Skip to main content

Full text of "Das Halsband der Königin"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 

















THE DORSCH LIBRARY. 


— 1 — 
'The private Library of Edward Dorsch, M. 





gar by his 
expressed by 














EL 
‘) / n, 


— * 


& 
ellet 





v 
Prische Ausland, 


. 


” “ Pr 
"2 Kabinetsbibliothek 
| der 


elaffifchen Nomane aller Nationen. 


„mar 


1218Stes und 1219tes Bandchen. 
Denkwürdigkeiten eines Arztes. 
* Zweite Abtheilung. 
„ Das Halsband der Königin. 
gehntes und elftes Baͤndchen. 


Jedes Bändchen koſtet 6 Kreuzer oder 3 Neugroſchen. 
Stuttgart. ® 


Berlag der Franckh'ſchen Buchhandlung. 
1850. 


Drad der 





K. Hofbugpruderei Zu Guttenberg in Stuttgar 


Be. 
Sänakkihe Werke 


4 von 


Alexander Dumas. 


— — — 


Deutſch 


von 


Dr Auguft Zoller. 


Stuttgart, 


Berlag der Franckh'ſchen Buchhandlung: 
1850. 





enkwiürdigkeiten eines Arztes. 


. Bon % v2 44 


— 





Alexander Dumas. 


Zweite Abtheilung. 
Das Haldband der Königin. 


Zehntes und elftes Bändchen. 





Aus dem Franzöſiſchen 
von 


Dr. Auguft Boller. 


— — 


Stuttgart. 
Verlag der Franckh’fhen Buchhandlung. 
1850. 


ES 


UI. 
Delirium. 


Bott Hatte ohne Zweifel das Gebet von Andree 
ebört, Herr von Eharny unterlag nicht feinem Fieber: 
m 


unfall. 

Am andern Tage, als fie voll Bierde alle Nach⸗ 
ichten verfchlang, die ihr von dem Verwundeten zus 
amen, ging Dieter durch die Pflege bes guten Doctor 
!tonis vom Tode zum Leben über. Die Entzündung 
hatte der Energie und dem Gegenmittel nachgegeben. 
Die Heilung begann. 

Sobald Eharny gerettet war, beichäftigte ſich Louis 
tan die Hälfte weniger mit ihm; der Gegenſtand hörte 
inf, Intereffant zu fein. Für den Arzt ift der Lebende 
ehr wenig, befonders wenn er in der Wiedergenefung 
Yegriffen, oder wenn er ſich wohl befindet. 

Nur, nad Berlauf von acht Tagen, in denen fl 
Andree völlig beruhigte, hielt es Louis, der alle Offen- 
Jarungen des Kranken während der Krife auf dem 

rzen hatte, für gut, Charny an einen entfernten 
rt bringen zu laflen. Er wollte das Delirium in 
Hn anderes Land verfeßen. 

Aber Eharny weigerte ſich bei den erften Berfuchen, 
welche gemadyt wurden. Er fchlug von Zorn funkelnde 
Augen zum Doctor auf und fagte ihm, er fet beim 
König, und Niemand habe das Recht, einen Mann 
Wegzujagen, dem Seine Majeftät ein Afyl gebe. 

Das Haldband der Königin. ILL. 1 


Der Doctor, der nicht gebulbig gegen widerf 
flige Genefende war, ließ ganz einfach vier Kı 
en und befahl ihnen, den Verwundeten aı 

eben. 

Aber Charny klammerte fih an das Holz fi 
Bettes an, fchlug heftig einen von den Männern 
bedrohte die Anderen wie Karl XII. bei Bender. 

Der Doctor verfuchte es .mit vernünftigem Zurı 
Charny war Anfangs yemtig logify, als aber 
Knechte beharrlich ihre Arbeit fortfegen wollten, m. 
er eine fo gewaltige Gegenanftrengung, daß feine W 
fih wieder öffnete und mit feinem Blute feine Bern 
entflob. Gr war in einen Anfall von Delirium zu: 
gefehrt, der heftiger als der erfte. 

Da fing er an zu freien, man wolle ihn 
fernen, um ihn der Biflonen zu berauben, bie eı 
Sclafe gehabt, aber es fei vergebens, bie Viſi 
lächeln ihm immer zu, man liebe ihn und werde 
des Doctors fommen, um ihn zu bejuchen: diejen 
welche ihn liebe, fei von einem Range, daß fle fe 
Menfhen Zurüdweifung fürdte. 

Bei dieſen Worten ſchickte der Doctor zittern! 
aller Eile die Knechte weg, legte einen Berband 
die Wunde, und verfegte, entfchloflen, die Bern: 
mit dem Körper zu pflegen, die Wunden in einen 
friedigenden Zufland, hielt aber das Fleber nicht 
was ihn zu erfchreden anfing, in Betracht, daß 
Kranfe von der Berirrung des Berflandes zur Toll 
übergehen Fünnte. 

Alles verfchlimmerte fih an einem Tag, fo 
der Doctor Louis an die heroiſchſten Mittel dachte. | 
Kranfe Rürzte nicht nur fi, fondern auch die Köni 
in’s Berberben; dadurch, daß er viel ſprach, ſchrie 
tadurd, daß er fich viel erinnerte, erfand er; 
Schlimmſte dabei war, daß Eharny in feinen li 
Augenbliden, und er Hatte deren viele, toller war, 
in Feiner Tollbeit. 


3 4 


oͤchſten Grade verlegen, beſchloß Lonis, ver ſich 
die Autorität des Könige ſtützen konnte, denn 
fe ſtützte ſich auch darauf, zu der Königin zu 
> ihr Alles zu fagen, und er benügte, um 
Hritt zu thun, einen Augenblid, wo Gharny, 
ch das Erzählen feiner Träume und das Her⸗ 
feiner Viſion, fchlief. 

ınd Marie Antoinette ganz nachdenkend und 
blend zugleich, denn fie dachte, der Doctor 
: gute Nachricht von feinem Kranken bringen. 
de war fehr erflaunt; gleich bei ihrer erſten 
wortete Louis gerabe heraus, der Kranke fei 


!“ rief die Königin, „geſtern ging es fo gut.” 
n, Madame, es ging jehr fchlecht.“ 
ſchickte doch Mifery zu Ihnen, und Sie ants 
mir durch ein gutes Bulletin.“ 
1b — einer tollen Hoffnung hin und wollte 
n lafjen.“ 
3 foll das bedeuten?” erwieberte die Königin 
3 „wenn e8 fchlecht geht, warum es mir vers 
as habe ich zu befürdten, Doctor, wenn 
leider zu gewöhnliches Unglück?“ 
yame.. ." 
wenn es gut geht, warum mich in eine Uns 
gen, die ganz natürlich iR, da es fih um 
:n Diener des Königs handelt? Antworten 
offenberzig mit ja oder nein. Wie fleht es 
ranfheit? Wie fteht es mit dem Kranken? 
r vorhanden?” 
ihn noch weniger, als für Andere, Mas 


fangen die NRäthfel an,” rief die Königin 
J. „Erklaͤren Sie ſich.“ 

iſt ſchwer,“ antwortete der Doctor. „Es ge⸗ 
u, zu erfahren, daß das Uebel des Grafen 
iy ein ganz moraliſches iſt. Die unbe if 


4 


nur eine Beigabe bei den Leiden, ein Vorwand 
das Delirium.” 

„Sin moralifches Uebel! Herr von Eharny |“ 

„Sa, Madame, und ih nenne moraliich 9 
was fi nicht mit dem Zerglieverungsmefler analy 
läßt. Erfparen Sie mir, Eurer Majeftlät meh 
agen.“ 
ſes „Ste meinen, der Graf...“ verſetzte die Kön 

„Sie wollen?” 

„Bewiß, ih will.“ 

„Sch will fagen, der Graf fet verliebt, das 
ich fagen. Eure Majeftät fordert eine Erklärung 
erfläre mich.“ 

Die Königin machte eine Fleine Bewegung 
den Schultern, welche bedeutete: eine fchöne Geſch 

„Und Sie glauben, man genefe hievon, wie 
einer Wunde?” fuhr der Doctor fort; „nein, das! 
wird ſchlimmer, und vom vorübergehenden Deli 
wird Herr von Charny in eine tödtlihe Monon 
verfallen. Dann . . .“ 

„Dann, Doctor ?“ 

„Dann werden Sie ben jungen Mann in’s 
derben geflürzt haben, Madame.“ 

„on der That, Doctor, man muß fih wur 
über Ihre Manieren. Ich werde diefen jungen 9 
in's Verderben geftürzt haben! Bin ich die Urf 
wenn er verrüdt if?“ - 

een 

„Aber Sie empören mid, Doctor.” 

„Sind Gie nit in diefem Augenblid Sc 
fuhr der unbeugfame Doctor, die Achſeln zuckend, 
„fo werden Sie es fpäter fein.” 

„Beben Sie alſo einen Rath, wie dies Ihr 
werbe iſt,“ faute die Königin ein wenig befänfti; 

„Das heißt, ich foll eine Verordnung machen 

„Wenn Sie wollen.” 

„Hören Sie, Madame. Der junge Mann ı 





o 


Balfam ober durch das Eiſen geheilt; bie 
en Namen er jeden Augenblid anruft, tödte 
heile ihn.“ _ 

; find von Ihren Ertremen,” unterbrad bie 
wieder in ihre Ungeduld verfallend. „Tödten!... 
.· große Worte! Tödtet man einen Mann 
Bl heilt man einen armen Narren mit 
ein?“ 

wenn Sie auch ungläubig find, fo Habe ich 
br zu thun, als Curer Majeftät meinen unters 
: Mefpert zu bezeigen.“ 

en Sie vor Allem hören, handelt es fih um 


weiß nichts davon und will nichte davon 
h wiederholte Ihnen nur, daß Herr von Charny 
nftiger Narr ift, daß die Vernunft zugleich 
ig machen und tödten kann, daß die Tollheit 
yernünftig machen und heilen fann. Wenn 
diefes Schloß von Schreien, von Träumen 
Nergerniß befreien wollen, fo werden Sie 
iſchluß faflen.“ 

Ichen 3“ 

' ja, welden? Ich mache nur Berorbnungen 
nicht. Bin ich ganz ficher, gehört zu haben, 
heart habe, gefehen zu haben, was meine 
ehen?“ 


men Sie an, ich verſtehe Sie, was wird 
ervorgehen 2” 

zweifaches Glück: das eine, das beflere für 
> für Alle, if, daß der Kranfe, dur das 
ye Stilett, weldyes man die Vernunft nennt, 
ı getroffen, feinen Todesfampf, welcher beginnt, 
en fiebt; das andere... nun wohl... . das 
.. Ob, Madame entfchuldigen Ste mich, ih 
das Unrecht zu Schulden fommen laffen, zwei 
» aus dem Labyrinth 4 ſehen. Es gibt nur 
Marie Antoinette, bie Königin von Frankreich.“ 





.: 0 0 | % | “ 
enkwürdigkeiten eines Arztes. 


TR 
Don 3 LAU 





Ar 
Mlexander Dumas. 
Zweite Abtheilung. 
Das Halsband der Königin, 


Zehntes und elftes Bändchen. 





Aus dem Franzöſiſchen 
von 


Dr. Auguſt Boller. 


— — 


Stuttgart. 
Verlag der Frauckh'ſchen Buchhandlung. 
| 1850. 





LI. 
Delirium. 


Bott Hatte ohne Zweifel das Gebet von Anbree 
—8— Herr von Charny unterlag nicht ſeinem Fieber⸗ 


all. 

Am andern Tage, als fie voll Gierde alle Nach⸗ 
bten verfchlang, die ihr von dem Verwundeten zu⸗ 
men, ging Dieter durch die Pflege des guten Doctor 
wis vom Tode zum Leben über. Die Entzündung 
tte der Energie und dem Gegenmittel nachgegeben, 
ie Heilung begann. 

Sobald Eharny gerettet war, beichäftigte fich Louis 
ı die Hälfte weniger mit ihm; der Gegenſtand hörte 
f, Intereffant zu fein. Yür den Arzt ift der Lebende 
w wenig, befonders wenn er in der Wiedergenefung 
zriffen, oder wenn er ſich wohl befindet, 

Nur, nad Berlauf von acht Tagen, in denen ſich 
drée völlig beruhigte, hielt es Louis, der alle Offen- 
rungen des Kranken während der Krife auf dem 
rzen hatte, für gut, Charny an einen entfernten 
rt bringen zu laffen. Gr wollte das Delirium in 
ı anderes and verfeßen. 

Aber Eharny weigerte ſich bei ben erften Berfuchen, 
lche gemacht wurden. Er fchlug von Zorn funkelnde 
gen zum Doctor auf und fagte ihm, er fet beim 
Inig, und Niemand babe das Recht, einen Mann 
gäujagen, dem Seine Mafeftät ein Aſyl gebe. 

Das Salsband der Königin. ILL. 1 


Der Doctor, ber nicht gebulbig gegen w 

flige Genefende war, ließ ganz einfach vier 

en und befahl ihnen, ben Verwundete 
; eben. 

: Aber Charny Elammerte fi an das Ho 

Bettes an, fchlug heftig einen von den Mänı 

bedrohte die Anderen wie Karl XII. bei Bend 


;- Der Doctor verfuchte es mit vernünftigem 
⸗ Charny war Anfangs —5 logiſch, als 
J Knechte beharrlich ihre Arbeit fortſetzen wollten 
. er eine ſo gewaltige Örgenanfirengung, daß fein 

fich wieder öffnete und mit feinem Blute feine: 


entfloh. Er war in einen Anfall von Deliriun 
gefchrt, der heftiger ale der erfte. 
' Da fing er an zu fchreien, man wolle 
fernen, um ihn ber Biflonen zu berauben, d 
u Schlafe gehabt, aber es fei vergebens, bie ! 
i lädheln ihm immer zu, man liebe ihn und we 
des Doctors kommen, um ihn zu beiudhen: d 
welche ihn liebe, fei von einem Range, daß fi 
Menfhen Zurückweiſung fürdte. 

Bei dieſen Worten ſchickte der Doctor zit 
aller Eile die Knechte weg, legte einen Verb 
die Wunde, und verfeßte, entichloffen, die 2 
mit dem Körper zu pflegen, die Wunden in e 
‚ friedigenden Zuftand, hielt aber das Fieber ni 
' was ihn zu erfchreden anfing, in Betracht, 
Kranfe von der Verirrung des Verſtandes zur 

übergehen koͤnnte. 

Alles verfchlimmerte fih an einem Tag, 
der Doctor Louis an die heroiſchſten Mittel dad 
Kranfe fürzte nicht nur fi, fondern audy bie. 
in's Verderben; dadurch, daß er viel fprady, fı 
dadurch, daß er ſich viel erinnerte, erfand « 
Schlimmfte dabei war, daß Charny in feinen 
Yugenbliden, und er Batte deren viele, toller m 
in Feiner Tollpeit. 


3 


Im höchſten Grade verlegen, beſchloß Lonis, der ſich 
icht auf die Autorität bes Königs Rügen Fonnte, denn 
er Kranfe fügte fi aud) darauf, zu der Königin zu 
eben und ihr Alles zu fagen, und er benigte, um 
tiefen Schritt zu thun, einen Augenblid, wo Charny, 
ıüde durch das Erzählen feiner Träume und das Her: 
eirufen feiner Viſion, ſchlief. 

Er fand Marie Antoinette ganz nachdenfend und 
anz firahlend zugleih, denn fie dachte, der Doctor 
ürde ihr gute Nachricht von feinem Kranken bringen. 

Aber & war fehr erflaunt; gleich bei ihrer eriten 
tage antwortete Louis gerade heraus, der Krante fei 


br franf. 
„Wie!“ rief die Königin, „geſtern ging es fo gut.” 

„Nein, Madame, es ging Er ſchlecht.“ 

„IIch ſchickte doch Miſery — Ihnen, und Sie ant⸗ 
wrteten mir durch ein gutes Bulletin.” 

Ich gab mich einer tollen Hoffnung Hin und wollte 
Ste hoffen laflen.“ 

„Bas foll das bedeuten?“ erwieberte die Königin 
br bleich; „wenn es fchlecht geht, warum es mir vers 
ergen? Was habe ich zu befürdten, Doctor, wenn 
icht ein leider zu gewöhnliches Unglück?“ 

Madame...” 

„Und wenn es gut geht, warum mich in eine Un⸗ 
We verfegen, bie ganz natürlich if, da es fih um 
isen guien Diener des Königs handelt? Antworten 
Be alfo offenherzig mit ja oder nein. Wie fleht es 
Bit der Krankheit? Wie ſteht es mit dem Kranfen? 

Gefahr vorhanden?” 

„Bär ihn noch weniger, als für Andere, Ma⸗ 


ge Ihnen, jr erfahren, daß das Uebel des Grafen 
vs Gharny ein ganz moralifches if. Die Munde iſt 


4 


nur eine Beigabe bei den Leiden, ein DBorwand f 
das Delirium.” 

„Ein moralifches Uebel! Herr von Charny |“ 

„Sa, Madame, und ich nenne moraliich All 
was fi nicht mit dem Zergliederungsmefler analyfir 
Fa Erfparen Sie mir, Eurer Majeftät mehr 
agen.” 

„Ste meinen, der Braf...“ verſetzte die König 

„Sie wollen?” 

„Bewiß, ih will.“ 

„Sch will fagen, der Graf fet verliebt, das w 
ich fagen. Eure Majeftät fordert eine Erklärung; | 
erfläre mich.“ 

Die Königin machte eine kleine Bewegung u 
den Schultern, welche bedeutete: eine Schöne Gefchidh: 

„Und Sie glauben, man genefe hievon, wie v 
einer Wunde?“ fuhr der Doctor fort; „nein, das Uel 
wird fchlimmer, und vom vorübergehenden Delirit 
wird Herr von Charny in eine tödtlide Monomaı 
verfallen. Dann . . .“ 

„Dann, Doctor ?“ 

„Dann werden Sie den jungen Mann in’s ®i 
derben gefürzt haben, Madame.“ 

„Sn der That, Doctor, man muß fi wunbe 
über Ihre Manieren. Sch werde diefen jungen Ma 
in’s DVerderben geſtürzt Haben! Bin ich die Urfad 
wenn er verrüdt if?“ > 

eine: 

„Aber Sie empören mid, Doctor.” 

„Sind Sie nicht in diefem Augenblid Schull 
fuhr der unbeugfame Doctor, die Acleln zudend, fe 
„fo werben Gie es fpäter fein.” 

„Beben Sie alfo einen Rath, wie dies Ihr 6 
werbe if,“ faate die Königin ein wenig befänftigt. 

„Das heißt, ich fol eine Verordnung machen 7 

„Wenn Sie wollen.” 

„Hören Gie, Madame, Der junge Mann x 


n Balfam ober durch das Eifen geheilt; bie 
eren Namen er jeden Augenblid anruft, töbte 
heile ihn.“ . 

as find von Ihren Ertremen,” unterbrach bie 
, wieder in ihre Ungebuld verfallend. „Tödten!... 
... große Worte! ZTödtet man einen Mann 
r Härte? heilt man einen armen Narren mit 
ücheln?“ 

y! wenn Sie auch ungläubig find, fo Habe ich 
ıehr zu tun, als Eurer Majeftät meinen unters 
en Reſpect zu bezeigen.“ 

ffen Sie vor Allem hören, handelt es fih um 


b weiß nichts davon umb will nichts bavon 
ich wiederhole Ihnen nur, daß Herr von Charny 
‚änftiger Narr ift, daß die Vernunft zugleich 
nig madyen und tödten fann , daß die Tollheit 
vernünftig machen und heilen fann. Wenn 
o diefes Schloß von Schreien, von Träumen 
ı Nergerniß befreien wollen, fo werden Sie 
ntfchluß faffen.“ 
zelchen?“ 
h! ja, welchen? Ich mache nur Verordnungen 
he nicht. Bin ich ganz ſicher, gehört zu haben, 
gehört habe, gefehen zu haben, was meine 
Jeſehen?“ 
ehmen Sie an, ich verſtehe Sie, was wird 
hervorgehen?“ 
ı zweifaches Glück: das eine, das beſſere für 
de für Alle, ift, daß der Kranfe, durch das 
iche Stilett, welches man die Bernunft nennt, 
en getroffen, feinen Todestampf, welcher beginnt, 
igen fieht; das andere... nun wohl... . das 
‚+ Oh, Madame entfchuldigen Ste mich, ich 
ie das Unrecht gu Schulden kommen laffen. zwei 
ge aus dem Labyrinth u fehen. Es gibt nur 
r Marie Antoinette, bie Königin von Frankreich.“ 


„Ich verkche Sie, Gie ia 
Doctor. Die Fran, für meld 
Vernunft verloren hat, fol 4 

jurüd 





Sie 
ißt, bi de Echlange, 
Sei im Fin ee 

te Mejekät.- 


—— — 
—— dem Beifptel.“ 

jein von Taverney? 

—8 Sie werden Allee 

Kranke at, gie ee Bann & 


"in * eine Scon 

26 muß woßl fein.“ 

„Über, Docter,“ m 
— als Sie glauben 
Tod eines Dee an! — 





fragte —— 
‚agte bei ie in. 
# ne Da 


„wenn en en Den für ı 

Rürbe, wıe viele Rerben nicht 

eine 0 —* 7 — Gehen wir, 

kat fenfzte und | 

eine» Beh Re Andree © Anl 
@s war elf Uhr wen 

angelleidet in eine . 

einer fur " 

bie La 

dm wm 


roöfe Empfindlichkeit, die erſte Urſache feines 
, abzuhalten. 

in Lärmen, feine Berührung, Fein Anblid. Der 
Louis band mutbig mit allen Vorwänden zu 
Wiederanfleben Frankhafter Erſcheinungen an, 
nnoch wich er, entfchloffen, einen großen Schlag 
n, nicht vor einer Kriſe zurüd, die feinen 
n tödten Eonnte. Allerdings konnte fie ihn auch 


igethan mit einem Morgenfleide, mit einer ganz 
gen Gleganz friſirt, trat die Königin ungeſtüm 
Hausflur, welche zu dem Zimmer von Charny 
Der Doctor Hatte ihr empfohlen, nicht zu 
nicht zu verfuchen, fondern auf der Stelle, mit 
Sntichloffenheit zu erfcheinen, um eine heftige 
ıg bervorzubringen. 
je drehte fo rafch den cifelirten Knopf der erften 
bes Borzimmers um, daß eine Perfon, die fih 
ie Thüre des Zimmers von Charny neigte, eine 
Manıille gehüllte Frau, nur Zeit hatte, ſich aufs 
n und eine Haltung anzunehmen, beren Ruhe ihr 
es Beficht und ihre zitternden Hände Lügen flraften. 
‚ndree!” rief die Königin erflaunt. „Sie bier!“ 
ch!“ antwortete Andree, bleich und aͤngſtlich, 
ture Majeſtät. Do ift Eure Majeſtät nicht 
(oft Bier?“ 
vo! 50! Berwidelung!” murmelte der Doctor. 
4 tue Sie überall,” fagte die Königin; „wo 
e “ 


Tag in diefen Worten der Königin ein Aus- 
welcher nicht der ihrer gewöhnlichen Büte. Es 
e das Vorfpiel eines Berhörs, wie das Symptom 
zerdachtes. 

drée hatte bange, fie befürchtete beſonders, ihr 
egter Schritt koͤnnte den Schlüffel zu ihren für 
furchtbaren Gefühlen geben. So flolz fie auch 
entfchloß fie fich doch, zum zweiten Male zu lügen. 


„Hier, wie Sie fehen.” 

„Allerdings, doch, wie Hier?" 

„Madame,“ erwiederte fie, „man ha 
Eure Majeſtät laffe mich ſuchen; ich bin 

Die Königin war nit am Ende bei 
trauen, fie blieb beharrliy und fuhr fort 

„Wie Haben Sie es gemadt, um 
wohin ich ging? 

„Das war leiht, Madame; Sie wc 
Doctor Louis, und man hatte Sie durch 
Gemächer gehen fehen; von da an hatten 
deres Ziel, als diefen Papillon.“ 

„But erratben ,“ erwiederte die Kön 
noch unentfchieden, aber ohne Härte, „gu 

Andree ftıiengte fich gewaltig an und ſp 

„Madame, wenn es die Abfiht Eu 
war, fich zu verbergen, fo hätte fie ſich 
unbededten Ballerieen zeigen müflen, wie 
gethan, um bierher zufommen, Schreite! 
über die Terrafie, fo flieht fie Fräulein ı 
von ihrer Wohnung aus, und es ift ni 
Jemand zu folgen oder voranzugehen, dd 
ferne geſehen hat.” 

„Ste hat Recht,“ fagte die Königin 
hundertmal Recht. Ich habe eine unglüdl 
heit, weldye darin beſteht, daß ich nie eı 
nachdenkend, glaube ich nit an die R 
Andern.” 

Die Königin fühlte, fie würde vielle 
ficht bedürfen, weil fie der Vertrauten be 

Ihre Seele war überdies Feine Zuf 
von Coquetterie und Mißtrauen, wie die 
lien Weiber; fie hatte Blauben in ihre 
ten, denn fie wußte, daß file lieben konnte. 
welche fich felbft mißtrauen, mißtrauen n 
den Anderen. Gin großes Ungtüd, das | 
beftraft, ift, daß fle ſich nie von ihren Lich 
glauben. 


Marie Antoinette vergaß alfo fehr raſch den Eins 
drud, den Fräulein von Taverney vor der Thüre von 
Charny auf fie gemacht hatte. Sie nahm Andree bei 
der Hand, ließ fie den Schlüfiel dieſer Thüre umdrehen 
und drang mit einer außerordentlichen Schnelligkeit in 
das Zimmer des Kranken, während der Doctor mit 
Andrde außen blieb. 

Kaum hatte diefe die Königin verfchwinden ſehen, 
als fie zum Himmel einen Blid voll Zorn und Schmerz 
erhob, einen Blick, deſſen Ausdrud einer mwüthenden 
Verwünſchung glich. j 

Der gute Doctor nahm ihren Arm, durchſchritt 
mit ihr die Flur und fagte: 

„Blauben Sie, daß es ihr gelingen wird?“ 

„Belingen ? mein Bott! was?” rief Andrée. 

„Den armen Narren, der hier flerben wird, wenn 
fein Fieber noch ein wenig fortdauert, anderswohin 
Bringen zu laſſen.“ . 

„Anderswo wird er alſo genejen?” fragte Andree 


9. 
Der Doctor ſchaute ſie erſtaunt, unruhig an und 
antwortete: 


„Ich glaube, ja.“ 
a dann möge es ihr gelingen!” rief das arme 
en. 


LI. 
Miedergenefung. 


Die Königin war indefien gerade auf den Lehnftuhl 
Charuy zugegangen. 

Diiefer erhob den Kopf beim Beräufde der Pan⸗ 
r, welche auf dem Boden Trachten. 


; murmalte er, indem er a 
mon ie Kontgin⸗ m er an 


9 me engen Salem eine Frau, 


u gie ans dem Serien 
Fa te es Charuy verfuher 
Bertheibi au foredien, aber Ir 
— It ihm lat 1 gele Dayn 
„Was werd: eine Feinnet tun,“ gest fe 
Ei — des an geben?“ 
‚alt ,“ Rammelte € — 
jollen Sie wählen? entwe 
, und iq werde Ihnen da⸗ 
m, benehmen; oder Gie find: 
räffer, und 17 Derde Sie beftrafen.“ 
„DRadame, fagen Sie nicht, ich fei ein Bi 
Ju dem Punde der Könige 86 Ni Karl 
Todesuriheil voran, in dem ee Br 







.& 


. Königin, tödten Sie mid, Frau, ſchonen 


ind Sie bei gefundem Berflande, Herr von 
2?” fagte die Königin mit bewegter Stimme. 
ı, Madame.“ 
ıben Sie das Bewußtfein Ihres Unrechts gegen 
hres Berbrechens gegen . . . den König?” 
ein Bott!“ murmelte der Unglückliche. 
enn Ihr vergeßt es au leicht, Ihr Herren Ebels 
ver König if der Gemahl der Frau, die Ihr 
eidigt, indem Ihr die Augen zu ihr erhebt; 
g if der Vater Cures zufünftigen Herrn, meines 
1. Der König if ein Mann, der größer und 
0 Shr Alle, ein Mann, den ich verehrte und 
ebe.” 
hf“ murmelte Gharny, einen dumpfen Seufzer 
nd; und um nicht vollends niederzuſtürzen, war 
bigt, eine von feinen Händen auf den Boden 


n. 
n Schrei durchdrang das Herz ber Königin. 
in dem erlofcyenen Bli des jungen Mannes, 
ınf den Tod getroffen worden, zöge fle wicht 
8 der Wunde den Pfeil, den fie gegen ihn abs 


-mberzig und fanft, erfchraf fie deshalb über 
Te und Schwäche des Schuldigen, und fie war 
ugenblict nahe daran, um Hülfe zu rufen, 

t fie bevadhte, ver Doctor und Andree würden biefe 
bt des Kranken fchlecht deuten. Sie bob ihn 
n Händen auf und fagte: 

prechen wir, ich als Königin, Ste ald Mann. 
etor Louis Hat es verfuht, Sie zu heilen; 
nde, welche nichts war, verfchlimmert fi durch 
ichweifungen Ihres Gehirns. Wann wird fie 
ein, diefe Wunde? Wann werden Sie aufhören, 
tor das ärgerliche Schaufpiel einer Toliheit zu 
ie ihn beunruhigt? Wann werden Gie vom 
abreifen ?" 





12 


„Madame,“ ftammelte Charny, „Eure D 
jagt mich fort... Ich gebe! ich gehe!“ 

Und er machte eine fo heftige Bewegung, ur 
zugehen, daß er, aus feinem Gleichgewicht I 
geworfen fih fchwanfend in den Armen der K 
rebte, die ihm den Weg verſperrte. 

Kaum batte er die Berührung dieſer glü 
Bruſt, die ihn zuritchielt, gefühlt, Faum hatte 
unter dem unwillfürlichen Drnde des Armes, | 
trug, gebogen, als feine Vernunft ihn eilig : 
als frin Mund ſich öffnete, um einen verzet 
van durchzulaſſen, der fein Wort war und fe 
zu fein wagte. 

Durch diefe Berührung felbft verfengt, dur 
Schwäche bewegt, hatte die Königin nicht bi 
den leblofen Körper auf feinen Stuhl zurüdyı 
und fie wollte entfliehen, aber der Kopf von I 
war rüdwärts geiallen; er flug an das Hı 
Stußles, eine leichte roienrothe Nuance färt 
Schaum feiner Lippen, ein lauer rofenfarbener 
war von feiner Stirne auf die Hand der Rönigin g 

„Oh! fo ift e8 gut,“ murmelte er, „fo ift ı 
ich flecbe durch Sie getödtet.“ 

Die Königin vergaß Alles. Sie fam zurüd 
Charny in ihre Arme, preßte feinen todıen K 
ihren Buſen und legte eine eisfalte Hand a 
Herz des jungen Mannes. 

Die Liebe bewirkte ein Wunder. Eharny e 
wieder. Er öffnete die Augen. Die Erfcheinu 
fhwand. Die Zrau erfhraf, eine Grinner: 
zurüdgelafien zu haben, wo fle nur ein legtes Le 
zu geben glaubte. 

Sie machte drei Schritte gegen bie Thü 
einer foldhen Haft, daß Charny faum Zeit hatt 
Saum ihres Kieides zu ergreifen und auszuruf 

„Madame, im Namen aller Achtung, bie 
Bott habe, einer Achtung , welche minder groß 
die Achtung, welche ih tür Sie hege . . ." 


13 


Sie wohl!” rief die Königin. 

me! oh! verzeihen Sie mir!” 

erzeibe Ihnen, Herr von Charny!“ 

me, einen legten Blick!“ 

von Charny,“ ſprach die Königin zittern» 
ung und Zorn, „And Sie nicht ber letzte 
en, fo werden Sie heute Abend, morgen 
om Schloffe abgereift fein.“ 

önigin bittet, wenn fie in folgen Ausdrücken 
harny faltete voll Trunkenheit die Hände 
te fih auf den Knieen bis zu ben Füßen 
Antoinette. 

hatte fchon bie Thüre geöffnet, um fchneller 
zu entfliehen. 

:, deren Augen biefe Thüre feit dem Anfang 
dung verfchlungen, fah den jungen Mann 
fen, die Königin ſchwankend; fie fah Die 
jenem vor Stolz und Hoffnung glänzen, bie 
diefer fich erlofchen gegen den Boden ſenken. 
erzen getroffen, verzweiflungsvoll, anges 
von Haß und Verachtung, beugte fie den 
‚ Als fie die Königin zurüdkommen ‚fab, 
hr, Gott Habe biefer Fran zu viel gegeben, 
ihr als Ueberfluß einen Thron und bie 
gegeben, da er ihr fo eben nun auch bieje 
ıde mit Herrn von Charny geſchenkt. 

‚octor fah zu viele Dinge, um eines zu bes 


nun dem Erfolg der gepflogenen Unterhands 

zenharrend, begnügte er fih, zu fragen: 
Madame?“ 

önigin brauchte eine Minute, um fi zu 

nd ihre durch die Schläge ihres Herzens ers 

nme wieberzuerlangen. 

wird er tun?“ wiederholte der Doctor. 

ird abreifen,“ murmelte die Königin. 





6 


„Sch verfiche Sie, Sie haben oſſenherzig geſproch 
Doctor. Die Frau, für weldye Herr von Gharny 
Vernunft verloren bat, fol ihm biefe Vernunft g 
willig oder mit Gewalt zurüdgeben.* 

„Sehr gut, das ift es.” 

Sie foll den Muth haben, ihm feine Träume, | 
heißt, die nagende Schlange, zu entreißen, welche a 
gerollt im tierften Grunde feines Herzens liegt.“ 

„Sa, Sure Majeftät.“ 

„Laflen Sie Jemand benadhrichtigen; Fräulein ı 
Taverney zum Beifpiel.“ 

„Fräulein von Taverney?“ verfeßte ber Doctor 

„3a, Sie werden Alles einrichten, daB uns 
Kranke auf eine geziemende Weiſe empfängt.“ 

„Das ift geihehen, Madame.“ 

„Ohne irgend eine Schonung.“ 

„@s muß wohl fein.” 

„Aber, Docter,“ murmelte die Königin, „es 
trauriger, ale Sie glauben, fo das Leben oder | 
Tod eines Menſchen aufzufuchen.” 

„Das thue ich alle Tage, wenn ich eine unbefan 
Krantheit anfafle. Werde ich fie durch das Mittel ı 

reifen, welches das Uebel tödtet, ober dur I 
dittel, das den Kranken tödtet?“ 

„Sie, Sie find fiher, die Krankheit zu töbten 
fragte bebend die Königin. 

„Ei!“ erwiederte der Doctor mit büfterer Mie 
„wenn auch ein Mann für die Ehre einer Köni— 
ſtürbe, wie viele fterben nicht alle Tage für die Laı 
eines Könige? — Gehen wir, Madame.“ 

Die Königin ſeufzte und folgte dem alten Doc 
ohne daß fie Andree hatte finden fünnen. 

Es war elf Uhr Morgens. Charny ſchlief ge 
angefleidet in einem Lehnſtuhl nach der Aufregt 
einer furchtbaren Nacht. Sorgfältig geſchloſſen, lief 
die Läden nur einen ſchwachen Nefler des Tageslich 
dur. Alles war darauf eingerichtet, von dem Kran 


vöfe Empfindlichkeit, die erfle Urſache feines 
abzuhalten. 

n Lärmen, feine Berührung, Fein Anblid. Der 
konis band muthig mit allen PVorwänden zu 
Biederaufleben krankhafter Erfcheinungen an, 
noch wich er, entfchloffen, einen großen Schlag 
‚ nit vor einer Kriie zurüd, die feinen 
tödten konnte. Allerdings Eonnte fie ihn auch 


‚ethan mit einem Morgenkleide, mit einer ganz 
zen Eleganz frifirt, trat die Königin ungeltüm 
yausflur, weldhe zu dem Zimmer von Charny 
Der Doctor Hatte ihr empfohlen, nicht zu 
nicht zu verfuchen, fondern auf der Stelle, mit 
ıtichloffenheit zu erfcheinen, um eine heftige 
bervorzubringen. 

drebte fo rafch den cifelirten Knopf der erften 
»s Vorzimmers um, daß eine Perfon, die fih 
e Thüre des Zimmers von Charny neigte, eine 
Ranıille gehüllte Frau, nur Zeit hatte, ſich auf: 
und eine Haltung anzunehmen, deren Ruhe ihr 
Geficht und ihre zitternden Hände Lügen ftraften. 
drée!“ rief die Königin erflaunt. „Sie hier!“ 
!“ antwortete Andree, bleich und ängſtlich, 
A Bee eſtaͤt. Doch iſt Eure Majeftät nicht 

ers” 
! 50! Berwidelung!” murmelte der Doctor. 
ı fuchte Ste überall,” fagte die Königin; „wo 


ie 

lag in diefen Worten ber Königin ein Aus- 
scher nicht der ihrer gewöhnlichen Güte. Es 
das Borfpiel eines Berhörs, wie das Symptom 
rbachtes. 

r6e hatte bange, fie befürchtete beſonders, ihr 
ſter Schritt koͤnnte den Schlüffel zu ihren für 
echtbaren Gefühlen geben. So ftolz fie auch 
atſchloß fie fich doch, zum zweiten Male zu lügen, 


„Hier, wie Sie ſehen.“ 

„Allerdings, doch, wie Hier?“ 

„Madame,“ erwiederte fie, „man Hat mi 
Eure Majeſtät laffe mich ſuchen; ich bin gefo 

Die Königin war nicht am Ende bei ihr 
trauen, fie blieb beharrlich und fuhr fort: 

„Wie haben Sie es gemacht, um zu 
wohin ich ging? 

„Das war leiht, Madame; Sie waren 
Doctor Louis, und man hatte Sie durch di 
Gemächer gehen fehen; von da an hatten Sie 
deres Ziel, als diefen Pavillon.” 

„But errathen,“ erwiederte die Königin 
noch unentfchieden, aber ohne Härte, „gut er 

Andree ftiengte fid gewaltig an und ſprach 

„Madame, wenn es die Abfiht Eurer 
war, fih zu verbergen, fo hätte fie ſich nidi 
unbededten Gallerieen zeigen müflen, wie fie 

ethan, um hierher zufommen, Schreitet die 
über die Terrafie, fo flieht fie Fräulein von 
von ihrer Wohnung aus, und es ift nicht 
Jemand zu folgen oder voranzugehen, den 
ferne geſehen hat.” 

„Sie bat Recht,” fagte die Königin, „ 
bundertmal Recht. Ich habe eine unglüdliche 
heit, weldye darin befleht, daß ich nie eırath 
nachdenkend, glaube ich nicht an die Refler 
Andern.” 

Die Königin fühlte, fie würde vielleicht 
fiht bedürfen, weil fle der Bertrauten bedurf 

Shre Seele war überdies feine Zufamn 
von Coquetterie und Mibtrauen, wie bie der 
lichen Weiber; fie batte Glauben in ihren Fr: 
ten, denn fie wußte, daß fie lieben Eonnte. Di 
welche ſich felbft mißtrauen, mißtrauen noch ' 
den Anderen. Gin großes Unglüd, das die: | 
beſtraft, if, daß fle fich nie von ihren Liebhabe 
glauben. 


x 9 


Marie Antoinette vergaß alfo fehr raſch den Rins 
ud, den Fräulein von Taverney vor der Thüre von 
harny auf fie gemacht hatte. Sie nahm Andrée bei 
er Hand, ließ fie den Schlüffel dieſer Thüre umdrehen 
nd drang mit einer außerordentlichen Schnelligkeit in 
36 Zimmer des Kranfen, während der Doctor mit 
Indree außen blieb. 

Raum hatte diefe die Königin verfchwinben fehen, 
[8 fie zum Himmel einen Blid voll Zorn und Schmerz 
cbob, einen Blick, deffen Ausdruck einer wüthenden 
zerwünſchung gie . 

Der gute Doctor nahm ihren Arm, durchſchritt 
sit ihr die Flur und fagte: 

„Blauben Sie, daß es ihr gelingen wird?“ 

„Belingen? mein Bott! was?“ rief Anpdree. 

„Den armen Narren, der hier flerben wird, wenn 
in Fieber noch ein wenig fortdauert, anderswohin 
ringen zu laffen,“ . 

„Anderswo wird er alſo genejen?” fragte Andrée 


aflig. 

Der Doctor ſchaute fie erflaunt, unruhig an und 
ntwortete: 

„Ich glaube, ja.” 

„DH! dann möge es ihr gelingen!” rief das arme 
Naͤdchen. 


LIII. 
Wiedergeneſung. 


Die Koͤnigin war indeſſen gerade auf den Lehnſtuhl 
yon Charny zugegangen. 

Dieſer erhob den Kopf beim Geräufche ber Pan⸗ 
offeln, welche auf dem Boden Trachten. 


Eharny war zitternb, verwirrt aufgeftanden, dam 
bei den lehien Worten war er auf feine Kniee gefunten 
fo germalmt hurch den vhyfiſchen und ben moralifhe 
Schmerz, daß er, gebeugt wie ein Schuldiger, fe 
weder erheben wollte, noch fonnte. 

„IR es möglich,“ fuhr bie Königin, gerührt vo 
diefer Ehrfurcht und dieſem Stillſchweigen fort, „ei 
es möglih, daß ein Gbelmann, den man eink de 
Topalften beizählte, ſich fo wie ein Feind an ben Mu 
einer Frau Hänge! Denn bemerfen Gie wohl, Her 
von Gharny, fhon bei unferem erften Iuiammenfet: 
war e6 nicht die Rönigin, was Sie gefehen, und wa 
ich ihnen gezeigt habe, e6_war eine Frau, und da 
Hätten Sie nie vergeffen müffen.“ 

Hingeriffen dur biefe ans dem Kerzen hervor 
gegangenen Worte, wollte es Charny verfuchen, etwa 
u feiner Bertheibigung zu brechen, aber Marie An 
Foinette (ie$ Ihm nfoht Belt bayn, 

„Bas werden meine Feinde thun,“ fagte fie, „wen 
Gie das Beifpiel des Verraths geben?“ 

„B:rrath ,“ ftammelte Eharny. 

„Mein Herr, wollen Sie wählen? entweder fin! 
fie ein Wahnfinniger, und ich werde Ihnen das Mittel 
Sälimmes zu thun, benehmen; oder Sie find ein Ber 
räther,, und ich werde Gie beftrafen.“ 

„Madame, fagen Sie nicht, ich fei ein Verräther 
In dem Munde der Könige geht diefe Anklage dem 
Todesurtheil voran, in dem Munde einer Fräu emb 


11 


er F Königin, tödten Sie mich, Frau, ſchonen 
zie mich.“ 

„Sind Sie bei geſundem Verſtande, Herr von 
harny?“ ſagte die Koͤnigin mit bewegter Stimme. 

„Ja, Madame.“ 

„Haben Sie das Bewußtſein Ihres Unrechts gegen 
ich, Ihres Verbrechens gegen. . den König?” 

„Mein Bott!“ murmelte der Unglückliche. 

„Denn Ihr vergeßt es zu leicht, Ihr Herren Edel⸗ 
ste, der König if der Gemahl der Frau, die Ihr 
lle beleidigt, indem Ihr die Augen zu ihr erhebt; 
r König iſt der Bater Eures zufünftigen Herrn, meines 
anphin. Der König if ein Mann, der größer und 
fier , als Ihr Alle, ein Mann, ben ich verehrte und 
n ich Liebe.” 

„DH!“ murmelte Charny, einen bumpfen Seufzer 
ſoſtoßend; und um nicht vollends niederzuſtürzen, war 

enöthigt, eine von feinen Händen auf den Boden 


üßen. 

Sein Schrei durchdrang das Herz der Königin. 
ie las in dem erlofchenen Blid des jungen Mannes, 
6 er auf den Tod getroffen worden, zöge fle nicht 
1 and der Wunde den Pfeil, den fie gegen ihn ab» 
drückt. 

Barmherzig und ſanft, erſchrak fie deshalb über 
e Bläffe und Schwäche des Schuldigen, und file war 
nen Augenblic nahe daran, um Hülfe zu rufen. 

Aber fie bedachte, ver Doctor und Andree würden biefe 
hnmacht des Kranken fchlecht deuten. Sie bob ihn 
it ihren Händen auf und fagte: 

„Sprechen wir, ich als Königin, Sie ale Mann. 
ee Doctor Louis hat es verfuht, Sie zu heilen; 
efe Bunde, welche nichts war, verfihlimmert fich durch 
e Ausfchweifungen Ihres Gehirns. Wann wird fie 
Beilt fein, diefe Wunde? Wann werden Sie aufhören, 
m Doctor das ärgerliche Schaufpiel einer Toliheit zu 
ben, die ihn beunruhigt? Wann werben Sie vom 
chloſſe abreiſen ?“ 


u a hier 
—ã 
ie 
.- 


“ 
m 
w 

e 

‘ 


13 


- „Leben Sie wohl!” rief die Königin. 

„Madame! oh! verzeihen Sie mir!“ 

„Ich verzeihe Ihnen, Herr von Eharny!“ 

„Madame, einen legten Blick!” 

„Herr von Charny,“ ſprach die Königin zitternd 
: Aufregung und Zorn, „ind Sie nidht der legte 

Menichen, fo werden Sie heute Abend, morgen 
t oder vom Schloſſe abgereift fein.“ 

Eine Königin bittet, wenn fie in folgen Ausdrücken 
eblt. Charny faltete voll Trunkenheit die Hände 
> fchleppte fih auf den Knieen bis zu ben Füßen 
ı Marie Antoinette. 

Diefe Hatte fchon die Thüre geöffnet, um ſchneller 

Gefahr zu entfliehen. 

Andree, deren Augen dieſe Thüre feit dem Anfang 

Unterredung verfchlungen, fah den jungen Mann 
bergeworfen, die Königin fchwanfend; fie fah die 

en von jenem vor Stolz und Hoffnung glänzen, bie 
Öre von diefer ſich erlofchen gegen den Boden fenten. 

Im Herzen getroffen, verzweiflungsvoll, anges 
wollen von Haß nnd Beratung, beugte fle den 
pf nicht. Als fie die Königin zurückkommen ;jeb, 
ien es ihr, Gott habe diefer Frau zu viel gegeben, 
em er ihr als Ueberfluß einen Thron und bie 
bönheit gegeben, da er ihr fo eben nun audy bieie 
be Stunde mit Herrn von Charny gefchentt. 
ne Doctor fah zu viele Dinge, um eines zu bes 
4 en. 

Ganz nun dem Erfolg der gepflogenen Unterhands 
ıg entgegenbarrend, begnügte er ſich, zu fragen: 

Aun, Madame?“ 

Die Königin brauchte eine Minute, um fid zu 
holen, und ihre durdy die Schläge ihres Herzens ers 
kte Stimme wieberzuerlangen. 

„Was wird er thun?“ wiederholte der Doctor. 

„Gr wird abreifen,“ murmelte die Königin. 


14 


Und ohne auf Andree, welde die Stirne faltele, 


und auf Louis zu achten, der ſich die Hände rieb, durch⸗ 
ſchritt fie rafy die Flur und die Gallerie, hüdllte ſich 
mafchinenmäßig in ihre Mantille, woran eine Ruche 
von Spigen, und fehrte in ihre Wohnung zurüd. 

Andıde drüdte dem Doctor, der wieder zu feinem 
Kranken eilte, die Hand; dann kehrte fie ebenfalls, mit 
einem Schritt fo feierlich wie der eines Schattens, 
ben Kopf geienft, das Auge flarr und den Geiſt abweſend, 
in ihr Zimmer zurüd. 

Es war ihr nicht einmal eingefallen, die Königin 
nad ihren Befehlen zu fragen. Für eine Natur, wie 
bie von Andree, if die Königin nichts, die Nebens 
buhlerin ift Alles. 

Mieder der Sorge von Louis anheimgegeben, ſchien 
ne mehr derfelbe Menſch wie am Tage vor⸗ 

er zu fein. 

Starf bis zur Uebertreibung, Tühn bis zur Prah⸗ 
lerei, richtete er an ben guten Doctor fo dringende, 
fo energtiche Fragen in Beziehung auf feine nahe bes 
vorftehende Genelun ‚ über die zu befolgende Diät, 
über die Transportmittel, daß Louis glaubte, es ſei⸗— 
ein noch gefährlicherer Rüdfall, hervorgebracht durch 
eine Manie anderer Art, eingetreten. 

Charny enttäufchte ihn bald; er glich jenen im 
Zeuer gerötheten Eifen, deren Färbung fi vor dem 
Auge in dem Maße fhwächt, in weldyem die Hitze an 
Intenfltät abnimmt. Das Eifen if ſchwarz und ſpricht 
nicht mehr zu dem Blick, aber es ift noch glühend ges 
ng. um Alles zu verzehren, was man ihm barbieten 
wird. 

Louis fah den jungen Mann wieber feine Rube 
und feine Logik aus den guten Tagen annehmen. Charny 
war in der That fo vernünftig, daß er fih für vers 
pflichtet hielt, dem Arzt die plögliche Beränberung 
feines Entſchluſſes zu erklären. 

„Die Königin,” fagte er, „bat mid, indem fle 


15 


nich befhämte, mehr geheilt, als Ihre Wiſſenſchaft, 
sein Lieber Doctor, dies mit vortrefflichen Mitteln 
ethan Hätte; mich bei der Eitelfeit paden, fehen Sie, 
as heißt mich bändigen, wie man ein Pferd mit dem 
zebiß bandigt,“ 

. „Deito beſſer, deſto beſſer,“ murmelte der Doctor. 

„3a, ich erinnere mid, daB ein Spanter — fie 
nd prahlerifh genug — mir eines Tags fagte, um 
ir feine Willensftärfe zu beweifen, es Habe bei 
Iinem Duell, in dem er verwundet worben, für ihn 
enägt, fein Blut zurüdhalten g wollen, baß fein 
zlut nit floß und nicht das Auge feines Gegners 
rgößte.- Ich habe über diefen Spanier gelacht, indeſſen 
in ich ein wenig wie er: wenn mein Fieber, wenn 
a6 Delirium, das Sie mir vorwerfen, wiedererfcheinen 
ollten, fo würde ich fie, darauf wette ich, verjagen, 
ndem ich fagte: Delirium und Fieber, ihr werber nicht 
yiebererfcheinen.” 

„Wir haben Beifpiele von dieſem Phänomen,“ 
prady der Doctor mit ernflem Tone. „ebenfalls er: 
anben Sie mir, daß ih Ihnen Glück wünſche. Ste 
‚nd aun moralifd geheilt.“ 

a 4“ 


„Wohl! Ste werden alsbald fehen, welcher Zus 
mmenbang awilchen dem Moralifhen und dem Phys 
ſchen bes Menfchen flattfindet. Das ift eine fchöne 
heorie, die ich in einem Buche ausführen würde, wenn 
u Zeit dazu hätte. Befund an Geiſt, werden Sie in 
cht Tagen auch Förperlich gefund fein.“ 

„Lieber Doctor, ich danke Ihnen.” 

„Und um anzufangen: werden Sie alfo abreifen ?“ 

„Wann es Ihnen beliebt. Auf der Stelle.“ 

„Bir wollen diefen Abend abwarten. Mäßigen 
ie und. Mit Extremen zu Werke gehen, heißt Alles 
uf's Spiel feßen.” 

„Warten wir bis zum Abend, Doctor.” 

„Werden Sie weit gehen?“ 


16 


„An das Ende der Welt, wenn es fein muß.“ 

„Das ift zu weit für einen erften Ausflug.“ ſprach 
ber Doctor mit demfelben Phlegma. „Begnügen wir 
uns vorerft mit Verſailles.“ 

„Verſailles, es fei, da Sie es wollen.” 

„Mir fheint, von Ihrer Wunde geheilt zu fein, 
iR für Sie fein Grund, das Land zu verlaflen.“ 

Diefe ſtudirte Kaltblütigfeit bewog Charny vollends, 
auf feiner Hut zu fein. 

„Ss tft wahr, Doctor, ich habe ein Haus in 
Verſailles.“ 

„But! das iſt es, was wir brauchen, man wir 
Sie heute Abend dahin bringen.” 

„Sie haben mich nicht recht verftanden, Doctor, 
ich wünſchte eine Fahrt nach meinen Gütern zu machen.” 

„Ah! ja wohl. Ihre Güter, was Teufels, Ihre | 
Güter find nicht am Ende der Welt.“ 

„Sie liegen an ber Bränze der Picarbie, fünfzehn 
bie awanzig eilen von hier.“ 

„Ah! Sie fehen wohl.“ 

Eharny drüdte dem Doctor die Hand, als wollte 
er ihm für alle feine Zartheiten danfen. 

Am Abend trugen die vier Knechte, die er bei 
ihrem erfien Verſuche fo Heftig zurüdgefchlagen Hatte, 
Eharny bis zu feinem Wagen, der ihn vor dem Bförts 
chen des Befindehaufes erwartete. 

Der König hatte den ganzen Tag gejagt, ſodann 
zu Nacht gefpeist und fchlief nun. born. welder 
ein wenig darüber beforgt war, daß er fi, ohne Ab⸗ 
fhied zu nebmen, entfernte, wurde durch den Doctor 
völlig berubigt; bdiefer verfprah ihm, feinen Abgang 
5 entfchuldigen und denfelben durch das Bebürfniß ber 

rteveränderung zu motiviren. 

Charny, ehe er in feinen Wagen flieg, gab ſich 
bie ſchmerzliche Befriedigung, bis zum legten Angen⸗ 
blick nad den Benftern der Wohnung der Königin zu 
fhauen. Niemand Eonnte ihn fehen. Biner von ben 


10 


en, der eine Fackel in der Hand trug, beleuchtete 
Beg, ohne das Geſicht zu beleuchten. 

Sharny traf auf den Stufen nur mehrere Öffictere, 
Zreunde, welche zeitig genug benachrichtigt wor⸗ 
— daß ſein Abgang nicht das Anſehen einer 
thatte. 

zon dieſen heiteren Gefährten bis an den Wagen 
tet, konnte Charny ſeinen Augen wohl erlauben, 
n Fenſtern amhezuſchwanen; die der Koͤnigin 
ten von Licht. Ein wenig leidend, hatte Ihre 
ſtat die Damen in ihrem Schlafzimmer em⸗ 


en. 

Jüfter und ſchwarz, verbargen bie Fenfler von 
se hinter den Falten ihres Damaftvorbangs eine 
angfterfällte, ganz zitternde Braun, welche, ohne 
ft zu werben, jeder Bewegung bes Kranken und 
Geleites folgte. 

der Wagen fuhr endlich ab, doch fo langfam, daß 
ieh Dufeifen der Bferde anf dem fchallenden 
er hörte. 

Wenn er nicht mir gehört, fo gehört er doch we⸗ 
ns Niemand mehr,“ murmelte Andree. 

Erfaßt ihn wieder die Luft, zu ſterben,“ fagte 
octor, während er in feine Wohnung zurüdtehrte, 
ird er doch wenigftens weder bei mir, noch in 
n Händen flerben. Der Teufel hole die Seelens 
yeiten, man ift nicht der Arzt von Antiochus und 
onife, um ſolche Krankheiten zu heilen.“ 

jharny Fam gefund und wohlbehalten in feinem 
: an. Der Doctor befuchte ihn am Abend und 
ihn fo gut, daß er ihm fogleidh anfündigte, es 
e8 fein letter Beſuch. 

der Kranke aß von einer Hühnerbruft nnd einen 
voll eingemachtes Obſt von Orleans. 

Im andern Tag erhielt er einen Beſuch von jeinem 
n, Herrn von Suffren, einen von Herrn von 
Halsband der Königin. III. 2 


18 


Lafayette, fowie den eines Abgefandten des Könige. Cs 
war ungefähr daſſelbe am zweiten Tag, und daun 
. fümmerte man fidy nicht mehr um ihn. 

Er ftand auf und ging in feinen Garten. 

Nach acht Tagen Eonnte er ein Pferd von frieblis 
chem Gange befteigen; feine Kräfte waren wiedergefehrt. 
Da fein Haus noch nicht ganz verlaflen war, jo vers 
langte er nach dem Arzte feines Oheims, und ließ den 
Doctor Louis um Erfaubniß bitten, nad) feinen Gütern 
abreiien zu dürfen. 

Louis antwortete mit Zuverfiht, die Bewegung 
von einem Ort gum andern fei der legte Brad der 
ärztlichen Behandlung der Wunden; Herr von Charny 
habe einen guten Wagen, die Straße in der Picarbie 
fei wie ein Spiegel, und in Berfailles bleiben, wenn 
man fo gut und fo glüdlich reifen könne, wäre eine 
Tollheit. 

Charny ließ eiuen großen Fourgon mit Gepäaͤcke 
beladen, verabſchiedete ſich beim König, der ihn mit 
Neußerungen feines Wohlwollens überhäufte, bat Herrn 
von Sufften, der Königin feine Ehrfurcht zu bezeigen, 
flieg dann vor dem Thore des Föniglichen Schloffes in’ 
feinen Wagen und reifte nad dem Städtchen Villers⸗ 
Goterets ab, von wo aus er das Schloß Bourfonnes 
erreichen follte; diefes lag eine halbe Meile von dem 
Städtchen, welches ſchon bie erften Poeſien von Des 
mouftier verherrlichten. 


LIV. 
Zwei blutende Herzen. 


Am andern Norgen nach dem Tage, wo die Koͤ⸗ 
nigin von Andrée, als fle von dem vor ihr knieenden 
Charny entfloh, erſchaut worden war, trat Fräulein 


19 


von Taverney ihrer Gewohnheit gemäß in das Fönintiche 
Zimmer, zur Stunde der Heinen Toilette, vor der Mefle. 

Die Königin hatte noch feinen Befuch empfangen. . 
Sie Hatte nur ein Billet von Frau von La Mothe ges 
lefen, und ihre Laune war äußerft heiter. 

Noch bleicher als am Tage vorher, Hatte Andrée 
in ihrer ganzen Perfon jenen Ernſt und jene Ealte 
Zurüdhaltung, weldye die Aufmerfiamfeit erregt, und 
bie Größten zwingt, mit den Kleinften zu rechnen. 

Ginfach, fo zu fagen fireng in ihrer Toilette, glich 
Andree einer Bötin des Unglüdse. War diefes Unglüd 
für fle oder für Andere? 

Die Königin hatte einen ihrer Tage der Zerftreuts 
heit; fie achtete auch nicht auf den langfamen, ernften 
Gang von Andree, auf ihre gerötheten Augen, auf die 
matte Weiße ihrer Schläfe und ihrer Hände. 

Sie drehte den Kopf gerade nur fo viel, als es 
te um ihren freundfchaftlichden Gruß hören zu 
aflen. 


„Buten Morgen, Kleine!” 

Andree wartete, daß ihr die Königin eine Gele: 
genheit zum Sprechen gäbe. Sie wartete in der feften 

eberzeugung, ihr Stillfehweigen, ihre Unbeweglichkeit 
wärben am Ende die Augen von Marie Antoinette auf 
ſich ziehen. 

Dies geſchah. Da fie Feine andere Antwort, als 
eine tiefe Verbeugung erhielt, wandte ſich die Königin 
um und erblidte, jchräge, dieſes Geſicht mit dem 
fharfen Gepräge des Schmerzes und der Strenge. 

„Suter Bott! was gibt es, Andree?" fragte fie, 
Pre fe fi ganz ummwandte, „ift Dir Unglüd wiber- 
abren?“ 

9 „Sin großes Unglüd, ja, Madame,” antwortete 
die junge Frau. 

„Bas denn?“ 

„Ih werde Eure Majeflät verlaſſen.“ 

„Ri verlafien? Du gehfl von hier weg?“ 


* 


20 


„Sa, Mabame.” 
„Wohin geht Du denn? weldye Urfache kann biefe 
-plößliche Abreife haben?” 

„Madame, ich bin nicht glüdlich in meinen Zus 
neigungen.“ 

Die Königin fchaute empor. 

„sn meinen Samilienzuneigungen,“ fügte Anbree 
erroͤthend Bei. 

Die Königin erröthete ebenfalls, und ber Blik 
ihrer beiden Blicke kreuzte ſich glänzend wie bei einem 
Zufammenfloß von Schwertern, 

Die Königin erholte fich zuerft. 

„Ich verftehe Sie nicht,“ fagte fie; „mir ſcheint, 
Sie waren geftern glücklich?“ 

„Nein, Madame,“ erwieberte Andree mit feſtem 
Tone; „geflern war abermals einer von den unglüdlis 
hen Tagen meines Lebens.” 

„Dh!“ machte die Königin, welche traͤumeriſch 
geworben. 

Und fie fügte bei: 

„Erklären Sie fi.“ 

„Sh müßte mich entfchließen, Eure mnajenät mit 
Einzelheiten zu ermüden, weldhe unter ihr find. Ich 
habe feine Befriedigung in meiner Familie; id Habe 
nichts von den Gütern der Erde zu erwarten, und ich 
bitte Gure Majeftät um meinen Abfchied, um mich mit 
meinem Seelenheile zu befhäftigen.“ 

Die Königin fland auf, nahm, obgleich biefer 
Schritt ihrem Stolze ſchwer anzufommen ſchien, Ans 
dree bei der Hand und fpradh: 

„Was bedeutet dieſer Entſchluß eines ſchlimmen 
Kopfes? Hatten Sie nit geRern auch einen Bruder, 
einen Bater, wie heute? aren file minder beſchwer⸗ 
lich und minder ſchäblich, als heute? Glauben Gie, 
ich fei fähig, Sie in Verlegenheit zu laffen, und bin 
ih nicht eine Familienmutter, die eine Familie denje⸗ 
nigen gibt, welche feine haben?“ 





21 


Andree fing an zu zittern, wie eine Schulbige; fie 
verbeugte ſich vor der Königin und erwieberte: 

„Madame, ich bin durchdrungen von Ihrer Güte, 
aber fie wird mich nicht von meinem Vorhaben abbrin- 

en. Sc habe befchloffen, den Hof zu verlaflen. Es 

en für mid) Bebürfniß, in die Einſamkeit zurüdzufehren, 
jeßen Sie mich nicht dem aus, daß ich meine Deicten 
egen Sie dadurch verrathe, daß ich mich gegen den 
Beruf verjehle, den ich in mir fühle,“ 

„Seit geftern alfo?“ 

„Eure Majeſtät wolle mir nicht befehlen, über 
dDiefen Gegenſtand zu fprechen.” 

„Seien Sie frei,“ ſprach die Königin mit Bitter: 
feit; „nur zeigte ich Hinreichend Zutrauen zu Ihnen, 
daß Sie, Vertrauen zu mir haben fonnten. Doc ein 
Thor iſt der, welcher einen Menſchen, der nicht fprechen 
will, um ein Wort fragt. Behalten Sie Ihre Geheim: 
niffe, mein Fräulein, feien Sie glücklicher in der Ferne, 
als Sie es bier gewefen find. Grinnern Sie fidy jedoch 
flets des Umftandes, daß meine Freundfchaft die Leute 
trog ihrer Launen nicht verläßt, und daß Sie nidt 
auıhören werden, für mid) eine Freundin zu fein. Nun 
gehen Sie, Andrée, gehen Sie, Sie find frei.” 

Andree machte eine Hofverbeugung und entfernte 
ſich. An der Thüre rief fie die Königin zurüd. 

„Wohin gehen Sie, Andree?“ 

„Sn die Abtei Saint:Denis, Madame,” antwortete 
Fräulein von Taverney. 

„In's Klofter! ah! es ift gut, mein Fräulein, Sie 
haben fidy vielleicht nichts vorzuwerfen; doch hätten 
Sie nur die Undankfbarfeit und die Bergeflenheit... das 
it noch zu viel; Sie find fehr flrafbar gegen mid; 
gehen Sie, Fräulein von Taverney, gehen Sie.“ 
Zolge hievon war, daß Andree, ohne andere Erfläs 
sungen zu geben, auf weiche das gute Herz der Königin 
rechnete, ohne fich zu demüthigen, ohne fih rühren zu 
laffen, die Erlaubniß der Königin raſch benügte und 
verſchwand. 


- 


22 


Marie Antoinette Eonnte gewahren und gewahrte, 
daß Fräulein von Taverney auf der Stelle das Schloß 


verließ. 

Sie begab fih in der That in das Haus ihres 
Vaters, wo fie, wie fie erwartete, ihren Bruder im 
nel fand. Der Bruder träumte, die Schwefter 
andelte. 

Als er Andree erblickte, die ihr Dienft im Schlofle 
zurüdhallen mußte, ging Philipp erflaunt, beinahe 
erſchrocken auf fie zu. 

Erfchroden befonders über dieſe düſtere Miene, er, 
den Andıee nie anders als mit einem Lächeln zärtlicher 
Freundfchaft anredete. Er fing an, wie die Königin 
angefangen Hatte; er befragte. 

Andree theilte ihm mit, fle habe fo eben den Dienft 
der Königin verlaffen, ihr Abſchied fei angenommen, 
und fie werde ins Klofter treten. 

Philipp ſchlug mit Gewalt in feine Hände, wie 
ein Menich, der einen unerwarteten Streich empfängt. 
„Wie!“ rief er, „Du auch, meine Schweſter?“ 

„Was! ih auch? was willſt Du damit fagen?” 

„Es ift alfo eine verfluchte Berührung für unfere 
Familie, die Berührung der Bourbonen?” riefer; „Du 
glaubſt Dich genöthigt, das Gelübde abzulegen? Du! 
Nonne aus Geſchmack, aus Gemüth; Du, die am 
Mindeſten weltliche der Zrauen und die am mindeften 
zum ewigen Gehorfam gegen bie Geſetze des Aſce⸗ 
iemu⸗ fähig! Laß hören, was wirft Du ber Koͤni⸗ 

n vor?" 

8 „Man Hat der Königin nichts vorzumerfen, Phi⸗ 

lipp,” erwiederte Falt die junge Yrau. „Du, der Du 

fo fehr auf die Bunft der Höfe gezählt haft, Du, der 

Du mehr, als irgend Jemand, darauf zählen mußte, 

warum haft Du nicht bleiben können? warum bliebſt 

Du nicht drei Tage? Ich bin drei Jahre neblieben!“ 
„Die Königin iſt zuweilen launenhait, Andree.” 
„sn es fo, fo konnteſt Du es ertragen, Du, ein 


23 


Hann; ih, ein Weib, muß es nit, will es nicht; 
rat fie Launen, nun wohl! ihre Dienerinnen find da.” 
„Meine Schweſter,“ erwieberte der junge Mann 
nit einem düſtern Wefen, „das erklärt mir nicht, wie 
du Zmwiftigfeiten mit ter Königin befommen haft.“ 

„Keine, das fchwöre ih Dir; haft Du gehabt, 
Bhilipp, Du, der Du fie verlaffen? Oh! fie ift un« 
anfbar, diefe Frau.“ 

„Dan muß ihr verzeihen, Andree; die Schmeichelet 
rat fie ein wenig verborben. Sie ift im Brunde gut.“ 
Zsenge bievon if das, was fie für Dich gethan 
at, Philipp.“ 

„Bas hat fle gethan?“ 

„Du haft es fchon vergeffen? OH! ich, ich Habe ein 
jeſſeres Gedäͤchtniß! Ich bezahle auch an einem und 
emſelben Tage, mit einem und demfelben Entfchluß 
Deine und meine Schuld, Philipp.” 

„Zu theuer, wie mir ſcheint; in Deinem Alter, 
nit Deiner Schönheit verzichtet man nicht auf bie 
Belt. Nimm Dich in Acht, Liebe Zreundin, Du vers 
aͤſſeſt fie jung, Du wirft Di alt wieder nad ihr 
ehnen, und wenn es nicht mehr Zeit ift, alle Deine 
Freunde, von denen eine Tollheit Dich getrennt hat, 
vr den Kopf ſtoßend, zurückkehren.” 

„Du urtheilteft nicht fo, Du, ein braver, ganz von 
Ehre und Gefühl zufammengefehter, aber wenig um 
einen Ruf oder um —* Vermoͤgen befümmerter Officier, 
Du, der Du da, wo Hundert Andere Vermögen und 
kitel aufgehäuft haben, nur Schulden zu machen und 
Dich zu verkleinern wußtel, Du urtheilteft nicht fo, 
ls Du zu mir fagteft: fie if Iaunenhaft, Andree, 
te iſt coquette, fie ift treulos, ich will ihr lieber 
sicht dienen. Dieje Theorie praftifch anwendend, haft 
Du auf die Welt verzichtet, obgleih Du fein Klufter: 
uder geworden bift, und von uns Beiden bin nicht 
ch, die ich fie ablegen will, diejenige, welche den 


BEER 
24 


unwiberruflichen Gelübben am nächften fleht, fondern Du 
bift es, ber fie fhon gethan Hat.” 

Vat „Du haſt Recht, meine Schweſter, und ohne unſern 

ater ...“ 

„Unſer Vater! ah! Philipp, ſprich nicht ſo,“ er⸗ 
wiederte Andrée voll Bitterkeit, „muß ein Bater nicht 
die Stüge feiner Kinder jein oder ihre Unterflügung 
annehmen? Nur unter diefer Bedingung ifl er der 
Vater. Was thut der unfere, frage ih Dich? Hafl 
Du je den Gedanken gehabt, Herrn von Taverney ein 
Geheimniß anzuvertrauen® Und haältſt Du ihn für 
fähig, Dich zu fi zu rufen, um Dir eines von feinen 
Geheimniſſen mitzutheilen? Nein,” fuhr Andree mit 
einem Ausdrud von Kummer fort, „Herr von Taverney 
ift gemacht, um allein in diefer Welt zu leben.” 

„Das will ich wohl glauben, Andıde, doch er if 
nicht gemacht, um allein zu fterben.“ 

Diefe Worte, mit einer fanften Strenge gefprochen, 
erinnerten die junge Frau daran, daß fie ihrem Zorn, 
ihrer Bitterkeit, ihrem Groll gegen die Welt zu viel 
Platz in ihrem Herzen ließ. 

„Sch möchte nicht, daß Du mich für ein Mädchen 
ohne Gemüth hielteſt,“ erwiederte fie; „Du weißt, ob 
ich eine zärtliche Schwefter bin, aber es mollte hienie⸗ 
den Seder in mir den fomvathetifchen Snftinct tödıen, 
der ihm entfpradh. Bott hatte mir bei der Geburt, 
wie jedem Geſchöpf, eine Seele und einen Leib gegeben, 
über diefe Seele und diejen Leib fann jedes menſchliche 
Geſchöpf, für feine Ehre, in dieſer und in der andern 
Melt verfügen. Gin Mann, den ich nicht Fannte, hat 
meine Seele genommen, — Balfamo; — ein Mann, 
den ich Faum fannte, und der fein Mann für mid) war, 
hat meinen Leib genommen, — Gilbert. — Ich wies 
derhule Dir, Philipp, um eine gute und fromme Tochter 
zu fein, sehlt mir nur ein Vater. Gehen wir zu Dir 
über, unterfucen wir, was Dir der Danf bei den Großen 
der Erde eingetragen hat, Dir, der Du fie liebtefl.“ 





25 


ipp neigte das Haupt. 

one mid,“ fagte er, „bie Großen ber Erde 
e mich nur mir gleiche Beichöpfe; ich liebte 
bat uns einander lieben geheißen.“ 
Philipp,“ rief Andree, „es geſchieht nie auf 
ve, daß das liebende Herz dem, welcher liebt, 
ar antwortet; diejenigen, welche wir gewählt 
ben Andere.” 

pp erhob feine bleiche Stirne und betrachtete 
e Schwefter, ohne einen andern Ausdrud, als 
tirſtaunens. 

rum ſagſt Du mir das? worauf zielſt Du 


te er. 

nichts,“ erwiederte edelmüthig Andrée, welche 
Gedanken, zu geheimen Mittheilungen oder 
blaäͤſereien herabzuſteigen, zurückwich. „Ich 
agen, mein Bruder. Ich glaube, daß meine 
leidet; ſchenke meinen Worten keine Aufmerk⸗ 


4 


ro. 
Y näherte fi Bhilipp, nahm ihn bei ber 


prach: 
ug über dieſen Gegenſtand, mein geliebter 
Ich bin gekommen, um Dich zu bitten, mich 
oſter zu führen: ich habe Saints Denis ge⸗ 
i unbeforgt, ich will dort fein Gelübde ables 
3 wird fpäter fommen, wenn es nothwenbig 
t in einem Afyl zu fuchen, was die meiften 
arin finden wollen, die Vergeſſenheit, verlange 
die Erinnerung. Mir fcheint, ich habe den 
ſehr vergeffen. Er ift der einzige König, 
e Gebieter, der einzige Troft, wie er der ein 
iche Rummerbereiter ift. Indem ich mich ihm 
sute, da ich ihn begreife, werde ich mehr für 
ick gethan Haben, ale wenn Alles, was es 
Starkes, Mächtiges und Liebenswürbiges anf 
It gibt, fich verſchworen Hätte, um mir ein 


27 
mer nennen, meine Schwefter,” antwortete Philipp mit 
der fanften Majeſtaͤt des Unglüde. 

„But, Philipp, das ift ein Wort, welches mir zu» 
fagt und das id annehme Wohl! es ift alfo ein 
unbellparer Kummer, was mich nach der Einfamteit 

eibt. 

„But, und der Bruder und die Schwefter werben 
im Leven feine Unähnlichkeit gehabt Haben. Gleich glüd- 
lich, werden fie flets in demjelben Grade unglücklich ge: 
weien fein. Das macht die gute Familie, Andree.“ 

Andree glaubte, durch feine Gemüthsbewegung fort⸗ 
perifen, richte Philipp eine neue Frage an fie, und viels 
eicht wäre ihr unbeugfames Herz unter dem Drude 
der brüderlichen Freundſchaft gebrochen. 

Aber Philipv wußte aus Grjahrung, daß bie 
großen Seelen ſich felbft genügen, er beunruhigte die 
von Andröe nicht in der Berfchanzung, die fle fidh ge⸗ 
wählt Hatte. 

„In welcher Stunde und an welchem Tage gedenkſt 
Du abzugehen ?“ 

„Morgen; heute noch, wenn es Zeit wäre.” 

Wirt Du nicht einen legten Spaziergang mit 
mir Im Barke machen ?“ 

Fein!“ antwortete fie. 

Gr begriff wohl an dem Haͤndedruck, den biefe 
Deigerung begleitete, die junge Frau weiſe nur eine 
Gelegenheit zurüc, fich erweichen zu laffen. 

Ro) bin bereit, wann Du mid benachrichtigſt,“ 
agte er. 

ß Und er küßte ihr die Hand, ohne ein Wort beizu⸗ 
fügen, das die Bitterfeit ihres Herzens überflrömen 
gemacht hätte. 

Andrée, nachdem fie die erften Vorbereitungen ges 
troffen, 108 fiy in ihr Zimmer zurüd, wo fie fols 
gendes Billet von Philipp erhielt: _ 

„Du kannſt unfern Bater heute Abend um fünf 
Uhr befuchen. Der Abſchied iſt unerläßlid. Herr von 


28 


Taverney würbe über Bernadjläffigung, über ſchlechtes 
Benehmen fhreien.“ 

Sie antwortete: 

„um fünf Uhr werde ich im Reiſekleid bei Herrn 
von Taverney fein. Um fleben Uhr Fönnen wir in 
Saint:Denis anfommen. Wirft Du mir Deinen Abend 
bewilligen ?“ 

Statt jeder Antwort, rief Philipp aus feinem Pens 
fer, welches nahe genug bei der Wohnung von Andre, 
daß biefe es Hören Fonnte: 

„Um fünf Uhr die Pferde an ben Wagen.” 


LV. 
Ein Minifter der Finanzen. 


Wir haben gefehen, daß die Königin, ehe fie Ans 
dree empfing, ein Billet von Frau von La Mothe ges 
lefen und gelächelt Hatte. 

Diefes Billet enıhielt nur, mit allen möglichen 
Formeln des Reſpects, die Worte: 

„Und Eure Majefät fann verliert 
fein, daß ihr Greditgegeben und die Waare 
im Bertranen abgeliefert werden wird.“ 

Die Königin Hatte alfo gelächelt und das Billet 
von Jeanne verbrannt. 

Nachdem fie ih in der Geſellſchaft von Fräulein 
von Taverney ein wenig verdüftert, fam Frau von 
Mifery und meldete, Herr von Galonne warte auf die 
Ehre, bei ihr zugelaflen zu werden. 

Es kann nicht ungeeignet erfcheinen, wenn wir 
diefe Berfon dem Lefer ein wenig erflüren. Die Ges 
ſchichte Hat ihm fo ziemlich befannt gemacht, aber ber 


toman, ber die Perfpectiven und bie großen Stat mins 
er genau zeichnet, gibt vielleicht der Cinbildungs⸗ 
raft ein befriebi enderes Detail. 

Herr von Balonne war ein Mann von Geift, fogar 
on unendlich viel Geiſt, welcher, aus ber wenig an Thrä: 
en gewöhnten, aber vernünftig urtbeilenden Generation 
»e zweiten Hälfte des Jahrhunderts hervorgehend, feinen 
—— in Beziehung auf das über Frankreich ſchwe⸗ 
ende Unglück gefaßt Batte, fein Intereſſe mit dem ge 
ieinſchaftlichen Intereſſe vermifchte, wie Ludwig AV 
ıgte: nad) uns das Ende der Welt, und überall Blu⸗ 
ıen fuchte, um feinen legten Tag zu fchmüden. 

Er war vertraut mit ber Angelegenheit, er war 
jofmann. Alles, was es an Frauen gab, die fich durch 
jren Geift, durch ihren Reihthum und ihre Schöns 
eit auszeichneten, hatte er durch feine Huldigungen 
ultivirt, die denen ähnlich, welche die Biene den mit 
(tomen und Säften beladenen ‚Planen darbringt. 

Die Gonverfation von fleben bis acht Männern 
mb zehn bis zwölf Frauen war damals der Inbegriff 
der Kenntnife. Herr von Balonne hatte mit d'Alem⸗ 
vert rechnen, mit Diderot Bernunfifchlüffe machen, mit 
Boltaire fpotten, mit Roufleau trauern Tönnen. Er 
var endlich flarf genus gewefen, der Volksthümlichkeit 
on Neder in’s Geficht zu lachen. 

Herr Reder, der Weile und der Tiefe, deffen Rechen; 
haftsbericht ganz Frankreich zu erhellen gefchienen 
yatte, als ihn Calonne wohl von allen Seiten beob: 
ıchtet, machte er ihn am Ende lädyerlich, felbft in ben 
Angen derjenigen, welche ihn am meiften fürdhteten, 
ind der König und die Königin, weldye diefer Name 
eben machte, hatten fich nur zitternd daran gewöhnt, 
hn durch einen eleganten Staatsmann von guter 
Iaune ſchmähen zu hören, der, um auf fo viele fhöne 
Ziffern zu antworten, ſich auf bie Bemerkung befchränfte : 
en nützt es, zu beweifen, daß man nichs bewei- 
en kann.“ 


30 
Neder hatte in der That nur Eines bewiefen, bie 
Unmöglichkeit, in der er fih fand, noch ferner bie 
Zinanzen zu verwalten. Herr von Balonne übernahm 
fie wie eine Laft, die zu leicht für feine Schultern 
Was wollte Herr Neder? Reformen. Dieſe theil⸗ 
weifen Reformen erfchredten alle Geiler. Wenige 


Menſchen gewannen dabei, und diejenigen, melde bas | 
bei gewannen, gewannen wenig; viele Dagegen verloren 


dabei, und fie verloren zu viel. Wenn Jeder eine 
rechte Bertheilung der Steuer in’s Werk ſetzen voollhe, 
wenn er bie Güter des Adels und die Gintünfte ber 
Geiftlichfeit mit Abgaben zu belaften beabfichtigte, bes 
zeichnete er brutaler Weite eine unmögliche Revolus 
tion. Gr fpaltete die Nation und ſchwächte fie gum 
Voraus, während er alle Kräfte hätte concentriren 
müffen, um fie zu einem allgemeinen Refultat ber Con⸗ 
eurrenz zu führen. 

Diefes Ziel bezeichnete Meder, boch baffelbe zu ers 
reichen, machte er Ichon dadurch unmöglich, baß er es 
bezeichnete. Bon einer Reform von Mißbräuchen mit 
denjenigen ſprechen, welche nicht wollen, daß biefe 
Mißbraͤuche reformirt werden, heißt das fich nicht bem 
Widerftande der Betheiligten ausſetzen? Darf mau 
ben Feind von der Stunde in Kenntniß feßen, zu ber 
man einen Plak flürmen wirb ? 

Das Hatte Calonne begriffen, in dieſer Hinſicht im 
Wirklichkeit mehr Freund der Nation, als ber Genfer 
Meder, mehr Freund, fagen wir, in Betreff der vollen» 
beten Thatfachen, denn, flatt einem unvermeiblichen 
Uebel zuvorzufommen, befhleunigte Calonne den Eins 
bruch der Geißel. 

Sein Plan war kuͤhn, rieſenhaft, fiher; es Baus 
beite fi darum, in zwei Jahren zum Bankerott ben 
König und ben Abel fortzureißen, die ihn um zen 
Sabre verzögert Hätten; aber wenn ber Bankerott ges 
macht war, zu fagen: „Nun, the Reichen, bezahlt —* 


31 


die Armen, denn fie haben Hunger und werben biejenis 
gen verfchlingen, welche fie nicht nähren.“ 

Warum fah der König nicht von Anfang an die 
Folgen diefes Planes oder diefen Plan ſelbſt? Er, 
der, als er den Rechenfchaftsbericht las, vor Wuth ges 
gilt hatte, warum fchauerte er nicht, indem er feinen 

inifter errieth? Warum wählte er nicht zwifchen 
diefen zwei Syflemen, und zog es vor, fih dem Zufall 
zu überlafien? Das ift die einzige wirkliche Rechnung, 
welde Ludwig XVI., ein Bolitifer, mit der Nachwelt 
u ordnen bat. Es war das befannte Princip, dem 
ch ſtets Jeder widerſetzt, der nicht Macht genug bat, 
um das Uebel abzufchneiden, wenn es inveterirt if. 

Aber um zu erflären, warum ſich die Binde ber: 
geftalt vor den Augen des Königs verbichtete, warum 
die Königin, in ihren Wahrnehmungen fo fdharffichtig 
und Elar, fi fo blind, als ihr Gemaͤhl, in Beziehung 
auf das Benehmen des Minifters zeigte, wirb die Ge⸗ 
fhichte, man müßte vielmehr fagen der Roman, bier 
it er willfommen, einige unerläßliche Details geben. 

Herr von Galonne trat bei der Königin ein. 

Er war fchön, groß von Wuchs und edel von Ma⸗ 
nieren. Er wußte die Königinnen lachen und feine 
Beliebtinnen weinen zu machen. Feſt überzeugt, Marie 
Antoinette habe in einem dringenden Bedürfniffe nad 
ihm verlangt, Tam er mit einem Lächeln auf den Lippen. 
Diele Andere wären mit einer verbrießlichen Miene 
gefommen, um hernach das Verdienſt ihrer Einwilligung 
zu verboppeln. 

Die Königin war auch fehr freundlich, fie hieß 
den Minifter fiten und fprach zuerft von taufend Din 
gen, die nichts waren. 

„Haben wir Geld, mein lieber Herr von Calonne?“ 
fagte fle ſodann. 

„Geld,“ xief Herr von Balonne, „gewiß haben 
wir, wir haben immer.“ 

„Das iſt herrlich,” rief die Königin, „ich Habe 


32 


nie einen Mann gefannt, ber fo wie Sie bei Geldfrage 
antwortete; als Finanzmann find Sie unvergteltih 

„Welche Summe braudt Eure Majeſtaͤt?“ 

„Ih bitte, erklären Sie mir zuerft, wie habe 
Sie es gemacht, um Geld da zu finden, wo Ha 
Neder fagte, es gebe Feines.” . 

„Herr Neder Hatte Recht, es war fein Gelb mel 
in den Kaflen, und das ift fo wahr, daß ich an dei 
Tag, wo ich das Minifterium übernahm, am 3. Nı 
vember 1783, man vergißt dergleichen Dinge nid 
Madame, als ich den öffentlichen Schag fuchte, in di 
Kaffe nicht mehr als zwei Säde mit zwölf Hunde 
Livres fand.“ 

Die Königin lachte. 

„Nun?“ fagte fie. 

„Run! Madame, wenn Neder, ftatt zu fagen: G 
ift Fein Geld mehr vorhanden, wie ich es gethan Hab 
Hundert Millionen im erften Sabre und hundert uı 
fünf und zwanzig im weiten entlehnt und die Webe: 
jeugen von einem weiteren Anlehen von achtzig Mi 
ionen für das dritte gehabt hätte, fo wäre Neder ei 
wahrer Binanzmann gewefen; Jedermann kann fagen 
Es ift Fein Geld mehr in der Kafle; aber nicht Jedı 
weis zu antworten: Es ift vorbanben. 

„Das fagte ich Ihnen, hierüber beglückwünſch 
ic Sie. Wie wird man bezahlen? bas iſt die Schwi 
rigkeit. 

„Oh! Madame,“ erwiederte Calonne mit eineı 
Lächeln, deſſen tiefe, erſchreckliche Bedeutung fein menfd 
liches Auge ermeſſen konnte, „ich ſtehe Spnen dafü 
daß man bezahlen wird.“ 

„Ich verlaffe mih auf Sie,“ fagte die Koͤnigi 
„doch furechen wir immerhin von ben Finanzen; b: 
Ihnen iſt es eine Wiſſenſchaft voU SInterefie; ein Stram: 
bei den Andern, iſt es bei Ihnen ein Baum m 
Früchten!“ 

Calonne verbeugte fich. 


33 
- „Baben Sie einige neue Gedanken?” fragte die 
tönigin; „ich bitte, geben Sie mir ben erflen davon.“ 
Ich babe einen Gedanken, der zwanzig Millionen 
a bie Taſchen der Franzofen und fieben bis acht in 
ie Shrige bringen wird; verzeihen Sie, in die Kafle 
Seiner Majeftät.” 
„Dieſe Millionen werben hier willfommen fein. 
Baer werden fle fließen?“ 

„Es ift Eurer Majeftät nicht unbefannt, daß die 
zoldmünze nicht denfelben Werth in allen Staaten 
iuropas bat!” 

Ih weiß es. In Spanien ift das Gold iheurer, 
16 in Frankreich,“ 

„Eure Majeftät bat vollkommen Recht, und es if 
In Berguügen, mit Eurer Majeftät über Finanzange⸗ 
tgenbeiten zu plaudern. Das Gold gilt in Spanien 
it fünf bis ſechs Jahren achtzehn Unzen mehr der 
Rark nad, als in Frankreich. Daraus geht hervor, 
aß die Brportanten mit einer Mark Gold, die fie von 
jranfreich nad Spanien ausführen, den Werth von 
ngefähr vierzehn Ungen Silber gewinnen.“ 

„Das ift bedeutend!” 

„Sp daß in einem Jahre,” fuhr der Minifter fort, 
wenn bie Ka wüßten, was ich weiß, kein 
inziger zouieb "mehr in unferem Lande wäre.“ 


„Sie werbet *8 erhindern?“ 

Unmittelbar ame; ich will den Werth des 
zoldes auf fünfzehn Mark vier Unzen erhöhen, ein 
jünfzehntel Nutzen. Cure Majeſtät begreift, daß kein 
onisod'or in den Kaſſen bleiben wird, erfährt man, daß 
n der Münze diefer Nutzen denjenigen, welde Gold 
ringen, gegeben wird. Es wird die Umfchmelzung 
tiefer Münze vorgenommen werben, und in der Marl 
Bold, weiche heute dreißig Louisd'or enthält, finden 
ir zwei und dreißig.“ 

„Sin gegenwärtiger Nugen, ein antünfliger Nutzen,“ 
Dad Salsbaund der Königin. III. 


34: 


rief die Königin, „das iſt eine reizende Idee, welche 
Furore machen wird.” 

„Sch glaube es, Madame, und bin fehr glücklich, 
dag fie fo vollfonmen Ihre Billigung erhalten bat.” 

„Haben Sie immer foldhe, und ih bin ficyer, daß 
Sie alle unfere Schulden bezahlen werden.“ 

„Srlauben Sie mir, Madame, daß ih auf das, 
was Sie von mir wünfchen, zurüdfomme,* 

„Wäre es möglidy, mein Herr, hätten Sie in bie 
fem Augenblid ...“ 

„Welde Summe?” 

„ob! fie iſt vielleicht viel zu ſtark.“ 

Calonne lächelte auf eine Weife, welche die Koöni⸗ 
gin ermuthigte. 

„Bunfmal Hunderttaufend Livres,“ fagte fie. 

„AH! Madame,“ rief Calonne, „welche Angft bat 
mir Eure Majeität gemacht! ich glaubte, es Handle 
fih um eine wahre Summe.“ 

„Sie künnen alſo?“ 

„Sicherlich.“ 

„Ohne daß der König ...“ 

„Ab! Madame, das ift unmögli; alle meine 
NRedynungen werden jeden Monat dem König vorgelegt; 
aber es gibt fein Beifpiel, daß Fe der König geleſen 
hat, und ich fchäße es mir zur Ehre!“ 

„Wann fann ich auf diefe Summe zählen ?“ 

„An welchem Tage braudıt fie Eure Majeftät?” 

„Erſt am fünften des nächftien Monats.“ 

„Die Zahlungen follen fur den zweiten befohlen 
werden; Eie werden Ihr Geld am dritten haben, 
Madame.“ 

„Herr von Calonne, ich danke.“ 

„Mein höchſtes Glück iſt, Curer Majeſtät zu ges 
füllen. Ih flehe Sie an, ſich bei meiner Kaſſe nie 
Zwang anzuthun. Das wird ein Vergnügen voll. 
inenliebe jür Ihren Generalcontroleur der Finanzen 
ein.” j 


35 


Er fland auf und verbeugte fi demüthig; bie 
Königin reichte ihm ihre Hand zum Ruß. 

„Noch ein Wort,” fagte fie. 

„sh höre, Madame.” 

„Diefes Gerd Foftet mich einen Gewiſſensbiß.“ 

„Sinen Gewiſſensbiß . . .” 

„3a. 8 dient zu Befriedigung einer Laune.” 

„Defto befler, deſto beſſer. Es wird bei der Summe 
wenigftens die Hälite Nugen für unfere Induftrie, für 
unfern Handel und unfere Vergnügungen fein “ 

„Das if in der That wahr,” murmelte die Küni- 
gin, „und Sie haben eine reizende Art, mich zu tröften, 
mein Herr!“ 

„Bott fei gelobt, Madame; mögen wir nie andere 
Gewiffensbiffe haben, als die Eurer Majeſtät, und wir 
werden geraden Weges in's Baradies eingehen.” 

„Sehen Sie, Herr von Calonne, es wäre zu grau⸗ 
fam für mi, wenn idy meine Launen das arme Volk 
bezahlen ließe.“ 

„Wohl!“ erwiederte der Minifter, indem er auf 
jedes feiner Worte einen Nachdruck mit feinem unheim- 
lichen Lächeln legte, „haben Sie feine Bedenflichfeiten 


mehr, Madame Kapmits ſchwöre Ihnen, es wird nie 
das arme Bolf Me bezahlt.“ 
„Barum nt? Bagte, bie Königin erflaunt. 


„Weil das a E nichts mehr bat,“ antwortete 
unftörbar der Minifter, „und weil da, wo nichts ift, 
der Kaiſer fein Recht verliert.“ 

Er verbeugte fi) und ging ab. 







36 


LVI. 


MWiedergefundene Illuſionen. — Verlore 
Geheimniß. 


Kaum hatte Herr von Calonne die Gallerie di 
ſchritten, um nach Haufe zurüdzufehren, als der N 
einer eilfertigen Hand an der Thüre des Boudoir 
Königin kratzte. 

Seanne erichien. 

„Madame,“ jagte fie, „er iſt da.“ 

- „Der Cardinal?“ fragte die Königin, ein w 
erflaunt über das Wort er, das, von einer T 
ausgelprochen, fv viele Dinge bezeichnet. 

Sie vollendete nicht. Seanne hatte ſchon H 
von Rohan eingeführt und fih, dem bejchügten 
fhüger verftohlen die Haud drückend, wieder entf 

Der Prinz befand fih allein, drei Schritte 
der Königin, vor der er ehrerbietig die ſchuld 
Büdlinge made. _ 

Die Königin, als fie diefe 
Takt fah, war gerührt; fie reich 
dinal, der feine Augen noch nic 

„Mein Herr,” ſprach fie, M 
von Ihnen mitgetheilt, der viel Ai 

„Stlauben Sie mir,“ erwieder 









„Ih verbiete Ihnen durchaus nicht, ſich zu r 
fertigen ,” fprach die Königin mit Würde, „aber 
was Sie mir fagen würden, würfe einen Schatten 
bie Liebe und die Achtung, die ich für mein Vater 
und meine Familie hege. Sie können fih nur entla 


Indem Sie mich verletzen, Herr Garbinal. Doch wir 
wollen diefes ſchlecht erlofchene Feuer nicht anrühren, 
es würde vielleicht noch Ihre Finger und die meinigen 
verbrennen; Sie unter dem neuen Lichte fehen, das 
Sie mir geoffenbart haben, verbindlich, ehrerbietig, 
ergeben . . .” 

„Ergeben bis zum Zod,” unterbrach der Cardinal. 

„But. Doch,“ fagte Marie Antoinette lächelnd, 
„doch bis jebt Handelt es fi nur um den Ruin. Gie 
wären mir ergeben bis zum Ruin, Herr Gardinal? 
Das ift fehr ſchön, das ift Ichön genug. Zum Glüd 
Bringe ih Ordnung in die Sache. Sie werden leben 
und nicht ruinirt fein, wenn Sie nicht etwa, wie man 
fagt, fich feibft ruiniren.“ 

„Madame .. .” 

„Das ift Ihre Sache. Als Freundin, da wir nun 
gute Freunde find, will ich Ihnen indeflen einen Rath 
geben: Seien Sie fyarfam, das ift eine Hirtentugend; 
der König wird Sie mehr lieben, wenn Eie fparfam, 
als wenn Sie verfchwenderifch find.“ 

„Ich werde geizig werdeh, um Eurer Majeſtät zu 
gefallen.“ 

„Der Be verfeßte die Königin mit einer zarten 
Nuauce, „der fg liebt auch die Geizigen nicht...“ 

„Sch werde werben, was Eure Majeftät will,“ 
unterbrady fie der Cardinal mit einer fchlecht verklei⸗ 
deten Leidenfchaft. 

„Sch fagte Ihnen alſo,“ fehnitt die Königin furz 
ab, „Sie werden durch meine Schuld nit zu Grunde 
gerichtet werden. Sie find für mich gut geflanden, ich 
danfe Ihnen dafür, aber ich habe Mittel, meinen Ber: 
binblichteiten zu entfprehen, fümmern Sie fi alfo 
nicht mehr um diefe Angelegenheiten, welche von der 
erſten Sablung nur mich angehen werden.“ 

„Damit die Sache beendigt fein möge, Madame,“ 
fprady der Cardinal, fi) verbeugend, „babe ich Eurer 
Majeftät nur noch das Halsband anzubieten.“ 


38 


Zu gleicher Zeit zog er aus feiner Tafche das 
Etui und überreichte es der Königin. 

Sie fhaute es nicht einmal an, was bei ihr ein 
fehr großes Verlangen, es zu fehen, offenbarte, und 
zitternd vor Freude legte fie es auf ein Arbeitstifchchen, 
doc) fo, daß fie es unter ihrer Hand bebielt. 

Der Bardinal verfuchte fodann einige Worte ber 
Höflichkeit, welche fehr gut aufgenommen wurden, und 
hierauf fam er auf das zurüd, was die Königin in 
Betreff ihrer Berföhnung geiagt hatte. 

Da fie fih aber gelobt haıte, die Diamanten nidt 
in feiner Gegenwart anzufchauen, und da fle vor Bes 
gierde, diefelben zu fehen, brannte, fo hörte fie ihn 
nur noch zerfireut an. 

Aus Zeritreuung überließ fie ihm auch ihre Hand, 
die er mit entzüdter Miene füßte. Dann nahm er 
Abichied, da er zu beengen glaubte, was ihn mit 
Freude erfüllte. Gin einfacher Freund beengt nie, ein 
Öleihgültiger noch viel weniger. 

Das war der Berlauf diefer Zuſammenkunft, welde 
alle Wunden im Herzen des Cardinals fhloß. Er vers 
ließ die Königin begeiftert, tıunfen von Hoffnung, und 
bereit, Srau von La Mothe für die Unterbandlung, die 
fie fo glüdlich geführt, eine grengenlofe Danfbarfeit zu 
beweifen. 

Jeanne erwartete ihn in ihrem Wagen, Hunbert 
Schritte von der Barriere; fie empfing die glühenbe 
Betheurung feiner Freundſchaft. 

„Nun,“ fagte fie nach dem erften Ausbruch diefer 
Danfbarfeit, „werden Sie Richelieu oder Mazarin 
fein? Hat Ihnen die öſterreichiſche Kippe Srmuthiauns 
gen des Ehrgeites oder der Zärtlichkeit gegeben ? Sind 
Sie in die Politik oder in die Intrigue verlegt?“ 

„Scherzen Sie nit, Gräfin, ich bin wahnfinnig 
vor Glück.“ 

„Schon!“ 


39 


„Stehen Sie mir bei, und in brei Wochen Tann 
id ein Minifterium in den Händen haben.” 

„zenfel! in drei Wochen; wie lange das ifl: der 
Berfail ber erften Verbindlichte iten iſt auf vierzehn Tage 


geſtellt 

—— alles Glück kommt zugleich; die Königin 
bat Geld, fie wird bezahlen; ich werde nur dag Ver⸗ 
dienſt der Abſicht haben. Das ift zu wenig, Gräfin, 
auf Ehre, es ift zu wenig. Bott iſt mein Zeuge, daß 
ich dieſe Verſoͤhnung gern um ben Preis von jünfmal 
hunderttaufend Livres bezahlt hätte.. 

» „Seien Sie unbeforgt,“ unterbrad) ihn lächelnd 
bie Gräfin, „Sie werden diefes DBerdienft neben den 
anderen haben. Iſt Ihnen viel daran gelegen?“ 

„Ih geftehe, daß ich es vorzöge; wäre die Koͤni⸗ 
gin meine Shulönerin geworben... 

„Monfeigneur, es ſagt mir Etwas, e8 werde Ihnen 
biefe "Befriedigung. zu Theil werden. Sind Sie dar: 
anf vorbereitet ?“ 

„Ich babe meine legten Güter verfaufen laſſen, 
und für das nächſte Jahr meine Einfünfte und Pfrün- 
den verpiändet.“ 

„Sie haben alfo die fünfmalhunderttauſend Livres?“ 

ch habe ſie; nur weiß ich nicht, wenn dieſe 
Zahlung geleiſtet iſt, wie ich es nachher machen werde.“ 

„Diele Zahlung,“ riet Jeanne, „gibt uns ein Vier⸗ 
teljahr Kuhe. In drei Monaten, guter Bott! welche 
Greiguiie fönnen da eintreten!” 

Das ift wahr; doch ber König läßt mir lagen, 
ich fol feine Schulden machen.“ 

„Ein Aufenthalt von zwei Monaten im Miniſte⸗ 
rium — Fri alle Ihre Schulden bereinigen.” 

„D 

„Gmpören Sie fich nicht. Wenn Sie es nicht 
thäten, würden es Ihre Better thun.“ 

Sie haben immer Recht. Wohin gehen Sie?” 
AIch will die Königin wieder‘ aufſuchen und in 


40 


Erfahrung bringen, welche Wirkung Ihre Gegenwart 
gemacht hat.” " 

„Sehr gut, ich Fehre nad Paris zurüd.“ 

„Warum? Sie wären heute Abend zum Spiel 
gurüdgefommen, Das iſt gute Taktif; verlaffen Ele 
den Platz nicht.“ 

„Ich muß leider bei einem Rendezvons fein, bas 
ich diefen Morgen vor meinem Abgang erhalten Habe." 

„Ein Rendezvous?“ 

„Bon ziemlih ernftler Natur, nach dem Inhalt 
bes Billets zu urtheilen,, das man mir zugefchickt Hat. 
Sehen Sie.“ - 

„Eine männliche Handſchrift,“ fagte die Gräfe, 

Und fie las: 

un Monfeigneur, es will fi Jemand mit Ihnen 
über die Beitreibung einer bedeutenden Summe be- 
ſprechen. Diefe Perfon wird fi heute Abend bei 
Ihnen, in Paris, einfinden, um die Ehre einer Audienz 
zu erhalten.”“ 

„Anonym... Ein Bettler.“ 

„Nein, Gräfin, man fegt fi nicht mit heiterem 
Herzen der Gefahr aus, von meinen 2enten durchge⸗ 
prügelt zu werben, weil man mich hintergangen Bat. 
Ich weiß nicht warum, doch mir ſcheint, ich kenne diefe 
Handſchrift.“ 

„Wohl denn! Monſeigneur; überdies wagt man 
nie viel bei Leuten, welche Bed verfpreden. Das 
Schlimmfte wäre, wenn fie nicht bezahlen würben. 
Guten Tag, Monfeigneur.” 

„Sräfln, ich rechne auf das Glück, Sie wieberzu⸗ 

en “u 


„a! Monfeignenr, zwei Dinge!“ 
„Sprechen Sie.” 
„Wenn Ihnen unerwartet eine große Summe ein- 
nge ©” 
i nun! Gräfin 9” 
„Stwas Verlorenes; ein Bund! ein Schatz! 


4 
verfiehe Sie, Schlimme, Halbpart, nicht 


Iner Trene, Monfeigneur!“ 
bringen mir Glück, Gräfin, warum follte 
; nicht dafür Rechenſchaft tragen? Das wird 
Nun das Andere?“ 
en Sie Laflen Sie fi nicht einfallen, die 
underttaufend Livres anzugreifen.” 
! feien Sie unbeforgt.” . 
fie trennten ſich. Es fehrte der Kardinal 
Atmofphäre himmliſcher Slüdfeligfeit nad 


rüd. 

Leben nahm für ihn in der That feit zwei 
ein anderes Befiht an. War er nur vers 
jyatte ihm die Königin mehr gegeben, als er 
u hoffen gewagt hätte; war er ehrgeizig, fo 
n noch mehr hoffen. 

it von feiner rau geleitet, wurbe ber 
8 Werkzeug eines Glückes, das fortan nichte 
halten Fonnte. Der Prinz Louis fühlte fi 
s er Hatte fo viel politifches Genie, als nicht 
feinen Nebenbuhblern, er verftand die Frage 
fferung, er verband die Beiftlichfeit mit dem 
ı eine von den feſten Majoritäten zu bil: 
re lange durch die Stärfe und das Recht res 


ie Spiße diefer Reformbewegung bie Königin 
ie er anbetete, und deren beftändig zuneh⸗ 
beliebtheit er in eine Bopularität ohne Blei: 
anbelt hätte: das war der Traum bes Prä- 
d diefen Traum konnte ein einziges zärtliches 
Königin Marie Antoinette in eine Wirklich- 
ndeln. 

; verzichtete der Unbeſonnene auf feine leich⸗ 
‚der Weltliche machte fi zum Vhiloſophen, 
ge wurbe ein unermüblicher Arbeiter. Es ifl 
fe Aufgabe für die großen Charaktere, bie 





42 


Blaͤſſe der Schwelgereien mit ber Ermuüͤdung durch bes | 
Studium zu vertaufchen. Portgezogen durch das Ge 


fpann, das man den Ehrgeiz und die Liebe nennt, war |* 


Herr von Rohan weit gegangen. 
Er glaubte fi) fhon bei feiner Rückkehr nad 


Paris beim Werke, verbrannte auf einmal eine Kiſte 


voll Liebesbillets, rief feinen Intendanten, am Re 
formen anzuorbnen, ließ durch einen Secretär Federn 


ſchneiden, um Memoiren über die Bolitif Englandt . 
zu fchreiben, die er vortrefflich verfland,-und, feit einer : 


Stunde bei ber Arbeit, fing er an wieder in den 
Befitz feiner ſelbſt zurüdzufehren, ale ihm der Ton 
einer Klingel in feinem Gabinet verfündigte, es erw 
feine ein wichtiger Befuch bei ihm. 

Sin Huiffler trat ein. 

„Wer ift da?“ fragte der Prälat. 

„Die Berfon, welde diefen Morgen an Bons 
feigneur geſchrieben hat.“ 

„Ohne zu unterzeichnen ?* 

„Sa, Monfeigneur.” ° 

„Doch diefe Perfon hat einen Namen. Fragen 
Sie diefelbe danach.“ ‘ 

Der Huiffter fam nah einem Augenblick zuräd 
und meldete: 

„Der Herr Graf von Gaglioftro.“ 

Der Brinz bebte. 

„Sr trete ein.” 

Der Graf trat ein, die Thüren fchloffen ſich wie: 
der hinter ihm. 

„Großer Bott!” rief der Cardinal, „was fehe ich 7 

„Nicht wahr, Monfeigneur, daß ich mich kaum 
verändert babe.“ 

„SR es möglidh...”" murmelte Herr von Roban, 
„Joſevyh Balfamo lebendig, er, von dem man fagte, er 
fei bei jenem Brande umgefommen. Joſeph Balfamo ...” 

„Graf von Fönix lebendig, ja, Monfeigneur, und 
lebendiger, als je.“ 


43 


‚Aber, mein Herr, unter welchem Namen erfcheis 
Sie denn? und warum haben Sie nicht den alten 
ten?” 

‚Gerade, Monfeigneur, weil er alt it und, vor 
ı bei mir, fodann bei den Andern zu viele traurige 
jefchwerliche Srinnerungen zurüdtruft. Ich fpreche 
on Ihnen, Monfeigneur, hätten Sie Joſeph Bals 
nicht von Ihrer Thüre gewiefen ?“ 

Ay? ob! nein, mein Herr, nein.“ 

Ind der Garbinal bot, immer noch erflaunt, Gas 
ro richt einmal einen Stuhl an. 

Dann bat Eure Eminenz mehr Gedächtniß und 
heit, als alle Menſchen miteinander," fagte 
oftro. 

Mein Herr, Sie haben mir einft einen folgen 
t geleiltet . . .“ 

Nicht wahr, Monfeigneur, ich babe mein Alter 
verändert,“ unterbrady ihn Balfamo, „und ich bin 
yönes Mufter der Reiultate meiner Lebenstropfen.” 
Ich geftehe es, mein Herr, doch Sie find über 
tenfchheit, Sie, der Sie fu freigebig das Bold 
ie Geſundheit Allen fvenden.” 

Die Geſundheit, ich leugne das nicht, Monfeig- 
doch das Gold ... nein, oh! nein..." 

Sie maden fein Gold mehr?“ 

Nein, Monfeigneur.” 

Und warum nicht?” 

Weil ich das lepte Theilcden von einem unerläß- 
Singredienz verloren habe, das mir mein Lehrer, 
je Alıhotas, nach feinem Abgange aus Aegypten 
n hatte; es if dies das einzige Recept, welches 
ht eigen beſaß.“ | 

Er hat es behalten 3“ 

Mein, das heißt, ja, behalten oder mit in’s Grab 
men, wte Sie wollen.” 

Er if geſtorben?“ 

Ich habe ihn verloren.” 





4 


„Barum haben Sie nit das Leben bi 
nes, des unumgänglich norhwendigen Berwi 
ſes unumgänglich notbwendigen Recepts, 
Sie, der Sie ſich feit Jahrhunderten lebendig 
erhalten haben, wie Sie ſagen?“ 

„Weil ich Alles gegen die Krankheit, 
Wunde vermag und nichts gegen den Unfall, 
ohne daß man mich ruft.“ 

„Und es war ein Unfall, der die Tage ı 
tas endigte? ' 

„Sie mußten es erfahren, da Sie mei 
wußten.” 

„Der Brand der Rue Saint:Elaude, b 
Sie verfchwanden ?“ 

„Hat Althotas allein getöntet, oder der R 
vielmehr, des Lebens müde, fterben.” 

„Das iſt feltfam.“ 

„Nein, es ift natürlid. Sch Habe ı 
hundertmal daran gedacht, ich follte zu leben 

„Aber Sie haben dennoch auf dem Leber 

„Weil ih mir einen Jugendzuftand n 
welchem die fchöne Geſundheit, die Leidenic 
Vergnügungen des Körpers mir noch einige £ 
verfchaften; Althotas dagegen hatte fich den 
ftand gemäßlt.” 

„Althutas mußte es machen, wie Sie.“ 

„Rein, er war ein tieier und erhaber 
von allen Dingen diefer Welt wollte er nur 
fhaft. Und diefe Jugend mit dem gebieterif 
diefe Leidenfchaiten, diefe Bergnügungen hatt 
der ewigen Befchauung abgelenft onfeigr 
von Gewicht, daß man immer fieberfrei ifl 

u denfen, muß man fich in einer unflörbar 
hut abiorbiren können. Der Greis finnt I 
als der junge Mann; wenn ihn die Traurigl 
gie es auch fein Mittel mehr. Althotas 

pfer feiner Ergebenheit für die Wiſſenſchaft 


45: 


wie ein Weltlicher, verliere meine Zeit und 
Haus nichts. Ich bin eine Pflanze. Ich darf 
en, eine Blume, ich lebe nicht, ich athme.“ 

'* murmelte der Bardinal, „mit dem wiebders 
en Dann erftebt auch wieder mein ganzes 
n. Sie geben midy jener Zeit zurüd, mein 
die Zauberfraft Ihrer Worte, wo das Wun⸗ 
Ihrer Handlungen alle meine Fähigkeiten ver- 
und in meinen Augen den Werih eines Ge⸗ 
erhöhten. Sie erinnern mid an die zwei 
neiner Jugend. Wiſſen Sie, es find fiebenzehn 
aß Sie mir erfdhienen.” 

weiß es, wir haben Beide fehr abgenommen. 
eur, ich bin fein Weifer mehr, fundern ein 
 GSie, Sie find nicht mehr ein ſchöner junger 
ondern ein fchöner Fürſt. Erinnern Sie fidy, 
eur, jenes Tages, wo id in meinem heute 
Tapeten verjüngten Cabinet Ihnen’die Liebe 
u verſprach, deren blonde Haare meine Seherin 
atte?“ 

Cardinal erbleichte und erroͤthete dann plotzlich. 
recken und- die Freude Hatten hinter einander 
aͤge feines Herzens unterbrochen. 
‚ erinnere mich,” fagteer, „body nur verworren.“ 
r wollen ſehen,“ ſprach Caglioftro lächelnd, 
llen ſehen, ob ich noch für einen Zauberer 
nnte. Warten Sie, daß ich mich in dieſem 
ı feitftelle. * 
dachte nad. 
e blonde junge Perſon Ihrer Liebesträume,“ 
nad einem Stillfeyweigen, „wo ift fie? was 
2 Ab! bei Gott, ich fehe fie; ja ... . nnd 
ft haben fie heute geſehen. Mehr no, Sie 
von ihr her.“ 

Cardinal drüdte eine eisfalte Hand auf fein 


s Herz. 
ein Her, fagte ex ſo leiſe, daß es Caglioſtro 
rte, „ich bitte... .* 


„Wollen Ste, daß wir von etwas Anderem 
verfegte der Wahrfager mit höflihem Tone. „OB! 
bin ganz an Ihren Befehlen, Monfeigueur. 56 
Sie die © te, über wi zu verfügen,“ 

Und er Rredte ſich giemtic frei anf einem G 
ans, deu der Garbinal ihm bezeichnen feit-% 
Anfang dieſes intereffanten Gelpräces eo, ” 


» 


EVIL. sa 
Der Glänbiger und der Cchuidnde; * 


Der Garbinal ieh feinem Gafe mit einer —* 
verbugten Mine 
„Run!“ fagte * lioſtro, „va wir unfere Sehen 
fchafı erneuert —— plaudern wir, u 
e6 Ihnen beliebt . 
„In,“ erwiederte der Pralat, der ** 
exholte, „je ſprechen wir von der Weit g, Wii 


ie ic in meinem Briefe bezeichnet babe, Br 
wahr, Gare Sminenz wünſcht eilig zu erfahren. 

„Dh! das war ein Vorwand . . . fo venbe 
wenigftens.“ 

„Rein, mein Herr, burdans nit; ed wer‘ 
freibane iofnt RG wohl ver Make, bewerthenl, 
re [| e, e 
werden, iu Betracht, daß es ch nm fünfmal Gun 
taufend Livre⸗s handelt, und daß fünimal Gundertta 
eiotee ei eine Summe finy.” 

N weiche tel —*— a + — 7 
men | rief tr . 
Geht eine Iniägte Biäfe 


37 


a, Monfeigneur, die ih Ihnen geliehen habe,“ 
Balfamo; „ich fehe mit Bergnügen bei einem 
en Fürften, wie Sie, ein fo gutes Gedächtniß.“ 
r Cardinal hatte den Schlag empfangen, er 
einen Falten Schweiß von feiner Stirne nad 
Bangen herabriejeln. 

ch glaubte einen Augenblid,“ fagte er, indem 
icheln ſuchte, „Joſeph Baliamo, der übernatürs 
ann, habe feine Schulpforderung in fein Grab 
— wie er meinen Schein in's Feuer ge⸗ 

atte.“. 

donſeigneur,“ erwiederte der Graf mit ernſtem 
das Leben von Joſeph Balſamo iſt unzerſtörbar, 
dieſes Blatt Papier iſt, das Sie für vernichtet 


er Tod vermag nichts gegen das Lebenselirir, 
ser vermag nichts gegen den Ashbefl.“ 

ch verſtehe nicht,“ 38 der Cardinal, dem eine 
ag vor den Augen vorüberzog. 

ie werben verächen, Monfeigneur, befien bin 


T. 
jie fo?“ 

ndem Sie Ihre Unterfchrift erkennen.“ 

db er gab dem Prinzen ein zufammengelegies 
und diefer rief, fogar che er es geöffnet: 

tein Schein!” 

a, Monieigneur, Ihr Schein,“ erwiederte Bas 
mit einem leichten Lächeln, das noch durch eine 
erbengung gemildert würde. 

ie verbrannten ihn doch, ich fah die Ylamme 


ch babe das Papier allerdings in’s Feuer ge⸗ 
aber, wie gefaat, Monfeigneur, der Zufall 
daß Sie auf ein Stück Asbeft geichrieben hatten, 
f gewößnliches Papier zu fchreiben, fo daß ich 
Sa unverfehrt auf den verzehrten Kohlen ges 
abe.“ 


„Mein Herr," ſprach der Garbinal mit 
gewiften Stolz, denn er glaubte in der Vorw 
des Sceins ein Zeichen von Mißtrauen zu 
„mein Herr, glauben Sie mir, daß ich diefe € 
eben fo wenig ohne diefes Papier geleugnet hätt 
ih fie mit diefem Papier leugne.‘ Sie Hatteı 
Unredt, daß Sie mich täufchten.” 

„Ich, Sie täufchen? Ich Hatte nicht einen $ 
blick diefe Abficht, das ſchwöre ich Ihnen.“ 

„Sie haben mich glauben gemacht, das Unte 
fei vernichtet.“ 

„Um Ihnen den ruhigen und glüdlichen Gen 
fünfmal hundert taufend Livres zu laſſen,“ erw 
Balfamo mit einer leichten Bewegung der Schu 

„Aber, mein Herr,” fuhr der Cardinal fort, „N 
haben fie zehn Jahre lang eine folde Summe 
fegt gelafien ?“ 

„Monfeigneur, ich wußte, bei wen ich fie aı 
hatte. Die Greigniffe, das Spiel, die Diebe 
mi allmälig allee meiner Büter beraubt. * 
aber wußte, daß ich diefes Geld in Sicherheit 
fo wartete ich geduldig bis zum legten Augenbli 

„Und der legte Augenblid ift gefommen ?“ 

„Ah! ja, Monieignenr.“ 

„SH, daß Sie di weder mehr gebulben, 
warten koͤnnen?“ 

„Das iſt mir in der That unmöglich,” antı 
Gaglioftro. 

„Sie verlangen alfo Ihr Geld von mir zu 

„Sa, Monfeigneur.” 

„Schon heute?“ 

„Wenn es Ihnen beliebt?“ 

Der Garbinal beobachtete ein ganz von Bei 
lung zudendes Stillfyweigen. 

Dann ſprach er mit bebeuder Stimme: 

„Herr Graf, die unglüdlichen Fürſten ber 
improviſiren nicht fo zafche Vermögen, wie Ihr 


die She über die iſter der Finſterniß und bes 
gebietet.“ 

Ib! Monſeigneur, glauben Sie mir, ich würde 
Summe nicht von Ihnen gefordert haben, hätte 
bt vorher gewußt, daß Sie diefelbe befißen.“ 

$h babe fünfmal Hundert taufend Livres, ich?“ 
r Garbinal. 

0,000 Kivres in Gold, 10,000 in Silber, das 
e in Bankſcheinen.“ 

er Cardinal erbleichte. 

Belche dort in jenem Schranfe von Boule find,” 
Saglioflro bei. 

>! mein Herr, Sie wiflen das?“ 

Ja, Monfeigneur, und id kenne aud alle bie 
die Sie bringen mußten, um fich diefe Summe 
Ichaffen. Ich hörte fogar fagen, Sie haben dies 
{Id um feinen doppelten Werth gekauft.“ 

6 das iſt wahr.“ 


ob... 
Doch?“ rief der unglückliche Prinz. 
Dody ich, ich wäre feit zehn Jahren zwanzigmal 
e vor Hunger oder in Berlegenheit neben diefem 
: geftorben, das für mich eine Halbe Million 
te, und dennoch habe ich, um Sie nicht zu beuns 
n, gewartet. Ich glaube daher, daß wir jo unge⸗ 
uitt find, Monfeigneur.” 
Anitt, mein Herr,“ rief der Prinz, „ob! fagen 
it, wir feien quitt, da' Ihnen der Vortheil 
mir fo großmüthig eine Summe von biefer Bes 
g geliehen zu haben; quitt! ob! nein, nein! ich 
ıd bleibe ewig Ihr Schuldner. Nur frage idy 
derr Graf, warum Sie, der Sie feit zehn Jahren 
Summe von mir zurüdverlangen Fonnten, ge- 
jen haben? Seit zehn Jahren hätte ich zwan⸗ 
Gelegenheit gehabt, Ihnen diefes Geld zurüd- 
n, ohne daß es mir fchwer gefallen wäre.” 
Saldband der Königin, HL. 4 u 


50 


„Während Heute?“ ... fragte Caglioſtro. 
Oh! Heute verberge ich Ihnen nit, daß 
MWiedererflattung, die Sie fordern, denn nicht 
Sie fordern fie?“ 

„Leider, Monfeigneur.“ 

„Mir gewaltig ſchwer fällt.“ 

Caglioſtro machte mit dem Ropf und ben € 
tern eine Fleine Bewegung, welche bedeutete: War 
len Sie, Monfeigneur, das ift fo und kann nid 
ders fein. 

„Aber Sie, der Sie Alles errathen,“ rie 
Prinz, „Sie, der Sie im Grunde der Herzen w 
Grunde der Scränfe zu lefen wiflen, was zur 
noch viel fchlimmer iſt, Sie brauden ohne 3: 
nicht erft zu erfahren, warum mir fo viel an t 
Gelde liegt, und was der geheimnißvolle und 5 
Gebraud if, zu dem ich es beftimme?“ 

„Sie irren fih, Monfeigneur,” erwiederte &ı 
firo mit einem eiſigen Ton, „nein, ich habe kein 
nung, und metne Geheimniffe haben mir genug 
trübniffe, Tänfchungen und Jammer zugezogen, de 
mich durchaus niht um die Geheimniffe Andere 
fiimmere, wenn fie mich nicht intereifiren. &e 
efirte mich, zu wiflen, ob Sie Geld hatten obı 
Sie feines hatten, infofern ich von Ihnen zu fo 
befugt war. Als ich aber einmal wußte, daß 
hatten, lag mir wenig daran, zu erfahren, wozu 
es beflimmten. Weberdies, Monfeigneur, wenn i 
diefem Augenblid die Uriache Ihrer Berlegenheit n 
würde fie mir vielleicht gewichtig genug und fo ach 
werth erfcheinen, daß ich die Schwäde hätte, mod 
uwarten, was mir unter ben gegenwärtigen Umſtä 
ich wiederhole es Ihnen, den größten Nachtheil br 
Ich ziehe es daher vor, nichts zu wiffen.” 

„Db! mein Herr,“ rief der Gardinal, deffen ( 
und Empfindlichkeit diefe legten Worte wieder er 
hatten, „glauben Sie wenigfiene n :, ic wolle 


51 


Mitleid in Beziehung auf meine perſoͤnlichen Verle⸗ 
jenheiten erregen; Ste haben ‚Ihre Interefien, fie find 
vertreten und garantirt durch dieſen Schein, diefer 
Schein ift von meiner Hand unterzeichnet, das ift ges 
ug. Sie follen Ihre fünfmal hundert taufend Livres 
ekommen.“ 

Caglioſtro verbeugte ſich. 

„Ich weiß wohl,“ ſprach der Cardinal, verzehrt 
on dem Schmerz, in einer Minute ſo viel mühſam 
nfgehäuftes Geld zu verlieren, „ich weiß, daß dieſes 
Bapier nur eine Anerkennung der Schuld iſt und feine 
Berfallzeit für die Bezahlung beftimmt.“ 

„Eure Eminenz wolle mich entſchuldigen,“ erwies 
erte der Graf, „ich berufe mich auf den Buchftaben 
es Scheine und fehe hier geichrieben: 

„„Ich befcheinige, von Herrn Sofeph Balfamo bie 
Summe von 500,000 Livres empfangen zu haben, bie 
ch ihm auf feine erfte Forderung zurücbezahlen werde. 

„Unter, Louis von Rohan.““ 

Der Cardinal ſchauerte an allen feinen Gliedern; 
r Batte nicht nur die Schuld, fondern auch die Worte, 
n denen fie befcheinigt war, vergeflen. 

„Sie fehen, Monfeigneur, daß ich nit das Un- 
nögliche verlange,” fuhr Balfamo fort. „Sie können 
icht, gut. Nur bevaure ih, daß Eure Eminenz zu 
ergeflen fcheint, daß die Summe aus freien Stüden 
on Joſeph Balfamo in einer bedeutungsvollen Stunde 
egeben worden ift, und dies wem? Herrn von Rohan, 
en er nicht kannte. Das ift, wie mir foheint, das 
jenehmen eines vornehmen Mannes, das Herr von 
toban, in jeder Hinficht ein fo vornehmer Mann, bei 
er MWiedererflattung hätte nachahmen fünnen. Doch 
zie dachten, das müßte nicht fo gefchehen, ſprechen wir 
Ifo nicht mehr davon; ich nehme meinen Schein zurüd. 
Jott befohlen, Monfeigneur.” 

Nach diefen Worten legte Gagtioftre bas Papier 


32 


falt zufammen und fohidte fih an, es wieber in feine 
Taſche zu fteden. 

Der Cardinal hielt ihn zurüd. 

„Herr Graf,” fagte er, „ein Rohan duldet nicht, 
daß ihm irgend Semand in der Welt Kectionen in ber 
Großmuth gibt. Weberdies wäre es hier ganz einfad 
eine Lection der Redlichkeit. Ich bitte Sie, mein Herr, 
geben Sie mir den Schein, damit ich ihn bezahle.“ 
ſchi Nun war es Caglioſtro, der ſeinerſeits zu zögern 


ien. 

Das bleihe Geſicht, die angefchwollenen Augen, 
die bebende Hand des Cardinals Ichienen in der That 
ein lebhaftes Mitleid in ihm zu erregen. 

Der Cardinal, fo ſtolz er war, begriff dieſen guten 
Gedanfen von Caglioſtro. Einen Augenblid Hoffte er, 
es würde ein gutes Neiultat daraus hervorgehen. . 

Blöglich aber verhärtete fich das Auge des Grafen, 
eine Wolfe lief über feine gefaltete Stirn bin und er 
ſtreckte die Hand und ben Schein gegen den Garbinal 
aus. 

Im Herzen getroffen, verlor Herr von Rohan 
nicht einen Augenblid;; er wandte fi nach dem Schranfe, 
den aglioftro bezeichnet hatte, und zog daraus ein 
Bündel Anweifungen auf die Wafler: und Zorftfafle; 
dann bezeichnete er mit dem Finger mehrere Säde 
Silber und öffnete eine Schublade voll Gold. 

„Herr Graf,” fagte er, „bier find Ihre fünfmal 
hunderttaufend Livres; nur bin ich Ihnen au bdiefer 
Stunde noch weitere zweimal hundert und fünfzig tau- 
fenp Livres fchuldig, indem ich annehme, daß Sie Zins 
aus Zins ausjchlagen, was eine noch viel beträcytlichere 
Summe maden würde, Ich will die Rechnungen durch 
meinen Intendanten ftellen laffen und Ihnen Sicherheiten 
für diefe Bezahlung geben, wobel ih Sie bitte, mir 
Zeit bewilligen zu wollen.” 

„Nonſeigneur,“ erwieberte Gaglioftro, „ich habe 
Herrn von Roban fünfmal Hundert taufend Livres ge 


53 


iehen. Herr von Rohan iſt mir fünfmal hundert tau⸗ 
md Livres fchuldig und nicht mehr. Hätte ich Inter⸗ 
Ben ziehen wollen, fo würde ich fie in dem Schein 
usbedungen haben. Mandatar oder Erbe von Joſeph 
Jalfamo , wie es Ihnen beliebt, denn Sojeph Balz 
ımo iſt wohl todt, darf id nur die in der Schuld⸗ 
tfunde ausgefprodhenen Summen annehmen, Sie be- 
ıhlen mir diefelben,, dafür fage ich Ihnen meinen ehr: 
-bietigen Danf. Ich nehme alfo die Anmweifung an, 
Ronfeigneur, unb da ich noch am heutigen Tage der 
anzen Summe bedarf, fo werde ich das Bold und das 
Silber, was ich Sie bereit zu halten bitte, abholen 

n.“ 

Nach dieſen Worten, auf welche der Cardinal 
ichts zu erwiedern mußte, ſteckte Caglioſtro das Bün- 
el mit den Papieren in die Taſche, verbeugte ſich ehrs 
urchtsvoll vor dem Bringen, in deſſen Hände er den 
Schein legte, und entfernte ſich. 

„Das Unglück,“ feufzte der Prinz, nad) dem Abs 
ang von Caglioftro, „das Unglüd trifft nur mich, da 
ie Königin zu bezahlen im Stande ift, und zu ihr 
venigftens Fein unerwarteter Jufeph Balfamv kommen 
sted, um einen Rüdftand von fünfmal hundert faufend 
ivres zu fordern. 


LVIII. 
Haushaltungsrechnungen. 


Es war zwei Tage vor ber erſten von ber Koͤni⸗ 
in beflimmten Zahlung. Herr von Calonne hatte fein 
Berfprechen noch nicht gehalten. Seine Rechnungen 
varen noch nicht vom König unterzeichnet. 

Der Minifter hatte viel zu thun gehabt und das 
urch die Königin ein wenig vergefien. Sie, ihrerfeits, 


hlelt es aicht {rec Würbe angemeffen, das Gedi 
miß des Gonteoleur ber Pinanzen aufjufeifgen, 


j fe halte te, tete Mr 
—— 7 
em, 





zu erfund! Re fuchte die Mittel, Herrn von 
IM foredgen, ohne die Königin zu compromitti: 
ihr ein Bidet folgenden Jahalts vom Miniker zulam: 
„Diefen Abend „wird die Gage, miı-ber 
Cure MajeRär guädigr beauftragt hat, im Kathe 
tergeichnet werben, und bie Gelder werben — 
bei *. Königin A 
te ganze Helter: 
Warle Antoinette urä, 
nit mehr an den fo | 
Mi: 
einfamften Wücen fngeı 
ten von aller materielle 






fondern, 

Sie ging noch wii 
Grafen H’Rıtois fyayier 
Rirtagsmaple in der € 

Der 8 





vom König fel 
vor di jeriprungen, 
Bereint 





jergeben® bat biefer fein jchdı 
tefenille mit feiner lacyenden Micı 
und verbrießlic Eeipelie der Rön! 
Bapier Schraffirungen, | 
wie die guten Alten und. 
bedenteten. J 


55 


Es war eine Manie des Königs, während ber 
Kathofigungen zw zeichnen. Ludwig XVI. liebte es 
nicht, den Leuten in's Geſicht zu fehen, er war fchüdhs 
teen; eine Keder in feiner Hand gab ihm Sicherheit und 
Haltung. Während er fi fo befhäftigte, konnte der 
Redner feine Beweisgründe entwideln; der König, ins 
dem er das Auge verfiohlen aufichlug, nahm da und 
dort ein wenig euer mit feinen Bliden — gerade fo 
viel, ale er brauchte, um. die Idee beurtheilend, den 
Menſchen nicht zu vergeflen. 

Sprad er —* und er ſprach gut, ſo benahm 
ſeine Zeichnung ſeiner Rede jedes Ausſehen der An⸗ 
maßung: er brauchte feine Geberde mehr zu machen; 
er fonnte nach Belieben ſich unterbrechen oder erwär= 
men, ber Zug auf dem Papier erſetzte im Nothfall die 
Zierrathen des Wortes. 

Der König nahm alfo, feiner Gewohnheit gemäß, 
die Feder, und die Minifter fingen an Entwürfe oder 
dipfomatifche Noten vorzulefen. 

Der König gab keine Sylbe von fi, er ließ bie 
auswärtige Gorrefponbeng vorüber gehen, als begriffe 
er fein Wort von diefer Art von Arbeit. 

Aber man fam zum Detail der Rechnungen bes 
Monats; er erhob das Haupt. 

Herr von Calonne hatte einen Auffab in Bes 
Kebung auf das für das folgende Jahr beabfichtigte 

alehen eröffnet. 
ſ Der König machte mit der größten Wuth Schraf⸗ 
rungen. 

9 mmer entlebnen, ohne zu wiffen, wie man e8 
zurückgeben wird,“ fagte er; „das ift doch ein Problem, 
Berr von Balonne.” 

„Site, ein Anlehen ift ein Aderlaß, den man an 
tiner Duelle macht, das Wafler verfchwindet bier, um 
yort im Ueberfluß ju firömen. Mehr noch. es ſieht fi 
serboppelt durch die unterirdifchen Anpumpungen. Und 
or Allem, fast zu ſagen, wie werden wir bezahlen, 


% 


müßte man fagen: wie und worauf werden: wir ent 
Pe Paar a: Problem, von veu Eute 
rach, iſt nicht: womit wird man 
fondern : wi * wohl Glaͤubiger en sn 
Der König trieb ‚feine Schraffirungen his * 
undurchſichti wi Schwarz, doch er fü fein - 
mehr 6 bet; fet ne Pa Ipradien son feld 0 Mi 
NRacıdem von Galonne Peiner: ‚Blanı, un 
dem Öntbeißch Piner Sollen, anseinan 
nahm ber König den Entwurf und unter 






: obwohl feufzend. dd ch 
„Run, da wir Geld Haben, geben wie aus⸗ hi 
Herr" von Galonne lachenb. 





Der König ſchaute feinen Minifermit- eanche 
mafle an und machte aus ber vaffirung ot 
gehenren —ã “ GE: m. 
err von Galonne gab ihm einen Ctat, wud 
acha ten, Gratifieationen, ngen, 
und Befoldungen beftchenp. sd‘ 
Die Arbeit war karz, gu 
König wandte die Blätter = und eilte m 









um, Ri > r al h aber bee a 

ne on nu) viermal un 

für ig! Wie kommt das?“ ;atofle 
* Fk bie Feder zuben 8 





ine Sie, ud — 
emerfen, —8 Bei Sen reife hundert taufenb 
—5 Artikel anf fünfmal hundert * fe 







„Welcher Artikel , Generalcontr 
„Der 36 fest ve ce BRajeRät bie Sanighe die —— * 
ir 


‚des TINN 


zeihen Sie, Sire, pie Die Baht * * us 
Sünfknal — ee 
berholte 1. ver König. Eee muß ein 


dert t —* 
— * —— 


57 


In der vorigen Woche, nein, vor vierzehn Tagen 
—* ih Ihrer Majeftät ihre drei Monate ausbezahlen 
aſſen.“ 


„Sire, wenn die Königin Geld nöthig hat, und 
nan weiß, wie Ihre Majetät Gebrauch davon macht, 
o ift es nichts Außerordentliches ...“ 

„Nein, nein!" rief der König, — er fühlte näm= 
ih das Bedürfniß, von feiner Sparſamkeit fprechen 
u machen, um ber Königin einiges Beifallklatfchen 
a verfchaffen, wenn fie in die Oper gehen würde —; 
‚nie Königin will diefe Summe nicht, Herr von Ca: 
onne. Die Königin bat mir gefagt, ein Schiff fei 
nehr werth, als Iuwelen. Die Königin denft, wenn 
Franfreich entlehne, um feine Armen zu ernähren, fo 
nüffen die reichen Leute Frankreich borgen. Braucht 
ie Königin diefes Geld, fo wird ihr Verdienſt größer 
ein, wenn fie darauf wartet; und ich ſtehe Ihnen dafür, 
‚aß fie warten wird.” 

Die Minifter gelten viel Beifall diefem patrioti- 
chen Erguß des Könige, den der göttliche Horaz in 
tiefem Augenblid nicht Uxorius genannt hätte. 

Nur Herr von Calonne, der die Berlegenheit der 
ee. fannte, beharrte auf der Genehmigung des 

oftens. 

„Wahrhaftig,” ſprach der König, „Sie find mehr 
ür uns intereffirt, als wir ſelbſt. Beruhigen Sie fich, 
derr von Calonne.“ 

„Die Königin, Sire, wird mich beſchuldigen, ich 
ei wenig eifrig für ihren Dienft gewefen.“ 

„Sch werbe Ihre Sache bei ihr vertheidigen.“ 

„Die Königin, Sire, verlangt nie, wenn fie nicht 
uch die Nothwendigfeit gezwungen wird.“ 

„Hat die Königin Bebürfniffe, jo find fie, wie ich 
offe, minder nebieterifch, als die der Armen, und das 
oird fie zuerſt zugeflchen.“ 


„Site... 
„Befagter Artikel...“ fprach der König entfchloflen. 







Un er nahm die Feder von den Scha 
„Sie durchſtreichen diefen Credit Klee 
Her" von Galonne beftürzt. — 
„Ich durchſtreiche ibm.“ antwortete 3* 
majeRötifch. „Und es if mir, als —A 
edle Stimme der Königin mir danfen, he Es 
Herz fo gut erkannt.“ 
biet Ser: — Balonne bi Air Bi ie elven, 7 
eſem denmũt n berfönlidgen Opfer zufrichen, 
anterferrieb der Kö 9 alles Uebrige mit einen blinden 
ertrauen 
Und er zeichnete ein ſchdues Zebra, umgeben. ven 
u und wiederholte: 
Ich babe heute Abend fünfmal hundert tanfenb 
Livres gewonnen, eim fdöner -Rönigsigg, Gere 
Galonne; Gie werben dieſe gute Kunde ber Königin 














überbringen, Sie werben ſehen; Gie werben m 
„ich abe a enn ia Yhuen ni 
diejes Bekenntniſſes vanben follte. Jedem u Tim 
Verdienſten!“ 
„86 fei,“ erwiederte der König, „heben nu vi | 
Sigung auf. . Genug der Arbeit, wenn Die Ar 
iſt. — —** die Königin; gehen wir ihr a 
gegen, 
„Sire, ich bitte Eure M Berdfung: 
ich habe —* — ajegit ee 
Und er machte A fo ſchnell als will darqh Sei 
Corridor aus dem Gtaube, N 
Der König ging mutig um und gen * 
Marie Autoinette entgegen, m 
. auf ven des Grafen Fr kügend, im 
ufe fan 
t *5* ſagte ei wahr, Gie haben Anm 
gu en Pa ergang aema f 
” en ichen un ‚an * I 
gute beit a ' “ 


* 


59 


„Beurtheilen Sie felbft, ich babe fünfmal Hundert 
mfend Livres für Sie gewonnen.” 

„Salonne bat Wort gehalten,“ dachte die Königin. 

„Stellen Sie fih vor,“ fügte Ludwig XVI. bei, 
Salonne hatte Sie für eine halbe Million auf den 
redit gelegt.“ 

„Oh!“ machte Marie Antoinette Iächelnd. 

„Und ih... . ich babe durchſtrichen. So find 
infmal hundert taufend Livres mit einem Federfirich 
ewonnen.” 

„Wie, durchſtrichen?“ rief die Königin erbleichend. 

„Gerade zu; das wird ungeheuer wohlthätig für 
sie fein. Guten Abend, Madame, guten Abend.“ 

„Site! Sire!“ 

„Ich verfpüre gewaltigen Hunger und kehre in 
eine Gemächer zmüd. Habe ich mein Abenpbrod 
icht wohl verdient?“ 

„Sire, hören Sie doch!“ 

Doch Ludwig hüpfte und entfloh, ſtrahlend über 
inen Scherz, und ließ die Königin erflaunt, flumm 
nd beſtürzt zurüd. 

„Mein Schwager ‚* "fagte fie endlich zum Grafen 
Artois, „laflen Sie mir Herrn von Galonne holen, 
ıhinter if ein ſchlimmer Streich.“ 

Gerade in diefem Augenblid brachte man der Kö: 
Igin folgendes Billet des Minifters: 

„Sure Majeftät wird erfahren haben, daß der 
edit vom König verweigert worden if. Das ift un: 
:greiflid, Madame, und ich habe mich frank und von 
schmerz durchdrungen aus dem Rathe entfernt.“ 

„Leien Sie,” fagte fie, das Billet dem Grafen 
Artois reichend. 

„Und es gibt Leute, welche behaupten, wir vers 
bleudern die Staatseinfünfte, meine Schwägerin,” 
ef der Prinz. „Das ift das Verfahren. . .* 

„Gines Chemanns,“ murmelfe die Königin. „Bus 
a Abend, mein Schwager.“ 


60 


„Empfangen Sie meine Beileidsbezeigungen, Tiebe 
hwägerin; ich bin nun gewarnt, ich, der ich morgen 
tlangen wollte.“ 

„Man hole mir Frau von La Mothe,“ fagte die 
"önigin nach einem langen Nachfinnen zu Frau von 

Rifery, „wo fie auch fein mag, und auf der Stelle.“ 


LIX. 


Marie Antoinette, Königin. Frau von 
La Mothe, Weib. 


Der Courier, den man nach Paris an Frau von 
La Mothe abfandte, fand die Gräfin oder fand fie 
vielmehr nicht beim Bardinal von Rohan. 

Jeanne hatte Seiner Eminenz einen Befud ge: 
macht, fie hatte bier zu Mittag geſpeiſt, fie fpeifte Hier 
zu Nacht und unterhielt fich mit ihm von der unfeligen 
Nüderftattung, ale der Läufer anfragte, ob fich die 
Gräfin bei Herrn von Roban befinde. 

Der Portier, als ein gewandter Mann, erwieberte, 
Seine Eminenz fei ausgefahren, und Frau von 8% 
Mothe befinde fi nicht im Hotel, doch nichts fe 
leichter, als ihr das fagen zu laflen, womit Ihre Ma 
jetät ihren Boten beauftragt, ‚infofern fie wahrfcheinli« 
diefen Abend in das Hotel fommen würde. 

„Sie foll fich fo fchnell als möglich nach Verſaill 
begeben,” fagte der Läufer, und er entfernte fi, na 
dem er denfelben Auftrag in allen muthmaßlidyen T 
micilen der nomadifchen Gräfin ausgeftreut hatte. 

Doch faum war der Läufer weggenangen, als 
Portier, der feinen Auftrag beforgte, ohne weit zu 
hen, Frau von La Mothe durch feine Fran bei Hı 


61 


han, wo bie zwei Verbündeten nad Muße über 
yaltbarfeit großer Geldſummen philofophirten, 
ichtigen ließ. 
e Gräfin begriff bei dieſer Mittheilung, es fet 
db, daß fie fogleich abgehe. Sie verlangte ein 
ute Pferde vom Cardinal, der fie felbft in eine 
ohne Wappen feßte, und während er viele 
ntare über diefe Botfchaft machte, fuhr die 
po gut, daß fie in einer Stunde vor das 
am. 
wartete bier Jemand, um fie ohne Verzug bei 
Antoinette einzuführen. 
e Königin hatte fi in ihr Zimmer zurückgezogen. 
ıchtdienft war abgethan und Feine Frau mehr 
Gemächern, außer Frau von Mifery, welche im 
Boudoir las. 
wie Antoinette ftickte, oder gab ſich den Anfchein, 
te fie, und horchte dabei mit unruhigem Ohr 
8 Geräufch außen, als Jeanne auf fie zuftürzte. 
6!” rief die Königin, „Sie find bier, defto 
Eine Neuigfeit, Gräfin... .” 
ine gute, Madame?” 
eurtbeilen Sie. Der König hat die fünfmal 
taufend Livres verweigert.” 
eren von Calonne?“ 
dermann. Der König will mir fein Geld mehr 
Dergleichen Dinge begegnen nur mir.” 
ein Gott!“ murmelte die Gräfin. 
as ift unglaublich, nicht wahr, Gräfin? Ver⸗ 
‚ die ſchon ausgefertigte Anweifung durchſtrei⸗ 
Doch, fprechen wir nicht mehr von dem, was 
Sie werben fogleih nad Paris zurückkehren.“ 
ı, Madame.“ 
ıd dem Cardinal fagen, da er mit fo viel Hins 
zu Werfe gegangen, um mir Bergnügen zu 
fo nehme ich feine fünfmal hundert taufend 
bis zum nächften Quartal an. Das ift ſelbſt⸗ 


füchtig von 

er fei 
LUH 
„' 


m. 
Die 4 
‚ober beleid 
„Rein 
„Rad. 
Rohan nid 
Es war ei 


wiever gut 
fend Livre 


„Sch 
tion, die n 
Rüden de 
Bichtigfet: 
Goquetteri 
band war 

‚Das 
ame Äre | 
fragte . . 


„Ich will dor Allem meine Ruhe, das Glück meis 
es Haufes zu Rathe ziehen. Es brauchte nicht mehr, 
18 diefe erfie Niederlage, um mir darzuthun, wie vies 
en Berdrießlichkeiten ich mich auszufegen im Begriff 
and, wie fruchtbar an Widermwärtigfeiten der Weg 
yar, den ich gewählt Hatte. Gehen wir offen, gehen 
yir frei, gehen wir einfady zu Werfe.“ 

„Madame!“ 

„Und um anzufangen, opfern wir unfere @itelfeit 
uf dem Altar der Pflicht, wie Herr Dorat fagen würde.” 

Dann murmelte fie mit einem Seufzer: 

„Sb! das Halsband war doch fehr Fin I" 

„Es ift noch fo.“ 

„Bon nun an iR es nur noch ein Haufen Steine für 
nid. Mit den Steinen macht man, wenn man damit 
efpielt bat, was die Kinder nah dem Mühlenfpiel 
amit machen, man wirft fie weg, man läßt fie liegen.“ 

„Was will die Königin hiemit fagen ?” 

„Die Königin will agen, liebe Öräfln, Sie wers 
en da6 . . . von Herrn von Rohan mir überbrachte 
tut zurüdnehmen und wieder zu den Sumwelieren 
zöhmer und Boſſange tragen.“ 

„Es ihnen zurüdgeben ?“ 

„Allerdings.“ 

„Aber, Madame, Eure Majeſtät hat zweimal huns 
ert und fünfzig tanfend Livres Angeld gegeben!” 

„Dabei gewinne ich abermals jweimal hundert 
nd fünfzig taufend Liores, und ich bin nun im Gin⸗ 
lang mit deu Rechnungen des Könige.“ 

„Madame! Madame!“ rief die Gräfin, „fo eine 
3iertelsmitlion verlieren! Denn es kann gefchehen, 
aß die Juweliere Schwierigteiten machen, die Gelder 
nrückzugeben, über die fle verfügt haben werden.” 

„Darauf zähle ich und ich überlaffe ihnen das 
Ingeld unter der Bedingung, daß der Handel rüdgäns 
ia wird. Seitdem ich dieſes Ziel erichaue, Gräfin, 
üble ich mich viel leichter. Mit biefem Halsband 





64 


haben fich Bier die Sorgen, ber Verbruß, bie Angfl, 
der Argwohn einquartiert. Nie hätten 'diefe Diamanten 
Feuer genug gehabt, um alle die Thränen zu trocknen, 
die ih in Wolfen über mir laften fühle. raͤfin, tra⸗ 
gen Sie mir dieſes Etui auf der Stelle fort. Die 
Juweliere machen da ein gutes Geſchäaͤft. Zweimal 
hundert und fünfzig taufend Livres Reufauf, das if 
ein Gewinn; es ift der Nutzen, den fie an mir machten, 
und dabei haben fie noch das Halsband. Ich denke, 
fie werden fich nicht beflagen, und Niemand wird etwas 
davon erfahren.” . 

„Aber Herr von Roban, Madame?“ 

„Der Cardinal Hat nur in der Abficht, mir Ber 
gnügen zu maden, gehandelt. Sie fagen ihm, es fei 
mein DBergnügen, das Halsband nicht mehr zu Haben, 
und wenn er ein Mann von Geiſt ift, fo wird er mid 
verſtehen; ift er ein guter Prieſter, fo wird er mein 


Benehmen billigen und mich in meinem Opfer bes 


ftärfen.“ 
Su fprechend, reichte die Königin Jeanne das ger 
fhloffene Etui. Diefe ſchob es fanft zurüd und fagte: 
„Madame, warum wollen Sie e6 nicht verfucdgen, 
noch eine Frift zu erlangen?” " 
„Berlangen... nein !" 
„sh habe gejagt erlangen, Madame.” 


„Berlangen, Heißt fi) vemüthigen, Madame; ers 


langen, heißt gebemüthigt werden. Ich würbe vielleicht 
begreifen, da man fih für eine geliebte Perfon bes 
muͤthigte, daß man fidy demüthigte, um ein lebenbes 
Geſchoͤpf zu reiten, und wäre es nur fein Hund; doch 
um das Net zu haben, dieſe Steine zu behalten, 
welche brennen, wie die angezündete Kohle, ohne mehr 
leuchtend und ebenfo dauerhaft zu fein, oh! Gräfin, 
nie wird mich ein Rath beflimmen, das anzunehmen! 


Tragen Sie das Etui fort, meine Liebe, tragen Sie 


es fort.“ 


„Aber bedenken Sie, Madame, welden Lärmen 


65 


tiefe Juweliere wachen werben, aus Höflichkeit wenig« 
ens, und um Sie zu beflagen. Ihre Zurüdweifung 
sird Sie eben fo fehr dem Berbruß und der Nachrede 
usfegen, als Ihre Binwilligung. Das ganze Publi: 
am wird erfahren, daß Sie die Diamanten in Ihrer 
zewalt gehabt haben.“ 

„Niemand wird e8 erfahren. Ich bin diefen Ju⸗ 
elieren nichts mehr ſchuldig; ich werde fie nicht mehr 
mpfangen; es ift doch das Wenigfte, daß fie für meine 
weimal Hundert und fünfzigtaufend Livres fchweigen ; 
nd meine Feinde, ftatt zu fagen, ich Faufe für anderts 
alb Millionen Diamanten, werden nun fagen, id 
verfe mein Geld in den Handel. Das iſt minder un= 
ngenehm. Tragen Sie es fort, Gräfin, tragen Gie 
8 fort, und danfen Sie Herrn von Rohan für feine 
irennblichfeit und feinen guten Willen.“ 

Und mit einer gebieterifchen Geberde reichte bie 
tönigin das Etui abermals Jeanne, welche dieie Laft 
A ohne eine gewiffe Bewegung in ihren Händen 
ühlte. 

„Sie haben Feine Zeit zu verlieren,” fuhr die Kö⸗ 
igin fort; „je weniger die Juweliere Unruhe haben 
erden, deſto ficherer werden wir der Geheimhaltung 
sin; fahren Sie rafch zurüd, und Niemand fehe das 
tut. Begeben Sie ſich zuerft in Ihre Wohnung, denn 
h befürchte, ein Beſuch bei Böhmer zu diefer Stunde 
önnte Berbacht bei der Bolizei erregen, die ſich fichers 
ih mit dem befchäftigt, was man bei mir thut; dann, 
senn Ihre Rückkehr die Spione von der Fährte abge⸗ 
racht hat, gehen Sie zu den Juwelieren und bringen 
Ste mir einen Empfangfchein von ihnen.“ 

ne Madame, es foll fo gefchehen, da Sie «6 
ollen.“ 

Sie ſteckte das Etui unter ihr Mäntelchen, wobei 
e dafür beforgt war, daß nichts den Umfang befjelben 
errieth, und ieg in den Wagen mit all dem Gifer, 
en die Benoifin ihrer Handlung forderte. 

Das Haldband der Königin, UI. 5 


66 


Zuerft Tieß fie fih nad Haufe fahren und fchidte 
den Wagen zu Herrn von Rohan zurüäd, um dem 
Kutfher, der fie geführt, nichis von dem Geheimniß 
zu enthüllen. Dann ließ fie fi umfleiden, um ein 
minder elegantes und mehr für diejes nächtliche Unter: 
nehmen geeignetes Gewand anzuthun. . 

Ihre Kammerfrau fleidete fie rafh an, und be 
merfte, daß fie während diefer Operation, welche ges 
wöhnlich mit Der ganzen Aurmerfiamfeit einer Dame 
von Hofe beehrt wurde, nachdenfend und zerftreut war. 

Jeanne dachte in der That nicht an ihre Toilette, 
fie ließ mit ſich maden, und richtete ihr Nachdenken 
auf einen feltiamen, ihr von ber Gelegenheit eingeges 
benen Öedanfen. 

Sie fragte fih, ob der Garbinal nit einen 
großen Behler begehe, wenn er die Königin diefen Schmud 
zurückgeben lafle, und ob ber begangene Fehler nicht 
eine Verminderung für das Glück herbeiiühren werde, 
das Herr von Rohan träume, und weldyes zu erreichen 
er, die kleinen Geheimniffe der Königin theilend, fi 
fymeicheln fünne, 

Tem Befehle von Marie Antoinette gemäß han⸗ 
bein, ohne fi mit Herrn von Rohan zu berathen, hieß 
das nicht fih gegen die eriten Pflichten des Bünd- 
niſſes verfehlen® Wurde der Sardinal, wenn er mit 
allen feinen Mitteln am Ende, nicht lieber ſich felbk 
verfaufen, als die Königin eines Gegenflands beranbt 
laften, nady dem fie begehrt hatte? 

„Ih Fann es nicht anders machen, als mich mi! 
dem Cardinal berathen,” fagte Jeanne zu fich felbft. 

„Vierzehnmal Hundert taufend Livres,“ fügte fie fr 
ihrem Geiſte bei; „nie wird er viergehnmal Hunden 
taufend Livres haben 1“ 

Dann wandte fie fih plößlich gegen ihre Kammer⸗ 
frau um und fagte: 

„Behen Sie, Rufe.” 


67 


Die Rammerfrau gehorchte, und Frau von Ra 
Mothe feste ihren geifligen Monolog fort. 

„Welche Summe! weldy’ ein Vermögen, und wie 
all die Glückſeligkeit, all der Glanz, den eine foldye 
Summe verschafft, durch die Heine Schlange in Edel⸗ 
fteinen, welche in diefem Eini hier flammt, gut dar—⸗ 
geftellt find!“ 

Sie öffnete das Etui und verfengte fi die Augen 
bei der Berühruug dieſer riefelnden Flammen. Sie 
vg das Halsband aus dem Atlas, rollte es in ihren 
Bingem, fhloß es in ihre zwei Fleinen Hände und 
agte: 

g „Bierzehnmal hundert taufend Livres, welche hierin 
Raum haben, denn diefes Halsband hat wirklich einen 
Geldwerth von vierzehnmal hundert taufend Liores, 
und die Juweliere würden noch heute diefen Preis be— 
zahlen. 

„Gin feltfames Geſchick, das Jeanne von Valois, 
der Betilerin, ber Unbefannten, geftattet; mit ihrer 
Hand die Hand der Königin, der größten der Welt, zu 
berühren, und auch in ihren Händen, allerdings für 
eine Stunde, vierzgehnmal hundert taufend Livres zu bes 
figen, eine Summe, die in dieſer Melt nie allein geht, 
und die man ſtets durch bewaffnete Wächter oder durch 
Garantien begleiten läßt, weiche in Frankreich nicht 
geringer fein fünnen, als die eines Cardinals und einer 

dnigin. 

das Alles in meinen Fingern! Wie ſchwer das 
ift und wie es leicht if | 

„Um in Gold, dieiem Eoftbaren Metall, das Equi⸗ 
valent dieſes Kleinods fortzufchaffen, hätte ich zwei 
Dferde nörhig; um es in Kaſſenbillets fortzufhaffen... 
und werden die Kaffenbillets immer bezahlt ? muß man 
nicht unterzeichnen, controliren ? Und dann ift ein 
Billet Papier; das Feuer, die Luft, das Waſſer zer⸗ 
fören es. Gin Kaflenbillet Ya nicht in allen Ländern 
Eurs; es verräth feinen Urſprung, es oflenbart den 


68 


Namen des Ausitellers, ven Namen feines Inhabers. Cit 
Kaffenbillet verliert nach einiger Zeit einen Theil feine: 
Werthes, oder feinen ganzen Wertf. Die Diamante 
dagegen find die Harte Materie, welche Allem wider 
hebt, und die Jedermann fennt, ſchätzt, bewundert un 
fauft, in London, in Berlin, in Madrid, in Braftlie 
fogar. Alle verftehen einen Diamant, einen Diaman 
belonders von dem Schnitt und dem Waffer, wie mal 
e8 in diefen findet! Wie fchön find fie! Wie bewun 
derungswürdig find fie! Welche Gefammtmafle un 
welche Einzelheit! Jeder von ihnen ift vielleicht pe 
trennt, verhältnigmäßig mehr wertb, als alle mitein 
ander. 

„Do woran denke ich!” fagte fie plötzlich; „Fafle 
wir raſch den Entſchluß, entweder den Gardinal anf 
zufuchen, oder das Halsband, dem Auıtrage der Köni 
gin gemäß, Böhmer zurüdzugeben.“ 

Sie erhob fih, immer in ihrer Hand die Dia 
manten baltend, die fidh ermärmten unt glänzten. 

„Sie werden alſo zu dem falten Juwelier zurüd 
fehren. der fie abwägen und mit feiner Burſte pr 
liren wird. Sie, die am Bufen von Marie Antoinet 
glänzen fönnten... Böhmer wird zuerſt auffchreie 
dann fih bei dem Gedanken, er habe den Nupen u 
behalte die Waare, beruhigen. Ab! ich vergaß, 
weldyer Korm full ih den Empfangſchein der Jun 
liere abfaflen laflen? Das ift ernſter Natur, es 
bei diefer Abfaflung mit viel Diplomatie zu Werke 
gehen. Die Schrift darf weder Böhmer, nod 
Königin, noch den Bardinal, noch mich verbin' 
machen. 

„Ich werde nie eine ſolche Urkunde allein en! 
fen. Ich bedarf eines Rathes. 

„Der GBardinal... Ob! nein Wenn der 
dinal mid liebte oder reicher wäre und mir die 
manten fchentte...“ 

Sie ſetzte fi auf ihr Sopha, die Diamant 


Hand gewidelt, den Kopf brennend, voll verwors 
Gedanken, die fie bald erfchrediten, halb von ihr 
einer fieberhaften Energie zurüdgefloßen würben. 
Bröglih warb ihr Auge ruhiger, feſter, mehr 
in Bild des Geiſtes geheftet; fie gewahrte nicht, 
die Minuten vergingen, daß Alles in ihr eine 
n unerfchütterliche Haltung annahm; daß fie, jenen 
pimmern ähnlich, die den Fuß in den Schlamm 
jlüſſe gefeut haben, jebe Bewegung, die fie machte, 
ch zu befreien, weiter hinabzog. Cine Stunde 
ing in diefer ſtummen und tiefen Befchauung eines 
imnißvollen Ziels. 

Wonach fie langſam aufftand, erbleicht wie bie 
Rerin durch die Infpiration, und ihrer Kammer: 
läutete. 

Es war zwei Uhr Morgens, ü 
„Suden Sie mir einen Biacre,” fagte fie, „ober 
Handwagen, wenn kein anderes Gefährt mehr 


Die Dienerin fand einen Biacre, der in ber Vieille 
du Temple fchlief. 

Frau von La Mothe flieg allein ein und fchidte 
Kammerfran zurüd. 

Nah zehn Minuten hielt der Piacre vor ber 
e des Bamphletfchreibers Retcaux von Billette. 


LX. 


Empfangfchein von Böhmer und die Ber 
mp —— der Königin. 


Das Reſultat dieſes nächtlichen Beſuchs bei dem 
pbletichreiber Reteaur von Billette erfhien erft 
ndern Tag, und zwar anf folgende Weife: 


62 
füchtig von mir, Gräfin, doch ih muß... . ich miß⸗ 


braude feine Güte.“ 

„AH! Madame,” murmelte Seanne, „wir find vers 
foren. Der Herr Gardinal bat kein Geld mehr.“ 

Die Königin fprang auf, als wäre fie verwundet 
oder beleidigt worden, 

„Kein... Geld... mehr?” ftammelte fie. 

„Madame, eine Schuldforderung, an die Herr von 
Rohan nicht mehr dachte, ift an ihn geftellt worben. 
Es war eine Ehrenſchuld, er hat bezahlt.“ 

„Bünfmal Hundert taufend Livres?“ 

„3a, Madame.“ 


„aber... 

„Sein lestes Geld . . . Kein Mittel mehr.” 

Die Königin hielt, wie beiäubt durch diefes Wins 
glück, inne. 

„Nicht wahr, ich bin wohl wach?“ fagte file dann. 
„Mir begegnen alle diefe Berrechnungen? Woher wiſſen 
Sie, Gräfin, daß Herr von Rohan fein Geld mehr hat?“ 

„Er erzählte mir diefen Unftern vor anderthalb 
Stunden, Madame. Das Unglüd ift um ſo weniger 
wieder gut zu macden, als diefe jünfmal Hundert taus 
fend Livres das waren, was man den Boden der 
Schublade nennt.” 

6 Die Königin ſtützte ihre Stirne auf ihre beiden 
ände. 

„Man muß einen großen Entfchluß faflen,“ fagte fle. 

„Was will bie Königin thun?“ dachte Jeanne. 

„Sehen Sie, Gräfin, das iſt eine jurdytbare Lecs 
tion, die mich dafür beftrafen wird, daß ich hinter dem 
Rüden des Könige eine Handlung von mittelmäßiger 
Wichtigkeit, von geringer Ehrfucht oder von gemeiner 
Coquetterie begangen babe. Geſtehen Sie, dietee Hals 
band war fein Bedürfniß für mich?“ 

„Das iſt wahr, Madame, doch wenn eine Königin 
u „hre Bedürfniffe und ihren Geſchmack um Katl 
ragte ...“ 


„Ih will dor Allem meine Ruhe, das Glück mei: 
ſes Hauſes zu Rathe ziehen. Es braudyte nicht mehr, 
18 diefe erfte Niederlage, um mir darzuthun, wie vies 
en Derdrießlichteiten ich mid; auszufegen im Begriff 
and, wie fruchtbar an Widermwärtigfeiten der Weg 
var, den ich gewählt hatte. Gehen wir offen, gehen 
ir frei, gehen wir einfach zu Werke.” 

„Madamel” 

„Und um anzufangen, opfern wir unfere Gitelfeit 
uf dem Altar ber Pflicht, wie Herr Dorat fagen würde.“ 

Dann murmelte fie mit einem: Seufser: 

„Oh! das Halsband war doch fehr Fin " 

„Es ift noch fo.“ 

„Bon nun an ft es nur noch ein Haufen Steine für 
ih. Mit den Steinen macht man, wenn man damit 
efpielt bat, was die Kinder nach dem Mühlenfpiel 
amit machen, man wirft fie weg, man läßt fie liegen.“ 

„Was will die Königin hiemit fagen ?" 

„Die Königin will fagen, liebe Gräfin, Sie wers 
en das . . . von Herrn von Rohan mir überbrachte 
Hut zurüdnehmen und wieder zu den Suwelieren 
Jöhmer und Boffange tragen.” 

„Es ihnen zurückgeben ?" 

„Allerdings.“ 

„Aber, Madame, Eure Majeftät hat zweimal hun⸗ 
ert und fünfzig taufend Livres Angel gegeben!“ 

„Dabei gewinne ich abermals zweimal hundert 
nd fünfzig taufend Livres, und ih bin nun im Ein 
ang mit deu Rechnungen des Könige.“ 

„Madame! Madame!“ rief die Gräfin, „fo eine 
jiertelsmillion verlieren! Denn es kann gefchehen, 
aß die Juweliere Schwierigfeiten machen, bie Gelder 
irückzugeben, über die fie verfügt haben werden.“ 

„Darauf zähle ich und ich überlaffe ihnen das 
‚ngeld unter der Bedingung, daß der Handel rädgän- 
ig wird. Geitben ich Dietze Ziel erfchaue, Gräfin, 
ible ich mich viel leichter. Mit diefem Halsband 


64 


haben fi Bier die Sorgen, der Verdruß, die Angi 
der Argwohn einquartiert. Nie Hätten dieſe Diamante 
euer genug gehabt, um alle die Thränen zu trodnen 
die ich in Wolfen über mir laften fühle Gräfin, tra 
gen Sie mir diefes Etui auf der Stelle fort. DI 
Sumeliere machen da ein gutes Geſchäft. Zweima 
hundert und fünfzig fauiend Livres Reufauf, das ii 
ein Gewinn; es ift der Nutzen, den fie an mir machten 
und dabei haben fie noch das Halsband. Ich vente 
fie werden fidy nicht beflagen, und Niemand wird etwa 
davon erfahren.” 

„Aber Herr von Rohan, Madame?“ 

„Der Cardinal bat nur in der Abficht, mir Ber 
gnügen zu machen, gehandelt. Sie fagen ihm, es fe 
mein Bergnügen, das Halsband nicht mehr zu Haben 
und wenn er ein Mann von Beilt if, fo wird er wid 
verſtehen; ift er ein guter Priefter, fo wird er meiı 
Penehmen billigen und mich in meinem Opfer be 

arten.” 

So fprechend, reichte die Rönigin Jeanne das ge 
ſchloſſene Etui. Diefe ſchob es fanft zurüd und fag 

„Madame, warum wollen Sie es nicht verfucer 
noch eine Friſt zu erlangen?” 

„Berlangen... nein !” 

„Ich habe gejagt erlangen, Madame.“ 

„DBerlangen, beißt fi vemüthigen, Madame; - 
langen, heißt gedemüthigt werben. Ich würde viellel 
begreifen, da man fih für eine geliebte Perſon 
mutbhigte, daß man fi demüthinte, um ein leber 
Gefhörf au retten, und wäre es nur fein Hund; ' 
um das Recht zn haben, dieje Steine zu beha 
welche brennen, wie die angezünbete Kohle, ohne ı 
leuchtend und ebenſo dauerhaft zu fein, ob! @ı 
nie wird mich ein Rath beflimmen, das anzuneh 
wen Sie das Etui fort, meine Liebe, trager 
es fort.” 

„Aber bedenken Sie, Madame, welchen 2 


65 


Juweliere machen werben, aus Höflichkeit wenig« 
und um Sie zu beflagen. Ihre Zurüdweifung 
Sie eben fo fehr dem Berbruß und der Nachrede 
en, als Ihre Einwilligung. Das ganze Publis 
‚ird erfahren, daß Sie die Diamanten in Ihrer 
+ gehabt haben.” 

Riemanb wird es erfahren. Ich bin diefen Ju⸗ 
en nichts mehr ſchuldig; ich werde fie nicht mehr 
ngen; es ift doch das Wenigſte, daß fie für meine 
al Hundert und fünfzigtaufend Livres ſchweigen; 
‚eine Feinde, flatt zu fagen, ih Faufe für anderts 
Millionen Diamanten, werben nun fagen, ih 
mein Geld in den Handel. Das iſt minder uns 
hm. Tragen Sie e8 fort, Gıäfin, tragen Sie 
t, und danfen Sie Herrn von Rohan für feine 
lichkeit und feinen guten Willen.“ 

nd mit einer gebieterifchen Geberde reichte bie 
in das Etui abermals Jeanne, welche dieie Laft 
ohne eine gewifle Bewegung in ihren Händen 


Sie haben Feine Zeit zu verlieren,” fuhr die Kös 
fort; „je weniger die Suweliere Unruhe haben 
ı, deſto ficherer werden wir der Geheimhaltung 
fahren Sie raſch zurüd, und Niemand fehe das 
Begeben Sie fich zuerft in Ihre Wohnung, denn 
fürchte, ein Beſuch bei Böhmer zu diefer Stunde 
Verdacht bei der Bolizei erregen, die ſich fichers 
it dem befchäftigt, was man bei mir thut; dann, 
Shre Rückkehr die Spione von ber Fährte abges 
bat, gehen Sie zu den Juwelieren und bringen 
ir einen Empfangfchein von ihnen.“ 
Ya, Madame, es foll fo gefchehen, da Sie «6 


zie ſteckte das Etui unter ihr Maͤntelchen, wobei 
für beſorgt war, daß nichts den Umfang deſſelben 
tih, und icq in den Wagen mit all dem Gifer, 
e Genoſſin ihrer Handlung forderte. 

Salöband der Königin, MI. 5 


66 


Zuerft ließ fie ſich nach Haufe fahren und fchidte 
den Wagen zu Herrn von Rohan zurüd, um dem 
Kutfher, der fie geführt, nichis von dem Geheimniß 
zu enthüllen. Dann ließ fie ſich umfleiden, um ein 
minder elegantes und mehr für diefes nächtliche Unter 
nehmen geeignetes Gewand anzuthun. . 

Ihre Kammerfrau fleidete fie raſch an, und be 
merfte, daß fie während diefer Operation, welche ge 
wöhnlich mit der ganzen Aufmerfiamfeit einer Dame 
von Dvie bechrt wurde, nachdenfend und zerftreut war. 

Jeanne dachte in der That nicht an ihre Toilette, 
fie ließ mit ſich machen, und richtete ihr Nachdenken 
auf einen jeltiamen, ihr von der Gelegenheit eingeges 
benen Gedanfen. 

Sie fragte fih, ob der Garbinal nicht einen 
großen Behler begehe, wenn er die Königin diefen Schmud 
zurückgeben laife, und ob ber begangene Fehler nicht 
eine Verminderung für das Glück herbeirühren werbe, 
das Herr von Rohan träume, und welches zu erreichen 
er, die feinen Geheimniffe der Königin theilend, fi 
ſchmeicheln fünne, 

Tem Befehle von Marie Antoinette gemäß hans 
bein, ohne ſich mit Herrn von Rohan zu berathen, hieß 
das nicht ſich gegen tie eriten Pflichten des Bünd⸗ 
nijles verfehlen? Mürde der Cardinal, wenn er mit 
allen feinen Mitteln am Gnde, nicht lieber fih ſelbſt 
verfaufen, als die Königin eines Gegenflands beraubt 
laffen, nach dem fie begehrt hatte? 

„Ih kann es nicht anders machen, als mich mit 
dem Cardinal berathen,” jagte Jeanne zu fich felbfl. 

„Bierzehnmal Hundert taufend Livres,“ fügte fie i 
ihrem Geiſte bei; „nie wird er viergehnmal Kunden 
taufend Livres haben 1” 

Dann wandte fie fich plößlich gegen ihre Kammers 
frau um und fagte: 

„Behen Sie, Roſe.“ 


67 


Die Rammerfrau gehorchte, und Frau von La 
Mothe fegte ihren geiftigen Monolog fort. 

„Welche Summe! weldy’ ein Vermögen, und wie 
all die Glückſeligkeit, all der Glanz, den eine fulche 
Summe verihafft, dur die Heine Schlange in Cdel⸗ 
feinen, weldye in dieſem Eiui bier flammt, gut dar: 
geftellt find !“ 

Sie öffnete das Etui und verfengte ſich Die Augen 
bei der Beruhruug diejer riefelnden Flammen. Sie 
og das Hulsband aus dem Nılas, rollte e8 in ihren 
Bingem, ſchloß es in ihre zwei Heinen Hände und 
agte: 

g „Bierzehnmal hundert taufend Livres, welche hierin 
Raum haben, denn diefes Halsband hat wirklich einen 
Geldwerth von vierzehnmal hundert taufend Liores, 
und die Juweliere würden noch heute diefen Preis be= 
ablen. 
’ „Bin feltfames Geſchick, das Seanne von Balvis, 
ber Betilerin, der Unbekannten, geitattet; mit ihrer 
Hand die Hand der Königin, der größten der Welt, zu 
berühren, und auch in ihren Händen, allerdings für 
eine Stunde, vierzehnmal Hundert taufend Livres zu be: 
fipen, eine Summe, die in diefer Melt nie allein geht, 
und die man fleıs durch bewaffnete Wächter vder durch 
Garantien begleiten läßt, weiche in Fıanfreich nicht 

eringer fein können, als die eines Cardinals und einer 

Önigin. 

- „Das Alles in meinen Fingern! Wie fehwer das 
ift und wie es leicht iſt! 

„Um in Gold, dieiem Eoftbaren Metall, das Eyuis 
valent diefes Kleinods fortzufchaffen, Hätte ich zwei 
Pferde nörhig; um es in Kaffenbillets fortzufchaffen... 
und werden die Kaflenbillets immer bezahlt ? muß man 
nicht unterzeichnen, controliren? Und dann iſt ein 
Billet Bapier; das Feuer, die Luft, das Wafler zer- 
flören es. Ein Kaflenbillet Ya nicht in allen Ländern 
Curs; es verraͤth feinen Urſprung, es offenbart den 


68 


Namen des Nusitellers, den Namen feines Inhabers. Ein 
Kaffenbillet verliert nach einiger Zeit einen Theil feines 
Werthes, oder feinen ganzen Werth. Die Diamanten 
Dagegen find bie Harte Materie, welche Allem wider: 
ſteht, und die Jedermann fennt, fchägt, bewundert und 
fauft, in London, in Berlin, in Madrid, in Brafilien 
fogar. Alle veritehen einen Diamant, einen Diamant 
befonders von dem Schnitt und dem Waffer, wie man 
es in diefen findet! Wie fchön find fie! Wie bewuns 
derungsmwürbig find fie! Welche Geſammtmaſſe und 
welche Binzelheit! Jeder von ihnen if vielleicht ge: 
trennt, verhältnigmäßig mehr werth, als alle miteins 
ander. 

„Doch woran denfe ih!" fagte fie plötzlich; „faſſen 
wir raich den Entfchluß, entweder den Bardinal auf 
zufuchen, oder das Halsband, dem Auıtrage der Könis 
gin gemäß, Böhmer zurüdzugeben.“ 

Sie erhob fih, immer in ihrer Hand die Dias 
manten baltend, die fi erwärmten und glänzten. 

„Sie werden alfo zu dem falten Juwelier zurück⸗ 
fehren, der fie abwägen und mit feiner Birſte po— 
liren wird, Sie, die am Bufen von Marie Antoinette 
glänzen fünnten... Böhmer wird zuerft auffchreien, 
dann fi bei dem Gedanken, er babe den Nugen und 
behalte die Waare, berubigen. AG! ich vergaß, in 
welcher Form foll id den Empfangſchein der Juwe⸗ 
liere abfaffen laflen? Das iſt ernfler Natur, es if 
bei diefer Abfaflung mit viel Diplomatie zu Werfe zı 
neben. Die Schrift darf weder Böhmer, noch di 
Königin, noch den Gardinal, noch mich verbindlis 
machen. 

„Ich werde nie eine ſolche Urkunde allein entwe 
fen. Ich bedarf eines Rathes. 

„Der WBardinal... Ob! nein Wenn der Gr 
dinal mich liebte oder reicher wäre und mir die D’ 
manten fchenlte...” 

Sie fegte fih auf ihr Sopha, die Diamanten 


69 


jre Hand gewidelt, den Kopf brennend, voll verwor⸗ 
wer Gedanken, die fie bald erfchrediten, bald von ihr 
it einer fieberhaften Energie zurüdgeftoßen würden. 

Plöglid ward ihr Auge ruhiger, feier, mehr 
ıf ein Bild des Geiſtes geheftet; fie gewahrte nicht, 
ı8 die Minuten vergingen, daß Alles in ihr eine 
rtan unerfchütterliche Haltung annahm; daß fle, jenen 
shwimmern ähnlich, die den Zuß in den Schlamm 
er Flüſſe gefent haben, jede Bewegung, die fie machte, 
m fi zu befreien, weiter binabzog. ine Stunde 
rging in diefer ſtummen und tiefen Befchauung eines 
:heimnißvollen Ziele. 

Wonach fie lanafam aufftand, erbleicht wie bie 
riefterin durch die Infpiration, und ihrer Kammer: 
an läutete. 

Es war zwei Uhr Morgens, . 

„Suden Sie mir einen Fiacre,“ Tagıe fie, „ober 
nen Sandwagen, wenn fein anderes Gefährt mehr 


fl. 

Die Dienerin fand einen Fiacre, der in der Bieille 
ne du Temple Ichlief. 

Frau von La Mothe flieg allein ein und fchidte 
re Kammerfrau zurüd. 

Nah zehn Minuten hielt der Fiacre vor ber 
hüre des Pamphleiſchreibers Reteaux von Billette. 


LX. 


er Empfangfchein von Böhmer und die Vers 
fehreibung der Königin. 


Das Refultat diefes nächtlichen Befuchs bei dem 
‚mphletfchreiber Reteaur von Billette erfölen erft 
s andern Tag, und zwar auf folgende Weife: 


Um fiede 
Mothe ber Ki 
ber - Juwelier 
wer alſo ag 


Summe von 
Livres entf 


Nunmehı 
geanät, Hatte, 
in ihr Abt 

Aber in 
Sein, erhie 
and Tage m 

oa ber [ 
qwifgen 
erfien Rate g 

Herr we 
auf bem Qua 
falgelt der er 
gezuna Rattge 
tere fein. 

Aber da⸗ 
Segentheit 8 
glädlig, ale 
einen runden 
bei dem Han! 
feinen vornef 
der Befri 

Run!“ fi 
Tungstermin, 





71 


„Monſeigneur, nein,“ antwortete Boͤhmer, „Ihre 
Majeſtät konnte fein Geld geben. Sie wiſſen, daß Herr 
von Balonne fi) vom König abgewiefen gefehen Bat; 
die ganze Welt fpricht davon.” 

„3a, die ganze Welt ſpricht davon, Böhmer, und 
es ift gerade dieſe Abweifung, was mich bierherführt.“ 

„Doch Ihre Majeſtät ift vortrefflich und vom beften 
Willen. Da fie nicht bezahlen konnte, fo hat fie bie 
Schuld garantirt, und wir verlangen nicht mehr.“ 

„ah! deſto beſſer!“ rief der Cardinal, „die Schuld 
garantirt, jagen Sie? Das ift fehr gut, doc... wie?“ 

„Auf die einfachfte und zartefte Weiſe,“ erwieberte 
ber Juwelier, „auf eine ganz königliche Meife.“ 

„Dur die Bermittelung der geiftreichen Gräfln 
vielleicht?“ 

Nein, Monfeigneur, nein. Frau von La Mothe 
iſt nicht einmal erſchienen, und das hat uns ungemein 
geſchmeichelt, Herrn Boſſange und mir.“ 

„Richt erſchienen! die Gräfin iſt nicht erſchienen? 
Glauben Sie mir, daß fie von Bedeutung bei dieſer 
Gache if, Herr Böhmer. Jede gute Eingebung muß 
der Gräfin enifließen. Sie begreifen, ich benehme 
hiedurch Ihrer Majeftät nichts.“ 

„Monfeigneur wird beurtheilen, ob Ihre Majeftät 
zart und quf gegen uns gewefen iſt. Es hatten fi 
Gerüchte über die Weigerung des Königs in Betreff. 
der Anweifung der fünfmal Hundert taufend Livres 
verbreitet; wir fchrieben an Frau von La Mothe.“ 

„Bann dies?“ 

„Geſtern, Monfeigneur.” 

„Was antwortete fle?“ 

„Gure Gminenz weiß nichts davon?" fragte Böhmer 
a einer unmerflichen Nuance ehrerbietiger Vertrau⸗ 

chkeit. 

„Nein, ſeit drei Tagen habe ich nicht die Ehre 
gehabt, die Frau Graͤfin zu ſehen,“ erwiederte der Prinz 
als wahrer Prinz. | 


a 


DM Frau von 2a PH erwicderte mie 1} 
zwei @ı Barten Sie’ 


„eär 
—8 N ion, ** 
Dane ep dee — Sn ver: nn 
* „De 01 Barten&ie, —RXR 
ſagte 


Card 
Bir warteten alfo, Wenig ga ns B 
erhielten wir von ber Kön et 
gel lien Tourier, einen 
"la Brief! an Ele, Böhmer 

der vielmehr eine — —E 
Fee ja £ Er 

fe 

„DB! ip wi 








„ah! das 
eg ine Oercen ze ði· 


„Bür — Hundert und fünfzig baufend ” 
vres, Rorelnierr fagte lichernd —e 7; 
Tann haben . 

hu Million 
ewit Dinge ai 


fa 


73 


„In drei Monaten fünfmal hundert tauſend Livres; 
ben Reſt in einem halben Jahr.“ 

„Und... . die Intereſſen?“ 

„ob! Monfeignent ‚ ein Wort Ihrer Majeftät 
verbürgt uns biefelben. „Machen wir,"“ fügt 
Ihre Majeftät voll Güte bei, „machen wir dieſe 
Angelegenheit unter uns ab;“" unter 
und, Eure Gminenz begreift die Empiehlung; „„Sie 
werden feinen Anlaß haben, es zu be- 
rewen.““ Und fie unterzeichnet. Bon nun an, fehen 
Sie, Monfeigneur, iR das für mich und meinen 
Aflocie eine Ehrenſache.“ 

„SH bin nun quitt gegen Eie, Herr Böhmer,“ 
— der Cardinal entzückt; „bald ein anderes Ge⸗ 


„Wenn uns Cure Eminenz mit Ihrem Vertrauen 
beehren wird ...“ 

„Doch bemerken Sie abermals hierin die Hand 
dieſer liebenswürdigen Gräfin... .” 

Wir ſind Frau von La Mothe ſehr dankbar, 
Monfeigneur, und wir haben befchloffen, Herr Bofiange 
und ich, für diefe Güte erfenntlicy zu fein, wenn une 
das Halsband, völlig bezahlt, ‚wieder zu baarem Geld 
gebracht Haben wird.“ i 

„St! ft!" machte der Cardinal, „Sie haben mid 
nicht begriffen.“ 

Und er kehrte zu feinem Wagen zurüd, geleitet 
von den Ehrfurchtsbezeigungen des ganzen Haufes. 

Man Tann nun die Larve aufheben. Kür Niemand 
it der Schleier auf der Bildfäule geblieben. Was 
Jeanne von La Mothe gegen ihre Wohlthäterin gethan, 
Seder hat das begriffen, als er fie Die Feder des Pam: 
phletichreibere Reteaux von Billette entlehnen fah. 
Keine Unrube bei den Suwelieren, feine Bevenfklichfeiten 
bei der Königin, feine Zweifel bei dem Garbinal mehr. 
Drei Monate find der Ergründung bes Betrugs und 
bes Verbrechens gegeben; in diefen drei Monaten wer⸗ 


75 


tigfeit in einem folgen all der Ruin, bag der Ruin 
der Schandpfahl und ein lebenslänglihes Befängniß 
waren Sie verfchloß die Diamanten in das tieflte ihrer 
Verſtecke und faßte den Entiyluß, ſich mit fo foliden 
Bertheidigungsmwaffen, mit fo ſcharfen Angriffswaffen 
zu verfeben, daß im alle eines Krieges diejenigen, 
weldye fi im Kampfe zeigen würden, zum Boraus 
verloren wären. 

Zwifchen dem Berlangen des Cardinals, der immer 
zu erfahren fuchen würde, zwifchen den Indiscretionen 
der Königin, die immer fich rühmen würde, daß fle 
ausgefhlagen habe, laviren, war eine furdhtbare Ges 
fahr. Ein Wort zwiſchen der Königin und dem Gars 
dinal ausgetaufht, und Alles war entdeckt. Jeanne 
tröftete fi wieder dadurch, daß fie bevachte, verliebt 
in die Königin, habe der Kardinal, wie alle Berlirbte, 
eine Binde auf der Stirne und er würde folglich in 
alle Fallen ſtürzen, die ihm die Lift unter einem Schat«- 
ten von Liebe ftellen würde, 

Doch diefe Falle mußte eine gefhidte Hand fo 
bieten, daß die zwei Intereifirten darin gefangen würs 
den. Entdeckte die Rönigin den Diebitahl, fo durfte 
fie e8 nicht wagen, fich zu beflagen, entdeckte der Bar: 
dinal den Betrug, fo mußte er ſich verloren fühlen. Es 
war ein Meifterftreich gegen zwei Gegner zu vielen, 
weldye zum Boraus die ganze Gallerie für ſich hatten. 

Seanne wich nicht zurück. Sie gehörte zu jenen 
unerfchrocdenen Naturen, welde das Böſe bis zum 
Heldenmuth, das Gute bis zum Schlimmen treiben. 
Ein einziger Gedanke befchäftigte fle von diefem Augen: 
bli an, der, eine Zufammenfunft des Cardinals mit 
der Königin zu verhindern. 

So lange fle, Seanne, zwifchen ihnen flünde, war 
nichts verloren, wechfelten fie Hinter ihr ein Wort, ſo 
richtete diefes Wort bei Seanne das Glück der Zukunft 
u runde, deſſen Gerüſte auf der Harmlofigfeit der 

ergangenheit errichtet war. 


76 
„Sie werben fi nicht mehr fehen,” fagte fie. „Rie 
r 


„Aber,“ warf ſie ein, „der Cardinal wird die 
Königin wiederſehen wollen; er wird Verſuche zu die⸗ 
fem Ende machen. 

„Warten wir nicht, bis er es verfucht,“ dachte die 
Schlaue; „geben wir ihm einen Gedanken ein. Er 
wolle fie fehen; er bitte fie darum; er compromiltire 
fih, indem er darum bittet. 

„3a, dod wenn nur er compromittirt ift 2” 

Diefer Gedanke verfegte fie in eine ſchmerzliche 
Berlegenheit. 

„Wäre er allein compromittirt, fo hatte die Kös 
nigin ihre Zuflucht; fie fpricht fo laut, die Königin; 
fie weiß fo gut den Betrügern eine Larve zu entreißen. 

„Das ift zu thun? Damit die Königin nicht ans 
fyuldigen kann, muß fie den Mund nicht öffnen können; 
um biefen edlen und muthigen Mund zu fehließen, muß 
man die Federn deſſelben durch die Initiative einer 
Anklage niederbrüden. 

„Bor einem Berichte feinen Diener eines Diebſtahls 
zu bezüchtigen, wagt berjenige nicht, der durch feinen 
Diener eines Verbrechens, welches fo entehrend ift, als 
der Diebflahl, überwiefen werden fann. Wirb Herr 
von Rohan in Beziehung auf bie Königin compromits 
tirt, ſo ift es beinahe ficher, daß die önigin in Bes 
jiehung auf Herrn von Rohan compromittirt werben 
wird, 

„Doch der Zufall nähere einander dieſe zwei 
Perfonen nicht, in deren Interefle es liegt, biefes Ge⸗ 
heimniß zu entdecken.“ 

Jeanne wich Anfangs vor ber Unermeßlichfeit bes 
Felſen zurüd, den fie über ihrem Haupte aufgehängt 
hatte. So keuchend, erfchroden, anaflvoll, unter der 
Drohung eines foldhen Sturzes leben! 

Ya, doch wie diefer Angft entgehen? Durch bie 
Verbannung, durch die Flucht! durch die Ueberfchaffung 


77 


emanten vom Halsband der Königin in ein 
ı Land! 
itfliehen! ein Leichtes. Eine gute Chaiſe bringt 
iche in zehn Stunden zu Wege; der Raum 
‚em jener foflbaren Schlafen der Königin; ber 
nraum, den der Cardinal zwifchen ein Abends 
nit feinen Breunden und fein Aufſtehen am 
Tag legt. Die Landftraße entrolle fih vor 
‚ fie biete ihr endlofes Pflaſter den brennenden 
der Nofle, das genügt. Jeanne wird in zehn 
n frei und unverfehrt fein. 
„ch welches Nergerniß! welche Schmach! Ders 
sen, obgleich frei; in Sicherheit, obgleich geächtet; 
ift feine Frau von Stand mehr, es iſt eine 
‚ eine den Gerichte Entwichene, welche bie Juſtiz 
rreicht, aber bezeichnet, die das Bifen des Hen⸗ 
veil fie zu weit enıfernt if, nicht brandmarkt, 
e öffentlihe Meinung zermalmt. 
in. Sie wird nicht fliehen. Der Gipfel der 
jenheit und der Bipfel der Gewandtheit find wie 
sei Spigen des Atlas, die den Zwillingen ber 
leihen. Der eine führt zum andern, der eine 
ıfelben ‚Werth, wie der andere, Wer ben einen 
‚eht den andern. 
anne beſchloß, mit Berwegenheit zu bezahlen 
bleiben. Sie befchloß dies befonders, als fie 
Iglichkeit erfhaut hatte, zuifgen dem Garbinal 
r Königin eine Solidarität der Augſt für dem 
fhaffen, wo der Eine oder die Andere wahrs 
: wollte, es fei ein Diebflahl innerhalb ihrer 
ı Zreundfchaft begangen worden. 
anne hatte fich gefragt, wie viel in zwei Jahren 
nft der Königin und die Liebe des Garbinals 
en würden; fie hatte ben Ertrag von biefen 
lücken zu fechsmal hundert taufend Livres 0 
wonach der Ueberbruß, die Ungnade und bie 


78 


Vernachläſſigung die Gunft und die Bevorzugung 
nen laflen witıden, 

„Sc gewinne bei meinem Plane fieben- bie 
mal hundert taufend Livres,“ fagte die Gräfin z 


bſt. 

Man wird ſehen, wie dieſe tiefe Seele de 
krümmten Weg zurücklegte, der zur Schande fi 
zur Verzweiflung für die Andern auslaufen ſollt 

„In Varis bleiben,“ faßte die Grüfin zuſan 
„feſten Fußes dem ganzen Spiele der zwei Per 
beiwohnen, ſie nur die meinen Intereſſen nützliche 
ſpielen laſſen; unter den guten Augenblicken eine 
die Ficht günſtigen Augenblick wählen, mag bie 
von der Königin gegebener Auftrag oder eine Un 
fein, die man im Yluge auffangen würde. 

„Den Cardinal verhindern, ſich je mit Mari 
foinette zu unterreden. 

„Das ift bauptfählich die Schwierigfeit, da 
von Rohan verliebt ift, da er Prinz ifl, da er mı 
Dale im Jahr das Recht des Gintritts bei ber Ki 
hat, und die Königin, coquette, hHuldigungsfüchtig, 
dies danfbar gegen ven Cardinal, nicht entfliehen 
wenn man fie auffudht. 

„Das Mittel, dieſe zwei erhabenen Berfon 
frennen, wird der Zufall liefern. Man wird bi: 
eigniffe unterflügen, _ 

„Nichts wäre fu gut, fo gefhidt, als bi 
Königin den Stolz anzuftadheln, der die Keuf 
frönt. Es unterliegt feinem Zweifel, daß ein ı 
lebhaftes Vordringen des Cardinals die zarte 
empfindlihe Zrau verlegt. Naturen, wie bie dei 
nigin, lieben die Huldigungen, fürchten aber dic 
griffe und weifen fie juräd. 

„sa, das Mittel ift unfehlbar. Indem man! 
von Rohan räth, ſich frei zu erflären, wirb ma 
Geifte der Königin eine Bewegung des Gele, 


79 


billens bewerfftelligen, welche für immer, nicht 
xften von der Fürfin, fondern den Mann von 
ıu, das Männchen vom Weibchen trennen wird. 
eſem Brunde wird man Waffen gegen den Gar: 
griffen Haben, deffen Manoeuvres man insgefammt 
den Tage der Feindfeligkeiten laͤhmt. 
But. Doc ich wiederhole, wenn man den Gar: 
er Königin zumider macht, wirft man nur auf 
ırdbinal; man läßt die Tugend der Königin 
ı, das beißt, man befreit die Brinzeffin, und man . 
r jene Freiheit ver Sprache, welche jede Antlage 
ert und ihr das Gewicht des Anfehens verleiht. 
Bas man braucht, iſt ein Beweis gegen Herrn 
han und bie Königin; es ift ein zweifchneidiges 
t, Das reis und linfs verwundet, das verwundet, 
es aus der Scheide geht, das die Scheide felbft 
idend verwundet. 
Bas man braudt, ift eine Anklage, welche bie 
n erbleihen, den Barvdinal erröthen machen muß, 
beglaubigt, Seanne, die Bertraute der zwei 
chuldigen, von allem Berbachte reinigt. Was 
aucht, ift eine Bombination, hinter der Jeanne, 
ter Zeit und geeigneten Ortes verfchangt, fagen 
Klagt mich nicht an, oder ich Klage Bud an; 
mie nicht zu Grunde, oder ich richte Euch zu 
Laßt mir das Dermögen, ich werde Gudy die 


ıffen. 
a6 lohnt der Mühe, daß man fucht,“ dachte bie 
Gräfin, „und ich werde fuchen. Meine Zeit 
ir von heute an bezahlt.“ 

der That, Frau von La Mothe verfentte ih 
Volfter , rüdte näher zu ihrem von einer mils 
nne befchienenen Fenſter und ſuchte in Gegen⸗ 
ottes mit der Fackel Gottes. 


22 


„Wohl! Frau von La Mothe erwieberte mir bi 
zwei Worte: „„ Warten Sie" 

„Schriftlich.“ 

„Nein, Monfeigneur, mündlid. In unferm Brie| 
baten wir Frau von La Mothe, Sie um eine Andien 
zu eriuchen und die Königin darauf aufmerffam 3 
machen, daß der Zahlungstermin herannahe.” 

„Das Wort: Warten Sie, war ganz natürlich, 
fagte ver Cardinal. 

„Wir warteten alfo, Monfeigneur, und gefter 
Abend erhielten wir von der Königin, durch einen feh 
geheimnißvollen Kourier, einen Brief.” 

„Ginen Brief! an Sie, Böhmer?“ 

„Dder vielmehr eine Berfchreibung in guter Form 
Monfeigneur.” 

„Laſſen Sie fehen.“ 

„Sb! kich würde fie Ihnen zeigen, hätten wir 
mein. Aflocie und ich, nicht gefchworen, fie Nieman 
fehen zu laffen.“ 

„And warum ?“ 

„Weil diefe Behutfamfeit uns von der Königi 
felbft auferlegt worden ift; beurtheilen Sie, Ihre Ma 
jeſtät empfiehlt ung Geheimhaltung.“ 

„Ah! das ift etwas Anderes; Sie find fehr glüd 
lich, meine Herren SIuweliere, daß Sie Briefe von be 
Königin befipen.“ 

„Kür dreizehnmal hundert und fünfzig taufend Li 
vres, Monfeigneur,” fagte kichernd der Juwelier, „ma 
Tann haben . . .“ 

„Zehn Millionen, und hundert Millionen bezahle 

ewiſſe Dinge nicht,” erwieberte der Garbinal mi 
Arengem Tone. „Sie haben alfo gute Garantie?” 

„So gut als möglich, Monſeigneur.“ 

„Die Königin hat die Schuld anerkannt?“ 

„Sn gebührender Form.“ 

„Und macht ſich verbindlich, zu bezahlen... .“ 


73 


„In drei Monaten fünfmal hundert tauſend Livres; 
den Ref in einem halben Jahr.” 

„Und . . . die Intereſſen?“ 

„DH! Monfeigneur, ein Wort "Ihrer Majeſtät 
serbürgt uns biefelben. „Machen wir,“ fügt 
Ihre Majeftät voll Güte bei, „machen wir diefe 
Angelegenheit unter uns ab;““ unter 
uns, Eure Eminenz begreift die Empfehlung; „„Sie 
werden feinen Anlaß baben, es zu be- 
treuen.” Und fie unterzeichnet. Don nun an, fehen 
Sie, Monfeigneur, ift das für mich und meinen 
Affocie eine Ehrenſache.“ 

„3 bin nun quitt gegen Eie, Herr Böhmer,“ 
fagte ber Cardinal entzüdt; „bald ein anderes Ges 


„Wenn uns Eure Eminenz mit Ihrem Bertrauen 
beehren wird...” 

„Doch bemerken Sie abermals hierin die Hand 
biefer liebenswürbigen Bräfin.. . .“ 

Wir find Frau von La Mothe fehr dankbar, 
Monfeignenr, und wir haben befchloffen, Herr Bofiange 
und ich, für diefe Güte erfenntlidh zu fein, wenn uns 
das Halsband, völlig bezahlt, wieder zu baarem Geld 
gebradt Haben wird.” i 

„St! ſt!“ machte der Cardinal, „Sie haben mid 
richt begriffen.“ 
Und er kehrte zu feinem Wagen zurüd, geleitet 
on den Ehrfurchtsbezeigungen des ganzen Haufes. 
Man kann nun die Larve aufheben. Kür Niemand 
: der Schleier auf der Bildfäule geblieben. Was 
anne von La Mothe gegen ihre Wohlthäterin gethan, 
der hat das begriffen, als er fie bie Feder des Pam⸗ 
etfchreibers Neteaur von Billette entlehnen fah. 
ne Unruhe bei den Suwelieren, feine Bevenflichfeiten 
der Königin, feine Zweifel bei dem Cardinal mehr. 
i Monate find der Ergründung des Betrugs und 
Verbrechens gegeben; in biefen drei Monaten wers 


- 


75 


t in einem ſolchen Fall der Auin, daß der Ruin 
zchandpfahl und ein lebenslängliches Gefängniß 
ı Sie verfhlog die Diamanten in das tieflte ihrer 
ee und faßte den Entichluß, ſich mit fo foliden 
eidigungsmwaffen, mit fo fcharfen Angriffswaffen 
tfehen, daß im Falle eines Krieges diejenigen, 
e fi) im Kampfe zeigen würden, zum Boraus 
ren wären. 
jwifchen dem Berlangen des Barbinals, der immer 
iahren fuchen würde, awifchen Den Indiscretionen 
önigin, die immer fi rühmen würde, daß fle 
fhlagen babe, laviren, war eine furdtbare Ges 
Gin Wort zwifhen der Königin und dem Gars 
ausgetaufht, und Alles war entdeckt. Jeanne 
te fich wieder dadurch, daß fie bedachte, verliebt 
» Königin, habe der Gardinal, wie alle Berliebte, 
Binde auf der Stirne und er würde folglich in 
allen flürzen, die ihm die Lift unter einem Schats 
on Liebe ftellen würde, 
doch diefe Falle mußte eine geſchickte Hand fo 
„ daß die zwei Sntereifirten darin gefangen würs 
Entdedte die Rönigin den Diebitahl , fo durfte 
nicht wagen, fich zu beflagen, entdeckte der Gar: 
den Betrug, fo mußte er fih verloren fühlen. Es 
in Meifterftreich gegen zwei Gegner zu fvielen, 
: zum Voraus die ganze Gallerie für fich hatten. 
jeanne wich nicht zurüd. Sie gehörte zu jenen 
hrodenen Naturen, welde das Böſe bis zum- 
nmuth, das Gute bis zum Schlimmen treiben. 
inziger Bedanfe befchäftigte Re won diefem Augen: 
an, der, eine Zuſammenkunft des Barbinals mit 
‚önigin zu verbindern. 
50 lange fie, Seanne, zwiſchen ihnen flünde, war 
verloren, wechfelten fie inter ihr ein Wort, fo 
te dieſes Wort bei Jeanne das Glück der Zukunft 
runde, defien Gerüfle auf der Harmloſigkeit der 
ingenheit errichtet war. 


76 


$ „Sie werben fich nicht mehr fehen,” fagte fie. „* 
me 19 

„Aber,“ warf fie ein, „ber Garbinal wird 
Königin wiederfehen wollen; er wird Derfuche zu I 
fem Ende madıen. 

„Warten wir nicht, bis er es verfucht,“ dachte 
Schlaue; „geben wir ihm einen Gedanfen ein. 
wolle fie fehen; er bitte fie darum; er compromit: 
fih, indem er darum bittet. 

„Sa, doch wenn nur er compromittirt ift 2“ 

Diefer Bedankte verfegte fie in eine ſchmerzl 
Berlegenheit. 

„Wäre er allein compromittirt, fo Hatte bie ! 
nigin ihre Zuflucht; fie fpricht fo laut, die König 
fie weiß fo gut den Betrügern eine Larve zu entreif 

„Bas it zu thun? Damit die Königin nicht 
fhuldigen fann, muß fie den Mund nicht öffnen koͤnn 
um biefen edlen und muthigen Mund zu fchließen, n 
man die Federn deſſelben durch die Initiative ei 
: Anklage niederbrüden. 

„Bor einem Berichte feinen Diener eines Diebfla 
zu bezüchtigen, wagt derjenige nicht, der durdy ſei 
Diener eines Verbrechens, welches fo entehrend ift, 
der Diebflahl, überwiefen werden fann. Wird H 
von Rohan in Beziehung auf die Königin compron 
tirt, fo if es beinahe fiber, daß die Königin in & 
3iehung auf Herrn von Rohan compromittirt wer: 
wird, 


„Doh der Zufall nähere einander biefe 3 
Perfonen nicyt, in deren Interefie es liegt, biefes € 
heimniß zu entdecken.“ 

Jeanne wich Anfangs vor der Unermeßlichfeit ! 
Felſen zurüd, den fle über ihrem Haupte aufgehä: 
hatte. So keuchend, erfchroden, angfivoll, unter ' 
Drohung eines ſolchen Sturzes leben! 

Sa, doch wie diefer Angft entgehen? Durch 
Verbannung, durch die Flucht! durch die Ueberfchaffn 


77 


er Diamanten vom Halsband der Königin in ein 
remdes Land! 

Entfliehen! ein Leichtes. Eine gute Chaiſe bringt 
ie Sache in zehn Stunden zu Wege; der Raum 
on einem jener foflbaren Schlafen der Königin; ber 
jwifchenraum, den der Cardinal zwifchen ein Abend- 
cod mit feinen Freunden und fein Aufflehen am 
ndern Tag legt. Die Landftraße entrolle fih vor 
jeanne, fie biete ihr endlofes Pflafter den brennenden 
güußen der Roſſe, das genügt. Jeanne wirb in zehn 
Stunden frei und unverfehrt fein. 

Doc welches Nergerniß! welche Schmach! Ver⸗ 
chwunden, obgleich frei; in Sicherheit, obgleich geächtet; 
jeanne ift feine Frau von Stand mehr, es iſt eine 
Diebin, eine dem Gerichte Entwichene, welche die Juſtiz 
sicht erreicht, aber bezeichnet, die das Gifen des Hen⸗ 
ers, weil fie zu weit enıfernt ift, nicht brandmarft, 
ıber die öffentliche Meinung zermalmt. 

Nein. Sie wird nicht fliehen. Der Gipfel der 
Berwegenheit und der Gipfel der Gewandtheit find mie - 
eme zwei Spigen des Atlas, die den Zwillingen der 

gleichen. Der eine führt zum andern, der eine 
hat denfriben Werth, wie der andere. Wer den einen 
icht, ſteht den andern. 

Seanne beihloß, mit Berwegenheit zu bezahlen 
ind zu bleiben. Sie befchluß dies befonders, ale fie 
Me Möglichkeit erſchaut hatte, zwifchen dem Garbinal 
und der Königin eine Solidarität der Angft für den 
—* ſchaffen, wo der ine oder die Andere wahr⸗ 

en wollte, es ſei ein Diebflahl innerhalb ihrer 
isnigen Breundfchaft begangen worden. 

Seanne hatte fich gefragt, wie viel in zwei Jahren 
be Gunſt der Königin und die Liebe des Garbinale 
isitranen würden; fie hatte den Ertrag von biefen 

Glücken zu fechsmal hundert taufend Livres ges 

t, wonach ber Ueberdruß, die Ungnade und bie 


76 
„Sie werben fich nicht mehr fehen,” fagte fie. „Nie 


r. 

„Aber,“ warf ſie ein, „der Cardinal wird die 
Königin wiederſehen wollen; er wird Verſuche zu die⸗ 
ſem Ende machen. 

„Warten wir nicht, bis er es verſucht,“ dachte die 
Schlaue; „geben wir ihm einen Gedanfen ein. Er 
wolle fie fehen; er bitte fie darum; er compromiitire 
fi), indem er darum bittet. 

„Ja, doch wenn nur er compromittirt ift 2“ 

Diefer Gedanke verfeste fie in eine fchmerzliche 
Berlegenheit. 

„Wäre er allein compromittirt, fo hatte bie Kös 
nigin ihre Zuflucht; fie fpricht jo laut, die Königin; 
fie weiß fo gut den Betrügern eine Larve zu entreigen. 

„Bas ift zu thun? Damit die Königin nit ans 
feyuldigen Fann, muß fie den Mund nicht öffnen Fönnen; 
um dieſen edlen und muthigen Mund zu fchließen, muß 
man die Federn bdeffelben durch die Initiative einer 
Anklage niederbrüden. 

„Bor einem Gerichte feinen Diener eines Diebftahle 
zu bezüchtigen, wagt derjenige nicht, ber durch feinen 
Diener eines Verbrechens, welches fo entehrend ift, ale 
der Diebflahl, überwiefen werden fann. Wird Herr 
von Rohan in Beziehung auf bie Königin compromits 
tint, ſo if es beinahe fidher, daß die Königin in Bes 
ziehung auf Herrn von Rohan compromittiirt werben 
wird, 


mel 


„Dog der Zufall nähere einander dieſe zwei 
Perfonen nicht, in deren Intereſſe es liegt, biefes Ge⸗ 
heimniß zu entdecken.“ 

Jeanne wich Anfangs vor ber Unermeßlichfeit des 
Selfen zurüd, den fie über ihrem Haupte aufgehängt 
hatte, Sp keuchend, erfchroden, angflvoll, unter der 
Drohung eines foldyen Sturzes leben! 

Ya, doch wie diefer Angſt entgehen? Durch bie 
Verbannung, durch die Flucht! durch die Ueberfchaffung 


77 


Diamanten vom Halsband der Königin in ein 
‚es Land! 
Entfliehen! ein Leichtes. Bine gute Chaiſe bringt 
Sache in zehn Stunden zu Wege; der Raum 
tinem jener koſtbaren Schlafen der Königin; ber 
henraum, den der Cardinal zwifchen ein Abend- 
mit feinen Freunden und fein Auffiehen am 
n Tag legt. Die Landftraße entrolle fih vor 
ne, fie biete ihr endlofes Pflafter den brennenden 
n ber Roſſe, das genügt. Jeanne wird in zehn 
ıden frei und unverjehrt fein. 
Dod welches Aergernig! welche Schmach! Ber: 
ınden, obgleich frei; in Sicherheit, obgleich geachtet; 
ne ift feine Frau von Stand mehr, es iſt eine 
in, eine den Gerichte Entwichene, welche die Juſtiz 
erreicht, aber bezeichnet, die das Gifen des Hen⸗ 
weil fie zu weit entfernt ift, nicht brandmarkt, 
die öffentlihe Meinung zermalmt. 
Mein. Sie wird nicht fliehen. Der Gipfel der 
yegenheit und der Gipfel der Bewandtheit find wie - 
zwei Spigen des Atlas, die den Zwillingen ber 
gleiyen. Der eine führt zum andern, der eine 
yenfriben Werth, wie der andere. Wer ben einen 
ſteht den andern. 
Jeanne beſchloß, mit Berwegenheit zn bezahlen 
zu bleiben. Sie befchloß dies befonders, ale fe 
Möglichkeit erfhaut hatte, zwifchen dem Cardinal 
der Königin eine Solidarität der Angft für den 
zu fchaffen, wo der Eine oder die Andere wahrs 
en wollte, es fei ein Diebſtahl innerhalb ihrer ' 
en Freundſchaft begangen worden. 
Jeanne hatte ſich gefragt, wie viel in zwei Jahren 
Yunft der Königin und die Liebe des Garbinals 
agen würden; fie hatte den Ertrag von biefen 
Blüden zu fechsmal hundert taufend Livres ges 
t, wonad ber Weberbruß, die Ungnade und bie 


79 


riwillens bewerfftelligen, welche für immer, nicht 
Sürften von der Fürſtin, fondern den Mann von 
frau, dag Männchen vom Weibchen trennen wird. 
diefem Grunde wird man Waffen gegen den Bar: 
ergriffen Haben, defien Manoeuvres man insgefammt 
woßen Tage der Feindſeligkeiten lähmt. 
„But. Doch ich wiederhole, wenn man den Gar: 
der Königin zuwider macht, wirft man nur auf 
Bardinal: man läßt die Tugend der Königin 
len, das heißt, man befreit die Brinzeffin, und man . 
ihr jene Freiheit der Sprache, welche jede Antlage 
htert und ihr das Gewicht des Anfehens verleiht. 
Mas man braudt, ift ein Beweis gegen Herrn 
ohan und die Königin; es iſt ein zweifchneidiges 
vert, das rechts und linfs verwundet, das verwundet, 
ı e8 aus der Scheide geht, das die Scheide felbft 
neidend verwundet. 
‚Bas man braucht, ift eine Anklage, welche bie 
zin erbleichen, den Cardinal errötben machen muß, 
e, beglaubigt, Seanne, die Bertraute der zwei 
iſchuldigen, von allem Verdachte reinigt. Was 
braucht, ift eine Gombination, hinter der Jeanne, 
chter Zeit und geeigneten Ortes verſchanzt, fagen 
Klagt mich nicht an, ober ich Klage Cuch an; 
t mich nicht zu runde, oder ich richte Such zu 
F Laßt mir das Vermögen, ich werde Cuch die 
aſſen. 
Das lohnt der Mühe, daß man ſucht,“ dachte die 
fe Gräfin, „und ich werde ſuchen. Meine Zeit 
mir von heute an bezahlt.“ 
in der That, Frau von La Mothe verſenkte fi 
te Bolfter , rüdte näher zu ihrem von einer mils 
Sonne befchienenen Fenſter und ſuchte in Gegen 
Gottes mit der Tadel Gottes. 


81 


Dliva baute Luftfchlöffer in der Tiefe ihrer Be⸗ 
haufung in der Rue Saint⸗Claude, himärifche Schlöffer, 
worin, man muß es geflehen, der arme Beauflre felten 
feinen Platz fand. 

Wenn fie am Morgen, geſchmückt mit allen Ans 
nehmlichfeiten, womit Gaglioftro ihr Ankleidecabinet 
ansgeftattet Hatte, die vornehme Dame fpielte und bie 
Muancen der Rolle von Celimene burchging, lebte fie 
nur für bie Stunde bes Tags, zu ber agliofro weis 
mal in der Woche kam, um fih zu erkundigen, ob fte 
das Leben leicht ertrage. 

In ihrem fchönen Salon, inmitten eines wirklichen 
Lurns und eines verfländigen Lurus, geftand dann die 
Feine Creatur beraufcht id felbft, Alles in ihrem ver: 
gangenen Leben fei Täufhung, Irrthum gewefen; im 
Widerfpruche mit der Behauptung des Moraliften: Die 
Tagend macht das Glück, fei es das Glück, was unfehl: 
bar die Tugend made. 

Leider fehlte es bei der Zufammenfeßung biefes 
Släds an einem für feine Dauer unerläßlichen Element. 

Diiva war glüdlih, aber Oliva langweilte fi. 

Bücher, Gemaͤlde, muflfalifche Inftrumente hatten 

: nicht hinreichend zerfireut. Die Bücher waren nicht 

et genug, ober bie, welche es waren, Hatte fie zu 
mell gelefen. Die Bemälde find immer daffelbe, wenn 
in fie einmal angelpant bat, — Dliva urtheilt, und 
ht wir, — und die muflfalifchen Inſtrumente haben 
: einen Schrei und nie eine Stimme für die un 
'ende Hand, die ihnen antiegt 

Es iſt nicht zu leugnen, Olivda langweilte fi bald 

iſam bei ihrem Slüd, und oft fehnte fie fich unter 

Inen nach jenen guten, Eleinen, am Fenſter in ber 

Danphine zugebrachten Morgen zurüd, da fie, bie 

Be mit ihren Bliden magnetifirend, den Kopf 

Vorübergehenden fidy erheben machte. 

Ind welche füße Spaziergänge im Quartier Saints 
ain, als, indem der —2 Bantoffel auf 
SHaldband der Königin. III. 6 


82 


feinen Abſätzen um zwei Zoll einen Zuß von einer 
wollüftigen Biegung erhöhte, jeder Schritt der Wanbs 
lerin ein Triumph war und den Bewunderern einen 
fleinen Schrei der Angft, wenn er ausglitichte, ober 
des Derlangens, wenn fih nad dem Fuß das Bein 
zeigte, entriß. 

Das dachte die eingefchloffene Nicole. "Allerdings 
waren die Agenten des Herrn Polizeilientenants furchts 
bare Leute, allerdings hatte das Hofpital, in dem die 
Meiber in einer ſchmutzigen Gefangenfchaft erftidken, 
nicht den Werth der ephemeren und glänzenden Ginker 
ferung ber Rue Saint:Claude. Doch wozu würbe es 
dienen, Frau zu fein und das Recht der Frauen zu 
haben, wenn man nicht zuweilen gegen das Bunte aufs 
ftünde, um e8 in Böfes zu verwandeln, ober wenigftens 
in Träume? 

Und dann wird bald Alles ſchwarz für denjenigen, 
welcher fi langweilt. Nicole bedauerte pie Abweſen⸗ 
beit von Beaufire, nachdem fie den Verluft ihrer Preis 
beit beflagt Hatte. Geſtehen wir, daß nichts in der 
Melt die Frauen ändert feit der Zeit, wo die Töchter 
Judä am Borabend einer Liebesheirath ihre Jungfrau⸗ 
fhaft auf dem Berge beweinten. 

Wir find zu einem Tage der Trauer, der Gereizt⸗ 
heit gelangt, an welchem Dliva, feit zwei Wochen jeder 
Gefellfhaft, jedes Anblide beraubt, in die traurigfte 
Periode des Uebels der Langweile eintrat. 

Nachdem fie Alles erfchöpft, da fie es weber wagte, 
an das Fenſter zu freien, noch auszugehen, fing fle 
an ben Appetit des Magens zu verlieren, aber nicht 
den ber Einbildungskraft, ber im Gegentheil in bems 
ferben Maße fih verdoppelte, in welchem der andere 
abnahm. 

In diefem Augenblid moraliſcher Aufregung erhielt 
fie einen an biefem Tage unerwarteten Be ud von 
Gaglioftro. 

Gr trat, wie dies feine Gewohnheit war, durch 


83 


tere Thüre des Hotel ein, ging durch ben nen 
ten Garten in die Höfe und Flopfte an bie 
ver Wohnung von Oliva. 
er Sahläge, inbeflimmten Zwifchenräumen gethan, 
Das verabredete Zeichen, daß die junge Frau bie 
zurüdzeg, welche fie als Sicherheit zwiichen 
einem mit Schlüffeln verfehenen Beſuche for⸗ 
ı müflen geglaubt hatte. ’ 
iva dachte, die Vorſichtsmaßregeln feien nicht 
g, um eine Tugend zu bewahren, bie fie bei 
ı &elegenbeiten läftig fand. 
i dem von Gaglioftro gegebenen Signaf öffnete 
Riegel mit einer Geſchwindigkeit, welche für 
yürfniß, eine Unterredung zu haben, jengte. 
haft wie eine Parifer Griſette, eilte fie den 
m des edlen Kerfermeifters entgegen, ergriff 
inde, mehr, um ihn zu fneipen, als um ihn zu 
3, und rief mit einer gereizten, heifern, abges 
Stimme: " 
tein Herr, ich langweile mich; erfahren Sie das.“ 
glioftro ſchaute d mit einer leichten Kopfbewes 


i. 
te langweilen fi,” ſagte er, während er bie 
vieder fchloß, „ach! meine Liebe, das iſt ein 
6 Uebel.” 

H mißfalle mir hier. Ich fterhe Hier.“ 
zahrhaftig!“ ® 

3, ich Habe fchlimme Gedanken.“ 

ı! la!“ machte der Graf, indem er fie beiänftigte, 
n einen Pudel befänftigt, „wenn Sie fi nicht 
5 bei mir fühlen, fo rollen Sie mir darum 
ı fehr. Bewahren Sie all Ihren Zorn für 
en Polizeilieutenant, der Ihr Feind if.“ 

le bringen mich in DBerzweiflung mit Ihrer 
tigkeit,“ fagte Dliva. „Ein guter Zorn, ein 
‚fen iſi mir lieber, ale eine olhe Sanfibeit; 


n 2 


84 


Sie finden das Mittel, mich zu beruhigen und bas 
madt mich toll vor Wuth.“ 

„Geſtehen Sie, daß Sie ungerecht find,” erwiederte 
Gaglioftro, indem er fi} fern von ihr mit jener Affec⸗ 
tation von Achtung oder von &leichgültigfeit niederfegte, 
die ihm fo gut bei Dliva gelang. 

„Sie brechen fehr nach Shrem Gefallen, Sie,“ 
fagte Dliva, „Sie gehen, Sie fommen, Sie athmen, 
Ihr Reben befteht aus einer Anzahl von Bergnügungen, 
die Sie fih wählen; ich vegetire in dem Raum, ben 
Sie begrenzt Haben; ich athme nicht, ich zittere. Ich 
erfläre Shnen, mein Herr, daß mir Ihr Beiſtand 
unnüß ift, wenn er mich nicht zu flerben hindert.“ 

„Sterben! Sie!“ verfepte Tächelnd ber Graf, 
„gehen Sie doch!“ 

„Ich fage Ihnen, daß Sie fich fehr fehlecht gegen 
mich benehmen; Sie vergeffen, daß ich tief, leiden, 
ſchaftlich Einen liebe,“ 

„Herrn Beaufire ?“ 

„Sa, Beauftre. Ich liebe ihn, fage ich Ihnen. 
Ich denfe, ich habe es Ihnen nie verborgen. " Sie 
Tonnten ſich nicht einbilden, ich würde meinen theuren 
Beaufire vergeflen ?“ . 

„Ih habe es fo wenig gedacht, daB ih Allem 
aufbot, um Nachricht von ihm zu erhalten, und ich 
bringe Ihnen.“ 

„Ah!“ machte Olive. 

„Herr von Beaufire,“ fuhr Caglioſtro fort, „iR 
ein reizender Junge.“ 

„Bei Gott!” rief Oliva, welche nicht fah, wohin 
man fie führte. 

„Sung und hübſch.“ 

„Nicht wahr?“ 

„Bol Einbildungsfraft.” 

„Voll Zeuer ... in wenig brutal gegen mid. 
Doch ... wer gut liebt, züchtigt gut.“ 


85 


„Sie fpredden goldene Worte. Ste Haben ebenfo 
viel Gemüth, als Beift, ebenfo viel Geiſt, als Schöu« 
heit, und ich, der ich das weiß, der ich mich für jede 
Schönheit der Welt intereffire, — das ift eine Manie, — 
ich Habe daran gedacht, Sie Beaufire näher zu bringen.” 

„Das war vor einem Monat nicht Ihre Idee,“ 
fagte Dliva mit einer gezwungenen Miene lächelnd. 

„Hören Sie doch, mein liebes Kint, jeder galante 
Mann, der eine hübfche Perſon ficht, ſucht ihr zu 
gefallen, wenn er frei ift, wie ich es Bin. Sie werden 
jedoch geftehen, daß, wenn ich Ihnen ein Bischen ben 
Hof gemacht habe, dies nicht lange gedauert, nicht fo?“ 

„Das ift wahr,” erwiederte Dliva in demfelben 
Ton, „höchſtens eine Biertelftunde.“ 

„Es war fehr natürlich, daß ich abließ, da ich 
fah, wie fehr Sie Herrn von Beaufire liebten.“ 

„Oh! fpotten Sie meiner nicht.“ 

„Rein, auf Ehre; Siehaben mir fehr widerftanden.” 

Ohl! nicht wahr?“ rief Oliva, entzückt, auf frifcher 
That des Widerſtands ertappt worden zu fein. „Sa, 
gefehen Sie, das ich widerfianden habe.“ 

„Das war die Bolge Ihrer Liebe,“ bemerfte 
Gaglioftro phlegmatifch. \ 

„Doch die Ihrige,“ entgegnete Dliva, „fle war 
nicht fehr sähe 

„Ich bin weder alt genug, noch häßlich genug, 
noch dumm genug, noch arm genug, um die Weigeruns 

en oder die Chancen einer Niederlage zu ertragen, 

abdemoifelle; Sie hätten ſtets Herrn von Beauflre 
mir vorgezogen, das habe ich gefühlt, und ich habe 
meinen Entichluß gefaßt.” 

„Ah! nein, nein!” rief die Coquette. „Das herr⸗ 
liche Buͤndniß, das Sie mir vorgefähjlagen, Sie wiflen 
wohl, das Recht, mir den Arm zu geben, mid) zu bes 
fuhen, mir in allen Ehren den Hof zu maden, war 
das nicht ein Kleiner Reft von Hoffnung?” 

Und indem fie diefe Worte ſprach, verfengte die 


86 


Treulofe mit ihren zu lange müßig gewefenen Augen 
den Befuch, der fih in der Falle gefangen hatte. 

„SH muß es befennen,“ erwiederte Caglioſtro, 
—8* find von einem Scharffinne, dem nichts wider⸗ 

e “u . 

Und er ftellte fih, als fiylüge er die Augen nieder, 
um nicht von dem doppelten Flammenſtrom verzehrt zu 
werden, ber aus den Bliden von Oliva hervorfprang. 

„Kommen wir auf Beauflre zurüd,” fagte fie, ges 
reizt durch Die Inbeweglichfeit des Grafen; „was macht 
er, wo ift er, der theure Freund?“ 

Da ſchaute fie Caglioſtro mit einem Reſte von 
Scüdternheit an und erwiederte: 

8* ſagte, ich habe Sie mit ihm vereinigen 
wollen.“ 
„Rein, Sie ſagten das nicht,” murmelte fie mit 
Beratung; „boch da fie es mir fagen, fo nehme ich 
es für gelagt an. Fahren Sie fort. Warum haben 
Sie ihn nicht gebracht? Das wäre liebreich gewefen. 
Er ift frei, er... ." 

„Weil,“ antwortete Baglioftro, ohne ſich über diefe 
Ironie zu wundern, „weil Herr von Beaufire, der iR 
wie Sie, der zu viel Geiſt befigt, fih auch eine kleine 
Angelegenheit mit der Polizei gemacht hat.“ 

„Auch!“ rief Oliva erbleichend, denn diesmal ers 
fannte fie das Gepräge der Wahrheit. 

„Auch,“ wiederholte Kaglioftro artig. 

„Was hat er gemacht?” ftammelte die junge Fran. 

„Einen reizenden Schelmenftreih, ein Außerft 
geiftreiches Stückchen, ich nenne das einen brolligen 
Einfall; aber die verdrießlichen Leute, Herr von Erosne 

um Beifpiel, Sie wiffen, wie fchwerfällig er if, dieſer 
Ser „yon Grosne; nun! fie nennen das einen Diebs 


„Gin Diebſtahl!“ rief Dliva erfchruden; „mein 
Gott!“ 


87 


„Ah! ein hübſcher Diebſtahl! das beweiſt, wie viel 
Geſchmack dieſer arme Beaufire für ſchoͤne Dinge hat.“ 
PR ri Her ... mein Her... er ift ver 

aftet?“ 

„Nein, doch er iſt fignalifirt.“ 

Sie ſchwören mir, daß er nicht verhaftet iſt, dag 
er teine Gefahr Läuft?“ 

„Ich Tann Ihnen wohl ſchwoͤren, daß er nicht ver⸗ 
haftet iſt; was aber den zweiten Punkt betrifft, da be- 
fommen Sie mein Bort nicht. Sie fühlen, mein 
liebes Kind, daß man, wenn man fignalifitt iſt, vers 
folgt oder wenigftens aufgefucht wird, und daß Herr 
von Beauflre mit feiner Geſtalt, mit feiner Haltung, 
mit allen feinen wohlbefannten Gigenichaften, wenn er 
fih zeigte, fogleich von den Leithunden von Herrn 
von Erosne gewittert würde. Bedenken Sie ein wenig, 
welchen Netzzug Herr von Erosne machen würde... . 
Sie durdy Herrn von Beauſire, und Herrn von Beauſire 
buch Sie feftnehmen . . ." 

„Dh! ja, ja, er muß fich verbergen! Armer Junge! 
Sy will mi auch verbergen. Laflen Sie mich aus 
Frankreich fliehen, mein Herr. Suden Sie mir diefen 
Dienft gu.Teiften ; benn fehen Sie, eingefchloffen, erftict, 
würde ich hier nicht dem Verlangen wiberftehen, eines 
Tages eine Unvorſichtigkeit zu begehen.” 

„Bas nennen Sie Unvorfidhtigfeit, meine Liebe?” 

„Mich zeigen, mir ein wenig Luft geben.“ 

„Mebertreiben Sie nicht, meine Freundin. Sie 
find ſchon ganz bleih, und Sie werden am Erde Ihre 
Ihöne Geſundheit verlieren. Herr von -Beauflre würde 
fie nicht mehr lieben. Nein, nehmen Sie fo viel Luft, 
als Sie wollen, bewirthen Sie fih damit, daß Sie 
einige menfchliche Geſtalten vorübergehen fehen.“ 

„Dh! rief Dliva, „nun find Sie gegen mich auf- 

ebracht, und Ste werben mich auch verlaflen. Ich bin 
hnen vielleicht befchwerlich 3“ 


80 


LXI. 
Die Gefangene. 


Während dieſer geiſtigen Bewegungen der Gräſfin, 
während ihrer Träumerei, ereignete ſich eine Scene 
anderer Art in der Rue Saint:Elaude, dem von Jeanne 
bewohnten Haufe gegenüber. 

Herr von Bagliofro Hatte, wie man ſich erinnert, 
. in bas ehemalige Sotel von Balfamo die flüchtige, von 
der Polizei von Herrn von Erosne verfolgte Oliva 
einquartiert. . 

Sehr in Angft, hatte Me. Dliva mit renden 
die Gelegenheit, zugleich der Polizei und Beanſitre zu 
entfliehen, angenommen ; ſie lebte alfo zurüdgezogen, 
verborgen, pitteend in der geheimnißvollen Wohnung; 
welche fo viele furchtbare Dramen, ach! furchtbarer, 
ale das tragisfomifhe Abenteuer von Mlile. Ricole 
Legay, beherbergt hatte. 

Caglioſtro hatte jede Fürſorge, jede Zuvorkommen⸗ 
heit fuͤr ſie gehabt; es fam der jungen Frau füß vor, 
von diefem vornehmen Herrn beichügt zu werben, ber 
nichts verlangte, aber viel zu hoffen fchien. 

Und was hoffte er? das fragte ſich umſonſt die 
Klausnerin. 

Für Mile. Dliva war Herr von Gaglioflro , der 
Beaufire gebändigt und über die Bolizeiagenten geflegt 
hatte, ein rettender Bott. Er war aud ein fehr vers 
liebter Liebhaber, da er refpectirte. 

Denn die Gitelfeit von Oliva erlaubte ihr nicht, 
ju glauben, Caglioſtro habe eine andere Abſicht mit 
br, als fie eines Tages zu feiner Geliebten zu machen. 

Es ift eine Tugend für die Frauen, welche keine 
haben, zu grauben, man Fönne fle ehrfurchtevoll lieben. 
Das Herz iſt fehr verwelft, fehr dürr, fehr todt, das 
nicht mehr auf die Liche zählt, und auf bie Achtung, 
welche der Liebe folgt. 


81 


Dliva baute Auftfchlöffer in der Tiefe ihrer Bes 
haufung in der Aue Saint:Claude, himärifche Schlöffer, 
worin, man muß es geftehen, der arme Beauflre felten 
feinen Plab fand. 

Wenn fie am Morgen, geſchmückt mit allen An- 
nehmlichfeiten, womit Gaglioftro ihr Ankleivecabinet 
ausgeftattet Hatte, die vornehme Dame fpielte und bie 
Nuancen ber Rolle von Gelimene durchging, lebte fie 
nur für die Stunde des Tags, zu der Conttoftro zwei⸗ 
mal in der Woche kam, um ſich zu erkundigen, ob ſie 
das Leben leicht ertrage. 

Sn ihrem Ichönen Salon, inmitten eines wirklichen 
Luxus und eines verftändigen Luxus, gefland dann die 
fleine Ereatur beraufcht id ſelbſt, Alles in ihrem ver 
gangenen Leben ſei Täufchung, Irrthum geweſen; im 
Widerfpruche mit ver Behauptung des Moraliften: Die 
Tagend macht das Glück, fei es das Glück, was unfehl: 
bar die Tugend mache. 

Leider fehlte es bei der Zufammenfeßung biefes 
Glücks an einem für feine Dauer unerläßlichen Element. 

Oliva war glüdlidh, aber Dliva langweilte fich. 

Bücher, Semälde, muflfalifche Inftrumente hatten 
fie nicht hinreichend zerſtreut. Die Bücher waren nicht 
frei genug, oder die, welche es waren, Hatte fie zu 
ſchnell gelefen. Die Gemaͤlde find immer daſſelbe, wenn 
man fie einmal angefchaut Kat, — Dliva urtheilt, und 
nicht wir, — und bie muflfalifchen Inſtrumente haben 
nur einen Schrei und nie eine Stimme für bie un- 
wiffende Hand, die ihnen antiegt 

Es ift nicht zu leugnen, Oliva langweilte fi bald 

rauſam bei ihrem Gluͤck, und oft fehnte fie fich unter 

sänen nach jenen guten, Eleinen, am enfter in ber 
Aue Dauphine zugebrachten Morgen zurüd, ba fle, die 
Straße mit ihren Blicken magnetifirend, ven Kopf 
alfer Borübergehenden fiy erheben machte. 

Und welde rüpe Spaziergänge im Duartier_ Saint: 
Germain, als, indem der zierliche Pantoffel auf 

"Dad Salsband der Königin. III. 6 


82 


feinen Abſätzen um zwei Bol einen Fuß von einer 
wollüftigen Biegung erhöhte, jeder Schritt der Wanbs 
lerin ein Triumph war und den Bewunderern einen 
Heinen Schrei der Angft, wenn er ausglitichte, ober 
des Berlangens, wenn fih nad dem Fuß das Bein 
zeigte, entriß. 

Das dachte die eingefchlofiene Nicole. Allerdings 
waren bie Agenten des Herrn Polizeilientenants furcht⸗ 
bare Leute, allerdings hatte das Hofpital, in dem bie 
Weiber in einer ſchmutzigen Gefangenſchaft erſticken, 
nicht den Werth der ephemeren und glänzenden Einter- 
ferung der Rue Saint:Claude. Doch wozu würbe e6 
dienen, Frau zu fein und das Necht der Frauen zu 
haben, wenn man nicht zuweilen gegen das Bunte aufs 
flünde, um es in Böfes zu verwandeln, ober wenigſtens 
in Traume? 

Und dann wird bald Alles ſchwarz für denjenigen, 
welcher fi langweilt. Nicole bedauerte die Abweſen⸗ 
beit von Beaufire, nachdem fie den Verluft ihrer reis 
heit beflagt Hatte. Geftehen wir, daß nichts in der 
Melt die Frauen ändert feit der Zeit, wo die Töchter 
Judä am Borabend einer Liebesheirath ihre Jungfrau⸗ 
ſchaft auf dem Berge beweinten. 

Wir find zu einem Tage ber Trauer, der Gereizt⸗ 
heit gelangt, an welchem Dliva, feit zwei Wochen jeder 
Gefellfhaft, jedes Anblids beraubt, in die traurigfte 
Periode des Uebels der Langweile eintrat. 

Nachdem fie Alles erfchöpft, da fie es weber wagte, 
an das Fenfter zu treten, noch auszugehen, fing fie 
an den Appetit des Magens zu verlieren, aber nicht 
ben ber Einbildungskraft, ber im Gegentheil in dem⸗ 
ferben Maße fidh verboppelte, in welchem ber andere 
abnahm. 

In diefem Augenblick moralifcher Aufeegun erhielt 
fie einen an biefem Tage unerwarteten ed yon 
Gaglioftro. 

Gr trat, wie dies feine Gewohnheit war, durch 


83 


bie hintere Thüre des Hotel ein, ging durch den neu 
angelegten Garten in die Höfe und Flopfte an die 
Läden der Wohnung von Dliva. 

Dier Saläge inbeftimmten Zwifchenräumen gethan, 
waren das verabrebete Zeichen, daß die junge Frau die 
Niegel zurüdzeg, welche fie als Sicherheit zwiſchen 
ihr und einem mit Schlüffeln verfehenen Befudye for⸗ 
dern zu müflen geglaubt hatte. 

Dliva dachte, die Borfihtsmaßregeln ſeien nicht 
unnötbig, um eine Tugend zu bewahren, die fie bei 
gewiſſen Gelegenheiten läftig fand. 

Bei dem von Eaglioftro gegebenen Signal: öffnete 
fie die Riegel mit einer Beichwindigfeit, weldde für 
ihr Bebürfniß, eine Unterredung zu haben, jengte. 

Lebhaft wie eine Barifer Griſette, eilte fie den 
Schritten des edlen Kerfermeifters entgegen, ergriff 
feine Hände, mehr, um ihn zu fneiyen, ale um ihn zu 
liebfofen, und rief mit einer gereizten, heifern, abge⸗ 
ſtoßenen Stimme: 

„Mein Herr, ich langweile mich; erfahren Sie das.“ 

Baglioftro fchaute e mit einer leichten Kopfbewe⸗ 
gung an. 

„Sie langweilen fih,” fagte er, während er bie 
Thüre wieder fhloß, „ach! meine Liebe, das ift ein 
haͤßliches Uebel.“ 

„Ich mißfalle mir bier. Ich fterbe hier.“ 

„Wahrhaftig!“ * 

„Ja, ich habe ſchlimme Gedanken.“ 

„La! la!“ machte der Graf, indem er fie beiänftigte, 
wie man einen Pudel befänftigt, „wenn Sie fi nicht 
behaglich bei mir fühlen, fo grollen Sie mir darum 
nit zu fehr. Bewahren Sie all Ihren Zorn für 
den Herrn Polizeilieutenant, der Ihr Zeind if.“ 

„Sie bringen mid in Berzweiflung mit Ihrer 
Kaltblütigkeit,“ fagte Oliva. „in guter Zorn, ein 
Aufbranfen ift mir lieber, ale eine olde Sanftheit; 


4 


Sie finden das Mittel, mid zu vernhigen und das 
macht mid — vor Muth.” 

Sie, daß Sie ungerecht And,” erwiehee 

Su Indem er " fern von ihe mit jener “er 


Sa 

Elan‘ Ihnen, mein. Ser 
rg iR, wi 

en 35 


EEE ae at Aus 
Tachtig Ein un * 

D un de 

—— 36 ce ii; " “ Sur 

2a ba, —— — am 


Beanfire 
au am eh nie EL wid — 
—** Fee Mate Di 
—— — Habe geule · fort, „MR 


ein rel 


55 La 
nr Giabiivungetea * en 
an era 


85 


„Sie fprechen goldene Worte. Sie haben ebenfo 
viel Gemüth, als Beift, ebenfo viel Geiſt, ale Schoͤn⸗ 
heit, und ich, der ich das weiß, der ich mich für jede 
Schönheit der Welt intereifire, — das ift eine Manie, — 
ich Habe daran gedacht, Sie Beaufire näher zu bringen.“ 

„Das war vor einem Monat nicht Ihre see,“ 
fagte Dliva mit einer gezwungenen Miene lächeln. 

„Hören Sie doch, mein liebes Kint, jeder galante 
Mann, der eine hübfche Perfon ficht, fucht ihr zu 

efallen, wenn er frei ift, wie ich es Bin. Sie werben 
er geftehen, daß, wenn ich Ihnen ein Bischen den 
Hofgemacht habe, dies nicht lange gedauert, nicht fo?“ 

„Das ift wahr,” erwiederte Dliva in demfelben 
Ton, „höchſtens eine Viertelſtunde.“ 

„Es war fehr natürlih, daß ich abließ, da ich 
fah, wie fehr Sie Herrn von Beaufire liebten.“ 

„Sb! fpotten Sie meiner nicht.“ 

„Nein, auf Ehre; Siehaben mir fehr widerſtanden.“ 

„Oh! nicht wahr?” rief Dliva, entzückt, auf frifcher 
That des Widerſtands ertappt worden zu fein. „Sa, 
geſtehen Sie, das ich widerftanden habe.“ 

„Das war die Folge Ihrer Liebe,“ bemerkte 
Gaglioftro phlegmatifch. \ 

„Doch die Ihrige,“ entgegnete Oliva, „fle war 
nicht fehr gäbe." 

„J in weder alt genug, noch häßlich genug, 
noch dumm genug, noch arm genug, um die Weigerun⸗ 

en oder die Chancen einer Niederlage zu ertragen, 

ademoiſelle; Sie hätten ſtets Herrn von Beauflre 
mir vorgezogen, das habe ich gefühlt, und ich habe 
meinen Entichluß gefaßt.” 

„Ah! nein, nein!” rief die Coquette. „Das herrs 
lie Bündniß, das Sie mir vorgefählagen, Sie wiflen 
wohl, das Recht, mir den Arm zu geben, mich zu bes 
fuhen, mir in allen Ehren ben Hof zu maden, war 
das nicht ein Feiner Reit von Hoffnung ?“ 

Und indem fie diefe Worte fprach, verfengte die 


86 


Treulofe mit ihren zu lange müßig gewefenen 9 
den Befuch, der fih in der Balle gefangen hatte. 
„SH muß es befennen,” erwiederte Cagli 
„Sie find von einem Scarffinne, dem nichts x 
e 


Und er ftellte fich, als fchlüge er die Augen n 
um nidyt von dem doppelten Flammenſtrom verzef 
werden, der aus den Bliden von Dliva hervorfyp 

„Kommen wir auf Beauftre zurüd,” fagte fi 
reizt durch die Inbeweglichfeit des Orafen; „was 
er, wo ift er, der theure Freund?“ 

Da fchaute fie Caglioſtro mit einem Reftı 
Schüdhternheit an und erwieberte: 

„sh fagte, ih Habe Sie mit ihn verei 
en.” 


„Rein, Sie fagten das nicht,“ murmelte fi 
Verachtung; „doch da fie es mir fagen, fo nehn 
es für gefant an. Fahren Sie fort. arım 
Sie ihn nicht gebraht? Das wäre liebreich ger 
@r if frei,er. . ." 

„Weil,“ antwortete Eaglioftro, ohne ſich über 
Ironie zu wundern, „weil Herr von Beaufſire, d 
wie Sie, der zu viel Beift befigt, fih aud eine | 
Angelegenheit mit der Polizei gemacht hat.“ 
„Auch!“ rief Dliva erbleichend, denn diesm: 
fannte fle das Gepräge der Wahrheit. 

„Auch,“ wiederholte Kaglioftro artig. 

„Was hat er gemacht?“ ftammelte die junge ' 

„Binen veigenden Schelmenftreih, ein ä 
geitreichee Stüddyen, ih nenne das einen dro 

infall; aber die verdrießlichen Leute, Herr von C 
um Beifpiel, Sie wiflen, wie fchwerfällig er ift, 
ert don Erosne; nun! fie nennen das einen ! 


ahl. 
„Bin Diebſtahl!“ rief Oliva erſchrocken;, 
Gott!“ 


woll 


87 


„Ad! ein hübſcher Diebſtahl! das beweift, wie viel 
Geſchmack diefer arme Beaufire für fchöne Dinge hat.“ 
; FR ae Herr ... mein Herr... er if ver 

after?” 

„Rein, doch er iſt fignalifirt.“ 

-  „Gie fohwören mir, daß er nicht verhaftet ift, dag 
er keine Gefahr Läuft?” 

„Ich Tann Ihnen wohl fhwören, daß er nicht ver- 
haftet if; was aber ben zweiten Punkt betrifft, da be- 
fommen Sie mein Wort nicht. Sie fühlen, mein 
liebes Kind, daß man, wenn man fignaliflrt ift, vers 
folgt oder wenigftens aufgefucht wird, und daß Herr 
von Beaufire mit feiner Geſtalt, mit feiner Haltung, 
mit allen feinen wohlbefannten Gigenichaften, wenn er 
Ach zeigte, fogleih von den Leithunden von Herrn 
son Grosne gewittert würde. Bedenken Sie ein wenig, 
weligen Nebzug Herr von Erosne machen würde .. . 
Gie durdy Herrn von Beaufire, und Herrn von Beaufire 
durch Sie feftnehmen . . .“ 0 

„Sb! ja, ja, er muß fich verbergen! Armer Junge! 
Ich will mich auch verbergen. Laflen Sie mid aus 
Tranfreich fliehen, mein Herr. Suchen Sie mir diefen 
Dienſt leiſten; denn ſehen Sie, eingeſchloſſen, erſtickt, 
würde ich hier nicht dem Verlangen widerſtehen, eines 
Tages eine Unvorſichtigkeit zu begehen.“ 

„Was nennen Sie Unvorſichtigkeit, meine Liebe?“ 

„Mich zeigen, mir ein wenig Luft geben.“ 

„Webertreiben Sie nicht, meine Zreundin. Sie 
And ſchon ganz bleidh, und Sie werden am Erde Ihre 
Ihöne Geſundheit verlieren. Herr von -Beauflre würde 
fie nicht mehr lieben. Nein, nehmen Sie fo viel Luit, 
als Sie wollen, bewirthen Sie fi damit, daß Sie 
einige menfchliche Beftalten vorübergehen fehen.” 

„Dh! tief Dliva, „nun find Sie gegen mich auf- 

ebracht, und Sie werden mich auch verlaflen. Sch bin 
hnen vielleicht befchwerlich %“ 


88 


„Sch! find Sie toll? Warum follten Sie mir bes 
ſchwerlich fein?“ ſprach der Graf mitjeinem eifigen Ernſt. 

„Weil... ein Mann, der Geihmad für eine 
Frau hat, ein fo bedeutender Mann, wie Sie, ein fo 
fhöner Herr, wie Sie es find, berechtigt if, in Zora 
zu gerathen, Ekel zu befommen, felbft wenn eine Tolle, 
wie ich, ihn abweift. Oh! verlaffen Ste mid nicht, ridys 
ien Sie mich nit zu runde, faffen Sie keinen Haß 
gegen mich, mein Herr!” rief die junge Fran. 

Und eben fo erfhroden, als fie coquette gewefen 
war, fchlang fie ihren Arm um den Hals von 
Caglioſtro. 

„Arme Kleine!“ ſagte dieſer, indem er einen ken⸗ 
ſchen Kuß auf die Stirne von Oliva hauchte, „wie ſie 
bange hat! Haben Sie keine ſo abſcheuliche Meinung 
von mir, meine Tochter, Sie liefen Gefahr, ich 
habe ihnen einen Dienſt geleiſtet; ich hatte Ideen mit 
Ihnen, ich bin davon zurückgekommen, doch das iſt das 
Ganze. Ich habe Ihnen nicht mehr Haß zu bezeigen, 
als Sie mir Dankbarkeit zu bieten haben. Ich habe 
für mid) gehandelt, Sie haben für ſich gehandelt, wir 
find quitt.“ 

„Dh! mein Herr, wie viel Güte, welch ein ebels 
müthiger Mann find Sie!“ 

Und Oliva legte mei Arme ſtatt eines einzigen 
auf die Schultern von Caglioſtro. 

Doch diefer fchaute ie mit feiner gewöhnlichen 
Ruhe an und ſprach: 

„Sie fehen wohl, Dliva, trügen Sie mir nur ihre 
Liebe an, ih . . .“ 

„Nun?“ fragte fie ganz + 

„Trügen Sie mir nun Ihre anbetungswäürbige 
Perfon an, ih würde fie zurüdweifen, fo fehr liebe ich 
es, nur wahre, reine und von allem Intereſſe freie 
Gefühle einzuflößen. Sie haben mid für intereffict 
gehalten. Sie find in Abhängigfeit von mir gerathen. 
Sie halten fi für verbunden; ich würde glauben, Sie 


89 


banfbar, als gefühlvoll, mehr erfihroden, 
: bleiben wir, wie wir find. Ich erfülle in 
ht Ihren Wunſch. Ich komme allen ihren 
zuvor.“ 
ließ ihre Arne fallen und entfernte ſich be⸗ 
»müthigt, bethört durch dieſe Großmuth won 
worauf fie nicht gerechnet Hatte. 
alfo,” fagte der Graf, „es ift alfo abge: 
e liebe Dliva, Sie werden mich als Freund 
Sie werben alles Zutrauen zu mir haben, 
fi meines Haufes, meiner Börfe, meines 
ienen, und . . .” 
ch werde mir jagen, es gebe Menfchen auf 
welche weit erhaben über allen denjenigen, 
abe fennen lernen.” 
ſprach diefe Worte mit einem Zauber und 
e, welche einen Zug in diefe eherne Seele 
deren Körper man einſt Balfamo 


Frau if gut,” dachte er, „wenn man in 
ite berührt Hat, welche dem Herzen ents 


ih Oliva nähernd: 
biefem Abend an werben Sie den oberfien 
Haufes bewohnen. Es ift dies eine Wohs 
nd aus drei als Obfervatorium angebradh- 
n, über dem Boulevard und der Rue Saints 
ie Senfler gehen auf Menilmontant und 
Ginige Perfonen werden Sie dort fehen 
3 find friedliche Nachbarn, fürchten Sie dies 
Brave Leute ohne Verbindungen, ohne 
er das, was Sie fein dürften. Laſſen Sie 
en fehen, doch ohne daß fie ſich ausfegen, 
r8, ohne daß Sie fidy jedem Borübergehenden 
ı die Rue Saint:Claude wird zuweilen von 
ı von Herrn von Grosne durchforſcht; dort 
wenigftens Sonne haben.“ 


90 


Dliva klatſchte freudig in ihre Hänbe. 

„Soll ih Sie dahin führen ?” fragte Caglioſt 

„Diefen Abend?“ 

„Bewiß, diefen Abend. Iſt Ihnen das läftig? 

Dliva ſchaute Caglioftro tief an. Cine un 
ftimmte Hoffnung fehrte in ihr Herz oder vielmehr 
ihren eitlen und verborbenen Kopf zurüd. 

„Sehen wir,“ fagte fie. 

Der Graf nahm im Borzimmer eine Later 
öffnete felbft mehrere Thüren, flieg, von Oliva gefol 
eine Treppe hinauf und gelangte zum dritten St 
in die von ihm bezeichnete Wohnung. Sie fand I 
felbe gan ausgeftattet, ganz blühen», ganz wohnlid 

„Man follte glauben, ich wäre Hier erwartet w 
den,“ Ionte fie. 

„Nicht Sie,“ erwiederte der Graf, „Tondern I 
der ich die Ausſicht von diefem Pavillon liebe und 
bier ſchlafe.“ 

Der Blick von Oliva nahm die falben, bligen! 
Tinten an, welche oft die Augenfterne der Katzen fürbı 

Ein Wort entfland auf ihren Lippen, Gagliof 
hielt es durch die Aeußerung zurüd: 

„Es wird Ihnen an nichts fehlen, Ihre Kamm 
jungfer wird in einer Biertelftunde bei Ihnen fe 
Bute Nat, Mademoiſelle.“ 

Und er verihwand,, nachdem er eine tiefe, bu 
F gFreundliches Lächeln gemilderte Verbeugung gema 

atte. 

Die arme Gefangene ſank, beſtürzt, vernichtet, ı 
as Im einem zierlichen Alcoven für he bereit fleße: 
e 


„Sch begreife durchaus nichts von dem, was: 
wiberfährt,“ murmelte fie, mit den Augen dem wirfl 
für fle unbegreiflichen Manne folgend. 


— |. — — 


d1 
—* 
s LAU. | 
Das Obfervatorium. 


RNiva legte fily nad dem Abgang der Kammer: 
x, welde ihr Gaglioftro ſchickte, zu Bett. 

Sie fchlief wenig, die Gedanken aller Art, welche 
hrer Unterredbuug mit dem Grafen entitanden, 
ihr nur wache Träume, fchlaftrunfene Beängfti- 
n; man ift nicht lange Zeit glüdlih, wenn man 
ch und zu ruhig if, nachdem man zu arm ober zu 
t geweſen war. 

Hiva beklagte Beauflre, fie bewunderte ben 
n, den fie nidt begriff, fie hielt ihn nicht für 
tern, fie hatte ihn nicht im Berbacht der Unem: 
ichfeit. Sie hatte gewaltig bange, von einem 
ven während ihres Schlafes beunruhigt zu werben, 
as geringfle Geräuſch des Bodens verurfachte 
je jeder Romanhelvin, welche in dem Nord⸗ 
me fchläft, befannte Aufregung. 

Rit dem Morgenroth entflohen die Schredniffe, 
nicht ohne Reiz waren... Wir, die wir une 
fürchten, Heren Beaufire Argwohn einzuflößen, 
önnen wohl behaupten, daß Nicole die Stunde 
llkommnen Sicherheit nicht ohne einen Reſt cos 
n Mergers erblidte. Eine unüberfegbare Nuance 
den Binfel, der nicht unterzeichnet hat: Watteau, 
de Feder, die nicht unterzeichnet hat: Marivaur 
Srebillon Sohn. 

Im Tage erlaubte fie fich zu fchlafen, fie genoß 
die Wolluft, in ihrem buftenden Zimmer bie 
ınen Strahlen der aufgehenden Sonne einzus 
i, die Vögel auf der Fleinen Terrafle hinfaufen 
en, wo ihre Flügel mit teijenbem Geraͤuſch die 
r der Roſenſtöcke und die Blüthen des fpanifchen 
Ins ftreifter 


92 


Und es war fpät, fehr fpät, da fie aufftand, ale 
zwei bis drei Stunden eines füßen Schlafes auf ihren 
Augenlidern gelaftet hatten, als fie, gewiegt zwifchen 
dem Lärmen der Straße und der weichen Lähmung 
der Ruhe, fich flarf genug fühlte, um wieder die Bes 
Inegung zu ſuchen, zu ftarf, um müßig und liegend zu 

eiben. 

Dann lief fie in allen Winkeln ihrer neuen Woh—⸗ 
nung umher, in der ber unbegreifliche Sylphe, der 
Unwiffende, nicht einmal eine Fallthüre Hatte finden 
fünnen, um mit ben Ylügeln ſchlagend um das Bett 
u gleiten, und es hatten doch die Sylphen in jener 
Bit, dem Grafen von Gabalis fei es gedanft, nichts 
von ihrem unfchuldigen Rufe verloren. 

Dliva erichaute die Reichthümer ihrer Wohnung 
in ber infachheit des Unvorhbergefehenen. Diefe 
Meiberhaushaltung war Anfangs ein Männermobiliar 
geweien. Man fand bier Alles, was das Leben geliebt 
maden fann, man fand hier befonders den hellen Tag 
und die frifche Luft, welche die Kerker in Bärten vers 
wandeln würden, wenn je die Luft und bas Licht in 
ein Srfängnib drängen. 

Die kindiſche, das heißt die vollfommene Freude 
fhildern, mit der Oliva auf die Terraffe lief, fi auf 
die Platten, mitten unter die Blumen und Moofe, legte 
einer Natter ähnlich, weldye aus ihrem Neſte kommt, 
wir würden es fiherlih thun, hätten wir nicht Ihr 
Grftaunen zu malen, fo oft ihr eine Bewegung eim 
neues Scyaufpiel enthüllte, 

Anfangs, wie wir gefagt, liegend, um nicht von 
Außen gefehen zu werben, betrachtete fie durch das 
Gitter des Balcon die Bipfel der Bäume auf ben 
Buulevards, die Häufer des Duartier Popincourt, 
einen nebeligen Ocean, deſſen ungleiche Wogen ſich zu 
ihrer Rechten aufthürmten. 

Don Sonne übergoflen, das Ohr auf das Geräuſch 
der, allerdings etwas —B auf dem Boulevard rol⸗ 


nl 93 


nden Wagen gefpannt, blieb fie fo fehr glüdlich zwei 
Stunden lang. Sie frühflüdte fogar Shocolade, die 
jre Kammerjungfer ihr vorfegte, und las eine Zei- 
ıng, ehe fie daran dachte, auf die Straße zu ſchauen. 

Das war ein gefährliches Vergnügen. 

Die Leithunde von Herrn von Erosne, diefe 
ienfchlichen Hunde, welche die Nafen im Winde jagen, 
nannten fie fehen. Welch ein furdhtbares Erwachen 
ach einem fo fügen Schlafe ! 

Dog diefe Horizontale Lage konnte nicht fort: 
ähren, fo gut fie war. Nicole erhob fih auf einen 
Mlenbogen. . 

Und nun ſah fie die Nußbäume von Menilmon- 
ınt, die großen Bäume des Friedhofs, die Myriaden 
on Häufern von allen Karben, welche am Abhange des 
Jerges von Charonne bis zu den Chaumont-Bügeln 
nter grünem Geſträuche oder auf gypsartigem mit Heibes 
raut und Difteln befleivetem Geſtade emporragten. 

Da und dort auf den Wegen, ſchmalen am Halſe 
er Bergchen wogenden Bändern, auf ben Yußpfaden 
er Weingärten, auf ben weißen Straßen, traten Eleine 
ebende Weien hervor, Bauern auf ihren Efeln trabend, 
finder auf das Feld, das man ausgätete, gebüdt, 
Binzerinnen die Traube in der Sonne entblößend. 
die Ländlichkeit entzüdte Nicole, die immer nad) der 
hönen Gegend von Taverney geſeufzt hatte, ſeitdem 
e diefe Gegend verkaflen, um ſich nad dem erfehnten 
zaris zu begeben. 

Endlich aber war fie des Landes fatt, und ba fie 
tne bequeme und fichere Stellung in ihren Blumen 
enommen hatte, da fie zu fehen verftand, ohne daß fie 
zefahr Lief, gefehen zu werden, fo fenkte fle ihre Blicke 
on dem Berge nach dem Thal, vom entfernten Horizont 
u den Häufern gegenüber. 

Ueberall, das heißt in dem Raume, den drei Häufer 
mfaſſen förnen, fand Dliva die Fenſter geſchloſſen 
der wenig « swechend. Hier drei Stockwerke bewohnt 





94 


! 
von alten Rentiers, welche Käfige außen anhingen & 
oder Kaben innen fütterten; dort vier Stodwerle, von 
denen nur ber Auvergnat, der oberfie Bewohner, in 
den Bereich des Geſichtes kam ... die anderen Mieths⸗ 
leute fchienen abwefend, irgendwohin nad) bem Lande 
verreiſt. Endlih, ein wenig zur Linken, im britten 
Haufe, gelbe feidene Borhänge, Blumen, unb wie 
um bdiefes Wohlbehagen zu meubliren, ein weicher 
Lehnftuhl, der am Fenfter feinen Traumer ober feine 
Träaumerin zu erwarten fchien. 

Dliva glaubte in dieſem Zimmer, beflen ſchwarze 
Dunkelheit die Sonne hervorhob, etwas wie einen m 
regelmäßigen Bewegungen wanbelnden Schatten zu ber 
merfen. 

Sie beſchränkte hierauf ihre Ungebuld, verbar 
fi noch befier, als fie es bis jegt geihan Hatte, rie 
ihre Kammerjungfer und knüpfte mit ihr ein Geſpräch 
an, um Abwechſelung in die Bergnügungen der Gins 
famfeit durch die der Gefellfhaft eines benfenden und 
befonders ſprechenden Geſchöpfes zu bringen. 

Doch die Kammerjungfer war gegen alle Uebers 
lieferungen jurüdhaltene. Sie wollte wohl ihrer Ge⸗ 
bieterin Belleville, Charonne und den Bere sLachalfe 
erklären. Sie fagte die Namen ber Kirchen Gaint- 
Ambroife und Saint-Laurent; fie bezeichnete in krum⸗ 
mer Linie das Boulevard und feine Neigung zum rech⸗ 
ten Ufer der Seine; als aber bie Brage aut die Nach⸗ 
barn fiel, fand bie KRammerjungfer ein Wort. Gie 
fannte viefelben nicht mehr, als ihre Bebieterin. 

Das helldunkle Zimmer mit den gelben feibenen 
Borhängen wurde Dliva nicht erflärt. Nichte über 
den wandelnden Schatten, nichts über den Lehnſtuhl. 

Hatte Dliva nicht die Befriedigung, ihre Nach⸗ 
barin zum Voraus zu kennen, fo konnte fie fih wenig- 
ſtens verfprechen, ibre Befanntfchaft durch fich felb 
zu machen. Sie ſchickte alfo ihre zu verfchwiegene 


95 
En weg, um fi ohne Zeugen ihrer Forſchung 


zu . 
3 die Gelegenheit ließ nicht auf fich warten. Die 
ichbarn fingen an ihre Thüren zu öffnen, ihre Siefta 
ch dem Mahle zu machen, fidh zum Spaziergange auf 
io Blace Royale oder auf dem Chemin Bert anzu: 


en. 

Dliva zählte fie. Es waren ſechs, gut aflortirt in 
:er Unäbnlichfeit, wie es fi für Leute geziemt, die 
» die Rue Saint⸗Claude zur Wohnflätte gewählt 


en. 

Dliva bradte einen Theil des Tages damit zu, 
ß fie ihre Geberden betrachtete und ihre Gewohn⸗ 
iten ſtüdirte. Sie ließ Alle die Revue paffiren, mit 
ısuahme bes erwähnten Schatten, der, ohne fein Ge⸗ 
pt zu zeigen, ſich in den Lehnſtuhl beim Fenſter bes 
aben hatte und in eine unbeweglihe Träumerei vers 
wfen- war. 

Es war eine Frau. Sie hatte ihren Kopf ihrer 
zarfünftlerin überlaffen, welche in anderthalb Stun: 
n auf dem Schädel und den Scläfen eines von 
sen babylonifchen Gebäuden errichtete, in welche die 
ineralien, die Begetabilien fommen, und worein aud 
siere gefommen wären, hätte fig Leonard darein ge 
iſcht und hätte eine rau jener Zeit eingewilligt 
is ihrem Kopfe eine Arche Noah mit ihren Bewoh⸗ 
en zu machen. 

n als diefe Tran frifiet, gepndert, weiß an 
ss und Spitzen war, \guartierte Fe fih wieder in 
ren Lehnfiuhl ein, den Kopf getragen von Kiffen, 
elche Hart genug waren, baß dieſer I des Körpers 
6 Gleichgewicht des ganzen Körpers Bielt und dem 
tonumente bes Haares unberührt zu bleiben geflattete, 
me eine Angf vor Erdbeben, weldye die dlage 
füttern Tonnten. 

Diefe unbewegliche Zrau glich jenen indiſchen auf 
re Sitze gefeilten Göttern, denn in Folge ber Starrheit 


» 
des Gedankens rolite bas Auge allein in 
— 

na 

s Geiftes allein ben Dieaf des Yaols: 

Dliva bemerkte, wie ſehr diefe Dame, fe’ 
Gabi war, wie tebt {fr Fuß, anf den Hanse 
ſters geſtellt und in einem Heinen Bantoffel we 
Atlas tiae gefhantelt, zart und Aunreih war. Gie | 

erte die Rundung des Armes und bie bes 

ven Schnurleib und das Morgengewanb 3 
21 fe vs * aber gan han »auffel, has u 
auf ein un tes, unbeimuetı 
gefbanzten Gebankens, eines fo gebieteri ( 


te, daß cf 
3 °Diefe Iran, welde wir erlannt haben, w 
fie Diva nicht zu erkennen vermochte, —* 
man kdunte ſie ſehen. Ihren FJenſtern 
Rp nie ein Bene: geöffnet. Das son 
von Gagliohro Hatte nie, trob ber Blumen, 
- gefunden. K oe der He fe At 
eben, irgen and fein 

eben‘ von den Malern, bie es wi 

n nie ein lebendes Weſen am 


— 
ee —1 — gen don 0 tofro im 
5 


9 
‚en Be a ri * Andrei 


i 
fe; 7 fe —A * 
ehle yo — won 





= 


ihre Die Dame 355 I fe Lab er d 


—— — 5 — ie habſch⸗ Berfon von HE 
a Saften. 
Pe x ver Schoͤnheit, Spmpaigie 1 


97 


iſamkeit, im Alter, in ber Langweile, wie viele 
nde, um zwei Seelen mit einander zu verfnüpfen, 
fi vielleicht in Folge der geheimnißvollen, unwider⸗ 
lichen und unüberfeßbaren Gombinationen der Ge⸗ 
de ſuchten. 

Seitdem Dliva biefe nachfinnende Einſame per 
en Hatte, konnte fie ihr Auge nicht mehr von ihr 
machen. 

Es lag eine Art vou moralifcher Reinheit in dieſer 
ziehung der Frau zur Fran. Diefe Zartheiten find 
vöhnlicher, als man im Allgemeinen glaubt, unter 
ı unglüdliden Geichöpfen, deren Körper der 
npfagent in den Functionen bes Lebens gewor= 


ı ift. 

Arme Berbannte aus dem geifligen Parabies, 
nen fie fih nach den verlorenen Gärten und ben 
heinden Engeln zurüd, die fih unter ben myſtiſchen 
Hatten verbergen. 

- Dliva glaubte eine Schwefter ihrer Seele in der 
önen Klausnerin zu fehen. Sie baute einen Roman 
nlih ihrem Roman auf, denn fie bildete fich ein, 
8 arme Mädchen, man Fönne nicht Hübfch, elegant 
n und in der Rue Saint:-Claude verlsren wohnen, 
ne ein großes Unglüd im Grunde feines Lebens oder 
“ fchwere Bangigfeit im Grunde feines Herzens zu 


ben. 

Als fie ihre romantifche Zabel gut von Erz und 
iamanten gefchmiebet Hatte, ließ fi Dliva, wie alle 
ısnahmsweifen Naturen, durch ihre Feerei entführen, 
: nahın Flügel, um im Raum ihrer Befährtin ent- 
gen zu eilen, der fie, in ihrer Ungebuld, Hätte Flügel, 
e die Iheigen, wachfen fehen mögen. 

Dod die Dame mit dem Monument rührte fi 
Gt, fe ſchien auf ihrem Stuhle zu fchlummern. 
wei Stunden waren vergangen, ohne daß file um 
nen Brad aus ihrer Linie gewichen war. 

Das Salsband der Königin. II. 7 


8, 

Dliva war iu ie Hätte für 4 
ober r Beauflre des Entgege 
mens_gehabt, dat annte hatte, 

Des Krieges x Bärtligplelt 
Haß übergehend, 8 fie aehmumı 
Genfer; zehnmal Igel aus dem 
terwerf auf, und ielegraphiſch 
berden. welche da ertzeuge don 
von Grosne, we Bonlevarb obı 


Ende der Rue Saint. Claude gegangen wäre, unfı 
erſchaut und zum @egenflanb einer ſcharfen bus 
famfeit gemacht hätte. 

Endlich tam Nicole dazu, daß fie RG il 
die Dame mit den ſchonen legten babe alle gr 
berben wohl gefehen, alle ihre Signale wohl ber 
aber fie veraßte biefelben; fie fei eitel ober ein! 
einfältig! mit fo feinen, geiftreichen Augen, mi 
fo fo, beneptigen Buß, einer fo nuruhigen Hand! 


Gitel, ja; eitel, wie es in biefer Zeit eine 

vom gaben del gegen eine Bürgerlide fein kom 

Diva, welche in der Boyiognomie der jungen 

alle Eharaftere der Mrifofratie erfannte, ichi⸗ 

fei Beifärtig — folglich unmoͤglich zw beivegen. 
te ver; 

—A iehenen Bihmaler den Biden 
deud, fepte fie ch wieder in bie — — 
die untergeende Sonne, um in die © 
Saunen —8 gefälliger Geſpi⸗ mb 
aus adelig, auı zu, aud gepubert, au ca 
wie bie vornehm| Er Damen, ſich doc berüßten, 
einen Yet und TE A 

jebenden Berührungen den Kuß des des 
Kuß der Liebe ermi — * 

Nicole bedachte nicht, Pr diefe Bei 5 
tige Jeanne von Baloi6, Gräfin von La Mı 
die feit bem vorhergehenden Tag einer Ennta| 


9 


Daß diefer Gedanke zum Zweck hatte, Marie Ans 
inette und den Gardinal von, Rohan zu verhindern, 
h zu fehen. 

Daß ein noch größeres Inte fie heiſchte, daß der 
ardinal, während er die K abgefondert nicht 
ehr ſah, feſt glaubte, er fe mer, und fich folg⸗ 
ch mit dieſer Bifion begnü aufhörte, den wirf: 
hen Anblid zu verlangen. 

Ernñe Gedanken, ſehr 'gerashte Entihuldigungen 
x Diefe Vertiefung einer jungen Frau, day fie zwei 
dılide Stunden hindurch den Kopf nicht bewegte. 

Hätte Nicole dies Alles gemußt, fie würde fidh 
icht aus Zorn unter ihre, Blumen geflüchter haben, 

Eie hätte nicht, indem fie fich hineinfegte, vom 
alcon einen Topf mit Gfchwurz geflogen, der mit 
nem furchtbaren Lirmen in die öde Straße hinabfiel. 

Erſchrocken ſchaute Oliva fchnell, welchen Schaden 
e wohl angerichtet habe. 

Die in Gedanken verſunkene Dame erwachte bei 
m Geräuſch, ſah den Topf auf dem Pflafter und flieg 
yn der Wirfung zur Urſache auf, das heißt ihre Augen 
iegen vom Bflafter der Straße zu der Terrafle des 
aufes auf. 

Und fe fah Dliva. 

Als fie dieielbe fah, fie fie einen heftigen Schrei 
us, einen Schrei des Schreckens, einen Schrei, der 
it einer rafchen Bewegung ihres ganzen, kurz zuvor 
och fo Reifen und eifigen Körpers endigte. 

Die Augen von Dliva und die diefer Dame begegne- 
un fidy endlich, beiragıen fih, durchdrangen einander. 

Jeanne rief zuerft: 

„Die Königin !“ 

Dann murmelte fie, indem fie die Hände und die 
Stirne faltete, ohne daß fie fih zu rühren wagte, aus 
— ‚Re fönnte die jeltfame Erſcheinung entfliehen 


7 ich fuchte ein Mittel, Die | iR es. “ 


+ 







“ 3 
v⸗ 


Im biefem Auger 
fi, und fle waundte 





Austauſch des Erty H. 
„Sie haben !" fagte ex. 
Dlivaderlie| Balcon. 


„run. 
„Die zwei Rachba 


Bon dem alugenbiid an, we 
ſchaut Hatten, Rellte ich Dliva, 
die Anmuth ihrer Nachbarin, nie 
tete fie diefelbe, und indem fie 
ihren Blumen umwandfe, erwie 
Lächeln jedes Lächeln, das man a 
Eaglioftro, als er fie befuchl 
Taffen, I bie größte Umficht zu 
"felondere" Halten Gie nilpt 
Hatte er gefagt. B 
Diefes Bart war wie ein I 
Haupt von Dliva geiallen, die fd 
figung aus den Geberden und &r 
madıte. 
Nicht zur Vachbarſchaft Hal 
diefer reigenden Frau zuwenden 
gend und fo fanft waren, bei 
eine Verführung enthielt, e6 Bi 
einen 1elegrapbligen Rosenwechfel 
das fchöne Wetter zu unterhalten, 
Freundin breden. Denn die Winbildungs! 
Dlioa lief dergefalt, daß Jeanne fipon für | 
tereffanter: und thenrer Gegenſtand war, 


101 

Die Dudmäuferin antwortete ihrem Befchüker, 
e würbe fi) wohl hüten, ihn ungehorfam zu fein, 
nd nichts unternehmen, um Mt' der Nachbarſchaft in 
jerbindung zu treten. Doch ögipar nicht fo bald weg⸗ 
egangen, als fie fih fo aufs Balcon einrichtete, 
aß fie die ganze Aufmerffamieit ihrer Nachbarin in 
Infprudy nahm. * 

Dieſer, man kann es wo glauben, war nichts 
‚eber; denn das erfte Entgegenftommen, das man ihr 
achte, erwiederte fie mit Grüßen und mit Kuß- 
Anden. 

Dliva entſprach nach ihren beften Kräften biefen 
:ebenswürbigen Zuvorfommenheiten, fie bemerfte, daß 
ie Unbefannte das Fenfter nicht mehr verließ, und 
aß fie, immer aufmerffam, um entweder ein Lebewohl 
u fenden, wenn fie wegging, vder einen guten Morgen, 
venn fie zurüdfam, alle ihre Liebesfähigfeiten auf 
em Balcon von Dliva concentrirt zu haben fchien. 

Auf einen ſolchen Zuftand der Dinge mußte raſch 
in Annäherungsverfuch folgen. 

Man vernehme, was geichah. 

Als Caglioſtro zwei Tage nachher zu Dliva Fam, 
eflagte er fich über einen Beſuch, der im Hotel von 
iner unbefannten Perſon gemacht worden fei. 

„Wie fo?" fragte Dliva, ein wenig erröfhend. 

„Ja,“ ermwiederte der Graf, „eine fehr hübfche, 
unge, elegante Dame ift erfchienen und hat mit einem 
Jedienten gefprochen, den fie durch ihr beharrliches 
äuten herbeigesogen. Sie fragte dieſen Menfchen, 
ver die junge Perfon fein möchte, die den Pavillon 
es dritten Stodes, Ihre Wohnung, meine Theure, 
nne hätte. Diefe Frau bezeichnete ficherlich Sie. ‚Sie 
yollte Sie fehen. Sie fennt Sie alfo; fie bat Ab- 
:hten auf Sie; Sie find alfo entdeckt? Nehmen Sie 
ich in Adht, die Polizei bat weiblihe Spione, wie 
nännliche Agenten, und id) fage Ihnen zum Voraus, 


102 


daß ich es Herrn von Croene nicht abſchlagen Tann, 
Sie herauszugeben, ın er Gie von mir forberk® - 
i reden, erfannte ſchaeli de⸗ 
wußte ihr unendlich Dat 
‚ und entichloffen,, ihr Dies 
Rehenden Wittel zu .bewels 











durch alle in ihrer 
fen, verlellte fie fi Ar dem Orafen. 
„Sie zittern nid fagte Gaglioro. 
„Niemand hat mich gefehen,“ erwieberte Kite, 
„Alfo wollte man,niht Sie befugen?“ . 
434 denfe nicht.” 

„Dod, um zu erraiben, daß eine Bram im biefem 
Balin — nghmen Sie ſich in Act, nehmen 

ie fi in A " 

„@i! Here Graf,“ entgeguete Dliva, „wie. Minute 
ich fürdten? Hat man mid geichen, was iM nigt 
glaube, fo wird man mich nicht mehr fehen, uab wein 
man mich fähe, fo wäre es von fern, denn mit 
wahr, das Haus iſt undurchdringlich 3“ — 

Undurchdringiich, ganz arg 
Graf, „denn wenn man nicht die I 
was nicht fehr bequem ift, oder d 
mit einem Gchlüffel, wie der mein 
u leicht ÜR, infofern ig ihn 
laffe 

Lei dieſen Worten zeigte er d 
ihm zum @inttitte dur) die Hintere 

Da ig aber,“ fuhr er fort, „da ft 
bei habe, Cie in’6 Berberben zu hürzeı 
Sclüffel Niemand leihen, und da Ih 
daraus erwücfe, daß Sie in die Hä 
Grosne fielen, fo_werden Gie Ihre 
Hettern laffen. Gie find alſo gewa 
— xichien Sie Ihre Sache ſo ei 
liebt. 

Dliva ergoß fi in Bethenrung 
beeilte ft den Grafen jur Thüre 


103 


was ihr nicht ſchwer wurde, da er nicht zu beharrlich 
zu bleiben fuchte. 

Am andern Morgen war fie von fehs Uhr an 
auf dem Balcon; fie athmete die reine Luft der benachs 
barten Hügel ein und ſchoß neugierige Blicke nad 
den geichloffenen Fenſtern ihrer artigen Freundin. 

Diefe, welche gewöhnlich erft gegen elf Uhr er- 
wachte, zeigte ſich, ſobald Oliva erfhien. Es war 
jogar, als lauerte fie hinter den Borhängen auf die 
Belegenheit, fich fehen zu laffen. 

Die zwei Frauen grüßten fih, und Seanne legte 
ich vor ihr Benfter hinaus und ſchaute nach allen 
Seiten, ob fie Jemand hören fünnte, 

Niemand erfchien. Nicht nur die Straße, fondern 
auch die Fenfter der Häufer waren verlaflen. 

Sie hielt nun ihre beiden Hände in Form eines 
Spradrohres vor ihren Mund und fagte mit einer 
yibrirenden und getragenen Betonung,. welche fein 
Schreien ift, aber weiter geht, als der Schall der 
Stimme, zu Dliva: 

„Sch wollte Sie befuchen, Madame.” 

„St!“ madte Dliva, indem file erfähroden zus 
rückwich. 

Und ſie legte einen Finger auf ihre Lippen. 

Jeanne tauchte ihrerſeits hinter ihre Vorhänge, 
m Glauben, es ſei eine indiscrete Perſon zugegen; 
‚och ſogleich erſchien ſie wieder, beruhigt durch das 
rächeln von Nicole. 

„Man fann Sie alfo nicht beſuchen?“ fragte fie. 

„Leider nein!” antwortete Diiva mit der Geberde. 

„Warten Sie,” fagte Jeanne. „Kann man Briefe 
ın Sie richten ?" 

„Dh! nein,“ rief Dliva erfähroden. 

Jeanne dachte einige Augenblidfe nad. 

„Dliva, um ihr für ihre zarte Theilnahme zu 
anken, fandte ihr einen reizenden Kuß zu, ben Jeanne 


* 


ppelt zurüdgab; wonach fie ihr Genfer ſchloß 


ee fagte fi, ihre Freundin Gabe ein neues 
tittel efanden, das Schaffen ihrer Stnbiibungstzaft 
abe fi in ihrem legten Blicke geoffenbart. 
Jeanne kehrte in der That nach zwei Stunden w 
:üd; tie Sonne ſtrahlte in ihrer gan anjen Kraftz des 
Bilafter der Straße glühte wie ber Sand Spaniens 
währen bes Zu 
Dliva fah ihre Nachbarin an ihrem Fenſter mil 
einer Arabran erfcheinen. Jeanne bebentete ihr lachend 
durch ein Zeichen, fie möge auf die Geite treten. 

Dliva gehorchte, wie ihre Gefährtin lachend, uub 
flüchtete ſich Hinter ihren Laden. 

Seanne zielte forgfältig und ge eine Heine Sicierne 
Kugel ab, welde leiver, flal-_ über den Balcen' zu 
fliegen, an einer der eifernen Elanam anpralite um 
auf die Straße fiel. 

Dliva fließ einen Schrei des Berbruffes am 
Seanne zudte ent die Achſeln, ſuchte einen Ran 
in a en, aut ber Straße und verſchwand bay 
auf einige M 

Dliva baute, vorgebeugt, vom Balcon hin⸗ 
eine Art von Lumpenſammler rechts und Ih 
fuhend vorüber: ſah er oder fa Fr R, dt die Au 

in der Goſſe? Oliva mußte es nid veibarg | 
um telbr nicht gefehen zu werben. 
Der zweite yr von — war glädfi, 

Ihre Armbruf ſchleuderte getren Aber den We 
in das Zimmer von Nicole eine zweite Sul, 
welche ein in folgenden Worten abgefaßtes Billel 
widelt war: 

„Sie intereffiren mi, ſchoönſte Dame. 
Sie teizenb und liebe Sie nur, da —FR Eng ' 
Sie find alfo eine Gefangene? Wiſſen S X 
es vergebens verſucht habe, Sie zu. —* 
der Zauberer, der Sie mit ſchar den Augen 5 


105 


ni Ihnen nähern laſſen, baß ich Ihnen fagen 
|, was ih an Sympathie für ein armes Opfer der 
ınnei der Männer empfinde? 

„Ich habe, wie Sie, die Einbildungsfraft, um 
ıen reundfchaften zu dienen. Wollen Sie meine 
ındin fein? Es fcheint, Sie fünnen nicht auss 
n; dod Sie fönnen ohne Zweifel fchreiben, und 
ch ausgehe, wann ich will, warten Sie, bis id 
r ihrem Balcon vorüberfomme, und werfen Sie mir 
: Antwort zu. ' 

„Würde das Spiel mit der Armbruft gefährlich 
man entdedte es, fo wählen wir ein Mittel, Leichter 
orrefpondiren. Laflen Sie von Ihrem Balcon in 
Abenddämmerung einen Knäuel Bindfaden herab- 
jen; befeſtigen Sie Ihr Billet daran, ich werde dann 
meinige daran fnüpfen, das Sie hinaufziehen 
en, ohne gefehen zu werben. 

„Bedenken Sie, baß ih, wenn Ihre Augen feine 
er find, ein wenig auf die Zuneigung zähle, die 
mir eingeflößt haben, und daß wir Beide das 
tall befiegen werden. 

„Ihre Freundin.“ 


„RS. Haben Sie Jemand mein erfles Billet aufs 
n ſehen?“ 

Seanne unterzeichnete nicht; fie hatte fogar ihre 
dichrift gänzlich verftellt. . 
Dliva bebte vor Freude, als fie diefes Billet er: 
. Sie antwortete mit folgenden Zeilen: 

„Sch liebe Sie, wie Sie mich lieben. Sch bin 
‚er That ein Opfer der Bosheit der Männer. Doch 
enige, welcher mich hier zurüdhält, ift ein Bes 
ger und fein Tyrann. Er beſucht mich insgeheim 
nal des Tags. Ich erkläre Ihnen dies Alles fpäter. 
I Heraufziehen des Billets am Ende eines Fadens 
nir lieber, als die Armbruft. 

„Ad! nein, ich Faun nicht ausgehen: ich bin unter 
loß und Riegel, doch das ift zu meinem Beſten. 


106 


5! wie viele Dinge häfte ich Ihnen zu fagen, wäre 
y je fo alüklidy, mit Ihnen zu plaudern. Es gibt 
» viele Kinzelnheiten, die man nicht fchreiben fann. 

„Ihr erftes Billet if von Niemand aufgehoben 
worden, wenn nicht von einem fchmugigen Lumpen⸗ 
fammler, der vorüberging, doc ſolche Leute können 
nicht lefen, und für fie it Blei Blei. 

Ihre Freundin 
Oliva Legay. 

Oliva unterzeichnete mit allen ihren Kräften. 

Sie machte der Oräfin das Zeichen des Abwickelns 
eines Fadens. Sie wartete dann, bis der Abend kam, 
und ließ den Knäuel auf die Straße hinabrollen. 

Jeanne war unter dem Balcon, ergriff den Faden 
und nahm das Billet ab, lauter Bewegungen, welde 
ihre Gorrefpondentin an dem Raden, der als Reiter 
diente, bemerfte, und fehrte in ihr Haus zurüd, um 
zu lefen. 

Nach einer halben Stunde knüpfte fie an bie be: 
glückende Schnur ein Billet folgenden Inhalte: 

„Man thut Alles, was man will ... Sie werben 
nicht unabläflig beradt, da ih Sie immmer allein 
fehe ... Sie müflen alſo alle Freibeit haben, di 
Leute zu empfangen, vder vielmehr ſelbſt auszugeben 
Mie wird Ihr Haus gefhloflen? mit einem Schlüſſel 
Mer hat dieien Echluffel? nicht wahr, der Dann, dr 
Sie befuht? Bewacht er dieien Sclüffe fo bar 
nädig, daß Sie ihn nicht entwenden oder einen Abdrı 
davon nehmen fünnen? ... &s handelt fih nicht darn 
Böſes zu thun, fondern Ihnen einige Stunden ' 
Breiheit, ſüße Spaziergänge am Arme einer Freun 
zu verfchaffen, die Sie über all Ihr Unglüd trö 
und Ihnen mehr geben wird, als Sie verloren ha’ 
Es handelt ſich ſogar, wenn Sie durchaus mollen, 
die gänzliche Kreiheit. Wir wollen dieſen Gegeni 
bei der eriten Zuiammenfunft, die wir haben we 
in allen feinen Einzelnheiten verhandeln.“ 


17 


Hiva veridlang dieſes Billet. Sie fühlte das 
r der Unabbängıgfeit zu ihrer Range, die Wolluſt 
rbotenen Arudt zu ibrem Herzen emrortleigen. 
5ie hatte bemeift, Daß der Grat, fo oft er au 
ntrat, wobei er ibr bald ein Buch. bald ein 
brachte, feine Blenvlaterne auf ein Arbeitetifch: 
tellte und icinen Schlüſſel auf die Laterne legte. 
5ie bielt zum Voraus ein Stud gefnetetes Wachs 
‚ mit dem fie den Abvrud eines Schlüſſels bei 
riten Beſuche von Caglioſtro nahm. 

Nefer wandte nicht ein einziges Mal deu Kopf 
pihrend fie Diele Operation bewerfrelligte, ſchaute 
"dem Ba'con die neu erfcleflenen Blumen an. 
fonnie alſo ohne en ihr Borhaben durdys 


[8 der Grat weqgg en war, lieg Dliva in 
Schachtel den Abtrud des Schlüſſels hinab, den 
e mit einem fleinen Billet empfing. 
nd fhon am andern Tag gegen Mittag fchleus 
sie Armbruf, ein außerordeniliches und hurtiges 
, das gegen die Gurzejpondenz mit dem Faden 
ar, was der Tefegraph gegen den Courrier zu 
it, fchleuderte, fagen wir, die Armbruft ein 
baefastes Billet: 
Meine Thenerjte, heute Abend um elflihr, wenn 
‚af weggegangen fein wird, fommen Sie herab; Sie 
die Riegel zurüd und befinden fih in den Armen 
‚en, welche fi nennt Ihre zärtliche Freundin.“ 
liva bebte vor Freude mehr, als fie es je bei 
irtlichſten Billets vom Gilbert im Frühling ber 
Liebe und der erften Rendezvous gethan. 
sie ging um elf Uhr hinab, ohne daß fie irgend 
Argwohn bei dem Grafen bemerkt Hatte. Sie 
ınten Seanne, die fie zärtlich in die Arme fchloß, 
en auf dem Boulevard ſtehenden Wagen fleigen 
ınd ganz betäubt, ganz bebend, ganz berauidht, 
fie mit ihrer Sreundin eine Spazierfahrt von 







108 


zwei Stunden, während welcher Geheinmiſſe, Porn 
Entwürfe für die Zukunft ohne Unterlaß zwiſchen den 
zwei Gefährtinnen ausgetaufcht a 
Jeanne rieth zuerſt Dliva, nach — zuruͤck⸗ 
zukehren, um keinen Verdacht bei ihrem Beichäger zu 
erregen. Sie hatte erfahren, daß diefer Beſchüger 
Gaglioftro war. Sie fürdtete den erhabenen ‚GR 
—8 Mannes und fah nur Sicherheit für ihre Biläne 
im tiefften Geheimniß. 
Dliva hatte ſich ’ ne Rüdhalt erſchlofſen; Bean⸗ 
ſire, ade Polizei, fie Hatte Alles geflanden. 
Jeanne get ab A, für ein, ohne Biffen fei feiner .: de 
milie, mit einem @eliebten lebendes Fräulein 
Die Bine wußte die Andere —* 
nichts: ſo war die be je vreundſchaft N 
diefen zwei. Frauen befi 
Bon biefem Tage an Hatten fie weber bie Sim 
bruft, noch den Faden mehr nöthig. Jeanne hatte Ideen 
etüffl. Sie ließ Dliva nad ihrer Laune herab⸗ 
ommen 
Ein feines Abendbrod, eine geheime S lerfahri 
waren bie Koͤder, am denen ſich Dliva une fangen. 


lie *7. 
— „Entdeckt Herr von Caglioſtro nichts?" fragte. 
Seanne zuweilen ängftlich. . J 
„Er! in der That, wenn ich es ee 
würbe & ade nicht glauben wollen ,” erwieberte 
Tage machten aus biefen nädhtlidden Gais 
weichungen eine Gewohnheit, ein —— unb mehe 
noch, ein Vergnügen. Nach Verlauf von A ag x 
fand fih der Name von Seanne noch viel 
den Lippen von Dliva, ale ſich je ber vor ð 
und der von Beaufire darauf gefunden hatten. 










d 


109 


LXIV. 
Das Nendezwons,. 


Kaum war Herr von Charny auf feinen Gütern 
ngefommen, faum hatte er ſich nach den erſten Be⸗ 
hen in feine Wohnung eingefchloffen, als ihm der 
rzt Niemand mehr zu empfangen und das Zimmer 
ı hüten .verorbnete, was mit einer foldhen Strenge 
usgeführt wurde, daß nicht ein Bewohner des Kan⸗ 
ns den Helden des Seetreffens mehr erblidte, welches 
> viel Lärmen durch ganz Frankreich gemacht Hatte, 
‚ährend alle junge Mädchen ihn zu fehen fuchten, meil 


e anerfannt tapfer war an ihn ſchön nannte. 
Charny war indeffi t fo krank an Körper, 
[8 man glaubte. Er hat ein Uebel im Herzen und 


m Kopf, und guter Gott! welch ein Uebel... . einen 
harfen, unabläiftgen, unbarmherzigen Schmerz, ben 
Schmerz einer Erinnerung, welcher brannte, ven Schmerz 
ines Beklagens, welcher zerriß. 

Die Liebe ift nur ein Heimweh: der Abwefende 
eweint ein ideales Paradies, ftatt ein materielles 
Baterland zu beweinen. 

Herr von Charny hielt es nicht drei Tage ans. 
Bürhend, alle feine Träume durch die Unmöglichkeit 
ntfräjtet, durch den Raum zu nichte gemacht zu fehen, 
ieß er die von und erwähnte Verordnung des Arztes 
en ganzen Kanton durdjlaufen; dann übertrug Olivier 
ie Bewachung feiner Thüren einem erprobten Diener 
ınd ritt in der Nacht aus feinem Sclofle auf einem 
ehr fanften und fehr rafhen Pferde weg Nach acht 
Stunden war er in Berfailles, woer ein Feines Haus 
yinter dem Park durch die Bermittelung feines Kammer: 
zieners miethete. 

Diefes Haus, das feit dem tragiſchen Tob von 
sinem von den abeligen Jägermeiftern, der fih den 


110 


Hals abgefchnitten, verlaffen war, fagte Charny vor: 
trefflih zu, denn er wollte fid) bier mehr verbergen, 
als auf feinen Gütern. 

Es war anitündig ausgeflattet, hatte zwei Thüren, 
von denen die eine auf eine öde Straße, die andere auf 
die Runvdallee des Parkes ging, und von den Yenftern 
gegen Süden funnte Charny in die Hagen.bucenalleen 
fhauen, denn dıe Keniter, deren Läden fi umgeben 
von Weinreben und Epheu öffueten, waren nur Tbüren 
eines fur Seden, der in den füniyliden Vark hätte 
ſpringen wollen, etwas erhabenen Erdgeſchoſſes. 

Diefe damals ſchon etwas feltene Nachbarfchaft 
war das Privilegium, das man einem SJagdinfpector 
gegeben hatte, damit er ohne Mühe das Tammild und 
die Faſanen Seiner Majekät bemachen konnte. 

Man ftellte fih, wenn man nur dieſe heiter 
von einem fräftigen Grün umrahmten Fenſter ſah, 
den ſchwermüthigen Sägermeifter vor, wie er ſich an 
einem Herbflabend mit den Ellenbogen auf das in 
der Mitte fügte, während die Hirſchlühe ihre fihlanfen 
Beine auf dem dürren Laub fradyen ließen und auf 
dem von Bäumen umfclofjenen Raſen unter einen 
falben Strabl der untergebenren Sonne fpielten. . 

Diefe Sinfamfeit gefirl Charny vor allem Anderer 
* dies Liebe für die Landſchaft war, werten wir ba' 

eben. 
Sobald er eingerichtet, fobald Alles gut verfchlofl 
war und fein Bedienter die ehrerbielige Neugierde ! 
Nachbarſchaft getilgt hatte, fing Charny, vergefl 
wie er vergaß, ein Leben an, das ichon in ber 9 
Seven beben machen wird, weldyer in feinem Er' 

wallen geliebt oder von der Liebe hat fprechen bon 

In weniger als vierzehn Tagen kannte er 
Gewohnheiten des Schloſſes, die der Wachen, er fi 
die Stunten, zu denen der Bogel aus den % 
trinft, zu denen der fcheue Damhirſch den fcheuen 
vorſtreckend vorüberzieht. Er wußte die guten St 


siergänge der Königin oder ihrer Damen, den 
ck der Runden, er lebte mit einem Wort von 
denjenigen, welche in dieiem Trianon, dem 
einer wahnfinnigen Anbetungen, lebten. 

die Jahreszeit ſchön war, da die milden, duf⸗ 
ächte mehr Freiheit feinen Augen und mehr 
nte Traumerei feiner Seele gaben, fo bıachte 
Theil derfeiben unter den —2 ſeines 
zu, lauſchte auf die entiernten Geräuſche, 
m Balafte famen, und folgte durch die Deff- 
m Blätterwerf dem Spiel der bis zur Stunde 
afengehens in Bewegung gefepten Lichter. 

> genügte ihm das Fenſter nicht mehr. Er 
ntiernt von diefem Geräuſch und Dielen Lich» 
icher,, zu diefer Stunde Niemand zu begegnen, 
nden, nicht Wachen, ſprang er von feinem 
ıf den Rafen hinab und fudte die föhliche, 
wlihe Wolluf, bis an den Saum des Bes 
: geben, auf die Grenze, welche den dichten 
vom glänzenden Mondſchein trennt, um von 
Silhouetten zu befragen, welche ſchwarz und 
ater den weißen Borhängen der Königin hin⸗ 


diefe Art fah er fie alle Tage, ohne daß fie 


rfannte fie auf eine Biertelmeile, wenn fie, 
n Damen oder mit einem ihr befreundeten 
wandelnd, mit ihrem chinefifhen Sonnen: 
ielte, der ihren großen, mit Blumen verzierten 
‚üßte. 

. Gang, feine Haltung fonnte ihn täufchen. 
: alle Kleider der Königin auswendig und 
itten unter den Blättern den großen grünen 
f mit Bändern von einem gewäflerten Schwarz, 
ırch eine feufch verführerifche Körperbewegung 
2 


ß. 
wenn die Erſcheinung verſchwunden war, wenn 


der Abend, bie Spazi 
den Statuen bes Saul 
biefes geliebten Echa: 
tam Sharny zu feinen 
fern durch eine Deffn 
genust hatte, das gl; 

inigin, hernach das 
lebte er von der Erl 
er von ber Bewegun 
hatte. 

Gines Abende, ı 
war, als er zwei Str 
an bie abweienden & 
von den Sternen fal 
auf den Gphenblätter 
im Begriff, fein Jen 

u begeben; da Hirı 
Nhäglern an fein DE 
tungepoften zuräd un 

Die Stunde war 
in ben von Berfailles 
wunberte fh, daß e 
nicht gewöhnt war. 

Diefes wiberfpär 
dene vom Park, un 
vom Haufe von Olivi 
etwa_an großen Jagdi 
zulaſſen. & 

Tharnij bemerkti 
nicht ſprachen; fie f 
Ale, die ſich unter 


beizog. 

Sie Baumflämn 
verfleideten hinreiche 
fie im Borübergehen 

Meberbies büdteı 
Kopf und beſchleunig 


113 


erworren im Schatten. Nur erfannte er am Raufchen 
flatternden Röde zwei Srauen, beren feidene Man: 
a an den Imweigen hinftreiften. 

Diefe Frauen, indem fle ſich um die große, dem Fenſter 

Charny gegenüber liegende Allee wandten, wurden 
ı freiften Mondſtrahl umbüllt, und Charny hätte 
sabe einen Schrei freudigen Erftaunens ausgefloßen, 

er bie Haltung und den Kopfpuß von Marie Ans 
vette, fowie den untern Theil ihres Gefichtes trotz 
düfteren Refleres vom Schilde des Hutes erkannte. 
> Hielt eine fchöne Rofe in der Hand. 

Mit bebendem Herzen ließ fi Eharny von feinem 
ıfter herab in den Barf gleiten. Er lief auf dem 
afe, um fein Geräufch zu machen, verbarg ſich dabei 
ter den dickſten Bäumen, und folgte mit dem Blick 
. zwei Grauen, welche jede Minute langfamer gingen. 

Was follte er thun? Die Königin hatte eine Be- 
iterin; fie lief feine Gefahr. Oh! warum war fie 
bt allein! er hätte den Foltern getrogt, um ſich ihr 
nähern und auf den Knieen zu ihr zu fagen: Ich 
be Sie! Oh! warum war fie nicht von einer unge: 
tren Gefahr bebroht, er hätte fein Leben Hingeworfen, 
ı diefes koſtbare Leben zu retten! 

Mährend er, taufend tolle ZärtlichFeiten träumend, 
dies Alles dachte, fanden die zwei Wanblerinnen 
lich File; die Bine, die Kleinere, fagte ein paar 
orte zu ihrer Befährtin und verließ fie. 

Die Königin blieb allein; man fah pie andere 
me ihren Bang gegen ein Ziel befchleunigen, das 
any noch nicht errieth. Die Königin, welde mit 
em Fleinen Zuß auf den Sand klopfte, lehnte fi 
einem Baum an und hüllte fih fo in ihre Man- 
e, daß fie fogar den Kopf mit der Kapuze bedeckte, 
(de einen Augenblic zuvor in weiten ſeidenen Falten 
f ihren. Schultern wogte. 

Als fie Eharny allein und fo träumerifh ſah, 
Das Salöbend der Königin. III. 8 


115 


arum hatte er verborgen gewartet? Warum Hatte 
ı die Königin durch ihre Begleiterin holen laffen, 
tt felbf zu ihm zu gehen? 

Charny hätte beinahe den Kopf verloren. Er 
nnerte ſich indefien, daß fich die Königin mit geheim: 
zvoller Politik befchäftigte, daß fie oft Intriguen mit 
ı deutſchen Höfen anfnüpfte, Berbindungen, auf 
ide der König eiferfüchtig war” und die er ftrenge 
bot. 


Bielleicht war diefer myfteriöfe Eavalier ein Cours 
r aus Berlin oder Schönbrunn, ein abeliger Herr, 
: eine geheime Botichaft überbracdhte, eine von ben 
stichen Figuren, wie Ludwig XVI feine mehr in 
tfailles fehen wollte, feitvem der Kaiſer Sofeph II. 
Frankreich einen Curſus der Philoſophie und der 
tifchen Politif zum Nugen feines Schwagers, bes 
erchriftlichften Königs zu machen fidy erlaubt Hatte. 

Der Eisbinde ähnlich, welche der Arzt auf eine 
m Fieber glühende Stirne anwendet, erquidte diefe 
ee Dlivier, den armen Dlivier, gab ihm den Ber- 
nd wieder und befchwicdhtigte das Delirium feines 
ten Zornes. Die Königin beobachtete übrigens eine 
tung voll Anftand und fogar voll Würde, 

Drei Schritte entfernt flehend, unruhig, aufmerks 
n, lauernd, wie die Freundinnen oder die Duennen 
. den Bartien von zwei männlichen und zwei weibs 
yen Perſonen von Watteau, flörte die Begleiterin 
ch ihre dienfteifrige Angft Herrn von Charny in 
nem ganz feufchen Vifiren. Doch es ift ebenfo ge⸗ 
wlich, bei politifchen Rendezvous ertappt zu werben, 
I es befchämend ift, bei Liebesrendezvous ertappt zu 
den. Und nichts gleicht mehr einem Verliebten, 
ein Berfchwörer. Beide Haben denfelben Mantel, 
jeibe Empfindlichkeit des Ohrs, diefelbe Unficherheit 
: Beine. | 

Charny Hatte nicht viel Zeit, diefen Betrachtungen 
Yzuhängen. Die Begleiterin verließ ine Stellung 


und durchbrach van Beil, 
eine Bewegung, als 
erhielt ohne Bieifel (em aba 
Gharny verfedte RG Hinter 
Sicherich würde die Gruppe, fı 
in Brüden an ihm vorüberkon 
wrädgalten, die Gnomen und 
ſchos, fei es der Erde, ſei es 
Briten, bie mar as Gingige, mu 


In diefem Augenblit glaubt 
von heller Muance an ber tönigl 
geten a, (den; ber Gavalier 
6 zum Grafe, erhob Ah dann 
furhtsvollen Bewegung und —— 
digkeit feines Abgangs ließe | 
bezeiäinen. 
Dod er wurde in feinem | 
terin der Königin au jehalten , 
Heinen Sanel, Turüdeie and ihı 
Salto, m mit aite Stimme. das 2 
Barten Sie!“ 
&s war ein fehr gehorfamer Saratin, Dane 
blieb a den Steile Ari en und wartele, . 
Eharny fah nun bie zwei Frauen, Ki 
Arm haltend, zwei Saritte v 2. feinen v. 
übergehen; bie buch bem 
Suft machte bie Shannfice in —* 
dar Sünden von Eharny wog 
ie fühlte den Wohlgerni den er bei der Bielgle 
pda gewohnt wat: Gil fenfrant mit Befeba_ von 
miſcht — eine doppelte ae — feine Gimme 
und I Beinnerung, 
Frauen Ingen vorfl 


3 Mi: * . bern 
um Band — ahead ee N * 


der Königin bis zur Thüre za mehr — 


117 


: küßte mit Leidenfchaft, mit Wahnflnn eine ganz 
ifche, balſamiſche Rofe, welche ficherlich diejenige 
ar, deren Schönheit Charny bemerft hatte, als die 
'önigin in den Park eintrat, und die er fo eben den 
‚änden jeiner Fürftin batte entfallen fehen. 

Eine Rofe, ein Kuß auf diefe Rofe! Handelte 
fi um Botfchaft und Staatsgeheimnifle? 

Eharny wäre beinahe von Sinnen gefommen. Er 
ar im Begriff, auf diefen Menſchen loszuftürzen und 
im bie Blume zu entreißen, als die Begleiterin der 
önigin wiebdererfhien und dem Unbekannten zurief: 

„Kommen Sie, Monfeigneur.” 

Charny glaubte, ein Prinz von Geblüt fei gegen 
ärtig, und lehnte fih an einem Baume an, um nicht 
alb todt auf den Rafen zu finfen. 

Der Unbekannte eilte auf die Seite, woher bie 
stimme fam, und verfhwand mit der Dame... 


LXV. 
Die Hand der Königin. 


Als Charny, von diefem furdhtbaren Schlag ganz 
rmalmt, in feine Wohnung zurüdgefehrt war, fand 
: feine Kräfte mehr gegen das neue Unglüd, das ihn 


af. 

So Hatte ihn die Vorfehung nad Berfailles zu- 
icfgeführt, ihm viefes Eoftbare Verſteck gegeben, einzig 
nd allein, um feiner Giferfucht zu dienen und ihn 
nem von der Königin mit Hintanfegung aller ehelichen 
teblichteit, aller königlichen Würde, aller Liebestreue 
sgangenen Verbrechen auf die Spur zu bringen. 

Es ließ fi nicht bezweifeln, der fo im Parke 
mpfangene Mann war ein neuer Liebhaber. Im Zieber 





118 


ver Nacht, im Delicium | 
Gharny vergebens zu U 
Rofe erhalten, fei ein 4 
nur ein Pfand geheimer 
zu fehr gefährbenden Br 

Rits konnte gegei 

. gewinnen, Ss⸗ blieb dei 
brig, als fein eigenes 

u fragen, warum er fl 
— ſo völlig leiden 

Mit ein wenig Ra 
als den Infinet zu begr 
boten hatte, 

Juden Beftighen $ 
Handlung augenblidlih 
lichen Ratur hervor, un 
puls gegeben hat, iſt wi 
menfegung ber @ewohn: 
ihren Höfen Brad von 
Ticpfeit getrieben, Hattı 
Ed Ir a, weil 

fürftin nichts angingen, 
gend, feine Liebe zeigte, 
mitrirend, ich verrieth, 
iR eine ſchlechie Stellu 
überweifen will. J 

Hatte er nicht gehandelt, fo war öles 
weil er, um einen mit dem Töniglie 
geehrten Mann anzugehen, Gefahr laut 
einen gehäffigen, abgeſchmackten Gireit,. 
von lnterhalt au verfallen, was. die 
verziehen hätte. 

Das Wort Monfelgneut, am Bade von 
ligen Begleiterin Hingefe leubert, war ferner glei 
eine heilſame wenn and) fyäte Warnung, weich⸗ Ehe: 
indem fie ihm gerade in feiner 
Augen öffnete, gerettet hatte. Was wäre ans | 


* 


ch 


£ 


119 


geworben, wenn er, ben Degen gegen biefen Mann in 
der Hand, ihn Hätte Monfeigneur nennen hören? Und 
welches Gewicht nahm nicht fein Fehler an, indem es 
von einer fo großen Höhe herabfiel ? 

Dies waren die Gedanken, welche Charny während 
der ganzen Nacht und der erften Hälfte des folgenden 
Tages in Anfprud nahmen. Sobald die Mittagfunde 
gefhlagen hatte, war der vorhergehende Tag nichts 
mehr für ihn. Es blieb nur noch die fieberhafte, vers 
jehrende Erwartung ber kommenden Nacht, während 
welcher vielleiht andere Dffenbarungen ericheinen 
würden. 

Mit welcher Bangigkeit ftellte fich der arme Charny 
an das Fenſter, das, der einzige Aufenthalt, der uns 
überfchreitbare Rahmen feines Lebens geworben war. 
Betrachtete man ihn unter den Weinranfen, hinter den 
im Laden angebrachten Löchern, denn er befürchtete, 
fehen zu lafien, daß biefes Haus bewohnt war, betradhs 
'ete man ihn in diefem Viereck von Bichenholz nnd 
wünem Laubwerk, hätte man nicht glauben follen, es 
yare eines von den alten Portraits verborgen unter 
en Borhängen, welche ven Ahnen in den alten Herren 
infern die fromme Sorge der Familien zuwirft ? 

Es fam der Abend und brachte unferem glübenben 

päher die büfteren Wünfche und die tollen Gebanfen. . 
Die gewöhnlichen Geräuſche fchienen ihm neue 

deutungen zu haben. Er erblickte in der Ferne bie 

nigin, welche mit einigen Yadeln, die man ihr 

antrug, liber die Freitreppe fehriit. Die Haltung 
Königin fam ihm nachdenkend, unficher, ganz bewegt 
der Aufregung der Nacht vor. 

Allmälig erloſchen alle Lichter vom Dienfte. Der 

k füllte fih mit Stillfchyweigen und Kühle. Sollte 
nicht glauben, die Bäume, welde ſich bei Tage 
engen, zu flrogen, um den Bliden zu gefallen und 

Borübergehenden zu liebfofen, arbeiten in ber 

, wenn Niemand fie flieht und Niemand fle berührt, 





wurde 
"ine Zodesbläfe überKrömte Die Bi 
en ale er a m namen in der « 
e amen mu ten ai 

fe am Lane vorher gemacht hatten, und gingen zı 
unter ben Wenflern von Gherny vorüber. 9 

Er ſprang wie am vorhergehenden Tage Hin 
fo bald fie fern genug waren, baß ſie ihn la = 
hören Eonnten, und während er hinter jevem ein we 
diden Bann ging, fpwur er Ah, King, Rast, ua 








121 


findlih zu fein; nicht zu vergeflen, daß er der Unter- 
han und fiedie Königin; daß er ein Dann, das heißt 
ur Ehrfurdt verbunden, daß fie eine Frau, das heißt 
erechtigt, Rüdfihten zu verlangen. 

Und da er feinem ungeflümen, flets zum Ausbruch 
eneigten Charafter mißtraute, fo warf er feinen Degen 
inter einen Holderbufh, der einen Kaftanienbaum 


mgab. 

Mittlerweile waren die zwei Damen zu demfelben 
rt wie am Tage zuvor gelangt. Aud wie am vor 
ergebenden Tage erfannte Charny die Königin, und 
ice umhüllte ihre Stirne mit ihrer Caleche, während 
ie dienfteifrige Freundin aus feinem Verſteck den Un⸗ 
tHannten holte, den man Monfeigneur nannte. 

Diefes Verſteck, was war e8? das fragte fidh 
Harny. Wohl lag in der Richtung, welche die Ges 
illige nahm, der Apollo:Badefaal, befhügt von ben 
oben Hagebuchen und dem Schatten feiner marmornen 
ilafter; doch wie Eonnte ſich der Unbefannte bier 
sehergen? wo Fam er herein ? 

Charny erinnerte fi), daß auf diefer Seite des 
sarfes eine Eleine Thüre vorhanden war, ähnlich ber, 
elhe die Damen öffneten, um zum Rendezvous zu 
ımmen. Der Unbefannte hatte ohne Zweifel einen 
schlüffel zu diefer Thüre. Er fehlüpfte hier durch bis 
ı den Apollo» Bädern und wartete, bis man ihn holte. 

Alles war auf.diefe Art feftgeftellt; dann entfloh 
Ronfeigneur durch diefelbe Thüre nad feiner Unters 
dung mit der Königin. 

Eharny erblickte nad) einigen Minuten den Mantel 
nd den Hut, wie er esam Tage vorher gefehen Hatte. 

Diesmal ging der Unbekannte auf die Königin 
icht mehr mit der ehrfurchtsvollen Zurüdhaltung zu; 
e kam mit großen Schritten, ohne daß er zu laufen 
agte, doch ſchneller gehend wäre er gelaufen. 

An ihren großen Baum angelehnt, feste fich die 
önigin auf den Mantel, den diefer neue Raleigh für 


122 


fie ausbreitete, und während die wachſame Freundin 
wie am Tage vorher lauerte, Eniete der verliebte Herr 
auf das Moos nieder und fing an mit einer leiden 
ſchaftlichen Geſchwindigkeit zu reden. 

Einer verliebten Schwermuth preisgegeben, neigte 
die Königin das Haupt. Charny hörte die Worte des 
Gavaliers nicht, aber die Melodie. Die Rede hatte 
das Bepräge der Poefle und der Liebe. Jede von ben 
Betonungen ließ fich in eine glühende Bethenrung 
überjegen. 

Die Königin antwortete nichts. Der Unbelannte 
verdoppelte indeffen die Liebfofung feiner Reben; zus 
weilen fam es Charny, dem elenden Gharny, vor, ale 
follte das Wort, in jenes harmonifche Schauern ges 
hüllt, verfländlich werden, und dann würbe er vor Wurf 
und @iferfucht fterben. Doch nichts, nichts. In dem 
Augenblid, wo die Stimme fidy aufflärte, zwang eine bes 
zeichnende Geberde der horchenden DBegleiterin ben leis 
denichaftlichen Rebner, den Klang feiner Elegien zu 
dämpien. 

Die Königin beobadhtete ein hartnädiges Gtills 
ſchweigen. 

Bitten auf Bitten häufend, was Charny aus der 
vibrirenden Melodie ſeiner Bepßungen errieth, erhielt 
der Andere nur die ſüße Einwilligung des Stillſchwei⸗ 
gens, eine ungenügende Gunſt für die glühenden Lippen 
welche die Liebe zu trinken angefangen haben. 

Doch plöglie entfhlüpften der Königin ein paa 
Morte. Man muß es wenigftens glauben. Sehr uı 
terdrückte, jehr erſtickte Worte, da fie der Unbekann 
allein vernommen hatte; doch faum Hatte er fie u 
nommen, als er im Uebermaß feines Entzüdens, 
daß er fich felbft hörbar machte, ausrief: 

f apanf, o meinen Danf, ſüße Majefät! Mor 
a ve" 

Die Königin verbarg ihr ſchon fo gut verborg: 

Gefiht vollends gänzlich. 


123 


Charny fühlte einen eifigen Schweiß, — den To: 
desſchweiß, Iangfam in fehweren Tropfen, von feinen 
Schläfen berabfließen. 

Der Unbekannte hatte die beiden Hände der Königin 
gegen ſich ausftreden fehen. Er nahm fie in bie feis 
nigen und brüdte einen fo langen und zärtlidden Kuß 
darauf, daß Charny während feiner Dauer den Schmerz 
aller Martern Eennen lernte, welche die wilde Menfch- 
heit den höllifhen Barbareien geflohlen hat. 

Als diefer Kuß gegeben war; erhob fih die Köni- 
gin rafch und ergriff den Arm ihrer Gefährtin. 

Beide entflohen, wie am Tage vorher, an Eharny 
vorüber. 

Der Unbefannte entfloh ebenfalls, und Charny, der 
den Boden nicht hatte verlaffen fünnen, an den ihn bie 
Lähmung eines unſäglichen Schmerzes gefeflelt hielt, 
vernahm unbeftimmt das gleichzeitige Geräufch zweier 
Thüren, die man wieder fchloß. 

' Wir werden es nicht verfuchen, die Lage zu ſchil⸗ 
dern, in der ſich Charny nach diefer gräßlichen Ents 
bedung befand. 

Die Nacht verging für ihn in wüthenden Gängen 
durch den Park, durch die Alleen, benen er in Ber: 
zweiflung ihre firafbare Mitfchuld zum Vorwurf machte. 

Einige Stunden lang wahnfinnig, fand Charny 
feine Bernunft erſt wieder, als er in feinem blinden 
Lauf an den Degen fließ,. den er weggeworfen hatte, 
am nicht in Berfuchung zu gerathen, fich defielben zu 
bedienen. 

Diefe Klinge, die ihm zwiichen die Beine Fam 
und feinen all verurfachte, rief ihn plöglih zum 
Gefühl feiner Stärke, wie zu dem feiner Würde zurück. 
Ein Mann, der einen Degen in feiner Kauft fühlt, 
fann nur, wenn er nody wahnwißig ift, fi damit 
burchbohren, oder den durchbohren, welcher ihn belei= 
digt Hat: er hat weder mehr das Recht, ſchwach zu 
fein, noch das, Furcht zu haben. 


Charny wurbe wieder, m 
Rarker Geift, ein räftiger Köıy 
wahnfinnigen Läufe, bei benen 
rannte, und sing gerabe und | 
von ben Tritten. der zwei Braneı 
durchfurchte Allee. 

@r wollte den Plag beſuche 
feflen hatte. Die noch nlebergebr 
ihm fein Ungläd und bas Glüc 
u feufgen, Ratt die Dünfe b 
Kin Gehirn auffleigen zu laffen 
die Natur biefer verborgenelt Lie 
ſchaft der Berfon nad, die biefe 

Er unlerſuchte die Tritte db 
mit berfelben Aufmerkfamfeit, 
terfuchung der Fährte eines wi 
gegangen wäre. Gr elanie 

pollosBäbern. Er fah, inden 
erkletterte, @inbräde von Pfer 
heerung im @rafe. 

„Er tommt von dort her! 
Berfailles, fondern von Paris,“ 
Tommt allein, und morgen wirl 
man ihm gelagt bat: Morgen. 

„Bis dahin verfeplingen wir 
bie Thränen, die meinem Anz, 
Blut, das in Wellen aus meine 

„Morgen wird der Ichte T 
wenn nicht, fo bin ic ein Beige 

Sachte, fachte," ſprach 
fein erg Hopfte, wie ber Reiter 
Hiße geräth, anf den Hals Mloy 
die Prüfung noch nicht beendigt 

Nach diefen Worsen fehautı 
umher und wanbte bie Mugen v 
et das Fenſter der tremlofen 
fehen befürdptete; benn biefes 
ein neuer Bleden geweſen. 


125 


yentet nicht in der That ein beleuchtetes Fenſter 
ohntes Zimmer? und warum fo lügen, wenn 
3 Recht der Unverfhämtheit und der Ehrlofig- 
‚wenn man eine fo geringe Entfernung zwifchen 
orgenen Schande und dem öffentlichen Aergers 
idzulegen bat? . 
3 Fenſter der Königin war erleuchtet. 

lauben zu macden, fie fei zu Haufe, während 
defellfchaft eines Liebhabers im Parfe umher: 
zahrhaftig das ift Keufchheit ohne allen Nugen!“ 
arny, der feine Worte mit einer bittern Ironie 


ie ift zu gut, dieſe Königin, daß ſie ſich fo 
ns verftellt. Allerdings befürchtet fie vielleicht, 
emahl zu ärgern.“ 

Charny, indem er fi} die Nägel in das Fleifch 
fhlug mit gemefienen Schritten wieder den 
dh feinem Haufe ein. 

ie haben gefagt: Morgen,” fügte er bei, nad: 
über den Balcon geftiegen war. „Ja, mor⸗ 
. für alle Welt, denn morgen werben wir zu 
n Rendezvous fein, Madame !“ 


LXVI. 
Frau und Königin. 


: andere Tag bradyte diefelben Berlegenheiten, 
Leiden herbei. 

Thüre öffnete ſich beim Testen Schlage vor 
ht. Die zwei Frauen erfchienen. ° 

war, wie in den arabifchen Mährchen, die Be⸗ 
feit der Genien, welde den Talismanen zu 
ter Stunde gehorditen. 

arny Hatte alle feine Entſchluͤſſe gefaßt; er 


‚118 


der Racht, im Delirium feiner 
Eharny vergebens zu überrei 
Rofe erhalten, fei ein Botſch⸗ 
nur ein Pfand geheimer Meberi 
zu fehr gefährbenden Brief zu 

Nichte konnte gegen ven 

. gewinnen. Ss blieb dem arn 
übrig, als fein eigenes Bench 

u fragen, warum er ſich in | 
inglüde fo völlig leidend ver 

Mit ein wenig Rachdenl 
als den Inſtinct zu begreifen; 
boten hatte, 

Ju den Beitighen Krifen 
Handlung augenblidli ans t 
lien Ratur hervor, und biefe 
puis gegeben hat, iR nichts U 
menfegung der Gewohnheit w 
ihren —R Grad von Geſch 
Tigpfeit getrieben, Hatte Cha 
war dies ber Ball, weil ihn 
Fürftin nichts angingen, weil 
gend, feine Liehe zeigte, weil « 
mittirenb, fi verrieth, und b 
iR eine ſchlechte Stellung be 
überweifen will. 

Hatte er nicht gehandelt, 
weil er, um einen mit dem 
geehrten Mann anzugeben, & 
einen gehäffgen, abgeihmadt 
von Hinterhalt zu verfallen, 
verziehen hätte. 

Das Wort Monfeiguent, ai de von der 
ligen Begleiterin Hingefpleubert, war ferner 
eine heilfame, wenn auch fbäte Barnun; meine hau 
indem fie ihm gerade im felter Ba 
Augen öffnete, gerettet Hatte. Was wäre and: iie 








au 


ven, wenn er, den Degen gegen biefen Mann in 
and, ihn hätte Monfeigneur nennen hören? Und 
s Gewicht nahm nicht fein Fehler au, indem es 
ner fo großen Höhe herabfiel? 

ies waren die Gedanken, weldye Charny während 
nzen Nacht und der erften Hälfte des folgenden 
in Anfprud nahmen. Sobald die Mittagſtunde 
gen hatte, war der vorhergehende Tag nichts 
ür ihn. Es blieb nur noch die feßerhafte, vers 
re Srwartung ber fommenden Naht, während 
e vielleiht andere Offenbarungen erfcheinen 


1. 
Hit weldyer Bangigfeit ſtellte fidh der arme Charny 
: Zenfter, das, der einzige Aufenthalt, der uns 
reitbare Rahmen feines Lebens geworben war. 
htete man ihn unter den Weinranfen, hinter ben 
den angebrachten Löchern, denn er befürchtete, 
u laffen, daß diefes Haus bewohnt war, betradhs 
an ihn in diefem Biere von Eichenholz und 
ı Laudwerf, hätte man nicht glauben follen, es 
eines von den alten Portraits verborgen unter 
hängen, welche den Ahnen in den alten Herren 
n die fromme Sorge der Familien zuwirft? 
8 fam der Abend und brachte unferem glühenben 
r die düfteren Wünſche und die tollen Gedanken. 
ie gewöhnlichen Geräufche fchienen ihm neue 
tungen zu haben. Er erblidte in der Ferne bie 
in, welde mit einigen Fadeln, die man ihr 
rug, über die Freitreppe ſchritt. Die Haltung 
nigin fam ihm nachdenfend, unſicher, ganz bewegt 
rt Aufregung der Nacht vor. 
llmälig erloſchen alle Lichter vom Dienfle. Der 
üllte fih mit Stillfcyweigen und Kühle. Gollte 
icht glauben, die Bäume, welde ſich bei Tage 
ıgen, zn ftrogen, um ben Bliden zu gefallen und 
orübergehenden zu liebkoſen, arbeiten in der 
wenn Niemand fie fieht und Niemand fie berührt, 





120 


an der Wiederherftellung ihrer Sriiche, ihrer We 
rüche und ihrer Gefchmeidigfeit? Die Bäume un 
Pflanzen fchlafen in der That wie wir. 

Charny Hatte die Stunde bes Nendezvoni 
Königin wohl behalten. Es kolug Mitternadht. 

Das Herz von Eharny wäre bald in feiner ! 
gebrochen. Er drüdte fein Fleifh an das Gel 
des Fenfters, um die Schläge zu erftiden, weldye 
und geräufhvoll wurden. „Bald,“ fagte er zı 
felbft, „bald wird die Thüre fih öffnen, werds 
Riegel klirren.“ 

Nichts Hörte den Frieden des Gehölzes. 

Charny wunderte fih dann, daß er zum ı 
Mal daran dachte, zwei Tage ‚hinter einander | 
diefelben Creigniſſe nicht vor; nichts fei verbinpli 
diefer Liebe, wenn nicht die Liebe felbit, und bieje 
wären fehr unflug, welde, fo flarfe Gewohnheiten 
Fr nit zwei Tage Hinbringen Fönnten, 

zu fehen. 

„Ein geheimes Abenteuer,” dachte ECharny, „ 
fih die Tollheit darein mifcht.“ 

Sa, es war eine unbeftreitbare Wahrheit, die 
nigin würde nit am andern Tag die Unvorfidt 
vom vorhergehenden wiederholen. 

Ploötzlich klirrten die Riegel und die Fleine 9 
wurde geöffnet. 

Bine Todeshläffe überfirömte die Wangen 
Dlivier, als er die zwei Damen in der Kleidun, 
vorhergehenden Nacht erblidte. 

„Wie muß fie verliebt fein!“ murmelte er. 

Die zwei Damen madıten daflelbe Manoeuvre 
fie am Tage vorher gemacht hatten, und gingen 
unter den Benflern von Charny vorüber. 

Er fprang wie am vorhergehenden Tage 5 
fu bald fie fern genug waren, daß fie ihn nicht 
hören fonnten, und während er hinter jedem ein u 
diden Baum ging, ſchwur er fi, Hug, flarl, u 


121 


ih zu fein; nicht zu vergefien, daß er der Unter: 
und fie die Königin; daß er ein Mann, das heißt 
Shrfurcht verbunden, daß fie eine Frau, das heißt 
tigt, Rüdfichten zu verlangen. 

Und da er feinem ungeflümen, flets zum Ausbrud 
gten Eharafter mißtraute, fo warf er feinen Degen 
A einen Holderbufh, der einen Kaftanienbaum 


Mittlerweile waren die zwei Damen zu bemfelben 
wie am Tage zuvor gelangt. Aud wie am vor⸗ 
henden Tage erfannte Eharny die Königin, und 
umhüllte ihre Stirne mit ihrer Galeche, während 
ienfteifrige Freundin aus feinem Verſteck den Un, 
nten holte, den man Monfeigneur nannte. 

Diefes Verſteck, was war es? das fragte fi 
ny. Wohl lag in der Richtung, welche die Ge⸗ 
e nahm, der Apollo:Badefaal, befhügt von den 
ı Hagebuchen und dem Schatten feiner marmornen 
ter; doch wie Eonnte fi der Unbefannte hier 
tgen? wo fam er herein ? 

Sharny erinnerte fi, daß auf diefer Seite bes 
es eine Eleine Thüre vorhanden war, ähnlich ber, 
e die Damen öffneten, um zum Rendezvous zu 
en. Der Unbefannte Hatte ohne Zweijel einen 
iffel zu diefer Thüre. Er fchlüpfte hier durch bis 
n Apollo⸗Bädern und wartete, bis man ihn holte. 
Alles war auf.diefe Art feitgeftellt; dann entfloh 
jeigneur durch diefelbe Thüre nad) feiner Unters 
ıg mit der Königin. 

Tharny erblickte nad) einigen Minuten den Mantel 
ven Hut, wie er esam Tage vorher gefehen hatte. 
Diesmal ging der Unbekannte auf die Königin 
mehr mit der ehrfurcdhtsvollen Zurüdhaltung zu; 
m mit großen Schritten, ohne daß er zu laufen 
>, doch fchneller gehend wäre er gelaufen. 
An ihren großen Baum angelehnt, feste ſich die 
gin auf den Mantel, den diefer neue Raleigh für 


122 


fie ausbreitete, und während die wahfame Freun 
wie am Tage vorher lauerte, kniete ber verliebte H 
auf das Moos nieder und fing an mit einer leid 
ſchaftlichen Geſchwindigkeit zu reden. 

Einer verliebten Schwermuth preisgegeben, nei 
die Königin das Haupt. Charny hörte die Worte 
Gavaliers nicht, aber die Melodie. Die Nebe he 
das Bepräge der Poeſte und der Liebe. „Jede von 
Betonungen ließ fich in eine glühende Bethenr: 
überjegen. 

Die Königin antwortete nichts. Der Unbelan 
verdoppelte indeffen die Liebfofung feiner Reben; 
weilen fam es Charny, dem elenden Charny, vor, 
follte das Wort, in jenes barmonifhe Schauern 
hüllt, verftändlich werden, und dann würde er vor W 
und Eiferſucht ſterben. Doch nichts, nichts. Im i 
Augenblid, wo bie Stimme fidy aufflärte, zwang eine 
zeichnende Geberde der horchenden Begleiterin den 
denichaftlichen Nebner, den Klang feiner Elegien 
dampien. 

Die Königin beobachtete ein hartnädiges Gt 
ſchweigen. 

Bitten auf Bitten häufend, was Charny aus 
vibrirenden Melodie feiner Deugungen errieth, erh 
der Andere nur die füße Einwilligung des Stillichn 
gens, eine ungenügende Gunſt für die glühenden Lipy 
welche die Liebe zu trinten angefangen haben. 

Doch plöglidy entfhlüpften der Königin ein p 
Morte. Man muß es wenigftens glauben. Sehr 
terdrückte, jehr eriticdte Worte, da fie der Unbelan 
allein vernommen hatte; doch kaum hatte er fie ı 
nommen, als er im Uebermaß feines Gntzüdens, 
taß er fich felbft hörbar machte, ausrief: 

f ꝓDank, o meinen Dank, ſüße Majeſtät! Mor 
a ve" 

Die Königin verbarg ihr fon fo gut verborge 

Befiht vollends gänzlich. 


123 


Charny fühlte einen eifigen Schweiß, — den To: 
desſchweiß, Iangfam in fchweren Tropfen von feinen 
Scläfen Berabjließen. 

Der Unbekannte hatte die beiden Hände der gFonigin 
gegen ſich ausſtrecken ſehen. Er nahm fie in die ſei 
nigen und drüdte einen fo langen und zärtlichen Kuß 
darauf, daß Eharny während jeiner Dauer den Schmerz 
aller Martern Eennen lernte, welche die wilde Menfch: 
beit den höllifden Barbareien geftohlen bat. 

Als diefer Kuß gegeben war; erhob fidy die Köni- 
gin raſch und ergriff ven Arm ihrer Gefährtin. 

Beide eniflohen, wie am Tage vorher, an Charny 
vorüber. 

Der Unbekannte entjloh ebenfalls, und Charny, der 
den Boden nicht hatte verlafien können, an den ihn bie 
Lähmung eines unſäglichen Schmerzes gefeflelt hielt, 
vernahm unbeflimmt das gleichzeitige Geräuſch zweier 
Thären, die man wieder ſchloß. 

Wir werden es nicht verfuchen, die Lage zu ſchil⸗ 
dern, in der fih Charny nach diefer gräßlichen Ents 
deckung befand. 

Die Nacht verging für ihn in wüthenden Gängen 
durch den Park, durdy die Alleen, benen er in Ber: 
zweiflung ihre ſtrafbare Mitfchuld zum Vorwurf machte. 

Einige Stunden lang wahnfinnig, fand Eharny 
feine Bernunft erſt wieder, als er in feinem blinden 
Lauf an den Degen fließ, den er weggeworfen hatte, 
am nicht in Verſuchung zu gerathen, fich deſſelben zu 
bedienen. 

Diefe Klinge, die ihm zwiſchen die Beine Fam 
und feinen Ball verurfacdhte, rief ihn plöglich zum 
Gefühl feiner Stärfe, wie zu dem feiner Würde zurück. 
Ein Mann, der einen Degen in feiner Kauft fühlt, 
fann nur, wenn er noch wahnwißig iſt, fi damit 
bucchbohren, oder den durchbohren, weicher ihn belei⸗ 
bigt Hat; er hat weder mehr das Recht, ſchwach zu 
fein, noch das, Furcht zu haben. 





arte Geh, cn Haha Ana. Gr annhra | 
jarter Geif, ein de un 
BE 
tannte, umb ging gerade un! ! 
von den Zritten Ser wei Granen umb bed Unbefam 
durchfurchte Allee. 
Gr wollte den Llaßz befude 
ſeſſen hatte. Die noch ni jebr 
ihm fein Ungläd und das Glüc 
ju fenfzen, fatt die Dünfte d 
jein Gehirn auffleigen zu laffen 
die Natur biefer verborgenen Lie 
fait der Berfon nach, die biefe 
Er unterfudhte die Tritte d 
mit berfelben Aufmerkfamteit, : 
terfuchung der Fährte eines wi 
jegangen wäre. Gr erkannte 
pollosBäbern. Er fah, Inder 
erkletterte, Ginbräde von Pfeı 
heerurg im Graſe. 
n@e kommt von dort ker! 
Berfailles, fondern von Paris,“ 
tommt allein, umb morgen wirl 


fehen befürchtete; denn dieſes 
ein neuer leden gewefen. ' 


125 


Bedeutet nicht in der That ein beleuchtetes Fenfter 
ein bewohntes Zimmer? und warum fo lügen, wenn 
man das Recht der Unverfhämtheit und der Ehrlofig- 
feit bat, wenn man eine fo geringe Entfernung zwifchen 
der verborgenen Schande und dem öffentlichen Aergers 
niß zurüdzulegen bat? : 

Das Benfter der Königin war erleuchtet. 

„Blauben zu maden, fie fei zu Haufe, während 
fie in Gefellfchaft eines Liebhabers im Parke umber- 
lauft! Wahrhaftig das ift Keufchheit ohne allen Nugen!“ 
- Kr FZharny, der ſeine Worte mit einer bittern Ironie 
abſtie 
„Sie iſt zu gut, dieſe Königin, daß ſie ſich ſo 
gegen uns verſtellt. Allerdings befürchtet fie vielleicht, 
ihren Gemahl zu ärgern.“ 

Und Eharny, indem er ſich die Nägel in das Fleifch 
drückte, fchlug mit gemeflenen Schritten wieder den 
Weg nach feinem Haufe ein. 

„Sie haben gefagt: Morgen,” fügte er bei, nach⸗ 
dem er über den Balcon geftiegen war. „Sa, mor⸗ 
.ı gen!... für alle Welt, denn morgen werben wir zu 
| vier beim Rendezvous fein, Madame !" 
ey 

{ 


E LXVI. 
Frau und Königin. 


bt. Der andere Tag brachte diefelben Berlegenheiten, 

an! biefelben Leiden herbei. 

in Die Thüre öffnete ſich beim letzten Schlage vor 

da Mitternacht. Die zwei Frauen erfchienen. - 

- Es war, wie in den arabifchen Mährchen, die Be- 

alt ichfeit der Genien, weldje den Talismanen zu 
tee Stunde gehorchten. 

w ° Gharny Hatte alle feine Entfchlüffe gefaßt; er 

a6 5 


wolte an Bieten 9 

nen, ben die Königii 
Getreu feinen 

ihm nicht verkörpert 

Bäumen verber; en 

erreicht, wo fei 

getroffen waren, In 

Die Gefährtin 
won. die Mpollo:Bä 

Eine furdtbarı 
fpmetterte Gharny, 
Revligfeit Hatte er " 
koͤnnte fo weit gegen 

Läcelud und Ei 
ya at a 

err fie mit offenen 

Sie trat, eben 
Das eiferne Gitter | 

Die Gefährtin 
eine ganz gerbrödelt 
fäule an. 

Charny Hatte fe 
vermodten einem fo 
In dem Augenblid, 
Bertraute der Könl, 
Iarven, zu erkennen, 
fie zu erfiden viele 
der Strom nach ſet 
und eerſtickte ihn. 
rößelte einen Eat 
Ruhe der vor ben 
Rellten Schiliwage 

Eine innere Blu 
die E wieber geöffu... =... -or-- 

Gharny wurde dur bie Aix des 
die Beuchtigkeit der Erde, durch den le 


127 
ruck feines eigenen Schmerzes in’s Leben zurüdge: 


ufen. 

Er erhob ſich ſtrauchelnd, erkannte die Dertlich« 
eit, feine Lage, erinnerte fi und fuchte. 

Die Schildwache war verfchwunden, fein Geräuſch 
achte fi hörbar. Es ſchlug zwei Uhr auf einem 
kirchthurme von Berfailles, und dies beiehrte ihn, daß 
eine Ohnmacht lange gedauert habe. 

Ohne allen Zweifel hatte die gräßliche Viſton ver: 
chwinden müflen: Königin, Liebhaber, Beyleiterin 
atten Zeit gehabt, zu fliehen. Charny konnte fidy 
tevon überzeugen, indem er über die Mauer ſchaute 
nd bie Feilen Spuren des Abgangs eines Reiters 
rblidte. 

Diefe Spuren und die Brüche einiger Zweige in 
er Umgegend der ApollosBüder bildeten bie ganze 
leberführung des armen Charny. 

Die Naht war ein langes Delirium. Am Mor: 
en hatte er fich nicht bernhigt. : 

Blei wie ein Todter, um zehn Jahre gealtert, 
ief er feinen Kammerdiener und ließ fih in ſchwar⸗ 
en Sammet Eleiven, wie ein Reicher vom Bürgerftand. 

Düfter, ſtumm, alle feine Schmerzen verfhhlingend, 
ing er nah dem Schloffe Trianon in dem Augenblid, 
3 Pre abgelöft worden war, baß heißt gegen 
ehn Uhr. 

Die Königin trat aus der Kapelle, wo fie bie 
Nefie gehört hatte. 

Auf ihrem Wege neigten ſich ehrfurdhtsvoll die 
Töpfe und die Degen. 

Eharny fah einige Frauen roth vor Aerger, weil 
fe fanden, daß die Königin ſchön war. 

Schön, in der That, mit ihren ſchönen auf den 
Schläfen emporgehaltenen Haaren, ihrem Gefichte mit 
ven zarten Zügen, ihrem lächelnden Munde, ihren er- 
rübelen, aber von einer fanften Klarheit glänzenden 
ugen. 


lotzlich erblicdi 
Sie Kal und | 
von fi 
Veannd büdte 
während biefe König 
Unglüd las. Sie 
Rrengem Zone: 
36 glankt, € 
von Sant" 
in von 


wine er mit karz 
Sie blieb erden 

entging. 
em 9 


len 


! 

u deren as 
vertraulich mit Gen 
Gharny bebte. 

Unruhig über bi 

— —5* 8 


gun —X bi 


Dann drehte © 
Aubiren. 
Rechte und Linl 
deeſen Manoenvre d 
ollte er ben 
fe. " Armer Junge 
Ku ‚fe lehrie ¶ 
derem Tı 
‚De befinden € 
‚Sehr gut, Ma 
gut als Gut Majel 
Und er verbengte ſich auf eine Art, daß er du 


129 


PH mehr erfchredte, als er fie in Erflaunen ge⸗ 
gt hatte. 

„Dahinter ift Etwas," fagte die anfmerffame 
eanne. 

„Wo wohnen Sie denn gegenwärtig?“ fuhr die 
önigın fort. 

„In Verfailles, Madame,” erwiederte Olivier. 

„Seit wie lange ?” 

„Seit drei Nächten,” ſprach der junge Mann, in 
m er mit dem Blid, wit der Geberde und mit der 
stimme einen Nachdruck auf diefe Worte legte. 
bt Die Königin, offenbarte keine Bewegung; Jeanne 
bbte. 

„Haben Sie mir nicht etwas zu ſagen?“ fragte 
e Königin Charny mit einer engelifhen Sanftmuih. 

„Oh! Madame,” erwiederte diefer, „ich Hütte 
urer Majeftät nur zu viel zu fagen.” 

„Kommen Sie!" fprah Marie Antoinette un⸗ 
füm. 

„Baden wir,” dachte Jeanne. 

Die Königin ging mit großen Schritten nach ihren 
emächern. Jedermann folgte ihr nicht minder bewegt. ° 

Was Frau von La Mothe providenziell vorfam, 
ar der Umſtand, daß Marie Antoinette, um den Ans 
bein zu vermeiden, als fuchte fie unter vier Augen 
ı fein, mehrere PBerfonen ihr zu folgen aufforberte. 
Mitten unter diefe Perſonen fchlüpfte Seanne. 
Die Königin trat in ihr Gemach und entließ Frau 
on Mifery und ihren ganzen Dienft. 

Es war ein mildes, verfchleiertes Weiter; bie 
5jonne burchdrang die Wolfen nicht, doch fie ließ ihre 
Bärme und ihr Licht Durch ihre dichte weiße und blaue 
ütterung flefern. 

Die Königin öffnete das Benfter, das auf eine 
line Terrafie ging; fie ſetzte fih an ihr von Briefen 
eladenes Arbeitstifchchen und wartete. 

Dad Haldband der Königin. III. 





130 


Die Perfonen, weldye ihr gefolgt waren, beg 
altmänig ihren Wunſch, allein ju fein, und en 
ten ich. 

Ungeduldig, vom Zorn verzehrt, zerfnitterte € 
feinen ut zwifchen feinen Händen. 

„Sprechen Sie! fprechen Sie!” fagte die Kön 
„Sie fiheinen fehr beunruhigt zu fein, mein Her 

„Wie werde ich anfangen?“ fagte Eharny 
ganz laut dachte; „wie werde ich e8 wagen, bie 
die Treue, die Majeftät anzuklagen?“ 

„Wie beliebt?“ rief Marie Antoinette, indı 
fih lebhaft und mit einem flammenden Blid 
wanbte. 

„Und dennoch werde ich nur fagen, was ich gı 
babe,” fuhr Charny fort. 

Die Königin erhob ſich und ſprach mit kaltem 

„Mein Herr, es ift noch fehr früh am Mı 
daß ich Sie für betrunken halte; und dennoch nı 
Sie hier eine Haltung an, die fih fchlecht für 
terne Edelleute geziemt.' 

Sie erwartete, ihn durch diefe verädhtliche A 
niedergefchmettert zu fehen. Doch er fuhr unb 
lich fort: 

„Im Ganzen, was Ift eine Königin? ein 
Und ich, was bin ich? ein Mann ebenfowohl, al 
Untertban.” 

„Mein Herr !“ 

„Madame, verwirren wir nicht das, was ich ! 
fagen muß, durch einen Zorn, der auf eine Tı 
auslaufen würde. Ich glaube: Ihnen bewiefen 3 
ben, daß ich Ehrfurcht für die Fönigliche Majeftät | 
ich befürchte, bewiefen zu Haben, daß ich eine ı 
finnige Liebe für die Perfon der Königin hegte. 3 
Sie auch Ihre Wahl: auf weldde von Beiden, aı 
Königin vder die Frau, full dieſer Anbeter die Aı 
der Schande oder der Unredlichteit werfen ?“ 


Ei 


131 


„Herr von Charny,“ rief die Königin, indem fie 
erbleichend auf den jungen Mann zufchritt, „entfernen 
Sie ſich nit von hier, fo werde ih Sie Ha meine 
Wachen wegjagen laffen.” s 

„Sch will Ihnen alfo, che ich weggejagt werde, 
fagen, warum Sie eine unwürbige Königin und eine 
Frau ohne Ehre find,” rief Charny trunfen vor Wuth. 
„Seit drei Nächten folge ich Ihnen in Shrem Barker!“ 

Statt fie, wie er es hoffte, unter diefem furdht- 
baren Schlage aufipringen zu fehen, fab Eharny nur, 
daß die Königin das Haupt erhob und fi ihm 
näherte. “ 

„Herr von Eharny.” fagte fie, feine Hand ergrei- 
fend, „Sie find in einem Zufland, der mein Mitleid 
erregt; nehmen Sie fih in Adıt, Ihre Augen funfeln, 
Ihre Hand zittert, Bläffe bedeckt ihre Wangen, all ihr 
nalen fließt nach Ihrem Herzen. „Sie leiden, foll ich 
rufen ?“ 

„sch habe Sie gefehen,“ wiederholte er Falt, „ges 
fehben mit dem Wann, als Sie ihm die Rofe gaben; 
gefehen mit dem Mann, als er Ihnen die Hände Füßte; 
gefehen, als fie mit ihm in die ApollosBäder ein= 
traten.” 

Die Königin fuhr mit einer Hand über ihre 
Stirne, als wollte fie fich verfichern, daß fie nicht 
ſchlafe. 

„5Herr von Charny,“ ſprach ſie, „ſetzen Sie ſich, 
denn Sie werden umfallen, wenn ih Sie nicht halte, 
fegen Sie ſich, fage ich Ihnen.” . 

Eharny fank in der That in einen Lehnftuhl, die 
Königin feste fih zu ihm auf ein Tabvuret, nahm 
feine beiden Hände, ſchaute ihm big in den Grund feiner 
Seele und fprady: 

„Seien Sie ruhig, befhwichtigen Sie den Geiſt 
und das Herz und wiederholen Sie mir, was Sie ſo 
eben geſagt haben.“ g* 


+‘ 





132 
„Ob! wollen Sie mich töbten* murmelte ber Uns 


sr 
— Sie mich Sie befragen. Sen wars N 
Sie on Ihren Gütern zurüdgelehrt?“ 
„Seit vierzehn Tagen.” 
Wo wohnen Sie?“ 
„Im Haufe, des Jagermeiſters, das ch —XR 
gemiethet habe.“ 
„Ah! ja, das Hans des; Sebhmörbers, an der 
Grenze des Barte?“ * 
Charny bejahte durch eine Geberde. 2 
„Ste ſprechen von einer Perſon, die Sie mit ade 
geiehen hätten ?“ 
Gabe‘ „Ich ſpreche zunächſt von Ihnen, die ich beſete⸗ 
„Wo dies?“ Ber 
„Sm Varke.“ J 
"Zu welcher Stunde, an welchem Tag?“ “ 
„Um Mitternacht, am Dienflag znm erſten sul" 
„Sie haben mid gefehen?” 
„Wie ih Sie jet fehe, und ih Habe eu‘ Ye 
jenige gefehen, weldye Sie begleitete.“ 
„&s begleitete mich Jemand? Würden ie diefe 
Perſon erfennen?” 
„Borhin fam es mir vor, als fähe ih fe We 
Doch ich will es nicht behaupten. Nur die Haltung 
ähnlich; was das Geſicht betrifft, fo verbirgt man.te, 
wenn man foldye Verbrechen begeht.“ 
„But!“ fagte die Königin mit Buße: GSie haben 
meine —2— n nicht erkannt, aber mich 
„Dh! Sie, Madame, ich habe Sie —* ... 
Wie! ie, ih Sie nit?“ 
8 „gie fließB vor Nerger mit dem Fuß auf ven 
oden. 
„Und... ber Geführte,“ fagte fie, „berjenige, 
welchem ich eine Nofe gegeben Haben .. den beun Gie Gaben 
mich eine Roſe geben ſehen?“ 


133 


„sa: dieſer Gavalier, wie fonnte ich ihn ein- 
Holen ?” 

„Sie Fennen ihn jedoch?“ 

„Man nennt ihn Dionfeigneur; das it Alles, was 
ich weiß.“ 

Die Königin flug fich mit gebrängter Wuth vor 
die Stirne und rief: 

„Fahren Sie fort; am Dienftag Habe ich eine 
Rofe gegeben... und am Mittwoch?“ 

„Am Mittwod haben Sie Ihre beiden Hände zu 
Tüffen gegeben.“ 

„Oh!“ murmelte fie, indem fie ſich in die Hände biß. 
„Am Donnerfag endlich, geſtern?“ 

„Geſtern haben Sie anderthalb Stunden mit die— 
fem Daun in der Apollo-Grotte zugeßraht, wo Sie 
Ihre Begleiterin allein gelaflen Hatte.“ 

Die. Königin fand ungeſtüm auf. 

„Und... Sie... haben mih ... gefehen? 
fagte fie jede Syibe abſtoßend. 

Charny Hub eine Hand zum Himmel empor, um 
zu fchwören. 

„Oh! ... er fhwört !” rief die Königin ebenfalls 
von der Wuth fortgeriffen. 

Eharny wiederholte feierlih feine anklagende 
Geberve. 

„Mi? mich?” fagte die Königin, indem fie fi 
an den Bufen Fluvfte, „mich haben Sie gefehen ?“ 

„3a, Sie, am Dienflag trugen Sie Ihr grünes 
Kleid mit goldmoirirten Streifen; am Mittwoch Ihr 
Kleid mit blauem und roftiarbigem Altwerf. Geſtern 
Shr braungelbes Kleid, das Sie an hatten, als ich Ihnen 
zum eriten Dale die Hand füßte. Sie waren es! Sie 
waren es! Ich flerbe vor Schmerz und Scham, indem 
ih Ihnen auf mein Leben, auf meine Ehre, aufmeinen 
Goit fage, Sie waren ed, Madame! Sie waren es!“ 

Die Königin ging mit großen Schritten auf der 


134 


Zerraffe auf und ab, ohne ih bar 
daß fie ihre feitfame Aufregung bie 
ließ, welche Re von unten mit den A 
„Wenn id einen @id thäte, fag 
and bei meinem Sohne, bei meinen 
Ich habe einen Bott, mie Gie!... 
mir nidt!... er würde mir nicht gl 
Charny neigte das Hanpt, 
„Wahnfinniger!“ fügte die König: 
voll Önergie Die Hand fgüttele und 
in ıhr Zimmer zog. „&6 if alfo 
BolluR, die Wolluf, eine unfuldi 
anzuklagen; «6 if alio ein machtiges 
eine Königin zu entehren..: Glan 
ich Dir füge, daß nicht ich es bin, 
Haft, glanbk Du, wenn ich auf Ebrin 
feit drei Tagen nach neun Uhr nit 
bin? Soll ih Dir durch meine 8 
König, der mich hier gefehen, bewe 
nit anderswo fein fonnte? Neir 
nicht! er glaubt mic nidt!* 
„I babe geichen!“ erwieberte 
„O6!“ vier plöglic die König: 
weiß! In mir nicht ſchon diefe g 
dung in's Gefibt geichleudert worber 
nit auf dem Ball der Oper, dem 
miß bereitend, gefehen? Kat ma 
Mesmer in Gef den Reupiscigen 
maͤdchen eim Wergerniß gebend, gi 
we ie woßl, Gie, der. Gie Ad | 
yaben ?“ 5 
„Madame, zu jener Beit Habe { 
weil ich nicht "daran glaubte. 
fglagen, meil id daran glaubte.“ 
Die Königin. hob ıfre durd) die 
zen Arme zum Himmel empor, zwı 
nen rollten von ihren Wangen auf ihren Bufen! 





135 


„Mein Gott,“ ſprach fie, „ſchicke mir einen Ge: 
ınfen, der mich rettet. Diefer bier foll mich nicht 
rachten, o mein Gott!“ 

Eharny fühlte ih bis in den Grund des Herzens 
ırch dieies einiache und Fräftige Gebet gerührt. Er 
rbarg feine Augen in feine beiden Hände. 

Die Königin dachte einen Augenblick ftillfchweigend 
ch, dann ſprach fie: 

„Mein Herr, Sie find mir eige Genugtbuung 
huldig. Vernehmen Sie die, weldye ich von Ihnen 
wbere: Drei Nächte hinter einander haben Sie nıid) 
ı meinem Barf in Geiellfchaft eines Mannes gefehen. 
zie wußten jedoch, daß man ſchon Mißbrauch von der 
‚ehnlidyfeit gemacht, welche irgend eine Frau im Ge: 
cht und im Gang mit mir, der unglüdlichen Rönigin, 
at; doch da Sie lieber glauben wollen, ich fei es, 
elche in der Nacht herumlaufe, da Sie fagen werden, 
4 fei es, ſo kehren Sie in den Park zu derfelben 
Stunde zurüd, fehren Sie mit mir dahin zurüd. Bin 
h es, die Sie geftern gefehen, fo werden Sie mid 
othwendig heute nicht mehr fehen, da ich bei Ihnen 
sin werde. Iſt es eine Andere, warum fullten wir fie 
it einander nicht wiederfehen? Und wenn wir fie 
hen... Ah! mein Herr! wie werden Sie bedauern, 
‚as Sie mich Alles fo eben leiden gemacht haben ?” 

Charny preßie fein Herz mit beiden Händen und 
rwieberte: \ 

„Sie thun zu viel für mih, Madame; ich ver: 
iene den Tod; fchmettern Sie mich micht durch Ihre 
Site nieder.” 

„DH! ich werde Sie mit Beweifen niederfchmet- 
ern,” fagte die Königin, „nicht ein Wort zu irgend 
jemand. Dieien Abend um zehn Uhr; erwarten Sie 
or der Thüre der Sägermeifterei, .was ich, „um 
Sie.zu überzeugen, beſchloſſen haben werde. Geben 
Sie, mein betr, und lafien Sie außen nichts fihtbar 
verden.” 





Plotzlich erblidte 
Sie —8 und gab vınn 
von fi. 

Tharny büdte ben Kopf 
während — a, run 
Unglüd las. Sie kam auf 
Rrengem Tone: 

FRI) glaubte, Sie wären ı 


KA 
in von dort jöfchtt, Mad 
wie er mit Kurzem, ahnen = 
R —— blieb Pr fiehen, fe, tut 
entging. 
Na Austauf von Bi —* 
—— a Re Lo) ; 
Morgen, Gräfin,“ faı 
au Sram. von 2a Mothe. Und * 
vertraulich mit den ad am. " 
Char bebte. 
Unrublg über — eine ar Kon re — 
Aufn wandte Frau von La 
Gharny folgte ihr, wie es Be he 
but itte, bi6 Re ihm moch einmal ihr Gefiche 


dem drehte er ſich um fie, 55*— 





ſtudir 





"Et 
in" " fe Gehe gu iüm gerät nad fragte wien 
"ale , 
Sehr at Daten oh Du — 
gut 316 Gurt Majekät” 
Und er verbengte Ach anf eine Axt, daß an 


fe. 
derem 


129 


FR mehr erfehredte, als er fie in Erflaunen ge- 
gt hatte. 
„Dahinter ift Etwas,” fagte die auſmerkſame 
eanne. 

„Wo wohnen Sie denn gegenwärtig?“ fuhr die 
önigın fort. 

„Sn Berfailles, Madame,” erwiederte Dlivier. 

„Seit wie lange ?" 

„Seit drei Nächten,” ſprach der junge Mann, in 
m er mit dem Blid, mit der Geberde und mit der 
‚stimme einen Nachdruck anf diefe Worte legte. 

b Die Königin. offenbarte feine Bewegung; Jeanne 
be. 

„Haben Sie mir nicht etwas zu fagen?” fragte 
ie Königin Eharny mit einer engelifchen Sanftmuth. 

„Dh! Madame,” erwiederte diefer, „ich Hätte 
urer Majeftät nur zu viel zu fagen.” 
aaa ommen Sie!" fprah Marie Antoinette un- 
eftüm. 

„Wachen wir,” dachte Jeanne. 

Die Königin ging mit großen Schritten nach ihren 
Jemächern. Iedermann folgte ihr nicht minder bewegt. ° 

Was Frau von La Mothe providenziell vorfam, 
ar der Umftand, daß Marie Antoinette, um den An⸗ 
bein zu vermeiden, als fuchte fle unter vier Augen 
ı fein, mehrere Perfonen ihr zu folgen aufforberte. 

Mitten unter diefe Perſonen ſchlüpfte Seanne. 

Die Königin trat in ihr Gemach und entließ Frau 
on Mifery und ihren ganzen Dienft. 

Es war ein mildes, verfchleiertes Weiter; die 
sonne durchdrang die Wolfen nicht, doch fie ließ ihre 
zärme und ihr Licht durch ihre dichte weiße und blaue 
ütterung fiefern. 

Die Königin öffnete das Fenſter, das auf eine 
eine Terraffe ging; fie feste fih an ihr von Briefen 
eladenes Arbeitstifchchen und wartete, 

Das Haldband der Königin. II. 


/ 





130 


Die Perfonen, weldhe ihr gefolgt waren, begriffen 
allmälig ihren Wunſch, allein zu fein, und entfern 
ten ich. 

Ungebuldig, vom Zorn verzehrt, zerfnitterte Charny 
feinen —* zwiſchen feinen Händen. 

„Sprechen Sie! ſprechen Sie!" fagte bie Königin: 
„Sie fcheinen fehr beunruhigt zu fein, mein Herr?“ 

„Wie werde ich anfangen?” fagte Charny, ber 
ganz laut dachte; „wie werde ich es wagen, die Ehre, 
die Treue, die Majeität anzuklagen ?“ 

„Wie beliebt?” rief Marie Antoinette, indem fle 
fi) lebhaft und mit einem flammenden Blick um⸗ 
wandte. . 

„Und dennoch werde ich nur fagen, was ich gefehe 
babe,” fuhr Charny fort. 

Die Königin erhob fih und ſprach mit Faltem Ton: 

„Mein Herr, es ift noch fehr früh am’ Morgen, 
dag ich Sie für betrunken halte; und dennoch nehmen 
Sie hier eine Haltung an, die fi ſchlecht für nüch⸗ 
terne Edelleute geziemt.' 

Sie erwartete, ibn durch diefe verächtliche Anrede 
niedergefchmettert zu fehen. Doch er fuhr unbeweg⸗ 
liy fort: 

„Sm Ganzen, was ift eine Königin? ein Weib. 
Und ich, was bin ich? ein Mann ebenfowohl, als ein 
Untertbhan.“ 

„Mein Herr!" 

„Madame, verwirren wirnicht bas, was ich Ihnen 
fagen muß, durd einen Zorn, der auf eine Tollheit 
auslauien würde. Ich glaube Ihnen bewiefen zu has 
ben, daß ich Ehrfurcht für die Fönigliche Majeftät hegte; 
ih befürdte, bewiefen zu haben, daß ich eine wahns 
finnige Liebe für die Perfon ber Königin hegte. Treffen 
Sie aud Ihre Wahl: auf welche von Beiden, auf die 
Königin oder die Frau, full diefer Anbeter die Anflage 
der Schande oder der Unredlichteit werfen ?“ 


131 


„Herr von Charny,“ rief die Königin, indem fie 
erbleichend auf den jungen Mann zufchritt,.gentjernen 
Sie ſich nit von bier, fo werde ich Sie Mech meine 
Machen wegjagen laffen.” s 

„Ich will Ihnen alfo, ehe ich weggejagt werde, 
fagen, warum Gie eine unwürbige Königin und eine 
Frau ohne Ehre find,” rief Charny trunfen vor Wuth. 
„Seit drei Nächten folge ih Ihnen in Ihrem Parke!“ 

Statt fie, wie er es hoffte, unter diefem furdht- 
baren Schlage auffpringen zu fehen, ſah Charny nur, 
daß die Königin das Haupt erhob und fih ihm 
näherte. ” 

„Herr von Eharny.” fagte fie, feine Hand ergrei- 
fend, „Sie find in einem Zufland, der mein Mitleid 
erregt; nehmen Sie fih in Acht, Ihre Augen funfeln, 
Ihre Hand zittert, Bläffe bededt ihre Wangen, all ihr 
Blut fließt nad) Ihrem Herzen. „Sie leiden, foll ich 
rufen ?“ 

„sh habe Sie gefehen,” wiederholte er Falt, „ges 
fehen mit dem Dann, als Sie ihm die Roſe gaben; 
‚gefehen mit dem Dann, als er Ihnen die Hände füßte; 
gefehen, als fie mit ihm in die ApollosBäder einz 
traten.” 

Die Königin fuhr mit einer Hand über ihre 
ale als wollte fie fich verfichern, daß fie nicht 
chlafe. 

— „Herr von Charny,“ ſprach fie, „ſetzen Sie ſich, 
denn Sie werden umfallen, wenn ich Sie nicht Halte, 
fegen Sie fich, fage ich Ihnen.“ . 

Eharny fanf in der That in einen Lehnftuhl, die 
Königin fepte fih zu ihm auf ein Tabvuret, nahm 
feine beiden Hände, ſchaute ihm bis in den Grund feiner 
Seele und ſprach: 

„Seien Sie ruhig, befchwichtigen Sie den Geiſt 
und das Herz und wiederholen Sie mir, was Sie fo 
eben gefagt haben.” g* 


‘ 


132 


„oh! wollen Sie mid) tödten]“ murmelte ber Un: 
glückliche. 
„Lafſſen Sie mich Eie befragen. Seit wann find 
Sie von Ihren Gütern zurückgekehrt?“ 
„Seit vierzehn Tagen.“ 
„Wo wohnen Sie?“ 
„Sn Haufe des Jägermeifters, das ich ausdrudlich 
gemiethet habe. “ 
„Ah! ja, das Haus bee; Selbfimörders, an ber 
Grenze des Parts?“ 
Charny bejahte durch eine Geberde. " 
„Sie fpredhen von einer Perſon, die Sie mit mir 
geiehen hätten *" 
b „Ich ſpreche zunächſt von Ihnen, die ich geſehen 
e.“ 


„Wo dies?“ 

„Im Parke.“ 

„Zu welcher Stunde, an welchem Tag?“ 

„Um Mitternacht, am Dienftag zum erſten Mal.“ 

Sie haben mich geſehen?“ 

‚Wie ich Sie jept fehe, und ich habe auch dies, 
jenige gefehen, welche Sie begleitete.“ 

„Es begleitete mih Semand ? Würden Sie dieſe 
Perſon erfennen?” 

„Borbin fam es mir vor, als fühe ich fie hier; 
doch ich will es nicht behaupten. Nur die Haltung if 
ähnlich ; was das Geficht betrifft, fo verbirgt man es, 
wenn man foldye Verbrechen begeht.“ 

„Gut!“ fagte die Königin nit Ruhe; „Sie haben 
meine Begleiterin nicht erkannt, aber mich... 

„Dh! Sie, Madame, ich habe Sie gefehen ... 
Wie! fehe ih Sie nicht?“ 

Sie ſtieß vor Nerger mit dem Fuß auf ben 
Boden. 

„Und... der Gefährte,” fagte fie, „derjenige, 
welchem ich eine Nofe qrgeben habe... denn Sie haben 
mich eine Roje geben fehen ?“ 


133 


„Sa: dieſer Gavalier, wie fonnte ih ihn ein- 
olen 2” 

„Sie fennen ihn jedoch?“ 

5 rt nennt ihn Monfeigneur; das it Alles, was 
weiß.“ 

Die Königin ſchlug fid) mit gedrängter Wuth vor 
ie Stirne und rief: 

„Bahren Sie fort; am Dienftag Habe ich eine 
tofe gegeben... und am Mittwoch?“ 

„Am Mittwoch haben Sie Ihre beiden Hände zu 
iffen gegeben.“ 

„Dh!“ murmelte fie, indem fie ſich in die Hände biß. 
Am Donnertag endlich, geſtern?“ 

„Geſtern haben Sie anderthalb Stunden mit dies 
m Mann in der Apollo-Grotte zugebradht, wo Sie 
ihre Begleiterin allein gelaffen hatte.” 

Die. Königin itand ungeſtüm auf. 

„Und... Sie... haben mih ... gefehen? 
ıgte fie jede Sylbe abſtoßend. 

Charny Hub eine Hand zum Himmel empor, um 
ı fchwören. 

„Oh! ... er fhwört !” rief die Königin ebenfalls 
on der Wuth fortgeriffen. 

Charny wiederholte feierlih feine anflagende 
Jeberve. 

„Mich? mich?“ fagte die Königin, indem fie fi 
n den Bufen klopfte, „mich haben Sie geſehen?“ 

„Sa, Sie, am Dienftag trugen Sie Ihr grünes 
feid mit goldmoitirten Streifen, am Mittwoch Ihr 
Heid mit blauem und roft'arbigem Aſtwerk. Geſtern 
hr braungelbes Kleid, das Sie an hatten, als ich Ihnen 
ım eriten Male die Hand füßte. Sie waren es! Sie 
aren es! Ich flerbe vor Schmerz und Scham, indem 
h Ihnen auf mein &ıben, auf meine Ehre, auf meinen 
jvit fage, Sie waren ed, Madame! Sie waren es!" 

- Die Königin ging mit großen Schritten auf der 


134 


Zerrafle auf unb ab, ohne ſich dar 
daß fie ihre ſeitſame 9 fregung di 
ließ, welche K von unten mit den 9 

„Benn einen @id thäte, fag 
and bei meinem Sohne, bei meiner 
Id habe einen Bott, wie Gie!... 
mir nicht!... er würde mir mit g 

Eharny neigte das Hanpt. 

„Wahn fnnig per!“ fügte die König 
voll Energie die Hand fdättele und | 
in ihr Zimmer z09. „@s ift alfe 
Bolur, die Wolluf, eine unfauldi 
anzuflagen; es if alio ein madhtiget 
eine Königin zu entehren..: lau 
ich Dir füge, daß nicht ich es bin, 
Haf, plandf Du, wenn ich auf Goria 
feit drei Tagen nad nenn Uhr nidt 
bin? Soll id Dir durch meine 9 
König, der mich hier geſehen, bewi 
nicht anderswo fein fonnte? Melı 
nit! er glaubt mic nicht!“ 

„Ich habe gefehen!“ eriwieberte 

„Ob!“ riet plöglich die König 
weiß! IR mir nit fon diefe g 
dung in’6 @efibt geidleudert worber 
nichi auf dem Ball der Oper, ben 
miß bereiten, gef Sat mi 
Mesmer in Ga den Neugierigen 
märgen ein Mergerniß gebenb, gı 
wiſſen es wohl, Sie, der. Gie Rh | 
haben?“ . 

„Madame, zu jener Zeit Habe { 
weil ich nit daran glaubte. Hei 
flagen, weil ich daran glaubte.“ 

Die Königin. hob ıpre durd) bie 
ren Arme zum Himmel empor, zwi 
nen tollten von ihren Wangen auf | 





135 


Mein Gott,“ ſprach fie, „ſchicke mir einen Ges 
1, der mich rettet. Diefer hier foll mich nicht 
ten, o mein Gott!“ 
zharny fühlte fi bis in den Grund des Herzens 
dieſes einiadhe und Fräftige Gebet gerührt. Er 
rg feine Augen in feine beiden Hände. 
die Königin dachte einen Augenblick ftillfchweigend 
dann fprady fie: - 
Mein Herr, Sie find mir else Genugtbuung 
ig. Vernehmen Sie die, welchẽ ih von Ihnen 
e: Drei Nächte hinter einander baben Sie mid 
inem Park in Gefellfchaft eines Mannes gefehen. 
mußten jedoch, daß man ſchon Mißbraudy von der 
licyfeit gemacht, welche irgend eine $rau im Ges 
und im Gang mit mir, der unglüdlichen Königin, 
doch da Sie lieber glauben wollen, ich fei es, 
e in der Nacht berumlaufe, da Sie fagen werben, 
tes, fo fehren Sie in den Park zu bderfelben 
de zurüd, fehren Sie mit mir dahin zurüd. Bin 
3, die Sie geftern gefehen, fo werden Sie mid 
vendig heute nicht mehr fehen, da ich bei Ihnen 
werde. Iſt e8 eine Andere, warum follten wir fie 
inander nicht wiederfehen? Und wenn wir fie 
... Ah! mein Herr! wie werden Sie bedauern, 
Sie mich Alles fo eben leiden gemacht haben ?" 
Sharny preßte fein Herz mit beiden Händen und 
derte: 
‚Sie thun zu viel für mich, Madame; ich ver- 
ben od; fchmettern Sie mich micht durch Ihre 
nieder.” 
„Dh! ich werde Sie mit Beweiſen niederfchmet- 
“ fagte die Königin, „nicht ein Wort zu irgend 
ınd. Dieien Abend um zehn Uhr; erwarten Sie 
der Thüre der Sägermeifterei, ‚was ich, „um 
zu überzeugen, beichluffen haben werde. Gehen 
mein Herr, und laffen Sie außen nidhts fichtbar 
en.” 


136 


Charny fniete, ohne ein Wort zu fagen 
und entfernte fich fodann. 

Am Ende des zweien Salon ging er un 
lich unter dem Blicke von Jeanne vorüber, die 
den Augen verſchlanqg und ſich bereit hielt, 
erten Ruf ber Königin bei Ihrer Majeftät 
teten. 


In dem bei ung erſcheinenden „Weltpansrama” 
37 - 90. Bändchen) ift erfchienen und in allen Buchhand⸗ 
ungen zu haben: 


Heife inSenegambien. 


luf Befehl der franzöftfchen Regierung in den 

Jahren 1843 und 1844 audgeführt durch die 

yerren Huard-Beſſiniers, Jamin, Raf- 
fenel u. A., beichrieben 


von 


Anne Raffenel. 
Meberfegt von C. U. Schmitt. 
Vier Baͤndchen. Preis 48 fr, over 16 Nar. 


Mit geipanntem Sntereffe fah Frankreich, ſah Eu⸗ 
„pa ben Ergebniffen diefer Expedition entgegen; mit 
ußerſter Beharrlichkeit und Aufopferung wurde fie von 
en damit Beauftragten trog aller Schwierigfeiten aus⸗ 
führt. Der fchlimmfte Feind aller Europäer in jenen 
degenden, das ungefunde Klima, nöthigte Zwei ber 
‚eifenden, mitten auf dem Wege umgufehren; die übrigen 
rei feßten nur um fo unverbrofiener das angefangene 
3erf fort. Auf dem Senegal, dem Faleme, dem Gambia, 
irch Galam, Bondu, Bambuf, Woolli, ziehen die un⸗ 
fhrodenen Wanderer trog Empörung, Sturm, Sonnen- 
:and, trog Krankheit, Hunger und Durft; nicht die 





braufende Strömung des durch Felfen eingeengten Fe 
nicht die waflerlofe Wüfte von Woolli vermag 
Schritte zu hemmen. Fern von jeder romantifchen 
fhmüdung bietet das Tagebuch diefer Wanderun 
mannigfachften Stoff zur Unterhaltung dar. Reife 
niffe, Schilderung von Gegenden, lebendige Darft: 
und Befchreibung der verfchiebenen Nationen unb 
Abftufungen, eine genaue Eharafterifirung der Me 
Fulahs, Peuls, Toufouleurs, Mandingos, GEr 
Laobes ꝛc., untermiſcht mit anziehenden Volksſagen 
Alles kann nicht verfehlen, das Intereſſe des leſelu 
Publikums zu erwecken und zu befriedigen. Allein 
der eigentliche Gelehrte, der geographiſche und ı 
biftorifhe Forſcher wird dieſes Werk gewiß nicht 
reiche Ausbeute aus der Hand legen. Die Befchre 
vieler bis jeßt noch gar nicht ober nicht genau beke 
Pflanzen, die ſorgfältigſte Berüdfichtigung ber in 
fanten geologifchen Berhältniffe, Die Angaben der ı 
tiven Entfernungen und der Wegrichtung, gebe: 
Merk einen ächt wiffenfchaftlichen Werth. Bine hu 
jüttlich sreligiöfe Weltanfchauung leuchtet überall 
und zeigt fich befonders in den ganz neuen An 
und Borfchlägen, die der Verfaſſer in Betreff der 
verei und ihrer endlichen Befeitigung entwidelt. 
Stuttgart, im Marz 1850, 


Franckh'ſche Verlagshant 


Ä Das | 
elletriftifche Ausland. 


Kabinetsbiblisthek 


der 


elaffifchen Romane aller Nationen. 


ser” 


1318Stes bis 1321fes Bändchen. 
Denkwürdigkeiten eines Arztes. 
Zweite Abtheilung. 
Das Balsband der Königin. 
Zwölftes His fünfzehntes Bändchen. 


Jedes Bändchen koſtet 6 Kreuzer oder 8 Reugroſchen 
Stuttgart. 


Berlag ver Frauckh'ſchen Buchhandlung. 
- 18%. 


Dust vr 8. $ 2 mm muttenbeng In Bi 


ienkwürdigkeiten eines Arztes. 
Don 
Alegander Dumas. 


Zweite Abtheilung. 
Das Halsband der Könfgin. 


Zwölftes bis fünfzehntes Bänpchen. 





Ausdem Franzöſiſchen 
von Ä 


Dr. Auguft Boller. 


— ö— 


Stuttgart. 
Berlag der Frauckh'ſchen Buchhandlung . 
1850. 


LXVIL 
Weib und Damon. 


ne hatte die Unruhe von Eharny, die Beforgniß 
in, den Eifer Beider, eine Unterredung ans 
‚bemerkt. 

eine Frau von der Stärke von Jeame war 
‚ als es brauchte, um viele Dinge zu errathen; 
n nicht nöthig, beizufügen, was ſchon alle 
riffen hat. 

dem durch Gaglioftro zwifchen Zrau von 2a 
nd Dliva veranlaßten Zufammentreffen fann 
vie der lebten drei Tage der Commentare ent⸗ 


er Königin zurüdgefehrt, horchte, beobachtete 
fie wollte auf dem Befihte von Marie An⸗ 
ie Beweiſe von dem erfennen, was fie arg⸗ 


die Königin war feit einiger Zeit gewohnt, 
t zu mißtrauen. Sie ließ nichts durchſchauen. 
var alfv auf die Mutfmaßungen befchränft. 

n hatte fie einem von ihren Ladeien befohlen, 
n Charny zu folgen. Der Diener fam zurüd 
ete, Herr von Charny fei an einem Haufe 
des Parkes in der Nähe der Hagebuchen ver: 


l, 

unterliegt feinem Zweifel mehr,“ badhte 
„diefer Menſch if ein Verliebter, er Alles 
at.” u" 


(dband der Königin, IV. 41” 


136 


Cbarny Fniete, ohne ein Wort 
und entfernte fid) fodann. , 

Am Ende des zweien Salon gin 
lich unter dem Blide von Jeanne pord 
den Augen verſchlang und ſich bereit 
erien Ruf bes Königin bei Ihter 


treten. 











In dem bei uns ericheinenden „Weltpansrama” 
87— 90. Baͤndchen) ift erſchienen und in allen Buchhand⸗ 
ungen zu haben: 


Reiſe inSenegambien. 


Auf Befehl der franzöfiichen Regierung in den 

Sahren 1843 und 1844 audgeführt durch die 

Jerren Huard-Beſſiniers, Jamin, Raf⸗ 
fenel u. A., beſchrieben 


von 


Anne Raffenel. 


Ueberſetzt von C. A. Schmitt. 
"Biey Bändchen. Preis 48 tr. over 16 Nur. 


Mit geſpanntem Intereffe fah Frankreich, fah Eu- 
opa ben Ergebniffen diefer Expedition entgegen; mit 
ußerfter Beharrlichfeit und Aufopferung wurde fle von 
en damit Beauftragten troß aller Schwierigfeiten aus⸗ 
eführt. Der fchlimmfte Feind aller Europäer in jenen 
begenden, das ungefunde Klima, nöthigte Zwei ber 
teifenden, mitten auf dem Wege umzufehren; die übrigen 
rei festen nur um fo unverbrofiener das angefangene 
Berk fort. Auf dem Senegal, dem Faleme, dem Gambia, 
urh Galam, Bondu, Bambuf, Woolli, ziehen die un 
fchrodenen Wanderer troß Empörung, Sturm, Eonnen- 
rand, trog Krankheit, Hunger und Durft; nicht die 


Das | 
lletriſtiſche Ausland. 


Kabinetsbibliothek 


der 
affifchen Homane aller Nationen. 


en 1 z 2 Zu 2000 


1818Stes bis 182Iſtes Bändchen. 
Denkwürdigkeiten eines Arztes. 
Zweite Abtheilung. 
Das Balsband der Königin. 
Zwölftes bis fünfzehntes Bäudchen. 


des Bändchen koſtet 6 Kreuzer over B Reugroſchen 
Stuttgart. 


Berlag der Frauckh'ſchen Buchhandlung. 
⸗ 418%. 


Drad ver 8. Hefbaeruierei Be Betienlerg in Guligent, 


nkwürdigkeiten eines Arztes. 
Bon 
Alegander Dumas. 


Zweite Abtheilung. 
Das Halsband der Königin. 


Zwölftes bis fünfzehntes Bändchen. 





Aus dem Sranzdftigen 
von | 


Dr. Auguft Boller. 


— BI — 


Stuttgart, 
Berlag der Frauckh'ſchen Buchhandlung · 
1850. 


2 


LXVII. 
Weib und Dämon. 


Jeanne hatte die Unruhe von Charny, die Beſorgniß 
der Königin, den Kifer Beider, eine Unterredung ans 
zufnüpfen, bemerkt. 

Zür eine Frau von der Stärfe von Jeame war 
dies mehr, als es brauchte, um viele Dinge zu errathen; 
wir haben nicht nöthig, beizufügen, was ſchon alle 
Melt begriffen Hat. 

Nach dem durch Baglioftro zwifchen Frau von La 
Mothe und Dliva veranlaßten Zufammentreffen fann 
be Komödie der legten drei Tage der Commentare ent- 
ehren. 

Zu der Königin zurüdgefehrt, horchte, beobachtete 
Jeanne; fie wollte auf dem Geſichte von Marie Anz 
— die Beweiſe von dem erkennen, was ſie arg⸗ 
wohnte. 

Doch die Königin war ſeit einiger Zeit gewohnt, 
aller Welt zu mißtrauen. Sie ließ nichts durchſchauen. 
Seanne war alfo auf die Muthmaßungen befchränft. 

Schon hatte fie einem von ihren Xadeien befohlen, 
Herrn von Eharny zu folgen. Der Diener fam zurüd 
und meldete, Herr von Charny fei an einem Haufe 
am Ende des Parkes in der Nähe der Hagebuchen ver: 
ſchwunden. 

„Es unterliegt keinem Zweifel mehr;,“ dachte 
Jeanne, „dieſer Menſch iſt ein Verliebter, per Alles 
geſehen hat.“ wi 

Das Haldband der Königin, IV. 1 _ 





2 


Sie hörte die Königin zu Frau von Miiery 
agen: 
ſag „Ich fühle mich ſehr ſchwach, meine liebe Miſery, 
und ich werde mich heute Abend um acht Uhr zu Betie 
legen.“ 

Und als die Ehrendame fragend in fie drang, fügte 
die Königin bei. 

„Ich werde Niemand empfangen.“ 

„Das iſt flar genug,“ fagte Jeanne zu fidh felbit, 
„eine Mahnfinnige, die das nicht begreifen würde.“ 

Einer heftigen ®emüthsbewegung in Yolge ber 
Scene, die fie mit Charny gehabt, preisgegeben, ents 
ließ die Königin bald ihr ganzes Gefolge. Jeanne 
wünfchte ſich hierüber zum erſten Mal, feitdem fie bei 
Hofe eingetreten, Glüd. 

„Die Karten find vermengt,“ fagte fie; „nad 
Paris! Es in Zeit, aufzulöfen, was ich gemacht habe.“ 

Und fie fuhr fogleich von Verjuilles weg. 

Nach ihrem Haufe in der Aue Saint-Claude ges 
führt, fand fle bier ein herrliches Geſchenk in Silber 
zeug, das der Garvinal an demfelben Morgen gefgidt 


atte. 

’ Nachdem fie diefem Geſchenk, vbaleih es werth⸗ 
voll war, nur einen gleichgültigen Blid gegönnt Hatte, 
fhaute fie hinter ihrem Vorhange nach Dliva, deren 
Fenſter noch nicht geöffnet waren. Dliva ſchlief ohne 
Zweifel ermüdet; e8 herrfchte eine fehr große Hige an 
diefem Tay. 

Jeanne ließ fih zum Garbinal fahren, ben fie 
ſtrahlend, aufgeblafen, unverfchämt vor Freude und Stolz 
fand: au feinem reihen Schreibtifche, einem Meiſterſtück 
von Boule, figend, zerriß er und ſchrieb er abermals, 
ohne mude zu werden, einen Brief, der immer wieder 
anfing und nie endete, 

Bei der Meldung feines Kammerdieners rief ber 
Cardinal: 

„Dieſe theure Graͤfin!“ 


3 


Und er ftürzte ihr entgegen. 

Seanne empfing die Küfle, mit denen der Prälat 
re Arme und ihre Hände bedeckte. Sie febte fid 
quem, um fo gut als möglidy das Geſpräch auszu- 
ten. 

Monfeigneur begann mit Betheuerungen feiner 
anfbarfeit, denen es nicht an einer aufrichtigen Be⸗ 
dtſamkeit mangelte. 

Jeanne unterbrach ihn und fagte: 

„Willen Sie, daß Sie ein zartfühlender Liebhaber 
id, Monjeigneur, und daß ich Ihnen danke?“ 

„Barum ?“ 

„Nicht wegen des reizenden Geſchenkes, das Sie 
ir diefen Morgen haben zuftellen laffen, fondern weil 
ie fo vorfichtig gewefen, e8 mir nicht in das Fleine 
aus zu ſchicken. Wahrhaftig, das iſt zartfühlend.“ 

„Bei wem fann man von Zartgefühl ſprechen, wenn 
ht bei Ihnen?” erwiederte der Cardinal. 

„Sie find fein glüdiiher Mann,” fagte Jeanne; 
Sie find ein triumphirender Gott.“ 

„Sch geftehe es, und das Glück erfchredt mid; 
; beengt mich; e8 macht mir den Anblid der anderen 
tenfchen unerträglich. Sch erinnere mich der heidniſchen 
abel von SIupiter, der feiner Strahlen müde.“ 

Jeanne lächelte. 

„Sie fommen von Berfailles?" fragte er gierig. 


„30. 

„Sie haben fie gefehen?“ 

„Ich . . . komme fo eben von ihr. . .* 

„Sie hat... bat... nichts geſagt?“ 

„Ei! was foll fie ſagen?“ 

„Berzeihen Sie; es ift nit mehr Neugierde, es 
t Muth.” . 
„Fragen Sie mich nicht.“ 
„Dh! Graͤfin.“ nn 
„Nein, fage ich Ihnen.“ a 
„Wie Sie das anfündigen! man von glauben, 


ne 7 





! 


4 


Kan man Sie flieht, Ste bringen eine fchlimme Nach⸗ 
richt.” 
„Monfeigneur, heißen Sie mich nicht ſprechen.“ 

„Sräfin! Gräfin... .“ 

Und der Gardinal erbleichte, 

„Ein zu großes Glück,“ fagte er, „gleicht dem 
Eulminationspunfte eines Glüdsrades, neben feinem 
höchſten Punkt ift der Anfang der Abnahme Dod 
ſchönen Sie mich nicht, wenn ein Unglüd obwaltet; 
nicht wahr . . . es waltet feines ob!“ 

„Ich werde das im Begentheil ein fehr großes 
Glück nennen, Monfeigneur,” erwiederte Jeanne. 

„Das? ... was denn?.. . was wollen Gie das 
mit fangen? welche Sade if ein Glück?“ 
rat entdeckt worden zu fein," erwieberte Jeanne 
roden. 

„Sb! ...“ rief lächelnd der Kardinal. „Mit Bors 
fichtsmaßregeln, mit dem Berflande zweier Herzen und 
eines Weiftes . . .” 

„Ein Beift und zwei Herzen, Monfeigneur, vers 
hindern die Augen nie, im Blätterwerf zu ſehen.“ 

„Man bat geſehen!“ rief Herr von Rohan ers 
ſchrocken. 

„Ich habe alle Urſache, es zu glauben.“ 

„Dann . . . wenn man geſehen bat, hat man auch 
erfannı 3" 

„Oh! daran denfen Sie nit, Monfeigneur; wenn 
man erfannt hätte, wenn fidy diefes Geheimniß in der 
Gewalt von irgend Jemand befände, fo wäre Jeanne 
von Valois fhon am Ende der Welt, und Sie, Sie 
müßten todt fein.“ 

„Das ift wahr, Gräfin: mit all diefem Zögern, 
mit all diefem abſichtlichen Schweigen röften Sie mid 
am Keinen euer. Dan bat gefehen, gut... bod 
man bat Leute in einem Park fpazieren gehen fchen, 
iſt das nicht erlaubt?" 

„Bragen Sie den König.” 


„Der König weiß!“ 

„Sch wiederhole Shnen noch einmal, wenn ber 
König wüßte, wären Sie in der Baftille und ich im 
Hoſpital. Doch da ein vermiedenes Unglüd fo viel 
werth ift, als zwei verheißene Glüde, fo fomme ich, 
um Ihnen zu fagen: verfuhen Sie Gott nicht nod 
einmal.” 

„Wie beliebt?” rief der Cardinal; „was bebeuten 
Shre Worte, theure Gräfin?“ 

„Begreifen Sie diefelben nicht?“ 

„Ich fürchte. 

„Ich Hätte bange, wenn Sie mich nicht be— 
ruhigten.“ 

„Was muß ich zu dieſem Ende thun?“ 

„Richt mehr nach Berfailles gehen.” 

Der Cardinal machte einen Sprung. 

„Bei Tage?" fagte er lächelnd. 

„Zuerſt bei Tage, und dann bei Nacht!“ 

Der von Rohan bebte und Tieß bie Hand der 
Gräfin los. 

„Unmoͤglich,“ fagte er. 

„Nun ift die Reihe an mir, Ihnen in’s Geficht 
zu ſchauen,“ fprady fie, „Sie haben, glaube ich, gefagt, 
unmöglihd. Warum unmöglich?" 

„Zeil ich im Herzen eine Liebe habe, die Aur 
mit meinem Leben endigen wird.” 

„Sch bemerfe es," unterbrach ironifch die Grafin, 
„und um fehneller zum NRefultat zu gelangen, beharren 
Sie darauf, nady dem Parfe zurüdzufehren. Ja, wenn 
Sie dahin zurüdfehren, wird Ihre Liebe nur mit Ihrem 
Leben endigen, und beide werden mit einem Schlage 
abgelhnitten werben,” 

„Welche Beängftigungen, Gräfin. . Sie, die 
geftern noch fo muthig waren?” 

„Ich Habe ven —* der Thiere. Ich fürchte 
nichts, 5 lange nicht eine Gefahr vorhanden iſt.“ 





6 


„SH, ih Habe den Muth meines Gefchlechtes. 
Ich bin nur glücklich in Gegenwart der Gefahr ſelbſt.“ 

„Sehr gut; duch dann erlauben Sie mir, Ihnen 
zu ſagen ...“ 

Nichts, Gräfin, nichts,“ rief der verliebte Prälat, 
„das Dpfer iſt gebracht, der Würfel liegt, den Tor, 
wenn man will, oder die Liebe! Ich werde nach Ber: 
failles zurückkehren.“ 

„Sanz allein” 

„Sollten Sie mid verlaffen?” erwiederte Herr 
von Rohan im Tone des Vorwurfs. 

„Ich, zuerft.“ 

„Sie wird fommen.” 

„Sie täuichen fi, fie wird nicht FOmmen.“ 

„Haben Sie mir das etwa von ihrer Seite an- 
zufündigen ?” fragte zitternd der Cardinal. 

„Das ift der Streih, ten ich feit einer halben 
Stunde für Sie zu ſchwächen ſuchte.“ 

„Sie will mid nicht mehr fehen?* 

„Nie, und ich bin es, die es ihr geratben Hat.“ 

„Madame,“ fprach der Vrälat mit innigem Tone, 
„es it ſchlimm von Shnen, das fie das Mefler in ein 
Herz bohren, weiches Sie als ſo zart kennen.“ 

„88 wäre noch viel jcylimmer von mir, Mon: 
feigneur, wenn ich zwei tolle Geichöpfe in Grmangelung 
eines guten Rathes fih ins Verderben flürzen Liege. 
Ich gebe den Rath, benüge ihn, wer da will.” 

„Sräfin, Gräfin, eher ſteiben.“ 

„Das it Ihre Sache, und es it leicht.“ 

„Sterben, um zu fterben,” ſprach der Cardinal 
mit Dumpfer Stimme, „das Ende des Verdammten if 
mir lieber. Gefegnet jei die Hölle, wo ih meine Miüts 
ſchuldige finden werde.“ 

„Frommer Prälat, Sie blaephemiren,“ ſagte bie 
Gräfin; „Unterthan, Sie entthronen Ihre Koönigin! 
Mann, Sie ſtürzen eine Frau in's Verderben.“ 


ww 7 


Der Cardinal faßte die Gräfin hei der Hand und 
:ief wie in einem Delirium: 

„Geſtehen Sie, daß fie Ihnen das nicht gefagt 
yat, und daß fie mich nicht fu verleugnen wird ?“ 

„Sch fpreche zu Ihnen in ihrem Namen.” 

„Sie verlangt eine Frift.“ 

„Nehmen Sie e8, wie Sie wollen, doch beobachten 
Sie ihren Befehl.“ 

„Der Park ift nicht der einzige Drt, wo man fidh 
eben fann, es gibt taufend fidherere Drte... Die 
tönigin ift ja zu Ihnen gefommen ?“ 

„Monfeigneur, nicht ein Wort mehr; ich trage ein 
ödtliches Gewicht in mir, das Ihres Geheimniffes. 
sch fühle mid) nicht ſtark genug, es lange zu tragen. 
Bas die Indiscretionen, was der Zufall, was die Bös— 
ilfigfeit Ihrer Feinde nicht thun, werden die Gewif- 
ensbiſſe thun. Sehen Sie, ich weiß, daß fie fühig 
t, dem König in einem Augenblick der Berzweif: 
ıng Alles zu geſtehen.“ 

„Suter Gott! ift es möglich,” rief der Bardinal, 
fie würde das thun!” 

„Wenn Sie fie fähen, fie müßte Ihr Mitleid er- 
gen |” 

g Der Cardinal ſtand haſtig auf. 

„Was iſt' zu thun?“ ſagte er. 

b „Man muß ihr den Troſt des Stillſchweigens 
eben.“ 


„Sie wird glauben, ich habe ſie vergeſſen.“ 

Jeanne zuckte die Achſeln. 

„Sie wird mich beſchuldigen, ich ſei ein Feiger.“ 

„Feige, um fie zu retten, nie!“ 

„Verzeiht eine Frau, daß man ſich ihrer Gegen⸗ 
art beraubt?“ 

„Beurtheilen Sie dieſe nicht, wie Sie mich beur⸗ 
eilen würden ...“ 

SH halte fie für groß und flarf. Sch Liebe fie 
egen ihres Muthes und ihres edlen Herzens. Gie 


kann alfo auf mich zählen, wie ih auf fl 
werde. Sch will fie ein legtes Mal fehen; 
meinen ganzen Gedanken erfahren, und was fi 
dem fie mich angehört hat, enticheidet, werbe 
füllen, wie ich es bei einem heiligen Gelübde 

Seanne fland auf. 

„Wie es Ihnen beliebt. Gehen Sie, nur 
Sie allein gehen. Ich Habe den Schlüffel zu 
in die Seine geworfen, als ich heute zurüdfehn 
werden alfo nah Ihrem Belieben nah Bi 

eben, während ich nach der Schweiz oder na 
and abreife. Se weiter ich von der Bombe 
bin, deſto weniger werde ich ihr Zerplagen für 

„Gräfin, Sie würden mich verlafien! DI 
Gott, mit wem würde ich dann von ihr fpreche 

Seanne erinnerte fi bier der Scenen v 
lière; nie hatte ein wahnftnnigerer Valère eiı 
fhmigteren Dorine bequemere Erwieberungen g: 

„Haben Sie nicht den Park und die ( 
fagte Jeanne, „Sie werden file den Namen Xı 
lehren.” 

„Sräfin, haben Sie Mitleid. Ich bin 

weiflung,” rief der Prälat mit einem aus dem 
Fervorgegängenen Ausdrud. 

„Nun wohl!” ſprach Jeanne mit der gan 
Energie des Wundarztes, der die Ampyutatio 
Gliedes entfcheidet; „find Sie in Berzweiflun; 
von Rohan, fo laffen Sie fih nicht zu Ki 
verleiten, welche gerährlicher als das Pulver, 
Pet, als der Tod! If Ihnen fo viel an dief 
gelegen, fo erhalten Sie fidy diefelbe, ſtatt 
Brunde zu richten, und wenn es Ihnen nicht t 
an Herz und an Gedächtniß gebricht, wagen 
nicht, diejenigen in Ihren Ruin Hineinzuziehen 
Ihnen aus Freundfchaft gedient haben. Id 
nit mit dem Feuer. Schwoͤren Sie mir, 
Schritt zu thun, um bie Königin zu fehen 3 


"9 \ 
u fehen, hören Sie? ich fage nicht, fie innerhalb vier: 
ehn Tagen von heute an zu fprechen; fhwören Sie 
as, fo bleibe ich, und werde Shnen noch dienen können. 
sind Sie entſchloſſen, Allem zu trogen, um mein Ber: 
ot und das ihrige zu übertreten ? ıch werde es erfah: 
en, und zehn Minuten nachber reife ih ab! Sie 
werden fich herausziehen, wie Sie fünnen.” 

„Das ift gräßlich,“ murmelte der Gardinal, „der 
Sturz ift zerfchmetternd; von diefem Glück herabfallen! 
)h! ich werde darüber flerben.“ 

„Sehen Sie doch,” flüfterte ihm Jeanne in’s Ohr, 
Sie liebten ohnedies nur aus Gitelkeit.“ 

„Heute aus wahrer Liebe,” entgegnete der Kardinal, 

„So leiden Sie alfo Heute; das ift eine Beringung 
es Standes. Auf, Monfeigneur, entfcheiden Sie fi; 
leibe ih Hier? bin ih auf dem Wege nad Lau: 
inne?“ 

„Bleiben Sie, Gräfin, aber finden Sie nur ein 
hmerzſtillendes Mittel. Die Wunde iſt zu gräßlich.“ 

„Schwören Sie mir, zu gehorchen?“ 

„Bei meinem Worte als Rohan.” 

„But! Ihr fchmerzftillendes Mittel ift gefunden. 
ch verbiete Ihnen die Zufammenkfünfte, aber ich ver- 
iete Shnen die Briefe nicht.“ 

„Wahrhaftig!” rief ver Wahnfinnige, wieder belebt 
urch diefe Hoffnung. „Ich werde fchreiben können?“ 

„Berfuchen Sie e8.“ 

„Und... file würde mir antworten ?” 

Sch werde es verfuchen.” 

Der Eardinal verfchlang mit Küffen die Hand von 
eanne. Er nannte fie feinen Schugengel. 

Er mußte ſehr lachen, der Dämon, der im Herzen 
er Bräfin wohnte. 





10 


LXVIU. 
Die Nacht. 


An demfelben Tage, gegen vier Uhr Abende, hielt 
ein Dann zu Pferde am Saume des Parks, hinter den 
Apollo:Bädern. 

Diefer Reiter machte eine Vergnügenepromenabe im 
Schritt; nachdenkend wie Hyppolit, ſchön wie diefer, ließ 
feine Hand die Zügel auf dem Halfe des Roſſes fchwanfen. 

Er hielt, wie gelagt, an der Stelle an, wo Herr 
von Rohan jeit drei Tagen fein Pferd anhalten ließ. 
Der Boden war ganz dur die Hufeifen zerfiampft 
und er jah die jungen Zweige rings um die Eiche abge: 
jreffen, an deren Stamm das Thier angebunden gewefen. 

Der Reiter flieg ab. 

„Das ift ein fehr verwüſteter Platz,“ fagte er. 

Und er näherte fih der Mauer. 

„Bier find die Spuren vom Hinauffteigen; Bier 
it eine fürzlich geöffnete Thüre. Das hatte ich mir 
gedacht. 

„Man Hat nicht den Krieg mit den Indianern 
der Savannen geführt, ohne fih auf die Spuren von 
Thieren und Menichen zu veritehben. Seit vierzehn 
Tagen aber ift Herr von Charny zurüdgefehrt; feit 
vierzehn Tagen hat ih Herr von Charny nicht gezeigt. 
Tiefe Thüre ift es, weldbe Herr von Charny zu feinem 
Eintritt in Berfailles gewählt bat.” 

So ſprechend feufzte der Reiter geräufhvoll, als 
tiffe er fi feine Seele mit diefem Seufier aus. 

„Kalten wir dem Nächften fein GOlück,“ murmelte 
er, während er eine nach der andern die genannten 
Spuren auf dem Rajen und an den Mauern betrachtete. 
„Was Gott dem Einen gibt, verweigert er dem Andern. 
Nicht umjonft macht Bott Glückliche und Unglüdlide; 
jein Mille jei gepriefen. 


11 


„Man müßte aber einen Beweis haben. Um: wels 
chen Breis, durch welches Mittel ihn erlangen? 

„Oh! nichts iſt einfacher. Im Gebüſche, in der 
Nacht, vermöchte man einen Menfchen nicht zu ents 
deefen, und von feinem Berfterfe aus vermöchte er die 
jenigen zu fehen, welche hierher Fommen. Heute Abend 
werde ih im Gebüfche fein.” 

Der Reiter nahm die Zügel feines Pferdes zufam- 
men, flieg langfam auf und verfchwand, ohne den 
Shritt feines Roffes zu befhleunigen, an der Ede der 

auer. 

Charny aber Hatte fich, den Befehlen der Königin 
gehorchend, in feiner Wohnung eingefchloffen und er- 
wartete eine Botfchaft von ihr. 

Es wurde Nacht, nichts erihien. Statt an dem 
Senfter des Pavillon zu lauern, das auf den Park 
aing, lauerte Charny in demielben Zimmer an dem 
Fenſter, das auf die Eleine Gaſſe ging. Die Königin 
hatte gefagt: bei der Thüre der Jägermeifterei; aber 
Kenfter und Thüre in diefem Pavillon, das war nur 
Eines, nur Erdgeſchoß, und die Hauptiache, daß man 
Alles fehen konnte, was vorging. 

Er befragte die tiefe Nacht und hoffte von einer 
Minute zur andern den Galopp eines Reiters oder 
den hafligen Schritt eines Läufers zu hören. 

Es ſchlug halb elf Uhr Nachts. Die Königin hatte 
Eharny hintergangen. Sie hatte im erften Augenblick 
der Ueberraſchung ein Zugeftändniß gemacht. Beſchämt 
hatte fie verfprochen, was ihr zu halten nie möglich 
war, und fie hatte — ein geiftreicher Gedanfe — ver: 
fproden mit dem Bemwußtjein, daß fie nicht Halten 
würde. 

Mit jener Reichtigkeit des Argwohns, welche die 
heftig verliebten Leute charafterifirt, machte es fi 
Charny ſchon zum Vorwurf, daß er fo leichtgläubig 
gewefen. on: 

„Wie Eonnte ich,“ rief er, „ich, ber ich geichen, 





12 


Lügen glauben und meine Leberzeugung, meine Gewiß⸗ 
heit einer albernen Hoffnung opfern ?“ 

Er entwickelte mit Wut diefen düfteren Gedanken, 
ale das Geräuſch einer Hand voll Sand, die man an 
das andere Fenfter warf, feine Aufmerkfamteit er: 
regte und ihn nach der Seite des Parkes laufen 
machte. 

Er ſah nun, in einem weiten ſchwarzen Mantel, 
unten bei den Hagebuchen des Parfes eine weibliche 
Geftalt, welde gegen ihn ein bleiches, ängftlicyes Ges 
ficht erhob. 

Charny konnte einen Schrei der Freude und zus 
glei des Bedauerns nicht unterbrüden. Die rau, 
die ihn erwartete, die ihn rief, war die Königin! 

Mit einem Sprunge fegte er zum Fenſter hinaus 
und fiel gerade vor die Königin nieder. 

„Eh! Sie find da, mein Herr? Das if ein 
Glück!“ fagte mit leiſer Stimme un) ganz bewegt 
Marie Antoinette; „was machten Sie denn?” 

„Sie! Sie! Madame! . . Sie ſelbſt? iſt es mög: 
li?” erwiederte Charny. 

„Wurteten Sie fo?” 

„Sch wartete auf der Seite der Bafle.“ 

„Konnte ich durch die Gaſſe fommen, während es 
jo einfach ift, dur den VBarf zu kommen ?* 

„Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, ich würde Eie 
fehen, Madame,” ſprach Eharny mit einem Ausdrud 
leidenſchaftlicher Danfbarfeit. 

Marie Antoinette unterbrach ihn: 

„Bleiben wir nicht Hier; es ift Hier fo hell: Haben 
Eie Shren Degen ?” 

„Gut! .. Wo fagen Sie, baß bie Leute Kereins 
gefommen, die Sie geſehen?“ 

„Dur diefe Thüre.“ 

„Und zu weldher Stunde?” 

„Jedes Mal um Mitternacht.” 


13 


„Es ift kein rund vorhanden, daß fie Heute 
(bend nicht auch Fommen follten. Sie haben mit 
Niemand gefprochen ?“ 

„Mit Niemand.” 0 

„Sehen wir in’s Gebüſch und warten wir.“ 

„Dh! Eure Majeftät . . ." 

Die Königin ging voran und machte mit ziemlich 
FA Schritt ein Stück Weges in umgefehrter 
ichtung. 

„Sie begreifen wohl," fagte fie ploͤtzlich, ale 
yollte fie dem Gedanken von Eharny entgegenfommen, 
‚Sie begreifen, daß ich mir das Vergnügen gemacht 
abe, die Sadhe dem PBolizeilieutenant zu ergäblen. 
Seitdem ich mich beflagt, hätte mir Herr von Erosne 
chon müflen Gerechtigkeit widerfahren laffen. Wenn 
ie Sreatur, die meinen Namen ufurpirt Hat, nachdem 
te fich eine Aehnlichfeit mit mir angemaßt hatte, noch 
richt verhaftet, wenn bdiefes ganze Geheimniß noch 
ıicht aufgeklärt ift, fo fühlen Sie wohl, daß zwei 
Brände odwalten: entweder die Unfähigkeit von Herrn 
von Grosne, — was nicht der Fall ift, — oder fein 
Zufammenwirfen mit meinen Feinden. Mir fcheint es 
iber fchwierig, daß man fich bei mir, in meinem Parke, 
ie ſchmähliche Komödie erlauben foll, die Sie mir 
yezeichnet haben, ohne eines unmittelbaren Beiftands 
‚der einer ftiflfchweigenden Genoſſenſchaft ficher zu fein. 
Darum fcheinen mir diejenigen, welche fich deſſen 
chuldig gemacht haben, gefährlich genug zu fein; daß 
ch mich bei der Sorge, fle zu entlarven, nur auf mid 
elbft verlaffee Was denfen Sie davon ?“ 

„Sch bitte Eure Majeftät um Grlaubnig, ben 
Mund nicht mehr zu öffnen. Ich bin in Berzweiflung; 
ch babe noch Befürdtungen, und ich habe feinen 
Berdacht mehr.“ 

. „Sie find wenigftens ein redlicher Mann,” fagte 
ie Königin lebhaft, „Sie wiflen die Dinge in’s Ge: 
ſicht zu jagen; das ift ein Verdienſt, welches hie und 


14 


da die Unfchuldigen verwunden fann, wenn man fi 
in Beziehung auf fie täufchtz aber eine Wunde Heilt.“ 

„zb! Madame, es fchlägt elf Uhr: ich zittere.” 

„Berfihern Sie fih, daß Niemand bier ift,“ fagte 
die Königin, um ihren Gefährten zu entfernen. 

Charny gehorchte. Er lief in den Gebüfchen ums 
her bis zu den Mauern. 

„Niemand,“ ſprach er, als er zurüdfam. 

„Wo it die Scene vorgeiallen, die Sie erzählten ?“ 

„Madame, in diefem Augenblid, als ich von meiner 
Nachforſchung zurüdfehrte, habe ich einen furchtbaren 
Etreih in's Herz befommen. Ich erblidte Sie an 
derfelben Stelle, wo ich in den vergangenen Nüchten 
die falfhe Königin von Franfreich ſah.“ 

„Hier!“ riet die Königin, indem fie fih mit Ekel 
von der Stelle entfernte, die fie einnahm. 

„Unter diefem Kaitanienbaume, ja, Madame.“ 

„Dann bleiben wir nicht hier, mein Herr,“ fagte 
Marie Antoinette, „denn wenn fie hierher gefommen 
find, fo werten fie wieder hierher kommen.“ 

Charny folgte der Königin in eine andere Allee. 
Sein Herz fchlug fo ttarf, daß er das Geräuſch der 
Thüre, die fich öffnen würde, nicht zu hören befürchtete. 

Schweigiam und ſtolz, wartete fie auf die Gr: 
fyeinung des lebenrigen Beweiſes ihrer Unfchuld. 

58 ſchlug Mitternacht. Die Thüre öffnete ſich nicht. 

Es verging eine halbe Stunde, während welcher 
Marie Antoinette Charny mehr als zehnmal fragte, ob 
die Betrüger fehr vünftlich bei jedem von ihren Nen- 
dezvous geweſen feien? 

(58 ſchlug drei Viertel nach Mitternacht auf Saint: 
Louis von VBerfailles. 

Die Königin ftampfte vor Ungeduld mit dem Fuße. 

„Zie werden feben, daß fle Beute nicht fommen,“ 
fagte fie; „Felde Unglücksfälle widerfahren nur mir!“ 

Und während fie diefe Worte ſprach, ſchaute fie 
Charny an, als fuchte fie Streit mit ihm, hätte fie in 


15 


feinen Augen ben geringfien Schimmer von Triumph 
oder Ironie entdedt. 

Aber in demfelden Maße erbleichend, in welchem 
fein Verdacht in ihm wiederfehrte, beobachtete er eine 
fo ernfte und Ih nermürhige Haltung, daß fein Geficht 
gewiß in dieſem Augenblid der Wiederſchein der feelen- 
reinen Geduld der Märtyrer und der Engel war. 

Die Königin nahm ihn beim Arm und führte ihn 
zu dem Kaftanienbaum, unter dem fie ihren erften 
Haft gemacht Hatten. 

„Sie jagen,” flüfterte fle, „Hier fei es gewefen, 
wo Sie diefe Leute gejehen?“ 

„Hier, auf diefer Stelle, Madame.” 

„Hier hat die Frau dem Mann eine Rofe gegeben?“ 

„sa, Eure Majeftät.” 

Die Königin war fo ſchwach, fo angegriffen von 
vem langen Verweilen in diefem feuchten Barf, daß fie 
ih an den Stamm des Baumes anlehnte und den Kopf 
wf ihre Bruſt finfen ließ. 

Allmälig bogen ſich ihre Beine; er gab ihr den 
(rm nicht; fie fiel vielmehr auf das Gras und das 
Roos, als daß fie ſich darauf feste. 

Er blieb unbeweglidy und duͤſter. 

Sie drüdte ihre beiden Hände auf ihr Geficht und 
jarny konnte nicht eine Thräne diefer Königin zwifchen 

en langen, weißen Fingern herabgleiten ſehen. 

Plöglich erhob fle den Kopf und fprad: 

„Mein Herr, Sie haben Recht; ich bin verurtheilt. 

hatte verfprochen, heute zu beweifen, daß Sie midy 

eumdet; Gott will es nicht; ich beuge mid.“ 

„Madame...“ murmelte Charny. 

„Ich habe gethan,“ fuhr fie fort, „was feine Frau 

teiner Stelle gethan Hätte. Ich ſpreche nicht von 

yinnen. Oh! mein Herr, was ift eine Königin, 
fie nit einmal über ein Herz gebieten fann? 
ift eine Königin, wenn fle nicht einmal die Werth: 
ng eines redlichen Mannes erlangt? Oh! mein 


16 


Herr, helfen Sie mir menigftens aufftehen, dami 

gehen fann; verachten Sie mich nicht bis zu e 

Orade, daß Sie mir Ihre Hand verweigern.” 

g end flürzte wie ein Wahnfinniger auf 
niee. 

„Madame,“ fagte er, während er mit feiner S 
auf die Erde fohlug, „nicht wahr, wenn ich nich 
Unglüdflicher wäre, der Sie liebt, Sie würden 
vergeben?“ 

„Sie!” rief die Königin mit einem bittern 
lächter, „Sie! Sie lieben mich, und Sie halten 
für ſchändlich! ...“ 

„Oh! ... Madame.” 

„Sie! ... Sie, der Sie ein Bebächtniß E 
müßten, Sie beichuldigen mich, ich habe Hier eine ! 
dort einen Kuß, dort meine Liebe einem andern 9 
a! ... Mein Herr, feine Lüge, Sie lieben 
nicht!“ 

„Madame, dieſes Geſpenſt war da, dieſes Gel 
einer verliebten Königin. Da auch, wo idy bin, 
das Gefvenft des Geliebten. Reiben Sie mir das 
aus, da dieſe zwei böllifhen Bilder in meinem H 
leben und es verzehren.” 

Cie nahm feine Hand und zug ihn mit 
exaltirten Geberde zu fid. 

„Sie haben geſehen ... Sie haben gehört 
Nicht wahr, ih war es fiherlih?* ſprach fie mi 
ftifter Stimme. ... „Ob! ih war es, fuchen 
nichts Anderes. Nun wohl! wenn ich auf eben b: 
Plage, unter eben dieſem Kaſtanienbaum flpend, 
ih war, Sie zu meinen Füßen, wie der Andere 
wenn ich Shnen die Hand drüde, wenn ih Si 
meine Bruft ziehe, wenn ich Sie in meine Arme nı 
wenn ich Ihnen fage: Ich, die ich dies Alles dem 
dern gethan Habe, nicht wahr? ich, die ich baflelbe 
Andern gefagt babe, nicht wahr? wenn ich 2 
fage: Herr von Eharny, ich liebte, ich Liebe und ı 


. 17 


nur ein einziges Weſen auf der Welt lieben... . und 
das find Sie! ... Mein Gott! mein Gott] wird das 

enügen, um Sie zu überzeugen, daß man nicht 
——— iſt, wenn man im Herzen, mit dem Blute der 
Kaiſerinnen, das göttliche Feuer einer Liebe wie dieſe hat?” 

Charny fließ einen Seufzer aus, ahnlich dem eines 
DVerfcheidenden. Die Königin, indem fie fo mit ihm 
ſprach, hatte ihn mit ihrem Athem berauſcht; er hatte 
fie fprechen gefühlt, ihre Hand hatte anf feiner Schulter 

ebraunt, ihre Bruft hatte fein Herz verfengt, der 
Yihem Hatte feine Lippen verzehrt. 

„Laflen Sie mid Gott danken,” flüfterte er. 
„SH! wenn ich nicht an Bott dächte, dächte ich zu 
viel an Sie.” 

Sie erhob fih langfam; fie Heftete auf ihn zwei 
Augen, deren Thränen die Flammen ertränften. 

„Wollen Sie mein Leben?” fagte er ganz verwirrt. 

Ste ſchwieg einen Augenblid, ohne daß fie ihn 
anzufchauen aufhörte. 

„Beben Sie mir Ihren Arm,“ fagte fie, „und 
führen Sie mi überallhin, wohin die Anderen 
gegangen find. Zuerft hier... hier, wo eine Rofe 
gegeben wurde... .” 

Sie zog unter ihrem Kleide eine noch von dem 
Feuer, das ihre Bruſt verfengt, warme Rofe hervor 
und fprady: 

„Nehmen Ste!“ 

Er athmete den balfamifchen Duft der Blume ein, 
und verfchloß fie in feiner Bruft. 

„Hier,“ fagte fie, „hier hat bie Andere ihre Hand 
zum Kuffe gegeben.” 

„Shre beiden Hände!” ſprach Charny ſchwankend 
und trunfen in dem Aupenblid, wo ſich fein Geftcht in 
den brennenden Händen der Königin eingefchloffen fand. 

„Das ift ein gereinigter Plab,” fagte die Königin 
mit einem anbetungswürdigen Lächeln. „Sind Sie 
num nicht in die Apollo: Bäder gegangen ?“ 

Das Haldband der Königin, IV. 2 


18 


Gharny blieb, als wäre ber Himmel auf feinen 
Kopf gefallen, erftaunt, Halb tobt ftehen. 

„Das ift ein Ort,” fagte die Königin heiter, „wo 
ich nie anders, als bei Tage eintrete. Sehen mir 
mit einander die Thüre, durch welche der Liebhaber der 
Königin entfloh.“ 

Freudig, leicht, am Arme des glüdlidhiten Mannes 
hängend, den Gott k gefegnet, fchritt fie, beinahe lau: 
fend, über den Rafen hin, der das Gebüſch von der 
Nuntmauer trennte. So famen fie an die Thüre, vor 
welcher man die Spuren der Pierbehufe fa. 

„Es ift hier, außen,” fagte Charny. 

„Ich habe alle Schlüffel,” erwiederte die Königin. 
„Oeffnen Sie, Herr von Charny, wir wullen uns uns 
terrichten.” 

Sie gingen hinaus und büdten fi, um zu fehen; 
der Mund trat aus einer Wolfe hervor, als wollte er 
fie in ihren Nachforſchungen üben. 

Der weiße Strahl hing fich zärtliy an dem ſchönen 
Geſichte der Königin an, die fih horchend und im 
Geſträuche umherſchauend auf den Arm von Charny 


ützte. 
b Als ſie wohl überzeugt war, ließ fie Charny zurück⸗ 
fchren, indem fie ihn mit einem faniten Drude an ſich zog. 

Die Thüre ſchloß ſich wieder Hinter ihnen. 

Es fchlug zwei Uhr. 

„Sute Nacht,“ fagte fie. „Kehren Sie in Ihre 
Mohnung zurüd. Morgen.” 

Eie drüdte ihm die Hand und entfernte ſich, ohne 
eine Wort mehr, raſch unter den Hagebuchen, in ber 
Richtung des Schloſſes. 

Jenfeite der Thüre, die fie gefchloffen Hatten, 
erheb ih ein Mann mitten aus dem Geſträuche und 
verſchwand unter den Bäumen länge der Straße. 

Tiefer Mann trug bas Beheimnig der Königin 
mit ſich Torf, 


LXKX. 
Der Abfchied. 


Die Königin fand am andern Morgen ganz lächelnd 
und ganz fehöu auf, um zur Meffe zu gehen. 

Sr Machen hatten Beichl, Jedermann zu ihr 
fommen zu laffen. &6 war ein Sonntag, und Ihre 
Majeſtät Hatte beim Erwachen gejagt: . 

„Das tit ein fchöner Tag; es ift heute gut leben.“ 

Sie fhien auch mit mehr Bergnügen, als gewöhn- 
li, ven Wohlgeruch ihrer Lieblingsblumen einzuath- 
men; file zeigte ſich freigebiger in dem Geſchenken, die 
fie bewilligte; fie beeiferte fi), mehr ihre Seele in die 
Nähe Goties zu bringen. 

Sie hörte die Mefle ohne Zerfireuung, und hatte 
nie ihren majellätifchen Kopf fo tief gebüdt. 

Während fie mit Inbrunft betete, fcyaarte ſich die 
Menge, wie an den andern Sonntagen, auf dem Wege 
von den Gemächern zur Kapelle zutammen, und felbft 
ie Stufen ber Treppen waren bevedt mit Gavalieren 
nd Damen. Unter den legtern glänzte befcheiden, aber 

egant gekleidet, Frau von La Mothe. 

Und in dem doppelten Spalier, das die Edellente 

'deten, fah man rechts Herrn von Charny, dem viele 
ı feinen Freunden zu feiner Benefung , zu feiner 
ckkehr und befonders zu feinem firahlenden Gefichte 
ick wünſchten. 

Die Gunſt iſt ein feiner, durchdringender Wohlge⸗ 

‚ er vertheilt fih mit einer ſolchen Leichtigkeit in 

2uft, daß von ben Kennern lange vor der Deffnung 

Räucherpfännchens das Aroma erfannt, beftimmt 

jefhägt wird. Dlivier war erft feit ſechs Stun⸗ 

er Freund der Königin, aber ſchon nannte fi 
nann den Xreund von Dlivier. 

zährend er alle dieſe Glückwünſche X der guten 


20 


Miene eines wahrhaft feligen Menfchen hinnahm und, 
um ihm mehr Ehre und Freundſchaft zu erweifen, die 
ganze Linfe des Spaliers zur Rechten überging, gewahrte 
Dlivier, genöthigt, feine Blicke auf der Öruppe, bie 
ihn umſchwärmte, umherlaufen zu laflen, allein ſich 
gegenüber ein Gefiht, deſſen büftere Bläffe und Un: 
rent ihm mitten unter feiner Beraufchung 
auffiel. 

Er erfannte Philipp von Taverney, ber, in feine 
Untform eingezwängt, die Hand am Griffe feines Degens 


elt. 

Ceit den Höflichfeitsbefuchen, die der Lebtere im 
Borzimmer feines Gegners gemacht, feit der Cinſperrung 
von Charny durch den Doctor Louis hatte Fein Zuſam⸗ 
menhang zwifchen den zwei Nebenbuhlern flattgefunden. 

Charny, als er Philipp fah, der ihn ruhig, ohne 
Mohlwollen und ohne Drohung anfchaute, begann mit 
einem Gruße, den ihm Philipp von fern erwiederte. 

Hierauf fagte Dlivier, indem er mit feiner Hand 
durch die Gruppe fhnitt, die ihn umgab: 

„Verzeihen Sie, meine Herren... laſſen Sie 
mich eine Pflicht der Höflichkeit erfüllen.“ 

Und er burdhfchritt den zwiſchen dem Spaliere 
rechts und dem Spaliere links liegenden Raum, nnd 
ging gerade auf Philipp zu, der ſich nicht rührte. 

„Herr von Taverney,“ fagte er, während er no 
artiger, als das erſte Mal, grüßte, „ich mußte Ihnen 
für den Antheil danken, den Sie an meiner Geſundheit 
zu nehmen die Güte hatten, doch ich bin geſtern eril 
bier angekommen.” 

Philipp erröthete und fchaute ihn an, dann ſchlug 
er die Augen nieder. 

„Mein,“ fuhr Charny fort, „ich werbe bie Ehre 
haben, Ihnen morgen Ihren Beſuch zurüdzugeben, und 
ich hoffe, Sie hegen keinen Groll mehr gegen mich.” 

„Durchaus nicht, mein Herr,“ erwiederte Philipp. 

Charny war im Begriff, feine Hand auszuſtrecken, 


21 


zhilipp die feinige darauf legte, als die Trom⸗ 
Anfunft der Königin verfündigte. \ 

ie Königin fommt, mein Herr,“ ſprach langſam 
„ ohne daß er die freundfchaftliche Geberde von 
erwiedert hatte. 

> er punftirte diefe Worte durch eine mehr 
üthige, als falte Berbeugung. 

ı wenig erflaunt, beeilte ſich Charny, zu feinen 
n im Spalier links zurüdzufehren. - 

ilipp feinerfeits blieb, als ob er Schildwache 


> Königin näherte fih, man fah fie Mehreren zus 
Bittfchriften nehmen oder abnehmen laflen, denn 
n hatte fie Charny erichaut, und nicht mehr 
Blide von ihm mit jenem verwegenen Mutbe, 
bei ihren Freundfchaften die Zügel ſchießen 
b den ihre Beinde Unverfhämtheit nannten, 
», ſprach fie ganz laut die Worte: 
itten Sie heute, meine Herren, bitten Sie, ich 
te heute nichts abzufchlagen.“ 
arny war bis in die Tiefe des Herzens durch⸗ 
. von dem Ausdrud, von dem Sinn diefer Zau⸗ 
e. Er bebte vor MWonne, und dies war fein 
Dank gegen die Rönigin. 
slich wurde dieſe ihrer füßen, aber gefährlichen 
ung durch das Geräuſch eines Trittes, durch 
ı einer fremden Stimme entzogen. 
r Tritt knarrte zu ihrer Linfen auf der Platte, . 
egte, aber ernſte Stimme fpradı: 
tadame ...“ j 
e Königin erblidte Philipp; fie vermochte eine 
:wegung des Erſtaunens nit zu unterdrüden, 
fih fo zwifchen diefe zwei Männer geftellt ſah, 
en den einen zu fehr und den andern nicht 
zu lieben fie fih vielleiht zum Borwurf 


tet Herr von Taverney,“ rief fie vafch fi) 


[4 


2 B 
gie „ers u ‚Haben Rich etwas uerh 


"auf der Stelle, u 
aigin, während fe 2a 
warf, welden fon 
eben, fe 555 

er 
Yin dem rien Io 


empfing. 

"ds Herr von Tar 
Zone, „treten Sie ein 
ein gutes t. 36 
eine Untnbe, fo oft e 
wänfdt. Sie find vo 
Ei} iamilie. Bernhi 


bleicdher naı 
während der Scene mit 
#b Philipp, da er fah 
Königin in ihre pr 
niert: — 
tabame, 
—2 daß ig den 


1 68 IR eine M 
a! ja, Eure M 


23 


„Dh! mein Gott!" fagte Marie Antoinette, die ben 
eitern Ton wieder annahm, der Philipp fo unglüdlich 
sachte, „Sie haben gefagt: ah! Ich Arme, die ich 
in! würde eine Spanierin ausrufen, Herr von Taverney 
at gefagt: ach!“ 

„Madame,“ erwiederte Philipp mit ernflem Tone, 
zwei Worte werden Eure Majeftät fo vollftändig be- 
ubigen, daß nicht nur Ihre edle Stirne ſich heute 
icht bei der Annäherung eines Taverney verfchleiern, 
ondern daß fie ſich nie mehr durch die Schuld eines 
‚averney Maiſon⸗Rouge verichleiern wird. Heute noch, 
Radbame, wirb ber legte diefer Bamilie, dem Eure 
Najeftät einige Gunſt zu bewilligen die Gnade gehabt 
at, verfhwinden, um nie mehr an den franzöflichen 
of zurüdzufehren.” 

Alsbald warf die Königin die freudige Miene von 
ch, die fie als Hülfsmittel gegen die muthmaßlichen 
Jemüthsbewegungen bei diefer Zufammenfunft anges 
ommen hatte. 

„Sie gehen!” rief fie. 

„3a, Eure Majeftät.“ r 

„Sie... au!“ 

Philipp verbeugte ſich und erwiederte: 

„Meine Schwefter bat fchon den Kummer gehabt, 
fure Majeftät zu verlaffen; ich, ich war ber Königin 
och viel mehr unnüß, und ich gehe.“ 

Die Königin febte filh ganz unruhig bei dem Ge⸗ 
anfen, daß Andree ihren Abichied auf immer am Tage 
ach einem Zufammenfein bei Louis verlangt hatte, wo 
jerrn von Charny das erfte Anzeichen des Gefühles, 
as man für ihn hegte, zu Theil geworden war. 

„Seltfam!” murmelte fie träumerifch, und fie fügte 
in Wort mehr bei. 

Philipp blieb ſtehen wie eine marmorne Bildfäule, 
nd wartete auf die Geberde, die ihn entlaflen follte. 

Die Königin erwachte plößlich aus ihrer Erflarrung. 

„Wohin gehen Sie?" fragte fie. 





e 


24 


„Sch will mich zu Herrn von Lapeyroufe begeben.“ 

„Herr von Lapeyroufe tft in dieſem Augenblide in 
Neu-Foundland.“ 

„Ich habe alle Anſtalten getroffen, um zu ihm zu 
gelangen.“ 

„Sie wiſſen, daß man ihm einen gräßlichen Tod 
geweiſſagt hat?“ 

„Sräßlich, das weiß ich nicht,“ entgegnete Philipp, 
„doch einen fchnellen Tod, das ift mir befannt.“ 

„Mnd Sie reifen" 

Er lächelte mit feiner fo edlen und fo fanften 
Schönheit. 

„Gerade darum will ich Lapeyrouſe nachfolgen,“ 
agte er. 

Die Königin verſank abermals in ihr banges Still⸗ 
ſchweigen. 

Philipp wartete noch einmal ehrfurchtsvoll. 

Die ſo edle und ſo muthige Natur von Marie An⸗ 
toinette erwachte verwegener, als je. 

Sie ſtand auf... trat auf den jungen Mann zu 
und ſprach zu ihm, indem fie ihre weißen Arme auf 
ihrer Bruft kreuzte: 

„Warum gehen Sie?“ 

„Weil ich ſehr reifegierig bin,“ antwortete er mit 
fanitem Tone. 

„Aber Sie Haben fhon die Reife um die Welt 
gemadht,” entgegnete die Königin, bie fi einen Augen, 
blid durch dieie heldenmüthige Ruhe bethören ließ. 

„Die neue Welt, ja, Madame,“ fuhr Philipp fort, 
„doch nicht um die alte und die neue Welt zufammen.” 

Die Königin machte eine Geberde des Nergers 
und wiederholte, was fie au Andree gefagt Hatte: 

„Kifernes Geſchlecht, Hählerne Herzen, die Taverney. 
Ihre Schweiter und Sıe, Sie find zwei furchtbare Leute, 
Freunde, die man am Ende haßt. Sie gehen, nicht 
um zu reifen, denn Sie find deſſen müde, fondern um 
mich zu verlaflen. Ihre Schweiter wurde, wie fle jagte, 


25 


teligion beinfen, fie verbirgt ein Feuerher 
Ale. Kurz, fie wollte gehen, und fie i 

Gott made fie glüdlid. Sie, Sie, der 
(ih fein könnten, Sie gehen nun au... 
Ihnen vorhin, die Taverney bringen mir 


onen Sie uns, Madame; wenu Bure Majeflät 
ı hätte, befjer in unfern Herzen zu fuchen, fo 
eine grenzenloje Brgebenheit darin fehen.“ 
en Sie,“ rief die Königin zornig, „Sie find 
er, Ihre Schwefter ift eine Philofophin, uns 
Geſchöpfe; fie ſtellt fih die Welt wie ein 
vor, wo man nur unter ber Bedingung Eins 
‚ daß man zu den Heiligen gehöre; Sie Halten 
für die Hölle, in welche nur die Teufel ein- 
nd Sie Beide haben die Welt geflohen: das 
l Sie darin das finden, was Ste nicht fuchen; 
re, weil Sie nicht darin finden, was Sie 
Jabe ich Recht? Ei! mein lieber Herr von 
lafien Sie die menſchlichen Befchöpfe unv J 
ein; verlangen Sie von den königlichen 
r, daß fie die unvollfommenften von den 
en Gefchlechtern feien; ſeien Sie buldfam, 
Sie vielmehr nit je güchtiße 
Jetonte diefe Worte mit zu viel Leidenfchaft. 
pp war im Vortheil. 
yame,“ fagte er, „die Selbſtſucht iſt eine 
wenn man fich derfelben bedient, um feine 
n zu erheben.“ 
e Antoinette erröthete. 
3, was ich weiß,” fagte fie, „if, daß ich 
ebte, und daß fie mich verlaſſen hat; daß ich 
de auf Sie hielt, und dag Sie mich ebenfalls 
Es ift demüthigend für mid, zwei fo voll: 
Berfonen . .. ich ſcherze nicht, mein Herr... 
8 verlaffen zu fehen.“ 
t8 Tann eine Berfon demüthigen, die fo 


erhaben it, wie Sie,” erwiederte Taverney Falt; „bie 
Beſchämung erreicht Hohe Stirnen, wie Die Ihrige, nicht.“ 

„Ich ſuche mit aller Sorgfalt, was Sie hat ver⸗ 
letzen können,“ fuhr die Königin fort 

„Nichts, nichts Hat mich verlegt,“ erwiederte Phi⸗ 
lipp lebhaft. 

„Ihr Grad ift beflätigt worden; She Glück if im 
beiten Zuge; ich zeichnete Sie aus . 

„Ich wieberhole Burer Majeflät, daß mir nichts 
bei Hufe mißfällt.” 

„Und wenn ih Ihnen fagte, Sie follen bleiben ... 
und wenn ich es Ihnen befehlen würbe? . 

„Sch hätte den Schmerz, Eurer Majeftät mit einer 
Meigerung zu antworten.“ 

Die Königin verfenfte fi zum britten Mal in 
jene ftillfeyweigende Zurüdhaltung, die für ihre Logif 
das war, was bei dem ermübdeten echter die Handlung 
Fi durch die er jeinen Gegner aus der Lage zu Bringen 
ucht. 

Und da fie aus diefer Ruhe immer durch einen 
unerwarteten Schlag heraustrat, fo fagte fie, indem fie 
ihren flaren Bli auf Philipp heftete: 

„Es ift vielleicht Jemand hier, der Ihnen mißfaͤllt? 
Sie find argwöhniſch. 

„Niemand mißfältt mir.” 

„Ich glaubte, Sie ftünden ſchlecht ... mit einem 
Gavalier ... mit Herrn von Sharny . .. den Sie 
im Duell verwundet haben .. fagte bie Königin, 
fih flufenmeife belebend. „Und da es einfach if, das 
man die Leute flieht, die man nicht liebt, fo werben 
ie, fobald Sie die Rüdfehr von Herrn von ‚Sharny 
bemerft, den Hof zu verlaflen gewünſcht haben.“ 

Philipp antwortete nicht. 

Die Königin, die fih in Beziehung auf dieſen fo 
reblichen, fo wadern Mann täufchte, glaubte es mit 
einem gewöhnlichen Eiferfüchtigen zu thun zu haben. 
Sie verfolgte ihn ohne Schonung. 


27 


„Sie wiffen erſt feit Heute, daß Herr von Charny 
zurückgekommen ift,“ fuhr fie fort. „Sch ſage, feit 
heute? und heute verlangen Sie Ihren Abfchied 
von mir?“ 

Philipp wurde mehr bleifarbig, als bleid. So 
angegriffen, fo mit Füßen getreien, erhob er fich 
grauſam. 

„Madame,“ ſagte er, „es' iſt wahr, ich weiß bie 
Rückkehr von Herrn von Charny erft feit heute; nur 
ft es länger, als Eure Majeftät denkt, denn ich habe 
Herrn von Charny gegen zwei Uhr Morgens an ber 
Barfthüre getroffen, welche mit den Apollo-Bäbdern iu 
Berbindung fteht.“ 

Die Königin erbleichte ebenfalls, und nachdem fie 
mit einer Bewunderung, gemiſcht mit Schreden, die 
olltommene Höflichkeit betrachtet hatte, die der Edel⸗ 
nann in feinem Zorne behielt, murmelte fie mit er: 
oſchener Stimme: 

ge mein Herr, gehen Sie, ich halte Sie nicht 
urüd.“ 


Philipp verbeugte fi zum legten Mal und ging 
it langſamem Schritte weg. 

Die Königin fiel, wie vom Blitze getroffen, in 
ıen Lehnftuhl und rief: 
„Frankreich, du Land ber edlen Herzen!” 


LXX. 
Die Eiferfucht des Eardinals. 


Indefien hatte der Kardinal drei Nächte aufeinan= 
gen fehen, die fehr verfchieden von denen waren, 
» Kr Ginbildungskraft unabläffig fi wieder 
n ließ. N 





Keine Nachricht von irgend Jemand, Feine Hoff⸗ 
nung auf einen Beſuch. Diefe Todesftille nach ber 
Aufregung der Leidenfhaft war die Dunfelheit eines 
Kellers nach dem heitern Sonnenlicht. 

Der Gardinal fehmeichelte fih Anfangs der Hof: 
nung, feine Geliebte, ein Weib, bevor fie Königin, 
wolle fennen lernen, welcher Natur die Liebe wäre, 
die man ihr bezeigte, und ob fie nach der Prüfung wie 
vor derfelben gefiele. in ganz männlidhes Gefühl, 
deffen Körperlichkeit eine zweifchneidige Waffe wurbe, 
die den Cardinal fehr ſchmerzlich verwundete, wenn fie 
fi gegen ihn wandte. 0 

Als er nichts kommen fah und nichts hörte, als 
das Stillfchweigen, wie Herr Delille fagt, da befürds 
tete der Unglüdliche in der That, diefe Prüfung fet für 
ihn felbft ungünflig gewefen. Hievon rührte eine Angk, 
eine Bangigfeit her, von der man ſich feinen Degrif 
machen fann, wenn man nit an ben allgemeinen 
Nervenfchmerzen gelitten hat, welche aus jeder nad 
dem Gehirn ausmündenden Fiber eine Yeuerfchlange 
machen, die fih durch ihren eigenen Willen krümmt 
oder abfpannt. 

Dieſes Mipbehagen wurbe dem Garbinal unerfräg- 
lich; er ſchickte zehnmal in einem halben Tage in bie 
Mohnung von rau von La Mothe, zehnmal nad 
Verſailles. 

Der zehnte Eilbote brachte ihm endlich Jeanne, 
welche dort Charny und die Königin bewachte und ſich 
innerlich zu diefer Ungeduld des Cardinals, ver fie bald 
den günftigen Erfolg ihres Unternehmens zu verbanfen 
haben follte, Glück wuͤnſchte. 

Der Gardinal, als er fie fah, brach los: 

„Miet“ rief er, „Sie leben mit diefer Ruhe! 
Wie! Sie willen, daß idy auf der Folter bin, und Sie, 
die Eie ſich meine Freundin nennen, laflen diefe Folter 
bis zum Tode gehen!“ 

„Ei! Monfeigneur,” erwieberte Jeanne, „Webulb, 


senn’s beliebt. Was ich in Berfatlles fern von Ihnen 
hat, ift viel nüplicher, ale das, was Sie hier nach 
ir verlangend machten.” 

„Man ift nicht in diefem Grade graufam,” fagte 
Seine Ercellenz, befänftigt burdy die Hoffnung, Nach⸗ 
ichten zu erhalten. „Sprechen Sie, was fagt man, 
vas thut man dort?” 

„Die Abwefenheit ift ein fchmerzliches Hebel, mag 
tan nun in Paris oder in Berfailles daran leiden.” 

„Das entzüdt mich, und ich danke Ihnen dafür; 
r..2.* 

„Aber?“ 

„Beweiſe!“ 

„Oh! guter Gott,“ rief Jeanne, „was jagen Sie 
a, Monfeigneur! Beweife! ... Sind Sie wohl 
ei Bernunft, Monfeigneur, daß Sie von einer Frau 
3eweife von ihren Fehlern verlangen?“ ‚ 

„Ich verlange Feine Urkunde für einen Prozeß, 
zräfin; ich verlange ein Liebespfand.” 

„Mir Scheint,” erwiederte fie, nachdem fie Seine 
Ircellenz auf eine gewifie Weife angefchaut halte, 
She werden fehr anſpruchsvoll, wenn nicht fehr ver- 
eßlich.“ 


„Oh! ich weiß, was Sie mir ſagen wollen... 
h weiß, daß ich mich für fehr befriedigt . . . für fehr 
eehrt halten müßte; doch beurtheilen Sie mein Herz 
urch das Ihrige, Gräfin... Wie nähmen Sie es auf, 
venn Sie fo, nachdem Sie den Anſchein der Gunſt 
ehabt, auf die Seite geworfen würden?“ 

„Sie haben, glaube ich, gefagt, den Anfchein ?“ 
rwiederte Seanne mit demſelben fpöttifchen Tone. 

„SH! es ift gewiß, Sie können mid) ungeftraft 
hlagen, Gräfin, es if" wahr, nichts berechtigt mich, 
rich zu beklagen; doch ich beilage mich ...“ 

„Monfeigneur, ich Fann nicht für Ihre Unzufrie⸗ 
enheit verantwortlich fein, wenn fie nur [eichtiertige 
zründe Hat, oder wenn fie gar Feine Gründe hat.“ 


be 





30 


„Sräfin, Sie behandeln mich ſchlecht.“ 


„Monfeigneur, ich wieberkole Ihre Worte, Ih 
folge Ihrer @rörterung.” 

„Snfpiriren Sie fi durch fid ſelbſt, ſtatt mir 
meine Tollheiten vorzuwerfen; helfen Sie mir, fatt | 
mich zu martern.” 

„Sch kann Ihnen nicht da helfen, wo ich nichts zu 
thun fehe.“ | 
„Sie fehen nichts zu thun?“ fagte der Kardinal, 
indem Harn) jedes Mort einen Nachdruck legte. 

„Nichts.“ 

„Wohl! Madame,“ rief Herr von Rohan voll 
Heftigfeit, „es jagt vielleicht nicht Jedermann, was 
Sie fagen.“ 





„Ach! Monfeigneur, nun find wir bis zum Zorn 
gelangt, und wir verftehen ung nicht mehr. Eure Er⸗ 
cellenz wird mir verzeihen, wenn ich ihr dies bemerke.“ 

„Zum Zorn! ja... Ihr böfer Wille treibt mid 
dazu, Gräfin.“ 
keit — Sie berechnen nicht, ob dies Ungerechtig⸗ 
eit iſt ?“ 

„Oh! nein! Wenn Sie mir nicht mehr dienen, ſo 
iſt dies der Fall, weil Sie es nicht mehr anders machen 
konnen, das ſehe ich wohl.“ 

„Sie beurtheilen mich gut; warum klagen Sie 
mich dann an?“ 

„Weil Sie mir die ganze Wahrheit ſagen müßten, 
Madame.“ 


ch We Wahrheit! ich Habe Ihnen die gejagt, welche 
ih weiß.“ 

„Sie fagen mir nicht, daß die Königin eine Treu⸗ 
loſe, eine Coquette ift, daß fie die Leute anfpornt, fie 
anzubeten, und daß fie biefelben hernach ber Verzweif⸗ 
lung überantwortet.“ 

Jeanne ſchaute ihn mit erflaunter Miene an. 


„Erklären Sie ſich,“ fagte fie zitternd, nicht vor 
Angit, ſondern vor Freude. 


31 


Sie hatte in ber That in der Eiferſucht des Bars 
einen Ausgang erblidt, den ihr die Umſtände 
cht nicht gegeben hätten, um aus einer fo ſchwie⸗ 
Lage herauszufommen. 

Geſtehen Sie mir,” fuhr der Kardinal fort, der 
mit feiner Leidenſchaft rechnete, „geftehen Sie mir, 
te Sie, daß die Königin fich weigert, mich zu ſehen.“ 
Ich fage das nicht, Monfeigneur.” 

Geſtehen Sie, daß fie, wenn fie mich nicht mit 
vollen Willen zurüdfößt, was ich immer noch 
mich aus dem Befitze fest und fern von ſich Hält, 
icht itgend einen andern Liebhaber zu beunruhigen, 
m meine Huldigungen Verdacht erregt haben.“ 
Ah! Monfeigneur,” rief Seanne mit einem fo 
:eichen Tone, daß fie noch vielmehr errathen ließ, 
» verbergen wollte. 

Hören Sie mi,” fagte der Kardinal, „als ich 
Majeftät zum legten Male fah, glaubte ich im 
che gehen zu hören.” 

Tollheit!” 

Und ich werde Alles tagen, was ich muthmaße.“ 
Sagen Sie nit ein Wort mehr, Monfeigneur, 
leidigen die Königin, und überbies, wenn es wahr 
wenn fle fo unglücklich wäre, daß fie die Ueber: 
ng eines Liebhabers befürchten müßte, was ich 
glaube, wären Sie ungerecht genug, ihr ein Ver⸗ 
n aus der Vergangenheit zu machen, bie fie Ihnen 
Ipfer bringt?“ 

Die Vergangenheit! die Zergangenheit Das iſt 
roßes Wort; aber es fällt, Gräfin, wenn dieſe 
ngenbeit noch die Gegenwart ift und die Zukunft 
ur“ j 


Pfui! Monfeigneur; Sie fprechen mit nüry..als 
en Ste mit einem Mäfler, dem Ste vorwerfen 
n, er habe Sie zu einem ſchlechten Gefchäfte ver: 
» Ihr Argwohn, Monfeigneur, iſt fo verlegend für 
dnigin, daß er es am Ende auch für mich wird.“ 


4 





24 


„Ich will mich zu Herrn von Lapeyroufe begeben.“ 

„Herr von Lapeyroufe tft in dieſem Nugenblide in 
Neu-Foundland.“ 

„Ich habe alle Anſtalten getroffen, um zu ihm zu 
gelangen.“ 

„Sie wiſſen, daß man ihm einen gräßlichen Tob 
geweiffagt hat?“ 

„Sräßlich, das weiß ich nicht,” entgegnete Philipp, 
„doch einen fchnellen Tod, das ift mir befannt.“ 

„And Sie reifen?“ 

Er lächelte mit feiner fo edlen und fo fanften 
Schönpeit. 

„Gerade darum will ih Lapeyroufe nachfolgen,“ 
agte er. 

Die Königin verfanf abermals in ihr banges Gtills 
ſchweigen. 

Philipp wartete noch einmal ehrfurchtsvoll. 

Die fo edle und fo muthige Natur von Marie Aus 
foinette erwachte verwegener, als je. 

Sie fland auf... trat auf den jungen Mann zu 
und ſprach zu ihm, indem fie ihre weißen Arme auf 
ihrer Bruit kreuzte: 

„Warum gehen Sie?“ 

„Weil ich jehr reifegierig bin,“ antwortete er mit 
fanitem Tone. 

„Aber Sie Haben fhon die Reife um bie Welt 
gemadyt,“ entgegnete die Königin, die ſich einen Augen» 
blick durdy dieie heldenmüthige Ruhe bethören ließ. 

„Die neue Welt, ja, Madame,“ fuhr Bhilipp fort, 
„doch nicht um die alte und die neue Welt zufammen.“ 

Die Königin machte eine Geberde des Mergers 
und wirderholte, was fie zu Andrée gefagt Hatte: 

„Eiſernes Gefchlecht, Hählerne Herzen, die Taverney. 
Ihre Schweiter und Sıe, Sie find zwei furchtbare Leute, 
Freunde, die man am Ende habt. Sie gehen, nit 
um zu reifen, denn Sie find defien müde, fondern um 
mich zu verlaflen. Ihre Echweiter wurde, wie fie jagte, 


25 


on der Religion berufen, fle verbirgt ein Feuerher 
nter der Aſche. Kurz, fie wollte gehen, und fie i 
egangen. Gott made fie glüdlid. Sie, Sie, der 
5ie glüdlich fein Fönnten, Sie gehen nun au... 
h fagte Ihnen vorhin, die Taverney bringen mir 
nglüd!” . 

„Schonen Sie uns, Madame; wenu Bure Majeftät 
ie Gnade hätte, befler in unfern Herzen zu fuchen, fo 
yürde fie eine grenzenloje @rgebenheit darin ſehen.“ 

„Hören Ste," rief die Königin zornig, „Sie find 
in Quäfer, Ihre Schwefter ift eine Philofophin, uns 
nögliche Geſchöpfe; fie ſtellt fih die Welt wie ein 
Jaradies vor, wo man nur unter ber Bedingung Eins 
ritt finde, daß man zu den Heiligen gehöre; Sie Halten 
ie Welt für die Hölle, in welche nur die Teufel ein« 
reten; und Sie Beide haben die Welt geflohen: das 
fine, weil Sie darin das finden, was Ste nicht fuchen; 
a8 Andere, weil Sie nicht darin finden, was Sie 
ıhen. Habe ich Neht? Ei! mein lieber Herr von 
-averney, laſſen Sie die menſchlichen Geſchöpfe unvolls 
ommen fein; verlangen Sie von den Föniglichen Bas 
vilien nur, daß fie die unvollfommenften von den 
ıenfchlichen Geſchlechtern feien; feien Sie buldfam, 
ber feien Sie vielmehr nicht telbRtüchtig.. 

Sie betonte diefe Worte mit zu viel Leidenfchaft. 

Philipp war im Bortheil. 

„Madame,“ fagte er, „die Selbſtſucht iſt eine 
ugend, wenn man ſich derfelben bedient, um feine 
‚nbetungen zu erheben.“ 

Marie Antoinette erröthete. 

„Alles, was ich weiß,“ fagte fie, „iſt, daß ich 
ndree liebte, und daß fie mich verlaffen hat; daß ich 
roße Stüde auf Sie hielt, und daß Sie mich ebenfalls 
erlaffen. Es if demüthigend für mich, zwei fo voll: 
smmene Perfonen ... ich fcherze nicht, mein Herr... 
wein Haus verlaflen zu ſehen.“ 

„Nichte Tann eine Perſon demüthigen, die fo 





26 


erhaben ift, wie Sie,” erwieberte Taverney kalt; „bie 
Beſchämung erreicht Hohe Stirnen, wie die Ihrige, nicht." | 

„Ich ſuche mit aller Sorgfalt, was Sie hat vers 
legen fünnen,“ fuhr die Königin fort. 

Ki ‚richte, nichts hat mich verlegt,“ erwiederte Phi | 
pp leb 

„Ihr Grad ift beftätigt worden; Ihr Glück if im 
beften Zuge; ich zeichnete Sie aus 

„Sch wiederhole Eurer Majeflät, daß mir nichte 
bei Hofe mißfällt.“ 

„Und wenn ich Ihnen fagte, Sie follen bleiben ... 
und wenn ich es Ihnen befehlen würde? ... 

„Ich hätte den Schmerz, Eurer Majeftät mit einer 
Meigerung zu antiworten.“ 

Die Königin verfenfte fi zum dritten Mal in 
jene ftillfyweigende Zurüdhaltung, die für ihre Logif 
das war, was bei dem ermüdeten Yechter die Handlung 
ift, durch die er jeinen Gegner aus der Lage zu bringen 

t. 


Und da fie aus bdiefer Ruhe immer durch einen _ 
unerwarteten Schlag heraustrat, fo fagte fie, indem fe 
ihren flaren Blid auf Philipp heftete: 

„Es ift vielleicht Jemand bier, der Shnen mißfällt? 
Sie find argmöhnifch.“ 

„Niemand mißfällt mir.“ 

„Ich glaubte, Sie flünden ſchlecht ... mit einem 
Gavalier... mit Herrn von Charny . den Sie 
im Duell verwundet haben...“ fagte die Königin, 
ſich ftufenweife belebend. „Und da es einfach iſt, daß 
man die Leute flieht, die man nicht liebt, ſo werden 
Sie, ſobald Sie die Rüdfehr von Herrn von ‚Sharny 
bemerft, den Hof zu berlaflen gewünfcht Haben.“ 

Philipp antwortete nicht. 

Die Königin, die fi in Beziehung auf diefen fo 
reblichen, jo wadern Mann täuſchte, glaubte es mit 
einem gemöhnlichen Giferüchtigen zu ihun zu haben. 
Eie verfolgte ihn ohne Schonung. 


27 
Sie wiſſen erft feit Heute, daß Herr von Eharny 
gefommen iſt,“ fuhr fie fort. „Ich ſage, feit 
f ‚und heute verlangen Sie Ihren Abſchied 
ir” 
3hilipp wurde mehr bleifarbig, als bleich. So 
eiffen, fo mit Füßen getreien, erhob er fi 


ım. 

Madame,” fagte er, „es’ift wahr, ich weiß bie 

ehr von Herrn von Charny erft feit Heute; nur 
länger, als Eure Majeftät denft, denn ich habe 
von Charny gegen zwei Uhr Morgens an ber 

hüre getroffen, welche mit den Apollo-Bädern iu 

ndung fteht.“ 

Yie Königin erbleichte ebenfalls, und nachdem fie 

iner Bewunderung, gemifht mit Schreden, »ie 

mmene Höflichkeit betradytet Hatte, die der Edel⸗ 
in feinem Zorne behielt, murmelte fie mit ers 

ıer Stimme: 

But, mein Herr, gehen Sie, ich halte Sie nicht 


zhilipp verbeugte ſich zum letzten Mal und ging 
ingſamem Schritte weg. ' 
Yie Königin fiel, wie vom Blitze getroffen, in 
Lehnſtuhl und rief: 

Frankreich, du Land der edlen Herzen!“ 


LXX. 
Die Eiferfucht des Eardinals. 


indefien hatte der Barbinal drei Nächte aufeinans 
(gen fehen, die fehr verfchieben von denen waren, 
(lee Ginbildungsfraft unabläffig fih wieder 
n LieB. ° N 


‘x 





28 


Keine Nachricht von irgend Jemand, Feine Hoff: 
nung auf einen Beſuch. Diefe Todesftille nach der 
Aufregung der Leidenfhaft war die Dunkelheit eine 
Kellers nach dem heitern Sonnenlidt. 

Der Barbinal ſchmeichelte fih Anfangs der Hoff: 
nung, feine Geliebte, ein Weib, bevor fie Königin 
wolle fennen lernen, welcher Natur die Liebe wäre, 
die man ihr bezeigte, und ob fie nach der Prüfung wie 
vor derfelben geflele. in ganz männliches Gefühl, 
deſſen Körperlichfeit eine zweifchneidige Waffe wurde, 
die den Cardinal fehr fohmerzlich verwundete, wenn ſie 
fih gegen ihn wandte. 

Als er nichts fommen ſah und nichts Härte, ale 
das Stillfchweigen, wie Herr Delille fagt, da befürch— 
tete der Unglüdliche in der That, diefe Prüfung fei für 
ihn felbft ungünſtig geweſen. Hievon rührte eine Angüt, 
eine Bangigfeit her, von der man fich feinen —A 
machen kann, wenn man nicht an den allgemeinen 
Nervenichmerzen gelitten Hat, weldde aus jeder nad 
dem Gehirn ausmündenden Fiber eine Peuerfchlange 
machen, die fih durch ihren eigenen Willen krümmt 
oder abfpannt. 

Diefes Mißbehagen wurde dem Cardinal unerfräg: 
li; er fchidte zehnmal in einem halben Tage in bie 
Mohnung von Frau von La Mothe, zehnmal nad 
Verfailles. 

Der zehnte Eilbote brachte ihm endlich Seanne, 
welche dort Charny und die Königin bewachte und fi 
innerlich zu dieſer Ungeduld des Cardinals, der fie bald 
den günitigen Erfolg ihres Unternehmens zu verbanfen 
haben ſollte, Süd wünfdte. 

Der Cardinal, als er fie fah, brach los: 

„Miet“ rief er, „Sie leben mit diefer Ruhe! 
Wie! Sie willen, daß ich auf der Folter bin, und Sie, 
bie Sie ſich meine Kreundin nennen, laffen dieſe Folter 
bis zum Tode geben!” 

„Ei! Monfeigneur,“ erwiederte Seanne, „Geduld, 


senn’s beliebt. Was ich in Verfatlles fern von Ihnen 
hat, ift viel nüglicher, als das, was Sie hier nach 
tir verlangend machten.“ 

„Man ift nicht in diefem Grade graufam,” fagte 
Seine Ercellenz, befänftigt durch die Hoffnung, Nach⸗ 
ichten zu erhalten. „Sprechen Sie, was fagt man, 
oas thut man dort?“ 

„Die Abwefenheit ift ein fhmerzliches Uebel, mag 
ıan nun in Paris oder In Berfailles daran leiden.” 
„Das entzüdt mid, und ich danke Ihnen dafür; 
„Aber?” 

„Beweiſe!“ 

„Dh! guter Bott,” rief Jeanne, „was Tagen Sie 
a, Monfeigneur! Beweife! ... Sind Sie wohl 
ei Bernunft, Monfeigneur, daß Sie von einer Frau 
zeweiſe von ihren Fehlern verlangen?” , 

„Ich verlange Feine Urkunde für einen Prozeß, 
zräfin; ich verlange ein Liebespfand.” 

„Mir fcheint,” erwiederte fie, nachdem fie Seine 
Ircellenz auf eine gewifie Weife angefchaut Halte, 
en fehr anſpruchsvoll, wenn nicht fehr ver- 
e „" 

„hl ih weiß, was Sie mir fagen wollen... 
H weiß, daß ich mich für fehr befriedigt . . . für fehr 
eehrt halten müßte; doch beuriheilen Sie mein Her 
uch das Ihrige, Gräfin... Wie nähmen Sie es auf, 
yenn Sie fo, nachdem Sie den Anfchein der Gunſt 
ehabt, auf die Seite geworfen würden?“ 

„Sie haben, glaube ich, gefagt, den Anfchein ?” 
ewiederte Jeanne mit demſelben fpöttifchen Tone. 

„Dh! es ift gewiß, Sie fünnen mid) ungeflraft 
hlagen, Bräfin, es ifb wahr, nichts berechtigt mich, 
ich zu beflagen; doch ich beflage mid... . “ 

„Monfeigneur, ich Fann nicht für Ihre Unzufrie⸗ 
enheit verantwortlich fein, wenn fie nur Teichtiertige 
Sründe Hat, oder wenn fie gar Beine Gründe hat.“ 


ber 





30 


„Gräfin, Ste behandeln mich fchlecht." 


„Monfeigneur, ich wieberkole Ihre Worte, IH , 
folge Ihrer Crörterung.“ | 

„Snfpiriren Ste fih durch fi felbft, ſtatt mir 
meine Tullheiten vorzuwerfen; helfen Sie mir, ſtatt 
mid) zu martern.” | 
r * kann Ihnen nicht da helfen, wo ich nichts u 

un ehe.” 

„Sie fehen nichts zu thun?“ fagte der Karbinal, 
indem er auf jebes Wort einen Nachdrud legte. 

„Nichte.“ 
„Wohl! Madame,” rief Herr von Rohan voll 
Heftigfeit, „es jagt vielleicht nicht Jedermann, was 
Sie ſagen.“ 

„Ach! Monfeigneur, nun find wir bie zum Zorn 
gelangt, und wir verftehen uns nidyt mehr. Gure Er⸗ 
cellenz wird mir verzeihen, wenn ich ihr dies bemerke. 

„Zum Zorn! ja... Ihr böfer Wille treibt mid) 
dazu, Gräfin.” 
kei ind Sie berechnen nit, ob dies Ungerechtig⸗ 
eit it?“ 

„Dh! nein! Wenn Sie mir nicht mehr dienen, fo 
itt Dies der Fall, weil Sie es nicht mehr anders machen 
fönnen, das fehe ich wohl.“ 

„Sie beurtheilen mid gut; warum Tagen Gie 
mich dann an?” 

„Weil Ste mir die ganze Wahrheit fagen müßten, 
Madame.“ 

m ie Wahrheit! ich Habe Ihnen die gefagt, welde 
ich weiß.” 

„Sie fagen mir nicht, daß die Königin eine Treu | 
loſe, eine Coquette ift, daß fie die Leute anfpornt, fe |” 
anzubeten, und baß fie diefelben hernach der Verzweif⸗ 
lung überantwortet.” 

Jeanne ſchaute ihn mit erflaunter Miene an. 

„Srflären Sie ſich,“ fagte fie zitternd, nicht vor 
Angit, ſondern vor Freude. 


31 


zie hakte in der That in der Eiferſucht des Car⸗ 
einen Ausgang erblickt, den ihr die Umftänte 
cht nicht gegeben hätten, um aus einer fo ſchwie⸗ 
Lage herauszufommen. 
deftehen Sie mir,” fuhr der Garbinal fort, der 
mit feiner Leidenſchaft rechnete, „geflehen Sie mir, 
e Sie, daß die Königin fich weigert, mich zu fehen.“ 
Ich Sage das nicht, Monfeigneur.“ 
Beftehben Sie, daß fie, wenn fie mich nidht mit 
vollen Willen zurückſtößt, was ih immer noch 
mich aus dem Befitze fest und fern von ſich Hält, 
ht irgend einen andern Liebhaber zu beunruhigen, 
n meine Huldigungen Verdacht erregt haben.“ 
Ah! Monfeigneur,” rief Seanne mit einem fo 
eihen Tone, daß fie noch vielmehr errathen ließ, 
verbergen wollte. 
hören Sie mich,“ fagte der Garbinal, „als ich 
Najeftät zum legten Male fah, glaubte ih im 
he gehen zu hören.“ 
dollheit!“ 
Ind ich werde Alles Tagen, was ich muthmaße.“ 
Sagen Sie nicht ein Wort mehr, Monfeigneur, 
leidigen die Königin, und überdies, wenn es wahr 
wenn ſie fo unglüdli wäre, daß fie die Ueber: 
9 eines Liebhabers befürchten müßte, was ich 
laube, wären Sie ungerecht genug, ihr ein Ber: 
ı aus der Vergangenheit zu machen, bie fie Ihnen 
Ipfer bringt?” 
Die Bergangenheit! die ergangenbeit! Das ift 
oßes Wort; aber es fällt, 
ıgenheit noch die Gegenwart ift und die Zukunft 


Pfui! Monfeigneur; Sie ſprechen mit nfiry..als 
n Sie mit einem Mäkler, dem Ste vorwerfen 
1, er habe Sie zu einem ſchlechten Gefchäfte vers 
‚ Ihr Argwohn, Monfeigneur, ift fo verlegend für 
nigin, daß er es am Ende aud für mich wird.“ 


q 


räfin, wenn biefe _ 





32 


„Dann, Gräfin, beweifen Sie mir... .“ 

„Ah! Monfeigneur, wenn Sie diefes Wort wieber- 
holen, fo nehme ich die Beleidigung für meine Rechnung.“ 

„Kurz! ... liebt fie mich ein wenig?“ 

„Da gibt es etwas ganz Binfaches, Monfeigneur,” 
fagte Jeanne, indem fie auf den Tiſch des Garbinals 
und auf das darauf fiehende Schreibzeng deutete. 
a Sie ſich dorthin und fragen Sie bie Königin 
e . 


Der Cardinal ergriff voll Entzücken die Hand von 
Jeanne und rief: 

„Sie werden ihr das Billet zuſtellen ?“ 

„Wenn ich es ihr nicht zuſtellte, wer würde es denn 
fonft übernehmen ?“ 

„Und... Sie verfprechen mir eine Antwort?” 

„Wenn Sie feine Antwort befämen, wie würben 
Sie erfahren, woran Sie fih zu Kalten Haben ?“ 

„Ob! fo ift es gut, Bräfln, fo liebe ih Sie.“ 

„Nicht wahr ?" Tagte fie mit ihrem feinen Lächeln. 

Er fegte fih, nahm die Feder und fing einen Brief 
an. Herr von Rohan hatte eine berebte 44*8 einen 
leichten Brief; doch er zerriß zehn Blätter, che er ſich 
felbft gefiel. 

„Wenn Sie immer fo fortmachen, werben Sie 
nie zum Ziele fommen,“ fagte Jeanne. 

„Sehen Sie, Sräfln, ich mißtraue meiner Zärts 
lichkeit; fie überfirömt unwillfürlih und würbe vielleicht 
bie Rönigin ermüden.“ 


“ verſetzte Jeanne mit Ironie, „wenn Sie 


ihr als Politiker ſchreiben, fo wird fle Shnen mit 
euem diplomatifchen Billet antworten. Das iR Ihre 
ade.” 


„Sie haben Recht, und Sie find eine ächte Frau 
nach Beift und dern. Hören Sie, Gräfin, warum 
follten wir ein Geheimniß für Sie haben, da Gie das 
unfere befigen ?“ 

Sie lächelte. 


33 


„Es ift wahr,” fagte fie, „Sie haben mir wenig 
zu verbergen.” 

„Lefen Sie über meine Schulter, lefen Sie fo 
fchnell, als ich fchreiben werde; denn mein Herz brennt, 
meine Feder wird das Bapier verzehren.” 

Er ſchrieb in der That; er fehrieb einen Brief fo 
lühend, fo toll, fo voll von Liebesvorwürfen und ge⸗ 
—328— Betheuerungen, daß, als er geendet hatte, 
Jeanne, die ſeinen Gedanken bis zur Unterſchrift folgte, 
zu ſich ſelbſt ſagte: 

„Er hat geſchrieben, was ich ihm zu dictiren nicht 
gewagt haͤtte.“ 

Der Cardinal überlas ſein Billet und fragte dann 


„Iſt es fo gut?” 

„Wenn die Königin Sie liebt,“ erwiederte bie 
Berrätherin, „fo werden Sie fie morgen fehen; nun 
aber verhalten Sie ſich ruhig.“ 

„Bis morgen, ja.” 

„Ich verlange nicht mehr, Monfeigneur.“ 

Sie nahm das verflegelte Billet, ließ fi von 
Monfeigneur auf die Augen füffen, und fehrte gegen 
Abend nad Haufe zurüd. Ausgekleidet, erfrifcht, fing 
fie Hier an nachzudenfen. 

Die Lage war fo, wie fie fich diefelbe feit ihrem 
erften Auftreten verfprochen hatte. 

Noch zwei Schritte, und fie war am Ziel. 

Wen von Beiden war es beffer zum Schilde zu 
wählen: die Königin oder ben Cardinal? 

Diefer Brief des Cardinals verfegte ihn in bie 
Unmöglidhfeit, je Frau von La Mothe an dem Tage 
anzuflagen, wo fie ihn nöthigen würde, die für das 
Halsband fhuldige Summe zurüdzubezahlen. 

Angenommen, der Cardinal und die Königin wür⸗ 
den ſich fehen, um fich zu verfländigen, wie follten fie 
es wagen, Fran non fa Mothe, die Berwahrerin eines 
fo ärgerlicen Geheimnifies, zu Grunde zu richten? 

Dad Balsband der Königin. IV. 3 





34 


Die Königin würbe feinen Lärmen machen und 
ı den Haß des GBardinals glauben, der Garbinal 
yirde an die Coquetterie der Königin glauben, doc 
ie Debatte, wenn eine entflünde, würde bei gefchluffenen 
Ehuren Nattfinden, und nur bearygwohnt würde Frau 
von Ya Mothe dirfen Borwand ergreifen, nm fid, die 
fhöne Summe von anderthalb Millionen realificend, ans 
dem Baterlande zu verbannen. 

Der Cardinal wurde wohl wiflen, Seanne babe 
diefe Brillanten genommen, die Königin würde es wohl 
errathın; doch wuzu follte es ihnen nüpen, eine Anger 
legenheit ruchbar zu maden, weldye jo eng mit ber 
des Parks und der Apollo-Bäder in Verbindung ge: 
bradyt war? 

Nur genügte nidyt ein Brief, um biefes ganze 
Bertheidigungsiyfem fersufellen; der Cardinal hatte 
gute Federn, er würde fieben= bis achtmal fchreiben. . 

Was die Königin betrifft, wer weiß, ob fie nit 
mit Herrn von Charny Waffen für Jeanne von La 
Mothe ſchmiedete? 

So viele Wirrfale und Umwege liefen im ſchlinm⸗ 
ſten Ball auf eine Flucht aus, und Jeanne ſetzte ſchor 
zum Voraus ihre Stufen über einander, 

Zuerst Verfall des Termine, Anzeige ber Juweliere. 
Die Königin ging gerade zu Herrn von Rohan. 

ie 


Durch die Bermittelung von Jeanne, das war uns 
vermeidlih. Jeanne benadprichtigte den Cardinal um 
forderte ihn auf, zu bezahlen. 

Meigerte er fih . . . Drohung, bie Briefe zu ver 
öffentliyen; er bezahlte. 

Nach geleifteter Bezahlung feine Gefahr meh 
Mas den öffentliyen Lärm betrifft, fo blieb nad » 
Intriguenfrage auszubeuten. In biejem VPunkte vo 
fummene Befriedigung. Die Ehre einer Königin u 
eines Kircheniürfien um den reis von anderth 
Millionen, das war noch zu wohljeil. Jeanne glau 


3) 


zu fein, fie würde drei Millionen bekommen, 
fe wollte. 
nd warum war Seanne ihrer Sache in Beziehung 
> Jutriguenfrage fu fiher? 
teil der Gardinal der Ueberzeugung lebte, er 
rei Nächte hinter einander bie Königin in den 
hen von Berfailles gefehen ... und weil feine 
der Erde dem Cardinal beweilen würde, er 
ich ge äuſcht ... Weil ein einziger Beweis des 
j6 übrig blieb, ein lebendiger, unverwerflicher 
8, den aber Jeanne aus der Debaite zu entfernen 
griff ſtand. 
ei dieſem Punkte ihres Nachfinnens angelangt, 
eanne an das Fenfter und erblidte Oliva, ganz 
ig, ganz neugierig auf ihrem Balcon. 
88 iſt an uns Beiden,” dachte Jeanne, indem fie 
Jerährtin zärtlich grüßte.. . . 
ie Gräfin machte Oliva das verabredete Zeichen, 
:» am Abende herabfomme. 
anz freudig, nachdem fie diefe officielle Mitthei- 
thalten, fehrte Oliva in ihr Zimmer zurüd, und 
e verſank wieder in ihr Nachdenken. 
as Werkzeug zerbrechen, wenn es nicht mehr bies 
nn, das ift Die Gewohnheit aller Leute der In⸗ 
; nur foheitert Die Mehrzahl derfelben, entweder, 
fie dieies Werkzeug fo zerbrechen, daß es einen 
r ausflößt, der das Geheimniß verräth, oder ins 
e es unvollfländig genug zerbrechen, daß es noch 
a zu dienen vermag. . 
eanne dachte, ganz dem Vergnügen, zu leben, zus 
‚, würde fi die Eleine Dliva nicht zerbrechen 
ohne einen Seuizer von fi zu geben. 
tan mußte nothwendig für fle eine Fabel erfinnen, 
beflimmte, zu fliehen; eine ‚andere, die ihr fehr 
iu fliehen geflattete. 
te Schwierigfeiten erhoben fi auf jedem Schritt; 
ewifle Geiſter⸗ ſinden ein ebenfo gro es Desgnügen 


\ 





36 


daran, die Schwierigkeiten aufzulöfen, ale anbere, bie 
Roſen mit Füßen zu treten. 

Dliva, fo fehr fie über die Geſellſchaft ihrer neuen 
Treundin entzüdt war, war doch nur beziehungeweife 
darüber entzüdt, das Heißt, infofern fie dieſe Verbin⸗ 
dung durch die Scheiben ihres Gefängniſſes erfchaute, 
fand fie diefelbe koſtbar. 

Doch die aufrichtige Nicole verbarg ihrer Freun⸗ 
din nicht, der lichte Tag, die Spazierfahrten im hellen 
Sonnenfchein, kurz alle die Wirflichkeiten des Lebens 
wären ihr lieber gewefen, als die nächtlichen PBromes 
naden und das erdichtete Königthum. 

Die Beinahe des Lebens waren Seanne, ihre Lieb: 
fofungen und ihre Vertraulichkeit, die Wirklichkeiten 
des Lebens waren Geld und Beaufire. 

Seanne, welde diefe Theorie gründlih ſtudirt 
hatte, gelobte fich, diefelbe bei ber erſten Gelegenheit 
anzuwenden, 

Indem fie fich zufammenfaßte, gab fie als Thema 
ihrer Unterrebung mit Nicole die Notäwendigfeit, 
den Beweis ber flraibaren im Parf von Berfailles 
begangenen Betrügereien ganz und gar verfchwindben 
zu maden. 

Die Nacht brach ein, Dliva kam herab. Jeanne 
erwartete fie vor der Thür. 

Beide gingen wieder die Rue Eaint: Claude bis 
zu dem verödeten Boulevard Hinauf, wo fie ihren 
Magen erreichten, den fie, um befler mit einander 
fprechen zu fünnen, im Schritt auf dem Wege fahren 
ließen, welcyer fich Freisförmig nach Vincennes zieht. 

Nicole war wohl eingehüllt in ein einfaches Kleid 
und in eine weite Caleche, Seanne war ale Briferte 
gekleidet, und Niemand vermochte fie zu erfennen. 
Man hätte zu diefem Behufe überdies in den Wagen 
tauchen müften, und die Polizei allein war hiezu befugt. 
Mine aber hatte bis jegt Verdacht bei der Bolizei 
erwedt. 


37 


Dabei trug dieſer Wagen, ſtatt nur glatt zu fein, 
an feinen Füllungen das Wappen der Balois, eine 
beachtenswerthe Schildwache, deren Verbot zu durchbre⸗ 
chen oder zu überfchreiten die Gewaltthat eines Agenten 
nie gewagt hätte. 

Dliva fing bamit an, daß fie Jeanne mit Küffen 
bedeckte, und diefe erwiederte diejelben mit Wucher. 

„Oh! was habe ih mich gelangweilt,” fagte 
Oliva, „ih fuhte Sie, ih rief nah Ihnen.“ 

„Unmöglih, meine Sreundin, ich konnte Sie un: 
möglidy befuchen, ich wäre eine zu große Gefahr ge⸗ 
laufen, und hätte Sie aud einer ſolchen preisges 


„Wie dies?” fragte Nicole erflannt. 

„Bine furchtbare Befahr, meine Kleine, worüber 
ich noch zittere.“ 

„Dh! erzählen Sie mir das geſchwinde?“ 

„Sie wiften, dag Sie hier viele Feinde haben?” 

„Leider, ja!“ 

„Und daß Eie, um fi zu zerfireuen, auszugehen 
wünſchten?“ 

„Wozu Sie mir ſo freundſchaftlich verholfen 
aben.” 
’ „Sie wiffen auch, daß ich Ihnen von jenem Mund- 
ſchent ſprach, der etwas verrüdt, aber fehr angenehm 
und in die Königin verliebt ift, weldyer Sie ein wenig 
gleichen.“ 

„Sa, ich weiß das.” 

„Sch hatte die Schwäde, Ihnen eine unfchnldige 
Unterhaltung vorzufchlagen, die darin befand, daß 
wir uns über den armen Jungen luflig maden und 
ihn fo myflificiren wollten, daß er an eine Laune der 
Königin für ihn glauben follte.” 

„Ad!“ feufste Dliva. 

„Ih erinnere Sie nicht an bie zwei erfien Pro⸗ 
menaden, die wir in der Naht im Garten von Ber: 
faifles in Geſellſchaft diefes armen Zungen machten.” 


30 


„Sräfin, Sie behandeln mich fchlecht.“ 

„Donfeigneur, ich wiederhole Ihre Worte. Ich 
folge Ihrer Erörterung.“ 

„Snfpiriren Ste fih durch fi ſelbſt, flatt mir 
meine Tollheiten vorzuwerfen; helfen Sie mir, ſtatt 
mid) zu martern.” 

„SH Fann Ihnen nicht da helfen, wo ich nichte zu 
thun fehe.“ 

„Sie fehen nichts zu thun?“ fagte der Cardinal, 
indem er auf jedes Wort einen Nachdrud legte. 

Nichte.” 

„Wohl! Madame,” rief Herr von Rohan voll 
Heftigfeit, „es jagt vielleicht nicht Jebermann, was 
Sie fagen.“ 

„Ah! Monfeigneur, nun find wir bie zum Zorn 
gelangt, und wir verftehen ung nicht mehr. Eure Er; 
cellenz wird mir verzeihen, wenn ich ihr dies bemerfe.“ 

„um Zorn! ja... Ihr böfer Wille treibt mid 
dazu, Gräfin.“ 

„Und Sie berecinen nit, ob dies Ungerechtig⸗ 
keit iſt ?“ 

„Oh! nein! Wenn Sie mir nicht mehr dienen, ſo 
iſt dies der Fall, weil Sie es nicht mehr anders machen 
können, das ſehe ich wohl.“ 

„Sie beurtheilen mich gut; warum klagen Sie 
mich dann an?“ 

„Weil Sie mir die ganze Wahrheit ſagen müßten, 
Madame.“ 
ich „Die Wahrheit! ich habe Ihnen die geſagt, welche 
ich weiß.“ 

„Sie fagen mir nicht, daß die Königin eine Treu: 
lofe, eine Coquette ift, daß fie die Leute anfpornt, fe 
anzubeten, und daß fie diefelben hernach der Verzweif—⸗ 
lung überantwortet.” 

Jeanne fchaute ihn mit erflaunter Miene an. 

„Erklären Sie fi,” fagte fie zitternd, nicht vor 
Angſt, ſondern vor Freude. 


3 


Sie halte in der That in der Eiferfucht des Bars 
dinals einen Ausgang erblickt, den ihr die Umftänte 
vielleicht nicht gegeben hätten, um aus einer fo ſchwie⸗ 
rigen Lage herauszufommen. 

„Geſtehen Sie mir,“ fuhr der Garbinal fort, der 
mehr mit feiner Leidenfchaft rechnete, „geftehen Sie mir, 
ich bitte Sie, daß die Königin fich weigert, mid) zu ſehen.“ 

„3% Tage das nicht, Monfeiyneur.“ 

„Geſtehen Sie, daß fie, wenn fie mich nicht mit 
isrem vollen Willen zurüdfößt, was ich immer noch 
hoffe, mich aus dem Befige fest und fern von fi hält, 
um nicht irgend einen andern Liebhaber zu beunrubigen, 
bei dem meine Huldigungen Verdacht erregt haben.“ 

„Ab! Monfeigneur,” rief Seanne mit einem fo 
honigreichen Tone, daß fie noch vielmehr errathen Tieg, 
als fie verbergen wollte. 

„Hören Sie mich,“ fagte der Cardinal, „als ich 
Shre Majefät zum legten Male fah, glaubte ih im 
Gebüfche gehen zu hören.” 

„zollheit!“ 


„Und ich werde Alles fagen, was ih muthmaße.“ 

„Sagen Sie nicht ein Wort mehr, Monfeigneur, 
Sie beleidigen die Königin, und überdies, wenn es wahr 
wäre, wenn fie fo unglücklich wäre, daß fle die Ueber: 
wachung eines Liebhabers befürchten müßte, was ich 
nicht glaube, wären Sie ungerecht genug, ihr ein Ver⸗ 
brechen aus ber Bergangenheit zu machen, bie fie Ihnen 
zum Opfer bringt?” 

„Die Bergangenheit! die Bergangenheit! Das ift 
ein großes Wort; aber es fällt, Bräfin, wenn dieſe 
Pr ri noch die Gegenwart if und die Zukunft 
ein ! 

„Pfui! Donfeigneur; Sie fprechen mit mir, als 
fpräden Sie mit einem Mäkler, dem Ste vorwerfen 
würben, er habe Sie zu einem fchlechten Gefchäfte ver⸗ 
anlaßt. Argwohn, Monfeigneur, iſt fo verlegend für 
die Königin, daß er es am Ende aud für mich wird.“ 





32 
„Dann, Gräfin, beweifen Sie mir. . .” 


! Monfeigneur, wenn Sie dieſes Wort wieder 


„Ah 
holen, fo nehme ich Die Beleidigung für meine Rechnung.“ 

„Kurz! ... liebt fie mich ein wenig?“ 

„Da gibt es etwas ganz Binfaches, Monſeigneur,“ 
fagte Jeanne, indem fie anf den Tiſch des Garbinals 
und auf das darauf ſtehende Schreibzeng bentete. 
PATH Sie fi dorthin und fragen Sie die Königin 
e u 


Der Garbinal ergriff voll Entzüden die Hand von 
Jeanne und rief: 
„Sie werden ihr das Billet zuftellen ?“ 


„Wenn ich es ihr nicht zuftellte, wer würbe es denn 


fonft übernehmen ?" 
„Und... . Ste verfprechen mir eine Antwort?“ 


„Wenn Sie feine Antwort befämen, wie würben 


Sie erfahren, woran Sie fi zu halten haben ?” 
„Ob! fo ift es gut, Sräfln, fo liebe ih Sie.“ 
„Nicht wahr ?" Tagte fie mit ihrem feinen Lächeln. 
Gr fegte fih, nahm die Feder und fing einen Brief 

an. Herr von Rohan hatte eine berebte Feder, einen 


leichten Brief; doch er zerriß zehn Blätter, che er ih 


ſelbſt gefiel. 


„Wenn Sie immer ſo fortmachen, werden Sie \ 


nie zum Ziele fommen,” fagte Jeanne. 

„Sehen Sie, Sräfln, ich mißtraue meiner Zärt 
lichkeit; fie überfirömt unwillfürlid und würbe vielleicht 
die Königin ermüden.” 

„AH!” verfepte Seanne mit Ironie, „wenn Gie 
ihr als Politiker fehreiben, fo wird fie Ihnen mit 
einem biplomatifchen Bilfet antworten. Das iſt Ihre 

ache.“ 


„Sie haben Recht, und Sie find eine ächte Frau 
nad Geiſt und dern. Hören Sie, Gräfin, warum 
follten wir ein Geheimniß für Sie haben, da Gie bas 
unfere befigen ?“ 

Sie lächelte. 





33 


„Es iſt wahr,” fagte fie, „Sie haben mir wenig 
ı verbergen.” 

„Leſen Sie über meine Schulter, lefen Sie fo 
hell, ale ich fchreiben werde; denn mein Herz brennt, 
eine Feder wird das Bapier verzehren.” 

Er fchrieb in der That; er fchrieb einen Brief fo 
lühend , fo toll, fo voll von Liebesvorwürfen und ge⸗ 
ihrdenden Betheuerungen, daß, als er geendet hatte, 
eanne, die feinen Gedanfen bis zur Unterfchrift folgte, 
a fih felbft fagte: 

„Er hat geichrieben, was ich ihm zu dictiren nicht 
swagt hätte.“ 

Der Barbinal überlas fein Billet und fragte dann 
eanne: 

„Iſt es fo gut?“ 

„Wenn bie Königin Sie liebt,“ erwieberte die 
jerräfherin, „fo werden Sie fie morgen fehen; nun 
ber verhalten Sie ſich ruhig.“ 

„Bis morgen, ja.“ 

„Sch verlange nicht mehr, Monfeigneur.“ 

Sie nahm das verflegelte Billet, ließ fih von 
Ronfeigneur auf die Augen küſſen, und fehrte gegen 
ibend nad Haufe zurüd. Ausgefleidet, erfrifcht, fing 
e bier an nachzudenken. 

Die Lage war fo, wie fie fich diefelbe feit ihrem 
rften Auftreten verfprochen Hatte. 

Noch zwei Schritte, und fie war am Ziel. 

Ben von Beiden war es befler zum Schilde zu 
yahlen: die Königin oder den Cardinal? 

Diefer Brief des Cardinals verfegte ihn in die 
Inmöglichfeit, je Zrau von La Mothe an dem Tage 
nzuflagen, wo fie ihn nöthigen würde, bie für das 
dalsband fchuldige Summe zurüdzubezahlen. 

Angenommen, der Cardinal und die Königin wür- 
ven ich fehen, um fich zu verfländigen, wie follten fie 
gen, 3 va La Mothe, die Berwahrerin eines 
je Argerlicen jeimniffes, zu Grunde zu richten? 
Ded Salsbano ver Königin. IV. 3 





34 


Die Königin würbe feinen Lärmen machen unb 
an den Haß des Gardinals glauben, der Cardinal 
würde an die Coquetterie der Königin glauben, doc 
Die Debatte, wenn eine entflünde, würde bei gefchloflenen 
Thurn Hattfinden, und nur bearygwohnt würde Frau 
von ka Mothe dirfen Vorwand ergreifen, um fid), die 
fdyöne Summe von anderthalb Millionen realıficend, aus 
dem Baterlande zu verbannen. 

Der Cardinal würde wohl wifien, Jeanne habe 
diefe Brillanten genonmen, die Königin würbe e6 wohl 
errathen; Doch wozu follte es ihnen nügen, eine Ange 
legenheit ruchbar zu machen, welche 10 ep mit ber 
des Parks und der Apollo:Bäder in Verbindung ge: 
bradyt war? 

Nur genügte nicht ein Brief, um dieſes ganje 
Bertheidigungsiyftem fersuftellen; der Cardinal hatte 
gute Federn, er würde fieben= bis achtmal fchreiben. 

Was die Königin betrifft, wer weiß, ob fie nit 
mit Herrn von Charny Waffen für Jeanne von La 
Mothe ſchmiedete? 

So viele Wirrfale und Umwege liefen im ſchlimm⸗ 
fien Ball auf eine Flucht aus, und Jeanne fepte fcher 
zum Voraus ihre Stufen über einander. 

Zuerst Verfall des Termins, Anzeige der Juweliere. 
Die Königin ging gerade zu Herrn von Roban. 

ie 


Durd die Bermittelung von Jeanne, das war um. 
vermeidlih. Jeanne benadyrichtigte den Garbinal and 
forderte ihn auf, zu bezahlen. 

Meigerte er fih .. . Drohung, die Briefe zu vers 
öffentlichen ; er bezahlte. 

Nach geleifteter Bezahlung feine Gefahr weht. 
Mas den Öffentliyen Lärm betrifft, fo biieb noch die 
Intriguenfrage auszubeuten.. In viefem Punkte voll: 
fummene Befriedigung. Die Ehre einer Königin um 
eines Kircheninrfien um den Preis von anderthald 
Millionen, das war noch zu wohljeil. Jeanne 


35 


fiher zu fein, fie würde drei Millionen befommen, 
wenn fie wollte. 

Und warum war Jeanne ihrer Sache in Beziehung 
auf die Jutriguenfrage fo fidher? 

Meil der Cardinal der Ueberzeugung lebte, er 
habe drei Nächte hinter einander die Königin in den 
Gebüſchen von BVerfailles gefehen . . . und weil feine 
Macht der Erde dem arpdinal beweiien würde, er 
habe fi geäuiht ... Weil ein einziger Beweis des 
Berrugs übrig blieb, ein lebendiger, unverwerflicher 
Beweis, den aber Jeanne aus der Debaite zu entfernen 
im Begriff ſtand. 

Bei dieſem Punkte ihres Nachfinnens angelangt, 
trat Jeanne an das Fenſter und erblidte Oliva, ganz 
unruhig, ganz neugierig auf ihrem Balcon. 

„Es iſt an uns Beiden,” dachte Seanne, indem fie 
ihre Berährtin zärtlich grüßte ... 

Die Gräfin machte Oliva das verabredete Zeichen, 
daß ſte am Abende herabkomme. 

Ganz freudig, nachdem fie dieſe officielle Mitthei— 
lung erhalten, kehrte Oliva in ihr Zimmer zurück, und 
Jeanne verſank wieder in ihr Nachdenken. 

Das Werkzeug zerbrechen, wenn es nicht mehr die⸗ 
nen fann, das ift die Gewohnheit aller Xeute der In 
trigue; nur fcheitert Die Mehrzahl derfelben, entweder, 
indem fie dieſes Werkzeug fü zerbrechen, daß es einen 
Seufzer ausflößt, der das Geheimniß verräth, oder ins 
dem file es unvollfländig genug zerbrechen, daß es noch 
Andern zu dienen vermag. 

Jeanne dachte, ganz dem Vergnügen, zu leben, zus 
ethan, würde fid die Eleine Dliva nicht zerbrechen 
affen, ohne einen Seuizer von fich zu geben. 

Man mußte nothiwendig für fie eine Fabel erfinnen, - 
bie fie beſtimmte, zu fliehen; eine .andere, die ihr fehr 
gern zu flichen geftattete. 

Die Schwierigkeiten erhoben ſich auf jenem Schritt; 
doch gewifle Beiftemfinden ein ebenfo gro 2 ergnügen 





36 


daran, die Schwierigfeiten aufzulöfen, als andere, bie 
Roſen mit Füßen zu treten. 

Dliva, fo fehr fie über die Gefellichaft ihrer neuen 
Freundin entzüdt war, war doch nur beziehungsweife 
darüber entzüdt, das Heißt, infofern fie dieſe Verbin⸗ 
dung durch die Scheiben ihres Befängniffes erfchante, 
fand fie diefelbe koſtbar. 

Doch die aufrichtige Nicole verbarg ihrer Freun⸗ 
din nicht, der lichte Tag, die Spazierfahrten im hellen 
Sonnenſchein, kurz alle die Wirflichfeiten des Lebens 
wären ihr lieber gewefen, als die nächtlichen Bromes 
naden und das erdicdhtete Königthum. 

Die Beinahe des Lebens waren Seanne, ihre Lieb- 
fofungen und ihre Vertraulichkeit ; die Wirflichkeiten 
des Lebens waren Geld und Beaufire. 

Seanne, welche diefe Theorie gründlih flubirt 
hatte, gelobte fich, dieſelbe bei der erſten Gelegenheit 
anzuwenden, 

Indem fie fih zufammenfaßte, gab fie als Thema 
ihrer Unterredung mit Nicole die Nothwendigfeit, 
den Beweis der flraibaren im Barf von Berfailles 
begangenen Betrügereien ganz und gar verjchwinden 
zu madıen. 

Die Nacht brach ein, Dliva kam herab. Seanne 
erwartete fie vor der Thür. 

Beide gingen wieder die Rue Eaint:Efaube bis 
zu dem verödeten Boulevard hinauf, wo fie ihren 
Wagen erreichten, ben file, um befier mit einander 
fpreyen zu fünnen, im Scdritt auf dem Wege fahren 
ließen, welcher fich Freisfürmig nach Vincennes zieht. 

Nicole war wohl eingehüllt in ein einfaches Kleid 
und in eine weite Caleche, Jeanne war als Brifette 
gefleivet, und Niemand vermochte fie zu erkennen. 
Man hätte zu diefem Behufe überdies in den Wagen 
tauchen müffen, und die Bolizei allein war hiezu befugt. 
Nichte aber hatte bis jegt Verdacht bei der Polizei 
erweckt. 


37 


Dabei trug diefer Wagen, ftatt nur glatt zu fein, 
n feinen Füllungen das Wappen der Valois, eine 
sadhtenswerthe Schildwache, deren Verbot zu durchbre⸗ 
ven ober zu überfchreiten vie Gewaltthat eines Agenten 
ie gewagt hätte. 

Dliva fing damit an, daß fie Ieanne mit Küffen 
sdeckte, und diefe erwiederte diefelben mit Wudher. 

„Oh! was habe ih mich gelangweilt,“ fagte 
HTiva, „ih fuchte Sie, ih rief nach Ihnen.“ 

„Unmöglid, meine $reundin, ich konnte Sie un: 
öglich befuchen, ich wäre eine zu große Gefahr ge⸗ 
fen und hätte Sie auch einer ſolchen preisges 
ben.” 

„Wie dies?” fragte Nicole erflaunt. 

„Eine furchtbare Gefahr, meine Kleine, worüber 
h noch zittere.“ 

„Dh! erzählen Sie mir das geſchwinde?“ 

„Sie wiffen, daß Sie hier viele Feinde haben ?“ 

„Leider, ja!“ 

„Und daß Sie, um fich zu zerfireuen, auszugehen 
ünſchten?“ 
„Wozu Sie mir ſo freundſchaftlich verholfen 
aben.” 


„Sie wiffen audh, daß id) Ihnen von jenem Mund- 
benf ſprach, der etwas verrüdt, aber fehr angenehm 
nd Pin die Königin verliebt iſt, welcher Sie ein wenig 
‚eichen.” 

„Sa, ich weiß base.” 

„Sch Hatte die Schwäche, Ihnen eine unfchuldige 
nterbaltung vorzufchlagen, die darin beftand, daß 
fr uns über den armen ungen luſtig machen und 
n fo myflificiren wollten, daß er an eine Laune der 
önigin für ihn glauben follte.“ 

„Ah!“ feufzte Dliva. 

„Ih erinnere Sie nicht an die zwei erflen Pro: 
enaden, die wir in der Naht im Garten von Ber: 
illes in Geſellſchaft diefes armen Sungen machten.” 


38 


Dliva fenfzte abermals. 

„Sn dieſen zwei Nächten fpielten Sie Ihre fleine 
toffe ſo gut, daB unfer BBerliebter die Sache im 
$rnite nahm.“ 

„Das war vielleicht ſchlimm,“ fagte Oliva Teife; 
„denn in der That, wir täufchten ihn, und er verdient 
es nicht: es iſt ein reigender Gapalier.” 

„Nicht wahr?“ 

„Sb! ja.“ 

„Doh warten Sie, hierin lient das Schlimme 
nicht. Daß Sie ihm eine Roſe gefchenft haben, daß 
Sie ih Majeſtät nennen ließen... daß Sie ihm 
Ihre Hand zum Küffen gaben, das find muthwillige 
Streihe.... . Aber... . meine Eleine Dliva, es fcheint, 
das iſt noch nicht Allee.“ 

Oliva erröthete fo fehr, daß Jeanne es Hütte ohne 
die tiefe Nacht nothwendig bemerken müflen. Als Frau 
von Geiſt fchaute fie allerdings den Weg, und nicht 
ihre Gerährtin an. " 

„Wie ...“ flammelte Nicole, „in welcher Hins 
ücht ... . it Das noch nicht Alles?“ 

„Es fund eine dritte Zujammenfunft flatt,* ers 
wiederte Jeanne. 

„Sa,“ fagte Oliva zögernd; „Sie wiflenes, da Sie 
dabei waren.” 

„Verzeihen Sie, liebe Freundin, ich war, mie 
immer, in der Entfernung und lanerte, oder gab mir 
den Anichein, als lauırte ih, um Ihrer Nolle mebr 
Mahrheit zu verleihen. Ih babe alſo werer gehört, 
noch gefeben, was in jener Grotte vorgegangen ifl. 
Ich weiß nur das, was Sie mir Davon erzählt haben. 
Sie erzählten mir aber, als Sie zurüdfamen, Eie 
jeien fvagieren negangen, Sie haben geplaudert, und 
die Mofen und die Handküſſe haben ihr Spiel fortges 
ſetzt. Ih, meine Rleine, glaube Alles, was man 
mir faut.” 

„Nun denn! ... aber... ." machte zitternd Oliva. 


39 


„Nun denn! meine Liebenswärbigfte, es ſcheint, 
nfer Narr fagt mehr davon, als ihm die vorgebliche 
önigin bewilligt hat.“ | 

Mas 2u 


„Es fcheint, beraufcht, betäubt, verwirrt, rühmte 
: fi), von der Königin einen unverwerflichen Beweis 
etheilter Liebe erhalten zu Haben. Diefer arme Teufel 
t entichieden ein Narr.” 

„Mein Bott! mein Gott!“ murmelte Oliva. 

„Es ift ein Narr, fchon weil er lügt, nicht wahr?” 

„Gewiß.“ fammelte Oliva. 

„Sie würden ſich nicht einer fo furchtbaren Ge⸗ 
ihr haben ausſetzen wollen, ohne es mir zu ſagen, 
reine liebe Kleine” _ 

Dliva fhauerte vom Scheitel bis zu den Zehen. 

„Weihe Wahrfcheinlichfeit Kat es,” fuhr die 
ırchtbare Freundin fort, „daß Sie, die Sie Herrn 
jeaufire lieben, und die Sie midy ale Gefährtin bes 
ben, daß Sie, der Herr Graf von Caglioſtro den 
of macht, defien Bemühungen Sie zurürfweifen, daß 
sie aus Laune diefem Narren das Necht geben. . 
u ...ſagen ... Nein, er bat den Kopf verloren, 
as laſſe ih mir nicht nehmen.“ 

„Nun,“ rief Nicole, „was für eine Gefahr ift 
tebei, fprechen Sie?“ 

„Bemerfen Sie wohl, wir haben es mit einem 
tarren zu thun, der nichts fürchtet und nichts ſchont. 
50 lange es fih nur um eine geichenkte Rofe, um 
inen Hanbfuß handelte, da war nichts zu fagen; eine 
dönigin hat Roten in ihrem Parf, fle Hat Hände zur 
jerfügung aller ihrer Unterthanenz, doch wenn es wahr 
‚are, daß bei der dritten Zufammenfunft... . Ach! 
h ladye nicht mehr, feitdem ich Diele Idee habe.” 

Dliva fühlte, wie fi ihre Zähne aus Angft an 
nander preßten, 

„Bas wird dann gefchehen, meine gute Freundin 3” 
'agte fie. 


2: 
vor gen gedchen, r BT Sie mat die 
guenigten® ich vos ih wünte:" 
9,8 Sie die Ei aſche Ihrrer gut 
on, um inet ee ifenigteit vieler Ar 
das nennt non 
deut gehe ! 
Gerbarg, ( 
onen“ \ 
zu haben, vw 
yon tomme 
—B8 
—W 
— 
Das ia mie 
yeine Bora 73 B 
* 
„wie! Sie wären auch wert 
Bei —8 wi, m a, vieler Apahntnnist EN.) 
{oglei "ne: meine arme vice 
Aneat! Achen kommen“ 
cie 
un Par EL.) eine 
note üthendet Be! Ob 
zamon, peiehen- rt) viele 
—W 1 ande‘ 3 —8 
„de achen nur das % 
ſehen I en. 
FL Ei werde J Pa) weint! at 
ginfperzen! wenn id ihm ie fagen ürdet” 
„sin \hdmer Reenen Gin Mann, yer et 
indem e* Ah ſeine giebt gerbiratt en Mann 
que ein Wort m Ihnen ei tet, W Sie 
peter „einem Toten D holen Si 3 
Sie haben vier reale I einem | 


41 


m! Ich fage Unvorfihtigteit, bemerken Sie das 
.. abgefehen davon, daß er argwöhnen wird.” 
Rein Gott! Ste haben Recht.“ 

dehr noch: das Gerücht von diefer Sade wirb 
breiten, die Nachforfcyungen der Beamten wer⸗ 
yenklichfeiten bei Ihrem Beſchützer erregen. Wer 
b er Ste nit, um fich bei Hofe angenehm zu 
ß usliefern wird.“ 

) 14 

tehmen Sie an, er jage Sie ganz einfach weg, 
rd dann aus Ihnen werben?“ ö ß 
ch weiß, daß ich verloren bin.“ 

nd Herr Beauſire, wenn er dies erfährt?“ ſagte 
dangſam, die Wirkung dieſes letzten Streiches 
· 


iva ſprang auf. Mit einem heftigen Stoß zer⸗ 
:e das ganze Gebäude ihrer Friſur. 

ir wird mich umbringen, Ob! nein, ich werde 
IbR tödten.“ 

inn wandte fie fich gegen Jeanne um und fagte 

ı Verzweiflung: 

sie fönnen mich nicht retten, nein, da Sie ſelbſt 

n find.“ " 

ch habe,” erwiederte Seanne, „tief in der Bicarbie ' 

itchen, einen Pachthof. Wenn man, ohne ges 

u werden, biefen Zufluchtsort, ehe der Lärm 

be erreichen Tönnte, fo bliebe vielleicht noch eine 
eit.“ 

(ber dieſer Narr, er kennt Sie, er wird fie wohl 

:n.” 

»H! wenn Sie ieogegangen wenn Sie vers 

‚ wenn Gie unfindbar waren, würbe ich den 
nicht mehr fürchten. Ich würde ganz laut zu 

gen: „„Ste find ein Narr, da Sie foldye Dinge 

ten, beweifen Sie diejelben,”“ was ihm unmög: 

re; und ganz leife würde ich zu ihm fagen: 
find ein Schurke !"" 





42 


„Ih werde abreifen, wann und wie es Ihnen 
beliebt,” ſprach Dliva. 

„Ich glaube, das iſt vernünftig," erwieberte 
Seanne. 

„Sol ich ſogleich gehen?“ 

„Nein, warten Sie, bis id alle Anftalten für 
einen günftigen Erfolg getroffen habe. Berbergen Sie 
ſich, zeigen Sie fib nicht, nidyt einmal mir. Berfleiven 
Sıe fc fogar, wenn Sie in Ihren Spiegel ſchauen.“ 

„sa, ja, zählen Sie auf mid, theure Freundin.” 

„Und um anzufangen, fehren wir nah Hanfe 
jurüd: wir haben einander nichts mehr zu ſaqen.“ 

„Kehren wir zurüd. Wie viel Zeit brauchen Sie 
zu Ihren Vorbereitungen?” 

„sh weiß es nicht; doch merfen Sie wohl auf 
Gines: von jegt bis an den Tag Ihrer Abreiſe werde 
ih mich nicht mehr an meinem Fenfter zeigen. Wenn 
Sie mid daran fehen, fo rechnen Sie darauf, daß 
Ihre Abreife noch an demfelben Tage Hattfinden folL* 

„Sa; ich danfe, meine liebe Freundin.“ 

Sie fehrten langfam nach der Rue Saint⸗Glande 
zurüd, Dliva wagte es nicht mehr, mit Jeanne zu 
fprechen, Jeanne fann zu tief nad, um mit Oliva zu 
ſprechen. Als fie an Ort und Stelle waren, umaımten 
fie ſich; Oliva bat demüthig ihre Freundin um Bers 
zeihung für alles Unglüd, das fie durch ihre Unbefons 
nenheit verurfacht habe. 

„Ih bin Weib, und mit jeder weiblichen Schmäde 
vertraut, ſprach Frau von La Mothe, ben römifchen 
Dichter parodirend. “ 


43 


LXXI. 
Die Flucht. 


Mas Dliva verfprocdhen hatte, hielt fie. 

Was Jranne verfprochen batte, that fie. 

Schon am andeın Tage hatte Nicole ihr Dafein 
vor Jedermann verborgen, Niemand fonnie errathen, 
daß fie in dem Hauie der Rue Saint:@laude wohnte. 

Beſtändig Hinter einem Vorhang oder hinter einem 
Windichiim verborgen, beftändig die Fenſter verhängend, 
den Sonnenftrahlen zum Trug, welche diejelben freudig 
angriffen. 

Seanne, die ihrerfeits alle Auftalten traf, ba fie 
wußte, der andere Tag müßte den Berfall der erften Zah: 
lung von fünimal bunderttaufend Livres herbeiführen. 
Seanne richtete fih fo ein, daß fle Feine empfindlidye 
Stelle für den Augenblid, wo die Bombe plagen würde, 
hinter ſich ließ. 

Diefer furchtbare Augenblick war das legte Ziel 
ihrer Beobachtungen. 

Sie hatte die Alternative einer Flucht, welde 
leicht zu bewerfitelligen, weife berechnet, doch diefe Flucht 
war die beflimmtefte Anklage. 

Bleiben, unbeweglich bleiben, wie der Duellant 
unter dem Streiche des Gegners; bleiben mit ber 
Chance, zu fallen, aber audy mit der Shance, feinen 
Gegner zu tödten: das war der Entfchluß der Gräfin. 

Darum zeigte fie fih fchon am andern Tage nach 
ihrer Zufammenfunft mit Dliva gegen zwei Uhr an 
ihrem Fenſter, um der falıdhen Königin zu bezeichnen, 
es fei am Abend für fie Zeit, das Weite zu ſuchen. 

Die Zreude und zugleich den Schreden von Oliva 
zu fchildern, wäre nicht möglich, Nothwendigkeit, zu 
fliehen, bebeutere Gefahr, Möglichkeit, zu fliehen, bes 
dentete Retiung. 





4 


Sie fandte Jeanne einen beredten Kuß zu und 
traf dann ihre Vorbereitungen, wobei fie in ihr Päd: 
hen ein wenig von den Foftbaren Gffecten ihres Be⸗ 
ſchützers legte. 

Jeanne verfhwand, nachdem fie das Signal ges 
geben hatte, aus ihrer Wohnung, um ſich mit dem 
luffuchen des Wagens zu befchäitigen, den man mit 
hem theuern Geſchicke von Mille. Nicole betrauen 
önnte. 

Und dies war dann Alles — Alles, was der nen⸗ 
aterigfte Beobachter unter den gewöhnlich bezeichnenden 
Merkmalen des Einverfländniffes ber zwei Freundinnen 
hätte entmengen fönnen. 

Gefchloffene Vorhänge, geichloffene Fenſter, fpät 
umbherirrendes Licht. Hernach irgend ein Streifen nnd 
Raufhen, einige geheimnißvolle Beräufche, einiges 
Ppwerfen, worauf der Schatten mit dem Stillſchweigen 
olgte. 

Es ſchlug elf Uhr auf Saint-Paul, und der Wind 
des Fluſſes trug die düſter abgemeſſenen Schläge bis 
nad) der Rue Saint:Elaude, ale Jeanne in bie Rue 
Saint:Louis mit einer Poſtchaiſe, beipannt mit vier 
fräftigen Pferden, Fam. 

Gin auf dem Bode diefer Chaife figender, in einen 
Mantel gehüllter Mann bezeichnete dem Boftillon die 
Ndrefie. 

Seanne zog biefen Mann am Eaume feines Mans 
an und ließ ihn an der Ede der Rue du Roi dore 
alten. 

Der Mann ſprach mit feiner Gebieterin. 

„Der Wagen bleibe hier, mein lieber Herr Reteaux,“ 
fagte Jeanne, „eine halbe Stunde wird genügen. Ich 
werde Jemand hierher führen, der einfteigen wird, und 
Sie laffen, doppelte Trinfgelder bezahlend, nach meinem 
Heinen Haufe in Amiens fahren.” . 

„Sa, Frau Gräfin.“ 


45 

„Dort übergeben Sie diefe Berfon meinem Meier 
Fontaine, welcher weiß, was er zu thun hat.“ 

„sa, Madame.” 

„Ih vergaß . . . Sie find bewaffnet, mein lieber 
Herr Reteaur?“ 

„Sa, Madame.“ 

„Diefe Dame ift von einem Narren bedroht... . 
Man wird fie vielleicht unter Weges fefinehmen wols 


ne... 

„Was fol ih dann thun?“ 

„Sie werben auf Jeden, der Sie in Ihrer Fahrt 
aufhalten will, Feuer geben.” 

„But, Madame.“ 

„Sie haben zwanzig Louisb’or Belohnung für das 
Bewußte von mir verlangt, ich gebe Hundert dafür und 
bezahle die Reiſe, die Sie nach England machen wers 
den, wo Sie mich vor Ablauf von drei Monaten zu 
erwarten haben.” 

„But, Madame.“ 

„Hier find die Hundert Louisd'or. Ich fehe Sie 
ohne Zweifel nicht mehr, denn es if flug für Sie, 
Saint = Balery zu erreichen und ſich fugleiy nad 
England einzufciffen.” 

„Zahlen Sie auf mich.“ 

„Es ift Ihretwegen.“ 

„Es iſt unſertwegen,“ ſagte Herr Reteaux, der 
Graͤfin die Hand küſſend. „Ich warte alſo.“ 

„Und ich werde Ihnen die Dame zufchicen.“ 

Meteaur flieg in die Chaife an den Plak von 
Seanne, und diefe eilte mit leichtem Fuße in die Rue 
Saint:Elaude und flieg die Treppe ihres Haufes hinauf. 

Alles fchlief in dieſem unſchuldigen Quartier. 
Seanne zündete felbft die Rerie an, welche über den 
Balcon emporgehalten, für Oliva das Signal, hinab: 
zugehen, fein i 

Es if ein Mädchen von Borficht,” fagte bie 
Gräfin zu fih ſelbſt, als fie das Fenſter dunkel ſah. 


ollte. 


un Wo 


—XRX 


Jeanne hob und ſenkte dreimal ihre Kerze. 

Nichts. Aber es kam ihr vor, als hörte fie e 
wie einen Seutzer oder ein ja, unmerflidy unter 
Blätterwerk des Fenſters bervor in die Luft 
ſchleudert. 

„Sie wird ohne Zweiſel hinabgehen, ohne 
etwas anzuzünden,“ ſagte Jeanne zu ſich; „das if 
Uebel.“ 

Und ſie ging ſelbſt auf die Straße hinab. 

Die Thüre wurde nicht geöffnet. Oliva hatt« 
ohne Zweitel mit einigen läſtigen Päcken beſchwer 

„Die Alberne,“ fagte die Gräfin murrend; 
viel Zeit gebt wegen einiger Besen verloren.“ 

Nichts kam. Jeanne ging bis zu der Thür 
genübrr. 

Nichte. Eie hielt ihr Ohr an bie breitför 
eifernen Nägel und horchte. 

b So verging eine Viertelſtunde; es ſchlug Halb, 
Ihr 


Seanne fchritt bis zum Bonlerart, um von 
zu fehen, ob fih die Zeniter erleuchteten. 

Es fam ihr vor, als fähe fie eine fanfte 
in dem leeren Raum der Blätter unter den dopy 
Vorhängen hins und hergeben. 

„Dein Gott! mas madt fie! was madıt fle 
—*— Elende! Sie hat vielleicht das Signal nich 
ehen.“ 

„Auf! Muth, wir wollen wieder hinauigehen. 

Und fie flieg in der That wieder in ihre $ 
nung hinauf, um noch einmal den Telegraph 
Kerzen ipielen gu laflen. 

Kein Zeichen antwortete auf die ihrigen. 

„Tie Scelmin,” fagte Jeanne zu fih ſelbſt, 
rend fie voll Wuth ihre Manchetten zerfnitterte, 
Schelmin muß krank fein und ſich nit rühren füı 
Dh! mas ıf daran gelegen? lebendig oder todt 
fie Heute Abend breiten.“ 


4 


e ging abermals mit der Haft einer verfolgten 
die Treppe hinab. Sie hielt in ihrer Hand den 
el, der fo oıt Dliva die nächtliche Freiheit ver- 
yatte. 

dem NAugenblid, wo fie diefen Edhlüffel in 
yloß des Haufes ſtecken wollte, hielt fie inne. 
3enn Jemand oben bei ihr wäre?“ dachte bie 


nmöglich, ich werde die Stimmen hören, und 
noch Zeit jein, wieder herabzugehen. Wenn 

ıand auf der Treppe begegnete... Oh!” 

e wäre anf diefe gefährliche Annahme hin bei- 

rüdgewichen. 

8 Geräufh des Stampfens ihrer Pferde auf 

ıllende Pflaſter beftimmie fie. 

hne Beiahr nichts Großes,” fagte Jeanne. „Mit 

it nie Gefahr!“ 

d fle drehte den Schlüffel in dem fchwerfälligen 
und öffnete die Thüre. 

inne fannte die Dertlichfeiten: ihr Berfland würde 

jelben geoffenbart haben, jelbit wenn fie fi, 

jeden Abend auf Dliva wartete, nicht Rechen 

avon gegeben hätte. 

e Treppe war linfs, Seanne eilte auf bie 


in Geräufch, Fein Licht, Niemand. 

e m fo auf den Ruheplatz der Wohnung 

cole. 

er, unter der Thüre, fah man einen beleuchteten 

n; bier, hinter der Thüre, hörte man das Geraͤuſch 

aftigen Schrittes, 

uchend, aber ihren Athem erſtickend, horchte 
Dan prach nit. Dliva war alfo allein, 

„ſie räumte ohne Zweifel zufammen. 

e war alfo nicht Franf und es handelte fich nur 

: Berzögerung. 

anne kratzte fachte an dem Holze der Thüre, 


48 


„zliva! Oliva!“ fagte fie; „Freundin! 
Freundin!“ 

Tie Schritte nüäherten fi auf dem Teppich). 

„Oeffnen Sie! öffnen Sie!" fagte Jeanne 5 

Die Thüre wurde geöffnet, eine Lichtfluth 
frömte Jeanne, und dieſe fand einem Mann | 
über, der einen breiarmigen Leuchter in ber 
hielt. Sie itieß einen furchtbaren Schrei auı 
verbarg ihr Geficht. 

„Oliva!“ fagte diefer Mann. „Sind S 
nit?“ 

Und er hob fachte den Ueberwurf der Bräfl: 

„Die Frau Gräfin von La Mothe,“ rief e 
einem Tone bewunderungswürbig natürlichen 
ftaunens, 

„Herr von Caglioſtro!“ murmelte Seanne 
fend und einer Ohnmacht nahe. 

Unter allen den Gefahren, welde Seanne 
vorausfegen fünnen, war dieſe der Gräfin nie e 
nen. Sie zeigte ſich nicht fehr furdtbar von A 
an, aber wenn man ein wenig nachbachte, went 
ein wenig bie düſtere Miene und die tiefe Verſt 
dieſes feltfamen Mannes beobachtete, mußte die @ 
ſchrecklich erſcheinen. 

Jeanne hätte bald den Kopf verloren, fie 
zurüd und hatte große Luft, ſich von oben bie 2 
hinab zu flürzen. 

Caglioſtro reichte ihr artig die Hand und I 
ein, ſich zu fegen. 

„Welchem Umſtande babe ich die Ehre Ihre 
fudhes zu verdanten, Madame?“ fagte er mit fi 
Stimme, 

„Dein Herr... .” Rammelte bigSnteigandt 
ihre Augen nit von denen des Grafen losn 
fonnte, „ih fam ... ich fuchte.. . .* 

„Erlauben Sie, Madame, daß ich Flingle, un 
jenigen von meinen Leuten zu befirafen, weld 


49 


Ungefchictheit gehabt haben, eine Frau von Ihrem 
Rang allein eintreten zu laſſen.“ 

Jeanne zitierte und hielt den Grafen bei der 
Sand zurüd. 

„Sie müflen,” fuhr diefer unftörbar fort, „Sie 
müffen zu biefem Tölpel von einem Deutfchen gerathen 
jein, der mein Portier ift und fich betrinft. Er wird 
Sie nicht erfannt und feine Thüre, ohne etwas zu 
hun, ohne etwas zu fagen, geöffnet Haben, und 
nachdem er fie geöffnet, ift er wohl wieder einges 
ſchlafen.“ 

Ich bitte, ſchelten Sie ihn nicht,“ erwiederte freier 
vie Graͤſin, welche bie Falle nicht ahnete. 

„Nicht wahr, er hat geöffnet, Madame?” 
3% glaube, ja... Aber Sie haben mir ver- 
Iprochen, ihn nicht zu fchelten.” 

Ich werde mein Wort halten,“ erwieberte laͤchelnd 
‚er Star. „Doch wollen Sie nun die Güte haben, 
ich zu erklären.“ 

Sobald einmal die Sache fo fland, fobald man 
jeanne nicht mehr im Verdacht hatte, daß fie felbft 
ie Thüre geöffnet, konnte fie über die Beranlaflung 
ara lügen, was fie zu thun auch nicht 
verfehlte. 

„Ich kam,“ fagte fie fehr raſch, „ich fam, um Sie 
ber Be Gerüchte um Rath zu fragen, bie im 
Imla d.* 

„Welche Gerüchte, Mabame?“ 

„Sch bitte, bebrängen Ste mic) nicht,” erwiederte 
seanne fich zierend, „mein Schritt ift fehr zarter 
tatur.” 

„Suche! ſuche!“ dachte Caglioſtro; „ich Habe ge» 
unben.“ 

„Sie find ein Freund Seiner Eminenz des Herrn 
Sarbinals von Rohan,“ ſprach Jeanne. 

„Ah! ah! nicht ſchlecht,“ dachte Caglioſtro. „Gehe 

Das HSalsband der Königin. II. 4 


50 


bis an das Ende des Fadens, den ih in der Hand 
habe. Doch weiter, das verbiete ich Dir.“ 

„Ich ftehe in der That ziemlich gut mit Seiner 
Eminenz,“ fprad er, 

„Und ich,” fuhr Jeanne fort, „ich wollte mich bei 
Ihnen erfundigen über... ." 

„Ueber?“ fragte Caglioſtro mit einer Färbung 
von Sronie. 

„Ich habe Ihnen gefagt, meine Stellung ſei fehr 
zarter Natur, mein Herr, machen Sie feinen Mißbrauch 
tavon. Es kann Ihnen nicht unbefannt fein, daß mir 
Herr von Rohan einige Zuneigung bezeigt, und id 
wollte wiffen, bis auf welchen Brad ich darauf zählen 
fann, daß... Ah! mein Herr, Sie lefen, wie man 
Iost, in der dichteften Finſterniß der Beifter und ber 

erzen.“ 

No ein wenig Helle, Madame, damit ich beffer 
in der Finfterniß Ihres Herzens und Ihres Beiftes zu 
lefen vermag.” 

Mein Herr! man fagt, Seine Eminenz liebe an: 
derswo ... Seine Eminenz liebe hohen Drtes ... 
Man fagt ſogar ...“ 

Hier Beftele Gaglivftro auf Seanne, welche bei⸗ 
nahe rückwärts gefallen wäre, einen Blick voll von 

igen. 

„Madame,“ fagte er, „ich leſe in ber That in ber 
Finſterniß; aber um gut zu lefen, muß ich unterkägt 
werben. Wollen Sie auf olgende ragen antworten: 

„Wie kommt es, bag Sie mich bier aufgefudt 
Haben? Ich wohne nicht Hier.“ 

Jeanne bebte. 

„Wie find Sie hier hereingelommen? Denn es gibl 
weder einen Portier, noch Bedienten in biefem il 
Des Hotels. 

„Und wenn Sie nicht mich ſuchten, wen ſuchten 
Sie dann? 
„Sie antworten mir nicht ?" ſagte Caglioſtro zu 


51 


ver zitternden Gräfin; „ich will alſo ihren Verſtand 
interſtützen. 

„Sie, ſind mit einem Schlüſſel hereingekommen, 
ven ich Hier in Ihrer Taſche fühle. 

„Sie wollten hier eine junge Frau auffuchen, die 
ch aus reiner Gutmüthigfeit bei mir verbarg.” 

Seanne ſchwankte wie ein entwurzelter Baum. 

„Und wenn dem fo wäre?“ ſprach fie ganz leife, 
‚welches Verbrechen Hätte ich begangen? Iſt es einer 
frau nicht erlaubt, eine andere Zrau zu befuchen ? 
Daben Sie die Güte, fie zu rufen, fie wird Shnen 
agen, ob unfere Freundſchaft nicht zugugeftehen ift.. .“ 

„Madame,“ unterbrach fie Caglioftro, „Sie jagen 
hir ty ‚ weil Sie wohl wiffen, daß fle nicht mehr 
vier iſt.“ 

„Daß fle nicht mehr bier iſt! ...“ rief Jeanne 
rfhroden. „Dliva ift nicht mehr hier?“ 

„Oh!“ verſetzte Caglioſtro, „Sie wiflen vielleicht 
iicht, daß fle abgereift ift, Sie, die Ste bei der Ents 
übrung geholfen haben ?“ 

„Bel der Entführung! ich!” rief Jeanne, die wies 
er Hoffnung indie. „Dan Hat fie entführt, und Sie 
efchuldigen mich?” 

Ich thue mehr, ich überweife Sie,” ſprach 
Sagliofro,. 
„DBeweifen Sie!” rief unverfhämt die Gräfin. 
in stioteo nahm ein Papier vom Tifch und zeigte 
8 ihr: 


„Mein Herr und edler Bönner,“ ſagte das an 
Sagliofro gerichtete Billet, „verzeihen Sie mir, daß 
ch Sie verlaſſe; doch vor Allem liebte ih Herrn 
zeauſire; er kommt, er entführt mich, ich folge ihm. 
eben Sie wohl. Empfangen Sie den Ausdrud meiner 
Yankbarkeit.” 

„Beaufire! ...“ fagte Jeanne wie verfteinert, 
Beanflre:. . . Er, der die Ädreſſe von Dliva_ nicht 
mpte !“ 44 





32 


„Oh! doch, Madame,” erwiederte Caglioſtro, indem 
er ihr ein zweites Papier zeigte, das er aus feiner 
Tafche zog; „sehen Sie, ich babe diefes Papier auf 
der Treppe aufgehoben, als ich hierherfam, um meinen 
täglichen Befudy zu machen. Diefes Papier wird aus 
der Tafhe von Herrn Beauflre gefallen fein.“ 

Die Grafin las bebend: 

„Herr von Beaufire wird Mademoifelle Oliva in 
der Rue Saint : Claude, an der Ede des Boulevard, 
finden. Er wird fie finden und auf der Stelle weg» 
führen. Es ift Zeit.“ 

„Oh!“ machte die Bräfin, das Papier zerfnitternd. 

„Und er hat fle weggeführt,“ fprach Falt Bagliofiro. 

„Aber wer hat diefes Billet gefchrieben?” 

„Sie augenfcheinlich, Sie, die aufrichtige Freundin 
von Dliva.” 

„Aber wie ift er Hier bereingefommen ?” rief 
Seanne, indem fie voll Wuth den unempfinblidgen 
Grafen anfchaute. 

„Kann man nicht mit Ihrem Schlüffel eintreten?" 
fragte Caglioſtro. 

„Da ich ihn habe, Hat ihn Here Beauflire nid.“ 

„Wenn man einen Schlüffel Hat, kann man auf 
zwei haben,” erwieberte Gaglıoflro, der Gräfin in's 
Geficht ſchauend. 

„Sie haben da überweiſende Stücke,“ erwiederte 
am die Gräfin, „während ih nur Verdacht 

abe.“ 

„Oh! ich habe auch, und zwar einen Berbadht, der 
fo viel werth ift, ale der Ihrige, Madame.“ 

Sy fprechend, entließ er fie mit einer unmerflichen 
Geberde. 

Sie zögerte nicht, hinabzugehen, doch dieſe verödete 
Treppe entlang, die, als ſie heraufgegangen, finſter 
gewefen war, fand fie zwanzig Kerzen angezündet und 
zwanzig Bedienten aufgeftellt, vor denen fie Gaglioftro 


53 


aut und zu wiederholten Malen Frau Gräfin von La 
Mothe nannte. 

Sie trat aus dem Haufe, Wuth und Rache ſchnau⸗ 
send, wie der Bafilisk Feuer und Gift ſchnaubt. 


LXXI. 
Der Brief und der Empfangfchein. 


Am Tage naher war die lebte Friſt der von der 
Königin feibft den Sumelieren Böhmer und Boffange 
yeftimmten Bezahlung. 

Da das Schreiben Ihrer Majeftät Borfiht em: 
pfahl, fo warteten fie, bis ihnen die fünfmal Hundert 
taufend Livres gebracht würden. 

Und da es bei allen Kaufleuten, fo reich fie auch 
jein mögen, eine wichtige Sache um einen Ginzug von 
fünfmal hundert taufend Livres ift, fo hielten bie 
Nffvcies einen Empfangſchein von der fchönften Hand- 
Ichrift des Hauſes bereit. 

Der Stein blieb unnügß: Niemand Fam, um ihn 
gegen die fünfmal Hundert taufend Livres auszutaufchen. 

Die Naht verging fehr graufam für die Juweliere 
in der Grwartung eines beinahe unwahrſcheinlichen 
Boten. Doch die Königin Hatte fo außerordentliche 
Ideen; fie mußte fidh verbergen: ihr Bote würde viel- 
leicht erfi nad Mitternacht fommen. 

Die Morgenröthe des andern Tages enttäufchte 
Böhmer und Boffange in ihren Chimären. Böhmer 
faßte feinen Entichluß, und begab ſich nach Berfailles 
in einem Wagen, in deflen Hintergrund fein Affocie 
auf ihn wartete, 

Er verlangte beider Königin eingeführt zu werben. 
Man antwortete ihm, wenn er nicht einen Audienzbrief 
hätte,. Fönnte es nicht fein. j 


—2 


55 


Böhmer glaubie, e8 fei irgend Jemand verborgen, 
die Königin befürdte, gehört zu werden. Er nahm 
alfo eine Miene des Einverfändniffes an und erwies 
derte umherſchauend: 

„3a, Madame!” 

„Bas fuchen Sie da?“ fagte die Königin erſtaunt. 

Ein wenig bebrüdt durch diefe Verftellung, ant- 
wortete er nichts. 

„Daflelbe Gehtimnig, wie neulich; ein Gefchmeide 
gu verfaufen,” fuhr die Königin fort, „ein unvergleich- 
ihes Stüd? Oh! erfhreden Sie nicht fo; es ift 
Niemand bier, der uns hören Fünnte.“ 

„Dann . . .“ murmelte Böhmer. 
„Nun, dann! was?“ 

„Dann darf ich Ihrer Majeftät ſagen ...“ 
Sagen Sie gefchwinde, mein lieber Böhmer.“ 
Der Suwelier näherte fi) mit einem anmuthigen 
Lächeln und ſprach, feine etwas gelben, aber ganz 

wohlwollenden Zähne zeigend: 

„Ich darf Ihrer Majeftät fagen, daß die Königin 
geftern vergeffen hat.“ 

„DBergefien! worin?“ fragte bie Königin erflaunt. 
„Darin, daß geftern der... . Termin war ...“ 
„Der Termin? ... welcher Termin?“ 

„Dh! ich bitte Eure Majeftät um Verzeihung, wenn 
ich mir erlaube... Sch weiß wohl, daß es eine 
Unbefcheidenheit if. Vielleicht iſt die Königin nicht 
vorbereitet. Das wäre ein großes Unglüd, aber...” 

„Ah! Böhmer, ich begreife nicht ein Wort von 
Allem, was Sie mir da fagen. Erklären Sie ſich doch, 
mein Lieber.” . 

„Eure Majeftät hat es aus dem Gedaächtniß ver- 
loren, das ift ganz natürlih, mitten unter allen ben 
Sorgen und Geſchaͤften.“ 

„Was habe ich aus dem Gedäͤchtniß verloren?” 

„Es war geftern der erfle Termin der Bezahlung 
des Halsbandes,“ antwortete Böhmer fhüchtern. 


un 


Yu 


„Sie haben aliv Ihr Halsband verfauft?” 

„Aber... .” verfegte Böhmer, ber die Kör 
ganz eritaunf anfchaute, „aber mir fcheint, ja.“ 

„Und diejenigen, an welche Sie es verfauft, 5 
Sie nicht bezahlt, mein armer Böhmer; das ift ſchl 
Diefe Leute müſſen es machen, wie ich e8 gemacht f 
wenn fie das Halsband nicht Faufen fönnen, ſo m 
fie Ihnen daſſelbe zurückgeben und Ihnen die Abſch 
zahlung überlaffen.“ 

„Wie beliebt?“ flammelte der Juwelier, wi 
fchwanfte, dem unvorfidtigen Reiſenden ähnlich, 
einen Sunnenfli auf den Kopf befommen „ 
erweift mir Ihre Majeftät die Ehre zu ſagen?“ 

„Mein armer Böhner, ich jage, wenn Ihnen 
Käufer Ihr Halsband zurüdgeben, wie ih es J 
zurückgegeben habe, das heißt, indem fie Ihnen zwe 
hundert taujend Livres Reukauf laffen, fo Haben 
zwei Millionen nebft dem Halsband.” 

„Sure Majettät ...“ rief Böhmer, von Edi 
triefend, „Cure Majeftät fagt wohl, fle habe miı 
Halsband zurüdgegeben 2” 

„Ja wohl, ich fage das," erwiererte die Kör 
ganz ruhig. „Was haben Sie?" 

„Wie!“ uhr der Juwelier fort. „Eure Ma 
leugnet, das Halsband gefauft zu haben?“ 

„Ab! was für eine Komödie fpielen wir da,” fi 
die Königin mit jtrengem Tone. „Iſt diefes verbai 
Haleband beitinmt, immer Jemand den Kopf verl 
zu machen?" 

„Aber,“ verfegte Böhmer, an allen feinen Si. 
zitternd, „mir ſchien, als hätte ih von dem M 
Gurer Majeſtät felbit gebört, Sie haben mir zur 
gegeben. Gure Majeſtät hat gefagt, das Dian 
halsband zurüdgegeben.” 

Tie Ronigin ſchaute Böhmer, die Arme freu 
an und ſprach; 

„Zum Glücke habe ich hier etwas, womit ich 


57 


Gedächtniß auffrischen kann, denn Sie find ein fehr 
vergeßlicher Menſch, Herr Böhmer, um Ihnen nidie 
unangene meres zu ſagen.“ 

ie ging gerade auf einen Arbeitstiſch zu, zog aus 
demſelben ein Papier hervor, öffnete es, durdflog es 
und reichte es dann langfam dem unglüdlichen Böhmer. 

„Der Styl tft ziemlich klar, wie mir fcheint,“ 
fagte fie. Und fie ſeßte ſich, um den Juwelier, während 
er las, befler anzufchauen. j 

Das Geficht von dieſem drückte zuerft bie völligfte 
Ungläubigfeit und dann flufenweije den furchtbarften 
Schrecken aus. 

„Run!“ fagte die Königin, „Sie erkennen biefen 
Schein, der in fo guter Form bezeugt, daß Sie bag 
Halsband zurüderhalten; und wenn Sie nidht auch 
vergeffen haben, daß Sie Böhmer heißen... .“ 

„Aber, Madame,“ ftammelte Böhmer, zugleich vor 
Wuth und Angft erſtickend, „ich habe diefen Echein 
nicht unterzeichnet.” 

Die Königin wid, den Juwelier mit ihren flams 
menden Augen niederfchmetternd, zurüd und rief: 

„Sie leugnen |“ 

„Durdhaus ... Ich Habe, und müßte ich für 
meine Freiheit mein Leben laflen, das Halsband nie 
zurüderhalten, vdiefen Schein nie unterzeichnet. Wäre 
der Block hier, ſtünde der Henfer bier, ich würde aber- 
mals wiederholen: nein, Sure Majeftät, diefer Empfang: 
fein ift nicht von mir.“ 

„Mein Herr,” fagte die Königin leicht erbleichend, 
„dann habe ich Sie alfo betrogen, dann habe ich alſo 
Ihr Halsband ?“ 

Böhmer fuchte in feinem Portefeuille und 309 
ein Bapier heraus, das er ebenfalls der Königin über: 
reichte. 

„Madanıe,” fagte er mit ehrerbietiger, aber durch 
die Aufregung bebender Stimme; „ih glaube nicht, 
daß Eure Majeftät, wenn file mir das Halsband hätte 


58 


zurückgeben wollen, diefe Schuldurfunde hier gefd 
haben würde.” 

„Aber was für ein Besen iſt denn das?“ ı 
Königin, „Ich habe das nicht gefchrieben! X 
meine Handſchrift?“ 

„Es ift unterzeichnet,” entgegnete Böhmer ger 

„Marie Antoinette von Branfreic 
Sie find verrüdt! bin ih von Franfreidf 
ih nit Erzherzogin von Oeſterreich? IR er 
albern, daß ich das gefchrieben Haben foll? 
Sie doch, Herr Böhmer, die Falle ift zu plump, 
Sie das Ihren Fälſchern.“ 

„Meinen Bälfchern ...“ ſtammelte ber Iu 
der beinahe in Ohnmacht fiel, als er diefe Morte 
„Sure Majeltät Hat mich, Böhmer, im Verdach! 

„Sie haben wohl mih, Marie Antoinett 
Verdacht?” verfegte Marie Antoinette voll Stol 

„Aber diefe Schrift,“ entgegnete aberma 
Juwelier, auf das Bapier deutend, das fie imme 
in ihren Händen hielt. 

„Und diefer Empfangſchein?“ ſagte fie, a 
Papier deutend, das er nicht von ſich gelaffen 5 

Böhmer war genöthigt, fih auf einen Lel 
zu flügen; der Boden wirbelte unter ihm. Gr a 
die Luft in großen Wogen ein, und die Purpe 
des Schlags erfegte die Keichenbläffe der Ohnm 

„Beben Sie mir meinen Schein zurück,“ fa 
Königin, „ih Halte ihn für gut, und nehmen Gi 
Schrift, unterzeichnet Antvinettevon Franf 
ber Staatsanwalt wird Ihnen fagen, was das wer 

Und fie warf ihm die Verfchreibung zu, m 
fie ihm den Schein aus ben Händen geriffen 
wandte jih um, ging in ein anftoßendes Zimme 
überließ ſich allein den Unglüdlihen, ber gar 
Gedanken mehr hatte und, gegen jede Etiyuel 
einen Lehnſtuhl ſank. Nah einigen Minuten 
in denen er fi wieder ein wenig erholte, flü 


59 


aanz betäubt aus dem Gemach und ſuchte Boffange auf, 
dem er das Abenteuer fo erzählte, daß er bei feinem 
Aſſocié in Verdacht gerieth. 

Doch er wiederholte fo gut und fo oft feine Aus- 
fage, daß Boflange anfing, feine Perrüde auszureißen, 
während Böhmer feine Haare ausriß, was für bie 
BVorübergehenden, die ihren Blick in den Wagen taud: 
Ai : zugleich das frhmerzlichfte und komiſchſte Schau⸗ 
piel war, 

Da man jeboch nicht einen ganzen Tag im Wagen 
zubringen Fann, da man, nachdem man fi Haare oder 
Perrücke ausgerifien, die Hirnfchale findet, und da 
unter der Hirnfchale Gedanken find oder fein follen, 

ſo fanden die zwei Juweliere für aut, ſich zu verbinden, 
um, wenn es möglich wäre, die Thüre der Königin zu 
fprengen und etwas einer Erklärung Aehnliches zu 
erlangen. 

Sie gingen nad dem Sclofle zu, in einem Zu⸗ 
fland, daß fle Mitleid erregen mußten, ale ihnen einer 
von den Officianten der Königin begegnete, der den 
@inen oder den Andern von Ihnen zu berufen Hatte. 
Man denke fi ihre Freude und den Eifer, mit dem 
fie gehordhten. 

Sie wurden ohne Verzug eingeführt. 


— nn ne 


LXXIM. 
König Tann ich nicht, Prinz inag ich nicht 
9 Ra bin ie. 8 ich ’ 


Die Königin ſchien ungeduldig zu warten; fie rief 
auch, ſobald fie die Sumeliere erblidte: 

„AH! Hier ift Herr Boflange; Sie haben Berflär- 
fung genommen, Böhmer, deſto beffer.* 

Böhmer Hatte nichts zu fagen; er dachte viel. 


60 


Das Beſte, was man in einem folchen Kalle tun Tann, 
it, durch die Geberde zu verfahren, Böhmer warf fi 
Marie Antoinette zu Füßen. 

Die Beberde war ausdrudsvolf. 

Boffange ahmte ihn als fein Affocie nad. 

„Meine Herren,” ſprach die Königin, „ich bin nun 
ruhig und werde mich nicht mehr argeın. Es ift mir 
überdies ein Gedanfe gefommen, der meine @efühle 
in Beziehung auf Sie ündert. Es unterliegt feinem 
Zweifel, daß wir, Sie und ich, bei diefer Angelegenheit 
durch ein Kleines Geheimniß hintergangen worden find, 

. welches fein Geheimniß mehr fiir midy if.“ 

„Ah! Madame,” rief Böhmer, begeiftert durch dieſe 
Morte der Königin, „Sie haben mid alfo nicht mehr 
im Berdadht, van ih... OH! es ift abfcheulih auss 
zujprechen, das Mort Bälfcher . . . “ 

„Es ift eben fo Hart für mich, daffelbe zu hören, 
als fur Sie, e8 auszuſprechen,“ erwiederte die Königin, 
„nein, ich Babe Sie nicht mehr im Verdacht.“ 

„Eure Majeftät bat aber Jemand im Verdacht?“ 

„Beantworten Sie mir meine Tragen. Sie fagın, 
Sie haben die Diamanten nidt mehr?“ 

„Wir haben fie nicht mehr,“ antworteten gleids 
zeitig die Juweliere, 

„(8 hat für Eie feinen Werth, zu erfahren, wem 
ih das Geſchmeide für Sie übergeben habe, das if 
meine Sache ... Haben Sie... bie Frau Gräfin 
von La Mothe nicht geſehen?“ 

„Verzeihen Eie, Madame, wir haben fie geſehen.“ 

„Und fie hat Ihnen nichts... in meinem Auftrage 
übergeben 2” 

„Mein, Madame, die Frau Gräfin Hat uns nur 
geſagt: „„Warten Sie.“ " 

„Wer bat Ihnen aber die Verfchreibung von mir 
überbradht ?” 

„Die Verſchreibung? ...“ erwiederte Böhmer; 
„das Parier, das Eure Majeſtät in den Hunden gehabt 


61 


® 
mat, iſt uns in der Nacht von einem unbekannten 
Boten überbracht worden.“ ' 
"Und er zeigte die falfche Schrift. 

„Ab! ah!” rief die Königin, „gut; Sie fehen, daß 
ie Schrift nicht unmittelbar von mir fommt.“ 

Sie läutete; ein Bedienter erſchien. 

„Man laffe die Frau Gräfin von La Mothe zu 
tir rufen,” ſprach die Königin ruhig. 

„Und,“ fuhr fie dann mit derfelben Ruhe fort, 
Sie haben Niemand gefehen, Sie haben Herrn von 
dohan nicht gefehen ?“ 

„Herrn von Rohan? Doch, Madame, er hat ung 
efucht und fich erkundigt... . “ 

„Sehr gut; gehen wir nicht weiter; fobald ber 
Jerr Cardinal von Rohan abermals bei diefer Anges 
rgenheit betheiligt ift, hätten Sie Unrecht zu ver⸗ 
weifeln. Ich errathe. Als Frau von La Moihe das 
Bort: Warten Sie! zu Ihnen fagte, wollte fie... 
tein, ich errathe nichts, ich will nichts errathen ... 
Suchen Sie nur den Herrn Garbinal auf und erzählen 
Sie ihm, was Sie mir gefagt haben; verlieren Sie 
eine Zeit und fügen Sie bei, ich wiſſe Alles.” 

Wiederbelebt durdy diefe Fleine Flamme der Hoff: 
ung, wechfelten die Juweliere unter einander einen 
ıiinder ängfllichen Bil. 

Boflange allein, der fein Wort anbringen wollte, 
yagte es, leife zu fagen, die Königin habe jedoch einen 
ilſchen Smpfangfchein in ihren Händen, und eine 
sälfehung fei ein Verbrechen. 

Marie Antoinette faltete Die Stirne und erwieberte: 

„Es ift wahr, wenn Sie das Halsband nicht zus 


üderhalten haben, fo bildet dieſe Schriit eine Zälfchung. _ 


)oh um die Fälſchung nachzuweiſen, ift es unerläßlidh, 
aß ich Sie mit der Berfon confrontire, die ich Ihnen 
ie Diamanten zurüdzugeben beauftragt habe.“ 
„Wann Eure Majeftät will,” rief Boffange, „wir 
Heuen das Licht nicht, wir ehrlichen Handelsleute.“ 


‘ 





54 


Grftaunt, unruhig, blieb er beharrlich, und ba er 
feine Leute fannte, da er das Talent Hatte, ba und dort 
in den Vorzimmern einen Fleinen, für ihn unnügen 
Stein anzubringen, ſo begünftigte man ihn fo, daß man 
ihn auf den Weg Ihrer Majehät ftellte, wenn fie von 
ihrem Spaziergange in Trianon zurüdfommen würde, 

Noch ganz bebend von ihrer Zufammenfunft mit 
Charny, wo fie fih zur Liebenden gemacht Hatte, ohne 
Beliebte zu werden, fehrte in der That Marie Antoinette, 
das Herz voll Freude und den Geift ganz frablend, 
zurüd, als fie das ein wenig zerfnirfchte, jedoch ehr⸗ 
furchtsvolle Geſicht von Böhmer erblidte. 

Sie lächelte ihm zu, was er auf die glücklichſte 
Meije deutete, und er wagte es, um einen Augenblick 
Nudienz zu bitten, die Königin bewilligte ihm dies 
auf zwei Uhr, das heißt, nad ihrem Mittagsmahle. 
Gr überbrachte dieſe vortrefflihe Kunde Boffange; 
diefer wartete auf ihn in einem Wagen; an einem 
Fluſſe leivend, hatte er Ihrer Majeflät kein unfreund⸗ 
liches Geſicht zeigen wollen. 

„Es if fein Kveitel,“ fagten fie zu einander, indem 
fie fidy die geringften Grberden, die kleinſten Worte von 
Marie Antoinette auslegten, „es unterliegt feinem 
Zweifel, Ihre Majeftät Hat in ihree Scublape die 
Summe, die fie geitern noch nicyt befommen fonnte; 
fie hat gefagt, um zwei lihr, weil fie um zwei Ußr 
allein jein wird.“ 

Und fie fragten fih, wie die Rameraben in ber 
Kabel, vb fie die Summe in Billeıis, in Gold, oder in 
Silber wegbringen würden. 

Es fchlug zwei Uhr, ter Juwelier war an feinem 
Fe man führte ihn in das Boudoir Ihrer Majes 

at ein. 

„Was haben Eie wieder, Böhmer,“ fragte bie 
Königin, fobald fie ihn von fern erblicdte, „wollen Eie 
mir von Jumelen ſprechen? Sie wiffen, Sie haben 
Ungluͤck?“ 


59 


Böhmer glaubie, e8 fei irgend Jemand verborgen, 
e Königin befürchte, gehört zu werden. Er nahm 
fo eine Miene des Einverfländnifles an und erwies 
rte umberfchauend: 

„Sa, Madame!“ 

„Was fuchen Sie da?“ fagte die Königin erftaunt. 

Ein wenig bebrüdt durch diefe Verftellung, ant- 
ortete er nichts. 

„Daflelbe Gehtimnig, wie neulich; ein Gefchmeide 
ı verkaufen,” fuhr bie Königin fort; „ein unvergleich- 
bes Stud? OH! erfhreden Sie nicht fo; es if 
iemand hier, der uns hören koönnte.“ 


„Ber Termin? ... welcher Termin ?” 

Ohl ich bitte Eure Majeftät um Berzeihung, wenn 
5 mir erlaube ... Sch weiß wohl, daß es eine 
nbefcheidenheit if. Vielleicht iſt die Königin nicht 
orbereitet. Das wäre ein großes Unglüd; aber...” 

„Ab! Böhmer, ich begreife nicht ein Wort von 
‚Uem, was Ste mir da fagen. Grflären Sie fi doch, 
rein Lieber.” 

„Eure Majeftät hat es aus dem Gedächtniß ver- 
ren, das ift ganz natürlich, mitten unter allen den 
sorgen und Gefchäften.“ 

„Bas habe ich aus dem Gedächtniß verloren?” 

„&s war geftern der erfle Termin der Bezahlung 
es Halsbandes,” antwortete Böhmer jhüchtern. 





36 


„Sie haben alio Ihr Halsband verkauft?“ 

„Aber...“ verfegte Böhmer, ber bie Königiz 
ganz erſtaunt anſchaute, „aber mir fcheint, ja.“ 

„Und diejenigen, an welche Sie es verkauft, haben 
Sie nicht bezahlt, mein armer Böhmer; das ift ſchlimm. 
Diefe Leute müſſen es machen, wie ich es gemacht babe; 
wenn fie das Halsband nicht Faufen Fönnen, fo müſſen 
fie Ihnen daffelbe zurückgeben und Ihnen die Abſchlags⸗ 
zahlung überlaffen.“ 

„Wie beliebt?“ ftammelte der Juwelier, welcher 
fhwanfte, dem unvorfichtigen Reifenden ähnlich, der 
einen Sonnenflih auf den Kopf befommen. „Bas 
erweiit mir Ihre Majeflät die Ehre zu fagen?” 

„Mein armer Böhmer, ich jage, wenn Ihnen ze 
Käuſer Ihr Halsband zurüdgeben, wie ich es JZhuek 
zurückgegeben babe, das heißt, indem fie Ihnen zweimal 
hundert taujend Livres Reukauf laffen, ſo Haben Gie 
zwei Millionen nebft dem Halsband.” 

„Eure Majeltät ...“ rief Böhmer, von Schweiß 
triefend, „Sure Majeftät fagt mohl, fie Habe mir das 
Haleband zurüdgegeben ?" 

„Sa wohl, ich fage das,“ erwiederte bie Königin 
ganz rubig. „Was haben Sie?“ 

„Wie!“ uhr der Juwelier fort. „Eure Majefät 
leugnet, das Halsband gefauft zu haben?“ 

„Ab! was für eine Komödie jpielen wir da,” fprad 
die Königin mit firengem Tone. „Ir diefes verbammte 
Halsband beitimmt, immer Jemand den Kopf verlieren 
zu machen?” 

„Aber,“ verfeste Böhmer, an allen feinen Gliebern 
zitternd, „mir ſchien, als hätte ih von dem Dlunbe 
Gurer Majeſtät felbit gebört, Sie haben mir zurüds 
gegeben. Gure Majeſtät hat gefagt, das Diamant 
Yalsband zurüdgegeben.“ 

Tie Komgin ſchaute Böhmer, die Arme freugend, 
an und iprach: 

„Zum Glücke habe ich hier etwas, womit ich Ihr 


57 


Bedächtniß auffrifchen kann, denn Gie find ein fehr 
ergeßliher Menfh, Herr Böhmer, um Ihnen nidhie 
Inangenehmeres zu jagen.” 

ie ging gerade auf einen Arbeitstifch zu, 309 aus 
eınjelben ein Papier hervor, öffnete es, durchflog es 
nd reichte es dann langſam dem unglüdlichen Böhmer. 

„Der Styl iſt ziemlich Ear, wie mir fcheint,“ 
agte fie. Und fle fegte fi, um den Juwelier, während 
r la6, beſſer anzufchauen. 4 

Das Geficht von diefem drückte zuerft bie völligſte 
Ingläubigfeit und dann flufenweije den furcdhtbariten 
Schreden aus. 

„Run!“ fagte die Königin, „Sie erkennen biefen 
Schein, der in fo guter Form bezeugt, daß Sie das 
Jalsband zurüderhalten, und wenn Sie nit aud 
ergefien Haben, daß Sie Böhmer heißen... .* 

„Aber, Madame,” ftammelte Böhmer, zugleih vor 
Buth und Angſt erftidend, „ich habe diefen Schein 
icht unterzeichnet.” 

Die Königin wi, den Suwelier mit ihren flams 
ıenden Augen niederfcymetternd, zurüd und rief: 

„Sie leugnen!“ 

„Durhaus ... Ich Habe, und müßte ich für 
veine Freiheit mein Leben laflen, das Halsband nie 
urücderhalten, diefen Schein nie unterzeichnet. Wäre 
er Bio Hier, ſtünde der Henfer bier, ich würde aber⸗ 
tale wiederholen: nein, Sure Majeftät, diefer Empfang: 
Hein ift nicht von mir.” 

„Mein Herr,” fagte die Königin leicht erbleichend, 
dann habe ih Sie alfo betrogen, dann habe ich alſo 
‚he Halsband?“ _ 

Böhmer ſuchte in feinem Bortefeuille und 309 
n Bapier heraus, das er ebenfalls der Königin über: 
eichte. 
„Madane,” fagte er mit ehrerbietiger, aber durch 
ie Aufregung bebender Stimme; „id glaube nicht, 
aß Sure Majeftät, wenn file mir das Halsband hätte 


20 


zurückgeben wollen, dieſe Schuldurkunde hier ge 
haben würde.“ 

„Aber was für ein Fetzen iſt denn das?“ 
Königin. „Ih Habe das nicht geſchrieben! 
meine Handſchrift?“ 

„Gs ift unterzeichnet,” entgegnete Böhmer 3 

„Marie Antoinette von Frankre 
Sie find verrüdt! bin ih von Franukreie 
ich nicht Erzherzogin von Oeſterreich ? IR 
albern, daß ich das gefchrieben Haben foll? 
Sie doch, Herr Böhmer, die Falle ift zu plun 
Sie das Ihren Fälfchern.” 

„Meinen Fälſchern . . .* flammelte ber 
der beinahe in Ohnmacht fiel, als er Diele Wor 
„Eure Majeftät hat mich, Böhmer, im Verda 

„Sie haben wohl mid, Marie Antoin 
Verdacht?” verfepte Marie Antoinette vol S 

„Aber diefe Schrift,“ entgegnete aberr 
Juwelier, auf das Bapier deutend, das fie im: 
in ihren Händen hielt. 

„Und diefer Empfangſchein?“ fagte fie, 
Papier deutend, das er nicht von fi gelaflen 

Böhmer war genöthigt, fih auf einen ! 
zu flügen; der Boden wirbelte unter ihm. Gı 
die Luft in großen Wogen ein, und bie Pu: 
des Schlags erfepte die Keichenbläffe der Ohn 

„Beben Sie mir meinen Schein zurüd,“ 
Königin, „ih halte ihn für gut, und nehmen ( 
Schrift, unterzeichnet Antvinettevon Fra 
der Staatsanwalt wird Ihnen jagen, was base n 

Und fie warf ihm die Verfchreibung zu, 
fie ihm den Schein aus den Händen gerifl 
wandte fih um, ging in ein anftoßendes Zim: 
überließ ſich allein den Unglüdlichen, ber g 
Sedanfen mehr hatte und, gegen jede Etiq 
einen Lehnftuhl ſank. Nach einigen Minute 
in denen er ſich wieder ein wenig erbolte, 


59 


ganz betäubt aus dem Gemach und fuchte Boffange auf, 
dem er das Abenteuer fo erzählte, daß er bei feinem 
Affocie in Verdacht gerieth. 

Dod er wiederholte fo gut und fo oft feine Aus⸗ 
fage, daß Boflange anfing, feine Perrüde auszureißen, 
während Böhmer feine Haare ausrig, was für die 
Borübergehenden, die ihren Bli in den Wagen taudjs 
ten, zugleich das fohmerzlichfte und komiſchſte Schau⸗ 
fpiel war. 

Da man jedoch nicht einen ganzen Tag im Wagen 
zubrinaen fann, da man, nachdem man filh Haare oder 
Perrücke ausgeriffen, die Hirnfchale findet, und da 
unter der Hirnſchale Gedanfen find oder fein follen, 
ſo fanden die zwei Suweliere für aut, fi) zu verbinden, 
um, wenn es möglich wäre, die Thüre der Königin zu 
fprengen und etwas einer Erklärung Aehnliches zu 
erlangen. 

Sie gingen nad dem Sclofle zu, in einem Zus 
ftand, daß fle Mitleid erregen mußten, ale ihnen einer 
von den Dfficianten der Königin begegnete, der den 
Ginen oder den Andern von ihnen zu berufen hatte. 
Man denke fih ihre Freude und den Eifer, mit dem 
fie gehorchten. 

Sie wurden ohne Verzug eingeführt. 


— —— — 


LXXIII. 
König kann ich nicht, Prinz mag ich nicht 
0 hen bin ie. ich 


Die Königin ſchien ungeduldig zu warten; ſie rief 
auch, ſobald fie die Juweliere erblickte: 

„Ah! hier iſt Herr Boſſange; Ste Haben Berflär- 
kung genommen, Böhmer, deſto beſſer.“ 

Böhmer Hatte nichts zu ſagen; er dachte viel. 


58 


zurückgeben wollen, dieſe Schuldurkunde bier gefchrieben 
haben würde.” 

„Aber was für ein Fetzen iſt denn das?“ rief bie 
Königin, „Ich habe das nicht gejchrieben! Iſt das 
meine Handſchrift?“ 

„&8 iſt unterzeichnet,“ entgegnete Böhmer zernichtel. 

„Marie Antoinette von Franfrei... 
Sie find verrüdt! bin ih von Frankreich? Bin 
ih nicht Erzherzogin von Oeſterreich? IR es nicht 
albern, daß ich das gefchrieben Haben fol? Gehen 
Sie doch, Herr Böhmer, die Falle ift zu plump, fagen 
Sie das Ihren Fälſchern.“ 

„Meinen Fälſchern . . .“ flammelte der Juwelier, 
der beinahe in Ohnmacht fiel, als er dieſe Morte hörte. 
„Eure Majeftät hat mich, Böhmer, im Verdacht?“ 

„Sie Haben wohl mih, Marie Antoinette, im 
Verdacht?” verfegte Marie Antoinette voll Stolz. 

„Aber diefe Schrift,” entgegnete abermals ber 
Juwelier, auf das Papier deutend, das fle immer nod 
in ihren Händen hielt. 

„Und diefer Empfangfchein?” fagte fie, auf das 
Papier deutend, das er nicht von fich gelaflen Hatte. 

Böhmer war genöthigt, fih auf einen Lehnſtuhl 
zu flügen; ber Boden wirbelte unter ihm. Gr athmete 
die Luft in großen Wogen ein, und die Burpurfarbe 
des Schlags erfepte die Leichenbläffe der Ohnmacht. 

„Beben Sie mir meinen Schein zurüd,” fagte bie 
Königin, „ih Halte ihn für gut, und nehmen Gie Ihre 
Schrift, unterzeichnet Antoinette von Frankreich, 
der Staatsanwalt wird Ihnen ſagen, was das werth IR.“ 

Und fie warf ihm die DVerfchreibung zu, nachdem 
fie ihm den Schein aus den Händen gerifien Hatte, 
wandte ſich um, ging in ein anftoßendes Zimmer, und 
überließ ſich allein den Unglüdlicyen, ber gar feinen 
Sedanfen mehr hatte und, gegen jebe Etiquette, in 
einen Lehnituhl ſank. Nach einigen Minuten jedody, 
in denen er ſich wieder ein wenig erholte, flürzte er 


59 


anz betäubt aus dem Gemach und ſuchte Boflange auf, 
m er das Abenteuer fo erzählte, daß er bei feinem 
ſſocié in Verdacht gerieth. 

Doch er wiederholte fo gut und fo oft feine Aus⸗ 
ıge, daß Boffange anfing, feine Perrüde auszureißen, 
ährend Böhmer feine Haare ausriß, was für die 
orübergehenden, die ihren Blick in den Wagen tauch⸗ 
2 zugleich das ſchmerzlichſte und Eomifchfte Schau: 
iel war, 

Da man jebod nicht einen ganzen Tag im Wagen 
ıdrinaen Tann, da man, nachdem man ſich Haare oder 
‚errüde ausgeriffen, die Hirnfchale findet, und da 
nter der Hirnſchale Gedanken find oder fein follen, 
) fanden die zwei Juweliere für aut, ſich zu verbinden, 
m, wenn es möglich wäre, die Thüre der Königin zu 
rengen und etwas einer Erklärung Nehnliches zu 
langen. 

Sie gingen nad dem Schlofle zu, in einem Zu⸗ 
and, daß fle Mitleid erregen mußten, als ihnen einer 
on den DOfficianten der Königin begegnete, der ben 
inen oder den Andern von ihnen zu berufen hatte. 
Ran denfe fi ihre Freude und den Eifer, mit dem 
e gehorchten. 

Sie wurden ohne Berzug eingeführt. 


LXXIII. 
König kann ich nicht, Prinz mag ich nicht 
Hohan bin ie. ’ 
Die Königin fehlen ungeduldig zu warten; fie rief 
ach, fobald fie die Juweliere erblidte: 
„AH! Hier iſt Herr Boffange; Sie Haben Berflär- 
Ing genommen, Böhmer, defto befjer.“ 
Böhmer Hatte nichts zu fagen; er dachte viel. 





60 


Das Beile, was man in einem folgen Falle thun kann, 
ift, Durch die Geberde zu verfahren; Böhmer warf fid 
Marie Antoinette zu Füßen. 

Die Geberde war ausdrudsvolf. 

Boffange ahmte ihn als fein Aſſocié nad. 

„Meine Herren,” ſprach die Königin, „ich bin nun 
ruhig und werde mich nicht mehr ärgern. GEs ift mir 
überdies ein Gedanke gefommen, der meine Gefühle 
in Beziehung auf Eie ändert. Es unterliegt feinem 
Zweifel, daß wir, Sie und ich, bei diefer Angelegenheit 
durdy ein Fleines Geheimniß hintergangen worden find, 

. weldhes fein Geheimniß mehr für mich iſt.“ 

„Ah! Madame,” rief Böhmer, begeiftert durch diefe 
Morte der Königin, „Sie haben mid alfo nicht mehr 
im Verdacht, dan ih... . OH! es ift abjcheulich aus⸗ 
zufprechen, das Wort Fäljcher . . . 

„Es ift eben fo hart für mich), daffelbe zu Hören, 
als für Sie, e8 auszuſprechen,“ erwieberte die Königin, 
„nein, ich Babe Sie nicht mehr im Verdacht.“ 

„Sure Majeftät bat aber Semand im Verdacht ?" 

„Beantworten Sie mir meine Fragen. Sie fagen, 
Sie haben die Diamanten nicht mehr?“ 

„Wir haben fie nicht mehr,” antworteten gleich 
jeitig die Juweliere, 

„(8 bat für Cie feinen Werth, zu erfahren, wem 
ih das Gefchmeide für Sie übergeben habe, das if 
meine Eade.... Haben Sie... die Frau Bräfin 
von La Mothe nicht geſehen?“ 

„Berzeihen Cie, Madame, wir haben fie gefchen.“ 

„Und fie hat Ihnen nichts... in meinem Auftrage 
übergeben ?“ 

„Nein, Madame, die Frau Gräfin Hat uns nur 
gejagt: „„Warten Sie.” “ 

„Mer bat Ihren aber die Verſchreibung von mir 
überbradyt?” 

„Die Verſchreibung? ...“ ermwicderte Böhmer; 
„das Barier, das Eure Majeſtät in den Hunden gehabt 


61 


® 
bat, it uns in der Nacht von einem unbekannten 
Boten überbracht worden.“ 
"Und er zeigte die falſche Schrift. 

„Ah! ah!” rief die Königin, „gut; Sie fehen, daß 
die Schrift nicht unmittelbar von mir fommt.“ 

Sie läutete; ein Bedienter erfchien. 

„Man laffe die Frau Gräfin von La Mothe zu 
mir rufen,” ſprach die Königin ruhig. 

„Und,“ fuhr fie dann mit derfelben Ruhe fort, 
„Sie haben Niemand gefehen, Sie haben Herrn von 
Rohan nicht gefehen ?” 

„Heren von Rohan? Doch, Madame, er hat ung 
befucht und fidy erfundigt ... . “ 

„Sehr gut; gehen wir nicht weiter; fobald der 
Herr Cardinal von Rohan abermals bei diefer Ange: 
legenheit beteiligt ift, hätten Sie Unredht, zu vers 
zweifeln. Sch erratbe. Als Frau von La Mothe das 
Wort: Warten Sie! zu Ihnen fagte, wollte fie... 
Nein, idy errathe nichts, ich will nichts errathen ... 
Suden Sie nur den Herrn Garbinal auf und erzählen 
Sie ihm, was Sie mir gefagt haben; verlieren Sie 
feine Zeit und fügen Sie bei, ich wifle Alles.” 

Wiederbelebt durch diefe fleine Flamme der Hoff: 
nung, wechfelten die Juweliere unter einander einen 
minder aͤngſtlichen Blid. 

Boſſange allein, der fein Wort anbringen wollte, 
wagte es, leife zu fagen, die Königin habe jedoch einen 
falſchen Empfangichein in ihren Händen, und eine 
Faͤlſchung fei ein Verbrechen. 

Marie Antoinette faltete Die Stirne und erwieberte: 

„Es ift wahr, wenn Sie das Halsband nicht zus 
rüderhalten haben, fo bildet dieſe Schriit eine Faͤlſchung. 
Doch um die Zälfhung nachzumweifen, ift es unerläßlidy, 
daß ih Sie mit der Berfon confrontire, die ih Ihnen 
die Diamanten zurüdzugeben beauftragt habe.” 

„Bann Eure Majeftät will,” rief Boflange, „wir 
ſcheuen das Licht nicht, wir ehrlichen Handelsleute.“ 


60 


Das Beite, was man in einem ſolchen Kalle thun Tann, 
ift, durch die Geberde zu verfahren; Böhmer warf fi 
Marie Antoinette zu Füßen. 

Die Gebeide war ausdrudsvoll. 

Boffange ahmte ihn als fein Aſſocié nad. 

„Meine Herren,“ ſprach die Königin, „ich bin nun 
ruhig und werde mich nicht mehr ärgern. Es ift mir 
überdies ein Gedanfe gekommen, der meine Gefühle 
in Beziehung auf Sie ändert. Es unterliegt feinem 
Zweifel, daß wir, Sie und ich, bei dieſer Angelegenheit 
durch ein Fleines Geheimniß hintergangen worden find, 
... mweldes fein Geheimniß mehr für mich ifl.“ 

„Ah! Madame,” rief Böhmer, begeiftert durch dieſe 
Morte der Königin, „Sie baben mich alfo nicht mehr 
im Berdadht, daß ich .. . OH! es ift abfcheulich auss 
zufprechen, dag Wort Bälfcher ...“ 

„Es ift eben fo Bart für mich, baffelbe zu hören, 
als für Sie, es auszuſprechen,“ erwieberte die Königin, 
„nein, id Habe Sie nicht mehr im Berdadht.“ 

„Eure Majeftät bat aber Jemand im Verdacht?“ 

„Beantworten Sie mir meine Bragen. Sie fagen, 
Sie haben die Diamanten nicht mehr?“ 

„Wir haben fie nicht mehr,” antworteten gleich⸗ 
zeitig die Juweliere. 

„Es hat für Sie feinen Werth, zu erfahren, wem 
ih das Geſchmeide für Sie übergeben habe, das ill 
meine Sade ... Haben Sie... die Frau Gräfin 
von La Mothe nicht geſehen?“ 

„Berzeihen Sie, Madame, wir haben fie gelden 

„Und fie hat Ihnen nichts... in meinem Auftrage 
übergeben ?” 

„Nein, Madame, die Frau Gräfin Hat uns nur 
gejagt: „„Warten Sie.“ “ 

„Wer bat Ihnen aber die Verfchreibung von mir 
überbradyt?” 

„Die Berfhreibung? ...“ erwiederte Böhmer; 
„das Papier, das Bure Majeftät in den Hünden gehabt 


61 


 ) 
Bat, if uns in der Nacht von einem unbefannten 
Boten überbracht worden.“ 
"Und er zeigte die falſche Schrift. 

„Ab! ah!“ rief die Königin, „gut; Sie fehen, daß 
die Schrift nicht unmittelbar von mir fommt.” 

Sie läutete; ein Bedienter erſchien. 

„Man lafle die Frau Gräfin von La Mothe zu 
mir rufen,“ ſprach die Königin ruhig. 

„Und,” fuhr fie dann mit derſelben Ruhe fort, 
„Sie Haben Niemand gefehen, Sie haben Herrn von 
Rohan nicht gefehens“ 

„Herrn von Rohan? Doch, Madame, er hat uns 
beiucht und fich erkundigt... . “ 

„Sehr gut; gehen wir nicht weiter; fobald der 

Garbinal von Rohan abermals bei diefer Anges 
legenheit betheiligt ift, hätten Sie Unredt, zu vers 
weifeln. Ich erraihe. Als Frau von La Mothe das 

ort: Warten Sie! zu Ihnen fagte, wollte fie... 
Kein, ich errathe nichts, ich will nichts errathen .. . 

uchen Gie nur ben Herrn Garbinal auf und erzählen 
Gie ifm, was Sie mir gefagt haben; verlieren Sie 
feine Zeit und fügen Sie bei, ich wiffe Alles.“ 

Wiederbelebt durch diefe fleine Flamme ber Hoff: 
nung, wechfelten die Suweliere unter einander einen 
minder ängfllichen Blid. 

Boflange allein, der fein Wort anbringen wollte, 
wagte es, leife zu jagen, die Königin habe jedody einen 
falſchen Empfangſchein in ihren Händen, und eine 
Faͤlſchung fei ein Verbrechen. 

Marie Antoinette faltete die Stirne und erwieberte: 

„Ge ift wahr, wenn Sie das Halsband nicht zus 
rüderhalten haben, fo bildet dieſe Schri't eine Fälſchung. 
Doch um bie Faͤlſchung nachzuweiſen, ift es unerläßlich, 
daß ich Sie mit der Berfon confrontire, die ih Ihnen 
die Diamanten zurüdzugeben beauftragt habe.“ 

„ Eure Majeftät will," rief Boflange, „wir 
ſcheuen das Licht nicht, wir ehrlichen Handelsleute.“ 


. 


) 

„Dann holen Sie das Licht beim Herrn Carb 
er alein fann Ihnen in diefer ganzen Sache Aufflä 
geben.” 

„Und Eure Majeftät erlaubt ung, ihr die Ant 
zu überbringen?” fragte Böhmer. 

„Sch werde vor Ihnen unterrichtet fein,“ eriwie 
die Königin, „und ich werde Sie aus diefer Berle 
heit gieben. Gehen Sie.“ 

ie entließ die Juweliere, und als fie weggega 
waren, gab fie fih ihrer ganzen Unruhe Hin und fd 
Eilboten auf Eilboten an Frau von La Mothe, 

Mir werben ihr nicht in allen ihren Nachforſt 
gen und in allen VBermuthungen folgen, wir verl 
fie im ®egentheil, um raſcher mit den Juwelieren 
fu fehr erjehnten Wahrheit entgegenzulaufen. 

Der Bardinal war je — und las mit ı 
unbefchreibligen Wuth ein Briefchen, das ihm | 
von La Mothe fo eben, wie fie fagte, von Berfa 

efhidt batte. Der Brief war hart und benahm 
ardinal jede doffnung; er forderte ihn auf, an n 
mehr zu denfen; er verbot ihm, vertraulich in Verſa 
wieberzuerfcheinen; er appellirte an feine Bieder 
daß er unmöglid gewordene DBerbindungen 
wieder anzufnüpfen fuche. 

Der Prinz fchäumte, während er biefen 9 
noch einmal las; er buchftabirte die Gharaftere e 
um den andern; er ſchien von dem Papier Recyenf 
über die Härten zu verlangen, mit denen ihn eine g 
fame Hand belaftete. 

„Goquette, launenbaft, treulos!“ rief er in fü 
Verzweiflung, „oh! ich werde mich rächen!” 

Er häufte fodann alle Armfeligfeiten auf, w 
bie ſchwachen Herzen in ihren Liebesfchmerzen erleich 
aber die nicht von der @igenliebe heilen. 

„Hier,“ fagte er, „bier find vier Briefe, di 
mir gefchrieben bat, und von benen ber eine in 
ungerechter if, als der andere. Sie hat mid 


Laune genommen! Das ift eine Demülhigung, bie ich 
ihr kaum verzeihen würbe, wenn fie mich nicht einer 
neuen Laune opferte.“ 

Und ber getäufdhte Unglückliche las abermals mit 
der Inbrunſt der Hoffnung alle diefe in ihrer Strenge 
durch einen Bogen von unbarmherzigen Berhältniffen 
gefüsten Briefe. 

Der lepte war ein Meifterwerf barbarifcher Grau: 
famfeit, das Herz des armen Cardinals war davon 
Heilen durchloͤchert, und dennoch liebte er in einem 

e, daß er fi, aus Widerſpruchsgeiſt, daran ergößte, 
wieder und wieder dieſe ihm, nach der Angabe von Frau 
vorn La Mothe, aus Berjailles überbrachten Falten Un— 
bar vrz keiten zu leſen. 

In dieſem Augenblick erſchienen die Juweliere in 
ſeiucem Hotel. Er war ſehr erſtaunt, daß fie, trotz bes 
Berbots, fo hartnädig Einlaß bei ihmbegehrten. Dreimal 
jagte er feinen Kammerdiener hinaus, der zum vierten 

al feinen Angriff mit der Aeußerung erneuerte, bie 
Gerren Böhmer und Boffange haben erflärt, fle wür: 
ben nur weggehen, ‚wenn man fie durch Gewalt dazu 
jwänge. 

„Was foll das bedeuten?“ dachte der Kardinal. 
„Sie mögen eintreten.” 

Sie traten ein. Die verflörten Geſichter zeugten 
von bem heftigen Kampf, den fie moralifch und för: 
perlich auszuftehen gehabt Hatten. Waren die Un⸗ 

Tüdlicyen bei einem von den Kämpfen Steger geblieben, 
o hatten fie dagegen in dem andern eine Niederlage 
erlitten. Nie waren mehr aus dem Geleiſe gebrachte 
Köpfe berufen geweien, vor einem Kirchenfürften zu 
functioniren. 

„Bor Allem,“ rief der Garbinal, als er fie fah, 
„was foll diefe Brutalität, meine Herren Juweliere? ift 
man Ihnen etwas ſchuldig?“ 

Der Ton diefes Eingangs verwandelte die zwei 
Affocies vor Schrecken in Bis, 


vr 


„Fangen die Scenen von burt wieder an!“ 
Böhmer aus dem Augenwinfel zu feinem V 
deten. 

„Sb! nein, nein,“ erwieberte der Leptere, 
er feine Perrüde mit einer fehr Friegerifche 
wegung zurecht richtete, „ich, meinerfeits, bin aı 
Stürme gefaßt.“ 

Und er machte einen faft drohenden Schritt, 
rend der Flügere Böhmer zurückblieb, 

Der Cardinal hielt He für Narren und fa 
ihnen unummwunden. 

„Monfeigneur,” ſprach Böhmer in feiner 
ameiflung, jede Sylbe mit einem Seufzer zerhı 
„Berechtigfeit! Barmherzigfeit! verfchunen Si 
mit Ihrer Wuth und zwingen Sie uns nid 
Achtung gegen ben größten, erhabenften Fürſt 
verlegen.“ 

„Meine Herren,” fagte der Barbinal, „en 
find Sie feine Narren, und dann wird man Si 
Fenſter hinauswerfen, oder Sie find Narren, unt 
wirft man Sie ganz einfach vor die Thüre U 

e." 


„Monfeigneur, wir find Feine Narren, wi 
beſtohlen!“ 

„Bas geht das mich an; ich bin nicht Bı 
lieutenant.“ 

„Aber Sie haben das Halsband in Ihren 
den gehabt, Monfeigneur,” entgegnete Böhmer fc 
jene. „Ste werben gerichtlide Ausſage machen. 
werden ...“ 

„Ich habe das Halsband gehabt?” verfept 
Prinz. „Das Halsband iſt alfo geflohlen worden 

„3a, Monſeigneur.“ 

„Run! was jagt die Königin?“ rief der Gar 
mit einer Bewegung lebhafter Theilnahme. 

„Die Königin at une zu Ihnen gefhidt, 
feigneur.* 


— de bie REEhfG yon ghrer Majefät, 


adıen, meine Tmen Leute 3« 

„Sie bermöge es, Onfeigneur; Sie fönnen 
fagen, was man damit gethan Hay.“ 

„Ich 2° 

„Sewiß.“ 

„Rein lieber Herr Böhmer, Sie Fönnten Diefe 
Epradıe egen mid füßten, wenn ich bei der Räuber: 
Jane wire bie der Königin das Balebant geſtoh 

af.” 

„Rigt ber Königin iſt das Öalsbanp geſtohlen 
Werben,“ 
Mein Bott! 


wem u 
Die Kön sin leugnet, eg 2 Ihrem Befige gehabt 
—D 
IE Daben.” 
_ nBier fie Tengnet 2« fagte fJögernd der Cardinal ; 
„Sie Haben doch eine bandſchriß⸗ von ihr gu 
„Öle fagt, bie andſchrift ſei falfdy.« 
5 meine Berren, Sie verlieren den Kopf!“ 
47 Gardinat, 


e Eardinal“ 
N] Balsband der Königin, iv, 


66 


„Bald ... Zwei Fälfchungen . . . Ind Gie 
fagen, ich wiſſe das wohl %“ 

„Sicherlich, da Sie gefommen find, um uns in 
dem zu beitätigeen, was ung rau von La Mothe ges 
fagt batte; denn Sie, Sie wußten, daß wir das 
Halsband wirklich verfauft hatten, und daß es in den 
Händen der Königin war.” 

„Ab! ah!” fagte der Cardinal, während er mit 
einer Hand über feine Stirn fuhr, das find, wie mir 
fyeint, fehr ernite Dinge. Berfländigen wir une ein 
wenig. Deine Operationen mit Ihnen waren fols 

ende.” . 
8 „Gut, Monſeigneur,“ 

„Zuerſt durch mich für Rechnung Ihrer Majeſtät 
gemachter Ankauf eines Halsbandes, auf welches ich 
Ihnen zweimal Hundert und yünfzig tauſend Livres be⸗ 
zahlt habe.“ 

„Das iſt wahr, Monſeigneur.“ 

„Dann von der Königin unmittelbar unterſchrie⸗ 
bener Verfauf, Sie haben mir das wenigſtens gefagt, 
mit Terminen duch fie beftimmt und auf die Veraut⸗ 
wortlichfeit ihrer Unterichrint ?“ 

„Ihrer Unterſchrift ... Sie fagen, es frei die 
Unterfchriit der Königin, nicht wahr, Monfeigneur $* 

„Zrigen Eie fie mir!“ 

„Hier iſt fie.” 

Die Juweliere zugen die Berfchreibung aus ihrem 
Portefeuille. Der Caidinal warf einen Blick daranf. 

„Ei! Sie find Kinder!” rief er. „Marie Ans 
toinette von Sranfreih... St die Königim 
nicht eine Tochter des Hauſes Oeſterreich? Sie find 
brirogen: die Schritt und die Unterzeichnung, Alles 
it jalſch!“ 

„Aber Frau von La Mothe muB den Fälicher und 
den Tieb fennen.“ riefen die Juweliere ganz außer fid. 

Die Wahrheit diefer Behauptung wirkte ſchlagend 
auf den Gardınal. 


67 


ofen wir ran von La Mothe,“ fagte er fehr 
igt. 

Dr läutete, wie es die Königin gethan Hatte. 
ine Leute flürzıen zur Berfolgung von Jeanne 
ren Wagen nod nicht fern fein fonnte. 

e Herren Böhmer und Boffange Fauerten fi 
‚ wie Hafen im Lager, in die Berfprechungen 
aigin und wiederholten: 

30 ift das Halsband? wo ift das Halsband?“ 
ie werden mich taub machen,” fagte der Bars 
hr ärgerlich. Weiß ich, wo Ihr Halsband if? 
be es gelbft der Königin übergeben, mehr weiß 
t.“ 

Ya Halsband, wenn wir fein Geld bekommen! 
isband!“ wiederholten die zwei Kaufleute. 
Reine Herren, das geht mich nichts an,” jchrie 
rdinal außer fih und nahe daran, feine zwei 
ger aus der Thüre zu werfen. 

ran von La Mothe, die Frau Gräfin,” fchrieen 
e und Boffange, heifer durdy ihr verzweifeltes 
ner, „file ift es, die uns zu runde geridy: 


rau von La Mothe ift von einer Nedlichfeit, 
zu verbädtigen ich Ihnen verbiete, wenn Sie 
a meinem Haufe frumm und lahm gefdhlagen 
wollen.” 

tin Schuldiger ift doch da,” entgegnete Böhmer 
glihem Tone, „Dirfe zwei Fälſchungen find von 
» gemadt worden?“ 

Htwa von mir?” rief Herr von Rohan Hofs 


Ronfeigneur, das wollen wir gewiß nicht fagen.“ 

tun alſo?“ 

Ronfeigneur, im Namen des Himmels, eine Er⸗ 

Barten Sie, bis ich felbit eine habe.“ 
5% 


60 


Das Beſte, was man in einem folgen Kalle thun Fanı 
ift, durch Die Geberde zu verfahren; Böhmer warf flı 
‚Marie Antoinette zu Füßen. 

Die Geberde war ausdrudsvoll. 

Boflange ahmte ihn als fein Affocie nad. 

„Meine Herren,” ſprach die Königin, „ich bin nu 
ruhig und werde mich nicht mehr ärgern. Ge ift mi 
überdies ein Gedanke gefommen, der meine Gefüh 
in Beziehung auf Sie ändert. Es unterliegt Feine: 
Zweifel, daß wir, Sie und ich, bei dieſer Angelegenhe 
durdy ein Fleines Geheimniß Hintergangen worden fin! 
... meldes fein Geheimniß mehr für midy if.” 

„Ah! Madame,” rief Böhmer, begeiftert durch Die: 
Worte der Königin, „Sie haben mich alfo nicht mel 
im Veidacht, daß ich ... . Ob! es ift abfcheulich aus 
zufprechen, das Wort Fälſcher ...“ 

„Es ift eben fo Bart für mich, daſſelbe zu höre 
als für Sie, es auszuſprechen,“ erwieberte die Königfı 
„nein, ich babe Sie nicht mehr im Verdacht.“ 

„Eure Majeftät bat aber Jemand im Verdacht? 

„Beantworten Sie mir meine Fragen. Sie ſager 
Sie haben die Diamanten nicht mehr ?“ 

„Wir haben fie nicht mehr,“ antworteten gleid 
zeitig die Juweliere. 

„Es hat für Sie feinen Werth, zu erfahren, weı 
ih das Geſchmeide für Sie übergeben habe, das i 
meine Sade.... Haben Sie... die Frau Gräfi 
von La Mothe nicht arfehen?“ 

„Verzeihen Sie, Madame, wir haben fie gelchen. 

„Und fie hat Ihnen nichts... in meinem YAuftrao 
übergeben ?“ 

„Nein, Madame, die Frau Gräfin Hat uns mu 
gejagt: „„Warten Sie.” 

„Wer hat Ihnen aber die Berfchreibung von mi 
überbracht?“ 

„Die Vwerſchreibung ...“ erwiederte Böhmer 
„das Papier, das Cure Majeſtät in den Händen gehal 


61 


N) 
Bat, if uns in der Nacht von einem unbekannten 
Boten überbracht worden.“ 
"Und er zeigte die falfche Schrift. 

„Ah! ah!“ rief die Königin, „gut; Sie fehen, daß 
die Schrift nit unmittelbar von mir fommt.” 

Sie läutete, ein Bedienter erfchien. 

„Man lafle die Frau Gräfin von La Mothe zu 
mir rufen,” ſprach die Königin ruhig. 

„Und,“ fuhr fie dann mit derfelben Ruhe fort, 
„Sie haben Niemand gefehen, Sie haben Herrn von 
Rohan nicht gefehen?“ 

„Heren von Rohan? Doch, Madame, er hat ung 
beſucht und ſich erkundigt... . “ 

„Sehr gut; gehen wir nicht weiter; fobald ber 
Herr Cardinal von Rohan abermals bei diefer Ange: 
legenheit betheiligt ift, Hätten Sie Unrecht, zu vers 
zweifeln. Ich erraihe. Als Frau von La Mothe das 
Bort: Warten Sie! zu Ihnen fagte, wollte fie... 
Mein, idy errathe nichts, ich will nichts errathen .. . 
Suchen Sie nur ben Herrn Cardinal auf und erzählen 
Sie ihm, was Sie mir gefagt haben; verlieren Sie 
feine Zeit und fügen Sie bei, ich wiſſe Alles.“ 

MWiederbelebt durdy diefe fleine Zlamme ber Hoff: 
nung, wechfelten die Suweliere unter einander einen 
minder ängfllichen Blid. 

Boflfange allein, der fein Wort anbringen wollte, 
wagte es, leife zu fagen, die Königin habe jedoch einen 
falſchen Empfangichein in ihren Händen, und eine 
Faͤlſchung fei ein Verbrechen. 

Marie Antoinette jaltete die Stirne und erwieberte: 

„Es ift wahr, wenn Sie bas Halsband nicht zus 
rüderbalten Haben, fo bildet dieſe Schritt eine Zälfchung. 
Doch um die Fälſchung nachzumweifen, if es unerläßlid), 
bag ih Sie mit der Berfon confrontire, die ich Ihnen 
die Diamanten zurüdzugeben beauftragt habe.“ 

„Wann Eure Majeftät will,” rief Boſſange, „wir 
ſcheuen das Licht nicht, wir ehrlichen Handelsleute.“ 


62 


‘ 

„Dann holen Sie das Licht beim Herrn Cardinal 

er allein fann Ihnen in diefer ganzen Sache Aujklärung 
eben.“ 

s „Und Eure Majeftät erlaubt ung, ihr die Antwor 
zu überbringen?“ fragte Böhmer. 

„Ich werde vor Ihnen unterrichtet fein,” erwiedert 
die Königin, „und ich werde Sie aus diefer Berlegen: 
heit ziehen. Gehen Sie.“ 

Sie entließ die Juweliere, und als fie weggeganger 
waren, gab fie fi) ihrer ganzen Unruhe hin und ſchickt 
Eilboten auf Eilboten an Frau von La Mothe. 

Wir werden ihr nicht in allen ihren Nachforſchun 
nen und in allen VBermuthungen folgen, wir verlaffe 
fie im Gegentheil, um raicher mit den Juwelieren dei 
fo fehr erfehnten Wahrheit entgegenzulaufen. 

Der Cardinal war jr Haufe und las mit eine 
unbefchreibligen Wuth ein Briefen, das ihm Yraı 
von La Mothe jo eben, wie fie fagte, von Berfailler 

efhirft hatte. Der Brief war hart und benahm den 
Sardinal jede Soffnung; er forderte ihn auf, an nicht: 
mehr zu denfen; er verbot ihm, vertraulich in Verfaillen 
wiederzuerſcheinen; er appellirte an feine Biederfeit 
daß er unmöglich gewordene Verbindungen nid 
wieder anzufnüpfen fuche. 

Der Prinz ſchäumte, während er dieſen Br 
noch einmal las; er buchitabirte die Charaftere eir 
um den andern; er fhien von dem Papier Rechenfd 
über die Härten zu verlangen, mit denen ihn eine gr 
ſame Hand belaftete. 

„Soquette, launenbait, treulos!” rief er in fı 
Verzweiflung, „oh! ich werde mich rächen!“ 

Er bäufte fodann alle Armfeligfeiten auf, r 
bie fhwachen Herzen in ihren Liebesfchmerzen erleir 
aber bie nicht von ber @igenliebe heilen. 

„Hier,* fagte er, „bier find vier Briefe, 
mir gefchrieben Hat, und von denen der eine 
ungerechter iſt, ale der andere. Sie hat m 


3% 


se genommen! Das ift eine Demüthigung, die ich 
faum een würbe, wenn fie mich nicht einer 
n Laune opferte.“ 

Und ber getäufchte Unglüdliche las abermals mit 
Inbrunft der Hoffnung alle diefe in ihrer Strenge 
) einen Bogen von unbarmherzigen Berhältniffen 
'sten Briefe. 

Der legte war ein Meifterwerk barbarifcher Graus 
eit, das Herz des armen Garbinals war davon 
yfam burchlöchert, und dennoch liebte er in einem 
de, daß er fih, aus Widerſpruchsgeiſt, daran ergößte, 
er und wieder diefe ihm, nach der Angabe von Frau 
La Mothe, aus Verſailles überbracdhten falten Un- 
geil feiten zu leſen. 

n biefem Augenblick erfchienen die Suweliere in 
we Hotel. Er war fehr erflaunt, daß fie, troß bes 
988, fo hartnädig Einlaß bei ihm begehrten. Dreimal 
: er feinen Kammerdiener hinaus, der zum vierten 

feinen Angriff mit der Aeußerung erneuerte, bie 
en Böhmer und Boflange haben erklärt, fie wür: 
nur weggehen, wenn man fle durch Gewalt dazu 


e. 
ae fol das bebeuten ?“ dachte der Kardinal. 
mögen eintreten.” 

Sie traten ein. Die verflörten Geſichter zeugten 
dem heftigen Kampf, den fie moralifch und för: 
5 auszuflehen gehabt Hatten. Waren bie Un⸗ 
lichen bei einem von den Kämpfen Steger geblieben, 
itten fle dagegen in dem andern eine Niederlage 
en. Nie waren mehr aus dem Geleiſe gebrachte 
e berufen geweien, vor einem Kirchenfürſten zu 
ioniren. 

‚Bor Allem,” rief der Cardinal, als er fle ſah, 
fol diefe Brutalität, meine Herren Juweliere? ift 
Ihnen etwas ſchuldig?“ 

Der Ton dieſes Eingangs verwandelte bie zwei 
les vor Schreden in Eis, 


. 64 

„Hangen die Scenen von dort wieder an?” ſagt 
Bihmer aus dem NAugenwinfel zu feinem Berbün: 
deten. 

„eh! nein, nein,“ erwiederte der Letztere, inben 
er feine Berrüde mit einer fehr friegerifchen Be. 
wegung zurecht richtete, „ich, meinerfeits, bin auf allı 
Stürme gefaßt.“ 

Und er machte einen fa drohenden Schritt, wäh: 
rend der klügere Böhmer zurücblieb, 

Der Cardinal Hielt fie für Narren und fagte er 
ihnen unummwunden. 

„Monſeigneur,“ ſprach Böhmer in feiner Ber: 
zweiflung, jede Eylbe mit einem Seuizer zerhadend 
„Gerechtigkeit! Barmherzigfeit! verfgonen Sie und 
mit Ihrer Wuth und zwingen Sie uns nicht, bie 
Achtung gegen den größten, erhabenften Würften zu 
verlegen.” 

„Deine Herren,” fagte der Kardinal, „entweber 
find Sie feine Narren, und dann wird man Gie zum 
Beniter binauswerfen, oder Sie find Narren, und bann 
mirnt man Sie ganz einfach vor bie Thüre. Wählen 

ie.“ 

„Monfeigneur, wir find Feine Narren, wir fint 
beftohlen !“ 

„Was geht das mih an; ich bin nicht Polizei 
lieutenant.“ 

„Aber Sie haben bas Halsband in Ihren Hüı 
den gehabt, Monfrigneur,” entgegnete Böhmer ſchluc 
zend. „Sie werden gerichtliche Ausjage machen. € 
werden . . .* 

‚I babe das Halsband gehabt?“ verfegte ' 
Prinz. „Das Halsband iſt alfo geftohlen worden? 

„3a, Monieigneur.“ 

„Nun! was jagt bie Königin ?“ rief der Garbi' 
mit einer Bewegung lebhafter Theilnahme. 

„Die Königin hat uns zu Ihnen geſchickt, 9 
ſeigneur.“ 


65 > 


„Das if fr liebenswürdig von Ihrer Majeftät. 
Doch was kann ich hiebei machen, meine armen Leute?“ 

„Sie vermögen Alles, Monfeigneur; Sie können 
fagen, us, man damit gethan hat.“ 


„Bewiß. 

„Mein lieber Herr Böhmer, Gie Könnten biefe 
Sprache gegen mich führen, wenn ich bei der Räuber: 
—55 wi re, bie der Königin das Halsband geflohs 


„Riät der Königin iſt das Halsband geftohlen 


„Mein Bott! wen denn?“ 
, „Die Königin leugnet, es in ihrem Beflge gehabt 





— „Wie! ſie leugnet?“ fagte zögernd der Cardinal; 
Sie Haben doch eine Sandfäritt von ihr Y* 
„GSie ſagt, die Handſchrift ſei falſch.“ 
| meine Herren, Sie verlieren den Kopf!“ 


BR, & Gardinal. 
Es ec wahr?" fagte Böhmer zu Boflange, und 
biefer antwortete mit einer dreifachen Beipflichtung. 
„Die Königin,“ ſprach der Cardinal, „die Königin 
elengnet, weil Jemand bei ihr war, als Sie mit 
r —— 
mad, Monfeigneur, doch das iſt noch nich 
„Was denn noch?“ 
„Die Königin Hat nicht nur gelengnel fie bat 
sit aur behauptet, die Berfchreibung fet falich ; ſon⸗ 
verm ſie Hat uns andy einen Schein von uns gezeigt, 
in dem bezengt wird, daß wir das Halsband zurüdges 
nommen haben.“ 
„Binen Schein von Ihnen? .. . Und diefer Schein?“ 
var falſch, wie der andere; Gie willen das wohl, 
Gerr Sarbinal.“ 
Dead Baloband der Königin. IV. 5 





66 


„Ball ... Zwei Fälfchungen . . . Und Gie 
fagen, ich wiffe das wohl?“ 

„Sicherlich, da Sie gefommen find, um uns in 
dem zu beitätigeen, was ung Frau von La Mothe ges 
fagt hatte; denn Sie, Sie wußten, daß wir das 
Halsband wirflid verfauft hatten, und daß es in den 
Händen der Königin war.“ 

„Ah! ah!" fagte der Kardinal, während er mit 
einer Hand über feine Stirn fuhr, das find, wie mir 
fcheint, fehr ernite Dinge. Berftändigen wir uns ein 
wenig. Meine Operativnen mit Shnen waren fols 

ende.” . 

„Gut, Monfeigneur,“ 

„Zuerft durch mich für Rechnung Ihrer Majefät 
gemachter Anfauf eines Halsbandes, auf welches ich 
Ihnen zweimal Hundert und jünizig tauſend Livres be⸗ 
zahlt habe.“ 

„Das it wahr, Monfeigneur.” 

„Dann von der Königin unmittelbar unterfchries 
bener Berfauf, Sie baben mir das wenigftens gefagt, 
mit Terminen durch fie beftimmt und auf die Berants 
wortlichfeit ihrer Unterſchriſt 2“ 

„Ihrer Unterſchrift ... Sie fagen, es fri die 
Unterjchriit der Königin, nicht wahr, Monſeigneur?“ 

„Zeigen Eie fie mir!“ 

„Hier ift fie.” 

Die Juweliere zogen die Verfchreibung aus ihrem 
Portefeuille. Der Bardinal warf einen Blid darauf. 

„Ei! Sie find Kinder!” rief er. „Marie Ans 
toinette von Frantreih... IR die Königin 
nicht eine Tochter des Haufes Deiterreih ? Gie find 
betrogen: die Schrift und die Unterzeichnung, Alles 
it falſch!“ 

„Aber Frau von La Mothe muß den Fälicher und 
den Dieb fennen.” riefen die Juweliere ganz außer ſich. 

Die Wahrheit diefer Behauptung wirkte fcylagend 
auf den Gardınal. 


67 


„Rufen wir Frau von La Mothe,” fagte er fehr 
unrubigt. 

Und er läutete, wie es die Königin gethan Hatte. 

Seine Leute flürzıen pur Verfolgung von Seanne 
rt, deren Wagen noch nicht fern fein fonnte. 

Die Herren Böhmer und Boffange fauerten fi 
ıdeflen, wie Hafen im Lager, in die Berfprechungen 
er Königin und wiederholten: 

„Bo ift das Halsband? wo iſt das Halsband?“ 

„Sie werden mich taub machen,“ fagte der Bar: 
Inal ſehr ärgerlich. Weiß ich, wo Ihr Halsband if? 
ch babe es ſelbſt der Königin übergeben, mehr weiß 
y night.“ 

„Das Halsband, wenn wir fein Geld befommen! 
a8 Halsband!” wiederholten die zwei Kaufleute. 

„Meine Herren, Das geht mich nichts an,” ſchrie 
er Bardinal außer fih und nahe daran, feine zwei 
Häubiger aus der Thüre zu werfen. 

„Hrau von La Mothe, die Frau Gräfin,” fchrieen 
Yöhmer und Boffange, heifer durch ihr verzweifeltes 
bejammer, „fie it es, die ung zu Grunde gerich— 
et bat.” 

„Beau von La Mothe iſt von einer Medlichfeit, 
yelche zu verdächtigen ich Ihnen verbiete, wenn Sie 
it in meinem Haufe frumm und lahm gefchlagen 
erden wollen.” 

„Sin Schuldiger ift doch da,” entgegnete Böhmer 
it Haglihem Tone, „dirfe zwei Fälſchungen find von 
jemand gemacht worden?” 

„Etwa von mir?“ rief Herr von Rohan hof—⸗ 
artig. 

Monſeigneur, das wollen wir gewiß nicht ſagen.“ 

„Run alſo?“ 

„Wonfeigneur, im Namen des Himmels, eine Er⸗ 
lärung.” 

„Warten Sie, bis ich felbft eine habe.“ 


5% 


68 


„Aber, Monfeigneur, was follen wir der Königin 
antworten? denn Ihre Majeftät ſchreit ebenfo laut 
gegen und.“ 

„Und was fügt fig?” . 

„Die Königin fagt, Sie oder Frau von La Mothe 
haben das Halsband, nicht fie.” 

„Wohl denn!” ſprach der Kardinal, bleihivor Scham 
und Zorn, „fagen Sie der Königin, dab... . Nein, 
fagen Sie ihre nichts ... Genug des Aergerniſſes. 
Doch morgen... . morgen, hören Sie, halte ih das 
Amt in der Kapelle von Berfailles; fommen Sie, Sie 
werden fehen, wie ich mich der Königin nähere, wie 
ich fie frage, ob fle das Halsband nicht in ihrem Bes 
fite Habe, und Sie werden dann hören, was fie ants 
wortet; leugnet fie mir gegenüber, dann, meine Herren, 
bin ich Roban, und ich werde bezahlen!“ 

Und nad diefen Worten, die er mit einer Größe 
ſprach, von der die einfache Profa feinen Begriff geben 
fann, entiieß der Prinz die zwei Kaufleute, und diefe 
TE rückwärts, fih mit den Ellenbogen berührend, 

naus. 

„Morgen alſo,“ ftammelte Böhmer no, „nicht 
wahr, Munfeigneur ?” 

„Morgen Bormittag um elf Uhr in der Kapelle 
von Berfailles,“ antwortete ber Cardinal. 


LXXIV. 
Fechtkunſt und Diplomatie. 


Am andern Tag gegen zehn Uhr Fam in Verfailles 
ein Magen mit dem Wappen von Herrn von Bres 
euil an. 

Diejenige von unfern Lefern, welche fich ber Befchichte 


69 


von Balfamo und von Bilbert erinnern, werben nicht 
vergeffen haben, daß Herr von Breteuil, ein Nebens 
bubler und perfönlicher Keind von Herrn von Rohan, 
feit langer Zeit auf jede Selegenheit lauerte, um feinem 
Feinde einen tödtlichen Schlag beizubringen. 

Die Diplomatie if der Fechtkunſt in der Hinfidht 
fehr überlegen, daß bei leßterer Wiffenichaft ein Gegen⸗ 
Roß in einer Secunde gegeben fein muß, während bie 
Diplomaten fünfzehn Sahre und mehr, wenn es fein 
muß, Haben, um den Schlag, den ſie zurüdgeben, zu 
combiniren und fo tödtlich als möglich zu machen. 

Herr von Breteuil hatte den König eine Stunde 
vorher um eine Audienz bitten laffen, und er fand Seine 
Mafekät, als fie fi) gerade ankleiden ließ, um zur 
Mefle dı gehen. 

„Gin herrliches Wetter!” fagte Ludwig XVI. ganz 
Beiter, als der Diplomat in fein Cabinet eintrat, „ein 
wahres Mariä:Himmelfahrts:Wetter; fehen Sie, es ift 
feine Wolfe mehr zu erſchauen.“ 

„Sire, ich bin troftlos, daß ich Ihrer Ruhe eine 
Wolfe bringen muß,“ erwiederte der Minifter. 

„O5!“ rief der König, deflen heitere Miene ſich 
verbüflerte, „der Tag fängt ſchlimm an; was gibt es?“ 

„Sire, ich bin fehr in Verlegenheit, wie ih Ihnen 
das erzählen foll, um fo mehr, als es nicht zum Ge⸗ 
fhäftstreife meines Minifteriums gehört. Es ift eine 
Art von Diebftahl, und das wäre eine Sache des Pos 
lizeilieutenants.“ 

„Ein Diebftahl! ... Sie find Siegelbewahrer, 
und die Diebe begegnen am Ende immer der Juſtiz.“ 

„Bohl, Sire, vernehmen Sie, wie fih die Sache 
verhält: Sure Majettät hat wohl von einem Diamantens 
balsband fprechen hören?“ 

„Das von Herrn Böhmer?“ 

„sa, SEire.“ 

„Das, welches die Königin ausgefchlagen hat?“ 

„Sanz richtig.” 


70 


„Eine Zurückweifung, die mir ein fhönes Schiff 
eingetragen hat, den Suffren,“ fagte der König, fich 
die Hände reibend. 

„Run, Sire,“ ſprach der Baron von Bretenuil, 
unempfindli für alles Schlimme, was er zu thun im 
Begriffe war, „diejes Halsband ift geflohlen worden.“ 

„Ah! das it ein Unglück!“ rief der König, „Es 
war ıheuer, doch die Diamanten find fennbar. Sie 
zerfchneiden hieße die Frucht des Diebſtahls verlieren. 
Man wird fle ganz laflen, und die Polizei wird fie 
wieder auffinden .. .* ' 

„Sire,“ unterbrach der Baron von Breteuil, „das 
it Fein gewöhnlidher Diebflahl. Es vermifchen fich 
damit Gerüchte.“ 

„Gerüchte? wie full ich das verfichen 2“ 

„Sire, man behauptet, die Königin babe das 
Halsband behalten.” 

„Wie, behalten? In meiner Gegenwart hat fie 
es auegefchlagen, ohne es nur anfchauen zu wollen. 
Albernheiten, Tollheiten, Baron; die Königin Hat das 
Halsband nicht behalten.” 

„Sire, ih habe mich nicht des geeigneten Wortes 
bedient; die Verleumdungen find ftets fu blind in Be⸗ 
ziehbung auf Fürften, daß ver Ausdruck für Föniglicdhe 
Dhren au verlegend if. Das Wort behalten... .“ 

„Ah! Herr von Breteuil,” fprach mit einem Lücheln 
der Rünig, „ich denke, man behauptet nicht, die Königin 
habe das Halsband geftohlen.” ' 

Nein,” erwiederte lebhaft Herr von Breteuil, 
„man fagt, bie Königin habe den von ihr abgebrocdhenen 
Handel wieder aufgenommen; man fagt, und ich brauche 
Eurer Majeftät nicht zu wiederholen, wie fehr meine 
Ehrfurcht und meine Ergebenheit diefe ſchändlichen 
Muthmaßungen verachten, man fagt, die Juweliere 
haben von Ihrer Majeftät der Königin einen Schein, 
in welchem bezeugt fei, daß fle das Halsband behalte.” 

Der König erbleichte. 


71 


„Man fagt das?” wiederholte er. „Was fagt man 
niht? Doch im Ganzen fegt mich das in Erſtaunen. 
Hätte die Königin das Halsband unter der Hand ger 
fauft, fo würde ich es nicht tadeln. Die Königin ift 
ein Weib, das Halsband war ein feltenes, wunderbares 
Stud. Die Königin fann, Gott fei Dank, anderthalb 
Millionen für ihre Toilette ausgeben, wenn fle es 
gewollt hat. Ich werde es billigen, und fie wird nur 
darin Unrecht gehabt haben, daß fie mir ihren Wunſch 
verfchwiegen. Doch e8 geziemt jich nicht für den König, 
fih in biefe Sache zu miſchen; fie neht den Maun an. 
Der Mann wird feine Frau fchmälen, wenn er will 
oder wenn er kann; ich erfenne Niemand das Necht 
u, dazwifchen zu treten, nicht einmal mit einer üblen 

achrede.“ 

Der Baron verbeugte ſich vor dieſen fo edlen und 
fo Fräftigen Worten des Königs. Aber Ludwig XVI. 
hatte nur den Anfchein der Fetigteit. Einen Augen— 
— gzachdem er fie gezeigt, wurde er ſchwankend, 
unrubig. 

„Und dann,“ fuhr er fort, „was furechen Sie von 
einem Diebflahl? ... . Wenn ein Diebitahl flattgefuns 
den hätte, fo wäre das Halsband, wie mir fcheint, 
— in den Händen ber Königin. Wir wollen logiſch 
ein!” 

„Sure Majeftät bat mich durch ihren Zorn eiskalt 
gemacht,.umd ich konnte nicht vollenden .. . “ 

„Sy! mein Zorn! ... ich zornig!.. . Was das 
beirifft, Baron... Baron!“ 

Und der gute König lachte geräufchvoll. 

„Bahren Sie fort und fagen Sie mir Alles; 
fagen Sie mir fogar, die Königin habe das Halsband 
an Suden verfauft.e Arme Frau, fie braucht oft Geld, 
und ich gebe ihr nicht immer.” 

„Das wollte ich nerade Eurer Majeftät zu fagen 
bie Ehre haben. Die Königin hatte vor zwei Monaten 
durch Herrn von Ealonne fünfmal hundert taufend Livres 


72 


forbern laſſen, und Eure Majeftät hat ſich geweigert, 
zu unterzeichnen.“ 

„Das ift wahr.” 

„Wohl, Sire, diefes Geld follte, wie man ſagt, 
dazu dienen, das erfte Quartal von den von der Kös 
nigin beim Ankauf des Halsbandes unterzeichneten 
Terminen zu bezahlen. Da die Königin fein Geld 
hatte, fo weigerte fie fich, zu bezahlen.” 

„Nun?“ fragte der König, allmälig intereffirt, wie 
es gefchieht, wenn auf den Zweifel ein Anfang von 
MWahrfcheinlichkeit folgt. 

„Sire, hier fängt die Gefchichte an, die mir mein 
Eifer Eurer Majeſtaͤt zu erzählen befichlt.“ 

„Wiel Sie fagen, die Gefchichte fange bier an; 
mein Gott! was iſt e8 benn?“ rief der König, fo feine 
Berlegenheit vor den Augen bes Barons verrathend, 
der von da an im Vortheil blieb. 

„Site, man fagt, die Königin habe ſich an Jemand 
gewendet, um Geld zu befommen.“ 

„An wen? an einen Suden, nicht wahr?“ 

„Nein, Sire, nicht an einen Juden.“ 

„Si, mein Bott! Sie fagen mir das mit einer 
feltfamen Miene, Breteuil. Ob! gut, ich errathe; eine aus⸗ 
wärtige Intrigue: die Königin Bat das Geld von ihrem 
Bruder, von ihrer Bamilie verlangt. Oeſterreich ftedt 
dahinter.” 

Man weiß, wie empfindlich der König in Betreff 
des Wiener Hofes war. " 

„Das wäre beſſer,“ erwiederte Herr von Bretenil. 

„Wiel das wäre beſſer? Aber von wem hat denn 
die Königin Geld verlangen können?“ 

„Site, ih wage es nicht ...“ 

„Sie fegen mich in Erflaunen, mein Herr,“ ſprach 
der König, indem er das Haupt erhob und wieber 
feinen Föniglichen Ton annahm: „Sprechen Sie auf 
der Stelle, wenn’s beliebt, und nennen Sie mir ben 
Geldleiher.“ 


| 


73 


„Herr von Rohan, Sire.“ 

„Wie! Sie erröthen nicht, mir Herrn von Rohan, 
den ruinirieften Mann dieſes Königreichs, zu nennen!“ 

„Site ...“ fagte Herr von Breteuil, die Augen 
niederfchlagend. 

„Das if eine Miene, die mir mißfaͤllt,“ fügte der 
König bei, „und Ste werden ſich ſogleich erklären, mein 
Herr Giegelbewahrer.” 

„Rein, Sire; um feinen Preis der Melt; denn 
nichts würbe mich zwingen, ein die Ehre meines 
Königs und die meiner Souverainin bloßftellendes Wort 
von meinen Lippen fallen zu Lafien.” 

Der König faltete die Stirne. 

„Bir fleigen ſehr tief hinab, Herr von Breteuil; 
diefe Bolizeimeldung ift ganz gefchwängert von ben 
Dünften des Pfuhls, von dem fie ausgeht.“ 

„Site, jede Berleumdung bünftet tödtliche Miasmen 
aus, und darum müflen die Könige die Luft rein 
machen, und zwar durch" große Mittel, foll nicht ihre 
Ehre durch dieſe Gifte, felbft auf dem Throne, umge⸗ 
bracht werden.” 

„Herr von Rohan,“ murmelte der König; „welche 
Fe ... Der Cardinal läßt alfo 
agen? ...“ 
„Sire, Eure Majeftät wird fi überzeugen, baß 
Herr von Rohan Unterredungen mit den Juwelieren 
gößnier geb Boffange gehabt hat, daß die Sache des 
Ankaufs Yon ihm geordnet worden iſt, daß er die Zah: 
Inngebebingungen angenommen und feftgeftellt Hat.“ 

„Wahrhaftig!“ rief der König, ganz bebend vor 
Zorn und GBiferjucht. 

„Es if dies eine Thatfache, welche das Fleinfte 
Berhör erweilen wird. Ich mache mich hiezu gegen 
Eure Najeſtät anheiſchig.“ 

„Sie ſagen, Sie machen ſich hiezu anheiſchig?“ 
one ückhalt, unter meiner Berantwortlichkeit, 


74 


j Der König ging rafh in feinem Gabinet auf 
und ab. 

„Das find furchtbare Dinge,“ fagte er; „ja, doch 
in dem Allem fehe ich den Diebflahl noch nicht.“ 

„Site, die Juweliere haben, wie fie behaupten, 
einen von der Königin unterzeichneten Schein erhalten, 
— das Halsband muß in den Händen ber Königin 
ein,” 

„Ah!“ rief der König in einem Ausbruche der 
Hoffnung ; „fie leugnet! Sie fehen wohl, daß fie leugnet, 
Breteuil.” i 

„Ei! Sire,,habe ich je Eure Majeflät glauben 
laffen, ih wiffe nicht, dab die Königin unſchuldig? 
Sullte ich fo beflagenswerth fein, daß Bure Majeſtät 
nicht fähe, was Alles an Ehrfurcht und Liebe für die 
Reinfte der Frauen in meinem Herzen If?" 

„Sie Klagen alio nur Herrn von Rohan an?" 

„Sire, der Anfchein räth ...“ 

„&ine fchwere Anfchuldigung, Baron.“ 

„Welche vielleicht vor einer Unterfudung fallen 
wird; doch die Unterfuchung ift unerläßlich. Bedenken 
Sie doch, Sire, daß die Königin das Halsband nicht 
zu haben behauptet; daß die Jumeliere es an die 
Königin verfauft zu Haben behaupten; daß fih das 
Halsband nicht miederfindet, und daß das Wort 
Diebſtahl vom Volk zwifchen dem Namen von Herrn 
von Rohan und dem gebeiligten Namen der Königin 
ausgeſprochen worden if.“ 

„Ss ift wahr, es ift wahr.” fagte ber König ganz 
verwirrt; „Sie haben Recht, Breteuil, diefe ganze Sache 
muß aufgeflärt werden.” 

„Durchaus, Sire.“ 

„Mein Gott! was geht dort in der Gallerie vor? 
ir Bag, nicht Herr von Rohan, der fih in die Kapelle 

egibt?“ 

„Sire, Herr von Rohan kann ſich noch nicht in 
die Kapelle begeben. Es iſt noch nicht elf Uhr; und 


75 


ann hätte Herr von Rohan, der Heute das Amt hält, 
in priefterliches Gewand an. Gr ift es nicht, der | 
ort geht. Eure Majeſtät Hat noch über eine Halbe 
ziunde 31 verfügen.” 

„Bas foll ih dann than? mit ihm fprechen? ihn 
mmen laffen ?" 

„Nein, Eirez erlauben Sie mir, Eurer Majeflät 
nen Nath zu geben; machen Sie die Sade nicht 
achbar, ehe Eie mit Ihrer Majeſtät der Königin ge: 
sıochen haben.” . 

„3a, fle wird mir die Wahrheit fagen.” 

„Zweiieln wir nicht einen Augenblid daran, Sire.“ 

„Hören Eie, Baron, fommen Sie hierher und 
ıgen Eie mir unverhohlen, ohne Milverung, jede That: 
ıche, jeden Kommentar.“ 

33 babe Alles in dieſem Portefeuille auseinan⸗ 
ergeſetzt, mit den Beweiſen zur Bekräftigung.“ 

„An's Geſchäft alſo; warten Sie, daß ich die Thüre 
eines Cabinets ſchließen laſſe; ih hatte dieſen Mor: 
m zwei Andienzen, ich werde fie verſchieben.“ 

Der König gab feine Befehle, feste fih bann 
jeder und warf einen legten Blick durd das Fenſter. 

„Diesmal,“ fagte er, „it ed gewis ver Gardinal; 
bauen Eie.“ 

Herr von Breteuil fand auf, trat an's Feniter 
nd erblidte Herrn von Rohan, der im großen Ge: 
ante eines Cardinals und Grzbiihois fich nach dem 
jemache wandte, das für ihn beftimmt war, fo oft er 
na seierlidhes Amt in Verſailles hielt. 

„Endlich if er da,” rief der König fich erhebenp. 

„Deo beſſer,“ jagte Herr von Breteuil, „die Er—⸗ 
ärung wird feinen langen Aufichub erleiden.” 

Und er fing an den König mit allem Gifer eines 
Rannes zu unterweifen, der einen Andern zu Grunde 
ichten will. 

Eine böllifche Munft hatte in seinem Bortefenille 
les zufammengeflellt, was den Garbinal erbrüden 


76. 


fonnte. Der König fah wohl die Beweife der Schuld 
von Herrn von Rohan ſich auf einander häufen, aber 
er verzweifelte, daß er nicht fo fchnell die Beweife der 
Unſchuld der Königin fommen fab. 

Er ertrug ungebuldig feit einer Viertelſtunde biefe 
Marter, als plöglih Rufe in der anftoßenden Gallerie 
ertönten. 

Der König horchte, Herr von Bretenil unterbrach 
fi) im Leſen. 

Ein Oificier fragte an der Thüre des Cabinets. 

„Was gibt es?” fragte der König, bei dem feit 
der Offenbarung von Herren von Breteuil alle Nerven in 
Bewegung gefept waren. 

Der Offieier trat ein. 

„Sire, Ihre Majeftät die Königin bittet Eure 
Majeftät, zu ihr fommen zu wollen.“ 

„Es gibt etwas Neues,“ ſprach der König ers 


eichend. 
„Bielleicht,” fagte Breteuil. 
„Sch gehe zur Königin,” rief der König. „Ers 
warten Sie mid bier, Herr von Breteuil.” 
„Wir ftehen der Entwidelung nahe,“ murmelte 
Herr von Bretenil. 


LXXV. 
Edelmann, Cardinal und Königin. 


Sn der Stunde, wo Herr von Breteuil beim 
König erichienen war, hatte Herr von Charny, bleich, 
bewegt, ſich eine Audienz bei der Königin erbitten laflen. 

iefe kleidete fih an; fe ſah dur das Fenſter 
ihres Boudoir, das auf die Ter ging, Charny, der 
demüthig eingeführt zu werben verlangte, 


Marie Antoinette ertheilte Befehl, ihn eintreten 
zu laſſen, als er faum fein Geſuch ausgefprochen hatte. 
Denn fie gab dem Bedürfniſſe ihres Herzens nach; 
deun fle fagte fi mit einem edlen Stolz, eine reine 
und munkörperliche Liebe, wie die feinige, habe das 
Gintrittsreht zu jeder Stunde felbft in den Palaſt der 


Königinnen. 

' harny trat ein, berührte zitternd bie Hand, 
die ihm die Königin reichte, und Sprach mit erflichter 
Stimme: 

„AH! Madame, wel ein Unglück!“ 

„Was haben Sie denn?“ rief die Königin erblei- 
hend, als fie ihren Freund fo bleich fah. 

Madame, wiflen Sie, was ip fo eben erfahren 
babe? wiffen Sie, was man fagt? wiffen Sie, was 
ber Eönig vielleicht weiß, oder was er morgen erfahren 
wird“ 

Sie fhauerte im Gedanken an die Nacht Feufcher 
Wonne, wo vielleiht ein eiferfüchtiges, feindfeliges 
Br fie mit Charny im Parke von Berfailles gejehen 

a 


e. 

„Sagen Sie Alles, ich bin ſtark,“ erwiederte ſie, 
eine Hand auf ihr Herz drückend. 

Madame, man ſagt, Sie haben ein Halsband 
von Böhmer und Boffange gefauft.“ 

Ich Habe es zurüdgegeben,“ entgegnete raſch 
Marie Antoinette. 

„Hören Sie, man fagt, Sie haben es nur fcheins 
bar zurädgegeben. Sie Baben es bezahlen zu koͤnnen 
geglaubt, der König habe Sie dadurch daran verhindert, 
daB er ed verweigert, eine Anweifung von Herrn von 
Calonne zu unterzeichnen; dann haben Sie fih an 
Jemand gewendet, um Gelb zu finden, und biefer Je⸗ 
mand fei Ihe Beliebter.” 

„Sie!“ rief die Korigin mit einer Bewegung 
erhabenen Vertrauens. „Sie! mein Herr; und laflen 
Sie diejenigen fagen, welche das fagen. Der Titel 


78 


eines Geliebten ift für Sie feine Beleidigung, welde 
fo füß zu fchleudern, als der Freundestitel eine füße, 
fortan zwifchen und Beiden geheiligte Wahrheit ift.“ 

Sharny hielt, ganz verwirrt durdy die männliche 
und fruchtbare Beredfamfeit, welche aus der wahren 
Liebe entfirömt, wie der weſentliche Wohlgeruch aus 
dem Herzen jeder edelmüthigen Frau, inne. 

Doch der Zwifcyenraum, den er zwiıchen die Worte 
der Königin und eine Cıwiederung von ihm feste, 
a epelie die Bangigfeit von Marie Antoinette, und 
ie riet: 

„Wovon wollen Sie fpredden, Here von Charny? 
Die Berleumdung bat eine Sprade, die ich nie ver: 
ſtehe; baben Sie diefelbe veritanden ?“ 

„Marame, wollen Sie mir eine ununterbrocene 
Aufmerfiamfeit fchenfen, denn die Sade if fehr erniter 
Natur. Geftern ging ich mit meinem Oheim, Herrn 
von Sufften, zu den Hofjuwelieren Böhmer und 
Boſſange; mein Oheim harte nämlih Diamanten von 
Indien mitg bracht und wollte fie fyägen laflen. Man 
fprahy von Allem und von Allen. Die Juweliere ers 
zählten dem Herrn Bailli eine abſchenliche Geſchichte 
mit den Gommentaren der Feinde Eurer Majeſtät. 
Madame, idy bin in Berzweiflung: haben Sie das 
Halsband gefauft, fo fagen Sie es mir; haben Sie «6 
nıcht bezahlt, jo fagen Sie es mir aud. Aber laflen 
Sie mid nicht glauben, Herr von Rohan habe es 
bezahlt.“ 

„Herr von Rohan!“ rief die Koͤnigin. 

„Ja, Herr von Rohan, derjenige, welcher für den 
Liebhaber der Königin gilt; derjenige, von welchem 
die Königin Geld enilehnt; derjenige, den ein Unglüds 
licher, weldyen man Herrn von Charny nennt, im 
Parke von Verfailles der Königin Hat zulächeln, vor 
der Königin hat niederfnieen, ber Köniyin bat die 
Hand füflen fehen; derjenige... .* 

„Mein Herr,“ rief Marie Antoinette, „glauben 


79 


ich nicht mehr da bin, fo ift dies fo, weil 
sicht lieben, wenn ich da bin.“ 

* erwiederte der junge Mann, „es waltet 
he Gefahr ob; ich komme weder um DOffeys 
noch um Muth von Ihnen zu fordern, ich 
m Sie anzuflehen, Sie mögen mir einen 
ten.“ 


n 6ie mir vor Allem, welde Gefahr 


be Gefahr! Madame, ein Wahnfinniger iſt 
r fie nicht erräth. Der Cardinal, indem er 
Königin verbürgt, indem er für die Königin 
ichtet fe zu Grunde. Ic fpreche Hier nicht 
tödtlichen Mißvergnügen, das Herrn von 
ı Bertrauen, wıe das, weldyes Sie Herru 
ı eingeflößt, verurfachen fann. Nein. An 
ymerzen ftirbt man, aber man beflagt ſich 
yer.” 

find verrückt!“ entgegnete Marie Antoinette 


sin nicht verrüdt, Madame, aber Sie find 
‚ Sie find verloren. Ich habe Sie im Part 
. Ich fagte es Ihnen wohl. Ich Hatte mich 
ſcht. Heute ift die gräßliche, die tödtliche 
an's Tageslicht gefummen ... Herr von 
mt ſich vielleiht .. . “ 

'önigin ergriff Charny beim Arm und wies 
it unausfprechiicher Bangigkeit: 

nfinniger! Wahıfinniger! glauben Sie an 
jlauben Sie an Schatten, glauben Sie an 
jliye; aber, in des Himmels Namen! nad) 
ih Ihnen gefagt habe, glauben Sie nicht, 
ildig! ... Schulig! Diefes Wort würde 
:inen Haufen glühender Kohlen fpringen 
Shuldig... mit... Ich, die ich nie an 
t habe, ohne Gott zu bitten, er möge mir 
jigen Gedanken verzeihen, den ich eim 


12 


fordern laffen, und Eure Majeftät Hat ſich geweigert, 
zu unterzeichnen.“ 

„Das ift wahr.“ 

„Wohl, Sire, diefes Geld follte, wie man fagt, 
dazu dienen, das erfie Quartal von den von der Kös 
nigin beim Ankauf des Halsbandes unterzeichneten 
Terminen zu bezahlen. Da die Königin fein Geld 
hatte, fo weigerte fie fich, zu bezahlen.” 

„Nun?“ fragte ber König, allmälig intereffixt, wie 
es gefchieht, wenn auf den Zweifel ein Anfang vou 
Wahrſcheinlichkeit folgt. 

„Sire, bier fängt die Gefchichte an, die mir mein 
Eifer Eurer Mafeftät zu erzählen befichlt.“ 

„Wiel Sie fagen, die Geſchichte fange bier an; 
mein Gott! was ift es denn?“ rief der König, fo feine 
Derlegenheit vor den Augen bes Barons verrathend, 
der von da an im Bortheil blieb. 

„Sire, man fagt, die Königin habe fi an Jemand 
gewendet, um Geld zu befommen.“ 

„An wen? an einen Juden, nicht wahr?” 

„Nein, Sire, nit an einen Juden.“ 

„Ei, mein Bott! Sie fagen mir das mit einer 
feltfamen Miene, Breteuil. OB! gut, ich errathe; eine auss 
wärtige Intrigue: die Königin hat das Geld von ihrem 
Ay von ihrer Familie verlangt. Deflerreich ſteckt 
dahinter.“ 

Man weiß, wie empfindlich der Könkg ig Betreff 
des Wiener Hofes war. ” 

„Das wäre beſſer,“ erwiederte Herr von Bretenil. 

„Wiel das wäre befier? Aber von wen hat denn 
die Königin Geld verlangen können?“ 

„Site, ih wage es nicht ...“ 

„Sie fegen mich in Erftaunen, mein Herr,“ ſprach 
ber König, indem er das Haupt erhob und wieder 
veinen königlichen Ton annahm: „Gpredden Gie auf 
der Stelle, wenn’s beliebt, und nennen Sie mir ben 
Geldleiher.“ 


13 


„Herr von Rohbau, Sire.“ 

„Bie! Sie erröthen nicht, mir Herrn von Roban, 
ven ruinirteſten Mann diefes Königreichs, zu nennen!“ 

„GSire . . .* fagte Herr von Bretenil, die Augen 
niederfchlagend. 

Das iſt eine Miene, die mir mipfällt,” fügte ber 
König bei, „und Sie werden ſich fogleich erklären, mein 
Herr Giegeibewahrer.“ 

„Rein, Sire; um feinen Preis der Welt; denn 
site wärbe mich zwingen, ein die Ehre meines 
Könige und die meiner Souverainin bloßflellendes Wort 
von meinen Lippen fallen zu laſſen.“, 

Der König ialtete die Stirne. 

„Bir fleigen ſehr tief hinab, Herr von Breteuil; 
diefe Bolizeimeldung ift ganz gefchwängert von den 
Dünften des Pfuhls, von dem fie ausgeht.“ 

„Site, jede Berleumdung dünftet tödtliche Miasmen 
aus, und barum müflen die Könige die Luft rein 
machen , und zwar durch große Mittel, Toll nicht ihre 
Ehre durch diefe Biite , felbft auf dem Throne, umges 
bracht werden.“ 

„Herr von Rohan,“ murmelte der König; „welche 
Fr ... Der Gardinal läßt alfo 

n!..." 
“ „Sire, Eure Majeftät wird fich überzeugen, daß 
Herr von Rehau linterredungen mit den Juwelieren 
Böhmer ger Hoflange gehabt hat, daß die Sache des 
Aufanfs Won ihm georbnet worden iſt, daß er die Zah: 
Inugsbebingungen angenommen und feftgeftellt Hat.“ 

„Wahrhaftig!“ rief der König, ganz bebend vor 
Zorn und Eiferjudht. 

„Es iR dies eine Thatfacdhe, welche das Fleinfte 
Verhör erweiien wird. Ich mache mich hiezu gegen 
Inte Rajeſtät anheiſchig.“ 

„Sie ſagen, Sie machen fi hiezu anheiſchig?“ 
MDhne Rückhalt, unter meiner Verantwortlichkeit, 
re." 


5 


74 


Der König ging rafh in feinem abinet auf 
und ab. 

„Das find furdhtbare Dinge,” fagte er; „ja, doch 
in dem Allem fehe ich den Diebftahl noch nicht.“ 

„Sire, die Juweliere haben, wie fie behaupten, 
einen von der Königin unterzeichneten Schein erhalten, 
Ein das Halsband muß in den Händen der Königin 
ein,” 

„AH!“ rief der König in einem Ausbruche ber 
Hoffnung ; „fe leugnet! Sie fehen wohl, daß fle leugnet, 
Breteuil.” 

„Ei! Sire, habe ih je Eure Majeflät glauben 
laffen, ih wiſſe nit, af die Königin unfhuldig? 
Sullte ich fu beflagenswerth fein, dag Eure Majeſtät 
nicht fähe, was Alles an Ehrfurcht und Liebe für die 
Keinfte der Frauen in meinem Herzen iſt?“ 

„Sie flagen alio nur Herrn von Rohan an?” 

„Sire, der Anfchein räth ...“ 

„Bine fchwere Anfchuldigung, Baron.” 

„Welche vielleicht vor einer Unterfuhung fallen 
wird; doch die Unterfuchung ift unerläßlih. Bedenken 
Sie doch, Sire, daß die Königin das Halsband nicht 
zu haben behauptet; daß die Juweliere es an bie 
Königin verfauft zu haben behaupten; das ſich das 
Haleband nicht wiederfindet, und daß das Wort 
Diebitahl vom Bolf zwifchen dem Namen von Herrn 
von Rohan und dem geheiligten Namen dez Königin 
ausgeſprochen worden if.“ 

„Ss ift wahr, es ift wahr.“ fagte ber König ganz 
verwirrt; „Sie haben Recht, Breteuil, Diefe ganze Sache 
muß aufgeklärt werden.“ 

„Durchaus, Sire,“ 

„Mein Gott! was gebt dort in der Ballerie vor? 
in Bas nicht Herr von Rohan, der fih in die Kapelle 

egibt?“ 

„Sire, Herr von Rohan kann ſich noch nicht in 
die Kapelle begeben. Es iſt noch nicht elf Uhr; und 


75 


ann hätte Herr von Rohan, der heute das Amt Hält, 
sin priefterliches Gewand an. Er ift es nicht, der _ 
ort geht. Eure Majeflät hat noch über eine halbe 
Stunde 3u verfügen.” 

„Bas foll ih dann thun? mit ihm fprechen? ihn 
ommen laſſen?“ 

„Rein, Sire; erlauben Sie mir, Eurer Majeftät 
inen Rath zu geben; maden Sie die Sache nicht 
uhbar, ehe Sie mit Ihrer Majeſtät der Königin ge: 
procdhen Haben.” . 

„Sa, fie wird mir die Wahrheit fagen.” 

„Zweifeln wir nicht einen Augenblid daran, Sire.“ 

„Hören Sie, Baron, fommen Sie hierher und 
ıgen Eie mir unverhohlen, ohne Milderung, jede That: 
ıche, jeden Commentar.“ 

da babe Alfes in diefem Portefeuifle auseinan 
ergefeßt, mit den Beweifen zur Befräftigung.“ 

„An's Geſchäft alfo; warten Sie, daß ich die Thüre 
eines Babinets fchließen laſſe; ich Hatte diefen Mor: 
en zwei Audienzen, ich werde fie verjchieben.” 

Der König gab feine Befehle, feste fih dann 
sieder und warf einen legten Bli durch das Fenfter. 

„Diesmal,“ fagte er, „iit es gewiß der Cardinal; 
hauen Sie.“ 

Herr von Bretenil fland auf, trat an’s Fenſter 
nd erblidte Herrn von Rohan, der im großen Ge: 
sande eines Cardinals und Erzbifchofs fi) nach dem 
demache wandte, das für ihn beftimmt war, fo oft er 
in feierliches Amt in Berfailles Hielt. 

„Endlich iR er da,” rief der König fich erhebend. 

„Deko befier,” fagte Herr von Breteuil, „die Er⸗ 
lärung wird feinen langen Aufſchub erleiden.” 

Und er fing an den König mit allem Eifer eines 
Rannes zu unterweifen, ber einen Andern zu Grunde 
ichten will. 

Cine hölliſche Kanſt hatte in feinem Portefenille 
(Mes zufammengeflellt, was den Cardinal erbrüden 


76 


fonnte. Der König fah wohl die Beweiſe der Schuli 
von Herrn von Rohan fi auf einander häufen, abe 
er verzweifelte, daß er nicht fo ſchnell die Beweife dei 
Unfchuld der Königin kommen fah. 

Er ertrug ungebuldig feit einer Biertelftunde dieſt 
Marter, ale plötzlich Rufe in der anftogenden Balleriı 
ertönten. 

Der König horchte, Herr von Breteuil unterbrad 
fi im Lefen. 

Ein Oificier fragte an der Thüre des Cabinets. 

„Was gibt es?“ fragte der König, bei dem fet: 
der Offenbarung von Herrn von Breteuil alle Nerven iı 
Bewegung geſetzt waren. 

Der Officer trat ein. 

„Site, Ihre Majeftät die Königin bittet Eur 
Majeſtät, zu ihre fommen zu wollen.“ 

„Ss gibt etwas Neues,” ſprach der König er: 


bleichend. 

„Vielleicht,“ ſagte Breteuil. 

„Ich gehe zur Königin,“ rief der König. „Er: 
warten Sie mid bier, Herr von Breteuil.“ 

„Wir ſtehen der Entwidelung nahe,“ murmelt: 
Herr von Breteuil. 


LXXV. 
Edelmann, Cardinal und Königin. 


Sn der Stunde, wo Herr von Breteuil beim 
König erfchienen war, hatte Herr von Charny, bleich, 
bewegt, fich eine Audienz bei der Königin erbitten laſſen. 

iefe Heidete fih an; fe 4 durch das Fenſter 
ihres Boudoir, das auf die Ter ging, Charny, der 
demuͤthig eingeführt zu werden verlangte. 


71 


Marie Antoinette eriheilte Befehl, ihn eintreten 

zu laſſen, als er faum fein Geſuch ausgefprochen hatte. 

Denn fie gab dem Bedürinifie ihres Herzens nach; 

denn fie fagte fi mit einem edlen Stolz, eine reine 

und unkörperliche Liebe, wie die feinige, habe das 

Eintrittsrecht zu jeder Stunde felbft in den Palaft der 
Königinnen. 

Sarny trat ein, berührte zitternd die Hand, 

vie Ihm die Königin reichte, und Sprach mit erſtickter 

me? 


„Ag! Madame, welch ein Unglück!“ 

„Was haben Sie denn?” rief die Königin erblei- 
Hemd, ale fie ihren Freund fo bleich fah. 

Madame, wiflen Sie, was id fo eben erfahren 
babe? wiflen Sie, was man fagt? wifien Sie, was 
ber Axis vielleicht weiß, oder was er morgen erfahren 
wird“ 

Sie fehauerte im Gedanken an die Nacht Feufcher 
Wonne, wo vielleiht ein eiferfüchtiges, feinpfeliges 
Auge fie mit Charny im Parke von Berfailles gefchen 

tt 


e. 

„Sagen Sie Alles, ich bin ſtark,“ erwiederte ſie, 
eine Hand auf ihr Herz drückend. 

„Madame, man fagt, Sie haben ein Halsband 
von Böhmer und Boflange gefauft.” 

Ich Habe es zurückgegeben,“ entgegnete raſch 
Marie Antoinette. 

„Hören Sie, man fagt, Sie haben es nur ſchein⸗ 
bar zurädgegeben. Sie haben es bezahlen zu können 
geglaubt, der König habe Sie dadurch daran verhindert, 
4 er es verweigert, eine Anweiſung von Herrn von 
Calonne zu unterzeichnen, dann haben Sie ſich an 
Jemand gewendet, um Gelb zu finden, und dieſer Je⸗ 
mand fei Ihr Beliebter.“ 

Sie!“ rief die Königin mit einer Bewegung 
erhabenen Vertrauens. „Sie! mein Herr; und laflen 
Sie diejenigen jagen, welche das fagen. Der Titel 


78 


eines Geliebten iſt für Sie feine Beleidigung, welche 
fo füß zu fchleudern, als der Freundestitel eine füße, 
fortan zwiſchen uns Beiden geheiligte Wahrheit ift.“ 

Sharny hielt, ganz verwirrt durdy die männliche 
und frudtbare Beredſankeit, melche aus der wahren 
Liebe entfirömt, wie der wefentliche Wohlgeruch aus 
dem Herzen ivder edelmüthigen Fran, inne. 

Doc der Zwifchenraum, den er zwiichen bie Worte 
ber Königin und eine Eiwiederung von ihm feßte, 
verdoppelte die Bangigfeit von Marie Antoinette, und 
ie tiert: 

ſ „Wovon wollen Sie ſprechen, Herr von Charny? 
Die Verleumdung bat eine Sprade, die ich nie vers 
ſtehe; baben Sie diefelbe veritanden ? zu 

„Marame, wollen Sie mir eine ununterbrocdene 
Aufmerfjamfeit Ichenfen, denn die Suche iſt fehr ernſter 
Natur. Geftern ging ich mit meinem Obeim, Herrn 
von ÖSuffeen, zu den Hofjuwelieren Böhmer und 
Boſſange; mein Oheim hate nämlih Diamanten von 
Indien mitg bracht und wollte fie fchägen laflen. Dan 
fprah von Allem und von Allen. Die Jumeliere ers 
zählten dem Herrn Bailli eine abſchenliche Geſchichte 
mit den Gommentaren der Feinde Eurer Majrflät. 
Madame, ich bin in Berzweiflung: haben Sie Das 
Halsband gefauft, fo fagen Sie es mir; haben Sie es 
nıcht bezahlt, ſo fagen Sie es mir auch. Aber laflen 
Sie mih nicht glauben, Herr von Rohan habe es 
zahlt.” 

„Herr von Rohan!“ rief die Königin. 

„3a, Herr von Rohan, derjenige, welcher für den 
Liebhaber der Königin gilt: derjenige, von welchem 
bie Königin Geld enılehnt; berjeniae., den ein Unglück⸗ 
liher, welchen man Herrn von Charny nennt, im 
Parke von Verſailles der Königin hat zulächeln, vor 
der Königin hat niederfnieen, ver Köniyin Hat die 
Hand füflen jehen; derjenige... . 

„Mein Her,“ tief Marie Antoinette, „glauben 


79 


Sie, wenn ich nicht mehr da bin, 0 if, dies fo, weil 
Sie mich nicht lieben, wenn ich da bin.‘ 

„DH!“ erwiederte der junge ann, „es waltet 
eine dringliche Gefahr ob; ich komme weder um Offen⸗ 
herzigfeit, noch um Muth von Shnen zu fordern, ich 
komme, um Sie anzuflehen, Sie mögen mir einen 
Dienſt leiſten.“ 

„Sagen Sie mir vor Allem, welche Gefahr 
dies in 3“ 

„Welche Gefahr! Madame, ein Mahnfinniger iſt 
der, welcher fie nicht erräth. Der Cardinal, indem er 
ſich für die Königin verbürgt, indem er für die Königin 
bezahlt, richtet fie zu runde. Ich ſpreche Hier nicht 
von dem tödtlichen Mißvergnügen, das Herrn von 
Eharny ein Bertrauen, wıe das, weldes Sie Herrn 
von Rohan eingeflößt, verurfachen fann. Nein. 
ſolchen Schmerzen flirbt man, aber man beflagt * 
nicht darüber.“ 

„Bir! find verrückt!“ entgegnete Marie Antvinette 
jorn 

Kr bin nicht verrückt, Madame, aber Sie find 
ungludlidy, Sie find verloren. Ich babe Sie im Park 
gehen . . . Ich fagte es Ihnen wohl. Ich hatte mich 
nicht getäufcht. Heute iſt die gräßliche, die tödtliche 
Wahrheit an's Tageslicht gefommen 0. Her von 
Rohan rühmt fidy vielleicht . 

Die Königin ergriff Eharny beim Arm und wies 
derholte mit unausipredy:icher Bangigkeit: 

„Bahnfinniger! MWahıfinniger! glauben Sie an 
den Has, glauben Sie an Schatten, glauben Sie an 
das Unmöglicyhe ; aber, in des Himmels Namen! nad) 
dem, was id $hnen gefagt habe, glauben Sie nicht, 
ih fei ſchuldig!... Schuldig! Dieles Wort würde 
mich in einen Haufen glühender Kohlen, fpringen 
machen. Gchuldig... mit... Sch, die id nie an 
Sie gebacht Habe, ohne Bott zu bitten, er möge mir 
biefen einzigen Gedanken verzeihen, ben ich ein 


80 


Verbrechen nannte. Oh! Here von Eharny, wenn Sie 
nicht wollen, daß ich heute verloren, morgen tobt bin, 
fagen Sie mir, Sie beargwohnen midy nicht, oder fliehen 
Sie fo weit, daß Sie nicht einmal das Beräufch mei: 
nes Sturzes im Augenblid meines Todes hören.” - 

Dlivier rang voll Angft die Hände und rief: 

„Hören Sie mid an, wenn ich Ihnen einen wirfs 
famen Dienft leiften foll.” 

„Sin Dienf von Ihnen!“ rief die Königin, „von 
Shnen, der Sie graufamer find, ale meine Feinde; 
... denn meine Feinde fhuldigen mid nur an, wäh. 
rend Sie Verdacht gegen mich hegen! Ein Dienfl 
von Seiten des Mannes, ber mid verachtet, nie... . 
mein Herr, nie!...” 

Diivier näherte ſich der Königin, nahm ihre Hank 
in die feinige und ſprach: 

„Sie werden wohl fehen, daß ich fein Mann bin, 
ber feufzt und weint; die Augenblide find koſtbar; dieſen 
Abend wäre es zu fpät, um zu thun, was uns zu thun 
übrig bleibt. Wollen Sie mid von der Verzweiflung 
retten, indem Sie fi felbft von der Schande retten ?’ 

„Mein Herrl . . . 

„SH! im Angeficht des Todes werbe ich mein 
Worte nicht mehr ängſtlich abwägen. Wenn Sie mid 
nicht Hören, fage ich Ihnen, fo find wir heute Abent 
Beide geflorben, Sie aus Scham, ich, weil ich Eii 
habe flerben fehen.“ 

„Mein Herr!“ 

„Gerade auf den Feind los, Madame! wie ir 
unjeren Schlachten! gerade der Gefahr entgegen! gerad 
in den Top! Gehen wir mit einander, ich al6 dei 
unbefannte, aber muthige Soldat, Sie mit der Majekät 
mit der Stärke, in das dichteſte Kampfgemenge. Unter 
liegen Sie, wohl, dann werden Sie nicht allein fein 
Hören Sie, Madame, fehen Sie in mir einen Brude 
... Sie brauden vielleicht. . Geld, um. . . da 
Halsband zu bezahlen?“ 


81 


Sie e icht 

„zengnen Sie es nicht.” 

„Sch ſage Ihnen...” 

ab „Sagen Sie nicht, daß Sie das Halsband nicht 
ſaben.“ 
„sh ſchwöre Ihnen...” 

„Schwören Sie nit, wenn Sie wollen, daß ich 
Sie noch liebe.“ 

„Dlivier!“ 

„&6 bleibt Ihnen ein Mittel, zugleich Ihre Ehre 
mb meine Liebe zu reiten. Das Halsband koſtet ſechs⸗ 
ehn mal Hundert taufend Livres, Sie haben zweimal 
ſundert und fünfzig taufend bezahlt; hier find anderthalb 
Rillionen, nehmen Sie diefelben.“ 

„Bas iſt das?“ 

„Saunen Sie nicht, nehmen Sie und bezahlen Sie.“ 

„Ihre Güter verlauft! Dlivier! Ihre Güter von 
nr erfauft unt beridhtigt! Sie berauben fih um 
ıeinetwillen! Sie find ein gutes und ebles Herz, und 

werde nicht mehr um die Geſtändniſſe bei einer ſolchen 
be feilſchen. Dlivier, ich Liebe Sie!“ 

„Nehmen Eie an?” 

„Nein; doch ich liebe Sie!“ 

„Herr von Rohan wird alfo bezahlen? Bedenken 
jie wohl, Madame, das ifl feine Großmuth mehr von 
brer Seite, fondern eine Braufamfeit, die mich zu 
open brüdt. Sie nehmen vom Cardinal an?” 

„Schi Gehen Gie doch, Herr von Eharny! Ich 
n bie Königin, und wenn ich meinen Unterthanen 
iebe ober Bermögen gebe, fo nehme ich doch nie an.” 

„Was werben Sie denn thun?“ 

„Ste follen mir mein Benehmen vorjchreiben. 
zas [ag Sie, daß Herr von Rohan denkt?“ 

„Er denkt, Gie feien feine Beliebte.“ 

„Sie ind Hart, Dlivier ... . ” 

ehe, wie man im Angefiht des Todes 


g* 


Des Gelibkuh der Königin, IV. 6 


82 


„Was fagen Sie, daß die Juweliere denken?“ 

„Da die Königin nicht bezahlen Fünne, fo we 
Herr von Rohan bezahlen.” 

„Was fagen Sie, daß man im Publitum in Bet 
des Halsbandes denkt?“ 

„Daß Sie es haben, daß Sie es verborgen bab 
daß Sie es erſt zugeflehen werben, wenn es bezahlt 
entweder durch den Garbinal, in feiner Liebe für € 
oder durch den König, in feiner Furcht vor d 
Aergerniß.“ 

„But; und Sie, Charny, Ihrerſeits, ich ſche 
Ihnen in's Geficht und frage Sie: Was halten 
eben? Scenen, die Sie im Parke von Verſail 

eſehen?“ 
s „Nadame, ich glaube, daß Sie Ihre Unſchuld 
beweifen nöthig Haben,” erwieberte energifch der würd 
Edelmann. 

Die Königin wifchte ſich den Schweiß ab, der ı 
ihrer Stirne floß. 

„Der Prinz Louis, Garbinal von Rohan, Br: 
almofenier von Frankreich!“ rief die Stimme ei 
Huiifler im Borgemad. 

„Er!“ murmelte Charny. 

„Sie find nach Wünfchen bedient,“ ſagte 
Königin. 

„Sie wollen ihn empfangen “ 

„3 war im Begriff, ihn rufen zu laſſen.“ 

„Aber ih...” 

„Treten Sie in mein Bouboir und laflen Sie 
Thüre ein wenig offen, um gut zu hören.“ 

„Madame! 

„Behen Sie geſchwinde, der Garbinal kommt!“ 

Sie ſchob Herrn von Charny in das Zimmer, d 
fie ihm bezeichnet hatte, zog die Thüre fo viel, ı 
nothig an und ließ den Cardinal eintreten. 

err von Rohan erſchien auf der welle t 
Gemaches; er war glänzend in feiner pr efterlich 


Tracht. Hinter ihm, in einer gewiffen @ntfernung, 
erblickte man ein jablreiiee Beholge. befien Kleider 
glängten, wie das ihres Bebieters. 

nter diefen gebüdten Leuten konnte man bie 
Herren Böhmer und Boflange wahrnehmen, die ein 
wenig, verlegen in ihren Galakleidern ausfahen. 

ie Königin ging dem Garbinal entgegen und 
verfuchte Dabei ein Lächeln, das jedoch bald auf ihren 
£ippen erkarb. 

Louis von Rohan war ernft, fogar traurig. Er 
Fr bie Ruhe des muthigen Mannes, der fämpfen 
ol, die unmerkliche Drohung des Prieſters, der zu 
verzeihen haben Fann. 

Die Königin bezeichnet ihm durch die Geberbe ein 
Tabonret; der Cardinal biieb ftehen. 

„Madame,“ Tagte er, nachdem er ſich fidhtbar 
itternd verbeugt, „ich Hatte mehrere wichtige Dinge 
urer Majentt mitzutheilen, die es ſich zur Aufgabe 
macht, meine Gegenwart zu vermeiden.“ 

„Ich!“ entgegnete die Königin, „ich vermeide Sie 
fo wenig, Herr Barbinal, daß ich im Begriff war, Sie 
rufen zu laflen.“ 

Der Bardinal warf-einen Blick nad dem Bouboir 
unb fengte dann mit leifer Stimme: 

„Bin ich allein mit Eurer Majeftät? Habe ih das 
Recht, mit voller Freiheit zu fprechen ?“ 

„Sn voller Freiheit, Herr Cardinal; thun Sie fi 
feinen Zwang an, wir find allein.“ 

Und ihre Stimme ſchien ihre Worte dem im an« 
Koßenden Zimmer verborgenen Edelmann zufenden zu 


wollen. 

Sie weidete fi mit Stolz an feinem Muthe und 
an ber Sicherheit, welche von den erfien Worten an 
ber ohne Zweifel fehr aufmerffame Charny haben 
würbe. 


Der Garbinal faßte feinen Cutſchluß. Er rüdte 
das Tabonret zum Lehnfluhl der Königin, um fi 


84 


fo fern als mögli) von ber Doppelthüre zu be— 
finden. 

„Das find viele Vorbereitungen,” rief die Königin, 
Heiterkeit heuchelnd. 

„Ich weiß nicht ...“ fagte der Cardinal. 

„Ich weiß nicht?“ wiederholte die Königin. 

„Wird der König nicht kommen?“ fragte Herr 
von Rohan. 

„Fürchten Sie fich weder vor dem König, noch vor 
irgend Jemand,“ erwiederte lebhaft Marie Antoinette. 

„Dh! vor Ihnen habe ich bange,” verfehte ber 
Gardinal mit bewegter Stimme. 

„Ein Grund mehr, ich bin nicht fehr furchtbar; 
fpreyen Sie in wenigen Worten, fprechen Sie mit 
lauter und vernehmlicher Stimme, ich liebe die Offen— 
herzigfeit, und wenn Sie mid fihonen, werde ich 
glauben, Sie feien fein Mann von Ehre. Oh! feine 
Geberden mehr; man hat mir gefagt, Sie haben Be: 
ſchwerden gegen mid. Spreden Sie, ich liebe den 
Krieg, ih bin von einem Blut, das nicht erfchridt! 
Sie au, ih weiß es wohl. Was haben Sie mir 
vorzuwerfen?“ 

Der Cardinal ſtieß einen Seufzer aus und ſtand 
auf, als wollte er die Luft des Zimmers in größerem 
Umfange einfaugen: endlich Herr feiner felbfi, begann 
er mit folgenden Worten. 


LXXVI. 
ErPlärungen. 
Tie Königin und der Garbinal befunden fidh er- 


wähnter Maßen einander von Angeſicht zu Angeſicht 
gegenüber, Charny Eonnte im Babinet auch das geringfle 


85 


dort der Sprechenden hören, und die auf beiden 
seiten fo ungebuldig erwarteten Grflärungen follten 
lich beginnen. 

„Madame,“ ſagte ber Cardinal, ſich verbeugend, 
en was in Beziehung auf unjer Halsband 
orgeht!“ 

ein, mein Herr, ich weiß es nicht, und es ift 
tier lieb, wenn ich es von Ihnen erfahre.” 

„Barum beihränft mid) Eure Majeität feit langer 
it Darauf, daß ich midy ihr nur durch DBermittelung 
tistheilen kann? Warum, wenn fie einen Brund tes 
Janes gegen mich hat, bezeigt fie es mir nicht, indem 
e es mir erflärt?“ 

„Ich weiß nicht, was Sie hiemit fagen wollen, 
jerr Gartinal, und ich habe feinen Grund, Sie zu 
aſſen. Dod das it, alaube ich, nicht ter Gegenfland 
nferer Unterredung. Wollen Eie mir aljo über das 
nglüdlidhe Halsband eine beitimmte Ausfunft geben, 
nd vor Allem ... wo it Yıau von La Mothe?“ 
„Ih war im Begriff, dies Eure Majeflät zu 
tagen.“ 
„Berzeihen Sie, wenn Jemand wiffen kann, wo 
tan von La Mothe ift, fo find Sie es, Herr Kardinal, 
laube ich.“ 

„Ih, Madame, aus welchem Grunde?“ 

„Sb! ich bin nicht hier, um Befenntniffe enigegens 
unehmen, Herr Gardinal, ich muß Frau von ta Mothe 
othwendig fprechen, ich habe fie ruien lanen, man hat 
ie zehnmal in ihrem Haufe gejucht, fie hat nicht ge= 
ntwortet. Dieſes Berfchwinden ift feltfanm, das werten 
Sie zugeflehen.” 

„Ich wundere mich audy über dieſes Verichwinben, 
Ratame, denn id babe Frau von La Mothe bitten 
affen, zu mir zu fommen; fie bat mir ebenfo wenig 
jeantwortet, als Gurer Majeität.“ 

„Dann laflen wir die Gräfin, mein Herr, und 
vrechen wir von und.“ 


„Ob! nein, Madame, i 
——————— Gi kur Ban 
lien Berbadht bei mir erg: m Eure Bes 
— — warf mir emſige Bewerbu — * ke Gmf der 


Gräfin vor,” 
nd gar nihte Baia 


mein —S— ein fo 
alle Smpkndligteiten en re Te 
würde i® verqweifele® 


sehe — sehe begreifen, 
FH wir aafatıen, zus nie 
tel Kub Dap-wir une nit 











87 


Alles aufklären... . fie findet ſich nicht; nun denn! 
laffen Sie mid Muthmaßungen an die Stelle dunfler 
Thatfachen jepen: Frau von La Mothe hat das Halss 
band zurüdgeben wollen. Sie, beflen, ohne Zweifel 
wohlmollende, Manie es immer war, midy das Halsband 
faufen zu laflen, Sie, der Sie es mir brachten, mit 
bem Anerbieten, für mich zu bezahlen, ein Aner⸗ 
eten .. .” 

„Das Eure Majeftät [ehr hart ausgeſchlagen Kat,“ 
fiel der Cardinal mit einem Seufzer ein. 

Nun wohl! ja, Sie beharıten bei der firen Idee, 
daß Ich Im Befge des Halsbandes bleiben follte, und 
werben es ben Juwelieren nicht zurüdgegeben haben, 
in ber Abt, das Geſchmeide mich bei irgend einer 
Gelegenheit wiebernehmen zu laflen. Zrau von La Mothe 
war wach, fie, welche mein Widerfireben, weldye die 
Unmöglichkeit, in der ich mich in Betreff des Bezahlens 
kefand, und meinen unerfchütterlichen Entfchluß , das 
Galsband mir nicht ohne Selb zu erwerben, Fannte; 
Fran von La Mothe hat aus Eifer für mich mit Ihnen 
confpirirt, und heute fürchtet fie meinen Zorn und 
jet ſich nicht. Iſt es fo? Habe ich die Sache mitten 

ber Finſterniß wiederanfgebaut? fagen Sie ja. 
Laien Sie mid Ihnen diefen Leichtfinn, diefen Unge⸗ 
horſam gegen meine fürmlichen Befehle vorwerfen, 
Sie werben mit einem Berweife davon kommen, und 
Alles if dann abgethan. Ich thue mehr, ich verfpreche 
Ihnen die Berzeifung von Frau von La Mothe, fle 
trete ans ihrer Reue hervor. Doch ich bitte, Klarheit, 
mein Herr, ich will nicht, daß in dieſem Augenblid ein 
Schatten über meinem Leben ſchwebe, ich will nicht, 
hören Sie wohl!” 
* DH on hane biete Bose mit ne folgen 

bhaftigkeit gefprochen , fie hatte fie fo Fräftig betont, 
* ae fie Hatte weder unterbrechen Fünnen, 
noch wollen, doch Sobald fie aufgehört, fagte er, einen 
Seufzer unterdruͤckend: 


88 


„Madame, ich will alle Ihre Muthmaßungeı 
wiebern. Nein, ich beharrte nicht bei der Spee, 
müßten das Halsband befommen, in Betracht, da 
der feften Ueberzeugung lebte, es fei in Ihren Häı 
Nein, ich habe durchaus nicht mit Frau von Fa V 
in Betreff diefes Halsbands confpirirt; nein, ich 
es ebenfo wenig, als es die Juweliere haben, alı 
wie Sie jagen, Sie haben.” 

„Das ift nicht möglich,” rief die Königin 
erflauntz; „Sie haben das Halsband nicht?“ 

„Rein, Madame.” 

„Sie haben Frau von La Mothe nicht gera 
außer dem Allem zu bleiben ?“ 

„Nein, Madame.” 

„Sie verbergen fie nicht?“ 

„Nein, Madame.” 

„Sie wiffen nicht, was aus Ihr geworben ift' 

„&benfo wenig als Sie, Madame.” 

„Aber wie erklären Sie fi dann das, 
gefchieht? 

„Madame, ich bin genöthigt, zu gefteben, da| 
es mir nidht erkläre. UÜUberdies ifl das nicht das 
Mal, daß ich mich bei der Königin beflage, nicht 
ihr verftanden worden zu fein.“ 

„Wann tft dies fhon vorgefommen? Ich erin 
mid nicht.“ 

„Madame, Haben Sie die Gnade, in Geda 
noch einmal meine Briefe zu durchleſen.“ 

„Ihre Briefe:“ rief die Königin erflaunt. , 
haben mir gefchrieben ?“ 
hatt „Zu ſelten, Madame, für Alles, was ich im He 

a e “u ‘ 


Die Königin erhob ſich und ſprach: 

„Mir fcheint, wir täufchen uns Beide; end 
wir raſch diefen Scherz. Was fprechen Sie 
Driefen, und mas haben Sie auf dem Herzen odeı 


89 


Herzen, ih weiß nicht genau, wie Sie das fo eben 
gefagt haben?“ 

„Mein Gott! Madame, ih habe mich vielleicht 
binreißen laflen, das Geheimniß meiner Seele zu laut 
auszuſprechen.“ 

„Welches Geheimniß? Sind Sie denn bei geſun— 
dem Verſtand, Herr Cardinal?“ 

„Madame!“ 

„Sb! laffen wir die Aueflüchte ... Sie fprechen 
wie ein Menſch, der mir eine Falle ftellen oder mich 
vor Zeugen in Berwirrung bringen will.” 

„Ich ſchwoöre Ihnen, Madame, dag ich nichts gefagt 
babe... . Horcht wirklich Jemand?“ 

„Nein, mein Herr, taufenpmal nein, es ift Niemand 
da... erklären Sie fi alfo, jedoch vollftändig, und 
genn Sie im Befige Ihrer Vernunft find, beweifen 

e es.“ . 

Dh! Madame, warum iſt Frau von La Mothe 
nicht da? Sie, unfere Freundin, würde mir, wenn 
nicht die Zuneigung, dod das Gedächtniß Eurer Ma: 
jelät wiedererweden helfen.“ 

„Unfere Breundin? meine Zuneigung? mein 
Gedaͤchtniß? Ich falle aus den Wolfen.” . 

„Ah! Madame, ich bitte Sie,” rief der Barbinal, 
empört burch den fcharfen Ton der Königin, „Ichonen 
Eie mid. Es flieht Ihnen frei, nicht mehr zu lieben, 
aber beleidigen Sie nicht.” 

„Ah! mein Gott!“ rief die Königin erbleichend, 
„ah! mein Gott! was fagt diefer Mann!” 

„Sehr. gut!” fuhr Herr von Roban fort, der ſich 
in bemfelben Maße belebte, in dem der Zorn brudelnd 
in ihm flieg; „fehr gut! Madame, ich glaube discret 
und zurüdhaltend genug gewefen zu fein, daß Sie mid 
nicht mißhandeln follten; ich werfe Ihnen aud nur 
unbebeutende Benadjiheiligungen vor. Ich begehe das 
Unrecht, Daß ich Anfprüche made, denn ich hätte wiflen 
follen, daß, wenn eine Königin gefagt hat: ich will 


” 
nicht mehr, dies ein ebenfo gebieterifches Befep il 


91 


„Mein Gott!“ 

„Hätte ich es gewagt, Sie zu bitten, mir dieſe 
Rofe bier zu bringen! Eine angebetete Rofe! eine 
verfluchte Roſe! eine unter meinen Küſſen verborrte, 
verfengte Roſe!“ 

„Mein Gotth“ 

„Habe ich Sie genöthigt, am andern Tage herab: 
zufommen nnd mir Ihre beiden Hände zu geben, deren 
Daft unabläflig mein Gehirn verzehrt und mich wahn⸗ 
finnig madıte? Sie Haben Recht mit Ihren Vorwürfen!“ 

„Dh! genug! genug!“ 

„Hätte ich es endlich in meinem wuͤthendſten Stolze 
gewagt, mir jene dritte Nacht mit dem weißen Himmel, 
mit dem füßen Schweigen, mit ber treulofen Liebe zu 
träumen!“ 

Mein Herr! mein Herr!” rief die Königin, vor 
dem Garbinal zurüdweichend, „Sie blasphemiren!” 

„Mein Gott!“ ſprach der Bardinal, die Augen 
zum Himmel auffchlagend, „Du weißt, ob ich, um forts 
während von biefer betrügerifchen Frau getiebt zu 
werben, meine Büter, meine Freiheit, mein Xeben bins 
gegeben Hätte!“ 

„Mein Herr, wenn Sie dies Alles behalten wollen, 
fo werden Sie hier aufder Stelle fagen, daß Sie midh 
au Grunde zu richten fuchen; daß Sie alle diefe Ab⸗ 
fchenlichkeiten erfunden haben; daß Sie nicht in ber 
Racht nach Berfailles gefommen find ...“ 

Ich bin dahin gekommen,“ erwieberte hochherzig 
der Garbinal. 

„Sie And ein Mann des Todes, wenn Gie dieſe 
Gprade behanpten.“ 

„Ein Rohan lügt nicht. Sch bin dahin gefommen.” 

Her von Rohan, Herr von Roban, im Namen 
des Simmels, fagen Sie, Sie haben mich nicht im 
Barke gefeben ... .“ 

„3 werbe flerben, wenn es fein muß, wie Sie 
mich fo eben bedrohten; aber ich Habe nur Sie im 


92 


Parke von BVerfailles gefehen, wohin mich Frau von 
La Mothe führte.” 

„Noh ein Mal,” rief die Königin leichenbleich 
und zitternd, „nehmen Sie zurück?“ j 

„Nein!“ 

„Zum zweiten Male, fagen Sie, Sie haben biefe 
Schaͤrzlickteit gegen mich angezettelt!“ 

„Nein!“ 

„Zum letzten Male, Herr von Rohan, geſtehen 
Sie zu, daß man Sie ſelbſt getäuſcht haben kann, daß 
dies Alles eine Verleumdung, ein Traum, die Unmög⸗ 
lichkeit, ich weiß nicht was, war; aber geſtehen Sie, 
daß ich unfehufbig bin, daß ich es fein kann?“ 


„Nein. 
Po Königin erhob ſich furchtbar und feierlich und 
prach: 

„Sie werden es alſo mit der Gerechtigkeit des 
Königs zu thun haben, da Sie die Gerechtigkeit Gottes 
verwerfen.“ 

Der Cardinal verbeugte fih, ohne ein Wort zu 
agen. 

Die Königin läutete fo heftig, daß mehrere von 
ihren Frauen zugleich eintraten. 

„Man melde Seiner Majeftät, ih bitte ihn, er 
möge mir die Ehre erweiien, zu mir zu fommen,” ſprach 
fie, indem fie fih die Lippen trocknete. 

Der Befehl wurde fogleich vollzogen. Zu Allem 
entfchloffen, blieb der Kardinal unerjchroden in einer 
Ede des Zimmers. 

Marie Antoinette ging zehnmal zu der Thüre bes 
Boudoir, ohne einzutreten, als ob fie zehnmal, nachdem 
fie diefelbe verloren, ihre Bernunft vor diefer Thüre 
wieberfände. 

Es waren nicht zehn Minuten in biefem furdhts 
baren Scenenwechſel vergangen, ale der König, die 
San in feinem Spigenjabot, auf der Schwelle 
erichien. 


93 


Man ſah immer noch in der Tiefe der Gruppe 
außen die angftvolle Miene von Böhmer und Boffange, 
die den Sturm witterten. 


LXXVII. 
Die Verhaftung. 


Kaum erfchien der König auf der Schwelle des 
Gabinets, als ihn die Königin mit einer außerordent⸗ 
lichen ®elänflgfeit anrief. 

„Site,“ ſagte fie, „der Herr Cardinal von Rohan 
bier jagt ganz unglaublihe Dinge; wollen Sie ihn 
bitien, Ihnen diefelben zu wiederholen.“ 

Bei diefen unerwarteten Worten, bei diefer plötz⸗ 
lihen Anrede erbleichte der Gardinal. Die Lage war 
in der That fo feltfam, daß der Prälat zu begreifen 
aufhörte. Konnte er, der angebliche Liebhaber, ſeinem 
König wiederholen, Eonnte er, der ehrerbietige Unter: 
than, erflären, was er Alles an Rechten auf die Kö⸗ 
nigin und auf die Frau zu haben glaubte? 

Doch der König wandte fih an ben Bardinal, der 
in feine Betrachtungen verfunfen war, und fagte: 

„Richt wahr, in Betreff eines gewiſſen Halsbands, 
mein Herr, haben Sie mir unglaubliche Dinge zu fagen 
unb Habe ich unglaubliche Dinge zu hören? Sprechen 
Sie alfo!“ 

Herr von Rohan faßte auf der Stelle jeinen Ent: 
ſchluß; von zwei Schwierigfeiten würde er die geringfte 
wählen, von zwei Angriffen würbe er den für den König 
und die Königin ehrenvollften über ſich nehmen, und 
follte man ihn unfluger Weile in die zweite Gefahr 

verfegen, nan denn! dann würbe er wie ein muthiger 
 Renn, wie ein beherzter Ritter barans hervorgehen. 


94 


„In Betreff des Halsbande, ja, Sire,“ mur 
melte er. 

„Aber, mein Herr,“ ſagte der König. „Sie habe 
alſo das ‚Halsband gekauft?“ 


„Rein... 

„Sa oder nein?“ rief Marie Antoinette. 

Der Cardinal ſchaute die Königin an und an 
wortete nicht. 

„Sa oder nein?” wiederholte fie. „Die Wahrhei 
mein Herr, die Wahrheit; man verlangt von Ihne 
nichts Anderes.” 

Herr von Rohan wandte den. Kopf ab und ermwiı 
berte nichts. 

„Da Herr von Rohan nicht antworten will, an 
worten Sie, Madame,” ſprach der König, „Sie müfle 
eiwas von dem Allem wiflen. Haben Sie diefes Halı 
band gefauft, ja oder nein?“ 

„Nein!“ fagte die Königin mit Kraft. 

Herr von Rohan bebie. 

„Das ift das Wort einer Königin!” rief feierli 
der König; „haben Sie wohl barauf Acht, He 
Cardinal.“ 

Herr von Rohan ließ ein Lächeln ber Verachtun 
über feine Lippen gleiten. 

„Sie fagen nichts!“ rief ber König. 

„Worüber Flagt man mid an?“ 

„Die Juweliere fagen, fe haben ein Halsban 
verfauft, an Sie oder an die Königin. Sie zeige 
einen Schein von Ihrer Majeftät.“ 

„Der Schein ift falſch!“ ſprach die Königin. 

„Die Juweliere,“ fuhr der König fort, „behaupte 
in Ermangelung der Königin fei ihnen Bürgihaft dur 
Berbindlichfeiten geleiftet worden, die Sie ubernomme 
haben, Herr Garbinal.” 

„Ich weigere mich nicht, zu bezahlen,” ſprach be 
Garbinal. „Es muß bies die Wahrheit fein, da « 
die Königin fagen läßt.“ 


95 


Und ein zweiter Blick, noch verachtender ale der 
erfie, ſchloß feinen Sag und feinen Gedanken. 

Die Königin fihauerte. Diele Beratung des 
Garbinale war für fle feine Beleidigung, da fie biefelde 
nit verbiente, fondern das mußte die Rache eines 
ehrlichen Mannes fein, nnd darüber erfchrat fie. 

„Hein Herr Cardinal,“ fagte der König, „es bleibt 
nichtsdeſtoweniger in dieſer —8 eine Faälſchung, welche 
bie ae ber Königin von Frankreich gefährs 

a [ 


„Sine andere —— rief die Königin, „und 
faun das einem Edelmann beigemeſſen werden? Dieſe 
iR es, welche behauptet, die Jüweliere haben das Hals⸗ 
band inrüderpalten.. 

„Ss ſteht der Königin frei, mir die beiden Fäls 
ſchnugen zuzuſchreiben,“ ſprach Herr von Rohan mit 
. vemfelben Ton, „ob man eine gemacht, ob man zwei 
fabricirt Bat, worin liegt der Unterſchied?“ 

Die Königin wäre vor Entrüftung beinahe los⸗ 
gebrochen, der König hielt fie durch eine Geberde 


jurück. 

Nehmen Sie ſich in Acht,“ ſagte er zu dem Bar: 
binal, „Sie en Ihre Lage 8 mein‘ Herr. Ich 
Ioge, veoptfertigen Sie fh, und Sie fehen aus, ale 

e an.” 

Ger Gardinal dachte einen Augenblid nad; dann, 
als erläge er unter der Wucht der geheimnißvollen 
Berleumdung, bie feine Ehre zufammenpreßte, rief er: 

„Mi rechtfertigen ... . unmöglich |” 

Mein Herr, es find Leute da, welche fagen, es 
fet ihnen ein Halsband geftohlen worden; indem Sie 
ſich Pag „mraden, zu bezahlen, geflehen Sie zu, 
d % ...“ 

Wer wich es glauben?“ verfeßte ber Barkinal 
mit kolzer Berachtung. 
- „Daun, mein Herr, wenn Gie nicht annehmen, 
baß man dies glaube, wird man boch glauben . . .” 


Und ein Bebeı 
fo freunntige @ ei 


von u. a 8* 


was gefiel ne Ic ie 
Halsband zig 
manten in der 
follte, beres at 
Bort ber 
Haupt Bee der, 
Bier Yagte * ee 
jngte 


—*— 
„Die Sireit — bei zuifgen wiſch Ipnin 
— 38 Tepe Sir Dem Lk Mal Haken 


9 


von Roban erhob das Haupt und erbleichte. 
fol das bedeuten?“ fragte der Rönig unruhig. 
ame...“ murmelte der Kardinal erfchroden. 
feine Rüdfiht, feine Furcht, feine Schwäche 
den Mund verfchließen, id babe bier in 
verzen Beweggründe, die mich veranlaflen 
neine Unſchuld auf einem öffentlichen Plage 


1. 

Unſchuld!“ entgegnete der König. „Wer 

aeffen oder fhändlich genug, Eure Majefät 

a, dieſes Wort aus zuiprechen!“ 

flehe Sie an, Madame” ſagte der Cardinal. 
Sie fangen an zu zittern. Ich hatte alfo 

athen, Ihre Komplotte lieben die Dunfelheit! 

lichten Tag! Sire, fordern Sie den Herrn 

auf, Ihnen zu fagen, was er mir fo eben auf 

age geſagt hat.” 

yame! Madame!” rief Herr von Roban, 

Sie fi in Acht, Sie überfchreiten die 

' 


: beliebt?“ entgegnete der König voll Stolz. 
icht fo mit der Königin? Ich vente, nicht ich.“ 
s iR es gerade,“ fagte Marie Antoinette. 
re Garbinal fpricht fo zur Königin, weil er 
t dazu zu baben glaubt.“ - 

‘, mein Herr!“ murmelte der König, der 
ich geworden. 

“ rief die Königin mit VBeradhtung, „er!“ 

: Herr Caidinal hat wohl Beweiſe?“ fragte 
g, indem er einen Schritt auf den Prinzen 


r von Rohan hat Briefe, wie er behauptet!” 
e Köniuin. 

rechen Sie, mein Herr!" rief der König. 

? Xbelel⸗ rief die Koͤnigin voll Hefiigkeit. 
iefe.“ 

Asband der Königin. IV. T 


96 


Und ein Beben des Zorns verflörte das gewöhnlich 
fo freundliche Geſicht des Königs. 

„Sire,” erwiederte der Bardinal, „ich weiß nichts 
von dem, was man fagt; ich weiß nichts von dem, 
was gefchiehtz ich Fann nur verfichern, daB ich das 
Halsband nicht gehabthabe; ich weiß nur, daß bie Dias 
manten in der Gewalt von Jemand find, der fih nennen 
follte, der es nicht will, und der mich nöthigt, ihm bas 
Mort der Schrift zu fagen: Das Böſe falle auf das 
Haupt deffen, der e8 begangen Hat.” 

Bei diefen Worten madte die Königin eine Bes 
wegung, um ben Arm des Königs zu nehmen. Doch 
diefer jagte zu ihr: 

„Die Streitigfeit findet zwifchen Ihnen und ihm 
ftatt. Ih frage Sie zum letzten Male: haben Sie 
das Halsband?“ 

„Nein! bei der Ehre meiner Mutter! beim Leben 
meines Sohnes!” antwortete Marie Antoinette. 

Boll Freude nach diefer Erflärung, wandte ſich ber 
König gegen den Barbinal und —*8* 

„Dann iſt es eine Angelegenheit zwiſchen den 
Gerichten und Ihnen, mein Herr... wenn Sie es nicht 
etwa vorziehen, es meiner Gnade anheimzuftellen.“ 

„Die Onade der Könige ift für die Schuldigen 
gemacht, Site," antwortete der Cardinal; „ich ziehe 
ihr die Gerechtigfeit der Menfchen vor.“ 

„Sie wollen nichts geitehen?“ 

„sh Habe nichts zu fagen.” 

„Aber, mein Herr,” rief die Königin, „Ihr Schwei⸗ 
gen läßt meine Ehre im Spiel!“ 

Der Cardinal fchwieg. 

‚. „Wohl denn!” fuhr die Königin fort, „ich werde 
nicht fchweigen ; diefes Stillichweigen verwundet mid; 
es bezeigt eine Großmuth, die ich nicht haben will. 
Griahren Sie, Sire, daB das ganze Verbrechen bes 
Herrn Garbinals nicht in dem Berfaufen oder Stehlen 
des Halsband befteht.“ 


7 


T von Roban erhob das Haupt und erbleichte. 
as joll das bedeuten?“ fragte ver Rönig unruhig. 
adame|...” murmelte der Kardinal erfchroden. 
bh! feine Rückſicht, keine Furcht, feine Schwäche 
ir den Mund verfchhließen, ich habe hier in 

Herzen Beweggründe, die mich veranlaflen 
‚ meine Unſchuld auf einem öffentlichen Blage 


fen. 

hre Unſchuld!“ entgegnete ber König. „Wer 
ermeſſen oder jchändlich genug, Gure Majenät 
igen, dieſes Wort ausjniprechen!” 

& flebe Sie an, Madame!“ fagte ber Cardinal. 
h! Sie fangen an zu zittern. Ich hatte alfo 
errathen, Ihre Komplotte lieben die Dunfelheit! 
a lichten Tag! Sire, fordern Sie den Herrn 
lauf, Ihnen zu fagen, was er mir jo eben auf 
Bıage geſagt hat.“ 

Ravdame! Madame!” rief Herr von Rohan, 
u Sie fh in Adt, Sie überfchreiten vie 


Ru. . 

Bie beliebt?" entgegnete der König voll Stolz. 
ipricht fo mit der Königin? Ich dente, nicht ich.“ 
)a6 iR «6 gerade, fagte Marie Antoinette. 
zerr Gardinal fpricht fo zur Königin, weil er 
echt dazu zu baben glaubt.“ 

5ie, mein Herr!” murmelte ber König, ber 
bleidy geworden. 

ir!“ rief die Königin mit Verachtung. „er!“ 
Der Herr Caidinal Hat wohl Beweile?“ fragte 
inig, indem er einen Schritt auf den Prinzen 


herr von Rohan Kat Briefe, wie er behauptet!” 
die Köntuin. 

Eprechen Sie, mein Herr!” rief der König. 

Die Briefe!“ rief die Königin voll Heftigfelt. 
Briefe.” 

Salſband der Königin. IV. 7 


Der Garbinal ie? mit der Hand ber —X 
den Ehweiß eisfalte Gtirne und Ichien Bst 
a ie m Bel Geföpfe fo viel eh —X 
en Fön 
— 
fort, sabe unter dem 
‚ohmuth belehte. „; — Gardingl hat abe 


te 
a Be me, Haben ie Mitleid!" zief der. ab 
* un — der Cardinal. 
ie 35 der hy — . \ 
ui we hr ea Baltın. .. ei haben 


ne un von Gen — langfam oa⸗ Seal 





9 
ba Gie nuſchulbig find, Helfen Sie uns die Schuldigen 
Änden.“ 


Dead der Garbinal, nachdem er cinen letzten Blid 
gefcpleutert, drehte den Rücken und freuzte die Arme. 

„Bein Herr,“ ſprach der beleidigte König, „Sie 
werben ſich in die Baſtille begeben.“ 

So gekleidet?“ entgegnete er, „in meinem pries 
Berligen Gewande? vor dem ganzen Hofe? Wollen 
Sie bedenken, Gire, das Aergerniß ift ungeheuer. Es 
wird nur um fo fchwerer für das Haupt fein, auf 
weldyes es einft fällt.“ 

„Ich will es fo,“ fprady der König fchr aufgeregt. 

Das if ein ungerehter Schmerz, deu Sie vor 
ber Seit einen Präiaten ausflehen laffen, Sire, und 
die Folter vor der Anflage, das int nicht geſetzlich.“ 

„Ge muß fo fein,“ ſprach der König, indem er 
bie Thhre des Gemachs öffnete, um mit den Augen | 
Jemand zu ſuchen, dem er feinen Befehl erteilen fönnte. 

von Breteuil war da, feine gierigen Augen 
hatten in der Eraltation ter Königin, in der Aufregung 
Yes Königs, in der Haltung des Cardinals den Unters 
gang eines Yeindes errathen. 

Der König hatte nicht fo bald leiſe mit ihm zu 
prechen aufgehört, als der Siegelbemahrer, ſich bie 
Yanctionen des Kavitäns der Garde anmaßend, mit 
iner donnernden Stimme, welche bis in den Hinters 
ramb ber Ballerien wiederhallte, ausriei: 

"„Berhartet den Herrn Cardinal!“ 

Herr von Rohan bebte. Das Gemurmel, das er 
ter den Gewölben hörte, die Bewegung der Höflinge, 
wraſche Ericheinen der Leibwaden gaben Dieter 
ene einen Gharafter finfterer Borbedeutung. 

Der Cardinal ging an der Königin vorbei, obne 
ſu grüßen; was das Blut der ſtolzen Kürflin fochen 
Ye. Gr verbeugte fih ſehr demüthig vor dem 
ig and nahm, als er an Herrn von Bretenil vers 
fam, einen fo geſchickt nuancirtem Ausbrud bes 


100 


Mitleivs an, bag der Baron glauben mußte, er ha 
fih nicht genug gerächt. 

@in Lieutenant von der Leibwache irat fchüdhte 
auf den Gardinal zu und ſchien von ihm die Beflät 
gung des Befehls zu fordern, den er gehört hatte. 

„Ja, mein Herr,” fagte Heir von Rohan, „ja, i 
bin verhaftet.” 

„Sie werden den Herrn in fein Zimmer führ: 
und erwarten, was ich während der Mefle beichließe 
ſprach ver Kenig unter einer Todesſtille. 

Der König blieb, bei geöffneten Thären, allein-b 
der Königin, während der Cardinal, dem der Lieutena 
von der Leibwache, den Hut in der Hand, voranjdrii 
fi langfam durch die Ballerie entfernte. 

„Madame,“ fprach der König feuchend, denn 
hatte nur mit großer Mühe an fidy gehalten, „S 
wiflen, daß dies auf ein öffentliches Urthril, das heif 
auf ein Aergerniß hHinausläuft, unter dem die Ehre d 
Schuldigen fallen wird.“ 

„Meinen Dank!“ rief die Königin, voll Innigfe 
dem Rönig die Hände drüdend; „Sie baben das einzi, 
Mittel, mich zu rechtfertigen, gewühlt.“ 

„Sie danfen mir!“ 

„Bon ganzer Seele. Sie haben ale König geha 
delt, ih als Königin; glauben Sie mir!” 

„Es ift gut,” ermwiederte der König, von ber le 
ha'teſten Freude erfüllt. „Wir werden endlihd Genu 
thbuung für alle diefe. Gemeinheiten erhalten. ° 
einmal für allemal die Schlange durch Sie und bu 
midy zertreten, dann werden wir hoffentlich ruh 
leben.” 

Er füßte die Königin auf die Stirne und kehr 
in feine Gemaͤcher zurüd. 

Am Ende der Ballerie hatte Herr von Rob: 
Döhmer und Boſſange garfunden, die einander ba 
obnmächtig in den Aımen lagen. Dann, einige Schrit 
davon, erblidte der Gardinal feinen ‚Läufer, de 


101 


erſchrocken über diefes Unglück, auf einen Blick feines 
Herrn lauerte. 

„Mein Herr,” fagte ber Kardinal zu dem Officier, 
ber ihn führte, „den ganzen Tag hier zubringend werde 
ih viele Menfchen in Unruhe verfegen: kann ich nicht 
meinem Haufe verfündigen, daß ich verhaftet bin?“ 

„DH! Monfeigneur, unter der Vorausſetzung, daß 
Sie Niemand flieht,“ erwiederte der junge Officier. 

Der Cardinal danfte, dann fpradh er ein paar 
Worte deuntſch mit feinem Läufer und ſchrieb einige 
Zellen auf ein Blatt Bapier, das er aus einem Meß⸗ 
budye riß. 

Und Hinter dem Officier, welcher lauerte, um nicht 
überrafcht zu werden, rollte der Cardinal das Blatt 
jufammen und ließ es fallen. 

R 59 folge Ihnen, mein Herr,” fagte er zu dem 
er. 


Sie verfhwanden in der That Beide. 

Der Läufer warf fi) auf das Bapier, wie ein 
Geier auf feine Beute, eilte aus dem Schlofle, ſchwang 
fh auf fein Pferd und entfloh gegen Paris. ' 

Der Cardinal Fonnte ihn durdy eines von ben 
Fenſtern ber Treppe, die er mit feinem Führer hinab⸗ 
Rieg, auf den Feldern fehen. 

„Sie Hürzt mi in’s DBerberben,” murmelte er, 
„idy rette fiel Für Sie, mein König, handle ih; um 
Deinetwillen, mein Bott, der Du den Beleidigern zu 
verzeihen befiehlſt, um Deinetwillen vergebe ich ben 
Andern . . . Bergib mir!” 


102 


LXXVIII. 
Die Protocolle. 


Kaum war der König ganz glücklich in 
mad) zurüdgefehrt, Faum hatte er den Beiehl 
von Rohan in die Baflille zu führen, unte: 
als der Graf ron Provence erſchien, der be 
Gintritt in das Cabinet Herrn von Breteuil 
machte, bie diefer, troß feiner Ehrfurcht un 
guten Willens, nicht verſtehen Fonnte. 

Doch nicht an den Siegelbewahrer waı 
Zeichen gerichtet; der Prinz vervielfältigte fie 
Abficht, die Aufmerffamfeit des Könige, der, 
er feinen Befehl abfaßte, in den Spiegel ſah, 
zu ziehen. 

Der Bein) verfehlte feinen Zweck nicht, de 
erblickte die Zeichen und fragte ſeinen Bruder, 
er Herrn von Breteuil weggeſchickt hatte: 

«har madıten Sie Herrn von Breteuil £ 

„ud: re..." 

„Diele Lebhaftigfeit der &eberben, dieje g 
Miene haben eiwas zu bedeuten ?” 

„Allerdings, aber... * 

„Es ſteht Ihnen frei, nicht zu fpreche 
Bruder ‚”. verfeßte der König mit einer gereizte 

„Sire, ich habe fo eben die Verhaftung t 
Gardinals von Rohan erfahren.“ 

„Nun! in welder Dinfiht, mein Brud« 
biefe Nachricht eine folche Aufregung bei Ihn: 
faden? Scheint Ihnen Herr von Rohan nicht 
Habe ich Unrecht, felbit den Mächtigen zu fch 

„Unrecht? nein, mein Bruder, Sie hal 
Unrecht. Das iſt es nicht, was ich fagen wil 

„Ih hätte mid fehr gewundert, Herr ( 
Provence, wenn Sie den Proceß gegen die 


103 
einen Menſchen gewinnen ließen, der fie zu entchren 
ſucht. Ich bin fo eben bei der Königin gewefen, mein 
Bruder, ein Wort von ihr hat genügt...“ 

„Dh! Site, Gott foll mich behüten, daß ich bie 

Königin anfiage, das wiſſen Sie wohl. Ihre Majeftät 
... meine Schwägerin bat feinen ergebeneren Freund, 
als mich. Wie oft ift es mir im Begentheil gefchehen, 
daß ich fie vertheidigt habe, und zwar, es fei Dies ohne 
Borwurf gefagt, fogar gegen Sie.” 
„Wahrhaftig, mein Bruder, Flagt man fle denn 
fo oft an?“ | 
„Ich Habe Unglück, Site, Sie paden mid bei 
jedem von meinen Worten... . Ich wollte nur fagen, 
die Königin felbf würde mir nicht glauben, wenn ich 
am ihrer Unſchuld au zweifeln fchiene.“ 

So fpenden Sie fid, mit mir Beifall zu der Des 
müthigung, bie ich ven Cardinal erbulden Tafle, zu dem 
Wrocch, ber daraus hervorgehen muß, zu dem Nergerniß, 
das. allen den Berleumdungen ein Ziel ftedlen foll, die 
mau fich gegen eine einfache rau von Hofe nicht 
erlauben wärbe, während Seder fih zum Echo derſelben 
in machen wagt, weil die Königin, wie fie fagen, 

ber allen biefen Erbärmlichkeiten ſtehe.“ - 

„Sa, Sire, ich billige ganz und gar das Benehmen 
Eurer Majeſtaͤt, und id) —* in Betreff des Halsbandes 
gehe Alles auf's Beſte.“ | 

„Bei Bott! mein Bruder, nichts Tann klarer fein. 
Gicht man nicht von hier Herrn von Rohan jich der 
vertrauten Freunbfchaft der Königin rühmen, in ihrem 
Namen einen Handel für Diamanten abfchließen, bie 
fie ausgeſchlagen, und fagen laflen, diefe Diamanten 
feien von der Königin oder bei der Königin genommen 
worden... das iſt ungehenerlich und, wie fie bemerfte: 
was würde man fagen, wenn ich Herrn von Rohan 
jum Zeilnehmer bei dieſem geheimnißvollen Handel 


e 
„Sire!“ 


104 


„Und dann wiſſen Sie nit, mein Bruder, baß 
nie eine Berleumdung auf halbem Wege ftehen geblieben 
ift, daß die Leichtfertigfeit von Herrn von Rohan 
die Königin compromittirt, daß die Erzählung vieler 
Keichtfertigkeiten fie entehrt?“ 

„Dh! ja, mein Bruder, ja, Sie haben fehr Net 
— was die Angelegenheit mit dem Halsbande 

etrifft.“ 

„Nun!“ fragte der König erſtaunt, „gibt es noch 
eine andere Angelegenheit?“ 

„Site . . . die Königin mußte Ihnen fagen ...“ 

„Mir fanen . . . was denn?” 

„Sire, Sie wollen midy in Berlegenheit bringen, 
die Königin muß Ihnen nothwendig gejagt haben...” 

„Was denn, mein Herr? was benn ?“ 


„AH! die Brahlereien von Herrn von Roban? fein 
abfichtlihes Schweigen, der vorgebliche Briefwechfel ?“ 

„Rein, Site, nein.” 

„Was alfo? die Unterredungen, welche die Königin 
Herrn von Rohan in der fraglihen Halsbandſache bes 
willigt haben ſoll ?“ 

„Nein Site, das iſt es nicht.“ 

„Sch weiß nur fo viel,“ fprad der König, „baß 
ih zu der Königin ein unbegrenztes Bertrauen habe, 
welches fie durch den Adel ihres Charafters verdient. 
Es war Ihrer Majeftät leicht, nichts von dem, was 
vorgeht, zu fagen. Es war ihr leicht, zu bezahlen 
oder Andere bezahlen zu laffen, zu bezahlen oder fagen 
zu laſſen; die Königin, die diefe Geheimniſſe, —** 
u Aergerniſſen wurden, ploͤtzlich im Laufe aufhielt, 
bat mir bewiefen, daß fie an mich appellire, ehe fle 
an das ganze Publikum appellicen würde. Mich hat 
die Königin rufen laflen, mir wollte fie die Gorge, 
ihre Ehre zu rächen, anvertrauen. Sie hat mich zum 
Beichtiger, zum Richter genommen, bie Königin Kat 
mir folglich Alles gefagt.“ 


105 


„Run wohl,” erwieberte der Graf von Provence, 
ninder verlegen, als er es hätte fein follen, weil er 
ühlte, daß die Ueberzeugung des Königs weniger feft 
var, als er dies zur Schau ftellen wollte, „Sie machen 
ıbermals meiner Zreundfchaft, meiner Ehrfurcht für 
ie Königin, meine Schwägerin, den Proceß; wenn 
Sie gegen mich mit diefer Empfindlichfeit verfahren, 
o werde ich Ihnen nichts mehr jagen, denn ich, der 
ch vertheidige, muß befürchten, für einen Zeind oder 
'inen Anfläger gehalten zu werden. Und dennoch fehen 
Sie, wie ſehr Sie fi in diefer Hinfiht gegen die 
dogik verfehlen. Die Bekenntniſſe der Königin haben 
Sie fon dahin geführt, daß Sie eine Wahrheit finden, 
ie meine Schwägerin vertheidigt. Warum wollten 
Sie nicht, daß man in Ihren Augen andere Klarheiten 
jlänzen ließe, bie noch viel mehr geeignet wären, bie 
janze Unschuld unferer Königin zu offenbaren $” 

„Mein Bruder,” erwiederte ber König verlegen, 
‚Sie beginnen immer mit Imichweifen und Krümmuns 
jen, in denen ich mich verliere.” 

„Dratorifhe Borfichtsmaßregeln, mein Bruder, in 
Ermangelung von Wärme. Ad! ich bitte Eure Ma: 
ieRät um Berzeihung, es ift das ein Erziehungsfehler 
vei mir. Gicero bat mich verdorben.“ 

Mein Bruder, Cicero ift immer nur tdrübe, 
venn er eine ſchlimme Sache vertheidigt; Sie haben 
‚ne „gute, feien Sie um ber Liebe Gottes willen 
Har. 

„Mich in meiner Sprechmeife fritifiren Heißt mich 
mw Stillfchweigen verurtheilen.“ 

„Ah! ja, irritabile genus rhetorum , das fogleidy 
mn Hitze geräth,“ rief der König, beihört durch diefes 
yerfchmiste Weſen des Grafen von Brovence, „zur 
Eache, Advocat, zur Sache! was wiflen Sie mehr, 
ıle mit die Königin gefagt hat?” 

„Mein Bott! Site, Nichts und Alles. Grörtern 
vir zuerſt das, was bie Königin gefagt hat.“ 


106 


„Die Königin hat mir gefagt, fie befiße das Hals: 
band nidyt.“ 

„But.“ 

„Sie hat mir gefagt, fie habe den Schein ber 
Juweliere nicht unterzeichnet.“ 


„But. 

„Sie hat mir gefagt, Alles, was fih auf eine 
Anordnung mit Herrn von Rohan beziehe, fei eine von 
ihren Feinden erfundene Unwahrheit.“ 

„Sehr gut, Sire.” 

„Sie behauptet endlich, nie habe fie Herrn von 
Rohan das Recht gegeben, zu glauben, er fei mehr, 
als einer ihrer Untertbanen, mehr, als ein Bleichgül- 
tiger, mehr, als ein Unbekannter.“ 

„Ah! ... fie hat das gefagt?* 

„Und zwar mit einem Tone, ber feine Erwieberung 
zuließ, denn der Cardinal hat nichts erwiedert.“ 

„Somit, Sire, ba der Bardinal nichts erwiederte, 
befennt er fih als Lügner, und durch diefen Widerruf 
gibt er anderen Gerüchten Recht, welche über gewifle 
von der Königin gewiffen Perfonen zugeftandene Bes 
vorzugungen im Umlauf find.“ 

„Si, mein Butt! was denn noch?“ rief der König 
entmutbigt. 

„Etwas ganz Albernes, wie Sie fehen werben. 
Sobald erwielen ift, daß Herr von Rohan nicht mit 
der Königin fpazieren gegangen . . .* 

„Wie!“ ſprach der König, „man fagt, Herr von 
Rohan fei mit der Königin fpayieren gegangen?“ 

„Was durch die Königin ſelbſt, Sire, und durch 
die Widerrufung von Herrn vun Rohan völlig Lügen 
geftraft worden if; doch fobald fich dies erwielen bat, 
mußte man, wie Sie wohl begreifen, ſuchen — bie 
Bosheit hat ch deſſen auch nicht enthalten — wie es 
fomme, daß die Königin bei Nacht im Parke von Ders 
failles frazieren gegangen.” 


107 


„Bei Nacht! im Barfe von Berfailles! ... die 
Königin?. ..“ 

„Und mit wem fie ſpazieren gegangen,” fuhr kalt 
ver Graf von yrovenc! fort. 

„Mit wen? ...“ murmelte der König. 

„ewig... And nicht Aller Augen auf das ges 
richtet, was eine Königin thut? find diefe Augen, die 
der Glanz des Tages oder der Blanz der Majellät nie 
blendet, nicht noch viel fcharffichtiger, wenn es fich 
darum bandeit, in der Nacht zu ſehen?“ 

Aber, mein Bruder, nehmen Sie ſich in Acht. 

Sie fagen da ſchändliche Dinge.“ 

„Site, ich wiederhole, And ich wieberhufe mit 
einer ſolchen Enträßung, daß ich, defien bin ich ficdher, 
— Majeftät zur Entdeckung der Wahrheit antreiben 


„Wie, mein Herr! man ſagt, die Königin fei bei 
Nacıt, in Geſellſchaft . . im Parfe von Berfailles 
Ipagieren ge gana gen!“ 

Richt in Geſellſchaft, Sire, mit einer Perſon 
allein... Oh! wenn man fagte, in Geſellſchaft, 
danz wäre e6 nicht der Mühe werth, daß wir daranf 
achteten.“ 

Der König brach ploͤtzlich los: 

„Sie werden mir beweiſen, was Sie wiederholen, 
und zu dieſem Ende beweiſen Sie, was man geſagt bat.“ 

„Dh: das iſt zu leicht,” erwiederte Herr von Pro⸗ 
vence. „Es find vier Zeuaniffe da: das erfte ift das 
meines Fagdfapitäng, der die Königin zwei Tage, oder 
vielmehr zwei NRüchte hintereinander aus dem Parke 
von Berfailles durch die Thüre der Jägermeifterei hat 
herausgeben jehen; hier ift der Titel, er iſt mit feiner 
Unterſchrift verfehen, lefen Sie.“ 

Der König nahm zitternd das Papier, las es und 
gab es dann feinem Bruder zurüd. 

„Sie werden ein intereffanteres fehen, Sire: 


Ä iR von bem Nachwaͤchter, der in Trianon aufgeftellt if 


108 


: erflärt, die Nacht fei gut geweien, ein Schuß fei 
fallen, ohne Zweifel von Wildfhügen im Walde von 

ıtory; in den Parfen fei es ruhig geblieben, aus- 
jenommen an dem Tag, an welchem die Königin 
mit einem Gavalier, dem fie den Arm gegeben, ſpa⸗ 
Ko gegangen. Sehen Sie, das Protocol iſt aus⸗ 
ührlich.“ 

Der König las abermals, ſchauerte und ließ feine 
Arme an feinem Leib berabfallen. 

„Der dritte Zeuge,“ fuhr unſtörbar der Herr Graf 
von Provence fort, „ir ein Bortier vom Oſtthor. 
Diefer Mann bat die Königin gefehen und erfannt, in 
dem Augenblick, wo fie durch die Thüre der Jägermeis 
fterei herausfam. Er fagt, wie die Königin gefleidet 
geweien, fehen Sie, Sire; er fagt aud, von fern habe 
er den Cavalier, der Ihre Majeftüt gerade verlaffen, 
nicht zu erfennen vermocht, doch feiner Haltung nad 
babe es ihm gefchienen, es fei ein Officier gewefen. 
Diefes Protocoll iſt unterzeichnet. Er fügt etwas 
Sintereffantes bei, nämlich, die Anwefenheit der Königin 
fünne nicht in Zweifel gezogen werden, weil Ihre 
Majeftät von Frau von La Motbe, einer Freundin ber 
Königin, begleitet gewefen fei.“ 

„Einer Freundin der Königin!“ rief wüthend de 
König. „Ja, es fteht hier fo, Freundin der Königin ' 

„Seien Sie deshalb einem ehrlichen Diener niı 
böfe, Sire, er fann nur eines Uebermaßes von Ei 
befchuldigt werden, er if beauftragt, zu hüten, ı 
hütet, zu wachen, und wacht. 

„Der legte,“ fuhr der Braf von Provence f 
„ſcheint mir der flarfle von allen. Er ift vom Schlo 
meifter beauftragt, nachzuſehen, ob alle Thüren 
Thore, nachdem man Retraite gefchlagen, gut gefch! 
feien. Diefer Mann, Enre Majeflät fennt ibn, be: 
die Königin mit einem Gavalier in die Apollos! 
eintreten gefehen zu haben.“ 

Bleich und feinen Groll erflidend, vi 


109 
a6 Papier aus den Händen bes Srafen und 


evon Brovence fuhr nichtödefloweniger während 
ſens fort: 

iR wahr, Frau von La Mothe war außen, 
anzig Schritte von den Bädern entiernt, und 
gin blieb nur ungefähr «ine halbe Stunde 
aale.” 
er der Name des Cavaliers,“ rief der König. 
re, er it in dem Berichte nicht genannt, und 
ajeſtät muß fi zu diefem Behuie die Mühe 
ein letztes Gertificat, das ich hier habe, zu 
en; es if von einem Korfiwart, der hinter 
amaner bei den Apollo⸗Bädern auf dem Ans 
ir." ' 
ıstirt vom andern Tag.” fagte ver König. 
. Site, und er hat die Königin aus dem Park 
e fleine Thüre hervoıfommen nnd hinansihauen 
e führte ih am Arme von Herrn von Charny.“ 
a Arme von Herrn von Charny,“ rief der König 
bnfinniy vor Zorn und Scham, „gut... . gut. 
Sie hier auf mid, Graf, wir werden endlich 
heit er'abren. 

der König flürzte aus feinem Babinet. 


LXXIX. 
Eine legte Anfchuldigung. 
dem Augenblid, wo der König das Zimmer 
igın verlaffen hatte, lief diefe nad dem Bou⸗ 
, Herr von Eharny Alles zu hören im Stande 


: öffnete die Thüre, Echrte fogleich wieder zurüd 


4 


110 


und ſchloß die ihres Gemachs. Dann fiel fie, ale wäre 
fie zu ſchwach gewefen, ſolchen Stößen zu mwiderflehen, 
in einen Lehnſtuhl und erwartete ſtillſchweigend, was 
Herr von Charny, ihr furchtbarſter Richter, über fie 
beſchließen würde. 

Doch fie wartete nicht Tange, der Graf fam traus 
tiger und bleicher, al& er je gewefen, aus dem Neben⸗ 
zimmer heraus. 

„Nun?“ fagte fle. 

„Madame ,” erwiebderte er, „Sie fehen, daß fi 
Alles dem widerfegt, daß wir Freunde feien. Wenn es 
nicht meine Ueberzeugung iſt, was Sie verlegt, io wird 
e8 fortan das öffentliche Gerücht fein; bei dem Aergerniß, 
das heute geicheben, ift feine Ruhe mehr für midy, fein 
Waffenſtillſtand mehr für Sie. Erbitterter nach diefer 
erftien Wunde, die fie Ihnen beigebracht haben, werden 
die Feinde auf Eie niederflürgen, um Ihr Blut je 
a wie es die Müden anf der verwundeten Bazelle 
thun.” 
„Sie fuchen fehr lange ein natürliches Wort und 
fönnen feines finden,“ jaste Ihmermütbig die Königin. 

„Ich glaubte Burdr Mafeflät nie Änlaß gegeben 
zu baben, einen Verdacht gegen meine Öffenbersigfeit 
zu hegen; ift fie zuweilen loegebrochen, ſo geſchah es 
mit zu viel Härte, und ich bitte darob um Verzeihung.“ 

„Was ich alſo gemacht habe,” verfegte die Konigin 
fehr bewegt, „diefer Lärm, viefer gefährliche Angriff 

egen einen der voruehmiten Herren tes Reiches, meinı 
—66 mit der Kirche erflärt, mein Ruf den Lei 
deufchaften des Barlaments ausgrfegt, dies Alles genüg 
Ahnen nit. Ich ſpreche nicht von dem für imm 
beim König erichütterten Vertrauen, Sie dürfen fi 

nit darum befümmern, nidt wahr? Der Köni 

was if das... ein Gatte!“ 

Und fle lächelte mit einer foldyen Bitterkeit, d 
bie Thränen ihren Augen entflürzten. 

„Oh!“ rief Eharıy, „Sie find die edelfte, 


111 


Re der Frauen. Wenn ih Ihnen nicht auf 
antworte, wie mid mein Herz dazu zwingt, 
der Fall, weil ig mid Allem untergeoidnet 
» ich dieſes erhabene Herz nicht dadurch, daß 
Blag darin verlange, zu entheiligen wage.” 
"von Ebaray, Sie halten mich für ſchuldig?“ 
ame...” 
r von Charny, Sie haben den Worten des 
Glauben geſchenkt ?“ 
ame!“ 
re vom Charuy, ich iordere Sie ani, mir zu 
elchen Ginvind anf Gie bie Haltung von 
ı Roban gemadt hat?” 
muß fagen, Madame, Herr von Roban if 
WBahnfinniger geweien, wie Gie es ihm 
em, noch ein fchwader Menſch, wie man dies 
zunte: er iR ein überzeungter Maunn, er if 
‚ der Sie liebte, der Sie liebt und in biefem 
k das Opfer eines Irrthams iR, der ihn 
‚gang führen wird, and Gie...” 


ju einer unvermeiblidden Schmach.“ 

a Gott! vor mir erhebt fi ein broßendes 
enes verhaßte Weib, Fran von La Mothe, 
dwunden if, als ihre Zeugſchaft uns Alles, 

re, Sicherheit für die Zukunft wiedergeben 


e "ram iR der böfe Genius Ihrer Berfon, 
: Geißel des Königreiches; dieſe Iran, die 
ıger Weiſe zur Theilnahme an Ihren Ges 
and leider vielleigt auch an Ihrer innigen 
heit zugelaflen haben ... .” 

ne Gchrimniffe, meine Bertraulichkeit, ab! 
ip bitte Sie!” riei die Königin. 

ame. ber Gardinal hat klar genug geſagt and 
bewieſen, daß Gie mit ihm Berabredung in Bes 
ıf den Ankauf des Halsbandes geivoffen hatten.“ 


112 


„Ah! ... Ste kommen hierauf zurüd, Herr von 
Eharny,“ fagte die Königin erröthend. 

"Werzeiben Sie, Sie fehen wohl, ih bin ein mins 
ter edles Herz, als Sie, Sie ſehen wohl, id bin 
unwürdig, berufen zu fein, Ihre Gedanken zu kennen. 
Ich ſuche zu mildern, und ich reize auf.“ 

„Hören Sie, mein Herr,“ ſprach die Königin, zu 
einem mit Stolz gemifchten Zorne zurüdfehrend, „was 
der König glaubt, fann alle Welt glauben; ich werde 
nicht leichter für meine Fıeunde als für meinen Gemahl 
"fein. Mir fcheint, es fann ein Mann eine Krau nicht 
gern fehen, wenn er nicht Adytung für dieſe Frau hegt. 
Ich ſpreche nicht in Beziehung auf Sie,“ unterbrach 
fie ſich lebhaft: „id bin Fein Weib, ich bin eine 
Königin, Sie find fein Dann, fondern ein Richter 
für mic.“ 

Charny verbeugte fich fo tief, daß die Königin bie 
Genugthuung und die Demüthigung dieſes getreuen Uns 
terthans hinreichend finden mußte. Plötzlich ſprach fie: 

„Ich hatte Ihnen gerathen, auf Ihren Gütern zu 
bleiben; das war ein weifer Blan. Bern vom Hofe, 
dem Ihre Bewohnheiten, Ihre Biederkeit, Ihre Uners 
fahrenheit, erlauben Sie mir, dies zu fagen, widers 
ſprechen, fern vom Hofe hätten Sie die Berfonen, die 
Ihre Rolle auf diefem Theater fpielen, beffer gewürdigt. 
Man muß die optiihe Täuihung wahren, Herr von 
Charny, man muß feine Schminfe und feine hohen 
Abſätze vor der Menge feitba:ten. Gine zu raſch ıur 
Herablaffung geneigte Königin habe ich es vernadhläfflgt, 
bei denjenigen, welche mich liebten, das blendende Zaus 
berwerf des Königthums zu unterhalien. Ah! Herr 
von Gharny, die @lorie, welche eine Krone um bie 
Stirne der Königinnen zeichnet, überhebt fle der Reufchs 
heit, der Sanftmuth, des Geiſtes und des Herzens 
befonderse. Man ift Königin, mein Herr, man heirſcht, 
wozu dient e6, ſich lieben zu machen?" 

„Sch vermödhte Ihnen nicht zu fagen, Madame, 


113 


h mir die Strenge Eurer Majeftät thut,” erwies 
iharny fehr bewegt. „Ich konnte vergeflen, daß 
eine Königin waren, doch laflen Sie mir bie 
tigfeit widerfahren, daß ich nie vergeflen habe, 
en bie erfte derSrauen, welche würbig meiner 
und meiner...” 

Follenden Sie nit, ich bettle nit. Sa, id 
8 gefagt, eine Abwefenheit ift für Sie noth: 
. Ge fant mir etwas, Ihr Name werde am 
ei dem Allem ausgeſprochen werben.” 

Rabame, unmöglich I“ 

5ie fagen, unmöglih! Ei! denken Sie doch an 
icht derjenigen, welche feit ſechs Monaten mit 
Nube, meinem Leben fpielten. Sagten Gie 
ber Herr Barbinal fei überzeugt, er handle 
e eines Irrthums, in den man ihn verfenft? 
igen, welche ſolche Ueberzeugungen bewerfftelligen, 
jen, welche ſolche Iyrthümer veranlaffen, find 
mug, Ihnen zu beweilen, Sie feien ein unrebs 
Unterthan für den König und für mid ein 
licher Freund. Diejenigen, welche fo glücklich 
lſche erfinnen, entdeden ſehr leicht die Wahrheit! 
en Sie keine Zeit, die Gefahr iſt ernſt; ziehen Sie 
F Ihre Güter zurüd, fliehen Gie das Aergerniß, 
6 dem Ranpke entfpringen muß, den man mir 
wird; mein Geſchick foll Sie nicht fortreißen, 
mfbahn ſoll ſich nicht verloren gehen. Sch, die 
itt fei Dan, die Unfchuld und die Stärke habe; 
e ich feine Flecken an meinem Leben habe; id, 
entichloffen bin, wenn es fein muß, meine Bruſt 
en, um meinen Feinden die Reinheit meines 
3 zu zeigen; ich werde wiberfiehen. Für Gie 
vier ber Ruin, die DBerleumbung, ber Kerker 
tt. Tragen Sie diefes fo hochherzig gebotene 
nieder fort; nehmen Sie die Berficherung mit 
ı8 nicht eine von den edelmüthigen Bewegungen 
Satöband der Koͤnigin. IV. 8 


114 


Ihrer Seele mir entgangen ift; daß nicht einer Ihr 
Zweifel mich verlegt, daß nicht eines Ihrer Leiden miı 
alt gelaffen hat; reifen Sie und ſuchen Sie anderem: 
was Shnen die Königin von Franfreich nicht mel 
geben fann: den Glauben, die Hoffnung, das Glüc 
Bon jetzt an, bis Paris die Verhaftung des Cardinal 
weiß, bis das Parlament zufammenberufen ift, bie di 
Zeugfchaften beigebracht find, rechne ich ungefähr vie 
zehn Tage. Reifen Sie! Ihr Oheim hat zwei Schif 
in Cherbourg und in Nantes bereit liegen; wählen Gi: 
aber entfernen Sie fi) von mir. Ich bringe Unglüd 
entfernen Sie fih von mir. Ich Bing nur an Einen 
in diefer Welt, und da es mir entgeht, fo fühle ti 
mich verloren.” 

Nach diefen Worten fland bie Königin auf ur 
ihien Charny die Entlaffung zu geben, welde b 
Audienzen endigt. 

Er näherte fi ihr eben fo ehrfurchtsvoll, ab: 
rafcher, und ſprach mit bebender Stimme: 

„Eure Majeftät hat mir fo eben meine Pflid 
vorgefchrieben. Nicht auf meinen Gütern, nicht auße: 
bald Frankreich ift die Gefahr, in Berfailles IR e 
wo man Sie beargwohnt, in Paris, wo man S 
richtet. Es ift von Gewicht, Madame, daß jeder Bei 
dacht verſchwinde, daß jeder Spruch eine Reditfertigun 
fei, und da Sie feinen reblicheren Zeugen, keine en 
fhloffenere Stüße zu haben vermödhten, fo bleibe id 
Diejenigen, welche fo viele Dinge wiflen, Madam 
werden fie fagen. Aber wir werben wenigflens b« 
für Leute von Herz unſchätzbare Glück haben, unfe: 
Feinde von Angeficht zu Angeficht zu fehen. Sie mög 
zittern vor ber Majefät einer unfchuldigen König: 
und vor dem Muthe eines Mannes, der befier iſt, ai 
fie. Sa, ich bleibe, Mabame, und glauben Sie, Eu: 
Majeſtät Hat nicht nöthig, mir länger ihre Gedanke 
zu verbergen; fie weiß wohl, daß ich nicht fliche; f 
weiß wohl, daß ich nichts fürchte; fie weiß auch woh 


115 


fe, um mich nicht mehr zu chen, nicht nöthig Hat, 
, in die Berbannung zu fhiden. Oh! Madame, 
fern verftehen ſich die Herzen, von fern find die 
alhmnungen gluhen als von der Nähe. Sie wollen, 
ih reife, um Ihretwillen, nicht meinetwegen; 
n Sie unbelorgt; nahe genug, um Ihnen beizuftehen, 
Sie zu vertheidigen, werde ich doch nicht im Stande 
„Sie zu beleidigen oder Ihnen zu ſchaden. Nicht 
r, Sie haben mid nicht gefehen, als ich acht Tage 
ı Hundert Klafter von Ihnen entiernt wohnte, jeden 
er Schritte bewahrte und in Ihrem Leben lebte? 
ı wohl! es wird diesmal ebenfo fein, denn ich kann 
en Willen nicht vollziehen, ich fann nicht reifen! 
erdieß ... . was ift Ihnen daran gelegen? Werden 
an mich denken?“ 
Sie machte eine Bewegung, welche fie von bem 
jen Manne entfernte, und erwiederte: 
„Wie es Ihnen beliebt ... Doch Sie haben mid 
iffen, Sie follen fidy nie in meinem Worte täufchen, 
bin keine Coquette, Herr von Charny; fagen, was 
venkt, denken, was fie fagt, das ift das Privilegium 
r wahren Königin! ich bin fo. Eines Tags, mein 
e, Habe ih Sie unter Allen auserwählt. Irgend 
as zog mein Herz zu Ihnen hin. Es dürſtete mich 
einer flarfen und reinen Zreundfchaft, ich Habe 
dies wohl fehen laffen, nicht wahr? Heute iſt es 
E mehr ebenfo, ich denke nicht mehr, was ich dachte. 
» Geele ift feine Schwefter der meinigen mehr. Ich 
Ihnen ebenfo offenherzig: ſchonen wir einander.“ 
„Se ift aut, Madame,“ ſprach Charny, „nie glaubte 
Sie haben mid erwählt, nie glaubte ih... Ah! 
ame, ich widerſtehe tem Gedanken nit, Sie zu 
ieren. Madame, ich bin trunfen vor Eiferfucht und 
kl. Madame, ich werde es nicht ertragen, daß Sie 
Ihr Herz entziehen, es gehört mir, Sie haben 
nir geſchenkt, nur mit meinem Leben wird man 
nie nehmen. Seien Sie Weib, jeien Sie gut, 


116 


mißbraudhen Sie nicht meine Schwäche, denn € 
haben mir fo eben meine Zweiiel vorgeworien ı 
fömeitern mich in dieſem Augenblid® mit den Ihriy 
nieder.” N 

„Kinderherz, Weiberherz ... ih foll auf € 
zählen! ... Was für fchöne Bertheidiger find wir 
einander! Schwader! oh! ja, Sie find es; und i 
ah! ich bin nicht flärker, ale Sie.“ 

„Ih würde Sie nidht lieben, wären Sie ande 
als Sie find.“ 

„Wie!“ rief fie mit einem lebhaften, Teidenfch« 
lihen Ausdruck, „diefe verfludte Köntyin, diefe ver 
rene Königin, diefe Frau, weldye ein Parlament rich 
wird , welche die öffentlihe Meinung verurtheilen ı 
ein König, ihr Gatte vielleicht, fortjagen wird, bi 
rau findet ein Herz, das fie liebt!“ 

„Einen Diener, der fie verehrt und ihr alles B 
feines Herzens im Austaufch einer Thräne bietet, 
fie fo eben vergoß.” 

„Diefe Frau,“ rief die Königin, „ift gefegnet, 
iR Rolz, fie if die erfle der Frauen, fie ift die glı 
lichte von allen, diefe Frau iſt zu —8 Her ı 
Charny, ich weiß nicht, wie fih diefe Iran befla; 
Eonnte, verzeihen Sie ihr.“ 

Charny fiel zu den Füßen der Königin und Fü 
fie in einem reliaiöfen Liebesentzüden. 

In diefem Augenblid öffnete fih die Thüre 
geheimen Ganges, und der König blieb zitternd ı 
wie vom Blige getroffen auf der Schwelle fichen. 

Er hatte den Mann, den Herr von Provence 
fyuldigte, zu den Füßen ber Königin überraſcht. 


117 
LXXX. 
Die Heirathsbitte, 

Die Königin und Charny wechielten einen Blid 
fo voll Angft und Schreden, daß ihr graufamfter Feind 
in dieſem Augenblid Mitleid mit ihnen gehabt hätte. 

Eharny erhob fi langſam und verbeugte ſich vor 
km König mit einer tiefen Ehrfurcht. 

an 1a) das Herz von Ludwig XVI. heftig unter 
ven Spitzen ſeines Jabot fchlagen. 

h!“ ſagte er mit dumpfer Stimme, ... „Hert 
von Charny!“ 

Der Grafantwortete nur durch eine neue Verbeugung. 

Die Königin fühlte, daß fie nicht ſprechen Eonnte, 
uud taß fie verloren war. 

Der König fuhr mit einer unglaublichen Maß- 
haltung fort: 

„Herr von Charny, es iſt nichts Weniger als 
egrenvoll für einen Edelmann, auf dem Berbreden des 
Hiebſtahls ertappt zu werden.“ 

„Diebftabl!" murmelte Charny. 

„Diebſtahl!“ wiederholte die Königin, weldye noch 
au ihren Obren die furdytbaren Anjchuldigungen in 
Betreff des Halsbands zifchen zu hören glaubte und 
vermuthete, der Braf follte befledt werben, wie fie. 

„3a,“ fprach der König, „vor der rau eines 
Andern niederfnieen, ift ein Diebſtahl; und wenn diefe 
Frau eine Königin ift, mein Herr, fo nennt man dies 
a6 Verbrechen der Majeltätsbeleidigung; ich werde 
Ihnen das durch meinen Siegelbewahrer fagen laflen.“ 

Der Graf wollte ſprechen, er wollte feine Unfchuld 
keiheuern, doch, ungeduldig in ihrer Großmurh, wollte 
6 die Königin nicht dulden, daB man einer Unwürdig⸗ 
fit ven Mann befchuldigte, den fie lichte; fie kam ihm 
in Hülfe und fagte raſch: 


118 


„Site, Sie find, wie mir fcheint, auf einem Wege 
ihlimmer Berdachte und ungünftiger Muthmaßungen; 
diefe Verdachte, diefe vorgefaßten Meinungen treffen 
falſch, das muß ich Ihnen bemerfen. Ich febe, daß die 
Ehrfurcht die Zunge des Grafen fefjelt; doch ich, die 
ich fein Herz aus dem Grunde fenne, werde ihn nicht 
anflagen laffen, ohne ihn zu vertheidigen.“ 

Hier hielt fie inne, erfchöpft durch ihre Aufregung, 
erichroden über die Lüge, die fie zu finden genüıhigt 
fein ſollte, verwirrt endlich, weil fle Diefelbe nicht fand. 

Doc diefes Zögern, das ihr, dem folgen Geile 
der Königin, felbit verhaßt vorfam, war ganz einfach 
die Rettung der Frau. In dieſen gräßlichen Treffen, 
wo häufig um die Ehre und das Leben derjenigen, 
welche man ertappt Hat, gefpielt wird, genügt eine 
gewonnene Minute, um zu retten, wie eine verlorene 
Secunde genügt hatte, um in’6 Verderben zu ſtürzen. 

Einzig und allein durch den Inſtinkt hatte bie 
Königin die Gelegenheit des Aufſchubs ergriffen; fle 
hatte den Verdacht des Königs plöglich im Laufe auf: 
gehalten; fie hatte feinen Geiſt irre geleitet und ben 
des Grafen befeftigt. Diefe entfcheidenden Minuten 
haben rafche Flügel, auf denen die Ueberzeugung eines 
Eiferfüchtigen fo fern weggetragen wird, daß Ye fid 
beinahe nie wieder einfindet, wenn fle nicht der Schuß 
dämon der Liebesneidifchen auf den feinigen zurüdträgt. 

„Werden Sie mir zufällig fagen, * erwieberte 
Ludwig XVI., der von der Rolle des Könige in die 
Rolle des beängftigten Gatten fiel, „werden Sie mit 
fagen, ich babe Herrn von Charny niht vor Ihnen 
fnieen fehen, Madame? Um aber nieverzufnieen, ohne 
aufgehoben zu werden, muß ...“ 

„Muß, mein Herr!” fprady die Königin mit firengem 
Tone, „muß ein Unterthan der Königin von Sranfreid 
eine Gnade von diefer zu erbitten haben ... Das if, 
glaube ih, ein Ball, der ziemlich Häufig bei Hofe 
vorfommt.” 


119 


6; „Eine Gnade von Ihnen erbitten!“ rief ber 
önig. 

„Und zwar eine Gnade, die ich nicht bewilligen 
fonunte,“ fuhr die Königin fort, „font wäre Herr von 
: Gharny nicht fo dringlich geweien, das fchwöre ich 

Ionen, und ich hätte ihn fehr rafch mit ber Freude 
aufgehoben, nach feinen Wünfchen einem Edelmann zu 
willfaßren, den ich ganz befonders Hoch ſchätze.“ 

Gharny athmete.. Das Auge des Königs war 
unentfchieden geworden; feine Stirne entwaffnete fi 
ellmälig von ber ungewöhnlichen Drohung, welche dieſe 
Ueberraſchung zu ihr auffteigen gemacht hatte. 

Mittlerweile fuhte Marie Antoinette, fuchte fie 
mit ver Wuth, zu einer Lüge genöthigt zu fein, mit 
dem Schmerz, nichts Wahrfcheinliches zu finden. 

Indem fie fih unfähig befannt, dem Grafen bie 
Gnade zu bewilligen, um die er nachſuchte, hatte fie 
bie Reugierbe des Königs in Feſſeln zu fhlagen geglaubt, 
fe Hatte geglaubt, das Berhör würde hiebei flehen 
bleiben. Sie tüufchte ſich: jede andere Frau märe, 
weniger Starrheit an den Tag legend, geſchickter geweien, 
aber für fie war es eine gräßliche Marter, vor dem 
Mann, den flelichte, zu lügen. Sich unter dem elenden 
amd falfchen Lichte des Komödienbetrugs zeigen hieß 
alle dieſe Falſchheiten, alle diefe Ränke, alle diefe 
Mansenvres der Intrigue des Parks durch eine ihrer 
Schaͤndlichkeit entfprechende Entwidelung fchließen; es 
hieß beinahe ſich firafbar zeigen; es war fchlimmer, 
als der Tod. 

Gie zögerte noch; fie würde ihr Leben gegeben 
haben, hätte Charny die Liige gefunden; doch er, ber 
tedliche Edelmann, konnte es nicht, er dachte nicht 
einmal daran. Er befürchtete in feinem SZartgefühle 
zu 8 nur zur Vertheidigung der Königin geneigt zu 

nen. 

Bas wir hier in vielen Zeilen, in zu vielen Zeilen 
- vielleicht, obgleich die Lage furchtbar ift, ſchreiben, eine 


120 


halbe Minute genügte für die brei Perſonen dieſer 
Scene, um es zu fühlen und auszubrüden. 

Marie Antoinette wartete, au den Lippen bes 
Königs hängend, auf die Frage, welche endlich vortrat. 

„Spredyen Sie, Madame, fagen Sie, welche Bnabe 
es ift, die, von Herrn von Charny vergebens nachgefucht, 
dieſen dazu gebracht hat, daß er vor Ihnen niederkniete.“ 

Und ale wollte er die Härte biefer argwöhnifchen 
Frage mildern, fügte der König bei: 

„Sch bin vielleicht glüdlicher, ale Sie, Mabame, 
und Herr von Eharny wird nicht nöthig Haben, vor 
mir niederzufnieen.” 

„Site, ih habe Ihnen ſchon gelagt,‘ Herr von 
Eharny verlange eine unmöglidhe Sache.“ 

„Nennen Sie mir diefelbe wenigkens.“ 

„Was kann man auf den Knieen erbitten?“ fagte 
die Königin zu fi felbf, ..... „was kann man von 
mir erflehen, was zu bewilligen unmöglih if}... 
oh! mein Butt!“ 

„Ih warte,“ fprad der König. 

„Site, die Bitte von Herrn von Charny if ein 
Bamiliengeheimmniß.” 

„Es gibt Feine Geheimniſſe für mich, für dem 
König, für ihn, der Herr feines Reiches, der Yamiliens 
vater und intereffirt ift bei der Ehre, bei der Sicherheit 
aller feiner Unterthanen, die feine Kinder find, felbR,“ 
fügte Ludwig mit einer furdhtbaren Würde bei, „ſelbſt 
wenn diefe entarteten Kinder die Ehre und die Sicher⸗ 
beit ihres Baters antaften.” 

- . Die Königin fprang unter diefer bräuenden Bes 
fahr auf. 

„Herr von Eharny',” rief fie, den Geiſt verſtoͤrt, 
die Hand zitternd,, „Herr von Charny wollte von mir 
verlangen . . .“ 

„Was denn, Madame?“ 

„Bine Erlaubniß, um zu beirathen.” 

„Wahrhaftig!“ rief der König, zuerſt bermbigt; 


121 


ber fogleich wieder in feine eiferfüchtige Bangig- 
rüdfinfend, fagte er, ohne zu bemerken, wie 
e arme dran litt, daß fie dieſe Worte gefpruchen, 
eich Charny durch das Leiden der Königin war: 
tun! in wiefern ift es denn unmöglich, daß Herr 
yarny heirathet? Iſt er nicht von gutem Adel? 
e nicht ein ſchönes Bermögen? IR er nit 
und fhön? Wahrhaitig, um ihm nicht Zutritt 
er Bamilie zu geben, um ihn auszufchlagen, 
nan rau ift, muß man Prinzeffin von Geblüt 
erheirathet fein; ich fehe nur dieſe zwei Gründe, 
eine Unmöglichkeit denkbar machen. Sagen Sie 
fo den Namen der Frau, Madame, welde Herr 
jJarny gern heirathen möchte, und ift fie weder 
. einen, noch in dem andern Fall, fo flehe ih 
baß ih die Schwierigkeit Heben werde... . um 
zu gefallen.” 

Ingezogen durch die immer mehr wachſende Ges 
fortgerifien durch die Folge ihrer erflen Lüge, 
die Königin mit Kraft: 

Rein, mein Herr, nein, e8 gibt Schwierigfeiten, 
ie nicht befiegen fönnen. Die, welche uns in 
ıch nimmt, iſt von dieſer Art... * 

Bin Grund mehr, daß ich erfahre, was dem König 
lich iſt,“ unterbrach fie Ludwig XVI. mit dumpfem 


barny fchaute die Rönigin an; fie fehien dem 
n nahe. Er Hätte einen Schritt gegen fie ges 
der König hielt ihn durch feine Unbeweglichkeit 
... Mit welddem Rechte Hätte er, der nichts 
efe Frau war, feine Hand und feinen Beiſtand 
gen angeboten, bie ihr König und ihr Gatte 


Welches ift die Macht, gegen bie der König Feine 
imkeit hat?“ fragte fie fih. „Mein Bott! noch 
jvee, dieſe Hülfel” 

löglich durchzuckte ein Schimmer ihren Geil. 


122 


„Ab! Bott felbft ſchickt mir diefe Hülfe,“ murmelte 
ſie. „Diejenigen, welche Gott gehören, fünnen ihm 
nicht genommen werben, nicht einmal durch den König.“ 

yann erhob fie das Haupt und ſprach zu Lud⸗ 
„Site, diejenige, welche Herr von Gharny gern 
heirathen möchte, ift in einem Kloſter.“ 

„ah!“ vief der König, „das iſt ein Grund; es ift 
in der That fchwierig, Gott fein But zu nehmen, um 
es den Menſchen zu geben. Aber es ift feltfam, daß 
Herr von Eharny fo jchnell diefe Liebe gefaßt Hat: nie 
bat Jemand mit mir davon geſpröchen, nicht einmal 
fein Oheim, der Alles von mir erlangen faun. Wer 
if die Frau, die Sie lieben, Herr von Charny, fagen 
Sie es mir, idy bitte Sie.“ 

Die Königin fühlte einen flehenden Schmerz. 
Sie follte einen Namen aus dem Munde von Olivier 
fommen bören, fie follte die Dual diefer Liebe erdulden, 
und wer weiß, ob nicht Charny einen einft geliebten 
Namen, eine noch blutende Erinnerung an die Wer: 
nangenheit, oder einen Namen, der der Keim einer 
Liebe, eine unbeſtimmte Hoffnung auf die Zukunft, zu 
nennen im Begriff war. Um bien furchtbaren Schlag 
nicht zu empfangen, fam Marie Antoinette zuvor nnd 
tief plöglich: 

„Sire, Sie fennen diejenige, weldye Herr von 
Charny zu heirathen verlangt, es iſt . . . es iſt Fräus 
lein Andree von Taverney.“ 

Charny gab einen Schrei von fi und verbarg 
fein Geſicht in feinen beiden Händen. 

Die Königin drüdte ihre Hand an ihr Herz und 
wäre beinahe ohnmächtig in ihren Lehnftuhl gefallen. 

„Fräulein von Taverney,“ wiederholte der König, 
„Bräulein von Taverney, die fih nah Saints Denis 
zurüdgezogen bat?“ 

Kon’ a, Sire,“ antwortete die Königin mit ſchwachem 
one. 


wig 


123 


„Sie Hat aber noch nicht das Gelübde abgelegt, 
fo viel ich weiß?” abeeles 

„Doch fie muß es thun.“ 

„Wir werden babei eine Bedingung ftellen,” fagte 
der König. „Warum follte fie übrigens das Gelübde 
ablegen 7 fügte er mit einem legten Sauerleig von 
Mißtrauen bei. 

„Ste if arm... Sie haben nur ihren Bater 
bereichert,” ſprach Marie Antoinette mit hartem Zone. 

„Das if ein Unrecht, das ich wieder gut machen 
werde. Herr von Charny liebt fie...” 

Die Königin bebte und warf Charny einen gierigen 
Blick zu, als wollte fie ihn anflehen, daß er leugne. 

Charny fchaute Marie Antoinette flarr an und 
antwortete nicht. 

„Wohl!“ ſagte der König, der dieſes Stillſchweigen 
für eine ebrfurchtsvolle Beiſtimmung nahm, „und ohne 
Zweifel Itebt Sräulein von Taverney Herrn von Eharny? 
Ich werde Fräulein von Taverney ausfleuern; ich gebe 
ihr die fünfmal hundert taufend Livres, die ich eines 
Tags, für Sie, Herrn von Ealonne abfchlagen mußte. 
Danfen Gie der Rönigin, Herr von Charny, daß fie 
bie Güte gehabt hat, mir diefe Sache zu erzählen und 
fo das Slüd Ihres Lebens zu fichern.“ 

Charny machte einen Schritt vorwärts und vers 
bengte ſich wie eine bleiche Bilpfäule, der Gott durch 
ein Wunder einen Augenblid das Leben gegeben hätte, 

„DH! das ift wohl der Mühe werth, daß Sie nody 
einmal nieberfnieen,” fagte der König mit jener leichten 
Nuance von platten Spott, der zu ofl bei ihm den 
traditionellen Adel feiner Ahnen verminderte. 

Die Königin bebte und reichte mit einer freiwillis 

en Bewegung dem jungen Mann ihre beiden Hände. 

& fniete vor ihr nieder und drüdte auf dieſe ſchönen 
eisfalten Hände einen Kuß, in dem er feine Seele 
aushauchen zu bärfen Bott anflehte. 

„Auf!“ ſprach der König, „überlafien wir num der 


124 


Königin die Sorge für Ihre Angelegenheiten, Eommen 
Sie, mein Herr, fommen Sie.” 

Und er ging fehr rafch voran, fo daß ſich Charny 
auf der Schwelle umdrehen und den unansfprechlichen 
Schmerz diejes ewigen Abſchieds fehen Fonnte, den ihm 
die Augen der Königin zufandten. 

Die Thüre fchloß ſich wieder zwifchen ihnen, eine 
fortan unüberfteiglidde Schranfe für unſchuldige Liebe. 


—. ——. -. 


LXXXI. 
Saint s Denis, 


Die Königin war Allein und in Verzweiflung. 
So viele Schläge trafen fie zugleich, daß fle nicht mehr 
wußte, von weldyer Seite der heftigſte Schmerz kam. 

Nachdem fle eine Stunde in diefem Zufland des 
Zweifel und der Niebergefchlagenheit geblieben war, 
Togte fie fih, es fei Zeit, einen Ausgang zu fuchen. 
Die Gefahr wuchs. Stolz auf einen über den Anfchein 
davon getragenen Sieg, würde ſich der König beeilen, 
das Gerücht zu verbreiten. 8 fünnte geſchehen, daß 
bieies Gerücht auswärts fo aufgenommen würde, daß 
der ganze Bortheil des begangenen Betrugs verloren 
wäre. 

Diefer Betrug, ach! wie ſehr machte ſich ihn bie 
Königin zum Vorwurf; wie gern hätte fie das eniflos 

ene Wort wieder zurüdgenommen, wie gern hätte fe, 
Kb Andree, das chimärifche Glück entzogen, das biefe 
vielleicht ausfchlagen würde. 

Hier erhob da in der That eine andere Schwies 
rigfeit. Der Name Andree hatte Alles vor dem König 
gerettet. Aber wer Fonnte für diefen launenhaften, 
unabhängigen, eigenwilligen Geiſt fichen, den man 


125 _ 


räulein von Taverney nannte? wer konnte darauf 
äihlen, daß dieſe ftolze Berfon ihre Freiheit, ihre 
zukunft zu Bunften einer Königin entäußern würde, 
ie fie wenige Tage zuvor als Feindin verlaflen hatte? 

Was würde dann geichehen ? weigerte ſich Andree, 
nd dies war wahrfcheinlich, fo flürzte das ganze Lü⸗ 
engerüfte ein. Die Königin würde eine Sntrigantin 
on mittelmäßigem Geifte, Charny ein flacher Ciciobeo, 
ad in eine Anklage verwandelt, nahm die Berleumdung 
ie Berhältniffe eines unzweifelhaften Ehebruchs an. 

Marie Antoinette fühlte, wie ihr Verſtand bei dieſen 
Jetrachtungen fiy verwirrte, fie hätte beinahe ihrer 
Nöglichkeit nachgegeben; fie fenfte ihren brennenden 
topf in ihre Hände und wartete. 

Wem fi) anvertrauen? Wer war denn die Freundin 
er Königin? Frau von Lamballe? Oh! die reine 
ernunit, die Falte, unbeugfane Vernunft! Warum diefe 
ungfräuliche Cinbildungékraft verfuchen, welche über- 
ies die Hofdamen nicht würden verfiehen wollen? knech⸗ 
iſche Schmeichlerinnen der Wohlfahrt, zitternd bei dem 
Jauche der Ungnade, vielleicht geneigt, eine Lection 
hrer Königin zu geben, während fie eines Beiſtands 
edürfen würde. 

Es blieb nur Fräulein von Taverney felbfl. Das 
sar ein Diamantherz, defien Beichlüffe das Glas zers 
hneiden Tonnten, defien unbeflegbare Beftigfeit, deſſen 
iefe Reinheit aber allein mit den großen Schmerzen 
iner- Königin fympathifiren Fonnten. 

Marie Antoinette würde alfo Andrée auffucdhen. 
Sie würde derfelben ihr Unglück auseinanderfegen und 
e anflehen, file möge fi aufopfern. Ohne Zweifel 
yürde ſich Andree weigern, denn fie gehörte nicht zu 
enjenigen, welche ſich Untermürfügteit einflößen laffen; 
oh almälig dur ihre Bitten befänftigt, würde fie 
achgeben. er weiß übrigens, ob man nicht einen 
— bewirken könnte? ob der König nicht, bes 
chwichtigt durch die fcheinbare Einwilligung ber beiden 


126 


Verlobten, am Ende vergäße? Eine Neife würde dann 
Alles in’s Reine bringen. Charny, Andree, indem fie 
fih auf einige Zeit entfernten, bis die Hyder der Vers 
leumdung feinen Hunger mehr hätte, fönnten jagen laffen, 
fie haben fih gütlih ihr Wort zurüdgegeben, und 
Niemand würde errathen, baß Dielee Heirathsproject 
ein Spiel gewefen. 

So wäre die Freiheit von Fräulein von Taverney 
nicht gefährdet worden; die von Gharny würde feine 
größere Sntäußerung erleiden. Es gäbe für die Königin 
nicht mehr den gräßlichen Gewiſſenobiß, zwei Griftenzen 
der Selbſtſucht ihrer Ehre geopfert zu haben, und doch 
wäre diefe Ehre, in der die ihres Gemahls, die ihrer 
Kinder mit eingefchloffen, nicht angegriffen: fie würde fie 
unbefledt an die zukünftige Königin von Frankreich 
übertragen. 

Dies waren ihre Betrachtungen. 

So glaubte fie Alles zum Voraus ausgeglichen 
zu haben, Wohlanftand und Privatinterefien. Man 
mußte wohl mit biefer Beftigfeit der Logik in Gegen⸗ 
wart einer fo furdhtbaren Gefahr fchließen. an 
mußte fi wohl mit allen Beweisftüden gegen eine 
Gegnerin bewaffnen, welche fo fchirer zu befämpfen, 
wie Fräulein von Taverney, wenn fle auf ihren Stolz 
und nicht auf ihr Herz hörte. 

Als fie vorbereitet war, entfhloß fie fih, aus⸗ 
zugehen. Wie oft hätte fie gern Charny ermahnt, 
einen falfhen Schritt zu machen, aber fie wurde bavon 
durch die Idee abgehalten, es belauern fie ohne Zweifel 
Spione; Alles werde auf ihrer Seite in einem foldyen 
Augenblick ichlecht auegelegt ; und fle hatte den geraden 
Sinn, die Ergebenheit und Entſchloſſenheit von Charny 
genugfam erprobt, um überzeugt zu fein, er würde 
Alles gutheißen, was fie zu thun für geeignet erachtete. 

Es wurde drei Uhr; das Mittagsmahl in großer 
Geremonie, die Borftellungen, die Beſuche; die Königin 
empfing alle Welt mit einem beitern Geſicht und einer 


127 


reunblidhfeit, bie ihrem wohlbefannten Stolze nichts 
enahm. Sie war fogar bemüht, gegen diejenigen, 
velche fie als ihre Feinde betrachtete, eine Feſtigkeit 
u jeigen, die gewöhnlich den Schuldigen wenig ans 
e 


Nie war der Andrang fo groß bei Hofe geweien; 
ie hatte die Neugierde fo tief in den Zügen einer 
Bönigin in Gefahr gewühlt. Marie Antoinette bot 
lllem Trotz, fchmetterte ihre Feinde nieder, beraufchte 
hre Freunde, verwandelte die Bleichgültigen in Gifrige, 
ie Eifrigen in Enthufiaften, und erfchien fo fehön und 
9 groß, daß der König hierüber öffentlich feine Glücks 
yünfche gegen fie ausſprach. 

Dann, als Alles wohl beendigt war, legte fie ihr 
efohlenes Lächeln niever und kehrte zu ihren Erinne:. 
ungen, das heißt zu ihrem Schmerz, allein, ganz allein 
n der Welt, zurüd; fie wechfelte ihre Toilette, nahm 
inen grauen Hut mit blauen Bändern und Blumen, 
in Kleid von mauergrauer Seide, flieg in ihren Wa⸗ 
en und ließ fich, ohne Leibwachen,. nur mit einer ein- 
igen Dame, nad Saint-Denis führen. 

. &s war die Stunde, wo die Nonnen, in ihre 
wellen zurückgekehrt, vom befcheidenen Geräufch des 
löfterlichen Speifefaals zum Stilfehweigen der Mebis 
‚kionen übergingen, denen fie fi vor dem Abendgebet 
ngaben. \ 

Die Königin Tieß Fräulein Andree von Taverney 
8 Spradzimmer rufen. 

Kcnieend, in ihr Nachtgewand von weißer Wolle 
ehüllt, betrachtete Andree aus ihren Wenftern ben 
Rond, der hinter den großen Linden aufging, und in 
tefer Poeſie der beginnenden Nacht fand fie das Thema 
» allen den inbrünftigen, leidenfchaftlichen Gebeten, 
ie fie zu Erleichterung ihrer Seele an Gott fandte. 

Sie tranf mit langen Zügen ben unabhelflichen 
Schmerz der freiwilligen Abweſenheit. Diefe Marter 
R nur, arten Seelen bekannt; fie iſt zugleich eine 


10 


Dual und ein Vergnügen. Cie gleicht, was das £ 
betrifft, allen gewöhnliden Schmerzen. Sie läufi 
eine Wolluft aus, welche nur diejenigen fühlen für 
die das Glück dem Stolz zu opfern wifien. 

Andree batte aus freien Stücken den Hof verla 
aus freien Stüden hatte fie mit Allem gebrochen, 
ihre Liebe unterhalten fonnte. Stolz wie Eleoy 
hatte fie nicht einmal die Idee ertragen fünnen, 
von Charny habe an eine andere Frau gedacht, 
wäre biefe Frau die Königin felbft. 

Kein Beweis für fie von diefer für eine U: 
glübenben Liebe. Sicherlich hätte die eiferfür 
ndree aus diefem Beweiſe die ganze Ueberzeu 
gezogen, die ein Herz bluten maden fann. Hat: 
aber nicht Herrn Charny gleichgültig an ihr vor: 
Bee fehen? Hatte fie nit die Königin im Der 
ehabt, fie nehme für ſich, ohne Zweifel unſchuldig 
uldigungen und die Bevorzugung von Charny? 

ozu Sollte es fortan nügen, in Berfaille 
bleiben? Um Gomplimente zu erbetteln? um die 9 
lefe des Lächelns zu machen? um von Zeit zu Zeit 
einem angebotenen Arm, mit einer berührten Hant 
geſpeiſt werben? wenn bie Königin auf der 
menade ihr die Artigkeiten von Eharny leihen w: 
weil bie Königin in diefem Augenblid nit im Si 
war, fie für ſich zu behalten? 

Nein, eine feige Schwäche, Fein Vergleich 
diefe Roifhe Seele. Das Leben mit ber Liebe un! 
Bevorzugung, das Klofter mit ber Liebe und dem 
wundeten Stol;. 

„Nie! nie!“ wieberbolte fi bie Rolge Ant 
„derjenige, welchen ih im Schatten liebe, iſt für 
nur eine Wolfe, ein Portrait, eine @rinnerung; d 
verlegt mich nie, er lächelt immer mir zu, er IA 
nur mir zu.“ 

Darum hatte fie fo viele Nächte in Schme 
aber frei zugebradht; darum zog Andree, glüdlich 


129 


enn fie fich fchwach fand, zu verfluchen, wenn 
altirte, die freiwillige Abwefenheit, welche 
nverfehriheit ihrer Liebe und ihrer Würde 
Zühigfeit vor, einen Mann wiederzuiehen, 
Bte, weil fie gezwungen war, ihn zu lieben. 
überdies, dieſe ftummen Beſchauungen der 
ve, dieſe göttlichen Entzüdungen des einfamen 
das war viel mehr das Leben für die unhäne 
ee, als die leuchtenden Feſte in Berfailles 
othwendigkeit, fih vor Nebenbuhlerinnen zu 
ınd die Furcht, das in ihrem Hetzen einges 
Beheimniß an das Tageslicht entichlüpfen zu 


Kbend des St. Ludwigs, Felertages fuchte alfo 
ae in Saint-Denis auf. und fie fand 
isch. 

meldete wirklich Andrée, die Königin jet 
mgefommen, das Kapitel empfange fie im 
prachzimmer, und Ihre Majeftät habe nad 
ı Complimente gefragt, ob man Fräulein von 
ſprechen koͤnnte. 

ſeltſame Erſcheinung! es bedurfte nicht mehr 
ze, ein durch die Liebe erweichtes Herz, daß 
Wohlgeruch entgegenſprang, der von Verſailles 
m... einem Wohlgeruch, den fie am Tage 
rflucht, einem Wohlgeruch, der in demfelben 
tbaver wurde, in dem er fidy mehr entfernte, 
ie Alles, was ſich verbunftet, wie Alles, was 
st, koſtbar wie die Liebe. 

: Königin!“ murmelte Andree, „die Königin 
Denis! Die Königin, die mich ruft!“ 
ſchwinde, beeilen Sie ſich,“ eıwienerte man ihr. 
beeilte fi in der That, fie warf auf ihre 
ı die lange Mante der Nonnen, befefligte um 
iten Rod den wollenen Gürtel, und folgte, 
en Blick in ihren kleinen Spiegel zu thun, 
tnerin, welche fie geholt Hatte. 
lsband der Königin. IV. 


122 


„Ab! Sott felbft ſchickt mir dieſe Hülfe,“ murmelte 
fie. „Diejenigen, welche Bott gehören, fünnen ihm 
nicht genommen werden, nicht einmal durch den König.“ 

ann erhob fie das Haupt und ſprach zu Lud⸗ 
wig XVI.: 
„Site, diejenige, welche Herr von Charny gern 
heirathen möchte, ift in einem Klofter.“ 

„Ah!“ vief der König. „das ift ein Grund; es iſt 
in der That ſchwierig, Gott fein Gut zu nehmen, um 
e8 den Menſchen zu geben. Aber es ift feltfam, daß 
Herr_von Charny fo ſchnell diefe Liebe gefaßt hat: nie 
hat Jemand mit mir davon gefprochen, nicht einmal 
fein Oheim, der Alles von mir erlangen fann. Ber 
ift die Frau, die Sie lieben, Herr von Charny, fagen 
Sie es mir, idy bitte Sie.“ 

Die Königin fühlte einen flehenden Schmerz. 
Sie follte einen Namen aus dem Munde von Dlivier 
fommen hören, fie follte die Dual diefer Liebe erdulden, 
und wer weiß, ob nicht Charny einen einft geliebten 
Namen, eine noch biutende Erinnerung an bie Ber: 
gangenheit, oder einen Namen, der der Keim einer 
Liebe , eine unbeflimmte Hoffnung auf die Zufunft, zu 
nennen im Begriff war. Um bieten furchtbaren Schlag 
nicht zu empfangen, fam Marie Antoinette zuvor und 
rief plotzlich: 

„Site, Sie kennen diejenige, weldye Herr von 
Gharny zu heirathen verlangt, es iſt . . . es If Fräus 
lein Andree von Taverney.” 

Charny gab einen Schrei von ſich und verbarg 
fein Geficht in feinen beiden Händen. 

Die Königin drüdte ihre Hand an ihr Herz und 
wäre beinahe ohnmädtig in ihren Lehnftuhl gefallen. 

„Fräulein von Taverney,“ wiederholte der König, 
„Fräulein von Taverney, die fih nah Saints Denis 
zurüdgezogen bat?“ 

Kon a, Sire,“ antwortete die Königin mit ſchwachem 
one. 


123 


„Sie hat aber noch nicht das Gelübde abgelegt, 
fo viel ih weiß?" 

„Do fie muß es thun.“ 

„Wir werden dabei eine Bedingung ftellen,” fagte 
der König. „Warum follte fie übrigens das Gelübde 
ablegen“ fügte er mit einem legten Sauerteig von 
Mißtrauen bei. 

„Sie it arm... Sie haben nur ihren Bater 
bereidyert,“ fprad Marie Antoinette mit hartem Tone. 

„Das ift ein Unredht, das ich wieder gut machen 
werde. Herr von Charny liebt fie...” 

Die Königin bebte und warf Charny einen gierigen 
Blick zu, als wollte fie ihn anflehen, daß er leugne. 

Charny fchaute Marie Antoinette flarr an und 
antwortete nicht. 

„Wohl!“ fagte der König, der dieſes Stillſchweigen 
für eine ehrfurchtsvolle Beiſtimmung nahm, „und ohne 
Zweifelliebt Fräulein von Taverney Herrn von Charny? 
Id werde Fräulein von Taverney ausfteuern; ich gebe 
ihr die fünfmal hundert taufend Livres, die ich eines 
Tags, für Sie, Herrn von Calonne abfchlagen mußte. 
Danfen Sie der Königin, Herr von Charny, daß fie 
die Güte gehabt hat, mir dieſe Sache zu erzählen und 
fo das Glück Ihres Lebens zu ſichern.“ 

Charny machte einen Schritt vorwärts und vers 
beugte fich wie eine bleiche Bilpfäule, der Gott durch 
ein Bunder einen Augenblid das Leben gegeben hätte, 

„DH! das ift wohl der Mühe wertb, daß Sie noch 
einmal niederfnieen,” fagte der König mit jener leichten 
Nuance von plattem Spott, der zu oft bei ihm den 
traditionellen Adel feiner Ahnen verminderte. 

Die Königin bebte und reichte mit einer freiwillis 
gem Bewegung dem jungen Mann ihre beiden Hände. 

re Fniete vor ihr nieder und drückte auf diefe ſchönen 
eisfalten Hände einen Kuß, in dem er feine Seele 
aushauchen zu bärfen Bott anflehte. 

„Auf!“ ſprach der König, „überlaffen wir nun der 


124 


Königen die Sorge für Ihre Angelegenheiten, kommen 
Sie, mein Herr, kommen Sie.“ 

Und er ging fehr raſch voran, fo das fih Charny 
auf der Schwelle umdrehen und den unausſprechlichen 
Schmerz dieſes ewigen Abfchieds fehen Eonnte, den ihm 
die Augen der Königin zufandten. 

Die Thüre fchloß fich wieder zwifchen ihnen, eine 
fortan unüberfteiglige Schranfe für unfchuldige Liebe. 


LXXXI. 
Saint : Denis. 


Die Königin war Allein und in Berzweiflung. 
So viele Schläge trafen fie zugleich, daß fle nicht mehr 
wußte, von welcher Seite der heftigfte Schmerz fam. 

Nachdem fie eine Stunde in diefem Zufland des 
Zweifels und der Niedergefchlagenheit geblieben war, 
jagte fie ih, es fei Zeit, einen Ausgang zu fuchen. 
Die Gefahr wuchs. Stolz auf einen über ben Anfcyein 
davon getragenen Sieg, würde fi) der König beeilen, 
das Gerücht zu verbreiten. Es fünnte gefchehen, daß 
dieies Berudht auswärts fo aufgenommen würde, baf 
ber ganze Bortheil des begangenen Betrugs verloren 
wäre 


Diefer Betrug, ad! wie fehr machte fi ihn bie 

Königin zum Vorwurf; wie gern hätte fie has eniflo: 
ene Wort wieder zurüdgenommen, wie gern hätte fle, 

— Andrée, das himärifche Glück entzogen, das dieſe 
vielleicht ausichlagen würde. 

Hier erhob ia in der That eine andere Schwies 
rigfeit. Der Name Andree hatte Alles vor dem König 
gerettet. Aber wer Eonnte für diefen launenhaften, 
unabhängigen, eigenwilligen Geiſt fichen, den man 


125 _ 


räulein von Taverney nannte? wer fonnte baranf 
bien, daß diefe folge Perfon ihre Freiheit, ihre 
ufunft zu Gunſten einer Königin entäußern würde, 
e fie wenige Tage zuvor als Feindin verlaflen hatte? 

Mas würde dann geichehen ? weigerte ſich Andree, 
nd dies war wahrfcheinlich,, fo flürzte das ganze Lü- 
mgerüfte ein. Die Königin würde eine Intrigantin 
in mittelmäßigem Geifte, Charny ein flacher Bicisbeo, 
ad in eine Anklage verwandelt, nahm die Berleumdung 
e Berhältniffe eines unzmweifelhaften Ehebruchs an. 

Marie Antoinette fühlte, wie ihr Verſtand bei biefen 
jetrachtungen fidy verwirrte; fie hätte beinahe ihrer 
löglichfeit nacdhgegeben; fie ſenkte ihren brennenden 
'opf in ihre Hände und wartete. 

Dem fich anvertrauen? Wer war denn bie Freundin 
er Königin? Frau von Lamballe? Oh! die reine 
jernunit, die Ealte, unbeugfame Vernunft! Warum diefe 
ıngfräuliche Cinbildungskraft verfuchen, welche übers 
ies die Hofdamen nicht würden verfiehen wollen? knech⸗ 
ſche Schmeichlerinnen ver Wohlfahrt, zitternd bei dem 
auche der Ungnade, vielleicht geneigt, eine Lection 
wer Königin zu geben, während fie eines Beiſtands 
edürfen würde. 

Es blieb nur Fräulein von Taverney ſelbſt. Das 
ar ein Diamantherz, defien Beichlüffe das Glas zers 
hneiden konnten, deſſen unbeſiegbare Feſtigkeit, deſſen 
efe Reinheit aber allein mit den großen Schmerzen 
ner. Königin fympathifiren konnten. 

Marie Antoinette würde alfo Andrée aufſuchen. 
jie würde berfelben ihr Unglück auseinanderfegen und 
e anfleben, fle möge ſich aufopfern. Ohne Zweifel 
ürde fi) Andree weigern, denn fie gehörte nicht zu 
njenigen, welche fich Unterwürfigfeit einflößen laflen; 
ich a mätig buch ihre Bitten befänftigt, würde fie 
ichgeben. er weiß übrigens, ob man nicht einen 
ufſchub bewirfen könnte? ob der König nicht, bes 
hwichtigt durch die fcheinbare Einwilligung der beiden 


126 


Verlobten, am Ende vergäße? Eine Reife würde danı 
Alles in's Reine bringen. Charny, Andree, indem flı 
fih auf einige Zeit entfernten, bis die Hyder der Ber: 
leumbung feinen Hunger mehr hätte, könnten fagen laſſen 
fie haben fih gütlid ihr Wort zurüdgegeben, unt 
Niemand würde errathen, daß dietee Heiratheprojec 
ein Spiel gewefen. 

So wäre bie Freiheit von Fräulein von Taverner 
nicht gefährdet worden; die von Charny würde fein 
größere Entäußerung erleiden. Es gäbe für die Königir 
nicht mehr den gräßlichen Gewiſſensbiß, zwei Eriftenzer 
der Selbftfucht ihrer Ehre geopfert zu haben, und doch 
wäre diefe Ehre, in der die ihres Gemahls, bie ihre: 
Kinder mit eingefchloffen, nicht angegriffen: fie würde für 
unbefledt an die zukünftige Königin von Branfreid 
übertragen. 

Dies waren ihre Betrachtungen. 

So glaubte fie Alles zum Boraus ausgeglichen 
zu haben, Wohlanftand und Privatinterefien. Man 
mußte wohl mit diefer Beftigfeit der Logik in Gegen: 
wart einer fo furdtbaren Gefahr ſchließen. an 
mußte fiy wohl mit allen Beweisftüden gegen eine 
Gegnerin bewaffnen, weldye fo ſchwer zu befümpfen, 
wie Fräulein von Taverney, wenn fie auf ihren Stol: 
und nicht auf ihr Herz hörte. 

Als fie vorbereitet war, entfchloß fie fi, aus: 
zugehen. Wie oft hätte fie gern Charny ermahnt, 
einen falfhen Schritt zu machen, aber fie wurde davon 
durch die Idee abgehalten, es belauern fie ohne Zweifel 
Spione; Alles werde auf ihrer Seite in einem ſolchen 
Augenblid ichlecht auegeleat und fie hatte ben geraden 
Sinn, die Brgebenheit und Entfchloffenheit von Charny 
nenugfam erprobt, um überzeugt zu fein, er würde 
Alles gutheißen, was fie zuthun für geeignet eradhtete. 

Es wurde drei Uhr; das Mittagemahl in großer 
Geremonte, die Borftellungen, die Beſuche; die Königin 
empfing alle Welt mit einem heitern Geſicht und einer 


127 


Sreunblichfeit, bie ihrem wohlbefannten Stolze nichte 
benahm. Sie war fogar bemüht, gegen diejenigen, 
welche fie als ihre Feinde betrachtete, eine Feſtigkeit 
u zeigen, die gewöhnlich den Echuldigen wenig ans 
eht 


Nie war der Andrang ſo groß bei Hofe geweſen; 
nie hatte die Neugierde fo tief in den Zügen einer 
Königin in Gefahr gewühlt. Marie Antoinette bot 
Allem Troß, fchmetterte ihre Feinde nieder, beraufchte 
ihre Freunde, verwandelte die Bleichgültigen in Gifrige, 
die Bifrigen in Enthuflaften, und erichien fo ſchön und 
fo groß, daß der König Kierüber öffentlich feine Glück⸗ 
wünſche gegen fie ausſprach. 

Dann, als Alles wohl beendigt war, legte fie ihr 
befoglenes Lächeln nieber und fehrte zu ihren Erinne⸗ 
rungen, das heißt zuihrem Schmerz, allein, ganz allein 
in der Welt, zurüd; fie wechfelte ihre Toilette, nahm 
einen grauen Hut mit blauen Bändern und Blumen, 
ein Kleid von mauergrauer Seide, ftieg in ihren Wa: 
gen und ließ fich, ohne Leibwachen, nur mit einer ein 
jigen Dame, nach Saint-Denis führen. 

Es war die Stunde, wo die Nonnen, in ihre 
Zellen zurückgekehrt, vom beicheidenen Geräufch des 
klöſterl ichen Speifefaals zum Stillſchweigen der Mebis 
— übergingen, denen fie ſich vor dem Abendgebet 

nga . 
Die Königin ließ Fräulein Andree von Taverney 
in’s Sprachzimmer rufen. 

Knieend, in ihr Nachtgewand von weißer Wolle 
ehälft, betrachtete Andree aus ihren Fenſtern ben 

ond, der hinter den großen Linden aufging, und in 
biefer Boefte der beginnenden Nacht fand fie das Thema 
zu allen den inbrünftigen, leidenfchaftlichen @ebeten, 
die fie A Erleichterung ihrer Seele an Gott fanbte. 

Sie trank mit langen Zügen den unabhelflichen 
Schmerz der freiwilligen Abweſenheit. Diefe Marter 
iſt ur Rarken Geelen bekannt; fie iſt zugleich eine 


129 


men, wenn fie ſich ſchwach fand, zu verfluchen, wenn 
ſich eraltirte, die freiwillige Abmefenheit, welche 
er die Unverfehribeit ihrer Liebe und ihrer Würde 
5, der Fühigfeit vor, einen Mann wiederzuiehen, 
n fie haßte, weil fie gezwungen war, ihn zu lieben. 

Und überdies, biete ftummen Befchauungen der 
inen Liebe, dieſe göttlichen Entzücdungen des einfamen 
raumes, das war viel mehr das Leben für die unhäns 
ge Andre, als die leuchtenden Feſte in Berfailles 
id die Nothwendigkeit, fih vor Nebenbuhlerinnen zu 
ugen, und bie Furcht, das in ihrem Herzen einges 
bloffene Geheimniß an das Tageslicht entjchlüpfen zu 


Am Abend des St. Ludwigs: Feiertages fuchte alfo 
ie Königin Andree in Saint-Denis auf und file fand 
e traͤumeriſch. 

Man meldete wirklich Andree, die Königin ſei 
» eben angelommen, das Kapitel empfange fie im 
roßen Sprachzimmer, und Ihre Majeftät habe nad 
em erfien Komplimente gefragt, ob man Fräulein von 
averney fprechen koͤnnte. 

Eine ſeltſame Erſcheinung! es bedurfte nicht mehr 
ke Andrée, ein durch die Liebe erweichtes Herz, daß 
ediefem Wohlgeruch entgegenfprang, der von Berfailles 
n ihr fam. .. einem Wohlgerudh, den fie am Tage 
orher verflucht, einem Wohlgeruch, der in demſelben 
Raße koſtbarer wurde, in dem er fidy mehr entfernte, 
oſtbar wie Alles, was ſich verdunftet, wie Alles, was 
ich vergiöt, koſtbar wie die Liebe. 

„Die Königin!” murmelte Andree, „die Königin 
» Satnt-Denis! Die Königin, die mich ruft!” 

„Geſchwinde, beeilen Sie fidy,” erwiederte man ihr. 

Sie beeilte fih in der That, file warf auf ihre 
Biäultern die lange Mante der Nonnen, befeftigte um 
hren weiten Rod den wollenen Gürtel, und folgte, 
ine einen Blick in ihren Fleinen Spiegel zu thun, 
ver Bförtnerin, welche fie geholt Hatte. 

Das Halöband der Königin, IV. 


130 
the unbert Sc: eitte Bew, 
ale FA Fed gt — Fr fe fe. Ta 


—— u, —— 
get va —— * 





averney. Die Köni * Mu aa das Kloher 
SaintsDenis befugt? em! 17 
Die Königin iR asian Tr ee ij 
ich liebe die Königin nicht * 


„Rube, flimme Route, die were S⸗u ” 
Belt ht ſel wenigſtene Ieuiht, vet ” 


aebören.“ 


131 


Königin blieb allein mit Anbree, deren Herz 
ig ſchlug, daß man es ohne das langfamere 
der Unruhe einer alten Uhr Hätte hören 


v 


% LXXXI. 
Ein todtes Herz. 
Königin begann das Geiprädh, das war in 


! mein Fräulein, wiflen Sie, daß Sie als 
nen feltfamen Eindrud auf mich maden.“ 
rede antwortete nicht. 

ve alte Befährtin,“ fuhr die Königin fort, 
ir die Welt, in der wir Andere noch leben, 
zu ſehen, ift wie ein ernfler Rath, den uns 
ʒibi. Sind Sie nicht meiner Anficht, mein 


idame,“ erwiederte Andrée, „wer würde ſich 
Curer Majeſtät Rathichläge zu geben? Der 
ſt wird die Königin nicht eher, als an dem 
nachrichtigen, wo fie ihn annimmt. In der 
ie follte er e8 anders machen?“ 

irum?“ 

idame, weil eine Königin, durch die Natur 
habenheit, dazu beftimmt ift, in diefer Welt 
unvermeidlichen Nothwendigfeiten zu erdulden. 
vas ihr Leben verbeſſern fann, hat fie; Alles, 
Anderen, ihre Laufbahn ihr verfchönern helfen 
mmt eine Königin Anderen.“ 

Königin machte eine Bewegung bes Erftaunens. 
d das ift ein Recht,“ fügte Andree haftig bei; 
jeren, das iſt für eine Königin eine Echaar 
erthanen, deren Leben, Ehre und Güter ben 


132 


Fürften green Leben, Ehre und ai, es moralifce ober 
materielle, And alfo das @igenthum ber ger König innen.“ 

„Das And Lehren, bie mic in Erkauuen fegen,® 
forah langfam Marie —— — „Gie machen 
einer GSonveränin in dieſem La: X eine 
wen ai er A er und das aus 
eintager Bürger an, 
Andree? aber ehe an an unbe 
lagen — 3 hei KAP waren?” 

„Cure MajeRät hatte die Güte, diefe Brage am 
mid au richten, ale ich fe verlieh,” erwicherte Andre, 


Re Batte, Wie war Hogmälhig and zuge 


sine * [71 f — * Auf we 
and U 
Bee, — vn 

Ge Bat weiß, wohl, —X die me E77} 


wir ar nee 


133 


bin, und er ſelbſt klagt mich vielleicht des Leichtfinns, 
der Launenhaftigkeit fogar an.“ 

„Mein Bruter ift ein zu ehterbietiger Unterthan, 
um die Königin anzuflagen,” entgegnete Andree, die 
ihre Gtaxzheit zu behaupten ſich bemühte. 

—88 ſah wohl, fie müßte fidy verdächtig 

machen, n fie die Doſis Honig, welche den Cerberus 
bänbigen follte, vermehren würde, Sie hielt mitten 
in ihren Zuvorfommenheiten inne und fagte: 
- „Ges if immerhin gewiß, daß ich, als ich nady 
Saints Denis fam, um mit Madame zu fprechen, Sie 
fehen und Ihnen die Berfiherung geben wollte, ich ſei 
von nahe wie von fern Ihre Freundin.” 

Andree fühlte dieſe Nuance; fie befürchtete, diejes 
nige , welche ihr fchmeichelte, beleidigt zu Haben; fie 
Sefürdhtete noch viel mehr, ihre fchmersliche Wunde 
Nahen ſtets hellſehenden Auge einer Frau enthüllt 
iu haben. 

„Fure ba Ya überfeyüttet mich mit Ehre und 
Freude,” fagte fie traurig. 

„Sprechen Sie nicht fo. Andree,” erwieberte bie 
Königin, indem fle ihr die Hand drückte; „Sie zerreißen 
mir das Herz. Wie! es foll nidyt gefagt werden, eine 
elende Königin könne eine Freundin haben, fünne über 
eine Seele verfügen, fünne mit Vertrauen ihre Augen 
auf reigenden Augen, wie die Ihrigen, ruhen laflen, 
obne im runde diefer Augen das Intereſſe oder den 
Groll zu vermuthen! Sa, ja, Andrée, beneiden Sie 
diefe Königinnen, biefe Herrinner der Güter, der Ehre 
und bes Tebens Aller. Oh! ja, fie find Königinnen; 
ob! ja, fie befigen das Gold und das Biut ihrer Voͤl⸗ 
fer, doch das Herz! nie! nie! Sie fönnen es nicht 
nehmen, und man muß es ihnen fchenfen.” 

„3 verfihere Sie, Madame,” ſprach Andree, 
erfchnttert durch dieſe warme Anrede, „ich habe Eure 
Mafjekät fo fehr geliebt, als ich je in biefer Welt 
lieben werbe.“ 





SS foregenb errötfete fe uud meinte das Gent 

„Sie . . . haben mid... geliebtl“ rief bie 
Königin, diefe Worte anffengeb, „Ele Then mic 
nit mehr“ 

„Di! Metamet- 

verlange nihts von Ri 
PR ſei das — — das fe — —1*— 
en Ele mein berg wit an,“ vief Marse 
jagen Gie mel nit an,“ 

Lebhait, „e0_{R tobt.“ 010 
We Herz iR te 


„Ihr den fei tı 





nur id} allein werRehe 
vorbin glänzend und 
ſchaoterne und But 
meine Augen haben 
EN 19 Kite € ‘ 
fein febe 
Gititeite vr Bat 
jeven Tag Gläd 
mihht Arenger, ald er. 
—— ac an #6 im Sit“ 


„Ich umfafle mit Wonne das * der 
——WM al mehr A 


den HE der Welt Sinzieht?“ 


i Fu cn Bette dadhte voll Uingf die Rinigin, am 
a Hier Een baralkt Dr abe, 


„Bir wollen fe 
au ſich felbh; —2 Br — nee 





135 


meine Bufust ; zu ben Bitten. OH! fie zu bieiem Ende 
bitten, fie bitten, Herrn von Charny anzunehmen ... 
gütiger Himmel! muß ich fo unglüdlich fein!“ 

„Andree,“ fagte Marie Antoinette, ihre Aufregung 
beherrfchen», „Sie haben Ihre Zufriedenheit in Worten 
au eiprodgen, die mir die Hoffnung rauben, welche ich 
gefaßt Hatte.” 

„Welche Hoffnung, Madame?” 

"Sprechen wir n &t mehr davon, wenn Sie ent: 
fjieden find, wie Sie es fo eben gefchienen haben . 
Ag! Das war für mich ein Schatten von Vergnügen, 
er iR entflohen! Iſt nicht Alles ein Schatten für 
mich! Denten wir nicht mehr daran.” 

„Ah! Madame, gerade, weil Sie ‚hieraus eine 
Befrlebigung ziehen follen, fpreden Sie.“ 

ozu poll es nüßen? Sie haben fidh von ber 
— age, nicht wahr?“ 
un 


hl gan at meinem freien Willen.“ 
„Und ie wünfchen fih &lüd zu dem, was Sie 


Recht als je.“ 

„Sie fehen wohl, daß es überflüfftg ift, mich free. 
** ⁊ laffen. Gott if jedoch mein Zeuge, daß ich 

le glaubte, ig) würde Sie glücklich machen.“ 


a Sie Undanfbare, die Sie mid anflagten! 
Doch heute haben Sie andere Freuden erſchaut, Sie 
kennen befler, ale ich, Ihren Geſchmack um Ihren 
Beruf. Ich verzichte‘. 

„Ab! Madame, erweifen Sie mir die Ehre, mir 
etwas Näheres ; u ſagen.“ 

6 a zus [3 (ehr einfach , ich wollte Sie an den 

" 

M er v Fa Andree mit einem Lächeln voll Ditterfeit, 
„il an ben Hof zurüdfchren .. . mein Bott! 


nein h at Madame, n'- “en at “ 
ungebo fm gegen Eure m 

ih füllte Ra a 
* en m „En ' 


vor ih auf die Knie. wol durch ihre @i 

fürct die Wunde Hin) , wie fe ve Greundfgaft u 

dem Gtolze gefälan J *77 
Madame.“ fi 

bei Hofe gemacht . 

der Richtigen, aus um. 





hten, ai 
maf »-= Rranen bie 
den m hen 
denwen ver ‚ 


Dererlafen - 
vun, de laflın in —F 
.e thruon wi Bidet anf 
: Gtaw, en {uy Ihnen vor, Hlagen weite, Bietet ai 
den Demärbiguugen, über Lie @ie Ra — 
Die Heirath, um bie es | er zen —X 
der vornehmften Pranen treiget“ 
«gie ‚Helralp!” 35* IA —X 
te ſiagen e0 aus,‘ freue bie Rämigin, fa 
mehr Ami 


ja, ii CH 1 
Rx ——— Im ber Bü 
u 


137 


„Ich fchlage es aus, Madame, Ich fchlage es aus.” 

Marie Antoinette bereitete fich nun mit einer un, 
geheuren Herzensangſt vor, das Blehen zu beginnen. 
Andrée warf fich quer durch in dem Augenblick, wo fie 
unentichloffen, zitternd, verwirrt auffland, ohne aud) 
nur das erſte Wort ihrer Rede feftzuhalten. 

„Madame,“ fagte fie, die Königin an ihrem Kleide 
zurüdhaltend, denn fie glaubte ſie weggehen zu fehen, 
„haben Sie die hohe Gnade, mir den Diann zu nennen, 
der midy zur Geiährtin annehmen würde; ich habe fo 
fehr in meinem Leben durch die Demüthigung gelitten, 
daß der Name dieies edelmüthigen Mannes . . .” 

Und fie lächelte mit einer ſtechenden Ironie und 
fuhr dann fort: 

„Der Balfam fein wird, den ih fortan auf alle 
Bunden meines Stolzes legen werde.“ 

Die Königin zöuerte, Doch es war für fie eine 
Nothwendigkeit, die Sache bis zum Ende zu treiben. 

„Herr von Charny,“ ſprach fie mit traurigem, 
gleichgüiltigem Tone. 

„Herr von Charny |” rief Andree mit einem furcht⸗ 
baren Ausbrud, „Herr Dlivier von Charm!” 

„Herr Dlivier, ja,” erwieberte die Königin, ins 
—* ge das Mädchen ganz verwunderungsvoll ans 

aute. 

„Der Neffe von Heren von Suffren?” fuhr Andree 
fort, deren Wangen fih mit Burpur übergoflen, deren 
Augen glänzten wie Sterne, 

„Der Neffe von Herrn von Suffren,“ antwortete 
die Königin, immer mehr ergriffen von der Verän⸗ 
derung, bie in den Zügen von Andree vorging. 

„Wie, Madame, mit Herrn Dlivier wollen Sie 
mich verheirathen?” 

„Mit ihm ſelbſt.“ 

„Und... er willigt ein?“ 

„Sr bittet um ihre Hand.” 


"Opt ich gebe fie ihm, ich gebe fie ihm,“ rief 


138 


Andree entzüct, toll, „Mich hat er alfo geliebt! .. 
mich liebt er, wie ich ihn liebte!“ 

Die Königin wich leichenbleih und zitternd ı 
einem bumpfen Seufzer zurüd, fie war nahe dar 
vernichtet in einen Lehnſtuhl zu füllen, während 
wahnfinnige Andree ihr die Kniee, das Kleid Fü 
und abwechfelnd ihre Hände mit Thränen befeuch 
und mit glühenden Küffen verfengte. 

„Bann gehen wir ?" ſagte fie endlich, ale das W 
in ihr auf die erflidten Schreie, auf die Seufzer | 
gen Eonnte. ’ 

„Kommen Sie,“ murmelte die Königin, welde 
Leben entfliehen fühlte, und ihre Shre reiten wol 
ehe fie farb. 

Sie ftand auf, Küste fih auf Andrée, deren br 
nende Lippen ihre eisfalten Wangen fudyten, und w 
rend das Mädchen Anflalten zu ihrer Abreile tı 
ſprach mit einem Schluchzen bie unglüdliche- Fürf 
diejenige, welche das Leben und die Ehre von drei 
Millionen Unterthanen befaß : 

„Mein Gott! ift es nun genug ber Leiden für 
einziges Herz. 

„Und dennoch muß ich Dir danken, mein Gol 
fügte fie bei, „denn Du retteft meine Kinder vor 
Schande, Du gibt mir das Recht, unter meltı 
königlichen Mantel zu flerben! ...“ 


LXXXIII. 


Worin es fich erklärt, warum der Baroı 
fett wurde. 
Während die Königin über das Schickſal 


Fräulein von Taverney in Saints Denis entichied, 
fhleunigte Philipp, das Herz zerriffen von Allem d 


139 


been was er entdeckt hatte, die Vorkehrungen 
‚Dreite. 

oldat, ber in der Welt umberzulaufen ge: 
;raucht nie lange, um zu paden und feinen 
| anzuziehen. Aber Philipp hatte mächtigere 
be, als jeder Andere, um ſich raſch von 
zu entfernen; er wollte nicht Zeuge von der 
ihen und nahe bevorflehenden Schande ber 
iner einzigen Leivenfihaft, fein. 

ſah ihn auch eifriger als je befchäftigt, 
e fatteln zu lafien, Fine Gewehre zu laden 
m Mantelfad Alles hufammenzubäufen, was 
teftes befaß, um das Leben der Gewohnheit 
ı, und als er dies Alles beendigt, ließ er 
Taverney, dem Bater, melden, er babe mit 


schen. 
leine Greis kam von Berfailles zurüd; 
e nach feinen beften Kräften feine mageren 
einen rundlicyen Bauch trugen. Der Baron 
drei bis vier Monaten fett, was ihm einen 
eh, der ficy leicht begreifen läßt, wenn man 
iß die große Rundung bes Leibes bei ihm 
al einer vollfommenen Zufriedenheit fein 


Mfommene Zufriedenheit von Taverney iſt ein 
viele Sinne in fi fließt. 
‚aron fam alſo ganz heiter von feiner Pros 
ch dem Schloß zuiüd. Er hatte am Abend 
il an dem Scandal des Tages genommen. 
errn von Breteuil gegen Herrn von Rohan 
Herrn von Soubife und Herrn von Gué⸗ 
n Herrn von Breteuil; Herrn von Provence 
Rönigin; Herrn d'Artois gegen Herrn von 
er hatte Hundert Berfonen gegen hundert 
und nicht einer für Jemand. Gr Hatte 
the an Bosheiten und kleinen Schaͤndlich⸗ 


100 


feiten Aingefammelt und kehrte ganz glädli mit dem 

— feinem Mebienten erfuße 

inte 10n zu Diner, berdlgeitt ec, ren 
a dm warten, ganzen Siuheplat, 


Beſuch von 

um den Petlenhen een, nen 
& te 

ein, das 

Abreife vı 
Bil 


famteit, u 
aber er en 


ich NM 
Der 


und feine 
haltend. \ 


en 
ſqhod Che 


141 


nen Berfen. Dann _fehrte er zu feinem Sohn zurüd 
d fagte mit leifer Stimme: 

„Bewunderungswürdig! bewunderungswürdig!“ 

„Sie fpenden mir viel Lob, mein Herr, ohne daß 
} weiß, woburd ich es verdient babe,” ermwieberte 
hilipp mit Faltem Tone. 

„Ab! ah! ah!“ rief der Greis, fi auf den Hüfs 
n wiegenb. 

„Benn nicht etwa dieſe Heiterfeit durch meine 
breiſe verurſacht wird, die Sie von mir befreit, mein 


Oh! ob! oh! .. lachte der alte Baron aus 
ner andern Tonart. „La! la! ärgere Dich nicht vor 
dire, es if nicht der Mühe werth, Du weißt wohl, 
N ie „mic nicht von Dir bethören lafle.. . Ab! 


" ilipp kreuzte die Arme und „fragte fih, ob diefer 
Igeis nicht im Hirn verrüdt würde. 

„Dethören, wodurch?“ fragte er. 

"Durch D Deine Abreife,, bei ont! bildet Du Dir 
ma "ein, id) glaube an Deine Abreiſe?“ 

„Sie glauben nicht daran?“ 

56 wiederhole Dir, Champagne ift nicht mehr 
ier, ärgere Dich nicht mehr; überdies geftehe ich, daß 
a feinen andern Entſchluß zu faſſen hatteſt, und Du 
iſſeſt ihn, das iſt gut.“ 

Mein Herr, Sie fehen mich in einem Grade in 
rflaunen .. 

„Ja, es ih ziemlich wunderbar, daß ich dies ers 
athen babe; aber was willſt Du, Philipp, es gibt 
einen Menſchen, der neugieriger iſt, als ich, und wenn 
* neugierig bin, ſuche ich; es gibt keinen Menſchen, 

lücklicher iſt, als ich, im Finden, wenn ich ſuche; 
F abe alſo gefunden, daß Du Dir den Anſchein ibft, 
16 wollte Du abreifen, und ich wünfdhe Dir Glück 
iezu.“ 


A 77 


BON gebe mir ben Anfchein 4" rief Philipp Ar 
gerlich. 

Der Greis näherte fi ihm, berührte die Bruf 
bes jungen Mannes mit feinen Bingern, weldye f 
fnochig, wie die eines Todtengerippes, und ſprach imme 
vertraulidher: 

„Bei meinem Chrenwort, ich bin feft überzeug 
ohne diefes Ausfunftsmittel war Nlles entdeckt. D 
greifit die Sache zu rechter Zeit an. Höre, morgen wär 
es zu ſpät gewefen. Gehe geichwinde, mein Sohn, geh 
gefhwinde.“ 

„Mein Herr,“ ſprach Philipp mit eifigem Ton 
„ich berheure Ihnen, daß ich nicht ein Wort, nidyt ei 
einziges Wort von Allem dem, was Gie mir zu fage 
mich beehren, verſtehe.“ 

„Wo wirſt Du Deine Pferde verbergen?“ fuhr de 
Greis fort, ohne unmittelbar zu antworten; „Du ba 
eine Stute, welche fehr leicht zu ertennen ifl; nimı 
Did in Acht, daß man fie nicht Hier fieht, währen 
man glauben wird, Du feift .. . Ab! wohin reife 
Du dem Anfcheine nach?” 
$ „Ich gehe nach Taverney Matfons Rouge, mel 

err.” 


„But ... fehr gut ... Du fell Di, co 
inget Du nah MaifunsRouge .. . Niemand wi 
—* hierüber Klarheit verſchaffen ... Oh! fehr q 
Dog fei vorfihtig; es find fehr viele Augen auf E 
Beide gerichtet.“ 

„Auf uns Beide! ... Wen meinen Sie denn 

„Ste if unaeftüm, fichft Du,“ fuhr ver & 
fort. „Ste Hat Ausbrücdhe des Zorn, durch w 
fie Alles zu Grunde zu richten im Stande if. N 
Did in Acht! fei vernünftiger, als fie.“ 

„Ah! in der That,“ rier Bhilivp mit einem bur 
Zorn, „ich denfe, Sie beluftigen ſich auf meine K 
was nidyt liebreich if, das ıchwöre ich Ihnen, 
nicht gut ifl, denn Sie fegen mich, betrubt und ı 


143 


n, ber Unannehmlichfeit aus, bie Achtung 
zu verlegen.“ 

ie wohl, die Achtung; ich ſpreche Dich davon 
if groß genug, um unfere Angelegenheiten 
n, und Du entledigkt Dich derfelben fo gut, 
ir Achtung einflößeft. Du bift der Geronte, 
e Eiourdi; gib mir eine Adreffe, an weldye 
se Nachricht zufommen laſſen Tann, follte fidy 
ngendes ereignen.” 

» Taverney, mein Herr,” fprah Philipp im 
ber Greie kehre endlich zu feinem gefunden 


zurüd. 
Du gibR mir eine fhöne Adreſſe! ... nad 
anf achtzig Meilen. Du bildet Dir ein, 
Dir einen wichtigen, dringenden Rath zukom⸗ 
fien babe, werde ih mich damit belufligen, 
mriere auf der Landftraße nad) Taverney der 
nlichfeit wegen umbringe? Ich fage nicht, Du 
die Adrefle von Deinem Haufe im Park geben, 
meinen Emiſſairen dahin folgen oder meine 
fennen könnte, aber wähle eine dritte Adreſſe, 
tfernnng von eiuer Viertelſtunde; Du baft 
göfraft ... . was Teufels, hat man für feine 
gethan, was Dun gethau Haft, fo ift man 
von Mitteln.“ 
Haus im Bart, Liebſchaft, Einbildungsfraft! 
t, wir fpielen Räthfel, nur behalten Sie die 
ur “ 


tenne fein fchrofferes und verfchlofieneres Thier, 
iR,“ rief der Bater voll Merger, „ih kenne 
Ten Zurüdhaltung verlegender IR. Sollte man 
ben, Du habeſt bange, von mir verrathen zu 
Das wäre ſeltſam!“ 

n Herr!“ rief Philipp außer ſich. 

iſt aut! es ift aut! behalte Deine Geheimniſſe 
bebalte das Geheimniß der von Dir gemies 
m Jägermeifterei für Dich.“ 


1m 


185 


rührte die Zufriedenheit, welche feit einigen Wochen 
den Bauch von Herrn von Taverney rundete. 

Als Philipp diefen neuen Sumpf von Schändlich⸗ 
feit entdedt hatte, ſchauderte er, da er ſich durch tag 
einzige Weſen barein verfenkt ſah, das mit ihm ge⸗ 
meinſchaftliche Sache für die Ehre hätte machen müflenz 
doch der Schlag war fo heftig geweſen, daß er betäubt, 
finmm blieb, während der Baron mit mehr Eifer als 
je Iamapie 

„Sieht Du, Du Haft da ein Meifterflüd gemacht,“ 
tagte er, „Du haft alle Welt von der Fährte abgebracht. 
Diefen Abend fagten mir fünfzig Augen: Es iſt Rohan. 
Hundert fagten mir: Es ift Charny. BZweihundert 
fagten mir: Es ift Rohan und Charny! Nicht ein 
einziges hat mir gejagt: Es ift Taverney. Ich wieders 
hole Dir, Du hat ein Meifterfiüd gemacht, und es ift 
das Wenigſte, baß ich Dir mein Compliment hierüber 
ausfprecye... Uebrigens gereicht das Dir wie ihr zur 
Ehre, mein Lieber. Ihr, weil fie Did) genommen Bat, 
Dir, weil Du fie haͤltſt.“ 

In dem Augenblid, wo Philipp, durch dieſen lebten 
Zug wäthend gemadt, mit einem verzehrenden Blick 
den unbarmberzigen Öreis niederichmetterte, mit einem 
Bl, dem Borfpiele des Sturmes, vernahm man das 
Raſſeln eines Wagens im Hof des Hotels, und gewiſſe 
Gerauſche, ein gewiſſes Hin- und Hergehen von ſelt⸗ 
ſamem Gharafter lenkten die Aufmerkfamfeit von Philipp 
nach Außen. 

Man hörte Ghampagne rufen: 

„Dos Fränlein! es ift das Fräulein!“ 

Und mehrere Stimmen wiederholten: 

Be —— gu fragte T lch 

e, das ein?" fragte Taverney, „welches 
Fräulein iR da?“ 

. „Ge if meine Schweſter,“ murmelte Philipp, als 
ee Audrée erfannte, bie aus dem durch das Licht des 
Bortier beleuchteten Wagen flieg. 

Das Saloband der Königin. IV. 10 


146 


„Deine Gäweher!" wiederholle der Sreis ... 
„Andıee . . . IR c6 möglich?“ 


at hätt ns 
— satten nu sun 


„Bnädiger Herr,“ feste FA — Sekus 
34 —2 
— —— 
au fprehen.“ 


"Biehen wir ihr ,“ tief der Grie, 
SE mie mil de Deren,” Eli 
TE Bl 





© ng im 
feiner Einen .ı 27 ee 
aufdie tr | Mohnuna zug ü 


führte, 


147 


Zu feiner Rechten war ein anderer Heiner Salon, 
durch den man in ben großen eintrat. 

Philipp Fam zuerfi in das Boudoir, wo ihn feine 
Schweiter erwartete. Er hatte in der Flur feine Schritte 
verdoppelt, um früher in den Armen dieſer theuren Ges 
fährtin zu fein. 

Sobald er die Doppeltküre des Salon geöffnet 
hatte, nahm ihn Andree beim Halfe und umarmte ihn 
mit einer freudigen Miene, an welche diefer traurige 
Liebende, dieſer unglüdliche Bruder feit langer Zeit 
nicht mehr gewöhnt mar. 

„Bütiger Himmel! was begegnet Dir denn?“ fragte 
der junge Mann Andree, 

„Etwas Glückliches!.. oh! etwas fehr Glückliches, 
mein Bruder!“ 

„Und Du kommſt zurüd, um es mir mitzus 
theilen ?“. 

„Ich komme für immer zurück!“ fagte fie mit einem 
Entzüden bes Glücks, das aus ihrem Ausrufe einen 
fyallenden Schrei machte. 

„geile, Schweterchen, leiſe,“ fagte Philivp; „das 
Täfelwerk dieſes Hauſes ift nicht an die Freude ge- 
wöhut, und dann ift dort, oder wird ſogleich dort in 
dem Salon Jemand fein, der Dich hören könnte.“ 

„Semand, wer denn?“ fragte Andree. 

„Horde,“ erwiederte Philipp. 

„Der Herr Graf von Charny,“ meldete der Ladei, 
Dfivier aus dem Kleinen Saale in den großen eins 
führend. 

„Sr! er!“ rief Andree, ihre Liebfofungen bei ihrem 
Bruder verboppelnd, „Oh! ich weiß wohl, was er 
bier will.“ 

„Du weißt es?” 

„Ic weiß es fo gut, daß ich die Unorbnung in meis 
‚nem Anzug wahrnehme, und daß ich, da ich ven Augen 
Ni vorherfehe, wo ich ebenfalls in ben Balon werde 


148 


eintreten müffen, um bort mit meinen Ohren zu hören, 
was Herr von Charny zu Sagen beabfidhtigt ...“ 

„Sprichſt Du im Ernfte, meine liebe Andree ?“ 

„Höre, höre, Philipp, und laß mich in mein 
Zimmer binaufgehen. Die Königin hat mich ein wes 
nig fchnell zurüdgeführt; ich will mein Klofterneglige 
gegen ein Gewand ... gegen ein Brautgewand vers 
taufchen.“ 

Und nad diefen Worten, die fie leife und in Be: 
leitung eines freudigen Kufles zu Philipp ſprach, ver- 
hwand Andree Leicht und braufend auf der Treppe, 
die nach ihrer Wohnung führte 

Bhilipp blieb allein, legte feine Wange an bie 
Thüre, welche das Boudoir mit dem Salon verband, 
und horchte. 

Der Graf von Eharny war eingetreten. Gr ging 
langfam auf und ab und fchien mehr nachzufinnen, als 
zu warten. 

Herr von Taverney, der Vater, trat ebenfalls ein 
und begrüßte den Grafen mit ausgezeichneter, wenn 
auch gezwungener Artigfeit. 

„Welchem Umftande,“ fagte er, „verbante ich die 
Ehre diejes unerwarteten Befudhes, Herr Grai? in jedem 
Fall glauben Sie mir, daß ih im höchſten Maße dars 
über erireut bin.“ 

„Sch komme, wie Sie fehen, in Geremonie, mein 
Herr, und ich bitte Sie. mich zu entichuldigen, wenn 
ich meinen Oheim, den Herrn Bailli von Suffren, nicht 
mitgebracht habe, wie ich es hätte thun follen.“ 

„Wie!“ Rammelte der Baron, „ich entfchuldige Gie, 
mein lieber Herr von Charny.“ 

„Sch weiß, es wäre dies ber Schidlichkeit gemäß 
gemeien, bei der Bitte, die ich Ihnen vorzutragen im 

egriffe bin.“ 

„Eine Bitte?” 

„Ih habe die Ehre,” ſprach Charny mit einer 
Stimme, welche die Aufregung beherrfchte, „ich babe 


149 


die Ehre, um die Hand von Fräulein Andree von Ta⸗ 
verney, Ihrer Tochter, zu bitten.“ 

Der Baron machte gleihiam einen Eprung in 
feinem Lehnſtuhl. Er riß funfelnd die Augen auf, welche 
jedes von den Worten, die der Graf von Charny ges 
fprochen, zu verfchlingen fchienen. 

„Meine Tochter!” murmelte er, „Sie verlangen 
Andree von mir zur Frau?“ 

„3a, Herr Baron; wenn nicht etwa Fräulein von 
le einen Widerwillen gegen diefe Verbindung 
uhlı?“ 

„Ab!“ dachte der Greis, „Acht Philipp ſchon fo 
body in der Bunft, das einer jeiner Nebenbuhler viefe, 
feine Schweſter heirathend, benügen will? Meiner 
Treu, das iſt auch nicht ſchlecht gefpielt, Herr von 
Charny.“ 

Und mit einen Lächeln erwiederte er laut: 

„Diefes Geſuch iſt fo ehrenvoll für unſer Haus, 
Herr Graf, daß ich ihm, was mich betrifft, mit großer 
Freude eniſpreche, und da mir daran gelegen iſt, daß 
Sie eine vollſtändige Ginwilligung von hier mit—⸗ 
a fo werde ich meine Tochter benachrichtigen 
aflen ... .” 

„Mein Herr,“ unterbrady ihn der Graf mit Faltem 
Tone, „Gie machen fih eine unnöthige Mühe. Die 
Königin bat die Gnade gehabt, Zıäulein von Taverney 
hierüber zu befragen, und die Antwort des Bräuleine 
iR günftig für mich geweſen.“ 

„AH!“ rief der Baron, immer mehr erflaunt, „es 
iR die Königin... .” 

„Die fi zu diefem Behufe nach Saints Denis bes 
geben hat, ja, mein Herr.“ 

Der Baron fland auf und ſprach: 

„Herr Graf, ih babe Sie nur noch von dem, 
was die Lage von Fräulein von Taverney betrifft, im 
. Kenntniß zu fegen. Sc babe hier oben die Urfunden 
vom Bermögen ihrer Mutter, Sie heirathen Fein 


12 


„Ich gebe mir ben Anſchein 4" rief Philipp ker 
aerlic. 


143 


ie ich bin, ber Unannehmlichfeit aus, die Achtung 
:gen Gie zu verlegen.“ 

„Ah! ja wohl, die Achtung; ich ſpreche Dich davon 
ei, Du biſt groß genug, um unfere Angelegenheiten 
ı betreiben, und Du enıledigft Dich derfelben fo gut, 
iß Du mir Achtung einflößeft. Du bift der Geronte, 
b bin der Etourdi; gib mir eine Adreſſe, an welche 
h Dir eine Nachricht zufommen laffen kann, follte ſich 
was Dringendes ereignen.” 

„Rad Taverney, mein Herr,” ſprach Philipp Im 
Hauben, ber reis kehre endlich zu feinem gefunden 
jerflande zurüd. 

„Gi! Du gibt mir eine fchöne Adreſſe! ... nad 
averney, auf achtzig Meilen. Du bildet Dir ein, 
enn ich Dir einen wichtigen, dringenden Rath zufom: 
ıen zu lafjen babe, werde ich mich damit beluftigen, 
aß ich Eouriere auf der Landftraße nach Taverney der 
Babrfcheinlichteit wegen umbringe? Ich fage nit, Du 
ur mir die Adrefie von Deinem Haute im Park geben, 
weil man meinen Emiffairen dahin folgen oder meine 
ioreen erkennen fönnte, aber wähle eine dritte Adrefle, 
ı der Entfernung von einer Viertelſtunde; Du Haft 
!inbildungsfraft . . . was Teufels, hat man für feine 
iebihaft getan, was Du gethan Haft, fo ift man 
in Mann von Mitteln.” 

„Ein Haus im Bart, Liebfchaft, Einbildungsfraft! 
Rein Herr, wir fpielen Räthfel, nur behalten Sie die 
zchlüſſel für ſich.“ 

„Ich kenne kein ſchrofferes und verſchloſſeneres Thier, 
ls Du biſt,“ rief der Vater voll Aerger, „ich kenne 
Hines, deſſen Zurückhaltung verletzender iſt. Sollte man 
icht glauben, Du habeſt bange, von mir verrathen zu 
erden? Das wäre ſeltſam!“ 

„Mein Herr!" rief Philipp außer ſich. 

„Es ift qut! es if qut! behalte Deine Geheimniſſe 
ir Dich; bebalte das Geheimniß der von Dir gemies 
beten alten Jägermeifterei für Dich.“ 


—e$ | 
14 


„Ih babe bie Jägermeißerei aemieigel? tl" -; 


185 


üßrte bie Zufrievenheit, welche feit einigen Wochen 
en Bauch von Herrn von Taverney rundete, 

Als Philipp diefen neuen Sumpf von Schänblichs 

sit entdeckt hatte, fchauderte er, da er ſich durch tag 
Ingt e Weſen darein verſenkt fah, das mit ihm ge: 
ie nfihaftliche Sache für die Ehre hätte machen müflen; 
od der Schlag war fo heftig gewefen, daß er betäubt, 
in blieb, während der Baron mit mehr Eifer als 
e ſchwatzte. 
„Siehſt Du, Du Haft da ein Meiſterſtück gemacht,“ 
agte er, „Du haft alle Welt von der Fährte abgebracht. 
Yiefen Abend fagten mir fünfzig Augen: Es ift Rohan. 
yundert fagten mir: Es ift Charny. Zweihundert 
agten mir: Es iſt Rohan und Charny! Nicht ein 
inziges hat mir gefagt: Es ift Taverney. Ich wieder» 
ole Dir, Du haft ein Meifterflüd gemacht, und es ift 
as Wenigfte, daß ih Dir mein Kompliment hierüber 
usſpreche... Uebrigens gereicht das Dir wie ihr zur 
ihre, mein Lieber. Ihr, weil fie Dich genommen hat, 
Yir, weil Du fie hältſt.“ 

In dem Augenblid, wo Philipp, durch dieſen Testen 
ng wüthend gemacht, mit einem verzehrenden Blick 
en unbarmberzigen Greis niederfchmetterte, mit einem 
Mid, dem Borfpiele des Sturmes, vernahm man das 
taffeln eines Wagens im Hof des Hotels, und gewiſſe 
zeräuſche, ein gewifles Hin- und Hergehen von felts 
er Byarafieı lenften die Aufmerkfamfeit von Philipp 
a ußen. 

Man hörte Champagne rufen: 

„DIS Fräulein! es ift das Fräulein!“ 

Und mehrere Stimmen wiederholten: 

„Das Fräulein!“ 

„Wie, das Fräulein?” fragte Taverney, „welches 
fräulein if da" 

„Es ift meine Schweſter,“ murmelte Philipp, als 
? Andrde erfannte, bie aus dem durch das Licht des 
Bortier beleuchteten Wagen flieg. 


Das Galöband der Königin. IV. 10 


186 


„Deine Ecmefter!“ inieberholte ver Seid... 
„Andiee .. . IR c6 mögliT“ 

GHambag me trat ein, um zu Ban was Philivn 
engefänhigt Hast —— 

u 2 —A Bein 

lein, ER Eon, i — * 
Salon: Re —* 
au rigen 





Im in im * 
ash 35* 


147 


Zu feiner Nechten war ein anderer Fleiner Salon, 
irch den man in den großen eintrat. 

Philipp Fam zuerfi in das Boudoir, wo ihn feine 
hwefter erwartete. Er hatte in der Flur feine Schritte 
rboppelt, um früher in den Armen diefer theuren Ges 
hrtin zu fein. 

Sobald er die Doppeltküre des Salon geöffnet 
ıtte, nahm ihn Andree beim Halfe und umarmte ihn 
it einer freudigen Miene, an melde diefer traurige 
ebende, dieſer unglüdliche Bruder feit langer Beit 
ht mehr gewöhnt mar. 

„Bütiger Himmel! was begegnet Dir denn?” fragte 
e junge Mann Andree, 

„Eiwas Glückliches!.. ob! etwas fehr Gluͤckliches, 
ein Bruder!“ 

„Und Du kommſt zuräd, um es mir mitzus 
eilen ?”. 

„Ich komme für immer zurüd!” fagte fie mit einem 
ntzüden des Glücks, das aus ihrem Ausrufe einen 
yallenden Schrei machte. 

„Leife, Schweterchen, leiſe,“ fagte Philipp; „das 
ifelwerk dieſes Haufes ift nicht an die Freude ge- 
zhnt, und dann iſt dort, oder wird fugleich dort in 
m Salon Semand fein, der Did hören fönnte.” 

„Semand, wer denn?” fragte Andree. 

„Horche,“ erwiederte Philipp. 

„Der Herr Graf von Charny,“ meldete der Lackei, 
livier aus dem kleinen Saale in den großen ein⸗ 


rend. 
’ „Er! er!“ rief Andree, ihre Liebkoſungen bei ihrem 
‚uber uerboppelnd. „Sb! ich weiß wohl, was er 
er will.” 

„Du weißt es?” 

„Ich weiß es fo gut, daß ich die Unorbnung in meis 
m Anzug wahrnehme, und daß ich, da ich ven Augens 
ck vorherſehe, wo ich ebenfalls in ben Salon werde 


148 


eintreten müflen, um bort mit meinen Ohren zu hören, 
was Herr von Charny zu fagen beabfichtigt . . .” 

„Sprichſt Du im Ernfte, meine liebe Andree ?” 

„Höre, höre, Bhilipp, und laß mich in mein 
Zimmer binaufgehen. Die Königin hat midy ein wes 
nig fchnell zurüdgeführt; ich will mein Klofterneglige 
gegen ein Gewand ... gegen ein Brautgewand vers 
taufchen.“ 

Und nad) diefen Worten, die fie leife und in Be: 

leitung eines freudigen Kufles zu Philipp ſprach, ver- 
wand Andrée leicht und braufend auf der Treppe, 
die nah ihrer Wohnung führte 

Bhilipp blieb allein, Iegte feine Wange an bie 
Thüre, welche das Boudoir mit dem Salon verband, 
und horchte. 

Der Graf von Eharny war eingetreten. Er ging 
langfam auf und ab und fchien mehr nacdhzufinnen, ale 
zu warten, 

Herr von Taverney, der Bater, trat ebenfalls ein 
und begrüßte den Grafen mit ausgezeichneter, wenn 
auch gezwungener Artigkeit. 

„Welchem Umftande,“ fagte er, „verbante ich die 
Ehre viejes unerwarteten Beſuches, Herr Grai? in jedem 
Fall glauben Sie mir, daß ih im höchſten Maße dars 
über erıreut bin.” 

„Sch komme, wie Sie fehen, in Beremonie, mein 
Herr, und ich bitte Sie. mich zu entichuldigen, wenn 
ich meinen Oheim, den Herrn Bailli von Sufften, nicht 
mitgebracht habe, wie ich es hätte thun follen.“ 

„Wie!“ Rammelte der Baron, „ich entſchuldige Gie, 
mein lieber Herr von Charny.“ 

„Ich weiß, es wäre dies ber Schicklichkeit gemäß 
eweien, bei der Bitte, bie ich Ihnen vorzutragen im 
egriffe bin.” 

„Sine Bitte?“ 

„Ih habe die Ehre,“ ſprach Charny mit einer 

Stimme, welche die Aufregung beherrfchte, „ich Habe 


149 


e Ehre, um die Hand von Fräulein Andree von Ta⸗ 
rney, Ihrer Tochter, zu bitten.” 

Der Baron machte gleihiam einen Eprung in 
inem Lehnſtuhl. Er riß funfelnd die Augen auf, welche 
bes von den Worten, die der Graf von Charny ges 
rochen, zu verfchlingen fchienen. 

„Meine Tochter!" murmelte er, „Sie verlangen 
ndree von mir zur Frau?“ 

„Sa, Herr Baron; wenn nicht etwa Fräulein von 
averneh einen Widerwillen gegen diefe Verbindung 


„Ah!“ dachte der Greis, „Acht Philipp fchon fo 
ich in der Gunſt, daß einer feiner Nebenbuhler viefe, 
ine Schwefter heirathend, benügen will? Meiner 
ren, das ift auch nicht fchlecht gefpielt, Herr von 
barny.“ 

Und mit einen Lächeln erwiederte er laut: 

„Diefes Geſuch ift fo ehrenvoll für unfer Haus, 
err Graf, daß ich ihm, was mich betrifft, mit großer 
reude entfpredhe, und da mir daran gelegen ift, daß 
te eine vollffändige Ginwilligung von Hier mits 
Amen, fo werde ich meine Tochter benachrichtigen 
fin... .“ 

„Mein Herr,” unterbrach ihn der Graf mit kaltem 
one, „Sie maden fidh eine unnöthige Mühe. Die 
önigin hat die Gnade gehabt, Fräulein von Taverney 
ierüber zu befragen, und die Antwort des Fräuleins 
t günftig für mich aewefen.“ 

„AH!“ rief der Baron, immer mehr erflaunt, „es 
| die Königin. . .” 

„Die ih zu diefem Behufe nad) SaintsDenis bes 
ben hat, ja, mein Herr.“ 

Der Baron fland auf und fprad: 

„Herr Graf, ih habe Sie nur noch von bem, 
as die Lage von Fräulein von Taverney betrifft, im 
enntniß zu fegen. Sch habe hier oben die Urfunden 
m Bermögen ihrer Mutter, Sie heirathen Fein 


150 


reiches Mädchen, Herr Graf, und ehe Sie etwas ab: 
ſchließen ...“ 

„Unnöthig, Herr Baron,” unterbrach ihn Charny 
trocken. „Ich bin reich für Zwei, und Fraͤulein von 
Taverney gehört nicht zu den Frauen, um die man 
handelt. Doch es iſt für mich unerläßlich, die Frage, 
die Sie für Ihre Rechnung behandeln wollten, für die 
meinige zu behandeln.” 

Gr hatte kaum dieſe Worte geſprochen, als fid 
die Thüre des Boudoir öffnete und Philipp bleicy, ver- 
flört, eıne Hand in feiner Weite, die andere krampfhaft 
gefchloffen, erſchien. 

Charny begrüßte ihn ceremoniös und empfing einen 
ähnlichen Gruß. 

„Mein Her,” ſprach Philipp, „mein Vater hatte 
Recht, Ihnen eine Unterredung über die Familienrech⸗ 
nungen vorzufchlagen; wir haben Ihnen beide Auf: 
Härungen zu geben. Während der Herr Baron in jein 
Zimmer hinauf geht, um die Bapiere zu holen, von 
denen er jbrach, werde ich die Ehre haben, die Frage 
mit Ihnen mehr im Einzelnen zu verhandeln.“ 

Und mit einem Blide unabweisbarer Autorität 
fhicfte Philipp den Baron weg, der fih mit großem 
Mißbehagen entfernte, da er einen Duerftrich vorherfah. 

Philipp begleitete deu Baron bis an die Ausgangs: 
tbüre des fleinen Salon, um ficher zu fein, daß dieſes 
Zimmer Iger blieb. Er ſchaute auch in das Bonboir, 
kreuzte, nachdem er fich überzeugt hatte, daß er von 
Niemand gehört werden fonnte, als vom Grafen, dies 
fem gegenuber die Arme und ſprach: 

„Herr Graf, wie fommt es, daß Cie es wagen, 
die Hand meiner Echweiter zu verlangen ?“ 

Dlivier wich zurück und erröthete. Bhilipp aber 
fuhr fort: 

„Etwa, um befier Ihre Liebichaft mit der Frau zu 
verbergen, welche Sie verfolgen, mit der Frau, die Gie 


151 * 
tebt? Damit man, wenn man Sie verheirathet fleht, 
sicht lagen fönne, Sie haben eine Beliebte?“ 

„Wahrhaftig, mein Herr . . .“ flammelte Charny 
ſchwankend, niedergefchmettert. 

„Etwa,“ fügte Philipp bei, „bamit Sie, der Batte 
tiner Frau geworden, weldye zu jeder Stunde in die 
Nähe Ihrer Beliebten Eommen wird, mehr Leichtigkeit 
haben, fie zu fehen, dieſe angebetete Geliebte?“ 

„Mein Herr, Sie überfihreiten die Grenzen.“ 

„Es geſchieht vielleicht, und ich glaube das eher,“ 
fuhr Philipp ſich Charny nähernd fort: „es geſchieht 
ohne Zweifel, damit ih, Ihr Schwager geworden, 
nicht enthülle, was ich von Ihrer vergangenen Xieb- 
Ihaft weiß “ 

„Was Ste wiflen,” rief Charny erfchroden, „neh⸗ 
men Sie ſich in Acht, nehmen Sie fih in Acht!“ 

„Ja,“ fagte Philipp ſich belebend, „das Haus 
des Jägermeifterd von Ihnen gemiethet; Ihre geheim- 
nißvollen Spaziergänge im Parke von Berfailles . . . 
in der Nadıt . . . Ihre Händedrüde .. . Ihre Seuf- 
zer, und befonders jener zärtliche Austaufch von Bilden 
an ber Heinen Thüre des Parks. . .“ 

„Mein Herr, im Namen des Himmels... . mein 
Herr, ‚Sie wiſſen nichts, fagen Sie, daß Sie nichts 


iſſen. 

Ich weiß nichts!“ rief Philivp mit einer blutigen 
Ironie. „Wie follte ich nichts wiſſen, ich, der ich im 
Geſtraͤuche vor der Thuͤre der Apollo-⸗Bäder verborgen 
war als Sie der Königin den Arm reichend herauss 
traten.” 

Charny machte Zwei Schritte, wie ein Menſch, 
der auf den Tod getroffen ift und eine Stüge um fid 


her ſucht. 

Philipp ſchaute ihn mit einem finftern Stillſchwei⸗ 
gen an. Gr ließ ihn leiden, er ließ ihm durch diefe 
vorübergehende Marter die Stunden unausſprechlicher 
Wonne fühnen, die er ihm zum Vorwurfe machte. 


ur 


152 


She zu on Fanen gufommenfinter 
and ce⸗ 

K „set ‚pe 
Siem id je am vie Ha - 
son St wire iow —s = 
Bere yon ein qugentid . 
—8 netmegen, jo wört 1 Wo 
arbätt nm der mein ‚eime 
mis 1 n feiner naht it, Dangt 
gatte- der m tier werden vas 

up (ein 

ar weder nie gorigit verlon 
ſagtt vbilwy onerned de ven gan 

gun vor ‚di und vom rät 
—8 Augen — gehen? —9 
weile Hutter E53 zweit ich vab 

je Sie diebt? rund, meine, Schwe⸗ 
er u fer ger, vnd W ge ne mim 
DJ {ofen 

„mein get: ‚iederte, yfiniete m a Ei 

garum vie Rd aͤgin deloren in, me viele Hero 
wit il tonde tom Eee „ wäht! 
aan Hein Yon Raben gerhaftete, König mid 
ven Knien KL igin abe ah Hat" 


Ei ch n 

rn in Sets per eine tan 9 
Heimen Salon ar ande! us dem Wondolt- 

inter ME ion, Im 


gan Seultt er 
Andrde VL Kasernen weiß getteibet gie eir 
Sit Hatte gutes geairt und wat in —8 


153 * 


Philipp lief zum Schrei in den kleinen Salon. 
erblickte den Leib des Barons von Taverney, den 
e Offenbarung der Liebe der Koͤnigin für Charny 
den Ruin aller ſeiner Hoffnungen niedergeſchmettert 


e. 
Vom Schlage getroffen, hatte der Baron den letz⸗ 
Seufzer von ſich gegeben. 
Die Weiſſagung von Caglioſtro war in Erſüllung 
angen. 
Philipp begriff Alles, felbft die Schmach diefes 
es, verließ Hinfeweigend den Leichnam und fehrte 
ven Salon zu Charny zurüd, der, zitıernd und ohne 
er ed zu berühren wagte, vieles kalte, lebloſe 
ne Maͤdchen betrachtete. 
Die zwei offenen Thüren ließen die zwei Körper 
hauen, welche gleichfam fymmetrifh an dem Orte 
a, wo fie der Schlag diefer Enthüllung getroffen 
i 


e. 

Die Augen angefchwollen, das Herz Fochend, hatte 
lipp den Muth, das Wort zu nehmen und zu Herrn 

Charny zu fagen: 

„Der Herr Baron von Taverney ift fo eben geftorben. 
u ihm bin id) das Haupt der Familie. Wenn Frans 
. von Taverney wieder zum Leben kommt, fo gebe 
fie Ihnen zur Che.“ 

Charny fchaute den Leichnam des Barons mit Ent: 
a, den Körper von Andree mit Verzweiflung an. 
Philipp riß ſich die Haare mit beiden Händen aus, 
ſchlenderte zum Himmel einen Ausımf, ber das 
3 Gottes auf feinem ewigen Thron bewegen mußte. 

„Sraf von Charny,“ fagte er, nachdem er ben 
irm in feinem Innern befhwichtigt hatte, „ich übers 
me dieſe Berbindlichkeit im Namen meiner Schwefter, 
mich nicht Hört: fie wird ihr Glück unferer Königin 
m, und ich werde vielleiht eines Tags glüdlich 
ug fein, für fle mein Leben Hinzugeben. Gott 


154 


beiohlen, Herr von Charny; Gott befohlen, m 
Schwager.“ 

Nach diefen Worten grüßte Philipp Olivier, | 
nicht wußte, wie er ſich entfernen follte, ohne an ein 
von den Opfern vorbeizufommen, Hub Andree auf, 
wärmte fie in feinen Armen und madte fo den X 
für den Grafen frei, wonach diefer durch das Boud 
verfchwand. 


LXXXV. 
Tach dem Drachen die Natter. 


Es ift Zeit für uns, daß wir zu ben Berfor 
unferer Befchichte zurüdfehren, welche die Nothwend 
feit und bie Intrigue fowohl, als die hiſtoriſche Wal 
heit auf den zweiten Plan verwiefen haben. 

Dliva ſchickte ih an, für Rechnung von Jear 
zu fliegen, als Beauflre, der nad) der Wiedererlangu 
von Nicole feuchte, durch eine anonyme Nachricht 
Kenntniß geſetzt, fih bis in ihre Arme geleitet { 
und fie von Caglioſtro entführte, während Herr Rete 
von Billette vergebens in der Rue du Roi⸗De 
wartete. 

Um das glüdliche Liebespaar, das zu entded 
Herr von Erosne ein fo großes Intereffe hatte, wie 
aufzufinden, ließ Frau von La Mothe alle ihre v 
frauten Leute in's Feld ziehen. 

Sie wollte lieber, wie man leicht begreift, fel 
über ihrem Geheimniß wachen, ale e6 den Hänt 
Anderer überlafien, und zur guten Durchführung I 
Angelegenheit, die fie vorbereitete, war «6 unerläßli 
daß Nicole nicht auigefunden werden konnte. 

Es läßt fih die Angft nicht ſchildern, die fie an 
zuſtehen hatte, als jeder von ihren Emiffiren 1 


155 


jeiner Rückkehr ihr meldete, die Nachforſchungen feten 
vergeblich geweſen. 

Sn diefem Augenblid erhielt fie, verborgen, Befehl 
auf Befehl, vor der Königin zu erfcheinen und über 
en in Beziehung auf das Halsband Rebe 
u ſtehen. oo 
Berfchleiert, reifte fie nächtlicher Meile nad Bar: 
jur-Aupe ab, wo fie ein Abfteigequartier hatte, und 
auf Ummegen, ohne erkannt worden zu fein, bier ans 
gelangt, nahm fie fi Zeit, ihre Lage unter ihrem 
wahren Lichte in’s Auge zu faflen. 

Sie gewann fo zwei bis drei Tage, nur mit fi 
allein, und fie gab fih die Zeit, und mit der Zeit die 
Etärfe, durch eine folide innere Beiefligung das Ge: 
bäude ihrer Berleumdungen zu behaupten. 

Zwei Tage der Giniamfeit waren für dieſe tiefe 
Seele der Kampf, nah deſſen Beendigung der Körver 
und der Gein gebändigt fein müßten, nach dem das gebors 
fame Gewiſſen fi nicht mehr, ein gefährliches Werf- 
zeug, negen die Schuldige umfehren würde, nach dem 
das Blut die Gewohnheit angenommen hätte, um das 
Herz zu freifen, ohne je zum ®:fihte aufzufleigen, um 
hier die Scham oder die Ueberraſchung zu verrathen. 

Der König, die Rönigin erfuhren ihren Aufenthalt 
in Bar⸗ſur⸗Aube erit in dem Augenblid, wo fie fhon 
jum Kriegführen vorbereitet war. Sie ſchickten einen 
tigemen Boten ab, um fie zu holen. Da erfuhr fie die 
Berhaitung des Cardinals. 

Sede Andere, als fie, wäre durch dieſe Fräftige 
Dffenfive niedergeichmetiert worden ; doch Jeanne hatte 
nichts mehr zu Ichonen. Was war eine Frriheitsirage 
in der Wagſchale gegen Fragen über Leben und Tod, 
die ſics jeden Tag darin anhäuften? 

Als fie die Einferferung des Bardinals und ben 
he, den die Königin gemacht hatte, berechnete 

€ : 
„Die Königin hat ihre Schiffe verbrannt, fie kann 


156 


unmöglich auf die Vergangenheit zurüdfommen. 5 
fie fih weigert, fi mit dem Cardinal zu vergle 
und die Juweliere ja bezahlen, ſpielt fie quitt 
doppelt. Das beweift, daß fie ohne mid) rechnet 
nicht vermuthet, welche Kräfte ich zu meiner 
fügung babe.“ 

Aus diefen Stüden war die Rüflung gen 
welche Jeanne trug, als ein Mann, halb Geir 
halb Bote, plöglich vor ihr erfchien und ihr anfün! 
er fei beauftragt, fiean den Hof zurückzubrin 

Der Bote, welder beauftragt war, fie an 
Hof zurüdzubringen, wollte fie unmittelbar 
König führen; doch mit jener uns befannten Gew: 
heit fagte Seanne: 

hain ein Herr, nicht wahr, Sie lieben die 
n g n 4 
„Zweifeln Sie daran, Frau Gräfin?“ erwie 
der Bote. 

„Nun wohl! im Namen diefer reblichen Liebe 
der Ehrfurcht, welche Sie für die Königin hegen 
fhwöre ih Sie, mich zuerft zu der Königin zu füh 

Der Offizier wollte Einwendungen machen. 

„Ste wiffen ficherlich beffer als ih, um was e 
handelt,” fprady die Gräfin. „Sie werden baheı 
greifen, daß eine geheime Unterredung der Königin 
mir nuerlaͤßlich if.“ 

Ganz jufammengefnetet von den verleumberi 
Ideen, welche die Luft von Berfailles feit meh: 
Monaten verpefteten, glaubte der Bote, der Köı 
wirkli einen Dienſt zu leiften, wenn er Frau 
La Mothe zu ihre führte, ehe er fie dem König yı 

Man denke fi den Hochmuth, das ſtolze Ben 
fein der Königin, als file dieiem Dämon geger 
fand, den fie noch nicht kannte, deſſen ſchändli 
treulofen Einfluß auf ihre Angelegenheiten fie 
wohl muthmaßte. Man dente fi Marie Antotı 
eine noch troftlofe Wittwe ihrer Liebe, die dem Ae 


157 


‚war, Marie Antoinette niebergefchmettert 
tleidigung einer Anklage, die fie nicht 
mnte, man denke fih Marie Antoinette 
fie ih nach fo vielen Leiden anſchickte, 
den Kopf der Schlange zu feßen, welde 


tte. 

benfte Verachtung, der fchlecht bewältigte 
5 der Frau gegen die Frau, das Gefuͤhl 
teichlichen Mebergewichts der Lage, dies 
Jaffen von einer der Gegnerinnen. Ein 
Seheimniflen, ein Geiſt voll von Speen, die 
zum legten Anftifter, die® war die zweite 
ampfes. Die Königin begann damit, daß 
ı zwei von ihren Zrauen, mit gefenftem 
Menen Lippen und langfamer feierlicher 
!intreten ließ. Frau von La Mothe fagte, 
zwei rauen erblidte, zu ſich ſelbſt: 

as find zwei Zeugen, die man fogleid 
ird.“ 

dlich ſind Sie da, Madame!” rief die 
ın findet Sie endlich!“ 

erneigte fih zum zweiten Mal. 
bergen fid alfa?“ fragte die Königin voll 


bergen, Madame! nein, Madame,“ er⸗ 
nne mit einer fanften, Taum tönenden 
ob die durch die fönigliche Majeftät ber: 
Bemüthsbewegung allein ihren gewöhns 
yämpite; „wenn ich mich verborgen hätte, 
ı mid nicht gefunden haben.” 

» aber doch davon gelaufen? Nennen Sie 
Ihnen beliebt.“ 

st, ich babe Paris verlaflen, ja, Mas 


eine Erlaubniß?“ 
ürchtete, Ihre Majeſtät würde mir bem 
ı nicht bewilligen, deſſen ich bedurfte, um 


18 


meine Angelegenheiten in Barsfur-Aube zu orkmen, 
wo ig mid feit fee Zu ufbie, io min de 
Bertl.hrer LIT — —— ie 

ja) jo 


muß es D 
nothwendi hc ya ei % * Nagmäre 
einer Abweienheit vi Tagen in {9 zu fepen. — 23* 
‚Sie haben de Madame; warum haben * 
eine Berweigerung des urlande von mir gefkrätet? 





159 
Hain, „wiſſen Sie, daß Herr von Rohan in ber 


tan bat es mir gefagt, Madame.” ‘ 

‚ie erratben wohl, warum?” 

ınne fchaute feſt die Königin an, wandte fid 
gen bie Frauen, deren Gegenwart fie zu beengen 
und erwieberte: 

h weiß es nicht, Madame.“ 

te wiffen jedoch, daß Sie uns von einem Hals: 
fprocyen haben, nicht wahr ?“ 

on einem Diamanthalsband; ja, Madame,” 

ad daß Sie mir von Seiten des Barbindg ein 
ven vorgefhlagen haben, um das Halsband 

l u 


as ift wahr, Madame.“ 
abe ich das Abkommen angenommen ober aus: 


en?" 

ure Majeſtät hat es ausgefchlagen.“ 

h!“ machte die Königin mit einer Mifchung 

friedenheit und Erſtaunen. 

jre Majeftät Hat fogar eine Abſchlagszahlung 

mal hundert taufend Livres gegeben,” fügte 
e 


ut... und hernach?“ 

ernach Kat Ihre Majeftät, da fie nicht bezablen 
weil ihr von Herrn von Balonne das Geld 

ert worden war, das Etui den Juwelieren 
und Boffange zurüdgefchidt.“ 

urch wen zurüuͤckgeſchickt?“ 

urch mich.“ 

id Sie, was haben Sie gethan?“ 

h,“ erwiederte langſam Jeanne, die das ganze 

: der Worte fühlte, welche fie auszufprechen im 
war, „ih babe die Diamanten dem Herru 


l gegeben.“ 
em Deren Cardinal!“ rief die Königin, „und 


4 


160 


FAR wenn’s beliebt, flatt fie den Jumelieren zuz: 
ellen ?" 

Feadame, weil ich Herrn von Rohan, der ſich fı 
dieſe Sache, die Eurer Majeſtät gefiel, intereſſirt 
verletzt hätte, würde ich ihm nicht die Gelegenhe 
geboten haben, ſie ſelbſt zu beendigen.“ 

„Aber wie kommt es, daß Sie einen Empfanı 
fein von den Jumwelieren erhalten haben?“ 

„Herr von Rohan hat mir benfelben übergeben.‘ 

„Doch der Brief, den Sie dem Juwelier, als tän 
er von mir, eingehändigt haben follen ?” 

„Herr von Rohan bat mid, ihn zu beftellen.“ 

„@s ift alfo Herr von Roban, der fich übern 
und immer in dieſe Sache gemiſcht Hat,” rief d 
Königin. 

„Sch weiß weder, was Eure Majeftät hiemit fag. 
will, noch in was fih Herr von Rohan gemifcht Hat 
erwiederte Jeanne mit zerftreuter Miene. 

„Sch fage, der Empfangſchein der Juweliere ſei falfch 

„Falſch!“ rief Jeanne voll Unfcyuld, „oh! Madame 

„Sch fage, die vorgebliche Verfchreibung für di 
Halsband, welche ich unterzeichnet Haben foll, ſei falſch 

„Oh!“ rief Seanne, ſcheinbar noch mehr erſtaun 
als das erſte Mal. 

„Ich fage endlich,“ fuhr die Königin fort, „es f 
nothwendig, Sie mit Herrn von Rohan au confrontire 
damit wir Aufklärung über biefe ganze Sache erhalten 

„Sonfrontiren! Warum ift es nothwendig, Madam 
mich mit dem Herrn Garbinal zu confrontiren ?“ 

„Re tetöf hat es verlangt.” 


[2 r 

„Er ſuchte Sie überall.“ 

„Madame, das ift unmöglich.“ 

„Er wollte Ihnen, wie er fagte, beweifen, daß © 
ihn hintergangen haben.“ 

„Dh! Madame, zu biefem Ende verlange ich di 
Gonfrontation.“ 


— 


161 . 


„Sie wird Hattfinden, Madame, das dürfen Gie 
‚sen. Gie leugnen alfo, zu wiflen, wo pet 
d if?“ 

„Wie follte ih es wiſſen?“ 

„Sie leugnen, den Herrn Garbinal bei gewifien 
triguen unterflügt zu haben?“ 

„Enre Majeftät hat jedes Recht, ihre Ungnabe 
"mid gu werfen, aber feines, mich zu beleidigen. 
ı bin eine Balois, Madame.” 

„Der Herr Gardinal Hat vor dem König Verleum⸗ 
ae, die er auf ernſten Bafen ruhen zu 
en hofft.“ 

„Ih verſtehe nicht.” 

Der Cardinal hat erflärt, er Habe mir gefchrieben.“ 
ane fchaute der Königin in's Geſicht und ants 
stete nidhte. 

„Hören Sie mi?“ fagte die Königin. 

„sh Höre, ja, Eure Majeſtaͤt.“ 

„Und was antworten Sie?“ 

„Sch werde antworten, wenn man mich mit beur 
ren Garbinal confrontirt bat.“ 

„Dis dahin, wenn Sie bie Wahrheit wiflen, helfen 


und. 
„Die Wahrheit it, daß mich Eure Majeflät ohne 
laß erniedrigt und ohne Grund mißhandelt.“ 

„Das iR feine Antwort.“ 

Ich werde hier Feine andere geben, Madame.” 
Feaux⸗ ſchaute die zwei Frauen noch einmal an. 
Die Königin begriff, aber ſie gab nicht nad. Die 

ugierde konnte nicht die Oberhand über die menfchs 
‚e Achtung gewinnen. In den Berfchweigungen von 
une, in ihrer zugleich demüthigen und frechen Hals 
ig drang die Dreiftigfeit durch, welche aus einem 
angten Geheimniſſe entfpringt. Diefes Geheimniß 
te die Königin vielleicht durch die Milde erkaufen 
men. Aber He wies ein foldyes Mittel als ihrer 
würbig von { 


. 162 
Here on Bkohan IR In bie Befiie gahrad 


won weil er zu Bi fpregen melte,“ 
* —* are at 
Fr nit — wel fe a 


en u yerfte ihre —* iin su, uni 


f wi — kümmert. 
—— 


DL. faule — — —⏑⏑—⏑⏑— 





163 


anſtoßende Zimmer und fchlug voll Heftigfeit bie 
Thüren zu. 

„Nachdem ich ben Drachen beftegt habe, eich 
wohl die Natter zertreten,“ fagte fie. 

„Ich kann ihre Spiel auswendig, und ich glaube, 
daß ich gewonnen habe,“ dachte Seanne. 


LXXXVI. 


Wie es kam, daß Herr von Beaufire, während 
er den Hafen jagte, felbjt von den Agenten 
von Herrn von Crosne gejagt wurde. 


Frau von La Mothe wurde nach dem Willen der 
Königin eingefperrt. 
ein Erſatz fonnte angenehmer für den König fein,, 
ber dieſe Frau inflinftartig haßte. Der Prozeß über 
das Halsband wurde mit all der Muth inftruirt, mit 
welher zu Grunde gerichtete Kaufleute, die fih aus 
ver Berlegenheit zu ziehen hoffen, Angeflagte, die der 
Auflage entgehen wollen, und volfsthümliche Richter 
m Werke gehen fünnen, weldye in den Händen die 
Ehre oder das Leben einer Königin haben, abgefehen 
von der @itelfeit oder dem Parteigeiſt. J 
Es war nur ein Schrei durch ganz Frankreich. 
Anden Ruancen diefes Schreies vermochte die Königin 
ipre Barteigänger oder ihre Feinde zu erfennen und zu 
äblen. 
u Seitdem er eingeiperrt war, verlangte Herr von 
Roban dringend, mit Frau von La Mothe confrontirt 
n werben. Diefe Befriedigung wurde ihm gewährt. 
Brinz lebte in der Baftille wie ein vornehmer 
Herr in einem Haufe, das er gemiethet. Außer der 
Freiheit wurde ihm auf fein Verlangen a bewilligt. 
1 


164 


Der Prozeß Hatte von Anfang geringfügige Ders 
hältnkge angenommen, in Berreff des Standes der 
angeſchldigten Perſonen. Man wunderte fi, wie ein 
Rohan des Diebitahls angeklagt werden konnte. Die 
Dfficiere und der Gouverneur ber Baftille bezeigten 
auch dem Cardinal jede Ehrfurcht, jede dem Unglüd 
ſchuldige Achtung. Yür fie war er fein Angeflagter, 
fundern ein in Ungnade Gefallener. 

Das wurde noch ganz andere, ale es fih im 
PBublifum verbreitete, Herr von Rohan falle ale Opfer 
der Intriguen des Hofes. Es mar nidht mehr Eym; 
pathie für den Prinzen, fondern Begeifterung. 

Und Herr von Rohan, einer der Erften unter den 
Edlen des Reiches, begriff nicht, daß ihm die Liebe dee 
Bolfs einzig und allein dadurd zufam, baß er durch 
Edleres, als er, verfolgt wurde. Herr von Rohan, 
das legte Opfer des Derpotismus, war der That nad 
einer der erften Revolutionäre von Frankreich. 

Seine Unterrevdung mit Frau von La Mothe wart 
durch einen merfwürdigen Umſtand bezeichnet. Der 
Gräfin, der man, fo oft es fih um bie Königin ban- 
delte, leife zu ſprechen geflattete, gelang es, zum ar: 
dinal zu fagen: ° 

„Bntfernen Sie Jedermann, und id) werde Ihnen 
die Aufklärungen geben, die Sie haben wollen.“ 

Da verlangte Herr von Rohan allein zu fein unt 
mit leifer Stimme zu fragen. 

Man verweigerte es ihm, aber man ließ feiner 
Gonfulenten fiy mit der Bräfin beiprecdyen. 

Mas das Halsband betrifft, fo erwiederte fie. fie 
wife nicht, was daraus geworden, aber man hätte er 
wohl ihr geben fünnen. 

Und als der Conſulent, betäubt von der Frechheit 
diefer Frau, darüber auffchrie, fragte fie ihn, ob der 
Dienſt, den fle der Königin und dem Bardinal geleifet, 
nicht eine Million werth fel. 

Der Advocat wiederholte biefe Worte dem Garbinal, 


165 


erbleichte, neigte das Haupt und errielh, 
: in die Schlinge diefer höllijchen Bogelfäpgerin 
en war. 
0 wenn er fchon daran dachte, den Lärm 
Angelegenheit, weldyer die Königin zu Grunde 
e, zu erftiden, fo trieben ihn feine Freunde au, 
»indfeligfeiten nicht zu unterbrechen. 
dan wandte ihm ein, feine Ehre fei im Spiele; 
idle fi um einen Diebſtahl; ohne einen Sprud 
arlaments wäre die Unfchuld nidyt erwielen. 
m aber diefe Unfhuld zu beweifen, mußte man 
eziehungen bes Cardinals zu der Königin und 
b das Berbrechen von diefer beweifen. 
ſei dieſer Betrachtung erwiederte Seanne, fie 

die Königin ebenfo wenig anflagen, ale ben 
sal, wenn man fie aber beharrlich für das Hals⸗ 
erantwortlich machte, fo würde fie thun, was fle 
Inn wollte, das heißt, fie würde beweifen, bie 
in und ber Gardinal haben ein Intereſſe dabei, 
: Lüge zu befchuldigen. 
Is man diefe Schlüffe dem Cardinal mittheilte, 
te der Prinz feine ganze Verachtung gegen dies 
, weldye davon ſprach, fie wolle ihn fo opfern. 
zte bei, er begreife bie auf einen gewiffen Grad 
enehmen von Jeanne, aber er begreife das der 
in durchaus nicht. 
er Königin überbragt und mit Gommentaren 
a, erzürnten biefe Worte Marie Antoinette und 
n fie aufipringen. Sie wollte dann, baß ein 
eres Berbör auf die geheimnißvollen Theile diefes 
ſes gelenkt werben jollte. Die große Beſchwerde 
htlichen Zufammenfünite erjchien nun, enthäfft 
iteften Lichte vor ten Berleumdern und Nerig⸗ 


sachern. 

a fab fi aber die unglüdlice Königin ſchwer 
t.... Jeanne behauptete, das, wovon man ihr 
nicht zu Tennen, und zwar vor den Leuten ber 


Köni, —X vn A es 23* wer 
m , 
“ Meat Ta ade, Kon werte 14 fun." 


ihr bie Kae ‚einer Heldin gegeben und 


bebten, ind SBretecslirn benistben, 
uno Ych Teln Sukraktlonhriäne 3 wagen Dir Berhtee 
der Gräfe 


deten und 
Bohlgernd 
Amoivhär 


jan 
theidiger, 
Die 9 
Diamant! 
geRoblen 
% ae, 
—*8 
et ! 
Base 1a 
en Biel 
er 
au drehen 


167 
geſchloſſen, der feinen andern Ausgang hatte 


Schande. 
ließ ſich nicht nieberfchlagen; fie befhloß, zu 
der König unterflügte fie. 

Minifterium untertügte fie auch und zwar 
feinen Kräiten. Die Königin erinnerte ſich, 
von Rohan ein ehrlicher Mann und unfähig 
e Frau zu Grunde zu richten. Sie erinnerte 
: Sicherheit, ale er zu den Rendezvous in 
3 zugelaſſen worden zu fein ſchwur. 

ſchloß daraus, der Cardinal fei nicht ihr 
arer Feind, und er habe wie fie nur ein 
der Ehre bei der Frage. 
lentte von da an den Prozeß mit aller Ans 
gegen die Gräfin; und man ſuchte auf bas 
die Spuren bes verlorenen Halsbande. 
Debatte über die Befchuldigung chebrecherifcher 

annchmend, warf die Königin auf Jeanne 
:fchmetternde Anflage des Betrugs und bes 
5 zurüd. 

—* gegen die Gräfin, die Vorgänge in 
heren Leben, ihre erfie Armuth, ihre feltiame 
; der Adel nahm diefe Zufallsprinzeiftn nicht 
olk Fonnte fie nicht als fein Eigenthum zurüds 
das Volk haßt inftinktartig die Abenteurer, 
t ihnen nicht einmal den glüdlichen Erfolg. 
ie bemerfte, daß fie einen faliben Weg ein= 
hatte, und daß die Königin, indem fie id 
ge unterzog, indem fie der Zucht vor dem 
icht wid, den Barbinal aufforderte, fie nach⸗ 

daß diefe zwei reblichen Perfonen am Ende 
ndigen und das Licht finden würden, und daß, 
na file unterlägen, dies in einem fo furchtbaren 
fhehen müßte, daß fie unter ſich die arme 
ois zermalmten, diefe Prinzeifin einer geſtoh⸗ 
lion, die fie nicht einmal bei der Hand hatte, 
lichten zu beſtechen. 


168 


Man war fo weit, als eine neue Epifode e 
bie das Angeſicht der Dinge veränderte. 

Herr von Beaufire und Mademoiſelle Oliva 
glüklih und reich in einem Landhaufe, ale eine 
ber gnädige Herr, der Madame allein gelafim 
um auf die Jagd zu gehen, in die Gefelliha: 
zwei von ben Agenten gerieth, weldye Herr von ( 
durch ganz Frankreich verzettelte, um eine Entwic 
diefer Intrigue zu erlangen. 

Die zwei Liebenden wußten nichi® von dem 
in Paris vorging; fie dachten nur an fid 
Mademoifelle DOliva wurde fett wie ein Wieft 
einem Speicher, und Herr Beauſtre hatte, mi 
Glüd, jene unruhige Neugierde verloren, das 
fheidende Merkmal der Raubvögel wie der Rau 
fchen, den Charafter, ben die Natur den Binen uı 
Andern für ihre Erhaltung gegeben hat. 

Beaufire war, wie nen t, an diefem Tage c 
Hafenjagd gegangen. Er hieß auf einen Flug 
hühner, was ihn quer über eine Straße zu 
veranlaßte. So fand er, etwas Anderes fuchen 
er hätte fuchen follen, was er nicht fuchte. 

Die Agenten fuchten auch Dliva, und fie 
Beaufire. Das find die gewöhnlichen Launen der 

Einer von diefen Spürhunden war ein 9 
von Geiſt. Als er ihn erfannt Hatte, machte cı 
ihn ganz ungeſchlacht zu verhaften, was nichts 
tragen Baer würde, folgenden Entwurf mit 
Gefährten: 

„Beaufire jagt, er ift alfo ziemlich reich und zi 
frei; er bat vielleicht fünf oder ſechs Lonisd'or 
ner Tafche, aber er kann möglicher Weife drei bi 
hundert Louisd’or in feiner Behanfung haben; d 
wir dort ein und feßen wir ihn auf Löfegelv. 
Paris zurückgebracht, wird uns Beauflre nur 5 
Livres eintragen, wie jeder gewöhnliche Yang 
wird uns noch ausſchelten, daß wir das Gefi 


169 


wegen einer unbebentenden Perfon überfüllt haben. 
Machen wir aus Beanflre eine perjünliche Speculation.“ 

Sie fingen an Nebhübner zu jagen wie Herr 
Beaufire, Hafen wie Herr Beaufire, und indem fie den 
Hund aufmunterten, wenn es dem Hafen galt, und durch 
den Klee trieben, wenn es dem Rebhuhn galt, verließen 
fie ihren Mann nicht um eine Sohle. 

Beauſire, ale er die Fremden fah, die ſich in die 
Jagd miſchten, war Anfangs fehr erftaunt, dann fehr 
zornig. Er War eiferfühtig auf fein Wildpret gewor: 
den, wie jeder aute Strohjunfer; er war aber auch 
argmöhnifhy in Betreff neuer Befanntichaften. Statt 
dieſe Jünger, die ihm der Zufall gab, felbft zu befra- 
gen, ing er gerade auf einen Feldſchützen zu, den er 
anf der Ebene fand, und beauftragte ihn, bie Herren 
zu fragen, warum fie auf diefem Gute jagten. 

Der ersfpüpe erwieberte, er fenne die Herren 
nicht ale in der Gegend zu Haufe, und fügte bei, es 
jei fein Wunſch, fie in ihrer Jagd zu unterbrechen, 
was er auch that. Doch die zwei Aremden erwieberten, 
fe jagen mit ihrem Freunde, dem Herrn bort. 

So bezeichneten fie Beaufire. Der Feldſchütze 
füßrte fe zu ihm, trog alles Verdruſſes, dem dieſe 
Gonfrontalion dem edlen Jäger bereitete. 

„Herr von Linville,“ fagte er, „biefe Herren be- 
haupten. fie jagen mit Ihnen.“ 

„Mitmir!” riefBeaufire aufgebracht; „ah! ja wohl.“ 

„Wie!“ fagte einer von den Agenten leife zu ihm, 
„Sie Heißen alfo auch Herr von Linville, mein lieber 
Beaufire?“ 

Beaufire bebte, er, ber feinen Namen fo gut in 
diefer Gegend verbarg. 

Gr ante den Agenten, dann beflen Gefährten 
wie ein betretener Menſch an, glaubte unbeflimmt dieſe 
Geſfichter zu erkennen, undentließ, um die Dinge nicht 
zu verſchlimmern, den Yeldichügen mit der Agwierkung, 
er nehme die Jagd biefer Herren auf ſich æ 


170 


„Sie kennen fie alſo?“ fragte der Feldſchütze. 

„Sa, wir haben-uns erfannt,” erwiederte einer 
von den Agenten. 

Beaufire fand fi nun, fehr verlegen, wie er mit 
ihnen fprechen follte, ohne fich zu gefährden, ben zwei 
Jägern gegenüber. 

„Bieten Sie uns ein Frühſtück an, Beanſire,“ 
fagte der Gewandtere von ben beiden Agenten, „in 
Shrem Haufe.” 

„Sn meinem Haufe! aber... .” riefeBeaufire. 

„Sie werden nicht fo. unhöflich gegen uns fein, 
Beaufire . . .“ 

Beaufire hatte den Kopf verloren, er ließ fi mehr 
führen, als er führte, 

Die Agenten, ſobald fie das Eleine Haus erblidten, 
lobten feine @leganz, feine Lage, die Bäume, Pie 
Ausfiht, wie es Leute von Geſchmack thun mußten, 
und Beaufire Hatte auch in der That einen reigenden 
Ort gewählt, um fein Liebesneft darein zu feßen. 

Es war ein Thal mit vielen Baumgruppen und 
von einem Flüßchen durdhichnitten; das Haus erhob 
fih auf einer Anhöhe gegen Often. Gin Schilderhans, 
eine Art von Glockenthurm ohne Glocke, diente Beaufire 
als Dbfervatorium, um die Gegend an Tagen des 
Spleen zu überfchauen, wenn feine roſigen Ideen vers 
welften und er in jedem über feinen Pflug gebüdten 
Adersmann einen Alguazil erblidte. 

Nur auf einer Seite war biefes Gebäude lachend 
und fichtbar, auf der andern verfchwand es unter den 
Baumgruppen und den Erhöhungen des Terrain. 

„Wie gut ift man da innen verborgen!” fagte einer 
von den Agenten mit Bewunderung zu ihm. 

Beaufire bebte bei dem Scherz und trat zuerfi in 
fein Haus, unter dem Gebell der Hofhunde. 

Die Agenten folgten ihm mit vielen Geremonien. 


171 


LXXXVI. 
Die Enrteltauben werden inden Käfig gebracht. 


Dabei, daß er durch die Hofihüre eintrat, Hatte 
Beaufire feine Idee: er wollte Lärm genug erregen, 
um Dliva darauf aufmerffam zu machen, daß: fie auf 
ihrer Hut fein folte. Ohne etwas von der Halsbande 
Angelegenheitsgu wiffen, wußte Beaufire genug Dinge 
in Betreff der Sache des Balls, der Oper und ber 
Kufe von Mesmer, daß er bange hatte, Oliva Fremden 
zu zeigen. 

Gr handelte vernünftig, denn die junge Frau, 
weldye leichtfertige Romane auf dem Sofa ihres Fleinen 
Salon las, hörte die Hunde bellen, fchaute in den 
Hof und fah Beaufire mit Begleitern, was fie abhielt, 
ihm wie gewöhnlich entgegen zu gehen. 

Zum Unglüd waren diefe zwei Turteltauben nicht 
außer dem Bereiche der Beiersflauen. Man mußte das 
Frühſtück beftellen, und ein ungefchidter Diener — die 
Leute vom Lande find Feine Frontins — fragte zwei⸗ 
oder dreimal, ob er die Befehle von Madame einholen 


follte. 

Bei diefem Wort fpigten die Spürhunde bie Ohren. 
Sie verfpotieten Beaufire angemefien über biefe vers 
borgene Dame, deren Gefellfhaft für einen @inflebler 
die Würze aller Glückſeligkeit ſei, welche bie Eins 
famfeit und das Geld verleihen. 
Zeanſire ließ fih verfpotten, aber er zeigte Oliva 


nicht. 

Man trug ein reichlihes Mahl auf, dem die 
Agenten Ehre anthaten. Man trank viel und brachte 
oft die Gefundheit der abwelenden Dame aus. 

Beim Nachtiſch harten fi) die Köpfe erhigt, bie 
Herren von ber Polizei dachten, es wäre unmenfchlich, 
die Folter diefes Wirthes noch mehr zu verlängern, 


und brachten das Geſpräch geſchickt darauf, welches 
gnügen es guten Herzen gewähre, alte Befannte wii 
zufinden. 

Worauf Beauftre, während er ein Fläfchchen 
Liqueur von den Infeln entpfropfte, die zwei Unbefan 
fragte, an welchem Orte und unter welchen Umftäi 
er mit ihnen zufammengetroffen fei. 

„Wir waren, fagte der Bine von ihnen, | 
waren die Freunde von einem Ihrer Verbündeten 
Zeit eines Eleinen Geſchäftes, das Sie in Thei 
mit Mehreren machten, des Geſchäftes mit der yı 
giefiſchen Gefandtichaft.” 

Beaufire erbleihte. Wenn foldye Angelegenh 
berüßrt werden, glaubt man immer ein Stridenv 
den Falten feines Halsbandes zu fühlen. 

„Ab! wahrhaftig," fagte er, zitternd vor ! 
legenheit, „und Sie fommen und verlangen von 
für Ihren Freund ...“ 

„In der That, das ift eine Idee,“ ſprach Teifı 
Alguazil zu feinem Kameraden, „bie Einführung 
fo ein ehrlicheres Ausfehen. Bine Wiedererflat 
im Namen eines abwefenden Freundes fordern, da 
moraliſch.“ 

„Mehr noch. Damit find alle Rechte auf 
Uebrige vorbehalten,“ erwiederte der Freund des 
raliſchen mit einem ſüß-ſauren Lächeln, das Beaı 
vom Scheitel bis zu den Zehen beben machte. 

„Alſo?“ fagte er. 

„Dein lieber Herr Beauſire, e8 wäre ung 
angenehm, wenn fie Einem von uns den Theil uni 
Freundes zurüdgeben würden. Ich glaube, fo ı 
zehn taufend Livres.“ 

„Wenigflens, denn man ſpricht nicht von den 
tereſſen,“ ſagte der Kamerad voſitiv. 

„Meine Herren,“ erwiederte Beauſire, dem 
Feftigkeit diefer Korderung die Kehle zufammenfchn: 
„man bat nicht zehn taufend Livres bei ſich auf dem Laı 


& 
173 


„Das verficht fi, Tieber Herr, und wir forbern 
* de⸗ Möogliche. Wie viel können Sie ſogleich 
geben?“ 

„Ich habe fünfzig bis ſechzig Louisd'or, nicht mehr.“ 

„Bir fangen damit an, daß wir fie nehmen, und 
werden Ihnen tür Ihre Höflichkeit danfen.“ 

„Ab!“ dachte Beaufire, entzückt über ihre Bereit- 
willigfeit, „fe find von fehr guter Befchaffenheit. Soll: 
ten fie etwa fo fehr bange vor mir Haben, als ich vor 
ihnen babe? Verſuchen wir es.“ 

Und er überlegte fih, daß diefe Herren, follten 
fie ſehr laut fchreien, es nur dahin brädten, daß fie 
fh ale Mitfcyuldige von ihm befennen würden, und 
daß dies für die Provinzbehörden eine fchlechte Ems 
pfehlung wäre. Beaufire fchloß, dieſe Leute würden 
fi ufrieben erklären und ein vollfommenes Still- 
jyweigen beobachten. 

Sn feinem unvorfihtigen Bertrauen ging er fo 
weit, daß er es bereute, ihnen nicht dreißig Louisd'or 
ſtatt ſechzig angeboten zu haben; aber er gelobte ſich, 
nachdem er die Summe gegeben, fich fehr raſch diefer 
Leute zu entlebigen. 

‚Er machte die Rechnung ohne feine Bäfte; dieſe 
befanden ſich fehr wohl bei ihm; fie genoflen jene felige 
Zufriedenheit, welche eine angenehme Berbauung vers 
ſchafft; fie waren gut für den Augenblick, weil fi 
fireng dan fie angeftrengt hätte. 

„Es if ein reizender Freund, dieſer Beaufire,“ 
fagte der Bofltiv zu feinem Kameraden. „Sechzig 
Louisb’or, die er uns gibt, find Lieblich zu nehmen.” 

„Ih will fie Ihnen jogleich geben,“ rief der Wirth 
erſchrocken, als er feine Säfte in backhifche Vertraulichs 
keiten ausbrechen ſah. 

„Es hat keine Eile,“ erwiederten die zwei Freunde. 
Doch, doch, mein Gewiſſen wird nur frei fein, 
wenn ich Sie bezahlt Habe. Man ift delicat, oder man 
iR es nicht.“ 


174 


Und er wollte fie verlafien, um das Gelb zu Hole 

Doch dieſe Herren hatten Gerichtspienergewoh 
heiten, eingewurzelte Gewohnheiten, die man ſchw 
verliert, wenn man fie einmal angenommen hat. Die 
Herren mußten fid nicht von ihrer Beute zu trenne 
wenn fie diejelbe einmal in den Händen Hielten. € 
laßt der gute Jagbhund fein verwundetes Feldhuhn n: 
los, um es dem Jäger zu übergeben. 

Der gute Gerichtspiener ift derjenige, welcher, wer 
einmal der Bang gemadt iſt, diefen weder mehr n 
dem Finger, noch mit dem Auge verlüßt. Er weiß 
genau, wie launenhaft das Schidfal gegen die Jäg 
it und wie fehr das, was man nicht mehr ferhä 
fih entfernt. 

Mit einem bewunderungswürbigen Enfemble rief 
auch Beide, fo fehr fie betäubt waren: 

„Herr Beauflire! mein lieber Beaufixe! 

Und fie Bielten ihn am Flügel feines Rodes v 
grünem Tuch zurüd. 

„Was gibt es?“ fragte Beaufire. 

„Haben Sie die Güte, verlaffen Sie uns nicht 
erwiederten fie, während fie ihn zum Nieverfig 
nöthigten. 

„Aber wie foll ich Ihnen denn das Geld gebe 
wenn Sie mich nidht Hinanfgehen lafien ?“ 

„Wir werden Sie begleiten,“ antwortete der 9 
fitiv mit einer erſchrecklichen Zärtlichkeit. 

„Es it... es if das Zimmer meiner Frau 
entgegnete Beaufire. 

iefes Wort, das er als eine Binwendung | 
fracdhtete, der nicht widerfprochen werden fünnte, w 
für die Shirren der Funfe, der das Feuer an > 
Pulver legte. 

Ihre brütende Unzufriedenheit — ein Gericht 
diener {ft immer über etwas unzufrieden — nahm ei 
Form, einen Körper, eine Urjache an. 


175 


„AH!“ rief der Erfte von den Agenten, „warum 
bergen Sie ung Shre Frau?” 

„sa, find wir nicht präfentabel?“ fagte ber Zweite. 

„Wenn Sie wüßten, was man für Gie geihan 
‚ wären Sie artiger,“ fprach der Erſte. 

„Und Sie würden uns Alles geben, was wir ver- 
gen,“ fügte keck der Zweite bei. 

„Ab! Sie flimmen einen fehr Hohen Ton an, meine 
een,“ fagte Beaufire. 

„Wir wollen Deine Zrau fehen,” erwiederte ber 

„Und ich, ih erkläre Ihnen, daß ih Sie hinaus: 
fen werbe,* entgegnete Beaufice, ftark durch ihre 
mkenheit. 

Sie antworteten ihm mit einem ſchallenden Ge⸗ 
ter, das ihn Hätte klug machen müſſen. Er trug 
ı feine Rechnung, wurde hartnäckig und rief: 

„Run follt Ihr auch nicht einmal das Geld be- 
ımen, das ich Euch verfprochen habe, und Ihr wer: 
Euch aus dem Staube machen.” 

Sie lachten noch furcdhtbarer, als das erfle Mal, 
‚ Zitternd vor Zorn, ſprach Beaufire mit erflicter 
mme: 

„Ich begreife Euch, Ihr werdet Lärm machen und 
schen; doch wenn Ihr fprecht, flürzt Ihr Euch in’s 
:derben, wie mich.“ 

Sie lachten fortwährend unter fih, der Spaß 
ı ihnen treffli vor. Das war ihre einzige Antwort. 

Beaufire glaubte fie durch einen Kraftſtreich zu 
hrecken und flürzte nach der Treppe, nicht wie ein 
nich, der Louisd'or holen will, fondern wie ein 
thender, ber eine Waffe holen will. Die Sbirren 
den vom Tifche auf, liefen, ihrem Grundſatz ge⸗ 
\, Beaufire nach und legten ihre breiten Hände an ihn. 

Diefer ſchrie, eine Thüre öffnete fih, und. eine 
m erfchien ängklih, erſchrocken auf der Schwelle 
Zimmer des erften Stodes. oo 


174 


Und er wollte fie verlafien, um das Gelb zu | 

Doch diefe Herren hatten Gerichtspienerge! 
heiten, eingewurzelte Gewohnheiten, die man | 
verliert, wenn man fle einmal angenommen hat. 
Herren wußten fi) nicht von ihrer Beute zu trı 
wenn fie diejelbe einmal in den Händen hielten. 
läßt der gute Jagbhund fein verwundetes Feldhuh 
los, um es dem Jäger zu übergeben. 

Der gute Gerichtödiener iſt derjenige, welcher, 
einmal der Bang gemadht if, diefen weder meh 
dem Finger, noch mit dem Auge verläßt. Er wı 
genau, wie launenhaft das Schidfal gegen bie 
R und wie fehr das, was man nicht mehr fe 
fih entfernt. 

Mit einem bewunderungswürbigen Enfemble 
auch Beide, fo fehr fie betäubt waren: 

„Herr Beaufire! mein lieber Beaufire! 

Und fie Hielten ihn am Ylügel feines Rode 
grünem Tuch zurüd. 

„Was gibt es?“ fragte Beauftre. 

„Haben Sie die Güte, verlaffen Sie ung ı 
erwiederten fie, während fie ihn zum Niede 
nötbigten. 

„Aber wie foll ich Ihnen denn das Geld 
wenn Sie mich nicht hinaufgehen lafien ?” 

„Wir werden Sie begleiten,” antwortete de 
fitiv mit einer erfchredlichen Zärtlichkeit. 

„Es if... es if das Zimmer meiner 9 
entgegnete Beaufire. 

Diefes Wort, das er als eine Einwendun 
trachtete, der nicyt widerfprochen werben Fünnte, 
für die Shirren der Zunfe, der das Feuer aı 
Pulver legte. 

Ihre brütende Unzufriedenheit — ein Bei 
diener ift immer über etwas unzufrieden — nahn 
Form, einen Körper, eine Urfache an. 


175 


„Ah!“ rief der Erfte von ben Agenten, „warum 
verbergen Sie uns Ihre Frau?“ 

Kr find wir nicht präfentabel?” fagte der Zweite. 

„Wenn Sie wüßten, was man für Sie geihan 
bat, wären Sie artiger ,“ ſprach der Erfte. 

„Und Gie würden uns Alles geben, was wir ver- 
langen,“ fügte keck der Zweite bei. 

„Ah! Sie ſtimmen einen fehr Hohen Ton an, meine 
Herren ‚“ fagte Beaufire. 

„Wir wollen Deine Frau ſehen,“ erwieberte ber 
Gbirre Bofltiv. 

„Und ih, ih erlläre Ihnen, daß ih Sie hinaus: 

werbe,” entgegnete Beaufire, ſtark durch ihre 
Trunkenheit. 

Sie antworteten ihm mit einem ſchallenden GOe⸗ 
laͤchter, das ihn hätte klug machen müſſen. Er trug 
dem feine Rechnung, wurde hartnädig und rief: 

„Run follt Ihr auch nicht einmal das Geld be: 
fommen, das ich Endy verfprochen habe, und Ihr wer: 
bet Euch aus dem Staube machen.” 

Gie lachten noch furchtbarer, als das erſte Mal. 

Sitternd vor Zorn, ſprach Beaufire mit erflidter 
Stimme: 

„Ich begreife Euch, Ihr werdet Lärm machen und 
fprechen; doch wenn Ihr ſprecht, flürzt Ihr Euch in’s 
Berderben, wie mich.” 

Sie lachten fortwährend unter fih, der Spaß 
fam ihnen treffli vor. Das war ihre einzige Antwort. 

Beauſitre glaubte fie durch einen Kraitftreich zu 
erſchrecken und flürzte nach der Treppe, nicht wie ein 
Menſch, der Louisd’or holen will, fondern wie ein 
Wüthender, der eine Waffe holen will. Die Shirren 
fanden vom Tifche auf, liefen, ihrem Grundſatz ge⸗ 
treu, Beauflre nach und legten ihre breiten Hände an ien. 

Diefer fchrie, eine Thüre öffnete fih, und eine 
Fran erfchien ängklih, erfchroden auf der Schwelle 
der Zimmer des erften Stodes. 


176 


Als fie diefe Frau fahen, Liegen fie Beaufire los 
und fließen auch einen Schrei aus, dod einen Schrei 
der Freude, des Triumphs, wilder Craltation. 

Sie hatten diejenige getroffen, welche fo fehr der 
Königin von Frankreich glich. 

Beaufire glaubte fie einen Augenblid durch bie 
Erfheinung einer Frau entwaffnet, aber er war bald 
graufam enttäufcht. 

Der Pofitiv näherte fih Mile. Oliva und ſprach 
mit einem, in Rüdfiht auf die Achnlicyfeit, zu wenig 
bölflicden Ton: 

„Ahl ah! ich verhafte Sie.“ 

„Sie verhaften!“ rief Beauſire; „und warum ?“ 

„Weil uns Herr von Grosne den Befehl gegeben 
hut,“ erwieberte der andere Agent, „und weil wir iu 
Dienften von Herrn von Crosne find.” 

Hätte der Blitz zwiihen dem Liebespaare einges 
ſchlagen, es wäre weniger darüber erfhroden, ale über 
diefe Erklärung. 

„So ift es, wenn man fidh nicht artig benimmt,“ 
fagte ver Bofltiv zu Beaufire. 

„Du haft Recht, Legrigneur; benn wenn Beauſire 
artig gewefen wäre, hätte er und Madame gezeigt, und 
wir hätten Madame mit allem Anftaud feſtgenommen.“ 

Beauftre drüdte feinen Kopf in feine Hände. Er 
dachte nidht einmal daran, daß feine zwei Dienfiboten, 
ein männlicher und ein welblicher, dieje Scene, welde 
en auf den Stufen vorging, unten von ber Treppe 

örten. 

Gr hatte eine Idee; fie lächelte ihn an: fle ers 
frifchte ihn fogleich. 

„Ihr feid gefommen, um mid zu verhaften ?“ fagte 
er zu den Agenten. 

‚Nein, das ift Zufall,” antworteten fle naiver 


eife. 
„Bleichviel. Ihr Eonntet mich verhaften und für 
ſechzig Louisd’or Tießet ihre mich in Breiheit.“ 


177 
„DB! nein, es war unfere Abficht, noch ſechszig 


„Und wir haben nur ein Wort,“ fuhr der Andere 
fort; „für Hundert und zwanzig Louisd'or laffen wir 
Sie auch frei.” 

„Aber... Nadame?“ fragte Beaufire zitternd. 

„Ah! Madame... das iſt etwas Anderes,“ ant⸗ 
wortete der Bofltiv. 

„Madame if zwei Hundert werth, nicht wahr?“ 
ſagte Beauſtre haſtig. 

Die Agenten fingen wieder das furchtbare Gelächter 
un, das Beanfice diesmal leider begriff. 

„Drei hundert . . .* fagte er, „vier Hundert... 
taufend Lonisd'or ... Ich gebe Euch taufend Louisd'or, 
aber Ihr werbet fie frei kafen.“ 
vr Hie Angen von Beauftre funkelten, während er ſo 
Ihr antwortet nicht,” fagte er; „Ihr wißt, daß 
ih Geld Habe, und Jir wollt mich bezahlen laflen. 
Das iſt nur zu billig. Ich gebe zwei taufend Louisd'or, 
acht und vierzig taufend Livres, ein Bermögen für Cuch 
Beide, aber laßt ihr die Freiheit. 
zoſi Du liebſt fie alſo ſehr, dieſe Frau?“ fragte der 

o 


v. 
Nun war die Reihe zu lachen an Beauſitre, und 
ieſes hoͤhniſche Gelächter war fo erfchredlich, es malte 
o ſcharf die verzweifelte Liebe, die biejes verwelfte 
herz verzehrte, daß die zwei Sbirren bange davor be⸗ 
amen und ſich entichlofien, Borfichtsmaßregeln zu ers 
teifen, um den Ausbrud der Verzweiflung zu ver- 
neiden, die man in dem irren Auge von Beaufire las. 
Sie nahmen jeder ein Paar Piflolen aus ver 
kaſche, Hielten fle Beauflre auf die Bruft, und einer 
‚on ihnen fagte: 
„Richt —* hundert tauſend Thaler würden wir 
ieſe Frau zurückgeben. Herr von Rohan bezahlt uns 
Das Halöband der Königin. IV. 12 


173 


fünfmal Hundert taufend Livres und die Königin ein 
Million.” 

Beauftre fhlug die Augen zum Simmel mit eine 
Ausdrud auf, der jedes andere Thier, als einen Al 
guazil, erweicht hätte. 

„Sehen wir,” fagte der Bofltiv. „Sie müflen ei 
Wägelchen, irgend etwas Nollendes hier haben: laſſe 
Sie diefes Gefährt für Madame anfpannen; wir fin 
ihr das wohl ſchuldig.“ 

„Und da wir gute Teufel find, fo wollen wir Feine 
Mißbrauch von unferer Gewalt maden: Man nimm 
Sie der Form wegen auch mit; unter Weges wende 
wir die Augen ab, Sie fpringen vom Gefährt heral 
und wir bemerfen es erſt, wenn Sie taufend Schrit: 
Vorfprung haben. IR das ein gutes Benehmen, wie? 

Beaufire antwortete nur: 

„Wohin fie geht, werde ich gehen. Ich verlaffe f 
nie in diefem Leben.” 

„Dh! weder in biefem, noch in dem andern!“ füg 
Dliva eisfalt vor Schreden bei. 

„Defto beſſer!“ ſprach der Bofltiv, „je mehr ma 
Da von Grosne Gefangene zuführt, defto mel 

acht er.” 

Eine Biertelftunde nachher fuhr der Wagen m 
er gelingenen Liebespaar und feinen Begleitern vo: 

aufe ab. 


LXXXVIU. 
Herr von Erosne. 
Man kann fich denken, welche Wirfung diefer Fan 


auf Herren von Crosne hervorbrachte. 
Die Agenten erhielten wahrfcheinlich bie Millio 


— — _ 


179 


nicht, auf die fie hofften, doch man hat allen Grund, 
anzunehmen, daß ſie befriedigt wurden. 

8 der Polizeilieutenant die Hände zum Zeichen 
ver Zufriedenheit fich mohl gerieben hatte, begab er fidy 
nach Berfailles in einem Magen, dem ein anderer hers 


metiſch verfchlofiener Wagen folgte. 


Es war am Morgen nad) dem Tag, an welchem 
der Bofttiv und fein Freund Nicole in die Hände des 
Bolizeichef übergeben hatten. 

Herr von Erosne ließ feine zwei Wagen in Trianon 
einfahren, flieg aus dem, welchen er inne hatte, und 
übergab ben andern ber Obhut feines erften Schreibers. 

Gr ließ ſich zur Königin führen, von der er fi 
fogleich eine Audienz in Trianon erbeten hatte. 

Die Königin, welche feit einem Monat wohl darauf 
bedacht war, nichts zu vernachläffligen, was von Seiten 
bee Bolizei fam, eniſprach fogleich der Bitte des Mi⸗ 


niſters; fie begab fih ſchon am Morgen in ihr Lieblings- 


haus, und zwar mit Fleiner Begleitung, falls Geheim⸗ 
haltung nöthig wäre. 

Sobald Herr von Brosne bei ihr eingeführt, er⸗ 
Iannte fie an feiner ſtrahlenden Miene, daß die Nach⸗ 
richten gut waren. 

Die arme Frau! feit geraumer Zeit fah fie um 
ih her nur düſtere und zurüdhaltende Gefichter. 

Ein Klopfen der Freude, das erfte feit dreißig 
Tagen, bewegte ihr durch fo viele tiefe Erfchütterungen 
verwundetes Herz. . 

; Der Beamte, nachdem er ihr die Hand gefüßt, 
pr 


ad: 
„Madame, Hat Ihre Majeftät in [Trianon ein 
Zimmer, wo fie, ohne gefehen zu werben, fehen fann, 


: was vorgeht ?“ 


— 22— 


„SH Habe meine Bibliothek,“ antwortete die Kö- 
nigin; „hinter den Berfchlägen habe ich Köcher in 
meinem Imbißſalon machen laflen, Ind aumeilen, wäh: 

1 


172 


und brachten das Geſpraͤch geſchickt darauf, welches Ver⸗ 
en es guten Herzen gewähre, alte Befannte wieder: 
uftinden. 

— Worauf Beaufire, während er ein Fläfchchen mit 
Liqueur von den Infeln entpfropfte, die zwei Unbefannten 
fragte, an welchem Orte und unter welchen Umſtänden 
er mit ihnen zufammengetroffen fei. 

„Wir waren, fagte der Bine von ihnen, „wir 
waren die Freunde von einem Ihrer Verbündeten zur 
Zeit eines Heinen Geſchäftes, das Sie in Theilung 
mit Mehreren machten, des Geſchäftes mit der portu— 
giefiihen Geſandtſchaft.“ 

Beaufire erbleihte. Wenn foldye Angelegenheiten 
berübrt werden, glaubt man immer ein Stridende in 
den Falten feines Halsbandes zu fühlen. 

„Ah! wahrhaftig,” fagte er, zitternd vor Ver⸗ 
legenheit, „und Sie fommen und verlangen von mir 
für Ihren Freund ...“ 

„In der That, das ift eine Idee,“ fprach leiſe der 
Alguazil zu feinem Kameraden, „bie Einführung hat 
fo ein ehrlicheres Ausfehben. Bine Wiedererflattun 
im Namen eines abwefenden Freundes fordern, das H: 
moralifch.“ 

„Mehr noh. Damit find alle Rechte auf das 
Uebrige vorbehalten,“ erwiederte der Freund des Mos 
ralifyen mit einem füß:fauren Lächeln, das Beaufire 
vom Scheitel bis zu den Zehen beben machte. 

„Alſo?“ fagte er. 

„Dein lieber Herr Beaufire, es wäre uns alfo 
angenehm, wenn fie Ginem von uns den Theil unieres 
Freundes zurüdgeben würden. Ich glaube, fo etwa 
zehn taufend Livres.“ 

„Wenigftens, denn man fyricht nicht von den Ins 
tereſſen,“ fagre der Kamerad pofltiv. 

„Meine Herren,“ erwieberte Beaufite, dem bie 
Geftigfeit diefer Korderung bie Kehle zujammenfchnürte, 
„man hat nicht zehn taufend Livres bei fich auf dem Lande.“ 


% 
173 


„Das verfteht fi, lieber Herr, und wir forbern 
une has Möglihe. Wie viel fönnen Sie ſogleich 
eben ?” 


„Ich habe fünfzig bis fechzig Louisd'or, nicht mehr.“ 

„Bir fangen damit an, daß wir fie nehmen, und 
werben Ihnen tür Ihre Höflichkeit danken.“ 

„AH!“ dachte Beaufire, entzückt über ihre Bereit: 
willigfeit, „fie find von fehr guter Befchaffenheit. Soll: 
ten fie etwa fo fehr bange vor mir Haben, als ich vor 
ihnen habe? Berfuchen wir es.“ 

Und er überlegte fih, daß diefe Herren, follten 
Re fehr laut fchreien, es nur dahin brächten, daß fie 
ſich als Mitfchuldige von ihm befennen würden, und 
daß dies für die Provingbehörden eine fchlechte Em⸗ 
pfehlung wäre. Beaufire fchloß, dieſe Leute würden 
fi ufeieden erflären und ein vollfommenes Still- 
fyweigen beobachten. 

In feinem unvorfichtigen Bertrauen ging er fo 
weit, daß er es bereute, ihnen nicht dreißig Kouisd’or 
ſtatt ſechzig angeboten zu haben; aber er gelobte fidh, 
nachdem er die Summe gegeben, fich fehr raſch diefer 
Lente zu entlebigen. 

‚Er madıte die Rechnung ohne feine Gäͤſte; dieſe 
befanden fidy ſehr wohl bei ihm; fle genoffen jene felige 
Zufriedenheit, welche eine angenehme Berbauung vers 
(haft; fie waren gut für den Augenblick, weil fi 
fireng dan fie angeftrengt hätte. 

„G6 ift ein reizender Freund, biefer Beaufire,“ 
fagte der Bofltiv zu feinem Kameraden. „Sechzig 
Lonisd'or, die er uns gibt, find lieblicy zu nehmen.“ 

„Ih will fie Ihnen fogleich geben,“ rief der Wirth 

chrocken, als er feine Säfte in bacchiſche Bertraulichs 
feiten ausbrechen ſah. 

„@6 Hat keine Eile,” erwieberten die zwei Freunde. 

„Do, do, mein Sewiffen wird nur frei fein, 
wenn dee bezahlt Habe. Man ift delicat, oder man 
iſt es t.“ 


174 


Und er wollte fie verlaffen, um das Geld zu Holen. 

Doch diefe Herren hatten Gerichtspienergewohns 
heiten, eingewurzelte ®ewohnheiten, die man fchwer 
verliert, wenn man fie einmal angenommen hat. Diefe 
Herren wußten ſich nicht von ihrer Beute zu trennen, 
wenn fie diejelbe einmal in den Händen hielten. So 
läßt der gute Jagbhund fein verwundetes Feldhuhn nur 
los, um e8 dem Jäger zu übergeben. 

Der gute Gerichtspiener iſt derjenige, weldyer, wenn 
einmal der Bang gemacht iſt, diefen meder mehr mit 
dem Finger, nody mit dem Auge verläßt. Er weiß zu 
genau, wie launenhaft das Schidfal gegen die Jäger 
it und wie fehr das, was man nicht mehr feſthäaͤlt, 
fih entfernt. 

Mit einem bewunderungswürbigen Enfemble riefen 
auch Beide, fo fehr fle betäubt waren: 

„Herr Beaufire! mein lieber Beaufire! 

Und fie bielten ihn am Flügel feines Rodes von 
grünem Tuch zurüd. 

„Was gibt ea?“ fragte Beaufire. 

„Haben Sie die Güte, verlafien Ste uns nicht,” 
erwiederten fie, während fie ihn zum Niederſitzen 
nöthigten. 

„Aber wie foll ich Ihnen denn das Selb geben, 
wenn Sie mid nicht hinaufgeben laflen ?* 

„Wir werden Sie begleiten,“ antwortete ber Pos 
fitiv mit einer erfchredlichen Zärtlichkeit. 

„Es it... es if das Zimmer meiner rau,” 
entgegnete Beaufire. 

iefes Wort, das er als eine Einwendung bes 
trachtete, der nidyt widerfbrochen werben könnte, war 
für die Shirren der Funfe, der das Yeuer an das 
Pulver legte. 

Ihre brütende Unzufriedenheit — ein Berichtes 
diener iſt immer über etwas unzufrieden — nahm eine 
Form, einen Körper, eine Urſache an. 


175 


„Ah!“ rief der Erfle von den Agenten, „warum 
erbergen Sie uns Ihre Frau?“ 

8 find wir nicht präſentabel?“ ſagte ber Zweite. 
Benn Sie wüßten, was man für Sie geihan 
at, wären Sie artiger,“ ſprach der Erfte. 

„Und Sie würden uns Alles geben, was Wir ver- 
angen,“ fügte keck ber Zweite bei. 

„Ah! Sie flimmen einen fehr hohen Ton an, meine 
zerren,“ fagte Beaufire. 

„Wir wollen Deine Frau ſehen,“ erwieberte der 
Sbirre Bofltiv. 

„Und ich, ich erfläre Ihnen, daß ih Sie hinaus: 
serfen werde,“ entgegnete Beaufire, flark durch ihre 
‚runfenheit. 

Sie antworteten ihm mit einem fchallenden Ge⸗ 
ichter, das ihn Hätte Flug machen müflen. Er trug 
em feine Rechnung, wurde hartnädig und rief: 

„Run follt Ihr auch nicht einmal das Geld be- 
ommen, das ich Cuch verfprohen habe, und Ihr wer: 
et Euch aus dem Staube machen.“ 

Sie lachten noch furcdhtbarer, als das erſte Mal. 

Zitternd vor Zorn, ſprach Beaufire mit erflicdter 
Stimme: 

„Ich begreife Euch, Ihr werdet Lärm machen und 
zrechen; doch wenn Ihr fprecht, flürzt Ihr Euch in’s 
jerderben, wie mich.“ 

Sie lachten fortwährend unter fih, der Spaß 
ım ihnen trefflih vor. Das war ihre einzige Antwort. 

Beaufire glaubte fie durch einen Kraitftreich zu 
tfchreden und ſtürzte nach der Treppe, nicht wie ein 
Kenſch, der Louisd’or holen will, fondern wie ein 
Büthender, der eine Waffe holen will. Die Shirren 
anden vom Tifhe auf, liefen, ihrem Grundſatz ge⸗ 
en, Beaufire nach und legten ihre breiten Hände an (en. 

Diefer fchrie, eine Thüre öffnete fih, und. eine 
jan erfchien ängſtlich, erichroden auf. der Schwelle 
er Zimmer bes erſten Stodes. rn 


176 


Als fie diefe Frau fahen, ließen fie Beaufire los 
und fließen au einen Schrei aus, doch einen Schrei 
der Sreude, des Triumphs, wilder @raltation. 

Sie hatten diejenige getroffen, welche fo fehr ber 
Königin von Frankreich glich. 

Beauflre glaubte fie einen Augenblid durch bie 
Erſcheinung einer Frau entwaffnet, aber er war bald 
graufam enttäufcht. 

Der Pofitiv näherte ſich Mile. Dliva und fprad 
mit einem, in Rüdfiht auf die Achnlichkeit, zu wenig 
bölflicden Ton: 

„Ahl ah! ich verhafte Sie.” 

„Sie verhaften!“ rief Beauſtre; „und warum?“ 

„Weil uns Herr von Grosne den Befehl gegeben 
hut,“ erwieberte der andere Agent, „und weil wir in 
Dienften von Herrn von Erosne find.” 

Hätte der Blitz uiien dem Liebespaare einges 
fhlagen, e8 wäre weniger darüber erfhroden, ale über 
diefe Erklärung. 

„So ift es, wenn man fi nicht artig benimmt,“ 
fagte der Bofltiv zu Beauſtre. 

„Du haft Recht, Legrigneurs; denn wenn Beauflre 
artig geweien wäre, hätte er und Madame gezeigt, und 
wir hätten Madame mit allem Anftand feſtgenommen.“ 

Beauftre drüdte feinen Kopf in feine Hände, Wr 
dachte nicht einmal daran, daß feine zwei Dienfiboten, 
ein männlicher und ein welblicher, dieje Scene, welde 
Den auf den Stufen vorging, unten von der Treppe 

örten. 

Er Hatte eine Idee; fie lächelte ihn an: fle ers 
friſchie ihn ſogleich. 

„Ihr ſeid gefommen, um mid zu verhaften ?“ ſagte 
er zu den Agenten. 

‚Nein, das iſt Zufall,” antworteten fie naiver 


eife. 
„Sleichviel. Ihr Eonntet mich verhaften und für 
ſechzig Louisd'or ließet ihr mich in Freiheit.“ 


177 
„Ob! nein, es war unfere Abficht, noch ſechszig 


„Und wir haben nur ein Wort,“ fuhr ber Andere 
et; „für Hundert und zwanzig Lonisp’or laflen wir 
sie auch frei.” 

„Aber ... . Madame?" fragte Beaufire zitternd. 

„Ah! Madame... das ift etwas Anderes,” ants 
ortete der Poſitiv. 

„Madame if zwei hundert werth, nicht wahr?“ 
igte Beauſire haſtig. 

Die Agenten fingen wieder das furchtbare Gelächter 
1, das Beauſire diesmal leider begriff. 

„Drei Hundert . . .* fagte er, „vier Hundert... 
mfend Lonisd'or... Ich gebe Euch tauſend Louisd'or, 
bee Ihr werdet fie frei laſſen.“ 

Zie Augen von Beauſire funkelten, während er ſo 
rach: 

Ihr antwortet nicht,“ fagte er; „She wißt, daß 
h Geld Habe, und Ihr wollt mich bezahlen laflen. 
as ift nur zu billig. Ich gebe zwei taufend Lonisd’or, 
bt und vierzig taufend Livres, ein Bermögen für Cuch 
eide, aber laßt ihre die Freiheit. 
you liebt fle alfo fehr, diefe Frau?“ fragte der 
v 


Run war bie Reihe zu lachen an Beauflre, und 
efes Hößnifche Belächter war fo erſchrecklich, es malte 
ſcharf die verzweifelte Liebe, die dieſes verwelfte 
erz verzehrte, daß bie zwei Sbirren bange bavor be- 
men und fich entfchlofien, Borfichtsmaßregeln zu ers 
eifen, um den Ausbruch der Berzweiflung zu ver- 
tiven, bie man in dem irren Ange von Beauffte las. 

Sie nahmen jeder ein Paar Piflolen aus ver 
ıfche, hielten fle Beaufire auf die Bruft, und einer 
n ihnen fagte: 

„Nicht für Hundert taufend Thaler würden wir 
fe Frau zurückgeben. Herr von Rohan bezahlt ung 
Das HBaldband der Königin. IV. 12 


178 


fünfmal Hundert taufend Livres und die Königin 
Million.” 

Beauftre fchlug die Augen zum Himmel mit e 
Ausdrud auf, der jedes andere Thier, als einen 
guazil, erweicht hätte. 

„Sehen wir,” fagte der Pofltiv. „Sie müfler 
Wägelchen, irgend etwas Rollendes hier haben: I 
Sie diefes Gefährt für Madame anfpannen; wir 
ihr das wohl ſchuldig.“ 

„Und da wir gute Teufel find, fo wollen wir Eı 
Mißbrauch von unferer Gewalt mahen: Man ni 
Sie der Form wegen auch mit, unter Weges we 
wir die Augen ab, Sie fpringen vom Gefährt h 
und wir bemerken es erfi, wenn Sie taufend Sd 
Vorſprung haben. IR das ein gutes Benehmen, vw 

Beaufire antwortete nur: 

„Wohin fie geht, werde ich gehen. Ich verlaf 
nie in diefem Leben.” 

„Dh! weder in diefem, noch in dem andern!“ 
Dliva eisfalt vor Schrecken bei. 

„Deſto beſſer!“ fprach der Pofltiv, „je mehr 
— von Crosne Gefangene zuführt, deſto 

acht er.“ 

Eine Viertelſtunde nachher fuhr der Wagen 
dem gefangenen Liebespaar und feinen Begleitern 
Haufe ab. 


LXXXVIII. 
Herr von Crosne. 
Man fann fidh denken, weldge Wirkung diefer ' 


auf Herrn von Grosne hervorbrachte. 
Die Agenten erhielten wahrfceinlich die Mi 


179 


nicht, anf die fie hofften, doch man hat allen Grund, 


anzunehmen, daß ſie befriedigt wurden. 

Als der Polizeilieutenant die Hände zum Zeichen 
ver Zufriedenheit fih wohl gerieben Hatte, begab er ſich 
nach Berfailles in einem Magen, dem ein anderer hers 
metiich verſchloſſener Wagen folgte. 

Es war am Morgen nach dem Tag, an welchem 
der Poſitiv und fein Freund Nicole in die Hände des 
Polizeichef übergeben hatten. 

err von Grosne ließ feine zwei Wagen in Trianon 


| | einfa ren, ſtieg aus dem, welchen er inne hatte, und 


übergab ben andern der Obhut ſeines erſten Schreibers. 
Gr ließ fi zur Königin führen, von der er fi 
fogleich eine Audienz in Trianon erbeten hatte. 
Die Königin, welche feit einem Monat wohl darauf 
bedacht war, nichts zu vernachläffigen, was von Seiten 
ber Polizei fam, entiprady fogleidy der Bitte des Mi- 


uiſters; fie begab ſich ſchon am Morgen in ihr Lieblings: 


haus, und zwar mit Fleiner Begleitung, falls Geheim⸗ 


. Baltung nöthig wäre. 


Sobald Herr von Erosne bei ihr eingeführt, er⸗ 
kannte fie an feiner ſtrahlenden Miene, daß die Nad: 
richten gut waren. 

Die arme Frau! feit geraumer Zeit fah fie um 
fih her nur düftere und zurüdhaltende Gefichter. 

Ein Klopfen der Freude, das erfte feit dreißig 
Tagen, bewegte ihr durch fo viele tiefe Erſchütterungen 
verwunbdetes Herz. . 

ſ Der Beamte, nachdem er ihr die Hand geküßt, 
prag: 


ad: 

„Madame, Hat Ihre Majeflät in !Trianon ein 
Zimmer, wo fie, ohne gefehen zu werben, ſehen fann, 
was vorgeht ?“ 

„Sch Habe meine Bibliothek,” antwortete die Kö- 
nigin; „hinter den Berfchlägen habe ich Köcher in 
meinem Imbißſalon machen laflen, Und sumeilen, wäh: 

1 


180 


rend ih vefperte, beluftigte ich mid mit Fran v 
Lamballe und Fräulein von Taverney, ale id f 
hatte, damit, daß ich die Eomifchen Grimaflen | 
Nobe Vermond betrachtete, wenn er auf ein Pamph 
ftieß, in dem von ihm die Rede war.“ 

„Sehr gut, Madame. Ich babe nun unten ehı 
Magen, den ich möchte in das Schloß einfahren lafl 
ohne daß der Inhalt diefes Wagens von irgend ! 
mand, außer Eurer Majeftät, gefehen würbe.” 

„Das geht ganz leicht,“ erwieberte die Königi 
„wo iſt Ihr Wagen?“ 

„sm erfien Hof, Madame.” 

Die Königin läutete; es fam Jemand, um il 
Befehle in Empfang zu nehmen. 

„zaflen Sie den Wagen, den Ihnen Herr x 
Crosne bezeichnen wird, in das große Beftibule e 
fahren,” fprah Marie Antoinette „und fchließen € 
die beiden Thüren diefes Beftibule, fo daß es fin] 
darin iſt, und Niemand fehe vor mir die Euriofltät 
die mir Herr von Erosne bringt.” 

Der Befehl wurde vollzogen. Man mußte, v 
mehr als die Befehle, die Launen der Königin zu 
fpectiren. Der Wagen fuhr unter das Gewölbe 
der Wohnung der Barden und ergoß feinen Inhalt 
das düſtere Beftibule. 

„Madame, ſprach Herr von Grosne, „wol 
Sie nun mit mir in Ihren Imbißfalon fommen u 
Befehl geben, daß man meinen Schreiber mit de 
Hr er in bie Bibliothek bringen wird, eintre: 
& t.“ 

Zehn Minuten nachher fpähte die Königin bebe 
hinter ihren Fächern. 

Sie fah in die Bibliothek eine verfchleierte € 
ftalt eintreten; der Schreiber nahm ihr den Schle 
ab, und die Königin ftieß, ale fie biefelbe erfann 
einen Schrei des Schredens aus. Ge war Dli 


| war Marie 


dieſe auidenn 


181 


eieibet in eines vun ben Coſtuͤmen, welche Marie 
utoinette am meiſten liebte, 

Sie hatte ein grünes Kleid mit breiten ſchwarz⸗ 

moiritten Schleifen, die hohe Friſur, welche die Koͤ⸗ 


— bevorzugte, Ringe den ihrigen ähnlich, Pan⸗ 
to 


eln von 128 nem Atlas mit ungeheuren Abſätzen: es 

ntoinette ſelbſt, abgefehen vom Blute der 

Gäfaren, weläe Die bewegliche plebejiihe Flüffigfeit 
aller Bollüſte von Herrn Beauflre erſetzte. 

Die Königin glaubte ſich in einem entgegenge⸗ 

jegten Spie el zu e eben; fie verfchlang mit den Augen 


Was fagt At Gure Majeftät von diefer Aehnlichkeit?“ 
frag te nun Herr Crosne triumphirend über die Wirkung, 
bier er hervorgebracht Hatte. 

„sh fage . . . ich fage, mein Herr,“ ftammelte die 


| Königin ganz verwirrt... „Ah! Dlivier,“ dachte fie, 


„warum find Sie nicht ba?“ 

„Was will Eure Majeſtaͤt?“ 

"Nichte, mein dert, nichts, wenn nicht, daß der 
König wobl erfahre . 

„Unb daß Herr yon Provence fehe, nicht wahr 
Madame?” 

„Ah! meinen Dank, Herr von Croene, meinen 
Daf ... Doch was wird man mit diefer ran 
machen?“ 

„Schreibt man diefer Frau Alles zu, was geichehen 
iR?“ "feagte Herr von Crosne. 

„Ste haben wohl die Fäden diefes Complotts gu 

„Ungefähr, Madame.” 

„Und Herr von Rohan?“ 

Herr von Roban weiß noch nichts.“ 

‚öp! 14 rief die Königin, ihr Geſicht in ihren Händen 


' verbergend, „diefe Frau, mein Herr, das fehe ich wohl, 


iſt der name Irrthum des Cardinale.“ 
fein, Madame, doch wenn es der Irrthum des 


i Gordinals ar fo if e8 das Verbrechen eines Andern.” 


182 


„Suchen Sie, mein Herr, Sie haben die Ehre de 
Haufes Frankreich in Ihren Händen.” 

„Und glauben Sie mir, Madame, fie ift wohl ve 
ſorgt,“ erwiederte Herr von Erosne. 

„Der Prozeß?” fragte die Königin. 

„Sf im Gange. Meberall leugnet man; doch ü 
erwarte den günftigen Augenblid, um das Ueberführung 
mittel, das fie in Ihrer Bibliothek haben, in’s Feld 3 

ellen.” 
r „Und Frau von La Mothe?” 

„Sie weiß nicht, daß ich diefes Mädchen geiunde: 
und bezüchtigt Caglioſtro, er habe dem Gardinal di 
Kopf erhigt, bis er den Berftand verloren,” 

„Und Herr von Gaglioftro ?“ 

„Herr von Eaglioftro, den ich befragen ließ, 5 
—F verſprochen, mich noch dieſen Morgen zu b 
uchen. 

„Das ift ein gefährlider Mann.“ 

„Gr wird ein nüglicher Mann fein. Bon ein: 
Schlange wie Frau von La Mothe geflohen, wird ı 
das Sift verfchluden und uns Gegengift geben.“ 

„Sie hoffen auf Offenbarungen 7 

„Ih bin fell davon überzeugt.” 

„Wie fo, mein Herr? oh! fagen Sie mir Alle: 
was mich beruhigen fann.” - 

„DBernehmen Sie meine Gründe, Mabame: Fra 
von La Mothe wohnte in der Rue Saint:Glaude . . . 

„Sch weiß es, ich weiß es,“ erwiederte die Königi 
erröthend. 

„Fa, Eure Majeftät erwies diefer Frau die Ehr 
wohlthätig gegen fie zu fein.” 

„Sie hat midy gut dafür belohnt, nicht wahr?.. 
Sie wohnte alfo in der Rue Saint-Claude?“ 

„Und Herr von Caglioſtro wohnt gerade gegeı 
über.” 

„Und Sie vermuthen ?“ j 

„Daß, wenn ein Geheimniß für das Eine ob 


| 
| 


183 


für ba6 Andere von biefen beiden Nachbarn ſtattge⸗ 
funden bat, dieſes Geheimniß dem Binen wie dem —* 
dern gehören muß . . . Doch verzeihen Sie, Madame, 
es iR bald die Stunde, zu der ich in Paris Herrn von 
Gagliofiro erwarte, und um nichts in der Welt möchte 
ig dieſe Erklärungen verzögern.“ 

„Gehen Sie, mein Herr, gehen Sie, und feien Sie 
noch einmal meiner Dankbarkeit verfichert.” 

„Endlich,“ rief fie ganz in Thränen, ale Herr von 
Grosne wegge angen war, „endlich beginnt meine Recht⸗ 
fertigung. Fi werde meinen Triumph auf allen Ge⸗ 
ſichtern lefen. Das bes einzigen Freundes, welche mich jo 
gerne beweifen möchte, daß ich unfchuldig bin, dieſes 
allein werde ich nicht ſehen!“ 

. Mittlerweile flog Herr von Grosne nad Paris 

und Fam nach Haufe, wo ihn Herr von Gaglioftro ers 


wartete. 

Diefer wußte Alles feit dem vorhergehenden Tag. 
Gr ging zu Beanflre, deſſen Zufludytsort er Fannte, um 
ihnn anzutreiben, Frankreich zu verlaffen, als er ihn auf 
der Straße zwifchen den zwei Agenten im Wagen er= 
bfidte. Dliva war ganz befchämt und ganz in Thränen 
zerfließend im Hintergrund verborgen. 

Beanfire fah den Grafen, der fi in feiner Poſt⸗ 
chaiſe freuzte, und erfannte ihn. Der Gedanke, diefer 
gehe imnißvolle und mächtige Herr könnte ihm von 
einigem Auen fein, änderte plöglich feinen Entſchluß, 
Oliva nie zu verlaffen. 

Gr wiederholte den Agenten den Borfchlag einer 
Entweichung, den fie ihm gemacht. Sie nahmen hun⸗ 
dert Lonish’or an und ließen ihn frei, trotz der Thränen 
von Nicole. 

Beaufire umarmte indeffen feine Beliebte und fagte 
ihr in’s Ohr: 

„Hofe . . . id will an Deiner Rettung arbeiten.” 

Und er enteilte mit fräftigen Scritten in ber 
Richtung der Straße, welche Baglivftro verfolgte. 


181 


Diefer halte fhon angehalten; er brauchte Beaufire 
nicht mehr zu ſuchen, da Beaufire zurüdfam. Es war 
ihm dienlich, anf Beauflre zu warten, wenn biejer zu: 
weılen fih nachlaufen machte. 

Gaglioftro wartete alfo feit einer halben Stunde 
an der Biegung ber Straße, als er den unglüdlichen 
Liebhaber von Dliva bleich, athemlos, Halb tobt ans 
kommen fah. 

Beim Anblick des flehenden Wagens flieg Beaufire 
den Freudenfchrei des Schiffbrüchigen aus, ber ein 
Brett berührt. 

„Was gibt es, mein Kind?“ fagte der Graf, ins 
dem er ihm zu fich einfteigen half. 

Beaufire erzählte ihm feine ganze Flägliche Ge⸗ 
ſchichte; Caglioſtro Hörte ihn ſtillſchweigend an und 
fpra dann: 

„Sie ift verloren.“ 

„Wie fo?“ rief Beaufire. 

Gaglioftro erzählte Beaufire, was er nicht wußte, 
nämlich die Intrigue ber Rue Saintesßlaude und die 
von Berfailles. 

Beauftre wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. 

„Retten Sie fie,“ ſprach er im Wagen auf die 
Kniee finfend, „und ich gebe fie Ihnen, wenn Sie 
Dliva immer noch lieben.“ 

„Mein Freund,“ entgegnete Gaglioftro, „Sie And 
in einem Irrthume begriffen, ich babe Mademoifelle 
Oliva nie geliebt; ich hatte nur einen Zwed, den, 
fie dem ausſchweiſenden Leben zu entziehen, weldyes 
Sie mit ihr führten.“ 

„ber ...“ verſetzte Beaufire erftaunt. 

„Sie wundern ſich hierüber? Erfahren Sie, daß 
ich einer von den Vorſtehern einer Geſellſchaft für 
ſittliche Reform bin, deren Zweck es iſt, den Laſter 
Alles zu entreißen, was Ausfichten auf Heilung bieten 
fann. Ich hätte Dliva geheilt, Indem ich fie Ihnen 
wegnahm, und darum habe ich le Ihnen weggenommen, 


185 


Bie fage, ob fie je von meinem Munde ein Wort ber 
Balanterie gehört hat; fie fage, ob meine Dienfe 
üdgt immer uneigennügig gepeſen find!“ 

„Gin Grund mehr, mein Herr, retten Sie fie!“ 

„Ih will es wohl verfuchen; doch das hängt von 
nen ab.” 

„Berlangen Sie mein Leben von mir.“ 

„sh werde nicht io viel verlangen. Kehren Sie 
nit m’r nah Baris zurüd, und wenn Gie Punkt für 
Bunft meine Borfchriften befolgen, fo werden wir viel- 
ve Ihre Beliebte reiten. Sch Felle hiebei nur eine 

= u 


„Beige, mein Herr?” 

„I werde fie Ihnen fagen, wenn wir zu mir 
».Baris zurädiommen.“ 

„eb! ih unterfchreibe zum Voraus; doch fie wies 
erichen! fie wieberfchen!“ 

„Daran dente ich gerade; che zwei Stunden ver- 
sehen, werden Gie Lliva wieberfehen.” 

„Und fie umarmen?” 

„Ih zähle darauf; mehr no, Sie werden Ihr 
ıgen, was ih Ihnen zu fagen beabfidhtige.“ 

Gagliohro flug mit Beaufite wieder ben Weg 

u. 


Zwei Stunden nachher, es war dies am Abend, 
atte er den Wagen ber Agenten eingeholt. 

Und eine Stunde fpäter etkaufte ich Beaufire um 
unfzig Lonisb’or von den beiden Agenten das Recht, 
* n umarmen und ihr die Aufträge des Grafen 
zzußü 

Die Agenten bewunderten dieſe leidenſchaftliche 
iebe. Sie veriprachen fi fo etwa Tünfzig Lonisd'or 
uf jeder BoRfletion. 

Branfire erſchien jedoch nicht mehr, und die Ehaife 
on Gaglioſtro führte ihn raſch nah Paris, wo ſich 
» viele Ereianiffe vorbereiteten, 

Dies mı n wir dem Leſer nothwendig mitthei⸗ 


186 


lien, ehe wir ihm Herren von Gaglivftro im Geſpräche 
mit Herrn von Grosne zeigen. 

Nun aber Fünnen wir ihn in das abinet bes 
Polizeilieutenants einführen. 


* + * 


Herr von Erosne wußte von Caglioſtro Alles, was 
ein gewandter Polizeilieutenant von einem in Frank⸗ 
reich wohnenden Dann wiffen kann, und das will nicht 
wenig fagen. Er fannte alle feine früheren Namen, 
er Fannte alle feine Geheimniſſe als Aldyemift, ale 
Magnetiſeur und als Wahrfager, er fannte die Ans 
ſprüche, die er auf Allgegenwart, auf furtwährende 
Miedergeburt madhte, und betrachtete ihn ale einen 
vornehmen Charlatan. 

Herr von Crosne war ein flarfer Geiſt, mit allen 
Mitteln feines Amtes vertraut, bei Hofe wohl ange 
fbrieben, gleichgültig gegen die Gunſt, die ſich nicht 
mit feinem Stolz vertrug, ein Mann, auf den nidt 
Jeder, der da wollte, Einfluß zu üben vermochte. 

Diefem konnte Gaglioftro nicht, wie Herrn von 
Nohan, noch vom hermetifhen Ofen Heiße Louisd'or 
anbieten; diefem hätte Gaglivftro nicht das Ende einer 
Piftvle geboten, wie Balfamo Herrn von Gartines; 
von diejem hatte Balfamo nicht mehr eine Lorenza zu: 
rücguforbern, fondern Eaglioftro Hatte Nechenfchaft ab: 
zulegen. 

Darum hatte der Graf, flatt die Ereigniffe abzu: 
warten, fih von dem Beamten eine Audienz erbitten 
zu müflen geglaubt. 

Herr von Crosne fühlte den Vortheil feiner Gtel: 
lung. Caglioſtro fühlte das Peinliche der feinigen 
und war bemüht fih daraus zu befreien. Bei dieſer 
offen gefpielten Schachpartie fand ein Einſatz flatt, den 
einer von den Spielern nicht muthmaßte, und dieſer 
Spieler war nicht Herr von Croene. 


187 


Diefer Tannte, wie gefagt, von Caglioſtro nur 
den Gharlatan, der Adept war ihm völlig unbefannt. 
An den Steinen, weldye die Philofophie auf dem Wege 
der Monarchie ausfäte, haben fich fo viele Leute nur 
geflogen, weil fie diefelben nicht fahen. 

Herr von Erosne erwartete von Herrn von Ga= 
glioſtro Enthüllungen über das Halsband, über die 
Händel von Frau von La Mothe; hierin lag fein 
Nachtheil. Doc, er Hatte das Net, zu befragen, zu 
verhören, einzuferfern, und dies war feine eberlegenheit. 

Er empfing den Grafen wie ein Mann, der fein 
Gewicht fühlt, aber der es nicht an Höflichkeit gegen 
irgend Jemand fehlen lafien will, nit einmal gegen 
einen Parvenn. 

Gaglioftro bewachte fih. Gr wollte nur vorneh⸗ 
mer Herr bleiben, feine einzige Schwäche, von der er 
glaubte, er müfle fie vermuihen laffen. 

„Mein Herr, fagte der Polizeilieutenant zu ihm, 

Gie Haben fidy eine Audienz von mir erbeten. Ich 
omme ausdrücklich von Dertnilles, um fie Ihnen zu 
geben.” 

„Mein Herr, ichdachte, Sie hätten ein Intereffe, mich 
über das, was vorgeht, zu befragen, und als ein Mann, 
der Ihr ganzes Verdienſt und die ganze Bedeutung 
Ihrer Bunctionen fennt, bin ich zu Sönen gekommen.” 

„Sie befragen?" verfegte der Beamte, Erſtaunen 
ge „worüber denn? und in welcher Eigen⸗ 
u „Mein Herr, ſprach Herr Caglioſtro gerade her⸗ 
aus, „Sie befhäftigen ſich fehr viel mit Frau von La 
Mothe und dem Berfchwinden des Halsbande.“ 

Sollten Sie e8 gefunden haben?” fragte Herr 
von Grosne beinahe fpöttifch. 

„Rein,“ antwortete der Graf mit ernflem Tone. 
„Aber wenn ich es nicht gefunden habe, fu weiß id 
body wenigftens, daß Frau von La Mothe in der Rue 
Saint:Elaube wohnte.“ 


189 


(mein Herr, ein Schlaufopf, ben fie nicht 
iſſen ...“ 
ewiſſer Beaufire vielleicht,“ erwiederte der 
zlücklich, wohlunterrichtet zu erfcheinen. 
Sie fennen ihn, das ift erſtaunlich,“ ſprach 
mit Bewunderung, „fehr gut, mein Herr, 
noch mehr Wahrfager, als ih. Eines Tage 
Beaufire die Arme mehr geichlagen und bes 
tte, als gewöhnlich, flüchtete fie fih zu mir 
mich um meinen Schutz. Ich bin gut, ich 
rgend einen Winkel in einem meiner Ho⸗ 


Ihnen! ... Sie war bei Ihnen?” rief der 


ſtaunt. 

rdings,“ erwiederte Caglioſtro, ebenfalls Er⸗ 
»ucheind, „warum ſollte ich fie nicht bei mir 
nen haben? ich bin Junggeſelle.“ 

:r lachte mit einer fo geſchickten Treuherzigs 
Herr von Grosne völlig in's Garn ging. 
Shnen!” wiederholte er; „barum haben alfo 
nten fo fehr gefucht, um fie zu finden.“ 

‚ gelucht!” rief Eaglioftre. „Man fucdhte bie 
‚at fie denn etwas geihan, was ich nicht 


ı, mein Herr, nein; ich befchwöre Sie, fah⸗ 


ort. 

mein Gott! ich bin zu Ende. Ich quartierte 
r ein, das if das Ganze.“ 

ı, mein Herr Graf, das ift nicht das Ganze, 
orhin den Namen Oliva mit dem Namen 
von La Mothe zu verbinden ſchienen.“ 
wegen der Nachbarſchaft.“ 

ft noch etwas Anderes, Herr Öraf.. . Sie 
rt umfonft gefagt, ran von La Mothe und 
9a feien Nachbarinnen geweſen,“ 

das bezieht fi auf einen Umſtand, welchen 
zutheilen unnüß wäre. Man muß nicht dem 


190 


erften Beamten des Königreihs Hirngefpinnfle eines 
müßigen Rentier erzählen.” 

„Sie intereffiren mi, mein Herr, und zwar mehr 
ale Sie glauben; denn diefe Dliva, von der Sie ſa— 
gen, Sie haben fie bei fi) aufgenommen, habe ich in 
der Provinz gefunden.“ 

„Sie haben fie gefunden ?” 

„Mit Herren von Beaufire.” 

„Sch vermuthete es,” rief Caglioſtro. „Sie war 
mit Beaufire? Ab! fehrgut, fehr gut! Ich muß Frau 
von La Mothe Abbitte thun.“ 

„Wie? was wollen Sie damit fagen?“ fragte Herr 
von Brosne. 

„SH fage, mein Herr, nachdem ich einen Augen: 
blild Frau von La Mothe im Verdachte gehabt, fafte 
ich ihr volltändige Genugthuung wiberfahren.“ 

„Im Verdacht! worüber ?“ 

„Suter Bott! Sie hören alio gebuldig all dieſes 
Geſchwätze an? Nun denn! fo erfahren ©ie, daß in 
dem Augenblick, wo ich Hoffnung Hatte, diefe Dliva 
zu beſſern, fie zur Arbeit und zur Rechtſchaffenheit zu: 
rüdzuleiten ... ich beichäftige mi mit der Sitt- 
lichkeit ..... Semand gekommen ift und fie mir ents 
führt bat.“ ' 

„Sie Ihnen entführt! aus Ihrem Haufe?“ 

„Aus meinem Haufe.” 

„Das if ſeltſam.“ 

„Nicht wahr? Und id Hätte mid verbammen 
lafien, daß es Frau von La Mothe geweien fei. Woran 
hängen die Urtheile der Welt!“ 

Herr von Grosne näherte ſich Caglioſtro und ſprach: 

„Ich bitte Sie, erflären Sie fh umfländlicher.“ 

„Sb! mein Herr, nun, da Sie Dliva mit Beaufire 
gefunden haben, wird mich nichts mehr aui den Ge⸗ 
danfen an Frau von La Mothe, an ihre Beſtrebungen, 
an ihre Zeichen, an ihre Borrefpondenzen bringen.“ 

„Mit Dliva?" 


191 


„Ja wohl.“ 

„Frau von La Mothe und Dliva waren im Bins 
erſtaͤndniß?“ 

Bollkommen.“ 

„Gie ſahen Ah?" 

„Grau von La Mothe hatte Mittel gefunden, Dliva 
ede Nacht ansgehen zu laflen.“ 

„Jede Nacht! find Sie deflen ſicher?“ 

„Eo fiher ale ein Menfch defien, was er gehört 
at, fein Tann.“ 

„Dh! mein Herr, Sie fagen mir da Dinge, die 
& mit taufend Livres für jedes Wort bezahlen würde. 
Beides Glück für mid, daß fie Gold machen.“ 

Ich made feines mehr, mein Herr, es war zu 
euer.” 

„Doch Gie find der Freund von Herrn von Rohan?” 

„3 glaube es.“ 

„Aber Sie müflen wiflen, wie viel dieſes Intriguen- 
lement, das man Frau von La Mothe nennt, Antheil 
u feiner ärgerlichen Angelegenheit bat?” 

„Rein, ich will das nicht wiflen.“ 

„Do, Sie wiflen vielleicht die Folgen der Spa⸗ 
ergänge, weldye Dliva und Frau von La Mothe mit 
„ander gemadyt haben?” 

„Dein Herr, es gibt Dinge, welche der Fluge 
dann immer nicht zu wiflen fucen muß,“ erwieberte 
aglioftro ſpruchreich. 

„Sch werde nur noch die Ehre haben, Sie Bines 
ı fragen,“ fagte Iebhaft Herr von Grosne. „Haben 
sie ife, daB Frau von La Mothe mit Dliva 
wrefponbirte?” 

„Hundert.“ 

Belche?“ 

„Billets von Frau von La Mothe, bie fie zu Dliva 
it einer Armbruft fehleuderte, weldye man ohne Zwei- 
I in ihrer Wohnung finden wird. Um ein Gtüd 
lei gewidelt, Haben mehrere von diefen Billets das 


192 


Ziel nicht erreicht. Sie fielen auf die Straße, w 
einige bavon von meinen Leuten oder von mir au 


„Oh! fie find von einer ſolchen Unfhuld, daß iı 
mir fein Bedenken daraus madte, und daß ich bei 
balb feinen Borwurf von Seiten von Fran von 2 
Mothe zu verdienen glaubte.“ 

„Und. . . bie Beweife des Einverfländniffes, de 
Rendezvous ?" 

„Tauſend.“ 

„Ich bitte Sie, geben Sie mir einen einzigen. 

„Den beſten. Es ſcheint, daB es Frau von 2 
Mothe leicht war, in mein Haus einzutreten, wı 
Dliva zu befuchen, denn ich habe fie dort am demſel 
ben Tage gefehen, an dem bie junge Frau verfchwand. 

„Am vdemfelben Tage ?" 

„Alle meine Leute haben fie gefehen, wie ich.“ 

„Ab! ... und was wollte de wenn Dliva ven 
fhwunden war?" 

„Das fragte ich mich auch ſogleich, und ich konnt 
es mir nicht erklären. Ich hatte Frau von La Motb 
aus einer Poftchatfe ausfleigen fehen, welde in be 
Rue du Roi⸗Dors wartete. eine Lente hatten dieſe 
Magen lange auf derfelben Stelle Halten fehen, un 
mein Gedanke, ih muß es geflehen, war, Frau vo 
La Mothe welle fih Oliva beigefellen.” 

„Sie ließen gewähren?“ 

„Warum nicht? Es iſt eine mildherzige unb von 
Schickſal begünftigte Dame, diefe Frau von La Mothı 
Sie wird bei Hofe empfangen. Warum follte ich fi 
verhindert haben, mich von Dliva zu befreien? Ja 
hätte Unrecht gehabt, wie Sie fehen, da fle mir eiı 
Anderer entführte, um fie abermals zu verberben.” 

„AH!“ fagte Herr von Crosene tief nachfinnend 
„Mile. Dliva war bei Ihnen einquartiert?“ 


| 


vr. 


| 





193 


„Sa, mein Herr.“ 

„Ab! Mile, Dliva und Frau von La Mothe kann⸗ 
ten ih, fahen fi und gingen mit einander aus?“ 

„sa, mein Herr,” 

„AH! Frau von La Mothe ift an dem Tage der 
Entführung von Dliva bei Ihnen gefehen worden?“ 

„Sa, mein Herr.“ 

„AH! Sie dachten, die Gräfin habe ſich das Maͤd⸗ 
chen beigefellen wollen ?” 

„Bas follte ich Anderes denken ?- 

„Aber was hat Frau von La Mothe gefagt, als 


fe Oliva nicht mehr bei Ihnen fand %“ 


„Sie fam mir fehr beunruhigt vor. 
„Gie vermuthen, biefer Beaufire habe fie ents 
rt | 


Ich vermute es einzig und allein, weil Sie 
mir tagen, daß er fie wirklich entführt, ſonſt würde 
ich nichts vermuthen. Dieſer Menfch wußte die Woh⸗ 
uunB go Dliva nicht, wer Fann fie ihm genannt 

ent” 
’ „Dliva felbf.“ 

„sch glaube nicht, denn ftatt fi von ihm aus 
meinem Hanije entführen zu laffen, wäre fie felbft von 
mir zu ibm entflohen, und ich bitte Sie, zu glauben, 
daß er nicht in mein Hotel hereingefommen wäre, hätte 
ihm nicht Frau von La Mothe einen Schlüffel zuftels 
len laffen.“ 

„Sie Hatte einen Schlüffel ?“ 

„Es läßt ſich nicht daran zweifeln.“ 

„Ich bitte, an welchem Tage entführte man fie F" 


fragte Herr von Grosne, plöglich erleuchtet durch die 
* 


el, die ihm Caglioſtro ſo geſchickt reichte. 

„DH! mein Herr, darin werde ich mich nicht täus 
ſchen, es war gerade an dem Tage vor dem Feſte des 
heiligen Ludwig.“ 

„So iR es,“ rief der Poltzeilieutenant, „fo ift es! 

Dad Balbband der Königin. IV. 13 


194 


mein Herr, Sie haben dem Staat einen ausgezeichneten 
Dienft geleiitet.“ 

„Das macht mich fehr glüdlich.“ 

„Und Sie werden den gebührenden Danf dafür 
erhalten.“ _ 

„Bor Allem durch mein Gewiſſen,“ fagte ber Graf. 

Herr von Crosne verbeugte fich. 

„Darf ich auf die Niederlegung der Beweiſe, von 
denen Sie ſprechen, hoffen?” fagte er nod. 

„Mein Herr, ich gehorche den Gerichten in allen 


LXXXIX. 
Herr von Breteuil, 


Während Herr von Grosne diefe Unterrebung mit 
Gaalivitro hatte, erihien Herr von Breteuil in der 
Baſtille im Auftrage des Königs, um Hexen von Rohan 
zu befragen. 

Die Zufammenfunft zwifchen diefen zwei Feinden 
drohte Hürmifch zu werden. Herr von Breteuil fannte aber 
den Stolz von Herin von Rohan; er hatte ihm eine Rache 
abgewonnen, weldye furdtbar genug wat, daß er fi 
fortan an ein hörliches Verſahren halten konnte. Gr 
war mehr ale hoͤflich. Herr von Rohan weigerte id, 
zu antworten. 


195 


Der Giegelbewahrer blieb beharrlich; doch Herr 
m Rohan erklärte, er werde fih auf die Maßregeln 
zlaffen, welche das Parlament und feine Richter 
fchlöffen. 

Herr von Breteuil mußte ſich vor dem unerſchütter⸗ 
hen Willen des Angeklagten zurüdsziehen. 

Gr ließ Frau von La Mothe zu fih rufen, welde 
ven mit der Abfaffung ihrer Denfwürdigfeiten befhäftigt 
ar; fie gehordhte voll Eifer. 

Herr von Breteuil erflärte ibr unummwunden ihre 
ge, die fie befier als irgend Jemand fannte. Sie 
stwortete, fie habe Beweife von ihrer Unfchuld, die 
e liefern werde, wenn es nöthig fei. Herr von Bres 
nil bemerkte ihr, nichts könne dringlidyer fein. 

Die ganze Zabel, weldye Jeanne componirt hatte, 
ıb fie nun preis; es waren immer biefelben Snfinnas 
onen gegen alle. Welt, diefelbe Behauptung, die Faͤl⸗ 
hungen, bie man ihr zum Vorwurf made, rühren, 
e wifle nicht, woher. . 

Sie erklärte au, da das Parlament die Sache 
ı die Hände genommen, fo werde fie nichts abfolut 
Jahres mehr, außer in Gegenwart des Gardinals und 
ach den Anfchuldigungen, die er auf ihr laften machen 
ürde, fprechen. 

Herr von Breteuil fagte ihr fodann, der Garbinal 
iſſe Alles auf ihr laften. 

„Alles?“ verſetzte Jeanne, „ſelbſt den Diebflahl?“ 

„Selb den Diebitahl.” _ 

„Wollen Sie dem Herrn Bardinal erwiedern,“ 
rad; Jeanne mit falten Tone, „ich laſſe ihn ermahnen, 
icyt länger ein fo ſchlechtes Vertheidigungsſyſtem zu 
ehaupten.“ 

Und dies war Alles. Doch Herr von Breteuil 
ihlte ſich nicht befriedigt. Er braudte einige geheime 
inzelgeiten. Er brauchte für feine Logif den Aus 
uch der Urfachen, welche den Barbinal zu fo großen 
Jerwegenheiten gegen bie Königin, —* Koͤnigin 


196 


em folden Zorn gegen den Garbinal geführt 
alten. . 

Er brauchte die Erläuterungen aller der vom 
Herrn Graien von Provence gefammelten und in den 
Zuftand öffentlicher Gerüchte üdergegangenen Protvocolle. 

Der Siegelbewahrer war ein Mann von Beil, 
er verftand es, auf den Charafter einer Frau zu wirs 
fen; er verfpradh Frau von La Mothe Alles, wenn fie 
unummunden Semand bezüdhtiate. 

„Nehmen Sie fih in Acht,“ ſprach er zu ihr, 
„indem Sie nichts fagen, bezüdhtigen Sie die Königin; 
nehmen Sie fih in Acht, wenn Sie hiebei beharren, 
werden Sie als der Majeftätsbeleidigung fchuldig vers 
urtheilt; das iſt die Schande, das iſt der Strang.“ 

„Ich Elage die Königin nicht an,“ erwieberte Jeanne; 
„doch warum klagt man mid an?“ 

„Sy bezüchtigen Sie Jemand,“ fprad der unbengs 
fame Breteuil; „Sie haben nur diefes Mittel, um fi 
frei zu machen.” 

Sie verfhloß fh in ein kluges Stillichweigen, 
und dieie erfte Zuiammenfunit von ihr und dem Gies 
gelbewahrer hat:e fein Refultat. 

Sindeflen verbreitete ſich das Gerücht, es Haben fi 
Beweife erhoben, die Diamanten feien in England 
verfauft worden, wo man Herrn Reteau von Billette 
durch die Agenten von Herrn von Vergennes verhaftere. 

Der erfte Sturm, den Jeanne aushalten hatte, 
war furchtbar. Mit Reteau confrontirt, den fle mr 
ihren Berbündeten bis zum Tod Halten mußte, hötte 
fie diefen zu ihrem Schreden ganz demüthig geitehen, 
er fei ein Fälſcher, er babe einen Bmpfangıdhein für 
die Diamanten, einen Schulpbrief der Königin geichries 
ben und zugleich die Unterſchrift der Juweliere und 
Ihrer Majeſtät nerälfcht. 

Berragt, aus welchem Beweggrunde er dieſe Ver⸗ 
brechen begangen, antworteie er, es ſei auf das Ber⸗ 
langen von Frau von La Mothe geſchehen. 


nn — — 


a DU — — — — — —— 


197 


Berwirrt , wüthend , vertheibigte fie ſich wie eine 
Böwin; fie behauptete, Herrn Reteau von Billette nie 
geichen, nie gefannt zu haben. Doch bier erhielt fie 
jwei barte Stöße: zwei Zengniſſe fhmetterten fie nieder. 

Das erſte war das eines von Herrn von Crosne 
aufgefundenen Fiacrefutfchers, welcher erflärte, er habe 
an dem von Reteau bezeichneten Tag und au ber von 
ibm genannten Stunde eine fo gefleitete Dame nad 
der Aue Montmartre geführt. 

Diefe Dame, welche fiy mit fo vielen Geheimniflen 
umgab. wer fonnte es fein, fie, tie ber Kuticher im 
DOueartier du Marais aufgenommen, wenn nidt Frau 
von 2a Motbe, die in der Rue Saint-Claude wohnte. 

Undpas die Bertraulichkeit betrifft, weldye zwiſchen 
biefen 3 Schuldgenoſſen beftand, wie ließ fie ſich leugs 
nen, wenn ein Zeuge behauptete, er habe am Tage vor 
dem Lubwigefehe auf dem Bed einer Poſtchaiſe, aus 
ber Frau von La Mothe ausgeſtiegen, Herrn Reteau 
son Billeite gefehen, welcher an feinem bleichen, ängſt⸗ 
ligen Geſichte kenntlich. 

Der Zeuge war einer von den erſten Dienern von 
Herrn von Gagliofiro. 

Diefer Rame machte Jeanne auf'pringen unb trieb 
fe zum Aeußerfien. Sie verbreitete fi in Anflagen 
gegen Gaglioftro, von dem fie erflärte, er babe durch 
feine Herereien und Zaubermittel den Geiſt des Cardi⸗ 
nal von Rohan geblendet und dieſem fo Rrafbare Bes 
banfen gegen die königliche Majeſtät einges 


Dies war der erfie Ring von ber Kette ber Bes 
jähtigung des Ghebrudye. 

Herr von Rohan verthbeibigte fih; indem er 
Gagliofro vertheidigte. Gr leugnete Alles, was 


. Begiehung ani die Königin Hatte. Er Iengnete fo 


& 


bartuädia, daß Jeanne, außer fi, zum erfien Mal 


bie Bezüdtigung einer wahnfinnigen Liebe des Cardi⸗ 


nals für die Königin ausſprach. 


198 


Herr von Caglioſtro verlangte ſogleich 
zu werden, was er auch erhielt, um für fei 
gegen Jedermann zu bürgen. Ankläger u 
entflammten fi, wie dies gefchieht, bei 
Hauche der Wahrheit, und bie öffentlid 
nahm unmittelbar Partei für den Gardina 
Gaglioftro gegen die Königin. 

Da geſchah es, daß diefe unglüdlidhe | 
ihre Beharrlichfeit in Berfolgung des P 
greiflich zu machen, die an den König über 
lichen Spaziergänge erftatteten Berichte ver 
ließ, und, hierüber an Herrn von Crosne 
biefen auiforderte, zu erflären, was er wuß 

Geſchickt berechnet, fiel der Schlag a 
und hätte fie beinahe auf immer vernichtet. 

Der Berbörrichter forderte in vollem 3 
rath Herrn von Rohan auf, zu erflären, ı 
den Promenaden in den Gärten von Berfi 

Der Cardinal erwiederte, er verfteh 
lügen und berufe ſich auf das Zeugniß vor 
La Mothe. 

Diefe Teugnete, daß je Promenaden 
Theilnafme oder nach ihrem Willen vorgefoi 

Sie erflärte für Lügen die Protocol 
richte, welche ausfagten, fie fei in den 
Geſellſchaft der Königin oder in Befellfcha‘ 
dinals erichienen. 

Diefe Erflärung ſprach die Unſchuld d 
aus, wäre es möglich aewefen, an die Wori 
Diebſtahls und der Fälſchung bezüdhtigt« 
glauben. Doch von diefer Seite fommend 
Rechtfertigung ein Act der Beiälligfeit zu 
die Königin ertrug es nicht, auf diefe We 
fertigt zu werben. 

Als Seanne am Stärffien ſchrie, fie fei 
licher Weile im Garten von Berfailles erfc 
nie habe file etwas von den Privatangelege 


199 


sigin nnd des Cardinals gefchen oder eriahren, ta 
‚Hien Dliva, ein lebendiges Zeugniß, das Pie 
Reinung veränderte und das ganze Gerüfte der von 
er Sräfin aufgehäuften Rügen zeriörte. 

Wie wurte fe nicht unter den Trümmern begraben, 
sie erhob fie ſich wieder gehäſſiger und ſchrecklicher 
Is je?! Bir erflären uns dieſe Ericheinung nur durch 
bren Willen, wir erflären uns dieſelbe nur turch den 
nieligen Einfluß, der fih an Marie Antoinette anhing. 

Dliva mit dem Gardinal confrontirt, welch ein 
urchtbarer Schlag! Herr von Rohan, endlich bemer: 
end, daß er auf eine fchändliche Weiſe betrogen worden 
sar, diejer Mann voll Zartgefübt und voll edler Lei— 
enfchaflen, entdeckend, DaB eine Abenteurerin in Ber: 
indung mit einer Spitzbübin ihn dahin gebradjt, rap 
re ganz laut die Königin von Franfreich veradtet 
atte, eine Fran, die er liebte und die nicht ſchuldig 
var! 
Die Wirfung diefer Erſcheinung auf Herrn von 
Roban wäre, wenn wir wollten, die pramatifchfte und 
ewichtigſte Scene diefer Angelegenheit, würden wir 
icht, indem wir uns der Geſchichte näberten, in den 
toth, in das Blut und das Entfegen fallen. 

Als Herr von Rohan Dliva, diefe Königin von 
er Etraßenede, ſah und fih ter Rofe, des Hände: 
rucks und der Apollo:Bäder erinnerte, da erbleichte er, 
md er hätte all jein Blut zu den Züßen von Marie 
Antoinette vergoffen. würde er fie in diefem Augenblid 
ın ber Seite der Andern geliehen haben. 

Weldye Berzeihungen, melde Gewiſſensbiſſe fprangen 
ns feiner Seele hervor, um mit feinen Thränen hin— 
ugeben und die legten Stufen vieles Thrones zu 
einigen, wo er eines Tags feine Geringfhägung mit 
em Beklagen einer verachteten Liebe ergoflen Hatte. 

Doch auch diefer Troſt war ihm veriagt; doch er 
onnte bie Identität von Dliva nicht annehmen, ohne 
ich zu geftehen, er liebe die wahre Königin; doch das 


200 


Geftindniß feines Irrthums ſelbſt war eine Anfchuldis 
gung, eine Befleckung. Er ließ Jeanne Alles leugnen 
und fchwieg. 

Und ale Herr von Breteuil mit Herrn von 
Erosne Jeanne nöthigen wollte, ſich weiter zu erflären, 
ſprach fie: 

„Das befte Mittel, zu beweiſen, daß die Königin 
nicht in der Nacht im Harfe fpazieren gegangen, if, 
eine Frau zu zeigen, bie der Königin gleicht und be: 
haubtet, fie fei im Parf gewefen. Man zeigt fie; es 
ift gut.“ 


Diefe ſchändliche Infinuation Hatte günfligen Erfolg, 
fie entfräftete noch einmal die Wahrheit. 

Als aber Dliva in ihrer treuherzigen Augſt alle 
@inzelheiten angab und alle Beweife lieferte, als fie 
nichts ausließ, als fle es dabin brachte, daß man ihr 
viel mehr glaubte, als der Gräfin, da nahm Seanne 
ihre Zuflucht zu einem verzweifelten Mittel: fie geftand. 

Sie geftand, fie habe den Cardinal nach Berfailles 
geführt, Seine Eminenz habe um jeden Preis die Kös 
nigin ſehen und ihr die Berfiherung feiner ehrfurchts⸗ 
vollen Zuneigung geben wollen ; fie geſtand, weil fie 
hinter ſich eine ganze Bartei fühlte, die fie nicht Hatte, 
wenn fie fih in die Verneinung verſchloß; fie geftand, 
weil fie, indem fle bie Königin anſchuldigte, alle Yeinde 
der Königin, und ihre Zahl war groß, zum Beiſtand 
für fi) gewann. 

Da wechfelten zum zehnten Mal die Rollen in 
diefem hölfifhen Prozeß: der Cardinal fpielte die eines 
Betbörten, Dliva die einer ohne Poefle und ohne Sinn 
Proftiituirten, Jeanne die einer Intrigantin; fie konnte 
fi feine beffere wählen. 

Doch um dieien nieberträchtigen Blan gelingen I 
machen, mußte die Königin auch eine Rolle darin 
ſpielen; man gab ihr die gehäfftafte, die verworfenſte, 
die die Fönigliche Würde am meiften an den Branger 
ftellende, die Rolle einer unbefonnenen Goquelte, einer 


201 


irifette, welche Myftificationen anzeitelt. Marie An 
inette wurde Dorimene, wie fie mit Srofine gegen 
eren Jourdain, Gardinal, fi) verichwört. 

Seanne erklärte, diele Promenaden haben mit dem 
utheißen von Marie Antoinette flattgeiunden, welche 
nter einer Hagenbuche verborgen, zum Sterben ladyenp, 
ıf die leidenſchaftlichen Reden des verliebten Herrn 
a Rohan gehorcht. 

Dies wählte zur letzten Verſchanzung die Diebin, 
elche nicht mehr wußte, wo fie ihren Diebitahl ver: 
ergen follte; dies war der Fünigliche Mantel, gemacht 
er Ehre von Maria Therefia und Maria Les; 
neTa. 

Die Königin erlag diefer letzten Anjchuldigung, 
mn fie konnte ihre Falfäheit nicht beweifen, fie fonnte 
e nidyt beweifen, weil, auf das Aeußerſte getrieben, 
eanne erklärte, fie würde alle von Herrn von Rohan 
a die Königin gefchriebenen Liebesbriefe veröffentlichen, 
nd weil fie in der That diefe von einer wahnfinnigen 
lebe glühenden Briefe befaß. . 

Sie fontte es nicht, weil Mademoifelle Dliva, 
elche von Seanne in den Park geführt worden zu 
in behauptete, feinen Beweis hatte, daß Jemand 
Inter den Hagenbuchen gehorcht oder nicht gehorcht. 

Endlich Fonnte die Königin ihre Unfchuld nicht 
eweiſen, weil zu viele Verſonen ein Intereſſe hatten, 
jefe fhändlichen Lügen ‚für die Wahrheit zu nehmen. 


XC. 
Eine letzte Hoffnung verloren. 
Bei der Wendung, welche Jeanne der Sache ges 


eben Hatte, wurbe ed, wie man ficht, unmöglich), bie 
Bahrheif zu entdecken. 


202 


Auf eine unverwerfliche Weife durdy zwanzig von 
alaubmwürdigen Perſonen herrührenden Zeugfchaften dei 
Gntwendung der Diamanten überwieien, Fonnte fid 
Jeanne nicht entfchließen, für eine gemeine Diebin zı 
gelten. Sie bedurfte der Schande von irgend Jemant 
an der Seite der ihrigen. Sie überredete ſich, dei 
Lärm von dem Scandal in Berfailles werde fo gut 
ihr, der Gräfin von fa Mothe, Verbrechen übertäuben 
daß, würde fie verurtheilt, der Spruch die Königin vo 
aller Welt treffen müßte. - 

Ihre Berechnung war geſcheitert. Die Königin 
indem fle offen die Debatte über die doppelte Angeles 
genheit annahm, der Gardinal, indem er fich feinem 
Verhör, den Richtern und dem Scandal unterzog, 
raub:en ihrer Beindin die Glorie der Unſchuld, die fr 
mit allen ihren beuchlerifchen Zurückhaltungen zu ver: 
golden fich gefallen Hatte. 

Aber eine feltfame Erfhheinung! Das Publifum 
follte vor feinen Augen einen Prozeß fich entrollen 
feben, in dem Niemand unfchuldig wäre, feibft nid 
diejenigen, weldye tie Gerichte freifprehen würden. 

Nach zahllofen Eunfrontationen, in denen der Gar 
dinal beftändig abi und artig blieb, ſelbſt gege 
Jeanne, in denen fih Jeanne heftig und ſchädlich gege 
Alle zeigte, war die öffentliche Meinung im Allgeme 
nen und die der Richter ins Beſondere unwiderrufi! 
feftgeftellt. 

Alle Zwifchenfälle waren beinahe unmöglith 
worden, alle Offenbarungen waren erfhörft. Sea 
bemerfte,, daß fie feine Wirfung auf ihre Richter ' 
vorgebracht hatte. 

Sie faßte in der Stille des Kerfers alle 
Kräfte, alle ihre Hoffnungen zufammen. 

Bon Allem, was Herrn von Breteull umgab 
ihm diente, fam Jeanne der Rath zu, die König 
fyunen und den Bardinal mitleidelos zu verlafle 

Bon Allem, was mit dem Gardinal in Verü 


203 


’, eine mächtige Familie, für bie volksthümliche 
ye parteiiihe Richter, eine an Mitteln fruchtbare 
Hichfeit, fam Frau von La Mothe der Rath au, 
solle Wahrheit zu fagen, die Intriguen des Hofes 
ntlarven und den Lärm auf einen Brad zu treiben, 
Daraus eine für die gefrönten Häupter töbtliche 
ubung erfolgte. 

Diefe Partei ſuchte Jeanne einzufchüchtern, fie 
e ihr abermals vor, maß fie nur zu gut wußte, 
eige ſich nämlid die Mehrzahl der Richter auf die 
e des Gardinals, fie werde ohne Ruben in dem 
Hf fcheitern und in Stüde gehen, und man Tügte 
halb verloren wie fie fei, wäre es befler für de, 
wegen der Sache der Diamanten veruriheilen zu 
a, als Berbrechen der Majekätsbeleidigung auf⸗ 
bren, ein biutiger Schlamm, entfhlummert im 
nde der Bendalgefegbücher, den man nie an bie 
fläche eines Prozefies rufe, ohne audy zugleich den 
auffleigen zu machen. 

Diefe Partei fhien ihres Sieges gewis. Sie 
ed. Die Begeiflerung des Bolfs gab fih mit 
e zu Gunſten des Cardinals fand. Die Männer 
mdeıten feine Geduld und die Frauen feine Dis⸗ 
»n. Die Männer waren darüber entrüftet, daß 
isn fo ſchändlich hintergangen; die Frauen wollten 
iyt glauben. Dliva, obgleich fie lebte, erikirte 
ine Anzahl Leute mit ihrer Achnlidyfeit und ihren 
indniſſen gar nicht, oder wenn fie erifirte, fo 
fie die Königin ausprüdlih Tür dieſen Umſtand 
ıden. 

Jeanne überlegte dies Alles. Ihre Advocaten felbft 
eßen fie, ihre Richter verhehlten ihren Wider: 
n nidt; die Rohan belafteten fie fräftig; die 
liche Meinung verachtete fie. Sie beidhloß einen 
n Schlag zu thun, um ihren Richtern Unruhe, 
Zreunden des Cardinals Angſt einzuflößen, und 


204 


dem öffentlichen Haß Federkraft gegen Marie Antoinette 
zu verleihen. 

Ihr Mittel in Beziehung auf den Hof follte fols 
gendes fein: 

Glauben machen, fie habe fortwährend die Königin 
nefhont, und fie würde Alles entfchleiern, wenn man 
fie auf das Aeußerſte triebe. 

In Beziehung auf den Barbdinal müßte fie glauben 
machen, fie behaupte ihr Stillfchweigen nur, um feine 
Zartheit nachzuahmen; doch fobald er fpräche, würbe 
fie, durch dieſes Beifpiel befreit, auch fprechen, und alle 
Beide würden zugleich ihre Unſchuld und die Wahrheit 
enthüllen. 

Das war wirkflid nur ein Snbeariff ihres Bes 
nehmens während der Inftruction des Prozefles. Doch 
es ift nicht zu leugnen, alle befannte Berichte lafien 
fih durch neue Würzen verjüngen. Man vernehme, 
was die Gräfin erfann, um ihre zwei Stratageme aufs 
zufrifchen. 

Sie fchrieb einen Brief an die Königin, einen 
Brief, deffen Ausdrücke allein feinen Character und 
feine Tragweite enthüllen fünnen: 


„Dadame, 

„Was meine Lage auch Peinliches und Hartes hat, 
es iſt mir doch nicht eine Klage entſchlüvft. Alle 
Winfelzüge und Scleichwege, deren man fich bedient, 
um mir Gefländniffe au erpreffen, haben nur dazu 
beigetragen, mich au beftärfen in dem Entſchluß, meine 
Gebieterin nicht bloßzuftellen. 

„So fehr ich aber überzeugt bin, daß meine Bes 
barrlihfeit und meine Verſchwiegenheit mir 
die Mittel erleichtern müflen, ber Berlegenheit an ents 
kommen, in der ich mich befinde, fo befenne ich doch, 
daß die Anftrengungen der Familie des Sklaven 
(die Königin nannte fo den Gardinal in den Tagen 
ihrer Berföhnung) mich befürchten lafien, daß ich ihr 
Opfer werbe. 


205 
„Gine Tange Haft, Gonfrontationen, welche Fein 
be nehmen, die Scham und die Verzweiflung , daß 
mid eines Verbrechens bezücdhtigt * deſſen ich 
»t ſchuldig bin, Haben meinen Muth geſchwächt, 
» ip Habe bange, es könnte meine Standphaftigfeit 
vielen gleichzeitigen Schlägen erliegen. 
„Madame vermag mit einem Wort diefer unglüds 
en Angelegenheit ein Ziel durch die DVermittelung 
ı Herrn von Breteuil zu feßen, der ihr in den Augen 
Minifters (der König) die Wendung zu geben 
Stande ift, die ihm fein Verſtand einflüflern wird, 
ıedaß Madame aufirgend eine Weife bloß: 
Reltt if. Die Furcht, ich dürfte genöthigt fein, 
les zu enthüllen, veranlaßt midy zu dem Schritt, 
‚ich beute in der Meberzeugung thue, Madame werde 
Beweggründe berüdfihtigen, die mich zwingen, 
ine Zuflucyt hiezu zu nehmen, und fie werde Befehle 
en, mich der fchmerzlichen Lage zu entziehen, in 
ich mich befinde. 
Ich bin mit tiefer Ehrfurcht Eurer Majeftät unters 
migfte Dienerin, 
„Bräfin Balois von La Mothe.” 


Seanne hatte, wie man flieht, Alles berechnet. 

Entweder würde der Briefan die Königin gelangen 
b fie durch die Beharrlichfeit, die er, nach Io vielen 
serfirichen,, bezeichnete, erfchreden, und dann würde 
, die Königin, die des Kampfes müde fein müßte, 
fchließen, der Sache durch die Zreiluffung von Jeanne 
ı Ende zu machen, da ihre Haft und ihr Prozeß 
yts herbeigeführt. 

Oder, was noch viel wahrfcheinliher und durch 
8 Ende des Briefes ſelbſt darge han ift, oder Jeanne 
bite in feiner Hinficht auf den Brief, und das if 
ht zu erweilen: denn fu in den Prozeß hinein vers 
it, Eonnie die Königin nichts aufhalten, ohne ſich 
bt zu verurtheilen. Es ift alſo augenicheinlich, daß 


206 


Jeanne nie darauf gerechnet Hatte, der Brief würde 
der Königin übergeben werben. 

Sie wußte, daß alle ihre Wächter dem Gouver⸗ 
neur der Baftille, das Heißt, Herrn von Breteuil, er: 
geben waren. Sie wußte, daß alle Welt in Franfreidh 
aus der Halsband-Sade eine ganz politifhe Specus 
lation machte, was feit den Parlamenten von Herrn 
von Mauveou nicht mehr geſchehen. Es war gewiß, 
daß der Bote, den fie mit diefem Briefe beauftragte, 
follte er ihn nicht dem Gouverneur geben, benfelben 
für fih oder für die Richter von feiner Meinung bes 
halten würbe. Sie hatte endlich Alles fo eingerichtet, 
daß dieier Brief, in irgend welche Hände fallend, darin 
einen Sauerteig von Haß, Verachtung unb Unehrer 
bietigfeit gegen die Königin nieberlegte. 

Zu gleicher Zeit, da fie bieten Brief an bie Kös 
nigin fyrieb, faßte fie einen anderen an den Gars 
dinal ab: 

„Ih kann nicht begreifen, Monfeigneur, warum 
Sie ſich hartnädig weigern, klar zu ſprechen. Mir 
ſcheint, Sie fünnen nichts Befferes thun, als unferen 
Richtern ein unbegrenztes Bertrauen gewähren: unfer 
Loos würde fich glücklicher geftalten. Sch meines Theile, 
ich bin entfchloffen, zu fyweigen, wenn Sie mir nicht 
beiftehen wollen. Doch warum fprechen Sie nicht? 
Erflären Sie alle Umftände dieſer geheimnißvollen 
Nngelegenheit, und ich fhwöre Ihnen, daß ich Alles 
beftätige, was Sie behaupten werden; bedenfen Eie 
wohl, Herr Cardinal, wenn idy es auf mich nehme, 
zuerft zu ſprechen, und Sie in Nbrede ziehen, was ich 
fagen dürfte, fo bin ich verloren, ſo werde ich der 
Nache von derjenigen nicht entgehen, welde uns 
aufopiern will. 

„Doh Sie haben nichts Aehnliches von meiner 
Seite zu befürchten, meine Grgebenheit if Ihnen bes 
fannt. Sollte fie unverföhnlich fein, fo wäre Ihre 
Sache immer die meinige; ich würde Alles opfern, um 


207 


5ie den Wirfungen ihres Hafles zu entziehen, ober 
njere Ungnade wäre eine gemeinfchaftlicye. 

„N.S. Ich habe einen Brief an fie gefchrieben, 
er fie hoffentlich beflimmen wird, wenn nidyt die 
Rahrheit zu fagen, doch wenigftens uns nicht zu ers 
rüden, une, die wir uns fein anderes Berbredhen 
orzumwerfen haben, als unfern Irrthum oder unfer 
Stillfchweigen.“ 

Diefer Eunftlicde Brief wurde von ihr dem Gar: 
inal bei ihrer legten Eonirontation im großen Spradh- 
immer der Baftille übergeben, und man fah den Cars 
inal in Gegenwart einer folchen Frechheit erröthen, 
en beben. Er ging hinaus, um Athem zu 

öpfen. 

Der Brief an die Königin wurde in bemfelben 
Iugenblid von der Gräfin dem Abbe Lefel, dem Al: 
hufenier der Baftille, eingehändigt, der den Cardinal 
n das Spradygimmer begleitet hatte und den Intereflen 
er Rohan ergeben war. 

„Mein Herr,” fagte fie zu ihm, „Sie können, 
ndem Sie diefen Auftrag vollziehen, eine Aenderun 
m Scdidfal von Herrn von Rohan und in dem mei- 
igen herbeiführen. Nehmen Sie Kenntniß von dem, 
vas er enthält. Sie find ein durd feine Pflichten zur 
Berfchwiegenheit verbundener Mann. Sie werden fehen, 
aß ih an der einzigen Thüre angeflopft babe, wo 
vier, der Herr Cardinal und ich, Hülfe fuchen Fönnen. 

Der Almofenier weigerte fid. 

„Sie fehen nur mich als Geiſtlichen,“ erwieberte 
r, „Ihre Majeflät wird glauben, Sie haben meinen 
Rathichlügen gemäß gefchrieben, und Sie haben mir 
Illes geftanden; ich fann nicht dazu einwilligen, daß 
ch mich in's Verderben ſtürze.“ 

„Nun wohl!“ ſprach Jeanne, am Gelingen ihrer 
liſt verzweifelnd, während fie jedoch den Cardinal 
meh die Einſchüchterung zwingen wollte, „Tagen Sie 
em Herrn Barbinal, es bleibe mir ein Mittel, meine 


“ 


208 


Unfhulb zu beweifen, das, daß ich die Briefe leſen 
lafje, die er an die Königin gefchrieben hat. Es widers 
firebte mir, von diefem Mittel Gebrauch zu machen; 
doch in unferem gemeinichaftlichen Intereſſe werde ich 
mich hiezu entfchließen.“ 

Und ale fie den Almofenier über biefe zsohun en 
erfchroden ſah, verſuchte fie es gum legten Mal, ihm 
ihren furchtbaren Brief an die Königin in die Hand 
zu fchieben. 

„Nimmt er den Brief,” fagte fle zu ſich ſelbſt, 
„fu bin ich gerettet, weil ich ihn dann in voller Sigung 
frage, was er damit gemadıt, ob er ihn der Königin 
übergeben und fie aufgefordert habe, darauf FF ants 
worten; bat er ihn nicht übergeben, fo if die Königin 
verloren; das Zögern der Rohan wird ihr Verbrechen 
und meine Unfcyuld bewiefen haben.“ 

Doch kaum Hatte der Abbe Lekel den Brief in ben 
Händen, fo gab er ihr denfelben zurüd, ale ob er ihn 
brennete. 

„Nehmen Eie fi in Acht, daß Sie feine Gefahr 
laufen,” ſagte Seanne bleich vor Zorn, „ich habe den 
Brief der Königin in einem Umſchlag unter der Adreſſe 
von Brau von Mifery verborgen.“ 

„Sin Grund mehr!” rief der Abbe, „zwei Berfonen 
würden das Geheimniß erfahren. Bin doppeltes Motiv 
des Unwillens für die Königin. Nein, nein, ich thue 
es nicht.“ 

Und er ftieß die Ringer der Gräfin zurüd. 

„Bemerfen Sie wohl,” faate fie, „Sie bringen 
mich dazu, daß ih von den Briefen von Herrn von 
Rohan Gebrauch madye.” 

„But,“ ermwiederte der Abbe, „machen Sie davon 
Gebrauch, Madame.“ 

„Aber,“ ſprach Jeanne zitternd vor Wuth, „ba 
ih Ihnen erfläre, daß ber Beweis eines geheimen 
Driefmechfels mit Ihrer Majefät auf einem Schaffot 


209 


en Kopf des Cardinals fallen macht, fleht es Ihnen 
rei, zufagen: But!... Ich werde Sie gewarnt haben.“ 

Die Thüre öffnete fih wieder, der Cardinal er- 
chien ſtolz und zornmuthig auf der Schwelle und rief: 

„Laſſen Sie auf einem Schaffot das Haupt eines 
toßan fallen, Madame, es wird nicht das erſte Mal 
ein, Laß die Baftille dieſes Echaufpiel gefehen hat. 
doch da dem fo if, erkläre ich Ihnen, daß ich dem 
Schaffot, auf das mein Kopf rollt, nichts zum Vor⸗ 
ourfe machen werde, wenn ich nur das Gerüſte fehe, 
mf dem man Sie als Diebin und Fälfcherin brand- 
sarfen wird. Kommen Sie, Abbe, fommen Sie.“ 

Nach diefen niederfchmetternden Worten wandte 
r Seanne den Rüden zu, ging mit dem Almofenier 
inans und überließ der Wuth und ber DBerzweiflung 
tiefe Unglückliche, welche Feine Bewegung machen Eonnte, 
hne fich tiefer in den Koth zu fleden, in dem fie bald 
anz verſinken follte. 


XCI. 
Die Taufe des kleinen Veaufire. 


Frau von La Mothe hatte ſich in allen ihren Be⸗ 
echnungen geirtt. Gaglioftro irrte ſich in feiner. 

Kaum in der Baflille, bemerkte er, daß ihm ber 
Borwand gegeben war, enblidh offen auf den Unter: 
ang biefer Monarchie hinzumirfen, die er feit fo vie- 
en Jahren durch den Slluminismus und bie verborgenen 
Arbeiten untergrub. 

Sicher, in nichts überwieſen zu werden, zu der 
für feine Abſichten günſtigſten Entwickelung gelangt, 
hielt er gewiſſenhaft ſein Verſprechen gegen alle Welt. 

Dad Haldband der Königin. IV. 14 


210 


Er bereitete vie Materialien vor zu dem von 
batirten berüchtigten Brief, der einen Monat ı 
Epoche erfcheinend, die wir erreicht haben, d 
Stoß des Sturmbods gegen die alten Mau 
Baftille war, die erſte Feindſeligkeit der Rev 
der erfte materielle Angriff, der dem vom 14.5 
vorherging. 

Sn diefem Brief, worin Gaglioftro, nad 
König, Königin, Cardinal, öffentliche Agio: 
Grunde gerichtet Hatte, Herrn von Breteuil, i 
ſönlichung der minifteriellen Tyrannei, das V 
bereitete, drüdte fich unfer Zerflörer alfo aus: 

„Sa, ich wiederbole es frei, nachdem id 
Sefangener gefagt habe, es gibt fein Verbrech 
nicht durch ſechs Monate in der Baftille abgebü 
Es fragte mich Jemand, ob ih je nah Fı 
zurüdfehren werde? Sicherlich, antwortete ich, 
der Bedingung, daß die Baftille eine ı 
lie Bromenade geworben ifl. Es fei 
Wille Ihr habt Alles, was man braucht, um gli 
fein, Ihr Branzofen: einen fruchtbaren Bod 
mildes Klima, ein gutes Herz, eine reigende Hı 
Genie und einen zu Allem fauglidyen Anftant 
Gleichen in der Kunft, zu gefallen, ohne M 
den andern Künften; es fehlt Euch, meine 5 
nur ein Bunft, ber, fiher zu fein, in Eure 
zu ſchlafen, wenn Ihr unſträflich.“ 

Gaglioftro Hatte fein Wort au Dliva < 
Diefe war ihrerfeits gewiſſenhaft treu. Es ent 
ihr fein Wort, das ihren Gönner bloßftellte. E 
nur unfelige Geftändniffe für Frau von La Mi 
ftellte auf eine unummwundene und unverwerflic 
ihre unſchuldige Theilnahme an einer Myft 
heraus, bei der es, nach ihrer Ausſage, aı 
unbelannten Gavalier abgefehen war, den r 
unter dem Namen Louis bezeichnet Hatte. 

Mährend der Zeit, die für die Gefangen: 


211 


Schloß und Riegel und in den Verhören verlaufen 
war, batte Diiva ihren theuren Beaufire nicht wieder 
gefehen, fie war jedoch nicht ganz von ihm verlaffen, 
und fie befaß, wie man fehen wird, von ihrem Be: 
liebten ein Andenken, das fi Dido wünſchte, als fle 
träumend ſprach: „Ad! wenn es mir vergönnt wäre, 
Br meinem Schooße einen Fleinen Ascan fpielen zu 
eben!“ 

Sm Monat Mai des Jahres 1786 wartete ein 
Mann mitten unter den Armen auf den Stufen bes 
Bortals von Saint-Baul in der Rue Saint-Antoine. 
Er war unruhig, keuchend, und ichaute, ohne bie 
Augen abwenden zu fönnen, in ber Richtung der 
Baſtille. 

Sn feine Nähe ſtellte ſich ein Mann mit langem 
Bart, einer von den deutfchen Dienern von Baglioftro, 
derjenige, welchen der Graf als Kämmerer bei feinen 
gebeimntbvolien Aufnahmen im alten Haufe der Rue 

aints&laude benüste. 

Diefer Mann hemmte die ftürmifche Ungebulb von 
Beaufire und fagte leife zu ihm: 

„Warten Sie, warten Sie, fie werben kommen.“ 

„AH!“ rief der unruhige Mann, „Sie find es!" 

Und da das fie werden kommen, wie es fcheint, 
den unruhigen Mann nicht befriebigte, ba diefer mehr 
als vernünftig an gefticuliren fortfuhr, fagte ihm der 
Dentfche in's Ohr: 

„Herr Beaufire, Sie machen fo viel Lärm, daß 
ans die Polizei fehen wird. Mein Herr verfprady 
Söhnen Nachrichten, ich gebe Ihnen.“ 

„Beben Sie, geben Sie, mein Freund.” 

„Leile.... Die Mutter und das Kind befinden 
ih wohl.“ 

„Ob! 05!“ riefBeaufire in einem unbefchreiblichen 
Entzjüden, „fe ift entbunden! fie ift gerettet!” 

Sa, mein Herr; doch ich bitte, treten Sie auf 
die Geite.“ ne 


212 


„Bon einem Mädchen?” 

„Nein, mein Herr, von einem Knaben.” 

„Deſto beffer! Oh! mein Breund, wie glüdlidy bi 
ich, wie glüdlih bin ih! Danfen Sie Ihrem Herr: 
fagen Sie ihm, mein Leben, Alles, was ich habe, g 
höre ibm.” 

„Ja, Herr Beaufire, ja, ich werbe ihm das fage 
wenn id ihn fehe.“ 

„Mein Freund, warum fagten Sie mir vorhin... 
Doch nehmen Sie diefe zwei Louisd'or.“ 

„Sch nehme nur von meinem Herrn an.“ 
digen! h! verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht bele 
igen.“ 

„Ich glaube es. Doch Sie ſagten mir? ...“ 

„Ah! ich fragte Sie, warum Sie vorhin ausg 
rufen: „„Sie werden kommen ?*" Wer wird fomme: 
wenn’s beliebt?" 

„Sch meinte ven Wundarzt der Baſtille und Fra 
die Hebamme, welde Mile. Dliva entbunde 

aben.” 

„Sie werben hierher fommen? Barum ?“ 

„Um das Kind taufen zu laffen.“ 

„Ich werbe mein Kind fehen!“ rief Beauſtre, fprir 
gend wie ein Verzückter. „Sie fagen, ich werbe be 
Sohn von Dliva fehen? Hier, fogleich ?“ 

„Hier, fogleidh: doch ich bitte Sie inftänbig, mi 
Bigen Sie fi; ſonſt werden Sie die paar Agenten vı 
Herrn von Grosne, die ich unter den Lumpen bief 
Bettler verborgen errathe, entveden und wittern, be 
Sie mit den Gefangenen der Baftille in Verbindur 
geftanden find. Sie flürzen fi in’s Ververben ur 
gefährden meinen Herrn.” 

„Oh!“ rief Beaufire mit der Religion der Gh 
furcht und der Danfbarfeit: „eher fterben, als eir 
Silbe ausſprechen, welche meinem Wohlthäter ſchade 
könnte. Ich werde erſticken, wenn es fein muß, abı 
ich fage nichts mehr. Sie fommen nit! ...“ 


213 


Geduld!“ 

Beanfire näherte fich dem Deulſchen und fragte, die 
Jände jaltend: 

„Jit fie ein wenig glüdlid dort ?“ 

„Bollfommen gluͤcklich,“ erwiederte der Andere. 
Ch! Hier fommt ein Ziarre.“ 

„3a, ja.“ 

„Gr hält an.” 

„Ih fche Weißes, Eyigen ...“ 

„Tab Taufzeug des Kindes.” 

„Suter Bott!” rief Beauiire. 

Und er war genöthigt, jih an eine Säule anzu: 
nen, um nicht zu wanfen, als er aus dem Fiacre 
ie Hebamme, ten MWundarzt und einen Schließer der 
zaſtille ausfleigen fah, der bii dieſer Veranlaſſung als 
euge biente. ‘ 

Als dieje drei Perfunen vorübergingen, geriethen 
ie Bettler in Bewegung und näjelten ihre Forde⸗ 
ungen. 

Man ſah nun ſeltſamer Weiſe den Pathen und die 
zathin dieſe Clenden mit dem Ellenbogen ſtoßend 
yeiter ſchreiten, während ein Fremder, vor Freude 
einend, feine Münze und jeine Thaler unter fie vers 
heilte. 

Als dann ber Fleine Zug in der Kirche eingetreten 
var, trat Beanfire hinter ihnen mit den Prieflern und 
en Rengierigen ein und fuchte fich den beiten Plag 
n der Sacriflei aus, wo das Sacrament der Tauſe 
ollgegen werden follte. 

obald der Priefter die Hebamme und den Wund⸗ 
rat erfannte, weldye ſchon mehrere Male unter ähn⸗ 
hen Umständen feine Dienite in Ariprudh genommen 
atten, nickte er ihnen freundlich lächelnd zu. 

Beaujire grüßte und lächelte mit vem Briefer. 

Die Thüre ſchloß fi, der Pirieſter nahm feine 
'tder und fing an in fein Regiiter die facramentlichen 


214 


Dhrafen zu fchreiben, welche ben Act der Ginregiftrirung 
ilden. 

Als er nach) dem Namen und Vornamen bes Kin: 
des fragte, antwortete der Wunbarzt: 

„Es ift ein Knabe, mehr weiß ich nicht.“ 

Und ein Gelächter punftirte diefes Wort, das Beau: 
fire nicht fehr ehrerbietig vorkam.“ 

„Es hat doch einen Namen, und wäre es der irgend 
eines Heiligen.” 

„Sa, 88 war ber Wille ber Demoifelle, daß es 
den Namen Touflaint?) befommen folle.“ 

„Dann hat es den aller Heiligen!” fagte der Priefter 
lachend über fein Wortfpiel, was die Sacriftei mit einer 
neuen Heiterfeit erfüllte. 

Beaufire fing an die Geduld zu verlieren, doch ber 
weife Einfluß des Deutfchen hielt ihn noch zurüd. Er 
bewältigte ſich. 

„Nun!“ fagte der Priefter, „mit dieſem Vornamen, 
mit allen Heiligen als Patronen, fann man eines Baters 
entbehren. Schreiben wir: „Es iſt uns heute ein 
Kind männlihen Geſchlechts, geboren geflern in ber 
Baftille, vorgewiefen wurden ; Sohn von Nicole Oliva 
Legay und von . . . Vater unbefannt.”" 

Beaufire fprang wüthend an die Seite des Prieſters, 
pacte ihn beim Fauſtgelenke und rief: 

„Touffaint Hat einen Bater, wie er eine Mutter 
hat! Er hat einen zärtlichen Bater, der fein Blut nicht 
verleugnen wird. Ich bitte Sie, fehreiben Sie, daß 
Touffaint, geftern geboren von Nicole Dliva Legay, der 
Sohn von dem hier gegenwärtigen Jean Baptifte Touffaint 
von Beaufite it!“ 

Man denke fid) das Erftaunen des Priefters, das 
des Vathen und das der Ratbin. Die Feder entfiel den 
Händen des Grften, das Kind wäre beinahe aus den 
Armen der Hebamme gefullen. 





*) ie Heilige. 


215 


Beaufire empfing es in den feinigen, bebedite es 
! gierigen Küffen und ließ auf bie Stirne des armen 
einen die erſte Taufe, die heiligſte in diefer Welt 
& der, welche von Bott kommt, die Taufe der väter: 
ben Tränen fallen. 

Obgleih an dramatifche Scenen gewöhnt und trog 
} den wahren Boltairianern diefer Zeit anflebenden 
eptichömus, waren die Anweſenden gerührt. Der 
iefter allein behauptete feine Kaltblütigfeit und zog 
Vaterſchaft in Zweifel, Vielleicht ärgerte es ihn, 
5 er feine Schreibereien wieder anfangen mußte. 

Doch Beaufire errieth die Schwierigfeit; er legte 
f den Taufflein drei Louisd'or, welche viel befer., 
; feine Thränen, fein Baterrecht begründeten und 
ne Slaubwürdigfeit glänzen machten, 

Der Briefter verbeugte fih, bob die zwei und 
zenzig Livres auf und durchſtrich die zwei Säge, die 
ſpottend in fein Regifter eingefchrieben Hatte. 

„Nur, mein Herr,” fagte er, „nur, ba bie Er⸗ 
zung bes Herrn Wundarztes der Baftille und der 
au Egopin eine förmliche gewefen ift, werden Sie 
: Güte haben, felbft zu ſchreiben und au beurfunbden, 
B Sie fi als Vater diefes Kindes ertlären.“ 

„Sch!“ tief Beaufire, in der höchften Freude, „ich 
iede mit meinem Blute fchreiben.“ 

Und er ergriff die Feder voll Begeifterung. 

„Nehmen Sie fih in Acht,” fagte ganz leife zu 
n der Schließer Guyon, der feine Rolle als bedenk⸗ 
yer Mann nicht vergeflen hatte. „Ich glaube, mein 
ber Herr, Ihr Name Elingt fchlecht an gewiflen Or⸗ 
; es iſt gefährlich, ihn in bie öffentlihen Regiſter 
zuſchreiben mit einem Datum, das zugleich den Be⸗ 
is von Ihrer Gegenwart und den von Ihrem Um⸗ 
ıg mit einer Angeflagten gibt.” 

„Ich danke für Ihren Rath, Freund,“ erwieberte 
anfire mit Stolz; „er ift der eines redlichen Mannes 


217 


n den Hals, cin Befchenf, das für die Wöchnerin be: 
immt war, und öffnete, flolz wie Xenophon bei feinem 
erühmten Rüdzug, die Thüre der Sacriftei, entſchloſſen, 
icht die geringfte Liſt zu gebrauchen, nicht die Eleinfte 
Jorfichtsmaßregel zu nehmen, um den Sbirren zu ent: 
ehen, ſollte er fulche finden, welche entartet genug 
ären, ihn in diefem Augenblick feſtnehmen zu wollen. 

Die Gruppen der Beitler hatten die Kirche nicht 
erlaſſen; Beaufire, hätte er fie fünnen mit jefteren 
augen anfchauen, würde vielleicht unter ihnen den bes 
ichtigten Bofttiv, den Urheber feines Unglüds, er: 
ınnt haben, doch nichts rührte fi. Die neue Aus: 
yeilung, welche Beaufire machte, wurde mit maßlofen: 
Bott vergelt e8,” aufgenommen, und der glüdlidhe 
Jater ging von Saint-Paul mit allem Anfchein eines 
wehrten, auserforenen, gefegneten, von allen Armen 
es Kirchſpiels umfchmeichelten Edelmanns weg. 

Die Taufzeugen entfernten ſich ebenfalls und kehr⸗ 
u, ganz verwundert über dieſes Abenteuer, zu dem 
iacre zurüd. 

Beaufire belauerte fie von der Ede der Rue Cul⸗ 
we: Salut: Gatherine, fah fie in den Wazen fleigen, 
arf feinem Sohn ein paar bebende Küffe zu, und als 
in Herz fi völlig ergoflen hatte, als der Fiacre aus 
inen Augen verfchwunden war, dachte er, er müßte 
eder mehr Bott, noch die Polizei verfuchen, und wandte 
ch nach einem Zufluchtsort, ver nur ihm allein, Caglioſtro, 
nd Herrn von Grosne befannt war. 

Das heißt, Herr von Crosne hatte fein Wort auch 
halten und Beauſire nicht beunruhigen laffen. 

Als das Kind in die Baflille zurüdlam und Frau 
hopin Dliva fo viele erftaunlihe Abenteuer mitge- 
eilt Hatte, fledte diefe an ihren dickſten Finger den 
ing von Beauſire, fing auch an zu weinen, Füßte ihr 
ind, für das man ſchon eine Amme ſuchte, und 
gte: 


218 


„Nein, Herr Gilbert, ein Schüler von Herrn 
Rouſſeau, behauptete einft, eine gute Mutter müfle ihr 
Kind ſelbſt ftillen, ich werde meinen Sohn ftillen; ich 
will wenigftens eine gute Mutter fein.” 


— nn — 


XCII. 
Das Schemelchen. 


Es war endlich nad langen Debatten der Tag 
gefommen, wo der Sprucd des Parlamentshofes durch 
fe des Generalanwalts hervorgerufen werben 
ollte. 

Die Angeklagten, mit Ausnahme von Herrn von 
Rohan, waren in die Eonciergerie gebracht worden, um 
dem Sigungsiaale, der um fieben Uhr jeden Morgen 
geöffnet wurde, näher zu fein. 

Vor den Richtern, bei denen der erſte Präfldent 
d'Aligre den Vorfig führte, war die Haltung ber An: 
geflagten beſtändig biefelbe geblieben, welche fie wäh: 
rend der Inftruction gewefen war. 

Dliva treuherzig und ſchüchtern; Caglioftro ruhig, 
erhaben und zumeilen firahlend im jenem myſtiſchen 
Glanze, mit dem er fih fu gern umgab. 

Villeite verlegen, niedrig und weinend. 

Seanne unverfhämt, das Auge funfelnd, immer 
drohend und giftig. 

Der Bardinal einfach, träumerifh und in eine 
Erſchlaffung verfunfen. 

Seanne hatte fehr fchnell die Gewohnheiten der 
Gonciergerie angenonmen und durdy ihre bunigfüßen 
Schmeicheleien und ihre Heinen Geheimniffe ſich die 
Gewogenheit der Boncierge des Palaftes, ihres Mannes 
und ihres Sohnes errungen. 


219 


Auf diefe Art Hatte fie fi das Leben angenehmer 
ab die Berbindungen leichter gemacht. Der Affe braucht 
mmer mehr Plab ale der Hund, der Intrigant mehr 
I6 der ruhige Geiſt. 

Die Debatten lehrten Frankreich nichts Neues. 
[6 war immer baflelbe mit Frechheit von der einen 
ber der andern der zwei Perfonen, die man anfdhuls 
igte und die fich gegenieitig anſchuldigten, geftohlene 
alsband. 

Zuwiſchen dieſen beiden entſcheiden, wer ber Dieb, 
ie6 war der ganze Prozeß. 

Der Geiſt, der die Branzofen immer zu Ertremen 
ihrt und fie namentlich zu jener Zeit dazu führte, 
atte einen andern Prozeß auf den erſten gepfropft. 

Es handelte fi darum, zu erfahren, ob die Kös 
igin Recht gehabt, daß fie den Cardinal hatte ver- 
er „jaflen und ihn vermeflener Unhöflichfeiten be- 
ächtigte. 

Zür Jeden, der in Frankreich über Politik raifone 
irte, bildete diefer Anhang bei dem Prozeß bie wahre 
zache. Hatte Herr von Rohan der Königin fagen zu 
önnen geglaubt, was er ihr gefagt, in ihrem Namen 
anbeln fönnen, wie er es gethan; war er ber geheime 
lgent von Marie Antoinerte gemwefen, ein Agent, den 
ıan verleumdet hatte, fobald die Sade Aufiehen 8 
sat? Mit einem Wort, hatte bei dieſem Zwiſchenfall 
er begünfligte Gardinal in gutem Glauben, als ein 
aniger DBertrauter, der Königin gegenüber gehandelt? 

Hatte er in guiem Glauben gehandelt, jo war bie 
tönigin alfo ichuldig aller jener Bertraulichfeiten, 
[br der unſchuldigen, welche fie geleugnet, und welche 
etanden zu Haben Frau vun La Mothe infinuirte, 
Ind dann, als Geſammtſumme in ven Augen der Meis 
ung, welche nichts fchont, find Vertraulichkeiten un⸗ 
Yuldig, die man feinem Gatten, jeinen Miniftern und 
'inen Unterthanen zu leugnen genöthigt iſt? 

Dies iſt der Prozeß, den die Schlüffe des General: 


221 


ch verehrte Princip der Unfehlbarfeit des Thrones 
erichritten worden wären. 

Doch nur vierzehn Räthe traten völlig der Meis 
na des GBeneralprocurators bei, und von da an 
rrfchte eine Spaltung in der Berfammlung. 

Man ichritt zum lebten Verhöre, eine beinahe uns 
se Förmlichkeit bei foldyen Angeklagten, da es den 
ve hatte, Geftändniffe vor dem Spruch hervorzu: 
fen, und da weder Friebe, noch Waffenſtillſtand von 
n erbitterten Gegnern zu erlangen war, welde 
on feit fo geraumer Zeit fampften. Es war weniger 
ce eigene Freifprehung, was fie forderten, ale die 
rurtheilung ihrer Gegenpartei. 

Dem Gebrauche gemäß hatte der Angeflagte vor 
nen Richtern auf einem hölzernen Stühlen ſitzend 
ericheinen,, auf einem demüthigen, niedrigen, ſchmaͤh⸗ 
ben, durch die Berührung der Angeflagten, welche von 
fem Gite aus nad dem Schaffot gegangen waren, 
tehrten Schemel. 

Hierhin feßte fih der Faͤlſcher Villette, der mit 
nen Thränen und feinen Gebeten um Gnade flehte. 

Er erklärte, was man fchon weiß, nämlich, er fei 
mibig der Faͤlſchung, fchuldig der Genoſſenſchaft mit 
anne von La Mothe. Er bezeugte, feine Rene, feine 
ewiſſensbiſſe feien fchon für ihn eine Straie, weldye 
» Richter zu entwaffnen im Stande fein follte. 

Diefer intereffirte Niemand. Er war nur und 
ſchien nur als ein Spitzbube. Vom Gerichtshof ent: 
hen, Echrte er flennend in feine Zelle in der Concier—⸗ 
rie zurüd. Nah ihm erfchien am Eingange bes 
aales Fran von La Mothe, geführt von dem Be: 
hteſchreiber Fremyn. 

Sie war gekleidet in eine Mantille und eine Che⸗ 
fe von Linonsbatifle, hatte eine Haube von Gaze 
ne Bänder; eine Art von weißer Gaze bevedte ihr 
eſicht; fie trug ihre Haare ohne Puder. Ihre Be: 


222 


genwart machte einen lebhaften Cindrud auf d 
fammlung. 

Schon hatte fie die erfte von ben Beihimr 
welche ihr vorbehalten, auszuftehen gehabt: ma 
fie über die fleine Treppe gehen laſſen, wie die 
nen Verbrecher. 

Die Hige des Saales, das Geräufch der Ge 
die Bewegung der Köpfe, welche in allen Rid 
wogten, fingen an fie zu beunrubigen; ihre 
fhwanften einen Moment, als wollten fie ſich 
Spiegelung von diefem ganzen Geſammtweſen geı 

Nun Fibrte fie derfelbe Gerichtsfchreiber, 
bei der Hand hielt, ziemlich raich zu dem im 
punfte des Halbkreiſes ſtehenden Schemelchen, 
nem Ffleinen unheimlichen Blocke ähnlich, der 
den Schaffoten erhebt. 

Bei dem Anblide dieſes entehrenden Sig« 
man für fie beflimmte, für fie, die ſtolz dara 
ſich Valois zu nennen und in ihren Händen d 
fhi einer Königin von Franfreich zu halten, eı 
Jeanne von La Mothe und warf einen zurnige 
umber, als wollte fie die Richter einfchüchtern, 
diefe Beihimpfung erlaubten; doch da fie über 
feften Willen und Neugierde flatt des Mitlei 
der Barmherzigkeit traf, fo drängte fie ihre w 
Entrüſtung in ihr Inneres zurüd und feßte ſich 
um nidyt das Ausfehen zu haben, als fiele fie ı 
Schemel. 

Man bemerkte in den Verhören, daß fiı 
Antworten all die Unbeftimmtheit gab, aus 
Gegner der Königin am meiften Nugen zur 2 
digung ihrer Sache hätten ziehen können. Sie 
nichts ſcharf aus, als die Verficherungen ihrer U: 
und nöthigte den Präfldenten, eine Frage an | 
bie @riftenz ber Briefe zu richten, von denen 
hauptete, fie feien vom Garbinal an die Köni 


223 


ſchrieben worden, fu wie auch derer, welche die Köni⸗ 
gin an den Cardinal gefchrieben Haben follte. 

Alles Gift der Schlange verbreitete fi in ber 
Antwort auf diefe Frage. 

Seanne fing damit an, daß fie beiheuerte, es fei 
ihre inniger Wunſch, die Königin nicht bloßzuftellen, 
und fügte dann bei, Niemand fönne diefe Zrage befler 
beantworten, als der Gardinal. 

„Bordern Sie ihn auf,” ſprach fie, „diele Briefe 
ober die Abichriften davon zu produciren, damit man 
fie vorlefen und Ihre Neugierde befriedigen fann. Ich, 
was mich betrifft, vermöchte nicht au behaupten, ob 
biefe Briefe vom Cardinal an die Königin, oder von 
ber Königin an den Cardinal gefchrieben find; ich finde 
biefe zu frei und zu vertraulich von einer Fürſtin an 
einen Unterthan; ich finde jene zu unebrerbietig als 
von einem Unterihan an eine Königin gerichtet.” 

Das tiefe, furdtbare Stillichweigen, welches auf 
diefen Angriff folgte, mußte Seanne bemweifen, daß 
fie nur ihren Feinden Abſcheu, ihren Parteigängern 
Schrecken, ihren unpartetifchen Richtern Mißtrauen 
eingeflößt hatte. Sie verließ indeſſen den Schemel mit 
der füßen Hoffnung, der Cardinal würde nah ihr 
darauf ſitzen. Diet Rache genügte ihr fo zu fagen. 
Wie wurde ihr aber, als fie fi) umwandte, um zum 
legten Mal diefen Stuhl der Schmach zu betrachten, 
auf den fie einen Rohan nad ihr niederzufißen zwang, 
als fie den Schemel nicht mehr fah, den auf Beich! 
bes Barlamentshoies die Gerichtsdiener verfhwinten 
gemacht und durch einen Lehnftuhl erſetzt hatten! 

Gin Gebrülle der Wuth entſtroͤmte ihrer Bruſt; fie 
fprang aus dem Saal und biß fich mit einer wahren 
Raſerei in die Hände. 

Ihre Strafe begann. Der Cardinal Fam langfam 
herbei, er war aus einem Wagen geftiegen, man hatte 
das aroße Thor für ihn geöffnet. 

Zwei Gerichtédiener, zwei Gerichtöfchreiber be⸗ 


224 


gleiteten ihn, der Gouverneur der Baftille ging an 
jeiner Geite. 

Bei feinem Eintritt erhob fi ein langes Gemur⸗ 
mel des Mitgefühle und der Achtung von den Bänfen 
des Parlamentshoies. Es wurde durch einen mächtigen 
Zuruf von Außen eriwiedert. Tas war das Volk, das 
den Angeflagten begrüßte und feinen Richtern empfahl. 

Der Bring Louis war bleich und fehr bewegt. 
Angethban mit einem langen Galakleide, erſchien er 
mit der Ehrfurcht und der Untermwürfigfeit, welche ein 
Angeflagter den Richtern ſchuldig iſt, beren Gerichts⸗ 
barfeit er annimmt und anruft. 

Man bezeichnete dem Cardinal, defien Augen fi 
auf den Umkreis zu richten ange gebabt hatten, einen 
Lehnftuhl, und nachdem ihn der Präſident begrüßt 
und ein ermuthigendes Wort zu ihm geſprochen hatte, 
bat ihn der ganze Hof, fih zu fegen, mit einem Wohl: 
wollen, das die Bläffe und die Bemüthserfcyütterung 
des Angeklagten verboppelte. 

Als er das Wort nahm, erregten feine zitternde, 
von Seufzern gehemmte Stimme, feine getrübten Aus 
gen, feine demüthige Haltung ein tiefes Mitleid bei 
den Berfammelten. Er erklärte fidy Iangfam, bewegte fidh 
mehr in Entſchuldigungen, als in Beweifen, in Bit: 
ten, als in Schlußfetten, und ale er, der beredte Mann, 
plöglih inne hielt, brachte er durch diefe Lähmung 
feines Geiftes und feines Muthes eine mächtigere Wir: 
fung hervor, als alle VBertheidigungsreben und Bes 
weisführungen. 

Dann erfchien Dliva; das arme Müdchen fand wie: 
der den Schemel, Viele Leute bebten‘, als fie biefes 
lebendige Ebenbild der Königin auf dem Gige ber 
Schande fahen, den Jeanne von La Mothe eingenoms 
men hatte; tiefes Geſpenſt von Marie Antoinette, der 
Königin von Franfreih, auf dem Schemel der Dies 
binnen und Zälfcherinnen erfchredte die hitzigſten Ver⸗ 
tolger der Monarchie. Doch das Schaufpiel lockte 


25 


ud) Mehrere an, wie das Blut, das man ben Tiger 
often laͤßt. 

Man fagte fih überall, die arme Dliva habe 
» eben in der Kanzlei ihr Kind verlafien, das fie 
iſlte, und als die Thüre fich geöffnet, hatte auch das 
zewimmer des Sohnes von Heern Beaufire ſchmerzlich 
an Sunften feiner Mutter plaidirt. 

Nach Dliva erſchien Caglioſtro, der am mindeften 
on Allen Schuldige. Man hieß ihn nicht ſitzen, ob⸗ 
leich man den Lehnſtuhl in der Nähe des Schemels 
eibehalten hatte. 

Der Barlamentshof hatte eine Furcht vor der Ber: 
heidigungerede von Caglioſtro. Gin Anfchein von 
zerhör abgefchnitten dur das: „es iſt gut!“ des 
zräſidenten d'Aligre entiprady den Bedürfniffen ver For: 
salitäten. 

Und nun verfündigte der Parlamentshof, die De- 
atten feten geſchloſſen und die Berathung beginne. 
Ye Menge verlief fih langſam in den Straßen und 
mf den Duais, mit dem Borfage, in der Nacht wieder: 
ufommwen, um das Urtheil zu hören, das bald, wie 
aan fagte, ausgefprochen werden würde. 


XCIII. 
Von einem Gitter und einem Abbé. 


Nach Beendigung der Debatten, nach dem Wieder⸗ 
all des Berhöres und den Erfchütterungen des Sche— 
nels wurden alle Befangenen für diefe Nacht in der 
Borciergerie einquartiert. 

Die Menge ftellte fih, wie gefant, am Abend in 
tillſchweigenden, obgleich belebten Gruppen auf bem 

Dab Halsband der Königin. IV - 15 


226 


Plage vor dem Palaft auf, um friſch die Kunde von 
dem Spruch zu erhalten, fobalb er gefällt wäre. 

In Baris find jeltfamer Weife die großen Ge⸗ 
heimniffe gerade diejenigen, welche die Menge kennt, 
ehe fie in ihrer ganzen Entwidelung zu Tage gegans 
gen find. 

Die Menge wartete alfo, mit Anis vermifchte 
Lafrize genießend, deren Hauptalimentation ihre wan⸗ 
dernven Lieferanten unter dem erſten Bogen des Pont 
au Change fanden. 

Es war heiß. Die Juniwolfen rollten fchwerfällig 
übrreinander wie Wirbel von dichtem Rauch. Der 
Himmel glänzte am Horizont in bleichen, zudenpen 
Beuern. 

Während der Kardinal, welchem die Bunft, auf 
den die Thürme mit einander verbindenden Terraflen 
fpazieren gehen zu dürfen, bewilligt worden war, fi 
mit Gaylioftro über den wahrfcyeinliden Erfolg ihrer 
gegenfeitigen Dertheidigung unterhielt; währen» Dliva 
in ihrer Zelle ihr fleines Kind liebfofte und in ihren 
Armen wiegte; während Reteau, mit frodenem Auge 
und die Nägel zwifchen feinen Zähnen, in Gedanken die 
ihm von Herrn von Brosne verſprochenen Thaler zählte 
und fie ale Geſammtſumme dem Monat Befangentayaft, 
den ihm das Parlament verſprach, gegenüberftellte, ver: 
ſuchte e8 Seanne, weldye fih in die Stube der Gons 
cierge, Frau Hubert, zurüdgezogen hatte, ihren brens 
nenden Geil mit ein wenig Geräufh, mit ein wenig 
Bewegung zu zeritreuen. 

Dieie Stube war fehr hoch bis zu ihrer Dede, 
weit und geräumig wie ein Saal, geplattet wie eine 
Gallerie, und am Quai durd ein gewölbtes Fenſter 
erleuchtet. Die Fleinen Scheiben dieſes Fenſters fingen 
den grösten Theil des Lichtes auf, und, ale ob man 
felbit in diefem Zimmer, das freie Menjchen bewohnten, 
die Freiheit Hätte erſchrecken müflen, verdoppelte ein 
ungeheures, eifernes, außen unmittelbar au ben Schei⸗ 


227 


ebradytes Gitter die Dunkelheit durch die 
uzung der Stangen und der bleiernen Streifen, 
n jede Slasraute eingerahmt war. 
Licht, das diefes doppelte Sieb dämpfte, war 
gemildert für das e der ®efangenen. Es 
bite von den frechen ahlen der freien Sonne 
hatte nichts, um diejenigen zu verlegen, welche 
aus fonnten. Es gibt in allen Dingen, ſelbſt 
Hlimmen, die der Menſch gemadyt hat, wenn 
‚ diefer Wieverherfieller des Gleichgewichts 
dem Menfchen und Bott, darüber gegangen ift, 
Harmonten, welche mildern und einen Webers 
n Schmerz zum Lächeln geflatten. 
diefer Stube lebte Frau von La Mothe, feits 
im die Gonciergerie eingefverrt war, in Geſell⸗ 
e Concierge, ihres Sohnes und ihres Mannes. 
te fih bei diefen Leuten beliebt gemacht; fie 
ittel gefunden, ihnen zu beweifen, die Königin 
höchften Maße firaibar. Es müßte ein Tag 
wo in derfelben Stube eine andere Boncierge, 
eid ergriffen bei dem Unglüd einer Gefangenen, 
unfhuldig halten würde, weil fle diefelbe ge⸗ 
gt fähe, und dieje Gefangene würde die 
ein. 
ı von La Mothe vergaß alſo, — fie ſelbſt fagte 
ı der Geſellſchaft diefer Concierge und ihrer 
n ihre fchwermüthigen Gedanken und bezahlte 
e gute Laune die Öerfälligfeiten, die man gegen 
Als Jeanne an diefem Tag, dem Schluffe 
ngen. zu den guten 2euten zurüdfam, fand fie 
forgenvoll und verlegen. 
ıe Nuance war diefer ſchlauen Yrau gleiche 
fie hoffte bet einem Nichts, fie gerieth über 
Unruhe. Bergebens verfudhte fie es, Frau 
ie Wahrheit zu entreißen, fie und die Ihrigen 
en fi in nicytsfagende Allgemeinheiten. 
diefem Tage erblidte Seanne au einer Ecke 


228 


des Kamin einen Abbe, der von Zeit zu Zeit ein 
Tifchgenoffe des Haufes war. Es war ein ehemaliger 
Secreiaire vom Hotmeifter des Grafen von Provence. Ein 
Mann von einfachen Manieren, fatyrifcy mit Maßhaltung, 
mit Allem, was den Ser betraf, wohl vertraut, war 
er, geraume Zeit vom Haufe von Fiau Hubert ab: 
wefend, wieder beftändig geworden, feit der Anfunit 
von Frau von La Mothe in der Eonciergerie. 

Es waren auch ein paar höhere Beamte des Pa⸗ 
laftes da; man fchaute Frau von La Mothe viel an; 
man fprady wenig. 

Sie ergriff heiter die Initiative und fagte: 

„Ich bin jet überzeugt, man fpricht lauter da 
oben, als wir Bier fpredyen.“ 

Gin ſchwaches Bemurmel der Beiſtimmung, vom 
Boncierge und feiner rau herrührend, erwiederte allein 
diefe Herausforderung. 

„Oben?“ verfepte der Abbe, den Unwiſſenden fpie- 
lend. „Wo dies, Frau Gräfin?“ 

„Sn dem Saale, wo meine Richter ſich berathen,“ 
antwortete Seanne. 

„Dh! ja, ja,” fagte der Abbe. 

Und es trat wieder das frühere Stillſchweigen ein. 

„Ich glaube, meine heutige Haltung hat eine gute 
Wirkung hervorgebracht?” fragte fie. „Sie müflen das 
wiffen, nicht wahr ?" 

„3a. Madame,” antwortete fhüchtern der Concierge. 

Und er ftand auf, ale wollte er das Gefpräch ab: 
brechen. 

„Was iſt Ihre Meinung, Herr Abbé?“ ſagte Jeanne. 
„Gewinnt meine Angelegenheit nicht ein gutes Anſehen? 
Man fvricht feinen Beweis aus.” 

„Ss if wahr, Madame, Sie haben audy viel zu 
hoffen,” erwiederte der Abbe, 

„Nicht wahr?“ rief fe, 

„Bedenken Sie jedoch,“ fügte der Abbe bei, „daß 
der König..." 


229 


„Run! was wird der König thun?“ fragte Jeanne 
voll Heitigfeit. 

„Ei! Madame, der König fann nicht wollen, daß 
man ihn Lügen ſtraft.“ 

„Er würde alfo Herrn von Rohan verurtheilen 
laſſen ... das ift unmöglich.® 

„Es ift allerdings fchwierig,” antwortete man von 
allen Seiten. 

„Und wer in dieſer Sache Herr von Rohan fagt, 
fagt auch Gräfin von La Mothe,” fügte fie eiligft bei. 

„Nein, nein, Sie maden fih eine SUufion,- 
Madame,” entgegnete der Abbe. „Ein Angellagter 
wird freigefprochen werden. Sich denke, Sie werden es 
fein, und hoffe es ſogar. Doch es wird nur Biner 
fein. Der König braudyt einen Schuldigen, was follte 
fonft aus der Königin werden?” 

„Das iſt wahr,“ ſprach Jeanne, verwundert, daß 
man ihr widerſprach, felbft bei einer Hoffnung, die fie 
nur heuchelte. „Der König braudt einen Schuldigen. 
er dann ift Herr von Rohan ebenfo gut, als ich, 
hiefür.“ 

Gin für die Gräfin erſchreckliches Stillſchweigen 
trat nach dieſen Worten ein. 

Der Abbsé unterbrach es zuerſt. 

„Madame,“ ſagte er, „der Koͤnig hegt keinen Groll, 
und iſt ſein erſter Zorn befriedigt, ſo wird er nicht 
mehr an die Vergangenheit denken.“ 

„Was nennen Sie denn einen befriedigten Zorn?“ 
fragte Jeanne ironiſch. „Nero hatte feine Zornanfaälle, 
wie Titus die feinigen hatte.” 

„Srgend eine Berurtheilung,” antwortete haftig 
der Abbe, „das ift eine Befriedigung.” 

„Irgend eine!... mein Herr,“ rief Jeanne, „welch 
ein abfcheuliches Bort!... Es iſt zu unbeflimmt. 
irgend eine... . das heißt Alles fagen.“ 

„oh! ich ſpreche nur von einer Einfperrung in 
ein Kloſter,“ erwiederte kalt der Abbe; „das iſt nach 


230 


den Gerüchten, die Im Umlanfe find, der Bebante, dem 
der Rönig in Beziehung auf Sie am lichten beige ⸗ 
freten, fein —7 — bieſca a it einem 
jeanne jefen Mann mi Gäpreden 
an PR alsbald ber gttendfen Groltstion Piag 
magte. 
„Cinföließung in ein Kioker!“ fagte fl 
heißt — durch bie —E —E 
Tod; ein graufame 
erfceinen wird. Die 
nicht wahr? Die 
und ber Gorrectione: 
der Schmad, gen 
während bie en 
Den Tod auf der € 
gewählt haben wert 
zu befrafen, daß i 
Bone Min ar 
Ind ofne au 
ohne es {u dulden, 
Goncterge —8 
Hubert anf * Sei⸗ 


um ein Def 
Sa ie 3 


Seite —E 
ein Bantherihier, d 
ſchreckt Haben, Rich 
du geräuf voll war 
ein an bie Gtube fo 
Bafe von Fayence ı 
vegetirte, Wr ſchlu⸗ 
an ben 
Die Sale a, ein Gtäd Hieb-ia ber 
Hand diefer Aurie; man fah das Blut iger Stimme 
durch die Nie dev Hant Rlepen, Die Ba arieien Hai 


") In yee · war in ven æianera as Ginfperien auf Sebendgelt, 


231 


Die Eoncierge warf fidy weinend in ihre Arme. Man 
feste fie in einen Lehnftuhl und begoß fie mit Riedy- 
wafler und Eiſtg. Sie war nad) gräßlihen Convul⸗ 
fionen ohnmächtig geworben. 

Als fie wieder zu fih fam, dachte der Abbe, fie 
e. 


erſtick 

„Seht,“ ſagte er, „dieſes Gitterwerk fängt das 
Licht und die Luft auf, Iſt es nicht möglich, die 
arme ran athmen zu laflen ?“ 

Alles vergeflend, lief nun Frau Hubert an einen 
Scäranf, der beim Kamin fland, zog einen Schlüffel 
Vi welcher ihr zum Deffnen dieſes Bittere diente, und 
ogleich ſtrömten die Luft und das Leben in Wogen in 
die Stube. 

„Ah!“ rief der Abbe, „ich wußte nicht, daß fidh 
Diefes Bitter mit Hülfe eines Schlüffelse öffnen läßt. 
Mein Gott! warum foldye Vorfichtsmaßregeln!” 

„Es if der Befehl,“ erwiederte die Koncierge. 

„Sa, ich verftehe,“ fagte der Abbe mit einer mar- 
firten Abfichtlichfeit, „dieſes Fenſter iſt nur ungeführ 
fieben Fuß vom Boden und geht auf den Quai. Wollten 
Gefangene aus dem Innern der Gonciergerie durdy 
Ihre Stube entweichen, fo fänden fie die Freiheit, ohne 
anf einen Schließer oder eine Schildwache zu flogen.” 

—— erwiederte der Concierge. 

Der Abbé bemerkte aus dem Augenwinkel, daß 
Frau von La Mothe gehörig verſtanden, daß fie ſogar 
gebebt und fogleicdh, nachdem fie die Worte des Abbe 
anfgefaßt, die Augen zu dem nur mit einem meffingenen 
Kuopf verfchloffenen Schrank aufgefchlagen Hatte, in 
weldyem die Boncierge den Schlüffel des Gitters ver- 
wahrte. 

Das war genug für ihn. Seine Gegenwart fchien 
von feinem Nuten mehr zu fein, und er nahm Abſchied. 

Er £ehrte jedoch noch einmal um, wie die Theater- 
perfonen, bie fi) einen falfchen Abgang machen, und 


fagte: 


232 


„Wie viel Leute find auf dem Pla! Die ganze 
Menge drängt fi mit ſolchem Ungeflüm nad dem 
VBalafte zu, daß nicht eine Seele mehr auf bem 
Quai ift.“ 

Der Concierge beugte fih hinaus. 

„Ss ift wahr,” beftätigte er. 

„Denft man nidt, “ hr der Abbe fort, ale ob 
ibn Frau von La Mothe nicht bören fünnte, — uud 
fie hörte ihn fehr gut, — „glaubt man nidyt, der 
Sprud werde in der Nacht gerällt werden? Nein, 
nicht wahr?“ 

„Sch denke nicht, daß das Urtheil vor morgen früß 
gefprochen werden wird,” fagte der Boncierge. 

„Nun wohl!“ fügte der Abbe bei, „feien Gie bes 
müht, diefe arme Frau von fa Mothe ein wenig ruhen 
zu laffen. Nach fo vielen Erfchütterungen muß fle der 
Ruhe bedürfen.“ 

„Wir werben uns in unfer Zimmer zurüdzichen 
und Madame bier in dem Lehnfluhl laſſen,“ fagte ber 
brave Eoncierge zu feiner Frau, „wenn fie fih nicht 
etwa zu Bette legen will.” 

Seanne erhob ſich und begegnete dem Auge des 
Abbe, der anf ihre Antwort lauerte. 

Sie ftellte fidh, als entfchliefe fie wieder. 

Da verſchwand der Abbe und der Koncierge und 
feine Frau gingen auch weg, nachdem fie das Bitter 
wieder gefchluffen und den Schlüffel an feinen Plag 
gelegt hatten. 

Evbald Jeanne allein war, öffnete fie die Augen. 

„Der Abbe räth mir, zu fliehen,” dachte fie. 
„Kann man mir Elarer fowohl die Notwendigkeit der 
Flucht, als das Mittel Hiezu bezeichnen! Mich mit der 
Bernrtheilung vor dem Spruche der Richter bedrohen, 
das fommt von einem Freunde, der mich antreiben will, 
meine Freiheit au fuhen, das fann nicht von einem 
Barbaren fein, der mich beleidigt. 

„Um zu fliehen, brauche ih nur einen Schritt zu 


233 


machen; ich öffne diefen Schranf, dann diefes Bitter, 
und bin auf dem verödeien Duni. 

„Berövet, ja!... Niemand; der Mond jelbft 
verbirgt Äh in den Wolken. 

„Bliehen!.... Oh! die Freiheit! Das Slüd, 
meine Reichthümer wiederzufinden . . . das Glück, 
meinen Feinden alles Böfe zurüdzugeben, was fie mir 
geifan Haben!“ 

Sie Rürzte nah dem Schranf und ergriff ben 
ESchlüſſel. Schon näherte fie fih tem Sclofle des 
Gittere. 

Blöglih glaubte fie auf der ſchwarzen Linie der 
Fräßung ber Brüde eine ichwarze Beitalt zu fehen, 
welsge bie eintönige Regelmäßigfeit unterbrady. 

„Ein Mann ift dort im Schatten!” fagte fie; „ber 
Abbe vielleicht; er wacht über meiner Flucht; er wartet, 
„m mir Beifland zu leiften. Ja, doch wenn es eine 
Galle wäre, menn ih, auf den Quai hinabgeſtiegen, 
ergriffen, auf der That der Entweichung ertappt würde? 
.. . Die Entweihung, das if das Geftändniß des 
Berbredyens, wenigitens das Zugefläntniß der Furcht! 
Wer entweicht, flieht vor feinem Bewiflen. ... . Woher 
fommt diefer Nenſch? ... Er fcheint mit Herrn von 
Vrovence in Berbindung zu fleben. ... Wer fagt mir, 
vaß er nicht ein Emiffär der Königin oder der Rohbau 
8? ... Wie tbener würde man auf diefer Seite einen 
jalſchen Schritt von mir bezahlen... 3a, es lauert 
Jemand bort! 

„Mich ein paar Etunden vor dem Spruch Hichen 
machen? Konnte man das nicht jrüher, wenn man 
mir wirklich bat dienen wollen? Mein Bott! wer weiß, 
ob meinen Feinden nicht ſchon die Runde von meiner 
im NRathe der Richter befchlofenen Freiſprechung zuge⸗ 
fommen if? wer weiß, ob man nicht diefen für die 
Königin furchtbaren Schlag mit einem Beweiſe oder 
einem Geſtändniß meiner Schuld parisen will. Das 


234 


Geſtändniß, der Beweis, das wäre meine Flucht. Ich 
werde bleiben!“ 

Bon diefem Augenblid an war Jeanne überzengt, 
fie fei einer Falle entgangen. Sie lädyelte, richtete 
ihren fchlauen, Fühnen Kopf auf, ging mit ficherem 
Schritt auf den kleinen Schranf am Kamin zu und 
legte den Schlüffel des Gitters wieder hinein. 

Dann jeste fie fi in den Lehnftuhl zwiſchen dem 
Licht und dem Fenfter, und beobachtete von ferne, wäh: 
rend jie fich flellte, als fchliefe fie, den Schatten bes 
laueruden Mannes, der, ohne Zweifel des Wartens 
müde, endlich auiftand und mit dem erften Schimmer 
der Morgennämmerung, um halb drei Uhr, da’ das 
Auge das Waſſer des Fluffes zu unterfcheiden anfing, 
verſchwand. 


XCIV. 
Der Spruch. 


N) 

Am Morgen, als alle Geräufche wieder erwachten, 
als Paris wieder Leben annahm uud einen neuen Ring 
an den Ringen ber Kette des vorhergehenden Tages ber 
feltiate, Huffte die Gräfin, die Kunde von einer Frei⸗ 
fprehung würde plöglicy mit der Freude und den Glüd⸗ 
wünfchen ihrer Freunde in ihr Gefängniß bringen. 

Hatte fie Freunde! ah! das Vermögen, der Credit 
bleiben nie ohne Gefolge, und Seanne war doch rei 
und mächtig geworben: fie hatte empfangen, fie bat 
gegıben, ohne fih auch nur den alltäglichen Fremd 
gemacht zu haben, der den andern Tag nad einer Un 
anade verbrennen muß, was er den vorhergehenden 
Tag beichmeichelt Hat. 

Nber nad ihrem Triumph, den fie erwartete, würde 


235 


Berteigänger , Anhänger haben, fie würde Be? 
er, fie würde Neider Haben. 
iefe geſchäftige Woge von Leuten mit freubigem 
e erwartete fie vergebens in die Stube des Bons 
Hubert eindringen zu fehen. 
on der Unbeweglichfeit einer überzeugten Berfon, 
die Arme zu fich kommen läßt, ging Jeanne, 
ar bie Abfcbuffigfeit ihres Characters, zu einer 
en Unruhe über. 
id da man fidy nicht immer verftellen kann, fo 
fie ſich nicht einmal bei ihren Wächtern die 
‚ ihre Gindrüde zu verbergen. 
6 war ihr nicht geftattet, hinauszugehen, um 
erkundigen, doch fie hielt ihren Kopf an ein 
ner, und bier horchte fie angftvoll, Eeuchend, 
e Geräuſche des benachbarten Plabes, auf die 
(he, die fh in einem verworrenen Gemurmel 
m, nachdem fie die Manern des alten Palaſtes 
eiligen Ludwig durchdrungen hatten. 
anne hörte jodann nicht einen Lärmen, fondern 
vahren Ausbruch von Bravo’s, von Schreien, von 
enden Füßen und Fatfchenden Händen, etwas 
Ingewöhnlicyes, Braufendes, was fie erfchredte, 
e hatte nicht das Bewußtſein, man bezeuge für 
viel Sympathie. 
iefe lärmenden Salven wiederholten fidy zweimal 
achten Beräufchen anderer Art Platz. 
6 fam ihr vor, als wäre es auch ein Beifall, 
a ruhiger Beifall, der ebenfo rafch flarb, ale er 
a war. 
ald wurden die Borübergehenden auf dem Quai 
der, als ob ſich die Gruppen bes Plaszes auf⸗ 
und im Binzelnen ihre zerfireuten Maſſen ab- 


n. 

Bin herrlicher Tag für den Cardinal,“ fagte ein 
ber des Beneralanwalıs, auf dem Pflafter der 
ng hüpfend. 


Gefländniß, der Beweis, das wäre meine Jlacht. IE 
werbe bleiben!“ 
Bon dief l 

fie fei eine wc 
ißren fhlanen, Fühn-.. 
Het ben Sl Dee 
egte den 

y Dann ientr He % . 
Licht und d [201 
rend ſie -  :, al! 
Tauernden una. der 
müde, enb. ». 
der Morgenvammsıı 


\ PER Das Waſſer die 


wand. 
1 
De 
Am Bergen, als ei 
at Bari miner chen u 
an ben Bin; Kette 


feinte, hoffte Me Sri 

fprejung wärbe —28 

wänfgen ibrer Sreunde 
Hatte fle ale 


235 


Barteigänger,, Anhänger haben, fie würbe Be? 
re, fie würde Neider haben. 

fe geichäftine Woge von Leuten mit freudigem 
erwartete fie vergebens in die Stube des Bons 
mbert eindringen zu fehen. 

ı der Unbeweglichkeit einer überzeugten Berfon, 
ie Arme zu fich fommen läßt, ging Seanne, 
e die Abfhüfligfeit ihres Characters, zu einer 
rn Unruhe über. 

, da man fich nicht immer verftellen kann, fo 
ie fih nicht einmal bei ihren Wächtern die 
ihre Eindrüde zu verbergen. 

war ihr nicht geftattet, Hinauszugehen, um 
rfundigen, doch fie hielt ihren Kopf an ein 
ker, und hier horchte fie angftvoll, keuchend, 
Geraäuſche des benachbarten Plabes, auf die 
be, die fih in einem verworrenen Gemurmel 
i, nachdem fie die Mauern des alten Palaſtes 
ligen Ludwig durchdrungen hatten. 

mne hörte fodann nicht einen Lärmen, fondern 
ahren Ausbruch von Bravo’s, von Schreien, von 
ıden Füßen und Hatfchenden Händen, etwas 
ıgewöhnliches, Braufendes, was fie erfchredte, 
hatte nicht das Bewußtiein, man bezeuge für 
el Symyatbie. 

fe lärmenden Salven wiederholten ſich zweimal 
iten Geräufchen anderer Art Pla. 

fam ihr vor, als wäre es auch ein Beifall, 
. ruhiger Beifall, der ebenfo raſch farb, als er 
war. 

[Id wurden die Borübergehenden auf dem Quai 
ver, als ob ſich die Gruppen des Plases auf: 
nd im Einzelnen ihre zerftreuten Maſſen ab- 


in herrlicher Tag für den Cardinal,“ fagte ein 
er des Generalanwalts, auf dem Pflafter der 
g hüpfend. 


236 


* Und er warf einen Stein in den Fluß mit jer 
Geſchicklichkeit des jungen Pariſers, der viele v 
feinen Tagen dieſer der Schleuder der Alten entlehnt 
Leibesübung gewidmet Hat. 

„Bür den Cardinal,“ wiederholte Jeanne. 
iſt alfo Nachricht da, daß der Kardinal freigefprocdhen 

Ein Tropfen Galle, ein Tropfen Schweiß fiel v 
der Stirne von Jeanne. 

Sie fehrte haftig in die Stube zurüd und frag 
die Frau Hubert: 

„Madame, Madame, was höre ich fagen: w« 
it ein Glüd für ven Barbinal? Ichbitte, w 
itt denn ein Glück?“ 

„sh weiß es nicht,” erwiederte dieſe. 

Jeanne ſchaute ihr Scharf in’s Geſicht und fügte bi 

„Haben Sie die Güte, Ihren Mann zu fragen 

Die Concierge gehorchte aus Befälligkeit, u 
Hubert antwortete von Außen: 

„Ich weiß es nicht!“ 

Ungeduldig, bebend, blieb ſie einen Augenbl 
mitten im Zimmer ſtehen und rief: 

„Was meinten die Vorübergehenden mit ihr 
Worten? man taäuſcht ſich nicht in ſolchen Orakel 
Sie ſprachen ſicherlich vom Prozeß.“ 

„Vielleicht,“ erwiederte die mildherzige Hube 
„vielleicht wollten ſfie nur ſagen, wenn Herr von Rob 
freigeſprochen worden, fo werde dies ein fchöner T 
für ihn fein.“ 

„Sie glauben, man werbe ihn freifprechen?“ x 
Seanne, ihre Finger Erampfhait zufammenpreffend. 

„Das kann wohl gefchehen.” 

„Aber ich?“ 

Dh Sie, Madame ... Sie wie er; warı 
Sie nicht?“ 

„Eine feltiame Borausfehung,” murmelte Scan 

Und fie flellte fich wieder an die Scheiben. 

„Madame,“ ſprach der Concierge, „Sie hab 


237 


Unrecht, fo Aufregungen zu ſuchen, die Ihnen unver: 
Rändlih von Außen zufommen. Glauben Sie mir, 
bleiben Sie ruhig, bis Ihr Confulent oder Herr Fremyn 
fommen, um Ihnen vorzulefen ...“ 

„Den Spruch . . . Nein! nein!“ 

Und fie horchte. 

Eine Frau ging mit ihren Freundinnen vorüber. Sie 
hatten Feſthauben, einen großen Strauß in der Hand. Der 
Geruch von diefen Rofen flieg wie ein foflbarer Balfam 
zu Seanne empor, welche Alles von unten einathmete. 

„Er foll meinen Strauß haben ‚” rief diefe Frau, 
„und nody hundert andere, der liebe Mann! oh! wenn ' 
ich fann, werde ich ihn umarmen.“ 

„Und ih auch,“ fagte eine Gefährtin. 

iet ind mich, mich an er umarmen,” ſprach eine 
ritte. 


„Wen meinen fie?" dachte Jeanne. 

„ah! er if ein fehr fchöner Mann, Du bift nicht 
ekel,“ fügte eine lebte von den Freundinnen bei. 

Und Alles ging vorbei. 

„Abermals dieſer Kardinal! immer er!“ murmelte 
Seanne. „Er iſt freigefprochen, er ift freigefprochen !” 

Und fie ſprach diese Worte mit fo viel Entmuthigung 
und zugleich Sicherheit, daß der Concierge und feine 
Frau, entichloflen, nicht mehr einen Sturm, wie den 
am vorhergehenden Tag zu veranlaflen, gleichzeitig ihr 
zuriefen:: 

— „GSi! Madame, warum wollen Sie nit, daß 
bien arme Mann losgefprodhen und in Freiheit gefegt 
wird ?“ 

Jeanne fühlte den Schlag, fie fühlte befonders 
die Beränderung ihrer Wirthe, und fagte, da fle nichts 
von ihrer Sympathie verlieren wollte: 

„Dh! Sie verfiehen mid nit. Ach! Halten Sie 
mid für fo neidifch oder für fo boshaft, daß ich mei⸗ 
nem Unglüdegeführten das Schlimme wünſche? mein 
Gott! er werde freigefprochen, ver Herr Garbinal; oh 


II 


ja, er werde freigefprocdhen. Aber endlich möchtı 
doch erfahren... . Glauben Sie mir, meine Freu 
es ift die Ungeduld, was mich jo macht.“ 

Hubert und feine Frau ſchauten einander an, 
wollten fie die Tragweite von dem, was fie zu fı 
im Begriffe waren, ermeflen. 

Ein fahler Blitz, der unwillfürlic aus den U: 
von Seanne bervorfprang, hielt fie zurüd, ale fie 
den Entſchluß faßten. 

„Sie fagen mir nichts?” rief fie, ihren % 
wahrnehmen. 

„Bir wiffen nichts,” erwiederten fle leife. 

Sn diefem Augenblid rief ein Befehl Hubert 
feiner Wohnung. Die Goncierge, weldye mit Je 
allein blieb, verſuchte es, ſie zu zerfireuen; es 
vergebens, alle Sinne der Gefangenen, ihr ga 
Verſtand waren außen durch die Geräuſche, d 
die Athemzüge in Anſpruch genommen, bie fie 
ee das Fieber verzehnfachten Empfängtid 
auffapte. 

Ploͤtzlich entſtand ein gewaltiger Lärm, eine r 
tige Bewegung auf dem Pla. Die Menge firı 
bis auf die Brüde, bis auf den Quai zurüd, und 
mitdergeftaltcompacten, dergeftalt wiederholten Schr: 
daß Jeanne auf ihrem Beobadyıungepouflen darüber b 

Diele Schreie hörten nicht auf: fie waren an e 
offenen Wagen gerichtet, deſſen Pferde, weniger d 
die Hand des Kutichere, als durch die Menge zu: 
gehalten, faum im Kleinen Schritt gingen. 

Die Menge bevrängte, umſchloß fie und trug 
Ende auf ihren Schultern, aui ihren Armen Pf 
Wagen und zwei Perfounen, welche der Wagen entt 

In den großen Strahlen der Sonne, unter ei 
Blumenregen, unter einem ®ewöibe von Blätter: 
das taufend Hände über ihren Köpfen bewegten, 
fannte die Gräfin dieſe zwei Männer, welche bie 
geifterte Menge beraufchte. 


239 


Bleich über feinen Triumph, erfchroden über feine 
oltsthümlichfeit, blieb der Bine ernft, betäubt, zittern. 
rauen fliegen bis auf die Felgen feiner Räber, riffen 
ine Hände an fi, um fie mit Küſſen zu verzehren, 
id machten fih mit gewaltigen Schlägen die engen 
iner Mandyetten flreitig, die fie mit den frifcheiten 
nd feltenften Blumen bezahlt Hatten. ‘ 

Andere, die noch glüdlicher, waren mit den Ladeien 
inten auf den Wagen geftiegen; fie entfernten unmerk⸗ 
ch die Hinderniffe, die ihrer Liebe im Wege waren, 
ıhmen den Kopf des vergötterten Mannes, drückten 
nen ehrfurchtsvollen und zugleich finnlichen Kuß dar: 
af und machten dann neuen Glücklichen Blab. Diefer 
ngebetete Mann war der Bardinal von Rohan, 

Friſch, freudig, funfelnd, erhielt der Zweite einen 
inder lebhaften, aber verhältnißmäßig eben fo ſchmei⸗ 
elgaften Empfang. Man belohnte ihn mit Freuden⸗ 
hreien und Bivats; die Frauen theilten fi in den 
ardinal, die Männer riefen: „Es lebe Caglioſtro!“ 

Diefe Truntengeit brauchte eine halbe Stunde, 
m über den Bont-au-Change zu gelangen, und Jeanne 
folgte bis zu ihrem hoöchſten Punkte die Triumpha— 
wen. Sie verlor nicht den Fleinften Umitand. 

Diefe Kundgebung des öffentlichen Enthuflasmus 
ie die Opfer der Königin, denn ſo nannte man fie, 
währte Jeanne einen Augenblick der Freude. 

Doch plöglich fagte fie: 

„Wie! fie find Schon frei; ſchon find für fie bie 
örmlichfeiten erfüllt, und ich, ich weiß nichts ; warum 
(gt man mir nichts?“ 

Ein Schauer erfaßte fie. 

Sie hatte neben ſich Frau Hubert gefühlt, welche, 
illſchweigend, aufmerffam auf Alles, was vorging, 
cd begriffen haben mußte, und feine Erflärung gab. 

Seanne wollte eine unerläßlich gewordene Grflärung 
euorrufen, als ein neuer Laärmen ihre Aufmertfamfeit 
:gen ben Pont⸗au⸗Change 309. 


240 


Ein Fiaere, umgeben von Leuten, fuhr ebenfalls 
den Abhang der Brüde hinauf. 

In dieſem Fiacre erfannte Jeanne, lächelnd und 
ihr Kind dem Volke zeigend, Oliva, welche auch weg: 
fuhr, frei und toll vor Freude über die ein wenig un: 
gebundenen Scherze, über die dem frifchen, appetitlichen 
Mädchen zugefandten Küſſe. Das war allerdings 
plumper Weibrand, doch mehr als genügend für Mile, 
Dliva, diefer Weihrauch, den die Menge überfanbte, 
als legtes Relief von dem dem Garbinal gebotenen 

e 


fte. 

Mitten auf der Brüde wartete eine Poſtchaiſe. 
Herr Beauflire verbarg ſich darin hinter einem feiner 
Freunde, der allein fich der öffentlichen Bewunderung 
zu offenbaren wagte. Er machte Dliva ein Zeichen, 
und diefe flieg mitten unter Schreien aus, die ſich ein 
wenig in Geziſche verwandelt hatten. Aber was ift 
für gewiffe Schaufpieler das Ziſchen, wenn man fie 
mit Wurfgefchoffen bearbeiten und von der Bühne jagen 
onnte. 

Als Dliva in die Chaiſe geftiegen war, fiel fie in 
die Arme von Beanftre, der fle zum Erfliden mie 
eine Beute an fidy drückte, über eine Meile nicht mehr 
loslich, fie mit Thränen und Küffen überfirömte und 
nicht athmete bis Saint-Denis, wo man bie Pferde 
wechfelte, ohne von der Polizei beläfigt worben 
u fein. 

Als Seanne alle diefe Leute frei, gludlich, gefeiert 
fah, fragte fie fih, warum fie allein Feine Nachrichten 
erhalte. 

„Aber ich! ich!“ rief fie, „Durch welche ausgefuchte 
Graufamfeit eröffnet man mir nicht den Spruch, der 
mich betrifft?" . 

„Beruhigen Sie fih, Madame,” ſprach Hubert 
eintretend, „beruhigen Sie fi.” 

„Es iſt nicht möglih, daß Sie nichts wiffen,“ 


241 


ih, Sie ſehen, wie fehr ich leid de.“ 

„Madame, es iſt uns niederen Dfficianten des 
jefängnifles verboten, die Sprüche zu offenbaren, deren 
Greffiers der Höfe zukommt.“ 

8 te ge fo gräßlih, daß Sie es nicht 
agen,” rief Seanne in einem Ausbrudh von Wuth, 
ꝛx dem Gonrierge bange machte und ihn die Er— 
merung der Scenen -vom vorhergehenden Tag ah: 
en 

„Rein,” fagte er, „beruhigen Sie fih, beruhigen 
ste Ach“ 

„Sprechen Sie doch.” 

„Werden Sie geduldig fein und mich nicht ge- 
ihrden ? 

39 gelobe es Ihnen, ich fchwöre es Ihnen, 
den Sie. 


„Run wohl: der Garbinal if freigefprochen.” 
47 weiß es.” 

„Herr von Caglioſtro osgefprochen. “ 

„Sch weiß es! ich weiß es!“ 

„Alle. Dliva von der Anklage entbunden.” 
Weiter? weiter?“ 

"Herr Reteau von Billette ift verurtheilt . 
Seanne bebte. 

cr den Baletrenl ; 


„Geduld, Ziabame, Geduld. Iſt es das, was 
zie berſprochen haben?“ 
38 bin geduldig; reden Sie! Ich?“ 
Zur Verbannung,“ ſprach mit ſchwacher Stimme 
r en die Augen abwenden. 
Dad Haldband der Königin. IV. 


242 


Ein Blig der Freude glänzte in den Augen ber 
Gräfin, ein Bliß der fo —* erloſch, als er er— 
ſchieuen war. 

Dann ſtellte fie fh, als fiele fie mit einem ge: 
waltigen Schrei in Ohnmacht, und flürzgte rüdwärte in 
die Arme ihrer Wirthin. 

„Was wäre geichehen, wenn ich ihr die Wahrheil 
gejagt bätte,” flufterte Hubert feiner Frau in's Ohr. 

„Die Verbannung,” dachte Jeanne, einen Nerven: 
anfall heuchelnd, „das ift die Freiheit, das if der 
Reichthum, das ift die Rache, das iſt, was ich ge: 
träumt ... Ich Habe gewonnen !” 


XCV. 
Die Erecution. 


Jeanne erwartete immer, daß ber vom Goncierge 
versprochene Gerichtsfchreiber Fame, um ihr ben gegen 
fie gerällten Spruch vorzulefen. 

Da fie die Bangigfeiten des Zweifels nicht mehr 
batte, und kaum die der Bergleihung, das heißt dee 
Stolzes behielt, fagte fie in der That zu fih felof: 

„Was ift mir daran gelegen, mir, einem, id} benfe, 
gebiegenen Geift, daß Herr von Rohan minder ſchul⸗ 
dig erachtet worden ift, als ich ?“ 

„Bin ich es, über die man die Strafe eines Feb: 
lers verhängt? Nein. Wäre ich gebührender Maßen 
von aller Welt als Valois anerfannt worden, hätt 
ih, wie dies beim Herrn Gardinal ber Ball geweſen 
it, ein ganzes Spalier von Prinzen und Herzogen, 
welche durch ihre Haltung, durch ihren Flor an den 
Degen, dur ihre Trauerbinden flebten, am Wege 
aufgeftellt gehabt, ich glaube nicht, daB man ber 


243 


armen Gräfin von La Mothe eiwas verweigert haben 
würde, und ficherlih hätte man, in Vorausſetzung 
dieſer vornehmen Supplif, der Abfümmlingin ber Bas 
lois, die Schmady des Schemels erfpart. 

„Doh warum fih mit Dieier ganzen Vergangen⸗ 
heit beſchäftigen, welche todt iſt? Sie iſt nun bes 
endigt, dieſe große Angelegenheit meines Lebens. Auf 
eine zweideutige Weiſe in die Welt geſtellt, auf eine 
zweideutige Weiſe am Hof geſtellt, der Gefahr aus⸗ 
geſetzt, vom erſten von oben kommenden Hauch nieder⸗ 
geworfen zu werden, vegetirte ich nur, ich kehrte viel⸗ 
leicht zu dem urſprünglichen Elend zurück, das die 
ſchmerzliche Lehrzeit meines Lebens geweſen iſt. Nun 
nichts Aehnliches mehr. 

„Verbannt, ich bin verbannt! das heißt, ich habe 
das Recht, meine Million in meiner Caſſe mitzuneh⸗ 
men, unter den Pomeranzenbäumen von Sevilla oder 
von Agrigent im Winter, in Deutſchland oder in England 
im Sommer zu leben; das heißt, jung, ſchoͤn, berühmt 
und im Stande, meinen Prozeß ſelbſt zu erflären, wird 
midy nichts abhalten, zu leben, wie es mir beliebt, 
fei es mit meinem Mann, wenn er, wie id, vers 
bannt ift, und ich ihn frei weiß, fei es mit den Freun⸗ 
den, welche das Glück und die Jugend immer geben! 

„Und,” fügte Jeanne in ihre glühenden Gedan- 
fen verloren bei, „man fomme dann und fage mir, 
mir, der Veruriheilten, mir, der Berbannten, wir, 
der armen Gedemüthigten, ich fei nicht reicher als 
die Königin, ich fei nicht geehrter als die Königin, 
ich fei nicht mehr freigeiprochen als die Königin; denn 
es banbelte fich bei ihr nur um meine Berurtheilung. 
Dem Löwen ift nichts am Erdenwurm gelegen. Ges 
handelte fich darum, Herrn von Rohan zu verurtheilen, 
und Herr von Rohan ift freigefprochen. 

„Wie werben fie ſich nun benehmen, um mir den 
Spread zu bezeichnen, wie au, um Fr aus dem 

1 


24 


Königreich zu führen? Werben fie ſich an einer Kran 
dadurch rächen, daß fie fü 
Strafe unterwerfen! R 
übergeben, um mi and 
man mir Öffentli jagen: 
Be | 

Ind gutmäthig,“ fora 
nichtmehr. Eu: gel 
das muter ihren Balconı 
rang es ach s tie 
a6 it wahrer Sein! 
ihr unmittelbarer Yeind, 
Unterftügung ber öffentlic 
und da es mir gelungen i 
Jeanne war fo weit, 
nungen. ie 
wi ihrer m 
Ingland, man war im Gı 
nerung an Keteau von A 
dern ihsen Geiſt durchznd 
. „Armer Junge,” k 
Lächeln, „er hat für | 
immer für bie Gäßmunge: 
im philoſophiſchen Sinne, 
wendigfeiten entüchen, er 
der ene, mit an 
„Armen, gebrei 

heute feine —E 
verſchwoͤrungen, und Bol 
der Aaelt Fr 
prügeln, von ſen 

von Verſtegen; mit eineı 








machen wollen, 177 
bes Verſandes it der 
teit, mit dem Geife des 


and bie Gtärke, Wie viel 


245 


ı in der Schöpfung von der giftigen Milbe an bie 
ım Scorpion, dem erflen der Kleinen, der fich bei 
mn Menfchen gefürchtet macht. Alle diefe @ebrecdhs 
chteiten wollen ſchaden, aber fie haben nicht bie Ehre 
6 Kampfes; man tritt fie nieder.“ 

Und Seanne begrub mit diefem bequemen Ge: 
tänge ihren Genoſſen Reteau, feit entfchloffen, ſich 
ach dem Bagno zu erfundigen, in dem der Elende 
ngefverrt wäre, um auf der Reife nicht dahin zu ges 
iben, um nicht einem Unglüdlichen die Demüthigung 
azuthun, ihm das Glüd einer alten Bekannten zu zei⸗ 
ꝛn. Seanne hatte ein gutes Herz. 

Sie nahm Heiter ihr Mahl mit dem Concierge 
nd feiner Frau ein. Diefe aber Hatten ihre Heiterfeit 
zllig vergeflen; fie gaben fidy nicht einmal die Mühe, 
re Bellemmung zu verbergen. Seanne fchrieb ihre 
älte der Berurtheilung zu, deren Begenftand fie war. 
ie machte ihnen eine Bemerkung hierüber. Sie 
ntworteten, nichts fei fo fchmerzlich für fie, ale der 
nblick der Perfonen nach einem gefüllten Urtheil. 

Jeanne war im Grunde ihres Herzens fo glüdlich, 
ı that ihr fo wehe, ihre Freude verbergen zu müflen, 
iß ihre die Gelegenheit, allein, irei mit ihren Gedanken 
ı bleiben, nur Fehr angenehm fein fonnte. Sie beab⸗ 
htigte nad) dem Mittagefien zu verlangen, nad 
wem Simmer zurüdfehren zu dürfen. 

ie fehr war fie erftaunt, als der Concierge 
ubert beim Nadhtiih das Wort nahm und mit einer 
:zwungenen Beierlichfeit, welche bei feinen Reben ans 
ae durchaus nicht feine Gewohnheit war, zu ihr 
rad : 
„Madame, wir haben den Befehl, die Perfonen, 
zer deren Schidial das Parlament entfchieden, nicht 
ı der Kerfermeifterei zu behalten.“ 

„But,“ dachte Jeanne, „er kommt meinen Wüns 
hen entgegen.“ 

Und fie fland auf und erwieberte: 


246 


„Ih möchte Sie nicht zu einer Meberiretung Ihrer 
Vorſchriften veranlaffen . . . Das hieße die Guͤte, bie 
Sie für mid gehabt haben, fchlecht erfennen . . . Sch 
fehre alfo in mein Zimmer zurüd.“ 

Sie fhaute das Ehepaar an, um die Wirfung 
ihrer Worte zu beobachten. Hubert drehte einen Schlüffel 
in feinen Fingern Hin und ber. Die Goncierge wandte 
ihren Kopf ab, als wollte fie eine neue Bewegung ihres 
Gemüths verbergen. 

„Aber wohin wird man denn fommen, um mit 
den Spruch zu verlefen, und wann wird man fommen?“ 
fragte die Gräfin. 

„Man wartet vielleicht, bis Madame in ihrem 
Zimmer it,“ antwortete Hubert Haftig. 

„Er entfernt mich entſchieden,“ Dachte Jeanne. 

Und ein unbeftimmtes Gefühl der Bangigfeit machte 
fie beben, doch faum in ihrem Herzen erfchienen, vers 
dunftete es wieder. 

Seanne flieg die drei Stufen hinauf, welche von 
diefer Stube in den Gang der Kanzlei führten. 

Als Frau Hubert die Gräfin weggehen ſah, eilte 
fie auf fie zu und ergriff ihre Hände, nidyt mit GEhr⸗ 
furcht, nicht mit wahrer Freundfchaft, nicht mit jener 
Empfindungsfülle,. die den, welcher fie bezeigt, und 
den, welcher der Gegenftand derfelben ift, ehrt, ſondern 
mit einem Grguß tiefen Mitleids, der der verfländigen 
Seanne, ihr, die Alles bemerfte, nicht entging. 

Diesmal war der Eindrud fo ſcharf, daB Jeanne 
fich geitand, der Schrecken erfafle fie; doch ber Schreden 
wurde abgefchüttelt, wie fie die Bangigfeit abgefchüttelt 
hatte, und aus der bis an den Rand von ber Freude 
und der Hoffnung angefüllten Seele vertrieben. 

Seanne wollte fi von Frau Hubert die Urſache 
ihres Mitleids erflären laſſen; fle öffnete den Mund 
und flieg wieder zwei Stufen herab, um eine von den 
Fragen, die fo entfchieden und fräitig wie ihr Geiſt, 
zu ſtellen. Do fle Hatte Feine Zeit dazu. Hubert 


247 


nahm fie, weniger hoöflich als lebhaft, bei der Hand und 
öffnete die Thüre. 

Die Sräfin fah fih im Bange. Acht Schügen von 
der Bogtei warteten bier. Worauf warteten fie? das 
fragte ſich Jeanne, als fie diefelben erblidte. Doch die 
Thüre des Concierge war ſchon wieder aefchloffen. Bor 
den Schügen fland einer von den gewöhnlichen Schließern 
des Befüngniffes, derjenige, welcher die Gräfin jeden 
Abend in ihr Zimmer zurüdrührte. 

Dieſer Menſch fchritt der Gräfin voran, als Wollte 
er hr ven Weg zeigen. 

„Ich gehe in mein Zimmer zurück?“ fagte bie 
Gräfin mit dem Tone einer Frau, welde vefien, was 
fie fagt, gern fidher fcheinen möchte, aber zweifelt. 

4 Madame,” erwiederte der Schließer. 

‚ Jeanne faßte das eiferne_ Geländer an und flieg 
binter dem Wann hinauf. Sie hörte die Schützen, 
welche einige Schritte von ihr entfernt ziſchelten, aber 
Ah nicht von der Stelle rührten. 

Beruhigt, ließ fie fi in ihr Zimmer einfperreh und 
daunlkte fogar freundlich dem Schließer. Diefer entfernte fid. 

Seanne fah ſich nicht fo bald frei und allein, als 
ihre Freude ausichweifend hervorbrach, eine Freude, 

zu lange burdy die Larve gefnebelt gewefen war, 
unter der fie heuchleriſch ihr Geſicht beim Goncierge ver: 
borgen hatte. Diefes Zimmer der Gonciergerie war ihr 
Behäliniß, das Behältniß eines einen Augenblid durch 
die Menſchen gefefielten wilden Thieres, weldhes eine 
£aune Gottes abermals in den freien Raum der Welt 
verjegen follte. 

nd in feiner Höhle oder in feinem Behältnig, wenn 
es finftere Nacht ift, wenn fein Geräufch dem gefangenen 
Zhiere die Wahfamkeit feiner Hüter verfundigt, wenn 
fein feiner Geruch feine Spur in der Umgegend erkennt, 
beginnen dann die Sprünge biefer wilden Natur. Es 
tet feine Blieder, um fie für die Bewegungen der er⸗ 
warteten Unabhängigkeit gefhmeidig zu machen. Dann 


Sqhreie, di t LE 
Kenne das En —5— 
hörte bie 


ei 


re ee — 
8 „Bi Bar d * * vor Me 


Bu gi ge dat" Te Felge Ve cdfe mit (af 
ve — 
anne wolle ıniz folgen,“ ide 3 





des Raͤthſ 
Ueberbies wurde der. Schliefer deinglich; er ſquu⸗ 


249 


telte feine Schlüfjel wie ein Menfh, der in Erman⸗ 
gelung guter Gründe einen Befehl entgegenhält. 

„Warten Sie ein wenig auf mid,” fagte Ieanne, 
„Sie fehen, daß ich mid ſchon ausgekleidet hatte, um 
ein wenig zu ruhen; ich bin in den legten Tagen fo 
fehr ermubet.“ 

„Ich werde warten, Madame, aber bebenfen Sie, 
dag Herr Doillot Eile hat.“ 

Seanne ſchloß ihre Thüre, z0g ein etwas frifcheres 
Kleid an, nahm eine Mantille und ordnete rafch ihre 
Haare. Ste braudite Feine fünf Minuten zu diefen Vor⸗ 
bereitungen. Ihr de fagte ihr, Herr Doillot bringe 
den Befehl, auf ber Stelle abzugeben, und das Mittel, 
Frankreich auf eine zugleich discrete und bequeme Weiſe 
zu durdhreifen. Ja, die Königin hatte daran denken 
müflen, daß ihre Feindin fo bald als möglich wegge: 
führt würde. Die Königin, nachdem man den Sprud 
gefällt, mußte darnach tradhten, dieſe Feindin fo wenig 
als möglich zu reizen, denn ift der Panther gefeflelt ge- 
fährlih, wie muß man ihn erſt fürdten, wenn er frei 
iR? In diefen glüdlihen Gedanken gewiegt, flog Seanne 
mehr, als fie ging, hinter dem Sölieger, der fie die 
Heine Treppe hera geben Jieß, auf der man fie ſchon 
in den Sigungsfanl geführt Hatte. Do flatt bie zu 
diefem Saale zu gehen, flatt fich links zu wenden, um 
in die Kanzlei einzutreten, wandte fih der Schließer 
nach einer Kleinen Thüre rechte. 

„Wohin gehen Sie denn?“ fragte Jeanne, „bie 
Kanzlei ift dort.“ 

„Kommen. Sie, fommen Sie, Madame,” fagte mit 
Soni füßem Tone der Schließer, „hier erwartet Sie Herr 

ot.“ 


Er trat zuerſt ein und 309 die Gefangene nadı, 
welche geraͤuſchvoll die äußeren Riegel diefer dicken Thüre 
hinter Ei ſchließen hörte. 

unt, doch ohne noch etwas in der Finfterniß zu 
fehen, wagte es Jeanne nicht mehr, ihren Wächter zu fragen. 


250 


Sie machte ein paar Schritte und blieb dann flehen. 
Ein bläuliches Licht verlieh der Stube, in ver fie fich be: 
fand, das Ausfehen vom Innern eines Grabes. 

Die Helle drang oben von einem alterthümlichen 
Gitterwerk durch Spinnengewebe und eine hundertfache 
Lage uralten Staubes ein, und nur einige bleiche Strah: 
len gaben den Wänden ein wenig von ihrem Widerfchein. 

Seanne fühlte plötzlich die Kälte, fie fühlte bie 
Feuchtigkeit des Kerkers; fie errieth etwas Entſetzliches 
in den flammenden Augen des Schließers. 

Indeſſen fah fie noch nichts, als diefen Mann; er 
allein mit der Gefangenen nahm in dieſem Augenblid 
das Innere dieſer vier Wände ein, welche ganz mit 
Grün überzogen von dem Wafler, das ſich überall aus: 
fhwisten, ganz fhimmelig vom Durchzug einer Luft, weldhe 
die Sonne nie erwärmt hatte. 

„Mein Herr,“ fagte fie nun, den Einvrud tes 
Schredens beherrfchend , ver fie ſchauern machte, „was 
thun- wir Beide hier? Wo tft Herr Doillot, den Sie mid 
fehen zu lafien mir verfprochen haben?“ 

Der Schließer antwortete nicht; er wandte fi um, 
als wollte er nahfchauen, ob die Thüre, durch die fie 
eingetreten waren, feit gefchloflen fei. 

Seanne folgte biefer Bewegung voll Angſt. Es 
fam ihr der Gedanke, fie habe es, wie in ben 
ſchwärzlichen Romanen jener Zeit, mit einem von den 
Kerkermeiſtern zu thun, welche, in wilder Liebe für ihre 
eingeferferten Frauen entbrannt, an dem Tage, wo ihnen 
ihre Beute durch die offene Thüre ihres Käfige entgehen 
foll, fich zu Tyrannen ver fh önen Gefangenen madıen 
und ihre Liebe im Austaufch gegen die Freiheit antragen. 

Jeanne war ſtark, fie fürchtete ſich nicht vor den 
Ueberfällen, fie hatte nicht die Schamhaftigkeit der Seele. 
Shre Einbildungsfraft kämpfte mit Vortheil gegen die 
ſophiſtiſchen Launen ber Herren Grebillon Eofn und 
Louvet. Sie ging mit lächelnrem Auge gerade auf den 
Schließer zu und fagte: 


251 “ 


freund, was verlangen Sie von mir? Haben 
18 zu fagen? Die Zeit einer Befangenen, 
Freiheit nahe fteht, iſt eine koſtbare Zeit. 
‚ um mit mir zu fpredden, einen fehr un⸗ 
et der Zuſammenkunft gewählt zu haben?“ 
ließer antwortete nicht, weil er nicht begriff. 
an bie Ede des niebrigen Kapiv⸗ und 


ge Sie noch einmal: was machen gie?” 
irchtete, es mit einem Narren zu thun zu 


Kin auf Herrn Doillot.“ % 
pf fchüttelnd entgegnete Ieanne: 
den mir zugeftehen, bag Herr Doillot, 
e Briefe von Berfailles mitzutbeilen 

b fein Aubfengginmer ſchlecht wählt. 

mih unmöglih hier warten Inffen. Es 
yereg.“ , 

yatte fie diefe Worte geſprochen, als eine 
ie nicht bemerkt hatte «ihr gegenüber fi 


eine von den runden Fallthüren, vr 
von Holz und Eifen, welche, wenn ſie ſich 
‚grund, den fie verinrgen, öffnen, ein kabba⸗ 
d ausfchneiden, in defien Mittelpunkt Menſch 
ft durch Zauberei lebendig zu fein feinen. 
iefer Thüre waren in der That Stufen, die 
ſchlecht beleuchteten Gorridor voll Wind 
nften, und jenfeits diefes Corridors erſchaute 
einen Augenblid fo ſchnell wie der Bi 
ı auf die Sehen erhob, einen Raum aͤhnli 
ein Pla mißt, und in dieſem Raum 
Rännern und Beibern mit funkeinden Yugen. 
r wiederholen, es war dies für Jeanne mehr 
ıls ein Blick; fie Hatte nicht einmal Beit, 
aft davon zu geben. Bor ihr, auf einem 





252 


lan, der viel näher war, als der erwähnte Plap, 
ſchienen drei Perſonen, die legte Stufe herauffteige 

Hinter diefen Perfonen, ohne Zweifel von den unteı 
Stufen, erhoben fi vier DBajonette, weiß und ſche 
unheimlichen Kerzen ähnlich, welche diefe Scene hät 
beleuchten wollen. 

och die runde Thüre ſchloß fih wieder. Die t 
Männer. traten allein in den Kerfer ein, in dem ' 
Seanne befand. 

Diefe ging von einem Erflaunen zum andern, o 
vielmehr von der Unruhe zum Schreden üßer. 

Den Schließer, den fie einen Augenblick zuvor für 
tete, ſuchte fie nun auf, um feinen Schuß gegen bie Un 
fannten zu haben. 

Der Schließer Ichnte fih an die Wand des Kerf 
an und zeigte durch dieſe Bewegung, daß er paffi 
Zuſchauer deſſen, was geſchehen follte, bleibeg wı 
und müfle. 

Jeanne warde angerebet, ehe ihr der Gebanfe, t 
Wort in nehmen, gefommen war. 

Einer von den drei Männern, der jüngfle, fing ı 
Er war ſchwarz gekleidet, Hatte feinen Hut auf t 
Kopf und drehte in feiner Hand wie die Sfytale 
Alten geiötofiene Papiere Hin und Ber. 

„Madame,“ fagte ner Unbekannte, „Sie find Jear 
von Saint-Remy von Balois, Gattin pon Marie % 
toine Nicolas Grafen von La Mothe ?“ 

„Sa, mein Heer,” erwieberte Jeanne. 

„Sie find geboren in Bontette am 22. Juli 175€ 

„Sa, mein Herr.“ 

„Sie wohnen in Paris in ber Rue NeuvesSaı 
Gilles?“ 

„Sa, mein Herr ... Doch wozu richten Sie 
diefe Fragen an mid?” 

„Madame, es thut mir leid, dag Sie mid n 
erfennen; ich bin der Gerichtsfchreiber des Hofes.“ 

„Ich erkenne Sie.“ 


„Dann kann ich meine Functionen in meiner @igen- 
haft, die Sie anerkannt haben, vollziehen.” 

„Ich bitte, einen Augenblid ... Wollen Sie mir 
agen, wozu Sie Ihre Bunctionen verpflichten ?“ 

„shnen den Spruch vorzulefen, der gegen Sie in 
er Sikung vom 31. Mai 1786 gefällt worden % 2 







2 


nd 


Jeanne bebte. Sie lieg einen Blid voll i 
eit und Mißtrauen umbherlaufen. Nicht ob 
hreiben wir als zweites das Wort Mißtrauen, 
as mindge Farke ercheinen dürfte. Jeanne ſchNerte 
on einer miſäglichen Angſt; fie entzündete, um auf- 
umerfen, eigPaar in der Finernig fum barer Augen. 

„Sie ſind der Kanzleiſchreiber Brei“ ſagte fie; 
‚doch wer find dieſe beibe Oyeen, Ihre Gehülfen?“ 

Der Berichtsichreiber Wollte antworten, als ber 
Shlieger, feinem Worte zuborfommend, auf ihn zueilte 
ınd ihm die von einer Angft oder einem berebten Mit: 
eid erfüllten Worte zuflüfterte: 

„Sagen Sie es ihr nicht.“ — 

Jeanne hörte dies; fie ſchaute die zwei Männer 
wmfmerffamer an, als fie es bis dahin gethan hatte. 
Sie wunderte ſich, als fie den eifengrauen Rod und die 
ifernen Knöpfe des Ginen, das behaarte Wamms und 
‚ie Belzmüge des Andern ſah; die feltfame Schürze, 
velche die Bruſt des Letzteren bedeckte, erregte die Auf: 
nerffamfeit von Jeanne; diefe Schürze ſchien an ver- 
chiedenen Stellen verbrannt, an andern mit Blut und 
nit Del befledt. 

Sie wi zurüd. Es war, als böge fie fih, um 
inen fräftigen A u nehmen. 

Der Gerihtsf@eiber näherte fi ihr und fprad: 

„Knieen Sie nieder, Madame.” 

„Sch, niederfnieen!“ rief Seanne; „nieberfnieen! ich! 

. . id, eine Balois, niederfnieen.“ ; 

„So Iautet der Befehl, Madame,“ ſprach der Ge⸗ 
ichteſgfeiver fih verbeugend. 

„Aber, mein Herr,“ entgegnete Jeanne mit einem 






254 


unfeligen Lächeln, „was fallt Ihnen ein? ih muß Sie 
alfo das Sefeß lehren. Man Iniet nur nieder, um öffent: 
lihe Abbitte zu thun?“ 

„Run! Madame?" 

„Run! mein Herr, man thut nur Abbitte in Folge 
eines Spruchs, der zu einer entehrenden Strafe verur⸗ 
theilt. Die Verbannung iſt, fo viel ich weiß, Feine ent: 
ehrende Strafe im franzöfifchen Geſetz?“ 

„Madanıe, ih habe Ihnen nicht gefagt, Sie feien 
zur Verbannung verurtheilt,“ fprach der Gerichtsſchreiber 
mit einer tiefen Traurigfeit. 

„Nun!“ zief Ieanne ausbrehend, „wozu bin id) 
denn verurtheilt?“ 

„Das werden Eie erfahren, wenn Sie den Spruch 
anhören, und um ihn anzuhören, wollen Sie damit 
anfangen, daß Sie niederfnieen.” 

„Nie, nie!“ 

„Madame, das ift der erfte Artikel meiner In: 
ſtructionen.“ 

„Nie, nie, ſage ich Ihnen.“ 

„Madame, es iſt geſchrieben, wenn die Verurtheilte 
fich weigere, nieberzufnieen . . .” 

„Run ?" 

„Eo werde fie die Gewalt dazu zwingen.” 

„Die Gewalt! gegen eine Frau!“ 

„Sine Frau darf eben fo wenig als ein Mann ber 
dem König und der Gerechtigkeit fehuldigen Achtung 
ermangeln.“ 

„Und ber Königin! nit wahr ?” rief Jeanne wüthent, 
„denn ich erfenne wohl hierin die Hand Eines feint: 
feligen Weibes.“ j 

„Sie haben Unredt, die Königin anzuflagen, Ma- 
dame. Ihre Majeſtät hat feinen Antheil an ber Ab- 
faffung der Sprüde des PBarlamentshofes. Auf, Ma: 
game, erfparen Eie uns die Mihmendigfeit, Gewalt zu 
debrauchen; auf die Kniee!“ 

„Nie! nie! nie!“ 


, 255 ! 

Der Gerichtöfchreiber rollte fein Papier zufammen 
und zog aus feiner weiten Tafche ein fehr dickes, das 
er in der Vorausficht deffen, was gefchah, in Referve hielt. 

Und er las den vom Generalanwalt an die öffent: 


liche Gewalt erlaffenen Befehl, die widerfpänfiige Ans... 


geflagte zum Niederfnieen zu zwingen, um der Ge⸗ 
rehtigfeit Genüge zu leiften. nn 

Jeanne ftemmte Fi in eine Ede des anne 
an und forderte mit dem Blicke die öffentlihe Gewalt 
heraus, von der fie glaubte, e8 feien die Bajonette, die 
fi) auf der. Treppe vor der Thüre erhoben hatten. 

Doch der Gerichtsfchreiber ließ dieſe Thüre nicht 
öffnen, er machte den erwähnten zwek Männern ein 
Zeichen, und biefe näherten, fi ruhig, wie jene unter- 
fegten, unerfchütterlichen Ktiegsmafchinen, mit denen 
man eine Mauer bei Belagerungen angreift. 

Ein Arm von jedem diefer Männer padte Jeanne 
unter der Schulter und zog fie mitten in den Saal, troß 
ihres Gefchreis, trotz ihres Brüllens. 

Der Gerichtsfchreiber ſetzte ſich unempfindlich und 


artete. 

Jeanne fah nicht, daß fie, um fich fo fehleppen zu 
laffen, hatte zu drei Bierteln nieverfnieen müflen. Ein 
Wort des Gerichtsfchreibers machte fie darauf aufmerffam. 

„Es ift gut fo,” fagte er.. 

Sogleich fpannte fi die Weder ab, Jeanne fprang 
zwei Fuß vom Boden in den Armen der Männer, bie 
fie hielten. 

„&s if Se unnütz, daß Sie fo freien,” fagte 


w 


der Gerichtsſchre „denn man hört Ste außen nicht, 
und dann werd ie die Lefung des Spruches nicht 
hören, die ich Ihnen machen muß.“ 

„Erlauben Sie, daß ich flehend höre, und ich werbe 
ſiulſchweigend A rief Jeanne keuchend. 

„Sobald die Schuldige zum Staupbefen verurtheilt 
wird,” ſprach der Gerichtsſchreiber, „ift die Strafe ent- 
ehrend und zieht die Kniebeugung nad fich.“ 


256 


„zum Staupbefen!” brüflte Jeanne. „Zum Staups 
bejen! Ah! Elender! Zum Staupbefen, fagen Sie?" .. 
Und diefe Schreie wurden fo gemaltin,bab eden Schlie⸗ 
Ber, den Gerichtsfchreiber und die zwei Gehülfen betäubten, 
und daß dieſe Keute den Kopf verlierend, wie Trunfene, die 
Materie durch die Materie bändigen zu wollen anfingen. 

Da warfen fie fih auf Jeanne und ſuchten fie 
nieberzuziehen, doch fie wideritand fiegreih. Ste wollten 
fie die Kniee biegen machen, aber fie ftemmte ihre Mus: 
feln an wie ftählerne Klingen. 

Sie blieb in der Luft in den Händen biefer Männer 
fhweben und bewegte ihre Hände und ihre Füße fo, 
daß fie ihnen graufame Wunden beibradjte. 

Sie theilten fih in bie Arbeit; einer von ihnen 
hielt ihr die Füße wie in einem Schraubflod; die zwei 
Anderen hoben fie an den Bauftgelenfen auf und riefen 
dem Gerichsfchreiber zu: 

„Lefen Sie, Iefen Sie immerhin ihren Sprud, Herr 
Gerichtsfchreiber, fonft werden wir mit diefer Wüthenden 
nie zu Ende fommen!“ 

„Nie werde ich einen Spruch lefen laflen, der mid 
zur Ghrlofigfeit verurtheilt,“ rief Jeanne, ſich mit einer 
übermenſchlichen Stärke firaubenn. Und fie verband 
bie That mit der Drohung und übertäubte die Stimme 
des Gerichtsſchreibers durch ein Gebrüll und durch 
Schreie von einer ſolchen Schärfe, daß fie nit ein 
Mort von dem, was er vorlag, hörte. 

Nach beendigter Lefung legte er feine ‘Papiere wieber 
aufamnmıen und ftedte fie in feine Tafche. . 

Als Jeanne glaubte, er habe geendigt, ſchwieg fie 
und fuchte wieder Kräfte zu fammeln, um diefen Männern 
abermals zu trogen. Sie ließ auf das Gebrülle ein 
Gelächter folgen, was noch wilder war. 

„Und,“ ch der Gerichtsfchreiber gelaflen mit ber 
berfommlihen Formel fließend, „und es wird ber 
Spruch auf dem Plage der Erecutionen im Juſtizhofe 
des Palaſtes vollzogen werben!” 


257 


„Oeffentlich!“ brüllte die Unglüdlihe.. .. „OH!“ 

„Meifter von Paris, ich überantworte Euch diefes 
ib,“ vollendete der Gerichtsfchreiber, indem er fih an 
Mann mit der ledernen Schürze wandte. 

„Wer ift diefer Mann ?" fragte Ieanne in einem 
ten Parorismus der Angft und der Wuth. 

Der Henker,” antwortete mit einer Berbeugung ber 
richnefähreiber, während er feine Manchetten zuredht 
‚tete. 


Kaum hatte der Gerichtsfchreiber dieſes Wort ge: 
ochen, als fi die zwei Henker der Gräfin bemädhtig- 

und fie aufhoben, um fie nah der Gallerie zu 
gen, welde fie bemerkt hatte. Wie mäflen darauf 
zichten, zu ſchildern, wie fie fih zur Wehr feßte. 
fe Brau, melde im gewöhnlichen Leben über eine 
yramme in Ohnmacht fiel, ertrug beinahe gegen eine 
unde die Mißhandlungen und Schläge der beiden 
nfer; fie wurde bis zur äußeren Thüre geichleppt, 
ıe daß fie einen Augenblid das gräßlichfte Gefchrei 
ı fi) zu geben aufgehört hatte. 

enfeits dieſer Pforte, wo die verjammelten Soldaten 

Menge im Saum hielten, erfchien plöglidh der Fleine 
f, genannt der Juftizhof, mit den zwei bis breitaufend 
Ichauern, welche die Neugierde feit den Vorbereitungen 
d ber Grridtung des Schaffots herbefgelodt Hatte. 

Auf einer ungefähr acht Fuß hohen Eſtrade erhob 
‚ ein fehwarzer Pfahl mit eifernen Ringen verfehen 
d überragt von einer Schrift, welche der Gerichts⸗ 
reiber, ohne Zweifel auf Befehl, unleferlih zu maden 
nüht gewefen war. 

Diefe Eitrade Hatte Fein Geländer, man flieg auf 
ee Leiter ebenfalls ohne Geländer zu ihr hinauf. 
e einzige Ginfafjung, die man hier bemerkte, waren 
Bajonette dee Schugen. Sie ſchloſſen den Zugang 
e ein Gitter mit glänzenden Spigen. 

Als die Menge fah, daß die Thüren des Palafles 
‚ öffneten, und dag die Gommifjäre mit ihren Stäbs 
Dad Haldband der Königin. IV. "47 


258 


chen fanıen, daß der Gerichtsfchreiber, mit feinen Papiere 
in ber Hand herbeifchritt, fing fie ihre mwellenförmic 
Bewe gung an, welche ſie dem Meere ähnlich macht. 

Von allen Seiten erſchollen die Rufe: „Hier komm 
ſie! hier kommt ſie!“ mit wenig ehrenvollen Beiwörter 
für die Verurtheilte, und da und dort mit wenig freunt 
lien Bemerkungen für die Richter. 

Denn Ieanne hatte Recht, fie hatte fih feit ihre 
Perurtheilung eine Bartei gemacht. Leute, die fie zw: 
Monate vorher verachteten, hatten fie wieter In Ghre 
eingejegt, ſeitdem fie fih als Gegnerin der König: 
aufgeworfen. 

Herr von Crosne hatte Alles vorhergeiehen. Di 
erftien Reihen dieſes Schaufpielfaales waren von eine 
Parterre beſetzt, das denjenigen ergeben, welde d 
Koſten des Schaufpiels bezahlten. an bemerfte hie 
bei breitfehultrigen Agenten, die für den Garbinal vo 
Rohan eifrigften Weiber. Man hatte Mittel gefunde: 
für die Königin die gegen die Königin erwedten Leider 
Ihaften des Zorns zu benügen. “Diejenigen dog« 
welche Herrn von Roban aus Antipathie gegen Mar 
Antoinette fo ftark Beifall zugeklatfcht hatten, zifchte 
oder pfiffen Frau von La Mothe aus, welche fo unklu 
— war, ihre Sache von der des Cardinals abzu 
ondern. 

Folge hievon war, daß hei ihrer Geiheinung ai 
dem Fleinen Plage bie wüthenden Schreie: Mſede 
La Mothe! Ho! die Fälfcherin,“ die Mehrzal 
bildeten und den fräftigften Lippen entitromten. 

Es geihah au, dag diejenigen, welde ihr Mi 
leid für Jeanne oder ihre Entruͤſtung gegen den Sprud 
ber ſie traf, auszubrüden verfudhten, für Feinde di 
Cardinals von den Damen der Halle, für Beinde d 
Königin von den Agenten gehalten und in biefer Doppel 
ten Gigehfchaft von den beiden Geſchlechtern mißhande 
wurden, welche bei Behauptung ber Erniebrigung vo 
Frau von La Mothe intereffirt waren. SIeanne wa 


259 


mit ihren Kräften zu Ende, aber noch nicht mit ihrer 
Wuth; fie hörte auf zu freien, weil fich ihre Schreie 
in der Geſammthei der Geräufche und des Kampfes 
verloren. Doch mit ihrer ſcharfen, vibrirenden, metal- 
liſchen Stimme, ſchleuderte fie ein paar Worte unter 
die Menge, welche wie durch einen Zauber alles Ge⸗ 
murmel Talln machten. 

„Wißt Ihr, wer ich bin!” fagte fie, „wißt Se, dag 
ih vom BI Iute Eurer Könige bin. Wißt Ihr, daß man 
in mir nigt eine Schuldige, ſondern eine Rebenbublerin 
* aͤgt. Richt nur eine Nebenbuhlerin, ſondern eine 

enoffin!“ 
{ec wurbe fie zu rechter Zeit durch das Geſchrei 
ber verfändigften Agenten von Herren von Grosne unter- 


Aber fie Hatte, wenn nit bie Theilnahme, doch 
wenigſtens bie eugierbe erregt, und bie Neugierde bes 
Volks iR ein Durft, der geſtillt werben will. 

„Ja,“ wiederholte fie, „eine Genoffin! Wan be- 

aft — — welche fie genau wußte, bie 
— ed» 
„Rehmen Si fich in Acht,“ ſagte ihr der Gerichts⸗ 
in’s 

Sie wandte ſich um, der Henker Hielt eine Peitſche 
in ber Hand. 

Bei diefem Anblid zetgat Jeanne ie Rede, ihren 
Haß, ihren Wunſch, die Menge für fi zu gewinnen; 
Re ſah nur noch die Schande, fie fürchtete nur wo 


mer. 
‚Önabe: Gnade!“ rief fie mit einer herzzerreißenden 


wi ungeheures Gezifhe übertönte ihr Wlehen. 
Jeann: Hammerte fi, vom Schwindel ergriffen, an bie 
Ruiee des Henkers an, und es gelang ihr, feine Hand 
faſſen. ie er hob den andern auf und 
SR die Beitfhe weich auf die Schultern der Gräfin 


17” 


260 


Da ereignete fih etwas Unerhörtes, diefe Frau, 
welche der Förperlihe Schmerz vielleicht niedergeworfen, 
gefehmeidig gemacht, gezähmt hätte, erhob fi, als fie 
tab, daß man fie ſchonte; fie flürzte fi) auf den Andern, 
auf den Gehülfen, und ſuchte ihn auf den Boden zu 
f&hleudern, um ſich von Schaffot herab auf den Plag 
zu werfen. Plötzlich wid fie zurüd. 

‚_ Diefer Mann hielt in der Hand ein geröthetes 
Eifen, das er fo eben aus glühenden Kohlen gezogen 
hatte. Er hob dieſes Eifen auf, und bie verzehrende 
Hitze, die ed ausftrömte, machte Jeanne unter einem 
wilden Gebrülle zurüdipringen. 

„Gebrandmarkt!“ rief He. ‚„gebrandmarkt !“ 

Alles Volk antwortete auf ihren Schrei duch einen 
nit minder furdtbaren Schrei. 

„Sa! ja!” brüllten dreitaufend Stimmen. 

vau gülfer“ ftöhnte Jeanne ganz verwirrt, indem 
fie die Stride, mit welden man ihre Hände gebunden 
hatte, zu zerreißen fuchte. 

Zu gleicher Zeit fchligte der Henker, der es nicht 
öffnen fonnte, das Kleid der Gräfin auf, und während 
er mit einer zitternden Sand den jerfehten Stoff auf 
die Seite ſchob, fuchte er das glühende Eiſen zu nehmen, 
das ihm fein Gehülfe darbot. 

Doch Ieanne flürzte fih auf diefen Mann, und 
machte ihn beftändig zurückweichen, denn er wagte es 
nicht, fie zu berühren, fo daß ber Henker, daran vers 
zweifelnd, daß er das unfelige Werkzeug nehmen fönnte, 
zu horchen anfing, ob fi in ven Reihen der Menge 
eine Verfluhung gegen ihn erhöbe. Die Gitelfeit hatte 
fih feiner bemaͤchti gt. 

Die Menge fing an die fräftige Vertheidigung biefer 
Grau zu bewundern und bebte von einer bumpfen Uns 

eduld; der Gerichtsfhreiber war die Leiter hinabge⸗ 
Hiegen, bie Soldaten betrachteten diefes Schaufpiel: es 
herrfchte eine Unordnung, eine Verwirrung, die einen 
bedrohlichen Anblick bot. 


261 


„Macht ein Ende!” rief eine Stimme, welche aus 
er erfien Reihe der Menge hervorfam. 

‚Eine gebieteriihe Stimme, die der Henker ohne 
weifel erfannte, denn mit einem Fräftigen Anſatz warf 
r Jeanne zurüd, drüdte fie nieder, und bog mit feiner 
inken Hand ihren Kopf auf die Seite. 

Sie erhob ſich glühenvder als das Eiſen, mit bem 
e bedroht war, und rief mit einer Stimme, weldhe den 
anzen Tumult des Plabes, alle Berwünfchungen ber 
ngeſchickten Henker beherrfchte: 

„Feige Franzoſen, Ihr vertheidigt mich nicht, Ihr 
ißt mich martern!“ 

„Schweigen Sie!” rief der Gerichtsfchreiber. 

„Schweigen Sie!” rief der erſte Gommiffär. 

„Ih, [hweigen!... AH! ja wohl!“ ſchrie Jeanne, 
was wird man mir thun? ... Sa, wenn ich biefe 
zichmach erbulbe, ift e8 meine Schuld . . .“ 

„Ah! ah! ah!“ rief die Menge, die fih im Sinn 
ieſes Bekenntniſſes täufchte. 

„Schweigen Sie!“ wiederholte der Gerichtsſchreiber. 

„sa, meine Schuld,“ fuhr Jeanne ſich krümmend 
et, „denn wenn ich hätte fprechen wollen . . .” 

„Schweigen Sie!" ſchrieen Gerichtsſchreiber, Com⸗ 
riſſaͤre und Henker. 
„Denn id Alles hätte ſagen wollen, was, ich über 
e Königin weiß... .. nun, id wäre gehenft, ich wäre 
icht entehrt.“ 

Sie konnte nicht mehr fprechen, denn ber Bom- 
iffär fprang auf das Schaffot, gefolgt von Agenten, 
elche die Clende Enebelten und fie ganz zudend, ganz 
equetſcht, das Geſicht angefchwollen, bleifarbig, Biutend, 
a zwei Denfern ubergaben, von denen der eine fein 
Ipfer abermals nieberbog zu_gleicher Zeit ergriff er 
as Eifen, das ihm fein Gehuͤlfe zu reichen vermochte. 
Joch Jeanne benügte wie eine Natter die Unzulaͤnglich⸗ 
it diefer Hand, die ihr Genick preßte; fie fprang zum 
sten Mal auf, wandte fi mit einer wüthenpen Gabe 


254 


unfeligen Lächeln, „was fällt Ihnen ein? ih muß Sie 
alfo das Geſetz lehren. Man kniet nur nieder, um öffent: 
lie Abbitte zu thun?“ 

„Run! Madame?” 

„Run! mein Herr, man thut nur Nbbitte in Folge 
eines Spruch, der zu einer entehrenden Strafe verur: 
theil. Die Verbannung tft, fo viel ich weiß, Feine ent: 
ehrende Strafe im franzofiihen Geſetz?“ 

Madanıe, ih Habe Ihnen nicht gefagt, Sie feien 
zur Berbannung verurtheilt,“ ſprach der SGericgisfchreiber 
mit einer tiefen Traurigfeit. 

„Nun!“ xief Ieanne ausbrehend, „wozu bin ich 
denn verurtheilt?“ = 

„Das werden Eie erfahren, wenn Sie den Sprud; 
anhören, und um ihn anzuhören, wollen Sie damit 
anfangen, dag Sie niederfnieen.” 

„Nie, nie!“ 

„Madame, das ift der erfle Artikel meiner In⸗ 
ſtructionen.“ + 

„Nie, nie, fage ich Ihnen.“ 

„Madame, es ift gefchrieben, wenn die Verurtheilte 
fi) mweigere, niederzufnieen . . .“ 

„Run ?” 

„So werde fie die Gewalt dazu zwingen.” 

„Die Gewalt! gegen eine Frau!” 

„Eine Frau darf eben fo wenig als ein Mann ber 
dem König und der Gerechtigkeit fehuldigen Adhtung 
erntangeln.“ 

„Und ber Königin! nit wahr ?" rief Jeanne wüthent, 
„denn ich erkenne wohl hierin die Hand eines feint: 
feligen Weibes.“ " 

„Sie haben Unrecht, die Königin anzuflagen, Ma: 
dame. Ihre Majeftät hat Feinen Antheil an der Ab- 
faſſung der Sprüche des PBarlamentshofes. Auf, Ma: 
game, eriparen Cie uns die Nihwendigkeit, Gewalt zu 
debrauden; auf die Kniee!“ 

„Nie! nie! nie!“ 


255 


Der Gerichtsfchreiber rollte ſein Papier zufammen 
und 309 aus feiner weiten Taſche ein fehr dickes, das 
er in ber Borausficht defien, was gefhah, in Reſerve hielt. 

Und er las den vom Generalanwalt an bie öffent- 
Lie Gewalt erlafienen Befehl, die widerſpänſtige Ans 
geflagte zum Niederfnieen zu zwingen, um ber Ge- 
rechhtigfeit Genüge zu leiften. 

Seanne ftemmte FF in eine Ede des Gefängnifies 
an und forderte mit dem Blicke die öffentlihe Gewalt 
heraus, von der fie glaubte, e8 feien die Bajonette, bie 
fih auf der Treppe vor der Thüre erhoben hatten. 

Dod der Gerichtsfchreiber ließ dieſe Thüre nicht 
öffnen, er machte den erwähnten zwei- Männern ein 
Zeichen, und dieſe näherten fih ruhig, wie jene unter: 
fegten, unerf&hütterlichen Kriegsmajchinen, mit denen 
man eine Mauer bei Belagerungen angreift. 

Ein Arm von jedem diefer Männer padte Ieanne 
unter der Schulter und zog fie mitten in den Saal, troß 
ihres Bereit, troß ihres Brüllens. 

Der Gerichtsfchreiber ſetzte ſich unempfindlich und 


rtete. 

Jeanne ſah nicht daß fie, um ſich fo ſchleppen zu 
laſſen, hatte zu drei Vierteln niederknieen müſſen. Ein 
Wort des Gerichtsſchreibers machte ſie darauf aufmerkſam. 

„Es iſt gut fo,” ſagte er.. 

Sogleich ſpannte ſich die Feder ab, Jeanne ſprang 
zwei Fuß vom Boden in den Armen der Männer, die 
fie hielten. 

„Es ift m unnüß, daß Sie fo ſchreien,“ fagte 


wa 


der Gerichtsſchre „denn man hört Sie außen nidt, 
und dann werd ie die Lefung des Spruches nicht 
hören, die ich Ihnen machen muß.“ 

„Grlauben Sie, daß ich flehend höre, und ich werde 
ſtillſchweigend zuhorchen,“ rief Jeanne nd. 

„Sobald die Schuldige zum Staupbefen verurtheilt 
wird,” ſprach der Gerichisfchreiber, „it die Strafe ent: 
ehrend und zieht die Kniebeugung nad fich.“ 


256 


„um Staupbefen!“ brüflte Seanne. „Zum Staups 
beſen! Ah! Elender! Zum Staupbefen, fagen Sie?“ .. 
Und diefe Schreie wurden fo gewaltig, daß fie den Schlie: 
Ber, den Gerichtsfchreiber und die zwei Gehülfen betäubten, 
und daß diefe Leute den Kopf verlierend, wie Trunfene, bie 
Materie durch die Materie bändigen zu wollen anfingen. 

Da warfen fie fih auf Jeanne und ſuchten fie 
nieberzugieben, doch fie wideritand fiegreih. Sie wollten 
fie bie Kniee biegen machen, aber fie ſtemmte ihre Mus: 
feln an wie ftählerne Klingen. 

Sie blieb in der Luft in den Händen diefer Männer 
ſchweben und bewegte ihre Hände und ihre Füße fo, 
daß fie ihnen graufame Wunden beibradhite. 

Sie theilten fi in die Arbeit; einer von ihnen 
hielt ihr die Füße wie in einem Schraubflod; die zwei 

nderen hoben fie an den Fauſtgelenken auf und riefen 
dem Gerihsichreiber zu: 

„Leſen Sie, Iefen Sie immerhin ihren Spruch, Herr 
Gerichtsfchreiber, fonft werden wir mit diefer Wüthenden 
nie zu Ende fommen!“ 

„Nie werde ich einen Spruch lefen lafien, ber mid 
zur Ghrlofigfeit verurtheilt,“” rief Jeanne, fi mit einer 
ubermenfhlihen Stärke ſträubend. Und fie verband 
die That mit der Drohung und übertäubte die Stimme 
des Gerichtsfchreiberse durch ein Gebrüll und durch 
Schreie von einer folhen Schärfe, daß fie nicht ein 
Mort von dem, was er vorlas, hörte. 

Nach beendigter Lefung legte er feine Papiere wieber 
zufammen und fledte fie in feine Taſche. 

Als Jeanne glaubte, er habe geendigt, ſchwieg fie 
und juchte wieder Kräfte zu famımeln, um biefen Männern 
abermals zu troßen. Sie ließ auf das Bebrülle ein 
Gelächter folgen, was noch wilder war. 

„Und,“ ch der Gerichtsfchreiber gelafien mit ber 
hberfümmliden Bormel fließend, „und es wird ber 
Sprud auf dem Plage der Brerutionen im Juſtizhofe 
bes Palaftes vollzogen werden!” 


257 


entlich!“ brüllte die Unglüdlihe... „OH!“ 
ter von Paris, ich überantworte Cuch diefes 
Ilendete der Gerichtsfchreiber, indem er fih an 
mit der ledernen Schürze wandte. 
ift diefer Mann ?" fragte Jeanne in einem 
:orismus der Angft und der Wuth. 
denker,“ antwortete mit einer Verbeugung ber 
treiber, während er feine Manchetten zurecht 


ı hatte der Gerichtsfchreiber dieſes Wort ges 
ils ſich die zwei Henker der Bräfin bemädhtig- 
ne aufhoben, um fie nad der Gallerie zu 
seldhe fie bemerkt Hatte. Wie müſſen darauf 
zu ſchildern, wie fie fih zur Wehr ſetzte. 
u, welche im gewöhnligen Leben über eine 
: in Ohnmacht fiel, ertrug beinahe gegen eine 
ie Mishandlungen und Schläge der beiden 
ne mwurbe bis zur äußeren Thüre geichleppt, 
fie einen Augenblid das gräßlichfte Geſchrei 
u geben aufgehört hatte. 
its diefer Pforte, wo die verfammelten Soldaten 
im Saum hielten, erſchien plöglidh der Fleine 
nnt der Juftizhof, mit ben zwei bis dreitaufend 
1, welche die Neugierde feit den Vorbereitungen 
trrichtung des Schaffots herbeigeloedt hatte. 
iner ungefähr acht Buß hohen Efirade erhob 
warzer Pfahl mit eifernen Ringen verjehen 
agt von einer Schrift, welche der Berichtes 
‚hne Zweifel auf Befehl, unleferlih zu machen 
weſen war. 
Eitrade Hatte Fein Geländer, man flieg auf 
er ebenfalls ohne Geländer zu ihr hinauf. 
e Ginfafjung, die man hier bemerkte, waren 
ette der Schugen. Sie ſchloſſen den Zugang 
itter mit glänzenden Spigen. 
ie Menge fah, daß die Thüren des Palaſtes 
'n, und daß die Commiſſäre mit ihren Stäbs 
dband ter Königin. IV. 17 


258 


chen kamen, daß der Gerichtsfchreiber, mit feinen Papiere 
in der Hand Herbeifchritt, fing fie ihre wellenfürmig 
Bemegung an, melde fie dem Meere ähnlich macht. 

son allen Seiten erfchollen die Rufe: „Hier fomm 
fie! hier kommt fie!” mit wenig ehrenvollen Beiwörter 
für die Berurtheilte, und da und dort mit wenig freunt 
lien Bemerfungen für die Richter. 

Denn Ieanne hatte Recht, fie Hatte fich feit ihre 
Berurtheilung eine Partei gemadt. Leute, die fie zwe 
Monate vorher veradhteten, hatten fie wieter in Ghre: 
eingejegt, feitdem fie fih als Gegnerin der Königi: 
aufgeworfen. 

Herr von Grosne hatte Alles vorbergejehen. Di 
erftien Reihen diefes Scyaufpielfaales waren von einer 
Parterre befeßt, das denjenigen ergeben, welde ti 
Koſten des Schaufpiels bezahlten. an bemerfte hie 
bei breitfchultrigen Agenten, die für ven Gardinal vo: 
Rohan eifrigften Weiber. Man hatte Mittel gefunder 
für die Königin die gegen die Königin ermwedten Leiden 
[haften des Zorns zu benügen. Diejenigen foga: 
welche Herrn von Roban aus Antipathie gegen Mari 
Antoinette fo ftark Beifall zugeflaticht Hatten, zifchte 
oder pfiffen Frau von La Mothe aus, weldhe fo unklu 

eweſen war, ihre Sache von der des Cardinals abzu 
Pondern. 

Folge Hievon war, daß bei ihrer Erſcheinung au 
vem fleinen Plage tie wüthennen Schreie: „Niede 
La Mothe! Ho! die Fälſcherin,“ die Mehrzak 
bildeten und den Fräftigiten Lippen entitrömten. 

Es geſchah auch, daß diejenigen, welche ihr Mil 
leid für Seanne oder ihre Entrüftung gegen ben Spruch 
ber ſie traf, auszudruͤcken verjuchten, für Feinde be 
Cardinals von den Danıen ter Halle, für Feinde be 
Königin von den Agenten gehalten und in biefer doppel 
ten Eigehfhaft von den beiden Geſchlechtern mißhandel 
wurden, welche bei Behauptung ber @rniebrigung vot 
Frau von La Mothe intereffirt waren. Jeanne wa 


259 


mit ihren Kräften zu Ende, aber noch nicht mit ihrer 
Wuth; fie hörte auf zu ſchreien, weil ſich ihre Schreie 
in der Sefanmtheit der Geräuſche und des Kampfes 
verloren. Doch mit ihrer fcharfen, vibrirenden, metal- 
liſchen Stimme, fchleuberte fie ein paar Worte unter 
die Menge, welche wie durch einen Zauber alles Ge⸗ 
murmel fallen machten. 
‚. „Bit Ihr, wer ich bin!“ fagte fie, „wit Ihr, ba 
ih vom Blute Eurer Könige bin. Wißt Ihr, daß man 
in mir nit eine Schuldige, fondern eine Nebenbuhlerin 
Ihlägt. Richt nur eine Nebenbuhlerin, ſondern eine 
enoffin!” 
ter wurde fle zu rechter Zeit durch das Geſchrei 


ber verflänbigften Agenten von Herrn von Grosne unter- 


wenigſtens bie 


brochen. 
Aber fie hatte, wenn nicht die Theilnahme, doch 
eugierde erregt, und die Neugierde bes 


Bolks iſt ein Durft, der geftillt werben will. 


Kür) FE » BL, Zu BE 


an. 


IT HRMN KK air 


.| Haß, ihren Wunſch, die 


„3a,“ wiederholte fie, „eine Genoffin! Man be- 
in mir biejenige, welche fie genau wußte, bie 
niffe von... .’ 

Nehmen Sie fih in Acht,“ jagte ihr der Gerichts⸗ 
ber in’s Ohr. 

Sie wandte fi um, der Henker Hielt eine Peitſche 


ber Hand. 
Bei dieſem Anblid vergaß Seanne ip Mede, ihren 
enge für fi zu gewinnen; 
fe fah nur noch die Schande, fie fürdtete nur noch 


„ * Gnade!” rief fie mit einer herzzerreißenden 
Gtimme. 

Ein ungeheures Geziſche ubertönte ihr Wlehen. 
Jeanne Flammerte fid), vom Schwindel ergriffen, an bie 
Auiee des Henkers an, und es gelang ide, Yeine Hand 
Ber; Doch er bob den andern auf und 

bie 
fallen, 






im 


Beitfche weich auf die Schultern der Gräfin 
17” 


261 


„Macht ein Ende!“ rief eine Stimme, melde aus 
ser erftien Reihe der Menge hervorkam. 

Bine gebieteriihe Stimme, die der Henker ohne 
Zweifel erfannte, denn mit einem Eräftigen Anſatz warf 
er Jeanne zurüd, drüdte fie nieder, und bog mit feiner 
linken Hand ihren Kopf auf die Seite. 

Sie erhob fih glühender als das Eiſen, mit bem 
fie bedroht war, und rief mit einer Stimme, welche den 
ganzen Tumult des Platzes, alle Verwünſchungen der 
ungeichidten Henker beherrfchte: 

„Beige Sranzofen, Ihr vertheidigt mich nicht, Ihr 
laßt mid martern!” 

en Sie!” rief der Gerichtsfchreiber. 

„Schweigen Sie!” rief der erfte Gommiffär. 

„sh, fhmweigen!... Ab! ja wohl!“ fchrie Seanne, 
„was wird man mir thun? ... Sa, wenn ich dieſe 
Schmach erdulde, ift es meine Schuld . . .” 

„Ab! ah! ah!" rief die Menge, die fih im Sinn 
biefes Bekenniniſſes täufchte. 

„Schweigen Sie!“ wiederholte der Gerichtsſchreiber. 

„sa, meine Schuld,“ fuhr Jeanne fih krümmend 
fort, „denn wenn ih hätte ſprechen wollen . . .” 

„Schweigen Sie!" ſchrieen Gerichtsfchreiber, Com⸗ 
mifjäre_ und Genter. . 

„Wenn ich Alles Hätte ſagen wollen, was ich über 
die Königin weiß... . nun, id) wäre gehenkt, ih wäre 
nit entehrt.“ 

Sie fonnte nicht mehr fprechen, denn ber Tom⸗ 
miffär fprang auf das Schaffot, gefolgt von Agenten, 
welche die Elende Enebelten und fie ganz zudend, ganz 
geauetjät, das Gefiht angefchwollen, bleifarbig, blutend, 

zwei Henfern übergaben, von denen der eine fein 
Dpfer abermals nieberbog ; zu_gleicher Zeit ergriff er 
das Eiſen, das ihm fein Gehulfe zu reihen vermochte. 

Seanne benützte wie eine Natter die Unzulänglid)- 
Zeit diefer Hand, die ihr Genick preßte; fie fprang zum 
letzten Mal auf, wandte fih mit einer wüthenden Freude 


262 


im, und bot ihre Bruft dem Henker, indem fie ihn 
mit einen: herausfordernden Auge anſchaute, fo daß 
das unfelige Werkzeug, das fih auf ihre Schulter ſenkte, 
fie am rechten Bufen traf und feine rauchende, vers 
zehrende Furche in das lebendige Fleiſch einprüdkte, 
was dem Opfer, trotz bes Knebels, ein Gebrülle entriß, 
dem feine Intonation gleihfommt, welche die menfd: 
liche Stimme hervorzubringen im Stande ifl. 

Seanne fanf unter ihrer Schmach zufammen. Sie 
war befiegt. Ihre Lippen ließen feinen Ton mehr ent: 
ihlüpfen, ihre Glieder Hatten Fein Beben mehr; dies⸗ 
mal war fle wirflih ohnmädhtig. 

Der Henker trug fie, gleihjam auf feiner Schulter 
entzwei gebogen, fort und flieg mit ihr mit unfidherem 
Tritt die Leiter der Schande hinab. 

Auch flumm, mochte es nun billigen, mochte es 
beftürzt fein, verlief fi das Volk durch die vier Aus: 
gänge des Plapes erft, nachdem es Hinter Jeanne die 
Thüren der Gonciergerie hatte ſchließen, nachdem es das 
Schaffot langfam, Stüd für Stüd, hatte zerflören fehen, 
nachdem es 6 verfichert halte, e8 gebe feinen Epilog 
bei tem furdtbaren Drama, defien Borftellung das 
Parlament ihm geboten. 

Die Agenten überwacdhten Alles bis auf die lepter 
Gindrüde der Anmefenden; ihre erften Einfhärfunge: 
wurden fo Klar auegefproden, daß es Tollheit gemeie 
wäre, irgend eine Ginwendung ihrer mit Knäütteln ur 
Hanbſchellen bewaffneten Logik entgegenzufegen. 

Die Einwendung, wenn eine vorfam, war gelaf 
und ganz innerlid. Allmälig nahm der Plag fe 
gewöhnlihe Ruhe wieder an. Nur hatten am E 
ter Brücke, als fih ber ganze Haufe zerfireut, ; 
Männer, zwei junge und bedächiliche Männer, welche 
ebenfalls entfernten, folgendes Gefpräd mit einant 

„Iß es wirklich Yrau von La WMothe, die 
Henker gebrandmarft hat? Glauben Sie es, 9 
miltan?“ 


tan fagt es, doch ich glaube es nicht,“ erwieberke 
Bere von den zwei Sprecdhenden. 
ht wahr, Sie find der Meinung, daß fie es 
12° fagte der Andere, ein Heiner Mann mit 
r Miene, mit einem Auge rund und leuchtend 
; der Nachtvögel, mit furzem, fehmierigem Haar, 
vahr, es ift nicht Frau von La Mothe, die man 
markt hat? Die Stügen diefer Tyrannen haben 
itfehuldige verfhont. Eie haben, um Marie 
tte von ber Anklage zu entlaften, eine Mile. 
gefunden, die fih als proftituirt befannte; fie 
auch eine falfhe Frau von La Mothe haben 
onnen, die fi als Betrügerin befannte. Sie 
mir fagen, es fei da die Brandmarfung .. . 
tomödie bezahlt dem Henfer, Komodie bezahlt dem 
das ift nur theurer!“ 
t Begleiter diefes Mannes horchte ben Kopf 
Er lächelte, ohne zu antiworten. 
Jarum antworten Sie nicht?“ fragte ber häßliche 
Rann; „billigen Eie meine Anfidht nit?” 
8 heißt viel thun, e8 anzunehmen, daß man am 
jebrandmarft wird,” erwiederte er; „die Komödie, 
Sie ſprechen, fcheint mir nicht erwiefen. Sie 
hr Arzt, ale ih, und Sie hätten das verbrannte 
riechen muͤſſen. Ich geftehe, ein unangenehmes 
n “u 


ine Gelbfache, habe ich Ihnen gefagt: man be⸗ 
ine Berurtheilte, welche wegen irgend giner 
Sache gebrannmarkt würde, man bezahlt fie 
baß fie drei_bis vier pomphafte Phraſen ſagt, 
sebelt man fie, wenn fie im Begriff iſt, zu vers 






, welchen 
nen nicht 
a. Sie es 
am 


ı, la, la,“ rief phlegmatiſch Derjeni 
'arimilian genannt hatte, „ich werde 
eſem Boden folgen, er ift nicht folib. 
m!” fpradh der Andere, „dann w 
‚ wie bie übrigen Maulaffen, Sie 


264 


Ende fagen, Sie haben rau von La Mothe brant 
marken jehen. Das find fo Ihre Saunen. Vorhi 
drückten Sie fi) nit fo aus, denn Sie fagten pofitiv 
„„Ich glaube nicht, dag es Frau von La Mothe tft, bi 
man gebranbmarki hat.““ 

„Nein, ich glaube es noch nicht,“ erwiederte lächeln 
der junge Mann, „doch es ift auch Feine von jenen Ber 
urtheilten, die Sie nennen.“ 

„Wer ift es denn, fprechen Sie, wer tft die Perſon 
die man hier auf dem Platze flatt der Frau von 8 
Mothe gebrandmarkt hat?“ 

„Es ift die Königin!“ fagte der junge Mann, m 
fharfem Tone zu feinem unheimlichen Gefährten, un 
er punktirte diefe Worte mit feinem unerklärbare 

ädheln. 

Der Andere wid laut lachend und biefem Scher; 
Beifall klatſchend zurüd, dann fchauteer umher und riet 

„Adieu, Robespierre.“ 

„Adieu, Marat,“ erwiederte der Andere. 

Und fie trennten ſich. 


XCV. 
Die Hochzeit. 


Am Tage dieſer Erecution, gegen Mittag, kam be 
König aus feinem Gabinet in Berfallles heraus, un 
man fah ihn Herrn von Provence mit den hart aus 
gefprodhenen Worten entlafien: 

„Mein Herr, ich wohne Heute einer Hochzeitmefi 
bei. Spredhen Sie mir nidt von Ehe —8 
Ehe; das wäre ein ſchlimmes Vorzeichen für die Ber 
lobten, die ich liebe und befchügen werbe.“ 

Der Graf von Provence faltete laͤchelnd die Stirne 


265 


yerbeugte‘ ſich tief vor feinem Bruder und fehrte in 
eine aͤcher zurüd. 
Seinen Weg mitten unter den in ben Gallerien 
grhreuten Höflingen verfolgen, lächelte der König dem 
inen zu und ſchaute den Andern ſtolz am, je nachdem 
t fe günftig, oder als Widerfacher in der Angelegen- 
— in der das Parlament das Urtheil gefaͤllt, geſehen 
a 


Er kam bis in den viereckigen Salon, in welchem 
ie Königin ganz geſchmückt im Kreiſe ihrer Chrendamen 
ınd ihrer Cdelleute verweilte. 

lei unter ihrer Schminke, hörte Marie Antoinette 
mit einer geheudhelten Aufmerffamkeit auf die freund- 
ihen Fragen, welche Frau von Lamballe und rau 
von Galonne über ihre Geſundheit an fie richteten. 

Doch oft fhaute fie verftohlen nad) der Thüre, 
ſuchend wie Eine, die vor Berlangen, zu ſehen, brennt, 
nd fi) abwendend, wie Eine, die gefi zu haben 
ittert 


„Der König!” rief einer von den Huiffiere. Und 
ı einer Woge von Spisen und Stidereien unb von 
cht, fah fie Ludwig XVI. eintreten, deſſen erſter Blick 
n der Schwelle des Salon aus auf fie gerichtet war. 
Die Königin ſtand auf und machte drei Schritte 
en den König, der ihr liebreich die Hand Füßte. 
„Sie find heute ſchön, Madame, wunderſchön,“ fagteer. 
Sie lädelie traurig und ſuchte noch einmal mit 
n Auge unter der Menge den unbefannten Pant, 
dem wir gefagt, fie fuhe ihn. 
„Unfere Jungen Berlodten find nicht da?“ fragte 
Yönig. „Mir fcheint, die Mittagsftunde wird fog 
en.” 
Sire,“ erwieberte die Königin mit einer fo heftigen 
ngung, dag ihre Schminke aufjprang und flellens 
abfiel, „Herr von Charny ift allein angefommer; 
tet —*— Gallerie, dag ihm Cure Majeflät ein⸗ 
ı befehle.” . 


— — 


Fr ne ER AR 


bie mer —8 wieberheite der Kdal 


—EXEX 


267 


r der König mit flarfer Stimme fort, „hat 

randmarkt ?” 

efem Augenblid muß es gefchehen fein,” 

er Siegelbewahrer. 

uge der Königin funfelte. Gin bilfigenves 

urchfreifte den Saal. 

ird den Herrn Gardinal ärgern, wenn er 

B man feine Genoffin gebrandmarft hat,” 

Fi XVI. mit einer zähen Strenge, die man 
ngelegenheit nie an ihm wahrgenommen 


ach diefem Morte feine Genoffin, an 
lagten gerichtet, den Tas Parlament frei- 
nach diefem Worte, welches das Idol der 
ndmarfte, nad) diefem Worte, das als Dieb 
r einen.der erſten Kirchenfürften, einen ber 
dfifhen Prinzen verbammte, ließ der König, 
: eine feierliche Ausforderun iſtlichkeit 
en Parlamenten, dem Volke ugſandt um 
ner Frau zu behaupten, ein Auge flammend 
Zorn und jener Majeflät umberlaufen, wie 
in Sranfreich gefühlt, ſeitdem fih die Augen 
XIV. zum ewigen Schlafe gefchlofien 
tin Gemurmel, nit ein Wort der Beis 
urde dieſer Rache zu Theil, die der König 
ihm, welde zur Entehrung der Monardjie 
yatten. Dann näherte er —* der Königin, 
ichte ihm ihre beiden Hände mit dem Erguß 
Dankbarkeit. 
ıfelben Augenblick erſchienen am Ende ber 
äulein von Taverney, weiß von Gewaͤndern 
aut, weiß von Angefiht mie ein Geſpenſt, 
von Taverney, der ihr feine Hand gab. 
fam mit raſchen Schritten, die Blide uns 
Bufen Feuchend, herbei; fie ſah nicht, fie 
; die Hand ihres Bruders verlich ihr die 
Muth und gab ihr die Richtung. 






268 


Die Menge der Höflinge lächelte, als die 2 
vorüberfam. Alle Frauen nahmen Pla hinter 
Königin, alle Männer flellten fidh Hinter den Köni— 

er Bailli von Sufften, der Dlivier von Chi 
an der Hand hielt, Fam Andree und ihrem Bı 
entgegen, begrüßte fie und vermifchte ſich dann mil 
Gruppe der Treunde und Verwandten. 

Philipp fchritt weiter, ohne daß fein Auge 
von Dlivier begegnet war, ohne daß ber Drud fı 
Binger Andree benadgrichtigt hatte, daß fle ihren . 
erheben müſſe. 

‚ As er vor den König gelangt war, brüdı 
feiner Schwefter die Hand, und dieſe öffnete, wie 
galvanifirte Todte, ihre großen Augen und ſah Ludwig } 
der ig voll Güte zulädyelte. 

ie verbeugte fi unter dem allgemeinen Gemu 
Pi Anweſenden, welche fo ihrer Schönheit Bi 
pendeten. - / ' 

„Mein Fräulein,“ fprady der König, indem « 
bei der Hand nahm, „Sie mußten das Ende Ihrer Tı 
abwarten, um Herrn von Gharny zu heirathen; 
id Sie nit erſucht, die Heirat zu befchleunigen 
würde Ihnen Ihr zukünftiger Gatte, troß feiner 
eduld, vielleicht noch einen Monat Auffhub gef 
Baben: doch Sie leiden, wie ich höre, und das iſt 
fehr leid; aber id) muß mir das Glück guter Edel 
fihern, die mir dienen wie Herr von Gharny; Bi 
Sie ihn nicht heute geheirathet, fo wohnte ich I 
Hochzeit nicht bei, da id) morgen mit der Königin 
Reife dur Frankreich antrete. So aber werbe 
das DBergnügen haben, Ihren Heirathevertrag heut 
unterzeichnen und Sie in meiner Kapelle getrau 
fehen. Begrüßen Sie bie Königin, mein Bräuleln, 
banfen Sie ihr, denn Ihre Majeftät if fehr 
gegen Sie. 

Zu gleicher Zeit führte er felhf Andree zu D 
Antoinette. 


; 


Diefe hatte ſich, die Kniee zittern, Die Hände eis⸗ 
kalt, erhoben. Sie wagte es nit, die Augen aufzus 
ſchlagen, und fah nur etwas Weißes, was fi ihr 
näherte und ſich vor ihr verneigte. 

Das war das Hocdhzeitkleid von Andree. 

‚ Der König gab fog eich die Hand der Braut Philipp 
zurũck, reichte die feinige Marie Antoinette und ſprach 
mit lauter Stimme: 

* Kapelle, meine en 36 
e ganze Menge ging ftillfhweigend hinter Ihren 
Majelläten, um ihre Fiäpe zu ne men 

Die Mefie begann alsbald. Die Königin hörte fie, 
auf Ihe Detpult gebeugt, den Kopf in ihren Händen 

aben, an. Sie betete mit ihrer ganzen Seele, mit 
allen ihren Kräften; fie fandte zum Himmel fo glühehbe 
Gelũbde empor, daß der Hauch ihrer Lippen die Spuren 
ihrer Thraͤnen verzehrte. 

lei und fon, die Laft aller Blide auf fi 
fühlend, war Herr von Eharny ruhig und muthig, wie 
er es am feinem Bord gewefen, inmitten der Flammen⸗ 
wirbel und Orkane der englifhen Geſchütze. 

Das Auge auf feine Schwefter geheftet, die er 
beben und wanfen ſah, ſchien Philipp bereit, diefer den 
Beiſtand eines Wortes, einer Geberde des Trofles oder 
ber Freundſchaft zu leiften. 

Doch Andree verleugnete fi nicht, fie blieb, den 
Kopf erhoben, jede Minute an ihrem Fläſchchen mit 
Salzen riehend, fterbend und ſchwankend wie die Flamme 
einer Wachskerze, aber aufrecht und beharrlich lebend 
durch die Stärke ihres Willens. 

Diefe richtete Feine Gebete an den Himmel, diefe 
that Feine Gelũbde für die Zukunft, fie hatte nichts zu 
hoffen, nichts zu fürchten; fie war nichts für die Men- 
chen, nichts fur Gott. 

Ais der Priefer ſprach, als bie Glocke ertönte, als 
um fie ber. das göttliche Myfterium in Erfüllung ging, 
da fagte fie zu ha felbft : 


210 


„Bin ih auch eine Chriſtin? Bin ih ein We 
wie die anderen, ein Geſchöpf den anderen ähnlü. 
Haft Du mid für das Mitleid gemacht, Du, den m 
den erhabenen, unumfchränften Gott, den Gebieter a 
Dinge nennt? Du, den man vorzugsweife gerecht ner 
und der Du mich immer beftraft Haft, ohne daß ih 
gefündigt. Du, den man ben Gott des Friedens ı 
der Liebe nennt, und dem ich es verdanfe, daß i 
der Bangigfeit, im Sorn, in der blutigen Rache le 
Du, dem ich es verbanke, daß ich zum tobtlichften Fe 
den einzigen Mann habe, den ich geliebt hätte! 

Nein,“ fuhr fie fort, „nein, die Dinge dieſer A 
und bie Gefepe Gottes gehen mid nichts an. Di 
Zweifel bin ich, ehe ich geboren, verfludht geweſen u 
bei meiner Geburt außer das Sefet geftellt worden.‘ 

Dann zu ihrer fchmerzlidden Vergangenheit zuri 
fehrend murmelte fie: 

„Seltfam! feltfam! Es ift hier in meiner N 
ein Mann, befien Name, wenn er nur ausdgefprod 
wurde, mid vor Glück fierben machte. Hätte m 
biefer Mann um meiner felbft willen verlangt, ich w 
gendthigt gewefen, mich zu feinen Füßen zu wälzen ı 
ihn wegen meines Fehlers von Einft, wegen Dei: 
Vehlers, mein Gott, um Berzeihung zu bitten! I 
ber Mann, den ich anbetete, würde mid vielleicht Fo 
geftoßen haben. Heute heirathet mi diefer Ma: 
und er wird mich auf beiden Knieen um Berzeiht 
bitten. Seltfam! ob! ja, fehr feltfam!“ 

In diefem Augenblid traf die Stimme bes Prieſt 
an ihr Ohr. Sie fprad: 

„Sacques Olivier von Sharm, nehmen Sie Me 
Andree von Taverney zur Batlin!“ 

„Ja,“ antwortete mit feiter Stimme Dlivier. 

Und Sie, Marie Andree von Taverney, nehn 
Eie Facques Olivier von Charny zum Gatten?“ 
„Sa,“ antwortete Andree mit einer beinahe will 


211 


Betonung, weldhe die Rönigin fhauern und mehr als 
eine- Frau in der Berfammlung beben machte. 
Dann fiedte Charny den gebenen Ring an den 
Singer feiner Frau, und diefer Ring glitt daran zurüd, 
ohne — Andree die Hand, die ihr denſelben bot, ges 


3 Rand ber König auf. Die Mefie war be⸗ 
endigt. Alle Höflinge begrüßten in der Gallerie das 
neue Ghepaar. 

Her von Suffren nahm, als er zurüdiehrte, die 
Hand feiner Nidite, e⸗ verfpradh ihr im Namen von 
Dlivier alles lud, das fie verdiente. 

Andrẽe dankte dem Bailli, ohne fi einen Augen 
blick u entrunzeln, und bat nur ihren Oheim, fie raſch 

F De — um ihm danken zu können, denn 
faßtte 


ihr Ft Like ee überfirömte eine furchtbare Bläffe 
ihr 
Der Bailli durchſchritt den großen Salon und 
führte Andree zum König. Diefer fügte fie auf Die 
©tirne und rad: 

„Brau Gräfin, gehen Sie zur Königin ; Ihre 
Majehät win Ihnen ihr Hochzeitgeſchenk geben. 

Nach tiefen Worten, die er für außer liebreich 
hielt, zog ſich der König, gefolgt vom ganzen Hofe, 
* und ließ die Reuvermählte verwirrt, in Ber- 

am Arm von Philipp. 
— murmelte fie, „das iſt zu viel, das iſt zu 
viel, Philipp ! Mir fchten doch, ich habe genug erbulbet.“ 
— Philipp leiſe, mod biefe Prüfung, 


„Rein, nein!” erwiederte Andrée, „ih vermöchte es 
nicht Die Kräfte eines Weibes find begrangt; vielleicht 
werde ich thun, was man von mir verlangt; doch bes 
denke, —5 — wenn ſie mit mir ſpricht, wenn ſie 
mich beglũckwünſcht, fo werde ich ſterben.“ 

„Du wirft ſter ben, wenn es fein muß, meine theure 


212 


Schweſter,“ fagte der junge Mann, „und ' 
Du glücklicher ſein als ich, denn wie gern 
todt. 


Er ſprach dieſe Worte mit einem ſo d 
fo ſchmerzlichen Ausdruck, daß Andrée, ale 
von einem Stachel zerriſſen, vorwärts flürz 
Königin drang. 

livier ſah fe vorübergehen; er trat an 
zurüd, um nicht ihr Kleid ju ftreifen. 

Er blieb allein im Salon mit Philipp, 
Haupt, wie fein Schwager, und erwartete dei 
der Unterrebung, welche die Königin mit An 


follte. 

Diefe fand Marie Antoinette in ihrem groß 
Trotz der Jahreszeit, im Monat Juni, he 
Königin euer anzünden laflen; fie faß in il 
Ruhl, den Kopf zurüdgemworfen, die Augen 
die Hände gefaltet wie eine Todte. 

Sie bebte vor Kälte. 

Frau von Mifery, weldhe Andree einge 
zog bie Thürvorhänge zu, ſchloß die Thüre 
das Gemach. 

Zitternd vor Aufregung und Zorn, zi 
vor Schwähe, wartete Andree mit nieberg 
Augen, dag ein Wort Fr ihrem Herzen fäme, 
auf die Stimme der Königin, wie der Beru 
das Beil wartet, das fein Leben durchſchneid 

Hätte Marie Antoinette den Mund 
Augenblid geöffnet, Andree würde, geläh 
war, unterlegen fein, bevor fie begriffen oder ; 

Eine Minute, ein Jahrhundert viefes 
Leidens verging, ehe die Königin eine Be 
macht hatte. 

— ſtand ſie auf, indem ſie ihre 
die Arme ihres Lehnſtuhles ſtützte, und nahn 
Tiſch ein Papier, das ihre wankenden Fin 
Male entſchlüpfen ließen. 





meuraa —ıwo on 


ausm, 


Dann fhhritt fie wie ein Schatten, ohne daß man 
ein anderes Geräuſch, als das Streifen ihres Kleides 
auf dem Teppich hörte, die Arme gegen Andree aus⸗ 
geſtreckt, auf diefe zu und überreichte ihr das Papier, 
ohne ein Wort zu’ fpredhen. % 

Zwifchen diefen beiden Herzen war das Wort über- 
Hüffig: die Königin hatte nicht nöthig, das Verſtändniß 
von Andree hervorzurufen; Andree fonnte nicht einen 
Au nd an ber Eeelengröße von Marie Antoinette 
weifeln. 

3 Jede Andere hätte vermuthet, die Königin werde 
ihr ein miches Leibgedinge, die Urkunde einer Guter: 
fhenfung, oder das Patent einer Stelle bei Hofe bieten. 

Andree errieth, daß das Papier etwas Anderes enthielt. _ 
Sie nahm es und las, ohne fid) von der Stelle zu rühren 
auf der fie ftand. 

„Andree,” Hatte die Königin gefchrieben, „Sie 
haben mic, gerettet. Meine Ehre fommt mir von Ihnen 
zu, mein Leben gehört Ihnen. Im Namen biefer ähre, 
die Sie fo viel Fojtet, fchwöre ich Ihnen, daß Sie mi 
Ihre Schweiter nennen können. Berfuchen Eie es, Sie 
werden mich nicht erröthen fehen. 

„Ich lege dieſe Schrift in Ihre Hände; es ift das 
Pfand meiner Dankbarkeit; es ift die Mitgift, die ich 
Shnen fchenfe. 

„Ihr Herz ift das ebelfte von allen Herzen; es wirb 
mir Danf wifien für das Gefchenf, das ich Ihnen biete. 


„Unterz: Marie Antoinette 
yon Defterreih Lothringen.“ 


Andree ſchaute ihrerfeits die Königin an. Sie fah 
ihre Augen mit Thränen befeuchtet, fie fah fie, den Kopf 
zurüdgeworfen, auf eine Antwort warten. 

Sie durchſchritt langfam das Zimmer, verbrannte 
an bem beinahe erloſchenen Beuer das Billet der Königin, 
verbeugte fi tief, ohne ein Wort zu fprechen, und ver: 
ließ das Gabinet. ; 

8 


274 


Prarie Antoinette machte einen Schritt, um fie auf: 
zuhalten oder ihr zu folgen; aber die unbeugfame 
Gräfin, welche die Thüre offen ließ, Fehrte wierer zu 
ihrem Bruder in den anftoßenden Salon zurüd. 

Philipp rief Charny, nahm feine Hand und legte 
fie in die von Andree, während auf der Echwelle des 
Gabinets, hinter dem Thürvorhange, den fie mit dem 
Arm auf die Seite fhob, die Königin dieſer fehmerz- 
lichen Scene. beiwohnte. 

Charny ging wie der Bräutigam des Todes, ben 
feine leichenbleihe Braut wegführt; ev ging und fchaute 
rückwärts nad) dem blafien Gefichte von Marie Mintoinette, 
die ihn Schritt für Schritt auf immer verſchwinden fah. 

Cie glaubte e8 mwenigftend. 

Vor dem Thore des Schlofjes murteten zwei Reiſe— 
wagen. Andree ftieg in den eriten. Als Charny ſich 
anſchickte ihr zu folgen, fagte die neue Gräfin: 

„Mein Herr, Sie reifen, glaube ih, nad der 
Picardie ab.“ ... 

„sa, Madame,” erwiederte Charnn. 

„Und ih, ich reife nach der Gegend, wo meine 
Mutter geftorben it, Herr Graf. Gott beiohlen!“ 

(Sharny verbeugte fih, ohne zu antworten. Die 
Pferde führten Andree allein fort. 

„Bleiben Sie bei mir, um mir anzufünbigen, taß 
Eie mein Feind find?” fagte nun Tlivier zu Philipp. 

„Nein, Here Graf,” erwiederte diefer: „Sie find 
nicht mein Feind, da Sie mein Schwager find.” 

Tlivier reichte ihm die Hand, flieg in ten zweiten 
Magen und fuhr ebenfalls weg. 

Philipp, ter allein geblieben, rang einen Augenblid 
mit ter Bangigfeit der Verzweiflung die Hänte und 
ſprach dann mit erflidter Stimme: 

„Mein Gott, behältit Du denen, welche ihre Prlicht 
auf Erben ihun, ein wenig Breude im Simmel vor? 
Freude,” wiederholte er verbüftert, indem er zum legten 
Male nad) dem Schloffe fchaute, „ich ſpreche von Breube:.. 


275 


Mom!... Diejenigen allein dürfen auf ein anderes 
Leben hoffen, welche dort oben die Herzen, die fie liebten, 
finden werben. Niemand liebt mich hienieven, ich habe 
niht einmal, wie fie, die Süßigfeit, ten Tod zu 
wünſchen!“ 

ann warf er zum Himmel einen Blick ohne 
Galle empor, einen ſanften Vorwurf des Ehriſten, deſſen 
Glauben wankte, und verſchwand, wie Andree, wie Charny, 
im legten Wirbel des Sturmes, ter einen Thron ent: 
wurzelte und fo viel Ehre und fo viel Liebe zermalmt 


hatte. 4 


Ende des Halsbands der Königin.*) 


> 

*) Es if von Alerander Tumas eine demnädft 
ericheinende Kortfegung ver Denfwürdigfeiten eines 
Arzies: Ange Pitou, angefündig.. Ange Pitou 
wird die dritte Abtheilung tiefer Tenfwürbdigfeiten mit 
der Erflürmung der Baitille beginnen, womit fid) der 
Tag feiner Anfunft in Baris, ver 14. Juli 1789, ver: 
mitt. Ange Pitou ift ver Milhbruter des Briwers 
von Andree von Tavernen und ven Gilberr, welche wir 
alle drei in dieſer Bortiegung mit einem Intereſſe wieder 
finden, das bei jedem ter ſich rafch folgenden Ereigniſſe 
wächst, denn vom 14. Juli 1789 an handelt es fich 
um andere Fragen, als um ein Halsband. Auf bie 
Idylle folgt die blutige Tragödie. 

Diefe dritte Abtheilung wird tie ſechs Jahre 
von 1789 bis 1794, das heißt, von der Einnahme der 
Ale bis zum Ende der Schrechenstegierung um: 
anen. 


276 


Dann fommen nad) und nad: das Dir: 
das Ratferreich und die Neftauration; alle 
ber Mitzeit werden fo in Scenen belebt durd 
geheure Talent von Alerander Dumas ı 
unferen Augen vorübergehen. 

Die deutfhe Bearbeitung wird aud ir 
dem Original auf den Werfen folgen. Der 

er U 


4 726,370 


ini I 7