welches das Eigen- 
thum leugnet unter gewifjen Vorausſetzungen. 

Wir aber, die wir im Theater fiten, gehen mit dem Erbförjter 
nur bis zu dem Punkte, wo er tragifchen Ernſt macht mit jeiner in- 
tereffanten Borftellung vom Eigenthume. Zu dieſem tragifchen 
Ernſte ſchütteln wir den Kopf, und unfere ernfte Theilnahme iſt dahin. 

Kommt nım im legten Acte gar das ganze romantiſche Spiel- 
zeug hinzu von der blauen Blume und von der Vifion der Torhter, 
und fol fich diefe Viſion der Tochter zuletst bejtätigen durch den Tod 
der Tochter von Vatershand, dann fehütteln wir. den Kopf zweimal. 
Das Alles ift fünftlih romantischer Nachdruck für jonjt gejunde 
Forftleute, und der Ausgang des Stüces wird für ung ein trauriger, 
nicht aber ein tragiſcher. Wir gehen hinweg mit dem Ausrufe: 
Wie ſchade! 

So that auch das Wiener Publicum. Trotz Anerfennung 
vortreffliher Eigenfchaften im Stücke und trefflicher Darjtellung des 
Stücdes blieb das Publicum aus bei den ferneren Borjtellungen. 

Und troß Alledem ift das Stüd eine Arbeit von Verdienſt und 
Kraft und Reiz. Nur übel verjtandene Romantik hat es verjtümmelt. 

Sch fette dies Alles Ludwig auseinander in einem langen 
Briefe und ſchlug ihm eine Umarbeitung vor. Wurde die faljche 
Romantik Hinausgeworfen, jo fonnte ohne gar große Umgeftaltung 
ein Schaufpiel entftehen, welches unzerftörbar auf dem deutjchen 
Theater blieb. Er ſah auch dies Alles ein, er jtand bis auf einen 
gewilfen Grad fchon über feinem Werfe — aber er fonnte fich doch 
nicht zur Umarbeitung entjchließen. 

Die äfthetifche Lehre, welche wir in der Jugend eingefogen, 
wird in uns zur Glaubenslehre. Sie ganz zu wechjeln, wird uns 
fo ſchwer, wie unſeren firchlichen Glauben zu wechjeln. 

Ich meinte übrigens, ein troß feiner Gebrechen jo talentwolles 
Stüc verdiente auch von unferer Seite ein Opfer, will jagen ein 
Dpfer der Caſſe. Beharrfich brachte ich alfo jedes Jahr den „Erb— 


Das Burgtheater. #71 


förſter“ wieder, ver leider nur auf einigen deutſchen Theatern ge- 
geben, und wieder verjchwunden war. Ich rechnete darauf, dag man 
allmälig die Uebelſtände als befannt worausfegen und in den Kauf 
nehmen werde für außerordentliche Vorzüge. Ich vechnete ferner 
auf das große Gewicht, welches ein echtes Theater-Publicum wie 
das Wiener auf die Darftellung legt. Nur in Wien fann ein Stüd 
lange leben: durch die einleuchtende Trefflichkeit der Darftellung ; 
draußen nicht. Und Anſchütz wurde als Erbförfter unübertrefflich 
gefunden. Ich theilte diefe Meinung, joweit fie jein Spiel betraf; 
fein Naturell fand ich nicht ftreng genug für den Charakter. Aber 
das war meine Privatmeinung, das Publicum fannte und theilte fie 
nicht; ich baute aljo hartnädig auf den Theaterfinn des Publicums 
und führte das Stüd immer wieder vor, obwohl Jahr um Jahr 
feine günftige Wendung für die Cafje eintrat. 

Endlich gelang es doch; der Beſuch fteigerte fich, ich glaube 
wohl vorzugsweije darum, weil man den alten Herrn — Anfchüt 
war ſchon hoch bei Jahren — in der berühmten Rolle noch einmal 
jehen wollte. Und jo wurde der „Erbförſter“ wirkliches Reper— 
toireſtück. 

Meines Erachtens kann und ſollte der „Erbförſter“ wieder 
aufgenommen werden, ſobald ſich eine jüngere Kraft für die Haupt— 
rolle eignet. Iſt ſie, wie ich wünſche, im Naturell ſtrenger, ſo wird 
ſie allerdings doppelte Schwierigkeit finden, gegen die Beliebtheit 
der Anſchütz'ſchen Weiſe aufzukommen, das Trauerſpiel ſelbſt aber 
wird in dieſer Einen Richtung wahrſcheinlicher werden. Denn ein 
weicher Erbförfter widerfpricht den letten Wendungen zu jehr und 
macht als Rindesmörder einen doppelt peinlichen Eindruck. 

Zwifchen „Fauſt“ und „Erbförſter“ waren noch andere Neuig- 
feiten gewonnen worden, Stücde und Schaufpieler. Das Dirigiven 
entwicfelte fich mir wie das Nomanfchreiben: man drängt auf ein 
Hauptfapitel zu und unterwegs begegnet man einem Nebenfapitel 
nach dem anderen, und ift am Ende ganz zufrieden mit jolcher Ver: 


172 Das Burgtheater. 


zögerung, weil man unterwegs verjtärftes Yeben gewinnt und ges 
häufte Steigerung erreicht für das Hauptfapitel. Ih Hatte als 
Hauptfapitel fortwährend die Injcenefegung des „Julius Cäſar“ 
vor Augen, und dieſe fand große Schwierigkeiten, namentlich auch 
Berfona-Schiwierigfeiten. Denn folh ein mafjenhaftes Römerftüc 
machte größere Anforderungen, als die lette Holbein’jche Zeit mit 
ihrem Nachlaffe zu befriedigen im Stande war. Es hatte den An— 
ichein, als jei dies im erjten Halbjahre gar nicht möglich, umd ich 
meinte jehr unzufrieden jein zu müſſen, gewann aber unterwegs 
recht wejentliche Dinge: ein paar dauernde neue Stüde und ein 
paar dauernde neue Schaujpieler. 

Gutfow hatte zum Jubeljahre Goethes 1849 ein Gelegen- 
beitsjtüc für Frankfurt geſchrieben, den „Königs-Lieutenant“, umd 
dafür wenig Danf geerntet, wie das zu gehen pflegt, wenn Gelegen: 
heits-Arbeiten größeren Anſpruch machen. Sie follen vajch ent: 
ſtehen, follen zahlreichen Zwecken des Augenblicks dienen und follen 
dann doch nicht vafch wieder vergehen, ja auch noch den Maßſtäben 
ewiger Kunftwerfe gerecht werden, Das tjt jelbjt Goethe nicht ge- 
(ungen mit größeren Compofitionen, obwohl gerade er befanntlich 
die Gelegenheit jehr hoch ichätste für poetifche Thätigfeit. Gutzkow's 
Arbeit enthielt jedenfalls mannigfache hiſtoriſche Elemente, welche für 
das Wiener Publicum werthvoll waren, da die Abjperrung Defterreichs 
vom deutjchen Dichterleben dem öſterreichiſchen Volfe gar viel ent- 
zogen hatte von den intimen Reizen unferer literariichen Entwidlung. 
Ich meinte durch eine forgfältige Infcenefegung dieſen „Königs— 
Lieutenant“ gefällig machen zu fünnen. Ein neuer Schaufpieler 
bot jich dar für die Hauptfigur; Jacob Lußberger, auch ein geborner 
Frankfurter. Er bejtand ziemlich aut, und das Stüd, welches an— 
derswo als Gelegenheitsjtück vorüberging und nur durch Gaſtrollen 
von Zeit zu Zeit wiedererwect worden tft, hat auf dem Burgtheater 
einen Platz im Repertoire erhalten. 

liebrigens war für Yußberger gerade die Frankfurter Herkunft 


Das Burgtbeater. 173 


jehr lange ein jchweres Hinderniß des Auffommens,. Der fränfijche 
Stamm amNievermain, und namentlich in Frankfurt, hat in feinem 
Dialekte einen fingenden Nafalton zum Lieblingstone erwählt, welcher 
für die Bühne nicht geſucht wird. Der treffliche Frankfurter Komiker 
Haffel, der dortige ‚„„Bürger-General, hat mir zwar in feiner 
würdevollen Laune einmal verjichert, dies jei gerade ver Ton, welcher 
von den alten Franfen an die Franzojen übergegangen, und jujt er 
babe die franzöfifche Sprache zur Weltiprache gemacht. Aber dieje 
geichichtliche Anſchauung tft vereinzelt geblieben und jedenfalls nicht 
ins Theater-Publicum gedrungen, denn Lußberger litt jehr unter 
diefem gemeinfamen Stammlaute alter Franfen und moderner Fran— 
zoſen. Wie oft erlebten wir’s, daß er eine ganze Scene vortrefflich 
gejpielt hatte — er war ein jehr tüchtiger Schaufpieler — und am 
Ende verjelben jchlängelte fich diefer fragliche Nafalton mit naiver 
Zudringlichfeit in’s Schlußwort und verjtimmte das Publicum, 
welches jchon bereit gewejen war zum Applaufe. 

Was für Mühe gab fich Yußberger auf mein Zureden, Dies 
Heimchen loszuwerden! Umſonſt. Sein „Daheim“ untergrub 
alle Mühe. Seine alte Mutter lebte bei ihm; er liebte jie zärtlich 
und verfehrte zu Haufe nur mit ihr. Natürlich in heimathlicher 
Redeweiſe. Und jo confervirte er fich bei aller Gegenbejtrebung 
dies Merkmal des Dialeftes. Auf Unglüd folgt Glück, pflegt man 
zu jagen — die Mutter jtarb, und Yußberger wurde freier und freier, 
endlich meinten wir gejiegt zu haben. Da — ad, auf Glüd folgt auch 
Unglüd, da, als wir ven Sieg ſchon in Händen hielten, da — ſtarb 
Zußberger ſelbſt. Ein Herzichlag raffte ihn in voller Manneskraft 
hinweg. 

Das war mir ein fchmerzlicher Verluſt. Yußberger war ein 
liebenswürdiger, jolider Mann mit guter Schulbildung, mit uner: 
müpdlichem Bildungsjtreben, mit eifernem Fleiße und mit jener ge 
junden ſchauſpieleriſchen Begabung, welche man Ifflandiich nennt, 
einfach, wahr und reiflih erwogen. Frei vom Dialefttone, hatte 


174 Das Burgtheater. 


er eine jchöne Zukunft vor fich im Fache der Väter und gejchnteis 
digen Charafterfpieler. Er beherrſchte auf ver Scene jein Material 
mit voller Sicherheit und hatte dadurch einen großen Borjprung vor 
jo vielen begabten deutſchen Schaufpielern, welche die Abhängigfeit 
vom Souffleur nicht loswerden fünnen, eine Sklaverei, die nie ein 
volles jchaufpielerifches Kunftwerf erreichen läßt. Darüber war 
Lußberger auch mit jih ganz im Klaren, und fein Streben war ein 
ſyſtematiſch geregeltes. Ich erinnere mich einer Streiticene auf 
der Probe, welche dies deutlich an ven Tag legte. Gereizt durch 
ein anderes Mitglied, welches den Souffleur abjolut nicht entbehren 
fonnte, entwarf er diefem ind Angefiht voll Zorn ein Bild vom 
Schaufpieler, wie er jein müßte. Er führte dies Bild mit voller 
Beredtiamfeit und Kenntni in raſchem Nedeitrome binnen fünf 
Minuten vergejtalt aus, daß es vom Stenographen jofort in die 
Druckerei gejchieft werden konnte und jich als ein erfchöpfendes Va— 
demecum für Schaufpieler dargeboten hätte. Er beſaß alle Eigen- 
ſchaften für einen guten Negtjjeur. 

Das zweite Stück und der zweite Schaufpieler, welche unter- 
wegs gefunden wurden, waren „Der verwunſchene Prinz‘ und Herr 
Meirner. 

Der heitere „Verwunſchene Prinz‘ wurde Gegenjtand einer 
ernjten Prineipienfrage. Diefer Prinz ift eigentlich eine Poſſe, und 
die Kigoriften meinen, eine Poſſe gehöre nicht aufs Burgtheater. 
Im Wiener Sinne haben fie auch Recht. Eine Wiener Pojje iſt 
etwas viel Gröberes und Bunteres, als der literariiche Begriff Poſſe 
in jich ſchließt. Diefer nennt ein ausgelafjenes Luſtſpiel eine Poſſe, 
und ein ausgelajfenes Yujtipiel ijt etwas ganz Anderes als eine 
Wiener Pofje. Es fommt alfo ganz auf ven Grad ver Ausgelafjen- 
heit an, ob das Stück in einem Schaufpielhaufe zuläſſig iſt, welches 
den Anſpruch auf ein erſtes Schaufpieltheater ſtreng behaupten will. 
Und dies ift eine feine Frage, Bei einer großen Anzahl unferer 
Luftipiele jagt der äfthetifche Kritifer mit Recht: es ijt mehr Poſſe 


Das Burgtheater. 275 


als Luſtſpiel! und es fällt uns doc) nicht ein, das Stück vom Burg— 
theater zu weifen. Die Grenzlinie iſt jehr jchwer zu bejtimmen, und 
ih habe immer gemeint, man joll jih da vor Pedanterie hüten. 
Fröhlichkeit ift ein gar gutes Ding. Man fol ihr nicht entgegen 
treten, jo lange fie nicht Neigung zeigt, trivial zu werven. 

Die Franzofen wiſſen vecht gut, was jie wollen, indem fie auf 
ihrem jtolzen Theätre Frangais die alten Scapinſtücke mit gröbiter, 
ja gröblichjter Komik jede Woche aufführen. Es gejchieht nicht blos, 
um ihre clafjiichen Yuitipieldichter zu ehren, und neben Moliere ift 
Ihon Regnard nicht geradezu claffiich, und es fommen deren, die 
unter Regnard jtehen. Sie wollen ungebundene, natürliche Frifche, 
jie wollen derbe Heiterfeit, ja unmotivirte Yuftigfeit nicht ausgehen 
laſſen auf ihrer Scene; fie wollen den oft verzwicten modernen Re— 
jerven vornehmer Gefellichaft einen Widerpart entgegenhalten, da— 
mit der Geſchmack nicht verfchrumpfe in fünftlicher wie ängjtlicher 
Convenienz. 

Die Warnung vor Pedanterie in dieſer Richtung gilt beſonders 
für ein Theater, welches ſiebenmal in der Woche Schauſpiel giebt, 
alſo fröhliche Abwechslung dringend braucht. Dazu unſere drama— 
tiſche Schöpfungskraft, welche im Luſtſpiele ſo gar ſparſam iſt und 
welche in ihren Luſtſpielen vorzugsweiſe nach dem Derben und Poſſen— 
haften neigt. Ein Theater wie das Burgtheater, welches nur Schau— 
ſpiel bringt, ſoll ferner auch den ganzen Umfang des Schauſpieles 
bringen. Zu dieſem Umfange gehört die Poſſe im feineren Sinne. 
Vom geſchichtlichen Herkommen im Burgtheater ſpreche ich da gar 
nicht. Dies Herkommen iſt nie rigoros geweſen, im Gegentheile, es 
iſt immer weit über das hinausgegangen, was ich meine. Poſſen 
wie die „Pagenſtreiche“, welche ich auf dem Repertoire fand und 
für den Faſchingsſonntag ſtehen ließ, ſind viel ärger, als ich für zu— 
läſſig erachte. Das iſt nicht ein ausgelaſſenes Luſtſpiel, das iſt eine 
ausgelaſſene Poſſe. Das ausgelaſſene Luſtſpiel, welches man lite— 
rariſch Poſſe nennt, braucht eine volle Motivirung ſeiner Wirkungen 


176 Das Burgtbeater. 


und unterjcheidet ſich vom Luftipiele nur dadurch, daß den Wirfungen 
ein freiever und breiterer Raum gelajjen wird. 

In diefem Sinne hielt ich und halte ich das Genre des „Ver— 
wunjchenen Prinzen‘ für ganz zuläffig. Seine heitere Wirkung hat 
es denn auch in vollem Maße gethban, und der Verfaffer, ein an- 
ipruchslofer Dann in München, v. Plötz, hatte eine reine, fchöne 
Freude daran, das feine anfpruchsloje Arbeit auf einem eriten 
Theater eingeführt wurde und wohl bejtand. Es war Nachfolge jo 
fröhlich jinniger Arbeit von ihm zu erwarten; aber der Tod, welcher 
einen Zahn auf umjere Dramatifer und guten Schaufpieler hat, 
vaffte auch ihn bald darauf hinweg. 


Herr Meirner gefiel, und es ward ein Charafter-Nomifer ge- 
wonnen neben dem freien Komiker Bedmann, welcher jo unvergleich- 
lich war in der freiheit der Komik und welchen der neidiihe Tod 
auch vorzeitig hinweggeriſſen bat. 


Noch in einer anderen komiſchen Richtung verfuchte ich Das Re— 
pertoire zu erweitern. In der Richtung nach Norden, möchte ich 
jagen. Heinrich v. Kleiſt's „Zerbrochener Krug‘ gehört ganz zur 
nordischen Komif. — Heinrich v. Kleijt ſtand lange auf der Senator: 
Lifte unferer großen Boeten. Man meinte, es müjje Alles dafür ge 
than werden, dem Publicum begreiflich zu machen, daß ihm einer 
der nächiten Seſſel nab Schiller und Goethe eingeräumt werde. 
Sch war jelbjt viefer Meinung und hatte vor, all’ jeine Dramen 
in Scene zu ſetzen. Wie weit ich damit gefommen bin, wird die 
Folge zeigen. Zuerjt brachte ich den „„Zerbrochenen Krug‘, der bier 
nie gegeben worden ; eigentlich ohne Erfolg. Er erſchien zu nordiſch, 
zu alt, zu gedacht, zu abjtract. Mehr Komik für den Denker als 
für ven Zuſchauer. Der Unterichied unjerer deutſchen Landsmann— 
ſchaften zeigt jich da jehr deutlih. Die märkiſche Yandsmannfchaft, 
zu welcher Kleift gehörte, findet das Stückchen ihrem Gefchmade 
zufagend, fie folgt ihm mit Behagen. Döring giebt auch den Dorf- 


Das Burgtheater. 177 


richter Adam viel chnifcher, ſchärfer und frecher als La Roche, und 
die Döring'ſche Charafteriftif entipricht dem märkiſchen Grundtone. 
Die norddeutſche Komik jteht eben der Kauftif viel näher als vie 
ſüddeutſche. Aber auch im Norden muß diefer durch die Nomantifer 
berühmt gewordene „Krug“ geftrichen werden bis auf die Knochen. 
Er ift viel zu breit für die Scene. Und dem Süddeutſchen iſt ein 
Körper ohne Fleifch ein mißlich Ding. 

Endlih! — die Maiſonne fchien Schon alühend warn — kam 
ich an die Proben des „Julius Cäſar“. Dieſe Aufgabe wurde als 
das Staatseramen des neuen Directors betrachtet, und alle An— 
jtrengungen eines jo jchweren Actes brachte fie auch mit fih. Die 
großen Volfsfcenen waren in jolcher Art eine Neuerung auf dem 
Burgtheater, und ich hatte fie gegen ven Regiſſeur durchzufeten. 
Das flingt auffallend, wenn ich den Regiſſeur nenne, Anſchütz 
wars, ein ſonſt friedlicher, feiner Kunſt ehrlich ergebener Mann. 
Unfer Streit war auch fein perfünlicher, er war ein Streit um 
Grundſätze. Alte und neue Schule ftießen hiebet hart an einander, 
Anſchütz wollte nicht zugeben, daß die auf ver Dühne Agivenden gar 
feine gejellige Rücjicht auf das Publicum nähmen. Cr fand es re 
ſpectwidrig, daß fie dem Publicum fogar den Rüden zufehrten. Ich 
dagegen erklärte mich als Gegner dieſer gejelligen Rückſicht und be 
bauptete, die Scene habe alle Rechte eines Gemäldes. Ich verwies 
auf große hiftorische Bilder, welche ihre Größe einbüßen würden, 
wenn alle Köpfe und Yeiber en face oder auch nur halb en face er- 
icheinen müßten. So wenig im Converfationsjtüd die Schaufpieler 
immer nah dem Publicum zugefehrt jprechen dürften — und dies 
ſei ja ein charafteviitiicber Vorzug des Burgtheaters, daß es den 
Eindruck wirklichen Lebens durch natürlichen Verkehr auf ver Bühne 
hervorbringe — ebenjowenig dürfe das im großen biftorifchen Stücke 
gefchehen. Berufe man fich auf höheren Styl im höheren Stüde, 
wie Anſchütz that, jo meinte ich das zurückweiſen zu müſſen. Steif— 
heit und unwahre Wendung möge Styl heißen, ich hielte dies aber 


Laube, Burgtheater. 12 


178 Das Burgtheater. 


für ſchlechten Styl und glaubte auch Styl zu erreichen durch Ord— 
nung und Gejet in der freien Bewegung. 

Nach meinem Sinne eingerichtet, erſchien denn die große Volfs- 
fcene auf dem Forum und machte eine eleftrijivende Wirkung. 

Sch jelbjt wurde bei der eriten Vorſtellung nicht viel gewahr 
von diefer Wirkung, denn ein literariicher Freund zog mich aus der 
Loge und demonjtrirte mir im Corrivor, während das Publicum im 
Saale fih für meine Inſceneſetzung erklärte, daß dies Alles nicht 
richtig wäre und dem wohlgefchulten Wiener Publicum mißfällig 
iverden müßte, 

Sp wahr ijt es, daß wir in diefem Leben jeden Erfolg bis auf 
Heller und Pfennig bezahlen müſſen. 


XIM. 


Der Erfolg der „Cäſar“-Vorſtellung war ein vollftändiger. 
Er erwarb der Direction ein volles Zutrauen. Und diefes Zutrauen 
bat mir das Publicum mit liebenswürdiger Nachjicht für all’ meine 
Gebrechen bis zu meiner letten Divectionsftunde im Burgtheater 
bewahrt. Ich bin dafür dem Wiener Publicum zu tiefem Danfe 
verpflichtet. 

„Julius Cäſar“ gewann hiedurch eine feſte Dauer, Troß 
warmer Sommerszeit fonnte ev bis zu den ferien, bis Ende Juni, 
jechsmal bei vollem Haufe gegeben und nach den Ferien in dem— 
jelben Jahre ebenjo oft wiederholt werden. Ja, er übte feine Ans 
ziehungsfraft einer Novität auch das nächſte Jahr aus und ift als- 
dann Jahr für Jahr zahlreich wiederholt worden. 

Ein römifches Stüd ohne Liebes-Intrigue, nur große Staats- 
ereignijje darjtellend, und mit Schwachen Schlufje! 

Wäre das in einer andern deutſchen Stadt, wäre das in Berlin 
möglih? Kaum, Man giebt dort auch „Julius Cäſar“, aber er 
ericheint nur nach langen Zwiſchenräumen. Und doch hätte Berlin 
einem ftrengen Shafefpeare-Stüce gegenüber gar Mancherlei voraus 
gegen Wien. Die Shafefpeare-Mufe fteht dem dortigen Bublicum 
wirflich näher. Die norddeutiche Landesart ift der englifchen ſchon 
verwandter; die literariiche Bildung iſt zahlreicher verbreitet durch 
gute Schulen, und der protejtantifche Geift fommt der Shafefpeare’- 
ſchen Gedanfenwelt vorbereitet entgegen, denn Shakeſpeare's Ge- 


19% 


180 Das Burgtheater. % 


danfenmwelt entjprang ja der protejtantifchen Freiheit im Denken. 
Da wäre alfo doch Vorjprung genug, um den mangelnden Roman— 
reiz eines jtreng politifchen Stüdes leichter entbehren zu können. 
Noch mehr: das Wiener Publicum ift zwar dem Berliner darin 
voraus, daß es die Schönheit eines Stüdes vafcher und wärmer 
auffaßt, aber das Berliner folgt einer verjtändigen Compofition 
ruhiger und überlegter, es erſchrickt deßhalb weniger vor conjequen- 
ten jtarfen Ausbrüchen einer ſolchen Compoſition; es hat Nerven, 
welche durch ſyſtematiſche Yiterarbildung jtärfer gehärtet- find. 
„Dtbello” zum Beifpiel, dasjenige Stück Shakeſpeare's, welches am 
folgerichtigiten motiwirt und geführt ift, wird in Wien immer bis 
auf einen gewijjen Grad gefcheut und gefürchtet. Die Ausbrüche 
Dthello’scher Art haben für das eigentliche Buratheater-Publicum 
jtets etwas Grichredendes und Bevenkfliches und müſſen durch 
Shakeſpeare's Namen gedeckt werden. Das ift in Berlin ganz anders, 
Die Folgerichtigfeit, wenn auch noch jo grimmvoll, fagt dem dortigen 
Sinne zu. „Othello“ it in Berlin geradezu populär. ? 

Und troß aller diejer Einenjchaften des Nüherjtehens würde 
ein Stüd wie „Julius Cäſar“ dort ſchwerlich eine jo mächtige und an— 
dauernde Theaterwirfung machen, wie es fie in Wien von 1850 
an gemacht hat. Dazu it ein warmer Theaterfinn, iſt ein ſchöner 
Enthufiasmus für ein großes neues Stüd erforverlih, und ver 
naive Reſpect des Wieners für eine Größe, welche ihm unerwartet 
entgegentritt. Dieje naive Empfängniß iſt und bleibt eine unſchätz— 
bare Cigenjchaft des Wiener Publicums. Sie bringt allerdings 
manchmal zur Verzweiflung, wenn fie jich durch Mangel an Kenntniß 
verleiten läßt, jede fremdartige Aeuferlichfeit heiter und luſtig zu 
begrüßen, und jedes Befremdliche kurzweg anzulachen oder gar aus— 
zulachen. Aber ven eingebornen künſtleriſchen Grundton verleugnet 
das große Wiener Publicum nie. Es erfennt das Echte in der Kunſt 
immer und huldigt ihm jtets mit Hingebung. Und gerade vie Hin- 
gebung ift ihm fo eigenthümlich wie dem Pariſer Publicum. Ihr 


ar 
Das Burgtheater. 181 


vorzugsweiſe verdanft es Wien, daß es noch ein gutes Schaufpiel 
haben fann, während die anderen deutjchen Städte es immer mehr 
entbehren müſſen. Dieſe Hingebung erhöht ven Dichter und erhöht 
den Schauipieler. 

Für „Julius Cäſar“ waren übrigens auch die Nevolutions- 
jtöße, welche Wien kurz vorher erjchüttert hatten, eine Vorſchule ges 
wejen zu geneigtem Verſtändniß. Die römijche Revolution im 
Stüde weckte helle Erinnerungen. Namentlich die Volksſcenen 
thaten dies, indem jie die NWanfelmüthigfeit und den jähen Wechjel 
der Volfsjtimmung zeigten. 

Aber bei all diefen Erflärungen erſcheint mir immer die große 
und dauernde Wirkung des Stüdes höchſt merkwürdig, wenn ich es 
als Theaterjtücd an meinem Auge vorübergehen laſſe. 

Das Stück jelbjt, von großem Geifte geführt und eine der 
größten Compoſitionen Shafejpeare's, leidet doch in unſerm heutigen 
Theater und für unjeren heutigen ausgebildeten Thentergefhmad an 
manchem Uebelſtande und an einem ganz unwirffamen letsten Acte. 

Der Held Julius Cäſar handelt nicht, ſondern ift nur Mittel- 
punft der Handlung. Er verfchwindet ſogar ſchon inmitten des 
Stüdes. Wir müflen ung damit begnügen, daß fein Geiſt erſicht— 
lich fertwirft. 

Dies ift eine Strecke lang meijterhaft bewerfftelligt. Sein 
Rächer Antonius entwidelt jich in der großen Rede und in Beherr- 
Ihung ver Volksmaſſen jo mächtig, daß dieſen Scenen nichts Aehn— 
liches in der ganzen Yiteratim Europas an die Seite zu jtellen ift. 

Aber von da an werden wir inne, daß die einheitliche Triebfraft 
ausgeht. Die berühmte Zankſcene zwiſchen Brutus und Caſſius, 
die erwachende Nemeſis des bejeitigten Herrn, iſt als gut gedachte 
und gut geführte Scene wohl angethan, ven Geift des Zuſchauers 
interejfant zu bejchäftigen. Das fünftlerifche Bedürfniß des Zu: 
ichauers jedoch befrierigt fie nicht mehr. Sie fommt zu jpät im 
pramatifchen Organismus. Wir find ſchon auf ver Höhe des Endes, 


152 Das Burgtheater. 


und da genügt eine Scene nicht mehr, welche nur an unfer zuftim- 
mendes Verſtändniß gerichtet iſt. Wir brauchen da eim jtärferes, 
drangvolleres Moment. Da folgt die leibhafte Geifteserfheinung 
Cäſar's und ftellt unfere erichütterte Theilnahme wieder her. We- 
nigjteng einigermaßen. 

Der letzte Act aber genügt uns nicht in feiner blos epifchen 
Führung, und er hat theatralifch ſchwere Miflichkeiten. Wir haben 
ung darein ergeben, jtatt des todten Cäfar einen neuen Helden zu 
erhalten, ven Brutus. Das ift auf der Bühne viel abſchwächender 
als im Yefen. Wir müffen aber auch noch einen Concurrenten mit 
in den Kauf nehmen, ven Caſſius, und ſchließlich müfjen wir zwei 
Sterbejcenen diefer zwei Helden von theatralifch ſchlimmer Gleich— 
mäßigfeit durchmachen. Das fühlt ab über die Gebüdr. 

Ich führe dies an, um auf ven Unterfchied aufmerffam zu 
machen zwijchen der Theaterfritif und der Buchkritif. Letztere haben 
wir in fajt argem Maße über Shafejpeare, eine wahrhaftige Theater: 
fritif über die Shakeſpeare-Stücke haben wir in jehr geringem Maße. 

Unfere Buchkritif über Shafejpeare ift befanntlich ein un- 
erjchöpflicher Born des Lobes, und ich will gar nicht jtreitig machen, 
dap fie unferem literariſchen Geijte reiche Hilfsquellen erichließen 
hilft, wie überfchwenglich ſie jich auch oft geberve, wie grundlos jie 
auch oft folgere und thürme. Aber ich muß doch einmal darauf 
hinweiſen, daß diefe Shafejpeare - Ktritif uns meijt ganz irrthümlich 
berichtet über die Wirkung der Shafeipeare-Stüde auf dem Theater. 
Ih würte faum einen der Shafefpeare- Erflärer, welcher darin eine 
Bedeutung hätte. 

Gerpinus am wenigjten. Gr führt geradezu irre. Sein 
Urtheil über die Theaterwirkſamkeit Shakeſpeare's ilt eine völlige 
Merkwürdigfeit. 

Wenn er fagt: dies Stüd empfiehlt ſich ganz beſonders für die 
Bühne, dann fann man ficher fein, es ijt nicht aufführbar. Und 
wenn er feine Bevenfen äußert über die Aufführbarfeit, dann kann 


Das Burgtheater. 183 


man jich getrojt mit der ſceniſchen Einrichtung des Stüdes bejchäf- 
tigen. Denn von dem Talente des Schaufpielers Shafefpeare 
weiß Gervinus fein Wort. Wie oft überrafcht uns dies Talent bei 
der Injcenejegung! Cs hat fein vramatifcher Autor jo viel ſceniſche 
Macht, die wir heute noch nicht mit all’ unferer Claſſificirung ver 
Effecte hinreichend erflären fünnen, als gerade Shafejpeare, Er 
war auch darin ein Genie. 

Aber er hatte eine ganz andere Bühne, als wir fie haben, und 
feine Zufchauer machten ganz andere Anſprüche, als die unferigen 
fie machen, und um über Theaterwirfung Etwas vorausfagen zu 
fönnen, muß man eben eine plaftiihe Phantaſie haben. Juſt diefe 
aber geht zumeift Gelehrten ab. Sie find vorzugsweife Denker, 
nicht Künftler. Und gerade Gervinus ift völlig verlaffen von jedem 
Atom plaftiicher Phantafie. Man braucht nur feinen Styl anzu— 
ſehen, eine wahre Tortur für ven Yefer, welcher irgend ein fünjt- 
feriiches Bedürfnig hat. Die Gedanfen drängen fich und jtoßen 
fi in dunfler Kammer. Gervinus fieht fie jelber nicht; er hat nie 
eine Anſchauung und fann deßhalb auch feine geben. 

Es gehört zu unferem deutſchen Schidjale, daß eben ſolch ein 
Mann — reich an Kenntnijjen und unermüdlich im Fleiße, aber 
ohne jede plaftifche Fähigkeit — Über unfere Poeten zu Gerichte ſitzt. 
Die Grund» Elemente der Poefie, naive Anjchauung und glüdliche 
Gejtaltung, find feinem Naturell verjagt, ev muß feinem Wejen 
gemäß die Dichter nach Gedanken » Kategorien mejjen und muß alfo 
Poeten wie Goethe aufs Aerajte mighandeln. 

Bei einem Landsmanne wie Goethe thut das weniger Eintrag. 
Der fteht unferem Verſtändniſſe jo nahe, daß umverftändiger Tadel 
an uns abgleitet. Aber wenn der Kritifer ohne Augen über die 
Wirkung blos gelefener Dramen redet, dann muß ev den Yejer ivre- 
leiten. Glücklicherweiſe ift er durch den großartigen Geiſt Shafe- 
jpeare’s jo eingenommen für diefen Dichter, daß er auch das lobt, 
was er nicht fieht, und jo wird fein reichlich gefammeltes Material 


184 Das Burgtheater. 


immerhin werthvoll, jeine ratlos und unruhig combinivende Dia- 
(eftif immerhin anvegend, wenn man jich durcharbeitet durch das 


Dornengeftrüpp feiner Rede, und wenn man auf der Huth bleibt bei 
N) 


jeinen Folgerungen, Aber vor feinen Berfündigungen der Shake 
ſpeare'ſchen Theater » Effecte möge Jedermann gewarnt fein. 

Was die Einrichtung des „Julius Cäſar“ fir unfere Scene 
betrifft, jo bin ich jehr vorjichtig zu Werke gegangen. Es war das 
erſte Stück, welches ich für die Aufführung redigirte, und da ift 
man noch ſehr ſchüchtern. Yängere Theaterführung macht in diefem 
Punkte dreift, ja gewaltjam,. Das unmittelbare Yeben jtellt gebie: 
teriiche Forderungen, und die offene Scene mit dem anmwejenden 
Publicum ijt unmittelbares Yeben. Da hören alle erlernten Rüd- 
fihten auf; man will und muß bejtehen, und das Publicum da 
unten fragt nicht nach literariicher Gefchichte, es fragt nur, ob das 
da oben dargejtellte Stüd jeinen lebendigen Anfprüchen genügt. 

Der Theater-Director Schröder, welcher das große Verdienſt 
hat, Shafeipeare auf der deutſchen Bühne eingeführt zu haben, iſt 
am gewaltjamjten vorgegangen. 

Die literariiche Kritik hat auf der anderen Seite ven Beruf, das 
Driginal zu vertheidigen gegen die Abänderer, und dadurch die Ab- 
änderer in Schranfen zu halten. Der gefchichtliche Verlauf jtellt 
das Gleichgewicht her zwijchen Beiden. Gebiert die- Abänderung 
ein dauerndes Stück, danıı wird die literargefchichtliche Eimwirfung 
wirkungslos; gelingt das nicht, dann wird ver frevelhafte Theater: 
Director gejtäupt. Das Bedürfniß nach neuen Stüden zwingt ihn 
aber Schon morgen wieder zu neuen Verfuchen; denn das lebendige 
Bedürfniß refpectivt fein Verbot, es gehe von bürgerlicher Polizei 
aus oder von literarijcher Polizei. 

‚Julius Cäſar“ bedarf in feinem Baue auch für unjere Scene 
feiner wejentlichen Veränderung. Nur im lesten Acte macht das 
ſceniſche Arrangement eine Zufammenziehung nöthig. 

Einige Wochen nach dem „Cäſar“, alfo mitten im Sommer, 


Das Burgtheater. 185 


brachten wir „Roſenmüller und Finke“, von Töpfer, zum evjten: 
male. Ich machte feine Umſtände und legte es in jo ungünftige 
Sahreszeit, für welche man fich ſonſt jeder Neuigfeit enthält, weil 
ich ein Ichlechtes Gewilfen hatte mit vem Stücke. Unfere praftifchen 
Luſtſpiele nehmen ſich in der Yectüre gar gröblich aus und gar be— 
denflih. Che das frische Gelächter die leeren Stellen ausfüllt, 
erjcheinen jie verzweifelt ordinär. Ich hatte auch noch zu wenig 
Praxis, um hinreichend zuverfichtlich zu fein in diefem Punkte. Und 
die erjte Aufführung gab meiner jungfräulichen Echeu vollftändig 
Recht. Das jett jo beliebte Luſtſpiel wurde am erjten Abende 
unzweideutig abgelehnt. Dean hatte viel gelacht, ſchwieg aber gegen 
den Ausgang und zifchte am Ende, 

Dies will im Burgtheater jagen: das Stüd läßt jich leidlich 
an, genügt aber doch ven Anforderungen nicht, die wir zu jtellen 
berechtigt jind. Beim Schaufpiel und Trauerpiel ift dies ein Ver— 
dict, von welchem es feine Appellation giebt. Die Leute fommen 
da eben nicht zur zweiten Vorftellung. Beim Yujtipiele aber giebt 
es eine Appellation. Die Erheiterung iſt ihnen zu nothwendig. 
Man erzählt zu Haufe: claffifch ift das Stüc nicht, es ſündigt viel- 
fach, aber es unterhält doch. Kann man fogar jagen: es unterhält 
luſtig, dann fchwinden alle Bedenflichfeiten und die Yeute fommen 
zahlreich zu ven Wiederholungen. Dann hat das Stüc feinen kritiſchen 
Abmweis erlebt, das Gewifjen ijt beruhigt und es findet feinen prak— 
tiichen Erfolg zu männiglicher Unterhaltung. So hat es fich ereignet 
mit „Roſenmüller und Finke“. 

Ohne diefen praftifhen Ausgleich fünnte auch fein Theater 
bejtehen; denn es werden gar wenig Stücke gejchrieben, welche ver 
Kritif und dem Bedürfniſſe der Unterhaltung gleichmäßig genügen. 

Einige Monate jpäter verichafften wir uns jelbjt, Regiſſeure 
und Director, eine originelle Unterhaltung. Wir trachteten ein 
Stück aufzuführen, in welchem lauter ungejtüme Jugend zu toben 
hat, und wir wollten einen großen Theil diefer ungejtümen Jugend 


156 Das Burgtheater. 


durch alte Herren darftellen laſſen. Theile fehlte wirklich noch die 
hinreichende Anzahl junger Schaufpieler, theils follte ung jolch eine 
würdevolle Beſetzung als Paflirfchein dienen. Wenn die Behörde 
jähe, daß Papa Anfchüt einen wilden Jüngling fpielen wollte, fo 
war das, meinten wir, eine Zuficherung, daß nichts Ungebührliches 
beabfichtigt würde, 

Wir wollten Schiller’s „Räuber“ auf's Burgtheater bringen. 
Sie waren im Theater an der Wien gegeben worden, im Burg- 
theater aber nie. Die Cenfur war in frühefter Zeit Dagegen ge— 
wejen, und eine unklare Scheu vor Nohheit gab der Cenſur Recht. 
Schreyvogel hatte meines Wiffens feinen Verfuh gemacht; in 
Deinhardftein’s Leichtes Weſen paßte ſolch ein urwüchjiges Stüd 
gar nicht, und Holbein hätte wohl in den fetten zwei Jahren Ge— 
legenheit dazu gehabt, er gehörte aber in eine Beamtenrichtung, 
welche mit Wagner im „Fauſt“ dergleichen fcheut, „weil ich ein 
Feind von allem Rohen bin”. Negierungsrath v. Holbein war ein 
gewiljenhafter und ehrenhafter Beamter, welcher in allen Ver: 
waltungs-Angelegenheiten Sorgfalt, Strenge und Muth entwidelte; 
in allen Fragen aber, welche das Theater mit Politik in Berührung 
brachten, war er ängſtlich und zaghaft. 

So lagen denn die „Räuber“ Anno 1850 noch für das Burg: 
theater wie auf einer unnahbaren Infel im fernen Ocean. Wir 
aber rüfteten eine Expedition, um dieſe Infel zu erobern. Anſchütz 
Itand als Schweizer auf dem Ded, Yöwe als Spiegelberg, und fo 
fort lauter erfahrene Jünglinge; Fichtner als Hermann der Bajtard 
jtach beinahe ab. Die beliebte Form für zu hoch oder zu niedrig 
bängende Früchte, das Geſuch um eine Wohlthätigfeits-Vorftellung, 
war umfere Flagge, und nicht ohne Zagen meldeten wir uns mit 
diefem vwerwegenen Unternehmen bei unferer Behörde. Als wir 
eintraten, flüfterte mir Anfchüß zu: Doctor! Wir erleben ein Uns 
glück und werden mit Schimpf und Schande fortgejagt. 

Ih muß vorausſchicken, daß unfer Chef, welcher zu Anfang 


Das Burgtheater. 187 


für eine große Schaar von Stüden die rothen Kreuze gemacht, im 
Laufe des Jahres etwas milder geworden war. Er war ein Torh 
und ftreng in jeinen Grundfäten, welche mit dem Liberalismus der 
zeit wenig Gemeinjames hatten. Aber er war einer vorfichtigen, 
logijhen und ehrlichen Beweisführung nicht immer unzugänglich ; 
er war günftig gejtimmt durch die Erfolge, welche vem Theater 
gelangen, und er handelte nicht gern gegen die Strömung, welche 
eben an oberjter Stelle herrichte. Diefe Strömung war im Jahre 
1850 noch nicht ausgefprochen anti-liberal. Man hatte noch zu viel 
aufzuräumen und vorzubereiten, ehe man an die Aufhebung einer 
Verfaſſung denken fonnte, welche unter freifinniger Form ganz 
Dejterreich zufammenhielt und der Verbejjerung fähig war. Graf 
Lanckoronski, ein Schwager Stadion’s, ließ fih damals wohl noch 
daran erinnern, dar fein Schwager ftarfen Antheil habe an dieſer 
liberalen Verfaſſung und daß unter folchen Umftänden wohl auch 
die „Räuber“ — 

„Die Räuber?!‘ 

Bon Schiller, wurde [hüchtern hinzugefetst, um ven bösartigen 
Titel zu entfchuldigen. 

Gr lächelte zu dem abenteuerlichen Jünglingswunſche ver alten 
Herren, aber er fehüttelte doch langjam das Haupt und zeigte wenig 
Luft, ihn zu gewähren. 

Es ijt merkwürdig, was dies erfte Stück Schiller’s den Yeuten 
zu Schaffen gemacht, was für lodernde Sympathien, was für grim- 
mige Antipathien e8 gewect hat, Der ganz neue Kern eines Genies, 
welcher zum erftenmale vor den Menſchen erjcheint, macht eben 
als ganz neun und ımerhört den heftigiten Eindrud, War es nicht 
bei Goethe ebenjo aewefen? Sein „Göß von Berlichingen‘ jette 
die ganze ventjche Welt in Bewegung. Nur war Goethe ein fried- 
liches Naturell, Schiller aber ein friegerifches. Die ‚Räuber‘ alfo 
fetten in Flammen, während „Götz“ nur in Bewegung gejett hatte. 
„Louiſe Millerin‘‘, wie „Cabale und Liebe“ zuerjt hieß, war nicht 


188 Das Burgtheater. 


minder arg, fie griff bis zum Aufzucden ſchmerzhaft in die Wunden 
der Gegenwart, in Standes= und Regierungswunden, aber die Welt 
Ichrie nicht mehr. Sie fannte bereits diejen neuen Kern einer 
genialen Kraft, Beim zweiten Stüde ift ver Schred ſchon escomp- 
tirt, wie man in der Börſenſprache fagt. 

An den „Räubern“ ift diefer Schred immer haften geblieben, 
In Dresden lebte während der Dreifiger Jahre unjeres Jahrhun— 
derts ein alter ruſſiſcher Fürft, der fonnte vierzig Jahre nad) Er— 
ſcheinen der „Räuber“ jein Entjegen über dies Stück nicht los— 
werden, Es hatte fich zum Haß ausgebildet, er hafte die ‚Räuber‘ 
wie die Sünde, und jo oft fie in Dresden aufgeführt wurden, jo oft 
wiederholte er folgende Worte: „Wenn ich Gott jelber wäre und 
im Begriffe jtünde, diefe Welt zu jchaffen, zugleich aber voraus— 
jähe, daß die „Räuber“ in diefer Welt gefchrieben und mit Beifall 
aufgeführt werden ſollten — ich ließe diefe Welt ungejchaffen‘‘, 

Zu ummwilligem Erjchreden des Dresdener Intendanten, des 
Herrn v. Yüttihau, hatte ich in den „Karlsſchülern“ dieſe Worte 
dem Herzoge Karl in den Mund gelegt. Herr v. Yüttichau beſchwor 
mich, dieje Uebertreibung zu jtreichen. Sie hätte ihn lange genug 
von dem alten Ruſſen geärgert. Ich lehnte das aber lächelnd ab. 

Jetzt kam die Strafe, „Die Räuber‘, welche ich nun brauchte, 
waren auf dem Punkte, lächelnd abgelehnt zu werden. in Mit- 
glied meiner Behörde hatte dieje ruffiichen Worte aus den „Karls— 
ſchülern“ fennen gelernt und citivte fie in diefem fritiichen Augen— 
blicke. Glücklicherweiſe ging dies Mitglied, welches wirklich eben- 
falls einen tiefen Abjcheu begte vor den „Räubern“, in feiner ans 
flagenden Beweisführung bis zum Aeußerſten: es malte die Folgen 
einer „Räuber“Aufführung dahin aus, daß junge Yeute in Mähren 
oder Böhmen dadurch veranlaßt werden fünnten, auch heutigentags 
in die böhmischen Wälder zu ziehen und eine Räuberbande zu 
bilden — ! 

Das wirkte, wie jede lebertreibung wirft. Warım nicht gar! 


Das Burgtbeater. 189 


rief der Chef, und gab die Erlaubniß zur Aufführung ver „Räuber“ 
— freilih zunächit nur für den Wohlthätigfeitszwed. Meine Sorge 
war nun, das Stüd für immer zu gewinnen, indem ich es fo zur 
Anſchauung brächte, wie es wirklich ift, nämlich unter Hervorhebung 
feiner moralifchen Folgerungen und jeines moralifchen Strafge 
richtes. Ich ging alfo auch im letten Acte ab von der herkömm— 
lichen Mannheimer Einrichtung, welche den Franz am Yeben erhält 
und nur in den Thurm werfen läßt. Aus diefem Thurme bat er 
böchjt wahrscheinlich Befreiung zu erwarten, nachdem der Majorats- 
berr Karl fih dem Galgen überantwortet hat. Ich ließ ihn ich 
erdrofjeln, wie's Schiller gewollt, und ließ dem Karl alle die mora— 
lichen Verſöhnungsworte, welche herfömmlich gejtrichen werden. 
Und fo gelang es uns, durch nachdrüdliche Betonung des geiftigen 
Inhalts und durch kräftige Motivirung der Wildheit im Stüde 
einen Eindruck der Vorftellung zu erreichen, welcher nicht roh war 
und dem Stüde eine dauernde Stätte gewann. Die „alten Herren‘ 
halfen dazu wejentlich, indem die wilden Reden in ihrem Munde 
eine folive Begründung erhielten. Anfchüt arbeitete die große Rede 
von der Befreiung Roller’s zu einem rhetoriſchen Meijterjtüde aus, 
und Löwe's Spiegelberg wurde zum Cabinetsſtück eines lebensvollen 
Wichtes. Die jungen Kräfte, Wagner als Karl, Dawiſon als 
Franz, beflügelten fich neben den Veteranen, und fo entjtand eine 
Borftellung voll Ungeftim und Drang und doch jo voll innerer Ber 
deutung, daß ſie auch jetst noch nach Verwandlung der alten in junge 
Räuber eine Zierde des Nepertoires ift, nicht blos ein unverwüft- 
liches Zugſtück. 

Man ift in Karlsruhe neuerdings damit vorgegangen und 
einige Theater find nachgefolgt, das Stück im Nococo-Coftün zu 
geben. Ich ſehe varin feinen Gewinn. Im Gegentheil. Bekannt— 
lich wurde das Stüd gegen Schillers Wunſch in die fernen Zeiten 
des allgemeinen Yandfrievens zurückverlegt. Dalberg verlangte es. 
Das war übertrieben. ES aber modern zu machen für Schiller’s 


190 Das Burgtheater. 


Jugendzeit und ihm das Coſtüm des jiebenjährigen Krieges zu geben, 
weil die Schlacht bei Prag erwähnt wird, das heißt das Wort über 
den Geift fegen und dem Stüde ſchaden. Rococo-Coſtüm hat 
etwas Zierliches, Enges, Geputtes und ijt dem Inhalte der „Räu— 
ber“ gar nicht zuträglich. Die Nococofleider und die rohen, wilden 
Studenten in Leipzig ftimmen nicht zufammen. Franken, wo ein 
Theil des Stüces fpielt, war im jiebenjährigen Kriege jo wenig 
vom Kriege berührt, daß das Walten einer jolchen Räuberbande 
nicht wohl möglich war. Im dreißigjährigen Kriege dagegen war 
ganz Deutfchland jo herrenlos und regierungslos, daß alle Phajen 
des Stüdes möglich find; eine Schlacht bei Prag gab's zufällig 
auch, und das Coſtüm ift malerifch, dem Inhalte entiprechend. Wir 
geben deßhalb vie „Räuber“ in der Tracht des dreißigjährigen 
Krieges. 


XIV. 


Wenn ein Jahr um ift, überzählt der Hausvater, was Alles 
geichaffen worden ift im Laufe dejjelben, und freut fich dankbar, 
wenn die Thätigfeit groß geweſen und auf mancher Arbeit der Segen 
geruht hat. 

Das Burgtheater hat es wahrlich in den leiten achtzehn Jahren 
an Arbeit nicht fehlen laſſen. Der Leſer wird es vielleicht mit 
Schreden gewahr, daß wir immer noch nicht über dies Cine Jahr 
— 1850 — hinausfommen, und daß ich ihm auch jett noch nicht 
jogleich in’s Jahr 1851 hinüber laſſen fann. 

Es find noch Neuigfeiten übrig, welche jich bis jett auf dem 
Kepertoire erhalten haben — von Benedir „Eigenſinn“ und „Die 
Hochzeitsreife”, von Lederer „Häusliche Wirren” und von franzö— 
jifchen Bearbeitungen ‚‚Die Königin von Navarra‘, Moſenthal's 
„Deutsches Dichterleben‘‘ ift auch über ein Jahrzehnt erhalten worden. 

Außerdem muß ich des Syſtems gevenfen, welches ich in der 
Einleitung bezeichnet habe, des Syſtems immermwährender neuer 
Infcenejeßungen, durch welche das hiftorijche Repertoire von Shake— 
ſpeare und Leſſing herab vollſtändig gemacht und vollftändig erhalten 
werden Jollte, 

Dieſe ſyſtematiſche Arbeit, welche unfer Theater vor allen 
deutichen Theatern auszeichnet — nur Karlsruhe verfolgt ein ähn— 
liches Ziel — hat uns unjchätbare Anregungen und Ausbeute ges 
währt. Reicher poetifcher Inhalt und Mannigfaltigfeit des Inhalts 


192 Das Burgtheater. 


iind eben ein Schaß, deſſen Werth unbejchreiblid. Ein Stüd, 
welches vor Jahren unfruchtbar vorübergegangen, findet plößlich 
bei jeiner Wiederfehr günftige Witterung, es paßt plößlich zur Stim— 
mung des Tages, und feine früher umbeachteten Samenkörner 
Ichießen nun in Halme, Blüthen und Früchte, 

Dadurch gerade wird das Theater fo wichtig für geijtige Ent- 
wicklung eines Volfes, daß es Anfchauungen, Gedanfen und Fol- 
gerungen in umerjchöpflichen Maße auch an die große Zahl von 
Menſchen bringt, welche ſonſt weder Zeit noch Gelegenheit haben 
für ſolche Anſchauungen, Gedanken und Folgerungen. Wer ermißt, 
wie viele Genies umter dieſen Menſchen befruchtet werden durch ein 
Stück, durch eine Scene, duch ein Wort im Theater?! 

Ueber dreißig neue Infcenefeßungen brachte das Jahr 1850, 
Darunter „Medea“, „Traum ein Leben‘, „Minna von Barnhelm‘, 
‚Nathan‘, „Emilia Galotti”, „Romeo und Julie“, „Braut von 
Meſſina“, „Fiesco“, „Don Carlos”, „Feſſeln“, „Gönnerſchaften“. 

Von den neuen Stücken verdienen noch Lederer's „Häusliche 
Wirren“ eine kurze Betrachtung. Sie haben wie ſeine „Geiſtige 
Liebe“ etwas Specifiſches für die Wiener Welt. 

Eine geringe Handlung, welche ſich intim und behaglich ab— 
ſpinnt, iſt in Norddeutſchland nicht genügend, genügt aber in Wien, 
wenn der Dialog unterhält. Und doch beſteht ein franzöſiſches 
Stück mit geiftvollem Dialoge in Wien nicht, ſobald ihm eine hin- 
reichende Handlung fehlt. 

Wie fommt das? Die Art des Dialoges entjcheinet. Der 
franzöfifche mag noch jo geiftreich fein, er bejchäftigt nur unferen 
Verstand, er befchäftigt nicht unferen ganzen Zuhörer, Der Dialog 
Lederer's aber hat etwas Heimathliches. Lederer ftammt aus Prag 
und hat lange in Wien gelebt. Er ijt ganz anders als Bauernfeld, 
aber er hat mit diefem doch gemein, daß er aus unjeren Gedanfen- 
freien — heiteren Wendungen aufwachſen läßt. Wir ſind alſo 
mit der Wurzel vertraut und jede Wendung erinnert uns an unſere 


Das Burgtheater. 193 


geiftigen Proceſſe. So erfcheinen uns die Worte voller als einem 
Fremden; fie berühren hunvdertfach unfere Erinnerung, fie haben 
Etwas von unferer Gefchichte, Und darin ift jedes Publicum egoi- 
ſtiſch: das Eigene ift ihm viel intereffanter als das Fremde, 

Lederer ift Jude, fo viel ich weiß. Aber er ift öfterreichijcher 
Jude: die jüdiſche Witesader, dem jplitterrichtenden Talmudweſen 
entjpringend, iſt nur die VBeranlafjung feines Wites, der Inhalt 
feines Witzes ift ein öfterreichifcher Inhalt, und deßhalb jagt er ung 
zu, und wir lachen behaglich über ihn. Dieſe behagliche Wirfung 
erhält die „Häuslichen Wirren” auf unjerem Nepertoire, 

Sch freue mich jtets, wen ich nach Dresden fomme, wo Lederer 
jest lebt, und dem talmudiftifchen Luftipiel-Autor erzählen fann, wie 
die Dinge im Burgtheater ſich gejtalten. Er fennt Alles, ev wohnt 
eigentlich im Burgtheater; er ift nur auf Reifen jeit jo und jo viel 
zwanzig Jahren. Er trägt auch noch den dunfelgrünen Rod, den 
er damals im Burgtheater getragen; Enthufiaften jagen, er trage 
auch noch denjelben Hut — 

Und nun endlich zum letten wichtigen Greignifje des Jahres 
1850! 

Dem Burgtheater fehlte die erjte tragiiche Liebhaberin. Frau 
Magner fonnte nur einen Fleinen finnigen Theil diefes Faches aus— 
füllen, und die ältejte Anſchütz'ſche Tochter Augufte, Frau Koberwein, 
welche dies Rollenfach befaß, war franf, Mean hielt fie für bruft- 
frank und hatte wenig Hoffnung für ihre Genefung, wenigſtens 
nicht für eine Genefung, welche anftrengende tragijche Rollen er: 
möglichen könnte, 

Es galt alfo umzufhauen. Cine erjte tragiiche Liebhaberin 
ift das Herz des Schaufpiels. Was fann ein Schaufpiel fein ohne 
jolches Herz?! „Was iſt das Leben ohne Liebesglanz!“ jagt heut— 
zutage jeder Theatergänger mit Bewußtjein. 

Ich kannte ein weibliches Talent, welches für meinen Gefchmad 


die mwichtigften Anforderungen erfüllte: Eine ſchöne Geftalt, ein 
Laube, Burgtheater, 13 


Ber — 


194 Das Burgtheater. 


edles, jeglichem Ausdrucke edel folgendes Antlit, ein weiches, wohl- 
thuendes Organ, ein poetiicher Sinn, eine reine, einfache Bildung. 
So viel auf einmal! Und davon wußte man in Wien Nichts?! 

Dem ilt doch jo. ES gehört dies in das Kapitel vom Nicht- 
engagiven von 1840 bis 1850. Herr v. Holbein hatte die beite 
Gelegenheit gehabt, dieje Yiebhaberin fennen zu lernen. Sie hatte 
unter ihm längere Zeit in Hannover gejpielt, fie jtammte aus 
Oeſterreich, fie hatte Nichts jehnlicher gewünſcht, als in's Burg- 
theater zu fommen. Er jelbjt war von Hannover nach Wien über: 
gejievdelt als Director des Burgtheaters, aber die blonde Marie 
hatte er nicht berufen. 

Sie hatte in Dresden ein Engagement gefunden und fich dort 
einfach umd jchön entwidelt. Dort hatte ich ſie Jahr für Jahr ge- 
jehen, wenn ich mit einem neuen Stüde hinfam, und hatte immer 
erfannt, daß fie ein Schaf fei für das deutſche Schaufpiel, ein weib- 
liches Herz, wie es dem Theater jelten beicheert wird. 

Ich lud jie gleich im eriten Jahre meiner Direction zu Gaſt— 
rollen. Sie fam und jpielte Maria Stuart, Jungfrau von Or- 
leans, Julia, Youije in „Cabale und Liebe‘, Eugenie in Raupach’s 
„Geſchwiſtern“, Anna Hyde im „Billet“, einem vorübergehenden 
Stüce ver Frau Dirch-Pfeiffer, und Eboli im „Don Carlos”, 

Sie gefiel, ohne jedoch eine größere Bewegung hervorzurufen. 

Hatte ich mich getäuſcht und fie überihätt? Ich war nicht 
der Meinung. 

Das Ebenmäßige und Harmonische fteigert jeine günjtige Wir- 
fung, je länger es betrachtet wird. 

Die Venus von Milo im Youpre frappirt nicht jogleich durch 
blendende Schönheit. Aber je länger man fie betrachtet, vejto 
flarer und veiner tritt es in unfer Auge, und durch das Auge in 
unfere Empfindung, und durch die Empfindung in unfer Verſtändniß, 
daß die reine Schönheit vor uns ſteht. 


Das Burgtheater. 195 


Jenes Ebenmäßige und Harmonische war aber ver Hauptvor— 
zug dieſer Künftlerin. 

Darauf baute ich und verfuchte alfo, trotz nur mäßigen Er- 
folges im erjten Gajtjpiele, fie dauernd für das Burgtheater zu ge— 
winnen. 

+ Das jchien unmöglid. Sie war feit an Dresden gebunden, 
und der dortige Intendant, Herr v. Yüttichau, wußte jo gut wie ich, 
was ſie bedeutete; er gab fie nicht frei. 

Da ſchloß ich mit ihr ein Gajtipiel ab, welches in jedem Früh— 
jahre jich erneuen jollte. Es ift jchon Etwas, meinte ich, in jedem 
Srühlinge eine Reihe poetiſcher Eindrüde zu empfangen, echt und 
ihön! Das Publicum gewinnt, die Schaufpieler gewinnen, das 
Theater gewinnt. „Ein großes Muſter weckt Nacheiferung und giebt 
dem Urtheile höhere Geſetze“, jagt ver Dichter, und das gilt für die 
Schaufpielfunft im höchjten Maße. 

Und jo ijt es geſchehen. Frau Bayer-Bürd fam wie „dus 
Mädchen aus der Fremde’ mit jedem jungen Jahre zu uns, und 
ihre Vorzüge wuchfen in den Augen des Publicums mit jeder 
Wiederkehr, und wir verdanfen ihr jchöne Genüffe. Grillparzer’s 
Liebesprama von „Hero und Leander“ fnüpft feine Auferftehung an 
Frau Marie Bayer, die Tochter eines hochverdienten Schaufpielers 
in Prag. 

Hiemit jcheiden wir vom erjten Jahre. Im zweiten Jahre 
verfuchte ih dem „Julius Cäſar“ würdige Genoſſen zu bringen, 
„Heinrich den Vierten” und „Coriolanus“, und verfuchte Luſtſpiele 
zu erweden aus vem Nichts. Es wurden Preife ausgejchrieben für 
die beiten Luſtſpiele, und die heiter fein wollenden Vögel famen an 
wie die Staare, wenn die erjten linden Yüfte wehen, wie die 
Staare in Schwärmen, 

Es iſt jehr wohlfeil, über ſolche Preisausfchreibungen zu jpot- 
ten mit ver Bemerkung: das nütt ja Nichts; denn die Muſe läßt 
fih nicht commandiren, fie läßt fich nicht durch Geld verloden, und 


lag 


196 Das Burgtheater. 


beftellte Arbeit ift im Reiche der Mufen Nichts werth. Ya doc! 
Aber ein Yuftipiel bat Fein fo fchweres Gemifjen, und ein Luſtſpiel 
ijt gar ehr von der Gelegenheit abhängig. Es hat etwas von der we— 
benden Locke der vorüberfliegenden Göttin, welche rafch ergriffen 
jein will. 

Nun, man muß die Göttin Gelegenheit eben fliegen machen 
und dies verfünden, damit die Schriftiteller veranlaßt werden, auf- 
zufchauen und nach der wehenden Yode zu greifen. Viele jchauen 
eben nur auf, wenn man ihnen zuruft: Habt Acht! Setzt fliegt die 
Göttin vorüber, richtet euch auf! 

Der Generalsdntendant Baron Münch hat ganz recht gethan, 
wiederum einen Preis auszufchreiben für das bejte Luſtſpiel. 

Es iſt auch gar nicht wahr, dar die Preisausfchreibung 1851 
Nichts zu Stande gebracht habe. Sie hat jehr Viel zu Stande ge- 
bracht, und das will ich jest erzählen. Vielleicht macht es den 
Poeten Muth zur heutigen Arbeit um Preis und Ruhm. 

Die Preiscommiffion erfannte ganz deutlich, daß Bauernfeld's 
„Kategoriſcher Imperativ‘ zweifelhaft jei für vollen Erfolg auf der 
Bühne, weil jein letter Act nicht mächtig und wirkſam genug die 
aufgeworfene Frage löſt und fchlieft. Sie ſagte ſich aber: Dies 
Stüd hat allen anderen voraus literariihen Ton. Und fie war der 
Meinung, diefe Eigenjchaft müſſe in erfte Linie geftellt werden. 

Darin hatte fie auch Recht. in geringerer Theater» Erfolg 
iſt bei einem Preisſtücke wiel eher zu verfchmerzen, als der Vorwurf, 
daß man ohne irgend einen höheren Gefichtspunft das Alltägliche 
gefrönt habe. Yetsteres gejchieht oft genug im Theater, eine Preis- 
commifjion muß das Alltägliche grundjäglich vermeiden. 

Die zwei anderen Preisftüde, über welche das Publicum ent- 
beiden jollte, haben vollfommen ihre Schuldigfeit gethan für das 
Repertoire, Sie jind zur Heiterkeit des Publicums oft und lange 
gegeben worden, und das eine jteht jest nach jechszehn Jahren noch 


Das Burgtheater. 197 


im Kepertoire. Iſt das was Geringes? Ein Theater - Director 
antwortet: D nein. 

Dieje beiden Stüde waren: „Der Liebesbrief“, von Benedir, 
und „Das Preisluſtſpiel“, von Mautner. Beide fümpften lange 
um die Palme unter lebhaften Zudrange und lebhafter Aeußerung 
des Publicums. Sit dies was Geringes? D nein. Yebhafte 
Theilnahme für ein Theater zu entzünden, ift das preiswirdige 
Ziel jeder Theater-Direction. Und wie gründlich und heilfam wird 
bei jolher Wahlprüfung die Theilnahme des Publicums entzündet ! 
Es hängt eine Entjcheivung davon ab, wie jich das Purblicum äußert, 
und das Publicum ift jich bewußt, daß es eine Entjcheidung zu geben 
babe, daß es aljo aufmerfjam fein müffe und gewifjenhaft. Be— 
zweifelt man, daß dies eine gute Bewegung in’s Publicum bringt? 
Eine jehr gute Bewegung bringt das. Der Gejchmad giebt fich 
Rechenschaft, er bethätigt fich mit Bemwußtjein. Iſt dies was 
Geringes ? ’ 

Die Entſcheidung erfolgte zu Gunften des „Preisluſtſpiels“. 
Dies wurde nämlich noch ftärfer und noch länger vom Publicum 
befucht als „Der Liebesbrief”. Und num begann das allerliebfte 
Protejtiren gegen dieſe Entjcheidung. Dazu mußte ja wieder friti- 
ihe Dramaturgie entwidelt, e8 mußte mit äjthetiichen Waffen ge- 
fochten werden; die Unterfuchung, was zu einem guten Luſtſpiele 
gehöre, ward Tiſchgeſpräch. Eitel Gewinn für's Theater. 

Am Ende wälzte fich gar die Schlacht in's Neich hinaus. Jede 
Stadt wollte in ver Yage fein, den Wiener Wahrfpruch zu prüfen, 
jede Stadt wollte alfo die Stüde jehen. Köln am Rhein machte 
einen Heidenjpectafel. Sonſt eine Stadt, die gar Nichts für's 
Theater thut, war jie jeßt ganz aus dem Häuschen darüber, daß 
nicht ihr Benedix obgejiegt hatte. Benedix lebte nämlich damals 
in Köln, und Köln tobte jett gegen Wien, wie einjt Theben gegen 
Athen. „Das ift ungerecht von den Wienern“ — jchrie Köln — 
‚Nie haben nur einen Wiener wählen wollen, denn „Das Preis- 


198 Das Burgtheater. 


luſtſpiel“ bat uns viel weniger gefallen als „Der Yiebesbrief‘‘; 
„Der „Liebesbrief“ iſt hundertmal bejjer, hob „Der Liebesbrief” ! 
Und im Kölner Theater, das font verrufen war wegen literariicher 
Theilnahmlofigfeit, wurde jett Tag für Tag „Der Liebesbrief“ 
aufgeführt, und nach jedem Actſchluſſe rief das Publicum einftimmig: 
„Tuſch für Roderich Benedir! Tufh! Und der dortigen Theater: 
fitte gemäß mußte das Orchefter dreimal am Abende — das Stüd 
hat drei Acte — Tuſch blajen für den kölniſchen Dichter, und das 
ganze Haus rief: „Hoch Benedix!“ — Iſt das was Geringes ? 
Ganz Deutfhland, um nicht zu fagen ganz Griechenland, ergriff 
Partei in der Lujtipielfrage. Was hatte je die Kölner verführt zu 
jolcher Intimität mit dramatiſcher Piteratur! Das Alles hatte die 
Preisausfchreibung gethan. 

„Das Preistuftfpiel‘‘ jelbft aber, beißt es, verdient ja doch 
kaum confervirt zu werden in Betracht feines äſthetiſchen Werthes. 

Das laſſe ich dahingejtellt fein. Ich geſtehe fogar ein, daß 
die Schaufpieler vom Anfange an bis jest hartmädige Gegner des 
Stüdes waren und find, indem fie die Sprache unflüffig, feuilleton— 
artig, undramatiich nennen. Aber ich behaupte ebenjo hartnädig: 
es muß doch ein eigener Reiz vorhanden jein, wenn ein Stüd ſich 
ſechszehn Jahre lang immer gut befucht erhält! Und der ijt auch 
vorhanden. Cr liegt in dem herzhaften Griffe nach dem Gelegen- 
beits-Thema. Die Gelegenheit war bedeutend genug; fie flugs zu 
ergreifen und zu verwerthen, brachte etwas Lebensvolles mit ſich, 
was nicht zu verwiſchen tft. Die Preisausjchreibung jelbjt zum 
Gegenſtande des Luſtſpiels zu machen, das war natürlich und praf- 
tifh, und das Natürliche und Praftifche hat immer eine gewiſſe 
Dauer. Ein inhaltreiches Thema des laufenden Tages friichweg 
in leivlicher Faflung auf die Bühne zu bringen, das war lange Zeit 
nur Sache ver Franzofen. Jetzt find wir auch darauf gefommen, 
und „Das Preistuftipiel” hat beigetragen, uns auf dieſen Weg zu 
bringen ; das ift wiederum nichts Geringes. — 


Das Burgtheater. 199 


Ih höre lachen. Warum lacht man? Weil ih mir fo viel 
Mühe gebe um dies „Preisluſtſpiel“? D, man wrt ſich. Dies 
„Preisluſtſpiel“ ift feineswegs mein Trumpf für Vertheidigung der 
Preisaufgaben. Ich habe einen Trumpf in petto, den Niemand 
eriwartet. 

Der Termin nämlich für Einfendung von Preisjtüden war 
vorüber. Seit vierzehn‘ Tagen etwa nahm die Commiffion fein 
Werbeftid mehr an. Da fam folb ein unglücdlicher Nachzügler. 
Er wurde an mich gewiefen. Und wer war dieſer forglofe Mann, 
der zu langjam gejchlendert war? „Der geheime Agent‘ war's, 
von Hadländer. 

Er Fam zu jpät für die Preisgewinnung ; aber er kam als Kind 
der Preisausjchreibung. 

Er war entjtanden, weil der Preis ven Verfaſſer gelodt over 
doch veranlaßt hatte. ft das was Geringes? 

Die damalige Preisausichreibung hat alfo das beite Luſtſpiel 
zuwege gebracht, welches neben Freytag's „Journaliſten“ jeit zwei 
Sahrzehnten in Deutjchland gefchrieben worden ift. Das ijt doc 
wahrlich ver Rede werth und ift einer Preisausfchreibung werth. 

Vielleicht gelingt das wieder. Mit Einem Worte: man foll, 
unbefümmert um den Erfolg, immer und überall die Pforten öffnen 
für dramatische Production, und foll hinter den Pforten Preis und 
Ruhm in Ausficht jtellen. Das ſchadet Niemandem, höchſtens den 
Preisrichtern, und diefe Curtiuſſe opfern fich eben heldenmüthig. 
Es wird aber immer irgendwie nügen. Denn das Entgegenfommen 
iſt förderfam für jede fchöpferifche Thätigfeit. 


XV. 


Sch hatte alfo zwei große Shafefpeare-Stüde in Vorbereitung 
für das zweite Jahr: „Heinrich den Vierten’ und „Coriolanus“. 
Am Schluffe des Jahres fand fich noch ein drittes ein: „Die Ko— 
mödie der Irrungen“. Den „Coriolanus“ hatte Gußfow für vie 
Bühne eingerichtet, „Heinrich den Vierten’ juchte ich für unfere 
Scene zu bewältigen. Letzteres ijt ein Unternehmen, welches wohl 
nie ganz gelingen fann. Man wird es aber immer wieder ver- 
juchen, um eine fo außerordentliche Driginal- Figur wie Falftaff 
nicht verloren gehen zu lafjen für die Scene, und um den Heißſporn 
Heinrich Percy, ſowie ven heiteren Prinzen Heinz geſpielt zu ſehen. 

Bei diefen Einrichtungsverfuchen fommen alle Grundfäße in 
Nede, die man zur Richtfcehnur nehmen kann für Bearbeitung älterer 
und hochwichtiger Stüde. Ich muß deßhalb ausführlicher darüber 
Iprechen. „Heinrich der Vierte” von Shafejpeare befteht aus zwei 
Theilen, das heißt aus zwei Abtheilungen, von denen jede die Aus- 
dehnung eines großen Stüdes hat. Hierin liegt für unfer Theater 
die Hauptichwierigfeit. Keiner diejer beiven Theile genügt für ein 
volles Interejje unjeres Theater-Abends. Wie oft man's auch ver- 
jucht hat, fie einzeln oder hinter einander zu geben, man hat nie 
eine zufriedenftellende Wirkung erreicht. 

Giebt man nur den erjten Theil, jo fehlt ver Schluß des 
Stücdes, denn dieſer liegt im zweiten Theile. Außerdem verläuft 
auch noch das lette Drittheil diefer erſten Abtheilung veizlos im 





Das Burgtheater. 201 


Sande. Die Zufchauer gehen unbefriedigt, ungefpannt nach Haufe 
und haben nicht die mindefte Luft, auch noch einen ähnlichen zweiten 
Theil zu ſehen. Bringt man nun doch noch diejen zweiten Theil, 
jo fommen fie nicht mehr. Nur die Pietätsvollen kommen noch, 
und die literarifch Gebilveten. Dieſe reichen aber nicht zu für ein 
Theaters Publicum, fie find eine verjchwindend Fleine Minderheit, 
und wenn auch des anderen Tages in der Zeitung fteht: „Dieſes 
außerordentliche Stück verfammelte geftern Abend eine auserlejene 
Geſellſchaft im Theater und gewährte einen Hochgenuß‘, jo Flingt 
das vecht Schön; aber Schaufpieler und Director fchütteln den Kopf 
und rufen ihrerfeits: Defters jolche Siege, und wir find verloren ! 

Den zweiten Theil zuerft und allein geben fann man natürlich 
auch nicht, denn es fehlt ihm Kopf, Hals und Bruftfaften, welche 
im erſten Theile ſtehen. Giebt man trotz Alledem und Alledem beide 
Theile nach einander, fo entwickelt die zweite Abtheilung noch einen 
ganz aparten Fehler. Es breitet fich darin eine Verſchwörung aus, 
welche der Verſchwörung in der erften Abtheilung ähnlich fieht, wie 
ein Ei dem andern. Das ift die blanfe Ermüdung für den Zus 
ſchauer. Erſchöpft und matt fommt er zu den ſonſt nicht unwirk— 
famen Schlußacten, befitt feinerlei Kraft des Antheils mehr, und 
jagt beim Nachhaufegehen zu feinem Nachbar: „Dieſe beiden 
„Heinrich“-Abende wollen wir doch einige Jahre aufmerffam 
vermeiden‘, 

So iſt es unter Schreyvogel im Burgtheater ergangen, wo 
man beide Theile gebracht hat, jo geht es in Berlin, wo man zus 
weilen den erften Theil bringt und immer die Erfahrung macht, 
daß er fein volles Stück ift und zulegt langmweilt. In Summa, 
„Heinrich der Vierte‘ it immer ein zweifelhaft angejehener Wan— 
derer auf den Repertoiren geblieben. 

Der Gedanke ift deßhalb öfters aufgetaucht: Kann man denn 
nicht die ganze zweite Verſchwörung ftreichen und die große Hälfte 
des erjten Theiles mit ven Schlußacten des zweiten in Ein Stüd 


202 Das Burgtheater. 


zufammenziehen? Schröder, glaube ich, hat ihn ſchon einmal 
ausgeführt. 

Ich hatte ihn auch und ftand längere Zeit zaghaft vor ver 
Frage: Darf man das wagen ? 

Die beiven Abtheilungen find gefchrieben für das englifche 
Publicum. Dies fann fich durch breite Vorführung feiner Ge- 
ſchichte entfchädigt fühlen für mangelnde dramatifche Fafjung. Kann 
man das vom deutfchen Publicum auch erwarten? Nein. Ia jelbit 
in England find dieſe hiſtoriſchen Stüde „Hiftorien‘ genannt, 
zum Unterſchiede von „Stücken“, und haben jelbjt dort die Scene 
nicht behaupten fünnen, mit Ausnahme des ‚Dritten Richard‘. 
Soll es bei uns leichter fein als in England, die englifche Gejchichte 
in ungenügend pramatifcher Form interejjant zu finden auf dem 
Theater? Das glaubt nur ein Gelehrter. Grillparzer fagte mir 
neulich von einem deutſchen Theater-Divector, der die ganze Reihe 
bon diejen „Hiftorien’ auf fein Theater gebracht: „Der Dann bat 
mir dadurch deutlich bewiefen, daß er fein guter Theater-Divector tft‘, 

Das ift vielleicht zu viel Mißtrauen. Dergleichen Experimente 
gehen auf Fleinen Hofbühnen, die in auswärtigen Zeitungen als 
jehr claffiich gepriefen fein wollen, und denen ein volles, freies 
PBublicum fehlt. Im einer großen Stadt, vor einem jelbitjtändigen 
Publicum, welches weiß, was es will, geht das nicht. Ein jelbit- 
jtändiges Publicum verlangt ein gejchloffenes Stüd und in dieſem 
ein gefchlofjenes Intereffe. Berufung auf YiteratursGefchichte Hilft 
da nicht; man will Leben, das jich felbjt erklärt und das hin— 
veichend anzieht, 

Da fteht man denn vor der frage: Sollman dieſe „Heinriche“ 
mit ihrem Falftaff, Perch und Heinz unberührt, das heißt unver: 
ändert laſſen? Dann bleiben fie todt für unjfere Bühne, Oder joll 
man fie bearbeiten, und wie weit darf man ſich da vorwagen? Dies 
it die Streitfrage. 

Ich ftehe nicht auf Seite derer, welche Haro! ſchreien gegen 


Das Burgtheater. 203 


die Bearbeitung eines alten dramatiſchen Poeten, der nicht mehr 
für unfere Theater-Bedingungen paßt, und ich glaube, daß ein fräf- 
tiges Talent durch volle Bearbeitung alter Stüde unferem Theater 
mannigfachen Nuten Schaffen fan. Das unverlette Stüd Shake— 
ſpeare's zum Beifpiel liegt ja vor, und Jedermann fann es unver: 
ändert haben. Wem die Bearbeitung ein Aergernif ift, der braucht 
fich ja nicht um das zu kümmern, was er eine Berballhornung nennt, 
fie befchäpdigt ja für ihn das Driginal nicht, fie wendet fich ja nur 
an die Theaterwelt. 

Aber ich glaube nicht, daß ſolche volle Bearbeitung anzurathen 
jei für Shafefpeare's „Hiſtorien“. Deren Inhalt ift mehr Gefchichts- 
maffe als dramatische Maffe, und es iſt obenein Mafje einer Ges 
ſchichte, welche uns in ihrer damaligen Kriegsform zwijchen weißer 
und vother Roſe ziemlich monoton anmuthbet. 

Sch glaubte alfo bei diefen zwei „Heinrich“Theilen nur zu— 
fammenziehen und nur discret ändern zu dürfen. Wenn die zweite 
Verſchwörung ganz ausfällt, jo entjteht ohne befondere Gewaltſam— 
feit Ein Stüd. Die Gegner rufen: Aber wie viel Uebergänge 
gehen verloren! Das ift nicht jo arg, wie die Pietät — und von 
ihrem Standpunfte ganz mit Recht — glauben machen will. 

Biel wichtiger jeheint mir die vorwurfsvolle Frage: Und haft 
du num mit deiner Amputation ein vollftändiges Stüf gewonnen ?! 
— Ich habe nicht ven Muth, Ja zu jagen. Aber das murde er: 
reicht: die berühmten Figuren Falftaffs, Heißſporns Perch und des 
luſtigen Heinz werden in einem Zuſammenhange vorgeführt, welcher 
fich mit Intereſſe anjehen läßt. 

Das Stück erhielt fich im Burgtheater und befteht noch. Sch 
finde die literariſchen Vorwürfe gegen jolche Arbeit berechtigt, aber 
fie überzeugen mich nicht, daß ſolche Zuſammenziehung für die Bühne 
unterlafjen werden müſſe. 

Man hat fich gewundert, daß ich ven Falftaff an Anſchütz ge- 
geben. Ich bin immer ver Meinung gewefen, daß er ihm zuge: 


204 Das Burgtheater. 


hörte, und bin es noch. Im Yeipzig hatte ich die Wolle von ihm 
geiehen, und er hatte mir jehr wohl gefallen. Er befaß den Stu— 
dentenhumor, welcher der Rolle gebührt. Es ijt nicht der Humor 
des gewöhnlichen Komifers, welcher aus dem Falftaff ipricht. Fal— 
jtaff lebt und webt in humorijtiichen Folgerungen, nicht in unmittel- 
barer Komif. 

Ich habe die bejte Gelegenheit gehabt, das am lebendigen 
Fleifche zu ftudiren. Als der alte Herr von dannen ging und die 
Kolle an Beckmann faın, da zeigte ſich's, daß diejer rathlos wor der 
Rolle jtand. Das war nicht feine Komif, und mit aufgezogenen 
Stirnrunzeln ſah er mich an. 

Das Naturell gemügte hier nicht; bewußter humoriftifcher 
Geiſt war hiezu nöthig. 

Nachdem Beckmann die Rolle gelernt — es war in Karlsbad —, 
verpuffte er fie im Vortrage wie zifchende Raketen, die nicht im die 
Höhe gehen. Er gab fih und dem Zuhörer nicht die Zeit, des 
humoriftifchen Kernes, der darin ruht, inne zu werden. Diejer 
Kern braucht eine Geiſtes-Operation, und für diefe muß man fich 
und den Zuhörern Zeit lafjen. Es find nicht komiſche Späſſe, es 
find trodene Folgerungen einer humoriſtiſchen Lebensanſchauung. 
Das trodene Wort muß Zeit haben, von der feuchten Unterlage des 
Geiftes — Humor heißt ja Feuchtigfeit — getränft zu werden, und 
erſt wenn es vollgejogen ift, lacht der Zuhörer. Immer und immer 
wieder mußt’ ich ihm in den Zügel fallen, und endlich mußt’ ich's 
ihm vorlejen, weil er ſich unficher fühlte. Herr Verjtl war der an— 
dächtige Zuhörer, auf welchen hin exrperimentirt wurde, und es war 
ihm ſtrenge verboten, aus bloßer Gefälligfeit zu lachen. Hätte ich 
Beemann eine eigentlich komiſche Rolle vorlefen wollen, er würde 
mich jchön ausgelacht haben; denn das verjtand er bejjer als ich. 
Dies Falftaffiche Wefen aber veritand er ſehr langfam — ein 
Zeichen, daß die Rolle nur mit Vorſicht einem eigentlichen Komiker 
überlajjen werden darf. 


Das Burgtheater. 205 


Jetzt ift die Rolle an Herrn Baumeijter gefommen. Er ift 
feinem Wefen nach trefflich geeignet dafür, aber jeinem Bortrage 
nach gar nicht. Sein Vortrag iſt die Abkürzung in allen möglichen 
Formen; er ift im Stande, die harmanteften Sachen unbejehen in 
die Tafche zu jteden. Er hat ven Spaß davon empfunden, er hat 
aber gar feine Nücficht darauf genommen, ob der Zuhörer auch 
genug merkt von dem Spaße. Falftaff alfo, welcher durchaus breiten 
Vortrag braucht, fann ein Wunder wirfendes Exrereitium für Herrn 
Baumeijter werden. 

Aufathmend von dieſer fehlotternden Ungefchlofjenheit einer 
„Hiſtorie“, gingen wir an ein wirfliches Drama desſelben Shafe- 
Ipeare, und zwar an eines feiner vorzüglichiten, an den „Coriolanus“. 
Dies ıft von feinen drei römiſchen Stüden das einfachite und am 
beiten componirte. Es jteht in der Compojfition über „Cäſar“ und 
ganz umvergleichlich über ‚Antonius und Kleopatra“. Mit eiferner 
Conſequenz und Alles eng und jtreng zufammenhaltend, führt hier 
der große Dichter fein Thema durch, ein hohes Wiufterbild in Form 
und Inhalt. 

Für unſer jetiges Theater freilich hat die Form der erjten 
Acte große Schwierigkeiten. Shakeſpeare's Theater gejtattete dein 
Dichter ungemeine Freiheit. Da wurde nicht verwandelt, fondern 
ein Pfahl, eine Tafel, ein Wegweijer over irgend ein allgemein be— 
fanntes Zeichen deutete an: bier ijt freies Feld, hier ift gefchlofjener 
Kaum, Die Phantafie des Zufchauers — bei unjerer jorgfältigen 
Drtsbezeihnung arg in Ruhejtand verfegt — wurde damals geübt 
und blieb immer aufgeweckt. Sie ergänzte alles das, was Außer: 
lich fehlte, 

Deßhalb machten damals auch die erjten Acte im „Coriolan“ 
Niemandem Kummer. Hier jpringt nämlich die Scene wie ein 
Springer auf dem Schachbrette von Nom nad Corioli, von Rom 
aufs Schlachtfeld und wieder zurüd nach Rom, daß wir faft fo viel 
Zeit für die VBerwandlungen brauchten, wie für die Scenen felber, 


206 Das Burgtheater. 


und daß unfer Publicum in Unruhe und Zerftrentheit gerieth. Hier 
thut eine Vereinfachung dringend noth; auch die Gutfom’sche Ein- 
richtung mußte für uns noch vereinfacht werden, 

Das war nicht ganz leicht, weil Ein Punft dem Auge und Ohre 
des Publicums mit einer gewiljen Breite dargelegt werden muß und 
weil diefer eine Punkt auf dem Schlachtfelve Liegt. Jedermann 
weiß, wie mißlich alle Schlachtenpunfte find auf der modernen Scene 
und vor einem modernen Publicum, welches feiner Phantafie gar 
Nichts mehr zumuthen und Alles mit ftatiftiicher Genauigfeit wor 
jich jehen will. Wir übertreiben in der Außerlichen Genauigfeit 
bereitS ebenjo, wie man zu Shafejpeare’s Zeit in der Einfachheit 
übertrieben hat. 

Dieſer eine Punkt ift ver, als Coriolanus auf dem Schlacht- 
felde erfcheint. Hier muß breiter Raum für ihn gejchaffen werden. 
Der Ariftofrat Coriolan muß bier dem Publicum voll in’s Auge 
treten, wo er tapfer, in eminentem Grave tapfer iſt. Dies ift der 
Noment, welcher den übrigens rüdjichtslofen Ariftofraten tüchtig 
und jeder Aufopferung fühig zeigt. In der Schlacht enthüllt Corio— 
lan feinen bejten Kern, und deſſen muß das Publicum vollſtändig 
inne werden, ſonſt ſchenkt es ihm fpäter nicht die erforderliche 
Theilnahme. 

Dies war bejonders in Wien nothwendig, wo das Pathos eines 
Ariftofraten ſchwer verftanden wird, wo der Gejichtspunft eines 
Ariſtokraten faum gewirdigtwird und wo die Rüdjichtslofigfeit eines 
Ariitofraten nicht verziehen wird. 

Sch ſuchte alfo alle grellen Farben zufammen, um dieſe furze 
Scene der aufopferungsfähigen Tapferkeit Coriolan's den Zufchauern 
in die Augen zu drängen. Wenn er jpäter fchonungslos gegen das 
Volk auftritt, dann ſollte man fich erinnern: er war und iſt auch 
Ihonungslos gegen fich ſelbſt, ſobald ein großer Zwed vorliegt. 

Es ijt eine Hauptaufgabe der Infcenefegung, das Wichtige in 
den Vordergrund zu ftellen, das minder Wichtige nur deutlich zu 


Das Burgtheater. 207 


machen und das Gleichgiltige im Schatten zu laſſen. Der Infcenes 
feger muß nachdichten. Das äuferliche Arrangement der Scene, 
Gruppirungen, Aufzüge, Putz, Schmud und all dergleichen ijt wohl 
auch feine Sache, aber es ift verhältnißmäßig Nebenſache. Die 
Motive des Stüces in Geltung zu bringen, das iſt Hauptfache, 

Hierin fuche man auch vorzugsweife die Erklärung, daß ein 
Stück an diefem Orte gefällt und an jenem Orte nicht gefällt. Das 
liegt nicht blos an ven Schaufpielern, das liegt vorzugsweije an der 
Inſceneſetzung. Tragt eine gute Rede jchlecht vor, und fie wirft 
nicht; tragt eine mittelmäßige Nede gut vor, und fie wirft, Der 
Vortrag eines Stückes entſcheidet über die Auffaffung des Stüdes, 
und die Auffaſſung enticheivet über die Wirfung. 

Und trotz aller Anftrengung jolcher Art wurde mit der erjten 
Aufführung des „Coriolanus“ eine volle Wirkung nicht erreicht. 
Die freche Berhöhnung demokratischer Glemente, welche ven „Co— 
riolan“ auszeichnet, war dem Publicum innerlich zuwider, und e8 
ließ ven Beifall für gut gejpielte Scenen nicht heraus. Sa, ich wurde 
mit Vorwürfen überjchüttet, in unjerer Zeit ſolche Berhöhnung ver 
Demokratie auf die Scene gebracht zu haben. 

Ih nahm fie ruhig hin. So jehr ich überzeugt bin, daß ein 
Theater nicht beftehen fann, wenn ſein Inhalt nicht wefentlich über— 
einſtimmt mit dem Sinne der Zeit, fo feſt bin ich davon durchdrungen, 
daß die weiteren Gefichtspunfte dev Kunft nicht dem eben herrſchen— 
den Parteifinne geopfert werden dürfen. 

Das Publieum ſoll nicht blos kurzweg genießen; es joll auch 
fernen, um in Folge der Bildung veichlicher zu genießen, Hat es 
wohlbegründete Stücke anfehen gelernt, welche feinem Parteifinne 
augenblicklich nicht zufagen, jo lernt es fie allmälig auch würdigen, 
eben weil jie wohlbegründet find. Was es aber einmal zu würdigen 
verjteht, das wird ihm mit der Zeit auch ein Genuß. Und zwar 
ein fünftlerifcher Genuß, welcher feinere Nerven anregt, als der 
wohlfeile Genuß deſſen, was dem alltäglichen Berftändniffe zuſagt 


208 Das Burgtheater. 


und dem gedanfenlofen Behagen. So bildet jih ein Publicum und 
ein Theater gleichzeitig und wechjelfeitig. 

Das gelang allmälig auch mit „Coriolanus“. in paar Jahre 
war er nur mäßig befucht. Nach ein paar Jahren war er gewür— 
Digt und wurde gut bejucht, ja am Ende applaudirte man unbefangen 
jene Streitworte, weldhe man bei der erſten VBorftellung am liebſten 
ausgeziſcht hätte, 

Ich hatte auch jahrelang große Noth mit dem Enſemble des 
Stüdes: es zeigteimmer bei den tumultuarischen Scenen grelle Lücken. 
Ich mochte probiven jo vielich wollte, fie waren nicht zu jtopfen. Ich 
wußte gar qut, woran das lag. Aber um vem abzuhelfen, mußte 
ich einem alten verdienten Schaufpieler die Rolle abnehmen. Er 
war in feiner Abhängigkeit vom Souffleur nicht im Stande, in ftür- 
mifchen Scenen zur vechten Zeit einzufallen, denn der Lärm der 
Scene bevedte die Stimme des Souffleurs, und auswendig die 
Worte zu behalten, vermochte ev abjolut nicht. Immer hoffte ich, 
er werde durch öftere Vorjtellungen endlich ver Worte Herr werben. 
Umſonſt! Da gab ich die Rolle in andere Hände, und num gingen 
die Scenen vortrefflih — ich aber wurde heftig gejcholten von 
öffentlichen Stimmen, daß ich die alten verdienten Künftler frevent- 
ih mißhandelte. 

Die Aufgabe ift eine der jchwerften auf dem Theater, große 
Talente, welche alt geworden find und dem Alter gemäß an Gedächt- 
niß, Organ und Beweglichkeit einbüßen, doch jo zu jtellen, daß ihr 
Talent noch angemefjen verwerthet wird. Es ijt mir mehrfach ge- 
lungen, diefe Aufgabe annähernd zu löſen. Aber auch wenn e8 
ganz gelingt, wird man doch feinen Danf ernten, wohl aber Vor- 
wurf und Anklage erleben, daß man vie Alten nicht jung gemacht, 
daß man das Ganze nicht dem Einzelnen geopfert habe. Das muß 
man eben hinnehmen wie Negen und Wind, 

Auf das dritte Shafefpeare-Stüd diefes Jahres lege ich feinen 
ShafeipeareWerth, Es war „Die Komödie der Irrungen“, ein 


Das Burgtheater. 209 


altes, verbrauchtes Thema von Verwechslungen und Mikverftänd- 
niffen. Ich habe es denn auch wieder fallen lajien. Unfer Publi— 
cum fonnte mit Recht nichts Befonderes daran entveden, und man 
thut nicht gut, den Reſpect für einen großen Poeten wohlfeilen Zwei- 
feln auszufeßen. 

Der König von Preußen, Frievrih Wilhelm IV., war zum 
Beſuche in Wien und verlangte gerade diejes Stüd. Er war be 
fanntlich ein Shafejpeare-Berehrer und pflegte auch im politifchen 
Gefpräche in Shakeſpeare'ſcher Form zu jagen: „Mein Schwager 
Rußland Schreibt jo und jo. Ich fannte feine Phyfiognomie von 
Jugend auf und beobachtete fie aufmerffam, während er diefer „Ko— 
mödie der Irrungen“ zufah. Cr lachte redlich; aber meine Be— 
obachtung ſagte mir doch: er lacht nur pflichtgemäß für die Claſſik, 
welche da mit pofjenhaften Motiven Fangball jpielt. 

Der Spätherbjt 1851 brachte noch zwei Luſtſpiele verſchiedenſter 
Art: „Das Gefüngnig” von Benedix und „Rococo“ von Laube, 
„Das Gefängnik‘ mit feiner behaglichen Stoffesfomif machte un— 
verfängliches Glück; „Rococo“ daneben erlebte ein verfüngliches 
Schickſal. 

Es iſt keines meiner Lieblingsſtücke, und ich bin immer zu Wi— 
derſpruch geneigt, wenn man es lobt. Es-braucht zu viele Hebel. 
Ich fand auch Ludwig Tied immer über Gebühr dafür eingenommen. 
Nur eine Auszeichnung von ihm nahm ich dankbar hin, Er nannte 
eine Scene im vierten Acte ganz neu in der Luftipielliteratur. Da 
er jich ein Fach daraus gemacht hatte, die ganze europäische Luſtſpiel— 
literatur jpeciell zu ftudiren, fo fehmeichelte das meiner Eitelfeit, 
Es ift die Scene im. vierten Acte zwifchen dem Marquis und dem 
. Baron. Sie wollen fich vertragen und Keiner will ausfprechen 
oder ausjprechen lajfen, worüber fie fich vertragen wollen. 

Ich erwähne das hier, weil diefe Scene das Schickſal des Stückes 
im Burgtheater entfchied. Das Stück hat wunderlicherweife immer 
auf Stadttheatern leichteren Erfolg gefunden, als auf Hoftheatern, ob— 


Laube, Burgtheater. 14 


210 Das Burgtheater. 


wohl es eine Iutrigue behandelt, welche mit dem Hofe zuſammen— 
hängt. Vielleicht eben deßhalb. 

Im Burgtheater verhielt fich das Publicum dem Stücke gegen- 
über ziemlich paffiv bis zu jener Scene im vierten Acte. Sie ſchlug 
durch. Ein Beweis für mich und Tief, welchem ich diefen Erfolg 
mittheilte, daß dies Burgtheater-Publicum in der Luftfpiel-Literatur 
wohl erfahren und wohl gejchult jet. 

Bis zu diefer Scene laftete eine jchwere Luft auf dem Saale. 
Herr Dawiſon hatte ſie bei feinem Eintritt in die Scene erzeugt. 
Er jpielte ven Abbe von der Sauce. Es war nicht erreichbar ges 
weſen, diefe Figur als Abbe auftreten zu laffen; ein folcher, wenn 
auch nur halbelericaler, Charakter hätte das Stüd unzuläſſig gemacht. 
Der Abbe-Titel war alfo der Nolle genommen, fie figurirte als 
jimpler „Herr von der Sauce’ auf dem Zettel, und ich hatte den 
Darfteller gebeten, in Erjcheinung und Wejen Nichts von clericalem 
Sharafter einzumifchen. 

Solche Enthaltjamfeit parte aber nicht zu feinem Talente, 
welches vorzugsweife der Darjtellung von Chargen zuneigt; ſie paßte 
nicht zu jeinem jteten Bedürfniſſe, auffallend hervorzutreten. In 
Betreff der eigentlichen Rolle hatte er ja auch nicht Unrecht, ärger: 
(ich zu fein über die Beſchränkung, kurz — er erſchien auf der Scene 
als der unverfennbare Typus eines jchleichenden Weltgeiftlichen, 
welchem beuchelnde Tartüfferie und jejuitiiche Form auf hundert 
Schritte abgejeben wurde, Auch das vorgejchriebene Coſtüm hatte 
er fich jo abgeändert, daß cs dem geiltlichen Schnitte jo nahe wie 
möglich kam. 

Dies erichreefte das Publicum, und es bildete ſich jene pein- 
liche Atmoſphäre, in welcher man nur mit Bevdenfen Athen holt, . 
unter allen Umständen aber jchweigt. Das iſt natürlich bei einem 
Publicum, welches von Jugend auf daran gewöhnt worden tft, feinen 
Geiſtlichen jeiner Confefjion auf der Scene zu jehen, und welches 
gewöhnt worden ift, ſolche Erſcheinung für Entweihung zu halten. 


Das Burgtheater 211 


Der Capuziner in „Wallenſtein's Lager“ übte zuerſt diefelbe be- 
ängjtigende Wirkung. 

So entjtand ver antisclericale Ruf dieſes Stüdes, welchen es 
in diefem Maße gar nicht verdient. Cr wäre auch wohl wieder 
untergegangen, wenn nicht auf offener Kanzel gegen das Stüd ge 
predigt worden wäre. Dadurch fam Agitation und Gegen-Agitation 
in Gang. Täglich gelangten anonyme Drohbriefe an die Direction, 
und für jeden Abend wurde lärmende Demonitration gegen das 
Stück angefündigt. 

Es war immer nicht wahr. Ganz unbehelligt und rubig wurde 
das Stück neunmal innerhalb eines Monates gegeben. Aber ich 
jelbjt litt ſehr darunter. Es ift Schon jehlimm genug, wenn irgend 
ein Stüd öffentlihes Aergerniß giebt. Das iſt ja doch nicht die 
Beitimmung eines Kunjt-Inititutes. Dies war aber noch dazu 
mein Stüd und ich war Director. Ich jah, wie mein Chef darunter 
leiden mußte. Er war jo nobel, mir fein Wort des Vormwurfes zu 
jagen. Er hatte das Stück nach der Yectüre zugelaffen und machte 
nun Niemanden dafür verantwortlich als fich jelbjt. Gerade darum 
hielt ich es für meine Schulvigfeit, feinem Yeiden ein Ende zu machen 
— ich) jette „Rococo’ nicht mehr aufs Repertoire. 

Das Stüd iſt nie verboten worden, weder damals noch jpäter. 
Sch jelbjt nur habe mir es verboten. Heutigen Tages würde es 
viel harmlojer ericheinen, und erſt neuerdings ift mir die Wieder- 
aufnahme angeboten worden. Aber ich habe nie eine Neigung gehabt, 
es wieder einzuführen. 


RTT. 


Das Jahr 1851 brachte die große Anzahl von fünfundzwanzig 
Neuigkeiten und gegen vierzig Neufcenivungen. Die Theilnahme 
des Publicums wuchs in dem Maße, daß die durch Engagements 
und Ausjtattungen erhöhten Ausgaben reichlich bejtritten werden 
fonnten. Außer ven bereits angeführten Neuigkeiten ift noch nam: 
haft zu machen Schiller’s „Turandot“, welche nicht dauernd zu 
halten war, „Adrienne Yecouvreur” und der „Damenfrieg‘, welche 
Beſtand fanden und von denen „Der Damenfrieg’ ein ungemein 
beliebtes Repertoireſtück wurde; endlich eine große Zahl Eleiner 
Stüde, unter denen „Der Hauptmann von der Schaarwache‘‘, 
„Der kleine Richelieu‘‘, „Einer muß heirathen“, „Die Eiferfüchtigen‘‘ 
bis heutigen Tages oft wiederholt wurden. 

Unter den neu einjtudirten Stüden war „Iphigenie“, „Cla— 
vigo“, „Sit von Berlihingen”, „König und Bauer”, „Des 
Meeres und der Yiebe Wellen’, „Ein treuer Diener jeines Herrn“ 
und noch drei große Shafejpeare - Stüde: „Hamlet“, „König Year‘ 
und „Der Kaufmann von Venedig‘. 

Es war mir darum zu thun, alle wichtigen Stüde in gleichem 
Geiſte eingerichtet und vem Ganzen eingereiht zu ſehen. Deßhalb 
jetste ich auch Diejenigen ganz neu in Scene, welche nur mäßiger 
Ergänzung im Perfonale zu bedürfen ſchienen. Auch vie älteren, 
längſt bejtehenven Shafefpeare- Dramen, wie „Hamlet“, „Lear“, 
‚Kaufmann von Venedig‘, wurven in der Eintheilung des Textes 
neu vedigirt und in den Proben wie neue Stücke behandelt. 


Das Burgtheater. 215 


Zunächſt die Krone Shafefpeare'fchen Talentes, „Hamlet“. 
Hundertmal wohl habe ich dies zaubervolle Drama gejehen, und immer 
wieder haben vie erjten drei Acte mich eingefangen in ihren tiefen 
Reiz. Wir erhielten in Joſeph Wagner einen Hamlet-Darfteller, 
den ich nirgends übertroffen, nirgends erreicht gefehen habe. Man 
fann den Hamlet geiftreicher fpielen, ja; aber Wagner's Hamlet 
wird dennoch tiefer wirfen. Er giebt ihm feine ganze Seele hin, 
er jpielt nicht mit ihm, wie jo mancher Hamlet= Darjteller. Die 
Reize des Geijtes, welche in der Rolle liegen, werden nicht das Ziel 
des Darjtellers, jie werden nur die Begleitung eines ehrlich ſuchen— 
den, eines ehrlich Leidenden Menjchen. Dawijon, welchen ich mit 
Wagner alterniven ließ im Hamlet, gewann fi mit diejer uner— 
Ihöpflichen Rolle ebenfalls fein Publicum; aber es war die leichte 
Gattung des Publicums, welche mit leichteren und wohlfeileren 
Lockungen zufrieden ift, das will hier fagen: mit den intereffanten 
Wendungen des Hamlet’schen Geiftes. Das Urgermanifche, welches 
im Hamlet liegt, war und ijt den polnifch-jüdifchen Weſen Dawi— 
jon’s immer verfchloffen ; die juchende Seele fehlt ihm. Er trachtet 
danach, dies durch fuchenden Geiſt zu erfegen, und das ijt oft recht 
unterhaltend, jo lange e8 frei von Manier bleibt, aber es beveutet 
eben viel weniger, als die Darftellung eines vollen Menfchen mit 
reicher Innerlichkeit. Die Energie des Verjtandes war damals 
Dawiſon noch in intereffantem Maße zu eigen, und fie verlieh er 
denn auch jeinem Hamlet. Das nach Wahrheit ſchmachtende Ge— 
müth Hamlet's aber, welches ihn eben vom Thun und Handeln ab- 
hält, das fehlte — was für ein Hamlet entjteht va? in Hamlet, 
welcher ven König im erjten Acte ſchon todtitechen muß; denn die 
Energie ift da, und die Hemmung verfelben ift nicht da. So wird 
Hanılet eine Komödienfigur. 

„König Year‘ erjchien jet zum erjtenmale mit dem echten, 
tragiichen Schluſſe. Es gelang trog Tieck's Warnung, den 
alten „Wiener Schluß” zu bejeitigen, und Anſchütz, für jede 


214 Das Burgtheater. 


claſſiſche Bedingung immer bereit, jtarb zum evjtenmale im lebten 
Acte. 

Der „Kaufmann von Venedig“ endlich wurde in ganz neuer 
Eintheilung der Acte und Scenen gegeben. Die Scenen vor 
Shylock's Hauſe waren in einen Act zuſammengeſchoben und die 
zerſtreuten Freierfcenen waren ebenfalls aneinandergerückt. Das 
durch wurde ver Gang des Stüdes ruhiger und gefammelter,. Die 
Hauptänderung jedoch betraf ven letten Act. Bekanntlich ſchließt 
die große Gerichtsfcene Shylod’s den vierten Act, und der fünfte 
Act erledigt in jpieleriicher Art auf Belmont, dem Pandfise Por: 
zia’s, die längft reifen Yiebeshändel. Unſere Shafeipeare-Commen- 
tare preijen das jogar und machen aus der Noth eine Tugend. Die 
Noth ift ein letter Act, ver noch abgejpielt werden foll, nachdem 
das Hauptinterefje des Stückes erledigt worden ift. Sie nennen 
ein lyriſch-muſikaliſches Ausflingen im letzten Acte eine Tugend; 
denn es werde dem urjprünglich heiteren Stücke die heiter jchöne 
Krone aufgefekt. 

Das Publicum ift andrer Meinung. Es pflegt aufzuftehen 
und fich zum Fortgang zu rüſten, wenn im vierten Acte die Shylod- 
Affaire zu Ende ift. Diefe Shylod-Affaire ift ihm das Haupt- 
intereffe des Stüdes. Umfonjt rufen die Commentare: die Shylod- 
Affaire ift nur eine große Cpifovde des Stüdes. Das Publicum 
fragt nicht nah den Kommentaren, fondern folgt feinem Cin- 
drucke. 

Und dieſer Eindruck beruht auf unerſchütterlichen äſthetiſchen 
Geſetzen. Dies Mißverhältniß im „Kaufmann von Venedig“ 
zwiſchen dem Luſtſpieltone und der grauſamen Shylock-Affaire iſt 
nicht wegzuleugnen; es iſt nicht wegzuleugnen, daß die Todesmarter 
des Shylock'ſchen Handels fein eingehender Accord zu einem Luſt— 
Ipiele tft, daß die Gerichtsicene um Leben und Tod einen viel ſtär— 
feren Effect macht, als alles Uebrige, und daß ein darauf noch fol- 
gender ganzer Act für den Zufchauer nebenſächlich und überflüffig 


Das Burgtheater. 215 


erſcheint. Die legten Acte find in feiner Aefthetif dafür da, Neben- 
fächliches aufzuwräumen; das Schwächere fann nicht wirffam auf 
das Stärfere folgen; das Gebot der nothwendigen Steigerung im 
Drama läßt fich nicht wegleugnen, und unfere Commentare thäten 
viel bejjer, dies einzugeftehen, ftatt aus der Noth eine Tugend zu 
machen. 

Niemand bejtreitet, daß diefer letzte Act mit feinen zahlreichen 
ſchönen Worten Werthvolles enthält; aber mit all feinem Werth: 
vollen ift er als letter Act ein Compoſitions-Fehler. 

Diefen Fehler jo unfcheinbar wie möglich zu machen, iſt bie 
Aufgabe der ſceniſchen Einrichtung. Wir beginnen deßhalb im 
Burgtheater den legten Act mit der großen Gerichtsjcene Shylock's. 
Sie füllt ihn zu drei Viertheilen aus. Die nur minutenlange 
Scene mit Abgabe der Ringe au die verfleiveten Frauen folgt, und 
dann bringt uns unter Muſik eine Verwandlung in den nächtlichen 
Park von Belmont. Wir fühlen uns geftimmt, die von Mufif 
durchklungene Ruhe und die ſchönen Worte des Yiebespaares hinzu— 
nehmen, wir fehen — nach jceharfen Kürzungen des Textes — die 
ganze Geſellſchaft bei Fadeljchein aus Venedig anfommen, und in 
einigen Minuten geht vie fpielerifche Auflöfung mit ven Ringen an ung 
vorüber, jo daß wir am Ende find, ohne des ſchwächeren Themas 
bis zur Störung unferes Antheiles innegeworden zu fein. Go 
nehmen wir, weil der Acteinfchnitt fehlt und Alles raſch ſich ab- 
wickelt, den Eindrud eines heiteren Spieles mit hinweg und gedenfen 
des Mißverhältniſſes in ven Tönen der Accorde nicht mit befonderem 
Nachdrucke. 

Wer das Stück im Burgtheater geſehen nach dieſer Einrich— 
tung — und ſechszehn Jahre lang habe ich wie Viele! darüber be— 
fragen können —, der geſteht immer zu, daß der Uebelſtand des letz— 
ten Actes leidlich verdeckt iſt und daß der Eindruck des Ganzen trotz 
der Shylock-Affaire ein anmuthiger und luſtſpielartiger ſei. Der 
Text iſt nur gekürzt, nicht verändert, und der Zweck unſerer Theater— 


216 Das Burgtheater. 


form iſt erreicht durch bloße Aenderung der Folge in den Scenen 
und Acten. 

Der ſchönſte Erfolg des Jahres aber und der wichtigite wurde 
erreicht durch die Wiederaufnahme des Grillparzer’schen Yiebes- 
Dramas: „Des Meeres und der Liebe Wellen‘. 

Das Stüd war 1831 neu gewejen und war nach vier Vor: 
jtellungen in’s Grab des Archivs gejunfen. Ich hatte es 1849 in 
Wien zum erjtenmale gelefen. Cs hatte mich entzücdt und ich hatte 
es wie eine Perle in meiner Grinnerung bewahrt. Dies theilte ich 
Frau Bayer nach Dresden mit, als wir Briefe wechjelten über ihr 
zweites Gajtjpiel, und ich forderte fie auf, es zu lejen und mir zu 
jagen, ob fie nicht gerade jo wie ich die Rolle ver Hero für jich ges 
eignet fünde. Sie hatte Ja! gejchrieben, und jett gingen wir bei 
ihrem Gajtjpiele an die neue Inſceneſetzung des Stückes. Unter Achjel- 
zuden des älteren Schaufpielergefchlechtes. Mit den erſten drei 
Acten, hieß es, wird es gut gehen, mit den zwei letsten jchlecht, wie 
damals! 


Das war uns ein lehrreiher Wink. Wir wendeten alle Kräfte 
der Phantafie auf die letzten Acte. Für den Schluß erbaute ich ein 
Treppenhaus im Tempel, um malerifche Wirkung zu gewinnen für 
das Ende, eine auch äußerlich hilfreiche Wirkung für die Seele der 
Hero, welche aufwärts ringt nach Vereinigung mit der entflohenen 
Seele Yeander’s. Ich ließ mich nicht ftören durch den Einwand, ob 
ſolch ein Treppenhaus anzubringen ſei für ein altgriechiiches Tempel- 
gebäude — was wit ihr denn von der Architektur jener ältejten, 
auch in Griechenland mythiſchen Zeit, und da wir doch nichts Feſtes 
willen, was brauche ich jchüchtern zu fein, da die Idee des Kunſt— 
werfes, welches ich verfinnliche, maßgebend für mich ift, maßgeben— 
der gewiß als ein archäologifcher Zweifel. 

Es bejtätigte fich. Diefe Scenirung kam der aufwärts 
drängenden Stimmung des Schlufjes jehr zu jtatten; der Schluß 


Das Burgtheater. 217 


wirkte erhebend, und der Erfolg des Stüdes war ungetheilt, war 
echt wie die Seele des Gedichtes. 

Frau Bayer trug wefentlich dazu bei. Die griechifche Anmuth 
und Ruhe war ihrem Körper und ihrem Tone in feltenem Grade 
zu eigen, und die ſchließliche Energie eines finnlihen Mädchen: 
charafters trat doch überzeugend zu Tage! Keine Convention, fein 
Dogma macht dieſe Mäpdchennatur irre, fie fühlt die Berechtigung 
ihrer Liebe fo bejtimmt wie das Bedürfniß des Athemholens, jte 
weit mit jchmerzlichem Lächeln alle Abihwächung ihres fogenannten 
Fehles zurüd, fie weiß, daß fie die Hälfte Yeander’s ift und daß fie 
zu ihm muß in’s Reich ver Schatten oder des Lichtes, gleichviel! 
nur dahin, wo er fei. 

Dies ift allen Wienern unvergeglih, Mir ift es unvergeßlich, 
daß durch diefen Triumph der Scene der dramatische Dichter Grill: 
parzer für uns neu geboren wurde. Fünfundzwanzigmal iſt dieſe 
Liebes-Tragödie ſeitdem aufgeführt worden und es liegt die Zufunft 
weit vor ihr offen. 

Die Anhänger Grillparzer’s bildeten damals eine jehr edle 
Gemeinde, aber nicht eine allzu große. Die beiten Männer ges 
hörten zu ihr, worzugsweife Männer, und zwar ältere Männer, 
welche mit dem Dichter aufgewachjen waren. Jetzt hatte ver Dichter 
auch die Jugend entzündet, auch die Frauen; jest fam ein neues 
Geſchlecht an die Kenntniß des vaterländifchen Poeten, und dies 
Geſchlecht ift jeit 1851 gewachjen und gewachien, und alle folgenden 
Aufführungen feiner Stüde haben eine wunderbare Propaganda ge— 
bildet. Was Grillparzer verfäumt dadurch, daß er jeine Schriften 
niemals gejammelt hat herausgeben lajjfen, dies hat das Burg— 
theater nachzuholen verfucht. Freilich nur für Wien und fremde 
Beſucher. 

Dennoch darf man ſich namentlich über dieſes Stück nicht täu— 
ſchen in Betreff der Theater jenſeit des Erzgebirges. Dies Stück 
iſt gründlich ſüddeutſch. Es ſetzt eine Naivetät der Sinnlichkeit 


218 Das Burgtheater. 


voraus, welche dem deutjchen Norden ziemlich fremd iſt. Ein Ver: 
juch der Frau Bayer giebt dafür einen Fingerzeig. Sie hat das 
Stüd auf dem Dresdener Theater gerade jo in Scene gejett, wie 
es im Burgtheater jteht, und — die Aufführung ift erfolglos ge- 
blieben. Die Auffaſſung iſt eben eine andere, das Bublicum ift 
ein anderes geweſen. 

Um jene Zeit, da das Burgtheater fich in Erfolgen und Hoff: 
nungen wiegte, begannen leider ſchon die Perjonalverlufte, welche 
das Injtitut von da an fünfzehn Jahre lang in erfchredender Reihe 
und Fülle zu beftehen hatte. Wenn man uns damals vorausgejagt, 
daß mir durch den Tod verlieren follten: Wilhelmi, Lußberger, 
Lucas, Anſchütz, Frau Nettih und Beckmann, durch den Austritt 
obenein noch Dawiſon, Yonije Neumann, Fräulein Seebach, Boßler, 
Goßmann, Scholz, Frau Fichtner und am Ende gar Karl Fichtner 
einbüpen jollten — wir hätten den Beſtand des Inftitutes für un: 
möglich erachtet. | 

Der erjte Verluſt trat mir jegt nahe. Seit Wochen bemerkte 
ich, daß Papa Wilhelmi hinter ven Couliſſen till und trübſelig, auf 
der Scene aber unficher und machtlos erfchien. Iſt es das Alter? 
Gr war noch nicht hoch bejahrt, und der ftattlihe Mann war dem 
Anſcheine nach von der ſolideſten Conjtitution, eine Eiche, die man— 
chem Sturme jtehen fonnte, 

Eines Abends ſah ich ihn auf der Fleinen Treppe fiten, welche 
neben dem Vorbange hinaufführt zu Garderoben. Man fett jich 
nicht leicht dahin, denn man ift im Wege; die Stiege ift ſchmal wie 
ein Menſch. Was iſt Wilhelmi? Er war in fpanifchem Coſtüm 
und ſaß da zufammengefrümmt, ven Kopf in ven Schoß gebeugt. 
Sch fragte ihn. Er hob den Kopf, und fein großes blaues Auge 
jah mich an voller Schmerz und Bein. „Haben Sie Schmerzen ?" 
Er nidte. Aber wie immer lebensbedürftig und frifcher Stimmung » 
nachſtrebend um jeden Preis, richtete er ſich gewaltſam auf in jeiner 
refpectablen Yänge, legte mir die Hand auf die Schulter und flüfterte: 


Das Burgtheater. 219 


„Dummes Zeug bei einem alten Kriegsmanne! Wird vorüber: 
gehen; vorwärts! vorwärts!” Und richtete fich zufammen und 
marfchirte jtrad nach ver Couliſſe, aus welcher er bald hinaustreten 
jollte — zum lettenmale ! 

Einige Tage darauf fam die Meldung, Wilhelmi ſei franf, ja 
liege zu Bett. Wilhelmi?! Der nie franf war, der ſich unbehaglich 
fühlte, wenn er in einer Woche nur viermal zu fpielen hatte? — 
Es war leider jo, ein Nierenleiven hatte ihn gebrochen, gar bald 
zerbrochen. 

Letzteres kam mir erjt in ven Sinn, als ich in fein Zimmer 
trat. Er wohnte auf der Wieden in der Paniglgaſſe jeit ewigen 
Zeiten. Sein Schlafzimmer rückwärts lag auf der Sonnenfeite 
nad einem Garten. Die Mittagsfonne leuchtete hinein, als ich 
eintrat und ihn ftöhnen hörte. Sobald er mich ſah, holte er tief 
Athen, um die Klagelaute zu verjagen, jtredte mir die Hand ent- 
gegen und rief: ‚Nichts, lieber Director, Nichts iſt's. Plagt mic 
wohl ein Wenig, wird aber bald worübergehen, und da fommt auch 
ſchon die Sonne!” 

Ah, es war nicht mehr die alte, herzhafte Stimme; es war ein 
Bruch in ihr, der herzbafte Klang war erlofchen, Er lag auf feinem 
Sterbebette. Bald darauf fuhren ihn die ſchwarzen Pferde auf der 
Wiedener Hauptjtraße hinaus; Kopf an Kopf ftanden die endlofe 
Straße entlang die Menfchen, und aus allen Fenftern fchauten fie 
traurig, dem geliebten alten Wilhelmi den legten Scheivegruß nach— 
zuſenden. Ich glaube, er hatte feinen einzigen Feind. 

Es war die erjte Leichenrede, welche ich einem Burgtheater: 
Mitglievde am offenen Grabe zu halten hatte. Zum Echreden 
meiner Behörde, welche es unziemlich fand, daß ein Director Yeichen- 
reden hielte. Ach, daran dachte ih am wenigiten. Wohl aber 
dachte ich fo voller Schmerz an den Verluſt ſolch eines tapferen, 
unerjeglichen Mitgliedes, eines jo liebenswürdigen Mannes, daß 
ich vor Thränen faum fprechen fonnte. Ich hatte ihn fehr lieb und 





220 Das Burgtheater. 


war ihm zugethan wie einem fröhlichen Vater, dem mein Herz ans 
gehört hatte von Anbeginn. 

Das Burgtheater hatte in ihm eine jeiner natürlichiten Stüßen 
verloren, Seiner natürlichjten. Sein Naturell war unſchätzbar, 
war wie ein ſchlank und geſund aufgewachfener Baum, ver feines 
Gärtners bevurft hat. Der forglofe, lebensfrohe Vater des Luft: 
jpiels war dahin. 

Er ſtammte aus der Yaufit und war preußifcher Officier ges 
wejen, des Namens dv. Pannwig. Seine Heimath war nicht weit 
entfernt won der Anichüß’fchen. Der Name Wilhelm war fein 
angenommener Theatername, war aber allmälig fein ganzer Name 
geworden, denn er hieß auch außer der Bühne für Jedermann nur 
Wilhelmi. Eines Duelles wegen flüchtig, war der junge Mann 
zum Theater gegangen und hatte in Prag eine dauernde Stätte 
gefunden. Bon da war er jchon 1822 an das Burgtheater gekom— 
men, dem er alfo dreißig Jahre angehört hat, denn es war Frühling 
des Jahres 1852, als wir ihn begruben. 

Er war ein hochgewachjener Mann mit lichten, furzgehaltenen 
Haar und wohlgebilveten, wohlgeröthetem Antlite, von jtattlicher 
Haltung, welche die Vorzüge eines früheren Officiers befundete, 
ohne irgend eine Steifheit. Um jeinen feinen Mund fpielte ein 
allerliedftes Behagen, welches einen Scherz, eine feine Speife und 
ein gutes Glas Wein jeverzeit willfommen hieß. Sein ganzes 
Weſen machte einen gar guten, freundlichen und fräftigen Eindruck. 
Er jtroßte in feiner guten Zeit — und das war eine lange Zeit — 
von fröhlicher Yebensfülle, und viefe Yebensfülle machte jich auf der 
Bühne dermaßen geltend, daß fie im Stande war, ein ganzes Stüd 
zu heben und zu halten. Wie oft, wenn er auftrat, ging die Ems 
pfindung durch's ganze Haus: „Ah, jett kommt der Rechte, jetzt 
geht's (08, jetst wird's lebendig!’ Nicht etwa, daß er mit Späßen 
und Witen oder fonjtigen Extravaganzen um ſich geworfen hätte. 
Durchaus nicht. Seine pulfirende Pebensfrifche war jo fräftig, fein 


Das Burgtheater. 331 


Ton war jo ehrlich wahr und unmittelbar, daß Jedermann ſym— 
pathiſch von ihm angemuthet wurde und angeregt. 

Er ging ſtark in's Zeug und übertrieb doch nicht, Seine Natur 
war eben jtarf, und deßhalb jtanden ihm auch verwegene Aeuße— 
rungen und Wendungen harmonisch zu Geficht. 

Alles das find Eigenfchaften eines Naturaliften. War er alfo, 
weil fein Naturell die Hauptjache war, weniger Künſtler? Das 
ericheint mir ihm gegenüber faft wie eine müßige Frage. Muß 
denn das Kunjtgebilde abjolut aus diefer oder jener Eigenjchaft des 
Künftlers ſtammen? It das innere Enjemble des Künftlers nicht 
die Hauptjache? Hört eine ſchöne Statue, ein jchönes Gemälde 
darum auf, ein fchönes Kunftwerf zu fein, weil wir erfahren, ber 
Bildhauer oder Maler jei fein Mann gewejen, welcher beweis- 
führend über feine Kunft zu fprechen gewußt? Wenn das Ganze 
wohlgelungen da it, dann brauchen wir nicht pedantijch zu fragen : 
Wie find die Theile zufammengejett worden? Das Talent jchlägt 
immer und überall ven Kunftweifen ein Schnippehen und lacht der 
Erklärungen. Dem Theater füme es ſehr zu ftatten, wenn es 
weniger Künftler von blos berechnender Schulweisheit und mehr 
Naturells und Talente wie Wilhelmi’s ohne Schulweisheit beſäße. 
Es iſt nicht zu verachten, wenn man jagen fann: Der Mann fpielt 
recht gebildet. Es ift aber noch bejjer, wenn man fagen fann: Der 
Dann jpielt vortrefflich; wie macht er's nur, worin befteht nur 
eigentlich feine Kunft ? 

Dleiftiftzeihnung und gelehrte Raiſonnements waren allerdings 
Wilhelmi's Sache nicht, und er taugte auch nicht für feinere geiftige 
Aufgaben, Aber er war ein verjtändiger Mann, ver klar und finn- 
voll an feine Rolle ging und die Grundbedingung verjelben organisch 
auffaßte. Innerlich Unzuſammenhängendes fonnte ev gar nicht 
brauchen, und wenn fich der Rolle fein lebendiger Ddem abgewinnen 
ließ, da erflärte er einfach — und nicht ohne Yeiowejen, denn er 
Ipielte jehr gerne — jein Unvermögen für ſolche Aufgabe. Zu 


222 Das Burgtheater. 


feinem Berftande hatten ihm Natur und Erziehung ein feines, edles 
Gefühl verliehen, welches ihn oft ganz zarte Mitteltöne finden ließ 
in fchwierigen oder delicaten Situationen. Kurz, er war ein fünft- 
lerifches Naturell, welches nicht mit Theorien, wohl aber mit 
ganz guten geiftigen Mitteln an die Compofition feiner Gebilde ging. 

Es ijt wahr — und darin liegt ein geringer Troſt für jolchen 
Verluſt —, ſolche Talente des Naturells gehören ganz ihrer Zeit an. 
Sie erwachfen ganz aus den Gewohnheiten ihrer Zeit und werden 
leicht altinodifch, wenn fie an die Grenzſcheide von Zeitepochen ge- 
rathen. Der Geift ift dauernder als die Sitte, Und fo fann man 
zugeben, daß die Figuren, welche Wilhelmi trefflich darjtellte, von 
Kotzebue-Iffland'ſcher Factur waren, daß diefe Figuren allmälig 
ausgegangen find und die heutigen Gejtalten anders geartet, in 
ihren Wendungen geijtiger fein mögen. Damit fann man fich ein 
Wenig tröjten. Aber vabet bleibt es doch höchſt wünjchenswerth, 
daß wir Wilhelmis fänden zum Ausdrude für unjere heutige Art. 
Denn aus lauter Geift bejtehen wir auch nicht, und die Kunft 
braucht immerdar Fleifch und Blut. 

Für den Director war Wilhelmi ein wahrer Schag, Nicht 
blos wegen feines Fleifes und feiner Hingebung an die Scene, auch 
wegen feiner perfönlichen Haltung. Es war fein egoiſtiſch-komö— 
diantenhafter Zug an ihm, er blieb jever Klatjcherei und Intrigue 
fern und zeigte ſtets volles Interefje am Geveihen des Injtitutes. 
Nach jedem neuen Stücke fam er zu mir, ftets im blauen Frad mit 
blanfen Knöpfen und mit aller Feierlichfeit einer Staatswifite, um 
jich gleichjam zu bedanken für die neue Inſceneſetzung, wie für 
Etwas, was dem Theater und den Schaufpielern zur beſonderen 
Ehre angethan worden. Er verleugnete nirgends die guten Ma— 
nieren eines fleinen Evelmannes. Sein Andenfen bleibt uns lieb 
und werth. 


XVII. 


Das Theaterjahr 1852 hatte unter der troſtloſen Ausſicht be— 
gonnen, daß unſere deutfche dramatiſche Production gar Nichts bieten 
würde. Ich hatte nicht ein einziges brauchbares Stück. Stücke 
genug! Altjährlich werden ungefähr dreihundert eingeſendet, die alle 
gelefen jein wollen und von denen höchitens zehn in nähere Bes 
trachtung fommen fünnen. Bon diejen zehn war damals nicht ein 
brauchbares übrig. Wer fennt dieje Yage eines Directors! Nur 
von Juni bis September ift das Theater allenfalls der Verbind- 
(ichfeit ledig, neue Stüde zu bringen; in den übrigen acht Monaten 
aber wird fir jeden Monat wenigſtens ein neues Stüc verlangt. 
Gefällt es nicht volljtändig, To ift eines zu wenig. Und wie felten 
gefällt ein Stück volljtändig, wie oft gewinnt eine ganze Saifon nicht 
ein dauerndes Stüd! 

Zeit und Publicum gähnen vem armen Director wie ein un— 
ermeßlich weiter, offener Machen entgegen. Wie ihn füllen?! Und 
wenn die mühſam zurechtgemachte Speife einmal oder gar mehrmals 
nicht behagt, dann flappern drohend die Zähne des Rachens, dann 
Ihwindet unter diefem Drohen der Befuch des Theaters, dann 
zuden die Zionswächter im Angefichte der höheren Inſtituts-Behörde 
erit bedauernd die Achjeln, und dann verächtlich über die Unfähigkeit 
der Yeitung, und endlich rufen fie voll Entrüftung: Hinweg mit dem 
Stümper! 

Notoriſch ift die deutjche dramatische Production abjolut unzu— 


224 Das Burgtheater. 


reichend für ein erjtes Theater, welches drei Viertheile der produ— 
cirten groben Waare nicht geben fann, Und doch rufen die natio- 
nalen Rigoriften: Nichts Ausländiiches, bejonders nichts Franzö- 
fiihes! Was würden fie jagen, wenn man ihnen folgte und die 
Theater zum Banferotte, zum Schließen führte? Lieber untergehen 
— würden fie tapfer rufen — als Fremdes benüßen ! 

Sie find meift jung und wiſſen nicht viel von den Schwierig- 
feiten ver Compofition eines guten Stüdes. Und am Ende hat ihr 
Eifer auch fein Gutes. Sie verhindern, daß fich die Theater blos 
auf fremde Krücken verlajfen und daß wahrhaft Fremdes, welches 
die heimathliche Sitte zerftört, aufgeführt werde. 

Gegen England ift man nachfichtiger wegen entfernter germa- 
niſcher Berwandtichaft. Auch nicht mit Unrecht. Und Shafefpeare 
hat das große Ehrenbürgerrecht in Deutſchland. 

Mit Shafefpeare aber fand ich an anderer wichtiger Stelle 
Schwierigkeiten. Mein Chef, ein geborner Pole, war von fran- 
zöfifcher Erziehung, und die Shafefpeare-Boefie war ihm ganz fremd, 
war ihm, wie früher allen Franzoſen, in vielen Hauptpunften ge— 
radezu umbegreiflich. 

Es ist ja eigentlich auch heute noch ebenjo in Sranfreich, ob» 
wohl eine ganze Partie franzöfiicher Literatur Shafefpeare anpreift, 
obwohl die Nomantifer unter Bictor Hugo's Anführung den ‚Schwan 
vom Avon’ in Hymnen commentiven, ja jelbjt ehrlich überjegen, 
Victor Hugo's Sohn hat ihn neuerdings wirklich und wörtlich über: 
jet. Trotz Alledem ift und bleibt ver „Schwan“ wildfremd in 
Frankreich, wenigitens befremdlich. Cs iſt ein Samenforn Shafe- 
ſpeare's unter Literarifchen Franzofen aufgegangen, aber es bleibt 
ein fremdes Pflänzchen. Das gebildete Publicum betrachtet es 
kopfſchüttelnd und fteht feit auf DVoltaire's Standpunkt, daß der 
englifche Boet ein Barbar fei. Der romanische Formenjinn wider: 
jtrebt gründlich viefem weiten und freien Gange englischer Poefie, 
und wenn ihn die Piteraten bearbeiten, jo müſſen fie ihn — nicht 


. Das Burgtheater. 225 


blos für das Publicum, nein auch für ſich — umarbeiten, auf daß 
es formell franzöfiih werde. Wie viel bei diefer Um arbeitung über 
Bord geworfen werden muß von Shafefpeare’s Geift und weiter 
Abſicht, das ftört jie kaum, denn es bleibt ihnen verborgen, den 
Umarbeitern wie dem Purblicum. Sie find eben aus ganz wer: 
ſchiedenen Kirchenſprengeln, Shafejpeare und die Franzofen, 

Nun, aus dem franzöfiichpoetifchen Kirchenſprengel war denn 
auch mein Chef, und mit gerunzelter Stivne hörte er's an, daß ich 
bei dem totalen Mangel an neuen deutjchen Stüden wieder ein 
Shafefpeare’jches bearbeiten müßte. Es wurde ihm zu viel, es 
wurde ihm zur arg. — Der beifigende Rath war verjelben Meinung, dev 
ſchwärmte für Kotzebue. Namentlich die Rohheit, ja die Gemeinheit 
in diefem Shafejpeare wurde mir vorgehalten, und während ich 
draußen im der Literarifchen Welt um Vorführung franzöfifcher 
Viederlichkeit gegeißelt ward, wurde ich hier innen im Schoße meiner 
Behörde bitterlich gejcholten, daß ich die englifche Unflätherei auf 
die Hofbühne brächte. Was halfen meine literarifchen Auseinander- 
jeßungen, meine äſthetiſchen Beweisführungen, daß das Inftitut ja 
auch eine fiterariiche Beftimmung habe, und daß unfer jetiger Ge- 
ſchmack mehr verlange, als die engen Grenzen einer Hofbühne zu— 
gejtehen könnten — „leider!“ — hieß es — „leider! ich finde es 
aber nicht angemefjen, daß die ſchon vorhandenen Ausfchweifungen 
noch weiter ausgedehnt werden. Warum geben Sie nicht Corneille 
und Racine“? 

ZTreibt den Teufel aus durch DBeelzebub, den oberften ver 
Zeufel! jagt die Bibel, Bei jedem Theater ijt die Caſſe ein ent- 
ſcheidender Factor, ift der Beelzebub. Die fprach hier glücflicher- 
weiſe für mi. Zu Corneille und Nacine fchüttelte fie unwillig 
das Haupt, ven Shakeſpeare'ſchen Stüden aber nicte fie zu, denn 
die füllten fie. Und fo blieb es denn bei einem neuen Shafefpeare- 
Stüde, das ich einrichtete, 


Ein neues franzöftfches war auch eben gewejen, und zwar eines 
Laube, Burgtheater. 15 


226 Das Burgtheater. 


der bejjeren, das „Fräulein von Seigliere‘’ von Sandeau, und dag 
Schlachtenglück der erjten Aufführung hatte ihm nicht gelächelt. 
Es hatte feine hinreichende Wirkung gemacht. Der faliche Schluß 
des Stüdes, das heißt ein jcheinbarer Schluß, welchen es hat, war 
Miturfache gewejen, daß es nicht hinreichend günftig aufgenommen 
worden war. Und das hatte wieder eine alte Wiener Unfitte ver- 
ſchuldet, eine Unfitte, die noch heute jorgfältig gepflegt wird. Man 
jteht auf, wenn nur der Schluß des Stüdes in Sicht fommt, und 
man geht fort, ehe er noch vollzogen it. Diesmal nun, bei dem 
icheinbaren Schlujfe des „Fräulein von Seigliere‘‘, gebar dieſer 
eilige Rückzug des Publicums ein wejentlihes Mißverſtändniß. Der 
falſche Schluß nämlich it in diefem Stüce der Steg des Unpopu— 
lären; es erfolgt noch eine Wendung, durch welche das Populäre 
jiegt und ein befriedigender Schluß eintritt. in Theil des Pu— 
blicums nahm alfo den unpopulären Schluß mit nach Haufe und 
erzählte dieſe mißliche Gejchichte daheim in der Familie. Dem 
fittigen Theile des Publicums aber, welcher ziſchend über die Stö- 
rung fiten geblieben war, hatte das Geräufch ven jchlieflichen Ein- 
druck verdorben. Kurz, das Stüd war fchief angejchrieben, und 
am andern Tage famen nur wenig Leute zur Wieverholung. Ich 
fenne einen damals regelmäßigen Sperrſitz-Inhaber, der heute noch 
im Irrthume iſt über den Ausgang des „Fräulein von Seigliere”. 
Er befuchte nur erjte Borjtellungen und hat nie erfahren, daß das 
„Fräulein von Seigliere‘ doch noch ihren Geliebten heirathet. 


Trotz Cajfenprotejtes gab ich das Stüc nicht auf, weil ich es 
für ein gutes Stüd hielt, und fette jahrelang die Wiederholungen 
fort vor Schwach befucchtem Haufe. Nach fünf Jahren etwa, da das 
Stück hartnädig wiederfam, ſammelte jich allmälig ein neues Pu— 
blicum für daffelbe, und erft nach zehn Jahren hatte es die Scharte 
des eriten Abends ausgewett. Schr oft gelingt das gar nicht. 


Dies Mifgejchie mit einem Franzoſen fam dem Engländer zu 


Das Burgtheater. 227 


jtatten; die Lücke Klaffte, es mußte mir ſchon darum wieder ein 
Shafejpeare-Stüd gejtattet werden, 

Bei einem Haare hätte ich mit diefem erjtrittenen Shafejpeare 
Schiffbruch erlitten, in diefem Schiffbruche aber auch meine ganze 
Autorität verloren vor meiner Behörde, Al’ meine claſſiſchen Be- 
jtrebungen wären dann auf Jahre hinaus unzuläffig befunden 
worden. So greift das Schlachtenglücd in alle Yagen hinein! Sch 
werde diefen Moment nie vergefien, wo Dawiſon die jechs Worte 
ſprach, welche ich inſtinctmäßig immer gefürchtet hatte, und wo das 
Shafejpeare-Stüd in allen Fugen frachte und auseinanderzuberjten 
drohte. Ich hatte, wie gejagt, die Gefahr vorhergejehen und nach 
Kräften vor- und nachgebaut, aber, wie es jchien, doch nicht 
genügend, 

Das Stück war ‚Richard der Dritte‘, und der Moment 
äußerſter Gefahr trat ein, als im vierten Acte nach jo viel Nichts: 
wiürdigfeiten des Helden auch noch die Nachricht fam, daß er ſogar 
feine junge Gemahlin in’s Ienjeits beförvert habe. Ich hatte Da- 
wilon gebeten, die jechs Worte nur zu flüjtern, weil ich ihre ſchlimme 
Wirfung fürchtete; aber obwohl er feinen Richard nur ſchwach 
iprechen ließ: „Auch Anna jagte gute Nacht ver Welt’ — jo wogte 
doch das Meer des Publicums auf in grollender Unzufriedenheit, 
als ob vom tiefjten Grunde herauf ein Sturm es in die Höhe 
bäumte, Es war den Yenten zu viel Nichtswürdigfeit, e8 war der 
Moment des Scheitern. 

Glücklicherweiſe hatte ich in der Einrichtung des Stüdes dafür 
gejorgt, und zwar mit umerbittlicher Befeitigung jedes müßigen 
Wortes dafür gejorgt, daß der moralische Rückſchlag, Das ein- 
tretende Unglüd Richard's, auf dem Fuße folgte, deutlich folgte, 
Schlag auf Schlag folgte. Dadurch geſchah dem ausbrechenden 
Sturme Einhalt. Und da nım diefe Rückſchläge auf das Genauefte 
in Scene gejett waren und jede üble Nachricht für Richard rafch, 
prompt, Far, nahrrüdlih in Scene trat — ein ungeſchickter 


192 


2328 Das Burgtheater. 


Schaufpieler konnte Alles werderben! — jo wurde die üble Stim- 
mung betroffen, betäubt, befiegt und bis zum Schluffe des Actes in 
Genugthuung verwandelt, 

Am anderen Tage vrücdte auch ein wohlerzogener Kritifer der 
alten Wiener Schule offen und unumwunden feine Entrüftung aus, 
daß man das Burgtheater entweihte durch ſolche Rohheiten, und 
daß diefem Shafejpeare-Treiben energijch ein Ende gemacht werden 
müßte. 

‚Richard der Dritte‘ gehörte unter die „Hiſtorien“, das heißt 
unter diejenigen dramatiſchen Arbeiten Shafejpeare’s, welche nicht 
nach dramatiſcher Compofition trachten, jondern mit biftorifcher 
Schilderung in dramatifcher Form begnügt find, dramatische Arbeiten 
alfo, welche nach unferen Begriffen feine vollſtändigen Stüde find. 

Der „vritte Richard‘ fommt unter diefen Hiltorien unferem 
Begriffe eines vollen Stüdes noch am nächſten. Seine Eroberung 
des TIhrones, feine Haltung auf demjelben und jein Untergang 
werden in folgerechten Scenen an ung vorübergeführt und werden 
nicht durch Abſchweifung oder Epifodenwefen zerjtreut. Für unfere 
Bühne fehlt nur eine Zuthat des Dichters, welche bei uns ein 
Stück nicht entbehren fann — die Hoffnung. — Ein Böfewicht 
handelt unerbittlich vor uns mit all’ feinen jchlechten Mitteln, und 
er handelt ganz allein. Wir fehen ein Gemälve, das nur Schatten 
hat und gar fein Yicht. Das verträgt ein Kunftwerf nicht; gewiß 
nicht auf der Bühne. Irgend ein Vichtichimmer muß abgrenzen, 
muß im Gedichte die Möglichkeit der Hoffnung bedeuten, ver 
Hoffnung, daß diefer Böfewicht wirffamen Widerftand finden 
werde. Es gemügt nicht, daß er am Ende erjchlagen wird, wir 
müfjen dies fommen fehen. Dies Kommen ift für uns die Yodung 
zur Theilnahme. Ohne diefe Zuthat ift das Bühnenſtück für uns 
wüſt und unerquidlich und fein Runftwerf. 

Trotzdem ift gerade diefe Hiftorie vom dritten Nichard in Eng- 
land früher eine der populärsten geweſen! Das englijche Publicum ift 


Das Burgtheater. 229 


robufter, Es fommt freilich Hinzu, dag Nichard der Dritte in Eng- 
land ein hiftorifch populärer König ift. Er hat für ven Engländer 
einen Beigefchmad von Demokratie, und feine Energie iſt unzweifel- 
haft. Energie hält in der gejchichtlichen Erinnerung am längjten 
vor — die Motive verblaſſen, die That bleibt fichtbar durch Jahr— 
hunderte. Das englifche Publicum fieht alfo diefen Nichard mit 
ganz anderen Augen als unfer Bublicum, denn der Engländer weiß: 
der Böfewicht da oben ift bei all feiner Grauſamkeit ein tüchtiger 
Herrfcher unjerer Inſel geweſen, er hat aufgeräumt unter dem egoi- 
jtiichen Adel, jehen wir zu, wie er's gemacht hat! 

Zu den wunderlichen Schrullen der Engländer gehört auch, 
daß diejer energifche Uebelthäter auf dem englifchen Theater vielfach 
von einer Dame gejpielt wurde, Für uns ein Räthſel! Das feine 
Geſicht Richard's, welches er bejejjen haben joll, mag dazu Ver: 
anlaffung gewejen fein. Am Ende wird auch dadurch das Ganze 
gemildert und wird mehr zur Komödie — was Alles unjeren Anz 
forderungen an die Bühne widerſpricht. 

Genug, ich ging bei ver Bearbeitung davon aus, daß auf der 
Höhe des Stücdes der Hoffnungsftrahl wirkſam einfallen müßte, 
damit unfer Publicum vie fortwährend gejteigerten Verbrechen hin: 
nähme. Der Inhalt des Hoffnungsjtrahles liegt vor in Shafe- 
ſpeare's Hiftorie, er iſt nur nicht nachdrücklich gefaßt und heraus— 
gehoben. Er liegt in Stanley’s Hand, welcher jeinen Pflegejohn 
Richmond zum Sturze Richard's aus Franfreich ruft. Dies fommt 
erſt in den letsten Acten und fommt nur matt zu Tage, und dies 
verlege ich in ven dritten Act und an ruhige Stelle, damit es voll 
aufgefaßt werden kann, und ich laſſe es pofitiv ausprüden. 

Allerdings hatte auch dies faum zugereicht, wie der drohende 
Tumult im vierten Acte erwies. Es hatte nicht zugereicht, genütt 
hatte es aber doch, wie mir nach der Vorſtellung naive Zuſchauer 
erzählten. Diejem Einjchube alfo, jowie den vechtzeitigen und ge- 
wichtig erfolgenden Rückſchlägen gegen Richard , welche dadurch ge— 


230 Das Burgtheater. 


wichtig wurden, daß man fich des Einfchubs im dritten Acte erinnerte, 
war e8 zu danfen, daß das Stück nicht unter der Entrüjtung gegen 
den Böfewicht begraben wurde, 

Eine Scene in ‚Richard dem Dritten‘ gilt in allen Commen- 
tavien für außerordentlich genial. Es ijt die Werbung Richard’s 
um Anna’s Liebe. Sie haft ihn als den Mörder der Ihrigen, fie 
will ihn in's Antlit Schlagen und — wird ihm nach fünf Minuten 
jo nahe gebracht, daß ſie ihm alle Ausficht gewährt, ihn zu heirathen. 
Das Mittel, deſſen ſich Richard bedient, ijt die Eitelfeit des Weibes; 
er ſchmeichelt dieſer Eitelfeit mit Leivenjchaftlichem Aufgebote, Er 
ſchwört, daß er jie auf's Heftigite liebe, und giebt ihr fein Schwert 
in die Hand, auf daß ſie ihn todtjtechen möge für feine Frevel, wenn 
jte ihn nicht erhören wolle; jobald fie aber das Schwert gegen ihn 
züdt, entwaffnet ev jie mit dem Zurufe: „Nur deine Schönheit 
veizte mich dazu!“ 

Natürlich glaubt zunächſt feine Frau an die Wahrheit dieſer 
Scene. Es iſt eben die geniale Scene einer „Hiſtorie“, will jagen 
einer Form, welche fich nicht mit Motivirungen aufhält. Im einem 
organifchen Stücke ift es Webertreibung der Möglichkeit, weil es 
gewaltfam zufammengedrängter Inhalt mehrerer Scenen ilt. 
Der denkende Zujchauer jagt dabei immer: Es ift nicht wahr, aber 
es iſt mit genialer Dreijtigfeit geführt, da es fo „unter Einem“ ab» 
gemacht werden joll. 

Der legte Act war eine faum lösbare Aufgabe für ven ſchmalen 
Kaum des Burgtheaters. Beide Yager, das Richard's und Das 
Richmond's, ericheinen gleichzeitig; in beiden wird für das Publicum 
geſprochen, und Richard wie Richmond dürfen einander doch weder 
jehen noch hören. — Wir löften diefe Aufgabe auch recht mittel- 
mäßig, indem wir das fleine Theater ver Länge nach durch eine Stein- 
wand in zwei Hälften theilten. Die Helven mußten jich jehr vor— 
jichtig geberden, um jich nicht fehen und hören zu müſſen. Später 
fanden wir eine treffliche Form, die allen Theatern zu empfehlen ift. 


Das Burgtheater. 231 


Eine Schleier-Courtine, durch Wolfenhänge undurchfichtig gemacht, 
fcheidet in der ganzen Breite des Theaters die Gegner. Richard 
ijt vorn, Richmond hinten. Aufziehen der Wolfenhänge und ein- 
tretende Beleuchtung macht die Schleier-Gourtine durchfichtig, zeigt 
aljo beide Yager gleichzeitig und macht die Traumfcene jehr wirffam. 
Die Geijter - Erfheinungen find auf drei verfürzt, denn die endloſe 
Reihe in der „Hiſtorie“ vernichtet die Wirkung. 

Solchergeftalt iſt das Stüd eines ver ftärfjten Repertoireſtücke 
geworden und jteht troß jeiner ſceniſchen Schwierigkeiten fo feſt in 
Scene, daß ichs einmal Mittags um Eins bei einer Abänderung 
eingejchoben habe ohne jegliche Probe, und daß es Abends jo exact 
gefpielt wurde, als füme es frifch aus langer Probenreihe, 

Meine Behörde zucte die Achjeln über den Erfolg und ſprach 
wie Meijter Anton: Ich verstehe die Welt nicht mehr. 

Zum Trofte für jie fam plöglich ein Hackländer'ſches Manu— 
feript. Freilich in der lojen Scenenreihe, welche diefer angenehme 
Autor voll auter Yaune hinwirft, ziemlich unbefümmert um die ſce— 
niſche Berbindung. Er betrachtet mich dann Ichalfhaft lächelnd wie 
einen Schneider, der die offengelafjenen Nähte zufammennähen mag. 
Die Kleidung war wieder fehr artig entworfen ; ich nähte denn nach 
Kräften, und auf der Probe halfen mir die Mitglieder eine ganze 
Woche lang fertignähen, und als das Ganze des Abends präfentirt 
wurde, da fagte das Publicum: Dies ift charmant! — Die „Magne— 
tischen Euren’ hatten bejtanden und eriftiven heute noch charmant. 

Bei dieſer Gelegenheit wırde Frau Hebbel für eine Yujtipiel- 
rolle geboren, welche ihr Niemand zutrauen wollte. Diefe Rolle ver 
Gräfin ſchuf ihr ein neues Fach. 

Sahrelang haben die auswärtigen Theater gezögert, fich an ein 
ſolches Converſations-Luſtſpiel zu wagen, welches nur mit dem En— 
jemble des Burgtheaters gejpielt werden und nur vor dem Conver— 
ſations-Publicum des Burgtheaters beſtehen fünne. Endlich haben 
es einige Theater gewagt und haben ganz wohl damit bejtandei. 


232 Das Burgtheater. 


So dürftig iſt die Unterftügung, welche ein talentvoller moderner 
Dramatifer in Deutſchland findet, wenn er den Schaufpielern na= 
türlichen Umgangston und den Zuſchauern Aufmerffamfeit zumuthet 
für converfationelle Reize! Fit es da ein Wunder, daß es an Stüden 
fehlt und daß unfere Luſtſpiel-Production jo dürftig bleibt? 

Das Gleihgewicht im Repertoire der Neuigkeiten war nun 
hergejtellt: auf die grimme engliiche Tragödie war eine heitere 
deutſche Komödie gefolgt — aber was weiter? Wie weiter? Eine 
Reihe von Monaten lag noch vor ung, und wie regelmäßig ich auch 
jeden Tag ein neues Stüd las, ein neues Stüd fürs Burgtheater 
(a8 ich nicht heraus. Der weite Rachen enthüllte jeine Zähne! 
Womit helfen? Da die Gegenwart mit Unfruchtbarfeit gefchlagen 
ift, wo wäre denn etwa in der Vergangenheit wieder ein Schat zu 
heben? Wo? Da fiel mir ein, wie ich einft als Student in Breslau 
eine Wendung meiner Stupien erlebt. Ich hatte an der Straßen- 
ecke einen Theaterzettel angeſehen, und der Titel des Stüdes hatte 
mich jeit vielen, vielen Jahren — Bruder Studio hatte ganz andere 
Intereſſen! — zum erjtenmale wieder ins Theater gelodt. Dieſer 
TIheaterabend hatte mich poetifch angemuthet, ich war dadurch plöß- 
(ich wieder Theatergänger geworden wie in der Knabenzeit, ich war 
dadurch zum öffentlichen Schreiben über, ja für das Theater verleitet, 
ih war auf diefem Wege aus einem Theologen ein nutzloſer Schrift: 
jteller geworden. Wo ift das Stüd von jener Straßenede, welches 
dich verführt hat? Fit es nicht auf dem Nepertoire? Nein. Es ift 
verfchwunden. Cine banale Bearbeitung von Holbein hat es auf 
die Länge ungeniefbar gemacht. Ich aber meinte damals eine Be- 
arbeitung gefehen zu haben, welche dem Originale ganz nahe ge 
jtanden. Ich fragte bei Anſchütz nach; er war ja eine Art Bres- 
lauer, ev war noch fünf Jahre vor meiner Studienzeit am dortigen. 
Theater und fehr beliebt geweien, man jprach meiner Zeit noch warm 
von ihm. „Sa wohl”, jagte er, „wir haben einmal in Breslau das 
Driginal nach Kräften hergeftellt, meine Frau hat die Titelrolle ge= 


Das Burgtheater. 233 


ipielt und auch hier in Wien mit großem Glüde in derſelben debutirt. 
Dies Buch wird jih wohl einige Jahre auf dem Breslauer Theater 
erhalten, und Sie werden die Borjtellung nach diefem Buche gejehen 
haben. Jetzt würde es wohl nicht mehr genügen, aber jett fünnten 
wohl Sie diefe romantijche Perle für unfere Scene falfen. Sie 
jind ja mitten in lauter Juwelier-Arbeit“ — fette er mit feinem 
launigen Yächeln hinzu. 

Das that ih. Es war das „Käthchen von Heilbronn‘, und in 
diejer Einrichtung ift es dan von Neuem wieder auf zahlreichen 
Bühnen erfhienen. Sie bleibt dem Original fo treu als möglich 
und macht nur nach Tiefs Rathe den alten Waffenfchmied zum 
Großvater des Käthchen’s, um einen Mifton am Schluffe zu ver 
meiden, wenn die Liebſchaft von Käthchen’s Mutter mit dem Kaifer 
zum Borfchein fommt. in Vater fan ſolche Liebſchaft leichter 
verzeihen als ein Gatte. 

Es erlebte zahlreiche Aufführungen und wurde jedenfalls all- 
jährlich am Katharinen-Tage gegeben, ein Fejtbejtandtheil für junge 
und alte Katharinen. 

Solche Verbindung der Theaterftücde mit den Erinnerungen, 
Sitten und Gebräuchen des Yandes habe ich principiell gejucht und 
zahlreich gefunden. Ic gehöre auch zu den Berbrechern, welche 
jeden dritten November aezüchtigt werven, weil Tags vorher wieder 
„Der Müller und fein Kind” gegeben worten ift. Ich finde das 
Stüd, welches allerdings in meiner jpeciellen Heimath jpielt, gut 
geſchrieben, und würde es dem Allerfeelentage nie entziehen, ſowie 
ich am Allerheiligentage dem eingebürgerten Verlangen nach einer 
Geiſter-Erſcheinung vegelmäßig genügt habe. Das große Publicum 
mußte dazu gewöhnlich „Hamlet“ in den Kauf und mit dem Geijte 
jeines Vaters vorlieb nehmen. Seit obiger „Richard“ geglüct war, 
konnten wir ja fogar mit drei Geifter-Erjcheinungen aufwarten, und 
das haben wir denn auc mehrmals gethan. Ein Theater, meine 
ich, muß eng und vertraulich mit dem Volfe zufammenhängen. 


234 Das Burgtbeater. 


Sogar mein Chef wollte einmal dem Allerjeelentage den 
‚Müller und fein Kind’ entziehen. Ich erwiderte darauf, daß ich 
dies für einen revolutionären Schritt hielte. Cr ſah mich finter 
anz Spaß zu verftehen, war nicht feine Gewohnheit. Ich fette num 
auseinander, daß es ja äußerſt erwünſcht fein müffe, wenn die Be— 
völferung im Theater eine Art Feier ihrer Gedenftage finde. Da— 
durch werde ja das Theater in organischer Verbindung erhalten mit 
dem Publicum, und ich hielte eben das für eine conjervative Reper— 
toire-dildung, die Abſchaffung aber eben deßhalb für eine revolu— 
tionäre Maßregel. 

Da lächelte er über die Umfehr unferer fonjtigen Stellung, in 
welcher er immer der conjervative Vertreter war, und — der alte 
Müller durfte weiter huſten am Alferjeelentage. 

Enplich im Spätherbfte fam Hilfe, und ich rief Triumph. Es 
fam ein originales neues Stüd, und zwar ein großes und ſehr be- 
deutendes es kamen „Die Makkabäer“. 





XVII. 


Nun zum Dresdener Pakete des Poſtboten, welches im Spät- 
herbfte 1852 zu meiner angenehmften Ueberrafchung „Die Maffa- 
bäer“, eine neue fünfactige Tragödie von Otto Ludwig, enthielt. 

Alle Kräfte wurden angejtrengt, fie würdig in Scene zu feßen. 
Das ungemein große Perfonal des Stücdes war für uns nicht zu 
groß, wir fonnten es jtellen, und fonnten es tüchtig jtellen, und wir 
waren jo glücklich, endlich ein bedeutendes einheimifches Stüd ein- 
jtudiren und vorführen zu können. 

Aber dies Jahr hatte feine Tücken gegen große Unternehmungen 
des Burgtheaters — es brachte das heimathliche Stüd in noch 
größere Yebensgefahr als das engliiche, 

Betrachten wir das umfängliche Gebäude der „Makkabäer“ 
in feinem Innern, und wir werden entdecken, worin und wodurch es 
Gefahr laufen fann. 

Das Stüd hat zunächſt eine höchſt gefährliche Eigenfchaft: es 
hat zwei Helven, Lea und Judah. Solche Fülle ift jehr miglich. 
Wenn ein Mädchen zwei Yiebhaber hat und beide zu lieben meint, 
jo wird fie wahrfcheinlich eine unglücliche Ehe ſchließen, over fie 
wird leer ausgehen. 

Lea, die berühmte biblifche Meutter der Makkabäer, ift von 
Hauſe aus die Heldin des Stückes gewejen. Der ältejte Sohn Judah 
wächſt ihr aber im zweiten Acte hoch über die Schultern, und dieſer 
Het gehört auferdem zu dem Grandioſeſten, was unſere Dramatif 


236 Das Burgtheater. 


aufzuweilen hat. Die veligiöfe Begeifterung des jungen Juden für 
den Einen Gott, unfere chritliche Erbichaft aus dem Judenthume, 
reißt unjere Herzen im Sturme mit jich fort. Wir find Alle aufge 
jäugt und auferzogen in diefem Glauben: „Ich bin der Herr, dein 
Gott, und du folljt feine anderen Götter haben neben mir‘; wir 
nehmen Alle Partei, wir nehmen fanatifch Partei gegen die Viel— 
götterei der Syrier, und ver Beifall für Judah, wenn er das Götzen— 
bild in ven Staub jtürzt, ijt ver ungeheuerjte, welchen ich im Burg— 
theater erlebt habe. 

Das Stüd muß ihn bezahlen. Nun iſt Judah unfer Held, 
und doch trachtet der Dichter in den drei folgenden Acten nur danach, 
das Interejje für Lea oben zu erhalten. Wir fangen aljo im dritten 
Acte wieder von vorne an. Das it ein jchwerer Uebelſtand. Und 
er wird noch erhöht durch die Einleitungsjcene für Yea, in welcher 
fie wieder an den Gipfel-ves Stüdes gejtellt werden joll. Wie geiſt— 
voll ijt fie gemacht, und wie geführlich tft fie doch auf ver Bühne! 
Lea jteht felfenfeit unter den zerfahrenen Juden: jie empfüngt alle 
Nachrichten, die guten wie die ſchlimmen, im derjelben Ueberzeugungs- 
treue, in der unwandelbaren Berufung auf das große Ziel. Meit 
Ichlagender Charafterijtif find die Juden neben ihr gezeichnet in ihrer 
ſophiſtiſchen Manie, alle Grundſätze durch Erklärung zu zerfafern, 
ein deutliches Bild ihres jtaatlichen Unterganges — jie allein haut 
jeden Knoten durch und ſteht umerjchütterlich auf ihrer Zuwerficht. 
Wenn man die Scene liejt, jo nennt man fie meifterhaft, und wenn 
man jie auf der Bühne fieht, jo erichrieft man vor ihr. 

Das Theater-Publicum braucht zuerit und zuletzt Einheit und 
Einfachheit, denn es ift zuſammengeſetzt aus jtarfen und ſchwachen 
Capacitäten. Was der Verjtändige würdigt, das mißveriteht der 
Unbegabte, und der Unbegabte ift naiver als Jener, er äußert Jich 
leichter als Jener, er hat die Maſſe für ich, welche ihm beiftimmt, 
er hat die Neigung jedes großen Publicums für jih, die Spannung 
abzufchütteln und fich durch Heiterfeit zur erholen von der Anjtrengung 


Das Burgtheater. 237 


des Zuhörens — er fiegt im Theater, wenn die Auffaffung der 
Scene ſchwierig wird, wenn die Einheit fehlt und die Einfachheit. 

Solchergeitalt fommt die Theilnahme für Yea nicht wieder in 
die Höhe, Judah aber ift in zweite Yinie getreten — das Stück hat 
den Mittelpunkt des Interefjes verloren und lahmt dahin, 

Der vierte Act giebt Yea die finnigiten Accente für Schmerz 
und Yeiden, Wir nehmen fie achtungswoll auf, aber Yea ift noch 
immer nicht unſere Heldin, und wir meinen deßhalb, nicht auf dem 
Hauptwege zu fein; wir bleiben fühl. 

Der letzte Act endlich macht uns klar, daß der Yea unfere ganze 
Theilnahme gebührt. Das Opfer im feurigen Ofen, in welchen fie 
berzbrechend einen Sohn um den anderen jtößt, damit dem einen, 
einzigen Gotte Gerechtigkeit widerfahre — dies erjchütternde Opfer, 
trefflich vom Dichter ausgeführt, gewinnt unſere ganze Hingebung 
für Lea, und wir ſcheiden voll Hochachtung von dem groß gedachten 
dichterifchen Werke. 

Aber wir behalten einen Zweifel übrig. Cr lautet: Könnte 
es nicht noch größer jein? Wir hatten uns nach dem zweiten Acte 
noch Gewaltigeres erwartet; in der Mitte find wir gejtört worden, 
und erjt zuletst find wir wieder ganz und voll dabei geweien. 

Dies ift das Ergebnif eines Stücdes mit zwei Helden — eines 
Stüdes, welches mit Recht Anſpruch macht auf den Titel einer 
großen Tragödie, 

Welch Schickſal hatte nun die erjte Aufführung? Wenn ich 
das Innere richtig gezeichnet, fo ahnt es ver Leſer. Am Schluffe 
des zweiten Actes, wie jchon gejagt, ein unerhörter Erfolg, im dritten 
Acte eine völlige Niederlage. Die verwirrenden Nachrichten, das 
jüdische Markten um Worte, der fortwährende Widerſpruch — 
wurden ausgelact. 

Die letzten Acte hatten Mühe, dem Stücke nothoürftig wieder 
aufzuhelfen von ſolchem Falle. Es war vorauszufehen: daheim 
erzählen fie vorzugsweile von der fpectafelhaften Judenſchule, die 


238 Das Burgtheater. 


ausgelacht worden, und der Beſuch bleibt aus, das Stück ift nicht 
zu halten auf dem Repertoire, 

Da erfranfte am anderen Morgen Wagner-Judah, und das 
Stüd fonnte nicht jogleich wiederholt werden. Dieſe Zwijchenzeit 
benütste ich, die große verwirrende Scene des dritten Actes neu zu 
vedigiven, das heißt zu vereinfachen und diefe Vereinfachung zwei- 
mal, preimal, viermal zu probiren, bis fie wie urfprünglich gewachjen 
ericheinen fonnte, Das bewährte ſich bei der endlich erfolgenden 
zweiten Aufführung: man lachte nicht wieder, Aber der Erfolg 
ſtand noch weit aus; die erjte Aufführung hatte das Stüd discre— 
ditirt. Mörderifche Stichworte verfolgten es, wie: „Die Synagoge 
auf vem Burgtheater”, und wer iſt denn glüclicher als der Schauer: 
träger des Purblicums, wenn er Unglüd berichten fann, wer iſt ges 
Ichäftiger ?! 

Da half uns die Prefje redlich. Sie flärte auf, fie würdigte, 
fie pries das Preifenswerthe. Namentlich Friedrich Uhl unterjtütte 
das Stück in nachdrücdlicher Weife. Sp wurde es mühſam erhalten. 
Seven Spätherbit brachte ih es nach jorgfältigen Proben wieder, 
und mit jedem Jahre wurde’ die abfällige Stimme leifer, enplich 
verjtummte fie, und die „Makkabäer“ wurden ein Feſtſtück. 

Leider nur auf vem Burgtheater. Nur auf ein paar Bühnen 
ſonſt jind fie verfucht und dann für immer vergeffen worden. Und 
doch Steht der Inhalt den Bibel lefenden, jüdiſch jtreng mono— 
theitijchen Protejtanten, vor denen das Stüd außerhalb Dejter- 
reichs aufgeführt worden ift, noch viel näher als den Katholifen in 
Wien. Es verichwand in Norddeutſchland wie ein Meteor. 

Der arme Yudwig, von Krankheit und Dürftigkeit gepeinigt, 
bat es mir alljährlich geklagt, wenn er die fleine Rente von uns, 
wie er die Tantieme nannte, danfbar quittivte, denn wir brachten 
das Stück mit unverbrüchlicher Regelmäßigkeit jedes Jahr. 

Die jegige Direction fei daran erinnert, daß fie die Monate 
hat vorübergehen laffen, in denen feit fünfzehn Jahren die „Makka— 


Das Burgtheater. 239 


bäer’’ jtetS einen Abend gefunden zur Feier Dtto Yudwig’s und zur 
Unterftügung für feine Hinterlaffenen, für die Witwe und die Kinder. 
Sie ſei daran erinnert, daß unfer Publicum eines feiner würdigiten 
Repertoireſtücke nicht untergehen ſehen will. 

Was man in der Jugend wünfcht, hat man im Alter die Fülle, 
Die Jugend des Jahres 1852 hatte nur Wünfche, das Alter dieſes 
Sahres brachte eine Fülle von Stüden. Gleich nach ven „Maffa- 
bäern“ erichien Bauernfeld mit feinen „Kriſen“, welche jehr wohl 
geftelen. 

Octave Feuillet hatte in zwei kleinen Arbeiten dies Thema der 
Krifen entwidelt. In einer Novelle, genannt „La elef d’or“, und 
in einem fleinen Drama, genannt „Une erise“. Bauernfeld hat 
jih diefe Vorlagen angeeignet und fie fo breit ausgeführt, daR fie 
einen Yuftipiel-Abend füllen. Die Eltern namentlich, Papa Lämm— 
hen und Fran Lämmchen, find von ihm zugethan, um die Behaglich- 
feit des deutjchen Lujtipieles über die Gedanfengrundlage Octave 
Feuillet's zu verbreiten. Das iſt ganz wohl gelungen, ‚und es ilt 
ein Luſtſpiel entjtanden, welches feinen Pla im Repertoire behauptet 
bat. Dafür ift immer maßgebend, wenn die Rollenbejegung ge 
wechjelt werden muß und das Wohlgefallen am Stüde doch nicht 
wechjelt. Fräulein Neumann und Herr Fichtner, die erjten Ber: 
treter der fritifch Yiebenden, haben uns verlajjen, und die Fräulein 
Scholz, Bopler, Bognar, jowie Herr Sonnenthal find für fie ein- 
getreten. Der Doctor, zuerit Herr Damien, dann Herr Yırcas, ift 
an Herrn Gabillen gefommen. Selbjt das allerliebite Lämmchen 
Beckmann's hat fich die ſüße Milch der Yammsnatır ein Wenig ver: 
wandeln lajjen müjjen durch Herren Meixner, und das Stüd ift un- 
geſchwächt verblieben ; es hat alle Krifen überjtanden. 

Ueberhaupt wurde in diefem Jahre 1852 dem Luftipiele ftarf 
gefröhnt. Gefröhnt jagte man, denn e8 wurde ung vorgeworfen. 
Der grimme „Richard“ und die ſchweren „Makkabäer“ fünnen mich 
wohl veranlagt haben, ungemein auf Ausgleihung und auf leichte 


240 Das Burgtheater. 


Erholung zu denken. Auch actueller Anstoß war damals vorhanden 
nach der leichten Seite. Ich mußte oft den Borwurf hören, das 
Repertoire würde zu fchwer, und ich würde meine literarifchen Zwecke 
jicherer erreichen, wenn ich ausgiebig auch für Fröhliche Unterhaltung 
jorate. An oberjten Stellen ſähe man Bedmann jo gern, und den 
vernachläfjiate ih. Das Alles war nicht unbegründet. Es fand 
auch in meinem Grumdplane für das Burgtheater entjprechende 
Yinien. Ich weiſe zurück auf das, was ich bei Gelegenheit des 
„Berwunfchenen Prinzen‘ gejagt, und daß bei fiebenmaligem Schau— 
jpiele in der Woche auch das ausgelaffene Luftipiel feine Stelle 
finden muß. Was bie denn auch „Beckmann nicht vernachläffigen‘’ 
Anderes, als das ausgelaſſene Yuftipiel nicht vernachläffigen! Es 
war aljo fein Fröhnen, es war eriwogene Abficht, welche damals 
zahlreiche ältere Yuftipiele, wie „Die unglüdliche Ehe‘, „Die franfen 
Doctoren”, ‚Die Reife nach ver Stadt‘, neu ſcenirte, welche für Bed- 
mann den; „Vater der Debütantin” hoffähig zu machen fuchte durch 
starke fcenifche Aenderung, welche „Die Mördergrube“ einrichtete für 
ihn und Fräulein Wildauer, welche untavdelhaft Iujtige Stüdchen, wie 
den „Freundſchaftsdienſt“ und „Er iſt nicht eiferfüchtig”‘, einführte. 
Wir juchten in diefer Richtung auch claffifche Weihe, indem wir Shafe- 
ſpeare's „Viel Lärm um Nichts‘ in der Holter’fchen Einrichtung auf das 
Sorgfältigjte in Scene fetten. Oder gehört es etwa nicht in dieſe Rich- 
tung? Spielt in den Shafefpearefchen Luſtſpielen nicht die bloße 
Clown-Komödie eine vordringliche Rolle ? Um fo vordringlicher, je we— 
niger zumeiſt dev Inhalt des Ganzen ein wirkliches Luſtſpielthema ift? 
Die unfhuldige Hero wie im Trauerfpiele ſchmähen, werurtheilen, 
iterben laſſen, das ift vecht grob-ernſthaft und gehört eben einer drei 
hundert Jahre alten Gefhmadsrichtung an, welche heute bei einem 
nenen Luſtſpiele nicht hingenommen, fondern als grelle und geſchmack— 
(oje Contraftirung geicholten würde. 

Das Luftfpiel muß fich, ich wiederhole es, auch in einem erſten 
Theater frei bewegen dürfen. Fröhlichkeit, jo lange fie nicht in 


Das Burgtheater. 241 


Gemeinheit ausartet, ijt unter hundert Masfen willfommen; jie ift 
Sauerftoff im Theater, welcher die Lebenskraft erhöht. Gute Sitte 
und guter Geſchmack räumen immer auf im Nepertoire der Ausge- 
lajjenheit; das Unziemliche wird ftets fofort zurücigewiefen, und 
das ganz Haltloſe verſinkt jpurlos. 

Die heiteren Neuigfeiten jenes Jahres haben fich in reicher 
Anzahl bis heutigen Tages wirkffam erhalten. Leider haben jie 
ihren fomifchen Quell verloren dadurch, dag Beckmann's Leben ver— 
fiegt und in die Erde gejunfen iſt. 

Schreiten wir in ein neues Jahr! 1853. Diefes Jahr er— 
hielt jeine Signatur durch Perfonalfragen. Schaufpieler wurden 
gewonnen, Schaufpieler wurden verloren, und heute fragt man fich 
nicht ohne Grund: War der Gewinn am Ende ein Verluft, und war 
der Verluft wohl gar ein Gewinn? — Der Verluft hieß Dawifon. 

Die Wahl ver Dinge ift unfer Schickſal. Der Orientale jagt 
geradezu: Die Wahl, welche ung freigejtellt jcheint, iſt unſer Ver— 
hängniß. 

Ich erinnere mich oft, daß ich einmal bei ſchönem Frühlings— 
wetter in Thüringen zu einem Pferdemarkte ritt, um ſchöne Thiere 
zu ſehen und mir ein edles Pferd zu kaufen. Als ich ankam, wurde 
eine runde Graditzer Stute vorgeführt, und mein Begleiter lobte 
die hübſchen Formen des Geftütpferdes. Gerade diefe Formen 
waren aber nicht mein Geſchmack, und ich drängte weiter mit den 
Worten: „Dieſes Pferd fauf ich gewiß nicht!” Als wir aber 
Nachmittags ven Markt verließen, hatte ich gerade diefe Graditzer 
Stute gefauft. Die Neue blieb ſpäter nicht aus; mein erjter Ein— 
druck war der richtige geweſen; ich hatte faljch gewählt und mich 
benachtheiligt — die Wahl der Dinge ift unfer Schidfal. 

Ih möchte nicht um die Welt Pferde und Künftler in Einen 
Wahltopf werfen; ich will nur die räthjelhaften Einflüffe betonen, 
welche jo oft unfere Wahl leiten, und ich will nur ein Grundprincip 


ableiten aus jener thüringifchen Erfahrung. Es lautet: Wenn 
Laube, Burgtheater. 16 


242 Das Burgtheater. 


man nene Schaufpieler jucht und in Wahl zieht, fo foll man fich 
auf Nichts verlaffen, als auf den erjten, allgemeinen Eindrud, welchen 
fie auf ung machen. Iſt er ſympathiſch, fo erwähle man flugs, wie 
viel auch Einzelheiten abrathen; iſt ev unſympathiſch, jo gehe man 
leer von dannen, wie viel Einzelheiten fich auch hervordrängen zur 
Empfehlung. Der Total-Eindrud des Menfchen ift und bleibt von der 
Bühne herab die Hauptfache. Selbſt der Böfewicht muß uns 
menfchlich wohlthuend anmuthen, wenn wir feine Darftellung des 
Böſen lobend annehmen jollen. 

Als ih Herrn Dawifon das erſtemal ſah, fand ich ihn unge- 
mein begabt für die Schaufpielfunft, aber er gefiel mir eigentlich nicht. 
Als ich ihn das letztemal ſah — vor einigen Jahren in Dresden — 
mißfiel ev mir ganz. Sch fand, daß feine Begabung über die Kunft 
hinweg zum Handwerk ausgebildet worden — dies ijt das Kenn- 
zeichen des Virtuoſenthums — und daß mir auch das mißfällig 
geworden, was er gut machte. Er machte es eben. 

Dies ganze Sahr 1853 hindurch, das vierte feines lebensläng- 
lichen Engagements, zerrte ev fortwährend an uns herum mit der 
Sucht nach Sonderftellung und privilegirter Auszeichnung, endlich 
mit dem Anfuchen um Entlaffung, da ihm in Dresven eine noch 
günftigere Stellung geboten würde, günftiger dadurch, daß ihm dort 
ein großer Spielraum bliebe für Gajtrollen. 

Ich war innerlich gar nicht mehr abgeneigt, auf ihn zu ver: 
zichten. Sein virtuofes Herausprängen aus einem harmonijchen 
Enſemble erſchien miv immer bevenflicher, fein eitler Trieb nach 
Solofpiel beſchädigte unſer Enſemble immer ärger. Uns aber in 
Wien, denen die Schaufpielfunft eine edle Kunft ift, war doch und 
ift das Enſemble das Ziel diefer Kunft. Das Endziel ſchauſpiele— 
riſcher Beftrebung ift ung das ganze Gemälde, nicht aber die ein- 
zelne Figur, Das Stüd als Kunſtwerk ſoll ganz hevvortreten, und 
das gelingt nicht, wenn der einzelne Schaufpieler fich ungebührlich 
vordrängt oder wohl gar aus vem Rahmen pringt. 


Das Burgtheater. 245 


Leteres wınde mehr und mehr Herrn Dawijon’s Manie. 
Woher fam das? Aus dem innerjten Weſen feiner Perſonlichkeit. 
Ein Autodidakt, hatte er ſich mit lobenswürdigſtem Fleiße aus den 
gedrückten Verhältniſſen eines polniſchen Juden emporgearbeitet. 
Das „empor“ war nun aber bis zur Krankhaftigkeit ſeine Loſung 
geworden, und die volle Bildung war ausgeblieben; denn diefe lehrt 
auch Entjagung, diefe eritvebt und erringt das Gleichgewicht zwifchen 
unferen Wünfchen und Kräften. Unter dem immerwährenden 
„empor! und „empor! vwerjäumte er und verlor er die langſame 
und breite Entwielung des inneren Menfchen, welche unerläßlich 
ift für einen vollen Künſtler. Er war aufgefchoffen ohne mora- 
liſches und fünftlerifches Rückgrat und verblieb deßwegen ohne 
Halt. 

Dem entjprechend fiel er bei Wivderwärtigfeiten — man er— 
innere fich an feine hiefigen Debuts — in Häglichen Kleinmuth, 
und blähte-fich auf zu craſſem Hochmuthe, als er in die Periode des 
Gelingens fan. 

Ich hatte ihn ungewöhnlich gefördert, über Gebühr jogar, wie 
jeine Gollegen mit Recht mir vorwarfen. Ich brauchte vor Allem 
frifche, lebendige Kräfte, um das ziemlich fchläfrig gewordene En— 
jemble aufzuweden und zu beleben. Alte Rollen, die ihm zufagten, 
neue, mit denen er Üüberrafchen fonnte, erhielt ev in Uebermaß. 
Gr hatte die brillantefte Stellung befommen und ein aroßes Publi— 
cum gewonnen. Nur ein Eleiner Theil des Publicums blieb ihm 
gegenüber auf feiner Huth und lobte nur Einzelnes. 

Zu diefem Fleinen Theile gehörte ich ſelbſt. Yange und auf- 
merkſame Beobachtung feiner Fähigkeiten und feines Wejens hatte 
mir ſchon nach den erften Jahren klar gemacht, daß er fein Genie 
jei, fondern nur ein pifantes Talent, welches allmälig von mancher 
großen Rolle fernzuhalten und auf einen engeren Kreis zu bejchrän- 
fen jet, vorzugsweife auf Epifoden. Jedenfalls ſeien ihm Wollen 
zu verfagen, welche einen Menfchen mit breit ausgeprägten Naturell 

16* 


4 


244 Das Burgtbeater. 


und mit langem Athem verlangen, desgleichen Menjchen mit ruhiger, 
tiefer Charafterfraft. 

Unſere Claſſik namentlich Liegt ganz außer feinem Bereiche. 
Er iſt fein Deutfcher, und der nationale Athem unjerer Dichter ift 
ihm verfagt, er kann ihn in feinem Tome wiedergeben. Das 
Schiller’iche Pathos wird bei ihm hohle Declamation, die Goethe’jche 
Einfachheit jtreift bei ihm an triviale Nüchternheit, unfere Romantif 
gar wird ihm melodramatiiche Pauke. Am erjten fommt er noch 
mit Leſſing zurecht, da dieſer vorzugsweife aus der Verjtandes- 
thätigfeit heraus gearbeitet hat. 

Wie viel ift dadurch abgejchnitten für unfer Theater! Shafe- 
jpeare bot mehr für ihn, denn er charafterifirt mit ftarfen Strichen, 
aber außer Richard, Shylod und Jago doch auch nur Epifoden. Er 
freilich griff nach Allem und verlangte auch ven Othello. Sch er- 
widerte: „Othello ift im letzten Grunde ein Yiebhaber, und das find 
Sie nicht; Othello iſt ein Yöwe — wenn Site ihn |pielen, wird er 
ein Tiger, und dies verfälſcht das Stück“. 

Ebenſo mußte er im Luftipiel eingefchränft werden. Sein 
Aeußeres bon machte ihn für viele Rollen unzulänglich, es verfagt 
ihm alle vornehmen Leute; er iit unelegant, unruhig, haftig, in den 
Bewegungen oft ungraziös, „Man fieht ihm aber doch den Juden 
nicht an!’ hat Jemand in Dresden gejagt. — „Doch!“ hat Lederer 
erwidert, „er maujchelt mit den Beinen.’ 

Ich möchte das Racen-Borurtheil nicht unterſtützen; wir haben 
ja auch gerade in Wien fchlagende Gegenbeweife: Sonnenthal ift 
auch Jude, und wer vermißt an ihm vornehmes, feines Weſen?! 
Aber die Eigenthümlichkeit orientalifcher Race gehörte zu Dawiſon's 
Nachtheilen und bildete feine Vorzüge. Seinen Fleiß, feinen behende 
juchenden Verftand, die überrafchende Beweglichkeit feines Gejtaltens 
verdanft er ja offenbar feiner Herkunft. 

So ungefähr dachte ich über ihn, da er mich um Entlafjung 
quälte. Als Spifodenfpieler war er mir ein Schaf für unjer Theater, 


Das Burgtheater. 245 


Wenn ich hätte hoffen dürfen, daß er fich künſtleriſch beichränfen 
fönnte, dann wäre ich hartnädig gegen feine Entlafjung gewejen. 
Aber dazu war gar feine Ausficht mehr. Er fing bereits an, feine 
beiten Rollen zu übertreiben. Riccaut in „Minna von Barnhelm‘ 
war eine prächtige Leiſtung gewejen für feine polniſch-franzöſiſche 
Zunge — jest ſprach er ſchon fo geläufig Franzöfifh, daß man ihn 
nicht mehr verjtand; er überfranzof'te ven Franzoſen. 

Ich befürwortete alfo jelbit bei meiner Behörde feine Ent- 
lafjung und founte ihm eines Abends anfündigen, daß er fie in 
einigen Monaten erhalten würde. Das dauerte ihm noch zu lange, 
und um die Friſt abzufürzen, machte er mir eine Scene hinter den 
Couliſſen, die Scandal erregen und fofortigen Bruch herbeiführen 
jollte. Er ging mehrmals an mir vorüber, jtieß Scheltworte aus 
und gefticulirte heftig. Ich ſprach mit Jemandem und wurde es 
gar nicht gewahr. Als man mich aufmerffam machte, wußte ich 
auf ver Stelle, wohin das abzielte, Ich ſchickte jogleich nach Herrn 
Lucas; er hatte ven Doctor in den „Kriſen“, welchen Herr Dawifon 
an diefem Abende fpielte, auch ſchon gejpielt. Ich ließ ihn bitten, 
er möchte eiligjt fommen ; binnen einer halben Stunde werde Herr 
Dawiſon ohnmächtig werden. Binnen einer halben Stunde wurde 
Herr Dawiſon auf der Scene ohnmächtig, und der Vorhang mußte 
fallen. Herr Yucas wurde jofort als Stellvertreter angekündigt, wir 
jpielten ruhig das Stück zu Ende, und des anderen Tages erließ unfer 
Chef die Ordre: Herrn Dawifon nie wieder das Burgtheater be— 
treten zu lajjen. 

So verloren wir den Charafteripieler. Einen Yiebhaber aber 
und eine Yiebhaberin gewannen wir in Herrn Gabillon und Fräulein 
Würzburg. 

As ih Fräulein Würzburg in Hamburg das erjtemal jah, 
fand ich fie jung und hübſch, aber auch fie gefiel mir eigentlich nicht. 
Und bier war noch dazu mein Begleiter, welcher jie jchon Länger 
fannte, derjelben Meinung, daß fie feine richtige Liebhaberin wäre. 


246 Das Burgtheater. 


Dennoch Lie ich fie gaftfpielen. Da wurde fie applaubirt; ein 
Enthuſiaſt in der „Preſſe“ fprach von einer jungen Rachel, meiner 
Behörde gefiel fie — fie wurde engagirt. 

Herr Gabillon erwies ſich auf der Bühne auch nicht als der 
Liebhaber, der gefucht wurde, aber er eignete fich für einen Theil 
der Dawiſon'ſchen Rollen — er wırde ebenfalls engagitt. 

Es bleibt dabei: die Wahl ift unfer Schiefal oder, wie der 
Drientale fagt: unfer Verhängniß. 


RIM, 


Das Gontingent neuer deutſcher Stüde fir 1853 war aus— 
giebiger als ſonſt, ausgiebig wenigjteng für ven Gafjenerfolg, aber 
fiterarifch Doch wieder unzureichend. Es lieferte drei Erfolge und 
unter diefen Ein gutes Stüd. 

Den „Dolch“ von Raupach rechne ich nicht. Der ſterbende 
Tchlefiiche Dramatifer hatte ihn feiner Wittwe vererbt. Es war ung 
ein Act der Pietät, ihn aufzuführen. Weitere Bedeutung hatte er 
nicht und fand er nicht. 

Die beiden wirffamen Neuigkeiten waren „Mathilde von 
Benedir, und „Die Waife von Yowood” von Frau Birch - Pfeiffer, 
Das gute Stüd endlich waren Freytag's „Journaliſten“. 

Roderich Benedix tjt jehr ſchätzbar für die Theater-Directionen. 
Er gewährtihnen alljährlich Yebensmittel; man nennt fie Hausmanns— 
fojt. Leider ift er eben veghalb von geringerer Bedeutung geworden 
für das literarijche Theater, denn er producirt zu leicht und zu raſch, 
und feine Stücke jchlagen feine tieferen Wurzeln. Sein Erfindungs- 
talent ist ein in Deutjchland feltenes und Jollte uns zu einer vedlichen 
Aufmerffamfeit für ihn verpflichten. Gewohnheit, wie das Bedürfniß 
des Erwerbes verleiten und nöthigen ihn zur Haft; vielleicht um 
diejer Haft willen find feine zahlreichen Arbeiten felten frei von 
Banalität. Bielleiht! Denn es giebt freilich ſchöpferiſche Naturen, 
die nur dann ſchöpferiſch find, wenn fie fich beeilen fünnen. Benedir 
zum Beifpiel ift jehr johwer dahin zu bringen, daß er Aenvderungen 


248 Das Burgtbeater. 


an feinen Stücken vornehme. Leicht empfangen, leicht geboren, find 
ihm feine Kinder auch) fertig, wenn fie da find; er ift immer ſchon 
inmitten einer neuen Geburt, wenn man ihm über fein lettes Kind 
Betrachtungen aufnöthigen will. 

Dennoch ift es der Frage werth, ob uns und ihm nicht gedient 
wäre, wenn die Sorge des Erwerbes für ihn verringert werden 
könnte. Gr trüge dann vielleicht feine Pläne ruhiger und länger 
unter dem Herzen. Wenn jolch einem erfindungsreichen, um das 
Theater vielfach verdienten Autor endlich einmal eine geficherte 
Lebensjtellung bereitet werden fünnte, da erfüllte das deutſche 
Theater nicht nur eine Schuldigfeit, fondern es verschaffte ſich wahr— 
jcheinlich auch ein Beneficium. Die erfindungsreichen Kräfte find 
fo jelten unter ung, daR wir felbjt erfinderifch trachten jollten, jie 
zu pflegen und dadurch zu jteigern. Er fitt in Leipzig und arbeitet 
wie ein Fabrifant für ven Markt! Wie viel foftipielige und doch 
nußlofe Anjtellungen find nicht gang und gäbe bei ven deutſchen 
Hoftheatern! Die Intendanzen zumeift in erſter Yinie, welche nur 
überflüffigerweife repräfentiven und durch jeweilige Einmifchung in 
den artiſtiſchen Gang nur ſchädigen. 

Ein behaglicher Winkel für den Theaterdichter ließe ſich an 
zehn Orten finden. Aber „Alles brauchen ſie beim Theater, nur 
nicht Dichter!“ Dies vorlaute Wort eines Karlsſchülers iſt leider 
noch immer wahr. Der Quell des ganzen Theaters bleibt unbe— 
achtet, und nur der Theaterkram findet Pflege und Aufmerkſamkeit. 
Die Hecenfenten tragen täglich dazu bei mit ihrer drafonifchen 
Strenge gegen die Dichter — Drafo macht wohlfeil intereffant! — 
und mit ihrem unerjchöpflichen Wortſchwall über Austattung und 
auswendigen Plunder. Wie oft jpotten fie über die Einfachheit im. 
Burgtheater und ahnen gar nicht, daß diefe Einfachheit unſchätzbar 
ijt für das Mefen des Schaufpiels. Geht nur hinaus und betrachtet 
den Aufwand für äußerliche Dinge, welcher den Sinn zerjtreut hat 
für den Geift und Kern! 


Das Burgtheater. 249 


Benedir iſt auch immer frei gewelen von dieſer äußerlichen 
Rofetterie, er hat immer nur innerliche Aufgaben bearbeitet. Nach 
einer wohlerworbenen gelehrten Erziehung in Yeipzig ift er Schau— 
jpieler geworden und Schaufpiel-Director. Er ijt einer der We— 
nigen, welche über die Bildungsmittel der Schaufpieler gejchrieben, 
und gründlich gefchrieben haben über Redekunſt und Bortrag — er 
befitst alles Zeug, von einem behaglichen Winfel aus einem Theater 
gute dramaturgijche Dienjte zır leijten. 

Die „Waiſe“ ver Fran Birch foll auch nicht unterſchätzt werden. 
Was jo viel und jo lange die Theilnahme des Publicums beſchäf— 
tigen fann, ohne doch geradezu niedrige Mittel aufzubieten, das darf 
man nicht höhnifch behandeln, wie es die Kritif vielfältig thut, das 
darf man nicht hochmüthig geringſchätzen. ine Talentesfraft liegt 
darin immer vor. 

Aber einem Director, welcher nicht blos für den Tag arbeiten 
will, konnte doch auch dieſes Stücd feine Genugthuung fein, feine 
Beruhigung für den Fortgang deutfcher Production, 

Ich hatte es übrigens ſelbſt unterſchätzt, und ich laſſe mich bei 
diejer Gelegenheit auslachen von den Wienern, indem ich eingejtehe, 
daß ich jehr zweifelhaft war, ob ich ihnen das Stück vorführen 
dürfte. Ich hatte es in Hamburg gefehen, wo es Furore machte — 
Fräulein Seebah, Jane Eyre; Fräulein Würzburg, Georgine — 
und dennoch war ich zweifelhaft. Die rohen Begebenheiten, die 
groben Contrajte, die hausbacenen Gedanken, welche mit Altflugbeit 
überpust waren, hatten mich eingefhüchtert, Wird ein feineres 
Publicum nicht darüber lachen? hatte ich gevacht. Sch entjchloß 
mich erjt, als ich einen ganzen Act gejtrichen und ven buntejten 
Ueberpuß von Weisheitsflosfeln ausgemerzt hatte, Und ich bin 
heute noch der Meinung, daß dies nöthig war fürs Burgtheater. 
Solde Stüde find für's große Publicum gefchrieben; an dem 
Elite- Bublicum unferer erſten Borftellungen jcheitern fie oft durch 
Einzelheiten alltäglichen Geihmads, durch grelle Wendungen, welche 


250 Das Burgtbeater. 


aus dem ftarfen Romane eingejchlüpft find. „Die Frau in Weiß‘ 
zum Beifpiele, zur Familie dev „Waiſe“ gehörig, ging bei uns 
unter, während fie draußen im Reiche gefiel. 

Merkwürdig ift der jo ganz verſchiedene Erfolg, welchen „Ma— 
thilde” und welchen die „Waiſe“ gefunden. Die „Mathilde“ von 
Benedix, ein Familienvorgang von wichtigen innerlichen Fragen, 
machte anfangs ebenfo viel Glück wie die „Waiſe“ und erlebte eine 
ganze Reihe ſehr bejuchter Vorjtellungen, Auf einmal verſagte die 
Zugkraft und das Stück mußte liegen bleiben, während die „Waiſe“ 
ohne Aufhören anzog. Woher fommt das? Vielleicht daher: „Ma— 
thilde“ lebt won grellen Familien = Conflicten, die grell entſchieden 
werden. Dieje Entjcheidungen fünnen im Bublicum beftritten wer: 
den, und fie wurden bejtritten. Es wird alſo vorzugsweije der 
Verſtand in Anspruch genommen, und das Intereffe des Verſtandes 
erichöpft fich zeitiger im Bublicum. Gewöhnliche Zuthat von Theater: 
ballajt giebt Benedix nicht; dafür ift er zu puritanifch. Frau Birch 
aber giebt ihren Stücen einen reichlihen Sinneneultus, und die 
GSonfliete in der „Waiſe“ wenden fich nicht an ven Verstand, fondern 
an das Gefühl, Sie find auch unbejtreitbar: mit dem Schidjale 
einer gemißhandelten Waiſe gebt Jedermann — es ift am Ende 
auch hier die Einfachheit, welche fiegt. 

Aber was beveuteten und was bedeuten folche Siege für den 
Werth und die Zufunft unſerer dramatiihen Schöpfungskraft! 
Dieſe Schöpfungen find ja doch alle nur Futter für Pulver, wie 
Falftaff jagt. Wahrlich, die Sorge um unfere dramatische Schöpfungs- 
fraft hat mich während achtzehnjähriger Directionsführung nie ver: 
(affen, und fie hat mich, wie oft! tief traurig gemacht. Sch geitehe 
es hiemit öffentlich ein, daß ich das deutſche Theater für abjterbend 
halte, weil es ihm an Production und an Schaufpielern fehlt. 

Die Schwachen Productionen zu ergänzen, die Schauspieler zu 
erziehen, ift jet unabweisliche Aufgabe einer Divectionsführung ge- 
worden. Heutigen Tages muß die Injcenefeßung eine ergänzende 


Das Burgtheater. 251 


Schöpfungskraft ausüben, ſonſt fönnen zwei Drittheile ver heutigen 
Stüde nicht bejtehen. — Wie athmet man auf, wenn endlich einmal 
ein Stüd fommt, das feiner Nachhilfe bedarf, und wie tief zieht man 
den Hut! Das fertige, feſte Stüd flößt Niemandem jo großen Re— 
jpect ein, als dem Infcenefeger, und es ift ein großer Irrthum, 
wenn man glaubt, durch immerwährendes Ergänzen verwöhne man 
jich und tafte dann auch ans Gute. Durchaus nicht! Einem echten 
dramatifchen Geifte und Gefüge wagt man nicht einmal in Kleinig- 
feiten eine ändernde Berührung anzuthun, jelbjt da nicht, wo alle 
Welt ruft: Hier ift eine unſchuldige Verbefjerung anzubringen. 
Ein voller Organismus weift jede Zudringlichfeit von ſelbſt zurück. 

Aber wehe dem Theater, welches für die Ueberzahl ſchwacher 
Neuigkeiten feine ergänzende Kraft auf den Proben hat! Seht jie 
nur an, die veutjchen Theater, wo die trodene Regiſſeur-Routine 
herrſcht! Bon halben Erfolgen zu Mikerfolgen, von Mißerfolgen 
zu halben Erfolgen jchleppen fie fih und verlieren dadurch einen 
dauernden Kepertoire-Bejtand, ein organijch theilnehmendes Publi— 
cum. Wie viel Stüde haben im Burgtheater Dauer gewonnen, 
welche nirgends fonjt am Yeben geblieben find! Und wie find die 
Theater alle durch ihre Mißerfolge gefunten ! 

Wie find fie ferner gefunfen durch die mangelnde Yeitung der 
Schaufpieler! — Es iſt wahr, die neue Zeit mit ihrem Gleichheits- 
principe, welches die fernige, aparte Berfönlichfeit nicht mehr jo 
pflegt, wie e8 ehedem möglich war, jie verringert die Anzahl befon- 
derer Menjchen, welche auf der Bühne interefjiren können. Es ift 
wahr, die große Theilnahme an öffentlichen Dingen, die Parlamente - 
mit ihren Rednern entziehen ver gefpielten Welt einen großen Theil 
früherer Aufmerffamfeit und nehmen zahlreiche Menſchenkräfte hin- 
weg, welche ſonſt in ven Schaufpielerjtand hineingeriethen. Einſt 
veerutirte er fich aus unruhigen Geiftern aller Art; jett findet eine 
große Anzahl diefer unruhigen Geifter Beſchäftigung in der Politik, 
und die Novizen für die Bühne find meiltens blutjunge Gefchöpfe, 


252 Das Burgtheater. 


welche eine leichte Garriere machen wollen, Gefhöpfe ohne irgend 
eine Phyſiognomie, von denen auch neun Zehntheile nie eine Phy— 
jiognomie gewinnen. 

Set hundertmal mehr als ſonſt müſſen die Schaufpieler ge- 
leitet und erzogen werden. Und wer thut das? Wer fann das in 
den herfömmlichen SchablonensAemtern? Der Intendant fitt auf 
olympijchem Throne und lächelt. Da unten, tief unter ihm, mag 
die Brut fich geftalten wie fie fann. Kann jte's nicht rajch, jo wird 
fie fortgejagt. So werden alle Jahre junge Talente ausgejtoßen, 
denen fein Menfch tiefer in die Augen geblickt, ausgeſtoßen, weil 
nur die Gebrechen des Anfängers an ihnen zum Vorfcheine gebracht 
worden find. Wer joll ihnen in die Augen bliden? Wer verfieht 
das wichtigjte Amt am Theater, das Amt eines Piychologen? Der 
Regiſſeur etwa? Er fümpft bis zur Erfchöpfung mit den Außerlichen 
Aufgaben der Injcenefegung, wenn er überhaupt fümpft. Cr hat 
feine Zeit zur Erziehung, wenn er überhaupt Sinn dafür hat, Col- 
legen zu erziehen, welche ihm ſelbſt Concurrenten werden fünnen, 
und wenn er überhaupt Geift und Bildung genug hat, welche doch 
am Ende in eigenthümlichem Grade dafür nöthig find. So iſt es 
gefommen, daß jest zum Beifpiel in Berlin taufend Stimmen 
jhreien: Es giebt feinen Nachwuchs im Schaufpiele, und das 
Theater liegt in den letzten Zügen! 

Das fann man in Wien nicht jagen. Im Burgtheater trägt 
der Nachwuchs feit Sahren das Repertoire. Aber nur wenn jolche 
Erziehung vedlich und kundig fortgefett wird, kann das Burgtheater 
fortbejtehen als eine Ausnahme vom Berfalle des deutſchen Theaters. 

In ſolche Nachtgedanken fiel Freptag’s Luftipiel wie voller Son— 
nenſchein. Das war ein Troft fir meine Productions-Sorgen! 
Es giebt alfo noch Geijter, rief ich, die auf der Höhe unjerer Ge- 
danfen jtehen und Talent genug haben für ein gutes Theaterſtück. 
Willfommen, ihr prächtigen „Journaliſten“! vief ich feelenvergnügt, 
und vergegenwärtigte mir das Weſen und. die Yaufbahn ihres Mei- 


Das Burgtheater. 255 


jters, meines fchlefifchen Yandsmannes, um zu entdecken, wie er in 
dieje luſtige Gejellichaft gerathen wäre. 

Tief hinten aus dem waſſerpolakiſchen Oberfchlefien war er 
nah Breslau gefommen, ein blonder, jchlanfer Deutfcher, und hatte 
emfig jtudirt und dem Yeben lächelnd zugefehen. Ueber jein erites 
Stüd: „Marimilian’s Brautfahrt“, hatte er mir nach Yeipzia ges 
ichrieben: „Es macht die Rundreiſe aufden Bühnen mit recht zweifel- 
baftem Erfolge”. So pflegen heutige Theater-Autoren von ihren 
Kindern nicht zu fprechen, denn auch Privatbriefe müſſen für Re— 
clame forgen. 

Mit feiner „Valentine“ fam er nach Yeipzig, und wir erlebten 
zufammen ein Theaterftürmchen. Als der Stein mit dem Zettel in 
Balentinens Gemach flog, wadelte die Haltung des Publicums fo 
unangenehm, daß bedenkliche Aeuferungen laut wurden und das 
Stüd einen gefährlichen Ye befam. Wir fahen uns an, und er 
hatte die Ruhe eines curiofen Kopfſchüttelns, ja eines betrachtiamen 
Zuſchauerlächelns. Diefe Ruhe behielt er auch, als wir nach ver 
Vorjtellung erwogen, ob und wie der Pe zu jtopfen jei durch eine 
Aenderung. Wir meinten Beide, das Stüd ſei für das Publicum 
doch verloren, und er behandelte dies Thema mit einem fo natür- 
fihen Gleichmuthe, daß er mir beneivdenswerth erichien. Die Göt- 
ter hatten auch ein Einjehen, es ereignete ſich das Unerwartete, 
welches darin bejtand: daß wir uns Beide geivrt hatten. Das 
Unglüd im Theater war nur der unruhige Schaum des Bublicums 
gewejen, welcher aufgezifcht hatte, und eine unfchäßbare Eigenschaft 
manches norddeutihen Publicums in Mitteljtädten enthüllte fich 
unferen Bliden. Man hört in diefen Städten fehr aufmerkfam zu 
und läßt fich nicht irremachen durch zifchenden Schaum. Die Leute 
bewahren fich — recht im Gegenfage zu ven lärmenden, nachplap- 
pernden Großſtädten — ein eigenes Urtheil. Sie hatten daheim 
erzählt: diefe „Valentine“ ift ein interejjantes Stück, und Fräulein 
Unzelmann jpielt finnig und fein die Titelrolle. Nein! ift ein 


354 Das Burgtheater. 


Stichwort der Bildung in Sachfen. Als nun der Director zaghaft 
eine zweite Vorjtellung anjette, war das ganze Haus gefüllt und 
das Stücd machte großes Glück. Das größte jogar. Freytag ſah 
mich wieder an mit dem eigenen Blicke feines blauen Auges, welches 
voll launigen Hinterhaltes, und num lachten wir Beide über die 
unnütze Sorge um den Stein, 

Sein Gleichmuth war durch dieſe Freude ebenfowenig er- 
jchüttert wie vorher durch Aerger; fein Weſen iſt durchſchnittlich 
eben und ruhig. 

Das nächte Stück Frevtags war „Graf Waldemar”, Es 
ließ das Publicum falt. Ich hab’ es an mehreren Orten gefehen, 
e8 wurde überall ungenügend gejpielt; denn für" Alltags = Infcenes 
ſetzung ift es zu einfach und doch zu geiftig. Im Berlin ging es 
jogar entzwei, weil der zu grelle leiste Act feinen kundigen Regiſſeur 
gefunden. „Graf Waldemar’ Lebt nur in Wien, und zwar in 
guten Umſtänden. 

Man warf diefen Stücen einige Manierirtheit vor und baute 
auf den Autor feine bejondere Theaterhoffnung. Ich perſönlich 
begte immer eine jtarfe Neigung für zahlreiche Scenen in dieſen 
Stücen und ließ mir gern verwerfen: das jet eine landsmann— 
Ichaftliche ſchleſiſche Sympathie. Ich hatte „Die Valentine‘ auf 
unferem Nepertoive gepflegt, obwohl ich Feinen richtigen Saalfeld 
und feine richtige Valentine ftellen fonnte — Herr Sonnenthal und 
Fräulein Wolter wären jetzt geeignet, Fräulein Baudius die nächſte 
Aſpirantin — ich hatte mir auch die größte Mühe gegeben, den 
„Grafen Waldemar‘ möglich zu machen. Die Cenfur meiner Be— 
hörde aber fagte hartnädig Nein. Ein Graf foll eine Gärtners- 
tochter heirathen? In der Wirklichkeit mag's leider vorfommen, 
auf dem Burgtheater nie! — Ich werde fpäter erzählen, durch wel- 
chen diplomatischen Gedanken ich die Mesalliance doch noch zu 
Stande gebracht. 

Jetzt kam plößlich — mir felber unerwartet, denn Freytag war 


Das Burgtheater. 255 


jahrelang im Schatten geblieben — ein volles Yuftipiel, ein mo— 
dernes, ganz vortreffliches Yuftipiel von ihm. Ein jolches find „Die 
Journaliſten“. Was ich immer gewünfcht, lag wor mir. Unfer 
heutiges Yeben da angefaßt, wo e8 geijtige Bedeutung hat, alfo in 
höherem Sinne und doch in leichter Form, in der heiter wohlthuen- 
den Form des ehrlichen deutichen Kuftipiels. Wahrheit, volle Mög— 
lichfeit des Vorganges, veizend gehoben durch feinen Humor — 
Katzenhumor, wie Gutfow ärgerlich von Freytag ſagt —, populär 
gehalten durch jtarfe Züge und Fräftige Charaftere a la Piepenbrinf 
— das war ein Felt für mich, diefe erſte Yectüre! Da war ja der 
Weg, da war ja das erreichte Ziel! Wir fönnen alfo doch Stücfe 
jehreiben, wir fünnen Yujtipiele Schreiben ohne Uebertreibung und 
Fereirtheit, das deutſche Theater kann alſo noch beftehen und ge- 
deihen, es braucht nicht zu ſterben! 

Ach, jett nach vierzehn Jahren fieht mir diefe Freude aus wie 
ein Jugendtraum. Die Nachfolge ift ausgeblieben, Freytag ſelbſt 
hat nicht mehr die Stimmung dafür gefunden. Er bat uns nur 
noch eine werthvolle Tragödie gebracht, aber eine römische: „Die 
Fabier“. Wer gewinnt unfer Publicum heute noch für vömifche 
und griechiiche Intereſſen?! „Nackte Beine!’ fchreit der Wiener, 
und geht anderswohin. Und Freytag bat.fich in gelebrte Studien 
vertieft. Aller Ehren werth. Aber er kann Beſſeres. Wer Ichaffen 
kann, joll nicht blos lehren. — — Ih hoffe immer noch auf ihn. 
Er war ftets voll jchalfhaften Hinterhalts und wird uns vielleicht 
einmal plößlich mit einem neuen Yuftipiele überraſchen. 

Iſt diefe Hoffnung auf ihn und einige Wenige eitel, dann Abe, 
deutfches Theater! 

Und bei einem Haare brachte ich „Die Journäliften‘‘ gar nicht 
auf die Scene, Herr v. Hülfen in Berlin hatte ganz richtig ge— 
jagt: Die Journaliſten machen mir fo ſchon Aerger genug, ich werd’ 
ſie doch nicht gar noch anfällig machen auf dem Hoftheater! — und 
hatte das Stück abgewiejen, rundweg, bafta! Ein zweites Theater, 


256 Das Burgtheater. 


die Friedrich-Wilhelmsſtadt, hatte es dann gegeben, und mit fo 
durchſchlagendem und danerndem Glüde, daß der Intendant des 
Hoftheaters — freilich erft nach einer Neihe von Jahren — eins 
jichtig erklärt hat, er fer im Irrthum gemwejen und wolle num den 
Irrthum ausgleichen. Auch jo ſpät hat er noch die beiten Früchte 
geerntet von der Aufführung des Stückes. 

Wir fchienen im Burgtheater auf denjelben Weg des langen 
Wartens gewiejen zu werden. Weil Wien jo lange abgejperrt ge 
wejen von der Freiheit öffentliher Stimmen, hat es eine noch 
tiefere Scheu als irgend eine andere Stadt bewahrt vor dem lauten 
Weſen ver Sonrnaliftif, und das freilich oft üble Handwerk der ano— 
nymen Schreier, Ziicher, Nager und Verleumder ijt dem Wiener 
nur zu leicht gleichbedeutend geworden mit dem Begriffe eines Sour: 
naliften. Dies Handwerk ift ja doch nur ein Bodenjat des Standes. 
Ner möchte es unterlaffen, vor ihm zu warnen, ihn zu befämpfen ! 
Aber ver höhere Journaliſt hat eine edle Aufgabe. Je edler und 
tüchtiger jie gelöft wird, deſto vorfichtiger umd anerfennender wird 
man auch in Wien untericheiden lernen zwiichen ven Marodeuren 
und den Feldherrn diejes Federfrieg-Standes. 

Solche Rangordnung verfuchte ih meinem Chef zu entwideln, 
am die Erlaubniß zur Aufführung des Stüdes zu erlangen. Er 
ichwieg. Das nächſtemal zog ich das gedruckte Manufeript aus ver 
Tasche und [ag eine Scene vor, in welcher „Schmock“ charakteriſirt 
wird, befanntlich nicht Schmeichelhaft für den Journaliſtenſtand — 
das half. Nicht gern, aber die Bewilligung wurde ertheilt. 

Fünfzehn Jahre find jeitvem vwerfloffen. Und nun vergleiche 
man unfere jegige Wiener Welt mit der damaligen: Niemand, aber 
Niemand vom älteren Perfonal am Theater ftimmte mir zu, daß 
dies Stüd ein gutes Stüd wäre und guten Erfolg haben könnte. 
Am Tage ver erjten Aufführung um die Mittagszeit begegnete ich 
einem ſolchen Mitglieve in Gegenwart meiner Behörde, Dies Mit- 
glied gehörte zu den literariich gebildeten und war in ftetem Verfehr 


Das Burgtheater. 237 


mit Schriftitellern, und dies Mitglied fagte im Beifein meiner Be— 
hörde: „Sie irren fich mit diefem Stüde, Herr Director! Dies 
Treiben und Reden der Journaliſten ift den Wienern völlig fremd 
und unbekannt; vergleichen goutiven fie alſo nicht, und Zeit wie 
Arbeit ift verloren — —“ 

Sch war in diefem Augenblicke wieder einmal eine vecht bevenf- 
fiche Figur in den Augen meiner Behörde, und wenn dies Mitglied 
am Abende Recht behielt, dann — nun dann war doch wohl diefen 
argen und geſchmackloſen Neuerungen endlich ein Riegel vorzufchieben. 

Ein altes Kirchenlied fingt: 

Der Tugend Weg ift anfangs fteil, 
Läßt nichts als Mühe bliden, 
Doc weiterhin führt ev zum Heil, 
Und endlich zum Entzü — — 

An jenem Abende wenigjtens gab’s für mich Entzücken. Mit 
dem erjten Acte ſchon war das Glück des Luftfpiels entjchieden, 
Dem Bublicum war Nichts darin „fremd und unbekannt‘, und e8 
verftand und „goutirte“ auch die feinften Nuancen; das Stüd 
wurde mit jubelndem Beifall aufgenommen. 

Jetzt wiſſen wir's Alle, daß „Die Journaliſten“ zum Bejten 
gehören, was unſere dramatiſche Literatur in den letzten Jahrzehnten 
gebracht — die beiden erſten Hoftheater aber waren außer Zweifel, 
daß ſolch Unweſen nicht zuläſſig wäre. Habe ich Unrecht mit meiner 
Beſorgniß über die Lebensfähigkeit des deutſchen Theaters? Ich 
möchte dafür einſtehen, daß „Die Journaliſten“, wenn fie heute im 
Meanuferipte anfümen, auch heute unter Achjelzuden abgewiefen 
würden von der Schwelle des Hofburgtbhenters. 


Laube, Burgihrater. 17 


xXX. 


Unter den halben Erfolgen des Jahres 1853 war eine Be— 
arbeitung des „Cymbelin“ von Shafefpeare, und die eines guten 
franzöfiichen Stüdes: „Lady Tartuffe“, von Frau v. Girardin. 
Dieje „Lady Tartuffe“ hatte faft noch weniger als einen halben 
Srfolg: fie wirkte unangenehm. Ihre Zeit wird ſchon kommen — 
tröjtete ich mich — und man wird eine Charafteriftif intereffant, ja 
wehlthuend finden, welche jett bitter ſchmeckt, weil das ſchmeckende 
Publicum allzu lange gewöhnt worden ift, in der Gemüthlichkeit 
allein alle Reize der Kunſt zu ſuchen. Und diefe Zeit iſt gefommen: 
„Lady Tartuffe“ ijt allmälig ein beliebtes Repertoireſtück geworden. 

Den „Cymbelin“ dagegen gab ich felber auf. Unter dem 
Titel „Imogena“ hatten wir diefe offenbar loſe Arbeit Shakeſpeare's 
gegeben. Frau Bayer hatte die Imogen jehr gut gejpielt, und die 
Knaben hatten rauſchenden Applaus gefunden. Dasjelbe Stüd 
alſo, welches etwa ein Jahrzehnt früher in einer Halm'ſchen Be— 
arbeitung Nichts gemacht hatte, war jeßt zu ziemlicher Wirfung ge— 
bracht worden. Aber die Wirkung war hohl. In Wahrheit hatte 
ich den lebhafteren Effect im Vergleich zu Halm nur durch eine 
vichtigere Befetung erzielt. Ich hatte die Knaben an Mädchen ge- 
geben, und dadurch wurde die naive Courage derjelben wirkſam. 
Bei der Halm’fchen Bearbeitung hatte man Männer dafür ges 
nommen und deßhalb gar feine Wirkung erreicht. Aber was be— 
deutete der Effect einer Scene, wenn das Ganze ohne Eindrud ver— 
bleibt? Und fo war es. Mean empfand, dag man eine willfürliche 


Das Burgtheater. 259 


Compoſition vor ſich hatte, welche fein tieferes und ftärferes In— 
terejje in Anspruch nehmen kann. Troß des beliebten Gastes wurde 
der Beſuch bald mittelmäßig, und ich hielt es für richtig, das Stüd 
mit dem Gajte verſchwinden zu laffen. 

Unter den neu fcenivten Stüden des Jahres war „Sappho“, 
„Egmont“, „Die Jungfrau von Orleans’, „Der Nibelungenhort‘, 
„Taſſo“, „Die Schuld”, „Das Urbild des Tartuffe“. Letzteres 
hatte ich neu beſetzt in den Nebenrollen, welche früher allzu ſchwache 
Darjteller gefunden, und fo wurde es auf lange hin neu belebt, 
Müllner’s „Schuld, eine naive Anfrage an das Publicun, be- 
fremdete und ließ falt. Ich konnte fie auch nicht eben glücklich be— 
ſetzen und will nicht darüber abjprechen, ob eine nochmalige, beijer 
ausgerüftete Anfrage nicht eine befjere Antwort finden fünnte. 

Zu guterletst hab’ ich aus dieſem Dreiundfünfzigersdahre noch 
eine Begegnung zu erzählen, welche für das Perfonale des Burg- 
theaters eine nicht unwichtige Folge hatte. — Ich ſaß zur Sommers 
zeit in Karlsbad in meinem Erferzimmer des „Polarſterns“, da trat 
eine junge Dame ein. Sie war fchlanf, hatte das Haar von der 
Couleur Cardoville Sue’jher Erfindung, hatte ein entfprechendes 
und fprechendes blaues Auge und ein jehr angenehmes Organ. Sie 
war Schaufpielerin und wollte für die Burg engagirt fein. — „Was 
jptelen Sie?” — „Luſtſpielfiguren, Soubretten.“ 

Ich bat fie, mir zu erzählen, was fie bis daher erlebt hätte, 
Bei folcher Erzählung hat man reichliche Gelegenheit, das Wefen der 
neuen Bekanntſchaft zu beobachten. 

Sie erzählte lebhaft, zuweilen mit haftiger Leidenſchaftlichkeit, 
und als fie auch in diefer Erzählung bis auf mein Zimmer im 
„Polarſtern“ gefommen war und die Pauſe der Entjcheidung ein— 
trat, jagte ich langfam: Ihr Vortrag, mein Fräulein, hat mich auf 
andere Gedanfen gebracht, als die Anfindigung ihres Faches er— 
warten ließ. So erzählt feine Yuftipielfigur, feine Soubrette! — 
„Wie das?” — Ich will jagen, daß Ste mannigfache Fähigkeiten 

17% 


260 Das Burgtheater. 


entwidelt haben, aber nicht gerade humoriſtiſche. Sie haben wor- 
zugsweife einen ungemein rührenden Ton angejchlagen, welcher auf 
Schaufpiel und Tragödie hinweift. Haben Sie nicht Neigung zum 
Tragiihen? — „O ja!” — Das follten Sie verfuchen. Gretchen 
jollten Sie ſpielen. Haben Sie dazu feine Gelegenheit? — „DO ja. 
Ich habe einen Engagements-Antrag nach Hamburg.” — Nehmen 
Sie ihn an und trachten Sie tragische Rollen, namentlich Gretchen, 
zu jpielen. Ueber's Jahr werd’ ich nach Hamburg fommen, und 
wenn ſich meine Bormeinung bejtätigt, jo werde ich Sie engagiren. 

Dies ereignete fich im Sommer 1853; im Verlaufe des Jahres 
1854 werde ich won diefer Reiſe nach Hamburg, welche ich einhielt, 
zu jprechen haben. 

In Wien begannen wir dies Jahr 1854 mit einem Stüde von 
Friedrich Hebbel. Es war ein Act der Selbjtverleugnung und ver 
Billigfeit, welchen ich mir auferlegte, indem ich ein Stüd von Hebbel 
in Scene fette. Ich habe werer damals noch früher oder jpäter 
Hebbel für einen Theaterdichter gehalten. Aber in Wien erhoben 
jih Stimmen, welche vorwerfend über mich jagten: Du ſuchſt nach 
allen Seiten um Vermehrung der gedichteten Dramen für die Bühne, 
dur experimentirjt alle Jahre mit Shafefpeare, warum den lebenden 
Dichter ausjchliegen, der mit „Maria Magdalena” und „Judith“ 
jein Anvecht auf die Bühne dargethan ?! 

Das war ja berechtigt. Nichts ſtand im Wege, als mein tiefes 
Mißtrauen in Hebbel’s Theaterwirkſamkeit. Konnte das nicht ein 
Irrthum fein? Als Theater-Director muß man der Belehrung zu— 
gänglich bleiben, wie ein Minijter. 

Ich kannte Hebbel ſchon feit Anfang der Dreifiger Jahre. 
Damals Shon, als ich die Zeitung für die elegante Welt redigirte 
und in vem Sinne des jogenannten ‚jungen Deutſchland“ Schrift: 
jtellev anzog oder herbeizog, hatte er mir von Heidelberg aus ein 
Gedicht eingefendet, Ich war ferner dabei, als mit feiner „Maria 
Magdalena‘ ein erſter Verſuch der Aufführung gemacht wurde. 


Das Burgtheater. 261 


Dies gejchah im Yeipzig und ift miv unvergeflich geblieben, weil es 
mir maßgebend wurde für die Charafteriftif des Dichters, infofern 
er auf der Scene erfcheint. Ich halte dies bürgerliche Schaufpiel 
von ihm für feine bejte dramatiſche Arbeit. Es hat wahres Leben, 
und im feiner einfachen Form fommt es von all feinen Stücen dem 
Bühnengeſetze am nächiten. Dies fand ich bejtätigt, als die Auf- 
führung an uns, die wir ein feines Publicum waren, vorüberging. 
Aber unauslöfchlich fam ein anderer Eindruc über mich in jener Bor: 
jtellung, der Eindruck vernichtender Traurigkeit. Als der Vorhang 
zum letztenmale gefallen war, herrjchte in dem Fleinen Zufchauerfreife 
helfe Verzweiflung. Wir gingen von dannen wie won einer Hin- 
richtung. Iſt dies der Zweck dramatiſcher Kunft? Iſt dies ein Ziel 
der Bühne? Und war dies Miftönen zufällig in dies Cine Werk 
des Dichters gedrungen, oder gehörte es zu feinem Wefen ? 

Wir waren aber Parteigänger für poetifche Neuerung und 
trieben den leidenden Director dahin, daß er eine Wiederholung des 
Stüdes anjette. Das Yeipziger Publicum beftand damals aus der 
Elite der Stadt, hörte jehr aufmerffam und war fehr eingenommen 
für höheres Schaufpiel. Es wird gehört haben, fagten wir, von 
diefem beſonderen Stücde, es wird zahlreich kommen. 

Der Director aber behielt Recht zum Schaden feiner Caſſe. 
Nie hab’ ich ein jo leeres Haus gejehen; e8 fchien geradezu gar fein 
Zufchauer vorhanden zu fein. Mein Nachbar fagte: Mean kann mit 
Bogeljchrot in ven Saal ſchießen, wie breit ver auch umherftreuen 
mag, man trifft feinen Menſchen. Namentlich war nicht Ein Frauen 
zimmer vorhanden, Der Fall ift noch gar nicht dagewejen! ſtöhnte 
der Director. So abichredend hatte das Stück gewirkt. 

In Wien war Hebbel während ver ftürmifchen Jahre 1848 
und 1849 auf das Burgtheater gefommen, und zwar mit zahlrei- 
cheren Stüden als irgend ein Dichter. Diefelbe „Maria Magda- 
lena“ war gegeben worden und „Judith“ und „Herodes und Ma- 
riamme‘ und „Der Rubin’, die leiten beiden mit entſchiedenem 


262 Das Burgtheater. 


Mißerfolge. Die meiften VBorftellungen hatte „Judith“ erlebt. Ich 
jette fie aljo ebenfalls im erſten Jahre meiner Divection aufs Re— 
pertoire. Wir fpielten fie aber in der beften Theaterzeit — November 
— vor Shwachen Haufe. Ich gab fie deßhalb nicht auf und wieder: 
holte fie ſechs Jahre lang, fast immer mit geringem Ergebniß. Meine 
Behörde ſchalt mich deßhalb, und ich mußte fie aufgeben. Dei gün- 
jtiger Gelegenheit 1859 im December nahm ich fie nochmals auf, 
um dem Dichter gerecht zu werden; aber das Haus füllte fich auch 
da nicht hinlänglich. Eben weil ich ihm fonjt nichts Sreundliches 
anthun konnte, hielt ich an einem Stüde feſt, welches doch ein ge— 
wiſſes Bürgerrecht erlangt hatte und welches mit zwet guten Kräften 
für Judith und Holofernes haltbar zu machen ſei — wenn auch nicht 
als ein richtiges Theaterſtück, aber doch als eine originelle Theater: 
ſkizze. Mean hatte bei der erſten Infcenefegung zu viel Unnüßes 
und Folgenlofes darin gelaffen ; ich redigivte mirs zu dieſem Zwecke 
neun und wollte e8 in dieſem Winter mit Fräulein Wolter neu in 
Scene jeten. 

„Maria Magvalena‘’ fand ich ſchon abgejett vom Nepertoire, 
als ich eintrat, denn meine Behörde war von entjchlofjeniter Feind- 
jeligfeit gegen dies Stüd. Sie hätte eher das politiſch mißliebigjte 
Stück erlaubt, als dieſen „Gräuel“, jo tief war ver „Abſcheu“ vor 
demjelben, wie mein Chef ſich ausdrückte. — Da dies eine äfthetiiche 
Beventung hatte, wie ich aus Leipzig jehr wohl wußte, jo fand ich 
in mir felbft feine Veranlaſſung, gegen eine uneinnehmbare Feſtung 
zu ſtürmen. 

So war mein Berhältnig als Theater-Director zu dieſem 
Dichter. Ich fand ihn vom Burgtheater beachteter als von irgend 
einer Bühne, und fand ihn unter einem Theile des Wiener Publi— 
cums gefeierter, als dies irgendwo außerhalb Dejterreichs der Fall 
war. Er hatte in Wien fein Hauptquartier gefunden. Dranken — 
wieman in Wien jagt — war er befannt als eine etwas grelle Dichter: 
fraft von geiftvollem Radicalismus, bei veffen Namen man Grabbe's 


Das Burgtheater. 263 


Namen mitzunennen pflegte. Die Literaten nahmen aufmerffam, 
meiſt polemifch Notiz von ihm, aber in den weiteren Kreifen der 
Nation war er wenig befannt, weil ihm die Anziehungsfräfte für 
das große Publicum fehlen. Gr hatte und hat in Wien eine 
rejpectable Gemeinde, vorzugsweife unter der jtudirenden Ju— 
gend; er hatte und hat unter dem Theater-Publicum wenig Ans 
hänger, und viefe wenigen zeigten immer mehr Reſpect als Theil- 
nahme. 


Mir war von jeinen dramatifchen Arbeiten „Genovefa“ im 
Sinne geblieben als poetifch interejfant. Diefe wollte ich in Scene 
jegen, Nicht in Hoffnung auf volles Gelingen, aber als entjcheiden- 
den Verſuch, ob feine Dichtung auf dem Theater bejtehen Fünnte. 

Unter dem Titel „Genovefa“ war die Erlaubniß unerreichbar, 
denn die heilige Genovefa durfte nicht aufs Theater gebracht werden. 
Ich Fam alfo mit Hebbel überein, die Titelheloin Magellone zu 
nennen, und als „Magellona“ erichien das Stüd. 


Nun, dieſe erite Infcenefegung eines Hebbel'ſchen Stüdes wurde 
für mich eine aufflävende Offenbarung über feine Schöpfungsart. 
Ich erfannte zum eritenmale deutlich, daß feine Stüde aus einem 
tiefen Grunde der Scene fremd find, daß Hebdel — wie ich neulich 
von Gervinus gefagt — gar feine plaftiiche Phantaſie befitt, daß 
er beim Empfangen und Niederfchreiben feiner Stücde ven Vorgang 
in dieſen Stüden gar nicht geſehen hat in feiner Einbildungstraft. 
Es ijt aber unerläßlich, daß der dramatiſche Dichter jeine Vorgänge 
im Geifte ſieht, ſonſt werden fie eben niht Schaufpiele. Hebbel’s 
Stüde find zufammengedacht, fie find von einem begabten, dich- 
tenden Denfer nievergefchrieben, nicht aber von einem Dichter, 
der ein Künjtler ift. 

Das war eine Pein, als ich das Stüd vor der erjten Probe 
(a8, zum erftenmale daraufhin las, daß es als die Gejtalt an mir 
vorüberjchreite, welche ich ihm auf der Scene geben wollte! Das 


264 Das Burgtheater. 


war eine Bein! Es entitand feine Geftalt; die einzelnen Theile 
brödelten aus einander; unficher wie nie ging ich an die Auf- 
gabe. 

Dei der Vorftellung des Abends wurde mir das Alles fonnen- 
klar. Geiſt, Geift, aber feine Gejtalt! Darum nehmen fich die 
Sachen jo unvollftändig aus auf der Scene: ſie find gar nicht für 
die Scene entjtanden. Das ihm wohlwollende Publicum geht be— 
reitwillig an die geijtigen Strahlen und weiß fich nicht zu erklären, 
warum fein Antheil fo vettungslos ermattet. Warum? Die Kunst 
lebt nicht vom Geiſte allein, fie braucht einen wohlgefügten Körper 
zur Vergetjtigung. 

Das Stück erhielt fih denn nicht, und was ſchlimmer: ich war 
für immer abgeſchreckt von diefem dramatifchen Dichter, weil ich zu 
gut wußte, daß ohne plaftische Phantafie fein Dichter der Erde auf 
der Scene bejteht. 

Hebbel tft viel günftiger zu beurtheilen, wenn man ihn nicht 
in Beziehung fett zur Bühne, für welche ihm eben eine Haupt: 
eigenichaft fehlt — die Anfchanlichteit. Gr iſt ein dichtender Denker, 
welcher — vielleicht nicht ohne forceirten Eigenfinn — durchaus auf 
Eigenheit bedacht ift. in dichtender Denker, nicht aber ein den— 
fender Dichter, Ein folcher war Schiller. Und deßhalb wird 
Hebbel's Werth fofort beeinträchtigt, wenn man mit der Frage um 
Künftlerwerth an ihn tritt. In diefer Frage wird ftets zur Sprache 
fommen, daß er von der Schönheit nur mitunter vereinzelte Strahlen 
gefunden, daß er aber im Ganzen von der Schönheit verlaſſen war. 
Es wird zur Sprache fommen, daß er an die jatyrifche Devife ver 
franzöfifchen Nomantifer gemahnt: „Das Schöne ift das Häßliche“, 
und daß man den letten und höchiten Zwed der Poeſie vergeblich 
in ihm fucht: das Wohlthuende, das Verföhnende, das Tröftende, 
das Erhebende, 

Er ift für die Anregung da. Mag der Gegner auch jagen: 
die Unverfhämtheit des Geiftes iſt ziemlich wohlfeil! Solche Ab» 


Das Burgtheater. 269 


fertigung ift ungerecht. Der rüdjichtslos Trachtenden giebt es wohl 
immer genug, aber der rücjichtslos Trachtenden, welche gleichzeitig 
jtarfe Fähinfeiten haben, wie Hebbel fie hatte, deren giebt e$ immer 
nur Wenige, und die Wenigen find aufmerffa zu beachten, denn jie 
find — Entdecker. 

Der lange Aufenthalt in der Hauptjtadt des deutſchen Südens, 
two die fünftlerifche Anlage ebenjo vorherrichend ift, wie im deutſchen 
Norden die VBerjtandesanlage vorherrfcht, hat übrigens fichtbar ein- 
gewirkt auf Hebbel. Was er in Wien gejchrieben, ift um einen 
jtarfen Grad milder und ftrebt nach einer höheren Form, Nament- 
lich fein kleines Epos, und felbjt die dramatifchen Arbeiten: „Die 
Nibelungen‘ und der nicht ganz vollendete „Demetrius“, tragen 
eine weichere Signatur. Den eigentlichen dramatiſchen Gang eines 
Theaterſtückes finden fie freilich auch nur in kleinen Partien, „Die 
Nibelungen‘ befreien jich nicht hinreichend von der Grundlage einer 
Erzählung, und der Mißgriff des zweiten Actes, die unverſtändliche 
Epiſode aus der „Edda“, beweiit eben doch wieder, daß er feine 
Scenen gar nicht vor Augen hatte und fich nicht felbjt Publicum 
war, was ein dramatiſcher Dichter fein muß. Welch ein Publicum 
fann dies Sagengemifch verjtehen! Und wie fann Unverftandenes 
auf der Scene wirken! Simrod, Wadernagel, Pfeiffer und folche 
Führer der altdeutſchen Forſchung find ja das allein pafjende Pu— 
blicum für Brunhildens Geburtswehen. Dagegen fam ihm für 
den „Nibelungen“Stoff feine Ausdrucksweiſe in förnigen, unbe: 
leckten Worten zu jtatten, und fein ruckweiſes Vorgehen in der Hand— 
lung befremdet weniger unter Reden, welche lange und dröhnende 
Schritte machen. 

Hebbel war troß Alledem viel verjatiler, das heißt viel geneigter 
zu unerwarteten Wendungen, als ınan feinen Schriften anfehen mag. 
Die Felsblöde, welche er mit Bedacht hinfchrieb, waren nicht gar 
jo hart, wenn man mit ihm fprach ; er war im Gegentheile oft über— 
raſchend bereit, auf das einzugehen, was ihm nach jeinen Schriften 


266 Das Burgtheater. 


ganz fremd jein jollte, und Notizen anzunehmen, welche weit ab— 
führten von feinen vorgefaßten Meinungen. Das war bejonders 
der Fall in dramatifcher und theatralifcher Kunft, welcher er in 
jeinen letzten Jahren mehr zuftrebte als früher, und ich habe ihn bei 
der Inſceneſetzung jeiner Stücde allen Rathſchlägen zugänglich ge- 
funden. Co weit es jein ftarfes Selbftgefühl zuließ, hatte er all 
mälig dem Gedanfen Raum gegeben, die Kunſt der Scene fei etwas 
Eigenthümliches, dejjen er jich in noch höherem Grade bemächtigen 
fünne, 

Um jo beflagenswerther war jein worzeitiges Abjcheiden von 
diefer Welt, die ihm noch viel zu bieten hatte. Ich eh’ ihn noch 
eines windigen Tages auf dem Glacis vor dem Schottenthore, wie 
er eilig daherfam in feinem wiegenden, halb fallenden Gange, und 
mit der fchwanfenden Neigung des Kopfes und der Arme gleichjam 
ruderte. Ich wußte Nichts von feinem Krankjein und wollte nur 
porübergehend fragen: Wie geht's? Er aber blieb troß des Windes 
jtehen und machte mit feinem beilblonden Haupte, mit dem weiß- 
rothen Angefichte und mit den großen himmelblauen Augen die ihm 
eigene Einleitung durch Neigen und Wimperftarren, welche ein 
Ichweres Wort anzufündigen pflegte. Dies Wort lautete: er werde 
von Schmerzen geplagt und fonme aus dem Dampfbade. Aber 
feinem Naturell gemäß, welches Muth und Unerfhrodenheit grund— 
jätlich auf den Hut ſteckte, jeßte er hinzu: Wir werden den wider- 
jpenjtigen Leib zur Raiſon bringen ! 

Das gelang leider nicht; ich hatte ihn zum legten Male ge- 
ſehen. Derjelbe Deann, welcher zeitlebens eine ftarffnochige Natur 
darzuftellen bemüht war, mußte an der ungewöhnlichen, überaus 
ſchmerzhaften Krankheit der Knochenerweichung in den Tod 
finfen. — 

— Um nicht fo traurig zu Schließen, will ich der Zeit vorgreifen 
und gegen meine obige Bemerkung jett ſchon nach Hamburg reifen, 
um jene junge Dame von Karlsbad tragijch ſpielen zu jehen. Sie 


Das Burgtheater. 267 


jpielte wirflich das Gretchen und fpielte e8 vwortrefflih. Die Dia- 
gnoſe aus dem „Polarſtern“ war glüdlich eingetroffen und das 
Gretchen kam an’s Burgtheater noch im Laufe des VBierundfünfziger- 
Sahres. Die Wiener haben lange errathen, daß es Fräulein See— 
bach war. Sie mögen nun weiter rathen, welches junge, jchlanfe 
Mädchen ich damals in Hamburg außer Fräulein Seebach jah und 
vom Alfterbaifin an die Donau entführte ? 


rn: 


Auf die „Magellone“ hatten wir das Bedürfniß, einfache, 
verjtändliche, zum Herzen dringende Worte von der Bühne zu hören. 
Wir gingen an die Frage, ob Schilfev’s „Lied von der Glocke“ nicht 
darjtellbar wäre? Es war dies ſchon mehrmals probirt worden, 
jogar von Goethe jelbft in Weimar; aber e8 war noch nirgends ge- 
lungen. Dan hatte immer zu viel gethan, indem man zu viel 
Sprecher herausgehoben hatte. Dadurch war die Mifchform als 
lolche in Kraft geblieben, und der dramatiſche Ductus, welcher für 
die Bühne nothwendig, war nicht zum Vorfchein gefommen. Viel 
leicht war er doch möglich, wenn der Glockengießer alleiniger dra- 
matifcher Führer, der Held des Ganzen würde? Seine Frau foll 
nur an wenigen Punkten mitiprechen, und feine Familie joll fichtbar 
werden: ein Sohn, eine Tochter, Mägde und Gejellen. So wird 
die Familie der Mitteipunft, aus welchem das Gedicht erwächlt, 
und der thatfächliche Glockenguß jtellt fich als dramatiiche Handlung 
dar mit allen jpannenden Hinderniffen und Beſorgniſſen. So 
könnte man eine theatraliiche Einheit gewinnen, und wenn im Hin- 
tergrumde der Werkſtatt bilvliche Scenen erfchienen aus dem Inhalte 
des Vortrags, jo wäre ein märchenhafter Reiz für jede Gattung des 
Publicums erobert. Mufikbegleitung dazu, wie jie Lindpaintner gez 
geben — follte das nicht einen inhaltsreichen theatralifchen Act ges 
währen? Wir verfuchten es in folcher Geftalt und haben wirklich 
einen dauernden Nepertoive-Act gewonnen. 


Das Burgtheater. 269 


Bierzehn Tage darauf wagte ich einen Verfuch in viel größerem 
Maßſtabe, nämlich den: das dritte römische Stüd Shakeſpeare's, 
„Antonius und Kleopatra‘‘, auf unfere Scene zu bringen, Sch 
wüßte nicht, daß diefer Verſuch Thon auf irgend einem deutjchen 
Theater gemacht worden wäre; gelungen ift erjedenfalls nicht, denn 
das Stück ift dem deutjchen Nepertoive fremd geblieben, Mühſam 
und forgjam hatte ich die Einrichtung des Buches vorbereitet für 
ein Gajftjpiel der Frau Bayer, Eine fo ſchöne Kraft kam alfo zu 
Hilfe für die Rolle der Kleopatra, und ich hatte ein Publicum zu 
erwarten, welches fchon einigermaßen geübt war für Auffaffung der 
Shafejpeare’fchen großen Schritte, und welches immer noch mit 
einiger Theilnahme diefen befremdlichen Injcenefeßungen folgte. 

Sp folgte es auch diesmal. Eine Scene der Kleopatra, in 
welcher ſich ihr launiicher Charakter ganz enthüllte und in welcher 
Frau Bayer ihr ganzes Talent entwicelte, gewann jubelnde Zu— 
jtimmung. 

Das Ganze aber errang nur einen Achtungserfolg. Die zer: 
jtreute Scenenreihe des Stüdes war wohl jo zufammengefchoben, 
daß zur Noth ver Zufammenhang eines Theaterjtücdes entitand. 
Aber nur zur Noth. Es fehlte doch zu fehr die Einheit im Gange, 
die gejchloffene Kraft einer voll einhergehenden Fabel. Der Befuch 
lieferte eine unabweisliche Kritik; er verringerte fich von Vorftellung 
zu Vorjtellung, und bei der vierten war er recht Schwach. 

Ich war nicht Jo raſch entjchloffen, wie beim „Cymbelin“, auf 
die Wiederaufnahme ohne den Gaft zu verzichten, denn der Neich- 
thum gejchichtlicher Bilder und eigenthümlicher Scenen iſt ja hier 
von viel größerer Bedeutung als dort; aber bei reiflicher Ueber- 
legung mußte ich das Stüd doch aufgeben. Ye länger ich das 
Theater und die Urjachen feiner Wirkung beobachtete, defto klarer 
wurde e8 mir: ohne zwingende Einheit im Gange der Handlung 
fejjfelt man fein Publicum, man mag noch fo viel Reize aufbieten 
im Inhalte ver Worte, ja im Zauber einzelner Scenen, Das 


270 Das Burgtheater. 


Publicum will und fann einen gefchlojjenen Schritt und Fortjchritt 
der Action nicht entbehren. 

Hat doch der „Sommernachtstraum‘‘, welchen wir in dem— 
jelben Jahre brachten, nie den vollen Zug eines beliebten Theater: 
jtückes erreicht! Das Burgtheater hat fein Publicum daran ge- 
wöhnt, nur das geiprochene Schaufpiel im der ganzen Strenge feiner 
Form zu würdigen und zu lieben, Es verfchmäht innerlichit alle 
die Mifchformen, welche an den Hoftheatern mit Opernmitteln gang 
und gäbe geworden find; es hat in dieſem Betrachte einen purita- 
nischen Gefchmad. 

Wahrlich, nicht zum Nachtheile der dramatifchen Kunft, nicht 
zum Nachtheile ver Schaufpielfunft! Dies Vermiſchen der Gat- 
tungen, dies Ueberladen mit Neizmitteln werfchievenartiger Künfte 
bat ven deutschen Theatern feine gefunden Früchte getragen. Es iſt 
dadurch ein Rococo entjtanden, welches mehr dem überreizten Ge- 
ſchmacke nach Abfonderlichem und Unzufammenhängendem dient, als 
dem reinen Geſchmacke der einfachen Kunſtgeſetze. Diefe einfachen 
Kunſtgeſetze aufrechtzuerhalten ift die Yebensbedingung eines eriten 
Theaters, eines maßgebenden Schaufpiels. Ihre Kraft ijt unaus- 
löſchlich. Man braucht nur zuweilen einen Blick zu werfen auf die 
Grundzüge der Aejthetif, wie jie Ariftoteles vor zwei Jahrtauſenden 
furz und bündig entworfen: dann wird man immer wieder von Ehr— 
furcht erfüllt vor dieſen Gefeßestafeln ſchöner Kunft. Sie meſſen 
heute noch ganz richtig die neuen Trauerfpiele und Luftjpiele, und 
fie verurtheilen unbarmherzig alldie verführerifchen Mifchgattungen, 
welche durch Hof-Intendanzen eingejchmuggelt worden find in bie 
Schaufpielhäufer. 

Was hat man Alles ins Treffen geführt, um diefe Mifchgat- 
tungen zu wertheidigen und zu empfehlen! Auch die Fahne ver Ge- 
lehrſamkeit ift aufgehißt worden für griechifches Theater mit „An— 
tigone’” und „König Oedipus“. Aber auch fie entjchuldigt nicht 
den Verderb einfacher Kunft. Antiquarifches Lehren ijt doch wahr: 


Das Burgtheater. 271 


haftig nicht Aufgabe des Theaters, it nicht Aufgabe einer Kunft, 
welche dem klaren Zwede einer lebensvollen Erhebung oder Erz 
heiterung nachzujtveben hat. Und Muſik muß am Ende doch immer 
die Unkoſten tragen, daß die Gelehrfamfeit nicht langweile, 

AL ſolche Mifchgattungen mögen am Orte fein in Opern: 
theatern; im Schaufpielfanle, der die bejcheivene Kunjt des ge— 
Iprochenen Wortes pflegt, find fie es nicht. Da verwirren fie den 
Mapitab und ven Anſpruch, und unfer echtes Burgtheater-Publicum 
it ganz im Rechte mit feinem puritanifch ungünftigen Vorur— 
theil. 

Dies Moment alfo ſchon trat der vollen Hingebung an ven 
„Sommernachtstraum‘ in ven Weg. Der größere Theil unferes 
Publicums jchätt und liebt Mendelsſohn's Mufif außerordentlich, 
aber er will jie im Concertſaale hören, er will fie nicht als Reiz— 
mittel eines Schaufpiels haben. Das Schaufpiel joll allein, joll 
jelbjtitändig wirken. Mean nimmt eine gelegentliche Erhöhung des 
Schaufpiel-Effectes durch vereinzelten Zutritt einer furzen mufifa- 
lichen Begleitung allenfalls hin; aber auch diefer Zutritt muß 
jelten jein, muß jparfam fein. Die Uebermacht der Mufif im 
Schauſpielſaale weiſt man zurüd, man will feine Mifch-Ehe. 

Man empfindet ferner im „Sommernachtstraum“, daß die 
Gegenſätze zwifchen duftiger Elfenwelt und grob poſſenhaftem Clown— 
wejen etwas zu grell find für den Schaufpielgefchmad heutiger Zeit. 
Man empfindet das, wenn auch leife. Man macht daraus nicht 
einen vollen Tadel, aber indem man jagt: dieſe Kontrajte ent- 
Iprechen wohl mehr einem Gefchmade des jiebzehnten Sahrhunderts 
— ſchwächt man fich die unbefangene Theilnahme. 

Endlich findet man die zwei ſich freuzenden Yiebespaare recht 
infipid — will höflich fagen „unerſprießlich“, will gröblich jagen 
„langweilig. Diejen Yiebespaaren hab’ ich denn auch bei jeder 
Borjtellung immer wieder einen Korb voll Worte abnehmen müffen, 
und für jeden folchen Raub waren die Schaufpieler dankbar, 


272 Das Burgtheater. 


Unter folchen Bejchränfungen nur bejtand dies originelle 
Märchenſtück allmälig die Feuerprobe der Dauer, und es darf von 
Zeit zu Zeit, das heißt in längeren Zwilchenräumen, gern geſehen 
wiederfehren. Das pvrollige Feine Elfenthum und die typiſche 
Komik ver Handwerker haben fich nach und nach Bürgerrecht er- 
worben. Leider! wiederum leiver! ift der Matador diefer Typen, 
iſt Zettel dahin! Zettel war eine der glüclichiten Nollen Beck— 
man's. 

Neu famen in diefem Jahre 1854 noch Mofenthal’s „Sonn— 
wendhof“, das „Luſtſpiel“ von Benedix, der „Hechter von Ravenna‘, 
lauter erfolgreiche Aufführungen. 

Men einftudirt wurden, „Glas Waller”, „Don Guttiere‘, 
„Iphigenie“, „Zell, „Clavigo“ — — 

„Clavigo“ erinnert mich denn an die Einführung der tragiichen 
Liebhaberin, welche ich im Letzten Artifel eingeleitet habe, an die fo 
einleuchtende, eindrucksvolle Darjtellerin der Marie Beaumarchais, 
an Marie Seebad. Sie ipielte diefe Nolle in überzeugender Art, 
Auch ihre Mängel wurden hier Vorzüge, Jeder Ton, jeve Fiber 

in ihr gab das unglücliche, weil ſchwindſüchtige franzöſiſche Mäd— 
chen wieder. 

Marie Seebach fam alfo im Frühjahre 1854 nah Wien und 
gaftirte als Jane Eyre, Mathilde, Adrienne Lecouwreur und Gret— 
chen. Sie wurde fehr beifällig aufgenommen; ihr Gretchen machte 
Furore. 

Man jagte fih: Endlich ver Ton einer tragijchen Liebhaberin, 
der jchmerzlich ſüße Nachtigallenton ! Darüber einigte fich fofort die 
allgemeine Stimme. Sie ift wohl nicht ſchön genug für eine erjte 
Liebhaberin — fagten Einige, gleichfam entjchuldigend — ünd die 
Hände find nicht angenehm und die Bewegungen oft zu jäh! — Aber 
man fagte das nicht Scharf; es follte nur ein Beitrag zur Charak— 
teriftif fein, und die Entgegnung war auch fogleich da, und jie lautete: 
Dies ift ja fo vortheilhaft an ihr, daß der ganze Körper erfichtlich 


Das Burgtheater. 273 


theilnimmt an allen Bewegungen der Seele und daß man an ihrem 
Rüden entlang jogar die tragifche Erfehütterung vibriven ſieht. — 


Kurz, man meinte endlich eine echt tragijche Yiebhaberin ge— 
funden zu haben, und ihr Engagement wurde nahezu einjtimmig 
willfommen geheigen. 


Ehe fie bei uns eintrat ins eigentliche Engagement, fand fie 
venjelben Sommer noch Gelegenheit, ven Wiener Beifall bejtätigt 
zu fehen von einem mannigfachen deutjchen Publicum, In München 
nämlich fand das jogenannte Muftergaftipiel jtatt, welches zahlreiche 
Beſucher aus allen Städten anzog, und da jpielte ihr Gretchen 
wieder eine Hauptrolle, im Grunde die Hauptrolle, 

Es war ein Zeitungswort, diefes Wort „Muftergaftipiel‘‘, eine 
gefällige Variante für „Monſtregaſtſpiel“. Denn das Enjemble 
von lauter Größen ift eben fein organijches Enfemble, jondern ein 
unvermitteltes Nebeneinander. Alſo fein Mufter, Geeigneter für 
Reclame, als für künſtleriſches Gedeihen. Schaufpieler, welche zum 
eritenmale zufammen fpielen, weil die Trompete fie zufammengerufen, 
find ſchon deßhalb nicht geeignet, ein richtiges Enſemble des Stüdes 
darzujtellen. Sie find nicht an einander gefügt, nicht an einander 
gewöhnt, nicht für das Ganze „abgetont“, wie ein Kunjtausprud 
jagt. Hart, anfpruchswoll, Jeder auf feinen Schein pochend, jtehen 
fie neben einander, und Jeder will fich befonders geltend machen, 
wenn auch auf Koſten des inneren Zufammenhanges, auf Kojten des 
Ganzen. Niemand will zweite und dritte Stelle jo einnehmen, wie 
jie eingenommen werden muß, damit der richtige Schatten entjteht 
für das Gemälde, Jever will Licht fein. 

Mit Einem Worte: ein gutes Enjemble läßt fich nicht impros 
viſiren. Jenes Gajtjpiel mit lauter Größen war interefjant für bie 
Menge, aber nicht eigentlich künſtleriſch, und für unfer jüngjtes Mit— 
alied, für Fräulein Seebad, war es ein Keim des Verderbens: die 
Idee des Virtuoſenthums wurde da in ihr gewedt. 


Laube, Burgtheater. 1 


nn 


274 Das Burgtheater. 


Ich bemerkte es bald, als fie nun in's Engagement eintrat. 
Der Kern eines guten Schaufpielers: im Ganzen eigen, aber für 
das Ganze hingebend zu wirken — diefer Kern war angenagt im ihr. 
Sie drängte unruhig auf auszeichnende Rollen, und nur folche, und 
Nichts entwicelte fich in ihr jo lebhaft wie eben die Unruhe und 
franfhafte Begier, ihr Capitalfehler, welcher in erſter Linie gebefjert 
werden mußte, wenn ihr zweifellojes Talent fich gedeihlich entwickeln 
follte. Denn diefe Unruhe und krankhafte Begier verjtörten bald 
auch ihre beften Yeiftungen und wurden in ihr die Topfeinde alles 
deſſen, was man Schönheit nennt im weiteren Sinne des Wortes. 

Ich fuchte und fand nun wohl zahlveiche Rollen für fie, und 
darunter auch jolche, in venen fie Treffliches leiftete, Die Des— 
demona in erjter Linie, die Agnes in Kleiſt's „Familie Schroffen- 
ſtein“. Aber dies Kleiſt'ſche Stück won genialer Charafterijtif mit 
gefuchter, unerquiclicher Handlung war nicht auf dem Repertoire 
zu erhalten, und „Othello“ kann man nicht oft wiederholen, wenig- 
jtens in Wien nicht. im neues Stück mit voller, neuer Kolle für 
jie und mit voller Wirfung des Ganzen fand fich nicht ein, und die 
Unruhe des Suchens für fie hörte alfo nicht auf, eine immerwährende 
Nahrung für ihr quedfilberartiges Oscilliven. Endlich war Etwas 
gefunden! Ein eigener Unftern aber ſtand über ihr — das Ge- 
fundene ging wieder verloren, 

Ich Hatte Shafefpeare's „König Johann“ eingerichtet für 
unfere Scene, ich hatte endlich die Cenſur überwunden troß der 
leichtfertigen Mutter des Faulconbridge und troß des „Legaten“; 
es fam zur Lejeprobe, und fie las den Arthur außerordentlich ſchön. 
Da war eine neue Rolle! Was begegnete ihr aber? Damaliger 
Zeit hatte meine Behörde die unglüdlihe Mafregel ausgeführt, 
jämmtlichen Sournalen die Freifarten zu entziehen. Sie gebrauchten 
Repreſſalien und bejprachen das Burgtheater gar nicht mehr. Dies 
nöthigte mich, mit der Aufführung des „König Johann‘ ein wenig 
zu zögern, weil er bei der augenbliclichen Mißſtimmung eine große 


Das Burgtheater. 275 


Gefahr lief. Bon jolcher neuen Shafefpeare-Borftellung hätten die 
Sournale die Aufführung nicht befprochen, aber das Stüc hätten fie 
erzählt. Und darin lag die Gefahr. Sie hätten es nicht evzählt 
nach unjerer Einrichtung, welche clerifale Klippen umſchiffte, fon- 
dern fie hätten ven blanfen Shafejpeare abgevdrudt. Wir lebten in 
der Zeit, welche am Horizonte fchon den Borfchatten des Concordates 
zeigte, die geiftliche Partei hätte aufgefchrieen über jenen blanfen 
Shafefpeare, den man im Burgtheater jo peroriren ließe, und 
„König Johann’ wäre verloren gewejen. Defhalb wartete ich. 
ALS aber die Feindfchaft der Journale nachließ und ich num hervor- 
treten wollte mit meinem Stüde, da war das Concordat nicht blos 
im Vorſchatten, ſondern in eigener perjönlicher Geftalt am Horizonte 
heraufgeftiegen und — die Infcenejegung des „König Johann‘ 
wurde unterjagt. 

Sp gabs denn auch feinen Arthur für Fräulein Seebad. 

Abgejehen von Alledem kann aber überhaupt nicht geleugnet 
werden, daß fie innerhalb ihres zweijährigen Engagements eher 
Rückſchritte als Fortſchritte machte in der Theilnahme des Publi- 
cums. Der Grund diejes Niederganges lag in ihrem inneriten 
Wejen. Sie war durch jenen Ruck ins tragiſche Fach, an welchen 
ich ſelbſt Theil hatte, in eine Region gerathen, für welche fie einige 
gute Eigenfchaften bejaß, für welche aber ihre innere Bildung nicht 
breit genug angelegt und entwicdelt war. Die Haft ihres Naturells, 
ſtets ein Widerſpruch für tragifche Ausführung, war nicht hinveichend 
gemäßigt durch ernſte Studien, Cs fehlte die Ruhe der Seele, 
welche bei aller Fähigkeit zur Leidenſchaft der tragischen Kunſt un: 
entbehrlich it. Denn aus diefer Ruhe quillt der Nachdrud, welcher 
das tragifche Gebilde mit gewiſſen Merkmalen der Ewigfeit ftempelt. 
Aus diefem Mangel entiprang die Klage jo vieler Zufchauer: die 
Seebach macht mich nervös! Sie jelbit eben hatte ihre Rolle nicht 
über den Nervenreiz erhoben zur ruhigen Schönheit, welche auch 
dem Tode eine fünjtleriiche Genugthuung verleiht. Hand in Hand 

18* 


J 


276 Das Burgtheater. 


mit diefen Fehler ging eine peinliche Vortragsmweife, welche auf den 
Zuhörer nieverfchlagend wirft. Sie „raunzte“, wie man in Wien 
jagt; im nördlichen Deutichland jagt man: fie „flennt“. Dieſer 
weinerlihe Ton hat ihr zahlreiche Freunde allmälig entzogen, und 
als fie jich denn des Gajtipielens immer bedürftiger zeigte und der 
aufzuhängenden Lorbeerfränze, als fie Gagenforderungen machte, 
welche über alle anderen Gagen weit hinausgingen, va gab man fich 
Rechenſchaft: ob fie denn überhaupt gehalten werden müſſe, ob fie 
außer ver Gretchen-Lage eine deutliche Zukunft veripreche? Und vie 
Rechenſchaft wurde mit einem Nein abgejchlofjen. 

Sp ging fie. Ich fürchtete: nicht in weiter auffteigende Yauf- 
bahn; und meine Furcht ift wohl begründet geween. 

Sie hat eigentlich ein jchmales Fach, und richtige Selbiter- 
fenntnig hätte ihr jagen müfjfen: Suche dich dauernd einzurichten 
da, wo du nur nach deinen beten Kräften beſteuert wirjt, wo du 
für dein etwas fahriges Wejen immer genügende Anhaltspunfte, 
immer eine aufmerffame und warnende Yeitung findeft — dann nur 
entwicdelft du dich als eine dauernde Specialfraft. Im Uebergreifen 
der Virtuojenhaft aber wirjt du deine eigentliche Kraft niederjagen. 

Ach, Selbiterfenntnig iſt für uns Alte ſchwer zu haben, für 
Schaufpieler doppelt ſchwer, denn jie müſſen in Slufionen leben, 
um zu leben. 

Alle die, welche aus dem Organisınus unjeres Theaters hinaus 
getrachtet wie aus einer Hemmung, jie find in die Irre gerathen 
und haben ſich — immer zu jpät! — eingejtehen müffen: künftlerifche 
Begrenzung ift fein Verluft, ſondern eine Sicherftellung des Ge- 
lingens. 

Die zweite Marie, das junge Mädchen, welches mit ihr von 
Hamburg kam, hat vecht im Gegenfate zu ihr den Weg der künſtle— 
riſchen Beſchränkung erwählt und dadurch eine glüdliche Yaufbahn 
gewonnen. Es war Marie Boßler. Als ich fie im Hamburger 
Thalia-Theater ſah, war fie ganz jung, jung und biegjam in ihrer 


Das Burgtheater. ne 


ichlanfen, hohen Gejtalt wie eine Gerte, jung und biegjam in ihrer 
Theaterfunit. Ein griehiih geformtes Haupt voll Anmuth und 
Adel, eine wohlthuende, noch etwas leife Stimme, Zurüdhaltung 
in den Bewegungen, Erröthen mitten im Spiele, als ob die Dinge 
aanz ernjtlich gemeint wären — recht ein Erziehungsopfer für den 
Theater-Pädagogen, der fich in mir ausbildete, 

Sie trat bei uns auf in der „Jolanthe“ des dänischen Dichters, 
für welche fie vecht wie ein Backfiſch ſchwärmte. Die ans Tragifche 
jtreifende Empfindung der Rolle war noch mehr Ahnung in ihr als 
Empfindung. Die jungen Mädchen pflegen gern tragifch angehauchte 
Rollen wie eine iveale Liebe und fommen fich gar zu gewöhnlich vor, 
wenn ſie im gemeinen Luſtſpiele vebutiven jollen. Man joll fie nicht 
jtören. Auch das Publicum jtörte die junge Debutantin nicht, jon- 
dern applaudirte freundlich. 

Wir ſahen aber bald, daß die beiten Eigenfchaften des jungen 
Mädchens im feineren Luſtſpiele zu verwerthen wären, und wiederum, 
recht im Gegenſatze zu jener tragifchen Marie, folgte fie ruhig allen 
Nollenverfuchen, bis ich den Mittelpunkt ihres Talentes erkannt 
hatte. Nirgends zeigte jie eine ſtark hervortretende Eigenfchaft wie 
Jene, aber Alles, was fie machte, erſchien harmonisch. Die Lieb— 
haberin, welche immer anmuthig, immer wohlthuend berührt, Die 
Liebhaberin des feinen Luſt- und Schaufpiels wuchs in ihr heran, 
die Yiebhaberin des Converfations-Stüdes, wie es im Burgtheater 
und nur da gepflegt wird, jo daß fie gerade hier all ihre angenehmen 
Fähigkeiten entfalten fonnte. Das ift venn auch geichehen. Eben— 
mäßig, ohne ivgend einen Auswuchs, jchritt ſie vorwärts und vor: 
wärts, jo in der Gunſt des Publicums wie in innerer Bedeutung, 
alfo auch in ihrer Kunft. Bis zur Königin im „Don Carlos”, vecht 
der Jolanthe eingedenk, erhob fie jih in allmälig erhöhter Kraft, 
und fie betrübte uns zum erjtenmale, als fie ſich durch die Yiebe aus 
dem Burgtheater entführen ließ in's glücliche Privatleben. 

Sie war es denn auch, welche mir das diplomatifche Mittel 


278 Das Burgtheater. 


bot, Freytag's „Graf Waldemar‘ für unfere Bühne zu erobern. 
Sol eine Gärtnerstochter fonnte ich meinem Chef als diejenige be- 
zeichnen, welche die Mesalliance des Grafen vor Jedermann ent- 
ſchuldigte. Ich fagte mit Ueberzeugung: „Excellenz, fie ift einfach, 
aber im Hintergrunde merkt man den Adel; man glaubt, daß jte 
eine verfleivete Komtefje fein könne“. — „Nun, es mag fein!’ hieß 
es endlich, und er lächelte fait. 


XXI. 


Sm Winter 1853 zu 1854 fiel ein Saatforn in die Theater- 
Erde, welches beinahe ein Jahr feimen und dann jehr umfänglich 
in Kraut und Unkraut jchiegen Sollte. 

Ich pflegte täglich des Abends ein neues Stüd zu lefen, weil 
die Gefchäfte am Tage feine Zeit dafür übrig ließen, der Haufe neu 
eingehender Stüde aber fo riefengroß war, daß die tägliche Abmin- 
derung um wenigftens Ein Stück gebieterifch erſchien. — Eines 
Abends nach langer VBorftellung im Theater war ich jehr fchläfrig, 
alfo ungeeignet für meine Aufgabe, Für folchen Fall gab es ein 
Ausfunftsmittel zur Beſchwichtigung tes Arbeitsgewiffens. Es ift 
nämlich ganz unglaublich, welche Sorte von Anfängerjtücden einge- 
fendet wird; es genügt ein Blick auf folch ein Schreibebuch, um Die 
Prüfung zu erledigen, das Manufeript in die Todtenfammer zu ver— 
weifen. Ein folches Manuſcript fehlte nie unter dem fogenannten 
„Einlauf“, undein folches wollte ich mir an jenem Abende erwählen. 
Ein hoher Stoß lag auf dem Tiſche. Ich warf ihn um, damit ich 
eine Anzahl Titel ſähe und danach wählen fünnte. Ein jchülerhaft 
geſchriebenes „Der Fehter von Ravenna“ fchaute mir entgegen, 
Du bifts! dachte ih. Die Handjchrift nicht undeutlich, aber 
ungebilvet. Berfonen ? — Kaifer Caligula! — Nichtig! Jugendwerk 
eines Gymnaſiaſten, denn die Jugend geht gerne in ferne Länder 
und Zeiten; deutjche und römische Kaiſer liegen ihr befonders am 
Herzen. 


280 Das Burgtheater. 


Das Stück wählte ich, um vafch fertig zu werden. Die erjte 
Scene ſchon ftörte mich in meiner Erwartung. Die Faſſung war 
gut und ich mußte weiter lefen. Nach dem erjten Acte war ich munter, 
und es war mir flar, daß es die Abjchrift eines ungebildeten Ab- 
jchreibers, die Arbeit aber eines gebildeten Autors ſei. Wie heißt 
er? Ich Ichlug zurück nach dem Titelblatte — fein Name. Ich las 
bis tief in die Nacht hinein alle fünf Acte; denn ein Theaterjtüc will 
in Einem Zuge gelejen fein. „Ein ganzes Stüd’, murmelte am 
Schluſſe die Stimme, welche bei mir immer ohne mein Zuthun 
Ipricht, wenn ich Etwas ausgelejen habe. 

Eigentlich war ich aber nicht aufgeregt von ver Yectüre; ich 
konnte schlafen. Ich hatte wohl den Eindruck eines formell fertigen 
Talentes empfangen, aber nicht den, daß ich ein Werf von tieferer 
Bedeutung gelefen hätte. So pflegt es zu gehen, wenn man nicht 
innerlich getroffen worden ift, wenn nicht die Wirfung der Wahrheit 
in uns eingedrungen ift. Diefe macht dem Gemüthe ganz anders zu 
ſchaffen. Nicht einen Augenblick Hatte mich der Mutterfchmerz Thus- 
neldens zu der Meinung befehrt, die arme Frau dürfe und müſſe 
ihren Sohn erjtechen, weil ex fein Deutjcher fein wolle. Nicht einen 
Augenblick! Das war berfömmlicher Gang des Theaterjtüdes, 
welches Trauerjpiel werden ſoll und zu dem Zwede eine ftarfe Kata: 
ſtrophe im letzten Acte braucht. Abftracte Uebereinkunft ver Schule, 
fein wahres Leben. Ich erinnere mich deutlich, daß ich es kaum für 
möglich hielt, vas Stück mit diefer graufamen Rataftrophe dem Pu— 
blicum glaublich und wirffam zu machen. Einen Abänderungs-Ge— 
danfen hatte ich dabei freilich nicht, denn das Stüc war fejt gefügt, 
alle Claſſen ver Schule waren ſauber und regelmäßig durchgeführt 
bis zur fchulmäßigen Ermordung. Da — fiel mir ein — bei der 
guten Führung bis zum Morde glaubts das Publicum am Ende im 
Theater auch, daß wir bier abjolut graufam fein müſſen; denn die 
jorgfültig ausgeführte Form ift im Theater eine große Macht — 

Sp denkend fchlief ich ein. Die Aufführung fonnte nicht nahe 


Das Burgtheater. 281 


bevoritehen, und deßhalb war ich wohl gleichgültige. Wir hatten 
feinen Caligula, Dawiſon war ausgejchieven. Uebrigens war die 
Beſetzung in einigen Hauptrollen angegeben, und dies mochte ſchuld 
jein, daß ich nicht jogleich oder doch wenigſtens nicht bejtimmt auf 
den Verfaſſer rieth. Die Bejetung verriet Unfunde: Joſeph 
Wagner war als Thumelicus bezeichnet. Kann das ein Autor wollen, 
der ſchon hat aufführen laſſen? Kaum. Im Interejfe des Stückes 
hielt ich diefe Beſetzung fir ganz falſch und fir einen gefährlichen 
Irrthum. Der tragijche Yiebhaber und Held, welchem man gewohnt 
iit, feine ganze Theilnahme zu jchenfen, der kann doch nicht hier die 
Kolle des Ermordeten jpielen, wo es ſich darum handelt, der Mör— 
derin Recht zu geben! Dann wird ja er unfere ganze Theilnahme 
finden und nicht die Mutter, Yetstere braucht aber unjere Theil: 
nahme dringend. Wenn Wagner als Thumelicus ermordet wird, 
jo find wir doppelt empört und verzeihen ver Mutter gar nicht. Ich 
hatte jofort an einen heldenmäßigen Naturburjchen gedacht, der fein 
großes Bündel von Bedeutung mit fich trägt, deſſen Ermordung 
alfo nicht gar fo tief angreift; ich hatte an den damals freilich noch 
wenig genannten Herrn Baumeiſter gedacht. Daß der Verfaſſer fo 
beſetzen konnte, (enfte mich ab von dem naheliegenden Gevdanfen an 
Friedrich Halm, und jo bejchäftigte mich Anfangs die Frage, wer 
diejer anonyme Autor fein möge, wenig oder gar nicht. 

Erjt ſpäter, als im Herbſte 1854 die Infcenefegung naherücte 
und ich das Stüd von Neuem las, erſt da wınde mir flar, daß 
Halm der Verfaſſer jein müßte. Er jelbjt verlautbarte nicht das 
Geringjte, und feine Umgebung, Frau Nettich an der Spite, leugnete 
mit Aufgebot großer Mittel, 

So fam die Aufführung am 18, October. Auffallend genug: 
vor leerem Haufe. Das Publicum hatte wie ich bei Galigula an 
einen Gymnaſiaſten gedacht. Es wurde jeder Act mit Beifall auf: 
genommen, und der Erfolg ging wie an der Schnur, Die gute Form 
that ihre ganze Schuldigfeit. Die Ermordung machte dem fleinen 


982 Das Burgtheater. 


Publicum, welches einmal im Zuge war, feine befondere Schwierig- 
feit; meine Sorge darum erjchien unnöthig. 

Nun ging das Stüd feinen glücklichen Weg; es machte nicht 
gerade große, aber es machte gute Häufer. Man vebattirte darüber 
pro und contra, wie das in Wien bei jedem neuen Stücke gejchieht ; 
aber man vebattirte kritiſch, reſpectvoll; einen eigentlich warmen 
Antheil hab’ ich nirgends wahrgenommen. Die Frage um den 
Verfaſſer trat gleich in den Vordergrund. Darüber wurde mehr 
geiprochen, als über das Stüd. Ich behauptete vor meiner Be— 
hörde, es müßte Halm fein, fand aber überlegen Lächelnden Un— 
glauben, denn Halın jelbjt habe fich hoc) und thener juft wor meiner 
Behörde verſchworen, daß er es nicht jei. — Trotz öfterer Aufführungen 
meldete jich der Verfaffer nicht; jeine Adreſſe blieb Dresven poste 
restante, ja ev forderte die Tantieme nicht ein beim Abjchluffe des 
Vierteljahres. Dieje ungewöhnliche Dichtergröße bejtürzte völlig. 

Da bracte die Allgemeine Zeitung plößlih die Bacherl- 
Anklage. Die Anlage des Stüdes fei Bacherl, einem bayeriſchen 
Schulmeifter, entwendet, lautete jie, und zwijchen den Zeilen war 
zu leſen: ich jei ver Dieb, denn Bacher! habe jein Stüd dem Burg- 
theater eingereicht, und da fei ihm der Stoff entwendet worden. 
Ich erinnerte mich gar nicht, daß je etwas Aehnliches eingejendet 
worden, hielt die Bejchuldigung für ganz nichtig und antwortete ges 
ringichäßig Darauf, indem ich erzählte, wie das Manufeript von 
Dresden aus an mich gelangt wäre. — Das war aber nur Del in’s 
Feuer. Bacherl's Verſe wurden abgedrudt und zeigten bei aller 
Sümmerlichfeit doch Anklänge an einzelne Worte im „Fechter“. Nun 
erhob fich in allen Zeitungen — außerhalb Defterreihs — Anwalt 
um Anwalt für die beraubte Unschuld; es war ein Charivari ohne- 
gleichen, welches mehr oder minder deutlich über mein Haupt los— 
brach. 

Nun wird doch — dachte ih -- der Verfaſſer hervortreten 
und dich erlöſen von der unverdienten Verfolgung? — Er ſchwieg. 


Das Burgtheater. 233 


Der Lärm wurde immer ärger; die Angelegenheit wurde eine 
Herzensfache für vie Hunderte und Taufende, welche ein Exempel 
jtatuirt fehen wollten an den Unterdrüdern bejcheivener Talente 
unter den Schriftitellern. Bayeriſche Stimmen verlangten Genug- 
thuung, beſonders Entihädigung für ihren Yandsmann, denn ihm 
gebührten die Tantiemen; norddeutfhe Stimmen verlangten ein 
Gottesgericht, jo was man in Amerifa ein Lynchverfahren nennt, 
und es vegnete in Briefen und unter Kreuzbänden die gemeinjten 
Drohungen in mein Zimmer. Der Berfafjer aber? — Schwieg. 

Die ganze Wirthichaft Elingt heute wie unglaublid. Ein 
Schulmeifter, deſſen Proben die unreifſte Schülerhaftigfeit zeigten, 
jollte der rechtliche Inhaber eines reifen, talentwollen Stüdes fein; 
der talentvolle Verfaſſer des Stüdes aber jollte der Dieb eines 
DBettlers fein. Und doch wurde das Alles grimmig ernjthaft be- 
trieben, wie ein Glaubenskrieg. Welchen Thorheiten bleibt die 
Welt ausgefett ſelbſt mit freier Preſſe, ja bier geradezu durch die 
freie Preſſe! 

Wie fonnte denn überhaupt die Myſtification entjtanden fein ? 
Sie ift heute noch nicht aufgeklärt und fünnte es wohl nur von 
München werden, wo das Hauptquartier des Aufjtandes war. — 
Mein Sohn hatte mir, als der Lärm am ärgjten tobte, in’s Ge 
dächtniß gerufen, daß ich einmal ein Fleines, höchſt fchülerhaftes 
Manufeript gezeigt und aus demſelben einige Stellen worgelejen 
zum DBeweife: was für albernes Zeug eingefendet würde. Das 
jet Bacher! gemwejen. — Ich dachte und denfe noch: Bader! hat 
das damals noch ganz feltene Manufeript des „Fechters“ in Mün— 
chen vor Augen gekriegt und hat wirklich gemeint, e8 ſei ihm durch 
Bearbeitung eines ähnlichen Stoffes Gewalt angethan worden. 
Darauf hat er, abfichtlich oder unabfichtlich, feinen Kram durch 
einige Ähnlich anflingende Worte aus dem „Fechter“ ähnlich ge— 
macht und das guten Freunden gezeigt. Dieje haben „„Haltet den 
Dieb!’ gejchrieen, und literarifche Advocaten haben dann einen 


284 Das Buratbeater. 


Proceß zufammengefüdelt, der nicht gejchlichtet werden fonnte, fo 
lange der wirkliche Berfafler nicht hervortrat. Der fürchtete ſich 
aber offenbar vor dem Getümmel, und — jchwieg weiter, 

Ih mochte mich nicht entjchliegen, Halm mit einem Worte an- 
zugehen, obwohl ich in der längeren Bejchäftigung mit dem Stüde 
nicht im Geringjten mehr darüber in Zweifel war, daß er es ge 
ichrieben. Er ſelbſt rührte und regte jich nicht — ich blieb der 
Prügelfnabe. 

Der Sturm war denn auch wirflich Thon im Niederfinfen, als 
er endlich mit einer Erklärung auftrat, daß er der Verfaffer jei, und 
jeine Quellen nannte, Unter diefen Quellen war natürlich Bacher! 
nicht, und er erwähnte vieles Spectafels mit feiner Sylbe, Aha! 
jehrie man num, er wagt nicht, darauf einzugehen! — Daran aber 
that er ganz Recht. Er that es nur zu ſpät. Wer in die Deffent- 
(ichfeit geht, der geht in den Krieg, er mag jich verkleiden wie er 
will, und ex hat ven Kriegsgebrauch zu refpectiven, dag man fich zu 
feinen Thaten befennt, jobald fie einem Anderen zur Yalt gelegt 
werden. 

Halm hat ein eigenes Unglück mit jolchen thörichten Nachreden. 
Auch früher hat ihn jolch Krähengefchrei verfolgt. Und doch bieten 
jeine Arbeiten gar feine Beranlafjung zu ſolchem Mißtrauen. Sie 
tragen feine forgfältige Signatur jo ausgeprägt, daß nur der bare 
Unverjtand an ihrer innerjten Echtheit zweifeln fann, So it denn 
auch von diefem Bacherl-Lärm nicht Ein Ton übriggeblieben ; der 
ganze Hexenſpuk iſt ſpurlos verſunken. Cr hatte eben doch nicht 
ein Atom von Wahricheinlichkeit für ſich. 

Aber auch als Reclame für das Stüd ift er nicht einmal wirk— 
jan geweſen. Hie und da an geringen Theatern ift das Stüd wohl 
deßhalb aufgeführt worden, aber eine eigentliche Propaganda ent- 
jtand nicht. Noch weniger eine dauernde Theilnahme, In Nord— 
deutfchland machte das Stüd feine bejondere Wirkung und ver: 
ihwand überall wieder. Sein Boven blieb das Burgtheater. 


Das Burgtheater. 255 


Hier wurde es auch am beiten dargeſtellt. Galigula, Thumelicus, 
Thusnelda, Lycisca — Gabillon, Baumeifter, Rettich, Würzburg 
— wurden fünmtlih gut vertreten, An der Spite Frau Nettich 
als Thusnelda. 

Sie war ganz heimifh in den Halm’ichen Aufgaben und 
brachte alle Nuancen verfelben zur vollen Geltung. So waren denn 
diefe Rollen auch die beiten dieſer wichtigen Schaufpielerin, weil 
ji) der Dichter ftreng in dem Kreife bewegte, welchen vie Schau 
Ipielerin beherrjchte. Es find ſämmtlich rhetorifche Aufgaben, Der 
wortreiche Ausdruck bevedt in ihnen ven Inhalt hoch und breit mit 
ſchön fließenden und wogenden Wellen. 

In jeinem erſten Stüde, der „Griſeldis“, war Halm dem 
Mittelpunfte pramatifcher Aufgabe am nächjten. Man fann die 
Tortur der „Griſeldis“ verwerfen, aber man muß anerfennen, daß 
hier innerliche Zujtände wahrhaft berührt werden. Bon diejem 
Ausgangspunfte hat ſich Halm mehr und mehr entfernt und jich 
durch fein Talent verleiten lajlen, die dramatiſche Aufgabe ganz als 
Schachſpiel zu behandeln. Seine Figuren werden Schachfiguren 
wie König, Königin, Thum, Laufer, Springer, Bauern. Sie 
Iprechen dem Spielgejee gemäß correct aus, was ihnen zukommt, 
und thun dies mit bemerfenswerther VBirtuofität. Aber fie gehen 
nirgends weiter. Schiller fpricht einmal des Breiteren über ven 
Spieltrieb im Menſchen, und daran erinnert das Halm'ſche Drama. 
68 iſt deßhalb ganz das, was Seydelmann mit feinem ſchnalzenden 
Tone eine „Komödie“ nannte — eine Bezeichnung, welche beim 
Theater feit eingebürgert worden ift. Mean meint damit ein Stüd, 
welches dem Uebereinfommen über jchöne Täufchung augenbliclich 
genügt, Niemanden aber ins Herz trifft; eine willfommene theatra= 
liſche Uebung. 

Frau Julie Rettich war ganz in dieſer Richtung ausgebildet 
worden. Ich weiß nicht, ob der Dichter allein Urſache war, oder 
ob ihre Eigenſchaften den Dichter beeinflußten. Ich weiß auch 


286 Das Burgtheater. 


nicht, ob fie ohne den Dichter eine wejentlich andere Richtung hätte 
nehmen fünnen. Faſt möcht ich's bezweifeln; denn jtarfe Geiftes- 
fräfte, wie Julie Nettich fie befaß, drängen ung immer dahin, we 
wir unfere Kraft am veutlichjten ausprücfen fünnen, Und ver deut: 
lichjte Ausdruck ihrer Kraft war ver rhetorifche. 

Julie Rettich war eine jehr merkwürdige Erfcheinung. Perſön— 
lich von großer Bedeutung, künſtleriſch vielfach herausforvdernd zu 
Zweifel und Streit, Sie war von umfaſſender Bildung, von 
klarem, überlegenem Geijte, von großer Energie des Geiftes und 
Herzens, von unermüdlichem Fleiße und von mujterhafter Pflicht 
treue. Der Verkehr mit ihr war ver anziehendjte, den man finden 
fonnte, Sie war mit all diefen Eigenfchaften eine Perle unter den 
Schaufpielerinnen, und man ſagte ſich immer: fie hätte jede wichtige 
Lebensitellung, ſelbſt die einer Herrfcherin, trefflich ausfüllen können. 
Treffliher noch — fette mancher Kunſtfreund Hinzu — als die 
einer darjtellenden Künſtlerin. Dieſer letztere Zuſatz kam auch mir 
oft in den Sinn, wenn ich lange hinter der Couliſſe mit ihr ge— 
ſprochen hatte und ſie gleich darauf draußen auf der Scene ſpielen 
ſah. Der Unterſchied war für mich, wie oft!, ſchlagend. Hinter 
der Couliſſe hatte ſie mich entzückt, draußen auf der Scene zerſtörte 
fie mir ebenfo oft diefen günjtigen Eindruck. 

Woher fam das? Sie hatte viel mehr Geijt als Talent. Und 
daraus entjteht in der Kunjt ein großes Mißverhältniß. Während 
fie jpielte, drängte fich ihr Geijt vor, um dem Talente zu helfen. 
Das wird ein Bruch in der Kunſtleiſtung, das giebt eine Dis- 
harmonie, welche wir jogleich empfinden und welche wir Manierirt- 
heit nennen, ohne daß wir oft wiffen warum. 

Die darftellende Kunft hat eben wie jede einzelne Kunft ihre 
eigenen, ganz bejtimmten Geſetze. Sie will darjtellen; das Geſetz 
der Erſcheinung ift ihr Hauptgeſetz. Dem muß jich Alles unter 
ordnen, Der Geift mag die Erfcheinung vorbereiten helfen, je 
‘reicher und tiefer, deſto befjer; aber wenn es zur wirflichen Er- 


Das Burgtheater. 287 


fcheinung auf der Scene fommt, dann ift die Fühigfeit der Dar— 
jtellung Eins und Alles, dann muß das Talent der Darftellung 
unumjchränft wirken, dann ift die vordringlich fihtbare Einwirkung 
des Geiftes eine Vordringlichfeit, alfo eine Störung des Dar- 
jtellungsgejetes. Mean wird dann an Bilder aus Finftleriich 
unreifer Zeit erinnert, welche jich durch einen aus dem Munde der 
Figuren jpringenden Zettel erklären. 

Wem ich mit diefer Erflärung undeutlich bleibe, dem werde 
ich vielleicht deutlich durch Hindeutung auf eine andere Kunſt, auf 
die Mufif. Es tritt eine Sängerin auf; man ift entzückt über ihren 
geijtwollen Vortrag; man fieht aus jeder Nuance, daß ihr Geiſt 
alle Gejete und Formen gründlich verfteht. Plötzlich aber fommt 
eine Stelle, welche jie recht nachdrücklich hervorheben will, und da 
jingt ſie zu hoch. Schade! Nun, einmal iſt feinmal, Aber dies 
Zu hoch fehrt wieder umd tritt fajt regelmäßig da ein, wo bie 
Sängerin den geiftigen Nachdrud bezeichnen will. Kurz, ihr mufifa- 
liſches Talent iſt geringer als ihre Geiftesfraft, es unterliegt, wo 
die Geijtesfraft jich geltend machen will, So war es mit Frau 
Rettich; fie fang oft plößlich zu hoch, wenn ihr Geift ſich vor— 
drängte; ihr Geift iprang über die gejetslichen Vorſchriften der 
Kunſt hinaus, 

Hiezu Fam, daß fie eine andere nothiwendige Bedingung der 
Erſcheinung nicht Fünftlerifch beherrfchen konnte — die Bewegungen 
ihres Körpers. Die Grazien waren dafiir ausgeblieben. Sobald 
der Affeet eintrat, dann arbeitete der ganze Körper, rüdjichtslos 
dem Geijte folgend, faſt durchweg unſchön. 

Es war nicht möglich, diefe Uebelſtände zu befeitigen. Der 
Geift ift eine zu jtarfe Potenz, als daß er fich unterordnen ließe, 
und die Örazie muß ja ebenfalls wie das Talent angeboren fein. 
Wie oft entzüct fie uns an Gefchöpfen, die geiftig nichtig find! 
Kunftgaben find eben unmittelbare Gaben des Himmels und er— 
werben laſſen fie jich nur bis auf einen mäßigen Grad. 


288 Das Burgtheater. 


Und daber hatte Julie Rettich doch die Energie, an ſich um— 
zuändern, was nur irgend erreichbar war, jobald man ihr die 
Nothwendigfeit überzeugend auseinanvdergejett hatte, Ich fand fie 
zum Beiſpiel in einer fingenden Unmanter, welche die legten Worte 
des Satzes in die Höhe ringelte. Das war ihr eingeimpft worden 
dureh die Declamationsjtüde, welche jo lange im Burgtheater 
berrjehten und denen Halm's Verſe Vorjchub leifteten, Ih machte 
fie unerfchroden darauf aufmerffam. Sie wollte es nicht glauben. 
„Darf ich jedesmal, wenn der fingenvde Aufjchlag fommt, mit dem 
Stode aufſtoßen?“ — „„Freilich!““ — Wir probirten „Iphi— 
genie“. Mein Stod ſetzte fie in Verzweiflung; aber fie arbeitete 
von da an ımabläfjig an Beſiegung der Umart, und — fie fiegte. 

Nun alfo! War dies hier möglich, dann — nein! Bei einer 
Einzelnheit, die außerdem ven ruhigen Vortrag, ihre ſtärkſte Fähig— 
feit, betraf, war es möglich — aber das Mißverhältniß zwijchen 
Geift und Talent war nicht umzuändern. Hätte fie Talent und 
Körper ihrem Geiſte ebenbürtig machen fünnen, fie wäre eine 
unübertreffliche Künftlerin geworden. Sie war felbjt mit dieſen 
Uebelſtänden eine jtarfe Stüße des Theaters und hatte Rollen, die 
ihr nie nachgejpielt werden fünnen. Namentlich jolche, welche dem 
geiftigen Verſtändniſſe allein. heimgegeben find, wie die Prin- 
zejfin von Parma im „Egmont“, die Gräfin Terziy in der Ueber- 
redungsſcene. 

Sie war überhaupt Meiſterin in der Rhetorik. In der Rede— 
kunſt kann der Geiſt viel eher die Zügel allein führen, als in der 
Darſtellungskunſt. Mit überlegener Fähigkeit wußte ſie die ſchwie— 
rigſte Rede ſo zu gruppiren, daß ihr die feinſte Gerechtigkeit wider— 
fuhr. Da konnte ihr ſtarker Geiſt ſeine ganze Ueberlegenheit 
geltend machen. 

Aus jolhen Gründen lagen ihr die Halm’ichen Rollen am 
vortheilhafteſten. Nun fehlt es allerdings auch in dieſen nicht an 
großen Affecten, bei denen jene Uebelſtände nicht verborgen bleiben 


Das Burgtheater. 289 


fonnten. Aber fie ftörten hier minder, weil man in diefer Gattung 
von Stüden, welche ich oben als „Komödien“ bezeichnet habe, viel 
eherbegnügt ift mit der Meacht des Wortes, und vie wirkliche Leiden— 
ſchaft nicht erwartet, diejenige Leidenschaft nicht erwartet, welcher 
das Talent die Bruft zu öffnen hat. Gerade Julie Nettich fonnte 
eine Thusnelda durchführen, weil man bei der Ermordung des eigenen 
Sohnes nicht an die volle Wahrheit glaubt, ſondern fich mit dem Be— 
griffe einer Komödie tröftet. Solche Aufgaben bevürfen nicht, ja fie 
vertragen faum die Unmittelbarfeit des Darftellungs » Talentes. 
Ebenfo war fie in Aufgaben trefflich, welche eine didaktiſche Grundlage 
hatten, Als Caroline Neuberin war fie von jchlagender Kraft. Diefe 
Theater-Regentin lebt und webt in geiftiger Bejtrebung und verliert 
fih in feine Leidenſchaft. In jolchen Rollen blieb Geiſt und Talent 
der Frau Rettich in gleicher Linie, und da war fie meijterhaft. 

Ein recht deutlicher Beweis, daß ihre überragende Geiftes- 
macht ihre Darjtellung bejchädigte, zeigte jich jedesmal, wenn fie 
unwohl war und doc ſpielte. Da jpielte jie jtetS am reinſten; 
denn das Unwohlſein lähmte ihren Geift, er ließ die übrigen Dar— 
jtellungsträfte während des Spiels unbehelligt, und jo entjtand vie 
ſonſt oft vermigte Harmonie. 

Wenn man will, ift die ganze Frage um ven Werth einer fo 
geiſtvollen Schaufpielerin eine Frage um den Gefhmad. Nur das 
Ausgeglihene, nur das Harmonische iſt geſchmackvoll. Nur wenn 
im Menjchen alle edleren Fähigkeiten gleichmäßig ihre Schulvigfeit 
thun, entjteht das Geſchmackvolle. Das eben war für Julie Nettich 
jo ſchwer; ihr Geift drängte all ihren übrigen Fähigkeiten voraus. 

Auch was man fo äußerlich hin Gefhmad nennt, Wahl 
der Farben, des Schnittes und gar des Pußes, war ihr deßhalb 
verjagt. 

Und trog Alledem, welch ein Verluft ift ihr frühzeitiger Tod ! 
Welcher Schaf für ein Theater, eine Frau von fo großer geijtiger 
und moralifcher Tüchtigkeit zu befiten! Sie war eine fejte Säule 


Laube, Burgtheater. 19 


290 Das Burgtheater. 


des guten Beiſpiels in gründlicher Beichäftigung mit ihren Auf— 
gaben, im geiftig freier und großer Auffaſſung verjelben, in ges 
wijjenhafter Erfüllung auch der Fleinjten Pflicht. Sie adelte ven 
Schaufpielerjtand durch die Auffafjung, welche fie ihm widmete, 
durch die Hingebung an feine Grundidee, an die Grundidee eines 
edlen Berufes, welche ihn hoch erhebt über die hundertfachen per— 
ſönlichen Nichtigfeiten jo vieler Schaufpieler. Sie gehörte an 
die Seite eines Directors, ſie wäre ver Regiſſeur geweſen, ven 
man zu wünjchen hat — ſie war eine erhöhte Caroline Neuberin. 
Denn fie war gründlich im Stande, ein gutes Theater zu jchaffen 
und zu leiten, 


XXI. 


Das Jahr 1854 war an Erfolgen jehr reich geweſen, und ich 
habe gar nicht Raum gefunden, bei Stüden zu verweilen, welche, 
wie Mojenthal’s „Sonnwendhof“ und „Ein Luftipiel” von Benedir, 
gefielen und ihre Anziehungskraft bis heute bewährt haben. 

Eine kurze Weile aber muß ich noch jtilljtehen bei einem Miß- 
erfolge diefes Jahres, weil der Fall jo lehrreich war, daß er näher 
gejchilvert zu werden verdient. 

Er betraf die Bearbeitung eines franzöfiichen Stüdes. Bei 
diefer Gelegenheit will ich einen Irrthum berichtigen, welcher fich 
— wie ich höre — über die Bezahlung jolcher Bearbeitungen nad) 
dem Franzöfiichen verbreitet hat. Dieje Bearbeitungen, welde . 
allerdings durchichnittlich über ven gewöhnlichen Begriff von Ueber- 
ſetzungen hinausgingen, jollen im Burgtheater Tantieme erhalten 
haben. Das ijt ganz unwahr, fie wırden im Gegentheile mit einem 
recht Schwachen Honorare abgefunden. 

In Paris hatte ein Luftipiel: „Le gendre de Monsieur 
Poirier“, dejjen Hauptautor Augier, einer der tüchtigjten Dramas 
tifer im heutigen Frankreich, einen gar nicht verjiegenden Succeß. 
Noch heute gilt dies Luftfpiel in Frankreich für ungemein lobens- 
werth. Es wird immer wieder aufgenommen und erweilt fich 
immer wieder lebendig, ein Zeichen, vaß die Compofition einen 
gründlichen Reiz in fich jchließt für die Franzoſen. Ein herabge- 
fommener Adeliger ſucht jih in dem Stüde wieder aufzubringen 

19* 


292 Das Burgtheater. 


durch die Heirath einer wohlhabenden Kaufmannstochter. Es ift 
alfo ein Thema, das auch uns gar nicht jo fern liegt, das alfo die 
Uebertragung in deutsche Verhältnifje unter vem Titel: „Birnbaum 
und Sohn’ ganz wohl gejtattete. 

Dies Thema aber fand als ſolches im Burgtheater feinen 
Anklang. Noch mehr: der Anklang wurde unbehaglih. Obwohl 
die öfterreichiihe Cavalierswelt eine ganz andere Staatsgruppe ift, 
als vie herabgefommene Adelswelt in diefem Stüde, und von den 
Scenen des Stüdes alſo gar nicht berührt wurde, jo nahmen doch 
im Burgtheater zahlreiche Zufchauer Partei für diefe Anelswelt. 
Aus Gefälligfeit für unferen Gavalier fühlten fie fich verlegt 
und offenbarten diefen höflihen Schmerz durch ausprudsvolles 
Schweigen. Sol ein Schweigen füllt wie Mehlthau auf Scenen, 
welche Wirkung im Publicum brauchen, um die Xebensfraft der 
Vorgänge anzufchüren, und folhes Schweigen ift augenblids an- 
jtefend, es belegt die Stimmung eines ganzen Saales. Insbe— 
jondere werden jogleih die Schaujpieler lähmend berührt. Denn 
fie bleiben nur lebendig, wenn ihnen Sympathie entgegenfommt. 
Verſagt ſich dieſe, fo werden fie ängftlich, werden hajtig, werden 
troden, und jo vertrodnete denn mit ihnen das lebensvolle Stüd 
zum Nichterfolge. Das begreift ſich ja leicht. Wie oft jcheitert 
ein Theaterftüd an einer widerwilligen Vormeinung! 

Nun aber folgte die Merfwürdigfeit: Die Sournale hatten 
die Urfache ver Mißlaune nicht entdeckt und trommelten Tags 
darauf zürnend auf das verfehlte Stück los; diefelben Journale, 
welche das Thema des Stücdes tagtäglich, ja in derfelben Nummer 
an anderer Stelle zu ihrem Lieblingsthema machten. Anno 1854 
ereignete fi das. So entjtehen die öffentlichen Mißverjtändniffe. 
Dffenbar hatten an jenem Abende journaliftifche Stellvertreter das 
Referat übernommen, und es war fein freier Kopf im Parterre ge— 
weſen, welcher über die übergefällige Stimmung des Burgtheater- 
Publicums hinausgejehen hätte. Man fann im Theater bequem 


Das Burgtheater. 293 


jtudiren, wie wunderlich oft allgemeine Stimmung und politisches 
Wetter gemacht wird oder entjteht. 

Das Jahr 1855 war eine blanfe Kehrfeite des erfolgreichen 
Sahres 1854: e8 errang gar feinen dauernden Erfolg, nicht Einen. 
Bei Schilderung des Fräulein Seebad habe ich ſchon erwähnt, 
daß fein neues Stück mit ihr gelang. ‚Charlotte Adermann‘ von 
Dtto Müller und „Cäcilie“ von Prechtler boten ihr interefjante 
Hauptrollen — umfonjt. Bauernfeld, Hadlänvder, Benedir, Birch— 
Pfeiffer, Töpfer, Allen verjagte in diefem Jahre das Glüd, und 
mit einem fremden claffiichen Stüde erlitten wir eine volljtändige 
Niederlage. 

Dies war ein ſpaniſches Stüd von Lopez de Bega. 

Der Sinn für fpanifche Stüde war in Wien viel mehr ge: 
pflegt worden, als in irgend einer deutichen Stadt, ja in literarifcher 
Kritif gab Wien Ton und Maß an über fpanifche Literatur, 
Ferdinand Wolf, in unferer Hofbibliothef angeftellt, war eine der 
wichtigften Autoritäten dieſes Faches. Die Wiener Dramatifer 
von Weſt-Schreyvogel bis auf Friedrich Halm haben fich mit dem 
ſpaniſchen Drama angelegentlichit beſchäftigt. Grillparzer ſelbſt 
nicht minder, nur mit dem Unterſchiede, daß er's immer nur als 
Studium betrieb und feine deutſche Dichternatur nicht unterordnete, 

Diefe fpanifche Neigung der Wiener Literaten hatte einen 
biftorifchen Urſprung. Im jechszehnten und fiebzehnten Jahr— 
hunderte waren ja die Beziehungen unferer Dynaſtie zur Spanischen 
die engiten; fie gingen mannigfach über in die Bevölferung, find 
heute noch erfennbar in einzelnen Ausdrücken und find in den Hof- 
gebrauchen noch heute vorhanden. 

Es war alfo natürlih, daR ich zahlreiche Borwürfe hören 
mußte über meine Gleichgiltigfeit für das Ipanifche Drama, über 
meine Unaufmerfjamfeit für ſpaniſch geartete Productionen. Diefe 
Borwürfe waren gerecht. Ich fette und fee wenig Hoffnung auf 
das ſpaniſche Theater, injoweit es Einfluß nehmen fünne auf das 


294 Das Burgtheater. 


Gedeihen des heutigen deutfchen Theaters. Ich bin aus einem 
anderen Kicchfpiele, und ich bin dies mit Bewußtfein. 

Ich bejtreite durchaus nicht, daß die fpanifche dramatiſche 
Literatur fih durch Reichthum graziöfer Erfindung ausgezeichnet 
hat; ich gebe zu, daß die Kenntniß derſelben — erweiterte Kenntniß 
ift ja immer von Nuten — unferen Dramatifern vortheilhaft jein 
fann, namentlich in der Richtung des feineren Luftjpieles, Aber 
auch nur in dieſer Richtung ; die Gewandtheit in der Form ift das 
Beite der Spanier. In diefe Gewandtheit der Form ſchließe ich 
den graziöfen Geift ein, welcher dramatische Ideen erfinderijch aus— 
zubeuten und in. ammuthige Conflicte zu leiten weiß. Aber wo es 
ſich um ven gründlichen Inhalt handelt, da verfagt ung, meine ich, 
das fpanifche Drama. Es ift auf feinem Grunde eng bejchränft 
durch religiös-dogmatifche Vorurtheile, welche fich wie Naturgejeße 
eingeniftet haben in’s fpanifche Xeben, Dieſe befchränfenden Vor— 
urtheile veräften und verzweigen fich durch das ganze ſpaniſche 
Leben, und fie fommen in jpanifchen Productionen auch da zur 
Blüthe, wo fein Menſch mehr an den Urfprung diefer Blüthe denft. 
Taube Blüthen für uns, deren franfen Urſprung wir oft auf dem 
Theater erft daran erfennen, daß uns ihr Duft nicht behagt. Es 
ift ein Irrthum, wenn man glaubt, daß die religiöfen Gejete eines 
Bolfes ja Nichts zu thun hätten mit einem harmlofen Schaufpiele, 
welches mit feiner Silbe das religiöfe Dogma berühre, Ein 
ſchwerer Irrthum. Das religiöfe Geſetz ift das Herz eines Volkes; 
aus dem Herzen aber fommt das Blut bis in das unfcheinbarfte 
Adergeflecht, und jo wird die unfcheinbarjte Yebensbeziehung davon 
berührt und bejtimmt. 

Die Lobredner fpanifcher Dramatik pflegen nachdrücklich dar— 
auf hinzuweifen, daß Dichter wie Calderon ſich höchſt interejjant 
befreit hätten vom firchlichen Dogma, indem fie phantaftijche 
Wendungen für ihre Heiligen erfunden und eine Symbolik ohne- 
gleichen erdacht hätten. Dieje Phantaftif und Symbolik find eben 


Das Burgtheater. 295 


Folgen ihrer Kette, Folgen der dichterifchen Gefangenſchaft. Der 
Gefangene verirrt und verliert fich in Träume, und wenn er Talent 
hat, macht er aus diefen Träumen Kunftgebilde. Auf dem realen 
Boden unferer Bühne find es fünftliche Gebilde. Auch wenn wir 
Katholiken find, iſt uns dieſe fpanifche Gevanfenwelt eine fremde 
und enge, wir find durch unjere Literatur ihr längſt entwachien. 

So habe ich denn immer erlebt, daß unſere dramatifchen 
Dichter, wenn fie fich diefer Spanischen Welt hingaben, ver unferigen 
entfremdet wurden und für unfer Theater entweder wirfungslos 
Ichrieben oder mit ver bloßen jogenannten „Komödien“-Wirkung 
zufrieden waren, mit ver Wirfung formeller Fertigkeit, welche einen 
augenbliclichen Effect erzwingt, aber unfer Herz nicht trifft. 

Wozu in eine Welt zurücgreifen, welche für ven Inhalt uns 
jerer Kunſt religiös wie politifch überlebt ift? Wozu Stüde neu in 
Scene jeßen, die uns durch ihren Inhalt — mit wenigen Aus— 
nahmen — fremdartig anmuthen ? 

Fremdartig? entgegnete man mir; ift dein gepriefener Shafe- 
jpeare nicht auch fremd fir uns, und doch bejchäftigit du uns jo viel 
mit ihm! 

Dem ift nicht jo. Der Inhalt Shafefpeare’s iſt uns nicht 
frvemdartig. Gerade fein Inhalt ift uns unſchätzbar; er ftammt 
aus einer Weltanfchauung, welche fich durch fein Dogma bejchränfen 
läßt und uns mit Offenbarungen bejchenft, welche unferem Sinne 
tief entjprechen. Was an feiner Form für unfere Bühne fremd- 
artig geworden, das fteht in zweiter Linie und wird von uns nicht 
verfannt; fein poetifcher Inhalt aber ift für uns ein Quell unver- 
aanglicher Freiheit des Gedanfens und des Herzens. 

So ungefähr lautete mein Naifonnement im Stveite mit denen, 
welche ſpaniſche Stücde begehrten für das Repertoire des Burg— 
theater. Ich mußte ihnen aber unter allen Umjtänden doc ein- 
raumen, daß ich nicht berechtigt wäre, dem jpanifchen Drama eine 
Bühne ganz zu werjchließen, welche das jpanifhe Drama fo vielfach 


296 Das Burgtheater. 


gepflegt hatte in früherer Zeit. Ich wollte mich nicht darauf be— 
rufen, daß unfere Zeit eben nicht mehr die frühere Wiener Zeit 
wäre, und ich ging an die Infcenefegung einiger ſpaniſchen Stüde, 
Mein eigenes Programm trieb mich auch dazu, denn es verlangte 
ja wenigjtens einen Repräfentanten, wenn nicht einige Vertreter 
einer jo bedeutenden Dramatik auf dem Repertoire des Burgtheaters. 

Zunächſt nahm ich „Don Gutierre“ wieder auf, von deſſen 
ftarfer Wirfung in früherer Zeit mir große Dinge erzählt wurden. 
Ich fonnte nicht daran glauben. Das unheimliche Thema viejes 
„Arztes jeiner Ehre‘, faſt in all feinen Wendungen unerquicklich für 
unſere Kunjtanfprüche, erſchien mir bei der Lectüre und auf den 
Proben durchaus nicht werfprechend. 

Sch hatte „Othello“ noch nicht neu in Scene gefett, weil mich 
die allmälig erworbene Kenntniß des Wiener Publicums belehrte, 
dag „Othello's“ greller Inhalt bei dem hiefigen Gejchmade einen 
ihweren Stand haben müßte. Ein fundiger Freund bejtätigte meine 
Bormeinung; er hatte „Othello hier gejehen und fagte: Die wil- 
den Ausbrüche dieſer Yeidenfchaft thun dem Publicum weh; es fügt 
jih der gewaltigen künſtleriſchen Macht, aber es verleugnet nicht, 
daß es ihm eine Pein ift. 

Kun denn, rief ich, wird man fchon beim „Othello“ zu der 
äſthetiſchen Frage aufgeftachelt: ob die anatomische Ausbeutung einer 
widerwärtigen Leidenschaft wie Eiferfucht nicht doch eine unglücliche 
Aufgabe ſei für die Kunft — wie viel mehr wird vdieje äjthetiiche 
Frage ſich aufdrängen bei,,Don Gutierre”, dem fogenannten „ſpani— 
ſchen Othello“! 

Shakeſpeare's „Othello“ iſt ein Meiſterſtück intimer Charakter— 
führung; in keinem ſei ner Stücke hat ſich Shakeſpeare ſo eng be— 
grenzt, hat er ſo ganz und gar nur aus dem Mittelpunkte des Herzens 
herausgearbeitet. 

„Und doch“ — ſagte der obige Freund — „haben die Wiener 
ſtets gewittert, daß Shakeſpeare den „Othello“ in ſeiner letzten 


Das Burgtheater. 297 


Lebenszeit gejchrieben, daß er melancholifch und verbittert geweſen 
durch feine Yebenserfahrungen, durch feine abnehmende Gefundheit, 
und daß er darum einem peinlichen Thema feine zufammengedrängte 
Kraft gewidmet habe,’ 

Wie joll vor diefem Publicum — rief ih — „Don Gutierre‘ 
bejtehen, welchem jene jorgfältige Charafterführung abgeht, welchem 
die außerliche Ehre das Motiv zur Graufamfeit liefert !? 

Nun, ich hatte mich nicht geirrt. Das Publicum fam nicht 
einmal in hinreichenver Anzahl und — ließ das Stüd fallen. Wir 
haben es gar nicht wiederholen fünnen, Der Eindruck war peinlich 
und abjtogend, wie ich mir gedacht. 

Das liegt an der Darjtellung — jchrieen die Spanier — das 
liegt an Löwe! Er verdirbt alle Anſchütz'ſchen Rollen, er ijt fein 
Gutierre, er verfagt immer, wo ftarfe innerliche Leidenſchaft walten 
joll, er bringt immer nur Strohfener, und außerdem ift er zu alt für 
diefe Rolle! 

Das überzeugte mich nicht. Selbſt in dieſem ſpaniſchen Stüde 
— meine ich — , welches die eigentlich ſpaniſchen Verhältniffe im 
Hintergrunde läßt und welches eine allgemeinverftändliche Leiden- 
Ichaft im Vordergrunde abipielt, jelbjt in einem folchen webt und 
wirkt ein jocialer Trieb und Geift, welcher uns fremd ift und uns 
falt anmuthet. 

Berfuchen Sie es nur, hieß es, mit einem fpanifchen Stücke, 
das man hier noch nicht fennt und das alſo auch den Reiz der Neu— 
heit nicht entbehrt ! Ä 

Gerade die Neuheit fürchtete ich. An ein neues Stüd geh 
man erſt recht mit heutigen Gedanfen und Anfprüchen. Aber ich 
fügte mich und gab ein ſpaniſches Stüd zum erftenmale, welches in 
einer jehr guten veutjchen Bearbeitung von Zedlit vorlag, nämlich 
den „Stern von Sevilla”, 

Hier entwidelten fich die lebeljtände einer ung weit abliegenden 
jocialen Welt geradezu jchreiend. Wie oft hatte ich das Stück vor: 


298 Das Burgtheater. 


gelefen, und meine Zuhörer hatten fich erbaut gezeigt! Ja, Vorleſen 
und Spielen find fehr verjchievene Dinge! Beim Vorleſen find wir 
gebildete Leute, welche fich wohlerzogen in eine fremde Welt verfegen 
lajjen; dem Spielen auf der Bühne gegenüber find wir Nichts als 
gegenwärtige Menjchen, welche den Standpunkt der heutigen Welt 
vertreten, Nichts weiter; ein Theil des Publicums, abhängig vom 
Nachbar. Wie gut wir auch wiffen mögen: was da oben vorgeht, 
iſt ganz richtig, jo waren die Dinge in jener Zeit — Nichts da! 
Die Stimmung des ganzen Publicums überwältigt ung in der eriten 
Scene, und wir jtimmen bei, wenn das Publicum jagt: Das paßt 
nicht mehr! Kurz, ein Theaterjtük muß der brutalen Gegenwart 
Stich halten, denn das Publicum iſt feine gewählte Gefellfchaft, es 
ijt nur der grobe lebendige Ausdrud der Gegenwart. 

Ah, dann wären ja hiftorifche Stücke überhaupt nicht möglich ! 
— O, doch! Sie müfjen nur in einem Geiſte gejchrieben fein, den 
wir ohne Gelehrſamkeit verftehen. Specialhiftorifche Studien müfjen 
nicht nöthig fein. Das Fremde, in einem ung fremden Geijte hin— 
geftellt, eine für uns ſpaniſche Welt — das wird fchweigend abge: 
lehnt oder gar verjpottet. Im Theater meint die Gegenwart immer 
allein Recht zu haben. 

Der „Stern von Sevilla” wurde verjpottet, Der fpanifche 
Feudalismus in feinen VBerhältniffe zum Königthum, welcher die jo- 
genannten „Mantel: und Degenftücde‘ vurchdringt, iſt eine politifch- 
hiſtoriſche Specialität, dem jegigen Publicum unbegreiflih. Wenn 
alfo die Perfonen dem Könige gegenüber jich reſignirt benahmen, 
wie es den damaligen Spaniern geziemte, jo fand das jeßige Publi- 
cum jolches Benehmen thöricht und wies es ab over lachte. 

Zedlit ſelbſt täufchte fih über diefe Niederlage. Er war ein 
eifriger umd vielfach fundiger Theatergänger, aber dies ſocial-poli— 
tische Moment im Theater ver neuen Zeit entging ihm wie jeinen 
Genofjen, welche in einer ganz anderen Zeit gealtert waren, Er 
meinte fpotten zu dürfen, daß Lopez de Vega im Burgtheater durch— 


Das Burgtheater. 299 


gefallen. So lag und Liegt die Frage nicht. Lopez de Vega bleibt 
dabei ein großer Dichter. Die Frage liegt, ob fein Theater unſer 
Theater fein fann? Das Publicum hatte einfach Nein gejagt. Wir 
können und werden deßhalb ven fpaniichen Dichter mit Interefje 
weiter lejen. 


Sch habe nach diefen Vorfällen das ſpaniſche Theater lange 
unberührt gelafjfen und mich erſt jpät zu der Auswahl entichlojjen, 
die mir für unfer heutiges Theater eriprießlich ſchien, um der hifto- 
riichen Tendenz unferes Repertoives gerecht zu werden, Als ich das 
Stück intereffant beſetzen konnte, habe ich die treffliche Weſt'ſche Be— 
arbeitung der „Donna Diana’ in Scene gejegt, ein Stüd, welches 
frei ijt von abliegender ſpaniſcher Specialität, und habe „Das Yeben 
ein Traum’ gebracht. 


Letzteres beſchäftigt fich in feinem Grundgedanfen mit einem 
Thema, welches bei jevem Volke Antheil finden kann. Aber in 
diefem Stücde war ich genöthigt, die zweite Hälfte ftarf zu verfürzen, 
weil fie fich in infipide ſpaniſche Spisfindigfeiten verirrt, die ung 
jtörend vom Hauptthema ableiten. 

So ſteht es mit unferem jeßigen Spanien auf dem Burg— 
theater. Der jetige ſpaniſche Intendant, ich will jagen ver ſpa— 
nisch gebildete Intendant, wird vielleicht weiter entwideln, was mir 
verjagt war. 

Auch für die neuen Einftudirungen machten wir ung in dieſem 
Sahre viel vergebliche Unfoften, Wir wollten nicht blos fpanifche, 
jondern auch ältere deutſche Stüde herftellen, welche bei einem 
Theile des Publicums in Credit geblieben waren und deren Ver: 
nachläffigung mir vorgeworfen wurde. Zum Beifpiele „Menſchen— 
haß und Reue’, da Fräulein Seebad) ja der vielbeweinten Eulalie 
gerecht werden fünne. Das Stüd blieb auch diesmal nicht ohne 
Wirkung, nur war fein Bublicum nicht mehr groß genug, fondern 
bald erfchöpft. Für die junge Generation hat ſchonungsloſe Kritik 


500 Das Burgtheater. 


diefem Stüde ven Auf verdorben. „Die deutjchen Kleinſtädter“ 
ferner paßten gar nicht mehr, und ſelbſt die viel. jüngeren „Schleich— 
händler” Raupach's verfagten. Die Unhaltbarfeit ver „Familie 
Schroffenſtein“, von Kleift, habe ich ſchon erwähnt, und auch ein 
Tendenzjtüd: „Ein deutjcher Krieger’, jtredte die Waffen, weil feine 
Tendenz überlebt war. 

Beitand fanden von neuen Imfcenefegungen: „Traum ein 
Leben”, „Feſſeln“, „Gönnerſchaften“ und „Othello“. „Othello“ 
ganz ſo wie oben angedeutet worden iſt: die claſſiſche Führung des 
dunklen Stoffes erzwingt Bewunderung, aber das hieſige Publicum 
will dieſe Claſſik nicht gar oft bewundern. 

Von den eigentlichen Neuigkeiten dieſes Jahres — es klingt 
recht beſchämend für unſere Production und für unſere Klopffechter 
gegen franzöſiſche Bearbeitungen — find nur drei kleine franzöſiſche 
Stücke bis heute am Leben geblieben: „Eine Partie Piquet“, „Gäns— 
chen von Buchenau“ und „Der Freiwillige“. Daneben nur Ein 
kleines deutſches Stückchen, der Erſtling eines neuen Autors aus 
unſerer Mitte: „Ein ernſter Heirathsantrag“, von Siegmund 
Schleſinger. 

Eilen wir denn aus dieſem mageren Jahre in's Jahr 1856 
hinüber! Da winken uns mit den erſten Veilchen zwei junge Gäſte, 
die in unſeren Künſtlerkranz aufgenommen werden ſollen, ein Männ— 
lein und ein Weiblein, deutlicher geſagt: ein Jüngling und ein 
Mädchen, die noch Niemand kannte. 

Beide kamen tief aus dem Norden. Mein Sohn hatte auf 
einer Bergfahrt nach dem Oetſcher einen Kunſtfreund von der preu— 
ßiſch-ruſſiſchen Grenze her kennen gelernt und von dieſem gehört, 
daß dort in einer Fleinen Stadt — ich glaube Elbing war es — ein 
junges Mäpchen Komödie fpiele, jo geiftvoll und reizend, wie er e8 
auf feiner Reife durch ganz Deutjchland nicht wieder gefunden. Sie 
werde nächjtens in Hamburg gajtiren, denn der Hamburger Divector 
Maurice habe feine Augen überall und entdede die Talente auch in 


Das Burgtheater. 301 


den abgelegenjten Winkeln. Flugs fchrieb ih nah Hamburg und 
bat Freund Heller um Bericht über ven Ankömmling. Aobert Heller 
beurtheilt und ffizzirt die Schaufpieler jo intim, fein und echt, daß 
mir ein paar Zeilen von ihm ſtets von großem Werthe und Nuten 
für das Burgtheater geweſen find. Er beftätigte die günftige Schil- 
derung des Heinen pifanten Fräuleins, und fo wurde fie zum Gajt- 
ipiele geladen. 


Den jungen Mann, welcher in Königsberg fpielte, hatte 
Heinrich Marr, ein fundiger Diagnoftifer, empfohlen. Aber ich 
mußte ihn unbefehen fejt ergreifen, denn auf dem Wege nach dem 
Süden wollte er in einem Hoftheater auf Engagement gajtiren. 
Ih wagte es. Er fam und — das Wagniß ſchien mißlungen zu 
jein, Er trat als Mortimer auf und gefiel nicht. 


Am Morgen nach diefem Debut begegnete ich auf ver damals 
noch beftehenden Bajtei einem jungen Schaufpielerpaar — ich 
glaube, e8 war ein Brautpaar — und Beide drüdten mir ihr 
inniges Bedauern aus, daß es wieder Nichts wäre mit dem neuen 
jungen Liebhaber und daß ich ihn nicht behalten könnte. 


Sch ſchwieg. Die Perfon des jungen Mannes war mir an- 
genehm; ich hoffte Hartnädig. Der tragifchen Rolle follte eine 
Lujtipielrolle folgen, „Der geheime Agent”. ine Fichtner’fche 
Rolle! Natürlich genügte er da auch nicht; aber ich meinte nad) 
dieſem zweiten Abende meiner Hoffnung noch jicherer vertrauen zu 
dürfen, wenn es mir nur gelänge, einen fremden Neve-Accent zu 
vertreiben, der ihm eigen war. Sch war es gewohnt, mit folcher 
Hoffnung allein zu bleiben, ja mich verfpottet zu fehen mit der: 
jelben, was diesmal auch von meiner Behörde reichlich geichah. 
Der Spott jteigerte fich fogar zum Tadel, als ich ihm Rollen gab 
wie ven Schiller, in ven „Karlsſchülern“, und das fonjt beliebte 
Stüf vor ſchwachem Haufe abjpielte. Das fommt von folchen 
Bejetungen! hieß es. 


302 Das Burgtheater. 


Dies ift der ewig fehlerhafte Cirfeltanz beim Theater: es 
fol Nachwuchs erzogen werden, aber Rollen will man ven 
jungen Leuten nicht anvertrauen; ſie jollen ſchwimmen lernen 
ohne Waſſer. 

Kun, ich blieb eigenfinnig anderer Meinung, und jener junge 
Mann, fleifig und geiftig jtrebfam, lernte ſchwimmen wie Einer, 
und wenn ich ihn jett nenne, fo jagt jest Jedermann: Ja, das 
glauben wir! — Es war Adolph Sonnenthal, 


BEXTV, 


Das junge Mädchen, welches im Frühlinge 1856 zu ung fam, 
war Fräulein Goßmann. 

Sie gefiel jogleich und gewann alle Stimmen für fih, denn 
fie war ein allerliebjter Schalf, und aus ihrer Naivetät blitten 
Injtige Geiftesfunfen hervor, Man fah, es war feine gevanfenlos 
aufgejpielte Naivetät, fondern die Darftellerin wußte, welche Taften 
ihres Claviers jedesmal eract anzufchlagen wären, um die jedesmal 
beabjichtigte Wirfung zu erreichen. Eine junge Künftlerin alfo, 
nicht blog ein Naturell. Hoffen wir, daß die fünjtlerifche Thätig- 
feit im Einflange bleibe mit dem Naturell, denn ein naives Naturell 
darf vom Geiſte nur jo viel verrathen, daß wir geijtig angemuthet 
werden, nicht aber jo viel, daß die Naivetät lediglich vom Geifte 
gemacht erjcheint. Im letteren Falle entiteht naive Manierirtheit. 

Man kann nicht jagen, daß Fräulein Goßmann in diefen 
Fehler verfallen ſei; ihr friiches Naturell hat ihrem rafchen Geilte 
immer entfprechend Widerpart gehalten. Sie ijt viel eher gefährdet 
worden durch das Bedürfniß, ausgezeichnet zu erjcheinen. 

In der erjten Zeit ihres Engagements war fie noch vecht 
unabhängig von der Außeren Zuftimmung und führte mit Charafter- 
kraft Rollen durch, welche feinen befonderen Beifall gewannen. 
„Wars recht?“ fragte fie mich nach einem undanfbaren Acte, — 
„„Ganz recht!““ — ‚Nun, dann bleib ich dabei, wenn fie auch da 
unten nicht muckſen.“ 


304 Das Burgtheater. 


Sie hatte in Gefinnung, Talent und Verſtand die bejte An— 
lage, eine charafterijtifche Künftlerin zu werden. Zweierlei hat fte 
beeinträchtigt. Erſtens ihr Organ, welches leicht jpröde wurde und 
für breitere Anwendung fich verfagte, und zweitens, wie ich jchon 
angedeutet, der allmälig erwachende Trieb, Aufjehen zu erregen. 
Die widerfpenftigen Stimmmittel verhinderten fie an größeren Auf- 
gaben, denen fie übrigens gewachjen gewejen wäre, und der Trieb 
nach Aufſehen zerftreute fie und ließ ſie nach Aufgaben greifen, 
welche oberflächlich waren. Bei Alledem bewahrte jie fich immer 
eine edle Empfänglichfeit für das Beſſere, und jie hätte zu einem 
eigenthümlichen Repertoire und dadurch zu einer charakteriftiichen 
Kunftgröße gelangen fünnen, wenn fie Schriftiteller gefunden hätte 
für ihre befondere Fähigfeit. Im Frankreich wären Rollen für fie 
gedichtet worden. Das iſt in Deutjchland überhaupt jelten und 
gelang für fie in zu geringem Grade. Bauernfeld's „Fata mor- 
gana“, obwohl nicht für jie gefchrieben, war ein Fingerzeig, er fand 
aber feine Folge. Das herfömmliche naive Repertoire ift in neuerer 
Zeit immer dürftiger geworden, und es ftedt zu jehr in abge: 
ſchmackten Stüden, als daß ihr mit vemjelben hinreichend gedient 
jein fonnte, 


Sp ſtockte allmälig ihr Fortſchritt. Wenigjtens empfand fie, 
daß ein erſtes Theater ven Kleinen Purzelbaum-Stüden nicht Raum 
genug biete. Was denn auch richtig ift. An einem erjten Theater 
müſſen folche Specialfächer fich beſcheiden, und das wurde ihr fehr 
ihwer. Es wurde ihr ſehr ſchwer, weil fie wirklich eine größere 
geijtige Anlage hatte. 


In diefe Frage um Erweiterung ihrer Aufgaben, mit welcher 
fie und ich täglich befchäftigt waren, mifchte ſich plößlich, wie fie 
das zu thun pflegt, die Liebe, und da fie mächtiger ift als irgend 
was Anderes, jo löfte fie auch ven Theater-Contract und führte 
zum ZrausAltare. 


- Das Burgtheater. 305 


Solchergejtalt ijt die Entwiclung eines Talentes unterbrochen 
worden, welches unzweifelhaft originell war, 

Ich aber mußte von Neuem fuchen, wo die junge „ingenue“ 
aufwachfen möchte, die uns Lachen und Weinen vorfpielen fünne 
zum bloßen Behagen unjerer Herzen. 

Wer jucht, der findet. Wie landläufig ift die Klage, daß es 
neuerer Zeit jo ſehr an Talenten fehle für die Bühne! Wenn man 
die zehn Jahre anfchaut, von 1840 bis 1850, fo erjcheint die Klage 
freilich begründet. Man fuchte eben nicht, und fo erjchien fein 
neues Talent. Wie viele neue Talente find feit 1850 an uns vor— 
übergegangen oder bei uns aufgewachfen! Dawiſon, Seebad, 
Borler, Hofmann, Scholz, Sonnenthal, Yewinsky, Wolter, Schnee- 
berger, um nur die für bejtimmte Fächer zu nennen, welche dem 
eriten flüchtigen Blide begegnen. Und wie viel daneben, wenn 
man länger hinſchaut. Man muß nur nicht verlangen, jogleich 
ausgeprägte Goldmünzen zu erhalten. Dies war das Verlangen 
einer anderen Zeit, welche in einem fleineren Kreiſe ſich bewegte. 
Setzt muß man nicht Fertiges begehren, man muß Anlagen jchäten 
und abjhägen, und dann muß man erziehen, um erfinderifch das 
Enjemble auszufüllen, und es organisch auszufüllen. Nicht Funde, 
nicht Yotteriegewinnfte muß man erwarten, wie müßige Leute thun, 
Erwerbungen muß man jchaffen. Wenn man organifch auszufüllen 
trachtet, wenn man alfo das Streben nad einem Enjemble, nad 
einem harmonijchen Ganzen an die Spige jtellt, dann gewinnt man 
vielleicht weniger Glänzendes, aber man gewinnt das Paſſende, 
das Entiprechende, Die heutigen Talente haben ganz andere 
Eigenſchaften als die Talente einer früheren Zeit. Sie jind eben 
— und das wergejlen ältere Perſonen leicht — fie find Kinder ihrer 
Zeit, und man muß fie zumächit verwenden für die Interefjfen und 
Aufgaben ihrer Zeit. Dann wachen fie naturgemäß zu ferneren 
Aufgaben empor. Die frühere Zeit war jtarf in Original-Figuren, 
und dem entjprachen auch die Talente, dem entiprachen die Stüde 


Laube, Burgtheater. 20 


306 Das Burgtheater. 


der älteren Zeit. Sie brachten Rollen für ſolche Original-Figuren. 
Unfere jegigen Talente jpielen die alten Stüde viel jchwächer ; 
dafür fpielen die älteren Talente unfere jeßigen Stücke ſchwächer. 
Unfere Zeit ift nivellivter und hat deghalb weniger Originale, aber 
jie hat mehr geijtiges Yeben, 

Demgemäß muß man die Talente juchen und wählen, und 
demgemäß muß man fie zu entwiceln trachten. Wir fünnen in 
diefem Sinne von unferer Bühne nicht Jagen, daß es ung an Ta— 
lenten gefehlt habe, 

Aber die beweglichere neue Zeit hat ihre Unkoſten arg ein- 
gefordert beim Burgtheater! Wie viel Talente haben wir wieder 
abgeben müfjen! Namentlich die Heirat) ift für das Burgtheater 
eine äußerſt foftjpielige Einrichtung geworden. Wie viel Yiebhabe- 
rinnen bat fie uns entführt! Und gerade nur uns, Unſer Theater 
muß doch überaus liebenswürdig geworden fein! 

Fräulein Goßmann gehörte ung noch, da meldete ſich eines 
Tages ſchon eine neue „ingenue“ auf meinem Bureau. Naive 
Rollen? — fragte ich erftaunt — bei diefer Yinge? — Die junge 
Dame war jehr hoch gewachten und jah etwas abgehärmt aus, 
Mitten im Winter kam fie aus Hannover. Aber jie machte einen 
wohlthuenden Eindruck; jie war ungemein bejcheivden und anſpruchs— 
(08, war fehr natürlich und hatte einen vafchen, liebenswürdigen 
Ausdruck diefer Natürlichkeit. Vor allem Uebrigen war ihre Stimme 
anfprechend und liebenswürdig, ein weicher Alt, 

Das Alles gewann mich, und ich ließ fie ihrem Wunfche ges 
mäß in einer naiven Rolle auftreten, obwohl mir ihre Ericheinung 
und auch ihr ganzes Wefen auf ein anderes Nollenfach hindeutete, 
Ihr Wefen widerfprach inveffen einer naiven Rolle nicht, und Fo ließ 
ich Fopffchüttelnd zu, daß fie das Paraderöglein in „Ich bleibe ledig“ 
vorführe, jene Kleine Caroline, welche ein deutiches Reich auswendig 
gelernt hat mit uralter Eintheilung. Sechszig Jahre find jett in 
ver politifchen Geographie Deutſchlands ein Uralter, fein Menſch 


Das Burgtheater. 307 


fennt mehr „die hintere Grafihaft Sponheim”, und das ganze 
Haus lacht über Etwas, was noch vor jechszig Jahren eine ganz 
ernithafte Sache war. So raſch werden politifhe Bejtimmungen 
komiſch! Ebenſo wunderlich geben wir das Stüd: der Freiherr 
v. Biberſtein erjcheint mit ellenlangem Zopfe und ent|prechenver alt= 
modischer Tracht mitten unter lauter modernen Figuren, eine Figur 
vom Maskenballe. Num, diesmal erichien denn neben ihm ein jehr 
hochgewachfenes Töchterlein und fagte exact das geographifche und 
ſonſtige Penſum auf, und — Niemand vührte fich im ganzen Haufe, 
der hannoverſche Saft fpielte die ganze Rolle durch ohne das geringite 
Zeichen von Beifall. Sie ift durchgefallen! fagte man neben mir. 
Es war gerade jo gegangen, wie mir’s auf dem Bureau vorge: 
ſchwebt hatte: die lange Figur widerfprach dem Rollenfache. Ich 
perfönlich hatte übrigens ſonſt Nichts an ihrer Yeiftung auszufegen, 
fie hatte mir gefallen. Da — e8 ijt mir im Theater felten eine 
ſolche Ueberrafchung begegnet — da, als nach dem Schluffe des 
Stücdes ver Vorhang Schon eine kleine Weile gefallen war, da mel- 
den ſich aus dem Publicum ſchüchtern einige Beifallszeichen und jie 
vermehren jich und bleiben ohne irgend einen Wivderfpruch, und es 
wird aufgezogen, damit jich der Gaſt für diefe Freundlichkeit be- 
danfen könne. Sobald der Gaft zu diefem Zwede auf der Scene 
ericheint, applaudirt einſtimmig das ganze Haus, rfichtlic) war 
es alfo vem Publicum gerade fo ergangen wie mir: das Rollenfach 
hatte ihm nicht zu der langen Figur dev Schaufpielerin gepaßt, und 
deßhalb hatte man gejchwiegen, die Schaufpielerin ſelbſt aber hatte 
dem Bublicunt- gefallen, 

So war es. Auf diefen Vorgang hin engagirte ich die junge 
Dame und führte fie erjt in naivsfentimentale Rollen, dann in rein— 
jentimentale, endlich in Wollen, welche dem Tragiſchen naherüd- 
ten, und all das gelang: wir hatten eine allgemein ſympathiſche 
Srauenfraft gewonnen, ich machte die ſchönſten Pläne für die Zu- 
funft mit ihr, ich lieh fie das Gretchen ſtudiren, ich hoffte — es 


20* 


308 Das Burgtheater. 


blieb beim Hoffen! Die für unfer Theater heillofe Liebe mifchte 
jich wieder darein und ſchnitt unfere Hoffnung ab wie eine Parze 
— Fräulein Scholz verheirathete fich ebenfalls. 


Ein Unglüd fommt felten allein. Im December diejes Jahres 
1856 griff die verzweifelte Heivath nach unjerm beiten Schate, nad) 
Louiſe Neumann, 


Sie hatte freilich nicht ganz Unrecht, wenn fie auf meinen 
Auffchrei fagte: Seit 1839 bin. ich Hier, alſo feit fiebzehn 
Jahren; mein Fach ift und bleibt das naive Fach, wie jehr Sie 
mich auch als bedürftiger Director in andere Fächer geführt, 
meine Laufbahn ijt in Wahrheit vollendet. — „Durchaus nicht!” 
— Do! 

Umfonft eitivte ih Mademoiſelle Mars, die bis in die Nähe 
des Grabes im Theätre Francais durch ihre Liebhaberinnen ent- 
zückt habe. — Franzoſen! erwiderte fie lächelnd — und das 
Burgtheater jteht nicht in Franfreich. 

Kurz, fie verließ uns. Außer Wilhelmi war mir Niemand jo 
lieb und werth gewejen. Sie war ein Mitglied, wie es im Buche 
ſteht; nein! wie es nicht einmal im Buche fteht. Nichts von 
Schaufpielerei, Nichts von Flitterwejen, Nichts von gemachtem Kram. 
Die ehrlichite, einfachite Hingebung an ihren Beruf; nicht nur die 
treuejte Pflichterfüllung, auch die liebenswürdigfte, welcde 
jelbft ein Opfer nicht verfagte, fobald das Gedeihen des Ganzen ein 
Dpfer in Anfprudh nahm. Dazu eine Vertreterin guter Gejellichaft, 
eine Vertreterin des Gefitteten, des Wohlanftändigen, und ſchon deß— 
halb eine Perle fürs Burgtheater. Sie war von Haufe aus gut er- 
zogen, und das hat ihr und uns die veichlichjten Früchte getragen, 
denn dadurd war fie für die gute Geſellſchaft Wiens eine immer 
willfommene Erſcheinung, ein zartes, feines Band zwijchen 
Publicum und Schaubühne, und dadurch wurde fie für das 
Geſellſchaftsſtiück — um das Converſationsſtück deutich zu benen- 





Das Burgtheater. 309 


nen — eine überzeugende Kraft. Und dieſen Schatz follten wir 
bingeben! 

Seribe, der franzöfifche Luſtſpieldichter, kam damals auf einige 
Tage nah Wien, und ich hatte das Vergnügen, diefen Vater des 
bürgerlichen Luſtſpiels in's Burgtheater zu führen. Er war ein 
fleiner alter Herr mit weißem Haupte. Unter Karl dem Zehnten 
ſchon hatte er feine theatralifche Yaufbahn begonnen und die ganze 
Juli-Monarchie hindurch Stüde gefchrieben, die Nepublif hatte er 
überdauert und fürzlich noch „Mein Stern” gebracht, eine heitere 
Berfpottung des Kaiſerſterns. Er war recht müde, aber gar nicht 
blafirt, und er wollte beiläufig doch auch jehen, wie man in Wien 
Komödie fpiele. Auf meine Frage, ob er ung nicht wieder ein 
größeres Stück fchenfen werde, erwiderte er achjelzudend: „Woher 
den Hintergrund nehmen? Wir haben feine „Geſellſchaft“ mehr”. 
Ich glaube, er war damals mit den „Feenhänden“ beſchäftigt, in 
denen eine Herzogin Putzmacherin wird und denen in Frankreich der 
Erfolg heftig bejtritten wurde. Aber er jprach nie über Pläne, 
deren er immer ein Dutzend auf dem Webjtuhle hatte, denn man 
brachte jie ihm won allen Seiten, damit er jie auf feinem Webjtuhle 
verarbeiten möge. Wir fonnten ihm feinen verrathen, denn er ver— 
jtand natürlich Fein Wort Deutjch, und ich ſah nicht ohne Beſorgniß 
drein, daß er fich langweilen werde, Ungemein höflich wie er war, 
verjicherte er Lächelnd, daß er dem Spiele ganz gut folgen könnte 
auch ohne Verſtändniß der Worte, Er fah mit voller Aufmerkſam— 
feit zu und erzählte mir nad dem Actjchluffe, was er gefehen und 
gehört zu haben glaubte. Kin Luſtſpieldichter combinirt fich ja aus 
einem Finger Hand und Fuß! Sch jtörte feine Kombination nicht 
durch Berichtigung und verwies ihn auf ven zweiten Act. Uner— 
jchütterlich aufmerffam ging er auch an diefen und ſchwieg volljtän- 
dig während des Spiels. Plötzlich gerieth er in Bewegung und 
nach kurzer Frilt wendete er fich zu mir und jprach: Voilà une 
aetrice! — Youife Neumann war aufgetreten, 


310 Das Burgtheater. 


Sie war formell franzöfiich erzogen, und diefe Formen hat fie 
immer fejtgehalten. Ihr ſchwäbiſch angehauchtes Naturell — ale: 
manniſch, von der Wejtjeite des Schwarzwaldes — blieb davon un— 
verfürzt, ja unberührt, jo daß der heitere Mutterwitz fich in ven 
Formen gejellfchaftlicher Decenz höchſt graziöss ausnahm. Sie 
fonnte jtärfere Dinge jagen als manche Andere, denn fie flangen 
aus ihrem Munde und begleitet von ihrer jonftigen Haltung gar 
nicht jtarf, ſondern nur pifant, und fie jagte feine Dinge höchſt aus— 
drudsvoll, weil man empfand, daß jie ganz genau wußte, was fie 
fagte. Ihre gejellichaftlihe Bildung wußte Alles paſſend einzu- 
führen. 


Als ih fie 1845 das erſtemal ſah — fie jpielte die Floretta 
in der „Donna Diana“ — da hat fie mich wunderlich gefoppt oder 
Doch verwirrt. Zu der hübfchen Figur und der lebhaften Phyſio— 
gnomie mit fingen Augen, ſchönen Zähnen und Händen hatte ihr die 
Natur ein jchmales Stimmorgan gegeben, welches ein wenig auf- 
fiel. Damals wenigjtens — e8 bat fich fpäter mehr gefüllt — in 
diefer wortarmen Rolle meldete es ſich ſpitz und ſcharf. Es frap— 
pirte mich, und nach der erſten Scene dachte ich: das iſt entweder 
ein curioſes Perſönchen, oder es iſt eine ſehr gute Schauſpielerin! 
Am Schluſſe des Stückes hielt ich ſie für eine ſehr gute Schau— 
ſpielerin. 


Sie hatte in einem ganz anderen Sinne Geiſt als Fräulein 
Goßmann. Bei viefer erihien die geiftige Kraft à la sauvage, 
brüsf herausfordernd ; bei Louiſe Neumann erſchien dieſe Kraft 
(eifer, worfichtiger, und erjt, wenn jie des Terrains ficher war, wagte 
fie einen Sprung. Nur gerade jo weit, als abjolut nothwendig 
war, und ihr jchallendes Gelächter drüdte ven Stempel darauf, daß 
Altes harmlos gemeint wäre. Sie lachte vortrefflih. Kurz, das 
begabte Naturell war breiter und weicher in ihr, als bei Fräulein 
Goßmann, und die gefellige Zurückhaltung oder Ausgleihung war 


Das Burgtheater. all 


jtets zur Hand, während der humoriftifche Geiſt der Goßmann 
ohne Rückhalt vorbrac. 

Dieſe fieben erften Jahre meiner Divection, die Werbung um 
Lea, war fie mir die getrenefte und feinjte weibliche Hilfe. Sie 
rieth und warnte grundehrlich. Immer bejcheiden, immer mehr 
fragend als ſagend, eigentlich immer naiv, Bei aller Weltflugheit 
blieb ihre Seele in allen Dingen naiv; eine unfchäßbare Eigen- 
ſchaft an einer Frau. Ueber Yiteratur, über Stüce, über Menfchen, 
wenn fie noch jo genau unterrichtet war, ſprach fie nie mit der Be— 
jtimmtheit eines Kenners, nie apodiftifch. Auch da fragte jie ſtets: 
St dies nicht bei aller Vortrefflichkeit, die ich nicht verſtehe, doch 
von zweifelhaften Werthe? Oder umgefehrt: It dies nicht bei 
allem Tadel, den es erfahren, doch vecht beachtenswerth? Sie 
mochte nie entjcheiden, auch ihr Urtheil wollte jung bleiben und 
belehrbar — ein naives Mädchen. 

Wie fträubte fie fich, aus ihrem engen Nollenfreife herauszus 
gehen! Der bare Gegenjab zu Dawifon und Seebad. Und doch 
mußte ich fie dazu drängen. Ich hatte eigentlich Feine andere Luſt— 
ipiel:Xiebhaberin, und gerade ihr Weſen war ja vorzugsweiſe ges 
eignet, die Luſtſpiel-Liebhaberin darzujtellen auf einem Theater, 
welches einfache Natürlichkeit zum Ausgangspunfte der Darjtellung 
nimmt. ben weil Nichts, auch nicht Eitelfeit oder Ehrgeiz, fie 
aus der einfachen Natürlichkeit hinaustreiben konnte, eben deßhalb 
war fie ja wie berufen, die Erweiterung ihres Nollenfreifes anzu- 
jtreben. Die Garantie war ja eben vorhanden, daß dies nur in 
folgerichtiger Weife gefchehen würde und daß jie nirgends im die 
Wahl falfchber Mittel verfallen fünnte, Mißtrauen in ihre Kraft, 
Zweifel an ihrer Begabung famen bei jeder neuen Rolle, welche 
nicht blos naiv war, in Rede; ſie nämlich brachte das in Rede, 
und alle Wendungen wurden erwogen wie auf eimer Goldwage. 
„Doctor, das fann ich nicht!” war das dritte Wort, und dabei 
zeigte fie von Rolle zu Rolle, daß ſie viel mehr fonnte, als fie fich 


312 Das Burgtheater. 


zugetraut. Wie jchön fpielte jie die Prisfa in den „Kriſen“, welche 
einen fentimentalen Proceß durchzumachen hat, obwohl jie gemeint 
hatte, gerade der ſtünde ihr nicht zu Gefichte. Wie Treffliches 
leijtete fie in der „Königin von Navarra‘, die ihr fehredlich war. 
Und hier hatte fie auch Recht mit ihrem Schreden; bier famen 
Grenzpflöde, welche jie nicht überfchreiten fonnte. Theils in der 
Sauce jelbjt, welche jtärfere Ausdrucksmittel verlangt, als fie beſaß, 
theils in der nicht eben organischen Führung der Rolle, welcher 
Virtuoſenzüge angeheftet find. Das Declamiven mit politifcher 
Beweisführung vor Kaifer Karl war für Louiſe Neumann eine 
fünjtliche Zumuthung, über welche wir bei der Probe viel gelacht 
haben, Sie lachte mit, aber fie hatte die ſchönſte Luft, darüber zu 
weinen, und fie ſchalt mich mit Necht, daß ich fie in Wildniſſe führe, 
in denen fie nicht durchkomme! Namentlich das enge Organ be- 
hinderte fie. Und dennoch ift ihr der größere Theil ver Rolle nie 
mehr nachgefpielt worden, und das Stüd hat mit ihr den ange- 
nehmen Mittelpunft verloren. Es wurde ihr ganz erreichbar, die 
naive Schalfhaftigfeit des naiven Mädchens zur liftigen Spiegel- 
fechteret der vornehmen Dame zır jteigern. 

Und al’ dieſe anmuthigen Studien jollten plößlich ein Ende 
nehmen! Anmuthig, weil fie fo gefund entjtanden. Sie begannen 
mit den einfachiten Fragen wie bei Kindern, Bekanntlich fragen 
Kinder jo ſchwer, daß der Weifefte in Verlegenheit fommt und 
jih Nechenjchaft geben muß von Dingen, die fih won jelbit 
verjtehen jollen und ſich doch gar nicht von ſelbſt verjtehen. 
Gerade ſolche Fragen, aus naivem Grunde aufjteigend, find ein 
Segen bei Kunſtſtudien — jie ſchützen vor Sau und unwahrer 
Täuſchung. 

All dies Grundelement guter Komödie im Burgtheater ſchien 
mir verloren zu gehen mit dem Ausſcheiden einer Louiſe Neumann 
— ach, es waren traurige Tage, als ſie ihre letzten Rollen ſpielte, 


Das Burgtheater. 313 


und als jie zum erſten- und lettenmale vortrat, um perjönlich zum 
Publicum zu jprechen und Abſchied zu nehmen! 

Eines der echtejten, der liebjten Blätter in der Geſchichte 
des Burgtheaters war vollgeſchrieben und mußte umgewendet 
werden. Und wir haben's doch getragen, aber fragt uns nur 
nicht, wie?! 


XXV. 


Die Ehebündniſſe, welche uns die beiten Yiebhaberinnen ent- 
zogen, machten doch nur uns unglüdlich und machten wenigitens die 
Liebhaberinnen glücklich. Um diefe Zeit aber ſchürzte ſich unter 
unferen Augen das Bündniß einer unferer Damen, weldes uns 
und auch diefe Dame unglüdlich machen follte. Und was noch 
ſchlimmer: wir hätten’s wohl verhindern fünnen. 

Ich fand am Burgtheater ein weibliches Talent erften Ranges, 
und freute mich königlich auf deſſen mannigfaltige Entwidlung, 
welche mir vor Augen jchwebte. Es hieß Mathilde Wildauer. Wie 
berfömmlich war jte lange in ausdrudsiofen Yiebhaberinnen hinge— 
halten worden, ihr Talent für komiſche Charafteriftif war aber end— 
lich doch durchgebrochen. In einem localen Vaudeville namentlich, 
alfo in einer für das Burgtheater ungefeglichen Gattung, „Das 
Berjprechen hinter'm Herd’ geheigen, hatte Fräulein Wildauer eine 
Darftellungskraft nieverländifchen Genres entwidelt, welche auf dem 
ganzen deutjchen Theater nicht ihres Gleichen hatte. Jedermann 
mußte dieje Leiſtung clafjiih nennen. Auf diefem Grunde erbaute 
ih meine Schlöffer, welde Wildauer heißen follten. Rollen, welche 
ich ihr gab, wie die Katharina in ver „Widerſpenſtigen“, wie das 
Kammermädchen in der „Mördergrube“, bejtätigten nach verjchie- 
denen Seiten meine Hoffnung volljtändig: es jtand ein komiſches 
Talent vor uns von echtejtem, gejundeftem Urfprunge, von fünft- 
lerifcher Kraft, von weit ausfehender Dauer. Denn es zeigte fich 


Das Burgtheater. 315 


von fo unbefangenem Sinne in Bezug auf äußere Erfcheinung, es 
fleivete fich als Nanverl jo unbefümmert um modifchen Reiz, daß 
die Laufbahn in's Fach ver komiſchen Alten ausgeſteckt vor uns lag, 
wie Signalftangen über Feld und Thal die Richtung einer Eiſen— 
bahn feititellen. 

Die barafteriftifchen Farben, welche fie wählte, waren wohl 
noch etwas zu gleichartig, Troß, brüsfes Schmollen, trodene Ironie, 
Zurücziehen der komischen Wirkung in einen engen Berjtandes- 
winfel fehrten noch ein wenig jtereotyp wieder, aber als Farben 
jelbjt waren fie jehr tüchtig, und Fräulein Wildauer war von ge— 
wectejtem fünftlerifchen Berjtande: einmal in die Schaffung jolcher 
Charaktere conjequent eingeführt, hätte fie ohne Zweifel neue Farben 
und eine neue Mifchung verjelben zu Stande gebracht. Sch bin 
gründlich überzeugt, daß eine clafjifche Kraft und alles Zeug zu 
einer claffiichen Künftlerin in ihr vorhanden war. Und fie wurde 
uns entzogen, wurde fich entzogen durch eine Liebjchaft mit der 
Muſika. Sie wollte durchaus fingen. Leider fonnte fie es auch, 
und leider that ihr meine Behörde, welche auch Behörde des 
Dperntbheaters war, allen Willen. Ich mochte einfprechen jo viel 
ih wollte, ich mochte beweifen jo oft ich wollte, daß man nicht 
zween Herren dienen fünnte, daß ihr großes Talent fürs Burg- 
theater verloren ginge, ohne daß wahrjcheinlich etwas gleich Be— 
deutendes für die Oper entjtünde — ich wurde abgewiejen. Und 
jo entjtand, was entitehen mußte. Sie begnügte fich auch in der 
Dper nicht mit dem Kreife, welchen ihr jtarfes Talent beleben 
fonnte, fie wurde ganz Primadonna, erichöpfte fich in einer Rich- 
tung, welche nicht ihr natürliches Fach war, welche fie aljo auch 
übermäßig anftvengte, und zog fich endlich noch in frifchem Lebens— 
alter ganz von der Bühne zurück, weil naturgemäß Enttäufchungen 
für fie eintraten in einer Kunſt, welche ſie nur mit Anftrengung 
erlernen, nur mit Anjtrengung üben fonnte. Das, was ihr leicht 
war, was ihr von jelbjt zufiel, was ihr vortrefflich gelang, was ihr 


316 Das Burgtheater. 
bis zu hohen Alter treu geblieben wäre, was ihr einen unvergäng- 
lichen Künftlernamen erworben hätte, das achtete fie gering und 
warf jie endlich mit dem mühjam Grrungenen in den Abgrund. 
Damit wir das Nachjehen doppelt Tchmerzhaft hätten, wurde auch 
noch der Burgtheatercafje die Penfion zugetheilt dafür, daß wir die 
Schaufpielerin über ein Jahrzehnt völlig entbehrt und an die Oper 
abgetreten hatten. Ein volles Bild jchädlichen Protectionswejens 
und einer Verwaltung, welche außerhalb artijtiiher Grundſätze 
über artiftifche Kräfte verfügt. Der Kunſtverluſt ift in dieſem 
Falle jchreiend. 

Eigentlich Habe ich mich immer damit getröjtet, ja ich tröſte 
mich noch damit, daß diefer Verluft nicht unwiderruflich fei. Seven 
Tag fann Fräulein Wildauer wieder eintreten in's Burgtheater. 
Eine fundige Direction und das ganze Publicum werden fie mit 
Jubel aufnehmen, und fie fann die unterbrochene Yaufbahn einer 
charakteriſtiſch komiſchen Schaufpielerin fortjegen, ja mit gereifter 
Einficht fie zu einem glänzenden Ziele führen, Sie iſt in ihrer 
Gefundheit angegriffen, leiver! Aber jie beherrſcht alle Mittel für 
dies Schaufptelfach mit größter Leichtigkeit, es wird fie das erneute 
Wirken im Schaufpiele nicht überanjtrengen, und die Genugthuung, 
welche jie in ihrer echten Kunjt erleben wird, kann ihr Nervenleben 
kräftigen. Sie ift hypochondriſch, nun — unfere beiten Komiker 
waren und ſind hypochondriſch und erfrifchen außer uns auch fich 
jelbjt durch den Humor, welchen die Kunſt befreit vom engen Ge- 
fängnifje der Einſamkeit. Die Wirfung auf ver Scene jprengt 
ſolche Gefängnißthüren — Mathilde Wildauer möge dies lefen und 
jih herzhaft entichliegen ! 

An neuen Stüden brachte diefe Zeit „Graf Eſſex“ won Yaube, 
„Klytämneſtra“ von Tempeltey, „Iphigenie in Delphi” von Halm, 
drei Trauerjpiele. Die gleichzeitigen Lujtipiel-Nenigfeiten waren 
unbedeutend. Ja, auch das neue Frühjahr — 1857 — brachte 
zunächſt wieder zwei Trauerjpiele, „Sophonisbe“ von Herich und 


Das Burgtheater. 817 


„Brutus und jein Haus‘ von Roderich Anſchütz. Dann erſt fehrten 
beitere Schaufpiele ein, und zwei von ihnen wurden dauernd ein: 
gebürgert: „Die Grilfe” von Frau Birch Pfeiffer und eine Be- 
arbeitung nach dem Franzöfiichen, „Die Biedermänner“. 


Bon den Traneripielen iſt „Graf Eſſex“ am Leben geblieben. 
Es ſteht mir über das Stüd fein Urtheil zu. Ich habe auch kaum 
die unbefangene Einficht und empfinde feinen befonderen Drang, 
den Tadel zu entwideln, welchen es verdient. 


„Klytämneſtra“, von Tempeltey, fand eine originell günstige 
Aufnahme. Der Berfafjer, ein junger Mann aus Berlin, hatte 
die vorliegenden griechiichen Bauſteine mit glücklichem Talente auf: 
gefchichtet und das, was wir ein „Arcitefturftücd‘ nennen, mit 
frifhem Sinne belebt. Solche Architefturftücde bewerfftelligen ihr 
Gerüft mit hiftorifch befannten Vorgängen und Yeidenjchaften, und 
führen den Bau zu Ende in überfommenem Style. Wenn ihr 
Baumeifter nicht ein Talent erſten Ranges ift, fo ift feine Dauer 
zu erwarten von diefer Form. Sie find zu clalfiicher Uebung da, 
und jenem erjten Abende ver „Klytämneſtra“ fam ein befonderer 
Impuls zu Hilfe. Der junge Dichter, welcher nach den Actſchlüſſen 
vor dem Publicum erichien, machte perjönlich einen gar lebendigen, 
angenehmen Eindrud, und man jah es ihm an, daß der Erfolg fein 
Herz jehwellte wie eine Yiebesgabe. Sp wollte man ihn wieder: 
jehen und vief ihn nach jedem Actſchluſſe. Dazu gefellte fich ein 
euriojes Ereigniß. Agamemnon, nur am Schluffe des Actes 
erſcheinend, jtürzte Franf zufammen; eine Ohnmacht überfiel Herrn 
Wagner. Das Stüd, kaum angefangen, fonnte nicht weitergefpielt 
werden. Was thun? Es war ein Laufen und Fragen und Schreien 
obhnegleichen. Ich jtand rathlos in vem Getümmel, follte befehlen 
und wartete ſelbſt. BVielleicht erholt fich Agamemnon? Nein. 
Vielleicht giebt feine Rolle einen Fingerzeig? Ja. Die Rolle war 
jehr furz. Sie hatte nur noch eine Scene Erzählung. Wäre das 


518 Das Burgtheater. 


nicht auch ohne Wagner zu bewerfjtelligen? Die ganze Stimmung 
im Publicum und auf der Bühne hatte durch den jungen, lebens: 
(ujtigen Dichter etwas Studentifches. Er ftand ganz erjtaunt da 
in dem Tumulte und verjpeilte Eis; es jhien ihm ganz unmöglich, 
daß jein Stüd ſchon am Anfange zu Ende jein ſollte. Unmöglich! 
Es wird ſich Thon was ereignen. So fam man auf jtudentifche 
Gedanken. Lußberger jtand neben mir und bejtärfte mich in der 
preijten Idee, welche mir aufjtieg. Sie ging dahin, daß die ruhige 
Scene des Agamenmon von einem anderen Schaufpieler gelejen 
werden fünnte, Man jchreit. Im Frad? Nein, in Agamemnon’s 
Cojtüm. Wer? — Herr Nettich lieſt jehr gut vom Dlatte, feine 
Frau jpielt die Hauptrolle, er fennt das Stück, er ilt oben in der 
Loge, vielleicht übernimmt er die jeltene Aufgabe? — Nach einigem 
Sträuben übernimmt er fie wirklich, kleidet fich vajch, läßt fich dabei 
die Rolle vorlejen, lieſt jie dann ſelbſt noch einmal und jteht in 
furzer Friſt da und ift bereit. Der Regiſſeur fündigt vem Publicum 
an, welcher Ausweg erwählt worden fei, um es nicht unverrichteter 
Dinge heimzufchieen, und das Publicum applaudirt. Der Vorhang 
geht wieder auf, und Agamemnon fitt da und macht jeine Mit- 
theilung über den trojanischen Krieg, indem er ein fleines Papierheft 
zu Rathe zieht, offenbar Notizen aus dem Feldlager. Herr Rettich 
machte das jehr geſchickt, und wer nicht hinſah oder wer furzfichtig 
war, der fand gar nichts Auffallendes. Mit Beifall ging er ab, 
um hinter der Scene ermordet zu werden. Yebteres machte gar 
feine Schwierigfeit, und fein Schrei hinter der Couliffe war auch 
für Weitfichtige überzeugend. Kurz, die Vorſtellung vollte in 
gutem. Geleife weiter bis zum Ende; der junge Dichter ftürmte 
dankſagend hervor nach jedem Acte, es war eim glänzender Er— 
folg. Die ſtörende Epifode hatte das Intereſſe eher erhöht als 
vermindert. 

Die Wiederholungen gefielen auch, nur wurde das Häuflein 
Zufchauer für die griechiiche Mythe immer dünner, und die ſprühende 


Das Burgtheater. 319 


Fadel löjchte allmälig ganz aus. Es war eben nur eine Fadel, wie 
das herfümmlich it bei Architefturjtüden. 

Den nächjten Stoff ſuchte Tempeltey im deutſchen Mittelalter, 
und er wuhte ihn nicht aufführbar zu gejtalten. In der „Klytäm— 
nejtra‘ war enge, jtrenge dramatiſche Faſſung; hier war loſes Aus— 
einander, Mangel an vramatifcher Compofition. Dies ijt das Ge— 
heimniß der Arcchitefturftücde und ihres Tcheinbaren Yebens: Bau— 
jteine und Riß liegen vor, das fügt ſich auch mit mäßigem Talente, 
Kommt verjelbe Dichter aber hinaus in die freie Romantik, da 
fehlen alle die vorgezeichneten Yinien und die ausfüllenden Werk 
jtüde, und die Berirrung in romantische Wildniß tritt ein, die auf 
dem Theater Untergang heißt. 

Mahnt doc ein ganz neues Deifpiel daran: Yındner, der Ver: 
fajler von „Brutus und Collatinus”, zeigt eine jo bedeutende Kraft 
in Ausbeutung des römiſchen Stoffes und der ihm innewohnenden Ge- 
danfen; ergeht aber mit jeinem zweiten Stüc ebenfalls in unſer roman— 
tiiches Mittelalter und — verliert ebenfalls ven dramatifchen Halt, 

Hoffentlich belehrt ihn diefe Erfahrung. Und jo fcheint e8 
nach der Notiz: jein dritter Stoff jei Katharina von Rußland. 
Dieſe Wahl würde beweifen, daß er ein Bedürfniß der Concentra> 
tion empfunden. Tempeltey aber hat gefchwiegen feit feinem „Ritte 
ins alte romantiſche Land“. Doch nein! er hat noch eine Studie 
im Iffland'ſchen Genre gebracht, welche als Weg beachtenswerth, 
als Stüd nicht mächtig genug war. 

Es folgte bei uns „‚Iphigenie in Delphi” won Friedrich Hal, 
Auch dies Drama greift nach den Bortheilen des Architefturjtüces, 
für welches Charaktere und Handlung längſt aufgebaut find durch 
Tradition. Da ift der Zweifel ausgefchloffen, und eine gewiſſe 
Weihe fommt entgegen; es handelt jih nur um ein Mehr over 
Minder der Kunjtfertigfeit. Iſt dieſe clafjiih groß, wie bei Goethe’s 
„Iphigenie“, jo bewahrt die Nation jolche Arbeit in ihrer Literatur 
und, wenn irgend möglich, auch auf ihrem Theater als ein jchät- 


320 Das Burgtheater. 


bares Kleinod. Nicht zum Hausgebrauche, nur für die Fejttage und 
vorzugsweife zum edlen Beiſpiele. Das große Publicum erfährt 
Nichts davon, die Arbeit ift zu vornehm, weil zu fern in Stoff und 
Gedanfen, Die Gebilveten aber laben ſich daran, die gefchlechtslofe 
Schönheit verehrend. Juſt die Gejchlechtslofigfeit iſt folchen Werfen 
eigen; denn fie find nicht gezeugt, jie find erworben durch das 
Studium des Schönen. 

St für dieſe Architefturjtüce die Kraft nicht claffiich groß, 
dann werden fie Schul-Exereitien. Iſt die Kraft, wenn auch für 
Claffieität nicht ausreichend, doch von formeller Schönheit gehoben, 
dann haben jolche Stüde immerhin einen äfthetifchen Werth für ein 
gutes Theater. Sie bieten edle Studien für das Publicum und 
für die Schaufpieler. 

Ein jolches Stüd iſt diefe „‚Sphigenie in Delphi”, und in 
jolcher Beziehung gehört fie zum Werthoolliten, was Halm gefchrieben. 
Es fehlt ihr wohl zur claffischen Größe der letzte Stempel, weil dem 
Berfafjer die innere Macht eines bedeutenden Menfchen fehlt, aber 
das Talent des Verfaffers rückt fie doch in der Anmuth ihrer Faſſung 
ziemlich hoch hinauf, 

Bei jolhem Stoffe thut auch das weniger Eintrag, was bei 
den anderen Halm'ſchen Stücken der Begriff „Komödie“ Ab- 
Ihmwächendes mit fich bringt. An den Stoff der jo entfernten grie- 
chiſchen Mythe legen wir nicht ven Maßſtab lebensvoller Wahrheit; 
wir haben es ja mit Öejchöpfen zu thun, welche unferem menjchlichen 
Bedürfniſſe weit entrücdt find, Sie verfehren mit Halbgöttern 
und Göttern, das Ganze ruht über oder doch außer unferem Lebens— 
freife, aus welchem das Drama auf unferer Bühne erwachjen joll, 
um uns echt zu treffen. Die fchöne Form ift alfo hier von entjchei- 
dender Wichtigkeit, und Halın hat fein Talent ſchöner Form in diejer 
„Iphigenie“ am wohlthuendften entwidelt. Und gerade für dieſe 
verdienftliche Arbeit hat ev am wenigften Danf geerntet. Die Theil: 
nahme des Publicums zeigte fi in geringem Maße, das Stüd ver: 


Das Burgtheater. 321 


ſchwand nad) vier Borftellungen. Ich hätte es gern alle Jahre 
wieder gebracht, aber es trug feinen Todeskeim in der Bejetung. 
Wie immer hatte der Dichter die mächtigfte Rolle, die der Eleftra, 
für Frau Rettich bejtimmt, und gerade folche Rollen waren die ges 
führlichiten für dieſe Schaufpielerin. Griechifche Welt mit ihrer 
unabweislichen Anforderung ſchöner Bewegung, und heftige Leiden— 
fchaft dazu, welche zu heftiger Bewegung trieb — das waren bie 
ſchlimmſten Klippen für Julie Rettich. Das Verſtändniß ihrer Auf- 
gabe führte fie zu allen Conjequenzen ver Aufgabe, und fo entjtand 
das Aeußerſte von Falter Yeidenjchaft, die nur vom Berftande zum 
Verſtande fprach, und fo entjtand eine Action des Körpers, welche 
den Augen wehe that. Ihr Gebahren mit der Art wirkte zerftörend 
auf die vichtigjten Intentionen des Dichters. Fräulein Wolter 
fönnte für diefe Rolle ausgebildet werden, und dann wäre eine 
Wiederaufnahme des Stüdes recht ſehr anzurathen. 

1857 fette, wie gefagt, die Architefturftüce fort. Zuerſt fam 
„Sophonisbe‘ von Herih. Diefer Stoff ift einer der veichhal- 
tigiten in der überlieferten tragiſchen Architektur. Jeder poetiſche 
Wandersmann erweckt mit einer „Sophonisbe‘ trügerifche Hoff- 
nungen, und wie viele jolche Wandersmänner fehren ein auf ver 
deutichen Bühne! 

Herſch iſt durch ein zweites Stüd, „Annelieſe“, ein Jahr 
ipäter allgemeiner befannt geworden. Es hat in Norddeutſchland, 
wohl zum Theil durch Erinnerung an den alten Deſſauer, Glüd ges 
macht und hat ſich nur im Burgtheater zu dünn erwiefen. Fräulein 
Goßmann genügte auch bei uns der Hauptrolle nicht ganz, wie pifant 
jie Einzelnes ſpielte. Man ſah an ſolchen Rollen, daß ihr Weſen 
doch nicht Fülle genug hatte, um ein Stück zu tragen, welches in der 
Hauptfigur die vollen Eigenſchaften eines weiblichen Weſens brauchte, 
voll in der heitern wie in der ſentimentalen Kraft. Ihre innere Struc— 
tur erwies ſich bei jolchen Hauptproben immer ein wenig fplitterhaft. 


In diefer „Sophonisbe“ hätte Niemand die ältere Schweiter 
Zaube, Burgtheater. 21 


322 Das Burgtheater. 


einer „Annelieſe“ vermuthet. Sie war ganz ernjthaft in ihrer Archi— 
teftuv, und einmal im Zuge mit diefer dramatifchen Gattung — e8 
gab eben augenblidlich feine andere! — hatte ich fie meiner Be— 
hörde eingereicht wie eine Nothwendigfeit des Tages. 

Mein Chef, welchem vie Cenſur ver Stücke oblag, war um jene 
Zeit durch ein Augenleivden am Yejen verhindert, war aber jehr 
pflichtgetveu und fühlte ſich gepeinigt, die Erledigung eines Stückes 
verzögern zu müffen. Er ließ fich alſo vorleſen, und ausnahms— 
weije verrichtete ich einmal diejes Amt bei zwei Stüden, die ich 
vafch befördert jehen wollte. Das eine war jene „Sophonisbe”, 
das andere eine Bearbeitung der „Faux bons hommes“. 

Zum Vorleſen jind dieſe dramatifchen ‚„‚Architefturen‘ am 
beiten geeignet. Man fennt ven Riß, man fennt die Bauiteine, 
man folgt dem Aufbau mit Yeichtigfeit, und die jogenannte „ſchöne 
Sprache‘ thut das Uebrige. Unter „ſchöner Sprache” hatte jich in 
unjere poetiſche Dramatik ein hohles Verſeweſen eingeſchlichen, 
welches abgenützte Gedanken anſpruchsvoll vorträgt und durchſchnitt— 
lich des eigenen Tones und Charakters entbehrt — eine poetiſche 
Jahrmarktswaare für die nur äußerlich theilnehmende Partie des 
Publicums. Dieſer verſchwommene Geſchmack iſt in den letzten 
zehn Jahren allmälig außer Credit gekommen im Burgtheater. 

Nun, ich las denn die afrikaniſche „Sophonisbe“ mit aller nur 
erreichbaren Hingebung, und das Stück fand vollſtändigen Beifall. 
Solche Gattung von Stücken iſt älteren Beſuchern des Burgtheaters 
aus vornehmen Kreiſen wie der Kuhreigen, welcher an poetiſch ge— 
heißene Zeit der Jugend gemahnt. Die Leidenſchaften bewegen ſich 
höflich im Geleiſe altgewohnter Art, kein ſträflicher Gedanke erinnert 
an das Treiben der Gegenwart, es iſt durchweg ein angenehmes 
Spiel unverfänglicher —— für welches ein Hoftheater da 
ſein ſollte. 

Mein Chef war in manchen Punkten ſeiner Geſchmacksrichtung 
weiter als ſein Vorgänger, Graf Moritz Dietrichſtein, welcher den 


Das Burgtheater. 323 


regelmäßigen Klingflang jolcher dramatiſchen Architektur Höchlichit 
verehrte; aber für folche unverfüngliche Stüde aus der Vorzeit, 
welche auch nicht die fleinjte Wunde des Tages berührten, hegte auch) 
er eine natürliche Vorliebe. Eine natürliche, weil der Standpunkt 
dieſer Herren ganz ihrer Stellung gemäß confervativ jein muß, 
wenn ihnen nicht ein befonders lebhafter Geijt das Bedürfniß ent- 
widelt, irgendwie jchöpferifch vorzugehen. Am Ende iſt es ja auch 
in der Ordnung, wenn einmal zwei Directionen walten, daß die 
ichöpferiichen Ideen won der artijtiichen Divection ausgehen müjjen, 
und daß die Milderung und Mäßigung der oberen Direction zujteht, 
wie im englijchen Unter: und Oberhauſe. Das iſt ganz in der Ord— 
nung, wenn nur das Unterhaus wirklich jchöpferifch vorgeht und 
wenn nur das Oberhaus wirklich nur mäßigend ausgleicht. 

Am zweiten Abende las ich „Die Biedermänner“ und fiel 
gänzlich durch. Schon in der Mitte des Stüdes hieß es: Hören 
Sie auf! Das ift nicht auszuhalten, und dergleichen hält auch das 
Publicum des Burgtheaters nicht aus. 

Nun fommt die Aufführung, dies unberechenbare Ereigniß, 
welches die VBorlefung jo oft verſpottet. „Sophonisbe“ ging mit 
Mann und Maus zu Grunde, Die damalige tragifche Liebhaberin, 
Frau Würzburg-Gabillon, beförderte die Afrifanerin mit Sieben- 
meilenjtiefeln in den Acheron hinab. Jedes Rollenfach verlangt 
eben bejtimmte Cigenjchaften, welche durch das Talent wirffam ges 
macht werden. Cine umerläßliche Eigenjchaft der tragiichen Lieb— 
haberin ijt ein edles Gefühl, welches von ihr ausitrömt wie der 
Hauch des Herzens. Wo dies fehlt, find alle Kunſtſtücke vergebens; 
die echte, liebevolle Milde des Herzens läßt fich abjolut nicht fünft- 
ih nachmachen. Ein Poet, dem jie fehlt, fann fein rührendes 
Trauerſpiel jchreiben; eine Schaujpielerin, ver ſie fehlt, muß alle 
Aufgaben vermeiden, welche die Thräne erweden jollen. 

Ih vermied jtets äjthetiiche Recriminationen vor meiner Be- 
hörde. Sie erbittern nur und nüßen doch zu Nichts fin die Zufunft, 


a 


324 Das Burgtheater. 


Jeder von uns fann nur das werden, wozu er die Anlage hat, 
und wie oft irrte ich ſelbſt in ven Punkten, welche ich vfficiell 
verftehen ſollte. Kein Wort alfo vor meinem Chef über das ache- 
rontiihe Schidjal der „Sophonisbe“! Aber die nachträgliche 
Niederlage wollte ich doch ausnützen für die vorläufige Niederlage 
meiner „Biedermänner“. Ich erzählte alfo, daß ich an dieſen 
„Biedermännern“ geändert und daß ich namentlich die Hauptfigur 
für Beckmann ausgearbeitet hätte. Ich wollte nicht verlangen, daß 
das Stück nochmals gelejen würde, aber ich könnte verfichern, daß 
eigentliche Cenfurbevenfen in ſolchem Yujtipiele nicht vorhanden 
wären. Die äfibetifhen Bedenken bäte ich, ſämmtlich auf mein 
Haupt zu laden. 

Ich hatte in Wahrheit vie Rolle für Beckmann ausgearbeitet. 
Uebertragungen aus fremder Nationalstiteratur erheijchen für das 
Theater diejenigen Aenderungen, welche vem Publicum das durchaus 
Fremde in Gefinnung und Geſchmack näherrüden. Nur dadurd 
fann man auf der Scene acclimatijiven. Der Weg, welchen damals 
franzöfifche Yuftfpieldichter einfchlugen — Barriere und Sardou an 
der Spite —, indem fie ſcharf gefchnittene Charaktere in erite Linie 
jtellten, war ja doch für uns annehmbar, die wir die größte Schwie- 
rigfeit bei franzöfischen Stücken in leichtfertiger oder unmoralijcher 
Handlung finden. Die Charaktere fünnen wir fo modelliven, daß 
fie das Abjtoßende der Fremvartigfeit verlieren, Und zur jolcher 
Ausführung war Bedmann jehr geeignet. Seine fomijche Atmo- 
iphäre vertrieb aus den Rollen die wiverwärtigen Miasmen, wenn 
man ihm in der Bearbeitung entgegenfam. In diefem Sinne hatte 
ich Peponnet, die Hauptfigur der „Biedermänner“, ihres fremdar- 
tigen Charakters zu entfleiven gefucht. 

Kurz, das Schickſal ver „Sophonisbe‘ trug mir die Zulajjung 
der „Bievermänner‘ ein. Bekanntlich wurden jie ein unverwüſt— 
liches NRepertoireftüd, und Jedermann fennt ſie. Wer fennt „So— 
phonisbe“?! 


RN 


Das lebte jener Architefturitüde, ‚„Brutus und jein Haus‘, 
von Roderich Anfhüt, welches der ‚„‚Sophonisbe” auf dem Fuße 
folgte, fann ſich diefer Einreihung in eine herfümmliche Kategorie 
am erjten entziehen. Es ijt am jelbjtitändigiten componirt und hält 
jich am freiejten von überlieferten Formen und Gedanken. Roderich 
Anſchütz arbeitet erfichtlih aus eigenen dramatiſch-theatraliſchen Ge: 
danfen und verdient deßhalb größere Aufmerffamfeit, als ihm bis— 
her gewährt worden ift. Schon dieſem römischen Stüde ſah man 
an, daß der Verfaſſer aus ſich heraus jchaffen gewollt, und es fand 
fih auch eine Scene vor, welche — mehr imromantiichen Sinne — 
ganz neu hervorjprang zwijchen den Quaderſtein-Verhältniſſen ver 
römischen Urgeichichte. 

Roderich Anſchütz iſt ein Sohn unferes berühmten Schau— 
ſpielers Heinrich Anſchütz; er iſt aufgewachſen in praktiſcher Kennt— 
niß der Theater-Anforderungen, und das verleugnen ſeine Stücke 
nicht, wenn ſie ſich auch, wie hier, im alten Rom den Schauplatz 
ſuchen. 

Der Brutus in dieſem Stücke iſt der ältere Brutus, iſt Junius 
Brutus, welcher die Tarquinier verjagt und die römiſche Republik 
gründet. Sein „Haus“ ſind ſeine Söhne, welche ſich mit den Tar— 
quiniern gegen Rom verſchwören, gegen das Rom des eigenen 
Vaters. Der Herzpunkt des Stückes iſt alſo die grauſame Lage 
eines Vaters, welcher ſein Vaterherz opfern ſoll, um ſeinem poli— 


326 Das Burgtheater. 


tiichen Herzen zu genügen. Cr joll befehlen, daß man feine Söhne 
hinrichte. — Dies bleibt für ung ewig eine peinliche und unnatür- 
lihe Frage, und weil fie unnatürlich und peinlich, kann fie, meines 
Erachtens, von der Kunſt nicht gelöft werden und follte unaufge- 
worfen bleiben für die Kunit. 

Im erjten Monate nach einer Revolution, welche einen neuen 
Staat gegründet und das ganze Yeben der Bürger auf die Geltung 
der Staatsform zufammengedrängt hat, da mag diefe Brutus-Rolle 
im Theater Zuftimmung finden. Schon im zweiten Monate nicht 
mehr. Da drängt das Menfchenthbum ſich chen wieder hervor 
und räumt dem Staatsthume nicht mehr ein, daß die Verlengnung 
des natürlichjten Gefühles ſchön erſcheinen könne. Nothwendig 
vielleicht, aber nicht ſchön. Und das blos Nothwendige iſt feine 
Aufgabe für die Kunſt. Im letter Spite muß doch Alles, was die 
Kunft hervorbringt, ein Clement des Wohlthuenven in fich tragen, 
und wie joll das erreicht werden, wenn das Herz jehreiend Nein 
jagt zu dem, was ihm vorgeftellt wird? Namentlich wenn die Vor: 
jtellung auf der Bühne gefchieht, wo das Herz viel unmittelbarer 
berührt wird, als bei jever anderen Kunft. 

Die Statue des von Schlangen umrungenen Yaofoon mag 
Gegenſtand des fünjtleriichen Streites fein, und ein ftrenger Sinn 
wie Leſſing's mag dafür geiftvoll eintreten in den Streit — aber 
eine Statue appellivt auch ganz anders an unjeren Geſchmack, als 
ein Theaterſtück. Die ſchönen Yinien, die Hauptaufgabe der Statue, 
fünnen ums günftig anmuthen troß des graufamen Schmerzes, 
welcher den gepeinigten Mann zerwühlt — bei dem gemarterten 
Menſchen auf ver Bühne jind ſchöne Yinien ver äußeren Erfcheinung 
nicht der wichtigite Gefichtspunft. Wenn auf der Bühne dag mora- 
lifche Yeiden nur peinvoll und martervoll ift, da wenden wir ung 
ab, weil wir auch nur peinvoll und marterwoll berührt werden. 

Wie talentvoll auch Roderich Anſchütz die alten Steine feiter 
Gedanken und Vorfälle bewegt hatte durch den lebensvollen Hauch 


Das Burgtheater. 327 


einiger Scenen, er fonnte dadurch vie Mißlichkeit des Themas nicht 
vergejjen machen. Und das fraglice Vaterthum im Stüde jchlug 
ihm bei der Darjtellung noch eine bejondere Wunde, Naturgemäß 
verjagte der Bater Anſchütz, welcher.den Brutus fpielte, dem dich— 
teriijhen Sohne Anſchütz. Dieſe unnatürliche, blos politiſche Grau— 
ſamkeit lag gar nicht im Weſen des alten Schauſpielers; man ſah, 
daß dieſe Brutus-Darſtellung ein Ergebniß des Schulſtudiums war, 
aber mit der freien Künſtlerkraft eines vorzugsweiſe bürgerlichen 
und milden Darſtellers Nichts zu ſchaffen hatte. 

Da fehlte es denn nicht an Applaus, aber es war ſogenannter 
Familien-Applaus im guten Sinne des Wortes, und es fehlte an 
wahrer Theilnahme, alſo auch bald an Zuſchauern. 

Roderich Anſchütz hat ſpäter den bereit liegenden Werkſtücken 
des Architektur-Dramas gänzlich entſagt und eine „Joehanna Gray’ 
wie einen „Kunz von Kaufung“ gebracht, Productionen, welche beide 
der Rede werth ſind, obwohl die zweite gleich beim Auftauchen 
unterging. — Das geht wohl ſo, wenn eine neue Abſicht nicht gleich 
beim erſten Wurfe vollſtändig gelingt. Das Neue muß Glück haben, 
ſonſt wird es nach den Maßſtäben des Alten wohlfeil verur— 
theilt. 

Roderich Anſchütz wollte einen hiſtoriſch populären Stoff, den 
ſächſiſchen Prinzenraub, auch populär dramatiſiren — ein Plan, 
welcher ja den mechaniſch in Jamben einherſtolzirenden hiſtoriſchen 
Stücken weit vorzuziehen iſt. Die Hauptwendung des Stückes 
aber, die Gefangennahme des Kunz, war nicht beſonders gerathen 
und ſprach nicht an. Dadurch wurde das Ganze niedergeriſſen. 
Denn das Populäre wohnt immer dicht neben dem Alltäglichen und 
gar nicht weit vom Gemeinen. Wenn dem Populären alſo der ganz 
treffende Ton an entſcheidender Stelle verſagt, dann iſt es kläglich 
verloren, da Niemand ſo gering ſein will, Alltägliches annehmbar 
zu finden. — Trotzdem war die Intention des Dichters lobens— 
werth, und da er mit der Theaterwirkung wohlvertraut iſt, ſo ſollte 


328 Das Burgtheater. 


er feine Thätigfeit fir die Bühne nicht einftellen, wie ex feit jener 
Zeit gethan. Denn auch feine „Johanna Gray‘ unterfchied ich 
vortheilhaft von den üblichen hiſtoriſchen Stücken. Sie war nicht 
ohne eigenthümliche Charafteriftif und nicht ohne intime Züge. 
Unſere Darjtellung fonnte ihr aber leider nicht die nöthige Förderung 
bieten, denn nach Abgang des Fräulein Seebad) war unjere un— 
tragiihe Sophonisbe auch unfere Johanna Gray. 

Die völlig modernen „Biedermänner“ gingen wie über Ruinen 
lachend über all jene Architefturftüce hinweg, und lachend ging das 
Publicum mit ihnen wochenlang, monatelang. Ein greller Sieg 
des Interejjes, welches im Neize dev Gegenwart liegt, 

Und gerade dies wird von deutſcher Theaterfritif am viel 
fachjten verfannt. Sie behandelt geringichätig, was fic) auf der 
Bühne mit dev Gegenwart bejchäftigt, und verliert dadurch bie 
wichtigite Gelegenheit, dem Theater zu nüßen. Brutus ift ihr 
interefjanter als Doctor Fiſcher. Auf dem Theater und beim 
Theater » Bublicum iſt's umgefehrt. Ein Theater hat die größte 
Macht darin, daß es die Gegenwart anjprechend darftellt. Dadurch 
gewinnt es das größte Publicum, dadurch nöthigt es feine Schau- 
jpieler zur Wahrheit und fein Publicum zur Würdigung wahrhaf- 
tigen Spieles. Denn bei den Stoffen der Gegenwart find alle 
Zufchauer bis auf einen gewillen Grad urtheilsfähig: ob das, was 
dargejtellt wird und wie es dargejtellt wird, richtig und treffend fei. 
Und von der Gegenwart ausgehend, führt ein Theater in richtiger 
Folge und auffteigender Reihe fein Publicum und feine Schau— 
Ipieler natürlich und gefund zu ferner liegenden Aufgaben wie zu 
höher liegenden Aufgaben. Ein jo herangebilvetes Bublicum und 
jo heraufgezogene Schaufpieler gehen an ein hiſtoriſches Schaufpiel 
einfach und ehrlich. Da tft ein verbilvetes Pathos und ein ver— 
fünftelter Styl nicht mehr möglih, da erfolgt die nothwendige 
Steigerung des Vortrages und Styles in organijcher Weife, jie er: 
folgt unjerem Bildungsjtandpunfte angemefjen, und das ganze 


Das Burgtheater. 329 


Theater bewahrt fich ven Ton der Wahrhaftiafeit, mit dieſem Tone 
aber die einzig treffende und dauernde Macht. 

Auf den deutjchen Theatern hat man feit Jahrzehnten ven ums 
gefehrten Weg verfolgt, und gerade dadurch hat man das deutjche 
Theater gefährlich beſchädigt. 

Das Schaufpiel dev Gegenwart, das heutige Stüd, nenne 
man’s Converſationsſtück, Gejellfchaftsjtüd oder jonjtwie, ift 
namentlich auf den deutjchen Hoftheatern als etwas Triviales ver- 
nachläffigt worden, und gerade dadurch hat man die lebensvolle 
Theilnahme des Bublicums verloren, hat man die Bildung der 
Schaufpieler verwirrt und insbejondere die Schaufpieler zu ge— 
ipreizter Unnatur verleitet. in gelangmweiltes Publicum und 
manierivte Schaufpieler find aber der Verfall ves Theaters. 

Einige junge Kritifer in den deutfchen Refidenzjtädten wiſſen 
heute noch nicht, um was es ſich handelt, wenn jie gegen das fran- 
zöfiiche Stück auf dem Burgtheater eifern und mich namentlich 
einen Förderer der Franzoſen jchelten. Um die Franzofen ift es 
uns nicht zu thun, jondern um das Schaufpiel der Gegenwart. 
Gelingt es deutjchen Dramatifern, wie zum Beiſpiele Freytag, 
Hadländer und einigen anderen, jo iſt uns das hochwillkommen, 
zehnmal willfommener als das Stüd eines Fremden, denn die 
heimathliche Seele jteht uns ja zehnmal näher, und bei Franzofen 
haben wir ja immer ein Quantım fremdartigen Elementes auszu— 
jäten. 

Die Wiener find auch immer unberührt geblieben von diejen 
Ichiefen Vorwürfen. Sie wiljen zu gut, daß ihr Theater nicht 
leben fann ohne das Stüd der Gegenwart. Auch die Wiener 
Dramatiker willen das, und es entjtehen unter ihnen immer viel 
zahlreicher als irgendwo im deutjchen Reiche Talente, welche das 
moderne Schaufpiel anbauen. 

Man hat wohl gefabelt, das Wiener Rublicum fei gemischt 
wie die Bevölkerung Defterreihs, und hat daraus gefolgert, daß 


350 Das Burgtheater. 


franzöfiibe Stüde bier leichter Eingang fänden. Nichts kann 
falicher fein. Das Wiener Publicum und fpeciel das Publicum 
des Burgtheaters iſt gründlich deutſch. Im allen möglichen Schat- 
tirungen fann man das täglich im Theater beobachten. Es iſt 
deutſcher als das mancher norddeutſchen Stadt oftwärts der Elbe, 
und wenn franzöfiiche Stüde hier Glück machen, welche dort ab- 
fallen, jo liegt dies nicht daran, daß man hier mehr franzöfiich geartet 
jet als dort, jondern es liegt daran, daß die Stüde hier bejjer ge- 
ipielt werden als dort und daß das Wiener Publicum nicht durch 
rohe Ueberſetzungen auf den Gedanken bingejtoßen wird, fremde 
Waare vor fih zu haben. Außerdem liegt ver Erfolg diefer Conver- 
fattonsjtüde in Wien noch beſonders darin, daß der Sinn für 
lebensvolles Schaufpiel bier gewect und lebendig erhalten ift durch 
immer vorhandene entiprechbende Nahrung, während in ven deutichen 
Hoftheatern ein fünftliches Wejen in Darftellung und Auffafjung 
fich eingenijtet hat. 

Allerdings haben franzöfiiche Bearbeitungen unjerem Reper— 
toire jehr viel Stoff geboten, und ich will jogleich in Einem Zuge 
bis in die neuejte Zeit herein eine Ueberficht davon geben, damit Dies 
ganze Thema erledigt werden fann. 

Die Hauptjtüde diefer Gattung waren: „Der Damenfrieg‘, 
„Das Fräulein von Seigliere‘‘, „Lady Tartuffe‘‘, „Ein verarmter 
Edelmann”, „Vater und Sohn”, „Graf Hiob“, „Die öffentliche 
Meinung”, „Der Pelikan‘, „Eine vornehme Ehe“, „Die Königin 
von Navarra”, „Feenhände“, „Die Bievdermänner”, „Die guten 
Freunde”, „Der legte Brief”, „Der Attache”, „Die Geldfrage“, 
„Hageftolze”, „Die Familie nach der Mode’, und von Fleineren 
Stüden: ‚Mein Stern“, „Eine Partie Piquet“, „Weiberthränen‘, 
„Der arme Marquis”, „Sand in die Augen”, „Nur Mutter. 

Wollten wir all dieſe Stüde, weil fie aus dem Franzöfiichen 
ſtammen, aus unferem Repertoire jtreichen, wir würden ung für arg 
beraubt anjehen. Was bedeutet es denn aber, daß all dieſe Stüde 


Das Burgtheater. 331 


unverwüftliche Nepertoireftüde geworden find? Es bedeutet doch 
wahrhaftig nicht, daß fie fremd, ſondern daß fie eingebürgert find. 
Das aber find fie, weil fie anfprechen, weil fie wirffame, und zwar 
gut wirfjame Stüde find. Und wenn ein fremder fie im Burg- 
theater ſpielen jieht, jo wird er bei gar vielen zugeftehen, daß ſie 
gute Stüce find, von denen man leider in jeiner Heimath gar Nichts 
wiſſe. 

„Die öffentliche Meinung“ („Les effrontés“) und die Fort— 
ſetzung „Der Pelikan“ („Le fils de Giboyer“) von Augier ſtehen 
einer ſtrengen Kritik Rede und ſind bahnbrechend geworden für das 
moderne Schauſpiel ſocialer Politik. Feuillet's Arbeiten: „Ein 
verarmter Edelmann‘ (Le roman d’un jeune homme pauvre“) 
und „Eine vornehme Ehe’ („La tentation“) muthen uns faft an 
wie deutſche Stüde in dem foliden Feuillet'ſchen Weſen, welches 
ehrliche Grundſätze, gediegene Charafteriftif und feine Reize zur 
Grundlage bat. Des jüngeren Dumas moralisch excentrifche 
Stücke jind grundſätzlich ausgejchloffen geblieben, und „Die Games 
liendame“ wie „Demi-monde“ haben feinen Zutritt gefunden, 
wie jtarf die Reize der Compofition und des Dialogs darin waren ; 
fie find ausgejchloffen geblieben, weil darin Sitten walten, Die un— 
ferem deutſchen Weſen widerjtreben. Sein ‚Vater und Sohn‘ 
aber („Le pere prodigue“) ift in ver Hauptjache frei davon, umd 
jeine „Geldfrage“ („La question d’argent“) ijt ganz frei von 
moralifcher Bevenflichfeit. Die „Geldfrage“ ift jogar ein Triumph 
ehrlicher Liebe und ehrlicher Menjchen, und „Vater und Sohn‘ ift 
in feinen zwei erſten Acten wielleicht das Bejte und Yiebenswürdigite, 
was europätiche Luſtſpiel-Literatur hervorgebracht hat an Reiz des 
Dialogs, an Reiz der Charaktere und der Handlung. Des jüngeren 
Dumas Dialog allein, an geijtiger Anmuth won feinem Anderen 
erreicht, jollte jedes Theater veranlaſſen, ein Stüd dieſes Autors 
im Nepertoire zu haben, damit das jchreibende Gefchlecht einer 
ſolchen Anregung theilhaft würde. 


352 Das Burgtheater. 


In Sandeau’s „Fräulein von Seigliere’ ferner iſt feine Spur 
moralifch bevenflichen Franzojenthbums, wohl aber bietet es inter- 
ejfante Menſchen und eine interefjante Handlung. Daſſelbe gilt 
von der „Lady Tartuffe‘ ver Frau v. Girardin. „Graf Hiob’ 
(„Le due Job“) von Laya iſt jo intim ehrlih, daß er einen guten 
deutichen Autor zum Vater haben fünnte, und felbft in der oft ge— 
ihmähten „Adrienne Lecouvreur“ iſt von dem mißlichen Moral: 
thema der Franzoſen Nichts zu finden, Was diefem Stücke und 
der „Königin von Navarra” vorzuwerfen ijt, das berührt Comes 
pojitions-fragen, welche allen Nationen gemeinfam jind. Beide 
Stücke haben intereffante Scenen und Acte, aber fie bauen ſich 
fortwährend neu auf und erinnern an Meojaifarbeit, welche im 
Drama als Ueberhäufung ericheint. „Adrienne Lecouvreur“ hat 
ferner einen Schluß, welcher in jener tragtichen Gejtalt über- 
vajchend fommt. Die vorhergehenden vier Acte jind feine Ein- 
feitung zu einer grellen Sterbefcene, und das bleibt ein Fehler, 
wenn auch die Scene jelbjt mit großem Talente geführt ift. Diejer 
Fehler iſt entitanden, weil ein Converjationsjtüd für Fräulein 
Rachel geichrieben werden jollte, man aber doch auch im Conver— 
ſationsſtück ihre große tragiihe Darjtellungsgabe nicht unbenüst 
laſſen wollte. 

Die Scribefchen Luſtſpiele zu verwerfen, wäre ja doch einfache 
Thorheit. Wie viele Jahre vergehen, ehe eine jo glüdlihe 
Komödie wie der „Damenfrieg‘ erfinden wird, und auch Meilhac's 
„Attaché“ und bejonders Sardou's „Letzter Brief“ („Les pattes 
de mouche‘“) jind jo unbefangen europäiich luftig, wie man nur 
wünjchen fann. Sardou's Charafterzeichnungen in den „Guten 
Freunden‘ („Nos intimes“), in den „Hageſtolzen“ („Les vieux 
garcons“) und der „Familie nach der Mode” („La famille 
Benoiton“) find wie die in Barriere’s „Biedermännern“ ungemein 
reichhaltig an neuen Typen, und zwar an fomifchen Typen — wer 
verjteht Etwas von Dramaturgie und fchätgt Erfindungen folcher 


Das Burgtheater. e 533 


Art gering?! Man fucht in ver Handlung das auszugleichen, was 
unferen Sitten grell wiverfpricht, und eignet fich folchergejtalt die 
Borzüge an. 

Die Erziehung zahlreicher jchaufpielerifcher Talente wäre ohne 
jtetige Prlege des modernen Stücdes nicht möglich geworden. Die 
jungen Yeute fommen eigentlich alle künſtlich declamirend zum 
Theater. Unflare Romantik iſt ihre Devife. Läßt man fie mit 
diejer Unflarheit und Künftlichfeit in’s höhere Schaufpiel oder in 
die Tragödie eintreten und nur in diefen höheren Gattungen fort 
arbeiten, jo mag man im glüclichjten Falle ein Genie finden, wenn 
die natürliche Begabung eben außerordentlich iſt, in neunundneunzig 
Fällen unter hundert aber bringt man Unflarheit und Künftlichkeit 
zu hohen Jahren. Mean befjert wohl an ihnen, doch wedt man 
nichts wirklich Yebenswolles. — Ganz andere Kefultate gewinnt 
man, wenn die jungen Yeute fogleich und oft genöthigt werden, in’s 
moderne Stüd einzutreten. Da deckt fein fünftlicher Mantel; fie 
müſſen ericheinen wie fie find; Jedermann fieht auf ver Stelle, wo 
es fehlt, wo gelernt, wo ergänzt und wo vermieden werden muß. 
Die jungen Leute jehen es ſelbſt. Das poetiſche Wort des höheren 
Stückes trägt fie nicht, jie müſſen das einfache Wort tragen, fie 
müſſen etwas Geiftiges aus fich ſelbſt entwiceln. Das fpornt an, 
ſich nach geiftiger Hilfe umzufehen. Sie lernen leſen, fie fuchen 
Geſpräche von einiger Bedeutung, fie trachten nah Bildung. Bald 
entveden fie, dag das Publicum ganz ftill wird und fie aufmerffam 
anhört, wenn jie ihre Rede verjtändig gruppiren, wenn fie gefammelt 
mit ihrem Geifte darauf ruhen — das wirft eleftrifch auf fie, und 
jo gehen fie ſelbſt felbititändig umd eifrig auf vem richtigen Wege 
weiter. Diefer richtige Weg heißt: einfache Wahrheit von geiftiger 
Kraft getragen. Sind fie erſt feit auf diefem Wege, dann geht es 
ebenfalls von ſelbſt — denn die Jugend ftrebt nach dem Idealen — 
an höhere Aufgaben, welche Gelegenheit bieten, Herz und Phantafie 
in lebhafte Bewegung zu ſetzen, und nun wird diefe Bewegung eine 


334 Das Burgtheater. 


ihöne Bewegung, denn fie haben gehen gelernt, fie gebrauchen all’ 
ihre inneren Kräfte in organifcher Drdnung. 


Herr Sonnenthal, welcher als ungenügender Mortimer an— 
fam, ift ein recht deutliches Bild diefer Schule. Ganz jo wie ich 
jte da bejchrieben, hat er fie durchgemacht, und fo hat er für das 
moderne Stüd eine geijtige wie formelle Ueberlegenheit gewonnen, 
für das höhere Stück aber einen Schönen Ausprud der Wahrhaftig- 
feit erreicht. 

Indem man mit dem jungen Schaufpieler vom modernen 
Stüde ausgeht, Schafft man fich ferner treffliche Kräfte aus den— 
jenigen Talenten, welche nicht zu den ſtark ausgefprochenen Naturen 
gehören oder doch nicht zu den deutlich ausgejprochenen. Starfes 
Weinen und jtarfes Yachen freilich führt ſchnell zu bejtimmten 
Fächern, zum tragifhen und zum fomifchen Fache. Aber für die 
feinere Sentimentalität und für die feinere Heiterfeit das „gemijchte 
Fach” zu finden, das vermag man nur auf dem Wege des modernen 
Stückes. Auf diefem Wege hat fich eine jo wohlthuende Kraft wie 
Fräulein Bognar ausgebildet, welche jett zum Gretchen hinauf- 
veicht und doch die finnig fentimentalen Gejtalten des Converjationg- 
ſtückes, auch wenn fie fröhliche Züge tragen, anjprechend und wir- 
fungsvoll darjtellt. Desgleichen nach der heiteren Seite Fräulein 
Baudius, die anfangs nach allen Richtungen irrlichterivte und nun 
eine ganz ſelbſtſtändige Kraft im geiftigen Luftjpiele geworden ift. 
Die Behenvigfeit, Gewandtheit und Dreiftigfeit ihres Geiftes hat 
ihr nun durch das moderne Stüd ein junges Charafterfach ab- 
gegrenzt, in welchen fie herworragt. Auch Frau Gabillon, die ich 
im Tragiichen immer tadeln mußte, hat im modernen Stüde ein 
Fach ſcharfer Damen gefunden, welches fie feit ausfüllt. 

Bon eben folcher Bedeutung wie für die Schaufpieler iſt das 
Stück der Gegenwart für das Publicum, jobald die Auswahl der 
fremden Stüde auf unjere nationale Sitte und Empfindung ſorg— 


Das Burgtheater. 335 


fältige Rücjicht nimmt. Gepfefferte fremde Speiſe freilich jchadet 
den Schauspielern wie dem Publicum. 

Ich ſehe im Repertoire des Burgtheaters für den Yetsten diejes 
Monats angefündigt: „Die Schuld einer Frau’. Dies ijt „Le 
supplice d’une femme“, ein real wirfjames Stüc, welches vor 
zwei Jahren erjchien und einen jtarfen äfthetifchen Lärm verurjachte 
durch feine Nacktheit modernen Conflictes. Die Darjtellung dieſes 
Stüdes geht allerdings weit über mein Princip hinaus. Es be— 
handelt ein Thema des Ehebruchs in derjenigen franzöfiichen Form, 
welche für unfere Empfindung unangenehm einfchneivend und ver- 
legend ift. Der Ehebruch dauert ſchon über fieben Jahre, und die 
Frucht dejjelben, das Kind, fpielt eine Rolle — es fucht feinen 
Bater, Dies Stüd, welches das Burgtheater- Publicıum wie mora— 
licher Scandal anmuthen muß, habe ich diefem Publicum nicht 
bieten zu dürfen gemeint; ich habe es ſtandhaft abgewiejen wie die 
„Sameliendame‘. 

Der jebige Intendant ift alſo in diefem Punfte freifinniger 
als ih, Iſt es wirklich Freifinn, dann iſt die Erjcheinung merf- 
würdig genug neben feiner jonjtigen, engeren Auffaſſung ver Zus 
läſſigkeit. Iſt es aber nicht Freifinn, dann — wird es wohl 
Confuſion fein *). 


) Das Stüd ift — wohl in Folge obiger Bemerkung — von der Inten- 
danz zurüdgezogen und auf dem Burgtheater nicht aufgeführt worden. 


5.0. DC 


Das Jahr 1856 hatte mir gerade wieder recht ſchmerzlich in 
Erinnerung gebracht, daß unfere dramatifche Production im dieſer 
wichtigen Richtung, in der Richtung des modernen Schaufpieles, 
auf gar jo wenig Augen gejtellt wäre in Deutjchland. Bauernfeld, 
jo geeignet dafür, war der Gegenwart wieder durchgegangen auf 
eine hiftorifche Streifung, zu welcher er immer die größte Luft hat, 
und bei welcher das Theater immer die eigentliche Kraft Bauern- 
feld's verliert. Bei aller ausgebreiteten hiſtoriſchen Kenntniß, welche 
er befitt und welche ihn zu hiſtoriſchen Stüden verführt, it der 
Kern feines Talentes doch durchaus dem modernen Leben angehörig, 
und er verliert wie Anteus jeine Kraft, jobald er den Fuß entfernt 
von diefem feinen heimathlichen Boden. „Unter der Regentſchaft“ 
von ihm, aus der franzöfifchen Gefchichte, war ohne Wirfung 
gegeben worden, und ein zweiter Matador der modernen Production 
verjagte uns nicht minder in diefem Jahre, Gutzkow nämlich, von 
welchem wir im Frühjahre „Ella Roſe“, im Herbite „Dttfried‘ 
gaben, zwei Stoffe, welche an fich unferem Principe des Gegen: 
wartjtüces ganz entjprachen. Und er verjagte in einer Weife, die 
mich viel tiefer niederfchlug. An Bauernfelv’s Elaſticität ver— 
zweifelte ich feinen Augenblick, ich war ficher, daß er fid) und ung 
binnen Kurzem mit einem heutigen Stüde entjchädigen würde; 
aber an Gutfow’s fernerer Thätigfeit für die Bühne fing ih an 
zu zweifeln. 


Das Burgtheater. 337 


„Ella Roſe“ hatte einen Tcheinbaren Theater - Erfolg. Für 
uns Theaterleute war es nur ein fcheinbarer. Uns jtieg dabei die 
Beſorgniß auf, Gutzkow trete zurück aus der führenden Phalanx 
unferer Dramatiker und wende ſich anderen Formen zu. 

Das mußte mir befonders einen traurigen Eindruck machen, 
der ich am beften wußte, wie er in den Dreißiger Jahren ver Erite 
gewejen, welcher das ‚junge Deutſchland“ dem Theater zugeführt 
hatte, und wie er im Principe ganz dazu angethan war, die leben- 
digen Intereffen unjerer Zeit auf der Bühne wirffam zu machen, 
das moderne Schauspiel geiltig zu heben. 

Schon im Jahre 1834, als ich Neifenovellen fchrieb und er 
feine „Wally“ noch im Kopfe trug, fagte er mir plößlich einmal in 
Leipzig: „Eigentlich müßten wir für die Bühne ſchreiben!“ Und 
dabei entwidelte er die Macht, welche von der Bühne ausgehen 
könnte, ſobald jie die Intereffen der Gegenwart darſtellte. Sch 
jchüttelte damals den Kopf. Obwohl ich von Jugend auf lebhafte: 
ven Antheil an ver Bühne genommen als er, obwohl ich gleich nach 
der Studentenzeit ver Bühne wirkffam nahegetreten und Stücke — 
natürlich unreife Waare! — zur Aufführung gebracht, obwohl ich 
alfo mehr als er berufen gewefen wäre, auf Theatergedanfen zu 
gerathen, billigte ich doch damals in Yeipzig feine Idee gar nicht. 
Ich meinte, unjere Ideale lägen viel zu fern von dem, was auf dem 
Theater möglich und wirffam wäre. Wir ruderten in Politik und 
joctaler Erweiterung; ich begriff nicht, was wir mit der Bühne 
gemein haben fonnten, welche ja doch im Wefentlichen auf beſtehende 
Sitte und Anſchauung gewiefen ſei. Er ſah weiter als ich und 
beharrte auf jeinem Gedanken, und fo war er auch wirklich der 
Erite von uns, welcher einige Jahre jpäter mit einem Theaterſtück 
auftrat, mit „Richard Savage‘, welches fogar die „Burg“, die 
ung fo fernliegende Burg, in den erſten Vierziger Jahren aufführte, 
Er fuhr fort mit feinem „Werner, und fand gerade im Burg- 


theater eine dauernde Stätte für dieſen „Werner“, und dies Stück 
Laube, Burgtheater. 22 


358 Das Burgtheater. 


gerade bebaute klar ausgefprochen das Feld, welches ich das „Stüd 
der Gegenwart” nenne, Er war aljo mit feinem Injtinet und 
raſchem Talente ein richtiger Anführer geworden. Er hatte des— 
gleichen mit einem’ Kaufmannsjtüde: „Die Schule der Reichen‘, 
welches die Hamburger Kaufleute faufmännifch unvichtig gefunden 
und abgelehnt hatten und welches auf den deutichen Theatern 
unbefannt blieb, im Burgtheater einen ziemlich lang dauernden 
Erfolg errungen; er war aljo troß jungdeutjcher Richtung am erjten 
auf demjenigen Theater eingebürgert, welches dieſer Richtung am 
fefteften verfchloffen gewefen. Er hatte außerdem in „Zopf und 
Schwert‘, im „Urbild des Tartuffe”, in „Uriel Acoſta“ werthvolle 
und dauernde dramatiiche Productionen gebracht, alle belebt und 
getragen vom Geiſte unferer Zeit — und ihn jah ich jett mit feiner 
„Ella Roſe“ fichtlih im Abſchiednehmen! 

Das Glück ſchien ihm abhanden gefommen zu fein für die 
dramatifche Form, das Treffen verfagte ihm wie dem Porträtmaler, 
deſſen Auge jich zu viel in andere Nichtungen vertieft hat. Er 
hatte mehrere Stüde abgefaßt im Yaufe der letten Jahre, „Antonio 
und Perez”, „Die Diakoniſſin“, „Lenz und Söhne”. „Antonio 
und Perez’ hatte fich in Charafterijtif, Handlung und Sprade 
allzu reichhaltig, alfo überladen erwiefen; „Die Diafonifjin‘ und 
„Lenz und Söhne‘, beide in der Wahl des Stoffes unjerer Abficht 
auf ein modernes Theater wohl entiprechend, waren durch ihn 
jelbjt von den Bühnen zurüdgezogen worden. Er hatte in ver 
Ausführung der Stoffe den einfachen Weg nicht mehr gefunden, 
welcher voll interefjirt; das empfand er felbjt und befeitigte miß- 
muthig ſelbſt jeine Arbeit. Nun fam er mit „Ella Roje, oder: Die 
Rechte des Weibes“, alfo wiederum mit einem modern interejjanten 
Thema, und diesmal fam er jelbjt nach Wien, um die Inſceneſetzung 
zu leiten, die Aufführung anzufehen. 

Wir waren Alle beeifert, uns ihm willfährig zu erweijen, wir 
hegten aber Alle die Bejorgniß, daß in vem Stüde ein Etwas läge, 


Das Burgtheater. 339 


welches dem glüclichen Gelingen widerftrebte. Die Schaufpieler 
fuchten dies Etwas in der Sprache, welche, in jchwerfälligen Sätzen 
einhergehend, ven Ausdruck belaftete. Yiterarifch entjchuldigte man 
das, weil eben das Banale des Auspruds vermieden war und 
Eigenthümliches gejagt jein wollte, was fich immer ſchwer einfügt 
in glattes Geleis. Aber auch Literarifch fonnte man zweifelhaft 
fein, ob dies Eigenthümliche hinlänglich abgeklärt wäre, um auf: 
gefaßt und gewürdigt zu werden. Moſt, nicht Wein! lautete eine 
Demerfung, und fie bezog fich auch auf die Entwiclung des Themas, 
nicht blos auf die Sprache, fie bezog ſich auch auf die Handlung, 
; welche, unausgegohren, fich nicht zum Schluffe abklären kann. 
Geijtiger Stoff in Fülle, aber in der Form nicht fiegreich bewältigt 
— furz, ich fonnte den Eindruck nicht abweifen: Gutfow ift auf 
dem Punfte, dem Theater zumächjt ven Rüden zu fehren, weil er 
Uebergänge in fich durchzumachen hat, welche Zeit brauchen, weil 
er diefe Hebergänge durchgemacht haben muß, um feine Gedanfen- 
welt wieder leicht dienftbar zu haben für fein Talent. 

So fam die erjte Vorftellung von „Ella Roſe“. Er fah fie 
in meiner Yoge an. Dem Publicum war befannt geworden, daß 
er da wäre, und es rief ihn ſchon nach dem erften Acte. Ich muß 
jetst eingejtehen, daß ich ven Wienern damals feinen Anblick eine 
Zeitlang jchnöde entzogen habe. Zum Schluffe follt ihr ihn haben, 
eher nicht! lautete meine Politif, Die zwei letten Acte des Stückes 
waren die jchwächjten, der Lette beſonders fonnte wegen feiner 
Unflarbeit feine Wirkung machen. Es war mir alfo darum zu thun, 
die Theilmahme für ven Dichter als eine Theilnahme für das Ge- 
dicht erjcheinen zu laſſen. Sie werden klatſchen und rufen, dachte 
ich, auch wenn die leiten Acte weniger wirfen, und wer kann nach— 
weiſen, daß dies Klatſchen und Rufen blos dem Dichter gegolten, 
den man jehen will, und nicht auch dem Gedichte?! Ich rieth alfo 
Gutzkow, bis zum Schluffe des Stücdes zu warten. Und diefe 
Politik trug ihre Früchte, Bis zum vierten Acte wirkte das Stück 


— 


340) Das Burgtheater. 


jelbititändig, dann fanf die Wirkung; der Wunſch aber, ven Dichter 
zu jeben, ſank nicht, und jo blieb der äußere Erfolg bis zum Schluffe 
ein beifälliger. Die Nachricht am folgenden Tage vom Hervorrufe 
des Dichters nach jedem Acte that weiter ihre Schuldigfeit ; es war 
der Auf fertig, dag „Ella Roſe“ gefallen habe, und wir fonnten fie 
eine Zeitlang wiederholen. Einſtimmig hieß es freilich im Publi- 
cum: vie legten Acte haben uns weniger gefallen; aber ein fertiger 
Ruf ift bei einem Theaterftüd in Wien eine lang dauernde An— 
ziehungsfraft. 

Sm Herbite deſſelben Jahres brachte ich auch „Dttfried‘ neu, 
ein bürgerliches Schaufpiel von Gutzkow. Es bewegt ſich ebenfalls 
um ein modernes, wohlgewähltes Thema und hat manche feine Züge 
von echter Wahrheit unferes heutigen Yebens. Aber es wirkte nicht 
ſtark genug. Obwohl es den Borzug größerer Einfachheit voraus 
batte vor „Ella Roſe“, fo jtand es er doch nach an leidenſchaft— 
lichem Drange. 

Es war all diefen Stücen inzufehen; daß der Dichter fie nicht 
mehr mit voller Liebe und Energie gejchaffen hatte, und wie ich be— 
fürchtet, ließ denn auch Gutzkow von da an feine Thätigfeit für das 
Theater ganz fallen. Es hat fich ſpäter gezeigt, daß körperliche Be— 
ſchwerde jchon lange feinen Geijt verjtimmt hatte, 

Gr bat diefe Bejchwerde überwunden, und es fommt vielleicht 
der Tag, wo er jich ver Bühne wieder zumendet. Früher und deut: 
licher als irgend Einer hat er den Yebenspunft erfannt, von welchem 
die dramatiiche Production ausgehen müfje, um auf der Bühne und 
von der Bühne wirkſam zu werden. 

Neu einftudirt wurden in diefen zwei Jahren an Stüden von 
größerer Bedeutung: „Macbeth, „Phädra“, „Sappho“, „Dttofar’s 
Glück und Ende’, „Das goldene Vließ“ — „Macbeth“, „Phädra“ 
und „Sappho“ ohne genügenden Erfolg. Die alten Kräfte, welche 
da an der Spite jtanden, waren nicht mehr geeignet, die Kraft ver 
Hauptrolle darzuthun oder hinveichenden Neiz auszuüben. Es fehlte 


Das Burgtheater. 341 


für „Macbeth“ ein Träger der Titelrolle, und es fehlten die wirk— 
famen Trägerinnen für „Sappho’ und „Phädra“. 

‚Macbeth‘, allerdings nie ein jtarfanziehendes oder dankbares 
Stück im gewöhnlichen Schaufpielerfinne, weil nur unerfreuliche 
Leidenschaften auftreten und die Piebe gar nicht mitjpielt, ſchien ab- 
folut nicht mehr gelingen zu wollen. Ich halte dies Stüc fir eine 
der ſtolzeſten Compofitionen Shakeſpeare's und Fam immer wieder 
auf die Imjcenejeßung deſſelben zurüd, Erſt ſpät ift fie mir ge- 
(ungen mit Herrn Wagner als Macheth und Fräulein Wolter als 
Lady Macbeth. Damals warf Herr Gabillon ven Macbeth zu ven 
Todten, wie e8 einige Jahre früher Herr Yöwe gethan. 

Meine wiederholten Berfuche, einen vortrefflichen Helvenfpieler, 
wie ja doch Herr Löwe gewefen, in's Fach der Heldenväter einzu- 
führen, mißlangen total. Das Feuer hatte jeine jungen Helven 
reizend belebt, für ältere Helden fehlte ihm der Kern eines ftarfen 
Menſchen. 

Mit „Ottokar“ und dem „Goldenen Vließ“ gelang die In— 
jcenejegung bejjer. Namentlich im „Ottokar“ errang Wagner einen 
tieferen Erfolg, obwohl er die Leiftung Löwe's in den erſten Acten 
nicht erreichen fonnte. Der Ungeftüm, die Rückſichtsloſigkeit, das 
genial despotifche Weſen Dttofar’s in den erſten Acten jtanden ihm 
beiweitem nicht jo zu Gebote wie Herrn Löwe; aber in der zweiten 
Hälfte des Stücdes vertieft ſich der Charafter und wird innerlich 
interejjant. Das war für Löwe unerreichbar gewejen, und das trat 
bei Wagner mächtig hervor. Zum Gevdeihen des Stückes, welches 
num erſt voll, nun erjt ein Ganzes wurde und dadurch feitere Wur— 
zeln ſchlug. 

In neuen Rollen Herren Yöwe günftig zu werwenden, gelang 
mir überhaupt jelten. Er jelbjt war durchaus widerwillig, wenn 
die Rolle nicht erjte Chancen darbot, und er hatte fich von vorn- 
herein auf den Standpunft der Unzufriedenheit geftellt. Er fonnte 
e8 nicht verwinden, daß er nicht mehr jung war, und machte die 


342 Das Burgtheater. 


Welt und namentlich die Divection dafür verantwortlich. Was hätte 
ich darum gegeben, wenn ich ihn hätte wieder jung machen fünnen ! 
Als er im „Julius Cäſar“ den Caſſius erhielt, den er ſpäter meijter- 
haft jpielte, war ev außer jih. Antonius oder wenigjtens Brutus 
gebühre ihm! Umſonſt wies ich ihm nad, daß Dies die jüngeren 
Römer wären. Als Paroli darauf warf er mir fpäter den Garrid 
hin im „Garrick in Briſtol“. Er ſei ja nicht jung genug dafür! 
Sieben Jahre jpäter aber verlangte er den Garrick zurüd, denn er 
brauche ja nicht jung zu fein. 

Es war eine Engelsgeduld nöthig, und ich bin fein Engel. 
Obwohl ich fein Engel bin, jo hab’ ich mir doch fo begabten alten 
Künftlern gegenüber jtanphaft die Geduld zur Bildungsaufgabe ges 
macht. Freilich ohne fichtbare Wirkung. Ich fand, daß gerade er 
naturgemäß übel daran wäre, und dem Naturgemäßen muß man 
Rechnung tragen, Die Jugend, und zwar eine lange Jugend hatte 
ihn an große Auszeichnungen gewöhnt, und das Alter war nun farg 
für ihn. Das thut Jedermann weh; auch demjenigen, welcher vie 
Bildungskraft hat, fich zu refigniven. Wer aber nicht die geijtige 
und moralifche Kraft hat zur Nefiguation, der leidet doppelt. Und 
Herr Löwe hat fie nicht. Sein Geift iſt wiel Fleiner als jein Ta- 
(ent — ein blanfer Gegenfat zu Julie Nettich. 

Er war eine fehr jtarfe jchaufpielerifche Begabung, er war 
immer ehrgeizig, wohl auch eitel, und hatte nie ein höheres Princip 
für feine Kunſt gewonnen, als die Zufriedenjtellung jeines Ichs. 
So mußte er um fich Schlagen, als die immer noch vorhandene, aber 
von den förperlichen Mitteln nicht mehr genügend unterjtüßte ſchau— 
jpielerifche Begabung nicht mehr fo veiche Früchte eintrug als früher. 
Andere Früchte lagen nicht im Bereiche feiner Fähigkeit, und „vie 
Verzweiflung ſchlägt gar gern“, jagt Grillparzer im „Traum ein 
Neben”. 

Warum lagen andere Früchte nicht im Bereiche feiner Fähig— 
feit? Hatte er denn feine moralifchen Anlagen? O ja, jehr ſchöne 


Das Burgtheater. 843 


jogar. Aber wir haben nım, was wir mit Bemwußtjein anwenden. 
Gr hatte feine beiten Anlagen mit Bewußtſein nur in feiner Kunſt 
angewendet. Wohlwollen, Freude am Gelingen Anverer, Yiebe, und 
wie alle unjere guten Negungen heißen, hatte er in feinen Rollen, 
wie oft! zur Geltung gebradt. Dadurch meinte er fie hinlänglich 
bethätigt zu haben, und war jorglos darüber, daß er fie feiner Privat: 
perfon erließ, wenn jujt jtärfere Neigungen ein Genüge verlangten. 
Der Erfolg verwöhnt ven Menfchen in feiner moraliichen Kraft, 
und der Schauspieler ijt am eheften dem Irrthume ausgejett, daß 
er ein großer Mann fei, weil er auf der Bühne ven großen Mann 
wirffam jpiele. Er hat auch nicht ganz Unrecht. Er zuhlt feinen 
moraliihen Beitrag an die Gejellfchaft reichlich dvadurd, daß er in 
mächtiger Darjtellung tüchtiger Menfchen auf Tauſende wirft, daß 
er Zaufende anregt zu moralifcher Tüchtigfeit. 

Deßhalb finden wir unter darftellenden Künjtlern leicht eine 
fo große Anzahl von Anmaßenden und Prahlern. Ihr Geift iſt 
nicht jtarf genug, fich frei zu machen von den Wirfungen ihres Ta- 
fentes, jich frei zu machen von dem Scheine, welchen ihnen ver 
Dichter verleiht in den Rollen. 

Für manchen Schaufpieler ift diefer Mangel an Geijt fogar 
ein Vortheil. Nur wegen dieſes Mangels füllt er Fächer gläubig 
und täuſchend aus, welche ein nüchtern Denfender nicht ausfüllen 
fann. Löwe verdankt einen Theil feiner beſſeren Rollen, namentlich 
im Luftfpiele, diefer ihm innewohnenden gläubigen Sicherheit, daß er 
den gewöhnlichen Menſchenkindern weit überlegen ſei. Artiftifche 
Vorzüge find in der Schaufpielfunit — ja auch in anderen Künſten 
— gar oft Honsrare, welche der Künftler lächelnd auszahlt für 
Privatichulden feines Charakters. 

Ich fomme auf dieſen Gedanfengang, daß das Talent jich ge— 
nüge und den Geiſt im Nücjtande lafje, durch die oben erwähnten 
„Biedermänner“ und durch die Rolle des DVertillac, welche Herr 
Löwe in diefem Stücke jehr wirffam jpielt. Dieſer Bertillac ift ehr: 


344 Das Burgtheater. 


geizig, aufgeblajen, lieblos, troden. Wie fpielte er das? Mit ver 
ficheriten Kraft des Talentes und unter fehlender Mitwirkung des 
Geiſtes. Das Talent gab eine fejt gezeichnete Anlage und führte 
fie aus mit imerjchütterlicher Confequenz. Alles war richtig und 
wurde nach einigem Stuten vom großen Publicum anerfannt. Ein 
fünjtleriih aufmerkiamer Zujchauer nur verjagte die volle Aner— 
fennung. Warum? Er fagte: Ich fühle mich von Uebertreibung 
angemuthet. Dieſe Uebertreibung war nur in geringem Grade vor: 
handen, aber vorhanden war jie. Und worin lag fie? Darin, daß 
dem jtarfen Talente des Schaufpielers der geijtige Regulator fehlte, 
Hinveichender Geijt bei jolchen Talente hätte Nuancirungen anges 
bracht, um diejen Vertillac menfhenmöglich, um ihn glaubfich zu 
machen und dadurch dreifach wirffam. Ohne diefen Geijt wurde 
das Talent zum Handwerfe. Kurz, dem Kundigen wird aus folchen 
Rollen Löwe's Klar, daß ein Abjolutismus des Talentes vor ihm 
ſteht, welcher die entiprechende Geiſteskraft vernachläffigt oder nicht 
beſitzt. 

Dieſer Abſolutismus des Talentes hat Herrn Löwe übrigens 
treffliche Leiſtungen gewährt, denn für ſeine eigenthümlichen Rollen 
genügt die Zuthat ſeines Geiſtes. Das ältere Geſchlecht unſeres 
Theater-Publicums ſchwärmt für ſeinen Mortimer, ſeinen Grafen 
von Meran in Grillparzer's „Treuem Diener“, und ſchwärmt mit 
Recht. Noch ſein Percival in „Griſeldis“ und ähnliche Rollen 
waren berauſchend. Er war für glühende Leidenſchaft, für raſche 
Menſchen jeglicher Gattung, für dreiſte Ungezogenheit, für freche 
Herausforderung, für blendende Charakteriſtik mannigfacher Art ein 
Darſteller von genialem Talent. 

Ich habe ihn 1833 zum erſtenmale geſehen und bin ganz der— 
ſelben günſtigen Meinung über ihn geweſen wie das Publicum. 
Dann hab' ich ihn 1845 wieder geſehen, und auch da noch in einigen 
ausgezeichneten Leiſtungen. Zwei Rollen aber fielen mir ſchon da— 
mals auf, welche ſeiner Fähigkeit Schranken ſetzten und welche breite 


Das Burgtheater. 545 


Schatten warfen auf fein Talent. Die eine war Hamlet. Diefe 
Yeiftung war von folcher Mittelmäßigfeit, daß ich erfchraf. Das 
Wiener Publicum jchien dies übrigens zu willen, denn in guter 
Theaterzeit war das Haus leer. Die vom Geifte getriebene Natur 
Hamlet's erjchien völlig hohl; das jtarfe Talent Löwe's erwies ſich 
auch bei den fonjt wirkſamſten Scenen machtlos, ja ſtörend. Man 
erfannte, daß hier Geift und Talent einander gar nicht dedten. Hier 
war der Geift viel zu klein; er verfchwand unter der Größe ver 
Aufgabe, und jo erfchien das Talent gleichfam ausgeftellt, ja bloß— 
gejtellt, wie Etwas, das mit dem Yeben der Rolle gar nicht zufam- 
menhing — der ganze Hamlet erſchien komödiantiſch. Ich habe ihn 
von Schaufpielern varjtellen jehen, denen fein Menfch Geift nach» 
jagen fonnte, und doch wurde die Rolle intereffant; von Kunft zum 
Beijpiele, der am Ende weniger Geijt hatte als Yöwe, und doch war 
Kunſt ein intereffanter Hamlet. Woher fommt das? Vom Mifver- 
hältniſſe. Kunſt jagte nicht mit feinem Talente hinaus bis über den 
Zujammenhang mit jeinem Geifte, und jo bewahrte er eine gewifje 
Harmonie zwifchen Geijt und Talent. Löwe aber jpornte feine jtarfe 
Kraft, fein Talent nur um jo heftiger, je weniger er Hilfe fand bei 
jeinem Geifte, und jo wurde die Disharmonie fichtbar. Was cr 
für Geift hielt und ausgab, war überhaupt viel mehr hurtige Yeben- 
vigfeit als Geiit. 

Die zweite Rolle war Monalvescht. Wie als DOttofar war 
er in den erjten Acten der bejte Monaldeschi, ven man fehen fonnte. 
Bon dem Momente aber, wo der Geiſt des Abenteurers fich nach 
Innen wendet, janf er zufammen und wurde unbedeutend. Er 
ipornte jein Talent auch da über Gebühr und beging im letzten 
Acte Etwas, das genau bezeichnend ift für ihn. Bezeichnend für 
einen Schaufpieler, der für fein Talent Nahrung jucht ohne Rück— 
jicht auf den Geift ver Rolle. Monalveschi enthüllt im letten Acte 
eine Schwäche des Abentenrers: er fcheut und erbebt vor dem ficher 
herantretenden Tode. Er fümpft dagegen, weil er meint, die Furcht 


946 Das Burgtheater. 


liege nur in den Nerven. — Das lag außer dem Gedanfenfreife 
Löwe's, und die Ausführung iſt auch im gewöhnlichen Theaterfinne 
nicht dankbar. Was thut er? Er mifachtet Sinn und Vorfchrift 
des Buches und verwandelt die Todesfurcht in Hohn — mit Schreden 
ab umd hörte ich ihm immerfort lachen. Diefe Wendung lag feinem 
Talente nahe und war auch theaterwirffam. Die Abjicht des 
Stüdes mochte der Teufel holen! — Dergleichen thut nur ein 
Schaufpieler, welcher fein Talent abjolut gebraucht und die geiftige 
Einwendung geringfchätt oder gar nicht fennt. So wird der ab- 
jolute Gebrauch gelegentlich ein Mißbrauch des Talentes. 

Kun, das find Betrachtungen, welche einer vollen Charafteriftif 
dienen follen, Sie jollen feineswegs davon ablenfen, daß Löwe zu 
den mächtigſten Schaufpielern unferer Zeit gehört hat. Sie jollen 
nur far machen, daß ich übel daran war mit ihm, weil ich ihn alt 
vorfand. Ein alter Schauspieler, deſſen Talent größer als ver 
Geiſt, iſt ſehr Schwer zu werwerthen. “Der Geijt ift im Alter werth— 
voller als das Talent, denn das Talent des Schaufpielers braucht 
mannigfache phyſiſche Mittel, welche vom Alter angenagt und zer: 
jtört werden. Trotzdem iſt es gelungen, noch manche Rolle von 
Löwe nen zu gewinnen. 

Leider war ev auch Regiſſeur. Das paßt num gewiß nicht für 
ihn, Er verſteht nicht eine fremde Sprache, feine hiſtoriſche Bil- 
dung it unzulänglich, fein Naturell ift ungeduldig, heftig und ohne 
Yiebe für jorgfältigen Aufbau eines Kunftwerfes, er tobt hinein, ver— 
wirrt und zerftört. Dazu belaftet ihn das leider fo häufige Erb- 
theil deutſcher Künftler: er ift neidifch auf Erfolge Anderer! Dieſe 
Eigenjchaft iſt natürlich Gift für ein Amt, welches fürdern helfen joll. 

Wir haben es invefjen bier doch vorzugsmweife mit feiner Kunft- 
fühigfeit zu thun, und deßhalb wiederhofe ich, daß er troß aller Ein- 
ichränfungen eine ausgezeichnete Kraft des Burgtheaters ges 
wejen ift. 


XXVII, 


Neue Dichter, neue Stücde, neue Schaufpieler in großer Zahl! 
Sie ftrömten uns in der That reichlich zu Anno 1858. Ein hifte- 
riſches Schaufpiel fand freundliche Aufnahme, ein modernes Luſt— 
jpiel und ein hiftorifches Schaufpiel wurden Nepertoireftüde, ein 
realiftifches Luſtſpiel blieb ſchwebend in Frage, ein poetifches Idyll 
wurde verlacht, fünf neue Schaufpieler, drei weibliche und zwei 
männliche, traten in die Künſtlergeſellſchaft — es war ein ab- 
wechslungsvolles, ein reiches Jahr, das Jahr Achtundfünfzig. 

Das erftgenannte, hiftorifche Schaufpiel, welches freundlich auf- 
genommen wurde, war „Heinrich der Löwe“, von dem jungen Wie- 
ner Dichter Franz Niffel, einem Sohne des Schaufpielers Niffel, 
welcher fich KRorner nannte als Schaufpieler. Diefer Stoff, der 
Kampf zwifchen Heinrich dem Löwen und Kaifer Friedrich Barba- 
voffa, ijt hHundertmal erwählt worden. Der Welfe und ver Staufe, 
der Nieverfachje und ver Schwabe, der Norddeutſche und der Süd— 
deutſche, diefe zwei Hälften des deutſchen Baterlandes, wie oft haben 
jie ſich bekämpft und wie fchwer find fie in ein Kunſtwerk zu einigen! 
Niſſel war dem Stoffe formell ganz richtig nahe getreten, indem er 
fih nicht, wie herkömmlich, Welf und Stauf als zwei Helden auf: 
gebürdet, ſondern fich für den einen entjchievden hatte. So war der 
ſchwächende veutiche Dualismus umgangen, Heinrich der Löwe war 
die Hauptfigur. Niffel hatte auch, ein eigen juchender Poet, 
Scenen und Charafterzüge gefunden, welche Achtung und Theil- 


948 Das Burgtheater. 


nahme einflößten; aber den epifchen Stempel, welchen all dieje 
Raiferjtreite unjeres Mittelalters tragen, fonnte er nicht verwifchen. 
Der eigentliche Kampf ift vor Schluß längſt entſchieden; Jahre find 
vergangen, ehe Heinrich der Löwe aus der Verbannung wiederfehrt 
und in einer Fehde fällt, welche nur mittelbar zufammenhängt mit 
dem Kaiferftreite — das iſt gleichbedeutend mit Erfchlaffung des 
dramatiſchen Ganges und fomit unferes Antheils am Drama. 

Wir fannten den Dichter Thon durch ein Bauern-Schaufpiel, 
„Der Wohlthäter“, welches durch feine Charakteriſtik fich hervor— 
thut und jorgfältigem Spiele eine lohnende Gelegenheit bietet. Dies 
jorgfältige Spiel war ihm auf dem Burgtheater geworden, und jo 
hatte e8 zwei Jahre vor dieſem „Heinrich dem Löwen“ einen guten 
Erfolg gefunden. Auf den übrigen deutſchen Theatern iſt ihm dies 
nirgends gelungen, ein recht deutliches und recht trauriges Zeichen, 
daß eine jorgfültige und charafteriftiiche Darftellung auf den deut- 
ſchen Theatern eine Seltenheit geworden. Sch muß freilich hinzu— 
jegen, daß bei einer jpäteren Wiederaufnahme „Der Wohlthäter‘‘ 
auch bet uns nicht mehr zu jo lebendiger Geltung gebracht werden 
fonnte. Das ſpricht wohl für den ſchönen Enthufiasmus unferes 
Publicums, welcher einem neuen Poëm hingebend entgegenfommt, 
es deutet aber auch auf eine Schwäche des Stüdes. Sie liegt 
darin, daß die Handlung etwas zu abjichtlich motiwirt ijt durch vie 
Sharaftere; der nothwendige Fluß der Handlung leidet darunter; 
der unmittelbare Yebenshauch, welcher den Vorgang in Bewegung 
jeten joll, kommt nicht genügend zur Macht vor lauter charafteri= 
ſtiſcher Abjicht. 

Einige Sahre fpäter — 1862 — haben wir von demjelben 
Dichter eine hiftorifche Tragödie gebracht, „‚Perfeus von Macedo— 
nien“, und auch für diefes ſein beveutendftes Werf lobende Aner- 
fennung gefunden. Die Führung des Stoffes, National-Berthei: 
digung der Macedonier gegen die römischen Eroberer, hielt jih ganz 
frei von todter Architektur, war belebt von natürlichen Analogien, 


Das Burgtheater. 349 


welche den deutjchen Völfern zu denken gaben, entwicelte in Perſeus 
einen großartigen patriotifchen Charafter und brachte einige Scenen 
großen Styles. Daß auch dieſes Stüd auf die Dauer nicht zur er- 
halten war, liegt am ferngelegenen Stoffe. Dem heutigen Publi— 
cum ein macedonifches Thema nahe an’s Herz zu legen, dazu bedarf 
e3 einer eriten dichterifchen Kraft, und zwar einer populären Straft. 
Eine jolche ift allerdings Franz Niſſel noh nicht. Aber er ift ein 
finniges Talent, welches unter glüclichen Umständen ein innerlich 
interejjantes Drama zu jchaffen vermag. 

Das moderne Luſtſpiel, welches Aepertoiveftüd wurde, war 
„Sato von Eiſen“. Es hat eine jehr lange, originelle Entjtehungs- 
geichichte, welche ich in der nächjtens erjcheinenden Drudausgabe 
ausführlich erzähle und deßhalb hier nur anvdeute. Lußberger, 
immer emfig befliifen, dem Theater neue Stoffe und Kräfte zuzu— 
führen, fchilderte mir eines Tages den Inhalt eines fpanifchen 
Stüces von Goroftiza, welches ven Titel führt: „Nachſicht für 
Alle. Ich fand die Grundidee jehr hübſch und fürchtete nur mit 
meiner jpanifchen Bevenflichfeit, fie werde für ung nicht leicht zu— 
gänglich fein in der jpantjchen Form. Das gab er zu, indem er 
weiter meldete, es jei eine Bearbeitung verfucht worden, welche in 
der That nicht genüge. Aber, fuhr er fort, es ift ein zweiter Autor 
ſchon damit befchäftigt, das ganze Thema zu uns nach Deutjchland 
zu verlegen, 

Dieje Bearbeitung wurde mir jpäter mitgetheilt. Sie genügte 
mir nicht, und ich lehnte fie ab. Indem ich aber diefe Ablehnung 
erklären und begründen mußte, und indem ich dies zu wiederholten- 
malen that, weil der Autor ein Wiener war und der Verkehr mündlich 
gepflogen wurde, ergab es fich von felbjt, daß ich bei diefer Gelegenheit 
jfizzirte, wie ich mir ven Weg dächte, welcher einzufchlagen wäre für 
eine jelbjtitändige Bearbeitung des Themas. Dies veranlafte ven 
Autor — Otto Prechtler —, mir vorzufchlagen: Arbeiten wir ge 
meinschaftlih! Das verfuchten wir; aber e8 gelang nicht. Mein 


350 Das Burgtheater. 


Eigenſinn paßte nicht zu folcher Thätigfeit. Ich hatte den erjten 
Act gejehrieben, Prechtler den zweiten, und ich meinte, fie gingen 
nicht organisch zufammen, die beabfichtigten vier Acte würden zwei 
Seelen zeigen. Die Arbeit blieb liegen. Plöglich fchrieb ich einen 
zweiten und dritten Act zu meinem evjten und war damit um einen 
Act früher an den Schluß gefommen. Als er die drei Acte jah, 
lachte Prechtler und fagte: „Nun iſts ein Stück; aber es iſt das 
Ihrige!“ Ich wußte ſelbſt kaum, was es wäre, und gab es ohne 
Autornamen nur mit dem Paßviſum: „Die Grundidee nah Goro- 
ſtiza“ auf die Scene. In der Drudausgabe wird man eine Leber: 
jeßung des ſpaniſchen Stüdes beigefügt finden, und die Literariiche 
Welt wird dadurch zu ihrem Urtheile ausgerüftet fein: ob ſolche 
Bearbeitung Anfpruch machen fann auf originalen Werth und ob 
jie überhaupt lobenswerth. 

Die Aufführung war eine der beften im Burgtheater. AL 
unfere Erfahrungen im heiteren Converfations-Stüde fonnten ich 
geltend machen, und die Befetung hob das Ganze zu einer Muſter— 
varjtellung. Fichtner’s Cato war eine Meijterleiftung, Bedmann’s 
fomifher Vater — bei den eriten Borjtellungen noch in ven 
Schranfen der Charafteriftif — war von der liebenswürdigjten 
Komik, Fräulein Boßler als Liebhaberin, Fräulein Goßmann als 
heiteres Perfönchen interejiirten ungemein, und alle übrigen Rollen 
gejtalteten ein Enjemble von Abwechslung und Reiz. Achtzehnmal 
wurde das Stüd im erſten Jahre gegeben, und es überjtand jelbjt 
Fichtner’s Abgang, da Sonnenthal die Rolle ein wenig anders, aber 
ebenfalls vortrefflich ausarbeitete. 

Das gelingende hiſtoriſche Schaufpiel fam aus Preußen. 
Spanien und Preußen! — feltene Herkunft unferer Erfolge. Es 
war „Das Tejtament des großen Kurfürſten“ von Guſtav zu Putlig. 

Diefer liebenswürdige Schriftiteller beflagt fih mit Recht 
darüber, daß er in Wien unfreundlich behandelt worden. Seine 
Stücke griffen jelten vollftändig durch. Das liegt großentheils am 


Das Burgtheater. 351 


Unterſchiede zwiſchen Nord- und Süddeutſchland. Faſt immer geht 
Putlitz in ſeinen Arbeiten von einem artigen Gedanken aus, oft von 
einem feinen, und genügt damit im Norden, wo man die Gedanken— 
welt auch in der Kunſt ſehr hoch ſtellt. Im Süden vermißte man 
oft die Fleiſchesfülle, welche die Gedankenſkizze erſt zum Kunſtwerke 
ausführt. Und ſelbſt wenn unſer Publicum einem Putlitz'ſchen 
Stücke zugeſtimmt hatte — „Don Juan de Auſtria“ zum Beiſpiele 
und „Um die Krone“ — dann wurde der Erfolg zerriſſen von einer 
Kritik, welche jegliche Production lieblos und ſchonungslos be— 
handelte. 

Nur bei dieſem „Teſtament des großen Kurfürſten“ war die 
Zuſtimmung des Publicums ſo beſtimmt, daß Putlitz auf der ganzen 
Linie ſiegte. Schöne Einfachheit in der Führung und intereſſante 
Wendung ver Charaktere machten dies Schauſpiel durchweg gefällig, 
und es würde noch heute im Nepertoire jtehen, wenn ihm nicht die 
leidigen politifchen Gegenſätze zwijchen Preußen und Dejterreich in 
den Weg getreten wären. Immer, wenn vdieje politiiche Verftim- 
mung jcharf aufjprang in unferem Staatsleben, da war e8 unmög- 
ih, das preußiiche Thema des Stüdes und die preußiichen Ver— 
jicherungen der Liebe für Dejterreich vorzuführen. Nur aus diefem 
Grunde haben wir das Stück aus dem Repertoire verloren. Die 
Dichter zuerft leiden an den Wunden vaterländiſchen Streites. 

Das reale Yuftipiel, welches in Frage ſchweben blieb, hieß 
„Drei Candidaten“ von Schleich. Was heift das: Es blieb in 
Frage ichweben? Es fonnte wiederholt werden, es fam alle Jahre 
wieder, und doch fragte man fich jedesmal: Beſteht denn das Stüd 
‚noch? Schleich iſt der Redacteur des Münchener „Punſch“. Als 
jolher war er gewohnt, die realen Vorgänge unferes öffentlichen 
Lebens raſch fo zu geitalten, daß ſie einen heiteren Effect machen. 
Dieje Fähigkeit, von welcher Kogebue reichlich Gebrauch gemacht, 
iſt werthvoll fir das anſpruchsloſe Luftipiel, und Schleich hatte 
jeine „Punsch“ Laune in die lofefte Luſtſpielform eingeführt. Das 


302 Das Burgtheater. 


war nur ein wenig gar zu jehr aphoriftiich geichehen. Das Abge- 
riffene widerjpricht dem folgerichtigen Entwiclungsgange eines 
Dramas, und die Aushilfe für den enplichen Abſchluß des Stückes 
war ziemlich banal gerathen: ein Mädchen verkleidet fih als Mann, 
und alle Welt muß fih blind ftellen, um fie nicht zu erfennen. 
Theatermeifter Weber mußte den tiefſten Ton der Yeutjeligfeit, das 
beißt ver Finfterniß anjtimmen mit feinen Yampen, um dieſen 
Schluß zu ermöglichen. Mit Einem Worte: troß des modernen 
„Punſch“ waren die „Drei Candidaten“ altmodiſches Stückwerk in 
ver Form. Sie lebten jedoch allenfalls von einigen modernſten 
Luftipielfiguren. Namentlich that ſich Beckmann rettend hervor 
duch einen Profejfor der Zurnfunft. Er that Wunder mit feinem 
feiften Leibe, und im Schweiße des Angefichts verficherte er nicht 
ohne Stolz, daß jeine Jugend auf dem Breslauer Theater auch 
dem Ballete gewidmet worden jet, 

Ich gab das Stück und fuchte es zu halten als eine Einleitung 
des heiteren Verfaſſers zu ferneren Luſtſpielen. Bis jetst ijt es 
aber nur Einleitung geblieben. Schleich hat in feiner Heimath 
München mit Volksſtücken ſtarke Wirkung gemacht, ich hoffte deß— 
halb, er werde auch ven Weg finden zu einem organischen Yujtipiele. 
Was er mir aber an Manuferipten ferner zugejendet, das hatte 
merfmwürdigerweife einen ganz anderen Charafter als dieſe „Candi— 
daten” und diefe Volksſtücke. Es war einfach ernfthaft und zeigte 
manche gute Seite. Ein Zuſammendrängen feiner Eigenjchaften 
in einen Brennpunft fcheint diefem Autor unerreichbar zu bleiben ; 
er eultivirt immer nur vereinzelte Theile feiner Fähigfeit. Nur jo 
erflärt fich’8 wohl auch, daß dem Schänfwirthe des „Punſch“ jetzt 
in München ultramontane Neigungen nachgefagt werden — er 
jucht auf den verſchiedenſten Wegen feinen Mittelpunkt. Findet er 
ihn noch in der funzen Spanne Reifezeit, welche ung Sterblichen 
zugemeſſen ift, dann finden wir vielleicht auch noch den realen Luft- 
ſpieldichter in ihm, welchen wir erhofft. 


Das Burgtheater. 853 


Ich werde hiedurch an einen anderen Wanderer — von Schleich 
freilich jehr verjchieden — erinnert, welchem wir in diefen Fünfziger 
Sahren zweimal auf dem Burgtheater begegnet find, und welcher 
dann länger als ein Sahrzehnt in einem bewaldeten Hügel ver— 
ſchwunden ijt. Ich meine Alfred Meißner, von welchem wir 
„Reginald Armjtrong‘‘, ein frei und dreijt entiworfenes, nicht ganz 
zur Harmonie bewältigtes modernes Stüd zu Anfang der Fünfziger 
Sahre, und den „Prätendenten von NYork“ inmitten ver Fünfziger 
Sahre aufgeführt haben. Sie machten mir ebenfalls die Hoffnung 
vege, und der „Prätendent“ insbejondere, daß fich ein Compoſitions— 
Talent für die Scene entwideln werde, Der „Prätendent“ hatte 
frappant erfundene Scenen. Daß er fich nicht hielt, lag theils in 
vem noch zu Lojen, allzu beweglichen Grundwejen des Autors, 
welches mit feinen Pichtungen durchſchimmerte, theils in der jchwer 
vermeidlichen Gefahr eines Prätendenten- Stoffes. Sobald ver 
Prätendent und das Bublicum erfahren, daß dies Prütendententhbum 
hiſtoriſch unecht ift, erlifcht das Intereſſe, wenn der Dichter nicht 
jeinem Helden mit ungewöhnlichen Gaben, namentlich mit ftarfer 
Charafterfraft, zu Hilfe fommen kann. Vielleicht fehrt Meißner 
noch einmal zurüd über den bewaldeten Hügel, hinter welchem er 
uns wie ein grollender Wandersmann verſchwunden, und erſcheint 
wieder auf der Bühne. 


Das poetiſche Idyll, welches 1858 auf dem Burgtheater er— 
ſchien, hieß „Kuth“ und war von Frau v. Binzer, welche unter dem 
Namen Ernſt Ritter ſchreibt. Auch die ſchon erwähnte „Caroline 
Neuberin“ iſt von ihr. 


Dieſe „Ruth“ hat mich recht ſterblich gezeigt in meiner 
theatraliſchen Diagnoſe. Ich hoffte allerdings keine ſtarke Theater— 
wirkung, aber ich hoffte doch eine poetiſche Wirkung mit dieſem 
bibliſchen Drama zu erreichen, und ich hob Spott und Verhöhnung 


von der Tenne. Mehrmals ſchon hatte ich das Stück vorgeleſen 
Laube, Burgtheater. 23 


354 Das Burgtheater. 


und immer einen ſchönen Eindruck hervorgebracht, auch für mich 
ſchön, nicht blos einen banalen, wie mit „Sophonisbe“ — ich 
jelbft war gerührt und ergriffen beim Vorleſen. Ein großer Theil 
des Iheater-Publicums, meinte ich, wird fich eben jo poetifch an- 
geweht fühlen. Aber Theater-Publicum ift Markt: ein paar Un— 
berufene äußern fich ungeduldig, und allen Anderen wird die Stim- 
mung verdorben. Im Handumdrehen bildet ſich die Meinung, 
das Einfache, welches da oben vorgehe, ſei zu einfach, alſo 
eine ungenügende Arbeit, und ijt man erjt auf diefem Punkte, 
dann erhebt fich der Zweifel, und der nächite Nachbar des Zwei— 
fels, der wohlfeile Wit, wird laut, und das Theaterjtüd iſt 
verloren, 

In diefem Falle gebe ich noch heute dem Publicum nicht Recht. 
Man erjieht aus diefen meinen hiftorifchen Schilverungen, daß ich 
meist großen Refpect zeige vor ven Urtheilsiprüchen des Publicums; 
aber ich bin deßhalb doch feineswegs allen Verdicten gegenüber 
nachgiebig. Ich muß Grund ſehen, flaren Grund, wenn ich zu: 
jtimmen fol. Bei diefer „Ruth“ ſah ich den Grund des Nicht- 
aefallens in einer gewifjen Oberflächlichfeit, welche fich ſelbſt belobt, 
indem fie über Dinge lacht, deren poetifcher Reiz ihr unverftändlich. 
Die nächjte Erflärung liegt für mich im biblifchen Stoffe, der vor 
einem fatholiihen Publicum ericheint. Das Leſen der Bibel ift 
dieſem Publicum viel ferner liegend als einem protejtantifchen ; der 
altbibliiche Stoff hat für den Katholifen viel weniger Weihe umd 
hiftorifchen Zauber, als eine nachehriftliche Yegende. Das Publicum 
brachte alfo vem Thema gar nicht die Stimmung entgegen, welche 
ich zum Beifpiele als Proteitant dem Thema entgegenbrachte, und 
dies einfache Idyll gerade bedurfte einer eingehenden Stimmung — 
ohne fie mußte es untergehen. , 

Der Berfuh mit einer ungewöhnlichen Gattungsform, wie 
das dramatifche Idyll auf der heutigen Scene ift, war biemit 
aefcheitert. Er verlangt zum Gelingen allerdings eine große Ruhe 


Das Burgtheater. 355 


und Sammlung im Publicum und eine dichterifche Kraft von mäch— 
tiger Schönheit. 

Zwijchen dieſen zahlreichen neuen Stüden erfchienen in diefem 
Sahre zahlreiche neue Schaufpieler. Es jtand plößlich eine neue 
Hero, Julia, Yonife, aljo eine neue tragijche Yiebhaberin vor uns. 
Hoch und jchlanf von Wuchs, mit großen blauen Augen, mit 
weichem, ſchönem Organ. Sie fpielte echt.und wahr; aus warmem, 
reinem Gefühl jtieg Alles ungetrübt empor. Woher fommt fie? 
Sie gemahnt uns ja wie eine längſt befannte Erfcheinung? Das ift 
jie auch. Wir haben fie in Kinder: und Knabenrollen gejehen, fie 
it aufgewachjen am Burgtheater: es ift Augufte Rudloff. Einige 
Sahre iſt fie „draußen“ gewejen und hat fich fo rein und wohl- 
thuend ausgebilvet. Aber jo wie fie plötlich erſchien, gleich dem 
Mädchen aus der Fremde, fo verfchwand fie plößlich wieder gleich 
dem Schillerihen Mädchen. Und wiederum die uns fo gefährliche 
Liebe entzog fie uns. Ein englifcher Yord hatte diefen deutichen 
Zauber verjtanten und führte fie als Gattin über vie See. Sekt 
iſt er Statthalter auf unſerer Infel Helgoland; unfere Inſel 
und unjere tragiſche Liebhaberin gehören leider ihm und nicht 
ung. Aber die Injel und die Lady bleiben wenigitens innerlich 
deutjh, und die Xettere folgt immer noch wie ein Kind des 
Hauſes den Schidjalen des Burgtheaters, welches fie ihre Hei- 
math nennt. 

Bon Hamburg ferner folgten mir — man fchalt mich am 
Alfterbaffin den „‚Rattenfänger von Hameln” — zwei blutjunge 
Mädchen, vie eine heiter, die andere fentimental, um womöglich ihr 
Leben vem Burgtheater zu weihen. Die fentimentale hat auch bis 
jest Wort gehalten; fie heißt Frieverife Bognäar. Die andere hie 
Regina Delia und ijt uns früh untreu geworden. Bon frifchem 
Naturell, geitig begabt und mit heyzhaftem Ausorude für naive 
Aufgaben, follte fie eintreten für Goßmann'ſche Rollen, wenn 
unfere Ingenue unerwartet an Werfeltagen verfagen möchte, Das 


22* 
23 


- 


356 Das Burgtheater. 


ſoll vorfommen, nicht blos bei Naiven. Aber von vem Momente 
an, da Fräulein Delta eingetreten war, fam es nicht mehr vor im 
naiven Face, umd dies veranlafte Fräulein Delia, da ihr ver 
Spielraum fehlte, von dannen zu gehen. Hymen, der feindliche 
Gott des Burgtheaters, miſchte fih außerdem ein wie her— 
fümmlich und verhinderte die Rückkehr — Regina Delia heirathete 
ebenfalls. 

Neben diejen jungen Damen jtellten jich zwei junge Männer 
ein: ein mwohlbeleibter jtattlicher und ein dünner fleiner. Jener 
machte feinen Weg, wie beleibte Figuren ihn zu machen pflegen, 
langſam — dieſer machte ihn als behendes Männlein raſch. Beide 
famen an’s Ziel. 

Jener heißt Auguft Förſter, ein Doctor der Philofophie, 
welcher in Begeijterung für darjtellende Kunft die gelehrte Yauf- 
bahn vertauscht mit ver theatralifhen. Von dem wohlerfahrenen 
Führer Franz Wallner, einem begabten Wiener Kinde, ſorgſam 
gefördert, hatte er jeine neue Bahn jahrelang glüdlich betreten, 
und Wallner rühmte ſich, einen der beiten Converſations-Liebhaber 
in ihm zu bejiten. Die zeitig eintretende Fülle der Gejtalt entzog 
ihn diefem Fache, und er fam zu uns mit der Abjicht, in feine 
Sharafter und Väterrollen überzugehen. in ſaurer und jchwerer 
Uebergang. Er gelang nur leicht, wo der Liebhaberton anflingen 
durfte; im allem Uebrigen mußte er Schritt für Schritt erfämpft 
werden, und nur allmälig verichaffte ihm die Bildung, der geiftoolle 
Vortrag und die fichere Einfachheit die nöthige Anerfennung. Erſt 
als Bater Anſchütz ausfchied und er an wichtige und danfbare 
Rollen deſſelben gelangte, erſt als er den Nathan jpielen durfte und 
mit der berühmten Anſchütz'ſchen Rolle, dem Muſicus Miller, in 
„Cabale und Liebe’ vollftändige Wirfung machte, erſt dann Fonnte 
er für eingebürgert gelten, und nun erſt vechnete man ihm zahlreiche 
Converſations-Rollen, die er jhon lange mit geiftiger Macht ges 
ipielt, als volles Verdienft an. Er iſt durch große Arbeitskraft, 


Das Burgtheater. Bau 


durch alle Hilfsmittel höherer Bildung und durch treue Dingebung 
an feinen Beruf wie an die Intereſſen des Inſtitutes dem Burg- 
theater eine werthvolle Stüte geworden. In dem weiten geiftigen 
Bereiche der Direction hat er mir unſchätzbare Dienjte geleiftet, 
und in der Sorge und Arbeit für alles Wahrhaftige und Feinere 
unjerer Schaufpielfunft ift ev mir ein Jahrzehnt hindurch getreulich 
zur Seite gejtanden, feinen eigenen Vortheil, wie oft! verleugnend, 
dem Verdienſte Anderer immer das Wort redend, ein gründlich 
ausgerüfteter Regiſſeur heutiger Zeit. 

Das dünne, fleine Männchen aber, welches einige Monate 
nach ihm eintraf, im Frühlinge 1858, ſchien mir geeignet zu einem 
Sturmlaufe auf die Gunſt des Publicums. 

Eines Tages jtellte fich mir ein junger Menſch vor, mit der 
Bitte, ihm ein Probefpiel zu gewähren. Wozu? fragte ich, und 
betrachtete das dürftig ausjehende Menſchenkind im engen ſchwarzen 
Frack, mit blaſſem Antlite. Nichts erichien voll an ihm, als das 
dunfelblonde Haupthaar, welches dicht und üppig das Geficht 
bejchattete. Wozu? — „Ich möchte nach Deutfchland hinaus an 
eine mittlere Bühne, und ein Zeugniß von Ihnen über dies Probe- 
Ipiel würde mir nützen.“ — Das wurde anfpruhslos und ver— 
jtändig gefprochen, und ich bot ihm zumächjt einen Sefjel, nad 
feiner offenbar furzen Bergangenheit fragend. Er fam vom Theater 
in Brünn und hatte Charafter-Rollen buntefter Mifchung gejpielt. 
— „Auch humoriſtiſche?“ — „Mit dem Humor fteht es wohl 
zweifelhaft”, erwiderte er mit dem Lächeln einer Yiebhaberin, die 
Abſchied nimmt von den verführerifchen Rollen. Dieſe Rejignation, 
jo jelten bei den Künftlern, interefjirte mich, und ich jprach nun 
länger, jprach wohl eine Stunde mit ihm. Dieſe Stunde entjchier. 
Die kleine Gejtalt war mir in den Hintergrund getreten, das ganze 
Weſen jprach mich an, flöhte mir Zutrauen ein — ich bewilligte 
ihm ein Probefpiel und bejtimmte dazu, gemäß dem Eindrude, 
welchen er mir gemacht, die Rolle des Carlos im „Clavigo“. 


358 Das Burgtheater. 


Er jptelte fie allerdings noch mangelhaft, aber ich glaubte zu 
ſehen, daß hier nur Nachhilfe nöthig wäre, um ihn rafch auf eine 
gewiſſe Höhe zu bringen. Um mich vejjen zu verfihern, ging ich 
die Rolle privatim mit ihm durch und fand meine günftige Meinung 
bejtätigt. Ich befchloß, ihn zu engagiren. Wenn ich dazu einer 
Zuftimmung bedurft hätte, jo wäre das Engagement eines jo un- 
jcheinbaren jungen Menſchen unmöglich gewejen. Wenn je, jo 
zeigte jich hier, daß der artiftiiche Director, wenn er ſchaffen fol, 
ein Engagements-Recht haben muß, wenigjtens auf ein Jahr. Das 
hatte ich und nahm ich hier in Anſpruch. Beweiſen fonnte ich 
meiner Behörde nicht, daß hier ein Beruf vorläge, und fie jah mir 
fopfjcehüttelnd zu. Die Frage war num: wie den jungen Mann 
einführen? Beſcheiden oder zuverjichtlich ? Beſcheiden in fleinen 
Rollen war das Natürliche. Aber ich war eingenommen für die 
flare Rede des jungen Mannes und ſah, daß er feinen Körper 
graziös bewegte und daß er beim Studium der Rolle leicht zu 
jteigern war, ohne irgendwie fünftlih und unmwahr zu werden in 
der Steigerung. Ich meinte, man fünnte großes Spiel wagen mit 
ver jungen Kraft — ich nahm die Rolle des Franz Moor mit ihm 
durch. Da ift auch Feuer und Yeivenfchaft nöthig; entwidelt er 
auch die, alsdann — er entwidelte fie, es war mir zweifellos, daß 
die Fühigfeit für ein erftes Fah vorhanden war, und ich Fündigte 
ihm an: Sie folfen als Franz Moor auftreten im Burgtheater! 

Lärm und Vorwurf überflutheten mich, als das befannt wurde. 
Entweihung, thörichtes, unerlaubtes Erperimentiren mit einem 
Fleinen Provinzichaufpieler und folcher Anflagen mehr flogen wie 
Hagel rings um mich nieder. Sehr behaglich war mir auch nicht 
zu Muthe, aber der junge Franz Moor zeigte Courage ohne Ueber: 
muth, ich fühlte mich berechtigt zu dem Wagniß, wir blieben Beide 
feft, und der Tag fam. Der junge Mann war auch ein Wiener 
Kind; das werden ja doch, dachte ich, die Wiener zu Shäßen wiſſen, 
wenn ohne Ahnenbrief und ohne Ansehen der Perſon dem jungen 


Das Burgtheater. 359 


Talente vie Bahn geöffnet wird. Sie wußten e8 zu ſchätzen. Das 
Haus bis zum Giebel füllend waren fie gefommen und horchten in 
ZTodtenftille, und als der junge Franz feine erjte große Scene ge- 
ſpielt — war Alles entſchieden. Einſtimmiger Beifall überjchüttete 
den jungen Schaufpieler, und eine erjte Kraft im Charafter- 
fahe wurde getauft an diefem Abende mit dem Namen Joſeph 
Lewinsky. | 


XXIX. 


Schiller's Hundertjähriges Geburtsjahr, 1859, das Schiller: 
Jahr! Für das Burgtheater fann es gewiß jo heißen. Keinem 
Dichter hat dies Theater jo viel zu danken, fein Theater hat fich 
der Feier Schiller’s in Haupt und Gliedern fo enthufiaftifch ge— 
widmet, als das Burgtheater. Als der Spätherbjt heranfam und 
mit ihm das große Scillerfeft, da hatte ich wirflih Noth, die 
laufenden Kojten des Werfeltages zu bejtreiten, denn Jung und Alt 
vom Burgtheater meinte, es fei Sonn» und Feiertag und der 
Werfeltagdienit habe zu ruhen. 

Es wird auch mir jett ſchwer, chroniftiich aufzuzählen, was 
zehn Monate lang vor dem zehnten und elften November — be- 
fanntlih ijt, wie bei Göttern und Halbgöttern, der Geburtstag 
unficher — fi) im Burgtheater ereignete. Ich habe ja über das 
Wiener Schillerfejt im Zufammenhange mit dem Burgtheater zu 
berichten, weil das Theater und ver Director innerlich und äußerlich 
mit den Triebfedern und den Aeußerungen diefes Feites mannigfach 
verflochten waren. 

Des Dichters Segen ruhte auf uns durchwegs in diefem 
Jahre. Die Thätigfeit am fich gedieh überaus, wir brachten zwan— 
zig Novitäten, darunter zwölf größere und große Stüde, und die 
Hälfte davon hielt dauernd Stand. 

Die erjte Neuigfeit des Jahres war „Montroſe“ von Heinrich 
Laube, und an die erite Aufführung derjelben fnüpfte ſich eine weit— 


Das Burgtheater. 361 


tragende Demonftration des Publicums. Wir waren im vierten 
Jahre des Concordates — beim Theater empfanden wir das fo 
tief, daß wir das Datum ſehr genau wußten, denn der herrichende 
Geiſt ſpricht jede Stunde mit, macht fich bei den unfcheinbarjten 
Dingen geltend in einem Theater von Bedeutung. Und dennoch 
wurde das Theater an jenem Abende von der Demonjtration des 
Publicums überrajcht. 


Als Montrofe die Worte ſprach: 
„Antworte, Robin: Bleibt nad) diefer Schrift 
Der Eovenant des Reiches Grundgeſetz?“ 
Robin: 
„Er bleibt's.“ 
Montrofe: 
„Dann ift die Kirche 

Beherricherin des Staats“ — 
da bewegte Jich das Publicum wie von einem Sturmwinde ergriffen, 
und als Montroje fortfuhr: 

„Dies ıft das Reich 

Des Judenthums im Alten Teftament; 

Es ift die Prieſterherrſchaft Samuel’ s, 

Und König Karl wird König Saul, gehetzt 

Bon jedem David, den ein Priefter jalbt. 

Die Krone wird ein Spielball der Propheten, 

Die hierzuland’ aus allen Löchern Eriechen, 

Und ein verſchmitzter Kerl, der die Komödie 

Der Frömmelei talentvoll fpielt, verführt 

Die öffentlihe Meinung und dietirt 

Dem Yande die Geſetze“ — 
da ging ein hundertfaches Rufen durch's Haus, welches nur abge- 
brochen wurde, weil Wagner-Montroſe ohne Einhalt fortſprach: 

„Bringt ein Staatsgrundgefeß, das in fich ſelbſt 

Beruht, das eurer Kirche feften Plat 

Und volle Freiheit bietet — König Karl 

Wird's unterfchreiben, ich ſteh' dafiir ein. 

Ein Grundgefet dagegen, das den Glauben 


362 Das Burgtheater. 


Zum Richter macht in weltlihen Verhältniß, 
Merd’ ich befümpfen bis an meinen Tod. 

Gebt Gott, was Gottes, Doch dem Kaiſer, was 
Des Kaiſers.“ — 


Bei diefem endlich erreichten Punkte aber hielt Nichts mehr 
ven Ausbruch des Publicums zurück; wie ein Donner brach‘ die 
Zuftimmung los, daß der Saal erzitterte. Der größte Theil ver 
Zuhörer war aufgelprungen von den Siten und rief und jchrie und 
Hatjchte, und das Wort „Concordat“ flog in der Yuft herum — ich 
habe nie einen folchen Tendenzjturm im Theater erlebt. Und 
immer, wenn man die Leute erfchöpft glaubte vom Rufen, Schreien 
und Klatſchen und die Schauspieler fortfahren wollten, ſammelte 
fich ver Ausbruch wieder zu neuer Kraft. 


Sch ſelbſt ſaß in einer eigenthümlichen Verlegenheit da: ich 
ſelbſt hatte das gejchrieben, es war meine Meinung, und doch — 
um die volle Wahrheit zu jagen — ich jelbit wie die Schaufpieler 
auf der Bühne wurden überrafcht von dieſer gewitterartigen 
Wirkung. Wir hatten in jechs Proben diefe Worte gehört und ge— 
fprochen, und Keinem von ung war eingefallen, daß die Tendenz 
hervorfpringen werde wie ein geharnifchter Krieger. Es ift mit der 
Tendenz gar oft wie mit einer Neigung, die plöglich entfteht. Man 
it ihrer gar nicht gewärtig, und fie erhebt fich mit einemmale wie 
ein Niefe. So liegt in der Bevölkerung das Herz ruhig und ftill, 
ein Wort wird aber deutlich ausgefprocdhen, es trifft, und bie 
Neigung des Herzens jpringt auf mit elementarifchem Ungeſtüm. 


Sp war's gefommen, und ich ftand erjtaunt da, umd ich, ver 
Director des Theaters felber, war Urheber einer jo bedeutungsvollen 
Demonstration — und der Kaifer ſaß im feiner Loge und jah und 
hörte das Alles. 


„Das friegen wir nicht wieder zu hören!” ſagten die Yeute 
beim Fortgehen, und man ſah mich an wie einen hevausfordernden 


Das Burgtheater. 365 


Helden, der ich gar nicht war. Die Sache war mir wohl echt, die 
Anwendung war mir ganz unerwartet, 

Mein Chef war franf und hatte ver Vorftellung nicht beige: 
wohnt. Aber das Verbot wird nicht ausbleiben für die Wieder: 
holung! hieß es von allen Seiten, Die Wiederholung war ange: 
fündigt für den folgenden Tag. 

Ich wartete bis Mitternacht — es fam Nichts. Am andern 
Tage war „Montroſe“ an allen Straßeneden angejchlagen, und in’s 
Theater fam feine Drdre, daß gejtrichen werden müjjfe. Aus dem 
Theater nach meinem Bureau gehend, begegnet mir ein Herr aus 
der Umgebung des Kaifers. Er lächelt, ich frage. — „Nichts ge- 
ſchieht!“ erwivdert er. — „Und der Kaiſer hat niht — —?“ — „O 
nein! Er foll geäußert haben, daß er jett vecht deutlich wiſſe, wie 
Sie und die Wiener über das Koncordat denken. Aber vom 
Streichen oder gar vom Befeitigen der Stelle ift gewiß feine Rede.’ 

In der That erfolgte gar feine Einwendung. Dies ift zumeift 
das Klügfte bei folchem Wetterleuchten im Theater. Beſonders in 
Wien. Hier find es immer nur die Befucher der erjten Vor— 
jtellungen, welche Tendenz juchen und heftig beflatjchen; bei den 
ferneren Borjtellungen tritt die Compofition des Stüdes in all ihre 
Rechte. Am zweiten Abende wurde jene Stelle des Montrofe faum 
bemerft und ebenjowenig bei den folgenden Boritellungen. Wir 
gaben e8 zehnmal hinter einander, und es wurde nicht aus folch 
einem Tendenzgrunde abgebrochen, jondern wegen Erfranfung eines 
Mitglieves. Die Nemefis fam erjt ſpät; fie fam in Geftalt eines 
Mißverſtändniſſes, aber fie fam. Als ich das Stüc ſpäter wieder 
anfette, wurde es irrthümlich vom Verbot betroffen. Wir waren 
nämlich in den franzöfiichen Krieg gerathen und in politifche Auf— 
regung, welche Berfaffung begehrte; vom Concordate war augen— 
blilich gar nicht die Nede. Jeden Abend fpähte das Publicum 
nach tendenziöfen Worten und fand fie oft in ven harmlofejten 
Stüden, und meinem Chef war gejagt worden, man möge vorsichtig 


364 Das Burgtheater. 


jein in der Wahl ver Stüde, damit nicht jo viel Gelegenheit geboten 
werde zu TendenzApplaujen. Er hatte, wie gejagt, die „Montroſe“⸗ 
Demonjtration nicht erlebt, er hatte nur erfahren, daß eine jtattge- 
funden, und als ich jett „Montroſe“ anfette, erflärte er mir, 
„Montroſe“ fei nicht ferner zuläffig. Vergebens machte ich be 
merklich, daß jene Demonjtration ein ganz anderes Thema betroffen 
habe, als jett Zielpunft des Publicums fei, und daß dies nur bei 
der erjten Aufführung geichehen und jpäter bei neun Aufführungen 
ganz unterblieben jet — vergebens! Die Eonjtellation der Gejftirne 
war ungünjtig, „Montroſe“ blieb unterjagt. 


Nah Jahren hatte ich einen neuen Chef, welcher von dieſen 
Schickſalen des Stüdes Nichts wußte, welcher aber für das Stüd 
eingenommen war. Wunverlicherweife wußte er auch nicht, wer 
der Verfaſſer. Er forderte mich auf, es wieder in's Repertoire zu 
bringen. Und nun fonnte ich nicht. Der Crommell- Dariteller 
war in Gedächtnißkraft und Energie gealtert, die Rolle war faum 
noch geeignet für ihn; ich fürchtete aber, die Abforderung der Rolle 
würde den verdienten Veteranen franfen, und jo zögerte ich und 
zögerte, bis ich jelbjt die Rolle des Beſetzens aus der Hand geben 
mußte. Und jo hat die Nemefis das Stück in ven Schatten 
gebracht. 


Es folgten im Frühjahre „Die Sabinerinnen” von Paul 
Heyſe, eine poetifch Schöne Arbeit, aber eine römische, für welche 
auch damals unfer weibliches Perſonal nicht völlig ausreichend war. 
Das Publicum wendete jich eilig dem ‚„‚Verarınten Evelmanne‘ von 
Feuillet zu und dem „Grafen Waldemar’ von Freytag. Auch 
Weilen's „Triſtan“, eine romantiſche Studie, intereifirte nur furze 
zeit; alle Aufmerkſamkeit drängte ſich auf die Novembertage, welche 
„Bor hundert Jahren‘, ein Feitipiel zur Säcularfeier des Geburts: 
jahres Schiller’ von Friedrich Halm, und das Fragment „Deme— 
trius“ bringen jollten. 


Das Burgtheater. 365 


Es war ein noch nirgends gewagter, fühner Berfuch, dies Frag- 
ment allein auf die Scene zu führen, aber ver jeltene Tag, meinte 
ich, geitattete wohl einen jeltenen Verfuch. Ich hatte am Burg: 
theater eingeführt, daß die Geburtstage Leſſing's, Goethe's, 
Schillers und Shafefpeare’s immer durch Aufführung eines Stückes 
"von dem Geburtstagshelven gefeiert wurden, Es gejchah dies ohne 
befondere Anfündigung, unferer Verehrung ein Genüge und den 
aufmerffamen Piteraturfreunden eine Veranlafjjung zur Theilnahme 
an jtiller Feier. Trotz dieſer Unfcheinbarfeit wurde mir einmal zum 
Shafejpeare-Tage die Aufführung eines Shafefpeare-Stüdes unter: 
jagt. Der britifhe Dichter war nicht beliebt bei meinem Chef, und 
auch die jtille Feier verdroß ihn. Das hatte indeß kaum Jemand 
außer mir bemerkt, und das Publicum, mehr und mehr unterrichtet 
von diejen literarifchen Feiertagen — ftille Feite finden die wärmjten 
Anhänger — war allmälig daran gewöhnt. Gin befanntes Stüd 
von Schiller war alfo nicht feierlich genug für den hundertjährigen 
Geburtstag; was war natürlicher, als dag wir auf diefe „Deme— 
trius“Perle feines Nachlafjes geriethen und daß wir darauf vechneten, 
der ungewöhnliche Abbruch mitten im zweiten Acte werde in folcher 
Stimmung hingenommen werden und werde nur den Gedanken an 
den frühen Tod des großen Dichters weden, an einen Tod, der eine 
feiner ſchönſten Arbeiten jählings unterbrochen habe. 

Lebhaft hatten wir bis in ven Nachmittag hinein den jtürmifchen 
polnischen Reichstag probirt, und ich war eben erichöpft nach Haufe 
gekommen, da traten einige Schriftiteller bei mir ein und fragten 
mich, ob das Burgtheater und ich wohl beveit wären zu noch weiteren 
Anftrengungen für die diesjährige, die hunvertjährige Schillerfeier? 
Wie das? Mit Einem Worte: ob nicht diesmal eine Schilferfeier 
in größerem Style ermöglicht werden könnte? 

Wenn ich jest zurücvenfe an die Tage nach dem großen 
Schilferfejte in Wien, an die Nachrichten aus Berlin, wo die Feier 
an Rohheit der Volksmaſſe fo traurig zu Grunde ging, an ven ge 


366 Das Burgtheater. 


rechten Stolz der Wiener, daß fie, obwohl jo lange äußerlich abge- 
iperrt von literarifcher Gemeinſchaft mit Deutfchland, ven großen 
Dichter jo großartig gefeiert, jo maßvoll unter Umſtänden, welche 
zur Ausschweifung geradezu verlodten, und doch jo innig, jo wahr, 
jo enthuſiaſtiſch — dann ergreift mich tiefe Rührung. Und gar erit, 
wenn ich zurücblice auf die Entjtehung des großen Feſtes, auf die 
dürftigen Anfänge, o, wie dürftig und gering waren fie, faſt hoff- 
nungslos ! 

Zu meiner Schande muß ich gejtehen, daß mich die Frage jener 
Schriftjteller unvorbereitet traf. Ich hatte nur an die Feier im 
Theater gedacht, und ich habe eigentlich Feine Neigung für die Ju— 
biläen, welche fo gewiß fejtbedürftig aufgeputt werden nach Verlauf 
von zwei Jahrzehnten und noch einem halben Jahrzehnt. Das war 
nun freilich bier ganz anders bei dem hundertjährigen Geburtstage 
unferes geltebteften Dichters; aber dennoch war mein Gedanke nicht 
über den fünftlerifchen Kreis einer Feier hinausgegangen. 

Ich habe außerdem feine perjönliche Neigung für öffentliche 
Demonjtrationen, welche fast immer die Uebertreibung jachgemäß in 
. fich großziehen, und — was das Aergſte war — ich glaubte nicht, 
daß ein Dichterfeft im Vaterlande jo allgemeine Theilnahme wecken 
fönnte. Die vielen fünftlichen Feſte in Deutſchland hatten mich ab- 
geftumpft. Ich bin fein Gegner derjelben geweſen, weilich gar Nichts 
dagegen einwenden möchte, daß die Menjchen ihr Leben jammeln auf 
allen möglichen Punkten und daß fie wichtige Zwede oder Perſonen 
feiern. Aber meine perjönliche Art hat feinen Zug für dergleichen, 
Dazu fam die Erinnerung an die hundertjährige Goethefeier 1349, 
welche doch eigentlich eindrudslos verblieben. Daß Schiller dem 
großen Publicum viel näher fteht, wußte ich wohl, ebenjo daß er 
gerade in Oefterreich von unermeßlicher Popularität; aber ver Ge- 
danke eines großen öffentlichen Feſtes war mir doch überrajchend. 

Ih ſchwieg zunächſt und hörte die Meinungen der Männer, 
welche ſich ja mit ver Idee fchon befchäftigt hatten und welche das 


Das Burgtheater 867 


erreichbare Material berührten, unter welchem das Burgtheater 
figurirte. Sie hegten übrigens felbjt feine gar großen Erwartungen 
und gingen davon aus, daß das Feſt wohl nur in engerem Kreife 
gefeiert werden fünnte. 


Dieje Mittheilungen weckten erſt meine Phantafie; der alte 
Zauberflang des Namens Schiller that das Seine, der Widerfpruch 
erhob jich im mir gegen eine dürftige Feier in fleinem reife — 
„Größeres fei doch nicht möglich!” war gejagt worden. „D doch”, 
hieß es num auf einmal, „für Schiller ift in Wien das Größte mög- 
lich 1” — ‚Aber wie? Wie follen wir das anfangen?” — „Wir 
nehmen die Adrepbücher und Schematismen und wenden ung an 
alle Eorporationen mit der Anfrage.” — ‚Und erhalten feine Ant: 
wort!” — ‚Wir verlangen feine, wir laden fie zu einer Vorbe— 
Iprehung. Auf den Namen Schiller hören Alle; es werden Ver— 
ſchiedene kommen, es werden ſich Vorfchläge melden, diefe werden 
Anfnüpfungen bieten, der Plan wird fich bilden, wird fich praftifch 
erweitern, nicht blos theoretisch wie unter ung Wenigen.“ — „Aber 
in diejer Zeit tiefer politticher Aufregung, wird man uns Zuſammen— 
fünfte gejtatten, Vorbereitungen zu einem großen öffentlichen Feſte?!“ 


Das wußten wir Alle nicht, aber wir hatten uns gegenfeitig 
aufgeregt und gejteigert; wir vereinigten uns zu den Aufforderungen 
in jo großem Umfange, 

Sie entiprachen unferen fühnften Erwartungen. Männer aus 
allen Kreifen erjchienen, das Nad kam in’s Rollen, und die Männer, 
welche an jenem Nachmittage bei mir gewejen, festen einen Eifer, 
eine Arbeitskraft daran, fanden jo nachdrüdliche Unterftügung von 
Seiten aller Zutretenden, daß ein Feſt von unerhörter Faſſung ſkizzirt 
werden fonnte. 

Und die Erlaubniß zur Ausführung? Ach! fie lag noch im ge— 
fährlichiten Zweifel, als ſchon alle Vorbereitungen fertig waren. 
Der damalige Minifter Herr v. Thierry jagte zu mir, ich fei als 


368 Das Burgtheater. 


Director des Burgtheaters eine officielle Berfon, welche die Verant- 
wortlichfeit übernehmen müßte. Er war ein fleiner Mann, ver 
fortwährend jchnupfte und der mir fategorifch eröffnete, ich müßte 
für alle Folgen einjtehen. — „Was wird das zu bedeuten haben, 
Excellenz, wenn ich für üble Folgen einjtehen joll? Nichts. Biel 
wichtiger iſt, daß Sie, wie Sie gethban, an meine Kenntniß des 
Wiener Publicums appelliven, weil ich als Theater-Divector zehn 
Sahre lang Gelegenheit gehabt hätte, es zu jtudiren. Sie fragen 
mich auf's Gewiſſen, ob bei der jetigen aufgeregten Stimmung ein 
Feſt von jolcher Ausdehnung, mit einem Zuge durch Die ganze 
Stadt, mit Reden auf öffentlihem Plate vor Tauſenden von Zu: 
börern nicht ein übermäfiges Wagniß ſei? — Nein, erwidere ich, 
meines Gractens ift es in diefem Falle fein übermäßiges Wagnik, 
weil es ein Dichterfejt, weil es ein Felt Schiller’s ift. Wir können 
mit Recht jagen: die Regierung ſchenkt den Wienern großes Ver: 
trauen, rechtfertigt ihr Wiener dies Vertrauen! — Und jo weit ich 
die Wiener fenne, Excellenz, werden ſie's rechtfertigen. Sie hegen 
eine reine, tiefe Liebe für Schiller, es wird für fie ein Chrenpunft 
jein, das Feſt ihres großen Dichters rein und unbefledt zu erhalten.‘ 

Dazu ſchüttelte er das Haupt. . 

Das Felt verfanf im Entftehen. Nur eine Ausficht blieb, 
die Ausficht auf einen directen Weg zum Kaifer. 

Auf diefen Weg ward all’ unfere Hoffnung gejett, und wir 
hatten guten Fug zu diefer Hoffnung. Wie oft in Theaterfragen, 
die ja leicht die wichtigjten Fragen des Staates berühren, hatte eine 
freie Entſcheidung unerreichbar gefchtenen, und die freie Entſchei— 
dung war jedesmal gewonnen worden, wenn es gelang, die Anfrage 
um ein liberales Zugeftänpniß an den Kaiſer ſelbſt Ju bringen. 
„Wallenſtein's Lager“ — um nur eines dieſer Beijpiele anzuführen 
— war ung wieder entzogen worden wegen des Capuziners ; e8 war 
gelungen, ven Kaifer jelbjt zu fragen, und das „Lager“ war unſer 
ſammt dem Capuziner. Und jo geichah’s auch bier; unjere Hoffnung 


Das Burgtheater. 369 


erfüllte fich ganz; in aller Kürze und Einfachheit gewährte ver 
Kaiſer die volle, unbejchränfte Ausdehnung des Schillerfeites. 

Bom Praterjtern aus zog der unabjehbare Fadelzug durch die 
Leopoldjtadt, durch die ganze innere Stadt bis zum Paradeplatze. 
Zwei Knaben, die Söhne des Grafen Franz Thun, trugen den Lor— 
beerfranz für Schiller, und die unermerliche Menjchenmenge auf 
den Straßen, an den Fenſtern, auf den Dächern rief fein anderes 
Wort als Huldigung auf Huldigung für den großen Dichter, Jubel— 
ruf auf Subelvuf, wenn die Knaben mit dem Yorbeerfranze vorüber- 
zogen. Die Wiener rechtfertigten volljtändig das in fie geſetzte Ver— 
trauen, und auf dem Paradeplate, wo wir ein folofjales Standbild 
Schillers aufgerichtet — Dank der rafch fchöpferifchen Kraft des 
Bildhauers Meirner —, wo die weite, freie Fläche bevedt war von 
vielleicht dreißigtaufend Menjchen, und wo diefe Dreikigtaufend in 
einer Ruhe harrten wie im PBarterre des Burgtheaters, wo ich eine 
Rede zu Sprechen oder vielmehr zu fchreien hatte, da vernahm man 
nicht einen Ruf, der was Anderes als Schillerfeier bedeutet hätte, 
Die Antwort auf meine Hochrufe fam wie Meeresbraufen heran, 
aber rein und einftimmig; Jubelruf auf Subelvuf für jede Eigen- 
ſchaft Schiller’s, die genannt wurde, ftieg in die Lüfte, und jeder 
Auf war rein, rund, donnernd wie das reine Element der Liebe zum 
großen Dichter; das Echo von der Stadtſeite brachte die Rufe zurück 
iwie eine Harmonijche Bejtätigung des einen gefammelten Sinnes 
für Friedrich Schiller. 

Und ebenſo ohne die geringite Störung verlief fich die Menſchen— 
menge. Es war Alles gelungen, wie es die fühnjte Phantafte fich 
vorjtellen gefonnt, und voller Freude eilte ih am Morgen darauf 
zum Minister Thierry, der mich zu fich berufen. Sch meinte eines 
Wortes der Zufriedenheit fiber gewärtig jein zu dürfen. Ich hatte 
mich geivrt; er hatte fein ſolches Wort, wohl aber die Forderung, 
dag die Schiller-Statue fogleich bejeitigt werden jollte, weil fie zu 
Demonjtrationen Anlaß geben könnte, 


Laube, Burgtheater. 24 


370 Das Burgtheater. 


Meine Begleiter, zwei vornehme Herren, verbeugten ſich; ich 
widerſprach. Das Felt war auf mehrere Tage ausgedehnt; an die 
jem Abende follte es im Sophienfaale literarifch gefeiert werden, 
die Elite von Wien war dazu angefagt, die ganze Stadt wußte, daß 
Schillertage angefündigt waren, es wäre ein herausfordernder 
Mißklang, ein Mißtrauenszeichen auffälligiter Art gewejen, wenn 
am zweiten Tage das Standbild des Dichters befeitigt worden 
wäre, 

Es blieb denn Nichts übrig, als wiederum beim Raifer ſelbſt 
anfragen zu lajjen, und vom Kaifer fam wiederum die Antwort: 
Die Statue Schiller’s bleibt jtehen. 

Bekanntlich ſchenkte der Kaiſer ven Platz jelbjt zu einer dauern— 
den Bildſäule des Dichters und gab ihm den Namen Schillerplat. 

Bekanntlich ſoll das neue Burgtheater auf diefen Pla fommen, 

Möge der Tag bald ericheinen, an welchem wir Schiller und 
jein Schauspielhaus dort jtehen jehen! Wien hat die Schiller-Statue 
und ein neues Burgtheater verdient. 


XXX. 


Schillerfeſt und Burgtheater hingen auf's Engfte zufammen. 
Man hat „vraußen‘ im Reiche gar feine Vorftellung davon, wie 
die Schiller'ſchen Dramen hier die Seele ver Anziehungskraft find, 
welche das Burgtheater auf das große Publicum ausübt, die Seele 
der Hochachtung, welche dem Burgtheater gezollt wird. Schiller’s 
Worte im Burgtheater find den Defterreichern wie ein Evangelium. 
Man findet in Schillers Worten die Wahrheit, die Würde, die 
Tugend und die Schönheit ganz und gar. Niemand bezweifelt fie, 
Sedermann find fie ein Genüge, eine Erhebung; man glaubt an fie 
wie an eine moderne Offenbarung. Ein Schillerihes Stüd in un- 
genügender Daritellung begegnet heftiger Entrüftung im Publicum. 
Da fühlt ſich Jeder berufen, ein Tempelwächter zu fein, 

Deßhalb war es ein Wagniß, das „Demetrius“-Fragment auf: 
zuführen, Mit dem bloßen Anfange eines Stüdes, mit dem grellen 
Abreißen des Stückes fonnte Schiller compromittirt ericheinen, und 
das hätte man nicht vergeben. 

Allerdings bot die große Verehrung Schiller's doch auch eine 
Garantie, Gerade ein jolhes Publicum brachte ja eine Pietät mit, 
welche auch einem bloßen Fragmente gegenüber dankbar ijt. Ge— 
rade der jähe Schluß fonnte eine elegifche Stimmung weden, fonnte 
den Sinn hinüberlenfen vom unvollendeten Kunſtwerke auf das vor: 
zeitige Todesſchickſal des Dichters. 

Darauf rechnete ih. Ich hoffte, das Publicum werde jagen: 
So viel hat uns Schiller noch gegeben, ſeien wir dankbar, daß wir 
jeine fetten Scenen auf unjerem Burgtheater jehen fünnen! 

24 * 


872 Das Burgtheater. 


Und fo lautete venn auch wirklich die Schlußmeinung des Pu— 
blicums. 

Wir ſchließen die Fragments-Vorſtellung natürlich mit dem 
Monologe der Marfa, die kleinen Zuſätze, welche noch vorhanden 
ſind, fallen laſſend. Jener Monolog iſt wenigſtens ein Schluß der 
großartigen Expoſition, welche uns Schiller voll gegeben: erſt ven 
prachtvollen Neichstag zu Krakau, dann in Rußland die Mutter des 
Prütendenten ımd mit dem Patriarchen den Did in die ruffiichen 
Verhältnifie. Als Schluß einer Expoſition macht ſich auch der Ab- 
gang Marfa’s theatraliich wirffam geltend. Man hat doch eine 
volle Einficht, ein volles Interefje gewonnen; auf die Ausführung 
bat man ja von vornherein verzichtet. 

Während ver Vorbereitungen zum Schillerfefte probirten wir 
unabläffig ven „Reichstag“, welcher ja in erjter Linie zu den Vor: 
bereitungen des Schillerfeftes gehörte, Dieje Neichstagsjcenen 
müſſen jcenifch vollendet auftreten, dann wirfen fie außerordentlich. 
Sie enthufiasmirten das Publicum. Die Shakeſpeare-Studien 
waren ung zu ftatten gefommen, ein ſtürmiſches Enjemble jo darzu— 
stellen, daß jeder Zufchauer und Zuhörer ven bloßen Theaterbegriff 
vergeffen mußte. Dies ift ja das Endziel eines guten Theaters: 
die Wirfung der Kunſt hervorzubringen, ohne daß Die einzelnen 
Hilfsmittel dev Kunjt bemerkt werden. 

Zu einer der vorhandenen Fortfegungen des Fragments konnte 
ich mich nicht entichliegen. Sie find zu ſchwach. Einer der Fort— 
jeter hatte mir gefchrieben: Sie find es Schiller ſchuldig, das 
Vorurtheil gegen mich fallen zu laſſen; venn hier handelt fihs um 
Schiller! — Ich hatte ihm geantwortet: Eben deßhalb, weil es ſich 
um Schiller handelt, kann ich eine Fortjegung nicht aufführen, 
welche vem Schiller’fchen Anfang nicht gerecht wirt. 

Damit habe ich übrigens nicht jagen wollen und will ich 
durchaus nicht fagen, daß ein voller Schiller’fcher Maßſtab an eine 
ſolche Fortfeung angelegt werden müffe. Cine nur leipliche Fort⸗ 


Das Burgtheater. 373 


feßung wäre mir jehr willfommen gewejen, um das Schiller’iche 
Fragment als organifchen Theil eines ganzen Stüdes dem Theater 
einzuverleiben. Wenn jolche Fortjeßung nur allenfalls theatralisch 
beitehen kann hinter Schillers glänzender Erpofition, dann erachtete 
ich jie als einen Gewinn für die dveutfche Bühne. Den Anfprüchen 
an Schiller brauchte fie nicht Rede zu jtehen. 

Aber es iſt faum Ausficht vorhanden, daß wir je eine folche 
Fortjegung erhalten werden. Die Arbeit ift unter allen Umſtänden 
undanfbar. Nicht gerade im Theater, aber gegemüber der Kritif. 
Wer von Talent hat die Entjagung, nur dem Theater zu nüßen, 
jich jelbjt aber jedenfalls auszufegen, auch wenn er im Theater zur 
Noth befriedigte! Und wer ſich vem undanfbaren Wagniffe hingäbe, 
der müßte jedenfalls von der erjten Scene Schillers anfangen, 
jeine Fortjegung einzuleiten, der müßte Schiller ändern und ftreichen. 
Wer entſchließt ſich dazu! 

Ich bin außer Zweifel, daß Schiller dieſe anderthalb Acte 
vielfach geändert hätte, wenn er zur Ausführung des ganzen Stückes 
gekommen wäre. Wie dieſes Fragment jetzt daſteht, iſt es auf ein 
Rieſenperſonal angelegt, welches keine Bühne der Welt ſtellen kann. 
Die Polen nehmen jetzt ſchon ein ganzes Perſonal in Anſpruch, und 
doch haben ſie nur einen epiſodiſchen Antheil an der Entwicklung 
des Ganzen zu erwarten; außer Marfa und dem Patriarchen fehlt 
die ganze ruſſiſche Welt noch, der Czar Boris Godunoff an der 
Spite. Das hätte Schiller, der während feiner legten fünf Jahre 
in fachmäßige Berührung mit dem Theater getreten war, der 
namentlich mit Sffland, damals Director in Berlin, in diefem 
Betracht verfehrte, das hätte Schiller ganz gewiß berüdjichtigt. 
Und er war von einer jtaunenswerthen Energie gegen jeine eigene 
Schrift, ſobald er mit feinem großen Compoſitions-Blicke feine 
Entwürfe anfah und endgiltig ausführt. Schonungslos pflegte er 
da vorzugehen gegen das Vorhandene. Ich erinnere nur an feine 
Umarbeitung des „Egmont“, welche Diezmann in Yeipzig in Drud 


974 Das Burgtheater. 


gegeben. Da ändert Schiller Goethe vefolut, oft radical, und gegen 
jeinen verehrten Freund Goethe war er ficberlich noch viel ſchonen— 
der als gegen fich jelbjt. Gerade jo wie mit dem „Egmont’” würde 
er mit dem „Demetrius“ vorgegangen fein. 

Wie leicht, wie jcharf hatte er in dieſer „Egmont“Reform 
Altes bejeitigt, was die dramatiiche Schwäche des „Eymont’ aus 
macht! Diefe Schwäche bejteht darin, daß die Gegenjäte im 
Stüde einander vorjichtig aus dem Wege gehen fünf Acte lang. 
Das Zufammentreffen der Gegenjäte bildet aber das Drama. 
Nur ein einzigesmal, nur im vierten Acte, begegnen fi Egmont 
und Alba. Freilich fielen bei ver Schillerichen Reform einige der 
hundert Vorzüge des Goethes, Egmont‘, welche eben in vem ruhigen 
Gange des Goethe-Stückes wurzeln, und Goethe felbjt ſchüttelte 
den Kopf zu jolcher Dramatifirung feines „Egmont“. Gr war eben 
in erjter und letter Pinie nicht jo dramatiſcher Componift wie 
Schiller, deſſen Dramen juſt durch ihre Compofitionsfraft ver 
Schatz des deutſchen Theaters find. Wer aber jo am „Egmont“ 
verfuhr, wie wäre der mit feinem Eigenthume, mit dem nur ſkizzirten 
„Demetrius“, umgejprungen ! 

Das Schidjal hat ihn weggeriffen. Nehmen wir Abjchiev. 

Bei diefem Begriffe „Aenderungen“, welcher den Theater: , 
Dirigenten alle Tage zudringlich antritt, drängt fich ein Scribe- 
ſches Stüc vor, welches wir in diefem Jahre 1859 neu brachten. 
Es waren Standesänderungen nöthig, um den Zutritt des Stüdes 
zu ermöglichen; vornehme Yeute mußten minder vornehm auftreten. 
Es waren die „Feenhände“ — „Les doigts de fee“. 

Das Stüd behandelt jehr dreiſt eine jeciale Frage: was 
jollen hochgeborene Mädchen thun, wenn fie nicht reich genug find 
und feinen Gatten finden, und feinen Anhalt finden in der Welt? 
— Gie follen arbeiten. — Das zu antworten hatte Scribe die 
Dreiſtigkeit in dieſen „Feenhänden“. Und das führte er gründlich 
durch in der Handlung dieſes Stüdes, und dies Stüd wurde auf 


Das Burgtheater. 375 


dem eriten Theater Franfreihs, auf dem Theätre Francais, 
aufgeführt, 

Nun muß man freilich nicht glauben, daß dies Theätre 
Francais ein ähnliches Publicum habe wie das Burgtheater, eine 
ähnliche Atmojphäre von officiellem, arijtofratiichem, vornehmen, 
rückſichtsvollem Wejen. O nein! Es erhält zwar eine Subvention 
von der Negierung; aber Hofrüdjichten beeinflufien es gar nicht. 
Sein Bublicum ift in feiner Richtung excluſiv, es ift das Publicum 
der gebilveten Pariſer. Es hat zudem eine republifanifche Schau— 
ipieler-Berfaffung, innerhalb welcher es ſich im Wejentlichen ſelbſt 
regiert durch Stimmenmehrheit jeiner Societairs (jo heißen die 
lebenslänglihen Mitglieder), und dieſe VBerfafjung bringt es mit 
fih, daß es immer in unmittelbarer Berührung bleibt mit Sitte 
und Anſchauung der lebendigen franzöjiihen Welt. Es gejtattet 
alfo eine viel freiere Wahl im Thema jeiner Stüde, es gejtattet 
eine freiere Sprache als das Burgtheater. Aber auch für dies 
Iheätre Francais war ſolch ein fociales Thema wie in den „Feen— 
handen“ immerhin jpit umd ein wenig dornig. Die Schwierigfeit 
wurde dadurch erhöht, daß Scribe ven franzöfiichen Dramatifern 
zu lange lebte, wirkte und — reuffirte. Der alte Herr brachte nach 
vierzigjähriger enormer Theaterthätigfeit immer noch wirkſame 
Stüde, welche dem jüngeren Gejchlechte den Naum beengten. Das 
junge Gejchlecht tadelte, Schalt, verläumdete wohl auch die unge: 
nügende Fähigkeit des alten Herrn. „Der Bindfaden“ — „la 
ficelle“ — war das Stichwort des Tavels. Mean jühe überall 
den „Bindfaden”, an welchem die Scribe'ſchen Puppen durch die 
Acte hindurchgeleitet, an welchem die Acte jelbit zufammengehalten 
würden. Das hat jich jpäter gerät. Als er geitorben war, 
famen gröbere Gompojfitionen an die Reihe, und ein Kritiker vief: 
Eh bien! ven Bindfavden find wir los, aber was haben wir nun? 
Den „Strick“ — „la corde“. 

Nun, diefe Oppofition gegen Scribe kam bei diefen „Doigts 


376 Das Burgtheater. 


de fee“ zum Ausbruche, Das dreijte jociale Thema bot den An- 
(aß, aber auch nur den Anlaf. Der Neid war die Grundurfache; 
die Aufnahme des Stüdes wurde bei der erjten Aufführung heftig 
bejtritten. Das lodte mich nur, es fennen zu lernen. Scribe hatte 
in Folge der bejtrittenen Aufnahme wirklich Aenderungen gemacht ; 
das gedructe Buch enthielt fie, und ich fand das Stüd troß der 
Parifer Tonangebung, die ich jeit lange fannte, intereffant und 
unterhaltend. Das Publicum in Paris ift auch diefer Meinung 
geworden, und das Stüd hat jich gehalten. 

Sch wollte es geben und ſtand mit diefer Abſicht wor einer 
hoben Mauer im Burgtheater. Das arme vwornehme Mädchen 
Helene, welche durch Arbeit ihr Yeben fichern will, ijt nicht mehr 
und nicht weniger als eine Herzogin. Dafür eine Crlaubniß zu 
hoffen, wäre VBermejjenheit gewejen. Für unjere Zwede, meinte 
ih alfo, ift das Mädchen ebenfo gut, wenn fie ein bloßes Evel- 
fräulein it! Demgemäß degradirte ich die ganze Familie, und — 
das Stüd kam zur Aufführung und gefiel troß des Putmacher- 
geichäftes, welches Helene errichtet hat. 

Unter ſolcher Stanvesbeihränfung nahmen auch wir in Wien 
theil an dem breiten jocialen Thema eines Yuitjpiels, und das 
Samenforn wird feimen bei unferen Luſtſpiel-Poeten. 

Praftiih Hat es ſich wie ein joctaler Scherz ſchon fort: 
entwidelt, als das Stüd bei anderen Hoftheatern anflopfte. Die 
Herren Intendanten waren jehr ungehalten, daß man einem Edel— 
fräulem jo Etwas zumuthen könnte. Jetzt fam die Standes: 
erniedrigung beleidigend an den Fleinen Adel: dieſen Herren mitten 
unter Herren „von“ war das Edelfräulein empfindlich. Was bei uns 
Rettung gewejen, war dort Verbrechen; dort hätte man allenfalls 
die arme Helene wieder zur Herzogin machen fünnen ; die Herzogin 
(ag ferner, und mit ihr wurde die ganze Mesaventure chimäriſch. 

Die Moral davon lautet: Sociale Luftipiele find ein wahrer 
Schat für die Bühne, denn fie führen in's organifche Yeben des 


Das Burgtheater. 377 


Publicums, berühren alſo die Charaftere viel intimer, als dies 
bloße Situations-Luſtſpiele können. Aber ſie finden auch am 
ſchwerſten Zutritt und beleidigen das Publicum am leichteſten. 
Wandlungen des Lebens, welche erſt im Zuge begriffen ſind, haben 
auf der Bühne einen ſehr ſchweren Stand, denn das Publicum 
ſpaltet ſich in Parteien für das erſt Werdende. Es weint und 
lacht einträchtig nur über das Fertige, welches in die Gewohnheit 
der Menſchen übergegangen iſt. 

Sind aber ſociale Luſtſpiele einmal durchgedrungen, dann ſind 
ſie von langer Dauer auf der Bühne, denn ſociale Reformen, 
welche durchgeführt worden ſind, haben eine ſehr zähe Lebenskraft. 

Motiere, der jo oft fälſchlich empfohlen wird, iſt ganz be— 
ſonders lehrreich in der Theaterfrage vom focialen Luſtſpiele. 
Moliéère hat es trefflich verjtanden, feine Stücke durch fociale Züge 
zu befruchten. Nur zu befruchten. Er verfuchte es nie, neue ſociale 
Berhältniffe aufzuitellen, aber er fnüpfte feine Charaftere da an, wo 
fie mit gejellfchaftlichen Schäden zufammenhingen, und dadurch ge- 
lang es ihm, Charaftertypen zu jchaffen. Zum Beijpiele den 
Tartuffe. Zum Theile deßhalb genießt er in der franzöfifchen 
Yiteratur ein jo großes Anjehen, er, der franzöfiiche Schaufpieler, 
in der franzöfifchen Literatur, wie Shafejpeare, ver engliiche Schau: 
ipieler, in der englifchen Literatur, Bielleicht weil fie als Schau— 
ipieler die focialen Schwierigkeiten des Lebens doppelt empfanden, 
hatten jie in jich die Fähigkeit des Ausprudes dafür tiefer entwicelt. 

Moliere's Anjehen iſt noch im heutigen Frankreich außer: 
ordentlich. Nicht blos beim Bourgeois, welcher die Statue des 
Komödiendichters an der Straßenede mit Behagen anjchaut, fondern 
auch beim vornehmſten Yiteraten. Moliere ift eben Gründer ver 
franzöfiichen Komödie von joctalem Charafter, und er vollbrachte 
dies mit nadtem vealen Talente, Er lehrte nicht, jondern er zeigte. 

Er hat die gleichzeitigen Spanter und Italiener fleißig benütt 
— fein Franzofe fragt danach. Sie find in dem Punkte der An- 


378 Das Burgtheater. 


eignung oder, wie es jett heißt, der Annerion von weiteſtem Ge— 
wijlen. Dumas der Vater hatte einmal die Naivetät, zu erflären: 
Ja, es ift wahr, ich habe dieſe zwei Scenen meines Luſtſpiels einem 
alten Stüce blank entlehnt, aber in jenem alten Stüde machten fie 
feine Wirkung, in dem meinigen wirken fie gut. Sch habe alfo ein 
Recht gehabt, ſie mir anzueignen, und nun find jie mein, denn ich 
hab’ jie zur Geltung gebracht. — Die Franzojen widerjprachen 
nicht. 

Ebenſowenig fümmerte man fich bet Moliere darum, woher er 
jich verforge. Diejer Kummer ift nur eine neidiiche Neigung in 
Deutſchland. Was in Frankreich der Yandsmann verarbeitet und 
fertigbringt, das ift des Yandsmannes, das ijt ein nationaler Er— 
werb; fein literarifcher Commifjär fragt nach dem Urſprungs— 
zeugniffe. Deßhalb find wir auch jetzt mit dem literarifchen Eigen— 
thumsvertrage jo arg im Nachtheile. Wir felbjt denunciren jeden 
unferer Yandsleute, wenn er Etwas von Franzojen entlehnt, ven 
Franzoſen fällt das nicht ein. Zur Erleichterung dient ihnen frei 
lich, daß fie gar nicht fennen, was bei ung gefchrieben wird. Kommt 
doch einmal dem Franzofen Etwas zu von unferer Piteratur, dann 
beleckt ev es mit feiner nationalen Zunge jo lange, bis der fremde 
Ursprung unfenntlich geworden und der Nachweis der Entlehnung 
faum möglich bleibt. Solch ein literarifcher Vertrag zwijchen einem 
nationalen Volke, wie die Franzofen find, und einem fosmopoliti- 
ſchen Volfe, wie wir jind, wird ftets die Wirfung haben, daß das 
fosmopolitifche Volk alle Kojten zahlt, was wir denn auch vedlich 
thun oder thun müfjen. 

Sch fomme auf Moliere und unfer literarifhes Verhältnig zu 
den Franzofen, weil wir Anno Neunundfünfzig wieder einmal den 
Verſuch machten, ein Moliere'fhes Stüd neu in Scene zu ſetzen. 

Bon Zeit zu Zeit überſetzt ein Yiterat, der viel Zeit hat und 
nicht genug eigene Schöpfungskraft befitt, die älteren Stüde frem- 
der Literatur in neues Deutjch und macht uns in den Zeitungen 


Das Burgtheater. 379 


begreiflih, daß es ganz unclaſſiſch von uns ſei, die clafliichen 
Stüde hochgebilveter Völfer auf unferer Bühne zu vernachläfjigen. 
Namentlich die Lujtipiele, da es uns doch an Luſtſpielen fo fehr 
gebreche. Namentlich Meoliere — fett er hinzu —, der Vater des 
franzöfifchen, ja des europäifchen Luſtſpieles, verjchwinde auf ganz 
unverantwortliche Weife vom deutſchen Theater! 

Das laſſen wir uns gejagt jein und ſetzen wieder einmal ein 
neu überjettes Stück von Moliere in Scene, und rufen uns, wie 
ich oben verfucht, jorgfältig in's Gedächtniß, daß Moliere die größte 
Bedeutung habe für die Compofition des Yuftipiels, und find dann 
ganz erjtaunt, wenn die Wirfung ausbleibt auf unferer Scene, 

Sp ging es uns in diefem Jahre mit dem „Geizigen“. Wir 
wiederholten ihn wor leerem Haufe. 

Woran liegt das? Man giebt ja doch diefe Stüde heute noch 
im Theätre Francais regelmäßig, und die Franzofen finden das 
gut und löblih. Sa, in ihrem eng nationalen Wejen leben die 
alten Theater-Traditionen noch; die Franzojen find bewunderns- 
werth conjervativ in ihren Künſten. Wir find es nicht. Wenn 
wir dieſe alten Stüde trefflih dargejtellt im Theätre Francais 
ſehen, jo müfjen wir uns jehr ftacheln mit literarifchen Sporen, um 
ihnen’ einigen Geſchmack abzugewinnen; eigentlich finden wir fie in- 
ſipid, grob, veraltet. Alte, unverlöfchliche Linien der Yuftipiel- 
wirkung erfennen wir wohl, aber es find uns nur Yinien zu Studien. 
Der Inhalt, welchen fie eintreifen, ift uns längjt fade geworden; wir 
wollen Lujtipielwerhältnifje unjerer Tage. Das geht jo weit, daß 
ſelbſt Krankheitsſymptome unferer Tage in Mioliere’s Form nicht 
mehr bei uns wirken, Die Frömmelei war in den Dreißiger und 
Vierziger Sahren ſehr fihtbar in Deutjchland und fehr verhaft; 
man freute jich in Yeipzig wochenlang voraus, daß zum Neujahrs- 
tage Moliere’s „Tartuffe“ aufgeführt werden ſollte. Der Neus 
jahrstag kam, „Zartuffe” fam auch und — machte gar feine 
Wirkung. 


380 Das Burgtheater. 


Summa: ſchätzbares Material fir Iheater-Studien iſt noch 
fange fein Material für's Theater jelbit. 
Der Sinn ift aufzufuchen, in welchem Yeute wie Moliere ge- 
ichrieben, der Sinn, durch welchen jie jo jtarf gewirkt. Nur wer 
den Sinn entdeckt und gleichzeitig Talent hat, wird durch Dies 
Studium dem jetigen Theater nützen. Er wird nicht die Prügel- 
jcenen wiedergeben — der Stod wird überall abaefchafft, und auf 
unjerem Theater jollen Prügel einen luſtigen Eindrud machen! — 
jondern er wird, wie Moliere feinerzeit, Schwächen und fomijche 
Leidenschaften heutigen Tages zu Ausgangspunften nehmen, aber er 
wird ums nicht beweilen wollen, daß der Geiz etwas Komijches fei, 
weil er es in roherer Zeit gewejen jein mag. 

Wer jo vorgeht, der wird dann auch begreifen, daß zum Bei— 
ipiele unfer Fritiiches Vorurtheil gegen politiiche Yuftipiele im 
Weſentlichen altmodiſch geworden und der Reviſion bedürftig ift. 
Unfere Zeit iſt politifch. Hier liegen alfo auch Neigungen und 
Schwächen, welche dem Luſtſpiele, vem Theaterſtücke gegenwärtigen 
Lebens, angehören und in demſelben ehrlich wirken können, nicht 
blos künſtlich. in heutiger Moliere würde uns das nachdrüdlich 
zeigen. Kurz, das Theater, und auf dem Theater insbejondere das 
Yujtipiel, hat es mit dem lebendigen Yeben zu thun. j 

Hierin Liegt auch die Yebensgefahr für unſere Hoftheater, 
welche fich aus höfifcher Tradition gegen neu pulfivendes Leben ab- 
zufperren juchen. Gelingt ihnen dies, jo gelingt ihnen auch ihr 
Tod. 

Jedes Weſen hat feine eigenthümliche Yebensgefahr. Die ver 
heute noch beſtehenden Hoftheater liegt in den Rococo-Principien, 
welche jie fich auferlegen zu höchjteigener Strangulirung. 


\ 


XXXI. 


Die Rolle des Cromwell und des Geizigen, welche 1859 in 
Rede gefommen find, führen zur Schilderung eines unferer erften 
Schaufpieler, des Herrn Ya Roche. 

Um dieje Zeit ſchon machte ver unerbittlich nagende Zahn der 
Zeit auch an ihm feine Gewalt geltend. Unfcheinbar vielleicht für 
das Bublicum, empfindlich für die Näherftehenden. Nicht in Ge- 
fundheit und heiterer Yebensfähigfeit, durchaus nicht! YaNoche hat 
eine jener unverwüſtlichen Naturen, welche bis in hohes Alter, wohl 
bis in höchſtes Alter jtandhaft vorhalten. Jener Zahn machte jich 
da geltend, wo er es immer thut: am unferer ſchwachen Stelle, da, 
wo wir gefündigt haben unfer Yebenlang; da nagt er zuerft wirffam. 

Eine Grundbedingung der Schaufpielfunt it die Gedächtniß— 
fraft — an ihr nagte jener neidiſche Zahn zuerjt wirffam bei Herrn 
Ya Roche, 

Die Gedächtnißfraft ift für den Schauspieler jo wichtig, wie 
die Blutbeihaffenheit für jeden Menjchen. Wenn die Worte dem 
Schauspieler nicht ohne Schwierigfeit gegenwärtig find, jo ift er im 
Einzelnen wie im Ganzen gelähmt er ijt dann wie ein Soldat, ver 
fchießen fol und der mit dem Yaden nicht fertig wird. 

Eine leider zahlreiche Gattung alter Schaufpieler ſteht neben 
der jungen Generation wie eine Armee mit VBorderlavdern und Kapſel— 
aufjesern'neben einer Armee mit Hinterlavdern. Diefe jchießt zehn- 
mal, ehe jene einmal ſchießt, und jeßige junge Schauspieler, welche 


EnEN 


382 Das Burgtheater. 


fejtes Memoriren jo früh vernachläfligen, fünnen früh als todt be- 
trachtet werden. Die alte Schiegweife geht im heutigen Schau— 
ſpiele gar nicht mehr. 

Es iſt nicht zu verfennen: die junge Generation der Schau: 
ipteler, in einer geiftig bewegten Zeit eingejfchult, hat im Lernen der 
Rollen einen großen Vorſprung. Keineswegs vor Allen. Wir 
hatten am Burgtheater Mitglieder der älteren Generation, welche 
in Gewijjenhaftigfeit des Memorivens muftergiltig waren, Anſchütz 
an der Spite und Frau Rettich — die Frauen lernen immer gut 
— md Fichtner wenigjtens im bejten Willen, nur behindert, leider 
ichwer behindert durch fein hartes Gedächtniß. Aber der Vorjprung 
der Jüngeren ijt überaus einleuchtend vor einer großen und wich- 
tigen Gruppe des älteren Kiünjtlergejchlechtes, welche gewiljen- 
haftes Memoriren von Haufe aus geringgeachtet hat. Dieje Gruppe 
Ichliegt echte Darjtellungstalente im fih, Namen vom beiten Klange 
in der Theaterwelt, Leute, welche jih auf ihr Genie verließen und 
verlajjen, welche die nothwendigen Hilfsmittel der Kunjt gering- 
ſchätzten und geringjchägen, divecte Erben der Ertempore- Komödie, 

Ich glaube, fie find auf eine gewiſſe Periode des deutjchen 
Iheaters, etwa auf die Jahre von 1815 bis 1830, zurüdzuführen. 
Zahlreiche Talente, deren Entwidlung in jene Zeit fällt und die 
vorzugsweile aus Berlin jtammen oder mit Berlin zufammen- 
hängen, haben faſt grundfätlich das Memoriren obenhin behandelt 
und fih auf die Infpivation in ver Schlacht verlaffen, fich wohl 
auch Etwas zugute gethan auf die Fähigkeit jolher Infpivation, ganz 
wie in der Extempore-Zeit. Ludwig Devrient jteht an der Spitze; 
er hat oft böje Dinge geſprochen, wenn er, der richtigen Worte un— 
mächtig, im Drange der Schlacht eilig vorwärts mußte. Döring 
desgleichen ijt viel zeitiger, als das Alter ihn dazu zwang, den Wor— 
ten des Dichters aus guten Gründen ausgewichen, und La Roche eben- 
falls. Ya Roche nicht in hohem Grade und nicht eben grunpdfäglich, aber 
doch jo, daß er feine reichen Darjtellungsgaben empfindlic) abgeſchwächt 


Das Burgtheater. 383 


hat durch Unficherheit in ven Worten. Er war es denn auch, gegen 
welchen Lußberger — wie ich früher erzählt — feine zornige Rede 
richtete, daß man feiner Rolle und feinem Stüde Genüge thun 
fönne bei völliger Abhängigkeit vom Souffleur. 

Mit aller Neigung nach diefer jogenannten genialen Richtung 
hat übrigens Ya Roche — zum günjtigen Unterfchiede von der Genia— 
lität Anderer — die Fähigkeit des Memorivens nie ganz eingebüßt. 
Das hat er mir einmal aus Aerger über mich nachdrüctich bewiefen. 
Ich hatte die Rollen des „Fräulein v. Seiglière“ ausgetheilt, und 
er war unzufrieden, daß er nicht die Rolle des Marquis erhalten. 
Er jtellte mich zur Rede, warum er fie nicht erhalten? Sch erwiderte 
ihm, daß ich feinen Destournelles hätte außer ihm, wohl aber noch 
einen Marquis, und bei diefer Gelegenheit beflagte ich mich, daß er 
jich, feine Rollen und das Stück jo oft im Stiche laſſe durch Mangel 
an Promptheit, Rajchheit und Feitigfeit in ven Worten, durch noth- 
wendige Hingabe an den Souffleur. Wer den Souffleur abjolut 
brauche, ver verliere die Beherrihung der Scene. Um mich Yügen zu 
jtrafen, fam er jo ausgerüjtet auf die erite Probe, daß er die Rolle 
des Destournelles vollitändig innehatte. Ich hatte um Verzeihung 
zu bitten und that dies mit großem Vergnügen. Destournelles 
wurde gerade dadurch eine Meijterrolle von ihm, die bejte neue 
Rolle, welche ich in achtzehn Jahren von ihm aejehen. Cr fonnte 
e8 aljo, und der Unterichied von anderen neuen Nollen war blen- 
dend. Und doch emancipirte er ſich nicht vom Souffleur und ließ 
jich durch das Bedürfniß des Souffleurs wie oft! feine trefflichen 
Eigenfchaften abſchwächen. 

Dieſe trefflichen Eigenſchaften gruppiren fich um eine äußerſt 
wohlthuende Yebensfraft, welche jein Spiel ausathmet. Sie find 
eine Schöne Wahrhaftigkeit, ein feiner Humor, wenn's noththut auch 

‚ein jtarfer Humor, ein warmes Gefühl in bürgerlichen Rollen, eine 
noble Haltung in vornehmen Rollen, ein drajtifches Darftellungs- 
talent für hargirte Aufgaben, und für das Alles die ausdrudsvolle 


84 Das Burgtheater. 


Mimik eines Schön gefchnittenen Kopfes und die Behenpdigfeit eines 
gefehmeidigen Körpers. 

Dieſe Eigenfchaften, welche ihm durchweg leicht und natürlich 
zuftehen, bilden in ihm das Enfemble eines erften Schaufpielers, 
wie es jelten vorfommt. 

Seine Schwächen find am ſichtbarſten in der Zragddie, Theils 
fehlt ihm für vie Tragödie der Schwung des Geijtes, theils die Höhe 

des Vortrages. Er hatte ſich obenein — wahricheinlich in Weimar 
— einen manterivten Ton dafür zugelegt, der aus dem Bauche ge- 
holt wird und auch ganz bauchredneriſch wirft. So weit e8 anging, 
hab’ ih ihn von tragiichen Aufgaben, die er in ehrlicher Selbit- 
kenntniß auch nicht liebte, ferngehalten, und leife Winfe haben all- 
mälig auch jenen manierirten Ton verfcheucht. 

Troß diefes tragifchen Mangels fpielte er zwei Scenen des 
Königs Philipp ſehr gut: den Monolog zu Anfang des dritten 
Actes und die folgende Scene mit Alba und Domingo. Ein Zeng- 
niß für die Umfänglichfeit feines Talentes und leider auch ein 
Zeugniß, daß er aus Dequemlichfeit nicht hinreichend gewuchert mit 
jeinen Kräften, nicht einmal mit ven erworbenen Kräften; denn 
jene Scenen des Königs Philipp waren erworbene, Noch ftärker 
trifft ihn der Vorwurf, daß er die Anwendung der ihm ver— 
fiebenen Gaben vernachläffigt bat durch Geringſchätzung des 
Wortes. Er war für Luſt- und Schauspiel jo reichlich ausgejtattet, 
daß er bei fleifiger geiftiger Arbeit ein Garrid hätte werden fünnen, 

Seine Schwächen find ferner fichtbar in mancher komiſchen 
tolle, die er übertreibt. Da er andere fein-komiſche Rollen ohne 
irgend eine Webertreibung jpielt, fo iſt jene Webertreibung ein 
Mangel an geijtiger Gewifjenhaftigfeit. Er ſchlägt dem geiftigen 
Einwande gar zu gern ein Schnippchen im Sinne der alten Genie: 
Komödie, welcher die grelle Wirkung werthvoller ift, als die ange: 
mejjene Wirfung. Namentlich mit den Beinen fällt er leicht in Die 
alte grobe Komödie zurück, indem er übertrieben zittert und zappelt. 


Das Burgtheater. 385 


Die Rolle des Vaters in den „Feſſeln“ werdirbt er fich durch un— 
pafjende Komik in einer Hauptjcene, Er hat entdedt, daß die Frau 
des Aomirals im Nebenzimmer it; dieſe Entvedung ijt tief er- 
Ichredend für den jittfamen Kaufmann, und er beutet dieſen Schred 
aus zu — grober Komif. 

Ein fejter Halt im Gefchmade geht ihm alſo mitunter ver- 
foren, und dieſer Mangel entjteht dadurch, daß fein Geift nicht 
immer auf der Höhe unjeres Geſchmackes ſteht. Er hat einen leb- 
haften Geijt, aber er hat ihn nachläſſig hinſchlendern laſſen fein 
Lebenlang wie fein Gedächtnig, er hat ihm niemals höhere Nahrung 
verabreicht, er hat fein Buch gelefen, jondern jich mit dem Abfalle 
geiftiger Broden begnügt, welche das Tagesgejpräch liefert. Da— 
durch hat er feine lebhafte Geiftesfraft in untergeorpneten Kreifen 
belajjen, und auf diefe Weije ift ihm außer dem Schwunge des 
Geijtes, welchen ihm die Natur verfagt, auch die höhere Kraft des 
Geijtes entgangen, welche feinen Anlagen erreichbar war, welche jich 
aber nur durch Bildung entwicelt und jteigert. Nollen von moder— 
ner, geiftiger Bedeutung jind ihm deßhalb vielfach entzogen geblieben. 
Man konnte fie ihm nicht anvertrauen, wenn fie Schlagfertigfeit 
vorausjegen, wenn fie die Atmojphäre geiftiger Leberlegenheit nöthig 
haben, 

Dies iſt der Punkt, wo er inmitten des heutigen Schaufpiels 
ſchon in’s alte Kegifter fiel. 

Und das ijt lediglich feine Schuld, denn er hat geijtige Anz 
lagen genug. Oder ſage ich da zu viel? Bit es wirklich feine 
Schuld? Am Ende ift es doch nur die Schuld feiner Jugendzeit 
und feiner Laufbahn, Er jtammt aus Berlin und bat feine 
Theater-Garriere in ver Nejtuurations-Epoche von 1815 bis 1830 
gemacht. Der Aufſchwung unferer Nation wurde in diefer Periode 
niedergehalten, das geijtige Yeben wurde mehr und mehr gedämpft, 
und bei den Theatern war wenig oder nichts davon zu ſpüren. 
Die neuen Stüde von Houwald, Clauren, jelbjt von Raupach 


Laube, Burgtheater. 35 


wei 


386 Das Burgtheater. 


bewegten jich theils in trivialen, theils in ſchwächlich fentimentalen, 
theils in troden verjtändigen Bahnen; ein höherer und zugleich 
(ebensvoller Geift war nicht vorhanden. Declamiren auf der einen 
Seite, Chargen auf der andern Seite bildeten das Schaufpieler- 
Programm. Unter dem Grafen Brühl in Berlin war die Declamir- 
Ichule in voller Blüthe, und der entgegengefegte Bol, Ludwig 
Devrient, war durch wüſtes Yeben eigentlich von Haufe aus ge 
brochen. Sein großes Talent, oder jagen wir richtiger fein Genie 
vermied mit gutem Inftincte jedes Declamiren — er fonnte es auch 
formell gar nicht, jo viel ich von ihm weiß —, er padte die Situa- 
tion und eignete ſich nur die Worte an, welche für die Situation 
entjcheivdend waren. Was wird man, wenn man als junger be— 
gabter Schaufpieler da zufieht und zuhört? Declamirt man? 
Gewiß nicht, wenn man echtes Talent hat. Man fieht auf Devrient. 
Diefer hat gar Biele veranlaft, das Wort gering zu achten, und 
Ya Noche namentlich war auf diefe Richtung angewiejen. Das 
Declamiren war und blieb ihm fo fern, daß er es fich nicht einmal 
jo weit zur eigen gemacht hat, als es für manche getragene Partie 
einer Rolle nothwendig ift. Er, ein fo guter Schaufpieler, hat mich 
in großen Stüden oft in Verlegenheit gefetst durch diefen Mangel. 
In „Antonius und Kleopatra‘ fam die Befchreibung des phan— 
tajtiichen Zuges auf dem Cydnus an ihn, Er, Kleopatra und wir 
litten bitterlich darunter. 

Das Beifpiel Devrient's hat ferner die jungen Schaufpieler 
veranlaßt, ernjte Bejchäftigung, ernjte Studien gering zu achten — 
die Weinftube von Yutter und Wegener, wo Devrient täglich ſaß, 
war ja ein jo wohlfeiles Beifpiel! Gelehrte Schaufpieler nahmen 
jich fo troden und hölzern aus neben dem Genie, Natürlich! Die 
Macht des Talentes ift freilich die Hauptfahe. Daß die Macht 
des Talentes vertieft und erhöht wird durch Bildung, das war fein 
Gedanfengang für die damaligen jungen Schaufpieler. So ent: 
and die gangbare Sitte, das Wort „ein denfender Künjtler‘ als 


Das Burgtheater. 387 


Spottwort zu gebrauchen und fih Tag für Tag in Theater-Stich- 
worten herumzudrehen, Tag für Tag wie Richard Wanderer vie 
bequemen Citate aus den Theaterjtücen zu wiederholen und ſich 
damit recht geiftreich zu finden, 

Diefer Komödiantengeiſt figurirte auf unjeren Bühnen wie 
lange! als Geift und entband fich felbjtgefällig won der Yectüre 
eines guten Buches und vom Trachten nach weiterer Bildung, und 
die mit ftarfem natürlichen Talente Ausgerüfteten, wie Ya Roche, 
waren am ehejten in Gefahr, im diefem Fuſelgeiſte aufzugeben, fich 
um weitere Ausbildung nicht zu fümmern. Ihr Mutterwit Tchaffte 
ihnen geiftige Anerfennung in den Theaterfreifen, und mit diefer 
Anerkennung begnügten fie fich. 

Glücklicherweiſe fam Ya Roche nach Weimar, wo der Goethe'ſche 
Einfluß noch waltete, obwohl der greife Dichter längſt vom Theater 
ausgefchieden war. Dort hat er manche ernjte und gute Theater: 
fitte eingefogen, welche ihn namentlich zum ernjten Regiſſeur gebildet 
hat, als welcher er im Burgtheater fräftig gewirkt, Fräftiger als 
einer der anderen Regiſſeure. Leider abeveauch ohne die hijtorifchen 
Kenntniſſe, welche für folches Amt unerläßlich find und welche nur 
Anſchütz beſaß. 

Die kleine Stadt Weimar hat ihm aber nicht Veranlaſſung 
genug geboten, das dolce far niente des Geiſtes ganz zu unter— 
brechen. Die Zeit der Lernjahre war bei ihm vorüber; gründlich 
verändert man ſich nicht mehr, wenn man drei Jahrzehnte gelebt 
hat. Iſt es ihm doch nicht gelungen, Berliner Sprachreize los zu 
werden; er lebt heute noch auf geſpanntem Fuße mit Präpoſitionen, 
welche für eine Bewegung den Accuſativ verlangen. Er hängt feſt 
am Berliner Dativ und ſagt bei undeutlichem Souffleur ſtandhaft: 
„Ich gehe in der Stadt“ für: „Ich gehe in die Stadt”. 

So ift es gefommen, daß er troß lebhaften und wißigen 
Geiftes in der geiftigen Strömung unferer Zeit eigentlich nur die 
Blaſen kennt. Die Stichworte nimmt er auf, der Grund derſelben 


97% 
25 


388 Das Burgtheater. 


it ihm nur ungefähr veutlih. Das hat ihn von vielen modernen 
Rollen ausgefchlojjen, welche man ihm zutrauen jollte. 

Er ift außerdem jehr launiſch. Herrjchbegierig in hohem 
Grade und deßhalb auch protectionsluftig — Yord-Protector wurde 
er genannt — wird er leicht verjtimmt, wenn das Regiment nach 
einem fejten Principe vorgeht und ungern Ausnahmen gejtattet. 
Wenn nun gar neue Rollen — jtets eine unbequeme Anjtvengung 
— in die Zeit jolher Mißlaune fallen, dann verleugnet er auch 
jeine zahlreichen guten Eigenfchaften und wirft diefe Rollen zu den 
Todten. Selbſt ſolche, die in jeine alten Kategorien gehören. Im 
- Sahre 1861 zum Beifpiele brachten wir den ‚„Winfeljchreiber‘‘ neu. 
Der Kanzleivath darin gehört in fein bejtes Genre, er jpielte ihn 
aber wie ein Schüler. Das Stüd gefiel und wurde oft: gegeben — 
da fand er, daß eine Anjtrengung am Plate wäre, rüttelte jich 
in die Rolle hinein und fpielte fie von der fünften VBorftellung an 
vortrefflich. 

Um es mit Einem Worte zu Jagen: er gehört zu ven Epifuräern 
im deutſchen Schaufpielevftande. St denn das was Uebles? DO 
nein. Stoifer und Epikuräer find Gegenfüte, welche überall er- 
ſcheinen und unferer Natur nach ericheinen müſſen. Sie find uns 
beim Theater um jo willfommener, je ausgeprägter ihre Phyſio— 
gnomien find. La Roche ijt einer der begabtejten Vertreter diejer 
epifurätfchen Richtung. Licht und Farbe, Fleiſch und Blut, Heiter- 
feit und faftiges Leben treten mit ihm in die Scene — wir werden 
nie vergeſſen, wie viel erfrifchende, erquickende, meijterhafte Rollen 
er uns feit fünfunddreißig Jahren vorgeführt, Die Scene beleben 
und beherrjchend im Luft- und Schauſpiele. Sein alter Klingsberg, 
fein Eantal im „Fabrikanten“ und eine große Zahl anderer Rollen, 
allerdings meift in Stücen von mäßigem Werthe — aber au) fein 
Muley Haſſan, feine noblen Herren im höheren Schaufpiele, feine 
feinen Cabinetsſtücke, feine dreijt ausgeführten und mit überlegenem 
Humor ausgejtatteten Chargen im großer Zahl werden immer 





Das Burgtheater. 389 


mujftergiltige, faum erreichbare Yeiftungen von ihm bleiben. Wir 
würden eine Hefatombe won wirklich blos „venfenden” Künjtlern 
opfern, wenn wir dem alten Herrn die fünfunddreißig Jahre vom 
Scheitel abjtreifen und ihn wieder jung machen fünnten, 


In feiner Domäne, im Puftipiele, tummelten wir uns in diejen 
Sahren 1860, 1861 , 1862 vorzugsweife herum. Die große Pro- 
duction ſchwieg, und ich verfuchte mannigfach die einheimifchen 
Talente für die fleine Production im heiteren Genre. Wir brachten: 
„Mit der Feder’, „Die Guftel von Blaſewitz“, „Mein Sohn‘, 
von Siegmund Schlefinger, welcher die bejte Anlage entwicelte für 
die weiter zu bildende Gattung der „proverbes‘“ bei ven Franzofen. 
Seine fleinen Stüce find wirklich eine Weiterbildung diejer aphori- 
jtifchen Form, welche gleichfam nur anfragt. Schlefinger antwortet 
auch auf die geiftvollen Fragen, welche er aufwirft in dieſen Auf- 
zügen von höchjtens drei Viertelſtunden. Yeiver hat ihn die Jour— 
naliſtik allmälig ganz eingefangen und ihn mitihrem Ausſaugeſyſtem 
vom Theater abgezogen. Hoffentlich nicht für immer. 


Ein recht gelungenes Stückchen diefer PVierteljtunden » Gut: 
tung brachte Hollpein, feines Zeichens ein Maler, mit: „Er 
exrperimentirt”’, und auch der „Familien-Diplomat“, von Ar: 
nold Hirſch, verfuchte glücklich, eine neue Figur für Beckmann zu 
ſchaffen. 

Der Luſtſpiel-Löwe dieſer Jahre aber kam ung merkwürdiger— 
weiſe aus dem römiſchen Alterthume. Wer hätte im Plautus 
oder Terenz ein neues Luſtſpiel gefucht für uns! Ich war aus— 
gegangen, um eine jugendliche Yiebhaberin zu juchen, und fand mit 
ihr in Breslau den „Winkelſchreiber“. Diefer mir ganz neue 
Titel jtand auf dem Theaterzettel, und unter dem Perſonale des— 
jelben figurirte ein Fräulein Baudius, welches ich fehen wollte. 
Letzteres wurde mir nicht leicht; ich ſah Act für Act zu, und fie 
erſchien nicht, das Stüc hatte vier Acte, und der vierte Act neigte 


390 Das Burgtheater. 


zum Ende und fie erichien nicht. Es war natürlich, daß mir das 
Stüd zu lang vorfam. 

Dies realiftiiche Yuftfpiel von einem neuen Verfaſſer — 
Winterfeld — nach der römischen Grundidee geſchickt einfach auf: 
gebaut in unferer heutigen Bürgerlichfeit, wurde von Defjoir in 
Breslau eingeführt. Deſſoir ift ein wichtiger Tragödienſpieler, 
und er fpielte diefen Winfelfchreiber wie immer mit Geift, aber 
ohne den chnifchen Humor, welcher für diefe Rolle unentbehrlich 
it. Die Wirfung war mäßig, aber — was fir mich die Haupt- 
ſache — das heifle Thema, die Suche nach einem Vater, ftörte 
meine munteren Yandsleute, die Schlejter, nicht, und jo durfte ich 
hoffen, e8 werde auch die Defterreicher nicht ſtören. Ich befette 
es im Zufehen und ftrich im Zufehen einen ganzen Act — da fam 
die Schlußfcene und nun endlich auch Fräulein Baudius mit dem 
außerorventlichen und noch dazu fchüchternen Ausrufe: „Mein 
Vater!“ Zu Weiterem ließ ihr der Vorhang feine Zeit, und ich war 
zum evftenmale in der Lage, nach zwei Worten eine jugendliche 
Liebhaberin zu beurtheilen. Figur, Gang, feines Antlitz, ſchöne 
Augen und der Klang diefer zwei Worte hatten dennoch für mic) 
hingeveicht, und ich fam mit einem neuen Engagement und einem 
neuen Stüde nach Wien zurüd. 

Mit Shüchterner Beforgnif reichte ich das Stüd ein bei meiner 
Behörde, Die Beforgniß war nur zu begründet. Für eim junges 
Mädchen ven Vater zu juchen auf dem Burgtheater, und ihn unter 
jo erfchwerenden Umſtänden zu fuchen, jeglicher Familien-Moral 
zum Hohne, allen „Comteſſen“ zum Entſetzen, das war nicht nur 
ein Wagniß, e8 war ein Attentat, 

Es wurde auch als folches angefehen. Umfonft hatte ich die 
ichönften Dinge gefagt in meinem Geleitfchreiben über die unerläß- 
lichen Bedingungen eines realen Luftjpiels, über ven Charakter eines 
erjten Theaters, welches doch nicht ganz für die Bedürfniſſe von 
noch nicht verheivatheten Comteſſen eingerichtet werden könnte — ich 


Das Burgtheater. 391 


wurde jehr unfanft angefahren, und mein Gejchmad erſchien bei 
diefer Ablehnung des „Winkelſchreibers“ in einem vecht traurigen 
Lichte. Solche Unanftändigfeiten auf's Burgtheater zu bringen, ei 
ein Zeugniß von — ſchweigen wir darüber! hieß der Schluß. Ich 
wurde geſchont in den Vorwürfen, aber das Stück flog in Dante’g 
Hölle. 

Sch ſchämte mich, blieb aber bei meiner unanftändigen Vorliebe 
für dies römische Stück und wartete auf eine günftige Gelegenheit. 
Es ſchien mir ſehr wiünfchenswerth, unter all diefen gebrochenen 
Tönen des modernen Yuftipiels einmal die vollen Farbentöne der 
Komik zu bringen, damit das Publicum nicht werlernte, über echt 
komiſche Dinge zu lachen, welche der heidniſch-römiſchen wie der 
hriftlichegermanifchen Zeit gemeinfchaftlich find und bleiben. Nichts 
ijt nachtheiliger beim Theater als Ueberbildung und Ueberfeinerung 
des Bublicums. Des „Gedanfens Bläſſe“ und der Sittfamfeit 
oft fo dürre Convenienzen dem Publicum „angekränkelt“ zu haben, 
iſt „draußen“ für manches abjolut anjtändige Hoftheater Vergiftung 
geworden. Das gefund Natürliche will im Yuftfpiele fein Necht, 
ſonſt wird dem Luftipiele das gefunde Blut verdorben, 

Ich mußte lange warten. Aber der erjte Rath neben meinem 
Chef unterjtüßte mich immer wirffam, wenn das Ziel meines Stre- 
bens ein Luſtſpiel war, und mit feiner Hilfe fand ich endlich der 
glückliche Moment — der „Winkelſchreiber“ wurde freigegeben, er 
durfte auftreten, und er that, wie Jedermann weiß, jeine Schuldigfeit 
außerorventlih. Im feiner Kürzung und in der Darftellung mit 
vollen komiſchen Farben ift er ein unverwüftliches Nepertoireftücf ge- 
worden. 

Und zwar nur im Burgtheater. Mean fucht ihn „draußen“ 
vergebens. Wo das feine Zuftjpiel fehlt, hat dies derbe Luſtſpiel 
nicht jo glücklich wirfen können, weil das geſchulte Publicum fehlt. 
Die Schulung allein verleiht einem Publicum Geſchmack und Tact 
für verjchiedenartige Gattungen. 


392 Das Burgtheater. 


Freilich haben wohl auch „draußen“ die richtigen Talente ge— 
fehlt zur Darftellung. Herr Meirner und Beckmann waren bei 
uns wie gefchaffen für Anifflib und Adam. Die immer etwas 
laute und vordringliche Komik Herrn Meirner’s war da, wo fie ver- 
halten bleibt und doch als Umverfchämtheit unverkennbar zum 
Grunde liegen muß, fie war für diefen chnifchen Winfelfchreiber 
geradezu claſſiſch. 


XXXII. 


Eine Theater-Direction hat in erſter Linie danach zu trachten, 
daß ihr Repertoire mannigfaltig ſei, mannigfaltig in der Gattung: 
heute Tragödie, morgen Komödie; und innerhalb dieſer wechſelnden 
Gattungen auch Abwechslung der Dichter. 

Dadurch wird der Antheil des Publicums lebendig und, was 
von beſonderer Wichtigkeit, er wird friſch erhalten. Neigung zu 
Manierirtheit wird vermieden, denn das Friſche iſt ein Gegenſatz 
zum Manierirten, und die immer träge machende Hingabe an Mode— 
formen wird unterbrochen. Das Urtheil endlich wird immer wieder 
erweckt, und nur ein immer waches Urtheil errettet die Schauſpieler 
vor dem Schlendrian, zu welchem ſie alle neigen. 

Das Berliner Hoftheater war vor einem Jahrzehnt ſchon ſtark 
im Niedergange begriffen. Es meinte dies dadurch leugnen zu 
fönnen, daß es in ver Woche fünf bis ſechs claffiiche Stücfe gab und 
auf fo claſſiſche Leiſtung pochend hinwies. Mean füllt aber nicht 
blos über Holzitufen abwärts, man fällt auch über Marmorjtufen, 
und zwar über lettere noch empfindlicher. Allwöchentlich fünf bis 
ſechs claſſiſche Stücke geben, heißt die Claſſik mißbrauchen, heißt den 
Sinn für das Beſte abjtumpfen. 

Die Folge war und tft, daß ein folches Repertoire bei der 
Ueberfättigung und Theilnahmlofigfeit anfommt. Dann fucht die 
Direction verzweiflungsvoll nad) Reizungen, geräth in die Auswahl 
feichtejter Meachwerfe, verliert das beſſere Publicum und überant- 


394 Das Burgtheater. 


wortet den jogenannten Mufentempel am Ende willenlos ver all- 
täglichen Unterhaltung. Und auch diefe kann fie nicht mehr ge- 
währen, denn ihre Schaufpieler find durch Eintönigfeit langweilig 
geworden. 

Diefer Niedergang entjteht immer, wenn in der Bildung des 
Repertoires Princip und Grundſatz finniger Abwechslung fehlen. 
Dan Fann es diätetiſche Abwechslung nennen; die geijtigen Nahrungs- 
mittel find eben auch Nahrungsmittel, 

Bon großer Hilfe dabei ift es, wenn eine Nation Mannigfal- 
tigkeit unter ihren Dichtern beſitzt. Unſer germanifcher Indivi— 
dualismus ift da unſchätzbar. Sch brauche einmal dies mundzer- 
reigende Wort, weil „Eigenperfönlichfeit” ungewöhnlich ift, und 
weil „Eigenthümlichkeit“ nicht jo Ipecifiich verjtanden wird. 

Unfere tiefe Neigung, eigenthümlich zu fein, hat unfere po— 
titifche Staatsbildung immer erjchwert, aber fie hat unferer Poefie 
immer genüßt. Ich glaube, wir find unter allen Völkern am reichiten 
in der Mannigfaltigfeit unferer Poeten. Leſſing, Gellert, Klopſtock, 
Goethe, Wieland, Schiller, Jean Paul — welch eine Grundver- 
jchiedenheit unter diefen Männern innerhalb einer Periode von 
dreißig bis vierzig Jahren ! 

Bei all unferer germanijchen VBerwandtichaft mit den Eng- 
{ändern zeigt fich hier die normannifche Signatur auf jener Infel, 
Dort find die Poeten beiweiten nicht fo verſchieden von einander 
wie unter uns. Zur Zeit Shafefpeare's hatten die Engländer doch 
eine erjtaunliche Anzahl von Poeten; ihr lettes Drittheil des ſechs— 
zehnten Jahrhunderts und ihr erſtes Drittheil des jtebzehnten jtroßten 
namentlich won dramatiichen Dichtern, und nun lefe man nur die 
Inhaltserzählung diefer Dramen, welher Mangel an bejonderer 
Phyſiognomie, welhe Familien-Aehnlichkeit bis zum Auftreten Ben 
Sonfon’s, des Realijten ! 

Ganz anders bei uns. Auch unfere Theaterdichter find immer 
auffallend von einander verjchieven gewejen und geblieben. Zu Ans 


Das Burgtheater. 395 


fang diejes Jahrhunderts fchrieben gleichzeitig für unſer Theater: 
Goethe, Schiller, Iffland, Kotzebue — alle Vier grundverjchieven 
von einander. Und jest! Wie berechtigt wir flagen über Mangel an 
Production, über Mangel an Berichiedenheit der Production dürfen 
wir nicht Flagen. Grillparzer, Halm, Bauernfeld, welche Verſchie— 
denheit zwifchen dieſen gebornen Dejterreichern, alſo Süddeutſchen 
— Freytag, Gutzkow, Laube, welche Verſchiedenheit zwiſchen dieſen 
Oſtdeutſchen — Benedix, Moſenthal, Hackländer, welche Verſchie— 
denheit zwiſchen dieſen aus der Mitte und dem Weſten Deutſchlands 
Stammenden! 


Ich werde daran erinnert durch zwei Stüce, welche 1861 und 
1862 die Saifon einleiteten: „Die Fabier”, von Freytag, und „Die 
deutſchen Komödianten“, von Mofenthal. 


Freytag's „Fabier“ waren eine ungemeine Leberrajchung. Der 
Berfaffer moderner Stüde, welcher jo behaglich zu wohnen fchien 
in den Gedanfennejtern unferer heutigen Zeit, reicht uns plößlich 
ein jo großes römiſches Stüd, und eines aus dem frühelten Nom! 
Die Kataftrophe der größten Cavalier-Familie der jungen Roma. 
Und wie forgfältig geordnet, wie entſchloſſen geführt, wie milde und 
ruhig in Bildung der unerwarteten Geftalten aus dem Kreiſe der 
Yandleute, von denen die Architeftur-Dichter nie Etwas melden! 
Gejtalten, welche Wandel und Uebergang andeuten im vömifchen 
Staatsleben. Dazu weich und anfprechend die eine junge Frauen— 
gejtalt; furz, ein Stüd in allen Wendungen eigen. Gar feine her— 
kömmliche Architeftur, und doch ein voller, ſchöner Bau. 


Sch las dieſe „Fabier“ mit veichem Genuſſe, aber ohne Hoff: 
nung für die Scene. Nicht blos hoffnungslos wegen des letten 
Actes und feiner Zerjtörungsschlacht, welche für jolche Stammes: 
tragödie wohl unerläßlich fein mag, welche jedoch für unfere Bühne 
ſchwer darftellbar und faum wirkſam zu machen ift. Nicht bios 
deßhalb hoffnungslos; denn ich las fortwährend mit der Empfin- 


396 Das Burgtheater. 


dung: das Alles in feiner milden, fchönen Führung, in feinem mä— 
Bigen, oft Schönen Ausdrucke hat für dich und veinesgleichen einen 
angenehmen, edlen Neiz, und diefen kann es auch bei guter Dar- 
jtellung auf ver Bühne ausüben — aber das Theater-Bublicum für 
dieſe in leifen Zügen gemalte alte Welt ift ein fleines, namentlich) 
darım, weil Anfang und Mitte des Stüces ein anderes Publicum 
brauchen, als das Ende des Stückes. Bis gegen das Ende des 
Stückes folgt der beſſere Theil des Publicums theilnahmsvolf, die 
nothwendige Schlacht am Ende aber, in der Grundform doch mur 
epifch, fühlt dies Publicum ab. Nach Haufe fommend, Toben fie 
es wohl, aber fie eifern nicht dafiir, und der Befuch verfiegt. Denn 
die vom Schlacht-Act Unterhaftenen haben wenig Befriedigung in 
den erjten vier Neten gefunden, Und wäre dies Alles bejjer, würde 
auch die wirklich Schöne Arbeit allgemein erfannt und anerkannt, es 
ijt heutigen Tages unmöglich, für das fernliegende römische Thema 
ein großes Publicum zu gewinnen. 

Das war — wie parador dies flingt — viel eher möglich vor 
1848, ehe die politische Gedanfenwelt fich fo verbreitete. Durch 
diefe Verbreitung iſt nicht blos ein Hafchen und Bedürfniß nad) 
politiihem Thema und Schlagworte entitanden, o nein! es ift auch 
eine Sättigung entjtanden mit Staatsgedanfen. Wenn man im 
Theater diefe Staatsgedanken nicht in beſonders glücdlicher Faſſung 
wiederfindet over tm naheliegenden Berhältniffen, dann fühlt man 
fich nicht mehr wie vor 1848 fo angezogen durch den Inhalt, Da— 
mals war jolch ein Inhalt überrafchend, und man hatte mehr Zeit 
zu innerer Verarbeitung vejjelben. Jetzt ift die Zeitungs-Yectüre 
verhundertfacht, jett fehlt e8 den Yeuten gar nicht an geiftigem 
Nahrungsftoffe, jest wollen jie ihn veizender verarbeitet haben im 
Theater, wenn er fie loden ſoll, jett ift ihnen der Umweg über Athen 
und Nom zu weit, Je mehr ein Volk theilnimmt an feinem Staats: 
(eben, deſto mehr verlangt es im Theater naheliegendes Yeben, ein 
Spiegelbild feiner Zeit. 


Das Burgtheater. 397 


Sch ſchloß meine Yectüre der „Fabier“ mit vem Gevdanfen: du 
wirt. fie nicht geben fünnen, 

Aber das äſthetiſche Gewiſſen ift jo umerbittlih wie das 
moraliſche. Es ließ mir feine Ruhe, ich forderte ven Unwillen 
jener zahlreichen Kreife im Burgtheater wiederum heraus, welche 
mit Schreden von einer römifchen Tragödie hören — ich fette die 
„Fabier“ in Scene. Und zwar mit viel größerem Genuſſe, als ich 
für die Zujchauer erwarten durfte. Das Eingehen in alle Fugen 
einer guten dichterijchen Arbeit, welches die Inſceneſetzung mit fich 
bringt, trägt auch einen dichterifchen Yohn in fih. Man bereichert, 
man erhebt jich ſelbſt und die Schaufpieler, und der Ärgerliche, oft 
jo niedrige Alltagskram des Komödianten-Weſens finft wie Nebel 
unter die Dergeshöhen, auf denen man wandelt. Deßhalb iſt es 
für die Schauſpieler fo wichtig, daß fie alljährlich einigemale an ein 
höheres Einſtudiren gelangen, und daß fie dabei geführt werden auf 
den Proben wie von einem Prieſter ihrer Kunſt, der das poetifche 
Heiligthum zu erklären verſucht. Dadurch nur wird der Schau— 
jpieler fich eines höheren Künſtlerthums bewußt und ift Tags darauf 
in einer gewöhnlichen Komödie ein edlerer Menſch, gefeit gegen die 
Gefahr, dem Alltagswefen zu verfallen, wohl gar der Gemeinheit. 
Die Abwechslung in den Stoffen und Formen ift für ihn eben fo 
wichtig wie für das Publicum. 

Die Wirfung des Stüdes war ungefähr fo, wie ich vorausge— 
jehen. Sie war günjtig und bejtand felbft den legten Act. Aber 
die Wiederholung fand vor einem kleinen Publicum jtatt, und diefer 
ſchwache Bejuch wiederholte fich bei der dritten Borjtellung. Dazu 
fam eine Stelle über Werbung zum Soldatenſtande, welche tenden- 
ziös auf ungarische Verhältnifje gedeutet und durch Beifall hervor: 
gehoben wurde. Sie trug uns eine Warnung ein, und da ber 
Caſſenausweis mir feinen Anhalt gab zu Widerſpruch, jo mußte das 
Stück zunächit verichwinden, 

Ich habe es ſpäter wieder in's VBorbereitungs - Repertoire 


598 Das Burgtheater. 


gejett und wollte es wieder aufnehmen. Mein Abgang hat mich 
daran verhindert. Mögen meine Nachfolger deſſen eingedenf fein! 
Es iſt eine reiche Gabe für den bejjeren Theil des Publicums und 
eine Genugthuung für Freytag, der in feinem Buche über vie 
Theorie der Tragödie fich um dramatifche Dichtung noch bejonders 
verdient gemacht hat und „draußen“ auf feiner Bühne feine Stüde 
jo gepflegt findet, wie auf dem Burgtheater. Auch die „Fabier“ 
find nur an wenig Bühnen verjucht worden und jind auf Nimmer- 
wiederfehr verihwunden. Im Burgtheater jteht ihr Perſonal noch, 
und fie fünnen jederzeit binnen einigen Wochen wieder aufgeführt 
werden. 

Die Saiſon-Eröffnung des nächjten Jahres (1862) fand ftatt 
— wie gefagt — mit Moſenthal's „Deutſchen Komödianten“. 
Welch ein Unterſchied! Freytag jorglos, goethiich, fein; Moſenthal 
forglich, ver Popularität nachgehend, lehrſam. 

Moſenthal hat in zwei Richtungen das Theater offen gefunden: 
in der Schilderung literarshiftorifcher Situationen und in der 
Schilderung des Bauernlebens. Im der erjten Nichtung hat er 
unferen Ballavenfönig Bürger pramatifirt im „Deutſchen Dichter: 
leben” und die Entjtehung des deutſchen Schaufpieles tragifomijch 
zu conterfeien gefucht in den ‚„„Deutjchen Komödianten“. 

Im „Dichterleben“ kämpft ergegen den unvermeidlichen Uebel- 
jtand, daß die vramatifche Yebensgefchichte Bürger’s einen ganz an— 
deren Menſchen zeigt und zeigen muß, als derjenige Bürger if, 
welcher in unferem poetifchen Gedächtniffe lebt. Der auf prächtigem 
Strom von Vers und Reim daherbraufende Balladen-Bürger, un— 
erreicht in feinem natürlichen rhythmiſchen Falle, lebt in uns als 
ein Glücsfind des Talentes. Sein Yebensbild im Drama dagegen 
nöthigt uns, häusliches und moralifches Elend durchzumachen. Das 
jtört ung wie ein äfthetifcher Wivderfpruch, und da wir im drama— 
tifchen Lebensbilde Unangenehmes und Peinvolles eintauchen 
müſſen für das in uns lebende erquicende Wejen des Balladen- 


Das Burgtheater. 399 


Bürger, jo finden wir die dramatische Aufgabe undanfbar, Daran 
franft dies Stück in feiner Tiefe. 

Sorgſam hat Moſenthal uns zu entfchädigen gefucht, daß er 
den Hainbund herbeizieht und ums literar-hiltoriihe Silhouetten 
bietet, daß er ung belehrt, dag er die Doppelneigung Bürger’s zu 
zwei Schwejtern poetijch zu erklären fucht, daß er endlich — feinem 
eigentlichen Berufe gemäß — das Volk herbeizieht, um bei An— 
hörung der „Lenore“ die Entjtehung des Volfsdichters zu enthüllen, 
Freilich ift es nicht die Entjtehung des Volfsvichters, das wäre 
organifch, ſondern es iſt die Wirkung des Volfsdichters in einem 
einzelnen Momente, und das ift nur epiſodiſch. Das Ganze ift 
immerhin eine vedliche Arbeit. Es fehlen ihr jedoch die Schwingen, 
welche fie aus dem unteren Dunjtfreife jo weit erhöben, daß wir 
von dem Dichterichiefjale eine Erquickung von dannen trügen. 

Derjelbe Fehl haftet an ven ‚„„Deutjchen Komödianten“. Wir 
werden auch hier durch die gefchichtlichen Dürftigfeiten des deutfchen 
Schaufpieles geführt, und zwar richtig geführt an der Hand poeti— 
ſcher Abfichten. Aber ver Theologe Ludovici, welcher Schaufpieler 
wird und als folcher zu Grunde geht, ift über die Mittel zu feinem 
Ziele unklar, und was er fchlieglich in der Erſchöpfung vor feinen 
Tode für Klarheit hält, die Entdeckung Shafefpeare’s, das leidet 
an zwei jchweren Gebrechen. Erſtens iſt der national=deutjche 
Komödiant am Ende genöthigt, von einem nichtveutfchen Dichter 
die Errettung zu hoffen, was ziemlich nieverfchlagend wirft, und 
zweitens ijt dieſe jchliegliche Moral des Stücdes denn doch zu nebel- 
haft für das Schlußbevürfnig eines Theaterftücdes und eines 
Theaterpublicums. Cine literar-gejchichtliche Auskunft für das 
Parterre ift mehr originell als genügend, 

Das hiſtoriſche Thema ift alfo auch hier an jich nicht aus- 
reichend, oder es ift doch nicht ausreichend bewältigt für einen 
fräftigen poetijchen Eindruck. Beide Stüce leben von anfprechen- 
den Details. 


400 Das Burgtheater. 


Die zweite Richtung Moſenthal's, das Bauernſtück, zeigt ihn 
viel jtärfer. Hier ift er eine Specialität, und eine jolche hat das 
Theater immer hochzuhalten. „Deborah, „Der Sonnwendhof” 
und „Der Schuß von Altenbüren‘ find die hiehergehörigen Stüde. 

Was er außerhalb diefer beiden Nichtungen für's Theater ges 
bracht, ift ohne Phyſiognomie und nicht ohne Banalität, over rich— 
tiger gejagt: außerhalb jener Kreife ift er im Geſchmacke unficher, 

„Deborah‘ war fein erjtes Stück und enthält feinen jtärfjten 
Kern. Diefer ruht in vem Bedürfniſſe des Kampfes gegen ſociale 
VBorurtheile unter Herbeiziehung des Volfselementes. Hier ift es 
Berfolgung und Verachtung der Juden in den Bauernfreijen. Eine 
heroiſche Jüdin fümpft den Kampf durch bis zur Höhe reiner Ent- 
fagung, und in diefer äſthetiſch klaren und ganz durchgeführten 
Abſicht Liegt Werth und Kraft des Stüdes. Es hat fich bewährt, 
indem e8 auf allen Bühnen Zutritt, Wirkung und Dauer gefunden, 


Die Staffage bietet Anlaß zu Ausjtellungen. Den Bauern 
der Steiermarf im vorigen Jahrhundert werden Siege über das 
Vorurtheil zugedacht, welche fie fchwerlich erfochten haben. Aber 
gerade hierin zeigt dies Stück, wie wenig die bloße Nichtigkeit in 
hiftoriichen Dingen beveutet auf der Scene. Wenn das pihcho- 
logiſche Yeben richtig gezeichnet ift, da ftört die nicht ganz richtige 
hiſtoriſche Notiz nur in geringem Grade, jo wie umgefehrt die hiſto— 
riſche Nichtigkeit gar Nichts hilft, wenn das pſychologiſche Moment 
fein wahres Yeben ausathmet. 


Die realiftifche Zeichnung und Gruppirung der Bauernfiguren 
in folchem Gegenfate zum tragifchen Pathos eines verfolgten Stam— 
mes war neu auf dem Theater umd wirkte ſehr förderlich, wie viel 
auch gejpottet wırrde über das Zehrgelv von kleinen Mitteln, welche 
der Autor ausbentet, wie Glockengeläute, Schuljugend und Wit- 
terungswechſel. Realiſtiſche Dichtung braucht ja eben die Beſtand— 
theile des vealen Yebens. Machen fie fich allzu breit, jo erjcheinen 


Das Burgtheater. 401 


fie nichtig, treten fie jparjfam auf, fo helfen fie die Täufchung er: 
höhen. 

„Deborah war immer abgewiefen worden vom Burgtheater. 
Der verftorbene Graf Dietrichjtein war entſetzt über meine Ketzerei, 
als ich erklärte, daß dies nicht zu billigen fei. „Ein Judenſtück!“ 
— Haben Sie nicht Maurenſtücke genug zugelaifen ohne Scrupel? 
— „Oh!“ — Die Sudenfrage liegt uns viel näher als der Unter: 
gang der Mauren in Spanien, 

Als ich Später officiell dafür einfchritt, wurde mir entgegnet: 
Es iſt nicht mehr neu, wir haben alfo feine Veranlaſſung, e8 zu geben. 

Das widerfprach meinem Princip, im Burgtheater all das 
zu bieten, was fich eingebürgert im deutjchen Repertoire, und fo all 
jährlich eine Vollſtändigkeit des hijtorischen Nepertoives vorzuführen. 
Ich kam Unverdroſſen immer wieder auf die Frage zurüd, und 1861 
endlich ermüdete der Widerjtand — „Deborah“ ward eingereiht. 

Künſtleriſch werthvoller noch iſt der „Sonnwendhof“. Er 
braucht gar feine zweifelhaften hiſtoriſchen Hilfsmittel, braucht feine 
Glaubens- und Nacenfeindfchaft, und entwidelt in fchlicht menſch— 
lichen Gegenfägen unter Bauern fein ganzes hinreichend anziehen- 
des Leben. 

Daß man in diefen Bauernftüden nur Käs und Butter zu vers 
fpeifen kriege und gar fein Fleisch, mag richtig fein. Aber ich habe 
fchon oben behauptet, var die Abwechslung in der Nahrung ihr 
Gutes habe. 

Sein neueſtes Bauernſtück, „Dev Schulz von Altenbüren‘, 
fteht zurück gegen obige zwei Stücke, weil der Verfaſſer ven Gegen: 
faß zwifchen Bauer und Bürger überjpitt und dadurd abgebrochen 
hat. Einen modernften Menjchen ftellt ev einem weitfäliichen Bauer 
gegenüber, welcher nicht ein Bauer unjerer Zeit ift, jondern ein 
Bauer des Mittelalters, und als jolcher jchwere Abjonderlic)- 
feiten des Mittelalters vertritt. Da treffen ſich die Kämpfenden 


nicht, und treffen veßhalb auch uns nicht, Der moderne Menſch 
Laube, Burgtheater. 26 


402 Das Burgtheater. 


ipricht num umſonſt unfere Gedanfen aus. Sie jtehen in feinent 
richtigen Verhältnifje zu ven Gevanfen des Bauers und erjcheinen 
alfo nicht organifch dramatiſch, fondern nur declamatoriſch. 

Diefer Fehlgang in einem Stüde ift ein Fehlgang, welchem 
man als Theater» Divector auch bei der Wahl neuer Mitglieder 
ſchwer ausgejett ift. Wie leicht täufchen uns die blos declama- 
torifchen Talente! Wir engagiren fie, und wenn fie dann inner- 
Halb des dramatiſchen Organismus wirfen follen, da treffen fie nicht, 
da zeigen jie ſich leblos. 

Das geſprochene Wort allein thut’s nicht; das Wort muß 
entiprungen fein aus dem innerjten Geflechte des Charakters und 
der Handlung. Ohne diefen Urfprung fehlt ihm der Lebenspuls. 

Den wirklichen Yebenspuls zu erkennen ift die Hauptaufgabe eines 
Schaufpiel-Directors. Das gilt für Stüde und für Schaufpieler. 

Es ift aber eben jo gefährlih, ſich von blos gelehrten 
Schaufpielern täuſchen zu lafjen, als — Talente zu überjehen, bei 
denen die Hilfsmittel des Vortrages noch gar nicht entwidelt find 
und die doch ein ftarfes dramatiſches Leben in ſich bergen. 

In diefem Jahre 1862 trat ein neues Mitglied in's Burg- 
theater, welches vielleicht duch Zufall aus dem Zauberſchlafe er- 
wect worden war. Ich hatte ganz zufällig die Schlafende gejehen 
und hatte gemeint: wenn diefes Mädchen erwect wird, jo wird fie 
vielleicht wie eine Prinzeſſin ſprechen. 

Einige Jahre vor 1862 war ich eines Abends im Carltheater, 
um ein fleines Stüc zu fehen, das ich nicht kannte. Da tritt ein 
Mädchen in grauem Seidenfleive auf die Scene und frappirt mich. 
Wer ift fie? — „Das Icheint mir vecht gleichgiltig,” ſagt meine 
Nachbarin, „denn fie fpielt ja ſchlecht!“ — Ja, ſag' ich, und jtehe 
unmwillfürlich auf in der Loge, als ob ich fie jo bejjer jehen wollte 
und fünnte — aber das Mädchen hat ein Etwas! flüftere ich vor 
mich hin. 

Ich Hatte den Eindrud vornehmer Schönheit von dem Mäd— 


Das Burgtheater. 403 


chen, und daß hinter dem, was fich da zeige, eine Kraft liegen könne, 
irgend eine jeltene Kraft. Sie fprach abjeheulich mit einem fait 
verborgen bleibenden guten Organe. Die Töne jonderten ſich nicht 
klar zu Worten, Aber der griechifche Kopf ſprach für mich, Sie 
war fteif; aber ihre geringen Bewegungen waren edel — ich blieb 
dabei: dahinter liegt eine Kraft! „Der Imjtinet ſagt's“, lachte 
meine Nachbarin. Wohl möglich! erwiderte ich. 

Die junge Dame fpielte zweite, dritte Liebhaberinnen, und auf 
meine Nachfrage erfuhr ich, daß fie von Niemandem beachtet werde, 
Ich lie fie zu mir bitten, und fie fan, Cine lange Unterredung 
bejtärfte mich in meinem günftigen WVorurtheile und bildete dies 
Borurtheil dahin aus: fie ſei für große, ernſte Rollen geeignet. 
Das Refultat der Unterredung war, daß fie in einigen jolchen Rollen 
auf einem Provinz-Theater als Gaft auftreten follte, damit ich fie 
ſehen fünnte. So geſchah's. Als fie aber zu dem Zwede nad) 
Brünn reifte, konnte ich durchaus nicht fort von Wien und mußte 
einen kritiſchen Kunftfreund erjuchen, meine Stelle zu vertreten. 
Er war der Einzige, welcher fich ebenfalls für fie interejjirte und 
meine günftige Vormeinung theilte, Nudolph Valve war es. Er 
berichtete nach feiner Rückkehr, daß unfere Hoffnungen fich bejtätigt 
hätten in dieſen Gaſtrollen. Fehler und Gebrechen wären noch in 
großer Zahl vorhanden, aber ein großes Talent wäre ficher da. 
Unterricht und Leitung nur fehlten. Und zwar wäre es, wie wir 
geahnt, ein Talent für tragifche Aufgaben. 

Flugs trug ich dies meinem Chef vor und bat um Erlaubnif, 
fie engagiven zu dürfen. Das wurde mir abgefchlagen und obenein 
mit fo abfoluten Gründen, daß auch meine Befugniß zu felbititän- 
diger Abſchließung eines Jahres-Engagements ihre Kraft verlor. 

Ich mußte mich tröften über den Verluſt der Zeit, die freilich 
bei jungen Liebhaberinnen unſchätzbar. Denn es blieb für mich 
nur eine Frage der Zeit; ich meinte ficher fein zu fünnen, daß dies 
Talent fiegreich herwortreten werde, falls fie an gute Lehre komme. 


26 * 


404 Das Burgtheater. 


In Berlin iſt ein guter Yehrer, der frühere Theater-Divector Hein ; 
an ihn und Frau Glafbrenner Fam fie, und ich harrte hier des gün— 
jtigen Augenblids, ihr wenigitens ein Gajtjpiel auf der Burg zu 
erobern. Das war leichter zu haben als ein Engagement, und das 
Talent, meinte ich, werde dann fchon das Uebrige bejorgen. 

Zwei Jahre vergingen, ehe der Augenblick eintrat. Cr trat 
aber ein, und fie gajtirte als Aorienne Yecouvreur, Jane Ehre, 
Maria Stuart und Gräfin Autland und — wurde engagirt. Es 
war Fräulein Charlotte Wolter. , 

Die Rollen, welche fie „draußen“ einftudirt, zeigen auch jetzt 
noch manche Spuren der Anfängerjchaft; unter ven Rollen aber, 
welche fie in ven folgenden fünf Jahren hier bei dem jorgfältigen 
Probiren auf dem Burgtheater ausgearbeitet, famen jolche zum 
Vorſchein wie Sappho, wie die Gräfin Orfina, welche ven Stempel 
eines jtarfen tragifhen Naturells an der Stirne tragen. Die jo 
lange gejuchte tragijche Yiebhaberin war gefunden. 

Ich jchreibe dies nicht ohne tiefe Beforgniß, daß der Fund 
wieder verloren gehen könne. Die fehlende Borbildung muß durch 
unabläffige Studien der Künftlerin, muß durch aufmerkſamſte 
Führung von Seiten des Veiters nachgeholt werden. Es ift 
Ihwer, das [päter dauernd einzuprägen, was man in der Jugend 
nicht gelernt hat: die geſetzlich klare Rede. Und doch it fie 
die umerläßliche Grumdbedingung einer darftellenden Künftlerin. 
Die mächtigften Ausbrüche tragifcher Begabung werden mit der 
Zeit unwirkſam oder doch unrein wirkſam, wenn die Grundlage der 
reinen Rede fehlt. 

Bon diefem Gedanken muß Fräulein Wolter durchdrungen fein, 
wenn ihre Yaufbahn auch ferner eine aufwärtsgehende werden joll. 


XXX. 


Das Jahr 1863 war das Jahr der großen Trauerjpiele; das 
Burgtheater brachte drei neue: „Die Nibelungen‘ von Hebbel, 
„Richard der Zweite‘ von Shafejpeare und „Andreas Hofer” von 
Immermann. Und „Narciß“ von Brachvogel, ebenfalls ein Trauer: 
fpiel, folgte ſchon im April des folgenden Jahres. 

Bon neuen Schau- und Luftipielen aber erfchienen unter An— 
derem: „Hans Lange‘ von Paul Heyfe, „Eglantine” von Mautner, 
„Pitt und For’ von Gottfchall. Wie man jieht, eine höchſt aus- 
giebige Ernte. 

Und faſt alle diefe Stüde blieben am Yeben, wenn auch nicht 
alle mit gleicher Yebensfraft. Die Trauerjpiele, welche bei uns des 
Klimas wegen den Keim der Schwindjucht am zeitigjten im jich ent: 
wideln, mußten vorfichtig behandelt werden und durften Feine 
großen Sprünge machen. Vermittelſt diefer Borficht find fie ges 
friftet worden. 

‚ber dies gilt Doch nicht von den „„Nibelungen’ !” wird man 
rufen. Es gilt doch auch ein wenig von den „Nibelungen“. Sie 
zeigten bei der zweiten Vorſtellung ein arg hippokratiſches Geficht 
im zweiten Parterre, und es bedurfte des lebhaft auffpringenden 
Rufes von der auferordentlichen Chriemhilde des Fräulein Wolter, 
um fie aufzubringen. 

„Nun denn überhaupt” — höre ich manchen höheren Lefer 
diejer Schilderungen rufen — „nun muß e8 doch einmal gejagt 


406 Das Burgtheater. 


werden: Iſt es denn nicht ein trauriger Mißbrauch des Theater: 
weſens, daß etwas mehr oder weniger Beſuch über das Schidjal 
eines Stücdes, ja eines poetischen Werfes entfcheiven ſoll?! Iſt es 
nicht? Dies ewige trodene Berichten, als ob es ewige Nichter- 
Iprüche wären: „dies und jenes Stüd mußte verichwinden, weil das 
große Publicum verſchwand“, ijt ja doch das Eingeſtändniß kläglich 
äußerlicher Rückſichten, namentlich der Rückſichten auf die Caſſe. 
Ein Theater wie das Burgtheater ijt ja ſubventionirt, damit es nicht 
jo ſclaviſch Rückſicht zu nehmen braucht auf die Cafje, und das ſo— 
genannte große Publicum it ja doch nimmermehr die erfte und letzte 
Inſtanz für poetiſchen Werth oder Unwerth!“ 

Das klingt Alles richtig; es ift aber nicht Alles, und ift auch) 
nicht ganz richtig. 

Ein Theater hat es mit der ganzen Deffentlichfeit zu thun, 
und wenn diefe ihre Zuftimmung verfagt, jo ift dies unter allen 
Umſtänden eine Entſcheidung. Das Nejultat wenigftens Liegt als— 
dann vor: die volle Wirfung des Stücdes fehlt. Man foll ſich nicht 
gleich unterwerfen, heißt es. Gut. Man geht auch an die Prüfung. 
Man fragt: Wenn nicht die volle Wirkung eingetreten ift, welche 
Wirkung ift erfichtlich geworden? Hat vielleicht der feinere Theil 
des Bublicums laut oder leife Partei ergriffen für das Werf? Man 
wiederholt das Werf. Zeigt jich bei diefer Wiederholung, daß ein 
edler Theil des Publicums dem Stüde treu bleibt, dann vwerfucht 
man Nettungsmittel, dann ſchont man auch die Kaffe nicht und bringt 
nach einiger Zeit das Stück wieder, und zwar zu günftiger Zeit, 
und ift zufrieden auch mit ſehr mäßigem Beſuche. Man hofft, e8 
werde allmälig jteigende Einficht ſich ausbilden und Projelyten 
machen fir das Stüd. Das fann man, und das thut man; man 
fann e8 aber nur thun, wenn das wichtigfte Yebensorgan eines 
Stüces, wenn das eigentlich dramatifche Herz vorhanden ift. "Fehlt 
dies, dann retten alle fonftigen äfthetifchen Vorzüge ein Stück nicht 
vom Tode, Und dann fallen ſehr bald auch diejenigen ab, welche 


Das Burgtheater. 407 


die ſchöne Sprache und dieſen wie jenen jchönen Zug gelobt und 
welche auf das grobe Publicum gejcholten haben. Ihr abjtractes 
Lob erjtirbt ihnen auf der Zunge, wenn fie bemerfen, daß die eigent- 
lich dramatischen Wirkungen abfolut nicht eintreten. 

Und dies ift es faſt immer, woran ein Stüc fcheitert; faſt 
immer ijt es ein Yebensorgan, an welchen es gebricht, wenn ein 
neues Stüd verfagt. Der Vorwurf gegen die Kaffe ijt zumeiſt 
nichtig. Die Cafje ift nur ein Symptom. Das leere Haus ent- 
muthigt die Enthufiajten für ein Stüd; es entmuthigt die Schaus 
jpieler, die Vorjtellung an jich ſinkt zufammen, und fein Mittel der 
äfthetifchen Apothefe rettet vom Tode. 

Dieſe Vorwürfe haben Etwas von den Vorwürfen gegen Feld— 
herr und Heer, wenn die Schlacht verloren iſt. Ihr hättet eben 
nicht weichen follen, heißt es — und wenn ihr abjolut mußtet, 
dann hättet ihr euch gleich wieder jtellen follen, und wie die theorer 
tiſchen Necepte alle heißen, welche den niederwerfenden Sturm 
eines Unterganges eben nicht fennen, einen Sturm, welcher das 
Tüchtige mit dem Untüchtigen werjchüttet. Iheater-Erfolge jind 
immer Ergebniffe von Schlachten, 

Das Theater, ein Staat im Kleinen, kann fich wie ver Staat 
der Majoritäts-Herrichaft nicht entziehen. Dabei hat man doch 
nicht zu fürchten, daß alles unjcheinbar Gute, was die Menge nicht 
erfennt, verloren gehe. Die Rückſicht auf Beſuch und Caſſe hört 
für eine gewiljenhafte Divection immer auf bei Stücken, welche jich 
den Stempel der Claffieität erworben haben. Da wägt man doc 
die Stimmen und zählt fie nicht. Und was claſſiſch werden 
fann, das geht für eine aufmerffame, literarifch geſchulte Direction 
auch nicht verloren, weil es ſchwach bejucht wird — die Leſer werden 
Ihon zehnmal in diefen Schilderungen bemerft haben, daß juft aus 
diefen Gefichtspunften Wiederaufnahmen verfucht werden und bis 
auf einen gewiljen Grad auch gelingen können. 

Wie ſtand es num mit den „Nibelungen? Trotz lebhaften 


408 Das Burgtheater. 


Drängens von Seiten der zahlreichen Hebbel'ſchen Anhänger hatte 
ich nicht geeilt mit Vorführung der neuen Arbeit des Dichters. 
Theils weil ich wirklich feine Vorliebe habe für Hebbel'ſche Dramen, 
denen nach meiner Anjicht die Anfchaulichfeit abgeht für die Scene, 
theil8 weil auch in dieſer Arbeit ſchwere ſceniſche Bedenken mir ent- 
gegentraten, namentlich der aus der „Edda“ entnommene zweite 
Het, unverjtändlich für das Publicum und deßhalb unwirffam, und 
ver letzte Act, welcher ven Schluß zeriplittert. Endlich weil ich die 
tragische Liebhaberin nicht hatte für die Rolle der Chriemhilde und 
meines Crachtens doch der irgend mögliche Theater-Erfolg von der 
tragischen Gewalt diefer Figur im letzten Acte abhängig war. 

Ich ließ alfo auf mich jchelten und wartete, Erſt als Fräulein 
Wolter eingetreten war, ging ich an dies Werf. 

Hebbel lebte noch und nahm an der Inſceneſetzung theil. Er 
und feine Frau, welche die Brunhilde ſpielte, erichienen ſehr ficher 
über das Außerordentliche des zweiten Actes. Das war natürlich. 
Er hatte gar feine Kenntniß vom Leben im Publicum; er hatte nur 
literariihe Nerven, und mit dem Publicum ftand fein poetijches 
Tervengeflecht in gar feiner Verbindung. Ich jtörte nicht in dieſem 
Edda-Thema und ließ Beide walten. Als aber im folgenden Acte 
der Hochzeitszug fam, da zeigte fich’8 zur Verwirrung der Schaus 
fpieler, daß der Dichter mit geiftigem Auge gar nicht gejehen hatte, 
was da vorgehen follte. Der Zug fiel aus einander, weil die langen 
Zwifchenreden ganz unvereinbar waren mit einem Zuge — da mußte 
ich eintreten, ändern und ordnen. Als es geordnet war, jtimmte 
auch Hebbel zu. Im legten Acte jtimmte er jedoch nicht zu, als ich 
fagte: „Hiermuß eine ganze Berwandlung heraus, damit ver Schluß 
ein Schluß werde‘. 

„Das ist unmöglich!’ vief er. 

‚„Meberlafien Sie miv’s, Ihnen die Möglichkeit morgen probe— 
weife vorzuführen 9 

DD ja.” 


Das Burgtheater. 409 


Ich jtrich alfo, jetste zu, um die Verbindungen herzuftellen und 
den Nachdruck zu erreichen; änderte die Rollen, unterrichtete die 
Schaufpieler über ven neuen Zujammenhang und führte am an— 
deren Tage den neuen Schluß vor. Hebbel war num ganz einvers 
jtanden und äußerte jich vanfbar. 

Jetzt fam die Vorjtellung unter wahllojem Applaufe für jeden 
Act. Das wahre Ergebniß lautete aber dahin, daß der zweite Act, 
der unverftändliche Edda-Act, vurchgefallen war, daß der epifch ver— 
bliebene Grundcharafter des Stüdes vielfach ermüdet hatte, und 
daß der letste Act durch Energie der Chriemhilve in den Schlußfcenen 
ſtark gewirkt hatte. 

Die zweite Vorſtellung war, wie Schon gejagt, nicht vollſtändig 
beſucht. Nun fam aber ver Auf der Wolter-Chriemhilve, und ver 
Beſuch Hob fih auf hinreichende Höhe, Nie auf ausgezeichnete 
Höhe. Das bürgerliche Publicum fam niemals vollzählig. Bei 
dieſem that der epifche Gang im jchwerer Sprache und Raupach's 
„Nibelungenhort“ immerdar Eintrag. Diefer ‚„‚Nibelungenhort‘’ 
hatte das große Publicum gehabt durch feine erjten drei Acte und 
bejonders durch die Scenen zwifchen Siegfried und Chriemhilde, 
Liebesjcenen, welche mit unzweifelhaft jtarfem theatralifchen Ta— 
lente behandelt jind und welche eine allgemein günftige Wirkung 
gemacht hatten. 

Noch jchwieriger ging es mit dem neuen Shafefpeare-Stüde, 
mit „König Richard dem Zweiten. Es gehört zu den „Hiſtorien“ 
und ijt aljo fein dramatifch componirtes Stüd. Dies war ein 
kaum bejiegbares Hinderniß bei dem dramatiſch gefchulten Publicum 
des Burgtheaters. Dies Publicum lieg fich abjolut nicht einreden, 
in dieſen Forderungen eine Nachjicht üben zu müſſen, weil ver 
berühmte Shakeſpeare Verfafler des Stüdes wäre. Bei allem 
Nejpect vor dem großen Namen blieb es auf jeiner dramatiſchen 
Forderung jtehen. 

Wie vielfach, wie lebhaft war gerade dies Publicum heran- 


410 Das Burgtheater. 


gezogen und auch angezogen worden durch jo zahlreiche Shafefpeare- 
Aufführungen! Das Repertoire des Burgtheaters enthielt jiebzehn 
Shafejpeare-Stüde, und alle jo feſt und bereit, daß jedes in jeder 
Woche gegeben werden konnte. Das Bublicum war alfo mit diefem 
Dichter vertrauter als irgend eines — umfonft! Es bewies ihm 
nicht die geringjte Deferenz, es entjagte auch ihm gegemüber feinen 
dramatifchen Anforderungen nicht um ein Jota. Im Gegentheile, 
es wurde von Jahr zu Jahr ſtrenger. Es jagte nicht gerade wie 
einjt Goethe: „Shakeſpeare und fein Ende!’ aber es fagte doch 
unverblümt: Allzuviel iſt ungeſund. Es Tieß „Richard ven 
Zweiten‘ ohne Zeichen bejonvderer Theilnahme an ſich vorüber: 
geben. 

Der erjte Act befanntlich ijt dramatifh. Der jo rajch ein- 
geleitete und jo entjchlojjen verhinderte Zweikampf intereffirte auch. 
Der König wird gut eingeführt. Die Figur Gaunt’s im zweiten 
Acte ift ebenfalls ganz geeignet, Glück zu machen, und da König 
Richard confequent die Spite bietet, jo folgt man ihm aufmerkſam. 
Aber von da an verläuft das Drama in's Epos. Ohne hinveichen- 
den Kampf erliegt der König und jpricht nur viel, wenn auch jchön. 
Es folgt die große Abdanfungsfcene, welche jo prächtige Sachen 
enthält, aber fo ungenügend gefammelt ift zu fcenifchem Eindrude. 
Hier, und eigentlich nur hier, war ich mit der Bearbeitung leiſe 
eingejchritten, blos leife. Ich hatte Nichts zugethan, ſondern hatte 
nur zerjtrente Worte Shakeſpeare's aus anderen Scenen in Eine 
Scene zufammengetragen. Der Bijchof von Carlisle ijt vorhanden 
als Parteigänger für Richard; er jagt auch das Nöthige, aber er 
jagt e8 vereinzelt in mehreren Scenen und deßhalb fraftlos. Dieje 
feine Worte legte ich alle in die Abdanfungsfcene, um doch einen 
gejchlojfenen Widerftand zu haben für den wiederum blos jchön 
fprechenden König — und erreichte damit die Hauptwirfung des 
Abends, Der letste Act mit dem geiftvollen Monologe Richard’s 
erwecte noch eine auffladernde Theilnahme, mehr nicht. 


Das Burgtheater. 411 


Das Ganze fand nur einen succes d’estime., Wir wieder 
holten das Stüd vor mäßig beſetztem Haufe und erhielten es durch 
Schonung. 

Wenn ich vergleiche, wie jetst — im Frühjahre 1868 — ver 
beim Falle des Concordats endlich zugelaffene „König Johann“ 
hingenommen wurde, jo drängt fich ver Gedanke unabweislich auf: 
Dies iſt nicht mehr daſſelbe Bublieum! Nie hätte ich eine Shafe- 
jpeare- Hiftorie ungeftraft jo bringen dürfen mit ihrem ganzen 
Wortſchwalle, mit jo gar nicht ergänztem vramatifchen Gange, mit 
einem inconjequenten Könige, alfo ohne Mittels und Anhaltspunft, 
nie! Daneben war ja „König Richard” ein ſympathiſches Drama. 
Und „Richard“ wurde fühl aufgenommen, „Johann“ wurde unter 
mehrfachen Applauje hingenommen wie irgend ein anderes Theater: 
ſtück. Gar fein Urtheil machte fich geltend, gar fein Für und 
Wider, die Stadt Wien hat gar nicht erfahren, ob und wie das 
Stüd gewirkt hat — die Unflarheit ift eingefehrt, das Publicum 
ericheint incompetent. 

Dies ijt der Unterſchied zwijchen einem gejchulten Bublicum, 
wie es bis zum Winter 1867 im Burgtheater beftand, und einem 
zufälligen Bublicum, wie es ſich jett im Burgtheater zufammen- 
findet. Binnen einem halben Jahre tjt das alte, gejchulte, an 
Tradition jo reiche Bublicum aufgelöjt worden, 

Innere und äußere Gründe haben das zuwege gebradt. Zu 
den inneren Gründen gehört eine neue DOber-Direction, welche die 
geiſtige Zeitung auf ven Proben ver banalen Gejchäftsführung über: 
lajjen hat, den Handgriffen ver Routine. Dadurch find die Schau 
jpieler, find die VBorjtellungen vajch verändert worden, und das fein 
gewöhnte Publicum hat das raſch empfunden und hat innegehalten 
im Zudrange. Gerade um viejelbe Zeit ijt ein äußerer Grund 
wirfjam geworden: die Einführung von Bormerfungen zu geiperrten 
Plätzen. Dadurch ijt weiteren Kreifen, die ſonſt nicht in’s Theater 
drangen, der Zutritt ermöglicht worden. Diefe Kreife verforgen 


412 Das Burgtheater. 


jich num beizeiten mit Plätzen ohne Rüdjicht auf befonvere Auswahl 
der Stüde, und wenn num die Intimen von früher doch einmal 
wieder zufchauen wollen, ob ihr altes Schaufpiel feine frühere 
Phyfiognomie zurüderhalten habe, da finden fie alle Plätze ver: 
geben, zuden die Achjeln und verzichten am Ende ganz — fo ent- 
jteht ein zufälliges Publicum, und die traditionellen alten Maßſtäbe 
der Kritif verfchwinven, mit ihnen das alte Burgtheater. 

Das dritte Trauerfpiel war „Andreas Hofer‘, wie Immer: 
mans „Trauerſpiel in Tirol‘ auf dem Theaterzettel heißt. 

Ein vaterlindiiches großes Stüf war fo lange mein Wunjch ! 
Die Bühne ift ja am mächtigjten, wenn ſie waterländijche Dinge 
vorführen und ausjprechen kann. Jahrelang hatte ih um die Er- 
laubniß geworben für diefen „„Hofer‘‘ — vergeblih! Da war der 
Pater Haspinger, da war der Schurfe Kolb, geiftlich verdächtig, 
wie jehr ich ihm verfleidete, da war Diefes und Jenes Grund zur 
Abweilung — in Wahrheit blieb es die Scheu vor der Ummittel- 
barkeit. Solch ein Stück erichien zu unmittelbar. Nur Nichts 
direct ausiprechen auf der Scene, was politifch oder auch nur 
ſonſtwie treffen fünnte! Selbſt nicht patriotiih. Das hat feine 
Sonjequenzen. Wird heute das allenfalls Zuläffige ausgeiprochen, 
jo will morgen auch das faum Zuläffige, übermorgen das Un— 
angenehme ausgefprochen fein. Dazu iſt die Bühne überhaupt 
nicht da, am wenigjten die Hofbühne. Nır nichts Divectes! 

Dieje Rüdfichten, der bare Gegenfaß zum Zwecke eines erſten 
Iheaters, waren tief eingewurzelt. Es war umd iſt ein Stand» 
punft der abonnirten Logen, welche nach Tiſche um Gotteswillen 
nicht erinnert fein wollen an etwas Wirfliches, wozu man den 
Kopf jehütteln oder wovor man gar erichreden müßte. Das 
it ja auch feine Poeſie! Die Poefie war eine verjchleierte Prin- 
zejfin geworden aus fernen, fernen Zeiten und fernen, fernen 
Yanden. 

Da ſtarb mein langjühriger Chef, ein gebovener Pole, und 


Das Burgtheater. 413 


mein neuer Chef, endlich ein geborener Deutjcher, nahm leb— 
haften Antheil an dem Tiroler Traueripiele und gab jofert Die 
Erlaubniß. 

Der verſtorbene Chef, Graf Lanckoronski, hatte übrigens die 
guten Eigenſchaften, welche ich zu Anfang dieſer Schilderungen an 
ihm preiſen konnte, ſtandhaft bewährt. Meinen Inſtructionen 
gemäß überließ er mir die artiſtiſche Leitung unverkürzt. Er war 
hundertmal unzufrieden mit meinem Geſchmacke in Wahl ver 
Stüde und in Beſetzung der Rollen, und er verhehlte das gar 
nicht, aber er ſetzte ftets hinzu: dies ift Ihr Fach und Ihre Ver: 
antwortung, ich greife da nicht ein. — Er war ferner unzugänglich 
für irgend eine Klatſcherei und Verhetzung; er wies jeden unbegrüns 
deten Anfpruch auf Bergünftigung weit ab, und er war endlich 
immer bejtrebt, gerecht zu fein. Ich appellirte nie vergeblich an 
feinen edleren Sinn, wenn Heftigfeit unbillig handeln wollte — ich 
verlor in diefem Manne meine ficherjte Stütze. 

Mein neuer Chef, Fürft Vincenz Auersperg, gehörte jelbit zur 
Landesvertheidigung in Tirol, er erlaubte nicht nur, er fürderte 
lebhaft Immermann’s „Andreas Hofer’. 

Wie war nun, wie ift dies Stüd? Karl Immermann hat es 
gejchrieben in früher Zeit und das Theater dabei gar nicht im 
Auge gehabt. Später, als er dem Theater nähergetreten, hat er 
mit einigen Strihen und Yinien jeine Arbeit der Bühne näher zu 
bringen gejucht, und jo lag jie unter dem neuen Titel „Andreas 
Hofer’ vor mir. 

Es fehlt ihr zum Bühnenſtücke immer noch das oben erwähnte 
pramatifche Herz, ſie hat immer noch einige Aehnlichkeit mit einer 
Shakeſpeare-Hiſtorie. Manchen Abend hab’ ich vor ihr geſeſſen 
und habe erwogen, wo und wie weit geändert werden Dürfe, um fie, 
wie der Defterreicher jagt, „ſchneidiger“ zu machen, Aber das 
fonnte nur mit großer Dreijtigfeit geicheben, und — Immermann 
war todt. Und er war erjt einige zwanzig Jahre todt. Ja, wären 


414 Das Burgtheater. 


e8 zweihundert Jahre gewejen! Mean ift viel dreijter, wenn uns 
Jahrhunderte vom Autor trennen, aber wenn man ihn felbjt noch 
gefannt, da ift man ſcheu, da hört man feine Klage über Gewalt- 
jamfeit, die ihm angethan würde, 

Ach, wie leicht wäre es gewefen, wenn ich mit ihm hätte dar— 
über jprechen fünnen! Er war jo verjtändig und war jo praftifch 
geworden in der zweiten Hälfte feines Yebens, Es wurde ihm in 
ven fetten Jahren klar und klarer, daß er verführt worden ſei durch 
die romantische Kirche, und daß er jelbjt eigentlich gar feine gläubige 
Seele geweſen fein LYebenlang. Er war im Grunde ein ſehr flarer 
Kopf, diefer Juriſt in Düffeldorf. 

Im Sahre 1839 Fam ich auf einer Reife nach Holland durch 
Düſſeldorf und lernte ihn fennen. in jtattliher Mann war er, 
mit ausgebildeten Antlige, prompt und ſtark in ver Rede, nach— 
drucksvoll in allen Behauptungen, und doch geneigt, allen beiteren 
Fragen des Lebens ihr fröhliches Recht angedeihen zu laſſen. Er 
fam mir viel mehr entgegen, als ich, ein junger, ausgelafjener 
Schriftiteller, anfprechen durfte; er zeigte eine unerwartete Neigung 
für die vreifte Natur des jungen Deutjchland. Sein Freundichafts- 
verhältniß zu Heine, aus dem gemeinfchaftlichen Zorne gegen Platen 
erwachien, wurde lebhaft von ihm betont, lebhafter, als e8 eigent- 
(ich ihren beiden verjchiedenartigen Naturen zuftand, und in all’ ven 
ausführlichen, lebendigen Gefprächen, welche wir damals einige 
Tage lang führten, zeigte Immermann das Bedürfniß, lebensvoll 
einzutreten in die Literatur der Gegenwart. Natürlich fam da auch 
das Theater in Rede, dem er eigentlich näher jtand als ih. Cr 
hatte aus freiem fünftleriihen Antriebe einige Zeit das fleine 
Düffeldorfer Stadttheater geleitet und manches phantaftifche Stück 
in Scene gejett. Deutlich zeigte fich’S, daß er die Direction des 
Berliner Hoftheaters gewünfcht hatte und wünſchte. Bitter und 
ſcharf ſprach er über die unfundige, hofmäßige Intendanzenwirtbichaft, 
und ich fah, daß er eigentlich die Iheaterführung in Düſſeldorf 


Das Burgtheater. 415 


wohl nur übernommen hatte, um dem Hoftheaterwejen darzuthun, 
wie viel ein echter Geift aus einem Theater machen könnte, auch 
aus einem fleinen und auch mit ven Fleinjten Mitteln, Cr war 
nicht im Geringften verblendet von dem Preife, welchen Literaten 
und Schaufpieler feinem Düfjeldorfer Theater bereitet und ver: 
breitet hatten; er geftand zu, daß Vieles unzureichend geweſen, was 
man feiner Bühne rühmend nachgefagt, und daß er auch in ver 
Scenirung blos literarifcher Stüde deutlich erfahren habe: dies 
jeien eben nur Uebungs-Experimente geweſen, und Aufflärungen 
über literarifche Träume, die Traumhaftigkeit derſelben habe jich 
auf der Scene nur zu jehr vargethan. 

Bei Feithaltung höherer poetijcher Abjicht hatte er aus der 
Praxis nüchterne Lehren gezogen und wäre trefflich geeignet geweſen, 
ein erjtes Theater zu übernehmen und zu führen. Er jprach jehr 
gut, war eine talentvolle, geharnifchte Perfünlichfeit und wäre für 
die Schaufpieler ein unfchätbarer Führer geworden. Was er in 
romantischer Befangenheit früher als Theaterſtücke herausgegeben, 
wie „Cardenio und Celinde“ und „Die Opfer des Schweigens‘, 
das ſah er jett ziemlich unbefangenen Blides an und wies auf 
fleine Sachen hin, wie „Die Ichelmifche Gräfin”, um darzuthun, 
daß ja auch früher ſchon ver Sinn für das heutige Theaterjtüd in 
ihm lebendig gewejen. 

Wie leicht wäre es geworden, mit dem jo gearteten Manne 
das „Trauerſpiel in Tirol” hieb- und ſchußfeſt zu machen! 

Das Stück fam leider damals zwifchen uns gar nicht zur 
Sprache — er jchrieb am „Münchhauſen“, und wenn ich ihn aus 
dem Schwurgerichte abholte und er feinen jchwarzen Nichtertalar 
auszog, um mit ung nach Neuß zu fahren, wo eine ſchmucke Wirthin 
den beiten Rheinlachs am beiten zu jerpiven verjtünde, da dachten 
wir an fein Trauerjpiel, ſondern da fehrte der ſaftvolle Magde— 
burger, der er war, feine finnlich behagliche Seite hervor und fchil- 
derte ung, was für Schwänfe er im Kopfe trüge fir Münchhaufen 


416 | Das Burgtheater. 


und deſſen Tochter Emerentia im Gegenſatze zu jeinem Meiſter— 
jtüde, dem „Oberhofe“, vejjen fernige Schilderung ev während 
feiner langen Dienjtzeit im rheiniſchen Wejtfalen erworben hatte. 
Nicht lange nachher fhiete er Heine und mir die erjten Bände 
ſeines „Münchhauſen“ nach Paris, und ehe wir uns deſſen wer: 
ſahen — war er plöslich todt. Der rüftige, Fräftige Mann! 

In ihm ift einer der wenigen Poeten gejtorben, welcher dem 
deutichen Theater ein bahnbrechender geiftiger Führer hätte werden 
fönnen. Gr hatte wohl noch mandes Schlingkfraut um ſich aus 
alter romantiſcher Zeit, aber fein Geiſt war frei geblieben, und 
eine große TIheaterpraris hätte ihn von poetifchen Schmaroter- 
pflanzen, welche die öffentlihe Schaubühne nicht verträgt, gänzlich 
befreien können. 

Gerade wegen diejer perjünlichen Befanntichaft war ich jett 
ſchüchtern wor feinem Stüde und wagte feinen tieferen Eingriff, um 
ein fejtes Theaterjtüd daraus zu machen. 

Der gute Inhalt trug uns doch unter jorgfältiger Darjtellung 
einen Chrenerfolg ein, und wir haben von Zeit zu Zeit das Trauer- 
jpiel wieder bringen fünnen. Es kann aljo auch in Zufunft erhalten. 
bleiben, wenn die Divection ihm Aufmerkſamkeit und Pflege wiomet. 
Die uns naheliegenden Berhältniffe und Namen üben ja doch — 
auch bei jfizzenhafter Behandlung des dramatifchen Ganges — 
einen erweckenden Einfluß auf unfere Theilnahme. Wenn von 
Innsbrud, Meran und vom Baijeierthale, von Hofer, Spedbacher 
und Pater Haspinger die Rede ift, da werden wir doch viel leichter 
getroffen, als wenn das Forum romanum und Antium oder 
Cominius und Aufivius an unjer Ohr flopfen. 


XXXIV. 


„Narciß“, „Hans Lange“, „Eglantine“, „Pitt und For“, 
die weiteren Driginal-Neuigfeiten von 1863 und 1864, bejtätigen 
recht deutlich meine frühere Behauptung: daß die Perfünlichfeiten 
unferer Dramatifer ungemein verfchieden von einander find. 

Man jkizzire ſich nur die Charaftere und Schreibarten der 
jechs deutſchen Schriftjteller, welche im Yaufe eines Jahres unfer 
neues Repertoire gebildet, und jtelle fich daneben jechs Lebende 
franzöfifche Theater- Autoren zufammen. Wie einleuchtend wird fich 
herausjtellen, daß die jechs Franzojen eine auffallende Familien— 
Aehnlichkeit tragen in Wahl der Stoffe, in Form der Fafjung, im 
Gang der Rede; daß aber die jechs Deutjchen, hier aljo Hebbel, 
Immermann, Brachvogel, Heyſe, Mautner, Gottſchall, grundver— 
ſchieden von einander erjcheinen. 

Hebbel, aus dem friefifchen Holftein, breitfpurig ohne Sorge 
um irgend eine Zier einhergehend, jucht nach unbehauenen Fels— 
jtücden für feinen Ausdrud, ift um Schönheit nicht nur unbefümmert, 
jondern ſucht nach Gelegenheiten, dieſe Unbefümmertheit nachdrücd- 
lich zu bethätigen. „Echtheit geht vor!” fann man herauslefen, 
und: „Schwächliche Nachfolger mögen unfere Originale zur Schön 
heit herausbürjten und putzen!“ 

Er jtammt aus germanifchen Urfreifen, welche von den Stän— 
den und Formen ver mittelalterlichen und modernen Welt eigentlich 


nie berührt worden find. Er erwächſt aus dem Volke kleiner Ort— 
Zaube, Burgtheater. 97 


418 Das Burgtheater. 


ichaften, wo die Natur wenig fleine Reize zeigt, wohl aber eintönige 
große Verhältnijje, das ebene, weite Marjchland und das nahe 
Meer. Er fommt aus ver gelehrten Schule und ohne näheren 
Berfehr mit der gejelligen Welt an die literariiche Thätigkeit — 
muß nicht diefe Ihätigfeit immer etwas Abgejondertes behalten, 
muß fie nicht immer Etwas behalten, was an ven Bauer erinnert, 
der in aller Biederfeit mißtrauifh und Liftig bleibt unter den 
Städtern, muß fie nicht immer Etwas behalten, was an den ein- 
jamen Zujtand des dichterifchen Denfers erinnert? Muß fie nicht 
auf dem Theater der Städter Fremdartiges und Unzugängliches 
entfalten ? 

Wie anders Karl Immermann, der Bürgersfohn! Er geht 
aus den Stadtfreifen hervor, aus den engen Gejeten der preußifchen 
Beamtenwelt, welcher fein Bater angehörte, welcher er ſelbſt ange- 
hören follte. Dabei ift er mit allen Eigenfchaften und Trieben 
eines Lebemannes angethan, wächſt auf inmitten des fruchtbaren 
mittleren Norddeutſchland, wo das niedrige Harzgebirge mit feinen 
Wäldern ven Sinn wect für bejcheivene Naturreize, wo auf Schule 
und Univerfität, in Magdeburg und Halle, der Franzojenhaß gegen 
den Eroberer Napoleon zeitig genährt wird. Immermann gefellt 
ſich auch zu den freiwilligen Kriegern als ſiebzehnjähriger Jüngling, 
und wir fönnen das „Trauerſpiel in Tirol‘ in ihm wachſen ſehen, 
wie man das Gras wachjen ſieht. Nach feiner Rückkehr auf die 
Univerfität tritt er in die Kämpfe, welche das Wartburgfeit erregt, 
und tritt als eigenjinniger Erbe des engen Staatsdienjtes auf die 
unpopuläre Seite, ein harter Kopf, der jelbititändig Necht haben 
will, Trotzdem jchließt er fich der romantischen Schule an, welche 
innerlich der Wartburgfeter und der Burſchenſchaft nahe ſtand. Er 
giebt ſich jahrzehntelang jener künſtlich idealen Poeſie hin, welche 
gejuchte Studien, Stoffe und Formen pflegt. Und wiederum im 
Gegenſatze hiezu tritt er in die trodene Regierungslaufbahn eines 
Juriſten, in die ftrengen Verhältniſſe eines auf dem Buchjtaben ver 


Das Burgtheater. 419 


Verordnung ruhenden Staates. Welch eine perjönliche Stärfe 
gehörte dazu, um in dieſen Gegenfäten nicht verwirrt, nicht zer— 
trieben zur werden. Er wurde es nicht; er blieb ſelbſtſtändig 
jtrebend. Und num unterftütte ihn das Glück: es brachte ihn in. 
die weitlichen Lande, wo alte Neichsfitte lebendig geblieben im 
Gemeindeleben, wo öffentliches Gerichtsverfahren galt, wo ihn fein 
Amt in Verfehr fette mit den freimüthigen Menfchen Wejtfalens 
und der Rheinlande. Er fommt endlich nah Düſſeldorf, wo eine 
alte Malerſchule Traditionen ver Bildlichkeit pflegt — er wird fo 
allmälig der fünftlichen Poeſie entrücdt, und feinem gejund ver- 
bliebenen Auge drängt fich die Bemerkung auf, dag auch die realen 
Dinge poetifch zu verwerthen find. Er jehreibt Bücher wie die 
„Epigonen“, welche einen Abjchluß feiner Vergangenheit, welche 
feinen Vebergang zur lebendigen Zeit befunden; er geräth am’s 
wirkliche Theater, er lebt auf im Mannesalter. Welch ein breites 
Stück deutſcher Geſchichte, mannigfaltig deutjcher Geſchichte jtellt 
ſich in dieſem Manne dar! Was hatte er Alles ſeinen Schau— 
ſpielern zu ſagen, als er im kleinen Düſſeldorfer Theater wunder— 
liche Stücke und daneben ganz praftifche Stücke in Scene fette. 
Unerbittliches Schickſal! Als ev auf dem Punfte angelangt war, 
die werjchiedenartigften Erfahrungen in gereiftem Sinne neu und 
deutlich in feiner Schrift auszudrüden, da reißt ihn ein Schlagfluß 
hinweg aus unferer Welt. 


Wie lehrreich erſcheint jein Bild dem deutſchen Theater! 
Kaum Ein Stüd bleibt von ihm auf dem deutſchen Repertoire, aber 
mancher Schaufpieler verbreitet und vererbt Yehren von ihm, mancher 
Dichter lernt aus jeinen Stupdien. 


Dicht Hinter diefem Manne, welcher durch fo viel Bildungs- 
Elemente geläutert worden, erjcheint auf dem Burgtheater das 
Stüd eines ganz neuen Dramatifers, Brachvogel geheigen. Da 
fehlt noch alle Läuterung, da brauft der erſte Gährungsproceß, und 


c * 
27 


420 Das Burgtheater. 


nicht ein Hauch erinnert an Immermann. „Narciß“ iſt ver Titel 
des Stüdes. Nicht Narciß aus dem Alterthume, ein Neffe Rameau’s 
aus der Orgienzeit Frankreichs, welche ven Toaſt ausbringt: ‚Nach 
uns die Sindfluth! Die Sündfluth fam in Geftalt der Revo— 
lution. 


Dieſer „Narciß“ trägt Züge ſtarken Talentes, geiſtiger Roh— 
heit und doch auch geiſtigen Bedürfniſſes, welches in die Tiefe will, 
aber von der Phraſe aufgehalten wird. Brachvogel iſt eine blut— 
volle ſchleſiſche Natur, ganz im Gegenſatze zu Hebbel und Immer— 
mann ohne Spur gelehrter Erziehung, im Style oft voll Bombaſt 
und Schwulit, im Ziele dagegen oft hell und ſchneidend auf modern- 
jociale Ipeen losgehend — ein begabter Naturalift. 


Er bringt nach „Narciß“, welcher die Einleitung zur Revolu— 
tion in Frankreich blutrünjtig darftellt, ein Drama aus dem Mittel: 
alter: „Adelbert vom Babanberge”. in Jude trägt hier die Un— 
fojten der Berzweiflung, welche Brachvogel’s Stüde kennzeichnet. 
Die erjten Acte find von padender dramatiicher Kraft; die Folge 
fällt ab. Ein ferneres Stüd: „Salomon de Caus“, fucht neben 
Richelien den Erfinder der Dampfkraft tragifch Darzuftellen, und 
als die Bühnen daran vorübergehen, wendet er jich ärgerlich dem 
Romane zu. Er ergreift die größten Themata, behandelt jie leicht 
und vreift, findet aber immer einige Situationen für feine frappante 
Macht ver Erfindung, wirft dazwifchen ein Drama: „Der Tröpler”, 
welches zweiten Theatern einen willfonmenen grellen Stoff jocialer 
Natur bietet, und trifft neuerdings mit der „Prinzeſſin von Mont— 
penſier“ wiederum den interejianten Gang eines Theaterſtückes, 
welches originell genug in die aufwachjende Herrjcherjugend Lud— 
wig’s des PVierzehnten die demokratische Neigung einer jtolzejten 
Prinzeſſin zu verweben weiß. 

Auch hier fpringen mitten in aufgebaufchter Rede einzelne 
treffende Neven empor, und mitten in verwirrt fich anlaffender 


Das Burgtheater. 421 


Handlung zeigt fich ein weit ausholendes Talent der Compofition, 
welches ven Plan behauptet. Es ijt überall bei ihm dreifter, mit- 
unter wüjter Naturalismus, welcher aber jtarfe Athemzüge hat für 
den Bruftfajten des Theaters. 

Wir brachten „Narciß“ ſpäter als andere Theater, weil meine 
Behörde abgejchredt wurde durch dieje Athemzüge ver Revolution, 
welche in dem Stücke bemerflich find, und durch fede, unhiftorifche 
Motive, welche ver Autor fich herausnimmt, indem er auf fein natu— 
raliſtiſches Recht der Erfindung pocht. Auch die peinliche Stellung, 
welche der legitimen Königin angewiejen ift, war lange ein Grund 
der Ablehnung. Meaitrejien überhaupt, alfo auch die Pompadour, 
wurden früher auf dem Burgtheater nicht zugelaffer, und es war 
ein Ereigniß vor 1848, als man mit der „Marquiſe v. Villette“ 
eine Ausnahme geſtattete. Wie vorfichtig und behanlich war aber 
dort die wohlerzogene Maintenon neben diefer wilden Marguife v. 
Pompadour Brachvogel's! Es vergingen Jahre, e8 bedurfte immer 
iwiederfehrender Einveihung, ehe dieſem „garſtigen“ Stüde — 
und das ift es auch im äjthetifchen Sinne — der Zutritt erlaubt 
wurde, 

Der Erfolg, welcher überall ein glänzender gewejen, war im 
Burgtheater viel weniger günftig. Der grelle Gejchmad wurde 
nur mit einigem Widerftreben hingenommen, Aber die Gewalt ver 
Compoſition erwies fich doch auch bei uns auf die Länge fiegreich ; 
das Stüc hat jich auf dem Repertoire erhalten. 

Ebenſo und viel leichter die jpätere ‚‚Prinzeffin von Mont— 
penſier“, welcher die entjprechende naturaliſtiſche Kraft des Fräu— 
fein Wolter Lebenskraft verlieh. In Ermanglung folcher zupafienden 
Ichaufpielerifchen Begabung ift dies Stüd „draußen“ raſch vor: 
übergegangen. 

Nun fam „Hans Lange”, Der BVerfalfer dejjelben, Paul 
Heyſe, ift wieder ein barer Gegenſatz zu Brachvogel, Im Hefe 


492 Das Burgtbeater. 
wohnen alle feinen Neize ver poetischen Bildung, und wenn Etwas 
fehlt, fo ift es vie letzte Gewalt einer jtarfen Natur, 

Wenn man ihn fieht und hört, dieſen Dichter mit dem ſchönen 
Rafaelskopfe, mit der wohlflingenden, fliegenden Rede, mit dem 
ganzen Zauber eines liebenswürdigen Menjchen, da findet man's 
begreiflih, daß er mit feinen poetifchen Arbeiten zahlreiche Anz 
Hänger gewinnen muß, namentlic) unter ven Frauen. Cr hat auch 
eine Stellung gefunden, wie Giulio Romano, ver Schüler Rafael's. 
Alles, was er bringt, ijt geiftvoll empfangen und Fünftlerifch 
durchgeführt. 

In feiner TIhätigfeit für die Bühne thut ihm vielleicht Die 
vorherrſchende Anmuth und Feinfühligfeit ſeiner Natur einigen 
Abbruch, Die Bühne verlangt jtarfe, männliche Züge, jcharfe 
Umriſſe, rücdjichtstofes Wollen, Ich will nicht jagen, daß Dies 
Heyſe unerreichbar ſei; er ift zum Beiſpiele in „Hans Lange“ 
den Erforderniſſen eines Theaterſtückes ganz nahe gekommen. Aber 
er iſt, wie mir's ſcheint, bis jetzt durch ſeine Bildung noch zu tief 
im Eklekticismus verblieben, in der Neigung des vielfältigen Aus— 
wählens ſeiner Stoffe. Bald im alten Rom, bald im Mittelalter, 
bald in der Rococo-Zeit erbaut er ein Stück. Jeder Stoff, jede 
Zeit hat eigene Bedingungen; ein Dichter muß ſehr ſtark ſein, 
wenn er der Concentrirung ſeiner Fähigkeiten entbehren kann. Wir 
wiſſen's noch nicht, und Heyſe ſelbſt weiß es noch nicht, in welcher 
Gattung von Stoff und Form er all' ſeine Eigenſchaften zur 
vollen Geltung bringen mag als Dramatiker. Bei ſeinem un— 
abläſſigen Streben wird er wohl einen feſten Ausgangspunkt 
finden, und dann kann er uns jeden Tag mit einem Kernſchuſſe 
überraſchen. 

„Hans Lange“ hat überall Glück gemacht. Auch bei uns. 
Warum er uns nicht dauernd verblieben, das iſt ſchwer zu ſagen. 
Er war dem Publicum wohlgefällig geweſen, aber nicht mächtig 
genug. Man ſprach nicht ungünſtig davon, aber man machte keine 


Das Burgtheater. 423 


Propaganda dafür; man empfand wohl, dag noch Etwas fehlte. 
Was denn? Vielleicht das, was Heyſe's Theater» Arbeiten 
bis jett überhaupt gefehlt hat: der letzte Wille, der unzweifel- 
hafte Nachdruck, der Stempel der Nothiwenpigfeit und der Erle— 
digung. 

Ich habe manchmal ven Gedanken, Heyſe ſchreibe ſeine Stücke 
zu raſch. Die Fähigkeit der Hervorbringung in ihm iſt ſehr leb— 
haft, ſein Talent iſt für alle Formen geſchmeidig, und er behandelt 
ein Theaterſtück wie eine andere Schrift, indem er ſeiner natürlichen 
Fruchtbarkeit unverweilt nachgiebt, das Stück in die Welt ſetzt und 
es den Theatern überliefert, friſch, wie es aus der erſten Regung 
entſtanden iſt. Ein Theaterſtück darf aber nicht behandelt werden 
wie jede andere Schrift, ſondern es will reiflich ausgetragen ſein. 
Je tiefer ſein Organismus athmet, deſto tiefer dringt es in den Zu— 
hörer, deſto länger macht es ihm zu ſchaffen, deſto nachdrücklicher 
ſpricht der Zuhörer von ihm, deſto mehr macht er Propaganda für 
daſſelbe. Das Glückliche erobert ein Theater-Publicum, doch nur 
das Reife feſſelt es. 

Ich weiß freilich nicht gewiß, ob Heyſe warten kann. Es 
giebt reichbegabte Menſchen, welche ſich der in ihnen wachſenden 
Früchte ohne Zögern entledigen müſſen, weil hinter dieſen Früchten 
ſchon wieder neue entſtehen. Solche Talente müſſen, um am 
günſtigſten für die Bühne zu ſchreiben, das Luſtſpiel erwählen — 
wenn ſie luſtig ſein können, wenn ihnen Laune und heitere Charak— 
teriſtik zu Gebote ſtehen. 

Mit „Hans Lange“ hat Heyſe ſchon eine unerwartete Wen— 
dung verſucht, und zwar recht glücklich. Er hat die appiiche Straße 
der „Sabinerinnen‘, er hat die ritterzeitlichen „Herren von der Eſche“ 
mit ihrem Burg-Pathos verlafien und hat die realijtiiche Charak- 
terijtif für einen Theil feines Stüdes ergriffen. Die Figuren im 
Bauernhauſe find ihm auch trefflich gelungen — warum follte er 
auf dem Wege nicht weiterfchreiten! Ja, er hat es auch ſchon 


424 Das Burgtheater. 


gethan; er hat ein Schaufpiel, „Colberg“, gebracht, welches vater- 
ländifches Helvdenthum aus dem Franzofenfriege behandelt. Ein 
ganz richtiger, willfommener Stoff, welchen die Theater im deut— 
ihen Norden mit großem Beifalle begrüßt haben. Aber er 
hat es wiederum gethan, wie ich oben angedeutet: zu raſch, zu 
furz angebunden. Das Stüd ift nicht ausgetragen im Meutter- 
ſchoße. 

Mautner's „Eglantine“ iſt ein eben jo leichtes Kind. Und 
doch find auch dieſe beiden Verfaſſer wieder grundverjchieden von 
einander. Heyſe ift veih an Talent, und feine Arbeiten können 
nur gediegener werden, wenn jie langjamer entjtehen. Dem Ber: 
faffer ver „Eglantine“ jteht jedoch im glücklichen Falle nur das 
Formengerüft eines Iheaterftüces zu Gebote. Er thut ganz 
wohl, raſch Hand an's Werf zu legen, wenn ihm eine Situation 
vorſchwebt. Das Warten auf tieferen Inhalt würde feinen Stüden 
faum nützen. 

Er geht von einer Situation aus und gruppivt um fie; und 
daran thut er ganz Recht. Wollte er von einem eigentlichen Stoffe 
ausgehen und die Situationen aus demjelben organifch entwideln, 
jo würde ihm feine Fähigkeit die Hilfsmittel verfagen. 

Das Verhältnig einer Künjtlerin zu einem vornehmen Manne 
und eine äußerliche Täuſchung, welche das Verhältnig zerftört — 
das ift die Situation, won welcher „Eglantine“ lebt. Kritif und 
Publicum haben dies überall herausgefunden, auch in Wien, wo dies 
leicht befrachtete Stüd Zugftüd geworden. Außer Wien hat es 
nirgends bejtanden, und auch in Wien hat es bei aller Zugkraft 
nur eine geringe Schätung gefunden. Die Darftellung der Künft- 
lerin durch Fräulein Wolter und der abgerijfene Zettel in der 
Intrigue haben in Wien ven Erfolg hervorgebracht. Man fuchte 
ein Stück Lebensgefchichte ver darftellenden Schaufpielerin hinter 
dem Schickſale jener Eglantine, und man fand ich hinlänglich 
intriguirt durch jenen abgeriffenen Zettel. 


Das Buratbeater. 425 


Letsteres ift auch nicht zu verachten als Spannungsmittel; 
jede Kunst braucht ihr Handwerkszeug, und auch das Bedeutende 
verliert die Anziehungskraft, wenn die Hilfsmittel des Handwerks 
fehlen. Man nennt fie artigerweife Technif. "Was iſt denn auch 
gutes Malen, was ijt denn die wirffame Behandlung der Farben 
anders als Handwerf, artig ausgedrückt Technif? 

Rudolph Gottichall, der Verfaffer von ‚Pitt und For’, hat 
mit Heyſe die vajche Production gemein und verjchmäht wie 
Mautner das Handwerkszeug nicht, und doch it auch er wiederum 
grundverfchieden von Beiden. Cr hat Etwas vom Converfations- 
Lerifon: Lyrik, Literatur-Geſchichte, Drama, Kritik, Journaliſtik, 
Berichterftattung in zahlreichen Journalen über einen umd ven: 
jelben Gegenftand — Alfes ift ihm gleichzeitig geläufig, und bis 
auf einen gewijfen Grad gut geläufig. Er tit ſehr fleißig, fehr 
flüffig, zu mancherlei Hevvorbringung fähig. Noch in friſchem 
Mannesalter jtehend, wird er die Yöfung feiner Literarifchen 
Lebensfrage darin juchen müſſen und finden: ob er einen echtem 
Kern befitt und ob er viefen Kern mit innerer Ruhe entwiceln 
fann ? 

„Pitt und For’ waren Schon jahrelang vorhanden, ehe jie im 
Burgtheater aufgeführt wurden, und die Verzögerung lag an mir. 
Dies Gebahren mit wichtigen hiſtoriſchen Staatsmännern erjchten 
mir zu leichtjinnig für unfere Bühne; ich meinte, unſer Publicum 
würde es nicht annehmen. Erſt als Sonnenthal jo weit entwidelt 
war, daß ich ihm den For geben fonnte, entjchloß ich mich zur 
Scenirung, weil ich in feinem gehaltvollen Weſen eine erhöhende 
Unterlage fand für die ausgelaffene Figur des berühmten Miniſters. 
Der Verfaſſer geftattete einige weitere Milderungen, und jo machte 
das Stüc gutes Glück. 

Der Griff als Griff nach einem Luſtſpielſtoffe iſt gewiß 
rühmenswerth, und wenn man auch bedauern mag, daß die Gegen: 
jäte gar zu grell und bisweilen der Caricatur ähnlich gerathen 


426 Das Burgtheater. 


find, jo muß man doch vom Standpunfte des Theaters zugeftehen, 
daß das Material erfindungsreich angefaßt und behende aus— 
gebeutet tft. 

Gottſchall hat früher in Stücken wie „Die Roje vom Kaukaſus“ 
den Iprifchen Ergüffen zu viel Spielraum gewährt, iſt aber neuer- 
dings in Stoff und Behandlung überraichend geſchickt den Bedürf— 
niffen ver Scene nahegerüct. Selbit in feiner ‚Katharina Howard’, 
welche durch Ungleichartigfeit ihrer Theile und vielleicht auch durch 
machtloje Darftellung des achten Heinrich feine Dauer bei uns fand, 
zeigte jih ein Trachten nach wirklichen Yebenspulfe. Er iſt ein ſehr 
aufmerffamer Beobachter für Motive und Technik und lernt jehr 
jchnell ; es tft gar wohl möglich, daß er noch ein wichtiger Producent 
wird für's deutjche Theater, In einem Stüde: ‚Die Diplomaten” 
— Alberoni in Spanien —, welches mit „Pitt und For’ einige 
Berwandtichaft hat, ging die Yeichtfertigfeit noch über „Pitt und 
Fox“ hinaus; aber feine fette Arbeit, „Der Nabob“, beichäftigt ſich 
ſorgfältig mit einem reichhaltigen Thema. Yord Clive, der oftindifche 
Held, ift diefer Nabob, und fein Procek vor dem englifchen Parla- 
mentsgericht in Pondon, in welchen fein Heldenthum und fein Geld— 
nehmen in Oftindien einander vie Wage halten, bietet eine intereijante 
Aufgabe. Es wäre fehade, wenn jich Gottſchall nicht die Muße er— 
zwänge, dem Drama all’ vie tieferen Reize abzugemwinnen, welche 
namentlich in ſolchem, allerdings nicht leicht intereffant zu machen 
ven Helden und in folchen Vorgängen ruhen. 

AL diefe deutſchen Dramatifer, welche fih auf dem Burg- 
theater binnen einem Jahre zufammenfanden, gehören zu ganz wer- 
ſchiedenen Negimentern, zum Fußvolfe, zur Neiterei, zum ſchweren 
Geſchütz, zur Genie- und zur Verpflegungstruppe. Welch ein volles 
Bild unferes Reichthums an Eigenthümlichkeit und Eigenfinn! Und 
jest, da ich fchliegen will, jeh’ ich in demfelben Jahre noch einen 
ganz neuen Kriegsmann zum erſtenmale auftreten, Morit Hartmann, 
einst lyriſcher Dichter und liberaler Flüchtling, welcher fo lange die 


Das Burgtheater. 427 


harten Stiegen des Erils getreten. Nothgedrungen hat er lange 
nur die fränfifche Bühne gefehen, und heitere Bilder find ihm ein- 
geprägt worden von der Scene. In einem zweiactigen Yuftjpiele, 
„Gleich und Gleich“, hat er diefe Eindrücke eingerahmt, aber der 
ernfte Dichter hat dem Thema doch einen gelehrten Untergrund ge— 
geben, auf welchem Sonnenblicde des Spottes und der Satyre jpielen 
fönnen. Die dichterifche Feder ift ſchärfer und fpiter geworden, je 
länger der Flüchtling erfahren Hat, auf welchen weiten Umwegen die 
Welt zu ihren Idealen marschirt, ach, marfchiren muß. Das Stüdchen 
machte mit feinen gelehrten und abjtracten Frauenzimmern eine 
heitere Wirkung, und wir hoffen, daß dieſe angenehme Antrittswifite 
einen weiteren Verkehr eingeleitet habe. 

Solch ein mannigfaltiges Jahr, mannigfach an dichteriſchen 
Perſönlichkeiten, Stoffen und Formen, ift doch jehr anregend, und 
ein jchöpferifches Theater bietet doch eine außerordentliche Fülle von 
geiftigem Sauerſtoffe. Machen wir uns klar, daß dies in folchem 
Maße nur auf dem veutichen Theater erreichbar ift. 

Aus diefer tiefen Verfchiedenheit der Autoren ergiebt ſich, daß 
unfer deutfches Theater zu einem viel größeren Inhaltsreichthume, 
zu einer viel größeren Mannigfaltigfeit ver Formen berufen ijt, als 
das franzöfifche, welches feiner Schablone fo ficher ift — daß unfer 
Theater aber auch viel jchwerer in Gang zu bringen und im Gange 
zu erhalten ift, weil die allgemein giltige Form fo ſchwer entjteht 
bei fo verfchienenartigen Künftlern, bei jo eigenjinniger Gering— 
ſchätzung ver unleugbar nöthigen Theaterform. 

Dieſe Theaterform, oder richtiger diefe Form des Theaterſtücks, 
ift ja nicht ein Werk des Zufalls oder der gedanfenlofen Ueber: 
lieferung. Das Bild, die Statue, Das Epos, der Roman, das 
Gedicht und jede Kunſtform haben ja tief liegende Gefeße, innerhalb 
welcher allein jie ihre Wirkung erreichen. So ift es auch mit dem 
Theaterſtück, und doch wird deſſen Technik faſt durchgängig von 
unſerer Kritik über die Achjel angejehen! Wohl ung, wenn unfere 


428 Das Burgtheater. 


jelbitjtändigen und charafterwollen Dichter ihre eigene Auffaſſung 
der Form im Sinne diefer technifchen Geſetze geltend machen. 
Wir werden dann das reichite Theater der Welt haben. Wehe uns 
aber, wenn unjere Charafter-Eigenheit diefe nothwendigen Gejete 
immer wieder despotifch migachten will. Wir werden dann ein jehr 
armes Iheater haben und vom Auslande borgen müfjen bei allem 
vaterländiſchen Ueberfluſſe an dichteriichen Originalen. 


XXXV. 


Das heitere Converſationsſtück und wirkliche Luſtſpiele belebten 
das Jahr 1864. Feuillet's „Vornehme Ehe“, die ſchon genannten 
„Pitt und Fox“, „Hans Lange“, „Gleich und Gleich“, kleine Ein— 
acte von Siegmund Schleſinger, „Die Dienſtboten“ won Benedix 
und der unglaublich einfache „Geadelte Kaufmann” von Görner 
füllten die Saiſon. 

Sollte man’s glauben, daß jelbit einfache, unpolitifche, ganz 
moralifche Lujtipielitoffe jahrelang nicht zugelajjen wurden! Und 
doch ijt vem jo. Und zwar um focialer Principien halber. Solch 
eine Streitfrage legte fich zurückſtauend vor das fleine niederländijche 
Gemälde: „Die Dienftboten‘”, und es vergingen mehrere Sommer 
und Winter, ehe die Stauung befeitigt werden Fonnte. 

Die harmlofen „Dienſtboten“ zurüdgewiejen? Ja. Und zwar 
aus Gründen, welche nicht unwichtig, welche wenigjtens charafteriftiich 
find. Hier folgen fie: 

Sie entiprießen dem Gedanfen oder doc der Gewohnheit, daß 
ein Hoftheater im Grunde nur für ein exelufives Publicum vor: 
handen ſei. Wie oft, wenn ich mich auf Gefchmad und Urtheil des 
großen Publicums berief, wurde mir entgegnet: „Das Publicum 
hat Sie gar nicht zu kümmern!“ — Und hier mit diejen „Dienſt— 
boten’ ftieß ich auf eine Anfchauung defjelben Gedanfens. Es war 
meine Schuld, daß ich überrafcht war; denn die Ablehnung diefes 
Stüdes war folgerichtig. Das Hoftheater ein ganzes Stüd lang — 


430 Das Burgtheater. 


wenn auch nur ein einactiges — der Dienerjchaft eines Haufes 
allein zu überlafjen, das — das erſchien unanftändig. Vielleicht 
nicht geradezu gemein, aber unanjtändig. Dafür, hieß es, ijt ein 
jolches Theater nicht da! 

Ich war verblüfft. Für die Kunſt iſt Alles da! wollte ich 
jagen, aber ich bemerfte jpät genug, daß ich eben einem Gedanfen- 
oder Gewohnheitsfreife gegenüberjtand, welcher aus einem Schloß- 
theater Pudwig’S XIV. das Wefen und den Charakter auch eines 
heutigen Hoftheaters ableitete, und dag all’ meine äjthetifche Beweis— 
führung unwirkſam verbleiben müßte, Ich flüchtete zu einem Bei— 
ipiele, von dem ich Wirfung verhoffte; ich berief mich auf nieder: 
ländiſche Bilder mit den gewöhnlichiten Bauernfiguren, Die hänge 
man ja doch auf in Galerien und vornehmen Salons als Kunjtwerfe 
— — ‚Aber diefe Bauernfiguren jprechen nicht!“ lautete die Ent— 
gegnung. 

Das mußte ich zugeftehen und war gejchlagen. Es vauerte, 
wie gejagt, mehrere Jahre, ehe dies Vorurtheil verblaßte. ALS 
Symptom ift e8 gewiß intereffant. Es gehört zu den zahlreichen 
Conſequenzen eines Runft-Injtitutes, welches einen ſpecifiſch joctalen 
Charakter geltend macht. 

Biel natürlicher war's, daß der folgende Chef den „Geadelten 
Kaufmann‘ beanjtandete. Ich hatte das ebenfalls Tange gethan. 
Eine ordinäre Komödie mit fo viel Trivialität erfcheint in der Lec— 
türe geradezu unmöglich für ein erſtes Theater. Dreimal hatte ich 
das Buch beifeitegelegt unter Kopfichütteln. Aber die Theater- 
berichte aus allen Städten meldeten fröhlichen Erfolg dieſer Komödie. 

Ganz ebenfo erging es mir fpäter mit den „Zärtlichen Ver- 
wandten” won Benedir. Mehr als dreimal jchob ich ſie von mir, 
weil ich die alltäglichen, übertriebenen und abgebrauchten Figuren 
und Scenen gar zu abgejchmadt fand für's Burgtheater. Und auch 
von dieſem Stüce melveten die Zeitungen aus allen Windrofen 
Erfolg auf Erfolg. 


Das Burgtheater. 451 


Nun, ein Theater-Divector muß wie ein Regent die einjtimmige 
öffentliche Meinung vefpectiven: ev muß fich täglich jagen: Man 
(evnt nicht aus, und jede Theorie muß immer wieder neu bei der 
Praxis in die Lehre gehen! 

Wir haben — nachdem ich die Manuferipte jo weit als mög— 
lich zufammengeftrichen — beide Stüde gegeben und haben mit 
beiden volljtändiges Theaterglüd gemacht. 

Beim Luftipiele darf man um des Himmels willen nicht vor— 
nehm jein wollen. In Lujtipielen, welche von PBraftifern herrühren, 
wie hier von Görner und Benedix, muß man wagen, va banque 
zu jpielen, Denn da liegen oft Momente verborgen von populärer 
Wirkung, welche die Stimmung auch eines vornehmen Publicums 
gewinnen und dadurd die Beleuchtung des ganzen Bildes veräns 
dern, Das Bedürfniß der Heiterkeit ift ganz außerordentlich in 
einem Iheater-Publicum. Dies Bevürfnif iſt ſelbſt graufam gegen 
die Bildung. Es verichlingt Trivialitäten, wenn dies unter vollem 
Lachen geſchehen kann. Der römiiche Ruf: „Schafft Brod und 
Spiele!’ ijt ewig. 

Je leichter obenein ein Publicum lacht, deſto vorfichtiger muß 
der Theater-Director fein mit Zurücdweifung von Luftjpielen ; denn 
es iſt unſchätzbar, fröhliche Unbefangenheit im Theater = Bublicum 
zu erhalten. Zwei Drittheilen des Publicums ift die Erwedung 
völliger Heiterfeit eine Haupteigenjchaft der Kunft. Und wer gut 
(acht, der weint auch gut, der gehört auch zum bejten Theile des 
Publicums im Schau: und Trauerjpiele. 

Es iſt dies eben die freie Hingebung an das Spiel, das Grund» 
element aller Kunst, und eine ſolche Hingebung ift die Grundbe- 
dingung eines lebenswollen Theaters. 

Kein Bublicum lacht jo leicht und jo gut wie das Wiener. Ich 
werde nie die Aufführung des „Marktes von Ellerbrunn‘‘ vergejfen, 
welche ich einmal im Dresdener Hoftheater geliehen. Während des 
ganzen Abends lachte im ganzen Haufe fein Menſch. Natürlich 


432 Das Burgtheater. 


fpielten auch die Schaufpieler vemgemäß. Wie es in ven Wald hin- 
ein fchallt, jo Schallt es heraus. Wenn die da unten feine heitere 
Wirfung melden, da werden ſie oben auch troden und trodener. 
Ih war alfo ver Meinung, das Stüc jet durchgefallen, denn das- 
jelbe Stück wird im Burgtheater fuftig geſpielt und luſtig aufge 
nommen. Keineswegs! Ich irrte mich, Das Publicum war zu— 
frieden; e8 ſchien nur gar nicht daran gewöhnt zu fein, daß man 
(aut lachen müffe, um fich luſtig zu unterhalten. 

Hier fommen wir auf einen Punkt, wo wir der alten jtrengen 
Genjurzeit eine gute Seite abgewinnen. Weil dem Burgtheater jo 
fange alles Moderne vorenthalten wurde, entſchädigten fich Reper— 
toire, Schaufpieler und Publicum durch forgfältigite Ausführung 
und aufmerfjamjte Hinnahme alter Stüde, namentlich alter Luſt— 
ipiele. Mean lernte die Citrone ausprejjen. Unſchuldige Heiterkeit 
war nicht verboten, und fo cultivirte man fie geradezu mit Raffine- 
ment. Das ift wichtig geworden und geblieben für das Luſtſpiel 
im Burgtheater; es wird da ausgeführt und ausgefojtet bis in die 
fleinjte Faſer. 

Sp haben denn auch die ärgſten Neider immer zugeben müfjen, 
daß im Burgtheater das Yuftipiel gut jet, weil — weil es gut ges 
jpielt werde. 

Der Tragödie im Burgtheater hat man nie fo viel Lob nach— 
jagen mögen, obwohl Sophie Schröder jo lange hier war, obwohl 
Anſchütz und Aulie Rettich feſte Stüten der Tragövdie hießen. Warum 
nicht? Das Publicum in Wien ift wirklich jehr lange fein Tra— 
gödien-Publicum geweſen. Der Unterhaltung nachjtrebend, hatte 
e8 feine Luft und hatte es wenig Uebung, fih in Schmerz zu vertiefen, 
den Schmerz in feiner läuternden Bewegung zu ſchätzen. Ein leich- 
ter Katholicismus, welcher das Gewiffen immer wieder leicht be— 
ruhigt, erzieht nicht für die Tragödie. Man findet fich ab mit ſen— 
timentaler Rührung und hat fein Verlangen nach gleichzeitiger Er— 
hebung. Dazu fam, daß man jahrzehntelang fein Tragödienherz 


Das Burgtheater. 435 


gehabt im Schaufpieler-Perfonale. Selbſt Sophie Schrövder hatte 
mehr die Größe und die Gewalt, als das Herz der Tragödie, umd 
namentlich tragijche Liebhaber und. Liebhaberinnen fehlten. Korn 
war ein trefflicher Puftipielfchaufpieler, nie ein tragifcher Liebhaber. 
Auch Löwe war eigentlich feiner bei all feinen glänzenden Eigen— 
Ichaften. Dieje Eigenschaften waren eben glänzend, aber niemals 
tief. Der. tiefe tragiiche Schmerz hat feine Seele nie berührt, 
Löwe hat ihn alfo auch nie den Zuhörern mittheilen fünnen, Nur 
Sophie Müller, welche ich leider nicht gefannt, hat, allen Schilverungen 
nach, ein tragifches Herz, einen tragifchen Ton beſeſſen. Sie wurde 
befanntlich nach wenigen Jahren in ven Tod geriffen. Ihre Nachfol- 
gerin Gley-Rettich hatte wohl alle geiftigen Mittel, aber die unmittel- 
bar fünftleriiche Macht einer tragischen Liebhaberin war ihr verfagt. 
Sie ſchil derte jchmerzliche Leidenſchaft, aber fie jtelfte fie nicht 
dar, Anſchütz Hatte einige Rollen, in denen er hochtragiſche Scenen 
traf, Zum Beifpiele die große Scene des zweiten Actes im „König 
Lear“, und wohl auch die letzte Scene. Was dazwifchen lag, fowie 
die Mehrzahl feiner fonftigen tragischen Rollen außerhalb der bürger- 
lichen Sphäre war immer reif und werthvoll, aber es entbehrte der 
Höhe. Figur und Sinnesart- unterjtüßten ihn dazu nicht hin— 
veichend. Die Sinnesart war bürgerlich und der poetifche Aus- 
druck war ein ſchulmäßig gebildeter, nicht ein direct aus feinem 
Wefen entjprofjener. Mean achtete das, man mußte es loben, aber 
den erwarteten Eindruck idealer Poeſie empfing man nicht, 

So erklärt ſich's, daß die Tragödie in zweiter Linie blieb. 
Das lebte Jahrzehnt ift darin weiter gefommen. Nicht bles darum, 
weil alle übrigen deutjchen Theater zurücgeblieben find und ung 
die Behauptung des erjten Plates erleichtert haben. Nicht blos 
darum. Der Einn der Bevölferung ift in feiner Tiefe viel mehr 
bewegt worden als früher, das Publicum ift ernfter und nachdenf- 
licher, die Jugend ift bedeutender geworden. Und auch die tragischen 


zum Theil ſchwächer in Behandlung der rednerifchen 
Laube, Burgtheater. 238 





4534 Das Burgtheater. 


Form — find im Naturell echter tragiih. Herrn Wagner ift 
Mangel an geiftigerv Bewegung worzuwerfen, aber jeine tragiiche 
Leidenſchaft ift jtärfer als die feiner Vorgänger, Fräulein Wolter 
hat ebenfalls eine uͤnleugbar jtarfe tragijche Gewalt, und Lewinsky 
ijt hinzugefommen, ein Charafterjpieler in der Tragödie, an welchem 
es weit zurüd im Burgtheater ganz gefehlt. Ya Roche, ein treff- 
liches Luſtſpiel-Naturell, war ja nie ein tragifcher Charafterijtifer. 

Darin alfo jind wir höher gerüdt, und im Luftipiel haben wir 
die Ueberlegenheit bewahrt. Namentlich in den eriten Sechsziger 
Jahren, als die alten Herren noch alle thätig waren, 

Mit wenigen Ausnahmen gehörte das ganze männliche Per— 
jonal zu Trägern und Werkzeugen des Xuftipieles, Hiebei ver- 
werthete e8 fich Hundertfach, daß man bei Engagements immer vor— 
zugsweife auf lebensvolle Perjönlichkeiten Rücficht genommen und 
weniger auf fachmäßige Schulfenntnif. Das fam dem Lujftipiele 
zu ftatten, das Lujtjpiel-Contingent war äußerjt zahlreich. Nicht 
nur Fichtner und Ya Roche in erfter Linie, auch Löwe hatte fcharfe 
Luſtſpielrollen, auch Anfhüt war gediegenen Humors. Alsdann 
Bedmann, der Hauptfeuerwerfer; neben ihm Meirner, Baumeifter, 
Arnsburg, Sonnenthal, Föriter, Gabillon, Lewinsky in alten 
Knaben, und jüngjte Yeute, wie Schöne, Hartmann und Kraſtel; 
Franz Kierfchner in fleineren Chargen, ja Mitglieder dritter Kate— 
gorie jtellten ihren Mann im Luftipiele, Schmidt in natürlicher 
Laune, Stein in derben Epiſoden. 

Wo war je ein deutſches Theater in ſolchem Umfange ausge— 
rüſtet für das Luſtſpiel! Die alten Herren in ihrer gefeſteten Macht 
ausgebildeter Perſönlichkeiten, in ihrer Macht langjähriger Uebung 
und Erfahrung, welche alle Neigungen des Publicums zu gewinnen 
wußten, und unter dieſen älteren Mitgliedern ein Mann wie Ficht— 
ner, ein Künſtler im Luſtſpiele ohnegleichen! Es vergehen oft 
Generationen, ohne daß der Bühne ein ſolches Talent ausgebildet 
wird — ein Talent von ſo künſtleriſcher Strenge und Feinheit, und 


Das Burgtheater. 435 


gleichzeitig von fo reiner Yiebenswürdigfeit, von jo anſpruchsloſem 
und doch fo wohlthuendem Humor. Neben diefen älteren Kräften 
aber ein Zuwachs junger Männer, welche Sinn und Geift ver 
neuen Zeit mitbrachten umd in täglicher Uebung, ich darf jagen in 
täglicher Anleitung dieſen Geijt entfalten lernten unter der täg- 
lichen Controle eines fejt gejchloffenen und dabei lebhaften Pu— 
blicums. 

Man hat es geradezu ſehen können, Schritt für Schritt ſehen 
können, wie alte und neue Zeit da harmoniſch in einander übergingen, 
wie eine junge Kraft gleich ver Sonnenthal's die Grundlagen Ficht— 
ner'ſchen Talentes ich allmälig aneignete und doch jelbitjtändig im 
geiftigen Lebenskreiſe heutiger Welt eine ganz neue Figur aus jich 
gejtaltete. Rollen des ganz alten Repertoires wurden da nie er 
reicht, denn fie gehörten in ven eigentlichen Yebensfreis Fichtners; 
in Rollen neuerer Zeit wuchs ihm Sonnenthal dagegen bald bis an 
die Schultern, und in Rollen neneften Datums zum Beifpiele 
im „Geheimen Agenten”, im Konrad Bolz aus den „Sournalijten‘ 
— war er ebenjo groß und war ganz anders. Die Uebung in mo- 
derner Geijteswelt brachte da ein neues, ein modernes Colorit. 

Der Wiener, welcher diefe Uebergänge und Entwidlungen mit 
aufmerkſamem Auge angejehen — und wie viele jolche Wiener giebt 
es! denn Wien ift jeßt der einzige Ort gewejen, in welchem ein 
mitjchaffennes Theater» Bublicum vorhanden geblieben ift — ſolch 
ein Wiener hat eine dramaturgiſche Periode vurchgelebt, welche 
für Erziehung und Erhaltung eines erjten Theaters unjchätber ift. 
Dies war damals ein Luſtſpiel, wird er noch in fpäten Tagen fagen, 
und leider müſſen wir jetst jchon hievon wie von vergangener Zeit 
erzählen. Aeußere Störungen und der umerbittliche Tod haben den 
reichhaltigen Kreis gefprengt. 

Der Tod hat uns auch Beckmann entrifjen. 

Die wirklich komiſche Kraft wird am höchſten geichätt von der 
Welt, gewiß am febhaftejten. Die Mehrzahl der Menichen hat 


28* 





436 Das Burgtheater. 


inftinetmäfßig das Bedürfniß, aufgeheitert zu werden. Jedermann 
jtrebt nach Glück, und heitere Stunden find für Jedermann ein Er— 
fat für Glück. Es giebt alfo nichts Populäreres als einen wirk- 
lichen Komiker. 

Beckmann war einer. Er war ein fomifcher Künſtler, ev war 
ein fomifcher Schaufpieler. Ob er in vem Maße als Schaufpieler 
begabt war, wie er es als Komiker war — das ijt allerdings eine 
weitere Frage. Er war immer Bedmann, heißt es. Das Kleid, 
die Masfe, welche -er trug, der Charakter, welchen er darſtellen 
jollte, mochten fein wie fie wollten, ev war immer Beckmann, jet 
man hinzıt. 

An diefem Vorwurfe ift etwas Wahres. Im jedem Kleide, in 
jeder Maske, in jedem Wefen drängte er zu dem Bedmann hin, 
welcher im Beckmann'ſchen Weſen komiſche Wirkung machte, Es 
gelang ihm faum, ja ev verfuchte es jelten, verjchiedenartig zu 
charafterifiven. Es lag nicht ganz außer feiner Fähigkeit, aber es 
überjtieg die Enthaltjamfeit, deren er fähig war. Dft war jeine 
Rolle ganz charakteriftiich angelegt auf der Probe, ja zuweilen jogar 
ausgearbeitet, und oft jpiefte er fie auch den erjten Abend charafte- 
riſtiſch — wenn fie in folcher Charakter-Begrenzung hinreichend 
wirkte, Hinreichend für feinen Hunger und Durjt nach fomijchem 
Effecte. Aber wenn viejer Effect ihm nicht füttigend genug ſchien, 
da warf er die Charafterfunft wie die Büchje in's Korn und rief 
flugs feinen Beckmann zu Hilfe, diefer Bedmann mochte zum Cha- 
rakter paffen wie die Fauft auf's Auge, um nur den fehlenden Effect 
einzuholen. „'s war nöthig, Doctor!” fagte er jehr ernithaft, 
wenn ich zu ihm trat und er Vorwürfe erwartete. Cr that's aber 
auch, wenn's nicht nöthig war, wenn Stüd und Rolle gefallen 
hatten; er begnügte fich bei ven Wiederholungen nicht mit jolchem 
harafteriftiichen Erfolge, ex befreite fich auch alsdann mehr und 
mehr von den Schranken, welche der Rollencharafter dem Beckmann 
auferlegte, und ein Feten nach dem anderen flog in die Yuft, bis 


Das Burgtheater. 457 


bei der zehnten Vorjtellung der unverftellte Beckmann dajtand und 
als jolcher jeve Bedmann’ihe Wirkung machte, weit über bie 
Grenzen der Rolle und des Stüdes hinaus. Den alten Herrn 
v. Eifenftein zum Beifpiele in „Cato von Eifen” brachte er in den 
eriten Vorſtellungen ganz charafterijtiich, allmälig aber wiſchte er 
alle befonderen Züge radical aus und war zulett ein allerdings 
höchſt Fomifcher Beckmann, aber gar nicht mehr ver alte Herr 
v. Eiſenſtein. 

Darin war er ganz wie ein Clown. Er fuchte und brauchte 
um jeden Preis großes Gelächter. Im Mittelalter, das nod) feine 
Hofichaufpieler fannte, wäre er gewiß ein Hofnarr geworden. Er 
hatte Dafür die ausgefprochenite Fähigkeit und auch die jtärfite 
Neigung. Die regierenden und vornehmen Herren waren ja auch 
heutigen Tages immer und überall beflifjen, ihn in ihrer Nähe zu 
haben, und er war äußerſt befliffen, in folche Nähe zu fommen. Er 
verjicherte zwar immer, wenn er aufgefordert wurde zu fomifchen 
Vorträgen, daß er leider gar feine Hilfsmittel, nicht einen lumpigen 
Zettel bei jich habe; aber wenn er num in Schuß fam, da zog er, 
wie Falſtaff, unbefümmert um die Fleine Lüge, aus allen Rocdtafchen 
die Zettel hervor, auf denen die Schwänfe und Wite ſkizzirt waren, 
welche er mit Meifterfchaft vortrug, völlig ein Herr v. Kreuzquer in 
den „„Pagenjtreichen‘‘, den er wie ein vwollendeter Tajchenfpieler 
daritellte, 

Laſſe man ich jedoch durch diefe Ausstellungen nicht verleiten, 
jeine jchaufpielerifche Begabung geringzujfchäten. Er beſaß fie in 
hohem Grade. Er verleugnete fie nur vielfach — aus Eitelfeit, 
aus Furchtfamfeit, aus Mangel an Charafterfraft. 

Aus Eitelfeit, weil es ihm unerträglich war, auf der Scene 
nicht den entfcheivenden Ton angeben zu dürfen. Aus Furchtſam— 
feit, weil er jeinen Ruf, feine Bedeutung bedroht glaubte, jo lange 
er auf der Scene nicht der Hahn im Korbe wäre und in enger Be- 
grenzung erjcheinen müßte, Aus Mangel an Charafterfraft, weil 


438 Das Burgtbeater. 


er eben nicht ven fejten Sinn beſaß, fich mit dem zu begnügen, was 
irgend eine Entjagung heifchte. Seien wir billig! Sit denn auch 
fejter Sinn vereinbar mit der Fühigfeit, welche er bejaß? Dieje 
Fähigkeit bejtand ja vorzugsweile darin, auseinanderzugehen in 
leichter Anwendung feines flüjjigen, witigen Geiftes. Wäre er 
feften Sinnes gewejen, jo hätten ja eben die hundert Späße nicht 
heraus gefonnt, die ihm aus allen Knopflöchern fprangen. 


Die komiſche Kraft in ihm beftand übrigens nicht aus dem 
groben Material eines urwüchjigen Komifers, der nur den Mund 
zu öffnen braucht, um Lachen zu erregen. Sie beſtand aus einer 
feinen Mifchung. Er war nicht nur behaglich, wie e8 der Komiker 
it, in feiner Komif war immer ein Funke Geift. Er war in der 
Behaglichkeit immer darauf bedacht, Sälz zu gewinnen und fein 
ausjtrömendes Behagen mit dem Salze zu würzen. Cr war immer 
auf den einzelnen Wit bedacht, und gerade deßhalb wurde er ein jo 
guter Unterhalter auch außer der Scene. 


In diefem Sinne war er auch felfenfejt in wörtlicher Kenntniß 
feiner Rollen. Hinter den Coulifjen war er ununterbrochen mit 
feiner Rolle bejchäftigt, und nur mit feiner Rolle. Das Wort, das 
genaue Wort war feine Wehr und Waffe. Auch alle Extraſpäße 
waren genau notirt in jeinen Rollen. 


Er ftammte aus Breslau. Sein Vater war Töpfer und hatte 
jeine Werfitatt in der Taſchengaſſe, dicht bei der fogenannten 
„falten Aſche“, dem alten Breslauer Iheater. Frübzeitig kroch 
Fritz da jeden Abend hinein, frühzeitig brachte er ſich da zu Fleinen 
Hilfsämtern. Zunächſt als Handlanger, denn der Handwerfers- 
ſohn griff Alles gefchiet an — lange nicht als Schaufpieler. Aber 
aufgewecten Geiſtes, jah er jpannend wie ein „Schießhund“ aus 
der Couliſſe zu, und als einmal eine feine Lücke entſtand, ſagte er 
blinzelnd zum Regiſſeur: „Die könnt' ich ſchon ausfüllen“. Hinaus 
alſo! Und wie ein Schießhund ſprang er ein. Da zeigte ſich's 


Das Burgtheater. 439 


denn, daß der frifche, exacte Burjche am Plate war und fich auch 
ven Plat bald erweitern fonnte. 

Gr fam von da nah Berlin an’s Königsſtädter Theater, 
welches damals das Luſtſpiel des Tages einführte, indem es ſich die 
fomifchen Figuren von der Gaſſe holte. In diefem Luſtſpiele des 
Tages fand er feinen eigentlichen Beruf: die wirklichen Figuren 
und Vorgänge mit witiger Slluftration hinzuftellen. Glaßbrenner, 
der erite Erfinder Berliner Volfsfiguren und Titerarifcher Berliner 
Wite, wurde ihn eine wichtige Hilfskraft, indem er ihm namentlich 
den Eckenſteher Nante jchuf und fchaffen half, die erjte populäre 
Volksfigur, welche für alle Beckmann'ſche Fähigkeit erwünfchte Ge- 
fegenheit bot. Dort und jo wurde er ein erjter Nomifer. 

Das war in den Dreifiger Jahren. Wir jungen Schriftjteller 
waren damals vielfach darauf bedacht, ihm Nahrung zuzuführen, 
weil er modernen Geijt in die Theaterfomif brachte. Ich ging ein- 
mal im Sommer 1839 zu Paris den Boulevard entlang und fah 
am „Vaudeville“, welches damals am Boulevard fein Haus hatte, 
ein kleines, neues Stüd angefündigt mit Arnal. Bei Arnal dachte 
ih an Bedmann und ging in’s Haus. Das neue Stücdchen war 
„Passe minuit‘“, und Arnal war überwältigend fomifh. Bon der 
Logenſchließerin erfaufte ich ein Eremplar, überjette e8 flugs, vie 
Handlung in unſere Heimath nach „Beuthen an der Oder“ ver: 
legend, und ſchickte es Beckmann unter dem Titel: ‚Nach Mitter- 
nacht” an die Königsftadt nach Berlin, Dreißig Jahre lang hab’ 
ich davon gelitten! Er war freilich fehr fomifch darin, aber er 
jpielte die Rolle durchaus nicht fo, wie ich es haben wollte. Ich 
verlangte paſſive Komif, da der ftörende nächtliche Bejucher die 
active Aufgabe hatte. Das war Bedmann nicht möglich; in paf- 
fiver Komik fühlte ev fich gedrückt; er mußte vordringen fünnen, er 
mußte die „Initiative haben auf der Scene, den Angriff, die 
Herausforderung mit Späßen, jonft verlor er Yaune und Muth. 
Beides verlor er auch unfehlbar, wenn ein neues Stüd nicht „ein— 


440 Das Burgtheater. 


ſchlug“, wenn jeine Rolle nicht „packte“. Da wurde er ganz 
Hafenfuß, jtöhnte „sauve qui peut“ und gab eingejchüchtert die 
Schlacht auf. 

1845 fand ich ihn im Theater an der Wien und gewann eine 
Einwirkung auf feine fernere Yaufbahn. Der damalige Chef des 
Burgtheaters, Graf Moritz Dietrichitein, der ein gewifjes Zutrauen 
in meine Theaterfenntniß zeigte, geſtand mir zu, daß eine Verjtärfung 
der fomifchen Kräfte — deren Hauptvertreter damals Wothe — 
wohl wünjchenswerth jei, daß er aber doch nicht ven Muth habe, 
den Poſſenſpieler aus der Vorſtadt hereinzunehmen. Ich fette ihm 
auseinander, daß Bedmann Fähigkeiten genug habe, nicht blos 
Poſſen zu jpielen, und daß er für das Burgtheater jehr erfrifchend 
jein würde. Nach wiederholter Unterredung jagte Graf Dietrichjtein: 
Sie werden Recht haben, und ich werd’ ihn engagiven. 1846 trat 
er ein und gehörte uns zwanzig Jahre lang zu unvergeßlicher Er- 
heiterung. 

Im Juni 1866 verſprach er mir troß des ausbrechenden 
Krieges, wor dem er ſich jehr fürchtete, mit mir nach Karlsbad zu 
gehen. Im Letten Augenblice übermannte ihn die Furcht, er ver— 
zichtete auf das Mineralwaſſer, welches ihn jo oft ſchon von feinen 
Leiden befreit, er blieb zurüd, und — ich ſollte ihn nicht wieder: 
jehen. Bielleiht hätte Karlsbad die Kataftrophe abgewendet! Als 
ic zurückkam, lag er im Sterben, und zwar unter grimmigen 
Schmerzen. 

Welch ein Hohn des Schickſals! Er, der weichite, wehleidigſte 
Menſch, zu ſolcher Marter verurtheilt, er, der jo viel Tauſenden 
das Leben erfrifcht, mußte unter jo furchtbarer Pein aus dem Leben 
ſcheiden! 


XXXVL 


Im Damenperjonale war das Yuftipiel-Contingent viel ſchwächer. 
Der Humor ift ja wohl immer jpärlicher vertheilt unter Frauen, 
denn er jeßt Gegenſätze im Innern woraus, welche für die Weiblich- 
feit nicht ohne Gefahr find, 

Die bejahrten Burgtheaterfreunde jprechen mit Entzüden von 
der Humoriftifchen Kraft der älteren Frau Koberwein. Ich habe fie 
leider nicht mehr gejehen, Seit ich das Perfonal genauer fenne, 
waren Frau Haizinger mit ihrer Tochter Louiſe Neumann und Fräus 
lein Wildauer die Anker für das Luftipiel, Und Fräulein Wildauer 
entwich uns leider frühzeitig. Sonftwar und ijt im Damenperjonale 
der ausgejprochene Humor ziemlich ſchwach vertreten. Frau Fichtner 
war nicht ohne ſarkaſtiſche Yaune; Frau Hebbel ift ferner, ven Meiſten 
unerwartet, für eine bejtimmte Gattung von Parodie und Charge 
wirfjam geworden ; Fräulein Grafenberg zeigte Anlage für fomijche 
Naturmädchen (Franzl im „Sonnwendhofe“); Fräulein Krat ent- 
wicelt merfwürdigerweife fajt nur dann Humor, wenn fie in Hoſen— 
rollen jpielt — ein Zeichen, glaube ich, dag fie eine humoriſtiſche 
Zufunft in älteren Rollen hat, und Fräulein Baudius wird in Rollen 
von geijtvoller Yaune, bejonders wenn jie ein wenig Malice ver- 
tragen, eine Specialität werden. Die übrigen Damen find mehr 
um Converjations-Stüde als im eigentlichen Puftipiele von Be— 
deutung. Nur Fräulein Bognar gewinnt auch einen rein heiteren 
Ton, und Fräulein Wolter hat auch humoriſtiſche Wallungen, 


442 Das Burgtheater. 


Das ſtärkſte Naturell lebenswoller Luſtigkeit befitt Frau Hai— 
zinger, ein Naturell von unverwüftlicher Yebensfraft. 

Ih habe jie jchon als Student, ſchon vor vierzig Jahren, ge- 
jehen. In Halle. Damals war fie jebsundzwanzig Jahre alt und 
war eine blendende Schönheit. Sie fang in der Oper, fie jpielte 
im Trauer, Schau- und Yuftipiele, wie dies in ökonomiſcher Zeit 
und bei reich ausgejtatteter Begabung Sitte war. Man wird jetst 
lächeln, wenn ih jage: Maria Stuart war die erite Rolle, welche 
ich die gefeierte Frau Amalie Neumann-Haizinger habe jpielen jehen. 
In einer verlafjenen Kirche — ich kann nicht dafür, das rationaliftiiche 
Halle mag es verantworten — war das Theater aufgejchlagen, und 
Bruder Studio ftrömte in hellen Haufen auch zur Probe hinem und 
machte der ſchönen ſüddeutſchen Blondine vie Cour. Es war mitten 
im Sommer, und e$ barrichte große Hite. Geiftreich beflagten 
wir darüber die junoniſche Königin von Schottland, und fie liſpelte 
erwidernd: „Auch diefer Kelch wird vorübergehen!“ und blidte da— 
bei mit jenem Lächeln, das ihr bis jekt treu geblieben ift, auf die 
bärtigen Jünglinge, unter denen nicht ein Frack zu finden war. 

Gebt Acht! — hieß es — die ift morgen im „Sprudelköpfchen“ 
noch patenter — dies war der damalige offtcielle Bea — als 
beute in der Schiller'jchen Tragödie! 

Die Luftipieldame wurde alfo gleich entdeckt, noch ehe fie ge— 
jpielt hatte. 

Amalie Moritadt, verehelichte Neumann und Haizinger, 1800 
in Karlsruhe geboren, figurivte ſchon als Backfiſchchen auf 
der Bühne und hat ihre ſchauſpieleriſche Ausbildung offenbar ganz 
naturaliſtiſch und vorzugsweile aus eigenen Kräften gewonnen. 
Am kleinen Hoftheater in Karlsruhe ſich entwidelnd, tft jie von 
eigentlicher Theaterfchule unberührt aeblieben. Ein wenig zu ihrem 
Nachtheile, aber auch fehr zu ihrem Frommen. Zum Nachtheile 
darin, daß fie fich die Kunjt des Sprechens nur durch Praxis hat 
aneignen müſſen. Aus ihrem guten Organe wäre noch viel mehr 





Das Burgtheater. 443 


zu machen gewejen, wenn man jie zeitig darauf aufmerffam gemacht 
hätte, daß der Ton von Innen nach Außen gebildet werden müſſe, 
nicht von Außen nach Innen. Zu ihrem Frommen aber darin, daß 
fie von jever Manierirtheit frei geblieben ift. 

Cie hat frühzeitig in Gaftjpielen ihr großes Talent geübt und 
namentlich in Berlin mit großem Glüde gefpielt. Dort fteht fie 
auch noch heute im beiten Angevenfen; das frifche, herzhafte, ſüd— 
deutſche Wefen, ver alemannifche, ſchwäbiſch angehauchte Ton voll 
freier Natürlichkeit ift ven dortigen Norddeutschen ein unvergeplicher 
Zauber gewefen. 

As Mitglied ift fie erſt 1845 ins Burgtheater getreten, und 
fie wurde hier in den erjten Jahren unter der Regieherrichaft nicht 
fonderlich gefördert. Sie geht aus dem Nahmen hinaus! fagte 
man, indem man ihr fröhlich natürliches Gebahren zum VBorwande 
nahm, und ihre unnachahmlichen jauchzenden Töne, wenn eine Iujtige 
Kataftrophe eintritt. Der wahre Grund lag aber in dem jtillen 
Geſtändniſſe: fie zieht vie Aufmerkfamfeit zu jehr auf fich und zieht 
fie ab von „unſeren“ fomifchen Alten; fie nimmt ferner Rollen in 
Anſpruch, welche wir brauchen. 

Ein Körnchen Wahrheit lag übrigens in jenem Vorwurfe vom 
„Rahmen“. Sie läßt jich gehen, wie es ihre Yebensfülle mit fich 
bringt; fie ift nicht ängſtlich mit Stichworten und überfpringt fie 
zuverjichtlich, fie hat endlich — und das ift oft jehr komiſch — feiner- 
lei Sorge um Localfinn und geht vergnügt durch die Wände ab, 
jtatt durch die Thür. Das ift aber auch Alles. Dies Körnchen 
Wahrheit geht unter in dem VBorzuge der Frau Haizinger, welcher 
gerade hiebei berührt wird. Ihr Grundvorzug bejteht nämlich 
darin, daß fie fich bis in ihr Alter die frifchefte Natürlichkeit bewahrt 
hat, daß fie immer unmittelbar lebendig erjcheint, niemals abge- 
dämpft durch irgend eine abjtracte Schaufpielerformel. Und ihre 
Natürlichkeit, ihre Lebendigkeit find zündend ; die Yebensfraft, welche 
von ihr ausjtrömt, iſt echt, iſt unverfälfchtes Quellwaſſer. Sie tft 


444 Das Burgtheater. 


vielleicht nicht jo jehr humoriftifch als fröhlih. Der Zuhörer fühlt 
jich belebt und erfrifcht, er vergißt den Fünftlichen Begriff eines 
Theaters, er ruft ihr zu, er jauchzt mit ihr, wenn fie jauchzt. Und 
fie thut das oft. Darin ift fie dem verjtorbenen Wilhelmt nahe 
verwandt, Der erwedende Yuftzug des wahren Talentes tritt mit 
ihr auf die Scene und verbreitet fich im ganzen Haufe. Ach, diefe 
Kraft eines ſtarken Naturells wird leider immer feltener auf dem 
Theater! It denn wirklich die Begabung fo ausgeftorben? Dover 
wird fie geknickt durch lauter Bildung? 

Es iſt wahr, diefe Art von Schaufpielern iſt durchſchnittlich 
nur begabt, jie belaftet und zerfplittert fich ven Sinn nicht durch 
Studien, fie macht fich nicht viel Gedanfen außerhalb ihres Derufs. 
Frau Amalie widmet ihre Mußezeit mit glücklichem Inſtincte dem 
„Fabuliren“, wie die Frau Rath, Goethes Meutter, gethan. Sie 
intereffirt fich für alle Vorgänge, fie Lieft alle Gattungen von Ro— 
manen. Die Fabel ift ja der ewige Neiz des Künftlerlebens ; wer 
ſich ihr Hingeben fannn unbefangen und ganz, der erhält fich den Zauber 
der Darftellung. An alles Mögliche glauben, mitunter auch an 
das Unmögliche, das gehört zum Odem eines Künftlers, welcher 
einen zuverfichtlichen Eindruck machen will durch feine Darjtellung, 
durch feine Täuſchung. Er foll uns ja täufchen, und je weniger er 
jelbjt an feiner Wahrhaftigfeit zweifelt, deſto beſſer täufcht er ung. 

In diefer Zuverficht Liegt die Hauptmacht der Frau Haizinger, 
und wenn dennoch ein Zweifel in ihr auffteigt, ob wohl die Dinge, 
welche fie vorträgt, gar zu romanhaft feten, da lacht fie auf mit 
jener abjoluten Ehrlichkeit und Ungebundenheit des Yachens, daR 
alle Welt mitlachen muß. Wird dadurch auch manchmal die voman- 
hafte Täuſchung zerftört, indem man daran erinnert wird, es ſei ja 
doch Komödie, was man da vor fich habe, nım, fo läßt man fich 
das auch gefallen, denn für anſteckende Fröhlichkeit ift Jedermann 
danfbar. 

Ein anderes wichtiges Mitglied des weiblichen Perjonals, 


Das Burgtheater. 445 


wecthvoll für ältere Charafterrollen im Converfationsjtüd und im 
Luſtſpiele, kündigte mir gegen Ende des Jahres 1864 fein Aus: 
ſcheiden an. Es war Frau Fichtner. Ich Hatte fie in ihrer 
Jugendzeit wenig oder gar nicht gejehen, aber ich glaube volljtändig 
der vielfachen DBerficherung, daß fie eine interejlante Luſtſpiel— 
Liebhaberin gewejen mit ihrem klaren Berftande und ihrer ficheren 
fünftlerifchen Haltung. Ich weiß nicht genau, war fie die Braut 
oder war fie die junge Frau Fichtner’s, als ich 1833 zum erſten— 
male im Burgtheater war und dies blonde Paar zum erjtenmale 
jah, ein Baar, fo friſch und vofig wie der junge Mai. Im Publicum 
börte ich lauter wohlwollende Bemerkungen über das intime Ver: 
hältniß diefer beiden jungen Yeute, die Heirath des Fräulein 
Koberwein und Fichtners war das allgemeine Gejpräch im Par- 
terre. Zum erjtenmale trat e8 mir damals nahe, wie familien- 
haft Publicum und Schaufpieler im Burgtheater zu einander 
gehörten. 

Die Vorzüge der ſpäteren Frau Fichtner waren unjcheinbar. 
Ich muß mir ſelbſt vorwerfen, daß ich fie nur langjam bemerft 
habe in ihrer ganzen Bedeutung. Sie waren folid und werthvoll. 
Klar vorbereitet über das ganze Stüd und über ihre Aufgabe in 
demfelben kam die Dame auf die Probe; mit feſten Strichen legte 
jie ihre Rolle an und führte jie diefelbe durch. Als ich darüber 
aufgeklärt war, ging ich an die Erweiterung ihres älteren Faches, 
in welches fie noch faum eingeführt war, und gab ihr die Herzogin- 
Mutter im „Geheimen Agenten‘. Das war ein großer Gewinn. 
Ein wenig vorfichtig ging fie daran, weil jie von den ftrengen 
Eonvenienzregeln des Burgtheaters fait gar zu ſehr durchdrungen 
und dadurch geradezu beengt war. Sie fürchtete bei jedem leb— 
haften Schritte die hergebrachte Linie zu überfchreiten; war der 
Schritt aber einmal fejtgeitellt auf der Probe, dann that fie ihn 
zuverfichtlih und tüchtig. Die ganze Leijtung jener Herzogin: 
Mutter wurde eine treffliche und it nie überholt worden, Cine 


446 Das Burgtheater. 


Darjtellerin älterer Damen mit bejtimmten Anfichten, mit eigenem 
Charakter, ja mit eigenfinniger Dartnäcigfeit, mit fchlagfertiger 
Aeußerung, mit wirffamen jarfaftiichen Tone jtand fertig da, wie 
fie in jo jcharfer Nuancirung und mit dergeftalt ſolider Zuverläſſig— 
feit jelten in viefem Nollenfache zu finden ift. Leider wurde jie 
bald durch Kränklichkeit jedem anjtrengenden Dienjte entzogen. Und 
der volle Theaterdienft nimmt viel mehr die phyſiſchen Kräfte in 
Anſpruch, als die Zufchauer ahnen. So entwich uns diefe haraf- 
terijtifche Kraft nur zu bald. Ich erwähne dabei nicht einmal der 
bejonderen Nervenſchwäche, welcher Frau Fichtner unterworfen 
war. Donnerwetter und Schießen fonnte fie niemals vertragen, 
jie war alſo von allen Stücken ausgefchloffen, in denen es donnert 
und fuallt. Immer fteigendes Nervenleiden verurfachte es, daR 
fie noch bei guten Jahren ven Penſionsſtand ſuchte. Und ad, 
dabei vernahm ich zum erjtenmale in bejtimmter Form, daß auch 
ihr Mann, daß auch Karl Fichtner zuriüctreten wollte. Cr hatte 
es oft angedeutet, indem er auf fein verfagendes Gehör und Ge 
dächtniß klagend hinwies jetzt wurde es alſo ſchwerwiegender 
Ernſt. 

Der Abgang Fichtner's war der größte Verluſt, welchen das 
Burgtheater erleiden konnte. Er war ein Mittelpunkt der Kunſt, 
ein Mittelpunkt der Liebe im Burgtheater. 

Solch ein Verluſt ijt nicht zu erſetzen. Ein voller Erfaß iſt 
freilich bei feiner ausgebildeten Künftlerperfönlichfeit möglich. Sie 
fommt nicht wieder, denn fie iſt das Ergebniß eigener Anlagen, 
eigener Studien, eigener Erfahrungen. Das Alles gehört 
einem Menſchen. Verſchwindet dieſer Menſch, dann tft es eine 
Täuſchung der hoffnungsbedürftigen Mitlebenden, er werde erjetst 
werden. Sein Fach wird wieder befegt, vielleicht auch gut wieder 
beſetzt; aber er ſelbſt verſchwindet, nım die Erinnerung an ihn 
bleibt, und dieſe kann als Beiſpiel fortwirfen. Der Neue, welcher 
an feine Stelle tritt, ſei er auch vortrefflich, ijt ein Anderer. 





Das Burgtheater. 447 


Und gerade Fichtner war ein Typus dejien, was jhön und 
lied am Wejen des Burgtheaters, ein Urbild des anmuthigen 
Schaufpielers, welcher milde Schönheit, liebenswürdige Menſch— 
lichkeit darftellt innerhalb bejtimmter Grenzen. 

Diefe Grenzichranfen waren für ihn aufgerichtet zwifchen aus— 
gelafjenem Luftjpiele und höherem Trauerjpiele, Alles, was inner 
halb dieſer Schranfen liegt, fand in Fichtner einen vollendeten 
Schanjpieler. 

- Und er war jo ganz ein Burgjchaufpieler, weil er feine ganze 
Entwicklung langjam und allmälig durchgemacht hatte unter all den 
Einflüffen, welche dem Burgtheater eigenthümlich find, — Vom 
Theater an der Wien war er herübergefommen, ein jchmächtiger 
junger Menjch ohne Halt und Feftigfeit, welchem der vorlaute 
Spott noch öfters nahetrat. Yangjam und allmälig hatte fich jein 
Talent entwidelt, aber jtetig, vegelmäßig, gleichmäßig in allen 
Theilen jeiner Fähigkeit. Und deßhalb harmonisch. Alles an ihm 
war Talent; der Geift und die Yeidenjchaft oroneten fich bereit- 
willig unter, und da die innerjte Natur von Haufe aus rein und 
gut gewejen, in aller Folge vein und gut verblieben war, da die 
förperlihe Erjcheinung endlich von jeltenem Ebenmaße, durchweg 
von den Örazien begünjtigt war, jo erwuchs in ihm eine fünftlerijche 
Perfönlichfeit ohnegleichen. 

Man hat wohl gefragt, ob jeine geiftige Kraft eben fo groß 
gewejen ei, wie die feines Talentes? Die Frage ift da faſt müßig, 
wo uns volle Harmonie im Kunſtwerke entgegentritt. Sie tft erit 
berechtigt, wenn es fich um die Größe des Kumjtwerfes handelt, und 
Fichtner entjagte nur zu gern Aufgaben, welche ihm über jeine 
Begabung hinaus zu liegen jchienen. Er war ganz Künjtler, Im 
einem jolchen find alle Theile ver Begabung, namentlich Geiſt und 
Talent, unfcheinbar wie untrennbar verbunden; der Geift ijt ein- 
verleibt, das Talent iſt vergeiltigt. Fichtner ijt, um es recht einfach 
auszudrüden, ein verjtändiger Mann, welcher bei der vorliegenden 


448 Das Burgtbeater. 


Aufgabe immer jehr gut wußte, was der Geiſt derſelben beveutete 
und forderte. 

Als praftiiher Nachweis für diefe Frage um den Geift mag 
Folgendes dienen: Wenn Zweifel herrichten über die Wirfungs- 
fähigfeit eines neuen Stüdes oder auch eines neuen Menſchen, da 
wendete ich mich am Liebjten an die Männer des Talentes, wie 
Fichtner, mit einer Anfrage. Was die Leute von bios geiftiger 
Bildung zu jagen hatten, das genügte mir jelten; ich hatte das 
Bedürfniß nach einem Urtheile, welches aus einem ganzen, aus 
einem fFünjtleriichen Menfchen heraustritt. Und das bat ſich mir 
immer bewährt. Solche Menfchen zeichnen ſich allerdings nicht 
aus durch geläufiges Reden über Theorien ; ihre geijtige Kraft iſt 
eben tief verwachjen mit ihrem Talente, und gerade darum ift ihr 
Talent jo mächtig, und gerade darum find die theoretischen Redner 
gewöhnlich jo schlechte Muſikanten, weil fie nur geiftreich über das 
Spiel zu ſprechen, im Spiele jelbjt aber den Geift nicht einzuver- 
leiben wiſſen. Ginverleibt ijt ver Geijt eben nur beim wahren 
Künftler. Und ein ſolcher war Fichtner. 

Wenn ich ſelbſt diefe oder jene Leiſtung Fichtner's niedriger 
jtelle, weil mir ver Geiſt in derjelben nicht ſcharf und leuchtend 
genug wiedergegeben erjcheint, jo iſt dies eine Abftufung, welcher 
jedes Talent, auch das größte, ausgeſetzt iſt. Jedes Talent hat 
jeine ftärferen und jchwächeren Seiten, und im Fichtner’fchen 
Talente jtand der rein geiftige Nachdruck nicht jo hoch, als der 
herzliche, der liebenswürdige und der heitere Nachdruck. Deßhalb 
entbehrte er des geiltigen Nachdrudes feineswegs. 

Das ift aber Alles Splitterrichterei, wenn man Fichtner 
ſchildern will, Man ftelle fich ihn vor als Naturburſchen, als 
jungen Liebhaber, als luſtigen Yiebhaber, als ehrlichen, herzlich 
tüchtigen Ehemann, als gepeinigten und in jeiner Bein fein fomijchen 
Ehemann, als unbefimmerten, fröhlichen Yebemann, als edlen 
Dulder, welchem das Herz bricht, aber nicht das Wohlwollen für 


Das Burgtheater. 449 


die Menjchen, als Mann von warmer Begeifterung, als fomifchen 
Pedanten, als entrüfteten Verfechter der Wahrheit — wie lange 
fönnte ih aufzählen! Und nun vergegenwärtige man fich dieſe 
Ihöne Gejtalt von Mittelgröße, diejes evel gefchnittene Antlitz mit 
guten oder mit lachenden Augen, dies milde, nach allen Richtungen 
hin ausgiebige Organ, dieſe Grazie in allen Bewegungen, auch in 
den ausgelafjenjten, dieſe wohlgebilvete, jo bereptjame Hand, und 
all dieje Eigenschaften immer in wohlthuender Bewegung durch ein 
Temperament, welches jeder Regung gejchmeidig angepaßt und hin- 
gegeben war, dem jchnurrigen Naturburfchen wie dem gemüthlichen 
Freunde, dem tüchtigen wie dem fomifchen Chemanne, dem luftigen 
Lebemanne wie dem janften Dulver, dem begeijterten Enthufiajten 
wie dem bornirten Kauze — das war ein Schauspieler, wird man 
rufen, wie er der Kunſt nur in glücklichſter Stunde gefchenft werden 
fonnte, „So mifchten fich die Elemente in ihm“, daß Alles an ihm 
zur Anmuth und zur Wohlthat wurde, 


Als er ſchied und die Ovationen ihn überjchütteten und man 
ringsum hörte: Alles, was Fichtner gejpielt, hat er ſchön gejpielt 
— da rief ein Neivhammel im höchiten Aerger: Und warum? 
Weil er nie eine undanfbare Rolle gejpielt. Auch nicht die kleinſte 
bon den Fleinen, die er übernommen, war undanfbar! 


Der Mann hatte Necht, aber gegen jeine Abficht. Alle Rollen 
wurden in Fichtners Händen danfbar. Sie waren in feine Yiebens- 
würdigfeit getaucht, fie waren belebt durch feinen Künftleriinn. 
Und bier fieht man's, was Künjtlerfinn bedeutet und bedeuten 
ſoll: was er angreift, ſoll ev weihen und erheben. Die Kunjt 
iſt eine Yäuterung. Das Schlimme macht fie deßhalb nicht gut; 
jie macht es bedeutend, fie zeigt es als treffenden Schatten einer 
lichten Sonne. 


Fichtner hatte auch eine Flare Empfindung darüber, daß er 


in der Wahl der Rollen eine gewiffe Grenzlinie nicht überjchreiten 
Zaube, Burgtheater. 29 


450 Das Burgtheater. 


dürfe. Eine volle Schattenrolle war nicht für ihn, er hatte zu 
viel Sonne. 

In Betreff diefes Punktes war ich zuweilen anderer Meinung 
als er. Es war herkömmlich, daß jede abjonderlihe Nolle, für 
welche fein Vertreter irgend eines Faces paſſen wollte, an Fichtner 
getwiefen wurde. Neben feinem großen Face jeglicher Liebens- 
würdigfeit wurde noch feine reiche Gejtaltungsfähigfeit in Anſpruch 
genommen. Man wuhte, daß eine unberechenbare Figur unter 
jeinen glücflichen Händen immerhin intereffant werden und jeden- 
falls die Wivderwärtigfeit verlieren würde. Da verneinte er num 
manchmal, was ihm angejonnen wurde, Zum Beifpiele den Hof- 
marichall Kalb. Ich bin nicht ganz im Neinen, ob da eine Fleine 
Schwäche ver Eitelfeit mitipielte — von welcher er ſonſt gänzlich 
frei war — oder ob e8 tiefer fünftlerifcher Injtinct war, den man 
durchaus refpectiren muß. Ich neige zu vem Glauben, daß er 
noch viel mehr gefonnt hätte, als er ſich zutraute, wenn er frühzeitig 
auch mitunter an herbe Charafteriftif gebracht worden wäre. 

So wie er geworden war unter den Aufgaben eines Neper- 
toives, welches bis 1848 beichränft und namentlich in enge Bürger: 
fichfeit eingeengt wurde, war der große Umfang feines Talentes 
durch folgende Endpunfte begrenzt: im ernjten Drama durch die 
ideale Tragödie, im Yuftipiele durch Nichts. Das ältere Wiener 
Publicum wird mir Unrecht geben, wenn ich in der idealen Tra— 
gödie eine Begrenzung für ihn finde; es war auch da in Allent 
erbaut von ihm. Und er hatte auch in der ivealen Tragödie treff- 
liche Rollen. Ich nehme nur diejenigen Rollen aus, welche rein 
idealen Schwung des poetiichen Gedanfens erheifchen. Dieſen 
idealen Schwung verwandelte er in einen herzlichen. Es war ein 
Schwung des Gemüthes, nicht auch des Geiftes. Er fpielte in den 
eriten Fünfziger Jahren aus Gefälligfeit noch einmal den Don 
Carlos, und dies war ein Don Carlos früherer Zeit. Nicht wegen 
Mangels an jugendlichem Ausjehen und Weſen — dies blieb ihm 


Das Burgtheater. 451 


ja treu wie einem Halbgotte bis zu jeinem Abgange — jondern 
wegen Mangels an Idealismus. 


Diefer geijtige Hauch, welcher über alle Bedingungen des 
realen Yebens hinausweht, war ihm faum erreichbar, Und ein 
geiftiges Etwas, welches jchonungslos über die Gonvenienzen des 
gefellichaftlichen Yebens hinwegipringt, verjagte ihm auch bei Con— 
verjations-Nollen, jobald fie dies unverichämte Etwas abſolut 
brauchten. Zum Beijpiele beim Marquis v. Auberive in der 
„Deffentlichen Meinung‘. Das Publicum übrigens war auch da 
nicht von meinen Anjprüchen, es war von der allerdings blendenden 
Erſcheinung des alten Marquis jo befriedigt, daß es die unzureichend 
geichärften Worte dankbar hinnahm 


Nach der heiteren Seite gab es feine Grenze für ihn, als 
die des Gejchmades. Sein wohlthuender Humor war unerjchöpf- 
(ih. Gr fonnte jo fröhlich und fo komiſch jein, wie es fein Tact 
nur zuließ. 

Das Mafhalten war fein clafjiicher —— und durch ihn 
adelte er die ausgelaſſenſte Rolle. 


Solch ein außerordentliches Talent zu verlieren — außer— 
ordentlich durch die ihm innewohnende Liebenswürdigkeit —, war 
ein unbeſchreiblicher Berkuft für das Burgtheater. Er trat zurück, 
weil er müde war nach‘ vierzigjähriger Thätigfeit, weil ihm trotz 
größten Fleißes das erfchöpfte Gedächtnig unüberwindliche Schwie- 
rigfeiten machte. Wie oft fam er auf die Probe, fertig wie immer 
mit der ganzen Anlage der Rolle, fertig auch mit Einlernung der 
Worte, und nım beim Eintritt in das Getümmel des Stüces blieben 
ihm doch die Worte aus, und das Blut ftieg ihm zu Kopfe, und 
der Mißmuth über ſein Unvermögen brach aus. Geholfen aber 
konnte ihm nicht werden, der Souffleur war für ihn nicht vorhanden, 
ſchon darum nicht, weil ein Ohr für immer ſchwerhörig geworden 
und der Blutandrang ihm nun auch den Gebrauch des anderen 


29* 


452 Das Burgtheater. 


befchränfte. Dann vief er wohl verzweiflungsvoll aus: Meine 
Zeit iſt um! 

Er hat fie redlich benützt. Das Wiener Publicum, das Burg: 
theater, das deutſche Theater iſt ihm zu jtetem Danke verpflichtet ; 
er hat feine Zeit beglüden, ev bat feine Kunft fördern helfen als 
einer der Erjten in feiner menfchlichen Einfachheit, in feiner fünjtle- 
rischen Tüchtigfeit — möge ihm die Muße den Yebensabend freund- 
lich vergolden! 


XXXVIL 


Gegen Enve dieſes Jahres 1865 verließ uns auch der Neftor 
unferes Schaufpiels — Heinrich Anfhüt ſank in’s Grab. Hoc 
betagt, veich an Ehren, tief betrauert. 

Seit 1821, alfo vierundvierzig Jahre, hatte er dies Haus am 
Michaelerplage tragen helfen, eine funftreiche, unerjchütterliche 
Granitſäule. Wirklich war er das granitene Fundament des höheren 
Schaufpiels gewefen für umd für. An Widerfachern hatte es auch 
ihm nicht gefehlt, denn „die ſchlecht'ſten Früchte find es nicht, woran 
die Wespen nagen“. Namentlich in den Bierziger Jahren war er 
durch den befannten Spott und Hohn Saphiv’s verfolgt und als 
Patron der Hausmeifter carifirt worden, weil er durch feine breite, 
langſame Sprechweife dafür forge, daß die Theaterabende erſt nach 
sehn Uhr zu Ende gingen und den Hausmeiftern dadurch die Sperr— 
frenzer der heimfehrenvden Theatergänger gefichert würden, Anſchütz 
jelbft hat mir mehrmals mit überlegener Ruhe erzählt: „Der 
garitige Mann ſaß öfters ganz vorn auf einem Sperrfite, die Uhr 
in der Hand, und zeigte die Uhr rechts und links, um nachzumweifen, 
wie viel Zeit ich ungebührlich in Anfpruch nähme, Ich mußte es 
jehen und ſah es; aber es hat mich nicht irregemacht“. 

In der That hatte Anſchütz während der BVierziger Jahre 
weniger Gelegenheit, hervorzutreten, als ev während der folgenden 
Jahre unter meiner Direction gehabt hat, und man fchilverte mir 
ihn 1849, da ich eintrat, als einen Greis, der fehr nachgelaffen 


454 Das Burgtbeater. 


habe in Kraft und Friſche. Sch theilte dieſe Anficht gar nicht, ob- 
wohl ich über ven Kern feiner Wirffamfeit ganz andere Gejichts- 
punfte hatte, als feine Verehrer mir einräumten, und er ift von mir 
in feinen alten Tagen die fünfzehn Jahre lang ungemein und nach: 
drüdlich in Anfpruch genommen worden. Gr hat fehr viel gejpielt, 
mehr als in den vorhergehenden fünfzehn Jahren, und er hat Stand 
gehalten wie ein Jüngling. 

Es gehört zu den abgeſchmackten Halbwahrheiten, daß ich die 
verdienten älteren Mitglieder zurücgejett hätte. Solcher Thorbeit 
habe ich mich nicht ſchuldig gemacht, vorhandene außerordentliche 
Kräfte nicht zu benügen. Ich habe fie im Gegentheile jtärfer be- 
nützt, als die mir vorausgehende Direction gethban. Nur habe ich 
fie vielfach anders benütt, als die Berehrer um jeden Preis ges 
wünſcht, ich habe fie bejchäftigt im Zufammenhange und Einflange 
mit unferer Zeit, im Zufammenhange und Einflange mit ihren ge- 
alterten Fähigkeiten. Zum nachwachjenden Perjonale und zu neuen 
Aufgaben mußten fie in ein neues Verhältniß treten. Das verfennt 
der oberflächliche Zufchauer Leicht, defjen Glaubensbefenntniß vie 
bloße Gewohnheit. Man verderbt, ja man vernichtet alte bewährte 
Kräfte am ficherften dadurch, daß man fie in hergebrachter Breite 
wirfen und ihnen auch alle die Aufgaben läßt, für welche frijche 
Kräfte nöthig geworden find; man zerbrödelt fie, wenn man fie nicht 
veranlaßt, neue Schöpfungen zu verfuchen, welche dem älteren 
Standpunkte ihrer Kräfte angemefjen find. Letzteres erfrijcht fie 
am meijten, und das ift mir bei Anfhüt und Fichtner oft in über: 
rajchender Weife gelungen. Fichtner zum Beifpiele hat mich in 
diefen fünfzehn Jahren um Nichts jo oft gebeten als darum, ihn — 
doch etwas weniger in Anspruch zu nehmen. Seweilige Berjtim- 
mung diefer älteren Mitglieder ift vorzugsweife aus der Geldfrage 
entjtanden, auf welche ih nur einen ganz befchränften Einfluß hatte. 
Ihre Gehalte jtammten aus wohlfeilerer Zeit, und es war natürlich, 
daß ihnen die hohe Gage junger Mitglieder wie Ueberſchätzung er— 


Das Burgtheater. 455 


ſchien. Die Preije waren eben geftiegen. Eben jo natürlich war 
es aber auch, daß die oberjte Direction bei voller Würdigung älterer 
Mitglieder fich nicht beeilte, ven Gehalt da zu erhöhen, wo jie des 
Befites ficher war. Der Etat geftattete es nicht, da man die neuen 
Kräfte nicht wohlfeil haben konnte. 

Anſchütz namentlich mußte einen Theil feines Faches aufgeben, 
und das wirft nie erheiternd. Ich fand ihn noh im Befige aller 
älteren Helden, da Yöwe ihn hierin nirgends erjegen gefonnt, weder 
im Othello, noh im Macbeth, noch im Tell. Rollen aber, 
welche eine noch grünende Männlichkeit verlangten, wie Thejeus in 
der „Phädra“, der in Piebesfrage fteht mit feiner Gattin, paßten 
durchaus nicht mehr für ihn. Dafür fam neu ver Erbförfter an 
ihn, Mattathias in den „Makkabäern“ und eine große Anzahl ähn- 
licher Rollen. 

Worin bejtand nım das Charafteriftifche des Anſchütz'ſchen 
Weſens? Er ftammte aus einem Bürgerhaufe, welches aus der 
Lauſitz nach Leipzig libergefievelt war, Im ver Fleinbürgerlichen 
Welt wurzelte feine Erziehung und in ver guten Schulbildung 
ſächſiſchen Unterrichts feine wiljenichaftliche Grundlage; in der be— 
geifterten Hingabe an poetifche Claſſiker aber erbaute fich feine ideale 
Welt. Goethe und Schiller ſtanden in voller Blüthe, als er ein 
junger Menſch war; Schiller's Tod erichredte die Welt, als An— 
fhüß ein angehenver Jüngling war. Die von 1799 bis 1805 all- 
jährlich erfcheinenden neuen Tragödien Schiller's von „Wallenſtein“ 
bis zum „Zell“ waren noch frifch und neu, als der Gymnafiaft 
Heinrich Anſchütz an die Lectüre derjelben fam, und auch der an- 
gehende Student wußte und fah den noch rüftigen Goethe in der 
Nähe. Weimar war nur zwölf Meilen weit. Während des Som- 
mers fam Goethe in's Bad Lauchſtädt, nur einige Meilen von Yeip- 
zig, und da hinüber vitten die Yeipziger Gymnaſiaſten, pen großen 
Dichter auf ver Promenade over im Theater zu jehen, wo jeine 
weimar’fchen Künftler jpielten. Cs war fein Wunder, daß Neigung 


456 Das Burgtheater. 


zur Kunſt früh in Anſchütz erwachte, befonders Neigung zu Vortrag 
und Declamation — er unterbrach die begonnene wiſſenſchaftliche 
Laufbahn und ging zur Bühne. 

Er brachte alſo dieſer Laufbahn eine wiſſenſchaftliche Grund— 
lage zu und ein ideales Streben. In Nürnberg begann er, und 
hoch im Norden, in der Provinz Preußen, verbrachte er ſeine Lehr— 
zeit, wenn man bei ihm won Lehrzeit ſprechen darf. Er hatte früh— 
zeitig etwas Gefettes und Neifes und fpielte auch in feiner Jugend 
nicht das eigentliche Fach ver jugendlichen Liebhaber. Junge Hel- 
den, gute Charaftere waren feine Anfänge, und die Ausbildung des 
Bortrages iſt ein Ausgangspunkt für ihn gewejen. 

Die weimar'ſche Schule hat ihm offenbar da vorgeſchwebt, der 
erhöhte poetifche Vortrag nämlich, welcher von Goethe gepflegt und 
eine Declamations- Schule geworden, ſpäter wohl auch in eine 
Declamir-Schule ausgeartet ift. 

Ich halte es für ſchwer nachweisbar, daß dieſe Schule von 
Goethe jelbjt ausgegangen ſei; fie ift wohl nur unter feiner 
Dberaufficht entjtanden. Obwohl er jo lange Director gewejen, 
war er doch nie eigentlich ein Mann des Theaters. Man wird das 
nie, wenn man nicht ſelbſt gründlich ein dramatiſches Naturell ift, 
und das war Goethe nicht. Auf dem beften Wege zur dramatifchen 
Form, im „Clavigo“, wo große Scenen und der ganze vierte Act 
in echt dramatischer Form entjtanden, ließ er fih durch Merck ab- 
ſchrecken, und er ift nie wieder in diefen dramatifchen Gang zurüd- 
aefehrt. Er hatte in feinem umfajjenden Genius auch für dieſe 
Form große Anlagen, aber jeine Hauptneigung lag da nicht. Er 
hätte jich jonft gewiß nicht durch Merk's Spöttereien vom drama— 
tiichen Wege abwenden laſſen. 

Sp fam es, daß der unmittelbare Ton, der jtreng dramatifche 
Ton ihm nicht im Vordergrunde jtand, als er das Theater leitete, 
Der erhöhte Ton wurde Hauptjtreben. Die Anfnüpfung an die 
alte Götterwelt war ja gäng und gäbe in der Poefie; das Alt 


Das Burgtheater. 457 


elaffische ver griehifchen Welt war geläufig wie eine Claviatur, fie 
brachte von jelbft eine Steigerung des Tones mit ſich. Man jpricht 
von Zeus Kronion nicht in gelaffener Neve, und man jchrieb feine 
Proja. Der Vers war umerläßlih. Ihn getragen und ſchwung— 
haft zu jprechen war Hauptaufgabe; den Rhythmus ſchön zu bes 
tonen war ftetes Ziel — und fo entjtand wie ein poetifches Natur: 
product die fogenannte weimar'ſche Schule, ein Gefchenf der clajji- 
ſchen Stimmung viel mehr als das Product eines dramatifchen Direc— 
tors, ein Geſchenk der Schönheit für uns, wie die unfterblichen Meifter- 
werfe Goethe's und Schiller’s aus jener Zeit für uns waren und find. 

Schiller felbft übrigens, obwohl in der parhetifchen Rede viel 
hingebenver und klangvoller als Goethe, war auf dem Theater nicht 
jo hingebend an die blos rhythmiſche Vortragsweile. Das ent- 
nehme ich aus fleinen Notizen, welche aus einigen Theaterproben 
auf ung gefommen find. Schiller hielt diefe Proben auf der weis 
marichen Bühne und erwies fich bei diefer Gelegenheit abweichend von 
der eingeführten weimar'ihen Art. Eben weil er im Innerjten viel 
mehr Dramatifer war als Goethe, drang er auch beim Einftudiren viel 
mehr auf dramatische Einfchnitte, auf Abjonderung in der Rede, auf 
klare Ausicheidung des Bedeutenden, auf Unterbrechung der blos muſi— 
faliichen Declamation. Ich glaube wohl, daß die weimar’iche Schule 
eine jchärfere Phyſiognomie erhalten hätte, wenn ihm ein längeres 
Leben bejchieden gewejen wäre. 

Diefe Declamations-Schule nun verbreitete fich gerade durch die 
überall mit Begeifterung aufgenommenen Schiller'fchen Stücke über 
das deutſche Theater. Zur einiger Beunruhigung für Männer wie 
Schröder und Iffland. Und diefe Beunruhigung hatte guten Grund. 
Die natürliche Rede, die einfache Nede war bedroht. Man fann die 
getragene rhythmiſche Rede pflegen, ohne die einfache Rede zu verlieren. 
Iffland fürchtete diefen Verluft. Bekannt ift ja, wie er ſich über die 
„Sungfrau von Orleans‘ äußerte. Der Krönungszug war ihm ein 
Gräuel; er fprach darüber, wie wir jet über Opernprumf fprechen. 


458 Das Burgtheater. 


Pomp in der Rede, Pomp auf der Scene, das war dem damaligen Di- 
rector des Berliner Hoftheaters eine ſchwere Gefahr. Diefe Gegenfäte 
find weniger befannt geworden, weil die Schröder-Iffland'ſche Nich- 
tung fich nicht fchriftitellerifch geäußert hat; die geiftig beveuten- 
deren Schaufpieler jener Zeit aber wußten gar wohl davon, und die 
Tradition diefes Zwiejpaltes war unter den Veteranen der deutjchen 
Bühne noch vor zwanzig Sahren lebendig. Jetzt jtirbt fie aus; das 
moderne Theater bewegt ſich in anderen Gegenjäßen. 

Heinrich Anſchütz iſt auch darum wichtig geworden für bie 
deutfche Bühne, weil er in beide Richtungen eingeführt wurde, 
in die weimar’fche und in die Schröder - Ifrland’sche, weil er ein 
fange lebender und wirfender Bertreter beider Richtungen ges 
wefen ift. Iffland dirigivte noch in Berlin, als der junge Anſchütz 
durchreifte, um nach Königsberg und Danzig zu gehen; die Schiller- 
fchen Stücke waren die Feſtſtücke, die Iffland'ſchen die Werfeltags- 
ſtücke des Nepertoires; der junge Schaufpieler mußte die jo ver: 
fchievenartige Vortragsweife in fich zu vereinigen trachten, Das 
hat Anſchütz zuwege gebracht, und dies befonders macht ihn zu einer 
fo beveutungsvollen Figur in der Gefchichte des deutjchen Theaters. 
Nach den franzöfiichen Kriegen finden wir ihn jahrelang am Bres- 
lauer Theater, und dort hat fich diefe Aufgabe einer Vermittlung 
zwifchen poetifcher und profaifcher VBortragsweife deutlich in ihm 
bewerfitelligt. Als Repräfentant folcher Vermittlung fam er 1821 
an's Burgtheater. 

Hier hat er das bürgerliche Wefen feiner Herkunft und die 
poetische Begeifterung feiner Jugend vwerwerthet, hier hat er für 
beide Richtungen, für die Schröver - Iffland’fche und für die wei- 
mar'ſche, wohlthuend gewirkt, indem er die profaifche Vortragsweife 
an geeigneten Stellen bedeutender gemacht hat, als fie gemacht zu 
werden pflegte, und indem er die poetifche Vortragsweiſe aus der 
blos mufifalifchen Singweife dadurch erlöfte, daß er fie zum klaren 
Ausdrucke des Sinnes nöthigte. 


Das Burgtheater. 459 


Anſchütz Hat fich ganz fern zu halten gewußt von der Ausartung 
der weimar'ſchen Schule, welche jo viel Verſchwommenheit in die 
Theateriprache gebracht, den Sinn verwifcht und das hohle Trage: 
riven verschuldet: hat. Er wurde ein notabler Declamator, aber 
ein guter. Er trachtete nach Weihe und Schwung, aber nur auf 
dem Wege des Sinnvollen; er erflärte den Gedanken mit logifcher 
Sicherheit, er gruppirte die Nede mit ordnendem Berjtande und 
warf den jtarfen Hauch des Schwunges nur dahin, wohin er gehörte. 

Bierzig Jahre lang galt er für die Hauptjtüge dev Tragödie 
im Burgtheater. Und er war es auch. Er war der Träger des 
Wortes, des beveutungswollen Wortes, er war der Träger des 
Ernftes und der Gewifjenhaftigfeit, ver Gewijjenhaftigfeit fir Sinn 
und Geift des erniten Stüdes. Er ließ nie mit fich marften über 
Würde und Wichtigfeit des Theaters, des Schaufpielers umd der 
Ichaufpieleriichen Aufgabe. Sie war ihm heilig. Der folide Sinn 
bürgerlicher Erziehung, die Grundlage wiſſenſchaftlicher Bildung 
blieben ihm treu fein Yebenlang. 

Er war ebenjo, als ein Erbe der Schröder - Iffland’ichen 
Charafteriftif, eine Hauptftüge des bürgerlichen Schaufpieles. Seine 
Väter waren gediegene Bürger. Crhoben fie jih, wie im letten 
Acte von „Cabale und Liebe’, bis zur Frage um Leben und Tor, 
fo waren fie geradezu vortrefflich. — In den großen Figuren der 
Tragödie war er einigermaßen beeinträchtigt durch fein Aeußeres, 
weil ihm die imponirende Ericheinung verfagt war. Cr war von 
kräftiger Mittelgröße, aber Hand, Bein und Hals fahen fürzer aus, 
als die Schönheitslinie verlangt. 

Durch reiflih ausgebildete Haltung bejiegte er wohl ſolchen 
Mangel an Schönheit der Geftalt, aber es blieb immerhin ein 
Mangel für ven Eindrud der Größe, welchen man für folche 
Kollen verlangt. Im bürgerlichen Schaufpiele dagegen jtellt 
man fein jolches ideales Verlangen an das Aeußere des Schau— 
jpielers, und da traten all feine Vorzüge in volles Licht: ein aus: 


460 Das Burgtbeater. 


drucksvoller Kopf, ein ſonores Organ, eine flare, nachdrucksvolle Rede, 
ein warmes Herz, ein ehrliches Gemüth, eine begeifterte Hingebung an 
edle Zwecke. Vielleicht that er mitunter zu vwiel in technifcher Aus— 
führung der gemüthlichen Scenen, das heißt: er verriet zu deut- 
(ich, daß es eine technifche Ausbildung und Ausführung war. Er 
nahm zur viel Zeit dafür in Anfpruch , er breitete fich zu fichtlich aus 
in Gemüthlichfeit und Rührung und ftreifte dadurch an Manier, in 
jofern Manier ein zu ausgefahrenes Geleife ift. Aber das war 
doc immer nur ein Fehler von Momenten, Seine ganze Yeiftung 
verirrte fich nicht leicht, jondern fand immer auch aus folchen Mo- 
menten heraus den fejten Schritt in den Gang hinein, welchen die 
Rolle erbeifchte. 

Endlich Hatte er auch noch in feiner tüchtigen, ferngefunden 
Natur eine jtarfe Begabung für's Luftfpiel. Cr fonnte von der an— 
genehmjten Heiterfeit fein, er beſaß den Kitzel eines Humors, welcher 
die fröhliche Negung wect im Zuhörer und welcher den Gegenjag 
luſtig aufftachelt zwifchen Bildung und Naturtrieb, Er lachte franf 
und frei aus vollem Halfe, er war im Stande, ganze Rollen wirf- 
jam zu fpielen, deren Grimdcharafter in vollem Lachen bejteht, im 
Lachen ohne Veranlaſſung, zum Beifpiele den Bauer Wählig in 
„Karl der Zwölfte auf Rügen”. 

Welch ein Umfang fchaufpielerifcher Fähigkeit! Was für ein 
Schaf für das Theater mußte ein folher Mann fein! Und das 
war er auch. Selbſt hohes Alter ſchwächte feine Kraft kaum merk 
lich. Als ihm in den letten Jahren zum erjtenmale das Gedächtniß 
verfagte, nur für ven Augenblid und nur für ein Wort verfagte, da 
war er außer fich, der gewilfenhafte, immer gründlich worbereitete 
alte Herr, welcher im Gegenfage zu den fogenannten Genies immer 
Herr feiner Rolle war bis auf den legten Buchſtaben, ein getreuer 
Künſtler in feinem Berufe. 

Er jpielte auch ſtandhaft bis zu dem Tage, wo die Kraft der 
Füße plößlich zu verfagen anfing und er fich niederlegen mußte, 


Das Burgtheater. 461 


Seine Zeit war um, und das Ende trat an fein Haupt und Herz. 
Wir begruben in ihm beim Jahreswechjel von 1865 zu 1866 ven 
würdigen Vertreter eines breiten Abjchnittes von deutſcher Theater: 
gefchichte, eines Bindegliedes zwijchen alter und neuer Zeit; wir 
begruben in ihm einen fernhaften Ehrenmann, einen Künjtler von 
echtem Schrot und Korn. 

Dieje beiden Veteranen, welche zu Anfang und zu Ende des 
Sahres 1865 ausjchieven, Fichtner und Anſchütz, waren nicht nur 
die erſten Kräfte, fie waren auch die beten Mitglieder. Pflicht 
getreu im ftrengften Sinne des Wortes, bejcheiden bei größten 
Leiftungen, bereit zu jeder Anftrengung, wenn dasWohl des Ganzen 
in Nede kam, furz in Allem hingebend an die guten Traditionen des 
Inſtituts. 

Solche Hingebung an das geſchichtliche Leben einer Corpora— 
tion iſt faſt immer verbunden mit dem redlichen Triebe nach 
Schöpfung. Productive Menſchen ſind immer hingebende Kame— 
raden, bereitwillige Opferer. Selbſtſucht und Eigennutz ſind ihnen 
fremd; ſie ſind des Enthuſiasmus fähig, weil ſie warme Künſtler 
ſind, und ſie ſind eben Künſtler, weil ſie ſich enthuſiasmiren können 
für Gutes, Tüchtiges und Schönes. 

Das alte Burgtheater verlor in dieſen beiden Männern ſeine 
edelſten Träger. 

Das wurde nur zu bald deutlich; denn ein Unglück kommt 
ſelten allein — von dieſem Jahre an datirt ein Zerbröckeln alter 
traditioneller Principien unſeres Inſtitutes. 

Der langjährige oberſte Director, Graf Lanckoronski, welcher 
ſich feiner befonveren Popularität erfreut hatte, war doch in diefen 
traditionellen Prineipien eifenfejt gewejen und hatte dadurch dem 
Inftitute ungemein genüßt. Er gejtattete feinerlei perfönliche Be— 
günjtigung und Bevorzugung, er hielt das Geſetz aufrecht für Hoch 
und Niedrig, das Burgtheater war ein Fleiner Staat von unwan— 
delbarer Ordnung. 


462 Das Burgtheater. 


Der neue Chef, Fürſt Bincenz Auersperg, war ein guter, über: 
aus liebenswürdiger Mann. Der perfönliche Verkehr mit ihm war 
für uns Alle ein Vergnügen durch die wohlthuende Yeutjeligfeit, 
welche ihm, wie ver Mehrzahl öfterreichifcher Cavaliere, in hohem 
Grade eigen war. 

Aber feine Herzensgüte machte ihn zugänglich für alle Ein- 
flüffe. Das Geſetz trat in den Hintergrumd, die Gunft in den 
Vordergrund. Dies tft nirgends fo gefährlich wie im Schaufpieler- 
itaate. Der Schaufpieler ift mehr als irgend ein Künftler auf die 
Gunſt des Tages angewiejen, denn feine Leistung bleibt nicht bejtehen 
wie die des Malers, Bildhauers, Dichters; fie ift der bloßen Er— 
innerung überantwortet. Schaufpieler, welche nicht um Gunſt 
buhlen, find doppelt würdige Charaftere. Es fehlte uns jedoch nicht 
an folchen, welche auf diefe Würde feinen Anjpruch machten, ſon— 
dern auf Koſten des Ganzen ihren Bortheil fuchten. Sie fanden 
(eider jest Gehör. So wurden unfere traditionellen Geſetze durch: 
(öchert, es wırden befonvdere Urlaube bewilligt, e8 wurden Mono— 
pole auf Rollen zugeftanden, ja e8 wurde Einzelnen jogar einge: 
räumt, Stüce zu beftimmen, welche nur für fie einftudirt und in 
Scene geſetzt werden follten, lauter Dinge, die bis dahin unerhört 
gewefen am Burgtheater. 

Sch hatte nicht die geringite Luft, an jolcher Auflöfung einer 
guten Ordnung theilzunehmen, und bat um meine Entlaffung. 

Die Negierungsform mit einer oberjten Direction und einer 
untergeordneten artiftiichen Divection tft meines Erachtens eine gute, 
Jene herrſcht, diefe regiert. Letztere regiert in bejtimmt formulirtem 
Kreife innerhalb ihrer artiftifchen VBollmachten. Dies halte ich für 
befjer als das Syſtem der fogenannten Intendanzen bei den deut— 
ſchen Hoftheatern, weil diefe Intendanzen fich die Einmifchung in 
Alles vorbehalten, auch in das rein Artiftifche. Letzteres ijt aber 
ein Fachberuf, welcher gewiffe Kenntniffe, Fähigfeiten und Fertige 
feiten im fich ſchließt. Sich in den Fachberuf einmifchen ohne vie 


Das Burgtheater. 465 


nothwendigen Kenntniffe, heißt den Dilettantismus in der Kunſt 
zum Herren machen und den Mißerfolg heraufbejchwören. Denn 
abgefehen von verfälichten Maßregeln, tritt dieſer Mißerfolg ſchon 
da immer ein, „wo Zwei regieren”, wie Shafejpeare nachdrüclich 
jagt im „Coriolanus“. 

Die Entlafjung wurde mir damals noch nicht bewilligt, und 
die in der That verföhnliche und liebenswürdige Natur meines Chefs 
veranlaßte mich, ein Compromiß einzugehen, welches mir nur die 
wirklich unerläßlichen Befugniffe ließ. Ich arbeitete nach Kräften 
weiter, aber eigentlich war ich von da an verjtimmt, denn der Or— 
ganismus des Injtituts war befchädigt. 

Das junge Gejchlecht von Künftlern nur, welches unter mir 
berangewachfen, und das Intereffe am Burgtheater ſelbſt ließen 
mich ausdauern. Das Intereffe am deutſchen Theater überhaupt. 
Denn das deutfche Theater hatte außer dem Burgtheater kaum noch 
irgendwo, oder wenigjtens doch nur an fleinen Orten eine gedeih— 
liche Stätte. Sch hielt es ſchon deßhalb für eine Pflicht, auf dem 
wichtigen Poſten zu bleiben, fo lange ich nur einigermaßen fürder- 
ſam wirfen könnte. 

Unter dieſem jungen Geſchlechte des Burgtheaters ſind ſchöne 
Talente und tüchtige Menſchen, denen es ehrlich zu thun iſt um 
ihre Kunſt, und die meiner Thätigkeit bereitwillig entgegenkamen. 

Ich habe die Meiſten von ihnen ſchon gelegentlich erwähnt und 
will jetzt am Ende dieſer Schilderungen nur in flüchtiger Porträ— 
tirung andeuten, daß ſie fachmäßig gewählt waren und bereits eine 
volle Schauſpielgeſellſchaft bildeten, welche das Inſtitut auf ihre 
Schultern nehmen konnte. 

Die älteſten von ihnen, Herr Meixner und Herr Baumeiſter, 
find Schon 1850 und 1852 eingetreten. Beide vertreten die heitere 
Richtung. Herr Meiner in ftarf ausgefprochen fomifcher Kraft 
und mit bemerfenswerther Fähigkeit, jcharf und confequent zu 
harafterifiren, Ein gallichtes Temperament treibt ihn wohl leicht 


464 Das Burgtheater. 


zu grellen Farben und zum Hervordrängen aus dem Enjemble. Er 
war der Einzige, welchem das Sprechen in’s Publicum jtatt zu den 
Mitjpielenden nicht völlig abzugewöhnen war. Aber dies ägende 
Etwas feiner Natur unterjtütte ihn doch auch zur Zeichnung und 
Färbung von Figuren wie Giboyer, welche milderen Komifern nicht 
erreichbar find. — Herr Baumeiſter hat als fopfichüttelnder Liebhaber 
begonnen und allmälig feine Entwiclung gefunden in fröhlichen Yebe- 
männern und bebaglichen Charakteren, welche ein gefülliges Herz 
haben und gute Laune. Er ijt jchaufpielerifch jehr wohl begabt 
und jchwächt feine angenehmen Wirkungen nur zuweilen dadurch, 
daß er wunderlich abfürzt, wo er fih ausbreiten follte. Sein Ta- 
lent hat eine furz witige Neigung zum Aphoriſtiſchen. 

Ebenfalls jeit 1850 ijt Herr Joſeph Wagner da, welcher über 
ein Sahrzehnt lang Yiebhaber und junge Helden mit fortreißender 
Begeijterung gejpielt hat und dann langſam in’s Fach der Helden— 
päter übergeleitet worden ilt. Langſam, weil vie ihm eigene Gluth 
tragifcher Leidenſchaft, jo jelten in heutiger Zeit!, für das ältere 
Fach nur in großen Scenen, wie die Verzweiflung König Lear's, 
ausjtrömen fann, ſonſt aber vorzugsweife ruhiger Motivirung 
weichen muß. Dieje ruhige Motivirung aber wird den Darjtellern 
heftiger Gefühle immer jchwer. 

Bon 1856 an hat jih ein Kreis junger Talente gefammelt, in 
welchem Herr Sonnenthal, Herr Yewinsty und Fräulein Wolter 
am helliten glänzen. Sonnenthal als geijtvoller Liebhaber, begabt 
mit wohlthuender Liebenswürdigkeit, mit Feinheit des Herzens und 
mit den Formen eines edlen Wejens, der erjte Schaufpieler in 
diefem reichen Face, welchen Deutjchland jest befitt. 

Lewinsky entwidelt das wolle Trachten eines joliden Charafter- 
jpielers, welcher unter eifernem Fleiße literarifcher Bedeutung nach— 
jtrebt in feiner Runjt und nie daran glauben wird, ausgelernt zu 
haben. Förſter hat die reihe Bildung eines begabten Menſchen, 
der für feinen fünftleriichen Beruf zu jeder Arbeit, zu jeder Hin- 


Das Burgtheater. 4695 


gebung beveit ift, und der für ven deutſchen Schauspieler durchweg 
die höhere und höchite Beventung in Anſpruch nimmt. Die Jüngften 
aber, Hartmann, Kraftel, Schöne, find ausgeftattet mit allen guten 
Eigenfchaften einer Jugend, welche Ideale im Herzen trägt und fich 
nie genug thut. Hartmann für anmuthige, geiftig bewegte Lieb- 
haber. Kraſtel für feurige und leidenjchaftlihe, ein Nachfolger 
des alternden Wagner. Schöne für jene ehrliche und bejcheivene 
Komik, welche uns lachen macht ohne Abfichtlichfeit und welche ung 
lachen macht unter herzlichem Wohlwolen. 

Die jungen Damen endlich umfaſſen ven ganzen Umfang weib- 
licher Yiebenswirdigfeit und künſtleriſchen Reizes. Fräulein Wolter 
ijt das jtarfe Naturell ver Leidenſchaft, welches fich der artijtiichen 
Leitung bedürftig weiß und unter artijtifcher Zeitung dramatijche 
Wirkungen erreicht von eminenter Gewalt. Fräulein Bognar die 
anſprechende Weiblichkeit, welche fich im Yuft-, Schau> und Trauer: 
ipiele gleich wohlthuend ausprägt. Fräulein Baudius die junge 
Weltvame, welche, jelbjt geijtreich, mit ven geiltigen Hilfsmitteln 
einer Rolle behende zu jpielen verjtehbt und das moderne Stüd 
harakterijtiich zu beleben weiß. Endlich Frau Hartmann-Schnee- 
berger mit der gewinnenden Natürlichkeit eines unbefangenen fröh— 
lichen Wejens, welches echt empfindet und welches diefe Empfindung 
einfach ausprüdt. 


Zaube, Burgtheater. 30 


RENT 


Die neuen Stüce, welche in ven drei Jahren 1865, 1866 
und 1867 gegeben wurden, find großentheils Schon erwähnt bei Ge- 
legenheit der früher beiprochenen Autoren. Ich habe alfo vom 
fühnen „Wildfeuer“, von der theater-romantifchen „Pietra“ und 
von der modern sromantifchen „Katharina Howard“ nur die Titel 
anzuführen. 

Doch nein! Bei „Wildfeuer“ müffen wir verweilen, um die 
ihon angeveutete Halm'ſche Richtung ganz zu charafterifiven. „Wild: 
feuer‘ ift ein Höhepunkt diefer Richtung, ein Höhepunkt deſſen, was 
eben die Literar-Geſchichte „Kunſtpoeſie“ nennt, und was ſie in allen 
Zeiten abfondert von den Dichtern der Nation, ein Höhepumft der 
talentwollen Unwahrheit. Gin erwachjenes Mädchen hält fich für 
einen Mann, und ihr Yiebhaber braucht fo und fo viel Stationen, 
um zu entdecken, daß ſie im Irrthume fei, er aber nicht mit feiner 
Neigung. Welch verfünfteltes Spiel jtarfer poetifcher Begabung! 

Natürliche Poefie, nationale Poefie wird immer und wird 
mit Recht höher geitellt, als dieſe Kunftpoejie. Jene ſtrömt aus 
dem Herzen, der Kopf regelt fie nur, Kunſtpoeſie fommt aus dem 
Kopfe, und macht nur Zwangsanlehen beim Herzen. Sie erreicht 
mit diefem Anlehen höchſtens ein wärmeres Colorit, nicht aber 
Herzenswärme. 

Daraus erklärt ſich's, daß unter Halm’s früheren Stücen die 
befferen wohl raufchende Erfolge erringen fonnten, daß ihnen aber 


Das Burgtheater. 467 


eine Achte warme Theilnahme, eine erquickende Wirfung, die Zu: 
jtimmung der Kritif und eine wirkliche Dauer verfagt blieben. Sie 
ftammten nicht aus den Gefühlen und Gedanken unferer Nation. 
„Griſeldis“, „Sohn der Wildniß“ und dies „Wildfeuer“ fünnten 
gerade jo wie fie find englifch oder franzöfisch gefchrieben jein. Kunſt— 
poejie braucht fein Vaterland, fie entbehrt aber auch deßhalb vie 
tiefere Theilnahme des Vaterlandes. 


Jene Stücde verdanken ihre Theatererfolge und ihr Intereſſe 
dem jchönen Talente ver Form, welches Halm in ungewöhnlich 
hohem Grade zu eigen ift, und welches er mit veiflicher Ueberlegung, 
mit gewandter Leberlegenheit handhabt. Er hat feine fünftlichen 
Stoffe immer mit fünftlerifcher Kraft componitt. 


Das hat ihn wohl auch verleitet, zuweilen die Macht jeiner 
technifchen Mittel zu überſchätzen. Es eriftirt zum Beifpiel ein Stüd 
von ihm „Verbot und Befehl’, welches einen deutlichen Einblicd 
gewährt in feine Werfitatt. Er nennt es Luſtſpiel. Darin wird 
im eriten Act ein Mißverſtändniß aufgebaut aus leichten Yatten, 
und der Componift verläßt fich num auf die hierdurch errichtete Span— 
nung dergeſtalt, daß er uns ein Baar weitere Acte fortzuziehen meint 
im bloßen Vertrauen auf jene äußerliche Spannung. Das gelingt 
nicht, weil das Spiel der weiteren Acte fich zu breit macht im Ber: 
hältniffe zur Grundlage, und das ganze Stück zerbricht. 

Ich führe dies Beifpiel an zum Beweife: daß folche fünftliche 
Compoſitionen jogleich im Ganzen verloren find, wenn ein Paar 
Latten des Gerüftes brechen. Das Gerüft jteht in erjter Linie, der 
Inhalt in zweiter, 

Bei einem Luftipiele rächt fich denn das am Erſten. Da hilft 
die ſchöne Rede nicht, man verlangt die heitere Seele, das heißt 
etwas Innerliches; man verlangt das, was wir Humor nennen, 
Der Humor aber läßt fich nicht componiren. 

Die Runftpoefie bildet deßhalb gern Mifchgattungen, welche 


30* 


468 Das Burgtheater. 


nicht Tragödie und nicht Yuftipiel zu fein brauchen. Halm's Stüde 
beißen zumeift „dramatiſches Gedicht”. 


Dieſe Poeten verpflichten jich heiter, irgend ein furiofes Thema 
aus der Yuft zu greifen — Wildfeuer ift ein folches — und aus 
demfelben ein wirkſames Theaterjtüc zu machen. Ob dieſe Effecte 
unerquiclich und ärgerlich werden, wie im „Sohn der Wildniß“, 
wo ein Mädchen den Mann hofmeijtert, oder wohl gar peinlich und 
marternd, wie in „Griſeldis“, das ſteht außer Sorge. Es handelt 
ſich um Wirkung überhaupt, nicht abfolut um gute und Schöne Wirkung, 


Die ſchöne Wirkung ift eben auch nur zu erreichen, wenn In— 
halt und Form einander harmonisch deden. Sie deden jich aber 
nur dann harmonisch, wenn Kopf und Herz gleichmäßig betheiligt 
find bei der Geburt eines Kunftwerfs. Sie decken ſich nicht bei 
bloßer Kopfarbeit. 

Daraus erflärt e8 fih, daß jo gut componirte und wirkſame 
Stücke allmälig ganz wieder verfchwinden können von den Neper- 
toiren. Sie haben fein Herz, und deßhalb feine volle Yebenskraft. 

Daraus erflärt es ſich, daß die Kritif immer fühl verblieben 
iſt, ja oft unwillig wegwerfend fich geäußert hat gegenüber diefen 
Stüden. Sie thut das, oft nur inftinctmäßig, jederzeit bei den 
Arbeiten der fogenannten Kunſtpoeſie, weil diefe Gattung Poefie das 
Merkmal der Spielerei an fih trägt und in das Leben der Nation 
nicht eingreift. 

Sch möchte nicht alle Vorwürfe, welche in unferer Literatur mit 
Recht feititehend geworden find gegen Kunftpoejie, ich möchte nicht 
alle auf Friedrich Halım bezogen ſehn. In Deutfchland thut man 
das, „Griſeldis“ und der „Sohn der Wildniß“ wurden bei ihrem 
Auftreten geradezu mit Grimm und Hohn behandelt von der Kritif, 
Dabei fpielte gewiß der Neid eine Rolle. Man ärgerte jich über 
die große Theaterwirfung, man ärgerte fich über das Talent Halms, 
welches er mißbrauchte, Und man unterließ dabei, das Talent 


Das Burgtheater. 469 


hervorzuheben. Es gehört zu den größten dramatiichen Talenten, 
welche wir bejiten. 

Zu den Kıumftpoeten gehört er allerdings. Betrachten wir, 
um dies fejtzuftellen, feine Stüde unter zwei Gefichtspunften, unter 
dem der Dauer und dem des Inhalts, 

Ich nahm als Theaterdirector jene beiden Hauptjtüce won ihm, 
„Griſeldis“ und den „Sohn der Wildniß“, wieder ing Nepertoir, 
und fuchte fie alljährlich wieder aufzuführen. Was zeigte ſich? Auch 
hier in Wien, wo dieſe Stücde den größten Erfolg gehabt, fragte 
mich alle Welt: „Was wollen Sie jetst noch mit diefen Stücken?“ 
Der Beſuch im Haufe war ziemlich genügend für die Caſſe, aber die 
Lücken, welche ev zeigte, waren einmal wie das anderemal immer im 
eriten Barterre. Das große Publicum fam noch, das Publicum 
des eriten Parterres blieb aus. Welch ein Unterfchied von den 
Grillparzer'ſchen Stüden! Sie waren viel älter, fie waren viel 
länger ausgeblieben als die Halm'ſchen, fie fonnten vergefjen fein, 
Waren fies? Keineswegs! Und bei ihrer Wiederaufnahme lobte 
mich die ganze gebildete Welt, und das erſte Barterre war übervoll, 
und der Bejuc und der Beifall waren ftärfer, als va die Stüde 
neu und jung waren. Zu welchen Folgerungen führt das? Grill 
parzer’s Stüde find Vollgeburten eines echten Dichters, und alle 
Gebildeten wiljen, fie werden beim Anhören und Anſchauen derfelben 
einen ächten Genuß, fie werden eine Erquidung finden. Halm's 
Stücke dagegen find troß großer Theatererfolge für den Gebildeten 
von zweifelhaften Werthe geworden; er verhält fich ihnen gegenüber 
paſſiv. 

Dieſe Erfahrung iſt eingetreten, obwohl man das Talent 
Halm’s nicht Läugnen fann, Der Urfprung der Stüde hat die Ent: 
iheidung gegeben, man hat allmälig entvedt, daß hier die Quelle 
nicht ganz echt ift, und daß man es nur mit Kunftpoefie zu thun hat. 
Diefe hat eben fürzere Dauer. 

Fragen wir nun zweitens näher nach dem Inhalte. Sch habe 


470 Das Burgtbeater. 


oben gejagt, Runftpoefie habe fein Vaterland, und entbehre deßhalb 
auch die Theilnahme des Vaterlandes. Paßt denn das auf Halm, 
auf den VBerfaffer des „Sampiero” und des „Fechters von Ra— 
venna?“ Beide Stüde bejchäftigen fich ja doch nachdrücklich mit 
dem DVaterlande! Es paßt doch. Der Auf „Corſika! Corſika!“ 
wurde dem „Sampiero“ gefährlich ; man fand Uebertreibung in den 
grellen Wendungen des Stoffes und in den patriotifchen Aeußerungen. 
Das Stüc hatte feine wahrhaftige Empfängniß gehabt im Schooße 
des Dichters, der waterländifche Stoff war nur Kleid verblieben und 
nicht Fleiſch und Blut geworden. 

Ich nahm das Stück wieder auf, und fpielte vor leeren Bänken. 
Das patriotiſche Thema papte nicht für dieſen Poeten, und errang 
ihm deßhalb auch feine Theilnahme. 

Aber der ‚„‚Fechter von Ravenna!” Wie deutſch! Die Mutter 
erjticht ihren Sohn, weil er fein Deutjcher fein will! Was will 
man mehr an Patriotismus? Weniger wäre mehr. Man will nicht 
fo viel, Dies zu Viel ift ein Symptom, daß das Stüd nur im 
Kopfe entjtanden ift. Kopfpoefie wird im Trauerfpiele immer graus 
fam. — Nein, diefe Stücke widerſprechen dem nicht, dag Kunftpoejie 
fein Vaterland braucht, und deßhalb auch nicht die Theilnahme eines 
Baterlandes findet. 

„Wildfeuer“ hat außerhalb Defterreichs feine Stätte gefunden, 
und es hat im Burgtheater nur das obige „große Publicum“. 

„Edda“, von Weilen, ijt noch bejonders zu nennen, da von 
diefem Dramatiker blos Studien mittelalterliher Romantik — 


„Triſtan“ und „Heinrich von der Aue“ — erwähnt worden find, 


= 
Meilen aber mit bewußter Abfiht von diefer Richtung abgegangen 
ift und fich neuerdings Themen erwählt hat, welche mit der heu- 
tigentags vorherrjchenden Gedanfenwelt im Zufammenhange ſtehen. 
Es ſind auch noch geſchichtliche Stoffe, dieſe „Edda“ und „Draho— 
mira“, aber ſie ſind mit der Abſicht gewählt, Ideen zu verkörpern, 
welche ein dauerndes, auch heute noch pulſirendes Leben haben. In 


Das Burgtheater. 471 


Kriegstumultes, ift es die Frage um Heimath und Vaterland; in 
der „Drahomira“, einer altböhmijchen Fürftin, ift es die Frage 
um Religion und Mutterliebe. Beide Stüde haben vor dem Pu— 
blicum bejtanden und dem ſtrebenden Verfaſſer Anerfennung er- 
worben. Man folgt mit Aufmerkfjamfeit und Aufmunterung einem 
Schriftiteller, welcher ernjt und eifrig der Entfaltung jeines Talentes 
nachtrachtet. 

Der Hauptzug in den Neuigfeiten dieſer Jahre war der, welchen 
das politifche und jociale over das ſocial-politiſche Stüd mit ſich 
bringt. Das Drama der Gegenwart, von welchem jo oft die Rede 
gewejen in dieſen Schilderungen, trat auf den Plan und behauptete 
ven Plan. Der Gegenwart auch in hiſtoriſchen Stüden, injofern 
das Thema auch eines hijtorifchen Stoffes noch voll und ganz ein 
Thema der Gegenwart tft. 

Die Erfolge haben gezeigt, daß dieſe dramatische Richtung Die 
Theilnahme des Bublicums in ungemeinem Grade wedt und daß 
unſer Theater jujt durch dieſe Stüde eine Lebenskraft entzündete 
von unzweifelhafter Echtheit. 

Der Mißverſtand liegt nahe, daß dieje Richtung vorzugsweije 
von Stich und Schlagworten des Tages leben, ven Beifall alſo in 
zufälligen Einzelheiten veränderlicher Art ſuchen wolle und könne, 

Das wäre ein Mißgang, und diefem find wir nicht verfallen. 
Die Compofition als Ganzes war jtets entjcheidend für den Erfolg. 
Die äfthetiiche Genugthuung blieb ftets unerläßlich. Sie war nur 
erleichtert durch den Charakter des Stoffes, welcher einen allgemein 
verjtändlichen realen Boden darbot — einen Boden, auf welchem 
man die Wahrheit der Motive, die Folgerichtigfeit ver Charaktere, 
die Angemefjenheit ver Rede leicht und jicher beurtheilen fonnte, da 
Motive, Charaktere und Worte aus dem wirklichen Yeben geſchöpft 
waren, 

Dies moderne Drama wurde durch einige franzöfiiche Bear— 


472 Das Burgtheater. 


beitungen: „Pelikan“, „Dageftolze‘‘, „Familie nach der Mode“, 
und durch zwei neue Stüde: „Aus der Geſellſchaft“ und „Der 
Statthalter von Bengalen‘‘, vertreten. 

Der „Pelikan“ — „Le fils de Giboyer“ von Augier — ift 
an Geift und Compofition das beveutendfte von dieſen Stücen, und 
es brach die Bahn für die ganze Gattung. Es ſchildert die fran— 
zöſiſche moderne Geſellſchaft in ihren feineren Kämpfen zwijchen ab- 
jterbendem Adel, eitlem Bürgerthume, begabten, aber gewiljenlofen 
Piteratenthume, gemeiner Speculation und veiner Jugend und bringt 
diefe Schilderung nirgends abjtract, ſondern durchweg in ſceni— 
jcher Fülle und unter aufiteigendem dramatiſchem Intereſſe, gewürzt 
durch einen geiftiprühenven Dialog. Kurz, es ift, wie ſchon früher 
gejagt worden, eines der beiten Stüde neueiter Zeit. 

Es wurde in fo jorgfältiger Bearbeitung auf dem Burgtheater 
dargeftellt, wie wohl auf feinem deutſchen Theater ein geiſtvolles 
Converſationsſtück dargeftellt werden fann, und hat eine unverwüſt— 
liche Anziehungskraft behauptet. 

„Die Familie nach der Mode’ („La famille Benoiton“) ift 
von viel gröberer Factur, ift aber reich am intimen Zügen des mo— 
dernen Lebens. Der Conflict zwifchen einem Ehepaar heutiger 
Sorte ift auch von tieferer Bedeutung und wurde durch das meifter- 
hafte Spiel des Herren Sonnenthal und des Fräulein Wolter der 
Haltpunft des Ganzen, Ich habe die Hundert und jo und jo vielte 
Borjtellung diefes Stüdes in Paris gefehen und fann in voller Un— 
befangenheit jagen: es wird bei uns in der Hauptſache beſſer ge 
ipielt. Das hat eine weitere Bedeutung, infofern es den ober— 
flächlichen Vorwürfen gegen Benütung franzöfifcher Stücke ent- 
gegentritt. Wenn fremde Stücde roh und äußerlich nachgejpielt 
werden, dann haben die Vorwürfe gegen ausländijche Stüde nur 
zu vielfach Necht. Wer mag die gedanfenloje Uebertragung fremder 
Sitte, auch der gemeinen Sitte in Schuk nehmen! Dieſer Bor: 
wurf hat uns aber im Burgtheater nie getroffen. Wir haben ung 


Das Burgtheater. 475 


franzöfifche Stücke immer nach Kräften zu eigen gemacht durch vor- 
fichtige Auswahl, durch Ausmerzung des Wildfremden und Un— 
nöthigen, durch Ausarbeitung alles deſſen, was uns naheliegt. 
Nie habe ich das mit fo lebhaftem Genüge empfunden, als da ich 
diefe „Familie Benoiton‘ in Paris geſehen. Jener Eheconflict 
wird nichtig und beiläufig in Paris vargejtellt, ev gewinnt gar feine 
Bedeutung — bei uns erfcheint ex fein, tief, von fehlagender Wahr: 
haftigfeit und als das herrfchende Auge des Ganzen, Das ganze 
Stück iſt dadurch bei uns veredelt und gehoben. 

„Die Hageſtolze“ („Les vieuxgarcons“) find als jociale Schil- 
derung moderner Egoiften werthvoll. Die Charafterzeichnung kann 
und wird manchem veutjchen Autor eine ergiebige Anregung werden, 

„Aus der Gefellfchaft” war zuerjt nur ein zweiactiges Stüd, 
Es frappirte mich durch fein Thema: ein offenbar biefiger Fürft 
jollte eine Gouvernante heirathen, und heirathete fie. Die Zus 
faffung folhen Themas für das Burgtheater ſchien unerreichbar, 
denn dies Theater ift im Wefentlichen ariftofratiih. Ein hoher 
Cavalier fteht immer an der Spite und entjcheidet über die Zu— 
Läffigfeit neuer Stüde, faft fünmtliche Logen find im Abonnement 
des hohen Adels — man fann eher eine mißliebige politiiche Ten- 
denz zugänglich machen, als eine ſociale, welche die Standesunter- 
fchiede der vornehmen Kreife herausforvdert. Ich war in Verlegen— 
heit. Bon Jugend auf indejjen daran gewöhnt, das Princip meiner 
. Aufgaben ftreng innezuhalten, auch auf Koften meines Wohlbe- 
hagens innezuhalten, fühlte ich mich doch verpflichtet, das Stüd ein- 
zuveichen, obwohl es mir nicht jonderlich gefiel. Es war mir als 
Compofition zu dünn und in Einzelheiten zu grell, 

Dean mißverftehe mich übrigens nicht mit vem Worte Princip. 
Ich meine hier nicht ein politifches oder jociales Princip, ich meine ein 
äfthetifches, meine das Princip der Theaterleitung, welches ich mir 
ausgebilvet. 

Das Theater ift mir ein voller, wahrer Spiegel des Lebens; 


474 Das Burgtheater. 


es joll alfo auch nicht zurückweichen vor einem Spiegelbilde, welches 
uns augenblidlich unbequem ift. Nur echt und wahr ſoll dies Bild 
jein. Die Wahrheit ſorgt für ſich ſelbſt, beſſer als wir furzfichtigen 
Patrone es vermögen. Und auch in der Kunſt iſt Nichts nöthiger 
und förderſamer als Wahrheit. Hat ein Stück einen wahrhaftigen 
Stoff fünftlerifch bewältigt, dann darf man unbefümmert fein um 
Meinungsſätze. Cs lebt und dauert als Kunſtwerk troß aller ent- 
gegenjtehenden wiverwilligen Meinungen. Das Schelten der Bar: 
teimeinung verfängt nicht gegen ein Kunſtwerk, denn ein wirkliches 
Kunftwerf ift bereits eine Yäuterung der Meinungen. Die Kunjt 
macht veif, was die Discufjion unreif beläft. 

Umgefehrt ebenfo: ift der Stoff des Stüdes und die Tendenz 
dejjelben übertrieben, aljo nicht ganz wahr, dann entjteht auch Fein 
Kunftwerf, und das tendenziöfe Machwerk hält nicht Beitand. Weder 
die Arijtofratie aljo, noch die Demokratie, noch ſonſt eine Kratie hat 
zu hoffen over zu fürchten, daß ein Theaterſtück für oder gegen jie 
Yeben gewinne, wenn es nicht in der Wahrhaftigfeit und in fünjtle- 
rischem Maße beruht. 

Bon diefem Grundfage ausgehend, habe ich mich immer für ver— 
pflichtet erachtet — ganz ohne Boreingenommenbheit für irgend eine Ten— 
denz—, jedes Stüd einzureichen, welches mir äfthetijch haltbar erſchien. 

Sch hielt dies Bauernfelo’sche nicht für ſtark, aber nicht für 
unhaltbar, und reichte es aljo ein. 

Mein Chef folgte ebenfalls einem Principe, Er erachtete e8 
für feines ariftofratifchen Nanges unwürdig, ein Stüd blos deßhalb 
abzumweijen, weil es ariftofratifhe Gefühle verlegte; er bemerkte 
alfo nur, daß die überall eingejtreuten franzöſiſchen Broden nicht 
in gute Gejellfchaft paßten. 

Daraufhin fchlug ich dem Verfaſſer vor, dieſe Broden zu be— 
jeitigen; wäre dies gejchehen, jo wollte ih das kleine Stüd im 
Frühherbſte aufführen. Ich wählte dieſe Zeit, weil da der Adel 
auf vem Lande ift und Aergerniß vermieden würde, 


Das Burgtheater. 475 


Ich erhielt aber das Stüc nicht wieder zurüd, Erſt im Spät: 
berbite fand es fich wieder ein, und zwar um zwei Acte verlängert. 
In folher Ausführung war es noch empfindlicher geworden, aber 
ich hatte auch jetst meinem Principe gemäß fein Recht, es abzu- 
weifen: es erſchien mir nicht unwahr. Mein Chef ging aus Stolz 
nicht weiter ein auf neue Prüfung, und jo fam ein Stüd im Burg- 
theater zur Aufführung, welches ein bisher unzuläffiges Thema frei 
müthig und vreift behandelte. Das Publicum erklärte ſich beifällig 
dafür, und — was ich ſelbſt bezweifelt hätte — auch auf anderen 
deutschen Theatern fand es eine nicht ungünftige Aufnahme. Trotz 
feiner leichten Structur muß es alfo doch eine innere Lebensfähig— 
feit haben, welche über die beſonders hier in Wien hervortretende 
Tendenz hinausgeht; denn auf den deutfchen Theatern hat gerade 
diefe Tendenz geringere Anziehungsfraft. 

Meine Bormeinung über innere Wahrhaftigfeit des Stückes 
hat ſich dadurch wohl beftätigt. Die Vormeinung vieler Wiener 
aber wird fih in obiger Darjtellung, wie und warum das Stüd 
auf's Burgtheater gefommen, nicht beftätigt finden, die Vormeinung 
nämlich, als ob gerade ver Tendenz wegen die Zulaffung des Stücdes 
von mir betrieben worden ſei. So furz und parteiijch bemejjen jind 
meine Abjichten nie gewefen. 

Kun fan ver „Statthalter von Bengalen‘ hinzu. Jetzt jchien 
e8 unzweifelhaft, daß die Divection einen tendenziöfen Weg wandle. 
Und doch war dem nicht fo. ES war derjelbe Weg, den ich immer 
gewandelt: wahrhaftigem Yeben nachzutrachten für die Darjtellungen 
auf ver Bühne. Es vergehen oft viele Jahre, ohne daß gerade 
Stoffe gewählt und zu wirkſamen Stücken ausgebildet werden, welche 
juft herrſchenden Tendenzen entgegenfommen, Wie ich oben ge: 
jagt: das ijt nicht jo leicht, wie man denkt. Die tenvenziöje Ab- 
ficht genügt nicht; das fünftlerifche Gelingen muß dazutreten. Und 
das tritt eben nicht Hinzu für bloße Partei-Tenvenz. Das künftlerijche 
Gelingen ergiebt fich ext, wenn Tendenz und Talent im Kernpunkte 


476 Das Burgtheater. 


der Aufgabe zufammentreffen. Dann aber läutert das Talent von 
ſelbſt die parteiifche Tendenz. 

Das find die furzfichtigen Leute von beiden Parteiflügeln, 
e8 jind die links und rechts parteiifch Tendenziöfen, welche beim 
zufälligen Nebeneinander einiger Stücke von politifcher und foctaler 
Gattung die Schleufen des Willfommenen oder Unwillfommenen 
alle geöffnet und eine Sündfluth heranwogen ſehen. Die Kunſt— 
welt hat jehr fejte Grenzen und hat viel ftrengere Geſetze, als der 
Dilettant meint. 

Selbſt diefer „Statthalter von Bengalen” traf dahin, wohin 
er gar nicht gerichtet gewefen war. Die Analogie, welche die eng— 
fifche Zeit der Junius-Briefe dvarbot, ging viel weiter, als das da- 
malige öjterreichifche Miiniftertum in Frage brachte. Das Minifte- 
rium wurde nur in einigen Punkten getroffen; es war alio ein 
Irrthum, die Entjtehung des Stückes nur in der Tendenz gegen ein 
Miniſterium zu ſuchen. 

Freilich gehörte meine ganze Unbefangenheit dazu, gerade zur 
Zeit eines ſolchen Miniſteriums ein ſolches Stück einzureichen. 
Aber ich muß zum Preiſe des damaligen oberſten Directors hinzu— 
ſetzen, daß er das Stück eben ſo unbefangen aufnahm. Er erkannte 
natürlich auf der Stelle das für den herrſchenden Moment Unzu— 
kömmliche, aber er erkannte auch auf der Stelle, daß das Stück in 
ſeinem Kerne objectiv ſei und nicht von parteiiſcher Tendenz. Und 
ſo entſchied er ganz richtig: Das Stück iſt nicht opportun, iſt aber 
nicht abzuweiſen. Ich wartete geduldig auf den Eintritt opportuner 
Lage, und als das Miniſterium abgetreten war, erſchien ich mit 
neuer Anfrage. Sie begegnete keinem Hinderniſſe mehr, und der 
„Statthalter“ erſchien auf der Scene. 

Die Darſtellung dieſer Stücke, durchweg von unſeren jungen 
Talenten getragen, hob unſer Theater außerordentlich. Es wurde 
nun auch den Mißwilligen klar, daß der ſorgſam erzogene Nachwuchs 
des Burgtheater-Perſonals fähig ſei, moderne Stücke, welche in 


Das Burgtheater. 477 


Wahrheit wırzein, vollftändig varzuftellen, und daß unjer Theater 
troß jo jchmerzlicher Verluste, wie jie binnen zwei Jahren über das— 
jelbe hereingebrochen und ihm Fichtner, Anſchütz, Julie Nettich und 
Beckmann entriljen hatten, lebens: und friegsfühig geblieben wäre 
durch eine junge Garde, und daß diefe junge Garde hinreichend aus- 
gerüftet ſei mit Talent, Geift und Fleiß, um die Feldzüge des Burg- 
theaters weiterzuführen. 

Eine jcharfe Probe trat fogleih noch 1867 an uns heran. 
Cine große römiſche Tragödie, „Brutus und Eollatinus”, follte auf- 
geführt und es follte dargethan werden, daß dieje junge Garde nicht 
blos das Converſationsſtück beherrjchte. 

Dieſe Probe war darum ſehr willfommen, weil fie dem Irr— 
thume entgegentreten fonnte, als würde in der Vorliebe für moderne 
Stüde das übrige weite Neich pramatifcher Poefie, welches in der 
Gejchichte und im freien Fluge erfinderifcher Phantafie fich ergeht, 
von ung gering geachtet. in freilich ſehr wohlfeiler Irrthum! 
Als ob jolhe Berarmung mit irgend welchem äſthetiſchen Verſtande 
vereinbar wäre! Die ganze Welt gehört der dramatijchen Kunſt. 
Dieſe Kunjt wird aber im Stoffe jeglichen Zeitalters unter dem 
Grundſatze gedeihen, daß Wahrhaftigkeit in den Charakteren pulfiren 
jolle und in den. Handlungen, welche von den Charakteren erzeugt 
werden. Und die Darjtellung jeglichen Dramas wird dadurch ge- 
winnen, daß die Schauspieler auch an den Vortrag hoher und ferner 
Dinge mit der gefchulten Abficht geben, Sinn und Bereutung zu: 
nächit einfach und klar aufzufafjen und dann erjt an die Erhöhung 
des Tons, an die Steigerung der Empfindung bis zu poetijcher Höhe 
vorzudringen. So fann auf unferem Wege die Darftellung auch 
des erhöhten Dramas nur gewinnen, fie fann das wiedergewinnen, 
was durch unflares, oft finnlojes Declamiven auf den deutjchen 
Theatern ſeit Jahrzehnten verlorengegangen ilt. 

Dieje Probe mit „Brutus und Collatinus‘‘ war aber doppelt 
ſchwer, weil die verdienſtliche Kompofition des Stückes an dem 


478 Das Burgtheater. 


Uebeljtande leidet, einen doppelten Stoff bezwingen zu wollen. Mit 
dem Tode der Lucretia und der Vertreibung der Tarquinier iſt im 
dritten Acte der Grundftoff erledigt, und doch geht das Stüd noch 
an die Ausführung der erften republifanifchen Zeit, an ven Rücktritt 
des Collatinus und an das Schickſal des Brutus, welcher feine 
eigenen Söhne dem jungen Staate opfert. Dafür, für einen zweiten 
Theil der Tragödie vie Theilnahme des Publicums noch rege zu er— 
balten — das ijt eine ſehr jchwere Aufgabe des Schaufpielers und 
der Infcenefeßung. 

Wir haben die Aufgabe gelöft, wir haben die Probe fiegreich 
bejtanden: das Stüd errang einen wollen, einen tiefen Erfolg. 

So meinten wir denn höchlich zufrieden jein zu dürfen mit uns, 
da erfuhren wir — e8 war im September —, daß all unfer Arbeiten 
und Trachten für mißlich erachtet und gering gejchätt würde. Ein 
neuer Wechfel in der oberiten Direction ſchob zur Seite, was acht- 
zehn Sahre lang mit fo viel Eifer und fo viel gutem Glücke erjtrebt 
und erreicht worden war. 

Erwarten wir, ob auch die Zufunft uns der Selbjttäufchung 
zeihen und ob fie betätigen wird, daß der forgjam gepflegte Drga- 
nismus eines dramatifchen Kunft-Inftituts wirklich etwas jo Ger 
ringes ijt, um wie ein Handſchuh gewechjelt zu werden. 

Der bisherige Oberſtkämmerer und als folcher oberjter Director 
der Hoftheater, Fürft Vincenz Auersperg, war geftorben; der neue 
Oberſtkämmerer hatte die Theaterleitung abgelehnt, und jie war an 
das Oberfthofmeifter- Amt übergegangen. Der Herr Oberjthof- 
meijter aber hatte ebenfalls gewünfcht, nicht unmittelbar mit dem 
Theater in Berührung zu fommen, und um diefem Wunfche zu ge- 
nügen, war eine neue Stelfe gefchaffen worden. Sie hieß Inten- 
danz, und in diefe Stelle war als Intendant Freiherr v. Münch— 
Bellinghaufen, befannt unter dem Schriftitellernamen Friedrich 
Halm, eingetreten. 

Er alſo war jetst mein nächiter Vorgefetter, und bei ihm mel- 


Das Burgtheater. 479 


dete ich mich von Karlsbad aus nicht ohne den Ausdruck der Freude, 
daß ich nun unmittelbar mit einem dramatischen Poeten zu verhan- 
deln haben würde. 

Ich erhielt zur Antwort, daß er fich freue, mich nicht zum 
Gegner zu haben. Warum hätte ich das fein follen?! Das Weitere 
des Briefes Härte mich darüber auf. Das Weitere befagte: er 
müſſe mir alle die Vollmachten entziehen, welche ich früher als 
artiftifcher Director innegehabt, nämlich die Wahl der Stüde, die 
Bildung des Repertoires, die Beſetzung der Rollen und die Ber 
fugniß zu einjährigen Engagements. Alle diefe Befugniſſe müſſe 
er für fich in Anfpruch nehmen, um genügende Macht und Bedeutung 
zu haben, da über ihm noch eine herrſchende Inftanz, das Dberit- 
hofmeiſter⸗Amt, walte. 

Es war einleuchtend, daß nach Abgabe dieſer Bollmachten die 
artiftiihe Direction inhaltslos geworden und cafjirt ſei. Jegliche 
Gelegenbeit, jchöpferifch zu wirfen, war ihr entzogen. Was bleibt 
aber an einer Iheaterleitung, wenn fie nicht jchöpferifch wirfen 
kann? Der wiverwärtige Bodenſatz des Theaterwefens, widerwärtig 
ichon fo lange man mit einem gewiſſen Anfehen vegtert, unerträglich 
aber, wenn man dies Anfehen aufgeben und den ungemeſſenen An— 
ſprüchen machtlos gegenüberjtehen fol. Ein Director ohne ent 
iprechende Befugnig fann auch in der untergeordneten Sphäre, 
welche ihm überlaffen bleibt, nicht geveihlich wirken, weil ihm der 
Reſpect entzogen ift und mweil das Hin- und Herlaufen der Schau— 
jpieler von einer Inftanz zur andern, das erfolgreiche Verflatichen 
und Intriguiven, weil mit Einem Worte die formelle Anarchie in 
Blüthe fommt. 

Hierin Liegt ver Grundfehler bei ven meijten Hoftheatern mit 
Intendanz. Der Intendant nimmt alle Befugniffe an fich, nicht 
nur die Befugniffe ver oberjten Herrichaft, welche ihm zuftehen, 
jondern auch die Befugniſſe zur Negierung in allen Zweigen, die 
Detail-Regierung. Ohne Fachfenntnig aber und ohne fleißige Hin- 


480 Das Burgtheater. 


gebung an die Arbeit ver Zweigregierung, bejchädigt er alle Zweige, 
und was wird aus dem Baume, wenn alle Zweige bejcbädigt wer- 
den? Ein verfrüppeltes Gewächs. Die Alles in jich begreifenden 
Intendanzen der deutjchen Hoftheater tragen aus folchen Gründen 
die Schuld des Theaterverfalls. 

Diejen Gedanfengang entwidelte ich bei meiner Rückkehr dem 
neu ernannten Intendanten. Er bevief fich darauf, daß er ja jelbit 
nicht Chef wäre und auch den artiftifchen Gang zu verantworten 
hätte, dieſen artijtiichen Gang aljo auch ſouverän leiten müßte. 
Kurz, es waren eben aus den früheren zwei Injtanzen jeßt drei In— 
tanzen geworden zur Freude bureaufratifcher Stellenhäufung, und 
die artitifche Divection war als dritte verurtheilt, fich mit den Be— 
fugnifjen einer Ober-Regie zu begnügen, 

Diefe Begnügjamfeit war mir nicht angemejjen. Sie war. 
weder meiner Vergangenheit an diefem Injtitute angemefjen, noch 
meinem Charafter, noch meiner urjprünglichen Anftellung. Ich 
war vor achtzehn Jahren nur eingetreten, um als artiftifcher Director 
ſchaffend zu wirfen; ich hatte troß unbefchreiblicher Hindernifje 
achtzehn Jahre — jelbjt nach dem Zeugniffe meiner Gegner — jo 
gewirkt; ich hatte fein Interejfe an einem Theater-Amte, als das 
literariſch-künſtleriſcher Wirffamfeit, und ich mußte endlich die neue 
Einrichtung als ein Mißtrauensvotum gegen meine Wirffamfeit 
empfinden. Da blieb mir denn Nichts übrig, auch gegenüber allen 
Berficherungen, e8 ſei nicht auf ein Mißtrauensvotum und nicht auf 
meinen Abgang abgejehen, als in ver That abzugeben, 

Dies Alles fette ich dem neuen Chef, dem Herrn Oberjthof- 
meijter Fürſten Conftantin zu Hohenlohe, auseinander, Er iſt ein 
junger Mann mit angenehmen Umgangsformen, welcher mir eröff- 
nete, daß er vom Theater Nichts verſtehe, und daß er mit der un— 
mittelbaren Leitung deſſelben Nichts zu thun haben wolle. Deß— 
halb habe er das neue Zwifchenamt einer General-dntendanz er: 
richtet, und den notablen dramatifchen Dichter Friedrich Halm — 


Das Burgtheater. 481 


Baron von Münc-Bellinghaufen — mit diefem Amte betraut. Uebri— 
gens wünsche er wie Jedermann, daß meine Thätigfeit dem Hofburg- 
theater erhalten bleibe. Er finde auch meine Beweisführung in 
Betreff meiner Vollmachten ganz richtig, und werde fogleich einen 
Compromiß anbahnen mit dem neuen Herrn General-Intendanten, 
einen Compromiß, welcher mir die wichtigjten meiner Bollmachten, 
namentlich das Recht ver Nollenbejegung, wieder verleihen folfe. 

Am andern Tage hatte ich dann eine Zuſammenkunft mit dem 
Herrn General-Intendanten, im welcher diefer Compromiß formulirt 
werden ſollte. Das erwies ſich unmöglich. Baron Münch be— 
hauptete noch jtarrer als er früher gethan jeinen Anſpruch auf aus: 
gedehntejte Souverainetät, Er müſſe der Herr fein auch über vie 
fleinjte Anordnung, auch über die geringfte Beſetzung — das war 
fein Refrain. 

Mit Einem Worte: die artiftiche Direction follte in eine bloße 
Dberregie verwandelt werden. 

So bat ich denn zum zweiten Male um meine Entlafjung, 
Ich wurde num noch einmal jehriftlich befragt, ob ich mich wirffich 
nicht den neuen Inftructionen fügen wollte, und nachdem ich viefe 
formelle Frage mit einem formellen Nein beantwortet hatte, erbielt 
ich jet meine Entlaſſung. 

Ginige Zeit nach meinem Austritte hatte einer meiner Freunde 
eine längere Unterredung mit dem Herrn Fürſten zu Hohenlohe 
über dies Thema, und da erklärte der Yestere unummwunden: „Es 
mußte ein Ende gemacht werden damit, daß der artiftiiche Director 
das Burgtheater zu liberalen politiichen Stücken mißbrauchte, wie 
„Statthalter von Bengalen” und „Aus der Gejellicaft‘‘. 

Diefe Aeußerung war evjichtlich ernſt gemeint: Baron 
Münch hatte mir ſchon, als ich noch im Amte war, officiell aufge 
tragen, jene Stücke vom Nepertoive auszufchliegen. 

Hierdurch wurde alſo doch ein politiiher Grund fichtbar. 


Man hatte nicht an einen folchen geglaubt, weil um dieſelbe Zeit 
Laube, Furgtheater, 31 


482 Das Burgtheater. 


ein liberales Minifterium eingefest worden war, Mich jelbjt über- 
rafchte ev nicht; ich Hatte num zu oft erfahren, daß die Hoftheater- 
Intendanzen von einer alten Tradition nicht laſſen fünnen, welche 
den Todesfeim der Hoftheater im jich birgt. Dieje Travdition lautet: 
das Hoftheater ift nur für den Dof da, das Publicum, oder die 
Nation, oder wie man fonft die zufchauende Mafje nennen mag, iſt 
ein gleichgültiges Ding. ine Tradition, welche eben jo dem Hofe 
wie vem Theater ſchadet. — Es fam nicht darauf an, daß Baron 
Münch das Verbot jener Stücke zunächſt nicht aufrecht erhalten 
fonnte vor der ſtürmiſch auftretenden öffentlichen Forderung. Das 
jonjt jo artige Publicum des Burgtheaters demonftrivte nämlich 
Wochen, ja Monate lang in unerhörter Weije gegen ſolchen Wechjel 
der Divection. Es fam nicht darauf an, daß man dem Sturme 
eine Zeitlang nachgab und jene Stüde noch aufführte; ein Theater: 
publieum wechjelt allmälig, und hat auf die Länge feine Macht 
gegen das Verfchwinden von Stüden. Meine Stüde verihwanden 
nach und nach ganz vom Repertoire. Jetzt, dir ich dies ſchreibe, iſt 
ungefähr ein Jahr lang Fein einziges mehr gegeben worden, Sa, 
ein neues Stüd von mir, welches „Böſe Zungen‘ geheißen, trieb 
die neue Intendanz zu einer ganz neuen herausfordernden Maß— 
regel. Baron Münch hatte vafjelbe angenommen, weil er fich, wie 
er fchrieb, große Wirkung davon verſprach. Die nachfolgende 
leberfegung oder höherer Befehl hatten ihm aber flar gemacht, daß 
die Aufführung eines neuen Stüdes von mir ein Fehler wäre, und 
als die Cenſur des Minifteriums die „Böſen Zungen” zufällig 
befunden hatte, ſchrieb er mir den berühmt gewordenen Abjagebrief. 
Der Kern vefjelben war: einem Gegner der hewrichenden Direction 
fann das Theater nicht eingeräumt werden zur Aufführung eines 
nenen Stüdes. 

Baron Münch ſelbſt, welcher als Friedrich Halm da in eine 
mißliche Situation gerathen ift, und mit welchem ich obenein jeit 
dreißig Jahren befreundet geweſen, hat in diefer jähen Entwidelung 


N 


Das Burgtheater. 483 


eine vielen Yeuten befremdliche Rolle übernommen, Wer ihn 
näher fennt, erklärt fie fich dadurch, dag Baron Münch von Jugend 
auf in bureaufvatifchem Dienjte aufgewachfen ift. Cr ſteht feinem 
vierzigjährigen Amtsjubiläum nahe, und Sinn wie Wefen des 
Bureaufratismus ift ihm grümdlich eingelebt. Auch einer Kunſt— 
anjtalt gegenüber ift ihm diefer Sinn und dieſes Wefen Eins und 
Alles. Gr übernimmt die Aufgabe, zu welcher er befohlen wird, 
und geht an die Thätigfeit wie ein Beamter, welcher dem Unter: 
gebenen feinen Hauch von Selbititändigfeit einväumt, ja feiner 
hietarchiichen Erziehung gemäß gar nicht einräumen kann. Der 
Organismus eines fünftlerifchen Imftitutes, welcher in gewiljen 
Bereichen eigen fchaffende Factoren braucht, ift ihm fremd, und 
das Selbjtgefühl eines ergranten Beamten bringt ihn leicht über 
die Sorge hinweg: ob er auch jelbft Hinveichende fpecifiiche Fähig— 
feit für die neue Aufgabe befiße, Er erflärte mir denn völlig-naiv, 
daß er mich zwar augenblicdtich für ven beiten Director des Burg- 
theaters hielte, daß er aber doch Generalintendant geworden, und 
als jolcher zuerjt und zulett auf Behauptung jeglicher Machtvoll- 
fommenheit verharren müſſe, auch wenn deßhalb das Theater meiner 
weiteren Mitwirkung entbehren Sollte. 

Es liegen Nachrichten im Menge vor, welche für dieſen 
Directionswechjel noch andere Erflärungen aus perfönlichen Moti— 
ven beibringen. Dergleichen zu erörtern fcheint mir aber an diejer 
Stelle unangemeifen. Man hat es. vielfach und nachdrüdlich aus— 
geiprochen, dag ein jolches Umfpringen mit den Kunftinterefjen 
eines großen Injtitutes etwas Erſchreckendes habe, da diefe Kunſt— 
interejjen jelbjt gar nicht in Betracht gezogen würden. Man hat 
erſtaunt gefragt: wie das gejchehen fünne unter dem Widerſpruche 
alfer namhaften Kreife des Publicums, der hohen und höchiten 
ebenſo wie der mittleren und allgemeinen? Darauf antwortet man: 
die ganze Situation erklärt ſich dadurch, daß ver Kaiſer nicht ein— 


greift in den Reſſort feiner oberiten Hofbeamten, auch dann nicht, 
31* 


484 Das Burgtheater. 


wenn die Mafregeln derfelben feinen Beifall nicht haben. Der 
Herr Oberjthofmeijter wird alfo nicht geftört in feinen Handlungen, 
und übernimmt jelbjtweritändlich allein die Verantwortung der— 
jelben. 

Was bedeutet diefe Verantwortung? Wer weiß es! Es fommt 
auf das Gewiſſen Tejjen am, welcher handelt, und es fommt auf 
den Charakter ver Zeitepoche an, in welche fo zuverfichtliche Hand— 
(ungen fallen, Graf Gzernin hat den Schreyvogel befeitigt, und 
durch die Leichtfertige Einſetzung Deinhardfteins das Burgtheater 
tief beſchädigt. Weiß Jemand, daß des Grafen Gzernin Gewiſſen 
hierdurch beunruhigt worden jei? Kaum. Das Gewiljen jett ja 
doch ein Wiffen voraus. Wird dies Wiſſen oft vorhanden fein, 
wenn zur VUebernahme einer Negierung feinerlei Fachfenntniß ges 
fordert wird? Jene Tleichtfertige Handlungsweife gegen Schrey— 
vogel fiel in eine anfpruchsiofe Zeitepoche. Erſt nach zwanzig 
Jahren wırde fie verurtheilt, als die tauben Früchte des Theaters 
für Sedermann reif waren, und zu der Nachfrage drängten: wer 
hat denn fo franfe Bäume gepflanzt ? 

An ihren Früchten jollt ihr fie erfennen! fagt die Schrift, und 
damit müfjen wir uns bejcheiven. 

Der Zweck dieſes Buches bringt es mit fich, daß ich das eben 
ablaufende Jahr der neuen Burgtheater-Direction, 1867 — 1868, 
noch ſchildre, und die Bejchaffenheit der neuen Früchte noch an— 
deute. Sch werde das fo unbefangen wie möglich thun, aber auch 
jo rückſichtslos wahr, wie es meiner Anſchauung entipricht. Denn 
ich will dem Inſtitute nüßen. 


XXXIX. 


Sch bin der Letzte, welcher gegen einen Divectionswechfel 
Etwas einzuwenden hat. Ein alter Practifus hat einmal gejagt: 
mon muß feinen Theaterdirector länger als jechs Jahre im Amte 
(afjen. Denn nad ſechs Jahren iſt feine Driginalität und Produc- 
tionsfraft erfchöpft; er copirt fich ſelbſt, und beeinträchtigt die Ent» 
wickelung des Inftitutes, welches frifche Säfte vonnöthen hat. 

Der alte Bractifus hat gar nicht Unrecht, und ich perjönlich 
war fchon lange geneigt, und war ſchon einige Male pofitiv auf 
dem Punkte, aus eignem Bedürfniſſe zurüdzutreten, und einer 
frifchen Kraft Plat zu machen. 

Wenn ich alfo eine veriprechende Perfon mit gutem Princip 
hätte auftreten fehn, damit ich ihr Raum gäbe für neue Wirkſam— 
feit, ich hätte es wahrlich mit ganzer Bereitwilligfeit gethan. Ja, 
ih kann ehrlich hinzufegen: mit Freude hätte ich dem neuen 
Director alle Erfahrungen und erprobten Hilfsmittel zu Dienjt ge- 
jtellt, damit das Inftitut gedeihe und weiter wachfe. Denn man 
liebt folch ein Inftitut wie man ein Kind liebt, das man erzogen 
hat, und dejjen gute Entwidelung Einem am Herzen liegt. 

Aber dieſer Wechfel widerfprach Alledem,. Für die Behörde war 
augenblicklich fein Bedürfniß des Wechfels vorhanden, denn das 
Inftitut war im Gedeihn, es hatte die allgemeine Stimnumg für ſich, 
und der immer nothiwendige und wohl auch berechtigte Tadel ging 
nur auf Einzelnheiten, deren Berbejjerung aufmerkſam erjtrebt wurde. 

Und welche Perfon, welches Princip wurde eiligit an die 
Stelle gefhoben ? Eigentlich feine Perſon und fein Princip. 


486 Das Burgtbeater. 


Baron Münch, als dramatiſcher Dichter Friedrih Halm ge- 
nannt, beſaß und bejitt als Dramaturg gar feine Phyſiognomie, 
und nachdem er an meine Stelle getreten, enthüllte er fein Princip 
dahin, dar er in jedem Tagesbefehle anordnete: es foll Alles fort- 
geführt werden wie unter Yaube. 

Wozu alfo der Wechjel? Dazu: Mean hatte im Grunde ge- 
meint, es jollte nur die Herrichaft geändert, die mühjame Aus- 
führung aber von mir weiter geführt werden. Als ob das ginge, 
ſelbſt wenn ich“ mich dazu hergegeben hätte! Unreife Vorftellung 
von einem Organismus, der nur eine herrfchende Seele haben 
fann; unreife Velleitäten politiiher Wallung, nicht einmal eines 
politiichen Syſtems! 

Ein fundiger Mann fagte: „Es iſt dies ein HDineintaften von 
Dilettanten, welche die Folgen nicht überfehn, denn auch Münch- 
Halm ift ein bloßer Dilettant als Director. Man verwechfelt, wie 
berfömmlich, den Titel mit der Fähigkeit“. 

Baron Münch war berufen worden, und er hatte fich berufen 
laſſen, nicht weil er nebenher als Friedrich Halm dramatiſcher 
Dichter war — jeder Laie weiß ja, daR ein dramatifcher Dichter 
nicht Dramaturg zu fein braucht —, ſondern weil feine Rangſtellung 
paßte für das neue Amt, und weil man einen gefügigen Mann ohne 
literarifche Grundſätze zu brauchen meinte. 

Die Inſceneſetzung ſelbſt feiner eignen Stüde war nie feine 
beſondere Fühigfeit. Dieje dramaturgiſche Aufgabe hatte er immer 
praftifchen Yeuten überlaſſen. Dbenein hat er vorzugsweiſe Stüde 
geichrieben, welche phantaftiichen Boden haben; der ganze Pragma— 
tismus des Theaters, welcher mit hundertfachen Nealitäten zu 
rechnen hat, ift ihm fremd. Endlich hat er immer zurücigezogen 
gelebt, fajt einfiedlerifch,, und kennt weder das deutſche Theaterper- 
fonal, noch iſt ibm der dornenvolle Verkehr mit Schaufpielern ge— 
läufig — er fennt Bücher, er war und ift aus der Hofbibliothef. 

Nun regiert ev Theater. 


Das Burgtheater. 487 


Sn welcher Weiſe? — Das deutſche Theater hat eine ſchwache 
titerarifche Production, es hat einen geringen Vorrath an dar— 
ftellenden Talenten, es hat — namentlich in Wien — ein anfpruch$- 
volles, Leben verlangendes Publicum. Der Leiter des Theaters 
muß für all Das helfend eintreten, muß alfo einige Fähigkeit haben 
für diefe Hilfsleiftung. Er muß zunächſt alle Stüde jelbjt in 
Scene feßen, er muß die Schaufpieler leiten und erziehen. 

Dies hatte ih nach Kräften gethan, und an diefe Thätigfeit 
waren Dichter, Schauspieler und Publicum gewöhnt. Das Alles 
aber ift unter. der Winde und wohl auch unter der Fühigfeit des 
General-Intendanten. Gr leitet nur vom Bureau. Er ernennt 
eiligft einen früheren Schauſpieler, der als ſolcher noch dazu in un— 
günftiger Wiener Erinnerung jteht, zum nominellen Divector, und 
führt ihn am Leitfeile. Die Schaufpieler fühlen ſich ſolchem Quaſi— 
Director überlegen, und die Herrichaft auf der Scene zerfließt. 
Die neuen Stüde und neuen Injcenefeßungen werden oberflächlich 
in die Außerlichen Formen gefchoben, wie fie hergebracht find bet ven 
meiften Intendanztheatern, fie fommen zum Borfchein ohne jegliche 
Signatur und Ausarbeitung, fie bleiben wirkungslos für das Publi- 
cum, wirfen entmuthigend auf die Schaufpieler, welche die maß- 
gebende Leitung vermiffen, und das Ganze taumelt dem Verfalle zu. 

Das Jahr vom Herbite 1867 bis zum Herbite 1868 hat das 
in einer Schnelligkeit dargethan, welche auch mich überrafht: Die 
alten Vorstellungen verfielen, die neuen Vorftellungen fielen durch, 
das alte gejchloffene, im Urtheile fein geübte Publicum 309 jich 
zurüd, und ein neues, ungejtaltes zog ein. 

Unter den neuen Stüden war Halm's „Begum Somru’ das 
wichtigite. Es wurde vom Publicum parteiifch ungünstig behandelt; 
man ließ den Dichter entgelten, was man dem neuen Intendanten 
vorwarf: einen unnöthigen und unpopulären Wechjel ver Direction 
herbeigeführt zu haben. Die Wiederholungen des Stüdes, welche 
der Intendant mit Necht jtandhaft fortiette, haben die Stellung 


488 Das Burgtheater. 


des Stückes wohl einigermaßen verbefjert, es ift aber doch zweifelhaft 
geblieben, ob das Stück einen Plat im Repertoire behaupten fünne, 

Sp wird man oft gerade da gejtraft, wo man Aufinunterung 
verdient hätte, Halm Hat in „Begum Sowmru“ ver blos virtuofen 
Dramatif den Rüden gefehrt, und einen befjeren Weg betreten. 
Der Inhalt ift hier wahrhaft, lebensvoll und wichtig. Auch die 
Form, bei Halın ftet8 von anmuthiger Vollendung, gebervet fich 
nicht despotifch und verläßt die Linien nirgends, welche das Wefen 
des Inhalts ſachgemäß vorfchreibt. 

Eine indische Fürftin (Begum) hat in diefem Stüde ein Liebes— 
verhältnig mit vem Engländer Dyce, und wird von ihm betrogen. 
Der ganze Apparat englischer Annerionen in Indien fpielt da mit 
hinein, und Warren Haftings, der englifche Chef, fchreitet wie das 
Schickſal näher und näher, bis die Liebesfataftrophe ver Begum fo 
weit gediehen ift, daß fie mit ver Stataftrophe des Yandes zuſammen— 
fallen fann. Der Landsmann Dpce wird geopfert, die um ihren 
Liebesglauben betrogene Fürftin tödtet ſich, das Yand verfällt der 
ojtindischen Compagnie, 

Diefer an fich reichhaltige Borgang wird belebt durch vie 
Liebesintrigue des Dyce mit einer Sclavin der Begum, Schirin, 
und durch die draſtiſche Entdeckung diefer Yiebesintrigue, 

Man fieht, das Thema war wohl gewählt und gegliedert, 
Halm war gründlich abgegangen von der Art feiner früheren Com— 
pofitionen, und hatte jich der breiteren, mannigfach charafteriftiich 
die Menjchen wie die Vorgänge entwicelnden Form zugewendet, 
welche in unſrer dramatischen Yiteratur natürlich und claffiich ges 
worden ift. Möge es ihn nicht ivre machen, daß die Einführung 
des Stüdes nicht glüclich gediehen ift. Sein Uebergang zu ge— 
jünderer Form wird nicht ohne Lohn bleiben. 

Frau Nettich hat das Stück zuerſt in Berlin als Gaſt gebracht, 
und feinen vollen Erfolg damit erzielt, weil die Meberrajchung der 
Liebenden, Schivin und Dyce, Anſtoß gegeben, und weil der da— 


Das Burgtheater. f 489 


malige letste Act feine Befriedigung gewährte. Frau Nettich jelbit 
war auch nicht geeignet, einer um Liebe verzweifelnden etwa dreißig— 
jährigen Fran den günftigften Ausdruck zu verleihn. Jene Ueber: 
raſchung der ſchlafenden Yiebesleute hat im Burgtheater feine 
Störung veranlagt, und Halm hat den lesten Act glücklich umge— 
arbeitet, Der jegige, tragiihe Schluß ijt eine gründliche Ver— 
bejferung. Den schlechten Dyce zuletst auch noch feig und das Ganze 
ohne eigentliche Kataftrophe ausgehen zu jehn, wie es in der Berliner 
Aufführung der Fall gewefen, mußte den Gefammteindrud ſchädigen. 

Zu bemängeln bleibt am Stüd wohl noch, daß die Begum 
gar feinen nationalen Zufammenhang mit ihrer Heimath zeigt, daß 
ihr Sitte, Baterland und Staat gar Nichts bereutet, und daß ihr 
die Yiebe eines nichtswürdigen Patrones Alles ift. Da vieler 
Patron in allen Beziehungen nichtig, jo leidet ste felbit unter dem 
Rückſchluſſe von ſolchem Geliebten auf die Yiebende, Wie viel be— 
deutet jie jelbjt, wenn ein Wicht ihr Alles beveutet? Hier hängt 
der Autor noch in den Schlingen der alten Vorliebe für Capricen, 
und verliert dadurch an der Größe des Schluffes, welcher im Tode 
Befriedigung und Erquidung gewähren kann, ſobald ver fterbende 
Menſch für einen großen Zweck ſtirbt. 

Halm mag ih auf, ‚Othello‘ berufen und auf die tragiſche Be— 
rechtigung jeder Leidenſchaft, und jedenfalls iſt ſolcher Schritt eines 
begabten Poeten zur Einfachheit und Wahrhaftigkeit von großem 
Werthe, Cr läßt uns hoffen, daß feine fernere Production fich von 
der blos fünftlich poetifchen Marotte, vom Kuhreigen einer lepiglich 
erträumten Welt ganz emancipiven, und uns nod) ganz gejunde 
Dramen jchenfen werde, Die deutjchen Theater werden ihn darin 
bejtärfen, und werden ihren eigenen Vortheil finden, wenn fie 
„Begum Somru“ ihrem Bublicum vorführen. 

Der Sturz des Concordates gejtattete in dieſem Jahre endlich 
die Wiederaufnahme des „Königs Johann“, welchen ich des Ver: 
botes wegen damals nicht über die Yeleprobe hinausgebracht hatte. 


490 Das Burgtheater. 


Das Stüd fonnte jett gegeben werden, hat aber feinen klaren Ein- 
druck gemacht. 

Das war vorauszufehen, jobalv das Originalftüd nicht einige 
Zuthat in der Compofition erhielt. Die „Hiſtorien“ Shafejpeares 
jind eben unverändert feine Theaterjtüde für uns, wenigſtens nicht 
vor einem lebensvollen Publicum, wie es in Wien ven Ton angiebt. 

In dieſen „Hiſtorien“ ift der hifterifche Vorgang und bie 
Sharafteriftif der vorherrſchende Gefichtspunft, die dramatijche 
Sompofition fteht in zweiter Linie, und tritt mitunter ganz zurück. 
Es fehlt alfo der durchſtrömende, geichloffene Zug der Handlung. 
Es geichieht Viel, aber das Gejchehen jteht im VBordergrunde, das 
Handeln, die eigentlihe Macht des Dramas, die perjönliche Ent- 
wicelung des Menſchen durch folgerichtige Thätigfeit, der eigentliche 
pramatifche Quell des Gefchehens bleibt meiſt vervedt. Wir jind 
deßhalb zweifeldaft, für wen wir uns interejjiren jollen, und im 
Theaterſtück müſſen wir uns für Perfonen interefjiven; wir zer 
jplittern unfre Theilnahme auf Partien, auf einzelne Scenen — 
wir bleiben ohne ven Einprud einer gefammelten Handlung. 

Dazu hatte die Infcenefegung auch noch das Nüchitliegende 
verabſäumt: jie hatte auf den Proben nicht wahrgenommen, vaß 
die Perfonen viel zu viel Unflares und Schwülftiges jprechen, und 
das fie davon befreit werden mußten, wenn jie nicht ſämmtlich ihre 
Reden abjtumpfen und wirfungslos machen follten. Hätte das Stüd 
nicht den Namen Shafeipeares an der Stivn getragen, fo wäre die Auf- 
führung an dem überbaufchenden, fraujen Bombaft zu Grunde ges 
gungen. 

König Sohann gehört nicht zu den befjeren Stüden Shake— 
ipeares, und man hat deßhalb auch früher die Echtheit deſſelben 
angezweifelt. Der Unterſchied im Ausprude iſt neben „Hamlet“, 
‚Macbeth‘, „Othello“ ein jehr großer. Der Dichter des „Königs 
Johann“ ſteckt noch tief in der Modeform ver Eliſabeth-Zeit, welche 
über feine Nede, über fein Wort alatt hinweg kann, fondern Ana— 


Das Burgtheater. 491 


logien jucht, Vergleiche herbeizieht, über Witjteden jtolpert, furz 
nach unfern Begriffen ſchwülſtig, gefucht, gefhmadlos wird. Jede 
Einfachheit geht verloren, jeder Nachdrud mit ihr. Die Gedanfen, 
im eigentlichen Shafejpeare fpäterer Periode jo fein und fo groß, 
jo unicheinbar oft und doch jo mächtig — fie verfrüppeln hier faſt 
alle im Entjtehen durch überbreite Ausführung, oder fie erfaufen im 
Wortſchwall. Fajt alle, denn die Klaue des Löwen iſt wohl 
einige Male fichtbar, und zwar in denſelben Wendungen, welche in 
jpäteren Stücken bündiger zum Vorſchein fommen, zum Beifpiele 
„Ungeduld hat ihr Vorrecht“. 

Kommt nun hinzu, daß alle endlofen Kevden nicht ımterjtütt 
werden von dramatifcher Spannung, jondern im Grunde immer 
monologiſch ericheinen, wenn fie auch in Gegenwart andrer Per: 
jonen gefprochen werden, jo ergiebt fich die faum überwindliche 
Schwierigfeit, mit ſolchen Reden ein Theaterpublicum wirklich zu 
treffen. Dper find denn die großen tragifchen Reden Conjtanzens 
etwas Anderes als Monologe? Erſcheinen fie nicht wie Bravour— 
Arien? Auf den Gang ver Handlung üben fie nicht den geringiten 
Einfluß; ja, wir wiſſen's vorher, daß fie gar feine Wirfung haben 
fönnen, daß nur ‚die Mutter ihre Schulvigfeit thun muß. Wenn 
wir’s uns ganz überlegen, jo fommen wir jogar zu dem Refultate: 
die Figur der Conftanze kann ausgefchieden werben aus dem Per: 
jonal, ohne daß in den Vorgängen das Minvefte verändert wire. 
Sie hat num zu lagen. Solche Bemerfung ift aber wernichtend für 
den dramatiſchen Begriff und für den armen Schaufpieler, welcher 
außerhalb des organischen Verbandes einen blos declamatoriſchen 
Effect juchen und erzwingen muß. Im Laufe der Acte fommt man 
jelbjt beim Baſtard Faulconbrivge, einer vortvefflih gedachten 
Hauptfigur, auf den Gedanken, ob jie denn eigentlich nöthig fei, 
ob jie nicht durch einen Botenläufer erjett werden fünne, Er 
ipricht zu Allem mit, aber er gewinnt nirgends einen Einfluß auf 
die Handlung. Hier jtehen wir eben vor einem innerjten Gebrechen 


492 Das Burgtheater. 


einer „Hiſtorie“, welche den Vorgang in Begebenheiten und Ge: 
ihehnijjen vorüberführt, und nicht in Entwidelung der handelnden 
Perſonen. Und deßhalb haben die Schuufpieler einen fo trojtlos 
ihweren Stand in folcher „Hiſtorie“, deßhalb hat die Inſcene— 
jegung jolch einer Halbform vor allem Uebrigen darauf zu achten, 
daß die ohnehin in die leere Luft fprechenden Schaufpieler nicht auch 
noch breit und redſelig zu fprechen haben. Herr Baumeifter, welcher 
den Bajtard zuerjt gut jpielte, war zuletßt ohne Athem, Stimme und 
Wirkung, die leere Luft hatte Alles verzehrt, 

Das Stüd ift reich an Stoff und Gegenfägen und Charafteren. 
Eine talentwolle Bearbeitung, welche fich zu Veränderungen im 
Gange entjchließt, zu fichtliher Motivirung in der Scenenfolge, 
fönnte wohl ein Kepertoivejtid für unfve Bühne gewinnen aus 
dieſer bloßen Hijtorie. 

Am Schlufje ver Saiſon brachten die Schaufpieler endlich der 
Direction eine Borftellung zu Hilfe, welche die warme Theilnahme 
des Publicums gewann. Site hatten für fi das Fragment von 
Grillparzers „Eſther“ einjtudirt, und gaben es im Operntheater 
zum Beſten eines Wohlthätigfeitszwedes. Es fand enthufiaftifche 
Aufnahme, und ging dann in's Burgtheater über, 

Wir hatten ſchon vor Jahren Grillparzer die Erlaubnig abge: 
rungen, dies Fragment aufzuführen. Sehr ungern gab er fi. Er 
(tebt es nicht mehr, an die Deffentlichfeit gezogen zu werden, und 
war herzlich froh, als die Beſetzung Schwierigfeiten zeigte, und das 
Unternehmen liegen bleiben mußte. Kine Schaufpielerin nämlich 
hatte fich die Rolle ver Ejther von ihm erbeten, welche ich ungeeignet 
fand für diefe Aufgabe; er aber wollte fich ven Aerger erjpart jehn, 
jein halb gegebenes Verjprechen zurüd zu nehmen. 

Jetzt war dies Hinderniß veraltet, die Schaufpieler beriefen ſich 
auf die frühere Erlaubniß, und wir fahen im Opernhaufe den Vor— 
hang aufgehen zu dem zweiactigen Drama, ihm, dem alten Herrn, 
zur Sorge, ung Allen zu großer Freude. Trog der Mittagszeit 


Das Burgtheater. 493 


war das Opernhaus voll, Die Wiener willen e8 zu ſchätzen, wenn 
ihr größter Dichter eine Spende zuläßt, und fie hörten, fie hörten 
in einer Stille, daß auch nicht eine Sylbe verloren gehen fonnte. 
Am Hofe zu Suja find alle Parteien in Verwirrung, weil fich 
der König von feiner eigenfinnigen Gemahlin gefchievden hat. Was 
jollen jie thun? Was wird gejchehen? Auf welcher Seite ift Ge- 
winn zu erwarten? Letzteres fragt befonders Haman, ein hoher 
Staatsbeamter, ein Mujterbild von diplomatifcher Vorficht und 
Eigennügigfeit. Sich nirgendhin vergeben, Alles einleiten, für gar 
Nichts Verantwortlichfeit übernehmen, für Alles aber ſich den Lohn 
ſichern, wenn ver Erfolg eintritt — das ift fein Weſen, reiflichſt vom 
Dichter gezeichnet, reiflich von Yewinsfy vargejtellt. In diefem Sinne 
hat Haman veranjtaltet, daß die ſchönſten Mädchen des Reichs an den 
Hof gebracht und dem Könige zur Wahl vorgeftellt werden. Er wird 
ja dann die neue Königin gefchaffen haben, und allen Danf ernten. 
Der König dagegen hat in einer großen Rede — meilterhaft 
vorgetragen von Sonnenthal — fich zornig ausgefprohen, daß er 
bei all jeiner Macht ein Sclave feiner Sclaven wäre, denn er 
müßte durch ihr Auge jehn, durch ihr Ohr hören, und fie zeigten 
und böten ihm ſtets Falfches, fie fuchten ihren Vortheil, nicht das 
Wohl des Volfes, nicht das Wohl des Königs, welcher wirkungslos 
jei mit aller Yiebe und mit allem Drange, feine Yiebe zu bethätigen, 
Bei diefer Stimmung hat die bloße Mädchen | ch au wenig Aus- 
Jicht auf eine Wahl. Ja, der Unmuth des Königs wird durch vie- 
jelbe nur gefteigert, und zu Hamans Verzweiflung will er auch das 
fette Mädchen von dannen ſchicken — da gewahrt er, daß dies 
Mädchen jelbjt gar nichts Anderes will, als fortgefchieft zu werden, 
Es ijt Ejther, eine Jüdin, natürlich, Flug, faſt weile. — Diefe 
Weisheit wäre eine Gefahr für ven Charakter des jungen Mädchens, 
wenn der Dichter nicht ein Poet erjten Nanges ift. Grillparzer 
hat jeine größte Kraft darin bewiefen, daß die Reden Ejthers nur 
an Weisheit jtreifen, und mit ver Jugend vereinbar find. Sie ent: 


494 Das Burgtheater. 


jpringen nicht aus bewußter Erfahrung, fie entjpringen aus einem 
glücklich begabten Naturell, welches neben Mardochai, einem jüdi— 
ihen Philofophen, aufgewachfen ift. Ejther hat Logik eingefogen 
ohne Abficht, und fo iſt fie jett verjtändig vor dem Könige ohne 
Abſicht, und da fie übrigens aut und liebenswürdig, und da der 
König ebenfalls gut und liebenswürdig, fo finden fich in einer 
langen Scene — ein Meiſterſtück von feiner, echter Liebesfcene! — 
die beiden Menfchen vergeftalt zu einander, daß Jedermann im 
Publicum innerlich zuftimmt und vuft: Sa, fo entjteht wahre Liebe, 
die Beiden lieben ſich, fie gehören zu einander, fie find König und 
Königin — und fo fällt der Vorhang unter enthuſiaſtiſcher Zu— 
ſtimmung des ganzen Haufes; das Fragment ift zu Ende, 

Das Fragment? Iſt es denn eines? ch finde, die Vorftellung 
hat erwiejen, daß es ein Stück ift, nicht blos ein Fragment. Einige 
breitere Borbereitungen tim erſten Acte, welche allerdings für ein 
längeres Stück angelegt find, brauchen nur abgefürzt zu werben, 
und e8 entjteht auch die wünjchenswerthe Symmetrie, und ein zwei— 
actiges Stück ift abgerundet. Es liegt da feit langen Jahren beim 
Dichter als Fragment, weil der Dichter klar oder unflar empfunden 
hat, daß er fich mit diefer großen, und was die Hauptfache ift, mit 
diejer abſchließenden Liebesicene die Fortſetzung erfchwert, wenn 


nicht vergeben hat. Sch meine: vergeben. Die höchjte Karte ift 


ausgefpielt, was kann nun fommen? Prüfungen? Rückgänge? 
Weil fie eine Jüdin ift, und die Juden fremd und verachtet waren? 
Das wird bei dem Sinne des Königs abfallend, nicht jteigernd er- 
ſcheinen. So wie König und Ejther angelegt find, müffen fie jchließ- 
[ich doch vereinigt werden, oder es muß ein Trauerjpiel entjtehn, 
deſſen wohlthuende Macht nicht abzufehen iſt nach dem, was vor— 
liegt, Hofintriguen, VBerhetung der beiden Hauptperjonen, ſchmerz— 
(ihe Trennung, welche nur auf gemachten Motiven beruht, alfo 
fein gutes Trauerfpiel. Das verlängerte Schaufpiel aber wird die 
Höhe diefer Liebesfcene faum wieder erreichen fünnen, und wenn es 





* 


Das Burgtheater. - 495 


fie wieder erreicht, jo wird vie Steigerung fehlen, und wir werden 
den mühſamen Weg bedauern, der nur an daſſelbe Ziel führt. 

In dieſem Gedanfengange wird wohl die Erklärung zu finden 
jein, daß Grillparzer die Arbeit hat liegen lafjen als Fragment. 
Wie dem auch ei, der alte Herr legt ſchwerlich nochmals die Hand 
an diejes Werf, und fo thun wir Recht, wenn wir ung Die veizende, mit 
vielfältiger Weisheit bedachte Gabe als zweiactiges Drama aneignen. 
Sie ijt eine ſchöne Bereicherung der Literatur und des Nepertoires. 

Es iſt diefer König eine wortreffliche Kunftleiftung Sonnen— 
thals, und ich mußte mir eingeftehen: es war gut, daß wir damals 
gehindert wurden an der Inſceneſetzung diefer Ejther, Sonnenthal 
wäre noch nicht fo volljtändig ausgebildet gewejen für diefe Rolle, 
wie er es feit der Zeit geworden, nicht ganz jo ausgerüjtet, die Rolle 
in allen Theilen, in den vhetorifchen, wie in der allmäligen Ent: 
hüllung der Gefühle vollendet darzuftellen. Auch Fräulein Bognar 
traf Haltung, Sinn und Kern der Ejther in glücklichem Grade. 

Alles Uebrige, was diefes Theaterjahr gebracht, iſt wie Spreu- 
vor dem Winde in die Luft der Vergefjenheit geflogen — es war 
eine unfruchtbare Saifon. Und nicht blos unfruchtbar, jie war 
verwüftend. Namentlich find die Schaufpieler ſämmtlich zurückge— 
gangenz einzelne unter ihnen, und zwar unter den erſten, welche 
fortwährender Aufmerffamfeit bedurften, find dem Untergange naheges 
bracht — das Burgtheater, die letste Haltejtätte des leider planlos hin- 
taumelnden deutjchen Theaters, treibt wie ein ſteuerloſes Floß auf den 
gefährlichen Wellen des Zufalls und ift in Gefahr verloren zu gehen. 

Ich kann wohl mit Zujtimmung des ganzen alten Burgtheater: 
Publicums fragen: wo lag die Nothwendigfeit eines Wechjels, für 
deſſen Gelingen jo wenig ſachgemäße Sicherjtellung vorhanden war ? 

Möge bald eine friſche Kraft zur Leitung gefunden werden, um 
einem Niedergange Einhalt zu thun, welcher nicht blos fin Wien, 
jondern für das ganze deutſche Schauſpiel ein Unglück ift. 

Die Erfüllung diefes Wunfches würde freilich in gefährlicher 


496 Das Burgtheater. 


Weife vertagt, wenn die allgemeine Wiener Stimme Recht behielte in 
Erflärung der Abfichten, welche bei dieſem Directionswechſel im Hinter- 
grunte obgewaltet. Dann wäre felbjt Baron von Münd nur als 
Schwelle benützt worden für den Einzug eines Intendanzwefeng, wie 
es an Fleineren deutſchen Hoftheatern verwültend grafjirt hat. Dann 
folgte auf den Münch'ſchen Marasmus die galoppivende Schwindſucht. 

Jenes alsdann zum erſten Mal in die Burg einziehende In— 
tendanzweſen iſt innerlich ganz ohne Intereſſe für das deutſche 
Schauſpiel, es hat nur die Tamtam-Schläge der Zeitungen vor 
Augen. Dem Grundcharakter des Burgtheaters läuft es ſchnur— 
ſtracks zuwider, indem es alle erſinnlichen Mittel äußerer Blendung 
herbeizieht, und das Einfache zerſtört, alſo gerade das zerſtört, wo— 
durch das Burgtheater Burgtheater geworden iſt. 

Das einfache Wort, das intime Schauſpiel, die keuſche Claſſicität, 
welche jedem ſinnigen Menſchen verſtändlich — ſie ſind die Grundele— 
mente des Burgtheaters. Dafür hat es Kaiſer Joſeph gegründet. Für 
die Erhaltung dieſes Inſtituts ſollen die regierenden Herren eintreten. 

Hoffentlich werden die alten, echten Freunde des Burgtheaters 
wieder Einfluß gewinnen an entſcheidender Stelle, und werden die 
Wahl dahin lenken helfen, wo neben ver Friſche auch Liebe fürs 
deutihe Schaufpiel wohnt und wo das Bedürfniß dauernder 
Schöpfung walte, Nur dann fann der deutichen Bühne ihr ein- 
facher Tempel im Buratheater wieder erworben werden. 

Sch perfönlich, in Sahren vorgerücdt, ſtehe dabei ganz außer 
Frage. Ich habe denn auch Nichts mehr hinzuzufegen als das Ge- 
ſtändniß, daß ich mit tiefem Schmerze vom Burgtheater geſchieden 
bin. An dieſem Schmerze hat die Beſorgniß den größten Antheil 
gehabt: es werde das fo eigenthümliche Iuftitut num wie jo manches 
deutfche Intendanztheater einer blos äußerlichen Führung über- 
liefert werden, 


Drud von Otto Wigand in Leipzig. 


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